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German Pages 914 [916] Year 2022
Grundthemen der Literaturwissenschaft: Form
Grundthemen der Literaturwissenschaft
Herausgegeben von Klaus Stierstorfer Wissenschaftlicher Beirat Martin Huber, Barbara Korte, Schamma Schahadat, Christoph Strosetzki und Martina Wagner-Egelhaaf
Robert Matthias Erdbeer, Florian Klaeger, Klaus Stierstorfer (Hrsg.)
Grundthemen der Literaturwissenschaft: Form
ISBN 978-3-11-036433-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-036438-5 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-038578-6 ISSN 2567-241X Library of Congress Control Number: 2020941499 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz, Lemförde Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Die Reihe bietet substanzielle Einzeldarstellungen zu Grundthemen und zentralen Fragestellungen der Literaturwissenschaft. Sie erhebt den Anspruch, für fortgeschrittene Studierende wissenschaftliche Zugänge zum jeweiligen Thema zu erschließen. Gleichzeitig soll sie Forscherinnen und Forschern mit speziellen Interessen als wichtige Anlaufstelle dienen, die den aktuellen Stand der Forschung auf hohem Niveau kartiert und somit eine solide Basis für weitere Arbeiten im betreffenden Forschungsfeld bereitstellt. Die Bände richten sich nicht nur an Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Bereich der Literaturwissenschaften. Von Interesse sind sie auch für all jene Disziplinen, die im weitesten Sinn mit Texten arbeiten. Neben den verschiedenen Literaturwissenschaften soll sie Leserinnen und Leser im weiten Feld der Kulturwissenschaften finden, in der Theologie, der Philosophie, der Geschichtswissenschaft und der Kunstgeschichte, in der Ethnologie und Anthropologie, der Soziologie, der Politologie und in den Rechtswissenschaften sowie in der Kommunikations- und Medienwissenschaft. In bestimmten Fällen sind die hier behandelten Themen selbst für die Natur- und Lebenswissenschaften relevant. Münster, im November 2017
Klaus Stierstorfer
Inhaltsverzeichnis I Einleitung 1 Einleitung: Literarische Form – Robert Matthias Erdbeer, Florian Klaeger, Klaus Stierstorfer 3 II
Historischer Abriss 71
II.1 II.1.1
Konzeptgeschichten der Form 73 Begriffsgeschichten der Form: Ein metaphorologischer Einsatz – Monika Schmitz-Emans 75 Gattungsgeschichten der Form: Aspekte eines prekären Verhältnisses – Werner Michler 112
II.1.2
II.2 II.2.1 II.2.2
III
Formalistische Wege 135 Die russische „Formale Schule“: Grundbegriffe und Methoden – Alfred Sproede 137 New Criticism und New Formalism: Zur anglo-amerikanischen Formtheorie – Fredric V. Bogel 172 Zentrale Fragestellungen 209
III.1 Formtheorien 211 III.1.1 Form und System – Christina Gansel 213 III.1.2 Form und Modell – Robert Matthias Erdbeer 226 Form und Kognition – Anja Müller-Wood 285 III.1.3 III.2 Formverfahren 305 Format und Form – Michael Niehaus 307 III.2.1 Formerzählung / erzählte Form – Jan Alber 323 III.2.2 Enzyklopädie als literarische Form – Andreas Kilcher 347 III.2.3 III.3 III.3.1 III.3.2 III.3.3
Gattungswissen und -transformation 363 Implizite Gattungspoetik – Christel Meier 365 Diätetik der Transformation: Das Modell ‚Idylle‘ – Barbara Thums 382 Zwischen Dokumentation und (Meta-)Fiktion – Wolfgang Funk 399
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Inhaltsverzeichnis
III.4 III.4.1
Kulturen der Form 411 Form und Subjektivität: Ritual und Liturgie als Praktiken literarischer Kommunikation – Wolfgang Braungart 413 III.4.2 Formaler Manifestismus: Zur modellbildenden Wortmagie der Avantgarde – Benedikt Hjartarson 440 III.4.3 Die formation féminine – Susanne Gruß 470 IV
Interdisziplinäre Implikationen und Konzepte 483
IV.1 Formphilosophie 485 Logische Form – Niko Strobach 487 IV.1.1 Symbolische Form – Birgit Recki 505 IV.1.2 IV.1.3 Historische Form – Achim Landwehr 516 IV.2 Medien-Formen 529 IV.2.1 Medienstrategien: Formabspaltung und Formkonstanz – Jens Schröter 531 IV.2.2 Linguistische Stilistik: Die sprachwissenschaftlichen Grundlagen literarischer Form – Christoph Schubert 539 IV.2.3 Bildgeschichten, Comics und Graphic Novels – Dirk Vanderbeke 552 IV.3 IV.3.1 IV.3.2
Form als Funktion 581 Form und Recht – Tonio Walter 583 Erbaute Form: Zum Formbegriff in der Architektur – Reinhard Wendler und Robert Matthias Erdbeer 605 IV.3.3 Warenform – Heinz Drügh 620 IV.4 IV.4.1 IV.4.2 IV.4.3
Erlebte Form 633 Gestalt und Form – Silvia Bonacchi 635 Form und Emotion – Gesine Schiewer 656 Grenzformen der Hoch- und Populärkultur – Moritz Baßler 680
IV.5 IV.5.1 IV.5.2 IV.5.3
Form als Performance 695 Inszenierte Form – Karin Fenböck 697 Musikalische Form – Eberhard Hüppe 711 Erspielte Form – Sebastian Domsch 745
Inhaltsverzeichnis
V Anhang 759 Gesamtbibliographie 761 Personenregister 847 Sachregister 867
IX
I Einleitung
Robert Matthias Erdbeer, Florian Klaeger, Klaus Stierstorfer
Einleitung: Literarische Form
„In the beginning was the word, and the word was what made the difference between form and formlessness […].“ Ali Smith, Artful, 2012 „Gewiß muß man einer Wahrheit schon in hohem Grad mächtig sein, um ohne Gefahr die Form verlassen zu können, in der sie gefunden wurde […].“ Friedrich Schiller, Über die notwendigen Grenzen beim Gebrauch schöner Formen, 1800
Das Thema ‚Form‘ war ungeachtet seiner überragenden Bedeutung für die Selbstverständigung des literarischen Diskurses lange Zeit kein Hauptproblem der literaturwissenschaftlichen Forschung. Dass dies heute anders ist, zeigt schon die Titelgebung einer Reihe einschlägiger Sammelwerke aus der deutschsprachigen, aber auch der internationalen Forschung, nicht zuletzt seit Dieter Burdorfs Studie Poetik der Form (2001) das Thema wieder ins Gedächtnis gerufen hat: Formbildung und Formbegriff. Das Formdenken der Moderne (2019), Dynamik der Form. Literarische Modellierungen zwischen Formgebung und Formverlust (2019), Literarische Form. Theorien – Dynamiken – Kulturen (2018), Zeit der Form – Formen der Zeit (2016), Forms. Whole, Rhythm, Hierarchy, Network (2015), Form und Wirkung. Phänomenologische und empirische Kunstwissenschaft in der Sowjetunion der 1920er Jahre (2013), Form. Zwischen Ästhetik und künstlerischer Praxis (2009) oder On Form. Poetry, Aestheticism, and the Legacy of a Word (2007). Diese Rückwendung zur Form als Gegenstand der Forschung findet auch im vorliegenden Handbuch ihren Niederschlag. In einer Reihe zu Grundthemen der Literaturwissenschaft ist der Band zur literarischen Form von besonderer Relevanz: In der Formdiskussion spiegelt sich wie in kaum einem anderen Bereich die Frage nach dem Proprium des Literarischen tout court. Dies wird zum einen aus der Vorrangstellung deutlich, die der Form vom literarischen Diskurs selbst immer wieder eingeräumt und angetragen wurde und die mit der Form das Differenzkriterium für Literatur schlechthin benennt. In dieser Hinsicht fokussiert ein literarischer Text primär auf das ‚Wie‘ seiner Darstellung, während nicht-literarische Texte vor allem auf das ‚Was‘, auf einen wie auch immer zu definierenden Inhalt ausgerichtet sind. Auch literarische Bedeutung offenbart sich primär in der Formgebung, die dann in vielfältiger Weise figuriert wird. In krassem Gegensatz zu diesem formaffinen oder formalistischen Verständnis dessen, was das Literarische von allen anderen Diskursen unterhttps://doi.org/10.1515/9783110364385-001
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Einleitung
scheidet, stehen solche Ansätze der Formdiskussion, die ihre Tätigkeit geradezu als Abwehr von und Resistenz gegen Formzwänge entwerfen. Freiheit und Fortschritt, politisches Engagement und Widerstand gegen hegemoniale Strukturen wurden seit der (nicht nur literarischen) Moderne immer wieder mit der Abwendung von literarischen Formvorgaben im traditionellen Sinn in eins gesetzt, seien dies Reim und Reimschemata in der Lyrik, Gattungskonventionen in der Prosa oder auch formale Setzungen in Drama und Theater. Gegen eine solche, oft politisch motivierte Engführung formierten sich verschiedentlich Oppositionsbewegungen, die, wie der amerikanische New Formalism und der New Aestheticism in Großbritannien, formale Techniken erneut ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückten. Die Bewertung ihrer Präferenzen durch Bezeichnungen wie konservativ, hegemonial oder gar reaktionär wiesen sie dabei entschieden zurück. Analog zur Abkehr von formalen Fragen in der Poetologie der Werke selbst und in Autorenkommentaren zeigte sich auch in der Literaturwissenschaft die Tendenz, in Folge einer ‚Theorieermüdung‘ das Problem der Form für obsolet, zumindest aber für nicht mehr dringlich zu halten. „Wir tun so“, kommentiert schon Paul de Man polemisch, als ob wir uns, nachdem alle Probleme der literarischen Form ein für allemal gelöst und die Techniken der strukturalen Analyse fast bis zur Vollkommenheit verfeinert worden sind, nun ‚jenseits des Formalismus‘ auf diejenigen Fragen zubewegen könnten, die uns wirklich interessieren […]. Wohlinformiert über das innere Gesetz und die Ordnung der Literatur, können wir uns nun voll Vertrauen […] der Außenpolitik der Literatur widmen. […] Literatur bringt mit Notwendigkeit ihren eigenen Formalismus hervor. (De Man 1988 [1979], 31–32)
Dies führt mitunter auch zu melancholischen Momenten, wie sie etwa Geoffrey Hartman in The Fate of Reading gesteht: „I have not found, however, a method to distinguish clearly what is formal and what is not, or what is figurative and what is not, or what is the reader’s and what the author’s share in ‚producing‘ the complex understanding which surrounds a literary work.“ (Hartman 1975, vii). Paul Valéry verhandelt diesen Missstand schon im Jahre 1931: Le philosophe ne conçoit pas facilement que l’artiste passe presque indifféremment de la forme au contenu et du contenu à la forme: qu’une forme lui vienne avant le sens qu’il lui donnera, ni que l’idée d’une forme soit l’égale pour lui de l’idée qui demande une forme. – Dem Philosophen geht nur schwer ein, daß der Künstler fast unterschiedslos zwischen der Form und dem Inhalt, dem Inhalt und der Form hin und her geht, daß er auf eine Form eher als auf den Sinn, den er ihr geben will, kommen kann und daß die Idee einer Form ihm gleichviel gilt wie die Idee, die nach einer Form verlangt. (Valéry 1960 [1931], 176)
Es zeigt sich deutlich, wie kontrovers, aber auch produktiv die literarische Formfrage durch alle literarischen und wissenschaftlichen Strömungen geblieben ist.
Einleitung: Literarische Form
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Das Ziel des Bandes Form in der Reihe Grundthemen der Literaturwissenschaft ist die interphilologische, historisch ebenso wie systematisch motivierte Darstellung der literaturwissenschaftlichen Formdiskussion sowie die Identifikation von Formdebatten oder formaffinen Fragestellungen aus verwandten Disziplinen. Deren Perspektiven auf das Phänomen der Form beruhen nicht selten auf literaturwissenschaftlichen Voraussetzungen, doch sie haben mittlerweile eine so differenzierte Eigendynamik entwickelt, dass sich die Literaturwissenschaft davon neue Impulse versprechen kann. Gegenstand dieses Bandes ist somit nicht die typologische Erfassung oder Interpretation der literarisch-künstlerischen Formen selber, sondern die dynamische, objektivierend-analytische, subjektbezogene bis klassifikatorisch-normative Rede über sie. Gerade im Konzert der faktualen Formbegriffe, die von logisch-mathematischen bis zu juridischen und lebenswissenschaftlichen Konzepten reichen und für ihren jeweiligen Fachdiskurs bedeutsam sind, gewinnt die poetische Form zusammen mit den Theorien über sie auch epistemologische Brisanz. Als Grundthema der kreativen Selbstverständigung beobachtet der Formdiskurs nicht nur das Kunstsystem im engeren Sinne; er ermöglicht vielmehr die Beschreibung, Rekontextualisierung und Kritik gerade jener Wissensformen, die ihr eigenes ästhetisches und narratives Darstellungsprofil teils unterschätzen, teils strategisch verbergen. Auch in dieser Hinsicht ist der Formbegriff – als literarischer – ein transdisziplinärer Grundbegriff par excellence. Um den Facettenreichtum der literarischen Formdiskussion besser fassen zu können, werden Form und Formgebung im weiteren Verlauf des Einleitungsabschnitts I in ihrer Prozesshaftigkeit erarbeitet und systematisiert. Damit soll ein erster, überblicksartiger Zugang zur Thematik geschaffen werden, der dann in den folgenden Abschnitten in der für die Reihe einheitlichen Gliederung vertieft und ausgefaltet wird. Um die Thematik für die Leserinnen und Leser des Bandes zu erschließen und den Ansatz der Herausgeber zu verdeutlichen, spiegelt die Systematik der Einleitung nicht die Unterteilungen des Bandes im Sinne eines erweiterten Inhaltsverzeichnisses. Es wird vielmehr ein erster, durchaus individueller Zugang zum Diskurs der literarischen Form entworfen, der versucht, den Formbegriff zu dynamisieren und aus verschiedenen Perspektiven zu erkunden. Darauf folgt, wieder der Reihensystematik verpflichtet, als Abschnitt II ein „Historischer Abriss“, der die Entwicklung der Formdiskussion exemplarisch skizziert. Es handelt sich hier ausdrücklich um einen Überblick über grundlegende historische und interphilologische Zugänge, während speziellere Aspekte in den folgenden Abschnitten III und IV wieder aufgegriffen und vertiefend behandelt werden. Im Anschluss daran fokussiert der Abschnitt III, „Zentrale Fragestellungen“, herausragende Diskussionspunkte zur literarischen Form, die sich im Laufe der Forschungsgeschichte als besonders produktiv erwiesen, einschlägige
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Einleitung
Diskussionen befeuern und neue Fragestellungen motivieren. Schließlich finden sich im Abschnitt IV diverse Beiträge versammelt, die zentrale interdisziplinäre Aspekte des Themas in den Kontext ihrer jeweiligen Disziplinen stellen. Da er so auf analoge und affine Formprobleme anderer Forschungsgebiete aufmerksam und Anschlusspunkte sichtbar macht, eröffnet dieser Abschnitt einen interdiszi plinären Dialog. Er nimmt Fragestellungen auf, die diese Disziplinen an die Literaturwissenschaft richten, benennt Probleme des interdisziplinären Austauschs – etwa Unterschiede in Begrifflichkeit, Methodik oder Zielsetzung – und bietet Ansätze zu ihrer Überwindung. Abschnitt IV schließt den Grundthemen-Band der literarischen Form also mit einem interdisziplinären Brückenschlag. Zwar gilt für alle Teile dieses Bandes, dass sie die behandelten Aspekte der literarischen Form und ihrer jeweiligen Formdiskurse umfänglich und vertiefend erarbeiten, doch können sie natürlich keinen Anspruch auf die vollständige Darstellung der weitgreifenden historischen und theoretischen Debatten erheben. Was gleichwohl im vorgegebenen Rahmen unternommen wurde, ist der Versuch, eine möglichst umfassende und zum Teil auch neu systematisierte Zusammenstellung all jener Formfragen und Auseinandersetzungen zu geben, die sich in der Forschung als bedeutend, einschlägig und gut etabliert erwiesen haben. So kann mit Hilfe der Einleitung und der Bandsystematik schnell ein Überblickswissen gewonnen werden, das sich durch die Lektüre der weiterführenden Bandbeiträge spezifizieren lässt. Für das Gros der Beiträge muss weiterhin konzediert werden, dass entsprechend der historischen Verankerung ihr Fokus hauptsächlich im europäischen bzw. ‚westlichen‘ Kulturraum liegt. Da der Band zumal in deutscher Sprache, also primär für den deutschsprachigen Markt erscheint, lag eine gewisse Privilegierung germanistischer Forschungsansätze nahe, wobei zentrale Formdebatten aus anderen Philologien durchgehend Eingang finden. Die hier vorgestellten interphilologischen Formkonzepte und -diskussionen laden so zu einer weiteren Recherche über die dem Band gesetzten Grenzen hinaus ein.
1 Ein Grundthema der Literaturwissenschaft Wohl kaum ein anderer Begriff der Literaturtheorie und -geschichte ist mit solchem Nachdruck als Begründungs-, Ordnungs- und Bewertungsschema aufgetreten wie die literarische Form. Er kreuzt wie selbstverständlich kulturelle, geographische und weltanschauliche Distanzen, und dies über einen Zeitraum, der sich von den ersten Ordnungsstrategien der antiken Dichtungstheorie bis zum New Formalism erstreckt. Wie kaum ein anderer ist dieser Grundbegriff in die Diskurse seiner jeweiligen Zeit verwickelt und erscheint als Kristallisations-
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punkt, wenn nicht gar als Epizentrum immer dort, wo Leistung und Funktion des literarischen Diskurses gegen andere – politische, soziale, wirtschaftliche, religiöse oder wissenschaftliche – Debatten abgegrenzt bzw. zu denselben ins Verhältnis gesetzt werden sollen; etwa von der Epikdiskussion der römischen Antike über den holistischen Diskurs der klassizistischen Autonomieästhetik bis zum Formalismusstreit in der sowjetischen, japanischen und DDR-Kulturpolitik. Noch in der Negation beherrscht die Vorstellung vom regelsetzenden, gestaltverleihenden und -schließenden Prinzip die Gegenoffensiven der dynamischen Modelle, wie sie etwa Schellings Dialektik zwischen forma formans und forma formata am Begriff des Undynamischen, der Form, vollzieht. Zugleich tauscht sich der Formbegriff beständig mit verwandten Termini und Konzeptionen aus. „Das Sittlich-Schöne“, definiert zum Beispiel Johann Heinrich Meineke in einem Handbucheintrag aus dem Jahre 1821, „kann […] nichts anders seyn, als die Form des Sittlich-Guten“ (1821, 492); Kant dagegen spricht in der Kritik der Urteilskraft vom Schönen noch als dem „Symbol des Sittlichguten“ und verwendet für ‚formale‘, rein verstandesmäßige Begriffe das Schema-Konzept (51983 [1790], § 59, 461, Hervorhebung d. Hrsg.). Wer also über Form und Formen spricht, befindet sich im Kraftfeld einer kontextsensitiven Anwendungsdynamik, die zur individuellen Einhegung von Umfang, Synonymität und Funktionalität des jeweiligen Formbegriffs und seiner Ableitungen zwingt. Es geht somit um die Spezifik einer Differenzqualität, die sich aus einer Vielzahl konkurrierender, komplementärer oder subsidiärer Begriffe ergibt. Historisch hat sich diese Ausfaltung am Übergang von der ‚Gehaltsästhetik‘ zur ‚Gestaltästhetik‘ eher schleppend und auf Umwegen vollzogen, da sich das Begriffsquartett aus Wahrnehmung, Materie, Medium und Geist nur schwer auf einen Einheitshorizont beziehen ließ. Entsprechend hat schon Gustav Theodor Fechner das Problem in seiner psychophysischen ‚Ästhetik von unten‘ schlicht für obsolet erklärt: In letzter logisch-metaphysischer Instanz versteht man unter Form überhaupt die Verbindungsweise des Einzelnen, unter Inhalt, Stoff das Einzelne, was verbunden ist. Insofern aber das Einzelne nicht ein Einfaches ist, sondern selbst eine Mehrheit noch in sich verbunden enthält, lässt sich Form und Stoff nicht sachlich scheiden […]. Alles kommt auf die Verbindungsweise an, und so verstanden, wäre ein Streit zwischen Form-Aesthetik und Gehalts-Aesthetik überhaupt nicht möglich. (Fechner 1978 [1871], 35)
Fechner zieht für sich die radikale Konsequenz, den Dualismus selbst aus der Ästhetik auszuscheiden: „Ich gestehe freilich, dass ich auch die allgemeine Frage über die Aufgabe der Kunst lieber durch Bezugnahme auf andre Hauptkategorien als Form und Inhalt behandelt sehen möchte […].“ (35). Ungeachtet vieler Ansätze, die Unterscheidung nach der einen oder andern Seite, oder auch durch dritte Terme aufzulösen, ist der Gegensatz von Form und Nicht-Form doch
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Einleitung
ein Stein des Anstoßes geblieben – auch der Denkanstöße, insbesondere bei der Beschreibung einer typisch literarischen ‚Semantik der Form‘. In diesem Sinne kritisiert schon Nikolaj Bucharin den entgrenzten Formbegriff der russischen Formalen Schule: „Ich vertrete die Ansicht, dass mit diesem Begriff der Form, der bei den Formalisten nicht dem Inhalt entgegengesetzt wird […], die nebelhafte Verschwommenheit beginnt.“ (Bucharin 1973 [1925], 64). Der Ansatz dieses Bandes ist ein systematischer, der ‚Form‘ als Grundkategorie der literaturwissenschaftlichen Debatte versteht. Er fokussiert jedoch zentrale formhistorische Aspekte, insofern sie für die systematische Entwicklung des Diskurses – der Ästhetik und Begriffsgeschichte, der Autorenpoetiken und der mit diesen eng verknüpften außerliterarischen Debatten über Formkonzepte und -verfahren – relevant geworden sind. So lässt sich etwa Theodor A. Meyers Stilgesetz der Poesie als Umschlagspunkt der Formdebatte lesen, der, noch in der Terminologie des alten Paradigmas, eine sprach- und handlungsanalytische Wendung markiert. Die 1901 veröffentlichte Untersuchung distanziert sich dabei von den „An schauungsästhetiker[n]“ und den „Gefühlsästhetiker[n]“ der posthegelianischen, v. a. Vischer-Hartmannschen Kunsttheorie. „Die Poesie“, so Meyer, sei „nur denkbar und nur möglich als Kunst der sprachlichen Vorstellung […]. Die sinnliche Wirklichkeit kommt in ihr nicht so, wie sie wirklich ist […], zum Bewußtsein, sondern ganz so, wie sie sich in der Bearbeitung durch die Vorstellung ausnimmt […].“ (Meyer 1990 [1901], 88). Meyers Angriff zielt zugleich auf die am Medium des Bildes orientierte ‚wechselseitige Erhellung der Künste‘, und er zieht daraus die radikale Folgerung, der Dichter dürfe, ja er könne nur „poetische Bilder schaffen, die nicht einmal mehr die Unterlage eines einheitlichen sinnlichen Gegenstandes […] haben. Er lässt das Individuum hinter sich und entwirft uns, was keine andere Kunst kann, Bilder von Typen.“ (238). Oskar Walzel, der seit 1917 diese ‚wechselseitige Erhellung‘ propagiert, sieht sich in seiner 1923 publizierten einflussreichen Abhandlung Gehalt und Gestalt im Kunstwerk des Dichters zur Replik genötigt. Da er aber ähnlich denkt, versucht er Meyers Position zu überbieten: Wer vollends sich als Forscher in die Gestaltung eines ganzen Kunstwerks vertieft, wird weit emporgehoben über die Stufe der Eindrücke und Vorstellungen. Er muß denken. Er muß in Begriffe umsetzen, was er vorfindet, mag es aus Eindrücken und Erinnerungsbildern, aus denkenden Vergleichen der einzelnen Teile eines Kunstwerks oder aus dem Vergleich des einen Kunstwerks mit anderen zu erschließen sein. Die Welt, für die gilt, was Th. A. Meyer festsetzt, ist damit verlassen. (Walzel 1923, 276)
Offen bleibt dabei die Frage nach der Richtung, in der Walzel Meyers Welt verlässt. Tatsächlich übernimmt der Theoretiker den epistemischen Aspekt der Meyerschen Kritik samt ihrer Überlegung zu Funktion und Typisierung und justiert
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dabei sein eigenes Verständnis vom ‚inneren Bild‘: Das „innere Bild des Aufbaus hat mit dem Gegenständlichen einer Dichtung nichts zu tun […]. Es ist nur etwas wie das Schema eines Grundrisses.“ (280). Der ‚Grundriss‘ tritt hier an die Stelle zwischen apriorischer und stoffgestaltender Funktion der Form. Die erstere betont schon Robert Zimmermann in wünschenswerter Klarheit: Die Aesthetik insoferne sie es allein mit denjenigen Formen zu thun hat, durch welche jeder Stoff, wenn er nur überhaupt Formen anzunehmen vermag, d. h. homogen ist, gefällt oder missfällt, ist daher keine empirische, sondern eine apriorische Wissenschaft. Empirisch ist nur der Stoff, der in die Formen fällt. (Zimmermann 1865, § 76, 32)
Als konstruktive Anschauung – als Produktion – erhält die Form bei Walzel wie in Meyers ‚Stilgesetz‘ Modellcharakter, anders formuliert: Der Kritiker erkennt im Kunstwerk dessen Schema, seinen Stil. Da dieses kritische Erkennen ein Erzeugen ist, entspricht es Meyers amimetischem Konzept der ‚dichterischen Vorstellung‘ als Modellierung, die jedoch – dies ist der Unterschied – für Walzel ans Erleben rückgebunden ist. In Walzels Formen-Welt wird Meyers frühkonstruktivistisches Verfahren also vitalistisch angereichert, da „nur im Erleben das Kunstwerk sich dem Betrachter erschließt“ (Walzel 1923, 144). Derselbe wandelt sich vom Formbeobachter zum Formagenten, und er tritt – als Wissenschaftler, Produzent und Kritiker – ins Formgeschehen ein. In Georg Lukács’ früher Studie Über Form und Wesen des Essays war das ‚Formerleben‘ selbst bereits zum formenschaffenden Prinzip geworden – wahr, symbolträchtig und schicksalhaft: Der Kritiker ist der, der das Schicksalhafte in den Formen erblickt, dessen stärkstes Erlebnis jener Seelengehalt ist, den die Formen indirekt und unbewußt in sich bergen. Die Form ist sein großes Erlebnis, sie ist als unmittelbare Wirklichkeit das Bildhafte, das wirklich Lebendige in seinen Schriften. Diese Form, die aus einem symbolischen Betrachten der Lebenssymbole entstanden ist, bekommt ein Leben für sich von der Kraft dieses Erlebnisses. Sie wird eine Weltanschauung, ein Standpunkt, eine Stellungnahme dem Leben gegenüber, aus dem sie entstand; eine Möglichkeit, es selbst umzuformen und neu zu schaffen. (Lukács 2011 [1911], 31)
Im Hintergrund steht hier der Gegensatz zum Optisch-Bildhaften und HaptischGreifbaren der wahrnehmungsästhetischen Debatte, die – als Spielart des Hylemorphismus – Form und Leben trenne. Lukács’ Überwindung dieser Trennung folgt der Gegentradition der neueren Naturphilosophie (vgl. etwa Vischer 1873; Friedmann 1925; dazu Bertalanffy 1933; Geulen 2016; Salm 1970). Lukács’ Form tritt damit selbst als Produzentin des Erlebens auf, die durch die Fülle ihrer selbstgeschöpften Lebenskraft nicht nur auf den Betrachter durchgreift, sondern selbst als Transformator alter oder als Gestalter neuer Lebensformen tätig wird. So formt und verlebendigt sich die Form stets aus sich selbst, sie ist es, die das Doppel-
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Einleitung
medium des Kritikers – ihn selbst und seine Schriften – beglaubigt und belebt. Die Formekstase, die hier aufbricht, kann durchaus als rezeptionspoetische Entgrenzung jener Formdynamik gelten, die bei Meyer noch kausal begründet und als Folge eines produktionsästhetischen Entwurfszusammenhangs beschrieben und bewertet worden war: der „Situation“. Nach Meyer nämlich eignet jeder Formbeziehung eine je spezifische „poetische Würde“, eine situierte Würde, die „dem niederen oder höheren Grad der Lebendigkeit“ der jeweiligen Form entspricht. Die höchste dieser Formen, die kausale, wird, so Meyer, durch die fruchtbare Situation veranlasst, „in der die schließende, folgernde, begründende und die Gedanken entwickelnde Persönlichkeit steht“. In dieser Formsituation – und nur in dieser – ist nach Meyer „die Beziehung ganz kräftig und ganz lebensvoll“ (Meyer 1990 [1901], 260–261). Walzel kommentiert entsprechend: „Theodor A. Meyer […] nutzt die Beobachtung, daß Worte überhaupt nicht vollwertige und scharfumschriebene innere Anschauungsbilder wecken. Auf die Fähigkeit des Dichters komme es an, durch seine Worte zu kräftigem Miterleben zu zwingen.“ (1923, 271). Das Meyersche Modell der situierten Formbeziehungen zielt also nicht auf eine empiriegestützte Materialästhetik, die den sinnlichen Aspekt vom Individuum aufs Stoffliche verlagert; es behauptet kein ‚bequemes‘ gattungstypisches Verhältnis, wie es Lessing zwischen Zeichen und Bezeichnetem am Wirken sah; ihm ist die Form kein Seelengrund, kein symbolistisches Arkanum, keine Offenbarung; es folgt keinem Formalismus logischer oder ontologischer Art. Indem er nach der Kraft, man könnte sagen: der Motorik eines Sprachstils fragt, nach dessen ‚Form-Milieu‘ und seinem Potenzial, das Unanschauliche und Formlose in Form und auf den Typ zu bringen, stiftet Meyers ‚Stilgesetz‘ ein neues, funktionales Anwendungsprofil. „Formelle Schönheit“ ist dann das Ergebnis einer Modellierung, die durch medien-, stil- und wirkgemäße Anwendung „das Darstellungsmittel des betreffenden Kunstwerks“ auf das ihm entsprechende „Vermögen unseres Geistes“ bezieht. Das „Formschöne“ wie die ‚Lebendigkeit‘ der Dichtung liegen also in der Art der „Sprachbehandlung und Redegestaltung“, die den „Inhalt“ so bearbeitet und aufbereitet, dass er „unsere Vorstellungstätigkeit intensiviert“ (Meyer 1990 [1901], 250–251). Ob ‚Anordnung‘, ‚Gestaltung‘, ‚Typisierung‘ oder ‚Intensivierung‘ – Meyers Termini bezeichnen „Formen der Beziehung“ (260), die auf Adäquatheit, Ausgleich, Resonanz, vor allem aber auf die Effizienz der sie bewirkenden Prozesse ausgerichtet sind. Zu Recht hat Wolfgang Iser diese Neuausrichtung des modernen Formdiskurses als „entscheidende Akzentverschiebung“ beschrieben: als Verschiebung „von der Mimesis zur Performanz“ (Iser in Meyer 1990 [1901], 15). Trotz oder wegen seiner Eigenschaft als Generator einer Fülle analoger, synonymer oder kontrastierender Begriffe ist der Formbegriff zum Zentrum literarischfiktionaler Ordnungs-, Strukturierungs-, Klassifikations- und Wertungspraktiken
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geworden, und er wird bis heute aufgerufen, wo Stabiles auf Dynamisches, Ge steuertes auf Emergentes trifft. Ob Form oder Formgebung, Format oder Formatierung, Formation oder Transformation, Reform oder Reformation – der Form, so scheint es, ist nicht zu entkommen, und dies umso weniger, als die ästhetischliterarische Formierung von ‚Gehalt‘ kein Privileg der Dichtung ist. Schon Samuel Johnson hat ‚form‘ im Dictionary of the English Language als „the external appearance of any thing; representation; shape“ definiert, im weiteren sogar als „Being, as modified by a particular shape“ (Johnson 81799 [1755], o.S.). In diesem Sinne ist die Form Voraussetzung von Kommunikation und Repräsentation schlechthin. Mit Robert Zimmermanns prägnanter Formulierung: „Theilnahmlos wie die Sonne über Gerechten und Ungerechten, schwebt die gefallende Form über der todten Materie, die durch sie Seele und Theilnahme gewinnt.“ (1865, § 73, 30).
2 Formbegriffe/Formkonzepte: Die Systematik der Form Spätestens seit Robert Zimmermanns Versuch, Ästhetik als Formwissenschaft zu begründen (1865; vgl. Bartsch 2017), ist der Formbegriff als Fokus literatur- und kulturwissenschaftlicher Forschung so präsent wie umstritten. Exemplarisch hierfür kann die Einsicht Oskar Walzels stehen, derzufolge schon „das Wort Form“ so „vieldeutig“ ist, dass der „Versuch, vom Gesamterleben herabzusteigen zu der Festsetzung begrifflich erfaß- und verwertbarer Züge des Kunstwerks, sich lebhaftem Widerspruch ausgesetzt sieht“ (1923, 144). Die Widersprüche dieses Formbegriffs sind in der Folge produktiv geworden, umso mehr, als die daraus entstandenen diversen Formbegriffe an bestimmte Formkonzepte rückgebunden sind. Sie äußern sich und werden hergestellt in Formverfahren (vgl. Erdbeer 2001), die man exemplarisch in drei Gruppen unterteilen kann: 1. strategische Begründungen (Binärmodelle), 2. Prozesse generischer Steuerung (Gattungsverfahren) und 3. ontologische Positionierungen (Modalitätsverfahren). Ihr Zusammenspiel begründet dann die jeweiligen Formauffassungen, die David Wellbery mit den Begriffen des eidetischen (platonisch-apriorischen), des endogenen (‚autoplastisch‘-organischen) und des konstruktivistischen (pragmatisch-technischen) Kalküls der Form beschrieben hat (vgl. Wellbery 2014, 19–20; Wellbery 2019). Die Auflösung des Formbegriffs in Tätigkeiten des ‚Formierens‘ ist die Basis der hier vorgestellten Einteilung, die von der ‚Formungspraxis‘ ausgeht und die mit diversen Formungspraktiken verknüpften Formfunktionen benennt. In diesen Beispielen der forma formans – aus historischen und theoretischen Betrachtungen zur Form gewonnen – zeigt sich die Genese ihrer jeweiligen forma formata, der geformten Form.
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2.1 Strategische Begründungen Unterscheiden Niemand hat die Unterscheidung zwischen Form und Stoff so engagiert beobachtet wie Friedrich Schiller. Die Geburt der Unterscheidung – vorgeführt in seinen Abhandlungen Kallias oder über die Schönheit (1793/94) und Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen (1795) – folgt aus Schillers deutlicher Kulturkritik an einem „Zeitalter“, dessen „lichtscheues Uhrwerk“ mit seiner „gemeinen und groben Mechanik“ die Natur des Menschen störe und verstümmele. Dies sei zuallererst ein Formproblem. Denn selbst der „karge fragmentarische Anteil“, welcher der Natur von der Kultur noch zugestanden werde, hänge „nicht von Formen ab, die sich selbsttätig geben“, sondern werde „mit skrupulöser Strenge durch ein Format vorgeschrieben, in welchem man ihre freie Einsicht gebunden hält“ (91993e [1795], 581–584). Der unselbstständigen, von Zwangsformaten kontrollierten Form tritt nun der Formtypus der ‚schönen Form‘ entgegen; sie ist ungebunden und der Zeit entrückt: Zwar wird der Künstler seinen „Stoff […] von der Gegenwart nehmen, aber die Form von einer edleren Zeit, ja jenseits aller Zeit, von der unwandelbaren Einheit seines Wesens entnehmen“ (593). Er wählt eine ‚innere Form‘. Ihr Auftrag ist es, zu verhindern, dass der Künstler „von der Wirklichkeit das Muster empfange“ (595) – wer in Freiheit tätig ist, gewinnt sein Modell aus sich selbst. „Das Schöne“ nämlich sei, so Schiller unzweideutig, „kein Erfahrungsbegriff“, es ist „ein Imperativ“ (91993b [1794], 1140). Die schöne Form verdankt sich also „dem Vernunftbegriff“ (91993e [1795], 600), der inneren Natur des Menschen, nicht der äußeren Natur des Stoffs. Der ‚Stoff‘ ist daher nicht identisch mit dem ‚Inhalt‘ oder ‚Gegenstand‘ der Formung, sondern denotiert den Rohstoff einer Wahrnehmung und deren Konvention.
Darstellen Die Funktion, die Schillers ‚Stoff‘ erfüllt, ist die des Mediums. Die Trennung dieses Mediums vom Gegenstand der Formung dient – so Schiller in den KalliasBriefen – der erklärten Absicht, die Natur des Stoffs als Medium von der Natur des Gegenstands der Darstellung (dem Nachgeahmten) abzutrennen: „Die Natur des Mediums oder Stoffs muß also von der Natur des Nachgeahmten völlig besiegt erscheinen.“ (91993c [1793/94], 428). Schillers Pointe dabei ist, dass Gegenstand und Medium verschiedenen Materien angehören. Demnach ist das „Kunstschöne […] nicht die Natur selbst, sondern nur eine Nachahmung derselben in dem Medium, das von dem Nachgeahmten materialiter ganz verschieden ist. Nach-
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ahmung ist die formale Ähnlichkeit des Materialverschiedenen.“ (427). Dies führt zu einer Theorie der Repräsentation, in deren Mittelpunkt die Form logiert. Nur sie, kein Sinneseindruck oder Inhalt, kann vom Gegenstand aufs Kunstwerk übertragen werden: Es ist „bloß die Form des Nachgeahmten, was auf das Nachahmende übertragen werden kann; also ist es die Form, welche in der Kunstdarstellung den Stoff besiegt haben muß“ (428). Die Schärfe dieser Unterscheidung spiegelt sich in jener der zwei Formtypen – der Zwangsform und der freien Form – und mündet in zwei gegenstrebige „Fundamentalgesetze“, die der Mensch als Handelnder vereinen soll: „Das erste dringt auf absolute Realität: er [der Mensch] soll alles zur Welt machen, was bloß Form ist […]. Das zweite dringt auf absolute Formalität: er soll alles in sich vertilgen, was bloß Welt ist […]; mit andern Worten: er soll alles Innere veräußern und alles Äußere formen.“ (1993 [1795], 603). Ziel der Übung ist der Ausgleich zwischen Stoff und Form. In seiner Abhandlung Über die notwendigen Grenzen beim Gebrauch schöner Formen (1795, 2. Fassung 1800) formuliert Schiller prägnant: Stoff ohne Form ist freilich nur ein halber Besitz, denn die herrlichsten Kenntnisse liegen in einem Kopf, der ihnen keine Gestalt zu geben weiß, wie tote Schätze vergraben. Form ohne Stoff hingegen ist gar nur der Schatte eines Besitzes, und alle Kunstfertigkeit im Ausdruck kann demjenigen nichts helfen, der nichts auszudrücken hat. (1993 [1800], 685)
Als Kunstprinzip bringt die aus diesem Auftrag abgeleitete Harmonisierung zwischen Stoff- und Formtrieb, die der Spieltrieb leisten soll, den Typus einer ‚schönen Form‘ hervor. Der Spieltrieb selbst erscheint dabei als Formtrieb neuen Typs, er liefert die Motorik, die durch Aufhebung (nicht durch Vermischung) der Form-Stoff-Dichotomie die schöne Form prozessiert.
Ermöglichen Die schöne Form, die Schiller durch die Einbindung (und somit Auflösung) der Gegenterme ‚Stoff‘ und ‚Medium‘ gewinnt, eröffnet und gestaltet jene „mittlere Stimmung“, die den ‚ästhetischen Zustand‘ erfüllt. Da dieser aber als ein „Zustand der realen und aktiven Bestimmbarkeit“ des Menschen, sprich: als Möglichkeitsbedingung einer zukünftigen Zustandsänderung fungiert, erweist sich Schillers schöne Form als Formprinzip des Guten. Damit ist die schöne Form umfassend aufgeladen und ins Werk gesetzt: als physische (‚Formtrieb‘), als logische (‚Vernunftbegriff‘) und als moralische (‚Veredelung‘). Die schöne Form entsteht, wo sich das Formbewusstsein eines Künstlers auf die Form von Gegenständen richtet, die sie im Prozess der künstlerischen Formung von den Zwangsformen der Zeit befreien kann. Im Gegensatz zur Zwangsform ist die schöne Form dynamisch,
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aber niemals hektisch; sie erscheint, wie man in der Mechanik sagen würde, im dynamischen Gleichgewicht. Für dieses Gleichgewicht hat Schiller einen wahrhaft klassischen Merksatz geprägt: „gleich weit von Einförmigkeit und Verwirrung ruht die siegende Form“ (1993 [1795], 579). Die allumfassende Begabung dieser Form führt letztlich zur berühmten Formapotheose in den Briefen über die ästhetische Erziehung, deren Auftrag – wie man jetzt behaupten darf – vor allem ‚Formerziehung‘ ist: In einem wahrhaft schönen Kunstwerk soll der Inhalt nichts, die Form aber alles tun; denn durch die Form allein wird auf das Ganze des Menschen, durch den Inhalt hingegen nur auf einzelne Kräfte gewirkt. Der Inhalt wie erhaben und weitumfassend er auch sei, wirkt also jederzeit einschränkend auf den Geist, und nur von der Form ist wahre ästhetische Freiheit zu erwarten. Darin also besteht das große Kunstgeheimnis des Meisters, daß er den Stoff durch die Form vertilgt […]. (639)
Die Frage, welcher Gegenstand durch schöne Form veredelt werden kann (und welcher nicht), führt Schiller zur Kritik der reinen Formrhetorik. Die ästhetische Erziehung scheitert nämlich, wenn ein Gegenstand der schönen Form nicht fähig ist: Aus diesem Grunde halte ich es für schädlich, wenn für den Unterricht der Jugend Schriften gewählt werden, worin wissenschaftliche Materien in schöner Form eingekleidet sind. Ich rede hier ganz und gar nicht von solchen Schriften, wo der Inhalt der Form aufgeopfert worden ist, sondern von wirklich vortrefflichen Schriften, die die schärfste Sachprobe aushalten, aber diese Probe in ihrer Form nicht enthalten. […] Der Verstand wird bei dieser Lektüre immer nur in seiner Zusammenstimmung mit der Einbildungskraft geübt und lernt also nie die Form von dem Stoffe scheiden und als ein reines Vermögen zu handeln. (1993 [1800], 679)
Die Zwangsform eines Gegenstandes, der – durch seinen Sachgehalt – der schönen Form nicht fähig ist, wird hier zur ‚Sachform‘ abgemildert; diese Sachform – nicht die schöne Form – ermöglicht das Verstehen seines Sachgehalts. Die schöne Form dagegen scheitert an ihm doppelt: sie verhindert die erstrebte Gegenstandserkenntnis und den Aufbau jener formästhetischen Erziehung, die Schillers Modell projektiert. Der Autor selbst indessen zielt mit den Kallias- Briefen durchaus auf das Kunstgemäße der dabei gewählten Sachform: „Ich werde meine Gedanken […] in einem Gespräch ‚Kallias oder über die Schönheit‘ auf die kommenden Ostern herausgeben. Für diesen Stoff ist eine solche Form überaus passend, und das Kunstmäßige derselben erhöht mein Interesse an der Behandlung.“ (91993a [1792], 1111).
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Vertauschen Dass der alte „Streit, ob die Poesie Stoff bedürfe oder nur mit Form regiere“, auch ganz anders lösbar ist als durch die Unterscheidung zwischen innerer und äußerer, freier und erzwungener und schöner versus sachhaltiger Form, beweist Jean Paul. Ihm wird, indem er diese Trennung kurzerhand in die Materie selbst verweist, der Stoff der Poesie ‚genialisch‘. Gibt es doch, so heißt es in der Vorschule der Ästhetik, einen äußern mechanischen Stoff, womit uns die Wirklichkeit (die äußere und psychologische) umgibt und überbauet, welcher, ohne Veredlung durch Form, der Poesie gleichgültig ist […]. Aber es gibt ja etwas Höheres […]. Es gibt einen innern Stoff – gleichsam angeborne unwillkürliche Poesie, um welche die Form nicht die Folie, sondern nur die Fassung legt. […] Dieser Stoff macht die geniale Originalität, welche der Nachahmer bloß in der Form und Manier sucht […]. (Jean Paul 2000 [21813 [11804]], § 14, 62–63)
Damit freilich wird die Form als Träger eines Kunstwerks abgewertet, der Stoff dagegen dem Profanen entrückt: „Manchem göttlichen Gemüte wird vom Schicksal eine unförmige Form aufgedrungen […]; denn über die Form, nicht über den innern Stoff regiert die Zeit.“ (64). So fällt die Kunst mit diesem innern Stoff im Künstler selbst zusammen, als „genialer Stoff“ (62) besetzt er die Systemstelle der ehemals ‚inneren Form‘. Sie wird verabschiedet durch die der Zeit entrückte Einheit von Genie, genialem Stoff und Kunstwerk, während für den Formbegriff nur die Funktion der ‚Fassung‘ bleibt. So wird zugleich der Gegensatz von Oberfläche (Form) und Tiefe (Inhalt) wieder hergestellt (vgl. dazu den Beitrag von Monika Schmitz-Emans in diesem Band; vgl. auch Hecken 2020). Erzogen und gebildet werden muss hier nichts: „Nur die äußere Form erschafft der Dichter in augenblicklicher Anspannung; aber den Geist und Stoff trägt er durch ein halbes Leben, und in ihm ist entweder jeder Gedanke Gedicht oder gar keiner.“ (64). Ein Stoff jedoch, der Geist geworden ist, hat die Materie hinter sich gelassen und firmiert als ‚Sinn‘. So kehrt der alte Dualismus mit verkehrten Vorzeichen zurück: Die Form, bei Schiller noch Garant der Freiheit, findet sich an der Systemstelle des Stoffs, als ‚Fassung‘ oder Medium; der Stoff, als innerer und geistiger, erscheint an der Systemstelle der Form.
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2.2 Prozesse generischer Steuerung Bestätigen Ein wesentlich stabilisierender Effekt der Form besteht darin, dass sie als gattungstaxonomisches Gerüst auch eine Grundlage für ästhetische Praktiken bietet. Die wiederholende Imitation bestehender Gattungsmuster ist dann die Voraussetzung für klassizistische Poetiken, die ihrerseits bekannte (meist: antike) Formen zum Gradmesser des Wertes neuer Werke machen. Dieser Ansicht liegt die Annahme zugrunde, dass die etablierten Formen schon an sich eine Autorität besitzen, die es den Nachgeborenen ermöglicht, durch Repetition Größeres zu schaffen, als dies ohne diese Formen möglich wäre. So rät Alexander Pope im Essay on Criticism (1711), ‚den Musen an ihren Quell zu folgen‘ (vgl. Pope 2006 [1711], 22, V. 127), wie es schon Vergil getan habe, der seinen griechischen Vorgängern zunächst verächtlich gegenüberstand: But when t’examine every part he came, Nature and Homer were, he found, the same. Convinced, amazed, he checks the bold design; And rules as strict his laboured work confine, As if the Stagyrite [Aristoteles] o’erlooked each line. Learn hence for ancient rules a just esteem; To copy nature is to copy them. (Pope 2006 [1711], 22, V. 134–140)
Die überkommene Form ist dem Kritiker wie dem Dichter eine Handreichung. Als Qualitätsausweis bei Pope dient zwar die Mimesis, doch das Ergebnis ist eine Poetik, die – auch wenn Pope Ausnahmen zulässt – zunächst auf die Wiederholung bestehender Formen abzielt (eine ähnliche Position vertritt Gottsched, der jedoch auch neueren Gattungen einen Wert zugesteht). Das Ergebnis einer solchen Wiederholung (imitatio auctorum), die durchaus auch die Form der Parodie annehmen kann, ist die Bewahrung oder Sicherung des Status quo und die Bestätigung bestehender Gattungen. Daraus ergibt sich im positiven Sinn ein klares normatives Gerüst für die Produktion neuer Werke, ein starkes Konzept der Inter- bzw. Architextualität und die damit verbundene Möglichkeit einer klaren (taxonomischen wie evaluativen) Systematik sowie eines entsprechenden Kanons. Negative Aufladungen erfährt diese Idee der Formstabilität, wenn die Bürde der Vergangenheit als kreativitätshemmend empfunden wird (vgl. Blooms Anxiety of Influence), wenn gegen den oft ‚unsichtbaren‘ ideologischen Ballast von Gattungen argumentiert wird (z. B. bei Fredric Jameson, The Political Unconscious) oder wenn der bloßen Wiederholung von Gattungsmustern Manierismus oder Epigonalität unterstellt wird (etwa in der sogenannten ‚genre fiction‘).
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Verbessern Wo Form zur Emulation dient, dort eröffnet sie den Nachgeborenen die Möglichkeit, ihre Fertigkeiten durch die Überbietung ihrer Vorbilder zur Schau zu stellen. Strategien dafür haben Bloom in The Anxiety of Influence und Ihab Hassan in The Dismemberment of Orpheus beschrieben. Die Idee der aemulatio hat freilich eine lange Tradition (vgl. Achermann 2011); sie findet sich bereits bei Quintilian (dort allerdings nur mit Bezug auf das Problem der Übersetzung). Auch Pope räumt die Möglichkeit ein, durch formale Überbietung konventionelle Inhalte ‚besser‘ zu vermitteln – die Kunst des Dichters liegt für ihn darin, zu formulieren, „what oft was thought, / But ne’er so well express’d“ (Pope 2006 [1711], 27). Formen transponieren hier Bestehendes in Neues; dabei reformiert und reinterpretiert das neue Werk die überlieferten Formen, ohne sie aufzugeben (im Sinne einer Optimierung des Bestehenden). Verallgemeinernd lässt sich sagen, dass formale Innovation in der Antike und im Mittelalter tendenziell die Gestalt der Verbesserung der Vorbilder in deren Sinne annahm (und sie so als Vorbild bestätigte), während in der Neuzeit Differenz vom Vorbild durchaus als Distanz, als legitimierende Selbstbehauptung und -verortung gegenüber einer Tradition verstanden wurde. Diese Selbstverhältnisse, die das Verhältnis zur vergangenen und noch zu bildenden Form definieren, transportieren jeweils ein bestimmtes Wirklichkeits- und Referenzmodell der literarischen Form.
Erneuern Gerade auch stabile Gattungen können durchaus als Gerüst für Transformation und Innovation dienen. Selbst eine normativ-präskriptive Steuerung muss keineswegs als Einschränkung oder Hemmung begriffen werden: Für die englische Renaissance hat Patrick Cheney die Taxonomie sogar als ‚Motor‘ der Kreativität bezeichnet, da die Demarkation einer Gattung bzw. einer ‚Gattungsidee‘ in den Poetiken der Epoche erst die Schöpfung von neuen Werken einer Gattung ermöglicht habe. So stehen regulative (und stabilisierende) Theoriebildung und kreative Praxis in einem ‚symbiotischen‘ Verhältnis (vgl. Cheney 2018, 185). Ähnliches gilt auch in der Moderne, etwa für die ‚Mythopoiesis‘ eines James Joyce (Ulysses, in der Transmutation der Odyssee) oder T. S. Eliot (The Waste Land, in der Transmutation u. a. des Fischerkönig-Mythos). Wie eine solche ‚Arbeit am Mythos‘ Aufschluss über das geistesgeschichtliche Selbstverständnis einer Epoche bzw. einer Kultur geben kann, hat Hans Blumenberg beschrieben. Er weist jedoch zu Recht darauf hin, dass schon der Mythos selbst das Resultat einer Formgebung sei, die darin bestehe, „die numinose Unbestimmtheit in die nominale Bestimmt-
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heit zu überführen und das Unheimliche vertraut und ansprechbar zu machen“ (Blumenberg 2006 [1979], 32). – ‚Stabile‘ Gattungen ermöglichen die Entstehung von Neuem, weil sie das Bestehende auf eine Weise transformieren, die das Transformierte als es selbst verschwinden oder unerkennbar werden lässt; so schaffen sie Emergenz. Das paradoxe Verhältnis der Romantiker zu traditionellen Formen mag als Beispiel dafür dienen, wie bekannte Formen die Genese neuer Dichtungsformen motivieren. Christoph Reinfandt hat dies auf die Formel ‚Form als Chance und Problem‘ gebracht: Einerseits erleben nicht-klassische Gattungen wie die Ballade, das Lied und (in England) der Blankvers eine Konjunktur, weil sie ‚natürlich‘ erscheinen und die ‚Integration von Subjektivität und Kultur‘ erlauben. Andererseits werden ‚verfremdende‘, weil artifizielle Formen wie z. B. das Sonett und die Ode als nützlich im Dienst einer individualisierenden Autonomieästhetik empfunden (vgl. Reinfandt 2008, 71–71). Gerade eine nur geringe Abweichung vom ‚starken‘ Gattungsmuster garantiert, dass das Muster und die Abweichung erkannt werden, dass die Tradition und der sie erneuernde Dichter Bestätigung erfahren. Eine solche Transformation konventioneller Muster ist bekanntlich zum Grundmerkmal der literarischen Postmoderne geworden. Diesem Formverfahren liegt dann auch die These zugrunde, dass selbst das radikale Neue nicht radikal neu ist, sondern auf Transformationen bestehender Bestände beruht.
2.3 Ontologische Positionierungen Erproben Das Phänomen, das dann als Form erscheint, d. h. als solche aufgefasst, beobachtet und schließlich auch gedeutet wird, ist also eine Frage der ästhetischen Erfahrung oder – phänomenologisch ausgedrückt – der Außenseite des ästhetischen Objekts. In Broder Christiansens Kunstphilosophie bezeichnet das ästhetische Objekt das Kunstwerk, wie es sich in der ästhetischen Erfahrung ein- und herstellt (vgl. Christiansen 1909); seine Außenseite ist das Kunstwerk diesseits der ästhetischen Erfahrung, formtechnisch gesprochen: der Text in seiner Werkförmigkeit. Auch in der linguistischen Semiotik öffnet das ästhetische Objekt die Abgeschlossenheit des Signifikationsprozesses zur Bedeutungsstiftung, die ‚von außen‘ kommt. Es operiert damit an der Systemstelle des Peirceschen ‚Interpretanten‘ (vgl. Čivikov 1987, 31) oder siedelt, wie Jan Mukařovský expliziert, im „Kollektivbewußtsein“ (Mukařovský 1967b [1948], 46). Der Begriff ‚ästhetisches Objekt‘ gehört daher zu jenen ‚dritten Termen‘, die den materialen oder strukturalen Formaspekt, der sich im Kunstwerk zeigt und die Erfahrung leitet, mit der ideellen, rekonstitutiven Formung der ästhetischen Erfahrung selbst – als
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Akt der Imagination, Intuition und Empathie – zum Ausgleich bringen will. In diesem Sinn wird ‚Form‘ zum Träger einer ständigen Erprobung, der an der Entstehung immer neuer Varianten des ästhetischen Objekts beteiligt ist. Als solcher oszilliert die Form stets an der Schwelle des Realen und des Virtuellen, sie erprobt gewissermaßen ihre ontologische Disposition. Als strukturale Vorgabe des Kunstwerks, das die Aktualisierungen der Rezeption bzw. der ästhetischen Erfahrung steuert, definiert, organisiert und kontrolliert sie den werkspezifischen Möglichkeitsraum. Nach dieser Lesart hat die materiale Form der Zeichen und Strukturen eine transzendentale Funktion.
Verwandeln Ovids Metamorphosen gehören nicht zuletzt deshalb zu den meistgelesenen Klassikern der Literaturgeschichte, weil das dort vorgestellte, vielfach gebrochene und variierte Vexierbild von ‚Verwandlungen‘ einen offenbar zeitlosen Reiz zu entwickeln scheint. „In nova fert animus mutatas dicere formas corpora“ („Der Geist bringt mich dazu, von in neue Körper verwandelten Formen zu künden“), so beginnt Ovids Proömium und kündigt damit die Formwandlungsthematik seiner Erzählungen an, in deren Verlauf Menschen in Pflanzen und Tiere mutieren und in ihrer neuen Form in der mythischen Welt präsent bleiben. In der Wissenschaft wird seit Goethe die Frage nach der Form und ihren Wandlungen mit dem Begriff der Morphologie als Lehre von der Form (griech. morphe und logos) gefasst. Ein zentraler Aspekt von Goethes Reden über die Morphologie in der Natur ist die Betonung der Dynamik und Wandelbarkeit der Form (die sich ganz mit dem Anliegen dieser Einleitung zum Grundthemen-Band ‚Form‘ deckt). So schreibt Goethe in der Einleitung („Die Absicht eingeleitet“) seines Beitrags Zur Morphologie (1817): Wollen wir also eine Morphologie einleiten, so dürfen wir nicht von Gestalt sprechen; son dern, wenn wir das Wort brauchen, uns allenfalls dabei nur die Idee, den Begriff oder ein in der Erfahrung nur für den Augenblick Festgehaltenes denken. Das Gebildete wird sogleich wieder umgebildet, und wir haben uns, wenn wir einigermaßen zum lebendigen Anschaun der Natur gelangen wollen, selbst so beweglich und bildsam zu erhalten, nach dem Beispiele mit dem sie uns vorgeht. (Goethe 121994b [1817], 55–56)
Wenngleich die von Goethe eingeforderte Dynamik der Morphologie nicht durchgehend nachgehalten wurde, war das Konzept und der Begriff in verschiedenen Wissenschaftszweigen und neu entstehenden Disziplinen doch enorm produktiv. In die Linguistik wurde der Begriff ‚Morphologie‘ von August Schleicher 1859 eingeführt (vgl. Glück 32005) und bezeichnet heute ein Teilgebiet der Grammatik. Fast gleichzeitig erfolgte die Nutzung des Begriffs in der Ästhetik, namentlich
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wieder bei Robert Zimmermann, der in seiner Aesthetik (1858–62) festhält: „Die Aesthetik als reine Formwissenschaft ist eine Morphologie des Schönen.“ (1865, § 73, 30). Als Wladimir Propp die Struktur des russischen Volksmärchens untersuchte und damit ein wichtiges Gründungsdokument des Strukturalismus in der Literaturwissenschaft schuf, nannte er seine Studie Morphologie des Märchens (1928). André Jolles wiederum beschreibt in seinem einflussreichen gattungstheoretischen Werk Einfache Formen von 1930, wie solche ‚einfachen Formen‘ aus kulturell verdichteten, konventionalisierten „Sprachgebärden“ „morphologisch erkennbare sprachliche Einheiten“ bilden: Es ist allen Einfachen Formen gemeinsam, daß sie sich durch diese Einzelgebärden in der Sprache verwirklichen – es sind andererseits diese Einzelgebärden, die es uns als mit der Macht einer Geistesbeschäftigung geladene und dadurch morphologisch erkennbare sprachliche Einheiten ermöglichen, die Einfachen Formen voneinander zu trennen, sie zu unterscheiden. (Jolles 21958 [1930], 265)
Die Sprache greift dabei auf vorsprachliche Formprozesse zu, auf eine Mannigfaltigkeit, deren Teile ineinander eindringen, sich vereinigen, verinnigen, und so eine Gestalt, eine Form ergeben – eine Form, die als solche gegenständlich erfaßt werden kann, die […] eigene Gültigkeit, eigene Bündigkeit besitzt. Wo nun die Sprache bei der Bildung einer solchen Form beteiligt ist, wo sie anordnend, umordnend in eine solche Form eingreift, sie von sich aus noch einmal gestaltet – da können wir von litterarischen Formen sprechen. (Jolles 21958 [1930], 22)
Sprachliche Formung reformuliert hier die Formen der Wirklichkeit. In Oswald Spenglers „Morphologie der Weltgeschichte“ erfuhr der morphologische Zugang seine erste große kulturgeschichtliche Ausfaltung (1918–22). Immer geht es dabei um die Beschreibung dynamischer Formprozesse, von Verwandlungen über Zeit. Spenglers Ziel ist freilich ein Verfahren, das die „Formensprache“ einer Zeit reformuliert und im Projekt einer ‚historischen Symbolik‘ fixiert: Das Wann dieser Zeit innerhalb der abendländischen Gesamtkultur, ihr Sinn als biographischer Abschnitt […], die organische und symbolische Bedeutung ihrer politischen, künstlerischen, geistigen, sozialen Formensprache soll festgestellt werden. (Spengler 141999 [1918/1921], 36)
Die „morphologische Verwandtschaft“ der „Kulturgebiete“ zeige sich, so die diskurshistorische Vermutung, in der Rückführung auf die Strukturanalogien dieser Formensprachen: Wer weiß es, dass zwischen der Differentialrechnung und dem dynastischen Staatssystem der Zeit Ludwigs XIV. […], zwischen der Raumperspektive der abendländischen Ölmalerei
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und der Überwindung des Raumes durch Bahnen, Fernsprecher und Fernwaffen, zwischen der kontrapunktischen Instrumentalmusik und dem wirtschaftlichen Kreditsystem ein tiefer Zusammenhang der Form besteht? (8)
Die Kraft der „Formensprache der Historie“ definiert dabei den Wert der Tatsachen: „Was den einzelnen Tatsachen ihren Rang gibt, ist lediglich die größere oder geringere Reinheit und Kraft ihrer Formensprache […].“ (39, 43). Spenglers morphologische Geschichtsschreibung erscheint vor diesem Hintergrund als formästhetisches Projekt, das die historische „Grammatik und Syntax der Formensprache“ betrifft (248). Dabei bleibt die Aporie zwischen der Statik der Beschreibung selbst und der Dynamik der zu beschreibenden Formwandlungen durchweg spürbar. Ein starkes Forminteresse findet sich auch in der Psychologie dieser Zeit. Dies zeigt sich insbesondere in der zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts aufkommenden Gestalttheorie bzw. Gestaltpsychologie, die bis heute ein einflussreiches Forschungsparadigma darstellt. Auch die von Wilhelm Salber um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts entwickelte psychologische Morphologie knüpft daran an. Im Forschungsinteresse steht die Beobachtung, dass die menschliche Wahrnehmung erst im Wahrnehmungsprozess Gestalten bildet bzw. auf schon vorgeprägte Formen und Muster zurückgreift.
Verwirklichen Wie ‚wirklich‘ literarische Formate sind, ist eine Frage, die den alten Dualismus zwischen materialen und transzendentalen Formen betrifft (zur Materialität der Form vgl. etwa Hahn und Pethes 2020). Der Dualismus selbst verwandelt sich dabei beständig, etwa dadurch, dass er beiden Polen eine Vielzahl unterschiedlicher Begriffe auferlegt: Als eidos wird die transzendente Form zum Vorbild ihrer morphe, als innere gestaltet sie die äußere, als logische begründet sie die faktische, als ordnende gestaltet sie die offene, als künstlerische überformt sie die alltägliche. Dies wiederum bedeutet im Verständnis des dualen Formdiskurses, dass man aus der materialen Form, in der sich die Idee verwirklicht, auf die ideale – und durch sie auf die Idee als solche – schließen oder immerhin auf sie verweisen kann. Man schließt darauf mit Techniken der hermeneutischen und strukturalen Analyse oder mittels Einfühlung, Divination, Allegorese, kurz: durch Strategien einer Redynamisierung, die, indem sie sich im Sinne ihres FormObjekts dynamisiert, die Teilhabe am ursprünglichen Formgeschehen simuliert. Rekonstruktion und Rekonstitution sind selber Formprozesse, die das ‚Original‘, die ‚Intention‘, die ‚Urstruktur‘, die ‚Unterscheidung und Bezeichnung‘ aus den
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Repräsentationen oder Anwendungen einer Form ‚reformulieren‘. Exemplarisch zeigt sich dies am Formdiskurs der Systemtheorie. Beobachten, Beschreiben und Verstehen, so die These aller formalistischen Diskurse, ist ein Formbeobachten, ein Formbeschreiben und ein Formverstehen. Als Beobachtungen zweiter Ordnung kommen diese Tätigkeiten auch den literarischen Verfahren zu, da diese die Beobachtungen erster Ordnung reflektieren, also jenes Unterscheiden und Bezeichnen, das im Sinne von George Spencer-Brown als ‚Form‘ der Welterschließung gelten kann. Als Reflexion derselben leistet der poetische Diskurs (wie jede andere Beobachtung der zweiten Ordnung) den ‚Wiedereintritt der Form in die Form‘. In diesem Sinn verpflichtet er die Literaturwissenschaft auf ein Beobachten der dritten Ordnung; dieses wiederum bringt seine eigenen ‚binären Codes‘ zum Einsatz, um die Unterscheidungen der Dichtung zu bezeichnen – etwa die binären Codes von Form und Inhalt oder von Gehalt und Gestalt. Inwiefern der poetische Diskurs und seine Wissenschaft an der Erzeugung der mit diesen Codes verknüpften Formontologien tätig werden, lässt sich etwa an der Weise zeigen, wie die Luhmann’sche Systemtheorie die romantische Kunsttheorie expliziert. Wenn nämlich die „Funktion der [künstlerischen] Form“, die der romantische Diskurs entwirft, darin besteht, „über ihre eigene Endlichkeit hinauszuweisen auf eine unerreichbare Idee der Kunst, die von jedem einzelnen Kunstwerk angestrebt wird“, dann zeigt sich hier, so David Roberts, die ‚Mystik‘ dieser „Zwei-Seiten-Form“: Jenseits der Grenzen des sichtbaren Werks liegt das unsichtbare Werk. Die sichtbare Form ist daher notwendigerweise kontingent und kann nur über sich selbst hinausweisen, indem sie ihre eigene Kontingenz offenlegt. Dies ist die Aufgabe der romantischen Ironie, die wir in den Begriffen eines paradoxen Ergebnisses des Wiedereintritts der Form in die Form reformulieren können. […] Der Wiedereintritt der Form erweist demnach gleichzeitig die Selbstbegrenzung und die Selbstpotenzierung des Teils im Verhältnis zum Ganzen. (Roberts 2 2016, 34)
In diesem Abschnitt informiert ein theoretisches Modell der Gegenwart ein literarhistorisches auf eine Weise, die das gegenwärtige Modell in seiner eigenen Codierung stützt. ‚Vertraut‘ klingt diesem daher auch die einschlägige Wendung Fichtes aus der Wissenschaftslehre, die – zitiert nach Benjamins Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik – den Luhmann’schen Systemgedanken im historischen Diskurs fundiert: Diese [Fichtes] Definition ist uns bereits vertraut, denn sie formuliert nichts anderes als die Operation des Wiedereintritts der Form in die Form: „Die Handlung der Freiheit, durch welche die Form zur Form der Form als ihres Gehaltes wird und in sich selbst zurückkehrt, heißt Reflexion.“ (Roberts 22016, 33)
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So wird das Seinsstatut der Form im kooperativen Zugriff zwischen der ästhetischliterarischen und wissenschaftlichen Debatte ausgehandelt, Form als Gegenstand der Reflexion ‚verwirklicht‘ und als theoretisches Modell zugleich historisch ausgetieft. Ein solcher Vorgang ist nicht untypisch für den Versuch, den Formbegriff zur Lösung seiner eigenen Probleme einzusetzen – hier als Ausgleich seines Status zwischen Materialität und Transzendentalität.
Verzeitlichen Der wohl noch immer prominenteste Versuch, die literarisch-künstlerische Form in ihrer zeitlichen Funktion zu fassen und auf diesem Weg nicht nur die Eigenzeiten von sozialer Wirklichkeit und literarischer Fiktion zu integrieren, sondern auch die Differenz von Form und Inhalt aufzuheben, ist der Chronotopos. „Wir verstehen den Chronotopos“, so sein Urheber Michail Bachtin, als eine Form-Inhalt-Kategorie der Literatur. […] Im künstlerisch-literarischen Chronotopos verschmelzen räumliche und zeitliche Merkmale zu einem sinnvollen und konkreten Ganzen. Die Zeit verdichtet sich hierbei, sie zieht sich zusammen und wird dabei auf künstlerische Weise sichtbar; der Raum gewinnt Intensität, er wird in die Bewegung der Zeit, des Sujets, der Geschichte hineingezogen. Die Merkmale der Zeit offenbaren sich im Raum und der Raum wird von der Zeit mit Sinn erfüllt und dimensioniert. […] Als Form-Inhalt-Kategorie bestimmt der Chronotopos […] auch das Bild vom Menschen in der Literatur; dieses Bild ist in seinem Wesen immer chronotopisch. (Bachtin 2008 [1975; entst. 1937/38], 7–8)
Als Kristallisationspunkt der „historischen Poetik“ (7) ist der Chronotopos also ein zugleich kultur-, literatur- und erkenntnistheoretischer Modellbegriff, der zwischen der Geschichte und der Systematik literarischer Erscheinungen vermitteln soll (vgl. Ostheimer und Schrage 2016). Er leistet dies auf dem Gebiet der Gattungen: In der Literatur ist der Chronotopos für das Genre von grundlegender Bedeutung. […] Diese – zunächst produktiven – Genreformen haben sich später zur Tradition verfestigt und lebten auch dann beharrlich weiter, als sie bereits ihre realistisch-produktive und adäquate Bedeutung gänzlich eingebüßt hatten. Daraus erklärt sich auch, daß in der Literatur Phänomene, die völlig verschiedenen Zeit entstammen, koexistieren […]. (8)
Bachtin zielt darauf, den Gattungswandel als ein typologisches Verfahren aufzuweisen, das die lebensweltlich-äußeren Raum-Zeit-Verhältnisse in innerliterarische verwandelt und auf diese Weise ebenso repräsentiert wie konstruiert und temporär stabilisiert. Trotz ihrer Ungleichzeitigkeit im literarischen Geschehen liefern diese Chronotopoi – eben weil sie die für literarisch-fiktionale Formver-
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fahren typische „Durchdringung der Zeitmodi“ organisieren (Simon 2016, 65) – als Gattungsvarianten „eine relativ stabile Typologie“ (Bachtin 2008 [1975], 8). Sie unterliegen dabei jener epistemischen und kulturellen Pfadabhängigkeit, die bei Foucault ‚historisches Apriori‘ heißt. Foucault favorisiert dabei ein ähnliches Konzept formaler Zeitlichkeit, indem er in der Archäologie des Wissens „diskursive Formationen“ als „Beziehungen zwischen Aussagen“ beschreibt (81997 [1969], 48), die im Diskurs als regelgeleitete Systeme das festlegen, was in einem bestimmten historischen und kulturellen Kontext sagbar ist (und was nicht). Damit regulieren die Diskurse das, was als Wirklichkeit angenommen und gelebt wird. Die historischen Diskurse dienen hier als „Praktiken […], die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen. Zwar bestehen diese Diskurse aus Zeichen; aber sie benutzen diese Zeichen für mehr als nur zur Bezeichnung der Sachen. Dieses mehr macht sie irreduzibel auf das Sprechen und die Sprache. Dieses mehr muss man ans Licht bringen und beschreiben.“ (74). In der konstruktiven Leistung dieser Zeichen liegt dann für Foucault der Grund, sie kurzerhand als Formen anzusprechen: „Die Zeichen, die ihre Elemente konstituieren, sind Formen, die sich den Aussagen auferlegen und sie von innen beherrschen.“ (124). Form erscheint damit im Zentrum des Diskurses; die äußere wirkt als innere Form. Geordnet finden sich Diskurse in historisch wechselnden Konstellationen oder „Formationen“, die Foucault Dispositive nennt und als Ausdruck von Machtstrukturen versteht (vgl. Foucault 2000a [1978], 119–120). Sie wechseln in historischer Folge und sind als Regulative zu sehen, die die Logik und die Abfolge historischer Epochen prägen. Das Ensemble der historisch prägenden Dispositive bildet selber ein Dispositiv, die Episteme: „Die Episteme ist das Dispositiv, das es erlaubt, nicht schon das Wahre vom Falschen, sondern das wissenschaftlich Qualifizierbare vom Nicht-Qualifizierbaren zu scheiden.“ (124). In Luhmanns formalistischer Gesellschaftstheorie sind die Systembestandteile weit weniger im Fokus als die Verbindungen zwischen denselben und verweisen somit auch auf eine Kommunikationstheorie. Die Bestandteile eines Systems sind diesem nicht vorgeordnet als bestünden sie ‚für sich‘ und könnten irgendwann zu einem System aggregieren, sondern sie sind das dynamische Produkt des Systems und bestehen nur dadurch, dass sie durch die Systemfunktion autopoetisch hervorgebracht werden. Entsprechend betont Luhmann, dass „die Elemente, aus denen das System besteht, keine Dauer haben können, also unaufhörlich durch das System dieser Elemente selbst reproduziert werden müssen“ (Luhmann 41993, 28). Luhmanns Formsprache erscheint daher geeignet, auch historische Wandlungsprozesse formal zu beschreiben. Wie sich dies für die Geschichtsschreibung als Disziplin erreichen lässt, hat Hayden White pionierhaft und mit einschlägigen Titeln wie Metahistory (1973), Tropics of Discourse (1978), The Content of the Form (1987) oder Figural Realism (1999) gezeigt. Er nutzt dabei
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literaturtheoretische Gattungssysteme, namentlich die Systematik Northrop Fryes, um mit Hilfe tropologischer Modelle zu zeigen, wie formale Muster das Verständnis und die Interpretation von Geschichte und ihrer Darstellung grundlegend prägen.
3 Weltanschauung/Formanschauung: Die Semantik der Form Wie jede Näherung an einen Grund- und Leitbegriff, so hat auch dieser Band der Problematik zu begegnen, dass nicht jede formative Kraft und Leistung stets mit dem Begriff der Form verbunden ist. Dies führt zur Aufgabe, die formaffinen Synonyme und mit ihnen die Begriffs- und Deutungsfelder aufzurufen, die als Formsemantiken den Formdiskurs bestimmen. Diesem Spektrum formsemantischer Bezüge folgend gilt es erstens festzuhalten, dass formale Muster und Verfahren nicht nur zur Bestimmung präformierter oder aber gänzlich ‚formloser‘ Gehalte dienen, sondern selbst an deren Stelle treten können – ganz im Sinn der formalistischen Zentralbehauptung, dass die Form sich ihren Inhalt schafft. Schon lange vor Marshall McLuhans Einsicht in die Macht des Mediums (vgl. McLuhan 2003 [1964], 19–35) erkennt die Formdebatte, dass die message durch die Form getragen wird: „Es ist hier so, daß die Formen selbst etwas meinen, darin liegt ihr Gehalt.“ (Lugowski 1976 [1931], 5). Was Clemens Lugowski hier beschreibt, wurde in der Folge nicht nur von McLuhan in der Medienwissenschaft weiterentwickelt. In einem Essay zu Fredric Jameson arbeitete Hayden White aus historiographischer Perspektive heraus, wie Jameson in seiner Literatur- und Kulturgeschichte der Moderne, The Political Unconscious (1981), die Sprachkonzeption Luis Hjelmslevs, welche auf formaler Ebene zwischen dem Ausdruck und dem Inhalt der Form unterschieden hatte, für sein Konzept nutzbar macht. Jameson schrieb dazu: „[A]t this level ‚form‘ is apprehended as content. […] It has become possible to grasp such formal processes as sedimented content in their own right, as carrying ideological messages of their own, distinct from the ostensible or manifest content of the works […].“ (1996 [1981], 99). White selbst betitelte den Sammelband, in dem der Aufsatz zu Jameson 1987 wieder abgedruckt wurde, in Anlehnung an Hjelmslev The Content of the Form. Ebenso im Rückgriff auf McLuhan stellte Brian Lloyd in seinem Aufsatz The Form is the Message die Bedeutung der Form im Werk von Bob Dylan heraus (vgl. Lloyd 2014) – zwei Jahre bevor Dylan 2016 den Literaturnobelpreis erhielt. Dylan selbst bekennt den Einfluss des formalen Zugriffs auf die Semantik der Songs:
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[I]t was the form, the free verse association, the structure and disregard for the known certainty of melodic patterns to make it [the song] seriously matter, give it its cutting edge. […] I wanted to figure out how to manipulate and control this particular structure. […] I could see that the type of songs I was leaning towards singing didn’t exist and I began playing with the form, trying to grasp it – trying to make a song that transcended the information in it, the character and plot. (Dylan 2004, 275)
Beschrieben wird hier erstens eine fortschreitende Formkontrolle, die sich selbst als Inhaltsproduktion und -steuerung versteht. Zweitens zeigt der Kommentar des Songwriters im Formenparadigma ‚structure‘, ‚pattern‘, ‚type‘ und ‚information‘, wie sich Formsemantik als Ensemble formaffiner Paradigmen (Fachbegriffe, Tropen und Rhetoriken) formiert, die ihr spezifisches Bedeutungsfeld am Material der eigenen Diskurse (Fachsprachen, Symboliken und Metaphoriken) gewinnen: Gestalt in der Gestaltpsychologie, Struktur im Strukturalismus, System in der Systemtheorie, Morphé in den Lebenswissenschaften und Modell in der Natur- und Technikwissenschaft. Zum Dritten können solche Formsemantiken für philosophische und weltanschauliche Diskurse fruchtbar und als ‚Formanschauungen‘ bedeutsam werden, die, wie in der Spenglerschen ‚Morphologie der Weltgeschichte‘ oder auch im ‚Poststrukturalismus‘ der Cultural Studies, Postulate epistemischer, politischer und esoterischer Natur verfolgen. Die Entstehung dieser Formsemantiken vollzieht sich dann sowohl in normativen Gesten (Naturalisierung, Standardisierung, Normierung), aber auch durch deren Gegenpol: die kreative Wandlung (Subversion, Subjektivierung, Transformation) der Form.
3.1 Normative Gesten Regeln Seit jeher wurden Texte nicht zuletzt aufgrund von Formkriterien eingeteilt und zugeordnet. Im Bereich der Literatur geschah dies hauptsächlich anhand der Gattungstaxonomie, die sich seit Aristoteles’ Poetik einerseits in einem wachsenden Fundus an Gattungsbegriffen, andererseits in einem daraus schöpfenden speziellen Gattungswissen niederschlug, das späterhin, zur Gattungstheorie verdichtet, ein wichtiges Feld der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Literatur ausbildete (vgl. Keckeis und Michler 2020). Ihr Gegenstand sind Formgebilde mit Modellcharakter, welche (mit-)bestimmen, was in welcher Form gesagt werden kann und was nicht. Gattungswissen und -systeme generieren dabei Ein- und Ausschlusspraktiken, die das Entstehen und Verstehen von Texten reglementieren, und dies im zeitlichen und kulturellen Wandel. Neben solchen Regelungsverfahren, die sich innerliterarisch geltend machen, werden Gattungs- und Verfahrenskonventionen
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aber auch im Zuge einer explizit normierenden Kodifizierung erzeugt. Bekanntes Beispiel hierfür sind die Regelpoetiken, wie sie in Deutschland von Martin Opitz (Buch von der Deutschen Poeterey, 1624) bis Johann Christoph Gottsched (Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen, 1730) verfasst wurden. Diese Werke stellen einen Versuch dar, Gattungsgefüge normativ zu beschreiben und festzulegen, um die Beurteilung und die Abfassung literarischer Werke auf ein am klassischen Vorbild der Antike orientiertes Regelwerk festzulegen. Eine solche Steuerung kann – wie bereits bei Opitz – ungemein detailreich sein, z. B. dort, wo aus der Materialspezifik auf die Form geschlossen wird: „Weil ein buchstabe einen andern klang von sich giebet [Material] als der andere, soll man sehen, das man diese zum offteren gebrauche, die sich zue der sache welche wir für vns haben [Inhalt] am besten schicken [Formung].“ (Opitz 2002 [1624], 40). Von diesem Gattungswissen ist das in bestimmten Textgattungen formatierte, archivierte oder auch sedimentierte Welt- und Fachwissen zu unterscheiden, das im Sinne einer ‚Poetologie des Wissens‘ auch ästhetischen Prinzipien folgt, generisch tätig wird und seinerseits den literarischen Diskurs informiert (vgl. Vogl 1999; Bies, Gamper und Kleeberg 2013). Aus der Fülle solchen Gattungswissens entstehen literarische Ordnungssysteme, die zwar als geschichtlich und kulturell kontingent gelten können, die sich aber – wie im Fall der von der Enzyklopädistik oder von den Klassifikationsmodellen der Naturgeschichte inspirierten Textverfahren der Romantik und der realistischen Poetik – aus zentralen kulturellen Strömungen und Wissenstraditionen speisen. Für das zwanzigste Jahrhundert lässt sich dies z. B. eindrücklich am Einfluss linguistischer Strömungen verfolgen, die im Kontext des Saussure’schen Strukturalismus immer wieder als bedeutende Impulsgeber für literarische und literaturtheoretische Formdebatten aufgetreten sind. Mit dem Begriff der langue im Gegensatz zur parole hob de Saussure in seinem Cours de linguistique générale (1916) den systematischen Aspekt der Sprache hervor und begründete damit deren Erforschung als formales Zeichensystem, das dann auch für die literaturwissenschaftliche Gattungstheorie wegweisend wurde. So kommt zum Beispiel Jurij Tynjanov schon 1927 „zum Schluss: die Erforschung isolierter Genres ohne Berücksichtigung der Zeichen des Genresystems, mit dem sie in Korrelation stehen, ist unmöglich“ (1969c [1927], 447). Formale Regelung entwickelt sich dann in der Folge immer mehr vom Klassifikationsverfahren zur kultur- und kontextsensitiven Netzwerktechnik, die das formdynamische Bezugsfeld etabliert und kontrolliert.
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Steuern Neben Foucaults Diskursen, Luhmanns Systemtheorie und Whites Tropologie gewinnt auch der Modellbegriff in den Humanwissenschaften zunehmend an Bedeutung: als formales Ordnungsmuster von Weltdeutung, -erfahrung und -steuerung. In ihrem Buch The Grand Design wenden sich Stephen Hawking und Leonard Mlodinow gegen eine ‚naive Sicht der Realität‘, die mit moderner Physik nicht kompatibel sei. Sie plädieren dagegen für einen „model-dependent realism“ (2010, 16), mit dessen Hilfe sie „new answers to the ultimate questions of life“ (so der Untertitel des Bandes) zu finden versprechen. Das Modell wird hier zum Zugang einer Welt, die immer nur als Modell bzw. als eine Ansammlung von Modellvorstellungen für uns wahrnehmbar und darstellbar ist; Modelle, welche jederzeit durch andere, oft gleichberechtigte Modelle ersetzt werden könnten. Da der Modellbegriff in den unterschiedlichen Wissenschaften und Disziplinen sehr verschieden verwendet wird, hat neuerdings Bernd Mahr im Anschluss an Herbert Stachowiak eine allgemeine Modelltheorie als Metamodellierung der Modellbildung zu entwerfen versucht (vgl. Mahr 2015; Stachowiak 1973), ein Zugang, der auch Eingang in die Literaturwissenschaft gefunden hat (vgl. Erdbeer, Kläger und Stierstorfer 2018 mit Bezug auf Mahr und Ansätze bei Flaschka 1976; Kerschbaumer 2018, sowie den Beitrag ‚Form und Modell‘ in diesem Band). Im Zentrum dieser aus der kybernetischen Debatte stammenden Betrachtung stehen Fragen nach der Steuerungs-, Kontroll-, und Organisationsfunktion der literarischen Verfahren, also nach der Agency der literarischen Form. Die Vorstellung, dass die Materie selbst bereits Aspekte ihrer Steuerung bereitstellt, also zum Akteur der Formung wird, beschäftigt auch noch die moderne Literaturtheorie. Bei Tudor Vianu etwa führt die These, „daß der Stoff niemals ein völlig amorphes Element“ sei und „folglich immer einen formalen Hinweis für das künftige Werk“ enthalte (Vianu 1972 [1966], 224–225), zur Verdopplung der Form: Der Erzeuger arbeitet stets mit einem durch den Menschen oder die Natur vorgeformten Stoff. Von diesem Gesichtspunkt kann man sagen, daß ein Werk schaffen eine vorhergegangene Gestaltungsarbeit fortführen, genauer: die gegenseitige Anpassung zweier Formen bedeutet, von denen die eine vom Schöpfer erzeugt und die andere für ihn gegeben ist […]. (Vianu 1972 [1966], 214–215)
Form ist hier die Folge der geteilten Steuerung, des Formgebungsausgleichs. Aus immanenter Perspektive hatte bereits Roman Ingarden die Form vervielfältigt, d. h. auf mehrere vernetzte ‚Schichten‘ des literarischen Kunstwerks verteilt. So lasse sich das viel diskutierte Problem des Unterschiedes zwischen „Form“ und „Inhalt“ (bzw. „Gehalt“ und „Gestalt“) des literarischen Kunstwerks ohne die Berücksichtigung seines
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vielschichtigen Aufbaus überhaupt nicht richtig stellen, weil alle nötigen Termini vieldeutig und verschiebbar sind. Insbesondere muss jeder Versuch, das Problem der Form des literarischen Kunstwerkes zu lösen, mißlingen, wenn man stets nur eine aus den vielen Schichten ins Auge fasst […], weil man damit übersieht, daß die Form des Werkes sich erst aus den Formmomenten der einzelnen Schichten und aus ihrer Zusammenwirkung ergibt. (Ingarden 31965 [1939], 29–30)
Bereits die Sturm-und-Drang-Poetik hat – im Modus der Genie-Ästhetik – das Konzept der ‚immanenten Steuerung‘ strategisch umgesetzt, und dies auf Kosten der potenten Autorschaft. Nicht das Genie gibt nämlich seinem Text die Regeln, sondern die Natur (der Stoff) gibt sie sich selbst. Die Autopoiesis erfolgt durch das Genie als Medium; die Ordnung, welche hier entsteht, kann demnach keine Regelung gemäß der ‚künstlichen‘ Regelpoetik mehr sein. Johann Georg Hamann, Inspirator der Genieästhetik, teilt hier die Beobachtung des englischen Grammatikers Lowth, dass „die Betrachtungen oder Empfindungen der ältesten und heiligsten Dichter […] sich von selbst […] in symmetrische Zeilen geordnet zu haben [scheinen], die voller Wohlklang sind, ob sie schon kein (vorgemaltes noch Gesetzkräftiges) Sylbenmaas haben“ (Lowth in Hamann 1993 [1762], 143). Dieser Formgedanke wird dann auch für die romantische Poetik relevant. Die wahre Form, so Friedrich Schlegel im Gespräch über die Poesie (1800), ist inkommensurabel: „Selbst die künstlichen Werke oder natürlichen Erzeugnisse, welche die Form und den Namen von Gedichten tragen, wird nicht leicht auch der umfassendste [Geist] alle umfassen. Und was sind sie gegen die formlose und bewußtlose Poesie, die sich in der Pflanze regt, im Lichte strahlt […]?“ (Schlegel 1988 [1800], 186). Die Dichtungsform, die Schlegel sich mit Blick auf Sterne, Cervantes oder Shakespeare vorstellt, ist die Arabeske – sie vereinigt nicht nur Form und Inhalt, Mythos und Moderne, sondern wirkt, indem sie ihre eigene Struktur im Modus des romantischen Romans zum Thema macht, als Metaform: Ja diese künstlich geordnete Verwirrung, diese reizende Symmetrie von Widersprüchen, dieser wunderbare ewige Wechsel von Enthusiasmus und Ironie, der selbst in den kleinsten Gliedern des Ganzen lebt, scheinen mir schon selbst eine indirekte Mythologie zu seyn. Die Organisation ist dieselbe und gewiß ist die Arabeske die älteste und ursprüngliche Form der menschlichen Fantasie. (204)
Motivieren Verwirklichung der Form – im literarischen wie analytischen Verfahren – ist ein Referenz-, Entwurfs- und Repräsentationsproblem. Form wird erkennbar auf der Ebene der Zeichen, auf der Ebene der strukturalen und semantischen Isotopien,
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in der Logik eines literarischen Sujets/Emplotments und gemäß der Vorgaben des medientechnischen, generischen und kommunikativen Settings, der Bedingung ihrer Möglichkeit. Als literarische sind Formen allererst ein Phänomen der Poetizität, d. h. synchroner Ähnlichkeiten, wie sie Jakobsons Äquivalenzprinzip formuliert. Sie bilden sich, wenn mehrere Begriffe eines Paradigmas (die durch Ähnlichkeit verbunden sind) in die syntaktische Struktur des Textes eingetragen werden und – durch ihre Ähnlichkeit – im derart angereicherten Syntagma isotope Ketten bilden (Jakobson 31993 [1960], 94). Die zentrale These lautet, dass die rein formale, also nichtsemantische Äquivalenz, „die als konstitutives Prinzip auf die Sequenz projiziert wird […], unweigerlich semantische Äquivalenz nach sich [zieht]“ (108). So bildet sich – im strukturalen Sinne – die Semantik der Form. Es ist aus diesem Grunde nicht verwunderlich, das frühe formalistische und strukturale Analysen sich auf zwei Bereiche konzentrierten: auf die Lyrik als Verfahren der formalen Übercodierung und auf ihren ‚Gegenpol‘, die realistische Prosa, die sich diesen Formexzessen durch Vermeidung der poetischen Äquivalenz verweigert oder sie – im Sinne eines ‚revolutionären‘ Wirklichkeitsmodells – als Mittel der ‚Verfremdung‘ einsetzt, um so hinter der tradierten Wirklichkeit die ‚wahre‘ freizulegen. Damit wiederum erhält die strukturale Formsemantik eine ontologische Dimension. Im zeichentheoretischen Verständnis, insoweit es zwischen Signifikation (als Relation von Zeichen und mentaler Repräsentation) und Referenz (als Relation von Zeichen und empirischem Objekt) strategisch trennt, liegt die ‚Verwirklichung‘ der Form in der Erstellung ‚motivierter‘ Zeichen. Nelson Goodman hat für diese Weise der Bezeichnung, die das Material des Zeichenkörpers aus dem Material des zu bezeichnenden Objekts bezieht, ‚exemplification‘ genannt (vgl. Goodman 1968). Es zeigt sich hier wie dort ein gleichsam ontisches Begehren, den Konstrukt- und Differenzcharakter der formalen Poetizität an die empirische Modalität der Form zurückzubinden. Solches ‚Exemplifizieren‘ rückt dann in die Nähe klassischer bzw. der Naturphilosophie entlehnter Formkonzepte, deren Wirklichkeit in der Vereinigung des Disparaten besteht. Dass die aus solchen Motivierungstaktiken entstehenden Dispute kein Spezifikum des literarischen Europa sind, zeigt beispielhaft der in den 1920er-Jahren prominente Formalismusstreit in der japanischen Literaturtheorie (keishiki shugi ronsō). Die Debatte zwischen der marxistischen (Hirabayashi Hatsunosuke, Kurahara Kurehito) und einer neosensualistischen Verhandlungsposition (Yokumitsu Richii, Nakagawa Yoichi) verläuft dabei entlang der europäischen (Kritik an der Distanz der Form vom Leben, ‚Inhalt‘ als politischer Wert im Gegensatz zur Formautonomie, vgl. Cwik 2015). Die These vom Primat der Form verweist hier aber auch auf einen Paradigmenwechsel, nämlich vom semantisch-‚naturalistischen‘ zum semiotisch-‚nominalistischen‘ Programm. In letzterem wird ‚Inhalt‘ zum Problem der Rezeption, die Produktion erscheint als Integral von Material und
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Zeichenform. So destruiert z. B. Yokumitsu die Idee des Inhaltsvorrangs mittels einer Analyse, die er süffisanterweise am Namen seines Gegners Hirabayashi vollzieht: Wenn man Hirabayashis Definition des Inhalts als das Geschriebene versteht, dann wird dieser Inhalt durch die literarische Form bestimmt, weil dieser Inhalt eine Einbildung des Lesers ist, die man erst durch die Vermittlung der literarischen Form wahrnimmt. Dementsprechend ist Hirabayashis [These], der literarische Inhalt gehe der Form voran, vollkommen sinnlos. […] Lassen Sie uns dies [am Beispiel des] Namens von Hirabayashi Hatsunosuke [deutlich machen] und lassen Sie uns das erste Zeichen ‚hira‘ […] mit dem Zeichen ‚yama‘ (dt. Berg) ersetzen. Hirabayashi Hatsunosuke wird dann zum Yamabayashi Hatsunosuke umgeformt (henkei). Dieser Yamabayashi Hatsunosuke ist bestimmt nicht der brilliante Literaturkritiker Hirabayashi Hatsunosuke. Wenn man also sagen kann, dass ein Zeichen den Inhalt verändert, dann ist die Tatsache [wahr], daß die literarische Form den Inhalt bestimmt. (Zit. nach Cwik 2015, 66–67)
Dieser Ansatz, so der Einwand des Marxisten Katsumoto, sei jedoch mit Blick auf die japanische Bild-Zeichen-Sprache schlichtweg falsch: Die japanischen Schriftzeichen kann man nicht als bedeutungslose Formen definieren. […] Die Schriftzeichen sind keine Tintenlinien […], von denen Yokumitsu sprechen würde […]. Damit ein Schriftzeichen überhaupt Schriftzeichen sein kann, muss es sich als ein Inhalt, eine Idee/Anschauung entlarven. (Zit. nach Cwik 2015, 108)
Yokumitsu reagiert auf solchen Anwurf mittels eines (auch an Herders Einwand gegen Lessings Zeichentheorie erinnernden) Konzepts der Wirkenergie: „Der Inhalt ist eine Energie (enerugii), welche zwischen dem Leser und der Form eines Schriftzeichens entsteht. […] Alles hängt also vom Leser ab, und die Menge an Energie, die [der Leser] aus einem Schriftzeichen empfängt, variiert je nach Individuum.“ (112).
Auszeichnen Bestimmte Standardisierungs- und Normierungsfunktionen stellen Zuweisungen innerhalb formaler Realitätsregimes dar. Indikatoren zu Modalität und Wirklichkeitsbezug von Texten finden sich sowohl in deren Formsprache, als auch in ihrer Gattungskonvention. Auf dieser Ebene können wichtige Fiktionalitäts- bzw. Faktualitätssignale hinterlegt sein, die, stets kontextbezogen, die Rezeptionsmodalität der Texte steuern. Die generische, kultur- und literarhistorische Komplexität der Steuerungsverfahren zeigt sich anschaulich bei mittelalterlichen Texten, wo die Gattungszugehörigkeit in manchen Fällen eine klare
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Modalitätsaussage mitzuführen scheint, in anderen dagegen unterschiedliche Modalitäten zulässt und bei wieder anderen in einen nicht klar abgrenzbaren Zwischenraum von Fiktionalität und Faktualität verweist (vgl. Glauch 2014, 399– 401). Zu Normen können Formen also nicht nur dadurch werden, dass sie von poetischen Akteuren als rhetorische, poetologische und ethische Bestimmungen gesetzt, begründet und beglaubigt werden; sie erhalten ihre normative Kraft auch oftmals dadurch, dass sie ihre Variabilität im wirkästhetischen Verlauf verlieren, dass sie – wie die Plastiken der Griechen in der klassizistischen Poetik – mit Modellfunktion versehen werden oder am Verlauf der Moden- resp. Paradigmenwechsel strukturell beteiligt sind. So tragen sie zur Kanonbildung bei. Entsprechend können Texte auch aufgrund formaler, innerer wie äußerer Signalkonstellationen zu bestimmten Zuordnungsentscheidungen genötigt werden, etwa zwischen Hoch- und Popularkultur bzw. im Verstehenshorizont von exoterischer (qua faktualer) oder esoterischer (qua allegorischer) Lektüremöglichkeit. Solche Zuweisungen wurden freilich auch zum selbstbezüglichen und spielerischen Umgang mit den Rezeptionserwartungen genutzt (vgl. etwa Schlaffer 1978; Erdbeer 2010). Auszeichnungen dieser Art, die auf die Durchsetzung bestimmter Formen zielen, werden häufig, implizit und explizit, mit ethischen Bewertungen verbunden, die sich ihrerseits auf Formaussagen stützen. Vorbild ist hier das antike Bildungsideal der Kalokagathia, welche das Ästhetische (die schöne Darstellung) mit dem Ethischen (dem guten Handeln) vereint. Schiller lädt bekanntlich die Ästhetik dadurch ethisch und politisch auf (und stiftet somit neue Relevanzkriterien), dass er sie in seiner Abhandlung Über die ästhetische Erziehung des Menschen zum formalen Apriori des Politischen macht – „weil es die Schönheit ist, durch welche man zur Freiheit wandert“ (Schiller 91993e [1795], 573). Zimmermann hat diese Verbindung von ästhetischer Form und ethischem Urteil wie folgt definiert: „Diese ihre apriorische Natur macht die ästhetischen Formen fähig, als Normen zur Beurtheilung alles Desjenigen zu dienen, welches die letztere [die Beurteilung] herausfordert.“ (1865, § 77, 32). Dass umgekehrt das Formschöne der Ästhetik gerade nicht zur Freiheit im Schiller’schen Sinne führe, sondern als Produkt einer liberal-ökonomischen Ideologie zu werten sei, die zum Instrument der Unterdrückung entarte und von der man sich befreien müsse, wird in der Abkehr von traditionellen Formästhetiken seit der Moderne immer wieder betont (vgl. die zusammenfassende Analyse bei Eagleton 1990). Die ethische Diskussion um formale Gattungszuweisungen, Normen und Wertungen ist bis heute ungebrochen virulent.
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3.2 Subjektverhältnisse Vordenken Johann Friedrich Herbart, der Philosoph und Lehrer Zimmermanns, erkennt im Denken „das Mittel, gleichsam das Vehikel, um die Begriffe zusammen zu führen“ (Herbarth 1813, § 53, 35). Die grundlegende Verbindung von Begriffen vermutet er in der relationalen Form zwischen Subjekt und Prädikat, die sich gegenseitig bedingen und nur in dieser Relation ihre Bedeutung entwickeln. Herbart folgert: „Ohne Voraussetzung des Subjects würde an kein Prädicat, noch an die Verbindung desselben mit jenem gedacht werden; aber auch der Begriff, welcher zum Subjecte dient, wird als solcher keineswegs absolut, sondern hypothetisch, nämlich in Erwartung irgendeines Prädicats und zum Behuf der Anknüpfung desselben aufgestellt.“ (1813, § 53, 35–36). In der Ästhetik ist es dann Zimmermann selbst, der das Denken für die Formwahrnehmung privilegiert: Aber wodurch überhaupt etwas gefalle oder missfalle, d. h. da nur Formen gefallen oder missfallen, durch welcherlei Formen etwas, gleichviel was, gefalle oder missfalle, darüber vermag weder das Auge, noch das Ohr, noch überhaupt die Erfahrung, sondern das Denken allein zu entscheiden. Denn dazu bedarf es der Frage: welche Formen d. h. welcherlei Zusammen zwischen den Vorstellungen (gleichviel was sie vorstellen) überhaupt möglich seien, und diese vermögen wir zu entscheiden, ohne auf die specifische Natur des Inhalts der im Zusammen befindlichen Vorstellungen […] vorerst Rücksicht zu nehmen. (1865, § 75, 31–32)
Sprache formt das Leben, so dass die Analyse und das Verständnis ihrer Formen auch zum Verständnis verschiedener Formen des Lebens führt. Die Privilegierung der Form als Denkform über den Inhalt ist dann auch das Credo der frühen Sprachphilosophie – „im Satz ist die Form seines Sinnes enthalten, aber nicht dessen Inhalt“, sagt Wittgenstein (Tractatus 3.13, 232019a [1921], 18) –, mit Konsequenzen bis zur formalistischen ‚Logik‘ der poetischen Sprache als Bedingung des möglichen Sinns. Die derart entsubjektivierte Form der Sprache wird indessen bald – in Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen (1953) – durch ein pragmatisches Konzept ersetzt: die ‚Lebensform‘. Durch ihre Engführung mit dem Begriff des ‚Sprachspiels‘ wird der neue Formtyp genuin dynamisch und performativ: „Das Wort ‚Sprachspiel‘ soll hier hervorheben, daß das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform.“ (1232019b [1953], 250). Auch hat sie eine literarische Anwendung. Als Sprachform nämlich motiviert die Lebensform sowohl die Produktion, als auch die Repräsentation und Performanz von Denken und Dichten zugleich: „Führe dir die Mannigfaltigkeit der Sprachspiele vor […] Augen: […] Eine Hypothese aufstellen
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und prüfen – Darstellen der Ergebnisse eines Experiments durch Tabellen und Diagramme – Eine Geschichte erfinden; und lesen – Theater spielen […].“ (250). Damit freilich wird die Denkform zur erlebten Form.
Erleben Der Neuplatonismus schuf sich, beginnend mit Plotin, die Vorstellung einer ‚inneren Form‘ (endon eidos; vgl. Enneaden I,6,3; I,9), womit Plotin eine der materiellen Verwirklichung vorausgehende Formvorstellung, z. B. im Geiste des Künstlers im Sinn hat. Er exemplifiziert die Vorstellung der inneren Form am Urbild des Bildhauers, der eine Statue aus einem Block Marmor schafft. Die Kunst und der Wert der Statue liegen nicht im Material des Marmors, sondern in der Form, die ihm der Künstler gegeben hat und die dem Material vorgängig ist (vgl. Plotinus 2020 [254–270], Schrift 31 [Enneaden V,8,1]). Der Begriff wurde später maßgeblich von Shaftesbury im Anschluss an die Platoniker der Cambridge School aufgegriffen und erfuhr durch Shaftesburys Neffen und Schüler, James Harris, im achtzehnten Jahrhundert eine umfassende Konzeptionalisierung und Differenzierung (vgl. Burdorf 2001, 72). Bei Johann Gottfried Herder wird das Kunstwerk insgesamt als ein Organisches verstanden, dessen ‚Seele‘ mit der inneren Form gleichgesetzt wird (vgl. Schildknecht 2007, Bd. 1, 612–614). Tritt hier bereits der rationale Zugang zum Begriff der Form zugunsten einer sensualistischen Auffassung zurück, so wird dies Goethe noch entschiedener entwickeln. Innere Form erscheint ihm als die wesentliche Formart, die sich von der äußeren Form „unterscheidet wie der innere Sinn vom äußern, die nicht mit Händen gegriffen, die gefühlt sein will“. Da diese innere, erfühlte Form der Dichtung „alle Formen in sich begreift“ (1998a [1775], 22), gewinnt sie epistemische, konstitutive Kraft. Durch Humboldt wiederum erlangt die Konzeption auch sprachphilosophischen Rang, wobei jedoch die „innere Sprachform“ von der äußeren, der Lautform, abhängig bleibt; die Charakterisierung dieser inneren, komplementären Sprachform schwankt dabei erheblich zwischen der Bezeichnung als „Gesammtheit der sinnlichen Eindrücke und selbstthätigen Geistesbewegungen“, die ein „ganz innerer“, „rein intellectueller Theil“ der Sprache seien, und der Rede von den „inneren, die Sprache in ihrer Erzeugung vorbereitenden Seelenregungen“ (vgl. Humboldt 1998 [1836], 177, 210, 218). Das Paradox, das schon bei Goethe aufscheint – die Empfindung als Erkenntnisform – beerbt hier gleichsam Baumgartens Ästhetik-Konzeption vom sinnlichen Erkennen und die Radikalisierung des Konzepts zum Stoff- und Formtrieb verbindenden Vermögen bei Schiller. Damit ist der Aufstieg des Konzepts der inneren, prozessualen Form zum ‚Formprinzip der Formen‘ vorbereitet. Folgerichtig hat dann Gustav Špet ‚die innere Form des Wortes‘ als den höchsten Typ
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der Formbildung beschrieben: als Form, die formbildende Formen schafft (vgl. Špet 2007 [1924]; Grübel 2013, 26). Die in der Tradition schon angelegte Psychologisierung des Konzepts, die über Heymann Steinthal und vor allem Wilhelm Wundt befördert wird, eröffnet dann die Möglichkeit zur Kontamination von Form und Leben. Der Erfinder des élan vital, Henri Bergson, dynamisiert den Formbegriff entsprechend poetisch: Wie vom Wind aufgejagte Staubwölkchen drehen sich die Lebewesen um sich selbst, in der Schwebe gehalten vom großen Odem des Lebens. So also sind sie verhältnismäßig starr, ja ahmen das Unbewegliche so vortrefflich nach, daß wir sie eher als Dinge denn als Fortschritte behandeln; ganz vergessend, daß diese ihre beharrende Form selbst nichts anderes als die Nachzeichnung einer Bewegung ist. (Bergson 1980 [1907], 153)
Die Dialektik zwischen äußerer und innerer, vom Stoff entliehener und selbsterzeugter Form verwandelt sich hier in die Dialektik zweier Formbewegungen – der evolutionären, die das Leben vorwärtstreibt, und einer bindenden, die es im ‚Umriss‘ fixiert: „So sind der Akt, kraft dessen das Leben einer neuen Schöpfung entgegengeht, und jener zweite, kraft dessen diese Form sich umreißt, zwei völlig verschiedene, ja oft gegnerische Bewegungen.“ (154). Anthropologisch aufgefasst heißt dies, dass auch die kreative Form des Intellekts erst durch die Bewegung entsteht: „Setze die Handlung – und die Form des Intellekts ergibt sich aus ihr von selbst. […] Die Erkenntnis hört auf, Produkt des Intellekts zu sein, um in gewissem Sinn integrierender Bestandteil der Wirklichkeit zu werden.“ (174). Emil Lask dagegen hat die intellektuelle Tätigkeit als eine eigene Erlebensweise angesprochen, als ein „Formerleben“, das als „theoretisches Erleben“ dem „bedeutungsfremde[n]“ sinnlichen Erleben an die Seite tritt (Lask 1911, 83). Das theoretische Erleben sichert somit das Erkennen, und es gibt dem sinnlichen Erleben Sinn. Von hier aus ist es nicht mehr weit, die innere Form mit der Bedeutung, die sie stiftet, gleichzusetzen. Statt als „innere Geformtheit“ nur „the inner correlate of the outer form“ bzw. Gegensatz des Formlosen zu sein, fungiert sie nunmehr als dynamische ‚Bedeutungsbrücke‘, die „the gulf between form and meaning“ überwinden soll (Leopold 1929, 260): A bridge meaning is an auxiliary concept which serves to suggest to the hearer a new meaning for an old form. A bridge form is a form which either genetically or descriptively links two different meanings together. […] In German I should suggest ‚innere Geformtheit‘ […]. But upon closer inspection, ‚inner form‘ in this interpretation comes very close to, or is even identical with, ‚meaning‘. (259)
Für Ernst Cassirer wiederum ist es im Rahmen seiner philosophischen Anthropologie die symbolische Form, die als „Matrix aller spezifisch menschlichen Tätigkeit“ zu gelten hat (Recki 2013, 32). Die Beantwortung der Frage, inwiefern Menschen
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erkennen, selbst konstruieren oder produzieren, ist für Cassirer grundsätzlich nur über symbolische Formen möglich, die deshalb Untersuchungsgegenstand seines Hauptwerks Philosophie der symbolischen Formen (3 Bde, 1923–29) sind. Dabei bildet der Formgedanke den Mittelpunkt: „,Leben‘ ist nicht blinder Drang; es ist […] ‚Wille zur Form‘, Sehnsucht nach Form“ (Cassirer 2002 [1923–1929], 214). Eine ähnlich tragende Funktion nimmt bei Ernst Robert Curtius die Topik ein. Sie definiert den Kernbestand an festen Formen, Formeln und Motiven, der, aus der Rhetorik stammend, von Curtius zum literarhistorischen Objekt erweitert wurde. Während er die Topik des „antiken Lehrgebäude[s]“ als Archiv und „Vorratsmagazin“ beschreibt, stellt er zugleich einen tieferliegenden, von C.G. Jungs Modell der Archetypen inspirierten vitalistisch-psychologischen Zusammenhang her und verweist auf die „Beziehungen zwischen archaischer Seelenwelt und literarischer Topik“ (Curtius 111993 [1948], 89, 115).
Entwerfen Will man die subjektive, individuelle Formsprache eines Autors beschreiben, wird gerne die Stilistik bemüht. Als eine „rekurrent[e] For[m] der Manifestationen menschlichen Verhaltens“ kann der Stil, wie Hans Ulrich Gumbrecht darlegt, allerdings nicht nur „typisch sein für Individuen (Personalstil)“ oder „für soziale Gruppen (Gruppenstil)“, sondern auch „für Epochen (Epochenstil)“, Kulturen oder Nationen (Gumbrecht 2003, 509). Gumbrecht versteht Stil dabei aber nicht als formgebundenes, sondern als formkontingentes Phänomen und erklärt daraus die für den Ansatz der Stilistik maßgebliche normative und typologische Herangehensweise. Neben subjektivierender Individuation betont die Stildiskussion in der Neuzeit auch das Stilpotenzial ganzer Weltentwürfe, wie Gumbrecht im Blick auf Georges-Louis Leclerc, Comte de Buffon, und dessen bekanntes Bonmot ‚le style est l’homme mȇme‘ bemerkt: „Stil ist mit den kognitiv-intellektuellen Fähigkeiten der Menschen gleichzusetzen – was zu der weitergehenden Annahme führen kann, daß ‚Stil‘ ausschlaggebend sei für alle menschliche Weltgestaltung.“ (511). Darauf hat auch Theodor A. Meyer schon sein Stilgesetz der Poesie gegründet, wenn er feststellt, „daß die Bedingungen für den Stil der Künste nicht in den äußeren Eigenschaften des verwendeten Materials liegen, sondern in den Funktionen und Gesetzen desjenigen Organs unseres Geistes, von dem das betreffende Material aufgefasst sein will“ (Meyer 1990 [1901], 27). In der durch den Stil gebrauchten Rede- und Anschauungsform entsteht und spiegelt sich dann der zugrunde liegende Weltentwurf. Weltentwürfe und ihr formstilistisches Design sind folglich auch ein Gegenstand der Fiktionalitätstheorie der möglichen Welten, insbesondere der ‚Storyworlds‘ der Video Games, in deren formativer kollektiver,
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intermedialer und vor allem kooperativer Weltgestaltung das Design zum Teil der Agency der Rezipienten wird. Die Stil- und Gattungsnarrative dieses ‚Open World Designs‘ entstehen dadurch, dass es seine literarischen Formate (Skripte, Texteingaben und Voice-Over-Narrative) bildhaft inszeniert und prozessiert. Hier zeigt sich, dass stilistisches Entwerfen eine Form des Modellierens ist, die auf ein künftiges Verhalten (des Systems, der Rezeption, der Interpretation) gerichtet ist. Dies ist zugleich sein Innovationspotenzial. Mit Manfred Frank gesprochen: „Immer rüttelt der individuelle Stil an der Zeichensynthesis, die Ausdrucks-Materie und Sinn verfugt, immer verschiebt er die bis dahin geltenden Grenzen der Normalität.“ (1992, 20). Als Formarbeit am „Ausdrucksmaterial“ und „Kontext“ modelliert, modalisiert und subvertiert der Stil zugleich den Code: „So verliert der Code seine imperative Gewalt über die sprechenden Individuen und verwandelt sich in eine Virtualität, eine Potenz […].“ (36). Aktualisiert wird diese dann im formativen Handeln, in der ‚Formulierung‘ des Entwurfs. Stil selbst erscheint somit als eine Praxis, die durch ihre Formhandlung das Individuelle mit dem Allgemeinen verknüpft: als „modalité d’intégration de l’individuel dans un processus concret [de la structure] qui est travail, et qui se présente nécessairement dans les formes de la pratique (Art und Weise der Integration in einen konkreten Prozeß [der Struktur], der Arbeit ist und der sich notwendig in allen Formen der Praxis darstellt)“ (Granger in Frank 1992, 50). Dass ‚Stil‘ als Ausdruck für poetisches Entwerfen in der theoretischen Debatte dennoch wenig Anklang findet, ist der Ausgangspunkt der Arbeit des Strukturalisten Květoslav Chvatík an der „Krise des Stilbegriffs“ (1987, 112). Im Kapitel Das Stilproblem unter dem Aspekt einer semiotischen Kunsttheorie seiner Abhandlung Mensch und Struktur erhofft sich Chvatík die Erneuerung des Stilkonzepts durch dessen Ausweitung vom linguistischen auf den kultursemiotischen Diskurs. Der Stilbegriff sei nämlich nicht nur eine rein formale Angelegenheit der Werkkomposition, sondern auch die konkrete Weise der Gestaltung der künstlerischen Bedeutung und des Inhalts. Er ist das Medium, in dem das außerkünstlerische Material, die außerkünstlerischen Bedeutungen, Werte und Funktionen in künstlerisch gestaltete Bedeutungen und Inhalte […] übergehen. (127)
Als Wertungs- und Bedeutungsträger übernimmt der Stil hier faktisch die Systemstelle der inneren Form: „Der Stil orientiert auf bestimmte Weise die Einsetzung von Bedeutungsintervallen im Werk und ist daher das spezifische Moment seines Bedeutungsaufbaus, das Moment der höheren Synthese der Bedeutungen.“ (126). Als solches lässt er sich dann auch als das entscheidende „Moment des Übergangs von der Form des Werks zu seinem Inhalt“ deuten, als „Prozess des Übergangs von der Gestalt zur Bedeutung“ (128, 130). Indem er allerdings auch als „duales schöpferisches und interpretatorisches ‚Sinngeschehen‘“ wirken (130), also pro-
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duktions- und rezeptionsästhetische Verfahren integrieren will, zielt Chvatíks Stilbegriff zugleich auf die Erweiterung des immanenten Formkonzepts und des (als subjektiv gedeuteten) ‚ästhetischen Objekts‘ (vgl. 125).
Vollenden Wenn der Autor, seine Autorität und Institution vorausgesetzt, einen Text für abgeschlossen erachtet und dies entsprechend markiert, dann spricht man von einem literarischen Werk. Diesem kann die Abgeschlossenheit als Formkategorie schon dadurch zugewiesen werden, dass man einen klar definierten Anfang und ein Ende observiert, die als solche analysiert werden können (vgl. hierzu Kermode 2000 [1966]). Der Werkbegriff steht damit gleichsam synonym für ein Konzept formaler Schließung und – vor allem in der nichtprofessionellen Kunstwahrnehmung – für Vollendung, und er hat trotz vielfacher Kritik und Auflösungsversuche durch Begriffe wie ‚Verfahren‘, ‚Differenz‘ (Barthes) und ‚offenes Kunstwerk‘ (Eco), oder ‚Arbeit‘ in den visuellen Künsten, bis heute überlebt. Die historische Entwicklung der komplexen Reziprozitätsdynamik, die sich zwischen der Institution des Autors resp. seiner überindividuellen (und die Einzelwerke überschreitenden) Funktion als Diskursivitätsbegründer auf der einen und der Vorstellung von der Geschlossenheit der Werke auf der anderen Seite zeigt, hat Michel Foucault bekanntlich für den Zeitraum der diversen wissenschaftlichen Revolutionen seit dem siebzehnten Jahrhundert dargestellt (vgl. Foucault 2000b [1969]). Die Konzeption der Werk-Vollendung dominiert zunächst – als Teil des produktionsästhetischen Geniegedankens – den Diskurs der klassizistischen Autonomieästhetik, die sich wesentlich als Formpoetik entwirft. Von Hogarths ‚Schönheitslinie‘ bis zum Werk als einem ‚in-sich-selbst-vollendeten‘ Gebilde, das Karl Philipp Moritz fordert, setzt der Kalokagathiegedanke – die Vereinigung von schöner, sittlicher und wahrer Form – den Standard der Epoche. „Bildungskraft“, die Fähigkeit zur Formgebung, ist dabei das Vermögen, ohne das ein Werk sich nicht vollenden kann: Weil nämlich das Wesen des Schönen eben in seiner Vollendung in sich selbst besteht, so schadet ihm der letzte fehlende Punkt [die fehlende Bildungskraft] […], denn er verrückt alle übrigen Punkte aus der Stelle, in welche sie gehören. – Und ist dieser Vollendungspunkt einmal verfehlt, so verlohnt ein Werk der Kunst der Mühe des Anfangs und der Zeit seines Werdens nicht. (Moritz 1989 [1788], 53–54)
Dagegen wird
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das bildende Genie […] alle die in ihm schlummernden Verhältnisse jener großen Harmonie, deren Umfang grösser, als seine eigene Individualität ist, selbst umfassen: das kann es nun nicht anders, als in verschiednen Momenten, schaffend, bildend, aus seiner eigenen, eingeschränkten Individualität gleichsam heraus, in ein Werk, das ausser ihm sich darstellt, hinüberschreitend, und mit diesem Werke nun das umfassend, was seine Ichheit selber vorher nicht fassen konnte. (63)
So wird aus Werkförmigkeit Ichförmigkeit, das Formsubjekt formt sich durch seine Werke selbst. Der Gestus des emphatischen Vollendungs- und Totalitätsidioms erfährt in den ‚verwilderten Romanen‘ und Fragmenten der romantischen Poetik seine mehrfache Ironisierung, sprichwörtlich in Friedrich Schlegels Aphorismus, demzufolge das Fragment „gleich einem kleinen Kunstwerke von der umgebenden Welt ganz abgesondert und in sich selbst vollendet sein [muss] wie ein Igel“ (Schlegel 1988 [1798], 123), oder in der Umstellung der klassischen Vollendungsleistung von der werkförmigen Schließung auf unendliche Perfektibilität. Die Vorstellung der großen Stimmigkeit der Teile und des Ganzen wirkt indessen auch noch in der Negation der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts fort (vgl. Thomé 2003, 833). Die literarhistorische und -theoretische Debatte wiederum beerbt den Immanenzgedanken dieser klassischen Form-Werk-Totalität, so etwa in den USA die Strömung des New Criticism seit den 1920er-Jahren und im Nachkriegsdeutschland das Konzept der sog. ‚werkimmanenten Interpretation‘. Bei Wolfgang Kayser etwa wird die Form als Analysegegenstand zugunsten der im Werk erkannten Ganzheit ausgeklammert, also nur nach ihrem Beitrag zur Synthese dieser Ganzheit befragt. Die Theorie wird damit selbst zum ganzheitlichen Ansatz und vollendet die vorausgesetzte Synthesis: Es ist nicht das Ziel der literaturwissenschaftlichen Arbeit, die in der Literatur verwendeten sprachlichen Formen zu ermitteln […]. Sie untersucht also nicht jede sprachliche Form als solche, sondern ihren Beitrag zum Aufbau des dichterischen Werkes […]. Es geschieht in der Absicht, die Ganzheit des Werkes einsichtig zu machen. Sie strebt mithin zur Synthese. […] Der synthetische Begriff für die Ganzheit, der alle sprachlichen Formen eines Werkes zugeordnet sind, ist der Stil. (Kayser 201992 [1948], 100)
Neuere Untersuchungen zur ‚Werkpolitik‘ definieren ‚Werkförmigkeit‘ dagegen als praxeologische Größe, die neben der historischen Bestandsaufnahme des Vollendungstopos auch auf ökonomische, kulturpolitische und rechtliche Aspekte des Begriffs verweist (vgl. Martus 2007).
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4 Formhandlungen/Formverhandlungen: Die Pragmatik der Form Formpragmatiken sind vielfältig, doch treten sie vor allem dann zu Tage, wo Gefestigtes mobil gemacht, beschleunigt und erschüttert oder das Erschütterte gefestigt, reformiert und relegitimiert werden soll. Im Bauen und Errichten und den gegenstrebigen Aktionen, die vom Umbau bis zum Abriss reichen, liegt ein vielverwendetes Metaphernfeld, das das Reale mit dem Imaginären verknüpft. Pragmatiken der Form sind mediensensitiv schon deshalb, weil im Medienwandel oder -wechsel das Verhältnis von stabiler und dynamischer Funktion neu ausgehandelt werden muss. Ob etwa das Computerspiel tradierte Formen auflöst oder zur ‚Systemstabilisierung‘ beiträgt, ist nicht ausgemacht und kann erst durch die Nutzung seiner Medien-, Kommunikations- und Handlungsformen Gegenstand der Analyse werden. Nahe liegt hier wie schon bei vorausgegangenen Transformationen die Vermutung, dass die Vorstellung von dem, was überhaupt als Schließung oder Öffnung, Eingrenzung und Auflösung erfahren wird, im Rahmen solcher Medienwechsel selber zur Debatte steht. Performance Art und Animation Movies, Docufictions, ‚Fake News‘ oder ludische Aktionen ziehen nicht nur zwischen ‚Form und Inhalt‘ und ‚Fiktion und Wirklichkeit‘ die Grenzen neu. Gleichwohl sind solche strukturalen, medialen und modalen Eingriffe selbst Teil einer Geschichte fortwährender Formverhandlung, die auch eine institutionelle Seite hat. In ihr verbinden sich ‚exakte‘ wissenschaftlich-logische Aspekte mit juridischen, politischen und kulturellen Formbestimmungen zu einem Apparat formaler Steuerung, in dessen administrativen Gesten sich gesellschaftliche Normkontrolle immer schon als Formkontrolle vollzieht. Ein Hauptakteur in diesem Umfeld sind die ‚Formgemeinschaften‘, die – als ästhetische – in aktualen wie in virtuellen Netzwerken die ökonomischen, sozialen oder weltanschaulichen Aktionen solcher Formkontrolle fördern, unterwandern oder durch gezielte Forminnovation umgehen. Hier verbindet sich der technische Aspekt der Form mit einer Agency, die Formverhältnisse als Machtverhältnisse verhandelt, inszeniert und kommentiert.
4.1 Formtransfers Vergemeinschaften Eine eigenständige pragmatische Funktion der Form bzw. Formhandlung ist die Kommunikation von Formgemeinschaften. Hier stehen Kollektive im Vorder-
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grund, die sich – bewusst oder unbewusst – über die gemeinschaftliche Nutzung oder Ablehnung bestimmter Formen definieren. Clemens Lugowski hat dies an der Rückbindung gegenwärtiger literarischer Formen an tradierte Mythen gezeigt: Eine Auffassung, der die Welt in eminentem Maße Ganzheit ist, lebt in überindividuellen Formbezirken ein anonymes Dasein. In der selbstverständlichen Hinnahme der Formgebärden, die jenem Weltbild entsprechen, finden sich Dichter, Dichtungen und der Kreis der Rezipierenden, schafft sich eine Gemeinschaft. (Lugowski 1976 [1931], 83)
Das betreffende Kollektiv kann von unterschiedlicher Größe sein und – nach dem Verständnis archetypbezogener Ansätze wie Joseph Campbells Hero with a Thousand Faces oder James George Frazers Golden Bough – auch die Bevölkerungen mehrerer Kontinente umfassen. Die jeweils kollektiv genutzten Formen können abstrakt sein wie im Fall von religiösen Dogmen und politischen Ideen, oder konkret wie im Fall von Modeartikeln oder technischen Lifestyle-Produkten. In diesem Sinne haben Form und Formdenken vereinigende Kraft, prägen auf der Makroebene nationale oder konfessionelle Kulturen und auf der Mikroebene professionelle ‚Formgemeinschaften‘ – Theoriegemeinschaften, Künstlergruppen oder Fan-Kulturen. Formhandeln kann dabei auch zur Distinktion und Abgrenzung von anderen gesellschaftlichen Gruppen dienen, so z. B. wenn durch Ausbildung bestimmter Form- und Medienkompetenzen die betreffende Gemeinschaft – etwa in sozialen Medien oder Subkulturen – Zugänge zur Gruppe reguliert. Der Mangel an erwünschter Form- und Performanzkompetenz wird hier zum Exklusionskriterium. Vom religiösen Ritus bis zum Internet-Meme schaffen Formhandlungen damit ‚virtuelle‘ Anwenderkollektive, für die gilt, was Benedict Anderson über die von Zeitung und Roman mitgeprägte ‚imagined community‘ der Nation gesagt hat: „It is imagined because the members of even the smallest nation will never know most of their fellow-members, meet them, or even hear of them, yet in the minds of each lives the image of their communion.“ (Anderson 2006 [1983], 6). Für diese Ubiquität des Gemeinschaftsgefühls sind Formen (mit‑) verantwortlich, da ihre Teilhabe und Nutzung das Kollektiv erst definierten. Hier spielt vor allem das Erinnern eine formkonstitutive Rolle, was sich exemplarisch am Beispiel des Ritus zeigen lässt. Die Form ist ein transgenerationales Erbe, das sich auf eine „absolute Vergangenheit“ beruft, wobei die zeremonielle und identische Wiederholung hochgradig formalisierter Gesten als „primäre Organisationsform des kulturellen Gedächtnisses“ funktioniert (Assmann 2000, 56). In säkularen Gemeinschaften finden sich (z. B. nach Pierre Nora und Aleida Assmann) ähnliche memoriale bzw. kommemorative Handlungen im Zusammenhang mit Erinnerungsorten im räumlichen, temporalen, korporalen, personalen oder ästhetischen (also textuellen, bildlichen, architektonischen usw.) Sinn. Diese Erinnerungsorte bilden ein – mehr oder weniger gezielt selegiertes und
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kuratiertes – Archiv, das eine Formgemeinschaft als Erinnerungsgemeinschaft vereint. Werden die im Archiv kanonisierten Formen zum Gegenstand nicht der bloßen Wiederholung (s. o.), sondern einer ‚hypoleptischen‘, über unmittelbare Interaktionen hinausreichenden Variation (vgl. Assmann 2000, 288), dann entsteht eine ‚interaktionsfreie Kommunikation‘ (Luhmann) mit einem ‚Vorgängerkollektiv‘, der Erinnerungsgemeinschaft. Dass bei diesen Prozessen nicht nur dem Erinnern selbst, sondern auch dem Vergessen – dem bewussten und aktiven Auslöschen bestimmter Formhandlungen – eine identitätsstiftende Funktion zukommt, wird in den Memory Studies ebenfalls thematisiert (vgl. etwa Karremann 2015). Jede gemeinschaftliche rituelle Wiederholung ist zudem mit der Dynamik des Ereignens und Veranstaltens verbunden. Formhandlungen regulieren hier soziale Interaktionen bzw. lassen diese überhaupt erst entstehen. Die identitätsstiftende Prägnanz solcher rituellen Veranstaltungen bzw. Aufführungen ist nicht erst seit Clifford Geertz’ thick description des balinesischen Hahnenkampfs bekannt (vgl. Geertz 1973). Sie betrifft jede performative Formhandlung, bei der einem Publikum seine Rolle als Rezeptionsgemeinschaft bewusstgemacht wird, so insbesondere jene Formhandlungen, die als ‚Verfremdung‘ wirksam sind. Der Veranstaltungs- bzw. Aufführungskontext kann religiös oder mit Blick auf andere Kollektivformen kodiert sein, mit deren Hilfe dann verschiedene Verständnisse von politischer Überzeugung, Nation oder Region, Geschlecht, Lebensalter usw. ausgehandelt werden. Besonders deutlich wird die Operationalisierung solcher Aushandlungsprozesse im Kontext der literarischen Institutionalisierung, etwa bei der Gründung des Irish Literary Theatre zu Dublin (1899). Hier zeigt der Fall der ‚Playboy Riots‘ um die Aufführung von J. M. Synges The Playboy of the Western World (1907), wie das Verständnis dessen, was dem patriotisch gesonnenen Publikum am Irish Literary Theatre wohl zumutbar wäre, an der Modusgrenze von Fiktionsformat und Lebenswirklichkeit erstritten wird. So urteilte z. B. ein Premierenbesucher: „The Playboy is not a truthful or just picture of Irish peasants, but simply the outpouring of a morbid, unhealthy mind ever seeking on the dunghill of life for the nastiness that lies concealed there.“ (Harrington 1991, 455–456). In nachfolgenden Aufführungen machte das empörte Publikum durch lautstarke Zwischenrufe deutlich, dass ihm das hier präsentierte Bild der irischen Landbevölkerung nicht akzeptabel schien. Dass der konkrete Anlass in der einmaligen Nennung des Begriffs für ‚Unterwäsche‘ („shifts“) bestand, zeigt eindrücklich, wie viel Bedeutung einer öffentlich repräsentierenden, als Normhandlung gedeuteten ästhetischen Formhandlung in dieser Zeit und ihrem Kontext zugemessen wurde. Institutionalisierte Formveranstaltungen können somit Gegenstand einer regulierenden Formhandlung werden, die das Selbstverständnis der betreffenden Rezeptionsgemeinschaft normativ zu bestimmen versucht.
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Dies hat auch eine ökonomische Funktion. Die Cultural Studies haben darauf hingewiesen, dass der Formkonsum, der kollektiv gefeierte Verbrauch von Formen, identitätsstiftende Wirkung entfalten kann. Eine der Zentralkategorien des ‚Circuit of Culture‘, den das Centre for Contemporary Cultural Studies in Birmingham modellierte, betrifft die Frage nach dem Einfluss kultureller Artefakte – etwa des berühmten Sony Walkman – auf das Selbstverständnis ihrer Anwender (vgl. du Gay et al. 1997). Die hier ermittelte Verbindung von Produkt und Selbstbild resp. Selbstpräsentation macht die diversen Formökonomien deutlich, die durch Marketing und Branding auf verschiedenen Verbreitungsebenen im Einsatz sind und die mit wechselndem Erfolg die Stiftung kollektiver Identifikationen betreiben. Dies kann zur Fetischisierung von Produkten ebenso führen wie zur Pathologisierung des Umgangs mit ihnen. Zur Illustration solcher kulturpessimistischen Deutungen, die popkulturelle Phänomene betreffen, sei nur auf die Mainstream-Debatten um ‚Boy-Bands‘, Gaming oder die otaku-Subkultur verwiesen. Formästhetische Konsum- und Distinktionsgemeinschaften betreffen freilich auch die sog. Hochkultur – nicht nur beim institutionalisierten Besuch von Shakespeare-Aufführungen oder Wagneropern, bei dem sich das Publikum seiner Zugehörigkeit zur kulturellen Elite versichert. Eco hat den formästhetischen Aspekt der hier als ‚Formkonsum‘ bezeichneten Praxis über den komplexen Zirkel von Erinnern, Veranstalten, Verbreiten und Verbrauchen kultursemiotisch begründet. Er zeigt dabei zugleich, wie dessen Wahrnehmungs- und Interpretationsdynamik kulturelle Komplexität generiert: Der Empfänger [Konsument], der seine Aufmerksamkeit erneut dem Komplex der Reize zuwendet, wird jetzt Reize in den Vordergrund stellen, die er vorher nur beiläufig aufnahm, und umgekehrt. In dem transaktiven Akt, bei dem das Arsenal der begleitenden Erinnerungen sich mit dem System der Signifikate verbindet, das bei der zweiten Phase zugleich mit dem in der ersten Phase aufgetauchten […] System aufsteigt, gewinnt ein Signifikat Form, das reicher ist als das des ursprünglichen Ausdrucks. Und je mehr das Verständnis sich kompliziert, desto mehr erscheint die ursprüngliche Botschaft – so wie sie ist, konstituiert durch die Materie, die sie realisiert – anstatt verbraucht erneuert, bereit zu vertiefteren ‚Lektüren‘. Es wird eine richtige Kettenreaktion entfesselt, wie sie typisch ist für jene Organisation von Reizen, die wir als ‚Form‘ zu bezeichnen pflegen. Diese Reaktion ist theoretisch unendlich, und sie endet faktisch, wenn die Form aufhört, dem Empfänger reizvoll zu erscheinen […]. (Eco 1977 [1962], 81–82)
Erbauen Mit der figura ist der literarischen Bezugnahme auf Außerliterarisches, wie Erich Auerbach gezeigt hat, ein Begriff gegeben, der als Denk- und Ausdrucksform die allegorische Bedeutung einer Wendung an die literale oder Grundbedeutung
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eines Wortes bindet, an den ‚eigentlichen‘ oder Eigensinn (vgl. Auerbach 1938). Die literarische Textur ‚erbaut‘ sich, insofern sie übertragene Bedeutungen mit vorgefundenen Realien, Materialien und historischen Bedingtheiten zusammenführt. Weil die rhetorische und die beobachtete Form im Sprachlichen zusammenfließen (insofern die Sache selbst in der Figura aufgerufen und zugleich auf ihren neuen Ort bezogen wird), erbaut das Tropische das Topische. Der literarische Diskurs hat diese ‚Realisation‘ seit jeher mit der Tätigkeit des Bauens – Planens, Konstruierens und Organisierens – zusammengedacht. Wenn Goethe im Traktat Von deutscher Baukunst den Empfindungsstil des Sturm und Drang auf die Gestaltungskunst des gotischen Sakralbaus gründet, die Genieästhetik der Moderne also an die Vorvergangenheit der mittelalterlichen Baukunst bindet und die zeitspezifische inventio der beiden Künste – das ‚Charakteristische‘ – als über zeitlichen Strukturzusammenhang entwirft (vgl. Goethe 121994a [1973]), dann etabliert er dabei einen Historismus der heiteren Art. Der Dichter ist ein Baumeister der Wortgebilde und der Anderswelten, der aus der primären Sprache und den Eigenwelten einer Zeit das jeweils Neue qua Genie erspüren und in seiner eigenen Epoche stimmig aufbauen kann. Poetische Architektur ist hier nichts weniger als genialische Form-Resonanz. Dass die Indienstnahme des Bauens für die Poetologie auch kritischer geschehen kann, zeigt etwa die Debatte um Adalbert Stifters Erzählung Die Narrenburg (1842). In dieser Dystopie des unbestimmten Ausbaus, der gerade keinem einheitlichen ‚Bauplan‘ folgt und Resonanzen mit den Vorgängerkonzepten meidet oder gar nicht erst zustande bringt, verabschiedet der Text die Stilvorgaben des poetisch-realistischen Epochenkalküls (vgl. MüllerTamm 2007; von Arburg 2014). Die metonymische Potenz der Baumetapher wird dann auch – zur Reflexion des Spannungsfelds von Handeln und Erzählen – in die Storyworlds der Videogames eingeführt, so etwa im hybriden Elternhaus in What Remains of Edith Finch (2017) und in der labyrinthischen Büroarchitektur der Stanley Parable (2013). Die Forschung hat vor allem im Zusammenhang des spatial turn den intrikaten Einsatz solcher „Text-Architekturen“ vorgeführt (Krause und Zemanek 2014; vgl. Innerhofer 2018), gerade auch an Raumfiktionen wie den Texten Kafkas, Borges’ und Calvinos oder Mark Z. Danielewskis House of Leaves (2000) (vgl. Weber 2014).
Inszenieren Mit den Gattungsformen der Komödie und Tragödie bietet die ‚Naturform‘ Drama das wohl eindrücklichste Beispiel einer Ausweitung vom definierten Genre zum generischen Verfahren, von der Forschung auch ‚Schreibweise‘ (vgl. Brummack 1971) oder ‚Modus‘ genannt (vgl. Frow 2006). Als Schreibweisen ‚des Komischen‘
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und ‚Tragischen‘ verlassen diese Modi den fixierten Gattungsrahmen, sie verbreiten sich in anderen – generischen und medialen – Formen, bilden Mischformen (genera mixta) und beeinflussen die Art der Performanz (vgl. etwa Zoë Ghyselinck zu Form und Formauflösung der Tragödie in den Schriften Paul Ernsts, 2015). Dies zeigt sich nirgends deutlicher als in den Formverhandlungen der gegenwärtigen Theaterpraxis, wo der ‚treue‘ oder ‚freie‘ Umgang mit dem Text bzw. Nebentext auch als generische Provokation verstanden werden kann. Im Gattungsstrudel des Regietheaters werden dann auch nicht-dramatische ‚Generika‘ der Inszenierung beigegeben und zersetzen den mimetischen Charakter der tradierten Modi. Hans-Thies Lehmann hat den postdramatischen Charakter dieses „formalistischen Theaters“ mit Bezug auf Überlegungen von Michael Kirby bestimmt: Spätestens das Theater der 80er Jahre hat […] die Einsicht erzwungen, daß eine „abstrakte Handlung“ („abstract action“), ein „formalistisches Theater“, in dem der reale Vorgang der „Performance“ an die Stelle von „mimetischen Schauspielen“ („mimetic action“) tritt; daß Theater mit lyrischen Texten, in denen keine oder kaum Handlung abgebildet wird, keineswegs mehr ein „Extrem“ bezeichnet, sondern eine wesentliche Dimension der neuen Theaterrealität. Diese entspringt einer andersgearteten Intention als der, ein wie immer auch verfeinerter, verdichteter, artistisch geformter Wiedergänger zu sein, das Double einer anderen Realität. Diese Verschiebung der medialen Gebietsgrenzen rückt das an Handlung orientierte Drama aus dem ästhetischen […] Zentrum des Theaters hinaus. (Lehmann 52011, 54)
Die Formdynamisierung, die hier als Performance kenntlich wird, erfasst zugleich den Körper der Protagonisten: „Der Schauspieler/Performer transformiert seinen Leib nicht in ein Werk, sondern vollzieht vielmehr Prozesse der Verkörperung. In diesen Prozessen wird der Leib ein anderer. Er transformiert sich, schafft sich neu und ereignet sich.“ (Fischer-Lichte 2004, 158). Im konkreten Inszenierungskontext kommt es freilich auch zu scheinbar paradoxen Fällen, etwa bei Samuel Beckett, der zwar die totale Destruktion aller dramatischen Konventionen zum Programm erhob, selbst allerdings als ‚Erzkontrolleur‘ verrufen war, den schon die kleinste Abweichung von seinen Regieanweisungen in Rage brachte (vgl. Knowlson 1996, 691–692). Gerade hier wird deutlich, wie der kalkulierte, pointierte Bruch formaler Konvention die Aufführung als ephemere, kontingente Form in ihrer Relevanz bestätigt. Die Inszenierung führt hier nochmals zur zentralen Frage des Verhältnisses von Medium und Form zurück. Für Luhmann etwa, so der Einwand Rainer Leschkes, sei das Medium nur „eine fluide Form von Materie“ gewesen, „deren einzige Eigenschaft darin besteht, Zwischenräume unauffällig zu füllen und dabei keine weiteren Eigenschaften als die der beliebigen Formbarkeit zu verfügen“ (2010, 13). Dementgegen operieren Medien in der ‚medienmorphologischen‘ Betrachtung Leschkes als „bestimmbare Bestimmtheiten“ (15), die sich der Form auf
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dreifache Weise bedienen: als „konstitutive Kategorie“, als „singuläre Erscheinung“ und – im Plural – als Ensemble „redundante[r] Phänomene“ (18). Dabei korrespondiert die Medien-Form-Differenz Luhmannscher Prägung […] dem Status der Kategorie, die Form die ihre Medialität vergessen macht, wenn sie diese auch nicht ignoriert, entspricht der Logik des Kunstsystems, die Medialität allenfalls neben sich toleriert, und die Formen als Formqualitäten von Medienprodukten sind essentielle Elemente des Mediensystems. (18)
Mediale Formen funktionieren dann, so Leschke, „als Bestimmungsgrund, von dem aus die zentralen Differenzen der Medien erfasst werden können“ (300). Als Metamedium in diesem Sinn verstand sich auch der Film. Die ,Filmform‘ gilt der frühen Filmforschung als Basis und Bestimmungsgrund der großen Formsynthese, die das neue Medium zum Medium der Medien macht.
Verfilmen Im theatralen Inszenieren taucht der Text als Regulierungs- und Deregulierungsmittel immer wieder neu auf der Theaterbühne auf. Im filmischen Format eröffnen Kamera und Perspektive weitere dynamische Gestaltungsstrategien zur Erzeugung von semantischen und asemantischen Bezügen, nicht zuletzt bei der Verfilmung literarischer Großnarrative (zur Literaturverfilmung vgl. Paech 21997; Spedicatu und Hanuschek 2008; Gast 1993), aber auch mit Blick auf Mikronarrative in der formalistischen Avantgardetradition. Der frühe Experimentalfilm etwa orientiert sich an der Malerei der Avantgarden, wenn er, wie Hans Richters Rhythmus 21 (1921), geometrische Figuren in Bewegung setzt, zugleich jedoch auch Protonarrative durch spezifisch filmische Bewegungsformen zu erzeugen versucht (Vormittagsspuk, 1928; Abb. 1; vgl. dazu die Beiträge in Forschungsnetzwerk BTWH 2012). Nach Sergej Eisenstein trifft die natürliche hier auf die technisch-industrielle Form: [T]he limit of organic form (the passive principle of being) is Nature. The limit of rational form (the active principle of production) is Industry. At the intersection of Nature and Industry stands Art. The logic of organic form vs. the logic of rational form yields, in collision, the dialectic of the art-form. The interaction of the two produces and determines Dynamism. (Eisenstein 1949b [1929], 46)
Visueller Formalismus tritt im cineastischen Milieu in vielen Formen auf – generisch etwa in der Bildgebung des Film noir – vor allem aber in den Bildtechniken der Montage, die zugleich als intermediales Phänomen die Brücke zu poetischen
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Abb. 1: Dynamische Formen – Filmstills aus Hans Richters Rhythmus 21 (oben) und Vormittagsspuk (unten)
Verfahren wie der dadaistischen Merz-Kunst schlägt. Ihr geht, wie Eisenstein in seinem Standardwerk zur Film Form ausführt, „the emergence of a ‚montage‘ form of thought“ voraus (Eisenstein 1949e [1934], 12; vgl. Lenz 2008; Bulgakowa 2019). Durch das ‚Montagedenken‘ rückt die Filmform – so die Pointe – in die Nähe der sprachlichen Kunst: Now why should the cinema follow the forms of theater and painting rather than the methodology of language, which allows wholly new concepts of ideas to arise from the combination of two concrete denotations of two concrete objects? Language is much closer to film than painting is. (Eisenstein 1949b [1929], 60)
Eisenstein erläutert dies am Einfluss von Charles Dickens auf den amerikanischen Filmpionier David W. Griffith (vgl. Eisenstein 1949c [1944]); ‚Literaturverfilmung‘ wird hier als Verfilmung literarischer Verfahren ausgewiesen, nämlich als Erweiterung des filmischen Erzählrepertoires durch Formtransposition des literarischen und seiner Transformation: „The film-frame can never be an inflexible letter of
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the alphabet“, er sei vielmehr „a multiplemeaning ideogram“ (Eisenstein 1949d [1929], 65). In der modernen Filmtheorie wurde der verfahrensorientierte Ansatz von der sog. Filmphilologie übernommen (vgl. Kanzog 1986; Bohn 2020), durch neoformalistisch-kognitivistische Methoden weiterentwickelt (vgl. Bordwell und Carroll 1996) und gegen den „Form-Wars“-Vorwurf der kulturalistischen Filmtheorie (Nichols 1989) in Stellung gebracht (vgl. Hesse 2006; Heller 2020). Wie durch ,Montagedenken‘ literarische in visuelle Form zu transformieren ist, kann als Zentralproblem bei der Verfilmung solcher Narrative gelten, für die nicht die Storyline das Mittel der ästhetischen Erfahrung ist (vgl. Kolker 42016). Hier stellt insbesondere die Adaptionsforschung ein mittlerweile gut differenziertes begriffliches Instrumentarium zur Verfügung, das die dynamischen Verfahren beim Transfer eines Stoffs aus einem Medium in ein anderes zu beschreiben erlaubt (vgl. Hutcheon und O’Flynn 22013; Leitch 2017; zum Konzepts des Films als zeitlicher Form vgl. Remmers 2018, 56, für eine Funktionstheorie des filmischen Stils Carroll 1998). Beim filmischen wie schon beim theatralen Inszenieren schließt dies auch die Frage nach der Werktreue, der Gattung und dem Modus eines Stoffs sowie Probleme der Wertung und Geltung mit ein. Film und Fernsehen erweisen sich hier schon aufgrund der großen Reichweite und Popularität und der damit einhergehenden Konkurrenzsituation als äußerst produktiv in der Erzeugung und Kombination von Genres, im Fall des Fernsehens besonders von ‚Formaten‘ wie series und serials. Darüber hinaus sind auch grundlegendere Formkonzepte, etwa das der Autorschaft (Auteur-Kino vs. ‚Studio-Kino‘ und ‚Producer-Kino‘), der Mimesis und Authentizität betroffen. Letztere erfahren durch die illusionserzeugenden wie -störenden Interventionen in der Kamerabewegung, aber auch durch Postproduction, Zeichentrick und Digitalanimation erhebliche Differenzierungen, vor allem dort, wo, wie z. B. in Black Mirror: Bandersnatch (2018), die Grenzen zwischen Film und Gaming fließend werden. Mediale Überschreitungen erweitern und verstören dabei Grundannahmen über visuelle oder auditive Evidenzen und ermöglichen so auch die Reflexion von außerfiktionalen Inszenierungen der Wirklichkeit (vgl. Jensen 2015). In diesem Sinne hat schon Eisenstein das ‚filmische Verfahren‘ in der Dichtung – seine Synthesis der Formen – mit der Leistung des Gesamtkunstwerks Film korreliert: [O]nly on a foundation of the entire experience of dramaturgy, epos, and lyricism, can a writer create a finished work in that unprecedented literary phenomenon – film-writing –, which includes in itself just such a synthesis of literary forms as the cinema as a whole comprises a synthesis of all forms of art. (Eisenstein 1949a [1939], 193)
Auch aus der Perspektive der modernen Medientheorie begünstigt die Prozessdynamik medientechnischer Verfahren die ‚Befreiung‘ aus der gattungsförmigen
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Zersplitterung. So hätten sich die „formästhetischen Besonderheiten“ der diversen Einzelmedien im Prozess der Digitalisierung grundsätzlich „erledigt; die Formen der einzelnen Medien werden technisch freigestellt“ (Leschke 2010, 302; vgl. Frosch 2019). Die literarischen Formate, die sich dieser Freistellung zugunsten einer neuen ‚formästhetischen Besonderheit‘ bedienen, sind der Hypertext und das Videospiel.
Verfahren Im text processing, der Mobilmachung der Zeichen in der digitalen Welt, erfasst die Formdynamik nun auch die konkrete Materialität des Textes. Goethes Paradox von der „[g]eprägte[n] Form, die lebend sich entwickelt“ (141989 [1820], 359), löst sich in der Schreib-Maschine des Computers dadurch auf, dass dort die jeder Formvorstellung inhärente Spannung rekursiv gesteuert werden kann: der Widerstreit des offenen, lebendigen, mobilen bis chaotischen und des geschlossenen, erstarrten, resp. als vollkommen und stabil beschriebenen Charakters der Form. Die Kybernetisierung scheint dabei die Forderungen jener älteren Konzepte einzulösen, die – von Humboldts Vorstellung der Sprache als Verfahren über Tynjanovs Modell der literarischen Evolution bis hin zu Benses generativer Ästhetik (vgl. Gunia 2006; Erdbeer 2001) – auf die Temporalität der textuellen Materialität und die Geschichtlichkeit der literarischen Verfahren verweisen (vgl. Baßler 2015). Mit Max Bense auf den Punkt gebracht: „Es ist evident, daß jede generative Ästhetik als Theorie mathematische Schemata und technische Prozeduren zusammenfaßt.“ (Bense 1998 [1969], 325). „Form“ im Sinne Benses wäre dann der „Makrozustand“ der „Berandung“; „Konfiguration“ ein „Mikrozustand“, der die von der Form organisierten Elemente beschreibt. Je nach Prozessierung (und im Gegensatz zum „chaogenen Text“ und zur Struktur als „Pattern“) erfüllen beide Zustände das „Ordnungsmodell“ der „Gestalt“ (312–314). Die Textform als Erregungszustand ihrer Herstellung wird schließlich zum Problem der Medien- und Verzeichnungstechnik, des Aufschreibe-, Transforma tions- und Speichersystems. Dass im Bemühen um die Zugangssteuerung der Textprozesse auch die Unterscheidung zwischen Form und Inhalt kaum zu halten ist, zeigt schon die Auseinandersetzung um die analoge ‚Technikprozedur‘ der Bibliothekswissenschaft: die Diskussion um die Bestandserschließung. „Obschon alle thematischen Einheiten“, schreibt Wilhelm Gülich 1939 zum Kieler Kreuzkatalog, unabhängig von ihrer Erscheinungsform ‚formal‘ und ‚inhaltlich‘ verzeichnet werden, werden die Ergebnisse dieser Katalogisierung hier nicht etwa in formal oder inhaltlich bestimmten Katalogen […] niedergelegt […]. Es gibt also […] nicht einen ‚alphabethischen
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Katalog‘, der Hauptkatalog wäre, und daneben einen ergänzenden ‚Realkatalog‘, sondern alle Kataloge sind prinzipiell gleichwertig […]. Dabei können in den einzelnen Katalogen grundsätzlich inhaltlich und formal bestimmte Elemente durcheinandergehen (Gülich 1939, 30).
Noch dramatischer gestaltet sich der technikinduzierte ‚Formverlust‘, den Friedrich Kittler unter Rückgriff auf Lacan als Preisgabe des „Monopol[s] auf Speicherung serieller Daten“ beschreibt: Gesetzt nämlich, dass Lacans methodische Unterscheidung symbolisch–real–imaginär etwas trifft, dann sind um 1900 zwei von drei Funktionen, die Informationssysteme ausmachen, vom Medium Schrift ablösbar geworden. Was am Sprechen das Reale ist, fällt dem Grammophon zu; was das im Sprechen oder Schreiben Imaginäre ist, dem Spielfilm. (Kittler 3 1995, 310)
Wird die Formdynamik hier – im Wettstreit analoger Medien – von den Konkurrenzformaten gleichsam aufgesogen, so gewinnt der Text als Medium im Zuge seiner Digitalisierung die verlorene Dynamik nicht allein zurück; er wird zugleich zum Generator einer Prozessierung, die ihn über die Funktion als Speichermedium erhebt. Das Schlagwort dieses maschinellen Aufbruchs ist der Hypertext.
Verlinken In Hypertext und Cybertext, dem technischen Prozess des hypermedialen „nonsequential writing“ (Nelson in Landow 31993, 4; vgl. Landow 1994; Eibl 2000), wird die Formdynamik von der metaphorischen Beschwörung eines Codes, der, einmal ausgegeben, statisch blieb, zur medialen Wirklichkeit: Cybertext […] is the wide range (or perspective) of possible textualities seen as a typology of machines, as various kinds of literary communication systems where the functional differences among the mechanical parts play a defining role in determining the aesthetic process. (Aarseth 1997, 22)
Die fluktuierenden Signifikanten, die der Theoriediskurs so eloquent beschrieben hat, bewegen sich erst in der digitalen Welt tatsächlich, nämlich als veränderbare digits einer nurmehr temporär stabilen, kollektiven, variablen, in Struktur, Gehalt und Modus stets changierenden Textur. Erst die Verlinkung öffnet den Verweisungsraum als Raum der Möglichkeiten, der Entscheidungen und der durch sie erzeugten Handlungsfolgen – Agency – auch für den Rezipienten, der auf diese Weise auf die Materialpräsenz des Textes wirken kann. Er wird zum Co-Autor und
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-Konstrukteur der literarischen Form. Espen Aarseth hat für diesen formdynamischen Prozess bekanntlich den Ausdruck ‚ergodisch‘ geprägt: During the cybertextual process, the user will have effectuated a semiotic sequence, and this selective movement is a work of physical construction that the various concepts of „reading“ do not account for. This phaenomenon I call ergodic, using a term […] that derives from the Greek words ergon and hodos, meaning „work“ and „path“. (Aarseth 1997, 1)
Die Hypertextstruktur – der Weg – ermöglicht und befördert dabei jene Arbeit, die der User der Entscheidungsbäume urteilend und handelnd leisten muss. Die Form des ‚Textes‘ wandelt sich dabei vom encodierten, material geschlossenen System zur Enzyklopädie der möglichen Bezüge (Eco), die gleichwohl an einen materialen Träger und den medientechnischen Prozessor, der ihn treibt, gebunden bleibt. Im Kontext der ergodic literature ist Form die Folge von geteilter Steuerung, die nicht nur Programmierung und (programmgerechte) Anwendung bedeutet, sondern Eingriffe des Zufalls und der userseitigen, spontanen Manipulation umfasst. Die Lockerung der Formauffassung hat dabei auch Folgen für die Vorstellung, aus ihr stabile Inhalte – Bedeutung – abzuleiten: „An ever-varying chameleon text forever eludes definitive explanation […].“ (Lanham 1993, 7). Hermeneutik liefert hier kein integrales Textverstehen, sondern wird zur punktuellen, handlungsorientierten Deutung von Entscheidungsknoten über einem nicht-fixierten, technisch prozessierten Materialbestand. Der Gegenstand des Formverstehens ist dann die Semantik der die nodes miteinander verbindenden links. Topik wandelt sich vor diesem Hintergrund von der rhetorischen Funktion zum Auftrag einer maschinell betriebenen Archivpoetik, die den Hypertext zum Aufweis (oder auch zur Setzung) der in einer Datenbank vollzogenen (bzw. zu vollziehenden) Verlinkungen (Äquivalenzen) nutzt (vgl. Baßler 2005). Mit Hilfe dieses Formverfahrens lassen sich Bedeutungen in der dynamischen Textur sowohl erzeugen (Netzliteratur/Hyperfiction, embedded/enacted narratives in Videogames), als auch analytisch nachvollziehen und beschreiben.
Erspielen In der ludischen Intervention erfahren Formhandlungen und die ihnen anhängigen Narrative eine starke Ausweitung, in der die Unterscheidung zwischen rezeptivem Publikum und vorgegebener, fixierter Storyline ins Wanken kommt (vgl. Backe 2008; vgl. Ryan und Thon 2014; Hennig 2017). Im Spiel verflüssigt sich die Form als strukturale Festlegung von Text und Bild, Sujet und Plot zugunsten einer radikalen Öffnung, die Umberto Ecos Konzeption des ‚Offenen Kunstwerks‘ nicht nur metaphorisch, sondern auf der Ebene der Zeichen selbst erfüllt (vgl.
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Bruhn et al. 2005; Conrad 2016; Erdbeer 2019a). Die Form verschwindet also nicht im Akt des Spielens, sondern ändert ihren Aggregatzustand. ‚Erspielt‘ wird hier ein kommunikativer Formtyp, der nach Eco ‚informell‘ verfährt: ‚Informell‘ heißt in diesem Sinne Ablehnung der klassischen, nur in einer Richtung zu verstehenden Formen, nicht Aufgeben der Form als der Grundbedingung für die Kommunikation. Das Beispiel des Informellen wird uns also, wie das jedes offenen Kunstwerks, nicht dazu veranlassen, den Tod der Form überhaupt zu dekretieren, sondern dazu, einen artikulierten Formbegriff, den der Form als eines Möglichkeitsfeldes zu bilden. (Eco 61993 [1962], 182)
Gerade narrative Spiele öffnen als entscheidungskritische Formate und im Gegensatz zu linearen Texten oder Filmen einen Raum der Möglichkeiten, der – vom Choose-your-own-Adventure-Buch bis hin zum Open-World-Modell – shared agency und interactive storytelling kombiniert. So werden Spieler ebenso zur Einhaltung wie auch zum Bruch bestimmter Form- und Handlungskonventionen, also auch zum Formexperiment animiert (vgl. Pias 22010; Erdbeer 2019b). Erfolg und Misserfolg der Spielhandlung bemessen sich dann nicht nur nach dem Grad der Formerfüllung wie der Regeltreue, der programmkonformen Lösung einer Aufgabe und der Erfüllung einer quest; sie zeigen sich auch in der (Mit-)Erschaffung neuer Handlungs- und Erzählsequenzen und der Wertungen und Interpretationen, die damit verbunden sind. Der neue Formtyp, der sich hier zur Geltung bringt, verweist damit zugleich auf eine neue Form der literarischen Ästhetik, eine Ästhetik der Kontingenz: An dieser Stelle entdecken wir, daß diese Kunst der Vitalität und des Zufälligen nicht allein noch den Grundbedingungen aller Kommunikation untersteht (weil ihre Informativität auf der Möglichkeit für eine Formativität beruht): da sie die Konnotationen der formalen Organisation in sich hat, liefert sie uns den Schlüssel zum Finden der Möglichkeit für eine ästhetische Betrachtungsweise. (Eco 61993 [1962], 183)
Kontingenz erscheint hier als ein formästhetisches Verfahren, das – wie Martin Seel gezeigt hat – auch Objekte angeht, deren Sosein sich im Modus der Notwendigkeit stabilisiert. Daher sei die „Kontingenzerzeugung“ von der „Kontingenzdarstellung“ abzugrenzen: ‚Notwendige Beliebigkeit‘ bedeutet dann, dass es in der Gestaltung künstlerischer Objekte notwendig sein kann, die Notwendigkeit ihres Erscheinens teilweise preiszugeben. […] Zum einen muss Kontingenz als Verfahren unterschieden werden von Kontingenz in der Herstellung künstlerischer Objekte. Viele Kunstwerke, auch solche, in deren Organisation Kontingenz als Verfahren keine oder kaum eine Rolle spielt, verdanken sich oft […] einer kontingenten Entstehung. Dies allein aber hat noch nichts mit Kontingenz als Formprinzip künstlerischer Objekte zu tun. (Seel 2016, 60)
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Im Spielhandeln als Formhandeln wird Kontingenz zum Formprinzip. Hier ist die Frage nach den Formagenten umso mehr verbunden mit der Frage nach den Intentionen und Mitteln, dem „auterism“ der Form (Carroll 1998, 400). Die ‚Verwirrung‘, die sie stiften, kann als Sonderfall der ludischen Transformation betrachtet werden, der sich kritisch gegen die im Regel- und Kontrollsystem implementierten Steuerungstendenzen wenden kann. Ein solches ‚Gegensteuern‘ ist seit jeher das Prinzip des Formen-Spiels im literarischen Diskurs gewesen, das ja nicht erst mit den digitalen Spielen in Erscheinung tritt. Das subversive Spiel der Dadaisten etwa bildet hier ein Spannungsfeld mit der konstruktivistischen Aleatorik, wie sie beispielhaft in der Konkreten Poesie verwirklicht ist (vgl. Bätzner 2005).
4.2 Formverluste Vortäuschen Der Begriff der Täuschung nimmt in der ästhetischen Debatte eine höchst ambivalente Stellung ein, auch weil die ursprüngliche Wortbedeutung von der heute üblichen, der Fehlvorstellung oder Irreführung mittels einer falschen Tatsachenbehauptung, wesentlich verschieden ist. So diente er zunächst als notwendiger Term zur Unterscheidung zwischen Original und Nachahmung, z. B. zu Beginn der Vorrede von Lessings kunst- und zeichentheoretischem Traktat Laokoon (1766): Der erste, welcher die Malerei und Poesie mit einander verglich, war ein Mann von feinem Gefühle, der von beiden Künsten eine ähnliche Wirkung auf sich verspürte. Beide, empfand er, stellen uns abwesende Dinge als gegenwärtig, den Schein als Wirklichkeit vor; beide täuschen, und beider Täuschung gefällt. (Lessing 1996b [1766], 9)
Die produktive Täuschung ist die Folge eines mediensensitiven Formverfahrens, das – so Lessing – der Spezifik seiner jeweiligen Zeichen folgt. Zugleich ist Täuschung aber auch als negative Kraft der Originalverstellung tätig, sie verfährt als Modustäuschung, die sich an der ontologischen Demarkation von fact und fiction vergeht. Es ist ein gängiges Verfahren, den vermeintlich pragmatischen Nutzen der Form im Sinne einer solchen Täuschung einzusetzen, etwa mit dem Zweck der Desinformation. Die Täuschung muss natürlich nicht – wie bei der intendierten Fälschung – stets einer sinistren Absicht folgen, sondern kann durchaus auf einen kognitiven Effekt der Überraschung zielen, der sich zeigt, wenn das zunächst beim Rezipieren begründet in Anschlag gebrachte Formverständnis sich als unangemessen erweist. Wie beim V-Effekt im Brechtschen Drama kann die Modustäuschung eine Reflexion auch über die formalen Grundlagen der Konstruktion von Wirklichkeit und Subjektivität begründen, welche außerhalb des
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rezipierten Werks und seiner Inszenierung operieren und die Kunst von anderen Diskursen trennen. Diese Täuschungsform kann auch als Grundlage modaldidaktischer Funktionen dienen, etwa im Format der Docufiction, das Verschwörungstheorien meist nur dann befördert, wenn man seine Selbstreferenzen verkennt. Dies gilt auch für diverse Mischformen des postdramatischen Komplexes, für die Wirklichkeit der virtuellen Welten und für Mockumentaries. In diesen wird die Form der ‚echten‘ Dokumentationen simuliert und parodiert, wie überhaupt verschiedenste Spielarten der Parodie einen formkritischen, ‚formdestruktiven‘ Charakter besitzen oder aber ihren ‚simulierten‘ Formen Reverenz erweisen können.
Verfremden Form kann stören und verfremden, insofern sie ‚Desinformation‘ und asemantische Effekte streut. Hier wird die Form gerade nicht als solche problematisiert und reflektiert, sie wird vielmehr als Störung ausgeblendet, während sie die Zuverlässigkeit und Anschlussfähigkeit der Inhalte behauptet oder suggeriert. Wo eine Formstörung dagegen offenkundig und die Formpragmatik suspendiert erscheint, dort kann der prätendierte Inhalt zwar zunächst erhalten bleiben, doch er wird in seiner Reichweite, Erreichbarkeit und Wirkung eingeschränkt. Er kann – z. B. mittels kryptographischer Kodierung – unzugänglich werden und erfordert folglich einen ‚Schlüssel‘, der die Dekodierung möglich macht und mit der Form auch deren Inhalt wiederherstellt. Ähnliches gilt augenscheinlich auch für die poetisch intendierte Störung der normalen Alltagssprache, die sich als gezielte ‚Überkodierung‘ erweist. Hier wird der Gegenstand prosodisch, symbolisch oder allegorisch aufgeladen und verschlüsselt, er erscheint pragmatisch uneindeutig und erweckt den Eindruck, eine Dekodierung könne möglich und zur Repragmatisierung der Gehalte hilfreich sein. Nach Jakobson liegt die poetische Funktion der Sprache – die auch Teil von nicht-poetischen, normalsprachlichen Texten ist – gerade darin, dass sie „auf die Botschaft um ihrer selbst willen zentriert ist“ und durch diesen Selbstbezug die anderen Funktionen, etwa die für mediale Rauschfreiheit verantwortliche phatische und die auf die Vermittlung von Gehalten zielende referentielle, überlagert, also stört (Jakobson 2007 [1960], 168). In Šklovskijs eindrücklicher Formulierung wird die formbezogene Verfremdung gar zum grundlegenden Verfahren der Kunst überhaupt. Es handelt sich um ein entschieden wirkästhetisches Modell, denn „das Verfahren der ‚Verfremdung‘ der Dinge und das Verfahren der erschwerten Form“ sei „ein Verfahren, das die Schwierigkeit und die Länge der Wahrnehmung steigert“. Diese Wirkung ist als künstlerischer Auftrag aufzufassen, „denn der
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Wahrnehmungsprozeß ist in der Kunst Selbstzweck und muß verlängert werden“ (Šklovskij 1969a [1916], 15). Doch die Störung der tradierten mittels fremder Formen ist nicht notwendig mit der Funktion der Dissimulation, der Täuschung und semantischen Verdunklung oder auch des Selbstbezugs ästhetischer Prozesse gleichzusetzen, sondern kann auch neue Transparenz erzeugen. Brecht z. B. charakterisiert die Leistung seiner ‚V-Effekte‘ mit der Mahnung: „Wie der Schauspieler sein Publikum nicht zu täuschen hat, daß nicht er, sondern die erdichtete Figur auf der Bühne stehe, so hat er es auch nicht zu täuschen, daß, was auf der Bühne vorgeht, nicht einstudiert sei, sondern zum erstenmal und einmalig geschehe.“ (Brecht 1997 [1948], 539). Es handelt sich bei dieser Art der literarischen Verfremdung also auch um eine Entautomatisierung des gewohnten Rezeptionsprozesses, aber eine, die der Konvention ein über die poetische Funktion hinausweisendes, kritisches Moment entgegenhält. Die Formverfremdung wandelt sich zur Formdidaxe, die auf eine außerliterarische Verwendung zielt. Die theatrale Form wird somit zur didaktischen Instanz für andere formale Konventionen der Gesellschaft umgewandelt und in Dienst genommen: „Die neuen Verfremdungen sollten nur den gesellschaftlich beeinflußbaren Vorgängen den Stempel des Vertrauten wegnehmen, der sie heute vor dem Eingriff bewahrt.“ (535).
Unterwandern Man könnte meinen, dass die Sinnkritik des dekonstruktivistischen Diskurses, also seine Absage an eine autonome, von der Signifikation und textuellen Modellierung unabhängige Bedeutung, eine Renaissance der Form zur Folge hätte. In der Tat erstrahlt die Form bei Derrida – in seiner Abhandlung Die Form und das Bedeuten (1972) – im Lichte der Präsenz: Das System der Oppositionen, in dem so etwas wie die Form gedacht werden kann, das Formhafte (formalité) der Form, ist ein endliches System. Es genügt auch nicht, zu sagen, daß ‚Form‘ für uns einen Sinn hat, daß sie ein Zentrum der Evidenz ist oder daß ihr Wesen uns nicht als solches gegeben ist: in Wahrheit läßt sich dieser Begriff nicht, ja ließ sich niemals trennen von dem des Erscheinens, des Sinns der Evidenz, der Essenz. Nur eine Form ist evident, nur eine Form hat oder ist ein Wesen, nur eine Form präsentiert sich als solche […]. All die Begriffe, mit denen eidos oder morphe übersetzt und bestimmt werden konnten, verweisen auf die Präsenz im allgemeinen. Die Form ist die Präsenz selbst. (Derrida 1988 [1972], 178)
Gesprochen wird hier freilich aus der Perspektive jenes metaphysischen Diskurses, den es zu dekonstruieren gilt – der Formtotalität: „Indem das Zentrum
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einer Struktur die Kohärenz des Systems orientiert und organisiert, erlaubt es das Spiel der Elemente im Innern der Formtotalität. Und noch heute stellt eine Struktur, der jegliches Zentrum fehlt, das Undenkbare selbst dar.“ (115). Die Auflösung der Formtotalität, die Dezentralisierung ihrer Zentren, ist indessen nicht zu leisten, wenn man die enttarnten Dualismen ‚Sinn und Form‘ und ‚Stoff und Form‘ einfach wiederbelebt. Nach Paul de Man sind es gerade jene Formverständnisse – das äußerlich-‚ornamentale‘ und das ‚solipsistisch‘-innerliche –, die es hier zu überwinden gilt: Wenn Form als äußerliche Zierde der literarischen Bedeutung oder des Inhalts angesehen wird, erscheint sie oberflächlich und verzichtbar. Die Entwicklung einer wirklich formalistischen Analytik im 20. Jahrhundert hat dieses Modell verändert: Form ist nunmehr eine solipsistische Kategorie der Selbstreflexion, während die referentielle Bedeutung als äußerliche aufgefasst wird. Die Gegensätze von innen und außen wurden umgekehrt, aber es sind immer noch dieselben Gegensätze, die im Spiel sind: die innere Bedeutung wurde zur äußeren Referenz, die äußere Referenz wurde zur inneren Struktur. (De Man 1988 [1979], 32–33)
Da nun der überkommene Begriff der ‚Form‘ stets als die Gegenseite einer ‚NichtForm‘, also nur im Rahmen eines Dualismus denkbar ist, der Angriff aber eben diesem Dualismus gilt, so destabilisiert der dekonstruktivistische Diskurs mit dem Begriff des Sinns und der Präsenz auch den Begriff der Form. In literaturtheoretischer Hinsicht führt somit kein Weg zu herkömmlichen Strategien des close reading, wie sie der New Criticism fordert, oder zur explication de texte der französischen Schule zurück.
Erschüttern Die Formfrage verschwindet dabei aber nicht, sie stellt sich neu. ‚Allegories of Reading‘, das Konzept, das Paul de Man für jene Arbeit einsetzt, die den hermeneutischen, am sinnhaften Zusammenspiel von Form und Inhalt orientierten Dualismus aus formaler Analysetätigkeit und interpretativer Freilegung des Sinns ersetzen will, entwirft ein Formverständnis neuer Art. Er etabliert damit ein Gegenangebot zur phänomenologischen Ästhetik, die denselben Gegensatz im Ausgleichsmodus einer idealrealen Einheit – des ‚ästhetischen Objekts‘ – zu lösen und zur Fülle einer immersiven Formsemantik aufzuheben versprach. So trat die Form im Werk des phänomenologischen Ästhetikers Mikel Dufrenne als Partner und Verwirklicher der Affizierbarkeit zutage, des ‚sensible‘, das als Zentrum des ästhetischen Objekts fungiert. In diesem Sinn ist „form“
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the immediate and immediately perceived organization of the sensuous [le sensible] […]. The aesthetic object is an object in which the matter abides only if the form is not lost. […] Because of form, the aesthetic object ceases to exist as a mere means of reproducing a real object [das Kunstwerk nämlich] and comes to exist by itself. Its truth is not outside it, in a reality which it imitates, but within itself. […] The aesthetic object is there, and the first thing it requires of us is the avowal of its presence […]. Thus the aesthetic object is nature through the power of the sensuous within it, but the sensuous is powerful only through form. Form itself is, in the first place, the form of the sensuous. (Dufrenne 1973 [1953], 90–91)
Derridas Diskurszitat, das die Präsenz der Form bestreitet, klingt vor diesem Hintergrund wie eine Parodie Dufrennes. – Tatsächlich kann die unio mystica von Form und Wahrnehmung im Sinn der dekonstruktivistischen Poetik keine Lösung sein: Wenn die Struktur des Kodes [der Literatur] so undurchsichtig, aber die Bedeutung so ängstlich bemüht ist, das Hindernis der Form zu tilgen, dann ist es kein Wunder, daß die Versöhnung von Form und Bedeutung derart attraktiv erscheint. Die Attraktion von Versöhnung ist der Nährboden falscher Modelle und Metaphern […]. Die immer wiederholte Debatte […] steht unter der Ägide einer Innen/Außen-Metapher, die nie ernstlich in Frage gestellt wird. (De Man 1988 [1979], 33)
Hier setzt de Man die Unterscheidung der rhetorischen und der grammatischen Behandlung literarischer Semantisierung an. Im Sinne jener „demystifizierende[n] Kraft der Semiologie“, die nach dem ‚Wie‘ statt nach dem ‚Was‘ der Zeichen fragt und so den „Mythos von der semantischen Korrespondenz zwischen Zeichen und Referent“ erledigt (34), weist de Man auf einen Rationalisierungsmangel in poetischen Form-Sinn-Komplexen hin. In diesen nämlich sei es schlechterdings „unmöglich“, nur „mit Hilfe grammatischer oder anderer sprachlicher Hinweise“, also auf formalem Wege zu entscheiden, „welche der beiden Bedeutungen“ – die eigentliche oder übertragene, die überdies „miteinander inkompatibel sein können“ – „den Vorrang“ habe. Diese Nichtentscheidbarkeit der Formbedeutung nennt de Man ‚rhetorisch‘: „Rhetorik ist die radikale Suspendierung der Logik und eröffnet schwindelerregende Möglichkeiten referentieller Verwirrung.“ Da sie diese Wirrnis sichtbar macht, „zerreißt“ die Unterscheidung „Grammatik/ Rhetorik, die gewiß keine binäre Opposition darstellt […], die saubere Antithese des Innen/Außen-Musters“ und mit dieser die Binäropposition von Inhalt und Form (34). ‚Rhetorik‘ aber ist, da kontextorientiert, ein Anwendungsproblem. Die allegorische Lektüre überwindet daher die Binäropposition insofern, als sie die grammatische Struktur im Text mit dessen ‚metafiguraler‘, autotelischer Rhetorik abgleicht, also seine ‚immanente Poetik‘ dekonstruiert.
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Auflösen Man könnte diese Art der Formdekonstruktion als ‚weich‘ bezeichnen, weil sie letztlich auf der immanenten Formhoheit (wenn auch nicht auf der Deutungshoheit) eines Textes besteht. Die Form – die literarische, poetische – wird dabei selbst zum Träger (nicht zum Gegenstand) der dekonstruktivistischen Arbeit: Die Lektüre ist nicht ‚unsere‘ Lektüre, insofern sie ausschließlich solche sprachlichen Elemente heranzieht, die der Text selbst darbietet […]. Die Dekonstruktion ist nichts, was wir dem Text hinzugefügt hätten, sondern sie ist es, die den Text allererst konstituiert hat. Ein literarischer Text behauptet und verneint zugleich die Autorität seiner eigenen rhetorischen Form. Dichtung ist die avancierteste und verfeinertste Form der Dekonstruktion. (De Man 1988 [1979], 48)
Die These steht und fällt mit der Bedeutung, die der Wendung ‚rhetorische Form‘ hier mitgegeben wird. Denn entweder es stehen jetzt (an der Systemstelle von Form und Sinn) zwei Formtypen einander gegenüber – die grammatische Form und die rhetorische Form –, oder aber letztere erscheint als Gestus der ‚Versöhnung‘, der die angestrebte Unterscheidung von Grammatik und Rhetorik kassiert. Im ersten Fall dekonstruiert der Text nur seine eigene Rhetorik (aber nicht die ihr zugrundeliegende Grammatik); im zweiten, der auch die grammatischen Verfahren einschließt, spielt es keine Rolle mehr, ob die Lektüre sich ‚ausschließlich auf die vom Text dargebotenen sprachlichen Elemente‘ bezieht – sie könnte sich von der Textur des Textes insgesamt befreien. Da dies aber nicht geschehen soll, kann man die Frage stellen, ob die Unterscheidung von Grammatik und Rhetorik bei de Man nicht wesentlich ‚binärer‘ ist, als dies die Formulierung nahelegt. Zumindest könnte man behaupten, dass, wenn Inhalt und Bedeutung angesprochen sind, sie ihr Residuum in der Rhetorik finden. Damit wäre eine neue Spielart des FormInhalt-Musters eingeführt, die Form jedoch in ihrer konstitutiven Rolle bestätigt.
5 Formverdikte/Formvisionen: Ideologien der Form Bekämpfen Wie kaum ein anderes Problem der Literarhistorie ist der Kampf um Form und Inhalt weltanschaulich aufgeladen und gewinnt im ‚Formalismusstreit‘ des frühen zwanzigsten Jahrhunderts ungeahnte wissenschafts-, kultur- und nationalpolitische Brisanz. Ihr Ursprung liegt im höchst ambivalenten Formbegriff
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der Avantgarden selbst begründet, ihrem Schwanken zwischen Formzerstörung und nicht selten theoriegeleiteter ,Wollust der Form‘ (Ernst Stadler, vgl. Fischer 2015; zur kulturellen Formkritik bei Walter Benjamin und Ernst Jünger vgl. Brokoff 2020). Wann aber hätte je ein theoretisches Spezialproblem der Linguistik und Poetik einen solchen Einfluss auf gesellschaftliche Diskussionen ausgeübt, wie dies in der Sowjetunion der 1920er-Jahre und – als Wiedergänger in den 1950erJahren – auch in der politischen Systemdebatte des geteilten Deutschlands möglich war? Der linguistische Diskurs der russischen ‚Formalen Schule‘, der den autonomen Status des Poetischen und damit dessen Unabhängigkeit von anderen sozialen ‚Reihen‘, insbesondere der ökonomischen, forcierte, wurde nicht nur von Vertretern der marxistischen Ästhetik angegriffen; Trotzkij, Bucharin und der sowjetische Kulturminister Lunatscharski greifen selbst in die Debatte ein gemäß der Frage, „wie es gekommen ist, daß sich als stärkster Konkurrent der entstehenden revolutionären Kunst und der in ihren Konturen sich abzeichnenden marxistischen Kunstwissenschaft der künstlerische und kunstwissenschaftliche Formalismus erwies?“ (Lunatscharski 1973 [1924], 92). Bei Leo Trotzkij wird der Formalismus gar zum Antipoden des marxistischen Projekts schlechthin: „[S]o ist die einzige Theorie, die sich […] auf sowjetischem Boden dem Marxismus entgegengestellt hat, wohl die formale Theorie der Kunst.“ (Trotzkij 1973 [1924], 34). Es fragt sich in der Tat, wie dies gekommen ist bzw. als Bedrohung wahrgenommen werden konnte. Boris Ėjchenbaum, der neben Victor Šklovskij zu den Hauptvertretern der Formalen Schule zählt, weist Trotzkijs Ansicht kurzerhand zurück. Die Antwort, die er gibt, ist selbst formaler Art: Man könne „Formalismus und Marxismus nicht einander ‚entgegenstellen‘“, da der Formalismus „das System einer Einzelwissenschaft“, der Marxismus dagegen „eine philosophisch-historische Lehre“ sei: „Man kann dem Marxismus nicht die Relativitätstheorie gegenüberstellen, weil diese Dinge unvergleichbar sind.“ (Ėjchenbaum 1973 [1924], 77). Gerade diese Unvergleichbarkeit, die faktische Verweigerung des linguistischen Diskurses gegenüber der marxistischen Kultur- und Wissenschaftskritik, erscheint als Grund für die Attacke ihrer Hauptvertreter. Lunatscharski etwa sieht im Formalismus einen „Überrest des Alten“ und verhängt dagegen ein sozialpolitisches Verdikt: „[D]er Formalismus in der Kunst wie in der Kunstwissenschaft ist die in das entsprechende Milieu nach Rußland übertragene Ausgeburt der späten Reife oder frühen Überreife der Bourgeoisie.“ (Lunatscharski 1973 [1924], 95).
Bewerten Die inhaltlichen Hauptvorwürfe gegen das Projekt des Formalismus sind die Antisubjektivität und Antihistorizität des Ansatzes, die nach marxistischer Lektüre
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die dem Formalismus durchaus zuerkannte analytische Beschreibungsleistung untergraben würden. Während die Formale Schule darauf zielt, die Wissenschaftlichkeit der literarischen Poetik durch die Fokussierung auf formale Techniken zu sichern (und die Unterscheidung Inhalt/Form auf diese Weise aufzulösen), fordert etwa Bucharin die Auflösung des Gegensatzes auf der Seite eines Inhalts, den er – ganz im Sinn von Trotzkijs Postulat der „psychischen Einheit des Gesellschaftsmenschen“ (Trotzkij 1973 [1924], 43) – als „emotionales Material“ beschreibt. So sei es völlig unverständlich, warum die Form ein spezifisches Merkmal der Kunst sein soll. Form ist eine Kategorie, die einer ganzen Reihe von Dingen eigen ist. […] Eine formale Kunst als solche, ohne irgendeinen Inhalt, ohne eine gewisse gesellschaftliche Funktion, gibt es nicht. Das ist nur eine konventionelle Bezeichnung, denn selbst reine Kunst ist der Reflex einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe, bestimmter gesellschaftlicher Verhältnisse. (Bucharin 1973 [1925], 64–67)
Entsprechend dekretiert noch Bachtins nachträglicher Beitrag Das Problem von Inhalt, Form und Material im Wortkunstschaffen (1975): „Außerhalb des Bezugs auf den Inhalt, d. h. auf die Welt, die Welt als Gegenstand von Erkennen und ethischem Handeln, kann die Form keine ästhetische Bedeutung haben, kann sie ihre grundlegenden Funktionen nicht erfüllen.“ (Bachtin 1979 [1975], 117–118). Der Umstand aber, dass „die ästhetisch bedeutsame Form […] keine leere, sondern die hartnäckig bestehende, eigengesetzliche, sinnhafte Intentionalität des Lebens“ umfasst, entmächtigt sie zugleich zugunsten dieses Inhalts: „Die Form veräußerlicht den Inhalt, daß heißt, sie verkörpert ihn, indem sie ihn von außen umfasst – die klassisch traditionelle Terminologie bleibt also in ihrem Kern wahr.“ (118). Die Einführung des Materialbegriffs erweitert dabei einerseits die klassische Dualität von Form und Inhalt zur triadischen Beziehung: „Künstlerische Form ist die Form eines Inhalts, doch eine solche, die durchgehend im Material realisiert, ihm gleichsam verhaftet ist.“ (139). Für die Bezeichnung des Objektstatus, der dieser Einheit aus Materie, Form und Inhalt eignen soll, greift Bachtin auf ein phänomenologisches Modell zurück: auf das „ästhetische Objekt“ und seine Tradition von Broder Christiansen über Roman Ingarden bis zu den Arbeiten Mikel Dufrennes. Sein Auftrag ist die ontologische Bestimmung dessen, was in der ästhetischen Erfahrung zwischen Autor, Werk und Rezipient entsteht. Für Bachtin ist dies „eine Schöpfung, die in sich einen Schöpfer enthält“, „kein Ding“, sondern „geformter Inhalt“ (152) und vor allem – im erklärten Gegensatz zur formalistischen Ästhetik – materialtranszendent: Die Ästhetik muß den immanenten Bestand des Inhalts der künstlerischen Wahrnehmung in seiner ästhetischen Reinheit bestimmen, d. h. das ästhetische Objekt, um die Frage zu
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entscheiden, welche Bedeutung das Material und dessen Organisation im äußeren Werk für diesen haben; geht sie auf diese Weise vor, so wird sie […] notwendig feststellen, daß die Sprache in ihrer linguistischen Bestimmung in das Innere des ästhetischen Objektes keinen Eingang findet, draußen bleibt. Das ästhetische Objekt selbst aber besteht aus dem künstlerisch geformten Inhalt (oder der inhaltlichen künstlerischen Form). (132–133)
Die Neubewertung fokussiert auch einen neuen Gegensatz: Materie versus Form, die beide dem Primat des Inhalts unterliegen. Anders als die „Material-Ästhetik“, die nach Bachtin Gegenstand der Formalisten ist (134), erscheint die ‚Formästhetik‘ als aktive Wertsetzung, als „Formaktivität“. Die Botschaft dieser Überlegung ist markant: Die Formalisten hatten es nie mit der Form zu tun. Sie hatten Form mit Material verwechselt und auf diese Weise das ‚ästhetische Objekt‘ verfehlt. Die „Kardinalfrage“ für Bachtin lautet also: Wie wird die Form, die durchgängig im Material realisiert ist, nichtsdestoweniger zur Form eines Inhalts, wie bezieht sie sich werthaft auf ihn? […] Wie realisiert die konzeptionelle Form – die Organisation des Materials – die architektonische Form, die Vereinigung und Organisation der gnoseologischen [erkenntnisleitenden] und ethischen Werte? (140)
Tatsächlich führt der Formästhetiker hier einen neuen Dualismus ein, der den Begriff der Form strategisch unterteilt: ‚konzeptionelle Form‘ (die Formgebung der Materialien) versus ‚architektonische Form‘ (die Wertung des geformten Materials). Das Wort als Träger dieser Wertung ist die materiale Basiseinheit, die erst durch die Formaktivität des Dichters Form (und damit Sinn) erhält: „Die Einheit der Form ist die Einheit des aktiv wertenden Standpunkts des SchöpferAutors […].“ (151). Damit aber ist zugleich die logische und ontologische Disposition der Einheit ‚Wort‘ markiert: Zusammenhang und Wirklichkeit erfährt das Wort erst durch die ‚Wertgebung‘ des Schöpfer-Autors, welche nur gelingen kann, weil ihm das Wort als ‚reines‘ gegenübertritt und seinen „Standpunkt“ markiert. So stehen Wort und Autor im Verhältnis gegenseitiger Verwirklichung: Dieser vom Wort und nur vom Wort markierte Standpunkt wird produktiv und vollendet den Inhalt dank seiner Isolierung – seiner Nicht-Wirklichkeit ([…] einer Wirklichkeit besonderer, rein ästhetischer Ordnung) durchweg schöpferisch. Die Isolierung ist […] das erste Geschenk der Form an den Inhalt, das alle nachfolgenden bereits positiven, bereichernden Gaben der Form erst ermöglicht. (151)
Form erscheint somit als „Wertbeziehung“ zweiter Ordnung: „Die Kunst schafft die neue Form als neue Wertbeziehung zu dem, was für Erkennen und Handeln bereits Wirklichkeit geworden ist“ (116); sie bewertet gewertete Wirklichkeit:
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Natürlich führt die ästhetische Form diese erkannte und bewertete Wirklichkeit in eine andere Wertschicht über […]: sie individualisiert, konkretisiert, isoliert und vollendet sie, doch sie ändert nichts daran, daß sie erkannt und bewertet ist: gerade auf dieses Erkanntsein und Bewertetsein zielt die vollendete ästhetische Form. Die ästhetische Tätigkeit schafft keine völlig neue Wirklichkeit. (Bachtin 1979 [1975], 115)
Erziehen Die Denkfremdheit der beiden Formsysteme, des fremdbezogenen der Marxschen Lehre und des selbstbezüglichen des Formalismus, führt dazu, dass man der jeweiligen Gegenposition ‚Scholastik‘, Idealismus, Mystizismus und Spekulation unterstellt: „Wer“, so Bucharin, „nicht die Funktion irgendeiner Erscheinung im Leben versteht“ (1973 [1925], 65) bzw., mit den Worten Trotzkijs, der „Methode empirischer Anprobe“ folgt (1973 [1924], 51), der sei „ein obligatorischer Scholastiker, Fetischist oder Metaphysiker“ (1973 [1925], 65–66). Er leide unter „ästhetische[m] Größenwahn“ (Trotzkij 1973 [1924], 53). „Der kaum zu überbietende Idealismus reinsten Wassers“, sekundiert Kurt Konrad 1934 mit Bezug auf Šklovskij und den Prager Strukturalismus, führe „diesen Formalismus auch zu einer völlig idealistischen Auffassung von der Funktion des Dichters und des Kunstwerks […].“ (Konrad 1973 [1934], 133). Die subjektlose, gesellschaftsferne Ganzheit seiner Reihen und Strukturen könne man – im Unterschied zur Fülle des sozialen Ganzen – nur „als ‚schlechte Totalität‘ bezeichnen“ (138). Osip Brik dagegen feiert in der formalistischen Poetik die Erfüllung des marxistischen Zentralauftrags, die inneren „Gesetze der dichterischen Produktion“ zu enthüllen. Aus dem Alltagsleben lassen sie sich nicht erschließen. Würde nämlich, so der Formalist polemisch, „ein literarisches Werk als ‚menschliches Dokument‘ verstanden“, dann hätte es nur „Interesse für den Autor, seine Frau, Verwandte, Bekannte und Verrückte vom Typ derer, die leidenschaftlich eine Antwort auf die Frage suchen ‚War Puškin Raucher?‘“ (Brik 1973 [1923], 96). Nur der Formalismus kann, so Brik, das kommunistische Projekt im literarischen Diskurs verankern, denn er „hilft den Genossen Prolet-Dichtern, die Traditionen der bürgerlichen Literatur zu überwinden, indem er wissenschaftlich beweist, daß sie zum Tode verurteilt und konterrevolutionär ist.“ Eben weil er diese Dichter „mit exaktem technischem Wissen über die Verfahrensweisen des modernen dichterischen Schaffens“ versorgt, kann der moderne Formalismus auch der einzig wahre „Totengräber des poetischen Idealismus“ sein (98). Angesichts der immer unsubtiler werdenden Polemik blieb für Ausgleichspositionen wenig Spielraum, die – wie jene Briks und Boris Arvatovs „formalsoziologische Methode“ – „unmittelbar auf dem Boden des Marxismus“ stehen
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wollen, um das Wirkungsspektrum der Formalen Schule auf die „praktische Sprache“ auszudehnen (Arvatov 1973 [1923], 101). Ansätze wie dieser oder auch die Überlegungen Juri Tynjanovs zum Problem der Formgeschichte rücken damit in die Nähe der modernen Diskurstheorie. So würden die „vorliegenden künstlerischen Formen […], gerade als Formen, von den Formen des sozialen Systems bestimmt“, wobei die „poetische Sprache“ zugleich „das unbewußte Laboratorium der praktischen Sprache“ sei: „Der Dichter kombiniert nicht einfach vorhandene Wörter und Sätze neu; der Dichter ist immer ein Erfinder, ein Former des realen Sprachmaterials […].“ (111–112). Er ist zugleich der Ordner dieses Materials und sein sozialer Führer, denn die Kunst „organisiert in der Phantasie, was im Leben unorganisiert, d. h. nicht fühlbar ist, was die Gesellschaft aber nötig hat, wonach sie drängt“ (113). Soziale Formpoetik ist – als ethische Mäeutik – ein Erziehungsprojekt.
Ausgleichen Im frühen Nachkriegsdeutschland, insbesondere im literarischen Betrieb der DDR, hat dieser Kampf der Formen und Gehalte eine späte Zuspitzung erfahren: als Realismusstreit. Er nimmt dabei die Realismusdiskussion der sozialistischen Ästhetik auf, die in den 1930er-Jahren teils als Fortführung der Inhalt-FormDebatte, teils als Revision der künstlerischen Avantgarden aufgekommen war. Der neue Dualismus heißt jetzt ‚Realismus versus Formalismus‘ und entspringt der Frage, ob sich der sozialistische Realismus, als politische Doktrin der Kunst, nicht klar von Formexperimenten abzugrenzen habe. Unzweideutig ist hier eine offizielle Stellungnahme des ZK der SED von 1951: Weil die formalistische Kunst nicht die Erkenntnisse der Wirklichkeit vermittelt, die Kunst vom Volke trennt und in die Abstraktion führt, dient sie objektiv dem Imperialismus. Die Isolierung der Kunst und des Künstlers vom Volk, die Verherrlichung des „Mystischen“ und „Geheimnisvollen“, „Übernatürlichen“ sind Zersetzungserscheinungen der Kunst und der imperialistischen Epoche des Kapitalismus. (SED 1991 [1951], 100)
Dabei hatte Bertolt Brecht schon 1938 mahnend angemerkt: „Bei den reinen Formfragen soll man nicht allzu unbedenklich im Namen des Marxismus sprechen. Das ist nicht marxistisch.“ (Brecht 1967b [1938], 127). Brecht bemüht sich folglich um den Ausgleich der Extreme, wohl auch, um sein aus der Avantgarde entliehenes Verfremdungspostulat vom Vorwurf bourgeoiser Dekadenz zu retten. Dafür hat er eine Reihe origineller Strategien eingesetzt: 1. Die gezielte Unterscheidung zwischen ‚Formalismus‘, ‚Form‘ und ‚Formung‘:
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Der so notwendige Kampf gegen den Formalismus, das heißt gegen die Entstellung der Wirklichkeit im Namen „der Form“ und gegen die Prüfung der in den Kunstwerken erstrebten Impulse auf gesellschaftliche Wünschbarkeit hin, sinkt bei Unvorsichtigen oft zu einem Kampf gegen Formung schlechthin herab, ohne welche die Kunst nicht Kunst ist. (Brecht 1967c [1951/52], 191)
2. Den Versuch, den Formalismusvorwurf an die Kritiker zurückzuspielen durch die Taktik, ihn als Konventionalismus auszuweisen: Da ist ein Wirrwarr in der Debatte, den Formalismus betreffend. Der eine sagt: Ihr ändert nur die Form, nicht den Inhalt. Die andern haben das Gefühl: Du gibst den Inhalt erst recht der Form preis: nämlich der konventionellen. Vielen leuchtet nämlich eines noch nicht ein: Gegenüber den immer neuen Anforderungen der sich immer ändernden sozialen Umwelt die alten konventionellen Formen festhalten ist auch Formalismus. […] Den Realismus zu einer Formsache zu machen, ihn mit einer (und zwar einer alten) Form verknüpfen, heißt: ihn sterilisieren. Realistisches Schreiben ist keine Formsache. (Brecht 1967a [um 1938], 98)
3. Eine Neubestimmung des Formalen als soziales Apriori: „Alles Formale, was uns hindert, der sozialen Kausalität auf den Grund zu kommen, muß weg; alles Formale, was uns verhilft, der sozialen Kausalität auf den Grund zu kommen, muß her.“ (98–99). 4. Die Erweiterung der Form zum Medium des adäquaten Ausdrucks. Realismus wird zur Formsache, wo eine neue Wirklichkeit nach ihrem passenden Ausdruck verlangt: Das Volk versteht nicht nur die alten Formen. Marx, Engels und Lenin haben, um dem Volk die soziale Kausalität aufzudecken, zu sehr neuen Formen gegriffen. Lenin sprach nicht nur anderes als Bismarck, sondern er sprach auch anders. Er wünschte weder in der alten Form zu sprechen, noch in der neuen. Er sprach in einer geeigneten Form. (99)
5. Eine Trennung des Zusammenhangs von ‚formalistisch‘ und ‚unrealistisch‘ durch die Offenlegung solcher Textformate, die zwar ihrer Form nach realistisch, im „sozialen Inhalt“ aber ohne Wirklichkeitsentsprechung sind. Didaktisch klug wird diese nicht ganz leichte Überlegung durch die Unterscheidung von ästhetischem und Alltagsformalismus eingeführt: Wenn man alles, was künstlerische Werke unrealistisch macht, Formalismus nennen will, damit man sich versteht, muß man diesen Begriff Formalismus nicht ästhetisch bilden. Hie Formalismus! – Hie Inhaltismus! Das ist doch zu primitiv und zu metaphysisch! […] Wir können durchaus verständlich bleiben und dem Begriff doch einen weiteren, fruchtbareren, praktischen Sinn geben. Wir müssen nur einen Augenblick von der Literatur absehen und ins „gewöhnliche Leben“ hinabsteigen. Was ist da Formalismus? (Brecht 1967d [um 1938], 112)
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Die Frage wird sodann mit Etymologien und vertrauter Idiomatik enggeführt und abschließend mit schwerstmöglicher politischer Semantik bestückt: Nehmen wir den Ausdruck: Er hat formell recht. Das will sagen, er hat eigentlich nicht recht, aber der Form nach, nur der Form nach, hat er recht. Oder: Formell ist die Aufgabe gelöst will sagen, sie ist nicht eigentlich gelöst. Oder: Ich habe das getan, um die Form zu wahren. Das will sagen, es bedeutet nicht viel, was ich getan habe, ich mache, was ich will, aber ich wahre die Form, da kann ich am besten machen, was ich will. […] Der Nationalsozialismus ist ein Sozialismus der Form nach, das heißt ein politischer Formalismus. Es handelt sich da nicht um wuchernden Formensinn. (112–113)
Auf dieser Basis lassen sich nach Brecht auch literarische „Werke als formalistisch bezeichnen und entlarven, die nicht die literarische Form über den sozialen Inhalt stellen und doch der Realität nicht entsprechen. Wir können auch solche Werke entlarven, die der Form nach realistisch sind.“ (113). Hier wird der Formalismus gleichsam zu Methode der ‚guten Zensur‘.
Erretten Dass die zugrundeliegende, auch immer weltanschaulich motivierte Spannung damit nicht zum Ende kommt, zeigt exemplarisch die zum Teil erbitterte Debatte um den amerikanischen New Formalism, die von Dana Gioias Streitschriften Notes on the New Formalism and the Revival of Traditional Forms in Poetry (1987) und Can Poetry Matter? (1991) ihren Ausgang nahm (vgl. McPhillips 1999; McPhillips 2005; Levinson 2018). Für diese am Problem des ‚freien Verses‘ orientierte Kontroverse gilt, was schon für die sowjetisch-deutsche Formdebatte symptomatisch war: „Obviously, for many writers the discussion of formal and free verse has become an encoded political debate.“ (Gioia 1987, 396). Die Stellvertreterdiskussion, die letztlich auf das Attribut des ‚Progressiven‘ zielt, greift also in den 1980er-Jahren auf den Topos von der literarischen Revolution zurück – mit umgekehrten Vorzeichen: „The new formalists put free verse poets in the ironic and unprepared position of being the status quo. Free verse, the creation of an older literary revolution, is now the long-established, ruling orthodoxy; formal poetry the unexpected challenge.“ (395). Gioias These, dass der Niedergang der Gattung Lyrik nicht zuletzt durch „the abandonment of […] aural education for the joylessly intellectual approach of critical analysis“ begründet sei (397), zielt ebenso auf den Purismus des New Criticism wie auf die politische Indienstnahme durch Cultural und Critical Studies: „With the best intentions the university has intellectualized the arts to a point where they have been cut off from the vulgar vitality of popular traditions and, as a result, their public has shrunk to groups of academic specialists and a captive audience of
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students […].“ (403). Die Folgen solcher Formverluste könnten kaum gravierender sein: „the debasement of poetic language; the prolixity of the lyric; the bankruptcy of the confessional mode; the inability to establish a meaningful aesthetic for new poetic narrative; and the denial of musical texture“ (408). Der Einsatz gegen diese ‚Bürokratisierung‘ des Poetischen, die für die institutionalisierte Dichtung typisch sei (vgl. Gioia 1991), erfordere daher die Wiederzulassung bedeutungstragender und affektiver Form (vgl. Doncu 2019; vgl. auch die Überlegungen zum New Aestheticism bei Joughin und Malpas 2003). Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive hat man die Bewegung des New Formalism als Versuch gedeutet, die dem New Historicism unterstellte Formverdrängung wieder auszugleichen. War derselbe mit der Absicht angetreten, gegen die als ahistorisch kritisierten Analysen des New Criticism die diskursgeschichtliche Fundierung literarischer Produkte aufzuwerten, so vollzieht der neue Formalismus eine Wiederaufwertung der literarischen Form. Marjorie Levinson hat hier zwei Formalismustypen unterschieden: einen „activist formalism“, der, wie etwa Alan Lius Schrift The Power of Formalism: The New Historicism (1989), Form als Agens im historischen Geschehen denkt, und einen „normative formalism“, der den autonomen Status des Poetisch-Fiktionalen gegen dessen Auflösung in kulturelle Subdiskurse profilieren, also vor der Profanierung retten will (Levinson 2007, 559; vgl. Levinson 2018; Lehman 2017). In Lius New Historicism rettet Form dagegen den dynamischen Charakter der Kultur als ganzer: „Form, after all, is that which contains the mobility of subversive plurality within a myth of organic wholeness, ‚ambiguity‘ within ‚unity‘.“ (Liu 1989, 739; vgl. Philipps 1989; Erdbeer 2001). Der Dynamismus dieses Formbegriffs und sein Primat des „Formal Feeling“ (Finch 1994; vgl. Finch 1999) zeigen sich auch in der Selbstbeschreibung der Bewegung als „expansive“ (Newman 1989) und betonen so den progressiven Zug der „New Expansive Poetry“ (Gwynn 1999): Our intention is to expand the possibilities of form and content in poetry. We don’t want our work as a movement to be transformed into a new conformism in which superficial elements are reduced to a fashion and a set of formulae to be duly retailed in the creative writing schools. The reason to use narrative and meter and rhyme is not to be fashionable but to open worlds of reality and imagination to the poet which might otherwise be shut of. (Feirstein und Turner, zit. nach Gwynn 1999, 10–11)
Befreien Im deutschen Sprachraum hat vor allem Gerhard Falkners aphorismenhafte Streitschrift Über den Unwert des Gedichts (1993) die Formdebatte mit kulturkritischer Verve renoviert:
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Welche Situation haben wir heute? Die Traditionslinien sind unleserlich. Jede frische, kraftvolle Empfindung ist eingeschüchtert. […] Es herrscht eine Poesie dünnen Kalküls, die in den Nischen der akademischen Akzeptanz Zuflucht sucht, bei den Hütern der Radikalität als akademischem Plaisir – und bei Kritikern, jenen als Bestien getarnten Lämmern der Softkultur. (1993, 110–111)
Entstanden sei, so Falkner in der Dankesrede zur Verleihung des Peter-HuchelPreises 2009, ein „durch Vitalitätsneid und akademischen Rabulismus geprägtes Lager, das sich autoerotisch an einer ächzenden Artifizialität abarbeitet und seinen Mitgliedern die leere Gemütlichkeit ausgeträumter Avantgarden als Aura in Aussicht stellt“ (Falkner 2017 [2009], 578). Ähnlich Brecht zieht Falkner also eine Unterscheidung zwischen leerem Formalismus und der Forderung nach einer zeitgemäßen, inhaltsreichen Formpoetik ein. Es geht um die Befreiung der sedierten Form von den Adepten des Formalen, um den Auftrag, ihr zu neuer Form zu verhelfen. Dabei schärft die Militanz der Sinnlichkeit (vgl. 1993, 86), die nicht von der „geführten Sprache“, sondern nur von den ‚gedrängten‘ Formen zu erwarten sei, die Sinne für die Dringlichkeit des Inhalts, aber auch für eine wirkästhetische „Entgegnung“, den Genuss der Eindringlichkeit: „Verwürfe man selbst jegliche Form […], so bliebe doch eine eigenartige Gedrängtheit, auf der das Gedicht als letztes noch bestehen würde, eine Gedrängtheit, von der die Eindringlichkeit ausgeht, die in auffälliger Weise Vergnügen bereitet…“ (12–13). Diese Formung freilich ist kein l’art-pour-l’art-Verfahren, sondern schließt auch Formen nicht-poetischer und populärer Gegenwartsdiskurse ein; selbst und gerade im Naturgedicht: Wenn wir zeitnah an die Natur heranwollen, müssen wir die Sprache der Diskurse und Wissenschaftsmodelle in die Darstellung von Natur einbeziehen. […] Die Syntax wird dabei nicht zum immanenten, sondern zum exponierten Bestandteil des Gedichts, sie wird in seinem Verlauf bodenschatzartig gefördert und mit neuen Verfahren entwickelt zu einer schlagkräftigen Sprache. (2017 [2008], 103)
Damit nähern sich die Formverfahren aber nicht nur der Natur auf zeitgemäße Weise, sondern stellen auch für potenzielle Leser didaktische Form-Fallen auf: Die Klugen müssen durch die Falltüren der Terminologien, ihrer eigenen Wortschatzfavoriten in die phänomenalen Räume von Natur und Außenwelt stürzen. […] Wenn wir von neurologischem Gras sprechen oder der Grammatologie der Entwässerungsgräben stutzt der Kulturwissenschaftler […] und denkt: Moment mal, neurologisch verstehe ich, Grammatologie auch, aber Gras, Heide, Hain, was ist das denn? (104)
So befreit der Formdrang der gedrängten Form sich selbst und seine Freunde, weil er sich und ihnen einen Inhalt schafft. *
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Diese Übersicht, die einige zentrale literarische bzw. für den literarischen Diskurs bedeutsame Formhandlungen und Formverfahren aufführt, muss zwar unvollständig bleiben, ist jedoch als Rahmen oder Auftakt für die nachfolgenden Beiträge gedacht. Dieselben nämlich führen aus, was hier nur angedeutet werden konnte, greifen Themen auf, die in der Einleitung noch fehlen oder nehmen Positionen ein, die den hier vorgestellten Ansatz aus der Expertise ihrer jeweiligen Forschungsfelder und Disziplinen modifizieren. Wir erhoffen uns davon ein möglichst vielfältiges Bild des Formdiskurses, das die weitgestreute, hochdifferenzierte und nicht selten hochpolemische Debatte exemplarisch repräsentiert. Die Auflösung ‚der Form‘ in Formverfahren und formale Praktiken, die wir als Leitmotiv der Einleitung verfolgten, schließt sich dabei einerseits erneut zu Formbegriffen und -objekten, die im Lauf der Formgeschichte prominent geworden sind, bzw. weitet sich zu Formerzählungen und Formgeschichten fachspezifischer, komparativer oder intermedialer Art. Mit einer Wendung Robert Müllers, des Wiener Expressionisten: „Die Dinge erhalten eine geistige Anschaulichkeit, sie sind die Form ihrer Kräfte.“ (Müller 1992 [1920–1923], 140).
Weiterführende Literatur Aurenhammer, Hans und Regine Prange. Hrsg. Das Problem der Form. Interferenzen zwischen moderner Kunst und Kunstwissenschaft. Berlin 2016. Avanessian, Armen, Franck Hofmann, Susanne Leeb und Hans Stauffacher. Hrsg. Form. Zwischen Ästhetik und künstlerischer Praxis. Zürich und Berlin 2009. Baecker, Dirk. Hrsg. Probleme der Form. 2. Aufl. Frankfurt am Main 2016. Burdorf, Dieter. Poetik der Form. Eine Begriffs- und Problemgeschichte. Stuttgart und Weimar 2010. Burke, Kenneth. The Philosophy of Literary Form. 3. Aufl. Berkeley und Los Angeles 1973. Erdbeer, Robert Matthias, Florian Kläger und Klaus Stierstorfer. Hrsg. Literarische Form / Literary Form. Theorien – Dynamiken – Kulturen. Beiträge zur literarischen Modellforschung / Theories – Dynamics – Cultures. Perspectives on Literary Modelling. Heidelberg 2018. Gamper, Michael, Eva Geulen, Johannes Grave, Andreas Langenohl, Ralf Simon und Sabine Zubarik. Hrsg. Zeit der Form – Formen der Zeit. Hannover 2016. Graduiertenkolleg Literarische Form. Hrsg. Formen des Wissens. Epistemische Funktionen literarischer Verfahren. Heidelberg 2017. Graduiertenkolleg Literarische Form. Hrsg. Dynamik der Form. Literarische Modellierungen zwischen Formgebung und Formverlust. Heidelberg 2019. Hansen-Löve, Aage, Brigitte Obermayr und Georg Witte. Hrsg. Form und Wirkung. Phänomenologische und empirische Kunstwissenschaft in der Sowjetunion der 1920er Jahre. München 2013. Jolles, André. Einfache Formen. Legende, Sage, Mythe, Rätsel, Spruch, Kasus, Memorabile, Märchen, Witz. Tübingen 1930.
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Klammer, Markus, Malika Maskarinec, Rahel Villinger und Ralph Ubl. Hrsg. Formbildung und Formbegriff. Das Formdenken der Moderne. Paderborn 2019. Kovács, Kálmán. Hrsg. Ideologie der Form. Frankfurt am Main 2006. Leighton, Angela. On Form. Poetry, Aestheticism, and the Legacy of a Word. Oxford und New York 2007. Levine, Caroline. Forms. Whole, Rhythm, Hierarchy, Network. Princeton und Oxford 2015. Lugowski, Clemens. Die Form der Individualität im Roman. Mit einer Einleitung von Heinz Schlaffer. Frankfurt am Main. Reprint. Hildesheim und New York 1976 [1932]. Meyer, Theodor A. Das Stilgesetz der Poesie. Mit einem Vorwort von Wolfgang Iser, Stuttgart 1990 [1901]. Spencer-Brown, George. Laws of Form – Gesetze der Form. Lübeck 1997 [1969]. Walzel, Oskar. Gehalt und Gestalt im Kunstwerk des Dichters. Berlin-Neubabelsberg 1923. Zimmermann, Robert. Allgemeine Ästhetik als Formwissenschaft. Wien 1865.
II Historischer Abriss
II.1 Konzeptgeschichten der Form
Monika Schmitz-Emans
II.1.1 Begriffsgeschichten der Form: Ein metaphorologischer Einsatz 1 Die Basismetaphoriken ästhetischer Formdiskurse Der Begriff ‚Form‘, dessen Verwendung ja keineswegs auf ästhetisch-poetologische Kontexte beschränkt ist, erscheint gerade in diesen als besonders proteisch und vieldeutig, bedingt sowohl durch die komplexe Bedeutungsgeschichte des philosophischen Form-Begriffs als auch durch die facettenreiche Geschichte poetologisch-literaturtheoretischer Reflexion über Formen und ihre jeweiligen Gegenbzw. Komplementärkonzepte. Bereits seit der Antike diskutiert wird die (im Rahmen differenter Ästhetiken unterschiedlich beantwortete) Frage nach dem ontologischen Status der Form: Das mit dem dt. Wort ‚Form‘ übersetzte lat. ‚forma‘ korrespondiert einerseits dem griech. Begriff ‚eidos‘ (und damit der Bezeichnung für etwas den Sinnen Transzendentes), andererseits dem der ‚morphé‘ (und damit dem Namen für physisch Gestaltetes und sinnlich Wahrnehmbares). Der Ausdruck ‚Form‘ lässt sich entsprechend divergent interpretieren: als Äquivalent für „allgemeine Beschaffenheit, Wesensbestimmung“, aber auch für „sichtbare Gestalt, Umriß“ oder für „Gattung“ (Schildknecht 2007, Bd. 1, 613). Innerhalb der Philosophiegeschichte hat sich der Form-Begriff insgesamt so stark ausdifferenziert, dass das Historische Wörterbuch der Philosophie den Ausdruck gar nicht als einheitlichen Begriff präsentiert, sondern verschiedene Form-Begriffe in Einzelartikeln separat abhandelt: die „Form des Urteils“, die „innere Form“, die „logische Form“ sowie die Begriffsoppositionen „Form und Inhalt“ und „Form und Materie (Stoff)“. Neben dem ‚Inhalt‘ und der ‚Materie‘ kann (mit wiederum anderer Akzentuierung) auch das ‚Chaos‘ als Gegenbegriff zur ‚Form‘ fungieren. Für die Semantiken des Form-Begriffs prägend sind neben Diskursen der philosophischen Ontologie und Metaphysik nicht zuletzt auch Schöpfungsmythen verschiedener Provenienz, welche die Genese der Welt oder der Geschöpfe als einen Formungsprozess beschreiben, sowie Künstlermythen und -legenden, die von formender Arbeit berichten. In Verbindung mit Gegenbegriffen wie ‚Inhalt‘, ‚Gehalt‘, ‚Materie‘ oder ‚Stoff‘ erscheint der Form-Begriff als metaphorisch grundiert. (Für seine griechischen Äquivalente ‚eidos‘ bzw. ‚morphé‘ gilt Entsprechendes.) Er gewinnt sein Profil insbesondere innerhalb sprachbildlich vermittelter Vorstellungen von Außen-InnenRelationen, von Gefäßen sowie von Gebäuden, die den Raum organisieren und https://doi.org/10.1515/9783110364385-002
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Konzeptgeschichten der Form
Wege durch ihr Inneres anbieten respektive vorschreiben. Die Unterscheidung von Form und Inhalt ist aus metaphorologischer Sicht ein wichtiges Beispiel für die Prägung des Denkens durch eine offenbar unhintergehbare Metaphorik. Als Inhalt bestimmt wird dabei entweder die (metaphorisch sogenannte) ‚stoffliche‘ Vorlage oder der gedankliche ‚Gehalt‘, etwa Ideen oder Empfindungen, welche sich an ‚Stoffliches‘ knüpfen. Gefäßmetaphorisch induziert ist u. a. die kritische Diagnose ‚leerer Formen‘. Kontrovers beantworten Poetiker seit der Aufklärung die Frage, ob sich jeder Stoff mit jeder Form verbinden lasse. Damit verknüpft finden sich vielfach Erörterungen über den Status des Rhetorischen in der Dichtung, bei denen wiederum metaphorisch induzierte Vorstellungen ins Spiel kommen. Ist das Rhetorische ein bloßes Transportmittel? Ist es eine bloße Verpackung für einen die eigentliche poetische Substanz ausmachenden Inhalt? Ist es als Verpackung womöglich eine Verhüllung; macht es das Innere zunächst unsichtbar, bis dieses hermeneutisch freigelegt wird? Gibt es einerseits Formen, die Inneres verbergen, andererseits solche, die offenbarend wirken (vgl. Holz 1899, 49–50, wo vom Umgang mit Formen im Rekurs auf handwerklich-malerische Metaphern die Rede ist; vgl. Burdorf 2001, 381)? In der Avantgarde wird diese Offenbarungskraft geradezu als Qualität der ‚neuen‘ Form im Unterschied zur ‚alten‘ angesprochen, etwa im Rekurs auf handwerklich-malerische Metaphern bei Arno Holz: „Mit der alten Form konnte man noch verwischen und vertuschen, mit der neuen nicht mehr.“ (Holz 1899, 49–50). Mit Einschätzungen der jeweils gewählten Form als einem Äußerlichen verbindet sich vielfach ihre Abwertung als ‚bloß rhetorisch‘ (und damit implizit eine Einschätzung der Rhetorik selbst). Im Sinn einer metaphorischen Grunddifferenzierung zwischen Innen und Außen charakterisiert noch 1959 Ingeborg Bachmann die öffentliche Rede des Dichter-Ichs als ein ‚formales‘ und insofern ‚rhetorisches‘ Unternehmen, bei dem das Mitzuteilende, das „Ich“ (gedacht als ‚Inneres‘), hinter dem ‚Äußeren‘ der Rede verschwinde: „Aber schon, wenn Sie hier allein heroben stehen und sagen zu vielen unten ‚Ich sage Ihnen‘, so verändert sich das Ich unversehens, es entgleitet dem Sprecher, es wird formal und rhetorisch.“ (Bachmann 1993 [1959/60], 217). Mit einem eigentümlichen Sprachbild, das eine metaphysisch semantisierte Lichtmetaphorik und konkrete Lichtbeobachtungspraktiken amalgamiert, äußert sich schon Goethe skeptisch gegenüber der Wahrheit von Formen: „Jede Form, auch die gefühlteste, hat etwas Unwahres; allein sie ist ein für allemal das Glas, wodurch wir die heiligen Strahlen der verbreiteten Natur an das Herz des Menschen zum Feuerblick sammeln.“ (Goethe 1977a [1775], 47). Anlässlich der Frage nach Form und Gehalt bringen sich im Lauf der Ästhetikgeschichte insgesamt jedoch sehr unterschiedlich semantisierte Grundmetaphoriken des Äußeren und des Inneren zur Geltung. Da ist zum einen ein Ansatz,
Begriffsgeschichten der Form: Ein metaphorologischer Einsatz
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der physisch Äußeres als (letztlich kontingente) ‚Äußerlichkeit‘ auslegt und vom Inneren trennt; da ist zum anderen ein dem spätantiken Idealismus verpflichteter synthetischer Ansatz: Im Rekurs auf Plotinisches Denken gilt Inneres in ästhetisch-poetologischen Reflexionen oft auch als bedingend für die äußere Gestaltung ästhetischer Artefakte. Es sind zwar primär diese ‚inneren‘ Gehalte, denen das Interesse der idealistischen Ästhetik gilt; die äußere Form gilt dabei aber als genuine Entäußerung des Geistigen (s. u.). Dass unterschiedliche Varianten der Außen-Innen-Metaphorik gerade im Bereich der Form-Konzepte miteinander konkurrieren können, illustriert exemplarisch ein Gedicht Storms (vgl. Burdorf 2001), das zwei solche Varianten gegeneinander ausspielt (und zwar implizit wertend): die Gefäßmetapher und die Leibmetapher. Dem ‚gelehrten Dichter‘ mag die Form als „Gefäß“ für Inhalte erscheinen; anziehender erscheint ihre Analogisierung mit dem belebten Körper: Poeta laureatus: Es sei die Form ein Goldgefäß In das man goldnen Inhalt gießt! Ein Anderer: Die Form ist nichts, als der Kontur, Der den lebend’gen Leib beschließt. (Storm 1987/88 [1885], Bd. 1, 93; vgl. Burdorf 2001, 219)
Werden Formen als Hüllen interpretiert, so kann die – ihrerseits metaphorische – Bestimmung des eingehüllten Inhalts als fester oder flüssiger ‚Stoff‘ aussagekräftige Anschlussmetaphern erzeugen. So etwa im Bild des Glockengusses, das Schillers Lied von der Glocke prägt: „Wenn die Glock soll auferstehen, / Muß die Form in Stücken gehen“, so heißt es hier, wobei zu bedenken ist, dass die nach dem Guß zerstörte „Form“ ja die Gestalt der Glocke geprägt hat (Schiller 81987 [1800], 439; vgl. Burdorf 2001, 21). ‚Masse‘ wiederum bezeichnet im achtzehnten Jahrhundert summarisch alles, was sich „auf die körperliche Fülle und Ausdehnung jenseits ihrer Formgebung“ bezieht (vgl. Benne 2015, 495). Ästhetisch-kunsttheoretische Reflexionen über die Form sind von der Antike bis in die Gegenwart hinein im Übrigen vielfach einer (offenbar schwer hintergehbaren) ‚Material‘-Metaphorik verpflichtet. Leib-Seele-Metaphern sind dabei die vielleicht suggestivsten. Kritisch bemerkt der Ästhetiker Robert Zimmermann 1858: Dass die moderne Aesthetik dasselbe [Wort „Form“] in engerem, meist nur im Gebiete der plastischen Kunst giltigen Sinne gebrauchte, hat sie in den Irrthum verwickelt, Inhalt und Form unter dem Bilde von Seele und Leib, Innerem und Aeusserem aufzufassen und so den Einklang zwischen beiden […] zum ausschliesslichen Bilde der Schönheit zu erheben. (Zimmermann 1870 [1862], 263; vgl. Burdorf 184)
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Neben Stoff-Metaphern und Gefäßmetaphern wirken sich auch Derivate wie Bauund Konstruktions-Metaphern, die bereits bei Plotin prominent entfaltet sind (vgl. Burdorf 2001, 61), bis in jüngere Zeiten prägend auf Beschreibungen ästhetischer Artefakte aus. Dies illustrieren exemplarisch Titel wie Bauformen des Erzählens (Lämmert 1955), aber auch Diskurse über das ‚Zerbrechen‘ oder ‚Auflösen‘ von Formen. Welche nachhaltige Bedeutung die metaphorisch grundierte Dichotomie von ‚Stoff‘ und ‚Form‘ als ‚Innerem‘ und ‚Äußerem‘ des Artefakts für Poetiken besitzt, wird nicht zuletzt deutlich an Versuchen der Konzeptualisierung einer abstrakten Dichtung (auch ‚konkrete Poesie‘ genannt), die im zwanzigsten Jahrhundert mit dem, was diese Opposition suggeriert, gerade zu brechen suchen (s. u.). Formdiskurse prägen die Poetik qua Theorie dichterischer Werke und In tentionen unter werkästhetischer, unter produktionsästhetischer sowie auch (ansatzweise) unter rezeptionsästhetischer Akzentuierung. Die Vielzahl der metaphorisch grundierten oder doch durch Sprachbilder beeinflussten Bedeutungen von ‚Form‘ entfaltet sich in einem Spektrum zwischen deskriptiven und normativen Diskursen. Im Bereich der deskriptiven Verwendung des Terminus lässt sich unterscheiden zwischen der Gleichsetzung von ‚Form‘ mit ‚äußerer Gestalt‘ und ‚Form‘ als Bezeichnung der Relation von Ganzem und Teilen. Der normative Formbegriff ist stärker facettiert und bezieht sich auf Proportionen, Beziehungen zu einem Ideal etc. (vgl. Burdorf 2001, 23). Die Gegenbegriffe der ‚Unförmigkeit‘ oder ‚Formlosigkeit‘ haben ihre eigene Geschichte, wobei ihre Semantik sich ähnlich stark ausdifferenziert wie die der ‚Form‘. ‚Formlosigkeit‘ als ‚Gefahr‘ zu interpretieren, ist in kunstkritischen Diskursen auch der Moderne noch geläufig (vgl. Burdorf 2001, 3). Zur Charakteristik spezifischer Formdiskurse bei verschiedenen Autoren hilfreich erscheint die Differenzierung zwischen einem „emphatischen“ und einem „technischen Formverständnis“ (Burdorf 2001, 2).
2 Poetikgeschichtliche Variationen des ‚Form‘Begriffs: Aspekte und Etappen im Überblick Rhetorik und Poetik: Formkonzepte und Handwerksmetaphern Die antike Rhetorik widmet sich im Zeichen der Basisdichotomie von Form und Inhalt der Frage nach den Relationen zwischen sprachlicher ‚Form‘ (verba) und ‚Inhalt‘ (res). Vor 1750 dominiert in der Poetik ein rhetorischer Formbegriff, demzufolge es gilt, die Wörter (verba) den Inhalten bzw. Gegenständen (res) anzu-
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passen. Ein Zuordnungsprozess zwischen an sich verschiedenen Relaten findet statt und wird in entsprechenden Metaphern beschrieben. Eine Form wird einem Gegenstand ‚gegeben‘; die Form, in der er durch den Formgebungsprozess präsentiert wird, kann aber auch ‚verfehlt‘ werden bzw. ‚misslingen‘ (wobei der Gegenstand derselbe bleibt). Für einen Gegenstand die richtige Form zu wählen, ist aber ebenso erlernbar wie die praktische Umsetzung dieser Wahl; Dichtung erscheint unter diesem Vorzeichen als eine lehrbare Kunst (vgl. Burdorf 48–50). Handwerkergedichte können dort, wo sie Prozesse der Produktion und Bearbeitung von Stoff reflektieren, als poetologische Texte interpretiert werden – so etwa in einem Beispiel des Heinrich von Meißen (‚Frauenlob‘), wo es heißt: „ich forme, ich model, ich mizze“ (Frauenlob 1981 [um 1300], V. 13). Bis heute geläufige Metaphern und Vergleiche aus dem Bereich der Handwerke und anderer gestaltender Praktiken korrespondieren mit diesem Konzept literarischer Gestaltungsarbeit: Metaphernspender sind das Herrichten von Objekten, das Zubereiten von Stoffen, das Zer- und Verteilen, das Durchdringen und Kneten, das Zusammenstellen (Komponieren) und Verfugen, das Feilen und Polieren. Dabei gilt im Allgemeinen die ‚gegebene‘ Form nicht als beliebig: Der Inhalt geht der Form voraus und entscheidet (im Zuge von inventio und dispositio) über Praktiken und Prinzipien formaler Gestaltung – so wie in Handwerken das zu bearbeitende Material die Auswahl der Instrumente und den Umgang mit diesen bestimmt. Erst im Zuge neuplatonistischer Neuansätze geht man dazu über, Form und Inhalt als Einheit zu denken (s. u.).
Außen-Innen-Metaphoriken und ihre Implikationen: Philosophisch-ästhetische Formreflexionen und das Konzept der ‚inneren Form‘ Es ist Aristoteles, der die Begriffsdichotomie von ‚Form‘ (forma, morphé) und ‚Materie‘ (hyle) in die Philosophie einführt. Er ordnet die Form der Materie über und bestimmt sie als das „Sosein eines jeden Dings und sein erstes Wesen“ (Metaphysik, 7,7, 1032 a–b). Künstlerische Produktion ist für ihn die Realisierung einer intendierten Form durch den Arbeitsprozess. Form und Inhalt bilden im Werk eine Einheit. In Abweichung davon konzipiert Plotin eine ‚innere Form‘ in der Seele des Produzenten, die der ‚äußeren Form‘ im realisierten Werk vorangeht und der platonischen ‚Idee‘ entspricht (vgl. Schildknecht 2007, Bd. 1, 613). Zu Recht spricht Klaus Städtke bezogen auf die antike Begriffsbildung von ‚Form‘ und ‚Materie‘ von einer zweifachen Relationierung: zum Stofflichen auf der einen Seite, zu Idee und Bedeutung auf der anderen:
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Form steht in einer unaufhebbaren Relation zu ‚Materie‘, ‚Material‘, ‚Stoff‘, d. h. zu einem Nicht-Geformten (bzw. Formlosen), und andererseits zu ‚Zweck‘, ‚Inhalt‘, ‚Bedeutung‘, ‚Idee‘, d. h. zu einem geistigen, das die Formung verursacht, durch sie zur Existenz gebracht und durch die gestaltete (materialisierte) Form repräsentiert wird. So bedeutet attributivisch ‚formal‘ in diesen Relationen das bestimmende Moment, ‚material‘ hingegen das bestimmte Moment. (Städtke 2001, 463–464)
Die Differenzierung zwischen äußerer Erscheinung und Inhalt prägt in Nachwirkung antiker Ansätze die mittelalterliche Ästhetik ebenso wie die der Renaissance. In mittelalterlichen Form-Diskursen ist das Konzept der Proportion prägend, über das der Begriff des Schönen bestimmt wird. Entsprechend orientieren sich ästhetische Reflexionen vielfach an mathematischen und architektonischen Vorstellungen. Für die Poetikgeschichte des Form-Begriffs besonders folgenreich ist die Horaz’sche Forderung, das poetische Werk möge eine geschlossene Einheit bilden, ‚simplex et unum‘ sein. In der Aufklärung allerdings wird diese Forderung allmählich zurückgenommen, vor allem unter dem Einfluss der Ästhetik Alexander Gottlieb Baumgartens; Komplexität und ‚Mannigfaltigkeit‘ sind im Folgenden eher positiv konnotiert. Konzepte der Mischung, der Wechselwirkung, der Pluralität und der Vieldeutigkeit erscheinen sukzessiv als ästhetisch relevant – sei es, dass das ästhetische Artefakt in Analogie zum lebendigen Organismus gedacht wird, sei es, dass es als dessen betont artifizieller Gegenentwurf erscheint. Das Nachdenken über ästhetische Formen ist von der Neuaushandlung der Relationen zwischen Einheit und Vielheit, Einfachheit und Komplexität, Transparenz und Polysemie evidenterweise nachhaltig betroffen; die Formdiskurse sind durch entsprechende Sprachbilder, Vergleiche und Metaphern geprägt.
Autonomisierung der Ästhetik und Formbegriff: die ‚inneren Formen‘ und das Innere des Produzenten Bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts kann von einem genuin ästhetischen Form-Begriff nicht gesprochen werden. Als die Ästhetik dann zum eigenständigen Diskurs wird, gewinnt der Form-Begriff erkennbar an Bedeutung (dazu Burdorf 2001, 46–47), ablesbar u. a. an Enzyklopädie-Artikeln und ähnlichen Quellen. Im Zusammenhang damit entsteht eine eigenständige Form-Ästhetik, die sich von der Funktion löst, nur eine technisch-‚richtige‘ Textgestaltung zu lehren. Das Begriffspaar „Form und Inhalt (Gestalt/Stoff, Gehalt)“ gewinnt tragende Bedeutung (Schwinger 1972, Sp. 975–977). Außen-Innen-Metaphoriken sind im Horizont eines Diskurses, der Subjektivität zunehmend nachdrücklicher als ‚Innerlichkeit‘ interpretiert, von besonders suggestiver Wirkung. Vor allem die Plotinische Ideenlehre bietet ihren neuzeitlichen Rezipienten ein Konzept der Beziehung zwischen
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äußerer Erscheinung und innerer Form, das die Überwindung des älteren Formbegriffs, demzufolge den vorgängigen Inhalten gemäß dem aptum eine Form zugeordnet wird, gestattet. Shaftesbury knüpft an Plotin an und spricht von einer inward form als einer Naturkraft, welche als forming power äußere Formen hervorbringe. Der Dichter respektive Künstler erscheint als formgebende Instanz, wobei sein Inneres – bei Shaftesbury und seinen Nachfolgern – als Fundus derjenigen Formen gilt, auf den dann bei der äußeren Gestaltung zurückgegriffen wird. Seit sich im achtzehnten Jahrhundert ein genuin ästhetischer Formbegriff konstituiert (so lässt sich generalisierend feststellen), wird das, was die Form eines Werks ausmacht, nicht mehr als etwas betrachtet, das man aus einem gegebenen Bestand auswählt, um damit möglichst effizient seine Zwecke zu verfolgen. Metaphorisch grundierte Vorstellungen eines zweckmäßigen Vorgehens mittels bereitstehender Instrumente, eines Zurichtens vorgegebener Materie treten tendenziell (wenn auch nie ganz) zurück. Über das jeweilige Werk respektive Projekt selbst wird nun vielmehr reflektiert, indem über eben seine Form reflektiert wird – und in Zusammenhang damit über den Arbeitsprozess sowie über den Rezeptionsprozess (vgl. Burdorf 2001, 12, Kap. II, 2). Die Shakespeare-Rezeption des achtzehnten Jahrhunderts steht u. a. im Zeichen kontroverser Einschätzungen klassizistischer und antiklassizistischer Ansätze und wirkt sich auch auf den Form-Diskurs prägend aus. An Positionen klassizistisch-französischer Ästhetik orientiert, distanziert sich Gottsched von Shakespeare, dem er „Schnitzer und Fehler wider die Regeln der Schaubühne und gesunden Vernunft“ vorhält (Gottsched 1982 [1741], 40). Im Gegenzug finden sich gerade in Deutschland wichtige Verteidiger Shakespeares, der im Folgenden, vor allem im Kontext der Sturm-und-Drang-Ästhetik, zum poetischen Leitbild avanciert – nicht trotz, sondern wegen seiner Abweichung von klassischen Formen. Der die ästhetischen Diskussionen des mittleren und späteren achtzehnten Jahrhunderts prägende Genie-Diskurs kreist mit der Frage nach der Beziehung zwischen schöpferischer Arbeit und ‚Regeln‘ vor allem um die Frage nach ‚Formalem‘ und nach der ästhetischen Legitimität sogenannter ‚Formlosigkeit‘. Jarno etwa, der in Wilhelm Meisters Lehrjahre dem Protagonisten empfiehlt, sich mit Shakespeare zu befassen, verweist auf die „Form“ der Shakespeare’schen Dramen als möglichen Gegenstand des Anstoßes. „Nur eins bedinge ich mir aus, daß Sie sich an die Form nicht stoßen; das übrige kann ich Ihrem richtigen Gefühle überlassen.“ (Goethe 101981 [1795], 180).
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Formbegriff und organologische Metaphorik in der Genie- und Autonomieästhetik Die bei Shaftesbury entwickelte, vielfach in organologische Metaphern gefasste Vorstellung einer in der Dichterseele wirkenden formenden Kraft greifen u. a. Herder und Goethe auf. Die im ästhetischen Produktionsprozess wirksame ‚innere Form‘ wird in Anlehnung an Vorstellungen über den Zusammenhang zwischen Körper und Seele interpretiert; unter Orientierung an der Vorstellung einer sich ihren Körper schaffenden und sich in ihm ausdrückenden Seele (vgl. Herder 1784– 1791) gilt die ‚innere Form‘ als Seele des Werks. Explizit werden ästhetisches Werk und leib-seelische Entitäten analogisiert. „In der Dichtkunst“, so heißt es etwa bei Herder, „ist Gedanke und Ausdruck wie Seele und Leib, und nie zu trennen“ (Herder 1985 [1766/67], 369). Mit der Autonomieästhetik rückt der Form-Begriff ins Zentrum ästhetischen Denkens. Insbesondere bei Kant gehört ‚Form‘ zu den ästhetischen Kernbegriffen. „Schön“ ist für Kant ein Gegenstand, „dessen Form (nicht das Materielle seiner Vorstellung, als Empfindung) in der bloßen Reflexion über dieselbe […] als der Grund an der Lust an der Vorstellung eines solchen Objekts beurteilt wird“ (Kant 51983 [1790], 264), und die Kritik der Urteilskraft bestimmt Schönheit als „Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes“, welche „ohne Vorstellung eines Zwecks an ihm wahrgenommen wird“ (Kant 51983 [1790], Analytik des Schönen, § 17, 319). Man könnte bezogen auf Kants Formel von der ‚Zweckmäßigkeit ohne Zweck‘ davon sprechen, dass hier bewusst metaphorisiert wird: Ein Begriff aus dem Bereich praktisch-zielgerichteten Handelns erhält eine explizit ‚übertragene‘ Bedeutung. Im Horizont des kantischen Denkens wird der Formbegriff unter produktions- wie unter rezeptionsästhetischen Aspekten neu akzentuiert. Zwar hält Kant an der Gegenüberstellung von Form und Inhalt fest, ordnet die Form respektive das ordnende Prinzip jedoch dem Subjekt zu: „Die schöne Form – die bloße Form eines schönen Gegenstandes – bleibt mit der Frage nach den Möglichkeiten der Erfahrung und ihrer Gegenstände verbunden.“ (Gasché 2009, 26; vgl. Gasché 2003). Da Formgebung als Möglichkeit und Leistung des Subjekts erscheint, betrachtet Kant „die bewußte Wahrnehmung der Form“ auch als „Voraussetzung einer gelungenen ästhetischen Kommunikation“ (Städtke 2001, 475). – Die idealistische Ästhetik bemüht sich insgesamt einerseits um Modelle der Vermittlung zwischen ‚Inhalt‘ und ‚Form‘, wobei die ‚Form‘ bezogen auf Prozesse ästhetischer Erfahrung als dominant aufgefasst wird. Andererseits klingen agonale Vorstellungen an, auch auf sprachbildlicher Ebene: In Fortführung kantischer Ansätze spricht Schiller pointierend (und prägnant metaphorisch) von einer ‚Vertilgung‘ des Stoffs durch die Form:
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In einem wahrhaft schönen Kunstwerk soll der Inhalt nichts, die Form aber alles tun; denn durch die Form allein wird auf das Ganze des Menschen, durch den Inhalt hingegen nur auf einzelne Kräfte gewirkt. […] Darin also besteht das eigentliche Kunstgeheimnis des Meisters, daß er den Stoff durch die Form vertilgt […]. (Schiller 91993e [1795], 22. Brief, 639)
Zweikampf, Sieg der Form und Unterwerfung des Stoffes: Schillers Metaphorik impliziert umso mehr eine Wertung, als u. a. von ‚verführerischen‘ Wirkungen des Stoffes und von dessen ‚eigenmächtigem‘ Vordrängen sie Rede ist – über welche die Kunst schließlich aber ‚triumphiert‘. Das Bild von der ‚Vertilgung‘ des Stofflichen erscheint in formreflexiven Diskursen als ein beachtlicher Rivale alternativer Metaphern. Wilhelm von Humboldt spricht einerseits von einer „unaufhör liche[n] Wechselwirkung der Form und des Stoffes“ (Humboldt 31980a [1795], 291), andererseits davon, dass die Kunst die Natur ‚vernichte‘ (Humboldt 1996 [1797], 52; vgl. Burdorf 2001, 126–127). Die Insistenz auf einer inneren Beziehung zwischen Stoff und Form prägt gerade im Horizont konkurrierender Metaphoriken die klassisch-romantische Poetik grundlegend. Auch Hegel betrachtet künstlerische Werke als Manifestationen gestalteter Ideen; im Kunstwerk individualisieren sich Idee und korrespondierende Gestalt; und die jeweilige Art, wie sich Stoff und Form verbinden, erscheint als konstitutiv für die symbolische, klassische und romantische Kunstform (vgl. Hegel 1974, Ästhetik, Bd. 1: „Die Idee des Kunstschönen und das Ideal“). Hegel formuliert gegenüber der Schiller’schen Idee einer ‚Vernichtung‘ des Stoffes durch die Form ein Vermittlungsmodell: „Die absolute Kunst ist die, deren Inhalt der Form gleich ist.“ (Hegel 1974 [1805/06], 281; zit. nach Burdorf 2001, 150). Idealistische Formdiskurse dieser Art erscheinen als Produkte des Sich-Abarbeitens an den Suggestionen der Außen-Innen-, respektive der Gefäß-Inhalt-Metaphorik.
Historisierung und Formdiskurs Versteht sich der akademische Poetik-Diskurs noch bis ins späte achtzehnte Jahrhundert weitgehend als Diskurs über ahistorische Gegenstände und Formen, so dynamisieren sich im Lauf des achtzehnten Jahrhunderts der Formbegriff und das Konzept der Gattungen, die tendenziell als geschichtlich verstanden und geschichtsphilosophisch semantisiert werden. Einen unauflöslichen Zusammenhang zwischen formendem ‚ideellem‘ Gehalt und konkreter Werkgestalt statuieren im Folgenden allerdings zunächst auch noch solche Ästhetiken, die – wie die Ästhetik Hegels – im Zeichen der Historisierung von Formvorstellungen stehen. In Folge der Entstehung einer genuinen Ästhetik der Form sind insgesamt zwei von Dieter Burdorf unterschiedene Tendenzen zu beobachten: zum einen eine „Iso-
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lation der Form“, verbunden mit der Idee des Kunstwerks als autonomer Einheit von ‚innerer und äußerer Form‘ (Moritz, Schiller etc.). Zum anderen eine ‚Historisierung der Form‘; hier ist Form gedacht als etwas Hergestelltes, historisch Geprägtes, so etwa bei den Brüdern Schlegel und Wilhelm von Humboldt (vgl. Burdorf 2001). Entsprechend differenzieren sich die ästhetischen Beschreibungssprachen aus. Eine wichtige Facette des sich seit dem achtzehnten Jahrhundert allmählich historisierenden Formdiskurses ist poetikgeschichtlich folgenreich: die Suche nach historischen Frühformen sprachlich-poetischer Gestaltung (schon bei Herder) verbunden mit Spekulationen über ‚ursprüngliche‘ sprachliche Formungsakte in Analogie zu göttlichen Schöpfungsprozessen. Zeitbezogene Kategorien, Sprachbilder und Vergleiche, Differenzierungen zwischen ‚alten‘ und ‚neuen‘ (modernen) Formen rücken ins Zentrum des Interesses. Und die Vorstellung, es könne verschiedene, jeweils historische Formideale und Formprinzipien geben, beginnt sich abzuzeichnen – als Kernstück einer Ästhetik, die auch und gerade Kunstwerke als kulturell und geschichtlich codierte Phänomene versteht.
Form- und Gehaltsästhetiken: Neue Varianten einer Leitmetapher Im mittleren neunzehnten Jahrhundert bricht eine Kontroverse zwischen formund gehaltsästhetischen Poetike(r)n auf und bestimmt den Diskurs über Dichtung. Die Formästhetiker halten an Hegels Vorstellung fest, zwischen Form und Inhalt bestehe eine unaufhebbare Einheit. Ihre Gegenspieler vertreten die These von der Selbständigkeit der Form. (Gerade hier bestehen Anschlussstellen zur Musiktheorie und Musikästhetik.) Insbesondere Herbart separiert ‚Form‘ (im Sinn von ‚Gehalt‘) und ‚Gestalt‘ begrifflich und sachlich voneinander; seitdem lassen sich gehalt- und gestaltästhetische Ansätze in der Ästhetik und Poetik unterscheiden. Die Kunstkonzepte der ‚Formalisten‘ und der ‚Gehaltsästhetiker‘ verhalten sich zwar gegenläufig, verbindend ist jedoch die zentrale Orientierung an der Form-Gehalt-Dichotomie. Bei Nietzsche finden sich einerseits pointierte Stellungnahmen für den Form-Begriff und gegen eine Entdifferenzierung der Künste. Andererseits verbindet sich bei Nietzsche mit dem Konzept der Form auch das der Feststellung im Sinne lebensfeindlicher Fixierung, der Einengung und formalisierenden Fremdsteuerung des menschlichen Weltbezugs (vgl. Burdorf 2001, 321). Der Aufsatz Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne (1873) ist eine fundamentale Abrechnung mit dem fixierenden und ‚fälschenden‘ Effekt von Begriffen. Ähnlich heißt es in Nietzsches Aufzeichnungen von 1886/87:
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Unsere ‚Formen‘ – daran ist nichts, was andere Wesen wahrnehmen könnten als der Mensch: – unsre Existenz-Bedingungen schreiben die allgemeinsten Gesetze vor, innerhalb derer wir Formen, Gestalten, Gesetze sehn […]. (Nietzsche 21988 [1887], 236; vgl. Burdorf 2001, 324)
Als menschliches Konstrukt ist Form nichts anderes als eine Fiktion. Zwar gilt sie als etwas Dauerndes und deshalb Werthvolleres; aber die Form ist bloß von uns erfunden; und wenn noch so oft ‚dieselbe Form erreicht wird‘, so bedeutet das nicht, daß es dieselbe Form ist, – sondern es erscheint immer etwas Neues – und nur wir, die wir vergleichen, rechnen dies Neue, insofern es Altem gleicht, zusammen in die Einheit der ‚Form‘. […]. Die Form, die Gattung, das Gesetz, die Idee, der Zweck – hier wird überall der gleiche Fehler gemacht, daß einer Fiktion eine falsche Realität untergeschoben wird […]. (Nietzsche 21988 [1887], 417)
Ab etwa 1880 orientieren sich (wogegen Nietzsche dann freilich protestiert) FormDiskurse in der Poetik vielfach an einem Formverständnis, das der Beobachtung respektive Konstruktion natürlicher Gesetze und Formen abgewonnen ist (vgl. Burdorf 2001, 15). Ernst Haeckel geht in seinen Kunstformen der Natur sogar so weit, diese Formen menschlichen Künstlern und Kunsthandwerkern als Vorlagen zu empfehlen (vgl. Haeckel 1998 [1899–1904]). Wiederum sind Leitmetaphern für ästhetisch-poetologische Formdiskussionen prägend: solche aus dem Bereich natürlicher Phänomene. Zum einen sind sie dem Vorstellungsbild des einzelnen Organismus als einer geschlossenen lebendigen Funktionseinheit verpflichtet, zum anderen aber auch der Vorstellung einer ‚geschichtlichen‘, sich historisch wandelnden, ausdifferenzierenden, optimierenden oder degenerierenden Natur als ganzer. Form-‚Erneuerung‘ erscheint unter diesem Vorzeichen vielfach als ein ‚vitalisierender‘ Prozess, analog zu Regenerationsprozessen im natürlichen Bereich. Komplementär zu Sprachbildern ‚lebendiger‘ Formen verhalten sich bereits seit dem achtzehnten Jahrhundert Diagnosen ‚toter‘ Formen. Shaftesbury etwa entwirft eine Stufenlehre, in der als unterste Stufen die rein materiellen ‚toten‘ Formen, als Gipfel eine göttliche Formkraft erörtert werden (vgl. Burdorf 2001, 66). Goethe insistiert auf der notwendigen Formerneuerung auch und gerade bei sich an Vorbildern orientierender Dichtung: „Selbst der Geist erscheint sich nicht erfreulich, / Wenn er nicht, auf neue Form bedacht, / Jener toten Form ein Ende macht.“ So heißt es in Goethes Buch Hafis im Gedicht „Nachbildung“, das sich gerade gegen direkte Nachahmungen von Vorbildern ausspricht (Goethe 1977c [1819], 304, V. 17–19; vgl. Burdorf 2001, 237). Dem Herbart’schen Ansatz einer Differenzierung zwischen Form- und Gehaltsästhetik verpflichtet zeigt sich noch Oskar Walzels Denken. Mit der Schrift Die künstlerische Form des Dichtwerks (1916) präsentiert Walzel eine erste Darstellung seiner Formkonzeption; grundlegend ist hier auch im folgenden die dop-
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pelte Differenzierung zwischen künstlerischer „Gestalt“ und äußerlichem „Stoff“ einerseits, „Gestalt“ und gedanklichem „Gehalt“ andererseits (Gehalt und Gestalt im Kunstwerk des Dichters, 1929). Als den ‚Gehalt‘ eines Dichtwerks bestimmt Walzel „alles, was an Erkennen, Wollen, Fühlen in ihr enthalten ist“, als ‚Gestalt‘ „alles, was auf den äußeren oder inneren Sinn wirkt“ respektive was „Gehör- oder Gesichtsvorstellungen wachruft“; Kunst entstehe, wo ‚Inhalt‘ in ‚Gestalt‘ verwandelt werde (Walzel 1929, 178–179). Zentral werden Begriffe wie „Rhythmus“ und „Proportion“. Die Vorstellung, die „Form“ selbst sei etwas „Verborgenes“, erscheint gelegentlich als metaphorisch induzierte Konsequenz des Konzepts einer ‚inneren Form‘. Notwendig sei es, so Walzel schon 1916, „jeder Dichtung ihr eigenes Formgeheimnis abzulauschen“ (Walzel 1916, 19). Er konzipiert Literaturwissenschaft daher primär als Auseinandersetzung mit dichterischen Formen. In den 1920er Jahren neigt Walzel stärker zu organologischen Formbegriffen (dazu Burdorf 2001, 426–427). Ähnlich spricht Emil Ermatinger von der Form als „Ausdruck und Begrenzung einer naturhaften Wachstumseinheit, eines naturhaften Individuums“ (Ermatinger 1923 [1921], 188; vgl. Burdorf 2001, 427). Im Zeichen eines Denkens, das zu Analogisierungen, Übertragungen und Metaphernbildungen tendiert, stehen neben Orientierungen an Organismen und Naturgeschichte auch solche Ansätze, die die verschiedenen Künste integrativ betrachten und deren wechselseitige Bespiegelung statuieren. Wird Dichtung auch als „Wortkunstwerk“ bestimmt, so geht Walzel doch davon aus, dass „eine Formbetrachtung, die für die bildende Kunst taugt, auch an die Dichtung sich wenden läßt“ (Walzel 1916, 15). Analoges gelte für Musik und Dichtung.
Formdiskurse und Theorien der Künste: Umcodierung der Metaphorik von Oberfläche und Tiefe in der Moderne Waren in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts Poetik und philosophische Ästhetik tendenziell auseinandergetreten, so sind gegenläufige Tendenzen wie die Engführung von Poetik, Kunsttheorie allgemeiner Ästhetik um 1900 zu beobachten, wiederum unter Akzentuierung des Formbegriffs. Zumal im deutschen Sprachraum kommt dem Formbegriff als Scharnier zwischen literatur- und kunsttheoretischen sowie allgemein philosophisch-ästhetischen Reflexionen eine besonders tragende Rolle zu. Alois Riegl und Heinrich Wölfflin konzentrieren sich unter Analogisierung literarischer und bildkünstlerischer Phänomene wie Walzel in ihren ästhetischen Ansätzen auf Aspekte der Form. Insgesamt bezieht in den Jahrzehnten um 1900 die poetologische Formreflexion wichtige Impulse von der Kunstwissenschaft (vgl. Burdorf 2001, 305), so von Konrad Fiedlers Abhandlung
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Über die Beurteilung von Werken der bildenden Kunst (1876), wo die Arbeit des Künstlers als „Kampf mit der Natur“ erscheint; der eigentliche Inhalt der Kunst ist für Fiedler die Form. Adolf Hildebrand erörtert 1893 in einer Abhandlung Das Problem der Form in der bildenden Kunst. Heinrich Wölfflin diagnostiziert bzw. konstruiert polare Epochenstile, die zugleich als kunsthistorische „Grundbegriffe“ konzipiert werden. Maßgebliches Differenzierungskriterium ist die jeweilige ‚Formensprache‘ dieser Stile. Als wichtigste Begriffsdichotomie gelten kann die zwischen ‚offener und geschlossener Form‘ – mit der einmal mehr die metaphorische Grundierung von ‚Form‘-Diskursen evident wird. Walzel orientiert sich an Wölfflins Gegenüberstellung von ‚offener‘ (atektonischer) und ‚geschlossener‘ (tektonischer) Form; entwickelt werde das Konzept einer „Architektonik der Poesie“ (Walzel 1917, 60). Auch spricht Walzel von Shakespeares „Baukunst“ als Beispiel für ein atektonisches Gestalten (dazu Burdorf 2001, 421). Ähnlich kann Rudolf Borchardts Essay „Villa“ als „architekturtheoretisches Traktat“, wie Dieter Burdorf zeigt, als literarisches Dokument von Borchardts formästhetischen Reflexionen gelesen werden (Burdorf 2001, 478–496, 507) – oder, wenn man so will, als komplexe Entfaltung der Architekturmetaphorik im Formdiskurs.
Formalismus und Strukturalismus: Neue Metaphoriken der Materialität und der Oberfläche Im zwanzigsten Jahrhundert kommt es – in Fortführung der Herbart’schen Trennung von Form und Gehalt – zu verschiedenen Ausdifferenzierungen einer vorrangig der „Form“ zugewandten ästhetischen Reflexion, insbesondere im Russischen Formalismus, der ästhetische Produktivität vorrangig als Formung sprachlichen ‚Materials‘ interpretiert, sowie im daran anknüpfenden Strukturalismus, der kompositorische Aspekte den inhaltsbezogenen überordnet. Viktor Šklovskij, Boris Ėjchenbaum und andere Formalisten analysieren einzelne formale Aspekte dichterischer Texte (wie Reim, Metrum, rhetorische Figuren) und deren Relationen zueinander. In pointierender Fortführung rhetorischer Analyseansätze – und in programmatischer Abgrenzung gegenüber inhaltszentrierten (etwa philosophischen, psychologischen oder soziologischen) Interpretationsansätzen – geht es zudem um textstrukturelle und gattungstypologische Fragen. – Der Prager Strukturalismus (Jan Mukařovský), Roman Ingarden sowie der New Criticism (Wellek und Warren) führen die Traditionslinie der formalen Literaturinterpretation weiter. Strukturalistische und formalistische Ansätze werden dabei insbesondere zur Unterscheidung literarischer Texte von nichtliterarischen fruchtbar gemacht – und insofern zur Konzeptualisierung des Kunstcharakters von Literatur.
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Letztlich können die skizzierten Entwicklungen aus metaphorologischer Sicht vor allem als Folgen einer Umcodierung oder Preisgabe des Metaphernpaares von Oberfläche und Tiefe betrachtet werden. Bei Nietzsche zeichnen sich eine Privilegierung der Oberfläche und eine Entsubstanzialisierung der Tiefe ab; schließlich werden Oberfläche und Tiefe tendenziell entdifferenziert. Schon bei Kunsttheoretikern der Zeit um 1900 wie Robert Zimmermann, Alois Riegl, Heinrich Wölfflin und Konrad Fiedler entsteht, so bilanziert Thomas Rolf in einem Artikel über „Tiefen“-Metaphoriken, „ein formalistischer Diskurs, in dem sich die Sichtbarkeit des ästhetischen Objekts von seiner traditionellen Bindung an den Bildinhalt und dessen hermeneutische Auslegung […] freimacht“ (Rolf 2007, 468). Nicht mehr nach Gründen (in der Tiefe) zu suchen, sondern Oberflächen zu beobachten, entspricht einem modernistischen Gestus, der sich im Bereich der Wissensdisziplinen ähnlich wie in der Ästhetik mehr und mehr durchsetzt. Dabei entspricht, so Lambert Wiesing, [d]er Reduktion des ästhetischen Objekts auf die Struktur der Oberfläche […] ideen geschichtlich eine Entwicklung, für die Ernst Cassirer […] die Formel ‚vom Substanzbegriff zum Funktionsbegriff‘ geprägt hat. Gemeint ist hiermit, daß die naturwissenschaftliche Forschung im 19. Jahrhundert aufhört, die zu erklärenden akzidentiellen Veränderungen auf eine tieferliegende Substanz zurückzubeziehen, sondern versucht, mit Strukturen, Relationen und Funktionen auszukommen. (Wiesing 1997, 45)
Die dabei beobachteten Formen erscheinen nicht mehr als determiniert durch ‚tiefere‘ Gründe, sie emergieren an respektive ‚als‘ Oberflächen; entsprechend gilt es, Oberflächen zu betrachten – und zu konzeptualisieren – als ‚geformte‘ oder auch als ‚strukturierte‘ Gegebenheiten. – In rezenteren Diskursen ist der „Formbegriff“ teilweise durch den „Struktur“-Begriff verdrängt worden (die Antwort auf die Frage, ob er durch ihn „ersetzt“ wurde, und ob dies ein Verlust sei, ist perspektivenabhängig). Der Strukturbegriff zielt deutlicher als der Formbegriff auf Relationen (zwischen einem System und seinen Aktualisierungen, zwischen Teilen und Ganzem); er unterhält enge Affinitäten zur Metaphorik des Bauens. Am theoretischen Diskurs formalistischer wie strukturalistischer Provenienz lässt sich die Abkehr von Leitmetaphern wie Außen/Innen, Oberfläche/Tiefe und Offenbares/Verhülltes beobachten.
Formverlust, Formzerstörung, Deformation: Zu (Selbst-)Beschreibungen der Moderne und der Avantgarden In allen Phasen der Kunst- und Literaturgeschichte seit dem mittleren acht zehnten Jahrhundert sei – so registriert Dieter Burdorf – zusammen mit „Form-
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anwendung“ auch „ein Moment des Formbruchs“ beobachtbar (Burdorf 2001, 509). Die Voraussetzung dafür wird durch die Historisierung des Formbegriffs geschaffen; den größeren diskursiven Rahmen bilden zudem Emanzipationsund Umbruchsdiskurse, wie sie sich seit den Jahrzehnten um 1800 artikulieren und historisch-sozialgeschichtliche mit ästhetischen Entwicklungen verknüpfen. Die Möglichkeit, gegen alte Formen aufzubegehren, wird teils zur Metapher, teils zur Metonymie einer Selbstbefreiung, die sich gegen überkommene Autoritäten, Machtstrukturen, Konventionen, Rituale und ‚Formalismen‘ richtet. „Entstaltung“ tritt als polemische Gegentendenz oder als dialektischer Komplementärprozess neben „Gestaltung“ (vgl. Maurer 1997, 85–97). Romantische Impulse zur Form-Innovation finden in ‚Entformelungs‘-Programmen des zwanzigsten Jahrhunderts ihre Fortsetzung. Die Vertreter der Avantgarden des zwanzigsten Jahrhunderts, vielfach zugleich Theoretiker der eigenen Kunstpraxis, haben ebenso wie ihre Historiographen die avantgardistische Ästhetik vorzugsweise als eine Ästhetik der Deformation charakterisiert. Verbunden mit der Verletzung von Geschmacksregeln und gesellschaftlichen Konventionen erscheint die ästhetische Produktivität der Surrealisten, Dadaisten, Futuristen und ihrer jeweiligen neoavantgardistischen Nachfolger dabei insbesondere auch als ein gewollter und gewollt provokanter Bruch mit tradierten Formen. „Zerbrochen sind die harmonischen Krüge“, heißt es etwa in einem programmatischen Gedicht Ernst Jandls, mit dem die alte Gefäßmetapher nochmals poetologisch akzentuiert wird (Jandl 1990, 48). Komplementär zu diesem ‚Zerbrechen‘ vorgegebener Formen artikuliert sich aber ebenso deutlich ein Wille zur Erkundung neuer Formen, allerdings im Zeichen eines dynamischen Prozesses ständiger Exploration, Überbietung und Umwälzung. Kunstformen wie Collage und Montage verstehen sich einerseits vielfach als Resultate ästhetischer Praktiken der ‚Deformation‘ – andererseits aber auch explizit als neuartige Formungsverfahren gefundenen ‚Materials‘. – In den Avantgarden vor allem des frühen zwanzigsten Jahrhunderts kommen bezogen auf die Spannung zwischen Tendenzen der Formung und des Formbruchs different akzentuierte Ansätze zur Geltung, einerseits vitalistisch grundierte, andererseits eher technizistisch-konstruktivistische. Diese wiederum gehen in ästhetischen Diskursen und Programmtexten unterschiedliche Mischungen ein: Entweder wird der Konflikt zwischen natürlichen und zivilisatorischen Formverwandlungen betont oder aber eine Synthese angestrebt. Entsprechende Metaphoriken entfalten ihre suggestiven Potenziale.
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Modernistische Form-Metaphoriken: ‚Rhythmus‘, ‚Abstraktion‘ und ‚Konkretion‘, ‚Formbrüche‘, ‚Formexperimente‘ Kurt Schwitters, der u. a. als Designer wirkt, bekundet in seinen künstlerischen Arbeiten wie in seinen Reflexionen über Kunst ein starkes Formbewusstsein. Zentral ist bei ihm der Begriff des ‚Rhythmus‘, der tendenziell an die Stelle des Formbegriffs tritt, weil er es erlaubt, neben statischen Strukturen auch Bewegungsformen zu charakterisieren (vgl. Schmitz-Emans 2001). Bernhard Waldenfels hat diesen Form-Aspekt des Rhythmus präzise beschrieben: Das griechische Wort [rhythmos] bezeichnet […] zunächst […] lediglich eine distinkte Form, allerdings vornehmlich eine Form, die sich – wie der Wortsinn es nahelegt – als ‚Art des Fließens‘ in einem flüssigen, flüchtigen, beweglichen Element verkörpert. Die uns heute so vertraute Spezifizierung des Begriffs im Sinne von Form und Maß der Bewegung findet sich erst bei Platon, wenn er beispielsweise in den Gesetzen (64) (66ae–665a) der Anordnung der Bewegung […] den Namen ‚Rhythmus‘ zuerkennt. (Waldenfels 1999, 63)
Bei Schwitters ist „Rhythmus“ ein Synonym für „Kunst“. So betont er 1926 in dezidierter Absage an mimetische und expressive Kunst: „Was Kunst ist, wissen Sie ebensogut wie ich, es ist nichts weiter als Rhythmus.“ (Schwitters 2004b [1926], 244). Formung ist Rhythmisierung: Der Künstler erkennt, daß in der ihn umgebenden Welt von Erscheinungsformen irgendeine Einzelheit nur begrenzt und aus ihrem Zusammenhang gerissen zu werden braucht, damit ein Kunstwerk entsteht, d. h. ein Rhythmus, der auch von anderen künstlerisch denkenden Menschen als Kunstwerk empfunden werden kann. (Schwitters 2004a [1923], 139)
Der Begriff der ‚Abstraktion‘, der in Diskursen über die Formensprache moderner Kunst eine Schlüsselrolle spielt, suggeriert als Sprachbild zunächst, etwas sei von etwas anderem ‚abgezogen‘ worden: Es ist die Gegenständlichkeit, respektive: der Versuch des Rezipienten, Gegenstände in den ästhetischen Figurationen wiederzuerkennen, der hier aus dem ästhetischen Kommunikationsprozess ‚abgezogen‘ wird. (Via negationis klingt hier noch ein leises Echo jener metaphorisch grundierten Vorstellung nach, derzufolge einem Gegenstand eine Form ‚gegeben‘ wird; abstrakte Formen sind demnach Formen ‚minus‘ Inhalte.) Eben weil nun aber im Horizont eines (nicht nur) ästhetischen Denkens, für das die ‚Oberfläche‘ auf keine ‚Tiefe‘ mehr verweist (s. o.), sondern vielmehr selbst der eigentliche Gegenstand ästhetischer Erfahrung ist, der Ausdruck ‚Abstraktion‘ noch vage nach einem Defizit zu klingen scheint (nämlich nach einem ‚Fehlen‘ des Inhalts in der Form), wird als Ersatzbegriff für ‚Abstraktion‘ der der ‚Konkretion‘ ins Spiel gebracht (der nach dem Gegenteil klingt, aber dasselbe meint): Konkrete Poesie, die von ihren Theoretikern und Praktikern vor allem als ver-
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bales Formenspiel beschrieben wird, erscheint durch das Bild eines ‚Abzugs‘ von ‚Inhalten‘ bei weitem nicht so angemessen beschrieben wie durch das einer ‚Konkretion‘ des sprachlichen ‚Materials‘. Die Charakteristik sprachlicher Elemente als ‚Materialien‘ erscheint dabei als eine Art Tribut an die offenbar unausweichliche Metaphorik ästhetischer Diskurse. Wo nicht in den Inhalten das Innovatorische liegt, zielt der Innovationsgestus konsequenterweise auf die Ebene der Form: Als Arbeit auf dem Terrain der reinen (‚abstrakten‘) Formen gestaltet sich abstrakte bzw. konkrete Kunst und Literatur – ihrem eigenen Selbstverständnis zufolge – nun vorzugsweise im Zeichen des Bruchs mit tradierten Formen. Metaphoriken des ‚Bruchs‘ mit respektive der ‚Verletzung‘ von Formvorgaben bestimmen den ästhetischen Diskurs, verbunden mit Programmen der ‚Störung‘ kodifizierter Kommunikationsprozesse. Lieferanten der Vorgaben, an denen man sich abarbeitet, sind dabei die Alltagssprache, ihre Grammatik und die konventionalisierten Regeln ihres Gebrauchs. Radikaler als ästhetische Programme des Bruchs mit Formen oder der Verletzung formaler Regeln klingen Konzepte der ‚Formzerstörung‘; sie beschreiben ähnliche Phänomene, suggerieren aber eine nachhaltige Wirksamkeit des ästhetischen (in negativen Kategorien beschriebenen) Prozesses auf die außerästhetische Sphäre, ihre Codes und ihre Ausdrucksmittel. Eine Analogisierung außerästhetischer (wissenschaftlicher) Praktiken mit ästhetischen Prozessen nimmt der Diskurs über ‚Formexperimente‘ vor, der als solcher schon der modernistischen Vorliebe für Metaphern aus dem Bereich von Naturwissenschaft und Technik Rechnung trägt. Er suggeriert eine gewisse reflexive Distanz dessen, der das jeweilige Experiment anstellt, zur Form als seinem Beobachtungsgegenstand – und, je nach Akzentuierung der Experimentmetapher – den Überraschungscharakter möglicher Resultate. (Naturwissenschaftliche Experimente sind zwar durch ihre Wiederholbarkeit und Regelhaftigkeit geprägt, aber im Labor kann sich doch Unvorhersehbares ereignen.) Insgesamt ist der Diskurs über ästhetische ‚Experimente‘ ebenso wie der des ‚Bruchs‘ mit Formen der Vorstellung verbunden, dass sich die Formensprachen der Künste und der Literatur in einem ständigen Prozess des Wandels befinden. Hinzu kommt, wie Dieter Henrich verdeutlicht hat, eine Betonung der Reflexivität ästhetischer Praxis – einer Reflexivität, die sich vor allem als Distanz zum vorliegenden Formenspektrum manifestiert: Die ursprüngliche Evidenz und Bedeutsamkeit der Form kann nur erhalten werden, wenn es gelingt, sie abzuwandeln […]. Diese Dynamik […] macht sich heute nicht anders als eh und je geltend. Die Reflektiertheit der modernen Form legt aber Formexperimente nahe, die aus solcher Dynamik nicht zu verstehen sind. Denn wo der Hervorgang des Werkes zu seinem Thema wird, bedeutet Abwandlung der Form, eine neue Weise des Hervorgangs zustande zu bringen. […] Die Unruhe der Reflexion beschleunigt […] den Prozeß der Formvariation. […]
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Sie hindert aber nicht, daß Steigerungen moderner Form wirklich gelingen und daß dies weder seltener noch häufiger geschieht als in vergangenen Epochen der Künste. Freilich setzen sie sich in zuvor unbekannter Radikalität allem vorhergehenden entgegen. (Henrich 1966, 31)
Ist – wie sich zwischenbilanzieren lässt – die Ästhetikgeschichte seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zunächst durch die Alternative ‚Formästhetik versus Inhaltsästhetik‘ geprägt, so differenziert sie sich im frühen bis mittleren zwanzigsten Jahrhundert noch weiter und anders aus: Einer Suche nach Formbegriffen, verbunden mit Poetiken der ‚Form‘, stehen (Selbst-)Explikationen ‚formzerstörender‘ Strömungen gegenüber, deren enge Beziehung zum Formbegriff damit via negationis sichtbar wird. Die frühen und die späteren Avantgarden profitieren von einer fruchtbaren Spannung zwischen Formbewusstsein und Form-Kritik. – Gerade an Variationen des Formdiskurses wird insgesamt ablesbar, welche Bedeutung negative Begrifflichkeiten und Sprachbilder der Zurücknahme, Destruktion oder Tilgung in der Moderne spielen. Im Vorwort zum zweiten Band von Poetik und Hermeneutik heißt es dazu u. a., „moderne Literatur [werde] vorwiegend mit negativen Kategorien umschrieben“ – „Verfremdung“, „Entgegenständlichung“ etc. (Poetik und Hermeneutik 1966, 9); auch ‚Deformation‘ könnte dazugezählt werden. Dass in einer Formenschöpfung, die sich selbst als Bestandteil eines umfassenden Prozesses ständiger Zerstörung und Neuschöpfung situiert, ein paradoxes Moment liegt, hat Henrich hervorgehoben. In seinen Überlegungen wird der Formbegriff zentral, um die prekäre, ja paradoxale, eben darum aber auch spannungsvoll-produktive Situation der modernen Kunst zu charakterisieren (vgl. Henrich 1966; Burdorf 2001, 509): Die Gegenwartskunst sei „Form und Formbruch in einem“: So wird die Anstrengung der Kunst der Gegenwart zu der scheinbar paradoxen Anstrengung der Form gegen sich selbst. Formstrukturen sollen entstehen, welche die Bedeutungsassoziationen von Form zerstören und doch zugleich vollendete Form sind. Formbrüche werden so zum Kompositionsprinzip. (Henrich 1966, 30)
Literatur und Poetik im späteren zwanzigsten Jahrhundert (weiterhin zwischen Tendenzen zur Formauflösung und ‚Formalisierung‘ operierend) weisen auf der Ebene der Form-Diskurse insgesamt erhebliche Ausdifferenzierungen auf. Das Spektrum reicht von ‚form-emphatischen‘ Poetiken (Handke) über ironische Form-Zitate (Rühmkorf, Gernhardt) bis hin zu Gesten der Formzerstörung (Rainald Goetz), die aber ebenfalls einen (selbst-)ironischen Zug annehmen können. Bei Handke wiederum erhält der emphatische Formbegriff eine ontologische, fast religiöse Weihe, wenn der „Groß[e] Geist der Form“ sich in der Kunst offenbart: „Das Wirkliche war […] die erreichte Form; die nicht das Vergehen in den Wech-
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selfällen der Geschichte beklagt, sondern ein Sein im Frieden wiedergibt, – es geht in der Kunst um nichts anderes.“ (Handke 1980, 90–91). Prägend ist vielfach die jeweilige metaphorisch grundierte ‚Form‘-Idee (also etwa die Vorstellung eines planvollen Bauens – oder aber der Bereitstellung von Bau-‚Materialien‘), prägend auch der jeweilige Komplementär- bzw. Gegenbegriff zur Form (also beispielsweise das ‚Flüchtige‘, das ‚Chaos‘ etc.); prägend auch die Vorstellung des zu formenden ‚Materials‘ (wie Wörter, Inhalte, Stoffe). In seinen posthum erschienenen Harvard-Vorlesungen (Sei proposte per il prossimo millennio) hat Calvino das literarische Werk im Rekurs auf physikalische Konzepte als einen kleinen und instabilen Bereich von Geordnetem in einem insgesamt ordnungswidrigen Universum charakterisiert. Das Universum löst sich in eine heiße Wolke auf, stürzt unaufhaltsam in einen Strudel von Entropie, doch im Innern dieses irreversiblen Prozesses können sich Zonen von Ordnung ergeben, Portionen von Existentem, die nach einer Form streben, privilegierte Punkte, in denen man einen Plan, eine Perspektive zu erkennen meint. Das literarische Werk ist eine dieser winzigen Portionen, in denen das Existierende sich in einer Form kristallisiert, einen Sinn gewinnt, keinen festen, endgültigen, zu steinerner Unbeweglichkeit erstarrten Sinn, sondern einen lebendigen, der wie ein Organismus lebt. Dichtung ist die große Widersacherin des Zufalls, obwohl auch sie ein Kind des Zufalls ist und weiß, daß er am Ende den Sieg davontragen wird. […] Dies ist der Rahmen, in dem die Aufwertung jener logisch-geometrisch-metaphysischen Verfahrensweisen zu sehen ist, die sich während der ersten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts in den bildenden Künsten durchgesetzt haben und dann auch in der Literatur. (Calvino 1991 [1988], 99–100)
Dieses Bild einer ‚Zone von Ordnung‘ im entropischen Strudel der Prozesse, welche die „Welt“ ausmachen, korrespondiert chaostheoretischen Vorstellungen: Wenn das literarische Werk als artifizielle Struktur eine geordnete Zone im Chaos darstellt, so trägt es doch auf inhaltlicher Ebene (d. h. durch die Thematisierung des Chaotischen als Widerpart von Ordnung) dieses Chaotische als seinen Gegenstand auch wieder in sich – oder vielmehr: das Zusammenspiel von chaogenen Kräften und Ordnungsentwürfen, die ihrerseits wieder das Chaotische mitreflektieren.
3 Gattungs- und Formdiskurse: Form und Formlosigkeit des Romans Eine tragende Rolle spielen Formdiskurse insbesondere in ihrer Ausprägung als Gattungsdiskurse. Aristoteles erörtert in seiner Schrift Peri poietikes (Über die Dichtkunst, meist übers. als Die Poetik, ab etwa 335 v. Chr.) u. a. die Frage diffe-
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renter Dichtarten und nimmt eine Aufteilung in Gattungen vor; Kriterien sind dabei Form und Wirkungsweise der Texte. Als deskriptiv verstanden, wird die Aristotelische Poetik von späteren Zeiten lange als normativ angesehen. Mit der erwähnten Historisierung der Form-Vorstellungen ist die der Gattungen eng verbunden. Schon in Hegels Ästhetik werden die literarischen Gattungen zwar aus historischer Perspektive betrachtet – aber im Sinn der Frage, in welcher historischen Zeit welcher Gattung ihre jeweils spezifische Funktion zukommt, also unter Orientierung an Gattungsvorstellungen, die als solche überhistorisch erscheinen. Noch Goethe erörtert „drey ächte[n] Naturformen“ der Poesie; gemeint sind das Epos als „klar erzählende“ Form, die Lyrik als „enthusiastisch aufgeregte“ und das Drama als die „persönlich handelnde“ (Goethe 2005 [1819], 356); von diesen ‚Naturformen‘ unterscheidet er die ‚Dichtarten‘ (einzelne Gattungen). Epos, Lyrik und Drama können im Einzelwerk miteinander verknüpft sein; insofern dienen diese Begriffe zwar dessen Charakteristik; das Werk selbst muss als Ganzes aber nicht einer spezifischen Gattungsnorm verpflichtet sein. – Im gesamten neunzehnten Jahrhundert dominiert eine solche Aufteilung des literarischen Feldes in dramatische, epische und lyrische Formen. Gerade Goethes Bemerkungen zu den „Naturformen“ des Poetischen geben den Anstoß zu Übertragungen lebenswissenschaftlicher, insbesondere morphologischer Modelle auf den literarästhetischen Bereich (vgl. dazu Zymner 2003, 30–31); entsprechende Sprachbilder prägen den ästhetischen Diskurs. Bei Jolles, der eine Systematik ‚einfacher Formen‘ entwirft, kommen Formästhetik und Gattungsästhetik zur Deckung (vgl. Jolles 21958 [1930]). Aber gattungsspezifische Formdiskurse werden nicht nur zu Empfängern, sondern auch zu Spendern metaphorischer Bilder – selbst wenn die Metaphorizität des entsprechenden Diskurses denen, die ihn führen, nicht immer bewusst respektive intendiert sein mag. Emil Staiger (61963 [1946]) deutet die ‚Qualitäten‘ des ‚Epischen, Lyrischen und Dramatischen‘ als Ausdrucksformen anthropologisch fundierter Möglichkeiten. Auch Wolfgang Kayser (201992 [1948]) nimmt an, bei dem Lyrischen, Epischen und Dramatischen handele es sich um ‚fundamentalanthropologische‘ Möglichkeiten poetischer Gestaltung. Anthropologischpsychologisch und allgemein morphologisch geprägte Gattungstheorien bleiben zumindest im akademischen Raum bis in die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts geläufig. Sie implizieren nicht allein die Vorstellung, in jedem Einzelwerk realisierten sich entsprechend vorgegebene formale Gattungsmuster, sondern suggerieren zudem Korrespondenzen zwischen anderen Bereichen differenzierter Formensprache. – Erst in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ist im Bereich der Gattungsreflexion ein Paradigmenwechsel zu beobachten. Einem weitgehenden Konsens neuerer Literaturtheorie zufolge sind Gattungen historische Größen – und als solche begriffliche Konstrukte derer,
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die sie beschreiben. Sie sind, so Rüdiger Zymner im Rekurs auf tradierte Form metaphorik, keine „gleichsam wachsenden oder sich verändernden Organismen“, sondern „Kulturprodukte, die zumeist nachträglich in einen klassifikatorischen oder typologischen und zudem historiographischen Zusammenhang gebracht werden“ (Zymner 2003, 161). Klaus Hempfer wiederum unterscheidet – auf der Basis einer anderen metaphorischen Differenzierung – „primäre“ und „sekundäre“ Schreibweisen und versucht, „zwischen relativ oder absolut konstanten Tiefenstrukturen und den sich wandelnden historischen Transformationen, in denen sich die Tiefenstrukturen konkretisieren“ zu differenzieren (Hempfer 1973, 225, 241). Zymner sieht in solchen Überlegungen allerdings einen „ontologischen Strukturalismus“ am Werk, bei dem die intendierte Vermittlung von Gattungssystem und Geschichte nicht erfolge, sondern Geschichtliches aus postulierten ‚Ur-Strukturen‘ abgeleitet werde (Zymner 2003, 143, 172). Tatsächlich kann die Annahme einer zeitlosen ‚Tiefenstruktur‘ als Echo prämoderner Tiefenmetaphorik gelten. Das Thema ‚Form‘ vermittelt nicht zuletzt zwischen allgemeiner Literaturtheorie und der Beschreibung konkreter Texte, insbesondere mit Blick auf deren Abhängigkeit von Gattungsmustern – Burdorf betont hier zu Recht den Zusammenhang zwischen „Form“, „Gemachtheit“ und „Gattungszugehörigkeit“ literarischer Werke (Burdorf 2001, Kap. XI). Formdiskurse kommen im Übrigen dem Anspruch der Literaturwissenschaft auf Verwissenschaftlichung ihrer Methodik und ihrer Befunde entgegen. Paul Böckmann interpretiert Literaturgeschichte vorrangig als „Formgeschichte“; er nimmt noch in den 1960er Jahren das Projekt einer Formgeschichte der deutschen Dichtung in Angriff (1967). Die Repräsentanten der sog. ‚Werkimmanenten Interpretation‘ konzentrieren sich in ihren Analysen insgesamt auf Gestaltungsfragen, mithin auf formbezogene Aspekte der Werke, wobei die Idee eines überzeitlichen Formenrepertoires lange leitend bleibt. Der Terminus ‚Werkimmanenz‘ kann darüber hinaus als Indikator für das subkutane Nachwirken von Außen-Innen-Metaphoriken betrachtet werden, suggeriert er doch die Möglichkeit einer Beschränkung der Betrachtung auf das, was ‚im‘ Werk steckt.
Romantheorie als Formdiskurs Insbesondere die Geschichte der Romantheorie ist beschreibbar als Geschichte metaphorisch grundierter Formdiskurse. Bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts gilt die Natur (Schöpfung Gottes) als musterhaftes Vorbild ästhetisch-poetischer Werke, auch und gerade als Formen-Vorbild. Mit der Genieästhetik rückt der Dichter/Künstler selbst in die Rolle eines Schöpfers – und d. h. folgerichtig auch: eines Formenschöpfers. Zeitgleich vollzieht sich die Karriere des Romans.
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Romanpoetik und ‚Formenpoetik‘ verbinden sich im Folgenden immer wieder im Zeichen eines ‚Form‘-Verständnisses, das die Historizität, die Gemachtheit und Kontingenz von Formen akzentuiert. – Dem Kanon der klassischen Gattungen nicht zugehörig, gilt der Roman in poetologischen Kontexten lange als inferiore Textsorte (der Romanschreiber ist noch für Schiller nur „Halbbruder“ des Dichters; Schiller 91993 [1795/96], 741); entscheidend sind dabei Aspekte der Form, die im Fall des Romans als (zu) unprofiliert und offen wahrgenommen wird, wenn man dem Roman nicht sogar „Formlosigkeit“ attestiert. Explizite Klagen über Formlosigkeit sollten freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass artifizielle Arrangements scheinbarer Formdefizite spätestens seit Cervantes (Don Quijote) zu den wichtigsten romangestalterischen Strategien gehören; ‚fehlende‘ oder auf unsicheren Überlieferungen basierende Teile der Narration werden seitdem von vielen Autoren als Konzept in ihre Narration integriert. Insofern steht gerade die Romangeschichte im Zeichen changierender Beziehungen zu ‚Formfragen‘. Im Kontext Hegelscher Gattungsreflexion kommt dem Roman besondere Bedeutung zu, insofern er als eine programmatisch moderne Gattung konzeptualisiert wird; Hegel bezieht dabei Formaspekte in seine Argumentation ein. Die aus regelpoetischer Perspektive als ästhetisches Defizit geltende Vielfalt an Gestaltungsoptionen, die der Roman bietet, wird seit dem späteren achtzehnten Jahrhundert ostentativ als Chance experimentell-innovatorischer Textgestaltung genutzt. Schon Johann Gottfried Herder betont in seinem 99. Brief zur Beförderung der Humanität (1796), welche Fülle an Wissen unterschiedlicher Art der Roman in sich aufnehmen könne, wie er die Gegenstände diverser Wissenschaften mit dem Interesse am Menschen und die Darstellung des Wirklichen mit der des Möglichen verbinde: Keine Gattung der Poesie ist von weiterem Umfange, als der Roman; unter allen ist er auch der verschiedensten Bearbeitung fähig: denn er enthält oder kann enthalten nicht etwa nur Geschichte und Geographie, Philosophie und die Theorie fast aller Künste, sondern auch die Poesie aller Gattungen und Arten – in Prose. (Herder 1883 [1796/97], 109–110)
In vorromantischen, romantischen und späteren Diskursen über das Thema ‚Roman und Form‘ wird Laurence Sterne zu Recht eine Schlüsselstellung zuerkannt; sowohl im Tristram Shandy als auch in der Sentimental Journey geht Sterne neue Wege, und er beteiligt sich innerhalb seiner Texte zudem selbst am poetologischen Formdiskurs. Beiträge zum Formdiskurs finden sich auch bei Henry Fielding, wiederum innerhalb der Romane, die ihrerseits auch formal neue Wege gehen. Die Rezeption Sternes und Fieldings durch die folgenden Autorengenerationen (z. B. durch Jean Paul) ist nicht allein ein maßgeblicher Beitrag zur Geschichte der Romanpoetik, sondern auch zu der des poetologischen Form-Diskurses. – Zu einer nachdrücklichen theoretischen Aufwertung des Romans kommt
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es in der Frühromantik. Dies geschieht im Rahmen umfassender Reflexionen über die Kunst, über ihren Status gegenüber Wissenschaft, Philosophie und Leben – und über ihre Modernität. Friedrich Schlegel ist der wohl wichtigste Theoretiker dieser Moderne. Er spricht von der romantischen Poesie als von einer „progressiven Universalpoesie“, deren Bestimmung es sei, „alle getrennten Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen“ (Schlegel 1967a [1798], 182). Gerade die durch keine Formkonvention eingeengte Gestalt des Romans erscheint nun erstens wie prädestiniert dazu, im Sinn dieses Vereinigungsprogramms Elemente verschiedener Gattungen in sich aufzunehmen – narrative, dramatisch-dialogische und lyrische. Zweitens ermöglicht gerade der Roman eine Synthese zwischen literarischer Darstellung, philosophischer Reflexion und rhetorischer Praxis. Schlegels Gespräch über die Poesie, in dem das Programm einer „Transzendentalpoesie“ entwickelt wird, enthält als Kernstück den Brief über den Roman, der als „ein romantisches Buch“ bezeichnet und aufgewertet wird (Schlegel 1967b [1800], 335).
‚Wildnis‘ – ‚Enzyklopädie‘ – ‚Mischung‘ – ‚Strickstrumpf‘: Metaphern der Romanform Das Konzept des ‚verwilderten‘ Romans (Brentano: Godwi) und die (vielfach explizit reflektierten) Experimente mit der Romanform in der Romantik (Jean Paul, Hoffmann, etc.) schließen an die romanpoetologischen ‚Formlosigkeitsdiskurse‘ an, nehmen dabei aber eine neue, positive Semantisierung vor. Die Historisierung des poetologischen Diskurses (bei Hegel systematisch, bei den Romantikern vorweggenommen) schafft dafür die Voraussetzung. Positiv evaluiert (und genutzt) wird auch die Möglichkeit, den Roman als Formen-Katalog zu gestalten. Noch Jean Paul spricht zunächst (scheinbar) kritisch von der ‚Weite‘ der Romanform, in der alle anderen Formen ‚liegen und klappern‘ können (Vorschule der Ästhetik); die Suggestivkraft der Gefäßmetapher ist hier evident. Der Roman verliert an reiner Bildung unendlich durch die Weite seiner Form, in welcher fast alle Formen liegen und klappern können. Ursprünglich ist er episch; aber zuweilen erzählt statt des Autors der Held, zuweilen alle Mitspieler. Der Roman in Briefen, welche nur entweder längere Monologen oder längere Dialogen sind, grenzet in die dramatische Form hinein, ja wie in Werthers Leiden, in die lyrische. Bald geht die Handlung, wie z. B. im Geisterseher, in den geschlossenen Gliedern des Drama; bald spielet und tanzet sie, wie das Märchen, auf der ganzen Weltfläche umher. (Jean Paul 2000 [21813]), §69, 248–249)
Der Roman verziehe, so Jean Paul weiter, die Romanautoren zu Nachlässigkeiten, weil er keine strikten Regeln kenne, und er verwöhne den Leser, der jedes
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strengen Kunsturteils enthoben sei. So fließe „die Freiheit der Prose […] schädlich ein, weil ihre Leichtigkeit dem Künstler die erste Anspannung erlässet und den Leser vor einem scharfen Studium abneigt“ (Jean Paul 2000 [21813], § 69, 249). Außerdem sei der Roman oft wegen seiner Länge unüberschaubar und unterwerfe sich dadurch besonders schwer einer Beurteilung. Gerade Jean Paul hat freilich genau das, was er in der Vorschule als ästhetische Schwächen des Romans charakterisiert, für seine eigenen Romane gründlich ausgenutzt: die formalen Freiheiten, die Möglichkeit der Integration von Briefen, Monologen und Dialogen, den Wechsel zwischen verschiedenen Stimmungswerten wie etwa zwischen Sentimentalität und Satire, die Tendenz zur Länge. Daher liegt die These nahe, dass in Jean Pauls Aufzählung der angeblichen Schwächen des Romans indirekt gerade die Stärken der Gattung aufgelistet werden. Tatsächlich leitet der Verfasser der Vorschule nach seiner Kritik sofort zur positiven Evaluation des Romans über, die ebenfalls Formales, nicht Inhaltliches in den Blick rückt – und gleich mehrere Grundmetaphern spezifiziert, nämlich die organologische des „Wucherns“ und die hüllenmetaphorische der „Verkleidung“, ja sogar die religiös konnotierte der „Inkarnation“: Auf der andern Seite kann unter einer rechten Hand der Roman, diese einzige erlaubte poetische Prose, so sehr wuchern als verarmen. Warum soll es nicht eine poetische Enzyklopädie, eine poetische Freiheit aller poetischen Freiheiten geben? Die Poesie komme zu uns, wie und wo sie will, sie kleide sich wie der Teufel der Eremiten oder wie der Jupiter der Heiden in welchen prosaischen engen dürftigen Leib; sobald sie nur wirklich darin wohnt: so sei uns dieser Maskenball willkommen. (2000 [21813], § 69, 249–250)
Wie ihre vorromantischen Wegbereiter, vor allem Herder, so schätzen die Romantiker den Roman letztlich vor allem deshalb so sehr, weil er alle möglichen Textgattungen, Schreibweisen und Stile in sich aufnehmen kann. Friedrich Schlegel – dem in Fortsetzung der Querelle des Anciens et des Modernes ja gerade die Unterscheidung zwischen den ‚Alten‘ und den ‚Modernen‘ wichtig ist, sieht in der Formenvielfalt und dem hybriden Zug des Romans die entscheidende Signatur der Modernität: „Der Roman ist die ursprünglichste, eigentümlichste, vollkommenste Form der romantischen Poesie, die eben durch diese Vermischung aller Formen von der alten klassischen, wo die Gattungen ganz streng getrennt wurden, sich unterscheidet.“ (Schlegel 1958 [1803/04], 160). Tatsächlich sind viele romantische Romane als Kombinationen verschiedener Gattungen und Darstellungsformen konstruiert. Lyrisches und Dramatisches wechselt oft mit narrativen und reflexiven Partien ab, und diese formale Polyphonie wird vor allem dazu genutzt, unterschiedliche Sichtweisen der Wirklichkeit miteinander zu kontrastieren. Damit vermag gerade der Roman die Welt in ihrer Vieldeutigkeit und Interpretationsfähigkeit zu reflektieren. Für Goethe ist eine subjektive Beziehung
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zu den Dingen die Grundlage der romanhaften Darstellung: Er charakterisiert den Roman in den Maximen und Reflexionen als eine Gattung, „in welcher der Verfasser sich die Erlaubnis ausbittet, die Welt nach seiner Weise zu behandeln. Es fragt sich also nur, ob er eine Weise habe; das andere wird sich schon finden.“ (Goethe 1977b [1833], Nr. 938). – Die Bedeutung der Darstellungsform für die Interpretation der an sich vieldeutigen Welt lässt sich im Roman vor allem durch verschiedene Schreibweisen sinnfällig machen: Elemente des Briefromans vermischen sich in romantischen Romanen mit Bausteinen zu philosophischen Romanen, Bildungsromanen oder Künstlerromanen, Satiren, Elegien, Parodien, Pastiches. In Übereinstimmung mit Herder und Jean Paul schreibt Friedrich Schlegel dem Roman die Macht zu, „alle getrennte(n) Gattungen wieder zu vereinigen“ (Schlegel 1967a [1798] 182). Wolle der Roman „eine besondere Gattung“ sein, so „verabscheue“ er ihn, sagt Schlegel in charakteristischer Zuspitzung. „[I]ch kann mir einen Roman kaum anders denken, als gemischt aus Erzählung, Gesang und andern Formen.“ (Schlegel 1967b [1800], 335). Novalis teilt diese Idee, wenn er im Allgemeinen Brouillon unter dem Stichwort „ROMANTIK“ notiert: „Sollte nicht der Roman alle Gattungen des Styls in einer durch den gemeinsamen Geist verschiedentlich gebundenen Folge begreifen?“ (Novalis 1999 [1798/99], 504). In seinen Literarischen Notizen nennt Schlegel den Roman sogar ein „gebildetes künstliches Chaos“ und betont: „Das Wesentliche im Roman ist die chaotische Form.“ (Schlegel 1980 [1797–1801]), 146, 184). Chaos und Fragment: damit sind Kernbegriffe frühromantischer Ästhetik benannt, die im Diskurs über die Beziehung zwischen Roman und Form schillernde Schlüsselrollen spielen. Wichtige Leitbilder des idealen ‚romantischen Buches‘ sind dabei zum einen die Bibel, zum anderen die Enzyklopädie als eine auf Totalisierung angelegte Darstellung des menschlichen Wissens. Vor allem Friedrich Schlegel und Novalis sind von der Idee einer poetischen Enzyklopädie fasziniert – und von der Idee eines unabgeschlossenen Werks, das immerzu erweitert und angereichert werden kann (vgl. den Beitrag ‚Enzyklopädie als literarische Form‘ in diesem Band). Zu Recht ist die kritische Frage gestellt worden, ob es den von Schlegel modellierten Roman je gegeben habe und ob er überhaupt realisierbar sei. Bruno Hillebrand zitiert Schlegels Diktum, die romantische Poesie könne ‚ewig nur werden‘ und ‚durch keine Theorie‘ erschöpft werden, um mit Blick auf die Idee des Romans, der seine eigene Theorie enthalte, die Folgerung zu ziehen, den romantischen Roman könne es demnach gar nicht geben. Er betont aber auch, dass Logik nicht „die rechte Methode“ sei, „um sich dem Schlegelschen System zu nähern“ (Hillebrand 1972, 159). Um die romantische, vor allem die Schlegelsche Romantheorie angemessen zu rezipieren, sollte man bedenken, dass es mit ihr nicht – oder doch nicht nur – darum geht, den Roman als das zu beschreiben, was er ist. So konvergieren in Schlegels Spekulationen „der Roman“ und das „Abso-
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lute“ zur Idee eines „absoluten Romans“, den er auf eine Weise skizziert, die mit konventioneller Gattungstheorie und der Benennung spezifischer Formen nichts mehr zu tun hat: Absoluter R[oman] = ps[ychologischer] R[oman] + ph[ilosophischer] R[oman] + F[antastischer] R[oman] + S[entimentaler] R[oman] + absolute M[imik] + absolut S[entimental-] Fantastisches + absolutes p[oetisches] D[rama] + rh[etorisches] D[rama] + Proph[etie]. (Schlegel 1980, 61, Nr. 418)
Die Frage nach den integrativen Potenzialen der Romanform begleitet die Romantheorie auch im weiteren Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts; sie wird aber kontrovers beantwortet. Kritisch, gleichsam in den Spuren der Schillerschen Aburteilung des Romanautors als „Halbbruder“ des Dichters, spricht Gottfried Keller am 26. Juni 1854 (während er noch am Grünen Heinrich arbeitet) vom Roman als „fehlerhaft“ und für ihn selbst nicht „maßgebend“, liege doch diese „weitschichtige, unabsehbare Strickstrumpfform“ nicht in seiner „Natur“. Die dramatische Form erscheint ihm da attraktiver (Brief an Hermann Hettner vom 26.6.1854, zit. nach Plumpe 1996, 53). – Demgegenüber betont Robert Prutz 1851 die integrativen Effekte der Romanform, wiederum im Vergleich mit dem Dramatischen, von dem ihm zweifelhaft erscheint, ob es eine „in sich so zerfahrene, zerflatternde Zeit wie die unsrige […] zusammenfassen könne“. Hingegen finde man „in der episodischen Form des Romans ein bequemes Gefäß […] für den vielfach auseinander gehenden, sich so vielfach durchkreuzenden Inhalt unserer Zeit“ (zit. nach Plumpe 1996, 530‒531). Bei allem Dissens über Form oder Formlosigkeit des Romans – eine Kerntendenz lässt sich seit dem achtzehnten Jahrhundert doch beobachten: Die (spätestens seit Fielding) als für den Roman prägend betrachtete Option, formpoetologische Diskurse in Romane zu integrieren, disponiert den Roman zu einer Gattung, die Formexperimente und Form-Reflexion, teils im Zeichen raffinierter Metaisierungsstrategien, miteinander verknüpft.
Totalität und künstliche Ruinen – oder: Unordnung der Darstellung als Darstellung der Unordnung Zu den Stärken des Romans scheint es spätestens seit der Romantik zu gehören, durch seine Form (oder Unform) die Welt, das Leben und die Geschichte selbst zu bespiegeln respektive zu modellieren – in ihrer Dynamik und ihrer Affinität zum Formenwandel, manchmal auch in ihrer Formlosigkeit. Mit einer bemerkenswerten vergleichenden Wendung setzt Jean Paul den „Geist“ eines Romans in eine Analogie zum „Weltgeist“, um hervorzuheben, dass der geistige Gehalt eines
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Werks wichtiger sei als dessen äußere Form: „Sobald ein Geist da ist, soll er auf der Welt, gleich dem Weltgeiste, jede Form annehmen, die er allein gebrauchen und tragen kann.“ (Jean Paul 2000 [21813], § 69, 250). – Programmatisch klingt aber auch ein scheinbar nebenher ausgestoßener Seufzer des Komet-Erzählers angesichts der Schilderung einer konfusen Szene, in der viele Personen durcheinanderspielen. Hier geht es um das (angebliche) Misslingen des erzählerischen Formungsversuchs, das in ein potenzielles Gelingen uminterpretiert wird: „Unordnung der Darstellung ist vielleicht Darstellung der Unordnung, muß ich hoffen!“ (Jean Paul 2000 [1820‒1822], 785). – Die gerade für den Roman konstitutive Spannung zwischen Form und ‚Unform‘ stimuliert zu wichtigen literarischen Experimenten, wobei die dem Erzählerbericht zugrundeliegenden Informationen stets etwas Kontingentes an sich haben: Jean Pauls Leben Fibels gibt sich als Produkt der Kompilation von Resten deformierter Bücher aus, im Quintus Fixlein bezieht der Dichter seine Informationen aus ‚Zettelkästen‘. Clemens Brentano wiederum schreibt mit Godwi (1801) einen im Untertitel so genannten „verwilderten Roman“. Erzählt wird auf zwei Ebenen: vom Autor, der sich „Maria“ nennt (und den Brentano schließlich sterben lässt), und von Godwi, der Hauptfigur. Gespielt wird hier mit der Idee des fragmentarisch bleibenden Textes als eines Modells gebrochener Lebensläufe. In Hoffmanns Lebenserinnerungen des Katers Murr kommt es zur Durchflechtung gleich zweier Biographien (1820), die beide auf ihre eigene Weise fragmentarisch bleiben. Kater Murrs Lebensbericht reißt ab wie sein Lebensfaden selbst. Und das Leben des ‚zerrissenen‘ romantischen Künstlers Kreisler spiegelt sich in der zerrissenen Form seiner Teilbiographie. Verfremdende Experimente romantischer Romanautoren mit der Erzählstruktur sind stets auch gedankliche Experimente mit der Linearität der Zeit und dem Modell der sich zum ganzen rundenden Lebensgeschichte. So entstehen Modelle zerrissener, fragmentierter Erfahrung – zugleich aber Dokumente der synthetisierenden Kraft des Romanerzählers. Dieser vermag selbst das Unförmlichste zu übermitteln, indem er durch die Kontinuität seiner Reflexion aus Bruchstücken einen höheren Zusammenhang herstellt.
Die formlose Welt und die Romanform: Metaphoriken der Störung und Desorientierung Form-Diskurse und Form-Metaphern im zwanzigsten Jahrhundert stehen vielfach im Kontext von Formverlusts- oder Formlosigkeitsdiagnosen. Um 1900 haben geschichtsspekulativ-zeitkritische und lebensphilosophische Diskurse daran maßgeblichen Anteil – Diagnosen des Niedergangs (der Décadence) sowie Dichotomisierungen von ‚Leben‘ und ‚Form‘. Auf der Seite der Form steht dabei die Kunst
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als Formung eines tendenziell amorphen Lebendigen: Von dieser stark sprachbildlich geprägten Grundannahme geht u. a. Georg Lukács aus, dessen Romantheorie auf den Diskurs des zwanzigsten Jahrhunderts über die Form des Romans nachhaltigen Einfluss nimmt. Der Roman spielt für Lukács unter Formaspekten eine Sonderrolle: „Die Kunst ist – im Verhältnis zum Leben – immer ein Trotzdem; das Formschaffen ist die tiefste Bestätigung des Daseins der Dissonanz, die zu denken ist. Aber in jeder anderen Form […] ist diese Bejahung etwas der Formung Vorangehendes, während sie für den Roman die Form selbst ist.“ (Lukács 121989 [1916], 62). Diese Sonderrolle kommt zustande, weil der Roman nicht auf „fertigen Formen“ beruht, sondern einen permanenten Formungs-Prozess dokumentiert: „So erscheint der Roman im Gegensatz zu dem in der fertigen Form ruhenden Sein anderer Gattungen als etwas Werdendes, als ein Prozeß. Er ist deshalb die künstlerisch am meisten gefährdete Form und wurde von vielen, aus Gleichsetzung von Problematik und Problematisch-Sein, als Halbkunst bezeichnet.“ (62). Als ‚komponiertes‘ Artefakt mit jeweils konkreter und bestimmbarer Form steht der Roman für Lukács im Zeichen einer unauflöslichen Spannung; er will gleichsam weiterwuchern: „Die Komposition des Romans ist ein paradoxes Verschmelzen heterogener und diskreter Bestandteile zu einer immer wieder gekündigten Organik.“ (73) Wegen dieser Spannung zwischen Formungstendenzen und Formzerstörung wird er zum Modell der Beziehung des modernen Menschen zu seiner Welt insgesamt. Gerade „die normative Unvollendung und Problematik des Romans“ ist für Lukács „eine geschichtsphilosophisch echtgeborene Form“ und erreicht „den wahren Zustand des gegenwärtigen Geistes“ (63). Im Vorwort (1962) zur Neuausgabe der Theorie des Romans, die manches relativiert, heißt es bekräftigend: [D]ie Problematik der Romanform ist hier das Spiegelbild einer Welt, die aus den Fugen geraten ist. […] [D]arum ist die künstlerische Abrechnung mit den geschlossen-totalen Formen, die aus einer in sich abgerundeten Seinstotalität entsteigen, mit jeder in sich immanent vollendeten Formenwelt, das Zentralproblem der Romanform. (11)
Ausgehend von der Diagnose, die historische Welt selbst stehe im Zeichen der Entstaltung, Formenzerstörung und Fragmentierung wird dem modernen Roman von seinen Theoretikern im zwanzigsten Jahrhundert eine letztlich paradoxe Aufgabe zugewiesen: Er soll eine Welt modellieren, die keine Form hat und sich insofern gegen eine Modellierung sperrt. Jean Pauls Hoffnung, „Unordnung der Darstellung“ könne vielleicht zur „Darstellung der Unordnung“ werden (s. o.), deutet an, wie man sich den modernen Roman vorstellt: als Produkt des Bruchs nicht nur mit tradierten Formen, sondern mit der Idee einer stabilen Form schlechthin, als Komposition, die ihren Anordnungscharakter (und damit die ihr zugrundeliegenden Formprinzipien) verleugnet oder aber ins Zeichen ironischer Brechun-
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gen stellt. So konstatiert schon Jürgen Schramke, der moderne Roman habe ein „problematisches Verhältnis zur Wirklichkeit“; dies verhindere auch „die Ausbildung einer konsistenten fiktiven Wirklichkeit“. Es gebe „kein unbefangenes Erzählen mehr“. Zweifelhaft geworden sei daher die „Möglichkeit, eine geschlossene Romanwelt darzustellen, welche zugleich ein Abbild der zeitgenössischen Realität wäre“ (Schramke 1974, 139). Fragmentierung, Zerrissenheit, Partikularisierung – diese Befunde sollen zugleich mit der Welt, auf die sie sich beziehen, zur Darstellung kommen. Darin liegt die maßgebliche formale Herausforderung an die Form des Romans (vgl. Schramke 1974, 140‒141).
Der ‚Faden der Erzählung‘: Eine Lieblingsmetapher der Moderne Poetologische Diskurse über die Form bzw. die Formlosigkeit im Roman knüpfen sich in theoretischen wie auch in literarischen Texten vielfach an Diagnosen zur conditio moderna, zu Thesen zur ‚Fragmentierung‘ der Erfahrungswelt, zum Verlust von ‚Totalität‘ und ‚Ordnung‘. Als Indikator dafür erscheint vor allem die oftmals diagnostizierte Abkehr von linearen Formen der Welt-‚Erzählung‘ und ihren Implikationen. Diese gelten als der Komplexität und Vieldeutigkeit modernespezifischer Erfahrungen nicht mehr angemessen (während, so die Suggestion, die vormoderne Erfahrung sich noch in Form linearer Erzählungen darstellen ließ). Im Zeichen der Linien-Metapher konvergieren Formtheorie und Erzähltheorie also – unter negativem Vorzeichen. Dabei werden unterschiedliche Akzente gesetzt: Die (angeblich) ‚lineare‘ Form älterer Erzählungen kann zum einen als narrative Mimesis einer noch transparenten vormodernen Welt gedeutet werden. Zum anderen erscheint aber die ‚Linearisierung‘ von Erfahrungen als solche bereits als ein Herrichten, ein Akt der Konstruktion, als Formung von etwas an sich Ungeformtem. (In drastischen Diagnosen zur Situation des Erzählens in der Moderne wird dieses als unmöglich charakterisiert, weil sich der zeitgenössische Erfahrungsstoff der literarischen Formung nicht mehr unterwerfen lasse: „[E]s läßt sich nicht mehr erzählen, während die Form des Romans Erzählung verlangt.“ (Adorno 1958 [1954], 61). Robert Musils Figur Ulrich betrachtet das Vermögen, die Erfahrungsdaten als eine „Reihe“ zu interpretieren, als keineswegs selbstverständlich. Schon die Vorstellung einer temporalen und kausalen Linearität ist für ihn ein formender Abstraktionsschritt, der sich dann in entsprechenden Erzählungen konkretisiert. Darin steckt eine kompensatorische Reaktion auf die überwältigende Fülle von Eindrücken, die den Menschen unstrukturiert überströmen; Musils Prägung durch die Leben-Form-Dichotomie ist evident. Dieser anthropologischen Begrün-
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dung des Bedürfnisses, die potenziellen Gegenstände des Erzählens einer linearisierenden Formung zu unterwerfen, überlagert sich eine zeitdiagnostische: Gerade angesichts des bis zum Chaotischen komplexen Lebens in der modernen Welt sei, so Ulrich, „das Gesetz dieses Lebens, nach dem man sich, überlastet und von Einfalt träumend, sehnt, kein anderes […] als das der erzählerischen Ordnung!“ (Musil 1978 [1930‒1943], 650). Und dies mache sich nicht allein „der Roman künstlich zunutze“, indem er dem Chaos seine narrativen Muster entgegensetze, sondern letztlich jeder, der etwas erzähle: „Die meisten Menschen sind im Grundverhältnis zu sich selbst Erzähler […]: sie lieben das ordentliche Nacheinander von Tatsachen, weil es einer Notwendigkeit gleichsieht, und fühlen sich durch den Eindruck, daß ihr Leben einen ‚Lauf‘ habe, irgendwie im Chaos geborgen.“ (650). Dabei besteht eine enge Verknüpfung zwischen chronologischer und kausaler bzw. teleologischer Ordnung; in den narrativ erzeugten „Faden des Lebens“ wird mit der Sukzession „auch ein wenig ‚weil‘ und ‚damit‘ hineingeknüpft“: Es ist die einfache Reihenfolge, die Abbildung der überwältigenden Mannigfaltigkeit des Lebens in einer eindimensionalen, wie ein Mathematiker sagen würde, was uns beruhigt; die Aufreihung alles dessen, was in Raum und Zeit geschehen ist, auf einen Faden, eben jenen berühmten ‚Faden der Erzählung‘, aus dem nun also auch der Lebensfaden besteht. (650)
Linearisierung erscheint in solchen und ähnlichen erzählpoetologischen Diskursen als ebenso basaler wie programmatischer und implikationsreicher Formgebungsprozess, der nicht allein den Umgang von Schriftstellern mit Lebens- und Erfahrungs-‚Stoff‘ prägt, sondern auch den anderer Erzähler. Der ‚Faden‘ erscheint als besonders beliebte Konkretisierung des geometrischen Vorstellungsbildes der ‚Linie‘ (vgl. Lämmert et al. 21984). Zu betonen ist die Metaphorizität des Konzepts ‚linearer‘ Darstellung – und damit einmal mehr die Metaphorizität eines prägnanten Form-Diskurses. Weder ist das vormoderne Erzählen ‚linear‘, noch besitzen bestimmte Erzählungen bzw. erzählerische Texte an sich die Eigenschaft der ‚Linearität‘. Christian Benne spricht mit Blick auf einschlägige text- (und schrift-) theoretische Diskurse vom „Linearitätsmythos“ (Benne 2015, 577). Bezogen auf Formdiskurse, die das narrative Arrangieren von Inhalten betreffen, könnte man von einer immerhin ‚mythenträchtigen‘ (im Sinne von: suggestiven) ‚Linearitätsmetaphorik‘ sprechen.
