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German Pages 474 [478] Year 1898
GRUNDRISS DER
PHYSIOLOGIE DES
MENSCHEN
FÜR STUDIERENDE UND ARZTE VON P R O F . D E . MED. J .
STEINER.
ACHTE, VERBESSERTE UND VERMEHRTE AUFLAGE. MIT ZAHLREICHEN ABBILDUNGEN.
LEIPZIG, VERLAG
VON
V E I T & COMP.
1898.
Das Recht der Herausgabc von Übersetzungen vorbehalten.
Druck von M e t z g e r & W i t t i g in Leipzig.
Vorwort zur ersten Auflage. Bei der Abfassung des vorliegenden Grundrisses hat der Verfasser sich die Aufgabe gestellt, die wesentlichen Thatsachen der Physiologie des Menschen im Zusammenhange in elementarer und leicht faßlicher Form darzustellen. Was er dabei zu erreichen wünschte, wäre, diese Disziplin dem Verständnisse des Anfängers näher zu bringen, sowie dem Vorgerückteren eine schnelle und leichte Orientierung bezüglich Rekapitulation zu ermöglichen. Die vielfach übliche Namensnennung der Autoren ist zum Teil beschränkt worden, und der dadurch gewonnene Raum konnte für die unter dem Text angebrachten Litteraturangaben von grundlegenden Arbeiten verwendet werden. Sollte daher hier und da ein Autorenname vermißt werden, so muß der Verfasser um freundliche Nachsicht bitten. E r l a n g e n , im September 1877.
Der Verfasser.
Vorwort zur dritten Auflage. Die neue Auflage erscheint insofern in verbesserter Form, als das Kapitel „Gehirn" vollständig neu bearbeitet und gefaßt worden ist. Dies konnte geschehen, nachdem durch mehrjährige Arbeit auf diesem Gebiete eine gewisse Konsolidierung erzielt worden ist. Ähnliches gilt für die Lehre von der Resorption. Im allgemeinen kann ein kurzes
Vorwort zur ersten Auflage. Bei der Abfassung des vorliegenden Grundrisses hat der Verfasser sich die Aufgabe gestellt, die wesentlichen Thatsachen der Physiologie des Menschen im Zusammenhange in elementarer und leicht faßlicher Form darzustellen. Was er dabei zu erreichen wünschte, wäre, diese Disziplin dem Verständnisse des Anfängers näher zu bringen, sowie dem Vorgerückteren eine schnelle und leichte Orientierung bezüglich Rekapitulation zu ermöglichen. Die vielfach übliche Namensnennung der Autoren ist zum Teil beschränkt worden, und der dadurch gewonnene Raum konnte für die unter dem Text angebrachten Litteraturangaben von grundlegenden Arbeiten verwendet werden. Sollte daher hier und da ein Autorenname vermißt werden, so muß der Verfasser um freundliche Nachsicht bitten. E r l a n g e n , im September 1877.
Der Verfasser.
Vorwort zur dritten Auflage. Die neue Auflage erscheint insofern in verbesserter Form, als das Kapitel „Gehirn" vollständig neu bearbeitet und gefaßt worden ist. Dies konnte geschehen, nachdem durch mehrjährige Arbeit auf diesem Gebiete eine gewisse Konsolidierung erzielt worden ist. Ähnliches gilt für die Lehre von der Resorption. Im allgemeinen kann ein kurzes
Vorwort.
IV
Buch, wie das vorliegende, nicht jede neue Erscheinung der Litteratur aufnehmen, sondern muß den Bestand zu wahren suchen und eine Klärung der Ansichten abwarten. In der ganzen Anlage ist das Buch dasselbe geblieben. Auch diesmal bin ich durch spontane Äußerungen aus dem Kreise der Interessenten unterstützt worden; allen Gönnern des Buches meinen verbindlichsten Dank. Heidelberg, Winter 1886.
J. Steiner.
Vorwort zur achten Auflage. Die neue Auflage ist in den meisten Abteilungen einer durchgreifenden Revision unterzogen worden; die Entwickelungsgeschichte wurde durch meinen Freund, Prof. BORN in Breslau, in dankenswerter Weise völlig neu bearbeitet. So dürfte das Buch dem augenblicklichen Stande unserer Wissenschaft gerecht werden. Die Litteraturangaben unter dem Texte sind trotz mancher Bedenken beibehalten worden, weil dies die beste Methode sein dürfte, um den Studierenden mit der Geschichte dieser Disziplin bekannt zu machen. Köln, Frühling 1898.
J. Steiner.
Vorwort.
IV
Buch, wie das vorliegende, nicht jede neue Erscheinung der Litteratur aufnehmen, sondern muß den Bestand zu wahren suchen und eine Klärung der Ansichten abwarten. In der ganzen Anlage ist das Buch dasselbe geblieben. Auch diesmal bin ich durch spontane Äußerungen aus dem Kreise der Interessenten unterstützt worden; allen Gönnern des Buches meinen verbindlichsten Dank. Heidelberg, Winter 1886.
J. Steiner.
Vorwort zur achten Auflage. Die neue Auflage ist in den meisten Abteilungen einer durchgreifenden Revision unterzogen worden; die Entwickelungsgeschichte wurde durch meinen Freund, Prof. BORN in Breslau, in dankenswerter Weise völlig neu bearbeitet. So dürfte das Buch dem augenblicklichen Stande unserer Wissenschaft gerecht werden. Die Litteraturangaben unter dem Texte sind trotz mancher Bedenken beibehalten worden, weil dies die beste Methode sein dürfte, um den Studierenden mit der Geschichte dieser Disziplin bekannt zu machen. Köln, Frühling 1898.
J. Steiner.
Inhalt. Seite
Einleitung 1 Erste Abteilung. Allgemeine Physiologie 6 Zweite Abteilung. Spezielle Physiologie 15 E r s t e r A b s c h n i t t . Der Stoffwechsel 15 Einleitung. Die chemischen Bestandteile des Körpers 15. Verbindungen 16. I. Unorganische Verbindungen 16. A. Das Wasser 16. B.Säuren 17. C. Salze 17. II. Organische Verbindungen (Proteinstoffe) 18. — A. Stickstoffhaltige Verbindungen 18. I. Einfache Eiweißkörper 18. II. Zusammengesetzte Eiweißkörper 21. III. Albuminoide 22. IV. Körper des intermediären Stoffwechsels 23. V. Zersetzungsprodukte der Eiweiße 24. — B. Stickstofffreie Verbindungen 27. a) Kohlehydrate 27. b) Fette 29. c) Stickstofffreie Säuren 29. Erstes Kapitel. Blut und Blutbewegung 31 tj 1. Das Blut 31. Die Blutkörperchen 32. Das Blutplasma 41. Die Farbe des Blutes 45. Die Blutmenge 46. Die Blutgase 47. Quantitative Zusammensetzung des Blutes 47. § 2. Die Blutbewegung 47 I. Das Herz und seine Thätigkeit 49. Die Innervation des Herzens 56. II. Die Blutgefäße und die Bewegung des Blutes in denselben 61. Hilfskräfte für die Blutbewegung 65. Blutdruck und Geschwindigkeit des Blutstromes 66! 1. Der Blutdruck 66. 2. Die Geschwindigkeit des Blutstromes 70. Puls und Pulsfrequenz 74. Innervation der Blutgefäße 75. Transfusion des Blutes 78. Zweites Kapitel. Die Einnahmen und Ausgaben des Blutes an gasigen Bestandteilen (Atmung) 80 § 1. Die Lungenatmung 81 I. Chemie der Atmung 81. Untersuchung der In-und Exspirationsluft 81. Weitere Resultate der Untersuchung 83. Die Blutgase 85. Die Gewebsatmung 89. Theorie der Atmung 90. Das Atmen in fremden Gasen, in verdichteter und verdünnter Luft 91. II. Mechanik der Atmung 93. Die Atemmuskeln und deren Nerven 99. Innervation der Atembewegungen 103. § 2. Hautatmung 107. Die Erstickung (Suffokation) 107. Drittes Kapitel. Die Ausgaben des Blutes an flüssigen Bestandteilen (Sekretion und Exkretion) 109 § 1. Die Sekrete 110. — 1. Die Verdauungssäfte 110. a) Der Speichel 111. b) Der Magensaft 115. c) Die Galle 117. Gallenbereitung 120. d) Der pankreatische Saft 122. e) Der Darmsaft 124. 2. Die Milch 125."„3. Der Schleim 125. 4. Die Thränenflüssigkeit 125. — 5. Der Hauttalg 126. — 6. Die Samenflüssigkeit 127,
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Inhalt.
§ 2. Die Exkrete 127. — 1. Der Harn 127. Harnbereitung 135. Beteiligung der einzelnen Abschnitte der Harnkanälchen an der Harnausscheidung 137. 2. Der Schweiß 142. Viertes Kapitel. Die Einnahmen des Blutes an flüssigen Bestandteilen § 1. Die Verdauung I. Chemie der Verdauung 146. Verdauung in der Mundhöhle 146. Magenverdauung 147. Verdauung im Dünndarm 150. Verdauung im Dickdarm 153. II. Mechanik der Verdauung 155. Beißen, Kauen, Schlingen 155. Die Bewegungen des Magens 158. Die Bewegungen des Darmes 161. § 2. Die Resorption 163. 1. Die Resorption im Verdauungskanal 164. Resorption in der Mundhöhle und in dem Magen 164. Resorption im Dünndarm 165. Resorption im Dickdarm 170. — Anhang. 1. Die Exkremente und deren Entleerung 171. 2. Die interstitielle Resorption 173. 3. Die Resorption durch die Haut 175. § 3. Chylus und Lymphe I. Der Chylus II. Die Lymphe Bewegung des Chylus und der Lymphe 181. — Anhang. I. Seröse Flüssigkeiten 184. II. Chemie der Gewebe 185. Fünftes Kapitel. Veränderungen des Blutes auf seiner Bahn, Stoffwechsel des Blutes § 1. Die Veränderungen des Blutes auf seiner Bahn §2. Der Stoffwechsel des Blutes 193. Die Blutkörperchen 193. Das Blutplasma 197. — Anhang. Uber die osmotische Spannkraft 202. Sechstes Kapitel. Einnahmen des Gesamtorganismus Die Nahrungsmittel 204. — 1. Die animalischen Nahrungsmittel 205. Die Milch 205. Fleisch 210. Eier 213. 2. Die vegetabilischen Nahrungsmittel 213. Die Cerealien 214. Die Hülsenfrüchte (Leguminosen) 215. Die Kartoffeln 215. Das Gemüse 216. 3. Die Würz- oder Genußmittel 216. 4. Die Getränke 216. Absoluter Wert eines Nahrungsmittels 218. Die Größe des täglichen Nahrungsbedürfnisses 219. Siebentes Kapitel. Die Ausgaben des Organismus und die Bilanz seines Stoffwechsels I. Die Ausgaben II. Bilanz der Einnahmen und Ausgaben 221. — 1. Stoffwechsel im Hunger 222. 2. Stoffwechsel bei ausreichender und überschüssiger Nahrung 224. Zweiter A b s c h n i t t . Die Leistungen des Organismus Erstes Kapitel. Tierische Wärme 1. Die Temperatur des Menschen und der Tiere 228. Temperaturtopographie 230. 2. Entstehung der tierischen Wärme 232. 3. Die Wärmeausgaben des Körpers 234. 4. Die Wärmeeinnahmen des Körpers (Wärmequelle) 235. 5. Die Wärmeregulierung 236. Zweites Kapitel. Die Leistung mechanischer Arbeit (die Lehre von den Bewegungen) § 1. Allgemeine Bewegungslehre (allgemeine Muskelphysiologie) . . I. Die quergestreiften Muskeln 239. Chemie der Muskelsubstanz 241. Der Muskel im Ruhezustande 242. Der Muskel im thätigen Zustande 242. Die Reizung des Muskels 243. Muskelirri-
Seite
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Inhalt. tabilität 245. Das amerikanische Pfeilgift Curare 245. Die Verkürzung des Muskels 246. 1. Die Größe der Muskelverkürzung 248. 2. Die Kraft der Muskelverkürzung 248. 3. Der mechanische Effekt, welcher durch die Verkürzung hervorgebracht wird (die Arbeitsleistung des Muskels) 249. Die Erregbarkeit des Muskels 250. Die Wärmebildung 252. Die elektrischen Eigenschaften des Muskels 253. 1. Der Muskelstrom des ruhenden Muskels 253. 2. Der Muskelstrom des thätigen Muskels 255. Die Herzmuskelkontraktion (Herzschlag) als Elektrizitätsquelle 257. Blasse und rote Muskeln 257. Der Stoffwechsel des thätigen Muskels 258. Die Muskelstarre 259. II. Die glatten Muskeln 260. — Anhang. 1. Die Bewegung des Protoplasma 261. 2. Die Bewegung der Flimmer- und Samenzellen 263. § 2. Spezielle Bewegungslehre . I. Die Mechanik des Skelettes 266. Die Gelenke 266. Komplizierte Stellungen und Bewegungen des Körpers 270. Stehen 271. Gehen 274. Laufen 275. II. Stimme und Sprache 276. 1. Die Stimme |276. Der Kehlkopf 277. Die Stimmbildung 278. 2. Die Sprache 281. a) Die Vokale 281. b) Die Konsonanten 283.
vn Seit«
264
D r i t t e r A b s c h n i t t . Das Nervensystem ,• . . 285 Erstes Kapitel. Die Nervenfasern 285 § 1. Allgemeine Nervenphysiologie 285. Chemie der Nerven 286. Der Nerv im ruhenden Zustande 287. Der Nerv im thätigen Zustande 287. Die Heizung des Nerven 287. Zuckungsgesetz 290. Leitung der Erregung, doppelsinnige und isolierte Leitung im Nerven 290. Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung 291. Die Erregbarkeit des Nerven 294. Elektrische Erscheinungen an den Nerven 296. — 1. Der Nervenstrom des ruhenden Nerven 296. 2. Der Nervenstrom des thätigen Nerven 297. Der Stoffwechsel des thätigen Nerven 299. Die Wirkung von Nerv auf Muskel 299. Der Tod des Nerven 300. — Anhang. Die elektrischen Fische oder Zitterfische 300. § 2. Spezielle Physiologie der Nerven 301. — 1. Hückenmarksnerven 303. 2. Hirnnerven 304. Nervus ooulomotorius 304. Nervus trochlearis 305. Nervus abducens 305. Nervus facialis 306. Nervus trigeminus 307. Nervus glossopharyngeus 310. Nervus hypoglossus 311. Nervus accessorius Willisii 311. Nervus vagus 312. Nn. olfactorius, opticus und acusticus 314. 3. Die sympathischen Nerven 314. Zweites Kapitel. Die Sinne 315 § 1. Der Gefühlssinn 317. Das Gemeingefühl 322. § 2. Der Gesichtssinn 324. — 1. Die Dioptrik des Auges 324. Deutliches Sehen 330. Zerstreuungsbilder auf der Netzhaut 330. Die Akkommodation 332. Mechanismus der Akkommodation 333. Emmetropie, Myopie, Hypermetropie 335. Mängel des Auges 336. Chromatische Abweichung 336. Monochromatische (sphärische) Abweichung 337. Astigmatismus 338. Die entoptischen Erscheinungen 339. Das Augenleuchten und der Augenspiegel 339. Die Iris 341. 2. Die Gesichtsempfindungen 343. Der Ort der Erregung in der Netzhaut 343. Das Unterscheidungsvermögen der Netzhaut 344. Die Art der Erregung der Netzhaut 345. Zeitlicher Verlauf der Netzhauterregung 346. Quantität und Qualität der Lichtempfindung 347. Farbenmischung 349. Theorien der Farbenempfindung 350. 3. Die Gesichtswabrnehmungen 353. Die Augenbewegungen 353. Die Wirkung der Augen-
VIII
Inhalt. Seite
muskeln 356. Die Wahrnehmung der Tiefendimension 357. Sehen mit beiden Augen 358. Das Stereoskop 360. Einfachsehen 361. Lage der identischen Netzhautpunkte und der Horopter 362. Vernachlässigung der Doppelbilder 364. Gegenseitige Unterstützung beider Augen 364. Der Wettstreit der Sehfelder 364. Die Schutzorgane des Auges 365. § 3. Der Gehörsinn 366. — 1. Die Schalleitung 366. Leitung durch das äußere Ohr 366. Leitung durch das Trommelfell 367.' Leitung durch die Paukenhöhle 369. Leitung durch das Labyrinth 370. Leitung durch die Kopfknochen 373. Funktion der EnsTAcmschen Trompete 374. 2. Die Gehörsempfindungen 374. Qualitäten der Gehörsempfindung 375. Theorie der Tonempfindungen 377. Harmonie der Klänge 379. 3. Die Gehörswahrnehmungen 381. Beurteilung der Richtung und Entfernung des Schalles 381. Hören mit beiden Ohren 382. § 4. Der Geruchssinn 382 § 5. Der Geschmackssinn 383. — Anhang 385. Drittes Kapitel. Die nervösen Centraiorgane 386. Chemie der Centralorgane 386. Die Ganglienzellen 387. I. Das Rückenmark 388 1. Das Rückenmark als Centraiorgan 388. 2. Das Rückenmark als Leitungsorgan 393. II. Das verlängerte Mark (Nackenmark) 400 1. Das Nackenmark als Centraiorgan 400. 2. Die Leitung im Nackenmarke 403. III. Das Gehirn 404 1. Das Großhirn 404. — A. Die Sinnescentren der Hirnrinde 405. B. Die Associationscentren der Hirnrinde 409. C. Das Großhirn als Organ des Bewußtseins 410. — 2. Die Function der Hirnganglien 411. 3. Das Kleinhirn 412. 4. Die Lehre von den Zwangsbewegungen 413. 5. Die Leitungsbahnen des Gehirns 414. 6. Der Plan des Centrainervensystems der Wirbel-' tiere 418. Das zeitliche Verhalten psychischer Impulse 419. Der Schlaf 421. — Anhang. Das sympathische Nervensystem (N. sympathicus) 422. V i e r t e r A b s c h n i t t . Zeugung: und Entirickelung 424 § 1. Zeugung 424. Zeugung beim Menschen 425. Menstruation, Bildung und Ablösung des Eies 425. Der Samen 426. Befruchtung 428. Der Generationswechsel 428. Urzeugung 429. § 2. Entwickelung (Ontogenese) 430 1. Das Ei 430. 2. Die Vorkerne und die Befruchtung 431. 3. Furchung; die allgemeinen ersten Entwickelungsvorgänge 433. 4. Keimblätterbildung und Gastrulation 435. 5. Die ersten Organbildungen 437. 6. Abschnürung des Embryos von der Keimblase, Bildung der embryonalen Eihüllen und der Allantois 439. 7. Erste Entwickelungsstadien und Einpflanzung des menschlichen Eies 442. 8. Bildung der Rücken- und Bauchwand 444. 9. Die definitive Entwickelung des Individuums 445. 10. Der Geburtsakt 453. Register
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Einleitung. Die Physiologie ist die Lehre vom Leben. Unter Leben versteht man die Gesamtheit derjenigen Erscheinungen, welche den Organismen e i g e n t ü m l i c h sind und als Lebenserscheinungen derselben angesehen werden. Organismen nennt man die lebenden Wesen, Pflanzen und Tiere, so daß die Physiologie als die Wissenschaft von den Lebenserscheinungen der Pflanzen und Tiere bezeichnet werden kann. Sie zerfällt demnach in die Pflanzenphysiologie, P h y t o p h y s i o l o g i e , und die Tierphysiologie, Z o o p h y s i o l o g i e . Von den verwandten Wissenschaften, der Botanik und Zoologie, unterscheidet sich die Physiologie dadurch, daß sie eine e r k l ä r e n d e Naturwissenschaft ist, während jene mehr beschreibende Wissenschaften sind. Die Physiologie hat demnach die Aufgabe, die Lebenserscheinungen der Organismen zu e r k l ä r e n und auf ihre Gesetze zurückzuführen. Zur Erreichung dieses Zweckes stellt sie, wie alle Naturwissenschaften, Beobachtungen an, die aber allein nur selten zur Erkenntnis der Lebenserscheinungen führen. Daher bedient sie sich in ausgedehntem Maße des Experimentes, durch welches die zu erforschenden Erscheinungen in beliebiger Weise abgeändert, in ihre Bestandteile zerlegt (Analyse) und zum Ganzen wieder vereinigt werden können (Synthese). Diese Versuche werden, da sie in der Regel mit Eingriffen ins tierische Leben verbunden sind, als V i v i s e k t i o n e n bezeichnet. Mit Hilfe von Beobachtung und Experiment bei gleichzeitiger Kenntnis des Baues des Organismus, den uns die Anatomie lehrt, und seiner stofflichen Zusammensetzung, die wir durch die Chemie erfahren, gelangen wir zu der Erkenntnis, daß die Lebenserscheinungen der Organismen das Produkt von bestimmten in letzteren wirksamen K r ä f t e n sind, welche, durchaus an die Integrität des Organismus gebunden, verändert werden, wenn dieselbe nicht gewahrt bleibt. Insofern als die „ P h y s i k " schlechthin S t e i n e r , Physiologie. VIII. Aufl.
1
Einleitung.
2
sieh mit dem Studium der Kräfte beschäftigt, welche den anorganischen Körpern eigen sind, kann man die Physiologie, die es mit den in den organischen Körpern wirksamen Kräften zu thun hat, auch als „organische P h y s i k " bezeichnen. Auf diese Weise war man zu dem Begriff zweier Arten von Kräften gekommen, deren eine den anorganischen, die andere den organischen Körpern eigentümlich sein sollte. Die in den Organismen wirksamen Kräfte hatte man als Kräfte sui generis behandelt und von denselben, unter dem Namen der Lebenskraft, die Existenz eines jeden Organismus abhängen lassen. Diese Unterscheidung in zwei voneinander verschiedene Arten von Kräften war aber ein für die Erkenntnis der Naturerscheinungen unheilvoller Irrtum, welcher endlich, dank den Bemühungen von LAVOISIEE, J . R. M A Y E E , HELMHOLTZ, THOMSON, J O U L E , E. DU BOIS-REYMOND u. a., beseitigt worden ist durch die Erkenntnis, daß alle E r s c h e i n u n g e n in der Natur, sowohl in der anorganischen wie in der organischen, auf ein und dieselben Kräfte zurückzuführen sind, welche bestehen in der Bew e g u n g der denkbar k l e i n s t e n T e i l c h e n , der Atome, die einander anziehen oder sich g e g e n s e i t i g abstoßen. Wenn es bisher in der organischen Physik noch nicht gelungen ist, alle auftretenden Kräfte auf jene einfachsten Bewegungsvorgänge zurückzuführen, so ist der Grund davon der, daß die Kräfte in der organischen Natur in so verwickelter und zusammengesetzter Form uns entgegentreten, wie es in der anorganischen Natur nicht der Fall ist,, so daß notwendig ihre Erkenntnis Schwierigkeiten unterliegt, die mit den augenblicklichen Hilfsmitteln nicht sofort zu überwinden sind. Neue Kräfte treten also in der organischen Natur nicht auf, nur erscheinen sie in viel verwickelterer Form, ebenso wie die Materie, an welche alle Kräfte gebunden sind, und von der getrennt sie nicht gedacht werden können, keine neuen Elementarteile aufzuweisen hat in der organischen gegenüber denen in der anorganischen Natur; in jener erscheinen sie nur in viel mannigfaltigerer Art zum Ganzen zusammengefügt, als in dieser. Den weitgehendsten Beweis für die Richtigkeit dieser Behauptung giebt das Gesetz von der E r h a l t u n g der Kraft oder der E r h a l t u n g elerEnergie. Nachdem LAVOISIEE (17 89) 1 die Konstanz derMaterie oder das Gesetz von der E r h a l t u n g der Materie nachgewiesen hatte, welches lehrt, daß die Materie seit Ewigkeit her konstant und umzerstörbar sei und in Ewigkeit bleiben werde,, daß die für unsere Wahrnehmung sichtbare Zerstörung nur in einer "Überführung der 1
LAVOISIEE,
Oeuvres.
Paris 1862.
T. II.
Einleitung.
3
Materie in einen andern Aggregatzustand bestehe, folgte gegen die Mitte dieses Jahrhunderts die Entdeckung des Gesetzes von der E r h a l t u n g d e r K r a f t durch JULIUS ROBBET MAYER 1 und H . HELMHOLTZ.2 D a s s e l b e s a g t a u s , d a ß die S u m m e a l l e r d e r K r ä f t e , welche in e i n e m S y s t e m e t h ä t i g s i n d , auf das von a u ß e n h e r keine E i n w i r k u n g e n s t a t t f i n d e n , i m m e r d i e s e l b e b l e i b t o d e r daß in e i n e m s o l c h e n S y s t e m e n i e m a l s n e u e K r ä f t e e n t s t e h e n oder v o r h a n d e n e v e r s c h w i n d e n k ö n n e n , s o n d e r n d a ß n u r eine U m s e t z u n g der K r ä f t e in e i n e a n d e r e F o r m s t a t t f i n d e n kann. Da das W e l t a l l als ein solches von a u ß e n u n b e e i n f l u ß t e s S y s t e m a n z u s e h e n i s t , so f i n d e t auf die G e s a m t h e i t d e s s e l b e n dieses Gesetz e b e n f a l l s seine A n w e n d u n g . Die Formen, unter denen die E n e r g i e (oder Kraft) auftreten kann, zerfallen in zwei Kategorien; die eine Form ist die E n e r g i e der L a g e oder p o t e n t i e l l e E n e r g i e , die andere die E n e r g i e d e r B e w e g u n g oder k i n e t i s c h e E n e r g i e . Die erste repräsentiert Kräfte, welche Bewegungsursachen darstellen, ohne selbst Bewegung zu sein; die letztere solche, die selbst Bewegung sind, und durch welche wieder Bewegung hervorgerufen wird. Ein einfaches Beispiel wird am besten die Definition erläutern. Ein Rammklotz, der in einer bestimmten Höhe schwebend gehalten wird, stellt, da er jeden Augenblick in Bewegung geraten kann, eine bestimmte Summe von potentieller Energie dar; die Bewegungsursache bildet die Schwere des Rammklotzes oder, was dasselbe heißt, seine Anziehung durch die Erde. Sobald die der Schwere entgegenwirkende Kraft, welche den Klotz auf seiner Höhe erhält, zu wirken aufhört, setzt sich derselbe gegen die Erde hin in Bewegung, schlägt auf den einzurammenden Pfahl und treibt denselben bis zu einer gewissen Tiefe in die Erde ein. Der gegen die Erde bewegte Klotz repräsentiert die kinetische Energie, denn der Klotz bewegt sich selbst und setzt den Pfahl in Bewegung, dem er einen Teil seiner Bewegung mitteilt. Wird der Rammklotz durch entsprechende Vorrichtungen zu seiner Höhe wieder emporgezogen, so haben wir damit von neuem eine Energie der Lage, die in Energie der Bewegung übergehen kann. Die hier auftretenden Bewegungen müssen indes nicht jedesmal s i c h t b a r e B e w e g u n g e n , d. h. M a s s e n b e w e g u n g e n sein, sondern es sind ebenso häufig u n s i c h t b a r e B e w e g u n g e n oder B e w e g u n g e n der A t o m e , d. i. W ä r m e . Wenn in unserem Beispiele der herunter1 J. R. MATER, Bemerkungen über die Kräfte der unbelebten Natur. Liebig'A Annalen, Bd. XLII. 1842. 2 H. HEIMHOLTZ, Über die Erhaltung der Kraft ete. Berlin 1847. (1889 als Nr. 1 von OSTWALDS „Klassiker der exakten Wissenschaften" neu gedruckt.)
1*
4
Einleitung.
fallende Bammklotz statt auf den Pfahl einfach auf einen unverletzbaren Felsen aufschlägt, so entsteht keine Bewegung, sondern durch den heftigen Stoß entsteht Wärme. Am häufigsten erscheint die kinetische Energie in Form von Wärme bei der Entstehung chemischer Verbindungen. Zwei Atome, die in gewisser Entfernung voneinander stehen, und die durch ihre chemische Yerwandtschaft das Bestreben haben, sich miteinander zu verbinden, repräsentieren eine potentielle Energie von bestimmter Größe. Sobald dieselben gegeneinander in Bewegung geraten, geht diese in jene über, welche verschwunden zu sein scheint, wenn die Atome sich erreicht haben. In der That ist sie nicht verschwunden, sondern hat sich in Wärme umgesetzt, deren Entstehung bei jeder chemischen Verbindung eine anerkannte Thatsache ist. Umgekehrt ist es bei der chemischen Zersetzung, wenn Atome voneinander getrennt werden. Dabei wird Wärme gebunden, wie man sich früher ausdrückte, thatsächlich aber ist Wärme verschwunden und hat sich in potentielle Energie umgesetzt. Um die Kräfte numerisch darstellen zu können, muß ein bestimmtes K r a f t m a ß vorhanden sein, mit dem ein für allemal gemessen werden kann. Dasselbe wird durch eine bestimmte Arbeitsleistung ausgedrückt, nämlich durch die Arbeit, welche erforderlich ist, um 1 kg 1 m hoch zu heben, und die man als Kilogrammmeter bezeichnet, d. h. als das Produkt aus jenen beiden Faktoren. Allgemein ausgedrückt ist. das Kraftmaß = ph, wenn p das Gewicht und h die Höhe bedeutet, bis zu welcher dasselbe gehoben wird, oder = mgh, wenn m die Masse und g die Schwere bedeutet. Der Ausdruck mgh repräsentiert eine Summe von potentieller Energie, die wir numerisch in die kinetische Energie zu übertragen haben. Geht die eine in die andere über, indem das Gewicht von seiner Höhe frei herunterfällt, so ist die Kraft, mit der es am Boden ankommt, oder seine Endgeschwindigkeit v = ]/2gh, d. h. gleich der Quadratwurzel aus dem doppelten Produkt der Fallhöhe und der Schwere. Ferner ist v2 = 2gh und mv2 = 2mgh oder mgh = } m s ! , also ist die der Lageenergie mgh entsprechende Bewegungsenergie — \ m v 2 . Im allgemeinen ist die Wirkung, welche ein in Bewegung begriffener Körper auf einen zweiten ausübt, dem er seine Bewegung mitteilt, abhängig von seiner Bewegungsenergie; dieselbe ist demnach, wenn die ganze Kraft übertragen werden kann, gleich der halben Masse des Körpers multipliziert mit dem Quadrat seiner Geschwindigkeit Für die Übertragung der mechanischen Arbeit in Wärme ist weiterhin ausgerechnet worden, daß eine W ä r m e e i n h e i t (Kalorie), d. h. diejenige Wärmemenge, welche nötig ist, um 1 kg Wasser von 0° auf 1° C. zu erwärmen, gleich ist 4 2 4 Kilogrammmeter (JOULE). Trotz dieser Gleichheit, die bezüglich der Materie und Kraft in
Einleitung.
5
der anorganischen und organischen Natur vorhanden ist, besteht doch zwischen beiden ein kardinaler Unterschied, der uns über die Natur eines Objektes, ob unorganisch oder organisch, niemals in Zweifel lassen wird. Während nämlich ein unorganischer Körper mehr oder weniger unabhängig von seiner Umgebung existieren kann, ist das für den organischen Körper unmöglich, vielmehr nimmt derselbe fortwährend aus derselben geeignete Stoffe in sich auf, die er in seine eigene Substanz umwandelt, und giebt andere Stoffe an die Umgebung wieder ab. Das Vermögen, diese fremden Substanzen in die seines Leibes umzuwandeln, nennt man das Assimilationsvermögen, und den ganzen Yorgang der Stoffaufnahme, Assimilation und Stoffabgabe nennt man den S t o f f wechsel. Der Organismus, der sich in einer Umgebung befindet, welche ihm die Mittel zur Unterhaltung seines Stoffwechsels nicht bietet, oder der aus inneren Gründen nicht imstande ist, seinen Stoffwechsel zu unterhalten, muß untergehen, muß sterben, denn auf dem Stoffwechsel beruht das ganze organische Leben. Für unsere Erkenntnis bildet der Stoffwechsel allein die Grenze zwischen den beiden Reichen; durch ihn vermögen wir zu beurteilen, wo die unorganische, die tote Natur aufhört und das Reich der Organismen, der lebenden Wesen beginnt
Erste Abteilung.
Allgemeine Physiologie. Die lebenden Wesen, Pflanzen und Tiere, unterscheiden sich voneinander wesentlich nur durch die A r t i h r e s S t o f f w e c h s e l s , denn Unterschiede, die man ehemals zwischen beiden angenommen hatte,' sind nicht überall vorhanden, können also auch kein durchgreifendes Unterscheidungsmerkmal abgeben. Früher hatte man geglaubt, daß allein den Tieren Bewegungserscheinungen zukämen, bis man erkannte, daß auch Pflanzen Bewegungen zeigen, wie der Blattschluß der Mimosa pudica, der Dionaea muscipula und der anderen Insekten fangenden Pflanzen lehrt; ja man lernte sogar Pflanzen kennen, welche Ortsbewegungen ausführen (bewegliche Algensporen). Ebensowenig konnte das Wärmebildungsvermögen der Tiere ein unterscheidendes Merkmal gegen die Pflanzen bleiben, da auch in den Blütenkolben einiger Pflanzen zu gewissen Zeiten nicht unerhebliche Wärmemengen gebildet werden. Endlich kam man zu der Erkenntnis, daß es die v e r s c h i e d e n e A r t des S t o f f w e c h s e l s ist, welche Pflanze und Tier voneinander trennt. Die Pflanze nimmt aus ihrer Umgebung auf: Wasser, Kohlensäure, Ammoniak und Salze; unter den letzteren sind von besonderer Wichtigkeit die stickstoffhaltigen Verbindungen, wie die salpetersauren Salze, die leicht zerfallen und als eines ihrer Zersetzungsprodukte Ammoniak bilden. Diese Substanzen werden assimiliert, also in Bestandteile des Pflanzenleibes übergeführt, der im wesentlichen aus Kohlehydraten, Eiweißkörpern, Fetten und ätherischen ölen besteht. Die Kohlehydrate sind organische Verbindungen, die aus Kohlenstoff, Sauerstoff und Wasserstoff zusammengesetzt sind und die beiden letzteren Elemente gerade in dem Verhältnis enthalten, wie sie miteinander Wasser bilden. Die Eiweißkörper enthalten neben Kohlenstoff, Sauerstoff und Wasserstoff noch S t i c k s t o f f , sind im ganzen sehr hoch zusammengesetzt, ihr Molekül ist sehr atomenreich und relativ niedrig oxydiert, sie können also noch viel Sauerstoff aufnehmen. Endlich findet in den grünen Pflanzenteilen (Chlorophyll) ein G a s w e c h s e l statt, der darin besteht, daß unter dem Einfluß der Sonnenstrahlen die aus der Atmosphäre aufgenommene Kohlensäure reduziert, der Kohlenstoff abgelagert und der
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Sauerstoff an die Atmosphäre abgegeben wird. Bei Nacht findet der umgekehrte Prozeß statt: es nimmt das Blattgrün Sauerstoff auf und giebt dafür Kohlensäure ab. So werden die Nahrungsmittel der Pflanze, welche niedrig zusammengesetzte, aber hoch oxydierte Verbindungen darstellen, wenn sie zu Pflanzenbestandteilen assimiliert werden, umgekehrt in hoch zusammengesetzte und niedrig oxydierte Verbindungen übergeführt. Der Stoffwechsel der Pflanze basiert also auf S y n t h e s e und ist im ganzen ein R e d u k t i o n s p r o z e ß , bei dem kinetische Energie (der Sonnenstrahlen) in potentielle Energie umgewandelt wird. Die Synthese, durch welche die Pflanze aus unorganischem Material ihren eigenen organischen Leib aufzubauen vermag, sichert derselben einerseits eine Existenz fern von allen organischen Wesen und lehrt andererseits, daß die ersten Organismen, welche auf der Erdoberfläche sich entwickelt haben, nur Pflanzen gewesen sein können.
Anders verhält es sich mit dem Stoffwechsel der Tiere. Ihre Nahrungsmittel stammen ausschießlich aus dem Pflanzen- und Tierreich, sind also durchaus hoch zusammengesetzte und niedrig oxydierte Körper, als Eiweiße, Fette und Kohlehydrate, welche nach und nach in einfachere Produkte zerfallen unter allmählichem Eintritt von Sauerstoff. Diese Produkte sind Wasser, Kohlensäure, etwas Ammoniak und eine Reihe stickstoffhaltiger Substanzen (Harnstoff u. a.), die bei weiterer Zersetzung Ammoniak geben, und die alle von neuem den Pflanzen zur Nahrung dienen können. Der Stoffwechsel der Tiere beruht somit auf A n a l y s e zusammengesetzter Verbindungen und repräsentiert im w e s e n t l i c h e n einen o x y d a t i v e n S p a l t u n g s p r o z e ß , durch den potentielle Energie (die Affinität der Kohlen- und Stickstoffe zum Sauerstoff) in kinetische Energie (Wärme und Bewegung) verwandelt wird. Die Pflanze bedarf indes zu ihrer Erhaltung ebenso der Aufnahme von Sauerstoff, wie das Tier: in einer Kohlensäureatmosphäre geht sie bald zu Grunde (SAÜSSURE). In der That nimmt sie an ihren nicht grünen Teilen (und bei Nacht auch an diesen) Sauerstoff auf und giebt Kohlensäure ab. Sie besitzt also offenbar ebenfalls die Fähigkeit der Oxydation. Aber dieser Teil ihres Stoffwechsels ist so gering, daß er im Vergleich zu jenem andern, der mit Reduktion einhergeht, fast verschwindet. Im Prinzip ist also die Pflanze gleichsam ein Tier, das mit Organen ausgestattet ist, in denen Keduktionsprozesse in großem Maßstabe ausgeführt werden (E.