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Erzählen als Formen, Interpretieren, Bewältigen Den bei Musil skizzierten Gedanken einer Formung von Erfahrung durch das Erzählen haben viele literarische Autoren aufgegriffen – nicht nur im Zeichen der ‚Linearisierungsthese‘, sondern unter Akzentuierung des allgemein modellbildenden Zugs literarischer Formgebung. Peter Bichsel zitiert in diesem Sinn ein Diktum Oscar Wildes: „Es kommt weit öfter vor, daß das Leben die Kunst nachahmt als die Kunst das Leben.“ (Bichsel 1982, 48). Das Erzählen von Geschichten, so auch Bichsel, impliziere Ordnung des an sich Ungeordneten, Formung des an sich Ungeformten, Kontingenzbewältigung – und damit Beruhigung, Entlastung und Trost: Eine Geschichte […] ist nie so schlimm wie die Realität. Eine Geschichte trägt die Besänftigung der Welt in sich. Sie ist – und das ist oft ärgerlich – tröstlich. Was eine Form findet, verliert die chaotische Gefährdung. „‚Was machst du wieder für Geschichten‘ hieß auch: ‚Wir werden schon eine Form finden, in die das reinpaßt‘“. (Bichsel 1982, 11)
Enge Affinitäten bestehen zwischen diesem erzähltheoretischen Ansatz und einer Mythenkonzeption, wie sie insbesondere Hans Blumenberg vertritt, für den der Mythos eine narrative Bewältigung von Erfahrung durch Formung ist. In Arbeit am Mythos erörtert Blumenberg die Funktion des Erzählens in diesem Sinn: Wenn die Namen ins „Chaos des Unbenannten“ einbrechen, sei ein erster Schritt zur Bannung der Furcht getan, und „Weltvertrauen“ bräche sich Bahn. „Der Schrecken, der zur Sprache zurückgefunden hat, ist schon ausgestanden“, meint Blumenberg (1979, 41). Diverse Theorien des Erzählens als Theorien der Formung sind dem Gedanken von der Bewältigungsfunktion solch narrativer Formung verpflichtet. Dabei kann der Akzent aber nicht allein auf der formenden Darstellung wirklicher Erfahrungen liegen, sondern auch darauf, durch die erzählerische Formung von Fiktionen einen Beitrag zur Auseinandersetzung des Menschen mit der Welt zu leisten. In diesem Sinn beschreibt Albrecht Koschorke das Fingieren als Experimentalverfahren – und das Erzählen als ubiquitäre Praxis: „Als funktionsentlastete Sphäre gesellschaftlicher Produktion haben die Künste fiktionale Darstellungsformen entwickelt, die ihnen deshalb einen freien Umgang mit Stoffen von zweifelhaftem Wahrheitswert erlauben, weil sie ihre ontologische Indifferenz, so scheint es, sozial folgenlos und damit unschädlich machen.“ (Koschorke 2012, 18). Dennoch habe sich das Erzählen nicht ins Reservat der Schönen Künste einsperren lassen. Der Drang, die Welt erzählerisch zu modellieren, hält sich nicht an die Grenzziehung zwischen gesellschaftlichen Funktionssystemen. Das betrifft alle Ebenen – von den Alltagsgeschichten über wissenschaftliche
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Theorien bis hin zu den master narratives, in denen sich Gesellschaften als ganze wiedererkennen […]. Wo immer sozial Bedeutsames verhandelt wird, ist das Erzählen im Spiel. (Koschorke 2012, 18‒19)
Auf Realien oder auf Fiktionen bezogen, erscheint das Fingieren von Zusammenhängen als Hauptgeschäft des Erzählers, und dieser Konstruktionsprozess konkretisiert sich in spezifischen Formen. – Wie unter anderem Umberto Eco betont, ist dabei die Produzentenperspektive durch die Rezipientenperspektive zu ergänzen: Von den Formen, in die der Erzähler Erfahrungen kleidet, lernt der Zuhörer oder Leser, wie man so etwas macht: [D]as Lesen fiktiver Geschichten [ist] ein Spiel, durch das wir lernen, der Unzahl von Dingen, die in der wirklichen Welt geschehen sind oder gerade geschehen oder noch geschehen werden, einen Sinn zu geben. […]. Dies ist die therapeutische Funktion der erzählenden Literatur und der Grund, warum die Menschen seit Anbeginn der Menschheit einander Geschichten erzählen. (Eco 1994, 117)
‚Offene‘ Formen: Formung durch Kombinatorik und ihre metaphorischen Implikationen Mit dem Hinweis darauf, dass man als Leser von der Form, die ein Textverfasser seinen Stoffen gibt, das Formen eigener Erfahrungen lernen kann, ist das letzte Wort zum Thema Form und Rezipient aber noch nicht gesprochen. Die Ära der Rezeptionsästhetik, die ja mit der werkzentrierten Betrachtungsweise früherer Ansätze bricht, indem sie die konstitutive Bedeutung des Rezeptionsprozesses selbst betont, gewinnt auch dem Thema Form neue Aspekte ab. Und zwar nicht nur, indem sie danach fragt, wie Leser auf Formen reagieren, sondern auch durch Beobachtung von Prozessen, in denen der Rezipient selbst dem Rezipierten seine Form gibt. Repräsentativ ist hier die Konzeptualisierung ‚offener‘ Formen, wie sie unter dem Einfluss von Ecos Theorie des ‚Offenen Kunstwerks‘ auch literaturwissenschaftliche Diskurse prägt und zudem ihr Echo in spezifischen Spielformen litera rischen Schreibens findet – vor allem in Texten, die dem Leser anheimstellen, in welcher Reihenfolge ihre einzelnen Teile gelesen werden. Ecos titelgebende Formulierung „opera aperta“ ist vielleicht die prägnanteste Form-Metapher der Rezeptionsästhetik, und sie ist mehrfach konnotiert. Erstens verweist die (Raum-)Metapher der ‚Offenheit‘ auf eine Dispositionsfreiheit des Lesers, mithin metonymisch auf ‚Freiheit‘ schlechthin – auf Entscheidungsspielräume im Umgang (nicht nur) mit Kunst, auf ‚Mobilität‘ und ‚Aktivität‘. Das offene Kunstwerk (Opera aperta, 1962) analysiert moderne Kunstwerke, deren endgültige
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Gestalt erst durch den Interpreten realisiert wird; Ecos Paradigmen sind die serielle Musik, die informelle Malerei und das Werk von James Joyce. So bestehen etwa die „neuen Musikwerke“ nicht aus einer abgeschlossenen und definitiven Botschaft, nicht aus einer eindeutig organisierten Form, sondern bieten die Möglichkeit für mehrere, der Initiative des Interpreten anvertraute Organisationsformen; sie präsentieren sich folglich nicht als geschlossene Kunstwerke, die nur in einer einzigen gegebenen Richtung ausgeführt und aufgefaßt werden wollen, sondern als ‚offene‘ Kunstwerke, die vom Interpreten im gleichen Augenblick, indem er sie vermittelt, erst vollendet werden. (Eco 61993 [1962], 28‒29)
Der Emanzipationsdiskurs der 1960er- und 1970er-Jahre findet, anders gesagt, seine programmatische ästhetische Ausformulierung in der Gestaltung von und der Reflexion über Werke, die keine eindeutige und definitive Form besitzen, sondern kombinatorisch immer wieder auf neue Weise konkretisiert werden sollen. Die als ‚Mobile‘ konzipierten Kunstwerke wurden so zum Spiegel einer ‚mobilen‘ Öffentlichkeit, welche sich an der Gestaltung ihrer eigenen Kunst ebenso beteiligte wie an der Gestaltung politischer Strukturen. Zugleich bieten sie laut Eco in ihrer Gestaltungsfähigkeit ein Modell der Welt: Aufgabe der Kunst ist es weniger, die Welt zu erkennen, als Komplemente von ihr hervorzubringen, autonome Formen, die zu den schon existierenden hinzukommen und eigene Gesetze und persönliches Leben offenbaren. Gleichwohl kann jede künstlerische Form mit höchstem Recht wenn nicht als Surrogat der wissenschaftlichen Erkenntnis, so doch als epistemologische Metapher angesehen werden: das will heißen, daß in jeder Epoche die Art, in der die Kunstformen sich strukturieren […], die Art, wie die Wissenschaft oder überhaupt die Kultur dieser Epoche die Realität sieht, widerspiegelt. (Eco 61993 [1962], 46)
‚Offenheit‘ und ‚Mobilität‘ wird teilweise aber auch den bereitgestellten Werk-Teilen selbst zugeschrieben, und damit kommt eine zweite Metaphorik ins Spiel, die dem Formdiskurs immer schon als Komplement zugeordnet war: die des ‚Materials‘ (das in diesem Fall für weitere Verfügungen bereitgestellt wird). Die vom Rezipienten kombinierbaren Teile des ‚Offenen Kunstwerks‘ implizieren als solche eine Aufforderung zum ‚Bauen‘ und ‚Basteln‘ – im Horizont der Architekturmetaphorik beschrieben, ist das Offene Werk ein Bausatz. Die vom Rezipienten realisierte Form ist eine unter vielen möglichen. Aber ‚kombinatorische‘ respektive durch Kombinatorik zu realisierende Texte sind zudem auch als ‚Bausatz‘ nicht völlig ‚formlos‘. Auf der Ebene der Kompositions-Anweisungen kehrt gleichsam die Form zurück ins lite rarische Gebilde. Dort freilich wiederholt sich jene Ironie, die bereits dem Konzept eines ‚verwilderten‘, ‚formlosen‘ Romans inhärent ist: Gebrauchsanleitungen zu kombinierbaren Text-‚Bausteinen‘ geben an, wie sich dieses ‚Material‘ in ‚Form‘ bringen lässt; sie können dabei entweder buchstäblich gemeint sein (und bedeu-
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ten dann tatsächlich, dass der Bausatz als solcher schon ‚Form‘ annimmt, genauer gesagt: eine zwar sehr große, prinzipiell aber endliche Zahl möglicher Formen). Oder aber sie sind ironisch gemeint – als Spielregeln, gegen die man auch verstoßen kann und die damit jede Tendenz zur Konstitution fester Formen konterkarieren.
Imaginäre Romane, imaginierte Formen: Die Romanform als Metonymie des Imaginären Eine andere, auf eigene Weise radikale Konsequenz aus den Vorbehalten der Moderne gegenüber endgültigen Formen besteht darin, mögliche Romane zu skizzieren, statt wirkliche Romane zu schreiben. Denn so wird ja auch die Form zur bloßen Möglichkeit und unterliegt nicht mehr dem – metaphorisch induzierten – Verdacht, als Hülle oder Gefäß zum Gefängnis oder zur Fessel zu werden. Italo Calvino integriert in seinem Meta-Roman Wenn ein Reisender in einer Winternacht eine Serie von Romananfängen in eine Rahmengeschichte, die vom Abbrechen der Romane bzw. der Lektüren handelt; die Fortsetzungen der Romananfänge werden ins Imaginäre verlagert, und am Ende des Winternachtromans verständigen sich diverse Leser darüber, dass ihnen vor allem die Lektüre imaginärer Texte Vergnügen bereitet (vgl. Calvino 1986 [1979]). – Marcel Bénabou verfasst einen ausführlichen Bericht über Werke, die er nicht geschrieben hat, die also keine Gestalt und damit auch keine Form angenommen haben (vgl. Benabou 1990). Auch Roland Barthes vollzieht eine – wenngleich auf andere Art metaisierende – Verschiebung des Romans ins Imaginäre. Sein (posthum publizierter) Kurs Die Vorbereitung des Romans (Vorlesungen am Collège de France 1978–1979 und 1979–1980) spricht ‚nur‘ von einem Roman-Projekt. Es gehe, so Barthes, „hier um das Schreibenwollen eines Romans“; die zunächst erwähnte „phantasierte Form“ sei der Roman. Phantasiert werde – so Barthes später unter dem Titel Das Werk als phantasierte Form – zumindest von ihm selbst eine Form, kein Inhalt. Diese Form sei weder Struktur noch Stil, sondern „der Rhythmus der Einteilung des Ablaufs (des Bandes), das heißt die Form, die über Kontinuum/Diskontinuität entscheidet“. Als „zwei phantasierte Formen“ erörtert Barthes dann „das Buch“ und „das Album“ (Barthes 2008 [1978–1980], 277, 279, 284). Er schreibe also, so Barthes, keinen Roman; es gehe ihm um die „Phantasie des Romans“, die er allerdings so weit treiben wolle, bis sich das Begehren nach dem Roman verliere oder aber das Schreiben beginne – und ein wirklicher Roman an die Stelle des phantasierten trete (44). Die stimulierenden Effekte von ‚Formen‘, bezogen auf noch nicht realisierte Texte, wird in Barthes’ Kurs explizit betont; dabei kommen (einmal mehr) signifikante Metaphern und Vergleiche zum Einsatz:
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Insofern die Vision einer FORM, die Verlockung einer FORM, der Appetit auf eine FORM den Anstoß zur Anfertigung eines Werkes gibt – Form ähnelt hier stark einer FORMEL: der Formel eines Medikaments, einer Konstruktion, einer magischen Handlung –, weist sie dem, der schreiben will, einen Weg, löst sie seine Fesseln, setzt ihn frei. (Barthes 2008 [1978–1980], 44)
Der Roman als ‚Labyrinth‘: Implikationen einer polyvalenten Metapher für Formdiskurse und literarische Formspiele Neben der Konzeptualisierung des Textes als ‚Bausatz‘, der die Entscheidung über eine konkrete Form dem Leser überträgt, ist noch eine zweite Architekturmetapher für Poetik und Literatur der Moderne folgenreich: die des Labyrinths. Das Labyrinth in seinen differenten Spielformen kann insbesondere als eine Lieblingsmetapher der Postmoderne gelten. Wie u. a. Umberto Eco klarstellt, gibt es verschiedene Labyrinthtypen, die unter formtheoretischen Aspekten unter schiedliche Akzentuierungsoptionen bieten: Das Einweg-Labyrinth ist eine feststehende Form, die dem Rezipienten einen richtigen Weg anbietet; es kommt also nur darauf an, seine Form nachzuvollziehen. Der Irrgarten bietet eine Fülle von Wegen an, von denen in der Regel nur einer der richtige ist; hier muss sich der Rezipient in einem komplex strukturierten Raum orientieren und für sich selbst eine angemessene Bewegungsform finden. Das Rhizom ist ein Netzwerk möglicher Wege – und als solches zwar vorstrukturiert, aber offen für alternative Realisierungsoptionen. Imaginationen des Romans als ‚Labyrinth‘ und Versuche, ‚labyrinthische‘ Romane zu realisieren, bilden besonders interessante Beiträge zum Formdiskurs der Moderne und Postmoderne. Dies illustrieren vor allem die imaginären literarischen Projekte, die Jorge Luis Borges als Erzähler entwirft und imaginären Autoren zuschreibt. Zum Oeuvre des fiktiven Schriftstellers Herbert Quain gehören Texte, die sich in Alternativen verzweigen, teilweise über mehrere Stufen, und bei denen es insbesondere zu Kreuzungen zwischen unterschiedlichen Ebenen der intradiegetischen Wirklichkeit kommt. Der in einer anderen Erzählung beschriebene Roman Der Garten der Pfade, die sich verzweigen besteht aus unüberschaubar vielen Parallelgeschichten, welche sich zudem verzweigen und kreuzen – aus einem labyrinthischen Geflecht von Teilgeschichten, welche als dynamische Teile einer sich endlos in Alternativen ausdifferenzierenden ‚Geschichte‘ ihrerseits Modell für die Unfasslichkeit und Nichtbeherrschbarkeit dessen sind, was sie modellieren: die Zeit (vgl. Borges 1941). Von den borgesianischen Formphantasien, die in seinen Texten mit erzählerischen Formexperimenten verbunden sind, sind vielfältige Impulse auf die
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jüngere Romanliteratur ausgegangen. Autoren von Romanen aus losen, beliebig oder doch nach verschiedenen formalen Regeln kombinierbaren Teilerzählungen arbeiten u. a. an der Konkretisierung der Vision eines sich endlos verzweigenden Romans (vgl. etwa Bryan Stanley Johnson, The Unfortunates, 1969; Aka Morchiladze, Santa Esperanza, 2004; Francis Nenik, XO, 2012). Als Komplemente der (nur) vordergründigen Formlosigkeit solcher Texte fungieren dabei in manchen interessanten Fällen u. a. Kombinations- und andere Spielregeln, in denen sich ein dynamisiertes Formkonzept konkretisiert. Die fraglichen Romane lassen sich gerade hinsichtlich ihres Umgangs mit dem Konzept ‚Form‘ teilweise als literarische ‚Metaisierungen‘ beschreiben – zumal da es vielfach auch explizit um die Produktion oder Rezeption von Texten geht. Labyrinthisch können sich Romane in verschiedener Weise und auf verschiedenen Ebenen gestalten: Der Text kann die Form des Labyrinths aus Sackgassen annehmen, indem seine Bauelemente, wie bei Calvino, wiederholt ostentativ abbrechen; er kann so angelegt sein, dass er dem Leser ein Hin- und Her-Blättern ansinnt, wie manche Lexikon-Romane oder Cortazars Rayuela; er kann optisch als Labyrinth (aus nicht linear verlaufenden Schriftzeilen) gestaltet sein und insofern beim Lesen zu ständigen Richtungswechseln zwingen, wie Raymond Federmans Double or Nothing; er kann aus verschiedenen, nicht klar hierarchisierten Textebenen (etwa Haupttext und Pseudo-Nebentext) bestehen, wie Mark Z. Danielewskis House of Leaves, und er kann an einen Buchkörper gebunden sein, der durch spezifische Bearbeitungsverfahren (Einschnitte, Löcher, Faltungen) eine labyrinthische Form annimmt, wie Raymond Queneaus klassische Sonettmaschine Cent mille milliards de poèmes oder Jonathan Safran Foers Tree of Codes. – Die dem Konzept des ‚Offenen Kunstwerks‘ affine Realisierung eines ‚Buch-Mobiles‘ besitzt ebenfalls labyrinthische Dimensionen (so etwa Michel Butors Mobile). Im ‚mobilen‘, aus Einzelbausteinen bestehenden Roman und im LabyrinthRoman wird die Form auf evidente Weise zur Metapher – respektive: die Form des Romans trägt hier ostentativ ihre Metaphorizität zur Schau. Mobilisiert werden durch die formale Gestaltung der Texte die vielfältigen, teils spannungsvollen Konnotationen, die sich mit den Konzepten der ‚Mobilität‘ und des ‚Labyrinthischen‘ verbinden: so, bezogen auf ‚Mobile‘-Bücher, die Vorstellung von Dynamik im Spannungsfeld zwischen gezielter Suche und Ziellosigkeit; bezogen auf das Labyrinth zudem die Idee der Desorientierung und der Verrätselung, aber auch die einer komplexen ästhetischen Erfahrung. Labyrinthe sind ja nicht nur Inbegriff von Gefängnissen und Geheimnisorten, sondern seit der Antike auch Inbegriff des artifiziell gestalteten, ‚dädalische‘ Kunstfertigkeit bezeigenden Werks (vgl. Schmitz-Emans 2000).
Begriffsgeschichten der Form: Ein metaphorologischer Einsatz
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Experimente mit und Diskurse über die Formenoptionen des Romans bleiben – wie sich bilanzieren lässt – bis zur Gegenwart maßgebliche Beiträge zur Konzeptgeschichte der ‚Form‘ – und zu ihrer Metapherngeschichte: Insbesondere das Labyrinth, seit der Antike Chiffre des Artefakts wie auch eines Raumes, dessen Form zu erkunden und nachzuvollziehen initiatorische, ja lebensrettende Effekte haben kann, wird in der jüngeren Literatur zum Sinnbild einer Komplexität, die sich nicht mehr als solche – zumindest nicht simultan – erfassen und darstellerisch in eine feste Text-Form umsetzen lässt. Erscheint das Labyrinth einerseits als Metapher der ‚Unordnung‘, so wird es andererseits zum Inbegriff eines „Zuviel an Ordnung“: „Ein Labyrinth ist kein Chaos. Im Gegenteil: ein Labyrinth ist ein Zuviel an Ordnung. […] [I]nsbesondere selbstproliferierende Ordnungen gewinnen schnell diesen Charakter.“ (Röttgers 2000, 34). So wandelt sich das Labyrinth nicht zufällig zum Lieblingstopos einer Romanpoetik, deren Akzent auf FormFragen liegt, die dabei aber ihre Auseinandersetzung vorzugsweise im Feld der Metaphern und Modelle führt.
Weiterführende Literatur Burdorf, Dieter. Poetik der Form. Eine Begriffs- und Problemgeschichte. Stuttgart und Weimar 2001. Eco, Umberto. Das offene Kunstwerk. Übersetzt von Günter Memmert. 6. Aufl. Frankfurt am Main 1993 [1962]. Kayser, Wolfgang. Das sprachliche Kunstwerk. Eine Einführung in die Literaturwissenschaft. 20. Aufl. Tübingen und Basel 1992 [1948]. Koschorke, Albrecht. Wahrheit und Erfindung. Grundzüge einer Allgemeinen Erzähltheorie. Frankfurt am Main 2012. Schildknecht, Christiane. „Form“. Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. 3 Bde. Bd. 1. Berlin und New York 2007: 612–615. Städtke, Klaus. „Form“. Ästhetische Grundbegriffe. Hrsg. von Karlheinz Barck et al. Bd. 2. Stuttgart und Weimar 2001: 462–494. Zymner, Rüdiger. Gattungstheorie. Probleme und Positionen der Literaturwissenschaft. Paderborn 2003.
Werner Michler
II.1.2 Gattungsgeschichten der Form: Aspekte eines prekären Verhältnisses 1 Der Gattungsbegriff Mit den Begriffen ‚Gattung‘ und ‚Form‘ verbinden sich Schwierigkeiten: systematische, logische, historische, kulturelle; es handelt sich um Begriffe von Alltagssprache, Philosophie, logischer Fachsprache und literaturwissenschaftlicher Beschreibungssprache zugleich. Als ästhetische Kategorien stehen sie in einem unklaren Verhältnis zueinander: Sieht man Gattungen als besonders instituierte und geregelte Arten von Formen an, dann bildet Form den Ober-, Gattung den Unterbegriff. Kehrt man hingegen das Inklusionsverhältnis um und denkt Gattungen als die inklusivere Kategorie – eine literarische oder künstlerische Gattung wäre dann etwa durch formale und durch inhaltliche features, ‚Merkmale‘ gekennzeichnet, oder durch ‚Form und Inhalt‘ –, dann wird Form zum Unter-, Gattung hingegen zum Oberbegriff. (Manchmal heißt, was mit ‚Gattung‘ gemeint ist, aber auch einfach ‚Form‘.) Für beide Möglichkeiten hat man historisch und systematisch gute Beispiele, sie sind, trennscharfe Definitionen vorausgesetzt, gleichermaßen legitim; eine systematische Literaturwissenschaft kann sich mit der Ausgestaltung dieses Verhältnisses befassen. Nur eine historische und kontextuelle Rekonstruktion kann hingegen die Einsätze sichtbar machen, die mit Form und Gattung verbunden waren und die Begriffe so mit semantischen Energien angereichert haben, dass mit ihnen nicht nur ästhetische, sondern auch politische und kulturelle Fragen gestellt (und beantwortet) werden konnten (zur Gattungspoetik und Gattungstheorie vgl. Zymner 2010; zur neueren internationalen Theoriebildung Keckeis und Michler 2020, zur Geschichte der Formkategorie in der neueren deutschsprachigen Literatur Burdorf 2001). Beide Kategorien waren oder sind contested concepts, in der Theoriegeschichte umstritten, hinsichtlich ihres Gehalts, ihrer Reichweite, ihrer Stellung im Ensemble der literaturtheoretischen Begriffe oder ihrer historischen oder (kultur-, manchmal sozio-)politischen Implikationen. ‚Formalismus‘ etwa fungiert im zwanzigsten Jahrhundert sowohl als neutrale oder positive Selbstbeschreibung theoretischer Positionen (wenn auch in polemischer Abgrenzung gegen Vorgänger oder Konkurrenten im akademischen Feld) wie auch als Vorwurf der Einseitigkeit (wie in der marxistischen ‚Formalismusdebatte‘ um den Russischen Formalismus in den 1920er- und 1930er-Jahren). https://doi.org/10.1515/9783110364385-003
Gattungsgeschichten der Form: Aspekte eines prekären Verhältnisses
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Überhaupt dürfte es die Kategorie ‚Form‘ charakterisieren, dass sie – anders als die ‚Gattung‘, der nur die Singularität gegenübersteht – ohne ihre Antonyme nicht konturiert und formuliert werden kann. Form ist Form, weil sie nicht ‚Inhalt‘, ‚Materie‘ oder ‚Gehalt‘ ist. „Form“, heißt es in den Ästhetischen Grundbegriffen, „steht in einer unaufhebbaren Relation zu ‚Materie‘‚ ‚Material‘, ‚Stoff‘, d. h. zu einem Nicht-Geformten (bzw. Formlosen), und andererseits zu ‚Zweck‘, ‚Inhalt‘, ‚Bedeutung‘, ‚Idee‘, d. h. zu einem Geistigen, das die Formung verursacht, durch sie zur Existenz gebracht und durch die gestaltete (materialisierte) Form repräsentiert wird“ (Städtke 2001, 463‒464). In seiner Rezension der Gedichte von Johann Heinrich Voß schreibt Goethe 1804 von einem „entschiedenen“ „Sieg der Form über den Stoff“, Voß’ „gefaßte Sprache“ erhebe sich „von der Prosa weg unmerklich in die höheren Regionen“ (Goethe 1901 [1804], 281, 279). Sofern zur Definition von ‚Gattung‘ ‚Form‘ gehört – der Vers zum Epos, das Reimschema zum Sonett, narrative Organisation und ein spezifisches Plotmodell zum Bildungsroman oder das schlimme Ende zur Tragödie –, bietet sich als Möglichkeit zur Definition von ‚Gattung‘ die Kombination von „Form“ und einem ihrer Antonyme an. ‚Gattung‘ wäre also in dieser Hinsicht zu bestimmen als (je spezifische) Form-Inhalt- oder ‚Gestalt-Gehalt‘-Konfiguration. Eine der differenziertesten Formulierungen dieser Ansicht findet sich bei Peter Szondi. Sie setzt den langen Weg der Hegel’schen Ästhetik in die Moderne fort. Szondi beginnt seine wirkungsmächtige Theorie des modernen Dramas (1880–1950) von 1956 mit der Nachfrage, was es eigentlich mit dem seit Aristoteles allgegenwärtigen Verdikt gegen „das Auftreten epischer Züge“ im Drama auf sich habe. Für Szondi liegt das an der Dominanz von „Form“; die traditionelle Bestimmung des Dramatischen sei eine „besondere Formkonzeption, die weder Geschichte noch Dialektik von Form und Inhalt kennt“ (Szondi 151981 [1956], 9). Aufgehoben sei diese traditionelle undialektische Position in Hegels Historisierung des Formbegriffes, basierend auf der These vom restlosen Umschlag von Form in Inhalt und von Inhalt in Form im ‚wahrhaften Kunstwerk‘, „das absolute Verhältnis des Inhalts und der Form, […] das Umschlagen derselben in einander, so daß der Inhalt nichts ist, als das Umschlagen der Form in Inhalt, und die Form nichts als das Umschlagen des Inhalts in Form“ (Hegel 1986 [1817]). Mit dieser Position sei die „Historisierung des Formbegriffs“ und damit „letztlich die Historisierung der Gattungspoetik selbst“ erreicht (Szondi 151981 [1956], 10), eine Entwicklung, deren Rekonstruktion Szondi seine wichtigen Vorlesungen Poetik und Geschichtsphilosophie gewidmet hat (vgl. Szondi 1974a; 1974b). Die Historisierung der Formkomponente führt also zur Historisierung der Gattungspoetik: In Georg Lukács’ Theorie des Romans (1916), Walter Benjamins Ursprung des deutschen Trauerspiels (1928) und Theodor W. Adornos Philosophie der neuen Musik (1949) sei in der Nachfolge Hegels diese historische Ästhetik entworfen worden.
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Konzeptgeschichten der Form
Über diesen Kalkulationen mit der Form-Inhalt-Antonymie soll, und das ist einer der Leitfäden der folgenden Darstellung, eine weitere Komplikation des Verhältnisses von Form und Gattung nicht vergessen werden. Wenn das Gattungs problem den entscheidenden Anstoß zur Historisierung des poetologischen Denkens gegeben hat und die Form-Inhalt-Dialektik die avancierteste Form ist, in der die ästhetische Moderne das Problem zu denken vermocht hat, muss ein Stück weit die Genealogie des Problems verfolgt werden. Dann zeigt sich rasch, dass der Formbegriff seine unleugbare Karriere seit dem achtzehnten Jahrhundert nicht zuletzt auf Kosten des Gattungsbegriffs erreicht hat. Wenn es einmal bei Raymond Williams heißt: „In the most substantial literary theory of the last two centuries, genre has in practice been replaced by form“ (Williams 1977, 186, Hervorh. W. M.), dann lässt sich absehen, dass mit einer Geschichte der Formästhetik, wie sie zuweilen versucht wird, immer nur die halbe Ernte eingefahren wird. Denn wenn dort, wo Gattung war, jetzt Form sein soll, dann muss man fragen, was damit verloren gegangen ist, oder anders, was aus dem Spiel gelassen werden sollte, wenn die Rede von der Form die Rede von der Gattung ersetzt. Wenn es sich nun also – so unsere Eingangsintuition – um ein tatsächliches, historisches Problem und nicht bloß um ein systematisches oder eine Frage der Begriffssprache handelt, dann lässt sich zunächst einmal festhalten, dass Gattungsbegriffe häufig eine ‚formale‘ mit einer ‚inhaltlichen‘ Bestimmung koppeln; das gilt für den Abenteuerroman ebenso wie für das Lehrepos, das Sonett, mit der ‚harten‘ Strukturvorschrift von 14 Verszeilen und der ‚weichen‘ von argumentativ antagonistischen Quartetten und Terzetten, es gilt für die Hymne, das Epigramm und die Tragödie. David Duff charakterisiert eine literarische Gattung als „[a] recurring type or category of text, as defined by structural, thematic and/or functional criteria“ (Duff 2000, xiii). Ähnliche Definitionen von Gattung finden sich in den meisten Enzyklopädien der Literaturwissenschaft (vgl. Pettersson 2006). Wenn dem so ist, dann lässt sich ‚Form‘ als defizienter Modus von Gattung verstehen. Gattung wäre dann nicht ‚Form‘ plus einer zusätzlichen Dimension, sondern Form wäre Gattung minus dem Gesellschaftlichen von Thema und Funktion. ‚Form‘ erscheint an der Stelle von Gattung dann, wenn die sozialen und infrastrukturellen Dimensionen von Literatur (Materialität, Institutionen) ausgeblendet werden, als eine Abstraktion (‚Autonomieästhetik‘, Geniepoetik) – ein emphatischer Formbegriff tritt erst mit einer entsozialisierten und entinstitutionalisierten Kunst auf, ist ein ‚spätes‘ Abstraktionsprodukt. ‚Gattung‘ und ‚Form‘ erscheinen also, erstens, in historischer Perspektive zu angebbaren Zeiten und in erklärbarer Weise als (eigentlich unwahrscheinliche) Antagonisten, sodass zu den theoretisch fassbaren Valeurs (Ober- und Unterbegriff, unterschiedliche Abstraktionshöhe) strategische Einsätze treten, Einsätze wie antagonistische Literaturkonzepte, abweichende Definitionsinteressen und
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Ansprüche auf Nomenklatur durch unterschiedliche Akteure und Akteursgruppen in ihren jeweiligen Handlungsfeldern, insbesondere in emergierenden literarischen Märkten, in der Etablierung, Durchsetzung und Aufrechterhaltung von Kreativitätsdispositiven (vgl. Reckwitz 2012) und Konzepten und Techniken zur Stabilisierung kreativer Produktion. Zudem stehen beide Kategorien, zweitens, in ähnlichen oder denselben semantischen und institutionellen Bezugsnetzen aus Wissensdimensionen (vor allem solchen von Natur- und Gesellschaftswissen und ihren jeweiligen Kategorisierungen) und aus Dimensionen des Sozialen; in der Sprache von 1900 gesagt, sind beide auf die ‚Ordnungen‘ und ‚Formen‘ des ‚Lebens‘ bezogen. Drittens spielen beide daher eine Rolle in der gelebten performativen Verkörperung von Klassifikationen und Ordnungen, also in der „Soziologie der symbolischen Formen“ (Pierre Bourdieu, unter Rekurs auf Erwin Panofsky und andere). Der differentielle Charakter der Ästhetik des Alltags zeigt sich rasch dort, wo Form selbst Einsatz von symbolischen und sozialen Konflikten ist. Ästhetische Form ist als herausgestellte Lebensform, Ästhetisierung, ein dem Bürgerlichen Fremdes. Hartmut Böhme hat einmal für das achtzehnte Jahrhundert formuliert: „Form ist bürgerlichem Bewußtsein allemal Finte, der man erliegt.“ (Böhme 1988, 181). Umgekehrt hat Terry Eagleton bei der Diskussion der Rolle Anthony Ashley Coopers, 3rd Earl of Shaftesbury, in der Geschichte der Ästhetik festgehalten, „the aesthetic“ sei „a bequest from nobility to middle class“, aber: „it is a divided, ambivalent one – a set of key concepts for the new social order, but also the critical tradition which opposes it“ (Eagleton 1990, 6–37). In solcher sozialhistorischen Spannung steht auch der Bezug zwischen Gattung und Form, jedenfalls in Zeiten sozialer Umbrüche, in anderen bleibt er unmarkiert. Es lässt sich annehmen, dass Ambivalenzen dort sichtbar werden, wo Lebensformen mit Kunstformen neu zu vermitteln sind. Die Gattungen sind als Orte von Intertextualität Orte der anderen im Eigenen; sie können nie bloß individuell oder idiosynkratisch sein und stehen mit Kunstwerken, die auf Basis von Werkindividualität konzipiert sind, in einem problematischen Verhältnis. Sie gelten deshalb in kritischer Perspektive als Medien der Einhegungen, der Traditionalität, der Regeln, des bloß Äußerlichen; es gibt seit der Goethezeit einen verbreiteten Affekt gegen Gattungen überhaupt, wogegen ein Affekt, der gegen ‚Form‘ schlechthin gerichtet wäre, wenig plausibel ist (im Unterschied zu einem Affekt gegen je bestimmte einzelne ästhetische Formen oder Formkalküle). Gattungskritik oder -skepsis bildet jedoch nachgerade die Geschäftsgrundlage moderner Autorenpoetik und von Teilen gegenwärtiger Literaturtheorie. Seit der Romantik hat es die Gattungspoetik mit Widerstand manchmal gegen das Postulat der Reinheit der Gattungen, manchmal gegen die Gattungskategorie selbst zu tun, historisch kehren diese Affekte in unterschiedlichen Bezügen wieder, die romantische Gattungsskepsis etwa in der Dekonstruktion von Gattung bei Jacques
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Derrida, einem späten und originellen Erben frühromantischer Konzeptionen. Es war der Autonomieästhetik des späten achtzehnten Jahrhunderts, die sich seither dominant als Formästhetik begreift, gerade darum zu tun, mit dem Einsatz des Formbegriffs den Gattungsbegriff, sofern er pragmatisch bestimmt war, zu tilgen. Formästhetik wäre dann gegen eine Poetik gerichtet gewesen, die um den Gattungsbegriff zentriert war. Insofern – und historisch war das der Fall – dieser Gattungsbegriff selbst wieder pragmatisch fundiert war (in ‚Regeln‘, Rhetorik, Sprechakten und ‚extraliterarischen‘ Bezügen auf Sozial- und Naturordnung), ging es dann in der Etablierung einer Formpoetik um die Überwindung oder Tilgung der Gattungspoetik als einer spezifischen Kopplung von ‚Form‘, ‚Inhalt‘ und sozial-pragmatischen Aspekten, also der literarischen Institutionalisierung, die ebenfalls ein wesentlicher Bestandteil von Gattungen ist. Gattungen haben eine andere Stellung in den historischen literarischen Produktionsregimes als ‚Formen‘, weil Gattung in der modernen Literatur immer eine dynamische Produktionskategorie war und das Bewusstsein, dass Form nicht Statik bedeuten muss, erst der jüngeren Zeit angehören dürfte. Gattung ist daher äußerlich, konventionell, gesellschaftlich; Form hingegen hat sich von außen – von ihrer einstmaligen Funktion als manner – nach innen begeben, ist ein ‚inneres Prinzip‘ geworden und sitzt nun in den modernen Werken dort, wo bisher die Gattung situiert war. Dieses ursprüngliche Außen aber blieb der Form noch anzusehen, weshalb es zu einer eigentümlichen Verdopplung gekommen ist (die der Gattungsbegriff nicht erfahren hat): zu einer Spaltung in eine äußere und eine innere Form; diese ‚innere Form‘ galt seit der Goethezeit als das Wahre am Werk (auch in den Sprachen und in anderen Bereichen). Auch wenn Form jetzt Gattung bedeuten, ja als Ersatzbegriff für Gattung fungieren konnte – sei es, dass von der ‚Form Sonett‘, der ‚Form Roman‘, oder der ‚Form Epos‘ die Rede ist; sei es, dass die Struktur einer Menge von Texten bezeichnet wird –, so erfasst Form hier doch immer nur einen Teil, einen Aspekt der Gattungskategorie, womit die eigentliche Leistung des Gattungsbegriffs: zugleich ‚außen‘ und ‚innen‘, Strukturformel, Format, Thema und Systemstelle zu integrieren, dementiert oder wenigstens vereinseitigt wurde.
2 Gattung und Form Die meisten Abrisse des Problems stecken den zeitlichen Rahmen der Frage nach der Form als eines ‚ästhetischen Grundbegriffs‘ mit dem achtzehnten Jahrhundert ab, da die „Kunsttheorien der Antike, des Mittelalters und der frühen Neuzeit […] keinen allgemeinen Kunstbegriff“ entwickelt hätten: „Erst mit der Entstehung des auf ‚Innovation‘ und ‚Originalität‘ abgestellten Systems der Künste im 18. J[ahr-
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hunder]t, deren Produktion man grundsätzlich von anderen Produktionsarten unterscheidet, wird Form in der Kunst zu einem philosophischen Problem und deshalb als ästhetischer Begriff im engeren Sinn gebräuchlich.“ (Städtke 2001, 463). Dieses Diktum soll zur Bestätigung dienen, dass die zweite Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts mit Geniezeit und (Proto-)Romantik eine entscheidende Zäsur in der Geschichte der Form-/Gattungsproblematik bildet. Es ist dann auch diese Epochenzäsur, die die endgültige Trennung von Poetik und Rhetorik und die Verwandlung der Poetik von einem verbindlichen Regelsystem (‚Regelpoetik‘) in eine Beschreibungskategorie einzelner epochaler oder individueller Herangehensweisen an Kunst mit sich bringt. In der alten Poetik auf rhetorischer Grundlage waren alle Gattungs- und/oder Formfragen unmittelbar auf ein Pragma bezogen: die Textproduktion und damit verbunden die Textrezeption und Textanalyse. Aus dieser ‚vormodernen‘ Perspektive erscheint der literarische Text als Handlungsprodukt in Handlungskontexten; die Literatur war nicht bloß ‚Anwendungsgebiet‘ einer vorgängigen Philosophie, sie war Gegenstand einer Pragmatik und nicht einer Ästhetik. (Sich diese ‚vormoderne Sicht‘ gegen die jahrhundertelange Polemik der ‚Moderne‘ zu vergegenwärtigen ist schon deshalb von Bedeutung, als sie in der Gegenwart wieder an Relevanz zu gewinnen scheint.) Die mittelalterliche rhetorische Tradition kennt den – aus der aristotelischen causa formalis hergeleiteten – Begriff der forma tractandi und den der forma tractatus; der erste Begriff bezeichnet „die Form eines Textes, ausgedrückt durch Arten von Gedanken, Bezügen und Wirkungen“; der zweite die „formale Präsentation der Teile des Werkes, die sich aus den verschiedenen Arten der Behandlung des Stoffes ergibt“; die beiden Begriffe selbst ersetzen in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts den älteren Begriff des ‚modus agendi‘ (Kelly 1996, 399‒400). Somit gehört die Form nicht in eine Ontologie und auch nicht in eine Ästhetik, sondern in eine Pragmatik; beiden formae liegt „die Annahme“ zugrunde, „daß sie von den Autoren der Werke, in denen sie gefunden wurden, tatsächlich benutzt wurden“ (Kelly 1996, 402). Die Frühe Neuzeit kennt – wie die Antike und das Mittelalter – die Form-Inhalt-Kopplung als Instanz der systemrhetorischen Unterscheidung von Sachen und Wörtern, von res und verba. Diese Vorläuferkategorien der späteren ästhetischen Begriffe von Inhalt und Form waren für die Rhetorik und eine auf ihr aufruhende Poetik selbstverständlich in einer sozial funktionalen Situation aufeinander bezogen (vgl. Tatarkiewicz 2003, 330‒338; Kelly 1996); ihre unterschiedliche – und differentielle – Beziehbarkeit stand außer Frage (im Unterschied zu späteren Anschauungen, die einen notwendigen ‚inneren‘ Bezug von Stoff und Form vorsahen); über ihre Koordination entschied die Kategorie des Aptum, der Angemessenheit. In Martin Opitz’ Buch von der Deutschen Poeterey heißt es: „WEil die Poesie / wie auch die Rednerkunst / in dinge vnd worte abgetheilet wird; als wollen wir erstlich von erfindung vnd
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eintheilung der dinge / nachmals von der zuebereitung vnd ziehr der worte / vnnd endtlich vom maße der sylben / Verse / reimen / vnnd vnterschiedener art der carminum vnd getichte reden.“ (Opitz 2002 [1624], 26). Erst ist von den „dingen“ zu handeln, dann „folgen […] die worte; wie es der natur auch gemeße ist. Denn es muß ein Mensch jhm erstlich etwas in seinem gemüte fassen / hernach das was er gefast hat außreden.“ (35). Die „worte“ (verba) bestehen, so Opitz, in dreierlei: in Eleganz und ‚Zierlichkeit‘; in der Komposition; und in ‚Dignität‘ und ‚Ansehen‘, also in Stil, Stilhöhe und sozialer Repräsentation. In der rhetorisch-humanistischen Gelehrtenpoetik hat die Gattungslehre, gemäß den Produktionsstadien (partes artis) der Rede in der Systemrhetorik, ihren Ort erst in der dispositio; die elocutio spezifiziert sie dann näher (hier etwa die sog. Dreistillehre). Im Zuge der Verfertigung des Gedichtes kommt die Gattungslehre also bereits bei der Ordnung des invenierten Materials ins Spiel, ein weiteres Mal dann in der elocutio, die die soziale Repräsentation des Textes realisiert: Weil die dinge von denen wir schreiben vnterschieden sind / als gehöret sich auch zue einem jeglichen ein eigener vnnd von den andern vnterschiedener Character oder merckzeichen der worte. Denn wie ein anderer habit einem könige / ein anderer einer priuatperson gebühret / vnd ein Kriegesman so / ein Bawer anders / ein Kauffmann wieder anders hergehen soll: so muß man auch nicht von allen dingen auff einerley weise reden; sondern zue niedrigen sachen schlechte / zue hohen ansehliche / zue mittelmässigen auch mässige vnd weder zue grosse noch zue gemeine worte brauchen. [/] In den niedrigen Poetischen sachen [Gegenständen, res, W.M.] werden schlechte vnnd gemeine leute eingeführet; wie in Comedien vnd Hirtengesprechen. Darumb tichtet man jhnen auch einfaltige vnnd schlechte reden an / die jhnen gemässe sein […]. (43)
Die entscheidenden Positionen der frühneuzeitlichen Poetik bleiben noch lange konstant. Am Ende der Epoche beginnt in Johann Christoph Gottscheds Critischer Dichtkunst (41751 [1730]) die Produktion eines literarischen Textes zwar dann bekanntlich damit, „sich einen lehrreichen moralischen Satz“ zu wählen, „der in dem ganzen Gedichte zum Grunde liegen soll, nach Beschaffenheit der Absichten, die man sich zu erlangen, vorgenommen“. Mit Form/Gattung wird aber immer noch auf dieselbe Weise umgegangen: Hierzu ersinne man sich eine ganz allgemeine Begebenheit, worinn eine Handlung vorkömmt, daran dieser erwählte Lehrsatz sehr augenscheinlich in die Sinne fällt. Z.E. Gesetzt, ich wollte einem jungen Prinzen die Wahrheit beybringen: Ungerechtigkeit und Gewaltthätigkeit wären abscheuliche Laster. Diesen Satz auf eine angenehme Art recht sinnlich und fast handgreiflich zu machen, erdenke ich folgende allgemeine Begebenheit, die sich dazu schicket; indem man daraus die Abscheulichkeit des gedachten Lasters sonnenklar sehen kann. „Es war jemand, wird es heißen, der schwach und unvermögend war, der Gewalt eines Mächtigern zu widerstehen. Dieser lebte still und friedlich; that niemanden zu viel, und war mit dem wenigen vergnügt, was er hatte. Ein Gewaltiger, dessen unersättliche Begierden ihn verwegen und grausam machten, ward dieses kaum gewahr, so griff er den Schwächern
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an, that mit ihm, was er wollte, und erfüllete mit dem Schaden und Untergange desselben, seine gottlose Begierden.“ Dieses ist der erste Entwurf einer poetisch-moralischen Fabel. (Gottsched 41751 [1730], 161)
Diese „Fabel“ (etwa: Plot) wird dann durch die Gattungen dekliniert, die wohl jeweils ihre eigene Stimmigkeit haben, dennoch Varianten dieser Fabel sind: „Nunmehr kömmt es auf mich an, wozu ich diese Erfindung brauchen will; ob ich Lust habe, eine äsopische, komische, tragische, oder epische Fabel daraus zu machen?“ „Alles beruht hierbey auf der Benennung der Personen, die darinn vorkommen sollen“ (162), denn Gattung, Stilhöhe und Personal sind ja in der „Ständeklausel“ koordiniert. Eine Tier‚fabel‘ etwa: „Aesopus wird ihnen thierische Namen geben“ (162); oder eine Komödie: [w]äre ich willens, eine komische Fabel daraus zu machen, so müßte ich sehen, daß ich das Laster der Ungerechtigkeit als ein lächerliches Laster vorstellen könnte. […] Die Personen, müßten hier entweder bürgerlich, oder zum höchsten adelich seyn: denn Helden und Prinzen gehören in die Tragödie (162–163);
oder ein episches Gedicht – dafür benötigt man die epische Fabel, die sich für alle Heldengedichte und Staatsromane schicket. Diese ist das vortrefflichste, was die ganze Poesie zu Stande bringen kann, wenn sie nur auf gehörige Art eingerichtet wird. Ein Dichter wählt also dabey in allen Stücken das beste, was er in seinem Vorrathe hat, ein so großes Werk damit auszuschmücken. Die Handlung muß wichtig seyn, das ist, nicht einzelne Personen, Häuser oder Städte; sondern ganze Länder und Völker betreffen. Die Personen müssen die ansehnlichsten von der Welt, nämlich Könige und Helden und große Staatsleute seyn. Die Fabel muß nicht kurz, sondern lang und weitläuftig werden, und in dieser Absicht mit vielen Zwischenfabeln erweitert seyn. Alles muß darinn groß, seltsam und wunderbar klingen, die Charactere, die Gedanken, die Neigungen, die Affecten und alle Ausdrückungen, das ist, die Sprache oder die Schreibart. Kurz, dieses wird das Meisterstück der ganzen Poesie. Aus dieser Ursache werde ich also meine obige Fabel so einkleiden: „Ein junger Prinz, in welchem eine unersättliche Ehrbegierde brennet […].“ (165)
Durch diese Technik der Übersetzung eines elementaren Plots in verschiedene Gattungen wird die soziomoralische Gestalt der Werke erzeugt. Nicht zufällig wird dieses Transponieren in die Metapher des ‚Einkleidens‘ gefasst, waren doch die ‚standesgemäßen‘ Kleiderordnungen in der Frühen Neuzeit immer schon poetologisch relevant (zu den Kleiderordnungen im Kontext der Poetik vgl. Sinemus 1978, 144–160). Schon an dieser Stelle der Critischen Dichtkunst werden Bestimmungen der Gattungslehre eingeführt bzw. vorweggenommen, die dann – eine so zentrale Kategorie sind hier noch die Gattungen in der Poetik – den gesamten zweiten Hauptteil von Gottscheds poetologischer Hauptschrift einnimmt. Der erste Teil
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behandelt einerseits Themen wie das Wunderbare und die Wahrscheinlichkeit in der Poesie, den Geschmack und den ‚Charakter eines Poeten‘, andererseits Fragen, die man der ‚Form‘ zuordnen könnte: „Von poetischen Worten“, „Von verblümten Redensarten“, „Von den Figuren in der Poesie“, „Von der poetischen Schreibart“, „Von dem Wohlklange der poetischen Schreibart, dem verschiedenen Sylbenmaaße und den Reimen“. Die Gattungslehre, als zweiter Teil ebenfalls etwa 400 Seiten der vierten Auflage der Critischen Dichtkunst von 1751 einnehmend, teilt sich dann in die Behandlung der Gedichte, „die von den Alten erfunden worden“, wie Oden und Lieder, Epen und Satiren, Tragödien und Komödien, Romane und Elegien, und derer, „die in neuern Zeiten erfunden worden“: Madrigalen und Rondeaux, Kantaten, Opern und Singspiele, Schäferspiele, ‚politische Fabeln‘ (vor allem die Utopien), Scherzgedichte und anderes mehr. Den Formbegriff braucht Gottsched nur nebenbei, etwa an folgenden Stellen: Horaz habe „Briefe in Form der Oden“ geschrieben (428); in Opitz’ Lehrgedicht Vesuvius sei „die Form des ganzen Werkes poetisch“ und könne daher „des Beystandes der Musen nicht entbehren“ (579). In der zweiten Auflage (1737) war von einer ‚äußerlichen Form‘ die Rede: Die „Lobschriften“ der Barockdichter „sind nicht dem Inhalte, sondern nur der äusserlichen Form nach poetisch: Es wäre denn, daß sie auch in eine Fabel eingekleidet wären, oder hie und da durch poetische Zierrathe sehr ausstaffiret würden.“ (²1737, 615). ‚Äußerlich‘ wird zusammen mit „Gestalt“ und „Schreibart“ verwendet („Elegien, dem Namen und Inhalte, aber nicht der äußerlichen Gestalt nach“, 41751, 658–659, vgl. auch 662); Aristoteles habe den Lehrgedichten (Empedokles) „den Namen der Gedichte“ abgesprochen, „weil sie nämlich keine Nachahmungen oder Fabeln sind; ob sie gleich das äußerliche Ansehen der poetischen Schreibart beybehalten haben“ (41751, 85). „Kinder und Unwissende bleiben am äußerlichen kleben, und sehen auch eine scandirte und gereimte Prose für ein Gedicht, und jeglichen elenden Versmacher für einen Poeten an: Kenner aber halten es mit dem Horaz“ (41751, 93). Anlässlich des Musenanrufs – im Kapitel vom „Wunderbaren in der Poesie“ – unterscheidet er beiläufig äußere Form und Materie: Man kann an allen Gedichten die Forme von der Materie, oder die äußere Gestalt von dem Inhalte unterscheiden, und dabey verschiedene Fehler anmerken, die von den Poeten begangen worden. Der Forme nach ist ein Gedichte entweder groß, oder klein; entweder episch, oder dramatisch; entweder in erhabener Schreibart abgefaßt, oder in einer niedrigen und gemeinen Art des Ausdruckes geschrieben“ (173),
um dann das Passende vom Unpassenden zu unterscheiden: „Da wird es nun leicht zu begreifen seyn, daß ein Poet wohl in großen, epischen und erhabenen: aber nicht in kleinen, dramatischen und niedrigen Gedichten die Musen anrufen müsse.“ (173).
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3 Innere Form Unter dem Lemma „Geschmack“ schreibt Goethe 1805 in den Noten zu seiner Übersetzung von Diderots Le Neveu de Rameau längst von einem anderen Paradigma aus, nämlich von den Verhältnissen im Frankreich des âge classique und von der Gattungsordnung der Ständegesellschaft in ihrer systematisiert-rationalistischen Variante. Jene „Verstandescultur“, so Goethe, habe sich immerfort bemüht, alle Dicht- und Sprecharten genau zu sondern, und zwar so, daß man nicht etwa von der Form, sondern vom Stoff ausging, und gewisse Vorstellungen, Gedanken, Ausdrucksweisen, Worte aus der Tragödie, der Komödie, der Ode, mit welcher letztern Dicht art sie deßhalb auch nie fertig werden konnten, hinauswies und andre dafür, als besonders geeignet, in jeden besondern Kreis aufnahm und für ihn bestimmte. [/] Man behandelte die verschiedenen Dichtungsarten wie verschiedene Societäten, in denen auch ein besonderes Betragen schicklich ist. Anders benehmen sich Männer, wenn sie allein unter sich, anders, wenn sie mit Frauen zusammen sind, und wieder anders wird sich dieselbe Gesellschaft betragen, wenn ein Vornehmerer unter sie tritt, dem sie Ehrfurcht zu bezeigen Ursache haben. (Goethe 1900 [1805], 174)
Tatsächlich ist das ‚Sozietäre‘, die soziale Bindung der ‚Form‘ – die sprachlichen und stilistischen sowie die vers- und erzähltechnischen Charakteristika poetischer Rede – an die Gattung und der Gattung an das ständische System das zentrale Charakteristikum der frühneuzeitlichen Poetik. Die Lockerung, wo nicht die Auflösung dieser Bindungen kennzeichnet die Folgeepoche bis heute. Seit dem späten siebzehnten Jahrhundert lässt sich dabei das langsame Auftauchen eines Begriffs von Form beobachten, der nicht mehr aus dem aristotelischen, sondern aus dem platonischen Register stammt. Im Manierismus zeichnet sich – zuerst noch unter aristotelischen Vorzeichen – die Figur einer Vorstellung von Form ab, die primär weder sozial noch funktional gedeckt ist und die dann im Neuplatonismus als Ideenlehre einen sehr haltbaren Komplex bilden wird. Der Kunsttheoretiker Federico Zuccari entwickelt Anfang des siebzehnten Jahrhunderts das Konzept eines disegno interno oder einer idea im Geist des Künstlers, dem als Realisierung in der Welt ein disegno esterno gegenübersteht. Von der aristotelischen causa formalis gleitet das Konzept im Florentiner Neuplatonimus bei Marsilio Ficino und anderen in die platonische Theorie hinüber (vgl. Panofsky 71993 [1924], 38–56). Das Inbild wird an die platonische Schönheitsmetaphysik angeschlossen und bildet zusammen mit Motiven wie dem poetischen Furor ein stabiles Bündel von Konzepten und Selbstbildern vom Künstler als alter deus ( Scaliger), in das in der Goethezeit die Vorstellung von der ‚Inneren Form‘ einrücken kann. Dies hat auch produktionsästhetische Konsequenzen, denn mit der ‚inneren Form‘ „verliert der Dichter als ‚Macher‘ seine herrschende
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Stellung gegenüber der Natur und der F[orm]-Begriff seine bisherige Bedeutung. Der Dichter setzt nicht mehr die Regeln, sondern ist nur Durchgang für die ‚erste Schönheit‘.“ (Schröder 21958, 469). Der Künstler arbeitet hier als Schöpfer nicht mimetisch zur Erfahrungswelt, sondern in einem Schaffensprozess, der dem Schaffen in der Erfahrungswelt parallel läuft – er ist Glied in der kosmischen Kette der Korrespondenzen (vgl. Hocke 1983 [1957]; Roeck 2013). Dieser Übergang ist zugleich ein Übergang von einer Pragmatik in eine Ontologie, nämlich die platonisch-neuplatonische; sie ist ein Übergang vom Machen zum Sein. Diesem Prozess entspricht in den Philologien der Übergang des literarischen Textes vom Schreiberprodukt zum Leserobjekt (Klaus Weimar). Der englische Theoretiker Shaftesbury gibt mit seinem Wort von der inward form einer Epoche das Stichwort und verdoppelt den Formbegriff in eine ‚innere‘ und eine ‚äußere‘ Form (vgl. Schwinger 1934; Burdorf 2001, 53–73; Jordan 1997). An einer nicht sehr auffälligen Stelle einer Abhandlung zur Malerei A Notion of the Historical Draught or Tablature of the Judgment of Hercules, an der es um allegorische Repräsentation geht, heißt es: From all these Circumstances of History, and Action, accompanying this important Figure, the difficulty of the Design will sufficiently appear, to those who carry their Judgment beyond the mere Form, and are able to consider the Character of the Passion to which it is subjected. For where a real Character is mark’d, and the inward Form peculiarly describ’d, ’tis necessary the outward shou’d give place. (Shaftesbury 1714, 367)
Die neuplatonische Auffassung vom Dichter als dem inspirierten Agenten eines Höheren stimmt dabei zusammen mit der Entwicklung der Selbstbilder der Akteure in den künstlerischen Feldern und ihren Ansprüchen auf künstlerische ‚Autonomie‘. Das geht zu Lasten der Gattungskategorie und bildet den eigentlichen Einsatzpunkt der Ersetzung von Gattung durch Form. Die alte Humanistenpoetik, seit dem fünfzehnten Jahrhundert in ihrem Kernbereich weitgehend stabil, war ein wesentlicher Teil nicht nur der ständischen Praxis der Gelehrten, sondern auch ihres ständischen Selbstverständnisses. Nun wird sie von einer selbstverständlichen Dichtungslehre in ein entfremdetes Normenkorsett umgedeutet; die Regeln, die aus ihr erwachsen, werden zum stahlharten Gehäuse und rücken – etwa aus der Perspektive eines Manifests des Sturm und Drang wie der Rede Goethes Zum Schäkespears Tag von 1771 – auf die ‚französische‘ Seite, der die ‚Natur‘ von Shakespeares Menschen gegenüber gestellt wird. An die Stelle des „[K]erckermäsig[en]“ des „regelmäsigen Theater[s]“ (Goethe 1896b [1771], 131) tritt wenige Jahre später ein unverfügbarer ‚innerer Punkt‘. In dem Aufsatz Aus Goethes Brieftasche von 1775, einem Annex zu einer Übersetzung von Merciers Theatertheorie, stellt sich Goethe die Frage, ob ein Sujet eher zur narrativen oder zur theatralischen, zur romanhaften oder zur dramatischen
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Realisierung neige – eine Frage, die etwa in Gottscheds Critischer Dichtkunst ganz ungereimt gewesen wäre. Bei Goethe hingegen heißt es: „Es ist endlich einmal Zeit, daß man aufgehöret hat, über die Form dramatischer Stücke zu reden, über ihre Länge und Kürze, ihre Einheiten, ihren Anfang, ihr Mittel und Ende, und wie das Zeug alle hieß.“ (Goethe 1896a [1775], 313). Diese ‚Form‘ des Dramas ist also die Gattungslehre der Regelpoetiken, die sich mit Hingabe genau solchen Fragen gewidmet hat. Sie wird zur bloßen äußeren Form, sobald ihr eine zweite, ‚innere‘ Form hinzugefügt wird. Es existiert dann eine zweite ‚Form‘, die es offenbar als ein Objektives ‚gibt‘, die „gefühlt“ sein will, also vom Gefühl zwar erkannt, aber nicht selbst hervorgebracht wird: Deßwegen giebt’s doch eine Form, die sich von jener unterscheidet wie der innere Sinn vom äußern, die nicht mit Händen gegriffen, die gefühlt sein will. Unser Kopf muß übersehen, was ein andrer Kopf fassen kann; unser Herz muß empfinden, was ein andres füllen mag. Das Zusammenwerfen der Regeln gibt keine Ungebundenheit, und wenn ja das Beispiel gefährlich sein sollte, so ist’s doch im Grunde besser, ein verworrnes Stück machen, als ein kaltes. [/] Freilich wenn mehrere das Gefühl dieser innern Form hätten, die alle Formen in sich begreift, würden wir weniger verschobne Geburten des Geists aneklen. Man würde sich nicht einfallen lassen, jede tragische Begebenheit zum Drama zu strecken, nicht jeden Roman zum Schauspiel zerstücklen! Ich wollte, daß ein guter Kopf dieß doppelte Unwesen parodirte, und etwa die Äsopische Fabel vom Wolf und Lamme zum Trauerspiel in fünf Acten umarbeitete. (Goethe 1896a [1775], 313‒314)
Eine Geschichte der Form beginnt hier, wo innere (und damit auch äußere) Formsicherheit als das Geheimnis der Gattungswahl exponiert wird, ein Bewusstsein, aus dessen Selbst-Sicherheit das Problem der Gattungs-Form sich löst. Form wird hier am Schnittpunkt mehrerer disziplinärer und diskursiver Linien lokalisiert. Zur Genealogie der ‚Inneren Form‘ wird seit der Jahrhundertwende, ebenfalls eine Epoche verdichteter Formreflexion, die von Oskar Walzel exponierte Traditionslinie von Plotin über die Schule von Cambridge und Shaftesbury angeführt (vgl. Walzel 1906). Daneben gibt es Linien in die Alchemie, in die hermetische Naturphilosophie, insbesondere in die jener Kreise, in denen sich Goethe bewegte und denen er die Kur einer Todeskrankheit zu danken meinte; schon die manieristischen Theoretiker Lomazzo und Zuccari hatten sich im Umkreis der rudolfinischen Pansophie bewegt (vgl. Evans 1980). Schließlich lassen sich Linien zur Naturgeschichte Buffons – zum moule intérieur, der inneren Model, dem generativen Kern im Innern des Organismus –, oder auch zu der in der Goethezeit wichtigen Typus-Idee aufweisen (etwa bei Herder und Wilhelm von Humboldt; vgl. Michler 2015, 119‒161, 208‒224). Die dichte interdiskursive Abstützung des Konzepts verweist einerseits auf die hohe Belastung, die einem postkonventionellen und postsozialen Dichten auferlegt ist und sich durch Philosophie, Esoterik und Natur legitimiert sehen will. In Friedrich Schillers ästhetischen Schriften wird der
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Entkonventionalisierungsprozess der Gattungen durch ihre Modalisierung vorangetrieben, nicht die Idylle, sondern das Idyllische, nicht die Tragödie, sondern das Tragische wird ins Zentrum gestellt. Friedrich Schlegels Idee von der progressiven Universalpoesie (116. Athenäums-Fragment) soll „alle getrennte Gattungen der Poesie wieder […] vereinigen und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung […] setzen. Sie will, und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig, und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen […].“ (Schlegel 1967a [1798], 182). Die Dichotomie einer äußeren und einer inneren Form erscheint um 1800 noch in einer weiteren Variante, wieder unter Rekurs auf „Natur“ und die angeführten Konzepte. In seinen dramaturgischen Vorlesungen kommt August Wilhelm Schlegel anlässlich der Diskussion der querelle des anciens et des modernes sowie der Individualität der modernen (‚romantischen‘) Poesie auf den Formbegriff zu sprechen: Formlos zu seyn, darf also den Werken des Genius auf keine Weise gestattet werden, allein es hat damit auch keine Gefahr. Um dem Vorwurfe der Formlosigkeit zu begegnen, verständige man sich nur über den Begriff der Form, der von den Meisten, namentlich von jenen Kunstrichtern, welche vor allem auf steife Regelmäßigkeit dringen, nur mechanisch, und nicht, wie er sollte, organisch gefaßt wird. Mechanisch ist die Form, wenn sie durch äußre Einwirkung irgend einem Stoffe blos als zufällige Zuthat, ohne Beziehung auf dessen Beschaffenheit ertheilt wird […]. Die organische Form hingegen ist eingebohren, sie bildet von innen heraus, und erreicht ihre Bestimmtheit zugleich mit der vollständigen Entwickelung des Keimes. […] Auch in der schönen Kunst wie im Gebiete der Natur, der höchsten Künstlerin, sind alle ächten Formen organisch, d. h. durch den Gehalt des Kunstwerkes bestimmt. Mit Einem Worte, die Form ist nichts andres als ein bedeutsames Aeußres, die sprechende durch keine störenden Zufälligkeiten entstellte Physiognomie jedes Dinges, die von dessen verborgnem Wesen ein wahrhaftes Zeugniß ablegt. (Schlegel 2018 [1809-11], 281).
In Schlegels Version – einer Befestigung des Gegensatzes von antiker und moderner „romantischer“ Poesie – profitiert die Gattungspoetik von der neuen Vorstellung der Formindividualität; auf diese Weise wird erklärt, warum das englische und das spanische Theater – Shakespeare und Calderon – weder Komödien noch Tragödien „im Sinne der Alten“ hervorgebracht hat, sondern „eben romantische Schauspiele“ (ebd.) eigenen Rechtes: der „dichterische Geist“ „muß nach Gesetzen, die aus seinem eignen Wesen herfließen, wirken, wenn seine Kraft nicht ins Leere hinaus verdunsten soll“ (280–281); „[n]iemand soll vor einer Gerichtsbar [k]eit belangt werden, unter die er nicht gehört“ (281), und die „neuen Dicht arten“ können nicht „mit den alten Gattungsnamen belegt, und […] nach deren Begriffe beurtheilt“ (ebd.) werden. Individualisierung und Historisierung der Gattungen bilden den Weg von der normativen Gattungspoetik zur Geschichts-
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philosophie der Gattungen, den Peter Szondi nachgezeichnet hat (vgl. Szondi 1974a; 1974b). Die Alternative Formpoetik vs. Gattungspoetik war also mit Poetiken wie der des Sturm und Drang nicht entschieden. Goethe selbst wendet sich später wieder stärker Gattungskonzepten zu, der Herausstellung von Einzelgattungen durch generische Namen (‚Ballade‘, ‚Novelle‘, ‚Sonett‘) bis zur Idee einer ‚naturgemäßen‘ Gattungsordnung der ‚Naturformen‘ der Poesie in den Noten und Abhandlungen zum West-östlichen Divan von 1819 (zur Geschichte der ‚Gattungstrias‘ Lyrik – Epik – Dramatik vgl. Trappen 2001). Die sehr bekannte Darstellung – Dichtarten und Naturformen der Dichtung – setzt mit einer Aufzählung von Gattungsnamen von der Allegorie bis zur Satire in alphabetischer Ordnung ein, die „bald nach äußeren Kennzeichen, bald nach dem Inhalt, wenige aber einer wesentlichen Form nach benams’t sind“ (Goethe 1888a [1819], 117). Zur Ordnung werden wieder Naturkonzepte herangezogen, wenn auch solche der Klassifikation Linnéschen Typus, schon überwunden geglaubt; aber darf man diese Zeilen nicht auch als das Eingeständnis lesen, dass hier eine Ebene der Werke berührt ist, die mit dem Formmoment allein nicht zu fassen ist und daher einer besonderen Naturalisierung bedarf? Es gebe „nur drei echte Naturformen der Poesie: die klar erzählende, die enthusiastisch aufgeregte und die persönlich handelnde: Epos, Lyrik und Drama“, die „zusammen oder abgesondert wirken“ können: „In dem kleinsten Gedicht findet man sie oft beisammen, und sie bringen eben durch diese Vereinigung im engsten Raume das herrlichste Gebild hervor, wie wir an den schätzenswerthesten Balladen aller Völker deutlich gewahr werden.“ (Goethe 1888b [1819], 118). Goethes Idee, die „drei Hauptelemente in einem Kreis gegen einander über“ zu stellen und durch vermittelnde Formen anzureichern, soll „zu schönen Ansichten, sowohl der Dichtarten, als des Charakters der Nationen und ihres Geschmacks in einer Zeitfolge“ (119) führen, also Historisierungs- und Individualisierungsaufgaben erfüllen, wenn auch der „Versuch […] immer so schwierig sein“ müsse, „als in der Naturkunde das Bestreben den Bezug auszufinden der äußeren Kennzeichen von Mineralien und Pflanzen zu ihren inneren Bestandtheilen, um eine naturgemäße Ordnung dem Geiste darzustellen“ (120), also von Schlegels ‚bedeutsamem Äußeren‘ auf ein ‚verborgenes Wesen‘ zu schließen. Die Synthetisierung dieser Vorstellungen – Individualisierung und Historisierung – kann auf Basis von Konzepten, die sich auf das Motiv der Entelechie oder die Biologie der Epigenesis verlassen müssen (vgl. Müller-Sievers 1993; 1997), nur unvollständig gelingen; es bedarf dazu der Denkmittel der biologischen Evolution oder jener der Hegel’schen Geschichtsphilosophie. Jedenfalls lässt sich resümieren, dass der romantische Abschied von den Konventionen – den guten Formen der Gesellschaft, den Klassifikationen im Sozialen – seit dem letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts in eine Reihe von Substantialisierungen mündet,
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kurzum: je mehr kulturelle Selbstverständlichkeiten ins Rutschen geraten, umso deutlicher werden kulturelle Basiskategorien wie Form und Gattung substantialisiert. Gewiss lässt sich dieser Prozess auch als der einer „Ausbildung des Formbewußtseins als eines wesentlichen Moments der literarischen Kommunikation“ lesen, als „eine Entwicklung erst des späten 18. Jahrhunderts“, als „Folge der fortschreitenden Ästhetisierung der Literatur“; am Ende will der literarische Text „nun wesentlich als Kunstwerk wahrgenommen werden, und das heißt: als Stätte des Schönen, und das wiederum heißt: als Form“ (Willems 1996, 681–682). Damit lässt sich der Siegeszug der Formkategorie – auch dort, wo sie in (idealistischen) ‚Gehaltsästhetiken‘ anders als in ‚Formästhetiken‘ (etwa vom Typ der Musikästhetik Eduard Hanslicks) scheinbar die untergeordnete Rolle spielt – aber auch als Etappensieg der Form über die Gattung lesen. Hatte einst die „Form“ in ihren Äquivalenten die Gattung mitkonstituiert, so war jetzt die Gattung substanziell geworden – soweit sie als Form an der Autonomie der Literatur partizipierte, und an der „Theorie der Gattungsform als Formsubstanz“ (Willems 1996, 693). War die Form – als Stil, Sprache und Figur, Metrum – ein isolierbares Moment an der Gattung als der Zentralkategorie der Poetik, wurde jetzt Gattung Substanz, gerade deshalb, weil sie Form war und damit Kunst. Die Abstraktheit, Flexibilität und Anschließbarkeit des Formbegriffs kam dem insofern entgegen, als ‚Form‘ sich gleichsam gleitend auf Einzelne, auf Gruppen oder Gesamtheiten – von Texten, Naturgegenständen, Menschen – beziehen kann; „Gattung“ hingegen bezeichnet immer eine logische Mittellage, mehr als Eines, weniger als Alles, und insofern die Gattung ‚die anderen‘ sind, erinnert auch die Gattungskategorie – anders als die der Form – daran, dass sie sich nicht der Magie der Begriffe oder dem sinnlichen Scheinen der Idee verdankt, sondern ihrem „Sitz im Leben“ (Hermann Gunkel), und dass das für die Kunstwerke auch gilt. Wenn in der Durchsetzung der Kunstautonomie als einer ideologischen Form der Selbstbeschreibung des Kunstsystems und seiner Akteure der Formaspekt primär gesetzt wird, lässt er aus dem Kunstwerk bzw. dem Diskurs über das Kunstwerk jene Aspekte verschwinden oder in den Hintergrund rücken, die in der rhetorisch, also pragmatisch verfassten Poetik noch selbstverständlich Gegenstand der Poetik waren: Format (räumliche und zeitliche Dimensionen); Medium und Institution (Buch und Theater); pragmatische und kommunikative Funktionen (‚Sitz im Leben‘); Publikums-, Zeitund Gesellschaftsbezug; Autorschaft und Poiesis. Nicht von ungefähr war es die Systemkrise der Literatur und der Künste um und nach der Jahrhundertwende, die alle diese Dimensionen im Gattungsbegriff wieder hervorgetrieben hat.
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4 Diskursivierungen Es war wieder Szondi, der in einem wichtigen Beitrag zur Geschichte der Gattungspoetik auf die Kontinuität zwischen Grundlinien der Gattungsreflexion Friedrich Schlegels und der Jahrhundertwende von 1900 und der folgenden Dekaden hingewiesen hat (Szondi 21991 [1970]). Mit Hegel und den Hegelianern, vor allem Friedrich Theodor Vischer, war eine stabile Plattform erreicht, auf der sich der Klassizismus und der Realismus des neunzehnten Jahrhunderts sowie die vielfachen Berührungspunkte und Gemeinsamkeiten zwischen beiden wiederfinden konnten: ein plausibles, in sich konsistentes poetologisches System, das zugleich als historische Begründung und Schematik der Kunst auf Hoch- wie Alltagskultur gleichermaßen passte, die Differenz zwischen den anciens und den modernes bei Wahrung der Kontinuität erklären konnte und den Ausgleich zwischen kultureller Individualität und historischer Evolution – den Aufbruchsgestus der Romantik, an dem Hegel ja selbst teilhatte – bewahrte und in eine logisch-systematische Fortschrittstheorie kanalisierte. Hatte Friedrich Schlegel die Epochen der griechischen Poesie mit Leitgattungen (in der historischen Reihe Epos – Lyrik – Drama) versehen, so bildete die Signifikanz von Gattungen für eine Epoche, einen ‚Weltzustand‘ (Hegel), das bleibende Erbe der darauf aufbauenden hegel’schen und hegelianisierenden Tradition (das Epos gehört zum ‚heroischen‘, ‚epischen‘ ‚Weltzustand‘, der Roman hingegen, die „modern[e] bürgerlich[e] Epopöe“, setze „eine bereits zur Prosa geordnete Wirklichkeit voraus“, Hegel 1970b [1835], 392) – mit den größten Folgen insbesondere für die Theorie von Roman und Epos und die am längsten sich am Hegelianismus abarbeitende Theoriefamilie, die marxistische (in jeweils unterschiedlichen Wendungen bei Karl Marx und Friedrich Engels selbst, bei Georg Lukács und Michail Bachtin, bei Lucien Goldmann und Theodor W. Adorno, bei Pierre Macherey, Michael McKeon und Fredric Jameson). Eine empiristisch inspirierte Gegenbewegung in der Philologie, bei Wilhelm Scherer, Wilhelm Dilthey und Richard Maria Werner, versucht an Evolution, Psychologie und Soziologie anzuschließen und mobilisiert wieder neu jene alten Nachbarschaften der Form- und Gattungskonzepte, die spätestens seit 1800 virulent geworden waren. Typischerweise wird hier unterschieden in innere und äußere Form, letztere meint meist die Metrik, erstere ‚alles andere‘: das reicht von der subjektiven ‚Auffassung‘ bis zu dem, was sonst ‚Inhalt‘ heißt. Um die Jahrhundertwende von 1900 differieren die Füllungen des Begriffs weit; aber es ist ein Begriff in Umlauf gekommen, den alle Diskussionsteilnehmer für wichtig, gar zentral halten, von dem aber niemand zu sagen wüsste, wie er verbindlich definiert werden könnte. Mit Oskar Walzels Begriffsrekonstruktion der Inneren Form geht es wieder zurück zur Gattung – in Walzels Formwissenschaft hat dann
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eine jede Gattung ihre eigene ‚innere Form‘, bis Karl Viëtor resümieren kann, die Gattung definiere sich durch Gehalt und Gestalt, letztere habe eine innere und eine äußere Dimension. Für die Konjekturalgeschichte des Verhältnisses von Form und Gattung wäre zu resümieren, dass das, was um 1770 auseinanderzudriften begonnen hat, in den 1920er-Jahren wieder zusammenfindet, auch bei Georg Lukács und anderen; die Bewegung von der Gattung zur Form und von der Form zur Gattung hat einen vollen Kreis hinter sich. Bevor Georg Lukács – noch vor seiner marxistischen Neuorientierung – mit der Romantheorie einen Klassiker der Theorie der Moderne und des modernen ‚Weltzustands‘ vorlegte, versuchte er mit der Dramentheorie (Entwicklungsgeschichte des modernen Dramas, ungar. 1909) eine soziologische, mit dem Essayband Die Seele und die Formen (1911) eine stärker an der Lebensphilosophie orientierte Vermittlung zwischen Kunst und Welt; immer stehen hier die Gattungen im Zentrum, wenn auch der Formbegriff schillert und sich einmal auf die Gattungstrias, ein andermal auf die Einzelgattungen bezieht und dann wieder, abstrakter, eine epochensignifikante Sichtweise und Perspektive auf die Welt meint. Für Lukács garantiert die Form nicht die Kunsthaftigkeit von Literatur, ihr foregrounding nicht die Literarizität von Literatur und deren Differenz zum bloßen Diskurs; für Lukács ist „die Form“ vielmehr „[d]as wirklich Soziale […] in der Literatur“ (1981 [1909], 10), eine Anschauungsform, ein Apriori: Das „Erlebnis“, das Dilthey in seiner Sammlung Das Erlebnis und die Dichtung (1905) herausgestellt hatte, wird hier selbst „bereits sub specie formae erlebt“. Form ist dabei Gattung, aber die „echte Form des echten Künstlers ist a priori, eine ständige Form den Dingen gegenüber, etwas, ohne das er nicht fähig wäre, die Dinge überhaupt wahrzunehmen“ (10–11); sie ist „seelische Realität, sie nimmt lebendig teil am Seelenleben, und als solche spielt sie ihre Rolle nicht nur als auf das Leben wirkender und die Erlebnisse umgestaltender, sondern auch als vom Leben gestalteter Faktor“ (12). Die Seele und die Formen, mit Essays u. a. über Novalis und Kierkegaard, Kassner und George, nimmt direkt Bezug auf die frühromantische Verbindung von Kunst und Leben, der Essay als Form knüpft daran an; die sentimentalische und melancholische Diagnose von der Inkongruenz von Form und Leben in der Moderne findet sich in der Romantheorie wieder. Das breite Spektrum der Bedeutungen von Form – Gattung, Anschauungsweise, aber auch zu erkennende und zu gewinnende platonische Idee – hat seine Parallele in der Bandbreite der lebensphilosophisch inspirierten Rede von der ‚Lebensform‘; sie beschäftigte zeitgenössische Autoren von Oswald Spengler über Eduard Spranger bis zum Ludwig Wittgenstein der Philosophischen Untersuchungen. Die Rede von der Lebensform ist somit ein Indiz für die nicht erst für die Avantgarden im engeren Sinn sich stellende Frage nach dem Zusammenhang von Kunst und Lebenspraxis (vgl. Michler 2015, 459–541; Burdorf 2003, 405–447; Geulen 2010).
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Lukács wird später als Theoretiker der Gattungen für sich den Horizont dieser Frage in einem nicht orthodoxen, aber um Verbindlichkeit bemühten Marxismus finden; ironischerweise ist der ehemalige Formtheoretiker Lukács in der um Realismus und Expressionismus im antifaschistischen Exil geführten Forma lismusdebatte einer der strengsten Kritiker der ‚Formalisten‘ (vgl. Günther und Hielscher 1976, Schmitt 1973), wie ‚Formalismus‘ überhaupt in der Sowjetunion zum Anathema wird und eine ‚bürgerliche‘, autonomistische und avantgardistische abstrakte Verirrung in Ästhetik und Politik bezeichnet. Im FormalismusVorwurf treten die in der Lebensform-Vorstellung wie auch immer gebündelten Motive wieder scharf auseinander. Ein Aufsatz von 1926, L’art pour l’art und proletarische Dichtung (vgl. Klein 1990, 195–200) zeigt, wie hier an den Problematiken der Jahrhundertwende gearbeitet wird, klassizistische Motive verallgemeinert, romantische umgebaut, soziologische Begriffe zu hegelmarxistischen umgeschrieben werden. „L’art pour l’art“ ist für Lukács „stets das sichere Zeichen der Verzweiflung einer Klasse an ihrer eigenen Existenz“ (195). Der Kapitalismus verunmöglicht durch die Abstraktion der Lebensbeziehungen, die Entsinnlichung und den Warenfetisch das dem Künstler nötige „Unmittelbarkeitsverhältnis, die Grundlage der künstlerischen Einstellung zur Wirklichkeit“ (196); Dichter und Publikum treten in ein „abstraktes, dem Wertgesetz der Warenbeziehung unterworfenes Verhältnis“. Das „soziale Entwurzeltsein des [bürgerlichen, W. M.] Künstlers geht Hand in Hand mit der inneren Wurzellosigkeit der Kunst“. Dem Dichter werden Stoff und Form der Dichtung ‚zerrieben‘; die „künstlerischen Formen (Epos, Drama usw.)“ seien, wie die Analysen von Goethe und Schiller zeigten, Verdichtungen von allgemeinen (‚typischen‘) Erlebnisbedürfnissen; „in den ab strakt gewordenen gesellschaftlich atomisierten Menschen“ erzeuge die kapitalistische Entwicklung „so chaotische Bedürfnisse nach gesteigertem Erleben des Lebens“, „daß diese, von welcher Form immer, aber von keiner in angemessener, in wirklich künstlerischer Weise erfüllbar sind“ (197). Das bedeutet: „Die ästhetenhaften Formsucher, mögen sie Neuromantiker oder Expressionisten heißen, müssen notwendig innerlich formlos bleiben“ (198), sie werden Formalisten. Erst eine Umwälzung der Wirklichkeit durch das Proletariat wird Abhilfe schaffen. Die weitere Geschichte marxistischer Gattungstheorie musste Lukács’ Vereindeutigungen erst rückbauen, nicht selten unter Verweis auf die offenen Reflexionen seines eigenen Frühwerks. Adorno hat in seiner negativen Variante der Hegel-Dialektik, die den Widerspruch und nicht die Synthese, das Problem und nicht die Lösung favorisiert, Form als ‚niedergeschlagenen‘, sedimentierten Inhalt konzipiert:
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Kunst negiert die der Empirie kategorial aufgeprägten Bestimmungen und birgt doch empirisch Seiendes in der eigenen Substanz. Opponiert sie der Empirie durchs Moment der Form – und die Vermittlung von Form und Inhalt ist nicht zu fassen ohne deren Unterscheidung –, so ist die Vermittlung einigermaßen allgemein darin zu suchen, daß ästhetische Form sedimentierter Inhalt sei. (Adorno 1973, 15)
Form erhält damit für Szondi „Aussagefähigkeit“ (Szondi 151981 [1956], 11), die Form-Inhalt-Dialektik wird zu einer Dialektik zwischen einer formalen und einer inhaltlichen Aussage. Beide können nun auch in Widerspruch zueinander geraten, es kann die „fraglos-feststehende Aussage der Form vom Inhalt her in Frage gestellt“ (ebd.) werden. Auf derselben Linie bewegt sich aktuell die marxistisch inspirierte Gattungstheorie Fredric Jamesons, die eine Vielzahl von Motiven aus der Geschichte der Gattungspoetik bis zur Postmoderne aggregiert (vgl. Keckeis 2018). Im Russland der Kriegsjahre und in der Sowjetunion hatte sich im später so genannten ‚Formalismus‘ eine Gruppe von Literaturwissenschaftlern und Kritikern um Viktor Šklovskij, Boris Ėjchenbaum, Ossip Brik und Jurij Tynjanov formiert, die, in der Intention, eine autonome Wissenschaft von der Literatur zu begründen, ganz auf die ‚Form‘ gesetzt hatte. An die Stelle der Form-Inhalt-Dichotomie oder -Dialektik setzten die Formalisten einen ‚formalen‘ Kalkül von sprachlichen und semantischen Elementen sowie Verfahrensweisen (‚Kunstgriffen‘), die weder ‚Form‘ noch ‚Inhalt‘ sein sollten, sondern Struktur (wie das später der ‚Strukturalismus‘ nennen sollte, der in Vielem am Formalismus ansetzte; Roman Jakobson stand für die Kontinuität zwischen beiden Schulen). Die Formalisten befreiten sich in Konzeption von allen hegelianisch-idealistischen und organologischen Denkmitteln; an die Stelle der Organismusmetapher und der biologisch konzipierten, typologisch-goetheanischen ‚Morphologie‘ – zeitgenössisch umgesetzt bei André Jolles (Einfache Formen, 1930), den ‚Morphologen‘ wie Günther Müller (Morphologische Poetik, post. 1968) und dem Folkloristen Vladimir Propp (Morphologie des Märchens, 1928) – trat die biologische Evolution (Ėjchenbaum, Tynjanov) und die Mechanik (Šklovskij). Mit den Einfachen Formen verknüpfte Jolles die romantische Idee der Volkspoesie und des unbewusst schaffenden Volksgeistes mit einer Vorform von Performativität (‚Sprachgebärde‘), versuchte die Kontinuität zwischen Alltag und Kunst, elementaren Narrativen und Literatur zu belegen und die literarischen Gattungen aus den ideologischen und sprachlichen Formen des Alltags zu entwickeln – oder umgekehrt, die literarischen Gattungen zu ‚erden‘. Propp entwarf die Gattung Märchen als formelhaft-mathematisch darstellbaren Kalkül, der Formkonstanz mit Flexibilität vereinte und die Gattung auf eine generative Matrix zurückführte, die später das Interesse des Ethnologen Claude Lévi-Strauss, der Generativisten und Erzählgrammatiker erweckte (Claude Bremond, Tzvetan Todorov, Roland Barthes, Algirdas J. Greimas).
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5 Gattungskritik als Formkritik Neuere theoretische Beiträge zur Formkategorie stimmen darin überein, dass aus der kulturalistischen Kritik an der Einseitigkeit des historischen Formalismus Lehren gezogen werden müssen; aus der Kritik an jenen ‚formalen‘ oder ‚formalistischen‘ Theorieschulen, die in der Geschichte der Literaturwissenschaft als der erwähnte Russische Formalismus, als New Criticism, Werkimmanenz oder andere institutionalisierte Fokussierungen von Form aufgetreten sind. Auch der aktuelle New Formalism (vgl. Levinson 2007; vgl. auch den Beitrag zum New Formalism in diesem Band) ist ein Formalismus nach der Kritik des New Historicism am New Criticism; Caroline Levine entgrenzt den Formbegriff noch weiter, um dann kulturelle und soziale Formen nicht bloß miteinander zu koordinieren, wie das bislang üblich war, sondern um in Kultur und Gesellschaft dieselben organisierenden und bildenden Formen und Formungsprinzipien zu beobachten. Sehr ähnlich ist für Armen Avanessian das neue Interesse am Formbegriff dann gerechtfertigt, wenn dieser seine metaphysischen Eierschalen abgeworfen hat. An die Stelle der zeitenthobenen Ganzheiten und Geschlossenheiten klassischer Formbegriffe (im Sinn von clôture; vgl. Cooke 1993, 522–525) und deren Komplizenschaft mit normativen Regulierungen, mit Starre und Fixierung, hätten Kategorien wie Singularität, Dynamisierung, Prozessualisierung und Temporalisierung zu treten; Formarbeit impliziere auch die ‚Deformierung von Form‘ und damit die Möglichkeit, „aus der Deformierung […] selbst Form [zu] gewinnen“: schließlich gehe es um die „gegenseitig[e] Erhellung“ von Form und Politik (Avanessian 2009, 16). Jedenfalls, so zeigt dieser kurze Vergleich, scheint für die aktuelle Arbeit mit ‚Form‘ und ‚Gattung‘ die Verpflichtung zur kritischen Aneignung von solchen Traditionen zu bestehen, für die das Soziale und das Ästhetische auf besondere Weise zusammenhingen und für die Formtreue, Ordnung und ‚Klassizismus‘ mit gesellschaftlicher Starre, dominanten und hegemonialen Sozialklassifikationen und einem Ordnungsüberschuss verbunden gewesen waren. Wie steht es nun unter diesen Vorzeichen mit dem Verhältnis von Form und Gattung? Während eine neuere, theoretisch ambitionierte Sammelpublikation mit dem lakonischen Titel Form ein Kapitel zur Novelle enthält, also Gattung unter Form subsumiert (Avanessian et al. 2009), plädieren andere gerade dafür, beides auseinanderzuhalten; „genres“ „can be defined as customary constellations of elements into historically recognizable groupings of artistic objects, bringing together forms with themes, styles, and situations of reception, while forms are organizations or arrangements that afford repetition and portability across materials and contexts“ (Levine 2015, 14). Gattung und Form unterschieden sich, so Levine, durch ihre Kontextbezüge: „Genre involves acts of classifying texts. An
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ensemble of characteristics, including styles, themes, and marketing conventions allows both products and audiences to group texts into certain kinds.“ (Levine 2015, 13). „Forms“ hingegen, „patternings, shapes, and arrangements“, can organize both social and literary objects, and they can remain stable over time. […] More stable than genre, configurations and arrangements organize materials in distinct and iterable ways no matter what their context or audience. Forms thus migrate across contexts in a way that genres cannot. They also work on different scales, as small as punctuation marks and as vast as multiplot narratives or national boundaries. (Levine 2015, 13)
Form ist hier das Abstrakte und Übertragbare, Gattung das historisch Spezifische; Gattung etwas Zusammengesetztes, Form etwas Stabiles und zugleich Generisches; die Leistungen („affordances“) der Form sind hier vielfältiger als die der Gattung und geeignet, jene Domänen, die in Gattungen amalgamiert (‚konstelliert‘) werden, zu durchdringen und zu ‚formen‘. Letztlich sind solche Charakterisierungen Entscheidungen, deren Wert sich durch ihre Brauchbarkeit erweist. Doch entfalten poetologische und ästhetische Begriffe ihre volle Dimension erst innerhalb der Semantik einer konkreten historischen Situation, aufgrund ihrer differentiellen Position in kulturellen Systemen. Levine zeigt etwa am Beispiel der Kategorie ‚Ganzheit‘, wie in der Auseinandersetzung zwischen Kulturalismus und Formalismus, zwischen New Historicism und New Criticism bei den New Critics bereits Schienen für die Dekonstruktion gelegt gewesen waren; andererseits seien bei wichtigen Vertreterinnen des New Historicism Formalismen im Spiel (gezeigt am Beispiel der Ganzheit „Epoche“ bei einer so konsequenten Kulturalistin wie Mary Poovey). Die Dynamik zwischen den ungleichnamigen Begriffen Form und Gattung ist also bis in die Gegenwart nicht zum Stillstand gekommen; sie sind zwar ungleichnamig, aber nicht inkommensurabel, ihre gegenseitige Beziehung realisiert sich deshalb immer nur relativ zu ihrem jeweiligen theoretischen und historischen Ort und ihren Positionen in größeren diskursiven und sozialsemantischen Formationen.
Weiterführende Literatur Fowler, Alastair. Kinds of Literature. An Introduction to the Theory of Genres and Modes. Oxford 1982. Fricke, Harald. „Definieren von Gattungen“. Handbuch Gattungstheorie. Hrsg. von Rüdiger Zymner. Stuttgart und Weimar 2010: 10–12. Hempfer, Klaus W. Gattungstheorie. Information und Synthese. München 1973. Keckeis, Paul und Werner Michler. Hrsg. Gattungstheorie. Berlin 2020. Michler, Werner. Kulturen der Gattung. Poetik im Kontext, 1750–1950. Göttingen 2015.
Gattungsgeschichten der Form: Aspekte eines prekären Verhältnisses
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Szondi, Peter. Poetik und Geschichtsphilosophie. 3 Bde. Bd. 2: Von der normativen zur spekulativen Gattungspoetik. Hrsg. von Wolfgang Fietkau. Frankfurt am Main 1974. Szondi, Peter. Theorie des modernen Dramas (1880–1950). 15. Aufl. Frankfurt am Main 1981 [1956]. Trappen, Stefan. Gattungspoetik. Studien zur Poetik des 16. bis 19. Jahrhunderts und zur Geschichte der triadischen Gattungslehre. Heidelberg 2001.
II.2 Formalistische Wege
Alfred Sproede
II.2.1 Die russische „Formale Schule“: Grundbegriffe und Methoden Die Einführung zum ersten Sammelband Texte der russischen Formalisten eröffnet Jurij Striedter mit einer Bemerkung, die der folgenden Darstellung als Orien tierungshilfe, ja als garde-fou dienen kann: „Die Formalisten selbst haben oft genug vor […] einer Festlegung ihrer Methode auf den Begriff der Form gewarnt. Auch vollzog sich bereits in der Entwicklung des russischen Formalismus selbst – und nicht erst als Fortsetzung oder gar Gegenthese durch den späteren Struk turalismus – der Übergang von einem noch eher statisch gefassten Formbegriff (das Kunstwerk als Summe künstlerischer Verfahren) zu der Auffassung des literarischen Werkes und der literarischen Evolution als eines funktionalen und strukturalen Systems“ (Striedter 1969b, X). Hier wird deutlich, wie problematisch das Vorhaben ist, einen stimmigen und eindeutigen Form-Begriff aus den z. T. sehr diskussionsbedingten und widersprüchlichen Bekundungen der Forscher herauszupräparieren, die aus dem ab 1915 aktiven Moskauer Linguisten-Zirkel und der Petrograder „Gesellschaft zur Erforschung der poetischen Sprache“ [Obščestvo izučenija poėtičeskogo jazyka / Opojaz] (ab 1916) hervorgingen. Die vorliegende Darstellung verabschiedet sich deshalb von vornherein von der Idee, hier einen solchen kohärenten Form-Begriff zu entfalten; sie mag aber auch das gegenteilige Vorgehen nicht annehmen und schlicht die Geschichte der Form debatten skizzieren, d. h. die Nachzeichnung der progredierenden Begriffsbildung im Kreis der Formalisten. Als Kompromiss bietet sich an, den Anfang mit einer Stellungnahme zu machen, die aus der mittleren Phase der formalistischen Forschungen stammt: Boris Ėjchenbaums Aufsatz aus dem Jahre 1925 Zur Theorie der ‚formalen Methode‘ [Teorija ‚formal’nogo metoda‘] (Ėjchenbaum 1965b [1925]/russ. 1927a). Ėjchenbaums Aufsatz wird wegen der abwägenden Denkungsart des Autors vielfach als Leitfaden für den Entwicklungsweg des Formalismus herangezogen (s. u. a. Erlich 1969, 66–67 und passim; Aucouturier 1994, 10); Striedter (1969b, XI) sieht darin die „bis heute grundlegende umfassende Selbstdarstellung des Formalismus“. Auch wenn Ėjchenbaums Titel dies zunächst suggerieren könnte, zielt dieser Aufsatz nicht auf eine dogmatische Systematisierung, denn, so der Autor, „Wissenschaft vollzieht sich nicht in der Aufstellung von Wahrheiten, sondern in der Überwindung von Irrtümern“ (Ėjchenbaum 1965b [1925], 8/russ. 1927a, 117). Ėjchenbaum will eine vorläufige „Skizze der Geschichte dieser Methode“ entwerfen (52/russ. 148), in anderen Worten, „darstellen, wie die Arbeit der Formalisten begann und worin sie fortschreitet“ (7/russ. 116). https://doi.org/10.1515/9783110364385-004
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Formalistische Wege
1 Die Anfänge des russischen Formalismus und sein Methoden-Umfeld Die Kapitel I bis III von Ėjchenbaums Zwischenbilanz umfassen eine erste Phase der Formalen Schule; sie skizzieren zunächst die Anregungen und Abstoßungsimpulse, welche für die Entwicklung der formalen Methode zum Tragen gekommen sind, und gehen danach zum ersten Schub prägender Publikationen über. Als ersten Anstoß nennt Ėjchenbaum die Arbeiten der Kunstwissenschaft (vgl. Ėjchenbaum 1965b [1925], 9–10/russ. 1927a, 118), speziell die Forschungen zur Malerei, die den Neuerern die Distanzierung von der „akademischen Literaturwissenschaft“ und ihren Routinen erleichtern (11/russ. 119). Charakteristischer Zug der von den Formalisten rezipierten kunstwissenschaftlichen Arbeiten ist es, allgemeine Probleme wie etwa das Problem der Schönheit oder des Ziels der Kunst in Klammern zu setzen und konkrete Fragen in den Vordergrund zu rücken – etwa die Verstehbarkeit malerischer Formen und ihrer Evolution, die Analyse von Stilen und Verfahren (Kunstmitteln). Die Bedeutung kunstwissenschaftlicher Forschungsansätze (z. B. Heinrich Wölfflins) und ihre Einwirkung auf die Literaturwissenschaft stellt Ėjchenbaum auch anhand der deutschen Literaturwissenschaft der frühen 1920er-Jahre heraus. Gegenstand einer kritischen Abstoßung werden für die frühen Formalisten dagegen die Literaturtheorien, die im Umkreis der symbolistischen Dichtung entstanden sind; Ėjchenbaum bezeichnet die ‚literaturkundlichen‘ Publikationen von Vjačeslav Ivanov, Andrej Belyj und anderen als „Wissenschaft im Feuilleton- Stil“ [žurnal’naja nauka] (11/russ. 119). Der von den Formalisten vollzogene „Bruch mit der philosophischen Ästhetik und mit den ideologischen Theorien der Kunst“ findet ein für die Kunstpraxis relevantes Seitenstück in den Auftritten der russischen Futuristen Vladimir Majakovskij, Velimir Chlebnikov und Aleksej Kručënych. Insbesondere die literarischen Manifeste mit ihren Frontalangriffen auf den literarischen Kanon sowie die praktischen Vorführungen in „transmentaler Sprache“ [zaum’] (12, 16/russ. 120, 122) erregen unter der Intelligencija einiges Aufsehen. Anders als der Futurismus nahmen die frühen Formalisten nach Ėjchenbaums Darstellung „den Kampf mit den Symbolisten auf, um ihnen die Poetik zu entwinden, die wir aus der Verkettung mit den subjektiven ästhetischen und philosophischen Theorien befreien und auf den Weg der wissenschaftlichen Tatsachenforschung zurückführen wollten“ (12/russ. 120). Hier lässt Ėjchenbaum die Unbefangenheit erkennen, mit der die frühen formalistischen Arbeiten dem Positivismus gegenüberstanden; er formuliert denn auch:
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Wir waren entschlossen, den subjektiven ästhetischen Grundsätzen der Symbolisten eine objektive wissenschaftliche Einstellung zu den Fakten entgegenzusetzen. Daher rührt das neue Pathos des wissenschaftlichen Positivismus, das die Formalisten auszeichnet; den philosophischen Voraussetzungen, den psychologischen und ästhetischen Mutmaßungen wurde aufgekündigt. Dieser Bruch mit der philosophischen Ästhetik und mit der ideologischen Interpretation der Kunst wurde von der Sache selbst diktiert. (13/russ. 120)
Die Emphase, mit der hier der Rückgriff auf ‚Fakten‘ und eine ‚Sachlage‘ behauptet wird, lässt sich nur aus der überwältigenden Wirkmacht jener Sozialideale und ideologischen Fronten erklären, die den Literaturbetrieb seit dem Ende der Romantik in Bann hielt. Allerdings verschiebt die formalistische Argumentation die Prioritäten tatsächlich von den einem naiven Zugriff verfügbaren ‚Fakten‘ auf ein spezifisches, durch den interessierten Blick der Forscher konstituiertes ‚Material‘. Insofern ist sich Ėjchenbaum durchaus bewusst, dass die ‚Fakten‘ aus der begrifflichen Abgrenzung einer Fachdisziplin resultieren: Die entscheidende Behauptung der Formalisten lief und läuft darauf hinaus, dass die Aufgabe der Literaturwissenschaft die Erforschung der spezifischen Besonderheiten des literarischen Materials sei, […] selbst wenn das literarische Material, indirekt und durch Sekundäreigenschaften, dazu zu verleiten oder dazu berechtigen mag, es in anderen Wissenschaften als Hilfsmittel heranzuziehen. (13, 14/russ. 121)
Das Anliegen einer ‚Reinigung‘ der Fachdisziplin von sachfremden Beimischungen ist kein isoliertes Phänomen; unter den zeitgenössischen Parallelen bietet das Werk des Rechtswissenschaftlers Hans Kelsen das überragende Beispiel. Mehr als zwei Jahrzehnte bevor der Gelehrte sein Programm in der Schrift Reine Rechtslehre: Einleitung in die rechtswissenschaftliche Problematik zum Titel erhebt (Kelsen 1934), veröffentlicht er 1911 den Vortrag Über Grenzen zwischen juristischer und soziologischer Methode. Die Abgrenzung des Rechts gegen die Übergriffe von Disziplinen wie Soziologie oder Politikwissenschaft bzw. von Diskursen wie Ethik, Religion, Naturrecht etc. soll die Jurisprudenz als eine „der Eigenart ihres Gegenstandes bewusste“, ideologiekritische Wissenschaft von den Normen etablieren (Kelsen 1934, Kap. I–III). Die Adepten der Formalen Schule greifen für die Bestimmung ihres Forschungsgegenstandes – der Literarizität [literaturnost’] der Werke – auf Vorgaben der linguistisch geschulten Forscherkollegen zurück, speziell auf den Unterschied von „poetischer“ und „praktischer“ Sprache, wie ihn Lev Jakubinskij in dem 1916 entstandenen Aufsatz Über die Laute der Verssprache [O zvukach stichotvornogo jazyka] (Jakubinskij 1919) kommentiert hatte. Während die Laute in der praktischen Sprache keinen selbständigen Wert haben, sondern schlicht Mittel der Verständigung sind, kann der Zweck der Verständigung in der poetischen Sprache in den Hintergrund treten oder ganz ausfallen, wodurch die sprachlichen Elemente
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Formalistische Wege
einen Eigenwert [samocennost’] erlangen. Als Grenzfall dieser Konstellation ist die ‚transmentale Sprache‘ der Futuristen zu betrachten –, polemische Opposition zu den Symbolisten und ihrer Auffassung von Sprache, in der die lautliche Seite des Verses vorrangig zur ‚Instrumentierung‘ der kommunikativen Inhalte von Dichtung eingesetzt wird. Ėjchenbaum polemisiert gegen diese bloß „dekorative“ Bewertung der lautlichen Eigenschaften von Dichtung (1965b [1925], 15–17/ russ. 1927a, 122–124). Auf die Ebene von Forschungsprinzipien erhoben und zu einer ‚schulmäßigen‘ Programmatik zugespitzt werden die frühen Forschungen des Moskauer Linguisten-Zirkels und der Opojaz-Vereinigung durch Publikationen von Viktor Šklovskij. Noch vor der Entstehung der beiden Forscherverbünde hatte Šklovskij, von den Auftritten und Manifesten der Futuristen angeregt, 1914 die Broschüre Die Auferweckung des Wortes [Voskrešenie slova] (Šklovskij 1972 [1914]) veröffentlicht.1 Grundlegend für diese Schrift ist die Unterscheidung zwischen dem Wiedererkennen einer lebensweltlichen (oder künstlerischen) Normalität oder Gewohnheitserscheinung und dem Erleben eines neuen Anblicks, dessen Prägnanz daraus resultiert, dass wir die Erscheinung nicht schlicht mit unserem vorgängigen Wissen ‚abgleichen‘ können, d. h. nur ‚wiedererkennen‘. Das außerhalb aller Routine erfolgende neue Sehen, die Aufnahme eines dichterisch ‚auferweckten‘ Wortes, das ist der Umgang mit der Form in ihrer „Spürbarkeit“ [oščutimost’] und ihrem ästhetischen Überschuss, so wie sie Šklovskij unter Verweis auf die Praktiken der russischen Futuristen postuliert (Ėjchenbaum 1965b [1925], 20/ russ. 1927a, 124). Die Veröffentlichung, welche die Formale Schule zur programmatisch erkennbaren Bewegung macht – Ėjchenbaum spricht von „einer Art Manifest der formalen Methode“ (21/russ. 126) –, ist Šklovskijs Aufsatz von 1919 Kunst als Verfahren [Iskusstvo, kak priëm] (Šklovskij 1969; vermieden werden sollten tautologische und verengende Titelversionen wie Kunst als Kunstmittel oder Kunst als Kunstgriff; vgl. Kaempfe in Ėjchenbaum 1965a [1925], 21; Drohla in Šklovskij 1966a, 7 u. passim; s. dazu die Kritik von Striedter 1969b, XXII, Anm. 38; vgl. auch Berlina in Shklovsky 2015, 151–156). In Šklovskijs Aufsatz wird der Begriff der Form als
1 Bei Nachweisen aus Übersetzungen aus dem Russischen wird im Interesse der Annäherung an das Original gelegentlich in die Übersetzung eingegriffen – hier zur Korrektur des Titels „Auferstehung [voskresenie] des Wortes“, der bei A. Kaempfe irrtümlich für russ. ‚voskrešenie slova‘, i. e. Auferweckung des Wortes (sc. durch den Dichter) steht (s. Ėjchenbaum 1965b [1925], 20). Da keine andere deutsche Version der Programmschrift von Ėjchenbaum vorliegt, sei hier auf die zuverlässigere Übersetzung in der französischen Formalisten-Anthologie verwiesen; s. La théorie de la „méthode formelle“ (Ėjchenbaum 1965d [1925]). Alle ohne Quellennachweis angeführten Übersetzungen stammen vom Autor dieses Artikels (A.S.).
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Provokation eines neuen Sehens gegenüber dem vorangehenden Text weiter zugespitzt. Den Aufsatz eröffnet eine Polemik gegen die von Oleksandr Potebnja eingeführte Definition der Dichtung als eines ‚Denkens in Bildern‘: Anders als bei Potebnja und seinen symbolistischen Adepten postuliert, wandern Bilder im Wesentlichen unverändert über die Zeiten von Dichter zu Dichter; die Dichtung ganz verschiedener Schulen stellt sich vorrangig dar als eine Reihe „neuer Verfahren der Anordnung und Bearbeitung [novych priëmov raspoloženija i obrabotki] des Wortmaterials“ (Šklovskij in Ėjchenbaum 1965b [1925], 21/russ. 1927a, 126; vgl. Šklovskij 1969a). Šklovskijs zweiter Angriffspunkt ist die Konzeption schöpferischer Ökonomie, so wie sie aus der Philosophie von Herbert Spencer und Richard Avenarius in Aleksandr Veselovskijs und Andrej Belyjs Literaturstudien übergegangen ist. Die Widerlegung dieser Studien durch Šklovskij referiert Ėjchenbaum folgendermaßen: Ihr [der Vorstellung von künstlerischer Ökonomie, A.S.] entgegengesetzt wurde das Verfahren der ‚Verfremdung‘ [ostranenie] und das der erschwerten Form, das ‚die Schwierigkeit und Dauer der Wahrnehmung steigert, denn der Wahrnehmungsprozess ist in der Kunst Selbstzweck und muss ausgedehnt werden‘. Fortan wurde die Kunst verstanden als ein Mittel zur Zerstörung des Automatismus in der Wahrnehmung, der Zweck des Bildes erkannt nicht in der Annäherung seiner Bedeutung an unser Verständnis, sondern in der Herstellung einer besonderen Wahrnehmung des Gegenstandes; bewirkt werden soll statt des bloßen ‚Wiedererkennens‘ eine ‚neue Ansicht‘ des Gegenstands. Darin besteht der Zusammenhang von Bild und Verfremdung. (Ėjchenbaum 1965b [1925], 22/russ. 1927a, 126–127); die Passagen in Anführungszeichen nehmen Šklovskijs Formulierungen auf.)
Zitate aus Šklovskijs Texten runden Ėjchenbaums Fazit zur ersten Entwicklungsphase der Formalen Schule ab. Dieses Fazit lässt sich in vier grundsätzlichen Punkten zusammenfassen: (a) Das Hauptinteresse der Schule richtet sich – anders als ihr Name vermuten lässt – nicht auf die ‚Form‘ als solche, sondern zunächst auf die Spezifik der Wortkunst. (b) Der Versuch, zwischen poetischer und praktischer Sprache zu unterscheiden, führt zur Erkenntnis der ‚Verfahren‘ (u. a. ‚Verfremdung‘), durch welche die Abweichungsqualitäten poetischer Sprache bewirkt werden. (c) Die alte Dichotomie von ‚Form‘ und ‚Inhalt‘ wird verabschiedet, und zwar nicht nur durch Ausgrenzung von Philosophie, Psychologie und Milieustudien aus der literaturwissenschaftlichen Analyse, sondern (d) aufgrund der Tatsache, dass die Kunstmittel und Verfahren selbst zum Gegenstand ästhetischen Erlebens – erschwerter Wahrnehmung – werden.
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Formalistische Wege
2 Zur Poetik der Prosa Um die zweite Entwicklungsphase des Formalismus zu charakterisieren, hält Ėjchenbaum (in Kap. IV–VII seiner Darstellung) zwei Grundlinien der Forschung fest: Beiträge zu einer Poetik der Prosa und vertiefte Untersuchungen zur Verssprache. In der Theorie der Prosa (einschließlich des Romans) gehen die formalistischen Studien von den vordem theoretischen Überlegungen über den Begriff des Verfahrens zur Erforschung eines konkreten Repertoires von Verfahren über. Ins Zentrum der Forschungen rücken jetzt Fragen der Komposition, die Unterscheidung von ‚Fabel‘ und ‚Sujet‘, das Problem der ‚Motivierung‘, sowie die unterschiedlichen Bauformen – ‚Aufreihung‘ [nanizyvanie], ‚Stufenbau‘ [stupenčatoe postroenie], Parallelismus, Rahmen(-Erzählung). Hier tut sich speziell Viktor Šklovskij hervor. Seine erste einschlägige Arbeit, Der Zusammenhang zwischen den Verfahren der Sujetfügung und den allgemeinen Stilverfahren [Svjaz’ priëmov sjužetosloženija s obščimi priëmami stilja] (1969c [1919]) wiederlegt die traditionelle Auffassung des Sujets als einer Gruppe von Motiven, indem sie diese Vorstellung „aus dem Bereich der thematischen in den der konstruktiven Begriffe verlagert“ – mit den folgenden Konsequenzen: Der Begriff des Sujets bekam dadurch einen neuen Sinngehalt, der sich nicht mehr mit dem des Begriffs der Fabel deckte; der Sujetbau, als eine Eigentümlichkeit der Werke der Literatur, wurde zum Gegenstand der Formanalyse. Der Begriff der Form seinerseits gewann auf diese Weise neue Aspekte und verlor allmählich seine Abstraktheit und seine nur polemische Bedeutung. Immer mehr identifizierte er sich uns mit dem Begriff der Literatur als solcher – mit dem Begriff des literarischen Faktums. (Ėjchenbaum 1965b [1925], 25/ russ. 1927a, 128–129)
Theorierelevant ist auch Šklovskijs Beweisführung über die Analogie zwischen den Verfahren der Sujetfügung und den Stilverfahren. So steht etwa im Epos der Stufenbau der Narration auf derselben Ebene wie Lautwiederholungen, Tautologien, Parallelismen etc. – und illustriert „ein allgemeines Prinzip der Wortkunst, die auf dem Heranholen von Details und ‚Zeitlupe‘ beruht, d. h. auf Verlangsamung [postroennogo na razdroblenii, tormoženii]“ (Ėjchenbaum 1965b [1925], 25/russ. 1927a, 129; russ. razdroblenie, wörtl. „Zerlegung in Stücke“ bzw. „Zergliederung“, bezeichnet den Wechsel von einer Gesamtansicht auf Einzelheiten des Objekts oder Vorgangs). Šklovskij fasst das Kunstprinzip der „Verlangsamung“ als Voraussetzung für die Wahrnehmung von Werk-Details auch durch Synonyme wie „Verzögerung“, „aufgehaltene Bewegung“ [zamedlenie, zaderžanie] oder „Bremsung“ [tormoženie] (Šklovskij 1969c [1919], 52–53, 78–79 u. passim; s. auch den Sachindex in Striedter 1969a).
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Durch seine Thesen über die Analogie zwischen Sujetfügung und Stilverfahren stößt sich Šklovskij von der ethnographischen Poetik Aleksandr Veselov skijs ab, in der die jeweilige Sujetfügung (etwa in Epen und Märchen) aus einer geschichtlichen Genese deduziert wurde. Ohne den Zusammenhang des Sujets mit der Lebenswelt [svjaz’ s bytom] zu bestreiten, richet Šklovskij das Augenmerk doch vorrangig auf die Funktion des Sujets: Die Genese vermag nur über die Herkunft etwas auszusagen – nicht mehr; die Poetik jedoch ist auf die Erhellung der literarischen Funktion bedacht. Die genetische Betrachtung lässt gerade das Verfahren als spezifischen Gebrauch des Materials unberücksichtigt: die Auswahl des Materials aus der Lebenswelt [byt], seine Transformation und seine konstruktive Rolle. Zuletzt vernachlässigt sie auch den Umstand, dass die lebensweltliche Umgebung des Verfahrens verschwindet, während seine literarische Funktion fortbesteht, und zwar nicht als bloßes Relikt, sondern als literarisches Verfahren, das seine Bedeutung auch ohne Zusammenhang mit der Lebenswelt bewahrt. (Ėjchenbaum 1965b [1925], 26/russ. 1927a, 129–130)
Aus dieser Funktionsanalyse ergeben sich in Šklovskijs Ansatz weiterreichende theoretische Konsequenzen. Gegen Veselovskijs Überzeugung, dass neue Formen auftreten, um einen neuen Inhalt auszudrücken, erhebt er kategorischen Einspruch: Ein Kunstwerk wird wahrgenommen vor dem Hintergrund und auf dem Wege der Assoziation mit anderen Kunstwerken. Die Form des Kunstwerks bestimmt sich nach ihrem Verhältnis zu anderen, bereits vorhandenen Formen. […] Nicht nur die Parodie, sondern überhaupt jedes Kunstwerk wird als Parallele und Gegensatz zu einem vorhandenen Muster geschaffen. Eine neue Form entsteht nicht, um einen neuen Inhalt auszudrücken, sondern um eine alte Form abzulösen, die ihren Kunstcharakter bereits verloren hat. (Šklovskij in Ėjchenbaum 1965b [1925], 27/russ. 1927a, 130; vgl. Šklovskij 1969c [1919], 50–51)
In Šklovskijs Anknüpfung an den Kunstphilosophen Broder Christiansen und dessen Theorie der „Differenzqualität“ als Kern ästhetischer Wahrnehmung (vgl. Hansen-Löve 1978, 223, vgl. 316–317 und passim) sieht Ėjchenbaum die begriffliche Grundlegung für „die charakteristische Dynamik der Kunst, die sich in ständigen Verstößen gegen den etablierten Kanon ausdrückt“ (Ėjchenbaum 1965b [1925], 27/russ. 1927a, 130), aber auch für die Überschreitung der vermeintlichen „Schemata und Klassifikationen“ der Formalen Schule (28/russ. 131) in Richtung auf die Literaturgeschichte (dazu s. u. Abschnitt 5). Den kurzen Ausblick auf die in Šklovskijs Aufsätzen angebahnten literaturhistorischen Studien der Formalisten verbindet Ėjchenbaum mit selbstkritischen Anmerkungen über die polemische Überspitzung mancher Thesen seiner Kollegen zu griffigen Slogans. In diesem Zusammenhang erörtert er speziell den Begriff der „Motivierung“ [motivirovka], in dem der Furor, mit dem die Formalisten frühere
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Formalistische Wege
Ansätze „vom Kopf auf die Füße“ zu stellen beanspruchen, besonders deutlich wird (28–29/russ. 131–132). Dieser Begriff kommt zum Tragen, wenn das Material (Fabel, Motiv-Auswahl, Heldenfiguren, Landschaften, Ideen etc.) als eine untergeordnete, weil nicht direkt ästhetisch relevante Werkschicht betrachtet wird und nur den gleichsam ‚plausibilisierenden Anlass‘ für das Ausgreifen der Verfahren liefert. Die Kategorie der Motivierung gilt also für die ‚außer-konstruktiven‘ bzw. nicht verfahrensrelevanten Komponenten des Werks. Šklovskij bringt seinen Begriff der Korrelation von Verfahren und Motivierung in zwei Klassiker-Studien zur Anwendung, den Aufsätzen Wie Don Quijote gemacht ist [Kak sdelan Don-Kichot] (Šklovskij 1966b [1921]/russ. 1929 [1921]) und Der parodistische Roman. Sternes ‚Tristram Shandy‘ [Parodijnyj roman. ‚Tristram Šendi‘ Sterna] (Šklovskij 1969b [1921]). Am Roman des Cervantes demonstriert Šklovskij „die Herrschaft der Konstruktion, des Sujets, über das Material“ (Ėjchenbaum 1965b [1925], 30/russ. 1927a, 132). Der Text steht auf der Grenze zwischen der Novellen-Sammlung (in der Art von Boccaccios Decameron) und dem späteren, um einen einheitlichen Helden zentrierten Roman. Angesichts der Unbeständigkeit des Helden, die sich aus der Novellen-Abfolge bei Cervantes ergibt, vermag der Leser im Protagonisten nicht die Kontur eines ‚Einzelmenschen‘ auszumachen (mit dem Terminus des ‚Einzelmenschen‘ greift unsere Darstellung hier auf die Parallelen zwischen Šklovskijs Romanpoetik und der Studie des Germanisten Clemens Lugowski vor; s. u. Abschnitt 7). Der Held des Don Quijote ist ein Oberflächeneffekt (vgl. Ėjchenbaum 1965b [1925], 30/russ. 1927a, 132) oder, in Šklovskijs Formulierung: „Der Typus des Don Quijote, der von Heinrich Heine gerühmt und von Ivan Turgenev wortreich ausgewalzt wurde, resultiert nicht aus einem ursprünglichen Plan des Autors. Dieser Typus wurde durch die Wirkung der Romankomposition erzeugt […].“ (Šklovskij 1966b [1921], 101–102/russ. 1929 [1921], 100–101). Noch deutlicher setzt Šklovskijs zweite Roman-Analyse Der parodistische Roman. Sternes ‚Tristram Shandy‘ (Šklovskij 1969b [1921]) die Bedeutung der Kompositionsverfahren ins Licht. Šklovskij verweist darauf, dass er bereits an Don Quijote dargestellt habe, welche „kanonischen Mittel“ für das „Zusammenwachsen von Novellen zu einem Roman“ eingesetzt werden können. Diese Mittel sieht er auch bei Sterne, aber eben in bewusst ‚inszenierter‘ Gestalt bzw. im Modus vorsätzlicher „Bloßlegung“ [obnaženie] – wie in „Oktaven und Sonetten, die nur mit der Beschreibung ihrer Herstellung angefüllt sind“ (260–261): „Als Verfahren bloßgelegt ist bei Sterne auch das Zusammenflicken des Romans aus verschiedenen Novellen. Überhaupt wird bei ihm der Bau des Romans selbst ‚mit Pedal‘ aufgeführt, bei ihm wird das Bewusstsein der Form mit Hilfe ihrer Auflösung zum Inhalt des Romans“ (250–251). So pointiert diese These vorgetragen wird, so überspitzt fasst Šklovskij dann am Ende der Studie seine Intention zusammen. Er habe
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kein Interesse an Sternes Roman oder dem Roman überhaupt; ihn interessiere einzig die „Theorie des Sujets“ (294–295), und weiter dazu: „Der Begriff des Sujets wird allzu oft mit der Beschreibung der Ereignisse verwechselt – also mit dem, was ich vorläufig die Fabel nennen möchte. Tatsächlich ist die Fabel nur das Material für die Sujetformung […].“ (296–297). Hier ist Šklovskij erneut bei seiner bevorzugten Werkkategorie – einem Fall, „in dem die Intention deutlich auf das Verfahren selbst gerichtet ist, d. h. der Inhalt des Werks in der Herausarbeitung seiner Form besteht“ (258–259). Als letztes Beispiel einer Prosa-Studie erwähnt Ėjchenbaum seinen eigenen Aufsatz aus dem Jahre 1919 Wie Gogol’s ‚Mantel‘ gemacht ist [Kak sdelana ‚Šinel'‘ Gogolja] (zit. nach Ėjchenbaum 1969). Diese Studie richtete sich – so Ėjchenbaums Rückschau – gegen die Prätentionen der Literaturgeschichte, die immer wieder mit „wenig erhellenden“ Betrachtungen über Gogol’s „Romantik“ und „Realismus“ aufwarte (Ėjchenbaum 1965b [1925], 32/russ. 1927a, 134). Ėjchenbaums Ansatz steht in der Kontinuität der gerade referierten ‚sujet-theoretischen‘ Studien Šklovskijs, will aber an Gogol’s Mantel gerade einen Erzähler aufweisen, der sich selbst in den Vordergrund schiebt und das ohnehin dürftige Sujet „nur zur Verflechtung einzelner stilistischer Verfahren verwendet“ (Ėjchenbaum 1969, 122–123). Die erste Kompositionsschicht von Gogol’s Novelle beruht also auf der Verkettung komischer Namen, Wortwitze („calembours“) und Anekdoten; diese „Erzählmanier“ nennt Ėjchenbaum skaz – und illustriert sie mit einer langen Liste von Verfahren der Wortmimik und -gestik, launischer Syntax und anderer narrativer Schauspielerei. All das zusammen deutet darauf hin, dass die Grundlage des Gogol’-Textes der skaz ist, dass sich sein Text aus lebendigen Redevorstellungen und Sprechemotionen fügt. Mehr noch: ein solcher skaz will nicht bloß erzählen, nicht nur sprechen, sondern mimisch und artikulatorisch Worte reproduzieren […] [und zwar] nach dem Prinzip ausdrucksvoller Rede, in welcher der Artikulation, der Mimik, den lautlichen Gesten usw. eine besondere Rolle zufällt. (Ėjchenbaum 1969, 128–129)
Aus diesem Repertoire von Sprachspielen schöpft Gogol’ die Dynamik seiner Novelle, den Widerpart des rein statischen Sujets. In die spielerische Grundschicht der Novelle, die Ėjchenbaum als „Stilisierung einer besonderen Art von sorgloser, naiver Plauderei“ charakterisiert (142– 143), mischt sich allerdings, vor allem gegen Ende des Texts, eine Art pathetischer „Deklamation, wodurch sich die ursprüngliche Kompositionsschicht kompliziert“ (146–147): der komische skaz wird „plötzlich von einer sentimental-melodramatischen Abschweifung unterbrochen […], die durch charakteristische Verfahren des empfindsamen Stils bestimmt ist. Mit Hilfe dieses Verfahrens wird die Erhebung des ‚Mantel‘ von einer einfachen Anekdote in eine Groteske erreicht“ (148–149).
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Mit dieser Einschätzung stellt Ėjchenbaum sich den traditionellen Lesarten von Gogol’s Novelle entgegen, in denen die „humane Stelle“ als Ausdruck ernsthaften sozialkritischen Protests aufgefasst wurde: An der Anekdote vom Beamten schätzte Gogol’ gerade diesen phantastisch-begrenzten, in sich geschlossenen Bestand an Gedanken, Gefühlen und Wünschen, in dessen engen Grenzen der Künstler freimütig Details übertreiben und gewohnte Proportionen der Welt zerstören kann […]. Hier geht es durchaus nicht um […] die Predigt von ‚Humanität‘ für den kleinen Bruder […]. (152–155)
Durch den „Stil der Groteske“ soll vielmehr die kleine Welt des Protagonisten „völlig von der großen Realität, von der wirklichen Fülle des seelischen Lebens, isoliert“ werden – indes gerade „nicht mit einem didaktischen und nicht mit einem satirischen Ziel […], sondern mit dem Ziel, ein weites Feld zum Spiel mit der Realität zu öffnen“ (152–153). In seiner Retrospektive zur Theorie der ‚formalen Methode‘ kann Ėjchenbaum noch nicht bewerten, wie produktiv sein Aufsatz über Gogol’s Mantel für die Fortentwicklung der Gattungstheorie und für die Narratologie sein wird: Die von ihm in Gogol’s Erzählung aufgedeckte Depotenzierung des Sujets gibt der analytischen Gattungsgeschichte der ‚ornamentalen‘ bzw. ‚sujetlosen‘ Prosa neue Impulse; andererseits ist der Begriff des skaz das Stichwort für Kontroversen, an denen sich viele der exponierten Erzählforscher der Zeit – von Jurij Tynjanov über Viktor Vinogradov bis zu Michail Bachtin – noch über Jahre abarbeiten. Im Handbuch Elemente der Narratologie gibt Wolf Schmid für beide Erscheinungen einen prägnanten forschungsgeschichtlichen Überblick samt Illustrationen aus der russischen und deutschen Literatur (Schmid 2014, 146–163; „Ornamentale Prosa und Skaz“). Weiterführende Überlegungen mag hier vorrangig die Definition des „charakterisierenden Skaz“ herausfordern, an dem für den delegierten Erzähler eine spezifische „Begrenztheit des geistigen Horizonts“ postuliert wird (157–158). In der Tat treten in den prägenden Texten der russischen Literaturgeschichte die wohlorientierten, gebildeten Erzähler ‚erster Ordnung‘ hinter der Figur, an welche die Erzählung delegiert wird, meist in der Weise zurück, dass sie der im „charakterisierenden Skaz“ grassierenden Halbbildung und sprachlichen Verwilderung den Vortritt lassen. Nun lässt sich an den dafür relevanten Autoren (an erster Stelle Gogol’ und Leskov – die Ausnahme ist Michail Zoščenko) zeigen, dass der „begrenzte geistige Horizont“ in vielen Fällen das ‚Privileg‘ ukrainischer Figuren ist. Hier wäre zu fragen, ob der skaz nicht ein ethnisch, genauer: großrussischhegemonial codiertes Verfahren ist.
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3 Das Problem der Verssprache Nach seinem Exposé zur formalistischen Prosatheorie wendet sich Ėjchenbaum den in der zweiten Forschungsphase des Formalismus entstandenen Arbeiten zur Verssprache zu. Die frühesten Bemühungen in dieser Richtung reichen auf die Jahre um 1910 und die Selbstbeschreibungen der Symbolisten zurück, beziehen dann aber wichtige Anstöße aus der dichterischen Praxis der Futuristen. Die Formalisten gehen von einer zunächst noch intuitiv erahnten Konkurrenz zwischen Rhythmus und Metrum als dominantem Organisationsprinzip des Verses aus. Osip Brik nimmt dieses Problem 1920 in dem (unveröffentlichten) Vortrag Über die rhythmisch-syntaktischen Figuren [O ritmiko-sintaksičesich figurach] in Angriff; er weist im Vers beständige syntaktische Gebilde auf, die fest mit dem Rhythmus zusammenhängen. In Verbindung mit dem sprachlichen Gewebe des Verses, der Phrase, verdrängen sie das Metrum und den Versfuß aus der dominanten Position und stufen sie, wie Ėjchenbaum formuliert, zu einer Art Alphabet oder Vers-Grammatik zurück. Diesen neuen Zuschnitt der Vers-Forschung vergleicht Ėjchenbaum mit der Wende, die in der Prosatheorie durch die Herausarbeitung der Sujet-Konstruktion erreicht wurde; in der Verstheorie „war die Auffassung des Rhythmus als einer an der Sprachoberfläche bleibenden Äußerlichkeit nicht länger haltbar. Die Theorie konzentrierte sich auf den Rhythmus als die konstruktive Basis des Verses, die alle seine anderen Elemente prägt: die akustischen wie die nichtaku stischen.“ (Ėjchenbaum 1965b [1925], 33–34/russ. 1927a, 135–136). Offen war, wie die in Gruppen angeordneten Beispiele aus Briks Vortrag zu einer Theorie fortentwickelt werden sollten. Ėjchenbaum kritisiert den im formalistischen Sinne unproduktiven, klassifikatorischen Ansatz, den Viktor Žirmunskij aus Briks Stoffsammlung ableitet. Während Žirmunskijs Buch Die Komposition lyrischer Gedichte [Kompozicija liričeskich stichotvorenij] (Žirmunskij 1921) auf der zentralen Stellung des Metrums beharrt, geht Ėjchenbaum selbst von der Syntax als der Schnittstelle zwischen Phonetik und Semantik (bzw. zwischen Vers und dichterischer Phrase) aus. Seine Monographie Die Melodik des russischen lyrischen Verses [Melodika russkogo liričeskogo sticha] (Ėjchenbaum 1922) bringt unter dieser Voraussetzung die von Brik identifizierten rhythmisch-syntaktischen Erscheinungen in „Zusammenhang mit der konstruktiven Bedeutung der Versund der Sprachintonation“. Weiter führt Ėjchenbaum aus: Es kam mir besonders darauf an, die Dominante aufzuspüren, die den jeweiligen poetischen Stil organisiert, und den Begriff der ‚Melodik‘, als eines Systems des Intonierens, vom Begriff einer allgemeinen ‚Musikalität des Verses‘ abzuheben. So schlug ich vor, in der Lyrik drei Stile zu unterscheiden: den deklamatorischen (rhetorischen [oratorskij]), den sangbaren [napevnyj] und den Geprächsstil [govornoj]. (Ėjchenbaum 1965b [1925], 35–36/ russ. 1927a, 136)
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Wie produktiv diese Unterscheidung verschiedener „Systeme des Intonierens“ ist, zeigen die Arbeiten mehrerer Formalisten, die dem Vorgriff auf die Literaturgeschichte (s. u. Abschnitt 5) eine weitere Dimension hinzufügen: Tynjanovs Studie zum achtzehnten Jahrhundert Die Ode als oratorisches Genre [Oda kak oratorskij žanr] (1972 [1927]), Boris Tomaševskijs Aufsatz Puškins fünffüßiger Jambus [Pjatistopnyj jamb Puškina] (1929a [1923]) und Ėjchenbaums Die Melodik des russischen lyrischen Verses [Melodika russkogo liričeskogo sticha] (1922) mit Kapiteln über die ‚sangbare‘ Lyrik bei Puškin, Žukovskij, Tjutčev und Fet, sowie zuletzt, ebenfalls von Ėjchenbaum, die Monographie Anna Achmatova. Versuche einer Analyse [Anna Achmatova. Opyt analiza] (Ėjchenbaum 1923) setzen Eckpunkte für eine theoretisch fundierte Geschichte des russischen Verses. Mit einer umfangreichen Illustration des „Geprächsstils“ [govornoj stil’], an der Grenze zur Prosa, rundet die Achmatova-Monographie den historischen Überblick zu den drei grundlegenden „Systemen des Intonierens“ ab. Die genannten Studien konkretisieren ihre Auffassung vom Vers im Begriff der besonderen Rede, die auch ohne Einwirkung eines Metrums der Prosa gegenübertreten kann. Aage Hansen-Löve (1978, 308–310) betont, wie umfassend hier das Prinzip der Deformation und Verfremdung [ostranenie] zum Tragen kommt. Roman Jakobson bezeichnet den „poetischen Rhythmus als eine der Arten, die Rede aus dem Zustand der Automatisierung herauszuführen“ (Jakobson 1923, 17); Ėjchenbaum spricht unter Verweis auf sein Achmatova-Buch davon, dass „das Wort, indem es in den Vers gerät, gewissermaßen aus der gewöhnlichen Rede herausgenommen, von einer neuen Bedeutungsaura umgeben, nicht gegen den Hintergrund der Rede überhaupt, sondern gegen den Hintergrund der Versrede wahrgenommen wird“ (Ėjchenbaum 1965b [1925], 39–40/russ. 1927a, 139). Tomaševskij vertieft das Argument in seinem Aufsatz Das Problem des Versrhythmus [Problema stichotvornogo ritma] (1929b [1923]; liegt nicht auf Deutsch vor; vgl. die französische Teilübersetzung Tomaševskij 1965, sowie die angrenzende Studie Vers und Rhythmus. Methodologische Bemerkungen [Stich i ritm. Metodologičeskie zamečanija], Tomaševskij 1972 [1928]). Hier betont Tomaševskij, dass eine solche „Bedeutungsaura“ nicht notwendig der Stützung durch das Metrum bedarf: Die Verssprache ist eine in ihrem Klang organisierte Rede. Da aber der Klang ein komplexes Phänomen ist, wird immer nur ein einziges Element des Klanges kanonisiert. In der klassischen Metrik sind die Betonungen das kanonisierte Element des Klanges; deswegen werden gerade sie nach den Regeln der klassischen Metrik normiert. […] Die Autorität der traditionellen Formen braucht aber bloß ein wenig ins Schwanken zu geraten – und schon meldet sich hartnäckig der Gedanke, dass sich das Wesen des Verses in diesen primären Merkmalen nicht erschöpft; dass der Vers auch aus den sekundären Merkmalen heraus lebt; dass es neben dem Metrum noch den Rhythmus gibt, den man erkennen kann; dass man Verse
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schreiben kann, wenn man sich ausschließlich an die sekundären Merkmale hält; dass die Sprache auch ohne Beachtung des Metrums wie Verssprache klingen kann. (Tomaševskij 1929b [1923], 8–9; zit. nach Ėjchenbaum 1965b [1925], 37/russ. 1927a, 137–138)
Als nächste verstheoretische Arbeit der Formalisten referiert Ėjchenbaum Roman Jakobsons Monographie Über den tschechischen Vers, vornehmlich im Vergleich mit dem russischen [O češskom stiche, preimuščestvenno v sopostavlenii s russkim] (1923). Jakobson will durch sprachvergleichendes Vorgehen die Vorstellung widerlegen, der Geist einer jeweiligen natürlichen Sprache (d. h. ihr phonetisches System) determiniere notwendig die Prosodie der betreffenden Nationalliteratur. Die Gegenthese lautet: „Der Theorie, dass der Vers unbedingt dem Sprachgeist entsprechen müsse, und dass die Form dem Material keinen Widerstand leisten kann, stellen wir die Theorie einer organisierten Gewalt der poetischen Form gegen die Sprache [teoriju organizovannogo nasilija poėtičeskoj formy nad jazykom] entgegen.“ (Jakobson 1923, 16; ähnlich 45). Unter dem Einfluss der jeweiligen ästhetischen Tradition und anderer kultureller Einflüsse können auch die in der Phonetik der „natürlichen“ Sprache wurzelnden Widerstände überwunden werden (118). Jakobson illustriert dieses dichterische ‚Vorgehen gegen die Sprache‘ durch das in der rhythmischen Konstruktion „notwendig outrierte“ Verhältnis zwischen starken und schwachen Silben; und er folgert: „Die poetische Zeit ist also eine typische Erwartungszeit [dt. im Original], d. h. nach Ablauf einer bestimmten Zeitspanne erwarten wir ein bestimmtes Signal. Diese der Rede aufgenötigte Zeit, unterwirft die Rede einer subjektiven Transformation“ (19). Ein weiteres Argument aus Jakobsons Abhandlung richtet sich gegen die Identifikation zwischen emotionaler und poetischer Sprache: Beide sind im Blick auf ihre funktionale Eigenart im Sprachsystem streng voneinander zu unterscheiden (66–67, Anm. 92). Ėjchenbaums Überblicksdarstellung zeigt, dass die formalistischen For schungen zur Prosodie nach Jakobsons vergleichend-linguistischem Ansatz, d. h. bald nach Beginn der 1920er-Jahre, ihre Anbindung an die Linguistik lockerten, da sie der sprachwissenschaftlichen Unterstützung „nicht mehr bedurften“ (Ėjchenbaum 1965b [1925], 40/russ. 1927b, 139). Eben in dieser Phase formalistischer Theoriebildung erscheint Jurij Tynjanovs Buch Das Problem der Verssprache [Problema stichotvornogo jazyka] (Tynjanov 1977b [1924]/russ. 1924a), – wohl eine der bedeutendsten Leistungen des fortgeschrittenen Formalismus, wie Aucouturier (1994, 56–57) betont. In Anknüpfung an Ėjchenbaum (1965b [1925], 41/russ. 1927b, 140) hebt auch Aage Hansen-Löve als für die Erneuerung der formalen Methode entscheidend hervor, dass in Tynjanovs Buch „die Überwindung der ‚statischen‘ Auffassung der Konstruktion bzw. Kom-
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position (Struktur, Form etc.) durch ein neues, ‚dynamisches‘ Formprinzip“ angebahnt werde (Hansen-Löve 1978, 315 und passim). Tynjanovs Erklärungen sind in der Tat unmissverständlich: Vor kurzem erst haben wir uns von der berühmten Analogie: Form – Inhalt = Glas – Wein gelöst. Doch sind alle räumlichen Analogien, die auf den Begriff Form angewendet werden, deshalb bedeutsam, weil sie nur vorgeben, Analogien zu sein: In Wirklichkeit wird hier dem Begriff der Form ein statisches Moment untergeschoben […]. Ich wage zu behaupten, dass das Wort ‚Komposition‘ in neunzig Prozent aller Fälle eine statisch verstandene Form voraussetzt. Unmerklich werden die Begriffe ‚Vers‘ oder ‚Strophe‘ aus der dynamischen Reihe herausgelöst […]. Die Einheit eines Werks ist kein in sich geschlossenes, symmetrisches Ganzes [celost’], sondern eine sich entfaltende dynamische Ganzheit [celostnost’]; zwischen ihren Elementen steht nicht das statische Gleichheits- und Additionszeichen, sondern immer das dynamische Zeichen der Korrelation [sootnositel’nost’] und Integration. (Tynjanov 1977b [1924], 40/russ. 1924a, 9–10; Hervorhebung A.S.)
Die benannte dynamische Korrelation beruht darauf, dass der Rhythmus das in der Prosa vorherrschende stabile Verhältnis von primär und sekundär bedeutungs tragenden Elementen des Worts (vgl. 62/russ. 35) deformieren und sogar umkehren kann (vgl. 49, 55/russ. 20, 27). „Die rhythmische Versreihe bildet ein ganzes System von Bedingungen, die auf eigentümliche Weise die primären und sekundären Bedeutungsmerkmale sowie das Auftreten schwankender Merkmale beeinflussen.“ (84/russ. 61). Vor diesem Hintergrund hält Tynjanov eine Verstheorie für sinnlos, die das Ziel verfolgt, „sich der Untersuchung der Abstraktion ‚Wort‘ zuzuwenden“ –, denn die relevanten poetischen Wirkungen gehen „nicht vom ‚Wort‘ aus, sondern richten sich nach der allgemeinen Dynamik der Konstruktion“ (137/ russ. 120). Wenn nun die Dynamik des Versbaus sich gleichsam ‚formend‘ auf alle bedeutungstragenden Momente des „Materials“ im Vers erstrecken kann, dann muss das Begriffspaar „Form–Material“, das Ėjchenbaum (1965b [1925], 41/russ. 1927a, 140) zu Recht als bloße Verlegenheitslösung zum Ersatz des „überkommenen Begriffspaars Form–Inhalt“ kritisiert, verabschiedet werden. Tynjanov eröffnet sein Buch denn auch mit der Klarstellung: „Der Begriff ‚Material‘ überschreitet nicht die Grenzen der Form, – er ist selbst formal; und es ist falsch, ihn mit Momenten zu verwechseln, die außerhalb der Konstruktion stehen.“ (Tynjanov 1977b [1924], 38; vgl. Ėjchenbaum 1965a [1925], 41). Die Dynamisierung der vordem als ‚Material‘ eingestuften Momente des Verses führt Tynjanov dann an einer Vielzahl russischer Dichtungen vor; er erweist sich auch hier als der Literarhistoriker, als der er später berühmt wird – und definiert sein Unterfangen als „Bloßlegung der Form“: „und so betrachtet ist die Literaturgeschichte, die den Charakter des literarischen Werks und seiner Faktoren erklärt, gewissermaßen eine dynamische Archäologie“ (Tynjanov 1977b [1924], 45/russ. 1924a, 16; Hervorhebung A.S.).
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Tynjanov beginnt mit einem Fall, der eine besondere Herausforderung darstellt: der Prosa Nikolaj Karamzins, deren als ‚natürlich‘ motivierter Duktus – bewirkt durch das ‚Minus-Verfahren‘ einer allseitigen „Glättung“ und „Motiviertheit“ [sglažennost’, motivirovannost’] (44/russ. 14) – gerade als Dementi allen dichterischen ‚Ausstellertums‘, wie etwa der ‚lauten‘ Odenpoetik der Lomonosov- Nachfolger, empfunden wurde. Am anderen Ende der Skala möglichen Widerstands der poetischen Form gegen die Sprache stehen etwa im Gedichttext „gesperrte Reime“ [rifmy dalëkie] (61/russ. 34), welche die sichtbare Einheit des Verses in Frage stellen. Tynjanov beschreibt weitere Verfahren, mit denen die „Dichte der Versreihe“ [tesnota stichovogo rjada] (66/russ. 39) eingeschränkt werden und der Einschlag von Prosaismen im Gedicht Raum greifen kann (zur Wortsemantik der daraus resultierenden Dichtung s. Abschnitt II, 7 von Tynjanovs Studie). Ausführlich erörtert er zuvor den Wechsel des semantischen Gewichts einzelner poetischer Merkmale in Abhängigkeit von ihrer steigenden oder schwindenden rhythmischen Bedeutsamkeit (vgl. 95-97/russ. 74–76). In diesen Zusammenhang gehört auch eine besondere Art der Deformation von Elementen der Wortbedeutung: das Phänomen der „scheinbaren Semantik“ [kažuščajasja semantika, vidimost’ značenija] (101, 103/russ. 80, 83), das speziell für die Dichtung der russischen Symbolisten und Futuristen Bedeutung hat. Um das Phänomen pointiert vorzuführen, greift Tynjanov (100–101/russ. 79–80) auf ein Diktum aus Goethes Gesprächen mit Eckermann zurück: „Um Prosa zu schreiben, muß man etwas zu sagen haben; wer aber nichts zu sagen hat, der kann doch Verse und Reime machen, wo denn ein Wort das andere gibt und zuletzt etwas herauskommt, das zwar nichts ist aber doch aussieht, als wäre es was.“ (Goethe 1986b [1827], 205). Ėjchenbaum verweist abschließend erneut darauf, wie weit auch die vers theoretischen Arbeiten der Formalisten von Potebnjas Sprachtheorie und von der Vorstellung von Dichtung als „Denken in Bildern“ abgerückt sind (Ėjchenbaum 1965b [1925], 42/russ. 1927a, 141); für ihn ist Tynjanovs Abhandlung Das Problem der Verssprache der deutlichste Beleg für den Übergang des Formalismus von seinen z. T. s chematischen frühen Thesen zu einer komplexen Erforschung der Spezifik von Wortkunst.
4 Der Formalismus nach 1925: Ėjchenbaums Ausblick auf weitere Entwicklungen In der dritten Entwicklungsphase des Formalismus (Kap. VIII–IX) rückt eine seit etwa 1925 (d. h. zur Zeit der Entstehung von Ėjchenbaums Darstellung) erkannte Herausforderung in den Vordergrund – die Frage nach der Evolution der Formen
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bzw. nach den Methoden der Literaturgeschichte. Diese Frage hatten bereits einige der hier referierten Studien gestreift – etwa der gegen Veselovskijs historische Poetik formulierte Einwand, dass neue Formen nicht als Ausdruck oder Gefäß neuer „Inhalte“ auftreten, sondern als Ersatz bzw. Verabschiedung veralteter, ästhetisch nicht mehr „spürbarer“ Formen: Es war nur folgerichtig, dass man die Form, verstand man sie als den Inhalt selbst, der sich nach Maßgabe der vorausgegangenen Muster wandelt, nicht abstrakt und unter Anwendung ein für allemal festgelegter Klassifikationen beschrieb, sondern unter Berücksichtigung ihrer konkreten geschichtlichen Bedeutung. Zwei Perspektiven hielten sich gleichberechtigt nebeneinander: die theoretische Perspektive […], die Grundsatzfragen in den Mittelpunkt der Betrachtung stellte und an verschiedenartigem Material sich zu bewähren suchte; und die historische Perspektive – die Erforschung der literarischen Evolution als solcher. […] Die ursprüngliche Absicht der Formalisten, das eine oder andere Verfahren literarischer Konstruktion zu definieren und seine Einheit an vielfältigem Material zu erhärten, wurde nun durch den Versuch abgelöst, diese sehr allgemeine Vorstellung zu differenzieren und die konkrete Funktion des Verfahrens im jeweils vorliegenden Fall zu begreifen. [Der Begriff des funktionalen Stellenwerts rückte nach und nach in den Vordergrund und überlagerte den ursprünglichen Begriff des Verfahrens.] (Ėjchenbaum 1965b [1925], 43/russ. 1927a, 141–142; der in Klammern gesetzte letzte Satz des Zitats fehlt in der dt. Übersetzung.)
Dieser anspruchsvolle Versuch einer Erfassung der literarischen Evolution muss sich mit zwei bis dahin vorherrschenden Modellen der Literaturgeschichtsschreibung auseinandersetzen: einerseits mit der „akademischen Literaturgeschichte“ im Stile Aleksandr N. Pypins, einem, wie Ėjchenbaum urteilt, „primitiven Historismus“, der Epochenbegriffe wie „Romantik“ oder „Realismus“ als Stadien einer zur Vollendung fortschreitenden Fortschrittsgeschichte auffasst und sich die Abfolge der literarischen Generationen als „friedliche Übergabe des Erbes vom Vater auf den Sohn“ vorstellt (1965b [1925], 44/russ. 1927a, 142–143; zur „akademischen Literaturwissenschaft“ vgl. Nikolaev et al. 1975; dort 109–138 [zu Pypin] und 204–280 [zu Veselovskij, der ‚Negativ-Folie‘ vieler Thesen Šklovskijs]). Auf der anderen Seite begegnet das formalistische Forschungsprojekt dem vorsätzlich unhistorischen Ansatz der Theoretiker des Symbolismus und der impressionistischen Literaturkritik des Zeitungsfeuilletons, die sich in „Dichter-Silhouetten“ und der Anpreisung „unvergänglicher literarischer Weggenossen“ ergeht: Wir mussten die akademischen Traditionen zerstören und die Tendenzen der feuilletonistischen Wissenschaft liquidieren. Jenen mussten wir ein neues Bewusstsein von Literaturgeschichte und Literatur entgegensetzen, und zwar diesseits der Begriffe von Fortschritt und friedlicher Vererbung […]. Diesen gegenüber hatten wir auf die historischen Befunde hinzuweisen, auf das Fließende und Veränderliche der Formen, auf die Notwendigkeit, die konkreten Funktionen des jeweiligen Verfahrens zu berücksichtigen […]. (Ėjchenbaum 1965b [1925], 45/russ. 1927a, 143)
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Als Vorboten einer Literaturgeschichte im Geiste der Formalen Schule betrachtet Ėjchenbaum den Aufsatz Dostoevskij und Gogol’ (zur Theorie der Parodie) [ Dostoevskij i Gogol’ (k teorii parodii)] von Jurij Tynjanov, sowie Viktor Šklovskijs Broschüre Rozanov. Aus dem Buch ‚Das Sujet als Stilphänomen‘ [Rozanov. Iz knigi ‚Sjužet kak javlenie stilja‘] (beide Studien erschienen 1921). Tynjanov entdeckt in Dostoevskijs Roman Das Dorf Stepančikovo und seine Einwohner [Selo Stepančikovo i ego obitateli] zunächst in prägnanter Häufung Bezüge auf Nikolaj Gogol’s Sammelband Aus dem Briefwechsel mit Freunden [Vybrannye mesta iz perepiski s druz’jami], ein spätes Werk, in dem sich Gogol’s Schriftstellerei zunehmend zu exaltierter, stellenweise fanatischer Verkündigung religiöser Einsichten steigert. Indem Dostoevskij diese Reden auf einen seiner Romanhelden überträgt, eine sozialpolitisch ambitionierte Tartuffe-Gestalt, stößt er sich von der Gogol’-Schule ab; seine Stilisierung der Briefwechsel-Rhetorik ‚aus der Distanz‘ setzt den Roman Das Dorf Stepančikovo von der Epoche seines Vorgängers ab. Hier stellt Tynjanov die Frage nach dem Verständnis von kulturellem „Erbe“ [preemstvennost’] bzw. von „Tradition“ und führt aus: „Es gibt keine Fortsetzung der geraden Linie […], sondern Kampf… Jede literarische Nachfolge [preemstvennost’] ist primär ein Kampf, Zerstörung eines alten Ganzen und Neuschöpfung aus alten Elementen." (Tynjanov, zit. nach Ėjchenbaum 1965b [1925], 46 [unvollständig]/russ. 1927a, 144). In diesem Sinne nimmt Tynjanovs Studie bereits vorgreifend zum ‚Problem der literarischen Evolution‘ Stellung. Ähnlich wie der ‚Kampf‘ Dostoevskijs mit Gogol’ markiert auch die von Viktor Šklovskij postulierte Abstoßung der Roman-Tradition im Werk Vasilij Rozanovs einen literaturgeschichtlich bedeutsamen Stil- und Epochenwechsel. Šklovskijs Rozanov-Broschüre mag in manchen Textanalysen (wie in sehr vielen seiner Schriften) überspitzt sein; ihre Thesen zur Konkurrenz und Evolution der literarischen ‚Schulen‘, zu ihrer ‚Kanonisierung‘ bzw. ihrem Aufstieg in den literarischen Höhenkamm sind ein beiläufiger, aber sehr wichtiger Beitrag zu einer dynamischen Gattungstheorie. Diese Konzeption referiert Ėjchenbaum ausgehend von einem Zitat aus Šklovskijs Text über Rozanov: „Jede Epoche der Literatur besitzt nicht eine, sondern mehrere literarische Schulen. Sie existieren in der Literatur zur gleichen Zeit, wobei eine von ihnen den kanonisierten Höhenkamm der Literatur darstellt.“ (Ėjchenbaum 1965b [1925], 46/russ. 1927a, 144; vgl. Šklovskij 1921, 5–6). Der Kampf um den Kanon dynamisiert das Gattungssystem, wobei der ‚unterlegenen‘ „jüngeren Linie“ die Initiative zufällt: Die jüngere Linie schafft den Durchbruch auf den Platz der älteren, und […] Tolstoj als direkter Erbe des 18. Jahrhunderts begründet den neuen Roman […], Aleksandr Blok kanonisiert die Themen und Tempi der Zigeunerromanze, während Čechov das Witzblatt Die Weckeruhr in die russische Literatur einführt. Dostoevskij erhebt die Verfahren des Boulevard-
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romans zur literarischen Norm. Jede neue Schule in der Literatur ist eine Art Revolution […]. Die besiegte ‚Linie‘ wird nicht vernichtet […]. Sie wird nur vom Höhenkamm vertrieben, taucht unter und kann irgendwann wieder auferstehen, denn sie bleibt ein ständiger Kronprätendent. (Ėjchenbaum 1965b [1925], 46–47/russ. 1927a, 144–145; vgl. Šklovskij 1921, 6–7)
Hier werden Gedanken zur „Dynamik der literarischen Formen“ entwickelt, wie sie Jurij Tynjanov später in bahnbrechenden, in der heutigen Slavistik als klassisch betrachteten Darstellungen methodisch fortführen wird (s. u. Abschnitt 5). Ėjchenbaums Hoffnung, die formalistische Forschung zur Literaturgeschichte werde „in der Evolution Anzeichen einer geschichtlichen Gesetzmäßigkeit [priznaki istoričeskoj zakonomernosti]“ ermitteln können (Ėjchenbaum 1965b [1925], 48/russ. 1927a, 145), wird durch die späteren Arbeiten der Formalen Schule gedämpft: Der positivistische Impuls ist einer theoretisch umsichtigeren Methodik gewichen. Aber auch diese Methodik erweist sich als Herausforderung des literaturwissenschaftlichen Traditionalismus; so geht die Forderung nach einer kontrollierten Gattungsgeschichte einher mit einer Infragestellung der Autorschaft: Das Zentralproblem der Literaturgeschichte ist für uns das Problem der Evolution außerhalb der Person, die Bestimmung der Literatur als eines eigentümlichen Sozialphänomens. Deswegen gewinnt die Analyse der Entstehung und des Wechsels der Gattungen eine so gewaltige Bedeutung für uns – und damit auch die gemeinhin als zweitrangig verschrieene ‚Massenliteratur‘, sofern sie an diesem Prozess teilhat. (48–49/russ. 146)
Ėjchenbaum fasst seinen Rückblick auf die Formale Schule von 1915 bis 1925 in einer abstrakten Bilanz zusammen, die sich als eine produktive Überwindung einer Reihe von Dichotomien lesen lässt, in denen die frühen Arbeiten befangen waren. Dies sind: (1) die Gegenüberstellung „poetische vs. praktische Sprache“, die erst im Begriff der Sprachfunktionen und der poetischen Verfahren überwunden wird; (2) der Begriff der Form als pauschaler Gegensatz zum „Material“ wird in den Begriffen „Verfahren“ und „Funktion“ konkretisiert; (3) die Lyrik-Analyse, die zunächst von der Konkurrenz zwischen Versrhythmus und Metrum ausging, erhebt in der Folge den Rhythmus zum konstruktiven Faktor des gesamten Verses; im Rhythmus lässt sich die Dominante des Gedichts ausmachen – als das Prinzip, das primäre oder sekundäre Merkmale der Wortbedeutung in konstruktiv entscheidende Positionen rückt; (4) von der Auffassung, dass das Verfahren an unterschiedlichem Material in je identischer Weise wirkt, gehen die Forscher zur Feststellung über, dass die Verfahren nach ihrer Funktion zu differenzieren sind und dementsprechend auch die Evolution literarischer Formen unterschiedlich beeinflussen (51–52/russ. 147–148).
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Mit Ėjchenbaums Bilanz des russischen Formalismus, deren Referierung hiermit abgeschlossen ist, kommt die Schwelle zur Begründung des literaturwissenschaftlichen Strukturalismus in Sicht, wie sie in Jurij Tynjanovs und Roman Jakobsons kurzem Text bzw. Quasi-Manifest von 1928 Probleme der Literatur- und Sprachforschung [Problemy izučenija literatury i jazyka] formuliert wird (s. Tynjanov und Jakobson 1972 [1928]). Die beiden Autoren insistieren bereits eingangs auf einem „systembezogenen“ Vorgehen und verstehen darunter, dass die Kunstund Literaturgeschichte wohl mit den übrigen „historischen Reihen“ korreliert, dass aber der in dieser Korrelation wirkende „vielschichtige Komplex spezifischer Strukturgesetze" (386–387) nicht auf schlichte Synchronie, geschweige denn auf eine deterministische Vorrangstellung der historischen Reihe vor der literarischen, reduziert werden darf: [J]edes synchronische System hat seine Vergangenheit und seine Zukunft […] (a. Archaismus als Stilfaktum […]; b. die Neuerungstendenzen in Sprache und Literatur, die als Innovation des Systems empfunden werden). Die Gegenüberstellung von Synchronie und Diachronie […] verliert ihr prinzipielles Gewicht, sofern wir anerkennen, dass jedes System notwendig als Evolution vorliegt und andererseits die Evolution zwangsläufig Systemcharakter besitzt. (388–389)
Die abstrakten Thesen des Manifests lohnen am ehesten die Erörterung im Kontext von Tynjanovs Gesamtwerk: Tatsächlich gehen die formalistischen Arbeiten nach den frühen Studien über ‚Literarizität‘ und über die allgemeinen Prinzipien des Stil- und Epochenwandels (etwa Kunst als Verfahren [1919]; s. Šklovskij 1969a) bereits zu strukturalistisch argumentierenden Modellen über, bevor Jakobson und Tynjanov 1928 ihr Thesenpapier in der Avantgarde-Zeitschrift Novyj LEF veröffentlichen. Für diesen Übergang stehen vor allem die Studien Das literarische Faktum und Über literarische Evolution, die Jurij Tynjanov 1924 bzw. 1927 publiziert hat.
5 Modelle der Literaturgeschichte: Übergänge zum Strukturalismus Bereits in Das literarische Faktum [Literaturnyj fakt] formuliert Tynjanov einen Begriff von Gattung, der gegen die normative Gattungspoetik, aber auch gegen andere Formen der Gattungssystematik (z. B. die Triade ‚episch, lyrisch, dramatisch‘ o. ä.) die Idee einer vielfach artikulierten „dynamischen Sprachkonstruktion“ stellt. Das geschichtliche Moment der Gattungen, ihr ‚Evolutionspotenzial‘, beruht darauf, dass „dasselbe Material nach wechselnden Konstruktionsprinzi-
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pien“ angeordnet wird (Tynjanov 1969b [1924], 410–411), und dass „[d]ie Funktion eines bestimmten Verfahrens im Genre […] nicht unverrückbar [ist]“ (396–397; im Sammelband Striedter 1969a wird ‚Genre‘ [žanr] durchweg synonym mit ‚Gattung‘ gebraucht). Mit der ‚nicht unverrückbaren‘ Stellung der Verfahren ist die „Verschiebung“ [smeščenie] eines Merkmals der Gattung aus dominanter Position an die Peripherie gemeint oder, umgekehrt, aus dem Randbereich ins Zentrum, aber im Weiteren auch die Einbeziehung eines trivialliterarischen oder außerliterarischen Phänomens in den Bereich der Kunstliteratur bzw. der ästhetisch anspruchsvollen Gattungen. Als Beispiele für ‚Verschiebung‘ vom Zentrum in die Peripherie nennt Tynjanov den Abenteuerroman der Aufklärung und sein s päteres Absinken in die Boulevardliteratur (vgl. 398–401); als Beispiel für die ‚Literarisierung‘ eines Alltagsphänomens verweist er auf das Vordringen pragmatischer Briefstellerei in die Romanprosa des Sentimentalismus: die literarische Nobilitierung des Briefs im Briefroman um 1800 (vgl. 418–423). Besonders zukunftsweisend ist Tynjanovs Reflexion darüber, dass im System der literarischen Gattungen auch der Autor dem Vorgang der ‚Verschiebung‘ vom Zentrum an die Peripherie unterliegen kann (vgl. 404–407). Was Tynjanov schlicht als ‚das literarische Faktum‘ ankündigt, erweist sich damit als Element eines nach wechselnden Konstruktionsprinzipien gestalteten (d. h. dynamischen) Systems. Im Zusammenhang der einzelnen Gattung hat das Material keine feste Systemstelle inne, sondern wird zum Gegenstand von ‚Umbesetzungen‘, die einen entsprechenden Funktionswechsel voraussetzen bzw. bewirken. Diese innerhalb der Gattung möglichen Vorgänge definieren ihrerseits die Stellung der Gattung im System der literarischen ebenso wie den Kontakt zu den außerliterarischen (pragmatischen) Gattungen. Als Motor aller genannten Umbesetzungen bestimmt Tynjanov die bereits von Šklovskij beschworene ästhetische Unzuträglichkeit ‚automatisierter‘ Wahrnehmung, d. h. einer Kunsterfahrung, die nur abgegriffene, verbrauchte Effekte vorfindet. Über Šklovskij hinausgehend betont Tynjanov, dass die von den frühen Formalisten vertretene strenge ‚Abdichtung‘ der literarischen Reihe von alltagsüblicher bzw. pragmatischer Sprache und Schriftlichkeit als Einseitigkeit überwunden werden muss: „Eine literarische Epoche, die literarische Gegenwart, ist keineswegs ein unbewegliches System, das im Gegensatz zur beweglichen, evolutionierenden historischen Reihe stünde“ (402–403). Aus der Abfolge weiterer Arbeiten, in denen Tynjanov seine Methode einer gleichsam ‚systemtheoretisch‘ ansetzenden Literaturgeschichtsschreibung entfaltet und auf charakteristische Epochenbrüche anwendet, sind von exemplarischer Bedeutung die bereits von Ėjchenbaum (s. o.) gewürdigte Studie von 1921 Dostoevskij und Gogol’ (Zur Theorie der Parodie) (Tynjanov 1969a [1921]), sowie der Aufsatz Die Ode als oratorisches Genre (entst. 1922; Tynjanov 1972 [1927]). Statt
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ihrer sei hier ein Aufsatz von besonderer theoretischer Qualität referiert, nämlich die bereits oben genannte Studie Über literarische Evolution von 1927. Jurij Tynjanovs Aufsatz Über literarische Evolution [O literaturnoj ėvoljucii] (Tynjanov 1969c [1927]) bietet zunächst die Klärung einiger Begriffe, die in Das literarische Faktum mit schwankender Bedeutung verwendet worden waren; in erster Linie gilt dies für den Begriff der (literarischen, sozialen etc.) „Reihe“ [rjad]. Hier ist nicht schlicht die Metaphorik der „Linie“ mitzudenken, sondern der Begriff der „Ordnung“ (als artikulierter Zusammenhang), der auch der Wortableitung „rjad → porjadok“ [Reihe – Ordnung] zugrunde liegt. Ganz konsequent spricht Tynjanov jetzt auch von einem „System der literarischen Reihe“ (448–449; Hervorhebung A.S.) und unterstreicht sein Verständnis durch synonymen Gebrauch: „Die Erforschung der Evolution der Literatur ist nur möglich, wenn man die Literatur als Reihe, als System ansieht […].“ (458–461; Hervorhebung A.S.). Der Begriff der evolutionären Reihe wird zur Revision einer substantialistisch verstandenen Idee von Tradition in Stellung gebracht: Während literarische Tradition als organischer Zusammenhang für die Genese von Werken gedacht wird, vollzieht sich literarische Evolution als eine „Ablösung [smena] von Systemen“ (434–437). Diese Ablösung muss nicht als fortlaufende Serie unerhörter Innovationen stattfinden; auch ‚überholte‘ Verfahren aus alten Systemen, etwa sprachliche oder formale Archaismen, können ‚verjüngt‘ werden und eine konstruktive Funktion im neuen System übernehmen (438–439). Daraus ergibt sich, dass der Vergleich bestimmter literarischer Erscheinungen anhand von Funktionen und nicht allein anhand von Formen vollzogen werden muss (458–459); die Funktion sucht sich ihre Form. Als Beispiel für diesen Prozess verfolgt Tynjanov den Verfall der aus dem achtzehnten Jahrhundert kommenden odischen und epischen Formen als Korrelate der sozialen Funktion von Literatur. Bis 1820 wird darüber debattiert, ob der Versroman oder die narrative Dichtung in Oktaven diese soziale Funktion übernehmen kann – Symptom dafür, dass eine verwaiste Funktion sich ein neues Medium suchen muss (vgl. 446–449). Dieser Fall bezeugt einmal mehr, dass die literarische Reihe immer wieder auf die „benachbarten kulturellen, alltagspraktischen und im weitesten Sinne sozialen Reihen“ stößt und in wechselnde Korrelationen mit ihnen eintritt (433–434; Korrektur A.S.). Dabei manifestieren sich die Elemente des Einzelwerks als literarisches Faktum durch ihre Differenzqualität, d. h. durch eine spezifische Korrelation zur literarischen oder außerliterarischen Reihe (vgl. 440–441). Tynjanov kommentiert einzelne Formen der „Verklammerung“ [prikreplenie] literarischer Elemente mit außerliterarischen: So wird in politischen Gedichten, die für das Feuilleton bestimmt sind, die Versform im Interesse der aktuellen Botschaft ‚entliterarisiert‘; umgekehrt kann der Roman außerliterarische Elemente wie die Naturbeschreibung oder den politischen Diskurs belletristisch ‚eingemeinden‘ (vgl. 442–443).
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Als relevant betrachtet Tynjanov hier nicht den „Einfluss“ der politischen Reihe auf das literarische Werk, sondern die „konstruktive Funktion“, welche die Korrelation der genannten Elemente im System erfüllt (438–439): Naturbeschreibung kann schlicht zur Retardierung einer spannenden Erzählfolge, d. h. in dienender Funktion, eingesetzt werden; in einem anderen literarischen System dagegen wird die Naturbeschreibung zur Dominante, während die spannende Fabel zu dienender Funktion herabgesunken ist und nur den Anlass zur Ausbreitung der Naturansichten liefert. Den Begriff der (Funktions-)„Dominante“ definiert Tyjanov als die „exponierte Stellung einer Gruppe von Elementen“, welche eine Neuordnung der übrigen Elemente bewirkt; als Beispiel verweist er auf die Liebesintrige als Dominante der älteren Romanliteratur, während die Moderne als Roman-Kriterium schlicht den Textumfang einer Prosaerzählung betrachtet (450–451). In der funktionalen Ko-Evolution von Prosa und Verssprache (vgl. 446–447) sind vergleichbare Beobachtungen zu machen: Die Dominante Vers oder Prosa entscheidet über die Geschicke von Gattungen wie Poem, Verserzählung etc. Der Begriff der Funktion hat nun nicht nur für Tynjanovs Idee der literarischen Evolution grundlegende Bedeutung; die Forderung nach der Ermittlung eines Systems von Funktionen in der literarischen Reihe zieht eine zweite Forderung nach sich: „Das System der literarischen Reihe ist vor allem ein System von Funktionen der literarischen Reihe, das in ständiger Korrelation zu anderen Reihen steht.“ (448–449). Tynjanov erhebt hier differenzierten Einspruch gegen die marxistischen Literaturkritiker und das Basis-Überbau-Schema. Der kausale Brückenschlag vom außerliterarischen Leben und von der Klassenzugehörigkeit des Autors zu seinen Werken (vgl. 454–457) ist unzulässig: „[D]ie unmittelbare Bestimmung des ‚Einflusses‘ der wichtigsten sozialen Faktoren erforscht nicht die Evolution von Literatur, sondern lediglich die Modifikationen bzw. Deformation literarischer Werke.“ (460–461). Wenn „man die Literatur als Reihe, als System ansieht, das mit anderen Reihen und Systemen in Korrelation steht“, dann muss die Analyse „von der konstruktiven zur literarischen Funktion und von der literarischen Funktion zur sprachlichen gelangen“ (458–461). Hier greift Tynjanov auf ein Postulat voraus, das er 1928 gemeinsam mit Roman Jakobson im Thesenpapier Probleme der Literatur- und Sprachforschung (Tynjanov und Jakobson 1972 [1928]) formuliert: Die Analyse muss von den Verfahren im Werk über die Reihe bzw. das System der Literatur zu jener Korrelation aufsteigen, welche letzteres mit dem außerliterarischen Leben verbindet, d. h. zur sozialen Funktion. Tynjanov setzt die soziale Funktion in prägnanten Kontrast zum Begriff der künstlerischen oder anderweitigen ‚Intention‘ [ustanovka] des Autors oder Werks: Alle Intention ist eine durch die sprachliche Dimension (als soziales Funktionsmoment) gebrochene Absicht und kann nur über diese vermittelt zur Wirkung gelangen. Als Beispiel dafür verweist Tynjanov auf die feierlich-rhetorische Ode,
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die gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts verfällt, weil ihr – unter Bedingungen adliger Salons, nicht mehr im Festsaal der Zarenresidenz – als sprachlichgesellschaftlicher Funktionskontext der höfische Adressat verlorengeht (Tynjanov 1969c [1927], 450–455; vgl. Tynjanov 1972 [1927]). Der umgekehrte Prozess, nämlich Expansion der Literatur in das außerliterarische Leben, lässt sich feststellen, als der byronistische Held zum populären Gesellschaftsphänomen wird (454–455). Bemerkenswert sind Tynjanovs Versuche, die an älteren Epochen erprobten Methoden auch für Ansätze zu einer Geschichte der Gegenwartsliteratur (von der Revolution bis weit in die 1920er-Jahre hinein) zu nutzen; bereits vor dem Methodendurchbruch von Archaisty i novatory (Tynjanov 1967 [1929]) hat er eine Reihe pointierter Gegenwartsstudien veröffentlicht: über die Petrograder Serapionsbrüder [‚Serapionovy brat’ja‘], über literarische Personaleinsparung [Sokraščenie štatov], Das literarische Heute [Literaturnoe segodnja] und Die Zwischenzeit [Promežutok] (Tynjanov 1922, 1924b, 1924c und 1924d/1975 [1924]). Im Jahr 1924 veröffentlicht auch Boris Ėjchenbaum mit den Essays In Erwartung der Literatur [V ožidanii literatury] und Auf der Suche nach der Gattung [V poiskach žanra] (Ėjchenbaum 1965c [1924], russ. 1927b, und 1965a [1924], russ. 1927c) eine scharfsinnige Zustandsbeschreibung und Prognose zur russischen Gegenwartsliteratur. Zusammenfassend lässt sich formulieren: Im russischen Formalismus, und zwar hauptsächlich in den Studien von Jurij Tynjanov, zeichnet sich bereits in der Mitte der 1920er-Jahre der Übergang zu Argumenten und systematischen Ansätzen ab, die später als Spezifik des Strukturalismus betrachtet werden. Auch ein Jahrzehnt nach den formalistischen ‚Manifesten‘ ist deren Programm in praktischer Hinsicht, d. h. durch konkrete literarhistorische Untersuchungen oder gar methodisch kontrollierte Literaturgeschichten, nur mehr in Ansätzen eingelöst worden; außer Jurij Tynjanovs Archaisten und Neuerer, dem Sammelband mit Studien zu den Voraussetzungen und dem Anbrechen der Puškin-Zeit (Tynjanov 1967 [1929]), sind nur wenige ähnlich breit konzipierte Epochenstudien entstanden. Dies hat fraglos mit der Zerrüttung des öffentlichen Lebens zu tun, welche die Sowjetunion seit der Beendigung der ‚Neuen Ökonomischen Politik‘ und dem Auftakt zur brutalen Agrarpolitik der 1930er-Jahre erlebt. Aber es bestehen auch Schwierigkeiten, die dem literarhistorischen Projekt als solchem anhaften. Jan Mukařovský konstatiert in diesem Zusammenhang: In der strukturellen Literaturtheorie nehmen die Fragen nach einer Methodologie der Entwicklungsforschung der Dichtung eine komplizierte Gestalt an: in der Musik z. B. bietet sich das Prinzip der Immanenz (d. h. der ‚Eigenbewegung‘ der Struktur in der Bewegung) nahezu von selbst an, da es sich um eine nicht-thematische Kunst handelt, die in erheblichem Maße aus praktischen Zusammenhängen freigesetzt ist; in der Malerei, die mit ihrer Grund-
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thematik einen festeren Platz im allgemeinen kulturellen Kontext einnimmt, ist die Situation der immanenten Entwicklungsforschung bereits schwieriger; am schwierigsten, aber gerade deshalb auch ergebnisreich, ist der Weg zu ihr in der Literaturtheorie; hier beruht die Schwierigkeit darauf, dass zur Thematik noch ein gedankliches (reflexives) Element hinzukommt, das die Literatur – neben dem Zusammenhang mit der allgemeinen Kulturentwicklung – in die Geschichte des menschlichen Denkens einreiht. Wegen ihrer Kompliziertheit ist die Methodologie der strukturellen Literaturgeschichte, die zu den Aufgaben der strukturellen Literaturtheorie gehört, noch nicht ausgearbeitet, obwohl ihr Grundprinzip schon klar ist. (Mukařovský 1967a [1940], 30–31; Korrektur A.S.)
Diese Feststellung aus dem Jahr 1940 umschreibt treffend die aus der formalistischen Literaturgeschichtsschreibung erwachsenden neuen Forschungsaufgaben. Für den tschechischen Strukturalismus charakteristisch ist, dass sein Funktionsbegriff verschiedene Lesarten ein und desselben Werks zu erfassen und speziell die rigide Abdichtung der formalistischen Arbeiten gegen die Ideengeschichte zu überwinden erlaubt.
6 Zeitgenössische Kritiker der Formalen Schule Angesichts der Solidarität der frühen Formalisten (allen voran Viktor Šklovskijs) mit der futuristischen Literaturpraxis, aber auch der Proklamationen und ‚Manifeste‘, mit denen sie geradezu einen Monopol-Anspruch gegen die traditionellen Literaturwissenschaften richteten, musste Sperrfeuer aus den als feindlich oder rückschrittlich kritisierten Lagern jederzeit erwartet werden. Auch wenn diese Einteilung schematisch wirken dürfte, sollen aus darstellungspraktischen Erwägungen im folgenden (I.) die Kritik aus dem ‚bürgerlichen‘ Lager vom (II.) marxistischen bzw. schlicht im Jargon des Regimes vorgebrachten Einspruch gegen den Formalismus unterschieden werden. I. Vjačeslav Ivanov und Michail Geršenson streiten – zumindest indirekt auch für den Formalismus relevant – über die Konsequenzen des revolutionären Bruchs, als sie in ihrem Briefwechsel zwischen zwei Zimmerwinkeln [Perepiska iz dvuch uglov] (vgl. Ivanov und Geršenson 1990 [1921]) eine grundsätzliche Kontroverse über den Traditionsbegriff führen, die sich heute wie ein Vorgriff auf Ernst Robert Curtius’ Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter (1948) liest. Im engeren Sinne kunsttheoretische Antworten auf die Formale Schule waren von den Literaturforschern der Staatlichen Akademie für Kunstwissenschaften [Gosudarstvennaja Akademija Chudožestvennych Nauk / GAChN] zu erwarten, die von 1921 an für knapp zehn Jahre in Moskau bestand und prominente Wissenschaftler wie Semën Frank, Boris Vyšeslavcev, Aleksej Losev, Nikolaj Piksanov
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und Gustav Špet zu ihren Mitgliedern zählte (s. die umfangreiche Dokumentation in Plotnikov und Podzemskaja 2017). Im ersten Moment der Begegnung zwischen den beiden Forschungsrichtungen wird diese Erwartung enttäuscht: Die Formalisten fühlen sich von den GAChN-Mitarbeitern diskriminiert und gegenüber den deutschen (oder, wie bei dem Russen Gustav Špet, durch ihre deutsch klingenden Namen auffallenden) Literaturwissenschaftlern zurückgesetzt: „Über uns [sc. die Formalisten] redet man mit Verachtung, mit Ironie – wie über Kinder“, klagt Boris Ėjchenbaum in einer Tagebuchnotiz vom März 1927 (Plotnikov und Podzemskaja 2017, T. 1, 143, Anm. 1; ähnlich Ėjchenbaum an Šklovskij, zit. in Tynjanov 1977b, 515–516, Anm. 14). Tatsächlich ist bei den Forschern der Akademie für Kunstwissenschaften unverkennbar Herablassung im Spiel; so zeiht Boris Gornung in einem Vortrag von 1923 Zur Frage nach dem Gegenstand und den Aufgaben der Poetik [K voprosu o predmete i zadačach poėtiki] (aus einem archivierten Vortragsmanuskript in Plotnikov und Podzemskaja 2017, T. II, 487–512) die Formalisten, allen voran Šklovskij und Jakobson, des Autodidaktentums und der Inkompetenz (493–494). Sachhaltiger als die polemische Ouvertüre des gerade 24-jährigen Nachwuchsforschers ist der im weiteren Vortrag überzeugend geführte Nachweis, dass die Formalisten im Fortgang ihrer Studien immer auffälliger von ihrem frühen Bekenntnis zum ‚Antispychologismus‘ abgerückt sind: Für ihre jüngsten Schlüsselkategorien wie ‚Wahrnehmung‘, ‚Erlebnis‘, ‚neues Sehen (von Kunstwerken)‘ etc. werden eben jene Begriffe repristiniert, die in der Polemik gegen Potebnja verworfen wurden (498–499). Ohne dass Gornung wirklich eine alternative Konzeption ausführen würde, muss seine Kritik an der Formalen Schule als Plädoyer für die Phänomenologie im Sinne Husserls oder Špets gelesen werden. Tatsächlich enthalten Gustav Špets eigene Notizen bei aller Zurückhaltung gegenüber den Formalisten eine Fülle von bislang für die Literaturwissenschaft kaum ausgewerteten Ansätzen; am klarsten formulieren den fundamentalen Methodenkontrast zur Formalen Schule seine Thesen Über die Grenzen wissenschaftlicher Literaturforschung [O granicach naučnogo literaturovedenija] von 1924: 1. Der Gegenstand der Literaturforschung hat keinen Bezug zum Gegenstand der Naturwissenschaft; naturwissenschaftliche Analogien sind bei der Bestimmung der Aufgaben von Literaturwissenschaft methodisch unzulässig. 2. Der Gegenstand der Literaturwissenschaft ist eine bedeutungstragende, keine dinglich wahrnehmbare Gegebenheit [dannost’… signifikativnaja, a ne perceptivnaja]. […] 6. Die immanente Notwendigkeit des literarischen Wortes offenbart sich in der Analyse des Gegenstands der Literatur selbst bzw. eines Kollektivbewusstseins sui generis; das literarische Bewusstsein ist das kulturelle Selbstbewusstsein eines Volks, das die ethnische Vielfalt der Dialekte durch die Schaffung einer gemeinsamen Literatursprache überwindet. (Špet 2007, Übersetzung und Hervorhebung A.S.)
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Die interdisziplinären – von Philosophen und Literaturwissenschaftlern geführten – GAChN-Debatten insistieren durchweg auf dieser Differenz, wie etwa auch in Aleksandr Gabričevskijs Skizze Die Sprache der Dinge [Jazyk veščej]: „Der Mensch als soziales Wesen beschränkt sich nicht darauf, die Dinge zu benutzen […], sondern er versteht sie und weist ihnen Bedeutung zu [ich osmysljaet]. Sie sind für ihn nicht nur Dinge, sondern auch Zeichen – als notwendige Bedingung für seine Kommunikation mit anderen Menschen“ (Plotnikov und Podzemskaja 2017, T. I, 239). Die von Špet und seinen Kollegen betonte Unterscheidung zwischen Dingwahrnehmung und Zeichendeutung zielt kritisch auf das Pathos des Dinglich-Fassbaren [veščizm], das die frühen Formalisten ohne Rücksicht auf positivistischen Ballast von der Avantgarde übernommen hatten. Dieses Dinglichkeitspathos wird der Bachtin-Kreis später als „Materialästhetik“ [material’naja ėstetika] kritisieren und durch eine Konzeption von Literatur als Ensemble deutungs- und rezeptionsbedürftiger Zeichen zu überwinden versuchen (s. u.). II. Viel weniger sachhaltig ist die Parteipresse, in der die Formalisten von den Kulturwächtern des Regimes ‚entlarvt‘ werden. Über diese Publizistik (vgl. Erlich 3 1969, Teil I, vi; Hansen-Löve 1978, Teil 3, Kap. I./1–2) erheben sich im wesent lichen vier Autoren: Anatolij Lunačarskij, Nikolaj Bucharin, Boris Arvatov und Lev Trockij. Lunačarskij beanstandet im Aufsatz Formalismus in der Kunstwissenschaft [Formalizm v iskusstvovedenii] an der formalen Methode, sie missachte die emotionale Seite der Kunst. Im einzelnen verwirft er Ėjchenbaums Studie zu Gogol’s Mantel (Ėjchenbaum 1969 [1919]) als „seelenlos“, weil sie die üblicherweise als sentimentalistisch rezipierten Leidensszenen mechanisch seziere, anstatt ihr Gefühlspotenzial zu würdigen; unverkennbar folgt der Kritiker hier Lev Tolstojs Theorie vom moralisch produktiven ‚Ansteckungspotenzial‘ der Kunst. Die anschließenden ‚ideologiekritischen‘ Einwände Lunačarskijs rühren aus dem Unbehagen an einer ‚reaktionären‘ und ‚dekadenten‘ Lehre: Der Formalismus bediene die Ideologie einer niedergehenden Klasse, die sich durch ‚rein formale Kunst‘ in ihrer Realitätsverweigerung und ihrem Eskapismus bestätigen wolle (vgl. Lunačarskij 1924). Nikolaj Bucharins Aufsatz Über die formale Methode in der Kunst [O formal’nom metode v iskusstve] (1925) würdigt einige formalistische Arbeiten als wertvolle Auslotung des dichterischen Handwerks, vermisst aber an der Mehrheit der Studien die über eine mechanische Katalogisierung von Sprachphänomenen und Verfahren hinausgehende Perspektive. Die harmlosen, aber unzusammenhängenden Analysen seien so lange zu dulden, wie sie einer kommenden Synthese nicht im Wege stünden. Boris Arvatovs Aufsatz Über die formal-soziologische Methode [O formal’no-sociologičeskom metode] (1927) möchte diese Synthese über eine streng utilitaristische Einhegung des formalistischen Postulats einer ‚Kunst als Verfahren‘ erzwingen. Arvatov ist wie die Formalisten selbst ein strikter
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Gegner aller Widerspiegelungs- und Realismustheorien; er stimmt mit ihnen im Anti-Psychologismus und hinsichtlich des ‚Gemacht-Seins‘ von Kunst-‚Dingen‘ überein: Literatur als Ergebnis von Darstellungskonventionen und von Fiktion kehrt der sozialen Wirklichkeit den Rücken – als Ergebnis dichterischer Herstellung. Diese Qualität ästhetischer Artefakte setzt Arvatov dann aber in Parallele zur industriellen Produktion, denunziert den geschichtlich überholten ‚Fetischismus‘ der ästhetischen Verfahren und unterwirft letztere den Imperativen der Aufbau-Propaganda: Künstlerische Kreativität wird zum dienstbaren Instrument ‚effizienter gesellschaftlicher Organisation‘. Lev Trockijs Formalismus-Kritik ist die früheste der hier referierten vier Stellungnahmen; 1923 in der Aufsatzsammlung Literatur und Revolution [Literatura i revoljucija] ((1972 [1923], 136–152) veröffentlicht, gibt sich der Text zunächst fast konziliant: Bei aller Oberflächlichkeit und dem reaktionären Charakter der formalistischen Theorie der Kunst ist ein gewisser Teil der Forschungsarbeit der Formalisten durchaus nützlich. […] Diese Schule reduziert, nachdem sie die Form zum Kern der Dichtkunst erklärt hat, ihre Aufgabe auf die Analyse (im wesentlichen eine beschreibende und halbstatistische) der etymologischen und syntaktischen Eigenschaften poetischer Werke […]. Diese Detailarbeit, von den Formalisten großspurig Wissenschaft von der Poesie oder Poetik genannt, ist unbedingt notwendig und nützlich […]. Sie kann als wesentliches Element in die Technik des Dichterhandwerks, in seine praktische Rezeptur eingehen. […] Daraus eröffnet sich ein Weg […] zur Weltempfindung des Künstlers. (Trockij 1972 [1923], 136–137/russ. 1991 [1923], 130–131).
Der vordergründig tolerante Ton dieser Einschätzung beruht auf Trockijs Erwartung, die Formalisten würden sich letztlich „mit der […] hilfswissenschaftlichen, dienend-technischen Bedeutung ihrer Verfahren […] bescheiden“. Weil dem nicht so ist, steht neben der Darstellung der formalistischen Studien, die (anders als bei der Mehrheit der regime-offiziellen Kritiker) zumindest auf einer gewissen Kenntnis der relevanten Texte beruht, eine deutliche Irritation gegenüber Šklovskij, dem „Haupt der formalistischen Schule“, und seiner Theorie der „sich selbst genügenden reinen Formen“ (136/russ. 130). Trockij maßregelt Šklovskij speziell für einen kritischen Seitenhieb in der Essay-Sammlung Der Rösselsprung [Chod konja]; dort hieß es über die Marxisten: [S]ie gehen davon aus, dass neue Lebensformen neue Formen der Kunst hervorbringen. Das heißt, sie meinen, dass die Kunst eine der Funktionen des Lebens ist. […] Wir Futuristen aber sind mit einer neuen Losung aufgetreten: ‚Eine neue Form – bringt einen neuen Inhalt hervor.‘ […] Neue Formen treten in der Kunst dazu auf, um alte Formen zu ersetzen, die nicht mehr künstlerisch sind. (Šklovskij 1923, 38–40, passim)
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Frontal gegen die sowjetische Kulturpolitik richtete sich die beiläufig von Šklovskij postulierte Autonomie der Kunst: „Wir haben die Kunst nämlich aus der Abhängigkeit von der Lebenswelt befreit, die im künstlerischen Schaffen nur für die Ausfüllung der Formen eine Rolle spielt […].“ (38). Gegen diese „Auffassung der Gesetze für die Freiheit der Kunst [ponimanie zakonov svobody iskusstva]“ (41) sieht sich Trockij genötigt, die ‚materialistische Kunstanschauung‘ – will sagen: die Hegemonie der Kulturpolitik der Bol’ševiki und die utilitaristische Indienstnahme aller Kunst – zu verteidigen. So trägt letztlich auch Trockij zu der seit 1930 zunehmend konsolidierten Praxis bei, unbotmäßige Kunstwerke – darunter auch die Musik als per definitionem formale Kunst – mit dem Etikett ‚formalistisch‘ zu belegen und als Bekundung anti-kommunistischer Feinde abzustempeln. Das Buch Die formale Methode in der Literaturwissenschaft. Eine kritische Einführung in die soziologische Poetik [Formal’nyj metod v literaturovedenii. Kritičeskoe vvedenie v sociologičeskuju poėtiku] (Medvedev und Bachtin 1976 [1928]) erschien ursprünglich allein unter dem Namen des Bachtin-Schülers Pavel Medvedev. Grund für die ‚Maskierung‘ seiner Autorschaft mag Bachtins Absicht gewesen sein, sich nicht zu deutlich in inner-marxistischen Kontroversen zu exponieren, oder gar die Vorausschau auf den Haftbefehl, der im Dezember 1928 gegen ihn vollstreckt werden wird (s. Sasse 2010, 218; zu weiteren Erklärungshypothesen vgl. Sasse 2010, 60–64 und 69–70). Die Abhandlung kündigt (ähnlich wie die sowjet-offiziellen Formalismus-Kritiker) eine radikale Abrechnung mit der formalen Methode an; die rhetorischen Muskelspiele über die „schonungslose Kritik des Formalismus“, die Durchsetzung „marxistischer Literaturwissenschaft“ und die „nächsten Aufgaben“ der „Ideologie-Wissenschaft“ (Teil 1, Kap. I) sind aber im Wesentlichen Konzessionen an den Zeitgeist. Die Formeln von der „schonungslosen Kritik [bezpoščadnaja kritika] und den „nächsten Aufgaben“ [očerednye zadači] nehmen den Jargon von Parteitags-Instruktionen auf. Dass auch ganze Kapitel des Buchs stilistisch weit voneinander abweichen (s. die prägnante Argumentation von Teil 1 gegenüber dem begrifflichen Leerlauf am Schluss des Buches, speziell Teil 4, Kap. II), macht die Annahme plausibel, dass mehrere Autoren an der Ausarbeitung beteiligt waren. Im Unterschied zu den amateurhaften ‚Widerlegungen‘ seitens der bestallten und eher beiläufig literatur-interessierten Politiker – außer Arvatov haben alle Genannten hohe Parteibzw. Regierungsämter inne – gelingt Bachtin eine produktive Weiterentwicklung des Formalismus, die mit den seit den 1930er-Jahren entwickelten und nach 1965 international breit gewürdigten post-formalistischen Ansätzen der tschechischen Strukturalisten wichtige Einsichten teilt. Die Formalismus-Monographien von Hansen-Löve (1978, 438–442, „Bachtins […] Modell einer semiotischen Ideologiewissenschaft“) und Aucouturier (1994, 88–93, „Bakhtine et la critique de l’‚esthétique materielle‘“) geben prägnante Kurzbeschreibungen dieses Ansatzes.
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Bachtins Position mag auf den ersten Blick paradox erscheinen: Als deklarierter Vertreter des Marx’schen historischen Materialismus kritisiert er die Fixierung der Formalisten auf den Begriff des ‚literarischen Materials‘ und ihre Achtlosigkeit gegenüber dessen ideeller, nur kommunikativ realisierbarer Bedeutung. Sein Vorwurf, die formalistischen Fragestellungen verengten sich auf „Materialästhetik“ [material’naja ėstetika], richtet sich gegen eine Theorie, die das poetische Material und die Verfahren nicht als rezeptionsbedürftige Zeichen auffasst; gegen diese Theorie entfaltet Bachtin eine im Zeithorizont überaus originelle Auffassung vom wesenhaften Zeichencharakter der literarischen Artefakte, von ihrer notwendigen Einbettung in die soziale Kommunikation und von der Bedeutung der Rezeption durch ein Publikum (Teil 1, Kap. I, iv–vi). Was in der Abhandlung auf den ersten Blick wie die Apologie eines literaturgeschichtlichen Idealismus wirkt, richtet sich in Wirklichkeit nur gegen die positivistischen Anwandlungen der frühen Formalen Schule (s.o. Abschnitt 1). Mindestens ebenso bedeutsam ist, dass Bachtin auch gegen die marxistische Lehre von den Basis-Überbau-Beziehungen wichtige Differenzierungen geltend macht (Teil 1, Kap. I, viii–ix). Er schlägt die Literatur der Sphäre der Ideologie zu, revidiert aber das Dogma schlichter ‚Widerspiegelung‘, weil er (1) in den Texten die aktive Bewertung ihres ‚ideologischen Umfelds‘ [ideologičeskaja sreda] am Werk sieht, und (2) den ‚Abdruck‘ der Ideologie im Text/Werk nicht als einen propositionalen gesellschaftsbezogenen Inhalt bzw. ‚Ausdruck‘ identifiziert, sondern als Komponente eines komplexen Zeichens, das erst in der sozialen Interaktion der Leser ausgelegt wird. Zuletzt (3) spezifiziert er das in der Kommunikation der Leser konkretisierte Zeichen als ‚Sprechgattung‘; erst dadurch vollendet er die Reihe der Vermittlungsinstanzen – oder, in seinen eigenen Begriffen, ‚Brechungen‘ [prelomlenija] der vermeinten Kontinuität von der ökonomischen Basis bis zur literarischen Form –, die sich im vulgärsoziologischen Sowjetmarxismus nicht als theorie-relevant gegen den auf direkte Klassen-Zurechnungen, politische Slogans und ihren ‚sozialen Auftrag‘ [social’nyj zakaz] reduzierten IdeologieBegriff behaupten konnten. Bei der sukzessiven Sichtung der determinierenden Kontexte – Bachtin spricht von der Konditionierung durch ein ‚Milieu‘ oder ‚Umfeld‘ [sreda] – darf keine Etappe übersprungen werden: Nur bei Beachtung all dieser Bedingungen ist eine wirklich konkrete historische Analyse des Kunstwerks möglich. Weder darf man auch nur ein einziges der Glieder dieser besonderen Kette für das Verstehen ideologischer Erscheinungen auslassen, noch darf man bei einem einzelnen Kettenglied hängenbleiben und nicht zum nächsten Glied fortschreiten. Völlig unzulässig ist es, das literarische Werk unmittelbar und ausschließlich als Element des ideologischen Umfelds [ėlement ideologičeskoj sredy] zu analysieren, so als ob es das einzige Exemplar der Spezies Literatur wäre und nicht ganz direkt ein Element der literarischen Welt in ihrer Spezifik. Wenn man den Platz eines Werks in der Literatur und seine direkte
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Abhängigkeit von ihr nicht verstanden hat, kann man auch nicht seinen Platz im ideologischen Umfeld verstehen. (Medvedev und Bachtin 1928, 1976 [1928], 35, mit Anpassung an das russ. Original, A.S.; russ. 1928, 41–42)
Indem Bachtin das Basis-Überbau-Theorem und die marxistische Ideologiekritik semiotisch und kommunikationstheoretisch ‚überholt‘, begründet er zugleich eine dynamische Gattungs-Systematik, so wie sie sich, ebenfalls um 1928, in Jurij Tynjanovs Arbeiten zur literarischen Evolution und Kanonisierung abzeichnet (s. konzis dazu Aucouturier 1994, 93). Viel weniger als eine ‚Abwicklung‘ der Formalen Schule postuliert Bachtin ein zeichentheoretisches Supplement zum Formalismus; zumindest gemeinsam mit Tynjanov lässt er die eingangs angesprochene (s. o. Abschnitt 1) positivistische Auffassung von Verfahren und Gattungen als gegenüber Deutung und Rezeption indifferenten ‚Fakten‘ hinter sich.
7 Zeitgenössische und internationale Parallelen zum Formalismus In der Forschung wurde die Frage diskutiert, ob und inwiefern die poetologischen Studien und Essays des Dichters Osip Mandel’štam (1891–1938) an die formalistische Poetik anknüpfen oder Parallelen zu ihr aufweisen (Sola 1977; Toddes 1986). Mandel’štam teilt mit den Literaturwissenschaftlern der ‚Formalen Schule‘, wie beide Forscher betonen, die anti-symbolistische Stoßrichtung und die Festlegung auf das sprachlich organisierte autonome Kunstobjekt. Nach Mandel’štams Einzeltexten vorgehend, benennt Sola zu Recht Parallelen zu Denkfiguren und Argumenten der Formalisten, etwa im ‚Manifest‘ Der Morgen des Akmeismus [Utro Akmeizma] (1919) oder dem dichtungstheoretischen Aufsatz Über die Natur des Wortes [O prirode slova] (1922) (zu allen Schriften s. Mandel’štam 1987 und 1994). Sola stützt ihr Argument aber hauptsächlich auf Mandel’štams Gespräch über Dante [Razgovor o Dante] (1933). Es wäre übertrieben, in dieser Schrift begrifflichmethodische Anknüpfungen an den Formalismus zu sehen: Die erratischen, oft mehr pointiert als argumentativ eingeführten Thesen stellen im Kern den Kommentar zu Dante als ‚Klassiker‘ dar – zu einer Werkkategorie also, mit der die Formalisten sich nie anfreunden konnten. Quer zur Literaturanalyse der Formalisten steht auch Mandel’štams Aufsatz Das Ende des Romans [Konec romana] (1928), eine Studie, die das Vergehen der literarischen Gattung durch das geschichtliche Ende des bürgerlichen Individuums erklärt; das geschichtsphilosophisch ambitionierte, im Grunde aber ‚vulgärsoziologische‘ Argument wird positiv dadurch verfremdet, dass Mandel’štam es mit dem von Viktor Šklovskij übernommenen
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anti-akademischen Gestus des ‚épater le bourgeois‘ (‚ėpataž‘; vgl. Toddes 1986, 93) vorträgt. Die Studie von Evgenij A. Toddes ist im Vergleich zu Sola materialreicher und systematischer. Mandel’štam wird hier mit den Formalisten unter den Kategorien Sprache und Kultur (Abschnitt 1.), Semantik der poetischen Sprache (2.), literarische Evolution (3.) sowie Kulturtendenzen der 1920er- und 1930er-Jahre (4.) konfrontiert. In Abschnitt 4. macht Toddes die Affinitäten zwischen Mandel’štam und der Formalen Schule anhand biographischer und anekdotischer Begegnungen anschaulich, auch in der gemeinsamen Distanzierung vom Kulturbetrieb der frühen Stalin-Ära. Kernpunkt der Abschnitte 2. und 3. ist Mandel’štams persön liche und intellektuelle Nähe zu Jurij Tynjanov. Dessen Abhandlung Das Problem der Verssprache, v. a. ihre Ausführungen über ‚scheinbare Semantik‘, waren Mandel’štam offenbar bekannt. Toddes (1986) hebt zu Recht auch hervor, dass Tynjanov und Mandel’štam im Blick auf die literarische Evolution ähnliche Argumente verwenden – etwa wenn die Relation einer Dichter-Schule nicht vorrangig auf die „Väter“-Generation bezogen wird, sondern auf die „Großväter“ oder „Onkel“ (89–90); Hintergrund für Mandel’štams häufigen ‚Durchgriff‘ durch die Kulturgeschichte ist, dass er – nun ganz im Unterschied zur Formalen Schule und den Futuristen – geschichtliche Brüche und Epochenschwellen im Kontinuum des kulturellen Gedächtnisses resorbiert (vgl. Lachmann 1990, IV,3: „Vergangenheit als Aufschub“). Man kann hinzufügen, dass Mandel’štam die Konzeption literarischer ‚Evolution‘ auch deshalb meidet, weil er die literarischen Werke und Schulen schlicht an „der Zeit entrückten“ Normen bemisst (Toddes 1986, 85), d. h. an den Modellen der Klassiker, auch wenn er sie, wie im Fall von Dante deutlich sichtbar, „verfremdet“ [ostranjaet] (86). So ist der wichtigste Unterschied zwischen Mandel’štam und den Formalisten denn auch in der Korrelation von „Sprache und Kultur“ (Abschn. 1.) zu sehen. Toddes formuliert dazu: „Der Opojaz grenzt die poetische Sprache, die ‚Sprache in ihrer ästhetischen Funktion‘ bzw. die ‚Literarizität‘ […] von den anderen Bereichen der Kultur ab, während das Universalthema von Mandel’štams Aufsätzen gerade ‚das Wort und die Kultur‘ ist. […] [D]as Wort wird als Dominante und ‚Platzhalter‘ der Kultur gedacht.“ (Toddes 1986, 80). Mandel’štam grenzt sich von den Formalisten also durch eine „metonymische“ Kulturauffassung ab: „Besonders deutlich wird die ‚metonymische‘ oder Stellvertreter-Rolle der Sprache in den Kontexten, wo Mandel’štam, wie im Aufsatz Über die Natur des Wortes [O prirode slova], Philologie und Familie, Philologie und Kirche nebeneinanderstellt […].“ (80). Zu Toddes’ Kommentar passt eine unübersehbare Figur aus Mandel’štams poetologischen Essays: das Bild des Gedichts als „ägyptischer Totenlade“ [egipetskaja lad’ja mërtvych], das den Aufsatz Über die Natur des Wortes [O prirode slova] beschließt (Mandel’štam 1994, 130/russ. 1987, 67). Dieses Bild widerspricht frontal
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der formalistischen (etwa in Tynjanovs Theorie der Verssprache entwickelten) Idee der ‚scheinbaren Semantik‘ [kažuščajasja semantika, vidimost’ značenija]: Das Wort in Mandel’štams Dichtung ist ein Gedächtnismedium. Nur vor diesem Hintergrund – und als mit dem Formalismus kaum kompatibel – ist denn auch die dichterische ‚Hermeneutik‘ zu verstehen, die Mandel’štam im Gespräch über Dante [Razgovor o Dante] skizziert: „In der Poesie ist nur das ausführende [bzw. erfüllende, A.S.] Verstehen [ispolnjajuščee ponimanie] wichtig […]. Semantische Befriedigung gleicht dem Gefühl eines ausgeführten Befehls.“ (Mandel’štam 1994, 114/russ. 1987, 109). Die Studien von Sola und Toddes können die Skepsis hinsichtlich der Parallelen zwischen den Formalisten und Mandel’štam also nicht zerstreuen; es erscheint plausibler, statt der Dichtungstheorie eine andere Textgattung als gemeinsames Terrain zu betrachten: Tatsächlich ist es Mandel’štams Literaturkritik, die vielfach an den begrifflichen Apparat und Stil der bereits erwähnten Studien anknüpft (s. o.), die Jurij Tynjanov 1922 bis 1924 (Personaleinsparung, Das Literarische Heute, Die Zwischenzeit; s. Tynjanov 1977a) und Boris Ėjchenbaum im Jahre 1924 (In Erwartung der Literatur, Auf der Suche nach der Gattung; Ėjchenbaum 1927c, 1927d) als literarische Bilanz der nachrevolutionären Jahre veröffentlicht hatten. Ähnlich gelagert wie das Thema ‚Mandel’štam und die Formalisten‘, dafür aber methodisch sicherlich fruchtbarer, ist eine ukrainische Parallele zum russischen Formalismus: das Werk des Literaturwissenschaftlers und neo-klassischen Dichters Mykola Zerov (1890–1937). Zerovs Vorlesungen der 1920er-Jahre zur ukrainischen Literaturgeschichte (vgl. Zerov 1924; 1928) praktizieren bei aller kulturgeschichtlichen Aufmerksamkeit eine begrifflich ausgewiesene Gattungssystematik und Konzentration auf Fragen der dichterischen Verfahren und der Komposition. Die Nachdrucke von Zerovs Vorlesungen und z. T. weit verstreuten Aufsätze in einem neueren Band (vgl. Zerov 2003) sind als Herausforderung zu betrachten, den formanalytischen Affinitäten des Forschers (und bedeutenden Dichters) weiter nachzugehen. Besondere Beachtung verdienen in Zerovs Studien die Parallelen zu der von Jurij Tynjanov vertretenen ‚systemisch‘ konzipierten Gattungsgeschichte. Die Sichtung literaturwissenschaftlicher Parallelen zum russischen Formalis mus begegnet zuletzt in einer Studie, die – obwohl von radikal anderen Voraussetzungen ausgehend – den Arbeiten der Formalisten überraschend nahesteht. Die Rede ist von der Dissertation Die Form der Individualität im Roman, mit welcher der deutsche Germanist Clemens Lugowski (1904–1942) im Jahre 1931 promoviert wurde. Lugowskis Ausbildung findet im Umfeld der ‚problemgeschichtlichen Methode‘ Rudolf Ungers statt; die Dissertation entwickelt diese Lehren aber ‚gegen den Strich‘. An deutschsprachigen Romanen und Autobiographien der Frühneuzeit, aber auch an europäischen Erzählwerken wie Boccaccios Decame
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ron oder Miguel de Cervantes’ Don Quijote macht Lugowski die Beobachtung, wie stark die Figuren vom Gewicht der „thematischen Überfremdung“ (Lugowski 1976, 26) belastet sind, d. h. als Illustrationen philosophischer „Probleme“ auftreten: als Liebende, dem Tode Geweihte, Heiligmäßige oder Narren. Den an den Figuren festgemachten Problemen fehlt „der Bezug auf die spezifisch dichterische Daseinsform“; indes provoziert Dichtung die Frage, „wer da nun eigentlich liebt und stirbt, d. i. die Frage nach dem Subjekt des problematischen Lebensverhältnisses“. Auch ist die Figur in der Dichtung, anders als in der Philosophie, nicht die einsinnige Verkörperung eines Problems, sondern „ein Schnittpunkt vieler problematischer Lebensverhältnisse“ (6–7). Als ein solcher „Schnittpunkt“ hat sie „Individualität“. Lugowski rührt mit dieser These an die Crux der Ungerschen Problemgeschichte: Das Problem Individualität erweist sich als Fragestellung, welche diese Methode über sich selbst hinaustreibt, und zwar zur Frage nach der Form der Individualität: Die sehr abstrakt klingende Frage nach der dichterischen Identität der Problemsubjekte kann […] ersetzt werden durch die Frage nach den Formen, in denen einzelmenschliche Gebilde dichterisch gegeben werden. Es handelt sich darum zu erfahren, was es bedeutet, wenn in einem Roman oder Drama usw. ein ‚Mensch‘ auftritt mit dem Anspruch, ein konkreter Einzelner, von den anderen auftretenden ‚Menschen‘ Unterschiedener zu sein […]. (9)
In einem nächsten Schritt der Argumentation supponiert Lugowski ein „mythisches Zeitalter“, das er unter Verweis auf Ernst Cassirer als „dasjenige des realen Einsseins von Einzelmensch und übergreifendem Verband, ja, von Einzelmensch und der Welt des Lebendigen überhaupt“ definiert (9). Und ähnlich wie das Zeitalter der klassischen griechischen Tragödie als ein „Abglanz des mythischen (Zeitalters)“ bezeichnet werden kann, weil „das griechische Volk sich in mythosgetragener Gemeinsamkeit im Angesichte des tragischen Spiels“ erlebt, kann für die Sagen und die Dichtung des Mittelalters von einem „mythischen Analogon“ gesprochen werden: Denn das „unmittelbare Verhältnis, das Darin- und DamitExistieren des Menschen in und mit der Wirklichkeit, ohne dass diese (im theoretischen Sinn) vergegenständlicht wird, eignet auch seinem Verhältnis zur überlieferten Formenwelt der künstlichen Wirklichkeit, die in der Dichtung erscheint“ (11). Lugowskis Interpretationsansatz beansprucht nun zu verfolgen, wie das „mythische Analogon“ resp. dieser „formale Mythos“ in frühneuzeitlichen Texten zerfällt – und Formen der Individualität freisetzt. Die „Zersetzung des mythischen Analogons“ beansprucht er vorrangig an Semantiken der Zeitgestaltung im Roman festzumachen: Den Lebensgang eines Helden vom Ergebnis her bzw. „von hinten“ zu motivieren, vernichtet nicht nur die Spannung, sondern reduziert die Ereignishaftigkeit dieses Lebens, versetzt die Figur – relativ zu den zuletzt behaupteten Zielen und Werten – in ein „Gehabt-
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sein“, so wie etwa die Helden in bestimmten Büchern des Decameron von Liebe, von Eifersucht oder von heiligmäßigem Eifer „besessen“ sein können. Die Motivierung „vom Beginn her“ begründet dagegen eine Form der Ereignishaftigkeit, des offenen Horizonts; Die „Wie“-Spannung wird durch ein Zukunftsmoment abgelöst: die Form der „Ob überhaupt“-Spannung (40; vgl. 78–80). Lugowski insistiert auf der Bedeutung solcher Analysen: „dichterische Formen haben ihr eigenes Leben und erschöpfen sich nicht darin, die Meinung eines Poieten zu geben. […] Es ist hier so, dass die Formen selbst etwas meinen, darin liegt ihr Gehalt“ (5). Lugowskis Motivation „vom Ende bzw. vom Beginn her“ findet in den frühen Erzählanalysen Viktor Šklovskijs (1969c [1919]) eine direkte Entsprechung; Boris Tomaševskij entfaltet in seiner Theorie der Literatur einen ähnlichen Gedanken mit der Unterscheidung zwischen „regressiver“ und „progressiver Lösung“ [regressivnaja / progressivnaja razvjazka] (Tomaševskij 1985 [1925/1931], 222/ russ. 1925, 140). Es wurde bereits angesprochen (s. o. Abschnitt 2), dass ein Vergleich des Aufsatzes von Viktor Šklovskij Wie Don Quijote gemacht ist [Kak sdelan Don-Kichot] mit Lugowskis Cervantes-Analyse (Lugowski 1976, 46–51) sich lohnen dürfte. Der Text steht für beide Interpreten auf der Grenze zwischen der NovellenSammlung (in der Art von Boccaccios Decameron) und dem späteren, um einen einheitlichen Helden zentrierten Roman. Während Šklovskij die Unbeständigkeit des Helden betont und die Figur des Don Quijote als einen Oberflächeneffekt (aufgrund der Novellen-Basis des Erzählten) betrachtet, sieht Lugowski bei Cervantes eine formale Suggestion von „Narrentum“ am Werk: Der Held von Cervantes darf sich „Identitätsbrüche“ nicht nur erlauben, – „solche Brüche sind sogar notwendig, weil sie das Narrenhafte ausdrücken“ (Lugowski 1976, 48–49). Besondere Aufmerksamkeit widmet Lugowski dem Verfahren der narrativen „Gleichzeitigkeit“, mit dem die ‚Einsinnigkeit‘ eines providentiellen Geschehens gestört wird, dessen Sinn schon ausgemacht ist. Lugowski will in ihm „einen hochbedeutsamen Hinweis auf die kommende Absonderung des Einzelmenschen sehen“ (115). Das Referat der Abhandlung kann hier abbrechen. Es ist wohl deutlich geworden, dass Lugowski die „Absonderung des Einzelmenschen“ nicht als ideengeschichtlicher, sondern als formgeschichtlicher Vorgang vor Augen steht, faktisch als Verschiebung im Bereich der Erzählverfahren. Heinz Schlaffer urteilt insofern zu Recht über die Verwandtschaft mit den russischen Formalisten: „Gemeinsam ist vor allem der Entschluss zur ‚unnatürlichen‘ Interpretation, welche die Inhalte eines literarischen Werks […] als formbedingte Elemente eines Strukturganzen“ nimmt (Schlaffer in Lugowski 1976, Vorwort, XV). Neuere Studien zu Lugowski (etwa Martínez 1996; s. auch Müller 1985) verweisen auf eine weiterreichende wirkungsästhetische Dimension in der Darstellung: Mehr als für die technischen Untersuchungen am frühneuzeitlichen Roman interessieren sie sich für den ‚formalen Mythos‘ als Inbegriff eines Gemeinschaftserlebens und eines möglichen
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Wahrheitsgehalts von Dichtung. Beide Dimensionen von Lugowskis Methode verdienen – wohl auch in modelltheoretischer Hinsicht – weitere Erforschung. Die vorliegende Darstellung hätte als Einzelpublikation ein Schlusskapitel erfordert, in dem (wie ansatzweise im Versuch von Depretto et al. 2018) die Präsenz und Bedeutung der formalen Methode heute bewertet würde – im Begriff der Formalisten selbst: ihr nicht nur wissenschaftsgeschichtlich, sondern g egenwärtig relevanter „Entwicklungswert“. Das dafür nötige Seitenvolumen ist hier wohl entbehrlich, weil die folgenden Kapitel des Sammelbandes die Ergebnisse und Folgewirkungen anhand der literaturwissenschaftlichen Methoden erörtern, die das Erbe der Formalen Schule in verschiedener Form antreten – oder sich von ihr abstoßen.
Weiterführende Literatur und Text-Anthologien Depretto, Catherine. Le formalisme en Russie. Paris 2009. Király, Gyula und Arpád Kovács [D’jula Kiraj und Kovač Arpad]. Hrsg. Poėtika. Trudy russkich i sovetskich poėtičeskich škol [Poetik. Arbeiten der russischen und sowjetischen PoetikSchulen]. Budapest 1982. Striedter, Jurij. Literary Structure, Evolution, and Value. Russian Formalism and Czech Structuralism Reconsidered. Cambridge, MA, und London 1989. Ušakin, Sergej. Hrsg. Formal’nyj metod. Antologija russkogo modernizma [Die formale Methode. Anthologie des russischen Modernismus]. Bd. 1: Sistemy, Bd. 2: Materialy, Bd. 3: Technologii. Moskau und Jekaterinburg 2016.
Fredric V. Bogel
II.2.2 New Criticism und New Formalism: Zur anglo-amerikanischen Formtheorie Ziel dieses Artikels ist es, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen älteren und neueren Ansätzen in der englischsprachigen formalistischen Literaturtheorie aufzuzeigen. Der gegenwärtige Formalismus ist von der bewussten Abgrenzung vom New Criticism der 1930er-Jahre geprägt. Dessen Hauptmerkmale werden vermittels der Vorläufer und Protagonisten Thomas Stearns Eliot (1888‒1965), Ivor Armstrong Richards (1893–1979), William Empson (1906–1984), Cleanth Brooks (1906‒1994) und Robert Penn Warren (1905–1989) kurz skizziert. Ziel dieser Kritiker war es, formale Merkmale literarischer Texte nicht als Ausschmückung zu begreifen, sondern als zentrale Bestandteile der Bedeutungserzeugung, die sowohl für sich als auch gemeinsam mit semantischen Elementen Sinn vermitteln, diesen Sinn performativ darstellen und ihm Form geben. Das bedeutete nicht nur, aufmerksam zu lesen (im close reading, der charakteristischen Methode der New Critics), sondern den Aspekten von Texten, die vormals als bloße Ausschmückung und Beiwerk begriffen wurden, neue Bedeutung und Lesbarkeit beizumessen. Anschließend wird dargestellt, welche Kritik der ‚New Formalism‘ (im Folgenden ‚Neoformalismus‘) an den theoretischen Annahmen des New Criticism geäußert und welche Verbesserungsvorschläge er gemacht hat. Diese betreffen unter anderem Fragen nach Form und Bedeutung, Textimmanenz, Literarizität, der ‚organischen‘ Einheit des Textes und anderen Vorstellungen von Homogenität, der Idee des ‚idealen Lesers‘, dem naiven Empirismus, dem Gegensatz zwischen ‚Sinn‘ und ‚Zweck‘ von Texten, sowie Fragen nach literarischen Werturteilen. Auf diese Weise werden die Prinzipien und Methoden, die von verschiedenen neoformalistischen Theoretikerinnen und Theoretikern entwickelt wurden, auf Grundlage ihrer kritischen Auseinandersetzung mit dem New Criticism vorgestellt. In erster Linie verbindet man den New Criticism, zwischen etwa 1935 und 1960 die dominante Strömung der anglo-amerikanischen Literaturtheorie, meist mit der Vorstellung eines einheitlichen ‚Werkganzen‘, das sich weitgehend unabhängig von seinen Produktionsumständen selbst genügt und welches es durch ein close reading, also die genaue Lektüre aller sprachlichen Nuancen, zu erschließen gilt. Im Gegensatz zum New Criticism unternehmen zeitgenössische Formtheoretikerinnen und -theoretiker den Versuch, das Wesen und die Bedeutung von Spannungen, Gegensätzen und Widersprüchen mitzudenken. So erfahren Macht und das kulturelle bzw. politische Potenzial von Form im formalistischen https://doi.org/10.1515/9783110364385-005
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Denken von Heather Dubrow, Susan Wolfson, Ellen Rooney und Robert Kaufman eine Neubewertung. Eine zweite Ausprägung des Neoformalismus setzt sich mit jüngeren Entwicklungen in der Ästhetik, auch im Rückgriff auf Kant, auseinander. Im Folgenden werden dazu verschiedene ästhetische Grundpositionen vorgestellt und ihre Relevanz für die Formdebatte skizziert. Dabei geht es um Form als Produkt von Deutungsprozessen und um eine Neubewertung des Verhältnisses zwischen Form und Sinn (in Auseinandersetzung u. a. mit Marjorie Levinson, Heather Dubrow, Charles Altieri, Robert Kaufman und Elaine Scarry). Berücksichtigt wird überdies die Forderung, dass eine genuin ‚neue‘ formalistische Literaturtheorie neben konventionellen Gattungs- und Klassifizierungsfragen auch der Spezifizität und Partikularität literarischer Formen gerecht werden muss (Denis Donoghue, Angela Leighton, Henri Focillon). Im nächsten Abschnitt geht es um die neoformalistische Neubewertung zentraler Konzepte der Ästhetik und des New Criticism wie ‚Intention‘ (William K. Wimsatt und Monroe C. Beardsley, Barbara Johnson, Paul de Man) und ‚Referenz‘ (P. D. Juhl, Steven Knapp und Walter Benn Michaels, de Man u. a. m.). Es wird gezeigt, dass Kategorien wie ‚Sprecher‘, ‚Zuhörer‘, ‚Kontext‘ und ‚Referenz‘ analog zur linguistischen Rückbildung (oder inversen Ableitung) als textuelle Produkte verstanden werden können. Im abschließenden Abschnitt werden anhand von Texten Wordsworths und Tolkiens die Konsequenzen neoformalistischer Ansätze im Hinblick auf das Referenzproblem diskutiert. Wenn einer neoformalistischen Grundannahme folgend Interpretation Form schafft, dann begründet sie zugleich auch die spezielle Fähigkeit literarischer Texte, gleichsam nachträglich eine Wirklichkeit zu schaffen, welche sie zunächst nur zu beschreiben scheinen. So steht jeder literarische Text entweder in einem Referenzverhältnis zu einer vorgängigen Wirklichkeit oder in einem rhetorischen Verhältnis zum Wirklichkeitseffekt, den er produziert.
1 New Criticism 1: Vorläufer und Protagonisten Als eine Grundannahme der Theorie und Praxis des New Criticism lässt sich die Idee des Gedichts als objektive Struktur von komplexer, also nicht-trivialer Einheit oder Ganzheit festhalten. Mithilfe dieser Idee lassen sich, wie W. K. Wimsatt festhält, die Wurzeln der Schule bis Aristoteles zurückverfolgen: The kind of oneness implied not only in Aristotle’s general theory of organic form but in his theory of verbal mimesis is the oneness of a thing which has heterogeneous, interacting parts […]. He sees the whole as more than the sum of its parts if only in that it includes the relations among the parts. (Wimsatt und Brooks 1957, 32)
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Bei Plotin wird die Idee des Einen noch zentraler: „Alles Seiende ist durch das Eine seiend“, und „was sollte es auch sein, wenn es nicht Eins wäre? Da ja jenes, des Einen beraubt, nicht ist, was es genannt wird“ (Enneaden VI.9.1, zitiert in Wimsatt und Brooks 1957, 114). Plotin unterscheidet zwischen dem einfachen und in sich nicht unterschiedenen Objekt als einer Art des Einen, die weder komplex noch organisch im herkömmlichen Sinn ist, und einer zweiten Spielart: der Einheit des kompositären, komplexen Gegenstands, den Wimsatt als „the triumph of an ordering principle over multiplicity and diversity of parts“ bezeichnet (Wimsatt und Brooks 1957, 118). Bevor mit T. S. Eliot der zentrale moderne Gewährsmann des New Criticism zur Sprache kommt, lohnt ein Blick auf den institutionellen Status der Literaturwissenschaft an amerikanischen Universitäten zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Mit wenigen Ausnahmen prägte die literarturtheoretische Debatte zwei Richtungen aus: einerseits die von Textanalyse und -kritik weitgehend unberührte ‚appreciation‘ und (gelegentlich moralisierende) Bewertung, andererseits die hochspezialisierte philologische bzw. historisch-kritische Auseinandersetzung, welche sich der Textinterpretation weitgehend enthielt. Die Ansätze galten als weitgehend unvereinbar, bis es zu einer Weiterentwicklung der Literaturwissenschaft kam, die viele mit dem Namen T. S. Eliots verbanden. John Crowe Ransom schreibt 1938: I suppose our modern critics have learned to talk more closely about poems than their predecessors ever did. The closeness of Mr. Eliot in discussing a text may well be greater than anybody’s before him, and he in turn may now be even exceeded in closeness by Mr. [R. P.] Blackmur, and perhaps others. These are close critics, and define our age as one of critical genius. (1938, 335)
Eliot kann sicherlich in mehrfacher Hinsicht als ‚close reader‘ gelten, auch wenn er selten die extrem detaillierte Textarbeit betreibt, die wir heute mit dem New Criticism verbinden. Zudem insistiert er nicht auf der Einheit des literarischen Textes oder einer spezifisch ‚poetischen‘ Sprechweise (wie Brooks’ „language of paradox“ oder Ransoms „structure“ und „texture“; vgl. Ransom 1979 [1941], 279‒280). Durchgängig und energisch betreibt er jedoch die Unterscheidung zwischen Dichter und Privatperson („man“), wodurch er implizit biographische Aspekte und Intentionalität ausblendet und den Text aus seinem Entstehungskontext löst. Sein Beharren auf dem Dichter als Produzenten eines Textes und nicht eines Sinns bzw. einer Aussage verweist bereits auf Cleanth Brooks’ spätere ‚heresy of paraphrase‘, richtet sich eindeutig gegen eine Sicht von Literatur als Propaganda oder Handlungsanweisung und markiert das Gedicht als Wortkunstwerk mit Bedeutung, anstatt als schlichten Bedeutungsträger. Ein Gedicht ist für Eliot nicht reduzierbar auf Inhalte oder Gegenstände, sondern seine Bedeutung
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erwächst daraus, was mit Inhalt und Gegenstand geschieht, wenn sie Teil des Ganzen im Gedicht werden. (Wenn im Folgenden stellvertretend für den literarischen Text vermehrt von Lyrik die Rede ist, sollte dies nicht überraschen: Das Gedicht ist für die New Critics das Paradebeispiel der ‚well wrought urn‘, des hyperstrukturierten Wortkunstwerks, das die genaueste Analyse verlohnt. Ein Hauptkritikpunkt an den Methoden des New Criticism seit den 1960er-Jahren ist, dass sie in der Anwendung auf nicht-lyrische Texte deutlich weniger produktiv seien [Anm. d. Ü.].) Das Verhältnis von Gegenstand und literarischer Bearbeitung verweist auf einen weiteren Gedanken, den die New Critics von Eliot übernehmen: Alle Aspekte eines Gedichts, von der Diktion über Metrum und „music“, müssen in der Gesamtschau bewertet werden, anstatt für sich genommen interpretiert zu werden. Den Bewertungsgedanken behält Eliot also bei, aber wie später Brooks, Ransom und Wimsatt versucht auch er, diese Bewertung enger an die Analyse des Kunstwerks und das genaue Studium seiner Eigenschaften zu koppeln. Manche der Eigenschaften, die Eliot dabei besonders schätzt, verweisen zudem auf die spannungsreichen Einheiten, Paradoxe und Ironien von The Well Wrought Urn und anderen zentralen Texten des New Criticism. Für Eliot finden sich solche verbalen und gedanklichen ‚Strukturen‘ z. B. vor der sogenannten „dissociation of sensibility“, die er im einflussreichen Essay über die ‚Metaphysical Poets‘ des siebzehnten Jahrhunderts bespricht. Eliot zufolge ‚spürten‘ Dramatiker wie Chapman und Dichter wie Donne und Herbert Ideen so unmittelbar wie ‚den Duft einer Rose‘: „A thought to Donne was an experience; it modified his sensibility.“ (Eliot 1975 [1921], 64–65). Nach der ‚Spaltung‘ finden sich (auch dank der poetischen Praxis Miltons und Drydens) in der englischen Lyrik keine so ‚unmittelbaren, sinnlichen Anschauungen von Ideen‘; es kommt zur scharfen Trennung zwischen Idee und Gefühl, Gedanke und Erfahrung, Körper und Geist, Kopf und Herz (vgl. 63, 67). Dichterische Sprache und Ambitionen, die solch schwierige Verbindungen von Gegensätzlichem dennoch ermöglichen, schätzte Eliot besonders. So wendet er Dr. Johnsons ätzende Kritik an den ‚Metaphysical Poets‘ – „The most heterogeneous ideas are yoked by violence together“ – programmatisch, wenn er schreibt: „a degree of heterogeneity of material compelled into unity by the operation of the poet’s mind is omnipresent in poetry“ (61). Noch näher kommt Eliot der Sprache des New Criticism, wenn er am ‚Witz‘ (wit) des Dichters Andrew Marvell hervorhebt, dass es ihm gelänge, die Spannung zu halten zwischen ‚Leichtigkeit und Ernst‘, ‚robuster Vernunft‘ und ‚graziler Lyrik‘ (vgl. 164, 162). Der Einfluss von Eliots jüngerem Zeitgenossen I. A. Richards auf den New Criticism lässt sich daran bemessen, dass Brooks festhält, er habe Richards’ Principles of Literary Criticism in den frühen 1930er-Jahren wohl fünfzehnmal komplett gelesen (Brooks 1944, 208). Wenn dieser Einfluss nicht immer ganz deutlich
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wird, so mag das daran liegen, dass viele von Richards’ Äußerungen zur Literaturtheorie im Rahmen eines größeren psychologischen, pädagogischen oder sozialen Projekts formuliert wurden. Zum einen glaubte Richards, dass die Lektüre von Lyrik bei Leserinnen und Lesern ein psychisches Gleichgewicht erzeugen könnte. In Foundations of Aesthetics (1922) beschreiben Richards und seine Ko-Autoren C. K. Ogden und James Wood die Synästhesie als „theory of Beauty par excellence“, da sie das ‚freie Spiel aller Impulse bei vollständiger Meidung von Frustrationen‘ in einem Gleichgewicht halte, das ein erfüllteres Dasein ermögliche (Ogden et al. 2 1925 [1922], 75, 78). Die Parallele zu Eliots Vorstellung von der Verbindung heterogener Gegenstände ist offensichtlich, aber für Richards handelt es sich dabei um ein weitgehend psychologisches, also gerade nicht um ein textuelles Phänomen. Zum anderen betrachtet Richards die Literaturkritik als Bestandteil seiner Kampagne für eine Alphabetisierung im Sinn der Ermöglichung verstehender, einfühlsamer Lektüre. Ihm gilt das verstehende Lesen als ‚Arbeit‘ und erlernte, nicht natürliche Fertigkeit, in deren Rahmen die Literaturkritik zu verorten ist (vgl. Richards 1966 [1929], 177): Durch sie trainiere man aufmerksames, genaues und sensibles Lesen jenseits von gewohnheitsmäßigen ‚Reflexen‘, die andernfalls Text und Wirklichkeit auf das Vertraute und Konventionelle reduzierten. So sehe der kundige Leser in allen Kontexten klar und vermöge begründete Urteile zu fällen. Dieser Aspekt von Richards’ Projekt reagiert mithin auf die verbreitete Geringschätzung genauer Lektüre, die Richards beklagt, wenn er schreibt, dass die ‚Technik der Lyriklektüre‘ weniger wissenschaftlich erschlossen sei als die ‚Technik des Stabhochsprungs‘. Es gebe keine ernstzunehmende Abhandlung über die Theorie der Textinterpretation, obwohl die Interpretation von Texten doch zentral sei für jede Bildung und eigenverantwortliches Handeln (vgl. Richards 1966 [1929], 292, 314, 316). Dieses Interesse an geistiger Ausgeglichenheit und an der sozialen Akzeptanz genauer und intensiver Lektüre sind für den New Criticism und seine Analysepraxis eher peripher; aber viele von Richards’ konkreten Beobachtungen zur Literatur und Literaturkritik weisen erhebliche Parallelen zu Eliot und damit den Ursprüngen des New Criticism auf: Richards bestand auf dem Primat der Sprache und der Notwendigkeit genauer Lektüre (close reading); er weigerte sich, die Paraphrase mit dem Text selbst gleichzusetzen; er sah den Teil stets als dem Ganzen untergeordnet; er sah die ‚Wahrheit‘ in der Kohärenz des Textes, nicht in der Korrespondenz des Textes mit der außertextlichen Realität; und er begriff den literarischen Text als Aussage einer ‚dramatischen‘ Sprechinstanz (d. h. nicht als Sprechakt einer empirischen Person), die sich einer Vielzahl von Registern und Haltungen bedienen kann. William Empson studierte in Cambridge bei Richards. Sein erstes und einflussreichstes Buch, Seven Types of Ambiguity (1930), geht zurück auf die Analyse eines
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Shakespeare-Sonetts von Laura Riding und Robert Graves. Richards beschreibt den Ursprungsmoment wie folgt: At about his third visit he brought up the games of interpretation which Laura Riding and Robert Graves had been playing with the unpunctuated form of „The expense of spirit in a waste of shame.“ Taking the sonnet as a conjuror takes his hat, he produced an endless swarm of lively rabbits from it and ended by „You could do that with any poetry, couldn’t you?“ This was a Godsend to a Director of Studies, so I said, „You’d better go off and do it, hadn’t you?“ (Zit. in Haffenden 2005, 207)
Empsons Projekt war nicht, wie Richards’, eine politische Mission zur Verbesserung der Interpretationsfähigkeit mündiger Bürger, aber wie sein Lehrer begriff er die Lektüre als geduldige Arbeit und als kulturelles Bedürfnis nach dem allgemeinen Gefühl der Sicherheit, das aus der Überzeugung erwächst, dass jede Art von Dichtung als erklärbar gelten kann (vgl. Empson 1966 [1930], 256). Seine Textanalysen sind meist detailliert, kreativ und präzise, und sie konzentrieren sich auf die Vielfalt der Bedeutungen einzelner Wörter und Phrasen, also auf Wortspiele, Paradoxa, syntaktische Ambiguitäten usw. Seine Unterscheidung von sieben Arten der Ambiguität ist zwar strukturgebend für sein Buch, aber viele Leser von Seven Types waren eher von den Einzeltextanalysen beeindruckt, die, wie Wimsatt und Brooks anmerkten, einer ganzen Generation die Vieldeutigkeit der Sprache nahebrachten (vgl. Wimsatt und Brooks 1957, 638). Empson beschreibt das Phänomen der Ambiguität auf mehreren Ebenen: u. a. in Wörtern oder Phrasen, die unterschiedlich gedeutet werden können, ohne dass eine schlichte Fehldeutung vorläge; in Wörtern oder grammatischen Strukturen, die gleichzeitig verschiedene Arten von Wirkung entfalten; als Merkmal aller guten Dichtung, dessen Funktionsweise gar als eine der Wurzeln der Dichtung selbst gelten kann; und als jede noch so geringe sprachliche Nuance, die unterschiedliche Reaktionen auf die gleiche Sprachäußerung zulässt (vgl. Empson 1966 [1930], X, 2; XV, 3, 1). Seinem Konzept der Einheit – teils verbaler, teils psychologischer Natur – sind sowohl Richards’ Vorstellung der psychischen Ausgeglichenheit verschiedener Impulse, als auch Eliots Idee des Gedichts als Verbindung heterogener Gegenstände verpflichtet. Doch damit wird man der Tiefe und dem fast mystischen Charakter dessen, was Empson in textuellen und psychischen compounds fand, nicht gerecht. Ganz wie Brooks (und auch Warren) später von der paradoxen Sprache zur These gelangten, dass Dichtung zugleich die Einheit der Erfahrung inszenieren und ihrer Vielfalt huldigen sollte (vgl. Brooks 1975, 213), macht Empson den gedanklichen Schritt von der verbalen Ambiguität zur begrifflichen und existentiellen Widersprüchlichkeit. Bei Brooks ergibt sich so ein Bild von der verbindenden Macht der Sprache, das nahezu an eine Theodizee grenzt; für Empson steht die Selbstdifferenz im Vordergrund,
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welche die Sprache und die in ihr begründete begriffliche Ordnung manchmal aufweisen. Empsons siebte Art der Ambiguität – „the most ambiguous that can be conceived“ – tritt auf, wenn die beiden Wortbedeutungen, die beiden Werte der Ambiguität, durch den Kontext definierte Gegensätze sind (Empson 1966 [1930], 192). Doch dann betrachtet Empson Wörter, die ohne offensichtliche Ambiguität Gegensätze ausdrücken (z. B. lat. altus, hoch oder tief: engl. let, erlauben oder hindern) und vermutet: „words uniting two opposites are seldom or never formed in a language to express the conflict between them; such words come to exist for more sensible reasons, and may then be used to express conflict“ (192, 195, Hervorhebung FVB). Er betrachtet also in umgekehrter Chronologie zunächst die jüngere Ambiguität und Widersprüchlichkeit und dann eine primitivere semantische Doppeldeutigkeit, über die er sich mit Freud dem psychologisch Primitiven zuwendet und der nicht-widersprüchlichen Doppeldeutigkeit, derer sich das Unterbewusstsein im Traum bedient. Auf Grundlage von Freuds Einlassungen zu primitiven Sprachen zitiert Empson die Behauptung, dass in einer frühen Entwicklungsstufe der ägyptischen Sprache das gleiche Zeichen für ‚alt‘ und ‚jung‘ Verwendung fand und spekuliert: „When a primitive Egyptian saw a baby he at once thought of an old man, and he had to learn not to do this as his language became more civilized.“ (194). Hier vollzieht Empson offensichtlich den gedanklichen Schritt von einer bloßen sprachlichen Ambiguität zur Vorstellung menschlicher Erfahrung als grundlegend und irreduzibel zwiespältig. Diese existentielle Interpretation scheint, ebenso wie die besondere Bedeutungsweise, die Empson der Ambiguität zuschreibt, besonders deutlich im siebten ‚Typ‘ auf. Diesem schreibt Empson eine Intensität zu, „wie man sie in Rastermustern findet, die weder das Horizontale noch das Vertikale in den Vordergrund rücken, oder in Schachbrettmustern, in denen keine der beiden Farben der Untergrund ist, auf dem die andere ruht.“ Er ergänzt: „it is at once an indecision and a structure, like the symbol of the Cross“ – und wieder ist der Schluss von der sprachlichen Ambiguität auf das theologische Mysterium vollzogen (192). Während für spätere New Critics wie Brooks die Vorstellung von poetischer Einheit praktisch nie von so fundamentalen Gegensätzen geprägt ist, formulieren sowohl Brooks als auch Empson in ihren Definitionen von Dichtung den Anspruch, dass sie eine bestimmte Welt bzw. Weltsicht hervorbringt. Diese Vorstellung liegt vielen von Empsons Analysen der Ambiguität zugrunde und zeitigt gelegentlich überraschende Einsichten zu einzelnen Werken acFlecknoe und Popes und Textformen, so z. B. zum ‚mock-heroic‘: In Defoes M Dunciad sieht Empson „an ominous mystery in the way the lowest and most absurd things make an exact parallel with the highest […]. [T]he process of alternately identifying and separating a key pair of opposites is a fundamental one for the style.“ (Empson 1967 [1951], 92).
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Trotz Empsons oft brillanter Eigenwilligkeit gibt es bedeutsame Kontinuitäten zwischen seinem Ansatz und dem der New Critics: die zentrale Bedeutung sprachlicher Analyse; die minutiöse Textarbeit (die Empson gegenüber seinen Vorgängern sogar noch intensiviert); die beständige Suche nach Ambiguität, Polysemie und der ‚Vielseitigkeit‘ in der Sprache; die Hingezogenheit zu Einheiten, die in ihrem Inneren Spannungen, Differenzen und Komplexität aufweisen; und natürlich die Grundannahme, dass die geduldige Analyse ‚jeder noch so geringen sprachlichen Nuance‘ wichtige und anderweitig unauffindbare Bedeutungsdimensionen aufzudecken vermag. In ihrer extrem einflussreichen Theory of Literature, die in den 1940er-Jahren mehrere Auflagen durchlief und nach dem Übergang vom philologischen zum ‚literaturkritischen‘ Paradigma als inoffizielles Handbuch zum fortgeschrittenen Literaturstudium galt, eröffnen René Wellek (1903–1995) und Austin Warren (1899–1986) den vierten Teil mit dem programmatischen Titel The Intrinsic Study of Literature wie folgt: „In recent years a healthy reaction has taken place which recognizes that the study of literature should, first and foremost, concentrate on the actual works of art themselves“ (Wellek und Warren 1956 [1948], 139). Sie begrüßen diese Entwicklung nicht nur, weil sie ein Korrektiv zum „Extrinsic Approach to the Study of Literature“ (dem Gegenstand von Teil 3 der Theory of Literature) bietet, sondern auch, wie ihre Formulierung nahelegt, weil dieser textimmanente Ansatz geradezu ‚natürlich‘ scheint, also nicht mehr konstruiert und methodisch, sondern selbstverständlich und unmittelbar einleuchtend: Der natürliche und vernünftige Ausgangspunkt für literaturwissenschaftliches Arbeiten liegt für sie in der Interpretation und Analyse literarischer Texte an sich (vgl. Wellek und Warren 1956). Ohne die Vorläufer Eliot, Richards und Empson wäre diese Entwicklung zum New Criticism (der 1941 im Titel von Ransoms gleichnamigem Buch festgehalten wird) kaum denkbar gewesen.
2 New Criticism 2: Bewertung und Bedeutung Die Sammelbezeichnung ‚New Criticism‘ suggeriert eine Homogenität und Kohärenz in den Absichten und Methoden der damit bezeichneten Kritiker (Cleanth Brooks, Robert Penn Warren, John Crowe Ransom, Allen Tate, W. K. Wimsatt u. a.), die der Vielseitigkeit ihrer Arbeiten nicht gerecht wird. Im Rahmen eines Handbuchs wie diesem ist Reduktion jedoch geboten, der Schwerpunkt liegt daher im Folgenden auf Brooks, der – in The Well Wrought Urn (1947) und zusammen mit Warren in Understanding Poetry (1938) – wohl am meisten zur Formulierung, Verbreitung und Institutionalisierung der Ideen und Praktiken des New Criticism bei-
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getragen hat. Es sei aber betont, dass die Theoriebildung der Zeit nicht auf diese vereinfachte Darstellung reduziert werden sollte – denn es ist, wie M. H. Abrams anmerkt, eine Vereinfachung, wenn man von einer Dominanz des New Criticism um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts ausgeht: What the New Criticism dominated was the pedagogy of courses designed to introduce undergraduates to the reading of poems, plays, and novels. But the era of the New Criticism was also the era of a great variety of enduringly important critical works that made frequent and diverse uses of the biographical, psychological, social, economic, and historical matrix of imaginative literature […]. [F]or inventiveness, variety, and vitality, the literary studies of that time had no parallel in any earlier period. (Abrams 1997 [1977], 127, 129)
In diesem heterogenen Kontext entwickelten die New Critics ihre Strategie des close reading, also die detaillierte Analyse jener Bedeutungsvielfalt, die ihrer Ansicht nach in allen guten Gedichten eine poetische Struktur der Ironie und Paradoxie erzeugte und damit “an inclusive unity of opponent attitudes” zum Ausdruck bringt, die Ausweis einer reifen, abgeklärten Sicht auf die Wirklichkeit ist (so Abrams 1997 [1979], 127). In der Rückschau sieht Brooks die Bedeutung des New Criticism seit den 1930er-Jahren besonders in der Ernsthaftigkeit, mit der das Textstudium an sich betrieben wurde. Dazu gehörte auch die Zurückweisung des vermeintlichen Gegensatzes zwischen Form und Gehalt: „In poetry, I think form and content become pretty thoroughly merged and I prefer not to split them apart; they define each other. A good poem is an object in which form and content can be distinguished but cannot really be separated.“ (Spurlin und Fischer 1995, 366). Dieser Gedanke findet sich natürlich auch außerhalb des New Criticism in zahlreichen Poetiken und Ästhetiken, aber die Insistenz, mit der die New Critics ihn vertreten, wird charakteristisch für sie. Sie erlaubt es ihnen, die formalen Eigenschaften eines Textes als bedeutungstragend und -produzierend anzusehen, anstatt als bloße Elemente zur Ausschmückung und Wirkungssteigerung. Wenn sich Brooks erinnert, dass der New Criticism in erster Linie durch seine Aufmerksamkeit für die Details der Texte von der bisherigen literaturwissenschaftlichen Praxis abwich (vgl. Spurlin und Fischer 1995, 368), so meint er damit zwei unterschiedliche, aber verwandte Dinge: Zunächst beansprucht er für die New Critics schlicht das, was Ransom mit ‚closeness‘, Richards mit ‚details‘ und Empson mit den ‚noch so geringen sprachlichen Nuancen‘ meinte, den Umstand also, dass die formalistische Literaturkritik der New Critics sprachlichen Details eine neue Wertschätzung entgegenbrachte. Jenseits detaillierterer Analysen ging es den New Critics jedoch zweitens auch darum, neue Details als interpretierbar auszuweisen, nämlich neben den semantischen auch die formalen. Letztere werteten sie vom bloßen Beiwerk auf zu essentiellen Bedeutungsträgern, die sowohl für sich genommen als auch in
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Kombination mit den semantischen Elementen Bedeutung vermitteln, inszenieren und formen. Man las also nicht nur genau, sondern man fand auch in vormals als bloß ausschmückenden und als ‚leer‘ vernachlässigten Textelementen neue Bedeutung und neue Lesbarkeit. Das war zwar nicht neu – Andeutungen dieser Lektürepraxis finden sich z. B. bei dem Renaissance-Rhetoriker George Puttenham oder in den Essays von John Denis im frühen achtzehnten Jahrhundert; im Rahmen einer institutionalisierten Literaturwissenschaft waren es aber die New Critics, die das Bedeutungspotential der Form entfesselten. Daneben stellt sich die Frage des Werts. In einem Text mit dem Titel „My Credo: The Formalist Critics“, der vier Jahre vor The Well Wrought Urn erscheint, stellt Brooks einige Grundannahmen oder ‚Glaubenssätze‘ seiner kritischen Praxis vor. Gleich zu Beginn äußert er sich ausdrücklich zur Wertfrage: „literary criticism is a description and an evaluation of its object“ (Brooks 1995 [1951], 45). Etwas später heißt es, „the formalist critic assumes an ideal reader: that is, instead of focusing on the varying spectrum of possible readings, he attempts to find a central point of reference from which he can focus upon the structure of the poem or novel“. Hier erscheint der ‚ideale Leser‘ zunächst als heuristisches Konzept mit der Funktion, die Voreingenommenheit und Interessen des einzelnen Lesers durch einen Fokus auf den Text zu ersetzen. Brooks räumt das auch ein, macht aber zugleich eine weitere Grundannahme: „There is no ideal reader, of course, and I suppose that the practicing critic can never be too often reminded of the gap between his reading and the ‚true‘ reading of the poem.“ (1995 [1951], 48). Gegen Ende des Artikels klingt dieser Gedanke von der ‚wahren‘ Bedeutung wieder an: „Literature has many ‚uses‘ – and critics propose new uses, some of them exciting and spectacular. But all the multiform uses to which literature can be put rest finally upon our knowing what a given work ‚means‘. That knowledge is basic.“ (Brooks 1995 [1951], 53). Die Zentralität der Bewertung durch den Kritiker, die Fiktion des idealen Lesers, die Idee einer ‚wahren‘ Bedeutung, und die Unterscheidung zwischen ‚meaning‘ und ‚uses‘ – Sinn und Zweck – sind in einer Weise miteinander verbunden, die es uns erlaubt, im Folgenden einige Grundannahmen der New Critics so zu korrigieren, dass sie anschlussfähig werden für die neoformalistische Theorie und Praxis. Ungeachtet der Schwierigkeit, aus einer formalen Beschreibung und Analyse ein Werturteil abzuleiten, galt den meisten New Critics das begründete Werturteil als Teil der gesellschaftlichen Verantwortung eines Literaturwissenschaftlers. Dieses Wertproblem betrifft natürlich nicht nur die Literaturwissenschaft, sondern auch die anderen Künste, insbesondere seit in der jüngeren Zeit wiederholt aufgezeigt wurde, dass Unterscheidungen wie die zwischen ‚E‘ und ‚U‘, Hochkultur und Populärkultur, lediglich Ausdruck von Vorurteilen und unreflektierten Setzungen sind. So schreibt Northrop Frye: „Every deliberately constructed hie-
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rarchy of values in literature known to me is based on a concealed social, moral, or intellectual analogy.“ (Frye 1957, 23). Man kann mit diesem Problem umgehen, indem man Werturteile schlicht als unvermeidlich akzeptiert – immerhin ist schon die Auswahl eines Analysegegenstandes anstelle eines anderen ein implizites Werturteil. Man kann aber auch annehmen, dass es möglich (oder zumindest erstrebenswert) ist, einen kritischen Diskurs einzuführen, der Analyse mit Bewertung verbindet – was Wimsatt als „a ‚monism‘ of evaluation through explication“ bezeichnet (Wimsatt und Beardsley 1954, 235, Hervorhebung FVB; vgl. Wellek und Warren 1956, 250). Oder man kann – wie es hier geschieht – das Ziel der (formalistischen) Literaturkritik darin sehen, einen Text so zu interpretieren und zu ‚realisieren‘, dass andere Leserinnen und Leser ihn vielleicht besser verstehen und im so ‚realisierten‘ Text selbst einen Wert finden mögen. So gesehen bewertet man den Text weniger, als dass man seinen Gegenstand möglichst vollständig präsentiert, so dass eine Bewertung – falls sie erfolgt – eine Reaktion auf den erhellten, maximierten Gegenstand anstatt auf einen verdeckten und reduzierten darstellt. Die Idee des ‚idealen Lesers‘ steht zudem in Verbindung mit dem Wunsch der New Critics, dem Text einen objektiven Status zuzuschreiben und das Schreckgespenst der ‚Skepsis und Anarchie‘ (vgl. Wellek und Warren 1956, 146) auszutreiben. Wenn Brooks jedoch einräumt, dass es zwar keinen idealen Leser gebe, der praktizierende Kritiker aber nicht oft genug an die Differenz zwischen seiner Interpretation und der ‚wahren‘ Bedeutung des Textes erinnert werden könne, dann ist der ideale Leser mehr als nur ein Hilfskonstrukt zur Vermeidung der eigenen Voreingenommenheiten und Einschränkungen. Selbst zwischen Anführungszeichen verweist ‚true‘ in „the ‚true‘ reading of the poem“ auf eine Art unerreichbares poetisches ‚Ding an sich‘. Analog dazu impliziert die Unterscheidung zwischen den Zwecken, denen Literatur zugeführt werden kann, und unserem Wissen, was ein bestimmtes Werk ‚bedeutet‘, ein Werkverständnis, das jeder Theorie vorgängig ist, und sie drückt damit den Wunsch nach einem ‚grundlegenden‘ Verständnis jenseits des individuellen Blickwinkels aus. Aber das ‚bestimmte Werk‘ hat eben beispielsweise für die ‚Zwecke‘ der marxistischen Kritik einen ‚Sinn‘ und für die ‚Zwecke‘ der psychoanalytischen oder dekonstruktivistischen Kritik einen anderen. Es gibt kein Wissen jenseits aller Blickwinkel, und jeder Blickwinkel ist bereits unausweichlicher Bestandteil eines ‚Zwecks‘, dem ein Text zugeführt wird. Was für Brooks und manche andere New Critics als Domäne der reinen, objektiven Bedeutsamkeit vor jeder Interpretation erscheint, muss durch den Neoformalismus zurückgewiesen werden zugunsten einer unausweichlichen Positionalität bzw. disziplinären und subjektiven Voreingenommenheit eines jeden kritischen Erkenntnisaktes. Die Unterscheidung zwischen einer individuellen Gedichtinterpretation und dem ‚wahren‘ Sinn des Textes ist analog zur Unterscheidung zwischen den unter-
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schiedlichen Bewertungen eines Gedichts durch unterschiedliche Leserinnen und Leser und seinem wahren Wert. Bewahrt erstere die Illusion eines der Interpretation vorgängigen, immanenten Sinns, so bewahrt letztere die Illusion eines immanenten oder objektiven Qualitätsmessers. Doch die einzelne Bewertung eines Textes kann ebenso wenig mit seinem ‚wahren‘ Wert verglichen werden wie eine bestimmte Interpretation mit seinem ‚wahren‘ Sinn. Daraus ergeben sich mindestens zwei Probleme für Werturteile: Erstens gibt es kein Qualitäts- oder Wertkriterium, das nicht Teil einer subjektiven Setzung wäre. Zweitens kann eine solche Bewertung nicht logisch aus dem Akt des Interpretierens erwachsen, denn die Sprache der Bewertung ist inkompatibel mit der Sprache der Beschreibung, der Analyse und der Interpretation. Die Gefahr der Bewertung besteht also darin, dass sie den literaturwissenschaftlichen Diskurs in eine unlogische und damit unhaltbare Position drängt. Ich sehe keine befriedigende Lösung für dieses Problem, zumindest nicht, wenn man von dieser Lösung erwartet, dass sie die beiden Sprachen in Einklang bringt. Es mag jedoch zielführend sein, das Problem aus einer etwas anderen Perspektive zu betrachten. Northrop Frye schreibt: „On the ethical level we can see that every increase of appreciation has been right and every decrease wrong: that criticism has no business to react against things, but should show a steady advance toward undiscriminating catholicity.“ (Frye 1957, 25). Was sich zunächst wie eine Absage an alle kritischen Standards ausnimmt, wird durch den speziellen Sinn, in dem Frye das Wort „ethical“ verwendet, qualifiziert: Er begreift „ethical criticism“ als kritische Praxis, die Kunstwerke als Botschaften aus der Vergangenheit an die Gegenwart sieht und sich bemüht, den Zeitgenossen die Vergangenheit auf diesem Wege zu vergegenwärtigen (Frye 1957, 24). Der einzelne Leser bzw. die Konsumentin der Kunst vergangener Tage kann jedes beliebige Werturteil treffen, aber die Aufgabe des „ethical critic“ ist es, so viel wie möglich vom kulturellen Erbe in die Gegenwart zu übertragen – daher das Ziel der ‚wertfreien Umfassendheit‘ („undiscriminating catholicity“). Dieses Argument hat seine Entsprechung im Bereich der individuellen Interpretationstätigkeit. Negative und positive Bewertungen sind interessanterweise asymmetrisch: Eine positive Bewertung behauptet nicht nur, dass bestimmte Aspekte des Kunstwerks auf bestimmte Weise ‚bedeuten‘, sondern sie räumt auch die Möglichkeit ein und regt dazu an, zusätzliche Bedeutungsdimensionen des Werks zu erschließen. Eine negative Bewertung hingegen schließt genau das aus und regt an, eben jene investigative und analytische Auseinandersetzung mit dem Werk auszusetzen, die die eigene (positive oder negative) Bewertung des Werks verändern könnte. Man kann zwar nie logisch beweisen, dass ein bestimmtes Textelement keine Bedeutung hat, aber die Abwertung eines Textes behauptet eben gerade, dass seine neubewertende Interpretation keinen Ertrag in Form neuer Erkenntnisse brächte. Daher könnte die Hauptursache für das Unterlassen
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von Werturteilen – vielleicht überraschenderweise – weniger mit der Bewertung als mit dem Unterfangen der Interpretation an sich zu tun haben. Schon allein deshalb können Werturteile nicht Teil eines seriös verstandenen Neoformalismus sein.
3 New Criticism 3: Intention und Werkeinheit in neoformalistischer Revision Inwiefern setzt sich der Neoformalismus noch vom New Criticism ab? Wie versucht er, problematische Aspekte und Annahmen des New Criticism zu vermeiden oder mit den eigenen Zielen zu vereinbaren? Es gibt natürlich auch unter dem Sammelbegriff des (von Heather Dubrow erstmals so bezeichneten) ‚New Formalism‘ eine Vielzahl von kritischen Ansätzen (vgl. Rasmussen 2002, 4). Für manche Literaturwissenschaftler beschreibt der Name „a critical genre dedicated to examining the social, cultural, and historical aspects of literary form, and the function of form for those who produce and consume literary texts“ (so Bruster 2002, 44). Ein Unterfangen dieser Art wird gelegentlich verstanden als Ausweitung des New Historicism auf das Gebiet der formalistischen Kritik im engeren Sinn oder als Vereinnahmung formalistischer Analysepraktiken durch kontextualisierende, kulturalistische oder politisch motivierte Literaturtheorien. Andere Neoformalisten hingegen verwehren sich dagegen, der Form eine ‚sekundäre, supplementäre Rolle‘ zuzuschreiben, welche die Tiefe und Breite ihrer Beiträge zu Stil und Semantik vernachlässigt und formalistische Auslegung nur als Quell von ‚Rohstoffen‘ betrachtet, die es zu ‚Waren der politischen Analyse‘ weiterzuverarbeiten gilt (vgl. Dubrow 2002, 85). Auf diese Unterschiede wird zurückzukommen sein. Zunächst sei noch etwas eingehender ausgeführt, inwiefern sich der Neoformalismus vom Gedankengut und der Praxis seiner Vorläufer im New Criticism unterscheiden lässt. Wenn man den Sinn eines Textes nicht als immanent begreift, sondern als Produkt einer Interpretation, dann kann auch die Einheit des Textes nicht schlichtweg gegeben oder vom Leser ‚vorgefunden‘ werden. Sie wird zunächst postuliert im Sinn einer Arbeitshypothese, welche den Interpretationsakt ermöglicht und leitet, um dann zu etwas zu werden, das die Interpretation offenbart oder produziert – wenn auch nicht mit dem Ziel, den Glauben der New Critics an eine ‚organic unity‘ wiederzubeleben. Zwar hat Mary Poovey noch 2001 attestiert, dass dieses Bild weiterhin für die einflussreichsten amerikanischen Literaturtheorien und ihre Lektürepraxis maßgeblich sei (vgl. Poovey 2001, 432), aber diese Dominanz wird vom Neoformalismus verschiedentlich attackiert. Manche Spiel-
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arten möchten unter Wahrung des Formprivilegs den „totalisierenden“ Einheitsideen der New Critics eine Absage erteilen, indem sie für eine „literarische Lektüre ohne organische Form“ plädieren (so Rasmussen 2002, 7). Auch Ellen Rooney warnt: „[I]f a longing for the lost unities of bygone forms […] is the impetus of a new formalism, the chances are not good for what is already an […] urgent project: the revision and reanimation of form in the age of interdisciplinarity.“ (2006, 33–34). Wie die ‚Intention‘ – die angenommene immanente Intention, nicht die des empirischen Autors –, so existiert auch die Einheit zunächst als weitgehend inhaltsfreie Arbeitshypothese und wird erst dann zum konkreten und individualisierten Produkt einer Interpretation. So skizziert J. Hillis Miller den Verlauf einer typischen Interpretation, die sich auf die Gattungsidentität eines Textes stützt: Interpretation, ‚literary criticism‘, is not the detached statement of a knowledge objectively gained. It is the desperation of a bet, an ungrounded doing things with words. ‚I bet this is a lyric poem‘, or ‚I bet this is an elegy‘, or ‚I bet this is a parable‘, followed by the exegesis that is the consequence of the bet. (1985, 26)
Man muss sich Millers Hyperbeln der ‚Verzweiflung‘ und der ‚Unfundiertheit‘ nicht anschließen, um zu begreifen, dass die Gattung in diesem Modell eine Erwartungshaltung oder Hypothese darstellt, die durch die anschließende Analyse bestätigt, entkräftigt oder transformiert wird. Solche investigativen Strukturen finden auf mehreren Ebenen Anwendung. Ganz allgemein gelten sie für das fundamentale Verständnis von ‚Literatur‘ und ‚Literarizität‘, denn wir gehen eine solche ‚Wette‘ ein, wann immer wir uns einem Text interpretierend nähern. Wir vermuten oder unterstellen, dass es sich beim Text um ‚Literatur‘ handelt, dass er sich einer Behandlung nach literaturwissenschaftlichen Methoden unterziehen lässt und diese belohnt. Dann unternehmen wir die Textauslegung, die die Hypothese bestätigt und die ‚literarische‘ Identität des Textes etabliert. Die Unterscheidung zwischen literarischen und nichtliterarischen Texten beruht nicht auf textimmanenten Differenzen, sondern auf bestimmten Zwecken, denen die Texte zugeführt werden; daher lassen sich die ‚Wette‘ auf die Literarizität eines Textes und ihr interpretierender Beleg korrekterweise als Nachweis dafür begreifen, dass der Text einem sehr bestimmten Zweck zugeführt werden kann. Das heißt natürlich keineswegs, dass er nicht auch – unter anderen Voraussetzungen und Interpretationskonventionen – andere Zwecke erfüllen, nämlich als ganz anderes Textobjekt verstanden werden kann. Ein wesentlicher Grund für die Nützlichkeit der Kategorie ‚Literatur‘ (welche die unterschiedlichsten Textsorten enthalten kann) und literaturwissenschaftlicher Interpretationskonventionen besteht darin, dass beide Texte zu Quellen bestimmter Arten von Wissen, Erfahrung und imaginativem Handeln machen, welche weithin als kulturell wertvoll erachtet werden und nicht anderweitig produziert werden können.
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Um ein Beispiel zu wählen, das näher am individuellen Akt der Interpretation liegt: Wir gehen eine ähnliche ‚Wette‘ ein, wenn wir postulieren, dass ein bestimmtes Gedicht sich ironisch über seinen Gegenstand äußert, einen älteren Text parodiert, eine bemerkenswerte Abweichung von der üblichen Haltung oder den Interessen seines Dichters darstellt, oder dass seine medizinische oder nautische Metaphorik auf eine gewisse Art Sinn produziert. Ob Gattung, Literarizität oder die Interpretation eines bestimmten Gedichts: immer geht es darum, dass ein ‚naives‘ empirisches Modell ersetzt wird durch ein Modell, das der Bedeutung der Erwartungshaltung bzw. einer antizipierten Struktur Rechnung trägt und die Analyse nicht nur einschränkt, sondern ihr buchstäblich einen ‚Spielraum‘ zur Entwicklung gibt. Paul de Man verweist auf ein solches Vorstrukturiertes, wenn er sagt: „I have a tendency to put upon texts an inherent authority […]. I assume as a working hypothesis (as a working hypothesis, because I know better than that), that the text knows in an absolute way what it is doing.“ (Rosso 1986, 118). In jüngerer Zeit hat Caroline Levine das Konzept eines „strategic formalism“ vorgestellt, das die Kritik am Konzept der organischen Einheit der New Critics konstruktiv wendet, und zwar durch ein Bewusstsein für den methodischen Nutzen der Idee eines einheitlichen Ganzen: [R]ather than discarding the notion of wholes altogether, we might do best to approach it strategically. After all, even those critics who are most dedicated to investigating diversity and marginality must posit temporal and spatial boundaries around their objects of analysis […]. The strategic formalist would invite a self-consciousness about the act of positing the provisional ‚whole‘ object of analysis, rather than imagining that it is possible to do away with totalities altogether. (Levine 2006, 634–635)
Mit dieser pragmatischen Haltung entzieht sich Levine der oftmals kruden Polemik der Debatten um Einheit und Heterogenität. Die methodische Dimension des Einheitsgedankens erweist sich so jenseits dieser Debatten und sogar der Literaturtheorie als produktiv, denn in praktisch jeder Disziplin setzt wissenschaftliches Arbeiten die Idee einer (wie auch immer gearteten) Einheit voraus: sei es die disziplinäre Einheit, die die Anthropologie von der Psychologie und der Humanbiologie unterscheidet, sei es die Einheit bzw. Homogenität des postulierten Untersuchungsgegenstands (Materie und Energie in der Physik, diese oder jene Sprache in der historischen Sprachwissenschaft usw.). Oder, um zur Literatur und Kunst zurückzukehren: sei es die laienhafte Annahme einer Werkeinheit, die eine Interpretation von Paradise Lost ablehnen würde, welche nur jedes zweite Wort des Textes berücksichtigt, oder eine Deutung von Constables Gemälde Der Heuwagen, welche die untere Hälfte der Leinwand ignoriert. Unabhängig davon, welche Art von Einheit eine Analyse voraussetzt: Jede wissenschaftliche Disziplin erfordert die Existenz dessen, was Frye „the assumption of total coherence“ nennt
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(1957, 16). Oder wie Wimsatt und Beardsley formulieren: „For all the objects of our manifold experience, for every unity, there is an action of the mind which cuts off roots, melts away context – or indeed we should never have objects or ideas or anything to talk about.“ (1954, 12). So gesehen mag die Beständigkeit der Frage nach der organischen Einheit weniger mit interpretatorischen Grundannahmen zu tun haben, als mit der zunehmenden Reife der Literaturwissenschaft als Disziplin. Poovey schreibt: [F]ormalism turns out to have been the prerequisite for literary study’s professionalization in universities in the 1930 s and 1940 s […]. In order to understand how formalism triumphed […] it is necessary to explore how a rudimentary project of grouping and classifying literary effects gave way to the objectification of the literary text, which resulted in both an ideology of aesthetic autonomy and a discourse about literature as specialized as the discourse about science. (2001, 416)
Ein weiterer Unterschied des Neoformalismus zum New Criticism äußert sich gelegentlich eher thematisch als methodologisch: Im Gefolge der Literaturtheorie und -kritik seit den 1960er-Jahren interessiert sich auch der Neoformalismus für jene Dissonanzen, Widersprüche und Brüche in Texten, die über das hinausgehen, was die New Critics ‚Ironie‘ oder ‚Spannung‘ nannten und fast immer eher als Bereicherung denn als Störung oder Minderung der grundlegenden Einheit des Kunstwerks begriffen. Der Neoformalismus kann dank der Fortschritte, die zwischenzeitlich die Dekonstruktion und in gewissem Sinne auch die marxistische und psychoanalytische Literaturtheorie und die Queer Theory geleistet haben, Spannungen besser aushalten und differenzierter beschreiben; er ist weniger darauf angewiesen, sie letztlich doch in ein harmonisches Ganzes zu integrieren. Im Zusammenhang mit dieser Erwartung oder gar Annahme thematischer, rhetorischer oder semantischer Spannungen und Disharmonien steht auch ein gesteigertes Bewusstsein für die textuellen Manifestationen und Operationen von Macht, also Strategien der Ausgrenzung, Marginalisierung, Hierarchisierung, Legitimierung und Delegitimierung, usw. Dieses Bewusstsein hat verschiedene Quellen, zu denen die dekonstruktivistische Hierarchiekritik ebenso zählt wie feministische und anders motivierte Analysen von Exklusionsstrategien, das marxistische Sensorium für die politisch-hierarchische Bedeutung verschleierter und scheinbar unschuldiger Machtausübung, oder Foucaults Analysen der diskursiven Produktion von Wissen und Wissensdomänen, in denen bestimmte Arten von Tatsachen oder Annahmen ermöglicht bzw. verunmöglicht werden – und natürlich das wiedererstarkte Interesse an der Rhetorik, das sich seinerseits u. a. aus der späten Würdigung Kenneth Burkes und neuen Arbeiten zur Schreibtheorie speist. Wie oben angemerkt, handelt es sich hierbei oft um thematische Neuausrichtungen (es sei nur an die in den 1960er- und 1970er-Jahren weitverbreitete Suche
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nach Christusfiguren erinnert), die nur gelegentlich neue methodische oder theoretische Fragen aufwerfen. Dennoch markieren sie einen klaren Unterschied zwischen poststrukturalistischen Neoformalisten und den New Critics. Und manchmal werden neben thematischen durchaus methodische Anliegen verhandelt: Eric Savoy z. B. beschreibt seine Arbeit als den Versuch, rhetorische Analysetechniken für die Queer Theory zu erschließen, da er in der formalistischen Literaturkritik (besonders in der Beschäftigung mit Tropen und der Katachrese im Verständnis der jüngeren Theoriebildung) eine „more general queerness“ am Werk sieht (2003, 79). Sein Anliegen geht weit über den Gegenstand der Queerness hinaus und teilt die formalistische Annahme, dass die wichtigsten und am härtesten erkämpften politischen Lektionen aus einer geduldigen Aufmerksamkeit erwachsen, aus den konkreten Komplexitäten der Auseinandersetzung mit Texten, aus einer ernsthaften Lektüre (vgl. Savoy 2003, 81, 80). In anderer Hinsicht kann man Savoys Hinwendung zum Neoformalismus – ebenso wie Bests und Marcus’ Konzept des ‚surface reading‘ – als Angriff auf den Irrtum sehen, dass „das Wissenswerte nicht an der Oberfläche liege, nicht in der Différance der Sprache verstrickt sei“. Savoy kritisiert die praktische Folge dieses Irrtums, nämlich dass „man die Augen für den Text verschließt und sich stattdessen auf die dunkle, vermeintliche ‚Tiefe‘ des Werks konzentriert“ (2006, 249; vgl. Best und Marcus 2009). Ein ähnlicher Versuch, formalistische Methodik mit jüngeren thematisch orientierten Ansätzen zu verbinden, findet sich im Bereich des Ecocriticism. In Ecocriticism, Literary Theory, and the Truth of Ecology zitiert Dana Phillips zu einem Hopkins-Gedicht den Kritiker Lawrence Buell und bemerkt dann im Hinblick auf dessen Vernachlässigung formaler Aspekte: It seems to me that if this commentary is intended as ecocriticism, then ecocriticism may benefit from a strong dose of formalism. Otherwise, it may lapse into the merely appreciative mode formalism – and after it, theory – was originally intended to correct and improve upon. (1999, 589–590)
Auch Sarah Ensor versucht aufzuzeigen, was das verstärkte Interesse an der Form einem „queer ecocriticism“ anzubieten vermag (2002, 410). Ihre Analyse von Silent Spring fasst sie rückblickend wie folgt zusammen: I have opened my discussion of spinster ecology with Silent Spring in part to emphasize the surprising fact that a text which could be blamed for inaugurating (or at least fortifying) the heterosexist bias of contemporary ecology also provides one basis for developing a queer ecocriticism. Implicit in that discussion, however, is an assertion that this more radical basis is found not simply in the thematic dimensions or explicit argumentation of Carson’s book but also in its style, its grammar, and its form. (Ensor 2002, 419)
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In einer Fußnote merkt sie noch allgemeiner an: „An implication of my argument is that ecocriticism, a field whose focus has largely been on the thematic or mimetic representation of the environment in literature, also stands to benefit from an increased attention to literary form and style.“ (Ensor 2002, 431). Der Neoformalismus hat zudem aus dem Strukturalismus, ideologisch geprägten Literaturtheorien und den Cultural Studies gelernt, die kulturelle Bedeutung bzw. Valenz literarischer Formen ernster zu nehmen. So wurde das prä-formalistische und formalistische Interesse an Gattungen und Konventionen um eine neue Sensibilität für ihr kulturelles, soziales und politisches Prestige ergänzt. So schreibt Debra Fried über das Sonett als literaturhistorischen Nexus von Gattung, Geschlecht, und dichterischer Ausdruckskraft im Werk von Edna St. Vincent Millay: Millay addresses the Romantic myths of the sonnet as liberating prison and pleasing fetters, the figurations governing Wordsworth’s Nuns Fret Not and Keats’s If by Dull Rhymes. Her sonnets reshape those myths with the revisionary force of a woman poet who, however rearguard in the phalanx of modernism, recognizes that she has inherited a genre laden with figurations exclusive to a male poetic authority, and who knows that her adaptations of that genre must engage those very myths and figurations that would bar her from the ranks of legitimate practitioners of the sonnet. (Fried 1986, 17)
Und an anderer Stelle äußert sich Fried noch deutlicher programmatisch zur Strophenform als solcher: Not a genre, but a marker for many poetic genres, the stanza is a workhorse not much written about aside from its labor within individual genres and poems […]. Divider and connector, trellis and climbing vine at once, the stanza is as subject to the individual poet’s crafting as the line, as freighted with the history of its uses and as ripe for reinvention. (Fried 2012, 53)
Wer Sonett und Strophe, oder Form und Gattung insgesamt, auf diese Weise betrachtet, verortet sie in einem historischen Verwendungskontext und gesteht ihnen ein semiotisches Potenzial zu, das Teil des Dichterrepertoires wird, wann immer eine traditionelle Gattung gewählt wird. Stephen Cohen schreibt: Unlike the historicity of texts, the historicity of form emphasizes the particularity of literary discourse, insisting not only that literary texts have historical roots and functions, but that they do so by virtue of their discourse-specific forms and conventions as well as their extratextual or interdiscursive ideological content. For the literary scholar, this understanding invites the historicization not only of generic and prosodic forms but of many of the other concepts and practices associated with traditional formalism. (2007, 14)
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Jüngere Formalismen nehmen auch Entwicklungen jenseits der Literaturgeschichte im engeren Sinn in den Blick und teilen nicht unbedingt die gängige Annahme, dass literarische und kulturelle Formen soziale Formationen schlicht widerspiegeln oder abbilden. Vielmehr können solche Formen auch, wie Caroline Levine anmerkt, in einem destabilisierenden Verhältnis zu sozialen Formationen stehen und im Konflikt mit sozialen Hierarchien stehen, anstatt sie zu reflektieren oder vorzubilden: Literary forms, that is, trouble and remake political relationships in surprising, aleatory, and often confusingly disorderly ways. A range of critics in recent years – including Heather Dubrow, Dorothy Hale, Ellen Rooney, Herbert Tucker, and Susan Wolfson – have urged a new attention to form as part of a politically aware historicism. (2006, 626)
In ihren Arbeiten zur englischen Romantik beklagt Susan Wolfson, dass der Formalismus in der aktuellen Forschungslandschaft auf groteske Weise in Verruf geraten und die häufig bemühten Gegensätze zwischen formaler Analyse einerseits und kulturalistisch-kontextualistisch-politischen Analysen andererseits fehlgeleitet seien und einer produktiven Auseinandersetzung mit Literatur eher im Weg stünden. In den wichtigsten jüngeren Beiträgen zur romantischen und post-romantischen Poetik sieht Wolfson hingegen nicht eine Trennung, sondern ein ‚Zusammenspiel‘ zwischen formalen Elementen und semantischen Ordnungen. Den Grund dafür formuliert sie programmatisch: „choices of form and the way it is managed often signify as much as, and as part of, words themselves“ (Wolfson 1997, 3). Formale Aspekte gelten ihr nicht nur als ebenso bedeutsam wie semantische; sie verortet die poetischen Formen der Romantik dezidiert in „complicated literary and cultural contexts“ (21, Hervorhebung FVB), wenn sie schreibt: „Romanticism’s involvement with poetic form […] participates in central discussions of its historical moment.“ (30). Damit wird die Form nicht mehr nur auf Augenhöhe mit semantischen Ordnungen gesehen, sondern die formale Bedeutungsstiftung in verschiedenen textlichen Räumen und verschiedenen kontextuellen Spannungsverhältnissen verortet: „Cultural knowledge is not excluded but informed.“ (232). In dieselbe Kerbe schlägt auch Jonathan Culler, wenn er bemerkt, dass der Formalismus nicht, wie manchmal behauptet, die Geschichtlichkeit von Texten ignoriert, sondern vielmehr historische Analysen zurückweist, die den Text lediglich als Symptom betrachten, dessen Ursachen in der historischen Realität liegen (vg. Culler 2007, 9). Wie Dubrow insistiert auch Wolfson letztlich (und begrüßenswerterweise) darauf, dass formale Analysen nicht nur dazu dienen, die Rohstoffe zu liefern, die dann zu Waren der politischen Analyse weiterverarbeitet werden können (vgl. Dubrow 2002, 85). Dubrows Ansatz zeigt immer wieder, wie man die Unterordnung formalistischer Anliegen unter politische bzw. ideologische vermeiden kann, und dass eine strenge Trennung von
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Form und (kulturellem, historischem, politischem) ‚Kontext‘ die literaturwissenschaftliche Analyse ohne Not einschränkt. Neuausrichtungen dieser Art sind ein wesentliches Merkmal des Neoformalismus der letzten zwei Jahrzehnte. Schon 2001 notiert Robert Kaufman in seiner Rezension von Wolfsons Formal Charges, dass ‚das Ende der historisch und theoretisch ausgerichteten Literaturwissenschaft‘ vielleicht vorzeitig ausgerufen worden sei, und bemerkt trocken: „[I]t would prove no small measure of poetic justice and post-Romantic irony if concerns for history and theory should in turn find themselves inextricably bound to the survival of form and formalism within literary studies.“ (Kaufman 2001, Abs. 1). In einem noch früheren Beitrag von 1999 drängt Jonathan Loesberg auf eine Anerkennung der Kontinuitäten zwischen dem, was er ‚aesthetic formalism‘ nennt, und an Foucault orientierten historisierenden und kulturalistischen Lektüren, gegen die sich dieser Neoformalismus angeblich wende. In ähnlich radikaler Weise wie Kaufman an anderer Stelle (2000) ist Loesberg davon überzeugt, dass Literarizität und Formalismus als kritische Perspektiven auf Epochen, Gattungen, Strukturen oder diskursive Formationen ihre Berechtigung haben (1999, 544), wenn nicht gar eine Neuordnung der Verhältnisse zwischen konkurrierenden theoretischen Blickwinkeln nahelegen: [S]ince cultural studies would now have to recognize its own formalist procedure, its imperialistic tendency to see itself as its own pan-disciplinary discipline would cede to the more modest claim of being a perhaps somewhat peculiar permutation of formalist analysis whose results other disciplines may usefully add to, dispute, or appropriate for their own ends. (Loesberg 1999, 544)
Hier wird deutlich, dass das Verhältnis zwischen den Neoformalismen und verschiedenen historisierenden Ansätzen (darunter auch den Cultural Studies angloamerikanischer Prägung) sich in einer vielversprechenden Phase der intensiven dynamischen Neuausrichtung und -theoretisierung befindet.
4 Neoformalismus 1: Ästhetik Manche Ausprägungen des Neoformalismus haben es sich zum Anliegen gemacht, die Kategorie der Ästhetik aus der Vereinnahmung literarischer Texte durch politische, historisierende und ideologische Ansätze zu lösen. Formalistische Analysen dieser Art streben nach einer ‚Befreiung‘ auf der Grundlage der textuellen Schönheit, des gebotenen Lesegenusses und/oder Identifikationspotentials, der Möglichkeit zur objektiven Kontemplation und sogar des
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höheren ‚Wertes‘ bestimmter Texte. All diese Kategorien befanden sich zuvor (so die Behauptung) in der Geiselhaft verschiedenster gegenstandsorientierter Utilitarismen der Ideologiekritik und Demystifikation. So formuliert Mary Janell Metzger in einem Band zur historischen Formanalyse: „Critiques of literature as ideology are both necessary and insufficient. Aesthetic form as a vehicle of dialectical consciousness, when understood in the light of material history, seems well worth recovering.“ (2007, 207). Auch für Marjorie Levinson liegt der kleinste gemeinsame Nenner vieler aktueller Arbeiten in den Geisteswissenschaften derzeit – entgegen der als reduktiv wahrgenommenen ‚Entzauberungen‘ der letzten zwanzig Jahre – im Wunsch, ‚den Gegenstand wieder zu verzaubern‘ (2012, 11): [O]ne could construe new formalism as itself a kind of aesthetic or formal commitment. It seeks to fend off the divisiveness encouraged by the kinds of cognitive, ethical, and juridical commitments – as it were, content commitments – rife among and effectively defining all the critical practices summed up by the term new historicism. (7)
Dieser ‚Ästhetizismus‘ ist bemerkenswerterweise fortschrittlich und rückwärtsgewandt zugleich. Einerseits strebt er danach, den Respekt der New Critics vor dem singulären Status des Textes wiederherzustellen: vor seinem Gebrauch einzigartiger, literarischer Sprache; seinem Widerstand gegen paraphrasierbare Aussagen, isolierbare Sentenzen und propagandistische Vereinnahmung; seiner Stellung außerhalb des Rationalitätsdiskurses und der programmatischen Abstraktion der Naturwissenschaften; seiner Grundlage in den sinnstiftenden Energien formaler und eben nicht nur semantischer Merkmale u.a.m. Andererseits wendet er sich gegen die vorsichtige oder unscharfe Sprache der New Critics im Hinblick auf implizite Aussagen über den Wert von und die Freude an Texten. Diese werden ersetzt durch ein emphatisches Vokabular der Emotionen, der leserseitigen Identifikation, der Rezeption, der Volition, des Begehrens (auch im körperlichen Sinn), und der traditionellen Ästhetik insbesondere Kant’scher und post-Kant’scher Prägung. Wenn jedoch die ‚Wiederverzauberung‘ des Gegenstands bedeutet, Leser zu ermutigen, sich dem Zauber des Schönen, dem Genuss, dem Sinnlichen oder der Wertung hinzugeben (und nicht dem Zauber einer demystifizierten politischen Aussage, der Geschichtlichkeit oder Ideologie), so muss der Neoformalismus ebenso behutsam wie weitsichtig verfahren und darf nie die literarische Spezifizität – die textuelle und sinnstiftende Verfasstheit – dieses Objekts außer Acht lassen. Zeitgenössische Formalisten, die sich der philosophischen Ästhetik bedienen, lassen sich grob in zwei Gruppen unterteilen. Die Interessen der ersten Gruppe betreffen besonders das Wesen ästhetischer Urteile, die mit Kant begriffen
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werden als Urteile aus einem Gefühl – insbesondere dem „Gefühl der Lust und der Unlust“ (Kant 1974 [1790], 203). Für Kant ist „[d]as Wohlgefallen, welches das Geschmacksurtheil bestimmt, […] ohne alles Interesse“, d. h. es hängt nicht davon ab, dass dem Subjekt „etwas an der Sache gelegen“ ist, noch begründet es an sich ein Interesse (204–205). Hanna Ginsborg erläutert: The fact that judgments of beauty are based on feeling rather than „objective sensation“ (e. g., the sensation of a thing’s colour) distinguishes them from cognitive judgments based on perception (e. g., the judgment that a thing is green). But the disinterested character of the feeling distinguishes them from other judgments based on feeling. (2013, § 2.1)
Die zweite Gruppe strebt unter Rückgriff auf Kants Ableitung der Moral aus der ästhetischen Erfahrung danach, diese Kant’sche Position kognitiv bzw. im Hinblick auf die Ausbildung menschlicher Handlungsfähigkeit auszuweiten. Wie Ginsborg formuliert (2013, § 2.8), gilt Kant die ästhetische Erfahrung als ‚Propädeutikum‘ für die Moral – so schreibt er: „Das Schöne bereitet uns vor, etwas, selbst die Natur ohne Interesse zu lieben.“ (Kant 1974 [1790], KdU, 267). Stellvertretend für die erste Gruppe kann Charles Altieri gelten, insbesondere mit The Particulars of Rapture, dessen Untertitel bereits auf die Position hinweist, die das Buch vertritt: An Aesthetic of the Affects. Altieri beschreibt das Buch als Reaktion auf vorherrschende literaturtheoretische Positionen, nach denen entweder der Text dem Kontext untergeordnet wird oder die Zentralität eines Textes nur dadurch zu rechtfertigen ist, dass dem Text eine wie auch immer geartete moralische Weisheit oder ethisch fortschrittliche Haltung unterstellt wird (vgl. Altieri 2003, 1). Wo die erste Position Texte auf ihren historischen (oder anderweitigen) Kontext reduziert, gesteht die zweite den Texten zwar einen Sonderstatus zu, ist dabei jedoch zu sehr darauf aus, sie in jene Deutungssysteme einzupassen, die zu ihrer Interpretation bereitstehen. Kurz gesagt, wendet sich Altieri also sowohl gegen die uferlose Kontextualisierung als auch gegen die Reduktion von Texten auf eine aus dem Leserbedürfnis entsprungene ‚Moral‘. Welche Alternative schlägt er vor? Zum einen geht es ihm darum, verschiedene Modi der affektiven Auseinandersetzung mit Kunstwerken zu erkunden. Unter Affekt versteht er dabei „immediate modes of sensuous responsiveness to the world characterized by an accompanying imaginative dimension“ (Altieri 2003, 1). Desweiteren argumentiert er, dass die Kunst es ermögliche, affektive Erfahrung nicht nur als etwas zu sehen, das wir begreifen, sondern als etwas, das uns als grundlegender Wert gilt: I want to use aesthetic models to foreground conative experiences of affective states as ends in themselves […]. An aesthetic perspective invites us to ask what states, roles, identifications, and social bonds become possible by virtue of our efforts to dwell fully within these dispositions of energies and the modes of self-reflection they sustain. Rather than asking
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what we can know about the affects, or how they contribute to the work of knowing, we begin to ask who we can be by virtue of how we dispose our self-consciousness in relation to affective experience. (Altieri 2003, 4–5)
Damit verweist Altieri offen auf das Konzept des Lesens als vorläufiger Identifikation: Texte sind linguistische Strukturen, die es dem Leser erlauben, sich in verschiedene existentielle Situationen, Figuren, Perspektiven hineinzuversetzen und sich mit entsprechenden Ideen auseinanderzusetzen. Altieri setzt sich jedoch deutlich von anderen neoformalistischen Haltungen ab, wenn er das Augenmerk erklärtermaßen auf die Sinne, das Begehren, die Gefühle (und Werte) legt und sich der konventionellen Ausrichtung (sowohl in der Literaturwissenschaft als auch der Philosophie) auf die Kognition verweigert. Die andere Gruppe der ‚ästhetischen Formalisten‘ ist bestrebt, die kognitiven, moralischen oder handlungsbezogenen Implikationen der Kant’schen Ästhetik zu entwickeln. Dabei gilt ihr, wie oben beschrieben, das ästhetische Urteil als ‚Übung‘ für moralische Urteile, da es lehrt, ‚ohne Interesse zu lieben‘. Die dafür charakteristische Behandlung moralischer Fragen ist besonders deutlich entwickelt in Elaine Scarrys On Beauty and Being Just – zum einen, weil Scarry weitreichende Schlussfolgerungen zur moralischen Funktion der Ästhetik wagt, den Sinn für Moral jedoch auf kaum belastbare (oder gar an Beispielen belegte), dafür aber umso emphatischere Weise aus dem Sinn für das Schöne entwickelt. Es verwundert nicht minder, dass Kant in ihrem Buch nur einmal auftaucht – und zwar nicht in der Rolle des Philosophen, der Ästhetik und Moral in Beziehung zueinander rückt, sondern als einer jener törichten Theoretiker des Erhabenen im Zeitalter der Aufklärung, die angeblich das Schöne trivial machten, indem sie ihm zwar Charme zugestanden, seine Macht jedoch abstritten bzw. dem Erhabenen zuschrieben. Für Scarry sind das Schöne und das Erhabene – die zarte Blüte und der mächtige Baum – zunächst nicht unterschieden, sondern liegen auf dem gleichen Spektrum. Vor der fatalen Trennung des Schönen vom Erhabenen, so Scarry, „hatte der mächtige Baum selbst Hilfe gewährt, oder zumindest nicht dabei gestört, dass die Blüte sich wandeln konnte in“ – was? Eine ganze Blume? Einen mächtigen Baum? Nein, in „etwas jenseits von zarter Blüte und mächtigem Baum, in jener mentalen Region, in der – mit der Hilfe eines Gottes oder ohne sie – die Prinzipien der Gerechtigkeit und des Guten gelten“ (Scarry 1999, 85, 84; Hervorhebung FJB, Übersetzung FK). Es mag nachvollziehbar sein, dass diese Verbindung zwischen der Schönheit der Blüte und den Werten der Gerechtigkeit und des Guten nicht überall zu überzeugen wusste. An anderer Stelle argumentiert Scarry, dass schöne Dinge uns das Gut der Gleichheit und Ausgeglichenheit begreiflich machen (vgl. Scarry 1999, 87–88, 97). Die unterstellte, aber nur vage begründete Gleichsetzung der ‚Symmetrie‘
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des schönen Gegenstands mit der sehr andersartigen ‚Symmetrie‘ gerechter, fairer zwischenmenschlicher Beziehungen, ist Teil von Scarrys Versuch, die Schönheit zum Quell eines Gerechtigkeits- und Gleichheitssinns zu stilisieren („beauty […] assists us in the work of addressing injustice“; 62). Desweiteren behauptet sie, dass die Bereitschaft, die eigene Position beständig neu zu bewerten, um sich zum Schönen zu verhalten, der grundlegende Antrieb jeder Bildung sei (vgl. Scarry 1999, 7). Nach ihrem erweiterten Verständnis von Schönheit umfasst diese vieles, das den Menschen als wertvoll erscheint: Fairness, Gleichheit (im Politischen, Sozialen, Ökonomischen), Gerechtigkeit, Altruismus, Bildung, Lebendigkeit, usw. So kann On Beauty and Being Just als Extrembeispiel dienen für jüngere Bestrebungen, die Kategorie der Ästhetik aufzuwerten, indem man ihr eine Relevanz jenseits ihrer traditionellen Sphäre des Schönen, der Freude, der Affekte und der Sinne zuschreibt. Einen etwas sachlicheren Versuch, die Ästhetik im Rahmen des Neoformalismus neu zu fassen, unternimmt Heather Dubrow. In einer knappen Passage von The Politics of Aesthetics: Recuperating Formalism and the Country House Poem führt sie einige der Standardvorwürfe gegen die Ästhetik an: Diese verschleiere die Rolle des Politischen und der Macht in der Kunst; sie zelebriere unausgesprochen die Rolle des Individuums; sie stärke Klassenunterschiede und die damit verbundenen ästhetischen Werturteile; sie ordne historische Kontexte und deren Kontingenzen einem irrigen Universalismus unter. Daran schließt Dubrow Vorschläge an, wie Kant neu zu lesen wäre, um seiner Ästhetik eine konstruktivere Rolle im zeitgenössischen Formalismus einzuräumen. Ihre detaillierten Analysen von englischen Landhaus-Gedichten lösen das im Titel des Beitrags formulierte Versprechen ein, indem sie die Form und Ideologie der Gedichte auf ebenso aufmerksame wie innovative Weise ‚lesen‘. So ist der Beitrag zugleich ein Appell und ein Beispiel für einen Neoformalismus, der historischen und politischen Anliegen gerecht wird, ohne sein charakteristisches Interesse an „style and meaning“ aufzugeben (Dubrow 2002, 68–70, 85).
5 Neoformalismus 2: Ästhetik und Formtheorie Jüngere ästhetische Neubewertungen des Formkonzepts sind teilweise überraschend ambitioniert. So legt Robert Kaufman zum Beispiel ein sehr allgemeines, kognitivistisches Verständnis von Ästhetik zugrunde, das an Dubrows Beschreibung des zeitgenössischen Misstrauens gegenüber Kants Ästhetik und den vermeintlich damit verbundenen Formalismus gemahnt, diese jedoch auch leicht abwandelt. Für Kaufman zeugt die Annahme, dass die Kant’sche Ästhetik mit
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einem negativ besetzten Formalismus gleichzusetzen sei, von einer mangelnden Berücksichtigung gleich mehrerer zentraler Aspekte (vgl. 2000, 131). Aus seiner Sicht ist der Vorwurf, die Kritik der Urteilskraft begründe eine essentialistische oder transzendentale Theorie kultureller Bewertung, die aus der literarischen oder ästhetischen Form entspringe und das Materielle, Soziale und Geschichtliche ‚ideologisch deformiere‘, einerseits unzulässig reduktiv; zum anderen ignoriere der Vorwurf die hilfreichen Erkenntnisse der Frankfurter Schule, insbesondere Adornos, zur Kant’schen Ästhetik. Nach Kaufman ist die Kritik der Urteilskraft für Adorno praktisch ein Grundstein für die negative Dialektik, die er in der Ästhetischen Theorie formuliert (vgl. Kaufman 2000, 133). Als grundlegend für Adornos Kant-Interpretation betrachtet Kaufman die Idee, dass die „ästhetische gedankliche Erfahrung in gewisser Weise dem objektiven, Sinn-und-Zweck-orientierten Denken vorgelagert, die ästhetische Erfahrung also ‚formal‘ ist, da sie die Form für begriffliches, ‚objektives‘ Denken bzw. die Kognition zur Verfügung stellt‘ (vgl. Kaufman 2000, 147–148). So gesehen erweitert die ästhetische Form die Möglichkeiten kritischen Denkens und Handelns – mit Angela Leighton formuliert: „Form, then, […] starts to alter the very thing we mean by knowing. To be a ‚capacity for‘, rather than an object of knowledge, shifts attention towards a kind of knowing which is an imaginative attitude rather than an accumulation of known things.“ (2007, 27). Kaufman denkt diese Argumentation konsequent zu Ende: Via Frankfurt Critical Theory or other methodologically available restatements, […] Kantian formal aesthetics reveals its kinship rather than hostility to Blakean poetics […]. [F]ar from having its unruly heteronomy whipped into shape by the abstract force of formal discipline, the material (or materiality) gets to count as material in the first place by virtue of its relationship to an act – however provisional – of framing, an act of form. (2000, 135; Hervorhebung FVB)
Eine solche Neubewertung erinnert zunächst an Henri Focillon und seine Überzeugung, dass die Form zwischen Natur und Mensch interveniert und dass das, was wir ‚natürliches Leben‘ nennen, praktisch ein Verhältnis zwischen Formen sei, welches so unhintergehbar ist, dass das natürliche Leben ohne es nicht existieren könnte (vgl. 1992, 124, 133). Aber auch ein jüngerer, ganz anders gelagerter Text klingt hier an: Marshall Sahlins’ Kritik an den materialistischen Erklärungen sozialer und kultureller Formen in Culture and Practical Reason (dessen Titel sich natürlich auf Kants Kritik bezieht). Sahlins’ Anliegen ist es, die „symbolische Struktur des materiellen Nutzens“ aufzuzeigen, so wie Saussure „dem ahnungslosen Westen aufgezeigt hatte, dass sein vermeintliches Streben nach dem Materiellen symbolisch vermittelt war“ (1976, VIII, 214; Übersetzung FK). Er stimmt mit Habermas überein, wenn dieser schreibt:
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Obgleich wir Natur erkenntnistheoretisch als ein Ansichseiendes voraussetzen müssen, haben wir selbst Zugang zur Natur nur innerhalb der durch Arbeitsprozesse eröffneten geschichtlichen Dimension […]. Die ‚Natur an sich‘ ist mithin ein Abstraktum, das wir zu denken genötigt sind; aber wir begegnen der Natur immer nur im Horizont des weltgeschichtlichen Bildungsprozesses der Gattung. (2001 [1968], 47)
In Kaufmans neu-Kantianischer Sicht leistet der Formalismus also weder eine Verschleierung noch die unproblematische Enthüllung sozialer, historischer oder materieller Welten. Stattdessen leistet er eine Interpretation und Diskussion jener Formen, durch die diese Welten uns erschließbar sind bzw. ohne die sie uns völlig verschlossen wären. Der Gegensatz zwischen Form und Materie, auf dem der Antiformalismus (und manche Spielarten des Formalismus) so beharren, wird offensichtlich dadurch infrage gestellt, dass man die Materie – und Materialität – als etwas sieht, das formal produziert wird, bevor es zum Sammelbegriff für tatsächliche materielle Objekte wird. Aus dieser Perspektive, so zeigt Kaufman, wird der Dualismus unhaltbar, auf dem die Kritik an der Kant’schen Ästhetik und am Formalismus, den diese Ästhetik angeblich befördert, beruht. Dank dieser erweiterten, kognitivistischen Vorstellung von ästhetischer Form werden traditionelle, restriktive Vorstellungen über die Gegebenheit der Form (ob als Behälter, als Schmuck, als Gattung, als Versform, als Sprechakt) abgelöst durch eine Vielzahl einzelner Formen und Schreibweisen, die sich aus den individuellen Interpretationen einzelner Werke ergeben. Neben solchen kritischen Propädeutika wie Millers „‚I bet this is a lyric poem‘, or ‚I bet this is an elegy‘, or ‚I bet this is a parable‘“ können sich daher aus Analysen, die einer ästhetischen Anschauung eines Texts bzw. Kunstwerks folgen, eine Vielzahl individueller Formen ergeben. Zum Beispiel: „Ich wette, diese Hinweise – ‚Ein Werkzeug ist es, alle Tage nötig, / Den Männern weniger, den Frauen viel…‘ – imitieren nur oberflächlich ein traditionelles Rätselgedicht; in Wahrheit handelt es sich um ein Klagelied über die Unmöglichkeit jeglicher gesicherter Erkenntnis.“ Oder: „Ich wette, diese Schilderung von Wald und Wiese ist keine Landschaftsbeschreibung im klassischen Sinn, sondern Ausdruck einer pathologischen Sprache: das Ergebnis einer dissoziativen Fuge, die ein traumatisches Erlebnis überlagert.“ Und natürlich kann ein Werk an mehreren Formen und Schreibweisen teilhaben, je nachdem, welche Interpretationen es zulässt und welche Formen diese Interpretationen abrufen bzw. produzieren. Man denke etwa an das kurze Gedicht von Alexander Pope: EPIGRAM Engraved on the Collar of a Dog which I gave to his Royal Highness. I am his Highness’ Dog at Kew; Pray tell me Sir, whose Dog are you? (1963, 826)
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Zunächst möchte man dieses Gedicht wohl nicht unzutreffend als Epigramm beschreiben, als achtsilbigen Paarreim, als Kurzsatire, vielleicht als Inschrift oder als Prosopopöie – je nachdem, welches der konventionellen Textmerkmale man besonders hervorheben wollte. Aber welche Form nimmt das Gedicht an, wenn man bedenkt, dass der Titel im Vergleich zum Rest des Gedichts unverhältnismäßig viele Silben hat (21 bzw. 16)? Oder dass es sich um ein Gedicht mit doppelter bzw. kontaminierter Autorschaft handelt, da der Titel den Text implizit als menschliche Äußerung markiert, der Paarreim sich jedoch als Äußerung eines Hundes gibt? Oder wenn wir uns auf die Gegensätze im Schenkungsverhältnis zwischen Autor und Beschenktem („a Dog which I gave to his Royal Highness“), im Autor-Leser-Verhältnis, das durch den Titel impliziert wird, und im asymmetrischen, offenen Verhältnis zwischen sprechendem Hund und seinem unbekannten, nicht näher bestimmten männlichen Adressaten („Sir“) konzentrieren? Oder auf den angenommenen materiellen Gegensatz zwischen dem Lederband, auf dem das Gedicht angeblich erstmals geschrieben stand, und dem Papier, auf dem das Gedicht (um einen Titel ergänzt) nachträglich erscheint? Oder auf das Verhältnis zwischen Leder, Papier und der sprachlichen Äußerung, die wir aus dem gedruckten Text ableiten? In solchen Fällen muss es keinen konventionellen Namen wie ‚Elegie‘, ‚Epigramm‘ oder ‚Sonett‘ geben, um die Form des Gedichts zu beschreiben, oder der konventionelle Name reicht nicht aus. Solche Kategorien sind Teil eines extrem nützlichen, aber beschränkten Systems literaturwissenschaftlicher Begriffe, die häufig beinahe schon vor dem Interpretationsakt zur Anwendung kommen – und fast den Charakter eines Apriori haben. Kaufmans Verständnis des ‚Ästhetischen‘ ermöglicht es uns, zu sehen, dass Interpretation nicht nur Bedeutung, sondern auch die Form(en) dieser Bedeutung und damit die authentischen Identitäten des Textes erzeugt. Wie Denis Donoghue in seinem Buch über Walter Pater formuliert: „The part of Aestheticism which should now be recovered […] is its concern for the particularity of form in every work of art.“ (1995, 288). ‚Form‘ versteht Donoghue an anderer Stelle als Alleinstellungsmerkmal („distinguishing characteristic“) der Kunst, und er fügt hinzu, dass es keinen Grund gebe, die Form als unproblematisch Gegebenes zu betrachten, „wie die Anzahl der Silben in einem fünfhebigen Jambus“ (2003, 121). Für Kaufman kann das Material (oder die Materialität) für materiell gelten, weil es im Verhältnis zu einem (wenn auch vorläufigen) Akt der Formgebung, des Formens steht – unter dieser Annahme kann der Text als Ausprägung einer bestimmten Form erscheinen (d. h. er erhält seine formale Identität), weil er im Verhältnis zu einem Akt der Interpretation steht, der sowohl die Bedeutung des Textes wie auch seine Identität als eine bestimmte Art von Text hervorbringt (vgl. Kaufman 2000, 135). Das ist ein Formverständnis, das – mit Bruster gesprochen – Eigenschaften hervorhebt, die sich während des Lektürevorgangs erschließen (vgl. Bruster 2007, 36). Und diese
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Formen müssen nicht unbedingt in einer ausschließlich literarischen Terminologie fassbar sein: Es wäre sicher möglich, eine neoformalistische Analysemethode zu entwickeln, die nicht nur literarische, sondern jegliche Autorität als strukturiert und geformt sowie individuell ausgeprägt betrachtet und den Ausdruck von Form nicht nur als Ergebnis sozialer Wertsetzungen, sondern als eigenständige soziale Wertsetzung – als einen der Texte, in denen die Kultur verfasst ist (vgl. Wolfson 1997, 30). Darin liegt ein wichtiger Beitrag zur neoformalistischen Theoriebildung: in einer Ästhetik, die solche Deutungsvielfalt und -spezifizität ermöglicht, ohne den Gegenstand zu ‚verzaubern‘ oder sich auf Sinne, Lust oder Schönheit zu fixieren, ohne das Schöne tendenziös als Allegorie des Moralischen darzustellen, und die stattdessen die Bedeutungs- und damit Formbildung des Werks theoretisiert. Die Einsicht, dass Interpretation das hervorbringt, was Donoghue „the particularity of form in every work of art“ nennt, zwingt uns dazu, ältere Vorstellungen zum Verhältnis von Form und Gehalt als untrennbare Aspekte ein- und derselben Sache zu überdenken. Solche Vorstellungen begegnen uns bei den New Critics und ihren Nachfolgern in unterschiedlichen Ausprägungen. Programmatisch formuliert Brooks: „A good poem is an object in which form and content can be distinguished but cannot really be separated.“ (Spurlin und Fischer 1995, 366). Leicht abgewandelt ergibt sich daraus z. B. die These, dass Form und Bedeutung nicht unabhängig voneinander im Bewusstsein des Autors existieren. Bei Valéry heißt es, dass Philosophen nicht leicht begreifen können, wie der Künstler sich gleichsam mühelos von der Form zum Gehalt und vom Gehalt zur Form bewege, und dass die Form dem Künstler zusammen mit dem Gehalt, den er ihr verleihen möchte, erscheint (zit. nach Leighton 2007, 1; Hervorhebung FVB). Für den Neoformalismus hingegen gilt die Verbindung von Form und Gehalt keineswegs als im Kunstwerk gegeben noch als besonderes Merkmal künstlerischer Anschauung. Für Rooney ist Form ein ‚Effekt der Lektüre‘ (2006, 33–34), und Stanley Fish hält fest, dass formale Einheiten immer eine Funktion des Interpretationsmodells sind, das man zur Anwendung bringt – sie sind nicht ‚im Text‘ (vgl. Fish 1980, 13). Und das gilt nicht nur für formale Einheiten: Für Fish wird der (gesamte) Text als Gegenstand, der unabhängig von der Interpretation und (idealerweise) für sich selbst verantwortlich ist, vollständig ersetzt durch jene Texte, die sich infolge unserer Interpretationen ergeben (vgl. Fish 1980, 13). Fish folgt dieser Argumentation konsequent, wenn er schreibt, dass selbst die einzelnen Buchstaben einer Textseite nicht als elementare Gegebenheiten gelten sollten, sondern als Objekte, die im Akt der Interpretation als Buchstaben begriffen werden. So ist es beispielsweise der Leser oder die Leserin, die – wenn auch gewohnheitsmäßig, unmittelbar und daher ‚unsichtbar‘ – ein großes T als diesen Buchstaben begreifen und nicht als Straßenlaterne, ein großes O als diesen Buchstaben und nicht als Querschnitt eines Gartenschlauchs und das große L als diesen Buchstaben und nicht
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als rechten Winkel oder unvollständiges Dreieck. Wie bei der Einheit von Form und Gehalt ist auch hier die formale Identität des Textes auf allen Ebenen – vom einzelnen Buchstaben bis zu bestimmten Formen und traditionellen Gattungen – das Ergebnis von Sinnerwartungen und Deutungsvorgängen. Mit Focillon kann man sagen, dass das ‚Leben der Formen‘ schlicht in den unzähligen Arten besteht, auf die das Kunstwerk durch Interpretationen zum Leben erweckt wird (vgl. Leighton 2007, 18).
6 New Criticism und Neoformalismus: Intention und Referenz Neoformalismen, die in jüngerer Zeit versuchen, die textualistischen Imperative des New Criticism wieder aufzugreifen, sind nicht nur um die formale Identität des Textes und seine Verbindung von Form und Gehalt bemüht, die durch die Interpretation ins Leben gerufen wird. Auch die ehrwürdigen, umstrittenen Themen der Intention und der Referenz sind von dieser Entwicklung betroffen. Die Position des New Criticism zur Intention wurde programmatisch und mit erheblichen Konsequenzen für die Aspekte der Textbewertung und -auslegung 1946 von Wimsatt und Beardsley formuliert. Zunächst hielten sie fest, dass ein Plan oder eine Intention des Autors als Standard zur Bewertung der Gelungenheit eines literarischen Kunstwerks weder verfügbar noch wünschenswert seien (vgl. Wimsatt und Beardsley 1954, 3). Zweitens solle man die Ideen und Haltungen des Gedichts unmittelbar seiner Sprechinstanz zuschreiben, und falls überhaupt dem Autor, dann nur im Rahmen einer biographischen Inferenz (vgl. Wimsatt und Beardsley 1954, 5). Auch wenn nach diesem äußerst einflussreichen Aufsatz die Intentionsproblematik erledigt schien, wurden Wimsatt und Beardsley in der Nachfolge nicht selten missverstanden oder falsch wiedergegeben. Die anti-intentionalistische Position wurde dafür attackiert, dass sie angeblich einer depolitisierenden Absage an die Geschichtlichkeit und Biographie Vorschub leiste, dass sie den ästhetisierenden Versuch unterstütze, das Kunstwerk zu isolieren und zum Fetisch zu erheben, und dass sie sich dem wichtigsten Ziel der Literaturwissenschaft verweigere, nämlich alle Informationen zu nutzen, die zur Verfügung stehen (so z. B. bei Burke 31973, 23). Aus diesem Grund – und weil eine als Neoformalismus bezeichnete Richtung sich den Grundideen älterer Formalismen nicht ganz verschließen kann – sind einige Anmerkungen zur jüngeren Geschichte dieses Konzepts angebracht. Das Problem rückte in den 1980er-Jahren mit Walter Benn Michaels und Ste phen Knapps damals höchst kontroversem Aufsatz Against Theory wieder auf
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den Plan. In diesem Text schlagen die Autoren ein Gedankenexperiment vor, in dem der Text des Gedichts A Slumber Did My Spirit Seal auf einem Sandstrand erscheint, als die Wellen sich zurückziehen. Für Michaels und Knapp sind die Spuren im Sand nur dann der Text von A Slumber Did My Spirit Seal, d. h. eine genuine (poetische) Sprachäußerung, wenn die Schrift im Sand intendiert ist – ob vom Meer, vom Geiste Wordsworths, oder von irgendeiner anderen denkbaren intendierenden Instanz. Ist sein Erscheinen jedoch eine bloße statistische Anomalie, das Ergebnis eines intentionslosen Zufalls, dann gelten ihnen die Spuren erklärtermaßen nicht als Text und noch nicht einmal als Sprachäußerung, sondern als bloßes Simulakrum eines Textes. In diesem Fall liege kein Sprechakt vor, kein Gedicht, und nicht einmal Wörter, sondern lediglich Spuren, die nur Wörter abzubilden scheinen, denn Zeichen ohne Intention seien auch keine Sprache (vgl. Knapp und Michaels 1982, 21). Für den Neoformalisten ist der Text dagegen durchaus Sprache, da seine Intentionalität keine externe und vorgängige Ursache ist, sondern eine Dimension der Sprechinstanz, die der Sprache immanent ist und von ihr konstitutiert wird. Der zweite Fall (zufällig verursachte Spuren im Sand) ist insofern entscheidend und subsumiert sogar den ersten, da wir auch im ersten Beispiel nach dieser immanenten Intentionalität – nicht nach der Intention des Meeres oder von Wordsworths Geist – lesen, wenn wir feststellen, dass die Worte vom Meer, von Wordsworths Geist oder gar von Wordsworth selbst geschrieben wurden. Das macht es eben (mit) aus, einen Text ‚als Literatur‘ zu lesen. Die Eigenschaft der Schrift, sprachliche Gegenstücke oder Entsprechungen für die kontextuellen Merkmale historischer oder nicht-literarischer Diskurse – also für Sprecher und Sprecherinnen resp. Zuhörerinnen und Zuhörer, Rahmenbedingungen usw. – zu erschaffen, ist die Voraussetzung dafür, dass Literatur außerhalb ihres ursprünglichen historischen Entstehungskontextes gelesen werden kann. Es ist sogar die Voraussetzung dafür, dass der Text nicht nur später, sondern auch zum Entstehungszeitpunkt selbst, im Ursprungskontext, so gelesen werden kann. In diesem Sinn ist der Text im Moment seiner Entstehung schon aus seinem unmittelbaren Urspungskontext herausgelöst. Wenn sie – wie gezeigt – im Sand auf A Slumber Did My Spirit Seal treffen, können Michaels und Knapp damit nichts anfangen, weil ihnen der Text mangels Intentionalität nicht als Gedicht, ja nicht einmal als Sprache gilt. Nach dem etwas weniger radikalen Ansatz von P. D. Juhl gälte der Text als Instanz von Sprache, aber nicht als Sprechakt: Es handelt sich um Sprache, aber um intentionslose und damit nicht interpretierbare Sprache. Insofern fängt auch Juhl mit dem Text nichts an, denn Zeichen ohne Intention sind keine Sprechakte (so Knapp und Michaels 1982, 733; vgl. Juhl 1986, Kap. IV). Ein Neoformalist hingegen kann mit dem Text etwas anfangen: indem er ihn interpretiert. Dabei gibt es keinen Zusammenhang zwischen der neoformalistischen Annahme einer immanenten Inten-
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tion und den Belegen für eine bestimmte Intention oder Interpretation. Natürlich besteht immer die Möglichkeit, dass man falsch liest, inkompetent Intentionalität zuschreibt, fehlinterpretiert. Die Annahme, dass Intention immanent sei, verortet Intentionalität, ohne sie festzulegen oder zu definieren. So ist das Postulat einer Intention eine der ersten und grundlegenden Handlungen jeglicher Interpretation; die Beschreibung dieser Intention oder die Überzeugung, dass man sie ausreichend erfasst hat, sind hingegen Ziele oder Ergebnisse der Interpretation. Zwar stehen am Anfang einer Interpretation Annahmen, Vermutungen und Spekulationen, aber die Interpretation ist erst dann ‚abgeschlossen‘ (wenn davon überhaupt die Rede sein kann), wenn sich das Gefühl einstellt, in zufriedenstellender Genauigkeit und Vollständigkeit zu wissen, welche Art von Absicht im Text herrscht. So gesehen ist eine spezifische Intention der Interpretation nicht vorgängiger als dem Text selbst. Der Philosoph Alexander Nehamas betrachtet dieses Argument in What an Author Is aus einer anderen Perspektive. Er setzt sich dabei mit Michel Foucaults berühmtem Vortrag Qu’est-ce qu’un auteur? und dessen These auseinander, dass der Autor als ein leserseitiges Konstrukt zu betrachten sei, das dazu dient, Interpretationsmöglichkeiten auszuschließen und so den Text zu regulieren. Der historische Autor, so Nehamas, kann in der Tat so eingesetzt werden; doch der Autor, der vom Text konstruiert wird, ist kein Instrument zum Ausschluss von Interpretationen, sondern selbst Ergebnis einer solchen. (Dabei ist es irrelevant, dass dieser immanente ‚Autor‘ dann seinerseits zum Ausschluss von Interpretationsmöglichkeiten herangezogen werden kann, denn jeder Deutungsakt setzt natürlich den Ausschluss anderer Deutungen voraus.) Zur Erklärung differenziert Nehamas zwischen Text (jeder schriftlichen Äußerung) und Werk (interpretierbarem und interpretiertem Text): „Writers produce texts; some texts are interpreted and are thus construed as works; works generate the figure of the author manifested in them.“ (Nehamas 1986, 688). Daher gilt: „[T]o determine what work a text constitutes is the very object of interpretation.“ (689). Man beginnt also mit der Annahme, dass ein bestimmter Text ein Werk sein könnte – dass es sich um ‚Literatur‘ handelt – und dass er eine immanente Autorfigur bzw. eine immanente Intention aufweist. Erweist sich diese Annahme als zutreffend, lässt sich abschließend beschreiben, um welche Art von Werk es sich bei dem Text handelt und welche Art von Sprecher oder Autor er hervorbringt. (Es tut Nehamas’ luzider Darstellung keinen Abbruch, wenn man darauf hinweist, dass es sich dabei im Wesentlichen um eine subtil revisionistische Neuformulierung der Haltung des New Criticism zur Intention handelt.) Für Juhl sind Zeichen ohne Intentionalität (wie jene am Strand) zwar Sprache, aber keine Sprechakte. Für Michaels und Knapp gelten sie nicht einmal als Sprache. Für den Neoformalisten dagegen sind sie Sprache und produzieren eine
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immanente Intention (sowie die Instanzen des Sprechers, Zuhörers und Kontexts). Selbst Vertreterinnen und Vertreter der historischen Intentionalität alter und nicht ganz so alter Schule müssen die Logik dieser Argumentation anerkennen, da auch sie unausweichlich (wenn auch vielleicht nicht immer bewusst) auf diese immanente bzw. durch den Text konstruierte Intention rekurrieren. Stellen wir uns z. B. vor, dass jemand eine Absicht äußert (und nehmen wir an, dass diese Formulierung seine tatsächliche Absicht exakt ausdrückt): „Ich habe vor, meinen Vorgesetzten höflich darauf hinzuweisen, dass ich eine Gehaltserhöhung verdiene.“ Stellen wir uns nun vor, dass der Text bzw. die Aussage, die in der Folge hervorgebracht wird, dieser Absicht zuwiderläuft, weil z. B. die tatsächlich getroffene Aussage lautet: „Geld her, oder ich kündige!“ In diesem Fall läuft nicht nur der Text bzw. die Aussage der erklärten Intention zuwider – die immanente Intention der Äußerung tut es. Die Intention, die wir aus diesem Text ableiten, ist eine aggressive, ungeduldige Haltung; der immanente Sprecher möchte nicht höflich auf etwas hinweisen. Die konstruierte bzw. rhetorische bzw. linguistische bzw. textuelle Intention stimmt nicht mit der historischen Intention überein. Das Problem ist also nicht, dass manche Texte intentionslos sind, wie Michaels und Knapp festhalten, sondern dass kein Text es ist (sobald er zum Gegenstand einer Interpretation wird). Ungeachtet der Intention des empirischen Autors wird die Intention, die durch eine Interpretation ‚enthüllt‘ wird, immanent produziert und aus dem Text konstruiert. Wie bringt ein Text seine eigene Intention hervor? Barbara Johnson bietet eine hilfreiche Paraphrase von Paul de Mans Position zu diesem Thema: [I]t looks as if a text is produced to express the desire of a subject; but, since the only desire we know has been expressed is that of the text’s own self-constitution, what legitimates our belief that the text is the product of a subject’s desire, rather than, let’s say, the subject being an effect of the text’s desire? Not that he’s substituting the second for the first, but he’s saying, „What prevents us from seeing this as equally possible?“ (B. Johnson 1987, 159–160)
Aus Sicht des Neoformalismus ist hier nicht entscheidend, dass es ‚möglich‘ ist, den Text auf zwei unterschiedliche Arten zu betrachten (auch wenn das zutrifft), sondern dass der Text eines von zwei unterschiedlichen Objekten wird, je nachdem, wie wir uns ihm nähern, und dass jedes dieser Objekte ein anderes Verhältnis zwischen dem Text und der intendierenden Autorinstanz bzw. dem Subjekt offenbart. Als biographisches Produkt einer auktorialen Schöpfung ist der Text per Definition ‚das Produkt des Begehrens eines Subjekts‘. Aber das ‚Subjekt‘ eines literarischen Textes ist stets ein textueller Effekt – ein Effekt, den wir vielleicht am besten mithilfe des linguistischen Konzepts der Rückbildung oder ‚inversen Ableitung‘ begreifen. Dabei handelt es sich um eine bestimmte Art der Wortbildung, bei der neue Formen nach dem vermeintlichen (logischen, mor-
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phologischen, historischen) Vorbild einer anderen Form gebildet werden. So wird z. B. im Englischen oft (und nicht selten fälschlicherweise) davon ausgegangen, dass die Verbform der Nominalform vorausgeht (ob nun auf der Ebene der historischen Wortbildung oder im Sinn einer sprachlich primitiveren Entwicklungsstufe). David Crystal definiert „back-formation“, also Rückbildung, wie folgt: A term used in historical studies of morphology to refer to an abnormal type of word-formation where a shorter word is derived by deleting an imagined affix from a longer form already present in the language. Edit, for example, comes from editor, and not the other way round. This derivation presumably took place because native-speakers saw an analogy between editor and other words where a normal derivational process had taken place, e. g. credit/creditor, inspect/inspector, act/actor, the nouns being in each case formed from the verbs. The derivation of edit thus reverses the expected derivational pattern, hence the term ‚back-formation‘. (62008, 48–49)
Ausgehend von solchen Annahmen erschafft die Rückbildung das, was als ‚das Primitivere‘ aufgefasst wird, und deutet dadurch die bereits zuvor existente Form als Ableitung der Neuschaffung um (Štekauer 2000, 74). Esko Pennanen erläutert hierzu: „[I]f in a language the verb is accepted as primitive in comparison to the corresponding agent noun, a verb that can be proved to be later in appearance than its agent noun may legitimately be looked upon as a back-formation from the noun.“ (Zit. nach Štekauer 2000, 72). Die Schaffung solcher vermeintlichen Vorgänger wäre im Deutschen zu illustrieren durch das Substantiv „Neugier“ (17. Jh.) aus dem Adjektiv „neugierig“ (16. Jh.). Im Englischen wird aus dem Substantiv ‚liaison‘ das Verb ‚to liaise‘ rückgebildet; aus ‚burglar‘ entsteht ‚to burgle‘. Hier ist die Nominalform historisch älter, und das Verb entsteht durch eine ‚Rolle rückwärts‘ auf eine Stufe vor der Nominalbildung aus der unausgesprochenen Annahme, dass das Substantiv sich aus einer älteren Verbform entwickelt haben müsse – daher der Name ‚Rückbildung‘. (Man stelle sich den Prozess als linguistische Entsprechung zum Konzept der ‚Prequel‘ vor, bei dem Erzählung B nach Erzählung A entsteht, jedoch Ereignisse schildert, die A vorgelagert sind.) Die Rückbildung ist ein nützliches Denkmodell für das neoformalistische Verständnis davon, wie Texte nicht nur ihre Sprechinstanzen, Figuren oder Subjekte erzeugen, sondern auch ihre Referenzeffekte – die Dinge, die sie scheinbar zum Gegenstand haben. Im Fall der Referenz ist die unausgesprochene Grundannahme nicht bloß eine eingebildete linguistische oder historische Vorgängigkeit, sondern die verbreitete Vorstellung, dass Sprache referentiell und mimetisch sei, dass sie ihre Wirkung durch den Versuch entfalte, auf eine unabhängig von ihr existierende Wirklichkeit zu verweisen, dass die Sprache damit eine sekundäre Form darstelle, während die Erfahrung (die Wirklichkeit, das Leben, die Geschichte) eine primäre
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Form ist. Wenn mir ein Bekannter erzählt: „Ich war einkaufen und habe ganz frischen Ingwer gefunden!“, dann ist meine selbstverständliche – also: konventionelle – Reaktion, nachzufragen, wann oder wo. Als Reaktion auf die ersten Zeilen von Wordsworths Gedicht Resolution and Independence – „There was a roaring in the wind all night; / The rain came heavily and fell in floods“ (1990 [1807], 260) – mag es ähnlich selbstverständlich erscheinen, sich zu fragen, wann und wo der Wind getobt und der Regen gegossen haben. Wordsworth scheint damit sogar zu rechnen, wenn er dem Gedicht nachträglich die höchst detaillierte Anmerkung beigibt: Written at Town-end, Grasmere. This old Man I met a few hundred yards from my cottage; and the account of him is taken from his own mouth. I was in the state of feeling described in the beginning of the poem, while crossing over Barton Fell from Mr. Clarkson’s, at the foot of Ullswater, towards Askham. The image of the hare I then observed on the ridge of the Fell. (1990 [1807], 705)
Entsprechend ist es angesichts eines Satzes wie „So now at last the City was besieged, enclosed in a ring of foes“ aus einem jüngeren Erzähltext selbstverständlich, dass man sich fragt, wer hier wem über welche Stadt und welche Feinde erzählt. Doch während Fragen nach Ingwer beantwortbar sind, wenn die Eröffnungsaussage Teil eines realen Alltagsgesprächs ist, erscheint es wenig hilfreich, sich auf Wordsworths Anmerkung zu verlassen, wenn man sich Resolution and Independence als Gedicht nähert; ebensowenig hilft es dem Formtheoretiker, sich mit der Biographie J. R. R. Tolkiens zu beschäftigen, dessen Lord of the Rings der Satz über die belagerte Stadt entnommen ist (1965, 115). Alle Elemente, auf die scheinbar Bezug genommen wird, werden eigentlich durch Rückbildung aus dem Text hervorgebracht, der nur vorgibt, er bezöge sich auf eine vorgängige und/oder nachgängige Wirklichkeit. Doch im Fall des literarischen Textes gibt es diese Wirklichkeit nicht. Und auch wenn es ein Dorf namens Grasmere und einen See namens Ullswater wirklich gibt, unterscheiden sich doch die Fiktionalität der Stadt Minas Tirith in The Return of the King und ihre Entstehung durch Rückbildung nicht von der entsprechenden Fiktionalität und Entstehung der Figuren, Schauplätze und Ereignisse in Wordsworths Gedicht oder in literarischen Texten über Karthago oder Cathay, Bridgeport oder Binghamton. Wenn Interpretation Form hervorbringt, produziert sie auch die besondere Fähigkeit literarischer Texte, die Realität zu schaffen, die sie eigentlich erst nachträglich zu beschreiben scheinen. Wenn der literarische Text für Neoformalisten grundsätzlich als sprachliches Objekt gilt, so ist er zugleich ein sprachliches Objekt, das die Wirklichkeit, die er (oft erfolgreich) zu repräsentieren und zu beschreiben vorgibt, erst hervorbringt. So schreibt Wittgenstein: „Vergiß nicht, daß ein Gedicht [oder jedes literarische Werk, FVB], wenn auch in der Sprache der Mitteilung abgefaßt, nicht im Sprach-
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spiel der Mitteilung verwendet wird.“ (162019c, 304, Nr. 160). Es mag kontraintuitiv oder gar spielverderberisch erscheinen, den Status der empirischen Realität, auf die der Text so offenkundig verweist, zu kompromittieren. Immerhin kann man ja, wenn auch nicht Minas Tirith, so doch Grasmere und Ullswater aufsuchen. Aber Grasmere und Ullswater im Gedicht unterscheiden sich von Grasmere und Ullswater im englischen Lake District (die auch nirgends im Text des Gedichts benannt werden). Und auch das Fehlen dieser Ortsnamen ist gänzlich irrelevant, denn ‚Grasmere‘ oder ‚Ullswater‘ lediglich zu benennen hieße nur, sie auf minimale, gar vorläufige Art zu evozieren – es handelt sich weniger um Referenzen als um die vage Ankündigung einer Referenz. Was diese Orte sind, was sie bedeuten, wofür sie gelten sollten, kann nur aus ihrer Wahrnehmung, Darstellung, Vorstellung durch ein konkretes Bewusstsein entstehen, ebenso wie die konkreten, nicht nur potenziellen Bedeutungen jedes Wortes nur bestimmt werden können, wenn man dieses Wort im Äußerungskontext betrachtet. Nehmen wir das englische Wort ‚drink‘: Give me to drink Mandragora. Drink to me only with thine eyes. They slipped on the muddy bank and landed in the drink. Drink in this gorgeous sunset. ‚Drink‘ in German is ‚Trinken‘. He’s a long, tall drink of water.
Einfach das Wort ‚Grasmere‘ zu sagen ist nichts anderes, als ‚drink‘ zu sagen: Beide Akte heben den Signifikanten kaum aus dem Potenzial der langue in die Konkretheit der parole; beide beginnen den Prozess der Bedeutung gerade erst. Doch wenn die Wörter in einen ausreichend umfassenden Diskurs eingebettet werden, entsteht ihre Bedeutung in erster Linie aus den zahlreichen und minutiösen Einzelheiten des Kontexts und der Beschreibung, aus dem Wort selbst heraus dagegen eher indirekt und indexikalisch – weniger nach Art der Bedeutung als im Sinne eines Referenzvektors. So kann das ‚echte Grasmere‘ nicht ‚im Gedicht‘ sein, ob sein Name genannt wird oder nicht, denn es gibt unzählige echte Grasmeres, die durch individuelle Anschauungs- und Darstellungshandlungen geschaffen werden, und die einzigen, die für Wordsworths Gedicht von Bedeutung sind, sind jene, die sich aus den individuellen Interpretationen dieses Gedichts ableiten, vorstellen oder konstruieren lassen. William Galperin beklagt in The Historical Austen: [I]n making Austen’s oeuvre a social or political text permeable to elements or influences from which it can no longer beg severance, historical readings invariably make Austen’s writings answerable to a given context instead of appreciating the degree to which the
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novels are just as much a context in themselves where matters of history, ranging from the literary to the social to the very reality on which the narratives dilate, work to complicated, if often antithetical, ends. (2003, 1)
Um mit David Lodges kategorischer, aber durchaus zutreffender Formulierung zu schließen: „[E]very imaginable utterance is an ‚appropriate‘ symbolization of the experience it conveys since there is no possible alternative symbolization of ‚the same‘ experience.“ (1966, 62). Für Neoformalisten ist die Referenz, wie die Intention, ein textueller Effekt, der sich aus den Interpretationsvorgängen ergibt. Übersetzt von Florian Klaeger
Weiterführende Literatur Brooks, Cleanth. The Well Wrought Urn. Studies in the Structure of Poetry. New York 1975. Empson, William. Seven Types of Ambiguity. New York 1966 [1930]. Ransom, John Crowe. The New Criticism. Westport 1979 [1941]. Wellek, René und Austin Warren. Theory of Literature. 3. Aufl. New York 1956 [1948]. Wimsatt, W. K. und Monroe C. Beardsley. The Verbal Icon. Studies in the Meaning of Poetry. Lexington 1954. Wolfson, Susan. Formal Charges. The Shaping of Poetry in British Romanticism. Stanford 1997.
III Zentrale Fragestellungen
III.1 Formtheorien
Christina Gansel
III.1.1 Form und System 1 Einführung Die Relation zwischen Form und System stellt einen grundlegenden systemtheoretischen Zusammenhang dar, der auf die strukturelle Kopplung zwischen Bewusstsein und sozialem System verweist. Mit Niklas Luhmann ist dabei von der folgenden Prämisse auszugehen: „Der Normalmechanismus der strukturellen Kopplung von Bewusstseinssystem und sozialem System ist die Sprache.“ (Luhmann 2008, 248). Für jedes funktional ausdifferenzierte System der Gesellschaft gilt entsprechend, dass sprachliche Formen, die durch Bewusstsein in die Kommunikation eingebracht werden, den Sinnverarbeitungsregeln des jeweiligen Systems folgen und in den Formen (Wörter, Sätze, Texte, Stil) die Bedingungen des Kommunizierens in dem entsprechenden System mitführen. Denn zur Autopoiesis eines sozialen Systems gehört es, dass der spezifische Sinn der Kommunikation des Systems reproduziert und zu diesem Zweck immer wieder in die Kommunikation eingegeben wird. Für ein Subsystem der Kunst der Gesellschaft, wie es das Literatursystem ist, gilt dies in besonderem Maße, da die Formbildung im Medium der Sprache konstitutiv ist. Mit dem Bezug der Konstellation Form und System auf das Literatursystem wird die Reflexion des systemtheoretischen Medienbegriffs in seinen Facetten unerlässlich. Dafür sprechen zwei voraussetzungsreiche Gründe: Zum einen diskutiert Luhmann Medium und Form als ein Begriffspaar, dessen Bestandteile in wechselseitigen Beziehungen zu einander stehen. Zum anderen müssen Medium und Form vom System her konstruiert werden und setzen Systemreferenz voraus (vgl. Luhmann 31999, 166). Vor diesem Hintergrund und mit Anleihen bei der Systemtheorie lassen sich philologische Forschungen zum Sprachgebrauch in allen funktional ausdifferenzierten Systemen der Gesellschaft sowie in der literarischen Kommunikation, also im Literatursystem, initiieren. In der systemtheoretisch orientierten Textsortenlinguistik wird dabei zunächst der Begriff des Systems Bezugspunkt und ersetzt den Begriff ‚Kommunikationsbereich‘ in der Weise, dass Systeme als Handlungs- und Kommunikationssysteme konzeptualisiert werden (vgl. Gansel 2011). Luhmann begreift „Kommunikation nicht als Handlung“ und den „Kommunikationsprozeß nicht als Kette von Handlungen“ (41993, 225). Eine Mitteilung allein kann als Handlung beobachtet werden, die Kommunikation ist jedoch die dreifache Selektion von Information und Mitteilung und Verstehen, die in einem Analyseprozess erschlossen werden muss. Für soziale Systeme ist die als dreifache Selektion gefasste Kommunikation deshalb konstitutiv, https://doi.org/10.1515/9783110364385-006
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Formtheorien
d. h., dass Kommunikation Soziales schafft. „Soziale Systeme, die durch Kommunikation als Kommunikationssysteme gebildet werden, regulieren, in welche Richtung und wie weit Kommunikation getrieben werden kann […].“ (Luhmann 4 1993, 226). Soziale Systeme haben also einen eigenen ‚Kommunikationshorizont‘, in dem sie sich reproduzieren. Diese Zusammenhänge sind für die Untersuchung von Textsorten relevant und eine Unterscheidung von Kommunikation und Handlung erscheint dabei durchaus sinnvoll. Die Konstitution eines sozialen Systems durch Kommunikation unterscheidet Luhmann von der möglichen Beobachtung oder Selbstbeobachtung von Handlungen als zeitlich fixierten Ereignissen. „Um beobachtet werden oder um sich selbst beobachten zu können, muß ein Kommunikationssystem […] als Handlungssystem aufgeflaggt werden.“ (Luhmann 4 1993, 226). Dies liegt darin begründet, dass Kommunikation weit schwieriger zu erfassen ist als eine Handlung, die, weil von einem Individuum, einem Bewusstsein, ausgeführt, der Beobachtung zugänglich ist – so eine Mitteilungshandlung in einem Gespräch. Ob beobachtbare Mitteilungshandlungen bereits Aufschluss über den Kommunikationshorizont eines sozialen Systems liefern, erscheint fraglich, so dass man mit Luhmann feststellen kann: „Wir denken normalerweise Kommunikation immer schon zu sehr als Handlung und können uns daraufhin Kommunikationsketten wie Handlungsketten vorstellen. Die Wirklichkeit eines kommunikativen Ereignisses ist jedoch sehr viel komplexer.“ (41993, 232). Ähnlich wird in der Literaturwissenschaft verfahren, wenn das Literatursystem als Handlungs- und Symbolsystem gefasst wird. So geht Carsten Gansel (2002) von der Position aus, dass das Literatursystem nicht nur als eine Summe von Texten bzw. Werken verstanden wird, wofür der Begriff ‚Symbolsystem Literatur‘ reserviert ist, sondern ebenso ein System von gesellschaftlichen Handlungen darstellt, die sich auf literarische Texte beziehen. So sind in Hinblick auf Zusammenhänge von System und Form die literarischen Texte selbst und ebenso die die Struktur des Handlungssystems Literatur ausmachenden Handlungsrollen literarische Produktion, Vermittlung, Rezeption und Verarbeitung zu berücksichtigen. Der spezifisch linguistische Zugriff auf den von Luhmann ausgearbeiteten Systembegriff ist nun der, den spezifischen Kommunikationshorizont von Systemen in manifestierten sprachlichen Merkmalen/Formulierungsmustern/Formen aufzuspüren. Zu fragen ist dabei, wie die System/Umwelt-Differenz sprachlich sichtbar wird, welche Semantiken sich ausdifferenzierende Systeme in der Gesellschaft (z. B. das Konzept der Nachhaltigkeit – Nachhaltigkeitslexik, Nachhaltigkeitsberichte) entwickeln, welche sprachlichen Formen die Autopoiesis von Systemen stützen, wie sich Textsorten struktureller Kopplung herausbilden oder wie sich in Texten sprachlich organisierte strukturelle Kopplungen zu anderen Systemen der Gesellschaft manifestieren.
Form und System
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Der folgende Beitrag nimmt diese Grundgedanken auf und geht im zweiten Abschnitt auf den Medienbegriff grundsätzlich ein, indem linguistische und soziologische Positionen gegenübergestellt werden. Im dritten Abschnitt geht es um die Medium/Form-Differenz, die im vierten Abschnitt auf das System Literatur zu beziehen sein wird.
2 Enger und weiter Medienbegriff Die Ausbildung systemspezifischer Formen ist ohne Rückgriff auf ein Medium nicht produktiv zu leisten – aus linguistischer Perspektive ist dieses Medium zuallererst die Sprache. Allerdings ist eine Einordnung von Sprache als Medium in der Linguistik umstritten. In Anlehnung an Holly (1997) wird häufig ein enger Medienbegriff favorisiert, der Medien in erster Instanz als technische Medien und damit deren Vermittlerfunktion berücksichtigt. Medien werden als „konkrete materielle Hilfsmittel, mit denen Zeichen verstärkt, hergestellt, gespeichert und/ oder übertragen werden können“ definiert (Holly 1997, 69). Sprache hingegen wird als Zeichensystem gefasst und damit von ihrer Medialität abgehoben. Dass Medien nicht nur Transportmittel oder Verstärker darstellen, macht Krämer (1998) in philosophisch medientheoretischer Perspektive einsichtig, wenn sie reflektiert, dass Medien an dem Mediatisierten (z. B. die computervermittelte Kommunikation per E-Mail in der Sprache) „Spuren“ hinterlassen, so beispielsweise solche, die aus den Produktionsbedingungen, möglicher Zeichenzahl u. Ä. (Schnelligkeit des Schreibens führt zu Kleinschreibung im privaten E-Mail-Verkehr) resultieren. Die Linguistik, so stellen Schneider und Stöckl im Forschungskontext von Medientheorie und Multimodalität fest, sieht Medien als „materielle Grundlage für die Herausbildung spezifischer Kommunikationsformen“ (2011, 22). Die Reihe ‚Medium Computer – Kommunikationsform E-Mail, Chat oder Handy – Telefonat, SMS‘ greift auf die Formung von Sprache nicht mehr durch, sondern sieht Sprache als ein mögliches Zeichensystem, das in der jeweiligen Kommunikationsform genutzt/prozessiert wird. Schneider und Stöckl schätzen den Ansatz zwar als durchaus attraktiv ein, melden jedoch auch Bedenken an: Einen Nachteil dieses Ansatzes kann man allerdings darin sehen, dass dabei die materielle Seite (Medium) von der dynamischen, der Prozessierungsseite (Kommunikationsform und Zeichensystem) begrifflich abgetrennt wird. Medien haben aber stets auch eine dynamische Seite, Kommunikationsform und Zeichensysteme stets auch eine materielle. (2011, 22–23)
Eine Konzession macht Dürscheid (2011), die Sprache gleichfalls nicht als Medium auffasst, Sprache jedoch in medialen Varianten, nämlich gesprochen,
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geschrieben, ‚gebärdet‘ untersucht. Bei diesen Medialitäten handelt es sich um Repräsentationsformen. Schneider und Stöckl nehmen Bezug auf eine Aussage Hollys und formulieren in Hinblick auf die Medialität von Sprache abschließend: „Sprache ist zwar kein Medium, aber ‚ein Zeichensystem, das medial operiert‘ (Holly), das mediale Eigenschaften aufweist.“ (2011, 23). Ihre vermittelnde Alternative zu Medium, Medialität und Zeichensystem gelangt in gewisser Weise in die Nähe des soziologisch-systemtheoretischen Medienbegriffs und der Medium/ Form-Differenz Luhmanns. Sprache kann danach als Medium mit Merkmalen einer bestimmten Medialität aufgefasst werden. Gesprochene Sprache sei dann Medium und Zeichensystem und biete unterschiedliche Betrachtungsmöglichkeiten. Als Zeichensystem geraten in Bezug auf Sprache Lexik oder Grammatik in den Blick, als Medium Fragen der Materialität von Sprache sowie „Verfahren der Zeichenprosessierung“ (Schneider und Stöckl 2011, 24). Mit dem Begriff der Zeichenprozessierung scheinen Übertragungsprozesse im Vordergrund zu stehen, möglicherweise ebenso die Formung von Sprache als einem Medium in der Vermittlung durch andere – technische – Medien, nicht jedoch die Konstellation soziales System und Form. Für die in Rede stehende Problematik greift der dargestellte, in der Linguistik favorisierte Medienbegriff zu kurz; es soll daher im Folgenden auf einen weiten systemtheoretisch begründeten und mediensoziologischen Medienbegriff eingegangen werden. Luhmanns weiter Medienbegriff in seiner Differenziertheit und Begründetheit erscheint für linguistische Fragestellungen durchaus produktiv, denn er wird funktional abgeleitet. Er geht davon aus, dass Kommunikation aufgrund ihrer Komplexität eher unwahrscheinlich ist, denn sie kann nur kontextgebunden (1) verstanden werden. Unwahrscheinlich ist es, in der Kommunikation mehr Adressaten zu erreichen, als in der konkreten kommunikativen Situation zugegen sind (2); unwahrscheinlich ist auch der Erfolg („gelungene Kopplung von Selektionen“, Luhmann 41993, 218), ob nämlich Kommunikation, wenn sie verstanden wurde, auch angenommen oder befolgt wird (3). Luhmann definiert nun Medien im Zusammenhang mit ihrer Funktion, Unwahrscheinlichkeiten in Wahrscheinlichkeiten umzuformen: „Diejenigen evolutionären Errungenschaften, die an jenen Bruchstellen der Kommunikation ansetzen und funktionsgenau dazu dienen, Unwahrscheinliches in Wahrscheinliches zu transformieren, wollen wir Medien nennen.“ (220). Medien dienen dem Menschen dazu, Komplexität zu reduzieren und Kommunikation überhaupt erst möglich zu machen. Eine Reduktion von Komplexität erfolgt über den Prozess der Selektion und wird in Kommunikation aktualisiert. Ausgehend von den drei Unwahrscheinlichkeiten unterscheidet Luhmann drei Arten von Medien als evolutionäre Errungenschaften: a) Sprache als Medium, „das das Verstehen von Kommunikation weit über das Wahrnehmbare hinaus steigert“ (220). Kommunikation mit Hilfe von Sprache
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erfolgt nicht nur auf der Grundlage der sprachlichen Datenstruktur, sondern ermöglicht es auch, Assoziationen und Weltwissen in die Verstehensprozesse einfließen zu lassen. b) Verbreitungsmedien, die sich aufgrund von Sprache entwickeln lassen, nämlich Schrift, Druck und Funk. Sie erreichen eine immense Ausdehnung der Reichweite von Kommunikationsprozessen. „Die Verbreitungsmedien selegieren durch ihre eigene Technik, sie schaffen eigene Erhaltungs-, Vergleichs- und Verbesserungsmöglichkeiten, die aber jeweils nur auf Grund von Standardisierungen benutzt werden können.“ (221). c) Erfolgsmedien oder „symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien“ (222). Sie reagieren auf den Zweifel, dass Kommunikation durch die Entwicklung der Sprach- und Verbreitungstechnik zum Erfolg gelangen kann. Und in der Tat: ein Radiogerät kann abgeschaltet werden, ein Buch gegen ein anderes ausgetauscht. Erfolgsmedien verwenden Generalisierungen, „um den Zusammenhang von Selektion und Motivation zu symbolisieren, das heißt: als Einheit darzustellen.“ Als Beispiele nennt Luhmann Wahrheit, Liebe, Glaube oder Kunst. Es geht also darum, „die Selektion der Kommunikation so zu konditionieren, dass sie zugleich als Motivationsmittel wirken, also die Befolgung des Selektionsvorschlages hinreichend sicherstellen kann. Die erfolgreichste/folgenreichste Kommunikation wird in der heutigen Gesellschaft über solche Kommunikationsmedien abgewickelt, und entsprechend werden die Chancen zur Bildung sozialer Systeme auf die entsprechenden Funktionen hindirigiert.“ (222). Auf die unproduktive Vielfalt je individueller Medienbegriffe weist Ziemann (2006) völlig zu Recht hin. Ziemann schlägt deshalb einen der Pluralisierung von Medienbegriffen entgehenden, soziologischen Medienbegriff vor, der an Luhmann anschließt und gleichfalls Sprache in eine Typologie von Medien einschließt: Medien sind gesellschaftliche Einrichtungen und Technologien, die etwas entweder materiell oder symbolisch vermitteln und dabei eine besondere Problemlösungsfunktion übernehmen. Sie verfügen über ein materielles Substrat […], welches im Gebrauch oder durch Einsatz Wahrnehmungen, Handlungen, Kommunikationsprozesse, Vergesellschaftung und schließlich soziale Ordnung im Generellen ermöglicht wie auch formt. (Ziemann 2006, 17)
Die Betonung liegt in diesem Medienbegriff auf der funktionalistischen Perspektive – Medien dienen zur Lösung bestimmter Probleme, die Kommunikation in irgendeiner Weise betreffen. Die mediensoziologische Typologie von Medien schließt Wahrnehmungsmedien ein, die die „Infrastruktur für die Operationen des psychischen Systems wie auch die notwendige Umweltbedingung für soziale Prozesse jeglicher Art“ darstellen (Ziemann 2006, 18). Weiterhin werden Verstehensmedien aufgeführt, zu denen u. a. die menschliche Sprache gehört, weiter-
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hin Verbreitungsmedien sowie die Erfolgsmedien oder symbolisch generalisierten Medien. Ziemann ergänzt „städtebauliche Ordnungsmedien“ wie Architektur (2006, 20). Wie sich nun in Luhmanns Schriften zur Kunst ausmachen lässt (31999, 2008), sind in Hinblick auf kunstkonstitutive Formen alle in der mediensoziologischen Typologie aufgeführten Medien von Relevanz. Mit Bezug auf die Kunst kann der Begriff des Mediums als Universalmedium Sinn, als Wahrnehmungsmedium, als Verstehensmedium Sprache und nicht zuletzt als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium des gesellschaftlichen Teilsystems der Kunst konzeptualisiert und spezifiziert werden. Der Schwerpunkt wird in diesem Beitrag, um dem Literatursystem gerecht zu werden, auf das Medium Sprache sowie das symbolisch generalisierte Medium des Literatursystems zu legen und die jeweils wechselseitigen Abhängigkeiten herauszustellen sein.
3 Medium und Form In ihrem Beitrag „Form als Vollzug“ würdigt die Philosophin Krämer (1998, 558) Luhmanns Unterscheidung von Medium und Form als gesellschaftstheoretische Version des ‚linguistic turn‘ der Geisteswissenschaften. Sie hebt hervor, dass mit Luhmanns Ansatz Sprache ihr Profil als grundlegendes Kommunikationsmedium, also als Verstehensmedium, erhält. Denn mit der Unterscheidung von Medium und Form tritt Luhmann dem „unplausiblen Begriff der Übertragung“ (1997, 195) von Informationen im Kommunikationsprozess entgegen, der weder in Bezug auf das Kommunikationsmedium Sprache noch mit Bezug auf die Wirkung symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien gerechtfertigt erscheint. Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien wie Liebe, Geld oder Wahrheit übertragen keine Informationen – sie „stellen Spielräume bereit für die Differenzierung von Medium und Form“ (Krämer 1998, 160), wobei in diesem Zitat das Medium Sprache impliziert wird. Luhmann (1997, 195) macht einsichtig, dass der Begriff der Kommunikationsmedien die „operative Verwendung der Differenz von medialem Substrat und Form“ mit Bezug auf ein soziales System meint. In Kommunikation werde diese Differenz systemintern „prozessiert“. Sprache als grundlegendes Kommunikationsmedium ist somit zu verstehen als Medium/mediales Substrat und als mit Systembezug realisierte Form. Dieser Zusammenhang ist mit einem engen Medienbegriff nicht zu erfassen. Ein „mediales Dispositiv“ (Holly und Jäger 2011, 151) müsste wenigstens durch ein soziales Dispositiv ergänzt werden. Zu berücksichtigen wäre zudem, dass sich nicht nur ein jeweilig genutztes technisches Medium in Sprache einschreibt, seine Spur hinterlässt, sondern
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Sprache, vermittelt durch technische Medien oder nicht, durch die Modalitäten der Kommunikation der jeweiligen sozialen Systeme gleichfalls mitgeprägt wird. Luhmann führt dies auf die Autopoiesis des Systems zurück: „Die Unterscheidung Medium/Form übersetzt die Unwahrscheinlichkeit der operativen Kontinuität des Systems in eine systemintern handhabbare Differenz und transformiert sie damit in eine Rahmenbedingung für die Autopoiesis des Systems.“ (Luhmann 1997, 197). Um dies an einem Beispiel zu illustrieren: Wird das Medium Sprache von einem fremdsprachlichen Beobachter oder von einem Beobachter in räumlicher Entfernung akustisch wahrgenommen, erschließt es sich als lose Kopplung von Lauten, die sich rasch verflüchtigen und deren Inhalt möglicherweise nicht erschlossen werden kann. Mag gesprochene Sprache dem Laien auch unstrukturiert oder fehlerhaft erscheinen, ihre Strukturen sind funktional für Verstehen und Verständigung geeignet. Mit Luhmann gesprochen: „Sprachliche Kommunikation ist also zunächst: Prozessieren von Sinn im Medium der Lautlichkeit.“ (1997, 213). Transkriptionen als Verschriftlichungen von Gesprächen als Grundlage für die Erforschung von Gesprächsstrukturen und des Wesens gesprochener Sprache – also Sprache im Medium der Lautlichkeit – offenbaren strikte Kopplungen der lautlichen Elemente als reproduzierbare Formen. Luhmanns theoretische Erkenntnis, dass ein Medium in lose gekoppelten Elementen besteht, eine Form die Elemente in strikter Kopplung zusammenfügt, korrespondiert mit den empirisch belegten Erkenntnissen zu den phonetischen, prosodischen oder syntaktischen Formen gesprochener Sprache wie Elisionen, Enklisen, Hauptakzenten und Intonationskurven, Operator-Skopus-Strukturen, ‚weil‘ mit Verb-Zweitkonstruktionen oder Am-Progressiven. Durch Zeichenprozessierungen im Medium der Lautlichkeit entstehen Reduktionen bzw. Weglassungen von Lauten oder Zusammenziehungen von Wörtern. In Face-to-face-Situationen mündlicher Kommunikation ist von spezifischen Produktionsbedingungen zur Bildung sprachlicher Formen auszugehen. Sprachproduktion und -rezeption verlaufen synchron zueinander und sind durch Zeit- sowie Handlungsdruck gekennzeichnet. Syntaktische Strukturbildung erfolgt im sequenziellen Verlauf ihrer Produktion und bringt reproduzierbare Formen/Muster hervor, die der Verstehenssicherung dienen. Eine solche ist die Operator-Skopus-Struktur, in der ein Operator im Vorvorfeld des Satzes Verstehensbedingungen für den folgenden Skopus-Satz liefert (z. B. obwohl – das geht ja gar nicht da hab ich Seminar = Signalisierung einer Einräumung). Das Verhältnis von Medium und Form wird als wechselseitig und asymmetrisch beschrieben. Ohne Medium sind keine Formen denkbar und ohne Form kein Medium. Während das mediale Substrat beständig ist – Sprache verbraucht sich nicht, immer neue Kopplungen sind möglich – sind Formen zeitlich flüchtig. Sie erhalten sich, wie Luhmann formuliert, „über besondere Vorkehrungen wie Gedächtnis, Schrift, Buchdruck“ (1997, 200) oder in Semantiken.
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Die in den vorangegangenen Abschnitten benannten Beispiele für Formen gesprochener Sprache, wie sie aus den Produktionsbedingungen der Face-to-faceSituation resultieren, werden vom Bewusstsein gespeichert, wenn erfolgreich, für weitere Kommunikationen genutzt und reproduziert, und schreiben sich so in das Zeichensystem der Sprache ein. Derartige Phänomene werden in der Linguistik als sprachlicher Wandel, Entwicklung des Zeichenrepertoires oder auch im Zusammenhang mit der Hypothese von einem eigenständigen System gesprochener Sprache diskutiert. In dem hier angesprochenen Sinn sind Formen, wie Krämer formuliert, „ein zeitverbrauchender Vollzug“, oder die „Form erwirbt den Status einer raum-zeitlichen Operation“ (Krämer 1998, 559, 566). Die Medium/FormDifferenz ist somit zunächst auf die Differenz des Verstehensmediums Sprache in der Medialität der Lautlichkeit und seiner Formenbildung bezogen, ohne auf ein funktional ausdifferenziertes System moderner Gesellschaften Bezug zu nehmen. In Hinblick auf Kunst nun gestalten sich die Medien-Form-Verhältnisse komplizierter und komplexer.
4 Literatursystem, Form und Medium Luhmann betont in seinen Schriften zu Kunst und Literatur – darauf wurde bereits verwiesen –, dass für die Kunst eine Mehrzahl von Ausgangsmedien existiere. Zunächst verweist er auf Wahrnehmungsmedien für Sehen und Hören, von denen auch Sprache abhängig ist. So schreibt Luhmann: „Formen [müssen] als Kunst wahrgenommen werden“ (31999, 178), wenn es um Kunst geht. Und weiter: „[D]as Medium ‚an sich‘ ist kognitiv unzugänglich. Nur die Formen machen es wahrnehmbar“ (180) und damit der Beobachtung zugänglich. Bei allen Unterschieden in der Verwendung von Materialien und der Schaffung neuer Medien/ Form-Verhältnisse in den verschiedenen Kunstarten sieht Luhmann deren Gemeinsamkeit in der „Produktion für Beobachtung“ und aufgrund dieser die Einheit der Kunst. „[I]hr Medium [und damit kann das symbolisch generalisierte Medium der Kunst in seiner allgemeinsten und abstraktesten Form gemeint sein, C. G.] besteht in den Freiheitsgraden für Medien/Form-Verhältnisse, die damit geschaffen sind.“ (31999, 188). Sie folgen der Codierung „,Passen‘ und ,Nichtpassen‘ der zu wählenden Formen“ (190). Dies gilt ebenso für Literatur als Kunstart, die das Medium Sprache verwendet. Zu fragen ist allerdings, ob das Subsystem der Kunst, die Literatur, von der die Literaturwissenschaft sagt, dass sie sich um 1800 als autonomes System schließe, ein spezifisch symbolisch generalisiertes Medium und eine entsprechende Codierung ausgeprägt hat, und welcher Art diese sind.
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Carsten Gansel sieht die Entstehung eines eigenständigen Literatursystems in Verbindung mit den Handlungsrollen des Handlungs- bzw. Sozialsystems Literatur an die Existenz von Autoren, Vermittlungsinstanzen, Rezipienten und eines literarischen Marktes gebunden (vgl. 2002, 245–247). „Der Autor“, so Gansel, „ist damit das Produkt eines Prozesses von gesellschaftlicher Modernisierung“ (2002, 247) und „Angelpunkt für die Individualisierung in der Geistes-, Ideenund Literaturgeschichte“ (Foucault 1991 [1969], 10). Gesellschaftliche und rechtliche Emanzipation (Sicherung des Urheberrechts) tragen dazu bei, sowohl die „auktoriale Individualität als auch die Originalität und die Priorität ihres Werkes“ aufzuwerten (Eberle 1995, 86). „Individualität, Originalität, Neuheit, Innovation sind jene Parameter“, so Gansel, „auf die sich der neue Autor-Begriff gründet […]. Im Diskurs der Gattungspoetik können Individualität, Originalität, Neuheit, Innovation sich nicht frei entfalten, das Abwandeln von Mustern, das Nacheifern, das Überbieten grenzt die Genialität des Autors ein.“ (2002, 247). Elisabeth Böhm (2011), die nach dem Mehrwert der Systemtheorie für die Literaturwissenschaft fragt, gelangt zu der Erkenntnis, dass die Terminologie der Systemtheorie bezüglich der Frage, wie sich das Phänomen einer autonomen Literatur ausgebildet hat, „nah an der historischen Selbstbeschreibung literarischer Ästhetik“ liege. Sie leitet die in der Literaturwissenschaft als Konsens ausgemachte Autonomie des literarischen Systems aus Luhmanns Vorstellungen zu „Individuum, Individualität, Individualismus“ her (Luhmann 1993, 149–258). „Luhmann zufolge wird Individualität im 18. Jahrhundert nicht entdeckt, sondern als ein Konzept entwickelt, das auf eine besondere Problemstellung reagiert. Individualität im modernen Sinne wird erfunden.“ (Böhm 2011, 82). Die Problemstellung besteht darin, dass die Differenz zwischen privater und öffentlicher Sphäre sichtbar wird, in der Menschen sich behaupten müssen. Im Zuge der Umstellung auf eine funktional ausdifferenzierte Gesellschaft prägt sich persönliche Einzigartigkeit in der Teilhabe an den sich entwickelnden Teilsystemen der Gesellschaft aus: „Der Arbeitende verlässt das Haus, agiert als Vater und Ehemann in der Familie, nimmt in jeweils anderer Form am Rechts- und Wirtschaftssystem teil […], muss sich selbst er-finden, bevor er sich auf die jeweiligen Subsysteme einlassen kann.“ (Böhm 2011, 82). Dies betrifft auch seine Rolle als Autor. Hieraus folgt eine Subjektivierung und Individualisierung der Kultur, die ihre entsprechende Repräsentanz in literarischen Strömungen wie dem Sturm und Drang findet. Die Literatur des Sturm und Drang wird von der Literaturwissenschaft als eine Strömung bewertet, die mit der Individualitätssemantik operiert und dabei, wie Karl Eibl (1995) formuliert, zur Entstehung neuer poetischer Verfahren führt. Anhand von Beispieltexten der ‚Genie-Literatur des Sturm und Drang‘ belegt Böhm, dass das neue Individualitätskonzept auch neuer und anderer Formulierungsmuster bedarf, damit sich das Individuum selbst in seiner Einzigartigkeit und Totalität erfahren kann. Böhm
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zieht als Beleg Goethes Rede Zum Schäkespears Tag (1771) heran, in der der Autor zwar den Begriff ‚Genie‘ nicht verwendet, jedoch das ‚Ich‘ in seiner Einzigartigkeit herausstellt. Als Referenz der neuen Individualitätssemantik, so stellt Böhm weiterhin fest, entdecken Vertreter des Sturm und Drang im achtzehnten Jahrhundert Shakespeare, der in seinen Werken nicht der griechisch-römischen Tradition folgt, sondern eigenständige Dramen schafft, die ihn als Autor und Genie auszeichnen. Zu vermuten ist, dass es auch die individuelle Sprache Shakespeares ist, die die Autoren des Sturm und Drang und der Aufklärung im Gegensatz zu einer strengen Regelpoetik anspricht. Stilistische Vielfalt, niedrige und hohe Sprachniveaus, Wortneuschöpfungen, regellose Dramen machten Shakespeare zum Prototyp des Genies. „So bot er ein Bild alleinstehender Individualität innerhalb der Literatur, an das anzuknüpfen sich anbot. Denn statt durch Nachahmung seines Stils ging es den Autoren des Sturm und Drang um die Nachahmung seiner Einzigartigkeit.“ (Böhm 2011, 85). Durchaus könnte man sagen, dass es bis in die Gegenwart in einem gewissen Maße die „Einzigartigkeit“ im Sinne der Selbstbezüglichkeit/der Selbstbeobachtung des Autors oder der Autorin oder der jeweiligen Sprachgewalt ist, die das Schaffen von Autorinnen und Autoren antreibt, auch wenn sich ein gemeinsamer Nenner nicht finden lässt (vgl. Gansel 2002, 243–245). Ob ‚Einzigartigkeit‘ als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium des Medium/FormVerhältnisses zureicht, soll im Folgenden anhand einiger ausgewählter Ansätze zu Beschreibungen der Systemlogik des Literatursystems überprüft werden. In historischer Perspektive mit Bezug auf literarische Epochen liefern Gerhard Plumpe und Niels Werber (1993) eine systemtheoretische Beschreibung der Funktion des symbolisch generalisierten Mediums sowie der binären Codierung des Literatursystems. Sie markieren den Wechsel von polyvalenter (literarischer) Kommunikation mit ästhetischen Elementen in einer stratifizierten Gesellschaft hin zu einem ausdifferenzierten System der Literatur. Dieses entsteht neben und unter anderen sozialen Systemen und entwickelt selbstreflexiv seine Funktion und Leistung, binäre Codierung sowie das symbolisch generalisierte Medium. Plumpe und Werber machen einsichtig, dass die binäre Codierung des Literatursystems im späten achtzehnten Jahrhundert als selbstbezügliche eingehend reflektiert wird und in die Werte interessant/langweilig mündet (1993, 30–32). Mit der systemintern begründbaren Herleitung dieser Codierung sowie dem Anspruch an eine Autorschaft im System Literatur kann Luhmanns philosophisch-ästhetische Codierung für die Kunst in schön/hässlich widerlegt werden. In der weiteren Diskussion zum Medium des Literatursystems werden das System selbst, also Literatur, oder die Umwelt zum Medium: „Diesen zwei Prämissen – System und Umwelt – entsprechen zwei basale Operationsoptionen der Literatur selbst. Literatur kann, wenn sie Neues kreiert, entweder sich selbst beobachten und Altes neu arrangieren, oder sie beobachtet ihre Umwelt und
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importiert aus ihr Material für ihre Formen.“ (1993, 25–26). Plumpe verweist auf zwei Typen moderner Literatur „je nach dem, ob die Umweltreferenz oder ob die Systemreferenz dominant gesetzt ist“ (1985, 256). Deutlich wird der eingeengte Bezug auf das Symbolsystem Literatur; schon hier gelangt man zu der Überlegung, ob zwei Medien-Werte im Sinne systemtheoretischer Systembeschreibung überhaupt gelten können bzw. welche Medienbegriffe hier zugrunde gelegt werden. Umwelt- und Systemreferenz lassen sich eher als thematische Bereiche interpretieren, die in spezifischen sprachlichen Formen in einem Text bearbeitet werden können. Zu fragen bleibt, wie die Welt als Medium für Formen gelten könne, wenn es im folgenden Zitat heißt: Der selbstreferentiellen Variante entspricht eine Kunst der Parodie und Zitate, der höchsten Artifizialität. Das System selbst wird zum Medium für Formen. […] Der Extremfall systemreferentieller Literatur ist wohl dann erreicht, wo seine Sprachexperimente nur noch ein Minimum an Umweltreferenz erreichen und dementsprechend in der Umwelt der Kunst weitgehend auf Unverständnis stoßen. Die zweite grundsätzliche Operationsmöglichkeit des Literatursystems ist umweltreferentiell orientiert. Die Literatur beobachtet ihre Umwelt, um dann deren Sichtweisen auf die Welt als Medien für Formen zu behandeln. Macht die Literatur im ersten Fall sich selbst zum Medium, in dem sie kunstspezifisch codiert, kommunikative Elemente aus ihrer eigenen Systemvergangenheit selektiert und neu koppelt, so werden hier Elemente aus ihrer Umwelt importiert, die nicht eigens kunstspezifisch codiert sind. Diese Elemente werden aus ihrem eigenen systemspezifischen Kontext herausgelöst und dann umcodiert. Die Kunst selektiert hier natürlich nach ihren eigenen Präferenzen. (Plumpe und Werber 1993, 25–26)
Hypothetisch geht auch Luhmann auf die Verwendung des eigenen Systems und der Umwelt als Medium der Kunst ein (2008, 129–132). Allerdings ist er so zu verstehen, dass die Gesellschaft „als System ihrer eigenen Operationen“ kein Medium sein kann (2008, 132). Wenn dies so wäre, müsste gefragt werden, „wie eigentlich Gesellschaft hinter die Gesellschaft projiziert werden kann, so dass die Formwahl der Gesellschaft grimassenhaft sichtbar wird; und wie das in der spezifischen Weise der Kunst geschehen kann, so daß die Auswahl als Form überzeugt, und nicht als Gesellschaftskritik von einem momentanen boom in ‚Alternativen‘ lebt“ (Luhmann 2008, 132). Da Kunst selbst „Vollzug von Gesellschaft ist“, könnte sie sich dann auch selbst als Medium verwenden. Luhmann ergänzt allerdings, dass das Kunstsystem dann kollabieren könnte. So interessant und aufschlussreich der Ansatz erscheint, ergeben sich doch weitere Fragen. Zunächst stellt sich die Frage, ob die beiden von Plumpe und Werber aufgeführten Operationsweisen überhaupt zu trennen sind und diese Trennung literarischer Praxis entspricht. Wenn von einer minimalen Umweltreferenz die Rede ist, wird mit dem relativen Adjektiv ‚minimal‘ nicht klar, wie hoch diese jeweils ist.
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Weitere Probleme ergeben sich, wenn man die Differenziertheit des systemtheoretischen Medienbegriffs für die vorangegangene Definition von Plumpe und Werber durchexerziert. Dazu kann folgende These Luhmanns ins Feld geführt werden: Natürlicherweise muss man davon ausgehen, daß es ein Medium schon gibt, auf das die Form zugreift. Für den Fall der Kunst wollen wir die umgekehrte These ausprobieren: daß die Form sich das Medium erst schafft, in dem sie sich ausdrückt. Sie ist dann ein ‚höheres Medium‘, ein Medium zweiter Ordnung, indem sie es ermöglicht, die Differenz von Medium und Form ihrerseits medial zu verwenden, als Medium der Kommunikation. (2008, 127)
In Hinblick auf Literatur wäre das Primärmedium die Sprache, mit dem kunstvolle Ausdrucksweisen geprägt werden. Mit dem ‚höheren Medium‘ ist hier ein symbolisch generalisiertes Medium der Kommunikation gemeint. Es muss so generalisiert sein, dass es Verschiedenes aufnehmen kann. ‚Symbolisch‘ steht für die Bedingung der Vereinheitlichung (vgl. Luhmann 2008, 134). Wenn über Kunst kommuniziert werden soll, so Luhmann weiter, „muß man mithin die Differenz von Primärmedium und Form voraussetzen und diese Differenz selbst zum Medium machen können“ (2008, 134). Dieses Medium ist allerdings nur auf das System der Kunst bzw. der Literatur zu beziehen. Das heißt, dass die Medium/ Form-Differenz der interessanten, innovativen, unkonventionellen, individuellen Formung von Sprache eines literarischen Textes in einem höheren Medium resultiert, das dann den Kommunikationshorizont des Handlungs- und Symbolsystems Literatur bildet. Wenn nun Einzigartigkeit als symbolisch generalisiertes Medium angenommen wird, das den Kommunikationshorizont des Literatursystems bestimmt, dann ist dieses Medium höherer Ordnung sowohl für das Symbolsystem als auch für das Handlungssystem Literatur in Anschlag zu bringen. Es bestimmt alle Kommunikationen, die von den entsprechenden Handlungsrollen ausgeführt werden. Im literarischen Text mag Einzigartigkeit durch die Autorschaft angestrebt und erzeugt werden, sie muss allerdings im Literaturbetrieb durch Rezeption, Aufla gen, Literaturkritik, Bestsellerlisten oder Literaturpreise Sanktionierung erfahren. Zu fragen wäre nun, welche Funktion zu dem symbolisch generalisierten Medium Einzigartigkeit passt. Luhmann (2008) entwickelt unterschiedliche Argumentationsstränge zur Funktion des autonomen Systems der Kunst, d. h. er forscht danach, für welches spezifische Problem die Kunst „funktional äquivalente Problemlösungen“ anzubieten hat (Krause 42005, 151). Der Argumenta tionsstrang, die Funktion der Kunst „in der Konfrontierung der (jedermann geläufigen) Realität mit einer anderen Version derselben Realität“ zu sehen, also in der Kontingenz von Weltsichten („Die Kunst lässt die Welt in der Welt erscheinen“, Luhmann 2008, 144) wird von Plumpe und Werber (1993) begründet abgelehnt.
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Alternative Wirklichkeitskonstruktionen sind ebenso von einzelnen psychischen Systemen, denen keine Autorschaft zukommt, erreichbar. Die Wirklichkeit der Massenmedien erscheint gleichfalls als eine konstruierte, die den Tatsachen nicht entsprechen muss. Das hier herausgestellte Medium Einzigartigkeit lässt sich hingegen mit der Idee Luhmanns verbinden, dass das Kunstwerk selbst eine Kommunikation sei: „Ich möchte von dieser Idee ausgehen und die Funktion der Kunst suchen im Bereich der Verlagerung von Kommunikation in das Wahrnehmbare.“ Die Frage lautet daher: „[W]ie muß man Wahrnehmung denken, wenn man Kunst als über Wahrnehmung laufende Kommunikation sich vorstellt?“ (2008, 420). Der Gedanke setzt sich in dem Schluss fort, „ob nicht Kunst eine wichtige Funktion deshalb hat, weil sie die Sicherheiten, die wir im Bereich der Wahrnehmung haben, für soziale Kommunikation in Anspruch nehmen kann“ (2008, 423). Die Rezeption, das Lesen eines literarischen Textes ist eine solche Form der Wahrnehmung. Sprachwahrnehmung bildet die Grundlage für die Rezeption und Reflexion eines literarischen Textes. Literarische Sprache dient dazu, „durch unwahrscheinliche Sinnbildungen, offensichtliche Fiktionalität, Paradoxien, Märchen und viele andere Formen der Frustrierung von Sinnerwartungen zu Reflexion anzuregen“ (Luhmann 2008, 377). In diesem Sinne bedeutet Kommunikation in der Kunst die Schaffung eines Kunstwerkes/literarischen Werkes, dessen Wahrnehmung/Rezeption sowie Reflexion und Anschlusskommunikation über das Werk. „Kunst kann radikaler sein, indem sie den Umgang mit selbsterzeugter Ungewißheit am Objekt im Wahrnehmbaren vorführt […].“ (Luhmann 2008, 427). Luhmann fasst die Funktion der Kunst und ihre Aufgabe als symbolisch generalisiertes Medium wie folgt zusammen: „Die Einheit der Kunst [dies gilt für alle Kunstarten, C. G.] besteht in dieser Produktion für Beobachtung, in dieser Beobachtung für Beobachtung, und ihr Medium besteht in den Freiheitsgraden für Medien/Form-Verhältnisse, die damit geschaffen werden.“ (2008, 189).
Weiterführende Literatur Eroms, Hans-Werner. Stil und Stilistik. Eine Einführung. Berlin 2008. Gansel, Christina. Hrsg. Systemtheorie in den Fachwissenschaften. Zugänge, Methoden, Probleme. Göttingen 2011. Krämer, Sybille. „Form als Vollzug oder: Was gewinnen wir mit Niklas Luhmanns Unterscheidung von Medium und Form?“ Rechtshistorisches Journal 17 (1998). Frankfurt am Main: 558–573. Luhmann, Niklas. Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. 4. Aufl. Frankfurt am Main 1993.
Robert Matthias Erdbeer
III.1.2 Form und Modell 1 Modellpoetik zwischen Literatur und Literaturwissenschaft Modell und Modellierung: Ein Problem literarischer Form Modell, so Herbert Stachowiak, „ist das vermeintlich objektive Erkenntnisgebilde ebenso wie die Gedankenkonstruktion, die ihre Subjektivität und Perspektivik betont. Modell ist Newtons Partikelmechanik ebenso wie Rankes Weltgeschichte oder Hölderlins Hyperion.“ (Stachowiak 1978, 56). Wenn dem so ist, wenn das ‚vermeintlich Objektive‘ und das perspektisch Subjektive in der Modellierung aufgehoben sind (und im Modell die Kluft der zwei Kulturen schwindet), dann wird der Modellcharakter literarischer Produkte auch zum Auftrag an die Literaturwissenschaft. Für Newtons Forschungskontext gibt es eine ausgewiesene Modellforschung, für Ranke oder Hölderlin dagegen nicht. Wenn gilt, dass als Modell nur gelten darf, was als Modell aufgefasst wird (vgl. Mahr 2015, 335), dann können auch poetische Objekte als Modelle aufgefasst, d. h. modellhaft werden und als orientierende Modelle tätig sein. Sie können innerhalb der literarischen Fiktion modellhaft werden, oder auch im Rahmen eines außerliterarischen Zusammenhangs. Genauso können außerliterarische Objekte von der Dichtung als Modelle aufgefasst und in ihr als Modelle tätig werden; solche außerliterarischen Modelle werden dann für ihren literarischen Gebrauch poetisiert und fiktionalisiert. Und alle diese als Modelle aufgefassten Gegenstände, materielle ebenwo wie ideelle, können ihrerseits Modelle sein. Wie aber ist ein solches Auffassungskalkül erfahrbar und – vor allem – nachweisbar? Wie wird es manifest? Modelle müssen sich in Formen zeigen, erst als Formen werden sie modellhaft und als Ausdruck einer Auffassung konkret. Poetische Modelle werden zu Modellen mittels eines Formtyps, der von deskriptiven oder faktualen Formtypen verschieden ist: der literarischen Form. Dieselbe wiederum kann nur modellhaft werden, wenn sie Gegenstand der Auffassung geworden, nämlich als Modell betrachtet worden ist. Das muss kein Zirkel sein. Modellsein nämlich ist nicht nur die Folge einer Auffassung, es ist die Folge einer interessen- oder wertgeleiteten Pragmatik, die aus der Modellerwartung Schlüsse zieht und daraus Handlungsdirektiven gewinnt. Wenn also ein poetisches Objekt als literarisches (bzw. außerliterarisches) Modell verstanden wird, dann ändert sich durch diese Auffassung auch sein Aktions- und Wirkungsraum: der Gang der Handlung, die https://doi.org/10.1515/9783110364385-007
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mit ihm verbundene Semantik, sein modales – fiktionales oder faktuales – Milieu. Modelle hinterlassen Spuren, legen Handlungs- und Entscheidungspfade, öffnen und begrenzen einen Gang der Handlung, ein Verfahren, einen Plot. Poetische Modelle orientieren und desorientieren, richten Textstrukturen aus und steuern Textsemantiken, sie definieren Anschlussmöglichkeiten, kontrollieren und verhindern sie. Der folgende Artikel diskutiert den Horizont poetischer Modellbildung in fünf Bereichen: als Problem der innerliterarischen, im Text bzw. Narrativ entworfenen Modelle, als Problem der Theoriegeschichte der Literaturwissenschaft, als Phänomen im Kontext einer fächerübergreifenden Modellforschung und als Gelegenheit zur Revision semiotisch-strukturaler und modaler Theoriemodelle an der Grenze zwischen Darstellung und Handlung. Wie in jeder Wissenschaft, so findet der Modellbegriff auch in der Literaturwissenschaft vor allem dort Verwendung, wo der konstruktive und entwerfende Charakter dieser Wissenschaft behauptet werden soll. Weit seltener jedoch – besonders im Vergleich mit den Natur- und Technikwissenschaften – wird der Terminus auf die Modellbildung der Gegenstände selbst bezogen, auf die immanenten Modellierungen der Werke, Wirkungsformen und Akteure. Auch als Reflexionsbegriff der wissenschaftlichen Debatte führt der literarische Modellbegriff ein eher apokryphes Dasein, tritt jedoch nicht selten dann ans Licht, wenn sich – wie in den digitalen Narrativen und gemischten Modi neuerer Fiktionsformate –das poetische Dispositiv als ganzes neu zu formieren beginnt. Es zeigt sich dabei auf den zweiten Blick, dass der Modellbegriff durchaus im Horizont der strukturalen, formalistischen, system- und zeichentheoretischen Projekte, aber auch der hermeneutischen, poststrukturalen oder neohistoristischen Versuche steht, die ontologischen und wertbezogenen Bedingungen der literarischen Aktivität zu bestimmen. Die literarische Modellforschung ist ein verhältnismäßig junges Forschungsfeld, das im Gefolge von Horst Flaschkas Pionierarbeit Modell, Modelltheorie und Formen der Modellbildung in der Literaturwissenschaft (1976), Karl Eimermachers Bemerkungen zum Modellbegriff in der Literaturwissenschaft (1976), sowie von Ansätzen zu einer allgemeinen Theorie des Modellierens aus der Wissenschaftsund Techniktheorie (vgl. Stachowiak 1973; Mahr 2015) auf die Prozessdynamik und die transdisziplinäre Ausrichtung des Formdiskurses zielt (vgl. Krauthausen 2014; Erdbeer 2015; Kerschbaumer 2018; Wilhelms 2019; vgl. auch Schmitz-Emans 2000, Jahn und Nünning 1994; Nünning 1998). Ihr Ansatz ist ein produktionsästhetischer und handlungstheoretischer, der nach den Urteilen, Modellakten und Direktiven fragt, die das Modellgeschehen und mit ihm die Formgebung poetischer Prozesse steuern und bewerten. Bei Eimermacher werden hierzu drei Modelltypen beschrieben: 1. „literarische Modelle der Wirklichkeit“, 2. „literaturwissenschaftliche Modelle von literarischen Modellen“, sowie 3. kognitive „Modelle, die die Konstruktion einer Theorie des menschlichen Bewußtseins […]
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aufgrund der Analyse von Bewußtseinsstrukturen erlauben, die u. a. auf dem Umweg über literaturwissenschaftliche Modelle – gewonnen aus literarischen Modellen der Wirklichkeit – vermittelt sind“ (Eimermacher 1976, 32). Dies impliziert zugleich ein wirkästhetisches Verfahren, insofern die literarische Modellforschung auch nach der Weise fragt, wie eine Rezeptionsgemeinschaft 1. an der Modellierung literarischer Objekte tätig ist und 2. literarische Objekte als Modell für Anschlussproduktionen wählt. Das Produktionsprinzip geteilter Steuerung betrifft hier nicht allein den Text als immanente Einheit, sondern auch die Modellierung seiner Anschlusskommunikationen, die als Hermeneutik und Kritik auf ihn bezogen sind. Modellpoetik fragt zugleich nach der Gestaltung und der Reichweite des literarischen Möglichkeitsraums (vgl. Campe 2002). Als Sprachpragmatik zielt sie dabei stets auf das Zusammenspiel der immanenten Performanz der Sprache selbst bzw. ihrer ‚Sprechakte‘ (vgl. Wirth 2002, 28–29) mit den formalen Praktiken – den strukturalen, ontologischen und wertbezogenen Vollzügen und Verhandlungen –, durch die sie ihre jeweilige Wirklichkeit hervorbringt und organisiert. Begriff und Tätigkeit des Modellierens definieren dabei jenes „formenschaffende und formverändernde Potential“ des „Vollzug[s] […] gegenüber dem Muster“, also jenen „Überschuss“ des Performativen, den Sybille Krämer im Verhältnis von „Muster […] und Realisierung“ erkennt (Krämer 2002, 345–346). Es zeichnen sich sechs klassische Bereiche ab, die Produktion und Rezeption zugleich betreffen, besser: diesen Unterschied zugunsten einer Handlungseinheit aus Modellbildung und Remodellierung entschärfen: 1. die Sprache selbst als Integral von Zeichen und Strukturen; 2. die in ihr verdichteten Mytheme oder Topoi; 3. deren zielgerichtetes emplotment als Zusammenhang von fabula (Ereignisfolge) und Sujet (Gestaltung), 4. der Bereich der Tropik und Rhetorik, 5. das System der Gattungen, 6. der Deutungshorizont von Wertung und Kritik. Modellsein also ist die Folge einer Zuschreibung, die durch die Auszeichung der zum Modell erhobenen Objekte und Prozesse normativ verfährt; Modellforschung rekonstruiert sodann die Gründe, Ziele und Verfahren dieser Zuschreibung. Als Ausdruck einer Wertung kann ein literarisches Modell als Einheit dessen gelten, was im literarischen Modellbildungsverfahren als modellhaft ausgewiesen wurde oder sich im (Re-)Konstitutionsprozess als exemplarisch – ‚vorbildhaft‘, normierend, steuernd, regelhaft und funktional – erwiesen hat. Es kann der Inhalt eines Urteils (einer modellierenden Instanz), die Folge von Effekten (der Modellobjekte) oder auch der Ausdruck einer nachgelagerten Modellbeurteilung (der Evaluation des Modellierens) sein. Im Rezeptionsprozess vollzieht sich ein remodelling der Ausgangsmodellierung – ihr Zusammenspiel entscheidet letztlich über Geltung und Latenz, sprich: über den Modellcharakter des Modells. Auch David Wellberys Konzept der ‚immanenten Intentionalität‘ literarischer Texte, also
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ihrer Eigenschaft, eine rekursive „Vollzugsform von Sprache ebenso wie […] eine diese aktualisierende Vollzugsform literarischer Erfahrung“ zu sein, lässt sich in dieser Weise als modelldynamisches Kalkül beschreiben: „Form ist der sich in der Aktualität des Vollzugs realisierende Begriff.“ (Wellbery 2019, 188). Modelle modellieren also nicht nur Gegenstände, sondern Wirklichkeitsbezüge, die nicht mit dem Hinweis auf den Modus der Fiktion allein zu klären sind. So hebt bereits das faktuale, nicht-poetische Modellgeschehen im Prozess der technischen Modellbildung, des Simulierens und Remodellierens, die zentrale Differenz von Empirie und Konstruktion nicht einfach auf; es setzt sie für ein Modellierungsziel pragmatisch ein. Modelle sind als ontologische Akteure tätig, welche das Reale und das Ideale immer schon im Hinblick auf die faktische Veränderung des Wirklichen entwerfen. Was geschieht mit dieser ontologischen Pragmatik, wenn sie in den Entpragmatisierungsmodus der Fiktion gerät? Auch diese hat den Dualismus des Realen und des Idealen immer schon im Hinblick auf die faktische Veränderung des Wirklichen entworfen – aber im modalen Sinne der Veränderbarkeit dessen, was als wirklich gilt bzw. gelten kann oder soll (man denke etwa an Konzepte des Wahrscheinlichen, der vraisemblance und bienséance). Poetische und nicht-poetische Modellbildung ergänzen sich insofern, als das literarische Entwurfsgeschehen die Bedingungen des Modellierens selbst zum Thema macht: den Modus seiner Agency. Was für Modelle schon im Allgemeinen gilt, muss dabei auch für literarische Modelle gelten: Alles kann Modell werden, aber nicht alles ist ein Modell. Wenn aber vom Modell, wie eingangs angeführt, nur dort gesprochen werden kann, wo etwas als Modell aufgefasst wird (vgl. Wartofsky 1979; Wendler 2018), dann rückt die Frage nach der Eigenart des Modellierungsvorgangs und der Weise, wie im Modellieren Formen eingesetzt und neu gestaltet werden, in den Mittelpunkt. Modellpoetik setzt aus diesem Grunde beim Prozess der Modellierung an. Anstelle einer systematischen (und klassifikatorischen) Beantwortung der Frage, welchen Elementen eines Textes überhaupt der Status eines literarischen Modells – als Abbild vorgängiger oder Vorbild nachfolgender Elemente – zuzutrauen, zuzuordnen oder zuzuschreiben wäre, geht es um die Analyse der Modellurteile, um die Frage, wer auf welche Weise und in welchen Kontexten, mit welchen Zwecken und Erfolgen eine solche Zuschreibung getätigt hat. Wie aber lässt sich ein – zumal historisches – Modellurteil remodellieren? Was geschieht mit den Verfahren der pragmatisch-technischen und epistemischen Modellbildung, sobald sie zu poetischen Fiktionen werden? Eine Antwort hierauf könnte in der Weise legen, wie ein fiktionaler Text nicht nur die Elemente seiner Ausgangsmatrix, sondern auch sein eigenes Modellsein modelliert. Dies wiederum führt zum Modell als literarischem Objekt und seiner Form zurück. Mit Hilfe einer literarischen Modellpoetik könnte deutlich werden, wie die modusübergreifende Modellbildung (und ihre Theorie)
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bei der Entwicklung, Geltung und Veränderung von Wirklichkeitsverhältnissen und deren Formen tätig ist. Doch was ist ein Modell?
Funktionen des Modells Modelle kommen immer dann zum Einsatz, wenn sich ein Objekt, das wahrgenommen, dargestellt und zum Gebrauch befähigt werden soll, dem Zugriff der Bearbeitung entzieht. Die mangelnde Verfügbarkeit kann räumlich wie beim Weltall, zeitlich wie bei allem, was nicht gegenwärtig ist, und strukturell bedingt sein, also durch den Grad der Gegenstandskomplexität. Sie kann den Gegenstand als ganzes oder Teilbereiche des Objekts betreffen, seine Formen, sein Systemverhalten, seine Einbindung in einen Kontext, seine Leistungs- und Bedeutungsmöglichkeit. Auch ideelle Gegenstände, die noch nicht ‚zur Welt gekommen‘ sind, erfordern, wenn sie denn zur Kommunikation gelangen sollen, ein Modell, das ihre Position vertritt. Modelle schaffen Zugang und erzeugen dabei die Objekte, die sie zu vertreten scheinen, mit. Im Modellieren wird der Mangel an Verfügbarkeit durch ein Ersatzhandeln – ein Simulieren – kompensiert, das die Systemstelle des Unverfügbaren durch ein Verfügbares bzw. das Komplexe durch ein ‚Handhabbares‘, ein vereinfachtes Objekt ersetzt: ein Simulakrum oder Replikat. Negiert ein Simulakrum diese Ableitung, dann hört es auf, Modell zu sein. Nicht jede Tätigkeit ist ein Modellprozess. Modellbildung verlangt die Übersetzung eines Unverfügbaren in ein als Übergangsobjekt verstandenes Modellobjekt. In dieser Hinsicht sind Modelle Scheinobjekte: Ab-Bilder und Nach-Ahmungen, Wieder-Holungen und Wieder-Gaben dessen, was den Status eines Ursprungs oder Originals behauptet; Vor-Bilder und Proto-Typen, Vor-Formen und Prä-Konzepte dessen, was da kommen soll. Mit Hilfe von Modellen, so der Ursprungssinn von ‚modulus‘ und ‚Model‘, wird das Unverfügbare vermessen und geformt. Als Kernfunktion des Modellierens garantiert die Formung den Zusammenhang des Vorbilds mit dem Abbild (vgl. Stachowiak 1973): Proportion, Funktion, Gestalt. Die Form, die im Modellprozess vermittelt wird, verändert allerdings ihr ontisches Profil; vom vorgefundenen empirischen bzw. logischen Realen zum Als-Ob des Prototyps. Sie ist eine Übergangsform. Als Scheinobjekt des Unverfügbaren, des Vorbilds oder Zukunftsbilds, verhält sich das Modell (und die im Modellierungsvorgang prozessierte Form), als ob es das Gesuchte selber wäre; besser: es verhält sich so, wie seinen Modellierern das Verhalten des entzogenen Objekts erscheint: „Das Objekt wird mittelbar modelliert, denn modelliert wird in Wirklichkeit die Kenntnis oder Vorstellung von diesem Objekt.“ (Faryno 1974, 171). Zum Wesen des Modells gehört es also, Folge einer Vorstellung zu sein: Ergebnis einer leitenden Modellannahme, die Erwartungen, Vermutungen, Befürchtun-
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gen und Hoffnungen der Modellierer im Modell und seiner Form verdinglicht (vgl. Mahr 2015). Im Modell vermischt sich demnach nicht nur das, was vom entzogenen Objekt erfahrbar ist, mit dem, was man von ihm vermutet; es verdinglicht auch – und dieser Punkt kann immer noch als blinder Fleck der Modellierungspraxis gelten – das Modellverhalten der Akteure, die an der Modellbildung beteiligt sind. Modelle sind die Folge einer Dringlichkeit. Wer nicht in Not ist, bildet kein Modell. Modelle antworten auf diesen Handlungsdruck, der die beteiligten Modellakteure zur beschleunigten Verwirklichung sowohl der Modellierung selber, als auch ihrer Überwindung, nämlich der Erschaffung und Erprobung ihrer Zielobjekte treibt: auf das Bedürfnis der Vervielfachung (Kopie) und Wiederholung (Serie), der Verbesserung (Entwicklung), der Erneuerung (Entwurf) und der Kontrolle (Steuerung). Im Modellieren wird Vergangenes vergegenwärtigt, Gegenwärtiges getestet, Künftiges geplant. Modelle haben – je nach Auftrag und Modellsituation – regulative, repräsentative, normative, oder auch prognostische und explorative Funktion (vgl. etwa Wendler 2013, Thalheim und Nissen 2015, Blättler 2015, Magnani und Casadio 2016). Kopieren, Steuern und Entwerfen sind ein Zeitproblem. Die Tätigkeit des Modellierens antwortet der Dringlichkeit, dem Modellierungsdruck, mit Hilfe von Modellobjekten, welche ihrerseits – durch Materialbeschaffenheit, Systemcharakter und Modaldisposition – mit Zeit geladen sind. Systemzeit, Fremdzeit, Eigenzeit: die Zeitläufte des Modellierungskontexts bilden eine Temporalkulisse, die der räumlichen nicht nur nicht nachsteht, sondern sie erzeugt. Im Modellieren wird, wie man mit Schelling sagen könnte, Produktivität beständig zum Produkt ‚gehemmt‘: zur Anwendung, zum Applikat. Das Applikat als Anwendungsobjekt ist das Ergebnis einer Modellierung. Es kann temporär stabil sein wie ein Datensatz, stabil wie ein Gebäude oder flüchtig wie ein Videospiel. Es kann auch selbst Modell sein – für die Anschlussmodellierung, die ihm folgt. Indem die modellierenden Akteure die Parameter bestimmen, die für die genannten Anwendungen unabdingbar sind, vereinfachen sie die komplexen Ausgangslagen auf ‚das Wesentliche‘. Der Prozess des Modellierens, die Modellbildung, beruht somit auf Urteilen und Wertungen der am Modellbildungsprozess beteiligten Akteure. Diese Sachurteile schließen auch ästhetische und ethische Urteile ein. Im Zuge der Modellbildung sind also nicht nur Form-Transfers vom Vorbild auf ein Abbild festzustellen; die Modellerwartungen und die Modellurteile werden vielmehr selber im Modell ‚gemodelt‘, sie gewinnen eine eigene, modelltypische Form. Modelle nämlich liegen stets in Repräsentationen vor: sie kombinieren Materialien, Medien oder technische Objekte nach bestimmten Gattungs- und Verfahrensregeln, mit Rhetoriken und Narrativen eines Denk- und Handlungsstils. Modelle sind ästhetische Objekte, insofern sie das der Wahrnehmung Entzogene verfügbar machen (Sichtbarkeit, Erfahrbarkeit) und Überschüsse produzieren, die sich dem Zusammenspiel geplanter Vorgänge mit emergenten ‚Eigensinnen‘
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(Materialbeschaffenheit, Subjektdispositionen, Änderungen der Modellsituation, etc.) verdanken. Und sie sind ästhetische Objekte in modaler Hinsicht, da ihr Sosein erstens zwischen Konkretion und Imagination beständig schwankt, zum zweiten in Modellerzählungen zum Vorschein kommt und drittens auf die Überwindung ihrer selbst gerichtet, also vorläufig bzw. ‚nicht-eigentlich‘ ist. Aus künstlerischer Perspektive bietet daher das „Modell mit seiner definitorischen Widerspenstigkeit, seinem Verharren im Unechten, aber auch mit seiner vordergründigen Klarheit und suggestiven Wirkmacht“ die Gelegenheit, die Reflexion der „ebenso gearteten Welt“ zu befördern (Becker 2018, 20). Mit Blick auf literarische Modelle sind zunächst drei Unterscheidungen zu treffen: 1. zwischen dem, was generell den Status des Modellseins ausmacht und der Eigenart spezifisch literarischer Modelle (allgemeine vs. literarische Modellforschung); 2. das Zusammenspiel von innerliterarischen (poetischen) Modellen mit Modellaussagen ihrer Produzenten (wie Max Frischs Verteidigung im Vorwort zu Andorra: „Andorra ist der Name für ein Modell“; 2001 [1961], 157; vgl. Flaschka 1976, 88–90); 3. das Verhältnis der poetischen bzw. dichtungstheoretischen Modelle zu Modellen der Literaturwissenschaft. Poetische Modelle – nicht zuletzt auch solche, die sich als mimetische, d. h. als Repräsentationsmodelle der ‚realen Welt‘ verstehen – sind Entwurfsmodelle. Sie entwerfen eine zweite Wirklichkeit, die keine Anschlusshandlungen zur Sicherung der eigenen Stabilität erwartet und erfordert. Die Pragmatik literarischer Modelle ist von der Pragmatik technischer Modelle unterschieden: Von der Dichtung geht – im Unterschied zur Technik, aber auch zum Spiel – kein Handlungsauftrag aus. Wer sich erschießt, um Goethes Werther nachzuahmen, ist das Opfer einer ontischen Verwirrung, ebenso wie Werther selbst, der als Modell für seine Fehlhandlung ein literarisches Pendant, Emilia Galotti nämlich, wählt. Die fehlgeleitete Modellpragmatik ist hier in der Dichtung selbst schon vorgebildet, der Werther ihr Metamodell. Poetische Modelle sind – mit Jurij Lotmans einschlägiger Formulierung – ‚sekundär modellbildend‘, weil die poetische Modellbildung (wie alle sekundären Zeichen- und Symbolsysteme) die primären, in der Alltagswelt entwickelten Modelle für die Zwecke ihrer eigenen Pragmatik nutzt (vgl. Lotman 31989 [1972], 22–23; vgl. Flaschka 1976, 50–63); sie werden re- und ‚um-modelliert‘. Die zweite Modellierung ist nach Roman Jakobson vor allem ein Strukturereignis, weil es sich um sprachliche Modelle handelt, die sich im poetischen Gebrauch verdichten. Die Verdichtung wiederum besteht in der Frequenz der sprachlichen Äquivalenzen, also einer Häufung von grammatisch, phonologisch und rhetorisch ähnlichen Segmenten im Syntagma, dem Satz. Sie bilden ein Strukturmodell, das Poetizität als Grad der sprachlichen – syntaktischen und damit auch semantischen – Verdichtung erzeugt. Denn „lautliche Äquivalenz“, so Jakobsons zentrale These,
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„die als konstitutives Prinzip auf die Sequenz projiziert wird, zieht unweigerlich semantische Äquivalenz nach sich“ (Jakobson 31993 [1960], 108). Modelle sind Motoren dieses Formenwandels: auf der Mikroebene des Textes ebenso wie im Bereich der Gattungen und Modi. Die Momentaufnahmen, die sie dabei schaffen (und in denen sie objekthaft existieren), könnte man als ‚Transformen‘ bezeichnen (vgl. Tenev 2017). Vom Standpunkt der primären Modellierung kann die sekundäre, literarische Modellbildung zugleich zur Entpragmatisierung der Bezüge dienen. Ihre Statusänderung ist dann die Folge eines Moduswechsels vom primären, faktualen Weltmodell zum Weltmodell der literarischen Fiktion. Die zweite Welt ist ein Modalitätsmodell. Sie ist die Folge einer höchst dynamischen Modalpragmatik, die die Unterscheidung ‚eigentlich‘/‚uneigentlich‘, ‚real‘/‚fiktiv‘ stets neu konfiguriert. Auch die tradierte literarische Fiktion, die ihren Status programmatisch abgrenzt und von außen zwar gedeutet, aber nicht in ihrem ontischen und strukturalen Sein verändert werden kann (vgl. Iser 1993), ist ein modaldynamisches Produkt insofern, als sie selbst modellhaft werden und die Wirklichkeitsstatute ihres Umfelds ändern kann. Sie fiktionalisiert das Faktuale oder stiftet facts from fiction. Als modellbildend kann dieses Management der Möglichkeiten also deshalb gelten, weil es mit modalen Folgehandlungen verbunden ist. Es löscht zwar nicht die Unterscheidung zwischen fact und fiction, unterwirft sie aber einer Aushandlungspragmatik, die den literarischen Produkten einen uneindeutigen ontologischen Status verleiht. Man könnte sie als ‚Transfiktion‘ bezeichnen. Schon der Status klassischer Fiktionsformate hängt indessen nicht vom Grad der sprachlichen Verdichtung eines Textes ab, von seiner Poetizität, so wie die Poetizität nicht das Ergebnis einer Fiktionalisierung ist. Zwar könnte man vermuten, dass Metaphernreichtum oder Reime beim Gebrauchstext die pragmatischen Bezüge lockern, doch man könnte auch behaupten, dass die so verdichtete Struktur beim Memorieren der Gehalte hilft und dadurch ihre Anwendung begünstigt. Wie auch immer: Poetizität und Fiktionalität sind kategorial verschiedene Verfahren literarischer Modellbildung. Modelle arbeiten – in strukturaler wie modaler Hinsicht – als Ermöglichungsbedingung literarischer Verfahren, leiten Kontroversen über Form und Inhalt und begründen Gattungsnormen und -entwicklungen. Modellbildung wird daher als ein Steuerungsprinzip des Literarischen markiert, in dessen Regelkreisen dichtungstheoretische mit formpragmatischen und produktionsästhetische mit wirkästhetischen Aspekten immer schon verbunden sind. In literarischen Modellen wird die Differenz der Formen und Gehalte, des Realen und Imaginären zur ästhetischen Pragmatik aufgehoben, als Erfahrung reflektiert und prozessiert. Ästhetische Modellbildung bearbeitet damit ein Grundproblem des literarischen Dispositivs und seiner Wissenschaft.
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Im folgenden wird eine erste Übersicht der Forschungsfeldes unternommen: nach der Art poetischer Modelle, nach der Relevanz des Nachahmungsdiskurses für die Modellierungsfrage, nach der Form als Konkurrenzbegriff im Spannungsfeld binärer Codes. In einem zweiten Schritt behandelt der Artikel die historische Genese der Modellforschung aus dem Diskurs der literarischen Kritik und ihrer Bildgebung, erörtert zwei Funktionsmodelle zum Verhältnis von Modell und Form und diskutiert drei daraus abgeleitete Problembereiche der Modellpragmatik: zur Struktur, Semiotik und Modalität der literarischen Modellbildung.
2 Poetische Modelle Drei Typen von poetischen Modellen lassen sich heuristisch unterscheiden: Strukturmodelle, die sich auf die Poetizität des literarischen Objekts beziehen, also auf Verdichtungspänomene ausgerichtet sind (wie Ähnlichkeit, Frequenz und Varianz); Modalitätsmodelle, die das Wirklichkeitsstatut der literarischen Fiktion betreffen, also die Modalpragmatik der Diskurse, die sie steuern und von ihr gesteuert werden; und semantische Modelle, die das Narrativ des literarischen Sujets bestimmen, also die internen Zielsetzungen, Werte und Bedeutungsmuster, die es kultiviert. Dass diese Trennung nur heuristisch sein kann, also dem Erkenntnisinteresse einer individuellen Analyse folgt, ist offensichtlich: Jedes literarische Objekt lässt sich als Integral aus sprachlichen Strukturen, Modi und Bedeutungsansprüchen verstehen, und es bildet unterschiedliche Modellkonzepte hierzu aus. Zu unterscheiden wäre also einmal mehr die Zuschreibung bestimmter Modellierungen zu literarischen Objekten – ihre Klassifikation im Sinn der literarischen Kritik – von jenen Komponenten, die vom literarischen Objekt selbst als modellhaft aufgefasst bzw. als Modell vermittelt werden, die man als poetische Modellannahmen und Modellurteile identifizieren kann. Zu unterscheiden ist zudem die Modellierung eines Einzeltextes von der Auffassung derselben als Modell für Folgetexte, wie des Wilhelm Meister für das Genre des Bildungsromans. Zu fragen wäre daher, was genau an einem Einzeltext die Rezeption dazu bewogen hat, ihn als modellhaft aufzufassen, welche literarische und außerliterarische Modellerwartung er bedient. Dass Gattungsforschung hierbei wesentlich als literarische Modellforschung verfährt, zeigt beispielhaft das Phänomen der ‚immanenten Gattungspoetik‘, das Christel Meier für die mittelalterliche Dichtung am Verfahren der „multiplen imitatio“ und der „generische[n] ‚Modellkonstellation‘“ beschreibt (in diesem Band; zum Formbewusstsein in der mittelalterlichen Dichtung vgl. auch Craciun 2015). Man kann dies aber auch an einer Genrekonvention des neunzehnten Jahrhunderts zeigen, die sich nicht als
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Gattungsdiskussion entfaltet, sondern auf der Ebene des Narrativs als literarhistorisches Problem erscheint. Dazu das folgende Beispiel.
Ein Immanenzmodell Die Crux der realistischen Poetik, die den größten Teil des neunzehnten Jahrhunderts (und zum Teil auch heute noch) die Normvorstellung vom gelungenen, subjekt- und welthaltigen, mäßig exaltierten und semantisch zugänglichen, kurz: vom ‚gut lesbaren‘ Text dominiert, liegt im latenten Widerspruch von Alltagswirklichkeit und ‚schöner‘ Darstellung. Wie lässt sich die profane Wirklichkeit im zugänglichen Text auf eine Weise zur Erscheinung bringen, die sie als bedeutsame und interessante, spannende und überraschende, subtile oder tiefe kenntlich macht? Die Dialektik zwischen dem Alltäglichen und seinem Gegenpart, dem Wunderbaren, wie sie das ‚Modell Romantik‘ kultiviert (vgl. Kerschbaumer 2018), kann für den Realismus keine Lösung sein. Zum einen, weil die Grenze zwischen diesen Welten im romantischen Diskurs stets permeabel bleibt (und so das Ungewöhnliche und Unheimliche fördert); zweitens, weil sich die holistische Voraussetzung der Dialektik – ihre Synthesis in der romantischen Naturphilosophie – in der empirischen Systemumwelt des Realismus nicht mehr glaubhaft machen lässt; und drittens, weil der nihilistische Charakterzug der spätromantischen System- und Selbstkritik dem ethischen Konzept des Realismus und dem Stilkalkül des Schlichten, dem er sich verschreibt, zuwiderläuft. Anstelle also das Reale und das Wunderbare im romantischen Symbol zu koppeln, löst die realistische Poetik diese Dialektik metonymisch auf. Symbolbildung bleibt für die realistische Textur zwar unabdingbar (ein Verfahren, das der realistische Diskurs ‚Verklärung‘ nennt), denn nur durch sie wird das ‚Poetische im Wirklichen‘ gesichert, die Bedeutsamkeit. Sie muss jedoch, um die Wahrscheinlichkeit nicht zu gefährden, stets im frame des realistischen Geschehens deutbar sein. Die Wasserlilie aus der Storm-Novelle Immensee (1850) ist zweifellos ein Hauptsymbol der unterdrückten Triebökonomien ihres Helden, doch sie öffnet keine Tür in eine eigenständige Bedeutungs- oder Wunderwelt; ihr Einsatz als Bedeutungsträger bleibt begrenzt. Um trotz der ‚Profanierung‘ des Symbols auch weiterhin Bedeutung zu erzeugen, ist das Narrativ auf immer neue, den ‚Realien‘ zugeordnete Symbole angewiesen, die dann ihrerseits der Rationalisierung, der Entzauberung im Narrativ unterliegen. Die poetisch-realistische Textur ‚verbraucht‘ auf diese Weise ihre selbstgeschaffenen Symbole wie die Codes, die sie beglaubigen (vgl. Geppert 1994; Ort 1998), was zur beständigen Erneuerung der Textbewegung, also einer Abfolge von metaphorischen und metonymischen Prozessen führt (Abb. 1).
metaphorisch
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Formtheorien
S
S
S
R
R
…
Symboli- Rationalisierung sierung
R
metonymisch ⊲ realistische Narration
Abb. 1: Das Kippmodell des Poetischen Realismus
Wenn dem so ist, wie kann dann ein poetisch-realistischer Erzähltext jemals an sein Ende kommen, ohne im Symbolwald aufzugehen oder im profanen Dickicht trivial zu werden? Eine Lösung dieses Grunddilemmas findet der poetisch-realistische Diskurs im Modus der ‚Entsagung‘, der Bedeutsamkeit gerade dadurch stiftet, dass er seine Handlungsträger den symbolisch generierten Mehrwert – eine große Liebe, die persönliche Verwirklichung, den ökonomischen Erfolg – nicht konsumieren lässt. Das anti-ökonomische Prinzip der Nichtinanspruchnahme ist insofern ‚metarealistisch‘, als es wertbehaftete Realien eines Narrativs (Konsumgüter wie ideelle Güter, aber auch pragmatische Diskurse oder funktionale Handlungsmuster) programmatisch meidet. Dadurch wiederum gewinnen die Protagonisten des Entsagungsmodus (und die Texte selber) auf der Basis ethischer Introspektion und Reflexion Diskurshoheit im großen Stil. So wird der ethische Gewinn (der literarischen Protagonisten) mit dem faktischen Verzicht auf kohärenten Sinn (des Narrativs) erkauft, ermöglicht aber einen Zielzustand, der sich als ‚lebbar‘ deklarieren lässt und der poetisch-realistischen Textur zur Originalität verhilft. Entsagung schafft damit die Möglichkeit, „das Modell auf der metonymischen Achse [der Erzählung] zu belassen“ und „am Ende einen ‚realistischen‘, lebbaren Zustand herzustellen, der gleichwohl auf der metaphorischen Achse als defizitärer markiert bleibt“, „also weiterhin auf den abwesenden Metacode verweist“ (Baßler 2013, 9; vgl. Tetzlaff 2013). Die realistische Erzählung schließt nicht dadurch, dass sie den latenten Widerspruch von (sinngeladener) Verklärung des Alltäglichen und (sinngefährdender) Entsagung des Markanten strukturell entscheidet oder im Sujet verhandelt, sondern dadurch, dass sie den Akt der Entsagung verklärt (Abb. 2). Die Lösung findet also nicht (wie das Problem) auf der Verfahrensebene des Textes oder in der Fabel, sondern auf der Ebene der handelnden Figuren statt.
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metaphorisch
VERKLÄRUNG
Verklärung der Entsagung
S Symbolisierung
R
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ENTSAGUNG
S
Rationalisierung
R
Problem des Endens
metonymisch REALISTISCHE NARRATION
Abb. 2: Das Kippmodell des Poetischen Realismus – Verklärung der Entsagung
Die dieser Strategie zugrundeliegende Motorik ist kein strukturales, kein grammatisches und kein rhetorisches Verfahren, kein Motiv, kein metafiktionales Element, kein immanenter Kommentar zur realistischen Poetik, sondern ein Modell. Es wird nicht als Programm verkündet, sondern mit den literarischen Produkten selbst erschaffen und als funktionale Einheit von Konzept und Handlungsnorm für die poetisch-realistische Pragmatik vorbildhaft. Es integriert die Differenz von Form und Inhalt dadurch, dass es ein formales Darstellungsproblem von der rhetorischtropischen auf die semantisch-figurale Ebene des Textes transponiert und transformiert. Als literarisches Modell, das nicht mehr einzeltextgebunden sondern frei und disponibel ist, verbindet es die Elemente der Struktur, Rhetorik und Motivik zum Epochenmodell. Dies freilich nicht als Repräsentation der wesentlichen Komponenten der Epoche, wie sie literarhistorisch deduzierbar wären, sondern als poetisches Modell, als Immanenzmodell für einen Handlungs- und Bedeutungstypus, der für die Epoche stil- und formbildend wird. Die Modellierungstätigkeit des Immanenzmodells besteht hier in der Leistung, die Metaphern kontrolliert in metonymische Bezüge aufzulösen, also Ähnlichkeiten, die von metaphorischen Bezügen nur behauptet werden (und der Deutung offen sind), in ausgedeutete Identitäten umzuwandeln; das Symbolhafte, Opake wird auf diese Weise exemplifiziert, erläutert, motiviert. Gerade dies – die Überführung ideeller in pragmatische Bezüge – ist der Leistungsausweis jeglicher Modellbildung. Das realistische Erzählmodell ist aber auch – als Kippmodell – die Folge einer formästhetischen, statistischen Remodellierung, die das immanente literarische Modell aus einer hohen Zahl poetisch-realistischer Erzählungen gewinnt und extrahiert. Der ‚Nachbau‘, den die – folgt man Lotmans Intention – ‚tertiäre‘ Modellierung liefert, kann als Folge einer textuellen Steuerung verstanden werden, die sich auf der Basis einer Vielzahl professioneller Lektüren vollzieht. Semantische Modelle können freilich auch auf kleinstem Raum agieren, etwa als Figurenmodell. Dies zeigt sich exemplarisch an Paul Valérys Modellfigur des
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‚Monsieur Teste‘ (1926; vgl. dazu Krauthausen 2014) und des Gefesselten aus Ilse Aichingers gleichnamiger Novelle (1951; vgl. dazu Erdbeer 2015), die beide, da sie als Modalfiguren die Ermöglichungsbedingungen und Freiheitsgrade fiktionaler Agency verkörpern, zu Modellen dieses Modus werden. Zu Modellen werden sie, weil sie die Modellierungsweise einer literarischen persona offenlegen, weil sie Prototypen möglicher Protagonisten und erzählerischer Konventionen sind. Poetische Modellforschung betreibt hier durch die Weise, wie sie über ihren literarischen Modellen selbst Modelle bildet, ein ‚reverse engineering‘ ihres literarischen Ausgangssystems. Modellgetriebene Lektüren legen also die historischen, ideologischen und ökonomischen Modelle frei, die ihrerseits – wie Moritz Baßler für die popularästhetische Entwicklung zeigt (vgl. den Beitrag in diesem Band) – auf Formentscheiden beruhen: Im populären Genre werde daher „nicht mehr, wie beim traditionellen diachronen Kunstwerk, auf Eigenschaften eines komplexen Modellobjektes rekurriert, um es jeweils erneut zum Modell zu machen, sondern es entstehen nach dem Modell des erfolgreichen Objektes neue Varianten nach der Maßgabe ‚The World the Same Way Up, Only More So‘ […], die folglich in der Rezeption unmittelbar einleuchten (sollen).“ Der Akt des Modellierens als Gestaltungsweise trifft dabei auf das Modell als Träger des mimetischen Begehrens: Nachahmung erscheint als modellierendes Verfahren mit Bezug auf ein modellhaftes Objekt. Die freie Tätigkeit des Kombinierens bindet sich so gleichsam an ein selbstgewähltes oder vorgegebenes Regulativ. Zugleich ereignen sich im Akt des Modellierens aber auch Effekte, die der Intention der modellierenden/remodellierenden Instanz und der Normierungskraft der Vorbilder entzogen sind. Modellbildung als modellierendes Entwurfsgeschehen produziert stets Überschüsse, die zum einen auf die modellierten Materialien, aber auch auf die im Spannungsfeld von Modellierungsquelle, Modellierungsziel und Modellierungskontext prozessierte Emergenz zurückzuführen sind.
Vorbild und Verfehlung Im ästhetischen Diskurs ist der Begriff ‚Modell‘ ein Grundbegriff der Nachahmungsdebatte – visuell durch seine Nähe zu den kunsthistorischen Diskursen, theoretisch durch die Anleihen bei der Rhetorik und beim soziologischen Diskurs. „Von Jugend auf“, bekennt der junge Wilhelm Meister, die Modellfigur des Bildungs- und Modellbildungsromans schlechthin, „hab ich in jedem Sylbenmaße, das ich hörte oder las, gleich fortreden oder -schreiben können. Der Model war wohl in meinem Kopfe, wenn nur die Masse etwas nutze gewesen wäre, die ich hineinzugießen hatte.“ (Goethe 1911 [1777–1785], 121). Während dieser „Model“,
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statt sich seinen Inhalt selbst zu schaffen, die Form-Inhalt-Differenz bestätigt, kann sich Wilhelm – das Modellobjekt der Turmgesellschaft – rasch zum Modellierer seiner selbst entwickeln. Das Modell der Bildung, das die Turmgesellschaft als symbolische Kontroll- und Steuerungsgemeinschaft gegen den brachialen ‚Model‘ installiert und in den Lehrjahren erprobt, zielt nicht nur auf die Ausbildung von Fertigkeiten oder auf die Akkumulation von Wissen. Durch den Umstand, dass sich hier ein unabhängiges Modellkonzept am eigenständigen Objekt bewähren muss, entwirft sie ein Modell des Modellierens. Der Gedanke, dass auf eine solche, höchst subtile Form der Nachahmung mit Hilfe von Modellen ein gesellschaftstheoretisches Konzept zu gründen sei, ist die zentrale These des Soziologen Gabriel Tarde. Gesellschaft ist nach Tarde ein Nachahmungsverbund, der mittels Nachahmung soziale Ähnlichkeit – und damit Sozialisation – erzeugt: „Eine soziale Gruppe ist eine Gruppe von Wesen, die sich gegenseitig momentan nachahmen oder einander ähnlich sind, ohne sich gegenwärtig nachzuahmen, deren gemeinsame Merkmale aber früheren Nachahmungen desselben Vorbilds entstammen.“ (Tarde 2009 [1890], 89). Dabei werde selbst der „Wille, nachzuahmen […], durch Nachahmung übertragen“, was den Nachahmungsprozess zu einem unwillkürlichen und indirekten macht (211). Der Gegenstand sozialer Mimesis sind ‚innere‘ und ‚äußere Modelle‘, wobei gelte, „daß bei angenommen gleichem logischem oder teleologischem Wert […] die inneren Modelle vor den äußeren Modellen nachgeahmt werden“ (211). Damit findet – so die These – „eine Nachahmung von innen nach außen“, also von der „Nachahmung der Überzeugungen […] und der Begehren“, der „Absichten“ und des „Geist[es]“, zum externen Habitus der Nachgeahmten statt (212, 215, 217). Die Mimesis der inneren Modelle hat auch eine temporale Seite, die vor allem durch die Kunst entfaltet wird. Indem sie diese inneren Modelle spiegelt und als kulturell beständige, ja überzeitliche verfügbar macht, remodelliert die künstlerische Tätigkeit ihr ‚Vorbild‘ so, dass ihre Arbeit an und mit Modellen selbst modellhafte Wirkung erzielt: [A]us der Gewohnheit, Herz und Geist immer zurück zu den Vorfahren und deren inneren Modellen zu wenden, wird die Kunst zum magischen und lebendigen Spiegel einer selbst noch ganz lebendigen Vergangenheit, einer Vergangenheit mit anderen Worten, die von ihrer eigenen künftigen Dauer überzeugt ist. Es geht also nicht um eine künstliche Wiederbelebung einer erloschenen Vergangenheit oder die Übertragung irgendwelcher Werke von außen. (364)
Unschwer wird erkennbar, dass es Tardes Konzept der ‚inneren Modellbildung‘ um keine Theorie des Kreativen, sondern um die kohäsive Leistung der Modelle geht, um ihre Macht und Fertigkeit, Sozialität zu steuern und zu kontrollieren. Dabei dient die Formenvielfalt ihres Modellierens, das die Formenvielfalt der
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Sozialprozesse spiegelt, der zentralen Aufgabe, stabilisierend, also Anlass analoger Nachahmung zu sein. Denn durch die „immer größere Angleichung an ihre Vorbilder werden die Nachahmungen den Vorbildern gleich, d. h., sie können selbst Vorbilder werden“ (375). Vorbildhaftigkeit in diesem Sinne ist Modellstabilität und -homogenität. Der Soziologe Tarde befördert hier – und sieht dies auch als Leistung der ästhetischen Modellbildung – die Auflösung von Differenz zugunsten einer nivellierten Weltgesellschaft, die sich je nach Einschätzung als Utopie bzw. Dystopie erweist. Sie ist ästhetisch, ökonomisch und politisch ‚durchmodelliert‘. Für Tarde ist dieses Modellieren ein sich selbst verstärkender Medieneffekt. Das Medium, das die Verbreitung der Modelle steuert und beschleunigt, ist die modellierte Nachahmungsgesellschaft selbst. Der Soziologe nimmt hier hellsichtig die Kommunikationsdynamik der sozialen Medien und der sie bestimmenden Modellfiguren, der ‚influencer‘ vorweg: Angenommen, all diese Bedingungen fallen zusammen und werden zum äußersten getrieben: Dann würde die Übertragung durch Nachahmung von einer irgendwo auftauchenden gelungenen Initiative [dem erfolgreichen Modell, RME] auf die ganze menschliche Rasse fast unverzüglich ablaufen wie die Ausbreitung einer Welle in einem vollkommen elastischen Milieu. Auf dieses seltsame Ideal bewegen wir uns zu. (377–378)
Die Mimesis-Debatte, die bei Tarde zur großen soziologischen Erzählung wird, hat ihre mikrostrukturelle Seite im Bereich der Tropik. In der Tat ist die Metapher als mimetisches Modellverfahren der noch immer häufigste Bezugspunkt literarischer Modellforschung (vgl. etwa Bergem et al. 1996). Bereits Max Black hat den Modellbegriff in der prekären Nähe des Poetischen, genauer: Metaphorischen verortet, und dies nicht erst im Bereich des Fiktionalen, sondern ausdrücklich im Hoheitsraum der sciences: „To speak of ‚models‘ in connection with a scientific theory already smacks of the metaphorical.“ (Black 1962, 219). Da Black, wie später Mary Hesse oder Peter Janich, einen wissenschaftstheoretischen Ansatz verfolgt, der in der neukantianischen Erkenntnistradition den Einsatz geisteswissenschaftlicher Konzepte auch für szientifische Probleme fruchtbar machen will, verteidigt er das ‚metaphorische Prinzip‘: Is the leap from the domain of primary interest to an altogether different domain really necessary? Must we really go to the trouble of using half-understood metaphors? Are the attendant risks of mystification and conceptual confusion unavoidable? And does not recourse to models smack too much of philosophical fable and literary allegory to be acceptable in a rational search for the truth? (231; vgl. Hesse 1966)
Bei der Verteidigung des Ansatzes, Metaphern und Modelle engzuführen, unterstützt der Theoretiker die epistemische Potenz des Metaphorischen auch interes-
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santerweise gegen ihre Abwertung im literarästhetischen Diskurs: „Those who see a model as a mere crutch are like those who consider metaphor a mere decoration or ornament. But there are powerful and irreplaceable uses of metaphor not adequately described by the old formula of ‚saying one thing and meaning another‘.“ (236). Die radikalste Lösung bietet hier Hans Blumenberg, der die Metapher zum erkenntnisleitenden Prinzip schlechthin erklärt – als Indikator der verborgenen Modelle. Ihre Leistung zeige sich daran, wie ontische „Indizien […] ‚abgelesen‘ werden an ganz elementaren Modellvorstellungen, die in der Gestalt von Metaphern bis in die Ausdruckssphäre durchschlagen“ (Blumenberg 2013 [1960], 19–20). Entsprechend taucht ‚das Literarische‘ bisweilen auch im Randbereich des technischen Modelldiskurses auf, zum Beispiel als Vertreter einer außer- oder überszientifischen Modellpragmatik, die dann als Agent der Mimesis- und Abweichungsdebatte in Erscheinung tritt. So rubriziert schon der Begründer einer allgemeinen und dem neopragmatistischen Diskurs verpflichteten Modellforschung, der Wissenschaftstheoretiker Herbert Stachowiak, „Poetische Modelle“ als „nicht-szientifische semantische Modelle“, die er als moderne Spielart sogenannter „vorwissenschaftlich-deklarative[r] Modelle“ versteht (Stachowiak 1973, 234–238). Nach dieser Lesart sind poetische Modelle Supplemente des profanen Alltagswissens und der Protowissenschaft. In Übereinstimmung mit Positionen der Verfremdungs- oder Abweichungsästhetik – und mit explizitem Hinweis auf den Immanenzcharakter des New Criticism – konzipiert Stachowiak poetische Modellbildung als Originalverfehlung. Da sein modellistisches Konzept jedoch gerade auf der Originalverbundenheit, der Treue des Modells beruht, erstaunt Stachowiak der Umstand, dass „Modelle mit betont geringer qualitativer Originalangleichung“ dieses Original gleichwohl ‚verdeutlichen‘ können (235): Poetische Originalverdeutlichung verträgt sich auf eigenartige Weise mit Vieldeutigkeit. Nicht die direkte, redundanzfreie Erklärung, sondern gerade die dunkle, vielfach interpretierbare, sich der kontextvarianten Wiederholung bedienende Redewendung hat jenen klärenden, erleuchtenden Effekt. (236)
Erleuchtung durch Verdunklung ist ein problematisches Konzept und wirft die Frage auf, ob die poetische Version des Modellierens nicht erheblich mehr ist als ein Grenzfall rationaler Originalverarbeitung. Man könnte fragen, ob die Überwindung des Prinzips von Norm und Abweichung, die im poetischen Modell zum Tragen kommt, nicht auch als Eigenschaft des Modellierens überhaupt zu gelten hat. Der schärfste Angriff auf das Ähnlichkeitsprinzip des Modellierens findet sich wahrscheinlich in Alain Badious Kritik an Lévi-Strauss:
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Lévi-Strauss favourably cites passages [aus von Neumann/Morgenstern: Theory of Games and Economic Behaviour] where a relation as weak as resemblance is explicitly evoked […]. It is plain to see how external analogy and simulation are called upon here to reduce the initial gap between the inert opacity of the facts and the constructive activity of the models. (Badiou 2007 [1969], 16–17)
Alle Formen strukturaler oder funktionaler Ähnlichkeit verschwinden bei Badiou zugunsten eines mathematischen Modellkonzepts, das sich als Interpretation des eigenen Systems versteht, man könnte sagen, als Modellkritik: „For positivist semantics, the model is an interpretation of a formal system. […] The criteria of the pertinent syntax relative to a given model are not left to the arbitration of resemblances. They are theoretical properties.“ (Badiou 2007 [1969], 21–22; vgl. Varenne 2008). Auch wenn sich dieses mathematische Verfahren vornehmlich als ‚deduktive Modellierung‘ ausweist (vgl. Gülich und Raible 1977, 17), könnte es gleichwohl für eine Hermeneutik der Modelle anschlussfähig sein, die literarische Alterität nicht als ein Derivat des ‚Wirklichen‘ versteht. Stachowiak hingegen leitet den zentralen Auftrag einer zukünftigen literarischen Modellforschung noch aus der Originalabweichung eines Textes, seinem Mangel an Ähnlichkeit ab. So könnte eine „künftige Theorie der Literatur [….] daran interessiert sein, Arten und Grade der strukturellen Originalabweichung und der materialen Originalverfremdung poetisch-literarischer Sprachmodelle innerhalb eines pragmatischen Bezugssystems zu untersuchen“ (237–238). Ungeachtet dieser Selbstbeschränkung, die Modelle letztlich als Kopien denkt, verweist die Kehre ins Pragmatische, Kontextuelle, auf ein durchaus zukunftsträchtiges Programm: den Aufbau einer literarischen Modellgeschichte, die sich als Verfahrensgeschichte vollzieht (vgl. Flaschka 1976; Baßler 2015): Hierher gehört auch eine angewandte Modelltheorie der künstlerischen Stilformen, auch bereits der Moden in ihrem mehr und mehr fluktuativen Auftreten, überhaupt eine Modelltheorie der „diachronischen Ästhetik“, in der Fragen der Synonymie, Homonymie, des Bedeutungswandels in den ästhetischen Objektivationen und Innovationen auf den verschiedenen sozialkulturellen Sublimationsstufen in ihren pragmatischen Bezügen – Subjektivität, Zeitlichkeit, Intentionalität – untersucht werden. (Stachowiak 1973, 238)
Der dritte Term Die Dominanz des Nachahmungsdiskurses prägt somit die Vorstellungen dessen, was als literarische Modellbildung erscheinen kann; der Repräsentationscharakter spielt sich in den Vordergrund und überdeckt nicht selten den Entwurfscharakter der Modelle, ihre Fähigkeit zur Emergenz. Gleichwohl wird der erkenntnisleitende Charakter der Modelle – wie ihr Auftritt als Pendant der literarischen
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Figur ‚Metapher‘ zeigt – im Umfeld der historischen Epistemologie erkannt und anerkannt. Im philologischen Diskurs jedoch erscheint die schwierige Begriffsgeschichte der Modellfunktion als Malus einer Formgeschichte, die trotz aller Überwindungs- oder Ausgleichsüberlegungen in ihrer antinomischen Struktur gefangen bleibt. Vor diesem Hintergrund lässt sich behaupten: Der ästhetischen Debatte fehlt bis tief ins zwanzigste Jahrhundert ein Begriff, der ihrem wachsenden Begehren nach der Überwindung einer immer unfruchtbarer werdenden ästhetischen und ontologischen Verwerfung hätte gerecht werden können: dem Widerstreit von Inhalt und Form. Eine Vielzahl anderer Begriffe tritt hier ein, die wie der ‚Spieltrieb‘ Schillers die Motorik dieser Überwindung (hier: der Differenz des Stofftriebs und des Formtriebs) zu erfassen suchen. Dabei handelt es sich freilich um Begriffe, die ihr eigenes Gepräge, ihre eigene, nicht selten überladene Begriffsgeschichte mit sich führen; deren eigener Begriffsumfang bisweilen eine höhere Komplexität besitzt als jene, die er reduzieren soll. Dies wird besonders deutlich durch den Rückgriff auf Konzepte, die – wie etwa der Begriff des Allegorischen – Modellen anderer Künste und Medien entstammen. Es entsteht ein material-, diskurs- und medienübergreifendes Phantasma, dessen synästhetisches Gepräge Konkretion zerstreut. So äußerte schon Winckelmann, dem wahren Maler sei „ein Werk vonnöten“, welches aus der ganzen Mythologie, aus den besten Dichtern alter und neuerer Zeiten, aus der geheimen Weltweisheit vieler Völker, aus den Denkmalen des Altertums auf Steinen, Münzen und Geräten diejenige sinnliche Figuren und Bilder enthält, wodurch allgemeine Begriffe dichterisch gebildet worden. (Winckelmann 1969 [1755], 37)
Hierbei formt der Modellierer aus den Vorbildern, die ihrerseits bereits modellhaft, nämlich über allegorische Verfahren „dichterisch gebildet worden“, ein allegorisches Metamodell. Bei Winckelmann, der selbst bekanntlich in der idealischen ‚Kontur‘ das Formprinzip der sinnlichen Natur vermutet, zeigt sich exemplarisch, dass, wo Konturieren, Allegorisieren oder Nachahmen verhandelt werden, Teilaspekte der ästhetischen Modellbildung besprochen (und vermischt) worden sind: die Frage nach der Repräsentation des Ideellen, nach der Übertragung von Bedeutsamkeit und nach der ‚Unnachahmlichkeit‘, die jetzt als Folge einer individuellen Anwendung des Vorgefundenen erscheint. Die Darstellung (representatio) und Übersetzung (transpositio) des Alten durch das Neue sind genauso wie der Formenwandel (transformatio), die Überbietung (aemulatio) sowie die aus der Negation tradierter Modellierungen erfolgte Neuschöpfung (inventio) Verfahren der Modellbildung. Tatsächlich ist die Arbeit an und mit Modellen ein zentrales Phänomen nicht nur des kunsthistorischen Diskurses, sondern auch des literarästhetischen. Bevor
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der Terminus ‚Modell‘ im Umfeld der modernen kybernetischen Debatte Prominenz gewinnt und für den frühstrukturalistischen Diskurs verfügbar wird, beginnt bereits die Suche nach Begriffen, die das Inhalt-Form-Problem auf ein gemeinsames Konzept beziehen. Dabei lassen sich fünf Traditionsbereiche nennen, die in diesem Sinne kreativ geworden sind. Dies wären neben der genannten Mimesisdebatte insbesondere die Gattungstheorie mit ihren Klassifikations- und Kontaminationsbestrebungen, die Toposforschung, die Historische Morphologie mit ihren typentheoretischen und Stereotypiemodellen und die neuere Metapherntheorie als Wegbereiter eines literarischen Modellbegriffs. In vielen Fällen wird der dritte Term, der die Dyade ‚Form und x‘ begrifflich überwinden will, vom Formbegriff her ausgebildet, exemplarisch etwa in der Weise, wie Ernst Robert Curtius in Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter nach der angemessenen Grundierung jenes Form- und Denkkomplexes fahndet, den er ‚Topos‘ nennt. Das Paradigma des gesuchten Grundbegriffs, auf dem der Topos ruhen soll, wird eindrucksvoll im Teilkapitel „Geist und Form“ semantisch aufgefaltet: Formen sind Gestalten und Gestaltsysteme, in denen Geistiges zur Erscheinung gelangt und faßbar wird. […] Mathematik und Optik verwenden den Begriff des Gitters (Begriff? Metapher? Braucht die Naturforschung Metaphern?). Literarische Formen erfüllen die Funktionen von solchen Gittern. Wie sich diffuses Licht in der Linse sammelt, wie Kristalle „anschießen“, so kristallisiert sich poetische Substanz an einem Gestaltschema. In der englischen Kritik hat sich der Begriff pattern eingebürgert. Das ist das Web- oder Knüpfmuster eines Teppichs. Wenn ich nicht irre, braucht William James das Wort, um Strukturen im „Strom“ des Bewußtseins zu bezeichnen. Der locus classicus ist aber eine Stelle aus einem Brief von Gerard Manley Hopkins: as air, melody, is what strikes me most of all in music and design in painting, so design, pattern or what I am in the habit of calling inscape is what I above all aim at in poetry (1879). Hopkins fand pattern noch nicht treffend genug. Er prägte ein neues Wort. Gemeint ist immer eine strukturbildende Form. Wir können weder pattern noch inscape sagen. Aber das Bild des Gitters scheint mir präzis und anschaulich zugleich zu sein. (Curtius 111993 [1948], 394)
In dieser Abfolge scheint der Modellbegriff schon in der Luft zu liegen, wenn die Synonymenreihe von Gestalt, System, Struktur und Schema über Muster/pattern und design bis zum erfindungsreichen inscape ausgebreitet wird. Indem sich Curtius durch seine Wahl des ‚Gitters‘ schließlich für den statischen Begriff entscheidet, gibt er freilich die Dynamik preis, die sich im ‚Anschießen‘ wie in der Web- und Knüpfmetapher oder explizit in der Strukturbildung als „Strom“ der Prozessierung angeboten hat. Gerade weil die Topoi als „Klischees, die literarisch allgemein verwendbar sind“ (79), zugleich fixiert und als fixierte transponibel werden, nehmen sie Modellcharakter an: sie transportieren Denkklischees und transformieren sie zugleich im Rahmen eines räumlich, zeitlich oder kulturell spezifischen Systems.
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Aus diesen Beispielen wird aber auch erkennbar, dass die Vielzahl der Begriffe und die Äquivokationen, die damit verbunden sind, den Modellierungsvorgang mehr verdunkeln, als erhellen. Dies gilt auch und insbesondere für den Begriff der Form. Die Uneindeutigkeit, die aus der Kohabitation einander ausschließender Formkonzepte, nämlich einer ideellen ‚inneren‘ und einer sinnlich ‚äußerlichen‘ Form entsteht, ist auch dem Umstand zuzuschreiben, dass der Form-Begriff modelltypische Eigenschaften übernehmen soll. Da Form jedoch zugleich als Glied in einer Vielzahl von Binärbezügen vorliegt, also immer auch durch einen Gegen- oder Konkurrenzbegriff begründet wird, der seinerseits (wie ‚Inhalt‘, ‚Sinn‘, ‚Materie‘ oder ‚Stoff‘) mit Tradition geladen ist, kann der Begriff der Form auch nicht, wie der Modellbegriff, als Integral von Konstruktion und vorfindlicher Wirklichkeit fungieren. Seine Spaltung mündet stets in eine (unmarkierte oder kontrovers verhandelte) Verdopplung dieser Unterscheidung, die den abgespaltenen Begriffsteil mit dem eingeführten Gegenpol des jeweils anderen assoziiert: den Stoff z. B. mit der äußeren, den Sinn mit der inneren Form. Dies unterläuft zugleich das hinter den Vereinigungsbemühungen versteckte Streben der Naturphilosophie nach einer formbezogenen harmonia mundi, die der jeweiligen forma externa die ihr zugehörige forma interna verleiht.
3 Jenseits von Inhalt und Form: Zur Vorgeschichte literarischer Modellforschung Modellkritik Im zweiten Jahrgang des North American Review, des ältesten Literaturmagazins der USA, erschien zum Juli 1816 ein Beitrag On Models in Literature. Er feiert nicht, wie man vom Titel her vermuten könnte, die Bedeutung literarischer Modelle für die Dichtung oder die Gesellschaft, sondern präsentiert ein frühes Beispiel literarischer Modellkritik. Es warnt vor der Zersetzung, die der Umgang mit Modellen und die Nötigung, sie zu befolgen, im Gemüt des schöpferischen Geistes stiften könne. Zu verachten seien nämlich jene, who go so far as to hold up models for imitation, and standards of taste, for writers of every age and country, let their minds be ever so lofty and original. […] It is the great men of a country, who are to make and support its literature. And to tell men that they must give their days and nights to any models, ancient or modern, is to destroy the whole worth and character of genius. (Channing 1816, 203; vgl. ähnlich Christaller 1889)
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Indem er den Modellbegriff an transhistorische Debatten über Nachahmung und Originalität des Künstlers bindet, kombiniert der Kritiker den regelpoetischen, den klassizistischen und den genieästhetischen Diskurs zu einer querelle des modèles. Die Modellierung, die sich durch diverse „rules for versification, laws of taste, books of practical criticism, and approved standards of language“ geltend mache (205), also auf Normierung und Standardisierung zielt, erfasst auch die Persönlichkeit des Künstlers: „The imitator […] is cautious, constrained, and modelled throughout. Every thing, even to his enthusiasm, seems disciplined and artificial. […] His business is to select and trim […].“ (204). Der solcherart ‚Durchmodellierte‘ – Opfer fremder Modellierung – wird sodann in gleicher Weise tätig; schlimmer noch: als Modellierer und Normierer des Lebendigen entwickelt er „the habit of living on other minds“ (205). So löst sich das Modellkonzept der Nachahmung, nach Winckelmann bekanntlich der „einzige Weg für uns, groß, ja […] unnachahmlich zu werden“ (Winckelmann 1969 [1755], 4), in Parasitentum auf; so torpediert der schulgemäße Zug der klassischen Modelle, „to reduce every thing to system and simplicity“ (Channing 1816, 205), den schöpferischen „way of nature, and reduces all her irregularities, crooks, and violence, her endless change, into straightness, smoothness, and harmony. It is to make the difference of country, of habits, and institutions wholly ineffectual as to literature“ (203). Gesucht wird also ein Modellverfahren, das, indem es diesen Differenzen Rechnung trägt, selbst einen Unterschied macht. Da aber der Modellbegriff schon negativ bezogen ist – auf Nachahmung im Sinne des Kopierens – muss der Kritiker für die erwünschte Art des Modellierens einen anderen, der Kreativität verpflichteten Begriff bemühen. Es ist die literarische Form. Sie garantiert die Authentizität und Originalität der dichterischen Schöpfung, da sie – so die Überzeugung ihres Essayisten – in den Imaginationen der „oberserving, intrepid, and ardent [minds]“ schon vorgebildet ist. Geniale Geister nämlich seien „filled with bright forms of unattained excellence, kindling enthusiasm and hope, for a man to dream about, when he grows tired of what others have done, and burns to make more perfect what he attempts himself“ (204). In ihrer Existenz als Schemata, die aus der Imagination und Kognition zur Ausführung gelangen und im Ausführungsversuch getestet und verbessert werden, liegt die diesen Formen eigene Modellfunktion. Der Genius ist hier sein eigener platonischer Ideenschauer und Demiurg der bestmöglichen Form. Modelle, die Verhinderer des Neuen, wandeln sich in Channings Formkalkül von Repräsentationsmodellen ohne „sins of overgrowth“ (204) zu Zündern einer neuen, exzessiven Formung, zu Entwurfsmodellen, deren zukunftsweisende perfectio die „lifeless simularity of taste“ der überkommenen Ästhetik überwinden und durch Differenz ersetzen soll. Die kurze Streitschrift ist ein früher und im neunzehnten Jahrhundert seltener Beleg für die Verwendung des Modellbegriffs im literarischen Feld. Indem sie
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dessen Leistung als Kontroll- und Steuerungsfunktion im literarischen Diskurs wie im gesellschaftlichen Rahmen rügt, gewinnt die Streitschrift ein begriffliches Profil, mit dem sie ihr genieästhetisches Konzept als sprachliches wie als diskurspolitisches Modell bewerben kann. Die Reduktion, die sie am klassizistischen Modell bekämpft, wird durch die Leistung eines Modellierens abgelöst, das Potenzialität bereitstellt, also aus veränderten Konzepten neue Formen gewinnt. Zwar hat die Streitschrift dadurch keinen modellistischen Diskurs begründet, doch sie deutet – gleichsam en passant und ohne diesen Anspruch zu erheben – auf die Lösung der die literarästhetische Debatte prägenden begrifflichen wie theoretisch-weltanschaulichen Dilemmata: die Differenz von Urbild und Abbild und die Einheit von Inhalt und Form. Modelle nämlich kombinieren stets ein ideelles, einer Auffassung und Konzeption verpflichtetes Moment mit der Bezugnahme auf einen Gegenstandsbereich, der diesem gegenüber als ‚natürlich‘ oder ‚vorgängig‘, als ‚sinnlich‘ oder ‚wirklich‘ erscheint. Gehalte werden in Gestalten sichtbar, Theorie als Praxis, Imagination durch Repräsentation.
Gestelle und Gestalten Es ist der Auftrag der Modellforschung, das unbeschriebene Verhältnis von Modell und Form in seiner produktionsästhetischen wie wirkästhetischen Bedeutung aufzuklären. Dies betrifft nicht nur die Reifikationen der dynamischen Prozesse, die Modellobjekte und geformten Formen, sondern auch die Handlungstechniken, die sie erstellen: die Modellbildungsverfahren und die Formenbildung, die von einer Anwendung herausgefordert sind – mit Heidegger gesprochen: das Erstellen des Gestells: „Ge-stell heißt das Versammelnde jenes Stellens, das den Menschen stellt, d. h. herausfordert, das Wirkliche in der Weise des Bestellens als Bestand zu entbergen. Ge-stell heißt die Weise des Entbergens, die im Wesen der modernen Technik waltet und selber nichts Technisches ist.“ ‚Gestell‘ rückt damit in die Nähe des Modells als Integral von Fremd- und Selbststeuerung: „Das Wort ‚stellen‘ meint im Titel Ge-stell nicht nur das Herausfordern, es soll zugleich den Anklang an ein anderes ‚Stellen‘ bewahren, aus dem es abstammt, nämlich an jenes Her- und Dar-stellen, das im Sinne der ποίησις das Anwesende in die UnVerborgenheit hervorkommen läßt.“ (Heidegger 2000 [1953], 21–22). Die literarische Modellforschung schließt somit auch an jene Forschungstraditionen an, die, ohne vom Modell zu sprechen, modellistisch tätig waren. Dabei zeigt sich, dass die Repräsentation von literarischen Modellen mittels außerliterarischer Modelle, etwa solcher, die aus visuellen Medien oder aus numerischen Systemen stammen, immer schon ein heikles Unterfangen war. Dies mag auch daran liegen, dass der literarische Diskurs seit Sterne und Lichtenberg formale
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Bildgebung mit parodistischem Kalkül verhandelt, daraus aber auch, worauf schon Šklovskij hinweist, ein bemerkenswertes Analysepotenzial gewonnen hat (vgl. Šklovskij 1969b [1921]). Aleatorisch in Gestalt und Gestus, steht sie damit in der Tradition barocker Figuralgedichte, die in ihren Bildgebungen auf vergleichbare poetologische und wirkästhetische Effekte zielen. Die Konkrete Poesie des 20. Jahrhunderts hat dieses Verfahren geerbt (Bremer 1991 [1963]):
Abb. 3: Semiotische Mobilisierung – Antihermeneutik als Prozessmodell (Claus Bremer, 1963)
Schon der Umstand freilich, dass in den Text-Bild-Hybriden das semiotische Repertoire des Textes Gegenstand der visuellen Modellierung wird, eröffnet einen ‚kybernetischen‘ Entwurfszusammenhang, in den der Rezipient als Handelnder (nicht nur als Deutender) dynamisch eingebunden ist und den der konkretistische Diskurs als Teil der eigenen Modellgeschichte oder -tradition verbuchen kann (vgl. Heißenbüttel 1969; Erdbeer 2001b). Bei Laurence Sterne hingegen prägt sich eine andere Modellgeschichte aus, die nicht zuletzt auch für den wissenschaftlichen Diskurs prägnant geworden ist. Die figurale Strategie, das Medium des Bildes zur Erläuterung des Textes einzusetzen, also das ekphrastische Verfahren umzukehren, wird in Sternes skurrilen Kurven fortentwickelt und zum parahermeneutischen Modell verwandelt. Weil es Text und Graphik trennt, ermöglicht es der visuellen Darstellung, im ‚wissenschaftlichen‘ Verständnis analytisch tätig zu sein (vgl. Rieger 2009). An diese Weise der modellgeleiteten Kritik schließt Šklovskij an, indem er Sternes Modell zum Paradigma einer neuen Art der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Dichtung macht (vgl. Abb. 4), ein philologisches remodelling, für das der Formalismus selbst Modell geworden ist. In seinem einschlägigen Essay formuliert der Formalist die These der Bewegung im direkten Anschluss an die Repräsentation der Sterne’schen Ekphrasis: In Wirklichkeit ist die Fabel nur das Material für die Sujetformung. […] Die Formen der Kunst erklären sich durch ihre künstlerische Gesetzmäßigkeit und nicht durch ihre außerliterarische Motivierung. […] Gewöhnlich wird behauptet, der „Tristram Shandy“ sei kein Roman; die dies bejahen, halten nur eine Oper für Musik, eine Symphonie für Unordnung. Der „Tristram Shandy“ ist der typischste Roman der Weltliteratur. (Šklovskij 1969b [1921], 297–299)
Im Sinne dieser Überzeugung ist Modellpoetik literarische und literaturwissenschaftliche Praxis zugleich.
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Abb. 4: Graphische Modellbildung in Literatur und Literaturwissenschaft – Sternes Modell des Tristram Shandy in Šklovskijs formalistischer Modelltheorie
Der Einsatz visueller Techniken, ‚Gestelle‘ und Gestalten hat im philologischhermeneutischen Diskurs seit jeher keinen leichten Stand. Dies liegt vor allem an der Reduktion komplexer Form- und Sinngehalte auf kompakte Muster, also an der Leistung, die das Tätigkeitsprofil der visuellen Modellierung in besonderer Weise bestimmt. Gleichwohl erliegen ihr bisweilen auch Experten, denen man kein parodistisches Betreiben unterstellen kann. Kein anderer als Schiller präsentiert in seiner Abhandlung zur Schönheit, Kallias, eine Schönheitslinie im Hogarth’schen Stil. Genauer, eine Anti-Schönheitslinie: Eine Schlangenlinie, kann der Baumgartenianer sagen, ist darum die schönste, weil sie sinnlich vollkommen ist. Es ist eine Linie, die ihre Richtung immer abändert (Mannigfaltigkeit) und immer wieder zu derselben Richtung zurückkehrt (Einheit). Wäre sie aber aus keinem bessern Grunde schön, so müßte es folgende Linie auch sein:
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welche gewiß nicht schön ist. Auch hier ist Veränderung der Richtung; ein Mannigfaltiges, nämlich a, b, c, d, e, f, g, h, i; und Einheit der Richtung ist auch da, welche der Verstand hineindenkt und die durch die Linie k l vorgestellt ist. Diese Linie ist nicht schön, ob sie gleich sinnlich vollkommen ist. (Schiller 91993c [1793], 423–424)
Es mag kein Zufall sein, dass Schiller seinen graphischen Versuch mit einem Scherz beschließt (424): Folgende Linie aber ist eine schöne Linie, oder könnte es doch sein, wenn meine Feder besser wäre.
Auch Wilhelm Diltheys Rezension zu Gustav Freytags gattungstheoretischem Traktat Die Technik des Dramas (beide 1863) kommentiert den Ansatz Freytags, seine Dramentheorie in Graphen darzustellen (Abb. 5), eher reserviert.
Abb. 5: ‚Mathematische Schemate‘ – Freytags Doppeldrama: didaktisches Modell und Ekphrasis
Dabei kann der Kritiker jedoch den „fein ausgesponnenen Formgedanken“ Freytags, des „bühnenerfahrenen Technikers“, die Anerkennung nicht gänzlich versagen:
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Es könnte scheinen, als ob wir durch die Aufstellung solcher Formgesetze [des dramatischen Baus] einer neuen Herrschaft des Schematismus verfielen, und Freytag ist diesem Schein so wenig aus dem Wege gegangen, dass er sich nicht scheut, durch mathematische Figuren die Struktur der Dramen zu versinnbildlichen, so wie man die Formen von Urteil und Schluß in mathematischen Schematen vorstellt. So wenig, daß er einen bis zur Anordnung der Scenen gegliederten Typus des vollkommenen Dramas aufstellt. Mit dem Behagen des bühnenerfahrenen Technikers und des scharfen Kopfs legt er diese fein ausgesponnenen Formgedanken dem Publikum vor. Er rechnet darauf, nicht mißverstanden zu werden. (Dilthey 1992 [1863], 339–340)
Zwar könne, so betont der Philologe mit Bezug auf den didaktischen Aspekt der Schrift, kein auch „ins Einzelnste durchgeführtes Formgesetz den künstlerischen Geist im Einzelnen leiten wollen“. Dieser Geist jedoch begreife „das Gesetz der Sache, welchem er unbewusst folgt, besser in seinem höheren Recht“, wenn aus diesem unbewussten Sachverhalt zuvor „ein anschaulicher Typus der Form entwickelt“ werde. Damit unterscheidet Dilthey das Modell (als Fabrikat der Sache) ebenso vom Schema Kants wie vom Naturgesetz, denn die „Ästhetik, gleichwie die Ethik, hat es nicht mit Naturgesetzen, sondern mit Musterbildern zu tun“ (340). Mit dieser Einsicht in den Sinn modellhafter Rekonstruktion und Rekonstitution der Werke, die als Vorbild dienen können, bietet Dilthey nicht nur Ansätze zu einer künftigen Modelldidaktik, sondern weist bereits – durch das Konzept der unbewussten Form – auf das Modellverständnis des französischen Strukturalismus voraus (s. 5.). Freytags graphisches Modell ist populär geworden und hat prominente Nachfolger gefunden, nicht zuletzt in den statistischen Modellen Franco Morettis, deren Zugriff – so The Guardian – den Ruf desselben als „the great iconoclast of literary criticism“ begründet hat (Moretti 2007, Umschlag). Ikonoklastisch sind die graphischen Modelle einerseits im Hinblick auf die Visualisierungsvorbehalte einer Praxis, deren anti-formalistisches, ‚ikonodules‘ Selbstverständnis literarische Modellbildung vor allem als Problem der Tropik denkt. Im ‚distant reading‘, das Moretti vorschlägt, wird das immanente Bild der literarischen Rhetorik – die figura – durch vernetzte und global verdatete Figuren abgelöst. Sie sind die optische Facette einer strukturalen Modellierungstechnik, die durch ihre Distanzierung vom Primat der Fabel die zugrundeliegenden Verhältnisse bestimmen will: ‚Distant reading‘ I have once called this type of approach; where distance is however not an obstacle, but a specific form of knowledge: fewer elements, hence a sharper sense of their overall interconnection. Shapes, relations, structures. Forms. Models. From texts to models, then […]. (Moretti 2007, 1)
Wo Freytag auf den Idealtypus des Dramas zielt, entwirft Moretti die Entwicklung literarischer Systeme nach Verteilungs-, Differenz- und Koordinationskriterien,
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die jedoch – wie sein generisches Modell des Detektivromans – genauso kommentarbedürftig bleiben (Abb. 6). Die dargestellte „presence of clues“ erfordert folglich eine eigene, die Graphik kommentierende Ekphrasis in einer ausführlichen Bildlegende (vgl. Moretti 2007, 75). Absent Evoked Symptoms Present, but Necessary, but Visible, but Decodable not necessary not visible not decodable 1900
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Symptoms Present, but not necessary
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Abb. 6: No clue – Statistische Modellbildung im Gattungsdiskurs
Die Nonchalance, mit der Morettis Ansatz auf Big-Data-Modellierungen vertraut – „[q]uantitative research provides a type of data which is ideally independent of interpretations“ (9) –, zeugt jedoch zugleich von jener programmatischen Modellvergessenheit, die nicht zuletzt bei informatischen und technischen Verfahren häufig anzutreffen ist. Als philologisches Modellbildungsverfahren unterliegt sie nicht nur der modelltypischen doppelten Gefährdung, nur-illustrativ und -suggestiv zu sein; sie droht zugleich die Standards der historischen Erkenntnistheorie zu unterlaufen. Rationalität als Anspruch, rational und rationell zugleich zu sein – „A more rational literary history. That is the idea“ (4) –, ist zwar als formbewusste Gegenkonzeption zum Überwältigungsdiskurs kulturpolitischer, d. h. vor allem inhaltsorientierter Deutungsstrategien durchaus einzufordern; der Konstrukt-
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charakter und der Eigensinn ästhetischer wie technischer Modellobjekte bleibt jedoch ein Kernaspekt der (nicht nur literarischen) Modellkritik. So tragen graphische Modelle ihre eigene Komplexität, die oftmals zu ekphrastischen Erläuterungen zwingt, ins analytische Geschehen ein. Die Dialektik zwischen Bild und Text macht die Verfahren eines Konstruktionsprozesses sichtbar, der die Modellierung eines vorfindlichen Gegenstandsbereichs als Ziel seiner Remodellierung entwirft. Das hermeneutische Problem, auf welche Weise diese zweite Modellierung von der ersten abhängt, sie hervorbringt, oder gar von ihr gesteuert wird, tritt somit selbst als Aufgabe der Analyse hervor.
4 Drei Funktionsmodelle Die Form als Transform Die naheliegendste Beschreibung des Zusammenwirkens von Modell und Form ist – wie beschrieben – ein generisches Verhältnis, die Spezifik einer Gattungsbildung und des Gattungswandels. Hierbei zeigt sich idealtypisch, dass der Prozess der Modellierung in bestimmten Formen, aber stets auch mit Bezug auf vorgefundene (schon modellierte) und erstrebte (noch zu modellierende) Formen verläuft. Modell und Form konstituieren sich auf diese Weise gegenseitig; Formen bilden sich auf Basis von Modellen und Modelle liegen stets in Formen vor. In diesem Sinne können Formen als Voraussetzung und Ziel des Modellierens gelten, ja sie können selbst modellhaft werden, nämlich dort, wo eine modellierende Instanz sie zum Modellobjekt erklärt. Sonett, locus amoenus oder Kriminalroman beruhen auf poetischen Formen, die Modell geworden sind. Im Gegensatz zu dieser materialen resp. strukturalen Auffassung von Form steht eine, die man als transzendental bezeichnen könnte, die ihr Hauptvertreter aber als ein operationales Verfahren beschreibt. In Niklas Luhmanns Darstellung bezeichnet ‚Form‘ im Sinne Spencer-Browns den Akt des Unterscheidens: Der Beobachter benutzt eine Unterscheidung, um das zu bezeichnen, was er beobachtet. […] Will man aber beobachten, ob es geschieht und wie es geschieht, muß man die Unterscheidung, die benutzt wird, nicht nur verwenden sondern bezeichnen. Und dazu dient uns der Begriff der Form. Als Form bezeichnen wir also das Beobachtungsinstrument Unterscheidung […]. Wer Formen beobachtet, beobachtet mithin Beobachter, und dies in dem strengen Sinne, daß er sich nicht für ihre Materialität, ihre Motive, ihre Erwartungen oder ihre Äußerungen interessiert, sondern streng und ausschließlich für ihren Unterscheidungsgebrauch. (Luhmann 31999, 111)
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Modellpoetik ist in diesem Sinne eine Formpragmatik zweiter Ordnung, insofern sie die Modellurteile der Modellinstanzen, also deren Unterscheidungen beobachtet und reflektiert (vgl. zur Modellinstanz auch die Konzepte des „Modell-Autors“ und des „systempoetischen Autor-Funktionalismus“ bei Veldhues 2013, 295–338). Da Modellieren wesentlich Intervenieren ist – als Rekombination und Prozessierung, Umgestaltung oder Auflösung des Vorgefundenen –, erfüllt es selbst schon die Beobachtungsfunktion des Unterscheidens. Unterschieden wird hier nämlich etwas, das modellhaft werden kann, von etwas, das im Sinne der Modellinstanz und ihres Urteils nicht modellfähig ist. Es zeigt sich freilich, dass modellhaftes Verhalten oftmals dort entsteht, wo es gerade nicht erwartet oder sogar ausgeschlossen wurde. Emergenz ist also selbst modellfähig, sobald die Unterscheidung von modellfähigen und nicht-modellfähigen Attributen ihrerseits beobachtet und in die Modellierung eingetragen wird. Das Nicht-Modellhafte kann somit selbst modellhaft werden, das Modellhafte dagegen kontingent. Wie aber kann das Nicht-Modellhafte sich überhaupt zur Geltung bringen? Dadurch, dass es mit dem Gegenstand, der zum Modellobjekt geworden ist, zugleich erscheint – als dessen Eigensinn, der von der modellierenden Instanz nicht eingerechnet worden ist. Im Modus literarischer Veruneindeutigung dient diese dunkle Agency zur Destabilisierung des Modellurteils und seiner hermeneutischen Rekonstruktion. Sie macht die modellierte Unterscheidbarkeit ununterscheidbar, also unentscheidbar. Modellieren, das mit solchen Emergenzen und der Subversion der eigenen Modellurteile rechnet, lässt sich folglich als Beobachtung der dritten Ordnung fassen. Ihre Leistung ist nicht nur die Wiederholung von bekannten und die Schöpfung neuer Formen, sondern die Ermöglichung von Transformation. Auch und gerade in der literarischen Modellbildung wird Form – mit Darin Tenev ausgedrückt – als Transform prozessiert und reflektiert, wobei, worauf schon Eimermacher hinweist, „den Modellen neben den dem modellierten Gegenstand eigentümlichen Regelmäßigkeiten auch regelhafte Eigenschaften des Transformationsprozesses anhaften“ (Eimermacher 1976, 31). Im Transformieren nämlich greift Modellbildung auf das systemische Verfahren selber zu: auf jene Differenz von Unterscheiden und Bezeichnen, auf die Luhmanns Formbegriff verweist. Die Transform ist die Reflexion der „‚Form‘ im Sinne einer „Möglichkeit, Grenzen zu überschreiten und daraus die Konsequenzen zu ziehen“ (Luhmann 41993, 114): Die differenztheoretische Formentheorie behandelt […] Formen als reine Selbstreferenz, ermöglicht nur dadurch, daß die Form selbst durch eine Grenze markiert ist, zwei Seiten trennt, also als Form eigentlich eine Grenze ist. Die Form gibt die Möglichkeit der Grenzüberschreitung. Die forma formans ist die forma formata. (Luhmann 31999, 59)
Damit freilich wird die Differenz von Form und Inhalt, Form als Konkretion und Abstraktion, als Statisches und als Dynamisches zugunsten eines Integrals ver-
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abschiedet, das den Begriff der Form zur Transzendentalie erhebt. Durch diese Hypostase wird der Dualismus einseitig erledigt; unerledigt bleibt die Frage, was aus jenem Anderen geworden ist, das die Funktion der Formen, produktiv zu sein, bislang begründet hat. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach dem gegenseitigen Konstitutionsverhältnis von Modell und Form noch einmal anders dar. So kann man aus der Perspektive der Modellpoetik ‚Form‘ als ein diskurshistorisches Produkt beschreiben, also eruieren, was zu einer Zeit mit welchem Anspruch und mit welchem Ziel vom literarischen Diskurs als Form bezeichnet worden ist. ‚Modell‘ im Rahmen einer solchen Formgeschichte referiert dann nicht zuletzt auf die Verfahren, die in ihren literarischen Produkten formgebend geworden (oder doch als formgebend beurteilt worden) sind. Die Form erscheint sodann als Folge einer Modellierung, deren temporäre Schließung vom poetischen Diskurs ‚verfestigt‘ wird – als Fabrikat historischer Modellbildung –, nur um sie später wieder in den Aggregatzustand der Modellierung aufzulösen. Wenn man die historischen Begriffsumfänge, die das Phänom der Form beobachten, auf ihre Basisdifferenz befragt, so lässt sich eine gegenstandsbeschreibende Bestimmung gegen das von Luhman protegierte gegenstandsbegründende Verständnis profilieren. Form, ‚global‘ betrachtet, ist ein zweistelliger Term. Der Dualismus dieser Unterscheidung ist nie völlig aufzulösen, der re-entry des begründenden in den beschreibenden Aspekt von Form dynamisiert jedoch den Formgedanken, der auf diese Weise als dynamisches Entwicklungs- oder Formungspotenzial – als Transform also – greifbar wird. Denn Formen sind dynamisch in potentia; die in den Formen angelegte materialspezifische, modale und semantische Dynamik wird erst im Prozess des Modellierens freigesetzt. Der „Modellierungsprozeß“ ist somit nicht nur „eine Hin- und Herbewegung zwischen verschiedenen Darstellungsformen in verschiedenen Repräsentationsräumen“ (Rheinberger 2006, 134), er gestaltet diese Formen und Räume auch mit. Erst im Modellgeschehen kann die Form zur Transform werden, nämlich als Ergebnis einer Modellierung, die entwerfenden Charakter hat – Experimentalcharakter – und Differenzen zeitigt. In der ‚technischen‘ Modellbildung dagegen, welche rein reproduktiv verfährt und auf die differenzlose Erzeugung gleicher Resultate zielt, sind auch die Formen statisch (vgl. Rheinberger 2006, 88–101). Im literarischen Modell, zumal im fiktionalen, werden beide Formprozesse als Verfahren einer Steuerung erkennbar, die konträren Zielen folgt: der Freisetzung von Possibilität und deren Einschränkung; der Herstellung semantischer Labilität und Stabilität. Für die im literarischen Modell erzeugte Wirklichkeit gilt dabei im besonderen, was Hans-Jörg Rheinberger dem szientifischen Modellbegriff attestiert: „Ein Modell ist gerade ein Modell durch den Bezug auf eine vorgestellte Wirklichkeit, an die es nicht herankommt“ (Rheinberger 2006, 136) und – so müsste man ergän-
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Formtheorien
zen – auch nicht herankommen soll. Entsprechend unzweideutig kommentiert schon Nancy Cartwright die Modellbildung exakter Wissenschaft: A model is a work of fiction. Some properties ascribed to objects in the model will be genuine properties of the objects modelled, but others will be merely properties of convenience. […] Not all properties of convenience will be real ones […]. For some properties are not even approached in reality. They are pure fictions. (Cartwright 2002, 153)
Pragmatische Fiktionen dieser Art verdeutlichen, wie relevant die Rolle des Modells als Wirklichkeitsgestalter auch im literarisch-entpragmatisierten Rahmen ist, wie der Modellbegriff die Praktiken nicht-eigentlicher Weltgestaltung zwi schen Kunst und Wissenschaft zugänglich macht. Vor diesem Hintergrund lässt sich behaupten, dass die Pointe literarischer Modellbildung nicht in der Proliferation von Ambiguitäten oder Differenzen, also von semantischer Polyvalenz allein zu suchen, sondern im stets kontrollierten Wechselspiel von Kontingenzerzeugung und -vermeidung, von Erweiterung und Schließung der Bedeutungsräume (und der Deutungsräume), kurz: in der Modalpragmatik der poetischen Aktion zu finden sei. Ihr Potenzial ‚belebt‘ dann das Verhältnis zwischen der geschlossenen, fixierten Form (forma formata) und der Form im Werden (forma formans), also auch den Dualismus zwischen äußerlicher ‚Wahrnehmungsgestalt‘ und einem individuellen, seinen Gegenständen inhärenten ‚Formprinzip‘. Literarhistorisch wurden diese Formungspole durch die Gattungen des Bildungs- und Entwicklungsromans profiliert. Im besten Fall trifft hier die innere ‚Veranlagung‘ auf eine ‚Ausbildung‘ von außen, und es formt (‚ent-wickelt‘) sich das Potenzial im Kontext eines etablierten Formzusammenhangs. Die Problematik dieses Dualismus zeigt sich freilich beim Versuch, das Phänomen der Formveränderung mit seiner Hilfe zu beschreiben. Hier sind wie beim Bildungstrieb bzw. Spieltrieb gleichsam Anleihen an nichtpoetischen Diskursen unvermeidlich: Triebe, Katalysatoren und Motoren aus der Gegenwelt der literarischen Form. Dies führt zurück zur eingangs formulierten Problematik, die Form-Gegenform-Antinomien, -Dualismen oder -Substitute aufzulösen, also auch die Dualismen Form/ Inhalt und Form/Materie. Hierbei gilt zunächst, was Michael Lüthy für die Kunst der Moderne beschreibt: Was sich in der Kunst der Moderne dynamisiert, ist nicht allein die Form (als unvollendete, offene, seriell wiederholte oder ephemere Form), sondern vielmehr die Relation der jeweils verkoppelten Begriffe. Die Relation von Form und Inhalt dynamisiert sich, indem die jeweilige Auffassung der künstlerischen Form darüber entscheidet, was dem Kunstwerk als Inhalt zugeschrieben wird, und die jeweilige Bestimmung des Inhalts darüber entscheidet, wie die künstlerische Form uns erscheint. Fraglich wird hier das Kunstwerk als Kommunikat. Die Relation von Form und Materie dynamisiert sich, indem das Kunstwerk die Formgebung als einen Prozess offenlegt. (Lüthy 2009, 167–168)
Form und Modell
257
Die künstlerische Form erscheint vor diesem Hintergrund als Auffassungsbewegung, welche einen Materialbestand mit einem Inhalt korreliert und dieses InBeziehung-Setzen mit einem besonderen Modus versieht. Versteht man Form somit als funktionale Relation aus Modus (ontologischer Positionierung), Material (semiotischer Kombinatorik) und Bedeutung resp. Wertsetzung (semantischer Beschickung), so ist diese Relation zunächst dynamisch stabil (Abb. 7):
Modus
Form Material
Bedeutung
Nun kann man auch die Basiselemente der Triade selbst als dreistellige Relationen fassen, welche ihrerseits dynamisch gleichgewichtet sind: So bildet sich die Wirklichkeit des Faktischen im Kontext des Fiktiven und des Virtuellen aus, ein ontologisches Verhältnis, das vom Modus ausgehandelt wird; so werden Materialbestände durch die syntagmatische Verarbeitung und Encodierung ihrer Paradigmen zu Archivstrukturen eines Mediums; so wird Bedeutung als Verhältnis von Bezeichnung (Signifikation) und Referenz durch Wertungen gestiftet, werden Klassifikationen, Typisierungen, und Standards durch den Akt der Signifikation gesetzt (Abb. 8). Realität ontische Ebene
Modus Virtualität Experiment
literarische FORM
Paradigma
empirische Ebene
Material Syntagma
Code
Fiktion
Medium
Abb. 8: Funktionsmodell der literarischen Form
Bezeichnung
Bedeutung
Referenz StandardiWertung sierung
soziale Ebene
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Formtheorien
Das Virtuelle als Modalraum künftiger Verwirklichung, Intensivierung oder Überbietung sei hier als ein vor-technisches Phänomen verstanden, das die zukünftigen Körper-, Wahrnehmungs- und Apparatetechniken ermöglicht (vgl. Rieger 2003, 31). Dabei sind der ontische und der empirische Aspekt der Form stets im sozialen aufgehoben, der soziale und der ontische sind im empirischen verankert, der empirische und der soziale sind vom ontischen markiert. In diesem Sinne lässt sich Form als Integral verstehen, das modale, materiale und semantische Aktionen ineinanderführt. In den Modellbildungsprozess tritt Form stets als bedeutete, gedeutete, interpretierte ein, die dann für Um- und Neudeutungen zur Verfügung steht. Der EinTitel der Präsenta tritt in die Modellierung wird zunächst als Destabilisierung wirksam, die den temporär stabilen Zustand auflöst und die Form als Operator sichtbar macht. Die Modellierung greift die Form als Matrix auf und transformiert sie in ein Applikat, in eine Anwendung, die eine neue Form zum Vorschein bringt: die Transform (Abb. 9). Modus
Modus’ Modellbildung als
Form Material
Transform
TRANSFORMATION Bedeutung
Material’
Bedeutung’
Abb. 9: Transform-Transfer – Die Form als Matrix und als Applikat
Um das Funktionsmodell der Form zu operationalisieren, sprich: als Operator der Modellbildung zu explizieren, seien die verschiedenen Modellfunktionen ihrerseits durch ein Funktionsmodell zur Anschauung gebracht: durch ein Modell der literarischen Modellbildung.
Das Wissen im Modell Mit seinem Beitrag Modelle und ihre Befragbarkeit. Grundlagen einer allgemeinen Modelltheorie hat der Berliner Informatiker und Wissenschaftstheoretiker Bernd Mahr ein disziplinenübergreifendes Schema geschaffen, das den generalisierenden Modellbegriff auch für die Analyse literarischer Prozesse fruchtbar machen kann (vgl. Mahr 2015). Dies zeigt sich insbesondere an jenen Stellen, wo die Argumentation tradierte Theoriekonzepte, etwa Abbildungs- und Repräsentationsfunktionen, den Objektcharakter und die Operationalität sowie den Kontext von Modellen neu justiert.
Form und Modell
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Bei Mahr erscheint der Modellierungsvorgang als Zusammenspiel der folgenden sechs Komponenten, die auch den Modellbegriff nach seinen einzelnen Funktionen auseinanderlegen (vgl. Abb. 10): Die Modellinstanz beobachtet zunächst ein Ausgangs- oder Quellsystem, die Matrix, mit Bezug auf eine zukünftige Anwendung, ihr Applikat (1). Sie bildet, zweitens, ein Modell der Matrix, das Modellkonzept, und zwar mit Hilfe eines materiellen oder virtuellen Gegenstandes, der als Träger des Verfahrens, als Modellobjekt, die relevanten Eigenschaften dieses Quellsystems repräsentieren kann: die von der modellierenden Instanz als relevant beurteilten Parameter. Die Matrix wiederum (das Original) und ihr Modellobjekt sind dabei immer theoriegeladen, ihre Materialität (ihr Aggregatzustand) sowie ihr Modus stets durch diese Theorie bedingt. Die Theorie- und Pfadabhängigkeiten gründen in dem Umstand, „daß ein Original nicht unmittelbar in der objektiven Realität vorfindbar ist, sondern durch Analyse von Möglichkeiten eines gewissen Zusammenhangs gewissermaßen aus der Wirklichkeit herauspräpariert wird. Diese Präparation geht einher mit theoretischer Konstruktion und ist ohne diese nicht effektiv vollzogen.“ (Ruben und Wolter 1969, 1239). Dabei kann das zum Modellobjekt erhobene Objekt selbst Teil der Matrix, doch es kann auch einem gänzlich anderen Bereich entnommen sein. Wenn es zum Beispiel Ziel des literarischen Naturalismus ist, gesellschaftliche Defizite aufzugreifen (Matrix) und an individuellen Schicksalen zur Anschauung zu bringen (Applikat), dann wählt er sich als Träger dieser Anwendung Objekte und Verfahren der Naturwissenschaft. Sie werden damit zu Modellobjekten eines literarischen Diskurses, der mit ihrer Hilfe sein Modellkonzept – in diesem Fall: den Experimentalroman – entwirft. Derselbe kommt sodann als Repräsentationsmodell der frühkapitalistischen Gesellschaften (und als Entwurfsmodell für einen neuen Stil) zur Anwendung. Die Unterscheidung von Modellkonzepten und Modellobjekten trägt auch der historischen Entwicklung Rechnung, die im Sinne Wittgensteins den ursprünglich rein gegenstandsbezogenen Begriff ‚Modell‘ ‚immaterialisiert‘: „Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit.“ (Wittgenstein 232019 [1921], 15, 2.12; vgl. Epple 2016, 11, der in diesem Rahmen von „abstrakten Repräsentationen“ und „konkreten Imaginationen“ spricht, 14, 18). Die Leistung des Modellobjekts, gerade jene Eigenschaften aufzuweisen, welche die Modellinstanz für unabdingbar hält, ist seine Modellfähigkeit. Modellobjekte dienen dabei stets der Umsetzung des Modellierungsvorgangs, doch sie transportieren ihren – materialbedingten oder emergenten – Eigensinn, der den Erfolg und Misserfolg der Modellierung beeinflussen kann (2). Modellbildung im engeren Verständnis ist dann, drittens, der Transport des Eigenschaftskomplexes (Cargo) von der Ausgangsmatrix zur konkreten Anwendung, wobei die Eigenschaften eines Cargo sich im Zuge der Modellbildung verändern können (3). Er vereinigt somit Elemente seines Quellsystems mit denen des Modellobjekts. Im
260
Formtheorien
Cargo aber zeigt sich auch die Agency des zum Modellobjekt erhobenen Objekts, da dieses stets Aspekte mitführt, die von der Modellinstanz nicht vorgesehen sind: „Modelle wechseln ihre Rollen, und zwar nicht nur auf Geheiß eines Subjekts, sondern auch auf eigene Initiative hin, weil sie die Auffassungen verändern, von denen wiederum die Rollen abhängig sind, die man ihnen zuweist.“ (Wendler 2013, 203). Die Modellinstanz erprobt auf diesem Wege, viertens, das Verhalten des Modellobjekts im Rahmen eines simulierten Settings, also ihr Modellkonzept (4). Je nach Modelltyp und Modellerwartung optimieren die Ergebnisse dann, fünftens, ihre Ausgangsmatrix oder deren Steuerung bzw. führen zur Entwicklung eines neuen Zielsystems. Misslingt die Modellierung, weil sich das Modellkonzept als brüchig oder das Modellobjekt als schlecht gewählt erweist, hat dies die Überprüfung des Modellurteils zur Folge und mit ihr die Neuaufstellung der entsprechenden Verfahrenskomponenten oder auch des ganzen Modellapparats (5).
M o d el l i nst anz /Auf fassung
Urteil/Entscheidung
Beobachtung
M a t ri x
Reflexion
PPrroodduukkttiioonn//WWaahhll
Ob j e k t
Kombination / Rekombination
A ppl i k at
Repräsentation
Eigensinn
lit. F ORM
M o d el l ob j ek t
Modell für
MaterialT r a n s p o rBedeutung t Herkunft
Ca r g o Programmierung /Code
Test / Simulation
2
Aufladung
Realisierung
Antizipation
Modus
Modell von
M o d el l k on zep t
re-entry Steuerung/Kontrolle
Entladung
Bestimmung
Transformation Abb. 10: Das Funktionsmodell des Modellseins – Modellbildung in Anlehnung an Bernd Mahr. Beschrieben werden die Modellfunktionen von der Matrix (Quellsystem) zum Applikat (der Anwendung), sowie die Handlungsschritte im Prozess des Modellierens (kursiv). Die graue Fläche wiederum bezeichnet den Modellkomplex, heuristisch unterteilt in epistemisches Modellkonzept, den zum Modellobjekt ernannten (aufgefassten) Gegenstand (Objekt), sowie den Eigenschaftskomplex, der Matrix und Objekt im Sinne der Modellinstanz und ihrer Modellierungsziele modellfähig macht (Cargo)
‚Modellbildung‘ im Sinne dieser Darstellung beschreibt den Akt der Auffassung (das Urteil, die Entscheidung), mittels dessen die Modellinstanz ein schon vorhan-
Form und Modell
261
denes bzw. im Modellprozess entworfenes Objekt als ein Modell betrachtet. Die Modellinstanz fasst diesen Gegenstand als ein ‚Modell von etwas‘ (nämlich einer Matrix) und zugleich als ein ‚Modell für etwas‘ (nämlich eine Anwendung) strategisch auf. Max Black hat für ‚Modelle von‘ die Zusatzunterscheidung zwischen scale models und analogue models eingeführt. Für scale models sei festzuhalten, „[that they] rely markedly upon identity: their aim is to imitate the original“; „the making of analogue models“ sei dagegen „guided by the more abstract aim of reproducing the structure of the original“ (Black 1962, 222; vgl. Waltenspül 2018). Es handelt sich hier also um die Frage nach der Form der Abbildung, die sich in zwei Funktionstypen des Modellierens ausprägt: einem äußeren (gestalthaften) und einem inneren (logischen). Im Urteil einer individuellen oder kollektiven, institutionellen oder künstlichen Modellinstanz sind also Eigenschaften eines Gegenstandes als modellhaft ausgewiesen, denn sie wurden als modellhaft aufgefasst. Die impliziten oder explizit begründeten Kriterien des Modellurteils zusammen mit den Eigenschaften des Modellobjekts bestimmen dann den Cargo, der im Zuge einer Programmierung, Enkodierung oder Speicherung die als modellhaft aufgefassten Elemente aus der Matrix in die Anwendung hinüberleitet, also transportiert und transformiert. Die Achse aus Modell (Konzept) und Cargo (Übertragung) hat ihr Zentrum im Modellobjekt, durch das / an dem sich der Modellbildungsprozess vollzieht. Im Modellieren stiftet das Modellobjekt die formgeleitete und formenbildende Korrelation aus Intentionen und Konzepten (Urteilen/Entscheidungen), Ereignissen (Emergenzen/Kontingenzen), Seinsweisen (Modalitäten), Repräsentationen (Darstellungsprozessen) und Aktionen (Performanzen). Oft genug wirkt hier der Eigensinn, der materiale oder funktionale Überschuss des zum Modellobjekt erhobenen Objekts, als Quelle der modelltypischen Emergenz; er macht den Gegenstand zum epistemischen Agenten des Modellgeschehens, der auf diese Weise an die Seite der Instanz und ihrer Konzeptionen tritt. Getestet werden diese Eigenschaften im Prozess der simulierten Anwendung. Die Resultate dieser Anwendung bestätigen bzw. korrigieren dann sowohl die Annahmen der modellierenden Instanz und ihrer Urteile (Modellannahmen), als auch die Struktur der Matrix und des Applikats. Es findet statt, was Jurij Lotman als die „doppelt[e] Aufgabe der gleichzeitigen Modellierung des Objekts und des Subjekts“ in der „Sprache der Kunst“ bezeichnet hat (Lotman 31989 [1972], 36). Die „Umcodierung“, die sich hier ereignet, kann dann das Ergebnis einer neuen literarisch-künstlerischen Modellierung sein: „Eine pragmatische Umkodierung tritt dort auf, wo die Möglichkeit stilistisch divergierender Berichterstattung über ein und dasselbe Objekt verwirklicht wird. Es ändert sich also nicht das Modell des Objektes, sondern die Beziehung zu diesem Modell, d. h. es wird ein neues Subjekt modelliert.“ (77; vgl. WagnerEgelhaaf 2014). Die Pointe solcher Metamodellierung liegt darin, die Produktions-
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Formtheorien
dynamik des Modellgeschehens selbst zu modellieren, also die Beziehungen der Modellierungselemente als Funktionen anzuzeigen, die per Rückkopplung auf ihre Träger wirken. Damit kann das Mahr-Modell, das auf die Modellierung des Modellseins zielt, auch als „der erste modellteoretische Ansatz“ gelten, welcher „das Zusammenspiel mehrerer Modelle und Modelltypen explizit fassbar macht, Modellarchitekturen, Modellverflechtungen […], aber auch historische Modellgefüge“ (Erdbeer und Wendler 2016). Den Status als Modell erhält ein Gegenstand bzw. ein Konzept erst dann, wenn er als solcher aufgefasst, d. h. durch ein Modellurteil aus anderen Objekten ausgewählt und für ein Anwendungsprofil entworfen wird. Dies ist vor allem auch aus der historischen Beschreibungsperspektive, also für die Analyse von vergangenen Modellbildungen relevant. Da die Modellinstanzen nicht mehr aktuell befragbar sind, rückt die Befragbarkeit der modellierten Auffassungen in den Mittelpunkt. In diesem Sinn ermöglicht die historische Modellpoetik eine hermeneutische Evaluierung des Modellgeschehens, also jener Modellierungsakte, die im Produktionsprozess als solche ausgezeichnet worden sind. Die Referenz ist hierbei eine dreifache: auf eine Matrix, ein Objekt und eine Anwendung, wobei die beiden ersten entweder als prä- bzw. protomodellierte Referenzen oder als bereits modellhafte in den Modellbildungsprozess gelangen können. Damit kann die Modellierung – wie im strukturalen Paradigma angedacht und in der Gattungsrezeption historisch ausgewiesen – eine Modellierung von Modellen sein. Noch unkonventioneller ist der Weg, mit dessen Hilfe Mahr die Positionen poststrukturalistischer Pragmatik überwinden will gemäß dem Umstand, dass sowohl der Übergang von den Strukturen zu den Phänomenen als auch die spezifisch ontologische Disposition, die in der Kooperation von Mensch, Natur und Technik gründet, vom sozialkonstruktivistischen Diskurs nicht zureichend beschrieben werden kann. Hier ändert sich zugleich die Konzeption von Wissen, das nun nicht mehr länger als (bestehende) empirische Faktizität, noch als (vereinbartes) Diskurskonstrukt, noch auch als (akkumulatives und kontinuierliches) „Haben von Information“ gedacht werden kann (Mahr 2004, 7). An diesem Punkt setzt Mahrs Modellwende des Wissens an. Der üblichen „Veräußerung“ (qua Repräsentation und Medialisierung) setzt der Informatiker die Virtualisierung des Gewussten entgegen. Beschrieben wird ein Wissen, dessen „Sachverhalte“ wesentlich „als Denkmöglichkeiten existieren“, um aus dieser These ein modelltheoretisches Argument zu gewinnen: „Bezugsgrößen, die nur noch Möglichkeiten sind, sind aber Modelle“ (9). Der Modellbegriff wird also an der Schnittstelle von ‚Wirklichkeit‘ und ‚Möglichkeit‘ platziert, er wird zum modalen Konzept. Mahr reagiert hier auf die ontologische Spezialdisposition des Modellierens, das, als Handlungstypus, eine vorgelagerte Realität (konkrete Stofflichkeit, Sozialdeterminanten) mit den Mitteln einer anderen Realität (der
Form und Modell
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des Modellobjekts) zugleich repräsentiert und konstruiert, d. h. durch Stellvertretung sichtbar und – im Sinne der Verfügbarkeit, der Steuerung und Zurichtung – ‚zuhanden‘ macht. Entscheidend ist dabei der Umstand, dass im Zuge der modellgeleiteten Prozessdynamik dieses vorgegebene Reale mit dem Idealen (Konstruktiven) einer zukünftigen Anwendung (Entwurf, Prognose, Steuerung) zusammenfällt. Hier nähert sich der modellistische Modellbegriff dem Iserschen Konzept der (literarischen) Fiktion, bei dem sich im Fiktiven das Imaginäre mit dem (vorgängig) Realen kurzschließt, und zwar so, dass das Reale sich zum Möglichen hin öffnet, während das Imaginäre sich realisiert (‚gestalthaft‘ wird; vgl. Iser 1993). In beiden Fällen wird ein produktionsästhetischer Aspekt beworben, der vor allem auf die Produktion (Gestaltung, Steuerung und Umwidmung) von Modalitäten zielt: ein ‚Modalitätsmanagement‘. Die Handlungsebene folgt hier derselben ontologischen Verschmelzung des Realen und des Idealen, die sich auf der Zeichenebene der Modellierungskunst zur Geltung bringt (in der Verbindung metonymischer und metaphorischer, realer und symbolischer Modellmodalität. An diesem Punkt stellt Mahr die Frage nach dem ‚epistemischen Muster‘, welches der Modellbildung zugrunde liegt. Man muss dabei die Basisterme des Funktionsmodells um die modelltypische Temporalität ergänzen, also die Modelldynamik, die sich aus der integrierten Rück- und Vorschau und dem (Wieder-) Eintrag des erhofften Künftigen in die Kontrolle des Vergangenen (Bewertung, Steuerung) ergibt. Ein Wissen kann im Rahmen einer solchen offenen Modalstruktur nur im Modell entstehen (und bestehen); Wissen als Modellwissen ist demnach immer Möglichkeitswissen, Modellierung stets ein epistemisch offener Prozess, der als Erwartungsraum für Emergenz fungiert. Mit dieser epistemologischen Entgrenzung des Modellbegriffs vollendet Mahr gewissermaßen einen Paradigmenwechsel, wie er – im Gefolge Thomas Kuhns und Norman Campells – in den Arbeiten Max Blacks (Models and Metaphors, 1962), Marry Hesses (Models and Analogies in Science, 1966), Nancy Cartwrights (How the Laws of Physics Lie, 1983) und Klaus Roberings (What is the Role of Model Theory in the Study of Meaning?, 1992) vorbereitet worden ist (vgl. auch die Beträge zur Diskussion von Mahr 2015 in EWE 26 [2015] sowie die von Friedrich Balke, Bernhard Siegert und Joseph Vogl editierten Beiträge des Bandes Modelle und Modellierung, 2014). Das Modell (und die mit ihm vollzogene Aktion des Modellierens) wird bei Mahr vom Hilfskonstrukt des epistemisch-praktischen Diskurses zum epistemologischen Zentrum, ja zum Apriori wissenschaftlicher Erkenntnisproduktion schlechthin: Tatsächlich haben in unserer Bezugnahme auf die Welt […] Modelle eine fundamentale Bedeutung. Sie sind nicht nur Träger des Wissens […], sondern […] der Ausdruck des Mög-
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Formtheorien
lichen und weitgehend auch der Ersatz für die objektiv nicht fassliche Welt. Man kann in ihnen die eigentlichen Bezugsgrößen unseres Wissens sehen. (Mahr 2004, 9)
Im technischen Zusammenhang erschließt sich hier die Ebene der Regulation: der anwendungsgetriebenen Prognostik, Optimierung und Kontrolle des infragestehenden Modellsystems. Den Rahmen hierfür bildet die Modellsituation, der Kontext der Modellbildung (vgl. Flaschka 1976, 17). Der Umfang dieses Kontexts hängt von der Spezifik des Modellgeschehens und vom Untersuchungsinteresse ab. Nach Hans-Jörg Rheinberger bezeichnet der Begriff in erster Linie einen ‚Datenraum‘, in dem sich die Modellbildung als Datenkonfiguration und -performanz vollzieht: Die Konfiguration und Rekonfiguration wissenschaftlicher Modelle erfolgt in Datenräumen, seien sie nun analoger oder digitaler Natur. Sie machen aus, was Bernd Mahr generell die „Modellsituation“ genannt hat. Die gegenwärtige Situation der Wissenschaften ist geprägt von einer Proliferation von Daten und der ihnen zugehörigen Räume. Das führt auch zu einer Vervielfältigung von Modellen. (Rheinberger 2016, 3)
Rheinberger zufolge liegt die Schwierigkeit der Analyse in der seriellen Supplementstruktur, in der Modelle auf Modelle entweder zurückverweisen, oder ihre Modellierung auf der Basis anderer Modelle tätigen: Konnte ein Modell lange verstanden werden im Modus einer aus der Linguistik bekannten Trope, der Metonymie, und damit als Supplement, das aus der wesentlich ungeklärten Oszillation zwischen Stellvertretung und Machtübernahme seine Wirksamkeit entfaltete, so kommt es im Zuge der Proliferation von Modellen im Datenraum immer mehr zu Sekundäreffekten, die ihrerseits wieder in einen Takeover kippen können: Die Kette der Supplemente wird länger, und die Beziehung eines Modells auf andere Modelle als das zu Modellierende wird zum Normalfall. Was heißt das für die zukünftige Entwicklung der Wissenschaften, insbesondere auch ihrer Experimentalregime? Hier gibt es Reflexionsbedarf. Das traditionelle wissenschaftstheoretische Vokabular reicht nicht mehr aus, um die Situation produktiv zu beschreiben. (3)
Ein Modell der literarischen Modellbildung Hier setzt die literarische Modellforschung strategisch an. Ihr Einfallstor in die Erkundung des poetischen wie außerliterarischen Modellgeschehens ist die literarische Form. Zur Analyse des modellgebundenen Transferverfahrens wird nun das Funktionsmodell der Form mit dem Funktionsmodell des Modellierens verschränkt (Abb. 11):
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Form und Modell
M o d el l i nst an z /Auf fassung Urteil/Entscheidung
Beobachtung
Reflexion
M a t ri x
PPrroodduukkttiioonn//WWaahhll
1
M o d el l ob j ek t
Modell für
Test / Simulation
2
Material Material
Modus
Material
A p p l i k at
Repräsentation
lit. F ORM
Ob Objjeekktt
Kombination / Rekombination
Realisierung
Antizipation
Modus
Modell von
lit. F ORM
onzep M o d eell l k on ze p t
re-entry Steuerung/Kontrolle
Bedeutung
Modus
Transport Aufladung Herkunft
Bedeutung
Ca r g o Programmierung / Code Code
lit.
Entladung Bestimmung
Transformation
Material
TRANSFORM Bedeutung
Abb. 11: Modell als Formregulator, Modellbildung als Transformation
Es zeigt sich, dass im Rahmen des Modellgeschehens Formen immer dort zum Thema werden, wo Modellbildung repräsentiert, d. h. zum Zweck der Analyse oder Kommunikation der Flüchtigkeit entzogen werden soll. Form kommt zum Einsatz, wenn Transformation emergiert: wenn ein Objekt sich ins Modellobjekt, die Matrix sich zum Cargo und der Cargo sich zum Applikat verwandelt. Die Verschränkung der Funktionsmodelle macht die Weise deutlich, wie Modellbildung sich medial entschleunigt und in Repräsentationen greifbar wird. Die Formen wiederum erhalten durch den Eintritt in den loop des Modellierens jenen temporalen Vektor, der sie zu Transformen wandelt, zu Akteuren des dynamischen Modellgeschehens. Sie werden ‚durchmodelliert‘. Indem sie einzelne Momente des Funktionsmodells der Form privilegiert, d. h. zum Cargo macht, ‚befreit‘ die Modellierung also einerseits die Potenzialität der Form zur Transform und erweitert überdies die Menge der Bedeutungen, die mit der Modusänderung ‚verwirklichbar‘ geworden sind. Auf diese Weise kann die Relation aus Form (Potenz), Modellbildung (Verfahren) und Modell (Objekt) wie folgt beschrieben werden: 1. Modellieren ist ein Trans-Formieren, welches sich im Applikat verwirklicht. 2. Das Modell ist der Regulator der Form. 3. Form als Repräsentationsformat von Matrix und Objekt ermöglicht eine Inspektion der Modellierungsschritte, bis die Modellierung 4. in der Repräsentation des Modellierungsvorgangs endet: dem Modellprotokoll (Abb. 12).
266
Formtheorien
M ODE LLBILDUN G
M ODE LL/ PROTOTY P
Abb. 12: Das Protokoll als Repräsentation des Modellierungsvorgangs
Das Protokoll des Modellierungsvorgangs, seine Repräsentation als Datensatz, als Simulakrum oder als Entwurfsobjekt ist dabei jene Einheit, die in Anwendungsszenarien als ‚Modell‘ bezeichnet wird. Es dient der Überprüfung der Modell erwartung und der Steuerung des künftigen Modell- bzw. Produktionsgeschehens, und es tritt als solche wieder ins Modell- bzw. Produktionsgeschehen ein. ‚Modellbildung‘ verweist dagegen auf den Vorgang selber, der zum Protokoll bzw. Prototypen, kurz: zum Modellierten führt. Indem die Metamodellierung das Modell als Reifikation von seiner Herstellung, der Modellierung, trennt, legt sie zugleich die Grundlage zur Aufklärung der herrschenden Begriffsverwirrung, die zum einen aus der Vielzahl der Modellfunktionen, aber nicht zuletzt auch aus der Kontamination von Repräsentation (Objektivierung) und dynamischem Geschehen (Prozessierung, Handlung) entsteht. Beleuchtet wird dabei der Umstand, dass fast jede der Modellfunktionen schon einmal den Titel des ‚Modells‘ getragen hat: die Matrix als Bezugspunkt oder Vorbild einer Modellierung (Modell1), das leitende Modellkonzept (Modell2), die Einheit von Modellkonzept, Modellobjekt und Cargo (Modell3), die Modellierung selbst als Repräsentations- bzw. als Entwurfsgeschehen (Modell4), das Applikat als Zielsystem (Modell5), sowie das Protokoll als Aufzeichnung des Modellierungsvorgangs (Modell6). Aufgefasst als Führungsgröße könnte das Funktionsmodell zur Präzisierung der im Modellieren maßgeblichen Darstellungs- und Handlungsweisen einen Beitrag leisten, auch durch seine Rolle als Kulturtechnik des Modellierens, der Modelldidaktik und Modellkritik. Aus text- und literaturwissenschaftlicher Sicht ermöglicht das Funktionsmodell die Neubewertung philologischer Zentralkategorien – etwa der Semiotik,
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Tropik oder Fiktionalität –, zumal in Anwendungsbereichen, die, wie der Diskurs des Gaming, Narration mit Performanz verbinden (vgl. Backe 2008; Ryan und Thon 2014; Hennig 2017; Erdbeer 2019a, 2019b). Zwei Theoriebereiche seien hierzu näher ausgeführt, die auch aus transdisziplinärer Perspektive wesent liche Einsichten in die im Formmodell skizzierte Kooperation von repräsentativer und performativer Dynamik versprechen: das zeichentheoretische Problem einer Semiotik der Teilhabe sowie das ontologische der Handlungsmodalitäten, die mit dem Hybrid der Transfiktion verbunden sind.
5 Semiotik der Teilhabe Struktur-Modelle und Modell-Strukturen Das Postulat, Strukturen als dynamische Systeme aufzufassen, hat bereits im Formalismus, dann jedoch vor allem in der strukturalen Theoriedebatte zur Inanspruchnahme des Konzepts ‚Modell‘ geführt. Schon 1958 hat Claude Lévi-Strauss Strukturen auf Modelle gegründet. So heißt es in der Strukturalen Anthropologie: Das Grundprinzip ist, daß der Begriff der sozialen Struktur sich nicht auf die empirische Wirklichkeit, sondern auf die nach jener Wirklichkeit konstruierten Modelle bezieht. […] Die sozialen Beziehungen sind das Rohmaterial, das zum Bau der Modelle verwendet wird, die dann die soziale Struktur erkennen lassen. (Lévi-Strauss 1967 [1958]), 301)
Die Modelle dienen also der Strukturerkenntnis, sie verwenden Empirie als Material. Modelle, nicht Strukturen, bilden hier „das eigentliche Objekt der Strukturanalysen“ (301). Diese Abfolge von Empirie – Modell – Struktur setzt das Modell als Mittler ein, um die abstrakteren, universelleren Strukturen freizulegen. Die Strukturtheorie ist eine Modelltheorie: „Die strukturalen Untersuchungen wären kaum von Interesse, wären die Strukturen nicht auf Modelle übertragbar, deren formelle Eigenschaften unabhängig von den Elementen, aus denen sie sich zusammensetzen, miteinander vergleichbar sind.“ (307). In diesem Sinn besteht die Aufgabe der strukturalen Tätigkeit darin, Modelle mit Modellen zu vergleichen und Modelle von Modellen zu entwerfen, also die ‚formellen Eigenschaften‘ der Modelle einzukreisen. Eben weil Modelle ‚ordnungsfähige‘ Aspekte aus der Empirie erfassen und modellhaft ordnen, binden sie die kontingente Wirklichkeit an überzeitliche Sturkturen an. Beschrieben wird ein wechselseitiges Modalverhältnis, in dem die „‚gedachten‘ Ordnungen“ die „‚gelebten‘ Ordnungen“ organisieren (342–343). Die Antwort auf die selbstgestellte Frage, welche Art Modell ‚den Namen der Struktur‘ verdiene, lautet daher: ein Modell, das jenen Teil der
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Formtheorien
Wirklichkeit repräsentiert, der sich von selbst zur Modellierung eignet. Welcher Teil der Wirklichkeit sich allerdings zur Modellierung eignet, sein ‚strategischer Wert‘, ist das Entscheidungsprivileg des Theoretikers: „Der Strukturalist hat die Aufgabe, jene Ebenen der Wirklichkeit zu erkennen und zu isolieren, die von seinem Standort aus einen strategischen Wert besitzen, anders ausgedrückt, die, wie immer sie aussehen mögen, in Form von Modellen dargestellt werden können.“ (308). Neben den Modellfunktionen Kopplung, Restriktion, Ermöglichung, Verhüllung und Markierung tritt dabei als weitere Modellfunktion die funktionale Ähnlichkeit hinzu. Im Sinne dieser ‚intermodellaren‘ Ähnlichkeit hat Julia Kristeva Semiotik als Modelltheorie konzipiert: Thus, when we say semiotics, we mean the […] development of models, that is, of formal systems whose structure is isomorphic or analogous to the structure of another system (the system under study). […] Obviously, a theory is always implicit in the models of any science. But semiotics manifests this theory, or rather cannot be separated from the theory constituting it, that is, a theory which constitutes both its object (the semiotic level of the practice under study) and its instruments (the type of model corresponding to a certain semiotic structure designated by the theory. […] This means that semiotics is at once a re-evaluation of its object and/or of its models, a critique both of these models […] and of itself […]. (Kristeva 1986 [1969], 76–77)
Die Vorstellung von einer Kopplung der semiotischen Verfahrenstechniken mit ihrem Untersuchungsgegenstand und ihrer Theorie verweist bereits auf ein modellpragmatisches Konzept. So konstatiert auch Eimermacher, es sei von „entscheidender Bedeutung“, dass „das Operieren mit Modellen“ in der Literaturwissenschaft „einerseits auf dem Zeichenbegriff basiert und andererseits mit dem Begriff der Struktur kombiniert wird“. „Modellierungen in der Kunst und in der Literaturwissenschaft“ sind dieser Auffassung zufolge „im Prinzip nichts anderes als das Setzen von Beziehungen unter Verwendung/Beachtung bestimmter, codierter Transformationsregeln, also spezifischer Arten der Äquivalenz- und Differenzklassenbildung“; bei der Rezeption dagegen lägen „decodierend[e] Transformationen (Modellierungen)“ vor (Eimermacher 1976, 33). „Die Theorie der literarischen Modellierung“ wäre dann, so Rainer Grübels literarhistorische Erweiterung, „in eine semiotische Theorie der Kunst und mit dieser in eine Kulturtheorie eingebettet“ (Grübel 1976, 63). Grübel hat die Modellierungskomponenten dieses klassisch-strukturalen Kommunikationsmodells ins typologische Schema gesetzt (Abb. 13) und wie folgt kommentiert: Sinn-Zusammenhänge universaler Art werden durch Weltmodelle gestiftet. […] Innerhalb der Weltmodelle nehmen Handlungs- und Kommunikationsmodelle eine besondere Stellung ein. Im Unterschied zu solchen abstrahierenden Modellen treten konkretisierende Modelle auf, die einem abstrakten System zu einer bestimmten Darstellung verhelfen. So
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kann der künstlerische Text als Konkretisation eines oder mehrerer Weltmodelle aufgefasst werden, als Realisation eines Kommunikationsmodells und eines Modells der künstlerischen Literatur. In der literaturwissenschaftlichen Arbeit können Modelle dieser einzelnen Modelle konstruiert und zu einem Gesamtmodell verbunden werden. (Grübel 1976, 70)
Abb. 13: „Schematisches Modell der literaturwissenschaftlichen Modellierung eines Textes“
Diese ‚Manifestation‘ der Modellierungsstrategien – Nachvollzug, Rekonstruktion und Reflexion – ist dann die Hauptaufgabe der modellpoetischen Lektüre. Während in der Deutung Kristevas die Differenz von impliziter Theorie (der wissenschaftlichen Modelle) und semiotischer Objektgenese (der semiotischen Lektüre) zur Semiotik aufgehoben wird, muss ein modellpoetisches Verfahren diese Unterscheidung als Problem entwerfen. Dies liegt nicht zuletzt am notwendig erweiterten Modellbegriff, der gegenüber logisch-mathematischen, informationsästhetischen und technischen Spezialdiskursen und den Repräsentationen, die sie stiften, zu berücksichtigen ist. Wie Reinhard Wendler pointiert bemerkt: „Materielle, bildhafte, poetische, produktiv unscharfe Modelle sind keine sozusagen umgangssprachlichen oder laienkulturellen Privatisierungen eines vermeintlich eigentlichen, formalsprachlichen Modellbegriffs.“ (Wendler 2013, 20). Dies führt zurück zum Abbildungs- und Konstruktionsproblem der Mimesis.
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Formtheorien
Modelle als semiotische Akteure Mit Blick auf Aristoteles’ Poetik lässt sich Mimesis als Grundkonzept der Arbeit mit und an Modellen, als Modellbildung im engern Sinn verstehen. Eric Achermann führt hierzu folgende Dreiteilung ein (vgl. Achermann 2015, 125–127): Bedeutungen von ‚Mimesis‘
Kriterium
Wissenstyp
Wissenschaftstyp
Der mimetische Vorgang
basiert auf
führt zur Bildung von
ist Voraussetzung für
Nachahmung
Ähnlichkeit
Poiesis
Empathie
Nachvollziehbarkeit
Fiktion
Wahrscheinlichkeit
emperiria ≈ analoges Erfahrungswissen doxa ≈ soziales Gewohnheitswissen nous ≈ philosophisches Erkenntniswissen
Symbolische Repräsentation
Praxis
Theorie
Mentale Repräsentation
Der Charme des Ansatzes für den Modellgedanken liegt darin, die drei mimetischen Verfahren – Nachahmen, Nachvollziehen und Fingieren – als Bestandteil jeder Modellierung aufzufassen. Als modelltypische Tätigkeiten übernehmen sie dabei die folgenden Aufgaben: a) Rekonstruktion (von Quellsystemen), b) Integration (in Modellierungskontexte und von Modellerwartungen) und c) Modalitätsmanagement (durch Ausrichtung auf Modellierungsziele und Modellbewertungen). Im engern Sinne kann man unter letzterem die Setzung, Wertung und Erhaltung, aber auch die Delegitimierung, Devaluation und Auflösung von Wirklichkeitsbezügen verstehen (vgl. Horn 1981). Bei Achermann stellt die Zurückführung auf das Konzept der Mimesis die modellierende Bezugnahme zugleich als ein ästhetisches (symbolisierendes) und epistemisches (mentales, kognitives) Repräsentationsverfahren vor: als zielgerichteten Prozess der zeichenproduzierenden Verarbeitung von Wahrnehmungen und als Handlungstypus, der den Referenten (das Objekt) der Handlung steuern, kontrollieren und verändern will. Dies konstatiert schon Wolfgang Iser: „Eine Mimesis, die ihre eigene Referenz erzeugt, wird transzendental zu ihren Vorgaben. Denn sie verfügt nun darüber, was eine Handlung sei […].“ Die Aufgabe der „prozessual verstandene[n] Mimesis“ bestehe folglich darin, ihre „Referenzen immer wieder zu öffnen, um in der daraus resultierenden Dynamik eine Referentialität her-
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vorzubringen, die es erlaubt, Handlung als solche zu vergegenwärtigen“ (Iser 1993, 494). Modelle sind in dieser Hinsicht, wie schon Mahr beteuert, „keine Zeichen“, noch ist das „Modellsein“ ihre „Eigenschaft“ (Mahr 2015, 329). Auch ist Modellbildung als Steuerungsverfahren kein semiotischer Prozess, so wie die Emergenzen, die sich durch und gegen sie zur Geltung bringen, keine Zeichen sind. „Das Emergente“, sagt auch Iser, „zeigt sich von selbst her und repräsentiert nichts“. Modelle als mimetische Akteure, die entwerfen, also Referenzen setzen, bilden und ereignen sich als Performanzen: „Je mehr Mimesis als Verfahren analysiert wird, desto unabweisbarer drängt sich der performative Charakter der Darstellung auf. Nur noch die Vorgabe bindet die Performanz mimetisch, wenngleich sich die Vorgabe bisweilen so ausnimmt, als ob sie durch Performanz erzeugt worden wäre.“ (Iser 1993, 295–296). Damit aber würde, folgert Iser kühn, Modellbildung als solche emergent: „Die Modellierung ist dann das Emergente weil es den Gegenstand vor aller Modellierung nicht gibt.“ (Iser 2013, 115). Auch wenn Modelle sich ‚von selbst her zeigen‘ und der Repräsentation entziehen, wenn sie Performanzen (oder ontologische Agenten) sind, die Referenzen erst ermöglichen, so werden sie doch nur durch Zeichen wirksam. Überdies erscheinen sie als Gegenstand von Repräsentationen, die den ‚Handlungstyp Modellbildung‘ und die konkreten Strategien und Verfahren, die er appliziert, vermittelbar und validierbar machen. Ist dies so, dann könnte man von einer Tradition dynamischer Modellästhetik sprechen, die sich etwa in die folgende Triade fassen ließe: Produktionsästhetik Selektion/Reproduktion/ Entwurf von Zeichen
Rezeptionsästhetik Integration/ Manipulation/ Steuerung von Zeichenprozessen
Modalitätsästhetik Simulation/Validierung/ Optimierung von Zeichen verwendungen
Welcher Art sind aber jene Zeichen, die von den Modellen produziert und zur Bezeichnung ihrer Referenten eingesetzt, sprich: angewendet werden? Wie wird Referenz modelliert? Um diese gleichermaßen heikle wie für den Modellbildungsprozess zentrale Frage einzukreisen, muss man das modelltypische Spiel von Signifikation und Referenz bestimmen. Im Modellverfahren, so die Überlegung, werden ein Bezeichnungs- und ein Referenzkonzept gekoppelt; diese Kopplung wiederum entspricht der materialen und der kognitiven Seite der Modellbildung. Denn ein Modell im Sinne Mahrs ist stets durch eine Vorstellung, genauer: eine Auffassung begründet, die durch ein Modellobjekt bezeichnet und verwirklicht wird. Die Relation der beiden Komponenten ist ein Repräsentationsverhältnis,
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Formtheorien
während das Verhältnis von Modellobjekt und Matrix/Applikat als Referenz funktioniert. Durch die Verschränkung beider Weisen der Bezugnahme ist das Modellkonzept auch in die Referenzbeziehung eingebunden, während Applikat und Matrix an den Vorgang der Bezeichnung angeschlossen sind (Abb. 14):
Modellerwartung
MATRIX
von
Modellinstanz / Auffassung
Modellprojektion
Urteil
Modellkonzept
APPLIKAT
für
Repräsentation durch Signifikation Referenz durch Exemplifikation
MODELLOBJEKT
Referenz durch Exemplifikation
Abb. 14: Das Modell als Produzent von Zeichen – Repräsentation und Referenz
Was heißt dies für die Funktionalität der Zeichen? Der symbolischen und der mentalen Repräsentation der Mimesis tritt mit der Modellierung ein Verfahren an die Seite, das den (vorgängigen oder zukünftigen) Gegenstand nicht nur vertreten, sondern ihn in seinen Eigenschaften simulieren, wenn nicht gar – und sei es temporär – substituieren will (vgl. Gramelsberger 2016, 73). Besteht „the most significant feature of a simulation“ in der Fähigkeit „to imitate one process by another process“ (Hartmann 1996, 77), dann ist Mimesis ein simulierendes Verfahren im Bereich der literarischen Fiktion. Dass diesem simulierenden Geschehen dabei kein empirisches zugrunde liegen muss (die ‚echte‘ Welt), ist freilich kein Spezifikum des Fiktionalen. So hat Ulrich Krohs für technische Prozesse, die ein künftiges Systemverhalten simulieren oder überhaupt ein künftiges System entwerfen, den Begriff der „pre-imitation“ geprägt (Krohs 2006, 10). Das theoretische Modell (Konzept), das den Prozess beschreibt, ist dabei vom dynamischen Modell zu unterscheiden, das im simulierenden Verfahren Zukünftiges abbildet, sprich: vor-imitiert. Das Applikat des Vorgangs ist ein Simulakrum, das zum theoretischen Modell und zum Objekt der vorgefundenen bzw. schöpferischen Wirklichkeit in einer Ähnlichkeitsbeziehung steht. Adäquatheit (Stimmigkeit) erscheint hier als Kriterium der Qualität des Vorgangs, während im empirischen Verfahren Akkuratheit, die exakte Messung und Verzeichnung des Beobachteten zählt. Der epistemische Gewinn der Simulakren liegt in ihrer Fähigkeit, den Mechanismus des empirisch Nicht-Beobachtbaren
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freizulegen: „A non-accurate simulation […] can be of great epistemic value if it sheds light on mechanisms, on qualitative peculiarities, on quantitative behavior within a certain parameter space, on the realizability of a certain dynamics with a system of a particular sort, etc.“ (Krohs 2006, 12). Im literarischen Prozess – dem Narrativ, der theatralen Perfomanz, der Rezeption – wird diese Virtualität des Stimmigen im Modus der Fiktion getestet, einer Form der Teilhabe, die ihre motivierten Zeichen einerseits – qua Modellierung – mit Pragmatik auflädt, sie jedoch zugleich vom Handlungsdruck befreit. Im postmodernen Denkstil Barthes’ und Baudrillards kann Iser daher das modellbildende Simulakrum als „historisch […] auslaufende Spielart der Mimesis […] verstehen, nicht zuletzt, weil es durch seinen Nachahmungshabitus eine Gegenständlichkeit vortäuscht und diese zugleich als Täuschung zu erkennen gibt“ (Iser 2013, 111). Dem Pessimismus, der hier anklingt und die Vorstellung von einer ‚Präzession der Simulakra‘ weiterführt, steht der aktionsbestimmte Optimismus einer – retro- oder prospektiven – Repräsentation durch Teilhabe entgegen, wie er für modellgeleitete Entwurfsverfahren typisch ist. Ein (nicht nur) literarisches Modellobjekt bezieht sich, so verstanden, auf sein Quellobjekt und auf sein Zielobjekt, indem es deren relevante materiale, strukturale und prozessuale Eigenschaften teilt. Die Referenz vollzieht sich also idealiter mit Elementen des Bezugsobjekts bzw. der Bezugsobjekte Matrix/Applikat/ Modellobjekt, d. h. als exemplifizierender Prozess (der strenggenommen aufhört, Referenz zu sein). Mit Nelson Goodmans Worten: „Exemplification is possession plus reference.“ (Goodman 1968, 53). Dem exemplifizierenden Prozess kommt Interpretationscharakter zu; er tritt damit in Gegensatz zum Referenztyp der Denotation: „[I]f the elements [of a diagram] are antecedently distinguished into two categories, A and B, and every single-headed arrow runs from an A to a B, then reference from an A to a B here is always denotation, reference from a B to an A exemplification.“ (58). Letztere ist weniger frei: The constraint upon exemplification as compared with denotation derives from the status of exemplification as a subrelation of the converse of denotation, from the fact that denotation implies reference between two elements in one direction while exemplification implies reference between the two in both directions. (59)
Genau dies ist beim Modellieren der Fall. Goodmans eigener Modellbegriff kommt dieser Form der motivierten Referenz entgegen: „a model is an exemplar or instance of what it models“ (171). Es fragt sich freilich, wie sich dieses exemplifizierende Verfahren seinerseits zur Geltung bringt. In welchem Aufschreibesystem erscheint es und in welchen Medien ist es dargestellt? In welchem Konnex stehen die an diesem Repräsentationsprozess beteiligten Signifikanten mit den Elementen der modelltypischen Exemplifikation? Anders formuliert: Wie werden die modelltypischen Zeichen vom Prozessverhalten der Modellobjekte, ihren
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temporalisierten Materialien, Formen und Strukturen affiziert? Und umgekehrt: Wie affizieren sie im Zuge der modellbegleitenden Bewertungs-, Korrektur- und Lehrprozesse die Modellobjekte und Modellkonzepte? Wenn Modelle dadurch zu semiotischen Akteuren werden, dass sie Repräsentationsformate generieren (Texte, Bilder, Graphen), und zwar solche, die den Ablauf und Erfolg (bzw. Misserfolg) der Referenz/Exemplifikation fixieren, dann wird die genannte Eingangsfrage nach der Art der Zeichen umso drängender. Wie wäre ein semiotisches Verfahren vorzustellen, das mit der Modell-Exemplifikation verbunden ist? ‚Referring with possessing‘ würde dann – im Modellieren – als Verfahren einer Signifikation erscheinen, die durch ihre materiale, strukturale und prozessuale Teilhabe an den Bezugsobjekten motiviert erscheint (im Gegensatz zu Derridas Konzept der Teilhabe im Gattungskontext, das er als „participation without belonging“ beschreibt; Derrida 1980, 206). Die erste Annahme verweist auf die Natur der Zeichen: die im exemplifizierenden Modellbildungsverfahren eingesetzten Zeichen sind nicht länger arbiträr. Die zweite Annahme, die auf die Art der Motivierung zielt, bezieht sich auf den energetischen, dynamischen und interaktionistischen Aspekt modellhafter Semiose – Rekursion, Simulation und Rekonstitution. Sie fragt zugleich nach der Funktion und Intention der modellierenden Instanz. Die Zeichen des Modells sind nämlich Handlungszeichen, deren Agency nicht mit der Agency der modellierenden Instanz identisch ist. Entsprechend konstatiert Sybille Krämer die Funktion und Medialität der ‚verkörperten Sprache‘: Die produktive Kraft des Performativen erweist sich nicht einfach darin, etwas zu erschaffen, sondern darin, mit dem, was wir nicht selbst hervorgebracht haben, umzugehen. Es geht um die ‚Handhabung‘ von etwas, das nicht auch gemacht wurde; um den Umgang mit Bedingungen, die nicht völlig in unsere Macht gestellt sind. […] Ereignisse, die mit sinnhaften Phänomenen verbunden sind […], haben immer auch den Charakter eines operativen Geschehens, das mit den Termini des intentionalen Handelns nicht hinreichend beschreibbar ist. […] Dies ist nicht als Leibapriori im Sinne einer vorgängigen Körperlichkeit zu verstehen, sondern als Frage nach der Materialität, nach den ‚stummen‘, den vorprädikativen Formgebungen von Sinn. (Krämer 2002, 345)
Was Krämer hier für die Funktion der Schrift beschreibt, trifft umso mehr auf das Modell als Medium der Handlungszeichen zu. Die Zeichen des Modells sind die semiotische Verkörperung des Modellierten, des Modellobjekts und der Modellinstanz. Dass ihre ‚Handhabung‘ gelingen kann, setzt, so die These Krämers, die partielle Auflösung der Unterscheidung von Signifikat und Signifikant voraus (vgl. 2002, 340). Hier stellt sich dann die Frage nach der Adäquatheit der semiotischen performance neu, die Lessing als ‚bequemes Verhältnis‘ entwarf (vgl. Lessing 1996 [1766], 102–104). Die Sukzession der sprachlichen Signifikanten, die nach Lessing das Metier der Dichtung ist und im Dramatischen die adäquate,
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weil ‚bequemste‘ Form gefunden hat, signalisiert bereits ein temporales, doch noch kein dynamisches Moment. Dies wird zum Ansatzpunkt von Lessings Antipoden Herder: „Der Begriff des Sukzessiven“, schreibt er 1769 mit Bezug auf den Laokoon, „ist zu einer Handlung nur die halbe Idee: es muss ein Sukzessives durch Kraft sein: so wird Handlung“. Herder setzt dabei auf eine Signifikation, die „in der Abwechselung teils, teils in dem Ganzen, das sie durch die Zeitfolge erbaut, energisch wirket“, eines Ganzen nämlich, „dessen Teile sich nach und nach äußern, dessen Vollkommenheit also energesieret“ (Herder 1993 [1769], 196). Dieser Aufbau eines Ganzen durch ein zeitliches Kontinuum, das über diskontinuierliche Momente – Abwechslung – „energisch“ aufgeladen wird, dynamisiert den strukturalen Ansatz Lessings durch ein energetisches Prinzip der Performanz. Die Kommunikation der Teile treibt dabei – durch ihren Austausch – das Gesamtsystem aus sich hervor, wobei die Kraft, die solches anregt, aus der Mitte der „Substanz“ des Ganzen emergiert. Man könnte darin das semiotische Prinzip der Modellierung vorgebildet sehen, das den motivierten Zeichen einen motivierten, involvierten Signifikationsprozess zur Seite stellt. Er operiert bereits mit einer Form der Agency, die diesen Zeichen eine individuelle Mächtigkeit, man könnte sagen: einen Eigensinn bei der Gestaltung des Bezeichnungsvorgangs zuerkennt und so die Macht des gleichsam apriorischen Modellurteils begrenzt. So würde hier auch auf der Ebene der Zeichen – wie schon auf der Ebene der Referenzen – aus Teilhabe Interaktion. In dieser Hinsicht ist dann auch die Form des Kunstwerks nicht mehr kontingent. Die Form, so Roland Barthes, ist nunmehr das, was der Kontiguität der Einheiten gestattet, nicht als bloßes Zufallsereignis in Erscheinung zu treten: das Kunstwerk ist, was der Mensch dem Zufall entreißt. Und das macht vielleicht verständlich, warum die sogenannten nichtgegenständlichen Werke dennoch im höchsten Grad Werke sind: weil das menschliche Denken sich nicht in der Analogie von Kopie und Modell ausdrückt sondern in der Genauigkeit der Anordnungen […]. (Barthes 1966, 194)
Da Lévi-Strauss zufolge modellierte Wirklichkeit die Wirklichkeit sozialer Formen ist (und nicht natürlicher im Sinne der exakten Wissenschaften), ist die Konstruktivität derselben unschwer einzusehen. Der Modellbeobachter beobachtet auf diese Weise eine Matrix, die man als modellaffin beschreiben kann. Nun könnte man auch literarische Produkte als soziale Formen fassen, die durch ihre Konstruktivität modellaffin und daher für Modellbeobachtung besonders aufgeschlossen sind. Als Textmodelle werden sie zu Weltmodellen, die sich selbst beobachten – als Handlungs-, Spiel- und Lebensraum. An dieser Selbstbeobachtung hat der Beobachter pragmatisch teil. Emphatisch ausgedrückt: „Man wird zu dem, was man erkennt, indem man dessen Form nachvollziehend aktualisiert.“ (Wellbery 2019, 192).
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6 Modell und Modalität Text, Modell und Spiel „Die Sprache eines künstlerischen Textes ist“, so Jurij Lotmans Credo, „ihrem ganzen Wesen nach ein bestimmtes künstlerisches Modell der Welt und gehört in diesem Sinne mit ihrer ganzen Struktur zum ‚Inhalt‘“ (Lotman 31989 [1972], 35). Das Modell wird somit in der Tat – als „Weltmodell“ und als Strukturmodell – zum Inhalt der poetischen Fiktion. Mit Blick auf diese Leistung der Modelle zeichnet sich bereits bei Lotman eine Abkehr von der Abbildtheorie des Modellierens ab: „Ein sekundäres modellbildendes System vom Typ Kunst konstruiert sein eigenes System von Denotaten, das nicht etwa eine Kopie, sondern ein Modell der Welt der Denotate in allgemeinsprachlicher Bedeutung darstellt.“ (77). Dabei tritt das Textmodell zugleich auch in Distanz zu seinem Quellsystem, auf das es differentiell reagiert: „Ein künstlerischer Text ist keine Kopie eines Systems: er fügt sich aus bedeutsamen Erfüllungen und bedeutsamen Nichterfüllungen der Forderungen des Systems zusammen.“ (324). Da, so die modale Konsequenz der strukturalen Überlegung, „das Kunstwerk grundsätzlich eine Abbildung des Unendlichen im Endlichen, des Ganzen in einer Episode ist, kann es nicht als Kopie seines Objektes in dessen eigenen Formen angelegt sein. Es ist die Abbildung einer Realität auf eine andere, das heißt immer eine Übersetzung.“ (301). Der Moduswechsel ist ein Formargument. Wo also doch von Abbildung die Rede ist, wird sie zum Synonym für amimetische Modellbildung im angeführten Sinne. Sie ersetzt dabei – das ist die eigentliche Leistung – den tradierten Dualismus Inhalt/Form durch eine ‚idealreale‘ Wirkstruktur. Sie siedelt im Modell: Eine Idee ist in der Kunst immer ein Modell – denn sie schafft ein Abbild der Wirklichkeit. Infolgedessen ist eine künstlerische Idee außerhalb einer sie realisierenden Struktur undenkbar. Der Dualismus Form – Inhalt muß ersetzt werden durch den Begriff der Idee, die sich in einer adäquaten Struktur realisiert und außerhalb dieser Struktur nicht vorhanden ist. (27, meine Hervorhebung)
Lotman definiert damit den dritten Term der Formgeschichte als modalpragmatisches Handlungsmodell. Dies gilt auch für die Ebene der Zeichen: „Eine Abgrenzung von Ausdrucks- und Inhaltsebene in dem in der strukturellen Linguistik üblichen Sinne ist [in der Kunst] überhaupt schwer vorstellbar. Das Zeichen ist hier das Modell seines Inhalts.“ (40). Diese Mikromodellierung unterstützt auch Lotmans Insistieren auf einer ‚Sprache der Kunst‘:
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So bewirkt die bloße Aufnahme eines Wortes in einen dichterischen Text eine entscheidende Veränderung seiner Natur: aus einem Wort der Sprache wird es zu einer Reproduktion dieses Wortes der Sprache und verhält sich zu ihm ebenso wie das Abbild der Wirklichkeit in der Kunst zu dem reproduzierten lebendigen Vorbild. Das Wort wird zum Zeichenmodell eines Zeichenmodells und unterscheidet sich damit auch durch seinen semantischen Sättigungsgrad ganz entscheidend von den Wörtern der nichtkünstlerischen Sprache. (212)
Die künstlerische Poiesis entwirft dabei aus ihren Materialen, welche „ihrem Wesen nach systemhaf[t]“ sind, in ihrer sekundären Modellierung „ein Modell des Nichtsystemhaften“ (96). Die Kreuzung der am künstlerischen Text beteiligten Systeme, des primären und des sekundären, bringt hier also ein Modell hervor, das etwas Nichtsystemhaftes hervorbringt – ein Entwurfsmodell. Es löst das Repräsentationsmodell strategisch ab. Hier nähert sich das Lotmansche Verfahren einer Theorie poetischer Erkenntnis, die auf zwei Voraussetzungen ruht: zum einen bildet das Modell des Nichtsystemhaften die Matrix einer neuen Modellierung, die als sekundäre wieder selbst systemhaft wird (als künstlerischer Text). Zum zweiten stellt sich bei der sekundären Modellierung das Problem der künstlerischen Agency. Dieselbe sei, so Lotmans These, von der lebensweltlichen Pragmatik strikt zu trennen – wenn auch niemals ganz, denn „[i]m Bereich der Verhaltensweisen [sind] praktische Tätigkeit und ‚Arbeit am Modell‘ scharf getrennt, obwohl sie miteinander korrelieren“ (97). Dieses Korrelieren, die geteilte Agency von lebensweltlicher und fiktionaler Praxis an der Grenze von Systemhaftem und ‚Nichtsystemhaftem‘, gerät nun zusehend ins Zentrum von Lotmans Modelltheorie. Wenn die Systeme nämlich mit der Modellierung erst entstehen, dann befriedigt eine strikte Trennung nicht. Hier findet sich zum Glück, so Lotman, „eine modellierende Tätigkeit, der eine solche Abgrenzung nicht eigentümlich ist: das Spiel“ (97). Mit dieser Tätigkeit des Modellierens, die real und irreal, pragmatisch und symbolisch, regelhaft und zufällig zugleich erscheint, gelingt es Lotman, das Modell des künstlerischen Textes auf drei Phänomene hin zu öffnen: Kontingenz bzw. Indeterminiertheit, Emergenz und Performanz: „Das Spiel modelliert die Zufälligkeit, die unvollständige Determiniertheit, die Wahrscheinlichkeit von Prozessen und Erscheinungen […]. Das Spiel reproduziert auf besondere Weise die Vereinigung von gesetzmäßigen und zufälligen Prozessen.“ (102). Sein „Mechanismus“ ist sein Modalitätsmanagement: Der Mechanismus des spielerischen Effekts beruht nicht auf einer statischen gleichzeitigen Existenz verschiedener Bedeutungen, sondern auf dem ständigen Bewußtsein der Möglichkeit anderer Bedeutungen. Der spielerische Effekt besteht darin, daß die verschiedenen Bedeutungen eines Elementes nicht unbeweglich koexistieren, sondern „flimmern“. (107)
Als „quasi-Tätigkeit“ erhält das Spiel bei Lotman die Funktion, die Modellierung fiktionalen Handelns darzustellen. Sein Pendant ist die Modellbildung der Wis-
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senschaft. Aus Spiel und Wissenschaft entsteht, so Lotmans kühne These, das Modell der Kunst: Künstlerische Modelle nun stellen eine in ihrer Art einzige Vereinigung von wissenschaftlichem und Spielmodell dar, indem sie gleichzeitig den Intellekt und das Verhalten organisieren. Das Spiel erscheint im Verhältnis zur Kunst als inhaltslos und die Wissenschaft als wirkungslos. (110)
Die Spiel- und Wissenschaftsmodelle liefern hier die rein formalen Mechanismen für das Kunstmodell. Mit diesem Hinweis auf die Leistung nicht-poetischer Modelle im poetischen Modell führt Lotman einerseits die Frage nach der Existenz und Art poetischer Systeme auf die Frage nach Modelltypen zurück und gibt, zum anderen, den Auftrag, diese nicht-poetischen Modelle als Konstituenten literarischer Systeme ernstzunehmen. Auch in diesem Sinne ist die literarische Modellpoetik ein ‚intermodellares‘ Projekt. Modellgeschichte als Geschichte des Verhältnisses von Form, Modell und Medium ‚verwirklicht‘ sich in der Aktion des Spiels. Der dritte Term, mit dessen Auffindung die Formkritik so sehr beschäftigt war und der den Gegensatz von Form und Inhalt überwinden sollte, ist im Medienwandel zum Objekt des digitalen Spiels geworden – zum Modellobjekt als Generator jener Möglichkeiten, die in kooperativen Anwendungen zu ‚realen‘, sprich: veränderbaren Bildwelten, Erzählwelten und Handlungswelten werden, zum Erlebnis- und Erfahrungsraum. Indem sie Virtualität begehbar machen, lösen die Modelle neuen Typs nicht nur den Gegensatz von Form und Inhalt, sondern auch die Differenz von Wirklicheit bzw. ‚Wahrheit‘ und Fiktion strategisch auf. Und dies nicht etwa dadurch, dass sie Wirklichkeit in Schein verwandeln, sondern dadurch, dass sie das Modell des Wirklichen verändern, durch verändertes Modalitätsmanagement. Die Aktualisierungen des Virtuellen, die sie möglich machen, ändern dabei die Struktur der Matrix selber, ihre Form. Dies allerdings kann nur gelingen, weil Modelle immer schon als Organisationsmaschinen literarischer Dynamiken und Formen tätig waren: als Voraussetzung der strukturalen (narrativen) und modalen (fiktionalen) Modellierung einer zweiten Welt.
Modale Performanz Modalität – als Steuerung von Seinszuständen und Verbindlichkeiten – zählt zu den zentralen Aufgaben des Modellierens. Anders formuliert: Die genuine Leistung von Modellen liegt in ihrem Modalitätsmanagement. Modelle haben kein Problem mit Unterscheidungen wie Empirie und Konstruktivität, Realität und Idealität, Faktualität und Fiktionalität und Repräsentation und Performanz. Nicht,
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weil sie diese Umgangsweisen mit der Welt negieren, ignorieren oder nivellieren, sondern weil sie diese immer schon in ein Verhältnis setzen. Sie steuern Modalität. Zum einen als Verwirklichungsmaschinen, die bestimmen, unter welchen Rahmen-, Ziel- und Pfadbedingungen sich Potenzielles aktualisiert und Ideelles materialisiert. Zum andern als Ermöglichungsmaschinen, die Reales virtualisieren und Materie in Idee (zurück)verwandeln. Sie sind Leistungs- und Funktionsträger modaler Form- und Zustandsänderungen, Grundleger der Transfiktion. Modelle operieren einerseits mit Hilfe und im Geltungsrahmen der vier klassischen Modalitäten: der logischen, der ontischen, der epistemischen und der deontischen Modalität. Sie kontrollieren die Vermeidung von systeminternen Widersprüchen (logisch), regeln Sachverhalte und die Regeln dieser Sachverhalte (ontisch), prüfen Aussagen der modellierenden Instanzen (epistemisch), testen und bewerten die Applikation (deontisch). Modelle aber modellieren auch die Modi selbst. Sobald die Modi nämlich in ein praktisches Verhältnis treten, sprich: dynamisch werden, unterliegen sie der für Modellbildungen typischen Finalität. Entsprechend wandelt sich ihr eigenes Modalprofil. Die Wirklichkeit wird zur Verwirklichung, die Möglichkeit erweist sich als Ermöglichung, das Sollen wandelt sich zur Suche nach der Weise, wie die angestebte Norm erzielt werden kann. Modellbildung erzeugt gemischte Modi, etwa die „Funktionserfüllungs-Notwendigkeit“, den „Sachzwang“, die „Lebensnotwendigkeit“ und die „Verwirklichbarkeit“. Hans Poser hat für diesen Typus den Begriff der Handlungsmodalitäten gewählt: „All diese technikbezogenen Modalitäten […] nehmen Sachverhalte auf und verbinden sie mit deontischen Prinzipien, die für Handlungen gelten.“ (Poser 2016, 165). Die Objektdisposition, für etwas funktional zu sein, liegt dabei auch in den Objekten selbst; modelltechnisch gesprochen: ein Objekt ist dann für seine Rolle als Modellobjekt geeignet, wenn es sich zur Auffassung der modellierenden Instanz kompossibel verhält – wenn also beide die Modaldisposition ‚Verwirklichungsermöglichung‘ teilen. Daher hat auch Poser den Modellbegriff modaltheoretisch reformuliert: Alles technische Erfinden, Entwerfen und Entwickeln geschieht im Ausgang von der Idee mithilfe von Modellen als derjenigen Form der Zeichen, in denen die Möglichkeit des zu verwirklichenden Artefakts sachgerecht zum Ausdruck gebracht wird. Jedes Element ist verzeichnet, ohne etwa schon eine Maschine zu sein – es handelt sich um eine Verwirklichungsmöglichkeit, die zugleich die Zweckerfüllungs-Notwendigkeit sicherstellen wird. (172)
Eindrücklich ist hier besonders der Verweis auf das Modell als Organisation von Zeichen, welche zwischen das Modellkonzept und dessen Verwirklichung tritt. Es sei, so Poser, anzunehmen, „dass zwischen der Idee und ihrer Verwirklichung so gut wie immer deren Repräsentation in einer geeigneten Zeichen-Form steht: Die Verwirklichungs-Möglichkeit liegt also in Gestalt von Symbolen vor, die eine
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ontische Möglichkeit repräsentieren.“ (170). Diese Doppelausrichtung modaler Tätigkeit als Praxis, die bereits in den Objekten selbst begründet liegt, und als System von Zeichen, macht den technischen Begriff der Handlungsmodalität für transdisziplinäre Anwendungen attraktiv. Wenn also vom Modellobjekt die Rede ist, dann ist hier ein Objektstatus bezeichnet, der die Ebenen der Empirie und Theorie vereint. Modellobjekte sind Quasi-Objekte und Quasi-Subjekte zugleich. Sie entpragmatisieren, virtualisieren und ermöglichen, sie aktualisieren und verwirklichen, sie nötigen und sie beglaubigen. Modellobjekte sind ‚energische‘ Objekte, die zu eigener Pragmatik fähig sind. Sie modellieren – als Modalobjekte – Handlungen. Sie generieren Handlungsmodalität. Modalitätsgeschichte lässt sich auf ganz unterschiedliche Weisen erzählen. Als Konzeptgeschichte, als Kulturgeschichte der modalen Praktiken, als Grenzfall des ästhetischen Diskurses, als Geschichte medialer Techniken. Modalitätsgeschichte als Objektgeschichte des Modalen geht von der Vermutung aus, dass die modale Praxis sich in Gegenständen ausdrückt, die man – Lévi-Strauss’ Vermutung folgend – als ‚modal affin‘ beschreiben kann. Im fiktionalen Rahmen wird zudem ein Zuschreibungsproblem erkennbar, das bereits den phänomenologischen Diskurs beunruhigt hat: die Suche nach ‚den Sachen selbst‘ im Kontext einer Wahrnehmung, von der man annimmt, dass sie diese Sachen – im Prozess des Wahrnehmens – konstituiert. Wenn es sich demzufolge „bei der Wahrnehmung nicht etwa um die Übertragung der Realität in das Bewußtsein handelt, sondern um die Konstruktion von hypothetischen Modellen der Realität“ (Turnovský 1987, 65), dann wird die Leistung des Modalen zum Problem der Modelltheorie. Die Dialektik dieser gegenseitigen Konstitution von Ding und Auffassung erscheint als Daueraporie im Spannungsfeld von psychologischer und transzendentaler Begründung, und sie tritt als solche auch in die ästhetische Debatte ein. Gerade hier, wo der Objektcharakter des Ästhetischen, das Werk, verteidigt werden soll, entsteht ein Theoriediskurs, der Virtualität pragmatisch denkt und deren Motorik erforscht. Von Moritz Geiger über Roman Ingarden bis zu Mikel Dufrenne bearbeitet die phänomenologische Ästhetik das Objektproblem als ein Problem formaler Agency. Dies wirft die Frage auf, ob das ‚ästhetische Objekt‘ des phänomenologischen Diskurses nicht mit dem Modellobjekt der literarischen Modellbildung identisch sei. Das Tertium der beiden Ansätze besteht in der Synthese dreier Differenzen: 1. der Differenz von Idealität und Realität, 2. der Differenz von Theorie und Praxis sowie 3. der Differenz von Repräsentation und Referenz. Voraus geht dieser Synthesis die Tätigkeit der Auffassung, die auf das jeweilige Quellsystem gerichtet ist. Entsprechend konstatiert Dufrenne: „The work of art is whatever is recognized and held up as such for our approval.“ (Dufrenne 1973 [1953], LVII). Die Auf-
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hebung der Differenzen leistet jeweils ein Quasi-Objekt. Im phänomenologischen Diskurs ist dies die Stunde des ästhetischen Objekts als agent: „[T]he correlation of the object with the act which grasps it does not subordinate the object to that act.“ (LI). Es existiert vielmehr als Einheit, die vom Gegenstand und Akt der Auffassung getrennt verhandelt werden kann: „We can […] locate the aesthetic object by examining the work of art as a thing in the world, independently of the act which aims at it.“ Als Gegenstand der Wirklichkeit erfüllt das Kunstwerk seinen Auftrag, vorzuführen, „how aesthetic experience is realized in fact“ (LIII), wogegen das ästhetische Objekt als Medium ästhetischer Erfahrung ein Produkt des Rezipienten ist: „the aesthetic object is the work of art as perceived“ (LII). Von Anfang tritt dabei die modale Seite des Problems hervor. Wenn Georg Lukaćs etwa schreibt, erst die spezifische Potenz des Kunstwerks, suggestiv zu sein, ermögliche „Erlebbarkeit“, dann überlagern sich hier drei gemischte Modi: 1. die Ermöglichung des (zukünftig) Erlebbaren durch eine Nötigung – die Suggestion –, in deren Folge 2. das Erlebbare zunächst verwirklichbar und endlich 3. zum Erlebten wird. Modalisiert wird dabei auch das Wahrnehmungssubjekt, der sog. „Receptive“, der als „Instrument, in dem gewisse, genau bestimmte Möglichkeiten zu lautwerdenden Tönen stecken“, erscheint (Lukaćs 1974 [1912–14], 73; vgl. Bensch 1994, 55). Der Receptive wird hier also selbst verdinglicht und gerät dabei in eine Experimentalsituation: als Medium im kontrollierten Rahmen. Auch bei Lucaćs sind die Möglichkeiten – sprich: die Freiheitsgrade seiner Receptiven in der Suggestionsmaschinerie – ‚genau bestimmt‘. Die Receptiven unterliegen also einer Steuerung, die wesentlich modale Züge trägt. Wer aber steuert hier? Die Agency, erklärt Dufrenne, liegt nicht im Werk und nicht im Receptiven, sondern im ästhetischen Objekt als Regulator der Verwirklichung: In the relationship which unites the aesthetic object with me and subjects me to the aesthetic attitute, it is, after all, the aesthetic object which has the initiative. I am only the occasion for the logos of feeling to deliver itself and speak through me. […] I am only the instrument of this realization. It is the object which commands. (Dufrenne 1973 [1953], 231)
Als Träger von modalen Handlungen wird das ästhetische Objekt zum energetischen, denn es hört auf, nur Projektionsfläche sozialer Energie zu sein. Ästhetisches Objekt und Wahrnehmungssubjekt vertauschen ihre Rollen; das Subjekt erscheint als Anlass, Medium und – wie bei Lukaćs – auch als Instrument des Virtuellen, das sich unter der Kontrolle des ästhetischen Objekts im Subjekt formt: We must not confuse the virtual with the possible here. In the subject, the virtual already exists, even if it is not actualized or made explicit. The opportunity to be made explicit as knowledge is proposed by the world, since the subjective a priori is nothing more than the comprehension of the objective a priori: the subjective a priori remains virtual because the objective a priori remains possible. (Dufrenne 1966, 202; vgl. Békési 1999)
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Ästhetische Erfahrung – das ist das Entscheidende – ist ein Kontrollverlust. Wenn aber im ästhetischen Objekt die Potenzialität des physischen Objekts entfaltet werden soll, dann muss sich das ästhetische Objekt mit dem Modellobjekt verbinden – mit der Steuer- und Verwirklichungspotenz, die sich in ihm zum Ausdruck bringt. Aus Sicht des modellistischen Funktionsmodells bedeutet dies, dass im modellpoetischen Verfahren das ästhetische Objekt als solches sichtbar, nämlich in der Wirklichkeit der Zeichen fassbar wird – als literarische Form. ModellobjektSein und Ästhetisches-Objekt-Sein sind die beiden Rollen des verwirklichten Modalobjekts. Als energetisches erscheint es, weil es auf der Basis eines epistemischen Begehrens Modalität modelliert. Als Transform des Modellgeschehens macht es den poetischen Prozess im Sinne Mahrs befragbar und betreibt, indem es steuert oder gegensteuert ohne jemals Werk zu werden, modale Werkpolitik (vgl. Martus 2007). Sie löst die Differenz von Produktions- und Rezeptionsästhetik auf zugunsten einer kooperativen oder interventionistischen Poetik, welche dann die Virtualität des phänomenologischen Subjekts – hier: der Modellinstanz – in Aktualität überführt. Die Aktualisierung und Verwirklichung, die sich im Modellieren an der Virtualität (der modellierenden Instanz) und an der Potenzialität (des zum Modellobjekt gewordenen Objekts) vollzieht, hat ihr Pendant im Feld der Rezeption. Nach Darin Tenev funktioniert das Kunstwerk als Prozessor fiktionaler Potenzialitäten, die es als Potenzen sichtbar macht. Es indiziert somit die eigene „transformability“, die Fähigkeit zur Produktion der Transform und – modal gesprochen – auch der Transfiktion: The transformability requires to be alert not only to something already given, but also to the modalities of the literary object. The literary object reveals itself, it indicates its own potentialities. It reveals itself not in making statements about what it is, what the reality is, but by the way it relates to itself […]. (Tenev 2017, 3)
Auf diese Weise aber ‚potenzialisiert‘ das Kunstwerk auch die Aktualisierung seiner Potenziale – und limitiert sie zugleich. So tritt das Kunstwerk als Ermöglichungsbedingung und als Steuereinheit seiner Aktualisierungsweisen auf. Die Orientierung, die es hierbei liefert, ist nach Tenev keine Determination: „[T]he actualizations are inscribed in a generally indeterminate way. This very inscription is a potentialization.“ (Tenev 2013, 167). In dieser individuellen, nicht-verallgemeinerbaren Regulierung seiner Möglichkeiten liegt das Rezeptionskalkül des Werks verborgen, sein Modellkonzept. Der Auftrag des Modellverstehens zeigt sich dabei wieder als Verfahren eines reverse engineering, das die Analyse als ‚Verwicklung‘ in die Eigensinnigkeit des Kunstwerks entwirft: „The model researcher […] directs his formalization back to the work, so that the ‚Eigensinn‘ starts functioning as a formal indication of the
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process of modelling within the literary object.“ (Tenev 2017, 3). Tenev präzisiert hier eine Überlegung zur Modellpoetik (vgl. Erdbeer 2015), wenn er zwischen „context indices“ und „potentiality indices“ trennt (Tenev 2017, 3). Die Aufgabe des literarischen Remodellierens liegt dann in der Freilegung der Potenzialisierungssteuerung des Kunstwerks selber – in „a study of the potentiality index“ –, die „within the framework of the poetics of the model“ zu betreiben sei. „It is only on the level of the literary object indicating its own potentiality that we can fully grasp its dynamic aspect.“ (Tenev 2017, 3.) Das Kunstwerk funktioniert hier aber nicht als ‚Möglichkeitscontainer‘, der vom Rezipienten gleichsam zu ‚entleeren‘ wäre, sondern als Prozessor der modalen Rekursivität. ‚Modellidentität‘ im Sinne dieses Ansatzes ist der beständige re-entry der gemeinsam prozessierten Aktualisierungen in den Kontrollbereich der textuellen Materialität. Der Zugang zum Modell gelingt dabei nach Tenev nicht durch den direkten Zugriff, sondern nur durch eine Analyse jener Aktualisierungen, die in den theoriegeleiteten Lektüren immer schon geleistet sind. Um also ein poetisches Modell auf seine Potenzialisierungskraft zu testen, müsse man, so Tenev, auf der Basis der im Werk verfügbaren Parameter Lektüren, sprich: Modelle produzieren, die sich gegenseitig regulieren, kontrollieren, ergänzen und ersetzen. Diese Forderung bedeutet freilich nichts Geringeres als die Beteiligung an der Modellbildung des Textes selbst, den Eintritt ins Entwurfsgeschehen, der die Interpretation als Produktion im eigentlichen, nämlich nicht-metaphorischen Sinne versteht. Schon Lévi-Strauss hat diese Partizipation – als virtuelles Management der Möglichkeiten – in seinem Konzept eines modèle reduit eruiert: Allein durch die Betrachtung gelangt der Zuschauer […] in den Besitz anderer möglicher Modalitäten des gleichen Werkes, als deren Schöpfer er sich mit größerem Recht fühlt denn der Schöpfer selbst […]; und jede dieser Möglichkeiten bildet eine zusätzliche Perspektive, in der das verwirklichte Werk gesehen werden kann. Anders ausgedrückt, die innere Kraft des verkleinerten Modells besteht darin, daß sie den Verzicht auf sinnliche Dimensionen durch den Gewinn intellektueller Dimensionen ausgleicht. (Lévi-Strauss 162013 [1962], 38; vgl. Bies 2016)
Tenev wiederum betont hier noch entschiedener den ‚nicht-verwirklichten‘ Charakter eines Textmodells und ventiliert ein partizipatives Interpretationsgeschehen, das das Spektrum der im Kunstwerk modellierten Möglichkeiten gleichsam mitmodelliert (er spricht in diesem Kontext von der „retrospective justification“ (2011, 333), die genaugenommen eine ‚begleitende Rechtfertigung‘ ist). Damit aber wäre die Bezugnahme zum Textmodell des Werks nicht länger eine analytische (im Sinne des Erklärens), keine deutende (im Sinne des Verstehens) und auch keine nur-supplementierende (im Sinne des Ersetzens und Ergänzens), sondern eine simulierende, entwerfende. Sie legt ein aus der Modellierung ihres Ausgangs-
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textes abgeleitetes Funktionsmodell – die Interpretation – an diese Matrix an. Modellgeleitete, remodellierende Lektüren würden ‚stimmig‘, wenn sie mit dem Werk Funktionen tauschen könnten, ohne sein Funktionsmodell zu destruieren. Modellverstehen wäre Modellresonanz.
Weiterführende Literatur Curtius, Ernst Robert. Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. 11. Aufl. Tübingen und Basel 1993 [11948]. Iser, Wolfgang. Emergenz. Nachgelassene und verstreut publizierte Essays. Hrsg. von Alexander Schmitz. Konstanz 2013. Lotman, Jurij. Die Struktur literarischer Texte. 3. Aufl. Frankfurt am Main 1989 [11972]. Mahr, Bernd. „On the Epistemology of Models“. Rethinking Epistemology. Hrsg. von Günter Abel und James Conant. Berlin und New York 2011: 301–352. Mahr, Bernd. „Modelle und ihre Befragbarkeit. Grundlagen einer allgemeinen Modelltheorie“. EWE 26 (2015): 329–342. Moretti, Franco. Graphs, Maps, Trees. Abstract Models for Literary History. London und New York 2007. Poser, Hans. Homo Creator: Technik als philosophische Herausforderung. Wiesbaden 2016.
Anja Müller-Wood
III.1.3 Form und Kognition 1 Einleitung Der Titel dieses Artikels ist nur scheinbar unverfänglich. Denn es gibt in den mit der in ihm hergestellten Verknüpfung befassten wissenschaftlichen Disziplinen weder Konsens darüber, was Kognition eigentlich meint (geschweige denn, wie sie funktioniert), noch wie ihr Verhältnis zur literarischen Form zu verstehen ist; was ‚Kognition‘ und ‚Form‘ miteinander verbindet, ist auf unterschiedliche Weise gedeutet worden. Die für die Mehrzahl von Geisteswissenschaftlern wahrscheinlich offensichtlichere und unumstrittenere Auslegung ist, dass literarische Form ein Produkt menschlicher Kognition (im Sinne von ‚Geist‘, ‚Bewusstsein‘, aber auch ‚Verständnis‘) ist. Diese ist eigentlich nicht Thema dieses Beitrags. Eine zweite Interpretationsmöglichkeit sieht literarische Form nicht als Ergebnis menschlicher Kognition, sondern als deren Grundlage. Diese Ansicht, mit der ich mich im Folgenden genauer befassen werde, hat sich erst in den letzten drei Jahrzehnten, im Zuge eines umfassenderen ‚cognitive turn‘ in einer Reihe von naturund geisteswissenschaftlichen Disziplinen (Philosophie, Psychologie, Linguistik und Neurowissenschaften) etabliert, der zeitlich leicht verzögert auch in die Literaturwissenschaft Eingang gefunden hat. Die beiden Interpretationen trennt ein subtiler, aber bedeutungsvoller Unter schied hinsichtlich der Konzeptualisierung von Kognition, mit unweigerlichen Implikationen für das Verständnis von literarischer Form: Erstere geht vom (rationalen und bewussten) Gehirn als dem Ausgangspunkt und dominanten Faktor bei der Produktion und der Rezeption literarischer Formen aus, die zweite kehrt dieses Verhältnis um, macht das, was üblicherweise als Ergebnis literarischen Schaffens gesehen wird, zur Basis alltäglicher kognitiver Prozesse. Diese Verschiebung führt im nächsten Schritt zu der inzwischen weit verbreiteten Mutmaßung, dass menschliches Denken das Verstehen von Metaphern und Narrativen nicht nur ermögliche, sondern selbst metaphorisch und/oder narrativ verfasst sei. Wirklich voneinander zu trennen sind diese Annahmen weder theoretisch noch praktisch, denn die zweite, nicht unkontroverse Extremposition hat sich natürlich aus der ersten entwickelt und ist immer in Gefahr, auf sie zurückzufallen. Dies liegt an einer sehr grundsätzlichen, von Kritikern immer wieder benannten Unzulänglichkeit der kognitiven Literaturwissenschaft, die häufig vorschnell (und oft ohne empirische Belege) von den (sprachlichen) Produkten menschlicher Kognition auf die ihnen zugrunde liegenden Prozesse schließt (vgl. Gibbs 2000, 351; Zymner 2009, 138– 139). Diese Forschung ist somit zumeist nur formbeschreibend, nicht aber genuin https://doi.org/10.1515/9783110364385-008
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formerklärend, und scheint sich oft nur in der Terminologie von den traditionellen textnahen Lesarten zu unterscheiden, von denen sie sich abzugrenzen meint. Ganz grundsätzlich geht die im Folgenden summarisch ‚kognitive Literaturwissenschaft‘ genannte Perspektive also davon aus, dass bestimmte Aspekte literarischer Form direkt mit grundlegenden konzeptuellen Strukturen des Gehirns korrelieren. Figurative Sprachphänomene wie Metaphern und Idiome, die Existenz des Erzählens ebenso wie der komplexen, verschachtelten Multiperspektivität menschlicher Erzählungen, aber auch die Fähigkeit des Lesers, literarische Form intuitiv zu verstehen, zu produzieren und sich ihr immer wieder – und mit Freude – auszusetzen, haben Literaturwissenschaftler zu der Annahme geführt, dass literarische Form ein Abbild menschlicher Kognition sei; dass die Existenz ästhetischer Formen nicht nur unseren kognitiven Fähigkeiten geschuldet ist, sondern dass diese die Grundstrukturen menschlicher Kognition reflektieren. Gemäß dieser Behauptung ist literarische Form nicht das Endergebnis kognitiver Aktivität, sondern deren Grundlage: Wir können gar nicht anders, als ‚literarisch‘, ‚metaphorisch‘ oder ‚narrativ‘ zu denken. Diese naturalistische Anmutung ist zwar der kleinste gemeinsame Nenner einer Reihe von kognitiv geprägten Spielarten der Literaturwissenschaft, von einer kognitiven Literaturwissenschaft kann aber trotzdem nicht die Rede sein. Vielmehr versammeln sich unter dieser Bezeichnung unterschiedliche, nur selten in Einklang gebrachte Perspektiven, die sich grob schematisch in zwei scheinbar voneinander unabhängige methodische Schulen unterteilen lassen: Die in der Tradition der klassischen Stilistik stehende kognitive Poetik und die ‚post-klassische‘ kognitive Narratologie. Deren Vertreter scheinen mehr oder minder ausdrücklich bestrebt, sich voneinander abzugrenzen (vgl. Stockwell 2008, 591; zur Kritik daran siehe Sternberg 2003 und 2009), auch wenn ein Außenstehender an ihnen vor allem Familienähnlichkeiten erkennen mag. Aus pragmatischen Gründen wird im Folgenden auf eine detaillierte Darstellung dieser Unterscheidungen verzichtet (ähnlich wie Brône und Vandaele, die in dem von ihnen herausgegebenen Band Cognitive Poetics: Goals, Gains and Gaps (2009) eine breite, wissenschaftliche Schulen übergreifende Auswahl von Autoren vereinen). Die folgende Passage aus dem besonders einflussreichen einführenden Buch zur kognitiven Poetik, Peter Stockwells Cognitive Poetics: An Introduction (2002), soll einige der problematischen Grundannahmen kognitiver Literaturwissenschaft jeder Couleur verdeutlichen: Image schemas are mental pictures that we use as basic templates for understanding situations that occur commonly. We build up image schemas in our minds, and we tend to share particular image schemas with the community in which we live, on the basis of our local bodily interaction with the world. Like figure and ground and many other concepts in cognitive linguistics, image schemas are embodied: we have a physical and material picture
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of image schemas such as journey, container, conduit, up/down, front/back, over/ under, into/out of, and others (image schemas are conventionally written in small capitals like this). (Stockwell 2002, 27)
Die Behauptung, dass Kognition schematisch sei, ist den meisten kognitiven literaturwissenschaftlichen Perspektiven gemein, egal mit welchen Aspekten literarischer Texte sie sich konkret befassen. Gemein ist ihnen aber auch, wie sie diese Annahme präsentieren: Nicht als nach wie vor zu belegende Hypothese, sondern als gegebenes Faktum. Dabei ist die Existenz der hier eingeführten ‚Image Schemas‘ – ein Konzept aus der kognitiven Linguistik – nicht bewiesen; weder hinsichtlich ihrer Provenienz noch ihrer Mechanismen können abschließende Aussagen gemacht werden (vgl. Eibl 2014, 13–14; Gibbs 2008). Problematisch ist aber auch, dass diese Schemata hier aus verschiedenen Blickwinkeln gesehen werden: Zum einen als individuelle Produkte menschlicher Kognition („we build up image schemas in our minds“), zum anderen als kulturell geprägte Phänomene. Diese beiden Dimensionen werden in der Praxis nicht immer deutlich genug unterschieden. Die Diskrepanz zwischen der selbstbewussten Darstellung des hier vorgestellten Konzepts und dessen in doppelter Weise unsicheren Status ist, wie sich zeigen wird, typisch für die kognitive Literaturwissenschaft im Allgemeinen. Kognitionswissenschaftliche Annahmen und Erkenntnisse sind in der Literaturwissenschaft zwar nach wie vor marginal, ihre Vertreter beanspruchen für sie aber eine besonders innovative, ja revolutionäre, Bedeutung. Dass diese Annahmen und Erkenntnisse durchaus einsichtig sind, erklärt sich nicht zuletzt daraus, dass sie die Realität menschlicher Sprache adäquat nachzeichnen. Darüber hinaus scheinen sie diesen Disziplinen und ihren Vertretern durch das Argument, vermeintlich künstliche literarische Formen entsprächen alltäglichen menschlichen Kognitionsprozessen, eine außergewöhnliche Bedeutung zuzugestehen: „Although literary texts may be special, the instruments of thought used to invent and interpret them are basic to everyday thought. Written works called narratives or stories may be shelved in a special section of the bookstore, but the mental instrument I call narrative or story is basic to human thinking.“ (Turner 1996, 7). Dieser kognitionswissenschaftlichen Naturalisierung literarischer Phänomene ist es sicherlich zu verdanken, dass in Disziplinen, in denen das eingehende Studium literarischer Texte lange Zeit verpönt war, das ‚close reading‘ wieder salonfähig geworden ist (vgl. Adler und Gross 2002). Nichtsdestotrotz ist die kognitive Literaturwissenschaft seit ihren Anfängen von berechtigter Skepsis begleitet worden. Zu einfach erscheinen die ihr zugrundeliegenden post hoc Ableitungen von real ablaufenden kognitiven Prozessen auf Basis von sprachlich-literarischen Phänomenen; zu unbewiesen sind diese Prozesse nach wie vor selbst und zu selektiv der Umgang mit nicht unumstrittenen extradisziplinären kognitionswissenschaft-
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lichen Positionen. Der kognitiven Literaturwissenschaft fehlt nicht nur ein systematisches Programm, sie ist auch in ihren kognitionswissenschaftlichen Annahmen und literaturwissenschaftlichen Resultaten wenig überzeugend. Dies zu betonen bedeutet nun nicht, der kognitiven Literaturwissenschaft jegliche Daseinsberechtigung abzusprechen. Ihre Legitimität ergibt sich nicht nur aus der berechtigten Motivation, eine vom Poststrukturalismus dominierte Literaturwissenschaft erneuern zu wollen (vgl. Huber und Winko 2009, 7), indem Sprache wieder an die Realität angebunden und vom analytischen Impressionismus geplagten Feldern neue Rigorosität, Systematik und letzten Endes gesellschaftliche Relevanz und Sichtbarkeit verliehen wird (bspw. Gavins und Steen 2003, 1–2; Richardson 2001, X; Stockwell 2002, 4 und 2008, 591–592; Turner 1991, VII–VIII). Sie greift auch Themen auf, die in der Literaturwissenschaft eine lange Tradition haben und verspricht, zumindest implizit, diese unter neuen Vorzeichen weiterzuverfolgen. Die umfangreiche kritische Debatte um die kognitive Literaturwissenschaft lässt aber darauf schließen, dass sie in der Umsetzung dieser Vorhaben nicht völlig erfolgreich war (vgl. Müller-Wood 2017). Aus diesem Grund ist es selbst in einem einführenden, das im Titel angekündigte weite Feld nur absteckenden Beitrag wie diesem unmöglich, die Inhalte der kognitiven Literaturwissenschaft kritiklos zu referieren (vgl. Sternberg 2009, 456) – zumal diese, wie schon gesagt, gerade in ihrem Verständnis von Form widersprüchlich ist. Um die Paraphrase bereits existierender Überblicksdarstellungen des Felds (z. B. Zymner 2009) zu vermeiden, werden daher – nach einem kurzen Auftakt über die Beweggründe der kognitiven Literaturwissenschaft – ihre vielfältigen Ausformungen im Licht der Formthematik in drei Hauptbereiche gebündelt: 1. Gestaltphänomene als Ausdruck des grundsätzlichen kognitiven Bedürfnisses nach Form, 2. Ähnlichkeit als Formprinzip in Metaphern und ‚Blends‘ und 3. das Verstehen von umfassenderen und komplexeren Textwelten. Bereits die Darstellung dieser Inhalte wird von kritischen Anmerkungen begleitet werden, bevor in einem konstruktiven Ausblick auf mögliche Weiterentwicklungen in der kognitiven Literaturwissenschaft hingewiesen wird.
2 Kognition und Literatur Anfänge und Motivationen Die kognitive Literaturwissenschaft ist eine Ausformung des umfassenderen ‚cognitive turn‘, der sich in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts als Reaktion auf den seinerzeit dominanten Behaviorismus entwickelt hat. Für
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Psychologen, Linguisten, Neurowissenschaftler und Philosophen, die sich dieser Doktrin entziehen wollten, war das Gehirn mehr als die von ihr angenommene, endlos trainierbare, aber auch jeglicher Analyse (über oberflächliche Ausdrucksformen) verschlossene ‚black box‘, menschliches Bewusstsein stattdessen ein begreif- und erklärbares Phänomen. Ein Schlüsseltext in diesem Zusammenhang war Noam Chomskys polemische Rezension von B. F. Skinners Verbal Behavior (1959), in der er seine Hypothese ausführte, dass menschliche Sprache keine angelernte, sondern eine angeborene kognitive Fähigkeit sei. Chomskys Text wirkte in einer Reihe von Einzeldisziplinen, aus denen das „interdisziplinäre Konglomerat“ (Louwerse und Van Peer 2009, 425) der Kognitionswissenschaften besteht, wie ein Befreiungsschlag gegen die behavioristische Methode (vgl. Palmer 2006, 256; Virués-Ortega 2006, 243–244). Angesichts dieses Erbes ist ein zentrales, aber uneingestandenes Paradox der gegenwärtigen ‚neuen‘ Kognitionswissenschaften, dass sie einen ihrer einflussreichsten Väter als bête noire tabuieren (vgl. auch Sternberg 2009, 462). Für die traditionelle Kognitionswissenschaft ist der Mensch ein informationsverarbeitendes System (vgl. Kischkel 1992, 39; Tsur 2008, 120) und die Informationsverarbeitungsprozesse des menschlichen Gehirns sind modellierbar (beispielsweise mithilfe von Verfahren der Computerlinguistik und der Künstlichen-Intelligenz-Forschung). Der Ruf nach Erneuerung der Kognitionswissenschaften, der gegenwärtig in unterschiedlichen Kontexten verlautbart, v. a. in der kognitiven Linguistik und den philosophischen Kognitionswissenschaften, basiert auf der Annahme, dass es der traditionellen Kognitionswissenschaft mit den von ihr eingesetzten Mitteln nicht gelungen sei, das Wesen menschlicher Kognition zu fassen, bzw. dass sie sogar die Fehler des Behaviorismus weiterführe (vgl. Swittala 1990, 204, zit. in Kischkel 1992, 47). Paradigmatisch hierfür positionieren sich Gilles Fauconnier und Mark Turner in The Way We Think (2002) gegen das, was sie als die ‚Formgläubigkeit‘ unseres Zeitalters verstehen: die sich in einer Reihe von Wissenschaften des zwanzigsten Jahrhunderts (Linguistik, Soziologie, Sprachphilosophie) niederschlagende Überzeugung, dass das Nachvollziehen äußerer Merkmale und Prozesse uns etwas über menschliches Denken sagen kann. Zu den ‚Helden‘ dieser Wissenschaften zählen die Autoren auch den bereits erwähnten Noam Chomsky. Gescheitert seien diese formalistischen Verfahren jedoch an den unbewussten und unberechenbaren Kräften der Einbildungskraft – den „mysteries of meaning“ (7) –, die sie weder erklären noch unterbinden könnten (5). Wie sehr das Interesse an unbegreiflichen Aspekten der Sprache die ‚neue‘ Kognitionswissenschaft prägt, zeigt auch der Untertitel eines neueren Buchs von Mark Turner: The Origin of Ideas: Blending, Creativity, and the Human Spark (2014). In der nun schon mehrere Jahrzehnte andauernden Konterrevolution hat sich die kognitive Literaturwissenschaft fast durchweg auf die Seite der Revolutionäre
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aus der kognitiven Linguistik geschlagen. Konkret drückt sich dies in einer dezidierten Ablehnung des algorithmisch-rechnerischen Verständnisses von kognitiven Prozessen aus, von welchem die frühe Kognitionswissenschaft noch arglos ausgegangen war. Gleichzeitig manifestiert es sich in einer aus der kognitiven Linguistik entlehnten Betonung der Idee des „embodiment“, wonach Sprache in körperlichem Erleben begründet sei (Louwerse und Van Peer 2009, 425). Auf dieser Grundannahme beruht auch die Behauptung, dass die Auseinandersetzung mit Sprachphänomenen Aufschluss über die Natur kognitiver Prozesse geben könne. Die Mutmaßung, Sprache offenbare die Struktur der Kognition („The shape of language discloses the structure of cognition“, Turner 1991, 152), zieht sich durch die gesamte ‚neue‘ Kognitionswissenschaft und ihre literaturwissenschaftlichen Spielarten (vgl. Lakoff und Johnson 1980, 195; Gibbs 1994, 1; Turner 1996, 7; Herman 2009a, 157). Der Analogieschluss zwischen literarischer Form und kognitiver Realität ist die Achse, die die unterschiedlichen Perspektiven der kognitiven Literaturwissenschaft miteinander verbindet, im positiven wie auch negativen Sinn. Er ist nämlich auch die Wurzel der argumentativen Widersprüche, in die die kognitive Literaturwissenschaft auf sehr grundlegende Weise verstrickt ist, und die erklären, warum sie immer wieder in just den Formalismus zurückverfällt, den zu kritisieren sie sich eigentlich zum Ziel gemacht hat.
Interessensgebiete der kognitiven Literaturwissenschaft 1. Das Bedürfnis nach Form: Gestaltphänomene. Der Begriff ‚Gestalt‘ umfasst die Ordnungsmuster und Regeln, nach denen Menschen die in ihrer Lebenswelt konstant auf sie einwirkende Informationsflut ordnen und verstehen und selbst fragmentarische Kenntnisse zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzufügen. Diese Ordnungsmuster und Regeln wurden erstmals im frühen zwanzigsten Jahrhundert durch die Gestaltpsychologie ausgiebig beschrieben, wobei sich Psychologen häufig auf schon länger bekannte (und in der bildenden Kunst genutzte) optische Täuschungen beriefen, mit denen sich ganz bestimmte Reaktionen des Perzeptionsapparats hervorrufen ließen. Ein für die Gestaltpsychologie zentrales Ordnungsprinzip sind die Figur/Grund-Phänomene, die in den geläufigen Kippfiguren aufgerufen werden: Illustrationen also, die aus einem Blickwinkel wie ein Hase, aus einem anderen wie eine Ente erscheinen, graphische Darstellungen nebeneinander platzierter identischer Formen, die als unterschiedlich groß wahrgenommen werden, oder der bekannte ‚Necker-Würfel‘, der so gezeichnet ist, dass man ihn abwechselnd aus zwei Perspektiven sieht, entweder als in den Raum hineinragende Kiste oder als sich in den Hintergrund vertiefenden Raum.
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Solche Darstellungen nutzen die Bistabilität menschlicher visueller Perzeption aus: Es ist dem Gehirn nicht möglich, die beiden Bedeutungsmöglichkeiten gleichzeitig wahrzunehmen, weshalb sie abwechselnd, je nach Fokus, in den Vorder- oder Hintergrund treten – dem Betrachter als ‚Figuren‘ oder ‚Grund‘ erscheinen. Für die Gestaltpsychologie und die sich an ihr orientierenden Kognitionswissenschaften belegen solche Darstellungen das Prinzip, wonach menschliche Kognition danach strebt, Information in einheitliche, sich vom Hintergrund abhebende Formen (Gestaltstrukturen) zu bringen (vgl. M. Johnson 1987, XIX). Im Bereich der visuellen Perzeption ist diese Annahme auch durch eine Vielzahl von aussagekräftigen Experimenten seit langem belegt. Figur/Grund-Phänomene sind aber auch von der der kognitiven Linguistik aufgegriffen und auf Sprache appliziert worden, wobei die Begriffe ‚Figur‘ und ‚Grund‘ üblicherweise durch die Termini ‚trajector‘ und ‚landmark‘ ersetzt und so auch in der kognitiven Literaturwissenschaft verwendet werden (vgl. Langacker 1987). Auf diesem Weg haben sie auch Eingang in die kognitive Literaturwissenschaft gefunden. Peter Stockwells Cognitive Poetics beginnt beispielsweise mit einem Kapitel zu Figur/Grund-Phänomenen und hebt damit deren Bedeutung für die kognitive Literaturwissenschaft hervor. Dennoch ist die hier und in anderen wissenschaftlichen Kontexten hergestellte Analogie zwischen den in der Kognitionspsychologie zum Einsatz kommenden Kippbildern und literarischer Sprache nicht unproblematisch: Der Betrachter der optischen Illusionen kann nicht umhin, bei ihrem Anblick von einer Perspektive zur anderen zu schalten. Sprache dagegen ist nicht analog, so dass Figur/Grund-Effekte auf andere Art und Weise hervorgerufen werden müssen (wobei auch andere Sinnesmodalitäten, wie z. B. das Hören, zum Einsatz kommen). Stockwell listet eine ganze Reihe von literarischen Verdeutlichungsstrategien auf, die Aspekte von Texten als Figuren heraustreten lassen („foregrounding“), darunter die eigenständige Ganzheit des Objekts, seine deutliche Abgrenzung vom Hintergrund und relative Größe (2002, 15). Diese können auf unterschiedliche Weise in Texten realisiert werden. Zu den verschiedenen von ihm zur Illustration herangezogenen Beispielen gehört auch folgende Passage aus Shakespeares A Midsummer Night’s Dream: Over hill, over dale, Thorough bush, thorough brier, Over park, over pale, Thorough flood, thorough fire, I do wander everywhere, Swifter than the moon’s sphere […]. (Zit. in Stockwell 2002, 17)
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Stockwell macht den Figur/Grund-Prozess an der in Pucks Rede durch die Wiederholung der Präposition „over“ hervorgerufenen Betonung fest, die, so sein Argument, ein bestimmtes „Image Schema“ auslöst (ähnlich wie es auch Präpositionen wie „in“ und „out“ tun würden). Dieses Schema sorgt dafür, dass der Leser die Sprecherfigur als Trajektor begreift, der sich oberhalb des ruhenden Grunds bewegt und deshalb besonders deutlich, d. h. als Figur, hervortritt. Diese Behauptung ist durchaus plausibel und mag erklären, warum Charaktere in Textstrukturen (ob nun in Drama oder Prosa) dem Rezipienten als besonders herausragend erscheinen. Dennoch stellt sich nicht nur die Frage, ob es hier tatsächlich die Präposition „over“ ist, die den Eindruck von Charakterhaftigkeit schafft, sondern auch, inwieweit hier überhaupt ein Figur/Grund-Phänomen vorliegt. Reuven Tsur merkt in seiner kritischen Replik auf Stockwell an, dass foregrounding-Effekte in dieser Passage an anderer Stelle und auf andere Weise (z. B. durch Prosodie und die Unterbrechung von Regelhaftigkeit im abschließenden Couplet) als durch ein individuelles lexikalisches Signal hergestellt werden (vgl. Tsur 2009, 255). Figur/Grund-Phänomene sind tatsächlich vor allem wegen ihres Potenzials der Instabilität von Bedeutung in der Literatur, und so sind Wissenschaftler besonders an solchen Textbeispielen interessiert, die die Fähigkeit des Rezipienten nutzen, Figur und Grund nicht nur zu unterscheiden, sondern ihre Aufmerksamkeit zwischen unterschiedlichen Textaspekten hin- und her zu bewegen. Stockwell beleuchtet eine solche Inversion des Figur-Grund-Verhältnisses anhand des Gedichts Hill-stone was content von Ted Hughes (1994), in dem er gleich zwei Transpositionen von Figur und Grund erkennt. Erstens wird die im Gedicht menschliche Welt zum ‚landmark‘ eines aktiven und mächtigen Landschafts-Trajektors, bis menschliches Leben buchstäblich ‚versteinert‘. Eine weitere Transposition zu Ende des Gedichts überlagert diese Verschmelzung jedoch und wird markiert durch den plötzlichen Verweis auf das „soft hill water“, das diese Landschaft überflutet und nichtig macht. Stockwells Bewertung lässt sein letzten Endes hermeneutisches Erkenntnisinteresse erkennen, dessen Ausgangspunkt eine Textinterpretation (nämlich seine eigene) ist: „Human industry and landscape might borrow some of the hardness of the hills, but its true place in geological time is put firmly into perspective.“ (2002, 24). Die an diesem Beispiel dargestellten latenten hermeneutischen Tendenzen der kognitiven Literaturwissenschaft sind nicht zuletzt deshalb hinterfragt worden (vgl. Miall 2007), weil sie ihren eigenen methodischen Ansprüchen zuwiderlaufen. Sie stellen auch die Annahme in Frage, die ablehnende Haltung gegenüber der kognitiven Literaturwissenschaft hinge damit zusammen, dass sie ungenügend hermeneutisch sei (vgl. Semino 2009, 59; Fricke und Müller 2010). Das Gegenteil ist oft der Fall: Nicht selten ist die kognitive Literaturwissenschaft ungenügend kognitiv und fällt in einen Interpretationsmodus zurück, der ihren eigenen Univer-
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salitätsanspruch (vgl. Stockwell 2008, 595) infrage stellt. Figur/Grund-Inversionen deuten aber dennoch auf potenzielle Interpretationsalternativen hin. Reuven Tsur, dem der Begriff ‚cognitive poetics‘ zugeschrieben wird (vgl. Stockwell 2008, 588), erklärt dieses Phänomen anhand eines Zitats aus Waiting for Godot, in dem Geburt und Tod auf groteske Weise miteinander verquickt werden: „Astride of a grave and a difficult birth. Down in the hole, lingeringly, the gravedigger puts on the forceps.“ (2009, 271). Mit diesem überzeichneten Bild, so Tsur, soll ein Moment des emotionalen Orientierungsverlusts beim Leser/Zuschauer geschaffen werden, der Stellung zu diesen widersprüchlichen Informationen beziehen muss (ein für das absurde Theater Becketts typischer Verfremdungseffekt). Anders als Stockwell geht es Tsur also nicht um eine konkrete Interpretation, sondern um die in Textstrukturen angelegten potenziellen Wirkungen auf den Rezipienten (vgl. Tsur 2009, 273). Die in dieser Annahme beinhaltete psychologische Perspektive geht über den Text, bzw. dessen rein sprachliche Dimension hinaus und bietet damit eine fruchtbare, genuin kognitive Erweiterung literarisch-stilistischer Forschung (eine gegenteilige Meinung vertritt Stockwell 2008, 591). Die beiden Beispiele zeigen, dass in der kognitiven Literaturwissenschaft zwar grundsätzlich Konsens über die Relevanz von Figur/Grund-Inversionen in Literatur herrscht, dieses formgebende kognitive Phänomen aber völlig unterschiedlich gedeutet wird. In diesen unterschiedlichen Blickwinkeln manifestiert sich erneut die mangelnde methodische Präzision der kognitiven Literaturwissenschaft hinsichtlich der Form. Ist diese allein ein Textphänomen (und auch als solches zu lesen), oder ist sie das Produkt der Leserkognition in der Auseinandersetzung mit dem Text und nur aus dieser Perspektive begreifbar? Obwohl die zweite Frage auf einen Lösungsansatz für dieses Grundproblem der kognitiven Literaturwissenschaft hinweist, scheint sie von dieser beharrlich ignoriert zu werden. 2. Formprinzip Ähnlichkeit: Von Metaphern zu ‚Blends‘. Ähnlich wie Gestaltphänomene können auch Metaphern als kognitive Prototypen oder Schemata verstanden werden. Auch ihnen wird in der kognitiven Literaturwissenschaft (bzw. den Disziplinen, die diese prägen) Grundlagencharakter zugestanden, da sie kognitive Prozesse abzubilden scheinen. Das Sprachphänomen Metapher hat die vielleicht einflussreichste kognitionswissenschaftliche Hypothese der letzten vier Jahrzehnte hervorgebracht, nämlich die Behauptung, dass menschliches Denken metaphorisch strukturiert sei. Diese „Conceptual Metaphor Theory“ (CMT) ist untrennbar verknüpft mit dem Linguisten John Lakoff und dem Philosophen Mark Johnson, deren Schlüsselwerk Metaphors We Live By (1980) mit einem bekannten Postulat beginnt: „Our ordinary conceptual system, in terms of which we both think and act, is fundamentally metaphorical in nature.“ (3) Entgegen der weit verbreiteten Annahme, dass es sich bei Metaphern um poetischrhetorische Stilmittel mit dekorativen Funktionen handelt, weisen sie darauf hin,
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dass Metaphern nicht nur in der Alltagssprache, sondern „in thought and action“ (Lakoff und Johnson 1980, 3) allgegenwärtig seien. Sie schließen daraus, dass diese tief in der menschlichen Kognition verwurzelt sein müssen: „Metaphors as linguistic expressions are possible precisely because there are metaphors in a person’s conceptual system.“ (6). Diese „metaphors in a person’s conceptual system“ werden deshalb auch „konzeptuelle Metaphern“ genannt. Sie scheinen universal zu sein, zumindest sind sie in unterschiedlichen Sprachen und Erfahrensdomänen nachgewiesen worden; sie können gemäß einer grundlegenden Systematik aber neue, kulturell codierte Metaphern generieren. Strukturell gesehen ist eine Metapher die Projektion („mapping“) eines Quellkonzepts auf ein Ziel (Lakoff und Johnson 1980, 14), wodurch abstrakte Konzepte und/oder unbeschreibbare Erfahrungen konkretisiert und greifbar gemacht werden (z. B. „love is a journey“). Viele Metaphern gründen in menschlichen Erfahrungswerten, etwa jene, die von Lakoff und Johnson als Orientierungsmetaphern bezeichnet werden und die sich in Ausdrücken wie „I’m feeling up/down“ (1980, 14) niederschlagen. Die Körperlichkeit von Sprache zeigt sich aber auch in den sogenannten „container metaphors“, die ausgehend von der Erfahrung konkreter räumlicher Verortung über mehrere Abstraktionsschritte hinweg zu einem metaphorisch verwendeten Konzept werden (von „to be in the kitchen“ bis hin zu „to be in love“). Selbst tote Metaphern und Klischees können auf solche konzeptuellen Grundlagen zurückgeführt werden. Eine Metapher wie „time is money“ basiert somit auf dem Konzept „time is a valuable commodity“, das seinerseits die Grundlage für eine ganze Reihe neuer Metaphern bieten kann, z. B. „How do you spend your time“, „this is worth your while“, „to live on borrowed time“ (Lakoff und Johnson 1980, 8). Die hier sehr kursorisch umrissene Theorie der konzeptuellen Metaphern erscheint auf den ersten Blick durchschlagend und schlüssig, nicht zuletzt weil sie durch umfangreiches linguistisches Datenmaterial belegt ist: Sprache ist nun einmal reich an Metaphern, zumal den wenig originellen, die Lakoff und Johnson für ihre Argumentation heranziehen. Dies erklärt auch das „explosionsartige“ Anwachsen von Metaphernforschung in Literaturwissenschaft und Linguistik der letzten Jahre (Eibl 2014, 11), die ihrerseits das beachtliche Metapherninventar von Lakoff und Johnson beständig erweitert hat. Die Existenz von Metaphern in Sprache ist aber noch kein Beweis für ihre strukturierende Funktion in der menschlichen Kognition, und so ist die CMT aus genau diesem Grund seit ihren Anfängen umstritten. Diese umfangreiche kritische Debatte – die sich im Rahmen dieses Artikels unmöglich in ihrer Gänze darstellen lässt (siehe aber Jackendoff und Aaron 1989, pointiert abgehandelt von Steven Pinker 2007; des Weiteren die neueren Überblicksdarstellungen von Gibbs 2011 und Cserép 2014) – kreist immer wieder um die gleichen Aspekte: Das verwendete Datenmaterial, Lakoffs und Johnsons Umgang
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mit demselben sowie die daran geknüpften argumentativen Zirkelschlüsse, wie zum Beispiel den folgenden: „Since communication is based on the same conceptual system that we use in thinking and acting, language is an important source of evidence for what the system is like.“ (Lakoff und Johnson 1980, 3). Behauptungen wie diese sind inzwischen von einem reichen empirischen und experimentellen Datenkorpus modifiziert worden (vgl. Steen 2011, 34, 39); dieses stellt Lakoffs und Johnsons beharrliche Behauptung, gut zwanzig Jahre nach Veröffentlichung ihres einflussreichen Buchs, CMT habe die westliche philosophische Tradition in ihren Grundfesten erschüttert (vgl. Lakoff und Johnson 2003, 245), in Frage. Speziell für die Literaturwissenschaft ist die in der CMT herangezogene Definition von Metaphern nicht immer zweckmäßig und angemessen, ja es stellt sich sogar die Frage, ob es sich bei ihren Beispielen überhaupt um Metaphern handelt. Konzeptuelle Metaphern basieren auf der konzeptuellen Nähe von Quelle und Ziel. Damit sind sie aber eigentlich eher indexikalische Analogien zwischen ohnehin ähnlichen Konzepten (vgl. Van Oort 2012). ‚Echte‘ Metaphern dagegen gründen im Prinzip der Differenz und verknüpfen konzeptuell unverbundene Entitäten. Sie verfremden, sind unberechenbar, und als solches weniger ein Beleg für die Verbundenheit von Sprache und Realität als für die menschliche Fähigkeit, jenseits der Realität zu repräsentieren (und solche symbolischen Repräsentationen zu verstehen). Auf diesen Punkt wird unten noch einmal zurückzukommen sein. Der Kritik an der CMT wurde in der Kognitionswissenschaft u. a. dadurch Rechnung gezollt, dass das enge Metaphernkonzept in Richtung seiner Grundlagen in der Analogie erweitert worden ist. In diesem umfassenden Sinne ist auch das kognitive Grundprinzip zu verstehen, das Mark Turner in Reading Minds (1991) als „poetry of connections“ bezeichnet. Aus dieser Idee entwickelt er in The Literary Mind das Prinzip des „conceptual blending“ als „fundamental instrument“ (Turner 1996, 93) alltäglicher Kognitionsprozesse (wie auch des Erkennens und Erschaffens von Metaphern). In Zusammenarbeit mit Gilles Fauconnier hat Turner diese Idee als „blending theory“ (BT) weiterentwickelt, die von der kognitiven Fähigkeit ausgeht, unterschiedliche „mental spaces“ (Schemata, Szenarien, Strukturen u. a.) unbewusst miteinander zu verbinden und mittels dieses Prozesses der „conceptual integration“ ein neues, „emergentes“ Ganzes (einen „blend“) zu erschaffen (2002, 42). Blending basiert laut Fauconnier und Turner auf drei Prozessen („composition“, „completion“ und „elaboration“), die nach fünf „Optimalitätsprinzipien“ zusammenwirken; diese komplexen und spannungsreichen Abwägungs- und Integrationsprozesse werden in elaborierten und umfangreichen Diagrammen abgebildet (eine ausführliche Darstellung der BT findet sich bei Grady, Oatley und Coulson 1999). Die BT ähnelt CMT hinsichtlich der verwendeten Sprachdaten (u. a. Metaphern, die bereits in älteren Texten untersucht worden sind, wie z. B. das in der relevanten
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Literatur reflexartig herangezogene Beispiel „My surgeon is a butcher“), sowie in dem Anspruch, allgemeingültige kognitive Prozesse erklären zu können. Anders als die CMT geht es ihr aber nicht nur um einfache, einseitige Projektionen von einer Quelle auf ein Ziel, sondern um komplexere, aus mehreren (zumeist vier) „mental spaces“ zusammengesetzte Bilder. Um deren Komplexität adäquat abzubilden, müssen dynamischere Prozesse modelliert werden. Die BT geht deshalb auch davon aus, dass blending nicht (nur) auf inhärenten und statischen kognitiven Schemata beruht, sondern ad hoc im Verstehensprozess konstruiert wird. Wie plausibel diese Hypothese auch scheinen mag: die BT krankt dennoch am Grundproblem der CMT, dass von ihr Sprachphänomene aus der Restrospektive beschrieben werden, ohne dass die diesen angeblich zugrunde liegenden kognitiven Prozesse erklärt würden (vgl. Wege 2016, 248). Empirisch ist sie letzten Endes unbewiesen (z. B. Gibbs 2000; Dancygier 2012, 35) und deshalb als kognitive Heuristik für das Verständnis von literarischer Form wenig nützlich (vgl. Glebkin 2015, 108). 3. Textweltverständnis. Der Erfolg von Fauconnier und Turners ‚blending theory‘, ihren inhärenten Schwachstellen zum Trotz, ist Beleg ihrer immensen Kompatibilität: Indem sie die diskreten metaphorischen Einheiten, mit denen sich CMT befasst, in einen erweiterten Kontext einbettet, schafft sie ein Bindeglied von individuellen Textphänomenen hin zur Analyse ganzer Textwelten. In The Literary Mind (1996) weitet Turner das Konzept des blend auf das Erzählen aus, indem er Geschichte („story“) mit der bereits metaphorischen ‚Parabel‘ gleichsetzt („Parable is the projection of story“, 7), die das Geschehen auf weitere Abstraktionsniveaus projiziert, emblematisch macht, und dabei die Fähigkeit des Lesers einfordert, über längere Strecken – z. B. in einem ganzen Roman – „mental spaces“ zu verschmelzen (7). Die von der BT modellierten dynamischen Kombinationsprozesse stellen eine Grundlage der von ihren Vertretern so genannten ‚post-klassischen‘ Narratologie dar, da sie sich auf Methoden beruft, die der ‚traditionellen‘ Narratologie nicht zur Verfügung standen: „Cognitive narratology can […] be thought of as a problem space that opened up when earlier, structuralist models were brought into synergistic interplay with the many disciplines for which the mind-brain is a focal concern“ (Herman 2009c, 32). Das doppelte Erkenntnisinteresse der kognitiven Narratologie, so David Herman, liegt dabei sowohl im Textverständnis („how people understand narratives“) als auch in der Funktion des Erzählens in menschlicher Kognition („narrative itself as a mode of understanding“) (2009b, 79). In diesem methodischen Chiasmus zeichnen sich nicht nur erneut die hohen Erwartungen an das heuristische Potenzial kognitionswissenschaftlich geprägter Methoden ab, sondern auch die problematische Verquickung von Produkt und Prozess (also von literarischer Form und kognitiver Struktur), die auch für andere Spielarten der kognitiven Literaturwissenschaft typisch ist.
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Ausgangspunkt des vielfältigen und kaum „programmatisch abgestimmten“ (Herman 2009b, 79) Felds der kognitiven Narratologie ist erneut die Annahme der schematischen Natur menschlicher Kognition, die in literarischen Texten abgerufen wird, um die Konstruktion von Textwelten zu ermöglichen. Demnach basieren literarische Texte auf strukturierenden Skripten (auch Schemata, Rahmen oder ‚story grammars‘ genannt), die vom Leser erkannt und auf Basis von Text- und Kontextwissen schrittweise und in einem dynamischen Prozess zu ganzen Textwelten verbunden werden: „A text world corresponds to the network of mental spaces that readers construct while reading a text.“ (Semino 2009, 56). Diese sehr allgemeine (und deshalb letztlich wahrscheinlich unstrittige Annahme) hat sich in verschiedenen, aber nur minimal unterschiedlichen Perspektivierungen niedergeschlagen. Ob ein Literaturwissenschaftler sich mit „possible worlds“ (Ryan), „text worlds“ (Werth) oder „contextual frames“ (Emmott) befasst, er oder sie geht davon aus, dass es die Aufgabe des Lesers ist, mithilfe von Textinformation oder eigenem Hintergrundwissen zusammenhängende Textszenarien zu schaffen. Die komplexe, häufig von ausufernden Diagrammen gestützte „analytische Maschinerie“ (Semino 2009, 59) mit der diese unverfängliche Aussage über die Ergebnisse von Leseprozessen modelliert wird, ist letzten Endes aber kein Beleg für die Existenz analoger kognitiver Abläufe. Die verstärkte Beschäftigung mit der Darstellung von fiktionalen Charakteren und deren kognitiven und emotionalen Befindlichkeiten („fictional minds“, Palmer 2004; siehe auch Schneider 2000) seit den frühen 2000er-Jahren ist Indiz für gewisse Zweifel an der Sinnfälligkeit der Abstraktionen der BT. Literarische Texte bestehen eben nicht nur aus vorgegebenen Skripten und Rahmen, sondern zeichnen sich durch die Darstellung von „moment-by-moment experiences of fictional minds“ aus (Herman 2007, 247), die für den Leser bedeutsamer sein können als funktionale Handlungsstrukturen, ihm aber große kognitive Flexibilität abverlangen. Mit dieser Verlagerung des Interesses scheint die kognitive Narratologie ihren Blick über den Text hinaus in den Bereich der Rezeption auszuweiten, Textverständnis tatsächlich zum Ergebnis eines Kommunikationsakts zu machen, in dem der Leserkognition motivierende Bedeutung zukommt. Denn wenn die Erfahrensnähe („experientiality“, Fludernik 1996) fiktionaler Texte bestimmte kognitive Fähigkeiten des Lesers urbar macht, dann ist sie auch auf sehr grundlegende Weise von ihnen abhängig. Besondere Bedeutung wird hierbei der Fähigkeit des Lesers beigemessen, Schlüsse über die Gedankenwelt von Charakteren zu ziehen, diesen zu folgen und dabei selbst Inferenzen über sie und die Textwelt anzustellen. Anhand von James Joyces The Dead zeichnet David Herman diesen doppelten Inferenzprozess nach. Nicht nur der Protagonist Gabriel „is framing inferences about the storyworld“ (Herman 2007, 247), „re-evaluate[s] his motives and values“, „construct[s] a new profile of his own emotional make-up“ (246) und
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„abolishes the sharp boundary he tried to draw in his speech between death and life“ (251). Auch der Leser verwendet diese ‚Stichworte‘ („textual cues“, 251), um sich daraus in einem nächsten Schritt ein eigenes Bild von Gabriels ‚Bewusstsein‘ zu machen. Als übergreifende kognitive Heuristik, die dies ermöglicht, nennt Herman die „Theory of Mind“ (ToM) (Herman 2007, 253): Die wahrscheinlich adaptive, unbewusste und kontinuierlich ablaufende Fähigkeit des Menschen, aus alltäglichen Begebenheiten soziales Wissen abzuleiten und die Erwartungen, Wünsche und Intentionen anderer Menschen (scheinbar) nachzuvollziehen. Ohne ToM (die in der Literatur manchmal auch irreführend als „mind reading“ bezeichnet wird) wäre eine erzählerisch anspruchsvolle Literatur nicht denkbar, die diese Fähigkeit in einem nicht handlungsstiftenden „Organisationsmodus“ (Tooby und Cosmides 2001, 16) mit vielfältiger Wirkung einsetzt. Für Lisa Zunshine (2006) ist die ToM eine ‚hungrige‘ Adaptation und unablässig auf der ‚Suche‘ nach Sättigung; literarische Texte erfüllen dieses ‚Bedürfnis‘, indem sie ihre Leser mit komplexen Bewusstseinsdarstellungen konfrontieren, die diese nachvollziehen müssen. Zur Illustration zitiert sie Jane Austens Roman Persuasion (1819), in dem die Titelheldin Anne Elliot über die Bewusstseinszustände zweier anderer Charaktere spekuliert: It did not surprise, but it grieved Anne to observe that Elizabeth would not know [Capt. Wentworth], that there was complete internal recognition on each side; she was convinced that he was ready to be acknowledged as an acquaintance, expecting it, and she had the pain of seeing her sister turn away with unalterable coldness. (Zit. in Zunshine 2006, 275).
Hier liegt eine mehrfache Einbettung von Repräsentationen vor, die der Leser auseinanderzuhalten hat, um die Passage richtig zu verstehen. Die Satzteile „Elizabeth would not know“ und „he was ready to be acknowledged as an acquaintance“ suggerieren zwar, dass Elizabeth und Captain Wentworth Urheber bestimmter Überlegungen und Wünsche sind; perspektiviert werden diese in der letzten Instanz aber durch Anne. Deren Blick auf das Geschehen ist jedoch durch ihre eigene gescheiterte Romanze mit Wentworth getrübt. Aussagen wie: „it grieved Anne to observe“ und „she was convinced that he was ready“ sind aus ihrem Blickwinkel – und somit im Licht der hier eingebetteten Wünsche und Hoffnungen – zu sehen. Die ToM mag zwar erklären, warum Leser dazu befähigt sind, fiktionale Texte von solcher Vielschichtigkeit zu verstehen (und ab welchem Komplexitätsniveau ein Verstehen nicht mehr möglich ist), sie ist damit aber auch stark an die sprachliche Textaussage – die tatsächlichen Wörter im Text – gebunden. Was aber ist mit Texten, deren Vielschichtigkeit dadurch entsteht, dass sie an emotional besonders gewichtigen Stellen nichts sagen (vgl. Müller-Wood 2014)? Wie verhält sich
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die ToM zu textuellen Leerstellen, offenen Enden und ‚cliff-hangers‘, wie überhaupt zum Plot (und seiner Struktur) im Allgemeinen? Obwohl die kognitive Narratologie mit der ToM ein ausgereiftes Handwerkszeug an die Hand bekommen hat, wird dieses ihre Tendenz, Texte nach Sprachphänomenen abzusuchen, um diese dann kognitiv akzentuiert zu beschreiben, womöglich nur verstärkt.
3 Die Schwächen der kognitiven Literaturwissenschaft Die mangelnde Überzeugungskraft der kognitiven Literaturwissenschaft hat gutmütige (Jackson 2002; Miall 2007) wie auch weniger wohlwollende Kritiker auf den Plan gerufen. Meir Sternberg spricht der kognitiven Literaturwissenschaft gar jegliche „explanatory power“ (2009, 460) ab. Und auch mein Fazit ist, dass sie ihr eigentliches Ziel, die kognitiven Prozesse des Lesers beim Umgang mit literarischen Texten zu erklären, kaum erfüllt, sondern zumeist auf der Ebene der (oft hermeneutisch eingefärbten) Formbeschreibung verbleibt. Diese Monita werfen die Frage auf, inwieweit kognitionswissenschaftliches Wissen für die letztlich von der kognitiven Literaturwissenschaft geleisteten Analysen überhaupt nötig ist (vgl. Jackson 2002; Tsur 2008), bzw. was eine genuin ‚kognitive‘ Lesart eigentlich ausmachen würde. Eine hilfreiche Definition kommt von Tsur: „A discussion becomes cognitive when certain problems are addressed which cannot be properly handled without appealing to some cognitive process or mechanism in the specific discussion.“ (2008, 124). Um derartige Textprobleme jedoch kognitionswissenschaftlich lösen zu können, müssten diese erst einmal aus literaturwissenschaftlicher Perspektive benannt werden. Für die kognitive Literaturwissenschaft scheint der Ausgangspunkt des Interesses aber zumeist ein zu untersuchendes kognitives Phänomen zu sein, für das der Text bestenfalls eine stützende Datenquelle bietet. In Ermangelung literaturwissenschaftlicher Leitprinzipien oder -fragen erscheinen viele Analysen der kognitiven Literaturwissenschaft wie sehr traditionelle Textlektüren unter modifizierten (also kognitiven) Vorzeichen. Konkret bedeutet dies das mechanische Auflisten von Sprachphänomenen und die Entwicklung raffinierter taxonomischer Ausdifferenzierungen („pigeonholing for pigeonholing’s sake“, Tsur 2008, 123), denen kognitiver Grundlagencharakter zugeschrieben wird, ohne dass diese Grundlagen bewiesen wären. Die übergreifende Behauptung, dass alltägliche kognitive Prozesse durch Strukturen gestützt werden, die uns zunächst aus der Literatur bekannt sind, macht die Auseinandersetzung mit den Grundlagen dieser Formen unnötig. Dies ist nicht nur ganz prin-
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zipiell misslich, sondern kann sogar zu einer gewissen Betriebsblindheit führen (wie oben im Zusammenhang mit Figur/Grund-Inversionen gezeigt). Solche Schwächen lassen sich auf ein viel grundlegenderes Problem der kognitiven Literaturwissenschaft zurückführen, nämlich das, was Richard Van Oort (2003) als das „problem of representation“ bezeichnet hat. Gemeint ist damit die Tatsache, dass es sich bei Sprache, vor allem literarischer Sprache, um ein symbolisches Repräsentationssystem handelt, mit dem auch so umzugehen ist. Viele kognitive Lektüren behandeln literarische Texte aber auf der gleichen Ebene wie Realität (vgl. Sternberg 2003, 319; Sternberg 2009, 477), anstatt als „a virtuality, transmitted for a purpose“ (Sternberg 2003, 320). Ein Symptom dieses weit verbreiteten Kategorienfehlers ist ein gewisser methodologischer Isolationismus (vgl. Sternberg 2003, 317), so dass bereits existierende literaturwissenschaftliche Traditionen und deren Konzepte, auf die sich die kognitive Literaturwissenschaft beziehen könnte, häufig nicht in Betracht gezogen werden (siehe auch Bartsch 2014, 161–162; Fricke und Müller 2010; Zymner 2009, 144–145). Nicht in Betracht gezogen wird damit eigentlich aber auch der Leser, an dessen kognitiven Fähigkeiten literarische Texte letzten Endes ausgerichtet sein müssen (auch wenn dies nicht unbedingt bewusst geschieht). Dass die kognitive Literaturwissenschaft die Frage der literarischen Repräsentation außer Acht lässt, hängt natürlich mit ihrer Grundannahme zusammen, dass literarische und Alltagssprache sich eigentlich nicht unterscheiden. Hinfällig geworden ist diese Unterscheidung für die kognitive Literaturwissenschaft nicht zuletzt deswegen, weil sie (und die Felder, auf die sie sich bezieht) Sprachformen, die traditionell der Literatur zugeschrieben wurden, als Grundlagen von Kognition und damit auch von Alltagssprache sehen. Dies erklärt nicht nur, warum Analysen der kognitiven Literaturwissenschaft häufig beschreibend, nacherzählend oder paraphrasierend wirken, sondern auch, dass dies für ihre Vertreter kein sonderliches Problem darzustellen scheint (siehe Stockwell 2002; Herman 2007, 250–251): Die übergreifende Hypothese rechtfertigt diese Verfahren und wertet sie auf. Ein besonderes Problem ergibt sich bei der wissenschaftlichen Behandlung von literarischer Bewusstseinsdarstellung, die gelegentlich in eine unangemessene Psychologisierung von Charakteren abgleitet. In der oben erwähnten Lektüre von Joyces The Dead behandelt Herman den Protagonisten Gabriel immer wieder, als sei er eine real existierende Person, nicht ein literarisches Konstrukt. Auch wenn die Darstellung von Charakterbewusstsein letztlich dazu dienen soll, die Fähigkeit des Lesers, selbst Inferenzen über den Charakter anzustellen, zu beleuchten, wird hier doch ein literaturwissenschaftlicher Kardinalfehler begangen, der nicht durch einen sonderlichen kognitionswissenschaftlichen Mehrwert aufgewogen wird.
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Die Vermischung von Realität und Fiktion hängt aber auch mit dem Konzept von Kognition zusammen, das die kognitive Literaturwissenschaft vertritt, von Sternberg kritisch als „cognition-as-comprehension“ (2009, 476) bezeichnet. Die Betonung des Textverständnisses schlägt sich nicht nur in einer mangelnden Sensibilität gegenüber textuellen Leerstellen nieder, sondern auch in einem offensichtlichen Desinteresse an der emotionalen Dimension literarischer Texte, die selbst in der kognitiven Literaturwissenschaft üblicherweise als Gegenpol zur Kognition gesehen wird. Zwar lässt sich seit einiger Zeit ein gesteigertes Interesse seitens der kognitiven Literaturwissenschaft an der emotionalen Dimension von literarischen Texten konstatieren, doch selbst wenn ihre Vertreter das Wort „emotion“ im Titel ihrer Arbeiten ankündigen (z. B. Herman 2007), scheinen Gefühle für sie doch häufig die Worte zu sein, die zu ihrer Beschreibung verwendet werden (Herman 2009b spricht bezeichnenderweise von „emotion discourse“) – zum Beispiel als Stichworte, auf die der Leser reagieren muss. Dies verdeutlicht erneut die ganz grundlegende Unklarheit darüber, wo die Prozesse eigentlich verortet sind, die die kognitive Literaturwissenschaft beschreibt (vgl. Sternberg 2003, 357). Sind Kognition/Emotion Textphänomene oder beruhen sie auf psychologischen Prozessen, die gewisse narrative Strukturen und textuelle Verfahren nicht nur verwirklichen, sondern überhaupt erst möglich machen? Wirkt literarische Form auf den Leser, oder macht Leserkognition bestimmte literarische Formen erst möglich? Vielleicht das größte Paradox dieser vermeintlich radikalen Perspektive auf die Literatur ist das ihr zugrunde liegende Textverständnis, das dem eigentlichen Ziel der kognitiven Literaturwissenschaft, Verstehens- und Schaffensprozesse des Lesers zu begreifen und nachzuvollziehen (vgl. Stockwell 2008, 594–595), entgegenläuft. Denn bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass der literarische Text hier nicht als Kommunikationsakt behandelt wird, sondern als Code, den es zu entziffern gilt (vgl. Müller-Wood 2016, 19–22) – wobei sich das Entziffern aber häufig auf das Benennen von Textmerkmalen oder das Erläutern einer subjektiven Interpretation beschränkt, in der der Leser nur eine sekundäre Rolle spielt.
4 Forschungsdesiderate und Ausblick Die Probleme der kognitiven Literaturwissenschaft anzuführen ist deshalb so wichtig, weil sie natürlich auch Richtungen weisen, in denen nachhaltige Optimierungsansätze für dieses unerfüllte Feld zu finden sind – Ansätze, die über gegenwärtig populäre Trends in bestimmten Sparten der Kognitionswissenschaft (und verstärkt auch in der kognitiven Literaturwissenschaft) hinausgehen würden
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(z. B. die sogenannte ‚4E Cognition‘, deren Vertreter letzte latente Reste der ‚alten‘ Kognitionswissenschaft endgültig durch den Beleg einer ‚contentless consciousness‘ vertreiben wollen). Aber solche Annahmen sind nicht nur kontrovers, unbewiesen und unwahrscheinlich (vgl. Sternberg 2009, 462; vgl. auch Winkielman et al. 2015), sie scheinen auch von den ungelösten Problemen und unbeantworteten Fragen der kognitiven Literaturwissenschaft abzulenken. (Aus genau diesem Grund erscheinen auch Rufe nach der Historisierung der Kognitionswissenschaft kontraproduktiv, vgl. Zymner 2009, 145.) Die Kognitionswissenschaft (und mit ihr die kognitive Literaturwissenschaft) sollte zunächst weitaus grundsätzlichere Annahmen belegen, darunter eben auch die Frage, wie sich die menschliche Kognition zur Verarbeitung und Schaffung von literarischer Form verhält. Ein wichtiger Beitrag bei der Beantwortung dieser offenen Fragen könnte aus den ‚harten‘ Neurowissenschaften kommen, die die kognitive Literaturwissenschaft traditionell umgangen hat (vgl. Adler und Gross 2002). Neuere Forschungsbereiche an der Schnittstelle von Neuro- und Kulturwissenschaft wie die „Neuroästhetik“ (Kawabata und Zeki 2004) oder „neuro-cognitive poetics“ (Jacobs 2015) versuchen die spezifischen, mit ästhetischen Empfindungen und Erfahrungen einhergehenden gehirnphysiologischen Korrelate aufzuspüren. Auch diese neuen Schulen sind zwar nicht gegen argumentative Kurz- und Zirkelschlüsse gefeit, denn auch hier liegt das Problem vor, dass die von ihnen eingesetzten technischen Verfahren neurologische Prozesse nur abbilden, nicht aber erklären. Manche ihrer Ergebnisse könnten der kognitiven Literaturwissenschaft jedoch Belege für Prozesse liefern, die sie bis dato nur hypothetisiert, oder zur Modifizierung dieser Hypothesen beitragen. Ein weiterer Bereich, den die kognitive Literaturwissenschaft beharrlich zu umgehen scheint, ist die Psychologie (vgl. Gibbs 2000; Miall 2007; Sternberg 2009; Tsur 2008), und zwar nicht nur speziell hinsichtlich der zum Einsatz kommenden Verfahren oder experimenteller Ergebnisse, sondern ganz allgemein, was das Interesse der kognitiven Literaturwissenschaft am Menschen bzw. der menschlichen Psychologie betrifft. Angesichts ihrer Betonung der Körperlichkeit kognitiver Prozesse überrascht es, dass die kognitive Literaturwissenschaft so textlastig ist. Eine psychologische Perspektive würde aber die Aufmerksamkeit auf den Leser lenken, an den die kognitive Literaturwissenschaft zwar ihr Erkenntnisinteresse knüpft, mit dem sie sich aber scheinbar nicht befassen möchte. Dies würde allerdings auch bedeuten, dass sich die kognitive Literaturwissenschaft wissenschaftlichen Hypothesen öffnen muss, um die sie aus ideologischen Gründen üblicherweise einen großen Bogen macht, darunter vor allem solchen aus der Evolutionspsychologie (eine antinaturalistische Haltung, die im Licht der Bedeutung, die die kognitive Literaturwissenschaft dem Körper beimisst, widersprüchlich erscheint). Auf die Relevanz evolutionspsychologischer Kenntnisse
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für die Kognitionswissenschaften ist bereits hingewiesen worden (vgl. Krill et al. 2007); analog dazu sollte auch die kognitive Literaturwissenschaft von ihnen profitieren können. Evolutionspsychologische Erkenntnisse könnten nicht nur Argumentationsmaterial zur Fundierung von kognitiven Fähigkeiten liefern und deren evolutionäre Vorgeschichte nachzeichnen helfen, sie würden auf diese Weise auch die Möglichkeit schaffen, natürliche Fähigkeiten von solchen zu trennen, die kulturell geprägt sind (vgl. Mellmann 2013, 69; Zymner 2009) – und damit der kognitiven Literaturwissenschaft zu einer grundlegenden Differenziertheit verhelfen, die gegenwärtig noch von der oberflächlichen Raffinesse ihrer Methoden und Verfahren überlagert wird. Es besteht kein Zweifel, dass es zwischen literarischer Form und menschlicher Kognition einen tieferen Zusammenhang gibt als den üblicherweise angenommenen, dass Kognition Form nicht nur verarbeitet, sondern auch erarbeitet. Die zweite dieser beiden Annahmen wird von der kognitiven Literaturwissenschaft zwar mit besonderer Vehemenz propagiert, aber nicht immer mit überzeugenden Argumenten und Modellen untermauert. Mit der richtigen Akzentuierung könnte es der kognitiven Literaturwissenschaft jedoch gelingen, als dritte Säule neben der Philosophie und der Soziologie der symbolischen Formen eine Psychologie der symbolischen Formen zu errichten.
Weiterführende Literatur Brône, Geert und Jeroen Vandaele. Hrsg. Cognitive Poetics. Goals, Gains and Gaps. Berlin 2009. Gibbs, Raymond W. Jr. „Evaluating Conceptual Metaphor Theory“. Discourse Processes 48 (2011): 529–562. Huber, Martin und Simone Winko. Hrsg. Literatur und Kognition. Bestandsaufnahmen und Perspektiven eines Arbeitsfeldes. Paderborn 2009. Miall, David S. „Cognitive Poetics: from Interpreting to Experiencing what is Literary“. Anglistentag 2007 Münster: Proceedings. Hrsg. von Klaus Stierstorfer. Trier 2007: 188–207. Stockwell, Peter. Cognitive Poetics. An Introduction. London und New York 2002.
III.2 Formverfahren
Michael Niehaus
III.2.1 Format und Form 1 Abgrenzung des Formats von Medium und Form Zusammenhängend mit der Ausbreitung der digitalen Medien hat sich der Formatbegriff auf zahlreiche andere Bereiche ausgedehnt. Dies gilt sowohl für seinen Gebrauch als mehr oder weniger technischer Begriff in Spezialdiskursen wie auch für die Alltagssprache. Mit Hilfe des Wortes Format kann ‚technisch‘ über ganz unterschiedliche Gegenstände gesprochen werden, die man zuvor teilweise in andere Begriffe gefasst hat. Die Frage, was ein Format ist, lässt sich insofern umformulieren. Es geht darum nachzuvollziehen, was dieser Terminus impliziert und wie er funktioniert. Bislang steht der Ubiquität des Formatbegriffs ein weitgehender Mangel an theoretischer Reflexion gegenüber. Man vergleiche den Formatbegriff in dieser Hinsicht mit dem Begriff des Mediums: Wie viele Antworten auf die Frage ‚Was ist ein Medium?‘ hat es nicht schon gegeben? Der Begriff des Formats ist nicht weniger allgemein als der des Mediums und muss ihm sogar notwendigerweise zur Seite gestellt werden. Philosophische Medientheorien kommen immer wieder auf die widersprüchliche ontologische Stellung zurück, welche die Medien als Medien auszeichnet, nämlich dass sie idealiter wahrnehmbar machen, ohne selbst wahrnehmbar zu sein, also eben in ihrer vermittelnden – medialen – Funktion aufgehen (vgl. Mersch 2002, 85). So gesehen sind Medien nur wahrnehmbar, weil sie immer schon durch Formate strukturiert worden sind. Diese Formate können zwar unscheinbar sein, aber sie sind keineswegs unkenntlich. Das Wort Format leitet sich von dem lateinischen Wort formare ab, dessen Partizip formatum ‚das Geformte‘ bedeutet. Das Geformte hat eine Form, aber es hat eine Form besonderer Art. Im Begriff der Form an sich bleibt, wenn man ihn untheoretisch versteht, zunächst einmal unentschieden, woher die Form kommt. Die Rede vom Geformten hingegen zeigt zunächst an, dass ihm die Form von außen angetan worden und nicht ‚organisch‘ nach eigenen unsichtbaren Gesetzmäßigkeiten entstanden ist. Wenn zum Beispiel eine Figur aus Lehm geformt wird, fungiert die Form als Gegenbegriff zum (bloßen) Stoff. Das in diesem Sinne Geformte ist nicht autonom, sondern heteronom. Mit dem ‚Geformten‘ ist man freilich noch nicht beim ‚Format‘. So, wie ein Ding eine Form hat, aber keine ist, verhält es sich auch mit dem Format. Ein formatierter Gegenstand gehört zu der Reihe der Gegenstände, die dasselbe Format haben – die nach denselben, von außen gesetzten, klar definierten Regeln geformt sind. Der Begriff des Formats setzt daher die Möglichkeit einer im Prinzip beliebig oft exekutierbaren Operation https://doi.org/10.1515/9783110364385-009
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voraus. Insofern es zum Begriff eines Formats gehört, in dieser Weise definiert worden zu sein, scheint es nicht schwer zu sagen, was ein Format ist (indem man zum Beispiel auf mehrere Dinge zeigt, die dieses Format haben). Als ein Gegenbegriff zum Format lässt sich das Gebilde auffassen, das man nicht definieren kann, weil (noch) nicht begriffen ist, wie es sich gebildet hat; die Kategorie der Form vermittelt zwischen Format und Gebilde (Niehaus 2018a). Die scheinbare Erklärungsunbedürftigkeit des Formats hat dazu geführt, dass der Formatbegriff selbst bisher wenig zum Gegenstand der Aufmerksamkeit geworden ist (vgl. aber neuerdings Fahle et al. 2020).
2 Herkunft und Entwicklung des Formatbegriffs Das Wort Format wird in der deutschen Sprache zunächst im ersten Drittel des siebzehnten Jahrhunderts als terminus technicus im Buchdruck gebräuchlich (Müller 2015, 254). Dem Wort nach sind Formate zunächst Papier- und vor allem Buchformate. Um diese Zeit tauchen auch sogenannte Formatbücher auf, die Anleitungen für die Setzertätigkeit geben, also das äußere Erscheinungsbild eines Buches betreffen (Boghardt 2008). Buchformate gab es natürlich, bevor sie Formate genannt wurden, denn der Sache nach entsteht die Frage nach Papiergrößen, sobald man viele Blätter gleichen Formats auf einen Stapel legen und heften oder binden muss. Da jedes Blatt Papier zugeschnitten werden muss, verdankt es sich einer technischen Operation, die erst seit Kurzem Formatierung heißt. Weil diese Operation beliebig oft durchgeführt werden kann, lässt sich die angestrebte Gleichartigkeit der formatierten Objekte erreichen. Gleichartigkeit ist aber nicht das einzige Kriterium, dem die Objekte zu genügen haben. Vielmehr ist das Format auf verschiedene Weise motiviert. Das liegt zu einem Teil an ihm selbst (ein Papierformat etwa von 20 × 60 cm wäre für die meisten Belange unpraktisch). Es hängt aber vor allem mit dem Ort zusammen, der ihm zugewiesen wird. Ein Format steht grundsätzlich in einer Relation zu anderen Formaten. Für jedes Papierformat gilt beispielsweise, dass durch doppelte Halbierung eines Blattes vier Blätter mit demselben Seitenverhältnis entstehen. Weiterhin steht ein formatiertes Ding in Beziehung zu anderen formatierten Dingen. Evident ist das etwa für den Zusammenhang von Papierformaten und Buchformaten, aber auch in Wortbildungen wie dem im neunzehnten Jahrhundert aufgekommenen „Westentaschenformat“ (z. B. für ein Gebetbüchlein, das man immer bei sich tragen kann). Das Format (und damit das Formatierte) ist stets in seine Umgebung eingepasst. Diese Eingepasstheit beschränkt sich schon beim Papier der Sache nach nicht auf Größe und Größenverhältnis. Vielmehr tendiert das Format dazu, sich
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auf andere Elemente des äußerlich Formatierten auszudehnen. Ganz allgemein kann jedes „physisch-stoffliche Element des Papiers“ (Müller 2012, 112) zum Bestandteil des Formats werden. Zu diesen Elementen gehören neben dem eigentlichen Format etwa Papierqualität, Papierfarbe, Wasserzeichen oder Stempel. Es sind Merkmale, die ein Blatt Papier mit anderen Blättern gemein hat und durch die es sich von anderen Blättern unterscheidet (als Produkt betrachtet, gibt es eine Analogie von Format und Sorte). Mittels all dieser Merkmale differenziert sich das, was man mit einem Blatt Papier machen kann, wie es zu verwenden ist. Fasst man das Papier als Medium auf (das man nicht wahrnimmt, wenn man es verwendet), so leuchtet unmittelbar ein, dass es als solches eine Abstraktion ist, da man es immer schon mit einem (sehr wohl wahrgenommenen) formatierten Medium zu tun hat, welches nach Maßgabe dieser Formatierung in verschiedene Kulturtechniken und institutionelle Zusammenhänge eingepasst ist. Insofern die Formatierung ein Medium gewissermaßen präpariert, lässt sich im Hinblick auf die Verwendungsmöglichkeiten etwa eines Blatts Papier formal von einer Art Vorformatierung des Inhalts sprechen. Bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein wird das Wort Format allerdings bei nahe ausschließlich für die äußere Größe und das Größenverhältnis von Büchern und Papier, bisweilen auch in naheliegender Analogie von anderen rechteckigen Gegenständen (Bilder, Spielkarten, Ziegel usw.) verwendet. Schon bei den Papierformaten wird deutlich, dass vom Format eine Art Ordre oder Devise zu einer immer weitergehenden Standardisierung ausgeht und dass es zugleich umgekehrt eine Antwort auf eine Forderung ist. Schon in der französischen Revolution wurde der erste Anlauf zur vernunftgeleiteten Normierung der Papierformate gestartet (vgl. Wenzlhuemer 2010, 5–7). Schon Georg Christoph Lichtenberg wusste, dass _ das ‚naturgemäße‘ Format 1:√ 2 sein musste, weil dieses bei seiner Halbierung wieder zu demselben Größenverhältnis führt. Um 1900 traten verschiedene Standardisierungsbemühungen und -visionen in ihre heiße Phase (vgl. Krajewski 2006, 64–140). Der Traum von einem einheitlichen Papierformat auf dieser Basis ging 1922 mit der Entwicklung von DIN 476 in Erfüllung. Erfordert wurde es letztlich von den papierverarbeitenden Maschinen. Die sich aus dem Bezug zur Standardisierung und Normierung ergebende Zweideutigkeit, dass ein Format in diesem Sinne sowohl auf die Größe eines Gegenstandes wie auch auf ein spezifisches Größenverhältnis bezogen werden kann, führte zur Übertragung des Terms Format auf andere Bereiche. Signifikant ist die nach dem ersten Weltkrieg zu beobachtende Verwendung des Wortes für Menschen ‚von Format‘, die bereits in Thomas Manns Zauberberg in der Figur des Mijnheer Peeperkorn ironisiert wird (Mann 1924). Dieser wird nicht nur wiederholt entsprechend bezeichnet, sondern dadurch auch als ein gleichsam leeres Eichmaß für seine Umgebung ausgewiesen (Niehaus 2018b, 18–24).
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Die entscheidende Phase für die Ausbreitung des Formatbegriffs ist das Aufkommen der elektronischen Datenverarbeitung in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Signifikant ist insbesondere das Aufkommen des Verbs formatieren, das ab 1988 in enzyklopädischen Werken auftaucht und „ausschließlich auf digitale Datenträger bezogen wird“ (Müller 2015, 256). In der Frühzeit des PC musste jeder Nutzer standardisierte Formatierungshandlungen durchführen, um Datenträger aufnahmebereit zu machen. Es handelt sich im Sinne Vilém Flussers um eine ‚In-Formierung‘ – eine Eingrabung von Formen, die die Voraussetzung für die Aufnahme von Informationen darstellt (21989, 14–16). Hier liegt eine Anschlussfähigkeit an die systemtheoretische Basis-Unterscheidung von Medium und Form vor, wie sie von Niklas Luhmann verschiedentlich – freilich in erster Linie nicht auf den Spezialfall eines einfachen Speichermediums bezogen – dargelegt worden ist, ohne auf die Kategorie des Formats zu rekurrieren. Was Medium ist und was Form, ist demnach relativ; die beiden Kategorien sind in der Systemtheorie aufeinander bezogen: „Das Gesetz von Medium und Form lautet: daß die rigidere Form sich im weicheren Medium durchsetzt“ (Luhmann 1988, 891), weswegen Medien nur „an der Kontingenz der Formbildung erkennbar sind, die sie ermöglichen“ (Luhmann 31999, 168). Während die Formatierung eines Datenträgers eine Vorformatierung darstellt, hat sich in der Sphäre der elektronischen Datenverarbeitung zugleich eine in gewisser Hinsicht entgegengesetzte Verwendung des Formatbegriffs verbreitet. Gewissermaßen eine Endformatierung ist die Festlegung des Erscheinungsbildes des in der Datei gespeicherten Textes auf der Benutzeroberfläche, sinnfällig ausgesprochen im Kürzel WYSIWYG – what you see is what you get. Auch hier wird die Rede von Format und Formatierung als ein betont technischer Vorgang aufgefasst, der sich also nicht nur auf das beziehen kann, was schon vor Beginn festgelegt sein muss und insofern unzugänglich ist, sondern eigentümlicher Weise auch auf die bis zuletzt beliebig manipulierbare Oberfläche, also das Design. Nicht aber auf das, was dazwischen ist – auf das, was wir als Inhalt zu bezeichnen gewohnt sind. Der Inhalt (content) wird vielmehr als das gedacht, dem das Formatiertwerden von außen zustößt.
3 Format, Bild und Raum Wie alles andere nimmt auch das, was ein Format hat, einen Platz in einem Raum ein. Es grenzt ein Innen von einem Außen, einen Innenraum von einem Außenraum ab. Auch jenseits der materiellen Formen, so Spencer-Brown in den Laws of Form, gibt es auf der einen Seite die Form und auf der anderen Seite den
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unmarked space (vgl. Spencer-Brown 1997 [1969]). Beides definiert sich wechselseitig dadurch, nicht das andere zu sein, weil die „Form eigentlich eine Grenze ist“ (Luhmann 31999, 50). Eine solche Grenze ist das Format in ausgezeichnetem Sinne – nämlich eine Grenze, die sich als Grenze auszeichnet. Dies gilt unabhängig davon, ob sich das, was ein Format hat, einer standardisierenden technischen Operation verdankt. Auch einzelne, nicht in Serie hergestellte Gegenstände können als eingepasst in den sie umgebenden Raum wahrgenommen werden. Dass der Kunsthistoriker Jakob Burckhardt diese Verhältnisse allerdings mit dem Begriff Format belegt und damit 1886 zum ersten Mal eine Theorie des Formats vorlegt, hat mit der historischen Konstellation zu tun, in der es standardisierte Formatierungsverfahren gibt und das Wort Format zur generalisierenden Verfügung steht. Burckhardt betrachtet das Verhältnis konkreter Kunstgegenstände zu dem sie umgebenden Raum und entwickelt dabei eine kleine Geschichte der Bildformate. So schreibe die Architektur durch „Wandflächen, Lunetten, Kuppeln, Gewölbe und Giebel“ bestimmte Formate vor (Burckhardt 41919 [1886], 251). Der Ort im Raum, den die Architektur für ein Bildwerk – Skulptur, Relief oder Gemälde – vorsieht, ist als etwas „Gegebenes“ zu betrachten, als eine andere Art der Vorformatierung. Sie sei „eine Begrenzung, ein Abschluß“, der „die Kunst vor dem Zerfließen ins Endlose“ bewahre. Burckhardt kommt auf dieser Grundlage zu einer differenztheoretischen Definition des Bildformats: „Das Format ist die Abgrenzung des Schönen gegen den ganzen übrigen Raum.“ (253). Die Gegebenheit des Formats folgt aus der vorgängigen Strukturierung des Raums, die sich in diesem Fall von der Architektur herleitet. Bei den „transportabeln Gemälden“, bei denen das Format im Prinzip „ein frei gewähltes“ sei (253), müsse es vor allem als eine Begrenzung betrachtet werden, die sich nach innen auswirkt. Die verschiedenen Bildgattungen müssen in ihrer Abhängigkeit vom Format gesehen werden. So unterscheidet Burckhardt hinsichtlich der „erzählende[n] Malerei“ zwei Typen, bei denen jeweils ein unterschiedlicher Umgang mit dem Format gefordert sei: die „ideal[e], auf Komposition und Zeichnung beruhende“ Kunst auf der einen Seite, und die „realistisch[e] und koloristisch[e] Kunst“ auf der anderen Seite. Erstere müsse sich auf das Format beziehen, damit die „Begrenzung […] mit den Linien der Komposition ein strenges, feierliches Ganzes“ bilde; für letztere hingegen sei der „Rahmen gleichsam eine Oeffnung der Wand“, die sozusagen den Eindruck von Kontingenz, also von Ausschnitthaftigkeit erwecken soll (254–255). Den Gegenpol dazu bilden Formate, die sich selbst als spezifische Begrenzung aufdrängen – wie es besonders im von Burckhardt ausführlich analysierten Rundbild (Tondo) der Fall ist: Hier müsse sich die Komposition nach dem Format richten. Wieder aufgenommen wurde der Formatbegriff in der Kunsttheorie erst neuerdings. In seinem Buch Real Spaces, in dem eine Universalgeschichte der Kunst
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in Abhängigkeit vom Raum entworfen wird, nähert sich David Summers der Frage nach dem Ort der Kunst über die Zuordnung von Plätzen in einem strukturierten Raum. Dieser Raum wird als ein sozialer (und damit zusammenhängend als ein personaler), aber immer schon zur zweiten Natur gewordener kultureller Raum aufgefasst. Jede Begegnung mit einem virtuellen Raum (durch ein Bildmedium im weitesten Sinne) finde daher vor einem „culturally specific format“ statt (Summers 2003, 44). Schon bevor das Format mit etwas gefüllt wird, ist es signifikant. Weder Ikonographie noch Formanalyse könnten erklären, warum Formate in die Welt kommen, sich halten, sich verändern, verschwinden und unter Umständen wiederbelebt werden (Summers 2003, 18). Anders als Burckhardt bezieht Summers, auf den sich dann auch andere Bildtheoretiker berufen haben (vgl. Pichler und Ubl 2014), andere Artefakte in seine Betrachtung ein: „a wall, floor or ceiling of a building, a mirror, the screen of a movie theatre, a panel, canvas, textile, tapestry, the page of a book, or a section of a scroll“ (2003, 355) – all das sind Formate bzw. auch hier wieder Vorformatierungen, nämlich „conditions of presentation“ (Summers 2003, 685).
4 Medienformate Eine theoretische Bemühung um den Formatbegriff gibt es derzeit auch in dem Zweig der Medienwissenschaften, der auf die Medienkommunikation abzielt. Hier gerät er in Nachbarschaft zu anderen Begriffen, die herangezogen werden, „wenn es darum geht, die Stabilität sozialer oder kommunikativer Ordnungen und Praktiken zu erklären“, also etwa „Gattung, Darstellungsform, Textsorte, Genre, Regel, Muster“ (Bucher et al. 2010, 10). „Wenn beide Parteien des kommunikativen Austausches wissen, was ein Wetterbericht, eine Rezension, eine Nachrichtensendung, ein Online-Chat, ein Tweet oder ein wissenschaftlicher Vortrag ist“, dann steigt die Chance, dass die Kommunikation „auf der Basis standardisierter gegenseitiger Erwartungen gelingen kann“ (Bucher et al. 2010, 10). Psychologen sprechen eher von Schemata und Skripts, kommunikative Handlungstheorien nutzen Begriffe wie Patterns oder Interaktionsmuster, Soziologen und Kommunikationswissenschaftler sprechen gerne von Frames und Gattungen, Sprachwissenschaftler häufig von Genre, Darstellungsform oder Textsorte. Der Formatbegriff soll sich entsprechend besonders auf Medienformate beziehen. Etwas willkürlich scheint der Vorschlag, dies mit einer dreiteiligen „hierarchische[n] Ordnung der Medienkommunikation“ zu verbinden, nach der es zunächst eine grobe Einteilung in „Mediengattungen (Printmedien, Hörfunk, Fernsehen, Film, Internet etc.)“ gibt, dann, als mittlere Stufe, die „Formate (Tageszeitung, Wochenmagazin, Fachzeit-
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schrift, Special-Interest-Zeitschrift, Tabloid, Weblog, Podcast, Chat usw.)“ und schließlich, am ‚feinkörnigsten‘, die „Genres, Kommunikations- oder Darstellungsformen (Bericht, Magazingeschichte, Porträt, Kommentar, Anreißermeldung etc.)“ (Bucher et al. 2010, 19). In Abgrenzung „von einer rein technischen Verwendungsweise“ des Formatbegriffs möchten Medienkommunikationswissenschaftler Medienformate von ihrer „kommunikativen Funktion“ her als „Lösungen“ (Bucher et al. 2010, 23) verstehen. Sie betonen daher kontinuierlichen Wandel von Formaten: „Medienformate entstehen und wandeln sich im Gebrauch zusammen mit ihrer Umwelt; sie sind keine statischen, autarken Gebilde.“ (Perrin 2010, 145). Dies steht nicht nur im Widerspruch zur Verwendung des Formatbegriffs als terminus technicus, für welche aufgrund der Standardisierung eine gewisse Starrheit konstitutiv ist, sondern auch zum allgemeinen Sprachgebrauch, der nämlich genau diesen Aspekt übernommen hat: Als Bestandteile des Formats werden gewöhnlich genau jene Bestandteile bezeichnet, die sich nicht kontinuierlich wandeln, sondern eine rigide äußere Beschränkung darstellen. Das heißt natürlich nicht, dass Formate ‚zeitlos‘ sind, sondern dass sie so tun, als ob sie ‚zeitlos‘ wären. Sie wandeln sich nicht ‚mit der Zeit‘, sondern reagieren sprunghaft (also nicht natürlich) auf sich verändernde Erwartungen – bzw. werden abgeschafft. Am deutlichsten demonstriert dies ein Phänomen, das seit der Privatisierung des Fernsehens – dem paradigmatischen Fall des Medienformats – immer mehr an Bedeutung zugenommen hat: der sogenannte Formathandel, in dem jedes Jahr mehrere Milliarden Euro in Europa umgesetzt werden (Hallenberger 282009, 160). Formate können immaterielle Wirtschaftsgüter sein, auf denen Urheberund andere Schutzrechte liegen. Dies ist überhaupt nur möglich, weil durch das Format etwas festgelegt wird. Einer geläufigen Definition zufolge ist das handelbare Produkt TV-Format „eine die charakteristischen Merkmale einer Fernsehserie oder Fernsehshow beinhaltende Grundstruktur, die in jeder Serien- oder Showepisode unterschiedlich ausgefüllt wird“ (Litten 1997, 155). Das Fernsehformat ist insofern als die „Vervielfältigung eines Modells“ (Koch-Gombert 2005, 29) aufzufassen. Die unveränderlichen Elemente definieren das Format. Es kann handelbares Eigentum sein, insofern es sich von allen andern handelbaren Formaten signifikant unterscheidet. In dieser Verwendung ist ein bestimmtes Format also kein Allgemeinbegriff (wie etwa: Tageszeitung), sondern es trägt einen Eigennamen (zum Beispiel Wer wird Millionär?). Die erste schriftliche Konkretisierung eines Formats erfolgt im sogenannten paper format, das die Basis des Handelsguts Format darstellt. Es kann auch bei hinreichender Konkretisierung nur dann einen urheberrechtlichen Schutz genießen, wenn es seinerseits einen gewissen Individualitätsgrad aufweist. Ob dies der Fall ist, muss gegebenenfalls gerichtlich entschieden werden. Das paper format
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ist nicht das Format selbst, sondern (zum Teil) dessen Beschreibung; darüber hinaus enthält es auch „irrelevante und außerhalb des durch Zuschauer wahrgenommenen Formatbegriffs […] liegende Informationen“ (Lobigs et al. 2005, 102). Das ‚wahrgenommene Format‘ und das gehandelte Format decken sich insofern nicht. Die im Formathandel vollzogene Rechteeinräumung bezieht sich aber nicht nur auf die ‚Grundstruktur‘ – also die ‚Vorformatierung‘ der einzelnen Folge –, sondern auch auf andere unveränderliche Merkmale, die der ‚Endformatierung‘ zuzurechnen sind, wie etwa Design, Logo oder Erkennungsmelodie (eine Komplizierung stellt sich dadurch ein, dass ein Format für den jeweiligen nationalen Markt nicht identisch reproduziert, sondern adaptiert wird, was aber ebenfalls nur die ‚Endformatierung‘ betrifft). Zwar werden die Formate durch den Handel mit ihnen de facto definiert, aber diese Definition ist nicht unproblematisch. Die Tätigkeit der im Jahr 2000 gegründeten FRAPA, die Format Recognition And Protection Association, die unter anderem mit dem „Formatklau“ befasst ist (Lantzsch 2008, 141), hat keine triviale Aufgabe, wenn es darum geht, Formate zu erkennen, da ein Format keinen Werkcharakter hat. Der Ausdruck Format kommt in der Begrifflichkeit des Urheberrechts nicht vor, weil dieses „für die Zusprechung eines Schutzes eine konkrete, sinnlich greifbare Objektivierung“ verlangt – also eine „Form“ (Lobigs et al. 2005, 103). Das Format hingegen befindet sich „auf einer Konkretisierungsstufe zwischen der Idee und dem fertigen Produkt“ (104) und ist insofern „etwas Virtuelles“ (102). Die einschlägige Literatur kommt zu dem Ergebnis, „dass TV-Formate nur ansatzweise durch absolute Rechte geschützt sind“ (115). Da es eine klare juristische Definition des Formatbegriffs nicht gibt, entsteht das Format als Wirtschaftsgut dadurch, dass es als ein Format definiert, behauptet und benannt wird. Möglicherweise geht es aber ohnehin nicht darum, was ein Format ist, sondern darum, was dabei herauskommen kann, wenn man etwas unter dem Aspekt seiner Formatiertheit betrachtet. Der Umstand, dass mit ihnen gehandelt werden kann, hat den ‚Medienformaten‘ ein eher negatives Image in den Fernsehwissenschaften eingebracht. Für Knut Hickethier vollzieht sich der Niedergang des Fernsehens in der Umstellung vom Formbegriff auf den Formatbegriff: „Daß wir heute von ‚Programmformaten‘ und nicht mehr von ‚Programmformen‘ sprechen, ist bereits ein Indiz für eine Entwicklung.“ (1999, 204). Das Format ziele „auf eine kontinuierliche, serielle, also industrielle Produktion“ und gehe dabei „relativ bedenkenlos mit kulturellen Traditionen, auch mit Tabus und gewachsenen Selbstbeschränkungen“ um (Hicke thier 1999, 205). Erst in jüngster Zeit hat sich – auch im Zuge der Hochschätzung innovativer Serienformate – die Einsicht breitgemacht, dass Medienformate nicht nur eine kulturindustrielle Zurichtung darstellen, sondern auch einen kreativen Anreiz darstellen können.