PFLÜGER).
Der Stoffwechsel vollzieht sich in jenen morphologischen Elementen, aus denen, wie M. J. SCHLEIDEN (1837) entdeckt hat, jede Pflanze besteht, und welche Einzelindividuen darstellen, die selbständig an dem Gesamtstoffwechsel der Pflanze teilnehmen. Dieselben sind als E l e m e n t a r o r g a n i s m e n bezeichnet worden und wurden Z e l l e n genannt. Eine Zeit lang hatte man in der Zusammensetzung der Pflanzen aus
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Erste Abteilung.
Zellen den Unterschied dieser gegen die Tiere vermutet, bis TH. SCHWANN1 zeigte, daß auch der Tierkörper ursprünglich aus Zellen besteht, die als solche in demselben persistieren oder gewisse Veränderungen erfahren haben, ohne indes ihre frühere Zellennatur gänzlich zu verwischen. Eine solche Zelle wurde dargestellt als ein Bläschen, das überall von einer Membran umgeben ist, einen festweichen Inhalt besitzt, in dem ein kleines Gebilde von wahrscheinlich größerer Konsistenz liegt, das der Kern der Zelle genannt wird. Diese Beschreibung mag heute noch für die Pflanzenzelle gelten, für die Tierzelle ist sie längst als eine unzureichende aufgegeben worden. Die tierische Zelle stellt ein Klümpchen festweicher organischer Masse dar, das aus Eiweiß, Kohlehydraten, Salzen und Wasser besteht, in dem ein Kern vorhanden ist. Die Attribute einer solchen Zelle sind 1) die Fähigkeit der Assimilierung und des dadurch bedingten Wachstums, 2) die Möglichkeit der Teilung, durch welche sie sich vermehren und fortpflanzen kann, und 3) eine Bewegungsfähigkeit, die ihr namentlich im Jugendzustande zukommt; es können aus dem Leibe der Zelle Fortsätze wie Fühler herausgestreckt und wieder zurückgezogen werden, mit deren Hilfe die Zellen einerseits Stoffe aus ihrer Umgebung in sich aufnehmen, andererseits Ortsbewegungen ausführen können. So scheint das Wesen und die Natur der Zelle nicht sowohl in ihrer Form, als vielmehr in dem Material, aus dem sie besteht, gegeben zu sein; man nennt dieses Material das „Protoplasma" und spricht dann von Zellenprotoplasma. Man hat in neuerer Zeit versucht, tiefer in den Bau des Protoplasmas einzudringen. Ein solcher Versuch betrachtet das Protoplasma als eine Emulsion im Sinne eines Seifenschaumes, bei welchem das Plasma ein äußerst feines wabiges G-erüstwerk bildet, während die Lücken von indifferenter Flüssigkeit gebildet werden.4 Ein anderes Bestreben geht dahin, das Protoplasma aus organischen Elementarelementen (Körnchen — Granula) niederen Grades zerfallen zu lassen.8
Beschäftigen wir uns fernerhin ausschließlich mit dem Tiere (indem wir die analoge Betrachtung für die Pflanzen der Phytophysiologie überlassen), so haben wir als einen Fortschritt zu verzeichnen die Entdeckung, daß nicht allein jedes Tier im erwachsenen Zustande aus Zellen sich zusammensetzt, sondern noch viel mehr, daß jedes mehrz e l l i g e Tier, wie tief oder wie hoch es auch in der Tierreihe s t e h t , z. B. ein P o l y p und der Mensch, sich aus einer einz i g e n Zelle e n t w i c k e l t hat, welche die Eizelle g e n a n n t wird. 1 T H . SCHWANK, Mikroskopische Untersuchungen über die Übereinstimmung in der Struktur und dem Wachstum der Tiere und Pflanzen. Berlin 1839. 2 BÜTSCHLI, Untersuchungen über mikroskopische Schäume und das Protoplasma etc. Leipzig 1892. ' R. ALTMANN, Die Elementarorganismen und ihre Beziehungen zu den Zellen. Zweite Auflage. Leipzig 1894.
Allgemeine Physiologie.
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Da eine jede Zelle, wie wir oben bemerkt haben, ein selbständiges Individuum darstellt, gewissermaßen ein Individuum erster Ordnung, so kann es nur natürlich erscheinen, daß einige Tiere während ihres ganzen Lebens auf dieser niederen Stufe stehen bleiben und ein einzelliges Tier darstellen. Dahin gehören die Gregarinen, Acineten, Infusorien u. s. w., von denen uns die Amöben am bekanntesten sind. Man nennt nach E. H Ä C K E L diese einzelligen Tiere „Protozoen", im Gegensatz zu der Mehrzahl der übrigen Tiere, welche nicht auf der Form ihrer Eizelle stehen bleiben, sondern sich weiter entwickeln zu höheren Formen, wie Mollusken, Fischen, Säugetieren u. s. w., die in ihrer Gesamtheit nach demselben Autor als „Metazoön" bezeichnet werden. Angesichts dieser Thatsache, nämlich der Entwickelung der meisten Tiere aus der Eizelle, werden wir zu der Frage geführt, ob die vielen auf der Erdoberfläche vorhandenen Tierarten gesondert, jedesmal aus der entsprechenden Zelle in irgend einer Periode unserer Erde entstanden sind und starr ihre Art seit jener Zeit bis auf uns erhalten haben, oder ob nur eine oder mehrere Arten in jener Zeit gebildet wurden, aus denen sich in irgend einer Weise die große Zahl der jetzt vorhandenen Arten nacheinander entwickelt hat. Für die letztere Annahme sprechen namentlich folgende Beobachtungen: 1) Die einzelnen Arten sind nicht streng voneinander geschieden, sondern man findet zwischen denselben Übergangsformen von so schwankender Natur, daß ihre Zugehörigkeit zu der einen oder anderen Art oft höchst zweifelhaft ist. 2) Die Thatsache, daß jedes Ei in seiner Entwickelung zum ausgewachsenen Individuum eine Reihe von Formen durchläuft, die mehr oder weniger gleich sind den Formen, welche die tiefer stehenden Arten dauernd darstellen. 3) Die vergleichende Anatomie lehrt, daß innerhalb einer jeden bestimmten systematischen Gruppe eine Fortentwickelung von niederen zu höheren Organisationsstufen vorhanden ist. 4) Die Geologie zeigt, daß jene morphologisch tiefer stehenden Organismen auch der Zeit nach, d. h. in den verschiedenen geologischen Schichten, früher erscheinen, als die auf jene zu beziehenden höher organisierten Formen. Diese Thatsachen finden die natürlichste Erklärung in L A M A B K S Anschauung, die derselbe in seiner „Philosophie zoologique" (1809) niedergelegt hat, nach welcher die Arten aus einer oder mehreren Stammformen nacheinander durch allmähliche Entwickelung infolge einer Umbildung entstanden sind. Die ganze Lehre wird deshalb die „Descendenz oder T r a n s m u t a t i o n s l e h r e " genannt. Die Descendenzlehre hatte wenig Anerkennung gefunden, bis C H A B L E S D A E W I N 1 50 Jahre später dieselbe physiologisch begründet und das 1
the origin of species b j mearis of natural selection. Obers, von BRONN. Stuttgart 1860.
CHARLES DARWIN, ON
London 1859.
Erste Abteilang.
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Zustandekommen jener Umbildung erklärt hat durch seine „ S e l e c t i o n s t h e o r i e o d e r Z ü c h t u n g s l e h r e " , die heute kurzweg die „ D a b w i n s c h e T h e o r i e " genannt wird. Der Inhalt derselben ist folgender: „Im Kampfe ums Dasein, den alle Individuen gegen die umgebende Natur zu kämpfen haben, erwerben einzelne derselben gewisse Fähigkeiten, welche ihnen in diesem Kampfe nützlich sind und ihnen zum Siege verhelfen, so daß sie sich den umgebenden widerstrebenden Verhältnissen a n z u p a s s e n vermögen. Aber auch nur diese Individuen haben Aussicht, ihre Art fortzupflanzen, da die anderen im Kampfe unterliegen, und diese übertragen die erworbenen nützlichen Fähigkeiten durch Vererbung auf ihre Nachkommen. Werden nun diese ererbten Fähigkeiten von den nachfolgenden Geschlechtern durch weitern Gebrauch immer mehr entwickelt, so müssen durch A n p a s s u n g u n d V e r e r b u n g b e i n a t ü r l i c h e r Z u c h t w a h l (als welche die Erhaltung und Fortpflanzung der siegreichen Individuen bezeichnet wird) n e u e Arten entstehen können." Demnach läßt sich die Entwickelung der verschiedenen Gruppen des Tierreiches in Form eines oder mehrerer Stammbäume anordnen. Man bezeichnet diese Entwickelung als „ S t a m m e s e n t w i c k e l u n g " , „ P h y l o g e n i e " ( C. unterschieden werden können (WEBEB). Die Temperaturempfindung scheint auch von der Größe der gereizten Hautfläche abzuhängen, denn beim Eintauchen der ganzen Hand in Wasser von 40 0 ist die Empfindung größer als beim Eintauchen nur eines Fingers. Die verschiedenen Hautstellen besitzen einen sehr verschiedenen Temperatursinn: die größte Empfindlichkeit besitzen die Wange, die Augenlider, der äußere Gehörgang und besonders die Zungenspitze. Alle in der Mittellinie des Gesichtes, der Brust u. s. w. befindlichen Hautpartien erscheinen empfindlicher als die seitlichen Teile. Besonders sei hier hervorgehoben, daß alle die eben betrachteten Empfindungen ausschließlich der Haut, als dem entsprechenden Sinnesorgan, eigentümlich sind, denn von Haut entblößte Körperstellen können jene Empfindungen ebensowenig vermitteln, als sie durch direkte Reizung sensibler Nervenstämme hervorgerufen werden. In solchen Fällen entstehen keine Sinnesempfindungen, sondern Gemeingefühle, Schmerz. Gleich den Druckpunkten hat man auch „Wärme- und Kältepunkte" aufgefunden (BLIX, GOLDSCHEEDEB), d. h. Punkte, welche nur durch warme oder nur durch kalte Objekte die spezifische Empfindung von „warm" und „kalt" geben. Dieselbe Empfindung geben sie auch auf elektrische Reizung, sowie auf leichten Stoß mit einem spitzen Körper. Diese Resultate nötigen zur Annahme von gesonderten Wärmeund Kältenerven, sowie zur Trennung des Temperatursinnes in einen Wärme- und Kältesinn, was schon vorher auf Grund gewisser Beobachtungen verlangt worden war; so z. B. bemerkte man, daß eingeschlafene Glieder wohl Wärme, aber nicht Kälte empfinden ( A . HEBZEN).
Das G e m e i n g e f ü h l . Zu den Gemeingefühlen zählt man Schmerz, K i t z e l , Schauder, W o l l u s t , H u n g e r , Durst und Ekel. Nur der Schmerz scheint lokalisierbar zu sein, und man empfindet denselben an ganz bestimmten Körperteilen. Da er durch Reizung von sensiblen Nervenstämmen
Gemeingefühl.
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erzeugt, aber jedesmal an die Peripherie verlegt wird, so kommt es vor, daß über Schmerzen in schon lange amputierten Gliedern geklagt wird. Der Kitzel ist in seinem örtlichen Auftreten zwar ebenfalls lokalisierbar, aber die Lokalisation ist weit mehr auf die gleichzeitige Tastempfindung zu beziehen. Die übrigen Gemeingefühle sind ihrem örtlichen Auftreten nach gar nicht näher zu bestimmen. Der Schmerz wird durch heftigen Zug und Druck, durch Elektrizität und chemische Agentien, durch Wärme und Kälte erregt, und zwai sowohl, wenn diese Ursachen auf die Haut, als auch wenn sie auf die Nervenstämme einwirken. Entsteht der Schmerz durch Einwirkung auf die Haut, so ist im Momente der Einwirkung der schmerzerregenden Ursache jedesmal mit demselben eine Tastempfindung verbunden, die aber sehr bald vom Schmerz übertönt wird; der Teil ist selbst eine Zeitlang unfähig, Empfindungen hervorzurufen. Am besten studiert ist der Wärme- und Kälteschmerz, da sich Wärme und Kälte als Eeiz ihrer Intensität nach abstufen lassen. In den entsprechenden Versuchen hat sich ergeben, daß die Haut bis zu 48° C. erhitzt werden muß, damit Schmerz (Wärmeschmerz) entsteht; umgekehrt entsteht der Kälteschmerz bei ca. 12° C. Von entschiedenem Einfluß auf die Entstehung des Schmerzes .ist die Größe der erwärmten Hautfläche: während ein in 48° C. wannes Wasser eingetauchter Finger nur Temperaturempfindung besitzt, entsteht beim Eintauchen der ganzen Hand in gleich warmes Wasser sehr starker Schmerz. Ähnlich ist es bei 9° C. mit dem Kälteschmerz. Kitzel und Schauder entstehen durch leise Berührung gewisser Hautstellen, ohne daß sich an diesen Stellen besondere Vorrichtungen zum Zwecke dieser Empfindungen nachweisen lassen. Das Wollustgefühl entsteht durch Reizung der Nerven der Wollustorgane; etwas Näheres hierüber ist nicht bekannt. Hunger und Durst treten nach kürzerer oder längerer Entziehung von Speise und Trank auf. Welche Teile des Nervensystems bei der Entstehung dieser Empfindungen beteiligt sind, ist nicht ermittelt. Ebensowenig läßt sich etwas Sicheres über das Ekelgefühl sagen, das sich mit gewissen Geruchs- und Geschmacksempfindungen verbindet und dem Erbrechen vorauszugehen pflegt. Ob die Gemeinempflndungen und die Sinnesempfindungen in denselben oder in verschiedenen Nervenbahnen geleitet werden, ist vorläufig nicht zu entscheiden. Die verschiedene Empfindungsweise der sensiblen Hautnerven könnte für die letztere Anschauung sprechen. Ein* facher erscheint aber die Annahme, daß beide Arten von Empfindungen von der Haut aus in denselben Nervenbahnen geleitet werden, und daß sich nur durch gewisse Nebenumstände zu der Sinnes- noch die Schmerz21*
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Der Gesichtssinn.
empfindung gesellt In erster Linie kommt hierbei die Intensität der Erregung in Betracht, derart, daß schwache Erregungen nur zu Tastempfindungen, starke aber bloß zu Gemeingefühl führen. Die sehr merkwürdige Erscheinung der Analgesie, die darin besteht, daß bei gewissen Erkrankungen ein Reiz wohl eine Tastempfindung, aber trotz genügender Stärke keine Schmerzempfindung hervorruft (wie sie thatsächlich auch während der Chloroformnarkose beobachtet wird), läßt sich zu Gunsten beider Annahmen verwerten. § 2. Der Gesichtssinn. 1 Mit Hilfe des Gesichtssinnes können Objekte der Außenwelt wahrgenommen werden, wenn genügendes Licht in das Sehorgan, das Auge, gelangt Dieses Licht trifft auf die flächenartige Ausbreitung des Sehnerven, welcher von dem adäquaten Reiz erregt wird und diese Erregung, in eigentümlicher Weise umgesetzt", durch den Sehnerven dem Sehcentrum zusendet, und so die Sehempfindung hervorruft, die mit Zuhilfenahme des Bewußtseins zur Vorstellung von äußeren Objekten führt. Demnach ist zu betrachten: 1) die Dioptrik des Auges oder die Lehre von dem Gange des Lichtes im Auge; 2) die Gesichtsempfindungen, welche im Sehcentrum hervorgerufen werden, ohne Rücksicht darauf, daß sie zur Wahrnehmung von Objekten führen; 3) die Gesichtswahrnehmungen, welche das Bewußtsein auf Grund der Gesichtsempfindungen zu machen im stände ist. 1. Die Dioptrik des Auges. Das Auge gleicht in seiner optischen Wirkung einer Camera obscura, in welcher die von einem leuchtenden Objekte ausgehenden Lichtstrahlen durch eine bikonvexe Linse gebrochen auf einer dahinter stehenden, matten Glastafel ein umgekehrtes, verkleinertes Bild des leuchtenden Objektes entwerfen. Ein ebensolches Bild wird auch auf der Retina des Auges entworfen, wenn man vor dasselbe ein leuchtendes Objekt bringt, wovon man sich sehr leicht an dem ausgeschnittenen Auge eines weißen Kaninchens überzeugen kann: wird dasselbe von allen ihm anhängenden Teilen, wie Fettgewebe u. s. w., gereinigt und wird vor die Cornea in geeigneter Entfernung eine brennende Kerze aufgestellt, so sieht man durch die der Cornea gegenüberliegende Wand 1 H. HELMHOLTZ, Handbuch d. physiologischen Optik. 1867. 2. Aufl. 1896. Artikel Optik in HERMANNS Handbuch der Physiologie. Bd. i n . 1879.
Dioptrik des Auges.
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der Sclera das auf der Retina entworfene, umgekehrte, verkleinerte Bild der Kerzen flamme sehr deutlich hindurchschimmern. In der That sind aber die Brechungsverhältnisse des Lichtes im Auge viel komplizierter als in der Camera obscura, in der nur zwei brechende Medien, bikonvexe Linse und Luft, vorhanden sind, während wir im Auge mit mehreren brechenden Medien zu rechnen haben. Diese sind: 1) die Cornea, 2) der Humor aqueus, 3) die Kryställlinse mit ihrer Kapsel und 4) der Glaskörper. Ein zur Retina strebender Lichtstrahl hätte demnach 4 brechende Medien: Cornea, Huipor aqueus u.s. w., also 4 brechende Flächen: vordere und hintere Cornealfläche sowie vordere und hintere Linsenfläche zu durchlaufen. Da die Cornea- aus parallelen Lamellen besteht und an ihrer vorderen und hinteren Fläche an Medien von gleicher Brechung grenzt (Thränenflüssigkeit, — Kammerwasser), so kann man sie vernachlässigen und annehmen, daß ein brechendes Medium von der Beschaffenheit des Kammerwassers bis an die vordere Linsenfläche reicht. Wir haben es somit nur mit drei brechenden Medien: H u m o r a q u e u s , L i n s e und Glaskörper, also auch nur mit drei brechenden Flächen: v o r d e r e C o r n e a l f l ä c h e , vordere und h i n t e r e L i n s e n f l ä c h e zu thun. Da die brechenden Flächen des Auges als sphärisch gekrümmte Flächen erscheinen, deren Achsen alle in eine g e r a d e L i n i e zusammenfallen, so stellt das Auge ein c e n t r i e r t e s , o p t i s c h e s S y s t e m dar, dessen Achse, welche mit ihrem vorderen Ende etwa in den Mittelpunkt der Hornhaut fällt, während das hintere Ende zwischen dem gelben Flecke und der Opticuspapille hindurchgeht, die A u g e n a c h s e genannt wird. Die Linse ist keine einfach brechende Fläche, sondern besteht aus konzentrisch angeordneten Lamellen von zum Kern hin immer zunehmender Dichtigkeit, so daß der letztere das Licht am stärksten bricht. Die Brechung des Lichtes in diesen vielfachen, brechenden Flächen ist empirisch als absoluter Brechungsindex der Linse bestimmt worden, wobei sich ergeben hat, daß die Brechung dieser' so eigentümlich zusammengesetzten Linse größer ist, als wenn sie im ganzen aus einem Material von der Brechbarkeit des Kernes bestände. Um den Gang der Lichtstrahlen, welche durch das centrierte System von drei brechenden Flächen auf die Retina zielen, verfolgen zu können, muß man notwendigerweise kennen: 1) die Gestalt der brechenden Flächen; 2) ihre Entfernung von einander und von der Netzhaut, und 3) die Brechungsexponenten der brechenden Medien (Sinus des Einfallswinkels dividiert durch den Sinus des Brechungswinkels). Nach LISTING sind die brechenden Flächen Kugelflächen; es sind: 1) Die Radien dieser Flächen a) Hornhaut = 8 mm b) Vordere Linsenfläche . . . . . . . . = 10 „ c) Hintere Linsenfläche = 6 „
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Kardinalpunkte.
2) ihre Entfernungen a) Yordere Hornhaut- und vordere Linsenfläche = 3-671 mm b) Entfernung der hinteren Linsenfläche. . = 7-498 „ c) Dicke der Linse = 3-827 „ d) Hintere Linsenfläche von der Retina . . = 15-021 „ 3) die Brechungsexponenten (der der Luft = 1 gesetzt) . TT
a) Humor aqueus b) Krystalllinse c) Glaskörper
= .
.
. = =
103
„
16
„ „
Trotz der Kenntnis dieser Zahlen wäre die Aufgabe, den Gang der Lichtstrahlen durch das Auge in den einzelnen Phasen der Brechung zu verfolgen, ein außerordentlich schwieriges Unternehmen. Nun hat
Fig. 23.
GaDg der Lichtstrahlen durch ein centriertes optisches System (GAUSS).
aber GAT7SS durch Rechnung entwickelt, daß für jedes centrierte, optische System von beliebig vielen, sphärisch begrenzten brechenden Medien drei Paare von „Kardinalpunkten" sich bestimmen lassen, durch welche, wenn ihre gegenseitige Lage durch die Brechungsexponenten, die Radien der Krümmungsflächen und deren Scheitelabstände gegeben ist, die Lage und Grösse der optischen Bilder sowie der Gang eines jeden Lichtstrahles ermittelt werden kann, sobald die Lage des einfallenden Lichtstrahles bekannt ist. Diese vier Kardinalpunkte sind der erste und der zweite Hauptpunkt Ä, und hn und der erste und zweite Brennpunkt ft und ft/; die und deren Scheitelpunkt im Hauptpunkt läge, während sich vor ihr Luft, hinter ihr der Glaskörper befinden würde. So ist in dem reduzierten Auge (Fig. 24) die brechende Kugelfläche durch den gestrichelten Bogen II, ihr Mittelpunkt in H gegeben. Für den Fall, daß es nur darauf ankommt, den Ort des Bildes auf der Netzhaut für einen bestimmten Funkt des Objektes zu finden, genügt die Kenntnis des Knotenpunktes. Man findet den Ort des Bildes, wenn man von dem leuchtenden Punkte eine gerade Linie durch den Knotenpunkt bis zur Netzhaut zieht. Diese gerade Linie, die Richt u n g s l i n i e des Sehens oder der S e h s t r a h l , giebt da, wo sie die Netzhaut trifft, den Ort des Bildes an. Der Knotenpunkt ist somit der K r e u z u n g s p u n k t der R i c h t u n g s l i n i e n , und der Winkel, welchen zwei Sehstrahlen miteinander machen, heißt der Sehwinkel. Derjenige Richtungsstrahl, welcher die Stelle des direkten Sehens, den gelben Fleck (macula lutea) trifft, heißt nach HELMHOLTZ die Gesichtsliriie, welche durchaus verschieden von der Augenachse ist und vor dem Auge stets nach ihnen von derselben liegt; in der Fig. 24 ist sie durch G, (?„ gegeben. Die Achse des Augapfels ist von B B Ü C K E an ausgeschnittenen Augen zu 23—26 mm bestimmt worden. Die Brechungsindices der brechenden Medien werden ebenfalls an ausgeschnittenen Augen nach den entsprechenden, physikalischen Methoden ausgeführt. Die Krümmungsradien können am lebenden Auge bestimmt werden, wenn man die Größe des Spiegelbildes kennt, das ein in gewisser Entfernung aufgestelltes, leuchtendes Objekt von bekannter Größe auf den brechenden Flächen der Cornea, der vorderen und der hinteren Linsenfläche entwirft. Es verhält sich nämlich die Größe des Objektes zur Entfernung wie die Größe des Spiegelbildes zum halben Radius der spiegelnden Fläche. Das Spiegelbild hat zuerst HELMHOLTZ mittels seines O p h t h a l m o m e t e r s gemessen, welches im wesentlichen ein zum Sehen auf kurze Entfernungen eingerichtetes Fernrohr ist. Vor dem Objektiv desselben steht eine planparallele Glasplatte senkrecht zur Achse des Fernrohres, welche durch einen horizontalen Schnitt in zwei gleiche Teile geteilt ist, so daß die eine Hälfte des Objektivglases durch die obere, die andere durch die untere Platte sieht; es erscheint dem Beobachter nur ein Bild des betrachteten Objektes. Die beiden Platten, welche durch eine vertikale drehbare Achse miteinander verbunden sind, können von einander in entgegengesetzter Richtung entfernt werden, so daß sie miteinander einen Winkel bilden: in diesem Falle teilt sich das einfache Bild in zwei horizontale Bilder,
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Deutliches Sehen.
Sehen in Zerstreuungskreisen.
deren Entfernung um so größer wird, je größer der Drehlingswinkel der Glasplatten ist. Man kann nun die Platten so drehen, daß die innersten Punkte der beiden Bilder sich eben berühren, für welchen Fall jedes Bild gerade um seine halbe Länge verschoben ist. Aus der Größe des Winkels, den die Platten jetzt mit einander machen, und den man am Instrumente selbst ablesen kann, ihrer Dicke und ihrem Brechungsindex läßt sich die Größe des Bildes berechnen. Die Entfernung der Scheitelpunkte der brechenden Flächen wurde früher ebenfalls am ausgeschnittenen Auge bestimmt; sie geschieht jetzt besser ebenfalls am lebenden Auge mit Hilfe des Ophthalmometers.
Deutliches
Sehen.
Lichtstrahlen, welche von einem entfernten, leuchtenden Punkte auf das Auge fallen, werden zunächst von der Hornhaut gebrochen und gelangen in konvergenter Richtung auf die Linse, von welcher sie noch konvergenter gemacht werden, so daß sie auf der Netzhaut vereinigt werden können. D e u t l i c h e s S e h e n eines leuchtenden Punktes ist n u r dann möglich: wenn 1) alle von dem leuchtenden Punkte ausgehenden Strahlen sich i n e i n e m P u n k t e d e r N e t z h a u t v e r e i n i g e n , und wenn 2) der Richtungsstrahl von dem leuchtenden Punkte den Mittelpunkt des gelben Fleckes trifft, also in die Gesichtslinie fällt. I n der That hat H E L M H O L T Z mit dem Augenspiegel (s. unten) beobachten können, daß derjenige P u n k t des Gesichtsfeldes, den wir direkt betrachten oder mit dem Blicke f i x i e r e n , jedesmal im Mittelpunkte des gelben Fleckes abgebildet wird. Daraus folgt, daß wir im Gesichtsfelde immer nur einen P u n k t deutlich sehen können, während die übrigen undeutlich gesehen werden, aber durch die Bewegungen des Auges können wir nach und nach jeden einzelnen Punkt mit der Gesichtslinie berühren und deutlich sehen (s. unten). Z e r s t r e u u n g s b i l d e r auf der N e t z h a u t . Das Licht, welches von einem leuchtenden Punkte durch die kreisförmige Pupille ins Auge gelangt, bildet hinter der Pupille einen Strahlenkegel, dessen Basis in der Pupille, dessen Spitze in der Netzhaut liegt und dem Bildpunkt entspricht. Nach der Vereinigung divergieren die Strahlen wieder. W ü r d e nun die Netzhaut vor oder hinter dem Vereinigungspunkt der Strahlen von dem Strahlenkegel getroffen werden, so würde nicht nur ein einzelner P u n k t , sondern eine dem kreisförmigen Durchschnitte des Strahlenkegels entsprechende Kreisfläche der Netzhaut erleuchtet werden, welche man einen „ Z e r s t r e u u n g s k r e i s " nennt. Dieses Sehen nennt man „Sehen in Zerstreuungskreisen", und das Bild erscheint seiner Undeutlichkeit wegen „verwaschen". I n Fig. 25 werden die von dem leuchtenden Punkte a
331
Sehen in Zerstreuungskreisen. ausgehenden Strahlen durch die L i n s e b gebrochen u n d auf der haut wird.
nn
in
c sämtlich v e r e i n i g t ,
in w e l c h e m F a l l e
deutlich
Netz-
gesehen
B e f i n d e t sich aber die N e t z h a u t in m m oder I I (was einer V e r -
schiebung des P u n k t e s a i n die F e r n e oder N ä h e entsprechen so entstehen auf
der
f ü r die N e t z h a u t mm
N e t z h a u t Zerstreuungskreise, z. B . pq
deren
würde),
Durchmesser
ist.
Es f o l g t daraus, daß bei u n v e r ä n d e r t e m A u g e n u r d i e j e n i g e n Obj e k t e deutlich gesehen w e r d e n k ö n n e n ,
welche in
einer E b e n e
liegen,
während m a n die n i c h t in derselben E b e n e g e l e g e n e n P u n k t e des Objektes in Zerstreuungskreisen verschieden gleichzeitig
weit
vom
deutlich
oder verwaschen sieht,
Auge
gesehen
entfernte
oder es
Gegenstände
können nicht
werden.
Die Entstehung von Zerstreuungskreisen kann man objektiv nachahmen, wenn man in einiger Entfernung von einer Sammellinse einen Schirm mit einer engen Öffnung aufstellt, durch welche ein Licht scheint, dessen Bild auf einer hinter der Linse aufgestellten weißen Papierfläche aufgefangen wird. Man sieht, daß ein scharf umschriebenes Bild der Flamme auf der Papierfläche nur dann entworfen wird, wenn das Licht sich in einer ganz bestimmten Entfernung von der Linse befindet; sobald man es aber derselben nähert oder von derselben entfernt, so dehnt sich der Lichtpunkt zu einem hellen Kreise (Zerstreuungskreis) aus. Da die Größe der Zerstreuungskreise von der Größe des Strahlenkegels und dieser wieder von der W e i t e der Pupille abhängt, so kann man dieselben durch Verkleinerung der Pupille verkleinern und das Bild wieder deutlicher machen, indem man vor das A u g e ein Kartenblatt mit einer runden Öffnung hält, welche kleiner als die natürliche Pupille ist. — Setzt man vor die Linse in Fig. 25 einen Schirm mit zwei Öffnungen e und f , so werden, wenn die weiße Papierfläche in m m steht, aus dem Zerstreuungskreise p q zwei gesonderte kleinere Zerstreuungskreise herausgeschnitten. Ebenso werden unter denselben Verhältnissen auf der Retina zwei Zerstreuungskreise entworfen, welche das leuchtende Objekt doppelt erscheinen lassen werden (ScHEiNERScher Versuch). Daß verschieden weit vom A u g e entfernte Gegenstände gleichzeitig nicht deutlich gesehen werden können, ergiebt sich leicht, wenn man etwa 6 Zoll vor dem Auge einen Schleier, in einer Entfernung von 2 Fuß dahinter ein Buch hält und ein Auge schließt. Erscheinen die Fäden des Schleiers deutlich, so werden die Buchstaben undeutlich und umgekehrt.
332
Die Akkommodation.
Die A k k o m m o d a t i o n . Das schematische Auge, dessen wir uns bisher bedient haben, ist so eingerichtet, daß es nur parallel auffallende Strahlen auf seiner Netzhaut vereinigen, also nur unendlich ferne Objekte sehen kann. In der That aber können wir w i l l k ü r l i c h verschieden weit vom Auge entfernte Gegenstände, wenn auch nicht gleichzeitig, so doch n a c h e i n a n d e r deutlich sehen. Es muß also unser Auge die Fähigkeit besitzen, auch Strahlen, welche aus endlicher Entfernung kommend divergent auf die Cornea treffen, auf der Netzhaut in einem Punkte zu vereinigen, d. h. sich verschiedenen Entfernungen a n z u p a s s e n . Diese Fähigkeit unseres Auges, bald ferne, bald nahe Gegenstände d e u t l i c h zu sehen, nennt man die A k k o m m o d a t i o n oder A d a p t i o n des Auges für die Entfernung des Objektes. Die Entfernungen, für welche das Auge akkommodieren kann, sind außerordentlich verschieden. Der dem Auge nächste Punkt, für den noch akkommodiert wird, heißt der N a h e p u n k t ; der entfernteste der F e r n p u n k t der Akkommodation und die Entfernung dieser beiden, d. h. den Inbegriff aller der Entfernungen, für welche ein Auge durch die Akkommodation deutlich sehen kann (auf der Richtung der Sehachse gemessen), nennt man die A k k o m m o d a t i o n s b r e i t e , welche für ein normales Auge von 100—130 mm Abstand bis in unendliche Ferne reicht. Innerhalb der Akkommodationsbreite findet daher eine a l l m ä h l i c h z u n e h m e n d e A k k o m m o d a t i o n statt, die, vom Fernpunkt beginnend, im Nahepunkt am größten ist. Aus der geometrischen Konstruktion des Bildpunktes auf der Netzhaut geht hervor, daß in sehr großer Entfernung gelegene Objekte, bei einem gegebenen Akkommodationszustande, dem Auge erheblich genähert werden können, und zwar bis auf ca. 10 m, ehe m e r k l i c h e Zerstreuungskreise auf der Netzhaut entstehen, so daß die Bilder von Objekten, die sehr nahe vor oder hinter dem fixierten Punkte liegen, noch deutlich gesehen werden können. Umgekehrt genügt für sehr nahe gelegene Objekte eine geringfügige Verschiebung, um schon merkliche Zerstreuungskreise auf der Netzhaut und somit undeutliches Sehen entstehen zu lassen. Man nennt den Teil der Akkommodationsbreite (oder der Gesichtslinie), in welcher bei einer gewissen Akkommodationsstellung des Auges ungleich entfernte, aber einander sehr nahe gelegene Objekte ohne merkliche Undeutlichkeit gesehen werden können, die A k k o m m o d a t i o n s l i n i e (J. CZERMAK), und es ist leicht verständlich, daß die Akkommodationslinie für ein fern gelegenes Objekt viel länger sein muß als für ein nahe gelegenes Objekt. Es folgt daraus weiter, daß beim Sehen in die Nähe, im Gegensatz zum Sehen in die Ferne,
Mechanismus der Akkommodation. die A k k o m m o d a t i o n
333
f o r t w ä h r e n d i n T h ä t i g k e i t sein m u ß ,
wenn
deut-
liche B i l d e r a u f der N e t z h a u t e n t w o r f e n werden sollen. U m die Akkommodationsbreite des Auges zu bestimmen, bedient m a n sich der O p t o m e t e r , deren Prinzip auf dem ScHEiNERSchen Versuche basiert. B r i n g t man ein K a r t e n b l a t t mit zwei sehr feinen Offnungen vor das Auge, deren E n t f e r n u n g kleiner ist als der Durchmesser der Pupille u n d hält davor eine feine Nadel in näherer und weiterer F e r n e , so sieht man dieselbe bei einer gewissen E n t f e r n u n g oder A n n ä h e r u n g an das Auge doppelt; die Strecke, innerhalb welcher sie einfach gesehen wird, wo also immer eine Vereinigung der Strahlen auf der Netzhaut stattfindet, ist die Akkommodationsbreite. Eins der ersten Optometer s t a m m t von T H . Y O Ü N O , das, von S T A M P F E R verbessert, an Stelle einer Nadel einen engen Spalt hat, der statt durch zwei Löcher durch parallele Spalten betrachtet werden kann. — Indes sind die Optometer f ü r den angegebenen Zweck jetzt außer Gebrauch, vielmehr bedient m a n sich des einfachen Mittels, Schriftzeichen verschiedener Größe in verschiedenen E n t f e r n u n g e n lesen zu lassen, welche, von S N E L L E N aus Quadraten zusammengesetzt, bestimmte Nummern (nach der Größe) erhalten haben, um unter einander vergleichbar sein zu können, da das E r k e n n e n eines Objektes auch von der Größe des Gesichtswinkels abhängig ist. Als Maß f ü r die Akkommodationsbreite gilt die Differenz der reciproken W e r t e der E n t f e r n u n g des N a h e - und F e r n p u n k t e s
Mechanismus
der
Akkommodation.
D i e V e r ä n d e r u n g e n , w e l c h e bei der A k k o m m o d a t i o n a m A u g e eintreten,
zuerst v o n CRAMEB U. HELMHOLTZ b e o b a c h t e t ,
sind folgende:
1) die P u p i l l e wird enger, 2 ) der P u p i l l a r r a n d der Iris r ü c k t vor u n d n ä h e r t sich der Cornea, Yorderfläche rückt sich
nach
der vorn,
ebenfalls
geringerem
w ä h r e n d der Ciliarrand z u r ü c k w e i c h t ,
Krystalllinse 4)
und
die
rückt
wird
hintere Fläche nach
Grade als in der
3) d i e
stärker gekrümmt
hinten;
der Linse beides
aber
und
krümmt in
viel
Yorderfläche.