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5 Programmatik – Format und Institution Die Begriffe Format und Programm sind eng miteinander verknüpft. Das Programm lässt sich als das definieren, worin das Format eingepasst ist. Das gilt nicht nur für das Medium Fernsehen, sondern für Massenmedien überhaupt. Diese Relation zum Programm lässt sich als Programmatik fassen. Massenmedien werden gewöhnlich durch ihre spezifische „Vernetzungslogik“ – nämlich „one to many“ – gekennzeichnet (Winkler 2008, 27). Luhmann möchte mit diesem Begriff „alle Einrichtungen der Gesellschaft“ erfassen, „die sich zur Verbreitung von Kommunikation technischer Mittel der Vervielfältigung bedienen“ (21996, 10). Entscheidend ist hier, dass dieser Definition zufolge nicht Privatleute, sondern nur ‚Einrichtungen der Gesellschaft‘ als Adressanten in Frage kommen. Ein Einzelner kann ein Massenmedium höchstens nutzen. Denn Massenmedien sind Einrichtungen, also Institutionen. Weil sie in diesem Sinne Institutionen sind, haben Massenmedien notwendigerweise auch eine Programmatik. Massenmedien – Zeitung, Radio und Fernsehen – sind Programm-Medien. Das Programm besteht zunächst einmal nicht in den Inhalten, sondern in der Aufteilung. Eine Zeitung ist aus verschiedenen Beiträgen unterschiedlichen Formats zusammengesetzt. Jede Nummer einer bestimmten Tageszeitung enthält einen Leitartikel, eine Glosse, einen Kommentar auf der ersten Seite, eine Rubrik Lokales, den Wetterbericht, eine Rätselecke, einen Sportteil, einen Comic Strip, die Inserate, die Todesanzeigen usw., für die jeweils ein bestimmter Umfang und ein bestimmter Platz vorgesehen ist. All das, was in den verschiedenen Exemplaren dieser Formate am selben Ort wiederkehrt, kann als Ergebnis von Formatierung beschrieben werden. Für das Programmschema im Radio und im Fernsehen in seiner zeitlichen Abfolge gilt dasselbe. Von Wiederkehr lässt sich nur sprechen, weil ein Massenmedium durch Periodizität gekennzeichnet ist. Sonst wäre es keine Einrichtung der Gesellschaft, die auch da ist, wenn sie nicht sendet. Die Programmatik sorgt dafür, dass die formatierten Bestandteile an derselben Stelle wiederkehren. Sie spiegelt eine geordnete Welt wieder (bzw. bringt die Unordnung der Welt in eine Ordnung). Entscheidend ist hierbei die Heterogenität der Bestandteile, die Verschiedenheit der Formate, die in ihrer Zusammenstellung und in ihrer Eingepasstheit gleichwohl ein Ganzes ausmachen (bzw. auszumachen behaupten). Formate haben ihren Platz innerhalb einer Programmatik und diese setzt formal eine massenmediale Institutionalität voraus. Den Adressaten wird eine bestimmte Montage von unterschiedlichen Formaten angeboten, die sie zwar hinnehmen müssen, zu der sie sich aber verhalten können. In und mit einem Programm-Medium ist es möglich, sich zu orientieren, weil die Formate an derselben Stelle wiederkehren. Insofern steht die massenmediale Programmatik in der Nachfolge der Architek-
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tur, der institutionellen Strukturierung und Orientierung des kulturellen Raums (Summers 2003), die deshalb ebenfalls bisweilen als „das älteste Massenmedium schlechthin“ (Gleiter 2005, 90; vgl. Fusco 1972) bezeichnet wird. In der angelsächsischen Fernsehforschung beobachtete man allerdings bereits in den 1970er-Jahren eine Erosion dieser Strukturierung, nämlich „einen signifikanten Wechsel vom Konzept der Abfolge als Programm hin zum Konzept der Abfolge als flow“, obwohl „das ältere Konzept des Programms“ immer noch „aktiv“ sei (Williams 2002 [1975], 35). In dem Maße, in dem das geschieht, büßt der Fernsehsender seinen Anspruch auf Institutionalität tendenziell ein. Im Bereich des Radios heißt diese Nivellierung der Programmatik interessanterweise Formatradio, worunter man die zielgruppenorientierte Einfärbung sämtlicher auf eine spezifische Art und Weise eingefärbter Programmteile versteht, die zu einer einheitlichen Wahrnehmung des (privaten) Senders und damit zu einer erhöhten Bindung an ihn führen soll. Dem korrespondiert insgesamt eine zunehmende Lösung des Formats von der Programmatik. Alles spricht dafür, dass die Epoche der Programmatik sich dem Ende zuneigt. Das Internet ist kein Programm-Medium, sondern ein FormatMedium. Insofern ist es auch kein Massenmedium. Es besteht allein aus kommunikativen Formaten, die – abgesehen von den technischen Rahmenbedingungen – kontingent und insofern grundlos sind. Nur die Formathaftigkeit seiner Bestandteile auf verschiedenen Ebenen – von der Syntax einer URL oder einer E-Mail-Adresse über die Menüs einer Website bis zum Posting-Format – hindert das Netz am Zerfließen. Im weiteren Sinne ist hier alles Format, was nicht content ist, aber als äußere Begrenzung auf das, was so genannt wird, zurückwirkt. Im Begriff des Formats liegt, dass es immer auch anders ausfallen könnte und daher bis zu einem gewissen Grad arbiträr ist. Alles, was in der digitalisierten Welt gesendet und empfangen wird, muss sowohl in seiner syntaktischen Struktur als auch auf der Benutzeroberfläche formatiert sein (je weniger etwas an einem vorgesehenen ‚Sendeplatz‘ wiederkehrt, desto mehr kommt es auf seine Wiedererkennbarkeit an). Insofern lässt sich das Format als formale Institution bezeichnen, die in keine Programmatik mehr eingebettet ist. Man kann vermuten, dass die allgegenwärtig gewordene Rede von Formaten in den verschiedensten Bereichen ihren Grund in dieser Grundlosigkeit hat.
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6 Format, Genre, Serie In der Medienkulturwissenschaft gelten die drei Kategorien Gattung, Genre und Format als „Gruppenbildungen von Medientexten“ (Frahm und Voßkamp 2005, 256), wobei die Gattung traditionellerweise der Literatur, das Genre dem Film und das Format dem Fernsehen zugeordnet wird, welches, wie Stanley Cavell formuliert, unter der „Herrschaft des Formats“ stehe (2001 [1982], 130). Das „Genrekonzept“, das vor allem in der amerikanischen Filmwissenschaft (als Gegenbegriff zum „Autorenkonzept“) ausgearbeitet wurde (Frahm und Voßkamp 2005, 256), hat sich zunehmend auch auf die Rede über Literatur ausgedehnt. Man spricht heutzutage ebenso von Genreliteratur wie von Genrefilmen. Was ein Genre ausmacht, ist dabei stets auf mehreren Ebenen angesiedelt. Sowohl „Erzählmuster“ wie auch „Themen“ und „Motive“ spielen eine Rolle (Hickethier 42007, 203). In diesem Sinne besteht ein Genre aus einem tendenziell transmedialen Konglomerat heterogener Bestandteile, die sowohl die Struktur wie das Layout betreffen. In dieser latenten Versatzstückhaftigkeit des Genres liegt schon dessen Affinität zum Format, das dann als ein „medienindustriell optimiertes Genre“ (Hickethier 2012, 152) verstanden wird, welches „gegenüber dem Genre ‚zeitlos‘ sein und den Erfolg dauerhaft fixieren“ wolle (Hickethier 2012, 153). Gleichwohl ist der Unterschied zwischen Format und Genre damit ein kategorialer. Der Genrebegriff bezog sich zunächst auf narrative Fiktionen, während dies bei dem auf das Medium Fernsehen bezogenen Formatbegriff nicht der Fall ist. Erst mit der aktuellen Ausweitung des Genrebegriffs können auch Nachrichtensendungen, Kochshows, Kultursendungen oder Wettervorhersagen als Genres bezeichnet werden. Umgekehrt vollzieht sich eine grundlegende Modifikation der narrativen Genres dadurch, dass sie in ein Format transformiert werden können. Denn von sich aus hat das Format keine narrative, sondern nur eine serielle Dimension. Dem Verhältnis von Genre und Format kommt man durch einen nochmaligen Rückgriff auf den Formathandel näher. Die Entwicklung eines handelbaren Formats wird dort wie folgt beschrieben: „Zu Beginn steht die Entscheidung, in welchem Genre die Produktion angesiedelt sein soll. Als zweiter Schritt erfolgt die Entwicklung der Idee für die grundlegende Ausgestaltung des Projekts. Diese wird schließlich mit Strukturen und Details […] [so] angereichert, dass ein Gerüst (TVFormat) entsteht.“ (Spacek 2005, 138). Das, was formatiert wird, ist also ein Genre. Das Genre spielt hier die Rolle dessen, was ‚noch nicht handelbar‘ ist. Nicht von ungefähr kommt daher die Warnung: „Je breiter der Formatschutz ausgelegt ist, desto eher kann […] der Fall eintreten, dass dieser dem dynamischen publizistischen Innovationswettbewerb sogar schadet. Denn irgendwann wird der Punkt erreicht, an dem der Formatschutz in einen eigentumsrechtlichen Genreschutz übergeht.“ (Lobigs et al. 2005, 114).
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Diese Frage stellt sich auch für narrative Formate bzw. Genres. Im Jahr 1990 urteilte das Oberlandesgericht München in der Sache Forsthaus Falkenau, dass „die vage Idee, einen verwitweten Förster, der Kinder hat, im Umfeld einer überwältigenden bayerischen Landschaft agieren zu lassen, wobei Naturschutz und Waldschäden einen weiteren wichtigen Bestandteil ausmachen“, nicht „ausreichend individuell“ und mithin nicht urheberrechtlich geschützt sei (zit. nach Spacek 2005, 161). Das Beispiel zeigt unter anderem, dass mit der Frage der Formatierbarkeit eines Genres automatisch eine Depotenzierung der narrativen Ebene verknüpft ist: Das, was als möglicherweise schützenswertes Format zur Diskussion steht, ist nicht eine bestimmte ‚große‘ Geschichte, vielmehr soll aus der Kombination von Versatzstücken eine ‚bewohnbare Struktur‘ (Baßler 2014) entstehen, innerhalb derer eine Vielzahl ‚kleiner‘ Geschichten in verschiedenen Folgen generiert werden kann. Bei der Formatierung eines Genres geht es zwangsläufig um Serialisierung. Die audiovisuelle Serie verdankt ihre Existenz dem Medium Fernsehen, nämlich der periodischen Wiederkehr an einem Sendeplatz. Die Serie ist daher ein Format, das die Programmatik impliziert. Und wenn sie sich nunmehr zunehmend von ihrem klassischen Trägermedium löst (vgl. den Übergang von Folge zu Staffel als der entscheidenden strukturellen Einheit), dann bleibt ihr ein Derivat von Programmatik qua ‚bewohnbarer Struktur‘ gleichwohl (oder sogar umso mehr) inhärent. Während sich Genres – wie man im Anschluss an Wilhelm Voßkamp (1977) sagen kann – als nominelle Institutionen auffassen lassen, die wesentlich durch ihre zunehmend ausdifferenzierten Bezeichnungen (‚Western‘, ‚Neowestern‘, ‚Italowestern‘, ‚Westernparodie‘, ‚Westernkomödie‘ usw.) existieren, hat das Format als formale Institution an und für sich keinen Gattungsnamen, weil es durch die Formatvorgaben definiert und benannt ist. Etwas wird als ein Format bezeichnet, insofern es als durch von außen gesetzte Formatvorgaben definiert betrachtet werden kann (oder soll). Daher können Genre- und sogar Gattungsbezeichnungen durch den Zusatz ‚-format‘ nominell in Formate umgewandelt werden. Auch in wissenschaftlichen Veröffentlichungen kann man im neuen Jahrtausend bisweilen vom ‚Tragödienformat‘ usw. lesen. Durch eine solche Redeweise wird zum einen impliziert, dass das betreffende Format gewissermaßen zeitlos ist (also bereitliegt und reaktiviert werden kann) und zum anderen, dass es für verschiedene ‚contents‘ eine Option darstellt. Die Beziehung von Genre und Format erscheint daher parasitär. Während das Genre sich verändert und den Erwartungen anpasst, ist das Format starr, indem es die sogenannten ungeschriebenen Genrekonventionen in ein Set von äußerlichen Regeln übersetzt, die ohne Begründung einzuhalten sind. Die Übersetzung eines Genres in ein Format braucht dabei nicht ausdrücklich zu erfolgen. Ein Westernformat gibt es nicht deshalb, weil die Bezeichnung ‚Westernformat‘ in Gebrauch kommt, sondern
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insofern ein Western unter dem Aspekt der Befolgung oder des Bestehens eines Sets starrer Regeln produziert und beschrieben werden kann. Eine eigentliche Bezeichnung haben Formate nur als technisch-juridische Entitäten (sie haben also insofern nur einen Eigennamen, keinen Gattungsnamen). Das gilt für Papierformate ebenso wie für Dateiformate, für das PostingFormat ebenso wie für das E-Mail-Format und natürlich für alle Medienformate, mit denen Handel getrieben wird. Bezeichnungen wie ‚Quiz-Show‘, ‚Doku-Soap‘, ‚Gerichtsshow‘, ‚Late Night Talk‘ oder ‚Krimiserie‘ werden zwar häufig als Sendeformate bezeichnet, bleiben aber zugleich Genrebezeichnungen, da sich die mit ihnen verbundenen Erwartungen mit der Zeit wandeln. Zwar kann man auch die Quiz-Show als solche ein Format nennen, muss aber dann konzedieren, dass sich dieses Format nur in Formaten konkretisiert. Die serielle Dimension des Formats einer Sendung führt tendenziell zur Formatierung auch solcher Elemente, die nicht unmittelbar Bestandteil des Formats sind. Entsprechend hängt das, was als Bestandteil des Formats beschrieben werden kann und was nicht, vor allem davon ab, was in jedem Exemplar (jeder Folge) wiederkehrt. Besonders bedeutsam ist das für narrative Formate. Für die reine Episodenserie stellt Lorenz Engell fest, dass sie sich in „der Unterscheidung zwischen Erinnern und Vergessen […] ganz auf die Seite des Erinnerns“ stelle: „Auf der Ebene des Programmgedächtnisses leistet dies der gleichbleibende feste Sendeplatz, auf der Ebene des Seriengedächtnisses das gleichbleibende Personal, das gleichbleibende Setting, die Konstanz der Dramaturgie, der Visualisierung und des Stils.“ (2011, 122). Die markanteste Figur ist in dieser Hinsicht der Serienheld, der von Narration zu Narration eine unabschließbare Reihe von Aufgaben bewältigt, ohne dass dies in eine Bildungs- oder Entwicklungsnarration integriert wäre. Im eigentlichen Sinne tritt der Serienheld erst innerhalb eines für ihn geschaffenen narrativen Formats auf, wenn er als Sherlock Holmes – „der vielleicht erste Serienheld der modernen Medienwelt“ (Kelleter 2012, 12) – eine unbegrenzte Reihe von Fällen löst. Das Auftreten solcher Figuren lässt sich ohne die Programmatik der Massenpresse nicht denken. Am markantesten ist dieser Zusammenhang in der Entstehung des ‚Mediums‘ Comic Ende des neunzehnten Jahrhunderts in den amerikanischen Tageszeitungen. Das sogenannte Yellow Kid von Richard Felton Outcault, das als die Geburtsstunde des modernen Comic Strip gilt (Balzer und Wiesing 2010), ist eine – wie es in der Comic-Forschung heißt – „stehende Figur“ (Niehaus 2014), deren Schöpfer nicht zufällig versucht hat, ein Copyright auf sie zu erwerben. Eine stehende Figur ist eine formatierte Figur, der nur bestimmte Dinge zustoßen können, diese aber immer wieder, in jeder Episode. Diese Formatierung ist die Möglichkeitsbedingung aller Episodenserien, die sich in einer formatierten Welt zutragen. Der Comic Strip, der auf der Einführung der ‚stehenden Figur‘
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beruht, ist die erste rigide formatierte narrative Form in der Geschichte der Medienkulturen, und seine Entstehung markiert einen epochalen Einschnitt, dessen Folgen alle narrativen Medien betreffen. Jede Mikro-Narration eines Tagesstrips oder eines Wochenstrips findet in genau definierten vier, sechs oder zwölf Panels an einer ganz bestimmten Stelle in der Programmatik eines Periodikums statt, und diese durch die äußere Begrenzung gegebene Formatierung setzt sich in der Formatierung der in den Strips aufgespannten Welt, der in dieser Welt angesiedelten Geschichten und der in diesen Geschichten agierenden Figuren fort.
7 Das Format als Möglichkeitsspielraum Der Comic ist auch das erste mediale Format, in dem der durch die Formatvorgaben beschränkte Raum als Möglichkeitsspielraum aufgefasst wurde. Dass das Format als ein „medienindustriell optimiertes Genre“ (Hickethier 2012, 152) betrachtet werden kann, ist nur die eine Seite, die der Kategorie des Formats allein nicht gerecht wird. Schon bald nach 1900 gibt es Exzesse des Formats (Niehaus 2018b, 119–134), in denen Comiczeichner versuchen, alle Möglichkeiten eines gegebenen Formats auszuschöpfen. Dass die Serie „als Differenz in der Wiederholung Neues“ hervorbringt, „dieses Neue […] sich aber immer auf das Format zurückführen“ lässt, ist hier Ausgangspunkt und Motor der Vorgehensweise (Wünsch 2010, 195). Solche Unternehmungen sind als Erkundungen aufzufassen, die einen unbegrifflichen Erkenntnisgewinn bereithalten. Denn obwohl (oder gerade weil) die Struktur ein Format ohne Tiefe ist, ergibt sich das vollständige Wissen über ein Format erst aus der Ausschöpfung aller Möglichkeiten (ein Format ist kein Begriff). In Anlehnung an Marshall McLuhan kann man sagen, dass das Format in einem sehr viel konkreteren Sinn die Botschaft ist als das Medium. In Understanding Media, dessen erstes Kapitel bekanntlich programmatisch mit The Medium is the Message überschrieben ist, bietet McLuhan das Beispiel des elektrischen Lichts auf, das „gewissermaßen ein Medium ohne Botschaft“ und „reine Information“ sei (1968 [1964], 14), weil es sichtbar macht und daher buchstäblich informiert, selbst aber in seinem Sichtbarmachen unsichtbar bleibt. Für McLuhan ist das elektrische Licht sozusagen die reine ‚Erscheinungsweise‘ eines Mediums, dessen Botschaft die Sichtbarmachung ist – ohne jede weitere Formatierung. Schon dies trifft aus heutiger Sicht angesichts der mannigfaltigen Formatierungen des elektrischen Lichts, mit denen wir inzwischen zu tun haben, nicht zu, und wenn wir das elektrische Licht konkret als Medium analysieren wollen, müssen wir uns mit diesen Formatierungen beschäftigen. Und weiterhin lässt sich postulieren: Je weiter das Medium von diesem Nullpunkt entfernt ist, desto reichhaltiger und
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konkreter kann seine Analyse werden. Diese Konkretion erfolgt stets als Analyse von Formaten. Das Medium, das in seinen konkreten Formaten analysiert wird, hört damit zugleich auf, ein großer Singular mit bestimmtem Artikel zu sein (der Buchdruck, der Film, das Grammophon, das Radio usw.). Formate implizieren hingegen immer den Plural. Sie formatieren das, was bei McLuhan und anderen content heißt. Und weil sie es auf eine kontingente Weise formatieren, impliziert der Formatbegriff stets eine über das Technische hinausgehende Setzung: eine formale Institution. Die Konkretheit des Formats bestimmt auch die Konkretheit seiner Analyse. Ein Dateiformat für die Speicherung und Übertragung von Musik sagt beinahe ebenso wenig über die gespeicherte und übertragene Musik aus wie das Licht über die Gegenstände, die es sichtbar macht. Wenn man den Satz, dass das Medium die Botschaft sei, hier geltend machen möchte, muss man sich – im Sinne McLuhans – vor allem auf die gesellschaftlichen Auswirkungen beziehen, die das neue Dateiformat mit sich bringt. Am anderen Ende der Skala befinden sich hochspezialisierte Formatierungen innerhalb von Programm-Medien. Um sie zu analysieren, muss der Möglichkeitsspielraum erfasst werden, den sie bieten. Ein Format lässt sich nicht an einem einzelnen Artefakt analysieren, da dieses den Möglichkeitsspielraum nicht ausschöpft und es unter dieser Voraussetzung nicht gelingen kann, von der übermittelten Botschaft – dem content – zu abstrahieren bzw. anzugeben, wie sich die Formatierung auf den content auswirkt. Bei der Analyse eines einzelnen Artefakts wird die Einheit von Inhalt und Form immer schon vorausgesetzt (und kann dann allenfalls dekonstruiert werden). Auf dem Gebiet der Literatur bietet sich eine solche Betrachtungsweise natürlich besonders dort an, wo schon die Gattungsbezeichnung die medial-institutionelle Ebene ins Spiel bringt, wie schon früh bei der Kalendergeschichte oder dem Feuilletonroman; prinzipiell aber kann jedes Genre auch als Format analysiert werden (es liegt nur verschieden nahe). Dies geschieht, sobald die sogenannten Konventionen oder Regeln dieses Genres als umgrenzter Möglichkeitsspielraum für (eine) Wiederholung aufgefasst werden. Im Grunde implizieren der Begriff des Genres und der Begriff des Formats einander gegenseitig. Ob die Variation, die in jeder Wiederholung liegt, Ausgangspunkt für eine Weiterentwicklung und ein Fortschreiten ist, stellt sich erst im Nachhinein heraus. Und es stellt sich nur für den heraus, der seinen Blick entsprechend darauf scharfgestellt hat. Wer – als Produzent oder als Rezipient – ein Genre als Format wahrnimmt, dem geht es nicht um die Weiterentwicklung und die Anpassung der Konventionen usw., sondern um den Möglichkeitsspielraum und den Halt, den das Format als formale Institution bietet. Die damit verbundene Anerkennung der von außen gesetzten Grenzen bedeutet dabei nicht, dass die Grenze nicht überschritten werden kann, sondern dass die Überschreitung bloß akzidentell ist, dass sie keine Erweiterung
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oder Verschiebung der Grenzen in der Zukunft impliziert, also nicht als Ausgangspunkt für eine Evolution interpretiert wird. Insofern tilgen das Format und die Rede vom Format, indem sie die gegebenen Grenzen anerkennen, die geschichtliche Perspektive. Freilich kommt ‚die Geschichte‘ auf einer anderen Ebene gleichwohl zu ihrem Recht. Denn mit dem Begriff des Formats untrennbar verbunden ist die Vorstellung, dass ‚neue Formate‘ entwickelt und ausgearbeitet werden müssen. Ganz gleich, ob es sich um neue Fernseh-Formate handelt, mit denen dann Handel getrieben werden kann, um neue Formate bei der Austragung sportlicher Großveranstaltungen oder um neue Formate bei der Theaterarbeit – stets geht es darum, aus der neuen Konstellierung bekannter Elemente, die als von außen gesetzter Bezugsrahmen fungieren, einen neuen Möglichkeitsspielraum zu eröffnen.
Weiterführende Literatur Bucher, Hans-Jürgen, Thomas Gloning und Katrin Lehnen. Hrsg. Neue Medien – Neue Formate. Ausdifferenzierung und Konvergenz in der Medienkommunikation. Frankfurt am Main und New York 2010. Burckhardt, Jakob. „Format und Bild“. Vorträge 1844–1887. Hrsg. von Emil Dürr. 4. Aufl. Basel 1919 [1886]: 251–259. Frahm, Laura und Wilhelm Voßkamp. „Gattung/Genre/Format“. Einführung in die Medienkulturwissenschaft. Hrsg. von Claudia Liebrand u. a. Münster 2005: 256–267. Müller, Susanne. „Formatieren“. Historisches Wörterbuch des Mediengebrauchs. Hrsg. von Matthias Bickenbach, Heiko Christians und Nikolaus Wegmann. Köln 2015: 253–267. Niehaus, Michael. Was ist ein Format? Hannover 2018.
Jan Alber
III.2.2 Formerzählung/erzählte Form 1 Einleitung Dieses Kapitel thematisiert narratologische Perspektiven auf die literarische Form bzw. Formkonstellationen, die in der Erzähltheorie wichtig sind und prominent diskutiert werden. Neben einem umfassenden Überblick zur Rolle der Form in der Erzähltheorie wird es auch um die spezifische Verwendung dieser Formen in einzelnen Beispielen gehen. Hierbei wird selbstverständlich kein intrinsisches Verhältnis zwischen Formen und ideologischen Positionen postuliert. Brian Richardson schreibt hierzu Folgendes: „[N]o form has any inherent essence or tendencies […]. Ideological stances are frequently enmeshed with practices of narration, but never in a way that can be reduced to an easy equation.“ (1994, 321). Daher wird im Folgenden gezeigt werden, welche wichtigen Formen es in Erzählungen gibt und zu welchem Ende sie in konkreten Fällen eingesetzt werden.
2 Was ist eine Erzählung? Der Begriff der ‚Erzählung‘ wird von Narratologen unterschiedlich gefasst. Einige halten die Vermittlung durch einen Erzähler für das zentrale Unterscheidungskriterium zwischen Erzählungen und anderen Texttypen. Beispielsweise sieht Franz K. Stanzel das wesentliche Merkmal des Erzählens in seiner „Mittelbarkeit“ (2008, 15). Die Mittelbarkeit kann sich durch eine Erzählerfigur (teller) manifestieren – der Erzähler kann aber auch (wie in der personalen Erzählsituation) durch eine Reflektorfigur (reflector) ersetzt werden, deren Bewusstsein die Wahrnehmung der erzählten Welt bestimmt. Stanzel spricht hier von der „Illusion der Unmittelbarkeit“ (2008, 16), da es auch in der personalen Erzählsituation einen Erzähler gibt (Alber und Fludernik 2009, 174–175). Gérard Genette sieht Erzählungen wie Stanzel „stricto sensu als sprachliche Übermittlung“ (1994, 200), d. h. für ihn ist die Vermittlung durch einen Erzähler ebenso zentral wie für James Phelan, der Erzählungen als rhetorischen Akt versteht und wie folgt definiert: „[S]omebody telling somebody else on some occasion and for some purpose(s) that something happened.“ (2005, 18). Dieser Definition zufolge sind ausschließlich Romane und Kurzgeschichten Erzählungen (weil sie durch einen Erzähler vermittelt sind); Dramen und Filme (aufgrund der fehlenden Mittelbarkeit) aber nicht. https://doi.org/10.1515/9783110364385-010
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Andere Erzähltheoretiker halten das Vorhandensein eines Geschehens bzw. einer Handlung für das wesentliche Merkmal von Erzählungen (siehe z. B. Chatman 1978 und 1990; Rimmon-Kenan 22002; Bal 2009). Gerald Prince schreibt hierzu Folgendes: „[A]n object is a narrative if it is taken to be the logically consistent representation of at least two asynchronous events that do not presuppose or imply each other.“ (2008, 19). Eine solche Definition rückt Zustandsveränderungen in den Mittelpunkt des Interesses. E. M. Forster illustriert anhand des folgenden Beispiels, wie zwei Ereignisse kausal miteinander verbunden werden können: „The king died and then the queen died of grief.“ (1990 [1927], 87). Es handelt sich bei diesem Satz um eine Minimalerzählung, weil ihm eine Zustandsveränderung zugrundeliegt: Der Tod des Königs führt zur Trauer der Königin und diese Trauer bedingt dann ihren Tod. Wolf Schmid und Peter Hühn gehen einen Schritt weiter, indem sie Erzählungen nicht über bloße Zustandsveränderungen definieren, sondern über ihre „Ereignishaftigkeit“. Sie folgen hierbei einem bestimmten Begriff des ‚Ereignisses‘: Ein Ereignis ist für sie ein „besonderer, nicht alltäglicher Vorfall“ (Schmid 32014, 12; siehe auch Hühn 2009), also eine Zustandsveränderung, die nicht als erwartbarer Vorgang, sondern als herausgehobener Einschnitt erfahren wird. Das Konzept der ‚Ereignishaftigkeit‘ betont neben dem Vorhandensein von Ereignisketten in Erzählungen auch die Bedeutung der Zustandsveränderung für die Betroffenen. Für Monika Fludernik spielen dagegen Ereignisketten überhaupt keine Rolle. Sie sieht Erzählungen vorrangig als Ausdruck von menschlicher Erfahrungsqualität (experientiality). Fludernik definiert experientiality als „the quasi-mimetic evocation of ‚real-life experience‘“ (1996, 11). Das Hauptmerkmal der experientiality erkennt sie in der Vermittlung von menschlicher ‚Leiblichkeit‘ (embodiment), also von physischem In-der-Welt-Sein. Im Zentrum von Erzählungen stehen für Fludernik eine oder mehrere Figuren anthropomorpher Prägung, die in zeitlicher und räumlicher Hinsicht existenziell verankert sind und denen in der dargestellten Welt irgendetwas widerfährt: Es kann sich hierbei um Ereignisse handeln, aber auch um rein psychologische bzw. innere Vorgänge. Nach Fluderniks Definition kann es Erzählungen ohne Erzähler ebenso geben wie Erzählungen, bei denen Handlung keine wesentliche Rolle spielt; zentral ist für sie das Vorhandensein einer zugrundeliegenden menschlichen Erfahrung, die in der Erzählung zum Ausdruck kommt. Ich werde mich im Folgenden an die Definition von David Herman halten, der Erzählungen nicht über eine Eigenschaft (wie Erzähler, Handlung, Ereignishaftigkeit oder Erfahrungsqualität), sondern durch mehrere Merkmale fasst. Der Vorteil einer solchen Definition liegt darin, dass Phänomene durch ein Merkmalsbündel leichter als typische bzw. weniger typische Erzählungen identifiziert werden können; sie können einen höheren oder einen niedrigeren Grad an Narrativität enthalten. Herman definiert den Begriff ‚Erzählung‘ wie folgt:
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(1) A representation that is situated in – must be interpreted in light of – a specific discourse context or occasion of telling. (2) The representation, furthermore, cues interpreters to draw inferences about a structured time-course of particularized events. (3) In turn, these events are such that they introduce some sort of disruption or disequilibrium into a storyworld involving human or human-like agents, whether that world is presented as actual or fictional, realistic or fantastic, remembered or dreamed, etc. (4) The representation also conveys the experience of living through this storyworld-in-flux, highlighting the pressure of events on real or imagined consciousness affected by the occurrences at issue. Thus […] it can be argued that narrative is centrally concerned with qualia, a term used by philosophers of mind to refer to the sense of ‚what it is like‘ for someone or something to have a particular experience. (2009a, 14)
Für Herman sind Erzählungen also Darstellungen, die eine räumlich und zeitlich strukturierte Welt evozieren, in der entweder den Figuren oder dem Erzähler etwas widerfährt. Erzählungen werden außerdem in einem bestimmten Kontext übermittelt; das Vorhandensein eines Erzählers ist dabei aber optional (siehe auch Ryan 2005, 2). Ansgar Nünning und Roy Sommer unterscheiden ganz ähnlich zwischen diegetischer Narrativität, die mit dem Vorhandensein einer Erzähler figur einhergeht, und der mimetischen Narrativität von Dramen und Filmen, die die dargestellte Welt sowie die Erfahrungen der Charaktere in den Mittelpunkt rückt (2008, 338–339; siehe auch 2002). Für Herman, Ryan, Nünning und Sommer sind Dramen und Filme Erzählungen – genau wie Romane und Kurzgeschichten auch. Erzählungen können selbstverständlich auf unterschiedliche Arten und Weisen übermittelt werden, und diese Frage betrifft die Form der vermittelten Erzählung.
3 Was ist erzählte Form? Wie in allen anderen Bereichen der Literaturwissenschaft spielt in der Narratologie die Unterscheidung zwischen Form und Inhalt eine wesentliche Rolle. Es geht hierbei um den (vermeintlichen) Gegensatz zwischen dem, was erzählt wird und der Frage, wie erzählt wird bzw. wie die Erzählung formal ausgestaltet ist. Der russische Formalismus unterscheidet diesbezüglich zwischen fabula und syuzhet (vgl. Tomaševskij 1965, 66–67); Tzvetan Todorov zwischen histoire und discours (vgl. Todorov 1966); Genette zwischen histoire und récit/narration (1994, 199); Seymour Chatman zwischen story und discourse (vgl. Genette 1978, 19); Schmid zwischen ‚Geschehen/Geschichte‘ und ‚Erzählung/Präsentation der Erzählung‘ (vgl. Schmidt 1982). Im Folgenden geht es mir eher um den zweiten Teil dieser Dichotomien, nämlich die Ebene des syuzhet (wobei diese grundsätzlich immer
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in Wechselwirkung mit der fabula zu sehen ist). Ich interessiere mich für den sprachlich oder anderweitig realisierten Erzähldiskurs, mit dem die Geschichte vermittelt wird. Der Terminus ‚Erzähldiskurs‘ bezieht sich bei Romanen und Kurzgeschichten auf die Form des gedruckten Texts; beim filmischen bzw. dramatischen Erzählen auf das Zusammenspiel von Ton und Bild auf der Leinwand bzw. die im Theater zu sehende Aufführung. Erzählungen können eine Vielzahl von unterschiedlichen Formen annehmen. Zunächst einmal muss man zwischen diegetischen und mimetischen Erzählformen unterscheiden. Dieser Gegensatz geht zurück auf Platon, der in der Politeia argumentiert, dass der Erzähler selbst sprechen (haplè diégesis), die Worte der Figuren wiedergeben (mimêsis) oder Mischformen verwenden kann (Platon 2011 [4. Jhd. v. Chr.], Buch III 392c–395). Diegetische Erzählformen sind solche, die – im Modus des telling – durch eine Erzählerfigur vermittelt sind (wie z. B. Romane und Kurzgeschichten); mimetische Erzählformen solche, die nicht durch einen Erzähler vermittelt sind und stattdessen – im Modus des showing – eine bestimmte Welt evozieren in denen Figuren etwas widerfährt (wie z. B. Dramen oder Filme; siehe auch Lubbock 1921, 62; James 1934, xvii–xviii; Friedman 1955, 1161–1165). Im Folgenden werden zunächst die diegetische Erzählformen besprochen und der Stanzelsche Typenkreis sowie die Analysekategorien von Genette diskutiert. Im Anschluss hieran geht es um Formkonstellationen in Prosaerzählungen, die jenseits der Kategorien von Stanzel und Genette liegen. Hierbei handelt es sich um Du-Erzählungen, Wir-Erzählungen, Erzählungen in der dritten Person Plural sowie Erzählungen, die physikalisch bzw. logisch unmögliche Erzähler haben. In einem zweiten Schritt wird es dann um die mimetischen Erzählformen in Drama und Film gehen und schließlich um Binnengeschichten, die sowohl in diegetischen als auch in mimetischen Formen des Erzählens auftreten können.
4 Diegetische Erzählformen Die typischen Erzählsituationen nach Franz K. Stanzel Stanzel (1955, 1979) unterscheidet zwischen drei typischen Erzählsituationen in Prosatexten. Im Gegensatz zu Genette werden diese Erzählsituationen bei Stanzel durch ein induktives Vorgehen erschlossen; hierzu hat er eine Vielzahl von Romanen und Kurzgeschichten rezipiert und dann auf der Grundlage des erschlossenen Datenmaterials die am häufigsten auftretenden Formkonstellationen bestimmt.
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In seinem Typenkreis unterscheidet Stanzel zwischen drei Gegensatzpaaren, bei denen es um die Ebenen ‚Person‘, ‚Perspektive‘ und ‚Modus‘ geht. Die Ebene der Person betrifft die Frage nach der Identität bzw. Nichtidentität der Seinsbereiche von Erzähler und Figuren. Der Ich-Erzähler tritt in der von ihm oder ihr erzählten Geschichte selbst auf; der Er-Erzähler hat dagegen an der von ihm oder ihr erzählten Geschichte nicht teil. Bei der Ebene der Perspektive geht es um den Standpunkt, von dem aus die erzählte Welt wahrgenommen wird. Im Falle der Innenperspektive wird die Wahrnehmung in die Hauptfigur bzw. das Zentrum des Geschehens verlagert, während bei der Außenperspektive eine distanzierte Sicht auf die erzählte Welt vorherrscht. Die Ebene des Modus betrifft schließlich die Frage, ob die Erzählung von einer personalisierten Erzählerfigur (teller) oder einer Reflektorfigur (reflector) dominiert wird. Während die Erzählerfigur die Erzählung aktiv und engagiert vermittelt (und unter Umständen auch das Verhalten der Figuren kommentiert, metanarrative Kommentare einbaut und den Leser bzw. die Leserin direkt anspricht), handelt es sich bei der Reflektorfigur um eine Figur, „die denkt, fühlt, wahrnimmt, aber nicht wie ein Erzähler zum Leser spricht“ (Stanzel 8 2008, 16): Durch ihr Bewusstsein wird die erzählte Welt wahrgenommen, aber sie vermittelt die Erzählung nicht so aktiv und explizit wie ein teller. Die Ich-Erzählsituation stellt nun eine Formkonstellation dar, die die Identität der Seinsbereiche zwischen Erzähler und Figuren mit der Innenperspektive und einer personalisierten Erzählerfigur kombiniert. Wir sind hier als Leser gänzlich auf die Weltsicht und Wahrnehmung von Ich-Erzählern reduziert, und diese sind immer einseitig subjektiv und prinzipiell befangen. Ein Beispiel für die Ich-Erzählsituation findet man im Roman Great Expectations (1860/61) von Charles Dickens. Hier ist der Ich-Erzähler Pip der zentrale Bezugspunkt der Weltwahrnehmung: My first most vivid and broad impression of the identity of things seems to me to have been gained on a memorable raw afternoon towards evening. At such a time I found out for certain that this bleak place overgrown with nettles was the churchyard; and that Philip Pirrip, late of this parish, and also Georgiana wife of the above, were dead and buried; and that Alexander, Bartholomew, Abraham, Tobias, and Roger, infant children of the aforesaid, were also dead and buried; and that the dark flat wilderness beyond the churchyard, intersected with dikes and mounds and gates, with scattered cattle feeding on it, was the marshes; and that the low leaden line beyond was the river; and that the distant savage lair from which the wind was rushing was the sea; and that the small bundle of shivers growing afraid of it all and beginning to cry, was Pip. (Dickens 1996 [1860/61], 23–24)
Stanzel unterscheidet außerdem zwischen dem ‚erzählenden Ich‘ (also in diesem Falle dem älteren Pip, der uns erzählt, was ihm widerfahren ist, als er jünger war) und dem ‚erlebenden Ich‘ (also hier dem jüngeren Pip auf der Ebene der
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Geschichte). Das erzählende Ich und das erlebende Ich sind zeitlich, räumlich und psychologisch voneinander getrennt, und diese „Erzähldistanz […] ist im allgemeinen ein Maß für die Intensität des Erfahrungs- und Bildungsprozesses, dem das erzählende Ich unterworfen war, ehe es begann, seine Geschichte zu erzählen“ (Stanzel 82008, 272). Eine wesentliche Frage, um die es bei der Ich-Erzählsituation geht, lautet daher, ob das erlebende Ich etwas durch seine Erfahrungen gelernt hat. Ist Pip am Ende von Great Expectations ein besserer Mensch oder ist er immer noch derselbe arrogante Snob, zu dem Magwitch ihn (ohne dies zu wollen) durch seine finanzielle Unterstützung gemacht hat? Ganz ähnlich kann man fragen, wie es um die Entwicklung der kriminellen Ich-Erzählerin in Daniel Defoes Roman Moll Flanders (1722) bestellt ist, oder um die Entwicklung von Holden Caulfield in The Catcher in the Rye (1951) von J. D. Salinger. In der auktorialen Erzählsituation existiert der Erzähler in einem anderen Seinsbereich als die Figuren, und dieses Charakteristikum wird mit der Außenperspektive und einer personalisierten Erzählerfigur kombiniert. Die Außenperspektive des auktorialen Erzählers impliziert einen „olympischen Standpunkt“, und der Erzähler verfügt über „unbeschränkte Einsicht in die Gedanken und Gefühle der Charaktere“ (Stanzel 82008, 170). Allerdings gibt es kaum Romane, in denen diese olympische Allwissenheit durchgehend bzw. für alle Charaktere im selben Maße in Anspruch genommen wird (siehe Füger 1978). Ein Paradebeispiel für die auktoriale Erzählsituation ist der Roman Tom Jones (1749) von Henry Fielding. In diesem Roman blickt der auktoriale Erzähler auf die erzählte Welt hinab. Zu Beginn des Romans beschreibt der gesprächige Erzähler ausführlich den Gutsherren Allworthy. Zu einem späteren Zeitpunkt erzählt er dann, dass die Hauptfigur Tom Jones an die von ihm geliebte Sophia denkt, bevor er Geschlechtsverkehr mit Molly Seagrim hat: In that part of the western division of this kingdom which is commonly called Somersetshire, there lately lived, and perhaps lives still, a gentleman whose name was Allworthy, and who might well be called the favourite of both nature and fortune; for both of these seem to have contended which should bless and enrich him most. In this contention, nature may seem to some to have come off victorious, as she bestowed on him many gifts, while fortune had only one gift in her power; but in pouring forth this, she was so very profuse, that others perhaps may think this single endowment to have been more than equivalent to all the various blessings which he enjoyed from nature. From the former of these, he derived an agreeable person, a sound constitution, a solid understanding, and a benevolent heart; by the latter, he was decreed to the inheritance of one of the largest estates in the county. […] In this scene, so sweetly accommodated to love, he [Tom Jones, J. A.] meditated on his dear Sophia. While his wanton fancy roved unbounded over all her beauties, and his lively imagination painted the charming maid in various ravishing forms, his warm heart melted with tenderness; and at length, throwing himself on the ground, by the side of a gently murmuring brook, he broke forth into the following ejaculation […]. (Fielding 1974 [1749], 210)
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Der auktoriale Erzähler wird aufgrund der gelegentlich zu beobachtenden Allwissenheit häufig als gottgleich beschrieben (Sternberg 2007), während ihn andere Theoretiker mit Jeremy Benthams Plänen für ein Panoptikum (1791) in Verbindung bringen. Nach Benthams Vorstellung sollten Gefängnisse und andere Institutionen so aufgebaut sein, dass sich in der Mitte ein Wachturm befindet, durch den in sämtliche (vergitterte) Zellen geblickt werden kann, die auf einem konzentrischen Kreis um den Turm herum angeordnet sind (Bentham 1995). Mark Seltzer (1984, 54) und D. A. Miller (1988, 24) setzen die Position des auktorialen Erzählers mit der des Wärters im Wachturm gleich. Diese Gleichsetzung ist jedoch nicht gerechtfertigt: Zum einen hat der Wärter in Benthams Wachturm – im Gegensatz zum auktorialen Erzähler, der die Gedanken und Gefühle der Figuren kennt – keinen Einblick in das Innenleben der Gefangenen; zum anderen ist das Verhältnis zwischen dem auktorialen Erzähler und den Figuren – im Gegensatz zum Verhältnis zwischen dem Wärter und den Gefangenen – nicht notwendigerweise durch Macht und Unterwerfung gekennzeichnet (Cohn 1995a; Cohn 1995b; Alber 2007, 55–56). Die personale Erzählsituation ist schließlich durch die Nichtidentität der Seinsbereiche zwischen Erzähler und Figuren sowie die Verwendung der Innenperspektive und der Dominanz einer Reflektorfigur gekennzeichnet. In diesem Fall spricht ein Erzähler in der dritten Person über eine oder mehrere Figuren, deren Bewusstsein die Erzählung dominiert. Die folgende Passage aus Virginia Woolfs Roman Mrs. Dalloway (1925) z. B. konzentriert sich auf Septimus Warren Smith, einem Kriegsveteranen, der seit dem Ende des ersten Weltkriegs am sogenannten posttraumatischen Stresssymptom leidet. Er befindet sich in einem Park und grübelt vor sich hin: Men must not cut down trees. There is a God. (He noted such revelations on the backs of envelopes.) Change the world. No one kills from hatred. Make it known (he wrote it down). He waited. He listened. A sparrow perched on the railing opposite chirped Septimus, Septimus, four or five times over and went on, drawing its notes out, to sing freshly and piercingly in Greek words how there is no crime and, joined by another sparrow, they sang in voices prolonged and piercing in Greek words, from trees in the meadow of life beyond a river where the dead walk, how there is no death. There was his hand; there the dead. White things were assembling behind the railings opposite. But he dared not look. Evans was behind the railings! „What are you saying?“ said Rezia suddenly, sitting down by him. Interrupted again! She was always interrupting. (Woolf 2000, 21)
Zu Beginn oszilliert die Passage zwischen den Gedanken von Septimus Warren Smith („Men must not cut down trees“; „Change the world“) und dem Erzählerdiskurs („He noted such revelations on the backs of envelopes“; „he wrote it down“) hin und her; dann geht es vorrangig um das Innenleben der Figur („A sparrow
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perched“) bis schließlich Rezia, Smiths Frau, eine Frage („What are you saying?“) an ihn richtet. Wie wir hier erfahren, denkt der Kriegsveteran nicht nur, dass ihn die Spatzen im Park auf Griechisch besingen; er leidet auch an visuellen Halluzinationen: So sieht er z. B. seinen befehlshabenden Offizier Evans hinter einem Geländer, obwohl dieser im ersten Weltkrieg gefallen ist. Interessant ist nun auch die Frage, was auf dem Typenkreis zwischen den drei Erzählsituationen passiert. Zwischen der Ich-Erzählsituation und der personalen Erzählsituation findet man z. B. das Ich des inneren Monologs (wie den Monolog von Molly Bloom im letzten Kapitel des Romans Ulysses [1922] von James Joyce). Stanzel beschreibt diese Konstellation (Identität der Seinsbereiche, Innenperspektive und Reflektorfigur) wie folgt: „Im inneren Monolog tritt dem Leser ein Ich gegenüber, das […] die charakteristischen Merkmale einer Reflektorfigur aufweist: es erzählt nicht, […] sondern spiegelt in seinem Bewusstsein seine eigene momentane Situation.“ (Stanzel 82008, 271). Des Weiteren stößt man zwischen der Ich-Erzählsituation und der auktorialen Erzählsituation auf das Ich als Zeuge bzw. Zeitgenosse (Identität der Seinsbereiche, Außenperspektive und Erzählerfigur). Hier haben wir es mit einem personalisierten Ich-Erzähler zu tun, der eine distanzierte Sicht auf die erzählte Welt hat. Die Erzählerin von Aphra Behns Oroonoko, or the Royal Slave (1688) kombiniert diese Eigenschaften: Sie erzählt als Zeugin ‚von außen‘, was Oroonoko und Imoinda in Surinam widerfahren ist. Zwischen der auktorialen und der personalen Erzählsituation schließlich verschwindet der auktoriale Erzähler als expliziter teller allmählich, während die Reflektorfigur schrittweise dominanter wird. In diesem Bereich lassen sich z. B. die Romane von Jane Austen verorten. Nach Stanzel ist eine erste Modifizierung der auktorialen Erzählweise in Richtung personaler Erzählsituation zu beobachten, wenn der Diskurs des auktorialen Erzählers vom Diskurs der Figuren ‚angesteckt‘ wird (2008, 248–249). In einem weiteren Schritt können dann „Argumentationen, Erklärungen, Motivationen vom Standpunkt einer Romanfigur in den Erzähltext eingefügt werden“ (Stanzel 82008, 253). Es handelt sich bei allen diesen erwähnten Formen zwischen den Erzählsituationen um Konstellationen, die (zumindest nach Stanzels damaliger Recherche) seltener auftreten und daher keine typischen Erzählsituationen darstellen. Es sind eher Ausnahmen und keine häufig zu beobachtenden Manifestationen der Prosa.
Narration und Fokalisierung nach Gérard Genette Das Vorgehen von Genette lässt sich im Gegensatz zum Ansatz von Stanzel als deduktiv beschreiben: Er ist weniger an den am häufigsten auftretenden Formkonstellationen interessiert und fragt stattdessen, welche Konstellationen theo-
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retisch möglich sind. Genette entwickelt daher zuerst seine Kategorien, bevor er sich um Textbeispiele bemüht. Er beschreibt sein Vorgehen in seinem Nouveau discours du récit wie folgt: „[D]as fragliche Buch [wird] wohl schon irgendwo in den Regalen der Bibliothek von Babel stehen.“ (1994, 274). Genette unterscheidet zwischen zwei Formen der Narration: heterodiegetisch und homodiegetisch; und drei Formen der Fokalisierung: null, intern und extern. Heterodiegetisches Erzählen liegt vor, wenn der Erzähler nicht Teil der erzählten Welt ist; bei homodiegetischer Narration dagegen ist der Erzähler Teil der erzählten Welt. Es geht hier – wie bei Stanzel – um die Frage nach der Identität bzw. Nichtidentität der Seinsbereiche von Erzähler und Figuren. Genette selbst beschreibt den Prozess der Fokalisierung wie folgt: „fokalisiert kann nur die Erzählung selber sein, und fokalisieren kann demnach nur der, der die Erzählung fokalisiert (oder nicht fokalisiert), d. h. der Erzähler“ (1994, 241; Hervorhebung im Original). Silke Lahn und Jan Christoph Meister schreiben zu Genettes Verwendung des Begriffs ‚Fokalisierung‘: „mit der Festlegung der Möglichkeiten des Wahrnehmens und Wissens, die der Erzählinstanz zugemessen werden, geht es in einem eher technischen Sinn um das Phänomen der gesteuerten Informationsaufnahme“ (22013, 105). Die Fokalisierung im Sinne von Genette geht also immer mit einer Beschränkung des Wissens bzw. Wahrnehmens des Erzählers einher: Sie wirkt wie eine Art Informationsschleuse. Es kommt zu einer Selektion der bereitgestellten Information. Bestimmte Segmente der erzählten Welt werden durch das Fokalisieren ausgeblendet, da sich die Erzählung auf andere Segmente konzentriert. Dementsprechend bezeichnet der etwas irreführende Begriff der Nullfokalisierung, den Genette mit dem Prinzip der „Allwissenheit“ gleichsetzt (1994, 242), das Fehlen einer solchen Einschränkung. Die Erzählinstanz unterliegt in solchen Fällen keiner Beschränkung ihres Wissens bzw. Wahrnehmens. Die interne Fokalisierung geht dagegen mit einer Beschränkung auf innere Vorgänge (wie z. B. Gedanken, Gefühle, Träume, usw.) einher, während die externe Fokalisierung eine Einschränkung auf äußere Vorgänge (Verhalten, Handlungen, Schauplätze, usw.) aufweist. Des Weiteren erklärt Genette, dass der Erzähler im Falle der Nullfokalisierung mehr sagt „als irgendeine der Figuren weiß“; im Falle der internen Fokalisierung sagt „der Erzähler […] nicht mehr, als die Figur weiß“; und im Falle der externen Fokalisierung sagt „der Erzähler […] weniger als die Figur weiß“ (1994, 134). Genette kombiniert diese beiden Formen der Narration mit den drei Typen der Fokalisierung in Gestalt einer Tabelle mit doppeltem Eingabewert wie folgt (1994, 273):
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Null-Fokalisierung
Interne Fokalisierung
Externe Fokalisierung
Heterodiegetisch
A Tom Jones
B Mrs. Dalloway
C The Killers
Homodiegetisch
D Midnight’s Children
E Malone Dies
F L’étranger
Narration (Beziehung)
Typ (Fokalisierung)
Es gibt nun eine teilweise Überschneidung zwischen Stanzels Typenkreis und den Kategorien von Genette. Genettes heterodiegetisches Erzählen mit Nullfokalisierung (A) ist de facto identisch mit Stanzels auktorialer Erzählsituation (z. B. Tom Jones), und Genettes heterodiegetisches Erzählen mit interner Fokalisierung (B) mit Stanzels personaler Erzählsituation (z. B. Mrs. Dalloway). Homodiegetisches Erzählen mit interner Fokalisierung (E) ist dagegen nicht identisch mit Stanzels Ich-Erzählsituation, da Ich-Erzähler typischerweise zwischen interner und externer Fokalisierung oszillieren. Die Ich-Erzählsituation ist nicht gänzlich auf die Gedanken, Gefühle und Träume ihres Erzählers beschränkt. So beschreibt z. B. Pip am Anfang von Great Expectations seine Gedanken und Gefühle bezüglich seiner toten Familie (= interne Fokalisierung), schildert dann aber extensiv das Aussehen des Gefangenen Magwitch, der vor ihm steht (= externe Fokalisierung, siehe Dickens 1996 [1860/61], 23–24). Was Genette vermittels seiner Kategorien im Falle E beschreibt ist das Ich des inneren Monologs, wie man es z. B. in den Romanen von Samuel Beckett vorfindet, wo sich selbstzentrierte und larmoyante Ich-Figuren ihrer existentiellen Auflösung annähern. Im Roman Malone Dies (1951) gestaltet sich diese Klage über die eigene Existenz bzw. Nichtexistenz wie folgt: I shall soon be quite dead at last in spite of all. Perhaps next month. […] I could die to-day, if I wished, merely by making a little effort, if I could wish, if I could make an effort. But it is just as well to let myself die, quietly, without rushing things. Something must have changed. I will not weigh upon the balance any more, one way or the other. I shall be neutral and inert. (Beckett 1959 [1951], 179)
Der Erzähler blendet sämtliche externen Sachverhalte aus und konzentriert sich ganz auf sein vermeintliches Leiden. Homodiegetisches Erzählen mit Nullfokalisierung (D) setzt dagegen einen Ich-Erzähler voraus, dessen Wissen bzw. Wahrnehmen in keiner Weise beschränkt ist. Bezüglich einer solchen Konstellation kann es nur Annäherungen geben – wie z. B. Saleem Sinai, den telepathischen IchErzähler im Roman Midnightʼs Children (1981) von Salman Rushdie. Es gibt wohl
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keinen literarischen Text, in dem ein homodiegetischer Erzähler durchgängig über denselben Grad an ‚Allwissenheit‘ verfügt wie dies in vielen Fällen des heterodiegetischen Erzählens mit Nullfokalisierung üblich ist. Rushdies Erzähler kann die Gedanken der anderen „Midnightʼs Children“ hören, die genau wie er selbst am 15. August 1947, also am Tag der indischen Unabhängigkeit von Großbritannien, geboren wurden, und hier besteht zumindest eine gewisse Ähnlichkeit zum auktorialen Erzähler, der auch Zugriff auf die Gedanken und Gefühle der Figuren hat: I was a radio receiver, and could turn the volume down or up; I could select individual voices; I could even, by an effort of will, switch off my newly-discovered inner ear. […] My voices, far from being sacred, turned out to be as profane, and as multitudinous, as dust. Telepathy, then; the kind of thing you’re always reading about in the sensational magazines. But I ask for patience – wait. Only wait. It was telepathy; but also more than telepathy. Don’t write me off too easily. Telepathy, then: the inner monologues of all the so-called teeming millions, of masses and classes alike, jostled for space within my head. (Rushdie 1981, 162–167)
Die telepathischen Kräfte von Saleem Sinai erfüllen eine spezifische Funktion. Sie stehen in erster Linie für die Möglichkeit des wechselseitigen Verstehens unter verschiedenen ethnischen Gruppen, Religionen und Gemeinden im postkolonialen Indien. Beim heterodiegetischen Erzählen mit externer Fokalisierung haben wir es mit einem Erzähler zu tun, der lediglich äußere Vorgänge bzw. Umstände beschreibt, das Innenleben der Figuren aber ausklammert, sodass Leser selbst herausfinden müssen, was die Intentionen der dargestellten Figuren sind (siehe auch Stanzel 1955, 93). Das Paradebeispiel dieser Erzählform ist die Kurzgeschichte The Killers (1927) von Ernest Hemingway, die wie folgt beginnt: The door of Henry’s lunchroom opened and two men came in. They sat down at the counter. „What’s yours?“ George asked them. „I don’t know“, one of the men said. „What do you want to eat, Al? “ „I don’t know“, said Al. „I don’t know what I want to eat.“ Outside it was getting dark. The street-light came on outside the window. The two men at the counter read the menu. From the other end of the counter Nick Adams watched them. He had been talking to George when they came in. (1987 [1927], 215)
Aufgrund der Ähnlichkeit zum Erzählen in klassischen Filmen (wie Fritz Langs You Only Live Once, 1937) wird dieses Szenario oft mit dem Begriff camera-eye narration (Stanzel 82008, 294–286) in Verbindung gebracht. Der Erzähler funktioniert bei Hemingway wie eine Kamera; er konzentriert sich auf das Verhalten der Figuren, sagt aber nichts über deren Innenleben. Homodiegetisches Erzählen mit externer Fokalisierung (F) impliziert schließlich einen Ich-Erzähler, der seine Emotionen (bewusst oder unbewusst) unterdrückt und sich deshalb auf Äußerlichkeiten konzentriert. Diese Formkonstellation geht in aller Regel mit einer Art Selbstentfremdung einher. Einen solchen emotionslosen Erzähler findet man z. B.
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im Roman L’étranger (1957) von Albert Camus (Genette 1994, 274). Meursault, der grundlos einen Mord begeht, konzentriert sich auf äußere Vorgänge, da ihm die Bedeutungen seiner Handlungen völlig gleichgültig sind; sein Lebensmotto ist „je ne sais pas pourquoi“ (Camus 1957, 184). So beschreibt er etwa den von ihm begangenen Mord sowie die weiteren Schüsse auf den bereits Toten auf recht neutrale Weise mit den folgenden Worten: Tout mon être s’est tendu et j’ai crispé ma mains sur le revolver. La gâchette a cédé, j’ai touché le ventre poli de la crosse et c’est là, dans le bruit à la fois sec et assourdissant que tout a commencé. J’ai secoué la sueur et le soleil. […] Alors, j’ai tiré encore quatre fois sur un corps inerte où les balles s’enfonçaient sans qu’il y parût. (Camus 1957, 95) Ich war ganz und gar angespannt, und meine Hand umkrallte den Revolver. Der Hahn löste sich, ich berührte den Kolben, und mit hartem, betäubenden Krachen nahm alles seinen Anfang. Ich schüttelte Schweiß und Sonne ab. [...] Dann schoss ich noch viermal auf einen leblosen Körper, in den die Kugeln eindrangen, ohne dass man es sah. (Camus 1961, 60–61)
Eine ähnliche Konstellation findet man in Alain Robbe-Grillets Roman La Jalousie (1957), in dem ein Ehemann seine Eifersucht unterdrückt, während er wiederholt seine Frau beim Fremdgehen beobachtet, und auch in Paul Austers Roman Moon Palace (1989), in dem sich der depersonalisierte Ich-Erzähler Marco Stanley Fogg gänzlich willenlos umhertreiben lässt. Beide Erzähler schildern ohne emotionalen Bezug was sie sehen bzw. was gerade um sie herum geschieht.
Du-Erzählungen Du-Erzählungen liegen jenseits des Typenkreises von Stanzel und der Tabelle von Genette (Fludernik 1994a). Man kann nach Brian Richardson (2006, 18) zwischen drei Arten von Du-Erzählungen unterscheiden (siehe auch Kacandes 1991, 1993, 1994; Wiest 1993, Wiest-Kellner 1999; sowie Margolin 1994). In einer Spielart der Du-Erzählung (Richardson nennt sie „autotelic you“) wird der Leser in der zweiten Person angesprochen, wie z. B. am Anfang von Italo Calvinos Wenn ein Reisender in einer Winternacht (Se una notte d’inverno un viaggiatore, 1979): „Du schickst dich an, den neuen Roman Wenn ein Reisender in einer Winternacht von Italo Calvino zu lesen. Entspanne dich. Sammle dich. Schieb jeden anderen Gedanken beiseite.“ (1986 [1979], 7). Eine andere Variante der Du-Erzählung funktioniert wie ein Ratgeber, Reiseführer oder Kochbuch (Richardson nennt diese Form „hypothetical you“). Ein solches Beispiel findet man in Lorrie Moores SelfHelp (1986): „Begin by meeting him in class.“ (1986, 55). In der wichtigsten Form der Du-Erzählung („standard you“, Richardson 2006, 18) wird der Protagonist von einer nicht identifizierbaren Erzählstimme in der zweiten Person angesprochen.
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Diese Stimme erzählt der Figur, was ihr gerade im Moment widerfährt und auch was sie denkt bzw. wie sie empfindet. Es ist extrem schwierig (wenn nicht sogar unmöglich), sich ein realweltliches Szenario vorzustellen, in dem eine solche Erzählform entstehen könnte. Aus diesem Grunde schreibt Monika Fludernik Folgendes über die Standardform der Du-Erzählung: „Second-person fiction, which appears to be a prima facie fictional, nonnatural form of story-telling, enhances the options already available to conversational narrative and extends the boundaries of the nonrealistically possible in emphatic ways.“ (1994b, 460; siehe auch Bonheim 1983). Ein Beispiel für die Standard-Variante ist der Roman Bright Lights, Big City (1984) von Jay McInerney. Hier bezieht sich das ‚du‘ auf die Hauptfigur, die in den 1980er-Jahren, also zur Blütezeit der Reaganomics, in New York lebt. Der Roman beginnt wie folgt: You are not the kind of guy who would be at a place like this at this time of the morning. But here you are, and you cannot say that the terrain is entirely unfamiliar, although the details are fuzzy. You are at a nightclub talking to a girl with a shaved head. The club is either Heartbreak or the Lizard Lounge. All might come clear if you could just slip into the bathroom and do a little more Bolivian Marching Powder. Then again, it might not. A small voice inside you insists that this epidemic lack of clarity is a result of too much of that already. (McInerney 1984, 1)
Man könnte den Roman natürlich in Ich- bzw. Er-Form umschreiben. Aber McInerney hat sich – wie viele andere Autoren auch (siehe die Beispiele in Fludernik 1994a und 2011) – bewusst für die Du-Form entschieden: Der verfremdende Effekt des ‚du‘ bleibt bis zum Ende des Romans bestehen. Eventuell könnte man die durchgängige Verwendung der Du-Form in Bright Lights, Big City als Kritik an Werbespots und Werbetexten lesen, durch die uns bestimmte Firmen auf subtile Art und Weise glauben machen wollen, dass wir ihre Produkte kaufen wollen (wie z. B. durch die suggestive Frage „[W]ouldn’t you really rather have a Buick?“). Dieser Interpretationsansatz findet Bestätigung durch Werbetexte wie den folgenden, die der Protagonist im Zuge des Romans liest: „You are the stuff of which consumer profiles – American Dream: Educated Middle-Class Model – are made. When you’re staying at the plaza with your beautiful wife, doesn’t it make sense to order the best Scotch that money can buy before you go to the theater in your private limousine?“ (McInerney 1984, 151). In Bright Lights, Big City scheint die Idee der Fremdbestimmung durch die Werbeindustrie in die Erzählform Eingang gefunden zu haben (siehe auch DelConte 2003), aber andere Du-Erzählungen – wie Edna OʼBriens A Pagan Place (1970) – verwenden die Form zu völlig anderen Zwecken (vgl. Herman 1994).
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Wir-Erzählungen Ähnlich wie Du-Erzählungen können Wir-Erzählungen durch Stanzels Typenkreis bzw. die Kategorien von Genette nicht adäquat beschrieben werden (Lanser 1992; Morris 1992; Margolin 1996, 2000; Wong 1998; Britton 1999; Richardson 2006, 2011; Marcus 2008a, 2008b, 2008c; Fludernik 2011). Erzählungen in der ersten Person Plural beziehen sich stets auf mehrere Protagonisten mit dem Ziel, gemeinsame Erlebnisse (wie z. B. Klassenfahrten, Vereinsausflüge, Familienurlaube, usw.) bzw. kollektive Erfahrungen (wie den Blitzkrieg, das Jahr 1968, den Fall der Mauer im Jahr 1989, usw.) zu beschreiben. Der Erzähler spricht in einem solchen Falle entweder für sich selbst und jemand Anderen, oder wir werden mit einer kollektiven Stimme konfrontiert, die mehrere Sprecher gleichzeitig umfasst (vgl. Alber 2015). Wichtig ist in jedem Fall präzise zu klären, auf wen sich das ‚wir‘ bezieht. Beispielsweise sprechen in Sabbatical: A Romance (1982) von John Barth die Figuren Susan und Fenwick, ein Ehepaar, in Wir-Form über- und füreinander. Sie denken an einer Stelle des Romans beide, dass die Träume, die sie auf einer Reise hatten, so ähnlich waren, dass sie von der Existenz eines einzigen, gemeinsamen Traumes ausgehen („our dream“, Barth 1982, 208). Später kommen ihnen allerdings Zweifel an der Idee: „Now we wonder: can two people really dream the same dream?“ (Barth 1982, 205). Schließlich erfahren wir, dass Susan und Fenwick lediglich zugunsten einer harmonischen Partnerschaft versucht haben, ihre Träume ähnlich zu machen. Außerdem versuchen die beiden ein Gefühl von Gemeinsamkeit zu erzeugen, um mit dem Trauma der Abtreibung Susans umgehen zu können. Eine kollektive Erzählstimme verwendet Joan Chase in During the Reign of the Queen of Persia (1983). Die erste Person Plural bezieht sich in diesem Roman auf Celia, Jenny, Anne und Kate, die in den 1950er-Jahren gemeinsam auf einem Bauernhof in Ohio leben. Im Laufe des Romans stößt man immer wieder auf Formulierungen wie „we waited“, „we stayed“ und „we walked“, aber auch „we shivered“ und „we shrugged“, und sogar „we were aghast“, „we thought“ und „we dreamed“. An einer Stelle erfahren wir Folgendes über die vier Mädchen: „[W]e four girls think […], feel […], and move […] in a dimension that felt like the exact representation of a greater mind.“ (Chase 1983, 196). Die vier Figuren, die den Roman gemeinsam erzählen, sind die Enkelinnen von Gram, einer selbstsüchtigen alten Frau, der der Hof gehört, den sie rücksichtslos und mit eiserner Hand führt. Interessanterweise wird die Wir-Form ausschließlich für die Gruppe als Ganzes verwendet; in Fällen, in denen sich die kollektive Stimme auf einzelne Figuren bezieht, wird entweder die dritte Person Singular („she“) oder der Vorname des betreffenden Mädchens verwendet (Richardson 2006, 51) – wie z. B. in dem Satz „Anne was screaming at us“ (Chase 1983, 222; meine Hervorhebung, J.A.). Solche
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Aussagen verweisen auf die mögliche Entfremdung zwischen der Gruppe und ihren Mitgliedern. Gleichzeitig zeigt die Verwendung der dritten Person Singular, dass das Gruppengefühl das Selbstverständnis und die Eigenwahrnehmung der vier Mädchen radikal vereinnahmt hat. Faktoren wie Gruppenzwang und Machtmechanismen scheinen die einzelnen Mädchen dazu gebracht zu haben, die erste Person Singular nicht mehr zu verwenden.
Erzählungen in der dritten Person Plural Erzählungen in der dritten Person Plural (they-narratives) sind überraschend, eigenartig oder befremdlich, weil der Gebrauch der dritten Person Plural nicht zu den hinlänglich bekannten bzw. gewöhnlichen Erzähltechniken gehört. Allerdings ist die Verwendung von ‚they‘ durch einen Erzähler (im Gegensatz etwa zur Standardform der Du-Erzählung) nicht grundsätzlich unnatürlich. Diese Technik stellt keine physikalisch, logisch, oder menschlich unmöglichen Szenarien oder Ereignisse dar (vgl. Alber 2016). Brian Richardson schreibt hierzu: „‚They‘ narration rarely loses its basis in realism, though as such a narration continues it seems odder and odder that the narrator doesn’t refer to the characters individually“ (2015, 200). Des Weiteren stellen they-narratives keine eigene Erzählsituation dar. Längere Passagen in they-Form können theoretisch in allen von Stanzels Erzählsituationen verwendet werden und sie können außerdem alle Arten der Fokalisierung nach Genette beinhalten. Die meisten Beispiele (vgl. Alber 2018b) weisen die folgenden Eigenschaftsmerkmale auf: Sie werden von einem Erzähler erzählt, der in der dritten Person spricht, so etwa in Maxine Swanns Flower Children (2007), bei der sich der Erzähler am Ende als homodiegetisch herausstellt und somit doch Teil der Erzählwelt ist. Obwohl zu erwarten wäre, dass sich die meisten dieser Erzählungen auf externe Fokalisierung beschränken, stellen sie sich als sehr viel flexibler im Hinblick auf Fokalisierung heraus. Da die Verwendung der dritten Person Plural (an Stelle von Namen oder Pronomina wie ‚er‘ oder ‚sie‘) auf eine aktive Entscheidung zurückgeht, setzen solche Erzählungen ein menschliches Bewusstsein hinter dem narrativen Diskurs voraus. Selbst wenn der Erzähler zunächst nur als verdeckter Beschreiber erscheint (wie zum Beispiel in Les choses [1965] von George Perec), ist es für gewöhnlich der Fall, das der Erzähler im Laufe der Erzählung deutlicher in den Vordergrund tritt und die Charaktere aktiv kommentiert und bewertet. Allgemein gesprochen tritt diese Erzählform dann auf, wenn ein Erzähler eine Gruppe stigmatisieren oder entpersonalisieren möchte. Es kann hierbei um eine Gruppenidentität gehen, die der Erzähler nicht teilt bzw. nicht teilen möchte; die Geringschätzung der Gruppe bzw. ihrer Ziele; oder den (eventuell unterdrück-
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ten Wunsch) doch zu dieser Gruppe zu gehören. Der Erzähler in D. H. Lawrences Things (1955) verwendet die dritte Person Plural, um die Melvilles als fehlgeleitete Idealisten zu stigmatisieren. Sein Diskurs ist ein gutes Beispiel für die Art von striktem binären Denken, das zum Errichten von Mauern führt. Things basiert auf einer radikalen Trennung zweier gesellschaftlicher Gruppen. Im Vergleich zu Things ist der Erzähler von Perecs Les choses wesentlich verdeckter: Er verhält sich wie ein Marktforscher, der ein Verbraucherprofil der beiden Hauptfiguren des Romans (Jêrome und Sylvie) erstellt, die beide selbst in der Marktforschungsbranche arbeiten. Das entpersonalisierende they steht hier im Zusammenhang mit der nüchternen Arbeit eines Statistikers, sagt aber auch viel über den Lebensstil der Charaktere aus, durch den sie sich allmählich selbst zu Konsumgütern machen. In The Ones Who Walk Away from Omelas (1973) verwendet Ursula Le Guin die dritte Person Plural, um sich auf zwei verschiedene Gruppen von Menschen zu beziehen: Die, die in der imaginären Stadt Omelas (in der das Glück der Gesellschaft bizarrerweise vom Leiden eines Kindes abhängt) bleiben, und die, die sich schließlich dafür entscheiden wegzugehen. Die Leserinnen und Leser sind dazu aufgefordert, über die Frage nachzudenken, zu welcher der beiden Gruppen wir gehören würden. Während die meisten Rezipienten wahrscheinlich sofort antworten würden, dass sie die scheinbar perfekte Stadt umgehend verlassen würden, weicht unser Verhalten in der realen Welt hiervon ab: Als westliche Leserinnen und Leser tendieren wir dazu, die Tatsache zu verdrängen, dass unser Reichtum und unsere Sicherheit auf dem Leiden Anderer beruht. Demnach ist unsere Situation letztendlich nicht völlig anders als die der erfundenen Bewohner von Omelas. In Flower Children bezieht sich die dritte Person Plural schließlich auf das Wechselspiel zwischen Identität und Alterität. Die Erzählerin benutzt die theyForm, um sich von ihrer Erziehung und der kollektiven Einheit zwischen sich und ihren drei Geschwistern abzugrenzen. Allerdings unterscheidet sich diese Form der Abgrenzung markant von der extrem binären Mentalität in Lawrences Things.
Unmögliche Erzähler Schließlich muss der Erzähler einer Geschichte nicht notwendigerweise ein Mensch sein. In der Welt der Fiktion gibt es auch eine ganze Reihe von unnatürlichen, d. h. physikalisch bzw. logisch unmöglichen, Erzählern (vgl. Alber 2016). Genette hat bereits 1972 darauf hingewiesen, dass die „narrative Instanz […] im Bereich der Fiktion“ nicht unbedingt ein „menschliches Wesen“ sein müsse, sondern auch ein Tier bzw. ein lebloser Gegenstand sein könne (1994, 175, Anm. 72). Marie-Laure Ryan schreibt hierzu: „[T]he narrator is a theoretical fiction, and […] the humanlike, pseudonatural narrator is only one of its many possible avatars.“ (2001b,
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152). Brian Richardson hat in Unnatural Voices (2006) als erster Narratologe solche Phänomene systematisch untersucht; die folgende Darstellung baut – obwohl ihr ein engerer Begriff des Unnatürlichen zugrundeliegt, der lediglich realweltliche Unmöglichkeiten umfasst und weniger auf Verfremdungseffekte im Sinne von Viktor Šklovskij abzielt (vgl. Alber 2016) – auf Richardsons Analysen auf. Es kann sich beim Erzähler von Prosatexten z. B. durchaus um eine weibliche Brust (Philip Roths The Breast, 1972), ein Tier (Robert Olen Butlers Jealous Husband Returns in Form of Parrot, 1996), einen Baum (Ursula Le Guins Direction of the Road, 1975), einen Gegenstand (Dorothy Kilners The Adventures of a Hackney Coach, 1781) oder auch ein Atom (Tobias Smolletts The History and Adventures of an Atom, 1769) handeln. Des Weiteren können die Erzähler von Romanen und Kurzgeschichten bereits tot sein (Alice Sebolds The Lovely Bones, 2002), während andere noch überhaupt nicht geboren wurden (wie z. B. das vor sich hin grübelnde Spermium in John Barths Night-Sea Journey [1968] oder auch der Fötus in Ian McEwans Nutshell [2016]; vgl. Alber 2013, 2016). Der Roman The Breast z. B. beginnt wie folgt: I am a breast. A phenomenon that has been variously described to me as ‚a massive hormonal influx‘, ‚an endocrinopathic catastrophe‘, and/or ‚a hermaphroditic explosion of chromosomes‘ took place within my body between midnight and four A.M. on February 18, 1971, and converted me into a mammary gland disconnected from any human form, a mammary gland such as could only appear, one would have thought, in a dream or a Dali painting. […] I am said to be of a spongy consistency, weighing in at one hundred and fiftyfive pounds (formerly I was one hundred and sixty-two), and measuring, still, six feet in length. (Roth 1972, 12)
Susie Salmon, die tote Ich-Erzählerin von Sebolds The Lovely Bones, spricht dagegen aus dem Himmelreich: „My name was Salmon, like the fish; first name, Susie. I was fourteen when I was murdered on December 6, 1973. […] When I first entered heaven I thought that everyone saw what I saw.“ (2002, 5, 16). Der nichtmenschliche ontologische Status des Erzählers hat in aller Regel einen Einfluss auf die Struktur bzw. Form des narrativen Diskurses. So beschreibt z. B. der als Papagei wiedergeborene Mann in Jealous Husband seine emotionalen Reaktionen auf die Streicheleinheiten seiner Ex-Frau, die ihn in einer Tierhandlung käuflich erwirbt, wie folgt: Her touch makes my tail flare. I feel the stretch and rustle of me back there. I bend my head to her and she whispers, ‚Pretty bird.‘ […] Her fingertips move through my feathers and she seems to know about birds. She knows that to pet a bird you don’t smooth his feathers down, you ruffle them. (Butler 1996, 72)
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Auch der erzählende Baum in Direction of the Road weist einen gewissen Grad an ‚Baumhaftigkeit‘ auf, da er unter dem Stichwort „Relatedness“ (Le Guin 1989, 274) immer wieder die fundamentale Zusammengehörigkeit von allen biologischen Organismen betont. Des Weiteren verweisen die deiktischen Signale zu Beginn von The Adventures of a Hackney Coach auf die Form der erzählenden Kutsche, die von Menschen bestiegen werden kann: „This is the most fashionable Coach on the stand, says a pretty young lady, stepping into me.“ (Kilner 1781, 1; meine Hervorhebung, J.A.). Solche unnatürlichen Erzähler folgen zumeist einem satirischen Impetus; es geht typischerweise darum, eine Figur oder einen Sachverhalt durch Übertreibungen, die realweltliche Möglichkeiten überschreiten, auf die Schippe zu nehmen. The Breast macht sich z. B. über einen obsessiven Professor für Literaturwissenschaft lustig, der die von ihm unterrichteten literarischen Texte – wie Nikolai Gogols Die Nase (1842) und Franz Kafkas Die Verwandlung (1915) – so ernst nimmt, dass er sich schließlich selbst in eine andere Entität (nämlich eine weibliche Brust) verwandelt. Die Kurzgeschichte Jealous Husband Returns in Form of Parrot zieht den eifersüchtigen Ehemann ins Lächerliche, der als Papagei wiedergeboren wird und dann bemerkt, dass es eigentlich keinen wesentlichen Unterschied zwischen seinen beiden Daseinsformen gibt. Bei den sprechenden Objekten der circulation novels des achtzehnten Jahrhunderts geht es vor allem darum, den sich entwickelnden Kapitalismus sowie den Warenfetischismus der Zeit zu kritisieren. Gegenstände und Waren werden für so wichtig erachtet, dass sie plötzlich selbst mit einer Persönlichkeit versehen werden und dann (paradoxerweise) den moralischen Verfall der kapitalistischen Wettbewerbsgesellschaft kritisch unter die Lupe nehmen.
5 Mimetische Erzählformen Das Erzählen im Drama Dramen sind nach Hermans Definition (2009a, 14) Erzählungen, weil sie räumlich und zeitlich strukturierte Welten evozieren, in denen den dargestellten Figuren etwas widerfährt. Fludernik beschreibt diesen Umstand wie folgt: „[A] character on stage guarantees consciousness and usually speech; by dramatic convention, he or she is additionally located in a space-time frame that resembles human experience of time and space.“ (2008, 360). Während Manfred Jahn eine zentrale Erzählinstanz für alle Dramen postuliert – er spricht von „a first-degree narrative agency which in a performance may either take the totally unmetaphorical shape
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of a vocally and bodily present narrator figure […] or remain an anonymous and impersonal narrative function in charge of selection, arrangement, and focalization“ (2001, 674) – ließe sich eher argumentieren, dass sich Dramen selbst erzählen: Das Geschehen entfaltet sich unmittelbar vor dem Auge des Zuschauers und die Existenz der von Jahn postulierten Erzählinstanz kann in aller Regel nicht verifiziert werden. Beispielsweise entfaltet sich der folgende Dialog zwischen Vladimir und Estragon in Samuel Becketts Waiting for Godot (1953) unmittelbar, und man bemerkt keine vermittelnde Erzählinstanz: ESTRAGON: Let’s go. VLADIMIR: We can’t. ESTRAGON: Why not? VLADIMIR: We’re waiting for Godot. ESTRAGON: [Despairingly.] Ah! (Pause). (Beckett 1990 [1953], 15)
Auf der anderen Seite erkennt man selbst in diesem kurzen Dialog Bühnenanweisungen wie „[Despairingly.]“ und „(Pause)“, die eine spezifische Art der Vermittlung suggerieren. Des Weiteren werden in zahlreichen Inszenierungen Musik und Lichteffekte verwendet, bei denen ebenfalls eine (neutrale) Erzählinstanz spürbar wird. Fludernik schlägt aus diesem Grunde – analog zu Genettes Unterscheidung zwischen récit und narration – vor, den dramatischen Text mit dem narrativen Diskurs (récit) und die tatsächliche Inszenierung mit der Ebene der Präsentation zu assoziieren (narration): In this schema, the selection of scenes, the temporal rearrangements and the mise en scène, in so far as they are provided in the stage directions, form a part of the discourse level, which can then be read off the playscript. By contrast, the visual qualities of the staging, the director’s choice of props and costumes, the inclusion of music and of superimposed visual elements as well as the actors’ interpretation of the characters and plot are equivalent to the narrational level, and this narrational level is in fact a performative level. (2008, 363)
Alternativ hierzu könnte man auch sagen, dass der dramatische Text durch die Bühnenanweisungen, die Dialoge, die gewählte Fokalisierung und die zeitliche Struktur vermittelt wird, während dies im Theater durch die Inszenierung auf der Bühne geschieht (vgl. Alber 2017a, 362). Wayne C. Booth würde dagegen argumentieren, dass das Theaterstück als Ganzes immer vom impliziten Autor (1983 [1961], 73) vermittelt wird, wobei sich anders als von Booth behauptet, wohl kein direkter Zugriff auf die Intentionen bzw. Interessen des impliziten Autors nachweisen lässt (vgl. hierzu 1983 [1961], 73 und 1982, 21), sondern diese lediglich interpretiert werden können, wodurch das postulierte Konzept überaus fraglich wird (vgl. auch Alber 2018a).
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Obwohl es sich beim Drama prinzipiell um eine mimetische Erzählform handelt, können Theaterstücke auch diegetische Elemente enthalten – auf der anderen Seite können sich schließlich auch diegetische Erzählformen (wie Stanzels personale Erzählsituation oder Genettes heterodiegetisches Erzählen mit externer Fokalisierung) durch die Neutralität des Erzählers an den mimetischen Pol annähern. Ein wesentliches diegetisches Element im Drama ist der Erzähler auf der Bühne – wie z. B. der Bettler, der in John Gays The Beggar’s Opera (1728) die Ereignisse auf der Bühne kommentiert und schließlich das Ende abändert, oder der stage manager in Thornton Wilders Our Town (1938). Eventuell könnte man auch argumentieren, dass Figuren wie Henry Carr in Tom Stoppards Travesties (1974) oder Antonio Salieri in Peter Shaffers Amadeus (1979) zu Erzählern oder Reflektorfiguren werden, weil ihre (streckenweise ziemlich fehlerhaften) Erinnerungen in diesen memory plays auf der Bühne dargestellt werden. Weitere diegetische Elemente sind das direkte Ansprechen des Publikums durch Bühnenfiguren, Prologe, Epiloge, verbale Zusammenfassungen von Ereignissen die sich off-stage abspielten, erzählende Figuren usw. (Nünning und Sommer 2008, 340–341).
Filmisches Erzählen Bezüglich der filmischen Erzählform gibt es ebenfalls verschiedene narratologische Ansätze. David Bordwell (1985, 61) argumentiert z. B., dass Filme grundsätzlich keinen Erzähler haben und dass stattdessen die Zuschauer auf der Grundlage kognitiver Raster die präsentierten Bilder und Töne in eine Geschichte verwandeln (siehe auch Fleishman 1992, 13–19; Grodal 2005, 169). Im Gegensatz hierzu geht Seymour Chatman (1990, 127) von der Existenz eines filmischen Erzählers (cinematic narrator) aus. Er bezeichnet mit diesem Terminus das Organisationsprinzip hinter den präsentierten Bildern und Tönen – „the overall agent that does the showing“ (Chatman 1990, 134). Alternative Begriffe für dasselbe Konzept sind der „grand Imagier“ (Gaudreault 1999, 107), der „perceptual enabler“ (Levinson 1996, 252) sowie der „implied narrator“ (Laass 2008, 22). Theoretiker wie Wayne C. Booth (1982), George Wilson (1986, 135), Michaela Bach (1999, 245–246) und Berys Gaut (2004, 248) argumentieren schließlich, dass Filme vom impliziten Filme macher (implied filmmaker) vermittelt werden, der unsere Aufmerksamkeit auf wesentliche Segmente lenkt. Manfred Jahn folgt diesem Ansatz ebenfalls, indem er von einem depersonalisierten „filmic composition device (FCD)“ spricht, das er als „the theoretical agency behind a film’s organization and arrangement“ definiert (2003, F4.1.2–F4.1.3).
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Da es bezüglich der Funktionen zwischen dem filmischen Erzähler und dem impliziten Filmemacher keinen Unterschied gibt, und da man die Präsenz eines filmischen Erzählers als Organisationsprinzip hinter Kamera und Tongestaltung ohnehin nicht verifizieren kann, könnte man auf dieses Konzept getrost verzichten. Darüber hinaus lässt sich argumentieren, dass der implizite Filmemacher (genau wie der implizite Autor) als ein wesentlicher Aspekt der Interpretationsleistung des Zuschauers erscheint; man hat keinen unmittelbaren Zugriff auf die zugrundeliegenden Intentionen und Interessen. Außerdem spielt beim Medium Film nicht nur der Regisseur eine wesentliche Rolle; der Verfasser des Filmskripts, der Produzent, der Cutter, die Schauspieler und Schauspielerinnen und der Kameramann haben auch einen wesentlichen Einfluss auf das Endprodukt. Aus diesen Gründen ist im Folgenden von einem hypothetischen Filmemacher als der zentralen Vermittlungsinstanz von Filmen die Rede. Er repräsentiert „the single entity to which the viewer ascribes conscious or unconscious motivations that actuated the professionals who were responsible for the making of the film in question“ (Alber 2010, 167–168). Bei den allermeisten Filmen herrscht externe Fokalisierung im Sinne von Genette vor, d. h. die Kamera zeigt auf neutrale Weise, wie in Fritz Langs You Only Live Once (1937), was in der vom Film evozierten Welt passiert. Allerdings können Filme – genau wie Dramen auch – auf diegetische Elemente rekurrieren. Ein bekanntes diegetisches Element ist die Verwendung eines voice-over-Erzählers (Kozloff 1988), der die Ereignisse kommentiert. Meistens handelt es sich hierbei – wie in Stanley Kubricks A Clockwork Orange (1971) – um einen homodiegetischen Erzähler, der Teil der erzählten Geschichte ist. Darüber hinaus verwenden Filme wie Kill Bill I und II (2003–2004) von Quentin Tarantino sogenannte mindscreenSequenzen (Kawin 1978), in denen wir sehen, was sich eine Figur – in diesem Fall Beatrix Kiddo (Uma Thurman) – gerade vorstellt bzw. woran sie sich erinnert. Solche Sequenzen sind Fälle von interner Fokalisierung. Zahlreiche neuere Filme verwenden eine interessante Technik, die zwischen interner und externer Fokalisierung anzusiedeln ist: Sie zeigen uns Filmfiguren, die mit anderen Charakteren interagieren, welche aber lediglich in deren Halluzination existieren. In A Beautiful Mind (2001) von Ron Howard sehen wir z. B. den Mathematiker John Nashe (Russell Crowe), der für das Pentagon arbeitet und daher mit zahlreichen Agenten interagiert. Am Ende des Films erfahren wir dann schließlich, dass die Mitarbeiter des Pentagon (neben vielen anderen Figuren) nur Teil von Nashs schizophrener Psychose waren. In solchen Szenen ist Nash von außen gefilmt (= externe Fokalisierung), aber die Figuren, mit denen er zu tun hat, existieren lediglich in seiner krankhaften Wahrnehmung (= interne Fokalisierung).
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6 Rahmen- und Binnengeschichten Sowohl diegetische als auch mimetische Erzählungen enthalten oftmals zusätzliche Geschichten, die in die eigentliche Geschichte eingebettet sind. Genette hat eine Terminologie entwickelt, um zwischen verschiedenen narrativen Ebenen bzw. zwischen der Rahmengeschichte und eventuellen Binnengeschichten zu unterscheiden. Genette lokalisiert den Erzähler der Rahmengeschichte auf der extradiegetischen und die von ihm erzählte Geschichte auf der intradiegetischen Ebene. Auf der intradiegetischen Ebene kann nun eine (intradiegetische) Figur ihrerseits zum Erzähler werden und eine Geschichte erzählen, die sich nach Genette auf der metadiegetischen Ebene befindet (1994, 163). Mieke Bal (1981) hat vorgeschlagen, den Begriff ‚metadiegetisch‘, den man leicht mit ‚metafiktional‘ verwechseln kann, durch den Terminus ‚hypodiegetisch‘ zu ersetzen, und dieser Vorschlag hat sich international durchgesetzt. Auf der hypodiegetischen Ebene kann dann wiederum eine hypodiegetische Figur eine Geschichte erzählen, die auf der hypo-hypodiegetischen Ebene zu verorten wäre, usw. Wenn man sich z. B. die mittelalterlichen Canterbury Tales von Chaucer vor dem Hintergrund dieses Modells betrachtet, dann wäre die Figur Chaucer auf der extradiegetischen Ebene anzusiedeln. Die Figur Chaucer erzählt die Rahmengeschichte der Pilger, die sich auf der intradiegetischen Ebene befindet: Besagte Pilger treffen sich in einem Gasthaus in Southwark, um von dort aus nach Canterbury zu reiten, wo sie die sterblichen Überreste des Heiligen Thomas à Becket besuchen wollen. Der Wirt der Tabard Inn in Southwark schlägt vor, dass die Pilger auf der Reise einen Wettbewerb veranstalten sollen, und zwar hinsichtlich der Frage, wer unterwegs die beste Geschichte erzählt. Somit werden dann zahlreiche intradiegetische Figuren zu intradiegetischen Erzählern, und ihre verschiedenen Geschichten (The Nun’s Priest’s Tale, The Wife of Bath’s Tale, The Monk’s Tale, usw.) befinden sich auf der hypodiegetischen Ebene. Auf dieser Ebene geht das Spiel mit der narrativen Verschachtelung oftmals noch weiter: So werden in der Tierfabel im Rahmen des Nun’s Priest’s Tale der Gockel Chauntecleer und die Henne Pertelote zu Erzählern von Geschichten auf der hypo-hypodiegetischen Ebene. Solche Verschachtelungen findet man auch in den Romanen Wuthering Heights (1847) von Emily Brontë, At Swim-Two-Birds (1939) von Flann OʼBrien, und Tokyo Cancelled (2005) von Rana Dasgupta. Diese Einbettungen können eine Vielzahl von Funktionen erfüllen. In den Canterbury Tales wird durch die komplexe narrative Struktur etwa das Vorhandensein eines eindeutigen moralischen Bezugspunktes spielerisch in Frage gestellt. Man vergisst beim Lesen häufig, auf welcher narrativen Ebene man sich gerade befindet und wessen Weltsicht im Moment im Vordergrund steht. Hinzu kommt, dass Chaucer, der extradiegetische
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Erzähler, sich selbst als einen naiven und unzuverlässigen Erzähler einführt, der häufig Ironie verwendet. Dadurch weiß man letztlich überhaupt nicht, was man für glaubhaft halten bzw. wem man hier Glauben schenken soll. Im Bereich des Dramas gibt es auch narrative Einbettungen wie das Spiel im Spiel. In solchen Fällen wird innerhalb des eigentlichen Theaterstücks ein weiteres (eingebettetes) Theaterstück gespielt, welches sowohl von den Bühnenfiguren als auch vom Publikum angeschaut wird. Das Spiel im Spiel enthält häufig zentrale Informationen über das eigentliche Theaterstück, das durch die Einbettung in einem bestimmten Licht erscheint. In der Komödie A Midsummer Night’s Dream (1595) von Shakespeare spielt z. B. eine Gruppe von Handwerkern zu Ehren der Hochzeit zwischen Theseus, dem Herzog von Athen, und Hippolyta die Tragödie Pyramus and Thisbe. Da es sich bei den Handwerkern aber um gänzlich unfähige Schauspieler handelt, machen sie die Tragödie zu einer Farce bzw. Parodie. Bei diesem Spiel im Spiel handelt es sich also um die Parodie einer Tragödie innerhalb einer Komödie, was unmittelbar die Frage aufwirft, ob es sich nicht bei dem eigentlichen Stück eventuell auch um eine Tragödie handelt, die ihre tragischen Elemente (wie die systematische und streckenweise gewalttätige Unterdrückung von Frauen) in scheinbar komisch-unterhaltsame Segmente umgewandelt hat und dadurch die eigentlich Tragik der Handlung unter den Teppich kehrt. Eine ähnliche Struktur gibt es auch im filmischen Erzählen. Filme wie 8½ (Otto e mezzo, 1963) von Federico Fellini oder Inside Hollywood (2008) von Barry Levinson beinhalten weitere (eingebettete) Filme, die die eigentliche, vom Film evozierte Welt in einem bestimmten Licht erscheinen lassen. In Lost Highway (1996) von David Lynch werden wir als Zuschauer mit zahlreichen eingebetteten Pornofilmen konfrontiert, in denen die dargestellten Männer sexuelle Macht über die dargestellten Frauen ausüben. Bei genauer Betrachtung geht es um dieses Thema auch im eigentlichen Film: Männer wie Fred Madison (Bill Pullman), Pete Dayton (Balthazar Getty) und Dick Laurent (Robert Loggia) versuchen (mehr oder weniger verzweifelt) Macht über das Mysterium der weiblichen Sexualität zu bekommen, scheitern dabei aber kläglich.
7 Schlussbemerkungen Der vorangegangene Überblick zu erzählten Formen hat sich vor allem an bekannten Formkonstellationen orientiert. Es wurde zu zeigen versucht, wie in diegetischen und mimetischen Erzählformen erzählt und wie diese Erzählweisen in der Narratologie verarbeitet bzw. konzeptionalisiert werden. Es ging hierbei – im Gegensatz etwa zu Chatman (1980) – in keinster Weise um die Frage, was in
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verschiedenen Medien möglich bzw. nicht möglich ist. Diese Frage erscheint aus der hier eingenommenen Perspektive gänzlich verfehlt: Zumindest theoretisch können Medien alles Mögliche. Die interessantere Frage scheint zu sein, welche Formen von Schriftstellern, Dramatikern und Regisseuren generell verwendet werden und was genau sie damit erreichen wollen. Des Weiteren beruhen die erwähnten Zusammenhänge zwischen Formen und ideologischen Positionen auf keinerlei intrinsischer Verbindung. Man kann die selbe Erzählform ebenso zu einem anderen Zweck verwenden, wie man eine andere Erzählform zum selben Zweck einsetzen kann. Nichtsdestotrotz werden Formen immer in bestimmten Kontexten verwendet, und es ist – auch aus erzähltheoretischer Sicht – angebracht, diese Kontexte neben der genauen Funktionsweise von Formen genauestens zu beleuchten. Dieser Fokus auf Verwendungskontexte ist aus meiner Sicht einer der wesentlichsten Unterschiede zwischen der klassisch-strukturalistischen Erzähltheorie, die eine Grammatik des Erzählens zu entwickeln versuchte, und der neueren, postklassischen Erzähltheorie (vgl. Herman 1999; Alber und Fludernik 2010).
Weiterführende Literatur Alber, Jan. „Hypothetical Intentionalism. Cinematic Narration Reconsidered“. Postclassical Narratology: Approaches and Analyses. Hrsg. von Jan Alber und Monika Fludernik. Columbus 2010: 163–185. Alber, Jan. „Narratology and Performativity. On Processes of Narrativization in Live Performances“. Narrative 25 (2017): 358–372. Alber, Jan. „The Narrator“. Literature. An Introduction to Theory and Analysis. Hrsg. von Mads Rosendahl Thomsen et al. London 2017: 67–80. Alber, Jan und Monika Fludernik. „Mediacy“. Handbook of Narratology. Hrsg. von Peter Hühn, John Pier, Wolf Schmid und Jörg Schönert. Berlin 2009: 174–189. Currie, Gregory. Narratives and Narrators. Oxford 2010. Margolin, Uri (2014). „Narrator“. Handbook of Narratology. Hrsg. von Peter Hühn, John Pier, Wolf Schmid und Jörg Schönert. Berlin 2014: 646–666. Patron, Sylvie. Le Narrateur. Introduction à la théorie du récit. Paris 2009.
Andreas Kilcher
III.2.3 Enzyklopädie als literarische Form 1 Literatur und Enzyklopädie Auf den ersten Blick scheint es sich bei Literatur und Enzyklopädie um zwei ganz und gar inkommensurable Formen zu handeln: hier die ästhetisch gestaltete, poetisch verdichtete und fiktional-imaginierende Schreibweise der Literatur, dort die wissenschaftlich versachlichte, systematisch umfassende, historisch ausufernde und faktual-repräsentierende Schreibweise der Enzyklopädie. Zwischen einem Gedicht z. B. und einem vielbändigen enzyklopädischen Wörterbuch besteht ein geradezu unüberwindlicher formaler Gegensatz. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass die Enzyklopädie eine für die Literatur weitreichende Bedeutung erlangen kann: Die enzyklopädische Funktion par excellence, die des Ganzheitsanspruchs, kann für die Literatur ebenso relevant werden wie eine Vielzahl enzyklopädischer Ordnungs- und Formelemente zur Umsetzung dieses Anspruchs.1 Die exemplarische Bedeutung der enzyklopädischen Form für die Literatur kann schon das Beispiel der ältesten europäischen Gattung vor Augen führen: das Epos. Dass Homer in der alexandrinischen und humanistischen Philologie als Enzyklopädiker der Alten Welt galt, verdankt er seinen Epen Odyssee und Ilias, wie noch der französische Jesuit und Philologe René Rapin 1674 konstatierte: „Enfin Homère a esté, pour ainsi dire, le premier fondateur de tous les Arts et de toutes les Sciences; et le modèle des Sçavants de tous les siècles.“ („Homer war sozusagen der Begründer aller Künste und Wissenschaften; und das Modell für alle Gelehrten aller Zeiten“, Rapin 1973 [1674], Bd. 1, 4). Dies gilt nicht nur für den polyhistorischen Literaturbegriff des Humanismus und des Barock, der mit dem Idealtypus des poeta doctus korrespondiert, des ‚litteratus‘, des Schriftstellers, der in allen Wissenschaften und Künsten gebildet ist. Es gilt auch für die moderne Grossform des Romans, die beispielweise Johann Gottfried Herder in den Briefen zur Beförderung der Humanität (1793–1797) folgerecht als eine eminent enzyklopädische charakterisierte. Nachdem er das Epos bis Dante und Milton als enzyklopädische Gattung bestätigte (vgl. Herder 1883 [1793–1797], 65), entwarf er im 99. Brief in einer für die Romantik wegweisenden Programmatik den
1 Die hier vorgelegten Überlegungen und Beispiele basieren zum Teil auf meiner Monographie mathesis und poiesis. Die Enzyklopädik der Literatur 1600 bis 2000, München 2003. Manche Akzente wurden jedoch anders gesetzt, manche Beispiele anders perspektiviert. Die Bezüge zu dieser Schrift sind im Folgenden nicht einzeln vermerkt. https://doi.org/10.1515/9783110364385-011
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Roman als das neue, noch umfassendere Organon der Literatur und des Wissens zugleich, als enzyklopädisch-literarische Doppelgattung: Keine Gattung der Poesie ist von weiterem Umfange, als der Roman; unter allen ist er auch der verschiedensten Bearbeitung fähig: denn er enthält oder kann enthalten nicht etwa nur Geschichte und Geographie, Philosophie und die Theorie fast aller Künste, sondern auch die Poesie aller Gattungen und Arten – in Prose. Was irgend den menschlichen Verstand und das Herz intereßiret, Leidenschaft und Charakter, Gestalt und Gegend, Kunst und Weisheit, was möglich und denkbar ist, ja das Unmögliche selbst kann und darf in einen Roman gebracht werden, sobald es unsern Verstand oder unser Herz intereßiret. Die größesten Disparaten läßt diese Dichtungsart zu: denn sie ist Poesie in Prose. (Herder 1883 [1793–1797], 109–110)
Damit ist das Potenzial der enzyklopädischen Form für die Literatur erst exemplarisch angedeutet. Eine systematische Darstellung dieses Zusammenhangs vermag ein umfassenderes Bild zu geben. Eben dies soll in dem vorliegenden Artikel in modellhaft verdichteter Form geleistet werden. Eine systematische Darstellung des Zusammenhangs von Enzyklopädie und Literatur kann allerdings nicht allein formal, sondern muss zugleich funktional angelegt sein, was allgemein in dem konstitutiven Totalitätsanspruch der Enzyklopädie begründet ist. Freilich spielen in der Enzyklopädie, ähnlich wie in der Literatur, Form und Funktion zusammen: Nicht nur setzen unterschiedliche enzyklopädische Formen jene Basisfunktion des Ganzheitsanspruchs in unterschiedlicher Weise um. Die Funktion kann – förmlich – auch als eine Funktion der Form erachtet werden. Der Totalitätsanspruch des Wissens ist, ähnlich wie der ästhetische Anspruch des Kunstwerks, primär formal modelliert. Sie teilen das Primat der Form. Der daraus hervorgehende formal-funktionale Strukturzusammenhang zwischen Literatur und Enzyklopädie kann folgerecht grundsätzlich von beiden Seiten her begründet werden: von der Literatur wie von der Enzyklopädie her. Aus der Perspektive der Literatur stehen diejenigen gattungspoetologischen wie auch übergreifenden Formen im Vordergrund, die eine enzyklopädische Funktionalisierung adaptieren und realisieren können. Epos und Roman haben dabei zwar einen paradigmatischen Stellenwert, sind aber keineswegs allein. An ihrer Seite stehen nicht nur weiter ausdifferenzierte gattungstypologische Enzyklopädieformate wie die Satire oder das Lehrgedicht, deren Einheit weniger umfassend und ausgeprägt erscheint als im Fall des Epos und des Romans, sondern auch dezidiert formlose und unsystematische Schreibweisen kleineren Formats wie der Essay, der Witz und das Fragment. Auf formal konträre Weise zu den geschlossenen Werkformen können just auch diese eine Enzyklopädisierung durchlaufen, indem sie die Funktion enzyklopädischer Totalität nicht über die vorderhand primären Formen von Zusammenhang, Homogenität und Ganzheit erreichen, sondern gerade umgekehrt über Partialität, Heterogenität und Fragmentierung.
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Schon diese kurze tentative Übersicht macht deutlich, wie uneinheitlich der enzyklopädische Totalitätsanspruch poetologisch modelliert werden kann: in großen wie kleinen, in geschlossenen wie offenen, in homogenen wie heterogenen Formen etc. Die Relation von Literatur und Enzyklopädie lässt sich zweitens auch aus der komplementären Perspektive der Enzyklopädie begründen. Im Unterschied zu den ausdifferenzierten und kanonisierten Formen der Literatur gibt es jedoch in der Enzyklopädie – trotz der Einheit der Wissensfunktion – keine analoge gefestigte Formtypologie (vgl. Henningsen 1966; Dierse 1977; Michel 2002; Rey 2007). Vielmehr ist ein wesentliches Charakteristikum, dass die enzyklopädische Funktion in sehr unterschiedlichen Ordnungsmodellen und Schreibformaten umsetzbar ist. So war etwa die disziplinäre Anordnung des Wissens im Modell der artes liberales für den Enzyklopädiebegriff als orbis doctrinae (‚Kreis des Wissens‘) von der Antike bis zum Humanismus prägend (vgl. Stolz 2004). Alternativen dazu lassen sich auf einer abstrakteren Ordnungsebene aus dem Verhältnis des Allgemeinen und des Besonderen in der Umsetzung des enzyklopädischen Totalitätsanspruchs formal deduzieren. Auf der einen Seite können die Gegenstände des Wissens aus allgemeinen Grundprinzipien (logische Denkkategorien, metaphysische und kosmologische Seinsprinzipien) hergeleitet werden. Darauf bauen etwa die vormodernen topischen und ramistischen Enzyklopädien oder die idealistischen philosophischen Enzyklopädien (Fichte, Hegel; vgl. Schmidt-Bigge mann 1983). Auf der anderen Seite lässt sich das enzyklopädische Wissen nach den singulären Gegenständen anordnen, wobei diese in ihrer phänomenologischhistorischen Vielfalt versammelt werden, wie das etwa die poikile historia, die polyhistorische ‚Buntschriftstellerei‘ in Buchformaten wie Loci Communes, Florilegien, Miszellen und Kollektaneen (seit Aulus Gellius) umgesetzt hat. Aber auch anwendungsbezogene Disziplinen wie die Naturgeschichte (Plinius), die Sprachwissenschaft (Isidor von Sevilla) oder die Philologie (Martianus Capella) ließen sich enzyklopädisch expandieren und funktionalisieren. Die im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert dominante Form des enzyklopädischen Wörterbuchs stellt gegenüber all diesen vormodernen Formaten eine grundlegende Alternative dar, indem in ihr die Elemente des Wissens als Begriffe bzw. Worte durch eine kontingente und pragmatische Anordnung (Lexikon, Zettelkasten) nicht systematisch, sondern bloß heuristisch erschließbar gemacht werden (Moréri, Chambers, Diderot/D’Alembert; vgl. Zelle 1998). Dabei wurde ein zusätzliches formales Mittel entwickelt, das auch zu einem eigenen enzyklopädischen Typus ausgebildet werden konnte: die Verweise. Was im Lexikon des achtzehnten Jahrhunderts zur partiellen Reorganisation des fragmentierten enzyklopädischen Textes etabliert wurde, ist im digitalen Hypertext (Internet) als Modell enzyklopädischer Organisation medientechnisch ausdifferenziert. Diese ebenso unvollständige wie kurze
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Übersicht kann nicht nur die Formvielfalt der Enzyklopädie andeuten, sondern auch ihre implizite poetologische Funktionalisierbarkeit. Enzyklopädien sind formal hochgradig organisierte Texte, die auch darin mit poetologischer Formation zusammenkommen. Diese beiden Aspekte: erstens die enzyklopädische Funktionalisierung der Literatur innerhalb ihrer genuinen Gattungen und Formen (literarische Enzyklopädik der Literatur) sowie zweitens die fortgesetzte Enzyklopädisierung der Literatur mit Formen und Verfahren der Enzyklopädie (enzyklopädische Enzyklopädik der Literatur) sollen im Folgenden theoretisch umrissen und exemplarisch analysiert werden.
2 Literarische Enzyklopädik der Literatur Erste Ansätze zu einer literaturtheoretischen Perspektivierung der Enzyklopädie formulierte Northrop Frye in Anatomy of Criticism (1957), indem er von einer „specific encyclopaedic form“ sprach. Diese grenzt er von der „episodischen Form“ der Lyrik als der Aussageweise des Individuums ab (Frye 1964 [1957], 60–61). Die formale Qualität des Enzyklopädischen hingegen spricht er primär dem Epos zu, das als Beschreibung von Welt, Geschichte oder Gesellschaft eine „Einheit des Themas“ anstrebt und dabei „zu breiten ausladenden Formen“ tendiert (60). Die Qualität des Enzyklopädischen beruht genauer auf einer kulturell fundierten „Vorstellung von einer Gesamtvision, […] die sich gern in einer einzigen enzyklopädischen Form verkörpert, die von einem Dichter ausgefüllt werden kann, vorausgesetzt daß er hinreichend gebildet und auch inspiriert ist, oder von einer dichterischen Schule oder Tradition, wenn sich die Kultur als homogen genug erweist. Traditionelle Erzählungen, Mythen und Historien sind eng miteinander verwoben und bilden enzyklopädische Summen.“ (60–61). In seiner Taxonomie literarischer „Aussageformen“ unterscheidet Frye drei „besondere enzyklopädische Formen“, die er in Anlehnung an C. G. Jung auch als „Archetypen“ versteht: Mythos, Epos, Satire. Das Paradebeispiel mythischer enzyklopädischer Formen sind nach Frye „heilige Schriften“ wie die Bibel (61). Sie gilt ihm als eine „typologische Einheit […], eine einzige archetypische Struktur, die sich von der Schöpfung bis zur Apokalypse erstreckt“ (316). Enzyklopädisch ist die Bibel nach Frye in doppelter Hinsicht: inhaltlich als Zyklus von der Schöpfung bis zur Apokalypse, sowie formal in der Verbindung ihrer Teile zu einer kanonischen Totalität. Das Epos funktioniert analog zur mythischen Enzyklopädik. Mit Blick auf Homer und Vergil definiert er es durch „den enzyklopädischen Umfang seines Themas, vom Himmel in die Unterwelt, und dazwischen eine riesige Menge
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an überliefertem Wissen“ (319). Neben dem Mythos und dem Epos versteht Frye die Satire, genauer die Menippea von Varro über Burtons Anatomy of Melancholy bis hin zu Swift, Sterne und Flaubert (Bouvard et Pécuchet), als eine geradezu „fortlaufende enzyklopädische Tradition“ (323). Die Menippea lässt sich als enzyklopädische Parodie des enzyklopädischen Anspruchs verstehen: „Der Menippische Satiriker, der es mit intellektuellen Themen und Haltungen zu tun hat, zeigt seinen Überschwang auf intellektuelle Weise, indem er etwa eine enorme Menge an Gelehrsamkeit über sein Thema zusammenhäuft oder indem er seine pedantischen Zielscheiben mit einer Lawine aus ihrem eigenen Jargon überwältigt.“ (312). Während Fryes Anatomie der „enzyklopädischen Form“ von einem gattungsübergreifenden formalen Typus ausging und auf literarische Gattungen abzielte, setzte Hilary Clark in The Fictional Encyclopaedia (1990) am Aussagemodus an. Ausgehend von Gérard Genettes pragmatischem Begriff des „mode“ (Genette 1979, 68–69) unterschied sie von den drei mimetischen Modi des Dramas, der Lyrik und der Epik einen didaktischen und einen enzyklopädischen Modus („encyclopaedic mode“), der sowohl den mimetischen als auch den didaktischen imitiert: „The encyclopaedic mode imitates what has already been said, especially in books; it comprehends epic, lyric, dramatic and didactic modes in one sweeping gesture, imitating these modes playfully and seriously-parodically.“ (Clark 1990, 5). Enzyklopädisch ist demnach nicht nur – meta-didaktisch – die Totale eines allgemeinen Weltwissens, sondern auch – meta-mimetisch – die eines spezifisch literarischen Wissens. Die meta-didaktische Funktion imitiert Enzyklopädik, die meta-mimetische Funktion Literatur: „[F]ictional encyclopaedias, like their nonfictional counterparts, include directly all known domains of knowledge, as well as including knowledge indirectly via mimesis of a wide range of literary styles and kinds“ (35). Diese doppelte Funktion der fiktionalen Enzyklopädie ist gemäß Clark in einer Reihe enzyklopädischer „Gattungen“ (genres) umgesetzt, neben dem Epos und der Satire auch im Essay. Während der Essay vor allem die metadidaktische Funktion der fiktionalen Enzyklopädie erfüllt, setzen Satire und Epos auch die meta-mimetische um: das Epos als „totalizing vision of a culture“, die menippeische Satire als „serio-comical“ „encyclopaedic parody“ (8–10). Diese älteren literaturtheoretischen Ansätze zur Enzyklopädie operieren weitgehend mit genuin literarischen Kategorien. Jüngere Ansätze dagegen entwickeln kultur-, medien- und wissensgeschichtliche Perspektiven, die es erlauben, die Literatur offensiver in den historischen und theoretischen Kontext des Wissens zu stellen und damit auch die enzyklopädische Form und Funktion weitreichender und genauer zu bestimmen (vgl. Kilcher 2003). Das wird die folgende komplementäre Perspektive zeigen. Dennoch ist auch der klassisch-literaturwissenschaftliche Ansatz durchaus fruchtbar, schon indem er die formale Ausdifferenzierung
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der Literatur durch den Enzyklopädiebegriff erweitert. Er gewinnt weitere an modellhafter Aussagekraft für die Literatur, indem er literarische Formen enzyklopädisch funktionalisiert. Hybridformen wie das enzyklopädische Epos, der enzyklopädische Roman und die enzyklopädische Satire werden unterscheidbar. Das soll an einem Beispiel im Übergangsbereich von Epos und Roman noch etwas genauer ausgeführt werden: dem carmen didacticum bzw. ‚Lehrgedicht‘. Tatsächlich ist das ‚Heldengedicht‘ vom Format der Odyssee für die Philologie und Literatur des Humanismus keineswegs das einzige enzyklopädisierbare Epos; inhaltlich noch weitreichender ließ sich das carmen didacticum enzyklopädisch fassen (vgl. Albertsen 1967; Müller-Bochat 1966). Als antikes Paradigma galt Lukrezʼ De rerum natura, dessen Format schon im Humanismus zum Modell enzyklopädisch-kosmographischer Lehrdichtung wurde, etwa in Guy Le Fèvre de la Boderies Encyclie (1570) und Galliade (1578). Erneut in der Aufklärung wurde das Lehrgedicht zur zentralen Gattung einer Literatur im Dienst eines erweiterten und popularisierten Bildungs- und Wissensanspruchs. Johann Georg Sulzer etwa definierte in der Allgemeinen Theorie der schönen Künste (1792–94) das Lehrgedicht durch den Anspruch, „ein ganzes System von Lehren und Wahrheiten“, sei es wissenschaftlicher, politischer, moralischer oder ästhetischer Art, „mit dem Reiz der Dichtkunst bekleidet vorzutragen“ (Sulzer 1967 [1793], 172–173). Analog formulierte dies Johann Jacob Breitinger schon 1740 in der Critischen Dichtkunst: „Der Lehrdichter unterrichtet uns auf eine ergetzende und leichte Art von den Geheimnissen gantzer Wissenschaften.“ (Breitinger 1966 [1740], Bd. 1, 88). Das Lehrgedicht gewann dergestalt neue Bedeutung als Organ der Ausbreitung und Popularisierung des Wissens (insbesondere auch der Natur) im achtzehnten Jahrhundert. Das setzte u. a. Wieland in seinem „Lehrgedicht in sechs Büchern“ unter dem Lukrez entlehnten Titel Die Natur der Dinge (1751) um. Es war dies nicht nur Apologie einer von einem vernünftigen Gott durchdrungenen harmonischen Weltordnung; diese war auch in den Begriffen der modernen Wissenschaften und ihrer Protagonisten wie Galilei, Newton, Kepler und Leibniz gefasst. Die Möglichkeit einer neuen „Naturpoesie der Erde“ wurde in der Folge zwischen poetologischem Programm und praktischen Versuchen ausgelotet, so etwa durch Herder in Vom Geist der Ebräischen Poesie (1782/1783) anhand des Buches Hiob, ausgehend von der wissenspoetologischen Maxime: „[J]ede Zeit kann und muß ihren Begriffen von dem System der Wesen anständig dichten.“ (Herder 1879 [1782/83], 293). Das „System der Wesen“ zitiert den „Linneischen Classifikator“ und verdichtet den umfassenden Anspruch eines „physikalischen Lehrgedichts“ in Begriffen der neuen, enzyklopädisierten Naturwissenschaft: „Ich zweifle nicht, daß aus Copernikus und Newtons, aus Buffons und Priestlei System sich eben so hohe Naturdichtungen machen ließen, als aus den simpelsten Ansichten.“ (293). Herder forderte nichts weniger als ein umfassendes „Gedicht, das unsre Physik,
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unsre Entdeckungen und Meinungen vom Weltbau, von den Veränderungen des Universums in so kurzen Bildern, mit so lebendigen Personificationen, mit so treffender Auslegung, in so hinreißendem Plan der Einheit und der Mannichfaltigkeit darstelle, als das schlichte Kapitel Hiobs“ (295). Jenes überbietend, forderte Herder ein enzyklopädisches Naturgedicht, das nicht nur die Natur inhaltlich als Einheit fasst, „wo Alles zu Einem Zweck, dem Ganzen, eilet“, sondern auch, formal und poetologisch in der Anlage, den „Plan“ des Gedichts als Zusammenhang umsetzt. Anders gesagt: er fordert die Transposition der physikalischen Ordnung der Dinge in die epistemische und zugleich ästhetische Ordnung der Worte (295). Auch Goethe formulierte ein derartiges Projekt als Erneuerung des lukrezischen Paradigmas (vgl. Goethe 1968 [1796–1815], 284–295). Ziel war die Enzyklopädisierung der Natur in einem welthaltigen Buch neuen Formats: in dem das Epos beerbenden Roman, genauer als „Roman über das Weltall“ (Goethe 1986a [1796–1815], 157; vgl. 130–160). Herders Frage, ob angesichts der Unermesslichkeit des Weltalls „auch ein menschliches Gedicht so groß, langsam und unübersehbar seyn müste?“ beantwortet Goethe also nicht mehr mit dem klassischen Format des carmen didacticum, sondern dem neuen des Romans. Damit einher ging aber auch die Einsicht, dass es nicht mehr möglich sei, die Weltordnung im Kunstwerk als ein Ganzes abzubilden; die enzyklopädische Ganzheit der Welterfahrung und -beschreibung ließ sich nur in einer Verbindung von Bruchstücken darstellen, wie es der polyphone Roman im Verbund mit an ihn angelagerten Essays leisten konnte. Es drängte sich ihm auf, „jenes große Naturwerk“ zu fragmentieren (Goethe 1964a [1799], 372) und „einzeln [zu] versuchen, was im Ganzen unmöglich werden möchte“ (Goethe 1986a [1796–1815], 145). Den dergestalt programmatisch postulierten fragmentarischen Universalismus setzte Goethe einerseits verstreut in naturwissenschaftlichen Essays und Gedichten wie denjenigen über die Metamorphose der Pflanzen (1798) um, während der „Roman über das Weltall“ zunächst nicht in der geplanten Form möglich schien, es sei denn, der Roman Die Wahlverwandtschaften (1809) ließe sich als entsprechender enzyklopädischer Entwurf verstehen, wofür seine vielfältige Verhandlung von Wissenschaften wie Chemie, Physik, Musik, Architektur, Ökonomie etc. durchaus spricht (vgl. von Thadden 1993). „Die Möglichkeit eines Naturgedichts in unseren Tagen“ prüfte Goethe nicht allein (1964b [1799], 365), sondern gemeinsam mit Schiller, dem LukrezÜbersetzer Karl Ludwig Knebel sowie Schelling, dem er das Vorhaben förmlich übergab, nachdem ihm seine Umsetzung nicht mehr als möglich erschien. Schellings Gedicht Noch etwas über das Verhältnis der Naturphilosophie zum Idealismus (1799) blieb aber ebenso hinter der großen Programmatik des enzyklopädischen Lehrgedichts zurück, die er in der Philosophie der Kunst (1802) aller-
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dings nochmals überbot: Er forderte eine enzyklopädische „Form des Wissens“, die „fähig ist, ein Reflex des All zu seyn“. „Da nun in der höchsten Forderung dieses Objektive nur das Universum selbst seyn kann“, so Schelling, „so muss die Art des Wissens, welches zum Reflex dient, gleichfalls von universeller Natur seyn“ (Schelling 1927–1959 [1802], 314). In seiner Steigerung der Programmatik des enzyklopädischen Lehrgedichts in den Begriffen der frühromantischen Ästhetik fordert Schelling geradezu ein „absolutes Lehrgedicht“ oder „Lehrgedicht katexochen“ (314). Es soll das Wissen über das Universum in totalisierender Form darstellen: Das Lehrgedicht κατ εξοχην kann nur ein Gedicht vom Universum oder der Natur der Dinge seyn. Es soll den Reflex des Universums im Wissen darstellen. Das vollkommene Bild des Universum muß also in der Wissenschaft erreicht seyn. Die Wissenschaft ist berufen, es zu seyn. Es ist gewiß, daß die Wissenschaft, welche diese Identität mit dem Universum erreicht hätte, nicht nur von Seiten des Stoffs, sondern auch durch die Form mit der des Universums übereinstimmte, und inwiefern das Universum selbst das Urbild aller Poesie, ja die Poesie des Absoluten selbst ist, so würde die Wissenschaft in jener Identität mit dem Universum sowohl dem Stoff, als der Form nach schon an und für sich Poesie seyn und in Poesie sich auflösen. Der Ursprung des absoluten Lehrgedichts oder des speculativen Epos fällt also mit der Vollendung der Wissenschaft in eins zusammen, und wie die Wissenschaft erst von der Poesie ausging, so ist es auch ihre schönste und letzte Bestimmung, in diesen Ocean zurückzufließen. (317–318)
Das „speculative Epos“ ist enzyklopädisch im „Stoff“ und in der „Form“. Im Stoff reflektiert es das Universum als Wissensinhalt, in der formalen, poetologischen Disposition reflektiert es das Universum als zusammenhängende Erscheinungsform. Insofern sollte das Lehrgedicht κατ εξοχην nichts weniger als die „Vollendung der Wissenschaft“ durch ihre Rückführung in den status naturalis der Poesie leisten. Schellings „absolutes Lehrgedicht“ ist das Programm der poetischen Enzyklopädie als einer „vollendeten“.
3 Enzyklopädische Enzyklopädik der Literatur Die enzyklopädischen Möglichkeiten der Literatur werden nochmals deutlich erweitert, wenn sie nicht nur mit den genuinen Formen der Literatur, sondern auch mit denjenigen der Enzyklopädie beschrieben und umgesetzt werden. Indem die Literatur dergestalt formal noch deutlich näher an die Enzyklopädie herangeführt wird, wird zudem umgekehrt auch die Enzyklopädie literarisiert. Wo Literatur als Enzyklopädie erscheint, kann auch Enzyklopädie als Literatur fungieren. Eine theoretische Beschreibung dieser Verschränkung kann folgerecht nicht mehr gattungspoetologisch limitiert sein, sondern verlangt allgemeinere
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Beschreibungsmodelle im Schnittfeld von Zeichen-, Text-, Medien- und Wissenstheorie. Enzyklopädie wird damit sehr allgemein als Anordnung und Vertextung von Wissen beschreibbar. Ansätze einer allgemeinen Theorie der Enzyklopädie ermöglichte die Semiotik. Mit ihren Mitteln kann die Form der Enzyklopädie sowohl auf der Mikroebene der Zeichen als auch auf der Makroebene der Texte beschrieben werden (für einen Überblick über die Diskussion der siebziger Jahre vgl. Haiman 1980). Das leistete etwa Umberto Eco um 1980 u. a. in Semiotik und Philosophie der Sprache (1984). Dabei unterscheidet er zwei Typen des Zeichens und des Textes: Wörterbuch-Zeichen (bzw. -Texte) und Enzyklopädie-Zeichen (bzw. -Texte). Ein Wörterbuch-Zeichen ist eines, „das für etwas anderes steht“ und auf Definition beruht, während ein enzyklopädisches Zeichen „interpretiert werden kann und muß“ (Eco 1985 [1984], 77). Das Wörterbuch, in Ecos Begriffen, beruht auf Verfahren der Reduktion und der Definition „durch eine endliche Anzahl semantischer Primitiva“ (81). Definieren heißt, „das Subjekt seiner Gattung zuzuordnen und dann die Differentiae hinzuzufügen“ (93). Diese Reduktionsarbeit ist formaltypisch im Organisationsprinzip des „porphyrischen Baumes“ umgesetzt, eines hierarchischen Systems, „das dazu dient, ohne Ambiguität und mit der größten Ökonomie eine Reihe von Wörtern zu definieren“ (86). Die Anordnung geht von einem genus generalissimus als dem obersten Knoten des Baumes aus und differenziert die Wissensordnung aus bis hin zu den species specialissimae. Die Enzyklopädie dagegen beruht nicht auf Definition, sondern auf wechselseitiger Interpretation von Zeichen. Während der Wörterbuch-Baum eine „verarmte“ Enzyklopädie ist (78), erweitert sich eine „vollständige“ Enzyklopädie in einen Staubregen von Differentiae, in einen Tumult von unendlichen Akzidentien, in ein nicht-hierarchisches Netzwerk von qualia auf. Das Wörterbuch wird in eine potentiell ungeordnete und begrenzte Galaxis von Stücken von Weltwissen aufgelöst. Das Wörterbuch wird so zu einer Enzyklopädie, weil es ohnehin eine verkleidete Enzyklopädie war. (107)
Enzyklopädie ist nach Eco ein Verweisungsprozess von Zeichen, den er im Anschluss an Charles Sanders Peirce und Ross Quillian begrifflich als ‚unbegrenzte Semiose‘ und metaphorisch als ‚Netz‘ bezeichnet: „Eine solche globale Repräsentation ist nur ein semiotisches Postulat, eine regulative Idee, und nimmt das Format eines vieldimensionalen Netzes an.“ (108, vgl. Quillian 1968). Als Enzyklopädie gilt ein Zeichensystem, in dem „jedes Zeichen durch die Interkonnexion mit dem Universum der anderen, als Interpretanten fungierenden Zeichen“ bestimmt ist (Eco 1986b, 175). Sie ist ein Modell semiotischer Totalität nicht nur in der Mikrostruktur der Zeichen, sondern auch in der Makrostruktur der Texte. Analog ist auch der enzyklopädische Text kein geschlossenes Werk, vielmehr hat er offene Ränder. Er realisiert das Prinzip ‚intertextueller Zirkula-
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Formverfahren
tion‘. Wie die enzyklopädische Struktur auf der Zeichenebene als semantische Vernetzung erscheint, so auf der Textebene als pragmatische Korrelation. Ecos semiotische Theorie der Enzyklopädie verfolgt zwar einen universalen Anspruch, geht aber mit der Favorisierung eines spezifischen enzyklopädischen Modells einher. Demnach ist die Einheit des Wissens eben nicht als geschlossene und hierarchische Totalität konzipiert, sondern als kontextuelles Zusammenspiel einer irreduziblen Vielheit von Singularitäten und Bruchstücken. Enzyklopädische Totalität bildet mithin keine geschlossenen Ganzheitsformen, sondern offene, fragmentarische Universalismen. Die Metapher dieser Strukturalität ist nicht der ‚Baum‘, sondern das ‚Netz‘. Diese übernahm Eco von der poststrukturalistischen Sprach- und Literaturtheorie. Das Netz (resau, tissu) erscheint dort als Ausdruck einer nicht-hierarchischen a-systematischen Ordnung, die nicht auf Subordination, Klassifikation und Denotation, sondern auf Koordination, Korrelation und Konnotation beruht. Roland Barthes etwa ordnete es in S/Z (1970) texttheoretisch – im Gegensatz zum vorgegebenen „lesbaren Text“ – dem „schreibbaren Text“ (texte scriptible) zu (Barthes 1976 [1970], 8–13), der durch „die Pluralität der Zugänge, die Offenheit des Textgewebes, die Unendlichkeit der Sprachen“ charakterisiert ist (9). Texte dieses Formats sind enzyklopädische Wörterbücher (nun im Sinne von Ecos Enzyklopädie), indem sie die Ordnung des Wissens in Worte fragmentieren und am arbiträren und systemlosen Faden des Alphabets aufreihen (vgl. Kilcher 2007). Die moderne Literatur und ihre Theorie greift das Alphabet eben deshalb auf; für sie gilt: „le modèle […] n’est plus le discours oratoire […], mais une sorte d’artefact lexicographique“ („das Modell ist nicht der gesprochene Diskurs […], sondern eine Art lexikographisches Artefakt“), so Barthes (1973, 45), der zahlreiche seiner literaturtheoretischen Texte wie Le plaisir du texte (1973) oder Roland Barthes par Roland Barthes (1975) alphabetisch anordnete. Einzelne Lemmata des letzteren reflektieren die Programmatik dieser systemverweigernden Schreibweise, etwa „das Alphabet“ oder „der Kreis der Fragmente“. „Das Alphabet ist euphorisch“, so Barthes, „zu Ende ist die Angst vor der ‚Anordnung‘, die Emphase der ‚Ausführung‘, die verdrehten Logiken, zu Ende ist es mit den Abhandlungen! Eine Idee pro Fragment, ein Fragment pro Idee, und die Abfolge dieser Atome nichts als die tausendjährige, irrsinnige Ordnung der französischen Lettern.“ (Barthes 1978 [1975], 160–161). Das Alphabet ist die „Ordnung der Unordnung“, die „nichtmotivierte Ordnung“, „löscht alles aus, verdrängt alle Herkunft“, „schneidet“ den linearen Text, so das Lemma „die Ordnung, an die ich mich nicht mehr erinnere“ (161). Diese „nichtmotivierte Ordnung“ suggeriert durch arbiträre Kontiguitäten eine neue, polygraphische Form enzyklopädischen Zusammenhangs: „Wie die Enzyklopädie schreibt das Werk eine Liste von heterogenen Gegenständen auf, und diese Liste ist die Antistruktur des Werkes, seine im Dunkeln liegende, außer sich geratene Polygraphie.“ (161–162).
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Die Antistruktur des alphabetisierten Textes transformiert die synthetischtotalisierende in eine fragmentarisch-netzförmige Enzyklopädie auch dadurch, dass die arbiträre Reihe des Alphabets als heuristisches und pragmatisches Konstrukt letztlich aufgegeben und durch ein hintergründiges Beziehungsnetz zwischen den Artikeln ersetzt wird. Was Diderot und D’Alembert als système de renvois quer zum alphabetischen Text des enzyklopädischen Wörterbuchs installiert haben (vgl. Kilcher 2012), brachte Barthes auf den Neologismus der „Hyphologie“: „Si nous aimions les néologismes, nous pourrions définir la théorie du texte comme une hyphologie (hyphos, c’est le tissu et la toile d’araignée).“ („Falls wir Neologismen mögen, könnten wir die Texttheorie als eine Hyphologie definieren [hyphos, das ist das Netz und Spinngewebe]“, Barthes 1973, 100–101). Der Text der poststrukturalistischen Texttheorie ist ein Netzwerk: „la théorie actuelle du texte […] cherche à percevoir le tissu dans sa texture, dans l’entrelacs des codes, des formules, des signifiants“ (Barthes 1994 [1973], 1684). Hyphologie ist Enzyklopädik jenseits von Stammbaum, System, Handbuch, Zettelkasten, Lexikon etc. Die vervielfältigten und entgrenzten Bezüge im Netz sind asystematisch und unpragmatisch. Sie streben nicht nur einen formalen, sondern auch einen medialen Wandel an: Zwar noch im Buchmedium entwickelt, weisen sie auch über dieses hinaus und zielen auf den verlinkten Hypertext. Das Konzept der Hypertextualität ist im Buch- und Schriftmedium konzipiert, um dieses aber zu erweitern und zu entgrenzen. Neben Barthes und Julia Kristeva formulierte es insbesondere Gérard Genette in Palimpsestes (1982) als „Literatur auf zweiter Stufe“, d. h. als „manifeste oder geheime Beziehung“ zwischen Texten (Genette 1993, 9–14). Hypertextualität ist „ein universeller Aspekt“, wonach singuläre Texte immer schon mit allen Texten verbunden werden können: „Ein derartiger Zugang hätte zur Folge, daß die Gesamtheit der Universalliteratur im Feld der Hypertextualität aufginge.“ (20). Als potenzielle „Totalität“ des Geschriebenen überschreitet die „Universalliteratur“ das singuläre Buch in Richtung eines „endlosen Buches“. Es ist die „Utopie einer Literatur in ständiger Transfusion – Transtextfusion – die in ihr ständig in ihrer Totalität und als Totalität gegenwärtig ist und deren Bücher allesamt nur ein riesiges Buch, ein endloses Buch sind. Die Hypertextualität ist nur einer der Namen dieser fortwährenden Zirkulation der Texte.“ (534–535). Die Transgression der klassischen Buchform kündigt sich in den vielbändigen enzyklopädischen Wörterbüchern ebenso wie in der modernen Literatur und ihrer theoretischen Beschreibung an. Sie wird modellhaft fortgesetzt in Hypertext-Theorien im Übergang vom Werk zum Netz: neben Barthes und Genette in erweiterten Netz-Metaphern wie dem ‚Rhizom‘, die Deleuze und Guattari in Mille Plateaux (1980) programmatisch zur Überwindung des ‚Wurzel- oder BaumBuches‘ als der Repräsentation des hierarchisch zentrierten Wissens prägten.
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Formverfahren
Dem „Baum-Buch“ setzen sie „Systeme ohne Zentrum entgegen, Netzwerke von endlichen Automaten, in denen die Kommunikation von einem Nachbarn zum anderen hergestellt wird“ (Deleuze und Guattari 1992, 30), „Rhizom“ ist fortgesetzte Enzyklopädisierung der Buch-Form durch Deregulierung gemäß den Prinzipien der Heterogenität, Permutation, Mannigfaltigkeit, Kartographie, Territorialisierung, Deterritorialisierung etc. (19). Das Rhizom enzyklopädisiert die einfachen hierarchisch-zentrierten Formen wie Baum, Buch, Geschichte, Theorie, Klassifikation, Alphabet etc. zu permutationellen Verbindungen von Mannigfaltigkeiten und Heterogenitäten. Die theoretische Auslotung der enzyklopädischen Transgression des Buches wurde angesichts der neuen medientechnischen Möglichkeiten des digitalen Textes erweitert. Was die Hypertexttheorie der Enzyklopädie für das Papiermedium formulierte, galt Internettheoretikern als Präfiguration des nichtlinearen verlinkten Hypertextes, so u. a. Jay David Bolter in Writing Space. The Computer, Hypertext, and the History of Writing (1991) oder George P. Landow in The Convergence of Contemporary Critical Theory and Technology (1992) (vgl. Kuhlen 1991; Stickfort 2002). Bolter erkannte in der Enzyklopädie den eigentlichen „Vorläufer“ des Internets: Einige Arten von Büchern sind ihrer Natur nach hypertextuell, beinhalten sie doch eine Menge Verweise, welchen der Leser in einen anderen Abschnitt oder von einem Band zum nächsten hin folgen kann. Die Enzyklopädie ist dafür vielleicht das beste Beispiel. […] Als Genre war die Enzyklopädie häufig, vielleicht immer darauf ausgerichtet, umfassend zu sein – und das Internet ist jetzt die elektronische Verwirklichung dieses enzyklopädischen Ziels. (Bolter 1997, 44)
Der Hypertext überbietet insbesondere auch die genuin enzyklopädische Schreibtechnologie der Verweise und wird damit zum Modellfall des verlinkten Textes, wie auch Pierre Lévy bemerkte: Die Enzyklopädie […] ruht nicht mehr […] in einem Buch oder geschlossenen System: Sie zirkuliert in einem Raum der Übersetzungen und Verweise […]. Bereits Diderot und d’Alembert haben das architektonische Diagramm, die hierarchische Ordnung aufgegeben, denn ihre Encyclopédie ist nach der alphabetischen Unordnung aufgebaut. Im Sinne eines Hypertextes besteht ihre eigentliche Ordnung in einem Netz innerer Verweise. Die enzyklopädische Bibliothek verjagt das Buch. (Lévy 1997, 211)
Es wäre jedoch eine falsche Annahme, die netzförmige Enzyklopädik, wie sie im Übergang von Semiotik, Literatur- und Hypertexttheorie konzeptuell beschrieben wurde, auf den digitalen Hypertext allein zu beziehen. Vielmehr lässt sich damit allgemein eine hybride wissenspoetologische Textform beschreiben, die weder Literatur, noch Enzyklopädie ist, sondern enzyklopädisierte Literatur und litera-
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risierte Enzyklopädie in einem. Das soll abschließend an einem Beispiel aus dem Papierzeitalter um 1800 gezeigt werden: dem kombinatorischen Witz (vgl. Kilcher 2004). Das Hybrid lässt folgerecht zwei Perspektiven zu: aus der Perspektive der Enzyklopädie das Verfahren der Kombinatorik, aus der Perspektive der Literatur die Poetik des witzigen Vergleichs. Entscheidend ist aber, dass sich die Perspektiven überkreuzen: als mathematische Operation der Totalisierung ist die Kombinatorik zugleich ein poetologisches Verfahren, als poetologische Operation der Paarung des Disparaten ist der Witz zugleich ein wissenschaftliches Verfahren. In seiner Grundform entstammt das Verfahren der vormodernen ars combinatoria von Lull bis Leibniz (vgl. Doucet-Rosenstein 1981; Rieger 1997). Dieses beruht auf der Annahme einer begrenzten Anzahl von Elementen (Zeichen, Zahlen, etc.), die vermittels kombinatorischer Regeln (Kombination, Permutation) verknüpft werden. Die Einfachheit des Prinzips begünstigte seine Universalität und Anwendbarkeit in so unterschiedlichen Gebieten wie der Mathematik, Physik, Logik, etc., aber auch in der Rhetorik und Poetik (vgl. Neubauer 1978). Daher auch der universalwissenschaftliche Anspruch der Kombinatorik, die etwa Athanasius Kircher als Scientia Universalis (1684) verstand (vgl. Leinkauf 1993; Rieger 1997). Grundsätzlich kann die Kombinatorik auf zwei konträre Weisen interpretiert werden: mathematisch-regulativ oder frei-assoziativ. Der universale Zusammenhang lässt sich entweder durch ein mathematisches Kalkül kybernetisch-operativ deduzieren, oder aber assoziativ und aleatorisch konstruieren. Diese Versionen der ars combinatoria korrelieren mit den beiden Interpretationen des enzyklopädischen Ganzen: einer hierarchisch-systematischen (die der kalkulierten Kombinatorik entspricht) und einer fragmentarischen (die der aleatorischen Kombinatorik entspricht). Es liegt auf der Hand, dass das aleatorische Modell der Konfiguration von Literatur und Enzyklopädie deutlich mehr zulässt als das mathematischregelgeleitete. Wo es ein vielgestaltiges heterogenes Ganzes herstellt, entfaltet das kombinatorische Kalkül sowohl ästhetisch als auch wissenschaftlich mehr Möglichkeiten. Das kann der kombinatorische Witz der Romantik um 1800 am Beispiel Friedrich Schlegels zeigen (vgl. Schanze 21976; 1993). Gegen Fichtes transzendentalphilosophische Begründung des Wissens forderte Schlegel einen philologisch-poetologischen Enzyklopädiebegriff: „Die Encyclopaedie künftig zu einer Aesthetik erweitert“, so das Programm (Schlegel 1971 [1806], 196). Das Lyceum-Fragment Nr. 115 bringt diese Komplementarität auf den Punkt: „Alle Kunst soll Wissenschaft, und alle Wissenschaft soll Kunst werden; Poesie und Philosophie sollen vereinigt sein.“ (Schlegel 1967c [1797] 161). Das Athenäum-Fragment Nr. 116 generalisiert diesen komplementären Transformationsprozess im Begriff der „progressiven Universalpoesie“ zum Programm „romantischer Poesie“ überhaupt: „Sie will, und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und
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Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig, und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen, den Witz poetisieren, und die Formen der Kunst mit gediegnem Bildungsstoff jeder Art anfüllen und sättigen […].“ In dieser offenen Mischungs- und Entwurfsform ist die „progressive Universalpoesie“ hochgradig enzyklopädisiert: „sie ist der höchsten und der allseitigsten Bildung fähig“ (1967a [1798], 182). Der kombinatorische Witz ist das leitende Verfahren dieser Enzyklopädisierung der Poesie. Er reduziert das Denken nicht auf hierarchische Grundsätze (wie in Fichtes Wissenschaftslehre), sondern operiert mit einer potenziell unbegrenzten „chaotischen“ Fülle von Ideen: „Die wahre Methode würde darin bestehen, ein volles Chaos zu produciren, die combinat.[orische] Gedankenfülle der Methode zu unterwerfen.“ (461). Diese Fülle generiert der Witz als aleatorische Paarung nicht nur des Ähnlichen, sondern auch des noch so Heterogenen, wie Schlegel in dem Essay Vom kombinatorischen Geist ausführte, den er dem zweiten Band seiner Auswahl aus Lessings Gedanken und Meinungen (1804) voranstellte. Zweck dieser Einleitung ist die Apologie der „scheinbar formlosen Form“ des fragmentarischen Schreibens überhaupt. Dieses ist nur deshalb „scheinbar“ formlos, weil es zwar bewusst asystematisch ist, aber dennoch durch ein poetologisches Vermögen zusammengehalten wird – eben den Witz: Was sind nun eigentlich diese Fragmente? […] In wiefern können sie, obwohl Fragmente, dennoch als ein Ganzes betrachtet werden? […] [D]ie darin vorherrschende Geisteskraft ist der Witz; ihr Wert besteht darin, daß sie das Selbstdenken nicht nur sehr energisch erregen, sondern auch auf eine sehr universelle Weise; und ihre, ungeachtet der Verschiedenheit der Materie, dennoch sichtbare Einheit liegt in der scheinbar formlosen Form. (Schlegel 1975 [1804], 81)
Mit seinem Prinzip, „die Verschiedenheit der Materie“ aufeinander zu beziehen, kann das Verfahren des Witzes die komplexere Einheit des Disparaten stiften. Darauf baut auch die Apologie des Fragments bzw. der Sammlung von Fragmenten, die in der „Masse“ die Komposition des Heterogenen erweitern: „Also wird nicht eine verfehlte Unform, wohl aber eine absichtliche Formlosigkeit hier ganz an ihrer Stelle, und das Fragmentarische bei solchen Mitteilungen nicht nur verzeihlich, sondern auch löblich und sehr zweckmäßig sein.“ (84). Das kompositorische Verfahren des Witzes ist in der Funktion nicht nur universalpoetologisch, sondern zugleich auch universalwissenschaftlich: es ermöglicht, alle noch so disparaten Wissenschaften und Wissensgegenstände zu integrieren und zu relationieren: „Daraus ergibt sich nun die Notwendigkeit, und die Idee einer eignen Wissenschaft, welche die Einheit und Verschiedenheit aller höhern Wissenschaften und Künste und alle gegenseitigen Verhältnisse derselben von Grund aus zu bestimmen versucht.“ (82). Dieses Organon hat gemäß Schlegel zwei Namen:
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„Literatur“ und „Enzyklopädie“. Was jene für die Künste leistet, erreicht diese für die Wissenschaften: Will man nun nicht darauf warten, ob etwa eine wahre Literatur von selbst entstehen möchte; sondern ist es die Absicht, eine solche hervorzubringen, und zwar eine durchaus vollständige; so daß nicht etwa nur diese oder jene Gattung, […] sondern daß vielmehr die Literatur selbst ein großes durchaus zusammenhängendes und gleich organisiertes, in ihrer Einheit viele Kunstwelten umfassendes Ganzes und einiges Kunstwerk sei; so ist die Vollführung jener unter dem Namen der Enzyklopädie bezeichneten, ganz neuen und noch nicht vorhandnen Wissenschaft das erste und wichtigste Erfordernis zur Erreichung dieses Endzwecks. (83)
Genau darin erkennt Schlegel die Leistung von Lessings fragmentarischem Schreiben: Es ist ein enzyklopädisches, indem es auf höchst komplexe Weise „eine Fülle verschiedenartiger Stoffe“ und Ideen miteinander in Beziehung setzt. Das Schreibverfahren ist, mathematisch gesprochen, ein kombinatorisches, der Schriftsteller, der dieses beherrscht, ein mit einer „großen Kraft des eignen Denkens“ ausgestatteter „kühn kombinierender Geist“: Dieses Kombinatorische ist es, was ich vorhin im Sinn hatte, und als wissenschaftlichen Witz bezeichnete. Es kann nicht entstehen ohne Universalität, denn nur wo eine Fülle verschiedenartiger Stoffe vereinigt ist, können neue chemische Verbindungen und Durchdringungen derselben vor sich gehen. […] Es ist leicht möglich, daß ähnliche Schriften andrer noch größere Massen von Ideen aus der innern Fülle der verschiedenartigsten Wissenschaften und Künste in noch gedrängterer Kürze enthalten; in Rücksicht jener kühnen Kombinationen aber, und des seine Sprünge und überraschende Wendungen so glücklich nachbildenden und ausdrückenden genialischen Styls, wird Lessing nicht so leicht übertroffen werden. Daß dieses eine Wirkung des Witzes sei, ist klar, und ebenso klar, daß dies Lessings eigentliche Stärke ist. (84–85)
Der Hinweis auf die Möglichkeit noch kühnerer, universalerer, umfassenderer Kombinatorik ist offensichtlich auf die romantische wissenschaftlich-poetologische Fragmentarik bezogen, wie sie neben Schlegel auch Jean Paul in seinen digressiven essayistischen Romanen und Novalis in einem eigenen Enzyklopädieprojekt, Das allgemeine Brouillon, umgesetzt haben (vgl. Kilcher 2005). Romantische Literatur, so ließe sich zusammenfassen, durchläuft vermittels des Verfahrens des kombinatorischen Witzes eine denkbar weitgehende Enzyklopädisierung (Jean Pauls Romane), während sie zugleich die Enzyklopädie in poetische Form bringt (Novalis’ Enzyklopädie). Noch dichter gesagt: Romantische Literatur ist die witzige Kombination der scheinbar ganz und gar inkommensurablen Formen von Literatur und Enzyklopädie.
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Weiterführende Literatur Bulang, Tobias. Enzyklopädische Dichtungen. Fallstudien zu Wissen und Literatur in Spätmittelalter und früher Neuzeit. Berlin 2011. Dotzler, Bernhard. Papiermaschinen. Versuch über Communication & Control in Literatur und Technik. Berlin 1996. Kilcher, Andreas. mathesis und poiesis. Die Enzyklopädik der Literatur 1600 bis 2000. München 2003. Wegmann, Nikolaus. Bücherlabyrinthe. Suchen und Finden im alexandrinischen Zeitalter. Köln 2000. Wiethölter, Waltraud, Frauke Berndt, Stephan Kammer. Hrsg. Vom Weltbuch bis zum World Wide Web – enzyklopädische Literaturen. Heidelberg 2005. Projekt „Allgemeinwissen und Gesellschaft“, http://www.enzyklopaedie.ch/
III.3 Gattungswissen und -transformation
Christel Meier
III.3.1 Implizite Gattungspoetik 1 Einleitung: Form und Gattung in der lateinischen Literatur des Hochmittelalters Die lateinische Textproduktion des Hochmittelalters steht unter drei Bedingungen, die es zu ihrer Charakterisierung zu berücksichtigen gilt: Sie ist erstens nur mit einem weiten Literaturbegriff zu erfassen, da für die Literatur des Mittelalters nur Ansätze eines institutionell ausdifferenzierten Literaturbetriebs festzustellen sind; sie ist ganz überwiegend kontextgebundene Gebrauchsliteratur (zu neuen Entwicklungen im zwölften Jahrhundert vgl. von Moos 2005 [zuerst 1993]; für die Volkssprache Kellner et al. 2005). Die lateinische Literatur des Hochmittelalters kennt zweitens keine konsistente Literatur- und Gattungstheorie und sie ist drittens auf die Ausbildung an einer fremden Sprache, dem Lateinischen, angewiesen: „Nachahmung, heute weithin verpönt“, ist ihr „Schlüsselbegriff“ (Stotz 1981, 1–2). Aus diesen Bedingungen folgt, dass die Literatur sich notwendig in vielfacher Hinsicht und auf allen Ebenen schriftlicher Produktion an Mustern orientieren muss. Für die literarische Kommunikation des Mittelalters ist daher auf allen Stufen die Nachahmung und Umformung von normgebenden Vorbildern oder Modellen grundlegend. Johannes von Salisbury, einer der bedeutendsten Autoren des zwölften Jahrhunderts, charakterisiert die entsprechende Unterrichtsmethode seines Lehrers Bernhard von Chartres im Metalogicon (I 24) so, dass tägliche Übungen (‚pre exercitamina‘) in Vers und Prosa geschrieben werden mussten, und zwar in der Orientierung an den vom Lehrer empfohlenen Modellen vorbildlicher Autoren: „Diejenigen Dichter oder Redner, die nachgeahmt werden sollten in den Poesieund Prosaübungen, stellte er den Jungen vor Augen und befahl, deren Spuren zu folgen.“ (Johannes von Salisbury 1929 [1159], 56, I 24; vgl. Stotz, 1981, 8).
2 ‚Gattung‘ im Mittelalter Engt man nun diesen weiten Problemkreis der Ausbildung in den Wortkünsten der Grammatik und Rhetorik sowie der ‚imitatio‘ der Modelle auf die Frage nach den literarischen Formen und Gattungen ein − was hier geschehen soll –, so erweist sich die Effektivität der schulischen Ausbildung als ebenfalls manifest. Denn das Mittelalter hat eine Gattungstheorie, wie sie in der Antike existierte, https://doi.org/10.1515/9783110364385-012
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nicht hervorgebracht. Es tut sich vielmehr eine Kluft auf zwischen den spärlichen poetologischen Zeugnissen zur Gattungsdefinition oder der groben Textsortenunterscheidung, etwa fabula − argumentum − historia, und der literarischen Praxis (vgl. Isidor von Sevilla 1911 [u. ö., ca. 630], I 44, 5, zu den Arten von historia). Wo Gattungsüberlegungen angestellt werden, sind es aus der Antike übernommene ‚disiecta membra‘ ohne wesentliche Relevanz für die Praxis, zudem sind sie durchsetzt von Missverständnissen oder Umdeutungen (vgl. Klopsch 1980, 57 ff., 112–120). Ein adäquates Gattungssystem wurde nicht entwickelt, wenn auch ein rudimentäres Gattungsbewusstsein und hier und da werkimmanente Gattungsreflexionen sicher feststellbar sind. Paul Klopsch und Udo Kindermann haben solche gattungstheoretischen Aussagen zusammengestellt, und Klopsch bemerkt dabei das überwiegende Interesse an den ‚dramatischen Gattungen‘, eines literarischen Typs, den es im Mittelalter gar nicht gab; er resümiert: „in die überkommenen und zum Teil längst nicht mehr verstandenen Bezeichnungen für literarische Gattungen oder Formtypen [hält] kaum jemals die Realität des mittelalterlichen Dichtens Einzug“ (Klopsch 1980, 119–120; vgl. Kindermann 1989; 1998, 78–79 zu Gattungseinteilungen); Störmer 1990; Ernst 2010). Eine wirkliche Adaptation an neue Funktionen wird von hier aus kaum versucht, die Überlegungen bleiben im Wesentlichen folgenlos: „Die lateinische Literatur des Mittelalters verfügt – im Gegensatz zur volkssprachlichen – über eine Gattungssystematik und in diesem Rahmen über ein Gattungsbewußtsein – aber über ein praktisch folgenloses.“ (Grubmüller 1999, 198). Die Konsequenz ist, dass imitatio zum Leitprinzip der literarischen Formenwahl geworden ist. Denn es sind Prototypen, denen mittelalterliche Autoren folgen, und es entstehen Werkreihen, Textgruppen nach normbildenden Werken, gattungsstiftenden Modellen vor allem der Antike und Spätantike (vgl. Grubmüller 1999, 200–201; Vosskamp 1977, 30; Vosskamp 1997, 655; Rädle 1997, 222–225; Tophinke 1997, 161–182). Diese Ketten leichter Variationen der Prototypen(-nachfolge) suggerieren, dass mittelalterliche Literatur durchaus gattungsmäßig organisiert ist, z. B. das Epos in der Nachfolge Vergils, in der Volkssprache etwa der Artusroman. Klaus Grubmüller will daher Gattungen im Mittelalter „nicht als klassifikatorische Systeme, sondern konsequent als literarische Reihen“ verstanden wissen (1999, 200–201; vgl. Hamm 2010, 277 ff.; Jauß 1972; Schlieben-Lange 1997; Trachsler 1997). Die Imitation antiker Modelle zu Werkreihen hat aber nicht durchgehend den Umgang mit den Prototypen bestimmt. Eine Antwort auf die Problematik, pagane Muster einfach zu imitieren, hat schon die christlichen Autoren der Spätantike in Schwierigkeiten gebracht und bei ihnen einerseits die völlige Abkehr von den vorgegebenen Mustern (vgl. Auerbach 1958), andererseits eine neue Art von Nachahmungsformen provoziert, die als Kontrastimitationen zu begreifen sind. Solche Sonderformen der Gattungsimitation sollen im Folgenden näher analysiert
Implizite Gattungspoetik
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werden. Das Epos z. B. mit seiner Museninspiration und den antiken Helden und Göttern wurde in Sprache, Versform und Erzählweise zwar nachgeahmt, aber Geistinspiration der neuen Ära kam aus dem Jordan statt aus dem Musenquell; die Heiligen und die Trinität ersetzten die paganen Helden und Götter. Die Imitation wird zur Überbietung, so etwa im poetologisch maßgeblichen Prooemium der Evangelienparaphrase des Iuvencus (vgl. Iuvencus 1891 [4. Jhd.]; van der Nat 1973; Herzog 1989). Im zehnten Jahrhundert wählt Hrotsvitha von Gandersheim eine ähnliche Kontrastimitation der Terenz-Komödien, die Schullektüre waren. Der römischen Gesellschaft des zweiten Jahrhunderts v. Chr. waren Personal und Plot der Stücke angemessen − so Manfred Fuhrmann (1976) −, den mittelalterlichen Kloster- und Stiftsschulen aber nicht. Bei Hrotsvitha weichen die Liebesgeschichten legendären Stoffen aus der christlichen Frühzeit, etwa der Wüstenväter (vgl. Hrotsvitha 1970 [10. Jhd.], 228–375). Fidel Rädle nennt das Gattungsverweigerung (1997, 232); Kontrastimitation scheint jedoch passender, da Hrotsvitha sich ausdrücklich vornimmt, einen adäquaten Gegenentwurf für die Terenztexte in ihren dramatischen Kompositionen zu schaffen. Der Imitation der dialogischen Form korrespondiert in der Faktur der gegensätzliche Inhalt: Sunt etiam alii, sacris inhaerentes paginis, qui licet alia gentilium spernant, Terentii tamen fingmenta frequentius lectitant et, dum dulcedine sermonis delectantur, nefandarum notitia rerum maculantur. Unde ego, Clamor Validus Gandeshemensis non recusavi illum imitari dictando, dum alii colunt legendo, quo eodem dictaminis genere, quo turpia lascivarum incesta feminarum recitabantur, laudabilis sacrarum castimonia virginum iuxta mei facultatem ingenioli celebrantur. (Hrotsvitha 1970 [10. Jhd.], 233). (Es gibt auch andere, die sich dem Studium der Heiligen Schrift widmen und die zwar alle übrigen Bücher der Heiden verachten, die Dichtungen des Terenz jedoch eifrig und oft lesen und, während sie sich an der Schönheit seiner Sprache freuen, sich durch die Kenntnisnahme des gottlosen Inhalts beflecken. Daher habe ich, die kraftvolle Stimme von Gandersheim, mich entschlossen, ihn im Dichten nachzuahmen, während andere ihn durch Lektüre ehren; und so soll in derselben Dichtungsgattung, in der die abscheuliche Unzucht lasterhafter Frauen erzählt worden ist, die lobenswerte Keuschheit heiliger Jungfrauen gerühmt werden, soweit meine schwache Begabung es erlaubt.)
Alan von Lille schreibt sein Epos Anticlaudianus de Antirufino als kontrastierendes Pendant zu Claudians In Rufinum und zeigt das bereits im Titel an – wie unten weiter ausgeführt. Nachahmung und eklatante Veränderung des antiken Epos zugleich ist auch das Tier-Epos, das im zwölften Jahrhundert durch den Ysengrimus begründet wird (vgl. Mann 1987). Auch hier folgen Erzählstil und Vers, also die Formen, dem Muster, doch der Protagonist ist ein Antiheld und unterliegt seinem schlauen Gegenspieler, dem Fuchs. Zahlreiche ironische Elemente parodieren die Ernstform des Epos in der Handlung, den Redeformen, den
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Ritualen u.a.m. (vgl. Althoff und Meier 2011, 170–178). Es resultiert daraus eine kreative ironische Inversion mit Imitation der Formen bei Umkehrung des Sinns (vgl. Rädle 1997, 233–234). All dies sind Formexperimente, die von inhaltlichen Verschiebungen ausgelöst werden.
3 Hybridformen Eine Art potenzierter Imitation von Modellen im Gattungsbereich bieten Hybridformen, die auf verschiedene Weise Gattungsmischung oder besser Gattungs- und Formenkombinationen realisiert haben. Diese nach antiker, die Gattungsreinheit propagierender Dichtungsästhetik monströsen Literaturformen (zu ‚Gattungskreuzungen‘ in der Antike vgl. Kroll 1924, 202–225), waren im Mittelalter offenbar hochgeschätzt und sollen hier nun im Zentrum der Gattungsdiskussion stehen. Ihre Faktur und die Gründe für ihre hohe Bewertung sind an Beispielen zu erörtern. Die erste Kategorie solcher Hybridformen bilden feste Kombinationen von Vers und Prosa. Hat man beim Überblick über die mittelalterliche lateinische Literatur weithin den Eindruck, dass Vers- und Prosa-Versionen fast austauschbar, also wenig geeignet für Gattungsbestimmungen sind, so bilden dagegen Prosimetrum und Opus geminum, die Prosa und Vers gezielt und kunstvoll kombinieren (vgl. Pabst 1994a; 1994b; Dronke 1994; Kühne 2003; Walter 1973), zwei fest etablierte und hoch respektierte Gattungstypen − dies in krassem Gegensatz zum ästhetischen Werturteil der Antike. Für das Prosimetrum etwa drückt Lukian im zweiten Jahrhundert n. Chr. die Missachtung und den Hauptkritikpunkt antiken Formurteils klar aus; in der Schrift Bis accusatus lässt er den personifizierten Dialog sagen: „Aber was noch das aller ungereimteste ist, er hat ein so seltsames Mischmasch aus mir gemacht, daß ich weder zu Fuß gehe noch auf Versen einhersteige, sondern gleich einem Hippozentauren aus zwey ungleichartigen Naturen zusammengesetzt bin, und allen, die mich hören, ein ganz fremdes Wunderthier scheinen muß.“ (Lucian 1971 [2. Jhd. n. Chr.], 220). Der Humanist Lodovico Castelvetro schließt sich in der Poetica d’Aristotele diesem Urteil 1576 an; jede Mischung von Prosa und Vers sei ein ‚mostro‘ gleich den Fabelwesen der Moderne (vgl. Pabst 1994a, 1–2; vgl. Aristoteles, Rhetorica III 8, 3, 1408). Anders das einhellige Urteil des Mittelalters: In seiner umfangreichen Untersuchung von 131 Texten ausgeprägt prosimetrischer Struktur des Mittelalters hat Bernhard Pabst nicht nur die Beurteilung von Autoren, die diese Form als „gleichberechtigte Alternative zu den unvermischten Schreibweisen“ verstanden (1994b, 2), sondern auch zahlreiche Aussagen zur Überlegenheit der kombinatorischen Faktur in Wert und Funktion eruieren können: Abwechslung (variatio) erfreut und
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vermeidet Überdruss (delectat, alleviat fastidium), und dies insbesondere durch die Süße der Verspassagen. Ferner werden lobend hervorgehoben die intermediale Verbindung der Künste Rhetorik und Musik, die Kombinationen von Belehrung und Erfreuen (docere/utilitas – delectare, nach der hohen Anforderung an Dichtung auch in Horaz’ Poetik), sowie Lehre und affektive Wirkung (docere – movere) und leichtere Memorierbarkeit, was die Verse betrifft (vgl. Pabst 1994a, 295 ff.). Als Prototypen dieser Form galten dem Mittelalter Martianus Capellas Hochzeit Merkurs und der Philologie und ganz besonders die Consolatio Philosophiae des Boethius, der jenes Werk mit neuer gehaltlicher Akzentuierung nachgeahmt habe (vgl. Pabst 1994a, 105 ff., 158 ff.). Die im Wesentlichen auf das frühere Mittelalter beschränkte Form des Opus geminum fand in der theoretischen Begründung eine ganz ähnliche Beurteilung wie das Prosimetrum (vgl. Walter 1973, 1 ff.). Diese Form des Doppelwerks, bestehend aus Vers- und Prosafassung ein- und desselben Inhalts, die als zusammengehörig begriffen wurden, leitete Hraban von den Prototypen des Prosper von Aquitanien und Sedulius her und begründete den Wert der Kombination ebenfalls mit der Berufung auf Horazens Doppelformel ‚prodesse et delectare‘: Bei den Alten gab es die Regel, dass sie ihre eigenen Werke mit einem doppelten Stil abfassten, wodurch die Produkte ihrer Erfindung für die Leser zugleich angenehmer und nütz licher waren. Daher fand man auch bei den weltlichen und bei den geistlichen Autoren nicht wenige, die denselben Stoff mit Versen und Prosa zugleich behandelten […]. Gaben sie nicht zu dem Zweck ihr Werk in zweifachem Stil doppelt heraus, damit gerade die Abwechslung [varietas] [1.] den Lesern den Überdruss nahm und [2.], wenn jemand vielleicht in der einen Version etwas weniger verstand, er in der anderen das dann ausführlicher Erörterte [schnell] begriff? (Hrabanus Maurus 1899 [9. Jhd.], MGH Epist. V, 384; Walter 1973, 49–50)
Eine faszinierend originelle poetologische Überlegung zu dieser Kombination bietet schon der Fachschriftsteller Palladius (viertes Jahrhundert) in seinem Opus agriculturae, das er nach vierzehn in Prosa gefassten Büchern mit einem Versbuch über die Obstveredelung beendet und erklärt: Wie die Technik des Pfropfens den Wildbaum veredelt, wird den Prosabüchern das edlere Reis der Verse eingepfropft, Zeichen einer durch Kulturleistung geschaffenen ‚nova natura‘ (Palladius 2010 [4. Jhd.], 294, XV, 1 ff.; vgl. Meier 1994, 42–43). In einer Tat der Schöpferimitation des Menschen vereinigen sich Natur und Kunst zu einer neuen Form, einer edleren Natur, die vom Kosmoslenker selbst sanktioniert ist: „Ipse poli rector […] / dignatus nostros hoc insignire labores, / naturam fieri sanxit ab arte novam“ (Palladius 2010 [4. Jhd.], 294); die wechselseitige Durchdringung von rusticitas und urbanitas, von natura und ars schaffen die nova natura. Es wären noch mehr Dichtungsarten zu nennen, die Kombinationen mit Versformen zeigen, wie mittelalterliche Hymnen mit auctoritas, das heißt Vereinigung
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von mittelalterlichen akzentrhythmischen Versen und Hexametern, die möglichst der antiken Dichtung entstammen (zu dieser Kombination von meist drei Vagantenversen vereint mit einem Hexameter oder auch Pentameter zur Strophe [=Auctoritas] vgl. Klopsch 1972, 33–34). Gattungs- und prototypenorientierte Kombinationen in hybriden Werkstrukturen waren für Autoren des Mittelalters offenbar so wenig anstößig, dass sie Werke, die auch heute noch als besonders interessant und reizvoll gelten, gleichsam ‚Spitzenwerke‘ also, nach einem solchen Verfahren geschrieben haben. Es sind Mehrfach-Imitationen von verschiedenen Prototypen in einem Werk, nicht im Sinne von Quellenreferenzen, sondern als Ausrichtung an die Struktur und Darbietungsweise vorgebenden Mustern, die Hybridformen provozieren. Mit diesen potenzierten Verfahren des Modellierens nach mehreren Modellen bedienten die Autoren offenbar ein neues literarisches Ideal.
4 Die Ästhetik des Opus An zwei Beispielen aus dem zwölften Jahrhundert, deren Autoren nicht gerade als konventionell gelten, sollen solche Hybridformen nach ihrer Innovationsleistung in kurzen Analysen vorgestellt werden: An Alans von Lille Anticlaudianus und Abaelards Historia calamitatum, einem allegorischen Epos also und einer ‚Autobiographie‘. Alan konstruiert sein Epos von ca. 1180, dessen Hybridform weniger komplex erscheint als Abaelards Historia, im Wesentlichen in der Referenz auf drei spätantike Autoren, in deren Werken er Prototypen für seine Dichtung von der Schaffung eines neuen Menschen, eines homo novus, durch die personifizierte Natura gefunden hat. Bereits der volle Titel gibt einen Hinweis auf eines der Vorbilder: Der Anticlaudianus de Antirufino (Alain de Lille 1955a und 2013a [1180]) bezieht sich auf Claudians politische Invektive In Rufinum (1961 [um 400], MGH Auct. ant. 10), positioniert sich jedoch mit dem doppelten Signal des ‚anti‘ nicht als einfache Orientierung an dem Modell, sondern als Kontrastimitation zu diesem Prototyp. Eine frühe Werkzusammenfassung, das Summarium Anticlaudiani (Anfang des dreizehnten Jahrhunderts), erläutert das Verfahren material: „Dieses Buch aber heißt Anticlaudianus wegen seines Stoffs, weil der Stoff dieses Buchs dem Dichtungsanfang des Claudian entgegengesetzt ist. Denn während Claudian am Beginn seines Buchs die Laster einführt, die den Rufinus vernichten sollen, werden am Beginn dieses Buches die Tugenden eingeführt, die den ‚homo beatus‘ schaffen sollen“ (Summarium Anticlaudiani in Alain de Lille 1955b [um 1170] [Anf. 13. Jhd.], 201; vgl. Meier 1980, 483–489); das deformare dort – steht gegen das
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informare hier (vgl. Ochsenbein 1975, 55). Claudians Gedicht schildert die Mobilmachung der Unterweltkräfte, der Furie Allecto und ihrer Verbündeten, die in einem Konzil den Plan zur Weltvernichtung durch einen vollkommen schlechten Menschen, eben Rufinus, fassen, um die herrschende Justitia und die gerechte Herrschaftsordnung (Honorius, Stilicho) zu vernichten; Alans Anticlaudianus beginnt entsprechend mit einem Konzil himmlischer Kräfte, der ‚Tugenden‘, das über den Plan der Protagonistin Natura berät, einen vollkommenen Menschen zu schaffen, der eine Erneuerung der verderbten Schöpfung, eine Restitution der Welt bewirken soll. Zwei antike Topoi, Modelle des Idealen, rahmen das Werk: der locus amoenus als der vollkommene Wohnort der Natura (vgl. Claudianus 1961 [um 400], MGH Auct. ant. 10; Alain de Lille 1955a [1180], 57 ff., I, 1 ff.) und das zurückgekehrte Goldene Zeitalter am Ende, das die gesamte Erde einnimmt (196–197, IX, 380 ff.). Diese Eingangspassage ist zugleich die Rückkehr zur epos-imitierenden Götterversammlung und -beratung, die Claudian ins Negative zu einem Konzil der Unterweltskräfte depraviert hatte. Eine direkte Imitation des Unterweltkonzils setzt Alan erst gegen Ende des Epos ein für den Plan der Höllenmächte, den inzwischen erschaffenen neuen Menschen zu vernichten. Die Teile des Anticlaudianus (vgl. Ochsenbein 1975, 66–68), die zur Umsetzung des Plans der Natura führen, die Himmelsreise und der für diese aus den Sieben freien Künsten gebaute Himmelswagen, der Prudentia und Racio durch die Sphären des Kosmos zu Gottes Thron führt, um die neue Seele zu erbitten, sind weitgehend nach dem Modell der Hochzeit Merkurs und der Philologie des Martianus Capella konzipiert, etwa mit der ausführlichen Beschreibung der Sieben Künste, mit der Auffahrt durch die Planetenkreise bis hin zum notwendigen Heilungsgetränk, das Prudentia für ihre Aktion im überhimmlischen Ort kräftigt (Martianus Capella 1978 [5. Jhd.], 60–61). Nach der nur kurz erwähnten Rückfahrt und der Vereinigung der neuen Seele mit dem irdischen Körper durch Natura und Concordia sowie nach der Ausstattung des homo novus mit zahlreichen Tugendgaben erfolgt die Bedrohung durch die Laster, die sich zum Angriff unter der Furie Allecto formieren und mit ihrer Verschwörung die Restitution der Welt verhindern wollen. Die Rüstung des neuen Menschen durch die Tugenden zum Kampf der Bewährung und sein schließlicher Sieg über das Höllenheer ist im Wesentlichen nach dem Vorbild der Psychomachie des Prudentius gestaltet. Hier kämpfen sie entweder gegen die im neuen Menschen versammelten guten Kräfte oder gegen die Tugenden direkt wie bei Prudentius – ein Kampf, der wie bei jenem in der Herrschaft von Pax und Sapientia endet (Prudentius 1966 [4./5. Jhd.], 147–181; Alain de Lille 1955a [1180], 177 ff.). Die Prophezeiung von Rufins Tod und eines glücklichen Zeitalters unter Honorius bei Claudian hat das Modell von Alans Schlussteil mit der Rückkehr des Goldenen Zeitalters angeregt (das im Einzelnen nach Vergil und Ovid gestaltet ist).
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Neben weiteren Hypotexten von Alans allegorischem Epos sind es vor allem diese drei spätantiken Vorbilder, Claudian, Martianus Capella und Prudentius, die, zu einer Hybridform verschmolzen, die Werkstruktur bestimmt haben. Die Eposform übernimmt Alan von dem allegorischen Epos des Prudentius. Die Naturafigur, die einen heilsamen Prozess für die Welt in Gang setzt, verdankt Alan seinem älteren Dichterkollegen Bernardus Silvestris; in dessen Cosmographia wird das Chaos durch den Einsatz von Natura zum Kosmos, hier bei Alan wird der der Depravation anheimgefallene Kosmos (den Alan in De Planctu Naturae geschildert hatte) durch Restauration geheilt (vgl. Bernardus Silvestris 1978 [12. Jhd.]; Alain de Lille 1955a [1180] und 2013b) – und dies geschieht parabiblisch, also nicht über die heilsgeschichtliche Erlösergestalt Christi, sondern aufgrund eines neuerworbenen Habitus moralischer Perfektion des Menschen, also in einer Utopie (die es im Mittelalter sonst nicht gibt). Fragt man nun nach den Gründen für die Wertschätzung einer solchen Hybridkomposition oder nach Aussagen des Autors, die die Konstellation erläutern könnten, so gibt das Werk selbst wenigstens eine indirekte, auf der narrativen Ebene liegende Antwort: Die Art der Vollkommenheit des neuen Menschen, sowohl für die Beschaffenheit der Seele wie des Körpers wie auch der moralischen Ausstattung ist eine ‚zusammengesetzte‘, und genau dies war der Plan der Natur, den sie im Werkeingang entwickelt: Diese Figur sollte die verschiedenen Vollkommenheiten, die normalerweise auf eine Mehrzahl von Menschen verteilt sind, in sich vereinigen: Vt sibi iuncta magis Nature dona resultent, / Vt proprium donet donis mixtura fauorem, / Solers Nature studium, que singula sparsim / Munera cuntulerat aliis, cuncludit in unum. / Cudit opus, per quod operi cuncluditur omni: / Pristina sic operum peccata repensat in uno, / Vt quod deliquit alias cumpenset in isto. (Alain de Lille 1955a [1180], 57, I, 1 ff.) (Dass die Geschenke der Natur zusammengenommen Besseres bewirkten, dass die Mischung den Gaben eine eigene Gunst verleihe, richtet die Natur, die zuvor die einzelnen Gaben hierhin und dorthin auf die anderen Wesen verteilt hatte, ihre ganze Energie auf ein einziges Werk. Sie schmiedet ein Werk, mit dem ihr gesamtes Werk vollendet wird. So gleicht sie die früheren Verfehlungen in einem wieder aus, damit sie in ihm wieder gutmacht, worin sie anderswo gefehlt hat.)
Natura drückt das so aus: Sie fürchte in diesem Fall nicht ihre Verarmung durch die Akkumulation der Gaben auf ein einziges Wesen, durch die sie andere leer ausgehen lassen müsste: Hoc in mente diu scriptum mihi sedet, ut omnes / Et simul instanter caute solerter ad unum / Desudemus opus, in quo tot munera fundat / Quelibet [sc. Virtutum], ut post has dotes uideatur egere, / Nostrorum crimen operum redimatur in uno, / Vnius probitas multorum crimina penset / Vnaque quamplures exterminet unda litturas. (64, I, 228 ff.; vgl. Meier 2012).
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(Diese Idee ist mir seit langem gleichsam im Geist eingeschrieben, dass wir alle zusammen unsere Anstrengung auf ein Werk richten, mit Leidenschaft, Vorsicht und Geschick, auf das jede von uns so viele Gaben ausgieße, dass sie danach selbst bedürftig erscheine. Die Verfehlung in unseren Werken soll an einem wieder gutgemacht werden. Die Güte des einen soll die Mängel von vielen ausgleichen und eine einzige Welle soll die vielen Flecken wegspülen.)
Nicht nur bei der irdischen Gabenverteilung wird dieses Prinzip deutlich und durch die Mitwirkung der Concordia unterstrichen, sehr anschaulich ist in diesem Sinn auch die Schaffung der neuen Seele im Himmel geschildert. Noys erhält von Gott den Auftrag, das Urbild der Seele zu suchen und zuzubereiten: „Daraufhin durchmustert Noys […] die einzelnen ‚exempla‘ der Dinge und sucht die neue Idee (‚nova ydea‘). Unter den vielen Ideen erkennt sie sie endlich.“ (153, VI, 434 ff.). Diese Idee vereinigt in sich die Weisheit Salomos, die Schönheit Josephs, die Geduld des gerechten Hiob, den Eifer des Phineas, das Maßhalten des Moses, die Einfalt Jakobs, den Glauben Abrahams, die Frömmigkeit des Tobias (vgl. 153, VI 438 ff.), sie repräsentiert also nahezu das gesamte Vollkommenheitsspektrum alttestamentlicher Vorbilder. Aus dieser urbildlichen Kombination schafft Gott die neue Seele, indem er wie mit einem Siegel das Urbild (exemplar) dem Abbild (exemplum) einprägt. „Das Abbild des Urbildes nimmt all dessen Reichtum in sich auf.“ (153 f., VI, 443 ff.) In den Handschriften wird der Vorgang der Schaffung der Seele nach den Vorbildern des Alten Testaments auch handwerklich-plastisch illustriert (vgl. 153 f., VI, 443 ff.; vgl. Meier 1980, 471 ff.). Diese Figuration einer durch Kombination von Tugendmustern erreichten Vollkommenheit hat – so die These hier – auch die Ästhetik des Opus selbst geprägt. Nach gelungener Ausführung des Plans von der Schaffung des homo novus et perfectus sagt der Autor: Die Natur wunderte sich, „dass sie fähig war, ein so großes Werk zu vollbringen, und mit Erstaunen kann sie kaum glauben, dass es ihr Werk ist, was sie selbst gemacht hatte“ (Alain de Lille 1955a [1180], 159, VII 73 ff.). Das Verfahren der multiplen imitatio mit dem Ziel, in der Kombination der Modelle etwas Vollkommenes zu schaffen, hat Alan nicht erfunden. Es gibt ein antikes Vorbild für die Schaffung eines künstlerischen Werks nach diesem Prinzip. Cicero erzählt im Eingang des zweiten Buchs seiner Rhetorik De inventione die Geschichte vom Maler Zeuxis – bereits in metadiegetischem Bezug auf das Schreiben des eigenen Buchs (vgl. De invent. [1. Jhd v. Chr.], II, 1–2; vgl. Plinius, Nat. hist. [1. Jhd. n. Chr.], 35, 64). Der berühmte Maler Zeuxis erhält von den Bürgern Krotons den Auftrag, in ihrem Tempel ein Bild Helenas zu malen. Er wählt aus einer großen Zahl schöner junger Frauen die fünf schönsten als Modelle aus, um nach ihnen das Idealbild zu malen: „Er glaubte nämlich, dass er nicht alles, was er für die Schönheit verlangte, in einem Körper finden könne“; denn die Natur erschaffe nichts, was in allen Teilen vollkommen sei (II 1, 1–3). Cicero selbst
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will entsprechend das Beste aus allen erreichbaren Vorgängern in seiner Disziplin sammeln und zu einer neuen besseren Summe vereinigen: Quod quoniam nobis quoque voluntatis accidit ut artem dicendi perscriberemus, non unum aliquod proposuimus exemplum cuius omnes partes, quocumque essent in genere, exprimendae nobis necessarie viderentur; sed omnibus in unum locum coactis scriptoribus, quod quisque commodissime praecipere videbatur excerpsimus et ex variis ingeniis excellentissima quaeque libavimus. (II, 1, 4). (Als ich den Entschluss fasste, ein Lehrbuch zur Rhetorik zu schreiben, habe ich ‒ ganz ähnlich ‒ nicht nur ein Vorbild ausgewählt, von dem ich alle Teile, von welcher Art sie auch seien, für notwendig hielt wiederzugeben, sondern sammelte alle Autoren, die brauchbare Regeln über den Gegenstand verfasst hatten, und exzerpierte das jeweils Beste von verschiedenen begabten Männern.)
Da Ciceros De inventione im Hochmittelalter Gegenstand des Trivium-Unterrichts war, ist bei Alan die Kenntnis der Zeuxis-Erzählung als selbstverständlich anzunehmen. Auch durch Thierry von Chartres, der diese Cicero-Stelle ausführlich kommentiert, kann Alan Kenntnis von ihr gehabt haben (Thierry von Chartres 1988 [ca. 1130/40], 172–173; vgl. Dickey 1953; Dickey 1968). Doch schon sein zwei Generationen älterer Zeitgenosse Abaelard beruft sich ausdrücklich auf diese Passage Ciceros für sein eigenes Verfahren bei der Erstellung einer Regel für das Paraklet-Kloster, dem Heloisa als Äbtissin vorsteht: Hunc [sc. Zeuxim pictorem] enim ut in Rhetorica sua Tullius meminit Crotoniatae ascriverunt ad quoddam templum quod religiosissime colebant excellentissimis picturis decorandum. Quod ut diligentius faceret quinque sibi virgines pulcherrimas de populo illo elegit quas sibi pingenti assistentes intuens earum pulchritudinem pingendo imitaret. (Petrus Abaelardus 1956 [ca. 1140], 242). (Denn diesen [den Maler Zeuxis] bestimmten die Crotonier dazu, wie Cicero in seiner Rhetorik erwähnt, einen Tempel, den sie besonders verehrten, mit Bildern zu schmücken. Damit er dies so gut wie möglich ausführte, wählte er aus der Bevölkerung die fünf schönsten jungen Frauen aus, die er als Modelle für sein Bild anschaute, um im Bild ihre Schönheit nachzuahmen.)
Wie Zeuxis und Cicero will Abaelard die Vielfalt der Muster nutzen, d. h. die Zeugnisse der patristischen Autoren, um daraus seine nach Schönheit und Vollkommenheit perfekte Braut Christi in der Regel zu malen: „Wir haben beschlossen, dies alles in eins zusammenzubringen, um den spirituellen Tempel Gottes, der ihr seid, damit schmücken zu können, gleichsam mit hervorragenden Bildern zu zieren, […] und aus einer Mehrzahl von Unvollkommenem, soweit wir es vermögen, ein vollendetes Werk zu schaffen.“ (242). Schon der karolingische Gelehrte Paschasius Radbertus hatte sich für die Quellennutzung zu seinem Matthäus-Kommentar auf Ciceros Zeuxis-Exempel berufen (Paschasius Radbertus 1984 [9. Jhd.], 6; vgl. Patzold 2012, 32–33; Godman 1995; von Moos 2005, 251–252). Anders als das immer wieder aufgerufene Bienengleichnis für die Schaffung eines
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Werks aus mehreren Quellen, das ein Verfahren des Einschmelzens betont, ist das Zeuxisbeispiel gerade zur Veranschaulichung solcher Kompositschöpfungen geeignet und damit für die Formproblematik relevant (vgl. Stackelberg 1956; de Rentiis 1996). Es soll nun gezeigt werden, dass Abaelard nicht nur die Regel, sondern auch seine Autobiographie, die Historia calamitatum, und wohl das ganze Briefcorpus, das als Gründungsdokument des Paraklet-Klosters zu lesen ist, nach diesem kombinatorischen Prinzip der Perfektibilität angelegt hat. Imitation von Modellen stellt das zentrale Strukturprinzip von Abaelards Historia dar (vgl. Abélard 31967 [1132]; vgl. Hasse 2002; Gäbe 2004; von Moos 2005; Podlech 1990). An welchen Prototypen oder Gattungsmodellen ist sie orientiert? Zunächst ist sie ein Brief, ein Trostbrief an einen verzweifelten Freund, dem Abaelard mit der eigenen Leidensgeschichte ein Exempel des geduldigen Ertragens von noch größerem Leid geben will (nach dem rhetorischen Prinzip ‚a maiore ad minus‘). Vor allem am Werkanfang und -ende wird dieser in der Konsolationsliteratur bekannte Gedanke expliziert. Die Handschriften verweisen in ihren Werktituli auf zwei Gattungen: Epistola consolatoria und Vita (so dargestellt in der Einleitung der Edition von Monfrin 31967, 9 ff.). Diese Tituli betonen einerseits die intentio, andererseits materia und auctor der Schrift. Der autobiographische Ansatz wird in den verschiedenen Partien des Werks entfaltet durch mehrere gattungsimitierende Erzählmuster: Ritterroman mit Aventiurenkette und Liebesgeschichte, Invektive, Apologie, Confessio, Conversio mit legendenhaften Zügen und durch noch andere genretypische Anleihen. Im Unterschied zu Alan referiert Abaelard nicht auf konkrete Werke als Prototypen, sondern orientiert sich an generischen Textsorten, ‚abstrakten Prototypen‘, wie Joachim Hamm sie genannt hat (2010, 277). Erheblich komplexer als Alans Anticlaudianus wird dieses Werk aber dadurch, dass es immer wieder Deutungsverschiebungen im Fortgang der Erzählung, Neuperspektivierungen, Ironisierungen, Überlappungen zwischen den Partien gibt, dass die Gattungsvorbilder oder Muster eher idealtypisch als konkret sind, dass schließlich die Narration zunehmend vom Ende her evaluiert wird. Dazu einige genauere Beobachtungen. Dem Aufstieg des Rittersohns zum Magister und anerkannten Lehrer gibt Abaelard die Form einer Rittervita: Ausbildung in den Grundfertigkeiten und die Suche nach adäquaten Gegnern, die im ‚ritterlichen Zweikampf‘ zu bestehen sind – „eine Transposition [also] des Waffenhandwerks auf immer höhere Stufen“ (von Moos 2005, 254). Ziel solcher Wettkampfmentalität, die in zahlreichen Metaphern modelliert wird, ist der Ruhm (gloria) dieses „intellektuellen miles gloriosus“ (248). Das Rittertum im Dienst Minervas führt den Protagonisten von der Rhetorik und Logik sowie der Philosophie bis zur Theologie, von Roscelin und
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anderen Lehrern des Trivium zu Wilhelm von Champeaux, dem Leiter der Domschule von Notre-Dame in Paris, bis zu Anselm von Laon, dem Schriftexegeten (Abélard 31967 [1132], 63–69). Die Beschreibung des Sich-Messens mit seinen Lehrern, die z. T. als ‚Belagerung‘ formuliert ist (vgl. 66–67 gegen Wilhelm von Champeaux), geht regelmäßig in die Invektive über, wie später auch die Auseinandersetzung mit seinen theologischen Gegnern, die seine Hauptschrift auf dem Konzil von Soissons mit Verbrennung derselben verurteilen ließen (vgl. 82–89). Zugleich fungieren diese Passagen wie die ganze Schrift eindeutig als Apologie, die sich zusätzlich auf die Schilderung verschiedener Phasen sehr erfolgreicher Lehrtätigkeit stützen konnte. Nach dem Zerwürfnis mit Anselm von Laon, das durchaus zu seinem Ruhm beitrug, lehrt Abaelard einige Jahre in Paris Theologie vor zahlreichen Studenten, die seinen Ruhm erhöhen und sein Vermögen mehren: „Unde utriusque lectionis studio scole nostre vehementer multiplicate, quanta mihi de pecunia lucra, quantam gloriam compararent ex fama te quoque latere non potuit.“ (70). („Durch meinen Unterricht in beiden Disziplinen vervielfachte sich die Zahl meiner Schüler. Vom Hörensagen kann dir nicht verborgen geblieben sein, wieviel Geld und wie großen Ruhm mir das einbrachte.“) An diesem Höhepunkt seiner Erfolgsgeschichte macht der Autor eine Zäsur und wechselt in ein neues Genus der Erzählung, eine ‚Confessio‘ im Blick auf Vergangenheit und unmittelbare Zukunft unter den Stichworten ‚superbia‘ und ‚luxuria‘, den Hauptsünden seit der Genesis: „Als ich an Hochmut und Wollust schwer erkrankt war, verabreichte mir die göttliche Gnade eine Medizin gegen beide Krankheiten, auch wenn ich es nicht wollte.“ (70). Sed quoniam prosperitas stultos semper inflat et mundana tranquillitas vigorem enervat animi et per carnales illecebras facile resolvit, cum iam me solum in mundo superesse philosophum estimarem nec ullam ulterius inquietationem formidarem, frena libidini cepi laxare, qui antea vixeram continentissime. (70). (Denn der Erfolg lässt törichte Menschen immer hochmütig werden und weltliche Ruhe schwächt die Kraft des Geistes und lässt sie in sexuellen Verlockungen erlahmen; und da ich schon glaubte, der einzige Philosoph auf der Welt zu sein, und keine weiteren Anfechtungen mehr fürchtete, begann ich, die Zügel sexuellen Verlangens lockerer zu lassen, der ich zuvor vollkommen enthaltsam gelebt hatte.)
Mit dieser schon legendenhaften Färbung im Vorhinein aspektiert, wird die Liebesgeschichte mit Heloisa zuerst in ihrem positiven Verlauf, dann in ihrer Beschleunigung zur Katastrophe, bis zu der durch die Schergen des Onkels vollzogenen Entmannung und der damit erlittenen Scham und Zerknirschung (misera contritio) Abaelards, erzählt. Beide Partner gehen nach der Geburt des Sohnes und der vollzogenen Eheschließung ins Kloster (vgl. 71–82).
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Die zweite Katastrophe folgt in Soissons mit der Verurteilung von Abaelards theologischem Hauptwerk De Unitate et Trinitate divina sowie mit der erzwungenen eigenhändigen Verbrennung des Buchs ohne eine wirkliche Prüfung seines Inhalts. Unfähigkeit der Gegner, wie der Autor durch den Mund eines Zeugen ironisch erläutert: „Vocatus itaque statim ad concilium adfui, et sine ullo discussionis examine meipsum compulerunt propria manu librum memoratum meum in ignem proicere; et sic combustus est.“ (87). („Ich wurde zum Konzil gerufen und ich erschien sofort. Und sie zwangen mich ohne Prüfung und Diskussion das erwähnte Buch von mir mit eigener Hand ins Feuer zu werfen, und so ist es verbrannt.“) Abaelards Deutung dieser Verurteilung ist die einer geistigen Kastration (nach der zuvor erlittenen körperlichen): „Conferebam cum his que in corpore passus olim fueram quanta nunc sustinerem; et omnium hominum me estimabam miserrimum. Parvam illam ducebam proditionem in comparatione hujus injurie, et longe amplius fame quam corporis detrimentum plangebam.“ („Was ich nun ertragen musste, verglich ich mit jenem, was ich einst an meinem Körper erleiden musste, und ich hielt mich für den elendsten aller Menschen. Als eine Kleinigkeit erschien mir jener Verrat im Vergleich mit diesem Unrecht. Und weit mehr als die Verwundung meines Körpers beklagte ich die Verletzung meines Ansehens.“) Diese habe an ihrem Tiefpunkt zur Anklage Gottes und in die Verzweiflung geführt: „Deus, qui judicas equitatem, quanto tunc animi felle, quanta mentis amaritudine te ipsum insanus arguebam, te furibundus accusabam […], quanta desperatione perturbarer, sentire tunc potui, proferre non possum.“ (89). („Gott, der du gerecht richtest, mit wieviel Galle des Herzens, mit wieviel Bitternis des Geistes habe ich Wahnsinniger dich damals beschimpft, dich wütend angeklagt […]. Wie groß war meine Verzweiflung und meine Verwirrung: damals konnte ich es fühlen, aber ich kann es nicht ausdrücken.“) Nach diesen Übergangsepisoden zwischen superbia, luxuria und deren strenger Bestrafung durch den göttlichen Pädagogen, an einem Punkt des „Identitätsverlusts“ des Mannes und berühmten Lehrers (vgl. von Moos 2005, 247), wird folgerichtig der eigentliche Legendenteil dieser Selbstbiographie entwickelt, der alles Geschehene als von Gott geschickt begreift: zuerst die Gründung des Paraklet in der Einöde in einer Art Anachoretenstatus (vgl. Abélard 31967 [1132], 92–97), dann die Phase der lebensbedrohlichen Verfolgungen durch Norbert von Xanten und Bernhard von Clairvaux (vgl. 97–98) und die Todesgefahren in dem bretonischen Kloster St. Gildas, das Abaelard als Abt übernahm (vgl. 98–100). Die Nutzlosigkeit und Unfruchtbarkeit dieser Lebenssituation treibt Abaelard in die Verzweiflung: „Considerabam et plangebam quam inutilem et miseram vitam ducerem, et quam infructuose tam mihi quam aliis viverem […], et quam inefficax in omnibus inceptis atque conatibus meis redderer […]. Desperabam penitus […].“ (99). („Ich dachte darüber nach und klagte darüber, ein wie nutzloses und
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unglückliches Leben ich führte und wie unfruchtbar für mich und andere ich lebte und wie erfolglos ich in allen Dingen geblieben war, die ich angefangen und versucht hatte. […] Ich verzweifelte gänzlich.“) Weiterhin treibt ihn die Sorge für die Nonnengemeinschaft Heloisas im Paraklet als neue geistliche Aufgabe um (vgl. 100–105). In der Fürsorge für die Nonnen findet Abaelard einen Hafen der Ruhe („tranquillitatis portum“) und neue Erfüllung („in illis assequerer fructum“, 105). Verfolgungen, Schmähungen wie auch die spirituelle Führung der Nonnen werden begriffen als Nachfolge des besonderen Vorbilds, des Hieronymus, und zuletzt als Abbild des exemplarisch in vielen Verfolgungen (persecutiones) geläuterten Paulus (purgatio) sowie mit der Berufung auf die Gebetsformel: „Fiat voluntas tua“, des zum Kreuz geführten Jesus (107–109) − mit drei prominenten Mustern also. Bis zur Christusförmigkeit führt dabei die legendenhaft formulierte Nachfolge bei dem nun bekehrten Sünder. Die starken legendarischen Stilisierungen im letzten Teil der Historia sind die notwendige Voraussetzung für den ebenfalls der Legendenlogik unterworfenen Briefdialog zwischen Heloisa und Abaelard mit der confessio und (schweigend vollzogenen) conversio Heloisas (vgl. Muckle 1953; 1955); und das trifft auch für die letzten drei traktathaft-objektiven Briefe mit erneutem Genuswechsel zu, die im achten Brief, der Regel des Parakletklosters, gipfeln und damit die an Gattungsmustern reiche Gründungsurkunde folgerichtig abschließen (vgl. Abaelardus 1956, Epist. 8; vgl. Mohr 1976/77; McLaughlin 1975). Nur als zuvor Gereinigter (purgatus) konnte Abaelard für den Paraklet zum Gründer – fundator und plantator – und zum ‚religionis institutor‘ (‚monastischen Erzieher‘), wie Heloisa sagt, werden (Epist. 2 und 6; vgl. von Moos 2005, 250–251), so dass auch für ihn die imitabilitas eines durch die Bekehrung (conversio) gegangenen Sünders gilt. Nur durch die confessio ihrer starken Liebesbindung an Abaelard, die ihr Verhältnis zu Gott erheblich beeinträchtigt und sie in einen Zustand des Starrsinns (obstinatio) getrieben habe, konnte Heloisa zur vorbildlichen und weithin aufgrund ihres Lebenswandels geschätzten Äbtissin werden (vgl. die Würdigung des Abtes von Cluny Petrus Venerabilis im Brief an Heloise nach Abaelards Tod, Constable 1967, Epist. 115). Die Form des Werks als eine generische ‚Modellkonstellation‘ von autobiographischer Conversio über den Briefdialog beider Partner, in dem Abaelard bereits als Beichtvater fungiert, bis zu dem in den letzten Teilen objektiv explizierten gemeinsamen Projekt der Klostergründung und Regulierung ahmt diesen Conversio-Prozess ästhetisch nach. Die Heterogenität der Werkform hat in der Rezeptionsgeschichte und z. T. noch lange in der Forschung Irritationen verursacht: Die Heloisa-Briefe aus dem Mittelteil wurden für authentisch genommen und entsprechend einer romantischen Ausdrucksästhetik als echtes Zeugnis weiblicher unstillbarer Leidenschaft verstanden, das Paar galt als frühes Traumpaar einer tragisch unerfüllten Liebe (vgl. von Moos 1974; von Moos 2005, 237–238;
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243 ff., 279 ff.), „Morphologisches Konsistenzdenken“ verhinderte die Einsicht in die Kompositform des Werks, das übrigens in den Handschriften immer als Einheit überliefert ist (von Moos 1974, 87). Vorläufer dieses Gründungsdokuments sind andere Kloster-Fundationsbücher, die ebenfalls Gattungshybriden waren, aber mit ihrer eher mechanischen Komposition die elaborierte Literarizität von Abaelards Vita und Briefwechsel, die diesem Sonderfall gerecht werden mussten, nicht erreichten (vgl. Kastner 1974, 71 ff.).
5 Fazit Es hat sich also gezeigt, dass die Merkmale typischer mittelalterlicher Literarizität, die Orientierung an Prototypen und die Gattungshybridisierung, nicht als ein Mangel an Originalität und Formbewusstsein zu verstehen sind, sondern im Gegenteil reflektiert und hochartifiziell eingesetzt werden. Und sie dienen dazu, in der Literatur eine adäquate Modellierung exemplarischen Lebens zu formulieren. Die fiktionale und künstlerische Darstellung idealer menschlicher Existenz bedarf wie die Problematik christlichen Lebens geeigneter Darstellungsformen im Kontext mittelalterlicher Diskurse. Mit Ciceros Zeuxis-Geschichte werden diese bewusstgemacht, da das Perfektionsprinzip der compositio über das einfache Vorbild-Abbild-Muster hinausführt und auf Prozesse der Lebenswirklichkeit und der Autorschaft zugleich appliziert werden kann. Bei beiden Autoren des zwölften Jahrhunderts, deren Werke exemplarisch behandelt wurden, ging es um den homo perfectus: im utopischen Entwurf bei Alan wie in der Stilisierung der eigenen Vita zum Vorbild, zum hagiographischen Modell bei Abaelard und Heloisa. Ihre Schrift wurde zur Gründungsurkunde für ein Modell geistlichen Lebens. So selbstverständlich im mittelalterlichen Kontext einerseits die durchgehend große Bedeutung der Nachahmung für jede Art schriftlicher Äußerung war, so bemerkenswert ist andererseits die Kumulation von imitablen Mustern, insbesondere wenn dieses Lebensmodell im literarischen Werk durch poetologische Transformation auf die metadiegetische Ebene der Ästhetik, der Literaturproduktion und Werkgestaltung sowie auf die einer werkimmanenten poetologischen Theorie gehoben wird. In seiner 33. Predigt erläutert Abaelard programmatisch, dass höchste Vollkommenheit das Ergebnis von potenzierter imitatio, d. h. von compositio in der Nachahmung der Vorbilder ist (vgl. Petrus Abaelardus 21970 [12. Jhd.], 571, zu Job 39, 5–8). Die perfekten Exempla eines vollkommenen Mönchs finden sich in der Kumulation der Tugenden Johannes des Täufers, der, als Mönch und Eremit
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par excellence, die Vorbilder des Alten Testaments nachahmte, um, gleichsam menschliche Vollkommenheit übersteigend, perfekt und engelhaft zu werden, was ihm von Gott bestätigt wird: Er nennt ihn nicht nur Prophet, sondern Engel (Mt. 11,9): „[V]on dort nahm er die Muster […]; denn nicht in einzelnen fand er alle Gaben der göttlichen Gnade, sondern indem er verschiedene aus verschiedenen auswählte, suchte er aus vielen einen vollkommenen Menschen zusammenzustellen.“ (Sp. 587A). Im elften Jahrhundert gibt Petrus Damiani seinem ins Kloster eingetretenen Neffen den Rat, sich nach dem Beispiel des Zeuxis mehrere Vorbilder unter den Mönchen seines Klosters zu suchen, um Vollkommenheit zu erlangen: „ad quorum normam interioris hominis pulchritudinem effigiare contendas“ (Petrus Damiani 1989 [um 1070], 447–448); („du sollst dich bemühen nach deren Norm die Schönheit des inneren Menschen abzubilden“). Eine solche Kumulation von Tugenden durch multiple Nachahmung hatte schon Isidor gefordert, da die Heiligen in ihrer Gesamtheit „einen kompletten Tugendkanon“ stellten: Schließlich bestimmt Isidor das Verhältnis von Norm und Exempel im funktionalen Kontext der Moraldidaxe. Während das Normensystem der göttlichen Gebote von umfassender Vollständigkeit ist, zeigen die Heiligen ein jeweils individuelles Tugendprofil, bilden jedoch in ihrer Gesamtheit einen kompletten Tugendkanon, der als Äquivalent zur lex divina fungieren könnte. (Staubach 2012, 11)
„Die Exempla der Heiligen, durch die der Mensch erbaut wird, leiten zu verschiedenen Tugenden an: Christus zur Demut, Petrus zur Frömmigkeit, Johannes zur Liebe, Abraham zum Gehorsam, Isaac zur Geduld […]. Dementsprechend sucht sich der Fromme auch bei anderen Taten der Alten nachahmenswerte Beispiele […].“ (Isidor von Sevilla 1998 [7. Jhd.], 117–118, II 11, 12). Isidors Schluss ist: „Wenn es die göttlichen Gebote als Antrieb und Ermahnung zum Guten nicht gäbe, würden uns die Exempla der Heiligen als Gesetz genügen.“ (115–116., II 11, 6). Dieses Compositio-Modell nicht nur als Lebensideal, sondern auch als literarisches Formprinzip in Kongruenz mit den jeweiligen Werkinhalten zu figurieren, haben beide literarisch vorzüglich gebildeten Autoren − Abaelard und Alan − im Kontext ihrer Epoche signifikant geleistet. Beide hier vorgestellten Werke haben in gewissem Sinn einen Ausnahmestatus: Alans Epos mit seiner parabiblisch-utopischen Erzählung vom neuen Menschen, Abaelard mit dem Narrativ einer Heiligenlegende über sich selbst und seine Frau Heloisa als dem Klostergründungspaar des Paraklet. Die Formverfahren, die die Gestaltung dieser Aussagen ermöglicht haben, deuten beide Autoren nur an: Alan in dem Entwurf seiner als compositio geschaffenen Figur des neuen Menschen durch Natura, in der sich die Faktur der Dichtung spiegelt, Abaelard gegen Ende des Werks durch die direkte Berufung auf Ciceros Zeuxis-Geschichte,
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in der ein Schlüsselindiz auf die Kompositform des ganzen Briefwechsels liegt. Die Werke sind sowohl epochenspezifisch als auch exzeptionell, ihre Autoren Meister, die mit den kulturellen Codes ihrer Epoche souverän umgingen und damit Möglichkeitsräume durch Formgebung und Modellbildung öffneten, sei es in utopisch-philosophischem oder in institutionenkritischem und -reformierendem Ansatz. Wenn man diese Werke als Formexperimente bezeichnet, heißt das nicht, dass sie folgenlos geblieben wären (vgl. etwa die über Jahrhunderte erfolgreiche Kompositform der Imitatio Christi des Thomas von Kempen), sondern nur, dass ihre Wirkung zu verfolgen noch ein Desiderat der Forschung ist.
Weiterführende Literatur Auerbach, Erich. „Sermo humilis“. Literatursprache und Publikum in der lateinischen Spätantike und im Mittelalter. Bern 1958: 25–63. Curtius, Ernst Robert. Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Bern und München 7 1969. Grubmüller, Klaus. „Gattungskonstitution im Mittelalter“. Mittelalterliche Literatur und Kunst im Spannungsfeld von Hof und Kloster. Hrsg. von Nigel F. Palmer und Hans-Jochen Schiewer. Tübingen 1999: 193–210. Haye, Thomas. Das lateinische Lehrgedicht im Mittelalter. Analyse einer Gattung. Leiden, New York und Köln 1997. Kindermann, Udo. Einführung in die lateinsche Literatur des mittelalterlichen Europa. Turnhout 1998. Klopsch, Paul. Einführung in die Dichtungslehren des lateinischen Mittelalters. Darmstadt 1980. Meier, Christel. „Der ideale Mensch in Alans von Lille ‚Anticlaudianus‘ und seine Verwandlungen“. Exemplaris Imago. Ideale in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Nikolaus Staubach. Frankfurt am Main 2012: 137–157. Rädle, Fidel. „Literatur gegen Literaturtheorie? Überlegungen zu Gattungsgehorsam und Gattungsverweigerung bei lateinischen Autoren des Mittelalters“. Gattungen mittelalterlicher Schriftlichkeit. Hrsg. von Barbara Frank, Thomas Haye und Doris Tophinke. Tübingen 1997: 221–234. de Rentiis, Dina. Die Zeit der Nachfolge. Zur Interdependenz von ‚imitatio Christi‘ und ‚imitatio auctorum‘ im 12.‒16. Jahrhundert. Tübingen 1996.
Barbara Thums
III.3.2 Diätetik der Transformation: Das Modell ‚Idylle‘ 1 Die Mischform als Modell Die medientheoretische Neubewertung der Künste sowie der grundlegende Wandel in der Rhetorik und das Aufkommen der die Regelpoetik ablösenden Genieästhetik führt bekanntlich zu einem einschneidenden Umbruch im Literatursystem des achtzehnten Jahrhunderts. Im Zuge der damit verbundenen Autonomisierung und Individualisierung der Autorenpoetiken vervielfältigt sich überdies das Gattungssystem und dynamisiert sich der gattungstheoretische Diskurs. Dieser Öffnung literarischer Formgebung auf produktionsästhetischer Ebene antwortet die Theoriebildung mit einer systematischen Schließung, indem sie sich auf das triadische Naturformenmodell von Epik, Lyrik und Drama fokussiert. Nach wie vor an der Antike, nun aber auch an einer naturgeschichtlich und biologistisch begründeten Wissensordnung orientiert, ermöglicht dieses die formale Bestimmung von Gattungen gemäß ihrer inneren Gesetzmäßigkeit und rückt derart neben medialen, konzeptionellen und thematischen Unterschieden der jeweiligen Gattungsformen auch solche des (stofflichen) Materials in den Blick. Das Faktum, dass mit Lessings Postulat einer Mediendifferenz zwischen Dichtung und Malerei die Bewegung zu einer grundlegenden Kategorie der Ästhetik und Gattungstheorie wird, spielt dabei insofern eine zentrale Rolle, als Bewegung in rezeptionsästhetischer Hinsicht nicht nur zum Abgrenzungskriterium unterschiedlicher Gattungen wird, sondern auch die im Prozess der Individualisierung entstehenden Gattungstransformationen und -innovationen am Grad der jeweiligen poetischen Beweglichkeit abgelesen werden können (vgl. Oschmann 2007). Ein konstanter Bezugspunkt in diesem Prozess der Gattungsvervielfältigung um 1800 ist die Orientierung am Ideal eines als lebendiges Ganzes darzustellenden, notwendig individuellen Originalkunstwerks. Ob nun dieses Ideal durch das Gebot der formalen Reinheit oder das Gebot der Vermischung der Formen zu erreichen ist, entscheidet allerdings nicht das Material, sondern die jeweils zugrunde gelegte modellbildende – klassizistische oder romantische – Programmatik: Während in Goethes klassizistischer Programmschrift von 1798, der Einleitung in die Propyläen, mit der „Vermischung der verschiedenen Arten“ der Kunst deren Verfall droht (Goethe 1998b [1771–1805]), wird die Gattungsmischung in Friedrich Schlegels Programm einer romantischen Universalpoesie, formuliert in dem ebenfalls 1798 erschienenem 116. Athenäums-Fragment, https://doi.org/10.1515/9783110364385-013
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absolut gesetzt und als das Kennzeichen moderner Poesie schlechthin ausgewiesen: Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennte Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen, und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will, und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen […]. (Schlegel 1967a [1798], 182)
Was beide vereint, ist die Situation der Moderne: D.h. zum einen, dass die Künstler nicht mehr im Zeichen jener Ursprünglichkeit und Reinheit schaffen können, die den Antiken noch ‚natürlich‘ gegeben war. Zum anderen heißt dies, dass der Prozess der Individualisierung und die Forderung nach innerer Eigengesetzlichkeit der Gattung die Modernen in die paradoxe Situation bringen, dieses programmatisch Besondere aus dem Allgemeinen generieren zu müssen. Die Idylle – so die Annahme – wird in diesem Problemzusammenhang zu einem prädestinierten Modellfall, an dem die Möglichkeiten und Grenzen jener unter den Bedingungen der Moderne um 1800 formulierten Gattungserwartungen durchgespielt werden können (zu einer modellhistorischen Theorie der literarischen Form vgl. Erdbeer, Kläger und Stierstorfer 2018, 11–12). Als Gattung, zu deren konstitutiven Bedingungen eine statische Raum-Zeit-Konzeption sowie die Sehnsucht nach einer vorgeblich in der Antike noch vorhandenen ursprünglichen Reinheit und Einheit von Mensch und Natur gehört, steht die Idylle unter einem besonderen Rechtfertigungsdruck. Ihre Tendenz, das Bewegliche als die idyllische Harmonie störend zu qualifizieren und es folglich aus dem beschränkten Raum der Idylle auszugrenzen, wird ihr dabei ebenso zum Problem wie die Orientierung an einem rückwärtsgewandten Ursprungsdenken. Gerade deshalb ist die Idylle aber auch ganz grundsätzlich ein ausgezeichnetes Anschauungsmodell für die Analyse von Modernisierungsprozessen. So ist die Reflexion auf die Transformationsgeschichte der Idylle sowie auf deren Dynamik äußerst ergiebig: eine Dynamik, die mit Voßkamp auch auf den generellen Status von Gattungen „als geschichtliche ‚Bedürfnissynthesen‘“ zurückzuführen ist, „in denen […] bestimmte historische Problemstellungen bzw. Problemlösungen oder gesellschaftliche Widersprüche artikuliert und aufbewahrt sind“ (Voßkamp 1977, 32). Wenn Gattungen derart als Konstrukte zur „Modellierung je historischer Kommunikation“ gefasst werden können (Hempfer 2010, 123), als „Sinnbildungsmuster“ sozio-kultureller Interessen und Wünsche (Zymner 2003, 133), dann ist die Idylle auch darin in ihrer transformierenden Funktion zu erfassen, dass sie mit einem Modell der Antike arbeitet, das für die Reflexion moderner Verlusterfahrungen eingesetzt wird. In dieser Modellfunktion begründet die Idylle um 1800 die in Kultur und Ästhetik des achtzehnten Jahrhunderts leitende Annahme
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des unwiederbringlichen Verlusts antiker Lebens- und Anschauungsformen. Dabei ermöglichen es ihre Darstellungsformen, einerseits Krisenerfahrungen von Modernisierungsprozessen zu kondensieren, andererseits aber auch, proleptisch alternative Konzepte kulturellen Zusammenlebens und neue Wertewelten zu figurieren. Um Aspekte der Gattungshybridisierung und -transformation mit Blick auf Formverfahren der Idylle zu bestimmen, ist mithin der Zeitraum um 1800 schon durch die zu beobachtende Gattungsvervielfältigung in besonderer Weise prädestiniert. Die Gattung Idylle scheint daraus als Verlierer hervorzugehen – die große Beliebtheit, welche sie im Verlauf des achtzehnten Jahrhunderts erfahren hatte, scheint an ein Ende gekommen, und der Abgesang auf die Idylle, die nunmehr als unzeitgemäße Gattung wahrgenommen wird, hat Konjunktur. An diesem Scheitelpunkt der Transformationsgeschichte der Idylle stellt sich mithin nicht nur die Frage, welche Sinnstiftungsfunktion die Gattung Idylle im achtzehnten Jahrhundert übernehmen konnte; ebenso ist zu fragen, unter welchen Bedingungen der Gattungshybridisierung und -transformation ihr ein Fortleben und sinnstiftendes Weiterwirken möglich ist. Ausgehend von dieser Problemkonstellation soll zunächst ein Blick auf Oskar Ludwig Bernhard Wolffs Poetischen Hausschatz des deutschen Volkes geworfen werden. In der 1819 erstmals erschienen Schrift fasst Wolff zentrale Aspekte der Gattungsdefinition der Idylle zusammen, um sie abschließend als altmodisch zu qualifizieren. Dabei behandelt er das Idyll unter der Rubrik „Die gemischten Gattungen der Poesie“ und markiert dadurch einen Effekt der in der Gattungsdiskussion um 1800 vollzogenen systematischen Schließung: Das damit verknüpfte Postulat einer Reinheit der Gattungen produziert einen Rest an gemischten Gattungen. Zu diesem ‚Rest‘ gehört auch die Idylle, deren Status als Gattungshybride Wolff folgendermaßen bestimmt: Ihren Namen hat diese Gattung, auch die Idylle genannt, von dem griechischen Worte εἰδύλλιον, ein kleines Gemälde. Die Schilderung der Lebensmomente einfacher, unschuldiger Hirten, welche, unberührt von der späteren gesellschaftlichen Cultur, sich vollkommen naturgemäß bewegen in idealisierter Darstellung, ist die Aufgabe, welche sie zu lösen hat. Sie beschäftigt sich daher mit menschlichen Zuständen, wie sie die Mythe in eine lange verschwundene Zeit, die sie als das goldene Zeitalter bezeichnete, setzte, wie sie die philosophische Idee aber jenseits der Erde erst für möglich hält. Durch den Gegensatz, in welchem eine derartige Schilderung zu den verderbten Verhältnissen der Gegenwart steht, indem sie die größte Unschuld, Einfachheit, Reinheit und Natürlichkeit glücklicher, in freundlicher Umgebung waltender Menschen darstellt, erhält die Idylle einen ganz eigenthümlichen Reiz. Vollkommene Einheit ist demgemäß das Haupterfordernis derselben, da Nichts die Harmonie stören darf, welche als Grundlage des Ganzen vorausgesetzt wird; doch hängt die Wahl der Form von dem Dichter ab, und ursprünglich episch, kann sie sich auch dramatisch, oder mit vorherrschender Lyrik gestalten, je nachdem der Stoff zu größerer Anschaulichkeit
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dieser oder jener Gestaltung bedarf. […] In neuester Zeit ist diese Gattung ganz aus der Mode gekommen. (Wolff 1839, 1063)
Die Idylle wird hier als eine Gattung präsentiert, zu deren Bestimmung es gehört, eine fiktionale Welt zu entwerfen, die einerseits nicht von dieser Welt sein darf, die aber andererseits ohne diese nicht entworfen werden kann, weil die idealisierte Darstellung im Horizont der Negation der historischen Gegenwart ihre vornehmste Aufgabe ist. Diese paradoxe Spannung von Idealität und Realität wiederholt sich in der Idylle als Materialisierung des Reinheitsideals im Modus des Unreinen: Denn die Gattungshybride hat das Ideal der Reinheit auf dem Wege der kontextabhängigen Markiertheit – durch den ‚reizenden‘ Gegensatz zur unreinen und verderbten Gegenwart – darzustellen. Damit wird die Idylle hier als Modell einer negativen Ästhetik gefasst, welcher die Funktion zukommt, moderne Verlusterfahrungen im Spiegel eines goldenen oder künftigen Zeitalters der ‚größten Unschuld, Einfachheit, Reinheit und Natürlichkeit‘ von ‚glücklichen Menschen‘ zu fassen, die in einem Zustand ‚vollkommener Einheit und Harmonie‘ leben. Wolffs Poetischer Hausschatz repräsentiert mit seinen Klassifikationen und Bestimmungskriterien das zu seiner Zeit geltende Gattungswissen. Dazu gehört auch die etymologisch umstrittene, aber gattungshistorisch ungemein produktiv gewordene Ableitung der Idylle von gr. eidyllion, ‚kleines (Genre-)Bild‘, womit das Statisch-Räumliche sowie die Nähe zur Malerei betont wird (vgl. BöschensteinSchäfer 21977, 3; Mix 2009, 393). Mit der Vorstellung einer verkleinerten Anschauung wird jedoch auch der Modellcharakter der Idylle unterstrichen, und zwar insofern das „Modell als Träger einer Idee“ fungiert, die durch ein verkleinertes Vorläuferexemplar dargestellt wird (Mahr 2003, 70). Diese Verknüpfung lässt sich nun auch etymologisch unumstritten herleiten. Die Wortgeschichte von Modell führt auf das lateinische modulus zurück, also auf eine Verkleinerungsform von modus, das im Lateinischen für verschiedene Formen des Maßes, aber auch für das Maßhalten und die Mäßigung, nicht zuletzt im Sinne einer Vorschrift und Regel steht (vg. Mahr 2003, 60; Grimm 1984 [1854 ff]; Stachowiak 1973, 128–129). Letzteres ist für den spezifischen Fall der Idylle auch deshalb von besonderem Interesse, weil damit nicht nur die doppelte Medialität der Gattung Idylle – zur medialen Funktion von Gattungen im Allgemeinen kommt hier im Besonderen noch die Medialität der Idylle als kleines Bildchen hinzu –, sondern überdies mit Maßhalten und Mäßigung Kategorien angeführt werden, die als Vorschrift und Regel auch für die Idylle sowie generell für die Ästhetik des achtzehnten Jahrhunderts von zentraler Bedeutung sind. Die Kategorie ‚Mäßigung‘ ist dabei prägend für die Vorstellung der Glückseligkeit, so etwa in Karl Philipp Moritz’ Fragmenten aus dem Tagebuche eines Geistersehers (1787): „Der Mensch, der andern Glückseligkeit und Zufriedenheit mitteilen will, muß erst selbst völlig glücklich und
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zufrieden sein. – Das wird er aber bloß durch Mäßigung seiner Begierden, und einer völligen Resignation.“ (Moritz 1997 [1787], 749). Diese Orientierung am rechten Maß und am harmonischen Ausgleich zwischen den Extremen des ‚Zuviel‘ und des ‚Zuwenig‘ führt auf die Diätetik, die im achtzehnten Jahrhundert eine Wissensformation mit Disziplinen übergreifender Diskursmacht ist. Ausgehend davon gilt es im Folgenden, die Neubegründung der Idylle als Gattung im achtzehnten Jahrhundert zu bestimmen und ein besonderes Augenmerk auf das Spannungsverhältnis zu richten, in dem sie in ihrer modellbildenden Funktion einerseits und ihrer Verankerung im kulturellen, vor allem ästhetischen und anthropologischen Wissen des achtzehnten Jahrhunderts andererseits steht. Damit verbinden sich weitere Fragen: Wie wirkt sich dieses Spannungsverhältnis auf die Gattungsgeschichte der Idylle im achtzehnten Jahrhundert aus? Was bedeutet es für den Modellcharakter der Idylle, wenn die Gattung Idylle und Konzeptionen des Idyllischen nicht unabhängig vom jeweils verfügbaren kulturellen Wissen betrachtet werden können? Und wie lassen sich in dieser wissenspoetischen Perspektive Formverfahren der Idylle im Hinblick auf zentrale Transformationen der Gattung vom achtzehnten Jahrhundert bis in die Gegenwart bestimmen?
2 Formtugend und Tugendform Schlüsselfigur für die Gattungsdiskussion zur Idylle im achtzehnten Jahrhundert ist der Züricher Dichter, Maler und Verlagskaufmann Salomon Geßner. Er hat die Idylle als Gattung im achtzehnten Jahrhundert „aus den Trümmern der fragwürdig gewordenen bukolischen Dichtart“ neu begründet und sich hierfür in die antike, namentlich v. a. mit Theokrit und Vergil verbundene Idyllentradition gestellt (Böschenstein-Schäfer 21977, 51). Der breite Publikumserfolg, den Geßner mit seinen bis 1839 bereits in 21 Auflagen erschienenen und in nahezu alle europäischen Sprachen übersetzten Idyllen erzielte, ist beachtlich; berücksichtigt man zudem, dass Denis Diderot an der französischen Übersetzung beteiligt und neben Rousseau u. a. auch Winckelmann von Geßners Idyllen begeistert war (zur Rezeption vgl. Böschenstein-Schäfer 21977, 56), so ist dies auch als Hinweis auf die tiefe Verankerung von Geßners Idyllenschaffen in den leitenden Wissensordnungen des achtzehnten Jahrhunderts zu verstehen. Mit Blick auf den Modellcharakter der Idylle ist Salomon Geßners Idyllenverständnis aus mehreren Gründen von besonderem Interesse: Geßner ist der ‚Diskursbegründer‘ der deutschen literarischen Idyllentradition. Er transponiert elementare Gattungstopoi in die Wissensordnung der Empfindsamkeit und ordnet
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derart die Idylle in jenen wechselseitigen Begründungszusammenhang von Anthropologie und Ästhetik im achtzehnten Jahrhundert ein, für den, ebenso wie für die gattungstheoretische Debatte über die Idylle, das schwierige Verhältnis der Modernen zur Antike leitend ist (vgl. Schneider 1988, 26). Die Norm, sich an der Antike zu orientieren, gilt dabei als Ursache für die Dynamik der Gattungsdiskussion in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts sowie des Erfordernisses, „den prinzipiellen Gedanken einer Vorbildlichkeit der Antike“ neu, d. h. nicht mehr durch „imitatorische Teilhabe an der antiken Dichtung“ zu begründen. Als ‚Moderner‘ konzipiert Geßner die Idylle entsprechend als Reflexionsmodell von Verlusterfahrungen im Horizont einer sich fortwährend beschleunigenden Moderne, mit denen sich die (romantische) Sehnsucht nach einer Zeit der Unschuld – in der Antike, der Kindheit und/oder der Heimat – und einer als ‚ursprünglich‘ idealisierten ‚reinen Natur‘ verbinden, sowie das Verlangen nach einem Leben, das nicht nur von Arbeit bestimmt ist, sondern auch die für „die Entfaltung einer als Selbstzweck erachteten dichterischen Kreativität“ grundlegende Freiheit der Muße gewährt. Dieter Martin konstatiert hier eine „Umwertung und Neuentdeckung der Muße“, die sich in „Quellen seit etwa 1750“ zeige (Martin 2014, 179). Geßner, dessen Idyllen diesem Quellenbestand hinzuzufügen wären, schafft damit ein Reservoir an Denkfiguren und Motiven, die fortan immer wieder neu aktualisiert und mit den jeweiligen Modernisierungsschüben ins Verhältnis gesetzt werden können. Geßner entfaltet sein Verständnis der Idylle zunächst in seiner Vorrede An den Leser, die er seinen Idyllen von 1756 voranstellt und die von den Zeitgenossen als Programmatik rezipiert wurde. Er installiert hier einen Erzähler, der die folgenden Idyllen als „die Früchte einiger meiner vergnügtesten Stunden“ (Geßner 1973 [1756], 15) einführt, um sodann die notwendigen Bedingungen dichterischer Kreativität zu benennen. Voraussetzung ist eine außerordentliche, als angenehm wahrgenommene Verfassung, ein Zustand der Muße, welchen das Subjekt erreicht, sofern ihm ein in raum-zeitlicher wie kultureller Hinsicht maximal von der unmittelbaren Gegenwart entfernter imaginärer Raum zur Verfügung steht: „[D]enn es ist eine der angenehmsten Verfassungen, in die uns die EinbildungsKraft und ein stilles Gemüth setzen können, wenn wir uns mittelst derselben aus unsern Sitten weg, in ein goldnes Weltalter setzen.“ (15). Geßner übernimmt dabei die literaturtheoretischen Vorgaben Johann Christoph Gottscheds, der 1730 in seiner Critischen Dichtkunst im Abschnitt Von Idyllen oder Schäfergedichten jene sich über das gesamte achtzehnte Jahrhundert erstreckende Gattungsdiskussion zur Idylle initiiert hatte, indem er die Idylle als „allerälteste“ Gattung zunächst zum Ursprung aller Poesie erklärte und sodann – in Abgrenzung zu Fontenelle als Vertreter der ‚Modernen‘ – auf die Nachfolge der Antike verpflichtete: die „Nachahmung des unschuldigen, ruhigen und ungekünstelten Schäferlebens, welches
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vorzeiten in der Welt geführet worden“, so Gottsched, „sey“ in poetischer Hinsicht „eine Abschilderung des güldenen Weltalters“ und „auf christliche Art zu reden […] eine Vorstellung des Standes der Unschuld, oder doch wenigsten der patriarchalischen Zeit, vor und nach der Sündfluth“, welche „ein herrliches Feld zu schönen Beschreibungen eines tugendhaften und glücklichen Lebens“ zur Anschauung gebe (Gottsched 1982 [1730], 582). Gottsched rekurriert dabei – im Unterschied zur humanistischen Tradition – nicht auf „das goldene Zeitalter der Imitatio“, sondern meint „einen historischen Idealzustand jenseits und außerhalb der klassischen Texte“, wobei neben den Zeugnissen Theokrits und Vergils auch der Verweis auf das biblische Patriarchenzeitalter der historischen Beglaubigung dient (Schneider 1988, 43). Für Geßner, der sich Gottscheds Befund des Verlusts der ursprünglichen Einheit, Ganzheit und Harmonie, damit auch der unhintergehbaren Trennung der Modernen von den Antiken anschließt, ist es dann sogar ein goldenes Zeitalter, das gewiß einmal dagewesen ist, denn davon kan uns die Geschichte der Patriarchen überzeugen, und die Einfalt der Sitten, die uns Homer schildert, scheint auch in den kriegerischen Zeiten noch ein Überbleibsel derselben zu seyn. Diese DichtungsArt bekömmt daher einen besondern Vortheil, wenn man die Scenen in ein entferntes Weltalter sezt; sie erhalten dadurch einen höhern Grad der Wahrscheinlichkeit, weil sie für unsre Zeiten nicht passen, wo der Landmann mit saurer Arbeit unterthänig seinem Fürsten und den Städten den Überfluß liefern muß, und Unterdrükung und Armuth ihn ungesittet und schlau und niederträchtig gemacht haben. (1973 [1756], 15–16)
Ähnlich formuliert auch Gottsched: Unsre Landleute sind mehrenteils armselige, gedrückte und geplagte Leute. Sie sind selten die Besitzer ihrer Heerden, und wenn sie es gleich sind: So werden ihnen doch Steuern und Abgaben auferlegt, daß sie bei aller ihrer sauren Arbeit kaum ihr Brot haben. Zudem herrschen unter ihnen schon so viele Laster, daß man sie nicht mehr als Muster der Tugend aufführen kann. (Gottsched 1982 [1730], 582)
Im Rückspiegel moderner Entfremdungserfahrungen – auch an „den Sclavischen Verhältnissen“ und „den Bedürfnissen, die nur die unglükliche Entfernung von der Natur nothwendig machen“, sind die kulturellen Defizite der Gegenwart zu erkennen – werden die „Scenen“ der „Ekloge“ zum Medium einer umfassenden Krisendiagnostik (Geßner 1973 [1756], 15). Was die Ekloge uns laut Geßner zeigt, ist ein in seiner Freiheit, Natürlichkeit und Unverdorbenheit positiv codiertes Andere zur Gegenwart des Kulturverfalls: beliebte Gegenden „mit würdigen Bewohnern“, „Züge aus dem Leben glüklicher Leute“, die „bey unverdorbenem Herzen und Verstand ihr Glük gerade aus der Hand dieser milden Mutter [Natur, B. Th.]“ empfangen und die „in Gegenden [wohnen], wo sie nur wenig Hilfe fordert, um ihnen die unschuldigen Bedürfnisse und Bequemlichkeiten reichlich darzubieten“ (15).
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Dieser imaginär begehbare Raum der Hirtengedichte ist ausgezeichnet durch die harmonische Einheit von Mensch und Natur, in der das Prinzip Arbeit und damit auch eine verdinglichte, zum Objekt gemachte Natur noch keine Geltung haben. In diesem Zustand ursprünglicher Harmonie ist jene Reinheit von Herz und Verstand unmittelbar gegeben, die in der Gegenwart des achtzehnten Jahrhunderts als Tugendideal zur Norm erhoben wird, allerdings als Projekt einer ästhetischen Erziehung lediglich im Modus des Noch-Nicht erscheint. Diskursiv verhandelt wird dieses Ideal tugendhafter Reinheit nicht zuletzt im Horizont jener topographischen Opposition von Stadt und Land – semantisch spezifiziert mit den moralisch codierten Zuschreibungen ‚verdorben‘ und ‚unverdorben‘ –, die schon für die antike Hirtendichtung strukturbildend war und auch für Geßners Neubegründung der Idylle als Gattung eine systematisch relevante Rolle spielt. Hier nämlich steuert die Stadt-Land-Opposition jene Reinigungsarbeit oder „Arbeit der Reinigung“ (Latour 1995 [1991], 20), welche den wohltemperiert-gemäßigten, Ruhe, Glück, Harmonie, Schönheit und Entlastung vom Alltag versprechenden ‚Naturraum‘ der Idylle durch formpoetische Verfahren ausschließender Einschließung und einschließender Ausschließung hervorbringt. Eine im Horizont der Stadt-Land-Opposition operierende wichtige Grenzziehungsfunktion übernimmt dabei die Verhältnisbestimmung von Einsamkeit und Geselligkeit. Johann Georg Zimmermann, der mit seinem vierbändigen Opus Über die Einsamkeit (1784/85) berühmt werden sollte, hatte schon 1756, also im Erscheinungsjahr von Geßners Idyllen, unter dem Titel Betrachtungen über die Einsamkeit eine erste Schrift zu diesem Problemzusammenhang veröffentlicht, die er dem Brugger Stadtphysikus widmete. Er plädiert hier für eine „gemäßigte Einsamkeit“ und eine „vernünftige Entfernung von der Welt“ (Zimmermann 1756, 28, 75). Als stets zeitlich begrenzte Distanz zur städtischen Betriebsamkeit und sittenverderbenden Vergnügungssucht sollte dieser diätetische, auf „eine vernünftige Anwendung der eilenden Zeit“ ausgerichtete Lebensstil zum einen der Muße und Reflexion dienen, zum anderen einem die individuelle wie gesellschaftliche Glückseligkeit gefährdenden ‚Ekel an der Welt‘ vorbeugen: Der Verfasser dieser geringen Blätter hat sich vorgenommen, eine vernünftige Anwendung der eilenden Zeit beliebt zu machen, den wahren und dem Menschen am angemessensten Gebrauch der vornehmsten Wissenschaften zu entwerfen, und die Empfindungen für Religion und Tugend, nach seinem kleinen Vermögen, bey dem Nächsten zu vermehren. (Zimmermann 1756, Vorrede, unpag.)
Deutlicher noch werden die wissensgeschichtlichen Verbindungen, die sich ausgehend von der Verhältnisbestimmung von Mäßigkeit, Einsamkeit und Geselligkeit zu Konzepten der Muße, der Selbsterfahrung in der Natur und Bestimmungen der Idylle ergeben, in Zimmermanns Hauptwerk Über die Einsamkeit. Hier äußert
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er sich ausführlich zum Einfluss der Einsamkeit auf die schöpferische Produktivität – „Einsamkeit ist die Mutter der herrlichsten Werke der Imagination“ – (Zimmermann 1784/85, Bd. 2, 214), außerdem illustriert er hier den therapeutischen Effekt einer ‚gemäßigten Einsamkeit‘ unter Bezugnahme auf Topoi des Idyl lischen. Genuss, so Zimmermann, stellt sich dann ein, wenn man die Nachtheile der Einsamkeit durch Weltumgang mildert, und die Nachtheile der Geselligkeit durch Einsamkeit. Aber übertrieben und einseitig soll man überhaupt weder die Einsamkeit loben, noch das gesellschaftliche Leben. […] Immer wird es, wenn die Erziehung nicht ganz einseitig ist, Menschen genug geben, die vermögend sind auf jede Weise nützlich zu werden; wie ein sanfter Fluß, der nicht nur durch einsame Thäler und zwischen Heerden und Hirten hinfliesset, sondern auch volkreiche Städte in seinem Lauf besuchet, und diesen zugleich zur Zierde dienet und zum Vortheil. (Zimmermann 1784/85, Bd. 4, 332–333)
Zimmermanns Diätetik der Einsamkeit zielt außerdem auf eine Mäßigung der Einbildungskraft, die er durch exzessives Lesen von Romanen gefährdet sieht (vgl. 43–44). Das Lesen von Idyllen hingegen, vor allem „Theokrits oder Geßners“, deren Milde als Zeichen einer gelungenen Herabstimmung aller Extreme auf ein mittleres, harmonisches Maß zu verstehen ist, befördert die Glückseligkeit: Nie findet man die Natur so schön, nie athmet man so leicht, nie schlägt das Herz so sanft, nie ist man so glücklich, als wenn man Theokrits oder Geßners Idyllen liest, und dies ist mein einziger Ersatz, wenn ich an alle die Freude zurückdenke, die ich von deinem Umgange dort am Fuß des Habsburgs hatte, lieber Geßner! (51–52)
Carsten Behle konstatiert hierzu, dass die Beschränkung der bei Zimmermann und Geßner entworfenen Räume „kleingesellschaftlicher Intimität“ und „intimer häuslicher Geselligkeit“ auf „eine soziale Teilexistenz […] nicht zur Ersetzung, sondern zur Unterstützung der Verpflichtungen dienen soll“ (Behle 2002, 272, 275). So lässt die Lektüre der Idyllen das verloren geglaubte und idealisch beschworene Arkadien Wirklichkeit werden: Hirtenlieder sind auch Einbildungen, aber von der mildesten Art; und wie mir deucht, der höchste und feinste Ausdruck ländlicher Glückseligkeit. Im Stillen, wo die Seele sich ganz entbunden glaubt von allem was sie in Städten peinigt und drückt; […] wo sie nichts lieber als die Natur, und an nichts Geschmack hat, als an ihrer Reinheit und Einfalt; da wohnet Glückseligkeit. Sieht und hört man nichts mehr von allem was schmerzet, lebt man in Liebe und Unschuld mit Wenigem vergnügt, mit allem zufrieden, so lebt man ja in den goldenen Zeiten der Dichter, deren Verlust ihr mit Unrecht bedauret. Liebe und Ruhe, und Geschmack an reiner Natur, waren nicht blos den Haynen von Arcadien eigen. Ihr lebt alle in Arcadien wenn ihr wollt. Tage voll Herzensgenuß, und unschuldige Freuden, finden sich auf jeder beblümten Wiese, an jeder crystallenen Quelle, unter jedem schattigten Baume. (49–50)
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Zimmermann bestätigt in seiner Würdigung von Geßners Idyllen, was bereits an deren Vorrede abzulesen war: Es geht hier auch um eine ästhetische Erziehung, die – sofern das Leben auf das Ideal tugendhafter Reinheit und naturgemäßer Schönheit ausgerichtet und hierfür das Gesetz der Mäßigung in allen Belangen befolgt wird – mit dem Versprechen einer im Hier und Jetzt erreichbaren Glückseligkeit winkt. Die ‚Tugendform‘ der Reinheit ist hier das Ergebnis einer ‚Formtugend‘, die auch auf der Verfahrensebene die Vermeidung von Extremen betreibt. Die Orientierung an der Antike ist in diesem Kontext zwar unabdingbar, stets jedoch werden die antiken Leitbilder sowie die aus der Antike übernommenen Topoi im aktuellen Kontext der modernen Verlust- und Trennungserfahrungen neu semantisiert. Dies betrifft auch die für die Reinigungsarbeit von Geßners Vorrede funktional werdende Rede vom ‚Überfluss‘. Mit diesem Stichwort, das mit der Verdorbenheit des städtischen und höfischen Raums in unmittelbaren Zusammenhang gebracht wird, greift die Vorrede ebenfalls auf antikes Wissen zurück. Bereits in der römischen Antike werden „die Begriffe von luxus und luxuria zu einem Topos in der Gegenüberstellung von Stadt und Land, einfachem und aufwendigem Leben“ (Vogl 2001, 695). Gleichzeitig beteiligt sich die Vorrede damit an einer im achtzehnten Jahrhundert intensiv geführten Luxusdebatte, in deren Rahmen lange tradierte moralphilosophische und theologische Diskurslinien mit ökonomischen, politischen und dann auch ästhetischen Diskursen amalgamiert werden. In den Fokus aufklärerischen Wissens gerät der Luxus dabei vor allem in seiner Funktion als Grenzziehungsdiskurs. Denn in seiner Bezogenheit auf das Nutzlose und Überflüssige eignet sich der Luxus in ausgezeichneter Weise zur Etablierung und Sicherung von Normsystemen und Werteordnungen. Die Debatten des achtzehnten Jahrhunderts nehmen die aus der antiken Luxusdebatte vertraute Bestimmung des Luxus als Verstoß gegen die Regel der Mäßigung in einer Weise auf, die deutlich macht, wie eng die Verknüpfungen sind, welche die modernen Ideale der tugendhaften Mäßigkeit sowie der diätetisch formierten Lebens- und Erziehungskunst mit den antiken Vorstellungen von Tugend, Mäßigkeit und Selbstsorge eingehen und zu welchen Neubewertungen ursprünglich antiker Konzepte die sentimentalische Rückbesinnung auf die Antike führt (vgl. Thums 2008, Kap. II, 2). So bestimmt etwa Kants Anthropologie in pragmatischer Hinsicht das rechte Maß einer „guten Lebensart“ in Abgrenzung zum „Luxus“, wobei er die diätetischen, ökonomischen, sozialen und die ästhetischen Dimensionen des Begriffs in ein wechselseitiges Austauschverhältnis bringt: In einem eigenen Abschnitt mit dem Titel Von der Üppigkeit unterscheidet er die „Üppigkeit (luxus)“ als ein auch in ökonomischer Hinsicht relevantes „Übermaß des gesellschaftlichen Wohllebens mit Geschmack in einem gemeinen Wesen“ von einem anderen Übermaß „ohne Geschmack“, nämlich der „öffentlichen Schwelgerei (luxuries)“. Zulässig
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ist für Kant eine auf den „idealen Geschmack“ zielende Form des Luxus, weil diese – anders als die dem lediglich „physischen“ Bereich des „Schmeckens“ zugehörige, „krank“ machende und „Ekel“ bewirkende „Schwelgerei“ – zur Verfeinerung der Kultur beiträgt (Kant 1977 [1798], 578). Die Persistenz dieser Debatte bestätigt der Artikel ‚Lebensart‘ in Johann Georg Krünitz’ Oekonomisch=technologischer Enzyklopädie. Er stellt, auch was deren geschlechtliche Codierung anbelangt, einen expliziten Zusammenhang zur topischen Hofkritik her und bestimmt den Luxus als Krankheit der Moderne: „[D]ie Weichlichkeit, die Unmäßigkeit und die übrigen Ausschweifungen der menschlichen Leidenschaften“, mithin die „Töchter des Ueberflusses und der weichlichen Faulheit“, hätten ihren Ursprung „in den Höfen und Palästen der Reichen“, was nur durch das Beispiel der naturgemäßen Lebensart der Alten rückgängig zu machen sei (Krünitz 1795, 10–11).
3 Affirmation und Subversion des Formprinzips ‚Idylle‘ Blickt man von hier nochmals auf Geßners Konzeption der Idylle in seiner Vorrede zurück, so ist diese auch als früher Beitrag zur Luxusdebatte des achtzehnten Jahrhunderts zu verstehen. Dies gilt auch insofern, als sie die Idee eines anderen Luxus ins Spiel bringt: und zwar eines Luxus der Natur, der sich – und auch dabei spielt die Gegenbildlichkeit des Ländlichen zur städtischen Betriebsamkeit eine maßgebliche Rolle – dem Gesetz des Tauschs und der Zirkulation entzieht, das die Ökonomie beherrscht. In kritischer Abwendung von diesem Primat des Ökonomischen bietet die Idylle mit ihrer Darstellung der Natur, die in all ihrer Pracht und Fülle vorgeführt wird, einen zweckfreien Luxus, der nicht dazu dient, als Überflüssiges ökonomische Transaktionen zu begründen. Vielmehr bringt der Luxus der Natur deren Schönheit, Mannigfaltigkeit und harmonische Ordnung zur Anschauung und führt den mußevollen Betrachter zu einer ästhetischen Erfahrung, in der ihm die unverdorbene Natur zugleich zum Spiegel seines eigenen unverdorbenen Inneren wird. Damit ist aber auch gesagt – denn Geßners Vorrede geht ja von einer umfassenden Sittenverderbnis der Gegenwart aus –, dass diese Erfahrung nur einem elitären Zirkel vorbehalten ist. Alle Gemälde von stiller Ruhe und sanftem ungestörtem Glück müssen Leuten von edler Denkart gefallen; und um so viel mehr gefallen uns Scenen, die der Dichter aus der unverdorbenen Natur herholt, weil sie oft mit unsern seligsten Stunden, die wir gelebt, Ähnlichkeit zu haben scheinen. (Geßner 1973 [1756], 15)
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Zum Spiegel des eigenen Inneren kann die äußere Natur mithin nur werden, wenn – wie hier – die aufklärerische Geschmackserziehung einer Veredelung der ersten zur zweiten Natur bereits vollzogen ist. Die Rezipienten der Geßnerschen Idyllen sind bereits ‚von edler Denkart‘ und überdies – sprachlich durch das ‚uns‘ realisiert – Zugehörige einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten. Die identifikatorische Lektürepraxis ermöglicht ihnen eine jederzeit verfügbare Versicherung der eigenen Empfindungen, deren Grundlage die narzisstische Struktur der hier entworfenen Naturerkenntnis ist (vgl. Schneider 2004, 98). In diesem elitären Zirkel herrschen nämlich Empfindungen vor, deren Spuren in das goldene Zeitalter zurückzuführen scheinen, sofern es – was für den Erzähler der Vorrede gilt – gelingt, sich von der städtischen Betriebsamkeit loszureißen: Oft reiß ich mich aus der Stadt los, und fliehe in einsame Gegenden, dann entreißt die Schönheit der Natur mein Gemüth allem dem Ekel und allen den wiedrigen Eindrüken, die mich aus der Stadt verfolgt haben; ganz entzükt, ganz Empfindung über ihre Schönheit, bin ich dann glüklich wie ein Hirt im goldnen Weltalter und reicher als ein König. (Geßner 1973 [1756], 15)
Für das Problem, wie die zeitlich begrenzte Metamorphose vom Modernen zum Antiken, vom Städter zum Hirten des goldenen Zeitalters gelingen kann, findet die Vorrede eine ethnologische und eine ästhetische Lösung. In ethnologischer Perspektive erschließt sich die edle Denkungsart der empfindsamen Modernen gewissermaßen als Überbleibsel desjenigen „Überbleibsel[s]“ des goldenen Weltalters, das „die Einfalt der Sitten, die uns Homer schildert“, zu sein scheint (15). E. B. Tylors ‚Überlebseln‘ vergleichbar, scheinen diese Empfindungen den Zeitgenossen deshalb unverständlich zu sein, weil sie aus einer vergangenen Kulturepoche stammen und lediglich als deren übriggebliebene Reste in die Gegenwart des achtzehnten Jahrhunderts hineinragen. Als ‚Überbleibsel‘ bilden sie aber auch jenes Verbindungsglied, das den kulturellen Anschluss an die Antike ermöglicht. In ästhetischer Perspektive ist der Rekurs der Vorrede auf die Begriffe ‚Ähnlichkeit‘ und ‚Wahrscheinlichkeit‘ von systematischer Relevanz. Hatte die Vorrede ihren imaginären, anderen Zeit-Raum idyllischer Muße und Glückserfahrung zunächst unter die Bedingung einer maximalen Differenz zur Gegenwart gestellt, so muss nun der aus differenzlogischer Perspektive vage Begriff der ‚Ähnlichkeit‘ jene Vermittlung leisten, die den intendierten Anschluss der Idyllen an die antike Hirtenwelt nicht nur ermöglichen, sondern sowohl poetisch, als auch wahrnehmungs- und erkenntnistheoretisch beglaubigen soll. In poetischer Hinsicht kann sich die Vorrede dabei erneut auf Gottsched berufen. In seiner Critischen Dichtkunst äußert sich Gottsched zum Verhältnis von Ähnlichkeit und Wahrscheinlichkeit wie folgt: „Ich verstehe nämlich durch die poetische Wahrscheinlichkeit nichts anders, als die Aehnlichkeit des Erdichteten, mit dem, was wirklich zu
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geschehen pflegt […].“ (Gottsched 1982 [1730], 198). Wahrscheinlichkeit wird hier mithin als Ähnlichkeit zur Wahrheit gefasst. Im Ähnlichen – so die Vorstellung – ist das Wahre im Modus des Scheins anwesend (vgl. Campe 2002). Daraus lässt sich folgern, dass – und dieser Folgerung schließt sich das narrative Verfahren der Vorrede offenbar an – die dichterische Produktion von Ähnlichkeiten Wirklichkeiten zu schaffen und scheinbar unendlich Entferntes in die Gegenwart zu holen vermag. Dass eine solche, Distanzverhältnisse produktiv machende Perspektive im ästhetischen Wissen des achtzehnten Jahrhunderts verankert ist, zeigt das Lemma ‚Ähnlichkeit‘ in Sulzers Allgemeiner Theorie der Schönen Künste. „Je entfernter das nachgeahmte Bild seiner Natur nach von dem Urbild ist“, heißt es hier, „je lebhafter rührt die Aehnlichkeit“ (Sulzer 1771, 15). Ähnlichkeit ist hier eine Kategorie, die als ein generelles Vergnügen an Nachahmungen auch das Feld der Ästhetik strukturiert und dabei stets „von der angenehmen Empfindung“ begleitet wird (14). Wenn die Vorrede also die idyllischen „Scenen in ein entferntes Zeitalter“ versetzt, und wenn ihr narratives Arrangement Ähnlichkeiten zwischen dem Erzähler der Vorrede als Mitglied eines elitären Zirkels Gleichgesinnter und dem „Hirt im goldnen Weltalter“ produziert, dann gibt sie ihnen dadurch nicht nur „einen höhern Grad der Wahrscheinlichkeit“ (Geßner 1973 [1756], 15), sondern etabliert mit den Ähnlichkeiten zugleich jene angenehmen Empfindungen, auf denen die Neubegründung der Idylle im achtzehnten Jahrhundert basieren soll. Die Vorrede nutzt also einerseits die „Bedeutung von Ähnlichkeit als erkenntnisleitender Idee“ und „orientierungsstiftender Praktik“, andererseits ist es aber auch deren „Affinität zu räumlichen Modellierungen von Nähe und Ferne“ sowie zu einer Transformationen ermöglichenden „zeitlichen Dimension“ (Bhatti und Kimmich 2015, 8, 13), die über die Verhältnisbeziehung von Wahrscheinlichkeit und Ähnlichkeit den gattungsgeschichtlichen Neuansatz modellieren. Für diese in der Vorrede unternommene Perspektivierung der Idylle allerdings ist die Modellhaftigkeit von Vergils Eklogen nicht mehr ausschlaggebend. Der Fokus verschiebt sich auf die Hirtengedichte Theokrits. Bei Geßner, merkt Klaus Garber hierzu an, gelte der Topos vom goldenen Zeitalter als mythische Schöpfung der Griechen, nicht Arkadien, die mythische Schöpfung Roms. Dies sei ein Ausdruck der „für die europäische Literatur des 18. Jahrhunderts charakteristische[n] Griechenwendung“ und zeige sich im Bekenntnis Geßners zu Theokrit, der zwar eine „hochartifizielle Poesie“ präsentiert, bei Geßner aber für die Wendung zur ursprünglichen Natur und zu den natürlichen Lebensverhältnissen stehe. Weil Vergil ihm als „Repräsentant allegorischen höfischen Dichtens“ gilt, geht er auf Theokrit zurück (Garber 2015, 68). Dessen Hirtengedichte gelten nun als „das beste Muster in dieser Art Gedichte“ (Geßner 1973 [1756], 17), weil Theokrit die Balance zwischen Historisierung und Idealisierung vorbildhaft gelingt: Einerseits spürt er „die Denkungsart und die Sitten des Landmanns“ auf, anderer-
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seits leistet er die für einen vorbildhaften Dichter notwendige Selektionsarbeit. Der Dichter nämlich muss „diese Züge mit feinem Geschmack wählen, und ihnen ihr Rauhes zu benehmen wissen“ (17). Anders formuliert, er muss die Regel der Mäßigung auf sie anwenden. Wie noch zu zeigen sein wird, sind Theokrits Hirtengedichte aber auch deshalb vorbildhaft, weil an ihnen die Kategorie ‚Luxus‘ auch in rhetorischer und poetischer Hinsicht für die Reinigungsarbeit von Geßners Idyllenprojekt instrumentalisiert werden kann. Damit jedoch das Modell Theokrit für die angestrebte Perspektivierung der Idylle verwendet werden kann, muss es zunächst den zeitgenössischen Bedürfnissen entsprechend remodelliert werden. Die Vorrede unternimmt dies, indem sie die Ideale der Empfindsamkeit auf Theokrits Hirtengedichte zurückprojiziert: Bey ihm findet man die Einfalt der Sitten und der Empfindungen am besten ausgedrükt, und das Ländliche und die schönste Einfalt der Natur; er ist mit dieser bis auf die kleinsten Umstände bekannt gewesen; wir sehen in seinen Idyllen mehr als Rosen und Lilien; Seine Gemählde kommen nicht aus einer Einbildungs-Kraft, die nur die bekanntesten und auch dem Unachtsamen in die Augen fallenden Gegenstände häuft; sie haben die angenehme Einfalt der Natur, nach der sie allemal gezeichnet zu seyn scheinen. (17)
Hervorzuheben ist hier nicht nur das begriffliche Arsenal der Empfindsamkeit, auffällig sind außerdem die Bezüge, die sich zu Brockes’ physikotheologisch fundierter Naturlyrik ergeben, die bekanntlich wegbereitend für die Ästhetisierung und Subjektivierung der Natur in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts gewesen ist (vgl. Böschenstein-Schäfer 21977, 55). Geleistet wird dies über die ex negativo zur Norm erhobene Achtsamkeit auf Unkonventionelles und vermeintlich Nebensächliches: Dies erinnert an die subjekt- und wahrnehmungstheoretisch fundierte Schulung der Aufmerksamkeit auf noch die kleinsten Erscheinungen von Gottes Schöpfung in Brockes’ Lyrik (vgl. Thums 2008, Kap. I, 1), allerdings mit dem Unterschied, dass der physikotheologische Kontext dieser detaillierten Naturbetrachtung durch den empfindsamen ersetzt ist. Was im Umgang mit Brockes deutlich wird, gilt auch für Theokrits Hirten gedichte. Sie sind für die Vorrede insofern modellbildend, als sie sich für die Implementierung der eigenen ästhetischen Überzeugungen eignen und eingesetzt werden können, um Vertreter anderer ästhetischer Positionen zu diskreditieren: Seinen Hirten hat er den höchsten Grad der Naivität gegeben, sie reden Empfindungen, so wie sie ihnen ihr unverdorbenes Herz in den Mund legt, und aller Schmuk der Poesie ist aus ihren Geschäften und aus der ungekünstelten Natur hergenommen. Sie sind weit von dem Epigrammatischen Witz entfernt, und von der schulgerechten Ordnung der Sätze […].(17)
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Theokrits Hirtengedichten wird mithin die Unmittelbarkeit einer Sprache des Herzens zugeschrieben, in der Empfindungen direkt reden, ohne den Umweg einer zeichenhaften Vermittlung nehmen zu müssen. Ihre Poesie bedarf keines Schmuckes, der nicht aus ihrem unmittelbaren Lebenszusammenhang und der Natur selbst kommt; ihre Poesie redet mithin nicht über Natur, sondern ist Natur und gerade deshalb evoziert „die sanfte Mine der Unschuld“ ihrer Lieder und die „angenehme Nachlässigkeit ihrer Gesänge“ eine Vorstellung davon, wie sie „die Poesie in ihrer ersten Kindheit muß gehabt haben“ (17). In diesen Abwertungen des Redeschmucks erschließt sich eine weitere Dimension topischer Luxuskritik: und zwar die Verbindung, die sich zwischen Luxus und dem Verständnis von luxuria in Stilkritik, Rhetorik und Poetik herstellen lässt. Die Bedeutung von luxuria „als gezierte oder obszöne Rede, als übermäßig ausgeschmückter oder wortreicher Stil, als verlorene Einfachheit der Versform“ (Vogl 2001, 695), tritt hier in einen Gegensatz zum einfachen Stil der Idylle, deren Schreibart sich am genus humile orientiert. Es ist dies in Geßners Vorrede zugleich eine Einfachheit, die dann zur „Versicherung der glüklichen Nachahmung“ – mithin der Einlösung des Glücksversprechens der Idylle auch auf der Ebene poetischen Sprechens – wird, wenn „die Probe darüber, daß Theokrit in seiner Art fürtreflich sey“, gelingt – dann nämlich, wenn „er nur wenigen gefällt“ und all jenen missfällt, deren Geschmack die Vorrede verurteilt: „Ich habe meine Regeln in diesem Muster gesucht, und es wird mir eine Versicherung der glüklichen Nachahmung seyn, wenn ich diesen Leuten auch missfalle. Zwar weiß ich wol, dass einige wenige Ausdrüke und Bilder im Theokrit, bey so sehr abgeänderten Sitten uns verächtlich worden ist; dergleichen Umständgen habe ich auszuweichen getrachtet“ (18). Im Zuge dieser Reinigungsarbeit am guten Geschmack vollzieht Geßners Vorrede überdies eine eigentümliche, programmatisch allerdings relevante narrative Verschränkung von Zeiten und Räumen: Weil Theokrits Hirtengedichte räumlich und zeitlich ‚weit entfernt‘ von der Gegenwart sind, weil sich über sie im Modus des ‚Noch-Weniger‘, des ‚Damals-Noch‘ und des ‚Noch-Nicht‘ sprechen lässt, und vor allem weil auch in poetischer Hinsicht die natürliche Unschuld der Hirtengedichte proklamiert werden kann, eignen sie sich als Modell, um darauf das Ausdrucksideal der Empfindsamkeit zu applizieren. Um das Ferne im Sinne der Neubegründung der Idylle in die Nähe zu holen, muss umgekehrt das Nahe – der nicht mit Gefühl und Milde, sondern mit Wissen und Schärfe zu assoziierende epigrammatische Witz, die nicht auf natürlichen, sondern auf künstlichen Ordnungen aufruhende Regelpoetik, die nicht gemäßigte Empfindung, sondern die hypertrophe Empfindelei, die ‚verzärtelten‘ Idyllen der Franzosen sowie die „Menge von Leuten, die ihre Bestimmung in einer falsch-ekeln Galanterie finden“ und denen „ekelt vor dem Ländlichen“ (18) – in absolute Ferne gerückt werden.
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Für Theokrit nämlich gelte, „daß die noch weniger verdorbene Einfalt der Sitten zu seiner Zeit, und die Achtung die man damals noch für den Feldbau hatte, die Kunst ihm erleichtert hat. Der zugespizte Witz war noch nicht Mode, sie hatten mehr Verstand und Empfindung für das wahre Schöne, als Witz.“ (18). Die hier entfaltete narrative Verschränkung von Zeiten und Räumen, das Spannungsfeld, das im Modus des ‚Noch-Weniger‘, des ‚Damals-Noch‘ und des ‚Noch-Nicht‘ aufgebaut wird, ist mithin das modellbildende Formverfahren für Geßners Vorrede: In dem Maße, wie es die reinigenden Prozesse der Aus- und Einschließung und derart die grenzstiftende binäre Ordnung der Geßnerschen Idylle strukturiert, verdeutlicht es zugleich deren konstitutive Abhängigkeit von all dem, was zum Außerhalb der Idylle erklärt wird. Geßners Idylle, für die ja nicht nur eine räumliche, sondern aufgrund ihrer kompensatorischen und therapeutischen Funktion auch eine zeitliche Beschränkung bestimmend ist, zeichnet sich damit durch eine grundlegende Ambiguität aus. Einerseits motiviert durch die Kritik an aktuellen Modernisierungsphänomenen, bleibt die Idylle andererseits – aufgrund ihrer zeitlichen Beschränkung und ihrer auf die Gegenwartskultur ausgerichteten therapeutischen Funktion – affirmativ, da sie keine gesellschaftliche Veränderung anstrebt. Propagiert wird lediglich eine individuelle, dem Modell der Mäßigung folgende Veränderung des Lebensstils: Zu erzielen ist ein diätetisch regulierter Ausgleich zwischen den heteronomen Anforderungen eines Lebens innerhalb der städtischen Betriebsamkeit und dem Autonomieversprechen eines im Zeichen empfindsamer Naturerfahrung stehenden Lebens auf dem Lande. Insofern dieser an der antiken ‚Einfalt der Sitten‘ orientiert sein soll, ist er zugleich als ein ästhetisches Erziehungsprojekt gedacht, das mäßigend und mithin diätetisch regulierend auf die modernen, verzärtelten Sitten einwirkt. Insgesamt ist die in Geßners Vorrede neubegründete Idylle damit zunächst als Projekt zu charakterisieren, das an der Durchsetzung der Empfindsamkeit und damit auch an jenem die Wissensordnungen des achtzehnten Jahrhunderts strukturierenden wechselseitigen Begründungszusammenhang von Anthropologie und Ästhetik maßgeblich beteiligt ist. Es ist eben jene für die Gattungsdiskussion zur Idylle so zentrale Verlust- und Trennungserfahrung, die der Ästhetik im achtzehnten Jahrhundert eine ihrer wesentlichen Bestimmungsmerkmale gibt und in diesem Kontext auch zur Nobilitierung der Einbildungskraft als zentrales poetisches Vermögen beiträgt. Bereits in Winckelmanns Beschreibung des Torso im Belvedere zu Rom aus den Gedanken über die Nachahmung der Griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst aus dem Jahr 1759 wurde der Einbildungskraft die Aufgabe übertragen, diese Verlust- und Sehnsuchtserfahrung zu kompensieren und die Trennung zumindest imaginär aufzuheben (vgl. Pfotenhauer, Bernauer und Miller 1995, 168–169). In Geßners Modellierung der Idylle zum zeitlich den Beschleunigungserfahrungen der Moderne entrückten Raum der
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Glückserfahrung und Muße ist es ebenso das Vermögen der Einbildungskraft, im Modus der Distanzierung, Unterscheidung und Ausgrenzung andere Räume und andere Zeiten hervorzubringen, von denen aus die dichterische Produktion ihren Ausgang nehmen und in denen sie ihre ‚Früchte‘ verorten kann. Die ‚Früchte‘ dieser produktiven Einbildungskraft können Idealisches vor Augen stellen und dürfen hierfür die naturgetreue Mimesis im Rahmen der poetischen Wahrscheinlichkeit und im Dienste einer Ähnlichkeit stiftenden Annäherung von Antike und Moderne verlassen. Geßners Vorrede leistet aber noch mehr: Denn die hier unternommene rhetorische Neu-Erfindung der Gattung Idylle konstruiert nicht zuletzt durch ihre eigenartige Verflechtung idealisierender und historisierender Bestimmungen ein Modell der Gegenbildlichkeit, das durch seinen ungeheuren rhetorischen Aufwand, mit dem das Andere der Idylle in deren Außenbezirke verbannt und derart die Idylle allererst formiert wird, stets das Negierte präsent hält. Es ist eben dieses Formverfahren der Idylle, welches ihr den Geltungsanspruch als Reflexionsmedium von Krisenerfahrungen der Moderne auch über den Zeitraum um 1800 hinaus sichert und somit auch ihre Wirksamkeit über die Zeit jener intensiven Gattungsdiskussion hinaus, welche die Gattung Idylle als unzeitgemäß abqualifiziert hatte.
Weiterführende Literatur Adler, Hans. „Gattungswissen: Die Idylle als Gnoseotop“. Wissenstexturen. Literarische Gattungen als Organisationsformen von Wissen. Hrsg. von Gunhild Berg. Frankfurt am Main et al. 2014: 23–42. Baßler, Moritz. „Gattungsmischung, Gattungsübergänge, Unbestimmbarkeit“. Handbuch Gattungstheorie. Hrsg. von Rüdiger Zymner. Stuttgart und Weimar 2010: 52–54. Bies, Michael, Michael Gamper und Ingrid Kleeberg. Hrsg. Gattungs-Wissen. Wissenspoetologie und literarische Form. Göttingen 2013. Garber, Klaus. Wege in die Moderne. Historiographische, literarische und philosophische Studien aus dem Umkreis der alteuropäischen Arkadien-Utopie. Hrsg. von Stefan Anders und Axel E. Walter. Berlin und Boston 2012. Zymner, Rüdiger. „Gattungsvervielfältigung: Zu einem Aspekt der Gattungsdynamik“. Gattungstheorie und Gattungsgeschichte. Hrsg. von Marion Gymnich, Birgit Neumann und Ansgar Nünning. Trier 2007: 101–116.
Wolfgang Funk
III.3.3 Zwischen Dokumentation und (Meta-)Fiktion Über das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit ist eigentlich schon alles gesagt. Trotzdem, schon hier begegnet ein Paradoxon, verhandelt jedes einzelne Kunstwerk das Verhältnis von neuem. Das Sprechen über die Kunst und in der Kunst ist immer auch ein Sprechen über die Wirklichkeit. Und obwohl die Beziehung zwischen beiden so verworren und komplex ist wie das Leben selbst, soll sie hier, um einer argumentativen Struktur willen, als Verwaltung eines gefühlten Mehrwerts gedacht werden. Dieser besteht je nach theoretischem Standpunkt und philosophischem Weltverständnis entweder in der unmittelbaren und unvermittelbaren Dinghaftigkeit und Tatsächlichkeit der Wirklichkeit, die nach Ludwig Wittgenstein definiert ist als „Bestehen und Nichtbestehen von Sachverhalten“ (232019 [1921], 14, 2.06), und der jede Form ästhetischer Vergegenwärtigung oder Re-Präsentation (ein verbaler Manierismus, ohne den keine Abhandlung über die Realität (in) der Kunst auszukommen glaubt) notwendigerweise defizitär gegenübersteht oder hinterherhechelt. Dem gegenüber steht die Auffassung, dass das Privileg der Kunst eben gerade in dieser Losgelöstheit von dem besteht, was der Fall ist, dass ihr Referent eben nicht das Reale sondern das Potenzielle ist. Gemeinsam ist beiden Positionen, dass das Verhältnis von Realität und deren künstlerischer Wiedergabe in jeder Hinsicht eine Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Kunst und den Gegebenheiten der Wirklichkeit darstellt. Wilhelm Worringer beschreibt dementsprechend „das Verhältnis zwischen Schaffenden und Naturvorbild [als] Kampf zwischen dem Menschen und dem Naturobjekt, das er aus seiner Zeitlichkeit und Unklarheit herauszureißen suchte“ (2007 [1908], 98). In diesem Kapitel soll explizit über die Form gesprochen werden, mittels derer in der Literatur diese fundamentale Differenz zwischen Wirklichkeit und Kunst verhandelt und in Szene gesetzt wird. In neuerer Zeit ist die Analyse von literarischer Form wieder zum satisfaktionsfähigen und ernstgenommenen Untersuchungsgegenstand geworden. Insbesondere in den einschlägigen Monographien von Angela Leighton (2007), Janine Rogers (2014) und Caroline Levine (2015) wird Form dabei primär als verbindendes Element gesehen. So sieht Rogers in ihrem programmatisch betitelten Buch Unified Fields beispielsweise die Untersuchung von literarischer Form, definiert als diejenigen ‚Muster, Strukturen und Ordnungskriterien die Literatur zu Literatur machen‘ („patterns, structures, and orders that make literature literary“, 2014, 9) als Ausgangspunkt für eine Methodik der Textkritik, die nicht nur Leser und Autoren miteinander in eine neue Beziehung setzt, sondern die auch den lange Zeit als unüberwindlich angesehenen https://doi.org/10.1515/9783110364385-014
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Graben zwischen literarischer und wissenschaftlicher Sprache überwinden kann (xiii). Anschließend an diese Behauptung wird der folgende Artikel die Frage aufwerfen, ob sich literarische Form denn nicht auch speziell dafür eignet, das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit neu zu durchdenken. Traditionell wird die Dichotomie von Kunst und Wirklichkeit auf zwei klassische Muster zurückgeführt: zum einen auf konkurrierende Ansichten bei Platon, der das Streben nach der Essenz/Idee der Dinge, die er selbst als ‚Formen‘ (εἶδος) bezeichnet, als höchste Aufgabe des denkenden Menschen sieht und dementsprechend den Dichtern als fabulierenden Phantasten die Tür der idealen Polis weist, und Aristoteles, der den (Tragödien-)Dichtern die Aufgabe zuweist, im Rahmen des Wahrscheinlichen einen Raum des Möglichen zu eröffnen. Alternativ oder supplementär lässt sich dieses Spannungsverhältnis auch ausschließlich aus dem 9. Kapitel von Aristoteles’ Poetik herleiten, das der philosophischen und moralisch erbaulichen Darstellung des Allgemeinen als Bestimmung der Dichtung die imitative und dokumentarische Abbildung des Konkreten und Besonderen als Obliegenheit der Geschichtsschreibung entgegenstellt. So weit, so allgemeingültig. In den Begriff der Mimesis gekleidet, bildet die philosophische, ästhetische, moralische oder ontologische Abwägung dieser Standpunkte im Großen und Ganzen die Nulllinie jedes Kunstverständnisses und mithin jeder Reflektion über das Sein in der Welt an sich (vgl. Auerbach 1946; Riffaterre 1984; Prendergast 1986; Ricœur 1991; Ickstadt 1998). Angewandt auf eine spezifisch literarische Tradition prägt eine besonders augenfällige Dialektik der beiden Extremformen zum Beispiel die retrospektive Wahrnehmung des neunzehnten Jahrhunderts: Während die Genieästhetik der Romantik die Kunst gerade wegen ihres ironischen, zweifelnden, zwangsläufig fragmentarischen und unerfüllbar bleibenden Charakters über die schnöde Wirklichkeit erhöht, begegnet im (bürgerlichen) Realismus ein Bedürfnis der Abdeckbarkeit des Wirklichen durch die und in der Kunst, die, wie Jean-Franҫois Lyotard nachweist, Ausdruck eines Unwillens oder einer Unfähigkeit ist, die Gültigkeit des als wirklich Angenommenen in Frage zu stellen und die Kontingenz der tatsächlichen Realität zu akzeptieren (2005 [1979], 74). Nassim Nicholas Taleb bezeichnet dieses dem Realismus zugrundeliegende Bedürfnis, die Erfahrungswelt auf fassbare und dem rationalen Verständnis zugängliche und durchleuchtbare Formen zu reduzieren als ‚Platonizität‘ (platonicity) (2008, 15). Daraus ließe sich zugespitzt schließen, dass der Realismus als Literaturform selbst als Symptom der Nachrangigkeit des poetischen gegenüber dem dokumentarischen Diskurs zu betrachten ist. Mit dem neunzehnten Jahrhundert findet freilich auch die Ausschließlichkeit der beiden genannten Positionen zum Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit ein Ende. Neue Diskurse der Sichtbarmachung und technischen Reproduzierbarkeit berauben an der Schwelle des zwanzigsten Jahrhunderts die Kunst ihrer primären
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Abbildungsfunktion, wobei Photographie und Phonographie nur die augen- bzw. ohrenfälligsten Manifestationen eines viel tiefer gehenden medialen Paradigmenwechsels sind. So kann beispielsweise die Herausbildung eines institutionellen, objektiven und quantifizierbaren Wissenschaftsbetriebs durchaus als Rehabilitation des verschmähten Aristotelischen Geschichtsschreibers gewertet werden, der in Gestalt von Ranke und Carlyle die Deutungshoheit über die Dinge wie sie waren, und in Humboldt und Darwin über die Dinge wie sie sind, beansprucht und im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts immer eindeutiger auch zuerkannt bekommt. Im Zerr-Spiegel des als normativ geltenden Faktischen wird das Fiktionale damit erst (auch) zum Fiktiven, wird der Dichter zum Gespensterseher, die Schöpfung zur Schöpfungsgeschichte. Dieser teils latente, teils offen zu Tage liegende Autoritätsverlust der Kunst, auch und gerade durch die Herausbildung einer etymologisch eigentlich paradoxen ‚Geisteswissenschaft‘, wird im speziellen Fall der Literatur durch entscheidende ästhetisch-philosophische Umwälzungen potenziert, die sich, etwas ungelenk aber ökonomisch praktikabel, vorerst mit dem Begriff des ‚Strukturalismus‘ fassen lassen und auf die im Folgenden noch konkreter eingegangen werden soll. Zusammengenommen tragen die auf diesen medialen und formalen Perspektivwechseln gegründeten epistemologischen Verwerfungen dazu bei, die traditionelle mimetische Bedingung und Verortung von Literatur um zwei sehr grundsätzliche Denkpositionen zu erweitern, die im weiteren Verlauf des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts klassische Realismusdebatten zwar nie ganz verdrängen, aber doch unverkennbar überlagern sollten. Auf einen wiederum viel zu knappen Nenner gebracht, besteht die eine Position, man könnte sie ‚modernistisch‘ nennen, in der Annahme, dass Wirklichkeit und (jede Form von) Repräsentation, also die gelebte Welt und ihre literarische Verarbeitung, per definitionem unterschiedliche und nicht miteinander in Beziehungen stehende Systeme sind, weswegen jedes literarische Werk als ausschließlich formaler, und formal abgeschlossener, Zeichenkomplex ohne jegliche Weltreferenz und -relevanz betrachtet werden muss (Doležel 1980; Rorty 1982). Das andere Deutungsmuster, man könnte es vorläufig ‚postmodern‘ nennen, gründet auf der Mutmaßung, dass – wiederum als Resultat medialer und formaler Entwicklungen – eine binäre Struktur von Welt und Repräsentation, Wirklichkeit und Fiktion nicht mehr aufrecht zu erhalten ist. Im Folgenden soll nun versucht werden, die Verknüpfungen und das Spannungsfeld zwischen diesen beiden Positionen aus der Perspektive literarischer Form zu denken und als mögliches Beschreibungsmerkmal der literarischen Entwicklung seit der Moderne einzusetzen. Dies mündet schließlich in einen Versuch, den gegenwärtigen Zustand zu beschreiben. In einem kulturgeschichtlichen Moment, in dem – erneut im Reflex auf mediale und ästhetische Paradigmen-
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wechsel – das Verhältnis von Wirklichkeit und Fiktion grundlegend neu verhandelt wird, so soll gezeigt werden, bildet sich eine radikal neue Form literarischer Kommunikation heraus, die hier tentativ mit dem Begriff ‚transzendente Literatur‘ benannt werden soll, die auf einer Priorisierung von Glauben über Wissen und Subjektivität über Objektivität beruht und die mittels der Begriffe ‚Authentizität‘ und ‚Paradoxon‘ kulturgeschichtlich und formal eingeordnet werden soll.
1 Von der Moderne zur Postmoderne Im Zuge der oben erwähnten Systematisierung und Positivierbarkeit der Welt wurde im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts auch Sprache an sich zu einem zentralen Gegenstand wissenschaftlicher Erforschung. Zuerst primär im Sinne einer Genealogie und Kategorisierung von Sprachfamilien, um die Jahrhundertwende dann aber auch immer stärker hinsichtlich der Frage nach ihrer Funktion und Funktionalität und insbesondere den strukturellen Voraussetzungen dieser Funktionalität. Diese allgemein unter dem Begriff Strukturalismus zusammengefassten Untersuchungen liefern, je nach Blickwinkel, zuerst einmal jeweils Argumente für die beiden klassischen Deutungsparadigmen des Verhältnisses von Wirklichkeit und Repräsentation. Ferdinand de Saussures epochale Aufspaltung des Sprachzeichens in eine Inhaltsseite (signifié) und eine Ausdrucksseite (signifiant), deren Verhältnis arbiträr und somit notwendig sekundär ist, bestätigt scheinbar Platons Diktum vom unbedingten Primat der Wirklichkeit, deren sprachliche Vergegenwärtigung zwangsläufig defizitär und unangemessen bleiben muss. Dem gegenüber wurde im Rahmen der wissenschaftlichen Analyse des Systems Sprache andererseits auch die Sonderstellung dichterischen Sprechens und Schreibens, im Sinne Aristotelesʼ, formal ausdifferenziert. Beispielhaft hierfür sollen Jan Mukařovskýs Ausführungen zur ästhetischen Funktion von Sprache dienen, da diese auch im Hinblick auf die weitere Entwicklung von Bedeutung sind und – im Gegensatz zu Bühler oder Jakobson, auf deren Modelle Mukařovský aufbaut – (noch) nicht Teil des strukturalistischen Kanons sind. Bezugnehmend auf Bühler und Jakobson arbeitet Mukařovský ein Funktionsmodell von Sprache aus, das die grundsätzliche Eigenart ihrer ästhetischen Funktion, die im sprachlichen Kunstwerk dominiert, damit begründet, dass deren Zielrichtung, im Gegensatz zu den übrigen, pragmatischen Sprachfunktionen (darstellend, appellativ und expressiv), nach innen gerichtet ist. Ästhetischer Diskurs referiert somit primär auf sich selbst und nicht auf außersprachliche Objekte oder Sachverhalte (Mukařovský 1967b [1948], 48–51; Steiner 1978, XXII-XXIII). Diese fehlende konkrete Verankerung in der Realität verleiht dem Kunstwerk seine unabdingbare semiotische Autonomie. Da
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eine sprachliche Äußerung, ob pragmatisch oder ästhetisch, nun aber ohne jeglichen Bezug zur Welt im eigentlichen Sinne bedeutungslos bleiben muss, stellt Mukařovský der ästhetischen Funktion der Sprache die Gesamtheit der sozialen und gesellschaftlichen Gegebenheiten gegenüber, die den Kontext einer gegebenen sprachlichen Äußerung ausmachen. Zur generischen Selbstbezüglich der Kunst als ästhetischer Diskurs, der notwendigerweise auf seine formale Verfasstheit referiert, kommt damit eine, mit Foucault gesprochen, epistemische Selbstbezüglichkeit hinzu, die jedem Kunstwerk, da es ja einem spezifischen Kontext entstammen muss, die Reflektion seiner philosophischen, medialen, ethischen, politischen und sozio-kulturellen Bedingungen notwendigerweise einschreibt (Mukařovský 1978 [1936], 88). Dass sich mittels dieser epistemischen Selbstbezüglichkeit durchaus ein appellativer Anspruch höherer Ordnung an das Kunstwerk herantragen lässt, kann als Grundbedingung für die im Folgenden eingeführte transzendente Literatur gelten. Im weiteren Verlauf des zwanzigsten Jahrhunderts sollte jedoch zuerst ein anderer Aspekt der strukturalistischen Aufschlüsselung der (literarischen) Sprache im Vordergrund stehen, nämlich ihre Autarkie. Während Saussure noch von der grundsätzlichen Zweckmäßigkeit und dem potenziellen Gelingen einer auf arbiträren Konventionen beruhenden Kommunikation überzeugt ist, zieht der sogenannte Poststrukturalismus in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts den entgegengesetzten Schluss. Wenn das einzelne Sprachzeichen nicht positiv, also an und für sich, Sinn macht, sondern lediglich in Abgrenzung von anderen, minimal verschiedenen, Zeichen verstanden werden kann, dann kann auch Sprache als umfassendes Referenzsystem keine allgemeingültigen Aussagen hinsichtlich einer außer ihr selbst gelagerten Realität treffen. Aus der Differenz kann keine Präsenz erwachsen; die Wirklichkeit kann semiotisch nie zugegen sein. Von dieser scheinbar recht unspektakulären Position aus entspinnen sich die Konzepte und Denkmuster, die unter der Epochenbezeichnung der ‚Postmoderne‘ den kulturellen und insbesondere den literaturtheoretischen Diskurs der letzten fünfzig Jahre bestimmt haben, von Derridas différance zu Lyotards Ende der ‚großen Erzählungen‘, von Baudrillards Simulation zu Butlers Performativität. Was diese Weltdeutungsmuster verbindet, und was mithin als übergeordnetes Merkmal der Postmoderne gelten kann, ist eine Umwertung der im Mimesis-Begriff ursprünglich eingeschriebenen Hierarchie von Beobachtung und Interpretation und damit von Essenz und Konstruktion. Bis zu ihrer Apotheose im Realismus des neunzehnten Jahrhunderts basierte jede theoretische/analytische Auslegung und sprachliche Verarbeitung von Sachverhalten auf einer vorangegangenen Beobachtung in der außersprachlichen, vulgo realen, Welt. Die Krise der Repräsentation, die in der Moderne symbolisch vorgeprägt und in der Postmoderne zwangsläufig zu Ende gedacht wird, besteht nun im Grunde darin, dass sich dieses Verhältnis umkehrt: Die Analysekriterien
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und Relationen folgen nicht mehr den Sachverhalten der realen Welt; die Welt ist vielmehr eine nachgeordnete Konstruktion, die sich aus den Beziehungen ihrer Beschreibungen erst ergibt und – als Simulakrum einer nie dagewesenen Realität – nur in und durch sie überhaupt in Erscheinung treten kann. Oder, um mit Borges zu sprechen, erst durch die Karte wird das Gebiet sichtbar. Wenn es formallogisch keiner symbolischen Repräsentation je gelingen kann, Wirklichkeit in irgendeiner bedeutungsvollen Form abzubilden, folgt daraus für das spezifische Zeichensystem Literatur, dass es vordringliches Ziel sein muss, unentwegt und ohne Hoffnung auf Erlösung aus der condition postmoderne auf die eigene Zeichenhaftigkeit und deren Gefangenheit im Prison-House of Language (vgl. Jameson 1972) zu verweisen und jeden Anflug von (außersprachlicher) Relevanz zu dekonstruieren. Dieser Mission verschreibt sich eine in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts unter dem Begriff der ‚Meta-Fiktion‘ reüssierende Literatur, im Rahmen derer „die Problematisierung des Mimetischen zunehmend selbst Teil des Modus mimetischer Darstellung wird und der dargestellte Gegenstand die eigene Zeichenhaftigkeit signalisiert und reflektiert“ (Ickstadt 1998, 10). Anders ausgedrückt: Meta-Fiktion deutet den mimetischen Impuls im Sinne der Dekonstruktion dahingehend um, die an der literarischen Kommunikation beteiligten Entitäten (Autor, Leser, Text, Kontext) als solipsistische Einheiten aufzudecken, die ohne Verankerung in transzendentaler Signifikation und damit ohne Hoffnung auf erfolgreiche Kommunikation und Interaktion auf Verderb eher als Gedeih auf sich selbst zurückgeworfen sind. Der Autor ist tot, sagen Foucault und Barthes; der Leser ist, wenn überhaupt, impliziert, sagt Iser; die Geschichte ist zu Ende, sagt Fukuyama; alles ist Text und der Text ist alles, sagt Derrida, und damit auch nichts. Und so sprießen unter dem weiten und weitgehend nichtssagenden Mantel der Post-Postmoderne die neuen Konzepte, vom Performatismus (Eshelman 2006) zum Metamodernism (Vermeulen und van den Akker 2010), vom Digimodernism (Kirby 2009) zur New Sincerity (Kelly 2010a). Wenn diesen Ansätzen, bei aller Diversität, ein Wesensmerkmal gemein ist, dann dies: Sie versuchen, das Verhältnis von Welt und Abbild neu zu verhandeln, suchen mithin eine Synthese von Mimesis und Meta-Fiktion, geleitet wohl von der Überzeugung, dass gerade in einer Welt, deren Sachverhalte unwiederbringlich von Simulationen und Differenzen überlagert sein mögen, Kunst im Allgemeinen und Literatur im Besonderen eine sinnstiftende Rolle zukommen kann, ja dass sie eine solche übernehmen muss. Auf Aleida Assmanns mächtigen Fittichen sicher geführet, stellt man hoffnungsvoll fest, dass eine Neujustierung im Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit doch meist Ausdruck dafür ist, dass nichts, nicht einmal postmoderne (In)Differenz, je für die Ewigkeit ist. Schrieb Assmann doch schon im Jahr 1989, dass, „wo immer der Fiktionsbegriff auftaucht, […] etwas, das vorher
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eindeutig oder selbstverständlich war, strittig geworden“ ist (240). In diesem Fall ist dieser strittige Punkt eben genau das Verhältnis von Wirklichkeit und Fiktion: „nicht die Differenz, sondern die Indifferenz zwischen Fiktion und Realität ist das Datum, von dem heute ausgegangen werden muss“ (Assmann 1989, 239). Wenn die Realität nicht mehr wahr sein kann, weil Wahrheit selbst nicht mehr als „die erfolgreichste Fiktion“ ist (Marquard 1983, 38), verliert der Fiktions-Begriff, und somit das Konzept der Mimesis, das auf ihm aufbaut, seine Gültigkeit und muss neu verhandelt werden. Dieser Beitrag möchte sich hier nun kein Urteil über die Sinnhaftigkeit dieser post-postmodernen Neuverhandlungen von Dokumentation und Fiktionalität erlauben oder gar deren jeweilige Erfolgschancen auswerten. Vielmehr sollen die zentralen Gesichtspunkte dieser versuchten Neuorientierung aufgeführt und an die im Vorhergehenden dargelegten Überlieferungsmuster angeschlossen werden, um es den Lesenden zu ermöglichen und zu überlassen, diese möglicher weise gar nicht so irrelevanten Fragen selbst zu beantworten.
2 Wohin des Weges? Transzendenz, Paradox und Authentizität als Parameter literarischer Kommunikation Zunächst einmal lässt sich mit Heinz Ickstadt leicht verwundert konstatieren, dass „der mimetische Impuls dieses theoretische Massaker [des Poststrukturalismus; W. F.] überlebt hat“ (1998, 9), dass also das zentrale ästhetische Modell des Realismus auch in einer Zeit scheinbar allgegenwärtiger virtueller und simulierter Hyperrealitäten immer noch eine wesentliche Triebfeder literarischer Betätigung darzustellen scheint. Eine genauere Betrachtung der Etymologie des Wortes Mimesis kann hier erklärend wirken. Das zugrundeliegende griechische μῖμος, das heute noch in der Wortfamilie ‚mimen/Mime‘ begegnet, lässt ahnen, dass die dem Begriff eingeschriebene Beziehung von Imitat und Imitiertem nie direkt essentialistisch, sondern immer schon komplex und konstruktivistisch zu verstehen war. Realität als solche ist nicht mit den Mitteln künstlerischer Darstellung/Abbildung einzuholen. Die Postmoderne deutet nun, wie oben erwähnt, diese Erkenntnis als Stunde Null der Mimesis insgesamt, indem sie die außersprachliche Realität, das recht eigentliche Ziel des mimetischen Impulses, entweder als inexistent (zugespitzt in Derridas il n’y a pas de hors-texte) oder als immer schon (toujours déjà) subjektives Konstrukt und somit menschgemachte Fiktion (Panfiktionalismus) erklärt. Dennoch – so ließe sich ein theoretischer Konsens nach-postmoderner,
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transzendenter Literaturauffassung formulieren – heißt das noch lange nicht, dass das Kind des Glaubens an eine solche Realität notwendigerweise mit dem Bade postmoderner Simulation ausgeschüttet werden muss. Hiermit ist das geheime Zauberwort gefallen: Glaube. Ein Glaube nicht primär im theologischen Sinn, aber doch immerhin als Ausdruck eines Hoffens und Vertrauens auf Transzendenz, auf ein Außerhalb der positivistischen Welt(erfahrung), und damit wohl auch auf eine gewisse Erlösung, sei es auch nicht von Tod und Teufel, sondern nur von postmoderner Skepsis und Dekonstruktion. Ihab Hassan definiert schon im Jahr 2003 jede Form von postmodernem Realismus als Glaubenssache (fiduciary realism) im Rahmen einer ‚Ästhetik des Vertrauens‘ (aesthetics of trust), die gerade dann zum notwendigen Mittel der Sinnstiftung wird, wenn sich alle Referenzsysteme auf die Wirklichkeit in Aporien und Differenzen erschöpfen (210). Dieser an die Postmoderne anschließende Paradigmenwechsel, von einer zynischen Verabsolutierung von différance und Absenz hin zum Wagnis des Vertrauens aufs Transzendente, der von Hassan hier vorgedacht wird, ist nicht in erster Linie ästhetischer oder epistemologischer Natur; die bleibende postmoderne Hinterlassenschaft einer unhintergehbaren Kluft zwischen Wirklichkeit und Repräsentation bleibt unangetastet. Vielmehr berührt die Neujustierung des mimetischen Impulses die philosophische und moralische Verfasstheit des Menschen als wissen- und kunstschaffendem Wesen, das an einer neuen Epochenschwelle wieder einmal mit der Gretchen-Frage konfrontiert ist, wie er/sie es denn mit dem Glauben halte. An dieser Stelle sollen zwei theoretische Konzepte eingeführt werden, mit deren Hilfe der Wiedereinzug von Glauben und Vertrauen in die Literatur zwar nicht rückstandlos erklärt, aber zumindest ästhetisch und epistemologisch eingefasst werden kann: Authentizität und Paradoxon. Der Begriff des Authentischen tritt in der Kulturgeschichte des Westens immer dann besonders in Erscheinung, wenn die conditio humana zu überdenken ist. Hamlet, der auf dasjenige in ihm verweist, ‚was über allen Schein‘ hinausdeutet („that within which passeth show“, Shakespeare 2001 [1609], 184); Jean-Jacques Rousseau, der die endlose Suche nach der Wahrhaftigkeit des eigenen Selbst zur Grundeinstellung seines literarischen Schaffens stilisiert; Walter Benjamin, der den Verlust des auratischen Kunstwerks im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit beklagt, all dies sind Figuren, die als paradigmatisch für kulturgeschichtliche Paradigmenwechsel (Renaissance, Romantik, Moderne) stehen können, und in allen Fällen fungiert der Diskurs der Authentizität als Katalysator oder Fokuspunkt des jeweilig neuen Weltverständnisses (Funk 2015, 22–29). Wenn sich also das Habermas’sche ‚Projekt der Moderne‘, das unter mimetischen Gesichtspunkten als Krise der Repräsentation zu verstehen ist, in der Simulationskultur und Inhaltslosigkeit der Postmoderne tatsächlich vollendet haben sollte, scheint es legitim, abermals
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die Idee des Authentischen zu befragen, um den ‚Gefühlsstrukturen‘ (structures of feeling, Raymond Williams) an der Schwelle einer möglichen neuen Episteme auf die Spur zu kommen. Wie lässt sich also das Verhältnis von Wirklichkeit und Repräsentation aus der Perspektive des Authentischen beschreiben? Ein zentraler Aspekt der Authentizität, der sie entscheidend von verwandten und zu oft synonym verwendeten Begriffen wie ‚Wahrheit‘, ‚Aufrichtigkeit‘ oder ‚Ehrlichkeit‘ unterscheidet, ist zunächst einmal, dass sie dem zwischen Welt und Bild vermittelnden Impuls der Mimesis diametral entgegensteht. Während nämliche Begriffe auf außer- oder überindividuelle, und damit wenigstens scheinbar objektivierbare Strukturen wie Weltwissen, Verhaltensrichtlinien oder Moralcodices verweisen, ist die alleingültige Bezugsgröße der Authentizität der innerste subjektive und in jeder Hinsicht unveräußerliche Kern des wahrgenommenen oder angenommenen Selbst − nach innen geht, mit Novalis, ihr geheimnisvoller Weg. Wie Rumpelstilzchens Name wirkt der Zauber der Authentizität nur im unausgesprochenen Zustand, er hält der Mitteilung und Vermittlung nicht stand. Jochen Mecke spricht in diesem Zusammenhang von der „Unschärferelation der Authentizität“, die in der Unmöglichkeit besteht, gleichzeitig authentisch zu sein und sich als authentisch zu präsentieren (2006, 99). Authentizität, als Abgrund des Selbst in seiner Darstellung, als Fiktion von Wirklichkeit (Funk und Krämer 2011), steht also semiotisch zwischen Signifikat und Signifikant und verhindert deren Ineinanderfallen. Sie ist der subjektive blinde Fleck im objektiven Erkenntnissystem. Formal und epistemologisch vereinigt sie damit Mukařovskýs ästhetische Sprachfunktion mit der différance im Sinne Derridas. Sie firmiert als Fluchtpunkt (post)moderner Unmöglichkeitsästhetiken und weist im selben Moment auf die Möglichkeit zu deren Überschreitung (Transzendenz) hin. Etwas zugespitzt formuliert besteht hierin das gemeinsame definierende Kriterium transzendenter Literatur, im Glauben und Vertrauen nämlich, dass dieser blinde Fleck nicht zwangsläufig als postmoderne Aporie begriffen werden muss, sondern vielmehr als Ausgangspunkt für authentische literarische Sinnstiftung dienen kann. Folglich soll Authentizität in einem spezifisch ästhetischen Sinn als Leitbegriff einer neuen Form literarischer Kommunikation verstanden werden, die die konstruiert fragmentarische Ästhetik der Romantik aufgreift und dem Hyperrealismus und -rationalismus der Postmoderne entgegenstellt. Dabei tritt Authentizität an die Stelle des abgedankten Mimesis-Motivs und bezeugt somit semantisch und etymologisch den Wandel eines die Realität nachahmenden (gr. μιμεῖσθαι) hin zu einem transzendent (aus sich) selbst schaffenden (gr. αὐθέντης) Literaturverständnis. Nun begegnet man dem Glauben an Transzendenz in diesen ach so säkularen Zeiten gerne mit einem reflexartigen Vorwurf von Weltferne und Idolatrie. Da das Glauben, als epistemologische Praxis, tatsächlich dem Wissen scheinbar unver-
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einbar gegenübersteht, lässt sich dieser Vorwurf innerhalb der Strukturen einer auf Objektivität und Referenzierbarkeit basierten Episteme nicht vollends entkräften. Dennoch sollte es erlaubt sein zu fragen, ob das Glauben gerade in den Zeiten der Simulakren, der virtuellen Realitäten, des Spin, der fake news, kurz der immer angreifbarer und manipulierbarer werdenden Abbilder der Welt, nicht vielleicht die zeitgemäßere und wahrhaftigere epistemologische Haltung darstellt. „Wer nichts weiß, muss alles glauben“, Marie von Ebner-Eschenbachs häufig zitiertes Diktum, kann als symptomatisch für das in der Aufklärung initiierte Projekt einer säkularen Moderne gelten, das das Primat objektiven Weltwissens über subjektiven Glauben festschreibt und in der radikalen Transzendenzkritik der Postmoderne seine Apotheose und Aporie erfährt. Für das in diesem Artikel avisierte neue Paradigma der transzendenten Literatur, das der Fiktion den Glauben an sich selbst wiedergeben möchte, kann hingegen der Umkehrsatz als konstitutiv gelten: Wer nichts glaubt, muss alles wissen. Es wäre um ein solches neues Paradigma allerdings schlecht bestellt, ließe es sich lediglich aus sophistischen Satzverdrehungen und hypothetischen Spekulationen ableiten. Deshalb soll dem philosophischen Konzept der Authentizität in der Form des Paradoxons ein formales Korrelat an die Seite gestellt werden, das den für die Literaturanalyse unabdingbaren Vorteil hat, eindeutig nachweisbar zu sein und damit die Transzendenz vom Hirngespinst in den Status eines textimmanenten Phänomens erheben zu können. Authentizität und Paradoxon sind eng verbunden. Aus der Perspektive der Ästhetik ist Authentizität, wie oben von Mecke pointiert bemerkt, an und für sich paradox, da sie die Repräsentation des Unrepräsentierbaren, oder, in Christoph Zellers eleganter Formel, das Prinzip „vermittelter Unmittelbarkeit“ (2010, 285), für sich reklamiert. Auch in ontologischer Hinsicht begegnet Authentizität als Paradoxon, da das unveräußerliche Selbst, das der Diskurs der Authentizität (erfolglos) einzuholen vorgibt, selbst das – siehe Hamlet und Rousseau – performativ hervorgebrachte Produkt dieses Diskurses, und somit das ultimative Simulakrum, ist. Bedenkt man zudem die etymologische Herleitung des Wortes aus dem griechischen παρά δοξα (= ‚entgegen der gängigen Lehrmeinung‘), erscheint auch die epochemachende Dimension des Authentizität-Begriffs im Paradoxon formal widergespiegelt. Wie an anderer Stelle, unter dem Paradigma einer ‚Literatur der Rekonstruktion‘ ausführlicher beschrieben und aus diesem Grund hier nur beiläufig erwähnt, findet das Paradoxon im zeitgenössischen Fiktionalitäts-Diskurs seine manifeste Ausgestaltung in Form der Metareferenz, einer speziellen Form literarischer Selbstbezüglichkeit, deren Besonderheit darin besteht, dass sie epistemologische Paradoxien aufwirft, die sich nicht innerhalb des Textes auflösen lassen und daher vom Leser im Prozess der Lektüre eine aktive Rekonstruktion der literarischen Kommunikation einfordern (Funk 2012; 2015).
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Der Erfolg solcher Rekonstruktion und mithin eine neue, auf Paradoxon und Authentizität basierende, Form literarischer Kommunikation ist – und damit lässt sich die Metareferenz wieder an die transzendente Literaturauffassung zurückbinden – begründet in einem Vertrauensvorschuss zwischen Autor und Leser, der wiederum inspiriert ist vom Glauben an die Wirkmächtigkeit des literarischen Diskurses an sich. Hier knüpft die transzendente Literatur deutlich an Aristotelesʼ Diktum vom Primat des dichterischen über den rein dokumentarischen Diskurs, von fiktionalem über faktuales Erzählen an, verbindet es aber zugleich auch mit postmodernen Vorstellungen von Panfiktionalität. In seinem klugen Buch Die Wirklichkeit der Literatur stellt Rolf Selbmann zuerst fest, dass von einem etymologischen Standpunkt gesehen Wirklichkeit wie Textualität auf von Menschen bearbeiteten/gewirkten Stoff referieren, Wirklichkeit somit in der Tat als Fiktion zu verstehen sei (2016, 6). Gleichzeitig unterliege Literatur aber „dem untilgbaren Manko der Wirklichkeit, nämlich deren Kontingenz, eben nicht“ (Selbmann 2016, 179). Für Worringer ist die Kunst „der vollendete und dem Menschen einzig denkbare Ausdruck der Emanzipation von aller Zufälligkeit und Zeitlichkeit des Weltbildes“ (2007 [1908], 104). In diesem „durch den Wegfall jeder unmittelbaren Einbindung in einen realen raum-zeitlichen Zusammenhang [entstehenden] Freiraum“ (Martínez und Scheffel 72007 [1999], 19) verortet nun die transzendente Literatur eine neue Form literarischer Kommunikation, die ihre Authentizität gerade aus einer Überschreitung/Transzendenz der textuellen Gefasstheit literarischer Kommunikation bezieht. Diese Überschreitung situiert den entscheidenden Aspekt der Kommunikation, die Rekonstruktion, außerhalb des Textes (vgl. Smith 2003). Die performative und paradoxe Inszenierung eines textlosen Raums im Text befreit Autor, Werk und Leser aus den festgefügten Rollenzuschreibungen traditioneller literarischer Modelle (Bühler, Jakobson) und macht damit neue Verbindungen und Kommunikationswege möglich und nötig. Diese neuen Kommunikationsformen können als authentisch gelten, da sie auf subjektive Parameter wie Verantwortung, Verständigung oder Liebe rekurrieren (Kelly 2010b, 328), Formen von Welterfahrung also, die im selben virtuellen Raum jenseits von Wirklichkeit und Fiktion angesiedelt sind. Versteht man, mit Robert Matthias Erdbeer, literarische Texte als Modelle, die empirische „Bezugnahmen auf diskursive Umwelten“ imaginativ fiktionalisieren, um damit zukünftige „Anwendungskalküle“ bereitzustellen (2015, 31), lässt sich das Paradigma der hier eingeführten transzendenten Literatur folgendermaßen zusammenfassen: In der Postmoderne fallen, als Kulminationspunkt sowohl einer aufgeklärten Rationalisierung der Welt wie der modernistischen Krise der Repräsentation, Wirklichkeit und Fiktion endgültig und unwiderruflich ineinander. Dies, so die empirische Beobachtung, entzieht dem Begriff der Mimesis in der
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Literatur jede Grundlage. Durch den Einsatz paradoxer formaler Strategien, die unter dem Stichwort ‚Metareferenz‘ zusammengefasst werden können, schafft die Literatur einen neuen fiktiven Raum jenseits der Textualität. Dieser Raum ist nicht objektiv beschreibbar oder lokalisierbar, sondern im eigentlichen Sinn ein Resultat des Glauben-machens (make-believe) des fiktionalen Diskurses (Walton 1990). Er erwächst emergent jeweils im Moment der individuellen literarischen Rekonstruktion des Lesers (Funk 2015, 51–55). Voraussetzung für das Zustandekommen dieses Raums ist zum einen der Glaube an die Relevanz der Literatur und zum anderen ein Vertrauen in die Möglichkeit bedeutungsvoller Auseinandersetzung mit der Welt im Akt der literarischen Kommunikation (Huber 2014, 24–28). Transzendente Literatur ahmt nicht mimetisch die Welt-Erfahrung des Lesers nach, sondern evoziert seine authentische Selbst-Erfahrung. Sie eröffnet somit, so ließe sich schließlich das zukünftige Anwendungskalkül eines transzendenten Literaturmodells formulieren, einen Ausweg aus der selbstverschuldeten mimetischen Unmündigkeit der Literatur in der Postmoderne, indem sie die epistemologische Wiederverzauberung der Welt inszeniert und damit paradoxerweise der fiktionalen Form den wesentlichen Zugang zur Erfahrung der Welt zugesteht. Nicht wahr?
Weiterführende Literatur Assmann, Aleida. „Fiktion als Differenz“. Poetica 21 (1989): 239–260. Marquard, Odo. „Kunst als Antifiktion. Versuch über den Weg der Wirklichkeit ins Fiktive“. Funktionen des Fiktiven. Hrsg. von Dieter Henrich und Wolfgang Iser. München 1983: 35–54. Ryan, Marie-Laure. Narrative as Virtual Reality. Immersion and Interactivity in Literature and Electronic Media. Baltimore 2001. Selbmann, Rolf. Die Wirklichkeit der Literatur. Literarische Texte und ihre Realität. Würzburg 2016. Walton, Kendall L. Mimesis as Make-Believe. On the Foundations of the Representational Arts. Cambridge, MA und London 1990. Zipfel, Frank. Fiktion, Fiktivität, Fiktionalität. Analysen zur Fiktion in der Literatur und zum Fiktionsbegriff in der Literaturwissenschaft. Berlin 2001.
III.4 Kulturen der Form
Wolfgang Braungart
III.4.1 Form und Subjektivität: Ritual und Liturgie als Praktiken literarischer Kommunikation 1 Ein Beispiel vorab „Komm in den totgesagten park und schau: / Der schimmer ferner lächelnder gestade“: Diese Verse gehören zu den berühmtesten Gedichtanfängen der deutschen Literatur. Sofort nimmt man den Ton der Unterscheidung von der Alltagssprache wahr. Man wird auf eine besondere Sphäre eingestellt und eingestimmt, auf die Sphäre der Kunst: „schau“, nicht ‚sieh‘; „schimmer“, nicht ‚Schein‘; „lächelnde gestade“, nicht bloß banale ‚Ufer‘. Und das ist nur die Ebene der Lexik. Es ist offensichtlich: Wir betreten hier die Kunstwelt der poetischen Sprache. Der Doppelpunkt nach dem ersten Vers markiert das. Hier setzt sich eine Poetik der Unterscheidung in Szene. – Daraus lässt sich zwar kein strenges Gesetz der Kunst im Allgemeinen machen; aber man kommt mit diesem Prinzip von ‚Norm und Abweichung‘ sogar in der modernen Welt der nicht mehr schönen Künste noch ziemlich weit (vgl. Fricke 1981). Poetik der Unterscheidung bedeutet Arbeit an der Form. Komm in den totgesagten Park ist wohl das berühmteste Gedicht Stefan Georges (1897) und sicher eines der schönsten Herbstgedichte deutscher Sprache. Bis heute findet es sich in vielen Lyrik-Sammlungen und sogar noch in Schulbüchern. Georges bekanntester Gedichtband, schon zu seinen Lebzeiten und noch immer, Das Jahr der Seele von 1897, wird durch dieses Gedicht eröffnet; und eröffnet wird damit auch der erste Binnenzyklus Nach der Lese. Man darf an Weinlese und Ährenlese denken: George kommt aus der mittelrheinischen Landschaft; sein Vater war Weinhändler und Gastwirt. Der ‚Meister‘ (so wurde George, wie Mallarmé, von seinen ‚Jüngern‘ angeredet) hat das ländliche Leben genau gekannt, er bezieht sich in seiner Lyrik oft darauf. Denken sollte man aber auch an ‚Auswahl‘ und ‚Ertrag‘: also an eben das, was der ganze, mit diesem Gedicht eröffAnmerkung: Diesem Aufsatz liegt ein Artikel des Autors zum Ritual zugrunde, der 2016 im Metzler-Handbuch Literatur und Religion veröffentlicht wurde. Der Artikel wurde allerdings erheblich erweitert und umgearbeitet. – Ich danke Robert Matthias Erdbeer für hilfreiche kritische Lektüre, ebenso Patricia Bollschweiler, Anna Lenz und Nils Rottschäfer. Zum weiteren Zusammenhang dieses Artikels vgl. auch Braungart 1996. – Die einführende Passage zu Georges Gedicht wurde in veränderter und erweiterter Form auch in anderen Publikationen des Autors verwendet. https://doi.org/10.1515/9783110364385-015
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nete Gedichtband selbst sein will. Er will das versammeln, was bleiben soll; was zur Kunst wird und dann nicht mehr „leben“ ist: „Und auch was übrig blieb von grünem leben / Verwinde leicht im herbstlichen gesicht.“ Also in der Vision, in der Schau – im herbstlichen Gesicht-Gedicht. Park und Garten sind nämlich große Symbole der Kunst, nicht erst in der Zeit um 1900. Sie brauchen besondere Sorgfalt und Aufmerksamkeit der Menschen, die sie gestalten. Wer die Schönheit von Park und Garten in der Herbstzeit wahrnehmen will, der muss sie gerade durch den sich ankündigenden Tod der Natur hindurch sehen wollen und können: eingedenk des Todes und gegen ihn. Du, Leser, musst zu dieser ‚Schau‘ bereit sein, nicht nur zu einem Sehen, das der bloßen Orientierung diente. Auf eine mögliche sakralisierende Konnotation der ‚Schau‘ hier schon hinzuweisen, mag vielleicht zuviel des Guten sein. Aber diese Nebenbedeutungen verstärken sich sogleich, wenn es weiter heißt: „Der reinen wolken unverhofftes blau / Erhellt die weiher und die bunten pfade.“ (Hervorhebung W.B.) Vom Himmel her bricht plötzlich eine andere ästhetische Erfahrungsdimension (‚rein‘, ‚unverhofft‘, ‚blau‘) in die Park-Welt ein und verbindet sich mit ihr zu einer ästhetisch-mystischen Hochzeit von Himmel und Erde. Das Prädikat ‚erhellt‘ lässt sich doppeldeutig lesen: Von diesem „unverhofften“, nicht planbaren, gar verdienten „blau“ der „reinen wolken“ her sind „weiher“ und „pfade“ auch besser zu verstehen. Das alte Motiv des hieros gamos – der heiligen Hochzeit –, in Eichendorffs ‚Mondnacht‘ so grandios aufgenommen, wird bei George zu einem rein ästhetischen, aber feierlich, sakral aufgeladenen Ereignis. Bei Eichendorff wird die heilige Hochzeit allerdings nur im Modus des ‚als ob‘ gedacht. Nur noch einen letzten Hinweis auf diese Verse der zweiten Strophe: „Die späten rosen welkten noch nicht ganz · / Erlese küsse sie und flicht den kranz · “. Das Verb ‚erlesen‘ nimmt den Titel des Binnenzyklus Nach der Lese direkt auf. Aus der Schönheit der absterbenden Rosen, die wahrzunehmen ist, sollst ‚du‘ nun aber etwas machen, das etwas Neues ergibt. Einen „kranz“ nämlich, ein neues ‚Gebilde‘, in dem sich die einzelnen ästhetischen Erfahrungen der Dekadenz (im wörtlichen Sinne: des zu Ende Gehenden) zu einem neuen Ganzen verbinden: zu einem neuen Gedicht, einem Kranz, einem Zyklus von Gedichten. Gefordert ist dafür, die Schönheit der reinen Farben zu ‚erlesen‘. Das meint mehr als nur auswählen und neu arrangieren: „Erlese küsse sie“. Wiederum geht es um einen besonderen, kostbaren Vorgang, durch den die ästhetischen Werte ausgezeichnet werden. Man pflegt die zu küssen, die einem besonders viel bedeuten. Küssen ist auch ein Akt der religiösen Verehrung. Der Ton wird hier, im letzten Vers der zweiten Strophe, nun deutlich rituell und sakralisierend. Das Gedicht hat etwas Feierliches. Die Interpretationsskizze sei damit abgebrochen: Das Gedicht lässt sich als Schwellen- und Übergangsritual in die ‚ganz andere‘ Sphäre der Kunst verstehen.
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Im Nachvollzug seines Prozesses geht der Leser dieses Ritual mit. Er vollzieht jetzt, wenn man es in Anlehnung an Arnold van Genneps bis heute wichtiges Buch zum soziokulturell grundlegenden Ritualtypus des Übergangsrituals (Les rites de passage, 1909) formulieren will, einen Wechsel von der profanen Welt in die Welt der Kunst, der besonders herausgehoben und gestaltet wird. Will man diesen Übergang bestehen, muss man sich auf die Leistung der Form einlassen und sie mitvollziehen. Der Ritual-Begriff leistet bei diesem Introduktions- und Initiationsgedicht in die Kunstwelt des Gedicht-Zyklus also offensichtlich mehr, als nur eine Metapher abzugeben. Er beschreibt ein Formprinzip; bei George und seinem Kreis gewinnt der Ritual-Begriff eine besondere Beschreibungskraft.
2 Einführung und erste Bestimmungen zum Begriff und Konzept des Rituals Ritual und Liturgie sind bedeutende sozio-kulturelle Handlungstypen und zugleich Formprinzipien. Mit den Künsten scheinen sie, jedenfalls in der ästhetischen Moderne, auf den ersten Blick eher wenig zu tun zu haben. Entwickelten die Künste bis in die frühe Neuzeit hinein ihre eigene Ritualität bei politischen (z. B. Huldigungsliteratur, Dichterkrönung), sozialen (Gelegenheitsliteratur im Zusammenhang mit Übergangsritualen bei Geburt, Taufe, Hochzeit oder Tod) und religiösen Anlässen (z. B. im geistlichen Spiel), so werden Ritual und Liturgie als künstlerische Formprinzipien in der Moderne zu einer Entscheidung des künstlerischen Subjekts in seiner ästhetischen Freiheit. Auch moderne Rezipienten können an ihnen in besonderer Weise die Macht der Form erfahren. Rituelle Anlässe und zeremonielle Einbindungen der Künste, die ein besonderes Formbewusstsein erfordern, wenn sich die Künste in solchen institutionellen Zusammenhängen äußern und zu ihnen beitragen, gibt es freilich auch heute noch – politisch, sozial und religiös. Das fordert die ästhetische Reflexion nicht ernsthaft heraus. Wenden sich Individuen, soziale Gruppierungen und auch die Künste solch strengen Formprinzipien mit einem besonderen Formbewusstsein wieder zu, wie sie sich in Ritual und Liturgie über die institutionellen Einbindungen hinaus zeigen, oder kehren sie zu ihnen zurück, so kann man darin auch einen Ausdruck von Formbedürftigkeit gerade unter den Bedingungen der Moderne sehen. Dafür ließen sich etwa politische, individual- und sozialpsychologische oder kognitivistische Erklärungen anführen. In Ritual und Liturgie scheint nämlich, ästhetisch gesehen, das Moment subjektiver Artikulation, also die subjektive Ausdrucksdimension des Zeichens, weitgehend zurückgenommen. Der ästhetische Gestus des Rituals ist nicht der der Individuation, Subversion
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und Kritik. Genau das aber muss interpretiert werden. Die ästhetische Bedeutung scheint sich jenseits des Subjekts konstituieren zu sollen. Das kennzeichnet, mit Blick auf die Künste, die Herausforderung, die Ritual und Liturgie als Formkategorien darstellen, und zugleich ihre Attraktivität. Man muss als Ritualteilnehmer diese Bedeutung aber nicht unbedingt durchschauen, um Rituale erfolgreich zu vollziehen. Man muss sie nur im Vertrauen auf ihre ästhetisch erfahrbare Bedeutsamkeit richtig, d. h. auch situativ angemessen vollziehen, damit sie ihre affirmative Kraft entfalten können. Ja, gerade wenn man sie nicht durchschaut, entfalten sie womöglich ihre Kraft, die es ermöglicht, in ihnen soziale und ideologische Zugehörigkeit zu erfahren. Der strukturelle Konservatismus des Rituals hat diesen kulturellen Handlungstyp deshalb auch verdächtig gemacht, politisch und sozial sowieso, aber auch ästhetisch. Doch daraus, dass das Ritual ideologisch ausgebeutet und sozial bzw. politisch missbraucht werden kann, lässt sich kein grundsätzlicher Einwand gegen das Ritual selbst konstruieren, sondern allenfalls gegen die Subjekte, sozialen Gruppierungen und Institutionen, die diesen Handlungstyp in fragwürdiger Weise instrumentalisieren. Kurz gesagt: Ritual, Freiheit und moralische Selbstverantwortung schließen sich keineswegs aus. Das gilt auch für die künstlerische Entscheidung zu rituellen oder ritualaffinen Ausdrucksformen (vgl. Fischer 2019). Wissenschaftlich gesehen fordern Ritual und Liturgie, verstanden als künstlerische Formkategorien, dazu auf, ästhetische Affirmation als ein grundlegendes Potenzial der Künste ernster zu nehmen, ohne es gleich dem bloß Ideologischen zuzuschlagen. Die Wissenschaften, die sich mit den Künsten befassen, haben aber einen anderen Zugang zu ihnen weitgehend habitualisiert: den der Kritik, der Subversion, des Hinterfragens als Aufgaben und Funktionen der Kunst. Damit schreiben sie das etablierte Selbstverständnis der ästhetischen Moderne freilich nur fort. Nicht zufällig erlebt das Ritual derzeit eine ungewöhnliche Konjunktur, die bis in die Ratgeberliteratur hineinreicht. Es waren vor allem und zunächst die angloamerikanischen Kulturwissenschaften, die seit einigen Jahrzehnten immer deutlicher machen konnten, dass auch die moderne Welt, ihre Politik, ihre Gesellschaften, ihr soziales Leben in seinen verschiedensten Ausdifferenzierungen, auf Rituale nicht verzichten kann. Mehr oder eher weniger durchschaut besteht dieser Handlungstyp auch in der modernen Welt fort; er wird ihren Bedürfnissen und Erfordernissen angepasst; und er initiiert und entfaltet womöglich eine eigene Dynamik, die etwa der einflussreiche Heidelberger Sonderforschungsbereich zur Ritualdynamik erschlossen hat. Seit etwa zwanzig Jahren entwickelt sich die Ritualforschung nun in allen geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen wieder neu und lebhaft: in der Ethnographie, den Geschichts-, Sozial- und Kommunikationswissenschaften einerseits, in der Theologie und den Religionswis-
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senschaften andererseits (einen ausgezeichneten Überblick hat Benedikt Kranemann elektronisch zugänglich gemacht, vgl. Kranemann 2017). Nimmt man Ritual und Liturgie als ästhetische Form-Kategorien in den Blick, gerät man unvermeidlich in einen grundlegenden Zusammenhang von Kunst/ Literatur und Religion hinein. Kunst/Literatur einerseits und Religion andererseits sind immer kulturelle und subjektive Artikulationen und Erfahrungsräume zugleich. Sie haben beide eine vergemeinschaftende, kollektive Seite – damit sind die Kategorien Ritual, Liturgie und mit ihnen bestimmte Formen und Formgemeinschaften angesprochen – und eine ganz das Subjekt betreffende Seite. Sie arbeiten mit kollektiven Semantiken (Sprache), Imaginationen (Mythen) und Praktiken (Formprinzipien), die sich das Subjekt aneignen und dabei auf seine je individuelle Weise konkretisieren kann. In der individuellen Marien-Verehrung – um nur ein Beispiel aus der christlichen Religionspraxis zu nennen – kann die religionswissenschaftliche Unterscheidung zwischen Immanenz und Transzendenz, zwischen Realität und mythischer Imagination völlig verschwinden, obwohl sie in institutioneller Religion und theologischer Reflexion geregelt und begründet ist. Religion wie Kunst/Literatur sind immer individuell und allgemein zugleich (vgl. Frank 1977). „Der Mensch ist sich selbst ein Abgrund“, sagt schon Augustinus (Augustinus 2014 [um 400], 181). Dieses Subjekt, das sich selbst problematisch wird und zu sich selbst in ein reflektierendes Verhältnis tritt, ist kein Privileg der westlichen Tradition, auch nicht auf dem Gebiet der Religion. Buddhismus und Hinduismus setzen sich auf ihre Weise mit dem Subjekt in seiner Subjektivität auseinander. Die vergemeinschaftende, kollektive Funktion von Literatur (Kunst) und Religion einerseits und Ritual und Liturgie als grundlegende kulturelle Artikulationsformen andererseits dürfte vor dem Beginn von Schrift und Textkultur zentral gewesen sein (man kann das mit guten Gründen vermuten). Seit dem Rationalisierungsschub der ersten Achsenzeit aber muss man das Subjekt, das sich auf sich selbst bezieht, auch da bedenken, wo es um vergemeinschaftende und kollektive, formgemeinschaftliche Praktiken von Literatur/Kunst und Religion geht. Will Antigone in Sophokles’ Tragödie nicht sowohl den Göttern und was ihnen gebührt entsprechen wie auch sich selbst und ihrer inneren Wahrhaftigkeit? Nur in Umrissen zeichnet sich das Forschungsgebiet einer Poetik und Ästhetik des Rituals ab (vgl. hierzu Braungart 1996). Das gilt erst recht für die Liturgie. Doch dieser Begriff reicht literarisch-ästhetisch und auch allgemein kulturell nicht so weit wie der des Rituals und ist deshalb auch für eine ästhetisch-poetische Verwendung nicht in derselben Weise interessant. Wie mein Eingangsbeispiel zeigen sollte, muss der Ritual-Begriff für die Künste keineswegs bloß eine mehr oder weniger präzise Metapher für eine besonders intensive Formarbeit bleiben. Beim Liturgiebegriff ist das schwieriger.
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Ritual und Liturgie sind zunächst einmal soziale Prozess- und Verlaufs kategorien; sie scheinen deshalb am ehesten geeignet, um für die performativen Künste in Anspruch genommen zu werden, und zwar in produktions- wie rezeptionsästhetischer Hinsicht. Sie vollziehen eine Struktur, verwirklichen eine ‚Gestalt‘, realisieren ein kulturelles ‚Skript‘. Im Kult- und Ritualspiel hat die performative Kunstform des Theaters eine ihrer wichtigsten Wurzeln, auf die sie bis heute immer wieder neu zurückkommt. Die theaterwissenschaftliche Diskussion kann darum auf die Kategorien Kult und Ritual nicht verzichten. Gerade die ästhetische Moderne besinnt sich oft auf das Form- und Gestaltungspotenzial, das in Kult, Liturgie und Ritual liegt. Das Gesamtkunstwerk Richard Wagners, die Bühnenweihespiele der Zeit um 1900, die hochritualisierten Thing-Spiele der Nationalsozialisten: hier sind die Bezüge offensichtlich. Aber auch das Theater nach 1945, bis hin zu Peter Handke und Christoph Schlingensief, bis hinein also in die jüngste Gegenwart, lässt es sich nicht nehmen, das Formpotenzial von Liturgie und Ritual zu nutzen (vgl. Fischer 2019; Knapp 2015). Die Bildenden Künste der Moderne und Postmoderne haben sich stark performativ entwickelt und dem Theater angenähert; künstlerische Gattungsgrenzen und tradierte Werkkategorien treten dann zurück. Die Performances einer Marina Abramović, um nur eine besonders prominente, weltweit rezipierte Künstlerin zu nennen, haben hochrituelle Züge. Vollzugshaftigkeit, in der sich aber eine auch erfahrbare Gestalt-Idee artikulieren muss, ist entscheidend für die künstlerische Performance, nicht ein in sich geschlossener Werkcharakter. Mit der aristotelischen Unterscheidung: Um praxis geht es, nicht um poiesis (vgl. Braungart 1991). Wenn die Performance zu Ende ist, bleibt beim Betrachter nichts – außer mehr oder weniger eindringlichen Erinnerungen an eine ästhetische Erfahrung und – vielleicht – Bewusstseinsänderungen, für die freilich auch gilt: Sie dürfen nicht von vornherein auf soziale oder politische Aktivierung eingeengt werden. Kunst kann grundsätzlich ihren Sinn nicht primär darin haben, sozial oder politisch zu aktivieren, weil sie sonst im politischen Diskurs aufzugehen droht. Ihr tiefster Sinn und ihre eigentliche Legitimation liegen gerade in der Moderne darin, auf der Freiheit und Selbstbestimmung des Subjekts zu bestehen (vgl. hierzu Braungart 2015b; Braungart 2017).
3 Formarbeit Die für das Folgende grundlegende, aber gewiss nicht sehr überraschende Überlegung lautet also: Kunst ist wesentlich Arbeit an der Form. Sie kann zwar in alle möglichen Diskurse eingreifen und sich auf vieles beziehen und muss es auch, weil ihr ‚Material‘ aus der Kultur und aus dem Subjekt kommt; sie kann dabei
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die empirische Welt dennoch marginalisieren, sogar verachten oder sich radikal autonom verstehen. Ganz gleich: Immer muss sie Arbeit an der Form sein, wobei diese Formarbeit als solche wahrgenommen werden soll. Das gilt für alle Künste. Selbst die Verweigerung expliziter Formarbeit muss als negative Formarbeit wahrgenommen werden; sonst drohen ästhetische Willkür und damit Irrelevanz. Ein Lyriker oder Romancier ist in politischer oder gesellschafts- und sozialkritischer Hinsicht ja nicht notwendig kompetenter oder klüger als Andere. Warum sollte er es auch sein? Warum sollte man ausgerechnet vom Künstler bzw. Dichter besonders wichtige politische oder soziale Stellungnahmen erwarten? Tut man das dennoch, so reflektiert sich darin womöglich noch immer die Sehnsucht nach dem formschaffenden und -beherrschenden Charisma des Priesters, Künders, Propheten, nach dem Dichter als großem Durchschauer und Kritiker; in der Moderne sogar: als neuem Messias. Als Form-Arbeiter an der Sprache wird dann dem Künstler auch soziale Kompetenz zugeschrieben, und es wird erwartet, dass er seine Form-Kompetenz auch hierfür beansprucht und realisiert. Argumentiert man so wie ich hier, dann war und ist der Vorwurf bloß ästhetizistischer Dekadenz bei den Künstlern und Autoren, die sich den sozialen und gesellschaftlichen Erwartungen verweigern, natürlich schnell zur Hand. Versteht, sieht (spürt, ahnt) man den sozialen ‚Sinn‘ der Form nicht mehr, nämlich dass es um ‚Bedeutsames‘ geht, so spricht man schnell von bloß formaler Artistik (im Sozialen analog: vom bloßen oder gar leeren Ritual). Die Wissenschaftsgeschichte der Manierismus-Forschung ist dafür ein gutes Beispiel. Manieristische Kunst ist oft mit dem Vorwurf leerer, bloß formaler Artistik überzogen worden (vgl. dazu kritisch Bredekamp 2000). Unter bestimmten politischen Bedingungen macht sich der verdächtig, der sich zu viele ‚formale Freiheiten‘ erlaubt (wie Brecht in der DDR). Aber was ist der ‚Sinn‘ von Literatur? Offensichtlich nicht nur das, was sie ‚bedeutet‘ (vgl. Braungart 22001). Vor einer gerne praktizierten hermeneutischen Trivialisierung der Form als Ausdruck eines ‚Inhalts‘ kann nicht deutlich genug gewarnt werden. Darauf wird später noch zurückzukommen sein. In seiner Rede auf Stefan George, die für die Trauerfeier der Deutschen Akademie der Dichtung vorgesehen war, aber nicht gehalten wurde, schreibt Gottfried Benn 1933: Immerhin: Form! Wir betreten vulkanisches Gebiet, die deutsche Gefahrenzone! Form, das ist für weite Kreise Dekadenz, Ermüdung, substantielles Nachlassen, Leerlauf, für George ist es Sieg, Herrschaft, Idealismus, Glaube. Für weite Kreise tritt die Form ‚hinzu‘, ein gehaltvolles Kunstwerk und nun ‚auch noch eine schöne Form‘ –; für George gilt: die Form ist Schöpfung; Form schafft Schöpfung. Sagen Sie für Form immer Zucht oder Ordnung oder Disziplin oder Norm oder Anordnungsnotwendigkeit, alle diese Worte, die uns geläufig wurden, weil in ihrem Namen auch die geschichtliche Bewegung sich zu prägen versucht, das ist Georgesches Gebiet. (Benn 1968 [1933/34], 1037)
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Sätze, die berühmt geworden sind; Sätze auch, aus denen die ganze Ambivalenz des Konzeptes ‚Form‘ spricht (vgl. grundlegend Burdorf 2001). ‚Form‘ ist für Benn essentielles Kriterium der Kunst. Ritual und Liturgie sind besonders starke ästhetische Formkategorien. Sie lassen sich als solche freilich nicht diskutieren, ohne sich dieser grundsätzlichen Ambivalenz zu erinnern. Benn ergänzt in der 1934 in Kunst und Macht publizierten Fassung noch, „daß ein Axiom in der Kunst Georges wie im Kolonnenschritt der braunen Bataillone als ein Kommando lebt“ (Benn 1968 [1933/34], 1037). Verschiedentlich hat man die Reichsparteitage und Überwältigungsfeste der Nationalsozialisten als ‚Liturgien‘ interpretiert, auf denen wirklich und für jeden offensichtlich ‚ein Kommando‘ herrschte. Sie waren durchchoreographierte, kollektive Körper-Performances, Verleibungen ‚eines Kommandos‘. Hitler verstand sich wirklich als Künstler, gerade auf dem Feld der Politik; der Nationalsozialismus war auch ein ästhetisches Überwältigungssystem (vgl. Reichel 2006; Pyta 2015). Aber wie könnten ‚Ritual‘ und ‚Liturgie‘ nun als Form-Kategorien für Literatur in Anspruch genommen werden? Man versteht natürlich leicht, auch vom Eingangsbeispiel her, dass Benn den Form-Begriff gerade bei Stefan George so emphatisch fasst. „Vulkanisches Gebiet“ sagt Benn, weil er mit den Vorbehalten, womöglich Aggressionen gegenüber dem Form-Begriff in der Ausprägung, die sich bei George findet, sofort rechnet. „Vulkanisches Gebiet“ heißt es aber doch auch deshalb, weil Form etwas bändigt, was zu explosionsartigen Ausbrüchen neigt: zu ungebührlichen Freiheitsbeanspruchungen vielleicht, zu ungehemmten Artikulationen poetischer Subjektivität und Expressivität, die George selbst ein Gräuel waren; zu ästhetischer Maßlosigkeit des „Individuumchens“, wie George in höhnisch-kulturkritischem Ton sagt (zit. nach Helbig 21963, 64). Die Kehrseite der angedeuteten Formdynamik ist also die effiziente Formkontrolle, das Formregime. Damit befindet man sich nun aber mitten in einem Grundproblem moderner Ästhetik und Poetik. Subjektivität möchte ich hier verstehen als die ästhetische Individualität eines Subjekts, die sich erkennbar ausdrücken und zeigen will. Sie ist zwar seit jeher ein Moment aller Kunst und kein Privileg der ästhetischen Moderne. Wer hinzuschauen gelernt hat, der kann auch in der hochritualisierten Ikone die individuelle Handschrift des Künstlers wahrnehmen. Japanische und chinesische Malerei und Zeichenkunst unterscheidet man nach Schulen, die durch Meister begründet werden; sie soll der Betrachter in ihrer besonderen Art, wie sie ein überindividuelles ästhetisches Schema realisieren, würdigen. Das zu können, kennzeichnet den Kenner. Auf dem Gürtel der Christus-Figur des großartig monumentalen Imervard-Kreuzes (zwölftes Jahrhundert) im Braunschweiger Dom gibt sich der Künstler selbstbewusst zu erkennen: „Imervard me fecit“, heißt es dort. Auch Kunst, die ganz und gar in den religiösen Kult eingebunden
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ist, schließt individuelles künstlerisches Selbstbewusstsein und subjektive Artikulation nicht aus. Großartiges Beispiel dafür aus der deutschen Spätgotik: die Skulpturen und Altäre Tilman Riemenschneiders. In der westlichen Kultursphäre aber wird Subjektivität im Verlauf der frühen Neuzeit (religionsgeschichtlich und für die Literatur von größter Bedeutung: mit der Reformation) und dann besonders mit dem achtzehnten Jahrhundert mehr und mehr als Grundlage der Künste nicht nur anerkannt, sondern sogar dezidiert erwartet (vgl. Gnüg 1983; Pothast 1971; Cramer 1990). Das ist ein neuer Schritt: Schiller war es, der künstlerischer Individualität zwar grundsätzlich zustimmte, dennoch aber in der Geschichte der deutschen Literatur damit als einer der ersten auch ein großes Problem heraufziehen sah: die Tendenz eines bloßen Subjektivismus, der an keiner menschheitlichen Allgemeinheit, an keiner Generalisierung mehr interessiert sein könnte; eben „vulkanisches Gebiet“. Einerseits fasst Benn Georges Werk als große symbolische Form auf. Er charakterisiert den Autor der deutschen Moderne, der Kult und Ritual wohl am nächsten steht (vgl. Linke 1960; Braungart 1997) als Meister der Form, die das Subjekt in Reih und Glied zwingen und in eine Praxis ästhetischer Herrschaft umschlagen kann. Werk und Leben gehen bei George, wie in den europäischen Avantgarden überhaupt, ineinander über. Die Jünger und der Kreis mit seinen Ritualen sind Verleibungen einer großen Werkidee (vgl. Braungart 2012). Andererseits kennt Benn auch den kulturkritischen Vorbehalt gegenüber der leeren, ‚bloßen‘, selbstzweckhaften Form, in der sich ein moderner Autonomieanspruch der Kunst artikulieren konnte. Die zeitgenössische ästhetische Debatte in der Sowjetunion hatte dafür den Formalismus-Vorwurf zur Hand, der in der sich formierenden DDR der frühen 50er-Jahre wiederauflebte und auch Brechts neues Theater traf (vgl. Hecht 2013). Sein ‚Formalismus‘, der ästhetische Eigenständigkeit, Freiheit und Selbstbehauptung der Kunst und des künstlerischen Subjekts meinte, war unter den gegebenen politischen Umständen eine Provokation. Mit dieser Spannung zweier grundlegender künstlerischer Prinzipien kann man sich in der Geschichte der Künste recht gut ästhetisch orientieren: der Spannung zwischen besonders subjektiver, in unserem Zusammenhang: ritualfeindlicher Expression einerseits und ritualaffiner Konstruktion andererseits, zwischen der ästhetischen Geste vorrangig subjektiver Artikulation und rigider formaler Kontrolle. Es geht also um das ästhetisch zur Erscheinung Kommende, nicht um das biographisch fassbare künstlerische Subjekt, das sich natürlich auf seine eigene Weise in seiner sozialen Praxis als eher ritualnah oder ritualskeptisch verstehen kann.
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4 Ritual und Liturgie: Definition und Typologie Wortgeschichtlich kommt ‚Ritual‘ von lat. ritus, das meint: religiöser Brauch, religiöse Satzung. Aber schon im Lateinischen erweitert sich die Bedeutung über den religiösen Bereich hinaus auf ‚Sitte‘, ‚Gewohnheit‘, ‚Gebrauch‘. Die ethnologische und religionswissenschaftliche Verwendung der Kategorie hat die Forschungsgeschichte bis heute geprägt. Von ihr her versteht man, dass religiöse und profane Bedeutungen sich stark überlagern können, weil es viele Kulturen gab und gibt, für die sich die Unterscheidung zwischen religiös und profan nicht einfach durchhalten lässt. Aber auch im säkularen Ritual des politischen Zeremoniells werden heute noch besondere Werte demonstrativ gezeigt und gefeiert; das kann bis hin zu zivilreligiösen Aufladungen und Sakralisierungen gehen. Zum Beispiel war der Kölner Dom im neunzehnten Jahrhundert ein solches sakral-profanes Symbol von besonderem nationalen Wert, auf das sich – wie bei anderen Nationaldenkmälern auch – die soziale Energie in einem besonderen Maße konzentrierte und um das sich viele entsprechende rituelle Praktiken der Verehrung entwickelten (vgl. Brandt 2010). Das Ritual ist eine regulierte, sequentialisierte, also in sich strukturierte, in einer festgelegten Ordnung verlaufende, von einer Gemeinschaft bzw. für eine Gemeinschaft vollzogene Handlung. Als konstitutiv können folgende Elemente angesehen werden, die für das religiöse wie für das säkulare Ritual gelten: a) das Ritual wiederholt eine geregelte Handlung; b) es ist ausdrücklich und deutlich, inszeniert und theatral, möglicherweise bis hin zu einer besonderen Festlichkeit und Feierlichkeit; c) es ist ästhetisch ausgestaltet und selbstreferentiell; d) es ist symbolisch verstehbar; e) es braucht Akteure, die dafür besonders legitimiert sein müssen, und weitere Teilnehmer, die das Ritual anerkennen bzw. die im Ritual mitgedacht sind. In dieser integrativen Gesamtheit, die seine Gesamtgestalt bestimmt, übernimmt das Ritual spezifische soziale und kulturelle Funktionen und ist es kommunikativ. Inzwischen bezeichnet man freilich private Handlungen ebenfalls als Rituale, wenn sie besonders geregelt sind, zu einer besonderen Zeit stattfinden, sich wiederholen und eine besondere Bedeutsamkeit für das sie vollziehende Individuum artikulieren. Das Soziale ist insofern hier mitgesetzt, als die besondere, herausgehobene Handlung dem Nicht-Beteiligten sinnvoll und nachvollziehbar scheint. Auch das ‚private‘ Ritual ist keine bloße Marotte oder simple Gewohnheit; an der privaten Frömmigkeitspraxis, die hochritualisierte Züge annehmen kann, lässt sich das leicht nachvollziehen (vgl. Kranemann 2017). In der wissenschaftlichen Diskussion unterscheidet man heute zwischen ‚Ritual‘ als der umfassenderen Kategorie und ‚Ritus‘ als der religiösen Ausprägung des Rituals. Als ein grundlegender sozialer Handlungstyp schließt das Ritual, verstanden als Oberbegriff, also den religiösen Ritus (religiöser Kult, Liturgie), das
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profane Ritual (etwa Feste und Feiern, die den individuellen Lebensweg begleiten und besondere Stationen hervorheben oder dem kollektiven Leben Struktur geben), den traditionalen Brauch (etwa Rügebräuche, Vereinsrituale) und das besonders geregelte, institutionalisierte, häufig öffentlich-staatszentrierte Zeremoniell ein (Parlamentseröffnung, Amtsantritt, Krönungen, Staatsbesuche). Das Ritual muss aber keineswegs nur eine förmliche, strenge, unheitere Praxis sein, wie jeder Kindergeburtstag oder jede Hochzeit lehren können. Auch das Gelächter kann einen rituellen Ort haben (Fastnachtsbräuche), sogar im religiösen Rahmen (risus paschalis). In gewissen Grenzen erlaubt auch das religiöse Ritual individuelle Abweichungen; die Struktur muss aber deutlich erkennbar bleiben, sonst kommt es zu Missverständnissen. Dafür ein Beispiel aus dem katholischen Taufritus: Der Priester hätte zu fragen, welchen Namen die Eltern dem Kind geben wollen und was sie von der Kirche für ihr Kind erbitten. Die Eltern hätten dann zu antworten: „die Taufe“. Fragt er aber, um die Stimmung aufzulockern und Befangenheiten aufzulösen „Und Sie wollen also ihr Kind hier taufen lassen?“, dann kann er zur Antwort bekommen: „Aber selbstverständlich“. Bei der Salbung mit Chrisam-Öl fragt der Priester, ob es gut rieche. „Es stinkt“, sagt der Bruder des Täuflings (es muss leider betont werden: Das Beispiel ist nicht erfunden). Der Büchnerpreisträger Martin Mosebach hat die nachkonziliare ‚Wurstigkeit‘ und Lässigkeit im Umgang mit der Liturgie, die sich vielerorts durchgesetzt haben, denn auch als ‚Häresie der Formlosigkeit‘ kritisiert, freilich mit einem deutlich kulturkonservativen Einschlag (vgl. Mosebach 2012). Dass mit der nachkonziliaren Deritualisierung der religiösen Praxis auch die psychisch heilsame Wirkung des Rituals verlorengehen kann, hat der Psychoanalytiker Alfred Lorenzer betont, der der Kritischen Theorie nahesteht (vgl. Lorenzer 2016). Ritualsensibilität ist also längst nicht mehr Sache konservativer Kulturnostalgiker. Liturgie kommt wortgeschichtlich von griech. leiturgía, lat. liturgia und meint „die Manifestation des Kultes unter den spezifischen Bedingungen des Christentums“ (Angenendt und Müller 2007). Im nicht-christlichen Rahmen spricht man eher allgemein von Kult(us). Der Begriff ‚Liturgie‘ ist also sehr spezifisch auf den christlichen Kult bezogen. Inwiefern er auf nicht-gottesdienstliche Phänomene übertragen werden könnte – wie etwa auf politisch-gesellschaftliche Großereignisse oder gar auf Literatur und Kunst, und dies nicht nur in metaphorischer Weise –, ist noch kaum systematisch diskutiert. Derzeit ist der Forschungsstand, dass die weitausgreifende Diskussion um den Handlungstyp des Rituals viele Aspekte abdeckt, die auch mit dem Begriff der Liturgie verbunden werden. Der Gewinn einer Ausweitung des Liturgie-Begriffs, auch auf Literatur und Kunst, könnte sein, dass dadurch Großformen und Sequenzen von Riten/Ritualen unter einem gemeinsamen Gesichtspunkt und in ihrer strukturellen Affinität zur Religion deutlicher wahrnehmbar und beschreibbar werden. Das Beispiel der NS-
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Parteitage und der nationalsozialistischen Fest-Praxis könnte in diese Richtung weisen (vgl. Reichel 2006, bes. Kap. 4, 6). Im Folgenden konzentriere ich mich einstweilen auf das Ritual, weil sich (noch) nicht absehen lässt, wie der LiturgieBegriff für Literatur und Kunst über eine sicher durchaus sinnvolle metaphorische Verwendung hinaus systematische Qualität gewinnen könnte. Beim Ritual-Begriff zeichnet sich das eher ab. Obwohl Ritualen biologisch-anthropologische Dispositionen zugrunde liegen (können) – offensichtlich ist das bei menschlichen ‚Balzritualen‘ –, muss man den kulturanthropologischen Begriff des Rituals als einer sinnhaften, symbolischen Wiederholungshandlung vom biologischen Begriff des Rituals bzw. der Ritualisierung als einem mit Notwendigkeit und Konsequenz ablaufenden, aus einem anderen biologischen Funktionszusammenhang verbliebenen Verhaltensprogramm abgrenzen. Je nach Gestaltungs- und Deutungsleistung und je nach sozialer Funktion kann man verschiedene Ritualtypen unterscheiden: z. B. die schon erwähnten Übergangsrituale / rites de passage (Arnold van Gennep, 1986 [1909]); Jagd- Opfer-Rituale (Walter Burkert; vgl. Bierl und Braungart 2010; Burkert 1972); Sündenbock-Rituale (René Girard 1998); Liminalitätsrituale, also besondere Rituale zur Erfahrung und Bekräftigung der communitas über die sozialen Grenzen hinweg (Victor Turner, 1989a, 1989b); Reinigungs- und Reinheitsrituale (Mary Douglas 1985). An all diesen Ritualtypen können Literatur und Kunst partizipieren: semantisch-thematisch, sozial-funktional, formal-strukturell. Besonders gut lässt sich dies für die Gattung der Tragödie zeigen; man kann sie vom Typus des Opferrituals her diskutieren (vgl. Bierl und Braungart 2010).
5 Formgemeinschaften: Religion, Zivilreligion und Ritual Das Ritual als sozio-kultureller Handlungstyp dürfte eine kulturelle Universalie aller Religionen und aller Gesellschaften sein. ‚Religion‘ und ‚Gesellschaft‘ verlangen nämlich nach formal festen, sich wiederholenden sozialen Praktiken zur sozial wichtigen Einübung des rechten Tuns und des rechten Lebens, zur Darstellung und Verehrung des Heiligen; säkular gesprochen: der besonderen, die Gemeinschaft begründenden Werte. Sie brauchen den strukturierten, gesicherten, besonderen Vollzug religiöser und weltlicher Vergemeinschaftung (zur schwierigen Frage der Universalien vgl. Antweiler 2007). Schon vorgeschichtliche Spuren der Menschen, insofern die eine sinnbedürftige und bedeutungsorientierte, sich also symbolisch artikulierende Spezies sind,
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weisen häufig auf rituelle Praktiken hin. In religiös fundierten Gesellschaften kann die rituelle Ordnung (etwa: rituelle Praktiken im Vegetationszyklus, die Ordnung des Kirchenjahres) dem gesamten kollektiven Lebensvollzug eine gemeinsame rituelle Struktur geben. Die Religionssoziologie macht aber seit langem deutlich, wie stark die soziale und kulturelle Praxis selbst moderner Gesellschaften, die sich dezidiert als säkulare begreifen, von ‚religioiden‘ Elementen und Strukturen geprägt und durchzogen ist (die Wortbildung in Anlehnung an Georg Simmel [1995b [1906/12], 12] und an Robert Musils Begriff des ‚Ratioiden‘; Simmel bezeichnet mit dem Begriff des Religioiden „religiöse Halbprodukte“, das „Moment, das für ein tieferes Empfinden vielleicht in allem Hingeben und Annehmen liegt“, Simmel 1995b [1906/12], 61). Mit dieser Aufmerksamkeit ebenfalls auf die ‚religioide‘ Dimension vermeintlich säkularer Rituale, etwa in der Politik, zu achten, ist sehr sinnvoll. Totalitäre Regime (NS, Stalinismus) bedienen sich bevorzugt ‚religioider‘ Rituale, um ihre Politik ästhetisch-performativ, theatral und inszenatorisch zu autorisieren. Auch in der säkularen Bürger-Gesellschaft gibt es höchste, als unhintergehbar geltende, gemeinschaftsstiftende, verbindende Werte, deren ritualisierte Pflege als ‚Zivilreligion‘ beschrieben wird. Sie fordern ebenfalls performative Darstellung und ästhetische Erfahrbarkeit, wie sie das Ritual ermöglicht (Nationalfeiertage, Tag des Ehrenamtes, Tag der Arbeit, Tag des Buches etc.). Dennoch kann das Ritual nicht auf den Bereich der Religion in einem engeren, vielleicht sogar formal ritualistischen, oder in einem weiteren ‚religioiden‘, etwa zivilreligiösen Sinne eingeschränkt werden, selbst nicht in der ritualskeptischen, sich individualistisch verstehenden Moderne. Es scheint vielmehr so, als begünstige das ‚erschöpfte Selbst‘ (Alain Ehrenberg 22012), das in der Moderne immer droht, sogar die Sehnsucht nach – mit einem Begriff Susanne K. Langers – präsentativer, sich zeigender Sinnerfahrung im Vollzug ritueller Handlungssequenzen (vgl. Langer 1965 [1942]). Das Subjekt findet sie in der Kultur vor. Diesen Handlungssequenzen kann es sich, wenn es will, überlassen und anvertrauen; es muss sie nicht selbst erfinden und selbst mit Sinn ausstatten. Das Ritual ist demnach auch eine performative Problemlösungspraxis. So kann man die Zuwendung vieler Intellektueller in der Romantik zum stark rituellen Katholizismus (Novalis, Friedrich Schlegel, Brentano) als Versuch begreifen, aus der unendlichen, unabschließbaren ‚modernen‘, ironischen Reflexivität herauszufinden. Schon das Jahrhundert der Aufklärung mit seinem Vertrauen in die den Menschen gemeinsame kommunikative Vernunft, die es ihnen grundsätzlich ermöglicht, ihre Aufgaben und Konflikte selbst zu lösen, ist zugleich das Jahrhundert der Geheimbünde und Gesellschaften mit ihren eigenen rituellen Praktiken sozialer Integration (vgl. etwa die Rituale der Freimaurer, dazu u. a. Neugebauer-Wölk 1995; Agethen 1983; Voges 1987; van Dülmen 1986). Selbst der ritualskeptische Protestantismus entdeckt neuerdings die entlastende Funktion des Rituals wieder. Freiheit und
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Selbstbestimmung einerseits und Sehnsucht nach Zugehörigkeit andererseits: Das sind zwei Seiten derselben, modernen Medaille (vgl. Caduff und PfaffCzarnecka 1999; Pfaff-Czarnecka 2012). Rituale, durch Formgemeinschaften vollzogen, können sich zwar verändern und neuen geschichtlichen Funktionserwartungen anpassen. Sie sind aber dennoch konservativ beharrend; sie können sich nämlich nicht dem Überbietungs- und Steigerungsdruck der ‚Erlebnisgesellschaft‘ (Gerhard Schulze, vgl. Schulze 41993) unterwerfen, ohne sich selber abzuschaffen. Das ist auch für die Originalitäts- und Überbietungsästhetik der Moderne von großer Bedeutung. Der renouveau catholique kam mitten aus der modernen intellektuellen und ästhetischen Kultur Frankreichs. Gerade dieses Beispiel zeigt, dass der strukturelle Konservatismus des Rituals seinen Ort mitten in einer Gesellschaft in ihrer sozialen Dynamik haben bzw. sogar zur kulturellen Dynamisierung beitragen kann, zumal wenn er sich kulturkritisch positioniert (vgl. Dücker 2007, 182). In der Moderne beendet das Ritual keineswegs notwendig die Dynamik und ‚Dialektik der Kulturbewegung‘ (Gottfried Keller).
6 Ritual und Literatur: Formpoetische Parallelen Das Ritual ist performativ; es ist Erfahrung und Ereignis von Sinn und Bedeutung, vielleicht etwas vorsichtiger: von Evidenz und Bedeutsamkeit, im aktiven oder teilnehmend-beobachtenden, jedenfalls teilhabenden Vollzug. Rituale sind handelnd vollzogene Synthesen von ‚Temporalität und Form‘ (Lange et al. 2004). Sie erlauben die Erfahrung der Gegenwärtigkeit bedeutungsvoller Ordnung und Struktur im Vollzug. Sogar die Bedeutung dessen, was im religiösen Ritual geschieht, muss sich erfahren lassen und muss sich deshalb zeigen. Insofern ist das Ritual notwendig auf eine besondere Weise ästhetisch: Es zeigt sich in seiner ästhetisch erfahrbaren Struktur. Erfahrungen macht man immer nur an etwas. Selbst die Autosuggestionen pietistischer Innerlichkeit suchten den sozialen Raum der Gemeinschaft Gleichgesinnter, in dem sie sich artikulieren und so ‚realisieren‘ konnten. Darum waren sie auch literarisch so produktiv. Die pietistische Erfahrung wollte ausgedrückt werden. Religionen sind immer auch Diskurse ästhetischer Erfahrung. Deshalb haben sie seit jeher eine besondere Nähe zu den Künsten (vgl. Braungart 2016a). Das Ritual braucht und macht also immer, religiös wie säkular, ästhetischen Aufwand. Insofern spricht auch aus ritualtheoretischer Perspektive viel dafür, dass sich Religion und Kunst, Literatur, Musik, (heiliges) Theater und (sakrale) Architektur in der kulturellen Evolution parallel und mit ständigem Bezug auf-
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einander entwickelt und immer weiter differenziert haben. Sie können nicht einfach voneinander abgeleitet werden (so wie das Ritual nicht aus dem Mythos und der Mythos nicht aus dem Ritual hervorgeht oder von ihm abgeleitet werden kann: ein alter ritualwissenschaftlicher Streit). Man darf wohl sagen: Religion und Kunst sind gleichursprünglich. Literatur weist bis heute auf all ihren Ebenen, ihrer „Produktion und Rezeption, ihrer ästhetischen Form, ihrer Struktur, ihrem Inhalt und ihrer thematischen Bezugnahme, ihrer sozialen Einbindung, ihrer sozialen Inszenierung und ihrer sozialen Organisation vielfache Bezüge zum Ritual auf“ (Braungart 1996, 17). Darin artikuliert sich das Potenzial ästhetischer Affirmation, das Literatur immer (auch) hat. Das ist ganz offensichtlich bei der Literatur, die ‚angewandt‘ wird und als Gebrauchsliteratur direkt in Rituale eingebunden ist. Sie muss dann auch in diesem Kontext, der ihre Poetik und Ästhetik prägt, untersucht werden. Besonders bei rituellen Texten im religiösen Funktionszusammenhang ist das der Fall (liturgische Texte, Psalmen, Litaneien, Weihnachts- und Osterspiele, Wallfahrts- und Erbauungsliteratur). Aber auch in säkularen sozialen und geselligen Realisierungsformen der Literatur werden literarische Texte für rituelle Praktiken zugänglich und nutzbar (Dichterbünde, Dichterkult, Dichterverehrung, Lesungen, literarische Vereine und Gesellschaften, Buchmessen usw.). ‚Kultbücher‘ und ‚Kultautoren‘ spielen gerade in der literarischen Moderne eine wichtige Rolle (Salinger, Hesse, Kafka; vgl. Klein 2014). Sehr viel schwieriger scheint die Sache jedoch bei der individuellen Rezeption von Literatur. Doch selbst dann partizipiert der Leser an der formgemeinschaftlichen Ästhetik und Poetik des Rituals. Wer schreibt und wer liest, vergemeinschaftet sich symbolisch, obwohl er zugleich ganz für sich, ganz Individuum bleibt. Vergemeinschaftung in der Individuation: das ist das rituelle Geheimnis literaler Literatur, das sich der ordnenden und orientierenden Kraft von Form und Ausdruck verdankt. Spätestens dann wird es zu einer neuen großen Herausforderung, wenn sich das Literatur- und Kunstsystem ausdifferenziert und umstellt auf Subjektivität als seinem spezifischen Artikulationsmodus, also im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert. Noch Adorno statuiert, dass in der Einsamkeit der lyrischen Artikulation ‚der Menschheit Stimme zu vernehmen sei‘ (vgl. Adorno 1981 [1951]). Religiöse und literarisch-künstlerische Ritualverfahren und -praktiken haben im grundlegenden formpoetischen Prinzip ihr Tertium, das sowohl den Handlungs- als auch den Diskurstypen von Kunst und Religion zugrundeliegt.
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7 Literaturgeschichtliche Differenzierungen und Problematisierungen: Individualität und Vergemeinschaftung Schon in der Antike gibt es ein Literaturbewusstsein in dem Sinne, dass Literatur von anderen kulturellen Diskursen unterschieden wird. In seiner Poetik grenzt Aristoteles, äußerst wirkungsmächtig bis in die Neuzeit hinein, die Dichtkunst, die das Mögliche (das Fiktive) gestalte, von der Geschichtsschreibung ab, die sich an die Fakten zu halten habe. Was läge darum näher, als die Differenz zwischen der ‚angewandten‘ Sozial-Performanz des Rituals und der Literatur ganz grundsätzlich denken zu wollen? Zumal in der Moderne, also seit dem späten achtzehnten Jahrhundert, wollen die Künste doch eigentlich das genaue Gegenteil des Rituals sein: nämlich frei, selbstbestimmt, individuell. Aus diesem Anspruch können Spannungen zu anderen Diskursen und sozialen bzw. gesellschaftlichen Praktiken entstehen, die für das Literatursystem insgesamt aber produktiv sind. Doch dieses Modell, das Literatur und Kunst in einer grundsätzlichen Opposition zur empirisch-geschichtlichen Welt mit ihren sozialen Praktiken und Prozessen sieht, ist zu einfach. Literatur und Kunst sind ihrerseits auch nicht in einem einfachen Sinne autonom und selbstbestimmt, was aber den entschiedenen Anspruch darauf, der seit der Autonomieästhetik erhoben wird, keineswegs schmälert. Auf der anderen Seite ist auch das Ritual keine bloße soziale Zwangsveranstaltung oder „rein reaktive Nachahmung“ (Max Weber), womöglich bis hin zu einem vollkommen konventionalisierten und formalisierten Ritualismus. Die Studentenbewegung zum Beispiel, die die deutsche Nachkriegsgesellschaft, -politik und -kultur in kurzer Zeit stark dynamisiert und verändert hat, auch indem sie alte Konventionen und Rituale verabschiedete („der Muff von tausend Jahren…“), entwickelte ihrerseits rasch eigene Rituale und stabilisierte sich so. Es waren häufig die Schüler und Studenten selbst, die vor wenigen Jahren die Wiedereinführung von Absolventenfeiern forderten. Noch in der Moderne können Ritual und Literatur bzw. Kunst allgemein aufeinander bezogen werden, und zwar über die schon angedeuteten grundlegenden formpoetischen Gesichtspunkte hinaus. Die Künste können sich selbstverständlich auch noch in der Moderne für rituelle Zusammenhänge funktionalisieren lassen, was dann eine dafür geeignete ästhetische Form erfordert. Das gilt in der Literatur etwa für den gesamten Bereich der Gelegenheitsdichtung, die, wie die antike Rhetorik, noch in der Moderne fortlebt (vgl. Segebrecht 1977). Es sind nicht nur die ‚Fürstenknechte‘, die diese soziale Einbindung suchen: Schiller und Hölderlin schrieben Huldigungsgedichte (vgl. Andres 2005). Mörike, der im neun-
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zehnten Jahrhundert, nach der Goethezeit, neben Heine und Droste-Hülshoff, kunstbewussteste und sensibelste Lyriker, verfasste viele heiter-gesellige, ‚brauchbare‘ und genau so gemeinte Gelegenheitsgedichte für alle möglichen sozialen Anlässe (zu Geburt, Hochzeit, Geburtstag; als Dankeszeichen für Geschenke; als Versicherung menschlicher Nähe), die zum Teil ungemein poetisch sind, dabei alles Gravitätische vermeiden, sich aber dennoch rituell einbinden ließen. So bescheiden diese Gedichte daherkommen: Sie waren für Mörike hochsymbolische Handlungen im System seiner sozialen Rituale (vgl. etwa Braungart 2000b; Braungart 2015a). Friedrich Rückert vollzog mit seinem Groß-Zyklus der Kindertodtenlieder ein ergreifendes poetisches Trauer-Ritual, das auch heute noch berührt. Und noch einmal das Beispiel George: In seinem eigenen lyrischen Werk und in der Dichtung des Kreises lässt sich ein ganzer Komplex von poetischen Texten identifizieren, die dem Totengedächtnis von Freunden und Kreismitgliedern dienten und als ‚ästhetisches Ritual‘ verstanden werden können (vgl. Reiser 2015). – Die wenigen Beispiele zeigen: Es ist noch immer literatur- und ritualtheoretisch produktiv, Literatur als symbolische Handlung zu beschreiben (vgl. Burke 1966). Vom Kult zur Kunst: So einfach ist die Sache offensichtlich nicht (vgl. Quast 2005). Wichtige Gattungen der Lyrik wie Hymne, Ode und Psalm haben sich bis heute von ihrer rituell-religiösen Ausdrucksgebärde nicht völlig gelöst. Die Gattung des Lieds, so schwierig eine präzise Gattungsbestimmung ist (vgl. Seiler 2009; von Petersdorff 2017), wird geprägt von einer Poetik der Zugänglichkeit, die es für die gemeinschaftliche Realisierung im Chor prädestiniert. Der deutsche Männerchor ist eine sozio-rituelle Institution des neunzehnten Jahrhunderts und noch weit darüber hinaus. Das Drama, sogar noch in der Literatur nach 1945, adaptiert religiöse Gattungen (Kult- und Weihespiel, Requiem, Oratorium, Gesang, vgl. Fischer 2019). Wie das Verhältnis zwischen Religion und Literatur generell, so ist deshalb auch das zwischen Ritual und Literatur im Besonderen nicht nur als Konkurrenzverhältnis zu denken (was es natürlich dennoch im Einzelfall sein kann), das im geschichtlichen Prozess nur säkularisiert würde. Einfache, linear und stetig oder kompensatorisch konzipierte Säkularisierungsverläufe (etwa: ‚vom Mythos zum Logos‘) sind überhaupt fragwürdig. Die Kunstreligion um 1800 ‚ersetzt‘ oder ‚kompensiert‘ nicht bloß den angeblichen Religionsverfall. Viel eher erweitert sie den Spielraum ästhetico-religiöser Artikulation. Trotz dieser Relativierungen bleibt es eine besondere Herausforderung, Ritual und Literatur in der Moderne aufeinander zu beziehen, weil Schillers Diktum, ungeachtet aller Rede vom Tod des Autors und dem Verschwinden des Subjekts, noch immer gilt: „Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität.“ (Schiller 91993d [1791], 972). Diese Position scheint sich schwer mit dem Ritual zu vertragen, aber nur auf den ersten Blick. Denn das Ritual ist eben immer von
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der Formgemeinschaft her zu denken; es entsteht auf sie hin bzw. wird auf sie hin konzipiert. Freilich fügt Schiller sogleich hinzu, dass diese Individualität in ihrem ästhetischen Ausdruck ‚zur Menschheit hinauf geläutert‘ sein müsse. Er spricht damit das Vergemeinschaftende der Form an. Darin äußert sich nicht nur sein Klassizismus. Der epochengeschichtliche Hinweis allein würde noch nicht viel erklären. Die Subjektivität des Künstlers muss uns auch angehen, und unser ästhetisches Urteil muss – mit Kant – entsprechend so begründet sein, dass es dem andern auch ‚angesonnen‘ werden kann. In den Diskussionen über die Notwendigkeit einer Neuen Mythologie, die die Frühromantik führte und bei der sie die zentrale Rolle der Poesie reflektierte, kommt dieses Problem ebenfalls in den Blick. Die romantische Poesie will geradezu identisch werden mit der Neuen Mythologie. Sie ist als moderne, uns je individuell angehende, reflexive, ironischprozessuale Poesie zugleich Praxis und Medium der Vergemeinschaftung (vgl. das sog. Älteste Systemprogramm und Friedrich Schlegels Gespräch über die Poesie mit der in sie eingelagerten Rede über die Mythologie). Ob das gelingt, ist eine andere Frage. So ist jedenfalls der Anspruch, und damit ist auch ein Problem erkannt.
8 Formfindung und Formauflösung im ästhetischen Ritual Das Ritual ist also keine reine, bedeutungsfreie, nur selbstzweckhafte Performanz, wie man behauptet hat (vgl. Staal 1979; Michaels 1999), auch wenn die konkretere Sinnzuschreibung für den einzelnen Ritualteilnehmer womöglich sogar völlig zurücktritt. Ganz allgemein kann kulturelle Performanz seit der performativen Umorientierung der Kulturwissenschaften im letzten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts nicht mehr sinnvoll als bedeutungsfreie Performanz diskutiert werden. Verstünde man das Ritual freilich so, dann wäre die Brücke zu Literatur und Kunst scheinbar leichter zu schlagen. Selbstzweckhaftigkeit der Kunst ist zwar ein verständlicher Anspruch, den man von der autonomen Würde des Menschen her begründen kann. Daran ändert nichts, dass es sie de facto gar nicht geben kann, weil alles, was wir Menschen tun, in sozio-kulturellen Zusammenhängen geschieht und weil jede menschliche Äußerung bzw. Handlung von der Kultur her Sinn erhält, in der sie sich vollzieht. Wohl aber kann Selbstzweckhaftigkeit von den kulturellen Akteuren einer Handlung oder Formgebung in einem ethischästhetischen Sinne zugeschrieben bzw. dezidiert für sie beansprucht werden: So soll es sein; es soll einen Diskurs geben, der zu nichts gut ist und sich nicht von seiner praktischen Funktionalität her rechtfertigt. Genau dies wird im achtzehnten Jahrhundert postuliert, wenn sich die Idee einer autonomen Kunst etabliert
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und durchsetzt. Diese Etablierung der Autonomieästhetik muss jedoch selbst wiederum geschichtlich-kulturell gedeutet werden: Sie ist der symbolische Diskurs für die autonome Würde des Menschen selbst (Moritz, Kant, Schiller), der seinen Wert ganz in sich selbst hat, jenseits aller Nützlichkeiten und Funktionen (vgl. Braungart 2016a). Sogar in der christlichen Religion kann man, je nach theologischer Position, die man etwa in der Gnaden- und Rechtfertigungslehre einnimmt, Selbstzweckhaftigkeit für die religiöse Performanz reklamieren: Wie sollte auch der schwache Mensch durch sein religiöses Tun etwas vor dem allmächtigen Gott zweckhaft-strategisch vermögen? Seit Augustinus ist das Verhältnis von menschlicher Freiheit und Verantwortung und göttlicher Allmacht ein Großproblem der theologischen Diskussion. In dieser Perspektive des menschlichen Handelns vor Gott kann sogar die Liturgie für die Theologie des zwanzigsten Jahrhunderts zum großen heiligen ‚Spiel‘ werden, mit dem bedeutenden Theologen Romano Guardini: zum größten abendländischen Kunstwerk, das vor Gott nur selbstzweckhaft sein kann und nur so seiner würdig ist, gerade indem es nichts bewirken will und kann. Guardini hat, neben anderen Vertretern einer eher konservativen Ästhetik, die Kunst als autonomes festliches Spiel zu bestimmen versucht (vgl. auch Joseph Piper, Hans-Georg Gadamer). Im heiligen liturgischen Spiel ist der Mensch ein Rollenspieler vor Gott, so wie er überhaupt seine Rolle zu spielen hat im großen Weltspiel. Die Rolle richtig zu spielen, setzt Form- und Rollenbewusstsein voraus. Jakob Bidermann (1578–1639), der große jesuitische Dramatiker, hat das in Szene gesetzt, besonders eindrucksvoll in seiner Komödie Philemon Martyr (um 1610), wirkungsmächtig bis in die Moderne hinein noch einmal Calderon in seinem Großen Welttheater (1655); und mit ihnen viele andere. Diese hier nur angedeutete, gewissermaßen konservative Lösung des Problems reicht aber in keiner Hinsicht aus, um das Verhältnis von Form, Ritual und Literatur bzw. Kunst angemessen zu beschreiben. Selbst nicht für die Literatur, die engere soziale, strukturelle und semantische Beziehungen zum Ritual unterhält. Kunst ist nicht nur Fest und nicht nur Spiel. Man kann jedoch vom Konservatismus-Vorbehalt aus genauso wenig ein Argument gegen Beziehungen zwischen Ritual und Literatur bzw. Kunst entwickeln, weil diese Spannung zwischen ästhetischem Konservatismus einerseits und ästhetischer Innovation, ja womöglich ästhetischer Subversion andererseits für die literarische Formgeschichte, den kulturellen Prozess und die kulturelle Evolution überhaupt grundlegend ist: die Spannung zwischen Formbestätigung und Formauflösung, zwischen Festigung, Ordnungsstiftung und Dynamisierung, zwischen ästhetischer Affirmation und ästhetischer Transgression. Wenn man so will, mit alten, freilich problematischen Unterscheidungen: zwischen Klassizismus und Manierismus, zwischen Apollinischem und Dionysischem. Das gilt
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sowohl für Kunst wie auch für Religion (kontrollierter ritueller Vollzug – Ekstase; Regel – transgressive Begeisterung). Transgressivität bis hin zum Tabubruch ist ein grundlegendes, oft produktives sozio-kulturelles und ästhetisches Prinzip. Aber ohne Gegengewicht, ohne Praktiken fortwährender Ordnungsstiftungen und Stabilisierungen, zu denen auch das Ritual zählt, schlägt Transgressivität letztlich in Selbstauflösung, in kulturelle Form- und Selbstzerstörung um. Das ist in den Künsten nicht anders als im Sozialen und in der Kultur überhaupt. Insofern scheint es nicht unsinnig, den formgeschichtlichen Prozess des Kunst-Kultur-Verhältnisses als zyklische Bewegung aufzufassen.
9 Pathosforme(l)n: Die ästhetische Perspektive auf das Ritual Das Ritual braucht grundsätzlich, wie man am rituellen geistlichen Spiel oder am staatlichen Zeremoniell besonders gut sehen kann, ein mehr oder weniger starkes Rollenbewusstsein. Man könnte auch sagen: eine mehr oder weniger starke Selbst- und Formreflexivität. Akzeptiert man dies, dann lässt sich sogar die Brücke zur Frühromantik und zu Friedrich Schlegels Konzept der romantischen Ironie leichter schlagen und damit zu seinem poetologischen Grundprinzip der ‚permanenten Parekbase‘. Ein Verständnis von Kunst, das allein auf Authentizität und Spontaneität setzt, kann damit freilich nicht viel anfangen, genauso wenig ein Verständnis des Rituals als subjektferne, vormoderne Zwangsveranstaltung. Spätestens mit Friedrich Schlegel und der Frühromantik kann man (andere sehen das anders, vgl. Becker und Kiesel 2007) vom Beginn der literarischen Moderne sprechen. Wie das Ritual ständiges Ritualbewusstsein fordert, so fordert poetische Ritualität poetologische Formbewusstheit. Moderne Kunst und die Formpoetik des Rituals schließen sich also keineswegs aus. Stefan George, der schon ausführlicher erwähnte moderne Meister poetischer Ritualität, trägt es mit jedem Gedicht vor sich her: ‚Hier geht es um Kunst!‘ Also nicht um Leben, nicht um soziale Wirklichkeit, sondern um die radikale Unterscheidung von ihr. In der Kunst wird etwas gezeigt; und dieses Zeigen wird selbst noch einmal gezeigt. Sogar Brechts episches Theater und die geradezu exzessive Kunst des Faltenwurfs, der Haarpracht, der Spiele der Hände und Finger in den Skulpturen eines Tilman Riemenschneider haben hier eine tiefe Gemeinsamkeit. Rituale lassen sich als Formganzheiten, als ‚Gesamtkunstwerke‘ verstehen (Braungart 1996; Dücker 2007). Wie bei allen kulturellen Äußerungen und Handlungen hängen auch die Bedeutung und Wirksamkeit des Rituals mit dem Grad seiner ästhetischen, also zur Erscheinung kommenden, wahrnehmbaren Elabo-
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riertheit seiner Gesamtgestalt zusammen. Es ist dabei nicht sinnvoll, das Ritual zu strikt von der bloßen Konvention oder Routine abzugrenzen. Angemessener scheint es vielmehr, wie auch in den Künsten selbst, von einer mehr oder weniger starken ästhetischen Intensität des Rituals zu sprechen, also von einem Kontinuum mehr oder weniger großer ästhetischer Elaboriertheit, von unterschiedlichen Graden ästhetischer Ausformung. Eine ästhetische Perspektive auf das Ritual und eine sozial funktionale, kommunikative und institutionelle dürfen dabei gerade nicht gegeneinander ausgespielt werden, selbst dann nicht, wenn es um die Bedeutung des Rituals für Literatur und Kunst geht. Schlagend deutlich wird dies bei der attischen Tragödie, die zugleich als ästhetisches Spiel und als Kultspiel vor der Polis und für die Polis im Rahmen der großen Dionysien verstanden werden sollte. In den Dionysien und den zu ihnen gehörenden Tragödienaufführungen repräsentiert, erfährt, feiert und vollzieht sich die Polis selbst. Sie stellt sich im großen Fest selbst dar und begreift sich im Vollzug des Festes, indem zugleich jene Themen und Probleme darstellend, zeigend, erörternd verhandelt werden, die die Polis, d. h. das politisch-soziale Ganze, das alle angeht, betreffen (vgl. grundlegend Lehmann 1991; Bierl 2009). Kunst, Musik und Theater haben bis heute mit dem Ritual zu tun. Niemand würde das ernsthaft bestreiten, wenn man die engen Verbindungen gerade dieser Künste mit Religion in Betracht zieht. Noch die Musik der Moderne pflegt diese Verbindungen intensiv (Sakralmusik, auch Gospel und Soul); die Bildende Kunst der Moderne nimmt engagiert religiöse-rituelle Ausdrucksmittel in Anspruch (etwa im Wiener Aktionismus oder bei Joseph Beuys, in den Performances der Marina Abramović oder bei Christoph Schlingensief). Das Triptychon ist auch in der Malerei der Gegenwart eine wichtige ‚Pathosformel‘, die ihr Pathos aus dem einstigen religiösen Formgebrauch, dem Formelhaften bezieht. Begriff und Konzept der Pathosformel gehen auf Aby Warburg zurück, der damit die Traditionspermanenz grundlegender Formgebungen des menschlichen Gefühlsausdrucks bezeichnen will. Tiefer lässt sich Schmerz kaum darstellen als in der Pathosformel der Pietà. Wie sehr der Melancholiker sich in seine innere Welt zurückzieht, zeigt er, indem er den Ellenbogen aufstützt und seine Wange in seine Hand birgt. Ein berühmtes Beispiel aus der Literatur: „Ich saz ûf eime steine / und dahte bein mit beine; / dar ûf satzt ich den ellenbogen. / ich hete in mîne hant gesmogen / daz kinne und ein mîn wange. / dô dâhte ich mir vil ange, / wie man zer werlte solte leben.“ (Walther von der Vogelweides Reichsklage, Walther 1990 [um 1200], 124). Bei Walther entwickelt sich daraus freilich eine Sehergeste, in der die politische Lage überblickt und eine Handlungsethik entwickelt wird. – In diesem Sinne sind Pathosformeln grundlegend für soziokulturelle Artikulationen; in einem weiteren Sinne kann man vielleicht sogar Gattungen selbst als Pathosformeln bezeichnen.
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Für Literatur allgemein scheint die Sache dagegen viel schwieriger als für die Bildende Kunst. Doch auch hier gilt: Ihre Geschichte ist nicht beschreibbar als kontinuierlicher Prozess der Emanzipation vom Kult. Auch sie vollzieht nicht geradlinige Säkularisierungsprozesse. Aufgreifen und gestalten kann Literatur alles, was geschichtlich-kulturell der Fall ist. Selbstverständlich thematisiert Literatur also auch Rituale, weil sie für das politische, soziale, gesellschaftliche Leben so wichtig sind – wie sie eben alles aufgreifen und durch Darstellung interpretieren kann, was für Menschen wichtig ist und uns beschäftigt und bewegt. Diesen stofflich-thematischen Zugang zum Ritual hat die Literaturwissenschaft schon häufig genutzt. Literatur kann, wenngleich im fiktionalen Rahmen, dem begrifflichen, besonders dem ‚philosophischen Begreifen‘ ganz nahe kommen (etwa in der Romantik, bei Thomas Mann oder Hermann Broch). Sie führt als sprachliches Kunstwerk das reflexive Verhältnis zu sich selbst gleichsam mit sich (sofern man, etwa mit Gadamers Hermeneutik, sagen will, dass das Medium des begreifenden Verstehens die Sprache sei). Sie scheint sich insofern in ihrer Sprachlichkeit zugleich auch selbst zu entritualisieren: ‚Ungeheuer ist viel, doch nichts ungeheurer als der Mensch‘, sagt der Chor in der sophokleischen Antigone und liefert damit eine Deutungsperspektive für die ganze Tragödie mit, durch die sie auch aus dem rituellen Zusammenhang heraustritt. Aber eben nicht vollständig. Obwohl Literatur immer wieder versucht, gerade dieser Unvermeidlichkeit zu entkommen, am allgemeinen Verstehens- und Kommunikationsmedium Sprache teilzuhaben und Verstehen und Verständigung zu unterwandern (Sprachkritik, Dada, Konkrete Poesie), so sagt sie in ihrer sprachlichen Verfasstheit immer etwas aus und äußert sich immer auch über etwas. Je stärker Literatur und Kunst seit dem achtzehnten Jahrhundert darauf bestehen, autonome, ausdifferenzierte Diskurse zu sein, desto näher liegt es, dass sie im Gegenzug auch den Anspruch erheben, in irgendeiner Weise Einfluss auszuüben und zu wirken bzw. ihre Wirkung sicherzustellen, indem sie explizit werden. Bei Schiller und Goethe kann man das beobachten, bei George und Rilke ebenso. „Hiersein ist herrlich“; „Bleiben ist nirgends“ (Duineser Elegien, Rilke 1996, 221, 202): Alle produzieren sie ständig ‚schöne Stellen‘, in denen sich Sinn und Bedeutung verdichten und Leser sich direkt angesprochen fühlen können (vgl. Braungart und Jacob 2012). Andererseits sind formbewusstere Autoren als Schiller und Goethe oder eben auch George kaum denkbar. Ein zweiter Weg, Wirkung sicherzustellen, kann die Ritualisierung von Literatur sein, der Einsatz ritueller Verfahren für die systematische ästhetische Erzeugung von Bedeutsamkeit. Sehr gut lässt sich das am Symbolismus zeigen. Einerseits lädt Stefan George sein Leben und Werk stark und konsequent mit religiöser Semantik auf und nutzt andererseits religiös-rituelle Formprinzipien wie im Gebet oder in der Litanei (vgl. Braungart 1997). Sich dem gebetshaft-rituellen Sog von Celans Todesfuge zu ent-
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ziehen, ist schwer, selbst wenn man kaum versteht, was ‚gemeint‘ sein könnte. In der Lyrik der Gegenwart lebt das poetische Interesse am Psalm wieder auf. 2005 übersetzte Arnold Stadler Psalmen (vgl. Stadler 2005); Uwe Kolbe veröffentlichte 2017 eigene Psalmen. Sie lassen sich verstehen als höchst individuelle und subjektive poetische Hinsprachen an den ‚Herrn‘, zugleich vollkommen durchtränkt von der rituellen Poetik des alttestamentlichen Psalms. Wie also könnte man das Ritual als einen ästhetischen Begriff diskutieren, der auch systematisch relevant wäre? Man sieht schon an den allgemeinen, strukturbildenden Merkmalen des Rituals, die oben skizziert wurden, dass durch sie in der rituellen wie in der künstlerischen Praxis ästhetische Bedeutsamkeit aus der Form heraus konstituiert wird. Das Ritual lässt sich insofern als ästhetischer Organisationsbegriff auffassen. Am deutlichsten wird das vielleicht an den Wiederholungsstrukturen. Als Ganzes ist das Ritual eine Wiederholungshandlung; und auch intern organisiert es sich häufig aus Wiederholungsstrukturen. Wiederholungsstrukturen sind aber grundlegend für jede Kunst: ‚Rhythmus‘, so schwer die Kategorie genau zu bestimmen ist, braucht Wiederholungen, und zwar in allen Künsten: der Bildenden Kunst, der Architektur (Säulenordnungen, Fensterordnungen), der Musik und der Literatur (vgl. Gibhardt 2020). Reihungen – Serialität – sind ein Formprinzip der Kunst eines Andy Warhol, eines Timm Ulrichs, der Konkreten Poesie. Die ästhetische Erfahrung des Verbindlichen, Gültigen, Bedeutsamen, die noch das düsterste Gedicht Trakls oder das sperrigste Gedicht Celans ermöglicht (auch von diesen beiden gibt es eindringliche Psalmen), lässt sich aus der Teilhabe der Literatur an der Ästhetik des Rituals erläutern. Selbst da, wo Literatur formal ‚nur‘ zu spielen scheint (etwa in der Lyrik Jandls oder der Konkreten Poesie überhaupt), erscheint sie nicht als beliebig und zufällig. Das ist die Bedeutung der Form, von der eingangs bereits die Rede war. Sie lässt sich an der Lyrik besonders gut zeigen und begründet ästhetische Affirmation noch da, wo semantisch keine Zustimmung möglich scheint. Paul Gerhardts Abendlied oder Matthias Claudiusʼ Lied desselben Titels wirken tröstlich selbst für den, der jeder christlich-protestantischen Religiosität schon weit entrückt ist. Form kann Emotionen initiieren und zugleich regulieren. Man kann sich dem Sog, den der Beginn der Ersten Duineser Elegie Rilkes entstehen lässt, kaum entziehen, auch wenn man von Engeln vielleicht nicht mehr so viel hält. Gerade für künstlerische Artikulation ist darum eine offenere, nicht auf einen semiotischen Zeichenbegriff reduzierte Konzeption von Bedeutung sinnvoll, die ‚ästhetische Bedeutsamkeit‘ einschließen muss. Sie kann eine Folge des rituellen Formmodus sein.
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10 Formverstehen: Bedeutung, Bedeutsamkeit und Präsentativität Wenn man von einem Zeichen oder, allgemeiner, von einem kulturellen Phänomen, von einer kulturellen Artikulation sagt, es bzw. sie habe diese oder jene Bedeutung, dann meint man damit – möglicherweise neben vielem anderen sonst (Geltung, Ansehen) – einen benennbaren begrifflichen Gehalt. So versteht man zum Beispiel ein dreieckiges, auf der Spitze stehendes weißes Blechschild mit roter Rahmung am Straßenrand als Zeichen für ‚Achtung, Vorfahrt achten‘. Über eine Absolventenfeier kann man sagen, ihre Bedeutung sei es, eine Lebensphase explizit und definiert abzuschließen und zu einer neuen Lebensphase überzuleiten. Es ist ein ‚Übergangsritual‘, das die Unsicherheit, die der Statuswechsel mit sich bringt, kontrolliert und so mildert. Wenn das Verkehrsschild aber eine verbogene Ecke hat, Dellen von nächtlichen ‚Luftgewehrübungen‘ aufweist, stark verblasst ist, im Wind schwankt, dann ‚versteht‘ man, die nötige Aufmerksamkeit auf solche Nebenbedeutungen vorausgesetzt (das braucht ästhetische Schulung und Übung), vielleicht noch ‚mehr‘. Aber was? Wenn bei der Feier die Absolventen nur kurz zusammengerufen werden, ihre Zeugnisse in die Hand gedrückt bekommen, es dann aber schnell zu Bier und Bratwürstchen oder Rotwein und Tapas geht; oder wenn sie – einer nach dem andern, im kleinen Schwarzen, in einen Anzug gesteckt: das kam noch nicht so oft vor in ihrem Leben – auf die Bühne gerufen und die Kameras gezückt werden, dann ‚versteht‘ man auch noch ‚mehr‘. Aber was? Wilhelm Dilthey bestimmt das Verstehen als Integration in einen Lebenszusammenhang und damit vom Subjekt her. Das ist ein emphatischer Verstehensbegriff, den man für das Verkehrsschild ‚Achtung, Vorfahrt achten‘ nicht gut gebrauchen kann. Vorstellbar ist es dennoch: Man denke zum Beispiel an das kleine Kind, das bei seinen ersten Versuchen auf dem Fahrrad diesem Schild begegnet und es erklärt bekommt: Welches Gewicht kann es da haben! Oder das junge Paar, das sich dort erstmals trifft. Offenbar ist auch beim Verstehen mit der ganzen Spanne zu rechnen: Es kann von einer hohen geschichtlich-kulturellen Allgemeinheit und Verbindlichkeit einerseits, bis hin zu einer hohen, kaum mehr kommunikativ teilbaren Subjektivität des Verstehens andererseits reichen. Immer wieder bringt Dilthey nun einen Begriff ins Spiel, der noch sehr viel schwerer als der der Bedeutung präzise bestimmbar ist und deshalb auch für die ästhetische Debatte kaum genutzt wird: den der Bedeutsamkeit. Diese umfasst nach Dilthey „allgemeingültige Werte für das menschliche Gefühlsleben“ (Dilthey 1924, 216). ‚Allgemeingültig‘: damit handelt man sich freilich neue Probleme ein. Dennoch gibt es auch im ‚Gefühlsleben‘ natürlich eine geschichtlich-kulturelle Allgemein-
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heit. Jedes Subjekt hat zwar seine Gefühle alle individuell; es erfindet sie und ihre Ausdrucksformen aber nicht alle selbst neu. Das versucht gerade die neuere kulturwissenschaftliche Emotionsforschung deutlich zu machen (vgl. Frevert 2013). Sonst ließe sich emotional ja gar nicht kommunizieren. Diese Dimension hat auch Warburg mit seinem Konzept der Pathosformel im Blick. Es gibt gewiss eine subjektive Allgemeinheit des Ästhetischen, also dessen, was unsere Sinne betrifft und so unsere Emotionen anspricht, einen Anspruch auf ästhetische Geltung, den das Kunstwerk selbst kraft seiner ästhetischen Durcharbeitung erhebt. Niemand würde über eine feierliche und würdevolle Inszenierung eines Zeremoniells etwa sagen, sie sei lustig und unterhaltsam, genauso wenig wie über Hölderlins Friedensfeier und Celans Todesfuge. Wohl aber könnte man sagen: Ich kann damit nichts anfangen. Damit weiß man und artikuliert es, dass man sich auf seine bloße Subjektivität bezieht, die man dem andern, im Unterschied zum ästhetischen Urteil, nicht ‚ansinnen‘ kann. Der Begriff der Bedeutsamkeit trifft also eine Dimension des Verstehens, die tatsächlich grundlegend ist, die entscheidend mit der ästhetischen Explizitheit, Deutlichkeit, Inszeniertheit des Ästhetischen zu tun hat, mit der Überzeugungskraft seiner Gesamtgestalt, und die sogar in Widerspruch treten kann zur leichter kommunizierbaren Bedeutung. Bedeutsamkeit, so lässt sich in Anlehnung an Hans Blumenberg sagen, können wir auch und gerade dort gegen den ‚Absolutismus der Wirklichkeit‘ schaffen und erfahren, wo uns alle Möglichkeiten einer ‚tieferen‘, etwa metaphysischen ‚Bedeutung‘ verbaut sind. ‚Bedeutsam‘ ist das Ritual einer Trauerfeier für uns sogar dann, wenn uns die ‚Sinnlosigkeit‘ des Todes die Sprache zu verschlagen droht. Hier artikuliert sich und wird es ganz deutlich: Form reguliert Emotionen. Wer nur zehn Gedichte Trakls gelesen hat, ‚spürt‘ die ‚Bedeutsamkeit‘ des Trakl-Tons, so schwer auch genau zu beschreiben ist, wie dieser ‚Ton‘ zustande kommt. Bei Thomas Mann, bei Ingeborg Bachmann, bei Martin Walser oder Peter Handke ist es kaum anders. (Man muss sich also keineswegs nur auf das Gebiet der Lyrik zurückziehen.) Auch der ‚Ton‘ konstituiert das Werk, selbst in der Prosa. ‚Bedeutsamkeit‘ ist ein Form-Effekt; ‚Bedeutsamkeit‘ beschreibt eine grundlegende Dimension ästhetischer Erfahrung und entsteht aus der ästhetischen Anmutung und Präsentativität der ästhetisch-kulturellen Äußerung. Ihre ‚Bedeutsamkeit‘ ist umso höher, je regulierter, je durchgearbeiteter sie ist. ‚Ton‘ könnte man in der Literatur als ihre spezifische, nicht-diskursive, ‚präsentative Symbolik‘ verstehen (vgl. Langer 1965 [1942]). Alles, was Menschen als kulturelle Handlung oder Äußerung tun bzw. hervorbringen, hat Teil an kultureller Semantik; sie ist deshalb notwendig ‚symbolisch‘ und kann insofern auch gedeutet werden, ob das nun intendiert ist oder nicht. Es gibt keine creatio ex nihilo. Alles ist als individuelle Artikulation immer auch kollektiv (vgl. Jung 2009). Immer muss man sich in irgendeiner Weise auf Kultur
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beziehen und den kulturellen Kontexten das Material der Artikulation entnehmen. Das gilt auch für alle angewandten und freien Künste. Es gibt keine reinen, kulturell bedeutungsfreien Farben; es gibt keine bedeutungsfreien Akkorde; es gibt in sozialen und kulturellen Zusammenhängen keinen bedeutungsfreien Stein und kein bedeutungsfreies Holz als Material am Bau oder in der Innenausstattung (Palisander oder Eiche oder Fichte?) – selbst wenn zugegeben werden muss, dass es sehr schwer sein kann, diese Bedeutungsdimensionen angemessen präzise und nachvollziehbar zu beschreiben. Es gibt an jeder kulturellen ‚Artikulation‘ eine ‚objektivierbare Komponente‘, die sich durch Bezug auf die kulturellen Kontexte nachvollziehbar erläutern lässt (vgl. Jung 2009). Keine Erfahrung kann ganz und gar unmittelbar, ganz ‚unabgeleitet‘ sein, nicht die des Produzenten und nicht die des Rezipienten kultureller Äußerungen. Das kränkt womöglich das Einmaligkeitsbedürfnis des modernen Subjekts, das sich gerne ritualskeptisch zeigt und doch zugleich so ritualbedürftig ist. Nach nichts sehnt sich das Subjekt der Moderne mehr als nach Unmittelbarkeit und authentischer Gültigkeit: genau das, was das Ritual nicht ist. Und kaum etwas wünscht sich das Subjekt der Moderne mehr als Zugehörigkeit, die eben auch ästhetisch-kulturelle Voraussetzungen hat: genau das, was das Ritual ermöglicht (vgl. Pfaff-Czarnecka 2012). Das Ritual ist ein Handlungstyp, dessen Bedeutsamkeit entscheidend aus seiner ästhetischen Präsentativität entsteht: wie sich etwas zeigt, artikuliert, realisiert und formt. Das gilt für Literatur nicht weniger; und das ist die entscheidende ästhetische Brücke zwischen beiden. Die Literatur nutzt dafür das gesamte ästhetische Ausdrucksspektrum des Rituals, und zwar bis heute. Sie intensiviert sich ästhetisch in Formgemeinschaften, indem sie auf die Formpoetik des Rituals zurückgreift. Formpoetik des Rituals wird hier also verstanden als Formpoetik hochregulierter ästhetischer Bedeutsamkeit. Auf sie besonders aufmerksam zu sein, hilft dem ästhetischen Verstehen beider: dem Formverstehen der Kunst und Literatur wie dem des sozio-kulturellen Handlungstyps des Rituals. Denn alle Kultur ist ‚ästhetisch‘ und – mehr oder weniger – bedeutsam, insofern sie sich zeigt und zur Erscheinung kommt.
Weiterführende Literatur Agethen, Manfred. Geheimbund und Utopie. Illuminaten, Freimaurer und deutsche Spätaufklärung. Bamberg 1983. Braungart, Georg. „Praxis und poiesis: Zwei konkurrierende Textmodelle im 17. Jahrhundert“. Rhetorik zwischen den Wissenschaften. Geschichte, System, Praxis als Probleme des „Historischen Wörterbuchs der Rhetorik“. Hrsg. von Gert Ueding. Tübingen 1991: 87–98.
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Braungart, Wolfgang. Ästhetischer Katholizismus. Stefan Georges Rituale der Literatur. Tübingen 1997. Braungart, Wolfgang. „Die Kunst der Zustimmung. Eine ästhetisch-theologische Hypothek der Moderne. Mit einem Kapitel zu Brechts später Lyrik". Verwandlung. Epiphanie II. Hrsg. von Martin Knechtges und Jörg Schenuit. Paderborn 2009: 65–100. Braungart, Wolfgang. Hrsg. Manier und Manierismus. Tübingen 2000. Braungart, Wolfgang. Ritual und Literatur. Tübingen 22016. Fischer, Saskia. Ritualität in der deutschsprachigen Dramatik nach 1945 bis Mitte der 1960er Jahre. Paderborn 2019. Gibhardt, Boris Roman. Hrsg. Denkfigur Rhythmus. Probleme und Potenziale des Rhythmusbegriffs in den Künsten. Hannover 2020. Quast, Bruno. Vom Kult zur Kunst. Öffnungen des rituellen Textes in Mittelalter und Früher Neuzeit. Tübingen und Basel 2005. Turner, Victor. Vom Ritual zum Theater. Der Ernst des menschlichen Spiels. Aus dem Engl. von Sylvia M. Schomburg-Scherff. Frankfurt am Main 1989.
Benedikt Hjartarson
III.4.2 Formaler Manifestismus: Zur modellbildenden Wortmagie der Avantgarde Im Manifest zenitizma (Manifest des Zenitismus) von 1921 verkündet Ljubomir Micić die historische Rolle seiner zenitistischen Bewegung in Zagreb und verweist dabei auf den Gattungscharakter des Textes: „Das ist kein Evangelium. Das ist ein Manifest. / Das Evangelium werden jene Zukünftigen schreiben, die nach uns kommen. Und sie werden kommen… sie werden kommen…“ (Micić 1995 [1921], 252; vgl. Micić et al. 1921, 6). An dieser programmatischen Aussage lässt sich zum einen erkennen, wie eng das Verhältnis der Avantgarde zu ihren Manifesten ist. Die Aktivitäten der europäischen Avantgardebewegungen waren dabei nicht nur gebunden an die Veröffentlichung von Hunderten solcher Manifeste über den gesamten Kontinent, sie wurden auch von zahlreichen poetologischen Reflexionen über die neue Textform begleitet. Zweitens offenbart Micićs Abgrenzung des Manifests von der Textform ‚Evangelium‘ das Problem einer eindeutigen Formbestimmung, insofern die entscheidenden Gattungsmerkmale nicht formaler sondern funktionaler Herkunft sind. Manifeste mögen spezifische formale oder strukturelle Elemente aufweisen, doch am Ende gilt ein Text als Manifest, weil ihm besondere Funktionen zugesprochen werden. Es zeigt sich daher drittens, dass das Manifest im Rahmen des avantgardistischen Projekts als aktionistisches, performatives Medium mit temporaler Ausrichtung verstanden wird, als Ausdrucksform, die eine neue kulturelle und gesellschaftliche, aber nicht zuletzt auch eine neue epistemologische Ära einzuleiten hat. Der im Manifest zenitizma verkündete historische Bruch ist epistemischer Art. Wie Micić unterstreicht, ist dessen Adressat „[d]er zukünftige Mensch“, welcher „der Sohn der Sonne und des Zenit sein“ und „die zenitistische Sprache sprechen“ wird (Micić 1995 [1921], 252). Während das Manifest zenitizma somit noch im Zeichen der Unverständlichkeit der ästhetischen Moderne steht (vgl. etwa die Verfahren des ästhetischen Historismus, Baßler et al. 1996), leitet es zugleich ein neues Zeitalter ein, in dem die Menschheit vom Joch der Unverständlichkeit erlöst sein wird. In seiner Eschatologie sagt Micić der neuen zenitistischen Sprache daher eine große Zukunft voraus: „Alle werden sie verstehen… alle…“ (252). Das Manifest zenitizma gehört zu jener Welle des Manifestismus, die sich den Aktivitäten Filippo Tommaso Marinettis und seiner futuristischen Bewegung verdankt. Indem sie eine Synthese aus ästhetischer Praxis und politischer Aktion erstrebt, markiert die Manifestbewegung einen Bruch mit der Tradition der autonomen Formpoetik. Denn im Unterschied zu früheren ästhetischen Programmhttps://doi.org/10.1515/9783110364385-016
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schriften der Moderne lassen sich die Manifeste der Avantgarde nicht mehr auf die Funktion einer sekundären Textform reduzieren, die Erneuerungen, Experimente oder ‚unverständliche‘ Praktiken der autonomen Kunstform lediglich begleitet oder kommentiert. Dem Avantgarde-Manifestismus geht es vielmehr um die Neubestimmung dieser Textform aus ästhetischer Perspektive. Dabei zielt er aber weniger, wie in der Avantgardeforschung noch häufig betont, auf eine „Rückführung der Kunst in die Lebenspraxis“ (Bürger 1974, 45), als auf die totalisierende Ausweitung des autonomen Kunstsystems bzw. auf die Neugestaltung der gesamten Lebensordnung mit künstlerischen Mitteln. Das avantgardistische Manifest lässt sich in diesem Sinne als mediale Verkörperung eines ästhetischen Voluntarismus verstehen, der auf eine breite Tradition des Irrationalismus verweist. An Willenskonzepte des politischen Radikalismus, des philosophischen Vitalismus und der modernen Esoterik anknüpfend formiert die Avantgarde – so die im folgenden erläuterte These – einen ‚magischen Pragmatismus‘, der einen Wandlungsprozess der gleichzeitigen politischen Revolutionierung, kulturellen Revitalisierung und spirituellen Regeneration mit künstlerischen Mitteln zu gestalten versucht. In diesem Sinne lässt sich der Manifestismus der historischen Avantgarde als eine radikalisierte Formpraxis verstehen, welche die Modellierung einer neuen Subjektivität mit magisch-ästhetischen Mitteln erstrebt.
1 „Immer manifeste druff!“: Wider den Manifestantismus Im Jahr 1913 erschien in der expressionistischen Wochenschrift Die Aktion ein programmatischer Aufsatz mit der Überschrift Aufruf zum Manifestantismus. Hinter dem Autorennamen August Stech steckte der Herausgeber Franz Pfemfert, der somit den Neologismus in die Debatte um die in diesen Jahren für Aufruhr sorgenden künstlerischen Avantgardebewegungen einführte. In der Eröffnungspassage erklärte Pfemfert: Ich betrete mit diesem Aufruf die sogenannte Arena der öffentlichen Meinung. Teils aus Aerger, einem Gefühl höchster Ordnung, teils aus dem niedrigen Beweggrunde des Patriotismus. Weil die romanischen Völker, Italien und Frankreich, jetzt einen neuen Ruhm zu erwerben unterwegs sind, durch die epochemachende Bewegung des Futurismus. – Eine Bewegung, die, Manifeste als Vehikel und Luftschiffe als Programm benutzend, leicht ein paar Männer verführen könnte, uns einen Präsentismus zu präsentieren, indem sie übersehen, daß die konservative Gesinnung, die den temporären Zustand einer Entwicklung für programmatisch hält, von der futuristischen Präsidialtute genau so präsentiert wird, wie sonstwo. (Stech [Pfemfert] 1913, 957)
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Pfemferts Aufruf ist für die Diskussion eines ‚formalen Manifestismus‘ nicht nur wegen der Einführung des ‚Manifestantismus‘-Begriffs von Interesse. Noch wichtiger ist die im Text zu erkennende Stellungnahme gegen den ‚Präsentismus‘ des italienischen Futurismus und gegen dessen Wortführer, Filippo Tommaso Marinetti. Pfemferts Text zeigt, wie eng der Name Marinettis in der frühen Phase der historischen Avantgarde mit dem als „Parade-Gattung der Avantgarde“ geltenden Manifest und dessen Temporalität verbunden war (Asholt und Fähnders 1997b, 4). Die ironisch zugespitze Kritik am ‚Manifestantismus‘ stellt den italienischen Futurismus als Erreger einer Flut von Manifesten aus, die als schnelle Medienformen das künstlerische Feld Europas zwar beschleunigen, doch wenig bereichern. Denn Temporäres ist, auch wenn es Tempo hat, noch keineswegs bedeutsam oder ‚programmatisch‘: „Daß unsere Gegenwart etwas Berauschendes ist, wissen wir schon lange“. Pfemfert kritisiert damit die Art der Manifeste Marinettis, lobt jedoch das Manifest als geistiges und vitalistisches Formprinzip: „Diese Erlebnisform ist als etwas Ursprüngliches und Göttliches jedem Willen immanent.“ (Stech [Pfemfert] 1913, 957). Pfemferts Gattungswahl zeugt also auch von der Schlüsselposition, welche die Gattung Manifest in den Aktivitäten der internationalen Avantgarde erobert hatte: selbst die Kritik an der Gattung war auf diese angewiesen, um eine Position im kulturellen Feld zu gewinnen und ihren eigenen Standpunkt zu erläutern. Eine negative Stellungnahme gegenüber dem Manifest futuristischer Provenienz lässt sich in weiteren programmatischen Schriften des deutschsprachigen Expressionismus finden, wie ‚Manifeste‘ von Oskar Kanehl, Robert Renato Schmidt, Robert Müller, Franz Werfel, Alfred Wolfenstein und Alfred Döblin belegen (vgl. Stark 1997). Im Kontext des Expressionismus wurde das Manifest als ungeeignetes Medium einer umfassenden geistigen Revolution abgestempelt – die Gattung galt vielmehr als Inbegriff jener zweckrational geordneten Kultur der Moderne, die durch eine neue, radikale und autonome künstlerische Praxis zu überwinden sei. So zielt z. B. Robert Renato Schmidt in einem programmatischen Text von 1919 auf die kosmische Befreiung des Künstlers von der rauschhaften Verblendungsperformanz des Manifests: Soviel Armut der Seelen, soviel Manifeste. Kein Manifest wird je den Anker der Erde lösen und sie zu Polen und Milchstraßen entführen, wie eitel und selbstberauschend seine Geste auch sein mag. […] Die Manifeste sind die große Oper der Seele, mit Einlagen, Tänzen, Capriccios. Wer ihrer bedarf, hat verlernt, sich hinströmen zu lassen im Sonnenlicht, sich einzufügen dem einen großen Klang der Sphären. (Schmidt 1919, 94–95)
Die im Umfeld des deutschen Expressionismus vorherrschende Kritik am ‚Manifestantismus‘, formuliert vom Standpunkt autonomer Formästhetik, war kein isoliertes Beispiel im transnationalen Feld der Avantgarde des frühen zwanzigsten Jahrhunderts (zur Auffassung der historischen Avantgardebewegungen als eines
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transnationalen Feldes vgl. Joyeux-Prunel 2017, 153–173; vgl. auch Bourdieu 1992). In einem Text von 1909, mit dem der nicaraguanische Dichter Rubén Darió den Futurismus einer spanischsprachigen Leserschaft bekannt machen wollte, erklärt der Autor zugleich: Das Einzige, was ich unbrauchbar finde, ist das Manifest. Obwohl Marinetti in seinen stürmischen Werken gezeigt hat, dass er ein bewundernswertes Talent hat und weiß, wie er seine Mission der Schönheit zu erfüllen hat, glaube ich nicht, daß sein Manifest mehr bewirken wird als eine ganze Menge von Nachahmern hervorzubringen, die den ‚Futurismus‘ um jeden Preis betreiben – zweifellos viele, wie dies immer geschieht, aber ohne das Talent und die Sprache des Gründers. (Darío 1988 [1909], 3–7)
Dariós Erklärung lässt sich als charakteristischer Ausdruck der Distanzierung von Marinettis futuristischer Manifestpraxis in Spanien und Lateinamerika deuten (vgl. Asholt 1997). Die Form des Manifests wird zum Modell für Epigonen, das leere Formen erzeugt. Ähnliche Ansichten lassen sich u. a. in den Schriften des Kreationisten Vicente Huidobro finden, der den Futurismus im Jahr 1925 als „un rêve impéraliste à froid“ („einen kalten imperialistischen Traum“) bezeichnete und folglich erklärte: „Ils [les futuristes] n’ont rien apporté du tout; sauf un peu de bruit et beaucoup de confusion. Un art nouveau d’aspect, mais rien de nouveau, fondamental.“ („Sie [die Futuristen] haben überhaupt nichts erreicht; außer ein wenig Lärm und reichlich Verwirrung. Eine Kunst in neuem Gewand, aber nichts grundsätzlich Neues.“) (Huidobro 2003 [1925], 49). Auch die englischsprachige Avantgarde nahm gegenüber dem Manifestantismus eine kritische Haltung ein, so beispielsweise in der unmissverständlichen Kritik, die der Vortizist Wyndham Lewis am mechanistischen Formprinzip der Manifeste Marinettis geäußert hat: With a lot of good sense and vitality at his disposal, he [Marinetti] hammers away in the blatant mechanism of his Manifestos, at his idée fixe of Modernity. / From that harsh swarming of animal vitality in almost all Eastern cities across the Alps, his is a characteristic voice, with execration making his teeth ragged, blood weltering and leaping round his eyes. He snarls and bawls about the Past and Future with all his Italian practical directness. (Lewis 1914, 143)
Schließlich können hier die Reaktionen auf Marinettis Aktivitäten im russischen Kubo-Futurismus genannt werden. Ein bezeichnendes Beispiel der kubo-futuristischen Kritik am Manifestantismus präsentiert der Entwurf eines programmatischen Textes von Aleksej Kručonych und Velimir Chlebnikov aus dem Jahr 1913, der anlässlich des bevorstehenden Besuchs von Marinetti in Moskau und Sankt Petersburg verfasst wurde (zum misslungenen Russlandbesuch Marinettis, der zur Völkerverständigung zwischen den Futuristen beitragen sollte aber am Ende
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in der heftigen Auseinandersetzung mit den Kubo-Futuristen kulminierte, vgl. Khardjiev 1982). Im Unterschied zu Marinettis Bewegung, die eine neue Manifestation der zu überwindenden Tradition der Tendenzkunst darstelle, beschreiben die Autoren den russischen Kubo-Futurismus als Entwurf einer dynamischen Formkunst, einer „Wortkunst“, welche „die Vertreibung von Tendenziosität, vom Literaturunwesen jeder Art aus den Kunstwerken“ anstrebt. Eben weil die Italiener die Dynamik der Tendenz geopfert hätten, würden sie zu Verrätern an der Kunst: „[D]ie Italiener gingen von der Tendenz aus. Wie der kleine Teufel Puškins besangen und nahmen sie die Gegenwart auf den Buckel, während nötig gewesen wäre, nicht zu predigen, sondern selber aufzusitzen und dahinzustürmen, sie als Resultat der eigenen Werke vorzuweisen.“ (Kručonych und Chlebnikov 1995 [1913], 69). Entsprechend fassten die Autoren die Grundsätze des Kubo-Futurismus als echter Formkunst zusammen: Eine Predigt, die nicht aus der Kunst selbst hervorgeht, ist doch ein mit Eisen angestrichener Baum. Wer wird sich einer solchen Lanze anvertrauen? Die Italiener erwiesen sich als schreierische Prahlhänse, und als schweigsame Künstler-Piepvögel. / Man fragt uns nach unserem Ideal, unserem Pathos? Weder Rowdytum noch Heldentat, weder Fanatiker noch Mönch, – für den Wortschöpfer sind alle Talmude gleichermaßen von Übel, bei ihm bleibt immer nur das Wort als (solches) es [sic]. (Kručonych und Chlebnikov 1995 [1913], 70)
Auf den ersten Blick dreht sich die Kritik der unterschiedlichen Bewegungen am Manifest um die Verteidigung der Kunst als eines autonomen sozialen Feldes gegenüber der Instrumentalisierung des Ästhetischen. Die Ablehnung des Manifestantismus richtet sich mit anderen Worten gegen die Einführung einer Textform ins autonome Kunstsystem, die bis zum Auftreten der italienischen Futuristen vor allem ein Instrument der Politik gewesen war, vor allem aber gegen die folgenschwere Erhebung dieser politischen Textsorte zur zentralen Machtinstanz im Prozess der künstlerischen Erneuerung. Vor diesem Hintergrund ist die verbreitete Kritik am ‚Manifestantismus‘ futuristischer Provenienz als Reaktion von künstlerischen Bewegungen „an der Bruchstelle zwischen der literarisch-künstlerischen Moderne und einer mit dieser brechenden Avantgarde“ verstanden worden (Asholt 1997, 169). Eine nähere kritische Betrachtung dieses Ansatzes zeigt dessen Grenzen auf. Die Manifeste der historischen Avantgarde dienen zwar teilweise als Medium zur Auseinandersetzung mit der Vorherrschaft ästhetischer Autonomie, im Rahmen der Gattung lassen sich jedoch unterschiedliche Versuche zur Neubestimmung des Ästhetischen und seiner Funktion als eines autonomen Diskurses innerhalb der bürgerlichen Gesellschaftsordnung erkennen. Wie Sascha Bru betont hat, spielte der Futurismus „a vital role in creating a discursive space within which other avant-gardes emerge“:
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[F]uturism is to be thanked for the most fundamental associations and connotations now tied to the notion of the early twentieth-century avant-garde: the foregrounding of youth and originality, the championing of experimentation, the emancipation of the manifesto as an art form, the adoption of agonistic and antagonist poses toward anything that stands in the way of change, and of course the often paradoxical, but always open-ended, future-inflected program many later avant-gardes put forth in different ways as well. (Bru 2015, 20)
Dem Manifest kommt in diesem Zusammenhang eine zentrale Bedeutung zu, insofern die Gattung als Medium der hier geschilderten Neubestimmung ästhetischer Praktiken diente. Die paradigmatische Funktion von Marinettis Manifesten bestand darin, dass sie das transnationale Feld der Avantgarde polarisierten und das Manifest als Medium für unterschiedliche Versuche zur Umfunktionalisierung des Ästhetischen frei verfügbar machten. Der Wert, den Marinetti auf die internationale Verbreitung seiner Manifeste legte, war in dieser Hinsicht von grundlegender Bedeutung. Bereits vor der Publikation in Le Figaro am 20. Februar 1909 hatte Marinetti sein Gründungsmanifest an Zeitungen, Künstler und Intellektuelle in verschiedenen Ländern verschickt, mit dem Ergebnis, dass bereits im Jahr 1909 unterschiedliche Fassungen des Gründungsmanifests bzw. Ausschnitte desselben in portugiesischer, rumänischer, japanischer, schwedischer, griechischer, polnischer und englischer Übersetzung sowie in drei spanischen Übersetzungen (in Spanien, Mexiko und Argentinien) erschienen – in den nächsten Jahren folgten dann Übersetzungen auf Russisch und Deutsch (für die vollständige bibliografische Referenz für die hier genannten Übersetzungen vgl. Hjartarson 2013, 79–80). Des weiteren erschien unmittelbar nach der Veröffentlichung des Gründungsmanifests eine Reihe von Presseberichten über die neue Bewegung, in denen zum Teil Passagen aus dem Text veröffentlicht wurden; allein in Deutschland erschienen im Jahr 1909 ausführliche Presseberichte über den italienischen Futurismus in der Vossischen Zeitung, in der Frankfurter Zeitung und in der Kölnischen Zeitung (vgl. Fähnders und Karrenbrock 1998, 63–64; Andreoli de Villers 1986, 159–181). In den folgenden Jahren erschienen weitere Übersetzungen, bis die Nachricht von der Gründung des italienischen Futurismus gegen Ende der 10er-Jahre die äußerste Peripherie Europas erreicht hatte, wie ein Pressebericht unter dem Titel Futurismi (Yngsta listastefnan) / Futurismus (Die jüngste Kunstbewegung) in der größten Tageszeitung Islands am 5. August 1919 belegt (Björnsson 1919, 2). Durch die strategische Verbreitung seiner Schriften etablierte sich Marinettis Ruf als eines selbsterklärten Autors von „Millionen von Manifesten“ (Marinetti 1968b [1913], 290), der die „Kunst, Manifeste zu machen […] beherrsch[t]“ (Marinetti 1991 [1913], 384). Eine lapidare Feststellung in Ferdinand Hardekopfs Knappe Literaturgeschichte in Definitionspillen von 1922 zeugt von der starken Bindung des Manifests an die Bewegung Marinettis bis in die 20er-Jahre, wenngleich Hardekopf diese Bindung aus einer
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ironischen Perspektive schildert: „Die Futuristen: Immer manifeste druff!“ (1961 [1922], 584).
2 Das Manifest als Performanz Das futuristische Manifest sollte nicht als Prototyp des avantgardistischen Manifests verstanden werden, dessen sich andere als Nachfolger bedient haben. Im transnationalen Feld der Avantgarde waren nicht nur Autoren und Künstler aktiv, die Marinettis grundsätzliche Bestimmung des Manifests teilten, sondern auch Autoren, die seiner Manifestpraxis kritisch gegenüberstanden und das Manifest auf die Funktion eines die eigentlichen, autonomen Kunstwerke begleitenden Kommentars zu reduzieren versuchten. Andere Autoren schließlich verweigerten programmatische Aussagen im Rahmen ihrer Manifeste und zielten – wie die häufig als „Antimanifeste“ bezeichneten Manifeste des Dadaismus mit ihrer „programmatischen Programmlosigkeit“ zeigen (Backes-Haase 1997, 258) – darauf ab, die Gattung als autonomen Spielraum ästhetischer Experimente zu konfigurieren. Statt diese metakritischen Reaktionen auf den vom Futurismus ausgehenden „manifesto craze“ (Puchner 2006, 4) als von der Grundtendenz der Avantgarde abweichende Anti- oder Pseudomanifeste zu fassen, wäre es nützlicher, sie als integralen Bestandteil des „Projekts der Avantgarde“ zu begreifen (vgl. Asholt und Fähnders 1997b). Denn in den Manifesten der Avantgarde wurden heterogene Ideen entworfen, welche die Grundtendenz einer Suche nach Wegen zur Neubestimmung des Ästhetischen und seiner Funktionalität teilten. Wie Hanno Ehrlicher formuliert hat, bestand das Projekt der Avantgarde weniger im Angriff auf den Autonomiestatus der Kunst als in einer „totalisierende[n] Ausweitung der im Prozeß der Autonomisierung gewonnenen Eigenlogik der ästhetischen Form ins Soziale“ (Ehrlicher 2001, 15). Vom ‚formalen Manifestismus‘ lässt sich nur vor dem Hintergrund der Einführung des Manifests als einer Schlüsselgattung der ästhetischen Moderne durch den italienischen Futurismus sprechen. Das Manifest wird erst nach der Veröffentlichung von Marinettis Gründungsmanifest im Jahr 1909 zu einem wichtigen Medium der Positionierung im künstlerischen Feld und seine Rolle lässt sich nicht ohne Berücksichtigung der umfangreichen Auseinandersetzung um den dadurch ausgelösten Manifestantismus hinreichend erklären. Das heißt natürlich nicht, dass das Manifest keine bedeutende Rolle im ästhetischen Diskurs der Moderne nach der Epoche der historischen Avantgarde gespielt hätte, die näher zu untersuchen wäre. Während Kritiker vom ‚Tod‘ des Manifests gesprochen oder zumindest eine tiefgreifende Krise der Gattung festgestellt
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haben (vgl. Grüttemeier 1998), die aus der Abrechnung mit dem Totalitarismus in der Nachkriegszeit entstanden sei und sich später durch die postmoderne Kritik an Metaerzählungen vertieft habe, hat die Manifestforschung gezeigt, dass die letzten Jahrzehnte vielmehr von einer umfangreichen Produktion von Manifesten, ja geradezu von einem „Manifestboom“ geprägt sind (Thiele 2014, 144). Der hier vorgeschlagene Fokus auf die historische Avantgarde gründet vielmehr in der These, dass die kritische Auseinandersetzung mit dem ‚Manifestantismus‘ in diesem Zeitraum für jede Analyse der darauffolgenden Entwicklung der Gattung ‚Manifest‘ unverzichtbar sei. Diese historische Abgrenzung schließt selbstverständlich auch nicht aus, dass es auch früher schon ästhetische Programmschriften gab, die deutliche Züge eines Manifests aufweisen und auf sinnvolle Weise als solches diskutiert werden können. So spricht z. B. Isabelle Krzywkowski von einer „furée manifestataire“ in Frankreich bereits zwischen 1905 und 1910 (2006, 12–13) und aus einer verwandten Perspektive kommt Luca Somigli zu dem Schluss, das Manifest nehme bereits im späten neunzehnten Jahrhundert eine Schlüsselposition im literarischen Feld ein, „[as] groups and schools articulate a series of possible positions and legitimation strategies within the field“ und „[m]anifestoes are crucial instruments in this struggle“ (2003, 54). Schließlich sprechen Viviana Birolli und Mette Tjell von einer „fièvre manifestaire“ im Frankreich des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts, wobei sie auf die Schlüsselrolle des 1886 erschienenen Manifeste du symbolisme von Jean Moréas verweisen (2013, 7–8). In einem im selben Band erschienenen Aufsatz begründen Tjell und Camille Bloomfield die Abgrenzung des zu diskutierenden Zeitraums auf 1886 mit dem Verweis auf weitere bedeutende Manifeste oder genauer „cinq textes symbolistes considérés comme des manifestes par certains critiques“ (2013, 151–152): Stéphane Mallarmés L’ Action restreinte und Crise de vers, René Ghils Traité du verbe, Gustave Kahns Réponse des symbolistes und Paul Adams La Presse et le symbolisme. Dabei sollte allerdings nicht übersehen werden, dass der Text von Moréas bei der Erstveröffentlichung im Supplément Littéraire von Le Figaro den Titel Le Symbolisme trug, wenngleich er vom Herausgeber mit einer „Un manifeste littéraire“ betitelten Einleitung versehen wurde und auch die fünf Texte der anderen Autoren ursprünglich nicht unter der Überschrift ‚Manifest‘ veröffentlicht wurden (Marcade 1886, 150; vgl. Moréas 1886, 150–151). In diesem Zusammenhang sollte allerdings auch nicht übersehen werden, dass Marinettis Gründungsmanifest – ähnlich wie der Text von Moréas – in der bekannten Publikation in Le Figaro am 20. Februar 1909 die Gattungsbezeichnung ‚Manifest‘ nicht im Titel trug, sondern unter der Überschrift Le Futurisme veröffentlicht wurde (die Bezeichnung „Manifeste du Futurisme“ diente nur als Überschrift für die elf Programmpunkte der Bewegung im Text). Die kontinuierliche Verwendung der Gattungsbezeichnung im Titel des Textes (sowie in den Titeln nachfolgender
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Manifeste) setzt sich erst mit späteren Veröffentlichungen durch (vgl. Andreoli de Villers 1986; Lista 2009). Die Etablierung des Manifests als einer Schlüsselgattung der ästhetischen Moderne wird somit bereits in einem Zeitraum festgelegt, in dem die Gattungsbezeichnung ‚Manifest‘ kaum vorkommt. Vor 1909 gibt es in der Tat nur eine Handvoll programmatisch-ästhetischer Schriften, die unter der Überschrift ‚Manifest‘ erschienen sind. Als exemplarische Studie für die hier angedeutete historiografische Problematik kann Joachim Schultz’ frühe Arbeit über ‚Manifeste‘ der Belle Époque gelten (vgl. Schultz 1991). Wie Hubert van den Berg gezeigt hat, „hebt sich [Schultz’] Gattungsbegriff so weit von der Selbstbezeichnung ‚Manifest‘ ab, daß er die Flut von mehreren Hunderten von avantgardistischen, insbesondere futuristischen und dadaistischen Manifesten, die auch Manifest heißen, offensichtlich nur noch als Nachgesang einer Manifeste-Hochkonjunktur versteht, deren individuelle Texte nur selten als ‚Manifest‘ betitelt werden“ (van den Berg 1998, 200–201). Historiografische Ansätze, die dem Manifest eine Schlüsselfunktion im ästhetischen Feld vor 1909 zusprechen, bleiben somit im Endeffekt einer anachronistischen Perspektive verhaftet. Erst durch die Praxis der historischen Avantgarde, die sowohl eine umfangreiche Produktion von Manifesten als auch die Fixierung gattungsspezifischer Merkmale durch ästhetische und poetologische Reflexionen umfasst, erhält das Manifest eine klar bestimmte Funktion im ästhetischen Feld. Eine Geschichte des ästhetischen Manifests im späten neunzehnten Jahrhundert ist, mit anderen Worten, nur als Vorgeschichte des avantgardistischen Manifests denkbar, weil sie der historischen Avantgarde bedarf, um die programmatischen Textsorten des neunzehnten Jahrhunderts überhaupt im Rahmen einer Geschichte des ‚Manifests‘ beschreiben zu können. Erst die Erscheinung von Marinettis Gründungsmanifest markiert den Anfang einer Epoche, in der unterschiedliche Bewegungen – wie etwa der italienische Futurismus, der Kubo-Futurismus, der Poetismus, der Ultraismus, der Dadaismus, der Zenitismus, der Expressionismus, der Kreationismus, der Vortizismus und der Surrealismus – ein umfangreiches Korpus von Texten, die sie explizit ‚Manifeste‘ nennen, veröffentlichen und verbreiten. Die grundlegende Funktion der Gattungsbezeichnung ‚Manifest‘ darf in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden. Wie Marinetti erklärt hat, bezeichnete das Wort ‚Futurismus‘ für ihn eine „neue Formel der Kunst-Aktion“ und lieferte die Antwort auf seine Feststellung, „daß Artikel, Gedichte und Polemiken nicht mehr ausreichten. Man mußte unbedingt die Methode wechseln und auf die Straße gehen, die Theater angreifen und den Fausthieb in den künstlerischen Kampf einführen.“ (Zit. nach Hinz 1997, 110; vgl. Marinetti 1968c [1915], 201). So wird die Gattungsform im buchstäblichen Sinne ‚schlagkräftig‘, das Manifest zur Medienform der Performanz. Lässt sich der Futurismus als Bezeichnung der hier angeordneten Synthese von künstleri-
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scher und politischer Praxis beschreiben, dann kann das Manifest seinerseits als Verkörperung dieser Synthese bestimmt werden. In diesem Sinne präsentiert die Debatte um den Manifestantismus ein brisantes Beispiel der Auseinandersetzung von konkurrierenden Konzepten literarischer und außerliterarischer Funktionsbestimmung der hier zu diskutierenden Textform. Wie eng die Bindung der Textform ‚Manifest‘ an den politischen Diskurs im frühen zwanzigsten Jahrhundert war, lässt sich aus einem Text von Karle Sanfrid Laurila aus dem Jahr 1912 erkennen. In einem offenen Brief an die Tageszeitung Helsingin Sanomat in Helsinki beschreibt der „conservative professor of aesthetics“ (Riikonen 2016, 120), wie er am Berliner Kurfürstendamm einen Mann bei der Verteilung eines Flugblatts beobachtet: Naturally, I turned towards the fellow and noticed from a distance that the upper corner of his pamphlet said „Manifesto“. Thinking that perhaps the Kaiser had found a moment of respite during his travels and had sent a little spring message to his people, I curiously started to examine the document that had been placed into my hand. I had been greatly mistaken in my assumption. It was not a routine governmental declaration, but something much more important, profound and universal – –. „Manifest der Futuristen von F. T. Marinetti“ was the brochure’s solemn heading. – „Futuristen?“ – „Futuristen?“ I seemed to recall seeing that name occasionally in the papers, yet it had left no long-term impression on my memory. – Could it be some kind of new philological society with a particular fondness for the future tense that wants to remove all other tenses from the language? – A quick scan of the „manifesto’s“ contents ended my speculation and ignorance and opened up dizzying vistas before my eyes. (Laurila 2012 [1912], 373)
Was der finnische Professor in Berlin miterlebte, war eine von Marinetti organisierte Aktion in Verbindung mit der Wanderausstellung der bildenden Kunst der Futuristen, die vorher in Paris und London zu sehen war und auf Initiative von Herwarth Waldens Der Sturm im April 1912 Berlin erreicht hatte. Anlässlich der Ausstellung hatte Marinetti „Tausende Flugblätter drucken“ lassen und „überflutet[e] mit diesen […] die ganze Stadt“ (Talpo 2003, 238). Vor dem Hintergrund der Bindung an die politische Manifesttradition – sowohl in der Form des auf die französische Revolution zurückgehenden subversiven Manifests, als auch in der älteren Form des öffentlichen Herrschaftsmanifests, dessen Tradition, wie Laurilas Text zeigt, sich bis ins zwanzigste Jahrhundert aufrechterhält – kann man die Formation des avantgardistischen Manifests als Verkörperung einer neuen Art künstlerischer Praxis bezeichnen, welche das Verhältnis zwischen Kunst und Politik neu zu bestimmen versucht. Lässt sich diese ideologische Verschiebung als Wende hin zu einer aktivistischen Auffassung künsterlischer Praxis bestimmen, dann ist gleichzeitig zu betonen, dass das Projekt der Avantgarde in der Auffassung eines ästhetischen Aktivismus gründet. Der Avantgarde geht es nicht um die Überführung der Kunst in die Politik
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oder um die Einführung politischer Praktiken ins autonome Feld der Kunst. Im Rahmen des avantgardistischen Projekts wurde die im politischen Diskurs der Moderne vorherrschende, instrumentelle Auffassung sprachlicher Funktionalität vielmehr zurückgewiesen, um eine neue Art von ästhetischem Aktivismus zu begründen. Der Avantgarde ging es um eine die ganze Lebensordnung umfassende Revolution, die ihren Ursprung in der ästhetischen Einbildungskraft hat.
3 Der Auftrag der Form Die Form des Manifests folgt seiner gattungsbildenden Modellfunktion. Das heißt natürlich nicht, dass Manifeste keine formalen, stilistischen oder rhetorischen Merkmale hätten, die als gattungstypisch definiert werden könnten. Cinzia Sartini Blum hat solche Merkmale pointiert zusammengefasst: As an artwork, the manifesto subverts traditional codes, obliterating boundaries between different genres and expressive registers. It assembles a collage of disparate verbal strategies: passionate, often fervid lyric prose, wrought with metaphors, symbols, and allegorical narratives; trenchant satire, with comic hyperboles and outrageous metaphors; didactic, normative proclamations of the futurist credo, with numerical lists of formulaic statements; the sensational, telegraphic quality, and typographic novelty of advertising; and dialogic strategies, including exhortations, aggressive apostrophes, and moments of pretended conversation with the public. (Sartini Blum 1996, 30)
Sartini Blum verweist dabei auf grundlegende Merkmale, die in der weiteren Manifestforschung als gattungstypisch benannt worden sind, wie etwa „Polarisierung“, einen spezifischen, von „Imperativen“, „Schlagworten“ und „Hyperbeln“ geprägten Stil, systematische „Aufzählungen“ und eine experimentelle oder auffällige „Typographie“ (Thiele 2014, 131). Sartini Blums umfangreiche Auflistung hebt des weiteren die Komplexität und Offenheit der Gattung hervor, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Bestimmung dieser Merkmale auf die futuristischen Manifeste von Marinetti begrenzt ist und somit anhand eines weiteren Korpus von Texten um wichtige Elemente zu ergänzen wäre. Die Auflistung gibt jedoch eine wertvolle Einsicht in die Problematik der Formbestimmung des Manifests und erklärt zugleich, warum das Manifest in der Regel als eine „extrem plurale und offene Form“ gilt (Poole 2014, X), die sich einer einfachen typologischen Gattungsdefinition entzieht. Eine sorgfältige Analyse stilistischer, formaler und rhetorischer Merkmale ist sicherlich erstrebenswert und trotz der angeblich extremen Heterogenität der Gattung nicht ausgeschlossen. Im Endeffekt bleibt jedoch die Tatsache, dass solche formalen Elemente nicht als konstitutiv für die Bestimmung eines Textes als Manifest gelten können. Ein Text wird vielmehr dann als Mani-
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fest bezeichnet, wenn ihm – ‚paratextuell‘ vom Autor oder Herausgeber oder von einem Außenstehenden (vgl. Genette 1987) – eine bestimmte kulturelle, soziale und/oder historische Funktion zuschrieben wird. Der Unterschied zwischen der Situation, in der ein Text gleich bei der Veröffentlichung als ‚Manifest‘ bezeichnet wird und somit eine indication générique (vgl. Genette 1987, 98–106) bzw. ein deutliches auktoriales Signal seiner Gattungszugehörigkeit gibt (vgl. Fowler 1982, 88–105) und der Situation, in der ein Text erst retrospektiv als ‚Manifest‘ klassifiziert wird, ist von grundlegender Bedeutung. Vor 1909 ist die Gattungsbezeichnung ‚Manifest‘ im literar- und kunsthistorischen Zusammenhang meist von Außenstehenden als vage Bezeichnung für programmatische Texte verwendet worden; in der Avantgarde hingegen bekommt die Gattung eine konkrete Gestalt und eine zentrale Funktion zugeordnet. Vor diesem Hintergrund wird die Notwendigkeit deutlich, zwischen einer ‚Gattung Manifest‘ im engeren Sinne und einer breiteren Tradition programmatischer Schriften bzw. ästhetischer Programmschriften zu unterscheiden. Das Manifest im engeren Sinne bezieht sich auf jene Texte der Avantgarde (und der ästhetischen Moderne in weiterer Hinsicht), die von ihren Autoren explizit als solche bezeichnet wurden. Die Beschreibung ‚programmatische Schriften‘ verweist dagegen auf eine breitere Tradition von Texten, die neue ästhetische Ideen zu vermitteln bzw. zu erklären versuchen. Das Manifest lässt sich somit als eine spezifische Textsorte innerhalb des breiteren Korpus von ‚programmatischen Schriften‘ der ästhetischen Moderne bestimmen. Im Projekt der Avantgarde wird die Tradition ästhetischer Programmschriften, welche die Entwicklung der Moderne von der Romantik bis zur Jahrhundertwende begleitet hatte, radikalisiert. Die entscheidende Wende liegt in der Transformation dieser Tradition in ein zielgerichtetes kulturpolitisches Programm, das eine neue Form von ästhetischem Aktivismus zu begründen strebt. Der Bruch mit der vorangehenden Tradition ästhetischer Programmschriften lässt sich am deutlichsten mit Blick auf die Anknüpfung des frühen avantgardistischen Manifests an die Tradition des subversiven politischen Manifests beschreiben. Die hier genannte subversive Manifestpraxis, die ihren paradigmatischen Ausdruck in politischen Texten wie etwa Gracchus Babeufs Manifeste des plébéiens, Sylvain Maréchals Manifeste des égaux und später im Manifest der Kommunistischen Partei findet, legt den Grundstein für eine enge Verwandtschaft zwischen revolutionärer Rhetorik und der Textform ‚Manifest‘, die noch im frühen zwanzigsten Jahrhundert die Funktion der Gattung bestimmt (vgl. Babeuf 1965 [1795], 205–219; Maréchal 1828, 130–136; Marx und Engels 1848; vgl. dazu Hjartarson 2013, 55–59). Gerade die Zusammenführung von rhetorischen Verfahren, die einerseits im ästhetischen und andererseits im politischen Diskurs der Moderne verwurzelt sind, ist konstitutiv für die Neubegründung der Gattung Manifest durch die Avantgarde.
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Die Entgrenzung des Gattungsbegriffs ‚Manifest‘ wird häufig mit dem Hinweis auf die Heterogenität der Gattung und ihre fließenden Grenzen begründet. Solche vagen Definitionen führen dazu, dass die Variabilität in der Titelgebung der programmatischen Avantgardetexte nicht berücksichtigt wird und keine klaren Grenzen zwischen dem Manifest und angrenzenden programmatischen Textsorten gezogen werden. Diese Grenzen sind jedoch für eine historiografische Bestimmung des avantgardistischen Manifests von Belang, insofern „Manifest und Manifestantismus“ keine „kontingenten Gattungsentscheidungen, sondern wohlkalkulierte, universalistische und totalisierende Maßnahmen der Avantgarde“ waren (Fähnders 2011, 244). Die Einführung der Gattung Manifest ins künsterlische Feld durch Marinettis Schriften lässt sich in diesem Sinne als strategischer Akt bezeichnen. Wenn die hier angedeutete grundlegende Funktion des Manifests im Futurismus und im Projekt der Avantgarde in weiterer Hinsicht unterstrichen wird, so sollte die Variabilität in der Titelgebung von programmatischen Texten der Avantgarde jedoch nicht übersehen werden. Die Avantgardebewegungen haben nicht nur Manifeste veröffentlicht, sondern auch eine ganze Reihe von unterschiedlichen programmatischen Texten wie etwa offene Briefe, Proklamationen, Pamphlete, Dekrete, Appelle und Aufrufe (vgl. van den Berg 1998, 194). Teilweise waren die Grenzen zwischen dem Manifest und diesen angrenzenden Textsorten tatsächlich fließend, in vielen Fällen aber haben die Autoren diese verschiedenen Gattungsbezeichnungen strategisch eingesetzt (vgl. Bürger 1996 [1971], 59–60). Durch diese individuellen Titel bindet die Avantgarde ihre programmatischen Texte in spezifische ästhetische und politische Gattungszusammenhänge ein. Gegenüber anderen programmatischen Textsorten hat das Manifest jedoch einen besonderen Stellenwert innerhalb des avantgardistischen Projekts. Erstens werden jene Texte, denen die Funktion der Gründung einer neuen Bewegung und der Erklärung ihrer Grundsätze zukommt, in der Regel unter diesem Titel veröffentlicht, wie etwa Marinettis Gründungsmanifest des Futurismus, Bretons Manifeste du surréalisme von 1924 oder die von Wyndham Lewis verfasste Grundsatzerklärung des Vortizismus von 1914 (vgl. Breton 1988 [1924]; Lewis 1914). Zweitens ist das Manifest die einzige programmatische Textsorte, die in den Schriften der Avantgarde eingehend reflektiert wird – oder wie Walter Fähnders angemerkt hat: „Am Beginn der historischen Avantgardebewegungen steht nicht allein ein Manifest, sondern auch die Reflexion über das Manifesteschreiben, in nuce eine Poetik des Manifestes.“ (Fähnders 1997, 26).
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4 Das Manifest als Leitgattung der Avantgarde Die Frage, ob das Manifest als literarische Gattung beschrieben werden kann, hat die Forschung lange beschäftigt. Bereits in seiner frühen Studie von 1980 hat Claude Abastado die grundsätzlichen Fragen gestellt: „Les manifestes sont-ils un bon objet sémiotique? […] Forment-ils un ‚genre‘?“ (1980, 3) – und in der neueren Forschung wird die Kategorisierung des Manifests auf eine ähnlich spekulative Art angedeutet, wie etwa wenn Charlton Payne vom Manifest als „a genre, text form, mode of address, speech act“ spricht, um folglich anzumerken: „or however one wants to categorize the manifesto“ (2014, 63). Wenn hier von einer ‚Gattung‘ Manifest die Rede ist, bezieht sich der Gattungsbegriff nicht auf eine traditionelle, normative oder typologische Gattungstheorie, die wenig Möglichkeiten für eine Analyse des Manifests bietet. Um zu einer gattungstheoretischen Bestimmung des Manifests zu gelangen, bedarf es vielmehr – wie bereits Abastado unterstrichen hat – einer Analyse der „constantes fonctionnelles [qui] dictent les stratégies et lui assignent, à chaque époque de l’histoire de l’écriture, une place dans l’ordre du discours“ („Funktionskonstanten, welche die Textstrategien bestimmen und ihnen in jeder Epoche der Geschichte des Schreibens ihren Ort in der Ordnung des Diskurses zuweisen“; 1980, 11). Wenn die Notwendigkeit betont wird, die Funktionalität des Textes in den Vordergrund zu stellen, dann ist gleichzeitig zu betonen, dass eine rein funktionale Bestimmung von Manifesten „eine allzu schmale Basis für die Unterscheidung einer Gattung bildet“ (van den Berg 1998, 202–203). Eine Analyse des Manifests benötigt mit anderen Worten zugleich eine Analyse der funktionalen Elemente und der formalen und strukturellen Beschaffenheit der darunter firmierenden Texte. Die hier vorgeschlagene Bestimmung des Manifests als einer Gattung bezieht sich auf den im Rahmen von Hans Robert Jauß’ historischer Hermeneutik entwickelten Gattungsbegriff im Sinne von „Gruppen oder historische[n] Familien“, denen „keine andere Allgemeinheit zuzuschreiben [ist] als die, die sich im Wandel ihrer historischen Erscheinung manifestiert“ (1972, 110–111). Gattungen werden hier, mit anderen Worten, auf der Grundlage von Jurij Tynjanovs formalistischer Gattungstheorie als Institutionen verstanden, die einerseits den ‚Erwartungshorizont‘ des Lesers bestimmen, andererseits als Bezugsrahmen bei der Verfassung eines Textes dienen. Unter Verweis auf Tynjanovs Konzept der ‚literarischen Evolution‘ hält Jauß fest: Ein entsprechender Prozeß fortgesetzter Horizontstiftung und Horizontveränderung bestimmt auch das Verhältnis vom einzelnen Text zur gattungsbildenden Textreihe. Der neue Text evoziert für den Leser (Hörer) den aus früheren Texten vertrauten Horizont von Erwartungen und Spielregeln, die alsdann variiert, korrigiert, abgeändert oder auch nur
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reproduziert werden können. Variation und Korrektur bestimmen den Spielraum, Abänderung und Reproduktion die Grenzen einer Gattungsstruktur. (Jauß 1970, 175)
Tynjanovs Schriften sind nicht zuletzt deswegen fruchtbar für eine Analyse des Manifests, weil sie eine direkte Antwort auf die ästhetischen Praktiken der historischen Avantgarde präsentieren. In seinem Aufsatz Das literarische Faktum (Literaturnyj fakt), der 1924 in der russischen Avantgardezeitschrift Lef erschien, betont der russische Formalist die Notwendigkeit, das Literatursystem der Gegenwart in dessen historischer Spezifik zu beschreiben: sowohl Tageszeitungen als auch ‚unsinnige‘ Sprachproduktionen sind zu literarischen Fakten geworden. Er bezieht sich somit direkt auf die literarhistorische Bedeutung der Aktivitiäten der russischen Kubo-Futuristen, die dem methodischen Zugriff einer auf statischer Typologie beruhenden Literaturgeschichtsschreibung entgangen sei (Tynjanov 1969b [1924], 401–403). Literarische Gattungen müssten vielmehr im Rahmen einer Analyse ihrer Beziehung zu weiteren Gattungen bzw. Textreihen des literarischen Systems betrachtet werden. Von Belang für eine Analyse des Manifests ist nicht zuletzt Tynjanovs Feststellung, dass die literarische Evolution an Textreihen im kulturellen Umfeld gebunden ist. In seinem Aufsatz Über die literarische Evolution (О литературной эволюции) unterstreicht er, dass diese Evolution kein systemimmanenter Prozess sei, da die entscheidenden Impulse für die Erneuerung literarischer Verfahren stets von außerliterarischen Textreihen ausgehen. Gattungen überschreiten und verschieben somit die Grenze zwischen dem Literarischen und dem Außerliterarischen. Die Form des Faktums ist die Folge seiner korrelativen Funktion: Daß ein Faktum als literarisches Faktum existiert, hängt von seiner Differenzqualität ab (d. h. von seiner Korrelation sei es zur literarischen, sei es zur außerliterarischen Reihe), mit anderen Worten, von seiner Funktion. Was in der einen Epoche als literarisches Faktum erscheint, gilt für die andere als alltagssprachliche, außerliterarische Erscheinung (und umgekehrt), je nachdem, in welchem literarischen System sich das betreffende Faktum befindet. (Tynjanov 1969c [1927], 441)
Hier wird der Wert von Tynjanovs Theorie für eine gattungstheoretische Bestimmung des Manifests, das sich durch ein komplexes Ineinandergreifen ästhetischer und politischer Sprachpraktiken auszeichnet, sichtbar. Eine Analyse des avantgardistischen Manifests muss dabei dessen Verhältnis zu den beiden gattungsbildenden Textreihen – den ästhetischen Programmschriften und den politischen Manifesten – rekonstruieren. Einerseits gilt es, die rhetorische Bindung an das politische Manifest zu analysieren, andererseits zu untersuchen, inwiefern die Funktionalität der politischen Gattung aus ästhetischer Perspektive neu bestimmt wird. Im avantgardistischen Manifest entfacht das dialektische Verhältnis eines Textes zur gattungsbildenden Reihe somit eine besondere Problematik.
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Das avantgardistische Manifest subvertiert nämlich die politische Manifesttradition insofern, als es die Bedeutung der ästhetischen Aspekte im revolutionären Prozess hervorhebt und die dominierende, instrumentelle Sprachauffassung der politischen Moderne in Frage stellt. Wie Tynjanov argumentiert, ordnet sich ein literarischer Text einerseits diachron in die gattungsbildende literarische Reihe ein, andererseits gründet die soziale Dynamik des literarischen Systems darin, dass ein Text sich synchron auf Textreihen im kulturellen Umfeld bezieht. Das avantgardistische Manifest ordnet sich in diesem Sinne einerseits in die vorangegangene Tradition ästhetischer Programmschriften ein, greift aber andererseits auf die außerliterarische Textreihe des politischen Manifests zurück und überführt Elemente daraus ins literarische System (vgl. Tynjanov 1969c [1927]). Dabei ist zu beachten, dass die außerliterarische Reihe des politischen Manifests zugleich eine gattungsbildende ist, wodurch der Bezug des avantgardistischen Manifests zu dieser Reihe zugleich eine diachrone und eine synchrone Funktion besitzt. Durch die Übertragung des politischen Manifests ins literarische System und die Transformation seiner Formen darin wird die tradierte Funktion des Literarischen dann kritisch durchleuchtet und neu kalibriert. Mit Tynjanov lässt sich das ästhetische Manifest als Medium zur Neubestimmung des literarischen Systems und seiner gesellschaftlichen Wirkung bestimmen. Wenn die Literaturgeschichte als Evolution „im Sinne eines Kampfes und Bruches mit den unmittelbaren Vorgängern“ verstanden wird (Jauß 1972, 135), dann dient das Manifest offensichtlich als bevorzugtes Medium dieses Konflikts. Die Gattung stellt ein textuelles Medium für Reflexionen über die Literaturgeschichte bereit, in denen die Möglichkeit oder Notwendigkeit eines Traditionsbruchs zur Diskussion steht. Im Manifest wird einerseits der Kampf mit der Tradition in aller Offenheit ausgetragen, andererseits ist es die bevorzugte Gattung zur Bestimmung der Funktion des Ästhetischen innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung. An Tynjanovs Theorie anknüpfend lässt sich der besondere Stellenwert des Manifests im Projekt der Avantgarde näher bestimmen – die tradierten, vorherrschenden Gattungen werden von neuen Gattungen aus dem Zentrum des Literatursystems verdrängt: „Jedes beliebige Genre rückt in der Epoche seines Verfalls aus dem Zentrum an die Peripherie, an seinem Platz aber taucht aus den Kleinigkeiten der Literatur, aus ihren Hinterhöfen und Niederungen eine neue Erscheinung im Zentrum auf.“ (Tynjanov 1969b [1924], 399). Ireneusz Opacki spricht in diesem Zusammenhang von einer Hierarchie von Gattungen innerhalb literarischer Strömungen, wobei einer bestimmten Gattung eine übergeordnete Funktion zukommt. An seinen theoretischen Ansatz anknüpfend lässt sich das Manifest als „royal genre“ oder Leitgattung der Avantgarde bestimmen: „the ‚royal genre‘ of a given literary trend is, as it were, the ‚sum‘ of its poetics, the most complete compendium of the current ‚language of translation‘.
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In this sense it is representative for the general poetics of that trend.“ (Opacki 2000 [1963], 122). Die grundlegende Funktion der Leitgattung ist nicht auf diese Gattung begrenzt, vielmehr gehen von ihr Auswirkungen auf andere Gattungen im literarischen System aus. Die ‚Blutsverwandtschaft‘, die sie herstellt, ist formaler Art: „[A] literary genre, entering, in the course of evolution, the field of a particular literary trend, will enter into a very close ‚blood relationship‘ with the form of the royal genre that is particular to that current […]; the royal genre draws towards itself all the remaining literary genres of a given period.“ (121–122). Die Form der Leitgattung – ihr leitendes Verfahren – affiziert und transformiert somit das Gattungssystem und das literarische Feld. Die Flut an Manifesten, die mit den historischen Avantgardebewegungen einhergeht, zeigt, dass die Metareflexivität zu einer dominierenden Tendenz des ästhetischen Diskurses der Moderne geworden ist, sowohl im Sinne der Erklärung von neuen ästhetischen Verfahren, als auch einer kritischen Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Funktion des Ästhetischen. Von grundlegender Bedeutung ist dabei die Kategorie ästhetischer Autonomie, an deren Bestimmung der Bruch der Avantgarde mit der vorangehenden Tradition erkennbar wird. Die früheren ästhetischen Programmschriften, die um die Jahrhundertwende eine zunehmend wichtige Funktion erhielten, erfüllten eine eindeutig sekundäre Funktion. Sie verkündeten die ästhetischen Grundsätze der neuen Gruppen und Strömungen mit dem Ziel, diese Grundsätze im autonomen Kunstwerk umzusetzen. Im avantgardistischen Manifest werden die Grenzen zwischen der Verkündigung neuer ästhetischer Grundsätze und ihrer Realisierung hingegen vielfach uneindeutig. Die Verwirklichung des ästhetischen Programms bezieht sich hier nicht mehr ausschließlich auf ein kommendes oder bereits existierendes Kunstwerk, sondern in erster Linie auf die Performanz des Manifests selber. Man kann also von zwei verschiedenen Autonomiepragmatiken der Manifeste sprechen: Einmal dienen sie als Kommentare eines autonomen Kunstwerks (das damit zum Träger der ästhetisch-weltanschaulichen Gehalte wird), zum anderen erscheinen sie an dessen Stelle, übernehmen also selbst die autonome Kunstfunktion und repragmatisieren sie im Sinne ihres Auftrags. So verstanden kritisiert die Avantgarde die angebliche Wirkungslosigkeit des ‚klassisch‘ autonomen Kunstwerks und proklamiert die Notwendigkeit eines neuen Gattungsparadigmas, das die soziale Wirksamkeit der neuen Ästhetik zu gewährleisten hat. Lässt sich das Manifest grundsätzlich als ein performatives oder aktivistisches Textmedium bezeichnen, das zugleich „a trace and a tool of change“ darstellt (Lyon 1999, 16), dann gilt dies auf eine besondere Weise für die Manifeste der Avantgarde. Um zu einer näheren Bestimmung der Transformation der Gattung ‚Manifest‘ in ein aktivistisches Sprachmedium zu gelangen, bedarf es also einer formal angelegten Betrachtung der avantgardistischen Manifestpraxis.
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5 Die Form als Wille und Vorstellung Marinettis Gründungsmanifest kann als exemplarisch für die Neubestimmung der Gattung ‚Manifest‘ durch die Avantgarde gelten. Die mythografische Erzählung von der Geburt des Futurismus in der Eröffnungspassage des Textes ist in dieser Hinsicht von paradigmatischer Bedeutung: Nous avions veillé toute la nuit, mes amis et moi, sous des lampes de mosquée dont les coupoles de cuivre aussi ajourées que notre âme avaient pourtant des cœurs électriques. […] – Allons, dis-je, mes amis! Partons! Enfin, la Mythologie et l’Idéal mystique sont surpassés. Nous allons assister à la naissance du Centaure et nous verrons bientôt voler les premiers anges! – Il faudra ébranler les portes de la vie pour en essayer les gonds et les verrous! Partons! Voilà bien le premier soleil levant sur la terre! (Marinetti 1986 [1909], 107) (Wir haben die ganze Nacht gewacht – meine Freunde und Ich – unter den Moscheeampeln mit ihren durchbrochenen Kupferschalen, sternenübersät wie unsere Seelen und wie diese bestrahlt vom eingefangenen Glanz eines elektrischen Herzens. […] – Los, sagte ich, los, Freunde! Gehen wir! Endlich ist die Mythologie, ist das mystische Ideal überwunden. Wir werden der Geburt des Kentauren beiwohnen, und bald werden wir die ersten Engel fliegen sehen!… Man muß an den Pforten des Lebens rütteln, um ihre Angeln und Riegel zu prüfen!… Gehen wir! Da, seht auf der Erde, die erste aller Morgenröten! Marinetti 1993b [1909], 75)
Auf diese ersten Zeilen folgt Marinettis Erzählung vom Autounfall der Futuristen, nach dem sie wie neu geboren aus der „maternel fossé“ einer Fabrik herausklettern und ihr Programm in die Welt bringen. Der Verkündung der elf Programmpunkte geht eine Darstellung voraus, welche die Geburt der Bewegung zu einem mythischen, den Ursprung des Neuen markierenden Ereignis erhebt: Le visage masqué de la bonne boue des usines, pleine de scories de métal, de sueurs inutiles et de suie céleste, portant nos bras foulés en écharpe, parmi la complainte des sages pêcheurs à la ligne et des naturalistes navrés, nous dictâmes nos premières volontés à tous les hommes vivants de la terre. (Marinetti 1986 [1909], 107) (Da, das Antlitz vom guten Fabrikschlamm bedeckt – diesem Gemisch aus Metallschlacke, nutzlosem Schweiß und himmlischem Ruß – zerbeult und mit verbundenen Armen, aber unerschrocken, diktierten wir unseren ersten Willen allen lebendigen Menschen dieser Erde.) (Marinetti 1993b [1909], 77)
Was auf den ersten Blick, in Bezug auf die Tradition der ästhetischen Programmschriften, als Novum erscheint, erweist sich bei näherer Betrachtung als Radikalisierung des mythischen Moments in der politischen Manifesttradition. Zwar sind auch in die ästhetischen Programmschriften der Jahrhundertwende fiktionale Elemente eingebaut worden, doch anders als in dieser Tradition bildet Marinettis mythische Erzählung von der Geburt des Futurismus keine im Text abgegrenzte Einheit, die als expositorisches Beispiel einer alten und/oder neuen Ästhetik
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fungierte. Insofern die strukturelle Assimilation solcher ‚Inklusionen‘ eine notwendige Bedingung für die Transformation eines Gattungsparadigmas darstellt (vgl. Fowler 1982, 180) zeugt die Einblendung der fiktionalen Erzählung in Marinettis Text von einer strukturellen und modalen Transformation, die unter dem Aspekt der Fiktionalisierung betrachtet werden kann (vgl. Perloff 1986, 80–115). Das Manifest verdeckt die eigene pragmatische Funktion, indem es sie ins Mythische sublimiert und den Rezipienten in einen Teilhaber dieses mythischen Ereignisses transformiert. Des Weiteren wird nicht nur die im Manifest entworfene Programmatik als Produkt eines mythischen Ereignisses präsentiert, das mythische Ereignis selbst wird durch die Erzählung am Anfang des Textes fiktionalisiert. Die Grenze zwischen dem Autoritären und der Autoreferenzialität des Textes erweist sich dabei als fließend. Durch die Fiktionalisierung der Herrschaftsinstanz wird die instrumentelle Auffassung von sprachlicher Funktionalität, die dem politischen Manifest zugrunde liegt, programmatisch aufgehoben. Das avantgardistische Manifest markiert in diesem Sinne die Versprachlichung der inhärenten Herrschaftsinstanz des Manifests – es gilt, eine neue Subjektivität mittels neuer, autoritärer und ästhetischer Sprachpraktiken heraufzubeschwören. Die tradierte politische Herrschaftsrhetorik des Manifests wird von der Avantgarde also weniger unterminiert als neu bestimmt. In ihren Manifesten wird nicht die „Diskursivität der Herrschaft“ als solche „durchbrochen“ (van den Berg 1998, 72), sondern die Diskursivität einer bestimmten, politischen Form von Herrschaft, die das Manifest als sprachliches Instrument versteht. Eine kategoriale Trennung zwischen der „Literarität des avantgardistischen Manifests“ und seiner „anti-autoritäre[n] Stoßrichtung“ einerseits (van den Berg 1998, 72), und der autoritären Sprachpraxis des politischen Manifests andererseits, greift dabei zu kurz. Durch die Neubestimmung des Autoritären tranformiert die Avantgarde das für die Gattung konstitutive Moment „machtpolitischen Handelns“ (Wagner 1997, 52) in einen Modus sprachlichen Handelns. Die „verbalen Gesten“ der avantgardistischen Manifeste lassen sich nicht ausschließlich als Versuche bestimmen, „die Reichweite des alten ‚Verfahrens‘“ der früheren ästhetischen Programmschriften, das in der Verkündung eines ästhetischen Programms besteht, „ins Diktatorische zu erweitern“ (Wagner 1997, 41). Durch die Verschiebung der Grenze zwischen dem Ästhetischen und dem Autoritären entwerfen die Manifeste der Avantgarde vielmehr eine neue, versprachlichte Konzeption von Machtausübung. Die kunstsoziologisch und sprachpragmatisch angelegten Analysen, welche die Manifestforschung bestimmt haben, bieten wenig Möglichkeit, das avantgardistische Manifest in seiner Spezifik als performatives Sprachmedium zu fassen (vgl. Yanoshevsky 2009). Kunstsoziologische Studien haben wichtige Einsichten in die Funktion der Manifeste erbracht und – an Bourdieus Theorie des litera-
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rischen Feldes anknüpfend – dessen wichtige Rolle als „Mittel zur Akkumulation und Konzentration von symbolischem Kapital“ sowie zur Positionierung im künstlerischen Feld geschildert (van den Berg und Grüttemeier 1998b, 30). Sprachpragmatische Analysen haben ihrerseits wichtige Einsichten in die faktische Wirkung der Manifeste als ‚Sprechakte‘ gebracht. Anstatt von einem im Vorfeld der Analyse festgelegten Instrumentarium und Begriffen wie Sprechakt, Performativ, Intentionalität oder symbolisches Kapital auszugehen, mag es sich als nützlicher erweisen, die grundlegenden Kategorien der Analyse vom historischen Textmaterial her zu erarbeiten. Das Manifest lässt sich aus dieser Perspektive weniger als Medium zur Vermittlung von Intentionen, denn als Medium zur Kundgebung und Veräußerlichung eines Willens begreifen. Anders als der Begriff der Intentionalität, der von einem transhistorischen, mit analytischen Mitteln zu erschließenden Modell sprachlicher Kommunikation ausgeht, nimmt die Kategorie des Willens eine wichtige Funktion in den Schriften der Avantgarde ein. Der Verweis auf die Bedeutung des Willens im avantgardistischen Projekt ist an sich kein Novum, die hier entworfenen Willenskonzepte sind jedoch kaum mit der Manifestpraxis der Avantgarde in Verbindung gebracht worden. So erklärt beispielsweise Charles Russell in seiner frühen Studie, ohne explizit auf die Rolle des Manifests zu verweisen: Ultimately, the avant-garde desires that evolution may become self-conscious, that the imagination will be able to seize possession of itself and of the conditions that determine it, and direct its own evolutionary development. This combination of the will toward the future and the anticipation of the unknown discoveries it will reveal constitutes […] the avant-garde’s „speculative volition“. (Russell 1985, 27)
Das bestimmende Moment der Evolution wird somit nicht mehr mit wissenschaftlicher Kenntnis oder mit einer höheren Machtinstanz verbunden, es liegt vielmehr in den Händen der Vertreter der neuen Ästhetik. Die Avantgarde knüpft an neue wissenschaftliche Modelle, die – wie Russell betont – „support a belief that the laws governing human behavior and thought can be determined, and that as new discoveries are made, new perceptions, conceptual patterns, and finally new modes of thought will result. This implies to the avant-garde that analogous artistic experimentation and innovation in perception and language will lead to new discoveries and modes of behavior.“ (Russell 1985, 27). Die Abgrenzung vom wissenschaftlichen und politischen Diskurs gründet somit im Rückzug auf einen autonomen Bereich der Ästhetik, der aus Sicht der Avantgarde einzig als Grundlage einer wahrhaft revolutionären Neubestimmung des evolutionären und historischen Prozesses dienen kann. Das Projekt der Avantgarde beruht auf der Idee einer ‚geistigen Revolution‘, die nicht nur der traditionellen Idee einer politischen, sondern auch der Idee einer wissenschaftlichen Revolution als übergeordnetes
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Geschichtsmodell entgegengesetzt wird. In den Schriften so unterschiedlicher Autoren wie Marinetti und André Breton wird die politische Revolution auf symptomatische Weise als ein „programma minimo“ (Marinetti 1968a [1923], 489) bzw. „programme minimum“ (Breton 1992 [1926], 283) bezeichnet, das durch die ‚geistige Revolution‘ der künstlerischen Avantgarde zu vervollkommnen ist. Reflexionen über die Verbindung zwischen Willensvorstellungen, Evolutionskonzepten und der Auffassung einer neuen ästhetischen Praxis lassen sich in unterschiedlichen programmatischen Schriften der Avantgarde finden. Ein prägnantes Beispiel bietet Fritz Taendlers Manifest des Willens von 1914, in dem der Autor den „Anfang einer großen Zeit“ verkündet, „die den Menschen vom Kranksein zur Instinktgesundung führen wird und weiter hoch hinauf wie wir es jetzt kaum ahnen“ (1914, 11). Die Anknüpfung an Konzepte des philosophischen Vitalismus ist unübersehbar – Taendler bindet den Drang nach radikaler Erneuerung an das Bild eines neuen „instinkten Menschen“, der den „Willen zum Leben“ und eine kommende geistige Ordnung verkörpert. In der neuen Ästhetik gilt es „[u]nser Sein zu erleben, Werte zu schaffen und weiter zu kommen“, um „[u]nsere verfaulte Welt“ hinter uns zu lassen. Das von Taendler proklamierte Heilungsprogramm präsentiert eine „Revolution, die die Kultur der Instinkte in sich hat“ (12, 14), wodurch sie die Grenzen einer politischen Revolution überschreitet und endgültig mit der Tradition erstarrter, rationaler Begrifflichkeit bricht: „Mit Begriffen wissen wir nichts anzufangen. Wie wir uns gegen jeglichen Militarismus auflehnen, empören wir uns gegen alles Feststehende; gegen alles Nicht-inBewegung-Seiende.“ (13). Während Taendler am Anfang eine kritische Position gegenüber dem Manifestantismus einnimmt und erklärt, dass „wir nicht durch Geschrei, Pathos, subalterne Begeisterung, Religiosität“ zu „dem Erahnen und dem Willen der letzten großen Dinge kommen“, verbindet er die bevorstehende ästhetische Revolution am Ende mit einer vitalistischen Auffassung des Willens und des künstlerischen Ausdrucks: „Der Schrei aus dem Blut wird ordnend uns befreien.“ (11, 14). Taendlers Manifest lässt sich als symptomatisches Produkt des ästhetischen Voluntarismus der Avantgarde bezeichnen. Die irrationalistischen Willenskonzepte, welche die Manifeste der Avantgarde prägen, waren gerichtet gegen deterministische Geschichtsmodelle, die dem Subjekt keine bestimmende Rolle im historischen und evolutionären Prozess einräumten. Die Einführung des Manifests in das Kunstsystem verkörpert in diesem Sinne den Versuch, ein aktivistisch-künstlerisches Sprachmedium zu gestalten, das eine Möglichkeit des Eingreifens in die Geschichte bietet. Im Rahmen des avantgardistischen Projekts wurden derartige anti-deterministische Ansätze häufig an biologische Evolutionsmodelle gekoppelt. So erklärt der Zenitist Ljubomir Micić beispielsweise in einem Text von 1921: „Die Form des biologischen Menschen ist keineswegs vorbestimmt, umsoweniger ist es die Form
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des geistigen Menschen.“ (Micić 1921, 3; vgl. Micić 2002). Die auf einer radikal anti-deterministischen Willensauffassung beruhenden Allmachtsfantasien der Avantgarde, die ihre radikale Formulierung im Text von Micić finden, enstanden nicht im kulturellen Vakuum. Die Vision der Neubestimmung des evolutionären Prozesses durch den Willen gehörte vielmehr zu einem breiteren Diskurs des modernen Irrationalismus. Damit ist nicht nur der philosophische Vitalismus gemeint, es sind auch politische und nicht zuletzt esoterische Denkmodelle angesprochen, die für die Formation des ästhetischen Voluntarismus der Avantgarde von Belang sind. In den Schriften der Avantgarde finden sich Anspielungen auf Willenskonzepte so unterschiedlicher Autoren wie Friedrich Nietzsche, Arthur Schopenhauer, Henri Bergson, William James, Georges Sorel, Max Stirner, Pëtr Uspenskij, Ernst Haeckel, Rudolf Steiner und Madame Blavatskij, die auf je unterschiedliche Weise im Rahmen des avantgardistischen Projekts aufgegriffen und neu bestimmt wurden (vgl. Hjartarson 2013). Zu heuristischen Zwecken kann man dabei zunächst zwischen einer Tradition der Philosophie, der Politik und der Esoterik unterscheiden. In den Schriften der Avantgarde lässt sich jedoch keine eindeutige Trennungslinie zwischen der Aufarbeitung von Theoremen der hier genannten unterschiedlichen Diskurse ziehen. Im Rahmen des avantgardistischen Projekts wurden diskursive Fragmente dieser Traditionen häufig rücksichtslos miteinander verbunden und als Grundlage eines als synthetisch konzipierten ästhetischen Projekts funktionalisiert. In dieser Hinsicht lässt sich von einem genuinen Synkretismus reden, der jedoch kein spezifisches Merkmal der historischen Avantgardebewegungen darstellt. Auch im esoterischen Diskurs des ausgehenden neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts griffen tradierte esoterische Ideen und irrationalistische Ansätze der philosophisch-vitalistischen Tradition häufig ineinander (vgl. Glatzer Rosenthal 1997; Erdbeer 2010). Im esoterischen Diskurs wurden Ideen von Vertretern des Vitalismus, wie etwa Nietzsche, Bergson, James oder Schopenhauer vulgarisiert und deren Autoren als Kritiker und Propheten geistiger oder spiritueller Lehren gelobt. Ähnlich wie in den Schriften der Avantgarde dominierte im esoterischen Diskurs beispielsweise das Bild, Bergson „polemisiere gegen die mechanische Weltanschauung des Positivismus, zerstöre die Grundlagen der bisherigen Wissenschaft“ (Drews 1983, 121). Die voluntaristische Dimension von Bergsons Ideen wurde radikalisiert und als Grundlage von Theorien, die das schöpferische Subjekt zur entscheidenden Instanz der Evolution erklärten, vereinnahmt. Im Rahmen des avantgardistischen Projekts wurde dieses vulgarisierte Bild von Bergsons Voluntarismus aus ästhetischer Perspektive zugespitzt. Mit ihren Manifesten treten die Avantgardisten dann als selbsterklärte Träger eines élan vital auf, welche die Welt durch die Veräußerlichung ihres Willens im Manifest nach Beliebigkeit gestalten. Die Rezeption von Bergsons Ideen ist charakteristisch für die Aufarbeitung von irrationalistischen
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Willenskonzepten der philosophischen Moderne in den Werken der Avantgarde: Die vitalistischen Ansätze werden mit esoterischen Denkansätzen verbunden und im Rahmen einer allgemeinen Kritik am vorherrschenden Determinismus pragmatisiert. Die Schriften der Avantgarde entwickeln somit einen – mit Manfred Hinz gesprochen – „blinde[n] Aktionismus“ bzw. eine „aktivistische Variante des Intuitionismus“ lebensphilosophischer Provenienz (1985, 83). Johannes Molzahns Manifest des absoluten Expressionismus von 1919 zeigt auf deutliche Weise, wie das Manifest, an vitalistische und esoterische Denkmodelle anknüpfend, als Medium zur Darstellung einer latenten historischen Gesetzmäßigkeit und zur Offenbarung vitaler, im Inneren des Menschen brodelnder Energien zu dienen hatte: „Wir grüssen und singen den Weltinstinkt – das lebendige Ereignis im Menschen.“ Die Schlusspassage des Textes unterstreicht weiterhin, dass das Manifest nicht auf die Funktion eines Instruments reduziert werden kann, sondern darüber hinaus ein Medium zur Offenbarung und Verwirklichung eines kosmischen Willens zur Verfügung stellte: „Dieses gewaltige Manifest – dieses flammende Banner – den Sternen gesteilt – getürmt – wollen Wir entfalten und über die pulsende Erde spannen – als das lebendige Symbol – kosmischen Willens – strahlender Energie rotierenden Geschehens.“ (Molzahn 1919, 92). Ein weiteres Beispiel der Verbindung zwischen irrationalischen Willenskonzepten und einer Kritik am deterministischen Weltbild bietet Marinettis L’Homme multiplié et le règne de la Machine von 1911. Hier spricht er von der Überzeugung der Futuristen, dass „Kunst und Literatur einen bestimmenden Einfluß auf alle sozialen Klassen ausüben, die unwissendsten eingeschlossen, deren Teilhabe daran sich aus mysteriösen Quellen speist“, wodurch sie „den Weg der Menschheit zu einem von Gefühligkeit und Wollust befreiten Leben beschleunigen oder hemmen“, um folglich die damit verbundene Überwindung der deterministischen Weltauffassung zu proklamieren: „Unserem skeptischen, täglich abzutötenden Determinismus zum Hohne glauben wir an den Nutzen einer künstlerischen Propaganda […].“ (Marinetti 1993a [1911], 109). Die Kritik am ‚skeptischen Determinismus‘ bezieht sich auf verschiedene Denkmodelle im kulturellen Umfeld, wobei vor allem die offensichtliche Anspielung auf die Geschichtsauffassung des orthodoxen Marxismus und der direkte Verweis auf die Evolutionstheorie Jean-Baptiste Lamarcks auffallen. Marinettis Kritik an der marxistischen Geschichtsauffassung knüpft an Georges Sorels Theorie des revolutionären Syndikalismus an, der dem ‚Mythos‘ und somit dem revolutionären Bewusstsein eine entscheidende Rolle im historischen Prozess zugeordnet hatte. Aus der Perspektive Sorels – in dessen Schriften politische Theorien des Marxismus mit vitalistischen Theoremen Bergsonscher Provenienz verbunden wurden – waren es weniger die ökonomischen Bedingungen als die Vorstellungen der Proletarier angesichts der bestehenden sozialen Ordnung, welche die Revolution auslösen würden, wodurch er die
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Revolution weniger als faktisches Ereignis denn als einen ideologischen Prozess verstand. Marinettis Anspielung auf Lamarck knüpft hingegen an die zunehmende Kritik an Darwins Theorie der natürlichen Auslese im biologischen und naturphilosophischen Diskurs um die Jahrhundertwende an. Die Tatsache, dass Marinetti in seiner Beschreibung des neuen futuristischen Menschen auf die Schriften Lamarcks und nicht auf das Werk Darwins verweist, ist an sich nicht überraschend, insofern der Text mitten in jenem Zeitraum entsteht, den Peter J. Bowler als „the eclipse of Darwinism“ bezeichnet hat (1983). Die Bezeichnung bezieht sich auf den Zeitraum von ungefähr 1880 bis in die 1930er-Jahre, als „antiDarwinian and sometimes openly vitalistic biology“ (Bowler 2001, 13) zunehmend an Bedeutung gewann und Darwins Lehre der natürlichen Auslese in Bedrängnis geriet. Von zentraler Bedeutung in dieser Debatte waren die Theorien des NeoLamarckismus, die auf die Schriften Lamarcks zurückgriffen, um die Bedeutung der inneren Kräfte der Natur bzw. des ‚sentiment intérieur‘ der Organismen gegenüber dem rein äußerlichen, materiellen Selektionsprinzip des Darwinismus aufzuwerten (vgl. Burkhardt 1995). Die neo-lamarckistische Evolutionslehre diente in diesem Zeitraum als eine der radikalsten Manifestationen von „a serious non-Darwinian theory“, welche die Idee vertrat „that trends, though adaptively initiated, might break from environmental control“ (Gould 2002, 365). Lamarcks Begriff des ‚sentiment intérieur‘ bezog sich auf die Fähigkeit eines Organismus, sich äußeren Bedingungen anzupassen; im Neo-Lamarckismus wurde dieser idealistische Ansatz auf der Grundlage eines philosophisch-biologischen Vitalismus radikalisiert, um die Evolution als dynamischen Prozess der Selbstverwirklichung zu bestimmen.
6 Magischer Manifestismus: Die Formung des neuen Subjekts Diese Ideen stießen im philosophischen und ästhetischen Diskurs der Jahrhundertwende auf positive Resonanz. Das gilt nicht zuletzt für die Lebensphilosophie, in der neo-lamarckistische Konzepte aufgegriffen und im Rahmen vitalistischer Evolutionsschemata neu konfiguriert wurden. In L’Évolution créatrice von 1907 verteidigte Bergson beispielsweise die Lehre vom sentiment intérieur gegenüber dem biologischen Determinismus der Darwinisten und erklärte: La variation qui aboutit à produire une espèce nouvelle ne serait pas […] réglée par un déterminisme sui generis, qui développerait des caractères déterminés dans un sens déterminé, indépendamment de tout souci d’utilité. Elle naîtrait de l’effort même de l’être vivant pour
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s’adapter aux conditions où il doit vivre. (Bergson 1941 [1907], 77). ([D]ie Variation, die auf Hervorbringung einer neuen Art hinausläuft […], ist nicht geregelt durch einen Determinismus sui generis, der unabhängig von jedem Nützlichkeitsgesichtspunkt bestimmte Eigenschaften festgesetzter Richtung entwickelte. Vielmehr wird sie aus der „Anstrengung“ eines Individuums zur Anpassung an die gegebenen Lebensbedingungen geboren. Bergson 1941 [1967], 111)
Bergson versuchte das von den Lamarckisten als ‚effort‘ bezeichnete Prinzip aus lebensphilosophischer Perspektive neu zu bestimmen, indem er sich auf die Schriften des Neo-Lamarckisten Edward Drinker Cope bezog: Cet effort pourrait d’ailleurs n’être que l’exercice mécanique de certains organes, mécaniquement provoqué par la pression des circonstances extérieures. Mais il pourrait aussi impliquer conscience et volonté, et c’est dans ce dernier sens que paraît l’entendre un des représentants les plus éminents de la doctrine, le naturaliste américain Cope. (Bergson 1941 [1907], 77). ([D]iese Anstrengung [braucht] zunächst nur in der mechanischen Übung gewisser Organe zu bestehen […], wie sie durch Druck der äußeren Umstände rein mechanisch hervorgerufen wird. Jedoch, sie kann auch Bewußtsein und Willen einschließen. Und in diesem letzten Sinn scheint sie einer der bedeutendsten Vertreter der Lehre, der amerikanische Naturforscher Cope, zu verstehen. Bergson 1941 [1967], 111)
Bergson akzeptierte somit das Grundprinzip der neo-lamarckistischen Evolutionslehre und versuchte diese zugleich in eine Metaphysik des Willens umzudeuten. Marinettis Auffassung der Evolution weist eine deutliche Analogie mit Bergsons Versuch zur Neubestimmung der neo-lamarckistischen Theorie auf. Auch Marinetti versucht, Lamarcks Konzept des sentiment intérieur durch eine Idee des élan vital zu ersetzen. Die biologische Lehre Lamarcks, die Bergson im Rahmen seiner Theorie aus vitalistischer Perspektive radikalisiert hatte, wird in Marinettis Text jedoch im Rahmen eines gezielt ästhetischen Programms vulgarisiert: Il est certain qu’en admettant l’hypothèse transformiste de Lamarck, il faut reconnaître que nous aspirons à la création d’un type inhumain, en qui seront abolis la douleur morale, la bonté, la tendresse et l’amour, seuls poisons corrosifs de l’intarissable énergie vitale, seuls interrupteurs de notre puissante électricité physiologique. (Marinetti 1911, 73–74). (Akzeptiert man Lamarcks transformistische Hypothese, so wird man sicher anerkennen, daß wir die Schaffung eines a-humanen Typus anstreben. Gewissenspein, Güte, Gefühl und Liebe stellen nichts als zerfressende Gifte der unerschöpflichen vitalen Energie dar, bloße Barrieren für den Fluß unserer mächtigen physiologischen Elektrizität. Marinetti 1993a [1911], 108)
Die Rolle, die Bergson dem Bewusstsein im evolutionären Prozess zugeordnet hatte, bleibt bei Marinetti der ästhetischen Einbildungskraft vorbehalten. Zugleich wird Bergsons vitalistisches Evolutionsmodell entmystifiziert, die treibende Kraft der Geschichte ist kein fließendes Bewusstsein oder eine innere Lebensdynamik,
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sondern die futuristische Programmatik. In seiner Bestimmung des neuen Menschen als Verkörperung einer ungebändigten ‚énergie vitale‘ bezieht sich Marinetti zwar direkt auf Bergsons Konzept des élan vital, die Offenbarung dieser Energie setzt er jedoch mit der futuristischen Praxis gleich. Der futuristische Mensch ist kein Glied in einer biologischen Kette, seine Geburt wird vielmehr als „création d’un type inhumain“ verstanden und somit das neo-lamarckistische Evolutionsmodell endgültig in sein Gegenteil umgekehrt: Das principe interne, das Bergson zu einer subjektiven Kategorie erhoben hatte, wird als schöpferisches Mittel zur Überschreitung der biologischen Grenzen des Menschen verstanden, die zum definitiven Sieg des ästhetischen Subjekts über die Materie führen wird. In der folgenden Beschreibung dieser als „l’homme multiplié“ bezeichneten Figur des neuen Menschen verbindet Marinetti dessen Erscheinung mit einer utopischen Vision der ungehemmten Veräußerlichung seiner Willenskraft: „Le jour où il sera possible à l’homme d’extérioriser sa volonté de sorte qu’elle se prolonge hors de lui comme un immense bras invisible, le Rêve et le Désir, qui sont aujourd’hui de vains mots, régneront souverainement sur l’espace et sur le temps domptés.“ (Marinetti 1911, 74). („Wenn es dem Menschen möglich sein wird, seinen Willen in der Weise Gestalt annehmen zu lassen, daß er sich außerhalb seiner wie zu einem immensen, unsichtbaren Arm verlängere, werden Traum und Begehren, heute nichts als leere Worte, souverän über den gebändigten Raum und die gezähmte Zeit herrschen.“ Marinetti 1993a [1911], 108). Die Passage betont nicht nur die konstitutive Funktion der Kategorie des Willens, deren Bestimmung für eine Analyse der futuristischen Manifestpraxis grundlegend ist. Das Bild des unsichtbaren Armes, der dem Traum und der Begierde eine unmittelbare Macht über die Materie geben soll, markiert weiterhin die Bindung an Willenskonzepte der modernen Esoterik, die im frühen zwanzigsten Jahrhundert häufig mit bildhaften Darstellungen des unsichtbaren Willens, der den Kurs der Geschichte mit magischen Mitteln bestimmte, verbunden wurden. Die Bindung an zeitgenössische esoterische Praktiken wird in Marinettis Text unterstrichen, wenn er explizit auf Praktiken im spiritistischen Milieu verweist. Unmittelbar nach der oben zitierten Passage heißt es: „Il est facile d’évaluer ces différentes hypothèses apparemment paradoxales en étudiant les phénomènes de volonté extériorisée qui s’opèrent continuellement dans les salles spirites.“ (Marinetti 1911, 75). („Ihr könnt diese scheinbar paradoxen Thesen leicht verstehen, wenn ihr die bei spiritistischen Sitzungen fortwährend auftretenden Phänomene entäußerlichten Willens beobachtet.“ Marinetti 1993a [1911], 108). Éliphas Lévis grundlegende Werke des modernen Okkultismus aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts können als konstitutiv für die hier angedeutete irrationale Auffassung des Willens betrachtet werden. In Lévis Schriften wurde die Kategorie des Willens unmittelbar mit der Selbstverwirklichung des esoterischen
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Subjekts verbunden, wobei die Figur des Alchemisten im Vordergrund stand. Lévi schilderte die Alchemie somit als einen radikalen Kult des Willens und der Erhebung des Subjekts zur allumfassenden Machtinstanz der Evolution. Die Selbstverwirklichung des Subjekts wurde mit der ultimativen Erlösung des menschlichen Willens und der Etablierung seiner Herrschaft über die Materie gleichgesetzt. In La Clef des grands mystères beschreibt Lévi die alchemistische Tradition somit auf symptomatische Weise als „l’éducation de la volonté de l’homme“ („Erziehung des menschlichen Willens“), um nachfolgend zu erklären: „Rien ne résiste à la volonté de l’homme […]. Affirmer et vouloir ce qui doit être, c’est créer.“ (Lévi 2000b [1859], 824–825). („Nichts widersteht dem Willen des Menschen […]. Bejahen und wollen, was sein muss, heißt schaffen.“ Lévi 42019 [1859], 206– 209). Lévis Bestimmung der Alchemie ging mit einer magischen Auffassung der Sprache und ihrer Funktion im evolutionären Prozess einher. Das „grand œuvre“ war laut Lévi „quelque chose de plus qu’une opération chimique: c’est une véritable création du Verbe humain initié à la puissance du Verbe de Dieu même“ (Lévi 2000a [1854], 225; „mehr als eine chymische Operation, […] eine wahrhafte Schöpfung des in die Macht des göttlichen Wortes selbst eingeweihten menschlichen Wortes“, Lévi 22012 [1854], 337). Die Alchemie präsentiert somit eine auf magischen Kenntnissen beruhende sprachliche Praxis, der die ganze Welt als Materie ausgesetzt ist: „L’intelligence parle et la matière s’agite; elle ne se reposera qu’après avoir pris la forme donnée par la parole.“ (Lévi 2000b, 828). („Die Intelligenz spricht und der Stoff wird bewegt; er ruht nicht eher, bis er die vom Wort gegebene Form angenommen hat.“ Lévi 2019 [1859], 215). Die sprachlich fundierte magische Auffassung des Willens, die in Lévis Schriften artikuliert wird und in unterschiedlichen Ausprägungen im esoterischen Diskurs der Moderne zum Ausdruck kommt, ermöglicht eine Neubestimmung der konstitutiven Funktion des Manifests im Projekt der Avantgarde. Kunstsoziologische Studien der Gattung haben wichtige Einsichten in die soziale Dynamik und vor allem in die Einführung des Manifests als Medium zur Positionierung im künstlerischen Feld erbracht. Theoretische Ansätze, welche die Erhebung des Manifests zu einer Schlüsselgattung im ästhetischen Diskurs der Moderne auf das Erklärungsbedürfnis einer sich durch radikale Erneuerung kennzeichnenden Kunstproduktion zurückführen, haben ihrerseits zu einer näheren Bestimmung der Funktion des Manifests im Prozess der gesellschaftlichen Modernisierung beigetragen. So hat das Manifest laut Alfons Backes-Haase „die Aufgabe, Autorintentionen, die Kunst oder Literatur üblicherweise selbst transportieren, einem Leseoder Betrachtungspublikum sekundär zu vermitteln und die Künstlerintention wieder dem Raum zuzuführen, an dem sie ihren genuinen gesellschaftlichen Platz hatte, von dem sie aber verdrängt wurde: der bürgerlichen Öffentlichkeit als dem Ort, an dem Kunst und Literatur rezipiert wurden und eine Auseinandersetzung
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über sie stattfand“ (Backes-Haase 1992, 12). Laut dieser These besteht somit eine enge Verbindung zwischen der Formation des ästhetischen Manifests und dem hermetischen Charakter der künstlerischen Praktiken der Avantgarde – sowie der ästhetischen Moderne insgesamt. Dabei lässt sich jedoch eine zwiespältige Logik feststellen: dem Manifest wird einerseits eine zentrale Funktion zugeordnet, die in der Postulierung einer neuen Ästhetik besteht, andererseits erhält die Gattung diese Funktion erst durch das autonome Kunstwerk. Die Funktion des Manifests wird mit anderen Worten vom autonomen Kunstwerk abhängig gemacht, was die Rolle der Manifeste auf paradoxe Weise marginalisiert: die Gattung liegt zugleich im Zentrum und außerhalb des avantgardistischen Projekts, insofern die Manifeste lediglich die Funktion von Kommentaren über die eigentliche Kunstproduktion einnehmen. Die Bestimmung des Manifests als einer sekundären Textsorte ist zutreffend für die umfangreiche Produktion von ästhetischen Programmschriften im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert, sie bietet aber keine Möglichkeit, die Transformation dieser vorangehenden Tradition in ein aktivistisches Textmedium zu beschreiben. Angesichts der Hunderte von Manifesten, welche die Bewegungen der historischen Avantgarde in die Welt geschickt haben, scheint die These von der Unabhängigkeit ihres Projekts vom Manifest allerdings wenig überzeugend. Mit Verweis auf die irrationalistischen Willenskonzepte, die im Umfeld des philosophischen Vitalismus und der modernen Esoterik zirkulierten, lässt sich die Formation der avantgardistischen Manifestpraxis auf eine magische Sprachauffassung zurückführen. Als magische Sprachperformanzen lassen sich die Manifeste der Avantgarde nicht auf die rationale Erklärung oder Vermittlung eines ästhetischen Programms reduzieren, vielmehr wird die konstitutive Rolle dieses Textmediums bei der Verwirklichung des avantgardistischen Projekts sichtbar. Der übergeordnete Status des Manifests in der Gattungshierarchie der Avantgarde steht in enger Beziehung sowohl mit der Darstellung als auch mit der Verwirklichung ihres Projekts, wobei nicht nur die Realisierung bestimmter poetischer Verfahren gemeint ist, sondern auch die Ansätze zu einer umfassenden kulturellen Erneuerung mitgedacht sind. Das Ziel der Manifeste war nicht nur die Vermittlung eines zu verwirklichenden künstlerischen Programms, sondern die Heraufbeschwörung einer neuen ästhetischen Subjektivität mittels magischer Sprachpraktiken. Damit soll nicht die These vertreten werden, dass die Einführung des Manifests als einer Schlüsselgattung der ästhetischen Moderne das Ergebnis einer sorgfältigen Lektüre von Publikationen zur Magie oder zu anderen Bereichen der Esoterik in den Kreisen der Avantgarde gewesen sei. Vielmehr wird hier behauptet, dass die magische Sprachauffassung, die im Diskurs der modernen Esoterik zum Ausdruck kommt, die radikale Ausformulierung einer im Diskurs des Irrationalismus weit verbreiteten Auffassung der konstitutiven Rolle des Subjekts,
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der ästhetischen Einbildungskraft und der Sprache im evolutionären Prozess darstellt. Die Formation der avantgardistischen Manifestpraxis lässt sich als Produkt grundlegender epistemischer Verschiebungen im frühen zwanzigsten Jahrhundert bezeichnen, in dem die Denktraditionen des politischen Radikalismus, des philosophischen Vitalismus und der modernen Esoterik ineinandergreifen. Das avantgardistische Manifest lässt sich ohne Berücksichtigung der diskursiven Überschneidung dieser Denktraditionen nicht hinreichend erklären und historisch verorten. Die historische Avantgarde greift diskursive Versatzstücke dieser unterschiedlichen Denktraditionen auf und verbindet ihre Ansätze zu politischer Revolutionierung, kultureller Revitalisierung und spiritueller Regeneration in ein als synthetisch konzipiertes ästhetisches Projekt der umfassenden kulturellen Neugestaltung, wobei dem performativen Sprachmedium des Manifests eine bestimmende Funktion zukommt. Der übergeordnete Status des Manifests in der avantgardistischen Gattungshierarchie lässt sich nur vor dem Hintergrund einer im vitalistischen und esoterischen Diskurs verbreiteten Auffassung des radikalen Voluntarismus beschreiben. Das avantgardistische Manifest beruht auf einer magischen Sprachauffassung, die der irrationalen Sprachperformanz des Manifests eine konstitutive Funktion im ästhetischen Projekt der Gestaltung einer neuen, genuin modernen, vielfältigen und ästhetischen Subjektivität zuweist. Wenn hier von einem als synthetisch konzipierten ästhetischen Projekt der gleichzeitigen politischen Revolutionierung, kulturellen Revitalisierung und spirituellen Regeneration die Rede ist, dann sollte diese Behauptung nicht über den synkretistischen Charakter des avantgardistischen Projekts hinwegtäuschen. Die Verschiebungen im ästhetischen Feld, die mit der avantgardistischen Manifestpraxis einhergingen, gründeten im Rekurs der Avantgarde auf unterschiedliche außerliterarische Textreihen, die in das literarische System eingeführt und im Rahmen dieses Systems refunktionalisiert wurden. Ideen aus dem Umfeld revolutionärer Politik, des philosophischen Vitalismus und der modernen Esoterik wurden rücksichtslos vereinnahmt und im Rahmen eines allumfassenden ästhetischen Projekts der Revolutionierung der gesamten Lebensordnung umfunktionalisiert. Von grundlegender Bedeutung bei der Formation des avantgardistischen Manifests war die Bindung an die gattungsbildende Reihe des politischen Manifests. Die Neubestimmung der Verbindung zwischen künstlerischer und politischer Praxis im avantgardistischen Manifest lässt sich hingegen ohne Berücksichtigung der Traditionen des Vitalismus und der modernen Esoterik nicht hinreichend erklären. Die Einführung von Versatzstücken aus dem Diskurs des modernen Irrationalismus war von konstitutiver Bedeutung für die Neubestimmung des Politischen in den Manifesten. Radikale Willenskonzepte, die im Kontext des modernen Irrationalismus entwickelt wurden und in Künstlerkreisen zirkulierten, waren von konstitutiver Bedeutung für die Formation der avantgar-
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distischen Manifestpraxis. Die Neubestimmung sprachlicher Funktionalität, die den Bruch des avantgardistischen Manifests mit der politischen Manifesttradition und die Transformation der Gattung aus einem Instrument politischen Handelns in ein Medium ‚magisch‘ konzipierter Sprachausübung indizierte, gründete im Rekurs auf esoterisches und vitalistisches Gedankengut. Somit hat die Bindung des avantgardistischen Manifests an den Diskurs des modernen Irrationalismus zur Radikalisierung der Idee ästhetischer Autonomie beigetragen, insofern in diesem Diskurs eine direkte Kopplung von romantischen Ideen über das hellseherische Potenzial des Ästhetischen an Praktiken magischer Machtausübung gegeben war (vgl. Erdbeer 2010). Die hier beschriebene Radikalisierung der Idee ästhetischer Autonomie ist von konstitutiver Bedeutung für den Versuch der historischen Avantgarde, die traditionelle Form eines politischen Aktivismus zu überwinden und zu einer neuen, radikal-ästhetischen Formpraxis zu gelangen. Der Formenwechsel von der kommentierenden Programmschrift zum aktivistischen Manifest zielt darauf, eine neue Form der Subjektivität hervorvorzubringen. Im Manifest der Avantgarde wird Form zum Trigger einer Steuerung, die dann – als magische Beherrschungspraxis oder neolamarckistisches Entwicklungsnarrativ – die Rezipienten nicht mehr von Programmen überzeugen, sondern ihre neuronale, kognitive Tätigkeit, kurz: die Bedingungen des Willens selbst verändern will. So wandelt sich die Formästhetik der Jahrhundertwende in der Avantgarde zur epistemologischen Aktion. Indem er den rhetorischen Begriff der Form durch einen modellistischen ersetzt, erzeugt der Avantgarde-Manifestismus eine neue Praxeologie der Form. Sie formt die Subjektivität des neuen Menschen, die im Manifest modellbildende Kraft erhält.
Weiterführende Literatur Asholt, Wolfgang und Walter Fähnders. Hrsg. „Die ganze Welt ist eine Manifestation“. Die europäische Avantgarde und ihre Manifeste. Darmstadt 1997. Hjartarson, Benedikt. Visionen des Neuen. Eine diskurshistorische Analyse des frühen avantgardistischen Manifests. Heidelberg 2013. Lyon, Janet. Manifestoes. Provocations of the Modern. Ithaca und London 1999. Poole, Ralph J. und Yvonne Katharina Kaisinger. Hrsg. Manifeste. Speerspitzen zwischen Kunst und Wissenschaft. Heidelberg 2014. Somigli, Luca. Legitimizing the Artist. Manifesto Writing and European Modernism, 1885–1915. Toronto 2003. Van den Berg, Hubert und Ralf Grüttemeier. Manifeste. Intentionalität. Amsterdam und Atlanta 1998.
Susanne Gruß
III.4.3 Die formation féminine 1 Weibliche Ästhetik, Gynokritik und Literaturgeschichte(n) Die Frage nach einem spezifisch ‚weiblichen‘ Schreiben, das sich in Formsprache und Ästhetik klar von ‚männlichem‘ Schreiben abgrenzen lässt, wird (literatur-) wissenschaftlich und sprachphilosophisch vor allem im Rahmen der sogenannten ‚zweiten Welle‘ des Feminismus in den späten 1970er- und 1980er-Jahren intensiv diskutiert. Im Kontext der Herausbildung der ‚Women’s Studies‘ an anglo-amerikanischen Universitäten (bzw. ihrem deutschen Äquivalent, der ‚Frauenliteratur‘) wenden sich insbesondere Akademikerinnen der Aufarbeitung einer weiblichen Literaturgeschichte zu, die den bisher männlich dominierten literarischen Kanon als historisch-ideologisches Konstrukt problematisieren und komplementieren soll, und von der Fokussierung auf das Erschreiben einer weiblichen Identität in Texten von Autorinnen geleitet wird. Ausgehend von dem von Simone de B eauvoir (1908–1986) in Das andere Geschlecht (1949) formulierten und inzwischen sprichwörtlichen Postulat „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“ (1994 [1949], 334) entsteht mit der Gynokritik ein von der amerikanischen Literaturund Kulturwissenschaftlerin Elaine Showalter (*1941) geprägter feministischer Ansatz, der von einer Differenzhypothese ausgehend ein neues kritisches Vokabular zu entwickeln versucht. Dieses widmet sich spezifisch der Erfahrungs- und Erlebniswelt von Frauen in der Literatur bzw. dem sprachlichen und motivischen Inventar weiblicher Autorschaft und nimmt die Darstellung von Frauenfiguren in der Literatur männlicher Autoren einerseits sowie das literarische Werk bisher marginalisierter oder in Vergessenheit geratener Autorinnen andererseits in den Blick. Auf Showalters wegweisende Monographie A Literature of Their Own. British Women Novelists from Brontë to Lessing (1977; vgl. Showalter 1999) folgen im deutschsprachigen Raum beispielsweise die von Gisela Brinker-Gabler herausgegebene zweibändige Literaturgeschichte Deutsche Literatur von Frauen (1988) sowie Ina Schaberts Englische Literaturgeschichte. Eine neue Darstellung aus Sicht der Geschlechterforschung (1997) und Englische Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Eine neue Darstellung aus Sicht der Geschlechterforschung (2006). Bereits in diesen weitgehend literaturgeschichtlich angelegten Bänden spielt die Vorstellung der gesellschaftlichen und diskursiven Konstruktion von Weiblichkeit, wie sie in den 1990er-Jahren von Judith Butler (*1956) und anderen Gender-Theoretikerinnen und -Theoretikern zum zentralen Forschungsgegenstand https://doi.org/10.1515/9783110364385-017
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gemacht werden sollte, eine große Rolle. Damit einhergehend wird die Frage nach einer spezifisch weiblichen Ästhetik ins Zentrum des Erkenntnisinteresses gerückt, die Frage nach der potenziellen Andersheit weiblichen Erlebens und Schreibens als formales Charakteristikum, das auch theoretisch gefasst werden kann: „Wenn Frauen anders sind,“ argumentiert Ingeborg Weber, „so werden sie auch anders schreiben, sollte man meinen, werden ästhetisch andere Wege gehen, andere Mittel einsetzen als die Männer“ (1994c, 7). Eine ganz ähnliche Fragestellung verfolgt Silvia Bovenschen in ihrem heute noch viel zitierten Aufsatz Über die Frage: gibt es eine weibliche Ästhetik (1976) – eine Frage, die Bovenschen nicht eindeutig beantworten kann und will: „Ganz gewiß, wenn die Frage das ästhetische Sensorium und die Formen sinnlichen Erkennens betrifft; sicher nicht, wenn darunter eine aparte Variante der Kunstproduktion oder eine ausgeklügelte Kunsttheorie verstanden wird.“ (1976, 74). In Bovenschens Aufsatz schwingen Ansatzpunkt und Problematik der zentralen Theoretikerinnen, die sich ‚weiblichem‘ Schreiben nicht aus literaturhistorischer, sondern psychoanalytisch und sprachkritisch geprägter Sichtweise nähern – den sogenannten ‚französischen Feministinnen‘, um die es auf den folgenden Seiten gehen soll –, bereits mit: Sie setzt weibliche Kreativität in Verbindung mit dem weiblichen Körper, dem ‚sinnlichen Erkennen‘, wie sie es nennt, und setzt sich damit dem Vorwurf des biologischen Essentialismus aus, der in seiner Reduzierung auf die anatomisch klar voneinander abgegrenzten Geschlechter normativen (und damit im Kontext des Feminismus der 1960er- bis 80er-Jahre als patriarchalisch verstandenen) Geschlechtervorstellungen verhaftet bleibt. Gleichzeitig bezweifelt Bovenschen „eine aparte Variante der Kunstproduktion“ (1976, 74), die spezifisch weiblich ist, und damit auch die Existenz einer weiblichen literarischen Form.
2 Jacques Lacan: Vom Imaginären zur symbolischen Ordnung Die sprachliche Verfasstheit von (geschlechtlicher) Identität und die Suche nach einem ‚weiblichen‘ Schreiben, das patriarchale Geschlechtszuschreibungen unterlaufen kann, bildet das Kernanliegen dreier Theoretikerinnen, die seit den 1980ern meist unter dem Schlagwort ‚französischer Feminismus‘ zusammengefasst und mit dem Begriff des ‚weiblichen‘ Schreibens, der écriture féminine, in Verbindung gebracht werden: Hélène Cixous (*1937), Luce Irigaray (*1930) und Julia Kristeva (*1941). Allen dreien gemein ist der Ausgangspunkt ihrer Theoriebildung in den (oder eher: gegen die) Begrifflichkeiten des poststrukturalistischen Psychoanalytikers Jacques Lacan (1901–1981), der den Menschen als sprachlich
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determiniertes Individuum begreift, das in und durch Sprache (also durch eine Form der Repräsentation, die Lacan als symbolische Ordnung bezeichnet) zum sich selbst erkennenden Subjekt wird, eine Form der Subjektwerdung, die bei Lacan gleichzeitig zu einer radikalen Verunsicherung des Subjektbegriffs führt. Mit dem Eintritt in die symbolische Ordnung, die ein Eintreten in die Sprache und die gesellschaftlichen Normen und Konventionen bedeutet (bei Lacan wortspielerisch Nom/Non du Père), lässt das Subjekt den vorsprachlichen Bereich des sogenannten Imaginären zurück, der durch die körperliche Einheit von Mutter und Kind charakterisiert wird und mit dem Eintritt in das Symbolische vollständig verdrängt werden muss. Der sprachliche Diskurs des Symbolischen erlaubt es dem Kind, eine eigenständige Identität aufzubauen, die bei Lacan jedoch gleichzeitig instabil bleiben muss, weil sie auf der Sprache als immer bereits vermitteltem und letztlich defizitärem Hilfsdiskurs aufbaut. Die Assoziation des Imaginären (also vorsprachlichen, irrationalen und letztlich verdrängten Bereichs unseres Bewusstseins) mit der Mutter und die des Symbolischen (des sprachlichen, rationalen und bewussten Teils unseres Ichs) mit dem Vater wird von Lacan zwar als metaphorische Zuordnung markiert, machte ihn aber schnell zur Zielscheibe feministischer Kritikerinnen. Ausgangspunkt ihrer Kritik an Lacan – und damit auch Ausgangspunkt der écriture féminine – ist neben der Marginalisierung der Mutter im verdrängten Bereich des vorsprachlichen Imaginären insbesondere sein Konzept des ‚Phallus‘ als eines ‚privilegierten Signifikanten‘, der „die Signifikatswirkungen in ihrer Gesamtheit“ bezeichnet (31991 [1958], 126). Zwar will Lacan den ‚Phallus‘ explizit nicht als anatomische Zuschreibung verstanden haben („Noch weniger wohl ist er [der Phallus] das Organ, Penis oder Klitoris, das er symbolisiert“, 125), doch Jean Gallop führt schon in den 1980er-Jahren in einer maßgeblichen Kritik an Lacan die Problematik seiner Begrifflichkeiten vor, wenn sie lakonisch argumentiert: „Even though Lacan might intend the word ‚phallus‘ to mean a ‚neutral‘, ‚differential function‘, because he uses a word that is already in the language, already in use, in the lexicon […], the confusion is inevitable.“ (1986, 136). Und obwohl Lacan mit einer symbolischen Verortung von ‚männlich‘ und ‚weiblich‘ argumentiert, bleiben seine Theorien anatomisch verortet – mit der ‚natürlichen‘ Rolle als Mutter bleiben Mädchen dem Imaginären stärker verhaftet als Jungen und können den Eintritt in die symbolische Ordnung nur imitierend vollziehen: „She speaks“, so Elizabeth Grosz, „in a mode of masquerade, an imitation of the masculine, phallic subject“ (1990, 72). Während die Position des Weiblichen, Mütterlichen und damit auch die der Frau im Symbolischen also immer defizitär und in der Artikulation als Subjekt mimetisch auf das Männliche ausgerichtet ist, können Jungen den Bruch mit dem Imaginären vollständig vollziehen und so im Gegensatz zu ihren Schwestern und Müttern auch zu vollwertigen Repräsentanten der symbolischen Ordnung werden.
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3 ‚Der‘ französische Feminismus als theoretische Schule? Cixous, Irigaray und Kristeva wenden sich in ihrer Abgrenzung von Lacan bewusst dem Imaginären zu, das sie aus feministischer, philosophischer und sprachkritischer Perspektive umwerten und zur positiven Quelle einer weiblichen, ästhetisch und formal neu gewerteten Art des Schreibens und Sprechens machen. Allen dreien ist gemein, dass sie die Art und Weise, wie wir die Welt verstehen und konzipieren, als sprachlich kodiert ansehen; gleichzeitig gehen sie von einem Weltbild aus, das – ausgehend von der durch Jacques Derrida (1930–2004) geprägten Dekonstruktion und insbesondere der Lacanschen Psychoanalyse – patriarchalisch und im Nachgang der europäischen Aufklärung logozentrisch geprägt ist und neben dem männlichen Prinzip auch die (Schrift-)Sprache bevorzugt. Im Gegensatz zur ex-negativo-Konstruktion der Frau als dem ‚Anderen‘ des Mannes in der Psychoanalyse Sigmund Freuds (1856–1939) und Lacans legen sie einen starken Fokus auf den weiblichen Körper und seine Sexualität und damit auf die Wirkmacht der Libido in ‚weiblichem‘ Schreiben: „‚Jouissance‘, the French word for orgasm or for a pleasure so intense that it is at once of the body and outside it, became a fashionable term of literary theory for an intensity which, like woman’s pleasure, is outside language.“ (Weil 2006, 153). Trotz dieser Gemeinsamkeiten sind die drei Theoretikerinnen nicht als Angehörige einer homogenen ‚Schule‘ zu verstehen. Abgesehen von dem für alle drei charakteristischen Schwerpunkt auf der sprachlichen Konstitution des Subjekts und den damit einhergehenden Problemen einer sprachlichen Fassung von Weiblichkeit in einer männlich kodierten symbolischen Ordnung sind Cixous, Irigaray und Kristeva wohl eher als individuelle Denkerinnen zu situieren, die ihre Theorien vor einem ähnlichen sozio-kulturellen und historischen Hintergrund entwerfen (alle drei schreiben im Paris der späten 1960erund frühen 1970er-Jahre). Die Vereinheitlichung des nach dem Wirkungsland und der Publikationssprache der drei Theoretikerinnen benannten ‚französischen‘ Feminismus zu einer kohärenten Teilbewegung der zweiten Welle des Feminismus ist, so Ingrid Galster, ein anglo-amerikanisches Konstrukt und erfasst damit auch nur eine Teilgruppe der feministischen Bewegung in Frankreich. „Es gehört zu den merkwürdigsten […] Phänomenen des modernen Kulturtransfers“, argumentiert Galster, „dass gerade der in Frankreich selbst wenig verbreitete dekonstruktive Feminismus im Ausland als Inbegriff des französischen Feminismus angesehen wird“ (2010, 45). Die geographische Herkunft der ‚französischen Feministinnen‘ und die unterschiedlichen akademischen Kontexte, denen sie entstammen, führen vielmehr zu Divergenzen, die es im Folgenden zu beleuchten gilt: die in Algerien geborene Cixous ist Literaturwissenschaftlerin, Dichterin und Autorin; Irigaray,
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die in Belgien geborene promovierte Linguistin, ist von Lacan ausgebildete Psychoanalytikerin; und die Bulgarin Kristeva – an Avantgarde-Literatur interessierte Linguistin und Literaturwissenschaftlerin – ist ausgebildete Psychoanalytikerin (wie Irigaray) und verfasst (wie Cixous) inzwischen auch fiktionale Texte.
4 Hélène Cixous und die écriture féminine Das von Hélène Cixous entwickelte Konzept (oder, wie sich gleich zeigen wird, Anti-Konzept) der écriture féminine ist inzwischen sowohl zum Inbegriff als auch zum Zankapfel eines feministisch-dekonstruktivistischen Formkonzepts geworden und soll daher den Anfang machen. Für Cixous lässt sich die symbolische Ordnung Lacans, die den Ausgangspunkt ihrer Theorien bildet, auf eine Reihe simplifizierender binärer Oppositionen zurückführen, die sich ganz im Sinne einer logozentrischen und phallozentrischen (oder, in einem für Cixous typischen Neologismus, phallogozentrischen) Sprach- und Weltordnung auf die grundlegende Opposition Mann/Frau zurückführen und reduzieren lassen. Begriffspaare wie rational/irrational, Tag/Nacht oder aktiv/passiv sind dabei, so Cixous, immer auch hierarchisierend: selbst wenn die Begriffspaare nur in der binären Opposition sinngebend werden und sich damit gegenseitig bedingen, ist der wirkmächtigere Begriff stets männlich, der schwächere Begriff stets weiblich definiert. Weiblichkeit ist in der phallogozentrischen Sprachordnung damit immer bereits ein Mangel eingeschrieben, der der Marginalisierung des mütterlichen Prinzips in der Lacanschen Symbolischen Ordnung entspricht. Ziel von Cixous’ durchaus programmatisch gedachten Schriften ist daher eine sprachliche Neuverfassung des Weiblichen, die sich dem faktisch-theoretischen Postulat der patriarchalen Sprache widersetzt. In ihrem bekanntesten, manifestartigen Text Das Lachen der Medusa (Le Rire de la méduse, 1975, dt. 2013) wird das Konzept des ‚weiblichen‘ Schreibens nicht nur entwickelt, sondern auch als revolutionärer Aufruf verstanden und performativ vorgeführt: „Schreib Dich“, fordert Cixous ihre Leserin auf (und sie wendet sich tatsächlich explizit an eine weibliche Leserschaft), „es ist unerläßlich, daß dein Körper Gehör bekommt. Dann wird aus unermeßlichen Quellen der Reichtum des Unbewußten hervorsprudeln“ (2013 [1975], 44). Écriture féminine ist Cixous’ feministischer Appell zum Aufstand gegen das Patriarchat und muss daher unbedingt historisch im Kontext des politischen Feminismus der 1970er-Jahre gelesen werden – Galster beispielsweise betont die Entwicklung des französischen Feminismus im Umfeld „der Kulturrevolte des Mai 1968“ (32010, 45). Im Gegensatz zu manchen ihrer Zeitgenossinnen geht es Cixous dabei nicht um die Aufarbeitung der patriarchalen Vergangenheit, sondern vielmehr um
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einen zukünftigen, utopischen Gestus, „um das Zelebrieren einer neuen Frau der Zukunft“ (Postl 2013, 24). Als weibliche Form des Schreibens wird die écriture féminine konsequent im weiblichen Körper verortet, der von Patriarchat und Psychoanalyse marginalisiert, tabuisiert und verdrängt worden ist. Sie speist sich damit aus dem Unbewussten (dem Lacanschen Imaginären, dem Bereich des Mütterlichen), das im Gegensatz zum phallogozentrischen abendländischen Diskurs offen, chaotisch, rhythmisch, ohne Anfang und Ende zu denken ist. Gleichzeitig verweigert sich Cixous dem als ‚männlich‘ verstandenen Definitionsgestus: „Unmöglich eine weibliche Art des Schreibens zu definieren“, schreibt sie, „denn man wird diese Schreibart nie theoretisieren, umgrenzen, kodieren können“ (2013 [1975], 47). Diese demnach praktische, entgrenzte Form des Schreibens, so Cixous, kann als Gegenmodell zum männlichen Diskurs der symbolischen Ordnung mit der Metapher der ‚weißen Tinte‘ gedacht werden, die nicht nur für die Muttermilch (also den weiblichen Körper) steht, sondern auf weißem Papier auch unsichtbar (also nicht greif- und definierbar) erscheint. Prä-ödipale Textelemente wie Stimme, Rhythmus oder Berührung sind typische Charakteristika dieses weiblichen Schreibens, das außerhalb des Symbolischen liegt und durch dieses daher nicht symbolisch determiniert werden kann. So wird die titelgebende Medusa zur positiven Ikone feministischer Weiblichkeit, der weibliche und im Speziellen der mütterliche Körper zum Inbegriff weiblicher Identität: Es ist die bereits im Mutterleib wahrgenommene Stimme der Mutter, die zum Ursprung der écriture féminine wird, die den Raum des Imaginären ausfüllt, ohne der Syntax oder Schriftsprache unterworfen zu sein. Damit ist die écriture féminine potenziell auch Männern zugänglich, die den prä-ödipalen Einfluss des Mütterlichen auf ihr Unbewusstes (und die Verdrängung des Imaginären) gleichermaßen produktiv nutzen können, um die symbolische Ordnung zu unterminieren und letztlich zu zerstören – „wenn sie denn Zugang zum Körperlich-Imaginären finden“ (Masanek 2005, 41). Der Sprache kommt bei Cixous (wie auch bei Irigaray und Kristeva) realitätsveränderndes Potenzial zu. Wird die symbolische Ordnung durch écriture féminine zerstört, endet damit auch das Patriarchat, das in der symbolischen Ordnung sprachlichen Ausdruck findet und durch diese konsolidiert wird.
5 ‚Frau-Sprechen‘ bei Luce Irigaray Wie bei Cixous bildet bei Luce Irigaray die defizitäre Position der Frau in der Lacanschen Psychoanalyse den theoretischen Ausgangs- und zentralen Kritikpunkt ihrer (frühen) Arbeiten. Im Gegensatz zu Lacan ist das Imaginäre bei
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Irigaray nicht der Bereich, in dem die von Mangel behaftete Frau zurückbleibt, sondern vielmehr die Quelle aus der heraus sie sich gegen die symbolische Ordnung artikulieren kann. Irigarays Speculum. Spiegel des anderen Geschlechts (Speculum de l’autre femme, 1974, dt. 1980) – das titelgebende Spekulum steht als gynäkologisches Untersuchungsinstrument für die weibliche Anatomie, der Untertitel macht die Rolle der Frau als Spiegel des Mannes im Symbolischen deutlich – ist ein Gewaltmarsch durch die Geschichte der Marginalisierung des Weiblichen in der westlichen Philosophie, der Irigaray von Platon über Hegel zu Freud (und implizit zu Lacan) führt. Irigarays diskursive Strategie, um der symbolischen Spiegelökonomie zu entkommen, ist die den patriarchalen Diskurs imitierende Mimikry, die – den postkolonialen Ansätzen Homi Bhabhas ähnlich – genutzt wird, um auf Leerstellen oder ideologische Fallstricke hinzuweisen und die symbolische Ordnung so von innen heraus parodierend auszuhöhlen. Lacan, der den Ausgangspunkt ihres Denkens bildet, wird explizit nicht namentlich erwähnt, als Nom du Père bleibt er ungenannt, eine bewusste Auslassung, die Jane Gallop als einen ersten Akt der Auflehnung liest: „Refusing Lacan’s name is to refuse to read Lacan as Lawgiver.“ (1982, 39). Parler femme, Irigarays ‚Frau-Sprechen‘ (und damit die nächste Stufe nach der imitierenden Mimikry, durch die die Frau die symbolische Ordnung nur angreifen kann, indem sie die ihr zugeschriebene marginalisierte Position akzeptiert), hat wie die écriture féminine seinen Ursprung im Überfluss des weiblich konnotierten Imaginären. Sexuell und erotisch aufgeladen wird parler femme als ein weibliches ‚Körper-Sprechen‘ verstanden, das dem männlichen Diskurs entgegengesetzt wird. Wie Cixous setzt sich Irigaray mit ihrem Konzept durchaus (selbst-)bewusst dem Vorwurf des biologischen Essentialismus aus, wenn sie beispielsweise in Das Geschlecht, das nicht eins ist (Ce sexe qui n’en est past un, 1977, dt. 1979) argumentiert, die ‚multiplen‘ weiblichen Geschlechtsorgane, insbesondere die ständig autoerotisch miteinander in Berührung stehenden Schamlippen, seien metaphorisch (und recht explizit auch anatomisch) der monolithischen Identität und Sexualität des Phallus überlegen. Wie Cixous verweigert sich auch Irigaray einer Definition ihres Konzepts des ‚Frau-Sprechens‘: „Die Frau spricht niemals gleich. Das, was sie von sich gibt, ist fließend, fluktuierend. Flunkernd. Man kann ihr nicht zuhören, ohne daß dabei die Sinne, der eigentlich Sinn, der Sinn des Eigentlich, schwinden.“ (1979 [1977], 107). Parler femme wird als plurales Sprechen gegen den männlich-phallischen Diskurs (Cixous’ Phallogozentrismus) positioniert und soll bewusst nicht theoretisch gefasst werden, weil es Widersprüchlichkeiten zulässt und als a-logische Sprache „biologisch-morphologisch vom sexuellen Körper der Frau abhängt“ (Osinski 1998, 151). Texte, die dem Ideal des ‚Frau-Sprechens‘ nahekommen, sind vor allem experimenteller Natur und zeichnen sich in ihrer Formsprache beispielsweise durch das Überschreiten syntaktischer Grenzen aus.
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6 Julia Kristeva und das Semiotische Obwohl Julia Kristeva meist in einem Atemzug mit Cixous und Irigaray genannt wird, nimmt sie im ‚Trio‘ der französischen Feministinnen eine Sonderstellung ein – Kelly Oliver bezeichnet sie augenzwinkernd als „‚odd man out‘ […] in the ‚holy Trinity‘ of French feminist theory“ (1993, 176). Wie Cixous und Irigaray lehnt Kristeva (die sich insbesondere zu Beginn ihrer Karriere explizit nicht als Feministin verstanden wissen will) zwar eine Definition ‚der Frau‘ ab, begründet ihre Weigerung aber nicht in einer dem Imaginär-Körperlichen verhafteten Glorifizierung des ‚Weiblichen‘, das qua seiner pluralen Sinnlich- und Körperlichkeit nicht beschrieben werden soll, sondern vielmehr in einem stärker konstruktivistisch angelegten Verständnis von Geschlecht, das weder eine Definition ‚der Frau‘ noch eine ‚des Mannes‘ zulässt. So argumentiert sie in Woman Can Never Be Defined (La femme, ce n’est jamais ça, 1974, engl. 1981): „The belief that ‚one is a woman‘ is almost as absurd and obscurantist as the belief that ‚one is a man‘“ (1981 [1974], 137); in Die Chinesin (Des Chinoises, 1974, dt. 1976) äußert sie sich explizit kritisch gegenüber der vollständigen Ablehnung der symbolischen Ordnung durch ihre Zeitgenossinnen („Eine Frau hat nichts zu lachen, wenn die symbolische Ordnung zusammenbricht“, 1982 [1974], 233). Kristeva geht es zunächst also nicht darum, die symbolische Ordnung zu hinterfragen oder gar zu zerstören, sondern vielmehr darum, „die sozio-kulturelle Position des Weiblichen zu bestimmen, und die erscheint ihr in den patriarchal-monotheistischen Gesellschaften als marginal“ (Weber 1994a, 43). In Die Revolution der poetischen Sprache (La révolution du langage poétique, 1974, dt. 1978) stellt Kristeva daher konsequent kein spezifisch ‚weibliches‘ formalästhetisches Verfahren dar, auch wenn sie an Lacan anknüpft und dessen Theorien wie Cixous und Irigaray kritisiert und adaptiert. Als Linguistin, maßgebliche Theoretikerin der Intertextualität und Interpretin des Symbolismus und anderer avantgardistischer Literaturbewegungen konzentriert sie sich vielmehr auf das von ihr so bezeichnete ‚Semiotische‘ (das dem Imaginären bei Lacan größtenteils entspricht), und lokalisiert hier ähnlich wie Irigaray eine produktive Quelle literarischen Schreibens. Lacans Imaginärem vergleichbar ist die prä-ödipale MutterKind-Dyade das Fundament von Kristevas Semiotischem, das sich durch eine körperbetonte Organisation und Strukturierung der Triebe auszeichnet (vgl. Lechte und Margaroni 2004, 13), im Gegensatz zum Lacanschen Konstrukt mit dem Eintritt ins Symbolische aber nicht unwiederbringlich verdrängt werden muss. Bei Kristeva findet eine ständige Interaktion des Semiotischen und des Symbolischen statt, die sie als konstante semiotische Bedrohung der logozentrischen Sprache konzipiert – das Semiotische droht in seiner vorsprachlichen, triebgesteuerten Wucht in das Symbolische einzufallen und muss immer wieder zurückgedrängt
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werden. Damit wird nicht nur die monolithische und scheinbar allmächtige Struktur des Symbolischen in Frage gestellt, das Semiotische als eine körperliche Sprache des ‚Exzesses‘, des Überschusses, kann kreativ genutzt werden, und zwar sowohl von Frauen als auch von Männern, solange sie den Zugriff auf ihr Unbewusstes zulassen. Schreiben, das auf das Semiotische als Potenzial zurückgreift, wird durch Rhythmus, Sprachmelodie, aufgebrochene Syntax und Grammatik gekennzeichnet und ist damit formal écriture féminine und parler femme durchaus ähnlich, wird aber im Gegensatz zu diesen nicht biologisch essentialisierend begründet, sondern steht allen Autorinnen und Autoren offen. Außerdem bleibt bei Kristeva die ordnende Präsenz des Symbolischen eine unabdingbare Notwendigkeit für ein produktives Miteinander der beiden Sprachordnungen, wie bereits das Zitat aus Die Chinesin deutlich gemacht hat – die rein semiotische Äußerung bleibt für sie nicht nur unverständlich, sondern wird als psychotisch markiert.
7 Einige Kritikpunkte – und nun? Die Widersprüchlichkeiten der Theorien des französischen Feminismus, die historisch in Teilen als bewusst inkonsistente feministische Positionierung gegen den patriarchalen Diskurs verstanden werden wollen und müssen, machen es Kritikerinnen und Kritikern des als utopisch gedachten ‚weiblichen Schreibens‘ leicht. Insbesondere die oft essentialistische Aufwertung des ‚Weiblichen‘ (als entgrenzt, multipel, lustvoll) in Abgrenzung zum psychoanalytischen ‚Männlichen‘ Lacans (als statisch, monolithisch, körperfeindlich) lässt sich allzu leicht als Umkehrung der Marginalisierung des Weiblichen entlarven. So wie der Begriff ‚Phallus‘, der von Lacan als metaphorische Zuschreibung verstanden werden will, von den französischen Feministinnen zu Recht als „eine linguistische Mystifizierung real patriarchalischer Herrschaftsstrukturen“ (Weber 1994a, 20) attackiert wurde, bleibt der Begriff des ‚Weiblichen‘ oder ‚Femininen‘ mit biologischen Frauen verknüpft und führt bei allen drei Theoretikerinnen auch zu einer in Teilen problematischen Verklärung der Mutter als Ursprung dieses ‚weiblichen‘ Schreibens. Die Aufwertung des biologisch Weiblichen führt in diesem Kontext automatisch zu einer Abwertung des biologisch Männlichen. Cixous, Irigaray und in Teilen auch Kristeva kämpfen zwar wortmächtig gegen die binären Oppositionen des logozentrischen Systems (und gegen die Lacansche Psychoanalyse als gemeinsamen Ausgangspunkt), erhalten dieselben Oppositionen mit ihren Theorien jedoch am Leben und nehmen im Falle von Cixous und Irigaray die Rolle des marginalisierten ‚Anderen‘ an – selbst wenn es zu einer
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subversiven Kraft umdefiniert wird. Sogar Kristeva, der in diesem Unterkapitel eine gewisse Sonderstellung zugeschrieben worden ist, entwirft mit dem bisher nicht thematisierten Konzept der mütterlichen Chora (in der sie das Semiotische lokalisiert) einen präsymbolischen und damit verdrängten Raum, der über den Körper der Mutter das Semiotische speist, letztlich aber untertheoretisiert bleibt und zumindest teilweise den Zugang beider Geschlechter zum Semiotischen als Quelle literarischen Schreibens in Frage stellt (vgl. Oliver 1993, 48). Jutta Osinski attackiert insbesondere Irigarays parler femme als „eine Version feministischer Theoriefeindlichkeit“ (1998, 159); sie versteht die „feministische Dekonstruktion“ als einen „Widerspruch in sich“, der „ad acta gelegt werden“ sollte (1998, 165). Tatsächlich lässt sich literaturwissenschaftlich eine Phase der intensiven Auseinandersetzung mit den Theorien des französischen Feminismus, deren Diskussion in Bezug auf die formal-ästhetische Gestaltung literarischer Texte und die Anwendung auf literarische Texte in Deutschland, Großbritannien und den USA nur für die 1990er- und in stark abgeschwächter Form die frühen 2000erJahre konstatieren. Seitdem werden die französischen Feministinnen zunehmend historisch im Kontext ihrer Zeit gelesen, als Vertreterinnen der häufig als abgeschlossen dargestellten zweiten ‚Welle‘ des Feminismus, die – je nach Lesart – inzwischen von einer dritten oder vierten Welle oder gar dem Zeitalter des Postfeminismus abgelöst worden ist; die von ihnen entwickelten formalen Konzepte (die sich einer Charakterisierung als solche ohnehin entziehen) werden nur noch selten produktiv angewendet. Insbesondere das Schlagwort der écriture féminine hat sich jedoch als eine Beschreibung für ‚anderes‘ Schreiben (meist im Kontext weiblicher Autorschaft) etabliert und spiegelt damit nicht unbedingt immer die Texte wider, die Cixous, Irigaray und Kristeva als ‚weibliche‘ Texte ins analytische Feld führten. Die Mehrzahl der literarischen Texte, die in den Aufsätzen und Monographien der französischen Feministinnen als Beispiele für écriture féminine oder das Semiotische genannt werden, sind entweder, wie die Werke der deutschen Romantiker Heinrich von Kleist (1777–1811), Friedrich Hölderlin (1770–1843) oder E.T.A. Hoffmann (1776–1822), die Cixous mit der écriture féminine verbindet, als historisch verorteter Gegendiskurs zum patriarchal-rationalen Symbolischen zu lesen oder formal avantgardistisch oder experimentell. Symbolistische Gedichte, James Joyces Molly-Bloom-Monolog in Ulysses (1922), die Romane seiner Zeitgenossin Virginia Woolf (1882–1941) oder die Gedichte Sylvia Plaths (1932–1963) – die beiden letztgenannten demonstrieren sowohl literarisch als auch biographisch das Verlassen der symbolischen Ordnung als selbstzerstörerischen Akt im Sinne Kristevas – oder in jüngerer Zeit die Texte Ingeborg Bachmanns (1926–1973) oder Elfriede Jelineks (*1946) erscheinen häufig als Beispiele für écriture féminine oder die Wirkmächtigkeit des Semiotischen in der Literatur. Im Gegensatz zu den theo-
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retischen Konzepten ihrer ‚Mitstreiterinnen‘ hat Irigarays parler femme deutlich weniger Eingang in den literaturwissenschaftlichen Diskurs gefunden. Cixous und Kristeva eint ihr Interesse und ihr Glaube an die Macht „of certain avantgarde practices to produce ruptures in the symbolic“ (Weil 2006, 163). Mit Werken der Romantik oder der literarischen Moderne nehmen die beiden Texte in den Blick, die für sie dadurch gekennzeichnet sind, „daß sie herrschende Sprachgewohnheiten spielerisch durchbrechen“ (Osinski 1998, 160) und damit das Primat der symbolischen Ordnung subvertieren. Gleichzeitig sind diese als ‚Frau-Schreiben‘ oder ‚semiotisch‘ markierten Texte jedoch immer Texte, die sich wie bereits angedeutet aus ihrem literaturhistorischen und soziokulturellen Kontext heraus als Gegendiskurse zum Gedankengut der Aufklärung fassen lassen. Sowohl in der Romantik als auch in der klassischen Moderne wird das aufklärerische cogito radikal hinterfragt und sprachlich subvertiert. Ingeborg Weber hat die Grundlagen des französischen Feminismus daher überzeugend auf die „über Surrealismus und Symbolismus“ tradierte „Poetik der Romantik“ zurückgeführt (1994b, 198), die von den französischen Feministinnen zwar um die Dimension weiblichen Schreibens weiterentwickelt wird, dieser letztlich aber unreflektiert verhaftet bleibt. Die Tatsache, dass sich gewisse Texte als ‚Frau-Schreiben‘ oder ‚semiotisch‘ lesen lassen, so Weber, „beweist nicht, daß diese Art des Schreibens unsublimierter Ausdruck weiblicher Natur ist“ (198). Die Ausgangsfrage dieses Artikels nach der Existenz einer spezifisch ‚weiblichen‘ Formsprache, die sich klar von einer ‚männlichen‘ Formsprache differenzieren lässt, ist daher mit einem klaren ‚Nein‘ zu beantworten. Was die französischen Feministinnen jedoch eröffnet haben, ist ein neuer, ein anderer Blick auf die Konstruiertheit von (literarischer) Sprache, auf die ideologische ‚Gemachtheit‘ literarischer Form, die als ‚andere‘ markierte Subjektpositionen marginalisiert oder gar zur Leerstelle macht. Durch ein ‚anderes‘, von den französischen Feministinnen inspiriertes experimentelleres Lesen und Schreiben können Sprache und Text dann in ihrem ideologisch und historisch geprägten Konstruktcharakter neu gelesen werden. Ein Schreiben und Lesen zwischen den Zeilen, das Form, Rhythmus, Materialität und Körperlichkeit des geschriebenen Wortes auch zu seinem (ihrem?) Recht kommen lässt, mag weniger radikal sein, als die von Cixous und Irigaray angedachte Zerstörung des Symbolischen oder die von Kristeva theoretisierte (Selbst-)Erneuerung der Kultur durch die Kraft des Semiotischen, aber als literaturwissenschaftliches und ideologiekritisches Handwerkszeug sind sie für aufmerksame Leserinnen und Leser auch heute noch unerlässlich.
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Weiterführende Literatur Cixous, Hélène. „Das Lachen der Medusa.“ Das Lachen der Medusa. Zusammen mit aktuellen Beiträgen. Hrsg. von Esther Hutfless, Gertrude Postl und Elisabeth Schäfer. Übers. von Claudia Simma. Wien 2013 [1975]: 39–60. Galster, Ingrid. „Französischer Feminismus. Zum Verhältnis von Egalität und Differenz“. Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung: Theorie, Methoden, Empirie. Hrsg. von Ruth Becker und Beate Kortendiek. 3. Aufl. Wiesbaden 2010: 45–51. Irigaray, Luce. Das Geschlecht, das nicht eins ist. Übers. von Eva Meyer und Heidi Paris. Berlin 1979 [1977]. Kristeva, Julia. Die Revolution der poetischen Sprache. Übers. von Reinhold Werner. Frankfurt am Main 1978 [1974]. Moi, Toril. Sexual/Textual Politics. Feminist Literary Theory. 2. Aufl. London 2002. Weber, Ingeborg. „Poststrukturalismus und écriture féminine: Von der Entzauberung der Aufklärung“. Weiblichkeit und weibliches Schreiben. Poststrukturalismus, weibliche Ästhetik, kulturelles Selbstverständnis. Hrsg. von Ingeborg Weber. Darmstadt 1994: 13–50. Weil, Keri. „French Feminism’s Écriture Féminine“. The Cambridge Companion to Feminist Literary Theory. Hrsg. von Ellen Rooney. Cambridge 2006: 153–171.
IV Interdisziplinäre Implikationen und Konzepte
IV.1 Formphilosophie
Niko Strobach
IV.1.1 Logische Form 1 Einleitung Wenn ein gewissenhafter Philosoph ein Wort genauer betrachtet, so fragt er sich als erstes: ‚Ist dieses Wort ein referierender sprachlicher Ausdruck?‘ Das ist gerade dann der Fall, wenn es etwas im Inventar der Welt gibt, wofür das Wort steht. Ein fast allgemein anerkanntes Beispiel für einen referierenden sprachlichen Ausdruck ist der Eigenname ‚Barack Obama‘. Der Referent des Eigennamens ‚Barack Obama‘ ist Barack Obama (man sieht daran übrigens: Über die Wörter schreibt man mit Anführungsstrichen, über die Dinge ohne). Weniger klar ist dagegen, ob zum Beispiel ‚blau‘ ein referierender sprachlicher Ausdruck ist. Er ist es, falls es Eigenschaften gibt. Ob es Eigenschaften gibt, ist aber umstritten (vgl. Armstrong 1989; Mellor und Oliver 1997; Loux 1998, Kap. 1–2). Vielleicht gibt es einfach nur so manches blaue Ding (Nominalismus). Betrachtet man das deutsche Wort ‚Form‘ einmal genauer, so zeigt sich, dass es ähnlich gebraucht wird wie seine fast gleich lautenden sprachhistorischen Verwandten: das lateinische Wort ‚forma‘, das französische ‚forme‘ oder das englische ‚form‘; aber auch ähnlich wie die altgriechischen Wörter ‚morphê‘, ‚eîdos‘ oder ‚schêma‘. Für die Wendung ‚Form‘ und ebenso gebrauchte Wörter in anderen Sprachen‘ kann man, einem nützlichen Vorschlag von Wilfrid Sellars (1912–1989) folgend, die Abkürzung ⋅Form⋅ verwenden und es entsprechend auch mit anderen Wörtern halten (Sellars 1963). Man kann dann die Frage stellen: ‚Ist ⋅Form⋅ ein referierender Ausdruck?‘ Es liegt sofort nahe zurückzufragen: ‚In welcher seiner Verwendungsweisen, in welchem Sinn von ⋅Form⋅? Dann, wenn ⋅Form⋅ mit ⋅Materie⋅ kontrastiert (wie zum Beispiel in der Metaphysik des Aristoteles, in der ‚eîdos‘ als referierender Ausdruck gemeint ist)? Oder dann, wenn ⋅Form⋅ mit ⋅Inhalt⋅ kontrastiert?‘ Da es in diesem Beitrag um ⋅Form⋅ als Teil der Wendung ⋅logische Form⋅ geht, ist die Antwort hier: das zweite. Referiert ⋅Form⋅ in diesem Sinne? Auch wenn die Frage als erste zu stellen ist, so soll doch der folgende Text sowohl mit der Antwort ‚ja‘ wie mit der Antwort ‚nein‘ vereinbar sein, wenngleich eine Präferenz für die Antwort: ‚Nein. ⋅Form⋅ ist kein referierender sprachlicher Ausdruck‘ im Hintergrund steht. Wie ist das gemeint? Die Betrachtung einiger sprachlicher Gebilde kann dies verdeutlichen: (1) Wenn es regnet, ist die Straße nass. Es regnet. Also ist die Straße nass. (1′) Wenn es friert, ist der Gehweg glatt. Es friert. Also ist der Gehweg glatt. (2) Wenn, wenn es regnet, die Straße nass ist, und es regnet, dann ist die Straße nass. https://doi.org/10.1515/9783110364385-018
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Formphilosophie
(2′)
Wenn, wenn es friert, der Gehweg glatt ist, und es friert, dann ist der Gehweg glatt. (3) Alle Dackel sind Hunde. Alle Hunde sind Säugetiere. Also sind alle Dackel Säugetiere. (3′) Alle Spatzen sind Vögel. Alle Vögel sind Fleischfresser. Also sind alle Spatzen Fleischfresser. Die Wendung ‚logische Form‘ lernt man am besten an Beispielsätzen kennen. Man mag etwa sagen: (LF 0) (1) und (1′) haben dieselbe logische Form. Mit (2) und (2′) sowie mit (3) und (3′) verhält es sich ebenso. Hingegen haben zum Beispiel (1) und (3) nicht dieselbe Form. Wenn ‚Form‘ kein referierender Ausdruck ist, so bedeutet (LF 0) lediglich ‚(1) und (1′) sind logisch gleichförmig‘. Mit (LF 0) ist dann nicht behauptet, dass eine Entität (ein Seiendes im weitesten Sinne) zum Inventar der Welt gehört, bei welcher es sich um die logische Form von sowohl (1) wie auch (1′) handelt. Ist das einmal klargestellt, so spricht nichts dagegen festzuhalten: (LF 1) (1) und (1′) haben beide die folgende logische Form: Wenn p, dann q. Nun aber p. Also q. (LF 2) (2) und (2′) haben beide die folgende logische Form: Wenn, wenn p, dann q, und p, dann q. (LF 3) (3) und (3′) haben beide die folgende logische Form: Alle A sind B. Alle B sind C. Also sind alle A C. In seiner Topik hat Aristoteles noch das Sprachverhalten der diskussionsfreudigen Athener zu systematisieren versucht, ohne mit Schemabuchstaben wie ‚A‘, ‚B‘ und ‚C‘ in (LF 3) zu arbeiten. In den Ersten Analytiken, die wohl nach der Topik entstanden sind (vgl. Strobach 52019, 52–54, 60–64), arbeitet er konsequent mit Schemabuchstaben wie in (LF 3). Den Fortschritt, den er damit gemacht hat, kann man gar nicht groß genug einschätzen. Indem Aristoteles etwas wie (LF 3) einsah, drang er zur logischen Form vor. Deshalb sind die Ersten Analytiken das erste Buch der Logik (den Namen ⋅Logik⋅ hat die Logik übrigens erst später und recht zufällig bekommen; vgl. Scholz 21959 [1931], 6–12; Bocheński 1978, 3–21, 53). Die Logik sieht vom Inhalt ab: von demjenigen, an dessen Stelle beim Fortschritt zu (LF 3) die Schemabuchstaben ‚A‘, ‚B‘ und ‚C‘ getreten sind, und beim Fortschritt zu (LF 1) und (LF 2) die Schemabuchstaben ‚p‘ und ‚q‘. Der Logik geht es immer um die logische Form. Informale Logik gibt es nicht.
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2 Die logische Bedeutung der logischen Form Bei (1) und (1′) sowie wie bei (3) und (3′) handelt es sich um Schlüsse. Jedes dieser sprachlichen Gebilde besteht aus drei Sätzen. Ein Schluss besteht in der Regel aus mehreren Sätzen. Er hat n Prämissen (es müssen nicht zwei sein, auch wenn das bei den vier hier betrachteten Schlüssen zufällig so ist). Und er hat eine Konklusion, die in den Beispielen mit ‚also‘ eingeleitet wird. Bei (2) und (2′) handelt es sich jeweils nur um einen einzigen, wenn auch recht verwickelten Satz. Man kann zwar ausgerechnet einen Satz wie (2) oder (2′) auch als einen Schluss mit 0 Prämissen ansehen. Aber dieser Grenzfall soll einmal bewusst vernachlässigt sein. Man kann dann sagen: Ein Schluss ist nicht wahr, aber auch nicht falsch. Fragt man sich zum Beispiel, ob (1) als Ganzes wahr ist, so spürt man leicht die Absurdität der Frage. Hingegen ist es sinnvoll, sich zu fragen, ob die erste Prämisse in (1) wahr oder falsch ist, ob die zweite Prämisse oder die Konklusion dies ist. Zu fragen, ob (2) wahr oder falsch ist, ist ebenfalls sinnvoll. (1) und (3) sind nicht irgendwelche Satzfolgen, (2) ist nicht irgendein Satz. Man hat schnell den Eindruck, dass etwas an ihnen besonders ist. Das ist in der Tat so. Es ist sogar ganz erstaunlich, dass sprachliche Gebilde so sein können wie diese. Es scheint nicht zwingend zu sein, dass die Entwicklung menschlicher Sprachen auch zu solchen Gebilden führen muss (ein radikaler Vorschlag, warum dies doch so sein kann, findet sich bei Brandom 1994). Was ist an den Beispielen so besonders? Die herrschende Meinung unter Logikern ist: Sowohl bei (1) als auch bei (3) handelt es sich um gültige Schlüsse (Ausnahme bezüglich (1): Priest 22008, 125). Die übliche Definition des gültigen Schlusses lautet: Ein Schluss ist genau dann gültig (englisch: valid), wenn es nicht sein kann, dass die Prämissen allesamt wahr sind, die Konklusion jedoch falsch ist (so im Prinzip schon Aristoteles 2007/2015, I 1, 24b 18–20; bei Tetens 2004, 24: „schlüssig“ statt „gültig“). Nähern wir uns der Definition mit einem Fall, in dem sie nicht erfüllt ist: (1′′) [P1] Wenn es regnet, ist die Straße nass. [P2] Die Straße ist nass. [K] Also regnet es. (1′′) ist kein gültiger Schluss. Denn es kann durchaus sein, dass beide Prämissen (P1 und P2) wahr sind, während es trotzdem nicht regnet, die Konklusion (K) also falsch ist. Es könnte ja auch einfach die Straßenreinigung kommen. Auch (1′′) hat eine logische Form: (LF 4) Die logische Form von (1′′) ist: Wenn p, dann q. Nun aber q. Also p.
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Wieso (1) ein gültiger Schluss ist, lässt sich leider nicht so leicht zeigen wie, dass (1′′) keiner ist: Hat man ein Gegenbeispiel gefunden, dann kann man sich sicher sein. Aber wann soll man sicher sein, dass man kein Gegenbeispiel finden wird? Allzu oft stellt sich, was man für ein Evidenzerlebnis gehalten hat, als bloße Phantasielosigkeit heraus. Das Problem ist fundamental. Aber die Idee der logischen Form hilft wenigstens teilweise, es zu überwinden. Wieso? Ein Schluss ist gerade dann gültig, wenn er eine Instanz eines gültigen Schluss-Schemas ist. Denn gerade dann spielt der Inhalt der Inhalts-Elemente keine Rolle dafür, ob bei wahren Prämissen die Konklusion falsch wird. Und gerade wenn das so ist, wird man mit Recht sagen: Hier kann die Konklusion bei wahren Prämissen gar nicht falsch werden. Wann aber wird es der Fall sein, dass die Inhalts-Elemente keine Rolle spielen? Dann, wenn jeder Fall, in dem wahre Prämissen derselben logischen Form wie im Ausgangsfall zusammenwirken, auch eine wahre Konklusion enthält, die dieselbe logische Form hat wie die Konklusion im Ausgangsfall. Diese Einsicht versorgt uns mit weiteren paradigmatischen Sätzen für den Gebrauch der Wendung ‚logische Form‘: (LF 5) Ein Schluss ist gerade dann ein gültiger Schluss, wenn jeder Schluss derselben logischen Form ebenfalls ein gültiger Schluss ist. (LF 6) (1) ist genau dann ein gültiger Schluss, wenn (1′) ein gültiger Schluss ist (dies ist so wegen (LF 5) und (LF 1). (LF 7) Wenn ein Schluss gültig ist, so ist er das allein aufgrund seiner logischen Form. Sowohl bei (1) und (1′) wie auch bei (1′′) sind die inhaltlichen Elemente, von denen man absieht, und an deren Stelle man Schemabuchstaben treten lässt, ganze Sätze. Es handelt sich hierbei um aussagenlogische Schlüsse. (3) und (3′) sind keine aussagenlogischen Schlüsse. Die Stoiker waren die ersten, die aussagenlogische Schlüsse erforscht haben. (LF 3) lässt sehen: Die Inhalts-Elemente in (3) und (3′) sind kleiner als in (1) und (1′). Insofern ist die Gültigkeit von (3) und (3′) ein feinkörnigeres Phänomen als die Gültigkeit von (1) und (1′). (3) und (3′) sind gültig aufgrund des Zusammenspiels der Sätze in ihnen mit gerade deren besonderer Binnenstruktur. Abgesehen davon lässt sich alles zur Gültigkeit von (1) und (1′) Gesagte leicht auf (3) und (3′) übertragen. Das für Sätze in Frage kommende Pendant zur Gültigkeit von Schlüssen nennt man logische Wahrheit. (2) und (2′) sind logisch wahre Sätze (so sogar Priest 2 2008, 141). Ein Satz ist gerade dann logisch wahr, wenn er unter allen Umständen wahr ist. Die Wahrheit eines logisch wahren Satzes hängt somit nicht von der Beschaffenheit der Welt ab, ebenso wenig wie die Gültigkeit eines Schlusses. Logisch wahre Sätze sind nicht informativ im Hinblick auf die Frage, in welcher
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von vielen möglichen Welten wir leben, wie etwa Wittgenstein eindrucksvoll betont (232019 [1921], 42–43, 4.46–4.462). Dass es sie dennoch gibt, ist ebenso erstaunlich wie, dass es gültige Schlüsse gibt. Dass logische Wahrheit wiederum auf logischer Form beruht, ergibt sich parallel zum zur Gültigkeit von Schlüssen Gesagten: Ein gegebener und zu untersuchender Satz ist gerade dann logisch wahr, wenn er eine Instanz eines SatzSchemas ist, dessen Instanzen allesamt logisch wahr sind (man spricht dann von einem allgemeingültigen Satzschema). Wenn der Inhalt der Inhalts-Elemente – in (2) und (2′): der Teilsätze – keine Rolle dafür spielt, ob der Satz wahr ist, dann wird man mit Recht sagen: Er muss wahr sein. Wann aber wird dies der Fall sein? Dann, wenn jeder Satz derselben logischen Form wahr sein wird. Es lässt sich deshalb festhalten: (LF 8) Ein Satz ist gerade dann logisch wahr, wenn jeder Satz, der dieselbe logische Form hat, logisch wahr ist. (LF 9) (2) ist genau dann logisch wahr, wenn (2′) logisch wahr ist (wegen (LF 8) und (LF 2)). (LF 10) Wenn ein Satz logisch wahr ist, so ist er allein aufgrund seiner logischen Form wahr. Woher aber soll man sich sicher sein, dass (1) und (3) tatsächlich gültig sind und dass (2) tatsächlich logisch wahr ist? Bisher ist nur klar, dass dies der Fall ist, wenn sie Instanzen gültiger Schluss-Schemata bzw. allgemeingültiger Satz-Schemata sind. Man kann an dieser Stelle nicht einfach aufhören und darauf verweisen, dass das in (LF 1) erreichte Schema sehr plausibel wirkt und doch wohl auch nicht ohne Grund seit dem Mittelalter einen eigenen Namen hat, nämlich ‚modus ponens‘. Man wird eine Begründung dafür haben wollen, warum innerhalb eines Systems von Schluss-Schemata gerade der modus ponens ein gültiges SchlussSchema ist. Ist Systematizität das entscheidende Kriterium für Wissenschaftlichkeit (Hoyningen-Huene 2013), so macht der Versuch, solche Begründungen zu finden, die Logik zur Wissenschaft. Freilich muss auch jede systematische Begründung irgendwo anfangen. Besonders beeindruckend an Aristotelesʼ Ersten Analytiken ist, wie er das, was er ohne Beweis zu glauben verlangt, auf ein Minimum reduziert. Die griechische Geometrie, die kurze Zeit nach Aristoteles durch Euklid (ca. 300 v. Chr.) sehr weitgehend axiomatisiert wurde, war hier offenbar Vorbild. Logik ist somit seit ihren Anfängen eine Art Mathematik der Sprache. Aristoteles setzt nur sehr wenige der Schluss-Schemata, die er untersucht, wie Axiome voraus. Zu ihnen gehört das Schluss-Schema in (LF 3), das seit dem Mittelalter aufgrund eines raffinierten Benennungssystems für die von Aristoteles entdeckten Schlussformen den
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Namen ‚Barbara‘ hat. Sehr viele andere plausible Schluss-Schemata leitet er aus dem Vorausgesetzten ab. Dass sich das durchführen lässt, stärkt rückwirkend das Vertrauen in die Axiome. Auch aussagenlogische Schluss-Schemata lassen sich auf im Prinzip ähnliche Weise systematisieren, zum Beispiel mit einem Kalkül des natürlichen Schließens (moderne Urform: Gentzen 1934, Gentzen 1935; Einführung: Strobach 2015, 55–62, 97–101; dass auch Aristoteles im Prinzip einen solchen Kalkül vorschlägt, hat Corcoran 1974 gezeigt). In einem solchen System ist freilich, ähnlich wie Barbara bei Aristoteles, nun wieder der modus ponens fundamental: ihn verstehen und die Wendung ‚wenn…, dann…‘ meistern sind zwei Seiten derselben Medaille. Er wird nicht weiter begründet, aber als Teil eines leistungsfähigen Systems als glaubwürdig bestätigt. Es ist umstritten, ob Aristoteles versucht hat, mit einem Prinzip, das später dictum de omni et nullo genannt wurde (2007/2015, I 1, 24b 28–30), Barbara selbst noch durch eine Angabe von Wahrheitsbedingungen für Sätze mit ‚alle‘ semantisch zu fundieren. Vielleicht waren ihm Barbara und einige andere ähnliche plausible Schluss-Schemata Fundament genug. Zweifellos haben jedoch bereits die Stoiker eine semantische Fundierung der Aussagenlogik unternommen. Wie ist so etwas denkbar? Offenbar spielen in (2) das Wort ⋅und⋅ als Satzverbinder und die Wendung ⋅Wenn…, dann…⋅ die Rolle von Struktur-Elementen, deren Zusammenspiel entscheidend ist für die logische Wahrheit von (2). Die Stoiker haben als erste erwogen, nicht nur diesem speziellen ⋅und⋅ eine wahrheitsfunktionale Semantik zuzuschreiben, sondern auch der Wendung ⋅Wenn…, dann…⋅ (vgl. Strobach 2015, 41–46; Bobzien 1999), und zwar die folgende (die Winkelklammern dienen zur allgemeinen Formangabe, vgl. Quine 21964 [1950]): (Stoa 1) p und q ist genau dann wahr, wenn p wahr ist und q ebenfalls, sonst falsch. (Stoa 2) Wenn p, dann q ist genau dann falsch, wenn p wahr ist und q falsch, sonst wahr. Akzeptiert man diese semantischen Regeln, so hat man eine felsenfeste Begründung für die logische Wahrheit von (2). Man kann sie nun nämlich einfach ausrechnen. Zwar ist der Inhalt eines Teilsatzes in (2) nicht völlig unerheblich: Von ihm hängt es ab, ob der Teilsatz in einer gegebenen Situation wahr oder falsch ist. Aber, so lautet eine Voraussetzung des Vorgehens, egal, welche Situation gegeben ist und was der gegebene Teilsatz bedeutet, er wird entweder wahr oder falsch sein. Sind p und q im Spiel, so muss man demnach die folgenden vier überhaupt möglichen Kombinationen durchrechnen:
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(a) p: wahr, q: wahr; (b) p: wahr, q: falsch; (c) p: falsch, q: wahr; (d) p: falsch, q: falsch. Nehmen wir zum Beispiel Fall (c). In der Mitte sind entsprechende aussagenlogische Formeln in üblicher Notation angegeben (es gibt nicht die Standard-Notation; statt des Pfeils findet man oft auch ‚⊃‘). Wir erhalten: Wenn p, dann q (Wenn p, dann q) und p Wenn ((Wenn p, dann q) und p), dann q
psq (p s q) ∧ p ((p s q) ∧ p) s q
wahr falsch wahr
Man rechnet auf dieselbe Weise leicht aus: Auch in den drei anderen Fällen wird Wenn ((Wenn p, dann q) und p), dann q wahr, kann also gar nicht falsch werden. Das bietet eine semantische Fundierung und systematische Einordnung der logischen Wahrheit von (2) auf Grundlage der vorausgesetzten wahrheitsfunktionalen Semantik. Aber eben auch nur unter deren Voraussetzung! Irgendwo muss man anfangen. Ist es eine gute Idee, mit dieser Semantik zu beginnen? Dafür spricht die Systematizität, die sie erzeugt. Dagegen spricht der tatsächliche Umgang von kompetenten Sprechern mit der Wendung ‚Wenn…, dann…‘: Ein kompetenter Sprecher des Deutschen, der keinen Logikkurs absolviert hat, wird zum Beispiel dem Satz ‚Wenn Gras nicht grün ist, dann ist Gras grün‘ nicht zustimmen. Funktioniert die Wendung ⋅Wenn…, dann….⋅ im Sinne des wahrheitsfunktionalen, nach Philon von Megara (viertes Jahrhundert v. Chr.) benannten philonischen Konditionals, dann ist dieser Satz aber wahr (wer’s nicht glaubt: bitte ausrechnen!). Man kann eine andere systematische Semantik suchen, die diesen unwillkommenen Effekt vermeidet. Alle Alternativen, die man bisher gefunden hat (Überblick: Priest 2 2008), sind jedoch deutlich komplizierter als die gerade beschriebene.
3 Die argumentationstheoretische Bedeutung der logischen Form Kann die Logik, wenn sie bei der Systematisierung der logischen Form so wenig definitive Ergebnisse erreicht, überhaupt zur Beurteilung der Qualität von Argumenten taugen? Ja, denn sie schult den Blick auf die Form von Argumenten und hat seit ihren frühesten Tagen der Entwicklung aus der Topik immer ihre argumentationstheoretische, praktische Bedeutung gewahrt. Innerhalb eines gegebenen Arguments in einer alltäglichen (häuslichen, wirtschaftlichen, juristischen,
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politischen, medizinischen, experimentalwissenschaftlichen etc.) Argumentationssituation spielen nur relativ wenige Schlussformen eine Rolle – wenn das Argument nicht schon deshalb schlecht ist, weil es undurchsichtig und unübersichtlich ist. Hier heißt es: je elementarer, desto besser, weil desto nachvollziehbarer. Und das ist eine Bringschuld des Argumentierenden. Ist die Lage so, dann stehen die Chancen auf Konsens über die Seriosität der verwendeten Schlussformen gut. Sollte tatsächlich einmal einer der Beteiligten eine Schlussform grundsätzlich anzweifeln, so muss man weitersehen. Immerhin weiß man dann, wo man sich nicht einig ist. In realen Fällen des Argumentierens entfaltet der modus ponens unwiderstehliche Wirkung auf eine einfache Weise, die unabhängig ist von logischen Grundsatzfragen (vgl. Habermas 1981, 47: „eigentümlich zwanglose[r] Zwang des besseren Argumentes“). Ein kleines imaginäres Plädoyer mag den Punkt verdeutlichen: ‚Wir sind uns einig: Wenn der Angeklagte das Bild von Rembrandt unterschlagen hat, gehört er ins Gefängnis. Aber es fehlt der Nachweis, dass er den Rembrandt unterschlagen hat. Solange der nicht geführt ist, berechtigt aber nichts zu dem Schluss, dass der Angeklagte ins Gefängnis gehört.‘ So strukturiert eine Schlussform den Diskurs und erhebt in der Praxis Anspruch auf Rationalität. Warum sind gültige Schlüsse von Bedeutung für die Einschätzung von Argumenten? Ein gültiger Schluss schafft argumentationstheoretisch gesehen die denkbar engste Verbindung zwischen Sätzen: Wer die Prämissen eines gültigen Schlusses als wahr akzeptiert, für den gibt es vor der Konklusion kein Entkommen. Er muss auch sie als wahr akzeptieren. Sehr oft wird daher auch die Wahrheit der Prämissen als guter Grund für die Wahrheit der Konklusion zählen können. Es gibt zwar knifflige Ausnahmefälle, zum Beispiel den Schluss von einem Satz auf sich selbst, Schlüsse mit überflüssigen Prämissen oder der Schluss aus einem Widerspruch auf Beliebiges (vgl. Strobach 2019, 103–107, 152–156). Aber es ist doch sehr naheliegend, (1) zu reformulieren als: (1′′′) Die Straße ist nass. Denn die Straße ist nass, wenn es regnet; und es regnet. Man sieht daran übrigens, dass die Konklusion nicht immer am Ende stehen muss und die Prämissen nicht immer am Anfang stehen müssen. Vielmehr sind Prämissen und Konklusion durch ihre Funktion charakterisiert. Bringt jemand ein Argument mit dem Anspruch vor, dass es die Form eines gültigen Schlusses hat und dass der Adressat seiner Rede aufgrund dieses Arguments die Konklusion für wahr halten möge, so ergeben sich ganz natürlich zwei Fragen, an denen sich die Qualität des vorgebrachten Argumentes messen lässt:
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1. Liegt wirklich ein gültiger Schluss vor? Oder liegt ein Fehlschluss vor (wie zum Beispiel (1′′))? 2. Sind die Prämissen wahr? Für einen gültigen Schluss mit wahren Prämissen gibt es leider kein übliches deutsches Fachwort (im Englischen ist ‚sound‘ üblich). Man mag dafür das Wort „beweiskräftig“ benutzen (Strobach 2015, 17; Tetens 2004, 304, erwägt hierfür „gültig“ oder sogar „wahr“). Es ist wertvoll, die Frage nach der Gültigkeit von der Frage der Beweiskraft unterscheiden zu können. So muss zum Beispiel die Gültigkeit von (3′) niemanden davon überzeugen, dass Spatzen Fleischfresser sind. Denn ‚Alle Vögel sind Fleischfresser‘, die zweite Prämisse, ist falsch. Wer die Fragen nach Gültigkeit und Beweiskraft stellt, sieht einen Redebeitrag im Lichte der logischen Form. Er mag zusätzlich auch in der Lage sein, die rhetorische Form, die Stilmittel, die Sprache, die mitreißende Redeweise des Argumentierenden etc. zu beachten. Aber für die Frage nach der Beweiskraft und der Gültigkeit wird all das ausgeblendet. Wer auf die logische Form achtet, übt ein solches Ausblenden und ist in der Lage, dem beau discours zu misstrauen. Es könnte sein, dass in der alltäglichen Rede mehr Argumente mit dem Anspruch auf die Form eines gültigen Schlusses vorkommen, als man zunächst meint. Wer sie sucht, wird fast immer Prämissen ergänzen, die unausgesprochen bleiben, weil sie selbstverständlich sind und ihr Aussprechen zu viel Zeit kosten oder pedantisch wirken würde (Kritik an diesem Vorgehen: Brandom 2000, 52, 54–87). An der Oberfläche des Geäußerten wird, wenn man es so sieht, das Enthymem – ein Schluss mit wenigstens einer unausgesprochenen Prämisse – die Regel sein. Vielleicht hat letztlich jedes Gegenbeispiel, mit dem ein Gesprächspartner eine Behauptung entkräften will, um Unausgesprochenes ergänzt, die logische Form eines engen Verwandten des modus ponens, nämlich des modus tollens: Wenn p, dann q; nun aber nicht q; also nicht p. Man mag jedenfalls so weit gehen, dies für jede Widerlegung einer naturwissenschaftlichen Gesetzeshypothese anzunehmen. An der p-Stelle steht dabei die Gesetzeshypothese, an der q-Stelle eine empirisch überprüfbare Prognose (vgl. Popper 91989 [1934], 2–8). Ebenso ist die juristische Subsumtion ein Verfahren, in dem man – bei komplizierteren Sachverhalten auf einer Reihe von Ebenen verschachtelt – auf Schritt und Tritt den modus ponens oder Barbara als Formelemente wiederfindet. Kein Wunder: Hier ist die Nachvollziehbarkeit von größter Bedeutung. Man sollte freilich nicht meinen, dass nur solches Argumentieren, das den Anspruch auf die Form eines gültigen Schlusses erhebt, gutes Argumentieren sein kann – erst recht nicht, dass nur solches Argumentieren überhaupt Argumentieren ist. Es wäre ein Missverständnis, in jedem gut argumentierten Talkshow-
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beitrag oder Zeitungskommentar gültige Schlüsse und ihre Zutaten (Prämissen, Konklusion) suchen zu wollen. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass dort so etwas vorkommt, selbst wenn es eine These gibt und sich Punkte isolieren lassen, die für sie sprechen sollen. Nicht jede von Vorgebrachtem gestützte These ist eine Konklusion aus Prämissen. Im Gegenteil. Man beachte auch, dass jede Argumentation, welche nur zum Ziel hat, zu etablieren, dass eine These mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit kleiner als 1 wahr ist, nicht in den Bereich der deduktiven Logik, also der Theorie der gültigen Schlüsse, fällt. Aus Sicht der deduktiven Logik ist ein induktives Argument wie das folgende (vgl. Russell 161989 [1912], 37; Popper 91989 [1934], 3) ein Fehlschluss: (Induktion) Schwan1 ist weiß, …, Schwann ist weiß (während es mehr als n Schwäne gibt). Also sind alle Schwäne weiß. Und tatsächlich: Die Konklusion ist empirisch falsch. Dennoch lassen gute induktive Argumente vernünftige Menschen nicht kalt. Noch nie hat sich ein Induktionsskeptiker während eines Gesprächs über das Gravitationsgesetz zur Bekräftigung seiner Ansicht aus dem Fenster gestürzt. Rationalität erschöpft sich nicht in gültigen Schlüssen. Einen einflussreichen Vorschlag zur allgemeinen Form des Arguments, der gültige Schlüsse (strenge, deduktive Argumente) und gute nichtdeduktive Argumente gleichermaßen erfassen soll, hat Toulmin gemacht (2003 [1958], Kap. 3). Der Vorwurf ‚So denkt und redet doch in Wirklichkeit keiner!‘ gegenüber den auf die logische Form konzentrierten Logikern hat eine lange Geschichte. Er zieht sich durch die ganze Kritik an der mittelalterlichen Scholastik bei vielen Philosophen der frühen Neuzeit (Ausnahme: Leibniz). Unnachahmlich zum Ausdruck gebracht hat sie Goethe in der Studienberatungsszene des Faust I (Goethe 2002 [1808], V. 1910–1921), in der Mephisto sagt: „Mein teurer Freund, ich rat’ Euch drum / Zuerst Collegium Logicum. […] Dann lehret man Euch manchen Tag, / Daß, was Ihr sonst auf einen Schlag Getrieben, wie Essen und Trinken frei, / Eins! Zwei! Drei! dazu nötig sei.“
In der Tat, im Hinblick auf die meiste wirklich vorkommende Rede ist die Suche nach logischer Form im Sinne von gültigen Schlüssen deplatziert. Man findet diese Art logischer Form am ehesten dort, wo sie jemand bewusst zur Formulierung eines Textes eingesetzt hat. Immerhin kann man heute mehr finden als früher. Die Absolventen von Kursen in traditioneller aristotelischer Logik (weit über das Mittelalter hinaus bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts) wollten oft als Wissenschaftler auf Nummer sicher gehen und haben bewusst versucht, all ihre Argumentationen in ähnliche Schluss-Schemata wie Barbara zu bringen:
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in syllogistische Form. Das verdient eigentlich keinen Vorwurf. Die traditionelle aristotelisch-mittelalterliche Logik konnte aber nur sehr wenig von dem erfassen, was dennoch von kompetenten Sprechern zu Recht intuitiv als das Vorbringen von gültigen Schlüssen erkannt wurde. Das Repertoire der traditionellen Logik war klein, und angesichts der Praxis, vorsichtshalber alles wissenschaftliche Argumentieren in ihren Rahmen zu pressen, ist auch Goethes sensible Reaktion nur zu gut verständlich. Seit der Erfindung der modernen Logik durch Gottlob Frege (1848–1925) in seiner Begriffsschrift (51998 [1879]) hat sich das Repertoire an Formen gültiger Schlüsse, die ein Logiker systematisieren kann, unendlich vergrößert (das Wort ‚unendlich‘ ist dabei wörtlich gemeint, denn die rekursive Syntax einer modernen formalen Sprache kann unendlich viele Formen ordnen). Doch auch diejenigen gültigen Schlüsse, welche die moderne Logik erfreulicherweise über die traditionelle Logik hinaus erfassen kann, sollte man nicht dort suchen, wo sie nicht zu erwarten sind. Wer allerdings selbst den Anspruch hat, in Form gültiger Schlüsse zu argumentieren, der sollte ihn auch einlösen. Allzu oft findet sich in philosophischen Texten eine These unter einer langen Reihe durchnummerierter Prämissen zusammen mit der bloßen Behauptung, die These folge aus ihnen, ohne dass irgendeine logische Form erkennbar wäre, die einen deduktiven Zusammenhang stiftet. Der Autor verlässt sich dann darauf, dass der Leser dasselbe Evidenzerlebnis hat wie er selbst, das er zudem für untrüglich hält. So soll es nicht sein.
4 Die philosophische Bedeutung der logischen Form Die Gültigkeit eines Schlusses hängt von der logischen Form der einzelnen Sätze in ihm (Prämissen, Konklusion) ab. Es ist zum Beispiel für die Gültigkeit des modus ponens mitentscheidend, dass seine erste Prämisse ‚Wenn…, dann…‘-Form hat. Das war im Prinzip immer klar, doch die moderne Logik seit 1879 hat einen viel schärferen Blick auf die logische Form des einzelnen Satzes ermöglicht, sie hat das Interesse der Logiker darauf gelenkt und sie hat ein Forschungsprogramm in Gang gebracht, das für die analytische Philosophie in ihrer ersten Phase zwischen 1879 und ca. 1950 von großer Bedeutung war. Im Kontrast zueinander sah man logische Form bzw. logische Tiefenstruktur einerseits und grammatische bzw. sprachliche Oberflächenstruktur andererseits. Es gehört zu den großen Entdeckungen Gottlob Freges in Über Sinn und Bedeutung (Frege 1892b), dass im Lichte der modernen Logik beides oft stark voneinander abweicht.
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Für die traditionelle aristotelisch-mittelalterliche Logik hat der Satz ‚Alle Spatzen sind Vögel‘ die folgende simple logische Form: AaB
Ihrer Ansicht nach wird darin nämlich der Term Spatz durch die universellbejahende Copula a zum Term Vogel in Beziehung gesetzt. ‚Barack Obama ist redegewandt‘ soll dieselbe logische Form haben. Das ist wohl am besten so zu verstehen, dass darin der Individualbegriff Barack Obama mit dem Begriff redegewandt durch die a-Copula verbunden wird. ‚Barack Obama‘ als Eigenname, der auf Barack Obama referiert, spielt keine Rolle. Anders bei Frege: Die Form der einfachsten Aussage bei Frege ist F(a)
Die Klammern um das ‚a‘ sollen hier hervorheben, dass Frege seine Theorie der mathematischen Funktionen auf die logische Form von Sätzen überträgt: ‚F(…)‘ ist ein formalsprachlicher Ausdruck für eine Funktion, ‚a‘ für ein Funktionsargument. Barry Smith hat für das davon ausgehende Paradigma, wenn auch in polemischer Absicht, den schönen Namen ‚Fantology‘ vorgeschlagen (Smith 2013). Von großer Bedeutung ist Freges Erweiterung dieser Grundform durch die Berücksichtigung mehrstelliger Prädikate, die Beziehungen (Relationen) ausdrücken. Einen Satz wie ‚Romeo liebt Julia‘ konnte die traditionelle Logik nicht zufriedenstellend analysieren. Nach Frege ist seine logische Form plausiblerweise: L(r,j)
Der ganze Satz ‚Barack Obama ist redegewandt‘ ist nach Freges Semantik gerade dann ein Name für das Wahre, wenn für den Referenten des Eigennamens ‚Barack Obama‘ als Funktionsargument die durch das Wort ‚redegewandt‘ ausgedrückte Funktion als Funktionswert das Wahre hat. F redegewandt
(a) (Barack Obama)
Ist dies die Grundlage, so können in ‚Alle Spatzen sind Vögel‘ nicht mehr zwei generelle Terme unmittelbar aufeinander bezogen sein. Stattdessen vertritt Frege die folgende Ansicht:
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(Frege 1) ‚Alle Spatzen sind Vögel‘ hat dieselbe logische Form wie ‚Wer Pech anfasst, besudelt sich‘ (zweites Beispiel aus Frege 1892b), und zwar: Für alle x gilt: Wenn Fx, dann Gx Die entsprechende prädikatenlogische Formel in heute üblicher Notation ist: ix ( F(x) s G(x) ) An der sprachlichen Oberfläche ist jedoch in beiden Sätzen vom aussagenlogischen Verbinder ‚Wenn…, dann…‘, den Frege im Sinne der Regel (Stoa 2) interpretiert, nichts zu sehen. Auch die Hypotaxe des Relativsatzes unter den Hauptsatz (vgl. Frege 1892b, 44) oder des konzessiven Nebensatzes unter den Hauptsatz muss kein Pendant in der logischen Form haben, sondern die logische Form ist hier parataktisch: (Frege 2) Der Satz ‚Obwohl der Himmel blau ist, ist es kühl‘ (vgl. Frege 1892b, 44, dieses Beispiel aber nicht im Original) hat die folgende logische Form: p und q Dabei ist ‚und‘ im Sinne der oben angegebenen Regel (Stoa 1) gemeint. Im Beispiel ist ‚p‘ konkretisiert mit ‚Der Himmel ist blau‘ und ‚q‘ mit ‚Es ist kühl‘. Die entsprechende aussagenlogische Formel in heute üblicher Notation ist ‚p ∧ q‘. Die Analyse (Frege 2) ist deshalb verblüffend, weil das Wort ‚obwohl‘ noch etwas mehr tut als das Wort ‚und‘ zwischen Sätzen. Der Sprecher macht damit einen Kontrast des im Nebensatz Behaupteten zum im Hauptsatz Behaupteten auf. Er räumt ein, dass Sprecher wie Adressat angesichts der Wahrheit des Nebensatzes die Wahrheit des Hauptsatzes eigentlich nicht erwarten würden, dass die Wahrheit des Hauptsatzes bei Wahrheit des Nebensatzes subjektiv unwahrscheinlich ist. Das alles, so Frege, gehört gerade nicht zur logischen Form: [Das] Fügewort [‚obwohl‘] verändert […] den Sinn des Satzes nicht [im Vergleich zur Variante mit ‚und‘, die denselben Sinn ausdrückt], sondern beleuchtet ihn nur in eigentümlicher Weise [Fußnote: „Ähnliches haben wir bei ‚aber‘, ‚doch‘.“]. Wir könnten zwar unbeschadet der Wahrheit des Ganzen den Konzessivsatz [‚Obwohl der Himmel blau ist‘] durch einen anderen desselben Wahrheitswertes ersetzen [und erhalten zum Beispiel ‚Obwohl das Gras grün ist, ist es kühl‘]; aber die Beleuchtung würde dann leicht unpassend erscheinen [(‚Wieso sagst du ‚obwohl‘?‘)], wie wenn man ein Lied traurigen Inhalts nach einer lustigen Weise singen wollte. (Frege 1892b, 45, Ergänzungen N. St.)
Heute kann man sagen: Frege unterscheidet mit der Analyse der logischen Form des Konzessivsatzes die Logik und die Semantik von der Pragmatik.
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Die Metapher der Beleuchtung hat aber bei Frege noch einen viel weiteren Anwendungsbereich: Der Sinn eines sprachlichen Ausdrucks, auch dessen logische Form, ist für ihn etwas Objektives, keinesfalls ein psychisches Phänomen, keine subjektive ‚Vorstellung‘ (die ‚idea‘ des britischen Empirismus des siebzehnten, achtzehnten und auch noch neunzehnten Jahrhunderts). Wenn ein Sprecher und ein Adressat denselben Sinn erfassen, so ist das ganz unabhängig davon, ob sie ähnliche Vorstellungen haben. Nicht nur die im Wörtchen ‚obwohl‘ eingebaute subjektive Erwartungshaltung gehört deshalb zur Beleuchtung des Sinnes im Unterschied zum Sinn selbst, sondern schlechthin jedes Stilmittel, sei es poetisch oder rhetorisch: Zu den hier noch möglichen Unterschieden gehören die Färbungen und Beleuchtungen, welche Dichtkunst und Beredsamkeit dem Sinne zu geben suchen. Diese Färbungen und Beleuchtungen sind nicht objektiv, sondern jeder Hörer oder Leser muß sie sich selbst nach den Winken des Dichters oder Redners hinzuschaffen. (Frege 1892b, 31)
Dies geschieht durch Aktivierung subjektiver, wenn auch ähnlicher Vorstellungen. Indem auch die literarische Form zu den besonderen Mitteln von Dichtern und Rednern gehört, mag man deshalb sagen: Frege sieht einen theoretisch begründbaren Wesensunterschied zwischen logischer und literarischer Form. Bertrand Russell (1872–1970) entfernt in On Denoting (Russell 1905) die logische Form sehr weit von der grammatischen Form. ‚Der König von Frankreich im Jahre 1905‘ ist Russell zufolge nur scheinbar ein referierender Ausdruck. Denn in der logischen Tiefenstruktur entspricht ihm nichts: (Russell) Der Satz ‚Der König von Frankreich des Jahres 1905 ist kahl‘ hat die folgende logische Form: x ( F(x) ∧ K(x) ∧ iy ( F(y) s y=x)) Konkretisiert: Es gibt ein x, sodass x die Eigenschaft hat, 1905 König von Frankreich zu sein (‚F‘) und kahl zu sein (‚K‘), und für jedes y gilt: wenn y die Eigenschaft hat, 1905 König von Frankreich zu sein, dann ist y identisch mit x. Entscheidend ist die Abwicklung der scheinbar referierenden Phrase ‚der König von Frankreich des Jahres 1905‘ in einen Eigenschaftsausdruck. Das komplizierte Anhängsel ‚und für jedes y gilt: …‘ sichert lediglich die Eindeutigkeit des bestimmten Artikels ‚der‘. Warum hat diese Analyse ein philosophisches Forschungsprogramm angestoßen? Man konnte nun philosophische Irrtümer suchen, die dadurch entstehen, dass lediglich scheinbar referierende Ausdrücke für tatsächlich referierende Ausdrücke gehalten werden. Als maßgeblich für die Diagnose der logischen Form eines Satzes wurde die Möglichkeit einer Übersetzung in die im Prinzip schon 1879 von Frege entwickelte prädikatenlogische Formelsprache angesehen. Es wurde zuwei-
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len als wünschenswert betrachtet, jegliche Ausdrücke für mittelgroße physikalische Objekte auf ähnliche Weise zu eliminieren wie den Ausdruck ‚der König von Frankreich des Jahres 1905‘. Übrig bleiben sollte, nach Ausscheiden des Unübersetzbaren als Unsinn, letztlich nur noch Rede über phänomenale oder physikalische Basisdaten (Russell 1986 [1918]: ‚logischer Atomismus‘; Carnap 1998 [1928]: ‚logischer Empirismus‘; eher von Gegnern benutzte Etiketten: ‚logischer Positivismus‘, ‚Neopositivismus‘). Die Diagnose der logischen Form sollte aufklärend wirken. Bei manchen Autoren des einflussreichen Wiener Kreises, zum Beispiel Rudolf Carnap (1891–1970), war sie mit einem linken politischen Programm verbunden (Carnap et al. 1979 [1929], 98–101: „wissenschaftliche Weltauffassung“). Diese Diagnose konnte (i) bei zwei Sätzen ähnlicher grammatischer Form auf eine sehr unterschiedliche logische Form stoßen: ‚Draußen ist Regen‘ hat F(a)-Form, ‚Draußen ist nichts‘ aber die Form ~ ∃x F(x) (Es gibt kein x, so dass F(x), Carnap 1931, 230). Sie konnte (ii) zwar eine logische Form ergeben, aber zugleich darauf aufmerksam machen, dass einem Ausdruck kein empirisch gehaltvoller Sinn gegeben wurde, so nach Carnap 1931, 223–227, zum Beispiel dem Wort ‚Gott‘. Sie konnte auch (iii) völlig fehlschlagen, so nach Carnap 1931, 230, im Falle von ‚Das Nichts nichtet‘ (vgl. Heidegger 32004 [1929], 114). Nach Carnap (1931) kommt man bei (ii) und (iii) darauf, dass die untersuchten natürlich-sprachlichen Gebilde nur den falschen Anschein erwecken, Sätze zu sein (‚Scheinsätze‘). Noch ganz von idealsprachlichem Optimismus getragen ist auch das Frühwerk von Ludwig Wittgenstein (1889–1951), der Tractatus Logico-Philosophicus (1921). Eine der wichtigsten Unterscheidungen darin ist die zwischen ‚sagen‘ und ‚zeigen‘. Ein Satz kann dem Tractatus zufolge gerade aufgrund seiner logischen Form ein Abbild eines Teils der Welt sein, indem er ihm isomorph ist (vgl. Wittgenstein 232019a [1921], 15, 2.13–2.1515). Dies ist durchaus im mathematischen Sinn gemeint: Jedem relevanten Element des Abgebildeten entspricht genau ein Element des Abbilds, und zu jeder relevanten Beziehung zwischen Elementen des Abgebildeten gibt es genau eine entsprechende Beziehung zwischen den entsprechenden Elementen des Abbilds. Dass ein wahrer Satz aufgrund seiner logischen Form einem Teil der Welt isomorph ist, impliziert: Dieser Teil der Welt hat selbst eine logische Form. Die Isomorphie wird aber nicht etwa durch einen Metasatz ausgesagt (sodass man eine weitere Theorie darüber bräuchte, wie der Metasatz das fertigbringt usw.), sondern sie zeigt sich: Der Satz kann die […] Wirklichkeit darstellen, aber er kann nicht das darstellen, was er mit der Wirklichkeit gemein haben muss, um sie darstellen zu können – die logische Form. […] Der Satz kann die logische Form nicht darstellen, sie spiegelt sich in ihm. […] Der Satz zeigt die logische Form der Wirklichkeit. (Wittgenstein 232019a [1921], 33, 4.12–4.121)
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Auch kann die logische Form eines Satzes selbst nicht (aus)gesagt werden, sondern sie zeigt sich. Das ist weniger esoterisch, als es zunächst klingt. Man denke an das kleine Aha-Erlebnis, das für das Verständnis des Übergangs von den Beispielen (1) oder (1′) zu ihrer logischen Form in (LF 0) und (LF 1) erforderlich ist. In seinem Spätwerk, vor allem den 1953 veröffentlichten Philosophischen Untersuchungen, hat sich Wittgenstein vom Projekt der idealen formalen Sprache abgewandt, die Abbildtheorie der Sprache aufgegeben und die Rolle des Gebrauchs von Wörtern der natürlichen Sprache betont: „[J]eder Satz unsrer Sprache [ist] ‚in Ordnung […], wie er ist‘.“ (Wittgenstein 232019b [1953], 295, Nr. 98). Die Suche nach der logischen Form eines Satzes ist ihm nicht mehr wichtig. Initialzündung für das Spätwerk Wittgensteins war die Einsicht, dass es viele Verwendungsweisen der Sprache gibt, die mit dem Beschreiben, auf das allein die Abbildtheorie des Tractatus passen konnte, nichts zu tun haben (vgl. Wittgenstein 23 2019 [1953], 250, Nr. 23) und nach deren logischer Form im Sinne der Abbildtheorie zu suchen deshalb müßig war. Diese Einsicht wurde einer glaubwürdigen Anekdote zufolge (vgl. Monk 1990, 260) provoziert durch eine Frage des italienischen Ökonomen Piero Sraffa (1898–1983): „Sraffa made a gesture, familiar to Neapolitans as meaning something like disgust or contempt, of brushing the underneath of his chin with an outward sweep of the finger-tips of one hand. And he asked: ‚What is the logical form of that?‘“ (Malcolm 1958, 69). Als radikale Gegenstimme zum späten Wittgenstein mag man Richard Montague (1930–1971) ansehen, dessen Montague Grammar in der Linguistik große Wirkung entfaltet hat. Der Titel eines seiner Aufsätze ist Programm: English as a Formal Language (Montague 1974 [1970]; einführend Gamut 1991 [1982], Kap. 6). Freilich ist auch in diesem Aufsatz keine komplette Formalisierung der englischen Sprache durchgeführt, sondern lediglich eines, wenn auch bemerkenswerten Fragments davon. Gegen Ende der 1940er Jahre machte Willard Van Orman Quine (1908–2000) darauf aufmerksam, dass es von den ontologischen Hintergrundannahmen eines Interpreten einer sprachlichen Äußerung abhängen kann, welche logische Form er dem Satz zuschreibt. (Quine) Für einen Nominalisten hat der Satz ‚Es gibt weiße Hunde‘ die folgende logische Form: ∃x ( H(x) ∧ W(x) ) Konkretisiert: Es gibt im Inventar der Welt ein x, so dass x ein Hund ist (‚H‘) und x weiß (‚W‘) ist. Für einen Platonisten hat er die folgende logische Form: ∃x ∃y ∃z (y=w ∧ z=h ∧ T(x,y) ∧ T(x,z)) Konkretisiert: Es gibt im Inventar der Welt ein x, y und z, so dass y die Idee des Weißen (‚w‘) ist, z die Idee des Hundes (‚h‘) und x zu beiden in der Beziehung
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der Teilhabe (‚T‘) steht (vgl. Quine 2011 [1948], 38; verdeutlichendes ‚w‘, ‚h‘ nicht Quines Notation). Quine hat damit die Ontologie rehabilitiert, die sich mit Theorien über das Inventar der Welt befasst. Er war dabei der Verwendung formaler Sprachen nicht abgeneigt. Vielmehr hat er selbst immer wieder raffinierte Vorschläge zur logischen Form problematischer Sätze gemacht, zum Beispiel zur logischen Form von Existenzsätzen mit Eigennamen wie etwa ‚Barack Obama existiert‘ (vgl. Quine 2011 [1948], 24). Freges Vorschlag, dass solche Sätze aufgrund syntaxwidriger Zusammensetzung überhaupt keine logische Form haben (vgl. 1884, § 53) und somit keines Wahrheitswertes fähig sind (vgl. 1892a, 200), hat sich zu Recht nicht durchgesetzt.
5 Fazit Die Frage, welche logische Form ein Argument hat, ist relevant für dessen Bewertung. Und die Frage, welche logische Form ein Satz hat, kann hilfreich sein, wenn es zu klären gilt, was mit ihm gemeint ist. Die Beantwortung solcher Fragen, die auch etwa zur Entdeckung einer beachtenswerten Mehrdeutigkeit führen kann, mag zur Klärung einer unübersichtlichen Diskussionslage beitragen. Die Aufgabe, sich logischer Form bewusst zu werden, stellt sich immer wieder. Es verhält sich damit gerade so, wie es Arthur Prior (1914–1969) über den besonderen Fall der Diagnose ethischer Fehlschlüsse schrieb: „[It is] a task which it seems to be necessary to perform anew in every age. It is something like housekeeping, or lawn-mowing, or shaving.“ (Prior 1949, 10, Vorwort). Die Fähigkeit, auf die logische Form achtzugeben, gehört zum Handwerkszeug der Rationalität. Im Hinblick auf die Literaturwissenschaft dürfte das zur logischen Form Ausgeführte in erster Linie ein negatives Ergebnis haben, aber auch das mag informativ sein: Insofern das Achtgeben auf die logische Form gerade für solche Aufgaben nützlich ist, die sich Literaturwissenschaftler bei der Betrachtung sprachlicher Gebilde nicht stellen, müssen sie nicht auf deren logische Form achten. Falls es sich für sie dennoch lohnt, manchmal etwas zu sagen wie ‚Dieser Text hat in seiner Stringenz eine geradezu logische Form‘ oder ‚Dieser Text hat eine eigene Logik‘, so spielen sie zwar nicht das Sprachspiel, das die Logiker mit dem Ausdruck ‚logische Form‘ spielen. Das entwertet aber nicht ihren Wortgebrauch, wie ein abschließender Vergleich andeuten mag: Für die Betrachtung von Musikstücken hat schon im frühen neunzehnten Jahrhundert der bedeutende Musiktheoretiker Johann Nikolaus Forkel (1749–1818) die Wendung ‚musikalische Logik‘ ins Spiel
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gebracht. Man kann damit gut umgehen, wenn man damit etwa ausdrücken will, dass einem eine gewisse Fortsetzung aufgrund des Vorhergegangenen zwingend erscheint (vgl. Strobach 2007, 115–116). Man sollte dabei vielleicht unterscheiden, ob eine Fortsetzung eine besonders gelungene oder aber die einzig statthafte ist. Letzteres dürfte bei Kunstwerken kaum vorkommen. Die Kriterien eines Diskurses darüber dürften in keinem Falle formallogische sein, vielleicht aber in einem weiten Sinne kompositionstechnische, die als solche viel mit Form zu tun haben.
Weiterführende Literatur Bocheński, Joseph Maria. Formale Logik. 4. Aufl. Freiburg und München 1978. Carnap, Rudolf. „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“. Erkenntnis 2 (1931): 219–241. Frege, Gottlob. „Über Sinn und Bedeutung“. Funktion – Begriff – Bedeutung. Hrsg. von Mark Textor. 2. Aufl. Göttingen 2007 [1892]: 23–46. Gamut, L.T.F. Logic, Language and Meaning. 2 Bde. Chicago 1991. Strobach, Niko. Einführung in die Logik. 5. Aufl. Darmstadt 2019 (Kapitel 2). Tetens, Holm. Philosophisches Argumentieren. München 2004. Wittgenstein, Ludwig. Logisch-philosophische Abhandlung. Tractatus logico-philosophicus. Hrsg. von Brian McGuinness und Joachim Schulte. Frankfurt am Main 232019 [1921].
Birgit Recki
IV.1.2 Symbolische Form 1 Der Ansatz Den Begriff der symbolischen Form prägt der Erkenntnistheoretiker, Wissenschaftstheoretiker und Kulturphilosoph Ernst Cassirer in den zwanziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts. Seine Philosophie der symbolischen Formen legt er in dem monographischen Reihenwerk unter diesem Titel (Cassirer 2001c [1923]; 2002a [1925]; 2002b [1929]) und in etwa einem Dutzend flankierender ‚Masteressays‘ zur Vertiefung von Grundlegungsfragen und zur Spezifizierung verschiedener Symbolfunktionen (1921–1932) vor. Sie ist von der theoretischen Intuition getragen, deren Durchführung dem zuvor auf das Paradigma der Naturwissenschaften konzentrierten Epistemologen die Zuwendung zu den Geisteswissenschaften als unabdingbar vor Augen führt: In symbolischen Leistungen aller Art, im Erzeugen und Verstehen von allemal zeichenvermittelter Bedeutung, sei der Ursprung der Kultur zu sehen, und dieser aus der Aktivität des menschlichen Geistes hervorgehende Ursprung sei auf allen Ebenen und Entwicklungsstufen menschlicher Wirklichkeit stets aufs Neue zu leisten. In der konzisen Zusammenfassung seiner Theorie, die er am Ende seines Lebens im amerikanischen Exil geben sollte, wird Cassirer dies in die wirkmächtige Formel vom Menschen als dem animal symbolicum fassen (Cassirer 1990 [1944], 51). In der Entfaltung des darin verdichteten Programms gibt er uno actu mit einer „Grundlegung der Geisteswissenschaften“ (Cassirer 2001c [1923], VII) den Umriss einer Theorie der menschlichen Kultur in ihren tragenden Sphären.
2 Konzeption und Konzepte der symbolischen Formung Die terminologische Entscheidung, die Cassirer seinem Systementwurf einer symboltheoretisch fundierten Philosophie der Kultur zugrunde legt, mutet den alltagssprachlichen Intuitionen des Begriffsgebrauchs einen Perspektivenwechsel und die Bereitschaft zur theoretischen Komplexion zu: Mit den ‚symbolischen Formen‘ sind nicht etwa die einzelnen Symbole unter dem Aspekt ihrer poietischen Geformtheit oder ihrer ästhetischen Gestaltqualitäten gemeint; der Begriff ist vielmehr auf einer höheren Stufe der Generalisierung angesiedelt und bedeutet die ‚Energien des Geistes‘ oder ‚geistige Formen‘, durch die der Mensch geformte Wirklichkeit hat. https://doi.org/10.1515/9783110364385-019
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Geist und Form Neben dem Begriff des Geistes, den Cassirer in kulturphilosophischer Anverwandlung der Kantischen Rede vom belebenden Princip im Gemüthe (vgl. Kant 1974 [1790], 313) als das „bildende Prinzip“ des menschlichen Bewusstseins in seiner Ausrichtung auf materiale Versinnlichung begreift, verlangt auch der Begriff der Form, der in diese Konzeption eingeht, einige Differenzierung. „Wie die scholastische Metaphysik den Gegensatz zwischen dem Begriff der ‚natura naturata‘ und der ‚natura naturans‘ geprägt hat, so muss die Philosophie der symbolischen Formen zwischen der ‚forma formans‘ und der ‚forma formata‘ unterscheiden.“ (Cassirer 1995 [1928/1938–40], 18). Mittels dieser Differenzierungen verbindet Cassirer in seinem Grundbegriff zwei Dimensionen: den tätigen Prozess der Gestaltung und sein gegenständliches Resultat in der geprägten Gestalt. „Das Wechselspiel zwischen beiden macht erst den Pendelschlag des geistigen Lebens selbst aus.“ (Cassirer 1995, 18). Das „Werden des Geistes und das Werden der Kultur“, wie es Cassirer in einem Hendiadyoin fasst, geschieht demnach in der unausgesetzten Dialektik der bildenden Formung und der gebildeten Form.
Symbolische Form(en) Darüber hinaus soll das Konzept der symbolischen Form zum Ausdruck bringen, dass sich dieses Hervorbringen von Wirklichkeit durch Symbolisierung in regelmäßigen „Modalitäten der Sinngebung“ vollzieht (Cassirer 2002b [1929], 231). Der Plural der symbolischen Formen indiziert eine Diversität in den Paradigmen des formenden Zugriffs: Gemeint sind die durch ihr je eigenes Material der Artikulation und durch deren Eigendynamik charakterisierten Bereiche der menschlichen Kultur. „Unter einer ‚symbolischen Form‘ soll jede Energie des Geistes verstanden werden, durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und diesem Zeichen innerlich zugeeignet wird.“ (Cassirer 2003a [1923], 79). Das dem Ansatz insgesamt zugrundeliegende Konzept der Symbolisierung als Verkörperung von Bedeutung (vgl. Krois 2011) ist dabei absichtsvoll weit gefasst, d. h. es soll jegliche Art der Versinnlichung von Sinn einschließen (Sprache, Bilder, Formeln, dingliche Gegenstände, Rituale, Zeremonien und andere Handlungen u. a.); und es verbindet darin den konstitutionstheoretischen Status (1) mit einem kulturontologischen Realismus (2), indem es (ad 1) gemäß Cassirers Orientierung an der Kopernikanischen Wende der Kantischen Subjektphilosophie in sämtlichen Spezifizierungen die Funktionen der epistemischen Formung von Wirklichkeit beinhaltet, und zugleich (ad 2) in der Zuwendung zum Symbolischen als der Verobjektivierung von Aus-
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druck und Darstellung den geschaffenen Charakter der kulturellen Realität betont. Wenn man die menschliche Kultur, wie Cassirer sie im Kollektivsingular zum Thema macht, als System allseitig vernetzter Bedeutung begreift, dann darf man die symbolischen Formen als ihre ‚Subsysteme‘ bezeichnen. Was Georg Simmel als eine eigendynamische „Sachreihe“ der Kultur anspricht, ist das, was Cassirer eine „symbolische Form“ nennt. Sind es bei Simmel Kunst, Technik, Recht, Religion, Wissenschaft und Sitte (Simmel 2001 [1911/12], 385), so führt Cassirer in den programmatischen Passagen seiner Schriften zumeist Sprache, Mythos und Religion, Kunst und Wissenschaft auf. In deren historisch und material differenzierten Darlegungen zeigt sich aber auch, dass dieser ‚Katalog‘ bloß als Grundbestand, als exemplarische Konzentration auf das Unabdingbare, somit auch als provisorisch zu verstehen sei. Im Zuge der Entwicklung seiner Theorie wird dann deutlich: Auch Technik (vgl. Cassirer 2002a [1925]; 2004a [1930]), Wirtschaft, Geschichte (vgl. Cassirer 1990 [1944]), Recht und Moral (vgl. Cassirer 2005 [1939]; vgl. Recki 2004, Kap. C.II–IV), wie diffizil im einzelnen ihre symboltheoretische Bestimmung sein mag, gehören zu den ‚symbolischen Formen‘. Deren Bestand scheint überhaupt bei Cassirer nicht festgelegt. Kultur ist ein offenes System. Dass Cassirer nirgends in seinem Werk sei es die dogmatische Fixierung eines kanonischen Bestandes symbolischer Formen, sei es eine Ableitungsformel gibt, hängt mit seinem gleichermaßen an Kant wie an Hegel geschulten methodischen Verständnis von Philosophie zusammen: Die Philosophie erfindet nichts, sie findet ihre Probleme in der Wirklichkeit. Sie analysiert und reflektiert gegebene Begriffe (vgl. Kant 1905 [1764], Erste Betrachtung, 276–283); bzw. sie fasst – mit Hegel – vorgefundene Realität in Begriffe. Spät in seinem Werk gibt Cassirer einen explikativen Hinweis, der als Faustregel der Induktion bzw. als heuristischer Leitfaden zur kriteriellen Bestimmung einer kulturellen Sphäre als symbolische Form taugen mag: „[E]s ist ein gemeinsames Charakteristikum aller symbolischen Formen, daß sie auf jeden beliebigen Gegenstand angewendet werden können. Nichts ist für sie unzugänglich oder undurchdringlich.“ (Cassirer 1949 [1946], 49). Mit dieser Erläuterung ist die Anwendungsbedingung seines Programmbegriffs angezeigt. Für die symbolischen Formen Sprache, Kunst und Mythos fügt Cassirer hinzu: „Alles hat einen ‚Namen‘; alles kann Thema für ein Kunstwerk werden. Das Gleiche gilt vom Mythus.“ (50). In dem Kriterium, dass sich jeder beliebige Gegenstand sprachlich, künstlerisch, mythisch artikulieren lasse, ist aber auch eine Implikation zu den Wissenschaften als symbolischer Form enthalten: Zwar kann nicht alles zum Gegenstand der Mathematik, der Physik oder der Romanistik werden. Doch vom Kleinsten bis zum völlig Abstrakten lässt sich alles wissenschaftlich, d. h. in einer der Wissenschaften behandeln. In der mit dem Anwendungsbegriff gegebenen rein strukturellen Bestimmung, in einer symbolischen Form lasse sich jeder
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beliebige Gegenstand artikulieren, sind die Merkmale aller kulturellen Zeichensysteme aufgenommen, wie sie Cassirer im Essay on Man an den Leistungen der Sprache kurz zuvor exemplifiziert hatte: Versatilität, Ubiquität und Systematizität des Gebrauchs machen Zeichen, die als solche auch singulär, stationär und sporadisch eingesetzt werden können, zu Symbolen (vgl. Cassirer 1990 [1944]; siehe unten).
Vermittlung als Konkretisierung: Symbolische Prägnanz Es fällt auf, dass Cassirer schon früh, offenbar in der Absicht der Explikation durch terminologische Variation, wo er in programmatischer Perspektive von den symbolischen Formen als Funktionen geistiger Produktivität spricht, den Begriff des Mediums verwendet (vgl. Cassirer 2001c [1923], 5, 14). Die Rede vom „Medium“ besagt eben jene Vermittlung der geistigen Bedeutung durch Sinnliches, die – im Zentrum der Definition von symbolischer Formung – bereits den Symbolbegriff ausmacht, und deren Ubiquität Cassirer behauptet. Diese Vermittlung wird nach seiner grundlegenden These nicht anders als durch Symbole geleistet, die von daher ebenso wie die symbolischen Formen als Medien begriffen werden können (vgl. 14, 16). Unerachtet dieser sachhaltigen Ambiguität der Staffelung kommt dem Begriff des Mediums hoher explikativer Aufschlusswert zum Verständnis der Funktion symbolischer Formung zu. Ebenso wie der Begriff des Symbols ist auch er dazu angetan, einer der tragenden Intuitionen Genüge zu tun, denen die Philosophie der symbolischen Formen verpflichtet ist: der Überwindung des Cartesischen Dualismus. Indizieren doch beide Begriffe die für jegliche Bedeutung unabdingbare Einheit von Sinnlichkeit und Sinn, von Materialität und Methode. Cassirer dokumentiert seine programmatische Absicht in einem Schlüsseltext, in dem er „[d]as Verhältnis von Leib und Seele“ als „das erste Vorbild und Musterbild für eine rein symbolische Relation“ bezeichnet: „hier waltet eine Verknüpfung, die nicht aus getrennten Elementen erst zusammengefügt zu werden braucht, sondern die primär ein sinnerfülltes Ganze ist, das sich selbst interpretiert“ (Cassirer 2002b [1929], 113). Dem entspricht in der Durchführung der Theorie die häufige Rede von Verkörperung – ein Terminus mithin, dessen letztliche Insuffizienz zwar nicht verborgen bleiben kann, dessen emphatische Inanspruchnahme aber unzweifelhaft die systematische Absicht beglaubigt (vgl. Recki 2012b). Im Dienste dieser Absicht steht auch der Begriff der symbolischen Prägnanz, durch den Cassirer die Vorstellung von den „Modalitäten der Sinngebung“ präzisiert. Unter symbolischer Prägnanz soll „die Art verstanden werden, in der ein Wahrnehmungserlebnis, als sinnliches Erlebnis, zugleich einen bestimmten nicht-
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anschaulichen Sinn in sich faßt und ihn zur unmittelbaren konkreten Darstellung bringt“ (Cassirer 2002b [1929], 231; Hervorhebung B.R.). Cassirer veranschaulicht diesen Gedanken wiederholt an der Wahrnehmung eines ‚einfachen Linienzuges‘ (vgl. 228–229). Dieselbe gleichmäßig geschwungene Linie kann „künstlerische Bedeutsamkeit“ als ästhetisches Ornament haben, sie kann aber auch magisches Zeichen und damit „Träger einer mythisch-religiösen Bedeutung“ sein, und sie kann schließlich die graphische Darstellung für einen „rein logisch-begrifflichen Strukturzusammenhang“ geben (Cassirer 2004a [1927], 257–258). Auf den Punkt gebracht ist damit die wahrnehmungsphänomenologische Einsicht in die AspektAbhängigkeit der Sinngebung: das Sehen-als, oder umfänglich: Wahrnehmen-als. Je nach der informierten ‚Optik‘ des Betrachters scheint dasselbe ‚Wahrnehmungserlebnis‘ einen ganz unterschiedlichen Sinn zur Darstellung zu bringen, in den Termini der Definition der symbolischen Form: dasselbe sinnliche Zeichen wird mit unterschiedlichem geistigem Bedeutungsgehalt verknüpft. Das sinnlich Gegebene wird also in jedem Fall instantan als bedeutsam, und dabei immer schon in spezifischer Weise als bedeutsam erfasst. Cassirers (ergänzungsfähige) Aufzählung der ästhetischen, mythisch-religiösen und wissenschaftlichen Schematisierung wahrgenommener Bedeutung enthält den Hinweis auf Kunst, Mythos, Religion und Wissenschaft und kennzeichnet so das Beispiel des Linienzuges als Präparat der Vielfalt symbolischer Formen.
3 Interdisziplinäre Implikationen Von Anfang an hat Ernst Cassirer seiner eigenen Forschung ein interdisziplinäres Format gegeben. Schon die zunächst in zwei Bänden vorgelegte gelehrte Abhandlung über Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit erörtert die Erträge der neuzeitlichen und modernen Erkenntnistheorien im steten Blick auf die je gleichzeitige Grundlagenforschung der Naturwissenschaft (vgl. Cassirer 1999a [1906]; 1999b [1907]). In der breiten Aufnahme der Erträge aus historischer wie zeitgenössischer Forschung in den Geistes- und Sozialwissenschaften, teils auch im direkten diskursiven Kontakt mit ihren Exponenten, kultiviert Cassirer diese kommunikative Orientierung auch in der Philosophie der symbolischen Formen. Nicht nur seine Aufmerksamkeit auf den Stand der Forschung in den anderen Wissenschaften, auch sein Austausch mit Friedrich Gundolf, Albert Einstein, Kurt Goldstein, William und Clara Stern, mit Jakob Johann von Uexküll, Roman Jakobson und vielen anderen Forschern seiner Zeit (vgl. Cassirer 2009 [1932/33]), und insbesondere die ausgiebige Nutzung der Hamburger Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg seit 1921 und der intensive Austausch mit
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dem Kunsthistoriker Aby Warburg schlagen sich in der materialreichen Konkretisierung seiner Philosophie der Kultur nieder.
Der methodische Vorrang der Sprache Anschlussfähig und relevant für die theoretischen Fragen der Sprach- und der Literaturwissenschaften ist diese Theorie in mehrfacher Hinsicht, und nicht erst auf der Ebene spezifizierender Anwendung: So sehr Cassirers Einsicht in den Ursprung der Kultur aus dem mythischen Bewusstsein mit der Emphase des Gefühls und der Bildlichkeit einhergeht (vgl. Cassirer 2003b [1925]; Cassirer 1990 [1944], 116–170) – evident ist vom Ansatz her die systematische Auszeichnung der Sprache. Cassirer stellt sie heraus als die symbolische Form, die der Einstellung des Menschen auf seine Wirklichkeit eine Methode mitgibt, deren Funktionen fundierend und interferierend in alle anderen symbolischen Formen hineinwirken. Es ist die Sprache, definitorisch gefasst als das „System der Lautzeichen“ (Cassirer 2001c [1923], 16), an der sich die für alle menschliche Wirklichkeit konstitutive Leistung der systematischen „Gestaltung der Eindrücke zu Vorstellungen“ (147) und damit der Charakter der menschlichen Kultur als eines Systems der symbolischen Formen exemplifizieren lässt. Im Ersten Teil seiner Philosophie der symbolischen Formen schafft Cassirer Bedingungen für eine Theorie über Die Sprache, indem er im großen Prospekt historischer Sprachforschung und systematischer Sprachanalyse an die Einsichten der Sprachphilosophie seit dem Platonischen Kratylos, an Herder, Hamann, Humboldt und an Heinrich von Kleist anknüpft. In den beiden Folgen des Aufsatzes Die Sprache und der Aufbau der Gegenstandswelt entwirft er in der Analyse der elementaren sprachlichen Funktionen von der Vergegenständlichung der Objektwelt über den Aufbau der subjektiven Phantasiewelt und die Stiftung des sozialen Zusammenhanges bis zum Ursprung von Selbstbestimmung und Normativität seinen eigenen systematischen Beitrag. Sprache ist hier als Medium eines Distanzgewinns durch Verobjektivierung begriffen, ohne den es keinen selbstbestimmten Umgang, keine geistige Aneignung, keine Verfügung über die Dinge und keine Orientierung geben kann. Im gleichen Zuge, wie durch die verbale Artikulation die Gegenstandswelt als Orientierungsraum erst gleichsam konstruiert wird, baut sich in ihr das menschliche Selbst als artikulationsfähige Instanz aller Erfahrung auf. Die Einsicht, dass ebenso wie die Objekterkenntnis auch „alles Wissen von unseren eigenen inneren Zuständen […] durch die Sprache bedingt und durch sie vermittelt“ ist, betrifft laut Cassirer mit der „Schicht der Wahrnehmung und Anschauung“ auch „die Tiefe des Gefühls“ (Cassirer 2009 [1932/33], 195) und sogar das praktische Selbstbewusstsein. In der Sprache erkennt er nicht allein das Mittel der Affektkontrolle
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im Dienst der Selbstbestimmung, er begreift auch den mit dem Spracherwerb verbundenen objektiv wie intersubjektiv begründeten Impetus, richtig zu sprechen, als den Ursprung des Bewusstseins von Normativität. Den Dimensionen der objektiven und der subjektiven Formierungsaspekte, den Leistungen der sprachlichen Artikulation für den Aufbau der Gegenstandswelt wie der inneren Welt fügt er schließlich unter besonderer Emphase auf der dialogischen Funktion des Fragens die intersubjektive Leistung der Sprache für den Aufbau der sozialen Welt hinzu. Die Bestimmung als geistiges „Mittel der Gegenstandsbildung“ (Cassirer 2009 [1932/33], 196) wie als „spezifisches Mittel der ‚Menschwerdung‘“ (214) läuft darauf hinaus, dass es ohne Sprache im Sinne jenes Wirkungszusammenhanges, in dem wir uns selbst befinden und der uns etwas bedeutet, überhaupt keine Wirklichkeit gibt: Wirklichkeit als Kontext der Gegenstandsbildung und als systematisches Korrelat des Verstehens verdankt sich der Leistung der „geistigen Einheitsbildung“ (199), die durch das Denken in sprachlichen Begriffen erfolgt. „[D]aß jedes Ding einen Namen hat“ (Cassirer 1990 [1944], 60), mit diesem Zitat aus dem Bericht der Lehrerin von Helen Keller, jenem blinden und taubstummen Mädchen, dem sich im Surrogat des „Fingeralphabets“ der methodische Zugang zur Welt erst erschließen sollte, als es beim Erlernen eines „Wortes“ schlagartig das systemische Prinzip der Bedeutung begriff (60–64), gibt Cassirer im Essay on Man der symboltheoretisch fundierten Erklärung der Leistungsfähigkeit der Sprache ihre anschauliche Pointe. Die Einsicht steht für jenen Begriff des Symbols als Element eines universalen Systems der Bedeutungen, wie ihn Cassirer seit jeher vertritt. Die Welt kann sich dem Menschen nur dann zur Einheit der Bedeutungen zusammenschließen, wenn die Funktion der Symbole im Sinne einer ubiquitären Vernetzung wirksam, somit generell verfügbar ist. „Ohne ein komplexes Symbolsystem kann relationales Denken gar nicht entstehen, geschweige denn zur Entfaltung gelangen.“ (Cassirer 1990 [1944], 66–67). Im Kontrast zu einer isolierten, bloß stationären Signalfunktion des Zeichens erläutert Cassirer den Charakter des Symbols durch seine Variabilität, Versatilität, Reflexivität, seine Ubiquität und systemische Vernetzung.
Die radikale Metapher In der Auseinandersetzung mit der gemeinsamen geistigen Funktion von Sprache und Mythos hatte Cassirer in einer an Nietzsche erinnernden entgrenzenden Generalisierung des sprach- und literaturwissenschaftlichen Begriffs der Metapher (vgl. Nietzsche 21988 [1873]) Wert darauf gelegt, an der symbolischen Aktivität des menschlichen Geistes die Leistung der medialen Transformation als grundlegend
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für die Genese von Bedeutung überhaupt einsichtig zu machen. Was er im Begriff der „radikalen Metapher“ als die elementare menschliche Bewusstseinsleistung der Übertragung auszeichnet, wird als Nukleus der Kultur behauptet (Cassirer 2002a [1925]). Die „beherrschende Stellung des Wortes“ in allen Kosmogonien legt auch für die Bemühung um das Verständnis des mythischen Denkens und der mythischen Lebensform den methodischen Primat der mythischen Ursprungserzählung nahe; sie war zunächst dazu angetan, Cassirer in seinem Interesse an der methodischen Präponderanz der Sprache, ihrem Anteil an allen anderen Bereichen der Kultur zu bestärken. Doch hier stellt er die komplementäre Frage nach der „gemeinsame[n] Wurzel“ von Mythos und Sprache. Sein Interesse gilt nunmehr ihrer „letzte[n] Gemeinsamkeit in der Funktion des Gestaltens“ (Cassirer 2003b [1925], 299): Diese Gemeinsamkeit, im Blick auf die sich dann nur noch eine „wechselseitige […] Bedingtheit“ von Sprache und Mythos feststellen lässt (302), sieht er in der „Form des metaphorischen Denkens“ (299). Cassirer gewinnt dieses Konzept durch Differenzierung im Begriff der Metapher: Von der Definition, in der unschwer der geläufige Begriff der Metapher zu erkennen ist, „als de[m] bewußte[n] Ersatz der Bezeichnung für einen Vorstellungsinhalt durch den Namen eines anderen Inhaltes“ aufgrund einer Analogie (Cassirer 2003b [1925], 301), m. a. W. als „Umschreibung eines Ausdrucks durch einen anderen“ (302), setzt er den Begriff von derjenigen „wahrhaft ‚radikale[n]‘ Metapher“ ab, in der er „eine Bedingung der Sprachbildung sowie eine Bedingung der mythischen Begriffsbildung selbst“ sieht (Hervorhebung B. R.). Die „Umsetzung eines bestimmten Anschauungs- oder Gefühlsgehaltes in den Laut, also in ein diesem Inhalt selbst fremdes, ja disparates Medium“ wird ihm exemplarisch; in ihr erkennt er „nicht nur eine Übertragung, sondern eine echte metabasis eis allo genos“. Es ist diese „Umsetzung […] in ein […] fremdes […] Medium“ (302), die Cassirer auf den Begriff der „radikalen Metapher“ bringt und als das „eigentliche Grundprinzip der sprachlichen sowohl wie der mythischen ‚Metapher‘“ durch „das Prinzip […] des ‚Pars pro toto‘“ erläutert (305). Gemeint ist damit ausdrücklich nicht eine spezielle sprachliche Funktion, sondern die grundlegende Funktion der repräsentativen Merkmalssetzung, die „sich über das Ganze des Sprechens erstreckt und dieses Ganze kennzeichnet“ (308). Doch ist in der „Form des metaphorischen Denkens“ nicht allein eine Bedingung der Sprache benannt. Sprache und Mythos, und – wie Cassirer betont – auch die Kunst teilen sich in die Gemeinsamkeit dieses metaphorischen Ursprungs: „Mythos, Sprache und Kunst bilden zunächst eine konkrete noch ungeschiedene Einheit, die sich erst allmählich in eine Trias selbständiger geistiger Gestaltungsweisen auseinanderlegt.“ (Cassirer 2003b [1925], 310; vgl. Cassirer 2002a, 305). Mit Blick auf die Erläuterung der in jedem Fall übertragenden Artikulation kann aber
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auch noch in den Verfahren der Wissenschaft die radikale metaphorische Funktion erkannt werden, die in jeder Begriffsbildung wirksam ist. Die Bestimmung der Übertragung in ein fremdes Medium trifft jede Sinnerfüllung des Sinnlichen, die Erläuterung durch das Prinzip des Pars-pro-toto macht sie als ursprüngliche Merkmalssetzung durch Zeichensetzung fassbar. Beschrieben ist damit die elementare Aktivität, die grundsätzlich allen symbolischen Formen zugrunde liegt: In jedem Fall von Bedeutung, ihrem Hervorbringen wie ihrem Verstehen, muss eine Übertragung in ein ‚fremdes Medium‘ geleistet werden. Im Begriff der radikalen Metapher ist somit die wirklichkeitskonstituierende Leistung, die Cassirer erstmalig in der Funktion des wissenschaftlichen Begriffs analysiert hatte (vgl. Cassirer 2000 [1910]), auf prinzipiell jedes mögliche Medium der Formung zu übertragen. Die ‚radikale Metapher‘ ist das in der Frage nach der Einheit der symbolischen Formen gesuchte funktionelle Prinzip der Kultur (vgl. Cassirer 1990 [1944], 113 ff., 336 ff.). Durch Entgrenzung des linguistischen und literaturwissenschaftlichen Begriffs der Metapher in die Tiefendimension der mentalen Vorgänge sucht Cassirer einerseits an der kulturstiftenden Leistung des menschlichen Bewusstseins den Charakter der Kreativität anschaulich zu machen. Dem entspricht andererseits durch seine Einbettung in die Grundlegungsdimension geistiger Transformation die Aufwertung des Metaphernbegriffs als Konzept der Genese von Bedeutung überhaupt.
4 Literatur als Kunst: Ihr Status in der Kultur In der Abhandlung Freiheit und Form hatte sich Cassirer in der Auseinandersetzung mit dem Freiheitsdenken der Weimarer Klassik und der an Kant anschließenden Philosophie des deutschen Idealismus jener geisteswissenschaftlichen Dimension der Kultur vergewissert (vgl. Cassirer 2001a [1916]), der in der Philosophie der symbolischen Formen sein vorrangiges Interesse gelten sollte. Seither ist im veröffentlichten Werk seine intensive Beschäftigung mit der großen Literatur dokumentiert. Sie erklärt sich nicht allein aus der Optik des Philosophen, der die großen Themen der Menschheit in literarischen und in philosophischen Texten gleichermaßen angemessen repräsentiert findet; dem Theoretiker der symbolischen Formen, zu dessen Studienfächern ebenso wie die Physik die Germanistik gehört hatte, wird in der Dichtung auch die in der sublimierenden Formung menschlicher Emotionalität beruhende reflexive Leistung aller Kunst exemplarisch. Den Terminus ‚Kunst‘ verwendet Cassirer in den zum Umfang der Philosophie der symbolischen Formen gehörenden Texten stets als Genus proximum aller
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Künste. Zur Konkretisierung seiner generellen kunstphilosophischen Einsichten dienen ihm dabei ganz überwiegend literarische Werke. Eine wenig beachtete, aber bemerkenswerte literaturästhetische Dimension der Philosophie der symbolischen Formen birgt die frühe, im Anschluss an die Auseinandersetzung mit der gemeinsamen Transformationsleistung in Mythos und Sprache gegebene Skizze einer Kompensationstheorie der Kunst. Im Rahmen seiner geschichtsphilosophischen Problematisierung der kulturellen Fortschrittstendenz zu wachsender Abstraktheit und Verfügungsrationalität reflektiert Cassirer auf die ‚Lebendigkeit‘ der künstlerisch geformten Sprache, die den Wandel überdauere. An ihr exemplifiziert er eine kompensatorische Funktion der Kunst im System der Kultur (vgl. Cassirer 2003b [1925]). In der Dynamik fortschreitender Rationalität durch Abstraktion kann sich die Sprache dadurch zum „Vehikel des Denkens“ ausbilden, dass sie in der Ausnüchterung des Wortes zum bloßen Begriffszeichen „auf die Fülle der unmittelbaren Anschauung mehr und mehr Verzicht leistet. Von dem konkreten Anschauungs- und Gefühlsgehalt, der ihr ursprünglich eignete, von ihrem lebendigen Körper scheint zuletzt nichts anderes als das bloße Gerippe übrigzubleiben.“ (Cassirer 2003b [1925], 310). Doch es gibt für Cassirer „ein Gebiet des Geistes“, in dem die Sprache ihre expressive Lebendigkeit ständig erneuert. „Hier wird [dem Wort] wieder die Fülle des Lebens zuteil: Aber dieses Leben ist nicht mehr das mythisch gebundene, sondern das ästhetisch befreite Leben.“ (311). Es ist die Lyrik Hölderlins, die Cassirer für diese Wiedergewinnung der unmittelbaren Anschauungsfülle in der Formung zum künstlerischen Ausdruck beispielhaft anführt. Es bleibt auch in Cassirers theoretisch dichtestem und ertragreichstem Text zur Kunst als einer symbolischen Form, dem Kapitel über die Kunst des Essay on Man, bei der überwiegend literarischen Instrumentierung des generellen Kunstbegriffs – und in der Sache bei der früh artikulierten Erwartung an die Kunst: Während die abstrakte Wissenschaft eine „Abkürzung[] der Wirklichkeit“ (Cassirer 1990 [1944], 221) leiste, gewähre die Kunst nicht nur eine spezifische, im Medium der Anschauungen, der sinnlichen Formen gegebene „Deutung von Wirklichkeit“ (226), sondern auch eine „Intensivierung von Wirklichkeit“ (221). Verständlich werden soll diese Wirkung von Kunst wiederum durch die besondere Anmutung von Lebendigkeit, die Cassirer dem Kunstwerk als wesentlich zuschreibt. „[D]as ganze Spektrum menschlicher Emotionen“ (230), das die Kunst anspricht oder auslöst, „[a]lle diese Kontraste“ unserer Gefühlsreaktionen „verschmelzen“ in der ästhetischen Erfahrung „zu einem unteilbaren Ganzen“, und dadurch erleben wir „die Bewegung und das Vibrieren unserer ganzen Existenz“ (231). Doch Emotion, Gefühl, Leidenschaft als solche machen, so betont Cassirer, noch kein Kunstwerk. In diesem Zusammenhang kommt der Betonung der Form besonderes und neues Gewicht zu. So wichtig auch der Bezug auf das Gefühl
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als Impuls und Gegenstand der Kunst ist, dem Kunstwerk eignet ein genuines „Element von Rationalität“, das Cassirer als „die Rationalität der Form“ anspricht (257). „Unseren Leidenschaften eine ästhetische Form zu verleihen heißt, sie so zu verwandeln, daß sie ohne Zwang wirksam werden können. Im Werk des Künstlers ist die Macht der Leidenschaft zu einer bildenden, formenden Kraft geworden.“ Wie dies zu denken ist, wie die Kunst zugleich emotionale Intensivierung von Wirklichkeit sein kann und die unmittelbare Regung in der distanzierenden und verobjektivierenden Rationalität der Form zu sublimieren vermag, deutet Cassirer im Essay on Man an einer Stelle an, die den passionierten Leser Goethes und Hölderlins als Zeitgenossen des modernen Strukturalismus zeigt: „Der wirkliche Gegenstand der Kunst“ sei, so heißt es da, „in bestimmten fundamentalen Strukturelementen unserer sinnlichen Erfahrung zu suchen – in Linien, Zeichnung, in architektonischen, musikalischen Formen“ zu sehen (Cassirer 1990 [1944], 242; Hervorhebung B.R.). Es ist mit anderen Worten die über die gesteigerte Aufmerksamkeit auf formale Merkmale vermittelte Selbstreflexivität in ‚unserer‘ ästhetischen Erfahrung der Kunst, die Cassirer im Topos der Intensivierung von Wirklichkeit anspricht. Er fasst das Kunstwerk damit – in der expliziten Entsprechung von Strukturen des erfahrenen Gegenstandes und fundamentalen Strukturelementen unserer sinnlichen Erfahrung – als Fall der völligen wechselseitigen Durchdringung jener grundsätzlich unterschiedenen Momente von forma formata und forma formans. Durch ihre Modi der Gestaltung und ihren Effekt, der Sublimierung in der Form, ist uns nach dieser Analyse die Kunst „ein Mittel der Selbstbefreiung und gewährt uns so eine innere Freiheit, die wir anders nicht erlangen können“ (Cassirer 1990 [1944], 230).
Weiterführende Literatur Krois, John Michael. Cassirer. Symbolic Forms and History. New Haven und London 1987. Hartung, Gerald. Das Maß des Menschen. Apologien der philosophischen Anthropologie und ihre Auflösung in der Kulturphilosophie Ernst Cassirers. Weilerswist 2004. Lauschke, Marion. Ästhetik im Zeichen des Menschen. Die ästhetische Vorgeschichte der Symbolphilosophie Ernst Cassirers und die symbolische Form der Kunst. Hamburg 2007. Büttner, Urs, Martin Gehring, Mario Gotterbarm, Lisa Herzog und Matthias Hoch. Hrsg. Potentiale der symbolischen Formen. Eine interdisziplinäre Einführung in Ernst Cassirers Denken. Würzburg 2011. Recki, Birgit. Hrsg. Philosophie der Kultur – Kultur des Philosophierens. Ernst Cassirer in der Philosophie des 20. und 21. Jahrhunderts. Hamburg 2012. Recki, Birgit. Cassirer. Stuttgart 2013. Schwennsen, Anja. Mythische Rede in der Literatur. Mit Analysen zu Thomas Manns Joseph und seine Brüder und Marcel Prousts A la recherche du temps perdu. Würzburg 2015.
Achim Landwehr
IV.1.3 Historische Form Die Spur des Hirsches, oder: Wie wird aus Geschehen Geschichte?
1 Metahistorisches Wäre das hier eine Tragikomödie, ließe sich mit dem sprechenden Detail eines nicht ganz gelungenen Jubiläums beginnen, das im Jahr 2014 begangen wurde. Nein, es ging nicht um diesen Kriegsausbruch, den man sowohl 1914 als auch 100 Jahre später mit so viel gravitätischem Ernst bedachte (wenn auch jeweils mit gänzlich anderer moralischer Aufladung). Vielmehr ging es um das 40-jährige Jubiläum der Veröffentlichung von Hayden Whites Metahistory, das mit einer eigenen Sonderausgabe dieses so einflussreichen Buchs gefeiert wurde (White 2014). Man ist fast versucht, die Umstände dieses zugegebenermaßen recht bescheidenen Jubiläums, das außerhalb der spezialisierten Kreise der Geschichtsphilosophie und -theorie kaum für Aufmerksamkeit gesorgt haben dürfte (zumal 40 Jahre auch keine besonders jubiläumsträchtige Zeitspanne sind), mit der gesamten, nicht ganz einfachen Rezeption der Thesen Hayden Whites in Verbindung zu bringen. Denn im Jahr 2014 war das eigentliche Jubiläum bereits verstrichen, schließlich war die Originalausgabe von Metahistory bereits 1973 erschienen. Die Sonderausgabe kam also zu spät, womit sich auch das ganze Jubilieren als nicht recht geglückt erwies. Ähnliches lässt sich für die Aufnahme der Überlegungen Hayden Whites in den Kreisen der akademischen Geschichtswissenschaft sagen: etwas spät und nicht ganz geglückt. Verspätet fand die Diskussion statt, weil es beispielsweise nahezu 20 Jahre dauerte, bis Whites Buch ins Deutsche übersetzt wurde (1991). Unglücklich erscheint die Diskussion, weil zwar intensiv darüber debattiert wurde, was White in seinem Buch zu sagen hatte, und diese Debatte bis zum heutigen Tag auch nicht abgerissen ist. Aber dass die Thesen Whites begrüßt oder gar begeistert aufgegriffen worden wären, kann man kaum behaupten. Vielmehr dienen sie – ebenfalls bis in die unmittelbare Gegenwart hinein – als Aufreger und als immer wieder zitierter Anlass, um sich mehr oder minder nachhaltig davon zu distanzieren (vgl. zum Überblick W. Weber 1994; Vann 1998; Stimmen gegen White z. B. bei Evans 1999, 101–103; Lorenz 1998). Aber welche Überlegungen Hayden Whites waren dazu in der Lage, eine solche, sicherlich nicht einhellige, aber immer wieder und durchgehend zu beobachtende Widerstandshaltung zu provozieren? Was macht ihn zu einem solchen Aufreger? In https://doi.org/10.1515/9783110364385-020
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aller Kürze (und damit zwangsläufig auch verkürzend): Es geht White darum, das Poetische der Geschichtsschreibung zu betonen. Zum ersten sei Geschichtsschreibung poetisch, weil sie ihre Gegenstände narrativ gestalte und diese Narrativität den gesamten Bereich historischen Arbeitens grundlegend bestimme, ja, ohne ihn überhaupt nicht zu denken sei. Zum zweiten sei sie poetisch, weil die Verknüpfung von Daten, Erklärungen und erzählerischen Strukturen zu Geschichte(n) laut White auf einem tiefenstrukturellen Fundament aufruhe, auf einem vorkritischen Paradigma, das nicht hinreichend reflektiert werden könne und das für ihn die Rolle des ‚metahistorischen‘ Elements übernehme. Um diesem metahistorischen Gehalt auf die Spur zu kommen, untersucht White dasjenige, was allen historischen Darstellungen gemeinsam ist: ihre sprachliche Form. Kaum zufällig lautet der Titel eines Buchs, in dem einige Beiträge Whites zu Erzählstrukturen in der Geschichtsschreibung versammelt sind, The Content of the Form (dt. Übersetzung: White 1990). Zur Aufdeckung dieser Formen wendet White vor allem in Metahistory ein Verfahren an, das er als ‚formalistisch‘ bezeichnet. So benennt er fünf Strukturelemente, die historische Darstellungen organisieren (Chronik, Fabel, narrative Modellierung, formale Schlussfolgerung und ideologische Implikation). Diese Strukturelemente sind wiederum durch jeweils vier Aspekte geprägt (vier Formen der narrativen Modellierung, vier Typen der Schlussfolgerung, vier ideologische Grundpositionen), mit deren Hilfe sich die formale Gestaltung historiographischer Texte aufschlüsseln lassen soll. Doch damit nicht genug: Auch die Vorstrukturierung des gesamten Untersuchungsfeldes ist geprägt durch eben jenen poetischen Akt, den man sicherlich als das Kernstück von Whites Theorie bezeichnen darf. Denn hier, in diesem präkognitiven, vorkritischen und daher metahistorischen Vorgang der Vorstrukturierung werden überhaupt erst der Untersuchungsgegenstand, also ‚die Geschichte‘, hervorgebracht und die begriffliche Strategie gewählt, die dann zum Gegenstand der formalen Gestaltung werden. Mit der Hilfe von wiederum vier rhetorischen Tropen – Metapher, Metonymie, Synekdoche und Ironie – will White die Tiefenstrukturen offenlegen, die der historischen Einbildungskraft zugrunde liegen (vgl. White 1986 [1978]; White 1991 [1973]; ein Überblick zu Hayden Whites Werk bei Paul 2011). Selbst ohne die Rezeptionsgeschichte von Hayden White im Rahmen der Geschichtswissenschaft näher zu kennen, lässt sich leichthin erahnen, weshalb die so genannte historische Zunft auf diese Überlegungen teils deutlich verschnupft reagierte. Sie sah sich plötzlich mit der These konfrontiert, dass ihr Markenkern nicht die Erforschung vergangener Zustände sein sollte, sondern die formale Gestaltung dieses vergangenen Geschehens zu konzisen Erzählungen. Das konnte nicht gutgehen. Und es ging nicht gut. Exemplarisch belegt das eine Veröffentlichung des Sozialhistorikers Hans Ulrich Wehler, der in gewohnt kämpferischer Weise von einem „Duell in der gegenwärtigen Geschichtswissenschaft“ sprach:
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‚Literarische Erzählung oder kritische Analyse?‘ – die Antwort konnte bei Wehler nur zu Ungunsten der Erzählung ausfallen (vgl. Wehler 2007; vgl. auch schon Wehlers Diskussion mit Golo Mann im Band von Kocka und Nipperdey 1979, 17–62). Sicherlich muss man an Whites Überlegungen Kritik anbringen. Insbesondere der fast schon manische Formalismus, bei dem jede Analyseebene in ein handliches Viererpäckchen verschnürt wird, wirkt wenig überzeugend und kann den möglichen Varianten historiographischer Formgebung nicht gerecht werden (vgl. Kohlhammer 1998). Aber den Umkehrschluss zu ziehen und zwischen die historiographische Erzählung und die geschichtswissenschaftliche Analyse ein trennendes ‚oder‘ zu setzen, wie Hans-Ulrich Wehler das getan hat, so als ob man sich für eine der beiden Seiten zu entscheiden hätte, wirkt ebenfalls wenig überzeugend. Schließlich ist das hier kein Western, bei dem der grimmig-dreinschauende Geschichtsanalytiker die Saloontür aufschwingen lässt und dem Geschichtenerzähler entgegenknurrt, dass diese Stadt zu klein für sie beide sei (diese formale Gestaltungsmöglichkeit ist in leichter Abwandlung übernommen von Daston 2000, 15).