D i e V e r ä n d e r u n g e n , w e l c h e in d e m dioptrischen A p p a r a t e des A u g e s bei der A k k o m m o d a t i o n
hervorgerufen
werden,
g i e b t die F i g . 2 7
auf
der m i t N b e z e i c h n e t e n Seite, w ä h r e n d bei F der R u h e z u s t a n d wiederg e g e b e n ist. Die Veränderungen der Linse bei der Akkommodation haben C R A S I E R U . u n a b h ä n g i g von einander mittels der P U R K I N J E - SANSONSchen Bildchen ermittelt u n d die Größe dieser Veränderungen gemessen. E s sind dies drei Reflexbildchen (a, b, c), welche durch Spiegelung einer Kerzenflamme von der Cornea, der vorderen u n d hinteren Linsenfläche entworfen werden (s. Fig. 26). Dieselben können deutlich beobachtet werden, wenn man seitlich von dem Auge der Versuchsperson die Kerzenflamme aufstellt u n d von der anderen Seite h e r das Auge beobachtet: m a n sieht am weitesten n a c h innen das sehr lichtstarke, aufrechte Bild der Kerzenflamme (a); mehr nach außen ebenfalls ein aufrechtes Bildchen der Flamme, etwas größer als das andere, aber sehr lichtschwach u n d verwaschen (6); am meisten nach außen erscheint das dritte Bildchen, welches HELMHOLTZ
334
Mechanismus der Akkommodation.
viel kleiner als die beiden vorigen ist, aber umgekehrt und deutlich begrenzt erscheint (c). Das erste Bild ist das Corneabild, das mittlere entspricht der Vorderfläche der Linse — erstes Linsenbild —, das dritte gehört der Hinterfläche der Linse an — zweites Linsenbild. Wenn das Auge aus der Fernstellung in eine Nahestellung übergeht, so verkleinert sich das erste Linsenbild und nähert sich der Mitte der Pupille, das zweite Linsenbild wird etwas kleiner, während das Corneabild vollkommen unverändert bleibt. Da nun ein konvexer Spiegel unter sonst gleichen Umständen desto kleinere Bilder entwirft, je kleiner sein Badius, so folgt aus dieser Beobachtung, daß die vordere Fläche der Krystalllinse bei der Akkommodation für die Nähe sich stärker wölbt. Die Unveränderlichkeit des Cornealbildes weist hingegen darauf hin, daß die Cornea bei der Akkommodation unthätig bleibt.
Fig. 27.
Akkommodation des Auges.
Die Größe dieser Veränderungen bei der Akkommodation sind folgende: Akkommodation für Ferne Nähe Ort der vorderen Linsenfläche „ ,, hinteren ,, Dicke der Linse
.
3-671 7-498 3-827
3-325 7-584 4-259
Dieselben reichen, wie durch Rechnung nachgewiesen worden ist, vollkommen aus, um die bei der Akkommodation auftretenden Verändei^ngen zu erklären. Wodurch wird die Formveränderung der Linse bei der Akkommodation hervorgebracht? HELMHOLTZ lehrt, daß die Linse im ruhenden Zustande des Auges durch die an ihren Band befestigte Zonula Zinnii gedehnt und über ihre Gleichgewichtslage durch radialen Zug nach außen gespannt wird, womit ihr Durchmesser sich verringern muß.
Emmetropie, Myopie, Hypermetropie.
335
Von dem Ansatz der Zonula an der Linsenkapsel nach außen and hinten laufen halskrausenartige Falten, in welche die Proc. ciliaris eingreifen und dadurch die Zonula in ihrer Spannung erhalten. Wenn sich der M. ciliaris, der sein Punctum fixum am Canalis Schlemmii (Fig. 2 7 hei s) hat, kontrahiert, so nähert sich das hintere Ende der Zonula dem Linsenrande, die Zonula selbst wird entspannt und mit ihr die Linse, welche sich verdickt und vorwölbt. Die Akkommodationsverfinderung für die Nähe h a t C s A M E B zuerst aufReizung eines ausgeschnittenen Seehundsauges mit Induktionsströmen beobachtet; später haben H E N S E N U. VÖLCKERS den Akkommodationsapparat durch Reizung der Nn. ciliares in Thätigkeit versetzt; die Nerven für den Akkommodationsmuskel stammen aus dem N. oculomotorius. Der Akkommodationsapparat kann durch gewisse Alkaloide auf einige Zeit außer Funktion gesetzt werden; das Atropin z. B. lähmt ihn und stellt das Auge für die Zeit der Lähmung auf den Fernpunkt ein (bei gleichzeitiger Erweiterung der Pupille); Calabar (Physostigmin), das Alkaloid von Physostigma venenosum, erzeugt einen Krampf des Akkommodationsapparates und stellt das Auge auf den Nahepunkt ein (bei gleichzeitiger Verengerung der Pupille). Emmetropiö,
Myopie,
Hypermetropie.
E m m e t r o p i e oder Normalsichtigkeit nennt man den Zustand, bei welchem der F e r n p u n k t des Auges in unendlicher Entfernung vor dem Auge gelegen ist, und parallele Lichtstrahlen auf das Auge fallen, welche sich genau in einem Punkte der Netzhaut vereinigen. Solche Augen, bei denen diese Bedingungen nicht zutreffen, stellen denjenigen Refraktionszustand dar, welchen man als A m m e t r o p i e bezeichnet, welcher als Gruppen die M y o p i e und H y p e r m e t r o p i e enthält. Als M y o p i e bezeichnet man den Zustand des Auges, bei welchem der Fernpunkt in endlicher Entfernung liegt und die Vereinigung der Strahlen vor der Netzhaut stattfindet. Der myopische Augapfel ist in der Richtung seiner Achse zu lang.
Zur Verbesserung des myopischen Auges wird demselben eine Brille mit bikonkaver oder Zerstreuungslinse vorgesetzt, durch welche parallele Strahlen so divergent gemacht werden, als ob sie aus dem Fernpunkte ebendieses myopischen Auges kämen. Die Fig. 28 erläutert das kurzsichtige Auge und seine Korrektion durch das bikonkave Glas: die parallel auf das Auge fallenden Strahlen vereinigen sich vor der Netzhaut bei a ; durch die Zerstreuungslinse werden sie divergent auf das Auge gerichtet, scheinen aus dem Fernpunkt «' zu kommen und werden in der Netzhaut bei b vereinigt.
336
Hypermetropie.
Mängel des Auges.
Chromatische Abweichung.
H y p e r m e t r o p i e oder Weitsichtigkeit ist der Zustand, bei welchem der Fernpunkt des Auges gewissermaßen in überunendlicher Entfernung liegt und die Vereinigung der Lichtstrahlen erst h i n t e r der Netzhaut stattfindet. Das hypermetropische Auge ist also in der Sichtung seiner Achse zu kurz. Zur Korrektur erhält das hypermetropische Auge eine bikonvexe oder Sammellinse vorgesetzt, durch welche die Strahlen stärker gebrochen schon auf der Netzhaut zur Vereinigung gelangen können. Die Fig. 29 erläutert diese Verhältnisse: die Strahlen, welche parallel auf das Auge auffallen und erst hinter der Netzhaut bei a zur Vereinigung kommen, werden durch die vorgesetzte Sammellinse so stark gebrochen, daß sie schon in der Netzhaut bei a' vereinigt werden können.
a
Fig. 29.
Das hypermetropische Auge und seine Korrektion.
P r e s b y o p i e ist ein Fehler des Auges bei alten Leuten, der darin besteht, daß ihr Nahepunkt sich vom Auge entfernt und die ganze Akkommodationsbreite sich verkürzt hat: sie werden „weitsichtig" und müssen beim Lesen das Buch sehr weit vom Gesicht entfernen, um deutlich sehen zu können. Dieser Fehler ist wahrscheinlich dadurch bedingt, daß die Linse im Alter starr wird und sich nur wenig für die Akkommodation krümmen kann. Man verbessert den Fehler ebenfalls durch Vorsetzen einer bikonvexen Linse, die natürlich nur f ü r die Nähe ihren Zweck erfüllen kann.
Mängel des Auges. W i r haben bisher unserem Auge eine Vollkommenheit zugeschrieben, die es in der That in diesem Maße nicht besitzt; wir gehen nunmehr dazu über, diese Mängel im dioptrischen Apparate unseres Auges zu betrachten.
Chromatische Abweichung. Das Sonnenlicht ist kein einfaches, homogenes, sondern ein aus verschiedenfarbigen Strahlen zusammengesetztes Licht, in welche zerlegt wir es im Sonnenspektrum wiederfinden. Die verschiedenfarbigen Lichtstrahlen sind aber verschieden brechbar, und zwar ist rot am wenigsten, violett am stärksten brechbar, d. h. ein und dieselbe Linse, z. B. eine Sammellinse vereinigt die violetten Strahlen in einem der Linse näheren Punkte als die weniger brechbaren roten Strahlen, so daß man streng genommen durch eine einfache Linse niemals ein scharf umschriebenes Bild eines leuchtenden Objektes, sondern stets ein Bild mit Zerstreuungskreisen erhält, deren Ränder farbig erscheinen müßten. Man nennt diese Erscheinung die „ c h r o m a t i s c h e A b w e i c h u n g " . D a dieselbe bei der Beobachtung durch Fernröhre und Operngläser sehr störend sein könnte, so werden durch Kombination verschiedenartig brechender Mittel „ a c h r o m a t i s c h e " Linsen
Chromatische Abweichung.
Monochromatische' (sphärische) Abweichung.
337
hergestellt, welche von jenem Fehler frei sind. Man erhält achromatische Linsen durch Kombination einer Sammellinse von Crownglas und einer Zerstreuungslinse von Flintglas. Das Auge besitzt ebenfalls den Fehler der chromatischen Abweichung, der aber so gering ist, daß wir von demselben für gewöhnlich nichts wahrnehmen. Die Farben des Spektrums werden in unserem Auge nicht vollständig von einander getrennt, sondern es treffen bei guter Akkommodation die verschiedenfarbigen Strahlen, welche auf der Netzhaut konzentrische Zerstreuungskreise bilden, so auf die Netzhaut, daß auf den beiden Seiten der Augenachse verschiedenfarbige Zerstreuungskreise zum großen Teil aufeinander fallen und wieder weiß geben (s. unten). Die Fig. 30 zeigt deutlich den Sachverhalt: auf die Linse a b fallen zwei parallele Lichtstrahlen, welche konvergent gebrochen werden; ar und br' sind zwei rote Strahlen, deren Vereinigungspunkt in R
.Fig. 30.
Darstellung der chromatischen Abweichung des Auges.
sein mag; a v und bv' sind zwei violette Strahlen mit ihrem Vereinigungspunkt in V, während die Retina in co steht; es werden in diesem Falle beiderseits der Augenachse in e und f j e ein roter Zerstreuungskreis der einen Seite auf den violetten der anderen Seite fallen; in der Strecke e f geschieht ein gleiches mit den zwischen rot und violett liegenden Strahlen, so daß der Gesamteindruck wieder ziemlich rein weiß ist. Um die Chromasie des Auges wahrzunehmen, müssen besondere Bedingungen eintreten, die wir aus unserer Figur ableiten können. Wird nämlich in Fig. 30 eine matte Glastafel nach m n gerückt, so entsteht auf derselben ein Bild, dessen Centrum violett, dessen Peripherie rot ist; umgekehrt in dem Centrum rot und die Peripherie violett, wenn die matte Glastafel nach p s rückt. In dem einen Falle, wo ein Objekt betrachtet wird, dessen Bild näher als in e c, nämlich in V entworfen wird, scheint es an seinen Rändern rot gefärbt; im anderen Falle, wenn das Objekt näher liegt und sein Bild nach R fällt, erscheint es mit violetten Rändern. Wir sehen demnach die Chromasie unseres Auges, wenn wir gleichzeitig zwei leuchtende Objekte betrachten, von denen wir bekanntlich nur auf das eine genau akkommodieren können. Ebenso folgt aus der Fig. 30, daß wir chromatisch sehen, wenn die Hälfte der Pupille bedeckt wird.
Monochromatische
(sphärische)
Abweichung.
Lichtstrahlen, welche auf eine sphärische Fläche treffen, vereinigen sich in e i n e m Punkte nur dann, wenn die Strahlen der Achse sehr nahe liegen (Achsenstrahlen); diejenigen Strahlen, welche näher dem Rande auffallen, werden bedeutend stärker als die Achsenstrahlen gebrochen, so daß selbst im S t e i n e r , Physiologie.
VIII. Aufl.
22
388
Monochromatische (sphärische) Abweichung.
Astigmatismus.
günstigsten Falle keine scharfen Bilder durch Glaslinsen mit sphärischen Flächen entworfen werden, eine Abweichung, welche als sphärische oder, weil sie auch einfarbigen Lichtstrahlen zukommt, als monochromatische Abweichung (HELMHOLTZ) bezeichnet wird (Flächen, welche diesen Fehler nicht besitzen, heißen a p l a n a t i s c h e Flächen). Die Folgen dieses Fehlers für ein gut centriertes optisches System sind nur sehr geringe, da der Zerstreuungskreis des durch das System von einem leuchtenden Punkte entworfenen Bildes rings um die Achse symmetrisch liegt, so daß der Bildpunkt vom Centrum nach der Peripherie an Lichtstärke sehr rasch abnimmt. Die monochromatischen Abweichungen unseres Auges erscheinen aber nicht symmetrisch um die Augenachse, sondern, da das optische System brechender Flächen in unserem Auge (entgegen unserer früheren Annahme) nicht genau centriert ist, unsymmetrisch zur Achse, so daß leuchtende Punkte nicht kreisförmig, sondern sternförmig erscheinen müssen. Davon kann man sich überzeugen, wenn man einen sehr kleinen leuchtenden Punkt (eine sehr feine Oflhung in einem schwarzen Kartenblatt, durch welche Licht fällt) in so große Entfernung vom Auge bringt, daß er über die Akkommodationsbreite hinausreichend eben einen kleinen Zerstreuungskreis auf der Netzhaut bildet; man sieht denselben, nicht, wie es bei einem gat centrierten optischen Systeme der Fall sein müßte, als kreisförmige Fläche, sondern als 4—8 strahligen Stern. In gleicher Weise erklärt sich die strahlige Gestalt der Sterne. Wären diese beiden Fehler in unserem Auge gleich stark entwickelt, so müßten wir alle Gegenstände strahlig sehen; da dies aber nur dann der Fall ist, wenn wir in Zerstreuungskreisen sehen, so scheint die monochromatische Abweichung kaum vorhanden zu sein, weil, wie BRÜCKE angiebt, die brechenden Flächen des Auges nicht genau sphärisch sind; dagegen erscheint die mangelhafte Centrierung der brechenden Flächen unseres Auges ganz deutlich.
Astigmatismus. Ein weiterer Fehler unseres Auges ist der A s t i g m a t i s m u s , der physiologisch in jedem Auge vorkommt und darauf beruht, daß die Cornea nicht in allen ihren Meridianen eine gleichmäßige Krümmung besitzt, sondern daß sie im Vertikalmeridian stärker gekrümmt erscheint als im horizontalen Meridian. Die Folge davon ist, daß die Strahlen, welche auf den vertikalen Meridian der Cornea auftreffen, früher vereinigt werden als die im horizontalen Meridian und ein homocentrisches Strahlenbündel, das auf unser Auge auffällt, nicht mehr in einem Punkte vereinigt werden knnn. Man überzeugt sich davon, wenn man auf ein weißes Papier acht feine schwarze Linien zieht, die sich in einem Punkte schneiden. Betrachtet man diesen Stern mit einem Auge, so nimmt man wahr, daß bei derselben Entfernung stets nur eine Linie deutlich gesehen wird, während die anderen ein wenig verwaschen, d. h. weniger schwarz erscheinen. — Pathologisch kann der Astigmatismus zu erheblichen Sehstörungen führen, die durch eine Cylinderbrille korrigiert werden. Die obige Erscheinung der sternförmigen Bilder, welche wir aus der mangelhaften Centrierung des optischen Systems abgeleitet haben, wird auch nach DONDERS als „unregelmäßiger" Astigmatismus gegenüber dem „regelmäßigen" bezeichnet, der aus der verschiedenen Krümmung seiner Meridiane folgt. Den unregelmäßigen Astigmatismus bezeichnet DONDERS als „eine Abweichung, die sich auf die Strahlen bezieht, welche in einem und demselben Meridiane gebrochen werden", den regelmäßigen als „eine Abweichung, welche von Unter-
Entoptische Erscheinungen. Augenieachten und Augenspiegel.
339
schieden in der Brennweite verschiedener Meridiane des lichtbrechenden Apparates abhängt".
Die entoptischen
Erscheinungen.
Dieselben bestehen in eigentümlichen, schwarzen Punkten (mouches rolantes), Streifen u. s. w., welche unter Umständen vor dem Auge gesehen werden und den Augenbewegungen folgen, aber auch eigene Bewegungen machen. Sie beruhen auf den Schatten, welche von undurchsichtigen Körperchen des Glaskörpers (Reste der embryonalen Gefäße des Glaskörpers) auf die Netzhaut geworfen werden, und welche nach dem Gesetz der excentrischen Empfindung nach außen projiziert werden. Man beobachtet sie am besten, wenn man gegen eine helle Fläche, den bedeckten Himmel, in ein Mikroskop oder durch eine feine Öfihung in einem schwarzen dem Auge sehr genäherten Schirme sieht Als entoptische Erscheinung sieht man auch die „ P u e k i n J E s c h e A d e r f i g u r " . Wenn man nämlich des Abends in einem dunklen Zimmer gegen eine schwarze Wand sieht und eine Kerzenflamme mit der Hand seitwärts am Auge hin- und herbewegt, so bemerkt man nach einiger Übung auf der schwarzen Wand baumförmig verzweigte Adergeflechte, welche vom den Blutgef&ßen im Innern des Auges, denen der Betina, herrühren, die jedenfalls vor den empfindenden Teilen der Netzhaut gelegen auf diese ihren Schatten entwerfen. Wenn die Kerzenflamme hin- und herbewegt wird, so bewegt sich auch der Gefäßbaum, und zwar in derselben Bichtung mit der Flamme. — Wenn wir für gewöhnlich die Aderfigur nicht wahrnehmen, so ist der Grand der, daß beim gewöhnlichen Sehen kein scharfer Schatten entsteht, da von allen Funkten der Pupille aus Licht auf die Netzhaut Mit, und daß nur V e r ä n d e r u n g e n auf unserer Netzhaut wahrgenommen werden, während dieser Schatten für gewöhnlich immer an dieselbe Stelle fällt.
Das Augenleuchten und der Augenspiegel. Trotz der großen Menge von licht, welche in das Auge fällt, erscheint die Pupille schwarz, so daß der Augenhintergrund unsichtbar ist. Die Pupille erscheint aber dunkel, weil 1) der größte Teil des Lichtes im Auge absorbiert wird und die Beleuchtung durch den Rest von Licht, der aus dem Auge herauskommt, nicht genügt, um es hinreichend zu erhellen, und weil 2) selbst bei hinreichender Beleuchtung das Auge des Beobachters, um die Lichtstrahlen auffangen zu können, die von dem Netzhautbilde als leuchtendem Objekte kommen und zur Lichtquelle, ihrem Ausgangspunkt, wieder zurückkehren, zwischen die Lichtquelle und das beobachtende Auge gebracht werden müßte, wodurch aber wieder das Licht von dem beobachtenden Auge abgeblendet wird. Die ausreichende Beleuchtung bezw. Erhellung des Augenhintergrundes läßt sich durch eine starke Lichtquelle (direktes Sonnenlicht oder Lampenlicht) erreichen. Daß in der That nicht alles Licht im Auge absorbiert wird, beweist das Augenleuchten eisiger Tiere im Halbdunkel, z. B. des Hundßs, der Satze, sowie aller der Tiere, bei denen das schwarze Pigment eines Teiles der Choroidea durch eine hellglänzende, stark reflektierende Membran, das sog. Tapetum, ersetzt ist. 22*
340
Augenleuchten.
Augenspiegel.
Diese Augen sind, wie BRÜCKE gezeigt hat, nicht selbstleuehtend, sondern sie werfen soviel von dem empfangenen Licht nach der Lichtquelle wieder zurück, daß sie dem Beobachter leuchtend erscheinen. Am besten beobachtet man das Augenleuchten, wenn das Tier in einem dunklen Zimmer sich befindet, in welches durch einen breiten Thürspalt reichlich Licht einfüllt und man selbst an der Thür stehen bleibt. Auch das menschliche Auge reflektiert einen Teil des Lichtes, obgleich freilich der größere Teil von dem schwarzen Pigment der Choroidea absorbiert wird; indes bei einer starken Lichtquelle könnte immerhin soviel Licht reflektiert werden, daß der Augenhintergrund sichtbar würde. Um nun weiter wenigstens e'inen Teil der aus dem Auge zurückkehrenden Lichtstrahlen auffangen zu können, stellt BBÜCKE vor das zu beobachtende Auge eine Flamme, in welche das Auge sieht, aber gleichzeitig auf einen entfernten Gegenstand akkommodiert. Die aus dem Auge kommenden Strahlen werden jetzt nicht mehr in der Flamme vereinigt, sondern gehen nahe derselben vorbei; bringt man das eigene Auge in die Richtung des beobachteten Auges und der Flamme und einen Schirm, um nicht geblendet zu werden, zwischen das beobachtende Auge und die Flamme, so kann man jene an der Flamme vorbeigehenden Lichtstrahlen auffangen und den Augenhintergrund in diffusem roten Licht erleuchtet sehen. Nach HELMHOLTZ ist der Versuch auch ohne Berücksichtigung der Akkommodation ausführbar, wenn der Beobachter selbst weit entfernt ist, weil die meisten Augen auf größere Entfernungen nicht scharf akkommodieren können, oder wenn der Beobachtete seitwärts sieht, weil dann das Bild des Lichtes an den Seitenteilen der Netzhaut entworfen wird, wo die Bilder niemals scharf sind. Immerhin aber kann man den Hintergrund des Auges nur diffus e r l e u c h t e t sehen. Noch besser beobachtete HELMHOLTZ das Augenleuchten, wenn er die Flamme seitlich vom Auge und an die Stelle des Schirmes eine planparallele Glasplatte so aufstellte, daß das Licht in das beobachtete Auge geworfen wurde. Die aus dem Auge zurückkehrenden Strahlen gelangen wieder zur Glasplatte zurück, werden hier teils in die Flamme reflektiert, teils aber durch die Platte in ein hinter derselben befindliches Auge gebrochen, so daß der Beobachter ein vollständiges Bild des beobachteten Auges erhält. Statt der Glasplatte benutzt man besser einen kreisrunden Metallspiegel, der im Centrum eine enge Öffnung besitzt, durch welche der Beobachter sieht. Um den Augenhintergrund nicht allein leuchtend, sondern auch deutlich zu sehen und einzelne Punkte der Netzhaut unterscheiden zu können, müssen zwischen das beobachtende Auge und den Beleuchtungsspiegel (aufrechtes Bild) oder zwischen das beobachtete Auge und den Beleuchtungsspiegel (umgekehrtes
Augenspiegel.
Iris.
341
Bild) Glaslinsen eingeschaltet werden. Eine solche Kombination nennt man nach HELMHOLTZ den „ A u g e n s p i e g e l " . Bei der Betrachtang des Augenhintergrundes durch den Augenspiegel kehrt sich das bisherige Verhältnis von Bild und Objektpunkt um. Das Netzhautbild, das von einem leuchtenden Gegenstand entworfen wird, wird jetzt zum leuchtenden Objekte, von welchem Strahlen ausgehen, die durch die brechenden Medien des Auges gebrochen werden und nach außen gelangen, um dort ein Bild zu entwerfen in einem Punkte, der durch den jeweiligen Zustand des Akkommodationsapparates bezw. die geringere oder größere Krümmung der Linse bestimmt ist. Das Ange des Beobachters hat dieses Bild aufzufassen. Der einfachste Fall bei der Benutzung des Augenspiegels ist der, daß das beobachtete und das beobachtende Auge emmetropisch sind und sich in akkommodationslosem Zustande befinden. Die Strahlen, welche aus dem beobachteten Auge parallel austreten, müssen, da sie parallel auf das beobachtende Auge gelangen, genau auf dessen Netzhaut vereinigt werden und dort ein Bild des Hintergrundes des
Fig. 31.
Betrachtung des Augenhintergrundes im Augenspiegel.
beobachteten Auges entwerfen. Dieser einfachste Fall trifft aber in Wirklichkeit höchst selten oder niemals zu, sondern es ist wenigstens in einem Auge eine der oben erwähnten Refraktionsanomalien vorhanden, oder das Auge ist nicht akkommodationslos, wovon die notwendige Folge die ist, daß wie durch eine Lupe ein umgekehrtes und vergrößertes Bild des Augenhintergrundes in irgend einem Punkte außerhalb entworfen wird, z. B. in Fig. 31 ist so der Pfeil bei b, das Bild des Pfeiles bei a. Befindet sich das Auge des Beobachters G in Sehweite, so wird es den Augenhintergrund zwar erleuchtet sehen, aber auf demselben nichts zu erkennen vermögen, weil infolge der starken Vergrößerung des Pfeiles in b das durch die Pupille begrenzte Gesichtsfeld des Auges O zu klein ist. Setzt man vor das beobachtete Auge A eine Sammellinse B von kurzer Brennweite (1—3 Zoll), so wird ein kleineres und näheres Bild, als b ist, in d entworfen. Das Auge C befindet sich in solcher Entfernung von rf, daß es auf d genügend akkommodieren kann und dann hinreichend deutlich sieht. Benutzt man eine Zerstreuungslinie (bikonkav), so beobachtet man den Augenhintergrund in ähnlicher Weise, aber im aufrechten und virtuellen Bilde. D i e -Iris. Die Iris dient dem Auge als Blendung, wie solche Einrichtungen auch in den optischen Instrumenten angebracht sind, um die der Achse der brechenden Mäche .entfernten Bandstrahlen abzublenden und die
342
Iris.
monochromatische Abweichung, soweit sie im Auge überhaupt in Betracht kommt, zu beschränken. Die Iris, welche durch ihre beiden Muskeln den Sphincter und Diktator iridis erweitert und verengert werden kann, erscheint uns nicht in ihrer wirklichen Lage, sondern die Hornhaut entwirft durch Brechung ein ihr genähertes und vergrößertes Bild der Iris. Mit ihrem Pupillarrande liegt die Iris auf der Linse auf und rückt, wenn sie ach verengert, nach vorn vor, während sie bei der Erweiterung zurückweicht; eine Ortsveränderung, welche durch die Konvexität der vorderen Linsenfläche bedingt ist. Die wirkliche Lage und die Lageveränderungen der Regenbogenhaut lassen sich durch J. Czebmaks „Orthoskop" deutlich nachweisen. Das Orthoskop ist ein sechsseitiges Kästchen, dessen obere und hintere Seite offen und dessen vordere Seite durch eine Glasplatte geschlossen ist. Nachdem die hintere Seite vor dem Auge wasserdicht befestigt ist, wird das Kästchen mit lauwarmem Wasser gefüllt und durch die vordere Wand das Auge beobachtet. Der Einfluß der Hornhaut ist dadurch beseitigt, daß das Wasser mit dem Kammerwasser ziemlich gleiches Brechnngsvermögen besitzt.
Von den beiden Muskeln der Iris läuft der Sphincter cirkulär um die Pupille, der Diktator hat radiale Fasern. Die alleinige Thätigkeit des ersteren verengert, die des letzteren erweitert die Pupille; für gewöhnlich erscheinen beide in mäßigem Grade thätig, denn die Lähmung des einen läßt sofort die volle Funktion des anderen hervortreten. Werden beide gleichzeitig durch starke elektrische Schläge gereizt, so verengert sich die Pupille (Ed. Webeb); somit erscheint während des Lebens der Sphinkter der kräftigeren Wirkung fähig; kurze Zeit nach dem Tode kehrt sich unter den gleichen Bedingungen das Verhältnis um. Der Sphincter wird vom N. oculomotorius versorgt durch Fasern, die durch das Ganglion ciliare zum Auge verlaufen (das Nähere sowie den Einfluß des N. trigeminus auf die Pupille s. S. 304 u. 318); der Diktator wird vom N. sympathicus versorgt, dessen Durchsohneidung am Halse zu dauernder Verengerung der Pupille führt. Die Pupillarfasern des Sympathicus haben ein eigenes Centrum, das nach Bitdge im Bückenmark in der Höhe der drei ersten Brustwirbel liegt, aus welchen sie durch die vorderen Wurzeln der beiden ersten Brustnerven in die Bami communicantes treten. Das Centrum wird das Centrum c i l i o s p i n a l e genannt. Die Weite der Pupille verändert sich .unter folgenden Bedingungen: 1) Bei starkem Lichtreiz verengert sich die Pupille beiderseitig, auch wenn der Reiz nur einseitig gewirkt hat, durch reflektorische Erregung des N. oculomotorius (s. S. 305). 2) Die Pupille verengert sich bei Reizung der sensiblen Trigeminusäste der Nase und des Auges.
Iris. Gesichtsempfindungen. Ort der Erregung in der Netzhaut.
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3) Die Pupille verengert sich bei der Akkommodation in die Nähe (s. S. 333), wahrscheinlich eine Mitbewegung. 4) Eine Verengerung der Pupille begleitet die Bewegung des Auges nach innen, die ebenfalls als Mitbewegung zu deuten ist. 5) Im Schlafe ist die Pupille verengert; da die meisten Menschen während des Schlafes die Augen nach oben und innen richten, so würde sich diese Verengerung aus 4) erklären, wenn nicht R Ü T E Fälle gesehen hätte, in denen Personen mit gerade gestellten Augen und verengerten Pupillen schliefen. 6) Die Pupille verengert sich bei Anämie des Gehirns (KUSSMAUL), wenn die Carotiden oder der Tremens anonymus komprimiert werden; nach einiger Zeit erfolgt Erweiterung: Stauung- des venösen Blutes im Kopfe durch Kompression der Jugularvenen bewirkt nur zuweilen Verengerung. 7) Die Pupille erweitert sich während der Asphyxie durch Reizung des Gentrum ciliospinale. 8) Erweiterung der Pupille erfolgt auf Reizung irgend einer Hautpartie der Körperfläche. 9) Die Pupille erweitert sich bei jeder tiefen In- und Exspiration (VIGOUBOUX), wahrscheinlich durch Mitbewegung, welche durch Übergang der Erregung des Atmungscentrums auf das benachbarte ciliospinale Centrum hervorgerufen wird; auch bei starken Muskelanstrengungen ist Pupillenerweiterung beobachtet worden. 10) Die Pupille verändert sich unter dem Einflüsse verschiedener Gifte: a) Atropin erweitert die Pupille (Mydriasis) durch Lähmung des Sphincter, denn Reizung desselben in der Schädelhöhle vermag die Pupille nicht mehr zu verengern; b) Calabar, Nicotin und Morphium verengern die Pupille (Myosis) entweder durch Lähmung des Diktator oder durch Reizung des Sphincter. 2. Die Gesichtsempfindangen.
Der adäquate Reiz für das Sehorgan ist das Licht, dessen Einwirkung auf die Netzhaut das Sehcentrum vermöge seiner spezifischen Energie mit einer Lichtempfindung beantwortet. Welche Teile der Netzhaut sind aber durch Licht erregbar? Der Ort der E r r e g u n g in der N e t z h a u t . Bekanntlich besteht die Netzhaut, abgesehen von den beiden Begrenzungsmembranen, aus sieben verschiedenen Schichten, von denen die innerste die Nervenfaserschicht, die Ausbreitung der Sehnervenfasern, die äußerste die Stäbchen- und Zapfenschicht (Sehepithel) darstellt. Aber nur die Erregung der äußersten Schicht, der Stäbchen und Zapfen, durch
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Ort d.Erregung in der Netzhaut. Das Unterscheidungsvermögen d. Netzhaut.
das Licht führt zu einer Lichtempfindung, während die anderen Schichten sich unempfindlich gegen den Lichtreiz erweisen. Also nur die Stäbchen und Zapfen sind lichtempfindlich und bilden den Ort der Erregung durch das Licht. Der Beweis dafür wird durch folgende Thatsachen gegeben: 1) die Eintrittsstelle des Sehnerven, die Papilla optica, welche nur aus Nervenfasern besteht, ist blind und ohne Lichtempfindung (MARIOTTES blinder Fleck). Schließt man das linke Auge und fixiert mit dem rechten Auge das Kreuz in Fig. 32, indem man aus mäßiger
Fig. 32.
Demonstration des blinden Fleckes im Auge.
Entfernung immer näher heranrückt, so verschwindet der Kreis in einer gewissen Entfernung, um bei noch größerer Annäherung wieder zu erscheinen. Wenn wir für gewöhnlich bei monokularem Sehen keine Lücke im Gesichtsfelde bemerken, so kommt dies daher, weil wir von Jugend auf gelernt haben, diesen Defekt zu übersehen; 2) der gelbe Fleck, welcher nur aus Stäbchen und Zapfen besteht, ist auf der Netzhaut der Punkt des schärfsten Sehens (s. oben S. 330), und 3) das Sichtbarwerden der PuBKiNjEschen Aderfigur, da die Gefäße der Retina h i n t e r der Nervenfaserschicht, aber vor der Stäbchen- und Zapfenschicht liegen. Das U n t e r s c h e i d u n g s v e r m ö g e n d e r
Netzhaut.
Wie bei entsprechender Anordnung jeder leuchtende Punkt einem Bildpunkte auf der Netzhaut entspricht, so kann man sich das Bild eines leuchtenden Objektes entstanden denken aus einer sehr großen Anzahl nebeneinander gelegener Bildpunkte, die alle den ebenfalls nebeneinander liegenden leuchtenden Punkten entsprechen. Um aber die einzelnen Punkte des Bildes (bezw. des Objektes) in seiner flächenhaften Ausdehnung unterscheiden zu können, müssen sie räumlich voneinander getrennt sein, und zwar genügt eine Trennung insoweit, daß ein deutlich zu unterscheidender Punkt auf je einen Zapfen in der
Art der Netzhauterregung.
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Netzhaut fällt, der einen Durchmesser von 0-002—0-003 mm besitzt. (Man übersieht leicht, daß das Unterscheidungsvermögen der Netzhaut dieselbe Bedeutung hat wie der Ortssinn der Haut; das Verhältnis des ganzen Vorganges ist hier ein höheres, da für die Empfindungskreise der Netzhaut auch schon das anatomische Substrat in den Zapfen gefunden ist, was man bei der Haut noch nicht erreicht hat.) Der Versuch hat seinerseits nun auch ergeben, daß zwei Bildpunkte, die voneinander unterscheidbar sein sollen, wenigstens 0-002 mm auseinander liegen müssen. Da das Unterscheidungsvermögen der Netzhaut auf den Zapfen basiert, und da dieselben in der Netzhaut sehr verschieden dicht stehen, so folgt daraus, daß das Unterscheidungsvermögen der Netzhaut an verschiedenen Punkten durchaus verschieden sein muß. In der That gelten jene Bestimmungen nur für den gelben Fleck, wo dichtgedrängt Zapfen an Zapfen stehen. Weiter entfernt davon wird das Unterscheidungsvermögen immer geringer, und es werden daher wirklich scharf nur diejenigen Punkte gesehen, welche sich auf dem gelben Flecke abbilden: „direktes Sehen", während die übrigen Punkte der Netzhaut viel weniger scharf unterscheiden und demnach weniger deutlich sehen: „ i n d i r e k t e s Sehen". Um nun alle Punkte eines Objektes deutlich sehen zu können, wird das Auge so bewegt, daß die Gesichtslinie das ganze Objekt nach und nach gewissermaßen abtastet. Die Art der E r r e g u n g der Netzhaut. Es ist mit Sicherheit nicht auszuschließen, daß die Lichtwellen selbst mechanisch erregend auf die Netzhaut wirken. Dagegen ist es gewiß, daß die Erregung in der Netzhaut durch das Licht von chemischen Prozessen begleitet ist. Dafür spricht die Entdeckung von FE. BOLL, daß die Retina während des Lebens p u r p u r r o t ist, im ausgeschnittenen Auge unter dem Einflüsse des Lichtes schnell bleicht und gelblich-weiß wird, welche Farbe bisher auch der lebenden Retina zugeschrieben worden war. Diese rote Farbe verdankt die Retina dem „ S e h r o t " (BOLL) oder „ S e h p u r p u r " (KÜHNE), einem Farbstoffe, welcher durch das Licht fortwährend zerstört und immer wieder durch den Stoffwechsel hergestellt wird. Es würde also in der Retina, wie auf einer photographischen Platte, ein substantielles Bildchen entworfen, das während des Lebens immer wieder verschwindet, und an dessen Stelle bald wieder ein Ersatz des Sehpurpurs stattfindet. In der That ist es KÜHNE gelungen, auf der Retina eines eben ausgeschnittenen Kaninchenauges ein solches substantielles Bildchen des leuchtenden Objektes, Optogramm, zu fixieren, indem er ein eben ausgeschnittenes Kaninchenauge mit der Cornea gegen das helle Fenster richtete und es nach
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Zeitlicher Verlauf der Netzhauterregung.
einiger Zeit der Lichtem Wirkung in 5 proz. Alaunlösung legte: auf der Retina zeigte sich eine Photographie des Fensters, die Seheiben hell, das Fensterkreuz dunkelrot. Jener Farbstoff befindet sich indes nur innerhalb der Stäbchen, nicht in den Zapfen, so daß der gelbe Fleck, bekanntlich nur aus Zapfen zusammengesetzt und zugleich der Punkt des schärfsten Sehens, davon frei ist. Man muß deshalb annehmen, daß die Retina noch andere Sehstoffe enthält, welche aber farblos sind. Zur Übertragung der Erregung von Zapfen und Stäbchen auf den Opticus müssen die Fasern desselben mit jenen Elementen in direkter Verbindung stehen. Unter dem Einflüsse des Lichtes findet ferner in der Netzhaut eine Bewegung der Zapfen und der Pigmentzellen des Pigmentepithels gegen das Licht hin statt. In der Dunkelheit weichen diese Elemente wieder zurück (ENGELMANN).
Endlich ist der Erregungsvorgang in der Retina auch mit elektromotorischen Vorgängen verbunden, insofern bei Eintritt und Entfernung des Lichtes eine elektrische Stromesschwankung auftritt (HOLMGREN, KÜHNE U. STEINEB).
Zeitlicher Verlauf der Netzhauterregung. Dauert ein Lichteindruck von gleicher Intensität längere Zeit, so nimmt die Wirkung allmählich ab: die Netzhaut „ermüdet"; einige Zeit der Ruhe stellt die Erregbarkeit der Netzhaut wieder her. Licht von bestimmter Intensität, das auf die Netzhaut einwirkt, muß, um Lichtempfindung hervorzurufen, eine bestimmte Dauer haben, die aber sehr kurz sein kann, da wir den elektrischen Funken wahrnehmen; andererseits aber vermag die Empfindung den Reiz zu überdauern, so daß der Reiz nachwirkt; die Dauer der Nachwirkung ist um so größer, je stärker das einwirkende Licht gewesen, und je weniger ermüdet das Auge ist („Abklingen der Lichtempfindung"). Die Folge davon, ist, daß intermittierende Lichtreize, wenn sie in gewissen Intervallen aufeinander folgen, sich zu einer gemeinsamen Empfindung summieren und dieselbe Wirkung auf das Auge ausüben wie eine stetige Beleuchtung: eine feurige Kohle, welche mit einer gewissen Geschwindigkeit im Kreise herumbewegt wird, erscheint als feuriger Kreis. Aus den beiden Beobachtungen des „Abklingens" und der „Ermüdung" geht hervor, daß intermittierende Lichtreize wirksamer sein müssen als kontinuierliche Beleuchtung. N a c h b i l d e r . Wenn man einen sehr hellen Gegenstand, z. B. die Sonne, ansieht und plötzlich die Augen schließt, so schwebt vor den Augen ein deutliches Bild der Sonne: p o s i t i v e s N a c h b i l d , welches dadurch hervorgerufen ist, daß die Empfindung die Erregung überdauert. — Nach einiger Zeit erscheinen in dem Nachbilde alle hellen Stellen dnnkel und umgekehrt; oder
Quantität und Qualität der Lichtempfindung.
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wenn man ein helles Bild auf dunklem Hintergründe betrachtet und den letzteren plötzlich gegen einen hellen vertauscht, dann sieht man beim Schließen der Augen ein dunkles Bild auf hellem Hintergrunde: n e g a t i v e s N a c h b i l d , welches seine Entstehung der Ermüdung verdankt, die an den erst beleuchteten Netzhautstellen eingetreten ist, während die anderen Teile der Netzhaut unerregt geblieben waren. F a r b i g e Nachbilder s. unten.
Q u a n t i t ä t und Qualität der L i c h t e m p f i n d u n g . Das Licht entsteht durch wellenförmige Schwingungen des Äthers, an denen man, wie an den Wellen, die Länge und die Elongation (Oscillationsamplitude) der Schwingungen zu unterscheiden hat. Die Größe der Elongation bestimmt die Q u a n t i t ä t oder I n t e n s i t ä t der Lichtempfindung, so daß Ätherwellen gleicher Länge, aber ungleicher Elongation, welche die Retina in den Erregungszustand versetzen, die Empfindung eines Lichtes von größerer oder geringerer Intensität hervorrufen. Die verschiedene Wellenlänge dagegen bestimmt die Q u a l i t ä t der Lichtempfindung, die das Äuge als v e r s c h i e d e n e F a r b e n unterscheidet. Die I n t e n s i t ä t der Lichtempfindung ist bei gleicher Elongation der erregenden Ätherwellen abhängig: 1) von dem Erregbarkeitszustand der ßetina: ein wohlausgeruhtes Auge, das sich längere Zeit im Dunkeln befunden hat, wird schon von einer geringeren Lichtquantität erregt als ein anderes Auge (AUBERT); 2) von der Größe des Gesichtswinkels (AUBERT); 3 ) von dem Hintergrunde, indem Licht von geringerer Intensität auf dunklem Hintergrunde empfunden wird, auf hellem noch nicht. Die Differenzen von Lichtintensität, welche wir zu unterscheiden vermögen, sind bei verschiedener absoluter Liohtintensität verschieden groß, am kleinsten bei der Lichtstärke, die wir gewöhnlich beim Lesen, Schreiben, Arbeiten u. s. w. gebrauchen (HELMHOLTZ). Die Stärke der Lichtempfindung ist nicht proportional dem Reize, sondern folgt FEOHNEBS psychophysischem Gesetz (s. unten). D i e I r r a d i a t i o n . Die Irradiation umfaßt eine Reihe von Erscheinungen, die das Gemeinsame haben, daß stark beleuchtete Flächen größer erscheinen, als sie wirklich sind, während die benachbarten dunklen Flächen um gleich viel kleiner aussehen. So erscheinen helle Flächen auf dunklem Grunde vergrößert, z. B. ein weißes Quadrat in der Mitte eines größeren dunklen Quadrates, oder enge Löcher und Spalten erscheinen, wenn Licht durch sie fällt, größer als sie wirklich sind, u. dgl. m. Die Irradiation ist besonders stark ausgesprochen, wenn nicht scharf akkommodiert wird. Diese Erscheinung erklärt sich dadurch, daß die Bänder der hellen Flächen über die der benachbarten, dunkleren Flächen gewissermaßen übergreifen, um so mehr, j e größer die Zerstreuungskreise sind, welche von den lichten Flächen im Auge entworfen werden. Diese Zerstreuungskreise bewirken nun, daß am Rande des Netzhautbildes einer hellen Fläche Licht sich weiter verbreitet, als das Bild selbst auf der Netzhaut reicht.
Färb en e mpfindung.
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Spektralfarben.
Die verschiedenen Q u a l i t ä t e n des Lichtes, e i n f a c h e s L i c h t , welche wir empfinden können, sind fast sämtlich im Sonnenspektrum enthalten, welches man darstellt, indem man Sonnenlicht, das, wie alle uns bekannten Lichtquellen, gleichzeitig Licht von verschiedener Schwingungsdauer, g e m i s c h t e s L i c h t , aussendet, durch ein Prisma leitet, durch welches das gemischte weiße Licht infolge der verschiedenen Brechbarkeit der Lichtwellen verschiedener Länge in seine einfachen Bestandteile, die einzelnen Farben, zerlegt wird (außerdem befinden sich im Spektrum dunkle Streifen, die FßAUENHOFEBSchen Linien, welche, dem Sonnenlichte eigentümlich, von der Absorption der an der Sonnenoberfläche vorhandenen Gase herrühren und zur Orientierung in den einzelnen Farben mit den Buchstaben A, B u. s. w. bezeichnet worden sind). Das Spektrum beginnt mit dem am wenigsten brechbaren R o t , welches in O r a n g e , d. i. G e l b r o t übergeht, darauf folgt ein schmaler Streifen von reinem G e l b , dann G r ü n , C y a n b l a u , I n d i g o b l a u und am anderen Ende des Spektrums V i o l e t t , dessen Strahlen am stärksten brechbar sind. Als ganz reine Farben sind aber nur Bot, Grün, Violett zu unterscheiden, deren jede eine von der anderen durchaus verschiedene Empfindung erzeugt, während die dazwischen liegenden allmählich ineinander übergehen, so daß zwei Farben einander um so verwandter zu sein scheinen, je näher sie im Spektrum aneinander liegen. Die Farbenempfindung ist neben der Wellenlänge der Ätherschwingungen noch abhängig: 1) von der Größe des Gesichtswinkels; bei einer gewissen Kleinheit desselben sind Farben gar nicht zu unterscheiden. Für die verschiedenen Farben ist dieser Gesichtswinkel von verschiedener Größe: des kleinsten Gesichtswinkels bedarf Gelb, des größten Blau; 2) von der Intensität der Beleuchtung, welche für die verschiedenen Farben ebenfalls verschieden groß ist, und zwar muß sie um so stärker sein, je näher die Farben dem brechbaren Ende des Spektrums liegen; andererseits nähern sich bei zunehmender Intensität der Beleuchtung die einfachen Farben dem Weiß oder Weißgelb; 3) von dem Hintergründe: auf dunklem Hintergrunde sind Farben leichter zu unterscheiden als auf hellem. Das Gesetz der Ermüdung gilt für farbiges Licht ebenso wie für weißes Licht. Das Spektrum enthält außer den eben angegebenen noch ultrarote und ultraviolette Strahlen, die nicht wahrnehmbar sind, entweder weil sie von den brechenden Medien des Auges absorbiert werden, oder weil nur Strahlen von einer gewissen Länge eine Lichtempfindung zu erzeugen vermögen. Das erstere ist bei den ultraroten Strahlen der Fall, welche, nur durch empfindliche Thermosäulen nachweisbar, wegen ihrer erwärmenden Wirkung als Wärmestrahlen des Spektrums bezeichnet werden. Der andere Fall trifft für die ultravioletten Strahlen
Farbenmischung.
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zu, welche wesentlich nur durch ihre chemischen Wirkungen erkennbar, unsichtbare chemische Strahlen des Spektrums genannt werden (eine praktische Anwendung von ihnen macht die Photographie). Nach H E L M H O I T Z sind die ultravioletten Strahlen nicht unsichtbar, wenn sie auch das Auge viel schwächer affizieren als die anderen Strahlen. Sie werden nämlich sichtbar, wenn man die leuchtenden Strahlen des Spektrums (wie der mittlere deutlich sichtbare Teil des Spektrums auch bezeichnet wird) durch geeignete Apparate vollständig entfernt oder noch besser durch F l u o r e s c e n z , indem man mit ultraviolettem Lichte eine Chininlösung beleuchtet, welche dann weißbläulich leuchtend wird.
Farbenmischung. Wenn zwei Farben des Spektrums miteinander gemischt werden, so erhält man: 1) Farbenempfindungen, welche im Spektrum noch nicht vorhanden sind, nämlich: a) P u r p u r r o t , das durch Mischung der beiden äußersten Farben des Spektrums, des ßot und des Violett, entsteht. b) W e i ß , das durch Zusammensetzung verschiedener Paare von einfachen Farben entsteht; man nennt die Farben, welche, in einem bestimmten Verhältnis miteinander gemischt, Weiß geben, K o m p l e m e n t ä r f a r b e n . Unter den Spektralfarben sind komplementär: Rot und Grünlich-blau, Orange und Cyanblau, Gelb und Indigblau, Grünlich-gelb und Violett. 2) Farbenempfindungen, welche im Spektrum schon vorhanden sind und Mischfarben genannt werden; dieselben unterscheiden sich von den homogenen Spektralfarben nur durch ihre geringere S ä t t i g u n g , d. h. sie erscheinen mit einem Anflug von Weiß. Es gelten für sie folgende Regeln (HELMHOLTZ): a) Mischt man zwei einfache Farben, die im Spektrum weniger voneinander entfernt sind, als Komplementärfarben, so erhält man als Mischfarbe eine Farbe, die zwischen den beiden Farben liegt, welche um so weniger gesättigt ist, je größer der Abstand der gemischten Farben in der Spektralreihe ist, um so gesättigter, je geringer er ist. b) Werden dagegen zwei Farben gemischt, die im Spektrum weiter voneinander abstehen, als Komplementärfarben, so erhält man Purpur oder solche Farben, die zwischen einer der gemischten und dem entsprechenden Ende des Spektrums liegen. Die Mischfarbe ist in diesem Falle um so gesättigter, je größer der Abstand der gemischten Farben ist, und um so weniger gesättigt, je geringer er ist. Werden Mischfarben selbst wiederum miteinander gemischt, so gehen daraus keine neuen Farben mehr hervor, sondern nur solche, wie
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Methoden der Farbenmischung.
Theorien der Farbenempfindung.
sie die gleichen Spektralfarben liefern, nur erscheinen sie mehr oder weniger gesättigt als Mischfarben. Die Erscheinungen, welche bei der Lehre von den Mischfarben hervortreten, lassen sich in drei Grundsätze zusammenfassen; 1) Jede beliebig z u s a m m e n g e s e t z t e Mischung muß g l e i c h aussehen wie die M i s c h u n g einer b e s t i m m t e n g e s ä t t i g t e n Farbe mit Weiß. 2) Wenn von zwei zu vermischenden Lichtern das eine sich s t e t i g ändert, ändert sich auch das Aussehen der Mischung stetig. 3) Gleich a u s s e h e n d e Farben g e m i s c h t geben g l e i c h aussehende M i s c h u n g e n . Die Qualität eines jeden Farbeneindruckes ist vollständig bestimmt durch die Lichtstärke, den Farbenton und den Sättigungsgrad. Der Ruhezustand der Retina erregt uns die Empfindung der Dunkelheit. M e t h o d e n der F a r b e n m i s c h u n g . Zur Mischung von Farben bedient man sich folgender drei Methoden: 1) Man kreuzt Spektra übereinander in der Weise, daß entweder einzelne oder mehrere Farben derselben sich decken; 2) man legt zwei farbige Quadrate vor sich hin auf den Tisch und hält eine Glasplatte so vor sein Auge, daß man das eine Quadrat direkt und das andere im Spiegelbilde sieht: die beiden Bilder decken und ihre Farben mischen sich; 3) die Methode des Farbenkreisels, auf dem man Scheiben schnell rotieren läßt, welche mit verschiedenfarbigen Sektoren versehen sind (MAXWELL). Da die Empfindung den Reiz überdauert, so werden sich bei genügend schneller Rotation die Farben der einzelnen Sektoren mischen (diese Farbenmischung ist nicht zu verwechseln mit der Mischung farbiger Pigmente, bei der nur Mischfarben zum Vorschein kommen können, welche beide Farbstoffe durchlassen oder reflektieren).
Theorien der F a r b e n e m p f i n d u n g . Man würde gegen das Gesetz von den spezifischen Energien verstoßen, wollte man annehmen, daß die Netzhaut in allen ihren Teilen von den verschiedenen Farben in verschiedener spezifischer Weise erregt werden könnte, um die vielen Farbenempfindungen, die wir auffassen, hervorzurufen. Daher nimmt die Theorie von YOOTG-HELMHOLTZ in weiterer Ausführung der Lehre von den spezifischen Energien an, daß es in der Netzhaut drei verschiedene Arten von Nervenfasern giebt, von denen Reizung der ersten die Empfindung von Rot, Reizung der zweiten die von Grün, Reizung der dritten die von Violett hervorruft. Diese drei Arten von Fasern werden durch objektives homogenes Rot, Grün und Violett verschieden stark erregt, und zwar die ersten am stärksten durch Rot, die zweiten durch Grün, die dritten durch Violett, wie es die Fig. 33 wiedergiebt, wo in horizontaler Richtung die Spektralfarben in
Theorien der Farbenempfindung.
Farbenblindheit.
Farbige Nachbilder.
351
ihrer natürlichen Reihenfolge aufgetragen zu denken sind, während die farbigen Kurven die Erregungsstärke der entsprechenden Faserart bezeichnen. Wir gelangen damit zu drei G r u n d e m p f i n d u n g e n , durch
X
0
G
Gr
M
V
Fig. 33. Graphische Darstellung der YouNG-HSLUHOI/rzsohen Farbentheorie.
deren Mischung bei ungleich starker. Erregung sich alle Farbene m p f i n d u n g e n hervorrufen lassen; nur Weiß würde bei gleich starker Erregung aller drei Empfindungen entstehen können. Diese Hypothese wird gestützt: 1) durch die Beobachtung, daß die Peripherie der Netzhaut f ü r die rote Farbe unempfindlich zu sein scheint; wenn man eine Stange roten Siegellacks von hinter dem Gesichtsfelde her, während das Auge geradeaus sieht, nach vorn bewegt, bis sie eben am Bande des Gesichtsfeldes wahrgenommen wird, so erscheint sie nicht rot, sondern grau; plötzlich wird sie rot, wenn sie noch weiter vorwärts bewegt wird; 2) durch die Farbenblindheit, die darin besteht, daß einzelne Personen gewisse Farben nie empfinden können; am häufigsten wird Rot nicht empfunden: R o t b l i n d h e i t ; solche Individuen sehen im Spektrum nur zwei Farben, die sie Blau und Gelb nennen. Für eine solche Person lassen sich alle von ihr empfundenen Farben aus Grün und Violett ableiten. Neben vollständigem Mangel an Rot kommen verschiedene Grade von Rotblindheit vor, wo die Empfindlichkeit VOD Rot mehr oder weniger erhalten ist. F a r b i g e N a c h b i l d e r . Wenn man längere Zeit ein farbiges Objekt betrachtet und dann das Auge auf eine weiße Fläche wendet, so sieht man f a r b i g e Nachbilder, die p o s i t i v sind, wenn sie mit dem Objekte gleich gefärbt erscheinen, n e g a t i v , wenn sie komplementär zu dem Objekte gefärbt sind. Das positiv farbige Nachbild beruht auf der Nachwirkung des Reizes; das negative ist dadurch hervorgerufen, daß die Fasern, welche durch die Farbe des Objektes ganz besonders erregt werden, ermüden und durch das auf sie fallende weiße Licht am schwächsten erregt werden, während die anderen Elemente der Netzhaut in n o r m a l e r w e i s e gereizt werden, worauf dann die komplementäre F a r b e hervortritt. Auch weiße Objekte geben farbige Nachbilder, in denen die Farben vielfach wechseln: f a r b i g e s A b k l i n g e n der Nachbilder, indem das Nachbild für alle Farben nicht gleichmäßig und gleichzeitig schwindet, woraus sich immer neue Farbenkombinationen ergeben müssen. Da die Komplementärfarben auch Kontrastfarben genannt worden sind, so werden die farbigen negativen Bilder auch als s u c c e s s i v e r K o n t r a s t bezeichnet, im Gegensatz zum s i m u l t a n e n K o n t r a s t , der entsteht, wenn zwei verschiedene Helligkeiten oder Farben im Gesichtsfelde nicht nacheinander, sondern n e b e n e i n a n d e r gleichzeitig erscheinen. Der wesentliche Unterschied dieses Kontrastes gegen den successiven besteht darin, daß hier zwei differente Netzhautstellen nebeneinander von verschiedenen Farben getroffen worden, dort
352
Simultaner Kontrast
d i e s e l b e Netzhauteteile nacheinander von zwei Farben beleuchtet wird. Am deutlichsten tritt dieselbe bei Betrachtung der farbigen Schatten hervor. Entwirft man auf weißem Grunde durch einen vertikalen Stab von entgegengesetzten Seiten her den Schatten des Tageslichtes und den einer Kerzenflamme, so erscheint der erstere, der von dem weißen Tageslichte sein licht erhält, nicht weiß, sondern blau, komplementär zur Farbe des Grundes, welche weißliches Botgelb ist, da der Grund von dem weißen Tageslicht und dem rotgelben Kerzenlichte beschienen ist. Ferner erscheint weißes Licht grün, wenn gleichzeitig rot auffällt; es erscheint violett, wenn gleichzeitig gelb auffällt u. s. w. Es scheint, daß die verschiedenen Qualitäten der Empfindung im Centrum aufeinander induzierend wirken, wenn zwei Qualitäten nebeneinander entstehen.
Eingehenderes Studium der „Farbenblindheit" hat zur Kenntnis einer Reihe von Thatsachen geführt, welche der Young-HELMHOtTzachen Farbenthieorie gewisse Schwierigkeiten bereiten. Um diese zu überwinden, hat E. Hebing eine andere Theorie folgenden Inhalts aufgestellt: Es giebt sechs einfache oder Grundempfindungen, und zwar weiß und schwarz, rot und grün sowie g e l b und blau, durch deren Mischung alle vorhandenen Empfindungen gewonnen werden können. Schwarz und Weiß in verschiedenen Verhältnissen gemischt geben alle Übergänge vom reinsten Weiß bis zum tiefsten Schwarz. Wenn die Grundfarben rot und grün oder blau und gelb paarweise gemischt werden, so enthält die Mischung keine der ursprünglichen Farben mehr, sondern diese beiden Paare von Farben heben sich auf, vern i c h t e n einander, und niemals sind beide Farben nebeneinander darin deutlich zu erkennen. Zwei solche Farben, die niemals beide zugleich in einer Gesichtsempfindung deutlich sind, n e n n t H e b i n g G e g e n farben. Dazu kommt, daß jede farbige Gesichtsempfindung immer zugleich noch mehr oder weniger deutliches Weiß, Schwarz oder Grau enthält, so daß bei der Mischung von Gegenfarben nicht Empfindungslosigkeit, sondern eine weißliche Lichtempfindung entsteht. Als Substrat dieser Empfindungen läßt Hebing die „Sehsubstanz" aus einem Gemisch chemisch verschiedener Substanz bestehen, welche als schwarz-weiße, rot-grüne und blau-gelbe Sehsubstanz bezeichnet werden und die in fortwährender Zerstörung („Dissimilierung") und Regeneration („Assimilierung") begriffen sind. Der Verbrauch der entsprechenden Sehsubstanz ruft die eine, die Regeneration die andere Farbenempfmdung hervor; z. B. die Dissimilierung der schwarz-weißen Sehsubstanz ruft „weiß", die Assimilierung ruft „schwarz" hervor. Fehlen der Rotempfindung bedingt eo ipso auch den Ausfall von Grün (Rot-Grünblindheit); ebenso verhält es sich für Blau und Gelb (GelbBlaublindheit). Endlich muß ein total farbenblindes Auge alles in Grau sehen.
Gesichtswahrnehmungen.
853
Augenbewegungen.
8. Die Gesichtswahrnehmungen.
Die Gesichtsempfindungen benutzen wir, um durch gewisse psychische Thätigkeit uns eine Vorstellung von der Existenz, Form und Lage äußerer Objekte zu machen. Eine solche Vorstellung nennen wir eine G e s i c h t s w a h r n e h m u n g . Dieselbe setzt sich demnach aus drei Akten zusammen, welche an drei anatomisch gesonderten Stationen sich abspielen, nämlich der photochemischen Entstehung des Bildes in der Netzhaut, der durch die Erregung hervorgerufenen Gesichtsempfindung im Sehcentrum und der hinzutretenden psychischen Thätigkeit in der Großhirnrinde. Diese psychische Thätigkeit besteht in einem Schlüsse, der ein u n b e w u ß t e r S c h l u ß ist, weil er nicht ein Akt des bewußten Denkens, sondern der Erfahrung ist. Folge dieser Erfahrung ist es, daß wir im Sinne des Gesetzes von der excentrischen Empfindung die Wahrnehmungen nach außen verlegen, und zwar jedesmal in die Verlängerung der Richtungslinien des Netzhautbildes, so daß wir die Objekte a u f r e c h t sehen, trotz der umgekehrten Netzhautbilder, von denen wir keine Kenntnis haben. Die Fläche, in die wir alle die durch die Erregung der Netzhaut hervorgerufenen Empfindungen hinein verlegen, projizieren, nennt man das „Gesichtsfeld", welches wir fortwährend sehen, solange von demselben Erregungen ausgehen, welches aber „schwarz" erscheint, wenn solche fehlen. Auf diesem Erfahrungsgesetze, der P r o j e k t i o n der E m p f i n d u n g e n in das G e s i c h t s f e l d , beruhen eine Reihe von optischen Täuschungen, wie das objektive Sehen der Nachbilder, die objektiven Lichterscheinungen auf irgend welche Reizung des N. opticus, sowie phantastische Gesichtserscheinungen, Hallucinationen u. s. w., die durch innere, auf die lichtempfindenden Elemente wirkende Ursachen, wie im Fieber u. s. w., hervorgerufen werden können; in allen diesen Fällen werden subjektive Empfindungen durch Projektion ins Gesichtefeld o b j e k t i v i e r t
Die Augenbewegungen. Da die Augenbewegungen für die Gesichtswahrnehmungen eine wesentliche Bedeutung besitzen, so müssen sie hier schon ihren Platz finden. Die folgenden Bezeichnungen, deren wir uns weiterhin noch bedienen werden, sollen zunächst definiert werden: Wir betrachten das Auge als eine Kugel, welche den einen ihrer Pole, der im Scheitel der Cornea liegt, nach vorn kehrt, während der andere in entgegengesetzter Richtung nach hinten gelegen ist. Die beiden senkrecht zu einander durch die Pole in vertikaler und horizontaler Richtung gelegten größten Kreise heißen die vertikalen bezw. horizontalen Meridiane, welche das Auge, also auch die Retina in vier Quadranten trennen und deshalb auch vertikale und horizontale Trennungslinien genannt werden. Der senkrecht zu den Meridianen durch die Querachse des Auges gelegte größte Kreis heißt der Äquator. Die durch die bezeichneten größten S t e l n e r , Physiologie. VXQ. Aufl.
23
354
Augenbewegungen.
Kaddrehung des Auges.
Kreise gelegten Ebenen erhalten die entsprechenden Bezeichnungen. Der vertikale Durchmesser des Äquators heißt die Höhenachse, der horizontale Durchmesser die Querachse des Auges.
Das Auge kann in der Augenhöhle, wie der Gelenkkopf eines Gelenkes in der Pfanne, nach sehr vielen Richtungen bewegt werden. Diese Bewegungen, hei welchen eine Seite des Augapfels in die Augenhöhle zurücktritt, während eine andere heraustritt, werden um den Drehpunkt des Auges ausgeführt, der, in der Augenachse gelegen, nach den Bestimmungen von DONDEBS 10-957 mm vom Scheitel der Hornhaut entfernt ist. Man nennt B l i c k l i n i e die Verbindungslinie des Drehpunktes mit dem fixierten Punkte (Blickpunkt), und die „Primärs t e l l u n g " der Blicklinie ist diejenige, bei welcher unter den verschiedenen Augenstellungen eine derartige ausfindig gemacht wird, daß, wenn von ihr aus der Blick gerade nach oben oder gerade nach unten, gerade nach rechts oder nach links gewendet wird, keine Raddrehung des Auges erfolgt. Blickebene heißt die durch die beiden Blicklinien gelegte Ebene und die Verbindungslinie der beiden Drehpunkte ihre Grundlinie. Die Medianebene des Kopfes schneidet die Blickebene in der Medianlinie der Blickebene. Der Blickpunkt kann gehoben und gesenkt werden; das von ihm durchlaufene Feld, das B l i c k f e l d , kann man sich als Teil einer Kugeloberfläche denken, deren Mittelpunkt im Drehpunkt liegt. Der Grad der Erhebung oder Senkung der B l i c k e b e n e wird gemessen durch den Winkel, den sie jedesmal mit ihrer Primärstellung macht; derselbe wird positiv gerechnet, wenn die Blickebene nach oben, und negativ, wenn sie nach unten verschoben ist. Die Blicklinien können in der Blickebene lateral- oder medianwärts abweichen; die Größe dieser Abweichung wird durch den Winkel gemessen, welchen die Blicklinie mit der Medianlinie der Blickebene bildet (Seitenwendungswinkel); der Wert desselben ist positiv, wenn die Abweichungen des hinteren Teiles nach rechts, negativ, wenn sie nach links geschehen (man nennt die Erhebung oder Senkung und die seitliche Abweichung die „ S e k u n d ä r s t e l l u n g der Augen"). Durch diese beiden Winkel ist jedesmal wohl die Lage der Blicklinie, aber noch nicht die Stellung des Auges gegeben, indem der Augapfel noch beliebig viele Drehungen um die Blicklinie als Achse ausführen könnte, ohne daß diese ihre Lage verändert. Solche Drehungen werden R a d d r e h u n g e n genannt, weil die Iris sich dabei wie ein Rad dreht. Dieselben werden durch den R a d d r e h u n g s w i n k e l bestimmt, welcher durch den Netzhauthorizont in seiner jeweiligen Augenstellung gegen die Blickebene in ihrer Primärlage gegeben ist (der Netzhauthorizont ist eine Ebene, gelegt durch den Meridianschnitt des Auges, welcher letztere mit der
Raddrehtmg des Auges.
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Blickebene in ihrer Primärstellung zusammenfällt); der Wert des Raddrehungswinkels ist positiv, wenn die Raddrehung von vorn gesehen in der Richtung des Zeigers der Uhr geschieht, negativ bei umgekehrter Richtung. (Durch die Raddrehungen gelangen die Augen in die „Tertiärstellung".) Diese drei Winkel bestimmen nun die jedesmalige Stellung des Auges vollständig, doch vereinfacht sich das Verhältnis noch dadurch, daß bei der von uns angegebenen Primärstellung nach D O N D B B S der Raddrehungswinkel eine Funktion der beiden anderen Winkel, also mit diesen auch schon selbst gegeben ist. Nach H E L M H O L T Z sind alle Augenstellungen aus folgenden Gesetzen abzuleiten: 1) „Reine Erhebung oder Senkung des Auges ohne Seitenabweichung oder reine Seitenabweichung ohne Erhebung und ohne Senkung bringt keine Raddrehung hervor"; 2) „wenn der Erhebungs- und Seitenwendungswinkel dasselbe Vorzeichen haben, ist die Drehung negativ, wenn jene ungleiches Vorzeichen haben, ist die Drehung positiv". Die beiden Sätze besagen also, daß bei bloßer Erhebung oder Senkung des Blickes sowie bei seitlicher Wendung des Blickes aus der Primärstellung der Netzhauthorizont in der Blickebene bleibt; dagegen neigt sich bei den Raddrehungen der Netzhauthorizont unter die Blickebene. Die Größe der Raddrehung ist abhängig von der Summe der Hebung und Abweichung, durch deren Zunahme sie ebenfalls wächst. Um sich von der Richtigkeit dieser Thatsachen zu überzeugen, bedient man sich nach BÜTE am besten der Nachbilder. Man stelle sich einer Wand gegenüber, die mit einer Tapete überzogen ist, auf welcher sich horizontale und vertikale Linien unterscheiden lassen; die Farbe der Tapete sei etwa matt blaßgrau, damit man unschwer auf derselben Nachbilder erkennen kann. In der Höhe der Augen des Beobachters wird auf die Tapete ein farbiges Band, etwa grell rot, von 2 bis 3 Fuß Länge in horizontaler Richtung ausgespannt, dessen Mitte der Beobachter eine kurze Zeit fixiert, um dann, ohne den Kopf zu bewegen, die Augen nach einer anderen Stelle der Wand zu wenden. Er sieht dort ein Nachbild des Bandes, das entweder horizontal oder gegen die Horizontale geneigt ist, wie sich durch Vergleichung mit den horizontalen Linien der Tapete bestimmen läßt. Das Nachbild ist horizontal, wenn der Beobachter gerade nach oben und unten oder nach rechts und links gesehen hat; es erscheint gegen die Horizontale geneigt, wenn die Augen Raddrehungen ausgeführt haben, und zwar, wenn er nach rechts und oben oder nach links und unten sieht, so ist das Nachbild nach unten gedreht, d. h. sein linkes Ende steht tiefer als das rechte verglichen mit den horizontalen Tapetenlinien; blickt er nach links oben oder nach rechts unten, so ist das Nachbild umgekehrt. Die Erklärung ist folgende: das Nachbild entwickelt sich auf den Punkten der Netzhaut, die dem Netzhauthorizont angehören, und bezeichnet somit diejenigen Teile im Gesichtsfelde, auf denen bei Bewegungen des Auges sich der Netzhauthorizont projiziert. Dagegen geben die horizontalen Linien der Tapete, als Schnittlinien der Blickebene mit der Wand, die Projektion der Blickebene aüf die Tapete, so daß die Lage des Nachbildes gegen diese Linien auch die Stellung des Netzhauthorizontes gegen die Blickebene wiedergiebt. 23*
356
Wirkung der Augenmuskeln.
Die W i r k u n g der
Augenmuskeln.
Die Bewegungen des Auges werden durch sechs Muskeln ausgeführt, welche mit Ausnahme des unteren schiefen Muskels um das Sehloch herum entspringen und zu dem Bulbus hinziehen, um sich an der Sclera zu inserieren. Die vier geraden Muskeln gelangen in gerader Richtung dorthin und befestigen sich hier 2—3"' vom Hornhautrande entfernt; von den beiden schiefen Muskeln läuft der obere über die
Fig. 34.
Wirkung der Augenmuskeln.
Rolle und kommt schief nach hinten und außen verlaufend zur Sclera, während der untere schiefe am inneren Augenhöhlenrande entspringt und nach außen, oben und hinten verläuft, um sich gegenüber dem vorigen an der Sclera zu befestigen. Diese sechs Muskeln stellen drei Antagonistenpaare dar, welche von den Mm. rectus externus und internus, Mm. superior und inferior, Mm. obliquus superior und inferior gebildet werden. Den Weg, welchen ihre Insertionspunkte in einer zur Primärstellung senkrechten Ebene zurücklegen würden, wenn das Auge dem Zuge des einzelnen Muskels folgen würde, ist in Fig. 34
Wirkung der Augenmuskeln.
Die Wahrnehmung der Tiefendimension.
357
wiedergegeben. Der Drehpunkt des Auges befindet sich senkrecht über dem Mittelpunkte der Figur in der Entfernung der nebengezeichneten Linie dd. Die starken Striche am Ende des zurückgelegten Weges zeigen die Linie, deren Bild bei der betreffenden Lage des Auges auf den Netzhauthorizont fallen würde. Die Zahlen bedeuten die Winkelgrade, um welche das Auge bis zu dem betreffenden Punkte durch den entsprechenden Muskel gedreht worden ist. Es folgt direkt aus der Figur, daß zu einer senkrechten Erhebung der Blickrichtung die beiden Muskeln, der M. rectus superior und der M. obliquus inferior, notwendig sind, ebenso wie zur senkrechten Senkung der M. rect. inf. und der M. obliq. superior eintreten müssen. Nur für die Bewegung nach außen oder innen genügt die Thätigkeit des M. rect. externus bezw. internus. Ebenso ist deutlich, daß zur Diagonalstellung des Auges jedesmal drei Muskeln nötig sind, z. B. für die Erhebung nach außen und oben: die Mm. rect. externus, obliq. inferior, rect. superior, u. s. w. Während jedes Auge allein eine sehr große Zahl von verschiedenen Stellungen einnehmen kann, ist dasselbe für gleichzeitige Bewegungen beider Augen nicht der Fall, sondern dieselben sind auf eine bestimmte Anzahl beschränkt. So sind ausgeschlossen: 1) gleichzeitige Erhebung des einen und Senkung des anderen Auges, 2) gleichzeitige Divergenz beider Sehachsen, 3) gleichzeitige Baddrehung nach entgegengesetzten Seiten. Außerdem besteht eine enge Beziehung zwischen der Konvergenz der Sehachsen und dem Akkommodationsapparate, die sich darin ausspricht, daß mit der Zunahme der Konvergenz der ersteren die Thätigkeit des letzteren ebenfalls wächst. Demnach besteht eine bestimmte Kombination von Innervationsvorgängen nicht allein bei der Bewegung des einen, sondern vorzüglich bei der beider Augen, die aber nicht angeboren, sondern anerzogen ist, dadurch, daß wir gelernt haben, unseren Augen eine solche Stellung zu geben, daß sie gleichzeitig auf einen Punkt gerichtet sind. Der Beweis für die letzte Behauptung liegt darin, daß man umgekehrt jene abnormen Augenstellungen durch Übung erlernen kann oder jederzeit dadurch hervorbringon kann, daß man zwei gleiche schwach brechende Glasprismen so vor beide Augen nimmt, daß die brechenden Winkel (die dünnsten Stellen der Prismen) nach unten sehen und durch sie entfernte Gegenstände betrachtet werden können. Bei einzelnen Personen kommen solche abnorme Augenstellungen vor; man nennt diese Art des Sehens: S c h i e l e n , S t r a b i s m u s .