2 Geschichtsforschung oder Geschichtsschreibung? Wenn das hier also kein Western ist, dann vielleicht eher die Erzählung von einer Metamorphose. Denn es geht im Grundsatz um die Frage, was passiert, wenn die Forschung am historischen Material in Geschichtsschreibung überführt wird (vgl. Simmel 2000 [1917]). Auch wenn die Tatsache, dass Geschichtsschreibung nicht ohne erzählerische Formen auskommt, kaum von jemandem rundweg bezweifelt wird, ja, kaum bezweifelt werden kann, so wird doch nicht selten der Umstand bestritten, dass diese Form mehr sei als das notwendige und nützliche Behältnis zur Präsentation der eigentlich erheblichen Ergebnisse historischer Forschung. Daher muss man feststellen, dass es nur in Ansätzen eine geschichtswissenschaftliche Diskussion über darstellerische Formen gibt. Wenn überhaupt, gibt es eine Diskussion darüber, ob die Geschichtsschreibung im eigentlichen Sinn von spezifischen Formen abhängt. Wäre das hier eine derjenigen Verfalls- und Untergangsgeschichten, wie sie nicht nur für historische Sujets so gerne gewählt wird, könnte man das ganze Elend bereits mit Aristoteles und seiner Unterscheidung zwischen dem Poeten und dem Historiker beginnen lassen. Bekanntermaßen hat Aristoteles im neunten Kapitel seiner Poetik den Unterschied zwischen diesen beiden Herren (weibliche Vertreterinnen dieser Spezies vermochte er sich noch nicht recht vorzustellen)
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dadurch gekennzeichnet, dass der eine, nämlich der Poet, erzählt, was geschehen sein könnte, während der andere, der Historiker, sich auf das konzentriert, was geschehen ist. Deswegen sei die Poesie auch philosophischer und gewichtiger, weil sie sich nicht mit dem Gegebenen und Notwendigen, sondern mit dem Möglichen und Wahrscheinlichen beschäftige, sich also auf allgemeine Fragen verlegen könne, während die Geschichtsschreibung es mit der konkreten Einzelheit zu tun habe. In welcher Form das nun geschehe, sei, so Aristoteles, eigentlich gleichgültig, denn man könne Herodots Historien auch in Versmaße übertragen, sie blieben trotzdem noch Geschichtsschreibung (vgl. Aristoteles 1982 [um 335 v. Chr.], 1451a, 36–1452a, 9). In der Konsequenz ist aus diesen ungemein einflussreichen Äußerungen zur Geschichtsschreibung die Folgerung gezogen worden, dass sich die Historie gerade nicht durch die Form, sondern durch ihren Inhalt auszeichne – dass man die formale Gestaltung also auch vernachlässigen könne, soweit man den inhaltlichen Forderungen gerecht werde. Anstatt Überlegungen darüber anzustellen, wie Geschichtsschreibung möglicherweise zu einer eigenständigen Darstellungsform gelangen könnte, waren es vor allem zwei Optionen, die offenstanden und die sich in aller Grobschlächtigkeit in eine Phase vor und eine Phase nach der Verwissenschaftlichung der Geschichte unterscheiden lassen. Während bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts auch die formale Nähe von Literatur und Geschichte vielfach gepflegt wurde, der Übergang zwischen beiden Bereichen sehr durchlässig war, zahlreiche Autoren belletristischer Literatur sich auch im Feld des Historischen tummelten und auch in der Geschichtsschreibung die Geschichten noch im Plural auftauchten, lässt sich seit dem frühen neunzehnten Jahrhundert und seit der Etablierung der Geschichtswissenschaft als universitärer Disziplin beobachten, wie man sich seitens der Geschichtsschreibung darum bemühte, diese neue Wissenschaftlichkeit auch formal und stilistisch zum Ausdruck zu bringen und wie nicht zufälligerweise aus den vielen Geschichten der Kollektivsingular der Geschichte wurde (vgl. Koselleck et al. 1975). Mit der Verwissenschaftlichung der Geschichte zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts war auch eine zweite Phase der Austreibung der Formfragen aus dem historiographischen Feld verbunden (vgl. Hardtwig 1982, 1998). Nicht umsonst hat Leopold von Ranke sich von einem der erfolgreichsten historischen Schriftsteller seiner Zeit inspirieren lassen und gleichzeitig abgrenzen wollen. Sir Walter Scott galt ihm als Folie, wie Geschichte zu schreiben und gleichzeitig nicht zu schreiben sei (vgl. Curthoys und Docker 22010, 50–68). Aber bereits zuvor hatte Wilhelm von Humboldt in seiner Rede Über die Aufgabe des Geschichtschreibers von 1821 festgehalten, wie die methodisch fundierte Erforschung historischer Tatsachen aus den Quellen zu erfolgen habe und in eine kohärente Darstellung zu überführen sei. Die Verknüpfungen, welche die Fragen nach dem Woher und Wohin beant-
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worten sollten, entstammen laut Humboldt nicht den darstellerischen Regeln der Geschichtsschreibung, sondern den ideellen Triebkräften, wie sie im historischen Prozess wirksam würden und im Verlauf der historischen Forschung ausfindig zu machen seien (vgl. Humboldt 31980b [1821]; Rüsen 1982, 17–18). Bei der Frage, wie Geschehen in Geschichte transformiert wird, ging die rhetorische Tradition keineswegs vollständig verloren. Georg Gottfried Gervinus sah beispielsweise in der Geschichtsschreibung immer noch ein poetisches Verfahren am Werk und betonte damit weiterhin die traditionelle Nähe von Literatur und Historiographie. Langfristig einflussreicher waren aber die geschichtstheoretischen Positionen Johann Gustav Droysens, der in seiner Historik deutlich machte, dass die eigentliche Leistung der Geschichtswissenschaft in der methodisch angeleiteten Erforschung der Tatsachen der Vergangenheit liege, nicht in ihrer literarischen Gestaltung (vgl. Droysen 1977 [1868], 445–450). Spätestens mit Droysen, so kann man festhalten, wird damit das Problem des Schreibens von Geschichte marginalisiert, wird die Form, in der die Ergebnisse historischer Forschung präsentiert werden, zu einer nachgeordneten Funktion eben dieser Forschung. Zwar hat es seither immer wieder Stimmen gegeben, die die Nähe der Geschichtsschreibung zur Literatur und zur Kunst betont haben, wie beispielsweise Theodor Mommsen, der dann auch nicht zufällig mit dem Literatur-Nobelpreis 1902 ausgezeichnet wurde (vgl. Rüsen 1982, 19–20). Aber dem Gros der historischen Zunft dürfte eher die deutliche Aussage Ernst Bernheims als Orientierung gedient haben (und bis zum heutigen Tag als Orientierung dienen), der in seinem Lehrbuch der historischen Methode aus dem Jahr 1889 formulierte: „Es ist nur ein ererbtes Vorurteil, daß man die Geschichte eine Kunst oder zugleich Wissenschaft und Kunst nennt, ein Vorurteil, dem man nicht scharf genug entgegentreten kann, weil es den streng wissenschaftlichen Betrieb der Geschichte schädigt.“ (Zit. nach Rüsen 1982, 20–21). Seither flammt sie immer wieder einmal auf, die Diskussion um das Erzählen in der Geschichte, um die Rolle der Narration in der Historiographie – und zwar immer verknüpft mit der Frage nach der Wissenschaftlichkeit des historischen Unternehmens in seiner Gesamtheit (vgl. Munslow 2007; Noiriel 2002).
3 Zum Problem von Form und Inhalt in der Geschichtsschreibung, oder: Die Spur des Hirsches Wäre das hier ein Campus-Roman, wäre jetzt Zeit für den Auftritt von Magus Tabor. Der aus Deutschland stammende und an einer amerikanischen Universität
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lehrende Professor für Geschichte, von Kollegen und Studierenden auch ‚Mad Meg‘ genannt, ist bekannt für seine furios aufgeführten Vorlesungen. Dabei geht es auch inhaltlich zur Sache, soll heißen: ans Grundsätzliche. Das Studium der Geschichte, meine Herren, sagte er und lächelte traurig, während er uns die Nachricht verkündete, das Studium der Geschichte ist nicht das Studium von Menschen und Ereignissen, Kräften und Bewegungen, Kriegen und Revolutionen, der Herrschaft von Königen und Fürsten. Tabors graue Haare umwirrten seine Ohren; seine Halbglatze schimmerte wie ein Waldteich. Eines Tages würde man von ihm sagen, er habe das Jahrzehnt wie ein Diadem getragen. Wie ich dieses Leben hasse, das ich niemals verlassen will, sagte er oft zu mir, während er seinen Stuhl in langsamen, schaukelnden Umdrehungen wie einen schwächer werdenden Kreisel drehte. Sie ist nicht – es tut mir leid –, sie ist nicht das Studium der Vergangenheit. Wie können wir die Vergangenheit studieren? Da gibt es nichts – rein gar nichts – zu studieren. Tabor bedauert das aufrichtig. Aber. Er zuckt auf Französisch die Schultern. Da kann man nichts machen. Zu dumm. Damit hat es sich. […] Er sagte etwa, die Spur des Hirsches am Fluss erlaubt uns, von einem Hirsch zu träumen, uns einen Begriff von ihm zu machen, auf ihn zu schließen. Der Hirsch trinkt, und der Strom zeigt ein Bild von seinem Geweih. Aber unser Hirsch ist bloße Vermutung, bloße Fußspur, bloße Schlussfolgerung, bis wir ihn erlegen; er ist ein Gespenst des Denkens, weniger wirklich als das Wasser, das er mit seinem Gesicht färbt. Der Saal war voll. Es waren hunderte da – Gedränge an den Türen. Uns bleibt keine Wahl, sagte er etwa. Das Studium der Geschichte muss das Studium von Dokumenten und Aufzeichnungen sein, sozusagen von Rezepten und Vorschriften, von Gesetzen und Listen, Reden und Theaterstücken, Gemälden und Landkarten … von Überresten – was auch immer übrigbleibt. (Gass 2011 [1995], 438–440)
Magus ‚Mad Meg‘ Tabor spielt eine nicht ganz unwesentliche, durchaus ambivalente Rolle im Leben von Frederick Kohler, dem Ich-Erzähler aus dem Roman Der Tunnel des amerikanischen Schriftstellers William H. Gass. Und der Hirsch, den Tabor hier auftreten lässt und von dem wir kaum mehr erfassen können als die Ahnung eines Spiegelbildes auf der Wasseroberfläche des Flusses, in dem er getrunken hat, dieser Hirsch könnte, wenn das hier eine Novelle wäre, die Rolle eines Dingsymbols übernehmen. Er könnte mutmaßlich im Fluss der Zeit gestanden haben, dort eine Ahnung von seiner einstigen Anwesenheit hinterlassen und uns nun mit der Frage nach seiner genaueren Existenz zurückgelassen haben. Der Hirsch wäre mithin die Möglichkeit einer Vergangenheit, von der wir nur noch aufgrund des Übriggebliebenen wissen, die sich aber ansonsten durch ihre anwesende Abwesenheit auszeichnet. Sollte es aber zutreffen, was Magus Tabor hier verkündet hat, dass die Geschichtsschreibung es nämlich gar nicht mit der Vergangenheit zu tun hat, sondern nur mit Übriggebliebenem, dann würde das die Beziehung von Form und Inhalt im historiographischen Zusammenhang auf grundlegende Weise umkehren. Dann könnten wir gar nicht mehr sicher sein, ob es sich tatsächlich um einen Hirsch gehandelt hat, der dort im Fluss der Zeit stand, dann ist der Hirsch nur die
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Form, die wir einer vergangenen Anwesenheit geben. Das hätte auch sehr weitreichende Auswirkungen auf das, was wir üblicherweise mit Geschichtsschreibung in Verbindung bringen. Die seltsam allergischen Reaktionen, die in der universitär etablierten Geschichtswissenschaft offenbar werden, sobald es um Themen der darstellerischen Form, der Narration und der Rhetorik geht, führen zu einem widersprüchlichen Phänomen – und möglicherweise ist es genau die unerwünschte Behandlung dieses Widerspruchs, die für die entsprechenden empfindlichen Reaktionen verantwortlich ist. In aller Kürze lässt sich dieser Widerspruch beschreiben durch die Stichworte ‚Gegenstandslosigkeit‘ und ‚Formverweigerung‘. Denn besieht man sich die Argumentationen zu darstellerischen Formen in der Geschichtsschreibung etwas näher, so laufen selbst die Thesen derjenigen, die von einer solchen Formnotwendigkeit ausgehen, nicht selten darauf hinaus, dass literarische Gestaltungen für die Geschichtsschreibung deswegen keine übergeordnete Rolle spielen würden, weil diese Geschichtsschreibung ja eine konkrete Referenz besäße, auf die sie sich beziehen könne, nämlich die Wirklichkeit der Vergangenheit. Es besteht nur ein Problem: Da diese Vergangenheit, wie ihr Name schon sagt, vergangen ist, kann sie auch gar nicht zum Gegenstand der Darstellung gemacht werden. Vielleicht ist daher, wie Rudolf Burger meinte, die Geschichtswissenschaft die einzige Disziplin, die keinen Gegenstand hat (vgl. Burger 2007, 40), oder besser formuliert: nicht den Gegenstand hat, von dem die Mehrheit ihrer Anhänger glaubt, dass es ihr Gegenstand sei. Denn einen Gegenstand hat die Geschichtsschreibung durchaus in Form all der Relikte, all des Übriggebliebenen, das den Weg durch die Zeiten bis in unsere Gegenwart hinein gefunden hat. Wenn nicht die Vergangenheit, sondern nur das übriggebliebene Material Gegenstand der Geschichtsschreibung sein kann (vgl. Veyne 1990, 14–15; Goertz 1995, 80–94), dann hat das Auswirkungen in (mindestens) zweierlei Hinsicht. Dann würde zum einen die historische Frage nicht mehr lauten, was denn eigentlich geschehen ist. Vielmehr müsste die Frage genauer lauten, wie in einer bestimmten Gegenwart mit dem Material umgegangen wird, das aus vergangenen Zeiten noch vorhanden ist, um ausfindig zu machen, was geschehen sein könnte. Damit eröffnen sich tatsächlich Möglichkeiten, mit Vergangenheit umzugehen – Möglichkeiten, die schon immer weidlich genutzt werden und die weit davon entfernt sind, die Geschichtsschreibung zu einem Unternehmen zu machen, das es nur mit dem zu tun hätte, was einst geschehen ist. Sie hat es nämlich ebenso mit dem zu tun, von dem sie noch gar nicht weiß, dass es geschehen ist, und zwar nicht, weil ihr ein bestimmtes Ereignis unbekannt wäre, sondern weil sie noch nicht weiß, was an der Vergangenheit möglicherweise noch interessant werden könnte. Insofern besitzt auch und gerade die Vergangenheit eine Potenz (vgl. Agamben 1998), einen Musil’schen Möglichkeitssinn (vgl. Musil 132006 [1930–
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43], 16), die einen Widerspruch zu Aristoteles’ Einteilung provozieren: Auch die Geschichtsschreibung muss sich einlassen auf die Möglichkeiten, ist mithin nicht weniger philosophisch veranlagt als die Literatur. Zum anderen führt das aber auch zu einer deutlichen Aufwertung formaler Gestaltungsprinzipien (vgl. Borsò und Kann 2004; Baumeister, Föllmer und Müller 2009; Kraus und Kohtz 2011). Schließlich muss dieses Nichts an Vergangenheit, mit dem wir es da zu tun haben, wenigstens mit einer irgendwie gearteten Hülle umgeben werden. Und selbst der Rekurs auf die Überlieferung des historischen Materials hilft dabei nur bedingt weiter. Denn von Prozessakten, Tagebüchern, Urkunden, Briefen oder Verwaltungsschriften behaupten zu wollen, sie wären nicht formal gestaltet, wird wohl kaum jemand wagen. Es scheint also, als ob es die historische Forschung mit Anstrengungen bei der Darstellung zu tun hätte, die auf anderen formal gestalteten Überlieferungen ruhen. Bedeutet das dann aber im Umkehrschluss, dass die Geschichtsschreibung sich nun wieder in unmittelbarer Nähe der Literatur befindet? Sicherlich, wie sie das schon immer getan hat! Damit ist aber keineswegs gesagt, dass man nicht beide deutlich voneinander unterscheiden könnte. In beiden Fällen haben wir es mit erzählerischen und formal gestalteten Anstrengungen zu tun, der Wirklichkeit in ihrer überbordenden Vielfalt Herr zu werden, sie zu gestalten und Wissen über sie zu generieren (vgl. Koschorke 2012). Dass es trotz dieser grundsätzlichen Gemeinsamkeit auch Unterschiede zwischen literarischen und historischen Bezugnahmen auf (vergangene) Wirklichkeit geben muss, lässt sich schon daran ablesen, dass man üblicherweise ohne große Schwierigkeiten feststellen kann, ob man gerade ein Buch der einen oder der anderen Kategorie in der Hand hält. Bei allen Gemeinsamkeiten und Unterschieden scheint es sich aber tatsächlich nicht zu lohnen, aus Gründen der disziplinären Identitätsbildung eine kratertiefe Differenz zwischen Literatur und Geschichtsschreibung aufzureißen. Die dabei drohenden Erkenntnisverluste erscheinen größer als die erwartbaren Profilierungsgewinne.
4 Präsenz versus Form? Man erliegt einer Illusion, wenn man meint, die Frage nach der Form sei eine ausschließlich formale Frage. Wenn die Forschung mit dem historischen Material in Geschichtsschreibung überführt wird, geht es eben nicht nur um gestalterische Angelegenheiten, nicht nur um äußerliche Belange. Gibt man einem Gegenstand eine Form, dann gibt man ihm auch einen Sinn, genauso wie jede Sinngebung mit einer bestimmten Formgebung einhergehen muss. (Selbst der Unsinn arti-
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kuliert sich durch die Sprengung der Formen.) Genau darin liegt der Grund für die teils sehr heftig geführte, moralisch aufgeladene wie auch emotionalisierte Diskussion um Fragen der Darstellungsformen in der Geschichtsschreibung. Es geht dabei zwar auch um den Streit zwischen unterschiedlichen geschichtswissenschaftlichen Ausrichtungen und die Frage nach der Wissenschaftlichkeit der historischen Forschung insgesamt, vor allem aber geht es ganz wesentlich um das Problem, wo der Sinn des Historischen zu finden ist. Wird dieser Sinn als bereits vorfindlich gedacht, dann muss man ihn auch nicht mehr formal gestalten, weil er seine Form ja bereits besitzt. Dann ist es auch nur folgerichtig, wenn Leopold von Ranke davon spricht, dass er nur zeigen wolle, wie es eigentlich gewesen sei, und dass er sich selbst gleichsam auslöschen wolle, um nur die Vergangenheit sprechen zu lassen (vgl. Vierhaus 1977). Dann können sich der Historiker und die Historikerin gewissermaßen als Protokollanten verstehen, die mittels nun auch wissenschaftlich abgesicherter Verfahren nur noch festhalten, was ihnen die Vergangenheit einflüstert. Sollte man einer solchen Sichtweise jedoch nicht anhängen und damit nicht zu den offenen wie verkappten Geschichtsphilosophen gehören, für die das vergangene Geschehen auch immer ein schon irgendwie mit Sinn ausgestattetes Geschehen ist (vgl. Gerber 2012; dagegen immer wieder heilsam Marquard 1982), dann muss man sich notwendigerweise zu der Einsicht durchringen, dass die Geschichte gar keinen Sinn hat, sondern ihr dieser Sinn erst im Nachhinein gegeben wird (vgl. Lessing 1983 [1919]). Der Historiker bzw. die Historikerin stellt also die Verbindungen und Bezüge her, die sich im Unbestimmtheitsbereich zwischen ‚nicht unmöglich‘ und ‚nicht notwendig‘ ergeben. Und wie alle Auseinandersetzungen um die Frage, was denn nun wirklich geschehen ist, zeigen, ist dieser Kontingenzbereich des Vergangenen recht groß. Die damit einhergehenden Formgebungsmöglichkeiten sind unüberschaubar zahlreich – auf jeden Fall sehr viel zahlreicher als die vier Modelle, die Hayden White zur Modellierung historischer Plots vorgestellt hat. Sie reichen von den kleinsten Kausalitätsketten bis zu großen metaphysischen Gebilden, wie zum Beispiel der Rede von ‚der Geschichte‘ selbst, diesem Kollektivsingular, der irgendwann in den Jahrzehnten um 1800 die Position übernahm, die zuvor Gott besetzt hatte. Denn es ist nichts anderes als eine bewundernswerte Leistung der Formgebung, wenn es gelingt, die sinnhafte Erklärung für alles, was geschieht, von der Vertikalen in die Horizontale zu kippen, von der Heilsgeschichte zur Universalgeschichte zu drehen (vgl. Landwehr 2016). Oder haben wir möglicherweise doch einen Weg gefunden, den Weg zurück zur Vergangenheit in ihrer ‚Eigentlichkeit‘? Die allgemeine wissenschaftliche Diskussion des frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts ist unter anderem durch den unüberhörbaren Aufruf geprägt, nun endlich die Spielereien um Postmoderne
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und Poststrukturalismus sein zu lassen, überhaupt alle Postismen mitsamt den Konstruktivismen und Relativismen über Bord zu werfen und zum Wesentlichen zurückzukehren. Ob solche Diskussionen mit einer neuen Begeisterung für die Ontologie aufwarten, sich als ‚Neuer Realismus‘ bezeichnen oder die Unverzichtbarkeit der einen und einzigen Wahrheit propagieren, immer suchen sie nach dem Essentiellen, das es nach dem postmodernen Furor zurückzugewinnen gilt. Insofern ergeben sich hier interessante Parallelen zwischen bestimmten Bewegungen des frühen neunzehnten und frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts. Auch den Romantikern war es unter anderem darum zu tun, die Zersplitterungen und Umbrüche, die sich nach der Aufklärung und der Französischen Revolution ergeben hatten, wieder zu kitten, indem man sich beispielsweise in die vermeintlich einheitliche Welt des (katholischen) Christentums oder des Mittelalters imaginierte, die all die verwirrenden Auswirkungen der eigenen Gegenwart noch nicht kennen mussten. Ähnliches scheint im Moment wieder zu beobachten zu sein, wenn auf unterschiedlichen Ebenen (eben auch, aber nicht nur wissenschaftlichen) versucht wird, die Auswirkungen der Postmoderne und der Revolutionen von 1989/90 aufzufangen, indem man die Bedeutung von Wahrheit, Wirklichkeit und Sein betont (und da dachten wir immer, Geschichte würde sich nicht wiederholen …). Auch in geschichtstheoretischen Diskussionen findet das seinen Niederschlag, und zwar in Erwägungen des Präsenzbegriffs. Präsenz wird dabei als Möglichkeit und als Notwendigkeit verstanden, zu einer Unmittelbarkeit der Erfahrung von Vergangenheit zu gelangen, die ganz wesentlich durch narrativistische Ansätze, wie sie eben von Hayden White propagiert wurden, verloren gegangen zu sein scheint. Entgegen der Betonung von Konstruktion und Narration der Geschichte, von Bedeutungsschichten und Sinnverschiebungen soll nun die Vergangenheit in einer Art und Weise wieder erfahrbar gemacht werden, die diese theoretisierenden Überbauten einreißt, um stattdessen das Tatsächliche der Vergangenheit wieder zum Vorschein zu bringen. Geschichte gilt es als Präsenz wieder in einer Art und Weise zu erfahren, die beispielsweise von Frank R. Ankersmit explizit als vorreflexiv bezeichnet wird: Die Vergangenheit ist da! (Vgl. Runia 2006; Ankersmit 2012; Gumbrecht 2012; Ghosh und Kleinberg 2013; kritisch dazu Kleinberg 2009). Auch wenn in der Debatte um den Präsenzbegriff das Rad nicht einfach zurückgedreht werden soll (dafür sind seine Vertreter viel zu sehr mit den theoretischen Wassern des späten zwanzigsten Jahrhunderts gewaschen), so fällt doch auf, wie Fragen der Formgebung historischer Zusammenhänge – auch und gerade der eigenen Narration von einer neuen Unmittelbarkeit – einmal mehr aus dem Blick geraten. Denn wenn sich der Zugang zur Vergangenheit tatsächlich durch Unmittelbarkeit auszeichnet und das Geschehen damit präsent gemacht werden
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kann, dann stellt sich die Frage nach ihrer formalen Gestaltung (vermeintlich) nicht mehr. Sie ist also keineswegs abgeschlossen, die Geschichte, die man erzählen kann über das Erzählen in der Geschichte. Und unabhängig davon, in welcher Form man diese Geschichte erzählen möchte, irgendeine Form muss man ihr geben. Schon die Intention, mit dem Erzählen (oder Erforschen) einer Geschichte anfangen zu wollen, und zwar mit einem ganz bestimmten Anfang anfangen zu wollen und damit auch schon ein bestimmtes Ende vor(her)zusehen (vgl. Baecker 1992), formatiert alles, was sich danach als vermeintlich objektivistische historische Forschung geriert. Mindestens ebenso interessant wie eine Historiographiegeschichte, die sich vornehmlich auf inhaltliche Aspekte kapriziert und den Wandel so genannter Forschungsschwerpunkte und theoretisch-methodischer Modelle nachvollzieht, wäre eine Historiographiegeschichte, die sich der Transformation der Formen historischer Darstellungen widmet. Hayden White hat dazu einen Anfang gemacht. Wäre das hier eine Geschichte von der zirkulär-endlosen Wiederkehr des Immergleichen, dann wäre nun wohl die Schlussfolgerung angebracht, dass nicht nur Fortuna ihr Glücksrad, sondern auch Clio ihr Wissenschaftsrad dreht. Dabei kann mal die wissenschaftliche Forschung, mal die literarische Erzählung die Oberhand gewinnen. Und je nachdem, welchem Lager man eher zugeneigt ist, kann man die jeweilige Dominanz positiv oder negativ bewerten. Die Frage, die sich dann bis zum heutigen Tag und bis in die immer wieder aufflammende Diskussion um Hayden White stellen würde, wäre also weniger, welcher darstellerischer Formen sich die Geschichtsschreibung bedient, um ihre Geschichten zu erzählen – die Frage wäre vielmehr, ob die Geschichtsschreibung überhaupt ein Formproblem hat und sich diesem Gegenstand überhaupt widmen muss. Ist der Hirsch also dort, und man benötigt nur noch das passende Fernrohr, um ihn beobachten zu können? Oder kann man aufgrund letzter Spurenelemente nur noch annehmen, dass ein Hirsch hier gewesen sein muss, um ihm im narrativen Nachhinein eine Gestalt zu geben – die er aber aller Wahrscheinlichkeit nach nie genau so gehabt haben wird, wie man sie gerade erzählt? Wäre das hier aber eine utopische Erzählung, dann ließe sich eine andere Schlussfolgerung ziehen. Dann könnte man an dieser Stelle der Hoffnung Ausdruck geben, auf solche dualistischen Entgegensetzungen verzichten zu können. Sie setzen nämlich nur binäre Schematisierungen fort (Geist/Körper, Subjekt/ Objekt, Natur/Kultur oder gar: Materie/Form), die nur in sehr makroskopischen Zusammenhängen der Erkenntnis behilflich sind. Aber bei solchen Entgegensetzungen ist es wie bei allen Grenzen: Je genauer man hinsieht, desto undeutlicher wird die Angelegenheit (vgl. grundsätzlich hierzu Mitterer 32000). Sieht man im Fall der Geschichtsschreibung etwas genauer hin, kann man leicht erkennen, dass
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es nicht nur kein Forschen ohne Schreiben (und umgekehrt) gibt und dass beide Bereiche aufs Engste miteinander verzahnt sind, sondern dass es auch gar keinen konstruierten Gegensatz zwischen Wissenschaft und Kunst oder zwischen einem vergangenen Tatbestand und seiner gegenwärtigen Darstellung geben muss. Viel interessanter könnte es sein, die Grenze zu kreuzen, die sowohl zwischen Gegenwart und Vergangenheit als auch zwischen Wissenschaft und Kunst regelmäßig beschworen wird (und das ist bei Weitem kein geschichtswissenschaftliches Problem, sondern hat z. B. für die Naturwissenschaften ebenso seine Gültigkeit). Man kann die Frage nach der Bedeutung historischer Darstellungsmöglich keiten also weiterhin als eine dualistische Erzählung vom Entweder–Oder gestalten, in der sich die Wissenschaft gegen die Literatur zur Wehr setzt oder die Literatur die mickrige Wissenschaft dominiert. Man kann aber auch versuchen, solche festgefügten Einheiten aufzulösen, um stattdessen die Vielfältigkeit der Relationierungen in den Blick zu nehmen, mit denen Kulturen sich auf gegenwärtige wie vergangene Wirklichkeiten beziehen. Denn dass es diese Wirklichkeiten gab und gibt, muss kaum bezweifelt werden. Die Frage ist eher, wie solche Wirklichkeiten gegeben sind und wie das Gegebene genommen wird. Denn ob man es glaubt oder nicht, auch die Erzählungen, mit denen wir uns über die Wirklichkeit zu verständigen versuchen, sind Teil dieser Wirklichkeit. Und gerade deshalb gilt es darauf zu achten, welche Form man diesen Erzählungen gibt.
Weiterführende Literatur Ankersmit, Frank R. Die historische Erfahrung. Berlin 2012. Evans, Richard J. Fakten und Fiktionen. Über die Grundlagen historischer Erkenntnis. Frankfurt am Main und New York 1999. Goertz, Hans Jürgen. Umgang mit Geschichte. Eine Einführung in die Geschichtstheorie. Reinbek bei Hamburg 1995. Wehler, Hans-Ulrich. Literarische Erzählung oder kritische Analyse? Ein Duell in der gegenwärtigen Geschichtswissenschaft. Wien 2007. White, Hayden. Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa. Frankfurt am Main 1991.
IV.2 Medien-Formen
Jens Schröter
IV.2.1 Medienstrategien: Formabspaltung und Formkonstanz 1 Holmes und Latour Dass Formen nicht einfach an sich existieren, sondern immer einen Träger brauchen, scheint zwar heute evident, hat jedoch eine lange Vorgeschichte in der Philosophie. Dieser Kontext soll im Rahmen dieses Artikels nicht wiedergegeben werden; hier sei nur skizziert, wie im neunzehnten Jahrhundert die Idee auftritt, dass eine Form erstens durch einen medialen Prozess erzeugt und zweitens in medialen Prozessen zirkuliert und archiviert wird. Folglich ändert sich mit verschiedenen Medien nicht nur, welche Formen erzeugt, sondern auch wie sie gespeichert, verteilt und präsentiert werden können. Es ist nicht möglich, alle diese Mutationen der Form aufgrund der Entwicklungen der Mediengeschichte darzustellen – aber an dem hier ausgewählten exemplarischen Fall lassen sich einige zentrale Elemente umreißen, die auch heute noch einflussreiche Positionen, wie etwa die Akteur-Netzwerk-Theorie (= ANT) prägen. Lange bevor nämlich eine institutionalisierte Medienwissenschaft auf die Idee kam, ‚Form‘ als einen ihrer zentralen Begriffe anzusetzen, war ‚Form‘ ein Begriff von machtorganisatorischen Praktiken mit Medientechnologien – selbst wenn er nicht immer explizit ausgesprochen wurde. Das tut dankenswerterweise Sir Oliver Wendell Holmes anno 1859 in der Juniausgabe des Atlantic Monthly in einer Eloge auf die Stereoskopie mit dem Titel The Stereoscope and the Stereograph: Form is henceforth divorced from matter. In fact, matter as a visible object is of no great use any longer, except as the mould on which form is shaped. Give us a few negatives of a thing worth seeing, taken from different points of view, and that is all we want of it. Pull it down or burn it up, if you please. We must, perhaps, sacrifice some luxury in the loss of color; but form and light and shade are the great things, and even color can be added, and perhaps by and by may be got direct from Nature. There is only one Coliseum or Pantheon; but how many millions of potential negatives have they shed, – representatives of billions of pictures, – since they were erected! (Holmes 1859, 747–748)
Holmes betont – durch die Kursivierung – eine der zentralen Leistungen des Stereoskops, nämlich die Form von der Materie trennen zu können. Genauer noch scheint er anzudeuten, dass ab dem Zeitpunkt der Existenz dieser Technik die Form immer als getrennt von der Materie betrachtet werden kann. Man beachte, dass es hier nicht um die allgemeine Feststellung geht, dass Medien Potenziale für https://doi.org/10.1515/9783110364385-021
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Formbildungen sind (vgl. Luhmann 1997, 190–202). Vielmehr geht es darum, dass eine Medientechnologie wie das Stereoskop bestimmte Formen von der Materie, den materiellen Dingen gleichsam abtrennt und aufspeichert. Holmes bemerkt, dass dies im Falle der Stereoskopie bestimmte räumliche Relationen sind – während auf die Farbe zunächst verzichtet werden muss (der technische Stand der Fotografie um 1859 ließ keine Farbreproduktion zu). Verschiedene Technologien haben also verschiedene Potenziale der Form-Abspaltung. Die Formen beziehen sich nur auf bestimmte Aspekte des Gegenstands – so ist ein stereoskopisches Bilderpaar in der Regel auch kleiner als der fotografierte Gegenstand, aber bestimmte räumliche Relationen bleiben erhalten. Genau deswegen kann Holmes schon 1859 schreiben: „Give us a few negatives of a thing worth seeing, taken from different points of view, and that is all we want of it. Pull it down or burn it up, if you please.“ Das Ding kann zerstört werden, solange nur seine (hier: räumliche) Form aufbewahrt werden kann. Man kann Holmes’ Bemerkungen mit einem Zitat von Latour, einem der zentralen Denker der ANT, von 1998 vergleichen: Der Begriff der In-Formation beinhaltet ein erstes Merkmal, vorausgesetzt, wir verstehen das Wort in einem sehr praktischen Sinne, nämlich als das, was etwas – in seinem materiellsten Aspekt als Eintragung – in eine Form bringt. Um Entfernungen zu überwinden, müssen Materialitäten in Formen verwandelt werden. […] Ein zweites Charakteristikum dieser Ersetzungsbewegungen ist so wichtig wie das erste, nämlich die Bewahrung von beständigen Merkmalen durch Wandlungen in den jeweiligen Repräsentationen hindurch. Da per definitionem die lokale Materialität verlassen wurde, stellt sich die Frage, wie eine Form auf diese referieren kann, wenn einige ihrer Relationen nicht konstant gehalten würden. Diese Bewahrung einer Konstante durch Transformation hat nichts mit einer Übertragung der Dinge selbst zu tun, wie in der naiven Perspektive des Realismus, denn die Dinge selbst müssen verlassen werden, so dass wir, auf Entfernung, eine Information ‚über‘ diese haben können. Aber es hat viel mit der Bewahrung einer Konstante durch die sukzessive Transformation des Mediums hindurch zu tun. (Latour 2012, 26–27)
Genau dieselben Momente wie bei Holmes finden sich auch bei Latour: Materie wird in Form verwandelt – oder genauer: Es werden je nach Technik und Zweck bestimmte Formen abgespalten, die bestimmte Aspekte des Dings kontinuieren – in überraschend ähnlicher Weise leitet auch Vilém Flusser (21999) den Begriff der Information vom ‚in-Form-bringen‘ ab. Problematisch ist – und das weiß offenbar auch Latour, denn sonst wäre sein Seitenhieb auf den ‚naiven Realismus‘ überflüssig –, dass er hier eine Art partiell-isomorphisches, frei nach Peirce: ikonisches Modell der Form zu vertreten scheint. Doch ist die ‚Bewahrung einer Konstante‘ als eine Art Ähnlichkeitsrelation nicht allein dadurch eine unterkomplexe Beschreibung der Form, weil, wie Peirce immer schon argumentiert hatte, in Zeichenprozessen stets ikonische und indexikalische und symbolische Anteile eine Rolle spielen? Ist die Reduktion einer Form auf irgendeine Art von Ähnlich-
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keit nicht hochproblematisch – wie Nelson Goodman in seiner Kritik der Ähnlichkeitstheorien des Bildes schlagend demonstriert hatte (vgl. Scholz 1991, 16–63)? Kann es nicht auch dominant symbolische Formen geben, die per Konvention operieren und mithin überhaupt keine ‚Bewahrung einer Konstante‘ benötigen? Es lässt sich allerdings jetzt schon als Vermutung festhalten, dass diese Eigenart von Latours Formbegriff von seiner Konzentration auf die naturwissenschaftliche Erkenntnisproduktion herrühren könnte, die er in dem zitierten Text ja nicht zufällig (und von der Einteilung her eher konventionell) Kunst und Religion und ihren ‚Formpraktiken‘ gegenüberstellt. Es geht um die Akkumulation von In-Formationen über unbekannte Sachverhalte – und da sie ‚unbekannt‘ sind, können keine konventionellen Bezeichnungen in Anschlag gebracht werden. Es geht erst einmal darum, abgespaltene Formen zu sammeln und zu klassifizieren, zu zirkulieren und zu diskutieren – um allererst ein Bezeichnungssystem für das noch dunkle ‚epistemische Ding‘ (Rheinberger) errichten zu können. Latour insistiert darauf, dass jede zumindest in der Wissenschaft genutzte „Operationskette“ (Schüttpelz 2008a) oder „Kaskade von Inskriptionen“ (Latour 2009, 140) zurückverfolgbar sein muss. Wissenschaftler müssen im Prinzip alle Schritte, die vom Ding weg durch Technologien immer abstraktere Formen generieren, auch in die andere Richtung wiederverfolgen können (so ersetzt Latour die systematische Spaltung zwischen indexikalischen, ikonischen und symbolischen Zeichen durch die Beschreibung der prozessualen ‚Operationsketten‘, in denen aus ähnlicheren immer unähnlichere und konventionellere Zeichen werden – zumindest ist das der Versuch). Man muss ein Forschungsergebnis, z. B. ein Set von Formeln, welches in einem wissenschaftlichen Aufsatz dargestellt wird, zumindest im Prinzip dadurch auf seine Gültigkeit überprüfen können, dass man das Experiment und alle weiteren Transformationsschritte wiederholt und so in Latours Sinne die Kette „zirkulierender Referenz“ ‚rückwärts‘ wieder abschreitet. Wenn man das kann, ist das Ergebnis validiert. Latour hat versucht, dies mit einer berühmten Feldstudie über Bodenforscher am Amazonas nachzuzeichnen. Er versucht zu zeigen, wie die Forscher Schritt für Schritt mit je speziellen (Medien-)Technologien immer abstraktere Formen abspalten und akkumulieren (Latour 2002, 36–95). So wird aus der Form aus Schritt n selbst die Materie in Schritt n+1, von der ausgehend wiederum eine neue Form in Schritt n+2 erzeugt wird. Diese ‚Dialektik‘ von Materie und Form, wo die Form in der nächsten Stufe wieder zur Materie wird, erinnert an Luhmanns Auffassung des Verhältnisses von Medium und Form – wobei Luhmann sich ja ausdrücklich vom Begriff der Materie abwenden will, allerdings nicht ohne dennoch vom „medialen Substrat“, zu sprechen (1997, 200). Man mag diesen Versuch Latours, die Subjekt/Objekt-Spaltung durch Operationsketten zu überwinden, für problematisch halten (so kann man etwa einwenden, dass der angeblich überwundene Schnitt zwischen Welt/Geist oder
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Objekt/Subjekt einfach mikrologisch bei jedem Materie/Form-Schritt der Kette der zirkulierenden Referenz wiederkehrt). Hier soll nur festgehalten werden, dass er, ganz ähnlich wie Holmes bald 150 Jahre zuvor, die partiell konstante Abspaltung von Formen von Materie durch Medientechnologien für zentral hält. Dabei betont er: ‚Um Entfernungen zu überwinden, müssen Materialitäten in Formen verwandelt werden‘. Diesen Aspekt findet man auch bei Holmes.
2 Zirkulation und Akkumulation der Form Matter in large masses must always be fixed and dear; form is cheap and transportable. We have got the fruit of creation now, and need not trouble ourselves with the core. Every conceivable object of Nature and Art will soon scale off its surface for us. Men will hunt all curious, beautiful, grand objects, as they hunt the cattle in South America, for their skins, and leave the carcasses as of little worth. (Holmes 1859, 748)
Sekula (2002; vgl. Schröter 2007) hat zu Recht unterstrichen, dass hier die Ökonomie eine zentrale Rolle spielt. Die abgespaltenen Formen sind ‚billig‘ und ‚transportabel‘ – während es teuer, aufwendig und oft auch schlicht unmöglich ist, die Dinge selbst zu bewegen. Auch dies ist direkt mit Latour korrelierbar: Wenn keine Trans-Formation im Sinne einer Encodierung oder Einschreibung in eine Form vorgenommen wird, gibt es weder die Überwindung von Entfernung noch Übertragung, und das einzige Verfahren, um etwas zu wissen, ist ‚da zu sein‘ und auf die jeweiligen Merkmale nur still mit dem Zeigefinger zu weisen. (Latour 2012, 26)
Latour nennt die abgespaltenen Formen ‚immutable mobiles‘ – sie sind als Formen ‚mobil‘ und andererseits bewahren sie Aspekte der Dinge, die über die weiteren Transformationen in immer neue Formen stabil, unverändert bleiben müssen, um die zirkulierende Referenz zu ermöglichen. Die Mobilität der Formen ist für Ökonomien zentral – Holmes denkt 1859 dabei schon explizit an die Werbung: „Already a workman has been travelling about the country with stereographic views of furniture, showing his employer’s patterns in this way, and taking orders for them“ (1859, 748). Das Ganze bekommt einen imperialistischen, expansiven Zug, wenn Holmes die ‚Jagden‘ nach Formen beschreibt, wie aus der ganzen Welt jedes denkbare Objekt medientechnologisch gezwungen wird, seine Oberfläche abzugeben. Aber die Formen werden nicht nur von den Objekten abgespalten, sie werden auch an zentralen Orten gesammelt, klassifiziert, zu größeren Einheiten zusammengefasst. Jedenfalls schwebt Holmes dies vor:
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The consequence of this will soon be such an enormous collection of forms that they will have to be classified and arranged in vast libraries, as books are now. The time will come when a man who wishes to see any object, natural or artificial, will go to the Imperial, National, or City Stereographic Library and call for its skin or form, as he would for a book at any common library. We do now distinctly propose the creation of a comprehensive and systematic stereographic library, where all men can find the special forms they particularly desire to see as artists, or as scholars, or as mechanics, or in any other capacity. […] Again, we must have special stereographic collections, just as we have professional and other special libraries. And as a means of facilitating the formation of public and private stereographic collections, there must be arranged a comprehensive system of exchanges, so that there may grow up something like a universal currency of these bank-notes, or promises to pay in solid substance, which the sun has engraved for the great Bank of Nature. (Holmes 1859, 748)
Holmes bezeichnet die stereoskopisch generierten Formen als ‚bank-notes‘, auch hier sind wieder die monetären Metaphern stark, auf die Sekula in seiner Lektüre abzielt. Doch zunächst geht es einfach darum, die Formen in spezifischen Archiven, die durch Katalogsysteme strukturiert sind, zu sammeln. Man kann diese Archive – Bibliotheken gleich – aufsuchen und sich dort die Formen zur Ansicht geben lassen, die man benötigt. Das spezifische räumliche Wissen, das in diesen Formen gespeichert ist, kann so von entsprechenden Berufsgruppen genutzt werden (nicht zufällig nennt Holmes diese ‚mechanics‘), setzt doch die Konstruktion von Maschinen unter Umständen Wissen über die räumlichen Relationen voraus, in denen die Teile zueinander stehen – allerdings war schon Jahrzehnte vor Holmes’ Text klar, dass für die Aufspeicherung räumlicher Relationen die letztlich immer noch linearperspektivischen Bilder der Stereofotografie weniger geeignet sind als verschiedene Typen parallelperspektivischer Projektionen. So hatte schon William Farish (1822) die Isometrie als das vorzügliche Verfahren der technischen Zeichnung vorgeschlagen (vgl. auch Beil und Schröter 2011). Das macht zumindest deutlich, dass Holmes trotz seiner Begeisterung für die Stereoskopie die spezifischen Bedürfnisse der ‚mechanics‘ nicht so gut kennt. Bei Holmes wird mithin angedeutet, dass die Akkumulation von Formen – und ihre Zirkulation, die Holmes am Ende des zitierten Absatzes ja fordert und die man heute vielleicht ‚Fernleihe‘ nennen würde – notwendig für den Aufbau von Wissen und damit für Beherrschung und Kontrolle der gewussten Sachverhalte ist. Daher ist es nur konsequent, wenn Holmes kurz danach eine Standardisierung der stereoskopisch abgespaltenen räumlichen Formen fordert: To render comparison of similar objects, or of any that we may wish to see side by side, easy, there should be a stereographic metre or fixed standard of focal length for the camera lens, to furnish by its multiples or fractions, if necessary, the scale of distances, and the standard of power in the stereoscope-lens. In this way the eye can make the most rapid and exact comparisons. (Holmes 1859, 748)
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So setzt die Funktionalisierung der Form eine metrologische Standardisierung voraus. Anders ausgedrückt: Die medientechnisch abgespaltenen, zirkulierenden und/oder akkumulierten Formen müssen zusätzlich mit einem schriftlichen Katalog und einer – in der Regel – numerisch beschriebenen Standardisierung kombiniert werden. Ein intermediales Archiv ist für referentielle Operationen konstitutiv (vgl. Schröter 2011a; Tagg 2012; Foucault 1981 [1969], 183–190). Auch Latour unterstreicht die zentrale Rolle der Standardisierung: Metrologie ist die wissenschaftliche Organisation stabiler Messungen und Standards. Ohne sie ist keine Messung stabil genug, um weder Homogenität der Inskriptionen noch ihre Umkehr zuzulassen. […] Die Universalität von Wissenschaft und Technik ist ein Klischee der Epistemologie, aber Metrologie ist die praktische Durchsetzung dieser mystischen Universalität. […] Jedes Mal, wenn wir auf unsere Armbanduhr schauen oder eine Wurst bei einem Metzger wiegen lassen, jedes Mal, wenn Laboratorien die Bleibelastung oder die Reinheit des Wassers messen oder die Qualität von Industriegütern kontrollieren, erlauben wir mehr unveränderlich mobilen Elementen neue Orte zu erreichen. (Latour 2006, 298–299; vgl. zur Rolle der Skalen auch Schröter 2011b)
Nicht, dass es jemals zum Aufbau speziell der von Holmes erträumten stereoskopischen Bibliotheken gekommen wäre. Aber: Das Konzept von Archiven abgespaltener Formen, die in partieller Konstanz zum Ding stehen, die metrologisch standardisiert, akkumuliert und ggf. zirkuliert werden, erinnert geradezu verblüffend an die von Latour beschriebenen ‚Centers of Calculation‘. Damit meint er ‚Machtzentren‘, in denen verschiedene wissenschaftliche, juristische, logistische, politische Expertisen koagulieren, z. B. Forschungszentren, militärische Kommandozentralen, politische Think Tanks (vgl. Brandstetter et al. 2010) und dergleichen. Diese Zentren senden Expeditionen, Missionen, Forscher etc. aus, um Formen medientechnologisch abzuspalten, zu standardisieren, evtl. zu abstrahieren und an die Zentren zu senden, wo sie weiter standardisiert, klassifiziert, akkumuliert werden. Latour betont ausdrücklich die Macht, die solche Vorgänge verleihen: Indem man nur auf Papier arbeitet, an zerbrechlichen Inskriptionen [Latours Begriff der ‚Inskriptionen‘ bezeichnet jeweilige Ensembles aus abgespaltenen Formen und ihren metrologischen Paratexten, J. S.], die sehr viel weniger sind als die Dinge, aus denen sie extrahiert sind, ist es doch möglich, alle Dinge und alle Menschen zu dominieren. […] Der Schwächste wird durch die obsessive und exklusive Manipulation aller möglichen Arten von Inskriptionen zum Stärksten. Dies ist das Verständnis von Macht, zu dem wir gelangen, wenn wir dem Thema von Visualisierung und Kognition in aller Konsequenz folgen. (Latour 2006, 302)
In vergleichbarer Weise spricht auch Holmes (1859, 748) vom „greatest of human triumph [sic] over earthly conditions, the divorce of form and substance“. Die medientechnische Abspaltung der Formen, ihre Standardisierung, Zirkulation und Akkumulation sind, sowohl für Holmes als auch für Latour, zentrale Ver-
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fahren der Macht. Die Zentren erzeugen Wissen, durch das die gewussten Objekte und Prozesse kontrolliert werden können. Für Erhard Schüttpelz ist das der zentrale Mechanismus, mit dem der ‚Westen‘ seine globale Dominanz erringen konnte: „Jede Steigerung der Mobilität und jede Steigerung einer Formkonstanz über Transformationen hinweg kann Organisationen helfen, Kontrolle über die Distanzen eines Raums und in einem agonistischen Verhältnis zu anderen Organisationen kleine organisatorische Vorteile zu gewinnen.“ (2008b, 70).
3 Ausblick: Medien der Form Holmes macht in seinem Text deutlich, dass die Technik der Stereoskopie die Abspaltung räumlicher Formen von Objekten erlaubt, die zirkulieren und archiviert werden können. Sie können und sollten standardisiert werden und erlauben in ihrer Auswertung, Kontrolle und Macht auszuüben. Freilich scheint eine solche Beschreibung nicht für jedes „Konstitutions- und Gültigkeitsfeld“ (Foucault 1981 [1969], 11) des Formbegriffs zu gelten. Die formalen Strukturen z. B. des Films, die etwa David Bordwell (1985) mit seinem neoformalistischen Ansatz beschreibt, scheinen nur schwer als Abspaltung, Zirkulation, Archiv, Kontrolle reformulierbar zu sein. Aber ist das wirklich so? Könnte man nicht auch formulieren, dass Bordwell (oder seine ‚Wisconsin School‘) in einem ‚agonistischen Verhältnis‘ zu anderen Interpretationsorganisationen ‚kleine Vorteile zu erringen‘, hier: die eigene Lesart von Filmen durchzusetzen versucht (vgl. z. B. den Konflikt zwischen der Wisconsin-School und der Zeitschrift Screen 1986–1988, exemplarisch dafür Bordwell 1988)? Und werden da nicht auch Formen von Filmen abgespalten – etwa die Filmstills und Beschreibungen in Büchern wie Narration in the Fiction Film, die eben ganz bestimmte Aspekte an den Filmen hervorheben. Und werden dafür nicht auch zusätzliche Medientechniken mobilisiert? So erlaubten z. B. der Videorekorder und später die DVD Filme (oder Fernsehserien) immer wieder zu sehen, (jedenfalls leichter) Stills herauszuschneiden, die dann neu kontextualisiert und interpretiert wurden. Und beruhen die möglichen Film- oder Fernsehanalysen nicht natürlich auch auf einem Archiv (die Filme, die Bordwell gesehen hat) und sind die Bücher nicht selbst Archive? Und zirkulieren sie nicht auch durch Operationsketten – z. B. in Seminarlektüren oder in der Form von CitationIndices? Ließe sich nicht auch die kulturwissenschaftliche Aktivität an Universitäten als ein ‚Centre of Calculation‘ beschreiben, das Formen sammelt, standardisiert, archiviert, neu verknüpft, abstrahiert und wiederum als Beschreibungen entlässt? Beschreibungen, die wiederum der Kontrolle – diesmal: der anschließbaren Semantiken etwa – dienen (sollen) (vgl. Schröter 2009)? Wieso sollten die
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kulturwissenschaftlichen nicht ähnlich wie die naturwissenschaftlichen Praktiken beschrieben werden können? Jedenfalls ist der Formbegriff zentral in zahlreichen medientheoretisch orientierten Debatten: Neben seiner Rolle in der ANT ist der Formbegriff wichtig in der bezeichnend so genannten ‚Medienmorphologie‘ (vergleiche hierzu Grampp 2014; Leschke 2010), wo sich die Frage gänzlich auf die Formen und Formate in den Medien verlagert. Der Begriff der Form ist unverzichtbar in allen an die Systemtheorie und ihre Medium/Form-Unterscheidung angelehnten Diskussionen (vgl. Luhmann 1997, 190–202). In Gestalt des Begriffs der ‚Information‘ ist er sogar noch wichtiger und prägt informationstheoretische Konzepte, die mindestens bis zu Shannons bedeutender Forschung nach dem zweiten Weltkrieg zurückgehen und von dort aus wiederum die Systemtheorie, aber auch die Kommunikationswissenschaft bedingt haben (vgl. Koubek 2014; Hoffmann 2014). Der Zusammenhang zwischen Form und Information wird auch deutlich in der Medienarchäologie Kittler’scher Prägung. Kittler (2002, 42–47) bezieht sich explizit auf die Informationstheorie nach Shannon und an einer Stelle auf den hier ausführlich diskutierten Holmes: „Unter dem uralten Philosophenbegriff der Form verbirgt sich also bei Holmes die moderne Information.“ (2002, 39). Schließlich ist aktuell eine verstärkte Diskussion des Begriffs des ‚Formats‘ zu beobachten, die ersichtlich an die Debatte zur Form anschließt (vgl. Jancovic, Volmar und Schneider 2020; vgl. auch Zeitschrift für Medienwissenschaft 22 [2020] zum Thema Medium/ Format sowie den Beitrag ‚Format und Form‘ in diesem Band).
Weiterführende Literatur Brauns, Jörg. Hrsg. Form und Medium. Weimar 2002. Grampp, Sven. „Medienmorphologie“. Handbuch Medienwissenschaft. Hrsg. von Jens Schröter. Stuttgart 2014: 166–169. Koubek, Jochen. „Informationstheorie/Kybernetik“. Handbuch Medienwissenschaft. Hrsg. von Jens Schröter. Stuttgart 2014: 82–87. Latour, Bruno. „Die Logistik der immutable mobiles“. Mediengeographie. Theorie – Analyse – Diskussion. Hrsg. von Jörg Döring und Tristan Thielmann. Bielefeld 2009: 111–144.
Christoph Schubert
IV.2.2 Linguistische Stilistik: Die sprachwissenschaftlichen Grundlagen literarischer Form 1 Einführung Das vorliegende Kapitel gibt einen Überblick darüber, inwiefern sprachwissenschaftliche Ansätze und Instrumente einen Beitrag zur Kategorisierung und Analyse literarischer Formen leisten können. Die Aktualität linguistischer Perspektiven auf literarische Texte schlägt sich beispielsweise in umfassenden Handbüchern zur Stilistik insbesondere im englischsprachigen Raum nieder (vgl. Burke 2014; Stockwell und Whiteley 2014). Der Begriff der ‚Stilistik‘ wird zwar nicht immer einheitlich verwendet, da er sich auch auf Stilebenen und Register im nichtliterarischen Diskurs beziehen kann (vgl. Jeffries und McIntyre 2010; Eroms 2 2014), doch soll er hier im engeren Sinne einer „linguistischen Poetik“ (Küper 1976), einer spezifischen „Literaturlinguistik“ (Bär, Mende und Steen 2015), verstanden werden. Wie aus den genannten Standardwerken hervorgeht, zeichnen sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten neben text- und diskurslinguistischen Tendenzen insbesondere neue Trends in der pragmatischen und kognitiven Stilistik ab, die im Folgenden vorgestellt werden. Des Weiteren wird nach einer definitorischen Diskussion des poetischen Sprachgebrauchs ein kurzer Abriss über die Geschichte der linguistischen Stilistik gegeben, wobei gesondert auf den Formalismus und generative Ansätze eingegangen wird. Grundsätzlich werden literarische Formen hier sowohl im Hinblick auf ihre Makrostruktur (z. B. Texttypen, Genres, Kommunikationsmodelle) als auch auf ihre Mikrostruktur (z. B. rhetorische Figuren in Phonologie, Syntax und Semantik) betrachtet (vgl. Sowinski 21999, 71). Zur Illustration der theoretischen Konzepte werden Beispiele aus der deutschsprachigen und der angloamerikanischen Literatur herangezogen.
2 Zur Definition poetischer Sprache Den Ausgangspunkt einer linguistischen Untersuchung literarischer Form bildet naturgemäß Ferdinand de Saussures Modell des sprachlichen Zeichens, das die beiden Seiten von Form („Lautbild“) und Inhalt („Vorstellung“) verbindet (de Saussure 32001 [1916], 78). Für eine Definition ästhetisch überformter Sprache ist https://doi.org/10.1515/9783110364385-022
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zusätzlich ein Bezug auf die ‚poetische‘ Sprachfunktion gemäß Roman Jakobson (1981) nötig. Die poetische Funktion zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich nicht auf den mitgeteilten außersprachlichen Inhalt, sondern auf die sprachliche Form der Nachricht („message“) selbst bezieht. The set [Einstellung] toward the message as such, focus on the message for its own sake, is the poetic function of language. […] The poetic function projects the principle of equivalence from the axis of selection into the axis of combination. (Jakobson 1981 [1960], 25, 27)
Das Prinzip der Äquivalenz ist generell auf der paradigmatisch-vertikalen Achse der Auswahl sprachlicher Einheiten gegeben, wird im Falle poetischen Sprachgebrauchs jedoch auf die syntagmatisch-horizontale Achse ausgeweitet. Der Begriff der Äquivalenz wird hierbei sehr weit interpretiert und kann sich auf zusätzliche Regelmäßigkeiten durch das Metrum und den Reim, auf lexikalische Wiederholungen oder auch auf syntaktische Parallelismen beziehen. Zusätzlich zum Äquivalenzkonzept geht die Deviationsstilistik davon aus, dass bei poetisch gestalteter Sprache Abweichungen von der Alltagssprache vorhanden sind (vgl. Leech 1969, 42–52). Derartige Deviationen von der Norm können sich beispielsweise in unkonventionellen Metaphern oder idiosynkratischen syntaktischen Konstruktionen äußern. Kritiker der Deviationsstilistik haben angemerkt, dass eine Sprachnorm, die als Vergleichsmaßstab dienen soll, nur sehr schwer eindeutig zu definieren ist (vgl. Spillner 2008, 1755). Abhilfe kann hier jedoch durch quantitative Erhebungen zu Sprachstrukturen geschaffen werden, wie sie etwa in prototypischen Gebrauchstexten wie Alltagsgesprächen oder Zeitungsartikeln Verwendung finden. Heinrich F. Plett (2000) nutzt Synergieeffekte von Äquivalenz und Deviation, um auf diesem Fundament sein Konzept der systematischen Rhetorik zu etablieren, die Stilfiguren auf den verschiedenen linguistischen Deskriptionsebenen von Phonologie, Morphologie, Syntax und Semantik untersucht. Die rhetorischen Figuren lassen sich hinsichtlich der Deviation wiederum mit den formalen linguistischen Operationen der Addition, Subtraktion, Permutation und Substitution in Beziehung setzen. Während die Deviation als regelverletzende Operation verstanden wird, erscheint die Äquivalenz als regelverstärkende Modifikation (vgl. Plett 2000, 22). In den folgenden Auszügen sollen Vorgänge der Deviation exemplarisch illustriert werden. (1)
lichtung manche meinen lechts und rinks kann man nicht velwechsern werch ein illtum! (Ernst Jandl, lichtung; zit. nach Brode 1990, 363)
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Weil nicht alle KnabenmorgenBlütenträume reiften? (Johann Wolfgang von Goethe, Prometheus, V. 51–52; zit. nach Brode 1990, 95)
(3) vladimir: But we were there together, I could swear to it! Picking grapes for a man called … (he snaps his fingers) … can’t think of the name of the man, at a place called … (snaps his fingers) … can’t think of the name of the place, do you not remember? (Samuel Beckett, Waiting for Godot; Beckett 1982 [1952], 68) (4) The river sweats Oil and tar (Thomas Stearns Eliot, The Waste Land, V. 266–267; zit nach Abrams 61993, 2155)
Beispiel (1) repräsentiert den Fall einer Permutation auf phonologischer Ebene (Plett 2000, 54), da neben den Graphemen und auch die korrespondierenden Phoneme /l/ und /r/ konsequent vertauscht sind. Durch die typographische Anordnung der Wörter „lechts“ und „rinks“ wird diese Permutation zusätzlich untermauert. Zu den Figuren der phonologischen Äquivalenz gehören hingegen beispielsweise Alliteration, Assonanz und Reim. Beispiel (2) zeigt eine Addition auf morphologischer Ebene (vgl. Plett 2000, 101), denn im Kompositum „Knabenmorgen-Blütenträume“ werden substantivische Morpheme in neologistischer Weise kombiniert, um die Bedeutung des gleichermaßen Unvollendeten wie auch Hoffnungsvollen zu potenzieren. Wortwiederholungen und Polyptota repräsentieren dagegen Figuren der morphologischen Äquivalenz. Auszug (3) exemplifiziert eine Subtraktion auf syntaktischer Ebene (vgl. Plett 2000, 141), die hier durch die Ellipse zweier Substantive realisiert ist. Das Fehlen der beiden Namen steht hier nicht nur für Gedächtnislücken, sondern auch für einen Mangel an sinnstiftenden Zusammenhängen. Beispiele für Äquivalenzen auf syntaktischer Ebene sind etwa Parallelismen, Asyndeta und Chiasmen. Beispiel (4) schließlich illustriert eine Substitution auf semantischer Ebene, da das Lexem „river“ in einer markierten Kollokation erscheint. Das Verb „sweats“ lässt in seiner prototypischen Wortbedeutung ein Subjekt erwarten, welches das semantische Merkmal [+animate] aufweist, sodass die Ersetzung hier in einer metaphorischen Bedeutungsübertragung resultiert. Phänomene der semantischen Äquivalenz finden sich dagegen beispielsweise in Form von Synonymen, poetischen Vergleichen und Gleichnissen. Wenn auch derartige Merkmale der poetischen Sprachfunktion in literarischen Texten verstärkt und mit besonderer ästhetischer Wirkung erscheinen, können sie selbstverständlich ebenfalls in anderen Genres auftreten, wie zum Beispiel in Werbeanzeigen oder politischen Reden. Auch ist es problematisch, einen „literarischen Stil ‚an sich‘“ zu postulieren (Eroms 22014, 135), da stets die diachrone Dimension einzubeziehen ist, die mit einem Wandel in literarischen Moden und Strömungen einhergeht. So ist etwa besonders in der Literatur der
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Moderne und der Gegenwart das Individuelle bei der stilistischen Gestaltung dominant, wodurch Verallgemeinerungen zum ‚literarischen Stil‘ erschwert werden.
3 Zur Geschichte der linguistischen Stilistik Aus wissenschaftshistorischer Perspektive liegen die Ursprünge der linguistischen Stilistik in der antiken Rhetorik, die stark auf Schriften von Aristoteles (Rhetorik), Quintilian (Institutio oratoria) und Cicero (De Oratore) beruht. Wenn auch Konzepte wie die genera orationis und die rednerischen Arbeitsphasen vornehmlich auf die politische Effektivität öffentlicher Reden ausgerichtet sind (vgl. Göttert 1998, 17–25), ist die sprachliche Ausarbeitung im Rahmen der elocutio und insbesondere der stilistische Schmuck (ornatus) auch für literarische Werke von großer Relevanz. Darauf aufbauend wird im Mittelalter die ‚Schulrhetorik‘ mit ihren Tropen und stilistischen Figuren bedeutsam insbesondere für Gelegenheitsdichtung und religiöse Unterweisung, wobei die Poetiken von Horaz (Ars poetica) und Aristoteles ebenfalls großen Einfluss ausüben (vgl. Göttert 1998, 140–143). Im späten achtzehnten Jahrhundert entwickelt sich vor allem im Hinblick auf die elocutio eine normativ-didaktische Stilistik, die auf die „Zweckmäßigkeit und Schönheit des Ausdrucks“ abzielt (Sowinski 21999, 22). In Deutschland wird dieser Ansatz maßgeblich von Johann Christoph Adelungs Schrift Über den deutschen Styl (1785) geprägt, in welcher die Erlernbarkeit rhetorischer Fertigkeiten betont wird (vgl. Till 2008, 126). Eine deskriptive Stilauffassung im modernen Sinne, welche erstmals die charakteristische Schreibart einzelner Autoren würdigt, prägt Karl Philipp Moritz in seinen Vorlesungen über den Styl (1793; vgl. Sowinski 21999, 23). In diesem Zusammenhang entwickelt sich in der Goethezeit allmählich die Auffassung von einer „Individualstilistik“ unterschiedlicher Dichter, die der vorausgehenden normativen Stildidaktik gegenübersteht (vgl. Till 2008, 126). Diese Individualstilistik steht im Einklang mit Johann Gottfried Herders Auffassung von der Poesie als der „Ursprache“ der Menschheit (Herder 1772). Im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts etabliert sich die Stilistik aus einer Kombination der Rhetorik und der allgemeinen Sprachwissenschaft und Sprachphilosophie Wilhelm von Humboldts (vgl. Humboldt 1998 [1836]) zu einem festen Teilbereich der Linguistik (vgl. Schanze 2008, 132). Humboldt entwirft zwar keine eigenständige Stilistik im engeren Sinne, propagierte jedoch „im Rahmen seiner philologisch-textkritischen Literaturbetrachtung“ eine „beobachtende und beschreibende Stilanalyse, die zeit- und raumbedingte Faktoren von den subjektiven im Stil trennt“ (Sowinski 21999, 23).
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Die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts kann als die „große Zeit der Stilinterpretation“ (Anderegg 2008, 1078) bezeichnet werden, da die werkimmanente Interpretation in der Nachfolge des britischen Practical Criticism (Ivor A. Richards 1929) und des US-amerikanischen New Criticism (John Crowe Ransom 1941) die Aufmerksamkeit vornehmlich auf die sprachliche Gestaltung literarischer Texte lenkt. Maßgebliche Schriften im deutschsprachigen Raum sind Wolfgang Kaysers Das sprachliche Kunstwerk (1948) sowie Emil Staigers Die Kunst der Interpretation (1955). Damit im Einklang steht Heinrich Lausbergs Standardwerk Elemente der literarischen Rhetorik (1949), das eine erschöpfende Systematisierung stilistischer Figuren im Sinne der elocutio bietet (vgl. Lausberg 101990 [1949]; Schmid 2009, 1890). Eine verstärkte Nutzbarmachung linguistischer Methoden für literarische Texte propagiert Roger Fowler (1975) in den USA mit seinem Modell, das den programmatischen Titel New Stylistics trägt (vgl. Anderegg 2008, 1081). Bisweilen wird dieser Ansatz terminologisch zu Modern Stylistics (Freeman 1981) oder Linguistic Criticism (Fowler 1986) abgewandelt. In den jüngsten Jahrzehnten sind diese Ansätze methodologisch stark durch quantitativ-statistische Korpusanalysen ergänzt und weiterentwickelt worden (vgl. Mahlberg 2014 und Stubbs 2014).
4 Formalismus und Generative Stilistik Unter dem Sammelbegriff der „formalistischen“ Stilistik werden generell unterschiedliche Ansätze zusammengefasst, die vom russischen Formalismus über den Strukturalismus der Prager Schule bis hin zur generativen Linguistik reichen (vgl. Burke und Evers 2014, 31). Da jedoch speziell die generative Transformationsgrammatik auch als ‚Formalismus‘ im engeren Sinne bezeichnet wird, soll insbesondere auf ihre Rolle bei der dynamischen Erzeugung literarischer Formen eingegangen werden. Gemäß diesem Ansatz, der maßgeblich von Noam Chomsky (1957; 1968) geprägt wurde, werden formale Oberflächenstrukturen durch eine begrenzte Anzahl von transformationellen Operationen von zugrundeliegenden Tiefenstrukturen abgeleitet. Literarische Formen sind somit Bestandteil der Performanz, welche auf der poetischen Kompetenz ästhetisch agierender Sprachverwender beruht. Der generative Ansatz impliziert somit eine Dynamisierung der Form an der Textoberfläche, da die konkrete syntaktisch-stilistische Erscheinung in Abhängigkeit von der jeweiligen Transformation variabel ist. Ähnlich wie die Deviationsstilistik geht die generative Linguistik davon aus, dass sich der literarische Diskurs durch das Auftreten ungrammatischer Sätze auszeichnet, wie etwa im ersten Vers des Gedichts anyone lived in a pretty how
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town von E. E. Cummings (Spillner 2008, 1755). Diese Struktur entspricht nicht den standardisierten generativen Operationen, da hier das Interrogativadverb how in der Position eines attributiven Adjektivs verwendet wird. Erklärbar wird diese stilistische Variation allerdings mit Hilfe von „fakultativen Transformationen von Kernsätzen“ (Sowinski 21999, 40), durch die sich auch Individualstile einzelner Autoren unterscheiden lassen. So demonstriert bereits Ohmann (1964) die stilistische Wirkung von syntaktischen Transformationsprozessen exemplarisch anhand von kanonisierten Autoren wie Hemingway oder Faulkner, sodass von einer Subdisziplin namens „generative stylistics“ (de Beaugrande 1977) gesprochen werden kann. Esser gibt einen Abriss generativer Ansätze in der syntaktischen Stilanalyse und liefert konkrete englische Beispiele für Transformationen, die sich etwa auf Relativsätze, Koordinationen oder nominale Modifikationen im literarischen Stil beziehen (vgl. 1993, 60–69). Überträgt man die generativen Prozesse von Einzelsätzen auf größere diskursive Einheiten, so kann bei Texten, deren Oberflächenstrukturen durch unterschiedliche Transformationen auf dieselbe Tiefenstruktur zurückgeführt werden können, von textueller „Synonymie“ gesprochen werden (vgl. Sowinski 21999, 40). Im Zentrum des generativen Ansatzes steht neben der Syntax traditionell auch die Phonologie, worauf unter anderem die Subdisziplin der generativen Metrik beruht (vgl. Chomsky und Halle 1968). Poetische Form wird hier als das Resultat der metrischen Kompetenz von kreativen Textproduzenten gesehen, weswegen im Fokus des Interesses die Variation in Abhängigkeit von Autor, Epoche oder Genre steht (vgl. Brogan und Blumenfeld 42012, 547). Während der alltagssprachliche Sprechrhythmus auf den unbewussten, natürlichen Spracherwerbsmechanismen beruht, wird die literarische Metrik in expliziter Weise erworben und vom Dichter formal gesteuert. So ist beispielsweise der shakespearesche Blankvers, der iambische Pentameter, wie in „But get thee back; my soul is too much charged“ aus Macbeth V.8.5 (Shakespeare 1986 [1606]), das Resultat von transformationellen Regeln, welche die Korrespondenz zwischen syntaktischer Struktur und Metrum steuern (vgl. Brogan und Blumenfeld 42012, 547). Trotz dieser Ansatzpunkte und theoretischen Konzepte in Syntax und Metrik ist aus der generativen Linguistik kein operationalisierbares Instrumentarium zur stilistischen Analyse längerer Texte erwachsen (vgl. Sowinski 41999, 40; Spillner 2008, 1756), was auch damit zusammenhängen kann, dass in diesem Ansatz pragmatische und d iskursanalytische Aspekte des Kontexts vernachlässigt werden (vgl. Burke und Evers 2014, 42).
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5 Textlinguistik und Diskursanalyse Eine strukturelle Analyse einzelner Sätze oder Stilfiguren bleibt funktional unvollständig, wenn sie nicht in makrostilistische Kontexte eingebettet wird (vgl. Sowinski 21999, 71). So existieren deutliche Bezugspunkte zwischen der Unterscheidung literarischer Gattungsformen und der textlinguistischen Klassifikation von Texttypen und Genres. Texttypen bilden eine begrenzte Anzahl von Kategorien mit hohem Abstraktionsgrad und werden durch das Auftreten bestimmter sprachlicher Merkmale ermittelt (vgl. Schubert 2012, 95). Ein bekanntes Modell stammt von Egon Werlich (1983), der zwischen den fünf generellen Texttypen der Deskription, Narration, Exposition, Argumentation und Instruktion unterscheidet. Genres hingegen bilden eine prinzipiell offene Liste, beruhen auf gemeinsprachlichen Begriffen und stehen auf einer niedrigeren Abstraktionsstufe (vgl. Schubert 2012, 95). Sie sind durch generalisierbare formale Merkmale sowie durch bestimmte kommunikative Ziele in spezifischen situativen Kontexten gekennzeichnet (vgl. Busse 2014, 103). Zu den Genres gehören etwa Sachtexte wie Gebrauchsanweisungen und Zeitungsnachrichten, aber auch literarische Genres wie Tragödien, Naturgedichte oder Kurzgeschichten (vgl. Heinemann 2000, 525–529). Weiterhin sind Genres stark von soziokulturellen Parametern abhängig und somit einem dynamischen Wandel unterworfen (vgl. Busse 2014, 116). Aus methodologischer Sicht ist allerdings einzuschränken, dass literarische Genres im Design bekannter Korpora wie des British National Corpus (BNC) oder des International Corpus of English (ICE) eine deutlich untergeordnete Rolle spielen. Der Grund ist vornehmlich darin zu sehen, dass der Sprachgebrauch in der Literatur bei der Korpuskompilation nicht als natürlich und authentisch, sondern als artifiziell und künstlerisch überformt verstanden wird. Die fünf abstrakten Texttypen erscheinen somit in unterschiedlicher Verteilung in verschiedenen Genres. So wird ein prototypischer Roman einen dominanten narrativen Anteil aufweisen, doch können etwa bei der Etablierung des räumlichen Settings deskriptive Elemente zum Tragen kommen, während in dialogischen Passagen zwischen Charakteren auch argumentative Merkmale erscheinen können. Der narrative Texttyp, dem im literarischen Diskurs generell eine besondere Rolle zukommt und der aus soziohistorischer Sicht eine identitätsstiftende Funktion für Gesellschaften erfüllt (vgl. Gülich und Hausendorf 2000, 369), beinhaltet im Allgemeinen eine verbal realisierte Sequenz von Ereignissen in der Vergangenheit. In mikrostruktureller Hinsicht sind sprachliche Charakteristika des narrativen Texttyps neben dem Präteritum temporale und lokale Adverbialien, Deklarativsätze, temporale Nebensätze, Partizipialsätze und Handlungsverben (vgl. Werlich 21983, 255–256). Auch in der texttypologischen Taxonomie von Longacre (1976) ist die Narration eine von vier Superkategorien und zeich-
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net sich durch Pronomina der 1. oder 3. Person, durch eine Agens-Orientierung, eine zurückgelegte Zeitstrecke sowie chronologische Verbindungen zwischen zeitlichen Abschnitten aus (vgl. Esser 1993, 44). Der makrostrukturelle Ansatz hingegen untersucht Narrative im Hinblick auf konstitutive funktionale Einheiten. Ein klassisches Modell stammt von Labov und Waletzky (vgl. 1967, 32–41) sowie später von Labov (vgl. 1972, 362–375; 1997) und beruht auf der Analyse spontaner gesprochener Alltagserzählungen ( personal experience narratives). Die sechs hier empirisch ermittelten typischen Einheiten von Erzählungen lauten „abstract“, „orientation“, „complicating action“, „evaluation“, „resolution“ und „coda“. Während die Evaluation an verschiedenen Stellen über den Text verteilt sein kann, wird für die anderen fünf Bestandteile eine weitgehend sequenzielle Abfolge postuliert. Der Bestandteil der Komplikation bildet in der Handlung den eigentlichen Kern einer zeitlichen Abfolge, wohingegen die anderen Komponenten vor allem dazu beitragen, die Narration zu vervollständigen (vgl. Page 2014, 441–442; eine ausführliche Diskussion des narrativen Diskurses in verschiedenen sozialen und kontextuellen Domänen findet sich bei Toolan 22001). Es ist durchaus möglich, Parallelen zwischen der Struktur derartiger Alltagserzählungen und Formen der literarischen Kurzprosa zu ziehen. In Bezug auf die Erzählprosa widmet sich die linguistische Narratologie zudem der Präsentation von (in)direkter Rede und mentalen Vorgängen sowie den Unterschieden zwischen Figuren- und Erzählersprache (vgl. Short 1996, 288– 325; Leech und Short 22007, 255–280). Dadurch ist es möglich, eine Taxonomie von Strategien zur Wiedergabe von Worten und Gedanken (speech and thought representation) zu entwickeln, die folgende sechs Typen unterscheidet: (1) narrator’s representation of speech (NRS), (2) narrator’s representation of speech acts (NRSA), (3) indirect speech (IS), (4) free indirect speech (FIS), (5) direct speech (DS) und (6) free direct speech (FDS) (vgl. Bray 2014, 223–224). Es handelt sich hier um ein Kontinuum, bei welchem die Kontrolle des Erzählers von Typ (1) bis Typ (6) scheinbar stetig abnimmt, bis er vollständig in den Hintergrund tritt und den Charakteren das Feld überlässt. Verstärktes Forschungsinteresse hat die Kategorie der ‚free indirect speech‘ hervorgerufen (vgl. z. B. Fludernik 1993), die sich durch eine besondere Multifunktionalität auszeichnet. Ein weiterer Ansatzpunkt im Gebiet der literarisch orientierten Textlinguistik ist die Intertextualität (vgl. Janich 2008), etwa bei der Integration nichtfiktionaler Textsorten in der fiktionalen Literatur oder beim Rückgriff von Sachtexten auf bekannte literarische Werke (vgl. Pham 2014). Von grundlegendem Interesse für die Makrostruktur des literarischen Diskurses ist zudem die sinnkonstituierende textinterne Kohäsion und Kohärenz (vgl. Gutwinski 1976; Wales 1998).
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6 Pragmatische Stilistik Zentrale Fragen des pragmastilistischen Ansatzes betreffen das spezifische Kommunikationsmodell, das literarischen Texten zugrunde liegt. Zusätzlich zu den handelnden und sprechenden Figuren in der fiktionalen Welt existiert eine Beziehung zwischen Urheber und Rezipienten des Textes, sodass zwischen der Ebene von „author/narrator and reader“ und dem „character-to-character level“ zu unterscheiden ist (vgl. Black 2006, 74–76). Dies hat Auswirkungen auf den Gebrauch von verschiedenen Sprechakten, die beispielsweise für Formen der (Un-)Höflichkeit oder des Humors zwischen auftretenden Figuren verantwortlich sind. Bei der Verwendung von sprachlichen Höflichkeitsstrategien ist etwa ausschlaggebend, ob diese reziprok verwendet werden, ob gesichtsbedrohende Akte abgemildert werden oder ob unhöfliches Sprachverhalten erscheint (vgl. Short 2014, 351–353). Durch die Übertragung des Kooperationsprinzips und der Konversationsmaximen gemäß Grice (1989) auf literarische Texte kann zudem der idiosynkratische Diskursstil exzentrischer Figuren näher charakterisiert werden, wie beispielsweise im Fall von Sherlock Holmes, dessen Äußerungen oft durch eine übersteigerte Informativität gekennzeichnet sind (vgl. Lambrou 2014, 144–147). Durch die Anwendung derartiger pragmatischer Kategorien lässt sich somit aufzeigen, dass Sprache stets als „stylistic characterisation device“ (Bousfield 2014, 130) für individuelle Charaktere dient. Darüber hinaus können nicht nur Einzelfiguren, sondern auch ganze Subgenres pragmatisch markiert sein, wie etwa das absurde Theater à la Samuel Beckett oder Eugène Ionesco, in dem das subversive Moment häufig mit einer offensichtlichen Nichtbeachtung des Kooperationsprinzips einhergeht (vgl. Lambrou 2014, 144–147). Weiterhin kann der gesprächsanalytische Zugriff soziale Konstellationen und Machtverhältnisse zwischen Charakteren aus quantitativer Perspektive aufzeigen (vgl. Short 1996, 206). So ist eine Figur mit mehr Macht und Einfluss meist durch häufigere und ausführlichere Gesprächsbeiträge gekennzeichnet. Zudem initiieren derartige Personen typischerweise Gespräche, haben Kontrolle über das Thema, unterbrechen öfter, weisen das Rederecht zu und verwenden Anredeformen, die nicht durch Respektsbekundung markiert sind (vgl. Short 2014, 348–351). Auch Konzepte der Sprechakttheorie gemäß Austin (1975) und Searle (1969) sind geeignet, soziale und affektive Beziehungen zwischen Charakteren zu ermitteln. So kann analysiert werden, ob sich Sprechakte wie Versprechen, Drohungen oder Befehle in verschiedener Weise verteilen und ob diese indirekt oder gar mehrdeutig erscheinen. Auch ist es auffällig, wenn Glückensbedingungen für Sprechakte nicht erfüllt oder erwartete perlokutionäre Effekte nicht erzielt werden. Derartige gesprächs- und diskursanalytische Ansätze sind für alle dia-
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logischen Formen relevant, insbesondere also für die Gattung des Dramas (vgl. Culpeper, Short und Verdonk 1998; Herman 1995). Eine jüngere Subdisziplin ist die postkoloniale Pragmatik, die sich dem kon textuellen und soziokulturellen Sprachgebrauch speziell in den hybriden Kom munikationssituationen postkolonialer Länder widmet (vgl. Anchimbe und Janney 2011). Relevante Fragestellungen bei der Analyse postkolonialer Literatur sind etwa das Erscheinen von wechselseitigen Interferenzen zwischen dem Englischen und den jeweiligen einheimischen Sprachen, Funktionen von codeswitching zur kulturellen Ein- oder Abgrenzung, sprachliche Anpassung und Identitätskonstruktion sowie Praktiken der inter- und transkulturellen Kommunikation (vgl. Schubert und Volkmann 2016). Pragmatische wie auch textlinguistische Ansätze werden in den jüngsten Jahrzehnten durch die quantitativen Erhebungen der Korpusstilistik unterstützt (vgl. Mahlberg 2014), die stark zur Deskription des Individualstils von Autoren und Charakteren beitragen kann. Mithilfe von Konkordanzen können häufig wiederkehrende Kollokationen von Wörtern ermittelt und hinsichtlich ihrer Bedeutungsmuster analysiert werden (vgl. Mahlberg 2014, 383). Als Beispiel sei das Project Gutenberg genannt, das über 59.000 E-Books frei zugänglich online zur Verfügung stellt und somit umfangreiche statistische Auswertungen ermöglicht (). Ein weiteres einschlägiges Beispiel ist das Projekt CLiC (Corpus Linguistics in Cheshire), das an der Universität Birmingham eine OnlinePlattform bereitstellt, mit deren Hilfe im Oeuvre von Charles Dickens und anderer Autoren des neunzehnten Jahrhunderts beliebig nach Schlüsselbegriffen oder auch Kollokationen gesucht werden kann (https://clic.bham.ac.uk/). Bei aller belastbaren Empirie, die die individuelle Introspektion gewinnbringend ergänzt, spielt natürlich dennoch die Auswertung und Interpretation der erhobenen Daten die zentrale Rolle.
7 Kognitive Poetik Durch die deutliche Zunahme kognitiv-linguistischer Studien zu literarischen Texten seit den 1990er-Jahren wird häufig von einer kognitiven Wende („cognitive turn“, Stockwell 22020, 8) in der Stilistik gesprochen. So untersucht die kognitive Poetik die mentalen Repräsentationen und Verarbeitungsprozesse bei der Interpretation literarischer Texte unter Berücksichtigung auftretender sprachlicher Muster (vgl. Freeman 2014, 313). Trotz der programmatischen Konzentration auf die Verwender von Literatur spielen somit auch System und Struktur literarischer Formen eine Rolle. Einen zentralen Ansatzpunkt bilden metaphorische Prozesse
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im Rahmen der Conceptual Metaphor Theory (CMT, vgl. Lakoff und Johnson 2003 [1980]), gemäß welcher Metaphern eine generelle Strategie der menschlichen Weltwahrnehmung und -interpretation darstellen (vgl. Jeffries und McIntyre 2010, 138–144). Metaphern kommen dementsprechend durch eine mentale Übertragung von einer Quell- auf eine Zieldomäne zustande, wie etwa im Vers „Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!“ aus Günter Eichs Gedicht Wacht auf, denn eure Träume sind schlecht! (Brode 1990, 349–350). Die Quelldomäne sind die konkreten Objekte „Sand“ und „Öl“, während die menschlichen Adressaten der Aufforderung die Zieldomäne bilden. Im metaphorischen Transfer werden hier jeweils die behindernden oder begünstigenden Auswirkungen der beiden Substanzen auf die ebenfalls figurative Maschine der „Welt“ konzeptualisiert. Des Weiteren bezieht die kognitive Poetik erworbenes Weltwissen in Form von mentalen Schemata ein, die Rezipienten bei der Dekodierung von literarischen Texten aktivieren und dadurch interpretative Leerstellen füllen (vgl. Emmott, Alexander und Marszalek 2014, 268). Gemäß der schema theory kann daher die kohärenzerzeugende Sinnstiftung beim Rezeptionsprozess individuell verschieden ausfallen, wie etwa bei der Interpretation hermetischer Lyrik. Zur Einordnung von Weltwissen tragen weiterhin kognitive Kategorien bei, die durch einen prototypischen Kern und eine Peripherie gekennzeichnet sind (vgl. Stockwell 22020, 15). So spielt die Prototypentheorie eine Rolle bei der formalen Einordnung von Genres wie Sonetten oder Balladen sowie im Fall von Parodien, die Genrekonventionen kreativ unterminieren. Auch bei der Charaktergestaltung ist die Prototypentheorie relevant, da prototypische Schurken oder Helden wenig differenziert erscheinen und den Eindruck des Trivialen erwecken können. Eng hiermit verbunden ist das Modell zur Interpretation von Charakteren durch Rezipienten auf der Grundlage der Figurensprache, wie es von Culpeper (vgl. 2001, 35) entwickelt wurde. Die Charakterwahrnehmung beruht demnach auf Inferenzprozessen, die einerseits in top-down-Richtung vom sozialen und kulturellen Vorwissen der Textrezipienten abhängen. Hierbei sind beispielsweise prototypische Rollenverständnisse von bestimmten ethnischen, soziokulturellen oder beruflichen Gruppen von Belang. Andererseits existieren bottom-up-Inferenzprozesse, die auf den inhaltlichen Propositionen in der Figurensprache sowie auf den verwendeten syntaktisch-semantischen Oberflächenstrukturen beruhen (vgl. Bousfield 2014, 130–132). Es ergibt sich dadurch beim Leser ein facettenreiches und dynamisches Bild verschiedener Charaktere, das während des Re zeptionsprozesses einer kontinuierlichen Kontrolle und Korrektur unterliegt.
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8 Fazit Insgesamt ist zu konstatieren, dass die linguistische Stilistik im neuen Millennium ein Forschungsinteresse hervorruft, wie es seit den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts nicht vorhanden war. Insbesondere durch die Anwendung von korpus-, pragma- und kognitiv-linguistischen Methoden kann von einer Renaissance der Literaturlinguistik gesprochen werden. Als aktuelle Trends und Forschungstendenzen für die Zukunft identifiziert das Handbuch von Burke (vgl. 2014, 421–530) die Analyse von Comics, Film, Hyperfiction und weiteren multimodalen Genres, wie sie vor allem in den neuen digitalen Medien realisiert sind. Des Weiteren wird hier hervorgehoben, dass zunehmend rezipientenorientierte Studien entstehen, die auf Experimenten mit tatsächlichen Informanten beruhen, um die Wirkung auf reale Leser zu eruieren. Jacob (2014, 14) weist zu Recht darauf hin, dass die Sprachwissenschaft vornehmlich an einer „Generalisierung“ und Ableitung von Regelhaftigkeiten interessiert ist, während die Literaturwissenschaft häufig „Einzelfälle“ im Sinne individueller Werke einer näheren Betrachtung unterzieht. Gerade hier bieten sich jedoch auch Möglichkeiten der Überbrückung, da generelle Regularitäten in Morphosyntax, Semantik oder Diskursstruktur anhand ausgewählter Texte kritisch überprüft werden können. Die aktuelle Bedeutung der linguistischen Stilistik wird durch die Aktivitäten von Fachverbänden wie der Poetics and Linguistics Association (PALA) oder der International Association for Literary Semantics (IALS) belegt. Auch die jüngeren interdisziplinären Sammelbände von Bär, Mende und Steen (2015) sowie Fludernik und Jacob (2014) weisen in diese Richtung. Es besteht somit Anlass zur Hoffnung, dass die hybride Position der linguistischen Stilistik, die bisweilen zu Irritationen und Auseinandersetzungen über disziplinäre Abgrenzungen führt (vgl. Hamilton 2008, 253–254), allmählich in den Mainstream literaturlinguistischer Forschung mündet.
Weiterführende Literatur Anderegg, Johannes. „Literaturwissenschaftliche Stilauffassungen.“ Rhetorik und Stilistik. Ein internationales Handbuch historischer und systematischer Forschung. Hrsg. von Ulla Fix, Andreas Gardt und Joachim Knape. Berlin 2008: 1076–1092. Black, Elizabeth. Pragmatic Stylistics. Edinburgh 2006. Burke, Michael. Hrsg. The Routledge Handbook of Stylistics. London et al. 2014. Chomsky, Noam. Syntactic Structures. Den Haag 1957. Fludernik, Monika. The Fictions of Language and the Languages of Fiction. The Linguistic Representation of Speech and Consciousness. London 1993.
Linguistische Stilistik: Die sprachwissenschaftlichen Grundlagen literarischer Form
Fowler, Roger. Linguistic Criticism. Oxford 1986. Schubert, Christoph. Englische Textlinguistik. Eine Einführung. 2. Aufl. Berlin 2012. Sowinski, Bernhard. Stilistik. 2. Aufl. Stuttgart 1999.
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Dirk Vanderbeke
IV.2.3 Bildgeschichten, Comics und Graphic Novels 1 Einleitung Der Versuch, die Form des Comics und der Graphic Novel in einem Handbuchbeitrag darzulegen, kann kaum gelingen. Nicht nur gehen dem Comic viele Jahrhunderte voraus, in denen Bilderzählungen zu den wesentlichen Informationsträgern und -vermittlern gehörten und in denen die formalen Grundformen des späteren Comics schon in weiten Zügen angelegt waren, Comics selbst haben inzwischen auch eine hundertjährige Geschichte hinter sich, in denen unterschiedlichste Wege gefunden wurden, die Potenziale des Mediums auszuloten und auf immer neue Weise weiterzuentwickeln. Comics mögen über lange Zeit eine verachtete Kunstform gewesen sein, aber sie waren in dieser Zeit trotzdem überaus erfolgreich, und immer wieder haben kreative und innovative Künstler dieses Medium als Ausdrucksform für sich gewählt. Die folgenden Seiten können also nur einen kurzen Überblick über einige der wichtigsten Aspekte geben. Ich konzentriere mich dabei auf Formelemente, die auch in der Literatur und Literaturwissenschaft von Bedeutung sind und daher einen interdisziplinären Austausch begünstigen.
2 Die frühen Bilderzählungen und der Weg zum Comic Traditionell beginnen Überblicksartikel zu Comics mit der Feststellung, dass das lange missachtete Medium inzwischen in den Feuilletons und in der Literatur- und Medienwissenschaft Anerkennung gefunden hat. Danach folgt ein kurzer Abriss über die Geschichte der Bilderzählung seit den Wandmalereien der Höhle von Lascaux; die üblichen Stationen sind ägyptische Fresken, die Trajanssäule, der Teppich von Bayeux, Maya-Codices und die Druckgraphik von William Hogarth,
Anmerkung: Da Comic-Reproduktionen dem Copyright unterliegen und Abdruckrechte teuer sind, wird im Folgenden auf Abbildungen verzichtet; die meisten Bilder sind im Internet abrufbar. Da sich Websites jedoch ändern können oder auch wieder verschwinden, werden statt der Webadressen die genauen Titel angegeben, die für die Suche im Internet ausreichen müssten. https://doi.org/10.1515/9783110364385-023
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bis schließlich der Beginn des eigentlichen Comics zu Beginn oder im Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts erreicht wird und damit die ausführliche Darstellung der Geschichte des Mediums beginnen kann (z. B. McCloud 1994, 10–17; Chute 2010, 12; Petersen 2011, 2–20; Boyd 2010, 98; Inge 2017, 9). Damit wird der Grundauffassung von einem Primat des geschriebenen Wortes gefolgt; die Bildgeschichte erscheint als ein untergeordnetes Phänomen, das aber zur Legitimation des Mediums vornehmlich in der Hochkultur gesucht und gefunden wird, bis es sich dann schließlich gegen lange Widerstände etablieren und als Äquivalent zu anderen Medien mit eigenem ästhetischen und kognitiven Potenzial durchsetzen kann. Die folgende Behandlung des Comics weicht von diesem Muster ab, indem der Geschichte der Bilderzählung vor der Entstehung des Comics breiterer Raum gewidmet wird und die Entwicklung des Mediums im zwanzigsten Jahrhundert dann auf dieser Basis neu interpretiert wird. Visuelle Information wird dabei nicht als ein kulturelles Nebenprodukt oder als Illustration der eigentlich dominierenden Schrift verstanden, sondern als zunächst vorherrschendes oder zumindest gleichrangiges Medium, das für die meisten Menschen erst relativ spät von geschriebenen Texten abgelöst wurde, um dann in der Form des Comics zurückzukehren. Ich werde mich in diesem Rahmen auf die wesentlichen Elemente beschränken müssen, die auch für die Literaturwissenschaft von Bedeutung sind; dazu gehören Sequentialität, Serialität, Seitengestaltung, Zeitkonstruktion und Intermedialität.
3 Die Entwicklung medienspezifischer Eigenheiten in den frühen Bilderzählungen Es gibt unterschiedliche Begriffsbestimmungen des Comics; zu den am häufigsten angeführten gehört Scott McClouds Definition; danach handelt es sich um „[j]uxtaposed pictorial and other images in deliberate sequence, intended to convey information and/or to produce an aesthetic response in the viewer“ (1994, 9). Sequenzielle Kunst besteht also grundsätzlich aus zwei oder mehr sinnvoll aufeinanderfolgenden visuellen Komponenten, in denen jeweils bildliche Zeichen vorhanden sind, und durch die Information vermittelt und/oder eine ästhetische Erfahrung hervorgerufen werden soll. Information und Ästhetik stehen hier nebeneinander, und da das Auge das für den Menschen dominante Sinnesorgan ist, darf die Rolle visueller Information nicht unterschätzt werden, besonders nicht in der Zeit vor der allgemeinen Lese- und Schreibfähigkeit.
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In Victor Hugos Notre Dame von Paris gibt es ein Gespräch zwischen dem Erzdechanten und dem König, in dem Don Claude mit dem Blick auf das Buch und die Kirche sagt: „Wehe! Dieses wird jenes töten […], das Buch wird das Gebäude töten.“ (31975 [1831], 177). Damit ist natürlich die Architektur angesprochen und auch der Glaube, der durch die Vernunft des geschriebenen Wortes in Frage gestellt wird, aber zum Kirchenraum gehörten auch die allgegenwärtigen Fresken, die Glasmalereien, das Schnitzwerk und die Altarbilder, in denen die biblischen Geschichten und Heiligenlegenden für die Gläubigen beständig präsent waren und die, besonders in einer Zeit bevor die volkssprachliche Messe eingeführt wurde, für die meisten der Anwesenden wichtige Informationsquellen und -speicher waren (zum Folgenden vgl. Vanderbeke 2018). So verweist Richard D. Altick in The Common English Reader darauf, dass zu der Zeit der Erfindung des Buchdrucks „most Englishmen still depended upon their ears for their share of the common cultural heritage, or upon their ability to interpret the pictures and statuary they saw in the churches“ (21998 [1957], 15). Aber auch nach der einschneidenden Erfindung änderte sich zunächst nicht viel, und Leslie Shepard schreibt: „In the first four centuries of printing, books were mainly for church dignitaries, noblemen, scholars, merchants and gentlemen with private libraries, not for the masses.“ (1973, 13). Der Großteil der Bevölkerung war demnach auf orale oder visuelle Information angewiesen, und der Blick auf die ersten Druckerzeugnisse, aber auch auf die früheren handschriftlichen und illuminierten Bücher zeigt, dass Bilderzählungen weit verbreitet waren. In der sogenannten Bible moralisée, einem didaktischen Buchtypus, der um 1230 in Frankreich entstand, finden sich z. B. Folgen von Bildmedaillons, die jeweils biblische Erzählungen mit allegorischen Interpretationen verbinden oder alt- und neutestamentarische Geschehnisse einander gegenüberstellen. Begleitet werden sie von kurzen erläuternden Texten, die allerdings eher als Beiwerk zu den im Zentrum stehenden Bildern verstanden werden können. Man kann hier also von einer Adaptation der Bibel in einer Bilderzählung sprechen. Noch deutlicher wird dies in einem niederländischen Blockbuch aus dem fünfzehnten Jahrhundert, dem Canticum Canticorum, in dem das Hohelied als Bildfolge wiedergeben wird. Der biblische Text wird hier den Figuren in Auszügen auf Schriftbannern beigefügt, sodass sich eine frühe Form der Sprechblasen erkennen lässt. Diese bildliche Adaptation könnte man schon als eine Art der graphic novel ansehen. Derartige Bücher waren überaus populär. So wurden die Druckblöcke der Armenbibel von Stadt zu Stadt transportiert oder es wurden Kopien der Originalblöcke erstellt und bei Bedarf schadhafte Blöcke von örtlichen Handwerkern ausgebessert oder ersetzt (Parker 2006, 125). Roberto Bartual Moreno sieht die Bildgeschichten des Mittelalters als ein moralisches Instrument der Kirche und verweist auf ihr enormes didaktisches
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Potenzial (2015, 22). Sie stellen aber nur einen Teil der graphischen Information dar, die für die leseunkundigen Menschen zur Verfügung stand. David Kunzle hat in seiner materialreichen Studie The Early Comic Strip (1973) Bilderzählungen aus Broadsheets (Flugschriften) von 1450 bis 1825 zusammengetragen und untersucht. Religion spielt in ihnen zwar eine wesentliche Rolle, daneben aber auch Politik, Geschichte, und Journalismus, wobei die drei Bereiche in dieser Zeit, in der Nachrichten sich vergleichsweise langsam verbreiteten, nicht immer sauber zu trennen sind. Broadsheets gehörten zu den wichtigsten frühen Druckerzeugnissen, und sie sind die Vorläufer der heutigen Zeitungen, Journale und Magazine – ursprünglich bedeutete Zeitung, verwandt dem englischen tidings, nur Nachricht und erst später das Medium, in dem die Nachrichten verbreitet werden. Dementsprechend findet sich auf den Flugblättern oft die Formulierung ‚Warhafftige newe Zeitung‘ als Teil der Überschrift. Auf diesen Flugschriften sind meist bildliche und verbale Informationen miteinander verbunden, d. h. oben auf dem Blatt befindet sich eine Bildgeschichte, die darunter noch einmal genauer schriftlich ausgeführt wird. Zudem können auch noch weitere Texte vorhanden sein – Gedichte, Lieder, kurze Geschichten etc. – die ein weites Themenspektrum ansprechen und damit etwas Abwechslung bieten oder auch unterschiedliche Leserschaften ansprechen. Und wie bei den heutigen Boulevardzeitungen war der Inhalt häufig sensationalistisch. Politik, Religion und aufsehenerregende Verbrechen standen im Vordergrund, wobei die Flugblätter häufig tendenziös waren und die Informationsvermittlung auch zu propagandistischen Zwecken nutzten. Große Verbreitung fanden auch Flugblätter, die bei Hinrichtungen vertrieben wurden; Clive Emsley schreibt in seiner Einleitung zu The Newgate Calendar: „The print medium has had a long affair with crime, especially lurid, sensational, violent crime. From at least the seventeenth century, broadsides were printed and sold at public executions, detailing the crimes, and the last dying speeches, of offenders.“ (1997, IX). Die frühen Bilderzählungen umfassten meist drei bis acht Bilder und entsprachen damit eben dem Umfang, der sich auch in den modernen Comic Strips in Zeitungen findet – drei oder vier Panels an Wochentagen und acht Panels in den Wochenendbeilagen. Zudem wurden die wesentlichen formalen Elemente schon weitgehend entwickelt. Auf Vorläufer der Sprechblasen wurde schon hingewiesen – sie erscheinen meist in Form von Spruchbändern oder -bannern; Bartual Moreno bezeichnet sie als ‚Phylakterien‘ (2015, 32). Zudem finden sich schon früh unterschiedliche Ausführungen der Bildgrenzen, der sogenannten frames. In Druckwerken wie Flugblättern finden sich kaum Abweichungen von einfachen Rahmungen. Bei Triptychen, die häufig Stationen aus dem Leben Christi oder von Heiligen darstellen und so eine Art Biographie enthalten, sind die Rahmen vorgegeben, daneben wurden aber in sequenziellen Gemälden, in Druckwerken wie
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der Armenbibel oder in Zeichnungen auch architektonische Elemente wie Säulen oder Wände zur Trennung der zeitlich aufeinanderfolgenden Bildelemente eingesetzt, zudem können Bäume oder andere Pflanzen gleichermaßen als Bildgrenzen genutzt werden, und in der Schedelschen Weltchronik trennt in einer Zweibild-Sequenz zur Opferung Isaaks ein Weg die beiden dargestellten Momente der Geschichte (Blatt XIII). Es finden sich aber auch Bilderzählungen ohne eine visuelle Rahmung der einzelnen Geschehnisse – bekannt ist natürlich der Teppich von Bayeux. Dabei erhalten einzelne Bilder, die ja eigentlich reine Momentaufnahmen sind, gelegentlich eine zeitliche Dimension, wenn Figuren darin an unterschiedlichen Stellen auftauchen – Kunzle bezeichnet dies als „single setting narratives“ (1973, 4) –, und diese können einzeln erscheinen oder mit anderen Bildern zu einer Sequenz verbunden werden. Im modernen Comic wird dieses Verfahren oft eingesetzt, um das Verstreichen von Zeit darzustellen, gelegentlich auch um besonders dynamische Aktionen wiederzugeben. Ein eindrucksvolles frühes Beispiel ist die Darstellung des Attentats auf Heinrich III. von Frankreich 1589 in einer graphischen Sequenz von Franz Hoogenberg (1589–1592). Im ersten von vier Bildern taucht der Attentäter, der Dominikanermönch Jacques Clément, an drei Stellen auf – bei der Kommunion, bei der Segnung durch einen kirchlichen Würdenträger und auf dem Weg zum König. Die folgenden Bilder zeigen dann das Attentat, bei dem der König lebensgefährlich verletzt und Clément durch die Wachen getötet wurde, die Weitergabe der Krone an Heinrich von Bourbon am folgenden Tag, bevor der König starb, sowie die Verbrennung und Vierteilung des Leichnams von Clément. Zumeist zeigen die frühen Sequenzen Bilder in größerem zeitlichen Abstand. Ein ganzes Leben wird auf einigen Abbildungen wiedergegeben, oder politische, historische oder kriminelle Geschehnisse werden in ihre Hauptmomente zerlegt. Dynamische Bildfolgen, wie wir sie aus Comics kennen, sind selten – aber es gibt sie. So zeigt eine Miniatur (Charlemagne and Paladins in battle against Saracens) in einer Zweibildsequenz, wie Karl der Große einen Gegner köpft. Ein Beispiel einer längeren Bildsequenz ist Francis Barlows A True Narrative of the Horrid Hellish Popish Plot von ca. 1682, zwei anti-katholischen Flugblätter, auf denen vermeintliche heimtückische Anschläge auf England dargestellt werden. Die beiden Teile enthalten jeweils zwölf Panels mit kurzen Bildunterschriften. Viele der Bilder zeigen Spruchbänder, und auch ein komisches Element ist vorhanden, wenn auf einem Panel einem inkompetenten Missetäter der blanke Hintern mit einer Rute versohlt wird und dabei auf einem Spruchband die Schläge mitgezählt werden. Begleitet wird die Bilderzählung durch ein Lied, in dem das Geschehen noch einmal wiedergegeben wird und das wohl der weiteren Verbreitung dienen sollte, denn als Melodie ist die bekannte Broadsheet Ballade Packington’s Pound angegeben. Die angeblichen Anschläge auf England wurden
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von Barlow auch auf Spielkarten dargestellt (siehe Kunzle 1973, 13–135) – sie konnten zu einer ‚korrekten‘ Sequenz geordnet, aber auch, fast schon im Sinne von Umberto Ecos offenem Kunstwerk (51990 [1962], 31 und passim), zu immer neuen Sequenzen zusammengestellt werden. Neben den Flugblättern waren Bänkelsänger als Informationsquelle von Bedeutung, und auch sie benutzen Bilderzählungen der Geschehnisse, von denen sie berichteten, als zusätzlichen Anreiz für das Publikum. Cheesman schreibt dazu: The performance of the ‚news singers‘, ‚bench singers‘ (‚cantabancs‘) and ‚picture singers‘, as they were variously known, constituted the most accessible, mobile and allround popular form of public multi-media spectacle through the period of the early growth of the culture industry […]. (1994, 2)
Die Gründe, aus denen die Alphabetisierung der Bevölkerung zunahm, sind vielfältig. Dazu gehören sicherlich veränderte Anforderungen der Arbeitswelt, die Verbreitung der Bibel in der Volkssprache und die wesentliche Rolle der individuellen Auseinandersetzung mit der Schrift im Protestantismus. Mit der Lesefähigkeit verloren Bilderzählungen als Quelle ernsthafter Information an Bedeutung und es setzte eine Entwicklung ein, durch die Bilder zunehmend Unterhaltungswert bekamen und als humorvolles Beiwerk zum geschriebenen Text erschienen. Kunzle sieht dies im späten achtzehnten Jahrhundert (1973, 1), und er beschreibt, wie sich in der Zeit von 1775 bis 1796 dementsprechend auch die Karikatur zu einem wesentlichen Stilmittel der Bildgeschichten und besonders der visuellen Satire entwickelte (1973, 357 ff.). Das neunzehnte Jahrhundert gilt meist als die Entstehungszeit des Comics. Dabei werden manchmal Rodolphe Töpffers (1799–1846) humoristische Bilderzählungen als Pionierarbeiten angesehen, dann aber auch der enorme Erfolg von Richard Outcaults The Yellow Kid und der Beginn der Wochenendbeilagen in der amerikanischen Presse (siehe z. B. McKinney 2017, 53; Stein und Thon 2015, 5). Damit könnte man sagen, dass die Geburt des Comics quasi mit dem Niedergang der Bildgeschichten als ernstzunehmender Informationsquelle zusammenfällt; es wird mehr als ein halbes Jahrhundert dauern, bis sich Comics – oder eher Underground Comix – in den 1960er Jahren wieder an ein erwachsenes Publikum wenden und dabei Themen aufgreifen, die zwischenzeitlich als unangemessen galten oder nach der Einführung der Comic Code Authority als einer Art freiwillige Selbstkontrolle sogar untersagt worden waren. Damit soll allerdings die Bedeutung der neuen Entwicklungen und besonders auch der künstlerischen Entwicklungen nicht in Frage gestellt werden; die Entstehung des Comics als unterhaltsames Massenmedium in der modernen Konsumgesellschaft erforderte erhebliche narrative und graphische Entwicklungen und führte zu innovativen
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Ausdrucksformen, die früher nicht realisierbar gewesen wären. Sie kündigten sich im Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts in den Erzählungen von Rodolphe Töpffer oder auch Wilhelm Busch sowie in Publikationen wie Punch oder Judy zunehmend an, kamen aber erst zur Jahrhundertwende mit der Entstehung der Comic Strips in den Zeitungsbeilagen voll zum Tragen.
4 Die Entwicklungen des modernen Comics und seiner spezifischen Formen Wie schon erwähnt, weisen die Abbildungen in den frühen Bilderzählungen meist einen deutlichen zeitlichen Abstand auf; in Hogarths A Harlot’s Progress z. B. wird das Leben von Molly Hackabout von Ihrer Ankunft in London bis zu ihrem Tod in nur sechs prägnanten Bildern wiedergegeben. Durch die Produktion der Comics im Wochen- oder sogar Tagesrhythmus und durch die humoristische Ausrichtung treten notwendigerweise neue Erzählformen und Parameter hervor. Dies betrifft vor allem das Verhältnis von Wort und Bild, Sequenzialität und Serialität. Die letztgenannten Aspekte begleiten natürlich auch die Literatur und Literaturwissenschaft und dabei besonders populäre Genres wie den pikaresken Roman oder Fortsetzungsromane und andere serielle Literatur. Aber es lässt sich auch hier gelegentlich ein Spannungsverhältnis von Wort und Bild erkennen – etwa in illustrierten literarischen Texten – und es darf nicht vergessen werden, dass einige Autoren wie Dickens oder Twain mit Illustratoren zusammenarbeiteten und dabei Einfluss auf die Bildgestaltung nahmen. Dabei ist der Übergang im Comic gelegentlich fließend, und in manchen Werken, wie z. B. in Posy Simmonds Gemma Bovery (1999), steht der Text im Vordergrund, so dass die Bilder fast wie Illustrationen wirken. Schon in den frühen Protostrips der Flugschriften waren Wort und Bild verbunden, und Bildgeschichten enthielten, wie erwähnt, gelegentlich Vorläufer der Sprechblasen. Im Comic Strip fanden sich ursprünglich Alternativen – bekannt ist in dieser Hinsicht The Yellow Kid, bei dem anfangs der gesprochene Text auf dem gelben Nachthemd des Protagonisten erschien. Bald entwickelten sich standardisierte Formen, Bild und Text miteinander zu verbinden. Dabei ist zwischen zwei Textsorten zu unterscheiden, den Sprechblasen, in denen der Dialog wiedergegeben ist, und den Blocktexten (captions), die dem Erzähler in literarischen Texten oder dem voice-over im Film entsprechen. Martin Schüwer unterscheidet dabei noch einmal zwischen diegetischer und extradiegetischer Sprache und Schrift (2008, 331). Demnach sind sprachliche Zeichen, die der fiktionalen Welt zugehören – wie z. B. eine Plakataufschrift oder der Schriftzug Daily Planet auf
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dem Zeitungsgebäude, in dem Superman arbeitet – sowohl diegetische Schrift wie auch Sprache; Texte in Sprech- oder Denkblasen und onomatopoetische Schriftzüge sind zwar diegetische Sprache, aber extradiegetische Schrift; die Erzähleräußerungen in den Blocktexten wären sowohl als Schrift wie auch als Sprache extradiegetisch, während es die Verbindung von diegetischer Schrift mit extradiegetischer Sprache aus logischen Gründen nicht geben kann. Dabei kann das Verhältnis zwischen Text und Schrift sehr unterschiedlich ausfallen, von Bildfolgen, in denen bei minimaler Handlung erhebliche Mengen an Dialog oder sogar Monolog enthalten sind – Chester Browns My Mom was a Schizophrenic zeigt auf sechs Seiten eine eher rudimentär gezeichnete und quasi unveränderte Figur, die über die Krankheit der Mutter spricht, sowie die Köpfe bekannter Psychiater mit kurzen Äußerungen über Schizophrenie – bis zu Comics, die auf eine der Textsorten oder auch völlig auf Text verzichten, z. B. Shaun Tans Ein Neues Land (The Arrival). Zudem gibt es ein Spannungsverhältnis zwischen Text und Bild, das von Redundanz bis zu extremem Kontrast reicht. Im ersten Fall illustriert das Bild nur den Text, bzw. der Text beschreibt das Bild, im zweiten Fall kann es schwierig werden, Bild und Text kohärent aufeinander zu beziehen. Der zweite Fall kommt sicher nur selten vor, der erste findet sich ab und zu in Adaptionen literarischer Werke in Comics, wenn der Originaltext möglichst unverändert beibehalten werden soll und mit illustrierenden Bilder verbunden wird (vgl. Vanderbeke 2010, 107–109). Dabei wird die Frage nach der Form der Interaktion von Wort und Bild kontrovers diskutiert, und dem „künstlerischen Ideal“ einer „Verschmelzung von Wort- und Bildkunst“ (Schüwer 2008, 477) stehen komplexere Rezeptionsprozesse gegenüber. Schüwer schreibt dazu: Innerhalb des einzelnen Panels ist der Text nur sequentiell, das Bild primär simultan wahrnehmbar. Gerade deshalb, weil Comics rein optisch wahrgenommen werden und man zu einem gegebenen Zeitpunkt eben jeweils entweder die Schrift liest oder das Bild wahrnimmt, können Sprache und Bild nicht ‚nahtlos‘ integriert werden. (2008, 323)
Es bleibt dabei natürlich fraglich, ob es tatsächlich möglich ist, ein komplexes Bild simultan wahrzunehmen, oder ob man der vorgegebenen Linearität der Schrift nicht eine individuelle Erforschung des Bildes gegenüberstellen sollte. Hillary Chute geht dabei von einer fortlaufenden Wechselwirkung zwischen Sprache und Bild aus: Comics doesn’t blend the visual and the verbal – or use one simply to illustrate the other – but is rather prone to present the two nonsynchronously; a reader of comics not only fills in the gaps between panels but also works with the often disjunctive back-and-forth of reading and looking for meaning. (2008, 452)
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Schüwer schreibt dann schließlich auch von einem integrierenden Prozess, der den Leser als Akteur einbezieht: Wort und Bild entkoppeln, um dann eine neue, komplexere Verbindung zwischen beiden zu schaffen, genauer noch: um den Leser dazu aufzufordern, eine solche Verbindung herzustellen – eben das ist die Methode, durch die Comic-Künstler aus der Interaktion von Wort und Bild das Zeitbild entstehen lassen. (2008, 477)
Zu den wichtigsten Grundprinzipien des Comics gehört, dass die Geschichte in Momentaufnahmen zerlegt wird, zwischen denen die Leser eine Verbindung herstellen müssen. Das heißt auch, dass der größte Teil der Handlung nicht dargestellt ist, zwischen den Einzelbildern im sogenannten gutter verschwindet und erst durch die Lektüre realisiert wird. Scott McCloud bezeichnet dementsprechend den Comic als „The Invisible Art“ – so der Untertitel seines Buches (1994). Die Prämissen der Rezeptionstheorie und das Konzept der Leerstellen, wie es von Wolfgang Iser ausgearbeitet wurde, könnten daher fast als eine Theorie des Comics verstanden werden. In Der Akt des Lesens schreibt Iser: Leerstellen sind als ausgesparte Anschließbarkeit der Textsegmente zugleich die Bedingung ihrer Beziehbarkeit. Als solche indes dürfen sie keinen bestimmten Inhalt haben; denn sie vermögen die geforderte Verbindbarkeit der Textsegmente nur anzuzeigen, nicht aber selbst vorzunehmen. (1994 [1976], 302)
Etwas früher findet sich die Feststellung: Leerstellen indes bezeichnen weniger eine Bestimmungslücke des intentionalen Gegenstands bzw. der schematisierten Ansichten als vielmehr die Besetzbarkeit einer bestimmten Systemstelle im Text durch die Vorstellung des Lesers. Statt einer Komplettierungsnotwendigkeit zeigen sie eine Kombinationsnotwendigkeit an. (Iser 1994 [1976], 284)
Scott McCloud bezeichnet den Prozess, der dabei zum Tragen kommt, als closure und beschreibt ihn als die Fähigkeit, Teile zu sehen, aber dabei das Ganze wahrzunehmen (1994, 63). Dies scheint auf einen Komplettierungsvorgang hinzuweisen, aber das Ganze, das es zu erkennen gilt, ist nicht vorgegeben, sondern entsteht in der Imagination der Leser. Daraus entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen den Möglichkeiten der subjektiven Konstruktion im kognitiven Prozess der Rezeption und der Kohärenz und Stimmigkeit, die durch die vorhandenen Bilder vorgegeben ist und zumindest teilweise Regeln für eine sinnvolle Verbindung vorgibt. Für ein Verständnis der Bildfolge ist es unerlässlich, dass der Rezipient kombinierend die Leerstelle, als das, was zwischen den Szenen nicht gezeigt wird, narrativ begründet ergänzen kann, so dass sich die aufeinander folgenden Szenen als kausal-logischer Prozess verstehen lassen. (Grünewald 2000, 42)
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Man könnte hier von einer sum-over-histories oder einem Pfadintegral sprechen, wie es von Richard Feynman für die Quantenphysik vorgeschlagen wurde. Dort ist der Zustand eines Phänomens unbestimmt, solange keine Beobachtung stattfindet. Zwischen zwei Beobachtungen kann jeder mögliche Zustand auftreten, der von dem einen zum anderen Beobachtungszustand führen kann; ein Partikel kann also jeden möglichen Weg von A nach B nehmen. Dabei heben sich jedoch sehr unwahrscheinliche Pfade in ihrer Wirkung gegenseitig auf, und nur die Pfade, die eher geringfügig von dem klassischen ‚kürzesten Weg‘ abweichen, fallen ins Gewicht. Im Comic sind zwar alle Möglichkeiten, zwei Panels miteinander zu verknüpfen, denkbar, aber durch die Parameter der Geschichte und Erzählweise, des Genres und Stils, sind Vorgaben vorhanden, die nahelegen, dass die imaginativen Konstruktionen der Leser wohl nicht zu radikal voneinander abweichen. Liegen die Panels zeitlich weit auseinander, so ist die Verbindung natürlich nur schwer zu leisten und wird teilweise arbiträr – es ist nicht möglich, genau festzulegen, wie die Entwicklung von Molly Hackabout zwischen den einzelnen Bildern von A Harlot’s Progress verläuft. Rücken die Momentaufnahmen näher aneinander, so ergeben sich schlüssigere oder, im Extremfall wie den einzelnen Aufnahmen eines Films, sogar fast notwendige kausale Abfolgen, die von einem Bild zum anderen führen. Wesentlich bleibt, dass sich die Bilder des Comics erst in der Lektüre und dabei in der Imagination der Leser zu einem kohärenten Handlungsablauf verbinden. Der Comic kann dabei von dem Phänomen Gebrauch machen, das schon von Lessing im Laokoon ausgeführt wurde: Da der Künstler jeweils nur einen Moment darstellen kann, ist es notwendig, dass dieser „fruchtbar genug gewählet werden“ muss (1996b [1766], 25). Wie Lessing an der Laokoon-Skulptur oder Timomachus’ Ajax- und Medea-Gemälden zeigt, kann dabei das Nicht-Dargestellte, aber Imaginierte, einen größeren und nachdrücklicheren Eindruck erwecken und hinterlassen als das visuell Präsente, „und unsere Einbildungskraft gehet weit über alles hinweg, was uns der Maler in diesem schrecklichen Augenblicke zeigen könnte“ (27). Eben dies lässt sich auch für den Comic feststellen, obwohl hier nicht nur ein einzelnes Bild, sondern eine Bilderfolge vorliegt. Die Sequenz, an Hand derer Scott McCloud das Prinzip von closure erläutert, kann als Beispiel herangezogen werden. Auf ein Bild, das zwei Männer zeigt, den einen voll Entsetzen, den anderen mit erhobener Axt, folgt eine Stadtsilhouette mit dem Schrei „EEYAA!!“ (1994, 66). Das eigentliche Geschehen bleibt also ausgespart und der Phantasie der jeweiligen Leser überlassen, die den Mord mehr oder weniger blutig und detailverliebt in ihrem Kopf ablaufen lassen können. Diese Erzählstrategie ist allerdings nicht auf schockierende Sequenzen beschränkt, sondern betrifft auch ganz besonders humoristische Bildfolgen. Wenn also z. B. Käpt’n Haddock
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in Hergés Der Fall B ienlein (L’Affaire Tournesol, 1956) bei einem Unwetter telefoniert, durch das Telefon von einem elektrischen Schlag getroffen wird, und das folgende Panel ihn im Kronleuchter zeigt, so bleibt sehr unklar, wie genau er dorthin gekommen ist, und gerade die Inkongruenz der Handlung wird zum Auslöser des Witzes. Der Comic Strip, wie er seit Ende des neunzehnten Jahrhunderts in den amerikanischen Supplements entstand und trotz vieler Entwicklungen auch weitgehend stabil geblieben ist, muss dabei mehreren Anforderungen genügen. Auch hier wird wieder besonders auf die Aspekte eingegangen, die auch in der Literatur und Literaturwissenschaft eine Rolle spielen, d. h. Narrativität, Figurenkonstruktion, Rezeption und Erwartungshorizonte, Serialität, die Konstruktion von Raum und Zeit sowie die Autorschaft. Der Comic Strip muss zunächst in einer Folge von meist nur drei oder vier Bildern in Tagesausgaben und in acht Bildern in der Wochenendbeilage eine kleine Geschichte erzählen – er gleicht damit der Anekdote oder dem Witz, und wie bei letzterem finden sich im Comic Strip immer wieder ähnliche Situationen, die dann zu neuen, aber doch auch vertrauten Pointen führen. Die humoristische Geschichte im Comic Strip muss dabei einerseits in sich abgeschlossen sein, also zunächst eine für das Verständnis ausreichende Einleitung bieten, andererseits aber einen Anreiz enthalten, auch den nächsten Strip wieder zu lesen und dafür die entsprechende Publikation zu erwerben. Es muss eine Art Spannungsbogen geben, bei witzigen gag-a-day Strips eine Pointe, aber gegebenenfalls auch einen cliffhanger. Und schließlich spielt der Wiedererkennungswert eine wesentliche Rolle, d. h., die Figuren werden in stereotypischer Weise dargestellt, oft in immer derselben Kleidung und in wiederkehrenden Situationen – es ist wohl nicht mehr möglich zu rekonstruieren, wie viele Baseballspiele Charlie Brown in seinem noch sehr jugendlichen Alter schon verloren hat, und er besitzt anscheinend auch nur einen Sweater. Es gibt also zudem ein Spannungsverhältnis zwischen der Wiederholung und der erforderlichen komischen Überraschung, die aber das Erwartungsfeld des Publikums auch nicht verlassen darf. Zu unterscheiden ist dabei zwischen Strips mit jeweils abgeschlossenen episodischen Minierzählungen (series), z. B. Peanuts (Charles M. Schulz), Andy Capp (Reg Smythe), oder Calvin and Hobbes (Bill Watterson), und Fortsetzungsgeschichten (serials) wie Gasoline Alley (Frank O. King), Little Orphan Annie (Harold Gray) oder The Phantom (Lee Falk), wobei der Übergang fließend ist. Episodische Strips weisen dabei innerhalb einer Woche oft thematisch verwandte Erzählungen auf, und Fortsetzungsstrips können in sich abgeschlossene witzige Episoden enthalten. Fortsetzungsstrips lassen sich häufig in einzelne mehr oder weniger abgeschlossene Geschichten unterteilen, die später dann auch in der Form von Comic Books gesammelt und vertrieben wurden. Die Länge der
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Geschichten kann stark variieren; in Popeye (Elzie Segar) z. B. umfassten sie in den 1930er-Jahren zwischen 30 und knapp 200 einzelne Strips (‚Martellocartoon‘). Hier lassen sich, wie schon gesagt, Ähnlichkeiten zum Witz feststellen, dann aber auch zur Kurzgeschichte, zur Novelle und sogar zum Roman, wobei der Comic Strip im Gegensatz zu längeren literarischen Texten sein Publikum immer wieder neu ‚abholen‘ und in das Geschehen einführen muss. Fast grundsätzlich bleiben dabei die Figuren in episodischen Strips wie auch in Fortsetzungsgeschichten und selbst in Strips, die über viele Jahrzehnte produziert wurden oder noch werden, in ihrer Zeit, den jeweiligen Lebensbedingungen und auch in ihrem Alter eingefroren. Hans und Fritz, die Katzenjammer Kids (Rudolph Dirks), treiben seit 1897 im längsten fortlaufenden Strip ihre Streiche, die von Anfang an deutlich an Wilhelm Buschs Max und Moritz angelehnt waren; Little Orphan Annie bleibt immer im vorpubertären Alter, und Andy Capp wird nie unter den gesundheitlichen Folgen seines jahrzehntelangen Alkoholkonsums leiden. Es gibt allerdings auch Ausnahmen. Gasoline Alley startete 1919 und enthielt anfangs kurze Geschichten über Männer, deren Horizont von Autos und ab und zu auch selbstgebrautem Alkohol begrenzt war. Um auch eine weibliche Leserschaft zu erreichen, wurde der Hauptfigur Walt 1921 ein Waisenjunge, Skeezix, vor die Tür gelegt, und seitdem altern die Figuren in Realzeit. Walt hat geheiratet und noch weitere Kinder bekommen, Skeezix war Soldat im Krieg und hat dann eine Familie gegründet, und die Garage, die Walt schon 1919 betrieb, wird inzwischen von der Enkelgeneration weitergeführt. Walt, der 1900 geboren wurde, ist jetzt 117 Jahre alt und nach den letzten Strips zu urteilen immer noch recht rüstig. In Doonesbury (Gary Trudeau), einem satirischen Strip, altern die Figuren eher langsam, dabei ist allerdings die Tagespolitik immer aktuell; der ohnehin eher rudimentäre Handlungsbogen kann dabei immer für witzig-kritische Strips unterbrochen werden, wobei es hilft, dass einige der Figuren journalistisch tätig sind. Die sehr langen Laufzeiten der Comic Strips hatten notwendigerweise die Folge, dass über die Jahrzehnte unterschiedliche Autoren an ihnen arbeiteten. Insgesamt änderte sich der Zeichenstil häufig von den ersten Veröffentlichungen, die oft noch eher krude waren, zu den späteren ausgefeilteren Zeichnungen; bei einem Wechsel der verantwortlichen Autoren können dann ebenfalls neue Entwicklungen in der Gestaltung wie auch in der Handlungsführung auftreten. So blieb Swee’Pea, der Waisenjunge, der von Popeye adoptiert wurde, über lange Zeit ein Kleinkind, bis er 1957 blitzartig um einige Jahre alterte, 1959 jedoch, als Burt Sagendorf den Strip übernahm, wieder ins frühere Krabbelalter zurückfiel, und später noch gelegentlich bei Bedarf das Alter wechseln konnte (Grandinetti 2004, 11). Comic Strips waren anfangs auf Zeitungen beschränkt, erst in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre entstanden die ersten Comic Books – zunächst als Samm-
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lungen früherer Strips, dann aber auch als eigenständige Veröffentlichungen. Die Änderung des Formats hatte wesentliche Auswirkungen auf die Gestaltung der Werke. Zunächst finden sich in Comic Books, die den deutschen ‚Heftchen‘ entsprechen, längere zusammenhängende Geschichten, meist eine oder mehrere in sich abgeschlossene Erzählungen, dann aber auch Fortsetzungsgeschichten, die den Anreiz bilden, auch das nächste Heft zu kaufen. Zudem werden mit der Zeit neue visuelle Potenziale erschlossen. Während Texte normalerweise strikt linear gelesen werden, bedeutet der Seitenwechsel in einem graphischen Werk auch einen neuen Gesamteindruck, obwohl der westliche Comic – im Gegensatz zum Manga – auch von links nach rechts und von oben nach unten gelesen wird. Seitenwechsel können dementsprechend als eine Art visueller Kapitelgrenzen eingesetzt werden, durch die jeweilige Komposition und Farbgestaltung Stimmungswechsel hervorrufen, neue Umgebungen anzeigen und durch starke Reize den Blick auf die neue Seite, das Tableau (Schüwer 2008, 210), steuern, bevor dann nach dem ersten Gesamteindruck die eigentliche Lektüre beginnt. Dies bedeutet natürlich auch, dass die Einführung neuer Elemente dem Seitenaufbau angepasst werden muss – in einem geschriebenen Text können Überraschungen überall ihre Wirkung entfalten, bei einem Comic sollten sie mit dem Umblättern einhergehen, da sie sonst evtl. zu früh wahrgenommen werden. Seiten bzw. Doppelseiten bilden somit häufig eine thematische und visuelle Einheit. Die Erstellung der ersten Comic Strips war – wie das Schreiben literarischer Texte – meist in einer Hand, doch mit der Zeit und bei zunehmender Kommerzialisierung und Industrialisierung des Produktionsprozesses wurden die Werke immer arbeitsteiliger hergestellt. Gab es zunächst den Autor/Zeichner, so wurde später zwischen diesen Funktionen unterschieden, und inzwischen sind die Arbeitsabläufe noch weiter ausdifferenziert in Autor, Penciller, Inker, Farbgestalter und Letterer, wobei jede dieser Aufgaben selbst noch einmal von mehreren Personen übernommen werden kann. Autorschaft ist damit ein problematisches Konzept, und die Werke eines ‚Autors‘ können je nachdem, welche Mitarbeiter gewählt, oder evtl. auch vom Verlag zugewiesen werden, stilistisch sehr unterschiedlich ausfallen. Daneben finden sich immer noch ‚Auteur Comics‘, besonders im Underground Comix der 1960er- und 70er-Jahre und in Independent Comics, die nicht von den großen Verlagshäusern der Comics Industrie produziert und vertrieben werden. Der Erfolg vieler Comicserien und besonders der Superheldencomics führte mit der Zeit zu Problemen der Kontinuität und Serialität. Einerseits bestehen die Serien aus meist eher redundanten Einzelgeschichten, das heißt, die Kämpfe der Helden gegen die Schurken und Superschurken wiederholen sich von Ausgabe zu Ausgabe. Umberto Eco schreibt dazu:
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Superman happens to live in an imaginary universe in which, as opposed to ours, causal chains are not open (A provokes B, B provokes C, C provokes D and so on ad infinitum), but closed (A provokes B, B provokes C, C provokes D and D provokes A), and it no longer makes sense to talk about temporal progression on the basis of which we usually describe the happenings of the macrocosm. (1979 [1962], 115–116)
Analogien dazu finden sich erneut in seriellen Geschichten wie den Abenteuern von Sherlock Holmes oder den Romanen von Karl May, in denen es keine nennenswerte Entwicklung der Figuren gibt und die Abenteuer in fast beliebiger Reihenfolge gelesen werden können. Wir befinden uns hier in einer Art Zeitschleife, in der die Geschichte quasi immer wieder auf Null zurückgesetzt wird, bzw. in einer potenziell unendlich gedehnten Zeit, wie sie Bachtin in seiner Schrift über den Chronotopos schon für den griechischen Abenteuerroman beschreibt: Die Zeit, in deren Verlauf [die Helden] eine unglaubliche Zahl von Abenteuern zu bestehen haben, wird im Roman nicht bemessen und nicht berechnet; dies sind einfach Tage, Nächte, Stunden und Augenblicke, die technisch nur im Rahmen jedes einzelnen Abenteuers gemessen werden. Auf das Alter der Helden wirkt sich diese, was das Abenteuer betrifft, überaus intensive, aber unbestimmte Zeit in keiner Weise aus. (Bachtin 2008 [1975], 13)
Während jedoch im griechischen Roman wie auch in der Heldenreise von Campbells Monomythos (1978 [1949], 237–238 und passim) und auch in vielen späteren episodischen Abenteuererzählungen nach den vielen austauschbaren Abenteuern doch noch ein Abschluss wie die Vereinigung von Liebenden steht, blieb dies im Comic über lange Zeit meist ausgeblendet, da die Serie potenziell unabschließbar ist und für lange Zeit auch die Thematisierung von Sexualität und der Eintritt des Superhelden in eine reife Liebesbeziehung unzulässig waren. Letzteres hat sich in den letzten Jahrzehnten zwar etwas geändert, die Grundtendenz der Zeitkonstruktion blieb dabei jedoch erhalten, und nun verlaufen auch mögliche Liebesbeziehungen teilweise nach dem Muster der episodischen Abenteuer – sie lösen einander ab, ohne dass daraus eine kohärente Entwicklung der Figuren folgt, und können in einzelnen Episoden an- und abgeschaltet werden. So wurde die 1996 geschlossene Ehe zwischen Superman und seiner ewigen Liebe Lois Lane 2011 bei der Neuorganisation der unterschiedlichen Erzählstränge (siehe unten) einfach wieder aufgehoben. Zudem zeigen Comicfiguren, wie auch die Helden serieller Geschichten und Romane, eine Tendenz zur Auferstehung – Sherlock Holmes und Winnetou starben bekanntlich relativ früh in den Serien und wurden dann auf Wunsch des Publikums wiederbelebt, und auch einige Comicfiguren, besonders Superhelden, kamen in ihren Kämpfen ums Leben, nur um später wieder aufzuerstehen. Kausalität und die innere Logik der Geschichten werden dabei suspendiert, bzw. es gehört zur genrespezifischen Konstruktion der fiktionalen
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Wirklichkeit, dass die Kohärenz der Serien den momentanen Anforderungen des kommerziellen Erfolgs nachgeordnet ist. Dies wird auch dadurch begünstigt, dass die Geschichten durch unterschiedliche Autoren weitergesponnen werden: frühere Erzählstränge werden dabei wieder aufgegriffen und in neue Richtungen entwickelt, Biographien ausgeschmückt oder verändert, Figuren neu interpretiert, und besonders die sogenannten origin stories, in denen die Herkunft der Superhelden erklärt wird, werden häufig weiter ausgearbeitet und manchmal maßgeblich verändert. Der Tod von Batmans Eltern z. B. geschah ursprünglich bei einem einfachen Raubüberfall, inzwischen gibt es Fassungen, in denen es sich um einen gezielten Anschlag auf den Vater oder auch die Mutter gehandelt hat oder in denen der junge Bruce Wayne sich am Tod der Eltern mitschuldig fühlt – etwa weil er die Mutter zum Tragen ihres Perlenhalsbandes überredet und somit den Überfall mitbewirkt hat. Im Laufe der Zeit waren die auseinanderdriftenden Erzählstränge nicht mehr miteinander zu vereinen, und es wurden unterschiedliche Paralleluniversen als Schauplätze der heterogenen Geschichten festgelegt. Diese Paralleluniversen können radikal getrennt und damit auch unterschiedlichen ontologischen Ebenen zugeordnet sein, sie können aber auch verknüpfbar sein und es erlauben, dass sich einzelne Figuren mit besonderen Fähigkeiten zwischen ihnen bewegen. In den letzten Jahrzehnten gab es mehrere Versuche, der Verwirrung, die durch das ausufernde Multiversum hervorgerufen wurde, Herr zu werden und wieder eine geordnete Kontinuität herzustellen – in der Reihe Crisis on Infinite Earths (DC, 1985–1986) oder bei dem Neustart fast aller DC Comicserien unter dem Titel The New 52 (seit 2011). Aber die Vielzahl in sich abgeschlossener Geschichten, die inzwischen als Miniserien oder Graphic Novels produziert werden, führt zu Widersprüchen und Diskontinuitäten, und es steht zu erwarten, dass die Zentrifugalkräfte der Erzählungen auch künftig zu auseinanderdriftenden Handlungssträngen führen. Damit gewinnen die Autoren an erzählerischem Potenzial, und die Figuren können – natürlich nur mit Zustimmung des Verlags – quasi frei interpretiert werden. Gleichzeitig verlieren sie in dieser extremen Form von „Interfiguralität“ (Müller 1991) an Kohärenz und werden unbestimmbar. Batman kann als dunkler Vigilant erscheinen, als humorvoller Detektiv, als traumatisiertes Opfer, als psychotisches Spiegelbild seiner Gegner, und in einer Geschichte wird er sogar in der Urszene ermordet, worauf sein Vater zu Batman wird, während seine traumatisierte Mutter dem Wahnsinn verfällt und die Rolle des Jokers übernimmt (The World of Flashpoint Featuring Batman, 2011). Die Figuren entwickeln sich damit zu freien oder leeren Metaphern; sie werden ausgehöhlt, und indem sie alles bedeuten können, bedeuten sie letztlich nichts mehr. Ähnliche Phänomene finden sich in der Genreliteratur und speziell in seriellen Romanen. In der arthurischen Literatur vom Mittelalter bis in die Gegenwart werden Figuren wie Gawain oder Lan-
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celot immer neu und auch widersprüchlich interpretiert, ähnlich verhält es sich in der Populärliteratur mit Protagonisten wie Sherlock Holmes, und selbst Elizabeth Bennett hat durch die vielen Neubearbeitungen, u. a. Pride and Prejudice and Zombies oder The Lizzie Bennett Diaries, einen beträchtlichen Teil ihrer inneren Kohärenz verloren. In der Literatur handelt es sich dabei eher um Ausnahmen, im Comic findet sich eine solche Pluralität einzelner Figuren und die damit einhergehende Unbestimmtheit wesentlich häufiger und auch in kürzeren Zeiträumen, so dass sich die Entwicklung des Phänomens hier genauer verfolgen lässt. Wie wohl jedes Medium benutzt der Comic unterschiedliche Codes und eine visuelle Semiotik, die sich über die Zeit herausgebildet haben, immer wieder Entwicklungen und Ergänzungen unterliegen, und die erlernt und erkannt werden müssen, will man die Geschichte in allen Facetten verstehen. Dazu gehört z. B. die Verwendung unterschiedlicher Schrifttypen, um Fremdsprachlichkeit oder auch emotionale Zustände auszudrücken. Durch die Größe der Schrift oder Fettdruck kann Lautstärke signalisiert werden, und bestimmte Sonderzeichen oder graphische Elemente wie Totenköpfe oder Fäuste in den Sprechblasen werden als unspezifische Flüche gelesen, was innerhalb eines Mediums, das sich auf Kinder als Publikum auszurichten hatte und von der Comic Code Authority kontrolliert wurde, durchaus von Bedeutung war. Zudem haben sich unterschiedliche Techniken und Merkmale herausgebildet, durch die Dynamik erzeugt werden soll. Dazu gehören Bewegungslinien, die Darstellung unterschiedlicher Bewegungsstadien in einem Panel, das Verschwimmen des Hintergrunds oder die Verbindung von Ursache und Wirkung in einem Bild, wenn z. B. nicht nur der Aufprall eines Autos auf eine Wand gezeigt wird, sondern auch schon die herumfliegenden Backsteine und Trümmer (Schüwer 2018, 64–82). Die letztgenannten graphischen Elemente verleihen dem Comic auch eine zeitliche Tiefe. Grundsätzlich besteht der Comic aus Panels, von denen das vorliegende die Gegenwart anzeigt, das vorhergehende die Vergangenheit und das folgende die Zukunft. Dabei verschwindet die meiste Zeit im gutter, dem Raum zwischen den Bildern, die eigentlich jeweils nur eine Momentaufnahme wiedergeben können. Auch wenn jedoch ein Bild nur einen winzigen Moment erfassen kann, so kann im Comic auf unterschiedliche Weise der Eindruck von Dauer hervorgerufen werden. Neben den genannten Signalen, die Bewegung kennzeichnen, geschieht das besonders durch die Dialoge. Schon die Zeit, die benötig wird, wenige Worte zu sprechen, überschreitet den Zeitrahmen eines Bildes erheblich, und in Comicpanels finden gelegentlich ausgedehnte Gespräche zwischen mehreren Personen statt, die letztlich mehrere Minuten in Anspruch nehmen können. Da die Sprechblasen dabei auch von links nach rechts gelesen werden, kann innerhalb eines Panels eine kleine Geschichte erzählt werden, die alternativ auch auf mehrere Bilder verteilt werden könnte. Zudem erwecken größere oder breitere
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Panels den Eindruck einer längeren Zeitdauer, die Wiederholung gleicher Bilder weist auf das Verstreichen von Zeit hin, und wie schon in einigen der frühen Bildgeschichten können Figuren auch an mehreren Stellen in einem Bild erscheinen und damit den Ablauf von Bewegungen im Raum und in der Zeit signalisieren (McCloud 1994, 95–103). In geschriebenen Texten kann die Zeit relativ einfach ‚eingefroren‘ werden, z. B. für detaillierte Raumbeschreibungen oder um einen momentan vorliegenden psychologischen Zustand genau zu erfassen. Im Film ist das quasi kaum oder nur mit dem Einsatz sehr artifizieller Techniken möglich. Auch im Comic ist eine solche Stillstellung der Zeit eher ungewöhnlich, aber doch durchaus machbar, etwa durch Zoom auf Details oder die Wiederholung von Panels unter Beibehaltung identischer Bewegungssignale. Bei einem visuellen Medium spielt die Raumgestaltung natürlich eine wesentliche Rolle. Wie im Film, so gibt es auch im Comic keine vollständige Totale. Ganz gleich wie groß das gewählte Szenarium ist, es handelt sich immer um einen Bildausschnitt, der von dem Bildrahmen, den Bildrändern oder auch bei den so genannten splash panels von den Rändern der Seite oder Doppelseite begrenzt ist. Jeder Übergang von einem Panel zum nächsten bedeutet dabei nicht nur einen Zeitsprung, sondern auch eine neue Einstellung und Perspektive. Der Raum wird also aus immer neuen Richtungen konstruiert und dabei häufig fragmentiert. Es gibt aber auch diverse Fälle, in denen der Raum durch das Gitter der Panels zerteilt wird. Ein besonders schönes Beispiel ist die Sonntagsbeilage von Gasoline Alley vom 24. August 1930, auf der ein Strand in zwölf Panels unterteilt ist, wobei Walt in jedem Panel erscheint, wie er sich tollpatschig im Zickzack auf das Wasser zu bewegt und dort schließlich auf dem Rücken treibt. In Paul Karasiks und David Mazzucchellis Adaption von Paul Austers City of Glass erscheint auf einer Seite das Gitter einer Gefängnistür als das Gitter der Bildrahmen. Während die Tiefenschärfe im Film eine wesentliche Rolle dabei spielt, den Blick und die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu steuern, hat der Comic die Freiheit, dies zu simulieren oder auch eine quasi unendliche Tiefenschärfe herzustellen. Dabei ist es möglich, im Vordergrund und Hintergrund unterschiedliche Geschichten gleichzeitig ablaufen zu lassen, was z. B. in Alan Moores und Dave Gibbons’ Watchmen gelegentlich genutzt wird. Gleichzeitig hat der Comic wie die Literatur die Möglichkeit, Räume ungestaltet zu belassen, und quasi realistischen Raumkonstruktionen stehen verschiedene alternative Möglichkeiten gegenüber. Hier gibt es Analogien zum Theater, und wie beim Bühnenbild kann der Comic Räume sehr detailliert und realistisch ausführen, abstrakt gestalten oder auch völlig frei belassen. Akribisch gezeichneten Räumen und gelegentlich fast barock überladenen Panels stehen Zeichnungen gegenüber, in denen der Hintergrund die Gefühlslagen und psychischen Zustände der Figuren externalisiert und durch Farben oder abstrakte Formen ausdrückt. Häufig findet sich allerdings auch
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einfach weiße oder schwarze Flächen, auf denen dann auch die Figuren oft nur als grob gezeichnete Skizzen erscheinen. Bei dem letztgenannten Punkt spielt es auch eine Rolle, dass im Comic – im Gegensatz zum Film – die Hauptfigur visuell oft am wenigsten detailliert ausgeführt ist. Das Gesicht von Charlie Brown ist kaum mehr als ein Smiley, und Tintin ist so flach und ikonisch gezeichnet, dass es bei dem ersten Versuch einer Verfilmung (Tintin et les oranges bleues, 1964) unmöglich war, dies adäquat durch einen realen Schauspieler einzufangen – bei der neuen Adaption von 2011 wurden dafür Computeranimationsverfahren eingesetzt. Wie McCloud darlegt (1994, 42–43), ist die ikonische Darstellung ein stilistisches Mittel, das Identifikation begünstigt, und so bewegen sich im Comic gelegentlich relativ einfach und stereotyp ausgeführte Hauptfiguren durch eine detailliert dargestellte Welt und interagieren mit Figuren, die viel genauer gezeichnet sind. Bei der Figurenkonstruktion können darüber hinaus natürlich die unterschiedlichsten graphischen Möglichkeiten genutzt und auch die Rahmen eingesetzt werden – in Frank Millers The Dark Knight Returns z. B. wird das Lächeln des Jokers auf zwei Panels zerteilt, was seine Psychose visuell kenntlich macht. In Alison Bechdels autobiographischem Fun Home teilt der gutter die Erzählerin, als sie vor ihrem aufgebahrten Vater steht, in zwei Panels auf, was ihr ambivalentes Verhältnis zu dem Verstorbenen sehr klar zum Ausdruck bringt. Derartige graphische Mittel dienen dazu, psychologische Zustände visuell zu vermitteln und damit auch genrespezifische Möglichkeiten zu entwickeln, die als Alternative zu den autodiegetischen Erzählformen und Fokalisierungen literarischer Texte eingesetzt werden können. Film und Comic sind eigentlich für Ich-Erzählungen weniger geeignet als die Literatur, schon weil die subjektive Perspektive hier nicht strikt eingehalten werden kann. Paul Ferstl schreibt über die Probleme bei der Adaption von Ich-Erzählungen an das Comicformat: [A] text narrated in the first person is inevitably drawn towards a third person point of view in the adaptation […]. This is due to the almost unavoidable graphic depiction of protagonists referred to as „I“, which widens the gap between reader and narrator and makes identification and the classical perception through the eyes of the first person narrator more difficult. (Ferstl 2010, 62)
Eine Erzählerstimme findet sich zwar, wie schon oben ausgeführt, in den Blocktexten oder captions, das Bild aber entspricht fast grundsätzlich der externen Perspektive einer heterodiegetischen oder zumindest nicht autodiegetischen Erzählinstanz. Gleichzeitig werden jedoch durch die genannten Verfremdungen und graphischen Mittel subjektive Wahrnehmungen oder psychologische Phänomene vermittelt. Schüwer schreibt dazu: „Durch Erzählerstimmen wird in Comics, nicht anders als in schriftlicher Literatur, Fokalisierung gestaltet. Weil aber auch visuell
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fokalisiert wird, können in diesem Medium damit verschiedene Fokalisierungsinstanzen simultan eingesetzt werden.“ (2008, 410). Die Sternchen, die den Kopf eines Betrunkenen umkreisen oder nach einer Prügelei auftauchen, mögen eher einfachen visuellen Codes folgen, sie erlauben es aber, interne Zustände mit den Mittel des Comics darzustellen, und stehen dabei am unteren Ende einer Skala, an deren anderem Ende graphisch komplexe Bilder dem Leser erhebliche visuelle Kompetenzen abverlangen. Dabei wird deutlich, dass der Comic nicht anstrebt, Wirklichkeit abzubilden, sondern eine konstruierte oder gegebenenfalls auch subjektiv wahrgenommene Wirklichkeit vermittelt und damit interne Fokalisierung hervorbringen kann (Schüwer 2008, 434). Gleichzeitig lässt sich in dem Verhältnis von Blocktext und Bild auch die Spannung und zeitliche Distanz zwischen dem erzählenden und erlebenden Ich feststellen, die auch aus der Literatur bekannt ist (Schüwer 2008, 425). All diese Phänomene finden sich in Comics jeder Couleur, sie treten aber besonders in neueren Werken in den Vordergrund, die sich selbstreflexiv mit den Möglichkeiten des Mediums auseinandersetzen.
5 Underground Comix, Graphic Novels und Comics Journalismus: Die Comics werden erwachsen Wie schon oben erwähnt, wurde nach einigen heftigen Angriffen auf den Comic, besonders durch den Psychiater Fredric Wertham und eine Senatsanhörung zur Jugendkriminalität, als Mittel zur freiwilligen Selbstkontrolle 1954 der Comic Code eingesetzt. Um die Bewilligung und den Stempel der Comic Code Authority zu erlangen, mussten Comics für Kinder und Jugendliche geeignet sein – nach den moralischen und politischen Standards, die im Amerika der 1950er-Jahre vorherrschten. Comics wurden dadurch per Definition zu einem Medium der Kinder- und Jugendliteratur erklärt, und die Verlage mussten sich diesem Diktat unterwerfen, wenn sie ihre Produkte über die üblichen Distributionswege vertreiben wollten. In den 1960er-Jahren allerdings entstand im Kontext der politischen Gegenkultur mit den sogenannten Underground Comix eine grundsätzlich neue Form der Comics, die anfangs zumeist im Selbstverlag erschienen und auch privat vertrieben wurden. Dabei wurden Themen wie Sexualität, Politik, aber auch Drogenerfahrungen angesprochen; diese Comics richteten sich also vornehmlich an ein erwachsenes Publikum. Richard Kyle schrieb 1964 in seiner Kolumne Richard Kyle's Wonderworld (oft zitiert als The Future of the Comics) in der er auch den Begriff der graphic novel prägte:
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Today, there are signs the „comic book“ is, finally and permanently, about to burst out of its lonely isolation as a trivial form of sub-literature for retarded children like ourselves and take its place in the literary spectrum, between the extremes of the wholly symbolic and the wholly real. (Kyle 1964, 4)
1973 stellte David Kunzle dann fest: „The contemporary American strip has, in a sense, reverted to source; being only partially comic, its appeal has widened, and in ideological content it has resumed somewhat its original role of providing people with moral and political propaganda.“ (1). Zu den wesentlichen Veränderungen gehörte, dass nun auch Frauen in das bisher fast ausschließlich männliche Medium vorstießen und dabei in ihren Werken und eigenen Anthologien auch feministische Themen im Format des Comics diskutierten. Die Underground Comix und die späteren ‚Alternative‘ oder ‚Independent‘ Comics waren nicht den traditionellen Formaten der Comic Books unterworfen. Durch die neuen Käuferschichten änderte sich auch das Verhältnis zu den Comics – waren sie ursprünglich billige Produkte einer Verbrauchsliteratur, die wie Zeitschriften vertrieben wurden, so erhielten sie nun mit der Zeit den Status künstlerischer Werke; sie wurden ab Mitte der 1970er-Jahre und dann zunehmend in den 1980er-Jahren in speziellen Comics Book Stores verkauft, die sich an Fans und Sammler wandten, „readers and collectors for whom comic books were more than a casual interest“ (Nyberg 2017, 29). Damit wurde es auch möglich, ausgedehnte Erzählungen im Comicformat zu vermitteln, und umfangreiche Erzählungen wurden – als Graphic Novels vertrieben – zu einer wesentlichen Gattung der Comics. Heute wird die Entstehung der Graphic Novel oft mit dem Erscheinen von Will Eisner’s A Contract With God and Other Tenement Stories (1978) verbunden, aber dies ist aus mehreren Gründen nicht ganz korrekt. Zum einen gab es schon früher längere Comicgeschichten, die sich an Erwachsene richteten – allerdings handelte es sich dabei um Ausnahmen, die von der Themenwahl her eher sensationalistisch waren, z. B. It Rhymes With Lust (1950), eine ‚picture novel‘ von Arnold Drake, Leslie Waller, Matt Baker und Ray Osrin, in der eine femme fatale mit ihren beträchtlichen Reizen und kriminellen Methoden eine Minenstadt zu übernehmen versucht. Zudem wurde der Begriff der Graphic Novel schon 1964 von Richard Kyle eingeführt (siehe oben) – er erhielt durch Eisner nur eine größere Bekanntheit und Popularität. Und schließlich ist A Contract With God and Other Tenement Stories, wie es schon der Titel ausweist, kein Roman, sondern eher eine Sammlung von vier Kurzgeschichten, die alle in der Bronx angesiedelt sind – Eisners Buch wäre so mit James Joyce’s Dubliners vergleichbar, da auch hier der Handlungsort quasi die Rolle einer Hauptfigur spielt. Der Begriff der Graphic Novel ist dabei nicht unumstritten, und er wurde verschiedentlich als rein kommerzieller Trick verstanden, neue Käuferschichten zu
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erschließen und dem verrufenen Medium der Trivialkultur eine neue Respektabilität zu verleihen. Die Entwicklung lässt sich allerdings auch im Kontext der sogenannten canon wars verorten, in denen nicht nur ehemals marginalisierten Literaturen die gebotene Aufmerksamkeit und Achtung verschafft werden sollte, sondern auch die strikte Trennung zwischen kanonisierter Literatur und populären Genres in Frage gestellt wurde. Dabei ist die oft verwendete Formulierung ‚Comics und Graphic Novels‘ fragwürdig, denn es handelt sich bei Graphic Novels um eine Untergattung des Comics. Zudem ist der Begriff irreführend. Chute weist darauf hin, dass darunter auch nicht-fiktionale Werke subsumiert werden, z. B. Autobiographien, Geschichtstexte oder Journalismus in Comic-Format, und sie schlägt daher die Bezeichnung graphic narrative für diese Werke vor: „In graphic narrative, the substantial length implied by novel remains intact, but the term shifts to accommodate modes other than fiction. A graphic narrative is a booklength work in the medium of comics.“ (Chute 2008, 435). Auch diese Bezeichnung ist jedoch problematisch, da narrative eben nicht auf eine spezifische Länge verweist und auch kurze Comic Strips als narratives erfasst werden können. Die Erzählungen in A Contract with God and Other Tenement Stories sind trotz der offenkundigen Fiktionalität auch autobiographisch gefärbt, sie beschäftigen sich mit dem jüdisch-amerikanischen Leben in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Verbindung von Fiktionalität – häufig auch visueller Fantastik – mit biographischem oder autobiographischem Schreiben war schon im Underground Comix und den Alternative Comics vorhanden und bleibt in den Comics, die inzwischen zum Bereich Life Writing gezählt werden, sowie im Comics Journalismus, ein wesentliches Element. Im Gegensatz zur Fotografie, die lange als authentische Wiedergabe der Wirklichkeit galt, ist jede Zeichnung per Definition eine Verfremdung der Realität, und der Comic eignet sich damit besonders dafür, die kritischen Aspekte, die durch die sogenannte Krise der Repräsentation zum Tragen kamen, zu reflektieren (Chute 2008, 462). Hier wird der Versuch einer neutralen Objektivität verworfen, und subjektive Erfahrungen, Gefühle oder Stimmungen werden durch visuelle Gestaltung oder sich immer weiter entwickelnde graphische Codes umgesetzt. Dies gilt für die vermutlich berühmteste Graphic Novel, Art Spiegelmans Maus (1980–1991), ebenso wie für Joe Saccos journalistische Werke, z. B. Palestine (1993–1995), oder Alan Moores und Bill Sienkiewiczs Brought to Light – Shadowplay: The Secret Team (1989), einer Geschichte der CIA, erzählt von einem betrunkenen und zynischen Adler, dem Wappentier der USA. Nicht-fiktionale Graphic Narratives überschneiden sich damit teilweise in ihrer theoretischen Ausrichtung und Methodik mit dem New Journalism, der in den 1960er-Jahren in Amerika entstand und in dem die ideologischen Prämissen einer völlig neutralen journalistischen Position gleichermaßen unterlaufen wurden. Ähnliches gilt dann auch für die Annahmen einer objektiven Geschichtsschrei-
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bung, die im New Historicism in Frage gestellt wurden. Auch Graphic Novels haben in den letzten Jahrzehnten häufig historische Themen aufgegriffen, z. B. in Kyle Bakers Nat Turner (2008), in Frank Millers 300 (1998) oder in Kieron Gillens and Ryan Kellys Kritik an Millers Heroisierung Spartas in Three (2013–2014). Nichtfiktionale Comics und Graphic Novels bewegen sich dabei ebenso wie fiktionale Comics auf einer Skala, die von verhältnismäßig realistischen und gelegentlich fast fotorealistischen Zeichnungen und Bildern bis zu radikalen Abstraktionen reicht. Dabei gibt es eine weitgehende Tendenz zu verfremdenden Elementen, die einerseits die vorgebliche Authentizität der Fotografie in Frage stellen und andererseits eben durch die Abweichung von der Perfektion computergenerierter Bilder eine Aura des Unvollkommenen hervorbringen. Da durch das neue Format der Graphic Novel und die neuen Vertriebswege neue und auch zahlungskräftige Käuferschichten erreicht und zudem die Restriktionen der Comic Code Authority, die auf das bestehende Comic Book Format beschränkt waren, umgangen werden konnten, folgten die Großverlage bald den neuen Möglichkeiten, und es entstanden auch in traditionellen Genres wie den Superheldencomics in sich geschlossene, längere Geschichten. Dies fiel mit einer weiteren Entwicklung zusammen: DC und Marvel holten zu Beginn der 1980erJahre gezielt britische Autoren und Zeichner nach Amerika, darunter Brian Bolland, Alan Moore, Neil Gaiman und Grant Morrison, und diese British Invasion führte in umfangreichen Werken wie Watchmen (Alan Moore und Dave Gibbons, 1986–1987) oder The Sandman (Neil Gaiman et al., 1989–1996) zu einer grundlegenden Neuorientierung des Superhelden, wobei auch Frank Millers The Dark Knight Returns (1986) wesentlich beteiligt war. Diese Comics sind ernsthafter, düsterer, und auch selbstreflexiver als man es von dem Genre gewohnt war. Sie richten sich an ein erwachsenes Publikum – für Kinder oder jüngere Jugendliche sind sie weder thematisch noch graphisch geeignet – das über einen hohen Grad an visueller und literarischer Kompetenz verfügt und einer kritischen und metafiktionalen Auseinandersetzung mit den Genrekonventionen und -parametern auf vergleichsweise hohem Niveau folgen kann. Sie sind narrativ wie graphisch wesentlich komplexer als traditionelle Comics und weisen eine teilweise erhebliche Intra- und Intertextualität auf. In Watchmen ist es z. B. erforderlich, Handlungssplitter und graphische Details über Hunderte von Seiten im Gedächtnis zu behalten und miteinander zu verknüpfen. Der Text enthält dabei unzählige Verweise auf andere Comics und die Geschichte des Mediums, aber auch auf die amerikanische Kultur und Politik seit den 1930erJahren; The Sandman erstreckt sich über zehn Bände – inzwischen gibt es noch mehrere Spin-Offs – und verbindet dabei narrative und visuelle Elemente aus quasi allen Mythologien mit Motiven und Elementen aus unterschiedlichsten literarischen oder künstlerischen Werken der Hoch- und Populärkultur zu einem äußerst
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dichten und trotzdem unterhaltsamen Geflecht aus Erzählsträngen, die sich quasi zu einem Epos zusammenfügen. Folgt man Ezra Pounds Diktum „Great literature is simply language charged with meaning to the utmost possible degree“ (1968, 23), so kann man diesen Comics den Status großer Kunstwerke kaum absprechen. Die meisten solcher Graphic Novels erscheinen zunächst als Reihen im Comic Book Format, die fortlaufend eine abgeschlossene Geschichte erzählen und später als Gesamtausgaben vertrieben werden, gelegentlich auch mehrfach – von Neil Gaiman’s The Sandman gibt es inzwischen die ursprüngliche Gesamtausgabe in zehn Bänden, eine ‚New Edition‘, eine Slipcase Edition, eine Deluxe Ausgabe, zudem Absolute Sandman in vier Bänden und sogar eine ebenfalls vierbändige Annotated Edition. Durch die erste Veröffentlichung der einzelnen Teile als fortlaufende Reihe ergeben sich z. T. wieder die Anforderungen, die von Fortsetzungsromanen oder auch von TV-Serien bekannt sind. Allerdings unterscheidet sich das Publikum hier von Magazinlesern oder Fernsehzuschauern; die Fans oder Sammler sind kaum Späteinsteiger, sondern eher kontinuierliche Leser – und der größte Leserkreis wird ohnehin durch die Gesamtausgaben erreicht. Neben den genannten Veränderungen, die der Comic in den letzten Jahrzehnten durchlaufen hat, gab es auch noch einige Entwicklungen, die durch das Internet, den Einsatz digitaler Mittel sowie auch neue Vermarktungsstrategien gefördert wurden. Dazu gehört das Phänomen, das Christoph Bode als „future narratives“ bezeichnet: „[T]hese narratives preserve and contain what can be regarded as defining features of future time, namely that it is yet undecided, open, and multiple, and that it has not yet crystallized into actuality.“ (Bode 2013, 1). Jorge Luis Borges hat in seiner Geschichte Der Garten der Pfade, die sich verzweigen das Konzept eines Romans entworfen, der nicht nur eine Abfolge von Geschehnissen erzählt, sondern alle nur möglichen Entwicklungen parallel verfolgt, und alles was geschehen kann, geschieht auch in einem der vielfältigen Erzählstränge. In den 1970er- bis 1990er-Jahren wurde dies ansatzweise in einer Serie von Kinderbüchern umgesetzt, den sogenannten Choose Your Own Adventure Books, in denen den Lesern nach jeweils ein paar Seiten Lektüre Optionen angeboten wurden, die dann zu unterschiedlichen Fortsetzungen führten. Wie Sebastian Domsch in seinem Artikel zu diesem Band ausführt, ist dies auch die Grundlage von interaktiven Videospielen, in denen die Entscheidungen der Spieler Konsequenzen für die Handlung haben und sie in unterschiedliche Szenarien führen. Jeder Moment wird potenziell zu einem Jonbar-Punkt – benannt nach der SF-Story The Legion of Time von Jack Williamson, in der das Leben eines John Barr in der Zukunft durch die minimale Entscheidung einer Figur in der Gegenwart eine vollständig andere Richtung nimmt –, an dem sich die Geschichte gabeln kann, sodass die programmierte Geschichte des Spiels potenziell alle möglichen Abläufe enthalten muss. Das Prinzip findet sich auch in Comics und besonders in digitalen Comics (siehe
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dazu Meifert-Menhard 2013a, passim), da es hier nicht notwendig ist, vorwärts oder rückwärts zu blättern, sondern die Handlung nur durch das Anklicken der jeweiligen Option in die gewählte Bahn gelenkt wird. Meifert-Menhard schreibt allgemein zu digitalem Erzählen: Electronic narratives generally depend on the active participation of the reader in the sense that they cannot be read unless the reader engages with the link-and-node structure by typing commands or clicking her way through the text. Combinational engagement is therefore an integral part of the experience of digital storytelling. (Meifert-Menhard 2013b, 134–135)
Dabei können die möglichen ‚Zukünfte‘ vollkommen getrennt verlaufen oder zu einem späteren Zeitpunkt wieder zusammengeführt werden – und selbstverständlich gibt es auch sehr kurze Handlungsfolgen, in denen die Entscheidungen zügig zum Tod der Figur oder einem anderen Spielende führen. Damit verwischen sich die Grenzen zwischen Lektüre und Spiel. Es können aber auch, wie im Roman House of Leaves von Mark Z. Danielewski, labyrinthische Strukturen oder eine Art literarischer Irrgarten entstehen, in dem die Entscheidung des Lesers, einer Fußnote oder einem Verweis zu folgen oder auch nicht zu folgen, die Lektüre in unterschiedliche Bahnen lenkt. Diese Entscheidungsmöglichkeiten stellen eine Weiterentwicklung der literarischen Strategien offener Kunstwerke dar (vgl. Eco 61993 [1962]), bei denen die üblicherweise vorgegebene Kontinuität von literarischen Texten oder auch musikalischen Kompositionen aufgehoben wird. Die Abfolge der einzelnen Segmente bleibt damit den Rezipienten überlassen – in Julio Cortázars Rayuela können die Kapitel in unterschiedlicher Folge gelesen werden, in B. S. Johnsons The Unfortunates sind sie gar nicht mehr zusammengeheftet, und eine Reihung ist damit völlig aufgehoben. Es wurde schon oben darauf hingewiesen, dass dieses Phänomen sehr früh in dem Kartenspiel von Francis Barlow erkennbar war, im neueren Comic findet es sich vor allem in Chris Wares Building Stories, das aus 14 frei kombinierbaren Teilen besteht. Als letzte Variante interaktiver Rezeption soll hier auf die vielfältigen Formen des Fandoms verwiesen werden, die quasi zu einem integralen Bestandteil der Netzkultur geworden sind. Blogs, Vlogs, Fan-Fiction, Cosplay oder auch Fan-Conventions gehören inzwischen zu den Begleiterscheinungen populärer Medien, wozu nicht nur die ehemals verpönte Trivialkultur zählt, sondern auch kanonisierte Literatur wie die Werke von Jane Austen. Derartige Formen des Leserengagements übersteigen bei weitem die Phänomene, die in der Rezeptionstheorie als aktive Leserbeteiligung konstatiert wurden, und haben nicht nur völlig neue Möglichkeiten für den Zugang zu Kunst und Literatur im weitesten Sinne hervorgebracht, sondern auch Kaskaden von derivativen Werken unterschiedlichster Couleur und
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Qualität – von den Lizzie Bennet Diaries über Mashups bis zu selbstgezeichneten Comics oder Rollenspielen. Dabei werden auch Genregrenzen überschritten oder die entsprechenden Werke in einem neuen Medium weitergeführt, und Bewegungen zwischen Literatur, Videoclip und Comic sind nicht ungewöhnlich. Damit ist auch ein weiteres wesentliches Phänomen angesprochen, das mit der Fankultur Hand in Hand geht, diese aber auch kommerziell nutzbar macht und steuert. Die unterschiedlichen Medien – Buch, Film, Comic, Videospiel, Clip und andere digitale Formate – werden zunehmend miteinander kombiniert und in umfassenden Marketingstrategien ineinander überführt. An die Stelle von Adaptionen treten dabei Produkte, die parallel, aber doch in gegenseitiger Abhängigkeit entstehen und dabei eine neue Art von ‚Gesamtkunstwerken‘ bilden. So wird Neil Gaimans American Gods inzwischen als Roman, TV-Serie, und Comic vertrieben, The Walking Dead als Comic, TV-Serie und Videospiel, und diverse Superhelden haben sich auch schon in Romanen wiedergefunden – so z. B. Batman in Andrew Vachss’ The Ultimate Evil, und auch Hellboy war ein Comic, bevor er von Guillermo del Toro verfilmt und dann von Yvonne Navarro als Roman umgeschrieben wurde. Die schon lange praktizierte ‚Buch zum Film‘-Vermarktung gewinnt eine neue Facette, wenn zunehmend Comics die Grundlage für kommerziell erfolgreiche Filme liefern. Dies hat Einfluss auf die Produktion, und wenn manche Romane schon früher mit Blick auf eine künftige Verfilmung geschrieben wurden, so hat dies im multimedialen Raum völlig neues Gewicht erhalten. Schon seit den 1960erJahren wurden in Romanen Elemente verarbeitet, die sich an die Strukturen und Motive von Comics anlehnten – auch in Romanen wie Thomas Pynchons Gravity’s Rainbow (Winston 1984), die kaum dem Verdacht unterliegen, einer Trivialkultur zuzugehören. Zudem gibt es eine ganze Reihe bekannter und erfolgreicher Autoren, die sowohl Comics als auch Romane schreiben – z. B. Neil Gaiman und Alan Moore, auch China Miéville hat einen Comic veröffentlicht – und die Arbeit in unterschiedlichen Medien hat deutlichen Einfluss auf die jeweiligen Werke. Selbstverständlich haben sich diese Entwicklungen auch in der akademischen Auseinandersetzung niedergeschlagen, und wenn auch viele Literaturwissenschaftler die ‚Niederungen der Populärkultur‘ mit einigem Bedenken oder Missfallen betrachten, so finden sich doch auch zunehmend Untersuchungen zu diesen neueren transmedialen Tendenzen (siehe z. B. Thon 2015). Im Verlauf der letzten Jahrzehnte hat sich, auch ausgelöst durch die genannten Entwicklungen, die Sicht auf den Comic grundlegend geändert. Während die früheren Formen und Formate wie Comic Strips in Zeitungen und Comic Books für Kinder selbstverständlich weiterbestehen, haben die Comics für Erwachsene zu einer weitgehenden Anerkennung des Mediums geführt. Comics werden jetzt in den Feuilletons besprochen, es gibt Ausstellungen in bekannten Museen und ver-
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schiedene Graphic Novels wurden mit hochrangigen Preisen ausgezeichnet und in den Literaturkanon aufgenommen – Watchmen steht z. B. auf der New-YorkTimes-Liste der hundert wichtigsten Bücher des letzten Jahrhunderts.
6 Comic Studies Zu den häufig zitierten Äußerungen zum Stand der Comicforschung in Deutschland gehört Ole Frahms Diktum von 2002: „Eine Comicwissenschaft existiert nicht.“ (201). Dieser Aussage wird meist relativierend zugestimmt. Schüwer z. B. spricht vorsichtig positiver von einer „Keimform“, da es noch keine „voll ausgeformte wissenschaftliche Disziplin mit allgemein anerkannten und zumindest als Bezugspunkte der Diskussion voraussetzbaren Modellen und Methoden mit Institutionen und mit einer universitären Basis“ gäbe (2008, 12), und Daniel Stein schließt sich noch 2012 dieser Einschätzung an. Demgegenüber steht jedoch eine Vielzahl an Veröffentlichungen in renommierten Verlagen und Buchreihen, an Tagungen oder Qualifikationsarbeiten – 2015 erschien sogar mit Nick Sousanis’ Unflattening eine Doktorarbeit in Comicform bei der Harvard University Press – und es gibt auch eine Liste der Seminare zu Comics, die jedes Semester unterrichtet werden (siehe z. B. www.comicgesellschaft.de 2017). Comics sind inzwischen ein ernstzunehmendes und rasch wachsendes Forschungsgebiet, das jedoch in unterschiedlichen Disziplinen beheimatet ist und daher weltweit noch kaum eigene Lehrstühle aufzuweisen hat. Dabei spiegelte sich die Ablehnung der Comics als triviale Massenprodukte, wenn nicht sogar als Schmutz und Schund, über lange Zeit auch in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesen Werken, und es ist immer noch ein häufiges Merkmal von Veröffentlichungen, auf eine Geschichte der Diskriminierung und Verachtung zu verweisen, bevor sie sich ihrem eigentlichen Thema zuwenden. Neben vielen Arbeiten, die sich seit den 1970er-Jahren mit dem praktischen Einsatz von Comics im Unterricht beschäftigten, ging es zunächst häufig um die Legitimation des Comics sowie auch um seine Definition und Standortbestimmung. Über lange Zeit wurden Comics als eine Art Mischwesen zwischen Literatur und Film angesiedelt und der Begriff des Hybrids wurde häufig zu ihrer Beschreibung herangezogen. Dabei ist es aber notwendig festzustellen, dass Comics zwar Text und Bild enthalten, dass aber die kognitiven Anforderungen, die aus der Sequentialität folgen, nicht die ‚Lektüre‘ von Buch, Film oder auch Gemälde miteinander verbinden, sondern sich kategorisch davon unterscheiden (siehe oben). In frühen Untersuchungen – und auch heute noch in manchen Rezensionen – wurden Comics häufig als ‚literarisches Genre‘ bezeichnet, was wohl seinen
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Medien-Formen
Ursprung auch darin hatte, dass die ersten Arbeiten zu Comics oft im Umfeld der Literaturwissenschaft bzw. Literaturdidaktik entstanden (Köhn 2005, 104) – Monika Schmitz-Emans diskutierte noch 2012 die Frage, „ob der Comic ‚Literatur‘ ist, also als ein neues literarisches Genre angesehen werden sollte“ (5). Alternativ wurde der Comic als kleine Schwester des Films betrachtet, in einem Artikel von 1984 auch als „Vorstufe des Fernsehens“ (Dunger et al., passim). Im selben Band wird aber von Dietger Pforte auch auf die Notwendigkeit hingewiesen, den spezifischen Eigenschaften des Comics Rechnung zu tragen, ihn daher aus den traditionellen Fächern Deutsch und Kunst herauszulösen und interdisziplinär in einem ‚ästhetischen Unterricht‘ zu betrachten (1974, 11). Comics spielen inzwischen eine zunehmend wichtige Rolle für den Schulunterricht, besonders im Bereich der visuellen Lesekompetenz, und verschiedene Comics werden von Schulbuchverlagen aufgearbeitet und mit Unterrichtsmaterialien herausgegeben. Schon bald setzte sich dann aber das Verständnis durch, dass es sich bei Comics nicht um ein Genre handelt, „sondern um ein Medium, das ganz eigene Anforderungen an die Rezeption stellt“ (Schüwer 2008, 11). Dabei sind die Übergänge selbstverständlich fließend – Künstler und Autoren sind häufig nicht unbedingt daran interessiert, dass ihre Werke unproblematisch vorgegebenen Kategorien zugeordnet werden können. Es gibt Comics, in denen der Text dominiert und die sich daher einem illustrierten Roman annähern (siehe oben), aber auch Bildsequenzen oder dynamische Bildelemente, die fast wie filmische Bewegungsstudien wirken. Allerdings ist auch der Begriff des Mediums nicht völlig unumstritten, da er polyvalent ist und sich auf unterschiedliche Aspekte der allgemeinen und künstlerischen Kommunikation beziehen kann. So schreibt Grünewald: Der Begriff „Medium“ soll hier im Sinne der Kommunikationstheorie benutzt werden, das heißt, Comic ist danach nicht Medium, sondern eine spezifische Erzähl- und Darstellungskunst, die ein Medium, einen materiellen Vermittlungsträger – hier das Printmedium Album – benutzt. (1991, 14)
Thomas Becker dagegen sieht Comics als eine „Medienkombination von Text und Bild“ (2010, 168), Daniel Stein, Christina Meyer und Micha Edlich beschreiben Comics als „a medium in the double sense of being simultaneously material artefact (comic strips in newspapers, comic books published as magazines, paperback graphic novels, hardcover prestige editions, webcomics) and intermedial/multimodal semiotic systems“ (2011, 508), zudem wurde dem Comic eine “intermediale Struktur“ zugeschrieben (Weltzien 2011, 115). Die bisher nicht abgeschlossene und vermutlich auch nicht abschließbare Diskussion wird von Lukas Wilde (2014) aufgearbeitet.
Bildgeschichten, Comics und Graphic Novels
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Neben der kategorialen Zuordnung war auch die Definition, was genau als Comic zu verstehen sei, ein wesentlicher Aspekt der Diskussion – und auch diese ist wohl noch nicht völlig abgeschlossen. Dazu gehört die Frage, was eine Bilderzählung ausmacht, d. h. ob sie, wie es McCloud verlangt, unbedingt mehrere Bilder einschließen muss oder auch in einem Panel – als ‚single setting narrative‘ (siehe oben) oder als Bild, das weitere impliziert – umgesetzt werden kann. Bei Grünewald heißt es dazu: „Das narrative Einzelbild ist m. M. n. die kürzeste Form einer Bildgeschichte, eine Bildfolge mit nur einem (sichtbaren) Panel und vom Comic nicht strikt zu unterscheiden“ (2000, 12), während meist doch auf einer Bildfolge als minimaler Anforderung bestanden wird. Neben der Definition des Comics als solchem und seinem Status als narrativem Medium wurden quasi sämtliche theoretischen Aspekte, die auch die Literatur-, Kunst-, Film- und Medienwissenschaft beschäftigen, in den Comic Studies verhandelt. Narratologie, Ästhetik, Genretheorie, Gender, Postkolonialismus, Kognition, evolutionäre Ansätze, Probleme der Fiktionalität und der visuellen Repräsentation und viele andere Themen gehören zum Repertoire der Comic Studies, wobei auch häufig die Abgrenzung von anderen Medien und Kunstformen eine wesentliche Rolle spielt. Die interdisziplinäre Position der Comic Studies zwischen den Literatur-, Kunst-, Film- und Medienwissenschaften sowie der philosophischen Ästhetik kann dabei als ein Manko angesehen werden, aber auch als Gewinn, da unterschiedlichste theoretische Modelle und Ansätze im Austausch stehen und miteinander verbunden werden können oder sogar müssen. Comic Studies können damit zu einem produktiven Verknüpfungspunkt zwischen den Disziplinen werden, zu einem Untersuchungsgebiet, dem die Interdisziplinarität eingeschrieben ist.
Weiterführende Literatur Chute, Hillary L. Graphic Women. Life Narrative and Contemporary Comics. New York 2010. Grünewald, Dietrich. Comics. Tübingen 2000. Heer, Jeet und Kent Worcester. Hrsg. A Comic Studies Reader. Jackson 2009. McCloud, Scott. Understanding Comics. The Invisible Art. New York 1994. [Dt. Comics richtig lesen. Die unsichtbare Kunst. Übers. von Heinrich Anders. Hamburg 2001.] Schüwer, Martin. Wie Comics erzählen. Grundriss einer intermedialen Erzähltheorie der grafischen Literatur. Trier 2008.
IV.3 Form als Funktion
Tonio Walter
IV.3.1 Form und Recht 1 Einleitung Rudolf von Jhering war ein bedeutender deutscher Rechtsgelehrter des neunzehnten Jahrhunderts. Zur Form im Recht bemerkte er in vielzitierten Sätzen: Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit. Denn die Form hält dem Versucher, der die Freiheit zur Zügellosigkeit zu verleiten sucht, das Gegengewicht, sie lenkt die Freiheitssubstanz in feste Bahnen, daß sie sich nicht zersplittern [sic], und kräftigt sie dadurch nach innen und schützt sie nach außen. Feste Formen sind die Schule der Zucht und Ordnung und damit der Freiheit selber und andererseits eine Schutzmauer gegen äußere Angriffe, – sie lassen sich nur brechen, nicht biegen – und wo ein Volk sich wirklich auf den Dienst der Freiheit verstanden, da hat es instinctiv auch den Werth der Form herausgefühlt und geahnt, daß es in seinen Formen nicht etwas rein Aeußerliches besitze und festhalte, sondern das Palladium seiner Freiheit. (Jhering 51858, 497)
Das ist ein typisches Jhering-Zitat: vage bis wolkig und doch pointiert. Und weil es so schön klingt, hat es später zahlreiche Nachahmer gefunden, die immer neue Zwillingsschwestern der Freiheit ersannen; etwa die Verantwortung und die Gleichheit (Nachweise bei Oestmann 2009, 2–3). Jherings Ausspruch hat aber nicht nur den Vorzug eines einprägsamen Bildes, das zu Variationen animiert, sondern benennt auch tatsächlich zwei Wesenszüge juristischer Formen, die in einer Gesamtrechnung zu diesem Thema unter dem Strich stehen: die Disziplin, vor allem Selbstdisziplin, die solche Formen den Akteuren abverlangen. Und den Schutz, den sie gewähren, genauer: die Rechtssicherheit, das heißt einmal die Gewissheit vorab, dass es zu bestimmten Rechtsfolgen kommen werde (Erwartungssicherheit), zweitens die gegenwärtige Sicherheit, dass bestimmte Rechtsfolgen eingetreten sind (Situationsklarheit), und schließlich die Gewissheit im Nachhinein, dass es bei bestimmten Rechtsfolgen bleiben werde (Bestandssicherheit). Nicht erwähnt hat Jhering indes etwas Drittes, das in der Welt des Rechts leider stets als Kehrseite der Rechtssicherheit erscheint, und zwar die Ungerechtigkeit. Denn dies ist ein juristisches Urdilemma: dass ein Mehr an Rechtssicherheit immer ein Weniger an Gerechtigkeit bedeutet – und umgekehrt. Bevor dies weiter zu erläutern ist, und bevor man die einzelnen Posten jener Gesamtrechnung zum Thema betrachten kann, ist es erforderlich, einen Überblick über die Gegenstände zu gewinnen, die in Rechnung zu stellen sind. Allerdings geht er zunächst ins Uferlose, denn auf einen ersten Blick ist alles Rechtliche Form; dazu sogleich unter 2. Deshalb ist es nötig, dass man sich einen besonderen Begriff macht von der Form im Recht, das heißt von rechtlichen Formvorschriften. https://doi.org/10.1515/9783110364385-024
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Form als Funktion
Dies geschieht nachfolgend unter 3. Im Anschluss lässt sich dann unter 4. jenes Dilemma näher untersuchen, von dem eben die Rede gewesen ist – und wie man versucht, es zu mildern. Eine Schlussbetrachtung rundet den Beitrag ab (5.).
2 Alles Rechtliche ist Form: Zu den Daseinsformen des Rechts Zunächst einmal und wie schon gesagt ist alles Rechtliche Form: Recht ist nichts, das sich in der Natur als etwas sinnlich Wahrnehmbares vorfinden ließe. Es wächst nicht an Bäumen, schwimmt nicht in Flüssen und steht nicht wie ein Wolkenbild am Himmel. Selbst wenn man meint – wie es einige noch immer tun –, dass es so etwas gebe wie ein Naturrecht, also ein dem Menschen vorgegebenes, unverfügbares Recht, kann es doch nicht wie eine neue Affenart im Dschungel entdeckt werden, sondern müssen es Menschen in Worte fassen, das heißt in eine Form bringen: Sprache ist Form, und zwar eine von Menschenhand gemachte. Besonders deutlich sieht man das in der Sprachenwelt des Rechts. Es beginnt bereits bei den Akteuren des Rechts, den handelnden Personen. Denn keineswegs akzeptiert das Recht immerhin für diesen ersten Baustein seines Regelgebäudes eine Vorgabe von außen. Nicht einmal hinsichtlich jener Personen, die das Recht die ‚natürlichen‘ nennt und von denen man daher annehmen möchte, dass die Natur bei ihrer Definition ein Wörtchen mitzureden hätte. Gemeint sind natürlich, soll heißen: naheliegenderweise die Menschen. Aber selbst was ein Mensch sei, lässt sich das Recht nicht von der Natur diktieren. Das ist übrigens kein Skandal, denn da die Natur nicht spricht, sondern lediglich ist, kann sie auch sonst niemandem diktieren, wie man sie zu benennen habe. Es ist stets und vollständig die Sprache, die sich die Natur unterwirft – nie umgekehrt. Lediglich mögen manche begrifflichen Unterscheidungen für einen gesunden Menschenverstand näher liegen und manche ferner. So erscheint es intuitiv sinnvoller, Schafe und Bären zu unterscheiden – statt weiße Schafe und Eisbären als ‚Weißtiere‘ von braunen Schafen und Braunbären als ‚Brauntieren‘ abzugrenzen. Denn die Farbe eines Tieres halten wir im Zweifel für weniger wichtig als andere biologische Merkmale, etwa die Form der Extremitäten (Hufe versus Tatzen), das Tragen oder Nichttragen von (kleinen) Hörnern sowie die Art der Ernährung (Pflanzenfresser versus Raubtier). Doch Vorsicht: Auch dies beruht auf einer Entscheidung, die eine Sprachgemeinschaft treffen kann, aber nicht muss. Und so unterscheiden die Zulu, ein Bantuvolk in Südafrika, begrifflich zwischen roten und weißen Kühen – ohne einen Oberbegriff für die Kuh (hierzu und zum Folgenden Neumann-Duesberg 1949, 40 ff.; vgl. auch Kleine Stilkunde für
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Juristen, Walter 2017, 37–40). Andere Naturvölker differenzieren zwischen Palmen mit einer Vielzahl von Wörtern, doch ohne unseren botanischen Oberbegriff der Palme. Wir nehmen heute für Tiere und Pflanzen jene Nomenklatur als gottgegeben hin, die auf Carl von Linné zurückgeht. Und dabei glauben wir, sie sage uns zum Beispiel, dass Pinguine Vögel sind, obwohl sie nicht fliegen können und ihr Element eher das Wasser ist als die Luft. Aber eine Nomenklatur sagt nicht, was ist, sondern bezeichnet es nur nach Maßgabe jener Merkmale, die ihrem Schöpfer als wesentlich erschienen. Eine Nomenklatur ist folglich auch eine Normenklatur, und zwar eine Sprachnormenklatur. Nichts anderes, als eine solche Sprachnorm zu errichten, tun Juristen, wenn sie den Begriff des Menschen verwenden oder – sinngleich – den der ‚natürlichen Person‘. Nur erscheint ihnen etwas anderes wesentlich als dem Rest der Sprachgemeinschaft. Denn einen Menschen gibt es für sie frühestens mit dem Beginn der Geburt. Darunter verstehen sie das Einsetzen der Eröffnungswehen beziehungsweise – beim Kaiserschnitt – das Öffnen des Uterus. Im Bürgerlichen Recht muss die Geburt sogar vollendet werden; so steht es im § 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Darunter versteht man den vollständigen Austritt des Kindes aus dem Mutterleib (s. Ellenberger 752016a, Rn. 2). Zuvor jedoch, und wenn es bloß eine Sekunde ist, betrachten Juristen das menschliche Wesen, um das es geht, lediglich als Embryo, Fötus, Leibesfrucht und Nasciturus (‚der geboren werden wird‘), doch nicht als Menschen und nicht als Person. Und so lässt sich die Geburt eines Menschen als juristisches Formerfordernis seines Daseins als Person beschreiben. Dieses Dasein endet für Juristen mit dem Hirntod, also mit dem unumkehrbaren Erlöschen der Funktionen des Gehirns. Auf die Atmung und den Herzschlag kommt es nicht an. Juristisch tot kann ein Mensch also auch sein, wenn sein Herz noch schlägt. Und das ist bei künstlicher Beatmung auch nach einem Hirntod noch monatelang möglich. Selbst der Tod muss folglich einer bestimmten Form genügen, um juristisch als solcher zu gelten. All dies ist aber, es sei erneut betont, nach der Art des Phänomens kein Proprium der Rechtssprache. Vielmehr greift sich jede Sprache mit ihren Wörtern aus der Natur heraus, was ihr als Einheit sinnvoll erscheint. Daher heißen diese Wörter auch Begriffe. Und an dem, was ihr sinnvoll erscheint, erkennt man das Weltbild einer Sprachgemeinschaft. Genauso erkennt man daran, wie eine Rechtssprache ihre Begriffe bildet, das Weltbild einer Rechtsgemeinschaft. Zum Beispiel nannte man im Wilhelminischen Deutschland die Rechte der Eltern gegenüber ihren Kindern die elterliche Gewalt, während das BGB heute nur noch von der elterlichen Sorge spricht. Früher stand also die Herrschaft der Eltern über ihre Kinder im Vordergrund, heute ist es ihre Zuwendung. Und wo es das BGB früher erlaubte, jemandem einen Vormund zu bestellen, spricht es heute von einem Betreuer: Betreuung versus Bevormundung.
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Sprache ist also ein Welterfassungs- und Weltbewertungssystem. Das gilt auch und ganz besonders für das Recht. Denn erstens besteht das Recht aus Sprache: An einem Gefängnis sind nicht die Mauern das Recht, sondern das Recht besteht in der Pflicht, hinter diesen Mauern zu bleiben – die Mauern stellen nur faktisch sicher, dass diese Pflicht auch erfüllt wird. Und die Pflicht gibt es nur so lange, wie man sie in einer Sprache zum Ausdruck bringen kann. Zweitens fasst das Recht nur jene Angelegenheiten in Worte, die einer Gesellschaft fürs friedliche Zusammenleben besonders wichtig und daher regelungsbedürftig erscheinen. So ist es dem Recht grundsätzlich einerlei, ob sich die Menschen mit einem Nicken, einem Handschlag oder einer Umarmung begrüßen; dazu gibt es keine Paragrafen, sondern nur Konventionen. Zu ihnen kann es aber auch gehören, dass es als schwere Kränkung gilt, eine ausgestreckte Hand zu missachten. Und da schwere Kränkungen das friedliche Zusammenleben gefährden, gibt es dazu wieder einen Paragrafen, und zwar den Straftatbestand der Beleidigung (§ 185 StGB) (zur Verweigerung eines Handschlags als Beleidigung vgl. Hilgendorf 122010, Rn. 25). Anders als die Allgemeinsprache – zumindest weitergehend – bringt das Recht jedoch auch Dinge in eine sprachliche Form, die es selbst erschafft und weder in der Natur noch sonst sinnlich wahrnehmbar vorfindet. Eine Aktiengesellschaft etwa kann es nur geben, wenn das Recht sie für Unternehmen als Rechtsform vorsieht und ausgestaltet. Und eine Ehe kann es nur geben, wenn auch das Recht, wenigstens das Kirchenrecht, diesen Zusammenschluss kennt und seine Voraussetzungen sowie Rechtsfolgen definiert. Daher geht es in dem Streit um die sogenannte Homoehe nicht darum, ob man gleichgeschlechtlichen Menschen erlauben solle zu heiraten, sondern darum, ob man es ihnen ermöglichen solle (heiraten dürfen versus heiraten können). Genau besehen ist es sogar so, dass alles, was Recht ist, ein unkörperliches Dasein fristet. Selbst ein Gerichtsgebäude ist mit seinen Stufen und Steinen nichts Rechtliches. Rechtlich sind nur die Institution des Gerichts und das Eigentum an dem Gebäude. Beides hat ein Dasein, das sich von dem Gebäude lösen lässt und weiterwandern sowie unabhängig von dem Gebäude untergehen kann: das Gericht, indem es durch ein Gesetz verlegt oder aufgehoben wird, und das Eigentum, indem es der Eigentümer überträgt oder ganz aufgibt, die sogenannte Dereliktion. Bei Grundstücken verlangt sie eine Erklärung gegenüber dem Grundbuchamt und deren Eintragung in das Grundbuch (§ 928 BGB). Das Grundstück wird dann eigentümerlos – Juristen sagen ‚herrenlos‘ –, und andere können es sich aneignen; mit Vorrang darf dies der Staat. Wird das Gericht also verlegt und das Eigentum am Gerichtsgebäude aufgegeben, dann steht dieses Gebäude zwar weiterhin unbeeindruckt an seinem Platz. Aber es ist jetzt weder ein Gericht, noch hat es einen Eigentümer. Rechtlich unterscheidet es sich kaum noch von der Luft, die es umgibt.
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Fasst man den Begriff der Form so weit, wie hier bislang geschehen, hat das Verhältnis von Recht und Form zwar auch seinen Reiz – aber einen sehr abstrakten. Um die Linse schärfer zu stellen, hat man den Begriff zu verengen, und zwar auf die Form im Recht, das heißt auf rechtliche Formvorschriften. Sie bilden jenen Teil des Rechts, der sich mit den rechtlichen Formen befasst und nicht mit dem rechtlichen Inhalt:
3 Die Form im Recht – rechtliche Formvorschriften Die Abgrenzung von rechtlicher Form und rechtlichem Inhalt nimmt allerdings die wichtigste allgemeine Definition der Form schon vorweg – als Gegenbegriff zum Inhalt – und formuliert außerdem weniger eine Aussage denn eine Frage: Wie lässt sich die rechtliche Form von ihrem Inhalt trennen?
Der Begriff der Form: Nähere, auch schon juristische Betrachtung Ausgangspunkt und zugleich einfachster Fall für den Begriff der Form ist das Stoffliche (Körperliche, Materielle). Denn für das Stoffliche bezeichnet das Wort ‚Form‘ schlicht das Ende des Stoffes, also seine Außengrenze: die Gesamtheit der Punkte, in denen sich Stoff und Nichtstoff, Stoff und Außenwelt berühren. So ist bei einem Osterei aus Schokolade die Schokolade der Stoff und das Ei die Form. In den Worten Jherings ist die Form dann „der Inhalt von Seiten seiner Sichtbarkeit“ (51858, 498). Das hat Jhering natürlich nicht mit Bezug auf Ostereier gesagt, sondern bereits für das Recht. Dort – und überall jenseits des rein Stofflichen – ist diese Unterscheidung aber schwieriger. Das merkt man schon bei einem Blick auf Personen. Zwar lässt sich auch eine natürliche Person als etwas – im wahrsten Sinne – Körperliches betrachten, so dass man bei der Formel von der ‚Sichtbarkeit‘ eines Inhalts bleiben könnte. Aber erstens wäre dies bei juristischen Personen nicht möglich: Eine Aktiengesellschaft besteht als unkörperliches rechtliches Gebilde fort, selbst wenn alle Aktien verbrannt sind und alles Gesellschaftseigentum untergegangen ist. Zweitens geht es, wenn wir einen Menschen als Person betrachten, nicht um sein Fleisch und Blut, sondern um sein Dasein als lebendes Wesen, als Geisteswesen und als rechtliches Wesen – drei Eigenschaften, die sich nicht in einem Mehr oder Weniger an Materie, an Haut, Haaren und Muskeln erschöpfen, ja mit ihm wenig bis nichts zu tun haben. Was man aber aus der Sicht des Rechts bei Personen als Form und
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Inhalt voneinander trennen kann, das sind ihr biologisches oder – bei juristischen Personen – ihr rechtliches Dasein einerseits und ihre besonderen rechtlichen Eigenschaften andererseits, die sie wie Gewänder tragen oder nicht tragen können. So kann uns ein Mensch als Deutscher gegenübertreten oder als Ausländer, als Bürgermeister oder Bürger, als Richter oder Zeuge – und in vielen anderen rechtlichen Mänteln, die ihm Juristen um die Schultern legen. Eine solche Unterscheidung zwischen Inhalt und Form ist allerdings keine zwingende Analogie zu dem Dualismus dieser Begriffe im Reich des Stofflichen. Vielmehr handelt es sich um eine freie begriffliche Entscheidung, auf die man auch verzichten könnte, ohne sich dem Vorwurf eines sprachlichen oder eines Denkfehlers auszusetzen. Einfacher ist ein gedankliches Lösen der Form vom Inhalt für Aussagen, juristisch genauer gesagt: für Erklärungen. Bei ihnen bezeichnet das Wort ‚Form‘ die Art der Zeichen, in denen jemand die Erklärung abgibt. Diese Art der Zeichen hat zwei Parameter: einmal den Zeichensatz, aus dem ein Zeichen stammt, etwa die lateinischen Buchstaben, die Gebärdensprache oder akustische Signale nach dem Morsealphabet. Und zum zweiten die Art, in der die Zeichen sinnlich erfahrbar sind, sei es als visuelle Zeichen, vom Rauchzeichen bis zum Buchstaben, sei es als akustische, haptische, mundgeschmackliche Zeichen oder als Gerüche – alle fünf Sinne kommen in Betracht. Am wichtigsten sind im Rechtsleben natürlich die Verkörperungen visuell wahrnehmbarer Zeichen, etwa in einer Urkunde oder einer Datei (für deren visuelle Wahrnehmung noch ein Rechner als Hilfsmittel erforderlich ist). Ferner ist es möglich, den Wortlaut von Erklärungen als ihre Form zu betrachten und ihre Bedeutung als Inhalt (so etwa Isay 1933, 51). Zwar geht dies strenggenommen nur, soweit es einhundertprozentige Synonyme gibt, also unterschiedliche Wörter, die vollständig und exakt das Gleiche bezeichnen. Denn nur dann kann man das Wort von der Bedeutung lösen und durch ein anderes ersetzen, ohne die Bedeutung zu verändern. In allen anderen Fällen jedoch sind Wort und Bedeutung dergestalt unlösbar verbunden, dass sich ein identischer Inhalt stets allein mit identischen Worten bezeichnen lässt. Und bei näherer Betrachtung gibt es fast nur solche Fälle und kaum vollkommene Synonyme: Die allermeisten Wörter, die man Synonyme nennt, haben zwar eine mehr oder weniger große Bedeutungsschnittmenge – doch kaum je eine flächendeckend und lückenlos identische Bedeutung (Beispiele in Kleine Stilkunde für Juristen, Walter 2017, 221– 223). Jedoch ist in der Praxis des Sprechens (und Schreibens) dem Gesprächspartner das Wesentliche des Inhalts oft auch dann klar, wenn der Sprechende andere Worte wählt. Hat jemand einem Freund ein Lexikon geliehen und will es zurück, kann er sagen: ‚Ich möchte mein Buch zurückhaben.‘ Er kann aber auch sagen: ‚Ich will, dass du mir mein Lexikon wiedergibst.‘ Mögen und wollen, Buch und Lexikon, zurückhaben und wiedergeben – das sind Wörter mit durchaus
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unterschiedlichen Bedeutungen, aber eben nur zu einem Teil, und in unserem Fall wird dem Angesprochenen in beiden Varianten das Wesentliche klar. Für sonstige Handlungen ist es wieder schwieriger als für Erklärungen, Form und Inhalt zu trennen: Was ist beim Hacken von Holz die Form, was der Inhalt des Beilschwunges durch die Luft? Gleichwohl spricht man geläufig von der Form und gar der Förmlichkeit einer Handlung. Allerdings bezieht sich das meist doch wieder auf eine Erklärung, etwa wenn man davon spricht, dass jemand förmlich zum Beamten ernannt worden sei. Gemeint ist dann das Geschehen, bei dem der Ernennende dem anderen eine Ernennungsurkunde übergibt (was das juristisch Entscheidende ist). Diese Handlung ist aber wieder nur die äußere Form einer (Ernennungs-)Erklärung. Sofern es um Handlungen geht, die wirklich keinen Erklärungscharakter haben, lässt sich mit dem Begriff der Form vieles bezeichnen: sämtliche Begleitumstände, der Handlungsort, die Handlungszeit und zahlreiche ergänzende Nebenhandlungen. So kann man etwa für eine Beweisaufnahme vor Gericht sagen, die Förmlichkeit bestehe darin, dass ein Zeuge über seine Wahrheitspflicht belehrt, dann befragt, später vereidigt und am Schluss ausdrücklich (‚förmlich‘) entlassen wird, das heißt die Erlaubnis erhält, sich zu entfernen. Die eigentliche Handlung, die Beweisaufnahme, besteht aber allein in den Fragen der Richter und dem Hören und Verstehen der Antworten, und soweit dabei gehandelt wird, geschieht dies nicht anders als in einem Gespräch auf der Straße, also formlos. Und in dieser Art ließe sich auch für das Holzhacken an Bestimmungen denken, die man dann Formvorschriften nennen müsste. So wenn jemand mit seiner Frau verabredet, das Holz nur im Garten zu hacken, nur in alter Kleidung, nur am Abend und nur bei schönem Wetter; und wenn er ihr verspricht, sich danach stets die Hände zu waschen. Diese Beispiele zeigen, wie schwierig – und willkürlich – es ist, für Handlungen zwischen Inhalt und Form zu unterscheiden, die keine Erklärungen sind.
Rechtliche Formvorschriften Teil 1: Schriftform & Co. „Primitive Rechtsordnungen kultivieren die Rechtsform. […] Das entspricht der ursprünglichen Volksüberzeugung, dass sich das rechtlich Bindende eben durch die äußere Form, durch Ausdruck und Symbol von dem Nichtbindenden, dem Sittlichen, Konventionalen unterscheide […].“ So der Zivilrechtslehrer Alfred Manigk im Handwörterbuch der Rechtswissenschaft (1927, 474). Die Diagnose zur „Volksüberzeugung“ trifft auch für weniger primitive Rechtsordnungen zu – selbst heute noch: Nur mündlich Vereinbartes halten die meisten für rechtlich unverbindlich, und unter einem Vertrag verstehen sie ein schriftliches Dokument. Gemünzt hat Manigk seinen Satz auf die zivilrechtlichen Formvorschriften für
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bestimmte Erklärungen, und sie fallen einem Juristen auch als erstes ein, wenn er das Wort ‚Formvorschriften‘ hört. Bei ihnen geht es um die Art und Weise, wie ein Text fixiert wird. Häufig sind die Schriftform, die sogenannte Textform – das kann auch eine elektronische Erklärung sein –, eine notarielle Beurkundung sowie die öffentliche Beglaubigung einer Unterschrift. Ferner gibt es punktuell spezielle Anforderungen, etwa die persönliche Anwesenheit der Beteiligten beim Abschluss einer Ehe und eines Ehevertrages (§§ 1310 und 1410 BGB) und das eigenhändige Schreiben beim Testament (§ 2247 BGB – es gibt für die Errichtung eines Testaments zwar noch andere wirksame Formen; sie setzen aber stets die Mitwirkung einer weiteren Person voraus). Die Zwecke dieser Vorschriften lassen sich auf drei reduzieren: Sie haben eine Warn-, eine Klarstellungs- und/oder eine Sicherungsfunktion (Meyer-Pritzl 2003, Rn. 60). Eine Warnfunktion hat der Zwang zur Form dann, wenn er demjenigen, der die Erklärung abgeben will, verdeutlichen soll, dass es nunmehr ernst und verbindlich wird und dass er sich alles gut überlegen möge; so zum Beispiel beim Kaufvertrag für ein Haus oder ein Grundstück, den ein Notar beurkunden muss. Denn bei einem solchen Kauf geht es normalerweise um viel Geld und um einen Gegenstand, dessen neuer Eigentümer nicht nur Rechte erwerben wird, sondern auch Pflichten. Eine Klarstellungsfunktion erfüllt das Formerfordernis insofern, als es den Erklärenden zwingt, Farbe zu bekennen: Wie viel Geld will er tatsächlich bezahlen? Und kauft er nun oder nicht? Die Sicherungsfunktion der Form besteht darin, dass sie die Erklärung fixiert, damit dokumentiert, was passiert ist, und hierfür einen Beweis erzeugt. Die juristische Fachliteratur spaltet die Zwecke der besagten Formerfordernisse in der Regel noch feiner (vgl. Ellenberger 752016b, Rn. 1–6; Oestmann 2009, 8). Einen wesentlichen Erkenntnisgewinn bringt das aber nicht. Wird eine Formvorschrift von der Art der genannten missachtet, macht dies die fragliche Erklärung und damit das zugehörige Rechtsgeschäft nichtig. So steht es in § 125 BGB. Formvorschriften für Erklärungen gibt es nicht nur für den Bürger, sondern auch für den Staat. So haben Gerichte ihre Urteile schriftlich abzufassen, und ein mündlicher Verwaltungsakt ist schriftlich zu bestätigen, wenn hieran ein berechtigtes Interesse besteht und der Betroffene es unverzüglich verlangt (so § 37 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes; ebenso nach den Gesetzen der Länder). Auch Verordnungen der Verwaltung, Satzungen – etwa einer Gemeinde – und die Gesetze der deutschen Parlamente sind schriftlich bekanntzumachen. All dies beruht auf Vorschriften des Öffentlichen Rechts, nämlich des Verwaltungsund des Verfassungsrechts. Mit Ausnahme der Pflicht der Gerichte, ihre Urteile in Schriftform zu bringen, bleiben diese öffentlichrechtlichen Formerfordernisse im Folgenden außen vor, da sie keinen Erkenntnisgewinn über jenen hinaus versprechen, den die Betrachtung der bürgerlichrechtlichen Normen abwirft.
Form und Recht
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Rechtliche Formvorschriften Teil 2: Verfahrensvorschriften Verfahrensvorschriften bestimmen, auf welchem Wege jemand ein bestimmtes Ergebnis erreichen kann; sei es ein faktisches, etwa eine Bezahlung, oder ein rechtliches, etwa Eigentum an einer Sache. Verfahrensvorschriften gibt es auf allen Gebieten des Rechts und für alle Akteure: Ein Parlament muss sich an die Vorschriften der Verfassung zum Verfahren der Gesetzgebung halten, wenn es Normen in Kraft setzen will, eine Verwaltung muss sich an die Vorschriften für das Verwaltungsverfahren halten, wenn sie dem Bürger Weisungen erteilt. Polizei, Staatsanwaltschaft und Strafgerichte müssen sich an die Verfahrensnormen der Strafprozessordnung halten, wenn sie jemanden verfolgen und verurteilen; und jeder Bürger muss sich an Verfahrensvorschriften halten, wenn er eine Klage erhebt oder – nach gewonnenem Prozess – wenn er das Urteil vollstrecken lassen will. Allerdings sind nicht alle Verfahrensvorschriften auch Verfahrensformvorschriften. Sonst würden für dieses Thema Form und Inhalt gleichgesetzt und verlöre der Begriff der Form seine Bedeutung. Welche Normen für das Verfahren als Formvorschriften einzuordnen sind, sei am Beispiel des gerichtlichen Verfahrens gezeigt. Wir beginnen mit einer kurzen, indes aufschlussreichen geschichtlichen Betrachtung: „Das Prozessrecht war von alters her ein Sitz des Rechtsformalismus“, schrieb Alfred Manigk im Handwörterbuch der Rechtswissenschaft (1927, 478). Und wieder stimmte das damals und stimmt weiterhin: Wenn es darum geht, wer Recht bekommt, stellt sich die Rechtsordnung noch förmlicher an als bei der vorgelagerten Frage, wer das Recht objektiv auf seiner Seite habe. Besonders deutlich trifft das auf frühere Epochen des Rechts zu (kritisch gegenüber der rechtsgeschichtlichen Forschung Oestmann 2009, 11 ff.). Wilhelm Ebel hat sogar vermutet: „Der Formalismus wurde gar nicht als solcher empfunden, weil es ohne ihn kein Recht gab, das Volk ohne ihn sein Recht nicht gefunden hätte, und ihm darum die Form selbst das Recht war. Die Form ist die älteste Norm.“ (1975, 14). Den Aphorismus von der Form als ältester Norm finden wir in englischer Fassung auch in Reinhard Zimmermanns berühmtem rechtsvergleichenden Werk The Law of Obligations (1993, 82): „form as the oldest norm“. Dazu passend nimmt man für den sogenannten Legisaktionenprozess des frühen römischen Rechts an, dass jeder Versprecher beim Hersagen der vorgeschriebenen Formeln zum Verlust des Prozesses führte (Manigk 1927, 475). Lateinisch: Qui cadit a syllaba, cadit a causa – ‚Wer an den Silben scheitert, scheitert mit dem Prozess‘ (näher Meder 22009, 32). Und umgekehrt: Uti lingua nuncupassit, ita ius esto – ‚Wie es feierlich ausgesprochen wurde, soll es rechtens sein‘. So stand es in Roms erstem schriftlichem Gesetz, den Zwölf Tafeln (auf Tafel VI). Auch für das Recht anderer archaischer Rechtsordnungen einschließ-
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lich der germanischen nehmen viele an, dass die Form eine überragende Rolle gespielt habe (s. etwa Hattenhauer 42004, Rn. 185; kritisch indes Oestmann 2009, 26, 31 und öfter). Auf der zweiten großen Entwicklungsstufe des römischen Rechts trat der Formularprozess an die Stelle des Legisaktionenprozesses. Sein Name ‚Formularprozess‘ täuscht, denn in ihm stand das ius aequum, also ein billiges, gerechtes Recht, dem ius strictum, dem streng förmlichen Recht korrigierend gegenüber. Es wurde also nicht noch förmlicher und damit ungerechter, sondern weniger förmlich und gerechter: Konnte sich der Kläger auf das ius strictum stützen und drohte dabei jedoch ein offensichtlich unbilliges Ergebnis, gab der Prätor dem Beklagten zumindest in einigen Fällen eine Einrede, eine exceptio, die der Billigkeit zum Sieg verhalf (Manigk 1927, 475). Und für diese Phase des römischen Rechts (sowie die späteren) ist auch nicht mehr überliefert, dass schon ein Versprecher oder sonstiger Fehler beim Hersagen bestimmter Formeln zum Verlust des Prozesses geführt hätte. Anders dann aber wieder – wir machen einen weiten zeitlichen Sprung – im Spätmittelalter (s. etwa für das zwölfte bis fünfzehnte Jahrhundert und London Rexroth 2006, 87). Unmissverständlich geht dies zum Beispiel aus einem Bericht hervor, den Nikolaus von Kues (Nicolaus Cusanus) in seinem ersten bekannten Werk De concordantia catholica schrieb (1433/34, unter III 35, einschließlich Übersetzung zit. nach Hoke und Reiter 1993, 137). Dort verlangte er, die „Fallstricke der Prozessformeln“ zu beseitigen, da sie von den Anwälten oft dazu benutzt würden, einfältige und arme Menschen zu Formfehlern zu bringen und sie so den ganzen Prozess verlieren zu lassen: „Denn wer gegen einen Buchstaben fehlt, hat sein Recht verfehlt, das habe ich oft genug in der Diözese Trier gesehen.“ Später war auch das Verfahren vor dem höchsten Gericht des alten (ersten) deutschen Reiches, dem Reichskammergericht, streng formalisiert – bis hin zu der Wortfolge, die von den Prokuratoren des Gerichts zu sprechen waren, wenn sie in den Sitzungen ihre Schriftsätze überreichten (vgl. Laufs 1976, 109–110). Mit der Entstehung des staatlichen Gewaltmonopols begann zudem der Siegeszug der Schriftform – bis hin zur Gleichsetzung von Wirklichkeit und Schrift in dem Apodiktum quod non est in actis non est in mundo („was nicht in den Akten steht, ist nicht in der Welt“) (Oestmann 2009, 35; zum Gegenstück der Schriftlichkeit, der Mündlichkeit, und dem Verhältnis beider zueinander s. Walter 2016). Im neunzehnten Jahrhundert jedoch kam es in dreifacher Hinsicht zu einer Entformalisierung des Verfahrensrechts. Erstens bekam das Verfahren als neues Kernstück die mündliche Hauptverhandlung, und es galt dann für das Urteil, dass es nur auf jenen Tatsachen beruhen durfte, die in der Verhandlung zur Sprache gekommen waren. Für die Urteile verkehrte man den Spruch quod non est in actis … also in sein Gegenteil: Was nicht mündlich verhandelt worden war, sondern nur in den Akten stand, das durfte es im Urteil nicht geben. Zweitens befreite man die
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Gerichte von strengen Beweisregeln nach Art derjenigen, die Mephisto im Faust deklamiert: „Durch zweier Zeugen Mund wird allerwegs die Wahrheit kund“ (aus der Szene Der Nachbarin Haus, Goethe 1887 [1808], 149). An die Stelle solcher Regeln setzte man das Prinzip der freien richterlichen Beweiswürdigung: Auch wenn es jetzt zum Beispiel zwei Zeugen gab, die einen Beschuldigten belasteten, hatte der Richter das Recht, ihnen nicht zu glauben. Und das galt entsprechend für alle anderen Beweise. Nicht auf ihre Zahl und ihre Art kam es mehr an, sondern nur noch darauf, ob sie den Richter überzeugten. Daher nannten die Franzosen diese Überzeugung nun intime conviction, ‚innere Überzeugung‘ – um sie so von der äußeren Beweislage abzugrenzen. Drittens gab es nur noch einen Fall, in dem für die Erklärung eines Prozessbeteiligten der Wortlaut exakt vorgeschrieben wurde: die Eidesformel. Für alle anderen Äußerungen, etwa Klagen, Anträge und Klageerwiderungen, blieb den Beteiligten die Formulierung selbst überlassen und waren Behörden und Gerichte gehalten, selbst bei juristisch falscher Formulierung das eigentlich Gewollte durch Auslegung zu ermitteln und zu beachten. Und auch den staatlichen Stellen machten die Gesetze nur noch Vorschriften zum Inhalt ihrer Erklärungen, aber nicht mehr zu deren exaktem Wortlaut. Und so ist es bis heute. Daher zeigt die Geschichte des Prozessrechts eine Entwicklung, die bei steigender Zivilisation von der Form wegführt. Schon Jacob Grimm meinte, es habe im Recht eine Grundentwicklung vom Sinnlichen zum Geistigen gegeben (vgl. 1828, VII). Wilhelm Ebel hielt dies sogar für die wichtigste Epochenunterscheidung für die deutsche Rechtsgeschichte: den Wechsel vom formenreichen und -strengen Recht zum formenarmen und -freien Recht. Er habe sich „ungefähr im 14. Jahrhundert“ vollzogen (1975, 26). Das Wichtigste war Ebel dabei indes, dass dieser Wechsel „aus autochthonen, nicht aus geborgten Kräften“ kam, das heißt eine Eigenleistung der Deutschen gewesen sei, und dass die Rezeption des römischen Rechts damit nichts zu tun gehabt habe (1975, 32). Bei der Würdigung dieses deutschnationalen Impetus ist zwar zu bedenken, dass Ebel nationalsozialistisch belastet war (siehe Becker 1995, 21). Allerdings meint auch Ebels Kritiker Oestmann in einer Gesamtbetrachtung, „dass das ältere Recht wirklich formaler war“ (2009, 53). Hierüber mag hinwegtäuschen, dass es zugleich mit der beschriebenen Entformalisierung zu einer Bürokratisierung all dessen kam, was um die mündliche Hauptverhandlung herum geschieht; immer mehr Stellen wollten und produzierten immer mehr Papier und tun dies noch (sowie elektronische Dokumente). Aber der Kernbefund bleibt, und damit endet dieser geschichtliche Exkurs in der Gegenwart: Es gibt heute praktisch keine Beweisregeln, es wird mündlich verhandelt, und es gibt keine zwingend vorgeschriebenen Spruchformeln. Und doch gelten im gerichtlichen Verfahren zahlreiche Formvorschriften und ist anerkannt, dass dies so sein muss (vgl. stellvertretend und für den Zivilprozess Jauernig 302011, 8).
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Deren erste fällt in einer Bestandsaufnahme allerdings leicht unter den Tisch, weil man sie als selbstverständlich voraussetzt. Das jedoch wird ihrer Bedeutung nicht gerecht, denn sie ist in einer Zivilisation nicht nur die erste, sondern auch die wichtigste Verfahrensvorschrift. Die Rede ist von dem Zwang, überhaupt den Weg eines staatlichen Verfahrens zu wählen; also eines Verfahrens, das der Staat regelt und überwacht (Verfahrenszwang). Ein Verkäufer darf den Käufer nicht so lange würgen, bis der bezahlt, sondern muss auf Zahlung des Kaufpreises klagen. Ein Bedürftiger darf nicht in eine Kleiderkammer der Bundeswehr einbrechen, wenn er einen Mantel braucht, sondern muss Sozialhilfe beantragen und notfalls einklagen. Und die Polizei darf ihn, wenn er es trotzdem tut, nicht aus eigener Machtvollkommenheit wegsperren, sondern hat die Staatsanwaltschaft zu verständigen, die dann ein Strafverfahren eröffnen und später Anklage erheben muss. Diese drei Beispiele zeigen auch, dass der Verfahrenszwang sowohl zwischen zwei Bürgern besteht als auch zwischen Bürger und Staat sowie zwischen Staat und Bürger. Im ersten Fall, also in dem Verhältnis von Bürger zu Bürger, schützt der Verfahrenszwang das staatliche Gewaltmonopol und damit die Bürger vor Übergriffen seitens ihrer Mitbürger. Im zweiten Fall, dem Verhältnis des Bürgers zu seinem Staat, schützt der Verfahrenszwang das Gemeinwesen vor Übergriffen seiner Glieder, etwa – in unserem Beispiel – in Form einer unzulässigen Nutzung des Gemeinschaftsvermögens; so ähnlich, wie es beim Carsharing ein Verfahren gibt, nach dem man an die Autos kommt. Außerdem sichert der Verfahrenszwang in diesem Verhältnis eine gewisse Herrschaft des Staates über seine Bürger, indem ihnen Eigenmächtigkeiten untersagt werden. Als Basisbeispiel dazu die Ausbürgerung: Ein Bürger kann sich nicht von seinem Staat – und seinen staatsbürgerlichen Pflichten – lossagen, indem er Pass und Personalausweis wegwirft. Sondern er muss sich in einem Verwaltungsverfahren ausbürgern lassen, und es ist nicht garantiert, dass ihn sein Staat gehen lässt. Deutschland tut dies nur, wenn jemand mindestens noch eine andere Staatsbürgerschaft hat oder wenn sie ihm sicher in Aussicht steht. Kein Deutscher hat demnach die Möglichkeit, das Gemeinwesen zu verlassen, wenn er dadurch staatenlos würde. – Im dritten Fall des Verhältnisses vom Staat zu seinen Bürgern schützt der Verfahrenszwang den Bürger vor einem übermächtigen Staat und (in doppeltem Sinne) vor dessen Gewalt. Diese Betrachtungen zu den Zwecken des Verfahrenszwanges tauchen sämtliche Blicke auf einzelne Formvorschriften eines Verfahrens in ihr Licht. Stets geht es bei solchen Vorschriften am Ende um einen der Zwecke, für die schon der Verfahrenszwang als solcher besteht. Weil dies so ist, sei schon an dieser Stelle ein struktureller Unterschied herausgestrichen zwischen Formvorschriften, die für den Bürger gelten, und jenen, die sich an den Staat richten: Für den Bürger ist die
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Beachtung der Form – bei einzelnen Erklärungen wie in einem Verfahren – die Voraussetzung für den Einsatz staatlicher Gewalt zu seinen Gunsten. Für den Staat hingegen sind die Formvorschriften Schranken und Leitplanken seines Gewalteinsatzes. Dies führt zu einer Reihe prozessualer Formvorschriften. Zunächst zu dem, was man Zeremoniell nennen kann. Dass der Kern eines gerichtlichen Verfahrens, die mündliche Verhandlung, auch eine theatrale Inszenierung ist, haben schon viele festgestellt und beschrieben (s. Schild 2006, 123). So gibt es eine bestimmte Sitzordnung, für die Hauptakteure Kleidervorschriften, vor allem einen Robenzwang (mit Ausnahmen; vgl. zur Robenpflicht für Anwälte BVerfGE 28, 21–36; OLG München NJW 2006, 3079–3080), und es gibt die Pflicht aufzustehen, wenn die Richter den Raum betreten, wenn sie das Urteil verkünden und wenn ein Zeuge seine Aussage mit einem Eid beschwört – wobei er außerdem noch die Hand zu heben und exakt festgelegte Worte zu sprechen hat. Diese Normen zu den Äußerlichkeiten einer Handlung und zum Wortlaut einer Erklärung sind unstreitig Formvorschriften. Sie haben den Zweck, den Beteiligten den Ernst der Lage zu verdeutlichen und klarzustellen, wer welche Funktion und welche Rechte hat. Mit der Eidesformel soll außerdem verdeutlicht werden, dass und was jetzt geschworen wird. In diesen Punkten gleicht der Zweck dem vieler Schriftformerfordernisse. Außerdem sichert das Zeremonielle die staatliche Autorität und mit ihr die Verfahrenshoheit und das Gewaltmonopol des Staates. Dass es heute nur noch die mündliche Hauptverhandlung ist, die zeremonienhafte Züge trägt, liegt daran, dass nur sie öffentlich stattfindet. Denn „je breiter die Öffentlichkeit, um so mehr Gewicht wird auf die Vollendung der äußeren Form gelegt“ (Triepel 1947, 43). Daran schließen sich Formvorschriften für Erklärungen an. Die wichtigsten Handlungen in einem Verfahren sind eine Reihe von Erklärungen, die dort abgegeben werden; etwa ein Beweisantrag und die Verkündung des Urteils. Und auch in einem Verfahren ist manche Erklärung in einer bestimmten Form abzugeben. So sind Rechtsmittel, zum Beispiel eine Revision, schriftlich einzulegen oder ‚zu Protokoll‘ der Geschäftsstelle des Gerichts; also dadurch, dass man zu dieser Geschäftsstelle geht und den Beamten dort aufschreiben lässt, dass man das fragliche Rechtsmittel einlegt. Die Begründung einer Revision muss im Strafverfahren außerdem von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Auf der anderen Seite haben auch Richter ihre Urteile und Beschlüsse zu unterschreiben und besonders wichtige Urkunden, etwa eine Ladung oder ein Urteil, dem Adressaten förmlich, das heißt amtlich und nach besonderen Regeln zustellen zu lassen. Die Zwecke dieser Normen unterscheiden sich nicht von denen der außerprozessualen Formvorschriften für Erklärungen. In einem Verfahren unterliegen Erklärungen allerdings weiteren Einschränkungen, die zwar nicht in neuen Formerfordernissen bestehen, aber trotzdem mit
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ihrer Form zu tun haben, genauer: damit, dass die Erklärung in einem Prozess abgegeben wird. Denn für solche Erklärungen gilt der Grundsatz (mit Ausnahmen), dass sie bedingungsfeindlich sind, unwiderruflich und unanfechtbar (vgl. stellvertretend und für das Strafverfahren Beulke 2016, Rn. 297 ff.). Man will im Verfahren im Zweifel sofort wissen, woran man ist, und darauf vertrauen können, dass es auch dabei bleibt. Mit anderen Worten hat man im Verfahren ein besonderes Bedürfnis nach Rechtssicherheit in Form der Situationsklarheit und der Bestandssicherheit. Denn das Verfahren soll eine Angelegenheit erstens möglichst rasch und zweitens endgültig erledigen. Wenn wir den Blick von den Erklärungen lösen und anderen Verfahrenshandlungen zuwenden, stehen wir vor dem Problem, das uns schon oben beschäftigt hat: Als Formvorschrift zu einer solchen Handlung kommt praktisch jede Norm in Frage, die ihre Ausführung betrifft (und nicht ihre sonstigen Voraussetzungen). Außerdem gibt es unendlich viele Verfahrenshandlungen. Wir beschränken uns hier auf die Beweisaufnahme in der mündlichen Hauptverhandlung und dort auf die Vernehmung eines Zeugen im Strafverfahren. Denn das Strafverfahren ist für die meisten das Paradigma eines gerichtlichen Prozesses, die mündliche Hauptverhandlung ist der Kern dieses Verfahrens, die Beweisaufnahme ist der Kern der Hauptverhandlung, und der Zeuge ist noch immer das wichtigste Beweismittel. An einer solchen Zeugenvernehmung lässt sich auch zeigen, wie man im Verfahrensrecht Form- von Inhaltsvorschriften unterscheiden kann. Die Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung eines Strafverfahrens ist Teil des sogenannten Strengbeweisverfahrens. Ihm steht das weniger reglementierte Freibeweisverfahren gegenüber. Schon dies legt es nahe, Regelungen für eine derartige Zeugenvernehmung als Formvorschriften zu verstehen. Sie schreiben zunächst vor, dass der Zeuge am Verhandlungstermin, das heißt in aller Öffentlichkeit und vor jenen Richtern aussagen muss, die später entscheiden. (Nur zum Schutz gefährdeter oder psychisch angeschlagener Zeugen darf die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden.) Außerdem hat er höchstpersönlich auszusagen, also in eigener Person. Er darf keinen Vertreter schicken und kann sich nicht auf eine schriftliche Äußerung beschränken. Vor der eigentlichen Befragung zur Sache sind Identität, Alter, Beruf und Wohnort des Zeugen festzustellen, dann ist er – wie Juristen sagen – zu belehren: über seine Pflicht, bei der Wahrheit zu bleiben, über die Folgen, wenn er dies nicht tut, und über seine Pflicht, die Aussage auf Wunsch zu beeiden; gegebenenfalls auch über sein Recht, die Aussage ganz zu verweigern (etwa als Ehemann einer Angeklagten) oder einzelne Angaben schuldig zu bleiben, wenn sie ihn der Gefahr aussetzten, selbst zum Beschuldigten eines Strafverfahrens zu werden. Dann ist dem Zeugen mitzuteilen, worum es geht und wer der Beschuldigte ist. Und erst jetzt wird der Zeuge aufgefordert, zu schildern, was er gesehen oder sonst wahrgenommen hat. Nachdem er dies getan
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hat, folgen Fragen des Gerichts und anderer Verfahrensbeteiligter. Am Ende kann der Zeuge noch vereidigt werden, was allerdings selten geschieht. Dann wird er entlassen und darf gehen. Alle diese Bestimmungen rund um die Befragung und die Aussage des Zeugen lassen sich als solche zur Form des Zeugenbeweises einordnen. Denn es gibt auch Vorschriften, die sich allein auf den Inhalt dieses Beweises beziehen: Der Zeuge soll zunächst in der zeitlichen Abfolge des Geschehens schildern, was er wahrgenommen hat. Und wenn er selbst durch die Tat verletzt worden ist, soll er die Folgen schildern. Ferner bestimmt das Gesetz für die Fragen des Gerichts und anderer Verfahrensbeteiligter – Angeklagter, Verteidiger, Staatsanwalt, Nebenkläger –, dass sie sich auch auf Umstände beziehen dürfen, die für die Glaubwürdigkeit des Zeugen von Belang sind, insbesondere auf seine Beziehung zu dem Angeklagten und dessen Opfer, dass aber Fragen zu Umständen, die dem Zeugen ‚zur Unehre gereichen können‘, nur gestellt werden dürfen, ‚wenn es unerlässlich ist‘. Außerdem darf dem Zeugen weder gedroht noch darf er getäuscht werden. Zum Zweck der Formvorschriften für den Zeugenbeweis steht unter dem Strich wieder das, was schon für den Verfahrenszwang als solchen gilt, wenn der Staat etwas von seinen Bürgern will: Es geht um den Schutz des Bürgers vor der staatlichen Gewalt. Vor allem sollen die Formvorschriften so sicher wie möglich stellen, dass der Zeuge vollständig und wahrheitsgemäß aussagt. Dies wiederum soll eine inhaltlich zutreffende Entscheidung ermöglichen. Und dadurch sollen Unschuldige vor einer Verurteilung und Strafe geschützt werden – also vor der unangenehmsten Form staatlicher Gewalt. Doch auch soweit die Formvorschriften den Zeugen schützen, geht es am Ende um diese Gewalt. Denn die Belehrungen über Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte sollen diese Rechte verdeutlichen, und diese Rechte schützen den Zeugen vor einer Aussagepflicht, deren Erfüllung der Staat sonst mit Ordnungsgeldern, ja sogar mit Beugehaft – also gewaltsam – erzwingen könnte.
4 Segen und Fluch der Form Wir kommen jetzt auf das Urdilemma aller Rechtsförmlichkeit zurück, und zwar darauf, dass sie zwar die Rechtssicherheit stärkt, dadurch aber stets der Ungerechtigkeit Vorschub leistet.
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Segen der Form: Die Form als Schutzwall Stets bringt die Form Rechtssicherheit: Sicherheit, dass etwas ist, dass etwas sein wird und dass es bestehen bleibt. Und Sicherheit bedeutet Schutz vor Willkür, vor allem vor staatlicher Willkür und staatlicher Gewalt. Besonders verdeutlichen das die Formvorschriften für alle staatlichen Verfahren; angefangen bei dem Zwang, ein solches Verfahren einzuleiten, um zu dem erwünschten Ziel zu gelangen. Das haben auch schon die Autoren der deutschen Zivilprozessordnung von 1877 so gesehen: Deren Formvorschriften bereiteten zwar Umstände, würden aber „gegen Willkür und Uebereilung schützen“ (Hahn 1880, 115–116). Und in der Zeit des Nationalsozialismus wollte der Gesetzgeber für denselben Zivilprozess „eine möglichste [sic] Befreiung des Richters von formalen Schranken“ (Amtliche Verlautbarung zum ZPO-Änderungsgesetz vom 27. Oktober 1933 [RGBl. I S. 780], RAnz. 1933 Nr. 257, S. 1). Denn so, wie Willkür für den Rechtsstaat das größte Übel bedeutet, ist sie für eine Diktatur tragendes Prinzip. An dieser Stelle rückt noch einmal jener Ausspruch Jherings in hellstes Licht, der an dem Beginn dieses Beitrags steht. Dort heißt es allerdings auch schon, dass der eiserne Schutz durch die Form zu ebenso eisernen Gefängnisketten werden kann.
Fluch der Form: Die Form als Gefängnis Formvorschriften können immer dann zu Ungerechtigkeiten führen, wenn ihre Missachtung einen Rechtsverlust zur Folge hat, der das Gerechtigkeitsgefühl beleidigt – oder ihre Beachtung einen Gewinn verschafft, für den das gleiche gilt. Cicero brachte diesen Befund mit seinem vielzitierten summum ius summa iniuria zum Ausdruck: Das höchste Recht ist auch das größte Unrecht (in De officiis 1 § 33; Nachweise zu Schrifttum, das dieses Zitat behandelt, bei Liebs 51991, 204). Form und Gerechtigkeit stehen stets in einem Spannungsverhältnis. Für das Verfahrensrecht kommt dies schon in dem Titel einer grundlegenden Dissertation von Max Vollkommer von 1973 zum Ausdruck: Formenstrenge und prozessuale Billigkeit. Die Form und die Gerechtigkeit sind zweierlei. So werden die zivilrechtlichen Formvorschriften für Erklärungen in § 125 BGB zu einer Mauer, die zugleich schützt – und die Gerechtigkeit einsperrt. Diese Norm bestimmt, dass Erklärungen ohne die erforderliche Form nichtig sind, das heißt rechtlich inexistent. Das erscheint zunächst ebenso folgerichtig wie gerecht: Wenn ich einen Kaufvertrag über ein Grundstück nicht wie vorgeschrieben notariell beurkunden lasse, habe ich eben keinen Kaufvertrag und mithin auch keinen Anspruch auf das Grundstück. So ergeht es mir und jedem anderen ohne Ansehung der Person. Warum sollte das ungerecht sein? Doch das Rechtsgefühl
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spricht oft eine andere Sprache, vor allem wenn das Formerfordernis weniger bekannt ist und nicht so naheliegt. So verlangt § 2247 BGB für ein Testament, dass es eigenhändig geschrieben werde, und dies bedeutet: Es muss vom ersten bis zum letzten Wort mit der Hand geschrieben sein; von demjenigen, der testiert. Druckt jemand den Text aus oder schreibt ihn mit der Maschine und unterschreibt ihn nur, ist das Testament unwirksam – und es tritt die gesetzliche Erbfolge ein, die zu einem völlig anderen Ergebnis führen kann. Und dies auch dann, wenn sonnenklar und gänzlich unbestritten ist, was der Verstorbene gewollt hat; und obwohl er es in eindeutigen, zweifelsfrei von ihm stammenden Worten schriftlich fixiert und unterzeichnet hat. Diese unbarmherzige Konsequenz nennt man die Formenstrenge des Rechts. Eine solche Formenstrenge gibt es auch im Verfahrensrecht, wenngleich nicht flächendeckend. Der Verfahrenszwang als solcher führt allerdings nicht nur zur Nichtigkeit der Handlungen, die ihn missachten, sondern sogar zu deren Rechtswidrigkeit; mit der Folge, dass gegen sie Notwehr geübt werden darf: Versucht ein Vermieter, den Mieter nach der Kündigung eigenhändig aus der Wohnung zu werfen, darf sich der Mieter mit Gewalt dagegen wehren. Innerhalb des Verfahrensrechts kommt es dann aber darauf an, welche Bedeutung der fraglichen Formvorschrift beigemessen wird. Wenn wir wieder auf den Zeugenbeweis im Strafverfahren schauen, so betrachtet man es als eine wichtige formale Pflicht des Gerichts, einen Zeugen, etwa den Ehemann einer Angeklagten, über dessen Zeugnisverweigerungsrecht zu informieren – selbst wenn er dieses Recht kennen müsste, zum Beispiel weil es nicht das erste Mal ist, dass seine Frau vor Gericht steht. Daher macht es die Aussage eines solchen Zeugen unverwertbar, wenn er nicht über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt wurde. Und dies selbst dann, wenn die Aussage uneingeschränkt glaubhaft ist und die Angeklagte nur durch sie überführt werden kann. Zwar ist es zulässig, den Ehemann erneut und dieses Mal formfehlerfrei zu vernehmen. Aber wenn er jetzt die Aussage verweigert, bleibt es dabei, dass seine früheren Angaben als nicht gemacht betrachtet werden müssen. Und dann ist seine Frau freizusprechen – trotz erwiesener Täterschaft und Schuld. Denn die sind nun einmal nicht formgerecht bewiesen worden. Anders hingegen, wenn das Gericht vergisst, einen Zeugen nach seinem Alter zu fragen oder wenn es die Vernehmung sofort mit einzelnen Fragen beginnt, statt den Zeugen zunächst am Stück berichten zu lassen. Diese Formfehler hält man für weniger gravierend, sie ändern daher nichts an der Verwertbarkeit der Aussagen. Im Normalfall führen sie auch nicht dazu, dass das Urteil hinsichtlich der fraglichen Vernehmung mit einer Revision zu Fall gebracht werden könnte. Auch soweit das Verfahrensrecht für Erklärungen eine besondere Form bestimmt, unterscheiden sich die Folgen je nachdem, um welche Vorschrift es geht. Formenstreng ist zum Beispiel die Bestimmung der Strafprozessordnung,
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dass ein Urteil in der Revision zwingend aufgehoben werden muss, wenn die Urteilsurkunde keine Entscheidungsgründe enthält – eine Teilmissachtung des Schriftformerfordernisses – oder wenn sie nicht innerhalb bestimmter Frist (normalerweise fünf Wochen) „zu den Akten gebracht“ worden ist, das heißt vollständig und unterschrieben der Geschäftsstelle des Gerichts vorliegt (§ 338 Nummer 7 StPO). – Die Spannung zwischen Formenstrenge und Gerechtigkeit führt immer wieder zu Ausgleichsbemühungen und zu Versuchen, aus dem Gefängnis der Formenstrenge auszubrechen. Schon die Sophisten und Aristoteles stellten dem Recht die Billigkeit gegenüber (Aristoteles tat dies im 14. Kapitel des 5. Buches seiner Nikomachischen Ethik). Diesen Dualismus spiegelt auch die Redensart, dass etwas ‚recht und billig‘ sei, was nämlich bedeutet: nicht nur dem Recht entsprechend, sondern auch billig, das heißt gerecht. Der Unterschied tritt bei den Formvorschriften besonders krass zutage – wie die Beispiele oben zeigen. Wer dann der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen will, muss zuerst eine rhetorische Regel beachten. Und zwar muss er die Formenstrenge als Formalismus bezeichnen. Denn so nennt man im juristischen Zusammenhang ein unsinniges Bestehen auf der Form, ein dummes Kleben an der Formvorschrift (das Wort ‚Formalismus‘ wird fast nur mit abwertenden Beiwörtern gebracht, siehe etwa BVerfG NVwZ 2005, 1176 [1177] [„bloßer“ Formalismus]; ebenso in BGHZ 30, 186 [192]; BGHZ 71, 69 [74] [„sinnloser“ Formalismus]; BGHZ 52, 25 [30] [„unerträglicher“ Formalismus]; zahlreiche weitere Nachweise bei Münch 2009, 66; Münch selbst versteht diesen Begriff aber positiv [65]). Allerdings fragt sich, wann Formenstrenge tatsächlich dumm und unsinnig sei. Denn die Ungerechtigkeit des Ergebnisses allein ist dafür noch kein hinreichender Grund. Fast im Gegenteil: Soweit es der Sinn einer Norm ist, vor Willkür zu schützen, lebt er davon, dass die Norm lückenlos angewandt wird. Denn jede Lücke bricht weiteren Ausnahmen Bahn – und damit zugleich der Willkür. Außerdem hat Formenstrenge stets auch den Sinn, die Rechtsgenossen sowie den Staat zu disziplinieren und der Formvorschrift ihre Autorität zu erhalten. Daher darf von der Formenstrenge nur abweichen, wer nach einer sorgfältigen Abwägung sicher ist, dass ihr Nutzen weniger Gewicht hat als die Gerechtigkeit im Einzelfall. Diese Abwägung ist nie pauschal möglich, sondern immer nur mit Blick auf die Umstände jenes einzelnen Falles und damit auf die Bedingungen, unter denen man die Ausnahme erwägt. Manchmal eröffnet schon das Gesetz selbst Auswege aus der Formenstrenge, und zwar wenn es eine Möglichkeit vorsieht, den Formverstoß – so sagt man – zu heilen. Zu den zivilrechtlichen Formvorschriften für Verträge gewährt das Gesetz in einer Reihe von Fällen die Chance, den Formmangel durch Erfüllung zu heilen; also dadurch, dass die Vertragspartner die Leistungen erbringen, die sie sich formlos versprochen haben (eine Liste dieser Normen bei Ellenberger 752016b,
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Rn. 13). Ein alltägliches Beispiel hierfür ist die Schenkung: Ein Vertrag, in dem sich jemand zu ihr verpflichtet, muss notariell beurkundet werden. Aber wenn dies nicht geschieht, wird der Vertrag gleichwohl wirksam, sobald der Schenkende sein Versprechen erfüllt, zum Beispiel seinen Gebrauchtwagen einem anderen übereignet (beides steht im § 518 BGB). Das ist deswegen von Belang, weil der Schenkende sonst – bliebe der Vertrag unwirksam – jederzeit die Rückübereignung des Wagens verlangen könnte. Die größeren Löcher schlägt allerdings die Rechtsprechung in die Mauern der Formvorschriften. Im Zivilrecht benutzt sie dafür als Hammer den § 242 BGB. Sein Wortlaut bestimmt nur, dass ein Schuldner die Leistung nach „Treu und Glauben“ zu erbringen habe. Daraus folgern die Gerichte indes, dass eine solche Bindung an Treu und Glauben ungeschrieben das gesamte Zivilrecht durchziehe. Und unter dieser antiquierten Formulierung versteht man eine Pflicht zu Fairness und Billigkeit; zu einer Art Treue dem anderen gegenüber, dessen Glauben an sie geschützt werden soll. Unter Berufung auf dieses Prinzip sieht man dann über einen Mangel der Form hinweg, wenn die Nichtigkeit des Vertrages zu einem „schlechthin untragbaren“ Ergebnis führte (BGHZ 138, 339 [348]; 29, 6 [10]), etwa wenn ein Vertragspartner den anderen davon abgehalten hatte, die Schriftform einzuhalten, oder wenn die wirtschaftliche Existenz einer Partei bedroht ist (vgl. BGH NJW 2008, 2181 Rn. 28; NJW 2007, 3202 Rn. 23). Allerdings muss dann derjenige, der an dem Rechtsgeschäft festhalten will, in schutzwürdiger Weise auf dessen Wirksamkeit vertraut haben (Ellenberger 752016b, Rn. 24 ff.). In ähnlicher Art erlauben die Gerichte, dass in der Zwangsvollstreckung die zu vollstreckenden Urteile doch noch einmal auf offensichtliche und krasse Fehler hin geprüft werden, obwohl das Gesetz dies nicht zulässt (dagegen daher Münch 2009, 68). Im Verfahrensrecht hat man zunächst die Möglichkeit, eine Formvorschrift als reine ‚Ordnungsvorschrift‘ zu begreifen, was frei übersetzt nichts anderes heißt als ‚unwichtige Formvorschrift‘. Ein Beispiel ist der oben genannte Fall, dass ein Zeuge nicht nach seinem Alter gefragt wird. Allerdings ist man sehr sparsam mit der Herabstufung einer Form- zur schlichten Ordnungsvorschrift. Doch auch eine Missachtung der anderen Formvorschriften hat nicht in allen Fällen zur Folge, dass die fragliche Verfahrenshandlung nichtig oder der fragliche Beweis unverwertbar würde. Was die Beweise betrifft, so entscheiden die Gerichte tatsächlich mit einer Abwägung darüber, ob sie trotz eines Formfehlers bei ihrer Erhebung verwertet werden dürfen. Diese Abwägung führt wie oben berichtet zum Beispiel dann zu einem Verwertungsverbot, wenn ein Ehegatte nicht über sein Recht belehrt wird, die Aussage in einem Strafverfahren gegen den anderen Ehegatten zu verweigern. Hingegen bleibt die Aussage verwertbar, wenn ein anderer Zeuge nicht über sein Recht informiert wird, solche Angaben zu verweigern, die ihn selbst einer Strafverfolgung aussetzen könnten. Diese beiden Abwägungsergeb-
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nisse gehören – wie viele andere – zur sogenannten ständigen Rechtsprechung. Das heißt, dass die Gerichte stets so entscheiden, also nicht immer wieder von neuem ins Abwägungsgrübeln geraten, wenn ein derartiger Fall vorliegt. Eine weitere Möglichkeit, Formfehler zu verzeihen, besteht darin, es für ausgeschlossen zu erklären, dass die Entscheidung des Gerichts auf ihnen beruhte. Denn das Mittel dazu, ein Urteil wegen eines Verfahrensfehlers anzugreifen, ist die Revision, und dem Revisionsgericht ist es im Regelfall nur dann gestattet, ein Urteil wegen eines Verfahrensformfehlers aufzuheben, wenn es auf ihm beruht; wenn der Fehler also für das Urteil ursächlich geworden ist. Allerdings begnügt man sich damit, dass dies nicht auszuschließen ist. Im Ergebnis hat das Urteil folglich nur Bestand, wenn sicher auszuschließen ist, dass es auf dem Fehler beruht. Außerdem gibt es im Strafverfahren noch sogenannte absolute Revisionsgründe. Bei ihnen kommt es nicht darauf an, ob sie für das Urteil ursächlich wurden. Und einige davon sind Verstöße gegen bestimmte Formvorschriften. Als Beispiel ist oben bereits der Fall begegnet, dass ein Urteil nicht rechtzeitig ‚zu den Akten gebracht‘ wird.
5 Fazit Jhering hatte also zunächst einmal recht: Formvorschriften schützen die Bürger vor Willkür und Gewalt, in erster Linie vor staatlicher Willkür und Gewalt. Sie sind eine zivilisatorische Leistung, ein Sieg des Prinzips über das Interesse und der Disziplin über die Neigung. Allerdings gibt es einen strukturellen Unterschied je nachdem, ob man die Sicht des Staates oder die der Bürger einnimmt. Aus Sicht des Staates sind die Formbestimmungen, die sein Verhalten binden, ausschließlich Schranken und Leitplanken für den Einsatz seiner Gewalt. Aus Sicht der Bürger hingegen kommt es darauf an, in welcher Rolle sich der einzelne wiederfindet: Will ein anderer Bürger etwas von ihm, so schützt ihn die Form vor dessen Gewalt ebenso wie vor jener des Staates, deren sich der andere bedient. Will ein Bürger aber selbst etwas von einem Mitbürger, dann wirkt die Beachtung der Form als Voraussetzung des Einsatzes staatlicher Gewalt zu seinen Gunsten; etwa wenn die Schriftform Voraussetzung dafür ist, dass ein wirksamer Vertrag vorliegt. Und auch wenn der Bürger etwas vom Staat will, zum Beispiel Sozialleistungen, eine Baugenehmigung oder die Müllabfuhr, ist das Einhalten von Formvorschriften eine Voraussetzung dafür, dass der Bürger bekommt, was er will. Und auch soweit Vorschriften zur Form vor Willkür und Gewalt schützen, führen sie immer in ein rechtliches Urdilemma, nämlich in das Spannungsverhältnis zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit, das prinzipiell unauflösbar
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ist. Formenstrenge ist eine Garantie; aber sie wirkt auch zugunsten jener Verbrecher, die wegen eines Formfehlers freigesprochen werden müssen, zugunsten jener Schuldner, die sich nach solchen Fehlern einer Leistungspflicht entziehen können, und zugunsten jener Erben, die ein Verstorbener mit guten Gründen, aber formfehlerhaft enterbt hat. Grundsätzlich ist dieser Preis ganz einfach zu bezahlen. Doch es haben sich der Gesetzgeber wie auch die Rechtsprechung bei jeder Formvorschrift sorgfältig zu überlegen, ob nicht für bestimmte Fälle eine Abwägung des menschlichen Grundbedürfnisses nach Gerechtigkeit im einzelnen Fall mit dem Nutzen der Rechtssicherheit in anderen Fällen ergibt, dass die Formenstrenge einer Lockerung bedarf. Denn Gerechtigkeit ist die Luft, die eine freie Gesellschaft zum Atmen braucht. Und das juristische Formenkorsett soll den Körper der Rechtsgemeinschaft stützen – ohne ihm die Luft abzuschnüren. Die Janusköpfigkeit der Form im Recht spiegelt sich auch in der Literatur. Ein drastisches Beispiel bietet Shakespeares The Merchant of Venice (Der Kaufmann von Venedig). In diesem Stück beruft sich Shylock – reich, aber ein gesellschaftlich schwacher Außenseiter – zunächst auf die Garantie der Form, wenn er auf einen Schuldschein pocht, in dem sich sein Gegner Antonio verpflichtet hat, ihm bei Zahlungssäumnis ‚ein Pfund Fleisch‘ aus seinem, Antonios Körper zu überlassen. Mit dem Schuldschein in der Hand tritt Shylock vor den Dogen, den höchsten Repräsentanten der Staatsmacht, verlangt sein verbrieftes Recht und mahnt: „If you deny it, let the danger light upon your charter and your city’s freedom.“ (etwas prosaischer übersetzt: „Wenn Ihr es mir verweigert, bringt Ihr die Verfassung und die Freiheit Eurer Stadt in Gefahr.“) Das klingt fast wie ein Verweis auf das Jhering-Zitat, das am Anfang dieses Beitrages steht. Und es war dann auch tatsächlich Jhering, der Shylocks Beharren auf dem förmlich Verbrieften im Ansatz verteidigte: „Wie mächtig, wie riesig dehnt sich die Gestalt des schwachen Mannes aus, wenn er diese Worte spricht […].“ (Jhering 1872, 64). Doch das Gerechtigkeitsgefühl empört sich gegen Shylocks Forderung; zumal da ihm viel Geld dafür geboten wird, auf sie zu verzichten, und er offen zugibt, dies allein aus Hass und Rachsucht nicht zu tun. Für dieses Gerechtigkeitsgefühl wird die Form zum Gefängnis. Und am Schluss ist das Gefühl so stark, dass es die Gitterstäbe jenes Gefängnisses aufbiegt und Shylocks Ansinnen zurückweist. Die Herausforderung für eine Rechtsordnung und ihre Juristen liegt darin zu erkennen, wann die Form noch ein wertvoller Freiheitsgarant ist – und wann schon eine Fessel der Gerechtigkeit, die ihr so stark ins Fleisch schneidet, dass man sie zu zerreißen hat.
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Weiterführende Literatur Ebel, Wilhelm. Recht und Form. Vom Stilwandel im deutschen Recht. Tübingen 1975. Isay, Hermann. „Die Bedeutung der Form im Recht“. Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 27 (1933): 44–52. Oestmann, Peter. Hrsg. Zwischen Formstrenge und Billigkeit. Forschungen zum vormodernen Zivilprozess. Köln 2009. Triepel, Heinrich. Vom Stil des Rechts. Beiträge zu einer Ästhetik des Rechts (1947). Mit einer Einf. von Andreas von Arnauld und Wolfgang Durner. Heidelberg und Berlin 2007 [1947]. Walter, Tonio. Hrsg. Die Mündlichkeit im Rechtsleben. Tübingen 2016.
Reinhard Wendler und Robert Matthias Erdbeer
IV.3.2 Erbaute Form. Zum Formbegriff in der Architektur 1 Wertungen In seiner wegweisenden Untersuchung Die Poetik eines Mauervorsprungs (1987) macht sich Jan Turnovský, Architekt am Wiener Institut für Wohnbau, an die Lösung eines heiklen Formproblems. Es nistet in der Architektenpsyche: Der Architekt wird – bei der eigenen Arbeit sowie als Betrachter von Architektur – stets ein wenig verunsichert, wenn ein Detail, ein Zusammenhang oder eine Maßnahme lediglich als formal begründet erscheint. Eine Rechtfertigung aus dem außerästhetischen Bereich ist ihm daher immer willkommen. Fast automatisch wird nach ihr Ausschau gehalten; es wird nach einem möglichen Zweck für die vorgegebene, beabsichtigte oder sonstwie apriorische Form gesucht, dies vielleicht noch heftiger als – im umgekehrten Fall – nach einer guten Form für einen vorgesehenen Zweck. (Turnovský 2014 [1987], 160)
Zweck und Form erscheinen hier als Gegensatz; der Grundsatz Louis Sullivans, form follows function, wird erkennbar als Maxime, die das autonome, ideale oder apriorische Moment der Form an Zwecke binden, auf die Füße stellen will: Die gute Form ist die nützliche Form. In exemplarischer Weise stellt sich hier die Frage nach der Art und Reichweite des Formbegriffs und seiner schillernden Bedeutungen für ein Gewerbe, dass sich zwischen Wissenschaft und Auftragsarbeit, Zweckgebundenheit und freier Kunst orientiert. Geplante, konstruierte und erbaute Formen schwanken dabei zwischen ihrer Leistung als Ermöglichungsbedingung einer Umsetzung, konkreter Anwendung und jener gegenstands- bzw. medienübergreifenden Ästhetik, die sie über einen reinen Funktionalismus erhebt. Historisch zeigt sich dieses Amalgam bereits in der konstruktivistischen Architekturzeitschrift G. Als Kernprinzip des Avantgarde-Organs, an welchem neben dem Herausgeber und Grafiker Hans Richter auch der Bauhausarchitekt Mies van der Rohe und der Bauhauskünstler Werner Graeff beteiligt waren, wurde die „elementare Gestaltung“ bestimmt (vgl. Richter 1986 [1923–1926]). Die Reduktion auf die basalen Ausdrucksformen (Materialien, Medien, Techniken) des Bauens und Gestaltens zielt dabei auf die Genese eines neuen Formenkanons, welcher im Zusammenspiel von künstlerischer Produktion, geschulter Wahrnehmung und psychophysischer Disposition entsteht: „This process – which one could designate as a reconstruction following an elemental reduction – follows a law of economic conservation: no energy must be wasted on superfluous matter. All ornament must be eliminated. Once this is achieved, the streamlining of form https://doi.org/10.1515/9783110364385-025
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generates an excess of energy that may in turn be used to produce other forms.“ (Trop 2013, 34). Die Ausrichtung auf einen funktionalen Horizont, das Anwendungskalkül, ist dabei allerdings stets in ästhetische, poetische und esoterische Konzepte eingebunden, deren Ziel in der Erzeugung eines kulturellen Aufbruchs, eines ‚formalistischen Vitalismus‘ besteht. Die Form der Architekten ist ein schillerndes Wertungskonzept. Tatsächlich findet sich schon in der Etymologie des Formbegriffs ein wertendes Moment, genauer: eine Abwertung gegenüber dem Inhalt oder der Funktion einer Sache. So geht ‚Form‘ dem Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm zufolge auf das lateinische ‚ferre‘ mit der Bedeutung ‚tragen‘ zurück. Die Form oder Gestalt, so heißt es dort, sei „das mit sich, an sich getragene“. Als solches ist es ein Uneigentliches, das zum Eigentlichen in einer ähnlichen Beziehung steht wie die Kleidung zum menschlichen Körper. Die Form hat so gesehen eine kommunikative, identifizierende Funktion, denn ‚formen‘ heißt, wie im Georges nachzulesen, „einer Sache diejenige Gestalt [zu] geben, die sie haben muss, um für das erkannt zu werden, was sie vorstellen soll“ (Georges 1831, Sp. 1310). So könnte man hier, um im Bild zu bleiben, an eine Berufskleidung denken, die den Bäcker unmittelbar als solchen zu erkennen gibt, auf dessen Bäckersein aber keinen weiteren Einfluss hat. Zugleich ist bei Georges das nicht unverfängliche Verfahren angedeutet, dass im Formprozess das Eigentliche erst mit Hilfe des Uneigentlichen kenntlich, weil gestalthaft wird. Die Macht der Form, so lässt sich hier vermuten, wird – wie in der mittelalterlichen Lehre vom integumentum, der Verhüllung des Gemeinten – eine hermeneutische sein. Zu dieser Wertung, die dem Wort und der Bedeutung ‚Form‘ historisch mitgegeben ist, wurden im Verlauf der Geschichte und je nach Anwendungsgebiet zahlreiche weitere Bedeutungselemente hinzugefügt, die ihrerseits mit Wertungen verbunden sind. In den gestalterischen Disziplinen, etwa der Bildhauerei, der Malerei oder der Architektur, stand und steht der Ausdruck vielfach für das Resultat einer gestaltenden Handlung und damit nicht im Gegensatz zu Inhalt und Funktion des Ausgedrückten, sondern zu dessen Ungeformtsein. Hier firmiert die Form gerade nicht als das Uneigentliche, sondern als der Ausdruck eines willentlichen Aktes oder auch – im Kontext der idealistischen Kunsttheorien der Renaissance – als materieller Ausdruck einer Idee. Im Rahmen dieser Theorien und der Hierarchie des Seinsadels, die sie behaupten, steht der materielle und geformte Gegenstand zwar tiefer als die dem göttlichen Ursprung zugeschriebene Idee; als deren irdischer Ausdruck aber steht er höher als das Ungeformte. Durch den Formungsvorgang gehen nämlich die dem mundus archetypus unterstellte Perfektion und Harmonie in zwar schon korrumpierter, aber noch erkennbarer Weise auf das gestaltete Objekt über – mit dem Ausdruck ‚Form‘ klingt also nicht zuletzt ein Qualitätsversprechen an.
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Ein dritter Aspekt, der hier genannt werden soll, kommt in der Verwendung des Ausdrucks ‚Form‘ im Sinne von ‚Art und Weise‘ zum Vorschein. Es handelt sich dabei um eine spätere Anverwandlung, die auf den Umstand fokussiert, dass ein und derselbe Inhalt, eine und dieselbe Funktion, mehrere Formen haben oder annehmen können. Dieser Wortgebrauch verweist unter anderem auf eine in Gestaltung und Architektur gefürchtete Beliebigkeit der Formen. Um ihr zu begegnen, wurde der Formbegriff vor allem in der Moderne an verschiedene Ketten gelegt, so an die Kette der Funktion (form follows function) oder auch an die der Natur selbst: „Form liegt in der Natur der Sache, d. h. sie ist bedingt durch ihren Inhalt, ist also vorgegeben und nicht beliebig manipulierbar.“ (Grütter 1987, 120). Im Hintergrund steht hier auch eine dritte Wertung, die – wie bei der Sonderschau Die gute Form des Schweizerischen Werkbundes von 1949 öffentlichkeitswirksam vorgetragen – die gute von der schlechten und die richtige von der falschen Form trennt. Hier tritt die Form nicht als ein Uneigentliches gegenüber dem Eigentlichen auf, noch als Gestaltetes gegenüber dem Ungestalteten, sondern als das gefährdete moralisch Richtige, das in einer von schlechtem oder falschem Design überfluteten Welt geschützt und gestärkt werden muss. Aus diesen drei Perspektiven lässt sich ersehen, dass der Formbegriff eine wesentlich normative Geschichte hat. Er bezeichnet nicht nur einfach eine Sache, sondern formuliert oder kontrastiert zunächst ein Ideal und ruft zugleich auch dazu auf, dem Ideal zu folgen. Wer ‚Form‘ sagt, kann sich oder andere auf implizitem Weg dazu ermahnen, Wesentliches in den Blick zu nehmen und nach Gott, dem Wahren oder Richtigen zu streben. Solche mit Moral geladenen Begriffe schweben allerdings nicht frei im abstrakten philosophischen Raum. Sie treffen vielmehr in fast allen Feldern der gestalterischen Disziplinen immer neu und anders auf die zu gestaltenden Objekte oder Materialien, und damit auf Einflussfaktoren, die sich dem moralischen Bestreben gegenüber gleichgültig, bisweilen sogar destruktiv verhalten. In diesem Zusammenhang wird ein Ausspruch Galileis bedeutsam, der 1638 einen „Ungehorsam der wirklichen Maschinen gegen ideale“ beschrieben hat (Galilei 1890 [1638], 4). Dieser gehe nicht allein aus der Unvollkommenheit der Materie hervor, sondern gründe auch darin, dass grosse materielle Objekte andere Eigenschaften haben als kleine. Galilei stellte sich damit gegen eine kunsttheoretische Tradition der Renaissance, die Mittel und Vermögen der Bildhauer und Architekten maßlos zu überschätzen. So berichtet zum Beispiel Leon Battista Alberti in De Statua von einer Methode, eine Form von einem kleinen Modell in eine große Statue zu übertragen. Diese Methode sei so gut,
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dass Du Dir zutrauen darfst, […] eine dem Modell vollkommen ähnliche Statue zu bilden, sei diese nun kleiner oder gleich groß oder auf hundert Ellen angelegt – ja, ich wage sogar zu behaupten: sie könnte gar so groß wie der Kaukasus sein, wenn uns nur für so ungeheure Schöpfungen die geeigneten Mittel zur Verfügung stünden. (Alberti 1877 [um 1435], 176–178)
Die Statue, die Alberti hier vor das geistige Auge ruft, ist nach heutigem Verständnis 1100 Kilometer lang und 5642 Meter hoch. Im Italien der Renaissance war der Kaukasus das größte bekannte Gebirge, Alberti adressiert also das grösste als Einheit fassbare irdische Objekt. Galileis Wort vom „Ungehorsam der wirklichen Maschinen gegen ideale“ wendet sich gegen selbstgefällige methodentheoretische Überhöhungen wie diese. Denn während sich im Kopf eine und dieselbe Form beliebig hinaufskalieren lässt, ist dies in der materiellen Welt nicht möglich. Vielmehr wird durch mechanische Kräfte wie die von Galilei beschriebenen, aber auch durch andere Faktoren, der Begriff der Form ebenfalls geprägt, möglicherweise stärker noch als durch moralisch-ethische Verwendungsweisen. In der architekturtheoretischen Literatur wird dieser zweite große Einflussbereich aus Reflexionen über die Form zumeist herausgehalten und an anderer Stelle abgehandelt. Der Formbegriff wird dadurch gleichsam bereinigt, zugleich aber unscharf, weil er sich auf die konkreten Formen der Bauwerke nicht mehr konfusionslos anwenden lässt. Er fungiert mehr als eine entwerferische Maßgabe denn als ein analytischer Begriff, gehört mehr der Galilei’schen Welt der phantastischen „machine […] astratte, & ideali“ an als jener der „machine in concreto“ (Galilei 1855 [1638], 3). Zu einer Überblicksdarstellung zum Formbegriff in der Architektur gehören daher auch seine gleichsam verstoßenen Aspekte. Denn ‚Formʻ ist in der Architektur nicht nur ein Anspruch, sondern auch eine visuelle, taktile und funktionale Wirklichkeit, und dies nicht nur auf der Baustelle und im vollendeten Gebäude, sondern auch in der Phase der Formfindung.
2 Formfindungen Der „Ungehorsam der wirklichen Maschinen gegen ideale“ kommt unter anderem beim Versuch zum Tragen, ein kleines Modell in eine grosse Statue oder ein Gebäude zu übertragen. Darüber hinaus aber gilt dies bereits beim Modellieren selbst, das hier als ein Element der Formfindung verstanden wird. Eine der maßgeblichen Autoritäten dieses Diskursstrangs ist Platon, genauer gesagt sein Wachsbild im Theaitetos. Dort vergleicht Sokrates die Seele mit einem Wachsblock und die Wahrnehmungen als Formen, die sich in ihn einprägen. Bei manchen Menschen sei das Wachs „stark aufgetragen[,] reichlich und glatt und gehörig erweicht“. Solche Menschen seien gelehrig und hätten ein gutes Gedächtnis. Bei
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anderen hingegen sei das Wachs „zu feucht oder zu hart“, „haarig“, „rauh“ und „mit Erde und Schmutz vermischt“. Diese Menschen seien infolgedessen „unverständig, und man sagt, daß sie sich um das Wahre immer betrügen“ (Platon 2017 [4. Jhd. v. Chr.], 76). Es ist leicht erkennbar, dass es hier wieder um eine Wertung geht, die ihrerseits mit einer Überhöhung einhergeht. Denn Sokrates übergeht den Umstand, dass es ein absolut reines Wachs nicht geben kann und folglich alle Menschen in irgendeinem Maße unverständig sind und sich um das Wahre betrügen. Eben dies gilt auch für Entwurfsmaterialien und ihre Eignung, die Idee einer Architektin oder eines Künstlers aufzunehmen. Da es das absolut willfährige Entwurfsmaterial nicht gibt, kann allgemein gesagt werden, dass die Entwurfsmittel bei der Formfindung sozusagen ein Wörtchen mitzureden haben. Michelangelo hat dies mit großer Klarheit gesehen. Für ihn war insbesondere wichtig, mit welcher Geschwindigkeit ein Material geformt und umgeformt werden konnte. Horst Bredekamp hält dazu fest, Michelangelo habe Modelle prinzipiell zu meiden versucht, weil er ihren statischen und defizitären Charakter nicht ertragen konnte. Seine Wirklichkeit war die seines Kopfes. Was er abbildete, waren die Bewegungen seiner Ideen, gegenüber denen jedes Modell eine Erstarrung bedeuten mußte. Modelle verkörperten für ihn die Stillstellung der Dynamik seines Denkens. (Bredekamp 2005, 16)
Michelangelos Einsicht in die Langsamkeit der Modellierungsmaterialien kann vor dem Hintergrund von Platons Wachsbildnis nicht als wirklich neu bezeichnet werden. Aber Michelangelo hat als einer der ersten diese Einsicht konsequent in seinem Gebrauch von Modellen umgesetzt. So hat er beim Entwerfen vor allem mit Wachs-, Ton- und kleinen Holzmodellen gearbeitet, weil diese zu den schneller formbaren Modellierungsmaterialien gehörten. Als es jedoch darum ging, seinen gestalterischen Machtanspruch auf der Baustelle von St. Peter in Rom zu zementieren, ließ er ein gigantisches, reich geschmücktes Holzmodell bauen und nutzte damit just die zuvor verdammte Starrheit dieses Materials, um seinen Entwurf vor späteren Eingriffen zu schützen. In Michelangelos Modellen manifestiert sich daher eine pragmatische und situationsbezogene Indienstnahme der unterschiedlichen Charakteristika der Entwurfsmaterialien. Der Eigensinn der Modellierungsmaterialien wird bei Michelangelo noch annähernd ähnlich negativ beurteilt wie bei Platon. Anders als dieser hat Michelangelo jedoch bereits damit begonnen, seinen Nutzen aus den besonderen Eigenschaften der sozusagen „mit Erde und Schmutz“ vermischten Materialien zu ziehen. Dies zeichnet sich deutlich in seinen Bauwerken ab und wird dadurch zum architekturgeschichtlichen Faktum. So wurde vielfach hervorgehoben, dass Michelangelos Bauwerke eine skulpturale Qualität aufwiesen. James Ackerman führt dies auf die Verwendung von Ton zurück:
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To study three-dimensional effects he made clay models. The introduction of modelling into architectural practice again demonstrates the identity of sculpture and architecture in Michelangelo’s mind. It is also a further sign of his revolt against early Renaissance principles, since the malleability of the material precludes any suggestion of mathematical relationships or even any independence of parts. (Ackerman 1970, 47)
Mit Ton, so lässt sich Ackerman hier paraphrasieren, konnte Michelango jene Bauformen entwickeln, die er vor dem geistigen Auge gehabt hatte. Die Übertragung dieser Formen ins Bauwerk geschah dann möglicherweise wieder über Modelle, wie bereits Burckhardt und Lübke vermuten: „Auch Fenster, Säulen, Bogen etc. modellirte er seinen Bauführern und Steinmetzen gerne aus Thon vor, ohne Zweifel in einiger Grösse. Seine Gebäude scheinen dieses Verfahren durch eigenen Formenausdruck zu verrathen.“ (1867, 71). Die Resultate sind bis heute in Michelangelos architektonischem Werk zu beobachten. Wenn Ackerman, Burckhardt und Lübke Recht haben und die skulpturale Qualität von Michelangelos Bauten tatsächlich teilweise auf den Gebrauch von Ton als Modellierungsmaterial zurückgeführt werden kann, dann ist hiermit der Einfluss von Modellierungsmaterialien auf die architektonische Form gut begründet. Und da Michelangelos Formen tausendfach kopiert und variiert wurden, kann dieser Einfluss als geradezu global bezeichnet werden. In solchen Vorgängen, in denen sich Modellierungsmaterialien in die architektonische Form einschreiben, ist eines der verstoßenen Elemente des architektonischen Formbegriffs verkörpert. Die Kunst der Renaissance wurde wesentlich als eine Form der Herrschaft des Geistes über die Materie und darin als ein irdischer Nachvollzug der Macht Gottes verstanden. Ein großer Künstler war jener, der dem toten Material das Leben einer Idee einzuhauchen vermochte, nicht aber einer, der sich mit den „haarigen“ Dingen einließ (vgl. Latour 2010, 37). Michelangelos Modellpraxis kann daher als ein früher Verstoß gegen dieses Paradigma gelesen werden – der auch in seinen Bauwerken erfahrbar wird. Bis ins zwanzigste Jahrhundert hat sich dann eine unter anderem von Michelangelo angestossene Akzeptanz der Eigensinnigkeit der Entwurfsmittel entwickelt, die durch Architekten wie Günter Behnisch schließlich in konsequenter Art und Weise umgesetzt wurde. So formuliert Behnisch prägnant, „dass die Mittel, derer man sich [beim Modellieren] bedient, Gesetze haben, die sich aufdrängen“ (Behnisch in Spieker 2005, 111). Dies geschieht unabhängig davon, ob die Entwerfenden dies wollen oder nicht. Daher, so könnte man Behnisch hier vielleicht paraphrasieren, ist es besser, diese Kräfte nicht im Rückblick auf eine überkommene Tradition zu verdammen, sondern sie für die eigene Formfindung zu nutzen.
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3 Materialien/Kognitionen Im zwanzigsten Jahrhundert hat sich insbesondere Günter Behnisch intensiv mit den Umständen und Möglichkeiten dieses Zusammenhangs auseinandergesetzt und seine Überlegungen zu dieser Frage etwa im folgenden Satz komprimiert: „Holzklötzchen produzieren eine Klötzchenarchitektur. Ton neigt zu weichen Formen, Papier und Stäbe zu nicht körperlich akzentuierten Bauten usw.“ (Behnisch 1989, 196). Behnisch beschreibt hier die Folgen der Einbindung materieller Objekte in den Entwurfsprozess mittels einer Modellauffassung. Schaut man Holzklötzchen so an, als seien sie Gebäude, und versucht, solche mit ihnen zu entwerfen, so prägen sie sich in das mit ihnen Vorgestellte ein. Andere Modellierungsmaterialien führen daher – aufgrund ihrer jeweiligen aktuellen oder auch vermeintlichen Eigenschaften und Merkmale – zu anderen Ergebnissen. Behnisch forderte und lehrte den bewussten Einsatz von Entwurfsmedien als wesentlich formgebenden, den Entwurfsverlauf spezifisch restringierenden Faktoren. Diesen Wirkungszusammenhang erkennt Behnisch besonders deutlich beim Entwurf des Geländes für die Olympischen Spiele 1972 in München. Die Landschaftsformen sowie die Oberflächen der von Frei Otto entworfenen Zeltdächer unterliegen einer gemeinsamen Formensprache, die laut Behnisch unmittelbar durch die Verwendung von Sand als Modellierungsmaterial bestimmt wurden. Sand liegt mit Korngrößen zwischen 0,02 und 2 mm auf der Granularitätsskala zwischen Ton und Kies, sein mechanisches Verhalten zwischen dem von Fluiden und Feststoffen. Aufgrund der Vielzahl bestimmender Faktoren ist das mechanische Verhalten von Sand äußerst kompliziert – Dimitrios Kolymbas spricht von einer „black box“ und zitiert einen Kollegen mit dem Satz: „Das Verhalten von Sand ist dermaßen kompliziert, dass man es niemals mit einem Stoffgesetz beschreiben wird können.“ (Kolymbas, 2018, 5). Diese nur teilweise bestimmbaren Eigenschaften von Sand haben sich nun, so Behnisch, in die Modellierung des Olympiaparks eingeschrieben: Ich meine, daß der Charakter des Olympiaparkes, seine Endarchitektur, daß hier die bei anderen Sportanlagen ins Auge springenden großen und schweren Stahlbetonkonstruktionen nicht auftreten, daß tendenziell Leichtes sich ausgeformt hat usw., sich entwickeln konnte auch durch die Art des Materials, mit dem wir begonnen haben zu arbeiten. (Behnisch 1989, 196)
Je nach Korngröße und -beschaffenheit erleichtert Sand die Bildung mehr oder weniger weicher Formen und erschwert umgekehrt die Bildung senkrechter Flächen. In den Händen modellierender Architektinnen und Architekten begünstigt Sand also eine bestimmte Formensprache und verhindert zugleich andere. So verhalf der Sand Behnisch zu der zentralen Einsicht, „dass die Mittel, derer man
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sich [beim Modellbau] bedient, Gesetze haben, die sich aufdrängen“. Hätte Behnisch also mit Ton zu arbeiten begonnen, um die Formensprache des Olympiaparks zu ermitteln, so wäre er zu einem anderen Resultat gelangt. Ähnlich wie für Sand gilt für Ton, dass „es bis heute nicht gelungen ist, das deformationsmechanische Verhalten von Ton-Wasser-Systemen mit all seinen Nebenerscheinungen meßtechnisch befriedigend zu erfassen“ (Schwiete, Gauglitz und Steinmetz 1969, 5). Aufgrund seiner geringeren Korngröße kann Ton deutlich mehr Wasser binden und daher die ihm aufgeprägten Formen sehr viel leichter annehmen und behalten. Mit ihm lassen sich etwa senkrechte Flächen ohne größeren Aufwand im Modell realisieren. Behnischs Holzklötzchen-Gleichung zufolge hätte der Ton zu einer Ton-Architektur geführt, während der Sand zu einer Sand-Architektur führte. Deshalb erinnert der Münchner Olympiapark eher an Sanddünen als vielleicht an eine ornamental-skulpturale westafrikanische Tonarchitektur, wie sie beispielsweise in der Moschee im malischen Djenné zu finden ist. Behnischs Beobachtung gilt nicht nur für Sand, Ton, Holzklötzchen, Papier und Stäbe, sondern lässt sich auch auf andere Materialien und Medien der Modellierung anwenden. Und sie gilt nicht nur für die Architektur der Moderne und der Postmoderne, sondern auch für andere architektonische Epochen. Mit Behnisch wäre zum Beispiel zu überlegen, welche Architekturformen durch die Verwendung von Grund- und Aufriss auf Papier begünstigt werden, die in der Renaissance phasenweise dominant war. Könnte man hier im Sinne Behnischs von ‚Rissarchitektur‘ sprechen? Auf dieselbe Weise wäre angesichts der großen Kathedralprojekte des Barocks nach einer ‚Holzarchitektur‘ zu fragen, die auf die Verwendung großer Holzmodelle zurückzuführen wäre. Und ebenso wäre nach einer ‚Kartonarchitektur‘, einer ‚Plexiglasarchitektur‘ und schließlich auch nach einer ‚digitalen Architektur‘ zu fragen. Solche Architekturformen wären also charakterisiert durch die Materialien und Medien, die bei ihrer Modellierung verwendet wurden. Zugleich wäre damit ein Deutungsmuster mitgeliefert, das die spezifischen Bauformen zumindest teilweise auf die verwendeten Entwurfsmedien und -materialien zurückführbar macht. Wie sich an der Übertragbarkeit von Behnischs Holzklötzchen-Formel zeigt, vermögen unterschiedliche Materialien die architektonische Modellierung in unterschiedliche Richtungen zu lenken. Dies erfolgt durch die formbildende Kraft einer komplementären Konstellation, bei der ein konkretes Material mit ganz bestimmten materiellen und sinnlichen Eigenschaften durch eine Modellauffassung auf einen anderen Gegenstand bezogen wird. Wie ein Kind eine Banane als einen Telefonhörer auffassen kann, so kann Behnisch ein paar achtlos aufgetürmte Holzklötzchen als ein Gebäude auffassen. Die darauf folgenden Handgriffe, bei denen die Konstellation der Klötzchen so verändert wird, dass eine sinnvolle oder ästhetisch schlüssige Modellarchitektur entsteht, versetzen die
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komplementäre Konstellation in Bewegung, es entsteht eine Wechselwirkungsfolge, deren Verlauf durch beide Ausgangselemente sowie durch eine kaum bestimmbare Zahl an situativen Reaktionen bestimmt wird. Hier wird das durch die Modellauffassung instanziierte Prinzip der Komplementarität zum analytischen Muster, das sich nicht nur auf die Architekturgeschichte, sondern auch auf andere mit und durch Modelle hervorgebrachte Gegenstände anwenden lässt.
4 ‚Bauformen des Erzählens‘ Insbesondere im literarischen Diskurs wird diese Komplementarität poetologisch eingesetzt, d. h. als metonymisches Verfahren einer ‚wechselseitigen Erhellung der Künste‘ (Walzel), die man auch als Ausgleichsstrategie zum agonalen Formdiskurs des Paragone deuten kann. Dies zeigt sich etwa in der Sturm-und-DrangPoetik, deren Kerntraktat Von deutscher Art und Kunst den angestrebten dichterischen Paradigmenwechsel auf dem Boden der Baukunst betreibt. Goethes Beitrag, programmatisch mit Von Deutscher Baukunst überschrieben (1773) und dem Baumeister des Straßburger Münsters Erwin von Steinbach gewidmet, sieht im Formkalkül der gotischen Architektur ein Kreationsprinzip, das auf das emergente Potenzial der Materialien setzt. In den „verworrnen Willkürlichkeiten gotischer Verzierungen“, als deren „abgesagter Feind“ sich Goethe, wie er zugibt, früher selbst verstand, erkennt er nun ein Harmonieprinzip, das in der Willkür dieser „Massen“ zwar schon angelegt, vom Künstler aber kongenial modelliert worden sei. Denn „[a]lle diese Massen“, lässt der Dichter seinen Architekten sagen, „waren notwendig […]. Nur ihre willkürliche [sic] Größen hab’ ich zum stimmenden Verhältnis erhoben.“ (Goethe 121994 [1773], 10–11). Damit aber wird die Frage nach der Emergenz zur Frage der Skalierung, Stimmigkeit und Resonanzerzeugung, und es ist, so Goethes kühner Ausgriff, unerheblich, ob der Künstler deutscher Baumeister oder archaischer Wilder ist – solange er im Material das richtige Modell erkennen und entsprechend ‚charakterisierenʻ kann: Und so modelt der Wilde mit abenteuerlichen Zügen, gräßlichen Gestalten, hohen Farben seine Kokos, seine Federn, und seinen Körper. Und laßt diese Bildnerei aus den willkürlichsten Formen bestehn, sie wird ohne Gestaltsverhältnis zusammen stimmen: denn eine Empfindung schuf sie zum charakteristischen Ganzen. (13)
Diese Kongruenz von Mensch, Modell und Medium ist möglich, weil ihr transformales Potenzial der bildenden Natur selbst zugehört: „Die Kunst ist lange bildend, eh’ sie schön ist […], ja oft wahrer und größer als die schöne selbst. Denn in dem Menschen ist eine bildende Natur, die gleich sich tätig beweist, wann seine Existenz gesichert ist.“ (13)
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Das magisch-esoterische Profil, das dieser Spielart der Naturphilosophie zu eigen ist, macht die erbaute Form zum Zentrum einer höheren Erfahrung und Erkenntnis – von der Tradition der Freimaurer bis zum utopischen Projekt der Bauhaus-Esoterik, wie sie etwa in Hans Richters Zeitschrift G – Material für Elementare Gestaltung (1923–26) ausgefaltet worden ist (vgl. Fest, Rahman und Yazdanpanah 2013). Im Kontext fiktionaler Welten schließlich ist das Bauen gleichermaßen als Motiv und Inhalt tätig (eine umfangreiche Sammlung mit Erläuterungen gibt der Katalog zur Münchner Ausstellung Architektur wie sie im Buche steht, Nerdinger 2006) oder aber als formale Modellierung ausgewiesen, etwa im „Roman als Transkript der Kathedrale bei Hugo, Huysmans und Proust“ (Ernst 2014; vgl. Corbineau-Hoffmann 2006; Glaser 2014). Die Baukunst als Struktur- und Ordnungsgeber kann dabei, wie Ellen Frank vermutet, den empfundenen Kontrollverlust der Dichtung kompensieren: „if poetry and prose late in the [ninetheenth] century were thought to be reflecting a loss of control […], then architecture as analogue could represent an alternative“ (Frank 1979, 258; vgl. Hamon 1992) Sie kann jedoch auch den Zerfall verschärfen. Die Formsemantik solcher Baupoetik zeigt sich früh bereits in der Ballade vom Meister Manole, einer südbalkanischen, von Griechenland bis Ungarn prominenten Wandersage und einem der Gründungstexte der rumänischen Nationalpoesie. Die variantenreiche Überlieferung vom Architekten, der, um einen Auftragskirchbau zu vollenden, seine Frau im Baukörper einmauern muss, führt als Archiv des sogenannten ‚Bauopfers‘ die einschlägigen Ritualkulturen Ost- und Westeuropas im rumänischen Modell zusammen (vgl. Pop 1963, 441; Puchner 2016, 45–48). Dabei werden die archaischen Motive (etwa die Belebung des Gebäudes), die sozialkritischen Elemente (Zwänge des Feudalsystems) sowie die ethisch-religiösen Themen (Hybris, Opfertod, Misericordia) im Überlieferungsgeschehen kosmisch überformt und metaphysisch aufgeladen. Mircea Eliade, der rumänische Kultur- und Mythenforscher, hat in seinen Comentarii la Legenda Meșterului Manole (Kommentare zur Legende vom Meister Manole) diesen kosmischen Zusammenhang von Bau und Körper mit den Bauanalogien der romantischen Naturphilosophie in Verbindung gebracht: The Romantic physician Görres states that „the aim of physiology is to demonstrate the projection of cosmic architecture to the organism and to relate the individual ratios of life to the great cosmic ratios, so that intuition would be able here to grasp the universal relations of the realm of facts, to read clearly and visibly in the stars what is hidden in the darkness of earthly matter.“ Physiology should thus establish the symmetry that exists between the laws of cosmology, architecture and the organic world. This symmetry was never wholly forgotten by European architecture. It is just that the archetypal image of cosmology was replaced by an aesthetic or mathematical formula. In one form or another, architecture remained till very late, in Europe, an expression in stone of the human body, or, to be more precise, of human measure. (Eliade 1943, 122)
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Die Ballade wiederum erfüllt die ihr verliehene Funktion, Modell der großen Symmetrie zu sein, vor allem dadurch, das sie sich als Generator eines Formenkanons geltend macht, der im Verlauf der Variantenbildung zunehmend verfeinert und poetologisch angereichert wird. Als Konstruktionserzählung trägt er Züge eines „mythe esthétique, symbolisant les conditions de la vraie création artistique“ (Pop 1963, 441). Die Baumeisterparabel wird auf diese Weise – wie bei Kafka – zur Parabel des literarischen Baus. Die Wirkung solcher Formsemantik zeigt sich auch in den utopischen, dystopischen und Traum-Architekturen der modernen literarischen Fiktion. Von Idealstadtplänen bis zu düsteren Hybrid- und Untergangsarchitekturen im phantastischen Roman entfaltet sich „Architektur aus Sprache“, wie sie Roland Innerhofer exemplarisch an Alfred Kubins Die andere Seite (1909) beschreibt. Dort, in der bösen Traumstadt Perle, die als Agglomeration konträrer Baustile Beklemmung stiftet, kehrt sich das Funktions- und Organisationsprinzip formaler Baukunst gegen seine Logik und verbreitet Formlosigkeit. Dekonstruiert sind schließlich nicht nur Bauten, Medien und Modelle, sondern auch die Bauträger und Baubewohner selbst: „Der Untergang der Stadt betrifft keine Individuen, sondern eine formlose Masse aus Menschen und Dingen. Ex negativo verdeutlicht Die andere Seite, wie sehr die utopische Funktion von Architektur mit ihrer Fähigkeit zur Formgebung zusammenhängt.“ (Innerhofer 2018, 146). Bei Kafka wiederum, so Innerhofer, würden diese Raum- und Wahrnehmungsarchitekturen gänzlich unverfügbar, auch als Reaktion auf jene Wende, die um 1900 den Architekturdiskurs und die literarische Architekturgestaltung transformieren. Wird nunmehr Architektur als Produkt von Raumwahrnehmung, Raumgefühl und Raumgestaltung verstanden, so bieten sich die daraus hervorgehenden Strukturen als Modelle und Anhaltspunkte literarischer, insbesondere narrativer Strukturierung an. (224)
Sie bieten sich zugleich zur De- und Restrukturierung an. Die Psychologisierung des Diskurses überformt dabei die Rationalität der modellierenden Entwurfskunst, die das neue Bauen stiften will. Auch der poetische Konstruktivismus tritt als Rhythmisierung oder Rekonstitution aus Elementen destruierter Formen auf, in Labyrinthen, die bei Borges und Calvino lauern, in der unheimlichen Ähnlichkeit von Murnaus Nosferatu mit den Häusern, die er sich erwirbt (vgl. Papapetros 2012, Kap. 5), im Hoch- und Tiefbau der Science Fiction. Materialität und Medialität, Konzept und Umsetzung, Idee und Ideologie kristallisieren sich am Bauobjekt; auf der Spezifik dieses Zeichen-, Referenz- und Performanzverhältnisses beruht ihr ontologischer Status. Als Kulisse im Theater, in den Sets der Filmarchitektur und im dynamischen Design der Bühne definieren Bauten den Fiktionsraum ihrer Storyworlds, und dies auf mehrfache Weise: als Aktions- und
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Repräsentationsraum, als Konzept- und Materialraum, als Realraum und Fik tionsraum, als Funktionsraum und Erlebnisraum. In den dynamischen Erzählfiktionen der Computerspiele, den procedural narratives, sind diese Baukulissen als Simulationen aktiv – sie werden nicht nur im Verlauf des Spiels als Inventar errichtet, sondern bauen die Semantik ihrer Spiele (ihre Storyworlds und Storylines) dramatisch auf. Dies alles aber kann den Umstand nicht verhehlen, dass das Bauen, so Turnovský, kein Erzählen ist: Architektur bildet nichts ab, und sie erzählt auch keine Fabel. Vergeblich sind all die Versuche, das fehlende Sujet irgendwie zu ersetzen, all die Beteuerungen, daß Architektur z. B. die Geschichte ihres Entstehens erzählt oder die gesellschaftlichen Verhältnisse abbildet – darüber reden die anderen Künste ja nebenbei. (Turnovský 2014 [1987], 79)
Es ist das Formprinzip, das das Erzählbegehren der Baukunst durchkreuzt: Ob die Sehnsucht latent bleibt oder manifest wird – Architektur will sprechen, hat aber kein Thema außer sich selbst. Gerne würde sie die Inhaltslasten auf sich nehmen, deren sich beispielsweise die Poesie in ihrem Bemühen, „Poésie pure“ zu werden, entledigen wollte. (Turnovský 2014 [1987], 79)
Doch gerade jenes Formprinzip ermöglicht paradoxerweise die Genese von Erzählsujets, insofern diese nämlich als ‚getrennter Inhalt‘ wahrgenommen werden. Dabei sind Erzählen, Abbilden und Bauen durchaus gleichgewichtete Verfahren des Diskurses ‚Kunst‘: Daß sich im Umgang mit Kunst das Sujet überhaupt verselbständigen und die Bedeutung auf sich ziehen kann, hat seine Ursache in der hegelianischen Spaltung des Kunstwerks in Inhalt und Form […]. In engem Zusammenhang damit steht auch die Annahme, das eigentliche Ziel der Kunst sei das „Abbilden“ oder das „Erzählen“, wobei es sich in Wirklichkeit nur um Mittel der Kunst handelt – eine Kategorie, in der auch das „Bauen“ figurieren kann. (Turnovský 2014 [1987], 79)
Wenn Bauen also kein Erzählen ist, jedoch Erzählungen hervorbringen kann, was zeichnet dann die von Turnovský angedachte „Poetik der Architektur“ (76), vor allem ihr Verhältnis zur poetischen Sprache aus? Turnovskýs Lösung ist modaler Art. Die Differenz von Bauen und Erzählen wird hier von der Seite des Erzählens aufgegriffen, insofern das genuin Poetische durch seine Seinsambivalenz – sein Schwanken zwischen Autonomie und Heteronomie, Selbstreferenz und Fremdreferenz – zutiefst pragmatisch sei: Die Maxime des Poetischen ist aber die Wahl zwischen den Möglichkeiten, die Nichtfestlegung der Bedeutung, die Mehrdeutigkeit im Sinne von Offenheit. Soll diese Maxime ganz
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zur Geltung kommen, so muß sie während einer Interpretation spontan und von Grund auf befolgt werden können, sich also bereits auf die Voraussetzungen der Bedeutungswahl beziehen. Auf dieser Grundebene besteht die Mehrdeutigkeit darin, daß auch der Mehrdeutigkeit als solcher eine Alternative zur Seite gestellt wird. Und dies kann nur die Eindeutigkeit sein – die Eindeutigkeit einer referentiellen Nachricht oder eines Gebrauchsobjekts. Das wahre Poetische ist also poetisch und zugleich nichtpoetisch, beispielsweise praktisch. (Turnovský 2014 [1987], 75)
Man könnte also sagen: es ist der ‚modale Pragmatismus‘, der die literarische Kunst mit der Baukunst verknüpft. Architektur ist dementsprechend dort poetisch, wo ihr Pragmatismus zwar verborgen, aber unschwer zu entschlüsseln ist: Für das hauptsächliche Merkmal des Poetischen wird meist die Metapher gehalten. Daher wird auch oft angenommen, Architektur nähere sich der Poesie mittels gebauter metaphorischer Gleichnisse. Nicht ohne Zusammenhang damit ist jenes Problem zu sehen, das der Architektur aus ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung erwächst: Einerseits besteht der Ehrgeiz, mehrdeutige Architekturbotschaften hervorzubringen, andererseits wird erwartet, daß sie als allgemein verständliche Symbole gleichsam eindeutig interpretiert werden. Bei der Lösung dieser ambivalenten Aufgabe kann auch Semiologie kaum helfen. Um so mehr drängt sich die Metapher als Ausweg aus dem Mehrdeutigkeitsproblem auf. Sie erscheint als kunstvoll verschlüsselte Botschaft, die aber mühelos, fast automatisch entschlüsselbar ist – ein Ausweg in die Eindeutigkeit, ein überredend überzeugendes, vielmehr rhetorisches denn poetisches Mittel. (Turnovský 2014 [1987], 73)
Die Vorstellung, Ambivalenzen hermeneutisch, also durch die Aufklärung der metaphorischen Bezüge aufzulösen, setzt ein ‚allegorisches Bauen‘ voraus. Die Aufdeckung der zweckhaften Faktur – des ‚Literalsinns‘ oder, wie man sagen könnte, Funktionalsinns des Gebäudes – forderte dann eine allegorische Lektüre, eine Allegorese des Baus. Doch eine Baukunst, die ein solches Rezeptionsverhalten fordert, ist nicht wirklich gut: Tatsächlich ist die mit Metaphern versehene Architektur ähnlich der Literatur, nicht aber der besten. Soll Architektur auf der Suche nach poetischer Mehrdeutigkeit Architektur bleiben, so mag es von Bedeutung sein, daß Poetisches auch Nichtpoetisches enthält und auch anderswo zu finden ist als in den mit künstlerischer Ambition verfaßten Botschaften. (Turnovský 2014 [1987], 73)
Statt also eine Metaphorisierung in der Baukunst einzufordern, zielt Turnovskýs Baupoetik auf die Metonymisierung des Poetischen. Die Ausdehnung poetischer Verfahren im Milieu des Faktischen wird dabei ausdrücklich mit Jakobsons poetischer Funktion begründet, die ja gattungsübergreifend tätig ist und nur im explizit poetischen Diskurs als Dominante herrscht. Turnovský allerdings erwägt hier einen weitaus radikaleren Gedanken, der gerade in der Pragmatismusschwäche der realen Dichtung einen Malus, nämlich einen Mangel am Poetischen erkennt.
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So deutet sich ganz unerwartet eine paragonenhafte Kehre an, durch die der Architekt die zwar erzählarme, doch ‚plurifunktionale‘ Baukunst zum Gipfel des Poetischen kürt: Diese grundsätzliche Ambivalenz [des Pragmatischen und Nicht-Pragmatischen] findet in der Architektur, wo sie sich auf die Heterogenität der Komponenten und Funktionen stützen kann, viel bessere Bedingungen als in der Literatur, wo sie nur in Opposition zu der implizit angekündigten Monofunktionalität eines Textes denkbar ist. Im Prinzip könnte daher Architektur poetischer sein als Poesie. Gerade aber die rhetorisch manifeste Kunstambition hindert Architektur daran, dies zu erreichen. (Turnovský 2014 [1987], 75)
Dieser gleichermaßen kühne wie in seinem transdisziplinären Zugriff seltene Versuch, Architektur als ein poetisches Verfahren auszuweisen und mit Tropik und Grammatik engzuführen, bringt bemerkenswerte Einsichten in die Modalpragmatik des Poetischen, in die Prozessdynamik und in die modell- und materialbezogene Begrenzung kreativer Semiose hervor. Bisweilen treibt die Engführung von Sprache, Schrift und Bauwerk aber auch bemerkenswerte Blüten, etwa wenn in einer Abhandlung des Civil Engineer and Architect’s Journal aus dem Jahre 1839 die beobachtete Dürftigkeit moderner Bauprofile mit dem Fehlen einer écriture begründet wird. Die Unmarkiertheit des prekären Neubaus, dem mit der Memoria zugleich der Sinn abhanden kommt, ist ein Modellfall baupoetischer-magischer Kulturkritik: The total want of inscriptions on our modern buildings is a further proof of the vagueness of modern architecture. It was not thus among the ancients. They built for the people who saw their chronicles upon the marble. The lines were read by the fathers, the children, the grandchildren, and after the laps of ages, the moss-grown characters add the most powerful charms to the majestic ruin. These means of giving interest to architecture are now always neglected. (Zit. nach Frank 1979, 248).
Weit häufiger und weit geläufiger als die Verwendung literarischer Begriffe und Vergleiche in der Architekturtheorie ist allerdings die Übernahme einschlägiger Termini der Baukunst in die Dichtungstheorie. Seit der Antike dienen sie der Selbstbeschreibung literarischer Verfahren in Poetiken und Poetologien, beispielhaft in Quintilians Institutio Oratoria (ca. 95 n. Chr., VII, Vorrede): Aber wie es bei einem Bauvorhaben nicht hinreichend ist, Steine, Bauholz und was sonst dem Bauenden dienlich ist, zusammenzutragen, wofern zu seiner Anordnung und Aufstellung nicht auch die eigentliche handwerkliche Geschicklichkeit [artificium manus] hinzukommt, so wird auch beim Reden eine noch so überreiche Stofffülle nur einen zusammengewürfelten Materialhaufen bilden, wenn die Anordnung [dispositio] die Materialien nicht ebenfalls in richtiger Weise aufteilt und miteinander verbindet. (Quintilianus 62015 [ca. 95 n. Chr.], 4; eig. Übers. in Anlehnung an Helmut Rahn)
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Übernahmen aus der Architektenlexik leisten auch, wie Ulrich Ernst gezeigt hat, den poetologischen Epochentransfer. Wie in der Baumeisterlegende des Manole Sinntransfers durch Formtransfers entfaltet werden, so vollziehen sich auch dichtungstheoretische Begründungen im Horizont der Baukunst. Ernst nennt hierzu ein prägnantes Beispiel aus der Poetria Nova des Galfrid von Vinosalvo (12./13. Jhd.), der sich auf Vitruv bezieht: Wenn einer ein Haus zu bauen hat, so geht er nicht voreilig an die Ausführung. Vorher mißt er in seinem Innern das Werk ab, im Innern legt er in ganz bestimmter Ordnung die Reihenfolge fest, und im Herzen entwirft er es ganz, bevor die Hand es ausführt. Der Bau steht zuerst nur in der Idee, bevor er sinnlich wahrnehmbar wird. In diesem Spiegel erblicke die Poesie, welches Gesetz dem Dichter zu geben sei. Die Hand greife nicht voreilig zur Feder, die Zunge dränge sich nicht zum Wort. (Galfrid von Vinosalvo in Ernst 2007, 113)
Die metaphorische Verwendung der Begriffe und der ihnen attachierten Tätigkeit betont Strukturanalogien resp. -hierarchien, Organisationsprinzipien und Funktionshomologien, wie sie etwa der Begriff ‚Modellarchitektur‘ zum Ausdruck bringt (vgl. Wendler 2013). So kann es wenig überraschen, dass auch der moderne dichtungstheoretische Diskurs von „Bauformen des Erzählens“ (Lämmert 1955), „architektonischer Form“ im „Wortkunstschaffen“ (Bachtin 1979 [1975], 140) oder „Text-Architekturen“ (Krause und Zemanek 2014) spricht und damit die erkenntnisleitenden Funktionen des Begriffsfelds ‚Bauenʻ auch auf die Erfassung literarischer Modelle bezieht. Erbaute Form ist also immer auch ein Signum trans-architektonischer Verwirklichung: als eigensinniger Modellbildspender und Akteur, so wie er beispielhaft die Glasarchitektur-Konzepte des expressionistischen Dichters Paul Scheerbart bestimmt (vgl. Dobryden 2017). Hier wird das formalistische Prinzip, wonach die Form sich ihren Inhalt schaffe, ‚architekturpoetisch‘ gewendet: „Unsre Kultur ist gewissermaßen ein Produkt unsrer Architektur.“ (Scheerbart 1914, 11).
Weiterführende Literatur Aurenhammer, Hans und Regine Prange. Hrsg. Das Problem der Form. Interferenzen zwischen moderner Kunst und Kunstwissenschaft. Berlin 2016. Becker, Tobias und Thomas Schmitz. This is Not a Model. Zum künstlerischen Umgang mit dem Architekturmodell. Aachen 2018. Magnago Lampugnani, Vittorio, Ruth Hanisch, Ulrich Maximilian Schumann und Wolfgang Sonne. Hrsg. Architekturtheorie des 20. Jahrhunderts. Positionen, Programme, Manifeste. Ostfildern-Ruit und Amsterdam 2004. Nerdinger, Winfried. Hrsg. Architektur wie sie im Buche steht: Fiktive Bauten und Städte in der Literatur. München und Salzburg 2006. Rose, Sam. Art and Form. From Roger Fry to Global Modernism. Pennsylvania 2019. Turnovský, Jan. Die Poetik eines Mauervorsprungs (1987). Berlin 2014.
Heinz Drügh
IV.3.3 Warenform Ausgangspunkt des Artikels ist die Beobachtung, dass Waren in vielfacher Hinsicht dem Formkonzept der modernen Autonomieästhetik widerstreiten. Bestärkt wird diese Dichotomie durch den marxistischen Begriff der Warenform. Indessen entwickeln sich in den Bereichen des Kunstgewerbes und der angewandten Kunst vor dem Hintergrund des modernen Industrialismus neue Weisen der Würdigung der Warenform, ja man beginnt sogar, sie gegen gewisse Routinen der Autonomieästhetik zu positionieren. In der Moderne festigt sich der Gedanke, gerade durch die Einbeziehung warenförmiger Gegenstände in die Kunst deren Innovationspotenzial zu erhöhen. Die Autonomieästhetik selbst wird derweil vor dem Hintergrund eines sich etablierenden Literaturmarkts diskutiert.
1 Warenform und moderne Autonomieästhetik Das ästhetische Erlebnis beruht, Kants einflussreicher Bestimmung zufolge, auf einem Geschmacksurteil. Dessen Gegenstand ist aber nicht, wie in vielen traditionellen Ästhetiken, der „Begriff eines Objekts“ sondern ein „Gefühl des Subjekts“ (Kant 2009 [1790], § 17), sein Lust- bzw. Unlustempfinden. Mit ‚Form‘ meint die Autonomieästhetik folglich nicht die Beschaffenheit eines schönen Objekts, sondern eine subjektive Erfahrung: „die bloße Form der Zweckmäßigkeit in der Vorstellung“ (§ 11). Dadurch unterscheidet sich das ästhetische Urteil von Urteilen der Erkenntnis oder der Moral. ‚Ästhetisch‘ ist ein Urteil laut Kant nur dann, wenn es ein Objekt „ohne […] Zweck“ (§ 11), d. h. ohne festen Begriff oder Erkenntnisziel und ohne die Leitvorstellung des Guten betrachtet. Ästhetische Form wird folglich als „freie Schönheit (pulchritudo vaga)“ verstanden. Von ihr unterscheidet Kant die „bloß anhängende Schönheit (pulchritudo adhaerens)“, die immer einen „Begriff von dem voraus[setzt], was der Gegenstand sein soll“ (§ 16). Nur angesichts freier Schönheit werden die menschlichen „Gemütskräfte zweckmäßig in Schwung“, in ein „Spiel“ gesteigerter Sinnlichkeit und gesteigerten Selbstgefühls versetzt. Und dieses Spiel, das „sich von selbst erhält und selbst die Kräfte dazu stärkt“, hat stets auch eine intellektuelle Komponente, da es „viel zu denken“ gibt (§ 49). Infolge eines solchen Äquilibriums der Subjektvermögen im Ästhetischen entsteht der Eindruck, dass „seine [d. i. des Menschen, H. D.] Anschauung der Dinge mit den Gesetzen seiner Anschauung [überein]stimme“, und mehr: „Schöne Dinge zeigen an, daß der Mensch in die Welt passe.“ (Kant 1924 [1771], https://doi.org/10.1515/9783110364385-026
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127). Bei einem derartigen Befund lässt sich aber kaum die Frage unterdrücken, welche Eigenschaften die schönen Dingen denn nun für eine solche Empfindung geeignet machen. Nur schwer vorstellbar ist für Kant eine sich selbst genügende Wahrnehmung bei Gegenständen, deren Schönheit nicht losgelöst von Zwecken zu begreifen ist: So setzen „die Schönheit eines Pferdes“ oder eines „Gebäudes“ laut Kant „immer einen Begriff vom Zwecke voraus“ (Kant 2009 [1790], § 16). Ein Pferd lässt sich nicht einfach ‚schön‘ nennen, ohne dabei Aspekte seines Nutzwerts ins Spiel zu bringen: seine Schnelligkeit, Kraft oder die durch das Gebiss bezeugte Gesundheit. Ein Gebäude ist nur dann schön, wenn sich auch angenehm in ihm wohnen lässt. Freie Schönheit ist nach Kant hingegen „der bloßen Form nach“ schön (§ 16). „Blumen“ wären nach dieser Bestimmung „freie Naturschönheiten“, ebenso „viele Vögel“ und „eine Menge Schaltiere“ (§ 16); allerdings wohl nur deshalb, weil zu Kants Zeiten noch keine Evolutionstheorie den verborgenen Zweck hinter ihren Formen entdeckt hat. Im Bereich der Artefakte fallen Kant unter der Kategorie der ‚freien Schönheit‘ nicht etwa große Werke ein, sondern dekorative Künste: „Zeichnungen à la grecque, das Laubwerk zu Einfassungen oder auf Papiertapeten“. Diese bedeuten „für sich nichts“ und „stellen [auch] nichts vor“ (§ 16). Ornamente, Muster, Verzierungen und Tapeten sind allerdings eher unter die Rubrik der angewandten als der autonomen Kunst zu zählen. Dies hat bei nicht wenigen Kantlesern Erstaunen hervorgerufen. Denn gesetzt, dass freie Schönheit für das genuin Ästhetische steht, dann hätte, wundert sich Kants Königsberger Lehrstuhlnachfolger Traugott Wilhelm Krug, „bloßes Laubwerk“ doch tatsächlich „einen höheren ästhetischen Werth […] als eine Mediceische Venus […], was wohl so leicht niemand der Kritik zugeben möchte“ (Krug 1818 [1810], 67). Warenform und angewandte Kunst gelten in der idealistischen Tradition als Gegenteil autonomer Ästhetik, werden sie doch stets unter bestimmten Zwecksetzungen produziert. Spätestens in der Industriegesellschaft impliziert ökonomische Produktion für die meisten Theoretiker nicht mehr nur die Befriedigung realer Bedürfnisse, sondern auch die systematische Stimulation von Konsumwünschen. Hinter dem Objekt steht der Zweck des Verkaufs und der Gewinnmaximierung. Ebenso gilt Konsum als das Gegenteil von Interesselosigkeit: als Habenwollen, Besitz und Verzehr. In ihrer Schrift Vita Activa deutet Hannah Arendt auf die Etymologie von ‚consumare‘ als ‚verzehren‘ oder ‚vernichten‘ hin – nicht gerade Paradebeispiele interesseloser Kontemplation (Arendt 1960, 120–121). Schon Friedrich Schiller profiliert seinen Begriff der Form als Kritik an einer zunehmend arbeitsteilig organisierten Welt. Jede Art der Spezialisierung und der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung bewirke eine „Einseitigkeit in [der] Übung der Kräfte“. Indem „dieser einzelnen Kraft gleichsam Flügel“ wachsen, bedeute das zwar beispiellosen Fortschritt für die „Gattung“ Mensch; „das Individuum“
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werde aber dadurch „unausbleiblich zum Irrtum“ geführt (Schiller 91993e [1795], 6. Brief, 587). Der „Geschäftsgeist“ verliere „das freie Ganze“ aus den Augen. Umgekehrt bleibe der rein „spekulative Geist […] ein Fremdling in der Sinnenwelt“ (6. Brief, 585). Es ist die Ästhetik, die nach Schillers Auffassung jene doppelte Vereinseitigung überwindet. Zum einen betreibt sie eine generelle Aufwertung der ‚unteren Seelenvermögen‘ (Baumgarten) und weiß zum anderen das „tierische Leben“, das Eingesperrtsein in Trieben und Begierden, in ein „Reich der Form“ zu transformieren (27. Brief, 663), wenn nicht gar zu transzendieren. Für S chiller findet sich der „eigentlich[e] Anfang der Menschheit“ dort, wo sich „Spuren einer uninteressierten, freien Schätzung des reinen [ästhetischen, H. D.] Scheins“ finden, wo „die Gestalt“, die Form, dem „Stoff“ vorgezogen wird (27. Brief, 662). Ausgehend hiervon lässt sich ein zentraler Aspekt moderner Autonomieästhetik skizzieren. Das „Absondern der Form von der Materie“, schreibt etwa Arthur Schopenhauer in Parerga und Paralipomena, „bring[e] solche [d. i. Form, H. D.] der Idee um vieles näher“ (Schopenhauer 1986 [1851], 498). Robert Zimmermann entwirft eine Allgemeine Ästhetik als Formwissenschaft, in der er fordert, dass „die Teile außerhalb der Form“, also im Bereich der „Materie“, „ästhetisch gleichgiltig“ sind (Zimmermann 1865, 21). Für die Kunst der Moderne konstatiert Wilhelm Worringer, ausgehend von Alois Riegls psychologischem Konzept des ‚Kunstwollens‘, einen „Abstraktionsdrang“ (Worringer 1959 [1908], 58), der das „einzelne Objekt der Außenwelt […] aus seiner Verbindung und Abhängigkeit von den anderen Dingen“ geradezu „erlös[t]“ und es „absolut“ macht (55). „Das Leben als solches“, ist Worringer überzeugt, „wird als Störung des ästhetischen Genusses empfunden“ (59). Viktor Šklovskij wiederum fordert von der Kunst ein „Verfahren der ‚Verfremdung‘ der Dinge“, d. h. ein „Verfahren der erschwerten Form“. Denn nur ein solches Verfahren steigere „die Schwierigkeit und Länge der Wahrnehmung“, und der „Wahrnehmungsprozeß ist in der Kunst Selbstzweck und muß verlängert werden“ (Šklovskij 1969a [1916], 15). Auch Clement Greenberg, Vordenker des abstrakten Expressionismus, besteht auf einer Autonomie der Kunst: „Aesthetic distance means separation, a kind of transcendence, if you please. […] Art as art takes place away from life as lived, is experienced as other than the life-world […]. And this otherness is part of art’s gift.“ Konkret heißt das, dass Kunst, die ihrer Bestimmung nachkommt, sich immer wieder um Distanz „from all political, social, economic, or religious or moral issues or factors“ bemühen müsse (Greenberg 1980); insbesondere aber um Distanz von Phänomenen wie „popular, commercial art and literature with their chromeotypes, magazine covers, i llustrations, ads, slick and pulp fiction, comics, Tin Pan Alley music, tap dancing, Hollywood movies etc., etc.“ (Greenberg 1961, 9).
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2 Marxistische Kritik an der Warenform Als materielles Substrat des Industriekapitalismus identifiziert Karl Marx eine Flut käuflicher Gegenstände: eine „‚ungeheure Warensammlung‘“ (Marx 1962 [1867], 49). Dies wertet er freilich nicht als Erfolg gewachsenen gesellschaftlichen Reichtums, denn ihre „Wertgegenständlichkeit“ sehe sowohl vom Gebrauchswert der Ware als auch von den Produktionsverhältnissen ab, „umnebelt“ diese sogar ideologisch (62, 90), was Marx mit dem Begriff des „Fetischismus“ zu fassen sucht (87). Alfred Sohn-Rethel greift diesen Gedanken unter dem Terminus der ‚Warenform‘ auf. „Der vorherrschende Charakter der Warenform ist in der Tat Abstraktheit, und zwar eine Abstraktheit, die den ganzen Umkreis der Warenform zu ergreifen scheint“ und so die „menschlichen Denkformen“ überhaupt prägt (Sohn-Rethel 1971, 105, 101). So gesehen, stünde die kapitalistische „Tauschabstraktion“ als „historische Ursprungserklärung“ auch hinter einer „Ausdrucksfor[m]“ bzw. einem „reinen Formphänome[n]“ wie der autonomen, Materie transzendierenden Ästhetik der Moderne (Sohn-Rethel 1971, 121, 106, 115). Die warenkritische Ästhetik der Frankfurter Schule betont indessen, dass die „Massenkultur“ bzw. die von ihr so genannte „Kulturindustrie“ keine „spontan aus den Massen selbst aufsteigende Kultur“, keine „gegenwärtige Gestalt von Volkskunst“ sei – was ihr einen Gebrauchswert zuerkennen und ihre „Kritiker“ dem Vorwurf „arroganter Esoterik“ aussetzen würde (Adorno 2003 [1967], 337, 341). Der Konsum der Kulturindustrie hat für Adorno nichts mit einer bewussten Entscheidung seitens der Rezipienten zu tun, sondern beruht auf ihrer Manipulation. Kulturindustrielle „Produkte“ werden „mehr oder minder planvoll hergestellt“ und „auf den Konsum durch Massen zugeschnitten“. Der „Kunde“ sei dabei kein „König“, sondern verführtes „Objekt“ (Adorno 2003 [1967], 337). Die „Kulturindustrie überträgt“ also „das Profitmotiv blank auf die geistigen Gebilde“. Und diese sind dann, so Adorno, „nicht länger auch Waren, sondern [sie] sind es durch und durch“ (338). Solange daran verdient werden kann, werden sie ad nauseam in die Menschen ‚gestopft‘ (vgl. 341). Resultat daraus ist für Adorno ein „allgemeines unkritisches Einverständnis“: „Reklame […] für die Welt.“ (339). Gleichzeitig wird die Kulturindustrie als derart hegemonial eingeschätzt, dass sie geradezu modellbildend fürs Ästhetische werde: „Der ästhetische Schein wird zum Glanz, den Reklame an die Waren zediert, die ihn absorbieren; jenes Moment der Selbständigkeit jedoch, das Philosophie eben unterm ästhetischen Schein begriff, wird verloren.“ (Adorno 21984 [1947], 299). In diesem Sinn prägt Wolfgang Fritz Haug den Begriff der ‚Warenästhetik‘. Elaborierte Sinnlichkeit, Baumgartens cognitio sensitiva, deren Aufwertung gleichsam den Startschuss der Disziplin Ästhetik gegeben hatte, werde „im Dienste der Tauschwertrealisierung“
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betäubt (Haug 1971, 10). Warenästhetik, die Aufhübschung der Warenoberfläche, kenne nur ein Ziel: den Kunden zum Kauf zu verführen. „Menschliche Sinnlichkeit“ werde von der Warenästhetik „modelliert“ und lückenlos beherrscht (55). „Gebrauchswertstandards“ würden dabei kalkuliert preisgegeben. Denn je geringer „Lebensdauer und Beanspruchbarkeit“ einer Ware bei gleichzeitiger „Verschönerung“ ihrer Oberfläche (48–49), desto mehr lässt sich davon an den Kunden bringen. Gerät der Begriff des Ästhetischen folglich in die Fänge des Marktes, so wird es zum Kriterium für eine Ästhetik, die ihren Namen noch verdient, sich möglichst von Aspekten der Käuflichkeit und des Markts fernzuhalten. „Das Schöne“, schreibt etwa Jacques Rancière, „ist dasjenige, das zugleich der begrifflichen Bestimmung wie der Verlockung der konsumierbaren Güter widersteht“ (Ranciere 2008, 15).
3 Kunstgewerbe, angewandte Kunst, Industriekunst: Verhandlungen mit der Autonomieästhetik Die Geschichte der Autonomieästhetik lässt sich aber auch anders erzählen. In der Emanzipation der schönen von den mechanischen Künsten entsteht der Kollektivsingular Kunst; ihren Inbegriff erfährt sie als autonome. Preisgegeben wird dabei das Handwerk. Hans Blumenberg verkehrt in seinem Aufsatz Nachahmung der Natur auf provozierende Weise die durch diese Entwicklung eingeschliffenen Hierarchien. Für die Emphase moderner Kunst findet er eine eher nüchterne Erklärung. Das „Attribut des Schöpferischen“ habe sie sich mit solch „vehemente[m] Pathos“ zulegen müssen, um sich aus der „überwältigenden Geltung des Axioms von der ‚Nachahmung der Natur‘“ zu befreien (Blumenberg 2001 [1957], 12). Dieser Akt changiert in Blumenbergs Darstellung zwischen „Verlegenheit“ und Überspanntheit (16). Die Gegenfigur dazu findet Blumenberg lange vor dem Zeitalter der Ästhetik in Nikolaus von Kues’ Abhandlung De Mente. Dort ist die Rede von einem Löffelschnitzer, einem Laien (idiota), der in der Diskussion mit einem Philosophen und einem Rhetor sein Handwerk selbstbewusst als „Nachahmung der ars infinita Gottes“ charakterisiert. Anders als die Abbildungen der Malerei sei sein Löffel „etwas absolut Neues“, „ein in der Natur nicht vorgegebenes Eidos“: „Die Formen von Löffeln, Töpfen, Tellern, die der ‚Laie‘ herstellt“, resümiert Blumenberg, „sind rein technische Formen, und es ist von der Freude über diesen Sachverhalt bis zu seiner Akzentuierung am Produkt selbst als Grundzug des modernen industrial design kein Sprung mehr nötig“ (13).