Die W a h r n e h m u n g d e r T i e f e n d i m e n s i o n . Die Betrachtung mit einem Auge giebt uns immer nur f l ä c h e n h a f t e Ansichten von den Objekten des Gesichtsfeldes, an denen man
358
Die Wahrnehmung der Tiefendimension.
Sehen mit beiden Augen.
eine Ausdehnung in die Höhe und Breite unterscheidet, und deren Richtung durch die Yisierlinie bestimmt ist. Sobald wir aber auch den Abstand jedes gesehenen Punktes im Gesichtsfelde, bestimmen können, tritt zu der Erkenntnis der F l ä c h e n d i m e n s i o n noch die Kenntnis der dritten, der Tiefendimension, also auch die des Raumes. Die Schätzung des Abstandes oder der Entfernung geschieht nun in folgender Weise: 1) So lange die gesehenen Gegenstände uns von anderwärts her bekannt sind, kann ihr Abstand aus der Größe des Netzhautbildes geschätzt werden, denn dasselbe ist um so größer, je näher der Gegenstand dem Auge liegt; bei uns unbekannten Gegenständen läßt uns dies Hilfsmittel im Stich. 2) Innerhalb mäßiger Entfernung, wo jede Verschiebung eines Objektes im Gesichtsfelde eine Akkommodationsthätigkeit verlangt, um das Objekt immer wieder deutlich sehen zu können (s. oben S. 332), kann man aus der Größe der Anstrengung, welche der Akkommodationsmuskel (Muskelgefühl) machen muß, erkennen, daß ein Punkt dem Auge näher liegt als ein anderer, und dadurch erfahren, daß zwei oder mehrere Punkte in verschiedener Entfernung vom Auge liegen, worauf hin auf die Tiefendimension geschlossen werden kann. 3) Betraohtet man denselben Gegenstand mit einem Auge von zwei verschiedenen Standpunkten aus, so wird er jedesmal in einer anderen Richtung erscheinen, und der Durchschnittspunkt der beiden Richtungslinien bestimmt dann seine Lage im Räume vollständig. Auf diese Weise läßt sich durch successive Betrachtung auch sein Abstand vom Auge erkennen. 4) Das Sehen mit beiden Augen, das im Prinzip gleichwertig ist mit der monokularen Betrachtung von verschiedenen Standpunkten aus, da jedes der beiden Augen thatsächlich von einem anderen Orte aus denselben Gegenstand betrachtet. Doch übertrifft die Leistung beider Augen die des einen um vieles. Sehen mit beiden Augen. Beim Sehen mit beiden Augen verlegen wir den Ort des leuchtenden Punktes in den Durchschnittspunkt der beiden Gesichtslinien. Aus der Größe des Gesichtswinkels (des Winkels, den die beiden Gesichtslinien mit einander bilden) oder vielmehr aus der Größe der Anstrengung, welche die Augenmuskeln machen müssen, um die notwendige Konvergenz der Söhachsen (oder Gesichtslinien) zu erzeugen, machen wir einen unbewußten Schluß auf die absolute Entfernung des leuchtenden Punktes. Auf diese Weise gelangt man sehr sicher zur Wahrnehmung der Tiefendimension und damit auch zu der des Raumes.
Sehen mit beiden Augen.
359
Der Beweis für die Bichtigkeit dieser Anschauung liegt darin, 1) daß leuchtende Objekte, welche in unendlicher Entfernung liegen, so daß die Sehachsen sich nicht schneiden können, sondern parallel verlaufen, wie z. B. die Sterne, nicht räumlich oder körperlich, sondern flächenhaft erscheinen; 2) daß die Unterscheidung der Entfernung im allgemeinen um so weniger genau ist, je entfernter die Gegenstände liegen, und daß umgekehrt die Konvergenz der Sehachsen, wenn sehr entfernte Objekte gemustert werden, nur sehr geringe Veränderungen erfährt, während bei der successiven Betrachtung naher Objekte die Konvergenz rasch wechselt.
Um die Gegenstände im Gesichtsfelde selbst räumlich oder körperlich zu sehen, wird das Objekt nach allen drei Dimensionen (Höhe, Breite und Tiefe) vermittelst der Gesichtslinien nach und nach abgetastet Da man aber selbst bei der äußerst kurzen Beleuchtung eines Objektes durch den elektrischen Funken denselben räumlich aufzufassen vermag (DOVE), obgleich dies Herumführen der Gesichtslinien an dem Objekte einige Zeit in Anspruch nimmt, so müssen wohl noch andere Hilfsmittel für die räumliche Auffassung vorhanden sein.
Fig. 35.
Perspektivische Betrachtung der Pyramide P.
Dieses Hilfsmittel besteht darin, daß die beiden Augen bei dem verschiedenen Standpunkte, den sie im Kopfe einnehmen, verschiedene perspektivische Bilder desselben Objektes sehen, welche in gesetzmäßiger Weise gegeneinander verschoben erscheinen, und zwar wird im allgemeinen von zwei hintereinander befindlichen Objekten das nähere gegen das entferntere vom rechten Auge mehr nach links, vom linken mehr nach rechts verlegt. Betrachtet man z. B. von oben her die abgestumpfte vierseitige Pyramide P, Fig. 35, so wird, wenn die Medianebene des Kopfes genau die Mitte der Pyramide schneidet und das linke Auge geschlossen ist, das obere Quadrat wie in r nach links verschoben sein; betrachten wir sie mit dem linken Auge, so erscheint es, wie in l, nach rechts verschoben. Bei Betrachtung der Pyramide P mit beiden Augen sieht demnach das rechte Auge ein Bild der Pyramide wie in r, das linke wie in l; aus dieser scheinbaren Verschiebung des kleinen gegen das große Quadrat schließen wir, daß sie sich in einem gegenseitigen Abstand voneinander befinden, und kommen damit zu einer körperlichen
360
Das Stereoskop.
Schätzung der Größe.
Optische Täuschungen.
Ansicht der Pyramide, indem gleichzeitig beide Bilder zu einem einzigen verschmelzen (über die Verschmelzung zweier Bilder s. unten: Einfachsehen). Das Stereoskop. Das Stereoskop zeigt nun in der That, daß zwei ebene Darstellungen den Eindruck eines körperlichen Gegenstandes "hervorrufen, wenn sie stereoskopisch gezeichnet sind, d. h. als Bilder, von denen je zwei zusammengehörige die beiden Ansichten darstellen, welche das rechte und linke Auge desselben Beobachters von einem Gegenstande haben. WHEATSTONE, der Erfinder des Stereoc ' j\ / \
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skopes, konstruierte sein Spiegelstereoskop, indem er schräg unter rechtem Winkel zwei Spiegel gegeneinander aufstellte. Die beiden Augen betrachten die zu beiden Seiten der Spiegel senkrecht in genügender Entfernung aufgestellten stereoskopischen Bilder und nehmen nun ein körperliches Objekt wahr, Das WHEATSTONESche Stereoskop ist von dem BßEWSTEBSchen
vollständig
verdrängt,
in
welchem statt der beiden Spiegel zwei Glasprismen sich befinden, durch welche beide i Augen die stereoskopischen Bilder betrachten, wie Fig. 36 lehrt.
In Fig. 36 werden die beiden Strahlen a b, die von den Objekten l und r kommen, durch die ^ Prismen s und s so gebrochen, daß sie den beiden Fig. 3 6 . BREWSTERS Stereoskop. Augen L und R von c her zu kommen scheinen. Beide Bilder werden daher in p vereinigt, wo jedes Auge das ihm entsprechende Bild zu erblicken glaubt, und so verschmelzen beide zu einem körperlichen Bilde. Bei d e r S c h ä t z u n g d e r E n t f e r n u n g werden auch gewisse Erfahrungen über die Größe von Personen, Tieren u. s. w. benutzt; wir kennen ihre natürliche Größe und wissen, daß sie klein erscheinen, wenn sie sich in größerer Entfernung befinden. Wir schließen jetzt umgekehrt, daß wenn sie uns klein erscheinen, sie in großer Entfernung sich befinden müssen. S c h ä t z u n g d e r G r ö ß e . Die Größe eines gesehenen Gegenstandes hängt vornehmlich von der Größe des Netzhautbildes ab: es erscheinen daher verschieden große Objekte unter verschiedenem Gesichtswinkel. Da derselbe aber nicht allein von der Größe des Gegenstandes, sondern auch von seiner Entfernung abhängt, so verbinden wir mit jeder Messung der Entfernung auch die der Größe. Aus dem schon angegebenen Grunde werden die Größenmessungen für entfernte Objekte viel unsicherer ausfallen als für solche, die nahe liegen. O p t i s c h e T ä u s c h u n g e n . Die Schätzung von Lage, Größe und Entfernung eines Gegenstandes ist größtenteils eine e r w o r b e n e Eigenschaft und kann deshalb durch Übung bedeutend erhöht werden, wie denn auch Jäger, Militärs u. s. w.
Optische Täuschungen. . Einfachseben.
361
eiiie große Fertigkeit darin gewinnen. Andererseits unterliegen wir vielfachen Täuschungen. Eine sehr interessante optische Täuschung ist die, daß der Mond, wenn er tief am Horizont steht, um viel größer erscheint, als wenn er sich hoch am Himmel befindet. Dafür lassen sich zwei Ursachen anführen. Die eine ist die, daß uns der Himmel wie eine ellipsoide Glocke erscheint und wir deshalb den Stand des Mondes am Horizont für entfernter halten als seinen höchsten Stand im Zenith. Da nun trotz dieser größeren Entfernung die scheinbare Größe des Mondes dieselbe bleibt, so schätzen wir ihn am Horizont für größer als im Zenith. Die zweite Ursache liegt darin, daß wir ihn am Horizonte mit irdischen Gegenständen, denen er sehr nahe zu liegen scheint, vergleichen können. Infolgedessen
Fig. 37.
ZÖLLNERS
Liniensystem (optische Täuschung).
bemessen wir ihn nach der Größe dieser Objekte, im Vergleich zu denen, da sie uns selbst sehr fern am Horizont stehen, er uns von bedeutender Größe zu sein scheint, während er im Zenith sich nur gegen die Himmelsfläche vergleichen läßt, der gegenüber er uns sehr klein vorkommen muß. Über die Lage von Objekten täuschen wir uns oft in sehr merkwürdiger Weise. Während wir für gewöhnlich den Parallelismus zweier Linien ziemlich genau schätzen, unterliegen wir sofort einer Täuschung, wenn die parallelen Linien, wie ZÖLLNER aufmerksam macht, von kleineren, schrägen Linien durchkreuzt werden, die sich einander zuneigen, wie in Fig. 37. Trotzdem alle drei Linien vollkommen parallel sind, so scheinen die Linien 1 und 2 nach links, 2 und 3 nach rechts zu konvergieren. Einfachsehen. Obgleich, wie wir wissen, beim Sehen mit beiden Augen auf jeder Netzhaut ein Bild des gesehenen Objektes entworfen wird, sehen wir größtenteils doch nicht doppelt, sondern e i n f a c h . Die Ursache des Einfachsehens mit beiden Augen liegt darin, daß die auf bestimmten Netzhautpunkten entworfenen Bilder an denselben Ort des Gesichtsfeldes verlegt werden, und daß wir gelernt haben, dieselben in unserem Bewußtsein zu einem Bilde zu verschmelzen. Solche Punkte der beiden Netzhäute, deren Bilder einfach gesehen werden, nennt man nach HELMHOLTZ „ k o r r e s p o n d i e r e n d e " oder „ i d e n t i s c h e " Punkte, und der Inbegriff aller der Punkte im E a u m e , welche bei einer bestimmten Augenstellung einfach gesehen werden, heißt der „ H o r o p t e r " .
362
Die identischen Netzhautpunkte und der Horopter.
Der letztere läßt sich bei Kenntnis der Lage der korrespondierenden Netzhautpunkte durch Rechnung finden, da das zu einem Bildpunkt gehörige Objekt in der Bichtungslinie liegt. Lage der i d e n t i s c h e n N e t z h a u t p u n k t e und der Horopter. Identische Netzhautpunkte sind: 1) die beiden Netzhautgruben, die Punkte des direkten Sehens; 2) die entsprechenden Punkte der beiden Meridiane sind korrespondierend; 3) die entsprechenden Quadranten, in welche die Netzhäute durch die Trennungslinien (Meridiane)
Fig. 38.
Fig. 39. Entstehung von Doppelbildern.
geteilt werden; 4) alle diejenigen Netzhautpunkte, welche sich decken, wenn die beiden Netzhäute mit den korrespondierenden Trennungslinien aufeinander gelegt werden. Sobald die beiden Bilder des Gegenstandes nicht auf identische Netzhautpunkte zu liegen kommen, werden sie doppelt gesehen, wie in Fig. 38, wo in ö 1 und O2 Doppelbilder des Gegenstandes g wahrgenommen werden, wenn ein davor gelegenes Objekt f fixiert wird, weil g1 und gl nicht auf identische Netzhautpunkte fallen. Wird umgekehrt,
Die identischen Netzhautpunkte und der Horopter.
363
wie in Fig. 39, 0 fixiert, so erscheinen zwei Doppelbilder F 1 und F 2 vor einem davor gelegenen Objekte f, weil jetzt f1 und f2 nicht auf identische Netzhautpunkte fallen. Wir werden demnach stets bei gleichzeitiger Betrachtung zweier Gegenstände den einen doppelt sehen. Eine scheinbare Ausnahme hiervon machen die Gegenstände, welche sich in unendlicher Entfernung von unserem Auge befinden, wie die Sterne, deren Licht in parallelen Strahlen in unser Auge fällt. Betrachten wir, wie in Fig. 40, den Stern 1, so erhalten wir Parallelstrahlen 1 c, die auf identische Netzhautpunkte fallen; von dem Nachbarstem 2 erhalten wir gleichzeitig die Parallelstrahlen 2 a, die von e nach derselben Richtung gleich weit entfernt liegen und auf identische Punkte a a fallen, so daß wir auch diesen einfach sehen.'
Was die Lehre vom Horopter betrifft, so seien hier nur die beiden folgenden Fälle betrachtet: 1) der Fixationspunkt liegt in endlicher
Entfernung, so daß die Sehachsen konvergieren, und die Blickebene liegt horizontal: dann ist der Horopter ein Kreis (sog. MüLLEBScher Kreis nach JOH. MÜLLES), dessen Peripherie durch den Fixationspunkt und die Knotenpunkte beider Augen läuft; alle in dieser Kreislinie liegenden Punkte fallen auf identische Netzhautstellen und werden einfach gesehen. Wird nämlich nach dem Punkte G (Fig. 41), dessen Richtungslinien durch die Augenachsen dargestellt werden, demnach auf identische Netzhautpunkte fallen, noch ein zweiter in der Kreislinie gelegener Punkt A fixiert, so läßt sich beweisen, daß auch dessen Richtungs-
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Vernachlässigung der Doppelbilder. Gegenseit. Unterstützung beider Augen.
linien A a und A a identische Netzhautpunkte treffen, denn die beiden Winkel cka und cka sind gleich als Scheitelwinkel der auf demselben Kreisbogen stehenden Peripheriewinkel AkC und Ak C, also muß a von c und a von c in beiden Augen nach derselben Seite gleich weit entfernt sein. Dasselbe läßt sich von jedem anderen Tunkte der Kreislinie beweisen. Zu dieser Kreislinie kommt noch eine gerade Linie hinzu, welche in der Fig. 41 durch den fixierten Punkt G senkrecht durch die Kreisfläche zu ziehen ist. 2) Der Fixationspunkt liegt in u n e n d l i c h e r Entfernung, so daß die Sehachsen in Primär- und Sekundärstellung einander parallel und geradaus gerichtet sind; dann wird der Horopter durch die Fläche des Fußbodens dargestellt (HELMHOLTZ). V e r n a c h l ä s s i g u n g der
Doppelbilder.
Da der Horopter nur beschränkte Ausdehnung hat und gleichzeitig mehrere Objekte auf nicht identischen Netzhautpunkten abgebildet werden, so müssen wir neben den einfachen Bildern im Räume auch sehr viele Doppelbilder zu sehen bekommen. Wenn das thatsächlich nicht der Fall ist, so müssen Gründe vorhanden sein, die es bedingen, daß wir die Doppelbilder vernachlässigen. Diese Gründe liegen darin, daß 1) im Gesichtsfelde immer Objekte vorhanden sind, welche auf identische Netzhautpunkte fallen und deshalb einfach gesehen werden; daß 2) die Bilder dieser einfach gesehenen Objekte uns einen stärkeren Eindruck hervorrufen als die anderen, so daß 3) unsere psychische Thätigkeit, die ja das Endglied für die Gesichtswahrnehmung bildet, sich besonders diesen Bildern zuwendet und ganz besonders auf diese ihre Aufmerksamkeit richtet, während die daneben liegenden, doppelt zu sehenden Bilder vernachlässigt werden. Diese durch Gewohnheit geübte Vernachlässigung der Doppelbilder bildet sich schließlich so weit aus, daß wenn später aus irgend welchen Gründen Doppelbilder gesehen werden sollen, wir erst gewisse Kunstgriffe dazu anwenden und dieses neuerdings einüben müssen. Gegenseitige U n t e r s t ü t z u n g beider Augen. Den Defekt im Gesichtsfelde, welcher durch den blinden Fleck in demselben vorhanden ist, haben wir beim monokularen Sehen mit Hilfe unserer Einbildungskraft zu ergänzen gelernt. Wenn mit beiden Augen gesehen wird, so werden die durch die blinden Flecke hervorgerufenen Lücken im Gesichtsfelde durch ihnen entsprechende empfindliche Netzhautteile im anderen Auge ersetzt, weil die blinden Flecke nicht identische Netzhautpunkte sind. Das gleiche kann bei pathologischen Fällen eintreten, wenn kleine Defekte in der Retina vorhanden sind, welche sich in beiden Netzhäuten nicht decken. Der W e t t s t r e i t der Sehfelder. Liegen im gemeinschaftlichen Gesichtsfelde beider Augen Gegenstände von ganz verschiedenartigen Formen, welche keine Kombination zu dem Bilde eines Körpers zulassen, so werden beide Bilder im Gesichtsfelde gleichzeitig gesehen, oder es herrscht bald das eine, bald das andere Bild vor, oder sie verdrängen sich nacheinander. Dieser Wechsel, in welchem die Bilder sich gegenseitig neben oder nacheinander verdrängen, nennt man den W e t t s t r e i t d e r S e h f e l d e r .
Der Wettstreit der Sehfelder. Die Schutzorgane des Auges.
. 365
Wir wollen davon nur zwei der einfachsten Fälle anführen: 1) das eine Sehfeld ist in ganzer Ausdehnung gleichmäßig erleuchtet, wenn man z. B. ein Auge schließt und mit dem anderen das bedruckte Blatt ansieht, so sieht man Buchstaben und Papier vollkommen deutlich mit gleicher Helligkeit wie vorher, ohne das Dunkel des anderen Gesichtsfeldes zu empfinden. 2) Beide Augen sehen durch verschiedenfarbige Gläser von lebhaften Farben, so daß beiden Augen verschiedenfarbige Sehfelder dargeboten werden, z. B. ein rotes dem rechten und ein blaues dem linken Auge; man sieht die betrachteten Objekte bald fleckig rot und blau bei fortwährendem Wechsel der Farben, bis sich die Empfindlichkeit für die Farben abstumpft und das Aussehen unbestimmt grau wird. Die Erscheinung des Wettstreites der Sehfelder ist von Bedentung, weil sie lehrt, daß die beiden Gesichtsfelder unabhängig voneinander wahrgenommen werden können, und daß ihre Verschmelzung zu einem gemeinsamen Gesichtsfelde ein psychischer Akt ist. Der stereoskopische Glanz. Wenn man von zwei stereoskopischen Bildern das eine schwarz, das andere weiß färbt, so erscheint uns das Objekt bei stereoskopischem Sehen glänzend, weil keine Vereinigung der beiden Farben zu grau, sondern ein Wettstreit der Sehfelder eintritt, so daß stellenweise bald hell, bald dunkel hervortritt; diese abwechselnde Wahrnehmung von hell und dunkel in beiden Augen führt nun zur Empfindung des Glanzes. Derselbe entsteht im allgemeinen auf solchen Oberflächen, welche spiegeln, aber nicht ganz glatt und gleichartig sind. Sind die stereoskopischen Bilder z. B. rot und blau, so wird aus demselben Grunde das Bild glänzend erscheinen. D i e S c h l i t z o r g a n e des Auges. Der Teil des Augapfels, welcher nicht durch die knöchernen Wände der Orbita geschützt ist, liegt frei zu Tage und kann durch den Schluß der Augenlider bedeckt und vor äußeren, schädlichen Einflüssen bewahrt werden. Der Schluß der Augenlider erfolgt auf Kontraktion des M. orbicularis oculi, der vom N. facialis innerviert wird; die Öffnung der Augenlider geschieht dadurch, daß das obere Augenlid durch den M. levator palpebrae superioris wie ein Vorhang in die Höhe gezogen wird, während das untere Augenlid durch seine eigene Schwere heruntersinkt. Die Innervation des M. levator geht vom oberen Aste des N. oculomotorius aus. Der Schluß der Augenlider erfolgt: 1) willkürlich, 2) unwillkürlich wie im Schlaf, 8) reflektorisch bei Berührung des Augapfels, der Wimperhaare oder bei Lichtreiz. Die Thränenflüssigkeit erhält die freie Oberfläche des Auges feucht und rein; sie gelangt, wenn sie nicht zu reichlich wie beim Weinen ist, besonders durch den Lidschluß zum inneren Augenwinkel, wo sie vom „Thränensee" aufgenommen wird. Derselbe steht durch die beiden feinen Thränenkanälchen mit dem Thränensack in Verbindung, der sich beim Schluß der Augenlider erweitert, weil seine vordere Wand mit dem Lig. palpebrale internum, welches beim Lidschlusse angespannt
366 •
Der Gehörsinn. Schallleitung dürch däs ätfßere' OWr.
wird, verwachsen ist. Auf die Erweiterung des Thränensackes erfolgt durch die Thrärienröhrchen eine Ansaugüng der Thränen aus dem Thränensee, welche weiter durch den Thränennasenkanal in die Nasenhöhle geschafft werden. Die Augenbrauen sollen das Auge vor dem von der Stirn herabfließenden Schweiße schützen. § 3. Der Gehörsinn. 1
Der Nerv, welcher dem Gehörsinn dient, ist der N. acusticus, welcher einerseits im Gehirn in dem Gehörcentrum endet, andererseits an 'seinem peripheren Ende einen Endapparat, das Gehörorgan, besitzt, welches bestimmt ist, den adäquaten Reiz, den Schall, aufzunehmen und dem Gehörcentrum zu übermitteln, um dort die Gehörempfindung hervorzurufen. Das „innere Ohr", das in der Tiefe des Felsenbeines liegt, erhält seine Erregungen von außen durch das äußere Ohr und das Mittelohr zugeleitet. Wir haben demnach hier ebenfalls zu behandeln. 1) die Leitung bis zu den im inneren Ohre gelegenen Endausbreitungen des Gehörnerven; 2) die Gehörempfindungen, welche durch die Erregung des Gehörnerven erzeugt werden; 3) die Gehör Wahrnehmungen. 1. Die Schallleitung'. Der Schall, welcher durch die Schwingungen elastischer Körper entsteht, wird zu dem Gehörgang hin durch die Luft fortgepflanzt, dadurch, daß diese selbst in Schwingungen versetzt wird, welche in abwechselnden Verdichtungen und Verdünnungen der Luft selbst bestehen. Befindet sich der schwingende Körper im luftleeren Räume, so werden von demselben niemals Schallwellen zu unserem Gehörorgane gelangen können. L e i t u n g durch das äußere Ohr. Die durch die Luft fortgepflanzten Schallwellen gelangen an unser äußeres Ohr, das aus der Ohrmuschel und dem äußeren Gehörgang besteht. Der Ohrmuschel mit ihrer Konkavität hat man nach BOEBHAVE die Aufgabe zugeschrieben, wie der Eingang eines Trichters die auf sie gelangenden Schallwellen in den äußeren Gehörgang zu reflektieren, gleichsam zu sammeln, womit eine Verstärkung des Schalles gegeben wäre. Diese Funktion kommt der Ohrmuschel sicher auch bei vielen Tieren, z. B. den Pferden, zu, bei denen sie mit dem äußeren Gehörgang zusammen 1
S. oben HELHHOLTZ, Tonempfindungen u. s. w. Handbuch der Physiologie. Bd. III. 1879.'
HERMANNS
V . HENSEN,
Akustik in
Leitung durch das äußere Ohr und Trommelfell.
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gewissermaßen ein trichterförmiges Hörrohr bildet, das durch die ausgiebige Beweglichkeit seines Trichters nach den verschiedenen Seiten hin bewegt werden kann. Beim Menschen kann die Ohrmuschel diese Aufgabe nicht erfüllen, denn 1) ist ihre Beweglichkeit eine sehr geringe, 2) kann man die ganze Ohrmuschel, nachdem man ein kurzes ßöhrchen in den äußeren Gehörgang eingesenkt hat, mit einer teigigen Masse ausfüllen, 3) kann die Ohrmuschel ganz fehlen, ohne daß die Schärfe des Hörens merklich abnimmt. Doch scheint die Ohrmuschel nicht ganz ohne Einfluß zu sein, denn wir können die Wirkung eines Schalles verstärken, wenn wir durch Anlegen der Hohlhand die Ohrmuschel vergrößern, in welcher Weise namentlich Schwerhörige ihrem Gehör nachzuhelfen versuchen.
Der Gehörgang, welcher aus dem knorpeligen und knöchernen Teile besteht, ist ein gewundener Kanal, dessen Dimensionen nicht überall gleich weit sind; am engsten ist er an seinem Eingang, um sich zum Trommelfell hin zu erweitern. In dem Gehörgang werden die Schallwellen nach mehrmaliger Reflexion an dessen Wänden nach innen fortgepflanzt, ohne daß seine Krümmungen die Zuleitung wesentlich beeinflussen. Nach HELMHOLTZ wird im äußeren Gehörgang der Schall durch Resonanz verstärkt, indem die in demselben vorhandene Luftsäule, wie jeder eingeschlossene Luftraum, wenn er angeblasen wird, in Mitschwingungen gerät. Dieser Eigenton ist wegen der Kürze des Kanals (3 cm lang) sehr hoch, so daß Töne von derselben Höhe infolge starker Resonanz uns unangenehm vorkommen, wie z. B. die sehr hohen Violintöne. Der Eigenton des Gehörganges kann beliebig vertieft werden, wenn man kleine Röhrchen von Papier in den Gehörgang steckt. Der äußere Gehörgang, dessen Epithel eine Fortsetzung der äußeren Haut ist, besitzt reichlich entwickelte Talgdrüsen, die sog. Ohrenschmalzdrüsen, die das Ohrenschmalz absondern, welches die Wände und vielleicht auch das Trommelfell geschmeidig erhält und vor Trockenheit schützt.
L e i t u n g d u r c h das Trommelfell. Der äußere Gehörgang ist nach innen durch das Trommelfell geschlossen, dessen Stellung nicht genau vertikal, sondern etwas schräg von außen und oben nach innen und unten ist, so daß die Trommelfelle der beiden Seiten in ihrer Verlängerung nach innen und unten konvergieren. Die Fläche des Trommelfelles ist nicht eben, sondern vom äußeren Gehörgang aus gesehen konkav; die tiefste Stelle dieser Konkavität heißt der Nabel. Derselbe ist dadurch entstanden, daß an der inneren Wand des Trommelfelles eines der drei Gehörknöchelchen,
368
Leitung durch das Trommelfell.
nämlich der Stiel des Hammers, in seiner ganzen Lä'nge festgewachsen ist und mit seinem Ende das Trommelfell trichterförmig nach innen gezogen hat. Die Schallwellen treffen am Ende des äußeren Gehörganges auf das Trommelfell, welches dieselben den Gehörknöchelchen mitzuteilen hat. Allgemein wissen wir, daß jede Membran beim Anschlagen einen Ton giebt, welcher nur von ihrer Größe und ihrer Spannung abhängt; man nennt diesen Ton ihren E i g e n t o n . Die Membran gerät stets in Mitschwingung, wenn ihr Eigenton in ihrer Nähe erklingt; auf andere Töne reagiert sie nur wenig oder garnicht. Demnach hätte auch das Trommelfell seinen Eigenton, der allein, welche Schwingungszahl auch immer die erregenden Schallwellen besäßen, stark gehört werden würde, während die übrigen Töne nur sehr schwach oder gar nicht wahrgenommen würden. Doch ist bekanntlich unser Ohr imstande, Töne von beliebiger Höhe innerhalb einer Schwingungszahl von 60—4000 in der Sekunde (s. unten) aufzufassen. Daher müssen Einrichtungen vorhanden sein, welche das Trommelfell befähigen, durch eine so große Skala von Tönen in Schwingungen versetzt zu werden. Diese Einrichtungen sind: 1) die t r i c h t e r f ö r m i g e G e s t a l t des Trommelfelles und 2) die B e l a s t u n g des T r o m m e l f e l l e s durch die Kette der Gehörknöchelchen. Eine solche trichterförmig gestaltete Membran hat nach HELMHOLTZ an verschiedenen Punkten eine sehr verschiedene Spannung, die am größten in der Mitte ist und nach der Peripherie hin stetig abnimmt. Die Folge davon ist, daß dieselbe, da sie keine gleichmäßige Spannung hat, keinen gemeinsamen Eigenton besitzt, vielmehr fähig ist, Schwingungen von verschiedener Zahl fortzupflanzen. Die gleiche Fähigkeit besitzt nun das Trommelfell infolge seiner trichterförmigen Gestalt. Die Belastung durch die Masse der Gehörknöchelchen hat zur Folge: a) dem Trommelfell wird jeder Rest von E i g e n s c h w i n g u n g genommen, so daß es sich allen Schwingungen gleich gut akkommodiert, b) j e d e N a c h s c h w i n g u n g des Trommelfelles wird aufgehoben, so daß die verschiedenen Schwingungen nicht aufeinander treffen und sich gegenseitig stören, vielmehr genau getrennt nacheinander folgen; die Gehörknöchelchen wirken also wie Dämpfer, die, wenn sie den schwingenden Körper treffen, dessen Schwingungen sofort unterbrechen. — Die trichterförmige Vertiefung des Trommelfelles hat noch die weitere Bedeutung, daß die Kraft der Schwingungen von allen Seiten sich im Nabel sammelt und dazu verwendet wird, die Gehörknöchelchen in Schwingungen zu versetzen. Dadurch aber nehmen die Schwingungen an Höhe ab, was hier von Bedeutung ist, da die Membran des ovalen Fensters, zu welcher sich die Schwingungen fortpflanzen,
Leitung durch die Paukenhöhle.
369
keine so großen S c h w i n g u n g e n , wie das zwanzigmal größere Trommelfell, m a c h e n kann. Das Trommelfell wird durch den M. tensor tympani, dessen Sehne sich am Stiele des Hammers nahe seinem Halse ansetzt, und dessen Zug senkrecht gegen das Trommelfell gerichtet ist, in verschiedene Spannung versetzt. Man hat früher geglaubt, daß dieser Muskel die Spannung des Trommelfells ändere, um es für alle Schwingungen zu akkommodieren; das erscheint aber unmöglich, weil der Muskel den raschen Veränderungen der Schwingungen gar nicht folgen kann. Dagegen ist es möglich, daß er beim aufmerksamen Hören auf einen langdauernden Ton in Thätigkeit gerät und dann die Spannung vermehrt, um namentlich hohe Töne zu vermitteln. Auch als Dämpfer sollte der Muskel thätig sein; das mag der Fall sein, wenn das Trommelfell plötzlich in heftige Schwingungen versetzt wird, z. B. durch einen Kanonenschlag. Diese selbst vermag e r , da er sich nicht schnell genug kontrahieren k a n n , freilich nicht zu dämpfen, aber um so mehr die nicht unbedeutenden Nachschwingungen des Trommelfelles. L e i t u n g d u r c h die
Paukenhöhle.
Die Leitung der S c h a l l s c h w i n g u n g e n
durch
die Paukenhöhle ge-
schieht durch das S y s t e m der Gehörknöchelchen, welche einerseits m i t d e m T r o m m e l f e l l , andererseits mit der Membran des ovalen Fensters, der Membrana secundaria, in V e r b i n d u n g stehen. Die Gehörknöchelchen sind der Hammer, der Amboß und der Steigbügel. Der Hammer besitzt den Stiel, der mit dem Trommelfell verwachsen ist, den Kopf, der über den oberen Rand des Trommelfells reicht und in die Paukenhöhle hineinragt; an demselben befindet sich eine Gelenkfläche h (Fig. 42) zur Verbindung mit dem Körper des Ambosses. Außerdem besitzt der Hammer noch den langen und kurzen Fortsatz, welche zusammen mit dem Hammerhalse durch Bandmassen, das A c h s e n b a n d , mit Knochenpunkten verbunden sind; das Achsenband geht von vorn nach hinten durch den Hals des Hammers und ist in Fig. 42 in a zu denken. Der Amboß hat die Gestalt eines zweiwurzeligen Backzahnes, dessen Kaufläche mit der Gelenkfläche des Hammerkopfes ein Gelenk, und zwar ein Sperrgelenk bildet, welches in seiner Wirkung mit Sperrzähnen verglichen werden kann (HELMHOLTZ). Vom Körper des Ambosses gehen wurzelartig zwei Fortsätze ab, von denen der kürzere gegen die hintere Paukenhöhlenwand gerichtet ist, an die er durch Bänder befestigt erscheint; der längere ragt frei in das Innere der Paukenhöhle und endet mit einem kleinen Gelenk zur Verbindung mit dem Steigbügel. Der Steigbügel stößt mit seiner ovalen Fußplatte nach innen gegen das ovale Fenster. Die
Gehörknöchelchen,
welche
durch
die
Schwingungen
des
Trommelfelles in B e w e g u n g versetzt werden, s c h w i n g e n als ein leicht bewegliches Hebelwerk in folgender W e i s e : Alle P u n k t e des Hammers, welche sich unterhalb des Achsenbandes befinden, schwingen Einwärtsbewegung
des Trommelfelles
nach i n n e n ,
bei der
wie die Pfeile in
M g . 4 2 zeigen; während dessen schwingt der Hammerkopf nach außen und zwingt dabei den A m b o ß durch seine Sperrzähne die S c h w i n g u n g e n S t e i n e r , Physiologie.
VIII. Aufl.
24
370
Leitung durch das Labyrinth.
mitzumachen, und zwar so, daß der Körper des'Amboßes mit dem Hammerkopf nach hinten, der lange Fortsatz aber wie der Hammerstiel nach oben und innen gedreht wird. Da.a durch wird auch die ovale Platte des Steigbügels in Bewegung versetzt, stößt gegen das ovale Fenster und überträgt die Schwingungen auf das Labyrinthwasser. Beim Rückschwung geschehen alle Bewegungen in umgekehrter Richtung, nur ist zu bemerken, daß die Sperrzähne des HammerAmboßgelenkes nicht ineinander greifen. DaFig.4'2. Gehörknöchelchen, durch wird verhütet, daß der Steigbügel aus dem ovalen Fenster springt, wenn ein hoher Luftdruck in der Paukenhöhle den Hammerstiel nach außen treibt und den Kopf nach innen bewegt. Das System der Gehörknöchelchen macht also eine gemeinsame Bewegung um eine Achse, das A c h s e n b a n d , und schwingt demnach wie ein zweiarmiger Hebel; den einen Arm bildet der Hammerstiel, den anderen der Hammerkopf mit dem Amboß und dem Steigbügel. Senkrecht gegen die Achsc des Steigbügels greift an dessen Köpfchen ein Muskel, der M. stapedius, an, der die Schallschwingungen zu dämpfen vermag, indem ein senkrechter Zug gegen den Steigbügel die Exkursionen desselben verkleinert. Bei den Vögeln sind die Gehörknöchelehen durch einen festen Stab, die Columella, vertreten.
L e i t u n g d u r c h das L a b y r i n t h . Die Scliallschwingungen werden dem Labyrinth durch die Bewegungen der Gehörknöchelchen zugeführt, indem die Steigbügelplatte ihre Bewegungen der Membran des ovalen Fensters mitteilt, welche Transversalschwingungen ausführt und dadurch das Labyrinthwasser, die Endolymphe, in Bewegung versetzt. Da die Endolymphe, wie jede Flüssigkeit, inkompressibel ist, so muß sie nach der anderen Seite hin ausweichen können, wie es in der That der Fall ist, indem die Membran des runden Fensters jedesmal, wenn der Steigbügel nach innen schwingt, nach außen (in die Paukenhöhle) sich vorwölbt, so daß das runde Fenster dem ovalen gegenüber sich wie eine Gegenöifnung verhält. Durch die Stöße des Steigbügels entstehen in der Endolymphe Wellen, welche die Endausbreitungen des Gehörnerven mechanisch erregen. Um die Art dieser Erregung zu verstehen, müssen wir näher auf die Endigungen des Gehörnerven eingehen.
Leitung durch das Labyrinth.
371
Das knöcherne Labyrinth, tief im Felsenbein gelegen, besteht aus der Schnecke, den drei halbzirkelförmigen Kanälen und dem zwischen ihnen liegenden Vorhof, in den man vom Mittelrohr aus durch das ovale und runde Fenster gelangt. Die Schnecke hat die Gestalt eines gewöhnlichen Schneckenhauses und besteht aus zwei und einer halben Windung, welche einen Hohlgang bildet. Dieser Kanal wird in seiner ganzen Länge durch eine Scheidewand, die S p i r a l w a n d , deren innerer Teil knöchern (Lamina spiralis ossea), deren äußerer Teil membranös ist (Lamina spiralis membranacea), in zwei Abteilungen geteilt; die obere heißt die Vorhofstreppe (Scala vestibuli) und mündet direkt in den Vorhof, die untere heißt die Paukentreppe (Scala tympani) und führt zum runden Fenster, das nach der Paukenhöhle sieht. Die drei halbzirkelförmigen Kanäle oder Bogengänge stehen so gegeneinander, daß ihre Ebenen rechte Winkel miteinander bilden. Man unterscheidet danach einen horizontalen und zwei vertikale Bogengänge, welche mit flaschenförmigen Erweiterungen, den A m p u l l e n , entspringen. Das ganze knöcherne Labyrinth ist mit einer Membran ausgekleidet, welche das häutige Labyrinth darstellt und im Vorhof zwei Säckchen bildet, den Sacculus hemisphericus, der 'mit der Schnecke, und den Sacculus hemiellipticus, der mit den Bogengängen in Verbindung steht. Der Inhalt des häutigen Labyrinthes ist das Labyrinthwasser oder die Endolymphe. In dem häutigen Labyrinth breitet sich nun der Gehörnerv in folgender Weise aus: er teilt sich in den N. vestibuli und den N. cochleae; der letztere gelangt in das runde Säckchen und die Ampullen der Bogengänge, niemals in die Bogengänge selbst. In den Vorhofssäckchen zeigt sich ein kleiner Vorsprung, die Macula acustica, die mit Zellen besetzt ist, zu denen nach M. SCHULTZE feinste Nervenendigungen treten. An der Nervenausbreitung sieht man einen weißen Fleck, der aus Plättchen besteht, die sechsseitig prismatische Kalkkrystalle darstellen. Wegen ihrer bedeutenden Größe werden dieselben bei den Fischen G e h ö r s t e i n c h e n oder O t o l i t h e n genannt. Es ist wahrscheinlich, daß die Otolithen, wenn sie in Bewegung geraten, die Zellen erschüttern und so die Nervenenden mechanisch reizen. In den Ampullen sind die Hervorragungen viel stärker zur Crista acustica entwickelt (STEIFENSAND, M. SCHULTZE), die ebenfalls Epithelzellen trägt, welche mit feinen Härchen besetzt sind, und in welchen feinste Nervenfasern enden. Diese Härchen werden wahrscheinlich durch die Wellen der Endolymphe in Schwingungen versetzt. Am kompliziertesten ist die Nervenendigung in der Schnecke, als deren wesentlichsten Teil wir den Schneckenkanal, Canalis cochleae, zu betrachten haben, der auch, weil er zwischen die Vorhofs- und Paukentreppe eingeschaltet ist, die Scala media genannt wird. Dieselbe wird dadurch gebildet, daß die schon oben erwähnte Lamina spiralis membranacea aus zwei Blättern besteht, von denen das eine, nach seinem Entdecker die REISSNERSCIIC Membran genannt, gegen die horizontale Lamina ossea sich im Winkel erhebt und zur Außenwand der Schnecke zieht. Das andere Blatt, welches sich horizontal der Lamina ossea anschließt und ebenfalls die äußere Schneckenwand erreicht, heißt die Membrana basilaris und trägt das CoRTische O r g a n , in welchem der Schneckennerv sich ausbreitet. Das CoRTische Organ besteht aus den CoRTischen B ö g e n und mehreren Zellenaggregaten. Jeder CoRTische Bogen erscheint gestreckt S-förmig gekrümmt und besteht aus dem inneren und äußeren Pfeiler; der innere steigt unmittelbar am Anfange der Basilarmembran mit einem breiteren Fuß in die Höhe, der äußere endet ebenfalls auf der Membran, die fein gestreift aus feinen Fasern zusammen24*
Das CoBTische Organ.
372
gesetzt zu sein scheint (WALDEYEE). Oben sind die Pfeiler gelenkai'tig ineinander gefügt, und man sieht ein kurzes horizontales Stäbchen als Fortsetzung des inneren Pfeilers den äußeren überragen. Nach innen von dem inneren Pfeiler schließt sich eine einfache Reihe von Haarzellen an, welche cylinderförmig und mit borstenähnlichen Haaren besetzt sind; noch weiter nach innen von diesen liegen abermals einige Reihen von cylindrischen Epithelzellen. Nach außen von dem äußeren Pfeiler des CoRTischen Bogens folgen die äußeren Haarzellen, die bei den meisten Säugetieren in drei Reihen angeordnet sind, nur der Mensch hat deren vier bis fünf Reihen (CoBTische Zellen). Nach außen von diesen bis zur Wand der Schnecke hin liegen wieder Epithelzellen. Die Oberfläche des CoRTischen Organes ist nach von der Lamina reticularis bedeckt, die eine besondere Struktur besitzt. Dieselbe erscheint netzförmig und läßt eine regelmäßig angeordnete, dreifache Löcherreihe sowie regelmäßig gelagerte Zwischenglieder und schließlich quadratische Endstücke unterscheiden. Diese ganze Bildung scheint vorzüglich zum Rahmen und zu Stützen für die Haarzellen zu dienen, die zwischen Lamina reticularis Fig. 43. Größenund basilaris ausgespannt sind. zunahme der CoRTiVon oben gesehen macht das Organ mit der Lamina schen Bögen und der reticularis den Eindruck einer sehr genau gearbeiteten Basalmembran. Klaviatur, wie Fig. 45 B zeigt (s. folg. Seite). Nach K Ö L L I K E R enthält die Schnecke beim Menschen bis 3 0 0 0 CoRTische Bögen, deren Größe von der Basis der Schnecke bis zu ihrer Spitze wechselt, so zwar, daß sie, wie in Fig. 43, an der Basis höher und schmäler (s. in der Fig. a b), an der Spitze niedriger und breiter (in Fig. a' b') erscheinen; Formen, welche allmählich ineinander übergehen. Auch die Ausdehnung der Basalmembran ändert sich gegen die Spitze hin; sie wird von unten nach oben allmählich breiter. Würde man sie auf eine gerade Ebene abrollen, so hätte sie die Gestalt der Fig. 43. Die Endigungen des Schneckennerven sind mit großer Wahrscheinlichkeit in den Haarzellen zu suchen, wenigstens konnte H A S S E in der Schnecke der Vögel, in der nur Haarzellen, keine CoRTischen Bögen vorhanden sind, den Übergang von marklosgewordenen Nervenfasern in die Haarzellen beobachten. KÖLLIKER
In
Fig. 4 4
ist
das CoRTische Organ
abgebildet ( K ö l l i k e b )
seiner Stellung auf der Basalmembran o; aedef
in
bildet den CoBTischen
P YQTOT pTäffWi-5 rö I Fig. 44.
CoRTlsehes Organ.
Bogen; die rechte Seite der Figur liegt nach außen, wo zwischen der Basalmembran und der Deckenmembran h die Zellen ausgespannt sind. In Fig. 45 A ist ein einzelner CoBTischer Bogen abgebildet mit dem
Leitung durch die Kopfknochen.
375
ißengliede i und dem Innengliede e; in Fig. 45 B sieht man die ruktur der Deckenmembran und die Zusammensetzung der Basalembran aus nebeneinander liegenden Seiten. Der Gang der Wellen des Labyrinthwassers ist nun der, daß sie sh im Vorhof ausbreiten, in der Vorhofstreppe der Schnecke aufsteigen A
B
1 Fig. 45 A. Einzelner CoBTIscher Bogen.
B. Struktur der Decken- und Basalmembran.
and hier die CoBnschen Organe in Schwingungen versetzen. Diese Schwingung teilt sich durch die membranöse Scheidewand auch dem Wasser der Paukentreppe mit, welches nun gegen seinen Ausgang zum runden Fenster hin gedrängt wird (HELMHOLTZ). Die Erregungen, die den Acusticusenden mitgeteilt werden, pflanzen sich zum Gehörcentrum fort und rufen die Gehörempfindung hervor. Bevor wir auf diese eingehen, soll noch eine zweite Leitung zu den Acusticusenden, nämlich durch die Kopf knochen, und die Funktion der EusTAOHischen Trompete behandelt werden. L e i t u n g durch die Kopfknochen. Wiewohl die Zuleitung der. Schallwellen zu unserem Labyrinthe in der daxgestellten Weise die gewöhnliche ist, so findet noch eine zweite Leitung zum Labyrinth statt, nämlich durch die Kopfknochen, die gegenüber jener Leitung freilich nur gering ist, von deren Anwesenheit man sich aber leicht überzeugen kann. Schlägt man nämlich eine Stimmgabel so schwach an, daß sie durch die Luft nicht hörbar ist, so kann man sie hörbar machen, wenn man sie auf den Kopf setzt, indem ihre Schwingungen durch die Kopfknochen an das Labyrinth übertragen werden. Um dieselbe Erscheinung handelt es sich, wenn man eine Uhr so in die Mundhöhle steckt, daß sie deren Wände, namentlich die Zähne nicht berührt; man hört ihren Schlag dann entweder gar nicht oder nur sehr schwach. Er wird aber sofort laut vernehmbar, wenn die Uhr mit den Zähnen in Berührung kommt. Die Leitung durch die Kopf knochen leistet den Ohrenärzten Dienste bei der Diagnose, um zu entscheiden, ob eine vorhandene Gehörstörung. durch Anomalien im Schallleitungsapparat oder im Labyrinth in den Acusticusenden bedingt ist; im letzteren Falle hört der Patient die auf den Kopf gesetzte, in Schwingungen versetzte Stimmgabel oder den Schlag der mit den Zähnen festgehaltenen Uhr nicht mehr.
374
Die Ohrtrompete.
Funktion
Die Gehörsempfindungen.
der EusTACHischen
Trompete.
Die Paukenhöhle ist kein vollkommen abgeschlossener Baum, sondern es führt ein Kanal in der Richtung nach innen, unten und vorn aus der Paukenhöhle nach dem Rachen, wo er sich frei öffnet und als Ohr oder EusTAOHische Trompete einen Verkehr zwischen der Paukenhöhle und der Luft vermittelt. Für gewöhnlich liegen die Wände des Kanals so aneinander, daß die Ohrtrompete als geschlossen betrachtet werden kann, dagegen öffnet sie sich bei jeder Schlingbewegung, wie die folgenden Versuche von V a l s a l v a lehren. Schließt man nämlich Nase und Mund nach einer kräftigen Exspiration und macht eine Schlingbewegung, so hört man im Ohr ein eigentümliches Knacken (positiver ValsalvAscher Versuch), das dadurch hervorgerufen ist, daß Luft aus der Mundhöhle durch die geöffnete Trompete in die Paukenhöhle eingedrungen ist, ihren Druck erhöht und das Trommelfell nach außen gedrängt hat. Man kann die Luft in der Paukenhöhle auch verdünnen, wenn man nach einer Inspiration Nase und Mund zuhält und darauf eine Schlingbewegung macht; man hört ebenfalls ein Knacken, das dadurch entsteht, daß das Trommelfell nach innen gedrängt ist, weil Luft aus der Paukenhöhle nach der Mundhöhle angesaugt worden und dadurch der Luftdruck in der ersteren unter den atmosphärischen gesunken ist (negativer VALSALVAScher Versuch). Die Ohrtrompete hat offenbar die Funktion, den Luftaustausch zwischen der Paukenhöhle und der atmosphärischen Luft zu unterhalten, um den Druck in der Paukenhöhle gegen den atmosphärischen auszugleichen. Daß die Ohrtrompete nicht fortwährend offen steht, hat wohl seinen Grund darin: daß 1) durch sie eine Schallleitung stattfinden könnte, wodurch wir unsere eigene Sprache mit lästigem Dröhnen hören würden; daß 2) durch die Ein- und Ausatmung eine Bewegung der Paukenluft und eine Änderung der Trommelfellspannung eintreten könnte, welche den erwähnten Nachteil mit sich führte. Die Ohrtrompete ist endlich auch der W e g , auf welchem die Absonderungen der Schleimhaut der Paukenhöhle fortgeschafft werden. Ist die Trompete z. B. durch einen Katarrh, der sich vom Rachen in sie fortgepflanzt hat, geschlossen, so treten Gehörstörungen ein, die bedingt sind einmal durch die Folgen, welche die Abnahme des Luftdruckes in der Paukenhöhle, deren Blutgefäße die Luft nach und nach resorbieren, mit sich führt und anderseits durch die Anhäufung von Schleim. Durch Einführen von elastischen Kathedern wird die Trompete wieder wegsam.
2. Die Gehörsempfiiidung-en. Die Erregungen der Enden des Gehörnerven rufen, wenn sie zum Geliörcentrum fortgeleitet werden, die G e h ö r s e m p f i n d u n g hervor, die wir nach ihrer Quantität und Qualität unterscheiden können.
Qualitäten der Grehörsempfindungen.
Töne und Klänge.
Tonleiter.
375
Die Q u a n t i t ä t der Gehörsempfindung oder ihre Intensität beruht auf der Größe der Elongation (Oscillationsamplitude) der Schallwellen; nimmt dieselbe zu, so wächst auch die Intensität der Empfindung und umgekehrt, denn je größer die Luftschwingungen sind, um so stärker werden auch die den Nervenenden mitgeteilten Bewegungen sein müssen. Q u a l i t ä t e n der
Gehörsempfindung.
Die Qualitäten der Gehörsempfindungen, die unser Ohr auffaßt, sind (neben den einfachen Tönen) die K l ä n g e und die G e r ä u s c h e . Physikalisch unterscheiden sich die beiden Qualitäten dadurch, daß K l ä n g e entstehen durch r e g e l m ä ß i g e (sog. p e r i o d i s c h e ) Schwingungen elastischer Körper, Geräusche durch u n r e g e l m ä ß i g e Schwingungen. Man unterscheidet die Klänge: 1) nach ihrer Stärke, 2) nach ihrer Höhe, 3) nach ihrer Klangfarbe. Über Intensität und Höhe des Klanges ist schon oben gesprochen worden. Die Klangfarbe bezeichnet diejenige Eigentümlichkeit, wodurch sich der Klang einer Violine von dem einer Flöte, kurz der Klang der verschiedenen Instrumente voneinander unterscheidet (siehe unten), wenn alle dieselbe Note in derselben Tonhöhe hervorbringen. Wir haben nun zu untersuchen: 1) die namentlich in der Musik gebräuchlichen Töne und Klänge, 2) diejenige Anzahl derselben, welche unser Ohr auffassen kann, und 3) die Vorrichtungen, durch welche das Ohr zu dieser Auffassung befähigt ist oder die Theorie der Tonempfindungen. T ö n e und K l ä n g e , worüber oben S. 276 nachzusehen ist. Zwei Töne, deren Schwingungszahl in dem einfachen Verhältnis von 1 : 2 zu einander steht, nennt man Oktaven, und zwar den Ton von der Schwingungszahl 2 die höhere Oktave zu der tieferen Oktave von der Schwingungszahl 1. Auch physiologisch sind diese Oktaven in gewisser Weise charakterisiert, nämlich dadurch, daß sie auf unser Ohr einen angenehmen und einander sehr ähnlichen Eindruck machen. Wir können die Länge der schwingenden Saite, welche die Töne giebt, auf */*> 7s> Vie> V32 u - s - w. verkürzen und erhalten immer wieder angenehme und ähnliche Töne. Alle diese Töne sind also um das Intervall (unter Intervall versteht man das Verhältnis der Schwingungszahlen zweier Töne zu einander) einer Oktave voneinander unterschieden, und ihre Schwingungszahlen verhalten sich zu einander, wie 1 : 2 : 4 : 8-: 16 : 32 u. s. w. In der Musik sind sieben Oktaven gebräuchlich, von denen die tiefste mit 0, (Contraoktave), die nächsten mit C, c, e', c", c"\ c"" bezeichnet werden. Die Musik hat die Reihe der Töne innerhalb einer Oktave in sieben Intervalle eingeteilt und auf diese Weise die Tonleiter gebildet, in welcher der erste und letzte (8.) Ton durch die beiden Oktaven dargestellt werden. Die Bezeichnungen für die Töne sind: C, D, E, F, 0, A, H, G. Das Intervall
Tonleiter.
376
Die Auffassung der Töne.
zwischen E und F sowie zwischen H und 0 ist im Verhältnis ungefähr halb so groß als das zwischen den übrigen Tönen. Die Intervalle zwischen den letzteren heißen deshalb ganze Töne, zwischen JEF und H C halbe Töne. Die Schwingungsverhältnisse der Tonleiter sind namentlich mit Hilfe der Sirene genau ermittelt; es verhalten sich nämlich die Schwingungszahlen von C :D : E : F :Q : A : H : C wie 1 : ®/s : 8 / 4 : */. = % = 5/s = 15/s = 2 oder wie 8 : 9 : 10 : lO'/s : 12 : 13V, : 15 : 16, d. h. während der Ton C 8 Schwingungen macht, macht D 9 Schwingungen u. s. w. Man nennt das Intervall zwischen dem ersten und zweiten Tone eine Sekunde, zwischen dem ersten und dritten eine Terz u. s. f. bis zum achten eine Oktave. Während wir bisher nur die Verhältnisse der Schwingungszahlen der Töne zu einander angegeben haben, giebt die folgende von HELMHOLTZ entworfene Tabelle die absoluten Schwingungszahlen aller Töne innerhalb der sieben gebräuchlichen Oktaven an, welche mit Hilfe der Sirene und des SAVABTScheu Zahnrades bestimmt worden sind:
Noten C D E F 0 A H
Contra Oktave
Große Oktave
01-H1
C-H
33 37-125 41-25 44 49-5 56 61-875
66 74-25 82-5 88 99 110 123-75
UngeEingeZweigestrichene strichene strichene Oktave Oktave Oktave c—h c'—h' c"—h" 132 148-5 165 176 198 220 247-5
264 297 330 352 396 440 495
528 594 660 704 792 880 990
DreigeViergestrichene strichene Oktave Oktave c"'—h"' e""—h"" 1056 1188 1320 1408 1584 1760 1980
2112 2376 2640 2816 3168 3520 3960
Alle die Gehörsempfindungen, welche durch die verschiedensten Instrumente hervorgebracht werden, sind Klänge; Töne erzeugen nur die Schwingungen des Pendels und der Stimmgabeln (OHM). Die Klangfarbe, das T i m b r e , beruht auf der Zahl und Stärke der Obertöne, welche bei den verschiedenen Instrumenten den Grundton begleiten. Wir wollen hier noch untersuchen, wie man sich die Entstehung einer so komplizierten, periodischen Bewegung, durch welche der Klang erzeugt wird, vorzustellen hat. Wird eine Violinseite durch den Bogen angestrichen, so kann dieselbe in ihrer ganzen Länge schwingen; gleichzeitig aber hat die Saite auch die Neigung, sich in zwei Hälften zu teilen, deren jede für sich schwingt. Es ist nun verständlich, daß, während die ganze Saite ihre Schwingung ausführt, zugleich auch jede Hälfte ihre Schwingungen machen kann, und so gesellt sich zu der Schwingung des G r u n d t o n e s der Saiten ein zweiter, leiserer Ton, der erste Ob er t o n , hinzu. Diese Schwingung kann sich noch weiter komplizieren, indem nämlich gleichzeitig die Saite auch noch in drei gleichen Teilen schwingt; in diesem Falle klingt dann noch der zweite Oberton mit u. s. f.
Das Ohr des Menschen besitzt die Fähigkeit, alle die Töne, welche durch 33—3960 Schwingungen hervorgerufen werden, aufzufassen. Doch ist das nicht die Grenze der Wahrnehmbarkeit,
denn SAYABT
will noch Töne wahrgenommen haben, die durch 7 — 8 Stöße erzeugt
Theorie der Tonempfindungen.
377
worden sind, indes meint HELMHOLTZ, daß die von SAVABT gehörten Töne Obertöne des Gründtones von 7—8 Schwingungen gewesen seien. Jedenfalls beginnt nach HELMHOLTZ der musikalische Charakter der Töne erst bei 28—30 Schwingungen in der Sekunde; die tieferen Töne erzeugen nur ein Schwirren und Dröhnen im Ohr. Umgekehrt waren die höchsten Töne, die SAVABT wahrnehmen konnte, durch 24 000 Stöße in der Sekunde erzeugt, und DESPEEETZ hat durch kleine Stimmgabeln einen Ton von 38 016 Schwingungen erhalten. Indes verlieren die Töne, welche über die siebente Oktave hinausreichen, ihren angenehmen, musikalischen Charakter, erregen eine schmerzhafte Empfindung und sind ihrer Höhe nach nur sehr unsicher zu unterscheiden. Im allgemeinen kann eine Tonempfindung niemals durch eine Schwingung erzeugt werden, zum wenigsten müssen deren zwei mit hinreichender Geschwindigkeit in periodischer Wiederkehr aufeinander folgen; denn hält man gegen ein schnell rotierendes SAVABTsches Zahnrad ein Kartenblatt, so hört man einen Ton, der immer tiefer und dumpfer wird, je mehr Zähne man aus dem Rade entfernt; bei zwei Zähnen ist ein Ton zwar vernehmbar, aber sehr dumpf; ist nur «noch ein Zahn am Bade geblieben, so hört man keinen Ton mehr, sondern nur einen Stoß. Die G e r ä u s c h e entstehen durch unregelmäßige, nichtperiodische Schwingungen; man kann sie als reibende, knarrende, zischende Geräusche unterscheiden. Diese Charaktere hängen zum Teil von der* Stärke und der Geschwindigkeit der Stöße ab, zum Teil auch davon, daß dem Geräusch wirkliche Töne von verschiedener Höhe beigemischt sind; in diesem Falle können wir die Geräusche auch nach ihrer Höhe unterscheiden. So sind z. B. Reibgeräusche mit tiefen, zischende Geräusche mit hohen Tönen verbunden.
Theorie der Tonempfindungen. Die Perzeption einer so großen Anzahl von Tönen durch unser Ohr ist dadurch möglich, daß die radial gefaserte Basilarmembran des CoBTischen Organes, die wir als aneinander gereihte Saiten von verschiedener Länge betrachtet haben, in ihren einzelnen Teilen in Mitschwingung versetzt werden kann durch die Töne, welche ihrem Eigentone entsprechen. Durch diese Schwingungen werden die auf der Basilarmembran liegenden Teile, namentlich die Härchenzellen, ebenfalls in oscillierende Bewegungen und damit auch die in sie eintretenden Nerven in Erregung versetzt, so daß die E m p f i n d u n g v e r s c h i e d e n hoher Töne (in weiterer Entwickelung der Lehre von der spezifischen Energie) als durch die Erregung verschiedener Fasern des Gehörnerven hervorgerufen zu betrachten ist. Der ganze akustische Apparat der Schnecke stellt sich demnach wie eine Klaviatur
378
Theorie der Tonempfindungen.
Auffassung der Klänge.
dar, welche durch die verschiedensten Töne, auf die sie abgestimmt ist, in Schwingungen versetzt wird ( H E L M H O L T E ) . Das Ohr besitzt aber noch die weitere Fähigkeit, bei gehöriger Aufmerksamkeit neben dem am stärksten erklingenden Grundton eines Klanges auch einen oder mehrere der schwächer klingenden Obertöne zu unterscheiden, also die Fähigkeit einen Klang zu analysieren (das Auge besitzt diese Fähigkeit für das Licht nicht, s. oben), und es analysiert also das Ohr gleichsam nach dem FouBiEBSchen Lehrsatz periodische Schwingungen von komplizierter Form in einfache Schwingungen. Diese Erscheinung läßt sich nach derselben, oben angegebenen Theorie erklären. Ein Klang nämlich erregt die akustischen Apparate in der Schnecke in der Weise, daß durch die in demselben enthaltenen Töne alle Apparate in der Schnecke in Schwingungen versetzt werden, welche auf die entsprechenden Töne abgestimmt sind, mit dem Unterschiede aber, daß der Grundton die stärksten Schwingungen hervorruft, die Obertöne um so schwächer, je weiter sie sich in ihrer Schwingungszahl von der des Grundtones entfernen. Dadurch werden gleichzeitig eine Anzahl von Nervenfasern erregt, welche die Impulse zum Gehörcentrum leiten, wo die Klangempfindung hervorgerufen wird. Die E m p f i n d u n g eines K l a n g e s e n t s t e h t also dadurch, daß zu der E r r e g u n g b e s t i m m t e r N e r v e n f a s e r n des S c h n e c k e n n e r v e n , die durch den Grundton h e r v o r g e r u f e n wird, eine mehr oder w e n i g e r schwache Err e g u n g b e s t i m m t e r anderer N e r v e n f a s e r n hinzutritt, deren E n d e n durch die Obertöne erregt werden. Einen Beweis für diese Theorie hat HELMHOLTZ durch folgenden Versuch geliefert: er ließ eine Reihe von Stimmgabeln, welche die zu einem Grundton gehörigen Obertöne erzeugten, gleichzeitig ertönen; es entstand ein Klang, der einem bestimmten, komplizierten Wellensystem entsprach. Er ließ nun die Stimmgabeln nicht alle gleichzeitig ertönen, sondern es folgten die einzelnen in kurzen Intervallen aufeinander; es entstand jetzt offenbar ein Wellensystem von ganz anderer komplizierter Form, welches, wenn es als solches die Schneckenapparate in Schwingungen versetzen würde, einen ganz anderen Klang erzeugen müßte. Das ist aber niemals der Fall, sondern es entsteht jedesmal derselbe Klang, woraus offenbar hervorgeht, daß das Ohr die Klänge analysiert, in seine Komponenten zerlegt. Aus der geringeren Breite der Basilarmembran an der Basis gegenüber der Breite an der Spitze folgert man, daß die Fasern der ersteren durch die hohen, die der letzteren durch die tiefen Töne angesprochen werden. Eine Folgerung, welche durch klinische und experimentelle Beobachtungen bestätigt wird (Moos u. STEINBKÜQOE, B. BAQINSKY). Früher hatte HELMHOLTZ die CoRTischen Bögen als diejenigen Apparate angesehen, welche durch die Wellen des Labyrinthwassers in Mitschwingungen versetzt würden, doch mußte diese Annahme aufgegeben werden angesichts der von H A S S E entdeckten Thatsache, daß in der Schnecke der Vögel, die sicher musikalisches Gehör besitzen, die CoRTischen Bögen vollständig fehlen. Die
Harmonie der Klänge.
379
ganze Theorie ist wesentlich nur eine weitere Entwicklung der Lehre von der spezifischen Energie, welche, wie die Theorie der Farhenempfinduag durch die Farbenblindheit, eine ähnliche Stütze dadurch erhält, daß G-ehörstörungen Torkommen, bei denen einige Töne der Tonskala nicht perzipiert werden können. Die Empfindung yon Geräuschen wird durch die Annahme verständlich, daß die unregelmäßigen Schwingungen auch sehr unregelmäßige Bewegungen der Basilarmembran hervorrufen, welche eine verworrene Empfindung, wie wir sie eben beim Geräusch haben, erzeugen. D i e Bogengänge. Zerstörung der Bogengänge verursachte bei Tauben schwere Störungen des Gleichgewichtes (FIODBENS), weshalb man sie als Organe des Gleichgewichtes betrachten wollte. Diese Störungen sind indes wohl nicht allein die Folgen der Bogengangszerstörung, denn man kann, namentlich bei Haifischen, die Bogengänge so entfernen, daß nennenswerte Störungen im Gleichgewichte fehlen (STEINES). In neuerer Zeit sind wiederum an Tauben mit verbesserten Methoden Bogengangszerstörungen ausgeführt worden, nach denen gar keine groben, sondern nur bei sehr delikater Prüfung auftretende Störungen im Gebrauche der Muskulatur beobachtet werden, die man vorläufig nähQT noch nicht zu definieren vermag (J. R. EWALD). E S ist bemerkenswert, daß nach demselben Autor einseitige Bogengangszerstörungen gar keine Folgen hinterlassen.1 H a r m o n i e der K l ä n g e . Wenn zwei Töne oder Klänge gleichzeitig erklingen, so rufen uns dieselben eine angenehme oder unangenehme Empfindung hervor. Die angenehmen Zusammenklänge bezeichnet man als Konsonanz und die unangenehmen als Dissonanz. Im allgemeinen sind diejenigen Töne konsonant, deren Schwingungen in einem einfachen Zahlenverhältnis zu einander stehen; so ist die Oktave c und e (wie 1 : 2 ) die beste Konsonanz; ferner ist die Quinte c und g (wie 2 : 3 ) konsonant, ebenso die Terz c und e (wie 4:5); zwei näher liegende Töne wie e und d ( 8 : 9 ) sind dagegen dissonant. H E L M H O L T Z hat nun gezeigt, daß die Konsonanz auf k o n t i n u i e r l i c h e r , die Dissonanz auf d i s k o n t i n u i e r l i c h e r Tonempfindung beruhe. Der Sachverhalt ist folgender: Wenn zwei Töne, welche um ein oder ein halbes oder noch geringeres Intervall voneinander entfernt sind, gleichzeitig ertönen, so hört man einzelne Stöße, welche um so langsamer auftreten, je geringer das Intervall der beiden Töne ist. Man nennt diese Stöße S c h w e b u n g e n . Diese Schwebungen sind nichts anderes als Interferenzen der Schallwellen, indem Wellenberge mit Wellenthälern zusammenfallen und ihre Bewegungen gegenseitig aufheben. So entstehen abwechselnde Verstärkungen und Schwächungen der Töne, welche eine diskontinuierliche Tonempfindung und damit eine Dissonanz geben. Die Dissonanz ist J . R . EWALD, Physiolog. Untersuchungen über das Endorgan des Nervus octavus. Wiesbaden 1892. 1
880
Schwebungen.
Kombinationstöne.
Der Akkord.
also Folge der Schwebungen, die um so langsamer eintreten werden, je näher die beiden Töne einander liegen, weil es um so länger dauert, bis der höhere Ton dem tieferen um einen ganzen Wellenberg vorangeschritten ist, und umgekehrt; bei einer gewissen, großen Differenz der Schwingungszahlen der beiden Töne entschwinden die Schwebungen dem Ohre vollständig. Die Anzahl der Schwebungen, die zwischen Tönen von gleichem Intervall in der Sekunde entstehen, ist gleich der Differenz ihrer Schwingungszahlen. Die Dissonanz ist um so größer, je größer die Anzahl der Schwebungen ist und erreicht bei 33 Schwebungen ihr Maximum, wie z. B. h! bis c" = 528 — 495 = 33 Schwebungen; in den tieferen Tönen z. B. E bis G = 62 — 66 = 4 Schwebungen ist die Dissonanz viel geringer wie im allgemeinen in den tiefen Tonlagen, während sie in den mittleren am stärksten ist und in den hohen Tonlagen verschwindet. Kombinationstöne. Klingen zwei Töne von verschiedener Höhe gleichzeitig kräftig und gleichmäßig anhaltend zusammen, so entstehen neue Töne, welche Kombinationstöne genannt werden. Dieselben zerfallen in zwei Klassen, von denen die ersten D i f f e r e n z t ö n e (auch TiETiNische Töne) heißen und dadurch charakterisiert sind, daß ihre Schwingungszahl gleich ist der Differenz der Schwingungszahl der primären Töne. Die S u m m a t i o n s t ö n e (HELMHOLTZ), welche die zweite Klasse bilden, sind ihrer Schwingungszahl nach gleich der Summe der Schwingungszahlen der primären Töne. Die Entstehung dieser Töne ist von HELMHOLTZ darauf zurückgeführt worden, daß die Schwingungen der tönenden Körper nicht mehr als unendlich klein betrachtet werden und nicht genaue Pendelschwingungen sind, um so weniger, je größer ihre Amplitude ist. So geben stark anhaltende Klänge, wie die einer Orgel, starke Kombinationstöne. Wie die Grundtöne, so können auch die Obertöne und endlich auch die Kombinationstöne Veranlassung zu Schwebungen und damit zu Dissonanzen geben, doch sind die durch Kombinationstöne hervorgerufenen Schwebungen von geringerer Bedeutung als die der Obertöne.
Der Akkord. Klingen mehr als zwei Töne zusammen, so entsteht der Akkord. Derselbe ist konsonant, wenn jeder Ton desselben mit jedem anderen konsonant ist, wenn also die Töne des Akkordes miteinander keine Schwebungen erzeugen. So ist der bekannte Dreiklang CEO ein konsonierender Akkord; die Musik kennt deren noch eine ganze Reihe. Man unterscheidet in der Musik die Akkorde als Dur-Akkorde und als Moll-Akkorde. Der Dreiklang GEO bildet für die ersteren den Grundakkord, für die letzteren der Dreiklang GEs O. Beide
Die Gehörswahrnehmungen.
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Akkorde klingen für unser Ohr durchaus verschieden. Der Dur-Akkord hat etwas Bestimmtes, Klares und Abgeschlossenes, wodurch er das Gefühl der Befriedigung zu erwecken vermag, während der Moll-Akkord den Charakter des Unklaren und Verhüllten an sich trägt, so daß er sich zum Ausdruck von unbestimmten und trüben Stimmungen eignet. Akustisch unterscheiden sie sich nach HELMHOLTZ dadurch, daß im Dur-Akkord die entstehenden Kombinationstöne konsonieren, dagegen im Moll-Akkord dissonieren. 3. Die GehSrswahrnehmnagren. Tritt zu einer Gehörsempfindung der psychische Akt, welcher zu einem unbewußten Schlüsse führt, so entsteht in gleicher Weise eine Gehörswahrnehmung, wie wir es in ausgedehntem Maße bei den Gesichtswahrnehmungen gesehen haben. In derselben Weise werden die Tonempfindungen auf Grund der gemachten Erfahrung im Sinne des Gesetzes der excentrischen Empfindung nach außen, bezw. an den Ort der Ursache als Empfindung verlegt. B e u r t e i l u n g der R i c h t u n g und E n t f e r n u n g des Schalles. Man pflegt die Richtung, aus der ein Schall kommt, im allgemeinen aus seiner Intensität zu erschließen, wobei die Ohrmuschel gewisse Dienste leistet. Bei gleicher Entfernung der Schallquelle nämlich wird die Intensität des Schalles für uns am größten sein, wenn das Ohr der Schallquelle gerade zugewendet wird, so daß die Ohrmuschel die günstigste Stellung einnimmt, um Schallwellen in den äußeren Gehörgang zu reflektieren. Weniger günstig steht sie, wenn der Schall von vorn kommt und am ungünstigsten, wenn der Schall von hinten kommt. Auf diese Weise ist eine Orientierung über die Richtung des Schalles möglich, namentlich wenn durch Kopfbewegungen Yergleiche angestellt werden. Die folgenden Versuche von E D . W E B E R unterstützen diese Ansicht: Achtet man auf einen von vorn kommenden Schall und setzt beide Hohlhände, nach hinten gerichtet, so vor das Ohr, daß sie künstliche Ohrmuscheln bilden, so scheint der Schall von rückwärts zu kommen. Ferner hat W E B E E beobachtet, daß wir die Richtung des Schalles sehr schlecht unterscheiden, wenn die Ohrmuschel platt an den Kopf angedrückt wird. Nach der Intensität des Schalles pflegen wir auch die Entfernung der Schallquelle zu beurteilen in der Weise, daß wir die Quelle eines schwachen Schalles in große, die eines starken Schalles in geringe Entfernung verlegen. Doch sind wir, sowohl was die Richtung als die Entfernung der Schallquelle betrifft, noch weit größeren Täuschungen ausgesetzt, als es beim Gesicht der Fall ist.
382
Der Geruchssinn. Hören mit beiden Ohren.
Wir benutzen das Hören mit beiden Ohren zur Unterstützung unseres Orientierungsvermögens über Richtung und Entfernung der Schallquelle, indem wir durch die Bewegung des Kopfes bald das eine, bald das andere Ohr in die Stellung bringen, bei der wir den Schall am stärksten hören. Obgleich wir einen Schall mit beiden Ohren nur einfach hören, so ist doch nicht zu entscheiden, ob, wie bei den beiden Netzhäuten, auch eine „Identität" der beiden Hörnervenenden vorhanden ist. Gegen die Identität spricht folgender Versuch von DOVE: Wenn man zwei gleich gestimmte Stimmgabeln vor den beiden Ohren ertönen läßt und die eine um ihre Achse so dreht, daß ihr Ton abwechselnd verschwindet und wieder erscheint, so scheinen beide Stimmgabeln abwechselnd zu tönen, und zwar hören wir die feststehende nur dann, wenn die andere nicht gehört wird. Es nimmt nämlich die Erregbarkeit des Ohres ab, auf der kontinuierlich gereizten Seite mehr als auf der anderen, die intermittierend gereizt wird, und ein Ton wird bei gleich starker Erregung nur von dem höher erregbaren Ohre wahrgenommen. Gegen die Identität spricht ferner eine Beobachtung von FESSEL U. FECHNER, nach welcher eine Anzahl Individuen schon normal, noch häufiger in krankhaften Zuständen (v. WITTICH), denselben Ton auf der einen Seite höher als auf der anderen empfinden. § 4.