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Wie sich modernes Design ästhetisch wertschätzen lässt, markiert auch die Kunstgewerbs- bzw. Arts and Crafts-Bewegung. In dem sich mehr und mehr ausbildenden Weltmarkt einer Industriegesellschaft formulieren Theoretiker wie Thomas Carlyle, John Ruskin oder William Morris, sei das Handwerk „ins Schlepptau der wechselnden Moden geraten und werde außerdem bedrängt durch niedrige Preise industrieller Massenprodukte, die sich als [dekorierter] Schund herausstellen“ (Hirdina 2010, 45) – Haugs ‚Warenästhetik‘ avant la lettre. Hier sinnt die Kunstgewerbsbewegung auf einen Ausweg: Ästhetische Theorie solle sich von ihrer Fixierung auf autonome Kunst befreien und sich der technischen, sozialen und ökonomischen Implikationen der Künste annehmen, gleichsam „als wolle“, schreibt der Ökonom und sozialdemokratische Politiker Heinrich Waentig, „nach langer Trennung die hohe Kunst von ihrem Throne wieder zum Volke herabsteigen und wie ehemals auch das Alltagsleben bis in seine Tiefen durchdringen und befruchten“ (zit. nach Hirdina 2010, 45). Eine Frischblutzufuhr für eine als zunehmend anämisch empfundene Autonomieästhetik durch die industriellen Künste fordert auch Gottfried Semper. In den Prolegomena seiner als „praktische Ästhetik“ ausgewiesenen Abhandlung Der Stil aus dem Jahr 1860 konstatiert er, dass die Ästhetik durch ihre Konzentration auf „die höheren Regionen der Kunst“ an „Triebkraft“ verloren habe (Semper 1977 [1860], 7–8]. Abhilfe schaffe eine „empirische Kunstlehre“, die sich auf die frühesten Formen, „die ältesten und einfachsten Erfindungen des Kunsttriebes“, besinnen soll: „[I]ch meine den Schmuck, die Waffen, die Gewebe, die Töpferwerke, den Hausrath, mit einem Wort, die Kunstindustrie, oder das was man auch die technischen Künste nennt.“ (6–7). Es geht also um die sogenannten artes mechanicae vor ihrer Abspaltung von den ‚schönen Künsten‘, um Zusammenhänge, in denen „jeder Handwerker in seiner Art ein Künstler war oder wenigstens zu sein strebte“ (9). Die Wiedererweckung dieser Haltung habe einen demokratischen oder volkserzieherischen Auftrag, der „zur […] Hebung des Kunstsinnes im Allgemeinen“ beitrage (8). Noch offensiver argumentiert Adolf Loos für eine wertige, funktionalistische Gebrauchsästhetik, die stets soziale wie ökonomische Faktoren im Blick zu behalten habe: „Wenn alle gegenstände ästhetisch so lange halten würden, wie sie es physisch tun, könnte der konsument einen preis dafür entrichten, der es dem arbeiter ermöglichen würde, mehr geld zu verdienen und weniger lang arbeiten zu müssen.“ (Loos 1988b [1908], 85). Heftig polemisiert Loos gegen das „kunstgetue“ und den „jahrmarkt der eitelkeit“ im Bereich der Gestaltung und plädiert dafür, wieder „rein und klar zwischen kunst und handwerk [zu] unterscheiden“ (Loos 1988a [1929], 213–214), freilich mit deutlich erhöhtem Selbstbewusstsein auf Seiten des Handwerks:
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Leute, die keine schraube einziehen können, leute, die nicht fechten können, leute, die nicht essen können, haben es leicht, neue schraubenzieher, neue säbel und neue gabeln zu entwerfen. Sie machen es mit hilfe ihrer – wie sie es nennen – künstlerphantasie. Aber mein sattlermeister sagt dem künstler, der ihm einen entwurf zu einem neuen sattel bringt: „Lieber herr professor, wenn ich so wenig vom pferd, vom reiten, von der arbeit und vom leder verstünde wie sie, hätte ich auch ihre phantasie.“ (Loos 1988a [1929], 216)
Design formuliert in den Augen des Gestalters und Grafikdesigners Otl Aicher, der u. a. das corporate design der Münchner Olympischen Spiele von 1972 und das Piktogramm der Lufthansa entworfen hat, geradezu einen „protest gegen kunst als selbstgenuß und intellektuellen narzißmus“ (Aicher 1989, 9).
4 Warenform als ästhetische Avantgarde Wie man sich ästhetisch an der Warenform abarbeitet, lässt sich auch den Schriften des Soziologen Georg Simmel entnehmen. Auf der einen Seite findet sich auch bei Simmel die gängige Kritik an der Warenästhetik der Konsumgesellschaft. In dieser werden, so das bekannte Argument, immer mehr „Objekte […] billig und massenhaft“ hergestellt (Simmel 1989 [1900], 631). Dies führe zu einem „Übergewicht“ der „objektive[n] über die subjektive Kultur“. Die „subjektive Färbung des Produkts“ schwinde (621, 634); eine Entwicklung, die Simmel als „Tragödie der Kultur“ bezeichnet (Simmel 2001 [1911/12], 219). Die Inflation des Kunstwollens im Bereich der Gestaltung, die Tatsache, dass man allerorten „[a]uf einem Kunstwerk zu sitzen, mit einem Kunstwerk zu hantieren, ein Kunstwerk für die Bedürfnisse der Praxis zu gebrauchen“ habe, stellt für Simmel nichts anderes als „Menschenfresserei“ dar, „die Entwürdigung des Herrn zum Sklaven“ (Simmel 1993 [1908], 379). Wie wäre es aber, fragt Simmel auf der anderen Seite, wenn man die Fülle von Dingen in der Konsumkultur versuchsweise einmal nicht als ‚Tragödie‘ begriffe? Wenn man anzuerkennen oder wahrzunehmen versuchte, dass jene „Dinge, die unser Leben sachlich erfüllen und umgeben, Geräte, Verkehrsmittel, die Produkte der Wissenschaft, der Technik, der Kunst“ in Wirklichkeit geradezu „unsäglich kultiviert“ sind, während „die Kultur der Individuen, wenigstens in den höheren Ständen, […] keineswegs in demselben Verhältnis fortgeschritten, ja vielfach sogar zurückgegangen“ sei? (Simmel 1989 [1900], 620). Dann käme möglicherweise eine – aus heutiger Sicht kulturpoetisch zu nennende – Vernetzung „der Menschen und der Dinge“ zum Vorschein; eine „Vielfachheit ihres Zueinandergehörens“ (Simmel 1995a [1905], 349), für die allererst ein Sensorium auszubilden wäre. Dies würfe aber kritische Fragen in Bezug auf die autonome Kunst auf: Etwa, ob nicht jene Vorstellung vom „reinen Kunstwerk“ das angesprochene „Wirklich-
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keitsmoment […] sozusagen verzehrt“ (345–346). Ästhetische Delikatesse wird dabei aber nicht preisgegeben. Im Gegenteil könnte in der Weigerung, den Stiefel autonomer Ästhetik routiniert herunterzuspielen, ein besonderer ästhetischer Reiz, besondere ästhetische Subtilität verborgen liegen: „Für weniger zartes Empfinden“, schreibt Simmel in dem Aufsatz Soziologische Aesthetik (gemünzt auf den Naturalismus), bedürfe es „einer größeren Ferne des Objektes selbst“, um das Subjekt jenen „Reiz der Distanz kosten zu lassen“, der kennzeichnend für ästhetisches Erleben ist; „je unkultivierter und kindlicher das ästhetische Gefühl ist, desto phantastischer, der Wirklichkeit ferner, muß der Gegenstand sein, an dem das künstlerische Bilden zu seinem Effekt kommt“. „Feinere Nerven“, so die überraschende Wendung, „bedürfen dieser gleichsam materiellen Unterstützung nicht“, ja sie empfinden das Ästhetische „um so intensiver […], an je näherem, niedrigerem, irdischerem Materiale es sich vollzieht“ (Simmel 1992 [1896], 210). Eine künstlerische Strömung, die Simmels Forderung, sich ‚irdischerem Materiale‘, insbesondere der Warenwelt zuzuwenden, nachkommt, ist die PopArt. Programmatisch geraten in ihr Phänomene und Objekte in den Genuss ästhetischer Aufmerksamkeit, die ebenso von den Routinen des Alltags übersehen wie von der hohen Kunst übergangen werden. So schreibt das Architektenpaar Alison und Peter Smithson, beide Mitglied der Independent Group: „It has been said, that things hardly ‚exist‘ before the fine artist has made use of them, they are hardly simply part of the unclassified background material against which we pass our lifes.“ (Smithson 1997 [1956], 3). It has been said? In der Tat. Man kennt das Argument aus dem russischen Formalismus. So fordert Viktor Šklovskij in seinem Aufsatz Kunst als Verfahren, dass die Kunst das Leben, das in automatisierten Abläufen (man hört den Bezug auf den Taylorismus) eher heruntergespult als wirklich gelebt werde, durch verfremdende, die Wahrnehmung erschwerende und dadurch intensivierende Verfahren wieder ins Bewusstsein rücken soll: Die Automatisierung frißt die Dinge […]. ‚Wenn das ganze komplizierte Leben bei vielen unbewußt verläuft, dann hat es dieses Leben gleichsam nicht gegeben.‘ Und gerade, um das Empfinden des Lebens wiederherzustellen, um die Dinge zu fühlen, um den Stein steinern zu machen, existiert das, was man Kunst nennt. Ziel der Kunst ist es, ein Empfinden des Gegenstandes zu vermitteln, als Sehen, und nicht als Wiedererkennen. (Šklovskij 1969a [1916], 15)
Alison und Peter Smithson verbinden also den formalistischen Gedanken der erschwerten Form, bei der man eigentlich an modernistische oder avantgardistische Kunst denkt, mit jenem von Simmel propagierten Blick aufs Niedrige und Nahe. Es geht bei dieser Öffnung zum Populären um mehr als um eine Demokratisierung der Kunst: „the Aesthetics of plenty oppose a very strong tradition which dramatizes the arts as the possession of an elite“ – so der Kunsttheoretiker und
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Kurator Lawrence Alloway, auch er Mitglied der Independent Group. Die „expendable multitude of signs and symbols“, die eine durchmedialisierte Überflussgesellschaft produziert, ist vielmehr als veritabler Gegenstand der Kultur, als Konsumästhetik in den Blick zu fassen: „Instead of reserving the word [i. e. culture, H. D.] for the highest artefacts and the noblest thoughts of history’s top ten, it needs to be used more widely as the description of ‚what a society does‘.“ (Alloway 2006 [1959], 61). Diese Form genauen Hinsehens auf das, ‚was eine Gesellschaft tut‘, nicht zuletzt ihr Blick auf Waren, wird somit zum Generator einer veritablen Ästhetik. Der Kunsttheoretiker und Philosoph Boris Groys formuliert es so: Die Dinge des profanen Raums werden nicht eigens aufbewahrt; wenn sie nicht durch Zufall erhalten bleiben, verschwinden sie im Laufe der Zeit. […] Der profane Raum besteht aus allem Wertlosen, Unscheinbaren, Uninteressanten, Außerkulturellen, Irrelevanten und – Vergänglichen. Doch gerade der profane Raum dient als Reservoir für potentiell neue kulturelle Werte, da er in bezug [sic!] auf die valorisierten Archivalien der Kultur das Andere ist. Der Ursprung des Neuen ist deshalb der valorisierende Vergleich zwischen den kulturellen Werten und den Dingen im profanen Raum. […] Die Mechanismen des Neuen sind somit jene Mechanismen, die das Verhältnis zwischen dem valorisierten, hierarchisch aufgebauten kulturellen Gedächtnis einerseits und dem wertlosen profanen Raum andererseits regeln. (Groys 1992, 56)
Methodisch steht man hier an einer Kreuzung von Formalismus und New Historicism bzw. Kulturpoetik. Der Grundgedanke stammt aus dem Kontext des ersteren. So argumentiert Viktor Šklovskij in einer Abhandlung zu Literatur und Kinematograph, dass jede Kunst, nicht zuletzt die „‚hohe‘“, ihre „Formen verbraucht“, sie abnutzt und dadurch „in eine Sackgasse“ gerät. Auch künstlerisch avancierte Darstellungsarten können zu bloßer Routine verkommen – mit den besagten Effekten: „Die Formen der Kunst versteinern“, sie „werden nicht mehr wahrgenommen“, und „die Spannung der künstlerischen Atmosphäre“ verfällt. Als Ausweg eröffnet sich die Inkorporierung des von Groys so genannten ‚Außerkulturellen‘. So „beginnen Elemente nicht kanonisierter Kunst durchzusickern, denen es gewöhnlich zu dieser Zeit gelingt“, so Šklovskij, „neue künstlerische priemy [d. i. Verfahren, H. D.] herauszubilden“ (Šklovskij 1974 [1923], 38). Eine solche Hinwendung zum ‚Außerkulturellen‘ oder als wertlos Übersehenen ist in der Kulturtheorie eine Domäne des New Historicism. Dieser führt die literarischen Texte mit ihrem kulturellen Kontext eng, bringt sie in Verbindung mit den zur gleichen Zeit zirkulierenden Texten, Überzeugungen und kulturellen Praktiken. Darunter finden sich auch solche, die, obwohl massenhaft verbreitet, nicht selten für irrelevant erklärt und des genaueren Hinsehens unwürdig erklärt werden – in unserem Fall den Waren und ihrem Konsum. Nun ist es von kaum zu unterschätzender Bedeutung, dass die Vorstellung eines „feinkörnigen
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Formalismus“ (Greenblatt 1993, 11) für den kulturzugewandten New Historicism keineswegs ein Schimpfwort ist. Woran diese Theorie lediglich zweifelt, ist die Möglichkeit einer ästhetischen Autonomie, die sich den zu ihrer Zeit zirkulierenden Texten, Überzeugungen und kulturellen Praktiken verschließt. Anders gesagt: Der New Historicism denkt Kunstwerke als Agenturen von Komplexität, nur dass diese nicht mehr, wie in der autonomen, die Form verabsolutierenden Kunst, als Resultat ästhetischer Selbstbezüglichkeit, als Konzentration der Kunst auf sich selbst und ihre Formen gedacht wird, sondern als Effekt der komplexen Beziehung des Kunstwerks zum Netz der Diskurse und der Vielfalt der Objekte (und Waren). Die terminologische Alternative, statt vom New Historicism von einer poetics of culture (Kulturpoetik) zu sprechen, betont gerade diesen Aspekt der generativen Formung, der Vorstellung eines Textes als Knotenpunkt in einem kulturellen Gewebe, an dem sich Fäden des gesellschaftlichen Diskurses überschneiden und somit verdichten.
5 Kunst als Ware Bei aller Ambition, Kunst als autonom zu deklarieren, sind ästhetische Form und ökonomischer Aspekt doch grundsätzlich aufeinander verwiesen. Gegenwärtig zeigt sich dies in folgendem Szenario: 85 Prozent der Belletristik sind ein Minusgeschäft, d. h. sie spielen die Kosten nicht wieder ein, die mit ihrer Herstellung verbunden sind. Nicht zuletzt gilt das für das sogenannte ‚Qualitätssegment‘, das von Verlagen oft nur per Querfinanzierung zu stemmen ist. Das durchschnittliche Jahreseinkommen jener, die in der Künstlersozialkasse unter der Rubrik ‚Wort‘ versichert sind, lag im Jahr 2017 bei 20.000 Euro, was immer noch höher ist als im Bereich ‚Bildende Kunst‘ (16.000 Euro) oder ‚Musik‘ (14.000 Euro) (Knörer 2018, 63). Umso wichtiger ist ein System von Stipendien und Preisen. Deren Vergabe wird am Kriterium der ästhetischen Qualität bemessen, die gewissermaßen spiegelbildlich mit dem Markterfolg verbunden ist. Wer Kunst unter dem Signum der Autonomie betreibt, der hat, wie Pierre Bourdieu zuspitzt, „an Interesselosigkeit Interesse“. Gilt breiter Erfolg als „Mal der Auslieferung an den Zeitgeschmack“, so firmiert „irdisches Scheitern als Zeichen der Erwähltheit“ (Bourdieu 2001, 342, 344). Auch historisch gesehen ist die Beziehung zwischen Wort und Ware nicht anders als paradox zu nennen (vgl. Bosse 1981, 7). Wer kompromisslos und selbstbestimmt seiner Kunst nachzugehen strebt, so jenes sich ab ca. 1750 etablierende Künstlerbild, kann bzw. möchte dies nicht mehr als bloße „part-time occupation“, als Liebhaberbeschäftigung in – selbstverständlich unbezahlten – Mußestunden
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tun (Woodmansee 1994, 40). Macht man das Schreiben zu seinem Lebensinhalt, zu einer mit ganzem Ernst betriebenen Okkupation, dann muss sich damit auch ein Leben fristen lassen. Die Voraussetzung dafür ist, dass die eigene Produktion urheberrechtlich als Eigentum abgesichert wird. Man kann dies als dialektischen Prozess lesen. Wie Martha Woodmansee gezeigt hat, hatten sich die seriösen Schriftsteller im späten achtzehnten Jahrhundert wegen der rapiden Veränderungen in Produktion, Distribution und Konsum von Literatur vor allem gegen marktgängige Erfolgsproduktionen zu profilieren. Ein wirkungsästhetisches Modell der Kunst hatte damit ausgedient, denn in diesem Punkt konnte ‚anspruchsvolle‘ Literatur kaum mit der einsetzenden Massenproduktion konkurrieren. Vor diesem Hintergrund entsteht eine Art „theology of art“ (Woodmansee 1994, 32) mit Parametern wie Komplexität, Differenziertheit und Widerständigkeit, Eigenschaften, die fortan als Ausweis autonomer Kunst gelten und die eben doch in einem Marktwettstreit entstanden sind. Eine besondere Rolle spielt heute in diesem Zusammenhang die bildende Kunst. Denn anders als Theater, Musik oder Literatur geht es hier um regelrechten Besitz. Bildende Kunst ist zu einem Handels- oder Luxusgut geworden, für das mitunter horrende Preise aufgerufen werden. Dennoch bleibt eine habituelle Kontinuität zur Moderne erhalten; der „Geist der Opposition, des Protests, des Systembruchs“, „Ekel, Entsetzen oder zumindest Entfremdung“ als „Grundlage der Avantgarden“ bleiben ein Verkaufsargument. „Je perverser, brutaler, obszöner das Werk ist“, schreibt der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich in seiner Studie Siegerkunst. Neuer Adel, teure Lust, „desto besser kann sich ein Sammler als souverän präsentieren: als jemand, der nicht nur jede Provokation erträgt, sondern sogar den Mut hat und es sich leisten kann, andere mit einem solch ‚garstigen‘ Stück Kunst zu provozieren“. Mag man dies auch als Obszönität ablehnen, so ist es doch nicht von der Hand zu weisen, dass zeitgenössische Kunst oft dann als ‚spektakulär‘ gilt, wenn sie „durch spektakuläre Preise von sich reden macht“ (Ullrich 2016, 13, 41, 46). „Besitzen und Kaufen“ von Kunst, vor dem Hintergrund Kant’scher Ästhetik ein Anathema, sind „als spezifische ästhetische Erfahrung“ längst etabliert (33), und Kunstwissenschaft und Kunstkritik können nicht umhin, solche Verhältnisse zu analysieren. Auch der Blick der Literaturwissenschaften geht weg vom singulären Werk, das in vermeintlich höchstmöglicher Autonomie geschaffen wurde und nun einzig einer akribischen, sich versenkenden Lektüre zugänglich ist. Was sich als einzig angemessene analytische Behandlung der singulären ‚Form‘ des ästhetischen Gegenstands begreift, ist selbst Erbe einer ästhetisch-ökonomischen Konstellation. Deshalb muss man aber nicht auf den Terminus des Ästhetischen verzichten. Denn es spricht nichts dagegen, ja es zeugt vielmehr von einem elaborierten Begriff des Ästhetischen, eine Analyse ‚literarästhetisch‘ zu nennen, wenn
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sie ihren Gegenstand als komplexe Mixtur aus geistigen, materiellen und ökonomischen Aspekten begreift (vgl. Childress 2017, 112–117).
Weiterführende Literatur Groys, Boris. Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie. München und Wien 1992. Haug, Wolfgang Fritz. Kritik der Warenästhetik. Frankfurt am Main 1971. Sohn-Rethel, Alfred. „Warenform und Denkform. Versuch über den gesellschaftlichen Ursprung der ‚reinen Verstandes‘“. Warenform und Denkform. Aufsätze. Frankfurt am Main 1971 [1961]: 101–130. Šklovskij, Viktor. „Literatur und Kinematograph“. Formalismus, Strukturalismus und Geschichte. Hrsg. von Aleksandar Flaker und Viktor Žmegač. Kronberg im Taunus 1974 [1923]: 22–41. Woodmansee, Martha. The Author, Art, and the Market. Rereading the History of Aesthetics. New York 1994.
IV.4 Erlebte Form
Silvia Bonacchi
IV.4.1 Gestalt und Form 1 Gestalttheorie und Gestaltgesetze Die Gestalttheorie – als umfassendere Bezeichnung für alle wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit Gestaltgesetzen in unterschiedlichen Wirklichkeitsbereichen beschäftigen, also Gestaltpsychologie, Gestaltästhetik, Gestaltlinguistik – ist ein wissenschaftlicher Ansatz, der im Epochenumbruch an der Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert seine Wurzeln hat und eine Antwort auf die so genannte „Krise der Wissenschaften“ (vgl. Henle 1968, 141; Ringer 1969, 375–377) als Krise der ‚großen‘ philosophischen Systeme des Idealismus und des Positivismus darstellt.
Gestalt und ,Gestalt‘ ‚Gestalt‘ tritt im Deutschen als ein gemeinsprachliches Wort und als Terminus (eben in der Gestalttheorie) auf. Im Folgenden sei auf die Semantik des Wortes eingegangen. Für das gemeinsprachliche Wort gibt das Wörterbuch Duden die folgenden Bedeutungen an: „1. […] Sichtbare äußere Erscheinung des Menschen im Hinblick auf die Art des Wuchses: eine untersetzte, schmächtige G[estalt] […]. 2. Unbekannte, nicht näher zu identifizierende Person […]. 3. a) Persönlichkeit, wie sie sich im Bewusstsein anderer herausgebildet hat […]. b) von einem Dichter o. ä. geschaffene Figur. 4. […] Form, die etw[as] hat, in der etw[as] erscheint.“ (Duden 1983, 490 Hervorhebung S. B.). Die vierte Bedeutung ist der Wortetymologie am nächsten. Das Wort ist schon im Althochdeutschen (ahd. gistalt) als Partizipialderivation des Verbs ‚stellen‘ belegt. Es wird durch die Verbindung des Präfixes gi- (als Träger einer soziativen und perfektiven Bedeutung bezeichnet es das Endergebnis eines Gruppierungsprozesses) mit dem Grundmorphem stellund dem abstraktiven Suffix –t gebildet, ein im Deutschen typischer Prozess für die Bildung von Substantiven aus Verben, wie etwa auch Fahr-t vom Verb ‚fahren‘. Im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm wird Gestalt als „die art, wie etwas […] gestellt, beschaffen ist, wie es damit steht“ beschrieben (Grimm 2021). Schon früh qualifiziert sich das Wort als semantisch ‚transparent‘, denn es verbindet einen dynamischen Prozess mit dessen Endergebnis: Etwas scheint so, weil es so beschaffen ist (vgl. dazu ausführlicher Bonacchi 2015, 12–13).
https://doi.org/10.1515/9783110364385-027
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Das Aufkommen der Gestalttheorie Wissenschaftshistorisch betrachtet ist die Gestaltpsychologie der Ausdruck einer Wende in der Philosophie, die nicht nur zur Verselbständigung der Psychologie als Disziplin und zu ihrer institutionellen Etablierung an Hochschulen geführt hat, sondern auch eine neue Auffassung der Wissenschaft und der Wirklichkeit überhaupt begründet hat. Als ‚Gründungsdokument‘ wird Christian von Ehrenfels’ Aufsatz Über Gestaltqualitäten (1890) angesehen, der allerdings Ernst Machs Beiträge zur Analyse der Empfindungen (1886) maßgebliche Anregungen verdankte. Die Abhandlung von Ehrenfels erschien in der von Richard Avenarius als Sprachrohr der positivistischen Philosophie herausgegebenen Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie und löste unter Psychologen und Philosophen eine rege Debatte um das bis dahin noch nicht wissenschaftlich untersuchte Phänomen des Erlebens und Erfassens besonderer ‚Qualitäten‘ (‚Gestaltqualitäten‘) eines Wahrnehmungskomplexes aus. Das klassische Ehrenfels’sche Beispiel für die Existenz dieser Gestaltqualitäten war das der musikalischen Melodie (vgl. Ehrenfels 1890, 259–261). Beim Hören eines Musikstücks wird nicht eine bloße Abfolge von einzelnen Tönen erlebt, sondern eine Tongestalt, die man unmittelbar als ‚Melodie‘ erlebt und die mehr als die einfache Summe ihrer Töne ist. Würde man die Töne in der umgekehrten Reihenfolge hören, wäre die Melodie zur Unkenntlichkeit entstellt. Die Melodie bliebe hingegen als solche auch erkennbar, wenn sie etwa statt in C-Dur in E-Dur ausgeführt würde. In diesem Falle würde kein einzelner ihrer Töne den ursprünglichen entsprechen, die Melodie als Ganzes wäre nichtsdestoweniger dieselbe. Gegen die Konstanzannahme lässt sich das ‚Sosein‘ (in phänomenaler Evidenz) des Komplexes als Ganzes nicht unmittelbar auf die es konstituierenden Teile (bzw. auf die der Reizung eines Sinnesorgans entsprechenden Erregungen) zurückführen: Unter Gestaltqualitäten verstehen wir solche positiven Vorstellungsinhalte, welche an das Vorhandensein von Vorstellungscomplexen [sic] im Bewußtsein gebunden sind, die ihrerseits aus von einander trennbaren (d. h. ohne einander vorstellbaren) Elementen bestehen. – Jene für das Vorhandensein der Gestaltqualitäten notwendigen Vorstellungscomplexe wollen wir die Grundlage der Gestaltqualitäten nennen. (Ehrenfels 1890, 262)
Hier ist ein qualitativ spezifisches Moment der Erfassung eines Komplexes als Ganzes festzustellen: „Wie kann […] der blosse Umstand, dass sich mehrere Vorstellungen oder Empfindungen in einem einzigen Bewusstsein vereint vorfinden, schon einen genügenden Grund dafür abgeben, dass zu jener Summe noch etwas Neues hinzutritt, welches nicht in den Summanden enthalten war?“ (Ehrenfels 1890, 253). Ehrenfels behauptete die ontologische Existenz einer solchen Qualität und übersprang damit die rein phänomenologische Betrachtung Machs, der in
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den Beiträgen zur Analyse der Empfindungen auf den ontologischen Status des Betrachteten nicht eingegangen war. Es war der Anfang eines Umbruchs in der Psychologie, der zur endgültigen Überwindung der vom englischen Empirismus und französischen Sensualismus geprägten Assoziations- und Elementenpsychologie und des psychophysischen Paradigmas der punktuellen Entsprechung von Reiz und Wahrnehmung führte. Die von Ehrenfels angeregte Debatte über die Gestaltqualitäten wurde von Philosophen und Psychologen seiner Zeit vor allem in den ersten drei Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts weitergeführt, unter anderem von Carl Stumpf in Berlin und Alexius Meinong in Graz, die trotz der Verschiedenheit ihrer Ausgangspositionen einer philosophischen Tradition angehörten, an deren Anfang der Philosoph Franz Brentano mit seinem Intentionalitätsbegriff steht. Stumpf und Meinong untersuchten einerseits die logische Geltung der Gestaltauffassung, andererseits unterzogen sie das Phänomen − besonders auf dem Gebiet der optischen und akustischen Wahrnehmung − der experimentellen Prüfung. Weitere Orientierungen der Gestalttheorie wurden entwickelt und dank der regen wissenschaftlichen Tätigkeit der Vorläufer unterschiedliche Schulen gebildet: die Berliner Schule um Carl Stumpf (dann von Wolfgang Köhler, Max Wertheimer, Kurt Koffka und Kurt Lewin weitergeführt), die Grazer Schule um Alexius Meinong (weitergeführt von Vittorio Benussi), die Würzburger Schule um Oskar Külpe (weitergeführt von Narziß Ach und Karl Bühler), in der zweiten Generation die Leipziger Schule der Gestalttheorie (Ganzheitspsychologie mit Schülern von Wilhelm Wundt, Felix Krüger und Friedrich Sander). Hitlers Machtergreifung bedeutete für diese vielversprechende Entwicklung eine dramatische Zäsur. Viele Gestaltpsychologen mussten in die USA emigrieren und fanden in der behavioristisch geprägten amerikanischen Psychologie keine Möglichkeit einer Weiterentwicklung ihres holistischen Ansatzes (vgl. Fitzek 2014, 31–33).
Die Gestaltgesetze Zu den Grundannahmen der Gestalttheorie, die trotz der unterschiedlichen Fortentwicklungen konstant blieben, gehören: a) Das Primat des Ganzen bzw. der ‚Gestalt‘ vor den sie konstituierenden Teilen (Übersummativität, Transponierbarkeit) in der Wahrnehmung, in den höheren kognitiven Prozessen, in der Volition und in den Emotionen. Das Wort ‚Gestalt‘ bezeichnet somit mehr als bloße ‚Form‘: Es bezeichnet ein durchstrukturiertes Ganzes, bei dem die Begriffe des Sinnes und der Bedeutung im Vordergrund stehen.
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b) Die dynamische Wechselwirkung zwischen Reizgegenständen, Außenwelt und Subjekt (darunter sind auch unterschiedliche Hypothesen zum psychophysischen Parallelismus zu subsumieren) führt zur Überwindung der Gegenüberstellung zwischen Subjektivität und Objektivität und somit auch zur Überwindung der klassischen Gegenüberstellung zwischen primären und sekundären Qualitäten. Der Wahrnehmungsakt erfolgt in einer phänomenologischen Evidenz, in der sich Subjekt und Objekt gegenseitig konstituieren und Sinn erzeugen (tertiäre Qualitäten). c) Das Primat des Phänomenalen und der phänomenalen Evidenz wird somit auch in der wissenschaftlichen Forschungspraxis hervorgehoben (laut Newtons Leitsatz: hypotheses non fingo). Die klassischen Grundprinzipien der Gestalttheorie wurden zwischen 1912 und 1923 erarbeitet. Die Formulierung der Gestaltgesetze 1922–23 durch Max Wertheimer kann als eine Summe der bis dahin betriebenen Gestaltforschung verstanden werden und bildet die Grundlage für die modernen Gestaltstudien, die die Anregungen der Gründergeneration der Gestalttheorie erweiterten (vgl. Koffka 1935, Metzger 21953 und 61966 [1941] bis zu neueren Studien, z. B. Meyer 1996). Die zentrale Annahme ist das Prägnanzgesetz bzw. das Gesetz der ‚guten Gestalt‘, das davon ausgeht, dass Objekte mit besonderen Strukturierungsmerkmalen einfacher und schneller (präferentiell) wahrgenommen werden, weil sie mit internen (kognitiven) Gliederungsmustern konsistent sind. Symmetrische, einfache, einheitliche Formen werden bevorzugt wahrgenommen. Darauf aufbauend wurden weitere Gestaltgesetze formuliert: das Gesetz der Nähe, der Ähnlichkeit bzw. der Gleichartigkeit, der Geschlossenheit, der Fortsetzung, des gemeinsamen Schicksals, die eigentlich Gruppierungstendenzen beschreiben. Gestaltgesetze erklären auch übersummative Feldwirkungen und Bezugsphänomene (u. a. Figur/Hintergrund-Strukturierungen). Im Folgenden seien die Gesetze auf der Grundlage von Beispielen aus der visuellen Wahrnehmung veranschaulicht: 1) Gesetz der guten Gestalt (Einfachheit oder Prägnanz) Es werden bevorzugt Gestalten wahrgenommen, die eine einprägsame und einfache Struktur (= Prägnanzgesetz, ‚gute Gestalt‘) haben. Wie in den folgenden Abbildungen gezeigt wird, führt dieser Prozess zu einer Strukturierung des Hintergrunds/Vordergrunds.
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Fig. 1a: Undeutliche Figuren oder das Wort P I E
Wegen der chromatischen und räumlichen Verhältnisse können wir hier dunkle Figuren sehen, die auf bekannte Objekte nicht eindeutig zurückzuführen sind (die dunklen Figuren stehen im Vordergrund). Wenn wir aber die Vordergrund/Hintergrund-Verhältnisse umkehren, dann sehen wir ohne Schwierigkeit das englische Wort „PIE“ in weißen Großbuchstaben. Dies einmal wahrgenommen, wird das ‚gekippte‘ Bild stabil, das Wort „PIE“ als vordergründig gesehen.
Fig. 1b: Kippfigur (Rubinsche Vase)
Je nachdem, was wir als Vordergrund oder als Hintergrund fokussieren, haben wir zwei Bilder (zwei Gesichter oder eine Vase).
2) Gesetz der Nähe
Fig. 2: Gesetz der Nähe
Elemente mit geringem Abstand zueinander werden als zugehörig wahrgenommen. Eine andere Gruppierungsmöglichkeit wäre nur möglich durch Forcierung der Aufmerksamkeit.
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3) Gesetz der Ähnlichkeit bzw. der Gleichartigkeit
Fig. 3: Gesetz der Ähnlichkeit
Einander ähnliche Elemente werden als zusammengehörig empfunden. In Fig. 3 sehen wir eine Alternanz von vertikalen Reihen aus Zirkeln und Vierecken. Eine horizontale Gruppierung der Reihen ist erst als Ergebnis einer Umstrukturierung möglich.
4) Gesetz der guten Fortsetzung (der durchgehenden Linie) Figuren werden immer so gesehen, als folgten sie dem einfachsten Weg. Kreuzen sich zwei Linien, dann sehen wir zwei durchgehende Linien. Wenn diese Linien einen Knick machen, dann sehen wir zwei Ecken.
Fig. 4: Gesetz der guten Fortsetzung
5) Gesetz der Geschlossenheit Es werden bevorzugt Strukturen wahrgenommen, die eher geschlossen als offen wirken. Wir können kognitiv Strukturen erschließen, die offen sind, wenn diese in bestimmten Feldwirkungen stehen.
Fig. 5: Gesetz der Geschlossenheit
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In diesem Bild können wir einen weißen Würfel sehen. Die Kanten des Würfels sind imaginär, die Linien werden phänomenal („in unserem Gehirn“) geschlossen.
6) Gesetz des gemeinsamen Schicksals Zwei oder mehrere sich gleichzeitig in eine Richtung bewegende Elemente werden als eine Einheit oder Gestalt wahrgenommen.
Fig. 6: Gesetz des gemeinsamen Schicksals
2 Robert Musil: Ein Dichtungsbegriff mit Gestalteigenschaften Einige Literaturwissenschaftler sehen im Gestaltansatz eine „Denkfigur“, die unterschiedliche Ausprägungen als diskursgeschichtliche Variation eines holistischen Konzeptes findet und die bei vielen Autoren (von Goethe bis Benjamin) aufzuspüren ist (vgl. Simonis 2001). Dabei wird ausgeblendet, dass die Gestalttheorie als wissenschaftliche Ausrichtung die Grundlage eines genauen poetologischen Konzeptes geliefert hat. Der österreichische Schriftsteller Robert Musil (1880–1942), einer der wichtigsten Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts, strebte in seinem gesamten Werk einen „Dichtungsbegriff mit Gestalteigenschaften“ an (vgl. Bonacchi 2011). Die nachhaltige Wirkung der Gestalttheorie auf Musils essayistisches und erzählerisches Werk hat biographische und ideengeschichtliche Gründe. Robert Musil teilte den gleichen intellektuellen Nährboden mit der ersten Generation der Gestaltpsychologen: Nach Abschluss eines Ingenieurstudiums studierte er 1903–1908 Psychologie und Philosophie bei Carl Stumpf in Berlin, zur gleichen Zeit wie Kurt Koffka, Wolfgang Köhler, Gustav Johannes von Allesch und Adhémar Gelb. Er besuchte mit ihnen Vorlesungen und Seminare am Psychologischen Institut, lernte die experimentellen Methoden kennen, die die psychologische Forschung radikal erneuerten, verfolgte die Diskussion um das Phänomen der Gestaltqualitäten, das in Stumpfs Vorlesungen kritisch evaluiert und experimentell geprüft wurde (vgl. dazu Bonacchi 1998, 66–68).
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In der Rezeption des gestalttheoretischen Gedankenguts und in der weiteren Aufarbeitung der gestaltpsychologischen Grundsätze lassen sich bei Musil mindestens drei grobe Phasen unterscheiden: 1. die Phase um die Studienjahre in Berlin. In engem Zusammenhang dazu stehen das Novellendyptichon Die Vereinigungen (1911), in dem Musil versucht, ‚dezentralisierte‘ Modelle zur Auffassung des Ich in Erzählstrukturen umzusetzen (vgl. dazu Bonacchi 1998, 92–99; Bonacchi und Payne 2007; Bonacchi 2009), sowie einige Aufsätze und essayistische Entwürfe – Form und Inhalt (1910), Das Kranke und Unanständige in der Kunst (1911), Über Robert Musils Bücher (1913), Skizze der Erkenntnis des Dichters (1918). Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges setze dieser Phase ein rasches Ende. 2. Eine Übergangsphase in den zwanziger Jahren, in welcher der Einfluss der gestalttheoretischen Ansätze in den publizistischen Schriften und in den Aufsätzen Musils, allen voran Der deutsche Mensch als Symptom (1921–1923) und Ansätze zu neuer Ästhetik (1925), nachweisbar ist. 3. In den dreißiger Jahren wendet sich Musil erneut der Gestalttheorie zu: In der Endphase der Arbeit am veröffentlichten Teil von Der Mann ohne Eigenschaften bis zu den Entwürfen zu den Kapiteln zur Fortsetzung des Romans im Nachlass. Die Gestalttheorie lieferte Ansätze zum Konzept des Essayismus sowie zu einer Affekt- und Handlungstheorie, die die Grundlage für essayistische Teile im Roman bildet. Musil entwickelt die gestalttheoretischen Annahmen zu poetologischen Reflexionen im Essay Literat und Literatur (1931; vgl. exemplarisch Barnow 1976 und 1980; Hickmann 1986; Bonacchi 1998, 261–300; Bonacchi 1999b; Nübel 2006, 354–376; Wolf 22008; Nübel 2016, 345–347). Da ausführliche Analysen über einzelne Teilaspekte des Einflusses der Gestalttheorie auf Robert Musils Werk schon durchgeführt worden sind (Bonacchi 1998; Bonacchi 2009b; Bonacchi 2011; Hoffmann 1997; Bonacchi 2016; Brüning 2015), sei im Folgenden ein kursorischer Überblick über die wichtigsten Momente der gestalttheoretisch inspirierten poetologischen Reflexion Musils geboten. Dabei ist zu betonen, dass diese poetologische Reflexion sich in ihren Grundannahmen nicht wesentlich änderte, sondern sich in Folge der Arbeit an einzelnen literarischen Werken präzisierte und ihre letzte Ausprägung in der Konzeption des Essayismus vor dem Hintergrund der Arbeit am Roman Der Mann ohne Eigenschaften fand. Die Reflexion über die Formgebung eines panta rhei des Lebens durch die Wissenschaft und die Kunst ist bei Musil schon seit seinen schriftstellerischen Anfängen zentral. Bereits in seinen frühen Werken − Die Verwirrung des Zögling Törless (1906) und den Vereinigungen (1911) – thematisiert Musil, dass durch Formgebung Inhalte ‚erstarren‘ können. Das betrifft sowohl den ‚Stoff‘ des Lebens (Emotionen, Volitionen) als auch Denkinhalte. Es handelt sich dabei um eine schwer lösbare
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Grundambivalenz: Die Zurückführung von Unbekanntem auf bekannte Schemen oder ‚Formen‘ ist einerseits notwendig (ein gutes Beispiel sind ‚Gewohnheiten‘ bzw. Handlungsabläufe, die wir im Alltag automatisch reproduzieren und die uns die Aufgabenbewältigung ermöglichen), anderseits kann diese Formgebung gefährlich werden, nämlich dann, wenn daraus starre Formeln werden, in denen alles ‚Lebendige‘ petrifiziert wird. Bei Törleß führt dieses Bewusstsein zu einer Krise, die in der Reflexion über „lebende“ und „tote Gedanken“ artikuliert wird (1978c [1906], 136). ‚Tote Gedanken‘ (bzw. starr geformte und erstarrte Gedanken) findet der Zögling in der schulischen Wissenschaft, die nicht imstande ist, eine Antwort auf Lebensfragen zu geben (dies wird deutlich etwa im Gespräch mit dem Mathematiklehrer, vgl. 77). Der Zögling Törleß stellt sich die Frage: Gibt es eine Alternative zur dieser Binäropposition? Gibt es Gestaltungsmöglichkeiten bzw. Gestaltungsmodi und Gestaltungsformate, die das Gestaltete nicht erstarren lassen, sondern es sozusagen ‚vom Inneren heraus‘ immer wieder neu entspringen lassen? Für den Dichter lautet die kritische Frage: Unter welchen Umständen erstarrt sein Material in der ästhetischen Formung? Den ersten Versuch Musils, eine Alternative zu präfigurieren, stellen die Vereinigungen (1911) dar, die explizit von Musil als ‚Erzählexperiment‘ angesehen werden. Hier versucht er, die erzählerische Konstruktion der Hauptgestalten und des Erzählgeschehens nicht nach dem Substanzprinzip (Ursache – Wirkung), sondern nach dem Funktionsprinzip (Motivation) aufzubauen (für eine ausführliche Analyse vgl. Bonacchi 2009, 2014). In Das Unanständige und Kranke in der Kunst (1911) schreibt Musil: Es heißt etwas darstellen: seine Beziehungen zu hundert anderen Dingen darstellen; weil es objektiv nicht anders möglich ist, weil man nur so etwas begreifbar und fühlbar machen kann, … wie ja auch wissenschaftliches Verständnis durch Vergleichen und Verknüpfen entsteht, wie menschliches Verstehen überhaupt entsteht. (Musil 1978a [1911], 979–980)
Ausgehend von dezentralisierten Ich-Konzeptionen, die in der damaligen psychologischen Fachliteratur über psychopathologische Störungen – etwa der Psychasthenie und der Neurose – zu finden ist (vgl. Bonacchi und Payne 2007; Bonacchi 2016) – und die voraussetzen, dass das Ich keine feste Konstanz hat, sondern das Ergebnis von komplexen psychischen Syntheseprozessen gestalthaften Charakters ist, versucht Musil in den Vereinigungen, Erzählfiguren und Erzählstrukturen zu entwerfen, die Gestaltgesetzen unterliegen. In gleicher Weise, in der das Ich als nicht substantiell fundiert beschrieben wird, sondern sich aus der Wechselwirkung der einzelnen Ich-Zustände und -Übergänge ergibt, sind die Hauptgestalten (Veronika und Claudine) seiner Novellen Die Versuchung der stillen Veronika und die Vollendung der Liebe keine vom Erzähler beherrschten, geschlossenen Erzählkonstruktionen, sondern dynamische Gestalten, die prozesshaft vom Leser konstruiert werden, anhand einer erzählerischen Grundbauform (vgl. dazu Bonacchi
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1999a). Das führt zu einer stets perspektivierenden Erzählposition, die nicht auktorial Zusammenhänge vordefiniert und nach dem Ursache-Wirkung-Prinzip erklärt, sondern grundsätzlich offen ist und durch den Leser stets ergänzt werden kann (im Sinne des Prägnanzgesetzes bzw. des Gesetzes der guten Gestalt und des Gesetzes der Schließung). Im Aufsatz Das Unanständige und Kranke in der Kunst (1911) hält Musil fest, jedes Wort der Novelle „irradiiere“ ihren Sinn ins Unendliche (NM VI/3, 432): Der Eindruck, den ein Künstler erhält, irgend etwas Gemiedenes, eine unbestimmte Empfindung, ein Gefühl, eine Willensregung, zerlegt sich in ihm und die Bestandteile, losgelöst aus ihrem gewohnheitsstarren Zusammenhange, gewinnen plötzlich unerwartete Beziehungen zu oft ganz anderen Gegenständen, deren Zerlegung dabei unwillkürlich mit anklingt. Bahnungen werden so geschaffen und Zusammenhänge gesprengt, das Bewusstsein bohrt sich seine Zugänge. (1978a [1911], 980)
Im weiteren Verlauf dieser Reflexion deutet Musil die Gegenüberstellung zwischen starrer Formung und lebendiger Gestaltung als begriffliche Opposition vom Ratioïden und vom Nicht-Ratioïden im Erkenntnisbereich (vgl. Skizze der Erkenntnis des Dichters, 1918). Musil vertritt hier die spezifische epistemologische Valenz der Dichtung in Abgrenzung zur Wissenschaft. Wissenschaft und Dichtung sind nach Musil komplementäre Bereiche, die spezifische Erkenntnisformen vermitteln. Die Erkenntnis des Dichters entwickelt sich nicht auf „ratioïdem“ Gebiet, das vom Begriff des „Festen“ beherrscht ist: Dieses ratioïde Gebiet umfasst […] alles wissenschaftlich Systematisierbare, in Gesetze und Regeln Zusammenfassbare […]. Es ist gekennzeichnet durch eine gewisse Monotonie der Tatsachen, durch das Vorwiegen der Wiederholung […]. Man kann sagen, das ratioïde Gebiet ist beherrscht vom Begriff des Festen und der nicht in Betracht kommenden Abweichung; vom Begriff des Festen als einer fictio cum fundamento in re. (1978h [1918], 1027)
Das „Heimatsgebiet“ des Dichters ist das Nicht-Ratioïde, seine Aufgabe ist es, „immer neue Lösungen, Zusammenhänge, Konstellationen, Variable zu entdecken, Prototypen von Geschehensabläufen hinzustellen, lockende Vorbilder, wie man Mensch sein kann, den inneren Menschen erfinden“ (1978h [1918], 1029). In diesem Sinne bahnt sich jene Reflexion über den Möglichkeitssinn (vs. Wirklichkeitssinn) an, die ihre volle Ausformulierung im Mann ohne Eigenschaften (Band 1, Kapitel 5) finden wird. In den zwanziger Jahren gewinnt diese Reflexion über Formung/Gestaltung eine kulturkritische Dimension, die in den essayistischen Schriften (allen voran Ansätze zu neuer Ästhetik und Der deutsche Mensch als Symptom) artikuliert wird. Das Überwiegen des Ratioïden und das Fehlen des Gestaltungsvermögens sei ein Symptom nicht nur der modernen Kunst und des modernen Menschen, sondern
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auch ein gesellschaftliches Phänomen, das über einen Manierismus im Denken zur blinden Reproduktion, zum Konformismus und nicht zuletzt zur „Dummheit“ (dies wird dann im Aufsatz Über die Dummheit 1937 ausformuliert) und schließlich auch zum Autoritarismus führt. So heißt es im Aufsatz Der Dichter in dieser Zeit (1934): Bezeichnenderweise ist dann auch das einzige gewichtige Selbstbeharren nicht vom „freien Geist“, sondern von den religiösen Verbänden ausgegangen, also […] von organisierten Verbänden ausgegangen, das wieder auf die Unselbstbeständigkeit, das Führungsbedürfnis, die äußere und ihr folgende innere Abhängigkeit des heutigen Menschen hinweist. (1978b [1934], 1247)
Anfang der dreißiger Jahre findet dieser kultur- und zivilisationskritische Ansatz Anschluss an die poetologische Reflexion vor dem Hintergrund der Schaffenskrise während der Abschlussarbeiten am Mann ohne Eigenschaften und gipfelt im Aufsatz Literat und Literatur. Randbemerkungen dazu (1931), der als poetologisches Pendant zum Roman betrachtet werden kann. In Musils Briefen und in den Tagebüchern sind zahlreiche Zeugnisse zu finden, dass Musil sich am Ende der zwanziger Jahre in einem Zustand der „intellektuellen Verzweiflung“ und der Ohnmacht befand, vermischt mit einer Abneigung gegen seine Arbeit („mit einem fürchterlichen Abscheu […], wieder an die Sache heran zu müssen“) (TB I, 682). Dieser Zustand war zum großen Teil auf die Schwierigkeiten mit der Vollendung des Romans Der Mann ohne Eigenschaften, besonders bei der formalen Gestaltung, in den Übergängen, in der Realisierung der gegenseitigen Durchdringung zwischen den Teilen und dem Ganzen zurückzuführen, die wiederum auf die schwierige Kompositionsarbeit der erzählerischen und „gedanklichen“ Teile zurückzuführen war: „Nun ist die klassische Situation geschaffen: Zwei fixierte Pfeiler u[nd] dazwischen ein Übergang, der nicht zustande kommen will. […] Ich verliere die Linie des Ganzen. Ich bleibe an stilistischen Einzelheiten, Stellung von Neben- zu Hauptsätzen udgl. hängen.“ (1983, 681–682). Musil schrieb, es gelinge ihm nicht, die „Wurstmaschine, durch die der Roman hindurch muß“, schneller anzutreiben, die Gedankenmasse „durchzukneten“ (1981 [1929], 449. Das Problem der epischen Integration des intellektuellen Gehalts, das Musil als Hauptherausforderung seines Romans erkannte, war eine gattungsspezifische Frage. Eine rege Debatte unter den Kritikern begleitete das Erscheinen der so genannten „großen Romane“ Prousts, Joyces, Döblins, Roths, Brochs und Svevos in den zwanziger und dreißiger Jahren, als diese Gattung ihren Höhepunkt erlebte und zugleich aus vielen Richtungen Tendenzen ihrer Auflösung spürbar wurden. Zwischen Ende 1929 und Anfang 1930 liest Musil mit großem Vergnügen Italo Svevos Roman Zeno Cosini, der wohl sein Interesse für die Psychoanalyse verstärkt; die Tagebücher belegen die Lektüre von Goethes Bildungsroman Wilhelm
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Meisters Lehrjahre. 1930 liest er Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz – das Buch sei „außerordentlich“ (1981 [1929], 453) – und Hermann Brochs Die Schlafwandler. Im März 1931 teilt Musil Gustav Kiepenheuer in einem Brief mit, dass er Roths Hiob „mit Interesse lesen werde“ (1981 [1931], 507–508). Des Weiteren ist Musil an der Gattung der Lebensbeschreibung interessiert – sein Interesse gilt wohl auch dem besonderen Schicksal des Künstlers: er liest André Gides Autobiographie Si le grain ne meurt in der deutschen Fassung Stirb und Werde und das Leben Baudelaires von François Porché. Im Mai und Juni 1930 liest er Franz Bleis Erzählung eines Lebens, die er als einen „tiefe[n] Langschnitt durch unsere Kultur“ bezeichnet (1978d [1931], 1202). Sehr aufschlussreich für die Bestimmung der Position Musils in Bezug auf die Möglichkeiten des zeitgenössischen Romans ist sein Briefwechsel mit dem Berliner Kritiker Walther Petry. Dieser hatte 1931, nach der Veröffentlichung des ersten Bandes des Romans Der Mann ohne Eigenschaften, Musils Werk zwei Kritiken gewidmet, die in der Zürcher Zeitung erschienen waren. Darin vertritt Petry die Überzeugung vom Vorhandensein einer ununterbrochenen Linie in Musils dichterischem Schaffen, die von den Vereinigungen über die Schwärmer bis zum Mann ohne Eigenschaften führe. Der Leitfaden dieser Entwicklung sei nach Petry die Tendenz zur Auflösung der Form, zur Entgrenzung. So heißt es über die Vereinigungen: Darf man ihn [den Autor] nicht als einen Menschen glauben, der aus den Zwängen des Geistes hinunter, die Reihe der Entwicklungen zurück, ins Amorphe trachtet? Sind die „Vereinigungen“ dieses Buches nicht Einbilder der Schwäche, Schilderungen eines ins Unklare entgrenzten Gefühls, das zur Auflösung strebt? (1994, 24)
Über den Mann ohne Eigenschaften schrieb Petry: „Seine Figuration und Ereignisse sind nur Gerüst, klar zusammengesetztes Bauwerk, durch dessen Lücken der Blick in die Tiefe des gefährlich offenen Raumes geht.“ (27). Petry kam zu dem Schluss, dass der „große Roman“ als epische Spiegelung eines geschlossenen Weltbilds nicht mehr möglich sei. Der neue Roman, zu dem nach Petry auch Musils Mann ohne Eigenschaften gehörte, konnte lediglich durch die Auflösung der epischen Kontinuität jene andere Auflösung, die der festen Welt, spiegeln (33). Musil wehrte sich energisch gegen dieses Urteil Petrys; in zwei Briefen an Petry vom März 1931 klärte er seine Position: „[D]aß Joyce, Proust usw. die Form auflösen, ist soweit ich Einblick habe, auch meine Meinung, nur würde ich es gern anders gemacht haben.“ (14). Wie Inka Mülder-Bach betont, wird das „Panorama der Desintegration“ (2013, 318), in das der Roman münden kann, zur Grundlage einer starken Entgegnung gemacht, indem Musil die Suche nach Prinzipien der Sinngestaltung thematisiert: „Einerseits ist die Auflösung, von der er [Musil] spricht, nicht von der zu trennen, die er selber als Analyse
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durchführt. Andererseits folgt die narrative Ein- und Umgestaltung diskurs- und wissenschaftsgeschichtlicher Bestände immer dem Grundsatz der Darstellbarkeit.“ (2013, 318–319). Musil selbst bemerkt dazu an Petry: [W]o Sie darauf hinweisen, daß es den ‚Roman‘ nicht mehr geben könne […], sind Sie meiner Ansicht nach dogmatisch. Warum denn einbildungsreine, gegenständliche Spiegelung eines geschlossenen Weltbilds? Das ist eine Ausnahmemöglichkeit, aber nicht das Wesen der Prosa. Das ist eine Form zu bestimmten Inhalten, und die Aufgabe von heute, wie weit ich sie nun gelöst habe oder nicht, besteht für mich darin, die Form des Romans nicht aufzugeben, sondern aufnahmefähig für die Inhalte zu machen, die ihr neu erwachsen sind. (Musil 1994, 13)
Im Aufsatz Literat und Literatur greift Musil diesen Themenbestand auf und betont, der Roman sei wie „keine andere Kunstform dazu berufen […], den intellektuellen Gehalt einer Zeit aufzunehmen“ (1978g [1931], 1223). Literat und Literatur gehört nach Musils Worten zu den „großen Aufsätzen“, die aus „dem gleichen Ideenkreis gespeist sind wie der Roman“ (1981, 453–454; vgl. Corino 2003, 993–1111). Musil behandelt darin die wichtigsten Themen seines dichterischen Schaffens: das Verhältnis von Form und Inhalt in einem literarischen Werk, die Frage der Modi der dichterischen Integration des Gedanklichen und die spezifische erkenntnistragende Funktion der Dichtung, ihre Strukturgesetze, das Verhältnis zwischen Originalität und Tradition bzw. Individualität und literarischer Überlieferung, schließlich die Aufgabe des Dichters und die Funktion der Dichtung in der modernen Zeit. Musil sieht im Gestaltbegriff die „wissenschaftliche Unterlage dieser Durchdringung von Form und Inhalt“ (1978g [1931], 1218). Der Gestaltbegriff erfährt also über seine psychologische Valenz hinaus eine besondere ästhetische Deutung und wird einem poetologischen Diskurs unterzogen, der sich auf verschiedenen Ebenen artikuliert. Wie es oft der Fall bei Musils Essayistik ist, wird der Aufsatz durch entsprechende Lektüren und eine intensive Beschäftigung mit wissenschaftlichen Quellen vorbereitet, u. a. durch Kurt Lewins Gesetz und Experiment in der Psychologie (1927) und dessen Studie Untersuchungen zur Handlungs- und Affektpsychologie (1926), sowie durch Kurt Koffkas Psychologie (1925) und Sigmund Freuds Das Unbehagen in der Kultur (1930). Der Aufsatz besteht in der gedruckten Endfassung aus sieben Abschnitten: die ersten vier („Vorbemerkung“, „Der Literat als allgemeinere Erscheinung“, „Literat und Literatur“, „Das Bedürfnis nach Entschädigung: Originalität, Erlebnis, Reportage und Erhabenheit“) beinhalten eine scharfe Kritik an den Kulturerscheinungen der Gegenwart am prägnanten Beispiel der Begriffe „Literat“ – als geringschätzige Bezeichnung für eine aktuelle Einzelerscheinung – und „Literatur“ – als ganzheitliches System, in dem diese Einzelerscheinung einzubetten ist; in den letzten drei Abschnitten („Der Geist des Gedichts“, „Die Bedeutung der
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Form“, „Abschluß“) versucht Musil, in einem ästhetischen Bekenntnis Ansätze zu einem neuen Kunstverständnis zu liefern. In diesen letzten drei Abschnitten wird der Gestaltbegriff aufgegriffen und ästhetisch gedeutet. Betrachtet man die komplexe Textgenese des Aufsatzes (vgl. dazu Bonacchi 1999b) – die Vorstufen und die vorbereitenden Studien befinden sich in der Mappe NM/3 in Musils Nachlass –, verläuft die Entwicklung dieser beiden Diskursebenen – der kulturkritischen und der poetologischen – parallel. Der Diskurs über das Verhältnis von Form und Inhalt in der Dichtung, sprich: von sinnlichen und intellektuellen Komponenten, in den der Gestaltbegriff einfließt, geht mit der Aufnahme von Material aus der ethnologischen Forschung über den Ursprung der Kunst einher. Schon in den ersten Vorstufen des Aufsatzes, als er noch eine Laudatio bzw. eine Ehrenrettung für Franz Blei sein sollte (vgl. Bonacchi und Fanelli 1997; Bonacchi 1998, 265–267), wird die Fragestellung deutlich, mit welcher sich Musil auseinandersetzen wollte: Was ist eigentlich Kunst, was ist ihr Sinn, worin besteht eigentlich das Kunstgeschehen? Der dichterischen und intellektuellen Scharlatanerie zeitgenössischer Literatur, die unter hoch tönenden Parolen wie „Genie“ und „Intuition“ ihre Armut an Gehalt und Gedanken verbirgt, und von der der „Literat“ als „Scheltwort“ (1203) ein Symptom sei, setzt Musil zunächst ein „wissenschaftliches Verständnis“ der Dichtung entgegen. Musils Kritik richtet sich dabei gegen den „kuhwarm produzierenden Dichter“ des Expressionismus, gegen die politische Literatur, gegen die sakrale Auffassung der Literatur, wie sie etwa im George-Kreis vertreten wurde, gegen die Neubelebung vitalistischer Strömungen, gegen die „falsch verstandene Ursprünglichkeit“ und die „Originalgenies“ der Erlebnis-Dichtung, gegen die Literatur der Dichter-Akademien (1978g [1931], 1210). In den Vorstufen scheut sich Musil nicht davor, derbe Töne zu verwenden, wie etwa im Angriff gegen den Präsidenten der Dichterakademie Walter von Molo (vgl. NM VI/3, 11). In seiner Ablehnung gegen alle verfestigten, hypostasierten Begriffe greift Musil auf das Ökonomieprinzip Mach’scher Prägung zurück und schlägt zunächst eine sehr nüchterne Kunstauffassung vor: In der Annahme, dass alle menschlichen Funktionen zur Erhaltung des Individuums in seiner Umwelt dienen, wird die Kunst als eine der Lebensfunktionen betrachtet, genauer: als eine der seelisch-ökonomischen Vorkehrungen zur Bewältigung der Lebensaufgaben (vgl. NM VI/3, 16), wie es in ähnlicher Weise auch der Mythos und die Religion vermag. Somit scheint sich Musil dem biologistischen, spätevolutionistischen Ansatz zu verpflichten, der durch die ethnologische Forschung der zwanziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts an Aktualität gewann. Der Mensch ist demnach im Stande, die ihm unbekannte, ihn bedrohende oder beängstigende Wirklichkeit zu bewältigen, weil er sie stets „verkürzt“, d. h. auf bekannte, harmlose Form(el)n reduziert. Es sind jene „fortschreitende formelhafte Verkür-
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zung“ und die daraus resultierenden „komprimierten Verkürzungsformeln“, die sich überall im Denken und Handeln sichtbar machen und die Kulturentwicklung bestimmen. Wissenschaft ist ebenso das Ergebnis einer solchen formelhaften Gliederung der Wirklichkeit. In den Vorstufen spricht Musil von „Formelbildung“ und „Formgebung“ (u. a. NM VI/3, 16, 77), in der gedruckten Fassung von einer „Gestalt“ (1978g [1931], 1218). Analyse und Synthese als Momente dieser Gestaltungsarbeit sollen sich in einem richtigen Verhältnis im gesunden Menschen ergänzen. Ein Übermaß in der Hinnahme ‚ganzer‘ Tatbestände ist für die Dummheit kennzeichnend – für deren Bestimmung orientiert sich Musil an Koffkas psychologischem Modell (vgl. Koffka 1925, 566–582) –, ein Übermaß der Aufsplitterung und der Analyse führt zur Neurose (vgl. NM VI/3, 17). Nur durch die korrekte Durchdringung beider Haltungen kann die ertragreiche Entwicklung des Individuums und zugleich der Kollektivität, zu der es gehört, erfolgen (vgl. NM VI/3, 17). Die Alltagserfahrung ist reich an Vorgängen, in denen diese Aktivität der (Aus-)Gestaltung deutlich wird. Musil nennt als Beispiel die Erfahrung seines Zahnleidens (vgl. 1978g [1931], 1219–1220). Die dringende Aufgabe in dieser besonderen Lebenssituation besteht darin, die Zahnoperation zu überstehen. Wenn man sich den Eingriff des Zahnarztes in allen Einzelheiten, also analytisch, vorstellen würde, d. h. welche Schrecknisse einem bevorstünden, würde man von dieser Vorstellung vernichtet, man würde es nie schaffen, ihn zu überleben. Wenn man aber synthetisch die Grauen erregenden Einzelvorgänge mit einem Wort erfasst, etwa „Wurzelbehandlung“, lässt sich die Aufgabe viel leichter und energiesparender bewältigen. Musil nennt ein weiteres Beispiel: Wenn man ein neues Bild an die Wand hängt, fällt es am Anfang ins Auge, dann wird es von der Wand „verschluckt“; dabei hat sich der Gesamteindruck nur ein wenig geändert (1220). Das Neue, Unbekannte lässt sich auf Bekanntes zurückführen (hier ist noch Ernst Machs Erkenntnislehre gegenwärtig); das Bekannte erfährt aber damit eine Umgestaltung. Der Vorgang der Formgebung (Ausgestaltung) besteht hier darin, immer wieder jene „vier Wände“ zu bauen, in denen wir mit ungeteilter Kraft das Besondere tun können, das gerade unsere jeweilige Aufgabe ist (1220). Dadurch gestalten wir unablässig unseren persönlichen und gesellschaftlichen Lebensraum unseren Bedürfnissen entsprechend um. Mit allen Mitteln, über die wir verfügen, versuchen wir unsere eigene „geistige Schutzfläche“ zu bauen, die man „Geschlossenheit des Lebensgefühls“ nennt (1220) und die letzten Endes unser körperlich-geistiges Gleichgewicht bestimmt. Die menschliche Entwicklung besteht schließlich aus einer unausgesetzten Störung dieses Gleichgewichtes und aus den entsprechenden Antworten bzw. Anpassungen, um es wiederherzustellen. Im menschlichen Leben lassen sich überall Gestaltungsprinzipien feststellen: in der Wahrnehmung, im Denken, im Verhalten, in der ästhetischen Formung. Gestalten sind zwar ein Ganzes, aber sie sind kein summatives Ganzes,
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sondern sie setzen, in dem Augenblick, in dem sie entstehen, eine besondere Qualität in die Welt (vgl. NM VI/3, 16). Gestalten sind stets ein durch ihr ‚So-Sein‘ charakterisierter ‚Spezialfall‘. Dies ist besonders deutlich in der Dichtung. Ein schönes Gedicht, fährt Musil fort, ist immer etwas ungemein Seltenes und unvergleichlich Einmaliges. Jedoch ist weder sein Inhalt, noch seine Form etwas Originelles, sondern immer etwas Überkommenes, bis auf eine fast unverständliche Qualität, ein „So sein“, das seine Einmaligkeit ausmacht. Auf dieses „Mehr“ kommt es in der Kunst an. Man pflegt dies damit auszudrücken, indem man sagt, das Wort des Dichters habe eine „gehobene“ Bedeutung. Das heißt aber nicht, dass der gewöhnlichen Bedeutung noch eine weiter summativ hinzukommt, sondern dass eine neue Bedeutung entsteht (1978g [1931], 1223). Der Vers eines Gedichts hat Gestaltcharakter: „Keine Frage daß Verse Gestaltcharakter haben u[nd] wenn man Prosa so beschreibt, wie es vorhin geschehen ist, so drängt das auch dahin.“ (NM VI/3, 31). Wenn man einen Vers analysiert, etwa St. Nepomuk’s Vorabend von Johann Wolfgang Goethe: „Lichtlein schwimmen auf dem Strome, Kinder singen auf den Brücken“ (zit. nach Musil 1978g [1931], 1214–1215), so findet man lauter Einzelerscheinungen, die für sich so gut wie nichts bedeuten. Würde man aber auch nur ein Element ändern, dann würde das Gedicht seinen einmaligen unwiederholbaren Reiz verlieren. Nur aus allen Elementen gemeinsam und aufgrund ihrer gegenseitigen Durchdringung entsteht das Ganze (das Gedicht) auf eine Weise, die geheimnisvoll bleibt (vgl. NM VI/3, 19). Es ist unmöglich, in diesem Gedicht auch nur eine Zeile herauszuheben, ohne dass das ganze Gebilde dadurch entstellt wird. Ebenso geht etwas Wesentliches verloren, wenn man sie auf ihren begrifflichen Inhalt reduziert, oder etwa darüber einen Chiffrenschüssel legt (vgl. 1978g [1931], 1215). Im Mann ohne Eigenschaften findet sich die entsprechende Passage: Zieh den Sinn aus allen Dichtungen, und du wirst eine zwar nicht vollständige aber erfahrungsmäßige und endlose Leugnung in Einzelbeispielen aller gültigen Regeln, Grundsätze und Vorschriften erhalten, auf denen die Gesellschaft ruht, die diese Dichtungen liebt! Vollends ein Gedicht mit seinem Geheimnis schneidet ja den Sinn der Welt, wie er an tausenden alltäglichen Worten hängt, mitten durch und macht ihn zu einem davonfliegenden Ballon. (1978f [1930–43], 367)
Auch Gedanken haben Gestaltcharakter. Sie stellen zwar eine Abbildung der Außenwelt dar, aber dies erfolgt nicht „in der Art einfacher Spiegelung“, sondern in einer „komplizierten Koordination“ (NM VI/3, 14). Dieselbe Idee finden wir im Mann ohne Eigenschaften: „Es ist unmöglich, den Gedanken eines Buchs aus der Seite zu lösen, die ihn umgibt. Er winkt uns wie das Gesicht eines Menschen, das in einer Kette anderer an uns vorbeigerissen wird und für kurze Weile bedeutungsvoll auftaucht.“ (1978f [1930–43], 574). Das Wort ist somit nicht „Träger
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eines Begriffs“, sondern vielmehr das „Siegel auf einem lockeren Pack von Vorstellungen“ (1978g [1931], 1213). Sobald man die Worte von der Eindeutigkeit des vorgeprägten Begriffs befreit, erweisen sie sich als unendlich sinnentfaltungsfähig, aber sie verlieren sich nie ins völlig Zusammenhanglose: „[W]enn man eine [Bedeutung] erfaßt, guckt die andere darunter hervor […].“ (1213). Die Worte im dichterischen Gebrauch scheinen andere Gesetze zu kennen als die, die ihre begriffliche Identität festlegen. Es ist das „Gesetz des Reizes“, das Gesetz der dichterischen „Irritation“: „[D]as Gefüge einer Seite guter Prosa ist […] nichts Starres, sondern das Schwingen einer Brücke, das sich ändert, je weiter der Schritt gelangt.“ (1213). In den Abschnitten „Die Bedeutung der Form“ und „Der Geist des Gedichts“ geht Musil auf den Formbegriff und auf den Gestaltbegriff ein. Durch den Gestaltbegriff wird der Begriff ‚Form‘ (als Alltagsbegriff) wissenschaftlich begründet: „Denn der Begriff Gestalt bedeutet, daß aus dem Neben- oder Nacheinander sinnlicher Elemente etwas besteht, das sich nicht durch sie ausdrücken und ausmessen läßt.“ (NM VI/3, 15, Z51–54). Die Einführung des Gestaltbegriffes habe eine Wende in der Psychologie bewirkt. Das zentralistische Seelenschema einer „Obrigkeitspsychologie“, die noch dem anthropozentrischen Verhalten entspreche und noch heute in der Jurisprudenz und in der Theologie erhalten sei, sei durch ein Bild der Dezentralisation abgelöst worden: Denn im Verlauf des letzten Menschenalters ist in der Psychologie des Ich, von verschiedenerlei Einflüssen bedingt, an die Stelle des überlieferten, sehr rationalistischen und unwillkürlich dem logischen Denken nachgebildeten Seelenschemas […] allmählich ein Bild der Dezentralisation getreten […]. (1978g [1931], 1221)
Es ist die von Kurt Lewin vertretene Auffassung der seelischen Systeme, deren Totalität als „Seele“ bezeichnet wird (vgl. Lewin 1926, 322). Das Ich ist nur ein Komplex unter anderen, ein funktionelles Teilgebiet (vgl. auch Musils Exzerpt, NM VI/1, 138). Nicht das Ich entscheidet, sondern es sind vielmehr „Reaktionen“ der ganzen Person oder von sozusagen geschlossenen Teilen, von „Leistungs komplexen“, die auf bestimmte Situationen ansprechen (NM VI/3, 16; vgl. 1978g [1931], 1221; Lewin 1926, 320–324). Es ist dieser Tatbestand, den Ulrich vor Diotima im Mann ohne Eigenschaften beklagt: Das Ich verliert die Bedeutung, die es bisher gehabt hat, als ein Souverän, der Regierungsakte erläßt; wir lernen sein gesetzmäßiges Werden verstehn, den Einfluß seiner Umgebung, die Typen seines Aufbaus, sein Verschwinden in den Augenblicken der höchsten Tätigkeit, mit einem Wort, die Gesetze, die seine Bildung und sein Verhalten regeln. (1978f [1930–43], 474)
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Die Seele sei weder ein homogenes Ganzes, noch ein summativer Inbegriff von Erlebnissen. Sie hat eine natürliche Strukturiertheit, die es einerseits zu erforschen gilt, die andererseits aber im ästhetischen Erlebnis mitschwingt. Der Gestaltbegriff, in den Musils Formbegriff umschlägt, bietet sich an als eine auf alle Gebiete anwendbare Kategorie zur Deutung der inneren Strukturierung der Wirklichkeit. Nun fragt sich Musil: Was ist das Spezifikum der ästhetischen Formung des Lebensstoffes bzw. dessen „Gestaltung“ durch die Kunst? Schon das Berichten über die Tatsachen des Lebens, zugleich ein „Zwang des für jeden immer breiter werdenden Lebens“ (NM VI/3, 32), ist eine Formung des Lebens, die aufgrund der Kraft der Abstraktion möglich ist. (Es fällt auf, dass Musil hier Positionen vorwegnimmt, die die französische Narratologie erst in den 70er- und 80er-Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts entwickelt.) Auch die Wissenschaft tut nichts anderes, als „Tatbestände“ zu formen, als Wirklichkeit nach bestimmten theoretischen und empirischen Prinzipien zu gliedern. Die Kunst ist aber imstande, jene Lücke in der Formung zu füllen, wo die „größte Philosophie“ dem Leben vieles schuldig bleibt (NM VI/3, 14), denn die Kunst ist aufs engste mit einem ganzen Komplex von Beziehungen verwandt, die dem Bereich eigen sind, den Musil im Aufsatz Skizze der Erkenntnis des Dichters (1918) als Nicht-Ratioïdes bezeichnet hatte (vgl. 1978h [1918], 1028–1029). Die ästhetische Formgebung/Gestaltung ermöglicht die Bewältigung von anderweitig nur schwer integrierbaren Erlebnissen. Die „ästhetische Formung“ des Lebens durch die Kunst unterscheidet sich von den anderen Lebensfunktionen, denn sie erzeugt Sinn, weil sie von den Strukturgesetzen der Welt zeugt. Das Hauptgeschehen in der Dichtung ist also die „Sinngestaltung“, und dies erfolgt nach Gesetzen, die „von denen des realen Denkens abweichen, ohne die Berührung mit ihnen zu verlieren“ (1978g [1931], 1215). Das Neue, der Bruch in der Wiederkehr des ewig Gleichen ist Sinnschöpfung, die erst durch die Aktivierung des Möglichkeitspotenzials erfolgt. Das Ursprüngliche in der Kunst ist nicht das absolut Originelle, sondern die unendliche Möglichkeit der Form bzw. die Möglichkeit der unendlichen Erneuerung der Form: „Wir erzählen Geschichten, die sich ereignet haben könnten, wenn sie sich nicht ereignet haben.“ (NM VI/3, 14). Dies ist besonders deutlich am Beispiel des Literaten als Teil des Systems Literatur. Wenn man die Literatur als Ganzes betrachtet, tritt hervor, dass sie etwas Unendliches und Unabgeschlossenes hat; sie ist ein sich ausdehnendes Geflecht ohne Anfang und ohne Ende; allerdings ist jedes ihrer Gebilde singulär und einmalig. Wenn ein Kunstwerk analytisch zerlegt wird, d. h. wenn es auf die einzelnen es bildenden Elemente reduziert wird, dann erweist es sich lediglich als Wiederholung und Abdruck:
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So könnte man wahrscheinlich welchen Schriftsteller immer ‚zerlegen‘ (und zwar sowohl formal wie gegenständlich oder auch dem angestrebten Sinn nach) und würde nichts in ihm finden als seine zerstückelten Vorgänger, die keineswegs völlig ‚abgebaut‘ und ‚neu assimiliert‘ sind, sondern in unregelmäßigen Brocken erhalten geblieben. (1978g [1931], 1206–1207)
So ist jedes literarische Gebilde in der literarischen Tradition eingebettet, und von ihr so grenzenlos und scharf begrenzt wie ein durchsichtiger Kristall in seiner durchsichtigen „Flüssigkeit/Wasser“ (NM VI/3, 30). Das Kunstwerk ist das Produkt eines Kristallisationsprozesses. Stete Wiederholung und Einmaligkeit sind das Paradoxon der Literatur. Literatur als System hat Gestaltcharakter: sie bestehe aus Beispielen „für ein geheimes Gesetz oder Chaos“ (1978g [1931], 1206) und Erinnerungen ohne Zusammenhang. Die Literatur als System sei wie ein Karstfluss, und mit ihm teile sie die Tiefe und das geheime, unsichtbare Leben. Wenn man ein Kunstwerk analytisch zerlegt, lässt sich beinahe alles auf die Tradition zurückführen, denn jedes literarische Gebilde weist sowohl im Inhalt als auch in der Form eine fast völlige Abhängigkeit von der Überlieferung auf (NM VI/3, 30), bis auf einen Rest, auf jene unbestimmbare Qualität, die den ästhetischen Wert ausmacht. Mit dem Verständnis des Verhältnisses zwischen Inhalt und Form als unlösbarer Einheit, das dem Gestaltansatz naheliegt (vgl. 1978g [1931], GW 8, 1218), wird die Frage der Rolle des diskursiven und rein rationalen Denkens in einem Kunstwerk aufgeworfen, bzw. die der Methoden, die „die Einbeziehung des Gedanklichen ins Schöne gestatten und umgrenzen“ (NM VI/3, 15). Musil betont, dass in der Literatur viele Beispiele genannt werden können, in denen das diskursive Denken eine große Rolle spielt: man denke etwa an das Lehrgedicht oder an das Frühwerk Hamsuns, an D’Annunzio oder Balzac (vgl. NM VI/3, 15). Ästhetisches Vermögen und Denken sind auf das innigste miteinander verflochtene „Geschwisterfunktionen“ (1978g [1931], 1222). Das diskursive Denken ist nicht nur für den Roman konstitutiv, der gern zu Unrecht als „Kunstmischwerk“ betrachtet wird, sondern für die Kunst überhaupt. Hier schließt sich Musils Reflexion über Wissensformen und -formate an, die durch die Dichtung vermittelt werden können. Dichtung vermittelt nicht-ratioïde Erkenntnis, die durch die positive Wissenschaft nicht erfasst werden kann. Musil reflektiert über die Leistung(en) und Funktion(en) des literarischen Diskurses im Vergleich zu anderen Diskursen, etwa den politischen oder den wissenschaftlichen Diskurs und grenzt diese Diskurstypen nicht nur funktionell, sondern auch formal-strukturell ab. Gegen faktuale Formbegriffe betont Musil epistemologische Funktionen und Strukturen des literarischen Textes, die im Roman am deutlichsten zutage träten:
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Gerade am Roman, der wie keine andere Kunstform dazu berufen ist, den intellektuellen Gehalt einer Zeit aufzunehmen, lassen sich darum die Schwierigkeiten der Eingestaltung und der Versuche zu ihrer Lösung beobachten, was oft in verwickelten Durchdringungen und Schichtungen geschieht. (1978g [1931], 1223)
Gedanken treten im Roman in Erzähl- und Denkgestalten hervor. Wenn ein Gedanke unverständlich ist, muss man ihn „transponieren“ können (NM VI/3, 39), d. h. in eine neue Form, in ein neues Ganzes einbetten. Statt einer starren Formelhaftigkeit plädiert Musil für eine dynamische Gestaltung der Erzählstrukturen, die zur Öffnung und Schließung (im gestalthaften Sinne), aber nicht zur Auflösung der Form führt. Im Mann ohne Eigenschaften wird das durch den Essayismus realisiert, den Musil als Programm betrachtet. Der Essayismus basiert auf meronymischen und holonymischen Zusammenhängen (Zusammenhang zwischen Teilen und Ganzem), die durch spezifische Strukturierungsgesetze in Erzählstrukturen realisiert werden. Darauf sind weitere Denkfiguren (etwa die Metonymie, die Metapher und die Synekdoché) zurückzuführen. Die kognitiven Mechanismen, die beim Essayismus am Werk sind, zeigen, dass Bedeutungen nicht durch additive Zugabe entstehen (heute würde man sagen: nach den Prinzipien der kompositionellen Semantik), sondern dass ein Teil für ein Ganzes stehen kann, wenn es zu Schließungsprozessen führt und bestimmte Feldwirkungen erzeugt. So fasst Musil im § 62 des Mann ohne Eigenschaften zusammen: „[E]in Essay ist die einmalige und unabänderliche Gestalt, die das innere Leben eines Menschen in einem entscheidenden Gedanken annimmt.“ (1978e [1930–1943], 253). Vor diesem Hintergrund wirft Musil im letzten Teil des Aufsatzes mit der Überschrift „Abschluss“ die Frage auf: Was ist eigentlich Kunst? Es wurde nachgewiesen, dass dieser Teil von Musil durch eine Reihe von Vorstufen erarbeitet wurde, in denen Musils Recherchen über die magischen Ursprünge der Kunst belegt sind (Musil nennt als Quelle den Musikethnologen Erich Moritz von Hornbostel (vgl. 1978g [1931], 1224; NM VI/3, 40; vgl. Hornbostel 1930 [1925], 82–83; Hornbostel 1973 [1928], 9–17; Hornbostel 1930, 73–78): Die formstrengen alten Gedichte sind Ritualgesänge. / Die Bedeutung des Rituals: Erneuerung, Inganghaltung des Naturgeschehens. Ritual ist eine Verfahrensweise dazu. Inhalt: was gemacht werden muß. Form: wie es gemacht werden muß. Es ist „Vorbildzauber“. Das Ritual ist nicht Darstellung, sondern Herstellung des Geschehens. / „Seine Form ist gegeben durch die Tat und durch das Wort“. Die Form des Ritualtextes ist die der Ritualhandlung. Formalismus der Urkulturen: Formfehler sind Sachfehler und darum gefährlich. / Text und Form erhalten ihren Sinn vom Ganzen. / Die Einzelheit ist nicht isoliert, sondern es kommt auf ihre Stellung im Ganzen an. (NM VI/3, 6)
Urvölker – so Lucien Lévi-Bruhl in Das Denken der Naturvölker (1921), vermittelt auch durch Koffkas Psychologie – unterscheiden nicht zwischen Formfehler und
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Inhaltsfehler: Beide werden gleich streng bestraft. Die formalistische Strenge der Urkulturen lässt sich eben dadurch erklären, dass Formfehler Sachfehler sind, die das Gelingen der Zauberhandlung beeinträchtigen können. Auch in der unbelebten Natur ist das ‚Was‘ nicht vom ‚Wie‘ zu trennen. Nur das ‚So‘ der Glieder, das ‚So‘ des Zusammenhalts wird gehört, gesehen, empfunden, d. h. es entsteht eine Form, die zugleich ihr Inhalt ist: Die Analyse eines Ganzen geht also in zwei Richtungen: in der einen liefert sie Unterganze, Teilgestalten: in der anderen verschiedene Eigenschaften (Seiten, Hinsichten) des Ganzen, Ganzeigenschaften, Gestalteigenschaften. Auch diese bilden kein bloßes Nebeneinander, sondern ein Zueinander. Das in der ersten Richtung analysierte Ganze hat nur eine Eigenschaft: das So-Sein dieses Ganzen. (Hornbostel 1930, 13)
Die Kunst hat einen religiösen und einen rituellen Ursprung. Sie ist „Vorbildzauber“, der zeigen soll, was gemacht werden und wie es gemacht werden muss (NM VI/3, 6). Form ist nicht etwas, das zum Inhalt sozusagen als Aufputz „dazukommt“ (NM VI/3, 6), sondern beide – Form und Inhalt – bilden eine unlösbare Einheit und erhalten beide ihren Sinn im Ganzen. Die Form des Kunstausdrucks spiegelt die Naturgesetze bzw. die Strukturgesetze der Welt wider. Die Welt ist weder eine sinnlose Mannigfaltigkeit noch eine blindgesetzliche stückhafte Koppelung zwischen dem, was in einem Teil geschieht und was im Ganzen geschieht. So wie in einer „Beethovenschen Symphonie“, ist dem Menschen durch die Kunsterfahrung gegeben, am Ganzen teilzuhaben, indem das Strukturprinzip des Ganzen durch einen Ausschnitt (das Kunstwerk) offenbart wird (vgl. Wertheimer 1985 [1924]). Die Kunst ist in diesem Sinne nicht nur Offenbarung, sondern evidente Teilhabe an den Strukturgesetzen der Welt.
Weiterführende Literatur Bonacchi, Silvia. Die Gestalt der Dichtung. Der Einfluss der Gestalttheorie auf das Werk Robert Musils. Bern 1998. Bonacchi, Silvia und Geert-Jan Boudewijnse. Hrsg. Carl Stumpf. From Philosophical Reflection to Interdisciplinary Scientific Investigation. Wien 2011. Ehrenfels, Christian von. „Über Gestaltqualitäten“. Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie 14 (1890): 242–292. Koffka, Kurt. Principles of Gestalt Psychology. London 1935. Misselhorn, Catrin. „Naturalismus zwischen Empirismus und Idealismus. Robert Musils philosophische Lebensjahre in Berlin“. Robert Musils Drang nach Berlin. Hrsg. von Annette Daigger und Peter Henninger. Bern et al. 2008: 85 –106. Wertheimer, Max. „Über Gestalttheorie“. Vortrag vor der Kant-Gesellschaft in Berlin, 17. Dezember 1924. Reprint. Gestalt Theory 7 (1985): 99–120.
Gesine Schiewer
IV.4.2 Form und Emotion Literarische Texte sind selbstverständlich mit emotionalen Aspekten verbunden und dies in vielen Hinsichten. So laufen u. a. im Zusammenhang der Textentstehung emotionale Prozesse seitens des Autors oder der Autorin ab (vgl. Schiewer 2017); weiterhin werden auf der Textebene selbst fast immer in irgendeiner Weise Emotionen ausagiert; auch bei der Textrezeption spielen Emotionen eine Rolle, u. a. für die Lesemotivation; und nicht zuletzt sind Emotionen ein wichtiger Aspekt des literarischen Kommunikationssystems und seiner Akteure: bei Lektoren, im Marketing, im Literatur- und Eventmanagement, bei Lesungen, auf Literaturfestivals und dergleichen mehr. Der Zielsetzung dieses Handbuchs entsprechend wird im vorliegenden Beitrag v. a. die zweite der genannten Dimensionen fokussiert, d. h. die formal-literatursprachliche Gestaltung der Textebene. Damit steht die Frage im Zentrum, welche Schnittstellen es zwischen der Emotionsforschung einerseits und der Poetik, der Untersuchung und Beschreibung von Literaturformen andererseits gibt. Mit dieser Fragestellung wird bewusst über einen zunächst scheinbar näher liegenden Ansatz hinausgegangen, nämlich einen rhetorisch akzentuierten Zugang im Sinn etwa der klassischen drei Ebenen mit niederem (genus humile), mittlerem (genus medium) und hohem (genus grande) Stil sowie den damit einhergehenden Arten und Graden der jeweils angestrebten Emotionalisierung des Publikums. Der Grund besteht darin, dass nach der Ablösung der Rhetorik in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts dieses Paradigma an Bedeutung verloren hat. Damit kann es auch nicht mehr als angemessenes Erklärungsmodell für die Relation von Form und Emotion genügen. Eine einfache, gewissermaßen tabellarische Zuordnung von spezifischen literarischen Formen und typischen Emotionen verbietet sich damit von selbst. Deswegen wird im ersten Teil des Artikels ein historischer Zugang gewählt, in dem gezeigt wird, dass und inwiefern die besondere Aufmerksamkeit für formale Aspekte, die die deutschsprachige Literatur seit der Zeit um den Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts maßgeblich charakterisiert, von Anfang an mit Aspekten der Emotionalität literarischer Texte verbunden ist (vgl. zu formal-literatursprachlichen und stilistischen Aspekten als Kriterium der Literargeschichtsschreibung Schiewer 2004, 15–19). Damit im Zusammenhang stehen – nicht nur implizit, sondern aufgrund der eigenen Auseinandersetzung literarischer Autoren mit entsprechenden Ansätzen auch explizit – die theoretischen Grundlagen der Emotionsforschung: Sie wiederum wurden nicht nur mit Charles Darwins berühmter Schrift The Expression of https://doi.org/10.1515/9783110364385-028
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the Emotions in Man and Animals aus dem Jahr 1872 gelegt. Vielmehr erfuhren sie schon mit der Ausbildung gestalttheoretischer Grundlagen in John Stuart Mills 1843 publizierter Logik A System of Logic. Ratiocinative and Inductive. Being a Connected View of the Principles of Evidence and the Methods of Scientific Investigation wesentliche Impulse. In stetiger Fortentwicklung verlief die weitere Ausbildung über die Brentano-Schule, u. a. die Psychologie und Sprachtheorie Karl Bühlers sowie die bedeutende deutschsprachige Denkpsychologie des ersten Drittels des zwanzigsten Jahrhunderts und führte schließlich, an diese Tradition ausdrücklich anknüpfend, zu kognitionswissenschaftlichen Konzepten der frühen Künstlichen-Intelligenz-Forschung in den USA seit den fünfziger Jahren und der Ausbildung kognitiver Emotionstheorien. Sie sind in der aktuellen interdisziplinären Emotionsforschung bis heute führend. Dies bringt mit sich, dass Begriffe wie ‚Gestalt‘, ‚Schema‘, ‚Gebilde‘ mit der literarischen Formdiskussion eng verbunden sind. Aktuelle Zusammenhänge von kognitiver Emotionstheorie und Narratologie werden im zweiten Teil des Beitrags in systematischem Zugang skizziert, um die prinzipielle wechselseitige Anschlussfähigkeit aufzuzeigen.
1 Historischer Zugang: Emotionstheoretische Grundlagen und literarische Form Überblick Hier ist eine in der Literaturwissenschaft bisher wenig beachtete Denktradition in den Blick zu rücken und hinsichtlich ihrer Relevanz für formale Konzepte von Literatur, d. h. vor allem für literatursprachliche Aspekte, zu beleuchten. In konzisem Aufriss wird im Folgenden die Bedeutung der Theoriebildungen um den Gestaltbegriff für die wissenschaftliche Untersuchung von Emotionen sowie entsprechende literarische Entwicklungen des zwanzigsten Jahrhunderts skizziert (für eine ausführliche Untersuchung vgl. Schiewer 2004). Denn parallel mit dem Eindringen des Gestalt-Begriffs und seinen emotionstheoretischen Implikationen in die Bereiche von Sprache und Kunst kommt es um 1900, zunächst in der Lyrik, zu einer literarischen Erneuerung. Die forcierte Erprobung formaler Ausdrucksmöglichkeiten entwickelt sich dann generell zu einem zentralen Charakteristikum literarischer Sprache des zwanzigsten Jahrhunderts. Im allgemeinen wird angenommen, dass wesentliche Einflüsse auf die vielfach als ‚experimentell‘ bezeichnete Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts
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von drei verschiedenen Traditionslinien ausgegangen sind: Angeführt werden zunächst die Frühromantiker, insbesondere Novalis und Friedrich Schlegel, die auf der Basis ihrer Überlegungen zu einer ‚Enzyklopädistik‘ den Experimentbegriff verwendet haben, weiterhin soll ein zentraler Impuls zurückzuführen sein auf das naturalistische Experiment vor dem Hintergrund der Milieutheorie Hippolyte Taines sowie Auguste Comtes Auffassung einer ‚physique sociale‘ und Claude Bernards Überlegungen zu einer ‚médecine expérimentale‘. Insbesondere wird schließlich Friedrich Nietzsches Bedeutung für das Experiment in der Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts hervorgehoben, der im Anschluss an die Frühromantiker den Begriff einer Experimental-Philosophie eingeführt hat. Die Annahme der herausragenden Rolle Friedrich Nietzsches in diesem Zusammenhang hat ihn einer verbreiteten Forschungsmeinung zufolge überhaupt zu einem zentralen, wenn nicht initialen Impulsgeber in der Sprachfrage der Moderne des zwanzigsten Jahrhunderts avancieren lassen. Jedoch wurden im neunzehnten Jahrhundert bereits vor Nietzsche wichtige Weichenstellungen für eine profunde Problematisierung von Sprache, Bedeutung und Wahrheit vorgenommen. 1843 hat John Stuart Mill in seinem wirkmächtigen Werk A System of Logic, Rationcinative and Inductive in umfangreichen sprachtheoretischen Partien eine zukunftsweisende Theorie der Satzsemantik entworfen. Mill wird in der Philosophiegeschichte deswegen die Rolle zugesprochen, den ‚Linguistic Turn‘ der Philosophie des zwanzigsten Jahrhunderts vorbereitet und deren Feld abgesteckt zu haben. Schon bald wurden diese Anregungen auch in literarischen Kontexten wahrgenommen. So hat sich Arno Holz schon in den späten achtziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts im Hinblick auf literatursprachliche Perspektiven intensiv mit Mills Logik auseinandergesetzt. Obwohl aber die historische Bedeutung Arno Holz’ in der Entwicklung neuer Sprachformen und experimentellen Schreibens im deutschsprachigen Raum Anerkennung findet, ist bisher eine fundierte quellenorientierte Untersuchung der Grundlagen seines vielzitierten, aber keineswegs immer ernsthaft reflektierten ‚Kunstgesetzes‘ ausgeblieben. Gleichwohl begründet es die Konzentration Holz’ auf die formalen Kunstmittel in seinem Bestreben um eine Erneuerung der Literatur, was dazu geführt hat, dass Holz von Helmut Heißenbüttel als ‚Vater der Moderne‘ tituliert wurde. Besondere Bedeutung kommt – sowohl für die Rezeption in Philosophie und Psychologie als auch im Hinblick auf die literatursprachlichen Dimensionen – den sprach- und gestalttheoretischen Impulsen zu, die von Mills Logik ausgingen. Schon bei Mill basieren sie in ihrer psychologischen Verankerung auf dem Begriff des ‚Gefühls“. Auch die Prozesse von Gestaltbildungen – der sogenannten ‚Verschmelzung von Eindrücken‘ bzw. der ‚chemischen Wirkung im Geistesleben‘ – werden insofern mit emotionalen Komponenten verbunden, als Gestaltbildung
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als gelingender oder misslingender Umgang mit Komplexität beschrieben wird, der emotional begleitet wird und z. B. emotionale Bestätigung erfährt. Dies kann anschaulich auch so ausgedrückt werden: Probleme, und sei es auch ein sportlicher Misserfolg oder ein nicht lösbar erscheinender mathematischer Beweis, oder, wie in Musils Törleß, das Unendliche und Kants für Törleß unverständliche Erklärungen, bereiten in der Regel Kummer und Sorgen, also negative Emotionen. Die erfolgreiche Bewältigung von Herausforderungen löst hingegen Hochgefühle aus. Für die an Mill anschließende weitere Ausbildung der Gestalttheorie in philosophischen und psychologischen Zusammenhängen erhielt die Rezeption durch Franz Brentano in seiner Psychologie vom empirischen Standpunkt (1874) eine Schlüsselrolle (vgl. Brentano 1924 [1874]). Franz Brentano und seine Schüler, darunter Alexius Meinong, Edmund Husserl und Carl Stumpf, der Doktorvater Robert Musils, waren mit den psychologischen Auffassungen John Stuart Mills bestens vertraut. Zur Brentano-Schule zählen damit die frühen Vertreter gestalttheoretischer Konzeptionen, welche um 1900 auch eine theoretische Begründung für die Annahme einer Verbindung von Sinnlichkeit und Verstand formulierten, womit die erwähnte bei Mill anzutreffende Öffnung gegenüber einer strikt rationalkognitiv angelegten Logik fortgeführt wurde. Gestalttheoretische Überlegungen mit den betreffenden erkenntnistheoretischen Grundannahmen waren Robert Musil aufgrund seines Studiums bei Stumpf seit deren Anfängen vertraut. Sie sind als Basis seiner theoretischen Reflexionen einer Sprache des ‚Nicht-Ratioïden‘ zu betrachten, welche Überlegungen zur Wortbedeutung und zu syntaktischen Strukturen einer Literatursprache einschließlich der Ebene der Satzsemantik einbeziehen. Zentral ist für den Gestaltbegriff Musils weiterhin die Verknüpfung von sprachlicher Form und Inhalt im literarischen Werk. Es ergeben sich damit bei Robert Musil ebenso wie bei Arno Holz eine theoretisch abgestützte Durchdringung wort- und satzsemantischer Probleme sowie entsprechende – wenn auch in der konkreten Umsetzung natürlich unterschiedliche – Folgerungen für die Reflexion und Ausformung literarischer Sprache. Die Bedeutung John Stuart Mills insbesondere für die Sprachphilosophie seit der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts in Österreich steht außer Frage. Hierbei sind sowohl die entsprechenden völkerpsychologischen und psychologischen Ansätze nicht nur Carl Stumpfs, sondern auch Wilhelm Wundts, Ernst Machs und Christian von Ehrenfels’ zu berücksichtigen, sowie die Sprachtheorie und hier insbesondere die Zweifelderlehre Karl Bühlers. Bühler hat mit größter Wahrscheinlichkeit in den Jahren 1904 bis 1906 – Musil promovierte 1908 – ebenfalls bei Carl Stumpf in Berlin studiert. Daher kann von einer engen Verbindung ausgegangen werden zwischen dem Abstraktionsbegriff Karl Bühlers und dem Formbegriff Stumpfs, welcher auch Musil bekannt gewesen sein wird.
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Darüber hinaus kommt Karl Bühler auch eine Schlüsselrolle zu in der Ausbildung der gestalttheoretisch fundierten Denkpsychologie Otto Selz’, die dann in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts im Rahmen der Künstlichen Intelligenz-Forschung von Herbert A. Simon grundlegende Bedeutung erhalten hat. Die von Mill und Brentano wesentlich geprägten Impulse können somit hinsichtlich ihrer weiteren Entwicklung bis zu der Ausbildung der Denkpsychologie Otto Selz’ und der Künstlichen Intelligenz durch Herbert A. Simon weiterverfolgt werden. Schon in den sechziger Jahren hat Simon in Motivational and Emotional Controls of Cognition bis heute für die kognitive Emotionstheorie Maßstäbe gesetzt. In seinem auch wissenschaftsgeschichtlich wichtigen Beitrag Otto Selz and Information-Processing Psychology aus dem Jahr 1981 dokumentiert er nicht nur die große Bedeutung der Schriften Selz’ für die Psychologie der Informationsverarbeitung (die u. a. für Konzeption von Datenbanksystemen relevant ist), sondern erklärt auch, warum Selz in Europa praktisch nicht mehr bekannt ist. Die betreffende Passage soll hier zitiert werden, um Selz’ wissenschaftshistorisch herausragende Stellung deutlich zu machen: In contemplating the life and work of Otto Selz, it is natural to focus on the tragedy of his last years, and on the abrupt halt the Third Reich brought to the vigorous and flourishing activity in German cognitive psychology. As in so many other scientific disciplines, America became a beneficiary of these unhappy events when it provided a new home to many of the leading German Gestalt psychologists. It was sad indeed that Otto Selz was not among them. (Simon 1981, 160–161)
Die Kontinuität der Theoriebildung seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts bis in die Gegenwart steht jedenfalls außer Frage. Aus dem Umfeld der Konkreten Poesie ist schließlich Oswald Wiener hervorzuheben, der Simons Schrift Die Wissenschaften vom Künstlichen auch ins Deutsche übersetzt hat und mit seiner Erkenntnistheorie und Poetik hieran anschließt (vgl. Simon 21990). Wiener geht es darum, unter anderem Christian von Ehrenfels’ Begriffe der ‚Gestaltqualitäten‘ und der ‚Funktionen‘ sowie Carl Stumpfs ‚Gebilde‘-Begriff zu präzisieren.
Gestalt – Emotion – Form: Von John Stuart Mills Logic zu kognitiven Emotionstheorien Wie präsentieren sich nun die Zusammenhänge von Logik, Gestalttheorie, Emotion und literarischer Form im Einzelnen? Um dies nachzuvollziehen, ist ein genauerer Blick auf die entsprechenden Theoriebildungen erforderlich. Das erste Buch von Mills System der deductiven und inductiven Logik, so der Titel der deutschsprachigen Übersetzung, ist unter dem Titel „Von Namen und
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Sätzen“ der Klärung der „verschiedenen Klassen von Worten und Aussagen“ gewidmet. Mill geht davon aus, dass der zentrale Gegenstand der Logik, das Folgern oder Schließen, meist sprachlich basiert sei und in komplizierten Fällen gar nicht anders als unter Verwendung natürlichsprachlicher Wörter erfolgen könne: Damit ist das Programm der Sprachphilosophie des zwanzigsten Jahrhunderts eröffnet. Die natürliche Sprache des Menschen wird zur Grundlage sämtlicher Erkenntnisprozesse erklärt, die entsprechend Mills Definition der Logik nicht nur das Gebiet der Wissenschaft betreffen, sondern auch weite Bereiche des menschlichen Verhaltens. Mills Antwort auf die aus diesem Grund zu stellende Frage, welche Dinge überhaupt benannt werden können, fällt zunächst überraschend aus, denn letztlich erkennbar sei einzig eine Reihe von Gefühlen, zu denen er Sinnesempfindungen, Gedanken, Gemütsempfindungen und Willensakte zählt. Die betreffenden Elemente der beiden weiteren Klassen benennbarer Dinge – Substanzen mit den beiden Dimensionen Körper und Geist sowie Attribute mit dem Hauptbereich der Relationen – können Mill zufolge nicht als solche erkannt werden, sondern nur aufgrund der Sinneswahrnehmungen des Menschen und ihrer Verarbeitung. Gefühle, Geister, Körper und einfache Relationen machen daher, so Mill, die benennbaren Dinge aus. Mill knüpft in seiner Gegenstandsbestimmung der Psychologie im sechsten Buch der Logik an seine Ausführungen über die benennbaren Dinge im dritten Kapitel des ersten Buches an und betont zunächst wiederum, dass über Materie und Geist keine sicheren Aussagen zu machen seien und einzig Gefühle und Bewusstseinszustände einer Untersuchung unterzogen werden könnten. Mill erklärt daher, „unter Geistesgesetzen die Gesetze der Geistesphänomene der verschiedenen Gefühle oder Bewußtseinszustände empfindender Wesen verstehen“ zu wollen (Mill 1872 [1843], 6. Buch, 249). Gefühle oder Bewusstseinszustände sollen Gedanken, Gemütsempfindungen, Willensakte und Sinnesempfindungen umfassen, denn letztere zählt Mill ebenfalls ohne Einschränkung zu den Geisteszuständen. Daraus folgt für ihn: Den Gegenstand der Psychologie bilden […] die Gleichförmigkeiten der Aufeinanderfolge, die Gesetze, sie mögen nun letzte oder abgeleitete sein, denen gemäß ein Geisteszustand einem andern nachfolgt, durch einen andern verursacht oder wenigstens ihm zu folgen veranlasst wird. (253)
Mill stellt also den Aspekt der Gleichzeitigkeit und der Sukzession von Eindrücken explizit in den Mittelpunkt psychologischen Forschens. Dies impliziert nicht, dass gleichzeitige oder aufeinanderfolgende Eindrücke in einem elementenpsychologischen Sinn in der Selbstbeobachtung separierbar sein müssten. Dies geht aus Mills Überlegungen zu einer Verschmelzung von Ideen hervor, und hierin besteht
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der gestalttheoretische Nukleus seines Ansatzes: „[D]ie Gesetze des Geisteslebens sind mitunter mechanischen, mitunter aber auch chemischen Gesetzen vergleichbar.“ (255). Mill vertritt die Auffassung, dass es Prozesse geben könne, die einer chemischen Verbindung ähnlich seien, wenn viele Eindrücke oder Vorstellungen zusammenwirkten: Wenn man Eindrücke so oft in Verbindung erfahren hat, daß jeder von ihnen leicht und augenblicklich die Ideen der ganzen Gruppe hervorruft, so verschmelzen jene Ideen mitunter mit einander und erscheinen nicht als mehrere, sondern als eine Idee; in derselben Weise wie die sieben Farben des Prisma, wenn sie dem Auge in rascher Folge vorübergeführt werden, den Eindruck der weißen Farbe hervorbringen. (255)
Es sei zur Verdeutlichung auch das zweite von Mill angeführte Beispiel zitiert: Unsere Vorstellung einer Orange besteht wirklich aus den einfachen Vorstellungen einer gewissen Farbe, einer gewissen Form, eines gewissen Geschmacks, Geruchs u.s.w., weil wir, sobald wir unser Bewußtsein befragen, in der Vorstellung alle diese Elemente wahrnehmen können. Aber wir können nicht in einem anscheinend so einfachen Gefühl, wie es die Wahrnehmung der Gestalt eines Gegenstandes durch das Auge ist, jene ganze Menge von Vorstellungen wahrnehmen, die von andern Sinnen herstammen und ohne welche, wie dies feststeht, eine solche Gesichtswahrnehmung niemals stattgefunden hätte […]. Dieses sind daher Fälle von chemischer Wirkung im Geistesleben, bei denen es angemessen ist, zu sagen, daß die einfachen Vorstellungen die zusammengesetzten erzeugen, nicht daß diese aus jenen bestehen. (255)
Mill diskutiert also den Gedanken sogenannter chemischer Vorstellungsverbindungen, deren Existenz als solche für ihn unzweifelhaft ist. Als entscheidende Kriterien dieser Vorstellungsart nennt er die Vielzahl von Eindrücken oder Vorstellungen und deren Verschmelzung, so dass sie als eine einzige Idee erscheinen, obwohl sie es de facto nicht sind. Ausführlicher äußert sich Mill zu diesem Prinzip in seiner Schrift Examinations of Sir William Hamilton’s Philosophy (1865), die 1908 erstmals in deutscher Übersetzung unter dem Titel Eine Prüfung der Philosophie Sir William Hamiltons publiziert wurde. Hier geht es Mill um die Rolle der Sprache im Zusammenhang der Denkprozesse des Menschen. Allgemeine Begriffe könnten nur durch ihre Bindung an ein Wortzeichen zu dauerhaften Begriffen werden: „Der Allgemeinbegriff […] würde wieder in die Verwirrung und Unendlichkeit, aus der er hervorgerufen wurde, zurücksinken, wenn er nicht für das Bewußtsein dadurch dauernd gemacht würde, dass er in einem Wortzeichen fixiert und bestätigt wird.“ (Mill 1908 [1865], 435). Insofern sei der Sprache zentrale Bedeutung für das Operieren mit allgemeinen Begriffen zuzusprechen. Die Prozesse der Assoziation, die zentraler Untersuchungsgegenstand der Psychologie Mills sind, werden hier explizit mit den Leistungen des Sprachzeichens in Verbindung gebracht.
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Die wort- und satzsemantischen sowie die psychologischen Reflexionen in Mills Logik stellen zentrale Grundlagen dar für die Entwicklung weiterer Konzepte, die komplexe sprachtheoretische Dimensionen und wirkungsmächtige gestalttheoretische Ansätze implizieren. Wichtige Anknüpfungspunkte bieten insbesondere Mills Formulierung der Assoziationsgesetze sowie der Aufriss einer chemischen Verbindung von Ideen. Auch die linguistische Rezeption der Assoziationsgesetze durch Ferdinand de Saussure ist in diesem Kontext zu sehen. Franz Brentano betont im „Vorwort“ zu der Psychologie vom empirischen Standpunkt seine intensive Auseinandersetzung sowohl mit den ‚modernen englischen Philosophen‘ als auch den deutschen Ansätzen. Er nennt besonders Mill, Bain, Fechner, Lotze und Helmholtz. Er referiert in seinem einleitenden Kapitel „Über Begriff und Aufgabe einer psychischen Wissenschaft der Psychologie vom empirischen Standpunkt“ ausführlich die von John Stuart Mill formulierten ‚Gesetze der Ideenassoziation‘ sowie Mills Unterscheidung von mechanischer und chemischer Verbindung respektive Verschmelzung von Vorstellungen. Begriffliche Fixierung fand das Gestaltkonzept unter Berufung auf Ernst Mach erstmals bei Christian von Ehrenfels. In seiner Abhandlung Über ‚Gestaltqualitäten‘ bestimmt er diese als „positive Vorstellungsinhalte, welche an das Vorhandensein von Vorstellungskomplexen im Bewußtsein gebunden sind, die ihrerseits aus voneinander trennbaren (d. h. ohne einander vorstellbaren) Elementen bestehen“ (Ehrenfels 1960 [1890], 21). Er geht von der Frage aus, was die Vorstellungsgebilde ‚Raumgestalt‘ und ‚Melodie‘ seien: Eine bloße Zusammenfassung von Elementen oder etwas diesen gegenüber Neues, welches zwar mit der Zusammenfassung, aber doch von ihr unterscheidbar vorliegt? Ehrenfels tendiert im Anschluss an Ernst Mach zu der Auffassung, dass die ‚Gestalten‘ nicht bloß als Zusammenfassung, sondern als etwas den Elementen gegenüber, auf denen sie beruhen, Neues und bis zu einem gewissen Grad Selbständiges zu betrachten seien. Ehrenfels hebt hervor, dass die Gestaltqualität sich mitunter so sehr in den Vordergrund dränge, dass es schwerfalle, ihre Grundlage in die Elemente aufzulösen; dies sei zum Beispiel bei Akkorden der Fall. Neben Gestaltqualitäten der äußeren Wahrnehmung berücksichtigt von Ehrenfels solche der inneren Wahrnehmung wie Veränderungen des Zunehmens oder Verschwindens von Emotionen oder von mit Emotionen begleiteten Empfindungen wie einer Lust, eines Schmerzes, einer Erwartung. Zu den Gestaltqualitäten rechnet er daher sowohl die Inhalte der Wahrnehmungsvorstellungen oder Empfindungen, als auch die an Urteile geknüpften Vorstellungselemente der Relation, das heißt die Vorstellung einer Ähnlichkeit aufgrund eines Vergleichs, des Widerspruchs und der Evidenz. Weiterhin gäbe es eine unermessliche Reihe von Gestaltqualitäten, die sprachlich gar nicht bezeichnet seien, während andererseits der größte Teil des gesamten Wortschatzes Gestaltqualitäten indiziere.
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Weiterhin stellt von Ehrenfels einen Zusammenhang her zwischen dem Begriff der Gestaltqualität und der ‚schöpferischen Tätigkeit der Phantasie‘, wobei er die Bedeutung des sich ergebenden kreativen Potenzials hervorhebt. Künstlerische Produktivität wird an die Erzeugung von Gestaltqualitäten höherer Ordnung geknüpft, da die Phantasietätigkeit auf der Basis gegebener Gestaltqualitäten neue schaffen könne. Wichtiger als dieser Bezug zur Kunst ist aber der eher en passant angedeutete Aspekt, dass es Kraft brauche, um sich vom Gewohnten zu emanzipieren, denn damit kommt an dieser Stelle eine Komponente ins Spiel, die bei Mill schon angelegt ist, wenn er davon spricht, dass wir unser Bewusstsein befragen müssten, um in einer Vorstellung alle Elemente z. B. einer Orange wahrzunehmen. Der Aspekt der Anstrengung bzw. des emotionalen Aktes, der im Zusammenhang von Gestaltbildungen, -umbildungen und -auflösungen eine zentrale Rolle spielt, ist nämlich entscheidend sowohl erstens für die literatursprachliche Arbeit, als auch zweitens für die Formulierung der berühmten Maxime der Prager Schule, der ‚Entautomatisierung‘ (bei Brecht schlug sich das Prinzip als ‚Störfaktor‘ nieder, der bekanntlich dazu dient, den Zuschauer aufzurütteln), als auch drittens in der Künstlichen Intelligenz mit dem Einsatz sogenannter ‚künstlicher Emotionen‘ in ‚Emotionalen Agentensystemen‘, die zur Unterbrechung automatisierter Abläufe in informationstechnischen Systemen dienen, um diese in flexible, an variable Umgebungen anpassbare (selbststeuernde) Systeme umzuwandeln. Die Darstellung Christian von Ehrenfels’ wird von Carl Stumpf in ein stärker systematisiertes Konzept überführt. Bereits 1891 hat Stumpf in seiner Studie Psychologie und Erkenntnistheorie unter Bezugnahme auf die Frage der Bestimmung der Begriffe von Form und Materie eine Begründung seiner Ansicht vorgelegt, dass die Vernachlässigung der Psychologie „ein Grundschaden des Kant’schen Philosophirens“ sei (Stumpf 1891, 493). Stumpf bezeichnet in der Untersuchung Erscheinungen und psychische Funktionen (1906), als „Inbegriff“ dasjenige, „was als spezifisches Ergebnis einer Zusammenfassung im Bewußtsein auftritt“, und betrachtet „Formen“ als spezielle Fälle von „Inbegriffen“, „bei denen noch die sachlich verbindenden Beziehungen der Glieder hinzukommen“ (29). Es handelt sich bei der ‚Form“ also um eine Zusammenfassung, bei der verbindende „gemeinschaftliche Beziehungen der Teile obwalten“. „Gebilde“ oder „Formen“ versteht Stumpf im Sinne von „Begriffen“, „Inbegriffen“ und „Sachverhalten“. Jeder Gegenstand des Denkens und Sprechens sei daher ein „Gebilde“, und zwar genau genommen ein „begriffliches Gebilde“, wie Stumpf in seiner Schrift Zur Einteilung der Wissenschaften betont (Stumpf 1906, 7). ‚Formen‘ entstehen diesem Entwurf zufolge aufgrund des Materials der Erscheinungen mittels intellektueller Funktionen, welche Stumpf im Sinne einer
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Tätigkeit, eines Vorganges oder Erlebnisses, nicht als durch einen Vorgang erzielte Folge versteht, und können somit weder von der Erscheinung noch von der Funktion ganz abgelöst werden. Dabei bezieht Stumpf sowohl intellektuelle als auch emotionelle Funktionen in die Betrachtung ein, nimmt jedoch keine exakte Unterscheidung zwischen beiden vor, da eine „eigentümliche Verflechtung“ unter ihnen bestehe (11). Explizit werden dem Gebilde-Begriff auch die Korrelate der emotionellen Funktionen, das heißt die spezifischen Gefühls- und Willensinhalte, subsumiert. Eine detaillierte Untersuchung der emotionellen Funktionen hat Stumpf 1899 in der Abhandlung Ueber den Begriff der Gemüthsbewegung vorgenommen. Gemütsbewegungen oder – in Stumpfs Terminologie – ‚Affekte‘, die zu den emotionellen Funktionen gehören, sollen entgegen der üblichen Auffassung keineswegs zwingend mit einer Trübung des Urteils verbunden sein, sondern können unter Umständen sogar mit einer Schärfung der Verstandestätigkeit einhergehen, beziehen sich jedoch in jedem Fall auf einen ‚Sachverhalt‘, das heißt ein Gebilde intellektueller Funktionen, und gründen daher auf einem Urteil. Stumpf zufolge bewirken Sinnesempfindungen bei dem erwachsenen Menschen Urteilstätigkeiten, mit denen wiederum ein Affekt einhergehen kann. Die bei Ehrenfels eher hypothetisch formulierte Annahme einer Verbindung physischer und psychischer Aspekte wird von Stumpf daher in einem umfassenden psychologischen Konzept mit philosophisch-erkenntnistheoretischer Fundierung vertreten. – Mit diesem Ansatz ist bei Stumpf das Grundkonzept formuliert, das auch für die kognitiven Emotionstheorien der Gegenwart angenommen wird. Karl Bühler hat sich intensiv mit den genannten Schriften Christian von Ehrenfels’ und Carl Stumpfs auseinandergesetzt. In seiner Monographie Die Krise der Psychologie (1927) fokussiert er gestaltpsychologische Konzepte hinsichtlich der Steuerungsprozesse, die in lebenden Organismen unter Ausnutzung von Gleichgewichtslagen ablaufen (vgl. Bühler 1978 [1927]). Den Begriff der Steuerung hat Bühler im Zusammenhang seiner Sprachtheorie ausgebildet. Auch den Strukturgedanken, für den Bühler zunächst den Begriff der „Psychischen Gegenstandsordnung“ verwendet hatte (Bühler 2015 [1907], 188), hat er unter anderem in Bezug auf sprachtheoretische Überlegungen gewonnen: Es handele sich um ein Schema räumlicher, zeitlicher, sprachsyntaktischer oder sonstiger Natur mit einem markierten Platz, an den etwas Gedachtes gehöre. Der Strukturbegriff sei daher eine der grundlegenden Voraussetzungen für die Möglichkeit des abstrakt sprachlichen und jedes symbolischen Denkens. Bühler verbindet hier also die gestalttheoretischen Grundlagen mit seiner Sprachtheorie; seine Erläuterungen und die gewählten Beispiele verweisen darüber hinaus auf einen für die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zentralen Bereich, die Kybernetik. Denn beim letzten Buch Bühlers handelt es
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sich um den 1960 publizierten Band Das Gestaltprinzip im Leben der Menschen und der Tiere. Insbesondere wird das Gestaltprinzip hier untersucht im Hinblick auf den Bereich der vergleichenden Biologie sowie das Vorkommen oder Fehlen von Gestaltwahrnehmungen im Bereich kybernetischer Automaten. Bühler geht nämlich davon aus, dass hier dem Gestaltprinzip ebenfalls Bedeutung zukomme. In einem weiteren Schritt stellt er einen Bezug her zwischen solchen Lernprozessen einerseits und Rückkopplungen im Rahmen von Steuerungsabläufen andererseits. In die Bonner Zeit Karl Bühlers, wo 1913 seine Schrift über Die Gestaltwahrnehmungen entstand, fiel auch die Habilitation von Otto Selz in Bonn mit seiner Arbeit Über die Gesetze des geordneten Denkverlaufs, ebenfalls 1913 publiziert. Es ist daher davon auszugehen, dass es zwischen Bühler und Selz einen engen Gedankenaustausch gab. So bezieht sich Selz in der kurzgefassten Darstellung seiner Studie Die Gesetze der produktiven und reproduktiven Geistestätigkeit (1924) auf Karl Bühlers Arbeiten als wichtige Anregung für seine eigenen Forschungen. Selz begründet hier das Abgehen von den Grundlagen der Assoziationspsychologie mit den Untersuchungsergebnissen der experimentellen Denkpsychologie. Während assoziationspsychologische Erklärungen des Denkverlaufs das psychische Geschehen als ein System diffuser Reproduktionen betrachteten, demzufolge jeder psychische Vorgang mit den ihm zeitlich unmittelbar nachfolgenden Vorgängen eine Beziehung eingeht, die sich bei Wiederholung stabilisiert und verstärkt, erlaube ein denkpsychologischer Zugang die Auffassung, dass es sich beim psychischen Geschehen um ein System spezifischer Reaktionen handelt. Selz unterscheidet hierbei zwischen reproduktiven und produktiven Denkleistungen. Eine geordnete produktive Geistestätigkeit führt seiner Ansicht nach zu einem einheitlichen Ganzen wissenschaftlicher, technischer, künstlerischer oder sonstiger kultureller Werte. Die routinemäßige Aktualisierung von Mitteln bezieht sich auf bereits bekannte und zur Anwendung gebrachte Lösungsmethoden. Diese betreffen Selz zufolge auch im wissenschaftlichen, künstlerischen und erfinderischen Schaffen keineswegs nur untergeordnete technische Hilfsoperationen; die kulturelle Fortentwicklung soll vielmehr gerade darauf beruhen, dass prinzipiell alle durch die Arbeit vorangegangener Generationen erworbenen Mittel zur Verwirklichung kultureller Werte der routinemäßigen Aktualisierung zugänglich sind. Aus diesem Grund stellten die genialen Persönlichkeiten in der Kulturgeschichte keine isolierten erratischen Blöcke dar, sondern markante Punkte stetiger Entwicklungslinien. Selz folgert, dass gerade die konstanten gesetzmäßigen Zuordnungen der geistigen Operationen und die Wiederkehr der gleichen Auslösungsbedingungen die Voraussetzung der Entwicklung, der Entstehung neuer Operationen und neuer geistiger Produkte bildeten. Auf diese Weise entständen neue spezifische Lösungsmethoden und Geistesprodukte, die Träger der geistigen
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Entwicklung seien: „Nicht aus einem sinnlosen Spiel der Assoziationen, sondern immer auf Grund bereits ausgebildeter zweckmäßiger (Leben bzw. Lebenswerte fördernder) Operationen sehen wir die neuen psychischen Verhaltensweisen entstehen.“ (Selz 1981 [1924], 61). Diese Überlegungen Selz’ waren, wie der bedeutende Theoretiker der sogenannten Künstlichen Intelligenz Herbert A. Simon hervorhebt, in der Psychologie der Informationsverarbeitung in den USA schon vor 1950 bekannt und haben Einfluss genommen auf die Entwicklung der Informationsverarbeitung und auch der kognitiven Psychologie. In der Informationsverarbeitung im Sinn einer Simulation des menschlichen Denkens – dies ist Simons’ Ansatzpunkt – können einfache Assoziationen durch geordnete Mengen von Symbolen repräsentiert werden, so dass jedes Symbol mit dem nachfolgenden assoziiert wird. Allerdings sind die Speichermöglichkeiten einer solchen Liste sehr begrenzt, weswegen Simon eine Erweiterung durch einen zweiten Verknüpfungstypus, einen sogenannten Deskriptor, vorschlägt. Dieser erlaubt die Assoziation einer unbegrenzten Reihe von Paaren. Auf diese Weise ist es möglich, beispielsweise den Namen einer Person mit verschiedenen Informationen über sie wie Alter, Geschlecht, Herkunft etc. zu verbinden. Ein Deskriptor stellt dabei eine gerichtete Verknüpfung dar mit einer zweistelligen Relation: X ist R von Y (weiblich ist das Geschlecht von Dorothea). Simon betont, dass zweistellige Relationen wesentlich mächtiger seien als einstellige des Typs X ist Y (Äpfel sind rot). Diese Feststellung führt er auf die Entdeckung der spezifischen Reaktionen von Otto Selz zurück (vgl. Simon 1981). Es sei bei Selz nicht nur um ein interessantes psychologisches Phänomen gegangen, sondern um die Grundlagen der Architektur des semantischen Gedächtnisses. Indem Selz diffuse durch gerichtete Reaktionen ersetzt habe, habe er wesentliche Einsicht in die Erfordernisse des Speichers eines informationsverarbeitenden Systems gewonnen. Simon zitiert hier aus Selz’ 1927 in den KantStudien publizierter Abhandlung Die Umgestaltung der Grundanschauungen vom intellektuellen Geschehen. Es ging Selz darum, „das Verhältnis der Teile zum Ganzen, der elementaren Empfindungen und Gedächtnisspuren zu den psychischen Einheiten, in die diese Partikel eingebettet sind, konkret zu bestimmen“ (Métraux und Herrmann 2007, 16). Insofern stellt sein Ansatz eine zentrale Schaltstelle dar zwischen gestalttheoretisch orientierten Grundannahmen und der kognitiven Psychologie im Sinn Herbert A. Simons, der hier mit seinen Überlegungen zu den Wissenschaften vom Künstlichen (1969 und in erweiterter Ausgabe 1981) anschließt. Die Übersetzung für die deutschsprachige Ausgabe dieses Bandes hat dann, wie beschrieben, Oswald Wiener vorgenommen, der auch das umfangreiche Nachwort Kambrium der Künstlichen Intelligenz verfasst hat.
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Jüngste Forschungen auch im Bereich der Mensch-Maschine-Kommunikation befassen sich damit, den für reale Kommunikationsprozesse zentralen Aspekt emotionalen Verhaltens auf Computer zu übertragen (vgl. z. B. André 2004). Neuere Entwicklungen der Künstlichen-Intelligenz-Forschung fokussieren daher verstärkt den Bereich, der diesem Untersuchungsfeld diametral entgegen zu stehen scheint: den Komplex der Emotionen.
2 Systematischer Zugang: Kognitive Emotionstheorien, Narratologie und literarische Form Seitdem 1997 Rosalind W. Picard den Begriff des ‚affective computing‘ ins Gespräch gebracht hat, wurden Emotionstheorien zu einem wichtigen Feld der KünstlichenIntelligenz-Forschung, Informationstechnologie und Robotik. Hier wird der spezifische Typus der kognitiven Emotionstheorien nicht nur favorisiert, sondern es werden sogar eigene Emotionsansätze entwickelt. Damit einher geht das Unterlaufen seit langem festgeschriebener Grenzen zwischen Technologie, Natur- und Geisteswissenschaften (vgl. hierzu und zum folgenden Schiewer 2009). Ein spezifisches Feld dieser interdisziplinären Kooperationen befindet sich an der Schnittstelle von psychologischer und kognitionswissenschaftlicher Emotionsforschung, Künstlicher Intelligenz und Informationstechnologie sowie der literaturwissenschaftlichen Erzählforschung. Es bezieht sich auf die in Anbetracht der seit der Antike bestehenden engen Kopplung von Affektlehre, Rhetorik und Poetik naheliegende Frage, ob auch die aktuellen Emotionstheorien und die literaturwissenschaftliche Theoriebildung aneinander anschlussfähig sind. Möglichkeiten wechselseitiger Impulswirkungen von kognitiven Emotionstheorien und narratologischen Fragestellungen sind Gegenstand des zweiten Teils dieses Beitrags. Zwei Schwerpunkte werden hier im Anschluss an einige einführende Erläuterungen zum Ansatz kognitiver Emotionstheorien und dem Konzept emotionaler Agenten akzentuiert: 1) Sind die aktuellen kognitiven Emotionstheorien auch für die Literaturwissenschaft von besonderem Interesse und wenn ja, aus welchem Grund? 2) Inwiefern kann Literaturwissenschaft ihrerseits zur Ausbildung und Fortentwicklung dieser Emotionstheorien beitragen? Es wird sich zeigen, dass beide Fragen wiederum auf den Aspekt literarischer Form verweisen.
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Zur Konzeption kognitiver Emotionstheorien und emotionaler Agenten Der Begriff der ‚Kognition‘ kann in engem Sinn als ein selbständiger Bereich der psychischen Ausstattung des Menschen begriffen werden. Demgegenüber werden dem weiten Kognitionsbegriff zufolge Kognition und Emotion als integrative Komponenten betrachtet. Diese zweite Auffassung macht sich der gegenwärtig wohl bedeutendste Typus von Emotionstheorien zu eigen, der folgerichtig als kognitive Emotionstheorien bezeichnet wird und an dieser Stelle nun etwas ausführlicher skizziert werden soll. Bei diesem Typ werden die kognitiven Aspekte, die im Zusammenhang der Elizitation und des Verlaufs von Emotionen eine Rolle spielen, fokussiert. Physiologische Prozesse, subjektive Empfindungen (Gefühlsqualia), Ausdrucksphänome, soziale und kulturelle Facetten werden bei kognitiven Emotionstheorien entweder in zweiter Linie oder gar nicht berücksichtigt. Die Entstehung von Emotionen wird als Folge bestimmter Kognitionen und ihrer Bewertung gesehen, so dass die Untersuchung der Auslösung von Emotionen durch kognitive Gegebenheiten zentral ist. Zum Beispiel kann die subjektive Bewertung eines Ereignisses als hinderlich für die Erreichung eigener Ziele zu Ärger oder Angst führen. Wie sehen solche Theorien im Allgemeinen aus? Andrew Ortony, Gerald L. Clore und Allan Collins unterscheiden in ihrem viel beachteten Ansatz Emotionen danach, ob sich die zugrundeliegenden Kognitionen auf Ereignisse, Handlungen oder Objekte beziehen (Ortony, Clore und Collins 1988). Sie gehen davon aus, dass zunächst ein Ereignis, eine Handlung oder ein Objekt kognitiv repräsentiert wird. Im nächsten Schritt kommt es zur Bewertung und erst in Abhängigkeit hiervon entsteht eine bestimmte Emotion aus einer der genannten drei Hauptgruppen. Ebenso wie wohl alle anderen Vertreter kognitiver Emotionskonzepte akzentuieren Ortony, Clore und Collins die Variabilität kognitiver Einschätzungsprozesse; nicht Situationen als solche lösen spezifische Emotionen aus, sondern Menschen reagieren durchaus unterschiedlich vor dem Hintergrund ihrer individuellen Präferenzen und subjektiven Wertungen auf dieselben Gegebenheiten. Dieser Punkt ist unten im Diskussionsfeld I aufzugreifen. Im Rahmen des hier nur in aller Kürze skizzierten theoretischen Hintergrunds wird die Funktion von Emotionen darin gesehen, die emotionsinduzierende Situation sowie die Beurteilung und mit einer entsprechenden Reaktion nicht zuletzt auch die Emotion selbst bewältigen zu können (coping). Gleichwohl wird nicht vernachlässigt, dass Menschen mitunter nicht in der Lage sind, mit bestimmten Situationen und den betreffenden Emotionen umzugehen. Dieser Aspekt wird Gegenstand des Diskussionsfeldes II sein. Ortony, Clore und Collins betrachten
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vor allem die Unerwartetheit eines Ereignisses oder genauer gesagt die subjektive Einschätzung eines Ereignisses als unerwartet – ganz unabhängig davon, ob es die Elizitation positiv-angenehmer oder negativ-unangenehmer Emotionen mit sich bringt –, als Kriterium, das zur kognitiven Desorganisation (cognitive disorganization) führen kann. Dennoch steht bei kognitiven Emotionstheorien die Frage im Zentrum, inwiefern Emotionen eine den Umständen angepasste Reaktion auf die emotionsauslösende Situation ermöglichen. Genau dies ist auch der Grund dafür, dass sie in der Künstlichen Intelligenz, IT-Forschung und Robotik so großen Anklang finden. Denn hier entstehen kognitive Systeme, die sich auf die Steuerung von Handlungen in veränderlichen Umgebungen beziehen. Die entsprechenden ‚intelligenten‘ Programme werden als Agenten bezeichnet, womit in der Regel solche Programme gemeint sind, denen eine gewisse Eigenständigkeit bei der Ausführung von Aufträgen zugeschrieben wird. Einige Agenten sind mit der sogenannten BDI-Architektur (belief, desire, intention) ausgestattet, der das Modell menschlicher Handlungsentscheidungen als Vorbild dient. Das bedeutet, dass es nicht so sehr um die einmalige Berechnung eines optimalen Plans geht, als vielmehr um die ständige optimale Anpassung an veränderte Bedingungen. Der Entscheidungsprozess wird an seine Umgebung insofern adaptiert, als der Agent in dynamischen Umgebungen seine Ziele relativ häufig überprüft, während dies in eher statischen Umgebungen viel seltener erforderlich ist. Spezifische emotionale Agenten sind schließlich durch die Eigenschaft emotionalen Verhaltens gekennzeichnet. Dass Emotionen als eine wichtige Komponente selbstständig gefällter und situativ optimal angepasster Handlungsentscheidungen betrachtet werden, ist ein Grund dafür, dass sie in Agentenarchitekturen implementiert werden. Man spricht auch von emotionalen Computern und emotionsgesteuerten IT-Systemen, auf die sich gegenwärtig enorme Forschungsenergien und -mittel konzentrieren.
Diskussionsfeld I Wie ist die Subjektivität emotionaler Reaktionen theoretisch zu erfassen? – Zur Relevanz ‚kognitiver Emotionstheorien‘ für die Literaturwissenschaft Die Diskussion der Frage, ob auch in der Literaturwissenschaft auf kognitive Emotionstheorien rekurriert werden kann, wurde bislang nur gelegentlich aufgenommen. So weist Jens Eder in einem allgemeinen Plädoyer für die Berücksichtigung der Kognitionswissenschaften in der Narratologie en passant darauf hin, dass auch die Frage der Emotion in diesem Zusammenhang Aufmerksam-
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keit finden könne, ja er vermutet sogar, dass die Emotionsthematik im kognitiven Umfeld sogar genauer zu erklären sei als je zuvor (vgl. Eder 2005, 284). Reuven Tsur geht von dem für kognitive Emotionstheorien grundlegenden weiten Kognitionskonzept aus und akzentuiert in seinem Begriff von ‚Cognitive Poetics‘ die Frage, wie in literarischen Texten Sprache als einem seiner Auffassung nach prinzipiell logischen Instrument (logical tool) die Fähigkeit erlangt, „diffuse emotional qualities“ auszudrücken, zu übermitteln und zu evozieren. Hierbei rekurriert Tsur unter anderem auf die Grundannahmen kognitiver Emotionstheorien (vgl. Tsur 2006, 1–2). Anders hat Simone Winko dahingehend argumentiert, dass ein enger Kognitionsbegriff zu favorisieren sei, demzufolge Kognition und Emotion als zwei eigenständige Bereiche der menschlichen Psyche und des menschlichen Verhaltens aufzufassen seien (vgl. Winko 2003). Der Kognitionsbegriff wird hier auf Denkoperationen bezogen; Emotionen werden demgegenüber als evolutionsbiologisch frühere Verhaltensweisen betrachtet, denen das Primat zuzusprechen sei. Damit klammert Winko letztlich die kognitiv orientierten Emotionstheorien aus dem Horizont der Literaturwissenschaft aus. Dabei ist ihr Anliegen, Emotionen im Hinblick auf sowohl (neuro-)physiologische als auch mentale Aspekte betrachten zu wollen, vollkommen berechtigt. Der Schluss, dass eine Konzeption zweckmäßig sei, der zufolge Emotionen als emergente Eigenschaften des physischen Systems aufgefasst werden, legt jedoch die Favorisierung von Theorien nahe, welche Emotionen auf viszeraler Grundlage erklären. Die Akzentuierung der physischen Basis bringt aber eine Folgeproblematik mit sich, die schon in der Theorie von Ortony, Clore und Collins herausgearbeitet wird. Es geht bei kognitiven Emotionstheorien um die analytische Beschreibung von individuell und subjektiv bedingten unterschiedlichen emotionalen Reaktionen auf das gleiche Ereignis. Für die Ausbildung solcher Reaktionsvariablen spielt unter anderem die ontogenetische Emotionsentwicklung eine wichtige Rolle. Zur grundsätzlichen Erklärung variabler Deutungen gleicher Situationen, Gegebenheiten oder Ereignisse kann auf eine Anregung von Alexander Kochinka verweisen werden (vgl. Kochinka 2004, 273 ff.). Auf gestalttheoretische Grundlegungen Bezug nehmend schlägt Kochinka vor, die Entstehung von Emotionen analog zur Gestaltbildung zu begreifen. Dabei gehören zu den in die emotionale Gestaltbildung eingehenden Elementen seiner Auffassung nach insbesondere Erzählungen – womit dieser Ansatz auch im Hinblick auf das Diskussionsfeld II von Bedeutung ist. Emotionen können die Folge längerer Abwägungen bzw. eben der Ausbildung einer Geschichte sein. Die Bedeutung eines einzelnen Geschehnisses ergibt sich erst durch seine Einbettung in ein übergeordnetes Ganzes und kann sich in Abhängigkeit von diesem auch ändern. Beispielsweise kann ein sehr großzügiges Geschenk als Ausdruck besonderer Zuneigung aufgefasst werden
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oder aber auch als Zeichen eines schlechten Gewissens des Gebers. In Abhängigkeit von der jeweiligen Einschätzung seitens des Beschenkten ist die Auslösung ganz unterschiedlicher emotionaler Reaktionen und nachträglicher Umdeutungen der früheren Einschätzung des Schenkenden denkbar. Die Entstehung komplexer Emotionen kann so analog zur Herstellung einer Erzählung erklärt werden. Ähnlich spricht Christiane Voss von der narrativen Einheit von Emotionen (vgl. Voss 2004, 184–188). Der Emotionspsychologe Klaus R. Scherer war dabei einer der ersten, die eine Spezifikation des individuellen kognitiven Bewertungsprozesses (Stimulus Evaluation Checks) anstrebten, welcher unter Umständen zur Emotionselizitation führen kann (vgl. Scherer et al. 2001, 92 ff.). Als zentrale Kategorien nennt Scherer 1) die Einschätzung der Relevanz eines Ereignisses für die betreffende Person mit a) seiner Neuigkeit, b) seiner Annehmlichkeit resp. Unannehmlichkeit sowie c) seiner Kompatibilität mit den eigenen Zielen; 2) die Bewertung der Implikationen oder Folgen eines Ereignisses; 3) die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten, mit diesen Implikationen umzugehen (coping-Potenzial); 4) die Einschätzung eines Ereignisses hinsichtlich des persönlichen Selbstverständnisses sowie in Bezug auf allgemeine soziale Normen und Werte. Dieser Kriterienkatalog wird unter anderem in Bezug auf die Prozesshaftigkeit des Bewertungsablaufs spezifiziert. Dabei wird auch berücksichtigt, dass die Faktoren und damit der gesamte Stimulus Evaluation Check immer durch individuelle Unterschiede, transitorische Motivationszustände und Stimmungen, kulturelle Werte, Gruppendruck usw. beeinflusst werden können. Es kann so schon hier festgehalten werden, dass kognitive Emotionstheorien, die dem Anspruch auf Erklärungsadäquatheit der Individualität emotionaler Reaktionen zunehmend genügen können, wichtige Schnittstellen zur Literaturwissenschaft erkennen lassen. Konkrete Perspektiven und Anschlussstellen bietet insbesondere die Narratologie. Im spezifischen Rahmen der kognitiven Narratologie ist bislang eine Konzentration auf die Prozesse der Textrezeption zu beobachten. Hierzu gehört etwa die Frage der Ausbildung mentaler Modelle literarischer Figuren in der Konstruktion des Lesers. Ein zweites wichtiges Feld stellt die Untersuchung der literarischen Figuren als menschenähnliche Elemente der erzählten Welt dar. In diesem Zusammenhang ist die Erfassung der Handlungen der dargestellten Figuren zu nennen sowie die Perspektivenstruktur narrativer Texte mit dem gesamten Wirklichkeitsmodell einer literarischen Figur und gegebenenfalls des Erzählers. Beide Schwerpunktfelder der kognitiven Narratologie verlangen ohne Frage eine Bereicherung um die Dimension des Emotionalen. Das bedeutet im ersten Fall die Einbeziehung der emotionalen Prozesse auf der Seite des Lesers, die im Zuge der Textrezeption ablaufen und hierbei bestim-
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mend sein können. Der in diesem Zusammenhang bislang maßgebliche Rekurs auf die im Rahmen der Künstlichen-Intelligenz-Forschung entwickelte frameTheorie ist um eine detaillierte Analyse derjenigen Prozesse, welche bei dem Leser zur Elizitation emotionaler Reaktionen führen, zu ergänzen. Anzusetzen ist bei den kognitiven Konstruktionen des Lesers, die er im Rezeptionsprozess vornimmt. In diese Konstruktionen fließen individuelle Vorannahmen, implizite Persönlichkeitsmodelle, momentane Präferenzen und sonstige kognitive Strukturen des Lesers ein. Wenn es gelingt, die relevanten Kriterien zu sondieren, welche diesem Einschätzungs- oder appraisal-Prozess des Lesers zugrunde liegen, können emotionale Reaktionen auf einen Text mit den dargestellten Figuren, Handlungen, Situationsbeschreibungen etc. genauer erklärt werden. Kategorien wie die von Klaus R. Scherer genannten der Relevanzeinschätzung, des eigenen coping-Potenzials, möglicherweise auch des eigenen Selbstverständnisses des Lesers liegen hier nahe und berühren sich eng mit dem, was man als Leserinteresse und -motivation bezeichnen kann. Das zweite Feld der Schwerpunktsetzungen kognitiver Narratologie bezieht sich auf die Textebene mit dem Plot. Hier spielen Fragen des Handlungsverlaufs einschließlich der fiktiven Handlungsentscheidungen der Figuren eine zentrale Rolle. Besondere Bedeutung kommt den unter Umständen konfligierenden Plänen der dargestellten Figuren zu sowie ihren Bemühungen, die Umgebung ihren Annahmen, Wünschen und Absichten entsprechend zu beeinflussen. In der Beschreibung der Figuren mit ihren Gestalt- und Persönlichkeitseigenschaften, ihren Charaktermerkmalen sowie ihrer Entwicklung im Verlauf der erzählten Geschichte, wurde bisher vor allem auf kognitive frames zurückgegriffen. Es sind aber auch andere analytische Instrumente denkbar, die nicht wie frames und scripts von Üblichkeiten ausgehen. Es zeichnet sich nämlich ab, dass ein theoretisch vertieftes Verständnis emotionaler Prozesse insofern zu Fragen der Nachvollziehbarkeit der dargestellten Akteure in erheblicher Weise beitragen kann, als es erlaubt, die subjektive Disposition fiktiver Figuren im Detail aufzuschlüsseln. Denn emotionale Figurenreaktionen lassen nicht nur auf allgemeine Charakterzüge der Figur schließen, sondern sie verweisen auch auf so genannte topische (generelle) und fokale (situativ-momentane) Einstellungen des literarischen Protagonisten sowie seine unterschwellig dargestellten Zielvorstellungen. Auch hier sind die von Scherer beschriebenen Kategorien und Kochinkas Hinweis auf die Rolle von Erzählungen für die Entstehung von Emotionen mit Gewinn zu berücksichtigen, da dem präzise gefassten Wissen über Emotionen eine erhebliche Rolle für das gesamte Verstehen erzählender Texte zukommt. Von besonderem Interesse ist dabei, dass auch Ortony, Clore und Collins ihrerseits passim literarische Emotionsdarstellungen unter dem Gesichtspunkt möglicher kognitiver Desorganisation berück-
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sichtigen. Sie gehen davon aus, dass eine aus der Perspektive des Protagonisten als nicht wünschenswert dargestellte Situation im Leser eine Vorstellung von dem subjektiven emotionalen Zustand der fiktiven Figur erzeugt. Die exakte Funktionsweise des Formalen und Literatursprachlichen, die es dem Leser aufgrund der Beschreibung der Situationseinschätzungen des fiktiven Protagonisten erlaubt, z. B. auf die emotionale Lage der literarischen Figur zu schließen, kann hier nicht im Einzelnen entwickelt werden. Jedoch ist nochmals auf Oswald Wiener zu rekurrieren. In seinem poetologischen Ansatz geht es ihm darum, Modelle des individuellen Verstehens zu erarbeiten, welche das Bestehen ‚genormter Zeichensysteme‘ hintergehen. Er schreibt rückblickend in seinem Aufsatz Einiges über Konrad Bayer: Was für die Taktik zu befürchten war, ist weitgehend schon eingetroffen, in den Versuchen, eine ‚neue‘ Sinnhaftigkeit zu mobilisieren, überlebt der alte Sinn. Die selben Sätze, Ausdrücke und Stile, die wir provisorisch benutzt haben, um einen Aufbruch zu beschreiben, bezeichnen nun wieder das, dessen Überwindung sie einleiten helfen haben sollen, das Werkzeug ist abgeglitten […]. (Wiener 1998a [1978], 8)
Die entsprechende literarische Arbeit der ‚Wiener Gruppe‘ hat daher zur Erkenntnis geführt, dass „die wichtigsten Einsichten in die Natur des Denkens und der Mitteilung fehlten. […] [I]n dem für mich einzig bedeutenden Teil der heute so genannten Konkreten Poesie war sie ein Experiment, sich über die Mechanismen des Verstehens und des ‚Wirkens‘ von Sprache erste Hypothesen zu verschaffen.“ Das Schreiben sei zu einem Instrument der Untersuchung von Denkvorgängen geworden und „für den Schreibenden ein natürlicher Hebel zum Hinausschieben seiner im Schreiben ihm merkbar werdenden Vorstellungsschranken“ (10). Ziel des experimentellen Schreibens sei gewesen, „ohne Isomorphismen von Zeichensystemen auf inhaltliche Zusammenhänge aus[zu]kommen“ (19), das heißt, eine Unterscheidung von Zeichen oder Sprache einerseits und Sinnkonstitution des ‚Beobachters‘ zu erzielen. Insofern sei die experimentelle Kunst seit der Nachkriegszeit der Ansatz zu einer Kritik der formalen Kommunikationstheorien geworden. Dieses künstlerische Ziel war Wiener zufolge auch die Voraussetzung für das Experimentieren mit den Möglichkeiten der Kommunikation. Anhand des Begriffs der ‚Ergriffenheit‘ präzisiert Wiener sein Konzept. Ergriffenheit betrachtet er als ein Gefühl des Beteiligtseins, das in Abstufungen auftreten könne. Sie sei nicht ein eigener ‚Inhalt‘, sondern die mehr oder weniger große Nähe, in welcher ein Gegenstand des Bewusstseins erscheine. Dabei sei es unter Umständen durchaus möglich, dass der Effekt der Ergriffenheit unanalysiert bleibe und auf der Ebene unbewusster Strukturen wirksam werde. Eine vollständige Erklärung der Ergriffenheit hinge von einer Einsicht in den Zusammenhang von psychologischen und physiologischen Tatbeständen ab. Es
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geht bei dieser Kategorie somit wiederum um eine Vermittlung der Aspekte von Geist und Materie, Verstand und Sinnlichkeit. Jedoch sei, so Wiener, die Einsicht in die entsprechenden Verhältnisse nicht einmal andeutungsweise vorhanden. Vor diesem Hintergrund greift Wiener zunächst nochmals zurück auf einen Ansatz Ernst Machs und zwar auf den Vortragstext Die Symmetrie aus dem Jahr 1871. Angenehm ist Mach zufolge die Wiederholung der Empfindungen. Allerdings, so Wiener, könne Lust nicht allein auf strikter Wiederholung basieren, da andernfalls die Freude am Neuen und beispielsweise an originellen Einsichten unerklärlich wäre. Ferner hebe Mach sogar seinerseits hervor, dass im allgemeinen ein Produzieren nach einer bestimmten, konsequent festgehaltenen Regel etwas leidlich Hübsches ergäbe. Somit beruht Wiener zufolge ästhetische Lust vielmehr auf dem Erfolg von Bestrebungen, neue und vor allem sperrige Elemente auf ein vorhandenes Schema zu beziehen. Das vorhandene Schema stehe hinter der Wiederholung. Dieser Aspekt von Wiederholung umfasse jedoch – anders als von Mach beschrieben – eventuelle Umbauten des Schemas bis hin zu seiner Unterdrückung zugunsten eines völlig anderen. Wiener spricht hier auch von der Rückführung von Lust auf Ökonomie. Tatsächlich beobachtet Wiener, dass er selbst am stärksten ergriffen zu sein scheine, wenn in einem ihm vertrauten Schema ein ungewohntes Element auftrete, das er diesem Schema aber noch subsumieren könne. Es komme zu dem Versuch, dieses Element im Rahmen des Schemas zu interpretieren. Das Resultat sei normalerweise eine Verallgemeinerung; von dem Inkommensurablen aus sei eine Uminterpretation des Gewohnten zu beobachten. Im Fall der Ergriffenheit beispielsweise durch ein Musikstück „liegt fast stets eine Wendung vor, die ich noch nicht völlig durchschaue, komplizierte Führung, oder eine Stimmgebung, die ich nicht befriedigend rekonstruieren kann, Klangfarben, die ich dem Instrument nicht zugetraut hätte“ (25). Ein eingefahrenes Schema ist, so Wiener weiter, vorbewusst geworden, sofern es überhaupt je den Bereich des Unbewussten verlassen habe. Konventionelle Variationen würden sozusagen automatisch erfasst. Neue Kunst setze zwar die älteren Schemata voraus, doch würden Anhaltspunkte nur mehr oder weniger subtil angedeutet: Ist es gehörte Musik, so muß ich mich oft in erheblichem Maß den gemeinten alten Schemata widmen und sie aktiv mitdenken (das kann bis zum Mitzählen von Taktschlägen gehen). Anfangs jedenfalls bleibt nur wenig Kapazität für das simultane Auffassen von „Gestalten“ in dem, was mir dabei als Verzerrung erscheint. Die Folge ist, daß die Beziehungen der neuen Elemente untereinander und auch die Verbindungen zum alten Schema immer wieder reissen. Jedes Gelingen neuen Anknüpfens ist mit einer Freude verbunden, wie sie Einsichten begleitet. (Wiener 1998b [1980], 28)
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Der Argumentationsrahmen ist hier also wiederum mit dem Problem des Erkennens von Ähnlichkeiten sowie des Schaffens neuer Strukturen und Modularisierungen gegeben. Zentral ist dabei, dass es nicht um eine Qualität des isolierten Ereignisses und seine Wirkung geht, sondern das Zusammenspiel mit einer in dem Rezipienten ausgebildeten, veränderbaren Struktur reflektiert wird. Ergriffenheit beruhe auf diesen ‚literarischen‘ Momenten eines Kunstwerks. Damit sind solche formalen Mittel gemeint, die sich auf unanalysierte Schemata beziehen und sowohl Körperempfindungen als auch Bewusstseinslagen in ihren Ausprägungen und Wirkweisen als Ergriffenheit betreffen können. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie ‚unanalysierbar‘ wären oder prinzipiell ‚unbewusst verwendet‘ würden. Die von Wiener angeführten Beispiele der ‚Verschmelzung von Ereignissen‘ aus den Bereichen des Hörens und des Sehens verweisen hier auf die Grundlagen der Gestalttheorie. Der Gebilde-Begriff als Komplex von Erscheinungen und die psychische Funktion im Sinn Carl Stumpfs werden in Wieners ästhetischer Konzeption somit zum zentralen Gegenstand des Interesses und nehmen darüber hinaus in diesem Ansatz ebenfalls eine Stellung ein zwischen den Bereichen des Physiologischen und des Psychologischen, zwischen Empfindung und mentaler Schicht. Der Künstler, so Wiener, könne mit den Wirkungen von zunächst undurchsichtigen Setzungen, die eine Herausforderung des Verstehens darstellen, experimentieren. Das sei möglich durch kalkulierte Neuerungen ‚formalistisch‘ produzierter Elemente. Es ergibt sich damit eine Konzeption des literarischen experimentellen Texts, die jedoch nicht auf rein formale Aspekte im engen Sinn konzentriert ist. Vielmehr wird in einem weiten Formbegriff, der sich auf die Ausbildung von Strukturen bezieht, die Sprengung bekannter Vorstellungen und geläufiger, als sinnhaft empfundener Inhalte angestrebt. Grundlage dieses Konzeptes ist ein dynamisch genannter Zeichenbegriff der Einbeziehung tieferer respektive noch nicht bewusster Schichten des Erkennens. Ziel ist es, in einer aktiven Verstehensleistung der Ausbildung neuer Strukturen oder Vorstellungen die Muster des Geläufigen in einem Ausreizen der Grenzen des bewusst Nachvollziehbaren zu unterlaufen. Wenn dem literarischen Text die allgemeine Aufgabe zukommen soll, die Prozesse des menschlichen Verstehens insbesondere auf den tieferliegenden Schichten unmodularisierter Strukturen zu erhellen, dann ist die Rolle der Sprache insofern zu berücksichtigen, als eine mechanische Sprachverwendung zu vermeiden ist. Das Schaffen neuer Strukturen, die dann aufgrund von Gewohnheit als sinnvoll empfunden werden, beschreibt Wiener als „elementare ästhetische Situation“ (Wiener 1998b [1980], 39).
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Diskussionsfeld II Induzieren Emotionen optimal angepasste menschliche Handlungsentscheidungen? – Zum Beitrag der Literaturwissenschaft zur Fortentwicklung kognitiver Emotionstheorien Aktuelle Theorien akzentuieren den adaptiven Aspekt von Emotionen und ihr Bewältigungspotenzial bezüglich emotionsauslösender Situationen. Dagegen wurde früher eher der gegenteilige Aspekt der durch Emotionen hervorgerufenen Formen der Desorganisation betont. Heute wird vermutet, dass z. B. die mit Trauer einhergehende Passivität insofern angemessen ist, als das auslösende Ereignis, etwa ein Todesfall, unveränderlich ist. Generell soll gelten, dass die kognitive Einschätzung sowohl der Situation als auch des eigenen Vermögens, mit ihr umzugehen, entscheidend ist. Auf diese Weise werden Emotionen elizitiert, die den individuellen momentanen Gegebenheiten entsprechen. Allerdings ist die Angemessenheit der Reaktion ja keineswegs immer gegeben. Angst etwa kann zur Blockade führen, obwohl eine Handlung erforderlich wäre. Menschen suchen therapeutische Hilfe, um mit von ihnen als problematisch empfundenen Emotionen wie Angst oder Panikattacken zurechtzukommen. Herbert A. Simon beschreibt schon 1967 präzise, dass Lernen nicht immer erfolgreich sei; insbesondere wenn exzessive Anforderungen an den Organismus gestellt würden, könne es zur Ausbildung von Neurosen kommen (vgl. Simon 1967, 37). Auch scheinen Emotionen gelegentlich als irrational oder schwer zu kontrollieren; unter diesen Aspekten werden sie oft auch in literarischen Texten thematisiert. Mit der Akzentuierung der Subjektivität von Bewertungen und der Variabilität emotionaler Reaktionen und anschließender Handlungsdispositionen rückt gerade auch diese Perspektive in den Blick: Keineswegs sind emotionale Reaktionen immer vernünftig. Es geht also um das große Feld des verglichen mit üblichen Normen unangepassten und abweichenden Verhaltens. Die Funktionalität für die emotional agierende Person steht oftmals im Kontrast zu dem für das soziale Umfeld noch zu tolerierende. Emotionen können unvernünftig oder irrational scheinen sowie zu Stress führen. Die Verengung der durch informationstechnologische Vorgaben beeinflussten entproblematisierenden Theoriebildung in der Fokussierung auf möglichst optimal angepasste Emotionen findet im Zugriff auf literarische Texte ohne Frage ihre Grenzen. In allen Literaturen findet sich ein unerschöpflicher Darstellungspool emotionaler Turbulenzen. Ohne den literarischen Text im Hinblick auf eine theoretische Zubringerrolle zu funktionalisieren, kommt seinem analytischen Potenzial größte Bedeutung für die weitergehende Klärung emotionsauslösender appraisal-Prozesse zu. Dies besonders, da hier Dimensionen emotionaler Ontogenese einfließen können, ja vielfach auch soziale und kulturelle Faktoren
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in den Blick gerückt werden, für die sich kognitive Emotionstheorien ebenfalls allmählich öffnen. Literarische Erzählungen konkretisieren, inwiefern die Emotionstheoriebildung sowohl das oft konfliktreiche Zusammenspiel bewusster und unbewusster individueller Einschätzungsfacetten als auch soziale, normative, ethische und zeitabhängige Perspektiven der Emotionssteuerung umfassen muss. Gerade zur Klärung solcher komplexen Prozesse der Emotionsauslösung tragen Erzählungen in besonderer Weise bei. Schon anhand dieser selektiven Hinweise zeichnet sich ab, dass die Literaturwissenschaft einen Beitrag zur interdisziplinären Diskussion von Kognition und Emotion leisten kann. Damit ergibt sich zugleich die Gelegenheit, sich des eigenen impulsgebenden Potenzials in einem Moment zu vergewissern, in dem Emotionen, die lange Zeit als kaum wissenschaftsfähig angesehen wurden, in den Horizont der Aufmerksamkeit exakter Wissenschaft rücken.
3 Fazit Es wird somit auszugehen sein von einer poetologisch begründeten Ausrichtung literarischer Formen, basierend auf der Auseinandersetzung mit dem frühen gestalttheoretischen Denken und seinen Implikationen für Formbegriff und Emotionsauffassungen. Die Formen literarischer Sprachverwendung stellen sich hier dar als Ergebnis und Folge der Auseinandersetzung mit wort- und satzsemantischen Ansätzen, zu denen die Philosophie und Wissenschaftstheorie John Stuart Mills wesentlichen Anstoß gegeben hat, sowie der psychologischen und erkenntnistheoretischen Reflexion des gestalttheoretischen Kontextes einschließlich der späteren kognitionswissenschaftlichen und automatentheoretischen Entwicklungen. Die Sprache dieser literarischen Texte verweist unter Berücksichtigung ihrer poetischen Konzepte daher auf spezifische literarhistorische Grundlagen der Moderne sowie auf Zusammenhänge von Literatur, Wissenschaft und Technologie im zwanzigsten Jahrhundert.
Weiterführende Literatur Kochinka, Alexander. Emotionstheorien. Begriffliche Arbeit am Gefühl. Bielefeld 2004. Schiewer, Gesine Lenore. Poetische Gestaltkonzepte und Automatentheorie. Arno Holz – Robert Musil – Oswald Wiener. Würzburg 2004. Schiewer, Gesine Lenore. Studienbuch Emotionsforschung. Theorien – Anwendungsfelder – Perspektiven. Darmstadt 2014.
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Voss, Christiane. Narrative Emotionen. Eine Untersuchung über Möglichkeiten und Grenzen philosophischer Emotionstheorien. Berlin 2004. Winko, Simone. Kodierte Gefühle. Zu einer Poetik der Emotionen in lyrischen und poetologischen Texten um 1900. Berlin 2003.
Moritz Baßler
IV.4.3 Grenzformen der Hoch- und Populärkultur Form im emphatischen Sinne gilt in der ästhetischen Tradition als Merkmal von Kunst und damit von Hochkultur. Im Unterschied zur Materie dient sie als Anlass und Ausweis einer höheren, nicht-sinnlichen Kunstrezeption. Populäre, gar marktförmige Gebilde stehen demgegenüber als Produkte einer Massenkultur immer unter dem Verdacht der Formlosigkeit bzw. eines stupiden Formschematismus, der sich in bloßer Wiederholung erschöpft. Erzeugnisse von Populärkultur überhaupt unter Formaspekten zu betrachten, stellt daher bis heute eine Herausforderung überkommener ästhetischer Theorien dar.
1 Die klassische Formation Die Dichotomisierung von hoher und niederer Literatur hat eine lange Geschichte, die zunächst mit der Alphabetisierung, ab dem neunzehnten Jahrhundert dann aber vor allem mit der Entwicklung eines Literaturmarktes zusammenhängt. Um 1800 mehren sich die Ansätze, eine hohe Kunst von einer bloß marktförmigen zu unterscheiden. Rezeptionsseitig geht dies einher mit der Ausbildung von hermeneutischen Kunstwissenschaften auf der einen und der Diffamierung einer bloß genießenden, tendenziell pathologischen Rezeption von Kunst auf der anderen Seite. Was die Literatur betrifft, ist ein klassischer Text in diesem Zusammenhang Friedrich Schillers Rezension Über Bürgers Gedichte von 1791. Schiller geht hier bereits von einer Ausdifferenzierung der Rezipienten in eine Bildungsschicht und die ungebildete, aber alphabetisierte Masse aus, wenn er schreibt: „Ein Volksdichter für unsre Zeiten hätte also […] entweder sich ausschließend der Fassungskraft des großen Haufens zu bequemen und auf den Beifall der gebildeten Klasse Verzicht zu tun – oder den ungeheuren Abstand, der zwischen beiden sich befindet, durch die Größe seiner Kunst aufzuheben […].“ (Schiller 91993d [1791], 973). Die Forderung von „Cross the Border, Close the Gap“ (Fiedler) wurde bis ins späte zwanzigste Jahrhundert immer wieder erneuert. Die Frage, wie eine ‚volkstümliche‘, d. h. für alle Rezipienten geeignete Kunst, hier Literatur, produziert werden könnte, stellt sich bereits für Schiller auch als modelltheoretische, wenn er für die Dichtkunst fordert: „Die Sitten, den Charakter, die ganze Weisheit ihrer Zeit müßte sie, geläutert und veredelt, in ihrem Spiegel sammeln und mit idealisierender Kunst aus dem Jahrhundert https://doi.org/10.1515/9783110364385-029
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selbst ein Muster für das Jahrhundert erschaffen.“ (Schiller 91993d [1791], 971). Entscheidend ist – und bleibt für das neunzehnte Jahrhundert, insbesondere für die Literatur des Poetischen Realismus – das Moment der Idealisierung (auch Läuterung, Verklärung, Poetisierung genannt), durch das allererst aus der Matrix des vorgefundenen kulturellen Materials („aus dem Jahrhundert selbst“) ein kulturpoietisches Modell („ein Muster für das Jahrhundert“) werden soll, das der humanisierenden Aufgabe der Kunst entspricht. „Dies aber setzte“, wie Schiller richtig bemerkt, „voraus, daß sie selbst [die Dichtkunst] in keine andre als reife und gebildete Hände fiele.“ (971–972). Anders gesagt: Mit der Idealisierung wird der wesentliche Anteil erfolgreicher literarischer Modellbildung der modellierenden Instanz zugesprochen, die man in der „Individualität“ des Autors vermutet. „Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, zur reinsten, herrlichsten Menschheit hinaufzuläutern, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft, ehe er es unternehmen darf, die Vortrefflichen zu rühren.“ (972). Dieses klassische und wirkmächtige Modell literarischer Modellbildung krankt nicht nur an einer Überforderung der Modellinstanz (zur modelltheoretischen Begrifflichkeit vgl. den Artikel ‚Form und Modell‘ in diesem Band sowie die Einleitung zu Erdbeer, Kläger und Stierstorfer 2018), seine Schwäche liegt vor allem in dem Zirkel, der darin besteht, dass die ‚Hinaufläuterung‘, die doch erst die wesentliche Aufgabe der Dichtung wäre, im Autor dieser Dichtung bereits vorher stattgefunden haben muss. Um einigermaßen plausibel zu wirken, setzt das klassische Modell eine Auffassung des Dichters als Genie (Kant), Statthalter des Göttlichen auf Erden (Hölderlin), des Seins im Seienden (Heidegger) oder des poeta vates mit privilegiertem Zugang zu einer Primärwirklichkeit (Avantgarden des frühen zwanzigsten Jahrhunderts) voraus – eine Auffassung, deren Begründung heute schwerfiele. Wenn dabei die Strategie, sich in seinem Form-Angebot bloß an der Nachfrage zu orientieren („sich der Fassungskraft des großen Haufens zu bequemen“), disqualifiziert wird – und dadurch implizit immer auch die komplementäre, eine Kunst nur für die Gebildeten zu machen – bleibt überdies eine normative Erwartung an Kunst und Literatur vorausgesetzt, als Werkzeuge einer ‚ästhetischen Erziehung‘ zu einer gemeinsamen, einheitlichen Kultur beizutragen. Diese orientiert sich im klassischen Paradigma am Modell (‚von‘) einer einheitlichen Kultur der Antike und deren Repräsentation in den Mustern großer ‚naiver‘ Kunst (griechische Plastik, Homers Epen), im romantischen Paradigma eher an einer als einheitlich gedachten christlichen Kultur des Mittelalters. Als Modell ‚für‘ eine Überwindung der Ausdifferenzierungs- bzw. Entfremdungstendenzen der Neuzeit kann eine solche Einheit dann eher progressiv als gemeinsame Teilhabe an der Aufklärung gedacht werden (wie z. B. bei Schiller oder Adorno), aber auch nationalistische (wie etwa in der Romantik oder heutigen Leitkulturdebatten)
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oder esoterische Elemente transportieren (wie in den historischen Avantgarden der emphatischen Moderne). Die Logik eines Literaturmarktes würde dagegen eher unterschiedliche Nachfragen durch ein ausdifferenziertes Angebot bedienen und befördern und damit einer Segmentierung des Publikums Vorschub leisten. Wo es im Rahmen eines einzelnen Produktes gelingt, unterschiedliche Segmente gleichzeitig zu bedienen (etwa in ‚All-Ages‘-Literatur oder Familienfilmen), spricht man von Mehrfachadressierung. Dieser Artikel wird sich im Folgenden mit systematischen Aspekten einer Formbildung unter Marktbedingungen beschäftigen.
2 Die konsumästhetische Formation Wann immer populäre Kulturen einen Aufmerksamkeitserfolg erzielen, kristallisiert an diesem Erfolg sofort ein Konvolut ähnlicher Produkte. Jedes Faszinosum geht unmittelbar in Serie, strahlt aus, metastasiert und bezieht immer mehr Rezipienten in die spezifische Form spektakulärer Selbstreferenz ein. Auf diese Weise emergieren Stilgemeinschaften normalisierten Spektakels. (Venus 2013, 67)
Was der Phänomenologe Venus hier für populäre Kulturen kapitalistischer Prägung formuliert, gilt nun freilich in seinen Grundzügen für alle kulturellen Produkte: Wo sie in ihrem jeweiligen Setting (also auch etwa an einem Fürstenhof oder in einer avantgardistischen Szene) Erfolg haben, werden sie modellbildend für Nachfolgeprodukte desselben Produzenten oder auch seiner Konkurrenz. So kommt es zur lokalen Ausbildung von Genres und Gattungsmustern (etwa dem petrarkischen Sonett, dem Lautgedicht), die sich mit der Zeit dann auch überregional epidemisch ausbreiten können, wobei ausgezeichnete Muster – die sogenannten Klassiker – oft über lange Perioden hinweg prägend wirken. Eine populärkulturelle Formbildung unter den Bedingungen des Marktes unterscheidet sich von diesen traditionellen kulturellen Prozessen zunächst nur in quantitativer Hinsicht: Um (ökonomischen) Erfolg zu haben, braucht ein populärkulturelles Produkt (Ware) nämlich eine sehr große Zahl von Rezipienten (Käufern), und zwar nicht im Verlauf von Jahrzehnten und Jahrhunderten, sondern in möglichst kurzer Zeit, idealerweise sofort. Nur so kommt jene Rückkopplung (durch Verkaufszahlen) zustande, die zu einer raschen Produktion ähnlicher Dinge führt, so dass sich eine kontinuierliche Stilgemeinschaft ausbilden kann. Zum modernen Marktdispositiv gehört, um diese Beschleunigung zu gewährleisten, zum einen konstitutiv eine mediale Mehrkanaligkeit: Über verschiedene Medien (Zeitungsannoncen, Plakate, Zeitschriften, Radio, Fernsehen, Merchandise, Weblogs) erhält man Informationen zu einem Produkt (z. B. einem Film, einem
Grenzformen der Hoch- und Populärkultur
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Star, einer Band, einem Bestseller), ohne dieses selbst bereits gekauft oder gar rezipiert haben zu müssen; bei nicht-kulturindustriellen Produkten ist das die Markenwerbung. Zum anderen gehört dazu, vor allem bei Produkten, die in der Herstellung teuer sind, ein Marketing, das deren Faszinationspotenzial modellhaft an ausgewählten kleinen Rezipientengruppen erprobt. Unter den Bedingungen westlicher Überflussgesellschaften steht jedes Produkt, auch jedes literarische, in Konkurrenz zu zahlreichen gleichwertigen Angeboten. Folglich ist der reine Gebrauchswert kein hinreichendes Kriterium mehr für die Kaufentscheidung. Der Unterschied von Ford zu Opel, hieß es in der Frankfurter Schule, sei reine Ideologie. Genauer gesagt: Die Ausbildung von Stilgemeinschaften verschiebt die Selektionskriterien in den Bereich des Ästhetischen, es entscheidet nicht mehr der Verstand nach Qualitätskriterien, sondern unser Geschmack: Das Geschmacksurteil selber postuliert nicht jedermanns Einstimmung (denn das kann nur ein logisch allgemeines, weil es Gründe anführen kann, tun); es sinnet nur jedermann diese Einstimmung an, als einen Fall der Regel, in Ansehung dessen es Bestätigung nicht von Begriffen, sondern von anderer Beitritt erwartet. (Kant, 1976 [1790], 88)
Coca-Cola vs. Pepsi, McDonald’s vs. Burger King, Mercedes vs. BMW, Schalke 04 vs. Borussia Dortmund – die Kaufentscheidung wird nicht auf der Sachebene getroffen, zumal die Produkte eben weitgehend gleichwertig sind, sondern in einer Form, die früher dem Spektakel bzw. dem Ästhetischen vorbehalten war: Anbieter und Rezipienten halten gemeinsam die Ikone (Marke) hoch (MacCannell 1986, 426). Diese kultförmige Art von Markentreue, die auch kulturindustriellen Produkten gelten kann, etwa einer Autorin, einem Star, einer Band oder einer Serie, bildet die „Stilgemeinschaften normalisierten Spektakels“ aus. Eine solche kollektive ästhetische Zustimmung ist freilich immer auch prekär insofern, als sie nicht einseitig produzierbar ist (Diederichsen 2014, 40–83). Das Marktdispositiv ist ja dynamisch verfasst: Die Angebotsseite muss vorsichtig variieren (Mutation), die Nachfrageseite aber entscheidet letztlich darüber, was erfolgreich ist und was nicht (Selektion). Die Stilgemeinschaften stabilisieren dabei zwar den Rahmen des Erwarteten, sie ‚normalisieren‘ das Spektakel, aber eben nicht vollständig. Die Überschreitung der einmal etablierten Norm gehört im kapitalistischen Dispositiv sozusagen zu den Regeln. Die Folgeprodukte werden zwar als hopeful monsters nach dem Modell des Erfolgsproduktes gebildet, müssen aber ja, wie minimal auch immer, von diesem abweichen, es variieren, in irgendeine Richtung über es hinausgehen. Der Modus des Ästhetischen ist nicht Identität, sondern Äquivalenz. Insofern bleibt immer ein Rest des Nicht-Produzierbaren und damit das Risiko, dass die Stilgemeinschaft ihre Ikone rezeptionsseitig fallenlässt. Wo dies ausnahmsweise produzentenseitig geschieht, spricht
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man (nach einer Szene in Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull, 2008) von ‚Nuking the Fridge‘– der Rahmen des in der Modell-Fortentwicklung plausibel Erwartbaren wird hier mutwillig überschritten, der Markenkern zerstört. All dies spielt sich, wohlgemerkt, bei aller Marktförmigkeit vor allem auf ästhetischem Territorium ab, und dies nicht nur bei im engeren Sinne kulturindustriellen Produkten. Die Frankfurter Schule hat stets geleugnet, dass es sich dabei um kulturelle Evolution handelt; Adorno hält die Variationen der Konsumprodukte für eine „Umkleidung eines Immergleichen“, nämlich der Warenform (Adorno 2003 [1967], 339), und verabsolutiert dabei zyklische Prozesse zur Norm, wie sie etwa in der Mode beobachtbar sind. Man könnte auch an die von Reynolds beklagten Retro-Phänomene im Pop denken, an denen er eine „fashion-isation“ der kapitalistischen Warengesellschaft ablesen zu können meint (Reynolds 2011, 422). Umgekehrt könnte man freilich in der kulturindustriellen Warenform, also der Applikation von Angebot und Nachfrage auf kulturelle Produkte, auch eine Demokratisierung der Kultur erkennen, die nicht länger, wie im hochkulturellen Modell, auf auktorialen, autoritär-normativen Angeboten von Autoren beruht, die der Rezipient nur gläubig nachvollziehen darf.
3 Serialität Dass sich an ein erfolgreiches Produkt „ein Konvolut ähnlicher Produkte“ anlagert, erfüllt laut Venus den Tatbestand der Serialität, die in der Tat für kulturindustrielle Produkte eine dominante Erscheinungsform darstellt. Der erfolgreiche Erstling wird zum Modell für seine Nachfolger, analog zur Genrebildung durch Imitatio erfolgreicher Muster. Wo andere Autoren und Verlage ein erfolgreiches Modell kopieren, könnte man in der Tat weiterhin von Genrebildung sprechen. Wo derselbe Produzent – eine Autorin, ein Kollektiv, eine Firma – dagegen das eigene Muster fortschreibt, um die entstandene Nachfrage zu bedienen, entstehen serielle Œuvres, etwa die Romane Eugenie Marlitts oder Karl Mays. Die Frage lautet dabei, welche Eigenschaften des Modellobjekts tatsächlich modellbildend wirken und welche nicht; in der Sprache des Strukturalismus würde man von Identität und Differenz sprechen, die beide im Begriff der Ähnlichkeit zusammenkommen. Traditionell hat man triviale Literatur auch als ‚Schemaliteratur‘ gefasst – hier wären es nach wie vor bestimmte Genremuster, etwa das Muster der Heldenreise, die perpetuiert werden, während Personal und Diegese variieren. Serien im engeren Sinne, von Karl Mays Winnetou-Romanen über Donald Duck bis hin zu Game of Thrones, stellen die Kontinuität dagegen gerade über Personal und Diegese her (Wilder Westen, Entenhausen, Westeros), während die Erzählmus-
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ter – in Grenzen – variieren können und gegenüber nicht-seriellen Narrationen tendenziell ihre bedeutungstragende Qualität einbüßen. Charakteristisch für eine Serialität unter Marktbedingungen ist die Tendenz zur Schließung der Serie gegenüber der Umwelt – das normalisierte Spektakel, das die Stilgemeinschaft erwartet, ist primär über seine Selbstähnlichkeit bestimmt. Die einzelne Folge nimmt sich die vorherige(n) zur Matrix und wird Modell für die kommende(n). Referenzen bzw. Bedeutungsinhalte (Cargo) jenseits der Serie selbst können nach wie vor transportiert werden, sie werden aber sekundär gegenüber der Selbstähnlichkeit, dem gelungenen Modell seiner selbst. Man könnte daher sagen, der primäre Cargo sei eben der, nicht zuletzt pekuniäre, Erfolg – er ist es, der das erfolgreiche Produkt im Re-Entry wieder zur Matrix des nächsten werden lässt, und damit vermeintlich auch der finale Regulator der Form. Genau so argumentiert Adorno: „Geistige Gebilde kulturindustriellen Stils sind nicht länger auch Waren, sondern sind es durch und durch.“ (Adorno 2003 [1967], 338). Freilich ist über die Form damit letztlich noch nichts gesagt, als dass sie eben nachgefragt wird – jegliche konkrete Bestimmung steht dabei aus. Tatsächlich haben sich in der Praxis der populären Kulturen seit den 1950er Jahren unendlich viele Stilgemeinschaften und entsprechend eine Vielzahl selbstähnlicher, aber untereinander höchst diverser Formenrepertoires herausgebildet, zwischen denen der Rezipient wählen kann. Selbstähnlichkeit als Prinzip der Serialität darf dabei – auch und gerade in einer dynamischen Marktlogik – zumindest auf mittlere Sicht nicht einfach Selbstidentität sein. In der kalkulierten, vom Rezipienten durchaus bemerkten, goutierten, ja geforderten minimalen Abweichung von den bereits vorliegenden Folgen (Modellobjekten) wird die Selbstähnlichkeit vielmehr, semiotisch gesprochen, zur Paradigmatik. Man kann das Gesetz der Serie daher wie folgt formulieren: „Serialität besteht in genau dem Maße, in dem über den Text verteilte Abschnitte eines Syntagmas nicht mehr als kontig, sondern als äquivalent aufgefasst werden.“ (Baßler 2014, 349). Intratextuell angewandt, entspricht das der Formulierung der poetischen Funktion von Roman Jakobson, die ebenfalls zur Schließung von Texten mittels Selbstähnlichkeit beiträgt. Erst intertextuell, also zwischen einzelnen Folgen und vor allem Produktionsphasen eines seriellen Formats (z. B. Bänden einer Romanserie, Staffeln einer Fernsehserie), kann eine solche Serialität die oben beschriebene Rückkopplung von Angebot und Nachfrage nutzen. Idealtypisch umgesetzt ist sie in der Episodenserie (Bonanza, The Simpsons), deren Einzelfolgen nicht aufeinander aufbauen, wodurch ihre Kontiguität sich eben auf das Diegetische beschränkt, während die Narrative streng äquivalent sind (weshalb sich die Plots etwa aller klassischen James-Bond-Filme in ihren Elementen gleichen). In der Fortsetzungsserie (The Sopranos, Game of Thrones) dagegen ist die Kontiguität im Narrativ vorgegeben, während sich die
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Äquivalenz zunächst auf das durch die Ausstrahlungsfrequenz bedingte Wiedereintauchen in die Diegese beschränkt. Das scheint zunächst nur graduell von der Lektüre klassischer Großtexte (etwa dicker Romane) unterschieden, die man ja ebenfalls nicht am Stück liest. Allerdings bedingt die Formatierung durch das Medium Fernsehen (oder vorher: Zeitschrift, Radio) bereits erste Struktur-Effekte. Im häufig verwendeten Short-Cuts-Verfahren, in dem mehrere Erzählstränge mit je unterschiedlichem Personal und unterschiedlichen Teil-Diegesen nicht nacheinander, sondern in kleineren Stücken durcheinander präsentiert werden, wird dieser Äquivalenzeffekt des Episodischen gewissermaßen in die Fortsetzungsserie (und andere narrative Großformate) re-importiert. Indem ein unterbrochener Strang nach einer Weile wieder auftaucht, wird dessen Selbstähnlichkeit spürbar (wie das Zeichen in der poetischen Funktion), obwohl der Strang eigentlich ja rein metonymisch-kontig fortgesetzt wird. Dabei entsteht auf sekundäre Weise im kontigen narrativen Text jenes Äquivalenzbewusstsein, das Definiens von Serialität ist. Die damit einhergehende Schwächung des Narrativs bei gleichzeitiger Stärkung der Diegese ist zugleich eine günstige Voraussetzung für eine stabile Stilgemeinschaft.
4 Globalisierung Die Globalisierung der Märkte und Massenmedien hat weitere und weitreichende Konsequenzen für die literarische Form. „For a poem to reach 2 million Americans“, schreibt Clover, „it would probably have to last not decades but centuries“ (Clover 2004, 250). Die traditionelle Form von Literatur fällt entsprechend unter die Kategorien Diachronie und Dauerhaftigkeit. Eine Eigenschaft, die das befördert, ist die poetische Übercodierung des Werks, die immer neue Interpretationsansätze belohnt. Modelltheoretisch gesprochen übersteigt hier der Eigensinn des ästhetischen Objekts seine Modellfunktion, die es gerade deshalb in immer neuen Kontexten immer wieder neu und anders übernehmen kann. Kants klassische Ästhetik stellt genau diese Ineffabilität des Kunstwerks ins Zentrum, indem sie die ästhetische Urteilskraft definiert als „ein besonderes Vermögen, Dinge nach einer Regel, aber nicht nach Begriffen, zu beurteilen“ (Kant 1976 [1790], 57). Entsprechend werden Werke abgewertet, deren Bedeutung sich allzu leicht auf Begriffe bringen lässt, z. B. regelpoetisch erstellte oder didaktische Literatur. „Wenn man Objekte bloß nach Begriffen beurteilt, so geht alle Vorstellung der Schönheit verloren.“ (87). Aufgewertet wird demgegenüber das autonome Kunstwerk, dessen Urheber das Genie ist, das sich die Regel selbst gibt, eine Regel, die sich, weil ineffabile, erst in einem letztlich unendlichen Reflexionsprozess erschließt. Das
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diachrone Kunstwerk wird zur „pill that dissolves over centuries“ (Clover 2004, 250). Unter globalen Marktbedingungen werden an ein Werk dagegen ganz andere Anforderungen gestellt, etwa an einen Popsong: „If *Nsync has something they would very much like to communicate to 2 million people, it’s a matter of a single week.“ Deshalb, so Clover, „the idea that one would use congruent aesthetic criteria for scarce and abundant, or diachronic and sychronic, art forms is absurd“ (Clover 2004, 250). Ein Hit-Song, ein Blockbuster-Film oder ein literarischer Bestseller müssen (ästhetisch) unmittelbar ‚verstanden‘ werden und können sich daher in der Regel nur geringe Abweichung von etablierten, erfolgreichen und damit erwartbaren Mustern erlauben, gerade genug, um als eigenständig und interessant wahrgenommen zu werden. Genauso sieht die entsprechende Produktion denn auch aus: „a series of repeated attempts at the best, most extreme version of a known form“ (254). Die Wiederholung des Immergleichen gerät hier also in ein Spannungsverhältnis zu einer Überbietungslogik, die dem immer wiederholten Rekurs auf die erfolgreichen Modelle immanent ist (z. B. in TV-Serien). Sie lässt sich auffassen als das „eigendynamische Moment ihrer Evolution, ermöglicht durch ein konstant mitlaufendes Reflektieren auf die Bedingungen und Möglichkeiten der eigenen Fortsetzbarkeit“ (Jahn-Sudmann und Kelleter 2012, 207). Auch Venus betont diesen Effekt: „[A]lle Qualia werden hochgetrieben. Die Rezeption populärer Kulturen geht immer knapp an der Schwelle zur Mutprobe entlang.“ (Venus 2013, 67). Hier wird also nicht mehr, wie beim traditionellen diachronen Kunstwerk, auf Eigenschaften eines komplexen Modellobjektes rekurriert, um es jeweils erneut zum Modell zu machen, sondern es entstehen nach dem Modell des erfolgreichen Objektes neue Varianten nach der Maßgabe „The World the Same Way Up, Only More So“ (T. J. Clark, zit. nach Clover 2004, 255), Varianten, die folglich in der Rezeption unmittelbar einleuchten (sollen). Dabei scheint mir die steigernde Wiederholung, die Kelleter und Venus hervorheben, allerdings nur eine von diversen Formen möglicher Variation zu sein; rein thematische Variation (etwa immer neue Kriminalfälle für den Kommissar, Planeten für die Star-TrekCrew, neue Reiseziele für Asterix), Gattungsmischung und andere Formen der Hybridisierung bis hin zur Transposition (z. B. ins Pornografische qua Fanfiction), aber auch das Erschließen neuer diegetischer Teilwelten (z. B. durch neue Figuren, Handlungsstränge, oder auch rein quantitativ wie durch die Einführung der neuen Kontinente Nordend und Pandaria in World of Warcraft) sind ebenfalls gern gewählte Möglichkeiten, eine erfolgreiche Fortsetzung nach dem verlässlichen Modell einer bekannten Form zu generieren, die innerhalb der Normen einer etablierten Stilgemeinschaft verbleibt und daher auf deren Zustimmung rechnen kann.
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5 Hochkultur unter Marktbedingungen Auch wenn sich also durchaus argumentieren lässt, dass kulturelle Produktion im Grunde immer schon so abgelaufen ist, wie oben beschrieben – an erfolgreiche Werke knüpft eine Reihe von ähnlichen Werken an (Genre- und Gattungsbildung) –, führen die schiere Quantität des Marktes und die mit ihr verbundene Unpersönlichkeit der Rückkopplung zu völlig anderen Qualitäten. Im klassischen Werk gilt zum einen der individuelle Autor mit seiner Poetik und Aussage als die wesentliche Instanz, zum anderen sind auch die selektierenden Instanzen (etwa der Fürstenhof, eine avantgardistische Clique) von vornherein sehr viel stärker positiv auf die erwarteten Qualitäten festgelegt (z. B. Fürstenlob, Unverständlichkeit). Das autonome Kunstwerk kommt als „Botschaft des Autor-Gottes“ (Barthes 2002 [1967], 108) top down auf den Rezipienten zu, der versuchen muss, es in seiner Eigengesetzlichkeit zu verstehen. Ein paradigmatisch moderner Autor wie James Joyce wird sich denn auch nicht wiederholen, sondern mit jedem seiner Werke versuchen, etwas völlig Neues zu schaffen, bis hin zur Unlesbarkeit von Finnegan’s Wake. Selbstähnlichkeiten des Werks werden als innere Notwendigkeit der Entwicklung einer Autor-Persona gedeutet, deren Black Box sozusagen als Matrix dient. Die Hermeneutik, als Wissenschaft des Verstehens, konstruiert das Werk entsprechend als Phase in einem Verständigungsgeschehen (sub specie communicationis), in dem der eigentliche Sinn beim Autor liegt. Die Rückkopplung einer Stilgemeinschaft unter Marktbedingungen besagt dagegen zunächst einmal nur: ‚Das finden wir gut / nicht gut‘, ohne dabei zwangsläufig bereits semantische Inhalte zu transportieren. Das Gutfinden geht dem Verstehen voraus. Darüber hinaus sind hier Sender und Empfänger tendenziell gleichrangig an der Produktion der Ikone beteiligt: The addresser and addressee are not communicating so much as they are coparticipating in a semiotic production in which they are mutually complicitous in the exaltation of an iconic image. Of course, priests, starlets and quarterbacks, by virtue of their direct involvement in the production of a particular sensation, may enjoy some socio-semiotic superiority over their fellows. But they maintain this superiority only by absolute subservience to the iconic sign production. (MacCannell 1986, 426)
Das entspricht eher der Struktur eines gemeinsamen Kultes als der Struktur einer Kommunikation. Eine Frage lautet nun, wie diese marktförmige Kunst auf die hohe wirkt, mit der sie synchron auftritt. Boris Groys formuliert in seiner kulturökonomischen Studie Über das Neue den Gedanken, die ‚kulturellen Archive‘ (damit meint er die hohe Kunst) erneuerten sich regelmäßig über Aneignung von Dingen aus dem ‚profanen Raum‘ der Massenkultur: „[G]erade der profane Raum dient als Reser-
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voir für potentiell neue kulturelle Werte, da er in bezug auf die valorisierten Archivalien der Kultur das Andere ist. Der Ursprung des Neuen ist deshalb der valorisierende Vergleich zwischen den kulturellen Werten und den Dingen im profanen Raum.“ (Groys 1999, 56). Das sieht zunächst wie eine Modellierung unter den Prämissen eines überkommenen Kulturbegriffes aus, weil es die Grenze zwischen valorisiertem und profanem Raum nicht einreißt, sondern bestätigt. Tatsächlich aber lässt gerade eine modelltheoretische Reformulierung des Groys’schen Ansatzes erkennen, dass dieser nur einen Spezialfall des konsumästhetischen Modells darstellt: Wenn nämlich Dinge des profanen Raumes zur Matrix einer künstlerischen Modellbildung werden (prominentes Beispiel ist das Urinal Marcel Duchamps, ausgestellt als Fountain), wird dennoch keine ihrer Eigenschaften selbst zum Cargo. Das Modell ist kein Modell ‚von‘ etwas Profanem, es referiert nicht auf dieses, sondern nutzt den Bezug allein als Frischzellenkur ‚für‘ seinen Status als aktuelle, innovative Kunst. Auch hier geht das Gut- (Neu-, Hip-, Artsy-) Finden – etwa der Brillo-Kartons oder Star-Siebdrucke Andy Warhols – jeder Referenz oder Botschaft voraus. Die Rezipienten hoher Kunst oder Literatur erweisen sich im neuen Dispositiv als eine Stilgemeinschaft unter anderen. Es zeigt sich, dass unter den Markt- und Medienbedingungen gegenwärtiger Überflussgesellschaften auch eine vermeintlich hohe Kunst in ihren Objekteigenschaften nicht mehr autonom ist. Auch ihre Merkmale ergeben sich nicht mehr zwangsläufig aus inneren Werkzusammenhängen (auch wenn sie dies gern vorgibt), sondern signalisieren primär die Zugehörigkeit zu einer bestimmten kulturellen Sphäre. Sie antizipieren und bedienen damit die entsprechende Nachfrage einer Stilgemeinschaft, in der eben das Nicht-Populäre populär ist. Diese Nachfrage besteht dann z. B. nach ‚Authentizität‘, nach Teilhabe an einer Elitekultur, letztlich nach hochkultureller Bedeutsamkeit schlechthin. Spooner (1988) hat diese spezifische Form der Rückkopplung anhand der Produktion von Orientteppichen untersucht. Diese gelten bei Sammlern im europäisch-nordamerikanischen Raum als Ausdruck einer als solche nur vage bekannten bodenständigen orientalischen Kultur. Diejenigen Farben und Muster, die bei den westlichen Käufern als besonders authentisch gelten, werden entsprechend in der lokalen Produktion verstärkt hergestellt – wodurch auch der letzte Rest an lebendiger autochthoner Kultur aus den Objekten verschwindet. In ihrer Zielsphäre bezeichnen die Teppiche denn auch nicht die Ausgangskultur, sondern allein den guten Geschmack ihrer Eigentümer, aufgeladen mit einer vagen ‚Orientalität‘. Man denke auch an die modellbildende Kraft, die bis heute von den weißen griechischen Statuen oder den erdfarbenen romanischen Kirchenräumen ausgeht, die gerade dadurch als ursprünglich, ideal und erhaben gelten können, dass ihre ursprüngliche supermarktbunte Farbigkeit verschwunden ist.
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Ein weiterer Effekt, den die bildungsbürgerliche Nachfrage nach authentischer Kunst hervorbringt, ist der Midcult. Umberto Eco argumentiert (mit Dwight MacDonald), dass sich die Kunst im zwanzigsten Jahrhundert ähnlich spezialisiert und ausdifferenziert habe wie die Wissenschaften. So wie man ein Studium absolviert haben muss, um einen naturwissenschaftlichen Text lesen zu können, müsse man folglich erhebliche Mengen an Zeit und Energie investieren, um avancierte Kunstprodukte einordnen, verstehen und schätzen zu können. Weil nun aber der Normalbürger, der nicht Kunst, sondern etwa Jura oder Zahnmedizin studiert oder eine Firma gegründet hat, dazu schon rein zeitlich gar nicht in der Lage ist, aber dennoch die Teilhabe an Kunst und Literatur traditionell für ein Signum gehobener Kultur hält, kommt es zur Nachfrage nach Midcult. Darunter versteht Eco eine leicht konsumierbare Kunst und Literatur, die trotzdem „zu suggerieren versucht, daß der Leser im Genuß [ihrer] Reize eine privilegierte ästhetische Erfahrung vervollkommne“ (Eco 1986a, 64). Zumeist werden dabei erfolgreiche populäre, triviale oder einfach nur realistisch-verständliche Formen mit Elementen angereichert, die aus avantgardistischer Kunst stammen, im neuen Kontext aber nicht mehr avantgardistisch sind, sondern nurmehr ‚Avantgardizität‘ transportieren. Midcult „benutzt diese Verfahrensweisen erst dann, wenn (und weil) sie bekannt, verbreitet, bereits konsumiert sind“ und „stellt den Konsumenten zufrieden, indem er ihn davon überzeugt, das Herz der Kultur schlagen gehört zu haben“ (Eco 1986a, 71). Modelltheoretisch reformuliert wäre die Matrix hier avantgardistische oder andere kanonische Kunst und Literatur, der Cargo jedoch nicht, wie in dieser, irgendeine radikal neue Sicht der Dinge, die diese Kunst einst zu ihren Formexperimenten getrieben haben mag, sondern allein die damit verbundene Kunstförmigkeit bzw. Hochliterarizität und damit Bedeutsamkeit selbst. Um diesen Cargo an die Zielgruppe bringen zu können, muss das Modellobjekt dabei jedoch vor allem Eigenschaften aufweisen, die seine genussvolle und wenig widerständige Rezeption ermöglichen – andernfalls es gar nicht wahrgenommen (verlegt, gesendet, aufgeführt) würde. Es gibt somit im Midcult zugleich eine offizielle, legitime Matrix (große, schwierige, bedeutsame Kunst) und eine inoffizielle, illegitime Matrix (erfolgreiche, massenhaft rezipierbare Kunst), wobei letztere jedoch, als Teil des profanen Raumes, im Verborgenen bleiben muss. Die Modellinstanz fasst dabei stillschweigend die wesentlichen Eigenschaften der inoffiziellen Matrix als modellbildend auf und verfehlt – jedenfalls nach deren Selbstverständnis – sozusagen sehenden Auges diejenigen der offiziellen, um dort nur die Konnotation (KUNST! KULTUR!) abzuschöpfen und diese implizit oder explizit zum Wesentlichen des Modells zu erklären. „Der mittlere Konsument konsumiert seine Lüge. Aber er konsumiert sie als […] strukturelle Lüge.“ (Eco 1986a, 90). Letztlich könnte man im rückgekoppelten Kreislauf, mit dem eine literaturwissenschaftliche Modelltheorie arbeitet, bereits die Rückkopplung repräsentiert
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sehen, die über Angebot und Nachfrage, also marktförmig stattfindet, während die ‚echte‘ avantgardistische Kunst, die Eco hier noch als Modell dient, in ihrem Selbstverständnis als direkte Materialisation einer Primärwirklichkeit gerade nicht rückgekoppelt wäre. Das avantgardistische Kunstwerk wollte, wie vor ihm bereits die genieästhetisch legitimierte Kunst, immer nur Modell ‚für‘, nicht aber Modell ‚von‘ etwas sein. Strukturell erfordert das einen Status als kausalitätsenthobenes ‚Wunder‘ (wie in Carl Einsteins Bebuquin oder Die Dilettanten des Wunders, 1909/1912), verfahrenstechnisch eine primäre Unverständlichkeit, die aus Unvertrautheit, sprich: Mangel an Modellen resultiert.
6 „The Serious“ Blickt man auf die konkreten Merkmale, die in der Gegenwartsliteratur hohe Literarizität signalisieren (sollen), so spielen im engeren Sinne avantgardistische Verfahren dabei derzeit kaum noch eine Rolle. Die primäre Verständlichkeit der Texte wird über das Verfahren eines populären Realismus hergestellt, dessen Zeichen den Leser unmittelbar auf die Darstellungsebene, in die erzählte Welt (Diegese) befördern, d. h. aber: als Zeichen gar nicht in den Blick geraten. Der Verständlichkeit wird auf der Textebene kein Widerstand entgegengesetzt. Höhere Bedeutsamkeit wird in solche leichtverständliche Prosa dann etwa über schwere Zeichen (z. B. Holocaust, Stasi, Schuld, Krankheit, Schmerz, Tod – gern auch autofiktional beglaubigt), eine archaisch-vorindustrielle Dingwelt, das Erzählen von erhöhter Aisthesis und Genialität (modellbildend z. B. in Süskinds Das Parfum) oder von der humanisierenden Wirkung ‚echter Kunst‘ (z. B. in Schlinks Der Vorleser) eingefügt. Formal tragen dazu beispielsweise eine gut recherchierte historische Einbettung, intertextuelle Verweise auf Hochkultur, Metaismen und strukturale Verkomplizierungen wie das o. g. Short-Cuts-Verfahren bei, alles Dinge, die geeignet sind, für den Kenner Komplexität zu signalisieren, ohne dabei aber die Lektüre wirklich schwieriger zu machen oder gar zu stören. Midcult-Produkte präsentieren sich in der Regel als ernsthaft. Ironie, Frivolität, sogar klassische Komik scheinen den Modus und die von ihm beanspruchte Kunst-Autorität generell zu gefährden; es sei denn, sie ließen sich interpretatorisch schnell wieder auf tiefen Ernst zurückführen (‚das Lachen bleibt einem im Halse stecken‘). Bezüge zu populären Genres und zur Trivialkultur werden zumeist eher verschleiert – und mit ihnen die eigene Marktförmigkeit. Pop und die Verwendung von Signifikanten der Konsumindustrie (z. B. Markennamen, Bandnamen, allzu konkrete Bezeichnungen gegenwärtiger Personen und Dinge) werden vermieden, um den Anspruch auf zeitlose Klassizität nicht zu gefährden.
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Der Autor David Foster Wallace berichtet aus seinem eigenen Schreibstudium, wie diese Haltung angehenden Autoren vermittelt wird: In one of the graduate workshops I went through, a certain gray eminence kept trying to convince us that a literary story or novel should always eschew „any feature which serves to date it“ because „serious fiction must be timeless“. When we protested that in his own wellknown work characters moved about electrically lit rooms, drove cars, spoke not AngloSaxon but postwar English, and inhabitated a North America already seperated from Africa by continental drift, he impatiently amended his proscription to those explicit references that would date a story in the „frivolous Now“. When we pressed for just what stuff evoced this F. N., he said of course he meant the „trendy mass-popular-media“ reference. (Wallace 1993, 167)
Eine Ästhetik, die der konsumästhetischen Formation offen Rechnung trägt, kann den Ernst solcher Literatur und Kunst, die sich dem ‚frivolen Jetzt‘ um des Scheines einer zeitlosen Klassizität willen verweigert, dagegen nur als ein Angebot unter anderen sehen und nur in paradigmatischen Anführungszeichen goutieren, wie Susan Sontag das erstmals unter dem Label ‚Camp‘ expliziert hat: „Camp involves a new, more complex relation to ‚the serious‘. One can be serious about the frivolous, frivolous about the serious.“ (Sontag 2001, 288). Das setzt aber eben einen Standpunkt der Distanz, eine nicht-gläubige Rezeption voraus. Im Camp gilt diese Distanz zunächst der massenproduzierten, niedrigen Kunst, die vom postmodernen Dandy angeeignet wird. Der Modus greift dann aber auf die ernste Kunst über. Ganz ähnlich fasst Andy Warhol den Modus des Pop als transgressiven auf: „Once you ‚got‘ Pop, you could never see a sign the same way again.“ (Warhol und Hackett 1980, 39). Auf der Weltausstellung in Montreal 1967 fällt ihm auf, „that there weren’t two seperate societies in the United States any more – one official and heavy and ‚meaningful‘ and the other frivolous and Pop […] – Pop America was America completely“ (Warhol und Hackett 1980, 220). Genau dies hat Leslie Fiedler zur gleichen Zeit unter den Labeln ‚Popliteratur‘ und ‚Postmoderne‘ verhandelt. In seinem wirkmächtigen Essay Cross the Border, Close the Gap (1968), auf Deutsch in Christ und Welt, auf Englisch aber im Playboy erschienen, fordert er die Literaten auf, sich bei Western, Science Fiction und Pornografie zu bedienen, aber nicht, um, wie bei Groys, hochkulturellen Produkten eine Aura von skandalträchtiger Neuheit zu verleihen, sondern zur „Überbrückung der Kluft zwischen Elite- und Massenkultur“ (Fiedler 1994 [1968], 21). Dabei ist es ihm ernsthaft darum zu tun, einen Cargo in die Literatur zurückzuholen, den diese im Verlaufe ihrer Spaltung in Hoch- und Populärkultur verloren habe. Es geht ihm um eine Vermittlung „zwischen den Dingen, die uns im Alter von zehn oder zwölf ausfüllen, und jenen, die uns befriedigen, wenn wir fünfzig oder sechzig sind“ (Fiedler 1994 [1968], 25), sprich darum, die Hochkultur wieder an die intensive körperlich-emotionale Erfahrung anzuschließen, die Kinder und
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Jugendliche mit Literatur machen, ohne sie dabei zu trivialisieren (und umgekehrt) – und zwar durchaus unter den Gesetzen des Marktes. Pop-Literatur soll dadurch erneut zu einer alle Leserschichten einenden Mythologisierung unserer Kultur beitragen – womit wir von Schillers Idee einer Kunst, die den Spieltrieb als eigentliches Humanum befördert, gar nicht so weit entfernt wären.
Weiterführende Literatur Baßler, Moritz und Heinz Drügh. Hrsg. Konsumästhetik. Umgang mit käuflichen Gegenständen. Bielefeld 2019. Baßler, Moritz. „Bewohnbare Strukturen und der Bedeutungsverlust des Narrativs. Überlegungen zur Serialität am Gegenwarts-Tatort“. Zwischen Serie und Werk. Fernsehund Gesellschaftsgeschichte im „Tatort“. Hrsg. von Christian Hißnauer, Stefan Scherer und Claudia Stockinger. Bielefeld 2014: 347–359. Bürger, Christa et al. Hrsg. Zur Dichotomisierung von hoher und niederer Literatur. Frankfurt 1982. Drügh, Heinz, Christian Metz und Björn Weyand. Hrsg. Warenästhetik. Neue Perspektiven auf Konsum, Kultur und Kunst. Berlin 2011. Venus, Jochen. „Die Erfahrung des Populären. Perspektiven einer kritischen Phänomenologie“. Performativität und Medialität Populärer Kulturen. Theorien, Ästhetiken, Praktiken. Hrsg. von Marcus S. Kleiner und Thomas Wilke. Wiesbaden 2013: 49–73.
IV.5 Form als Performance
Karin Fenböck
IV.5.1 Inszenierte Form 1 Die Entwicklung des Formdiskurses in der Theatertheorie und -praxis Der Formdiskurs in der Theatertheorie und die mit ihm verbundene Verwendung des Formbegriffs vom achtzehnten bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts zeichnen sich durch ihre Uneindeutigkeit und einen nichtlinearen Prozess der Entwicklung aus. So finden sich in diesem Zeitraum unterschiedlichste Zugänge und Definitionen, wobei die Avantgarden häufig auf die jeweils tradierten konventionellen Form- und Gattungskonzepte zurückgriffen, um in Abgrenzung zu diesen ihre eigenen Reformvorstellungen zu entwerfen. In den meisten Fällen war dabei die Beziehung formaler Eigenschaften zu bestimmten inhaltlichen Charakteristika entscheidend, da für theatrale Texte formale, thematische und performative Merkmale – insbesondere der Dramaturgie und Körperlichkeit – häufig als funktionale Einheit verstanden und zur Bestimmung und Abgrenzung eingesetzt wurden. Die Auffassungen darüber, was als formales Kriterium gelten konnte bzw. welche Formkriterien für Gattungszuordnungen von Bedeutung sein sollten, unterschieden sich dabei stark. So können mit ‚Form‘ sowohl die dramaturgischen Formparameter eines dramatischen Werkes bezeichnet werden (also der Umfang, die Dialoge und Monologe, ihr Verhältnis zueinander oder zu den Szenenanweisungen, die offene und geschlossene Form etc.; vgl. Klotz 111985 [1960]), aber auch die Gattung, das Genre oder Schema, denen ein dramatisches Werk anhand seiner Darbietungsart zugeordnet werden kann. Form kann somit entweder durch von außen gesetzte Notwendigkeiten oder durch interne Kräfte bestimmt werden. August Wilhelm Schlegel etwa legt das Dialogische als „erste äußere Grundlage“ des Dramas fest, das ohne Erzähler auskommt (Schlegel 1809, 30). Eben dieses Prinzip gerät gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts in die Krise und wird oftmals durch andere dramaturgische Formen ergänzt oder ersetzt (vgl. Szondi 151981 [1956]). Im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert wurde wiederholt versucht, das Theater und dessen spektakuläre Visualität bzw. seine individuellen künstlerischen Verfahrensweisen zu kategorisieren und damit zu disziplinieren (vgl. Zymner 2010, 335); ein Mittel zum Zweck war hier die Aufstellung idealtypischer Regeln zu Form und Formgebung dramatischer Texte. Solche Regeln standen meist im Zusammenhang mit der Festlegung von Gattungen, Genres, Gattungsmerkmalen und Problemen der Gattungszugehörigkeit; Fragestellungen dieser https://doi.org/10.1515/9783110364385-030
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Form als Performance
Art wurden häufig im zeitgenössischen literarisch-philosophischen Diskurs behandelt, wobei die Besonderheiten der theatralen Performativität nur selten Berücksichtigung fanden (vgl. Ellrich 2012). Klassifikationsversuche finden sich darüber hinaus in theatertheoretischen Grundlagenwerken, Poetiken und Vorworten zu Stücken oder auch – in impliziter Form – in den dramatischen Texten selbst. Für das achtzehnte Jahrhundert sei hier unter anderen auf die Konzepte von Johann Christoph Gottsched, Joseph von Sonnenfels, Justus Möser und Gotthold Ephraim Lessing verwiesen. Theaterstücke stehen zwar seit je im Spannungsfeld von Textualität und Performativität; im achtzehnten Jahrhundert allerdings wird im Zusammenhang mit der Arbeit der bürgerlichen Theaterreformer eine Kluft offenbar, die sich zwischen Literatur- und Theatertheorie auf der einen und szenischer Praxis auf der anderen Seite vertieft (vgl. Marx 2012, 6).
2 Normierung: Johann Christoph Gottsched Johann Christoph Gottsched (1700–1766) bemühte sich in Abgrenzung gegen die auf den deutschen Wanderbühnen gespielten ‚Haupt- und Staatsaktionen‘ sowie gegen extemporiertes und mithin nicht geregeltes Theater um die Entwicklung einer Dramentheorie als Teil einer systematischen Theorie der literarischen Gattungen: „Ich rede also hier […] von einer regelmäßigen und wohl eingerichteten Tragödie; nicht aber von denjenigen Misgeburten [sic] der Schaubühne, die unter dem prächtigen Titel, der Haupt- und Staatsactionen mit untermischten Lustbarkeiten des Harlekins pflegen aufgeführet zu werden.“ (Gottsched 1976 [1729], 494– 495; vgl. Zymner 2010, 335). Die Gattung eines Stücks ergebe sich, so Gottsched, aus der Wirkungsabsicht und den dafür notwendigen dramatis personae. Da die Tragödie im Publikum Schrecken und Mitleid erwecken wolle (statt Gelächter wie die Komödie), müssen die handelnden Personen notwendigerweise von Stand sein, damit die Fallhöhe den gewünschten Effekt erzielen könne (vgl. Gottsched 1730, 164). Die Qualität des Stückes entscheidet sich freilich anhand der Form, für deren Vorgaben sich Gottsched an der französischen Klassik orientiert: Der Kern einer regelgemäßen Tragödie ist immer ein „lehrreicher moralischer Satz“ (133), um den herum der Dichter seine Fabel unter der Wahrung der drei Einheiten von Zeit, Ort und Handlung konstruiert und damit auch das Wahrscheinlichkeitsprinzip einhält (vgl. 573–576). Diese Fabel ist vom performativen Aspekt abhängig, das heißt, sie muss in Nachahmung der Natur „wircklich gespielet und also lebendig vorgestellet“ werden (127). Das als Modellstück gedachte Trauerspiel Der sterbende Cato (1732) wurde von Gottscheds Gegnern scharf kritisiert – nicht
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nur wegen seiner Hauptfigur (der Stoiker Cato würde kein „rechtes Schrecken und Mitleiden“ beim Publikum hervorrufen, Pyra 1744, 89), sondern auch wegen seines streng regelmäßigen Aufbaus (vgl. Anonymus [Stolle] 1984 [1733], 93 und Bodmer 1743, 80–88) – und ist heute primär wirkungsgeschichtlich von Interesse (vgl. Ranke 2009, 94–96). Gottscheds Versuch einer Normierung der Gattungen samt einer „sozialen Codierung des Gattungssystems“ (Michler 2015, 228) stand überdies der zeitgenössischen Theaterpraxis entgegen, die von einer reichen Vielfalt theatraler Gattungen gekennzeichnet war (vgl. Meyer in Kretz 2012, 114). So existierte zum Beispiel am Wiener Kärntnertortheater, vom Hof finanziert, eine lebendige Tradition des grotesk-komischen Stegreiftheaters, dessen Stücke aus Elementen zahlreicher theatraler Gattungen zusammengesetzt waren. Entsprechend verurteilten die Wiener Gottschedianer Joseph von Sonnenfels, Franz Christoph Scheyb und andere die Komödien des Kärntnertortheater-Hausautors und Schauspielers Josef Felix von Kurz, genannt Bernardon, aufs schärfste; dessen ‚Bernardoniaden‘ freilich erfreuten sich noch lange Zeit größter Beliebtheit beim Publikum.
3 Versittlichung: Gotthold Ephraim Lessing Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) lässt die von Gottsched propagierte „regelpoetische Orientierung an äußeren Darstellungsformen, spezifischen Kunstgriffen und Autorenmaximen“ hinter sich (Pudelek 2000, 126) – nicht zuletzt unter dem Einfluss seiner Diderot-Rezeption (vgl. Lessings Übersetzung Das Theater des Herrn Diderot [1760], eigentlich De la Poésie dramatique [1758]). Die Systematik der Gattung ‚Tragödie‘ gewinnt Lessing dabei aus der wirkästhetischen Definition der Form ‚Tragödie‘, welche ihrerseits auf einer sittlichen Bestimmung, nämlich auf der „Nachahmung einer mitleidswürdigen Handlung“ beruht (Lessing 1996 [1767–1769], 77. St., 588). Aus Nachahmung und Mitleid „lassen sich“, so Lessings Argument zum Wesen der Tragödie in der Hamburgischen Dramaturgie, „vollkommen alle ihre Regeln herleiten: und sogar ihre dramatische Form ist daraus zu bestimmen“ (77. St., 588). Form hängt somit von der inhaltlichen Wertbestimmung (Wesen) ab, nicht umgekehrt, wie Lessing seine Kritiker mit Blick auf Euripides ironisch ermahnt: „[U]nd wenn ihr noch unwillig seid, daß er [Euripides] die Form dem Wesen nachgesetzet hat, so versorge euch eure gelehrte Kritik mit nichts als Stücken, wo das Wesen der Form aufgeopfert ist, und ihr seid belohnt!“ (49. St., 458). Aus dem Kontext der Aufklärung heraus ist also nicht nur Lessings Ablehnung der Ständeklausel zu verstehen, sondern auch sein Vorbehalt gegenüber der Gattung als objektiver Kategorie (vgl. Marx 2012, 114–115):
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Tugend hat nun ihren Ursprung im sittlichen Empfinden des Einzelnen, weshalb Lessing die strenge Trennung der Gattungen, die Gottsched gefordert hatte, für verzichtbar hält: „In den Lehrbüchern sondre man sie [die Gattungen, K. F.] so genau von einander ab, als möglich: aber wenn ein Genie, höherer Absichten wegen, mehrere derselben in einem und demselben Werke zusammenfließen läßt, so vergesse man das Lehrbuch, und untersuche bloß, ob es diese höhere [sic] Absichten erreicht hat.“ (Lessing 1996 [1767–1769], 48. St., 456). Das Theater an sich betrachtet Lessing dabei als eigenständige Kunstform (Laokoon: oder über die Grenzen der Mahlerey und Poesie, 1766). Er grenzt es im Hinblick auf dessen Fähigkeit, das Publikum am stärksten von allen Formen zu berühren und somit den erwünschten kathartischen Effekt von Mitleid und Furcht zu erzielen (vgl. 74. St., 574–578), von der Vereinnahmung durch den literarischen Diskurs ab: „Die dramatische Form ist die einzige, in welcher sich Mitleid und Furcht erregen läßt; wenigstens können in keiner andern Form diese Leidenschaften auf einen so hohen Grad erreget werden […].“ (80. St., 601; vgl. Marx 2012, 114–115). Die dramatische Form als Nachahmung einer gegenwärtigen Handlung steht daher im Gegensatz zur „erzählenden Form“ als Nachahmung einer vergangenen Handlung, wobei das kathartische Mitleid „nur durch die einzige dramatische Form zu erregen“ sei (77. St., 589–590). Formen-‚Mischung‘ ist nur innerhalb der Gattung Drama anzuraten, nämlich wenn sie gegen etablierte Regeln der Beförderung der ‚Rührung‘ dient: Lessings Konzeption des bürgerlichen Trauerspiels, das als „Mittellage“ zwischen Tragödie und Komödie (Michler 2015, 137) die Wirkmächtigkeit der zusammengespannten dramatischen Genres bewies, war somit wegbereitend für die Aufweichung der normativen Gattungspoetik; Lessings Miss Sara Sampson (1755) kann in diesem Sinn als Musterstück gelten (vgl. Alt 2008, 257). Dabei sind weder die Theatertheorie mit ihren normativen Regelwerken noch der theaterreformatorische Diskurs mit der theaterpraktischen Realität gleichzusetzen. Auch letzterer sowie das Repertoire, das die Theaterreformer propagierten, entsprachen nicht dem, was sich tatsächlich auf den Spielplänen fand: Viele Dramen der Aufklärung wie auch des Sturm und Drang wurden nie zur Aufführung gebracht (vgl. Fleig und Meise 2005, 170–171; Eigenmann 1994, 69).
4 Spekulation: Johann Wolfgang Goethe / Friedrich Schiller Zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts lässt sich der Übergang von einer normativen zu einer spekulativen Gattungspoetik erkennen (vgl. Szondi 1974b, 9), insofern als in philosophisch-literaturtheoretischen Betrachtungen, deren Teil
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die Theatertheorie oft war, einzelne Gattungen nicht mehr streng voneinander getrennt, sondern in ihrer Reziprozität beobachtet wurden (vgl. Heimböckel 2010, 45). Das neunzehnte Jahrhundert stand im Zeichen der weiteren Aufwertung des Textes. In Abgrenzung von vorgegebenen Klassifizierungen versuchten etwa Goethe und Schiller ihre Begriffe von Gattung und Form „induktiv aus der Vielfalt der historischen Einzelfälle zu gewinnen“ (Langemeyer 2011, 32; vgl. Alt 2008, 35). Das Kunstwerk selbst verstanden sie dabei als eine Einheit von innerer und äußerer Form, „die ihre Regeln selbst generiert und zugleich realisiert“ (Burdorf 2001, 503). Johann Wolfgang Goethes (1749–1832) Überlegungen zu den ‚Naturformen‘ der Dichtung als ahistorische, naturgegebene Ordnungsprinzipien waren nur ein Ergebnis dieser neuen Ausrichtung der Gattungspoetik. Für Goethes eigene Dramatik scheint der Aufführungsaspekt kaum relevant gewesen zu sein, da doch „die bloße Lektüre“ bereits „die intendierte formtypische Wirkung (sei es Katharsis oder idealistische Zivilisierung des Menschen) entfalten“ konnte (Ellrich 2012, 40). Diese Haltung zeichnet schon den jungen Wilhelm Meister, Goethes exemplarischen Theatertypus aus, der seine ‚Lesedramen‘ auf der inneren Bühne zur Aufführung bringt: „[A]lles was ich erzählt las, oder erzählen hörte, ging auch gleich in mir vor, und je mehr ich in der Folge Theaterstücke verschlang, desto mehr baute […] sich ein Theater in meinem Kopfe auf, in dessen Grenzen alles geschah.“ (Goethe 1987 [1777–1785], 73). Inszenatorische und allgemein theaterpraktische Probleme handelt Goethe also vornehmlich in fiktionalisierter Weise ab, wobei gerade Wilhelms ‚theatralische Sendung‘ nicht zuletzt der inneren Formung und Charakter-Bildung des Protagonisten dient. Sie kommt zustande durch den Austausch mit der theatralischen Gemeinschaft, der gelebten Inszenierungs-, Aufführungs- und Kommunikationskultur, auf die sich dann die theoretischen Exkurse beziehen. So äußert Wilhelm etwa zum Problem der ‚drei Einheiten‘ im Gespräch mit seinem Schwager Werner: „Du wirst also mit mir überein kommen, daß man diese Dinge nicht hätte so neben einander und hinter einander rangieren sollen. Ich habe mir also diese alte Formeln bei meiner Untersuchung über das Drama ganz aus dem Sinne geschlagen, um einen natürlichern und richtigern Weg zu finden […].“ (Goethe 1987 [1777–1785], 67). Goethes Formbegriff erhält sein vitalistisches Profil auch aus der Anbindung an diesen aufführungs- und wirkästhetischen Diskurs. In diesem Sinne setzt er den Begriff auch für die Diskussion der Gattungsfrage ein, wobei er das Drama – neben Epos und Lyrik eine der „drey ächte[n] Naturformen der Poesie“ – als „persönlich handelnde“ Form bezeichnet (Goethe 2010 [1819], 206). Diese ‚Naturformen‘ können sowohl miteinander verschränkt, als auch getrennt voneinander auftreten. Im Gegensatz zu den ‚Dichtarten‘, zu denen Goethe historisch variable Formate wie Allegorien, Balladen oder Epigramme zählt (vgl. 2010 [1819], 206; vgl. Fricke 2010, 10), sind diese Gattungen
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als allgemein und überzeitlich konzipiert. Aus den unterschiedlichsten Kombinationen ihrer ‚Naturformen‘ konstituieren sich dann jene Dichtarten, die Goethe als „historisch und kulturell gebundene Größen“ versteht (Marx 2012, 115). Die innere Form eines Werkes ist unlösbar mit der äußeren Form verbunden, jeder Inhalt trägt seine für ihn passende künstlerische Form bereits in sich (vgl. Burdorf 2001, 121, 214). Goethe lehnt somit die in der deutschen Regelpoetik geforderte Fokussierung auf die äußere Form als ‚kerkermäßig‘ ab und konzipiert seine Dramatik entsprechend. Auch in ihrer gemeinsamen Schrift Über epische und dramatische Dichtung (1827) setzen sich Goethe und Friedrich Schiller (1759–1805) mit Gattungsfragen auseinander. Die Abgrenzung von epischen und dramatischen Werken basiert dabei auf inhaltlichen Kriterien, etwa der Gestaltung einer Handlung, ihrer Gegenstände und Motive, wobei insbesondere die Gegenwärtigkeit der dramatischen Begebenheiten als zentrales Merkmal erscheint. Diese Kriterien sind eng verschränkt mit der nicht näher thematisierten Form, die „allgemeinen poetischen Gesetzen“ entsprechen und „aus der Natur der Menschen“ abgeleitet werden soll (Goethe und Schiller 1827, 1). Das Theater resp. die Theaterpraxis im Besonderen spielt auch für diese Überlegungen – wie letztlich schon für Schillers Abhandlung Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken? (1785) – eine untergeordnete Rolle. Während dort der „Akt der theatralen Darstellung“ „lediglich als eine Folge des literarischen Erzählduktus beschrieben“ wird (Marx 2012, 115), erhält die Schaubühne bei Schiller ihre „tausendfachen Formen“, „Lehren und Muster“ aus den lebensweltlichen Diskursen der ‚Weisheit‘, ‚Religion‘ und ‚Torheit‘, und zwar mit dem Auftrag, „das geheime Räderwerk“ der menschlichen Natur als solcher aufzudecken (Schiller 91993h [1785], 824–825). Was jedoch zu leisten wäre, damit diese „auf der Schaubühne aufgestellten Gemälde mit der Moral des gemeinen Mannes […] zusammenfließen“, also dadurch bildend wirken, dass „Vergnügen mit Unterricht, Ruhe mit Anstrengung“ und „Kurzweil mit Bildung“ ineinanderfallen, wird nicht ausgeführt (823, 831). Aus dramentheoretischer Sicht versucht Schiller mit Leitbegriffen wie „ästhetisches Urteil, Independenz von materiellen Ideen“ oder „Zweckmäßigkeit der Form“ (Alt 2008, 44) die „Gesetzmäßigkeit der Gattung anhand ihrer idealen Struktur zu beschreiben“ (Alt 22004, 92). Der Formaspekt ist hierfür notwendig, denn erst die optimal eingesetzte Form ist das Mittel, durch das die Tragödie ihren Zweck erreicht, den „mitleidigen Affekt zu erregen“ (Schiller 2001 [1792], 168). ‚Form‘ steht in diesem Fall für ein inhaltsorientiertes Kompositionsprinzip, „nämlich die Nachahmung einer rührenden Handlung“ (169), wobei die Wirkung der Tragödie sich vor allem ihrem dramaturgischen Aufbau und weniger den gewählten Stoffen verdankt. Dem szenischen Aufbau – und der durch ihn gesteuerten Dosis des durch den Affekt hervorgerufenen Mitleids – kommt also auch
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praktische Wirkung zu (vgl. Alt 22004, 91). Obwohl Schiller für strikte Gattungstrennung plädierte, erprobte er in seiner praktischen dramaturgischen Arbeit durchaus auch gemischte Formen, unter anderem mit episierender (WallensteinTrilogie, uraufgeführt 1798–1799) oder opernhafter Tendenz (Die Jungfrau von Orléans, uraufgeführt 1801; vgl. Heimböckel 2010, 38). Während des gesamten neunzehnten Jahrhunderts wurde das klassische Drama in der Theatertheorie als höchste Form der dramatischen Kunst betrachtet, während sich die Theaterpraxis dessen ungeachtet immer mehr von der Hochhaltung dramenästhetischer Regeln (wie sie zum Beispiel noch Hebbel vertrat) und der textnahen Realisierung dramatischer Texte entfernte; der Schwerpunkt lag nun auf Ausstattungsstücken und theatralen Formen, die sich als Mischformen nicht mehr eindeutig den althergebrachten Gattungs- und Formkategorien zuordnen ließen (vgl. Leonhardt 2007, 9).
5 Veruneindeutigung: Friedrich Hebbel Für den unter anderem von Friedrich Wilhelm Schelling beeinflussten Friedrich Hebbel (1813–1863) bedurften die philosophischen und ästhetischen Konzepte des Idealismus und der Romantik einer formpragmatischen Erweiterung. Er betonte die eigenständige Funktion der Autorenpoetik und entwickelte Ansätze zu einer eigenen Formpoetik, die er unter anderem anhand von Shakespeares Werken entwarf (vgl. Burdorf 2001, 208–210). „Formen“, so Hebbel, „heißt gebären“ (Hebbel 1902a [1839], 411), und „Kunst und Leben, Form und Gehalt, Gesetze der Kunst und realisierte Kunstwerke“ waren für ihn untrennbar verbunden (Burdorf 2001, 210). Als „Leben im Leben“ stifte die dramatische Kunst den Ausgleich zwischen Sein und Werden, Stasis und Dynamik, denn „das Zuständlich-Geschlossene“ allein ersticke jeden „schöpferischen Hauch“, wobei sein Gegenpol, „das Embryonisch-Aufzuckende“, die Abschließung zur „Form“ verhindere (1902c [1843], 3). Das Drama als die höchste Kunstform stelle daher „den Lebensprozeß an sich dar“ (3), richte sich dabei aber wie die epische Form an den menschlichen Verstand (die Lyrik im Gegensatz dazu an das Herz; vgl. 1902e [1844], 51–52). In Anlehnung an Georg Friedrich Wilhelm Hegel („Wahrhafte Kunstwerke sind eben nur solche, deren Inhalt und Form sich als durchaus identisch erweisen“; 1986 [1817], 266) definiert Hebbel die (ästhetische) Form als „höchsten Inhalt“ (1902b [1839], 365), der freilich gleichermaßen vom Chaos des Lebens bedroht wie zur Ordnung desselben berufen ist. Die Kontamination aus idealistischem Konventionalismus und genieästhetischem Nonkonformismus, die Dieter Burdorf bei Hebbel betont, wird letztlich durch die stark normative Komponente des ihr entspringen-
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den Formverständnisses in ihrer möglichen schöpferischen Wirkung begrenzt. Dies zeigt sich exemplarisch an Hebbels Verwendung des Begriffs der „inneren Form“, einer „mit moralischen Normen aufgeladene[n] Vorstellung“ (Burdorf 2001, 213), die keine materialästhetischen Experimente erlaubt. Die äußere Form, im Kleinsten schon geformt durch die Sprache als Mittel, das die Darstellung des Lebensprozesses erst möglich macht, problematisiert Hebbel daher selten, etwa in Anmerkungen über den Stil (vgl. Hebbel 1902d [1847], 65–73). Die Uneindeutigkeit der konkurrierenden Modelle – unveränderbare Kunstformen im Kontext der historischen Dynamik, kosmische Moralität im Reich der subjektiven Setzungen – prägt auch die Auseinandersetzungen um Hebbels eigene dramatische Werke und hat ihn zu scharfen Repliken veranlasst. So moniert er etwa im Vorwort zu Maria Magdalena (1844) den „Mißcredit“, in den das bürgerliche Trauerspiel geraten sei, weil dessen Produzenten es nicht mehr aus seinen inneren, ihm allein eigenen, Elementen, aus der schroffen Geschlossenheit, womit die aller Dialectik unfähigen Individuen sich in dem beschränktesten Kreis gegenüberstehen, und aus der hieraus entspringenden, schrecklichen Gebundenheit des Lebens in der Einseitigkeit aufgebaut, sondern es aus allerlei Aeußerlichkeiten, z. B. aus dem Mangel an Geld bei Ueberfluß an Hunger […], zusammen geflickt [hätten]. (1902e [1844], 62)
Tatsächlich hatten sich Mitte des neunzehnten Jahrhunderts Theorie und Praxis der Form weitgehend voneinander abgekoppelt; die Dramatiker erschufen und verwendeten poetische Formen größtenteils unabhängig von ihrer ästhetischphilosophischen Reflexion (vgl. Burdorf 2001, 15, 504). Ab der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts wurden dann zunehmend auch Untersuchungen zur formalen, handwerklichen Technik des Dramas unternommen, so etwa bei Gustav Freytag und Alfred Kerr (vgl. Freytag 1992 [1863]; Kerr 1917 [1891]).
6 Technisierung: Gustav Freytag Wie stark sich der dramatische Diskurs im mittleren und späten neunzehnten Jahrhundert wieder an formalen Fragen orientiert (und damit indirekt an regelpoetische Debatten des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts anschließt), zeigt eine Forderung des Literarhistorikers Robert Prutz. Gerade weil die Zeit der „blendenden, dennoch inhaltlosen Phrase überdrüssig, mit Theorien, Abstraktionen, Idealen gesättigt zum Zerspringen“ sei und daher „ein größeres stoffliches Interesse, einen bedeutendern realen Inhalt“ verlange (Prutz 2005 [1851], 280), rückt die Form aufs Neue in den Mittelpunkt der Gattungsdiskussion. Formale Abstraktion wird dabei aber durch den praktischen Begriff der Technik ersetzt:
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Das neue Drama müsse sich bewusst sein, „daß bei aller Kunst zugleich eine gewisse Technik ist, eine Technik, welche […] erst einmal unter mancherlei Irrtum und Verlust wieder gelernt, ja wohl gar erst wieder erfunden werden muss“ (280). Prutz bezieht sich dabei auch auf das Problem der Aufführung: In keiner anderen poetischen Gattung aber bietet diese Technik größere Schwierigkeiten, in keiner geht sie leichter verloren und wird schwerer vom Einzelnen wiedergewonnen, als gerade im Drama, dessen Gelingen (wir sprechen, wie sich von selbst versteht, immer vom Drama der Bühne, nicht der Bücher) wesentlich an dies Geheimnis der Technik geknüpft ist. (281)
Gustav Freytag (1816–1895) widmet diesem Geheimnis mit seiner Abhandlung Die Technik des Dramas ein eigenes Werk, das in der Tradition der normativen Poetik Gottscheds steht, bis heute verlegt wird und wirkmächtig geblieben ist. Die 1863 publizierte dramentheoretische Untersuchung reagiert dabei auf die formale Schwäche des zeitgenössischen Dramas, das sich, so Freytag, in „stereotypen Formen“ erschöpfe (Freytag 1985 [1863], 270), und sie greift dazu Hegels Bestimmung des Konflikts als zentrales Merkmal des Dramas auf (vgl. Hegel 1970a [1807], 477). Unter Berufung auf die Dramen Shakespeares, Lessings, Goethes und Schillers legt Freytag als Bedingung für eine erfolgreiche dramatische Dichtung eine Dramentechnik fest, die nicht nur die Form und die ästhetische Wirkung bestimmt, sondern sogar dem dramatischen Genie bestimmte Grenzen setzt: Es ist wahr, eine ausgebildete Technik, welche nicht nur die Form, [sondern] auch viele ästhetische Wirkungen bestimmt, steckt der dramatischen Poesie einer Zeit auch Ziel und Grenze ab, innerhalb welcher die größten Erfolge erreicht werden, welche zu überschreiten selbst dem Genie selten möglich ist. (Freytag 1992 [1863], 3)
Freytags formhistorisches Argument, das auch kulturkritische Züge trägt, formuliert als Zielpunkt die Entstehung einer nationalen Dramatik. Es ersetzt die Wahrnehmung der regelpoetischen Enge durch die Vorstellung vom horror vacui, dem ungeregelten Raum: „Denn wir leiden an dem Gegentheil einer engen Begrenzung, an übergroßer Zuchtlosigkeit und Formlosigkeit, uns fehlt ein nationaler Stil […].“ (3). Die Vorschriften, die Freytag daraus in Bezug auf die dramatische Handlung entwickelt (Einheit, Wahrscheinlichkeit, Bewegung, Steigerung etc.) bzw. für die Konstruktion des Dramas bestimmt (fünfteiliger Aufbau, Bau einzelner Szenen, Charaktere und metrische Anforderungen), zeigen ebenfalls, dass sein Begriff der Technik umfassender konzipiert ist als der dramatische Formbegriff, zumal er auch die Wirkungen des Dramas in die Regulierung einbezieht. Dabei konnte der Technikbegriff, so Dieter Burdorf, das Zusammenwirken von Form und Inhalt – und damit das Wesen des Kunstwerks als Ganzem – allerdings nicht
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zureichend erklären (vgl. Burdorf 2001, 222). Auch beschränkte sich Freytag dabei auf die Textproduktion, die performative Komponente des Theaters blieb im Hintergrund (vgl. Marx 2012, 115). Neuere dramaturgische Ansätze, wie sie etwa von Franz Grillparzer und Georg Büchner unternommen wurden, kamen nicht in den Blick (vgl. Langemeyer 2011, 343).
7 Episierung: Gerhart Hauptmann Wie Peter Szondi festgestellt hat, beschränkte sich die für die Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert diagnostizierte Sprachkrise nicht nur auf das philosophische Feld und die literarische Prosa, sondern wurde auch im dramatischen Schaffen sichtbar. Da die dialogische Form als nicht mehr fähig galt, das reale menschliche Leben darzustellen, versuchten unter anderen Anton Pawlowitsch Tschechow, Gerhart Hauptmann, Henrik Ibsen und August Strindberg die vom Wort dominierte, illusionistische Inszenierungspraxis mit Hilfe von dramatischen Übergangsformen zum Epischen und Lyrischen zu überwinden (vgl. Szondi 151981 [1956], 87–90, 95–99). Gerhart Hauptmann (1862–1946) bediente sich zwar im Rahmen seines Gesamtwerks eher traditioneller Gattungsformen, war aber zugleich in der Lage, sich die zeitgenössischen Vorlieben für Gattungen und Stile zu Eigen zu machen (vgl. Michler 2015, 549, 587). Klassizistische Formalvorschriften wie die Einheit von Raum, Zeit und Handlung bezeichnete Hauptmann um 1910 als „nutz- und zwecklose äußere Dogmen“, wichtig seien vielmehr die Darstellung des Menschen innerhalb seines sozialen Umfelds (Hauptmann 1963b [1912], 35–36) und des ‚inneren Dramas‘, das sich diesem Umfeld verdankt: Es gibt kein irgendwie geartetes menschliches Hirn, das nicht sein Drama in sich herumtrüge. Immer wieder werden Episoden aus dem großen Epos des eigenen Lebens vom Gegenwartsbewußtsein dramatisch geformt. Deshalb ist die dramatische Form, das dramatische Werk volle Gegenwart. Der zusammenfassende Geist wirtschaftet mit einem Residuum deutlicher und lebendiger Anschauung […]. Das Genie benutzt diese innere Urform des dramatischen Bewußtseins, wie man es nennen kann, um aus seinen Grundelementen die dramatische Kunstform herauswachsen zu lassen. (Hauptmann 1965a [1942], 1036–1037]
Hauptmann selbst bediente sich dazu bestimmter sprachlicher Mittel wie Dialektformen, fragmentierter Phrasen und unartikulierter Ausrufe; ausführliche Szenenanweisungen wie etwa in Vor Sonnenaufgang (1889) weisen auf die Affinität seiner naturalistischen Dramen zur Epik hin (vgl. Ziolkowski 2009, 43). Die dramatische Gattung selbst, so Hauptmann, könne es nur unter der Voraussetzung eines dramatischen Stoffes geben, der aus einem fragmentarischen „äußeren“
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und einem „inneren Kunstwerk“, das in seiner Vollkommenheit die Essenz des Dichters selber sei, zu einem vergegenwärtigten Ganzen geformt werde (1963c [1909], 208); vgl. Hauptmann 1963d [1906], 113). Der ‚epische‘ Inhalt bedingt also schon während des Entstehungsprozesses die dramatische Form (vgl. 1963a, 195). Zugleich anerkennt Hauptmann den Einzug der performativen Dynamik in die Aufführungskultur: Bewegung und Wort blitzen auf und verschwinden. Heut ist eine Bewegungsfreude […], wie sie früher nicht da war, auf der Bühne daheim. […] Das Wort wird entlastet, wo die fließende Bewegung so sprechend ist. Aber in dieser scheinbaren, in Wahrheit so fest konturierten Leichtigkeit liegt im Grunde Meisterschaft. (Hauptmann 1965b [1930], 815)
Hauptmann warnt jedoch zugleich vor der Preisgabe der dramatischen Form (und des durch sie gesetzten ‚ernsten Inhalts‘). So bleibt die Einheit von Form und Inhalt auch in Hauptmanns naturalistischem Theaterschaffen das letzte Wort: Die neuen umfassenden Mittel bedingen ein neues Gewissen, eine neue Verantwortung. Sie dürfen nicht zum Selbstzweck werden, wenn das ernste Theater nicht daran sterben soll. Werden sie Selbstzweck, so überschlagen sie sich wohl in Raffinement. Sie werden allesvermögende Maschinerie, unter deren mechanischen Kräften, in deren Räderwerk das schlichte und echte Leben der Kunst zermahlen wird. Eine solche Gefahr ist leider vorhanden. Um so mehr zu begrüßen ist der Fall, in dem Gehalt und Form Einheit geworden sind. (Hauptmann 1965b [1930], 815)
8 Mobilisierung: Edward Gordon Craig Erst mit avantgardistischen Theaterkonzepten wie den Arbeiten und Thesen von Edward Gordon Craig (1872–1966), Adolphe Appia, Wsewolod E. Meyerhold, Antonin Artaud und Bertolt Brecht kam es – teils auch als Gegenreaktion auf die erwähnte Literarisierung des Theaters und den naturalistischen Inszenierungsstil – zur Entwicklung eines gattungsüberschreitenden, erweiterten Theaterbegriffs (vgl. Grund 2002, 111; Nehring 2004, 7). Craig vertrat dabei ähnlich wie Max Reinhardt ein „Paradigma der Visualisierung“ (Grund 2002, 74), das von der deutschen Theaterkritik heftig angegriffen wurde. Ein idealer Regisseur, so Craig apodiktisch, solle sich nicht länger auf die Hilfe des Bühnenschriftstellers verlassen müssen: das Theater „must in time perform pieces of its own art“ (Craig 5 1957a [1905], 144). Damit waren Debatten um poetische Formen der Theaterliteratur für Craig nicht länger sinnvoll. Da die zeitgenössische Theaterarbeit auch die theatrale Form vermissen lasse, mangele es ihr überdies, so Craig, an Schönheit (51957b [1905], 111). Ins Zentrum rückte daher die Inszenierung der Aufführungs-
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elemente, die im Verhältnis zum Inhalt eines Bühnenwerks als gleichwertig galt. Form als Ausdrucksmittel eines Inhalts wurde nun nicht mehr über das Dialogische oder die Sprache allgemein definiert, es konnten vielmehr auch Musik (wie bei Appia), vor allem aber Bewegung und Tanz zum Einsatz kommen, um den Inhalt zu vergegenwärtigen (51957c [1905], 123; vgl. Nehring 2004, 14–15). Auf seiner Suche nach der ‚reinen Bewegung‘ hat Craig dann schließlich – in seinem Aufsatz The Actor and the Über-Marionette (1908) – den Schauspieler zur formenstiftenden bzw. formerlebenden Instanz ernannt. Durch ihre Körper nämlich, nicht als Leerformen für die Ideen der Dramatiker und Literaten, bringen sich die Schauspieler als Form hervor: They must create for themselves a new form of acting, consisting for the main part of symbolical gesture. To-day they impersonate and interpret; to-morrow they must represent and interpret; and the third day they must create. By this means style may return. (Craig 1908, 5)
Der Spieler neuen Typs, die Über-Marionette, ist ein Selbstformer und Selbstperformer, der zugunsten der Bewegung auch den eigenen Körper als Medium transzendiert: „The über-marionette will not compete with Life – but will rather go beyond it. Its ideal will not be the flesh and blood but rather the body in Trance […].“ (12). Die realistische Theaterpraxis – und mit ihr die Tradition der Mimesis – wird durch Bewegung abgelöst. Craigs Ziel, das er mit Wsewolod E. Meyerhold (1874–1940) teilte, lag darin, durch diese Theatralisierung des dramatisch-literarischen Diskurses die Theaterkunst vor ihrem – so die Überzeugung – zunehmend rasanteren Verfall zu retten (vgl. Deak 1992). Dabei war es dann nicht unbedingt erforderlich, auch neue Stoffe und Inhalte auf die Bühne zu bringen, solange nur die Entwicklung von neuen dramaturgischen und darstellerischen Formen gelang (vgl. Glytzouris 2008, 140–141). Ödön von Horváth (1901–1938) wiederum verwendete traditionelle Gattungen wie das Volksstück, dem er mittels sprachlicher Techniken eine neue Form zu geben versuchte, die „mehr eine schildernde als eine dramatische“ sein sollte (Horváth 1932 in Klotz 21998, 186). Die Wirkung seiner Stücke beruhte auf der Vertrautheit des Publikums mit der verwendeten Form- und Dialogsprache, die er zugleich in skeptischer Distanz zu seinen Figuren zu zerstören suchte (vgl. Klotz 21998, 186).
9 Schematisierung: Bertolt Brecht Bertolt Brecht (1898–1956) verwendet die Begriffe ‚Form‘, ‚Gattung‘ und ‚Genre‘ oftmals synonym, entwickelte aber in den 1920er-Jahren eine Dialektik von Form und Inhalt, nach der konventionelle narrative Gattungen den „Formen leerer
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Selbstexpression“ und den „artistische[n] ‚formalistische[n]‘ Bedürfnisse[n]“ entgegengesetzt wurden (Michler 2015, 598), die Brecht mit den Denksystemen bürgerlicher Literatur und Dramatik verband. Als ergänzendes Konzept entwarf Brecht im Sinne der Aufwertung populärer Gattungen die Kategorie ‚Schema‘, die dem Schriftsteller als Reibungspunkt dienen sollte (vgl. Michler 2015, 599). Ende der 1920er-Jahre legte er in seiner deutlich marxistisch beeinflussten Dialektik fest, dass die „neue und theatralische Form“ zur Vereinfachung solcher Stoffe dienen sollte (Brecht 1992 [1929], 303), die durch die moderne Ökonomie und die dadurch veränderten sozialen Bedingungen komplex und undurchschaubar würden. Damit die Form, konstituiert durch tradierte formale Ausdrucksformen und zum Teil radikal angewandte sprachliche Techniken, diese Aufgabe erfüllen konnte, musste die Funktion der Kunst von nun an Pädagogik sein – in diesem Sinne legte Brecht den Grundstein seiner neuen Gattung ‚Lehrstück‘ (vgl. 303– 304; vgl. Michler 2015, 599). Der problematisch gewordenen dramatischen Form stellte er das ‚epische Theater‘ gegenüber, das u. a. mit Hilfe von ‚Verfremdungseffekten‘ „auf den gesellschaftlichen ‚Unterbau‘ der Taten in dessen dinglicher Entfremdung“ reflektieren sollte (Szondi 151981 [1956], 118).
10 Postdramatisierung: Theater der Performanz Nach dem Zweiten Weltkrieg, vor allem ab den 1960er-Jahren, stellten die Theaterschaffenden zunehmend ein Unbehagen am Verlust des ‚Ereignishaften‘ und ‚Einmaligen‘ des Theaters fest (vgl. etwa Frisch 1969, 94–95). In Absage an überkommene dramatische und dramaturgische Konventionen folgten performative Experimente, die eine Vielzahl neuer (Theater-)Formen und einen gewandelten Formdiskurs mit sich brachten. Alte Formkomponenten wurden, wenn überhaupt, fragmentarisch verwendet, so dass Gattungsbezeichnungen wie ‚Drama‘ oder ‚Komödie‘ diese neuesten Entwicklungen des Theaterdiskurses nicht mehr ausreichend erfassen konnten (vgl. Pfister 1977). Die „Prinzipien von Narration und Figuration“ und von Fabel verschwanden zugunsten einer „Verselbstständigung der Sprache“ (Poschmann 1997, 177–178), die häufig nicht mehr als dramatischer Dialog oder Monolog, sondern als „autonome Theatralik in Erscheinung“ trat (Lehmann 52011, 14). Die Theaterwissenschaft, der eine „Tradition der Überschreitung des literarischen Felds“ zugrunde liegt (Primavesi 2014, 168), verschrieb sich besonders in neuerer Zeit der Erforschung einer Vielzahl komplexer theatraler Formen und kultureller Praktiken, die weit über das literarisch fixierte Drama hinausreichen. Damit verlor die Gattungstheorie als Teil des literarischen wie literaturwissenschaftlichen Diskurses an Bedeutung; Form und ihre Insze-
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nierung wurden anhand anderer theatraler Spezifika als bisher diskutiert, so etwa im Zusammenhang der Transitorik oder der (Inter-)Medialität des Theaters, vor allem unter dem Begriff der Performanz (vgl Schechner 1988). Neuere Forschungsansätze betonen auch die Ereignishaftigkeit des Theaters und den Materialcharakter des Textes (Erika Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, 2004, und Theaterwissenschaft. Eine Einführung in die Grundlagen, 2010). Hans-Thies Lehmann wiederum verstand das vom literarischen Text geprägte Theater als historische Epoche, die das ‚postdramatische Theater‘ hinter sich gelassen habe (Hans-Thies Lehmann, Postdramatisches Theater, 1999), und dies nicht zuletzt, weil das tradierte textbasierte Drama des ‚Dramatisch-Literarischen‘ „schon lange lüge“ (Lehmann 52011, 126). Dennoch blieb das Interesse an der dramatischen Form ungebrochen erhalten, gerichtet vor allem auf ihre Erforschung und schließlich auf die Erweiterung ihrer Grenzen als Mittel der Reflexion, aber auch der Formung eines speziellen sozialen und kulturellen Kontextes (vgl. Schmidt 2005, 31), neuerdings etwa in Formen des Pen-and-Paper-Rollenspiels, Life Action Role Play und des Reenactment (vgl. Donecker et al. 2019).
Weiterführende Literatur Arnold, Heinz-Ludwig. Hrsg. Theater fürs 21. Jahrhundert. München 2004. Bayerdörfer, Hans-Peter. „Vom Drama zum Theatertext? Unmaßgebliches zur Einführung“. Vom Drama zum Theatertext? Zur Situation der Dramatik in Ländern Mitteleuropas. Hrsg. von Hans-Peter Bayerdörfer. Tübingen 2007: 1–14. Ellrich, Lutz. „Das Drama als Form. Anschauung, Dialog, Performance“. Gattung und Geschichte. Literatur- und medienwissenschaftliche Ansätze zu einer neueren Gattungstheorie. Hrsg. von Oliver Kohns und Claudia Liebrand. Bielefeld 2012: 39–50. Michler, Werner. Kulturen der Gattung. Poetik im Kontext, 1750–1950. Göttingen 2015. Pikulik, Lothar. Stoff und Form als Begriffe der Ästhetik. Am Beispiel von Drama und Theater. Paderborn 2010. Schechner, Richard. Performance Theory. New York und London 1988.
Eberhard Hüppe
IV.5.2 Musikalische Form 1 Ausgangspunkte Ursprünge Ideen und Vorstellungen, was musikalische Form sei, speisen sich aus Quellen, die verschiedenen historischen und kulturellen Schichten und Medien (Schrift, Bild, Klang) entspringen und sich nicht alle zu einem großen Strom vereinen. Was ein musikalischer Zusammenhang, ein musikalisches Gefüge, ein musikalisches Ganzes, eine musikalische Gestalt oder Ordnung ist, beruht auf Unterscheidungen, die Aussagen über Abgrenzungen, Gliederungen, Beziehungen, Verhältnisse oder Hierarchien enthalten, theoretische und praktische Inhalte transportieren und ab dem neunzehnten Jahrhundert mitunter wertbehaftet sind. In den Poetiken der Antike meint Form und Formung den geordneten Zusammenhang, bezogen auf ein aggregatives, metaphysisches Weltbild. Μουσική oder musica – die genaue Herkunft des Begriffs ist ungeklärt – steht als sinnbildlicher und übergreifender Begriff für die sinnhafte proportionale Ordnung eines Ganzen, sprichwörtlich der biblischen Harmonie von Maß, Zahl und Gewicht. Etymologisch bezeichnet der Begriff Harmonie ursprünglich die Klammer, mit der Schiffsplanken zusammengehalten werden, so dass mit seinem Gebrauch eine konstitutionstheoretische Aussage über Stimmigkeit verbunden ist. Der antike Musikbegriff ist somit weit entfernt, einen für das Medium Musik gültigen empirischen Begriff von Form zu benennen. Doch birgt die immaterielle Musikauffassung der Antike den Schlüssel zu späteren Analogiebildungen und Metaphern, die sich zwanglos durch die septem artes liberales als Bezugssystem ergeben und musikgeschichtlich in neuen formalen, ästhetischen, theoretischen und ideologischen Transformationen wiedererscheinen.
Das Paradigma des klassischen Stils Der gegenwärtig kurrente und zeitweise normativ ausgefüllte Begriff von musikalischer Form kristallisiert sich im achtzehnten Jahrhundert im Gefolge der Entstehung des klassischen Stils heraus. Dessen Genese erfolgt im Umfeld eines Paradigmenwechsel, der, eingebettet in den Prozess der Aufklärung und der Umstellung auf einen korrelativen Weltbegriff, sich als breit angelegte Synthese stilistischer Dihttps://doi.org/10.1515/9783110364385-031
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versität darstellt (national, regional, lokal, funktional). Seine Konsolidierung wird von einem Diskurs begleitet, der im Zusammenwirken von Naturtheorie, Kunstgeschichte, Sprachwissenschaft, Literaturkritik und Musiktheorie einen musikalischen Formbegriff in einem modernen und ästhetisch geschärften Sinne erst hervorbringt. In der Musiklehre greifen Rationalisierungstendenzen, sich mittelfristig in einzelne Fächer aufzuspalten, darunter Formtheorien und Formenlehren. Zunächst stellen bewährte Kategorien der Antike – Rhetorik, Grammatik und Poetik in ihren formbestimmenden Einzelheiten – ihre Wandlungsfähigkeit unter Beweis, musikalische Theorie und Praxis unter Einschluss der Kompositionslehre (Mattheson 1739, Quantz 1752) noch im Zustand des Umbruchs anschlussfähig zu gestalten. Eine im Entstehen begriffene Formenlehre nimmt die syntaktischen Inhalte der musikalischen Rhetorik in sich auf, regelt die Zusammensetzung von Perioden und Sätzen und leitet den Sprachcharakter von Musik (Mattheson: Klang-Rede) aus den benannten theoriegeschichtlichen Kategorien ab. Da Musik, beginnend mit Descartes (1619/50), mehr und mehr als Sprache der Empfindungen verstanden wird (Riepel 1752 und 1755, C. Ph. E. Bach 1753/62), die den plötzlichen Wechsel des Ausdrucks als etwas Natürliches betrachtet, muss zwischen rhetorischer Grundlegung und Verabschiedung der Einheit des Affekts vermittelt werden. Dies trägt erheblich zur Komplexitätssteigerung musikalischer Formbildungen bei, was schon mittelfristig zu einer Diskrepanz zwischen Formtheorien und Werkbefunden geführt hat. Die Umstellung vom Primat der Vokalmusik auf das Paradigma der Instrumentalmusik beschleunigte diesen Prozess erheblich.
2 Anfänge musikalischer Formung Rituale Die kulturgeschichtliche Attraktion der Antike bewirkt, dass sich der Diskurs über Form seit jeher bevorzugt auf dem theoretischen Feld abspielt. Welche konkreten Praktiken musikalischer Formung sich wann, wie, wozu und aufgrund welcher Bedingungen entwickelt haben, ist in ihrer kulturellen Mannigfaltigkeit weder rekonstruierbar noch annähernd überschaubar. Die Ursprünge musikalischer Formung dürften vielfach auf gemeinsam geteilte symbolische Praktiken von Gruppen zurückgehen, deren Musikausübung a) mit Ritualen und Arbeitsabläufen in Wechselwirkung standen, b) eine erfolgreiche Stiftung von sozialer Identität und Zusammenhalt durch Tanz und Gesang begründete und c) die mündliche Weitergabe von Geschichten einschloss, deren Vortrag in einem Singsang zu ihrer
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Merkfähigkeit und zur Traditionsbildung beitrug. Rhythmische Muster (‚patterns‘, Wiederholungen), Skalentypen, die mit Affekten identifiziert wurden (Platon, Politeia 398c–400e) oder werden (z. B. Maqam, Raga), strophische Gliederungen von Gesängen, antiphonale und responsoriale Praktiken (Wechselgesang) oder das Auftreten von Kehrversen (Refrain) stellen bis heute ein unerschöpfliches Reservoir für musikalische Formbildungen dar, die namentlich in Liedformen bereits vom Einfachen bis zum Komplexen reichen. Noch bevor musikalische Form als theoriebestimmte Ausgestaltung von (An-) Ordnungen wahrgenommen und thematisiert wird, greifen schon Ordnungen von Brauchtum, liturgischen Regeln und Ritualen und schließlich der Etikette (Auftritt des Königs zum pathetischen Gestus der Ouverture der französischen Tragédie en musique). Form ist situiert in einem Zusammenwirken der a) rhythmischen, melodischen, affektiven und körperlichen, b) narrativen, semantischen, performativen und funktionalen Parameter, die in der Ausübung als ein sinnhaftes, sinnreproduzierendes und darum als ein transzendent wahrgenommenes Ganzes erscheinen.
Form, Schrift und Antikenrezeption Evolutionär gesehen handelt es sich bei der Formentwicklung in der europäischen Musik um einen kulturgeschichtlichen, global folgenreichen Sonderfall. Ihren Ausgang nimmt sie von liturgischen Dichtungen und Texten, ihre Dynamik gewinnt sie durch das Aufkommen einer musikalischen Schriftkultur in Verbindung mit dem Auftreten von Mehrstimmigkeit. Deren Ursprünge liegen im Dunkeln. Mehrstimmigkeit benötigt zu ihrer weiteren Verbreitung genaue Anweisungen zu ihrer Ausführung und Reproduktion. Das bislang älteste Dokument aus dieser Phase stellt die Lehrschrift Musica enchiriadis dar (Kloster Werden/Ruhr, neuntes Jahrhundert), die im Kontext der fränkischen Bildungsreform zu sehen ist (vgl. Torkewitz 1999). Die mittelalterliche Musiklehre setzt die metaphysische Musiklehre der Antike in Erneuerung der Geltung der septem artes liberales fort (vgl. Huglo 2000, 48–51) und greift dazu Impulse aus der frühislamischen Wissenschaft auf. Durch sie wird eine Maxime, was Form auszeichnet, erneuert, die von Aristoteles in der Metaphysik formuliert wurde: „Das was aus Bestandteilen so zusammengesetzt ist, dass es ein einheitliches Ganzes bildet, nicht nach Art eines Haufens, sondern wie eine Silbe, das ist offenbar mehr als bloß die Summe seiner Bestandteile.“ (Metaphysik, VII. 1041 b 10). Für die mittelalterliche Interpretation des Formbegriffs ist eine Dichotomie von materia und forma konstitutiv, die an die Unterscheidung von sichtbar und unsichtbar gekoppelt ist (vgl. Haas 2005, 82) und forma als immaterielle Kategorie ausweist.
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Begriffe, die formale Sachverhalte und ihre Anwendung auf die entstehende Kunstmusik der klösterlichen Eliten beschreiben, sind im trivium fundiert (vgl. Seidel 1985 109; Haas 2005, 70). Sie stützen sich auf die grammatica, aus der Regeln für den musikalischen Satzbau abgeleitet werden (vgl. Guido von Arezzo, Micrologus, 1025/26). Fragen der Klassifizierung und Formalisierung werden in den mittelalterlichen Traktaten entlang der Kategorien compositio und dispositio erörtert. Dagegen veranschaulicht das quadrivium das proportional-abstrakte Wesen der musica als Welterfassung und Sinnzusammenhang diskreter Quantitäten (vgl. Haas 2005, 66, 564). Drei Schichten musikalischen Formdenkens werden damit nachhaltig begründet: erstens die Musik-Sprach-Analogie (trivium), die in der Formenlehre als Morphologie wirkt, zweitens die Musik-Architektur-Analogie (quadrivium), drittens die Text-Körper-Analogie, die bis zur Organismusauffassung des musikalischen Kunstwerks reicht. Neben dem a) zeitlichen Erleben von Musik begründet die Entstehung der Schriftbildlichkeit die b) räumliche, diastematische Wahrnehmung von Form. Sie schafft die Voraussetzungen für die ausschließlich auf Kunstmusik bezogene musikalische Formanalyse.
3 Primat der Texte Textstruktur und Formgebung Formal gilt das Primat der Textstruktur, die „den Maßstab für den gegliederten musikalischen Verlauf setzt“ (Schlager 2000, 232): eine musikalische Sinneinheit EM verhält sich zu einer Texteinheit ET (Vers, Satz, Worte wie ‚Alleluja‘, ‚Amen‘) kongruent. Die dazu erforderlichen syntagmatischen Übersetzungsprinzipien sind im System des Analogdenkens enthalten. Demgemäß sind im Wirkkreis der scholastischen Lehre grammatikalische Formalisierungen zu besichtigen, die sich auf Schlussbildungen (finalis, affinalis) beziehen (vgl. Meyer 2000, 200–203), Untergliederungen bezeichnen, Fügung des Satzes und Ausschmückung (Tropierung) beschreiben. Neben solchen bereits satzimmanenten Praktiken verwirklicht sich die Textstruktur formal auch in der Übernahme von äußerlichen Merkmalen beliebiger Textgattungen. Dem Conductus Beata viscera (Perotin, um 1160–um 1220; ungesichert) liegt eine Strophe-Refrain-Anordnung zugrunde (Text: Philippe Le Chancelier, nach 1160–1236), wie sie für das populäre Musikgenre noch heute von überragender Bedeutung ist. Bei anderen Textgattungen geht die Bezeichnung auf die musikalische Form über (z. B. Ballade, Rondeau) und in den Fundus der musikalischen Terminologie ein. Die Form des Organums
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ist charakterisiert durch den Wechsel von Ein- und Mehrstimmigkeit mit lang ausgehaltenen cantus-firmus-Tönen im tenor. Die Rhythmik der umgebenden Stimmen wird geregelt auf der Grundlage der antiken Versmaße, hier als Modi bezeichnet. Der Bindung der musikalischen Form an die Textstruktur steht eine Zunahme von gestalterischen Möglichkeiten gegenüber, die durch die Weiterentwicklung der Notation geschaffen wird (Mensuralnotationen der Ars nova). Merkmale und Möglichkeiten der Notation der mehrschichtigen proportionalen Ordnung sind symbolisch auf das quadrivium bezogen und theologisch fundiert. Dabei wird die Unterscheidung von perfectio und imperfectio struktur- und formwirksam: a) bezüglich der Teilungsverhältnisse zwischen dem größeren (brevis) und nächst kleineren (semibrevis) Notenwert (perfectio = Dreiteilung, imperfectio = Zweiteilung); b) Oktave, Quinte und Quarte sind auf die pythagoreische tetraktys (das Zahlenverhältnis 1 : 2 : 3 : 4 und dessen Vielfaches) rückführbar und entsprechen der perfectio, Terzen und Sexten dagegen der imperfectio. Die gleichen Prinzipien wirken, geregelt von der Contrapunctus- als Klangschrittlehre, c) strukturgebend auf die Gestaltung von Anfang (perfectio), Mitte (imperfectio) und Schluss (perfectio). Dissonanzen unterliegen besonderen Regeln. Die Lehre von Klausel und Kadenz wendet sich in besonderer Weise den Schlussbildungen zu, die den Eindruck von Gliederung und damit von Form hervorbringen. Höchstes Ansehen genießt eine Elite von Sänger-Komponisten (z. B. Ockeghem, Josquin), die d) in der Form des Proportionskanons die Schwierigkeiten des Regelsystems analog zu den Kategorien der Renaissancekunst mühelos zu handhaben wissen (amatore delle difficulta, vgl. Baxandall 1999, 167–169).
Von der Proportionenlehre zur Architekturmetaphorik Als Lehre und Theorie von den Proportionen ist der musica Form gleichsam immanent (vgl. Naredi-Rainer 1985). Sie erscheint a) in mensuralen Proportionen 1 : 2 : 3 : 4 : 6 : 8 : 9 : 12 etc., abgeleitet von der tetraktys, b) in Proportionen, die auf biblischen Zahlen beruhen (darunter Zahlen wie 5 und 7 und anderen), c) in Zahlen und Zahlverhältnissen, die auf mathematischer Forschung und der Beobachtung am Objekt basieren: so die Fibonacci-Reihe 0, 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55, 89, 144 etc., deren Prinzip erst ab dem neunzehnten Jahrhundert mit dem Begriff des Goldenen Schnitts bezeichnet wird (die Kunsttheorie der Renaissance spricht von proportio divina). Auf symbolische Maße und Zahlenwerke gestützt, findet der Kathedralbau des Mittelalters als Repräsentation des Salomonischen Tempels oder des Himmlischen Jerusalems seinen weithin sichtbaren spirituellen wie machtvollen Ausdruck. Die quadriviale Beziehung von musica und architectura
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transzendiert als metaphysisch-kosmologischer und theologischer Sinnhorizont die Wirklichkeit (vgl. von Simson 62010). Das Zusammenwirken von architektonischen Vorstellungen, Dichtung, Komposition und Theologie fügt sich zu einer Mehrebenenstruktur, die an der Formgebung etwa der Motette Nuper rosarum flores von Dufay (ca. 1400–1474) zu besichtigen ist. Das Werk gilt als idealtypisch für die Verwirklichung proportionaler Korrespondenzen zwischen musikalischen Strukturen und architektonischen Maßen eines Bauwerks, hier dem Dom Santa Maria del Fiore in Florenz (vgl. Ryschawy und Stoll 1988, 3–73). Nuper rosarum flores entstand anläßlich der Kuppelweihe (Brunelleschi 1377–1446) des Doms am 25. März 1436 durch Papst Eugen IV. (Pontifikat 1431–1447). Die Form geht aus der Anlage der viermal siebenzeiligen Dichtung und ihrem Versmaß hervor. Es gilt das Kongruenzprinzip, das die Klauselbildung quasi grammatikalisch unterstreicht. Jede der vier Strophen besitzt, den Zeilen der Dichtung entsprechend, 28 Mensureinheiten. In der zweiten Hälfte jeder Strophe wird ein gleichbleibendes rhythmisches Modell (Isorhythmie) als tenor formwirksam hinzugefügt. Ihm liegt der Introitus Terribilis est locus iste in zweistimmiger imitatorischer Bearbeitung zugrunde. Jede Strophe erhält eine eigene Mensurvorschrift. Deren proportionale Struktur 6 : 4 : 2 : 3 erscheint in der Dauer (‚Länge‘) der Strophen, entsprechend den Maßen des Salomonischen Tempels (I. Buch von den Königen, Kap. VI, Vers 2) und verwandt mit der tetraktys: als Idee eines Gotteshauses. Die effektiven Maße des Florentiner Doms passen zu den hier bezeichneten Proportionen nur bedingt (Querhaus : Kuppeldurchmesser = 2 : 1). Auf der Ebene der Mikrostruktur (Tonverteilung) treten Verhältnisse zutage, die den im Dom architektonisch realisierten Fibonacci-Proportionen ähneln (vgl. Kreytenberg 1974). Der Sinn der Zahlen 28 und 4 liegt in der Ellenlänge mal Breite der Teppiche der Stiftshütte begründet (vgl. II. Buch Mose, Kap. XXVI, Verse 2–6; vgl. Meyer 1975, 155), die in der formalen Gestaltung der Dichtung erscheinen und für die Binnenstruktur der Strophen relevant sind. Wie Dufay gehörte auch der Kunsttheoretiker Alberti (1404–1472) während der Zeit der Entstehung der Schrift De pictura (1435) zum Gefolge Papst Eugens IV. Alberti führt, angeregt von der humanistischen Literaturtheorie, einen Kompositionsbegriff aus, der das Abstimmungsverhältnis zwischen Gesamtform und ihrer Zusammensetzung anhand von Einzelelementen erörtert (vgl. Alberti 22011 [ca. 1435], 256–265; Baxandall 1999, 161–163). So nimmt die Kategorienbildung der Renaissancekunst Form als ein differenziertes Ganzes in den Blick. Die Ausstrahlung der italienischen Kunsttheorie auf die Musiktheorie wird am Begriff der varietà faßbar, der von Tinctoris (um 1435–1511) als varietas-Gebot in die Lehre von der Handhabung des Kontrapunkts übernommen wird (Liber de arte contra puncti, 1477).
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Tinctoris unterscheidet in der Gattungslehre Terminorum musicae diffinitorium (1495, verf. 1472) drei Hauptgruppen von Kompositionen: Messe, Motette und die große Gruppe der Liedsätze, die alle Grundformen der Liedform, einschließlich instrumentalmusikalischer Tanzsätze kennt. Zu diesen zählen neben der Anordnung Strophe–Refrain die durchgehenden, binären und ternären Formen A, AB, ABA, der Rondeau mit der Reihung ABACA…n…A sowie die Barform AAB. Weitverbreitete Lieder und die Melodien von Chansons werden als cantus-firmus Messkompositionen zugrunde gelegt, darunter L’homme armé, das die alltägliche Gegenwart von Gewalterfahrungen auf populäre Weise besingt.
Formbildung und Text-Körper-Metaphorik In den protestantischen Gebieten Deutschlands wird die Musiktheorie ab Ende des sechzehnten Jahrhunderts den reformatorischen Lehr- und Bildungserfordernissen didaktisch angepasst. So ist es a) von Belang, dass Methoden textkritischer Exegese (Melanchton) einen reflexionshaltigen Stil von Analyse fördern (vgl. Danneberg 2003, 183; Hüppe 2020). Dabei wird b) auf die im mittelalterlichen Wissenschaftssystem schon angelegte Text-Körper-Analogie zurückgegriffen. Die Pointe besteht darin, dass dieses Vorgehen c) in den Einflussbereich der Anatomie als erfolgreicher empirischer Wissenschaft gerät (vgl. Vesalius, De humani corporis fabrica, 1543). Mit Begriffen wie sectio, incisio oder recta sectio und resolutio präsentiert sich Analyse als das „gleichsam operative Moment“ einer nach innen gerichteten „anatomisch geschulten Text-Körper-Erkenntnis“ (Danneberg 2003, 183–184). Die protestantische Musiktheorie nimmt den Impuls auf und leistet umfassende Metaphorisierungsarbeit. Bereits um 1600 wird Analyse – auch als Zergliederung bezeichnet – im Selbstverständnis „angewandter Rhetorik“ betrieben (vgl. Burmeister 1606; Braun 1994, 9). Der Konnex von Form und Produktion (Komposition) auf der Basis von Erkenntnisgewinnung durch Analyse ist hergestellt. Zwar bilden musica theoretica und musica practica eine hinreichend mächtige, in der Metaphysik verankerte Lehrtradition; doch Kompositionslehren neuen Typs beginnen, den quadrivialen Einfluss (vgl. Niemöller 2003, 81–83) mit dem Gegensatz von theoretischem und praktischem Denken zurückzudrängen. Langfristig wird damit der Boden für Formtheorien sui generis bereitet. Matthesons Begriff der Klang-Rede vereint mehrere aufgeführte Prinzipien: Rhetorik, Grammatik und in der Lehre vom Ab- und Einschnitt (Incisionslehre; vgl. Fees 1991) anatomisch-analytisches Denken als syntaktische Bestimmung von Melodien: „Wie in der gantzen Natur und allem erschaffenen Wesen kein eintziger Leib ohne Zergliederung recht erkannt werden mag: so will ich immer der erste seyn, der eine Melodie zerleget und ihre Theile ordentlich untersuchet.“ (Mattheson 1999 [1739], § 80, 224 [333]).
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Wiederkehr der Architekturmetaphorik Die Deutung musikalischer Form gerät in den Einflussbereich klassizistischer Kunsttheorie (Winckelmann). Die imaginäre Plastizität von Musik (Darstellungsform) artikuliert sich in Architekturmetaphern etwa einer „erstarrten Musik“, als „verstummte Tonkunst“ (Goethe 1977b [1833], 641) oder bricht sich Bahn in Schopenhauers Wort, „daß Architektur gefrorene Musik sei“ (Schopenhauer 3 1988 [1818], 528). Unter einer Architektur der Musik versteht Schopenhauer nur den gleichbleibenden syntaktischen Rhythmus des musikalischen Periodenbaus als Ideal des klassischen Stils (Vordersatz/Nachsatz 4+4 Takte, gruppiert in [2+2]+[2+2] Takte) – und nimmt damit Gedanken von Moritz Hauptmanns Schrift Die Natur der Harmonik und der Metrik: zur Theorie der Musik (1853) vorweg.
4 Von der Renaissance zum Barock Oper als Medium der Formenvielfalt Versuche humanistischer Literaten des sechszehnten Jahrhunderts, die griechische Tragödie wiederzubeleben, stellen die Weichen zur Entstehung der Oper. Oper benötigt als dramatische Struktur Formenvielfalt. Deren Grundvoraussetzung ist die Monodie. Neben die Ordnung gleichberechtigter Stimmen in der Vokalpolyphonie tritt eine in ihrer hierarchischen Struktur veränderte Ordnung: Der Vortrag einer solistischen Stimme wird von einem Generalbass gestützt, der die Gesamtharmonie begleitend zusammenfasst. Im Vorwort zu Monteverdis Il Quinto Libro de Madrigali (1597, ersch. 1605) wird der Unterschied der beiden Ordnungen als prima pratica und seconda pratica bezeichnet, ihr Miteinander als neue Norm beschrieben. Die musikalisch-rhetorische Praxis des Madrigalstils (seconda pratica) erscheint satztechnisch und notenschriftlich: Notenfolgen können Figuren ähneln und Textaussagen gleichsam bebildern. Nach wie vor gilt das Kongruenzprinzip zwischen Text und musikalischer Formung, reguliert durch Kadenzen. Feinkörnig differenzierte dramaturgische Situationen, die affektbegründete Regelüberschreitungen enthalten, intensivieren das Musikerleben. Dagegen bietet sich die orthodoxe Praxis des vokalpolyphonen Stils (prima pratica) etwa eines Palestrina (um 1525–1594) der römischen Kirche als symbolische Form (Bourdieu) an, um nach den Dezentralisierungen (Reformation, Heliozentrik, Unendlichkeit des Universums) als homolog zur katholischen Lehre zu erscheinen.
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Formale Ausdifferenzierungen barocker Gattungen Unterbrechungen durch Ritornelle in szenischen Zusammenhängen verdichten und transformieren sich allmählich zu einer formalen Struktur, aus der in Italien ein Modell von größter Reichweite hervorgeht: a) die Arie als Da-capo-Form mit einem Ritornell-Aufbau unterschiedlicher Tonstufen. In Verbindung mit dem Rezitativ bildet die Da-capo-Arie das Kernelement für Oper, Kantate, Oratorium, Passion und alle verwandten Gattungen. Als ihr instrumentalmusikalisches Äquivalent prägt sich b) die Konzertsatzform (Ripieno-Solo- oder Tutti-Solo-Kontrast, formal wirksamer forte-piano-Kontrast) aus mit breiten Gestaltungsmöglichkeiten zwischen Concerto grosso (Corelli), Concerto (Albinoni) und Solokonzert (Vivaldi). Die Sinfonia als kurzes dreiteiliges instrumentales Einleitungsstück der neapolitanischen und venezianischen Oper mit der Abfolge schnell–langsam– schnell bildet die Keimzelle für einen neuen Gattungstyp des klassischen Stils: die Symphonie. Für die französische Oper, die Tragédie en musique, hervorgegangen aus dem Ballet de cour, gelten andere Maßstäbe. Das Ballett versinnbildlicht die gleichsam kosmologische Ordnung des Hofes (vgl. Mersenne 1636, 159). Die Vorstellung von natürlichem Gesang sowie die verpflichtende Verwendung des Alexandriners (Académie française 1635) lässt die Vortragsweise des Récit entstehen, der als melodische Ausgestaltung der Textdeklamation beschrieben werden kann. Seine häufigen Taktwechseln und arienhaften Verdichtungen (Air) bleiben formal offen und sorgen für einen weitgehend durchkomponierten Verlauf. Ihnen stehen Chöre und eine Vielfalt von Tanzsätzen (Liedform, Tänze in Suitensatzform mit zwei wiederholten Teilen) als Divertissements kontrastierend gegenüber. Die Tragédie en musique Lullys wird zur symbolischen Form des Absolutismus (Académie royale de danse, 1661; Académie royale de musique, 1669). Tragédie en musique und Ballet de cour werden mit einer meist dreiteiligen Ouverture eingeleitet (Aufbau: langsam–schnell–langsam). Ihr scharf punktierter Rhythmus mit schnellen Gesten (Tirata u. ä.) wird zum Feierlichkeits-Topos schlechthin.
5 Fuge Zwischen Typenvielfalt und Regelsystem In der Theorie musikalischer Formen nimmt die Fuge eine Sonderstellung ein. Entstanden aus der imitatio als satztechnisches Prinzip mehrstimmiger Musik ist die Fuge (fuga, lat. Flucht) a) identisch mit dem Kanon einschließlich des
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Proportionskanons in Messen und Motetten (Dufay, Josquin, Ockeghem), sowie b) Bestandteil oder c) Gattungsmerkmal (die caccia des italienischen Trecento). Das Aufkommen eines d) durch die Stimmen wandernden soggetto (Vorform des Thema-Begriffs) schafft die Voraussetzung für die fuga im engeren Sinne, die zum Gegenstand von Formung wird, zum motettischen Stil gehört, als Madrigalismus oder musikalisch-rhetorische Figur erscheint, aber keine selbständige Form und häufig nur eine Anfangssituation darstellt: die Exposition als der am ausführlichsten geregelte Teil der Fuge. Als kontrapunktische Form unterhält die Fuge naturgemäß enge Beziehungen zum theoretischen Regelsystem. Die Erwartung, dass sie in formaler Hinsicht ebenfalls strengen Regelungen unterliege, erfüllt sich bei der Fuge so nicht. Die Instrumentalmusik (Lauten- und Tastenmusik) fördert die Entwicklung der Fuge: Fantasien, Toccaten, Ricercaren und Canzonen können a) mehrere Fugen als komplexere Abschnitte enthalten, sich b) nur aus ihnen zusammensetzen oder c) unter einer dieser Bezeichnungen endlich einen ganzen fugischen Satz konstituieren (Frescobaldi, Froberger) – auch als d) Tanzsatz (Gigue: Froberger), e) schneller Mittelteil der Ouverture bis f) zur Fuge als integralem Bestandteil von Präludien und Toccaten (Buxtehude, Bruhns sowie Bachs Toccaten d-Moll BWV 565 und E-Dur BWV 566 für Orgel, die Toccaten für Cembalo BWV 910–916) und g) Fugen als ganzen Sätzen in italienischer Ensemble- und Kammermusik (Albinoni, Corelli). Wie bei kaum einer anderen musikalischen Form zeigt sich die Identifikation mit der kunstvollen Anwendung des historisch entstandenen Arsenals von kontrapunktischen Satztechniken und ‚Zergliederungen‘ (Ableitung, Verarbeitung) ausgeprägter als bei der Fuge. Im zwanzigsten Jahrhundert wurde daraus der paradoxe Schluss gezogen, die Fuge sei keine Form, sondern vielmehr die Summe ihrer kompositionstechnischen Prinzipien. Der theoriegeschichtliche Ursprung dieses von der Musiktheorie selbst verursachten Problems ist a) in der kritischen Auseinandersetzung der jüngeren Musikwissenschaft mit Formalisierungsversuchen zur Standardisierung der Fuge während des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts zu sehen (‚Schulfuge‘), die b) dem Bedürfnis nach der Formulierung von musikalischen Gesetzen, Schemata und Normen in der musikakademischen Kompositionslehre entgegenkam, ohne c) die Auswirkungen des Paradigmenwechsels von der Poetik zur Formenlehre im achtzehnten Jahrhundert hinsichtlich der poetischen Kategorien (dispositio, inventio) und nicht nur der satztechnischen Aspekte der Fuge angemessen zu würdigen (vgl. Dahlhaus 1989, 149–165). An der Fuge zeigt sich exemplarisch, dass musikalische Form a) auf Rahmenvorgaben beruhen kann, die b) in kompositorischen Prozessen für individuelle Entscheidungen der Planung und Ausgestaltung offen sein müssen und sollen.
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Das Paradox der Fuge besteht darin: Je kunstvoller sie ausgeführt wird und einem Regelapparat verpflichtet ist, desto mehr erweist sich Formbildung als offener schöpferischer Prozess, der sich zwischen Redundanz und Varietät erneuert (vgl. Luhmann 31999, 170). In Marpurgs Abhandlung von der Fuge heißt es: „An der bekannten Ordnung derselben in Ansehung ihrer Folge kann man sich, um mehrerer Sicherheit willen, dabey so lange halten, bis man sich über diese Regeln zu erheben, und mit vernünftiger Freiheit zu modulieren weiß.“ (Marpurg 1753/54, 123). Die Kunstfertigkeit der Fuge beruht auf einer formalen Offenheit avant la lettre.
Durchdringung und Spekulation Hybridbildung gehört zum Wesen der Fuge seit der Klassik: a) als Teil der Sonatenform (Mozart, Streichquartett G-Dur KV 387/IV, 1782; Symphonie C-Dur KV 551/ IV, 1788; Ouvertüre Die Zauberflöte KV 620, 1791), b) insbesondere als Teil der Durchführung (Beethoven, Sonaten für Klavier op. 101/IV und op. 106/I), c) als Satz in der Klavier- und Kammermusik oder Symphonie (Haydn, Streichquartette op. 20, 1772; Symphonie D-Dur Nr. 70/IV, 1779; Beethoven ab 1815). Reicha unterscheidet in der Kompositionslehre von 1824 bei der Fugenkomposition zwischen dem style ancienne und dem style moderne (Reicha 1824). Um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gilt Bach als ‚Übervater‘ der Fugenkomposition. Die aus historischer Ferne nachleuchtenden Prinzipien quadrivialer Analogien und der dispositio geraten in den Einflussbereich einer historisierenden Architekturmetaphorik. Sie entführen die Deutung der Form Bachscher Fugen auf Schauplätze der Zahlensymbolik, rekurrieren auf ‚Bauhüttengeheimnisse‘ des gotischen Kathedralbaus und laden durchaus vorhandene numerische Bezüge von Musik und Architektur, barocke Konventionen missverstehend, mystizistisch auf. Neben der Bach-Forschung etabliert sich ein wissenschaftlich fragwürdiger Graubereich, dessen Behauptungen durchaus kompositorische Beachtung fanden und finden.
6 Variation Variation ist eine elementare Befähigung menschlichen Gestaltens. Darum birgt Variation Potenziale für die Entwicklung von Diversität in den Künsten und wirkt immanent. Variationen greifen explizit auf Modelle zurück, deren Schemata im Hintergrund erhalten bleiben, und sie progressiv stets anders ausfüllen. Dem Aus-
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Form als Performance
zieren von Melodien begegnet man in Werken für Tasteninstrumente und Laute des späten fünfzehnten Jahrhunderts, koinzident zum varietas-Gebot der Kontrapunktlehre (vgl. Tinctoris 1477). Variation wird schon zu einem frühen Zeitpunkt als Form und Forum für Virtuosität entdeckt. Das spielerische Vergnügen an immer kleineren und schnelleren Notenwerten dokumentiert das Fitzwilliam Virginal Book, zusammengestellt bis 1625. Es enthält zwei Typen von Variation: die figurative Melodievariation über populäre Lieder, auch geistliche (Walsingham), und die Variation über einen wiederkehrenden (ostinaten) Bass, in England als Ground bezeichnet. Die genauso beschaffene französische Tanzform Passacaille oder Chaconne (ital. Passacaglia, Ciacona) kann einen erheblichen Umfang annehmen. Sie tritt in der Instrumentalund Vokalmusik (Oper, Kantate) auf. Beliebte Bassmodelle mit einer charakteristischen Generalbass-Aussetzung erhalten einen Namen, darunter der RomanescaBass, der Lamento-Bass (absteigende diatonische oder chromatische Tonfolge im Umfang eines Tetrachords) oder das populäre La-follia-Modell (Corelli, Sonata XII in d La Follia op. 5 Nr. 12 für Violine und Basso continuo, ersch. 1700). Bachs Passacaille c-Moll BWV 582 für Orgel begründet den Gattungstypus Variationen und Fuge. Variationen behalten stets die Tonika bei, umfangreichere Werke können zur formalen Strukturierung das Tongeschlecht wechseln, so in Werken Frescobaldis oder in Bachs monumentaler Ciacona aus der Partita II d-Moll BWV 1004 für Violine solo. Die Tendenz der Virtuositätsentwicklung wird einer vielschichtigen und komplexen Dramaturgie unterzogen. Der Aufbau von Bachs Aria mit 30 Veränderungen BWV 988 als IV. Theil der Clavierübung (1742) folgt einem dreischrittigen Muster aus Charakterstück, Virtuosenstück und Kanon (Unisono bis None). Das Werk präsentiert Spiel- und kontrapunktische Techniken sowie Affekte in ganzer Breite. Zuletzt macht sich Bach über seine eigene Kunstfertigkeit mit einer Montage von Volksliedern (Quodlibet) lustig (darunter Kraut und Rüben haben mich vertrieben). Die Melodievariation über populäre Lieder, Opernarien oder Themen wird besonders geschätzt, in der Öffentlichkeit auch improvisatorisch ausgeübt. Variationen über eigene Themen sind häufiger in einem größeren Werkverbund vertreten (Klavier-, Kammer- und Orchestermusik). Gerade die Einfachheit von Themen kann als Herausforderung verstanden werden, noch kunstvoller mit ihnen zu verfahren. Der instrumentaldidaktische Aspekt der Variation liegt in der Vielfalt der Spieltechniken, die sie enthalten. Neben dem Wechsel des Tongeschlechts wird die vorletzte Variation häufig als Adagio gestaltet, die letzte in einem schnellen Tempo nebst Taktwechsel (Stretta mit Konzertkadenz). Gelegentlich erscheinen Variationssätze am Beginn einer Klaviersonate (Mozart, Sonate A-Dur KV 331, 1783/83; Beethoven, Sonate Nr. 12 As-Dur op. 26, 1801).
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Beethoven nutzt die Variation als Experimentierfeld. Die Ausdifferenzierung der Variation von der Melodie- zur Charaktervariation nebst Aufgabe der tonikalen Einheit zugunsten einer Terzordnung geschieht erstmals in den Sechs Variationen über ein eigenes Thema F-Dur op. 34 (1802). Eine Koppelung von Melodieund Bassvariation führt Beethoven erstmals in den Fünfzehn Variationen mit einer Fuge Es-Dur op. 35 (1802) für Klavier durch, die Ausgangspunkt für den Finalsatz der Symphonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 Eroica (1803/04) werden. Die Dreiunddreißig Veränderungen über einen Walzer von Anton Diabelli op. 120 (1819/1823) beruhen auf der Isolation einzelner Elemente des Themas und überschreiten die Grenze zur Dekonstruktion.
7 Formen der Klassik Sonate Über einen Zeitraum von rund vierzig bis fünfzig Jahren erfährt das barocke Formenrepertoire durch instrumentalmusikalische Gattungen eine durchgreifende Umgestaltung. Die Sonate erhält als Gattung einen neuen Zuschnitt. Erfolg hat ein Typus der Claviersonate, der a) aus der dreisätzigen Sonata da camera (schnell– langsam–schnell) entsteht, b) sich mit Klavierkammermusik überschneidet. Neue Gattungen bedienen den Musikbedarf bürgerlicher Schichten nebst Adel: aus Frankreich die c) erfolgreiche Sonate mit begleitender Violine oder Flöte (Cassanéa de Mondonville), auch als Klaviertrio mit Koppelung des Violoncellos an den Klavierbass, im süddeutschen Raum häufig als d) dreisätziges Divertimento (Haydn: zweiter oder dritter Satz als Menuett). Mit dem e) Streichquartett, das sich rasch von der fünfsätzigen Divertimento-Form mit zwei Menuetten löst, etabliert sich bei Haydn eine Gattungsinnovation von größter musikgeschichtlicher Bedeutung. Das Modell der dreisätzigen Sonate gilt für fast alle Gattungen der Instrumentalmusik (vgl. Koch 2001 [1802], Sp. 1415–1417). Die Klaviersonate ist fast immer zwei- oder dreisätzig; erst durch Beethoven wird Viersätzigkeit zu einer häufiger gewählten Option, bevor sie im neunzehnten Jahrhundert zur Norm erhoben wird. Streichquartette (andere Gattungen der Streicherkammermusik mit oder ohne Bläser folgen) sind viersätzig, bevor Beethoven in seinem Spätwerk den Rahmen sprengt. Die Symphonie löst sich von der dreiteiligen Opernsinfonia, verselbständigt sich zur eigenen Gattung und wird zur Viersätzigkeit erweitert. Das Formenrepertoire umfasst: 1. Sonatensätze (langsame Einleitung als Option), 2. langsamer Satz als Liedform, Sonatenform, Variation oder freie Form
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Form als Performance
(Haydn: Capriccio, Fantasie), 3. Menuett mit Trio, 4. Rondo- oder Sonatenform. Haydn experimentiert mit weiteren Anordnungen der Satzfolge (Symphonie, Quartett).
Sonatenform Infolge von Strukturveränderungen und Ausdifferenzierungen, begünstigt durch Affektwechsel, entwickelt sich aus der binären oder ternären Suitensatzform ||: a :||: a' :|| oder ||: a :||: a'' | a' :|| der Rahmen einer Sonatenform: ||: Exposition :||: Durchführung | Reprise :|| H→S→A
Prozesse
H→S→A
Die einfachste Exposition ist untergliedert in Hauptsatz (H), Seitensatz (S) und Anhang (A). In Durtonarten wird der Seitensatz in der Dominanttonart gebildet, in Moll in der Paralleltonart. In frühen Sonatensätzen in Moll tritt noch die suitensatztypische Molldominante auf (C. Ph. E. Bach: Sonata 1 e-Moll Wq 49, 1742), die Beethoven zeitlebens für den Ausdruck besonderer Leidenschaft weiter nutzen wird (z. B. Klavierquartett Es-Dur WoO 36/II, 1785; Sonate cis-Moll op. 27 Nr. 2/III, 1801; Sonate E-Dur op. 109/II, 1820). Überleitung (zwischen H- und S-Satz) und Schlusssatz (oder A) ermöglichen die Plazierung weiterer Motive oder thematischer Gedanken. Die Beziehung von Haupt- und Seitensatz kann a) monothematisch gestaltet werden. Möglichkeiten der b) Kontrastbildung liegen nicht nur im Motivischen oder in der Substanzgemeinschaft, sondern beziehen c) syntaktische Aspekte mit ein (Mozart, Kegelstatt-Trio Es-Dur KV 498/I). Alle Satzteile sind d) erweiterbar. Aufgrund ästhetischer Empfindlichkeiten gegen Wiederholungen (Reprise!) wird es erforderlich (C. Ph. E. Bach 1760: Sonaten mit veränderten Reprisen), die Wiederholung von dem e) Begriff Reprise als Teil der Sonatenform nebst Änderungen des Formverlaufs zu unterscheiden. Formteile können f) in der Reprise umgestellt werden (Mozart, Sonaten D-Dur KV 310/I, 576/I). Haydn und Beethoven arbeiten Durchführungen g) thematisch-motivisch aus, doch umfasst das Spektrum des klassischen Sonatensatzes noch h) Durchführungen mit eigenem Thema (Mozart; Beethoven selten) oder athematische Sätze (Mozart). In langsamen Sätzen kann i) auf die Durchführung verzichtet werden (Haydn, Streichquartett B-Dur op. 33 Nr. 4/III; Mozart, Streichquartett B-Dur KV 458/III),
Musikalische Form
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darin einer zweiteiligen Cavantine ähnlich. Auch kann j) ein Seitensatz wegfallen zugunsten der Überleitung zum Schlusssatz. Weil musikalische Formtheorien Regeln aufstellen und als Selbstbeschreibungen geltender Anforderungen zu verstehen sind, konnte sich der klassische Formbegriff als Normbegriff, als historisch umrissenes, autonomes Kraftfeld etablieren. Wie die Fuge stellt die Sonatenform jedoch ein komplexes System von Möglichkeiten dar, das entgegen der Postulate der im neunzehnten Jahrhundert entstandenen Musiktheorie (A. B. Marx 1837–1847; Riemann 1902–13) keine formgesetzmäßige Normativität kennt (nach Beethovenschen Sonatensätzen, die auf dem Kontrastprinzip beruhen), sondern evolutionär Formendiversität hervorgebracht hat (Rosen 1983; Schmidt-Beste 2006; Hepokoski und Darcy 2011).
Syntax Das motivische als inhaltliches Prinzip der Satzbildung setzt sich in einem längeren Prozess gegen die interpunktischen Prinzipien der Forminterpretation durch, um als syntaktischer Teil der Formenlehre fortzubestehen (vgl. dazu Budday 1983). Dabei sind die Begriffe Periode und Satz einer formalen Umbestimmung unterworfen. Am Aufbau der Kompositionslehrwerke von Riepel (1752), Koch (1782–1793), Momigny (1806), Reicha (1824) bis Marx (1837–1847), Richter (1852; 1853) und anderen kann der Prozess nachverfolgt werden. Zur Demonstration der interpunktischen Struktur der Klang-Rede wählte Mattheson schon 1739 das Menuett. Bei Riepel wird der Satz im Suitensatzformat zum Paradigma einer syntaktischen Lehre, die sich darauf stützt, dass ein 8-taktiger Satz allgemein als ästhetisch besonders angenehm empfunden wird. Die Lehre folgt langfristig herausgebildeten formalen Konventionen. Der 8-taktige Satz wird untergliedert in 4 + 4, 2 + 2 + 4, 4 + 2 + 2 oder 2 + 2 + 2 + 2 Takte. Zur ästhetischen Beschreibung des Formverlaufs wird ein komplexes Begriffsnetz abhandelt (z. B. Einschnitt, Zäsur, Fonte, Ponte, Quint- und Grundabsatz): die Theorie von der Incision bzw. der Interpunktion nach grammatikalischem Vorbild. Es handelt sich um einen Qualitätsmaßstab, wenn in einem Satz „die verschiedenen Absätze ordentlich einander erzählen und antworten“, denn „eine gute Composition müsse reden ohne doch ein Wort auszusprechen“ (Riepel 1755, 51). Unterschieden werden die Grundtypen Periode und Satz, wobei ohne nähere inhaltliche (motivische) Bestimmungen a) unter Satz ein vollständiger Sinnabschnitt und b) unter Periode der Zusammenschluss mehrerer Sätze zu einer musikalischen Sinneinheit verstanden wird (vgl. Koch 2001 [1802]), die c) durch Art der Kadenzierung sinnfällig gemacht werden (Grundabsatz als Ganzschluss, Quintabsatz als Halbschluss). Motivisches Denken fördert das inhaltliche Verständnis von Periode und Satz:
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Form als Performance
a) motivische Korrespondenz zwischen Vorder- und Nachsatz (2 + 2) + (2 + 2) = a + b + a + b' oder c gilt als Periode, b) das Modell (2 + 2) + 4 = a + a' + b als Satz. Auch die dafür verwendeten Begriffe Vordersatz und Nachsatz, die sich idealiter auf 4 + 4 Takte verteilen, sind der Grammatik entlehnt und folgen französischen Vorgaben (antécedent, conséquent). Das Prinzip der 4- oder 8-Taktigkeit repräsentiert den Normalfall, der nicht mit einer Norm verwechselt werden darf. Schon immer wurden Sätze gebildet, die ungradzahlig zusammengesetzt sind. Entscheidend ist stets das ästhetische Kriterium empfundener Stimmigkeit: Den Gegensatz von geradzahligen und ungeradzahligen Gruppierungen setzt Mozart gezielt ein, so im Streichquartett F-Dur (1790) KV 590/I (vgl. Takte 1–6 und 31–38). Dessen Menuett gestaltet er mit Absicht ungeradzahlig (z. B. 7-, 5-, 9-Takter); das Ergebnis ist anspruchsvoll, liegt aber nicht außerhalb der Konvention. Durch Verschränkung zweier 4-Takter entsteht ein 7-Takter, wenn der Schluss des ersten 4-Takters den Beginn des zweiten 4-Takters bildet (‚Takterstickung‘, vgl. Koch 2001 [1802], Sp. 1486–1488). 3-Takter können sich so zu 2er-Gruppen fügen und erzeugen eine syntaktisch bedingte Dynamik. Mozarts Sonata II Es-Dur (1778), KV 302 (293b)/I für Klavier und Violine (Takte 1–40) ist ein Lehrbeispiel solcher Möglichkeiten. Im klassischen Stil nehmen Hybridbildungen zu: Elemente der barocken Ritornellform (Tutti-Solo-Prinzip) verschmelzen a) mit der Sonatenform zur Konzertsonatenform mit Tutti- und Solo-Themen. Die französische Kompositionsart des Rondeaus, dessen Couplets aus motivischen Beziehungen zum Refrain bestehen, wird im klassischen Stil zum Ansatzpunkt für die Übertragung von Prinzipien der Sonatenform auf das Rondo. Formen durchdringen sich b) gegenseitig (Sonatenform ↔ Rondoform), oder sie nehmen c) andere Formprinzipien in sich auf (Sonatenform → Fuge; Fantasie → Sonatenform; Rondo → Variation; Rondo → Fantasie), so dass bisweilen d) Schwierigkeiten formaler Eindeutigkeit auftreten (z. B. Mozart, Rondo D-Dur KV 485, 1786). Im klassischen Stil wird die Bezeichnung Fantasie häufig hinzugezogen, um Abweichungen von Erwartungen (Formbehandlung, Harmoniegestaltung) einordnen zu können. Das Strapazieren von Regelerwartungen durch Beethoven, welches die zeitgenössische Kritik nicht müde wird, zu betonen (vgl. Kunze 1987), wird an seinem Beispiel sowohl in den Rang einer inkommensurablen Qualität erhoben als auch zum Zankapfel der Schulen: Der Finalsatz der 9. Symphonie d-Moll op. 125 ist ein Hybrid aus Opernfinale, Themendualismus, konzertanten Strukturen, instrumentalem und vokalem Rezitativ, Reminiszenzen und zwei Variationszyklen und Fugen. Dessen mehrschichtige Struktur fordert Widersprüche geradezu heraus. Formen wie das Rondo besitzen darüber hinaus die Möglichkeit zur Potenzierung des liedförmigen Aufbaus (Mozart, Schubert). Ein
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Einzelfall stellt Beethovens trizyklisches Sonatenrondo der 8. Symphonie F-Dur op. 93/IV dar: ABA C ABA D ABACoda. Auf eine restriktive Kontrapunktlehre reagiert Beethoven mit Zusätzen zur Partitur, um seine Handhabungsweise klar zu stellen: „con alcune licenze“ (Sonate B-Dur für Klavier op. 106/IV: Allegro risoluto), „Grande Fugue, tantôt libre, tantôt recherchée“ (Große Fuge op. 133, zum Streichquartett B-Dur op. 130 gehörend).
Struktur In der literarischen Musikästhetik der Romantik wird durch E. T. A. Hoffmann ein Strukturbegriff formuliert, der das Motiv als Quelle einer werkumfassenden Morphologie erkennt (Beethoven, Symphonie Nr. 5 c-Moll op. 67) und Form als sinnlichen Widerschein der Struktur transzendiert. Mit Beethovens Instrumentalmusik öffnet sich ein „Reich des Ungeheuern und Unermeßlichen“ (Hoffmann 2006 [1814], 54). Unter dem Einfluss der klassizistischen Naturtheorie Goethes (Goethe 1798, Die Metamorphose der Pflanzen) bildet sich entlang der diskursiven Forminterpretationen der musikalischen Klassik a) der Gegensatz zwischen einem mechanistischen und einem organischen Formdenken heraus (vgl. Schmidt 1990). Das Organismusmodell arbeitet sich in Wechselwirkung mit dem soeben bezeichneten Diskurs b) an Kants Musikauffassung ab, c) geht von gefühlsästhetischen Prämissen zur Darstellungsform eines in sich vollendeten Ganzen über, schließt d) die Idee metamorpher, struktureller Prozesse mit ein und nimmt e) eine Entwicklungslogik der Formen an, die von der einfachsten periodischen Struktur über die Liedform und deren Verdichtung in den Rondoformen bis zur Sonatenform reicht (A. B. Marx). Die f) Unterscheidung von Mechanisch-Lernbarem (Formenlehre) und Genialisch-Nichtlernbarem (Formintuition) verdeckt die lebensweltbezogene Dimension des Komponierens als eines Tuns. Da musikalische Form im Unterschied zu den übrigen Künsten in der Zeit erlebt wird, bedarf es der Zurechnung einer g) plastischen Qualität analog zur bildenden Kunst, die im Begriff der Darstellungsform zum Ausdruck gelangt. Das verweist auf eine der Kognition des Hörens affine Visualstruktur (vgl. Gessinger 1994), die von jeher im Schriftbild von Musik manifestiert ist und musikalische Form als verräumlichtes Äquivalent einer Zeitstruktur erscheinen lässt. Die h) an der Instrumentalmusik gebildete integrale Formauffassung als kunstgesetzliches Werkganzes wird am Beginn des neunzehnten Jahrhunderts zu der autonomie- und ideengeschichtlich relevanten (vgl. Dahlhaus 1978). Als Hintergrundinterpretation wechselt die Text-Körper-Metaphorik in Verbindung mit dem Begriff der organischen Form gleichsam die Seiten: Nicht mehr
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Form als Performance
die Art und Weise der Zusammensetzung einer Form ist das Erkenntnisziel, sondern die innere Einheit des musikalischen Kunstwerks. Musikverstehen durch die Mittel (form-)analytischer Musikkritik kann sich nunmehr dem Vorwurf aussetzen, „Vivisektion“ zu betreiben (Brzoska 1995, 84; Hinrichsen 1999, 327 ff.). Der Stellenwert des Zergliederns, der Analyse des musikalischen Kunstwerks, gewinnt seine Bedeutung – um Schönberg zu paraphrasieren – aus seiner Fähigkeit, statt zu sagen, wie es gemacht ist, erkennen zu helfen, was es ist (vgl. Schönberg 1976 [1932], 179). Die Notwendigkeit der Strukturerkenntnis musikalischer Kunstwerke gerät in ein Spannungsverhältnis zu deren künstlerisch immateriellem Wesen. Sobald das Organismusmodell in eine enge Beziehung zur Kunstontologie tritt, beschreibt der akademische Kanon aus Harmonie- und Formenlehre, Kontrapunkt, Instrumentationslehre und Analyse nur noch die empirische Wirklichkeit eines Regeluniversums, das auf der Gesellenreise zur wahren Kunst durchschritten werden muss. Beethovens Kompositionsweise wird einerseits als paradigmatisch bewertet, andererseits zum Problem: paradigmatisch, wenn der Bezug von Motiventwicklung und Formbildung als didaktiktauglich und deshalb idealtypisch erscheint (Sonate f-Moll für Klavier op. 2 Nr. 1/I: Allegro), problematisch, wenn der Standpunkt der Theorie noch im gleichen Werk zu Erklärungen nötigt, weil der formtheoretische Rahmen zu schematisch gefasst wurde (Sonate f-Moll für Klavier op. 2 Nr. 1/IV: Prestissimo). Aus den Verschränkungsmöglichkeiten zwischen Rondo und Sonate schließt A. B. Marx, dass zwischen beiden Formen ein lineares (organisches) Entwicklungsverhältnis bestehen müsse, und er bestimmt das Prestissimo als Übergang zwischen Rondo- und Sonatenform. Tatsächlich schreibt Beethoven Sonatensätze, wobei er seltener der monothematischen Praxis Haydns, häufiger dagegen der eher dualistischen Praxis Mozarts folgt. Bereits die formale Anlage des Prestissimo kontrastiert den ersten Satz durch Neugewichtung der Entwicklungsdynamik in formaler Hinsicht vollständig. Der Sonatensatz weist eine Exposition in fast liedförmiger Symmetrie auf, als Moll-Satz steht der Seitensatz in der Moll-Dominante. Ein neues Thema – auch dies wird bei Mozart angetroffen – beherrscht die erste Phase der Durchführung; in dessen engem melodischem Bezug zum Hauptthema des 1. Satzes deutet sich eine Zyklizität des Ganzen an. Schuberts Formbildungen in der Symphonik, Klavier- und Kammermusik spielen mit expansiven Tendenzen, die im Gegensatz zu Beethoven Formverläufe häufig exakt wiederholen und dies mit Tonartenanordnungen verbinden, welche über die klassischen Muster formbildender Harmonik weit hinausgehen: z. B. Quintett A-Dur Op. 114 D. 667 Die Forelle, 2. Satz Andante: F-Dur – fis-Moll (!) – D-Dur | Übergang G-Dur | As-Dur – a-Moll (!) – F-Dur
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Die Musik durchläuft einen (en)harmonischen, formkonstitutiven Zirkel, der das musikalische Zeiterleben auf Unendlichkeit ausrichtet. Die strukturelle Leistungsfähigkeit von Formtheorien besteht darin, Projektionen zu ermöglichen: Eigentlich nach anderen Prinzipien angelegte Strukturen können a) auf formbildende Annahmen bezogen werden, die gar nicht in den Strukturen enthalten sind. Das b) produktive Missverstehen gehört zum Ensemble von Übersetzungsverhältnissen, Transformationen und Neubewertungen, die reflexiv von anderen diskursiven Erfordernissen und Kontexten motiviert sind, Entwicklungen ebenso anleiten wie Widersprüche auslösen.
8 Das neunzehnte Jahrhundert Form als Spannungsfeld Die Theoriebildung zu klassischen Formen durchläuft im neunzehnten Jahrhundert, nachdem Komposition zum Studienfach an Konservatorien (Paris 1795) wurde, Prozesse der Akademisierung und Verwissenschaftlichung, parallel zur Entstehung der universitären Musikwissenschaft. Ab 1830 geht die Produktion von Klaviersonaten deutlich zurück, während die Sonatenform umgekehrt zum Kernstück der Theoriebildung avanciert. Überlegungen, wie denn der Vorbildcharakter des klassischen Stils und einer inzwischen wiederentdeckten Vergangenheit (Bach, Palestrina) zu interpretieren sei, verbindet eine literarisch, philosophisch und kunstgebildete Komponistengeneration ab den 1820er-Jahren mit hoher Bereitschaft zur Selbstreflexion. Kontroverse Ansichten zu Beethovens Spätwerk nehmen Einfluss auf den ästhetischen und theoretischen Diskurs mit erheblichen Auswirkungen auf die Bildung und Streitigkeiten von Schulen. Die Poetik musikalischer Form findet ihren Gegenstand im romantischen Charakterstück, das die Inszenierung von Virtuosität einschließt, wobei sich die Liedform als äußerst modulationsfähiges Gefäß für musikalische Ideen unterschiedlichster Art herausstellt: bei Fanny und Felix Mendelssohn, Robert und Clara Schumann ebenso wie bei Chopin und Liszt. Chopin bestreitet fast sein gesamtes Werk mit der Liedform (Etüde, Nocturne, Walzer, Polonaise, Scherzo, Prélude), die besonders in den Mazurken zu einer eigenen Dramaturgie ausgestaltet wird. Bei Schumann und Liszt wirken Tendenzen einer episodischen und narrativen Formbildung, bei Chopin finden sie sich in den Balladen.
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Autonomie und Zukunftsentwurf Die Autonomisierung des musikalischen Kunstwerks, von Dahlhaus 1978 ideengeschichtlich rekonstruiert (vgl. Dahlhaus 1978), trifft um 1830 auf eine Situation, in welcher der Autonomisierungsprozess erkennbar wird als Teil eines komplexeren modernisierungsgeschichtlichen Vorgangs. Erst dadurch wird verständlich, warum die folgenden musiktheoretischen Diskussionen von musikalischer Form ästhetische Gegnerschaften zwischen manchen kompositorischen Strömungen hervorrufen. Zukunftsfragen befassen sich mit der Möglichkeit des Gesamtkunstwerks, und zwar als ästhetisch-politische Kritik (vgl. Berlioz, Euphonia ou la ville musicale, 1844; Brzoska 1995) oder als symbolische Form der Einheit von Fortschritt, Kunstkonzeption und Gesellschaftsentwurf (vgl. Wagners Zukunftsschriften von 1848/49). Da die Auffassung besteht, die Prinzipien des Fortschritts träfen eher für Wissenschaft, Technik und Wirtschaft zu, während Kunst evolutionären Gesetzmäßigkeiten folge, wird mancherorts bezweifelt, ob Theorie überhaupt in der Lage sei, hinreichende Kriterien für Kunstentwicklung zu liefern. 1866 äußert sich der Musikwissenschaftler Fétis nicht ohne polemischen Unterton rückblickend: „L’époque où Berlioz fit les premiers pas dans sa carrière était celle des ardentes luttes de l’école romantique contre les œuvres d’un autre temps devenues célèbres et désignées par le nom des classiques.“ („Die Epoche, in der Berlioz die ersten Schritte seiner Karriere machte, war jene der hitzigen Kämpfe der romantischen Schule gegen die Werke einer anderen Zeit, die durch die Namen der Klassiker berühmt geworden war.“ Fétis 21866, 362). Fétis folgte Comte in der Ansicht, evolutionäre Konzepte seien für die Kunst vorteilhafter als Fortschrittsannahmen, da sich für die Komponisten mehr und mehr der Blick auf die Musikgeschichte richte: „[L]es compositeurs qui avancent avec détermination ne peuvent plus ignorer le passé qui leur colle aux talons et que leur dévoile la jeune musicologie, ni même croire au progrès, concept qu’un Fétis remplace par celui d’évolution.“ („Die zielstrebig nachrückenden Komponisten können weder die Vergangenheit ignorieren, die ihnen an den Fersen klebt und die ihnen die junge Musikwissenschaft enthüllt, noch an einen Fortschritt glauben, den Fétis durch das Konzept der Evolution ersetzt.“ François-Sappey 2009, 222). Aus dem Wie der Verwendung einer musikalischen Form kann nun ersehen werden, wie sich Komponisten a) in einer ästhetisch heterogener werdenden musikalischen Landschaft positionieren, die b) von einem normengebenden musikakademischen Feld und c) von Diskursen beeinflusst wird, und d) auf den ästhetischen, performativen und funktionalen Kontext bezogen ist, in dem sie erscheint. Jede Musikgattung kann zyklisch behandelt werden. Zyklizität heißt, dass Form auf einer nächst höheren Ebene überformt wird: durch a) ein satzübergrei-
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fendes, variierbares Thema, ein Motiv, eine harmonische oder rhythmische Struktur, die b) das Kriterium der Substanzgemeinschaft erfüllen. Daran knüpft die Überformung von Musik durch c) autobiographisch motivierte Beschreibungen oder Literaturen an. Die Satzfolge in den Programmsymphonien Symphonie fantastique op. 5 (1830) und Harold en Italie op. 16 (1834; nach Byron, Childe Harold’s Pilgrimage, 1812/18) von Berlioz entspricht psychogrammartigen und narrativen Stationen, eingefasst in eine aufgeraute Klangästhetik. Die d) idée fixe repräsentiert das Objekt der künstlerischen Programmatik als ein werkübergreifendes, nach dem ersten Satz episodisch auftretendes Thema. In Harold en Italie wird das Ich zusätzlich verkörpert von der Solo-Viola, deren Rolle sich von jener in einem Solokonzert denkbar weit entfernt hat. Der Verlauf der Sonatenform in der Symphonie fantastique nähert sich emotionalen Zustandsbeschreibungen an. Kernstück des hybriden Finalsatzes ist ein Rondo mit fugischer Technik, Verfremdung der idée fixe und Dies-irae-Umgebung. Liszt unternimmt es, Satzanordnung und Sonatenformverlauf so zu überlagern, dass das Hybrid einer e) Doppelfunktionsform entsteht. Die Formidee nimmt ihren Ausgang von der Symphonischen Dichtung (Les Préludes, 1848/54), ist jedoch übertragbar, variabel (Sonate h-Moll, 1853; siehe Moortele 2009) und entfaltet ihren Einfluss bis Strauss und Schönberg (Kammersymphonie E-Dur op. 9, 1906), der Liszts Formkonzeptionen überraschend verwirft (vgl. Schönberg 1975 [1911], 442–447). In Frankreich wird Liszts Anregung als f) thème oder forme cyclique (Franck, Saint-Saëns, d’Indy, Widor, Fauré) aufgegriffen, wirkt auf Symphonik, Symphonische Dichtung, Kammer-, Klavierund Orgelmusik und gelangt g) unter den Einfluss des Wagnérisme (Chausson, kammermusikalisches Spätwerk von Franck). Zyklische Eigenschaften werden mit einem h) Themendualismus (Chopin, Balladen; Brahms, Rhapsodie Es-Dur op. 119 Nr. 4) oder programmatischer Mehrthemigkeit (Liszt, Mephisto-Walzer I) außerhalb der Sonatenform erzielt. Formen, die sich i) auf ein programmatisches Prinzip episodischer Variation stützen, sind ebenfalls bei Liszt anzutreffen (Vallée d’ Obermann). Infolge einer von Berlioz über Schumann bis Liszt und Wagner reichenden Formreflexion kommt der Begriff j) musikalische Prosa als Resultat einer allmählichen Aufwertung romanhafter Strukturen auf (vgl. Danuser 1975). Neben Gluck und Weber sowie der Grand Opéra Meyerbeers gehört Beethovens 9. Symphonie zu den Voraussetzungen von Wagners Musikdrama, die seiner Ansicht nach den Schritt von der autonomen Instrumentalmusik zum Musikdrama als zukunftsweisende Konsequenz vollzieht. Das Ziel, den musikalischen Verlauf, Form auf ein narratives Konzept umzustellen und Gruppierungen von Rezitativen, Accompagnati, Arien, Ensembles und Chören, die zu Tableaus verbunden werden können, in einer symphonischen Struktur aufgehen zu lassen (vgl. Wagner 1982, 248–252), wird nicht in einem Schritt erreicht. Im Fliegenden Holländer (1840/41) ist jeder handelnden Person oder einer Gruppe (Matrosen, Spinnerinnen) eine
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bestimmte Tonart zugeordnet. Auch generell wird ein Szenenverlauf von einer „Haupttonart bestimmt“ (Wagner 1982 [1852], 242). Was nun die „dichterisch-musikalische Periode“ von einer traditionellen Szene unterscheidet, ist „der Reichtum von Bedingungen“ (Wagner 1982 [1852], 242, 249), der auf den organischen Kunstwerkbegriff bezogen wird (vgl. Wagner 1982 [1852], 246). Wagner unterscheidet vier konkludente Schichten: a) „Dichtung, Tanz und Musik“ bewirken ein sinnliches Ganzes; b) die „Bedeutungsumgebung“ wird durch die situative Verwendung von (Leit-)Motiven geschaffen, die sie semantisch prägt, situativ modifizierbar macht (motivische Arbeit) und Erinnerungsräume erzeugt; c) „Systembildung“ entsteht durch Relationierung von Handlung und semantischer Struktur; d) „symphonische Entfaltung“ heißt, dass die Prinzipien der Symphonie „form- und sinnkonstituierend“ auf das Musikdrama übertragen werden und dem motivischen Geschehen die Lebendigkeit des Tanzes verleihen sollen (Thorau 2003, 26–27). Hinsichtlich der syntaktischen Gestaltung ist die Überwindung der „Quadratur einer konventionellen Tonsatzkonstruktion“ (Wagner 2008 [1852], 261) ein Prozess, an dem sich Wagner selbst über einen längeren Zeitraum abgearbeitet hat. Man betrachte nur die vorherrschende Vier- und Zweitaktigkeit in der Ersten Szene des I. Akts der Walküre (1854/56), die der „Divergenz zwischen Versstruktur und musikalischer Taktordnung“ als musikalisch-prosaischer Aspekt gegenüberzustellen ist (Danuser 1975, 75)! Prosaische Syntaktik bezeichnet eine entwicklungsgeschichtliche Gesamttendenz eines komplexeren Vorgangs formaler Transformation, die – mit Ausnahme von Bruckner – bei vielen anderen, darunter Verdi (Otello, 1887, I. Akt, Erste Szene), und ebenso bei Brahms stattfindet. Einfache syntaktische Formbildungen werden zunehmend mit populären, trivialen Musikstilen oder – Adorno hätte es so formuliert – mit ‚leichter Musik‘ in Verbindung gebracht. Volks- und regionalmusikalische gefärbte Stile (Kolorit) bilden Kunstformen eigenen Rechts, die ihre künstlerische Kraft aus der Beherrschung des Einfachen ziehen, wie sich schon bei Schubert, dann Lanner, Strauß Vater und Sohn, Dvořák sowie Offenbach zeigt.