D e r Geruchssinn.
Wenn die Enden des R i e c h n e r v e n , des N. olfactorius in der Nase, durch gewisse Stoffe, die man Riechstoffe nennt, erregt werden, so entsteht eine Geruchsempfindung. Die Enden dieses Nerven breiten sich in der Schleimhaut des oberen Abschnittes der Nasenhöhle, der Regio olfactoria aus, welche sich über den oberen und zum Teil den mittleren Nasengang erstreckt. Dieselbe zeichnet sich deutlich durch ihre gelbe Farbe von der übrigen Schleimhaut der Nase aus und dadurch, daß sie nicht flimmert, sondern besondere Epithelzellenbildungen trägt, die zum Teil als Endorgane des Riechnerven zu betrachten sind. In der Schleimhaut der Regio olfactoria kennt man Cylinderzellen und Riechzellen (M. SOHULTZE); die letzteren unterscheiden sich von den Cylinderzellen durch ihren schlanken Bau, besonders durch ein verschmälertes oberes Stück, und dadurch, daß sie mit den Fasern des N. olfactorius in direkter Verbindung stehen. An ihren freien Enden tragen die Riechzellen öfters haarförmige Gebilde. Nach S. EXNEB sollen beide Zellenarten der Begio olfactoria nur in indirekter Verbindung mit dem Riechnerven stehen, indem sie beide in ein Maachenwerk übergehen, in das auch die Olfactoriusenden eintreten.
Der Geruchssinn.
Der Geschmackssinn.
383
Die Riechstoffe, welche wahrscheinlich auf die Riechzellen wirken, können (entgegen der alten WEBEBschen Lehre) nicht nur in gasförmigem, sondern auch in flüssigem Zustande zur Perzeption gelangen. Zur Untersuchung von Riechstoffen in flüssigem Zustande eignet sich als vollkommen indifferent eine Kochsalzlösung von 0-6°/ 0 . Der Geruchssinn des Menschen ist von außerordentlicher Feinheit; es liegen die Grenzwerte folgendermaßen: für Kampher bei 0-01 ccm auf 1 1 0 - 0 6 % NaCl „ Nelkenöl „ 0-0001 „ „ „ „ „ „ Eau de Cologne „ 1 - 0 „ „ „ „ „ ' Man erhält auch eine Geruchsempfindung bei Schließung und Öffnung eines konstanten Stromes, dessen Kathode oder Anode sich in der Nase befinden, während die indifferente Elektrode auf der Glabella steht Der Geruchssinn ermüdet nach 2 — 3 Minuten und erholt sich nach einer Minute. Ist die Nase für einen Riechstoff ermüdet, so kann sie für einen anderen noch riechtüchtig sein. Um eine Geruchsempfindung zu erzeugen, können die Riechstoffe sowohl im Inspirationsstrome als auch im Exspirationsstrome enthalten sein. Sie kommen besser zur Empfindung, wenn sie über 37-5° C. temperiert sind, als wenn ihre Temperatur darunter bleibt (ED. ABONSOHN). Die Geruchsqualitäten sind so verschieden und so zahlreich als die Riechstoffe selbst, und es giebt kaum zwei Riechstoffe, welche dieselbe Geruchsempfindung hervorrufen. Man kann nur im allgemeinen die Gerüche in W o h l g e r ü c h e , die uns angenehm sind, und in ü b l e G e r ü c h e , die uns unangenehm sind, unterscheiden, ohne daß sich indes sagen ließe, wodurch dieser Unterschied physiologisch begründet sei. Eine sehr große Zahl von anderen Gerüchen lassen sich in keine der beiden Arten einreihen. Die Geruchsempfindungen sind häufig von Tastempfindungen begleitet, da in der Nasenschleimhaut auch noch zahlreiche Gefiihlsnerven (N. trigeminus) enden, und zwar in den Fällen, wo die Riechstoffe neben dem Riechnerven auch die Gefühlsnerven zu erregen imstande sind. Dies gilt namentlich von starken flüchtigen Säuren und Basen, wo man dann neben der Geruchsempfindung auch stechende (Ammoniak) und prickelnde Gefühlsempfindungen hat.
§ 5. Der Geschmackssinn.
Eine ganze Reihe von Substanzen erregt, wenn eine derselben auf die Zunge gebracht wird, eine Empfindung, welche man als G e s c h m a c k s e m p f i n d u n g bezeichnet. Im allgemeinen werden vier Geschmacksqualitäten unterschieden, nämlich süß, s a u e r , b i t t e r und salzig. Diese Qualitäten entsprechen einigermaßen dem chemischen Charakter der Stoffe, durch welche sie verursacht werden. Sauer schmecken die
384
Der Geschmackssinn. Schmeckbecher. Der elektrische Geschmack.
Säuren, süß die von der Chemie als mehratomige Alkohole bezeichneten Körper, z. B. Glycerin, Traubenzucker u. a.; salzig die leicht löslichen Neutralsalze der Alkalien und bitter die Alkaloide, doch kommen davon Ausnahmen vor, so z. B. schmeckt neutrales essigsaures Bleioxyd süß (Bleizucker). Unter den einzelnen Teilen der Mundhöhlenschleimhaut liegt die ausgedehnteste Geschmacksempfindung in der Zunge, deren Spitze, Ränder, sowie deren hinterstes Drittel des Rückens zu schmecken vermögen. Ferner sollen Geschmacksempfindung besitzen die vorderen Gaumenbögen und ein schmaler Streif des weichen Gaumens dicht hinter dem harten Gaumen. Die Geschmacksnerven sind vorzüglich der N. glossopharyngeus und der N. lingualis des Trigeminus; der letztere vermittelt wahrscheinlich die Empfindung von süß und sauer (das Nähere s. S. 308 u. 310). Die peripherischen Endapparate des Geschmacksnerven sind die Schmeckbecher (SCHWALBE) oder Geschmacksknospen (LOVÉN), welche sich namentlich in den Papillae circumvallatae, aber auch in den Papillae fungiformes und filiformes in geringerer Anzahl finden, und zwar liegen sie vorwiegend in dem geschichteten Pflasterepithel der seitlichen Abhänge der Papillae circumvallatae. Die Schmeckbecher sind flaschenförmige Gebilde mit einem auf die Oberfläche führenden Ausfuhrungsgange; ihr Inneres enthält Zellen, in denen die Fasern des N. glossopharyngeus enden, denn nach Durchschneidung dieses Nerven waren die Schmeckbecher auf der operierten Seite innerhalb fünf Monaten bei jungen Kaninchen vollständig verschwunden (v. VINTSCHGAU u . HÖNIGSCHMIED).
Die Art der Erregung dieser Endorgane ist wahrscheinlich eine chemische, denn die Substanzen, welche Geschmacksempfindungen erregen, müssen entweder schon gelöst oder auf der Zunge löslich sein. Um die verschiedenen Geschmacksqualitäten zu erklären, muß man annehmen, daß es verschiedene Arten von Geschmacksfasern giebt, welche die Erregungen zum Centrum leiten, das jedesmal mit seiner entsprechenden Energie reagiert. D e r e l e k t r i s c h e G e s c h m a c k . Leitet man einen konstanten Strom durch die Zunge, indem man den positiven Pol an die Zungenspitze und den negativen Pol an den Nacken setzt, so daß der Strom von der Zungenspitze zur Zungenwurzel fließt, so empfindet man an der Zungenspitze einen deutlich s a u r e n Geschmack: wechselt man die Pole, so daß der negative Pol an der Zungenspitze liegt, so hat man einen a l k a l i s c h e n (laugenartigen) Geschmack. Die ganze Erscheinung nennt man den elektrischen Geschmack. Derselbe kann nicht davon herrühren, daß der konstante Strom die in der Mundhöhle befindlichen Salze in Säure und Alkali zerlegt, die sich am negativen bezw. positiven
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Psychophysisches Gesetz.
Pole abscheiden und ihrerseits auf die Geschmacksnerven wirken; denn bringt man die Pole nicht direkt an die Zangenspitze, sondern an einen indifferenten feuchten Leiter, den man mit der Zungenspitze in Verbindung setzt, so pflegt der elektrische Geschmack durchaus nicht zu fehlen (ROSENTHAL).
Anhang. Das p s y c h o p h y s i s c h e Gesetz. Als Maß für die Größe der Empfindung, die durch einen sensiblen Eindruck erzeugt wird, dient der kleinste durch die Empfindung noch wahrnehmbare Erregungszuwachs. Dieser letztere ist nun der Größe des schon vorhandenen Reizes proportional, so daß ein Reiz um so mehr verstärkt werden muß, um noch einen Empfindungszuwachs hervorzurufen, je größer die Empfindung selbst schon ist (E. H . WEBEB). AUS diesem Gesetz hat FECHNEB abgeleitet, daß die E m p f i n d u n g e n proportional dem Logarithmus der Reizgröße zunehmen: FECHNEBS psychophysisehes Gesetz. Diejenige Reizgröße, die eben eine Empfindung hervorzurufen vermag, heißt der „ S c h w e l l e n w e r t " des Reizes. Auf Grund der Annahme eines Leitungswiderstandes in den Ganglienzellen hat BERNSTEIN mit Hilfe einiger Voraussetzungen das FEOHNEBsche Gesetz dahin vereinfacht, daß die Stärke der Empfindungen direkt proportional der Zahl der im Centrum erregten E l e m e n t e (Ganglienzellen) ist. Die Voraussetzungen sind: 1) die Erregung erleidet bei ihrer Ausbreitung im Centrüm einen Verlust ihrer Intensität, der immer einen gleichen Bruchteil ihrer eigenen Größe beträgt; 2) der schließlich unmerkliche Wert des Reizes ist gleich dem Schwellenwert der Erregung; 3) die Intensität der Empfindung ist proportional der Größe des Ausbreitungsbezirkes des irradiirenden Reizes.
S t e i n e r , Physiologie. VUL Aufl.
25
Drittes Kapitel. Die nervösen Centraiorgane.1 Die nervösen Centraiorgane, Gehirn, Nackenmark und Rückenmark, setzen sich aus nervösen und nicht nervösen Elementen zusammen. Die nervösen Elemente sind die N e r v e n - oder G a n g l i e n z e l l e n und die N e r v e n f a s e r n . Auf einem Durchschnitt durch Gehirn oder Rückenmark unterscheidet man die graue und die weiße Substanz: die graue enthält die Nervenzellen und freie Achsencylinder, die weiße besteht aus markhaltigen Nervenfasern und verdankt ihre Farbe der starken Lichtreflexion durch das Nervenmark. Die Nervenzellen sind die eigentlich spezifischen Elemente der nervösen Centraiorgane, deren besonderen Funktionen sie auch vorstehen, während die Nervenfasern (intercentrale Fasern) hier, wie an der Peripherie, nur der Leitung dienen. Die nicht nervösen Elemente bestehen aus einem eigenartigen Zwischengewebe (Neuroglia), welches den nervösen Elementen zur Stütze dient. Den Balken der Grundsubstanz dieses Gewebes sitzen eigentümliche, mit spärlichem Protoplasma versehene Kerne auf, welche Gliazellen (Spinnenzellen) genannt werden. Die Neuroglia enthält Neurokeratin (s. S. 286). C h e m i e der C e n t r a i o r g a n e . Die weiße Substanz des Gehirns und Bückenmarks reagiert während des Lebens und im Ruhezustand schwach alkalisch oder neutral: die graue Substanz zeigt stets eine saure R e a k t i o n , deren Stärke nach dem Absterben zunimmt (GTSCHEIDLEN). Ihrer chemischen Zusammensetzung nach bestehen die Centraiorgane aus Wasser, organischen und anorganischen Bestandteilen; die organischen sind: 1) Eiweißkörper, 2) Glutin, 3) Cerebrin, Nucle'in und Lecithin, 4) Fette und Cholestearin, 5) Inosit, 6) Hypoxanthin, Xanthin und Kreatin, 7) Milchsäure, 8) flüchtige Fettsäuren, 9) Harnsäure; die anorganischen sind: 1) freie Phosphorsäure, 2) phosphorsaure Alkalien, 3) Magnesium, Eisenoxyd, Kieselerde, 4) schwefelsaure Alkalien und Chlornatrium. Recherches éxperim. sur les propriétés et les fonctions du syst, édit. Paris 1 8 4 2 ; L O N G E T , Anatomie und Physiologie des Nervensystems. 1 8 4 9 ; M . S C H I F F u. V U L P I A N , s. oben S . 3 0 1 ; C . E C K H A R D , Artikel Physiologie des Rückenmarks und Gehirns, in H E R M A N N S Handbuch der Physiologie. 1 8 7 9 . 1
nerv.
2.
FLOUBENS,
387
Die Ganglienzellen.
Die quantitativen Verhältnisse der Zusammensetzung giebt die folgende Tabelle. PETROWSKY fand in 1 0 0 Teilen der grauen Substanz: der weißen Substanz: Wasser 816-032 683-509, feste Stoffe 183-958 . 316-492; in 100 g des trockenen Rückstandes graue Substanz: wei£e Substanz: Albumin und Glutin . . . . 55-3 24-7 Lecithin 17-2 8-9 Cholestearin und Fette . . . 18-6 51-9 Cerebrin 0-5 9-5 in Äther unlösliche Extraktstoffe 6-7 3-3 Salze 1-4 0-5
Die Ganglienzellen. Die Ganglien- oder Nervenzellen bestehen aus • dem Zellenleibe (Protoplasma), dem Kern und dem Kernkörperchen. Dem Zellenleibe entsprossen zweierlei Fortsätze: 1) ein gleichmäßig feiner Fortsatz, der Stammfortsatz, Achsency linderfortsatz, Nervenfortsatz(Neurit), welcher oft nach mehrfacher Teilung und nach längerem oder kürzerem Verlaufe in einer Verästelung (Endbäumchen) endet. Auf seinem Wege giebt dieser Fortsatz Seitenästchen „ C o l l a t e r a l e n " ab, welche, wie der Fortsatz selbst, mit feiner Aufsplitterung enden; 2) dickere, sich immer verzweigende P r o t o p l a s m a f o r t s ä t z e (Dendriten) (GOLGI, BAMON T
CAJAL).
Der wesentliche Unterschied zwischen diesen beiden Arten von Fortsätzen ist der, daß aus dem Neuriten (murkhaltige) Nervenfasern hervorgehen, während die Dendriten niemals in solche übergehen (genetisch tritt der Neurit etwas früher auf als die Dendriten [HB]).
Man hat zwei Arten von Ganglienzellen zu unterscheiden, nämlich a) solche mit l a n g e m Nervenfortsatze, der regelmäßig das Centrainervensystem verläßt, und als Achsency linder eines peripheren Nerven weiterziehend an der Peripherie (Muskel oder Haut) unter Verästelung endet; b) solche mit kurzem Nervenfortsatze, der niemals das Centraiorgan verläßt, sondern stets noch in der grauen Substanz ebenfalls in ein Endbäumchen ausläuft. Ganglienzelle, Nervenfortsatz, Endbäumchen sind eine genetische Einheit, welche man als Neuron bezeichnet. Aus solchen übereinander liegenden Neuronen erscheint das ganze Nervensystem zusammengesetzt. Die Ganglienzellen besitzen Eigenschaften, die von denen der Nervenfasern durchaus verschieden und ihnen eigentümlich sind. Diese sind: 25*
388
Das Rückenmark.
1) Der R e f l e x . Der Reflex besteht darin, daß ein auf centripetaler Leitungsbahn im Centrum angelangter Reiz („centripetale Erregung") durch Vermittelung von Ganglienzellen auf eine centrifugale Bahn („centrifugale Erregung") übertragen wird, um an der Peripherie eine Thätigkeitsäußerung (z. B. Muskelbewegung, Drüsen Sekretion) hervorzurufen ( R e f l e x b e w e g u n g etc.). 2) Die A u t o m a t i e . In den Ganglienzellen entstehen scheinbar selbständige Erregungen, d. h. ohne nachweisbare Ursache, die ebenfalls von Kraftäußerungen an der Peripherie gefolgt sind (z. B. die Atembewegungen unter dem Einflüsse des Atemcentrums). Die Automatie unterscheidet man als k o n t i n u i e r l i c h e (Tonus) oder r h y t h m i s c h e , je nachdem die periphere Kraftäußerung kontinuierlich oder rhythmisch auftritt. 3) Die S e e l e n t h ä t i g k e i t . Man begreift darunter das Denken, Wollen, Empfinden und das Gedächtnis. Die Entwickelung dieser Thätigkeit kann durch eine äußere, periphere Erregung veranlaßt oder selbständig entstanden sein, ebenso wie eine sichtbare Kraftäußerung folgen oder fehlen kann. Die Ganglienzellen liegen in den nervösen Centraiorganen niemals einzeln, sondern in Gruppen nebeneinander und beherrschen in der Regel eine Vielheit von organischen Kräften, deren Zusammenwirken eine bestimmte, komplizierte Funktion bezweckt; ein solcher Ganglienzellenhaufe wird ein „ C e n t r u m " genannt (wie z. B. das Atmungscentrum, welches die Gruppe der Atemmuskeln für die regelmäßigen Atembewegungen gemeinsam innerviert). Entsprechend ihrer Zusammensetzung aus Centren und Leitungsbahnen sind die n e r v ö s e n C e n t r a i o r g a n e zu untersuchen: 1) als C e n t r a i a p p a r a t e , 2) als L e i t u n g s a p p a r a t e . I. Das Biickenmark. 1. Das R ü c k e n m a r k als C e n t r a i o r g a n . Reflexe. Wenn man den sensiblen Nerven eines geköpften Frosches reizt, so treten u n w i l l k ü r l i c h e Muskelbewegungen auf, die R e f l e x b e w e g u n g e n genannt werden. Dieselben können entweder die verschiedensten Muskeln des Rumpfes und der Extremitäten sowohl auf der gereizten (einseitiger Reflex), wie gleichzeitig die der anderen Seite (doppelseitiger Reflex) betreffen, oder bestimmte Muskelgruppen und durch ihre Zweckmäßigkeit den Anschein bewußter Thätigkeitsäußerungen erregen. Man nennt die ersteren u n g e o r d n e t e , die letzteren g e o r d n e t e Reflexbewegungen. Die g e o r d n e t e n Reflexbewegungen erhält man am geköpften
Ungeordnete Reflexbewegungen.
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Frosche am leichtesten bei mäßiger, kurzdauernder Reizung der Haut oder eines sensiblen Nervenstammes: dieselben bestehen in der Regel in z w e c k m ä ß i g e n Bewegungen. Wenn man die untere Extremität reizt, so erfolgen Beugebewegungen des einen oder beider Beine, oder der Frosch macht, wenn man seine Haut mit einer Pincette kneift, Abwehrbewegungen und versucht das quälende Instrument fortzustoßen. Die u n g e o r d n e t e n Reflexbewegungen treten als Reflexzuckungen oder Reflexkrämpfe auf und erscheinen als klonische und tonische Kontraktionen von ganzen Muskelgruppen oder selbst sämtlicher Ivörpermuskeln. Dieselben treten auf: a) bei starker, sensibler Reizung, b) bei Vergiftung mit Strychnin, c) in gewissen pathologischen Fällen (Epilepsie, Hydrophobie u. a.). Die Ausbreitung der Reflexbewegungen auf die verschiedenen Muskeln ist von der Größe des Reizes und der Erregbarkeit des Rückenmarkes abhängig (bei gleicher Erregbarkeit der Muskeln); sie geschieht nach PFLÜGEK in folgender, stets gesetzmäßiger Weise: 1) wenn der Reiz eine nur einseitige Reflexbewegung auslöst, wie es bei schwächeren Reizen stets der Fall ist, so geschieht die Bewegung auf der Seite der Reizung. 2) Erstreckt sich die Bewegung auch auf die andere Seite, wie nach stärkeren Reizen, so treten dort nur dieselben Muskeln in Thätigkeit, die auf der gereizten Seite schon thätig sind (eine Ausnahme hiervon bilden die „gekreuzten Reflexe", z. B. die Bewegung des diagonalen Hinterbeines auf Reizung eines Vorderbeines; man findet diese Reflexe bei Tritonen, Eidechsen, Schildkröten u. a., dagegen nicht bei Frosch und Kaninchen. Dies hängt, wie es scheint, mit der trabförmigen Lokomotion jener Tiere zusammen — LUCHSINGER). 3) Sind die Bewegungen auf beiden Seiten verschieden stark, so finden die stärkeren Bewegungen auf der gereizten Seite statt. 4) Wird irgend ein P u n k t der Haut gereizt, so treten zunächst solche Muskeln in Aktion, deren Ursprung sich in gleicher Höhe mit dem gereizten, sensiblen Nerven befindet; breitet sich die Erregung auf weitere Bahnen aus, so sind es zunächst diejenigen Nerven, welche näher dem verlängerten Marke entspringen, niemals zuerst die ferneren. Ganz schwache Reize, die einzeln unwirksam sind, können bei häufiger Aufeinanderfolge Reflexe auslösen; es findet also im Rückenmark eine „Summation" aufeinander folgender sensibler Eindrücke statt, und zwar reichen schon drei Reize in der Sekunde aus, um diese Summation zu erzeugen und zu einer kontinuierlichen Wirkung zu verschmelzen. Das Maximum der Wirkung erzielt man bei 16 Reizen in der Sekunde, darüber hinaus findet eine Steigerung der Wirkung nicht mehr statt (ROSENTHAL). Übereinstimmend ist beobachtet worden, daß durch Reizung der Hautenden von centripetalen Nerven Reflexe leichter ausgelöst werden als durch
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Ungeordnete Reflexbewegungen.
Reizung ihrer Stämme, obgleich in dem Stamme sämtliche Nerven einer Hautpartie gemeinschaftlich gereizt werden, während bei Reizung der Haut immer nur ein Teil zur Erregung kommt.
Die Reflexbewegungen können durch gewisse Einflüsse g e h e m m t oder in ihrer Thätigkeit e r h ö h t werden. Sie werden gehemmt: 1) "Vom Gehirn aus; durch den W i l l e n können Reflexe unterdrückt werden. So z. B. treten die oben beschriebenen Reflexbewegungen am nicht enthaupteten Frosche nur sehr unsicher auf. Andererseits ist es eine bekannte Erfahrung, daß während des Schlafes, wo der Wille ausgeschlossen ist, Reflexe sehr prompt eintreten. 2) Durch Hemmungsvorrichtungen, welche in den hinter dem Großhirn liegenden Hirnabteilungen vorhanden sein sollen ( S E T S C H E N O W ) . 3) Durch gleichzeitige Reizung von zwei sensiblen Nerven wird die Reflexbewegung gehemmt, wenn die Reflexe antagonistische Bewegungen erzeugen (SCHLOSSES). (Auf demselben Prinzip beruht wahrscheinlich die willkürliche Hemmung von Reflexen, wie des Niesens, des Lachens u. a., durch Innervation der antagonistischen Muskeln.) 4) Während der Apnoe (s. S. 103) ist das Zustandekommen der Reflexe erschwert. 5) Einige Gifte, wie Morphium, Chloroform, Digitalin und Chloralhydrat, setzen die Reflexerregbarkeit herab. (Die Reflexerregbarkeit wird durch die Zeitdauer bestimmt, welche zwischen der Reizung und der darauf folgenden Bewegung verfließt. Als Reiz dient bei Versuchen in der Regel verdünnte Schwefelsäure, zur Zeitbestimmung benutzt man das Metronom [ T Ü B C K ] . ) E r h ö h t wird die Reflexerregbarkeit durch das Strychnin in dem Maße, daß schon die leiseste Berührung der Haut, selbst schon ein Aufklopfen auf die Unterlage, auf welcher das vergiftete Tier, z. B. der Frosch, liegt, genügend ist, um allgemeine Streckkrämpfe hervorzurufen. Die Wirkung des Strychnins ist eine centrale, durch welche namentlich die Rückenmarksganglien in einen Zustand erhöhter Erregbarkeit versetzt werden. Das Grift wirkt tödlich durch den Krampf der Atemmuskeln, das Herz schlägt ruhig fort und bleibt nur im Augenblick des Krampfanfalles durch Reizung des Vaguscentrums in Diastole stehen. Reichliche Sauerstoffzufuhr, die zur Apnoe führt, hindert den Ausbruch der Krämpfe oder sistiert dieselben (LEUBE U. ROSENTHAL); auf Hühner wirkt Strychnin in den gebräuchlichen Dosen gar nicht. Frösche können sich, da sie von der Lungenatmung großenteils unabhängig sind, von kleinen Dosen wieder erholen; größere Dosen wirken durch Lähmung des Rückenmarks ebenfalls tödlich.
Die reflektorische "Übertragung eines sensiblen Reizes auf eine motorische Faser bedarf einer meßbaren Zeit, die nach H E L M H O L T Z 1 / 30 bis 1 / 10 Sekunde beträgt. Die Zeit, welche beim einseitigen Reflex („Reflexzeit") zwischen Erregung und Bewegung verfließt, ist geringer als die Zeit bei dem doppelseitigen Reflex („Zeit der Querleitung"). Diese beiden Zeiten nehmen mit zunehmender Reizstärke ab und er-
Centrum für geordnete Reflexbewegungen.
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reichen ein Minimum, wo sie unmerklich werden können. Durch Ermüdung und Abkühlung wird die Reflexzeit und die Zeit der Querleitung verlängert (ROSENTHAL). Im Rückenmark liegen eine Anzahl von Centren für geordnete Reflexbewegungen, die im Tierleben eine wesentliche Bedeutung besitzen und deshalb hier angereiht werden sollen: 1) Ein Centrum für die Defäkation (Centrum ano-spinale), das bei Hunden in der Höhe des 5. Lendenwirbels (BUDGE) gelegen ist; die centripetalen Nervenfasern kommen aus dem Plex. haemorrhoidalis superior, medius und inferior, sowie dem Plex. mesentericus inferior; die oentrifugale Bahn bilden Nervenfasern aus dem Plex. pudendus; die Muskeln sind die Sphincteres ani, die in ihrer Thätigkeit nachlassen (Reflexhemmung), und die Bauchpresse (Zwerchfell und Bauchmuskeln). Der Sphincter ani externus macht, wenti nach Durchschneidung des Rückenmarkes der Finger ins Rectum eingeführt wird, rhythmische Bewegungen (GOLTZ). Beim Menschen findet sich das Centrum ano-vesicale im Conus medullaris gegenüber dem ersten Lendenwirbel (KIBCHHOIT, OPPENHEIM). 2) Ein Centrum für das Harnlassen (Centrum vesico-spinale) liegt unterhalb des vorigen. Centripetale Bahn: Nn. vesicales; centrifugale Bahn: Nn. vesicales; Muskeln: M. detrusor urinae. Die Thätigkeit dieser beiden Centren kann durch den Willen eine Zeit lang gehemmt werden. 3) Ein Centrum für die Ejakulation des Samens (Centrum genito-spinale) im Lendenmark gelegen. Centripetale Bahn: N. dorsalis penis; centrifugale Bahn: Nn. perinei; Muskel: M. bulbo-cavernosus. 4) Ein Centrum für den Geburtsakt liegt ebenfalls im Lendenmark. Centripetale Bahn: Fasern aus dem Plex. uterinus; centrifugale Bahn: motorische Nerven des Uterus; Muskel: Uterusmuskulatur. 5) Centren für Sehnenreflexe, mit denen es folgende Bewandtnis hat: Wenn man auf das Ligamentum patellare (Sehne des Quadriceps) schnelle Schläge appliziert, so entstehen Zuckungen im M. quadriceps (Patellarsehnenreflex); ebenso im Triceps surae, wenn man die Achillessehne trifft (Achillessehnenreflex) (ERB, WESTPHAL). Für den Patellarsehnenreflex liegt beim Menschen der Reflexbogen in der Höhe der dritten und vierten Wurzel des N. cruralis (WESTPHAL). Diese Reflexe werden vornehmlich durch mechanischen Reiz ausgelöst, indes ist es gelungen, sie auch durch Erregung mit dem induzierten Strome zu erzeugen. Es handelt sich offenbar um Reizung der sensiblen Nerven der Sehne. 6) Das Begattungscentrum (Frosch); von hier aus wird beim Männchen
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Automatie.
jene Muskelgruppe innerviert, durch welche die während des Begattungsaktes notwendige Umarmung besorgt wird.
A u t o m a t i e . Die automatischen Bewegungen sind ausschließlich koordinierte Bewegungen, die ihre Entstehung den Erregungen verdanken, welche in einer bestimmten Gruppe von Ganglienzellen, dem sog. automatischen Centrum, entstehen. Sie zeichnen sich dadurch aus 1) daß sie u n a u f h ö r l i c h während des ganzen Lebens thätig sind (z. B. Herz- und Atembewegung); 2) daß sie vom Willen gar nicht oder nur äußerst geringfügig beeinflußt werden können; und 3) daß ihre Thätigkeit durch Reizung sensibler Nerven erhöht oder herabgesetzt werden kann. Yon den beiden Arten der automatischen Centren, dem rhythmisch automatischen und kontinuierlich automatischen, sind im Rückenmark der Säugetiere nur letztere vertreten. Solche sind: 1) V a s o m o t o r i s c h e C e n t r e n , deren mehrere im Rückenmark vorhanden sein dürften (SCHIFF), aber nur die Lage des Centrums für die hinteren Extremitäten ist bisher genauer bestimmt worden. Dasselbe befindet sich nach OSTROUMOIT im oberen Teile des Lendenund unteren Teile des Brustmarkes. (Vgl. S. 75). Doch können auch große Teile des Rückenmarkes entfernt werden (Hunde), ohne die Regulierung der Gefäßweite erheblich zu stören (GOLTZ u. EWALD). 2) C e n t r u m c i l i o - s p i n a l e (BUDGE), welches in der Gegend der drei obersten Brustwirbel liegt; es übt einen tonisierenden Einfluß auf den Dilatator pupillae aus. Reizung dieser Rückenmarksabteilung oder seiner vorderen Wurzeln giebt bei unversehrtem Halssympathicus Erweiterung der Pupille. (Vgl. S. 342.) 3 ) S c h w i t z c e n t r u m , welches nach LUCHSINGER in derselben Gegend des Rückenmarkes gelegen ist, in welcher sich das vasomotorische Centrum befindet. (Vgl. S. 144.) 4) T o n u s q u e r g e s t r e i f t e r M u s k e l n , der darin bestehen soll daß vom Rückenmark aus eine geringe stetige Erregung auf sämtliche quergesteifte Muskeln ausgeht, durch welche dieselben in einem geringen Grade von Spannung erhalten werden. Wird indes der N. ischiadicus eines frei aufgehängten Frosches durchschnitten, so tritt trotzdem keine Verlängerung des operierten Beines ein (AUERBACH, HEIDENHAIN U. a.), so daß ein a u t o m a t i s c h e r Muskeltonus nicht vorhanden sein kann. Nach der Durchschneidung der hinteren (sensiblen) Rückenmarkswurzel erfolgt sofort eine geringe Verlängerung des Beines (BRONDGEEST), die den Muskeltonus als R e f l e x a k t erscheinen läßt. Vielleicht sind es dieselben Nerveneinrichtungen, welche bei den Sehnenreflexen erwähnt worden sind, deren geringere Erregung Ursache des Muskeltonus ist.
Seelenthätigkeit.
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5) Rhythmisch automatische Centren finden sich im Rückenmark für die. Lymphherzen der Amphibien, der Reptilien und dasCaudalherz des Aales (s.S. 182). Die ryhthmischen Bewegungen, welche sie ausfuhren, werden vom Röckenmark aus unterhalten; nach der Zerstörung desselben hören die Pulsationen auf (VOLKMANN). Das Centrum für die vorderen Lymphherzen des Frosches liegt in der Höhe des zweiten Brustwirbels, das für die hinteren Lymphherzen in der Höhe des neunten Brustwirbels (VOLKMANN, IIEIDENHAIN). Dasselbe Verhalten zeigt das Caudalherz des Aales (ECKHARD).
Seelenthätigkeit. Dem Rückenmark Seelenthätigkeit zuzuschreiben ist man berechtigt, wenn sich nachweisen läßt, daß ein enthauptetes Individuum, dessen nervöses Centraiorgan allein nur das Rückenmark bildet, einen W i l l e n und b e w u ß t e E m p f i n d u n g besitzt, so daß es einerseits w i l l k ü r l i c h ohne äußeren Antrieb Bewegungen ausführt und andererseits durch die Reizung eines sensiblen Nerven die Empfindung von Schmerz erhält Wenn man einen dekapitierten Frosch auf den Tisch legt, so zieht er die Beine an den Leib und nimmt die Stellung eines vollkommen normalen Frosches ein. Aber dieser enthauptete Frosch macht niemals selbständig, aus freiem Willen eine Bewegung, dagegen eine Reihe von höchst zweckmäßigen Bewegungen, wenn er gereizt wird. Betupft man nämlich den einen Schenkel mit einer starken Säure, so versucht er durch eine Wischbewegung mit dem Fuß derselben Seite den Reiz zu entfernen; schneidet man den Fuß dieses Schenkels ab, so macht er denselben Versuch mit dem Fuße der anderen Seite. Ein enthaupteter Aal wendet seinen Schwanz, dem man eine Flamme nähert, von derselben ab. Auf Grund dieser und weiterer, ähnlicher Versuche kam PELÜGEB ZU dem Schlüsse, den niederen Wirbeltieren eine Rückenmarksseele zuzuschreiben. Aber eine dekapitierte Schlange ringelt sich um einen glühenden Stab, was sehr unzweckmäßig ist (TIEGEL), und ein enthaupteter Haifisch wendet seinen Schwanz zuerst von der Flamme ab, dann aber derselben zu, was ebensowenig zweckmäßig erscheint (STEINER). Alle diese Bewegungen lassen sich der Kategorie jener geordneten Reflexbewegungen anreihen, die oben geschildert worden sind. Es ist ganz unwahrscheinlich, daß das Rückenmark der niederen Wirbeltiere seelische Funktionen besitzt; für die höheren Wirbeltiere ist es niemals behauptet worden. Für den Menschen ist es ganz auszuschließen nach Beobachtungen, in denen durch Unfälle Zerreißungen des Rückenmarkes eingetreten waren: unterhalb der Zerreißung war weder Wille noch Empfindung vorhanden. 2. Das R ü c k e n m a r k als L e i t u n g s o r g a n . Die Erregungen, welche die Hautoberfläche treffen, werden auf Nervenbahnen geleitet, die ins Rückenmark eintreten, um dort entweder
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Das Rückenmark als Leitungsorgan.
Reflexbewegungen auszulösen oder durch die Länge des Rückenmarkes hindurch ins Gehirn aufzusteigen und lokalisierte oder allgemeine Empfindungen (Tast-, Wärme-, Schmerzensempfindung) hervorzurufen. Andererseits treten vom Gehirn aus Fasern durch das Rückenmark, welche die Impulse für die willkürlichen Bewegungen leiten. Die letzteren können entweder einen einzelnen Muskel oder eine zusammengehörige Muskelgruppe innervieren, worauf gewisse geordnete sog. „koord i n i e r t e " Bewegungen erfolgen, die den geordneten Reflexbewegungen vollkommen gleichen und ihre Entstehung der Erregung derselben Ganglienzellengruppen verdanken, mit dem Unterschiede, daß sie in diesem Falle durch Nervenfasern erregt werden, die vom Gehirn herabsteigen, während sie in dem obigen Falle durch eine centripetale Erregung zur Thätigkeit veranlaßt worden sind. U m die Bahnen zu ermitteln, auf welchen die Impulse im Rückenmark geleitet werden, bedient man sich: 1) der anatomischen Untersuchung, die eine vielfache ist nämlich a) die einfache anatomischmikroskopische Untersuchung der Nervenzellen und der Nervenfasern mit Hilfe von Färbungsmitteln; b) die s e k u n d ä r e Degeneration (TÜBCK), weilche darauf beruht, daß nach Erkrankungen von gewissen Teilen des Centrainervensystems bestimmte Fasersysteme in ihrem ganzen Verlaufe degenerieren und sich auf diese Weise auf größere oder kleinere Strecken verfolgen lassen; c) man benutzt die Erfahrung, daß die operative Entfernung peripherer oder centraler Nervenabteilungen die weitere Entwickelung entfernter mit jenen zusammenhängender Systeme unterbricht (v. GUDDEN); d) die embryologische Methode: man beobachtet, daß zu verschiedenen Systemen gehörige Fasern zu verschiedenen Zeiten des embryonalen und postembryonalen Lebens ihr Mark erhalten, so daß man die zu einem Systeme gehörigen Fasern durch Untersuchung immer älterer Embryonen erforschen kann (HEYNERT, FLECHSIG). 2) Der physiologischen Untersuchung, indem man partielle Durchschneidungen des Rückenmarkes ausführt und die eintretenden Lähmungserscheinungen beobachtet. Die anatomische und physiologische Untersuchung wird endlich 3) durch die pathologischen Beobachtungen ergänzt. D i e a n a t o m i s c h e U n t e r s u c h u n g hat folgendes ermittelt: 1) Die v o r d e r e n R ü c k e n m a r k s w u r z e l n treten, nachdem sie die weiße Substanz schräg und ohne mit derselben eine Verbindung eingegangen zu sein, durchsetzt haben, direkt in die Nervenzellen der Vorderhörner der grauen Substanz als deren Nervenfortsatz ein, und zwar ist es wahrscheinlich, daß alle in ihnen enthaltenen Achsencylinder sich mit je einer der Vorderhornzellen verbinden in der Weise, daß der größte Teil der Fasern in den Zellen des gleichseitigen Vorderhornes endet,
Motorische und sensible Wurzeln.