9 Musikalische Form in der Moderne Aufbruch Sicherheiten zu vermitteln, was musikalische Form ist, gehört zu den verständlichen Bemühungen musikakademischer Lehranstalten. Lehrbücher (Riemann, Große Kompositionslehre in drei Bänden, 1902/1903/1913) und Handbücher gewähren einen tiefen Einblick in die Lehrsituation der darin führenden Nationen
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Deutschland, Österreich und Frankreich, die einer schon Jahrzehnte andauernden Geschichte der Diskrepanz zwischen Musiktheorie und kompositorischer Praxis mit gesetzmäßig verfassten Darlegungen entgegenzuwirken versucht. Dieses selbst zum musiktheoretischen Topos gewordene Dilemma ist soziologischer Natur, weil es zu den divergenten Kräften auf dem musikalischen Feld führt, das sich als autonomes Feld konstituiert und dabei selbstreflexive Kräfte freigesetzt hat. Dies gilt für das gesamte künstlerische Feld, Schlüsselfigur in der Musik ist Beethoven. In Frankreich löst das Wirken Manets und anderer den Zusammenbruch der akademischen Malerei aus; der historische Formenkanon erfährt eine völlige neuartige Durchdringung bis zur – skandalösen – Brechung von Wahrnehmungskonventionen: Die Avantgarde beginnt. Debussys Prélude à l’après-midi d’un faune (1892/94) nach Mallarmés gleichnamiger Ekloge (ersch. 1876) – eines der ersten Schlüsselwerke der musikalischen Moderne – steht unter dem Einfluss des Symbolismus. Der Verflechtungsgrad eines zur empirischen Form gewordenen Aufbaus mit motivischen, harmonischen, figurativen, fluktuativen und klangfarblichen Strukturen bewirkt die Elastizität des bogenartigen Formverlaufs mit drei Hauptthemen und zwei episodischen Feldern. Begründet wird ein Formtyp, der ohne die erwähnten zusätzlichen Parameter nicht mehr sinnvoll bestimmt werden kann und exemplarisch Modernität markiert. Brahms’ klassischer Formenkanon dagegen, der in der Sonate f-Moll für Klarinette und Klavier op. 120 Nr. 1 (1894) zu besichtigen ist (Sonatenform, Lied, Rondo), ist durchdrungen von der Abstraktion des Motivs zum Intervallkern, dessen ‚Permutationen‘ eine Brücke zur Moderne schlagen. Form ist unterwegs, zur oberflächenästhetischen Hülle zu werden. In Mahlers programmatischer 2. Symphonie (1888/94) steuern die Ausmaße der Besetzung mitsamt der Ausweitung zur Vokalsymphonie – an Berlioz anknüpfend und Beethovens 9. Symphonie überbietend – einen Ereignischarakter bei, der bis in die Formbehandlung reicht. Der Ereignischarakter resultiert aus dem Zusammengehen mit einer temporalisierten semantischen Komplexität, die Mahler durch Gesten, atmosphärischräumliche Situationen, heterogene Stil- und Selbstzitate neben den Texten und ihrer Zielbotschaft ‚Auferstehung‘ sinnlich erzeugt (Intertextualität). Die Exposition des ersten Satzes führt sich bereits selbst durch; am genuinen formalen Ort der Durchführung erfolgt Zuspitzung, um von einer drastisch reduzierten Reprise abgefangen zu werden. Anstatt Lösungen anzubieten, weckt die Ausführung Erwartungen, wie es weitergeht. Expansive Interpretationen traditioneller Formen kündigen eine Krise des Formbegriffs an. Im Schlusssatz der 7. Symphonie (1904/05) gewinnt Mahler aus der Rondoform eine kaleidoskopische Mannigfaltigkeit (vgl. Hüppe 2012, 274–281). Riemanns Konstruktion des a) von Forkel begründeten Begriffs der musikalischen Logik koppelt den harmonischen Verlauf an den Rhythmus der form-
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gebenden Syntax (vgl. Riemann 1873, 42–43), behauptet b) mit Helmholtz die Naturgesetzlichkeit der Dur-Moll-Tonalität (schon Rameau scheiterte daran) und beschreibt mit der Favorisierung formbildender harmonischer Spannungsverläufe, die c) idealerweise auf Quintbeziehungen beruhen sollen, eine konservative Position der Musiktheorie. Andere kompositorische Erscheinungen werden von dieser Logik ausgeschlossen (Klangfarbe, Klangtexturen; Formtransformation, Programmatik; Zuspitzungen der Chromatisierung des Satzes, Enharmonik, Rückungen; vgl. Kurth, Romantische Harmonik und ihre Krise in Wagners „Tristan“, 1923). Hinter den Anforderungen an eine Logik, die sich im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert wissenschaftstheoretisch stellen, bleibt Riemanns musikwissenschaftlicher Entwurf weit zurück (vgl. dagegen Husserl 2009 [1900/1901], 50).
Tabubrüche, Wagnisse, Abenteuer Dagegen leistet die Emanzipation des Klangs seit Berlioz und Wagner (und nicht erst Cage!) der Emanzipation der Dissonanz Vorschub. Die Außerkraftsetzung der traditionellen harmonischen Tonalität durch die Wiener Gruppe Schönberg, Berg und Webern ist im Zusammenhang eines größeren Prozesses von mehreren Möglichkeiten zu sehen, Tonalität zu brechen oder umzuformen. Ästhetisch spektakuläre Vorgänge in der symbolischen Revolution der Moderne nach 1900 sind Werke wie der Impakt von Strawinskys Le sacre du printemps (1913) mit der Verlagerung der ästhetischen Stellschrauben zu einer rhythmisch betonten Klangenergetik. Während die a) formkonstituierende Funktion der Tonalität eingeschränkt, umgebildet, übersteigert, ausgeschaltet oder durch andere, nicht genuin tonale Strukturen ersetzt oder unterlaufen wird (Modalität, Folklorismen, Skalen anderer Kulturen, synthetische Skalen; Mikrointervalle nach Busoni 1906; Montage, Simultaneität, Polystilistik; Geräusch), nehmen b) überkommene musikalische Formen die Stelle einer oberflächenwirksamen Plausibilitätsstruktur ein, die Orientierung bietet. In der zunächst als Innovationschance erkannten Implosion musikalischer Form in der freien Atonalität (Schönberg, 6 kleine Klavierstücke op. 19, 1911; Berg, 4 Stücke für Klarinette und Klavier op. 5, 1913; Webern, 6 Bagatellen für Streichquartett op. 9, 1913), wird die Tiefendynamik des Ton- und Intervallmaterials ausgelotet, Klang, Geste und Struktur verdichten sich in musikalischen Miniaturen zu höchster Expressivität. Diesen Zustand der freien Atonalität würdigt Adorno 1961 in seinem Aufsatz Vers une musique informelle, der einen Höhepunkt dialektischer formtheoretischer Reflexion der Moderne markiert, als Ideal eines freien Formenspiels im musikalischen Expressionismus (vgl. Adorno 1997b [1961]).
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Begründet wird das Werkformat eines Stücks, das a) an keinen herkömmlichen Gattungsbegriff mehr gebunden zu sein scheint, b) athematisch ist und c) traditionelle Formbegriffe obsolet werden lässt. Schönbergs Berufung auf eine Formenlehre als Kompositionslehre, deren Traditionsverweise zur Zukunftsinterpretation herangezogen werden, beschreibt eine zentrale Position der Harmonielehre von 1911, die mit der Erörterung der neuen Klänge die eigentliche Innovationsleistung der ansonsten konventionellen Abhandlung darstellt. Für die formbildenden Tendenzen bleibt der bereits eingeführte a) Organismusbegriff maßgeblich, jedoch b) in psychologistischer Überformung. Schönbergs Beschreibung eines c) ‚Formgefühls‘, das den formbildenden Kräften des musikalischen Materials vorreflexiv zu folgen glaubt, wäre ohne das soziale Klima des Kunst- und Geisteslebens in Wien, dessen Mittelschichten die Psychoanalyse rezipieren, so nicht vorstellbar. Ein daran ausgerichteter Begriff musikalischer Logik, dessen Eigenart d) darin besteht, durch und durch polythetischer Natur zu sein, wird in der Schrift Brahms, der Fortschrittliche (1933) ergänzt um die e) Auffindung des Prinzips der ‚entwickelnden Variation‘. Texte wirken als formgebende Struktur (Schönberg, Pierrot lunaire, op. 21, 1912), die den Trend zur Miniaturisierung von Form, die Webern als den seinen entdeckt (Drei kleine Stücke für Violoncello und Klavier op. 11, 1914), umkehren helfen. Berg unternimmt es – beginnend mit den Drei Orchesterstücken op. 6 (1913/15) –, traditionelle Formen in der freien Atonalität zu restituieren (u. a. Rondo, Marsch), weist ihnen im Aufbau der Oper Wozzeck op. 7 (nach Georg Büchner, 1914/21) eine je dramaturgische Funktion in jeder Szene zu (z. B. Passacaglia über eine Zwölftonreihe, Sonate, Rondo, Fuge etc.) und zeigt sich dabei als formkreativ (Invention über einen Rhythmus, einen Klang, einen Ton).
Unumkehrbare Heterogenität: Spielarten der musikalischen Moderne nach 1920 Die Erfindung der Zwölftontechnik mit dem Durchbruch des Neoklassizismus in einem Atemzug erwähnt zu finden, mag befremden. Nach der Epochen-Zäsur des Ersten Weltkriegs kristallisieren sich bereits vorhandene Tendenzen der Heterogenisierung in aller Schärfe heraus. Der gemeinsame Horizont, welcher Zwölftonkomposition mit dem Neoklassizismus und den meisten anderen sogar widerstrebenden Richtungen bis zum Futurismus vereint, ist eine Bach-Rezeption, die international bis in die moderne Kunst reicht (Expressionismus, Kubismus, ‚Bauhaus‘), in Frankreich erweitert um die Besinnung auf die Clavecinisten. Als Ausdruck einer a) antiromantischen Haltung, die ein intertextuelles Spiel mit der Wahrnehmung beginnt, werden um 1918 b) Suite, Sonate (Gattung, Form, Satz-
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folge), Fuge, Konzert und Variation attraktiv, auch als Lösung von Formproblemen der freien Atonalität. Historisierende Oberflächen werden ästhetisch mannigfaltig gebrochen: c) durch Motorik und Klangenergetik, d) als Funktion des Bearbeitungsgrads, e) durch Verfremdung, Stilmontage, Kolportage, f) durch Folklorismen, g) durch Jazz und Formen der Unterhaltungsmusik – Techniken und formale Strategien, die in dieser Komplexität bei Strawinsky auftreten und sich in der Dekonstruierbarkeit versammeln. Mit dem Abrufen traditioneller Formen wird h) keine Verpflichtung mehr eingegangen, diese normativ zu behandeln (Merkmal epigonalen Verhaltens). Textur- und Formbehandlung verhalten sich i) ästhetisch nicht mehr kongruent zueinander. Die Gründung der Sowjetunion, Stalinismus, Faschismus und Nationalsozialismus setzen Formensprachen und Gattungen a) ideologischen Vereinnahmungen mit Verhaltensregeln aus. Einflussnahmen auf die Musikentwicklung durch eine kulturpolitische Doktrin (Sowjetunion) motivieren b) kompensative Reflexionsleistungen, welche die Doppelcodierung des ‚erlaubten‘ musikalischen Materials durch eine ironische Einlösung gattungsästhetischer und formaler Erwartungen betreiben (Schostakowitsch, Symphonie Nr. 9 Es-Dur op. 70, 1945). Warum in diesem Rahmen Entwicklung bis heute möglich ist, erklärt die a) mehr oder weniger latente Fortwirkung der tonalen Ratio in Kultur und Gesellschaft (Weber 31947 [1925], 860–861). Sie leitet Form- und Strukturbildungen an, die im zwanzigsten Jahrhundert von ‚Übersetzung‘, Intertextualität, Dekonstruktion und – Globalisierung gekennzeichnet sind und sich unterdessen b) von europäischen Vorbildern emanzipiert haben. In der heterogenen Struktur der Moderne sind Potenziale angelegt, die zu dem c) ästhetisch heteronomen Erscheinungsbild einer musikalischen Postmoderne beitragen.
10 Form als Konzept Formverschleiß als Entwicklungs- und Reflexionsanreiz Schon 1854 hält Hanslick eine irritierende Beobachtung fest: Musikalische Form kann verbraucht werden. „Es gibt keine Kunst, welche so bald und so viele Formen verbraucht, wie die Musik. Modulationen, Cadenzen, Intervallfortschreitungen, Harmoniefolgen nützen sich in 50, ja 30 Jahren dergestalt ab, daß der geistvolle Componist sich deren nicht mehr bedienen“ könne (Hanslick 1981 [1854], 41). Formen, die nicht den zeitlosen Prinzipien des Schönen folgen, sondern den Zeitgeschmack bedienen, pflichtet Fétis bei, werden untergehen, „la mode change, et la forme usée […] disparaît sans retour“ (Fétis 21866, VI.). Darum
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dränge ein ästhetischer Verschleiß die Komponisten „fortwährend zur Erfindung neuer, rein musikalischer Züge“ (Hanslick 1981 [1854], 41). Als Theoretiker einer frühen Avantgarde äußert auch Baudelaire eine Verbrauchshypothese, jedoch mit umgekehrten Vorzeichen. In Constantin Guys. Le peintre de la vie moderne (1863) bestimmt er das Wesen der Moderne als transitorischen Zustand, dessen Ewigkeitswerte sich genau dem Umstand verdanken, dass „toute modernité soit digne de devenir antiquité“ („jede Modernität würdig sei, Antike zu werden“, Baudelaire 1990 [1868], 476). Das Kritisch-Werden der Wahrnehmungskonventionen im neunzehnten Jahrhundert – angeregt durch Diskurse um Fortschritt, Evolution und Revolution – führt zu einem Bruch zwischen Entwicklungen, die auf dem Typ eines zuerst unauffälligen Paradigmenwechsels basieren, anderen, die ihn gezielt herbeiführen wollen, und Normalisierungsprozessen, die durch Gewöhnung und Anerkennung schwierige Werke dem Feld als neue Norm einverleiben. 1938 äußert Adorno mit Blick auf Musikmarkt und Kulturindustrie die Ansicht, der Unterschied zwischen der „Rezeption der offiziellen ‚klassischen‘ und der leichten Musik“ habe „keine reale Bedeutung mehr“ (Adorno 1997a [1938], 21). Auraverlusten durch Abnutzungseffekte der Reproduktion und Fetischisierung (vgl. Benjamin 1936) suchen Avantgarden mit einer „Logik der permanenten Revolution“ (Bourdieu 1999, 202) gegenzusteuern. Doch besitzen symbolische Revolutionen gleichfalls eigene auratische Orte, deren situationsbedingte Ursprünglichkeit weder eine Haltung des „Antiakademismus“ (Bourdieu 2015, 28–30, 207–216) bewahrt noch eine institutionalisierte Reflexivität beliebig abrufbar macht.
Formbildung als Orientierungs-, Erlebnis- und Projektionsfläche Das Aufspüren und Ausführen neuer Reflexions- und Formprinzipien in der Moderne lässt sich auf keinen einheitlichen Nenner bringen. Veränderungen an den von der Klassik geprägten Gattungen und Formen werden vorzugsweise mit Formulierungen belegt, in denen modernitätsbedingte Transformationsprozesse ins Licht der Negativität getaucht werden. Dissoziationen zwischen klassischen Form- und Gattungsbegriffen, die sich exemplarisch an exponierten Gattungen wie der Klaviersonate, dem Streichquartett oder der Symphonie zeigen, verdanken ihre Weiterentwicklung der Befähigung ihrer Urheber, innere Brüche und Widersprüche des Feldes zu erkennen und schöpferisch umzudeuten. So verlagert sich Formgenerierung auf a) strukturelle und klanglich-texturale Eigenschaften des musikalischen Materials, b) narrative und episodische Form- und Strukturbildung (Musikdrama, Symphonische Dichtung; Geschichte und Geschichten),
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c) bildhaft-atmosphärische Impulse, d) Klangphänomene der modernen Kultur und Technik im Spannungsfeld zur Natur (Raum, Erlebnis Großstadt, heterogene Kultur), e) eine sprachlautlich und gestisch verdichtete Expressivität, f) Rhythmus als Form- und Strukturgeber, g) Magie und Energetik des Klangs in der Klangkomposition und h) das psychologistisch-intuitive Ergründen eines Formgefühls. Tendenzen einer a) freien Handhabung oder b) Transformation traditioneller Formen beginnen in graduellen Abstufungen bis zur informellen Strukturbildung über einen Zeitraum, der die von etwa 1854 (Janáček) bis etwa 1885 Geborenen umfasst, virulent zu werden, darunter neben so gegensätzlichen Temperamenten wie Mahler, Debussy, R. Strauss, Satie, Skrjabin, Schönberg, Ives, Bartók und Strawinsky auch L. Charpentier, Delius, Busoni, Koechlin, Szymanowski und Varèse. Infolge der Bindung des Formbegriffs an das Repertoire historisch gewordener und theoretisch beschriebener Formen werden im Zuge musikalischer Avantgardebewegungen in Europa und den USA Anstrengungen unternommen, neue musikalische Entwicklungen auf der Ebene der ästhetischen Reflexion zu umschreiben, um neue Positionen und Diskurse auf einem inzwischen heterogen gewordenen musikalischen Feld zu installieren. Die Menge an Theoriebildungen mit entschieden selbstreferentiellem Charakter nimmt deutlich zu. Nach der Formulierung reihentechnischer Prinzipien nach Schönberg (vgl. Schönberg 1935, Composition With Twelve Tones) erfolgen schon in seinem eigenen Umfeld weitreichende Interpretationen der Komposition mit zwölf Tönen (Webern, Berg). Neben der Applikation barocker und klassischer Formen einerseits, wird andererseits ein Prozess in Gang gesetzt, der a) Formbildung aus der strukturellen Differenzierung reihentechnischer Operationen ableitet. In dem als Sonatensatz konzipierten Klavierstück op. 33b (1931) Schönbergs werden Haupt-, Seitensatz und Durchführung reihentechnisch unterschiedlichen Gruppierungen unterworfen (3 ‧ 4 oder 2 ‧ 6). Schönberg tendiert sogar zur Bevorzugung von Quinttranspositionen als Dominant- und Subdominantsurrogate (vgl. die Konzeption des Themas in den Variationen für Orchester op. 31, 1926–1928, Takte 34–57). Für die formale Weiterentwicklung dieser Techniken wird die rhythmische Dimension in anderen Richtungen der Moderne relevant, insbesondere in Werken der 1930erJahre von Messiaen und Cage, die unabhängig voneinander zu b) zukunftsweisenden Modellen der Rhythmusorganisation gelangen: bei Messiaen abgeleitet von Neumen, griechischen und indischen Rhythmen (angeregt durch M. Emmanuel), bei Cage auf der Basis einer Präferenz für Schlagzeug und Tanz (angeregt durch Strawinsky und Cowell) mit der Erfindung des präparierten Klaviers. Zugleich setzt sich die Personalisierung musikalischer Theoriebildung in Messiaens Technique de mon langage musicale (1944) in der Annäherung von Produktionsweise
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und Selbstbeschreibung fort. Der eigentliche theoretische Gehalt solcher Praxisdarstellungen besteht c) in der Anleitung zur Veränderung der Perspektivik auf das musikalische Material: dass d) die Organisation des Tonmaterials nicht zwölftönig beschaffen sein muss, sondern neue und alte Modi zwanglos einbezogen werden können und e) der Raum der Möglichkeiten oder der Grad für Anschlussfähigkeit vergrößert wird. Ein Tableau festgelegter Klänge, die zu Melodien und Harmonien kombiniert werden, bestimmt das modale Klangbild des String Quartet (1949) von Cage. Das rhythmisch fixierte Taktraster besitzt eine syntaktische Funktion, die nichts mit historischen Anordnungen wie Satz und Periode zu tun hat, aber trotzdem Anmutungen einer klassischen Form hervorruft. Messiaens Tableau von Tonparametern samt Artikulation (Mode des valeurs et d’intensités, 1949) wirkt als Impakt, der – sieht man von den fünf Grundparametern Tonhöhe, Tondauer, Tonstärke, Tonart und Klangfarbe ab – die Möglichkeit eröffnet, alle nur denkbaren Ebenen und Parameter des musikalischen Materials reihentechnisch zu behandeln.
Form = Struktur: ‚Neoscholastische‘ Verwissenschaftlichungen In der seriellen Musik der Darmstädter und Pariser Schule wird ein Höhepunkt der Formbildung durch strukturell differenzierte reihentechnische Operationen erzielt (Boulez, Structures I, 1951). Die Äußerung von Boulez, nach dem Zerfall der formalen Schemata der tonalen Musik solle jedes Werk „seine eigene Form selbst hervorbringen, eine Form, die unausweichlich und irreversibel an ihren Inhalt gebunden“ sei (Boulez 1972, 56–57), bestätigt, dass Formdenken auch in der aktuellen Entwicklung fortbesteht. Mathematische Modelle ziehen in die operative Gestaltung ein. Da eine Zwölftonreihe sowohl die Vertikale (Klang) wie die Horizontale (Melos) bestimmt, stellt eine solche Reihe bereits eine zweidimensionale Mannigfaltigkeit dar. Parametrisch erweitert gelangt man zu mehrdimensionalen, ihrem Wesen nach topologischen Strukturen, in denen die historischen Modelle von musikalischer Form gleichsam ikonoklastisch außer Kraft gesetzt wurden. Schon in den 1930er-Jahren hatte der Mathematiker Speiser in einem Beitrag zur Angewandten Mathematik (Speiser 1932: Die mathematische Denkweise) bereits gezeigt, wie selbst traditionelle musikalische Formen in die Sprache einer Anordnung von Gruppen ‚übersetzt‘ werden können. Formbildung wird auf ein kognitives, planendes und kreatives Prinzip zurückgeführt, das sowohl reflexiv als auch vorreflexiv auf unterschiedlichste Weise zur Erscheinung gelangen kann und in dem Zuge architekturanaloge Raumvorstellungen mobilisiert (vgl. Hüppe 2012). Thematisierungen solcher Denkweisen liegen bei Xenakis (Metastaseis, 1953/54) und Stockhausen (Gruppen für 3 Orchester, 1955/57) vor.
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Die mathematische Organisation der Parameter versteht sich als Verwirklichung einer strukturellen Logik analog zu mathematisch-naturwissenschaft lichen Gesetzen, die sich im Übersetzungsverhältnis der medialen Transformation der Wahrnehmbarkeit jedoch entziehen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des seriellen Diskurses nutzen einen ‚neoscholastischen‘ Raum, der sich mit der Gleichung ‚Musik = Kunst = Wissenschaft‘ unausgesprochenen auf den Begriff der musica bezieht, und zwar zu den korrelativ gewordenen Konditionen der Moderne. Verwissenschaftlichungen der Praxis von Künsten kommentierte Durkheim 1922 bereits folgendermaßen: „Ces réflexions prennent la forme de théorie; ce sont des combinaisons d’idées, non des combinaisons des actes, et, par là, elles se rapprochent de la science.“ (Durkheim 1968 [1922], 69). Die Verwendung von Zufallsalgorithmen, die auf dem Münzwurf (Kopf, Zahl) und der Verwendung des I-Ging bei Cage beruhen (Music of Changes, 1949/50) und einen Streit zwischen Cage und Boulez auslösen (Boulez und Cage 1997), liefern Ergebnisse, die strukturell von ‚logisch‘ geregelten Verfahren auditiv nicht zu unterscheiden sind. Hörbar sind Unterschiede von Personalstilen. Hintergrund dieses Dissenses sind Veränderungen des Formdenkens in den Künsten seit rund dreißig bis vierzig Jahren. In der Abhandlung Opera aperta (1962) umreißt Eco Tendenzen und Diskurse, die den seit jeher mit Form innig verbunden Kunstwerkbegriff – erstmals in der Dada-Bewegung – als solchen zum Teil radikal infrage stellen.
Offene Form und die Krise des musikalischen Kunstwerks Das Bild der Avantgarde in den USA und Europa besteht nach 1950 aus mehreren Richtungen, die sich teils überlagern, teils sich zumindest zeitweise voneinander abgrenzen: a) Serialismus, davon abhängig b) elektronische Musik und c) Musique concrète als Medienkunst; d) Komponieren mit Unbestimmtheit und Zufall (Cage 1961, Indeterminacy), e) Einflussnahme der modernen Kunst (‚Bauhaus‘-Exilanten und -Nachfolger im ‚Black Mountain College‘, graphische Notation, abstrakter Expressionismus). Daraus gehen f) musikalische Konzeptkunst, Happening und Fluxus hervor: Form wird zur Performance. Die Troisième sonate pour piano (1955/57) von Boulez und Stockhausens Klavierstück XI (1956) bestehen aus genau komponierten Segmenten, deren Formverlauf flexibel ist: einem Parcour gleichend, der aus verschiedenen Richtungen beschritten werden kann; bei Stockhausen mit der Anweisung, dies spontan zu tun. Daneben werden a) neoklassizistische und zwölftönige Kompositionsweisen weiterentwickelt (Poulenc, Dallapiccola) oder b) mit Praktiken der Avantgarde vermischt (Fortner, Hartmann, Dutilleux, Henze) mit der Folge, dass Formkom-
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binationen entstehen, deren ästhetische Integrität je nach Standpunkt zeitweise als heterodox oder kompromisslerisch bewertet wurde. Modelle der Formreflexion kommen bei Stockhausen zum Tragen: explizit im Begriff der a) statistischen Form bei Webern und Debussy (vgl. Stockhausen 1963, 76–85), der auf die Bedürfnisse serieller Strukturbildung ausgerichtet ist (Korrespondenz von Gruppen, Relationen und Verwandtschaftsgraden, kontinuierliche strukturelle Transformation als Erlebnisqualität), der b) Momentform (vgl. Stockhausen 1963, 189–210), die das relative Erleben von Zeit (gemessene und erlebte Zeit) zum Gegenstand hat (unvorhersagbare Entwicklungsrichtung statt traditioneller Entwicklungskurven, offener Anfang und Schluss), c) Einführung feldtheoretischen Denkens, Verbindung mit dem d) Begriff der Eigenzeit frei nach Bergson (vgl. Stockhausen 1963, 134–136). Das Ende der Kontakte für elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug (1959/60) nach 34 Minuten mit ihrem finalen, zweimaligen Auftreten einer Zwölftonreihe (vgl. 31' 47,5'' bis 33' 48,4'') verweist auf eine durch das Feld erworbene Disposition (Präferenz) für den form- und strukturkonstitutiven Gebrauch der Fibonacci-Reihe (0, 1, 1, 2, 5, 8, 13, 21, 34, 55, 89, 144…), die unabhängig von der bewussten Intention auftritt (vgl. Bourdieu 2015, 102–104). Lachenmanns Aufsatz Klangtypen der Neuen Musik versucht, indem er von der Klassifikation der Eigenschaften von Klängen ausgeht, ein Resumée aus den Theoriebewegungen des seriellen Diskurses zu ziehen, wobei die Absicht deutlich wird, Klang als gesamtmusikalisches Phänomen nicht nur form- und strukturbildend zu erörtern, sondern das klangliche Erleben ins Zentrum zu stellen (vgl. Lachenmann 1996 [1966/1970/1993]). Auffallend ist das beinahe völlige Zurücktreten des mathematisch-naturwissenschaftlichen Komplexes zugunsten phänomenologischer Bezüge. Zwischen den Klangtypen bestehen Familienähnlichkeiten, die nach Wittgenstein Unschärfen in Klassifikationen beschreiben (vgl. Wittgenstein 232019b [1953], 277–278, Nr. 66–67), verschiedene Aspekte des musikalischen Materials betreffen und dadurch Affinitäten stiften. Aus der Komposition verschiedener Klangtypen (Gruppierungen, Hierarchiebildungen) entsteht eine „Polyphonie von Anordnungen“ (Lachenmann 1996, 18) mit der Gleichung ‚Klangstruktur = Strukturklang‘. Nicht nur hebt Lachenmann mit dem topologischen Konzept den a) Dualismus von Klang und Form auf (1996, 20); für die Kompositionspraxis wird b) ein Werkbegriff in pragmatischer Hinsicht reformuliert (Werk = Strukturklang), um Formung außerhalb traditioneller und konventioneller Bahnen greifbar zu machen. Weiterhin werden c) gegliederte Plausibilitätsstrukturen (Fasslichkeit) bereitgestellt, um die Wahrnehmung von Vertrautem im Unvertrauten zu unterstützen. Die Klangtypen decken d) das gesamte Spektrum zwischen Statik und Dynamik samt pattern-Komposition (minimalism) ab und sind e) sowohl zur traditionellen Musik hin anschlussfähig als auch zu Prakti-
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ken eines erweiterten Musikbegriffs, den Lachenmann in seinem Konzept einer ‚musique concrète instrumentale‘ integriert hat. Die Klangtypentheorie stellt f) ein Modell zur klangtexturalen Formalisierbarkeit des ‚Sound‘ in populärer Musik und im Jazz bereit. Cages stilles Stück 4'33'' (1952) besteht aus drei Sätzen, die in der letzten Fassung nur mit „TACET“ überschrieben sind. Es zeigt, wie die Erwartung von Musik in einem Konzertsaal bestimmte Verhaltensweisen ‚förmlich‘ erzwingt. Er ersetzt die Partitur durch Einrichtungs- und Handlungsanweisungen (Variations IV, 1963), die einen Rahmen für unvorhersehbare Performanz abstecken (vgl. Goffman 1980, 143–175). In solchen Werken wird die Schwelle zur medienübergreifenden Klang- und Rauminstallation überschritten, die sich Begriffen musikalischer Form entzieht. Form wird zum sozialen Rahmen für Ereignisse.
Form und Raum Raum wird zu einer formalen Kategorie der musikalischen Avantgarde, und zwar auf eine im Vergleich mit Vorbildern aus der musikalischen Tradition (z. B. Venezianische Mehrchörigkeit des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts) vollkommen neue Weise, weil mediale Vorstellungen die Raumerfahrung der Moderne (Tonträger, Rundfunk, Film) revolutionieren (siehe oben 9.1a–c). Speichermedien entkoppeln Aufführungen von Zeit und Ort. Raum in der Musik hat eine ebenso komplexe wie diskontinuierliche musikhistorische, wissenschafts- und kulturgeschichtliche Genese. Jede Musik evoziert, produziert Räumlichkeit und ist an a) einen Normalfall der Produktion von Raum gekoppelt (vgl. Löw 2001; Hüppe 2012), der prozessual ist und sich auf historische, phänomenologische, kognitive und soziale Aspekte räumlichen (musikbezogenen) Handelns und Wahrnehmens stützt. Soll b) Musik explizit raumgestaltend und architekturüberformend in Erscheinung treten, muss das ursprünglich aggregativ (metaphysisch) gestaltete Verhältnis von musica und architectura korrelativ geworden sein. So kann Raum b) explizit als Verräumlichung zweiten Grades thematisiert werden: als Raumkomposition (Xenakis, Boulez, Nono, Stockhausen), die c) andere Kunstgattungen miteinbezieht (Architektur, Film, Theater, Tanz, Skulptur) oder sich in neue Gattungsformate verwandelt (Raum- und Klanginstallation, akustische Kunst, Multimedia). Die Musikpsychologie untersucht Raum unter den Aspekten von Empfindungen, Assoziationen, Architekturmetaphern, gestaltpsychologischen, religiösen und synästhetischen Vorstellungen, der Plastizität eines organischen Kunstganzen, der (nur ästhetisch, physikalisch nicht möglichen) Raum-Zeit-Transformation, um die Phänomene euklidischer, n-dimensionaler und nicht-euklidischer Räume an musikalische Transzendenz-,
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Immanenz- und Autonomievorstellungen heranzuführen (vgl. de la Motte-Haber 1990; 1995; 1996; Nauck 1997). Form als räumlich bewegte (An-)Ordnung von Klängen erscheint sinnlich und zugleich als konkrete situative Struktur im toposRaum, in dem Klang-, Wissens-, Erlebnis- und Erwartungsräume atmosphärisch verschmelzen (Nono, Prometeo. Tragedia dell’ascolta, 1984/85).
Epilog Bei jeder Selbstbeschreibung einer Produktionsweise handelt es sich um einen Beitrag zu einer generativen Formtheorie, deren gemeinsame Prinzipien sich erst nach einer heute noch nicht annähernd abgeschlossenen Durchmusterung des betreffenden Diskursuniversums erschließen dürften. Koinzidenzen mit einer Postmoderne, deren erste theoretische Impulse von der amerikanischen Architekturtheorie ausgegangen sind und von Lyotard (1979, La condition postmoderne) wissenstheoretisch aufgegriffen wurden, liegen auf der Hand. Ihre Geschichte, vermutete bereits Mahnkopf (2008), könnte bereits mit der musikalischen Moderne selbst beginnen. Strauss’ Der Rosenkavalier op. 59 (1909) enthält Merkmale einer Stilkolportage, wie sie nur in der Moderne möglich ist, als verkleidete Gegenwart. Die Zukunftsprognose eines Zerfalls der Tonalität wäre in eine Aufsplitterung ästhetischer Einheitsvorstellungen zu korrigieren. Soll in diesem Kontext von einer Transformationsfähigkeit der Tonalität gesprochen werden, wäre es zu einfach, auf neotonale Tendenzen der 1970er-Jahre zu verweisen. Um eine Theorie einer musikalischen Postmoderne zu gewinnen, bedarf es mehr als nur der Feststellung, dass mit Zitaten, historischen Modellen, Formen, Stilallusionen und mit Tonalität verfahren wird. Vielmehr bedarf es Überlegungen, die an Theorien einer reflexiv gewordenen Moderne anknüpfen, um a) die Transformationsfähigkeit formalen Denkens und formaler Strukturen, b) die Möglichkeit von Formbildungen und Gattungen zweiten oder dritten Grades in Betracht zu ziehen, c) die Theorie des musikalischen Materials (wozu Formen gehören) – über Adorno hinausgehend – wissenssoziologisch zu reformulieren, um d) neben der ungleichen Verteilung musikalischen Wissens auf dem musikalischen Feld auch die e) semantische Struktur des musikalischen Materials als f) sinngenerative Quelle für Performanz, ästhetische Bezugnahmen, Polystilistik, Abgrenzungen und Annäherungen, Irritation, Ambivalenz, Fragmentierungen, Multiplikation, Verortungen, Delokalisierung und Neucodierung über Feststellungen von Intertextualität hinaus stilistisch, historisch, kulturell, räumlich und diskursiv zu erschließen. Damit werden Musikstile einbeziehbar, die g) außerhalb der quasi als Norm betrachteten west- und mitteleuropäischen Musikentwicklung mit den USA stehen, zu stehen scheinen oder gestanden haben (Osteuropa, Afrika, Süd-
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amerika, Teile Ostasiens) sowie eine h) heteronome ästhetische und formale Hybridität, die als Motor der Entwicklung von Diversität musikalischer Form seit Jahrhunderten zu beobachten ist.
Weiterführende Literatur Abromont, Claude und Eugène de Montalembert. Guide des formes de la musique occidentale. Paris 2010. Diergarten, Felix. Formenlehre. Ein Lese- und Arbeitsbuch zur Instrumentalmusik des 18. und 19. Jahrhunderts. Lilienthal 2019. Geuting, Matthias. Konzert und Sonate bei Johann Sebastian Bach. Formale Disposition und Dialog der Gattungen. Kassel et al. 2006. Haas, Max. Musikalisches Denken im Mittelalter. Eine Einführung. Bern et al. 2005. Handwörterbuch der musikalischen Terminologie. Hrsg. von Hans-Heinrich Eggebrecht und Albrecht Riethmüller (ab 1999), Wiesbaden 1971–2006. Lachenmann, Helmut. „Klangtypen der Neuen Musik“. Musik als existentielle Erfahrung. Schriften 1966–1995, Wiesbaden 1996: 1–20. Rosen, Charles. Musik der Romantik. Salzburg et al. 2000. Ratz, Erwin. Einführung in die musikalische Formenlehre. Über Formprinzipien in den Inventionen und Fugen J. S. Bachs und ihre Bedeutung für die Kompositionstechnik Beethovens. 3. Aufl. Wien 1973.
Sebastian Domsch
IV.5.3 Erspielte Form 1 Einleitung Computerspiele sind auf dem Vormarsch. Vor allem in den letzten zwei Jahrzehnten haben sie sich auf vielfältige Weise als ein wichtiger Faktor in unserem kulturellen Leben etabliert. So stellen Computerspiele mittlerweile einen signifikanten Wirtschaftsfaktor dar, der Umsatz der Branche wurde bereits im Jahr 2013 auf 93 Milliarden US-Dollar geschätzt (Gartner), und diese Zahl steigt weiter rapide an. Spiele sind aber auch ein wichtiges Element unserer Gegenwartskultur geworden, sie sind längst keine Nischenbeschäftigung mehr, sondern für eine immer breiter werdende Gruppe ein zentraler Teil des privaten Medienkonsums, der über Adaptionen auch in andere Medien ausstrahlt. Selbst die Wirtschaft und der Bildungssektor haben mittlerweile das Potenzial von Spielprinzipien erkannt und versuchen, diese unter dem Schlagwort ‚gamification‘ in Arbeitswelt und Unterricht zu integrieren. Die Spiele selbst aber haben sich zwischenzeitlich zu einer Formenvielfalt weiterentwickelt, die von minimalistischen bis zu hochkomplexen Strukturen reicht und die kaum noch verallgemeinernde Urteile zu erlauben scheinen, außer einem wie dieses: Spiele lohnen es, als Untersuchungsgegenstand ernst genommen zu werden. Aus dieser Erkenntnis heraus hat sich in der jüngsten Zeit mit den Game Studies eine neue Disziplin entwickelt, die sich ganz dezidiert mit Spielen, und hier natürlich vor allem mit Computerspielen, beschäftigt. Nicht zuletzt um sich selbst theoretisch fundiert zu konstituieren, musste sich diese Disziplin zunächst einmal Fragen widmen, die auch in diesem Artikel an zentraler Stelle stehen sollen: Stellen Computerspiele eine gänzlich neue Form dar? Sind sie lediglich als Erweiterung bestehender kulturell-medialer Formen zu betrachten, vor allem der literarisch-narrativen oder auch der filmischen? Oder lassen sich diese Formen zumindest produktiv in Beziehung zueinander setzen? Im Folgenden soll es weniger um die Frage gehen ‚Was sind Computerspiele?‘, als vielmehr darum zu ergründen, welche Art von wissenschaftlichem Untersuchungsgegenstand Computerspiele sind beziehungsweise sein können. Dies schließt allerdings eine Ergründung der ontologischen Debatte nicht aus. Was also ‚sind‘ Spiele, was ist die Ontologie des Spiels? Bereits Wittgenstein (232019b [1953]) hat ja die Möglichkeit verneint, Spiele kategorisch zu definieren. Doch wie Espen Aarseth anmerkt, ist dies kein Grund, nicht weiter über Spiele zu sprechen, oder auch sie durch formale Modelle zu beschreiben (1997, 484). https://doi.org/10.1515/9783110364385-032
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Der erste Versuch, Spiele systematisch in ihren unterschiedlichen Seinsweisen zu erfassen, stammt von Roger Caillois. Caillois’ Beschreibungsmatrix besteht aus zwei unterschiedlichen Aspekten. Zum einen aus dem fließenden Übergang zwischen den beiden Grundformen ludus (regelbasiert, zielorientiert, methodisch) und paidia (uneingeschränkt, regellos, kreativ, kindlich), und zum anderen aus vier Grundkategorien. Dabei handelt es sich um agôn (Wettstreit), alea (zufallsgebunden), ilinx (Vertigo) und mimicry (So-tun-als-ob) (vgl. Caillois 2001 [1958], 11–13). Die sich daraus ergebende Taxonomie bietet die Möglichkeit, die Vielfalt der Spielformen auf ihre grundsätzlichen Eigenschaften zurückzuverfolgen. Caillois’ Ansatz ist dabei stark philosophisch geprägt und bleibt sehr allgemein, mit dem unvermeidlichen Nachteil, dass sich an den Grenzbereichen Trennunschärfen ergeben. Die Game Studies haben daher versucht, vor allem mit Blick auf die formalen Gegebenheiten von Computerspielen, die es zur Zeit von Caillois’ Theorie ja noch gar nicht gegeben hat, abstrakte Beschreibungsmodelle zu entwerfen. Ein fundamentales Problem gerade in der interdisziplinären Auseinandersetzung mit Spielen ist zunächst einmal die oft unausgesprochene Uneindeutigkeit, ob man nun mit ‚Spiel‘ ein Objekt oder einen Prozess bezeichnet (erkennbar etwa im Unterschied der Bedeutung zwischen ‚Ich habe ein Spiel gekauft‘ und ‚Ich habe ein Spiel gesehen‘). In Verbindung mit dieser Frage unterscheidet Espen Aarseth in seinem Versuch einer Spielontologie drei Schlüsselelemente, aus denen sich jedes Spiel zusammensetzt. Er spricht hierbei etwas eingrenzender von „virtual environment game“, also solchen Spielen, die einen konkreten, aber virtuellen Spielraum entwerfen. Dabei handelt es sich nach Aarseth um die Elemente Mechanik, Semiotik und Spielhandlung (gameplay). Mechanik und Semiotik beziehen sich dabei auf das Spiel als Objekt, Spielhandlung verweist auf das Spiel als Prozess. Mit Mechanik ist vor allem das Regelsystem gemeint, die formalen Strukturen sowie deren materielle Implementierung (durch ein bestimmtes Spielbrett oder Spielfiguren, oder einen Programmiercode), mit Semiotik dagegen die Präsentation dieser Regeln, also die Ebene der Kommunikation mit dem Spieler, die Darstellungsebene des Interface. Die Spielhandlung schließlich ist die Realisierung der Mechanik sowie die Wahrnehmung der Semiotik durch einen konkreten Spieler. Hierbei ist natürlich auch zu erwähnen, dass man Spiele nicht nur spielt, sondern dass man auch mit Spielen spielen kann: „Games are going beyond gaming.“ (Gee und Hayes 2010, 16). Newman (2008) ergründet systematisch eine ganze Reihe von Aktivitäten, die eng mit den Spielen verknüpft sind, sich jedoch nicht auf die reine Spielhandlung reduzieren lassen: das Erstellen von Fanart oder Cosplay, von Spielanleitungen, Walkthroughs oder FAQs, aber auch Verfahren wie sequence breaking, speedrunning oder modding (zur künstlerischkreativen Bearbeitung von Computerspielen vgl. z. B. Schwingeler 2014).
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2 Medienspezifische Eigenheiten Neben der Erkenntnis, dass sich Formkonzepte aus der Literaturwissenschaft produktiv in die Beschäftigung mit Computerspielen einbringen lassen, steht die ebenso berechtigte Aussage, dass Spiele auch über form- und medienspezifische Eigenheiten verfügen, die in ihrer Eigenständigkeit verstanden werden müssen. So sind Spiele zunächst einmal notwendiger Weise performativ, das heißt sie müssen von einem ‚Rezipienten‘ aktualisiert werden. Das Gleiche ließe sich natürlich auch von einem Text sagen, der seine Funktion und Bedeutung ja ebenfalls erst im Akt des Aufschreibens oder Lesens erhält, der erst bedeuten kann, wenn er verstanden wird. Zum Spieler im eigentlichen Sinne (als Element einer Untergruppe aller performativen Aktualisierer) kann der Rezipient daher erst werden, wenn er im Laufe seiner Performanz Entscheidungen über diese treffen muss, wenn es also Situationen gibt, in denen mehrere Optionen für das Fortfahren zur Verfügung stehen, von denen entsprechend der Spielerentscheidung nur eine tatsächlich realisiert wird. Es ist debattierbar, ob es sich hierbei nur um ein notwendiges, oder auch schon um ein ausreichendes Kriterium für die Form Spiel handelt. Vor allem wenn letzteres zutreffen sollte, zeigt dies bereits die Nähe zu Grenzphänomenen repräsentativer Formen, wie beispielsweise dem der nichtlinearen Erzählung, die sich ja durchaus auch im gedruckten Text verwirklichen lässt. Bereits ein Text, der Fußnoten in einer Weise aufwertet, dass der Leser den Eindruck erhält, er müsse sich in seiner Rezeptionsreihenfolge ständig zwischen Haupttext und Fußnote entscheiden – man denke etwa an Alexander Popes The Dunciad (1744), Vladimir Nabokovs Pale Fire (1962) oder Mark Z. Danielewskis House of Leaves (2000) – erfüllt diese Kriterien und wird auch oft als ‚spielerisch‘ erfahren, wenn auch nicht als formelles Spiel. Anders ist dies bei den sogenannten Choose-Your-Own-Adventure-Büchern, in denen sich der Leser direkt mit Entscheidungssituationen konfrontiert sieht, die ihn zu unterschiedlichen Stellen des Buches führen (‚Wenn Du in die Höhle gehen willst, lies auf Seite 38 weiter, wenn nicht, lies auf Seite 89 weiter‘). Diese Bücher werden zu Recht als Vorläufer für narrative Spiele oder ‚interactive narratives‘ gesehen, und ihre kurze Popularität in den 1970ern überlebte folgerichtig das Aufkommen der medial besser für diese Form geeigneten Computer nicht. Spiele sind also wesentlich interaktiv, wobei dieser Begriff eigentlich zu breit ist, um trennscharf das zu bezeichnen, was an Spielen so fasziniert. Es ist daher vielleicht notwendig, bei der Betrachtung spielerischer Freiheit und Auswahlmöglichkeit zwischen einem sehr weit gefassten Begriff von Interaktivität und einem enger definierten Begriff zu unterscheiden, der als ‚agency‘ bezeichnet werden soll. In der Handlungstheorie steht der Begriff agency für die Fähigkeit des Menschen, Handlungen auszuwählen und mit diesen die Welt zu beeinflussen. Im
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Computerspiel bezeichnet Interaktivität zunächst einmal die bloße Möglichkeit für den Spieler, durch seine Handlungen Einfluss auf das Spiel und dessen Verlauf zu nehmen, egal auf welcher Ebene und mit welchem Konsequenzumfang. Über agency im obigen Sinne verfügt der Spieler hingegen, wenn seine Entscheidungen und Handlungen auf einer bestimmten Ebene über Bedeutung verfügen. Dies kann z. B. die Ebene der grundsätzlichen Ereignissequenz sein, d. h. der Spieler kann Einfluss darauf nehmen, welche Ereignisse tatsächlich stattfinden. Anders als Interaktivität ist agency damit nicht absolut und eindeutig, sondern relativ und subjektiv. Der Vorteil dieses Begriffes ist es, ein Differenzierungskriterium zu liefern, um verschiedene Arten von Interaktivität zu unterscheiden, da ‚Interaktivität‘ noch nichts über die Bedeutung einer Handlung aussagt und man sonst nur zu der undifferenzierten Aussage in der Lage wäre, dass jedes Spiel immer und notwendigerweise interaktiv ist. Am Beispiel von Call of Duty zeigt sich so z. B., dass der Spieler hier über eine hohe Zahl an Interaktionsmöglichkeiten verfügt – es gibt sehr viele Richtungen, in die er schießen kann –, jedoch über praktisch keine agency auf der Ebene der Handlungs- bzw. Missionsfolge. Aus der Handlungsfreiheit ergibt sich als eine weitere medienspezifische Besonderheit die notwendige Nichtlinearität des Spiels. Selbstverständlich können auch andere Medien wie gedruckte Texte, Theaterspiele oder Filme nichtlinear organisiert sein (man denke etwa erneut an Danielewskis Romane, Alan Ayckbourns Theaterstück Intimate Exchanges, 1982, oder den darauf basierenden Film Smoking/No Smoking, 1993). Der Unterschied ist, dass für das Spiel (ob mit oder ohne Computer) eine unilineare Form schlechterdings nicht gedacht werden kann. Allenfalls könnte man es sonst mit einer Simulation oder einer Repräsentation von Spiel zu tun haben, wobei letztere etwa durch die Gattung der ‚Let’s Play‘-Videos auf Youtube und vor allem dem auf Computerspiele fokussierten Streaming-Dienst Twitch im Internet zu finden ist. In einer Struktur, die Spielhandlungen und damit Entscheidungen ermöglicht, muss es also zwingend Verzweigungspunkte geben, an denen sich die Performanz des Spiels in mindestens zwei unterschiedliche Richtungen entwickeln kann. Von dieser minimalen Voraussetzung ausgehend, gibt es dann eine schier unbegrenzte Bandbreite von Freiheitsgraden und damit eine entsprechende Streubreite von Nichtlinearität, die sich oft entlang von Gattungsformen entwickelt. So gibt es Spielgattungen, die dem Spieler nur eine sehr eingeschränkte Freiheit gewähren, ihn geradezu auf einer vorgegebenen Schiene durch die Spielwelt bewegen (wie in dem nach diesem Prinzip benannten ‚rail shooter‘-Genre) oder ihm lediglich einen einzelnen, relativ schmalen Korridor mit vielen Windungen präsentieren (die meisten sogenannten ‚first-person-shooter‘, aber auch manche japanischen Rollenspiele). Auf der anderen Seite stehen Spiele, die dem Spieler eine frei erkundbare Welt präsentieren, in der zunächst keinerlei Richtungsprio-
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rität vorgegeben ist und eine wesentliche Spielmotivation im Entdeckungsdrang liegt (sogenannte ‚open world games‘ oder auch ‚sandbox games‘) und schließlich vollkommen offene Systeme wie das ungemein populäre Minecraft. Spiele sind also notwendig performativ sowie interaktiv in dem Sinne, dass sie dem Spieler die Erfahrung von Handlungsfreiheit ermöglichen. Doch natürlich sind sie nicht lediglich und ausschließlich Ermöglichungsstrukturen, denn sonst wären sie letztlich nicht vom Leben unterscheidbar. Um tatsächlich als eigenständige Form wahrgenommen werden zu können, müssen sie darüber hinaus auch Handlungseinschränkungen machen. Erst die Kombination aus Handlungsoptionen (‚Du kannst Deinen Bauern oder deinen Turm ziehen‘) und Handlungseinschränkungen (‚Du kannst Deinen Bauern nicht zurück ziehen‘) ergibt ein Regelsystem, das Grundlage für ein Spiel sein kann. Spiele werden in diesem Sinne meist als ein regelbasiertes System beschrieben, doch dies ist natürlich ebenfalls noch nicht ausreichend, um beispielsweise ihren Unterschied zu einer vollautomatisierten Fertigungsanlage oder jedem beliebigen Computerprogramm aufzuzeigen. Dazu muss man innerhalb der Regeln, die ein Spielsystem ausmachen, noch einmal differenzieren zwischen zwei unterschiedlichen Regelkategorien. Während alle Spiele eine Reihe von Regeln haben, die Handlungsmöglichkeiten beziehungsweise deren Grenzen aufzeigen, verfügen alle Spiele notwendig über mindestens eine weitere Regel, die eine Valorisierung von Situationen vorgibt, also eine vergleichende Bewertung im Sinne von ‚Zustand A ist besser als Zustand B‘. Diese Valorisierung ist nicht identisch mit der Regel, die dafür sorgt, dass es unterschiedliche Spielzustände geben kann, wie etwa die von zwei Mannschaften in einem Spiel erzielten Tore. Erst die Valorisierung erklärt, ob in diesem Fall der niedrigere oder der höhere Wert ‚besser‘ ist, und es ist dies eine Erklärung, die sich eben nicht einfach aus den anderen Regeln ableiten lässt. Alle anderen Regeln zusammengenommen erklären, wie man ein Spiel spielen kann (so wie eine Betriebsanleitung erklärt, wie man einen Geschirrspüler bedienen kann), aber die Valorisierungsregeln erklären, wie man ein Spiel spielen ‚soll‘. Hier wird also ein ‚Sollen‘ postuliert, das ganz allein aus sich selbst begründet ist, das aber, um anschließbar zu sein, auf Kategorien außerhalb des Spieles zurückgreifen muss, da sich das ‚Sollen‘ nicht völlig abstrakt, sondern eben nur ‚semantisch‘ verstehen lässt. Es ist dieser Punkt, der letztlich auf zwei verschiedene Weisen die Verbindung der Spielform mit repräsentierenden oder darstellenden Formen wie der Literatur ergibt. Die erste Weise erfolgt durch den Anschluss an Referenz. Kategorien wie ‚besser‘ oder ‚schlechter‘, die in Valorisierungsregeln zum Ausdruck kommen, sind nun einmal an die menschliche Kognition gebunden; sie sind nicht etwas, das objektiv in der Welt gegeben ist, sondern Teil unserer Strategie, die Welt als sinnvoll zu verstehen. Als solche lassen sie sich auch nicht vollständig abs-
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trahieren. Wenn wir wirklich spielen (und nicht lediglich einen Spielvorgang simulieren, wie es zwei Fußball spielende Roboter machen würden), dann tun wir dies, weil wir das ‚Sollen‘, das uns das Spiel vorgibt, verstehen. Unser Weltverständnis lässt sich also nicht gänzlich abschalten, zumindest die Spielmotivation referiert darauf, und auf diesem wenn auch minimalen Ansatz baut die Fähigkeit und Sinnhaftigkeit, und damit auch der Erfolg von Weltrepräsentation im Computerspiel auf. Je abstrakter das Spiel, umso mehr muss ich dessen Regeln erst mehr oder weniger mühsam erlernen, dagegen ist es viel leichter, sich auf neue Regeln einzulassen, wenn diese in referentiellen Begriffen dargeboten werden. Wenn etwas aussieht wie eine Tür, weiß ich eher, dass ich ‚hindurchgehen‘ kann, als wenn mir diese Option vollständig abstrakt angeboten würde. Das gleiche gilt für Valorisierungsregeln: Es ist intuitiv viel ‚einsichtiger‘, dass ich auf Gegner schießen soll, wenn diese wie schaurige Monster aussehen. Gleichzeitig dürfen Valorisierungsregeln aber auch nicht einfach mit jeglicher Art von ethischer Norm oder Verhaltensregel gleichgesetzt werden. Denn hier offenbart sich ja eines der wichtigsten Spezifika der Form des Spiels, das dabei gleichzeitig die zweite Anschlussstelle an die literarische Form zeigt: Einerseits kommt das Spiel nicht ohne eine Valorisierungsregel aus (ohne ein solches Sollen kann keine Spielhandlung als sinnhaft verstanden werden), andererseits kann man aber auch sagen, dass das Spiel nur insoweit Spiel ist, als diese Valorisierungsregel von allen anderen Valorisierungsregeln unabhängig ist. Dies ist unmittelbar mit der Konsequenzlosigkeit von Spielen verknüpft. Das jeweilige Sollen wird unbedingt akzeptiert, weil es exklusiver Teil des Spielsystems ist. Hier kommt es nun zu einer letzten Besonderheit des Spiels, die zeigt, dass das Spiel eine Mittlerposition einnimmt zwischen dem lediglich Vorgestellten beziehungsweise Präsentierten, das Medien wie das Buch oder der Film erzeugen, und realweltlichen Handlungen. Denn im Spiel begeht der Spieler zwar realweltliche Handlungen, die auf Entscheidungssituationen beruhen (er zieht eine bestimmte Figur auf dem Schachbrett, tritt den Ball in eine bestimmte Richtung oder drückt auf eine bestimmte Taste), doch die Bedeutung dieser Handlung sowie die Bedeutung ihrer Konsequenz (der Gegner ist im Schach, die Mannschaft erzielt ein Tor, die Spielfigur erschießt einen Gegner) existiert zunächst einmal ausschließlich innerhalb des Spielsystems. Die (von der Realwelt her betrachtete) Konsequenzlosigkeit ist notwendig mit dem Gedanken des Spiels verknüpft. Selbstverständlich können sich aus einer Spielhandlung realweltliche Konsequenzen ergeben (der Spieler erhält für ein geschossenes Tor echtes Geld), doch wenn der Spielbegriff distinktionsfähig bleiben möchte, muss man argumentieren, dass man im gleichen Maße das Spiel verlässt, in dem die Konsequenzlosigkeit aufgegeben wird. Ein Profifußballer ist eben deshalb Profi, weil
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er nicht länger spielt, sondern bereits arbeitet, auch wenn diese Arbeit äußerlich nicht von einem Spiel zu unterscheiden ist. Damit sind die Valorisierungsregeln das, was zumindest die Erfahrung, sie zu spielen, an (Welt-)Referenz bindet, jedoch im festen Wissen, dass diese Bedeutung ausschließlich innerhalb des Spiels ihre Gültigkeit hat. Dabei ist der Wille, sich für die Dauer des Spiels auf diese Regeln einzulassen, die eben nicht eigentlich, sondern nur im Spiel gelten, im Wesentlichen identisch mit der Haltung eines Rezipienten von Fiktion. So wie wir wissen, dass es Sherlock Holmes nicht in der Wirklichkeit gibt, aber bereit sind, für die Dauer der Erzählung so zu tun, als ob es ihn gäbe, so sind Spieler bereit, so zu tun, als ob es eine Bedeutung hätte, wenn ein Lederball sich in einem bestimmten Bereich eines vorher definierten Raumes befindet (für eine eingehendere Beschäftigung mit Valorisierungsregeln und ihrer Bedeutung für die ethische Bewertung von Spielerhandlungen vgl. Domsch 2013, 150 ff.).
3 Die Formdebatte innerhalb der Game Studies Nach dieser ersten Erkundung der formalen Besonderheiten von Spielen und insbesondere von Computerspielen, soll es nun im Folgenden darum gehen, wie und unter welchen Gesichtspunkten diese Spiele bisher betrachtet wurden. Hierbei fällt auf, dass bei der Frage nach der Form des Computerspiels eine gewisse historische Schieflage darin besteht, dass Computerspiele zuerst sozusagen von der Außenperspektive als lohnender Untersuchungsgegenstand identifiziert wurden. Bevor es eine Disziplin namens ‚Game Studies‘ gab, waren es vor allem die Literaturwissenschaften, die sich dem jungen und expandierenden Medium zuwandten. Dabei ist es natürlich nur logisch, dass hier zunächst literarische Formvorstellungen sowie literaturwissenschaftliche Analysemethoden herangezogen wurden. Man könnte damit die Entwicklung der Computerspielforschung in drei Phasen einteilen: Eine erste Phase, in der Spiele einfach als Erweiterung des literaturwissenschaftlichen Gegenstandsbereichs angesehen wurden, und hier vor allem als ein medialer Neuzuwachs im Spektrum der transmedialen Narratologie. So handelt es sich bei der ersten wissenschaftlichen Beschäftigung mit Computerspielen überhaupt um Mary Ann Bucklesʼ Dissertation mit dem Titel Interactive Fiction: The Computer Storygame ‚Adventure‘ aus dem Jahr 1985. Ähnliches lässt sich auch vom Bereich der Soziologie sagen, wo Computerspielen als soziale Handlung ebenfalls vor allem unter bereits bekannten Kriterien wie Suchtverhalten oder gewalthaltigem Medienkonsum betrachtet wurden. In einer zweiten Phase
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fand dann einerseits eine institutionelle Konsolidierung statt, bei der sich die Einflüsse der unterschiedlichen Disziplinen, die damit begonnen hatten, Computerspiele unter die Lupe zu nehmen, zu einer neuen und zunehmend eigenständigen Disziplin formierten. Dies findet seinen ganz konkreten Niederschlag zum Beispiel in der Gründung der ersten Institute für Computerspielforschung, wie etwa des Center for Computer Games Research an der Universität von Kopenhagen. Inhaltlich benötigte diese Konsolidierung aber auch eine Emanzipation von den Formvorstellungen der ‚Geberdisziplinen‘. Zu dieser Phase gehören daher die zum Teil heftigen Abgrenzungsbestrebungen von Wissenschaftlern, die sich primär als ‚Ludologen‘ verstehen und sich dagegen wehren, Spiele lediglich als derivative Formen (zum Beispiel als Erzählungen, bei denen man auch mitspielen kann) aufzufassen und dagegen eine eigene, genuin spielerische Form postulieren. Diese zweite Phase war sicherlich notwendig, um dem Untersuchungsgegenstand in der Bandbreite seines Ausdruckspotenzials gerecht zu werden. Und auch wenn sie zunächst wie eine Absage an zum Beispiel literaturwissenschaftliche Herangehensweisen erscheinen mag (und zumindest zeitweise und vereinzelt auch so verstanden wird), ist sie auch ein wichtiger Zwischenschritt, um schließlich in einer dritten Phase auch von literaturwissenschaftlicher Seite her einen neuen, nicht reduktionistischen Zugriff zu finden, der sich dem ludologischen Formbegriff öffnet, statt ihn zu ignorieren, und ihn zu Fragen der literarischen Form in Beziehung setzt, um so möglicherweise beide Konzepte zu erweitern und zu bereichern. In gleicher Weise entwickeln die Game Studies ein Verständnis ihrer eigenen Position als Schnittstellendisziplin. Als Beispiel dafür kann man die Liste an Disziplinen heranziehen, die im Anhang des Video Game Theory Reader 2 von 2009 aufgeführt wird: Included in this list are entries for Anthropology, Art and Aesthetics, Artificial Intelligence, Business/Industry (includes Marketing), Communication Theory, Computer Graphics, Computer Programming, Cultural Studies, Design, Economics, Ethnography, Film Studies, Game Theory, Gender Studies (includes Feminism), Genre Studies, History, Human-Computer Interaction, Interdisciplinary Studies, Law, Literary Theory, Ludology, Media Ecology, Medicine, Methodology, Narratology, New Media (includes Interactivity), Phenomenology, Philosophy (includes Morality and Ethics), Politics, Psychology (includes Cognition, Emotion, and Pleasure), Reception Theory, Semiotics, Sociology, Subcreation Studies, Television Studies, and Theater and Performance Studies. (Perron und Wolf 2009, 331)
In der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Computerspielen lassen sich gegenwärtig drei verschiedene Erkenntnisinteressen und damit verbundene methodische Herangehensweisen unterscheiden. Da ist zum einen ein anwendungsorientiertes Interesse an der Funktionsweise bestehender sowie der Entwicklung neuer Spiele, also dem game design. Hierbei hält sich das Interesse an den konkreten technischen Strukturen, also dem Spiel als konstruiertem Objekt, und
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seiner Interaktion mit dem Spieler in einer gewissen Balance, etwa in Aspekten wie Herausforderung und Spielermotivation. Ein frühes Beispiel hierfür ist Chris Crawfords Buch The Art of Computer Game Design von 1984. Dieser Bereich ist institutionell weitgehend von der analytisch-wissenschaftlichen Betrachtung von Computerspielen getrennt. Er findet natürlich vor allem innerhalb der Branche selbst statt, und in letzter Zeit in einer ständig steigenden Zahl von Studiengängen an anwendungsorientierten Hochschulen. Zu einer möglichen Schnittstelle zwischen der praktischen und der theoretischen Beschäftigung entwickeln sich Veranstaltungen wie die jährlich stattfindende Game Developers Conference oder Online-Magazine wie Gamasutra. Deutlich mehr in Richtung Spieler verschoben sind die sozialwissenschaftlichen Ansätze, die sich häufig weniger für den Spieler in seiner Eigenschaft als Spieler, als für seine Funktion als Teil der (durch Spiele beeinflussten) Gesellschaft interessieren. In der frühen, und vor allem deutschsprachigen Forschung dominierten hier vor allem Aspekte wie das Suchtpotenzial von Spielen oder die Auswirkung von Gewaltdarstellungen auf junge Spieler. Die Spiele selbst wurden dabei kaum auf ihre formalen Eigenschaften hin untersucht. Dies hat sich mittlerweile deutlich geändert, nicht zuletzt durch die Erkenntnis, dass sich in der ‚Form Spiel‘ ein großes Potenzial für positives Sozialverhalten verbirgt, das man durch spielbezogene Analysen der Sozialforschung zugänglich machen sollte. Die neuere sozialwissenschaftlich orientierte Forschung wendet sich daher eher den sogenannten ‚Serious Games‘ zu, wie etwa Ian Bogosts Persuasive Games. The Expressive Power of Videogames (2007) oder Jane McGonigals Reality Is Broken. Why Games Make Us Better and How They Can Change the World (2011). Der dritte, eher kulturwissenschaftlich orientierte Ansatz schließlich sieht nicht selten vom empirischen Spieler ganz und vom impliziten Spieler weitgehend ab in der Konzentration auf das Spiel als Objekt. Hier ließe sich dann weiter differenzieren in Ansätze, die eher auf die Mechanik, und solche, die eher auf die Semiotik abzielen. Eine Vermischung dieser Ansätze ist selbstverständlich auch denkbar, etwa indem man spezifische gaming communities als eigenständige Sub-Kultur analysiert oder das ethische Potenzial von Computerspielen als Wechselspiel von Spieler und Spielentwickler darstellt, wie es Miguel Sicart (2009) getan hat. Es ist offensichtlich, dass für den Bezug von literarischen Formen zum Computerspiel vor allem der dritte Ansatz fruchtbar ist. Von zentralem Interesse ist dabei bisher die Frage gewesen, ob die interaktive Komponente dazu führt, dass Computerspiele allgemein als eine (in sich geschlossene) neue Erzählgattung zu verstehen sind, die sich in wesentlichen Punkten von anderen Erzählgattungen unterscheidet, oder ob sich Erzählung nur als Fremdkörper in einem neuen, grundsätzlich nicht-narrativen Medium wiederfindet.
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Schon ein oberflächlicher Blick auf die gegenwärtige Generation von Computerspielen dürfte deutlich machen, dass Computerspiele ganz offensichtlich ein Medium sind, das – um es neutral zu formulieren – geeignet ist, Erzählung zu vermitteln. Erzählung ist durchgängig und deutlich präsent; so werden z. B. viele Spiele maßgeblich über ihre Handlung vermarktet, was man u. a. daran erkennt, dass sie sehr stark mit Trailern beworben werden, die sich von denen zu Spielfilmen kaum noch unterscheiden. Ein etwas genauerer Blick offenbart außerdem, dass die von Spielen entworfenen Erzählwelten in der Regel zwar nicht sonderlich originell, aber oft von erstaunlicher Tiefe und Komplexität sind. Spiele erzählen also zumindest ‚auch‘ – aber laufen dabei nicht eigentlich zwei vollständig voneinander getrennte Medien parallel ab, also ein Spiel und eine Erzählung, oder verschmelzen beide doch zu einer völlig neuen Gattung? Diese Debatte, angeregt durch Arbeiten wie Janet Murrays Hamlet on the Holodeck (2001) auf der einen und Espen Aarseths Cybertext. Perspectives on Ergodic Literature (1997) auf der anderen Seite, beschäftigte eine ganze Weile durchaus auch polemisch die Gemüter, doch schon Jesper Juuls Half-Real. Video Games between Real Rules and Fictional Worlds von 2005 gelingt es, sich von den alten Dichotomien (Erzählung versus Spiel) zu lösen und über das Zusammenspiel von Regeln und Fiktion zu einer neuen Synthese zu kommen (vgl. Juul 2005). Es liegt darüber hinaus eine gewisse Paradoxie darin, dass gerade die Repräsentationsebene des Computerspiels, das ja im englischsprachigen Raum in der Regel als ‚Videogame‘ bezeichnet wird, bis vor kurzem fast ausschließlich innerhalb textueller Paradigmen betrachtet wurde. Dagegen gilt, bis auf eine sehr kleine Zahl von Ausnahmen, was Stephan Schwingeler bemerkt: „Computerspiele zeigen sich als und durch Bilder.“ (2014, 91). Schwingeler führt weiter dazu aus: [D]igitale Spiele bestehen neben narrativ-textuellen und spielerischen Elementen zu einem wesentlichen Teil aus Bildern, über die sich die anderen Elemente veranschaulichen: die Geschichten werden in Form von Bildern erzählt und das Gameplay entfaltet sich durch die Manipulation der Bilder. Als methodisch adäquat für die Kunstwissenschaft erweist es sich demnach, Computerspiele hinsichtlich ihrer Bildlichkeit zu untersuchen. (2014, 140)
Mit einigen wenigen Ausnahmen ist eine solche bildwissenschaftliche Analyse von Computerspielen bis heute allerdings vor allem ein Forschungsdesiderat. Ein Grund, warum sich dies bald ändern dürfte, liegt nicht zuletzt darin, dass nach einer längeren Phase, in der die Spieletechnik vor allem daran gearbeitet hat, die visuelle Ebene so realistisch wie möglich zu machen, neuere Spiele vor allem aus dem Independent-Bereich wieder zu einer neuen Abstraktion und Vereinfachung finden, die sich auf den gesamten Formenreichtum der Kunstgeschichte beziehen kann.
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Mit dem Bezug vom Computerspiel zur Literatur ist aber neben der Verwendung von Weltrepräsentation und narrativen Formen letztlich noch etwas anderes impliziert oder besser gesagt in Frage gestellt: die Analogie zum Anspruch der Literatur (zumindest eines bestimmten Verständnisses davon), ‚hochkulturell‘, also ‚literarisch wertvoll‘ zu sein, mithin der Kunstcharakter von Literatur. Kann das Computerspiel ähnliche Weihen für sich beanspruchen? In der Tat gibt es in der ‚Szene‘ (weniger in strikt akademischen Publikationen als in populären Medien sowie der Netzöffentlichkeit) in letzter Zeit eine solche Debatte, deren reduktiver Charakter allerdings nicht zuletzt an der Art abzusehen ist, wie die zentrale Frage gestellt wird: ‚Sind Computerspiele Kunst?‘ Die Frage impliziert in der Regel einerseits eine Gleichsetzung von Medium und ‚Kunsthaftigkeit‘, die so natürlich unsinnig ist (Text ‚ist‘ ja auch nicht Kunst, ebenso wenig wie Visualisierung), und andererseits eine Einheitlichkeit im Kunstbegriff, die so ebenfalls nicht gegeben ist. Denn bevor man beantworten kann, ob Computerspiele Kunst sind – oder vielmehr, ob sie Kunst sein können, als Kunst betrachtet werden können – muss man ja klären, welches Kunstverständnis hier jeweils aufgerufen wird. Folgt man aber dieser Frage, dann ergeben sich durchaus Betrachtungsweisen, die in der Lage sind, Potenziale in der Form, aber auch Desiderata in der Ausführung zu benennen. Zu Kunstwerken im auratischen, objekthaften Sinn können Computerspiele wohl höchstens in der Kombination mit unterschiedlichen Überlieferungstechnologien werden, darin etwa der Videokunst nicht unähnlich. So gibt es bereits Museen, in denen man alte Spielkonsolen und archivierte Trägermedien bewundern kann; zunächst einmal sind Spiele aber grundsätzlich als unbegrenzt vervielfältigbar konzipiert. Betrachtet man aber die Eigenschaften des Objekts Computerspiel, dann lassen sich durchaus Kriterien benennen, die auch bei Definitionen von Kunst eine wichtige Rolle spielen, und die hier abschließend unter den Schlagwörtern Komplexität, Signifikanz, Mehrdeutigkeit und Entfremdung besprochen werden sollen. Computerspiele haben sich aus sehr einfachen Anfängen entwickelt (man denke nur an den schon fast Beckett’schen Minimalismus von Pong), doch angetrieben von der Rasanz der technologischen Entwicklung haben sie rasch an beeindruckender Komplexität gewonnen. Die Simulation von Realität, sei es das Verhalten eines Flugzeuges, die Infrastruktur einer Stadt oder die physischen Eigenschaften einer Landschaft wie in From Dust (2011) hat einen Grad von Tiefe erreicht, der mittlerweile bereits wieder die Spielerschaft spaltet, da nicht jeder bereit ist, sich auf eine solche Komplexität einzulassen. Auch die repräsentierten Welten (‚storyworlds‘) und die darin vorkommenden Figuren und Geschichten sind von einer Reichhaltigkeit, die den so ausufernden wie detailversessenen Weltentwürfen eines J. R. R. Tolkien in nichts nachstehen. Natürlich
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ist Komplexität allein weder eine Garantie noch eine Voraussetzung für Kunstfähigkeit, aber sie ermöglicht zumindest die Darstellung von Elementen, die sich nicht einfacher ausdrücken lassen. In diesem Sinne sind den Computerspielen zumindest technisch gesehen kaum noch Grenzen gesetzt. Das hat aber noch nicht notwendigerweise dazu geführt, dass das Potenzial der möglichen Komplexität auch thematisch voll ausgeschöpft wurde. Das Bestreben der Macher (vor allem der technisch komplexen und daher teuren Spiele) geht momentan noch fast ausschließlich in die Richtung, die Spielwelten von der unseren möglichst verschieden zu machen, und nicht, sie auf die unsere zu beziehen. Auch hat noch kein Spiel die Detaildichte eines Ulysses erreicht, oder die Fähigkeit der großen Romanciers wie Thackeray oder George Eliot, einen umfassenden Weltentwurf zu strukturieren. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Strukturierungsarbeit liegt in der relativen Signifikanz, die einzelnen Elementen zugeordnet wird, und gerade auf diesem Gebiet lassen Computerspiele noch häufig zu wünschen übrig. Momentan ist die Form, die der Struktur der meisten Spielhandlungen am ähnlichsten ist, die der klassischen Pornographie: ein dünnes narratives Deckmäntelchen, das nur allzu schnell zu einer repetitiven und scheinbar endlosen Abfolge von Ereignissen überleitet, die eigentlich von großer Bedeutung sein sollten, aber durch permanente Wiederholung und die Belohnung rein spieltechnischer ‚skills‘ ihr narratives Potenzial verschenken. Der Unterschied liegt eigentlich nur darin, dass die Ereignisse im einen Fall sexuelle, im Shooter-Game kriegerische Handlungen sind (ludisch gesprochen: Geschicklichkeitstests). Im Gegensatz zu denjenigen Kritikern, die der Ansicht sind, die repetitive Simulation des Tötens würde vom Spieler als realer Gewaltakt rezepiert, scheint die Beobachtung zutreffender, dass der Spieler die referentielle Repräsentationsoberfläche zunehmend zugunsten der darunterliegenden Regelstruktur ignoriert. Mit anderen Worten, die durch skills erzielten Punkte sind bedeutender als die semantische Signifikanz der dazu vorgenommenen Handlung. Natürlich muss bei weitem nicht jedes Spiel jede ermöglichte Spielerhandlung in ihrer ganzen existenziellen Signifikanz wirksam werden lassen – nicht jedes Spiel erhebt ja den Anspruch auf Kunst. Doch in dem Maße, in dem Spiele für sich einen Aussagegehalt beanspruchen, dürfen sie die Signifikanz der eigenen Aussagen nicht unterlaufen. Die Hundertschaften an Erschossenen, die man in einem militärischen Shooter erzeugt, haben nicht dieselbe Wirkung, wie die existenzielle Entscheidung, einen Menschen zu töten oder nicht zu töten, die das Spiel Heavy Rain (2010) verlangt. Unsere gegenwärtige Vorstellung von Kunst ist maßgeblich durch Konzepte der Romantik und der Moderne geprägt, die im Gegensatz zum aufklärerischen Klassizismus die letztliche Unabschließbarkeit und Subjektivität von Interpretation und Bedeutung behauptet haben. Ein Objekt, das sich ‚einfach so‘ und restlos
Erspielte Form
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aufschlüsseln lässt, wird heute wohl kaum als Kunst anerkannt werden. Genau hier aber treffen Computerspiele auf ein strukturelles Problem, denn die Valorisierungsregeln, die ja erst den Spielcharakter garantieren, sind in ihrer Anlage zunächst einmal eindeutig. Dies gilt natürlich vor allem für Spiele der Art ludus/ agôn, also regelbasierte Spiele des Wettstreits (sei es Spieler gegen Spieler oder Spieler gegen Programm), aber manche Puristen argumentieren, dass nur Spiele dieser Art auch wirklich Spiele seien, während es sich bei Formaten wie Minecraft oder den Sims (die laut Caillois eher den paidia-haften Spielen zuzuordnen wären) um digitales Spielzeug handeln würde (wobei im englischen Begriff „toy“ das Spielhafte ganz verbannt ist). Wenn ‚Gewinnbarkeit‘ das maßgebliches Kriterium für Spiele wäre, dann müsste ihre künstlerische Aussagekraft als beschränkt angesehen werden. Doch wenn die Kunstgeschichte eines gelehrt hat, dann nicht nur, dass Kunst immer wieder dort entsteht, wo Formgrenzen gesprengt werden, wo die Entfremdung von erstarrten oder automatisierten Konventionen den Rezipienten seine Gewohnheiten hinterfragen lässt, sondern auch, dass keine Form entstehen kann, die nicht irgendwann einmal gebrochen wird. Und so gibt es auch heute schon Spiele, die ihre eigene Gewinnbarkeit in Frage stellen, wie etwa das oft diskutierte Browser-Spiel September 12th, bei dem man scheinbar damit beauftragt ist, Terroristen mit Raketen abzuschießen, tatsächlich aber mit jedem Abschuss durch das Töten von unschuldigen Umstehenden die Entstehung von neuen Terroristen befördert. Doch solche Strukturen finden sich bis jetzt vor allem in kurzen und experimentellen Spielen. Am Ende liegt vielleicht der eigentliche Gewinn der Debatte über Computerspiele als Kunst in dieser wechselseitigen Erkenntnis: Wenn der moderne Kunstbegriff gerade das bezeichnet, was sich in seiner Form nicht klar definieren und damit eingrenzen lässt, dann lässt sich dies eben auch auf Computerspiele übertragen. Das aber heißt, sich von den gerade erst mühsam errungenen Formbegriffen gleich wieder zu lösen. Ein Computerspiel, das konventionelle ludologische Formvorstellungen transzendiert, ist eben damit nicht mehr plötzlich ‚kein Spiel mehr‘ in dem Sinne, dass es für die Game Studies kein Untersuchungsgegenstand mehr ist, sondern es zeigt den – potenziell viel größeren und interessanteren – Bereich auf, der von diesen neuen Formkonventionen erst ermöglicht wird.
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V Anhang
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Abdruckhinweis Fredric V. Bogel. New Criticism und New Formalism: Zur anglo-amerikanischen Formtheorie Der Artikel ist die gekürzte und überarbeitete Übersetzung von Kapitel 2: „Old and New Formalisms“ aus Fredric V. Bogel. New Formalist Criticism. Theory and Practice. New York 2013. Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung von SCSC.
Personenregister Aaron, David 294 Aarseth, Espen 50 f., 745 f., 754 Abaelard (Petrus Abaelardus, Abaillard) 370, 374–380 Abastado, Claude 453 Abramović, Marina 418, 433 Abrams, Meyer Howard 180, 541 Ach, Narziss 637 Achermann, Eric 17, 270 Achmatova, Anna 148 Ackerman, James 609 f. Adam, Paul 447 Adelung, Johann Christoph 542 Adler, Hans 287, 302 Adorno, Theodor W. 103, 113, 127, 129 f., 196, 427, 623, 681, 684 f., 734, 737 Agamben, Giorgio 522 Agethen, Manfred 425, 438 Aicher, Otl 626 Aichinger, Ilse 238 Akker, Robin van den 404 Alan von Lille (Alanus ab Insulis) 367, 370–375, 380 Alber, Jan 323, 329, 336–339, 341, 343, 346 Alberti, Leon Battista 607 f., 716 Albertsen, Leif Ludwig 352 Albinoni, Tomaso 719 f. Alembert, Jean Baptiste le Rond d’ 349, 357 Alexander, Marc 549 Allesch, Gustav Johannes von 641 Alloway, Lawrence 628 Alt, Peter-André 700–703 Althoff, Gerd 368 Altick, Richard D. 554 Altieri, Charles 173, 193 f. Anchimbe, Eric A. 548 Anderegg, Johannes 543 Anderson, Benedict 41 André, Elisabeth 668 Andreoli de Villers, Jean-Pierre 445, 448 Andres, Jan 428 Angenendt, Arnold 423 Ankersmit, Frank R. 525 Annunzio, Gabriele d’ 653
Anselm von Laon 376 Antweiler, Christoph 424 Appia, Adolphe 707 Arburg, Hans-Georg von 44 Arendt, Hannah 621 Arezzo, Guido von 714 Aristoteles 16, 26, 79, 93 f., 113, 117, 120, 173, 270, 368, 400, 402, 409, 488 f., 491 f., 518 f., 542, 600, 713 Armstrong, David 487 Artaud, Antonin 707 Arvatov, Boris 62 f., 162–164 Asholt, Wolfgang 442–444, 446 Äsop 119 Assmann, Aleida 41 f., 404 Aucouturier, Michel 137, 149, 164 Auerbach, Erich 43 f., 366, 400 Augustinus 417, 431 Aulus Gellius 349 Austen, Jane 206, 298, 330, 575 Auster, Paul 334, 568 Austin, John Langshaw 547 Avanessian, Armen 131 Avenarius, Richard 141, 636 Ayckbourn, Alan 748 Babeuf, Gracchus 451 Bach, Carl Philipp Emanuel 712 Bach, Johann Sebastian 720, 722, 724, 729, 735 Bach, Michaela 342 Bachmann, Ingeborg 76, 437, 479 Bachtin, Michail 23 f., 60–62, 127, 146, 162, 164–166, 565, 619 Backe, Hans-Joachim 51, 267 Backes-Haase, Alfons 446, 466 f. Badiou, Alain 241 f. Baecker, Dirk 526 Bain, Alexander 663 Baker, Kyle 573 Baker, Matt 571 Bal, Mieke 324, 344 Balke, Friedrich 263 Balzac, Honoré de 653
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Anhang
Balzer, Jens 319 Bär, Jochen A. 539, 550 Barlow, Francis 556 f., 575 Barnow, Dagmar 642 Barth, John 336, 339 Barthes, Roland 38, 108 f., 130, 275, 356 f., 404, 688 Bartók, Béla 738 Bartsch, Anna Maria C. 11, 300 Baßler, Moritz 49, 51, 236, 238, 242, 318, 440, 680, 685 Bätzner, Nike 53 Baudelaire, Charles 737 Baudrillard, Jean 273 Baumeister, Martin 523 Baumgarten, Alexander Gottlieb 80, 622 Baxandall, Michael 715 f. Beardsley, Monroe C. 173, 182, 187, 200 Beaugrande, Robert de 544 Beauvoir, Simone de 470 Bechdel, Alison 569 Becker, Hans-Jürgen 593 Becker, Sabina 432 Becker, Thomas 578 Becker, Tobias 232 Beckett, Samuel 45, 293, 332, 341, 541, 755 Beethoven, Ludwig van 655, 721–724, 726–729, 731, 733 Behle, Carsten 390 Behn, Aphra 330 Behnisch, Günther 610–612 Beil, Benjamin 535 Békési, Janos 281 Belyj, Andrej 138, 141 Bénabou, Marcel 108 Benjamin, Walter 22, 59, 113, 641, 737 Benn, Gottfried 419–421 Benne, Christian 77, 104 Bensch, Georg 281 Bense, Max 49 Bentham, Jeremy 329 Benussi, Vittorio 637 Berg, Alban 734 f., 738 Berg, Hubert van den 448, 452 f., 458 f. Bergson, Henri 35, 461, 463–465, 741 Berlina, Alexandra 140
Berlioz, Louis Hector 730 f., 733 f. Bernard, Claude 658 Bernardon (Josef Felix von Kurz) 699 Bernardus Silvestris 372 Bernauer, Markus 397 Bernhard von Chartres 365 Bernhard von Clairvaux 377 Bernheim, Ernst 520 Bertalanffy, Ludwig von 9 Best, Stephen 188 Beulke, Werner 596 Beuys, Joseph 433 Bhabha, Homi 476 Bhatti, Anil 394 Bichsel, Peter 105 Bidermann, Jakob 431 Bierl, Anton 424, 433 Bies, Michael 27, 283 Birolli, Viviana 447 Bismarck, Otto von 64 Björnsson, Jón 445 Black, Elizabeth 547 Black, Max 240, 261, 263 Blake, William 196 Blättler, Christine 231 Blavatskij, Madame (Helena Petrovna) 461 Blei, Franz 646, 648 Blok, Aleksandr 153 Bloom, Harold 16 f. Bloomfield, Camille 447 Blum, Cinzia Sartini 450 Blumenberg, Hans 17 f., 105, 241, 624 Blumenfeld, Lev 544 Bobzien, Susanne 492 Boccaccio, Giovanni 144, 168, 170 Bochenski, Joseph Maria 488 Böckmann, Paul 95 Bode, Christoph 574 Boderie, Guy le Fèvre de la 352 Bodmer, Johann Jacob 699 Boethius 369 Bogel, Fredric V. 172 Boghardt, Martin 308 Bogost, Ian 753 Böhm, Elisabeth 221 f. Böhme, Hartmut 115 Bohn, Anna 48
Personenregister
Bolland, Brian 573 Bollschweiler, Patricia 413 Bolter, Jay David 358 Bonacchi, Silvia 635, 641–643, 648 Bonheim, Helmut 335 Booth, Wayne C. 341 f. Borchardt, Rudolf 87 Bordwell, David 48, 342, 537 Borges, Jorge Luis 44, 109, 574, 615 Borsò, Vittoria 523 Böschenstein-Schäfer, Renate 385 f., 395 Bosse, Heinrich 629 Boulez, Pierre 739 f., 742 Bourdieu, Pierre 115, 443, 629, 718, 737, 741 Bousfield, Derek 547, 549 Bovenschen, Silvia 471 Bowler, Peter J. 463 Boyd, Brian 553 Brahms, Johannes 732 f., 735 Brandom, Robert 489, 495 Brandstetter, Thomas 536 Brandt, Bettina 422 Braun, Werner 717 Braungart, Georg 418 Braungart, Wolfgang 413, 417–419, 421, 424, 426 f., 429, 431 f., 434 Bray, Joe 546 Brecht, Bertolt 55, 63–65, 67, 419, 432, 664, 707–709 Bredekamp, Horst 419, 609 Breitinger, Johann Jacob 352 Bremer, Claus 248 Bremond, Claude 130 Brentano, Clemens 97, 101, 425 Brentano, Franz 637, 657, 659 f., 663 Breton, André 452, 460 Brik, Ossip 62, 130, 147 Brinker-Gabler, Gisela 470 Britton, Andrew 336 Broch, Hermann 434, 645 f. Brockes, Barthold Heinrich 395 Brode, Hanspeter 541, 549 Brogan, Terry V. F. 544 Brokoff, Jürgen 59 Brône, Geert 286, 303 Brontë, Emily 344, 470
849
Brooks, Cleanth 172–175, 177 f., 180 f., 199 Brown, Chester 559 Bru, Sascha 444 f. Bruckner, Anton 732 Bruhn, Matthias 52 Bruhns, Friedrich Nicolaus 720 Brummack, Jürgen 44 Brunelleschi, Filippo 716 Brüning, Karen 642 Bruster, Douglas 184, 198 Brzoska, Matthias 728, 730 Bucharin, Nikolaj 8, 59 f., 62, 162 Bucher, Hans-Jürgen 312 f. Büchner, Georg 735 Buckles, Mary Ann 751 Budday, Wolfgang 725 Buell, Lawrence 188 Buffon, Georges-Louis Leclerc de 36, 123, 352 Bühler, Karl 409, 637, 657, 659 f., 665 f. Bulgakowa, Oksana 47 Burckhardt, Jakob 311 f. Burdorf, Dieter 3, 34, 76–81, 83–86, 89, 92, 95, 122, 128, 420, 701–706 Bürger, Peter 441, 452 Burger, Rudolf 522 Burke, Kenneth 187, 200, 429 Burke, Michael 539, 543 f., 550 Burkert, Walter 424 Burkhardt, Richard Wellington 463, 610 Burmeister, Joachim 717 Burton, Robert 351 Busch, Wilhelm 558, 563 Busoni, Ferruccio 734, 738 Busse, Beatrix 545 Butler, Judith 470 Butler, Robert Olen 339 Butor, Michel 110 Buxtehude, Dieterich 720 Byron, George Gordon (Lord Byron) 159, 730 Caduff, Corina 426 Cage, John 738–740, 742 Caillois, Roger 746 Calderón de la Barca, Pedro 124, 431 Calvino, Italo 44, 93, 108, 110, 334, 615
850
Anhang
Campbell, Joseph 41, 565 Campe, Rüdiger 228, 394 Campell, Norman 263 Camus, Albert 334 Carlyle, Thomas 401, 625 Carnap, Rudolf 501 Carroll, Noël 48, 53 Cartwright, Nancy 256, 263 Casadio, Claudia 231 Cassirer, Ernst 35 f., 88, 169, 505–515 Castelvetro, Lodovico 368 Cato (Marcus Porcius Cato der Jüngere) 699 Cavell, Stanley 317 Čechov, Anton 153 Celan, Paul 434 f., 437 Cervantes, Miguel de 29, 96, 144, 169 f. Channing, Edward Tyrell 245 f. Chapman, George 175 Charpentier, Louise 738 Chase, Joan 336 Chatman, Seymour 324 f., 342, 345 Chaucer, Geoffrey 344 Cheesman, Tom 557 Cheney, Patrick 17 Childress, Clayton 631 Chlebnikov, Velimir 138, 443 f. Chomsky, Noam 289, 543 f. Chopin, Frédéric 729 Christaller, Erdmann Gottreich 245 Christiansen, Broder 18, 60, 143 Christoph, Jan 331 Chute, Hillary 552, 559, 572 Chvatík, Květoslav 37 f. Cicero, Marcus Tullius 373 f., 379 f., 542, 598 Čivikov, Germinal 18 Cixous, Hélène 471, 473–480 Clark, Hilary 351 Clark, Timothy James 687 Claudian (Claudius Claudianus) 367, 370–372 Claudius, Matthias 435 Clément, Jacques 556 Clore, Gerald L. 669, 673 Clover, Joshua 686 f. Cohen, Stephen 189 Cohn, Dorrit 329
Collins, Allan 669, 673 Comte, Auguste 658, 730 Conrad, Maren 52 Constable, Giles 378 Constable, John 186 Cooke, Nathalie 121 Cope, Edward Drinker 464 Copernikus (Nikolaus Kopernikus) 352 Corbineau-Hoffmann, Angelika 614 Corcoran, John 492 Corelli, Arcangelo 719 f., 722 Corino, Karl 647 Cortazar, Julio 110 Coulson, Seana 295 Cowell, Henry 738 Craciun, Ioana 234 Craig, Edward Gordon 707 f. Cramer, Konrad 421 Crawford, Chris 753 Crowe, Russell 343 Crystal, David 204 Cserép, Attila 294 Culler, Jonathan 190 Culpeper, Jonathan 548 f. Cummings, Edward Estlin 544 Curthoys, Ann 519 Curtius, Ernst Robert 36, 160, 244 Cusanus, Nicolaus (Nikolaus von Kues) 593, 624 Cwik, Mateusz 30 f. Dahlhaus, Carl 720, 727, 730 Dallapiccola, Luigi 740 Dancygier, Barbara 296 Danielewski, Mark Z. 44, 110, 575, 747 Danneberg, Lutz 717 Dante Alighieri 168, 347 Danuser, Hermann 731 f. Darcy, Warren 725 Darió, Rubén 443 Darwin, Charles 463, 656 Dasgupta, Rana 344 Daston, Lorraine 518 Deak, Frantisek 708 Debussy, Claude 733, 738, 741 Defoe, Daniel 178, 328 DelConte, Matt 335
Personenregister
Deleuze, Gilles 357 f. Delius, Frederick 738 Denis, John 181 Depretto, Catherine 171 Derrida, Jacques 55, 57, 116, 274, 403–405, 407, 473 Descartes, René 712 Diabelli, Anton 723 Dickens, Charles 47, 327, 332, 548, 558 Dickey, Mary 374 Diderot, Denis 121, 349, 357 Diederichsen, Diedrich 683 Dierse, Ulrich 349 Dilthey, Wilhelm 127 f., 250 f., 436 Dirks, Rudolph 563 Döblin, Alfred 442, 645 f. Dobryden, Paul 619 Docker, John 519 Doležel, Lubomir 401 Domsch, Sebastian 574, 745, 751 Doncu, Roxana Elena 66 Donecker, Stefan 710 Donne, John 175 Donoghue, Denis 173, 198 f. Dostoevskij, Fedor M. 153, 156 Doucet-Rosenstein, Diane 359 Douglas, Mary 424 Drake, Arnold 571 Drews, Peter 461 Drohla, Gisela 140 Dronke, Peter 368 Droste-Hülshoff, Annette von 429 Droysen, Johann Gustav 520 Drügh, Heinz 620 Dubrow, Heather 173, 184, 190, 195 Duchamp, Marcel 689 Dücker, Burckhard 426, 432 Dufay, Guillaume 716, 720 Duff, David 114 Dufrenne, Mikel 56 f., 60, 280 f. Dülmen, Richard van 425 Dürscheid, Christa 215 Dutilleux, Henri 740 Dvořák, Antonín 732 Dylan, Bob (Robert Allen Zimmerman) 25 f.
851
Eagleton, Terry 32, 115 Ebel, Wilhelm 591, 593 Eberle, Thomas Samuel 221 Ebner-Eschenbach, Marie von 408 Eckermann, Johann Peter 151 Eco, Umberto 38, 43, 51 f., 106 f., 109, 355–557, 564, 575, 690, 740 Eder, Jens 671 Edlich, Micha 578 Ehrenberg, Alain 425 Ehrenfels, Christian von 636 f., 659 f., 663–665 Ehrlicher, Hanno 446 Eibl, Karl 50, 221, 287, 294 Eich, Günter 549 Eichendorff, Joseph von 414 Eigenmann, Susanne 700 Eimermacher, Karl 227 f., 254, 268 Einstein, Albert 509 Einstein, Carl 691 Eisenstein, Sergej 46–48 Eisner, Will 571 Ėjchenbaum, Boris 59, 87, 130, 137–152, 154 f., 159, 161 f., 168 Eliade, Mircea 614 Eliot, Thomas Stearns 17, 172, 174–177, 179, 541, 755 Ellenberger, Jürgen 585, 590, 600 f. Ellrich, Lutz 698, 701 Emmanuel, Maurice 738 Emmott, Catherine 297, 549 Empedokles 120 Empson, William 172, 176–180 Emsley, Clive 555 Engels, Friedrich 64, 127 Ensor, Sarah 188 f. Erdbeer, Robert Matthias 3, 11, 28, 32, 49, 52, 66, 226 f., 248, 262, 267, 409, 461, 605 Erlich, Victor 137, 162 Ermatinger, Emil 86 Ernst, Paul 45 Ernst, Ulrich 366, 614, 619 Eroms, Hans-Werner 541 Eshelman, Raoul 404 Esser, Jürgen 546 Eugen IV. (Papst) 716
852
Anhang
Euklid 491 Euripides 699 Evans, Richard John 123, 516 Evers, Kristy 543 f. Fahle, Oliver 308 Fähnders, Walter 442, 445 f., 452 Falk, Lee 562 Falkner, Gerhard 66 f. Fanelli, Veronica 648 Farish, William 535 Faryno, Jerzy 230 Fauconnier, Gilles 289, 295 f. Faulkner, William 544 Fauré, Gabriel 731 Fechner, Gustav Theodor 7, 663 Federman, Raymond 110 Fees, Konrad 717 Feirstein, Frederick 66 Fellini, Federico 345 Fenböck, Karin 697 Ferstl, Paul 569 Fest, Karin 614 Fet, Afanasij 148 Fétis, François-Joseph 730, 736 Feynman, Richard 561 Fichte, Johann Gottlieb 22, 349, 359 f. Ficino, Marsilio 121 Fiedler, Konrad 86, 88, 692 Fiedler, Leslie 680 Fielding, Henry 96, 100, 328 Finch, Annie 66 Fischer, Markus 59 Fischer, Michael 180, 199 Fischer, Saskia 416, 418 f. Fischer-Lichte, Erika 45, 710 Fish, Stanley 199 Fitzek, Herbert 637 Flaschka, Horst 28, 227, 232, 242, 264 Flaubert, Gustave 351 Fleig, Anne 700 Fleishman, Avrom 342 Fludernik, Monika 297, 323 f., 334 f., 342, 346, 546, 550 Flusser, Vilém 532 Focillon, Henri 173, 196, 200 Foer, Jonathan Safran 110
Föllmer, Moritz 523 Fontenelle, Bernard le Bovier de Forkel, Johann Nikolaus 503 Forster, Edward Morgan 324 Fortner, Wolfgang 740 Foucault, Michel 24, 28, 38, 202, 221, 404, 536 f. Fowler, Alastair 451, 458 Fowler, Roger 543 Frahm, Laura 317 Frahm, Ole 577 Franck, César 731 François-Sappey, Brigitte 730 Frank, Ellen 614, 618 Frank, Manfred 37, 417 Frank, Semën 160 Frauenlob (Heinrich von Meißen) 79 Frazer, James George 41 Freeman, Margaret H. 543, 548 Frege, Gottlob 497–500, 503 Frescobaldi, Girolamo 720 Freud, Sigmund 178, 473, 476, 647 Frevert, Ute 437 Freytag, Gustav 250 f., 704–706 Fricke, Harald 292, 300, 413, 701 Fried, Debra 189 Friedman, Norman, 326 Friedmann, Herrmann 9 Frisch, Max 232, 709 Froberger, Johann Jakob 720 Frosch, Paul 49 Frow, John 44 Frye, Northrop 181–183, 186, 350 f. Füger, Wilhelm 328 Fuhrmann, Manfred 367 Funk, Wolfgang 399, 406–408, 410 Fusco, Renato de 316 Gäbe, Sabine 375 Gabričevskij, Aleksandr 162 Gadamer, Hans-Georg 431 Gaiman, Neil 573 f., 576 Galfrid von Vinosalvo 619 Galilei, Galileo 352, 607 f. Gallop, Jean 472, 476 Galperin, William 206 Galster, Ingrid 473 f.
Personenregister
Gamper, Michael 27 Gamut, L. T. F. (Johan van Benthem, Jeroen Groenendijk, Dick de Jongh, Martin Stokhof, Henk Verkuyl) 502 Gansel, Carsten 213 f., 221 f. Gansel, Christina 213 Garber, Klaus 394 Gasché, Rodolphe 82 Gass, William H. 521 Gast, Wolfgang 46 Gaudreault, André 342 Gauglitz, Rainer 612 Gaut, Berys 342 Gay, John 342 Gay, Paul du 43 Gee, James Paul 746 Geertz, Clifford 42 Geiger, Moritz 280 Gelb, Adhemar 641 Genette, Gérard 323, 325 f., 330–333, 341, 351, 357, 451 Gennep, Arnold van 424 Gentzen, Gerhard 492 George, Stefan 128, 413 f., 419–421, 429, 432, 434 Georges, Karl Ernst 606 Geppert, Hans Vilmar 235 Gerhardt, Paul 435 Gernhardt, Robert 92 Geršenson, Michail 160 Gervinus, Georg Gottfried 520 Gessinger, Joachim 727 Geßner, Salomon 387–393, 396–398 Getty, Balthazar 345 Geulen, Eva 9, 128 Ghil, René 447 Ghosh, Ranjan 525 Ghyselinck, Zoë 45 Gibbons, Dave 568, 573 Gibbs, Raymond W. 285, 287, 290, 294, 296, 302 f. Gibhardt, Boris Roman 435 Gide, André 646 Gillen, Kieron 573 Ginsborg, Hanna 193 Gioia, Dana 65 f. Girard, René 424
853
Glaser, Stephanie A. 614 Glatzer Rosenthal, Bernice 461 Glauch, Sonja 32 Glebkin, Vladimir 296 Gleiter, Jörg H. 316 Gluck, Christoph Willibald 731 Glück, Helmut 19 Glytzouri, Antonis 708 Gnüg, Hiltrud 421 Goertz, Hans Jürgen 522 Goethe, Johann Wolfgang 19, 34, 44, 49, 76, 81 f., 85, 94, 98 f., 113, 115 f., 121–123, 125, 129 f., 151, 222, 232, 238, 353, 382, 429, 434, 496 f., 515, 541, 593, 613, 641, 645, 650, 701 f., 705, 718, 727 Goetz, Rainald 92 Goffman, Erving 742 Gogol, Nikolaj 145 f., 153, 156, 162, 340 Goldmann, Lucien 127 Goldstein, Kurt 509 Goodman, Nelson 30, 273, 374, 533 Gornung, Boris 161 Görres, Joseph 614 Gotterbarm, Mario 515 Göttert, Karl-Heinz 542 Gottsched, Johann Christoph 16, 27, 81, 118–120, 123, 387 f., 393 f., 698–700 Gould, Stephen Jay 463 Grady, Joseph 295 Graeff, Werner 605 Gramelsberger, Gabriele 272 Grampp, Sven 538 Grandinetti, Fred M. 563 Graves, Robert 177 Gray, Harold 562 Greenberg, Clement 622 Greenblatt, Stephen 629 Greimas, Algirdas J. 130 Grice, Herbert Paul 547 Griffith, David W. 47 Grillparzer, Franz 706 Grimm, Jacob 385, 593, 606, 635 Grimm, Wilhelm 385 606, 635 Grodal, Torben 342 Gross, Sabine 287, 302 Grosz, Elizabeth 472 Groys, Boris 628, 688 f., 692
854
Anhang
Grübel, Rainer 35, 268 f. Grubmüller, Klaus 366 Grund, Uta 707 Grünewald, Dietrich 560, 578 Gruß, Susanne 470 Grüttemeier, Ralf 447, 459 Grütter, Jörg Kurt 607 Guardini, Romano 431 Guattari, Félix, 357 f. Gülich, Elisabeth 242, 545 Gülich, Wilhelm 49 f. Gumbrecht, Hans Ulrich 36, 525 Gundolf, Friedrich 509 Gunia, Jürgen 49 Gunkel, Hermann 126 Günther, Hans 129 Gutwinski, Waldemar 546 Gwynn, Robert Samuel 66 Haas, Max 713 f. Habermas, Jürgen 197, 406, 494 Hackett, Pat 692 Haeckel, Ernst 85, 461 Hahn, Carl 21, 598 Haiman, John 355 Hale, Dorothy 190 Halle, Morris 544 Hallenberger, Gerd 313 Hamann, Johann Georg 29, 510 Hamilton, Sir William 550, 662 Hamm, Joachim 366, 375 Hamsun, Knut 653 Handke, Peter 92 f., 418, 437 Hansen-Löve, Aage 143, 148–150, 162, 164 Hanslick, Eduard 126, 736 f. Hanuschek, Sven 46 Hardekopf, Ferdinand 445 Hardtwig, Wolfgang 519 Harrington, John P. 42 Harris, James 34 Hartman, Geoffrey 4 Hartmann, Karl Amadeus 740 Hartmann, Nicolai 8 Hartmann, Stephan 272 Hassan, Ihab 17, 406 Hasse, Dag Nikolaus 375
Hatsunosuke, Hirabayashi 30 f. Hattenhauer, Hans 592 Haug, Wolfgang Fritz 623–625 Hauptmann, Gerhart 706 f. Hauptmann, Moritz 718 Hausendorf, Heiko 545 Hawking, Stephen 28 Haydn, Joseph 723 f. Hayes, Elisabeth R. 746 Hebbel, Friedrich 703 f. Hecht, Werner 421 Hecken, Thomas 15 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 8, 83 f., 94–97, 113, 125, 127, 129 f., 349, 476, 507, 703, 705 Heidegger, Martin 247, 501, 681 Heimböckel, Dieter 701, 703 Heine, Heinrich 144, 429 Heinemann, Wolfgang 545 Heinrich III. von Frankreich 556 Heinrich von Bourbon 556 Heißenbüttel, Helmut 248, 658 Helbig, Lothar (Wolfgang Frommel) 420 Heller, Franziska 48 Helmholtz, Hermann von 663, 734 Heloisa 374, 378–380 Hemingway, Ernest 333, 544 Hempfer, Klaus W. 95, 383 Henle, Mary 635 Hennig, Martin 51, 267 Henningsen, Jürgen 349 Henrich, Dieter 91 f. Henze, Hans Werner 740 Hepokoski, James 725 Herbart, Johann Friedrich 33, 84 f., 87 Herbert, George 175 Herder, Johann Gottfried 31, 34, 82, 84, 96, 98 f., 123, 275, 347 f., 352 f., 510, 542 Hergé (Georges Prosper Remi) 562 Herman, David 290, 296–298, 300 f., 324 f., 335, 340, 346 Herman, Vimala 548 Herodot 519 Herrmann, Theo 667 Hesse, Christoph 48 Hesse, Hermann 427 Hesse, Mary 240, 263
Personenregister
Hettner, Hermann 100 Hickethier, Knut 314, 317, 320 Hickmann, Hans 642 Hielscher, Karla 129 Hildebrand, Adolf 87 Hilgendorf, Eric 586 Hillebrand, Bruno 99 Hinrichsen, Hans-Joachim 728 Hinz, Manfred 448, 462 Hirdina, Heinz 625 Hjartarson, Benedikt 440, 445, 451, 461 Hjelmslev, Luis 25 Hocke, Gustav René 122 Hoffmann, Dagmar 538 Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus 97, 101, 479, 727 Hogarth, William 249, 552, 558 Hoke, Rudolf 592 Hölderlin, Friedrich 226, 428, 437, 681 Holly, Werner 215 f., 218 Holmes, Sir Oliver Wendell 531 f., 534–537 Holz, Arno 76, 658 f. Homer 16, 347, 350, 388, 681 Hoogenberg, Franz 556 Horaz (Quintus Horatius Flaccus) 80, 120, 369, 542 Horn, András 270 Hornbostel, Erich Moritz von 654 f. Horváth, Ödön von 708 Howard, Ron 343 Hoyningen-Huene, Paul 491 Hraban (Hrabanus Maurus) 369 Hrotsvitha von Gandersheim 367 Huber, Martin 288, 410 Huchel, Peter 67 Hughes, Ted 292 Huglo, Michel 713 Hugo, Victor 554, 614 Huidobro, Vicente 443 Humboldt, Wilhelm von 34, 49, 83 f., 123, 510, 519 f., 542 Hüppe, Eberhard 711, 717, 733, 739, 742 Husserl, Edmund 161, 659, 734 Hutcheon, Linda 48 Huysmans, Joris-Karl 614
855
Ibsen, Henrik 706 Ickstadt, Heinz 400, 404 f. Indy, Vincent d’ 731 Ingarden, Roman 28 f., 60, 87, 280 Inge, Milton Thomas 553 Innerhofer, Roland 44, 615 Irigaray, Luce 471, 473–480 Isay, Hermann 588 Iser, Wolfgang 10, 233, 263, 271, 273, 404, 560 Isidor von Sevilla 349, 366, 380 Iuvencus, Gaius Vettius Aquilinus 367 Ivanov, Vjačeslav 138, 160 Ives, Charles 738 Jackendoff, Ray 294 Jackson, Tony E. 299 Jacob, Daniel 434, 550 Jacobs, Arthur M. 302 Jäger, Ludwig 218 Jahn, Manfred 227, 342 Jahn-Sudmann, Andreas 687 Jakobson, Roman 30, 54, 130, 148 f., 155, 158, 232 f., 409, 509, 540 Jakubinskij, Lev 139 James, Henry 326 James, William 244, 461 Jameson, Fredric 16, 25, 127, 130, 404 Janáček, Leoš 738 Jancovic, Marek 538 Jandl, Ernst 89, 540 Janich, Peter 240 Janney, Richard W. 548 Jauernig, Othmar 593 Jauß, Hans Robert 366, 453–455 Jean Paul (Johann Paul Friedrich Richter) 15, 96–102, 361 Jeffries, Lesley 549 Jelinek, Elfriede 479 Jensen, Ulf 48 Jhering, Rudolf von 583, 587, 598, 602 f. Johannes von Salisbury 365 Johnson, Barbara 173, 203 Johnson, Bryan Stanley 110, 575 Johnson, Mark 290 f., 293–295, 549 Johnson, Samuel 11 Jolles, André 20, 94, 130
856
Anhang
Jordan, Lothar 122 Josquin des Prez 715, 720 Joughin, John J. 66 Joyce, James 17, 107, 297, 330, 479, 571, 645 Joyeux-Prunel 443 Juhl, Peter D. 201 Jung, Carl Gustav 36, 350 Jung, Matthias 437 f. Jünger, Ernst 59 Juul, Jesper 754 Kacandes, Irene 334 Kaempfe, Alexander 140 Kafka, Franz 44, 340, 427, 615 Kahn, Gustave 447 Kanehl, Oskar 442 Kann, Christoph 523 Kant, Immanuel 7, 82, 192–197, 251, 391 f., 431, 506 f., 513, 620 f., 659, 664, 681 f., 686, 727 Kanzog, Klaus 48 Karamzin, Nikolaj 151 Karasik, Paul 568 Karl der Große 556 Karremann, Isabel 42 Karrenbrock, Helga 445 Kassner, Rudolf 128 Kastner, Jörg 379 Katsumoto, Seiichirō 31 Kaufman, Robert 173, 191, 195–198 Kawabata, Hideaki 302 Kawin, Bruce F. 343 Kayser, Wolfgang 39, 94 Keckeis, Paul 26, 112, 130 Keller, Gottfried 100, 426 Keller, Helen 511 Kelleter, Frank 319, 687 Kellner, Beate 365 Kelly, Adam 404, 409 Kelly, Douglas 117 Kelsen, Hans 139 Kepler, Johannes 352 Kermode, Frank 38 Kerr, Alfred 704 Kerschbaumer, Sandra 28, 227, 235 Khardjiev, Nicolas 444 Kiepenheuer, Gustav 646
Kierkegaard, Søren 128 Kiesel, Helmuth 432 Kilcher, Andreas 347, 351, 356, 361 Kilner, Dorothy 339 f. Kimmich, Dorothee 394 Kindermann, Udo 366 King, Frank O. 562 Kirby, Alan 404 Kirby, Michael 45 Kircher, Athanasius 359 Kischkel, Roland 289 Kittler, Friedrich 50, 538 Klaeger (Kläger), Florian 3, 28, 207, 383, 681 Kleeberg, Ingrid 27 Klein, Alfred 129 Klein, Christian 427 Kleinberg, Ethan 525 Kleist, Heinrich von 479, 510 Klopsch, Paul 366, 370 Klotz, Volker 697, 708 Knapp, Lore 418 Knapp, Stephen 200–203 Knebel, Karl Ludwig 353 Knörer, Ekkehard 629 Knowlson, James 45 Koch, Heinrich Christoph 723, 725 f. Koch-Gombert, Dominik 313 Kochinka, Alexander 671, 673 Kocka, Jürgen 518 Koechlin, Charles 738 Koffka, Kurt 637 f., 641, 647, 649, 654 Köhler, Wolfgang 637, 641 Kohlhammer, Siegfried 518 Kohtz, Birte 523 Kolbe, Uwe 435 Kolker, Robert P. 48 Kolymbas, Dimitrios 611 f. Konrad, Kurt 62 Koschorke, Albrecht 105 f., 523 Koselleck, Reinhart 519 Koubek, Jochen 538 Kozloff, Sarah 343 Krajewski, Markus 309 Krämer, Sybille 218, 220, 228, 274, 407 Kranemann, Benedikt 417, 422 Kraus, Alexander 523 Krause, Detlef 224
Personenregister
Krause, Robert 44, 619 Krauthausen, Karin 227, 238 Kretz, Nicolette 699 Kreytenberg, Gert 716 Krill, Austen L. 303 Kristeva, Julia 268, 357, 471, 473–475, 477–480 Krohs, Ulrich 272 f. Krois, John Michael 506 Kroll, Wilhelm 368 Kručonych (Kručënych), Aleksej 138, 443 f. Krug, Traugott Wilhelm 621 Kruger, Felix 637 Krünitz, Johann Georg 392 Krzywkowski, Isabelle 447 Kubin, Alfred 615 Kubrick, Stanley 343 Kuhlen, Rainer 358 Kuhn, Thomas 263 Kühne, Udo 368 Külpe, Oskar 637 Kunze, Stefan 726 Kunzle, David 556 f., 571 Kurehito, Kurahara 30 Kurth, Ernst 734 Kyle, Richard 570 f. Laass, Eva 342 Labov, William 546 Lacan, Jacques 50, 471 f., 474–478 Lachenmann, Helmut 741 f. Lachmann, Renate 167 Lahn, Silke 331 Lakoff, John 290, 293–295, 549 Lamarck, Jean-Baptiste 462–465 Lambrou, Marina 547 Lämmert, Eberhard 78, 104, 619 Landow, George P. 50, 358 Landwehr, Achim 516, 524 Lang, Fritz 333, 343 Langacker, Ronald Wayne 291 Lange, Wolfgang 426 Langemeyer, Peter 701, 706 Langenohl, Andreas 68 Langer, Susanne K. 425, 437 Lanham, Richard A. 51 Lanner, Joseph 732
857
Lanser, Susan 336 Lantzsch, Katja 314 Lask, Emil 35 Latour, Bruno 389, 531–534, 536, 610 Laufs, Adolf 592 Laurila, Karle Sanfrid 449 Lausberg, Heinrich, 543 Lawrence, David Herbert 338 Le Guin, Ursula 338–340 Lechte, John 477 Leclerc, Georges-Louis (Comte de Buffon) 36 Leech, Geoffrey 540, 546 Lehmann, Hans-Thies 45, 66, 433, 709–711 Leibniz, Gottfried Wilhelm 352, 359, 496 Leighton, Angela 173, 196, 199 f., 399 Leinkauf, Thomas 359 Leitch, Thomas M. 48 Lenin, Wladimir Iljitsch (Wladimir Iljitsch Uljanow) 64 Lenz, Anna 413 Lenz, Felix 47 Leschke, Rainer 45 f., 49, 538 Leskov, Nikolaj 146 Lessing, Gotthold Ephraim 10, 3, 53, 274 f., 361, 470, 524, 561, 698–700 Lévi, Eliphas (Alphonse Louis Constant) 465 f. Lévi-Bruhl, Lucien 654 Levine, Caroline 131 f., 186, 190, 399 Levinson, Barry 345 Levinson, Marjorie 65 f., 131, 173, 192, 342 Lévi-Strauss, Claude 130, 241 f., 267, 275, 280, 283 Lévy, Pierre 358 Lewin, Kurt 637, 647, 651 Lewis, Wyndham 443, 452 Lichtenberg, Georg Christoph 247, 309 Liebs, Detlef 598 Linke, Hansjürgen 421 Linné, Carl von 125, 585 Lista, Giovanni 448 Liszt, Franz 729, 731 Litten, Rüdiger 313 Liu, Alan 66 Lloyd, Brian 25 Lobigs, Frank 314, 317 Lodges, David 207 Loesberg, Jonathan 191
858
Anhang
Loggia, Robert 345 Lomazzo, Giovanni Paolo 123 Lomonosov, Michajl 151 Longacre, Robert E. 545 Loos, Adolf 625 f. Lorenz, Chris 516 Lorenzer, Alfred 423 Losev, Aleksej 160 Lotman, Jurij 232, 261, 276–278 Lotze, Hermann 663 Louwerse, Max 289 f. Loux, Michael 487 Löw, Martina 742 Lowth, Robert 29, Lubbock, Percy 326 Lübke, Wilhelm 610 Ludwig XIV. 20 Lugowski, Clemens 25, 41, 168–171 Luhmann, Niklas 22, 24, 28, 42, 45 f., 213 f., 216–225, 253 f., 310 f., 315, 532 f., 538, 721 Lukács, Georg 9, 102, 113, 127–129, 281 Lukian von Samosata 368 Lukrez (Titus Lucretius Carus) 352 f. Lull, Raimund 359 Lully, Jean-Baptiste 719 Lunačarskij (Lunatscharski), Anatolij (Anatoli) Wassiljewitsch 59, 162 Lüthy, Michael 256 Lynch, David 345 Lyotard, Jean-François 403, 743 MacCannell, Dean 683, 688 MacDonald, Dwight 690 Mach, Ernst 636, 648 f., 659, 663, 675 Macherey, Pierre 127 Magnani, Lorenzo 231 Mahlberg, Michaela 543, 548 Mahler, Gustav 733, 738 Mahnkopf, Claus-Steffen 743 Mahr, Bernd 28, 226 f., 231, 258 f., 262–264, 271, 385 Majakovskij, Vladimir 138 Malcolm, Norman 502 Mallarmé, Stéphane 413, 447 Malpas, Simon 66 Man, Paul de 4, 56–58, 173, 186, 203
Mandel’štam, Osip 166–168 Manet, Édouard Manigk, Alfred 589, 591 f. Mann, Golo 518 Mann, Thomas 309, 434, 437 Mann, Jill 367 Marcade, Auguste 447 Marcus, Amit 336 Marcus, Sharon 188 Maréchal, Sylvain 451 Margaroni, Maria 477 Margolin, Uri 334, 336 Marinetti, Filippo Tommaso 440, 442–446, 448–450, 452, 457 f., 460, 462, 464 f. Marlitt, Eugenie 684 Marpurg, Friedrich Wilhelm 721 Marquard, Odo 405, 524 Marszalek, Agnes 549 Martianus Capella 349, 369, 371 f. Martin, Dieter 387 Martínez, Matías 170, 409 Martus, Steffen 39, 282 Marvell, Andrew 175 Marx, Adolph Bernhard 725, 727 f. Marx, Karl 31, 59, 62–64, 112, 128–130, 158, 163–165, 182, 451, 462, 623, 698–700, 702, 706 Masanek, Nicole 475 Mattheson, Johann 712, 717 Maurer, Karl 89 May, Karl 565, 684 Mazzucchelli, David 568 McCloud, Scott 553, 560 f., 568 f., 579 McEwan, Ian 339 McGonigal, Jane 753 McInerney, Jay 335 McIntyre, Dan 539, 549 McKeon, Michael 127 McKinney, Mark 557 McLaughlin, Mary M. 378 McLuhan Marshall 25, 320 f. McPhillips, Robert 65 Mecke, Jochen 407 Meder, Stephan 591 Medvedev, Pavel 164, 166 Meier, Christel 365, 368–370, 372 Meifert-Menhard, Felicitas 575
Personenregister
Meineke, Johann Heinrich 7 Meinong, Alexius 637, 659 Meise, Helga 700 Meister, Jan Christoph 331 Mellmann, Katja 303 Mellor, David H. 487 Mende, Dirk 539, 550 Mendelssohn, Fanny 729 Mendelssohn, Felix 729 Mercier, Louis-Sébastien 122 Mersch, Dieter 307 Mersenne, Marin 719 Messiaen, Olivier 738 f. Métraux, Alexandre 667 Metzger, Mary Janell 192, 638 Meyer, Christian 714, 716 Meyer, Christina 578 Meyer, Jörn Axel 638 Meyer, Theodor A. 8–10, 36 Meyerbeer, Giacomo 731 Meyerhold, Wsewolod E. 707 f. Meyer-Pritzl, Rudolf 590 Miall, David S. 292, 299, 302 Michaels, Axel 430 Michaels, Walter Benn 200 f. Michel, Paul 348 Michelangelo 609 f. Michler, Werner 26, 112, 123, 128, 699 f., 706, 709 Micić, Ljubomir 440, 460 f. Mies van der Rohe, Ludwig 605 Miéville, China Tom 576 Mill, John Stuart 657–664 Miller, D. A. 329 Miller, Frank 569, 573 Miller, J. Hillis 185 Miller, Norbert 397 Milton, John 175, 347 Mitterer, Josef 526 Mix, York Gothart 385 Mlodinow, Leonard 28 Mohr, Robert 378 Molo, Walter von 648 Molzahn, Johannes 462 Momigny, Jérôme-Joseph de 725 Mommsen, Theodor 520 Mondonville, Cassanea de 723
859
Monfrin, Jacques 375 Monk, Ray 502 Montague, Richard 502 Monteverdi, Claudio 718 Moore, Alan 568, 572 f. Moore, Lorrie 334 Moos, Peter von 365, 374 f., 377–379 Morchiladze, Aka 110 Moréas, Jean 447 Moreno, Roberto Bartual 554 f. Moréri, Louis 349 Moretti, Franco 251 f. Morgenstern, Oskar 242 Mörike, Eduard 428 f. Moritz, Karl Philipp 38, 385 f., 431, 542 Morris, Adalaide 336 Morris, William 625 Morrison, Grant 573 Mosebach, Martin 423 Möser, Justus 698 Motte-Haber, Helga de la 743 Mozart, Wolfgang Amadeus 721 f., 724, 726, 728 Muckle, Joseph Thomas 378 Mukařovský, Jan 18, 87, 159 f., 402 f., 407 Mülder-Bach, Inka 646 Müller, Günther 130 Müller, Jan-Dirk 170, 423 Müller, Philipp 523 Müller, Ralph 292, 300 Müller, Robert 68, 442 Müller, Susanne 308–310 Müller, Wolfgang G. 566 Müller-Bochat, Eberhard 352 Müller-Sievers, Helmut 125 Müller-Tamm, Jutta 44 Müller-Wood, Anja 285, 288, 298, 301 Münch, Joachim 601 Munslow, Alun 520 Murnau, Friedrich Wilhelm 615 Murray, Janet 754 Musil, Robert 103–105, 522, 641–654 Nabokov, Vladimir 747 Naredi-Rainer, Paul 715 Nat, Pieter Gijsbertus van der 367 Nauck, Gisela 743
860
Anhang
Navarro, Yvonne 576 Nehamas, Alexander 202 Nehring, Elisabeth 707 f. Nenik, Francis 110 Neubauer, John 359 Neugebauer-Wölk, Monika 425 Neumann, Birgit 242 Neumann-Duesberg, Horst 584 Newman, James 746 Newman, Wade 66 Newton, Isaac 226, 352, 638 Nichols, Bill 48 Niehaus, Michael 307–309, 319 f. Niemöller, Klaus Wolfgang 717 Nietzsche, Friedrich 84 f., 88, 461, 511, 658 Nikolaev, P. A. 152 Nipperdey, Thomas 518 Nissen, Ivor 231 Noiriel, Gérard 520 Nono, Luigi 742 f. Nora, Pierre 41 Norbert von Xanten 377 Novalis (Friedrich von Hardenberg) 99, 128, 361, 425 Nübel, Birgit 642 Nünning, Ansgar 227, 325, 342 Nyberg, Amy Kiste 571 Oatley, Nick 295 O’Brien, Edna 335 O’Brien, Flann 344 Ochsenbein, Peter 371 Ockeghem, Johannes 715, 720 Oestmann, Peter 583, 590–592 Offenbach, Jaques 732 O’Flynn, Siobhan 48 Ogden, Charles K. 176 Ohmann, Richard 544 Oliver, Kelly 477, 479 Oort, Richard van 295, 300 Opacki, Ireneusz 455 f. Opitz, Martin 27, 117 f., 120 Ort, Claus-Michael 235 Ortony, Andrew 669, 673 Oschmann, Dirk 382 Osinski, Jutta 476, 478, 480 Osrin, Ray 571
Ostheimer, Michael 23 Otto, Frei Paul 611 Outcault, Richard Felton 319, 557 Ovid (Publius Ovidius Naso) 19, 371 Pabst, Bernhard 368 f. Paech, Joachim 46 Page, Ruth 546 Palestrina, Giovanni Pierluigi da 718, 729 Palladius (Palladius Rutilius Taurus Aemilianus) 369 Palmer, Alan 289, 297 Panofsky, Erwin 115, 121 Papapetros, Spyros 615 Parker, Margaret Adams 554 Paschasius Radbertus 374 Pater, Walter 198 Patzold, Steffen 374 Paul, Herman 517 Payne, Charlton 453 Payne, Philip 642 f. Peer, Willie van 289 f. Peirce, Charles Sanders 18, 355, 532 Pennanen, Esko 204 Perec, Georges 337 f. Perloff, Marjorie 458 Perotin (Perotinus) 714 Perrin, Daniel 313 Perron, Bernard 752 Petersdorff, Dirk von 429 Petersen, Robert S. 553 Pethes, Nikolas 21 Petrus Abaelardus, s. Abaelard Petrus Damiani 380 Petry, Walther 646 f. Pettersson, Anders 114 Pfaff-Czarnecka, Joanna 426, 438 Pfemfert, Franz 441 f. Pfister, Manfred 709 Pfotenhauer, Helmut 397 Pham, Teresa 546 Phelan, James 323 Philippe Le Chancelier (Philipp der Kanzler) 714 Phillips, Dana 188 Philon von Megara 493 Pias, Claus 52
Personenregister
Picard, Rosalind W. 668 Pichler, Wolfram 312 Piksanov, Nikolaj 160 Pinker, Steven 294 Piper, Joseph 431 Plath, Sylvia 479 Platon 34, 121 f., 400, 402, 476, 510, 608 f., 713 Plett, Heinrich F. 540 f. Plinius 349, 373 Plotin 34, 78–81, 123, 174 Plotnikov, Nikolaj 161 f. Plumpe, Gerhard 100, 222–224 Podzemskaja, Nadežda 161 f. Poole, Ralph J. 450 Poovey, Mary 132, 184, 187 Pop, Mihal 614 f. Pope, Alexander 16 f., 178, 197, 747 Popper, Karl 495 f. Porché, François 646 Poschmann, Gerda 709 Poser, Hans 279 Postl, Gertrude 475 Potebnja, Aleksandr 141, 151 Pothast, Ulrich 421 Poulenc, Francis 740 Pound, Ezra 574 Prendergast, Christopher 400 Priest, Graham 489 f., 493 Priestley, Joseph 352 Primavesi, Patrick 709 Prince, Gerald 324 Prior, Arthur 503 Propp, Vladimir 20, 130 Prosper von Aquitanien 369 Proust, Marcel 614, 645 Prudentius (Aurelius Prudentius Clemens) 371 f. Prutz, Robert 100, 704 Puchner, Walter 446, 614 Pudelek, Jan-Peter 699 Pullman, Bill 345 Puškin, Aleksandr 148 Puttenham, George 181 Pynchon, Thomas 576 Pypin, Aleksandr N. 152 Pyra, Jakob Immanuel 699
861
Quain, Herbert 109 Quantz, Johann Joachim 712 Queneau, Raymond 110 Quillian, Ross M. 355 Quine, Willard Van Orman 492, 502 f. Quintilian (Marcus Fabius Quintilianus) 17, 542, 618 Rädle, Fidel 366, 368 Rahman, Sabrina 614 Rahn, Helmut 618 Raible, Wolfgang 242 Rameau, Jean-Philippe 734 Rancière, Jacques 624 Ranke, Leopold von 35, 226, 524 Ranke, Wolfgang 401, 699 Ransom, John Crowe 174 f., 179, 543 Rapin, René 347 Rasmussen, Mark David 185 Recki, Birgit 35, 505, 507 Reckwitz, Andreas 115 Reicha, Antoine 721, 725 Reichel, Peter 420, 424 Reinfandt, Christoph 18 Reinhardt, Max 707 Reiser, Simon 429 Reiter, Ilse 592 Rembrandt van Rijn 494 Remmers, Peter 48 Rentiis, Dina de 375 Rey, Alain 349 Reynolds, Simon 684 Rheinberger, Hans-Jörg 255, 264, 533 Richards, Ivor A. 172, 175–177, 179 f., 543 Richardson, Brian 334, 336, 339 Richardson, Samuel 288 Richii, Yokumitsu 30 f. Richter, Ernst Friedrich 725 Richter, Hans 46 f., 605, 614 Ricœur, Paul 400 Riding, Laura 177 Rieger, Stefan 258, 359 Riegl, Alois 86, 88 Riemann, Ernst 725, 733 f. Riemenschneider, Tilman 421 Riepel, Joseph 712, 725 Riffaterre, Michael 400
862
Anhang
Riikonen, Hannu K. 449 Rilke, Rainer Maria 434 Rimmon-Kenan, Shlomith 324 Ringer, Fritz K. 635 Robbe-Grillet, Alain 334 Robering, Klaus 263 Roberts, David 22 Roeck, Bernd 122 Rogers, Janine 399 Rolf, Thomas 88 Rooney, Ellen 173, 185, 190, 199 Rorty, Richard 401 Roscelin (Johannes Roscelin von Compiègne) 375 Rosen, Charles 725 Rosso, Stefano 186 Roth, Philip 339, 645 Röttgers, Kurt 111 Rottschäfer, Nils 413 Rousseau, Jean-Jacques 406, 408 Rozanv, Vasilij 153 Ruben, Peter 259 Rückert, Friedrich 429 Rühmkorf, Peter 92 Runia, Eelco 525 Rüsen, Jörn 520 Rushdie, Salman 333 Ruskin, John 625 Russell, Bertrand 496, 500 f. Russell, Charles 459 Ryan, Marie-Laure 51, 267, 297, 325, 338 Ryschawy, Hans 716 Sacco, Joe 572 Sahlins, Marshall 196 Saint-Saëns, Camille 731 Salber, Wilhelm 21 Salinger, Jerome David 328, 427 Salm, Peter 9 Sander, Friedrich 637 Sasse, Sylvia 164 Satie, Éric 738 Saussure, Ferdinand de 27, 402, 539 Savoy, Eric 188 Scarry, Elaine 173, 194 f. Schabert, Ina 470 Schanze, Helmut 359, 542
Scheerbart, Paul 619 Scheffel, Michael 409 Schelling, Friedrich Wilhelm 7, 353 f., 703, 705 Scherer, Klaus R. 672 f. Scherer, Wilhelm 127 Scheyb, Franz Christoph 699 Schiewer, Gesine Lenore 656 f., 668 Schild, Wolfgang 595 Schildknecht, Christiane 34, 75, 79 Schiller, Friedrich 3, 12–15, 32, 34, 77, 83, 96, 100, 123, 129, 250, 353, 428–431, 434, 621 f., 680 f., 701–703, 705 Schlaffer, Heinz 32, 170 Schlager, Karlheinz 714 Schlegel, August Wilhelm 84, 124, 697 Schlegel, Friedrich 29, 39, 84, 97–100, 124 f., 127, 359–361, 382 f., 425, 430, 432 Schleicher, August 19 Schlieben-Lange, Brigitte 366 Schlingensief, Christoph 418, 433 Schmid, Wolf 146, 324 f., 543, 710 Schmidt, Kerstin 710 Schmidt, Robert Renato 442 Schmidt, Siegfried J. 727 Schmidt-Beste, Thomas 725 Schmidt-Biggemann, Wilhelm 349 Schmitt, Hans-Jürgen 129 Schmitz-Emans, Monika 15, 75, 90, 110, 227, 578 Schneider, Florian 393 Schneider, Helmut J. 387 f. Schneider, Jan Georg 215 f. Schneider, Ralf 297 Scholz, Heinrich 488 Scholz, Oliver 533 Schönberg, Arnold 728, 731, 734 f., 738 Schopenhauer, Arthur 461, 622, 718 Schostakowitsch, Dmitri 736 Schrage, Dominik 23 Schramke, Jürgen 103 Schröder, Walter Johannes 122 Schröter, Jens 531, 534–537 Schubert, Christoph 539, 545, 548 Schubert, Franz 726, 728, 732 Schultz, Joachim 448 Schulz, Charles M. 562
Personenregister
Schulze, Gerhard 426 Schumann, Clara 729, 731 Schumann, Robert 729, 731 Schüttpelz, Erhard 533 Schüwer, Martin 558–560, 564, 567, 570, 578 Schwiete, Hans-Ernst 612 Schwingeler, Stephan 746, 754 Schwinger, Reinhold 80, 122 Schwitters, Kurt 90 Scott, Walter 519 Sebold, Alice 339 Sedulius (Coelius Sedulius) 369 Seel, Martin 52 Segar, Elzie 563 Segebrecht, Wulf 428 Seidel, Wilhelm 714 Seiler, Sascha 429 Sekula, Allan 534 Selbmann, Rolf 409 Sellars, Wilfrid 487 Seltzer, Mark 329 Selz, Otto 660, 666 f. Semino, Elena 292, 297 Semper, Gottfried 625 Shaffer, Peter 342 Shaftesbury, Third Earl of (Anthony Ashley Cooper) 34, 81 f., 85, 115, 122 f. Shakespeare, William 29, 43, 81, 87, 122, 124, 177, 222, 291, 345, 544, 603, 703, 705 Shepard, Leslie 554 Short, Mick 546–548 Showalter, Elaine 470 Sicart, Miguel 753 Siegert, Bernhard 263 Sienkiewicz, Bill 572 Simmel, Georg 425, 507, 518, 626 f. Simmonds, Posy 558 Simon, Herbert A. 660, 667, 677 Simon, Ralf 24 Simonis, Annette 641 Simson, Otto von 716 Sinemus, Volker 119 Skinner, Burrhus Frederic 289 Šklovskij, Viktor 54 f., 59, 62, 87, 130, 140–145, 152–156, 160, 163 f., 166, 170, 248 f., 622, 627 f.
863
Skrjabin, Alexander 738 Smith, Ali 3 Smith, Barry 498 Smith, Warren 329 Smith, Zadie 409 Smithson, Alison 627 Smithson, Peter 627 Smollet, Tobias 339 Smythe, Reg 562 Sohn-Rethel, Alfred 623 Sokrates 608 f. Sola, Agnès 166–168 Somigli, Luca 447 Sommer, Roy 325, 342 Sonnenfels, Joseph von 698 f. Sontag, Susan 692 Sophokles 434 Sorel, Georges 461 f. Sousanis, Nick 577 Sowinski, Bernhard 539, 542, 544 f. Spacek, Dirk 317 f. Spedicatu, Eugenio 46 Speiser, Andreas 739 Spencer, Herbert 141 Spencer-Brown, George 22, 253, 310 f. Spengler, Oswald 20 f., 128 Špet, Gustav 34 f., 161 f. Spiegelman, Art 572 Spillner, Bernd 540, 544 Spooner, Brian 689 Spranger, Eduard 128 Sproede, Alfred 137 Spurlin, William J. 180, 199 Sraffa, Piero 502 Staal, Frits 430 Stachowiak, Herbert 28, 226 f., 230, 241 f., 385 Stackelberg, Jürgen von 375 Stadler, Arnold 435 Stadler, Ernst 59 Städtke, Klaus 79 f., 82, 113, 117 Staiger, Emil 94, 543 Stanzel, Franz K. 323, 326–328, 330–334, 336 f., 342 Stark, Michael 442 Staubach, Nikolaus 380 Stech, August (Franz Pfemfert) 441 f.
864
Anhang
Stehen, Gerard J. 295, 539, 550 Stein, Daniel 557, 577 f. Steinbach, Erwin von 613 Steiner, Rudolf 461 Steinmetz, Klaus 612 Steinthal, Heymann 35 Štekauer, Pavol 204 Stern, Clara 509 Stern, William 509 Sternberg, Meir 286, 288 f., 299–302, 329 Sterne, Laurence 29, 96, 144, 247, 249, 351 Stickfort, Bernd 358 Stierstorfer, Klaus 3, 28, 383, 681 Stifter, Adalbert 44 Stirner, Max 461 Stockhausen, Karlheinz 739–742 Stöckl, Hartmut 215 f. Stockwell, Peter 286–288, 291–293, 300 f., 539, 548 f. Stoll, Rolf W. 716 Stolz, Michael 349 Stoppard, Tom 342 Storm, Theodor 77, 235 Störmer, Uta 366 Stotz, Peter 365 Strauss Johann (Sohn) 732 Strauss, Johann (Vater) 732 Strauss, Richard 738, 743 Strawinsky, Igor 734, 736, 738 Striedter, Jurij 137, 140, 142 Strindberg, August 706 Strobach, Niko 487 f., 492, 494 f. Stubbs, Michael 543 Stumpf, Carl 637, 641, 659 f., 664 f., 676 St. Vincent Millay, Edna 189, 197 Sullivan, Louis 605 Sulzer, Johann Georg 352, 394 Summers, David 312, 316 Svevo, Italo 645 Swann, Maxine 337 Swift, Jonathan 351 Swittala, Bernd 288 Synge, John Millington 42 Szondi, Peter 113, 125, 127, 130, 697, 700, 706, 709 Szymanowski, Karol 738
Taendler, Fritz 460 Tagg, John 536 Taine, Hippolyte 658 Taleb, Nassim Nicholas 400 Talpo, Francesca 449 Tan, Shaun 559 Tarantino, Quentin 343 Tarde, Gabriel 239 f. Tatarkiewicz, Wladyslaw 117 Tate, Allen 179 Tenev, Darin 233, 254, 282 f. Terenz (Publius Terentius Afer) Tetens, Holm 489 Tetzlaff, Stefan 236 Thackeray, William Makepeace 755 Thadden, Elisabeth von 353 Thalheim, Bernhard 231 Theokrit 390, 394–397 Thiele, Martina 447, 450 Thierry von Chartres 374 Thomas à Becket 344 Thomas von Kempen 381 Thomé, Horst 39 Thon, Jan-Noël 51, 267, 557, 576 Thorau, Christian 732 Thums, Barbara 382, 391, 395 Thurman, Uma 343 Till, Dietmar 542 Timomachos von Byzanz 561 Tinctoris, Johannes (Jehan le Taintenier) 716 f., 722 Tjell, Mette 447 Tjutčev, Fëdor I. 148 Toddes, Evgenij A. 166–168 Todorov, Tzvetan 130, 325 Tolkien, John Ronald Reuel 173, 205, 755 Tolstoj, Lev 162 Tomaševskij, Boris 148 f., 170, 325 Toolan, Michael 546 Töpffer, Rodolphe 557 f. Tophinke, Doris 366 Torkewitz, Dieter 713 Toro, Guillermo del 576 Toulmin, Stephen 496 Trachsler, Richard 366 Trakl, Georg 435, 437 Trappen, Stefan 125
Personenregister
Triepel, Heinrich 595 Trockij (Trotzkij, Trotzki), Lev (Leo) 59 f., 62, 162–164 Trop, Gabriel 606 Trudeau, Gary 563 Tschechow, Anton Pawlowitsch 153, 706 Tsur, Reuven 289, 292 f., 299, 302, 671 Tucker, Herbert 190 Turgenev, Ivan 144 Turner, Frederick 66 Turner, Mark 287 f., 290, 295 f. Turner, Victor 424 Turnovský, Jan 280, 605, 616–618 Twain, Mark 558 Tylor, Edward Burnett 393 Tynjanov, Jurij 27, 49, 63, 130, 146, 148–151, 153–159, 166–168, 453–455 Ubl, Ralph 312 Ueding, Gert 438 Uexküll, Jakob Johann von 509 Ullrich, Wolfgang 630 Ulrich, Timm 435 Unger, Rudolf 168 f. Uspenskij, Pëtr 461 Vachss, Andrew 576 Valéry, Paul 4, 237 Vandaele, Jeroen 286 Vande Moortele, Steven 731 Vanderbeke, Dirk 552, 554, 559 Vann, Richard T. 516 Varenne, Frank 242 Varèse, Edgard 73 Varro (Marcus Terentius Varro) 351 Veldhues, Christoph 254 Venus, Jochen 682 Verdi, Giuseppe 732 Vergil (Publius Vergilius Maro) 16, 350, 371, 394 Vermeulen, Timotheus 404 Vesalius, Andreas 717 Veselovskij, Aleksandr 141, 143, 152 Vianu, Tudor 28 Vierhaus, Rudolf 524 Viëtor, Karl 128 Vinogradov, Viktor 146
865
Virués-Ortega, Javier 289 Vischer, Friedrich Theodor 8 f. Vitruv (Marcus Vitruvius Pollio) 619 Vivaldi, Antonio 719 Voges, Michael 425 Vogl, Joseph 27, 263, 391, 396 Volkmann, Laurenz 548 Vollkommer, Max 598 Voss, Christiane 672 Voß, Johann Heinrich 113 Voßkamp, Wilhelm 317 f., 366, 383 Vyšeslavcev, Boris 160 Waentig, Heinrich 625 Wagner, Birgit 458 Wagner, Richard 43, 418, 730–732, 734 Wagner-Egelhaaf, Martina 261 Walden, Herwarth 449 Waldenfels, Bernhard 90 Wales, Katie 546 Waletzky, Joshua 546 Wallace, David Foster 692 Waller, Leslie 571 Walser, Martin 437 Waltenspül, Sarine 261 Walter, Axel E. 368 f. Walter, Tonio 583, 585, 588, 592 Walther von der Vogelweide 433 Walton, Kendall 410 Walzel, Oskar 8–11, 85–87, 123, 127, 613 Warburg, Aby 433, 510 Ware, Chris 575 Warhol, Andy 435, 689, 692 Warren, Austin 87, 177, 179, 182 Warren, Robert Penn 172, 179 Wartofsky, Marx W. 229 Watterson, Bill 562 Weber, Carl Maria von 731 Weber, Ingeborg 477 f., 480 Weber, Max 428, 736 Weber, Wolfgang 516 Webern, Anton 734 f., 738, 741 Wege, Sophia 296 Wehler, Hans-Ulrich 517 f. Weil, Keri 473, 480 Weimar, Klaus 122 Wellbery, David 11, 228 f., 275
866
Anhang
Wellek, René 87, 179, 182 Weltzien, Friedrich 578 Wendler, Reinhard 229, 231, 260, 262, 269, 605, 619 Wenzlhuemer, Roland 308 Werber, Niels 222–224 Werfel, Franz 442 Werlich, Egon 545 Werner, Richard Maria 127 Werth, Paul 297 Wertham, Fredric 570 Wertheimer, Max 637 f., 655 White, Hayden 24 f., 28, 516–518, 524, 526 Whiteley, Sara 539 Widor, Charles-Marie 731 Wieland, Christoph Maria 352 Wiener, Oswald 660, 667, 674–676 Wiesing, Lambert 88, 319 Wiest-Kellner, Ursula 334 Wilde, Lukas 578 Wilde, Oscar 105 Wilder, Thornton 342 Wilhelm von Champeaux 376 Wilhelms, Kerstin 227 Willems, Gottfried 126, 227 Williams, Raymond 114, 316, 407 Williamson, Jack 574 Wilson, George 342 Wimsatt, William K. 173–175, 177, 179, 182, 187, 200 Winckelmann, Johann Joachim 243, 246, 397, 718 Winkielman, Piotr 302 Winkler, Hartmut 315 Winko, Simone 288, 671 Wirth, Uwe 228 Wittgenstein, Ludwig 33, 128, 205, 259, 399, 491, 501 f., 741, 745 Wolf, Mark J. P. 752
Wolf, Norbert Christian 642 Wolfenstein, Alfred 442 Wolff, Oskar Ludwig Bernhard 384 f. Wölfflin, Heinrich 86–88, 138 Wolfson, Susan 173, 190 f., 199 Wolter, Helmut 259 Wong, Hertha D. Sweet 336 Wood, James 176 Woodmansee, Martha 629 f. Woolf, Virginia 329, 479 Wordsworth, William 189, 201, 205 Worringer, Wilhelm 409, 622 Wundt, Wilhelm 35, 637, 659 Wünsch, Michaela 320 Xenakis, Iannis 739, 742 Yanoshevsky, Galia 458 Yazdanpanah, Marie-Noëlle 614 Yoichi, Nakagawa 30 Zeki, Semir 302 Zelle, Carsten 349 Zeller, Christoph 408 Zemanek, Evi 44, 619 Zerov, Mykola 168 Zeuxis von Herakleia 374, 380 Ziemann, Andreas 218 Zimmermann, Johann Georg 389–391 Zimmermann, Reinhard 591 Zimmermann, Robert 9, 11, 20, 32 f., 77, 88, 622 Ziolkowski, Theodore 706 Žirmunskij, Viktor 147 Zoščenko, Michail 146 Zuccari, Federico 121, 123 Žukovskij, Vasilij 148 Zunshine, Lisa 298 Zymner, Rüdiger 94 f., 112, 285, 288, 300, 302 f., 383, 697 f.
Sachregister Das Sachregister verzeichnet unter den aufgeführten Nomina auch die entsprechenden Deklinationsformen und Komposita, zugehörige Adjektive, Verben und Partizipalformen sowie fremdsprachliche Varianten (kursiv) des Begriffs. Das Kürzel ‚s.‘ (= siehe) verweist auf das alternative Lemma, das den Eintrag (mit)verhandelt; die Angabe ‚s. a.‘ (= siehe auch) verweist auf Lemmata mit ähnlichem, konträrem oder weiterführendem Begriffsumfang. Mit Spiegelstrich gelistete kursive Lemmata sind Unterbegriffe des Haupteintrags. Abbild 103, 229–231, 247, 276 f., 286, 373, 378 f., 404, 408, 501 f., 556 Abbildtheorie 276, 502 Abenteuerroman, Abenteuererzählungen 114, 565 – griechischer Abenteuerroman 565 – Abenteuerroman der Aufklärung 165 Ableitung, inverse, s. a. back-formation 204 Ablösung (smena) von Systemen 157 absolute Realität 13 Absolutismus der Wirklichkeit, 437 Abstraktion, Abstraktheit 41, 63, 78, 90 f., 114, 126, 129, 142, 150, 152, 192, 254, 259, 268, 297, 309, 321, 349, 375, 507, 514, 533, 536, 545, 568, 573, 587, 623, 652, 659, 665, 704, 733, 749 f., 754 Abstraktionsdrang 622 Abweichung, Originalabweichung, s. a. Deviation, Deformation, Norm, Verfremdung 18, 45, 79, 81, 186, 241 f., 413, 423, 446, 540, 555, 573, 600, 644, 652, 677, 683, 685, 687, 726 Abweichungsästhetik 241 Abweichungsqualitäten der poetischen Sprache 141 Adaptation 189, 298, 366, 554, 569 Adaptionsforschung 48 Adäquatheit, s. a. Stimmigkeit, Resonanz 10, 272, 274 Adressat, s. a. Publikum 159, 198, 216, 315, 369, 440, 494, 499 f., 547, 549, 595 affective computing 668 Affekt, Affizierbarkeit 56, 66, 115, 193, 195, 247, 274, 369, 456, 547, 642, 665, 702, 713, 718, 722
Agency 28, 37, 40, 50, 52, 229, 238, 254, 260, 274 f., 277, 280 f., 325, 340, 342, 747 f. – shared agency 52 agôn 757 Ähnlichkeit, s. a. resemblance, vraisemblance 13, 30, 234, 237, 239, 241 f., 268, 270, 272, 286, 288, 293, 333, 360, 392–394, 398, 532 f., 563, 615, 638, 640, 663, 676, 684 Ähnlichkeit des Materialverschiedenen 13 Ähnlichkeitstheorie 533 Akteur-Netzwerk-Theorie 531 Aktiengesellschaft 586 f. Aktivismus 449, 449, 451, 456, 462, 467, 469 Alchemie 123, 466 Alea 746 Aleatorik 53, 248, 359 f. Allegorese 21, 617 Allegorie, allegory, s. a. Epos 32, 43, 54, 56 f., 122, 125, 199, 240, 243, 394, 554, 617, 701 Allgemeinsprache 276, 586 Alltagssprache, s. a. praktische Sprache, Volkssprache 54, 91, 112, 294, 300, 307, 413, 454, 505, 540, 544 Alphabet 48, 125, 147, 356–358, 557 Altarbilder 554 alter deus 121 Ambiguität, ambiguity 66, 177–179, 256, 355, 397, 508 analog vs. digital, s. a. Medium 264, 291 Analogie, analogy, s. a. Form und Inhalt, Modell 80, 84, 100, 142 f., 150, 161, 182, 204, 242, 275, 290 f., 295, 309, 464, 512, 565, 568, 588, 711, 714, 717, 721, 755 Anatomie 351, 471 f., 476, 717
868
Anhang
Anekdote 145 f., 167, 502, 562 Angeklagter 494, 596 f., 599 animal symbolicum 505 Anordnung 10, 90, 102, 141, 175, 251, 275, 349, 355 f., 419, 514, 541, 618, 724, 728, 731, 739, 741 Anschauung, s. a. Weltanschauung 8–10, 26, 31, 36, 117, 128, 164, 175, 197, 199, 206, 258 f., 384 f., 388, 392, 461, 510, 512, 514, 620, 706, 710 – Anschauungsästhetiker 8 Ansteckungspotenzial der Kunst 162 Anthropologie, anthropology 35, 94 f., 103, 186, 267, 368, 386 f., 391, 397, 515, 752 Antike 7, 16 f., 27, 32, 36, 75, 77–80, 110 f., 116 f., 124, 349, 352, 365–368, 370 f., 373, 382–384, 386–389, 391, 393, 397 f., 428, 542, 658, 668, 681, 711–713, 715, 737 Anti-Psychologismus 163 Anti-Symbolismus 166 Apologie 165, 352, 360, 368, 375 f. Applikat 231, 258–261, 265 f., 272 f., 279, 684, 738 Apriori 9, 11, 24, 32, 64, 128, 198, 263, 275, 605 – formales 32 – historisches 24 – soziales 64 Aptum, aptum 81, 117 Äquivalenz, equivalence, s. a. Korrespondenz 30, 51, 232 f., 268, 341, 540 f., 683, 686 Arabeske 29 Arbeit 51, 176 f., 239, 243, 270, 277, 338, 387–389, 425, 557, 605, 626, 666, 745, 751 Arbeit (Künste), s. a. Formarbeit 38, 75, 79, 81, 87, 91, 576, 664, 674, 698, 703, 732 Archaismus, archaisch 36, 155, 157, 591, 613 f., 691 Archetyp 36, 41, 350, 614 – mundus archetypus 606 Architektur, architectura, architecture 44, 61, 218, 311, 353, 358, 426, 435, 554, 556, 605–608, 610, 612–619, 667, 715, 718, 721, 742 Architextualität 16
Archiv, Archivalien 36, 42, 531, 535–537, 604, 614, 628, 688 f. Archivpoetik 51 Arkadien 390, 394 Armenbibel 554, 556 ars combinatoria, s. a. Kombinatorik 359 Artefakte 43, 77 f., 80, 102, 111, 163, 165, 279, 312, 321, 356, 621 artes liberales 349, 711, 713 artes mechanicae 625 art-form 46 arthurische Literatur 566 Arts and Crafts 625 Artusroman 366 Assoziation, association 26, 143, 217, 427, 445, 662, 667, 742 Assoziationsgesetze 663 Assoziationspsychologie 637, 666 Ästhetik, aesthetics, aestheticism, s. a. Autonomieästhetik, Formästhetik, Genieästhetik, Materialästhetik, Warenästhetik 3, 7, 15, 50, 66, 68 f., 75, 82–85, 94, 97, 115, 126, 180, 187, 192 f., 196, 198, 271, 280 f., 302, 385, 406 f., 449, 471, 481, 515, 553, 604, 614, 620, 622, 625, 627 f., 631, 635, 642, 644, 687, 693, 710, 727, 730, 752 – Gebrauchsästhetik 625 – Gehaltsästhetik 7, 84 f., 126 – Gestaltästhetik 7, 84, 635 – idealistische Ästhetik 77, 82 – Kant’sche Ästhetik 194–197, 630 – Konsumästhetik 628, 682, 689, 692 f. – Modellästhetik 271 – Musikästhetik 84, 126, 727 – negative Ästhetik 385 – Neuroästhetik 302 – phänomenologische Ästhetik 56, 280 Ästhetik des Vertrauens 406 Ästhetikgeschichte 76, 92 ästhetische Erfahrung 18 f., 48, 60, 82, 90, 110, 193, 196, 233, 281 f., 392, 414, 418, 426, 435, 437, 514 f., 553, 630, 690 – als Kontrollverlust 282 ästhetisches Erleben, s. Erlebnis ästhetische Erziehung 12, 14, 32, 389, 391, 397, 681
Sachregister
ästhetische Funktion 167, 402 f. ästhetisches Objekt, aesthetic object 18 f., 38, 56, 61, 88, 231 f., 242, 281 f., 686 ästhetische Theorie 196, 625, 680 ästhetische Tradition 149, 680 ästhetischer Zustand 13 Ästhetizismus 192, 419 Atmosphäre 628, 733, 738, 743 auctoritas (Gattungsform) 369 f. Aufbau-Propaganda 163 Auferweckung des Wortes, voskrešenie slova 140 Auffassung (Phänomenologie, Modelltheorie) 226, 260, 271 f., 279–281 Aufführung 42 f., 45, 326, 701, 705, 707–708, 742 Aufmerksamkeit 4, 43, 168, 170, 172, 176, 180, 188, 292, 302, 308, 342, 395, 414, 425, 436, 438, 509, 515 f., 543, 568, 572, 627, 639, 656, 678, 682 Aufreihung (Verfahren des Sujetbaus), nanizyvanie, s. a. Serie 142 Aufschreibesystem 273 Auftrag, sozialer, social’nyj zakaz 165 auktorial, s. a. Erzähler, Erzählsituation 203, 221, 451, 644, 684 Aura 67, 406, 573, 692, 737, 755 Ausbürgerung 594 Außenperspektive 327 f., 330, 751 außerliterarische Elemente im Roman 157 Aussagemodus 351 Authentizität 48, 198, 246, 402, 405–410, 432, 438, 572 f., 689 f. Autobiographie 168, 370, 375, 569, 572, 646, 731 autodiegetisch, s. Diegese Autofiktion 691 Automat, Automatisierung, Automatismus 141, 148, 156, 358, 627, 664, 666, 627, 678, 757 Autonomie, autonomy 55, 84, 129 f., 166, 187, 220, 224, 307, 382, 397, 402, 419, 431, 434, 440, 442, 444, 446, 456, 605, 616, 623, 630, 689, 709, 725, 727, 730 f., 733, 743 – der Literatur, des Poetischen 59, 66, 126, 221, 428
869
Autonomieästhetik, s. a. Genieästhetik, Kunst 7, 18, 38, 82, 114, 116, 428, 431, 444, 446, 456, 459, 469, 620–622, 624 f., 627, 629 Autopoiesis 24, 29, 213 f., 219 Autor, author 36, 38, 60–62, 97, 158, 185, 198–200, 202 f., 221 f., 224, 254, 341, 343, 365, 368–370, 372–374, 376, 399, 404, 409, 419, 429, 497, 547, 564, 578, 646, 681, 684, 688 – immanenter/impliziter Autor, AutorPersona 202, 341, 343, 688 – Tod des Autors 404, 429 Autorität, das Autoritäre, authority 16, 38, 58, 89, 148, 186, 189, 199, 458, 595, 600, 608 Autorschaft 29, 48, 126, 154, 164, 198, 222, 224 f., 379, 470, 479, 562, 564 autotelic you 334 Avantgarde, avant-garde, s. a. Manifest 46, 59, 63, 67, 88 f., 92, 128 f., 421, 440, 445, 450, 452, 459–461, 467–468, 479, 627, 681 f., 688, 690 f., 697, 707, 737 – historische Avantgarde 441 f., 444, 446, 448, 452, 454, 456, 461, 467, 469, 682 back-formation, Rückbildung, s. a. inverse Ableitung, 204, 238, 282 Ballade 18, 25, 125, 549, 556, 614 f., 701, 714, 729, 731 Bänkelsänger 557 Barock, s. a. Frühe Neuzeit 120, 248, 347, 612, 718 f., 721, 723, 726, 738 Basis und Überbau 158, 165 f. Bauen, Erbauen 40, 43 f., 88, 93, 107, 605, 614–617, 619 Bauformen 78, 142, 305, 610, 612 f., 619 – des Erzählens 78, 305, 613, 619 – der Prosa 142 Bauhaus 605, 614, 735, 740 Baukunst 44, 87, 613–619 Bauopfer 614 Beamte 146, 589, 595 Bedeutsamkeit 91, 151, 182, 235 f., 243, 416, 422, 426, 434–438, 509, 689–691
870
Anhang
Bedeutungsaura 148 Bedeutungszuweisung, osmyslenie, s. a. Vieldeutigkeit 162 Begriffsgeschichte 8, 75, 243 Behaviorismus 288 f., 637 Beleidigung (Rechtswissenschaft) 586 Beobachtung (Systemtheorie) 22, 214, 220, 225, 254 Bestandserschließung 48 Beugehaft 597 Bewegungslinien 567 Beweiskraft (Logik) 495 Beweismittel 596 Beweiswürdigung 593 Bewusstsein, literarisches 161, 428 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) 585 f., 590, 598 f., 601 Bibel 99, 350, 388, 554, 557, 711, 715 Bible moralisé 554 Bibliothek, library 331, 358, 535 f. Bibliothekswissenschaft 49 bienséance 229 Bild (medial, epistemisch), image, s. a. Abbild, Text und Bild, Urbild, Vorbild 8, 10, 41, 46, 51, 85, 88, 121 f., 141, 151, 205, 230, 243, 248, 251, 253, 259, 275, 286 f., 291 f., 296, 310–312, 326, 259, 309 f., 326, 342, 354, 373 f., 385, 394, 407, 494, 506, 521, 532, 535, 553–562, 567–570, 573, 577–579, 613 f., 639, 641, 646, 649, 651, 688, 711, 754 Bild (Tropus), Sprachbild, s. a. Tropik 8, 75, 77 f., 83–85, 91–94, 102, 141, 167, 222, 243 f., 293, 353, 396, 460, 465, 510 Bild, inneres, immanentes 9, 251 Bilderzählung, Bildgeschichte, s. a. Comics 552–558, 568, 579 Bildformat, s. a. Format 311 Bildgebung 46, 234, 248 Bildkunst 559 Bildrahmen 568 Bildungskraft, s. a. Formbildung, Formung 14, 38, 515 Bildungsroman 99, 113, 234, 238, 645 Bildungstrieb 256 Bild-Zeichen-Sprache 31
Billigkeit 592, 598, 600 f., 604 Biographie, biography 20, 101, 167, 174, 180, 200, 203, 205, 421, 479, 555, 566, 572, 641 Blankvers 18, 544 Blending Theory (BT) 295 f. Blockbuch 554 Blocktexte 558 f., 569 f. Blog, Weblog 575, 682 Bloßlegung, obnaženie 144 Botschaft, message 25, 43, 54, 61, 107, 157, 183, 320 f., 449, 540, 617, 688 f. Boulevardroman, -literatur 154, 156, 555 Bremsung, tormoženie 142 Brief 120, 375, 378, 452 Briefroman 99, 156 British Invasion 573 Broadsheets 555 f. Buchdruck 219, 308, 321, 554 Building Stories 575 Bürger 177, 373, 425, 588, 590 f., 594, 597, 602 Bürokratisierung des Poetischen 66 Byronismus, byronistischer Held 159, 731 camera-eye narration 333 Camp 692 Canon Wars 572 Canticum Canticorum 554 Captions 558, 569 Cargo (Modelltheorie) 259–261, 265 f., 685, 689 f., 692 Charlie Brown 562, 569 Choose Your Own Adventure Books 574 Chora 479 Chronotopos 23, 565 circulation novels 340 Cliffhanger 562 close reading 56, 172, 174, 176, 180, 287 closure 560 f. clôture 131 Code, Kode, Kodierung 22, 37, 50, 54, 57, 91, 220, 222, 234 f., 257, 260, 265, 301, 357, 381, 392, 450, 567, 570, 572, 699 code-switching 548 Cognitive Poetics, s. kognitive Poetik
Sachregister
cognitive turn 285, 288, 548 Collage 89, 450 Comic Books 562–564, 571, 573 f., 576, 578 Comic Book Stores 571 Comic Code Authority 557, 567, 570, 573 Comicforschung 577 Comics, Comicstrips, Comix, s. a. Bilderzählung 315, 319 f., 552, 555–558, 560–564 f., 567, 570–579 Computerspiel, Videospiel, Videogame, s. a. Game Studies, Gaming, Spiel 40, 44, 49, 51, 231, 574, 576, 616, 745–748, 750–755, 757 f. Conceptual Metaphor Theory (CMT), s. a. Metapher 293, 303, 549 content, s. Form und Inhalt Cosplay 575, 746 Cultural Studies 26, 43, 189, 191, 752 Cybertext 50 f., 754, 757 Darstellungsform 98 f., 105, 255, 312 f., 379, 384, 519, 524, 699, 718, 727 Darstellungskonventionen 163 Daten, Big Data 252, 264, 294, 517, 548 – serielle Daten 50 Datenraum 264 DC Comics 566 Décadence, Dekadenz 101, 414, 419 Deformation, Deformierung, deformare, s. a. Abweichung, Verfremdung 88 f., 92, 101, 131, 148, 151, 158, 196, 370, 612 Deklamation 145, 147 Dekonstruktion 55 f., 58, 115, 132, 182, 187, 404, 406, 473 f., 479, 723, 736 Delokalisation 743 Denkblasen 559 Dereliktion 586 Design 36 f., 122, 244, 310, 314, 545, 607, 615, 625 f., 752 Detail, sprachliches 180 Deviation, s. a. Abweichung 540 Diachronie, s. a. Synchronie, Zeit 155, 238, 455, 541, 686 f. Diagramm, diagram 34, 273, 295, 297, 358 Dialekte, ethnische Vielfalt der 161 Diätetik 382, 386, 389–391, 397
871
Dichtung, s. a. Gelegenheitsdichtung, Lehrgedicht/Lehrdichtung, Naturform, Poesie 9–11, 22, 41, 48, 76, 79, 84–86, 93, 95, 129, 138, 140 f., 150, 156 f., 159, 166, 169, 171, 177 f., 226, 232, 234, 245, 248, 274, 367–370, 380, 382, 387, 389, 400, 429, 513, 614, 617, 641, 644, 647, 650, 652 f., 681, 705, 713, 716, 732 – abstrakte Dichtung 78 – Erlebnis-Dichtung 648 – institutionalisierte Dichtung 66 – Naturdichtung 352, s. a. Lehrgedicht, Lehrdichtung, Naturform – symphonische Dichtung 731, 737 Dichtung als Denken in Bildern 141, 151 Dichtung als Wortkunstwerk, s. Wortkunstwerk Dichtung und bildende Kunst 86 Dichtung und Dekonstruktion 58 Dichtung und Wahrheit, Wissenschaft, Erkenntnis 171, 644, 648 Dichtung und Zufall 93 Dichtungsart, Dichtungsgattung, s. a. Dichtungsform, Gattungsformen 121, 125, 348, 367, 369, 388, 619 Dichtungsform, s. a. Dichtungsart, Gattungsformen 18, 29, 34 Dichtungstheorie, Dichtungslehre, s. a. Poetik 122, 232 f., 160, 168, 618 f. Didaktik, didactics 55, 67, 146, 250 f., 266, 351, 450, 542, 554, 578, 728 – didaktische Literatur, s. a. Lehrgedicht 686 Diegese 109, 326, 331–333, 342, 344, 373, 379, 558 f., 684, 686, 691 – autodiegetisch 569 – diegetische Sprache und Schrift 558 f. – diegetische und mimetische Erzählformen, Narrativität 326, 340, 342 – extradiegetisch, extradiegetische Sprache und Schrift 344, 558 f. – homodiegetische vs. heterodiegetische Narration 331–333 – hypodiegetisch, hypodiegetische Ebene 344
872
Anhang
– intradiegetisch, intradiegetische Ebene 109, 344 – metadiegetisch, metadiegetische Ebene 344, 373, 379 Différance 188, 403, 406 f. Differenzqualität, s. a. Abweichung, Deformation, Verfremdung 7, 143, 157, 454 Digimodernism 404 digitales Erzählen 575 Dinglichkeitspathos, veščizm 162 Dingsymbol 521 disegno 121 Diskursanalyse, Diskurstheorie 63, 544 f., 547 dispositio 79, 118, 618, 714, 720 f. Dispositiv 24, 218, 227, 233, 683, 689 Dissonanz 102, 187, 715, 734 distant reading 251 Divination 21 Docufiction 40, 54 Dokument 62, 87, 101, 589, 593 Dokumentation 54, 399 f., 405, 409, 590 Dominante 147, 154, 158 Drama, Dramatik, s. a. Theater 41, 44 f., 53, 94, 97 f., 100, 113, 120, 123, 125, 127, 129, 155, 169, 176, 251, 274, 292, 326, 340–342, 345, 351, 366 f., 382, 384, 429, 548, 697–710, 718 – Doppeldrama 250 – inneres Drama 706 – Musikdrama 731 f., 737 Dramaturgie, dramaturgy 48, 124, 319, 697, 702 f., 706, 708 f., 722, 729, 735 Du-Erzählung 326, 334–337 Dystopie, s. a. Utopie 44, 240, 615 Ecocriticism 188 f., 819 écriture féminine 471 f., 474–476, 478 f., 481 Ehe 565, 586, 590 Ehevertrag 590 Eidesformel 593, 595 Eidos 11, 21, 34, 55, 75, 487, 624 Eigensinn 44, 231, 253 f., 259–261, 275, 282, 609 f., 686 Eigentum 313, 317, 586, 591, 630
Eigenwert der sprachlichen Elemente, samocennost’ 140 Einbildung 31, 390, 647 Einbildungskraft, s. a. Imagination 14, 289, 387, 390, 395, 397 f., 450, 464, 468, 517, 561 Einfühlung 21, 176 Eingepasstheit 308, 315 Einheit des Themas 350 Einheit des Wissens 356 Einheit von innerer und äußerer Form 701 Einheit von Mensch und Natur 383, 389 Einheit von Sinnlichkeit und Sinn 508 Einheiten, drei (Dramentheorie) 698, 701, 706 Einsamkeit 389 f., 393, 427 Einzigartigkeit 221 f., 224 f. Ekloge 388, 733 Ekphrasis 248, 250, 252 f. élan vital, s. a. Lebenskraft 35, 461, 464 f. Elegie, elegy 99, 120, 185, 197 f., 434 f. elocutio 118, 542 f. Emergenz, emergence 11, 18, 47, 88, 115, 231, 238, 242, 254, 259, 261, 263, 265, 271, 275, 277, 284, 295, 410, 613, 671, 682 Emotion, Emotionalität, emotion, s. a. Gefühl 145, 149, 162, 192, 293, 297 f., 301, 333 f., 339, 435, 437, 513–515, 524, 567, 637, 642, 656–660, 663–665, 668–674, 677–679, 692, 731, 752 emotionale Agenten 670 Emotionsforschung 437, 656 f., 668, 678 Emotionstheorie, kognitive 657, 660, 665, 668–672, 677–679 Empathie 19, 270 Empfindsamkeit 145, 386, 393, 395–397 Emphase, s. Formbegriff, Moderne, Verstehensbegriff Empirismus 127, 172, 500 f., 637, 655 Emplotment 30, 228 Emulation, aemulatio, s. a. Überbietung 17, 243 Energie, Energetik, energy 31, 112, 186, 192 f., 274 f., 281 f., 360, 422, 462, 464 f., 505 f., 605 f., 649 Entelechie 125
Sachregister
Enthymem (Logik) 495 Entpragmatisierung 229, 233, 256, 280 Entsagung 236 f. Entscheidung, s. Urteil Entwicklungsforschung, s. a. Evolution 159 f. Entwicklungswert, s. a. Evolutionspotenzial 171 Entwurf, Entwerfen, s. a. Material, Medien, Modell 10, 29, 36 f., 80, 93, 119, 229, 231 f., 238, 242, 246, 248, 259, 263, 266, 271, 273, 277, 279, 283, 353, 360, 367, 379 f., 443 f., 505, 609–612, 615, 642, 664, 730, 734 Enzyklopädie, encyclopaedia, s. a. Epos, Lehrgedicht, Roman, Satire 51, 80, 97, 99, 114, 310, 347–359, 361 – poetische Enzyklopädie 98 f., 354, 361 – Theorie der Enzyklopädie 355 f. Enzyklopädiebegriff 349, 352, 359 Enzyklopädieformat 348 Enzyklopädik der Literatur 347–350, 354, 357–359, 361 f. Enzyklopädisierung 348, 350, 353, 358, 360 f. Enzyklopädistik 27, 658 Epigenesis 125 Epigonalität 16, 736 Epigramm, epigram 114, 197 f., 395 f., 701 Episodenserie, s. Serie Episodische, das, episodisch 100, 350, 562 f., 565, 686, 729, 731, 733 Episteme 24, 407 f., 817 Epistemologie, Erkenntnistheorie 243, 536, 660 – historische, s. a. Wissenschaftsgeschichte 243, 252 Epoche, 17, 24, 36, 38, 44, 63, 92, 107, 122 f., 127, 132, 153, 156, 159, 191, 222, 237, 316, 380 f., 403, 446, 448, 453–455, 544, 591, 612, 710, 730, 735 Epochenbegriff 152 Epochenmodell 237 Epochenschwellen und -brüche 156, 406 Epochenstil, s. Stil Epos, Epik 48, 94, 97, 113 f., 116, 119 f., 125, 127, 129, 142 f., 155, 157, 347 f., 350–354,
873
366 f., 370–372, 380, 382, 384, 432, 574, 645 f., 681, 701 f., 706 – allegorisches Epos 370, 372 – enzyklopädisches Epos 352 – speculatives Epos 354 – Tier-Epos 367 Erbe, kulturelles, preemstvennost’, s. a. Tradition 153 Ereignis 145, 204 f., 214, 228, 232, 261, 274 f., 337, 342 f., 414, 423, 426, 457 f., 462 f., 521 f., 545, 646, 669–672, 676 f., 733, 742, 748, 756 Ereignishaftigkeit 169 f., 324, 709 f. Er-Erzähler, s. Erzählsituation Erfahrung, experience, s. a. ästhetische Erfahrung 12, 19, 28, 33, 101, 103, 105 f., 122, 175, 177 f., 185, 187, 193 f., 204, 207, 294, 297, 302, 324 f., 328, 336, 340, 392, 400, 406, 410, 424, 426, 438, 510, 515, 525, 546, 572, 575, 614, 620, 622, 649, 692 – literarische 229 Erfahrungsqualität, experientiality 297, 324 ergon, ergodisch, ergodic 51, 754, 757 Ergriffenheit 674–676 Erhabene, das 120, 194, 647, 689, 848 Erinnerung 8, 41–43, 342, 418, 653 Erinnerungsort, Erinnerungsraum 41, 732 Erkenntnis, Erkennen 9, 35, 60 f., 86, 107, 197, 614, 620, 644, 653, 676, 717 – poetische(s) 277 – sinnliche(s) 34, 471 Erklärung, Erklären, explanation 51, 196, 241, 283, 299, 330, 415, 456, 467, 511, 517, 524, 666, 728 Erklärung (Rechtswissenschaft) 586, 588–590, 593, 595 f., 598 f. Erlebnis, Erleben, s. a. Dichtung, Zeit 9, 34 f., 128 f., 140 f., 161, 278, 290, 336, 442, 460, 470 f., 508, 514, 616, 636, 647, 665, 714, 737 f., 741, 743 – ästhetisches 141, 620, 627, 652 Erlebnisgesellschaft 426 Erwartungshorizont 453, 562 Erwartungszeit 149 erzählendes Ich vs. erlebendes Ich 327 f., 570
874
Anhang
Erzähler, Erzählinstanz, narrator 101, 104, 106, 109, 145 f., 323–334, 331, 336–346, 387, 393 f., 558, 569, 643, 672, 697 – auktorialer, allwissender Erzähler 328–330, 332 f. – filmischer Erzähler, cinematic narrator 342 – homodiegetischer Erzähler 333, 343 – impliziter Erzähler, implied narrator 342 – unmöglicher Erzähler 326, 338 – unnatürlicher Erzähler 338, 340 – unzuverlässiger Erzähler, unreliable narrator 345 – voice-over-Erzähler, s. a. voice-over 343, 558 Erzählerfigur, narrator figure, teller 323, 325, 327 f., 341 Erzählgattung, s. a. Prosa 753 Erzählsituation, s. a. Wir-Erzählung 323, 326–330, 332–334, 337, 339, 342 f., 521 – auktoriale Erzählsituation 328, 330, 332 – Er-Erzählsituation 328 – Ich-Erzählsituation 327 f., 330, 332–334, 339, 521 – personale Erzählsituation 323, 329 f., 332, 343 Erzählsituationen, typische, s. a. Typenkreis 326, 330 Erzähltheorie, s. Narratologie Erzählverfahren, s. a. Verfahren 103 f., 170 – Faden der Erzählung 103 f. Esoterik 32, 123, 441, 461 f., 465–469, 606, 614, 623, 682 Essay 9, 16, 25, 87, 128, 159, 163, 166 f., 175, 181, 248, 284, 348, 351, 353, 360, 508, 511, 514 f., 642, 654, 692 Essayistik, Essayismus 361, 641 f., 644, 647, 654 Ethik, ethics 32, 60 f., 63, 139, 183, 192 f., 231, 235 f., 251, 403, 430, 433, 503, 600, 608, 614, 678, 750–753 – ethical critic 183 Ethnographie, ethnography 143, 416, 752
Ethnologie 161, 393, 422, 648, 654 Evolution 49, 125, 127, 130, 137 f., 151–158, 166 f., 171, 216, 302 f., 322, 426, 431, 453–456, 459–466, 468, 579, 621, 648, 671, 684, 687, 713, 725, 730, 737 – biologische Evolution 125, 130, 671 – kulturelle Evolution 426, 431, 684 – künstlerische Evolution 730 – literarische Evolution 49, 137, 152–155, 157 f., 166 f., 453 f. Evolutionspotenzial, s. a. Entwicklungswert 155 Evolutionspsychologie 302 Exemplifikation, exemplification 30, 273 f. Experiment, s. a. Formexperiment 34, 46, 52, 63, 90 f., 97, 100 f., 109, 111, 201, 223, 255, 257, 259, 264, 281, 291, 295, 302, 368, 381, 441, 446, 450, 476, 479, 533, 550, 637, 641, 643, 647, 657, 666, 674, 690, 704, 709, 757 – Gedankenexperiment 201 experimentelles Schreiben, experimenteller Text 96, 480, 658, 674, 676 Experimental-Philosophie 658 explication de texte 56 Expressionismus 68, 129, 441 f., 448, 462, 619, 622, 648, 734 f. – abstrakter 622, 740 extradiegetische Ebene, s. Diegese Fabel, fabula (Erzählstrang, Plot), s. a. Sujet 119 f., 142, 144 f., 158, 228, 236, 248, 251, 325 f., 366, 517, 616, 698, 709 – fabula vs. syuzhet 325 Fabel (moralische Tiererzählung) 119, 123, 344 Fachdisziplin 139 facts from fiction 53, 233 Fakt, Faktum, das Faktische, fact 43, 139, 142, 155–157, 166, 188, 193, 257, 281, 287, 382, 401, 428, 454, 474, 591, 609, 617 – literarisches Faktum 155–157, 454 Faktualität 5, 31 f., 226 f., 229, 233, 278, 347, 409, 653 Fan Fiction 575 Fankultur, Fandom 41, 575 f.
Sachregister
Fantasie, Phantasie 29, 63, 100, 108, 146, 325, 400, 490, 510, 561, 608, 615, 626 f., 664, 720, 724, 726 Fantastik 572 Farben 178, 414, 438, 568, 613, 662, 689 Fassung 15, 420, 445, 473, 566, 591, 646, 649, 742 Feminismus, feminism 470–475, 477–481, 752 – französischer Feminismus 471, 481 Fernsehen, television 48, 312–318, 322, 537, 574, 578, 682, 685 f., 752 Fetisch, Fetischisierung, Fetischismus 43, 62, 163, 200, 623 Feuilleton, Feuilletonismus, žurnal’naja nauka 138, 152, 157, 552, 576 Feuilletonroman 321 Figur (persona), s. a. Autor, Erzähler, Interfiguralität, Modalität, Modell 169 f., 188, 194, 205, 236 f., 292, 319 f., 324–333, 335 f., 338, 340, 342–345, 372 f., 380, 420, 465, 470, 546 f., 549, 554, 556, 559, 562 f., 565–569, 571, 574 f., 635, 672–674, 687, 699, 708 f., 755 Figur (Rhetorik), figura, s. a. Stilfigur 4, 43 f., 57, 120, 126, 147, 167, 189, 237, 243, 248, 251, 286, 372, 539–541, 549, 646, 709, 718, 720, 722, 733 Figur, geometrische 46, 640 Figur/Grund, figure/ground 286, 290–293, 300, 638 f. Figur, mathematische 251 Figur, stehende 319, 816 Figurenkonstruktion 562, 569 Fiktion, das Fiktive, fiction, s. a. Fiktionalität, Metafiktion, Panfiktionalismus, Transfiktion 106, 109, 181, 229, 256 f., 263, 270, 273, 297, 338, 351, 401, 408, 410, 428, 572, 673 f., 751, 754 – literarische/poetische 23, 226, 233 f., 263, 272, 276, 615 Fiktion und Wirklichkeit, Realität, Wahrheit, fact und fiction, fictio und res 40, 48, 53, 85, 103, 105, 163, 233, 257, 278, 301, 401 f., 405, 407, 409, 417, 565 f., 644, 751 Fiktionalität, das Fiktionale, s. a. Fiktion, Metafiktion 23, 31 f., 36, 66, 105, 205,
875
225–227, 229, 233, 238, 240, 255, 267, 272, 277 f., 280, 282, 297 f., 347, 351, 379, 385, 401, 405, 408–410, 434, 457 f., 474, 546 f., 558, 564 f., 572 f., 579, 614, 701 Fiktionsformat 42, 227, 233 Film 46 – Experimentalfilm 46 – Film noir 46 Filmemacher, filmmaker 342 f. – hypothetischer Filmemacher 343 – impliziter Filmemacher, implied filmmaker 342 f. Filmform 46 f. filmic composition device (FCD) 342 filmische Erzählung 47 f., 326, 342 f., 345 filmischer Erzähler, cinematic narrator 342 f. Filmphilologie 48 Filmwissenschaft 317 film-writing 48 flow 316 Flugblätter, Flugschriften 449, 555–558 Fluxus 740 Fokalisierung (Erzähltheorie) 330–333, 337, 341–343, 569 f. – interne Fokalisierung 331 f., 343, 570 – externe Fokalisierung 331 f., 337, 342 f. – Nullfokalisierung 331–333 – simultane Fokalisierung 570 Foregrounding 128, 291 f., 445 Form, form, forme, s. a. Liedform, Stilform, System, Textform – apriorische Form 11, 605 – bridge form 35, 47 – Denkform 33 f., 623, 631 – dynamische Form, s. Formdynamik – eidetische Form 11 – einfache Form 20, 68, 130 – endogene Form 11 – erlebte Form, s. a. Formerleben 34 – formlose Form 360 – freie Form 13, 723 – ideale Form 502 – innere Form, inward form 12, 15, 24, 34 f., 37, 75, 79, 82, 86, 116, 121, 123 f., 127 f., 245, 702, 704 – konstruktivistische Form 11
876
Anhang
– Kunstform 83, 85, 89, 107, 115, 418, 471, 552, 579, 647, 654, 690, 700, 703 f., 706, 732 – Lebensform 9, 33, 115, 128 f., 163, 512 – leere Form 443 – materiale Form 19, 21 – Metaform 29 – Mischformen, genera mixta, Formenmischung 45, 54, 98, 326, 382, 700, 703 – Naturform, s. dort – offene Form 106, 450, 740 – Rationalität der Form 515 – Rechtsform, s. dort – Sachform 14 – schöne Form 12–14, 82, 419 – Sprachform 33 f., 300, 658 – syllogistische Form 497 – symbolische Form, s. Symbolische Form(en) – tote Form 85 – Transform 233, 253–255, 258, 265, 282 – transzendentale Form 21 – Unform 492, 706 – Warenform, s. dort – Werkform, Werkförmigkeit, s. dort – Zwangsform 12–14 Form und Bedeutung, form und meaning 35, 57, 80, 113, 172, 199 Form und Chaos 75, 93, 99, 104 f., 111, 372, 653, 703 Form und (organische) Einheit 172, 186 f. Form und Fiktion 85 Form und Freiheit 14 f., 32, 513, 583 Form und Funktion 9, 11, 15, 22, 40, 255, 348, 351, 508, 590, 605, 607 Form und Gattung, s. a. Gattungsform 112, 114, 126–128, 131 f., 189, 365, 697, 737 Form und Geist 14 f., 19, 29, 68, 77, 80, 85, 92, 101 f., 113, 130, 244, 285, 505 f., 509 Form und Identität 42 f. Form und Inhalt, form und content 4, 7, 15, 22–25, 28 f., 40, 49, 56–58, 60, 66, 75–80, 82, 84, 112 f., 117, 130, 180, 199, 233, 237, 243, 245, 247, 254, 256, 278,
321, 325, 517, 520 f., 587–589, 591, 616, 647 f., 653, 655, 659, 703, 705, 707 f. – Analogie Form–Inhalt 23, 58, 113 f., 117, 130, 150, 239 Form und Leben 9, 30, 35 f., 101–104, 128, 170, 200, 749 Form und Material 60, 80, 113, 149 Form und Materie, materia und forma 60 f., 75, 79 f., 82, 113, 120, 197, 245, 256, 487, 526, 531–534, 622 f., 664, 680, 713 Form und Medium, Medium/Form-Differenz, Medium/Form-Unterscheidung 45, 213, 215 f., 218–220, 224 f., 307, 310, 533, 538 Form und Modell 28, 226 f., 234, 247, 253, 255, 681 Form und Sinn 56, 58, 113, 173, 249 Form und Stoff 7, 12 f., 34, 56, 80, 83, 117, 129, 710 Form und Unterscheidung (Systemtheorie) 22, 538 Form und Zweck 80, 82, 85, 113 forma 7, 11, 117, 245, 254, 256, 487, 506, 515 – forma formans vs. forma formata 7, 11, 254, 256, 506, 515 – forma interna vs. forma externa 245 – forma tractandi vs. forma tractatus 117 Formabspaltung 531 Formaktivität 61 formale Methode, s. a. Formalismus 137 f., 140, 146, 149, 162, 164, 171 Formalismus, formalism, s. a. formale Methode, New Formalism, Theater 4, 6, 24, 30, 33, 46, 56, 59 f., 62–67, 87–89, 112, 129–132, 137–140, 142, 147, 149, 151 f., 154 f., 159 f., 162–166, 168, 171–173, 180–182, 184, 184–192, 195–197, 199 f., 203, 227, 248 f., 251, 267, 289 f., 325, 421, 453, 517 f., 539, 543, 600, 606, 619, 627–629, 631, 654 f., 676, 709 – activist vs. normative formalism 66 – aesthetic formalism 191 – Dichotomien des frühen Formalismus 154 – Neoformalismus, s. New Formalism – strategic formalism 186
Sachregister
Formalismus (Rechtswissenschaft) 591, 600 Formalismus, Russischer, s. Russischer Formalismus Formalismuskritik 64, 129 Formalismusstreit, Formalismusdebatte 7, 30, 58, 112, 129 – in der DDR 7 – in der japanischen Literaturwissenschaft 7, 30 – in der Sowjetunion 7 Formalität 13 formal poetry 65 formal-soziologische Methode 162 Formarbeit 37, 131, 417–419 Formästhetik 14, 21, 32, 43, 49, 52, 61, 84, 87, 92, 94, 114, 116, 126, 237, 442, 469 Format, format 11 f., 21, 37, 46, 48 f., 52, 54, 64, 116, 126, 227, 307–322, 348 f., 352 f., 355, 538, 564, 569, 571–574, 576, 643, 653, 685 f., 701, 735, 742, 757 Formatbegriff 307 f., 310–314, 317, 321 Formatbuch 308 Formathandel 313 f., 317 Formatierung 11, 308–312, 314 f., 318–321, 686 – Endformatierung 310, 314 – Vorformatierung 309–312, 314 Formatradio 316 Formatschutz 317 Formatvorgabe 318, 320 Formauflösung, s. a. Formverschleiß, Form zerstörung 45, 92, 430 f. Formbedürftigkeit 415 Formbegriff 5, 7, 10 f., 15, 23, 52, 58, 66, 68, 80–83, 86–89 f., 92, 113 f., 116, 120, 122, 124, 126, 128, 131, 244, 314, 537 f., 605–607, 610, 651–653, 697, 701, 713, 733, 735, 738, 757 – architektonischer Formbegriff 605, 608 – ästhetischer Formbegriff 81 – dramatischer Formbegriff 705 – dynamischer Formbegriff 35 – emphatischer Formbegriff 92, 114 – entgrenzter Formbegriff 8, 131 – ludologischer Formbegriff 752
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– musikalischer Formbegriff 712, 725 – normativer Formbegriff 78, 607 – rhetorischer Formbegriff 78 – statischer Formbegriff 137 Formbegriff (Akteur-Netzwerk-Theorie) 533, 538 Formbegriff (Gestalttheorie) 659, 676, 678 Formbegriff (Systemtheorie) 254 Formbewusstsein 13, 90, 92, 126, 234, 252, 379, 415, 432, 434 Formbildung, s. a. Bildungskraft, Formung 3, 17, 35, 39, 69, 131, 199, 213, 310, 506, 532, 682, 712 f., 717, 721, 728 f., 732, 737–739, 743 Formdenken, Formgedanke 3, 41, 69, 250 f., 255, 714, 727, 739 f. Formdynamik, Formdynamisierung 10, 20, 27, 35, 45, 47, 49–51, 420, 444 Formel 18, 36, 82, 88, 109, 164, 369, 378, 408, 433, 437, 448, 499, 505–507, 533, 587, 591–593, 595, 612, 643, 649, 701 Formelsprache (Logik) 500 Formenkanon 605, 615, 728, 733 Formenlehre 712, 714, 720, 725, 727 f., 735, 744 – vs. Formintuition 727 Formenmischung, s. Form/Mischformen Formensprache, Formsprache 20 f., 87, 90 f., 94, 611 f., 736 Formenstrenge 598–600, 603 Formenwandel, Formwandlung 21, 100, 233, 243 Formerleben, s. a. erlebte Form 9, 35, 708 Formexperiment 52, 63, 90 f., 100, 109, 368, 381, 690 Formfehler 592, 599, 601–603, 654 f. – als Sachfehler 654 f. Formfindung, s. a. Formgebung 430, 608–610 form follows function, s. a. Form und Funktion 9, 11, 15, 22, 40, 255, 348, 351, 508, 590, 605, 607 Formfunktionen 11 Formgebärden 41 Formgebung, s. a. Formfindung 3, 5, 11, 17, 28, 38, 61, 68, 77, 79, 82, 104 f., 198, 227, 256, 274, 381 f., 430, 433, 518,
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Anhang
523–525, 615, 642 f., 649, 652, 697, 714, 716 Formgedanke, s. Formdenken Formgemeinschaft 40–42, 417, 424, 426 f., 430, 438 Formgeschichte 63, 68, 95, 243, 255, 276, 431 Formgesetz 251, 725 Formgläubigkeit 289 Formgrenzen 757 Formhandlung, Formhandeln 37, 40–42, 51, 53, 68 Formideal, Formidee 84, 731 Formieren, das 11 Formindividualität 124 Form-Inhalt-Antonymie, auch Form-InhaltDialektik 114, 130 Form-Inhalt-Dichotomie, auch Form-Gehaltund Form-Material-Dichotomie 84, 130, 150 Formkonsum 43 Formkontrolle 26, 40, 420 Formkonzept, Formkonzeption 6, 8, 11, 30, 38, 48, 78, 85, 110, 113, 195, 245, 474, 620, 731, 747 Formkritik 59, 131, 278 Formkunst 444 Formlosigkeit, formlos, s. a. Unförmigkeit 78, 81, 93, 96, 100, 103, 110, 124, 360, 423, 615, 680, 705 Formpoetik 38, 63, 67, 92, 96, 116, 125, 389, 426–428, 432, 438, 440, 703 Formprinzip, dynamisches 150 Formprozess 20 f., 255, 606 Formschöne, das 10, 32 Formsemantik 25 f., 30, 56, 614 f. Formsituation 10 Formsprache, s. Formensprache Formstabilität 16 Formtotalität, 39, 55 f. Formtrieb 13, 34, 243 Formtugend 386, 391 Formtyp, Formtypologie 12 f., 33, 52, 58, 226, 349, 366, 701, 733 Formularprozess 592 Formung, s. a. Formbildung 11–13, 18, 20, 27 f., 63 f., 67, 80, 87, 89 f., 102–106, 113,
215 f., 224, 230, 246, 255, 463, 505 f., 508, 513 f., 629, 643 f., 649, 652, 701, 710–712, 718, 720, 741 Formverfahren, formpoetisches Verfahren 8, 11, 18, 51, 53, 67 f., 380, 384, 386, 397 f. Formverhandlung 40, 45 Formverlust 3, 50, 53, 66, 68, 88, 101 Formverschleiß, s. a. Formauflösung, Formzerstörung 736 Formverstehen, Formverständnis 22, 51, 53, 56, 78, 85, 198, 436, 438 – emphatisches vs. technisches Formverständnis 78 Formvorschrift 583, 587, 589–591, 593–603 Formwahrnehmung 33, 82 Formzerstörung, s. a. Formauflösung, Formverschleiß 59, 88, 91 f., 102 Formzwang 4 Fortschritt 4, 35, 152, 187, 192 f., 488, 621, 730, 737 Fortsetzungsgeschichten 562–564 Fotografie, Photographie 401, 532, 535, 572 f. Fragment, Fragmentierung 39, 99, 102 f., 124, 348 f., 353, 356 f., 359–361, 382, 400, 407, 461, 502, 568, 706, 709, 743 frame, framing (Kognitions- und Kommunikationswissenschaft), s. a. Rahmen, Rahmenbedingungen 196, 235, 297, 312, 673 frame-Theorie 673 Frankfurter Schule 196, 623, 683 f. free verse, s. Vers Freiheit 4, 12, 14 f., 22, 32, 98, 106, 164, 220, 225, 238, 281, 387 f., 415 f., 418–421, 425, 431, 513, 515, 568, 583, 603, 721, 747–749 Freiwillige Selbstkontrolle 557 Fresken 552, 554 Frühe Neuzeit, s. a. Barock 116–119, 121, 168, 170, 415, 421, 496 Frühromantik, s. Romantik Fuge 719–723, 725–727, 735 f., 744 Funktion, s. Form und Funktion Funktionalismus 217, 605, 625 Funktionsanalyse 143 Funktionsbegriff 88, 160 Funktionskontext 159
Sachregister
Funktionsmodell der literarischen Form 257 f., 264 f. Funktionsmodell des Modellseins 260, 264, 282 Funktionsmodell der Sprache 402 Furor, poetischer 121 future narratives 443, 574 Futurismus, Futuristen 138, 441–444, 446, 448, 452, 457, 735 – italienischer Futurismus 442, 445 f., 448, 452 – russischer Futurismus, KuboFuturismus 443 f., 448 GAChN (Gosudarstvennaja Akademija Chudožestvennych Nauk, Staatliche Akademie für Kunstwissenschaften) 160–162 Game Design 752 f. Game Studies 745 f., 751 f., 757 f. gamification 745 Gaming, gameplay, s. a. Computerspiel, Spiel 43, 48, 267, 746, 753 f. Ganze, das, s. a. Teil-Ganzes-Relation 14, 23, 29, 62, 83, 94, 150, 153, 186 f., 275 f., 290, 295, 311, 315, 353, 359, 361, 382, 384, 414, 433, 512, 622, 636 f., 649, 654 f., 666, 671, 707, 711, 713, 716, 727, 732 Ganzheit, s. a. Einheit 39, 41, 62, 131 f., 150, 173, 291, 347 f., 353, 356, 388, 647 Gattungsbewusstsein 366 Gattungsbezeichnungen 321, 447 f., 451 f., 709 Gattungsbildung, s. Textreihe Gattungserwartungen 383 Gattungsform, Gattungsformat, s. a. Dichtungsarten, Dichtungsform, Form und Gattung, 44, 126, 382, 448, 545, 706, 742, 748 Gattungsgeschichte 112, 146, 154, 168, 386, 394, 398 Gattungshybridisierung, Gattungshybriden, s. a. Gattungsmischung 379, 384 f., 379 Gattungsinnovation 382, 723 Gattungskonvention 4, 31 Gattungsmischung, s. a. Gattungshybridisierung 368, 382, 398, 687
879
Gattungspoetik, Gattungspoetologie 112 f., 115 f., 124 f., 127, 130, 133, 155, 221, 234, 348, 354, 365, 700 f. – immanente, implizite Gattungspoetik 234, 365 – normative Gattungspoetik 124, 155, 700 – spekulative Gattungspoetik 133, 700 Gattungsreinheit, s. Reinheit Gattungssystem, Genresystem 25, 27, 95, 153, 155 f., 228, 382, 456, 699 Gattungssystematik 155, 168, 366 Gattungstheorie 20, 26 f., 94, 100, 111 f., 129 f., 132, 146, 153, 244, 365 f., 382, 387, 398, 453 f., 709 f. Gattungstransformation 382 Gattungsverfahren 11 Gattungsvervielfältigung 382, 384, 398 Gattungsverweigerung 367, 381 Gattungswandel 23, 253 Gattungswissen 26 f., 385, 398 Gebilde 26, 38, 44, 107, 147, 169, 226, 308, 313, 414, 487, 489, 501, 503, 524, 587, 623, 650, 652 f., 657, 660, 664 f., 676, 680, 685 Gebrauchsliteratur, s. a. Sachtext 365, 427 Gedächtnis, kulturelles 41, 167, 628 Gedicht, poem, s. a. Lehrgedicht 15, 29, 67, 77, 85, 89, 113, 118, 120, 125, 151, 154, 167, 173–175, 177, 180–183, 185 f., 188 f., 195, 197–201, 205 f., 292, 347, 352–354, 371, 394, 413–415, 429, 432, 435, 437, 448, 479, 543, 549, 555, 647, 650 f., 654, 686 – episches Gedicht, s. Epos – Lautgedicht 682 – Naturgedicht 67, 353, 545 – politisches Gedicht 157 Gefühl, feeling, s. a. Emotion 34, 53, 63, 81, 86, 104, 123, 146, 162, 168, 175, 177, 193 f., 202, 205, 281, 294, 301, 328 f., 331–333, 336, 339, 377, 396, 407, 433, 436 f., 441, 464, 510, 512, 514, 568, 572, 603, 620, 627, 643 f., 646, 658, 661 f., 665, 669, 674 – formal feeling 66
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Anhang
Gefühlsästhetiker, ästhetisches Gefühl 8, 627 Gegenwartskultur 397, 745 Gegenwartsliteratur 159, 691 Gehaltsästhetik, s. Ästhetik Geistige, das, s. a. Revolution 20, 77, 80, 113, 146, 244, 377, 461, 506, 508, 511, 593, 610, 623, 631, 666 Geisteswissenschaften, Humanwissenschaften 28, 192, 218, 401, 505, 668 Gelegenheitsdichtung 428, 542 Gender, Gender Studies 470, 579, 752 genera mixta, s. Form/Mischformen Generation, literarische 152 Genese 11, 18, 75, 143, 157, 234, 512 f., 605, 616, 711, 742 Genie 15, 29, 39, 44, 81 f., 117, 221 f., 648, 681, 686, 700, 705 f. Genieästhetik, s. a. Goethezeit, Sturm-undDrang, 29, 44, 95, 382, 400 Genie-Diskurs 81 Geniezeit, s. a. Goethezeit, Sturm-und-Drang, 117 Genre, genre 23, 44, 114, 131 f., 148, 156, 184, 189, 234, 238, 312, 317 f., 320 f., 351, 358, 385, 450, 453, 455 f., 544, 573, 577 f., 688, 697, 708, 748, 752 genre fiction 16 Genrefilm 317 Genrekonventionen 318, 549, 573 Genreliteratur 317, 566 Genretheorie 579 Genus, generisch 31, 45, 125, 234, 355, 376, 378, 513, 656 – genus humile 396, 656 Gerechtigkeit 194 f., 377, 583, 598, 600, 602 f. Gericht 586, 589–593, 595–597, 599–602 Gesamtkunstwerk, s. a. Kunstwerk 48, 418, 432, 576, 730 Geschehen vs. Geschichte 325 Geschichtsphilosophie 83, 102, 113, 125, 133, 166, 514, 516, 524 – Geschichtsphilosophie der Gattungen 83 Geschichtsschreibung 21, 24, 152, 400 f., 428, 517–524, 526, 572 f.
Geschmack 89, 120 f., 125, 193, 390–393, 395 f., 662, 683, 689 Geselligkeit 124, 360, 389 f., 427, 429 Gesellschaftsphänomen 159 Gesetz, law 29, 36, 85, 104, 107, 124, 164, 246, 251, 310, 380, 391 f., 459, 495, 521, 586, 590 f., 593, 597–601, 603, 605, 610, 612, 614, 620, 638–641, 644, 651–653, 661–663, 685, 693, 720, 740, 752 – inneres Gesetz 4, 62, 382 Gesetz der Kunst, der Dichtung 62, 413, 619, 651, 703 Gesetzmäßigkeit 248, 277, 307, 651, 666 Gesetzmäßigkeit, geschichtliche 154, 462, 730 Gestalt, gestalt, s. a. shape 8, 13, 17, 19 f.–22, 28, 37, 49, 69, 75, 77 f., 80, 83–87, 97, 107 f., 113, 119 f., 128, 144, 159, 230, 241, 244, 247–249, 256, 279, 290, 348, 418, 422, 433, 437, 451, 465, 506, 526, 606 f., 613, 622 f., 635–638, 641–655, 657–663, 675 f., 711 Gestaltästhetik, s. Ästhetik Gestaltpsychologie 21, 26, 290 f., 635 f. Gestaltqualität 505, 636 f., 641, 655, 660, 663 f. Gestalttheorie 21, 635–638, 641 f., 655, 657–660, 662 f., 665, 671, 676, 678 Gestaltung 8, 10, 28, 37, 52, 77, 79–81, 84, 89, 94, 96, 107, 110, 228, 238, 263, 275, 379 f., 385, 418, 424, 468, 479, 506, 510, 515, 517–520, 522 f., 526, 542 f., 563 f., 572, 605, 607, 614, 625 f., 643–647, 649, 652, 654, 656, 702, 715 f., 732, 739 – elementare Gestaltung 605, 614 Gestell 247, 249 Gitter 244, 568 Glasmalerei 554 Glaube 373, 402, 406–410, 419, 554, 601 Gleichzeitigkeit (im Erzählvorgang), s. a. Zeit 170 Goethezeit, s. a. Genieästhetik, Geniezeit, Klassik, Sturm-und-Drang 115 f., 121, 123, 429, 542 Goldener Schnitt 715
Sachregister
Goldenes Zeitalter/Weltalter, Zeit der Unschuld 371, 384 f., 387 f., 390, 393 f. grand Imagier (Filmnarratologie) 342 grand œuvre (Geheimwissenschaft) 466 Graphic Novel 552, 554, 566, 570–574, 577 f. Graphik 248–253, 290, 509, 555–557, 564, 567, 569, 572 f., 740 Groteske 145 f., 699 Grundbuch 586 Grundriss 9, 579 Gültigkeit (Logik) 490 f., 495, 497 gutter (Comics) 560, 567, 569 Gynokritik 470 Handhabung 274, 727, 738 Handschriften 373, 375, 379, 420, 554 Handwerk, artificium manus 76, 78 f., 85, 345, 373, 618, 624 f., 704 – literarisches Handwerk 162 f. Happening, s. a. Ereignis, Performance 565, 740 Harmonie 39, 89, 187, 352, 383–386, 388–390, 606, 613, 711, 726, 728 f., 733 f., 739 Harmonielehre, Harmonik 728, 735 Haupt- und Staatsaktion 698 Hauptverhandlung 592 f., 595 f. Heftchen 564 Hegemonie 4, 131, 164, 623 Heiligenlegende, s. Legende Heilsgeschichte 372, 524 Held 119, 144, 367, 549, 564 Held (im Roman) 97, 144, 153, 159, 169 f., 235, 298, 565 Heldengedicht 119, 352 Heldenreise 565, 684 Hermeneutik 21, 51, 56, 76, 88, 92, 227 f., 242, 253 f., 262, 292, 299, 419, 434, 453, 606, 617, 680, 688 Hermeneutik, dichterische 168 Herstellung, dichterische 163 Hinrichtung 555 Hirtengedicht, Hirtendichtung 389, 394–396 histoire vs. discours 325 histoire vs. récit, narration 325, 341 historia 349, 366
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Historie, history, s. a. Apriori, Avantgarde, Epistemologie, Literaturgeschichte, Materialismus, Poetik, Symbolik 21, 58, 122, 189, 191 f., 207, 350, 519, 752 Historismus 44, 152, 440 – ästhetischer 440 – primitiver 152 Hochkultur 32, 43, 181, 553, 573, 680, 684, 688 f., 691 f., 755 Hochzeit, heilige, hieros gamos 414 Höhenkamm, literarischer 153 Holzschnitzereien 609, 612 homodiegetische vs. heterodiegetische Narration, s. Diegese Homonymie 242 Humanismus 118, 347, 349, 352, 388, 716 Humanwissenschaften, s. Geisteswissenschaften Hybridform 352, 368, 370, 372 hyle, s. Materie Hylemorphismus 9 Hyperfiction 51, 550 Hypertext 49–51, 349, 357 f. Hypertextualität 357 Hyphologie 357 hypodiegetische Ebene, s. Diegese hypothetical you 334 Ich-Erzähler, s. Erzählsituation Ideal, Idealisierung, ideal, s. a. Leser 21, 78, 99, 181, 229, 240, 243, 311, 370, 379, 382, 384 f., 387, 389–391, 394 f., 444, 457, 476, 605, 607 f., 680 f., 689, 707 f., 718, 734 – künstlerisches Ideal 359 Idealismus, s. a. Ästhetik 62, 77, 83, 126, 130, 338, 349, 419, 463, 513, 606, 621, 635, 701, 703 – literaturgeschichtlicher Idealismus 165 – poetischer Idealismus 62 Ideengeschichte vs. Formgeschichte 88, 170, 641, 727, 730 Identifikation 5, 43, 149, 191 f., 194, 393, 569, 720 Identität, identity 42 f., 170, 185, 198, 237, 261, 283, 327, 330, 337 f., 354, 377,
882
Anhang
470–472, 475 f., 523, 545, 548, 596, 610, 651, 683–685 – dichterische 169 – formale 198, 200 Ideologie, ideology 16, 32, 58, 69, 126, 130, 138 f., 162, 164, 187, 192, 165, 195, 238, 302, 323, 346, 416, 463, 470, 480, 572, 615, 683, 711, 736 – Ideologie-Begriff 165 – Ideologiekritik 165 f., 192 – Ideologie-Wissenschaft 164 – ideologisches Umfeld, sreda 165 f. Idylle 124, 382–387, 389–398 Ilinx 746 Illusion der Unmittelbarkeit 323 Imaginäre, das 40, 50, 108 f., 233, 263, 338, 387, 389, 393, 397, 471–473, 475–477, 641 Imagination, imagination, s. a. Einbildungs kraft 19, 57, 66, 109, 180, 185, 193, 196, 204, 232, 246 f., 259, 325, 328, 390, 409, 417, 459, 560 f. imagined community 41 Imitation, Imitat, imitatio, imitation, s. a. Mimesis, Nachahmung 16, 197, 245, 261, 351, 366–371, 375, 405, 472, 476 – imitabilitas 378 – imitatio auctorum 16, 381 – Kontrastimitation 366 f., 370 – multiple imitatio 234, 373 – pre-imitation 272 – von Modellen 368, 375 Immanenz, s. a. Autor, Gattungspoetik, Intention, Poetik, Steuerung 28, 38, 58, 60, 67, 159–161, 183, 185, 203, 227 f., 235, 237, 241, 251, 417, 743 immutable mobiles 534, 538 implied narrator, s. Erzähler implizierter Autor, s. Autor impressionistische Literaturkritik 152 Indienstnahme der Kunst, s. a. Utilitarismus 164 Individualität, Individualisierung 18, 39, 62, 69, 83, 115, 124 f., 168 f., 185, 199, 221 f., 256, 261, 282, 292, 313, 382 f., 420 f., 427–430, 437, 542, 647, 671 f., 674, 681 Influencer 240
Information, information 26, 101, 132, 200, 213, 218, 291, 293, 310, 314, 320, 331, 345, 380, 532, 538, 552–555, 557, 660, 667, 682 Informationstheorie 538 Informationsverarbeitung 289, 660, 667 Informativität und Formativität 52, 547 In-Formierung, In-Formation 310, 532 f. Inhalt, content, s. Form Innenperspektive 327, 329 f. innerer Monolog, interior monologue 330, 332 Innovation, s. a. Gattungsinnovation 17, 37, 91, 116, 155, 157, 221, 242, 317, 432, 459, 620, 734 f. Inscape 244 Institution, Institutionalisierung 38, 42, 116, 126, 179, 315 f., 318, 321, 429, 586 – formale Institution 316, 318, 321 Instrumentierung 140, 514 Inszenierung 37, 45, 48, 54, 144, 341, 409, 422, 427, 437, 595, 697, 701, 707, 729 Integumentum 606 Intelligencija 138 Intensität, intensity 23, 178, 328, 433, 473 Intensivierung 10, 258 – Intensivierung von Wirklichkeit 514 f. Intention (auch Einstellung, ustanovka) 21, 45, 128, 130, 139, 144 f., 158, 173, 184 f., 200–203, 207, 237 f., 274, 510, 526, 540, 568, 670, 741 – immanente Intention 185, 201–203 Intentionalität 60, 174, 185, 200–203, 228, 242, 274, 459, 469, 560, 637 – immanente Intentionalität 201, 228 interactive storytelling, s. a. Narrativ 52 Interaktivität 574 f., 747–749, 753 Interdisziplinarität, interdisciplinarity 6, 162, 185, 258, 289, 509, 550, 552, 579, 657, 668, 678, 746, 752 Interface 746 Interfiguralität 566 Intermedialität 37, 46, 68, 243, 369, 536, 553, 578, 605, 742, 841 Internet, s. a. Netz 312, 316, 349, 358, 552, 574, 748 Interpretant 18, 355
Sachregister
Interpretation, Interpretationsakt 5, 25, 35, 37, 39, 52, 87, 95, 99, 139, 170, 173 f., 176–179, 182–186, 193, 196–200, 202 f., 205 f., 242, 252, 283–285, 292 f., 301, 341, 355, 359, 403, 543, 548 f., 554, 617, 713, 733, 738, 756 – werkimmanente Interpretation 39, 95, 543 Intertextualität 115, 477, 546, 573, 685, 691, 733, 735 f., 743 intradiegetische Ebene, s. Diegese Intuition 19, 505, 508, 614, 648 Intuitionismus 462 inventio 44, 79, 243, 720, 735 Ironie 22, 29, 65, 92, 102, 107 f., 161, 175, 180, 186 f., 345, 367 f., 377, 400, 425, 432, 442, 446, 517, 691, 699, 736 – romantische Ironie, post-Romantic irony 22, 191, 432 Irrationalismus 441, 460 f., 467–469 Isomorphie 268, 501, 532, 674 Jonbar-Punkte 574 Journal, s. a. Zeitung 555 Journalismus 555, 563, 570, 572 Jugendliteratur 570 Jurisprudenz, s. Rechtswissenschaft juristische Methode 139 Kalendergeschichte 321 Kalokagathie 38 Kapitalismus 63, 129, 259, 340, 623, 682–684 Kanon, s. a. Formenkanon 16, 96, 138, 143 f., 153, 350, 380, 402, 470, 507, 572, 575, 577, 628, 690, 715, 719 f., 722, 728 Kanon, Proportionskanon (Musikwissenschaft) 715, 720, 722 Kanonbildung, Kanonisierung 32, 42, 148, 153, 166, 349, 544, 572, 575, 628 Karikatur 557 Katachrese 188 Katalog, Katalogisierung 49 f., 97, 162, 535 f. Kausalität 10, 64, 103 f., 158, 324, 524, 560 f., 565, 691 Kinderliteratur 570, 574 Kippmodell des Poetischen Realismus 236 f.
883
Klang-Rede 712, 717, 725 Klassifikation, Klassifizierung 10, 27, 95, 115, 125, 143, 147, 152, 173, 229, 234, 257, 352, 356, 358, 366, 385, 451, 533, 545, 698, 701, 714, 741 Klassik, s. a. Goethezeit 14, 27, 30, 39, 83, 98, 169, 353, 513, 680 f., 698, 703, 711, 718 f., 721, 723 f., 726 f., 729, 733, 737–739 Klassiker 19, 128, 144, 166 f., 682, 730 Klassizismus, s. a. Neoklassizismus 7, 16, 32, 38, 81, 127, 129, 131, 246 f., 382, 430 f., 706, 718, 727, 756 Klassizität 691 f. Kleidervorschriften 595 Kodierung, s. Code Kodifizierung 27, 91 Kognition, cognition, s. a. Emotionstheorie, Linguistik, Literaturwissenschaft, Narratologie, Poetik, Psychologie, Stilistik 36, 53, 192–194, 196, 220, 246, 271, 285–297, 299–302, 342, 536, 548, 553, 560, 577, 579, 611, 637 f., 640, 654, 660, 669–673, 678, 727, 749, 752, Kohärenz, coherence 56, 137, 176, 179, 186, 236, 473, 519, 546, 549, 559–561, 565–567 Kollektiv 40 f., 43, 50, 261, 336, 338, 417, 420, 423, 425, 437, 683 f. Kollektivbewusstsein 18, 161 Kollektivsingular 507, 519, 524, 624 Kombinatorik, s. a. ars combinatoria 106 f., 257, 359, 361 Komik 44, 119, 145, 556, 562, 691 – komischer skaz 145 Kommerzialisierung 564, 566, 571, 576 Kommunikation, communication, s. a. Medien 11, 30, 40, 52, 91, 126, 140, 162, 165, 213, 215, 217–220, 222, 224, 228, 230, 240, 265, 268 f., 275, 295, 297, 301, 312 f., 322, 358, 383, 403–405, 407, 409 f., 425, 433, 459, 509, 539, 545, 547 f., 578, 606, 668, 674, 688, 701, 746 Kommunikation (Systemtheorie) 42, 213 f., 216 f., 219, 223–225, 315 – ästhetische Kommunikation 82, 90
884
Anhang
– literarische Kommunikation, literary communication 50, 126, 213, 222, 225, 365, 402, 404 f., 408–410, 413, 656 – soziale Kommunikation 165, 225 Kommunikationsform, Kommunikationsformat 40, 52, 215, 313, 316, 409 Kommunikationstheorie, Communication Theory 24, 166, 578, 674, 752 Kommunikationswissenschaft 312 f., 416, 538 Komödie 44, 118, 120, 124, 345, 367, 431, 698–700, 709 Kompensationstheorie der Kunst 514 Komposition, compositio 78 f., 102, 118, 142, 144, 147, 150, 168, 311, 360, 367, 379, 564, 575, 716 f., 720 f., 727, 729 f., 733 f., 738, 740 f. Kompositionslehre 712, 717, 720 f., 732, 735 Konkrete Poesie, Konkretismus 78, 90 f., 248, 434 Konkretheit, Konkretion 90 f., 206, 232, 243, 254, 321 Konstellation 24, 132, 140, 213, 216, 311, 322, 330, 332, 334, 372, 547, 612 f., 630, 644 Konstruktion 53, 58, 78, 85, 103, 106, 109, 127, 144, 147, 149 f., 152, 155 f., 225–227, 229, 245, 253, 259, 269, 280, 297, 403 f., 421, 470, 473, 525, 535, 540, 548, 553, 560–562, 565, 568 f., 611, 615, 643, 672 f., 705, 732 f. Konsum, s. a. Ästhetik 43, 183 f., 236, 335, 338, 557, 621, 623–626, 628, 630, 682, 684, 689–693, 745, 751 Konsumgesellschaft 557, 626 Kontext, context 5–7, 24, 27, 31, 37, 42, 45, 51, 57, 75, 131 f., 173, 178, 184, 187, 190 f., 193, 195, 201, 203, 206 f., 216, 223, 229–231, 238, 241, 258, 264, 270, 283, 297, 325, 346, 351, 365, 380, 385, 403 f., 438, 479 f., 511, 544–546, 628, 678, 686, 710, 729 f. Kontiguität 275, 356, 685 Kontingenz 22, 36, 45, 52 f., 77, 96, 101, 105, 195, 224, 254, 261 f., 267, 275, 277, 310 f., 316, 321, 349, 400, 409, 452, 524 Kontingenzerzeugung 52, 256
Kontinuität, Kontinuum 101, 108, 127, 130, 145, 165, 167, 179, 191, 219, 262, 275, 298, 313 f., 433 f., 447, 546 f., 549, 564, 566, 574 f., 630, 646, 660, 682, 684, 741 Kontrastimitation, s. Imitation Kontrolle, control, s. a. Steuerung 11 f., 16 f., 19, 26–29, 31, 40, 49, 51, 53, 84, 154, 227 f., 231, 233, 237, 239, 247, 255 f., 260, 263–266, 270 f., 278 f., 281, 283, 420 f., 432, 436, 469, 510, 535–537, 546 f., 549, 567, 614, 665 f., 670, 677 f. Kontur 77, 144, 243 Konvention, convention 12, 17 f., 45, 55, 60, 89, 100, 116, 125, 132, 176, 189, 198, 205, 238, 321, 340, 370, 403, 428, 433, 472, 533, 586, 589, 675, 708 f., 721, 725 f., 741, 757 Konventionalismus 20, 64, 91, 428, 703 Kopie, copy 16, 231, 242, 246, 275 f., 554, 610, 684, Kopplung, strukturelle 213 f. Korpusstilistik 548 Korrelation, correlation 27, 35, 48, 144, 150, 155, 157 f., 167, 261, 277, 281, 286, 356, 359, 454 Korrespondenz (Entsprechung), correspondent 57, 94, 122, 176, 268, 297, 544, 716, 726, 741 Kreativität 17, 163, 246, 387, 471, 513 Kriminalität 253, 328, 556, 570 f., 687 Krise der Repräsentation 403, 406, 409, 572 Krisenerfahrungen der Moderne 398 Kubo-Futurismus, s. Futurismus Kult 418, 420–423, 427, 429, 433 f., 439, 466, 688 Kultur, culture, s. a. Evolution, Gedächtnis, Fankultur, Hochkultur, Populärkultur, Netzkultur, Tragödie 6, 17 f., 20, 24, 26 f., 36, 40 f., 43, 59, 66 f., 84, 95, 107, 112, 121, 126 f., 131, 149, 157, 160–162, 167, 172, 177, 184 f., 189–191, 196, 199, 221, 226, 239, 242, 244, 269, 287, 294, 303, 312, 314, 316, 350 f., 369, 381, 383 f., 386–388, 392 f., 397, 403, 406, 415–418, 421–426, 428, 430–434, 436–438, 440–442, 451, 454, 460–462, 467 f., 473 f., 477, 480, 506–508,
Sachregister
510–514, 527, 545, 548 f., 553 f., 573, 575, 606, 614, 619, 623, 626, 628 f., 646 f., 649, 654 f., 666, 669, 672, 677, 681 f., 684, 688–690, 693, 701 f., 707, 709–713, 734, 736, 738, 743, 745, 753 Kultur und Natur, s. Natur und Kultur Kultur und Subjektivität, Individualität 18, 127, 161, 221, 269, 626 Kulturalismus 48, 131 f., 184, 190 f. Kulturanthropologie 424 Kulturbetrieb der Stalin-Ära 167 kulturelles Erbe 153, 183 Kulturgeschichte, Kulturhistorie 20, 25, 31, 167 f., 280, 351, 401 f., 406, 666, 712 f., 742 Kulturindustrie, culture industry 314, 557, 623, 683–685, 737 Kulturkonservatismus 423 Kulturkritik 12, 59, 66, 420 f., 426, 618, 644 f., 647 f., 705 Kulturpessimismus, Kulturverfall 43, 388 Kulturphilosophie 505 f., 510 Kulturpoetik, Poetics of Culture 626, 628 f., 681 Kulturpolitik 7, 39, 58, 112, 164, 252, 451, 736 Kultursemiotik 37, 43 Kulturtechnik 266, 309 Kulturtheorie 23, 196, 268, 628 Kulturwissenschaft, Kulturforschung 11, 67, 302, 317, 416, 430, 437, 537 f., 614, 753 Kunst, art, s. a. Konkrete Poesie 7 f., 15, 17, 22, 34, 38 f., 46–48, 52, 54 f., 59–61, 63–65, 77, 79, 83, 86 f., 90, 92 f., 97, 101 f., 106 f., 114, 117, 124, 126 f., 129 f., 138 f., 141, 143, 159, 162–164, 183, 186, 193, 195, 198, 213, 217 f., 220, 222–225, 239, 248, 256, 261, 268, 276–278, 311 f., 348, 359 f., 369, 382, 397, 399–401, 403 f., 409, 413–421, 423 f., 426–428, 430–434, 438, 443–446, 448–450, 462, 466, 507, 509, 512–515, 520, 527, 533, 553, 575, 578, 605, 610, 613, 616 f., 620–622, 624–630, 642, 644, 648, 650, 652–655, 657, 664, 674 f., 680 f., 687–693, 703, 705, 707, 709, 727 f., 730, 735 f., 740, 742, 755–757
885
Kunst und Alltag, Leben, Realität, Welt, Wirklichkeit 53, 105, 128, 130, 162, 224, 399 f., 402, 404, 441, 514 Kunst, autonome, s. a. Autonomieästhetik 122, 126, 164, 224, 421, 428, 430 f., 441 f., 444, 446, 450, 456, 467, 621 f., 624–626, 629 f., 686, 688 Kunst, bildende 86, 93, 290, 418, 433–435, 449, 613, 629 f., 727 Kunst, Dynamik der 143 Kunstgeschichte, Kunsthistorie, s. a. Kunstwissenschaft 87 f., 238, 243, 451, 712, 754, 757 Kunstgesetz 658, 727 Kunstgewerbe 620, 624 Künstliche Intelligenz (KI) 289, 657, 660, 664, 667 f., 670, 673 Künstlichkeit 29, 99 f., 169, 261, 287, 396, 585, 660, 667 Kunstmittel, s. a. Verfahren 138, 140 f., 658 Kunstschöne, das 12, 83 Kunstsystem, System der Künste 5, 46, 116, 126, 223 f., 427, 441, 444, 460 Kunsttheorie 59, 138 Kunstwerk, work of art, s. a. Gesamtkunstwerk, ästhetisches Objekt, Wortkunst 8–11, 13–15, 18 f., 22, 28 f., 34, 39, 52, 57, 62, 64, 83 f., 90, 106 f., 113, 115, 124, 126, 137, 143, 161, 164 f., 175, 179, 183, 187, 193, 197–200, 225, 256, 275 f., 280–283, 348, 353, 382, 399, 402 f., 406, 419, 431, 437, 444, 504, 507, 514 f., 574, 616, 626, 629, 652 f., 655, 676, 686, 691, 701, 703, 732, 755, – autonomes, reines Kunstwerk 402, 446, 456, 467, 626, 686, 688 – diachrones Kunstwerk 238, 687 – Einheit des Kunstwerks 187, 276, 353, 361, 382, 655, 848, 703, 705 – Idee des Kunstwerks 83 f. – inneres Kunstwerk 707 – literarisches, sprachliches Kunstwerk 28 f., 126, 200, 225, 402, 434, 676 – musikalisches Kunstwerk 714, 728, 730, 740
886
Anhang
– offenes Kunstwerk 38, 51 f., 106 f., 110 f., 179, 557, 575, 740 – sprachliches Kunstwerk 402, 434, 543 Kunstwerk als Kommunikat 225, 256 Kunstwerkbegriff 732, 740, s. a. Werkbegriff Kunstwissenschaft, s. a. Kunstgeschichte 3, 59, 68, 86, 138, 160–162, 579, 619, 630, 680, 754 – marxistische Kunstwissenschaft 59 Kunstwollen 622, 626 Kybernetik 28, 244, 248, 359, 538, 665 f. Labyrinth, Labyrinthform 44, 109–111, 575, 615 langue vs. parole 27 Laokoon 53, 275, 561, 700 l’art pour l’art 129 Lascaux 552 Laut, Lautform, Lautlichkeit (Dichtung), s. a. Gedicht 34, 139, 142, 219 f., 510, 512, 567, 682 Lautbild 539 Leben, life, s. a. Form und Leben 9, 28, 33, 42, 62–64, 97, 100, 107, 124, 143, 158, 196, 204, 292, 298, 324, 329, 360, 378, 387 f., 390 f., 399, 413, 416, 421, 423, 434, 460, 462, 514, 521, 556, 614, 622, 626 f., 630, 649, 653, 667, 706–708, 745 – inneres Leben 654 – Kunst und Leben 105, 128, 414, 432, 627, 703 – Sitz im Leben 126 Lebensform 9, 33, 115, 128 f., 163, 512 Lebenskraft, s. a. élan vital, Vitalismus 9 Lebensphilosophie, s. a. Vitalismus 101, 128, 462–464 Lebenswelt, byt 143, 164, 290 Lebenswissenschaft 5, 26, 94 Leerstelle 299, 301, 476, 549, 560 Legende 68, 367, 375, 377 f., 380, 554, 614 – Heiligenlegende 380, 554 – Künstlerlegende 75 Legisaktionenprozess 591 f. Lehrgedicht, Lehrdichtung, carmen didacticum 120, 348, 352–354, 381, 653 – enzyklopädisches Lehrgedicht 354 Lehrstück 709
Leiblichkeit, embodiment 290, 324 Leitbild, s. Vorbild Lektürepraxis 181, 184, 393 Leser, reader 5, 31, 67, 97 f., 106, 108–110, 144, 165, 172, 176 f., 181–184, 192, 194, 198 f., 292 f., 297 f., 300–302, 327, 330, 333 f., 338, 358, 369, 387, 399, 404, 408 f., 414 f., 427, 434, 453, 480, 497, 500, 515, 549 f., 559–561, 569 f., 574 f., 643 f., 673 f., 690 f., 747 – idealer Leser, ideal reader 172, 181 f. – soziale Interaktion der Leser 165 Let’s-Play-Videos 748 Lexik 216, 292, 413, 540 Lexikon 110, 349, 356 f. Liebesintrige 158 Lied 18, 120, 390, 396, 429, 499, 555 f., 717, 722, 733 Liedform 713, 717, 719, 723, 726–729 Life Action Role Play 710 Life Writing 572 linguistic turn 218, 658 Linguistik, linguistics, s. a. Poetik, Pragmatik 18 f., 27, 37, 59, 61, 122, 139, 149, 173, 194, 203 f., 213–216, 220, 228 f., 264, 276, 285, 287, 289–291, 294, 478, 499, 502, 513, 539 f., 542–546, 548, 550 f., 635, 663, – Anbindung der Formalisten 149 – kognitive Linguistik, cognitive linguistics 286 f., 289–291, 548, 550 – Korpuslinguistik 550 – Literaturlinguistik 539, 550 Link, s. a. Verlinkung 50 f., 357 f. Literarizität, literaturnost’, s. a. Poetik, Poetizität 128, 139, 155, 167, 172, 185 f., 191, 379, 691 Literatur als Kunst 220, 513 Literaturbetrieb 139, 224, 365 Literaturgeschichte, Literarhistorie, literary history 19, 22, 31, 36, 39, 58, 88, 95, 143, 145 f., 148, 150, 152–155, 159 f., 168, 190, 221, 235, 237, 252, 256, 268, 445, 454 f., 470, 678 Literaturgeschichtsschreibung 152, 156, 160, 454, 656
Sachregister
Literaturkritik 152, 168, 176, 179 f., 182, 188, 224, 712 Literatursprache 161, 381, 659 Literatursystem, Symbol- und Handlungssystem Literatur 213, 215–218, 220–224, 382, 454 f., 482 Literaturtheorie, Dichtungstheorie, s. a. Poetik 6, 25, 27 f., 30, 56, 75, 94, 112, 115, 138, 159 f., 166, 168, 172 f., 176, 184, 186 f., 189, 193, 232 f., 350 f., 356, 381, 387, 403, 619, 700, 716 Literaturwissenschaft, kognitive 285–293, 296, 299–303 Liturgie 413, 415–418, 420, 422–424, 427, 431, 713 locus amoenus 253, 371 Logik 24, 30, 33, 46, 57, 99, 203, 222, 315, 356, 359, 375, 378, 446, 467, 488 f., 491–493, 496–499, 503 f., 565, 615, 618, 657–661, 663, 733–735, 737, 740 Logischer Positivismus, Neopositivismus 501 ludus vs. paidia 746, 757 Luxus 391 f., 395 f., 630 – Luxus der Natur 392 Luxuskritik 396 Lyrik, lyric, lyricism, s. a. Gedicht, Naturlyrik 45, 48, 66, 94, 97, 155, 175, 185, 197, 351, 427, 429, 450 Magazine 333, 555, 578, 753 Malerei, painting 20, 46 f., 53, 76, 107, 122, 138, 159, 243 f., 311, 339, 373 f., 382, 385 f., 397, 420, 433, 552, 554, 561, 606, 624 – akademische Malerie 733 – erzählende Malerei 311 Manga 564 Manier, manner 15, 116 Manierismus 16, 121, 123, 399, 419, 431, 439, 645 Manifest, manifesto 122, 138, 140, 155, 159 f., 166, 440–463, 465–469, 474, 619 – ästhetisches Manifest 448, 455, 467 – avantgardistisches Manifest 446, 448–452, 454–456, 458, 467–469 – politisches Manifest 449, 451, 454 f., 457 f., 468 f.
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Manifestismus, Manifestantismus 440–444, 446 f., 449, 452, 460, 463, 469 – formaler 440, 442, 446 Mapping 294 Märchen 20, 68, 97, 139, 143, 225 Marketing 43, 132, 576, 656, 683, 752 Marvel Comics 573 Marxismus, Marxisten 30 f., 59, 62 f., 112, 127–130, 158, 160, 163–166, 182, 187, 462, 620, 623, 709 – marxistische Literaturkritik 158 – Vulgärmarxismus 165 Maß, Maßhalten 90, 328, 373, 385 f., 390 f. Mashups 576 Mäßigung 385 f., 390 f., 395, 397 Massenkultur, s. Populärkultur Massenliteratur 154 Massenmedien, s. Medien Material, material, Materialien, s. a. Form und Material 13, 26 f., 30, 34, 36 f., 44, 50 f., 60 f., 63, 77, 79 f., 89, 91, 93, 107, 113, 118, 139, 141, 143–145, 149 f., 152, 154–156, 165, 192, 196, 198, 220, 223, 231 f., 238, 248, 257 f., 265, 267, 277, 294, 303, 326, 382, 418, 438, 459, 506, 518, 522 f., 605, 607, 609–613, 616, 618, 627, 643, 648, 664, 681, 710, 735–737, 739, 741, 743 – emotionales Material 60 – Entwurfsmaterial 609, 612 Materialästhetik, material’naja ėstetika 10, 61, 162, 165, 704 Materialismus, historischer 165 materialistische Kunstanschauung 164 Materialität, materiality 21, 49, 87, 114, 196 f., 216, 253, 259, 274, 283, 480, 508, 532, 534, 614 Materialität und Transzendentalität 23 Materie, materia, matter, hyle, s. a. Form und Materie 7, 11 f., 15, 28, 37, 43, 45, 57, 75, 79, 81, 186, 196 f., 279, 375, 465 f., 531, 587, 607, 610, 614, 661, 675 Matrix 35, 130, 180, 229, 258–262, 265 f., 272 f., 275, 277 f., 284, 681, 685, 688–690 Maya-Codices 552
888
Anhang
Medialität 46, 215 f., 220, 274, 385, 615, 693, 710 Medien, Medium, media, s. a. Bild (medial), Form und Medium, Intermedialität 9 f., 30, 40 f., 45 f., 48–51, 53, 115, 168, 213, 215–220, 223–225, 231, 240, 243, 247, 273, 307, 310, 315, 317, 320–322, 346, 349, 358, 382, 442, 448, 508, 531, 533–538, 550, 553, 557, 575 f., 578 f., 605, 611 f., 615, 682, 686, 689, 692, 711, 740, 742, 745, 747 f., 750, 752, 754 f. – analoge Medien 50 – Entwurfsmedien 611 f. – Erfolgsmedien 217 f. – Kommunikationsmedien 217 f., 222, 434 – Massenmedien 225, 315, 686 – Printmedien, Schriftmedien 312, 357 – technische Medien 215, 219 – Verbreitungsmedien 217 f. – Verstehensmedien 217 – Wahrnehmungsmedien 217, 220 Medienarchäologie 538 Medienformate 312–314, 319 Medienkommunikation 312 f. Medienmorphologie 45, 538 Medientechnologie 531 f., 534 Medienwandel 40, 278 Medienwechsel 40 Medienwissenschaft 25, 312, 531, 538, 552, 579, 710 Medium/Form-Differenz, Medium/FormUnterscheidung, s. Form und Medium Mehrdeutigkeit, s. Vieldeutigkeit, Deutung Mehrfachadressierung 682 Mehrstimmigkeit 713, 715, 719 memory plays 342 Memory Studies 41 metadiegetische Ebene, s. Diegese Metafiktion, s. a. Fiktion, Fiktionalität 237, 344, 399, 404, 573 Metahistorie, metahistory 24, 516 f., 527 Metaisierung 108, 100, 110 Metamodernism 404 Metapher, Metaphorik, metaphor 40, 44, 57, 75–86, 88 f., 91, 94 f., 97 f., 101, 103, 106–111, 119, 130, 235–237, 240 f.,
243 f., 263, 283, 285 f., 288, 293–296, 356 f., 375, 415, 417, 475, 500, 511–513, 517, 535, 540 f., 549, 566, 617, 654, 711, 718, 742 – Außen-Innen-Metaphoriken 77, 79 f., 95 – konzeptuelle Metaphorik 294 f. – Leib-Seele-Metapher 77, 508, 608 – Leitmetaphern der Form 84 f., 88 – Lichtmetaphorik 76 – Linienmetapher 103 – Metaphern der Romanform 97 – radikale Metapher 512 f. Metapherngeschichte 111 metaphorisches Denken 512 Metareferenz, s. Referenz Metonymie 44, 89, 106, 108, 167, 235, 237, 263 f., 517, 613, 654, 686, metonymische Kulturauffassung 167 Metrik, Metrum, meter 66, 87, 126 f., 147–149, 154, 175, 540, 544, 705, 718 – generative Metrik 544 Metrologie 536 Midcult 690 f. Milieutheorie 658 Mimesis, mimesis, s. a. Imitation, Nachahmung 10, 16, 45, 48, 103, 122, 173, 189, 204, 238–241, 244, 269–273, 324–326, 342, 345, 351, 398, 400, 403–407, 409 f., 472, 708 mimetische Erzählformen 326, 340, 345 Mimikry, mimicry 476, 746 Mimik 145 mindscreen-Sequenz 343 Mitleid und Furcht 700 Mittelalter 17, 31, 44, 80, 116 f., 160, 169, 234, 244, 284, 344, 362, 365–370, 372, 374, 379, 439, 491, 496–498, 525, 542, 554, 566, 592, 606, 681, 713–715, 717, 744 Mittelbarkeit 230, 323 Mobile 107, 110 Mockumentary 54 Modalität 11, 30–32, 40, 219, 229, 233 f., 255, 258, 261–263, 267, 276, 278–283, 291, 458, 506, 508, 617, 734, 739 – Handlungsmodalität 267, 279 f.
Sachregister
Modalitätsmanagement, Management der Möglichkeiten, s. a. Möglichkeit 233, 263, 270, 277 f., 283 Model, modulus, moule 123, 230, 385 – innerer Model, moule intérieur 123 Modell, model, modèle, s. a. Funktionsmodell, System – analogue model vs. scale model 261 – Entwurfsmodell 232, 246, 259, 277 – Figurenmodell 237 – inneres Modell 123, 239 – kognitives Modell 227, 271 – literarisches/poetisches Modell 3, 68, 226–229, 232–234, 237 f., 240–242, 244 f., 247, 251, 253–256, 258, 264, 268, 278, 280, 283, 409, 619, 681 – literaturwissenschaftliches Modell 227 f. – mathematisches Modell 739 – Modalitätsmodell 233 f. – modèle reduit 283 – Repräsentationsmodell 232, 246, 259, 277 – semantisches Modell 234, 237, 241 – Strukturmodell 232, 234, 276 – technisches Modell 229, 241, 255 – Weltmodell 233, 268 f., 275 f. Modellannahme, Modellerwartung 226, 230 f., 234, 260 f., 266, 270 Modellarchitektur 262, 612, 619 Modellästhetik, s. Ästhetik Modellbildung, Modellierung 9 f., 55, 102, 226, 228–234, 237–243, 246, 248 f., 251–256, 258–260, 263–266, 268–273, 275–280, 283 f., 379, 381, 383, 395, 397, 441, 517, 524, 611 f., 614, 681, 689 – epistemische Modellbildung 229 – innere Modellbildung 239 – Remodellierung, remodelling 228 f., 237–239, 248, 253, 283 f., 395 – sekundäre Modellierung, s. a. System 277 – sprachliche Modellierung 55, 614 – technische Modellbildung 229, 255 Modellcharakter 9, 26, 226, 228, 244, 382, 385 f., 397 – der Idylle 382, 385, 397
889
Modellerzählung 232 Modellfähigkeit 259 Modellfigur 237 f., 240 Modellforschung 68, 226–228, 232, 234, 238, 240–242, 245, 247, 264 Modellfunktion 32, 243, 246, 258, 260, 266, 268, 383, 450, 686 Modellgeschichte 242, 248, 278 Modellierungskontext Modellinstanz 254, 259–262, 272, 274, 282, 681, 690 Modellkonzept 234, 239, 242, 246, 259 f., 266, 272, 274, 279, 282 Modellkritik 242, 245, 253, 266 Modellobjekt 228, 230 f., 238 f., 247, 253 f., 259–261, 263, 265 f., 271–274, 278–280, 282, 684 f., 687, 690 Modellpoetik, poetics of the model 226, 228 f., 248, 254 f., 262, 278, 283 Modellprotokoll 265 Modellsein 226, 228 f., 232, 260, 262, 271 Modelltheorie 28, 227, 242, 249, 258, 267 f., 277, 280, 284, 690 – literarische Modelltheorie 690 Modellurteil 229, 231, 234, 254, 260–262, 275 Modellwissen 263 Moderne, s. a. Querelle – ästhetische Moderne 114, 415 f., 418, 420, 426, 440, 446, 448, 451, 456, 466 f., 623 – emphatische Moderne 682 – esoterische Moderne 441, 466 – klassische Moderne 480 – literarische Moderne 427, 432, 444, 480, 678 – musikalische Moderne 733, 735, 743 – ‚Projekt der Moderne‘ 406 Moderne und Antike 387 f., 393, 398, 428, 737 Modernität, Modernisierung, Modernismus, modernism 88, 98, 91, 189, 221, 383 f., 387, 397, 409, 466, 730, 733 Modus, modus, mode 44, 48, 50, 53, 66, 117, 188, 227, 233, 254, 257–259, 264 f., 273, 276, 279, 281, 292, 296, 298, 326 f., 351,
890
Anhang
385, 389, 394, 396–398, 435, 453, 472, 491 f., 494 f., 497 – gemischte Modi 227, 279, 281 – modus agendi 117 – modus ponens (Logik) 491 f., 494 f., 497 – modus tollens (Logik) 495 mögliche Welten, possible worlds 36, 297, 491 Möglichkeit, possibility, s. a. Potenzialität 9, 50, 52, 57, 66, 82, 89, 94 f., 103, 107 f., 233, 254, 259, 262, 278 f., 281–283, 320–322, 331, 340, 354, 358, 399, 409, 437, 522 f., 525, 570, 616, 644, 646, 652, 687, 725, 739, 743 – Möglichkeitssinn 522, 644 – Möglichkeitsspielraum 320–322 – Möglichkeitswissen 263 – Verwirklichungsmöglichkeit 279 Montage 46–48, 89, 315, 722, 734, 736 Moralität, morality 13, 118 f., 162, 193 f., 199, 340, 344, 352, 372, 389, 400, 406, 416, 516, 524, 554, 570, 607 f., 698, 704, 752 Morphé, morphe 19, 21, 26, 55, 75, 79, 476, 487 Morphologie 19–21, 26, 94, 130, 244, 379, 540 f., 714, 727 Moskauer Linguisten-Zirkel 137, 140 Motivierung, Motivation, motivirovka, s. a. Zeichenbegriff 143, 273, 275 – motivierte Zeichen 273, 275 Multimedialität 576, 742 Multiperspektivik 286 Mündlichkeit, Oralität, aural 65, 554, 592 f., 595 f., 604, 712 Muße 387, 390–393, 398, 629 Museen 576, 755 Musen 16, 120, 367 Musenanruf 120 musica und architectura 715, 742 Musik 21, 84, 86, 107, 113, 159, 164, 248, 321, 341, 353, 369, 426, 433, 435, 503, 515, 575, 629 f., 636, 675, 708, 711–744, 739 – serielle 107, 739 Musikalität des Verses 147 Musikästhetik, s. Ästhetik
Musikpsychologie 742 Muster, pattern 26, 49, 244, 312, 399, 459, 713, 741 mythisches Analogon 169 mythisches Zeitalter 169, 384 Mythologie, Mythologisierung 29, 243, 430, 457, 573, 693 – Neue Mythologie 430 Mythopoiesis 17 Mythos, myth 17, 19, 29, 41, 57, 66, 104 f., 169 f., 228, 350 f., 417, 427, 429, 457 f., 462, 507, 509–512, 514, 614, 648 – Arbeit am Mythos 17, 105 – Monomythos 565 Nachahmung, s. a. Imitation, Mimesis 12 f., 15, 53, 85, 120, 222, 232, 234, 238–240, 242 f., 246, 270, 273, 365–367, 369, 374, 379 f., 387, 394–397, 407, 428, 624, 698–700, 702 Nachbildung 85, 361 Nachkriegszeit 447, 674 Narration, narration 96, 142, 237, 267, 319 f., 323, 325, 330–333, 337, 341, 346, 375, 520, 522, 525, 537, 545 f., 685, 709 Narrativ, narrative 51, 207, 227, 231, 234–236, 273, 285, 287, 296, 324 f., 335, 337, 340, 346, 380, 410, 450, 469, 546, 556, 572, 574 f., 579, 616, 685 f., 693, 747 – digitales Narrativ 227 – embedded narrative 51 – enacted narrative 51 – interactive narrative 747 – procedural narrative 616 narrative Dichtung 157 Narrativität 324 f., 517, 525, 562 Narratologie, Erzähltheorie, narratology 103, 111, 146, 286, 296 f., 299, 323, 325, 345 f., 546, 579, 652, 657, 668, 670, 672 f., 751 – kognitive Narratologie 286, 296 f., 299, 672 f. – linguistische Narratologie 546 – postklassische Narratologie 346 – transmediale Narratologie 751 Nasciturus 585 Nationalliteratur 149
Sachregister
Nationalsozialismus 65, 418, 420, 424, 593, 598, 736 Natur, nature (Stoff, Materie, Umwelt, Schöpfung) 16, 19, 28 f., 46, 67, 76, 85, 89, 95, 115, 123 f., 193, 196 f., 246, 262, 275, 328, 352 f., 373, 383, 387–390, 392–396, 414, 463, 472, 492, 531, 535, 584–586, 624, 655, 698, 717 Natur, innere, Natur des Menschen 12, 122, 372, 273, 393, 463, 480, 702 Natur und Kultur 12, 89, 526, 738 Natur und Kunst 29, 46, 57, 83, 85, 87, 124, 243, 369, 396, 414, 534, 613 Naturalisierung 26, 125, 287 Naturalismus, literarischer 30, 259, 627, 655, 658, 706 f. Naturbeschreibung 157 f. Naturform 44, 94, 125, 701 f. Naturformenmodell 382 Naturgedicht, s. Gedicht, Lehrgedicht Naturgeschichte 27, 86, 123, 349, 382 Naturgesetz 251, 655, 734 natürliche Person (Rechtswissenschaft) 584 f. natürliche Sprache 149, 501 f., 544, 661 Natürlichkeit 18, 151, 179, 247, 313, 383–385, 388, 394, 501, 545, 712, 719 Naturlyrik, s. a. Lyrik 395 Naturphilosophie 9, 30, 123, 235, 245, 353, 463, 614 Naturrecht 139, 584 Naturschöne, das 621 Naturwissenschaften 26, 88, 91, 161, 192, 227, 259, 352 f., 495, 505, 509, 527, 533, 538, 668, 690, 740 f. Neoformalismus, s. New Formalism Neohistorismus, s. New Historicism Neoklassizismus, Neoklassik (Musikwissenschaft) 168, 735, 740 Neo-Lamarckismus 463, 469 Neopositivismus, s. Logischer Positivismus Neopragmatismus 241 Netz, Netzwerk, s. a. Internet 27, 40, 46, 51, 109, 316, 355–358, 629 Netzliteratur 51 Netzkultur 575 Neue, das, Neuausrichtung, Neubestimmung, Neubewertung, Neuheit 10, 17 f., 44, 61,
891
64, 79, 85, 92, 128, 153, 158, 173, 183, 191, 195–197, 202, 204, 221 f., 243, 256, 258, 266, 320, 375, 382, 386, 389, 391, 394, 404–406, 414, 441, 443–446, 451, 455, 457–459, 461, 464, 466, 468 f., 474, 565 f., 573, 624, 628, 636, 649, 652, 663, 672, 675, 688 f., 692, 728 f., 743 Neuplatonismus 34, 79, 121 f. Neuroästhetik, s. Ästhetik Neuzeit, s. a. Frühe Neuzeit 17, 36, 80, 428, 509, 681 New Aestheticism 4, 66, 800 New Criticism 39, 56, 65 f., 87, 131 f., 172–176, 179 f., 184, 187, 200, 202, 207, 241, 543 New Expansive Poetry 66 New Formalism, Neoformalismus 4, 6, 48, 65 f., 131, 172 f., 181 f., 184 f., 187–189, 191 f., 194 f., 199–205, 207, 537 New Historicism, Neohistorismus 66, 131 f., 184, 192, 227, 573, 628 f. New Journalism 572 New Sincerity 404 New-York-Times-Liste 577 Nichtlinearität 358, 697, 747 f. Node 51 Nomenklatur 115, 585 Norm, s. a. Abweichung, Regel 26, 32, 122, 139, 154, 167, 235, 241, 279, 380, 387, 389, 419, 472, 540, 585, 590 f., 596, 598, 600, 672, 683 f., 687, 704, 718, 720, 723, 726, 743, 750 Normativität, normativity 5, 16, 26, 32, 36, 66, 78, 102, 155, 231, 450, 453, 471, 510 f., 542, 607, 678, 681, 684, 700, 703, 705, 711, 725, 736 Normensystem 380, 391 Normierung, s. a. Standardisierung 26 f., 31, 148, 228, 238, 246, 309, 698 f. Normkontrolle 40 Notar 598, 590, 601 Notation 493, 499, 503, 715, 740 Novelle 125, 131, 144–146, 170, 521, 563, 642–644 Nullfokalisierung, s. Fokalisierung
892
Anhang
Ode 18, 120, 148, 151, 156–158 öffentliches Recht 590 Öffentlichkeit, public 42, 65, 76, 107, 159, 221, 391, 423, 441, 449 f., 466, 535, 542, 555, 557, 595 f., 607, 722, 755 Ökonomie 32, 39 f., 43, 59, 159, 165, 195, 236, 238, 240, 353, 355, 391 f., 401, 462, 476, 534, 621, 625, 629–631, 648, 675, 682, 709 Ökonomie, schöpferische 141 Oktave 144, 157, 715 Ontologie 10 f., 18 f., 22, 30, 53, 60 f., 75, 92, 95, 105, 117, 122, 227–229, 233, 243, 257, 262 f., 267, 271, 307, 339, 400, 408, 502 f., 525, 566, 615, 636 f., 728, 745 f. Open-World Games 749 Oper 43, 120, 249, 703, 718 f., 722 f., 726, 731, 735 Operator-Skopus-Struktur 219 Opojaz (Obščestvo izučenija poėtičeskogo jazyka, Gesellschaft zur Erforschung der poetischen Sprache, Petrograd) 137, 140, 167 opus geminum 368 f. Oralität, s. Mündlichkeit Ordnungsmuster, Ordnungsvorschrift 28, 290, 601 Organisation, gesellschaftliche 163 Organisationsprinzip 147, 342 f., 355, 615 Organon 348, 360 Original, original, s. a. Abweichung, Vorbild, Urbild 17, 21, 27, 32, 34, 53, 95, 149, 204, 229–231, 238 f., 241, 247, 251, 259, 261, 266, 277, 354, 371, 373 f., 379, 394, 491, 508, 670, 725 Originalität, das Originelle 15, 116, 221, 236, 246, 379, 426, 647, 650, 652 origin stories 566 Ornament, ornament 56, 146, 241, 509, 605, 621 Ornatus 542 Panels 320, 555 f., 559, 561, 567–569 Panfiktionalismus, s. a. Fiktion, Fiktionalität, Metafiktion 405, 409 Pansophie 123 paper format 313
Paradigma (Sprachwissenschaft) 244, 257, 262 Paradigmenwechsel 30, 32, 94, 263, 401, 406, 613, 711, 720, 737 Paradoxon 92, 175, 399, 402, 406, 408 f., 465 Parallelismus 142, 540 f., 638 Paralleluniversen 566 parler femme 476, 478–480 Parodie 54, 57, 99, 143, 153, 156, 186, 248 f., 367, 476, 549 Pars-pro-toto-Prinzip 513 Pastiche 99 Pathosformel 433, 437 pattern, s. Muster Pen-and-Paper-Rollenspiel 710 perceptual enabler 342 perfectio vs. imperfectio (Musikwissenschaft) 715 Performance, s. a. Ereignis, Happening 40, 45, 274, 340, 346, 418, 420, 433, 557, 695, 710, 740, 752 Performanz 10, 33, 41 f., 45, 115, 228, 261, 264, 267, 271, 274 f., 277 f., 341, 409, 418, 425, 428, 430 f., 440, 442, 446, 448, 456, 458, 467 f., 543, 615, 697 f., 706 f., 709 f., 713, 730, 742 f., 747 f. Performatismus 404 Performativität 130, 403, 693, 698 Periodizität 315, 318, 727 personal experience narratives 546 personale Erzählsituation, s. Erzählsituation Pfadintegral 561 Phänomenologie, phenomenology 18, 56, 60, 161, 280–282, 636, 638, 741 f., 752 Phantasie, s. Fantasie Philosophie, philosophy 9, 18, 30, 33, 36, 75, 79, 96 f., 112 f., 117, 123–125, 128, 133, 141, 169, 194, 235, 240, 245, 285, 289, 303, 348, 353, 355, 375, 383, 461, 463, 473, 476, 497, 505–510, 513–516, 519, 531, 542, 604, 614, 623, 636, 641, 655, 658 f., 661 f., 678, 752 – analytische 497 – der symbolischen Formen 303, 505 f., 508–510, 513 f. Philosophiegeschichte 75, 658
Sachregister
Phonetik, phonetisches System 147, 149, 219 Phonographie 401 Phonologie 232, 539–541, 544 Phrase (in der Dichtung) 147, 177, 706 Phylakterien 555 Physikotheologie 395 pikaresker Roman, s. Roman Platonizität, platonisch 11, 79, 121 f., 128, 246, 400, 502 Poesie, poetry, s. a. Dichtung, Konkrete Poesie, Poiesis, Romantik 8, 15, 29, 53, 66 f., 87, 94, 96, 98, 117, 119 f., 124 f., 127, 163, 168, 175, 177, 180, 189–191, 244, 295, 348, 354, 359 f., 365, 383 f., 387, 394–396, 430, 519, 542, 614, 616–619, 701, 705 poeta doctus 347 Poetik, poetics, s. a. Form, Literaturtheorie, Modell, Poiesis 16 f., 51, 59 f., 62, 66, 76, 78, 83–86, 92, 94, 109, 116–119, 126, 138, 142 f., 151, 163, 180, 190, 196, 282, 359, 369, 413, 417, 420, 427, 429, 435, 452, 455 f., 542, 614, 617 f., 656, 660, 668, 698, 705, 711 f., 720, 729 – Autorenpoetik 8, 81, 115, 382, 688, 703 – dekonstruktivistische Poetik 57 – formalistische Poetik 62, 166 – frühneuzeitliche Poetik 118, 121 – historische Poetik, Poetikgeschichte 23, 78, 80, 84, 152 – immanente Poetik 57, 234 – klassische, klassizistische Poetik 16, 32, 83 – kognitive Poetik, Cognitive Poetics 286, 291, 293, 302 f., 548 f., 671 – Kulturpoetik, s. dort – linguistische Poetik 539 – realistische Poetik 27, 235, 237 – Romanpoetik 96, 111, 144 – romantische Poetik 29, 39, 83, 190, 480 – Sturm-und-Drang-Poetik, Geniepoetik 29, 114, 125, 613 Poetik der Architektur 616 poetische Funktion (der Sprache), poetic function 54 f., 540 f., 617, 685 f.
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poetische Sprache 33, 63, 127, 137, 139, 141, 149, 167, 413, 477, 481, 539 f., 616 Poetischer Realismus, s. a. Kippmodell 44, 235–237, 681 Poetizität, s. a. Literarizität 30, 232–234 Poetologie, s. a. Wissen 27, 32, 75, 77, 79, 85 f., 89, 96 f., 100, 103 f., 114, 119, 127, 132, 166 f., 248, 348–350, 352–354, 359–361, 366 f., 369, 379, 398, 432, 440, 448, 613, 615, 618 f., 641 f., 645, 647 f., 674, 678 Poiesis 126, 170, 270, 277, 418, 505 poikile historia 349 point of view 569 Polemik 4, 62, 89, 112, 117, 140–143, 161, 186, 289, 448, 461, 730, 754 Politik, politics, s. a. Manifest 4, 7, 20, 26, 30, 32, 40–42, 59, 63, 65, 107, 112, 120, 129, 131, 157 f., 165, 172, 177, 184, 187–192, 195, 206, 240, 352, 370, 391, 403, 415 f., 418–423, 425, 433 f., 440 f., 444, 449–452, 455, 459–462, 468 f., 474, 494, 498, 501, 536, 541 f., 555 f., 570 f., 573, 622, 625, 648, 653, 730, 752 Politikwissenschaft 139 Pop-Art 627 Populärkultur, Alltagskultur, Gegenkultur, Massenkultur, Subkultur, Trivialkultur 32, 43, 127, 181, 570, 572 f., 575 f., 623, 680, 682, 685, 687 f., 691 f., 753 Populärliteratur 567 Pornographie 345, 687, 692, 756 porphyrischer Baum 355 Positivismus, s. a. Logischer Positivismus 138 f., 154, 162, 165 f., 242, 406, 461, 501, 635 f. postklassische Erzähltheorie, s. Narratologie Postkolonialismus 333, 476, 548, 579 Postmoderne 18, 109, 130, 273, 401–410, 418, 524 f., 612, 692, 736, 743 Poststrukturalismus 26, 188, 227, 262, 288, 356 f., 403, 405, 471, 481, 525 Potenzialität, in potentia, potentiality, s. a. Möglichkeit 101, 104, 206, 228, 247, 255, 265, 279, 282 f., 293, 403, 531, 574 Practical Criticism 246, 543 Prager Schule, s. Strukturalismus
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Anhang
Pragmatik 11, 33, 40, 53 f., 116 f., 122, 126, 156, 186, 226, 228 f., 232 f., 236 f., 242, 256, 261 f., 275, 277, 280, 349, 351, 356 f., 402 f., 458, 499, 539, 544, 547 f., 609, 616, 618, 741 – linguistische 547 Prägnanzgesetz 638, 644 praktische Sprache, s. a. Alltagssprache 63, 139, 141, 154 Präsenz 50, 55–57, 171, 343, 403, 478, 523, 525 pre-imitation, s. Imitation Problemgeschichte 68, 111, 168 f. prodesse und delectare 369 Programm 315 f., 321, 352, 354, 359 Programmatik 140, 297, 315 f., 318–320, 347, 353 f., 356, 382, 387, 441–443, 446, 448, 451 f., 458, 460, 465, 474, 731, 734 Programmschrift, s. a. Manifest 140, 382, 447, 451, 454–458, 467, 469 Propaganda 163, 174, 192, 462, 671 Proportion 78, 80, 86, 146, 230, 711, 714–716 Prosa, Prose, prose 4, 30, 96, 98, 113, 120, 124, 127, 142, 145–148, 150 f., 156, 158, 292, 326, 330, 339, 348, 359, 365, 368 f., 383, 437, 450, 546, 603, 614, 647, 650 f., 691, 706, 731 f. – ornamentale bzw. sujetlose Prosa 146 Prosatheorie 147 Prosimetrum 368 f. Prosodie 54, 149, 189, 219, 292 Protest 146, 626, 630 Protestantismus 425, 435, 557, 717 Prototyp 222, 230, 238, 266, 293, 366, 369 f., 375, 379, 446, 540 f., 545, 549, 644 Prototypentheorie 549 Prozessrecht 591, 593 Psychoanalyse 182, 187, 423, 471, 473–475, 478, 645, 735 Psychologie, psychology 15, 21, 36, 87, 127, 139, 141, 167, 177, 186, 280, 285, 289 f., 293, 301–303, 312, 324, 568 f., 622, 636 f., 641, 643, 647, 649, 651, 654, 657–668, 674, 676, 678, 752 – kognitive Psychologie, cognitive psychology 660, 667
Psychologisierung 35, 300, 615 psychophysischer Parallelismus 638 Publikum, s. a. Rezeption 42 f., 51, 55, 129, 165, 251, 342, 345, 381, 386, 557, 562 f., 565, 567, 570, 573 f., 656, 682, 698–700, 708 Publizistik 162, 317, 642 Quantenphysik 561 queer, queerness 187 f. Querelle des Anciens et des Modernes, s. a. Moderne 98, 124, 246 Rahmen, Rahmung, frame (Bildwissenschaft) 47, 297, 311, 568, 555, 569 Rahmenbedingungen, Bezugsrahmen, s. a. frame 201, 219, 279, 316, 322, 453, 720, 728 Rahmengeschichte, Rahmenerzählung 108, 142, 344 Ratioïdes vs. Nicht-Ratioïdes 652 Rationalität, Rationalisierung, Rationalismus 34, 46, 57, 121, 192, 235–237, 240 f., 252, 285, 400, 407, 409, 417, 460, 467, 472, 474, 479, 494, 496, 503, 514, 615, 651, 653, 712 Rationalität der Form 515 Raum, space, s. a. Chronotopos 20 f., 44 f., 67, 75, 104, 109, 111, 126, 150, 186, 190, 219 f., 228, 230 f., 244, 255, 264, 275, 290, 294, 310–312, 324 f., 328, 340, 358, 385, 387, 390 f., 394, 396–398, 426, 429, 465, 479, 510, 532, 535, 537, 542, 545, 554, 562, 568, 567, 576, 607, 615 f., 639, 646, 663, 665, 689, 705 f., 714, 727, 733, 738–740, 742 f., 751 – fiktiver Raum, Fiktionsraum 410, 615 f. – imaginärer Raum 387, 389, 393, 475 – kultureller Raum, Kulturraum 6, 312, 316 – Lebensraum, Erlebnisraum, Erfahrungsraum 275, 278, 417, 616, 649, 743 – Möglichkeitsraum, Modalraum 19, 50, 52, 228, 258, 320–322, 381, 400, 739
Sachregister
– Naturraum 389 – profaner Raum 628, 688–690 – Raum in der Musik 742 f. – Raumerfahrung, Raumwahrnehmung, Raumgefühl 615, 742 – Raummetapher 106 – sozialer Raum 312, 426 – virtueller Raum 312, 409, 746 Raum-Zeit-Verhältnis, s. a. Chronotopos 23, 104, 220, 324 f., 340 f., 383, 387, 393, 396, 398, 465, 542, 562, 568, 706, 742 Reale, das 19, 40, 50, 229 f., 233, 235, 263, 399 Realismus, s. a. Poetischer Realismus 63 f., 127, 129, 145, 152, 163, 235–237, 400 f., 403, 405–407, 506, 525, 532, 681, 691 – sozialistischer 63 Realismusstreit, s. a. Formalismusstreit 63 Realität und Idealität, s. a. Wirklichkeit 278, 280, 385 Recht 39, 139, 221, 314, 507, 583–593, 595–603 Rechtfertigung 283, 383, 431, 605 Rechtsform 586, 589 Rechtsformalismus 591 Rechtsgemeinschaft 585, 603 Rechtssicherheit 583, 596–598, 602 f. Rechtssprache 585 Rechtswissenschaft, Jurisprudenz 139, 314, 493, 495, 536, 583, 585–591, 593, 596, 600, 603, 651 récit (Musikwissenschaft) 719 récit vs. narration 341 Redevorstellung 145 Reenactment 710 Referenz, reference 17, 29 f., 54, 56, 173, 181, 200, 204, 206 f., 213, 222 f., 254, 257, 262, 270–275, 280, 370, 401, 403, 406, 408–410, 445, 458, 487 f., 500, 522, 532–534, 615 f., 682, 685, 689, 692, 749, 751 – Metareferenz 408–410 – zirkulierende Referenz 534 Referenzeffekt 204 Reflektorfigur, reflector 323, 327, 329 f., 342
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Regel, Regelung, rule, s. a. Norm, Spielregel 7, 24, 26 f., 29, 52 f., 81, 89, 91, 97, 110, 115 f., 122 f., 148, 213, 228, 231, 246, 254, 277, 279, 290, 292, 307, 312, 318 f., 321, 359, 369, 374 f., 378, 385, 391, 395 f., 422 f., 432, 492, 495, 499, 520, 540, 550, 560, 584, 595 f., 600, 644, 650, 675, 683, 686, 697, 699 f., 699–701, 703, 713–715, 718–721, 725 f., 728, 736, 740, 746, 749–750, 754, 756 f. – Beweisregel 593 – Transformationsregel 268, 544 – Valorisierungsregel 749–751, 757 Regelkreis 233 Regelpoetik 27, 29, 96, 117, 123, 222, 246, 382, 396, 686, 699, 702, 704 f. Regelsystem 117, 715, 719 f., 746, 749 Regietheater 45 Reichskammergericht 592 Reihe, literarische, rjad, s. a. Text 151, 157 Reim, Reimschema, rhyme 4, 66, 87, 113, 118, 120, 151, 198, 233, 540 f. Reinheit 21, 60, 115, 368, 383–385, 389–391 – der Gattungen 115, 368, 384 – formale Reinheit 382 – tugendhafte Reinheit 389, 391 Reinheitsideal 385 Reinigungsarbeit 389, 391, 395 f. Rekonstruktion 21, 112, 251, 254, 269 f., 408–410, 454 Rekursivität, Rekursion, s. a. Wiederholung, Steuerung 49, 229, 274, 283, 497 Relatedness 340 Religioide, das 425 Religion 7, 41 f., 92, 98, 139, 153, 333, 389, 413–417, 420–427, 429, 431–434, 507, 509, 533, 542, 555, 614, 622, 645, 648, 655, 702, 742 Religionswissenschaft 416 f., 422 Remodellierung, remodelling, s. Modellbildung Replikat 230 Repräsentation, representatio, representation 11, 13, 22, 29 f., 33, 118, 122, 189, 216, 231 f., 237, 242 f., 246–248, 255, 258 f., 261 f., 265 f., 269–274, 277–280, 295, 298, 300, 324 f., 336, 355, 357, 401–404,
896
Anhang
406 f., 409, 456, 472, 531 f., 546, 548, 572, 579, 614, 616, 681, 708, 715, 748, 750, 754–756 – Krise der Repräsentation 403, 406, 409, 572 – mentale Repräsentation 30, 270 – symbolische Repräsentation 270 res und verba 117 resemblance, s. a. Ähnlichkeit, vraisemblance 242 Resonanz, s. a. Stimmigkeit, Adäquatheit 10, 613 Revision (Rechtswissenschaft) 595, 599 f., 602 Revolution, revolution 30, 38, 59, 65, 154, 159 f., 287, 289, 309, 441, 450 f., 455, 459 f., 462 f., 468, 474, 477, 521, 525, 734, 737 – geistige Revolution 442, 460 – französische Revolution 309, 449, 525 – wissenschaftliche Revolution 38, 459 Rezeption, s. a. Publikum 19, 30, 37, 42, 55, 81, 106, 110, 165 f., 192, 214, 224 f., 228, 234, 238, 268, 273, 282, 285, 297, 427, 549, 559 f., 562, 575, 578, 617, 642, 673, 680, 683, 687, 690, 692, 747 Rezeptionsästhetik, Rezeptionstheorie, s. a. Wirkästhetik 38, 78, 82, 106, 271, 282, 382, 418 Rhetorik, s. a. Figur 14, 26, 32, 36, 44, 51, 57 f., 76, 78, 87, 97, 116–118, 124, 126, 147, 153, 158, 164, 173, 181, 187 f., 203, 228, 231 f., 237 f., 251, 293, 323, 359, 365, 369, 373–375, 382 f., 395 f., 398, 428, 438, 450 f., 454, 458, 469, 495, 500, 517, 520, 522, 539 f., 542 f., 550, 600, 617 f., 656, 668, 712, 717 f., 720 – systematische Rhetorik 540 Rhizom 109, 357 f. Rhythmus 46 f., 86, 90, 108, 147–151, 154, 435, 439, 475, 478, 480, 615, 713, 715 f., 718 f., 731, 733–735, 738 f. Richter 588 f., 593, 595 f., 598, 605 Ritual, Ritus 41 f., 89, 368, 413–439, 506, 614, 654 f., 712 f. – ästhetisches Ritual 429 – kulturelles Ritual 424
– leeres Ritual 419 – Opferritual 424 – religiöses Ritual 41, 422 f., 426 f. Rollenspiel, role play 431, 576, 710, 748 Roman, novel, s. a. Graphic Novel, Poetik 41, 93, 95–104, 107–111, 116, 120, 122 f., 127, 142, 144 f., 153 f., 156–158, 169 f., 180 f., 207, 248, 296, 298, 323, 325–330, 332, 334–336, 338–340, 347 f., 353, 361, 479, 520 f., 545, 563, 565, 571 f., 574–576, 578, 614 f., 642, 645–647, 653 f., 684–686, 692, 731, 748 – absoluter Roman 100 – Briefroman 99, 156 – enzyklopädischer Roman 352 – Fortsetzungsroman 558, 574 – frühneuzeitlicher Roman 170 – griechischer Roman 565 – Künstlerroman 99 – Phantasie des Romans 108 – pikaresker Roman 558 – romantischer Roman 29, 98 f., 101 Romanform 97, 100–102, 108 Romanpoetik 96 f., 111, 144 Romantheorie als Formdiskurs 95, 99 f., 102, 128 Romantik, s. a. Ironie, Roman 18, 22, 27, 83, 89, 96–101, 115, 124 f., 127, 129, 137, 139, 145, 152, 190, 235, 347, 359, 361, 378, 382, 387, 400, 406 f., 425, 430, 432, 434, 451, 469, 479 f., 525, 658, 681, 703, 727, 729 f., 744, 756 – Frühromantik 97, 430, 432, 658 romantische Poesie, s. a. Universalpoesie 97–99, 124, 130, 359, 383, 430 Römisches Recht 591–593 Rückbildung, s. a. back-formation 173, 203–205 Russischer Formalismus, Formale Schule 4, 8, 59 f., 63, 87, 112, 131, 137–141, 143, 153–155, 159–161, 163, 166–168, 171, 325, 543, 627 Sachtext, s. a. Gebrauchsliteratur 545 f. Satire 98 f., 120, 125, 146, 340, 348, 350–352, 450, 557, 563 – enzyklopädische Satire 352
Sachregister
Schedelsche Weltchronik 556 Schein (ästhetischer) 53, 126, 224, 230, 278, 394, 406, 413, 622 f. Schema, schema 6 f., 9, 49, 113, 127, 143, 151, 158, 160, 244, 246, 250 f., 258, 268 f., 286 f., 292 f., 295–297, 312, 315, 341, 420, 463, 488, 490–492, 496, 509, 526, 549, 651, 657, 665, 675 f., 680, 684, 697, 708 f., 720 f., 728, 739 – image schema 286 f., 292 schema theory 549 Schemaliteratur 684 Schenkung 601 Schluss, Schließen (Logik) 7, 10, 489–492, 494–497, 661 – aussagenlogischer Schluss 490, 492 Schönheit, das Schöne, beauty 7, 10, 12, 14, 20, 32, 38, 77, 80, 82 f., 121 f., 126, 138, 176, 191–195, 199, 249, 311, 367, 373 f., 380, 389, 391–393, 397, 414, 443, 534, 542, 620 f., 624, 686, 707, 736 – anhängende, pulchritudo adhaerens 620 – freie, pulchritudo vaga 620 Schönheitslinie 38, 249 Schreibweise, Schreibart, s. a. Stil 44, 95, 98 f., 119 f., 197, 347 f., 356, 368, 396, 475, 542 Schriftbild, Schriftbildlichkeit 714, 727 Schriftform 589 f., 592, 595, 601 f. Schriftlichkeit 156, 202, 365, 379, 381, 536, 555, 569, 589–592, 595, 599, 713 Schrifttypen 567 Schriftzeichen 31 Schule (Erziehungseinrichtung) 367, 376, 413, 428, 578 Schule, Formale, s. Russischer Formalismus, Prager Strukturalismus Schulen, Schulung (akademische, künstlerische, literarische), s. a. Frankfurter Schule, 56, 123, 130, 140 f., 153 f., 160, 165, 167, 173, 246, 268, 286, 302, 350, 365, 395, 420, 436, 473, 493, 542, 583, 605, 643, 636 f., 657, 659, 717, 726, 729 f., 739, 753, Schulfuge, s. Fuge Science Fiction, SF 574, 615, 692
897
Script, s. Skript Seele, s. a. Metapher 9–11, 34, 36, 79, 82, 128, 146, 162, 371–373, 390, 442, 457, 508, 648, 651 f. Seelenvermögen 622 Selbstsorge 391 Semantik, semantics 8, 18, 25 f., 29 f., 46, 51, 55–57, 65, 75, 78, 112, 115, 130, 132, 147, 151, 167–169, 172, 178, 180 f., 184, 187, 190, 192, 214, 219, 221 f., 227, 232–235, 237, 241 f., 244, 255–258, 266–269, 277, 355 f., 358, 389, 407, 417, 424, 431, 434 f., 437, 492 f., 498 f., 537, 539–541, 549 f., 567, 614–616, 635, 654, 658 f., 667, 688, 713, 732 f., 743, 746, 749, 753, 756 – der Form 8, 25, 30 – scheinbare Semantik, kažuščajasja semantika 151, 168 Semiotik, Semiose, semiotics, s. a. Zeichentheorie 18, 30, 37, 51, 164, 166, 189, 227, 234, 248, 257, 266–271, 274 f., 355 f., 358, 402 f., 407, 435, 477 f., 480, 567, 578, 618, 685, 688, 746, 752 f. Semiotische, das 477–480 sensible, le, the sensous 56 f. Sensualismus 34, 637 sentimentalisch 128, 391 Sentimentalismus 156, 162 sentiment intérieur 463 f. Sequenz, sequence 30, 51 f., 233, 343, 423, 425, 545, 553, 556 f., 561, 578, 746, 748 Sequenzialität 219, 546, 553, 555, 558 Serapionsbrüder, Petrograder 137, 159 Serialität, Serialisierung 50, 107, 256, 264, 314, 317, 319, 435, 553, 558, 562, 564–566, 684–686, 693, 739–741 serials, s. a. series 48, 562 Serie 108, 231, 313 f., 317–320, 537, 564–566, 574, 576, 683–687, 693, 739–741 – Episodenserie 319, 685 – Fortsetzungsserie 685 f. – TV-Serie 313, 537, 574, 576, 687 serielle Musik 107 serielle Texte 558, 565 f. series, s. a. serials 48, 562
898
Anhang
Serious Games 753 Sexualität 345, 376, 473, 476, 565, 570, 756 shape 11, 132, 196, 251, 290, 340 Short-Cuts-Verfahren 686, 691 Simulakrum 201, 230, 266, 272, 404, 408 Simulakrum (Baudrillard) 273 Simulation, Simulieren, simulation 229 f., 242, 260, 265, 271–274, 403 f., 406, 568, 616, 667, 748, 750, 755 f. Sinn, s. a. Möglichkeit 4, 9, 15, 20, 33, 35, 37, 41, 52, 55–58, 61, 64, 86, 89, 95, 103, 106–108, 142, 123, 169 f., 172–174, 182–184, 194–196, 213, 229, 236, 245, 249, 254, 262, 279, 291, 320–322, 407, 409, 418 f., 426, 430, 476, 500 f., 504, 508 f., 522, 525, 644, 652, 743 Sinnerwartung 200, 225 Sinnkritik 55 sinnliches Erkennen 34, 471 Sinnlichkeit, das Sinnliche 8, 10, 34 f., 67, 75, 118, 126, 175, 192, 243, 245, 247, 249 f., 314, 471, 477, 506, 508 f., 513–515, 584, 586, 588, 593, 612, 619 f., 623 f., 648, 651, 659, 675, 680, 727, 732 f., 743 Sinnschöpfung 652 Sinnstiftungsfunktion 384 Sittlichgute, das 7 Sittlichschöne, das 7 Sitz im Leben 126 Skalierung 613 skaz 145 f. skill 756 Skript, script, playscript 37, 297, 312, 341, 418, 673 Skulptur, sculpture 311, 421, 432, 561, 609 f., 612, 742 Sonatenform 721, 723–729, 731, 733 Sonett, sonnet 18, 113 f., 116, 125, 144, 177, 189, 198, 253, 549, 682 Sophisten 600 Sozialverhalten 753 Soziologie, sociology 87, 115, 127–129, 139, 215–217, 238–240, 303, 312, 425, 626, 733, 751 f. spatial turn 44
Spannung, Anspannung 15, 44, 49, 53, 65, 89, 92, 98, 101 f., 110, 115, 158, 169 f., 172, 175, 179, 187, 190, 234 f., 238, 280, 295, 385 f., 400, 421, 428, 431, 558–560, 562, 570, 598, 600, 602, 628, 687, 698, 728 f., 738 Spiel, s. a. Computerspiel, Gaming, Sprachspiel 33 f., 51–53, 56, 106, 145 f., 176, 206 232, 271, 275–288, 309, 344 f., 418, 431–433, 435 f., 492, 503, 557, 574 f., 611, 616, 626, 620, 700, 708, 722, 735, 745–757 – Konsequenzlosigkeit von Spielen 750 – liturgisches Spiel 431 Spiel im Spiel 345 Spiel und Wissenschaft 278 Spielfigur 746, 750 Spielformen 106, 109, 746, 749 Spielregel 108, 110, 453 Spieltrieb 13, 243, 256, 693 splash panels 568 Sprache, literarische, Sprache in ästhetischer Funktion, s. a. Kunst 161, 167, 192, 225, 291, 300, 381, 402 f., 480, 657, 659 Sprachgebärde 20, 130 Sprachkonstruktion, dynamische 155 Sprachnorm 540, 585 Sprachphilosophie 33 f., 289, 470, 510, 542, 659, 661 Sprachspiel, s. a. Spiel 33, 145, 205 f., 503 Sprechakt 116, 176, 197, 201 f., 228, 459, 547 Sprechakttheorie 547 Sprechblasen 554 f., 558, 567 Sprechgattung 165 Sprechinstanz 176, 200 f., 204 Spruchbänder, Spruchbanner 555 f. Spürbarkeit (oščutimost’) der Form(en) 140 Staat 20, 119, 423, 432, 586, 590, 592–595, 597 f., 600, 602 f. Staatsanwalt, Staatsanwaltschaft 591, 594, 597 Staatsbürgerschaft 594 Standardisierung, s. a. Normierung 26, 31, 217, 246, 257, 309–313, 535–537, 544, 558, 720
Sachregister
standard you-form 334 Stegreiftheater 699 Stereoskopie, Stereographie 531 f., 534–537 Steuerung, s. a. Kontrolle 11, 17, 19, 26–29, 31, 40, 51, 53, 60, 227 f., 231, 234, 237, 239 f., 247, 255, 260, 263, 265 f., 270 f., 278 f., 281 f., 389, 469, 544, 564, 568, 576, 665, 670 – geteilte Steuerung 28, 51, 228 – immanente Steuerung 29 Steuerungsprinzip des Literarischen 233 Stil, style, s. a. Schreibweise 9 f., 36–39, 44, 48, 87, 98, 118, 126, 131 f., 138, 142 f., 145–148, 153, 155, 178, 184, 188 f., 195, 213, 222, 225, 231, 235, 237, 293, 242, 259, 273, 319, 351, 369, 396, 495, 539, 541 f., 544, 561, 604, 625, 656, 685, 708, 711, 718–721, 726, 729, 736, 740, 743 – Denkstil 36, 231, 273 – Epochenstil 36, 87 – Gruppenstil 36 – Personalstil 36, 740 Stilbegriff 37 f. Stilfigur 540, 542 f., 545 Stilform 242 Stilgemeinschaft 682 f., 685–689 Stilgesetz 8–10, 36, 69 Stilistik, s. a. Kognition 36 f., 121, 145 f., 225, 261, 286, 293, 450, 519, 539 f., 542–544, 547 f., 550 f., 564, 569, 645, 656, 711, 743 – Deviationsstilistik 540, 543 – formalistische Stilistik 543 – generative Stilistik, generative stylistics 544 – Individualstilistik 542 – kognitive Stilistik 539 – normativ-didaktische Stilistik 542 – pragmatische Stilistik 547 Stilmittel 293, 495, 500, 557 Stimme, s. a. Mehrstimmigkeit 335 f., 367, 427, 475, 716, 718 Stimmigkeit, s. a. Adäquatheit, Resonanz 9, 44, 119, 137, 284, 273, 560, 613, 711, 726 Stoff, das Stoffliche, s. a. Form und Stoff, Material, Materie 7, 9–15, 28 f., 34 f., 48,
899
56, 75–80, 82 f., 86, 93, 103– 106, 113, 117, 121, 124, 129, 147, 184, 190, 243, 245, 262, 307, 309, 354, 360 f., 367, 369 f., 382, 384, 409, 434, 466, 587 f., 611, 618, 622, 642, 652, 702, 704, 706, 708–710 – genialer Stoff 15 – innerer Stoff 15 Storyline 48, 51, 616 Storyworld 36, 44, 297, 325, 615 f., 755 Strafe, Bestrafung 377, 586, 591, 597, 655 Strafprozessordnung 591, 599 Strafverfahren 594–596, 599, 601 f. Strengbeweisverfahren 596 Strukturalismus, struktural, structuralism 4, 18–21, 26 f., 29 f., 40, 51, 62, 87, 95, 114, 130, 137, 155, 159 f., 189, 227 f., 233, 237, 242, 251, 253, 262, 267 f., 273–276, 278, 296, 346, 356, 401 f., 515, 543, 631, 664, 684, 691 – französischer Strukturalismus 251 – Prager, tschechischer Strukturalismus, Prager Schule 62, 87, 543, 664 – strukturalistische Erzähltheorie 346, 356 Stufenbau in Erzählungen (stupenčatoe stroenie) 142 Sturm-und-Drang, s. a. Genieästhetik, Geniezeit, Goethezeit 29, 44, 81, 122, 125, 221 f., 613, 700 Subjektivierung 26, 36, 221, 395 Subjektivismus 421 Subjektivität 18, 36, 38, 53, 59, 80, 98, 127, 138 f., 149, 182 f., 226, 242, 301, 327, 402, 405, 407–409, 413, 415, 417, 420 f., 427, 430, 435–437, 441, 458, 465, 467–469, 500, 511, 542, 560, 569 f., 572, 620, 626, 638, 669–671, 673 f., 677, 704, 748, 756 Sujet 23, 30, 51, 122, 142–147, 153, 228, 234, 236, 518, 616 Sujetfügung, sjužetosloženie 142 f. sum-over-histories 561 Superhelden 564–566, 573, 576 Symbol, Symbolik, symbol 7, 9, 20, 26, 50, 54, 178, 196, 217, 224, 235 f., 239, 263, 270, 272, 277, 295, 300, 403 f., 422, 424,
900
Anhang
427, 429, 431, 437, 459, 462, 475, 505 f., 508, 511, 532 f., 571, 589, 665, 667, 712, 715, 734, 737 Symbolik, historische 20 symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien, s. Medien Symbolische Form(en), symbolische Formung 35 f., 83, 115, 303, 421, 505–510, 513–515, 533, 718 f., 730 symbolische Ordnung, das Symbolische (Lacan) 471–480, 506 symbolische Prägnanz 508 Symbolisierung 217, 236 f., 270, 472, 506 Symbolismus, Symbolisten 138–140, 147, 151 f., 434, 477, 480, 733 Symbolsystem 214, 223 f., 232, 511 Symmetrie, Asymmetrie 29, 150, 183, 194 f., 198, 219, 615, 638, 675, 728 Synästhesie 176, 243, 742 Synchronie, Asynchronie, s. a. Diachronie, Zeit 30, 155, 219, 324, 455, 688 Synonymie, Synonym 25, 38, 90, 142, 156 f., 242, 244, 276, 407, 541, 544, 588, 708 Syntagma 30, 232, 257, 540, 685, 714 Syntax 21, 67, 145, 147, 163, 219, 232, 242, 316, 475, 478, 497, 539 f., 543 f., 549, 659 Syntax (Musikwissenschaft) 712, 718, 725 f., 732, 734 System, system, système, s. a. Gattungssystem, Kunstsystem, Literatursystem, Regelsystem, Symbolsystem, Zeichensystem 8, 10, 24, 27, 37, 40, 43, 46, 49, 51, 53, 55 f., 59, 88, 97, 105, 112, 121, 126, 137, 150, 155–158, 168, 193, 198, 213–223, 230 f., 235, 238, 242, 244, 246 f., 251, 254, 254, 259 f., 266 f., 270, 272 f., 275–280, 293–295, 300, 352, 355–360, 366, 401, 403, 406 f., 420, 429, 454, 468, 478, 491 f., 505, 507, 510 f., 533, 535, 548, 586, 612, 630, 647, 660, 664, 666, 670 f., 732, 749 f. – formales System, formal system, Formsystem 62, 242, 268 – Informationssystem, informationsverarbeitendes System 50, 289, 667
– kognitives System, Denksystem 670, 709 – Kommunikationssystem, communication system 50, 213 f., 656 – kulturelles System 132, 510, 514 – literarisches, poetisches System 158, 221, 251, 278, 454–456, 468, 652 f. – Modellsystem, modellbildendes System, sekundär modellbildendes System, s. a. Modellbildung 232, 264, 276 – phonetisches System, System des Intonierens, System der Lautzeichen 147–149, 510 – psychisches, seelisches System 217, 225, 651 – soziales System 63, 213 f., 216–219, 221 f., 225 – Sprachsystem 149, 220, 402 Systematik, Systematisierung, Systematizität, s. a. Gattungssystematik 5 f., 8, 11, 16, 23–27, 94, 97, 112, 114, 121, 127, 137, 159, 288, 294, 347, 349, 356, 359, 382, 384, 389, 393, 402, 423, 434 f., 450, 488, 491–493, 497, 508, 510 f., 533, 540, 543, 644, 657, 664, 668, 682, 698, 746 système de renvois 357 Systemrhetorik 117 f. Systemstellen, s. a. Umbesetzungen 15, 18, 37, 58, 116, 156, 230, 560 Systemtheorie 22, 26, 28, 156, 213, 216, 221, 223–225, 227, 310, 538 Tableau 564, 731, 739 Tatsachenforschung 138 Täuschung 53–55, 273, 290 Taxonomie 16 f., 299, 350, 545 f., 746 Technik (Dramentheorie) 250, 704 f., 708 Technik, Medientechnik, Technologie, Technikwissenschaft, s. a. Medientechnologie 11, 26, 30, 40 f., 46, 49–51, 78, 80, 163, 170, 215–217, 219, 227, 229, 231, 241, 252, 255, 264, 269, 272, 279 f., 302, 307 f., 311, 313, 316, 319, 331, 358, 532 f., 535, 565, 624 f., 664, 666, 720, 752, 756
Sachregister
technische Reproduzierbarkeit 400, 406 Teil-Ganzes-Relation, s. a. das Ganze, Ganzheit 22, 39, 78, 88, 175 f., 360, 508, 514, 560, 613, 637, 645, 650, 652, 654 f., 667, 713 telling vs. showing 326 Temporalität, Temporalisierung, s. a. Zeit 41, 49, 103, 131, 186, 239, 263, 265, 274 f., 341, 426, 440, 442, 545, 565, 733, 805 Tendenziosität 199, 444, 555 Teppich von Bayeux 552, 556 Testament 590, 599 tetraktys 715 f. Text, schreibbarer, texte scriptible 356 Text und Bild 51, 559, 577 f. Textanalyse 117, 153, 174, 177 Text-Architektur 44, 619 Textform 49, 64, 178, 358, 440 f., 444, 449, 451, 590 Textlinguistik, Textsortenlinguistik 213, 545 f., 548, 551 Textreihe, gattungsbildende Reihe, s. a. Reihe 453–455, 468 Textsorte 96, 185, 214, 312, 366, 375, 444, 448, 451 f., 467, 546, 558 f. Texttyp 323, 539, 545 Textur, texture (Literaturwissenschaft) 44, 66, 174, 235 f., 357, 737 Textverfahren, s. Verfahren Textwelt, text world 288, 296 f. Theater, theatre, s. a. Regietheater 4, 34, 42, 45–48, 55, 122, 124, 126, 273, 293, 326, 335, 341, 418, 421 f., 425 f., 432 f., 439, 448, 547, 568, 595, 615, 630, 697–703, 706–710, 742, 752 – absurdes Theater 293, 547 – episches Theater 432, 709 – formalistisches Theater 45 – postdramatisches Theater 45, 710 Theatertheorie 122, 697 f., 700 f., 703 Theatralität, Theatralisierung 46, 48, 122, 273, 422, 425, 595, 698, 708 f. Thematik 5, 160, 288, 671 Theory of Mind (ToM) 298 they-narratives (Erzählungen in der 3. Person Plural) 337
901
Topik 36, 51, 488, 493 Topos, Topologie 44, 65, 228, 244, 349, 371, 390–392, 394, 396, 515, 673, 733, 739, 741 Totalität, totality, s. a. Formtotalität 39, 45, 62, 99 f., 103, 185 f., 221, 348–351, 354–357, 441, 446, 452, 568, 651 – enzyklopädische Totalität 349, 356 – kanonische Totalität 350 – schlechte Totalität 62 – Seinstotalität 102 Totalitätsanspruch 348 f. Tradition, literarische, Traditionalität, preemstvennost’ 115, 153 Traditionalismus, literaturwissenschaftlicher, Traditionspermanenz, Traditionsverweis 154, 433, 735 Traditionsbegriff 160 Tragödie, das Tragische 44 f., 113 f., 119, 121, 123 f., 169, 345, 417, 424, 433 f., 698–700, 702, 718 Tragödie der Kultur 626 Transfiktion, s. a. Fiktion, Fiktionalität 233, 267, 279, 282 Transformation, transformatio, transformation 11, 17 f., 26, 40, 45, 47–49, 53, 95, 143, 149, 185, 216, 219, 237, 243 f., 254, 258, 261, 363, 265, 268, 317, 357, 379, 382–384, 386, 394, 451, 455 f., 458, 467, 469, 511, 513 f., 520, 526, 532–534, 537, 533–544, 615, 622, 711, 719, 729, 732, 734, 738, 740 f., 743 Transformationsgeschichte 383 f. Transformationsgrammatik 543 transmentale Sprache, zaum’ 138, 140 Transposition, transpositio 17, 119, 237, 243 f., 292, 353, 375, 386, 637, 654, 687 Transzendentalpoesie 97 transzendente Literatur 402 f., 406–410 Transzendenz 21, 75, 405–409, 417, 713, 742 Transzendenzkritik 408 Trennungserfahrung 391, 397 Triebökonomie 235 Triptychon 433, 555 Trivialkultur, s. Populärkultur Trivialliteratur 156
902
Anhang
Tropik, Trope, s. a. Bild (Tropus) 26, 44, 188, 228, 237, 240, 251, 264, 267, 517, 542, 618, 714 Tropologie 25, 28 Tugend 370 f., 373, 379 f., 386, 388 f., 391, 700 Tugendform 386, 391 Tugendideal 389 TV-Serien, s. Serie Typologie 5, 23 f., 36, 95, 130, 217 f., 268, 350, 422, 450, 453 f. Typenkreis (Erzähltheorie), s. a. Erzählsituationen 326 f., 330, 332, 334, 336 Typus, type, s. a. Erzählsituationen, Prototyp 8, 13, 26, 114, 123, 125, 127, 129, 144, 176 f., 185, 204, 207, 223, 234, 244, 251 f., 279, 286, 293, 311, 331 f., 349, 351, 355, 379, 424, 464 f., 517, 535, 546, 635, 651, 656, 668 f., 719, 722 f. Überbietung, s. a. Emulation, aemulatio 8, 17, 62, 89, 221, 243, 258, 353 f., 358, 367, 426, 687, 733 Übersetzung 55, 75, 119, 121 f., 140, 219, 230, 243, 276, 318, 358, 435, 445, 516, 592, 601, 603, 660, 662, 667, 699, 714, 736, 739 Umbesetzungen 156 Underground Comix, s. Comics Unförmigkeit, s. a. Formlosigkeit 15, 78, 101 Unheimliche, das 18, 235, 615 Universalgeschichte 311, 524 Universalismus 195, 353, 356, 452, 536 Universalität, Universalien 294, 359, 361, 424, 449, 535 f., 614 Universalliteratur 357 Universalpoesie, progressive, romantische 97, 124, 359 f., 382 f. Universalwissenschaft 359 f. Universum 93, 353–355, 718 unmarked space (Systemtheorie) 311 unnatürlicher (bzw. unmöglicher) Erzähler, s. Erzähler Unterhaltung 557, 736 Unverständlichkeit 393, 440 f., 478, 650, 654, 659, 688, 691 unzuverlässiger Erzähler 345
Urbild 34, 247, 354, 373, 394 Urteil, Entscheidung 51, 75, 227 f., 231, 254, 261, 318, 590–592, 595, 599–602, 620, 665, 686 ustanovka, s. Intention Utilitarismus 162, 164, 192 Utopie, s. a. Dystopie 120, 240, 357, 372, 379–381, 438, 465, 475, 478, 526, 614 f. Variabilität, Variation, varietas 19, 31 f., 42, 50, 78, 92, 234, 321, 366, 369, 452–454, 463 f., 508, 511, 543 f., 583, 610, 641, 644, 664, 669, 671, 675, 677, 683–685, 687, 701, 716, 721–723, 726, 731, 735 f., 738 Varianten, Varianz 19, 24, 77, 84, 119, 215, 234, 238, 241, 518, 589, 614 f., 687 V-Effekt, s. Verfremdungseffekt Verbrauchsliteratur 571 Verfahren, priёm (Literaturwissenschaft), s. a. Form 22, 27–30, 38, 47, 49, 54, 62, 68, 93, 130, 137 f., 140–145, 151–158, 162, 165, 168, 170, 221, 228, 233–238, 242 f., 248, 255, 269, 272, 277, 282, 300–303, 350, 355, 359–361, 370, 380, 389, 394, 427, 440, 454, 456, 467, 477, 520, 617 f., 622, 627 f., 690 f., 697 Verfahren (Rechtswissenschaft) 590–599, 601 f. Verfahrenshandlung 596, 601 Verfahrensrecht 592, 596, 598 f., 601 Verfahrenszwang 594, 597, 599 Verfassungsrecht 590 Verfremdung, ostranenie, s. a. Abweichung, Deformation 18, 54 f., 63, 101, 141, 148, 166 f., 241, 295, 335, 569, 573, 622, 627, Verfremdungseffekt, V-Effekt 53, 55, 293, 339, 709 Vergangenheit 16, 41, 155, 167, 183, 239, 376, 474, 520–525, 527, 545, 567, 729 f. Verklärung 236 f., 478, 681 Verkörperung 45, 115, 169, 238, 274, 350, 441, 449, 465, 506, 508, 588, 609 – verkörperte Sprache 274 Verlangsamung, s. a. Bremsung, Verzögerung, Zeitlupe 142 Verlinkung, s. a. Link 50 f., 357 f., 575
Sachregister
Verlusterfahrung 383, 385, 387 Vers, Versform 26, 65, 113, 118, 140, 147–151, 154, 158, 197, 246, 365, 367–370, 396, 413 f., 543, 549, 650, 714 – freier Vers, free verse 26, 65 Verschiebung, smeščenie 10, 45, 108, 156, 170, 285, 322, 368, 449, 458, 468 Vers-Grammatik 147 Verserzählung 158 Versfuß 147 Versroman 157 Verssprache 139, 142, 147–149, 151, 158, 167 f. Verstehen 14, 22, 26, 168, 213–219, 283, 285, 288, 296, 298, 301, 333, 434, 436–438, 505, 511, 513, 589, 643, 673 f., 676, 688 Verstehensbegriff, emphatischer 436 Verstheorie 147, 150 Verteidiger 81, 597 Verurteilung 62, 377, 591, 597 Verwaltungsakt 590 Verwaltungsrecht 591, 594 Verwaltungsverfahrensgesetz 590 Verwertungsverbot 601 Verwissenschaftlichung 95, 519, 729, 739 f. Verzögerung, aufgehaltene Bewegung, zamedlenie, zaderžanie 142 Videoclip 576 Videogame, Videospiel, s. Computerspiel Vieldeutigkeit, Mehrdeutigkeit, s. a. Deutung 11, 29, 75, 80, 98 f., 103, 177, 241, 503, 547, 617, 755 Virtualität, das Virtuelle, virtuality 19, 37, 40 f., 257–259, 262, 273, 278–283, 300, 314 – virtuelle Realität, Welten, virtueller Raum 54, 312, 405, 408 f., 746 Virtuosität 722, 729 visuelle Information 553 f. visuelle Codes 570 visuelle Kompetenz 570 visuelle Repräsentation 579 Vitalismus, s. a. Lebensphilosophie 9, 36, 89, 441 f., 460–464, 467–469, 606, 648, 701 Vlogs 575
903
voice-over 37, 343, 558 – voice-over-Erzähler, s. Erzähler Volk 20, 63 f., 130, 169, 390, 583, 589, 591, 623, 625, 680, 708, 722 Volkssprache 365 f., 554, 557 Vollendung 38 f., 61 f., 92, 102, 107, 152, 165, 354, 372, 374, 406, 409, 585, 595, 608, 614, 645, 727 Voluntarismus 441, 460 f., 468 Vorbild, Leitbild 17, 21, 27, 32, 81, 95, 99, 204, 228–231, 237–240, 243, 251, 266, 277, 365, 370–375, 378–380, 387, 391, 394 f., 491, 508, 644, 670, 725, 729, Vorbildzauber 654 f. Vortizismus 443, 448, 452 vraisemblance, s. a. Wahrscheinlichkeit, resemblance 229 Warenästhetik 623–626, 631, 693 Warenform 620 f., 623, 626, 631, 684 Wahrheit, truth 3, 9, 14, 31, 24, 29 f., 38, 57, 60, 76, 102, 116, 118, 137, 171, 176, 181–183, 217 f., 240, 243, 278, 352, 360 f., 389, 394, 397, 405, 407, 525, 593, 596, 607, 609, 613, 617, 658, 728, Wahrheit, logische, Wahrheitsfunktion, Wahrheitswert 489–496, 498 f., 501, 503 Wahrnehmung, s. a. Medien 7, 9, 12, 21, 33, 38, 43, 54, 57, 141 f., 156, 161, 206, 217, 225, 231, 256, 258, 270, 280 f., 316, 323, 327, 343, 393, 395, 400, 508–510, 569, 588, 605, 608, 615, 621 f., 627, 636–638, 649, 662 f., 705, 714, 733, 735, 737, 741, 746 – ästhetische, künstlerische Wahrnehmung 60, 143 – innere Wahrnehmung 663 Wahrnehmungsprozess 21, 141 Wahrscheinlichkeit, das Wahrscheinliche, s. a. Potenzialität, vraisemblance 120, 216, 235, 270, 277, 388, 393 f., 398, 698, 705 Weltanschauung 6, 9, 25 f., 40, 58, 65, 247, 456, 461 Weltgeist 100 f. Weltrepräsentation 750, 755
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Anhang
Werk, oeuvre, s. a. grand œuvre 4, 16 f., 22, 27–29, 37–39, 45, 54, 60–62, 64 f., 78–83, 91, 93–95, 99, 101, 107–110, 116 f., 119 f., 124 f., 137, 139, 142, 144 f., 150, 157 f., 160, 163, 165, 167, 170, 178, 182 f., 197, 199, 205 f., 221, 225, 227, 239, 243, 251, 275, 280–284, 356, 366, 369 f., 372–375, 379, 390, 401, 409, 421, 437, 444, 470, 514 f., 542, 546, 548, 550, 559, 564, 570–573, 575–578, 619, 621, 630, 642, 647, 659, 684, 686–688, 697, 700, 702, 706, 722, 730, 737, 739, 741 Werk vs. Netz 357 Werk vs. Text 202, 214, 355 Werkbegriff, Werkkategorie, Werkverständnis 38, 145, 166, 182, 418, 741 Werkeinheit 184, 186 Werkform, Werkförmigkeit, Werkcharakter, Werkgestalt, s. a. Kunstwerk 18, 39, 83, 314, 348, 378 f., 418, 727, 735 Werkimmanenz, s. a Interpretation 95, 131, 366, 379 Werkpolitik 39, 282 Werktreue 48 Wert, value, s. a. logische Wahrheit 16, 30, 34, 37, 61 f., 98, 132, 139, 162, 169, 178, 181–183, 185, 188, 192–195, 222 f., 234, 236, 239, 268, 273, 294, 297, 360, 368 f., 384, 391, 414, 422, 424 f., 431, 436, 450, 460, 495, 603, 623, 625, 628, 653, 666 f., 672, 689, 711, 737, 749, 755 Wertbeziehung 61, 227 f. Wertgesetz 129 Wertung, Wertsetzung, Werturteil, Evaluation, evaluation 10, 15 f., 32, 48, 52, 59, 61 f., 66, 77, 83, 97 f., 146, 161, 171, 175, 180–184, 192, 195, 199, 221, 226–228, 231, 257, 268, 270, 279, 300, 337, 367 f., 372, 380, 401, 405, 443, 463, 473, 503, 524, 526, 546, 600, 605–607, 609, 623, 625, 669, 672, 686, 699, 728, 741, 747 Werturteil, literarisches 172 Widerspiegelung 107, 163, 165, 190 Wiedererkennen 106, 140 f., 316, 562, 627 Wiederholung 16, 41 f., 57, 91, 107, 110, 231, 241, 254, 256, 292, 320 f., 385, 422, 424, 435, 525, 533, 540, 562, 564, 568, 644,
652 f., 666, 675, 680, 687 f., 713, 719, 724, 728, 756 Wiener Gruppe 674, 734 Wille, Willenskonzept, Willenskraft 36, 89, 239, 441 f., 457, 459–462, 464–469, 606, 644, 751 Willkür 419, 583, 598, 600, 602, 613 Winnetou 565, 684 Wir-Erzählung, s. a. Erzählsituation 323, 326–330, 332, 337, 342 Wirkästhetik 32, 54, 67, 228, 233, 247 f., 699, 701 Wissen, s. a. Gattungswissen 5 f., 26 f., 62, 88, 96, 99, 115, 140, 182, 185, 187, 217, 239, 241, 258, 262–264, 270, 297, 299, 320, 331 f., 348 f., 351 f., 354–360, 386, 391, 394, 396 f., 402, 406 f., 510, 523, 535, 537, 549, 653, 673, 743 – Allwissenheit 328 f., 331, 333 – Erfahrungswissen 270 – Poetologie des Wissens 27, 352, 358, 386 – Weltwissen 217, 351, 355, 407 f., 549 Wissensordnung, Wissensformation 355 f., 382, 386, 397 Wissenspopularisierung 352 Wissenschaft, Wissenschaften, science, s. a. Ideologie, Spiel 19, 28, 96, 107, 137–139, 187, 233, 240, 264, 268, 278, 289, 352–354, 361, 389, 401, 461, 491, 507, 509, 513 f., 526 f., 533, 536, 605, 636, 653, 644, 649, 652, 661, 663, 678, 690, 713, 717, 730, 740 – autonome, empirische, exakte, positive Wissenschaft 130, 256, 275, 653, 678, 717 – feuilletonistische Wissenschaft 138, 152 – Krise der Wissenschaften 635 – Universalwissenschaft 359 f. Wissenschaft und Kunst, Dichtung 97, 256, 347, 359–361, 416, 507, 509, 520, 527, 626, 642, 740 Wissenschaft von der Poesie, s. a. Poetik 163 Wissenschaftlichkeit 60, 491, 519, 524 Wissenschaftsgeschichte 389, 419, 636, s. a. Epistemologie
Sachregister
Wissenschaftskritik 59 Wissenschaftsmodell 67 Wissenschaftstheorie, Wissenstheorie 227, 240, 355, 678 Witz 359–361, 395–397 – epigrammatischer 395 f. – kombinatorischer 359–361 Witzblatt 153 Wochenendbeilagen, Supplements 555, 557 Wort als Gedächtnismedium 168 Wörterbuch 75, 322, 347, 349, 356 f., 438, 606, 635 Wörterbuch (Eco) 355–357 Wortkunst, s. a. Kunstwerk 60, 86, 141 f., 151, 174 f., 365, 444, 619 Wortkunstwerk 86, 174 f. Wortsemantik der Dichtung 151 Wortwitz, calembour 145 Wunderbare, das 119 f., 235 zaum’ s. transmentale Sprache 138 Zeichen, sign 10, 19, 24, 27, 29–31, 49, 51, 53, 57, 118, 150, 162, 165, 178, 182, 201 f., 215 f., 220, 228, 263, 270–277, 279, 282, 309, 355 f., 359, 369, 396, 401–404, 415, 420, 436, 505 f., 509–511, 513, 533, 539, 553, 558, 563, 567, 588, 615, 629, 662, 672, 686, 688, 691 f. Zeichenbegriff, s. a. Motivierung, Schriftzeichen 268, 435, 514, 676 Zeichencharakter der literarischen Artefakte 165 Zeichendeutung 162 Zeichenprozessierung 216, 219, 532 Zeichensystem, semiotic system 27, 215 f., 220, 232, 280, 355, 404, 508, 578, 674 Zeichentheorie, s. a. Semiotik 30, 53, 166, 227, 267, 355 Zeichnung 311, 515, 535, 556, 563 f., 568, 572 f., 621 Zeit, Zeitlichkeit, time, s. a. Temporalität 3, 12 f., 20, 23 f., 26, 38, 44, 67, 84, 94, 100 f., 109, 125 f., 132, 149, 201, 214, 219 f., 230 f., 242, 244, 255, 275, 292, 294, 313, 315, 325, 328, 340, 389,
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394, 397, 399, 409, 521, 546, 553, 556, 558–561, 563, 565, 567 f., 570, 574, 589, 592, 597, 665 f., 678, 690, 692, 698, 706, 714, 727, 729, 736 – Eigenzeit 23, 231, 741 – Gleichzeitigkeit, s. a. Synchronie 170, 261, 277, 291, 336, 468, 568, 624, 641, 661, 682, 686 – Ungleichzeitigkeit, s. a. Asynchronie 23 – unzeitgemäß 384, 398 Zeitbild 560 Zeiterleben, erlebte Zeit 729, 741 Zeitgestaltung 169 Zeitkritik, Zeitdiagnostik 101, 104 zeitliche Form 48, 219 Zeitlosigkeit, Überzeitlichkeit 19, 44, 95, 131, 167, 239, 267, 313, 317 f., 691 f., 702, 736 Zeitlupe, razdroblenie, tormoženie 142 Zeitung, Zeitschrift, Fachzeitschrift, s. a. Journal 41, 155, 312 f., 315, 319, 445, 449, 454, 496, 537, 540, 545, 555, 558 f., 563 f., 571, 576, 605, 614, 646, 682, 686, Zeitungsfeuilleton, s. Feuilleton Zensur 65 Zeremoniell 41, 415, 422 f., 432, 437, 506, 595 Zeuge 330, 377, 588 f., 593, 595–597, 599, 601 Zeugenvernehmung 596 Zeugnisverweigerungsrecht 599 Zirkulation 357, 392, 533–537, 628 f. Zivilprozess 593, 598, 604 Zivilreligion 424 f. Zufall, das Zufällige 51 f., 93, 201, 250, 275, 628, 740, 746 Zweck 53, 80–82, 85, 113, 139, 141, 172, 181 f., 185, 196, 213, 229, 232, 265, 279, 295, 335, 346, 353, 360, 369, 392, 403, 431, 442, 461, 532, 542, 555, 590, 594 f., 597, 605, 617, 620 f., 667, 671, 697, 702 Zwölf-Tafel-Gesetz 591 Zwölftonreihe, Zwölftontechnik 735, 739, 741 Zyklus, Zyklizität, cycle 350, 432, 684, 728, 730 f.
Grundthemen der Literaturwissenschaft Herausgegeben von Klaus Stierstorfer Rainer Emig, Lucia Krämer (Hrsg.) Grundthemen der Literaturwissenschaft: Adaption ISBN 978-3-11-040781-5 e-ISBN (PDF) 978-3-11-041066-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-041079-2 Michael Wetzel (Hrsg.) Grundthemen der Literaturwissenschaft: Autorschaft ISBN 978-3-11-029692-1 e-ISBN (PDF) 978-3-11-029706-5 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-038908-1 Andreas Englhart, Franziska Schößler (Hrsg.) Grundthemen der Literaturwissenschaft: Drama ISBN 978-3-11-037956-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-037959-4 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-037963-1 Martin Huber, Wolf Schmid (Hrsg.) Grundthemen der Literaturwissenschaft: Erzählen ISBN 978-3-11-040118-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-041074-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-041080-8 Lut Missinne, Ralf Schneider, Beatrix Theresa van Dam (Hrsg.) Grundthemen der Literaturwissenschaft: Fiktionalität ISBN 978-3-11-046602-7 e-ISBN (PDF) 978-3-11-046657-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-046633-1 Robert Matthias Erdbeer, Florian Klaeger, Klaus Stierstorfer (Hrsg.) Grundthemen der Literaturwissenschaft: Form ISBN 978-3-11-036433-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-036438-5 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-038578-6 Eric Achermann (Hrsg.) Grundthemen der Literaturwissenschaft: Interpretation ISBN 978-3-11-040782-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-057771-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-057585-9
Rolf Parr, Alexander Honold (Hrsg.) Grundthemen der Literaturwissenschaft: Lesen ISBN 978-3-11-036467-5 e-ISBN (PDF) 978-3-11-036525-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-039128-2 Norbert Otto Eke, Stefan Elit (Hrsg.) Grundthemen der Literaturwissenschaft: Literarische Institutionen ISBN 978-3-11-036469-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-036530-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-039129-9 Christiane Lütge (Hrsg.) Grundthemen der Literaturwissenschaft: Literaturdidaktik ISBN 978-3-11-040120-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-041070-9 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-041084-6 Rainer Grübel, Gun-Britt Kohler (Hrsg.) Grundthemen der Literaturwissenschaft: Literaturgeschichte ISBN 978-3-11-035968-8 e-ISBN (PDF) 978-3-11-035975-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-038687-5 Ralf Simon (Hrsg.) Grundthemen der Literaturwissenschaft: Poetik und Poetizität ISBN 978-3-11-040780-8 e-ISBN (PDF) 978-3-11-041064-8 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-041081-5 Vittoria Borsò, Schamma Schahadat (Hrsg.) Grundthemen der Literaturwissenschaft: Weltliteratur ISBN 978-3-11-040119-6 e-ISBN (PDF) 978-3-11-041072-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-041078-5
Alle Bände der Reihe sind auch als eBook erhältlich