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während ein kleinerer Teil die vordere Kommissur überschreitend zu den Vorderhornzellen der anderen Seite sich begiebt 2) Die sensiblen W u r z e l n , deren Fasern aus den bipolaren Zellen des Spinalganglions stammen, treten in horizontaler Richtung durch die weiße Substanz (Randzone) hindurch, um sich in einen ab- und aufsteigenden Ast zu teilen. Der erstere tritt nach kürzerem oder längerem Verlaufe in die graue Substanz ein, um dort in Endbäumchen zu enden, während der andere in den Hintersträngen zum Nackenmarke in die Höhe zieht. Beide Äste geben während ihres Verlaufes zahlreiche Collateralen ab, welche unter rechtem Winkel in das Hinterhorn eintreten, um sich daselbst
Fig. 46 A. Schema der bei den Reflexen beteiligten Elemente, Längenansicht.
Fig. 46 B. Schema der kurzen Bahnen,
in Endbäumchen aufzulösen, mit. denen sie die Ganglienzellen umranken, ohne aber in sie einzutreten. Die sensiblen Collateralen endigen a) in den CLARKESchen Säulen, b) in der Substantia gelatinosa Rolando, c) in dem eigentlichen Hinterhorn, d) in dem Vorderhorn derselben Seite. Funktionell wirken sie entweder direkt auf die Vorderhorn- und Hinterhornzellen, oder indirekt durch Vermittelung dieser wiederum auf jene (s. Fig. 46 A u. B.); endlich wirken sie auf die Hinterhornzellen der anderen Seite, wohin ein kleiner Teil der seniblen Collateralen durch die graue Kommissur gelangt. Wie die Hinterstränge sich im wesentlichen aus den Fasern der sensiblen Wurzeln aufbauen, bestehen die Vorder- und Seitenstränge aus langen vom Gehirn herabkommenden Fasern (Pyramidenbahnen) und solchen Fasern, welche aus den Nervenzellen der grauen Substanz des Rückenmarkes stammen (Kleinhirnseitenstrangbahn u. s. w.). Von
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Querschnitt durch das Dorsalmark.
den Vorder- und Seitenstängen treten ebenfalls Collateralen ab, welche als Vorderstrang- und Seitenstrangcollateralen bezeichnet, in die graue Substanz eindringen, um gleich den sensiblen Collateralen in Endbäumchen überzugehen und die betreffenden Ganglienzellen zu umspinnen. Die Ganglienzellen des Rückenmarkes kann man nach dem Verhalten ihres Fortsatzes in drei Gruppen teilen, nämlich 1) Motorische Zellen, welche im Vorderhorn liegen und ihren Nervenfortsatz zur Bildung der vorderen Rückenmarkswurzel abgeben; 2) S t r a n g z e l l e n , deren nervöser Fortsatz in die weiße Substanz namentlich der Seitenstränge übergeht entweder einfach rechtwinklig umbiegend oder unter T-Verbindung; es sind hauptsächlich die Zellen der CLABKESchen Säulen; 3) B i n n e n z e l l e n , Reflexzellen, deren nervöser Fortsatz sich vielfach verästelt, aber stets in der grauen Substanz verbleibt. Im allgemeinen sei besonders betont, daß zwischen den Endbäumchen und denen von ihnen umrankten Nervenzellen keine a n a t o m i s c h e Verbindung besteht, daß die Übertragung der Erregung durch Kontakt geschehen solle. (Ähnliches besteht bei der Übertragung der Erregung von Nerv auf Muskel, s. S. 299). Auf Grund embryologischer und pathologischer Studien kann man auf einem Rückenmarksquerschnitt noch folgende Konfiguration erkennen (FLECHSIG, S. Fig. 47). Es sind zu unterscheiden: I. Im Bezirk der Vorderseitenstränge: a) die Felder der P y r a m i d e n b a h n e n pv und ps, sie sind Verbindungsbahnen zwischen der grauen Substanz der Vorderhörner des Rückenmarkes und den Centraiwindungen der Großhirnrinde; b) das Feld der direkten K l e i n h i r n - S e i t e n s t r a n g b a h n ks, sie verbindet die grane Rückenmarksubstanz (CLABKESche Säulen) mit dem Kleinhirn; c) die S e i t e n s t r a n g r e s t e sr mit ihrer vorderen Abteilung als vordere gemischte S e i t e n s t r a n g z o n e und der hinteren Abteilung als s e i t l i c h e Grenzschicht der grauen Substanz. Die Fasern der letzteren treten ähnlich den Pyramidenbahnen in die graue Substanz ein; die Fasern der ersteren steigen hirnwärts in die Formatio reticularis der Oblongata auf; d) Anterolaterale Stränge al (GOWEBS), welche aus der hinteren Kommissar kommen sollen und centralwärts in der Schleife endigen; e) Grundbündel der Vorderstränge vy, welches zum Teil in das hintere Längsbündel des Nackenmarkes übergeht. II. Im Bezirk der Hinterstränge: a) die G O L L schen Stränge oder zarten Stränge g, Fortsetzungen der hinteren Wurzeln zu den grauen Kernen der zarten Stränge in der Oblongata; b) die Grundbündel hg, K e i l s t r ä n g e , BuKDAOHsche Stränge, ebenso Fortsetzungen der hinteren Wurzeln, welche zur Oblongata ziehen. Die p h y s i o l o g i s c h e U n t e r s u c h u n g als Resultat der Durch-
Physiologische Untersuchung mittels der Durchschneidungsversuche.
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schneidungsversuche (Hund) von LONGET, BEOWN-S^QUAED, SCHIFF U. a. lehrt folgendes: 1) In den weißen Hintersträngen werden die Sinnesempfindungen der Haut, das Tast-, und Muskelgefühl geleitet (die
Fig. 47.
Querschnitt durch das Dorsalmark nach FLECHSIG (aus v. LEYDEN U. GOLDSCH EIDER).
pv Pyramiden-Vorderstrangbahn; ps Pyramiden - Seitenstrangbahn; vg Vorderstranggrundbündel; al Anterolateraler Strang (GOWERS); VW Vordere Wurzel; vr Seitenstrangrest (seitliche Grenzschicht der grauen Substanz); Jcs Kleinhirnseitenstrangbahn; Am Hintere Wurzel; hg Grundbündel der Hinterstränge oder auch Keil- oder BURDACHsohe Stränge; g GoLLsche Stränge; r Bandzone.
Leitung der Temperaturempfindungen geht durch die graue Substanz); ihre isolierte Durchschneidung führt zur Empfindungslosigkeit für diese Eindrücke in der Gegend unterhalb der Durchschneidungsstelle (Anästhesie). Indes bezieht sich diese Angabe nur auf den Haisund Brustteil, denn in den Hintersträngen des Lendenteiles werden nur die Tasteindrücke für die Beckenorgane, die Geschlechts- und Aftergegend geleitet, während die Tasteindrücke für die Haut der Hinterextremitäten, ebenso wie die motorischen Impulse in den Seitensträngen des Lendenmarkes verlaufen (SANDERS, SCHIFF). Dasselbe lehren auch Versuche von WOEOSCHILOFF, in denen Störungen der Sensibilität und Motilität in den Hinterextremitäten nach Zerstörung
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Physiologische Untersuchung mittels der Durchschneidungsversuche.
der Seitenstränge des Lendenmarkes beobachtet wurden, aber nicht nach Zerstörung der ganzen mittleren Partie des Lendenmarkes. Wird nur ein Teil der Hinterstränge durchschnitten, so bleibt ein entsprechender Teil der Haut ohne Hautsinnesempfindungen, so daß der Sinneseindruck von einer bestimmten Hautstelle nur durch e i n e b e s t i m m t e Faser zum Gehirn aufsteigt. 2) In der hinteren grauen Substanz werden die Schmerzempfindungen geleitet, und zwar durch ihre ganze Breite hindurch, so daß unterhalb der Durchschneidungsstelle noch Schmerzen erzeugt werden können, wenn nur eine kleine Brücke von grauer Substanz an der Durchschneidungsstelle stehen geblieben ist. Für diesen letzteren Fall soll nach SCHIFF die Leitung nur verlangsamt sein. Totale Unempfindlichkeit tritt erst nach vollständiger Durchschneidung dieser grauen Substanz ein. Es geht daraus hervor, daß die Schmerzeindrücke auf v i e l e n Bahnen in der grauen Substanz zum Gehirn geleitet werden können. Sind die Hinterstränge unversehrt, so tritt ein sehr interessanter Zustand auf, „ A n a l g e s i e " genannt, der darin besteht, daß zwar die Sinnesempfindungen, aber nicht die Schmerzensempfindungen, welche durch Hautreizung hervorgerufen werden, zum Bewußtsein kommen. Dieser Zustand kommt nicht selten beim Erwachen aus der Chloroformnarkose zur Beobachtung: der Patient fühlt wohl den Druck des schneidenden Instrumentes, empfindet aber noch keinen Schmerz. 3) Die reflektorischen Bewegungen werden durch die ganze Breite der grauen Substanz vermittelt, so daß nach der totalen Durchschneidung derselben trotz der stärksten sensiblen Reize Muskeln, deren Nerven auf der durch den Schnitt von der Reizstelle getrennten Körperhälfte liegen, nicht in reflektorische Bewegung werden geraten können. 4) In den weißen Vorder- und Seitensträngen werden die motorischen Impulse, die vom Gehirn zu den motorischen Nerven gehen, geleitet. 5) I n den Seitensträngen steigen ferner die Atemnerven und Gefäßnerven herab, ohne in Rückenmarksganglien einzutreten. Außerdem befinden sich in den Seitensträngen noch die Bahnen für die reflektorische Erregung des Gefäßnervencentrums; diese letzteren Bahnen erfahren eine unvollkommene Kreuzung (LUDWIG U. MIESCHEB). Zur Ergänzung über die Leitungsbahnen dienen noch folgende Versuche: 1) Einseitige Durchschneidung des Rückenmarkes verursacht Hyperästhesie der operierten Seite unterhalb des Schnittes, die drei Wochen anhalten kann, bis sie dann normal oder subnormal wird; die entgegengesetzte Seite zeigt eine bedeutende Herabsetzung der Empfindlichkeit, welche längere Zeit anhält. 2) Durchschneidung beider Markhälften in verschiedener Höhe der Brustwirbel hebt weder Sensibilität noch Motilität der Hinterextremitäten dauernd auf. 3) Dreimalige wechselständige Hemisektion des Dorsalmarkes stört Motilität und Sensibilität
Pathologie des menschlichen Bückenmarkes.
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der Hinterbeine bedeutend (GOLTZ U. OSAWA). 4) Nach Längsteilung des Rückenmarkes und des verlängerten Markes treten beim enthaupteten Tiere auf Reizung der Haut nnr einseitige Reflexe auf (SCHEFF). Die P a t h o l o g i e des m e n s c h l i c h e n R ü c k e n m a r k e s ergänzt die anatomische und physiologische Untersuchung in folgender bemerkenswerter Weise: 1) Bei der Tabes dorsalis findet maii regelmäßig eine Degeneration der Hinterstränge; die klinische Untersuchung weist neben der Koordinationsstörung (Ataxie) in den meisten Fällen Störungen der Hautempfindungen nach. 2) Bei der amyotrophen Lateralsklerose findet man eine Degeneration beider Pyramidenbahnen mit Atrophie der zugehörigen Ganglienzellen; das klinische Bild zeigt motorische Störungen mit Muskelatrophie. 3) Wenn eine Affektion vorliegt, welche mehr oder weniger den ganzen Querschnitt des Rückenmarkes umfaßt, so tritt a) eine sekundäre a b s t e i g e n d e Degeneration der Pyramidenbahnen u n t e r h a l b der lädierten Stelle ein; die Pyramidenbahnen müssen also ihren Ausgang und ihr Ernährungscentrum oberhalb des Rückenmarkes haben, b) Eine sekundäre a u f s t e i g e n d e Degeneration o b e r h a l b der Läsion, welche die Göldschen Stränge, die GOWEBSschen Stränge und die Kleinhirnseitenstrangbahnen triflt, welche aus den CLAEKESchen Säulen stammen. Betrifft die Läsion die sensiblen Wurzeln, so degeneriert der ganze Hinterstrang. 4) Halbseitige Läsionen des Rückenmarkes geben Motilitätsstörungen auf derselben Seite und Sensibilitätsstörungen auf der unverletzten Seite: die sensiblen Bahnen kreuzen sich gleich nach ihrem Eintritt in das Rückenmark mit Ausnahme jener für den Muskelsinn, welche ungekreuzt zum Gehirn aufsteigen, so daß der Muskelsinn der verletzten Seite verschwindet (BBOWN-SEQUABDS Halbseitenläsion). Es folgt aus diesen Darlegungen, daß die P y r a m i d e n b a h n e n m o t o r i s c h e r , die H i n t e r s t r ä n g e s e n s i b l e r Leitung dienen, sowie daß die v o r d e r e graue S u b s t a n z m o t o r i s c h e , die h i n t e r e graue S u b s t a n z s e n s i b l e Aufgaben erfüllt. Im einzelnen gestaltet sich der Vorgang so, daß der von der Haut kommende Reiz, welcher durch die hinteren Rückenmarkswurzeln in den Hinterstrang eingetreten ist, folgende Wege betreten kann: 1) geradeaus weiter durch die Hinterstränge zum Gehirn; es entsteht eine Sinnesempfindung der Haut; 2) der Reiz betritt durch die Collateralen die graue Substanz und steigt entweder zum Gehirn auf (Schmerzensempfindung) oder er bleibt im Rückenmark und tritt in Beziehung zu motorischen Nervenzellen entweder direkt oder durch Yermittelung von Strangneuronen (Reflexbewegungen); 3) der Reiz erreicht durch die Collateralen die CLABKEschen Säulen, aus denen die Kleinhirnseitenstrangbahnen entspringen, durch welche die Erregung zum Kleinhirn getragen wird (Gleich-
Das verlängerte Mark, Nackenmark.
400
gewichtsbahn). Die W i l l e n s i m p u l s e , welche vom Gehirn kommen, werden in den P y r a m i d e n b a h n e n zu den Ganglienzellen der grauen Yorderhörner geleitet, die ihrerseits wieder ihre Erregungen auf die v o r d e r e n Rückenmarkswurzeln übertragen. II. Das verlängerte Mark (Nackenmark). Das Nackenmark bildet die Fortsetzung des Rückenmarkes zum Gehirn hin und enthält demnach die Elemente des Rückenmarkes, daneben aber treten in demselben neue Elemente auf, welche das Verhältnis der weißen und grauen Substanz zu einander verschoben und dem verlängerten Marke eine von dem Rückenmarke verschiedene Konfiguration der Teile gegeben haben. Yon physiologischer Seite beansprucht das Nackenmark in Bezug auf die Existenz des Individuums eine hervorragende Wichtigkeit, durch welche es das Rückenmark und selbst das Gehirn übertrifft, denn in ihm liegen Elemente, deren Zerstörung unabweislich sofortigen Tod herbeiführt (Atmungscentrum), während Rückenmark (mit Ausnahme des oberen Halsteiles, in dem die Atemnerven verlaufen) und Gehirn für den Bestand des Lebens eine Zeitlang durchaus entbehrt werden können. 1.
Das Nackenmark als
Centraiorgan.
R e f l e x e . Im Nackenmark liegen wie im Rückenmarke Centren, die auf dem Wege der in sie ein- und austretenden Nerven geordnete Reflexbewegungen auszulösen vermögen, von denen einige besondere Wichtigkeit beanspruchen. Es sind dies: 1) Das Centrum für die K a u b e w e g u n g e n ; die centripetale Bahn bilden Nervenfasern vom zweiten und dritten Aste des N. trigeminus, sowie vom N. glossopharyngeus; die centrifugale Bahn: die motorischen Äste des N. trigeminus, welche zu den Kaumuskeln gehen. Das Centrum verlegt man in das Nackenmark, weil gewisse Reizungszustände, die auf die Oblongata hinweisen, auch von Krämpfen der Kaumuskeln begleitet sind. Man bezeichnet die tonischen Krämpfe der Kaumuskeln als „Trismus". 2) Das Centrum für d e n S c h l i n g a k t ; die sensiblen Nervenausbreitungen in der Mund- und Schlundhöhle (Nn. trigeminus und vagus) bilden die centripetale Bahn, in den Nerven der Schlingmuskeln findet die centrifugale Leitung statt. Aus ähnlichen Gründen, wie oben, verlegt man das Centrum in das Nackenmark. 3) Das Centrum für d e n S c h l u ß der A u g e n l i d e r ; die Nn. infraorbitalis und lacrymalis vom ersten Trigeminusast leiten die Erregung zum Centrum, der N. zygomaticus des Gesichtsnerven die Impulse zu dem Muskel: M. orbicularis oculi; der Lidschluß erfolgt reflektorisch
Das Nackenmark als Centraiorgan.
401
auf Reizung der Conjunctiva bulbi und der Wimperhaare der Augenlider und schützt den Augapfel vor Schädlichkeiten. Dasselbe vermag auch der Wille. 4) Das Centrum für das Niesen; die sensible Bahn bildet der N. nasalis anterior, die motorische Bahn die motorischen Nerven der Exspirationsmuskeln; der ganze Akt besteht in einer kräftigen reflektorischen Exspiration. 5) Das Centrum für das H u s t e n ; der N. laryngeus superior ist die sensible, der N. laryngeus inferior und die Exspirationsnerven die motorische Bahn. Die beiden letzteren Reflex Vorgänge, N i e s e n und H u s t e n , bestehen in stoßweise erfolgenden Exspirationen, die mit einem Schalle verbunden sind. Dieser kommt dadurch zustande, daß jedesmal ein Verschluß gesprengt wird, und zwar beim N i e s e n der Verschluß zwischen Nasen- und Bachenhöhle, den das Gaumensegel bildet, und beim H u s t e n die geschlossene Stimmritze. Diese explosiven Stöße vermögen fremde Körper aus den Luftwegen herauszuschleudern, die den Beiz zu dem Beilexakt abzugeben pflegen.
6) Das Centrum für den Brechakt. Führt man einen Längsschnitt durch die Medianebene, welcher etwa 2 mm vor der Spitze des Calamus scriptorius beginnt und 3 mm dahinter endet, so tritt kein Erbrechen mehr ein. Die Atmung nimmt dagegen ruhig ihren Fortgang (L. J . THUMAS). Automatie. Das Nackenmark der Wirbeltiere besitzt ein rhythmisch automatisches und zwei kontinuierlich automatische Centren. 1) Das A t m u n g s c e n t r u m ; LEGALLOIS und FLOUBENS haben im Nackenmarke eine umschriebene Stelle ausfindig gemacht, deren Zerstörung bei Warmblütern augenblicklichen Tod zur Folge hat; FLOUSENS nannte diesen Punkt den „point oder noeud vital". Der Lebenspunkt liegt in der Spitze des Calamus scriptorius und ist das Centrum für die Atembewegungen. Dasselbe kann wesentlich durch drei Momente beeinflußt werden, nämlich a) durch den Willen, b) durch den Gasgehalt des Blutes und c) durch Reizung centripetaler Nerven. Die Atembewegungen können willkürlich beschleunigt oder verlangsamt werden, selbst bis zum Stillstand, der indes nur von geringer Dauer sein kann, weil die Änderung des Gasgehaltes einen so starken Reiz auf das Centrum ausübt, daß derselbe die vom Willen ausgehende Hemmung durchbricht Über den Einfluß des Gasgehaltes des Blutes s. S. 104. Von den bezeichneten (centripetalen) Nerven hat der N. vagus den größten Einfluß auf die Atembewegungen (s. S. 105). Nach einem Längsschnitt durch das Nackenmark wirken die Nn. vagi nur auf das Atmungscentrum derselben Seite. Weshalb die Atembewegungen rhythmisch sind, obgleich der Reiz stetig wirkt, erklärt man mit der allgemeinsten S t e i n e r , Physiologie, v m . Aufl.
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402
Das Gefäßcentrum.
Annahme, nach welcher kontinuierlich wirkende Ursachen nur periodische Effekte hervorbringen, so, daß jener in den Ganglienzellen postulierte Leitungswiderstand im Atemcentrum so bedeutend ist, daß eine Reihe von Erregungen sich summieren müssen, bevor der Reiz die Größe erreicht hat, um jenen Widerstand zu überwinden. Auf diese Weise können trotz des stetigen Reizes doch rhythmische Bewegungen entstehen. Wie man sich den Einfluß vorstellen soll, welchen der N. vagus und seine Äste auf jenes Centrum ausüben, läßt sich zur Zeit nicht sicher angeben. (ROSENTHAL nimmt an, daß der N . vagus und der N . laryngeus superior im Sinne einer Verminderung oder Verstärkung jenes Widerstandes einwirken). Nimmt der Sauerstoffmangel, also die Größe des Reizes, noch weiter zu, so geraten nicht allein die accessorischen Atemmuskeln, sondern nach und nach die gesamte Körpermuskulatur in Thätigkeit', es entstehen a l l g e m e i n e K r ä m p f e (KÜSSMAUL U . T E N N E R ) .
2) Das G e f ä ß c e n t r u m befindet sich an einer umschriebenen, nicht näher angegebenen Stelle am Boden der Rautengrube (s. S. 75). Dasselbe kann neben den dort angegebenen Mitteln auch reflektorisch in Thätigkeit versetzt werden, in welchem Falle Veränderungen in der Blutfülle solcher Organe auftreten, die mit dem gereizten Nerven in keiner direkten Beziehung stehen. Solche Reflexe, welche man als G e f ä ß r e f l e x e bezeichnet, treten auf nach Reizung sensibler Nerven, nach Reizung von Muskel- und sympathischen Nerven sowie endlich nach Reizung gewisser Stellen des Centrainervensystems. Die Erregung sensibler Nerven ruft meistenteils Verengerung, in einigen Fällen aber auch Erweiterung der Blutgefäße hervor (einen solchen Fall bietet die Erweiterung der Ohrgefäße auf Reizung des centralen N. auricularis oder des N. infraorbitalis [LOVÜN]; ferner die Erweiterung der Gefäße der Rute der Hundes, wenn man die Oberfläche der Eichel sanft reibt [ECKHAKD]). Von Einfluß auf den Effekt ist auch die Art der Reizung: während elektrische und chemische Reizung der Haut häufig ohne Erfolg auf die Gefäßweite ist, genügt das leichte Anblasen einer Hautstelle, um Gefäßverengerung bezw. Drucksteigerung zu bewirken (GBÜZTNEE U. HEIDENHAIN). Die Wirkung der Muskelnerven auf Gefäßreflexe besteht darin, daß Reizung der centralen Stümpfe der Muskeläste des N. ischiadicus Blutdrucksteigerung verursacht (ASP). Unter den sympathischen Nerven ist es besonders die Reizung des centralen Endes vom N. splanchnicus, welche bedeutende Blutdrucksteigerung zur Folge hat. Gefäßreflexe, vom Gehirn aus vermittelt, rufen, wie allgemein bekannt, Erröten oder Erblassen vor Freude oder Schreck hervor. Ferner hat man beobachtet, daß auf Zerstörung gewisser Partien in der Großhirnrinde des Hundes Gefäßerweiterungen in den kontralateralen Extremitäten gefolgt sind
Herzhemmungscentrum. (EULENBURG
U.
LANDOIS).
Leitung im Nackenmarke.
Endlich
verursacht
die
Reizung
403 des
N.
depressor eine allgemeine Gefäßerweiterung und Blutdruckherabsetzung mit Verringerung der Pulszahl (s. S. 61). Wie oben (S. 76) erwähnt, sind neben dem Centrum in der Med. oblongata auch im Rückenmarke Gefäßcentren vorhanden, welche ebenfalls auf reflektorischer Bahn erregt werden können (spinale Gefäßreflexe). Ob man die spinalen Gefäßcentren in ständiger Abhängigkeit von dem cerebralen Gefäßcentrum zu denken hat, ist vorläufig nicht zu entscheiden, so wenig wie die Frage, ob der N. depressor lähmend auf das Centrum der gefäßverengernden Nerven wirkt oder erregend auf ein Centrum, in welchem die g e f ä ß e r w e i t e r n d e n Nerven zusammenfließen. 3) D a s H e r z h e m m u n g s c e n t r u m ; von ihm aus kann in der Bahn des N. vagus nach der Entdeckung von ED. WEBER die Herzthätigkeit gehemmt werden. Das Centrum übt einen Tonus aus, der bei verschiedenen Tieren verschieden groß ist und durch verschiedene Momente verändert werden kann (s. S. 59). Nach Versuchen von v. B E Z O L D genügt eine rhythmische Reizung des peripheren Vagusstumpfes, um die Hemmung auf das Herz hervorzurufen, B E R N S T E I N sah nach Durchschneidung jener sympathischen Nerven den Tonus dieses Centrums völlig aufhören. Aus der ersten Beobachtung hatte man geschlossen, daß das Vaguscentrum ein rhythmisch-automatisches Centrum wäre, nach der letzteren Beobachtung würde es überhaupt kein automatisches, sondern ein reflektorisches Centrum sein.
4) D a s D i a b e t e s c e n t r u m (s. S. 190). CL. BERNARD hat angegeben, daß Verwundung einer begrenzten Stelle unterhalb des Diabetescentrums P o l y u r i e ohne Zuckerausscheidung bewirke, ähnlich einer Krankheitsform, die als Diabetes insipidus bezeichnet wird. Eine dem Menschen eigentümliche Funktion ist die S p r a c h e (inkl. Stimme), deren Bildung z u n ä c h s t vom Nackenmark abhängt, insofern als hier die Kerne der Nn. hypoglossus, facialis, vagus und accessorius liegen, welche die für die S t i m m b i l d u n g und die A r t i k u l a t i o n d e r S p r a c h l a u t e notwendigen Muskeln in Bewegung setzen. S e e l e n t h ä t i g k e i t entwickelt das Nackenmark so wenig wie das Rückenmark. 2.
Die L e i t u n g im N a c k e n m a r k e .
Das Nackenmark bildet die Fortsetzung des Rückenmarkes zum Gehirn hin und enthält demnach Fortsetzungen einzelner Rückenmarksteile, daneben aber neu eingetretene Elemente. Die Verfolgung der Bahnen durch das Nackenmark geschieht zweckmäßiger zusammen mit denen des Gehirns, nur sei daran erinnert, daß am unteren Ende der Pyramiden eine K r e u z u n g der Pyranüden-Seitenstrangbahnen stattfindet, deren Folgen ebenfalls später geschildert werden sollen. 26*
Das Gehirn.
404
Das Großhirn.
III. Das Gehirn. Die graue Substanz des Centrainervensystems, in der allein die spezifischen Elemente, die Ganglienzellen, liegen, teilen wir m i t T H . MEYNEET in vier Kategorien ein, nämlich 1. die G r o ß h i r n r i n d e , 2. die sogenannten H i r n g a n g l i e n (das Gangliengrau; Vierhügel, Sehhügel u. s. w.); 3. das K l e i n h i r n g r a u und 4. das c e n t r a l e H ö h l e n g r a u , d. i. die graue Substanz, welche den bleibenden Ausdruck der embryonalen Anlage des Ganzen darstellt und vom Tuber cinereum bis zum Conus medullaris des Rückenmarkes die Innenfläche des Centraiorgans ausmacht. Von der gesamten Großhirnrinde strahlt nun ein Fasersystem aus, das in k o n v e r g e n t e r Richtung auf das Hinterhauptloch gerichtet in das centrale Höhlengrau übergeht, um, nachdem dieses letztere durchsetzt ist, in d i v e r g e n t e r Richtung als peripheres Nervensystem an die Körperoberfläche zu gelangen. Wenn man die Gesamtheit dieser Fasern aus später einleuchtenden Gründen als P r o j e k t i o n s f a s e r n bezeichnet, so findet man, daß diese Fasern wiederholt durch graue Massen unterbrochen werden, wodurch sie in mehrere Glieder zerfallen. Das erste oder innere Glied reicht von der Großhirnrinde bis zum Gangliengrau (wo es sich in so viele besondere Massen teilt, als besondere graue Herde des Gangliengrau vorhanden sind), das zweite oder mittlere Glied reicht vom Gangliengrau bis zum centralen Höhlengrau, und das dritte oder äußere Glied bilden die aus dem centralen Höhlengrau entspringenden peripheren Nerven. Innerhalb des inneren Projektionsgliedes sind noch drei Faserarten vorhanden, welche für die Verbindung der einzelnen Punkte der Rindenfläche der einen Seite, der beiden Seiten und der des Kleinhirns mit dem Großhirn sorgen, nämlich 1) Fasern, welche die einzelnen Punkte derselben Rindenseite miteinander verbinden (Associationsfasern), 2) Fasern, welche die identischen Rindengebiete beider Rindenseiten verbinden (Balkenfasern) und 3) Fasern, welche die Großhirnrinde mit der Kleinhirnrinde verbinden und sich im Bindearm zu einer besonderen, in der Brückenregion oberflächlich gelegenen Formation sammeln. 1. D a s G r o ß h i r n . 1 Ausgehend von der später zu beweisenden Annahme, daß die Rinde des Großhirns das Organ des Bewußtseins ist, folgert MEYNEET, daß die 1
FKITSCH U. H I T Z I G , Über die elektrische Erregbarkeit des Großhirns, Archiv f. Anat., Phys. u. w. M. 1870; D. FERRIER, Functions of the brain. 1876; H. MÜNK, Über die Funktionen der Großhirnrinde. Zweite Aufl. Berlin 1890; F R . G O L T Z , ' Die Funktionen des Großhirns. Bonn 1881; C. W E R N I C K E , Lehrbuch der Gehirnkrankheiten. Bd. I. Kassel 1881; C. v. MONAKOW, Gehirnpathologie. Wien 1897.
Die Sinnescentren der Hirnrinde.
405
einzelnen Abteilungen der gesamten Sinnesoberfläche (Haut, Auge u. s. w.) auf die Hirnrinde p r o j i z i e r t würden, bezw. daß ihnen korrespondierende Punkte auf der Oberfläche des Gehirns vorhanden sein müssen, welche durch das Experiment und die Beobachtung aufzufinden wären. Das Fasersystem, welches in diesem Sinne Rinde und Peripherie verbindet, würde demnach den Namen eines wahren Projektionssystemes verdienen, und diesem müßte ein System von Fasern entsprechen, welches die Hirnrinde mit den willkürlichen Muskeln in Verbindung setzt, so daß letztere von der empfindlichen Oberfläche der Rinde willkürlich zu Bewegung angeregt werden können.
Fig. 48.
Großhirnrinde des Affen nach H. MÜNK.
A Sehsphäre; B Hörsphäre; C — J Fühlsphäre.
Aus dieser Hypothese folgt, daß die einzelnen Bezirke der Rinde v e r s c h i e d e n e funktionelle Bedeutung haben müssen, entgegen der alten Lehre von FLOUBENS, welche auf Grund von anscheinend eindeutigen Versuchen die Gleichwertigkeit der ganzen Hirnrinde gelehrt hatte. A. Die S i n n e s c e n t r e n der H i r n r i n d e . In Übereinstimmung mit der M E Y N E ß T s c h e n Lehre fanden F R I T S C H u. H I T Z I G an der bisher als unerregbar gehaltenen Hirnrinde, daß auf elektrische Reizung gewisser begrenzter Partien der vorderen Großhirnhälfte (Hund) Muskelbewegungen der gegenüberliegenden Seite auftreten, während dieselben Muskelgruppen leichte Bewegungsstörungen zeigten, wenn man jene Partien der Rinde bis zu einer Tiefe von wenigen Millimetern exstirpiert hatte. Diese durch Rindenreizung erzielten Effekte unterscheiden sich sehr wesentlich von den durch Reizung peripherer
406
Die Sinnescentren der Hirnrinde.
Nerven erzeugten Bewegungen dadurch, daß stets bestimmt begrenzte Muskelgruppen, ähnlich wie bei den willkürlichen Bewegungen, in Thätigkeit geraten, und daß bei jeder Bewegung Zweige von verschiedenen peripheren Nerven zusammenwirken. Diese Begion der Großhirnrinde nannte man die m o t o r i s c h e Zone (s. Fig. 48, Affenhirn analog zum Hundehirn). Weiterhin fand H . M Ü N K , daß die Stelle A des Hinterhauptlappens zum Gesichtssinn, die Stelle B im Schläfenlappen zum Gehörsinn in
Seitenansicht des menschlichen Gehirns (nach ECKER).
der Weise in Beziehung stehen, daß nach beiderseitiger t o t a l e r Exstirpation dieser Stellen die Tiere trotz völliger Integrität der Augen oder Ohren d a u e r n d (Affe, Hund u. a.) v o l l s t ä n d i g b l i n d bezw. t a u b werden, ein Ausfall, der als B i n d e n b l i n d h e i t oder R i n d e n t a u b h e i t bezeichnet wird. Man nennt die Stelle A die S e h s p h ä r e , die Stelle B die H ö r s p h ä r e und man setzt voraus, daß in diesen Sphären auf Grund der Licht- oder Gehörsempfindungen die optischen und akustischen Erinnerungsbilder entstehen und aufgestapelt werden. S e e l e n b l i n d h e i t (oder S e e l e n t a u b h e i t ) tritt nach p a r t i e l l e r symmetrischer Exstirpation jener Lokalitäten ein. Diese Störung ist dadurch charakterisiert, daß die so operierten Tiere die Objekte ihrer
Die Sinnescentren der Hirnrinde.
407
Umgebung zwar sehen und nirgends anstoßen, aber die .gesehenen Objekte als solche nicht e r k e n n e n , ihre Bedeutung vergessen haben. Nach einigen Wochen soll dieser Defekt vollständig verschwinden. Als bei der erneuten Untersuchung der motorischen Zone regelmäßig eine Herabsetzung der Hautsensibilität gefunden wurde (SCHIFF), erklärte MÜNK, daß es sich in dieser Region ebenfalls um den Ausfall der Funktion eines centralen Sinnesapparates handle und zwar um den
Güi/soclaXÄoyvs' &nluir>v
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Fig. 50. Darstellung der Sinnes- und Associationscentren der Hirnrinde des Menschen; die Sinnescentren sind punktiert, die in Hirnwindungen eingezeichneten Striche stellen Associationssysteme dar (nach FLECHSIG).
Gefühlssinn des Körpers im weitesten Sinne (Tast-, Temperatur-, Druck-, Muskel- und Gelenkempfindungen), dessen Wahrnehmungen die Erinnerungsbilder der Berührungs- und Druckvorstellungen erzeugen, durch deren Kombination die Lagevorstellung der Glieder entstehen, zu denen die Innervationsgefühle treten, die bei der willkürlichen oder reflektorischen Bewegung der Glieder sich einstellen. Die motorische
408
Die Sinnescentren der Hirnrinde.
Zone ist also in Wahrheit eine sensorische Region, welche man die Fühlsphäre nennt, die aus einer größeren Anzahl einzelner Felder zusammengesetzt ist (Fig. 48, G—J). Die Riechsphäre liegt im Gyrus hippocampL Wenn man bei Säugetieren die Sehsphäre einer Seite (z. B. links) abträgt, so tritt homonyme Hemianopsie auf, d. h. die im rechten Gesichtsfelde des Tieres gelegenen Objekte werden nicht erkannt, da die laterale Hälfte der linken und die mediale Hälfte der rechten Netzhaut gegen Licht unempfindlich geworden sind: jede Sehsphäre hat also gesetzmäßige Beziehungen zu beiden Augen (MÜNK). Nach einseitiger Abtragung der Hörsphäre (Hund) tritt Taubheit auf dem g e g e n ü b e r l i e g e n d e n Ohre auf, ebenso wie die Fühlsphäre nur zu der gegenüberliegenden Seite in Beziehung steht. Es ist offenbar, daß die Sinnessphären die letzten Centren für die betreffenden Sinnesempfindungen auf der Großhirnrinde darstellen, weshalb man sie mit Recht als S i n n e s c e n t r e n der Großhirnrinde oder als kortikale S i n n e s c e n t r e n benennen kann (kortikale Sinnescentren, Sphären, Zonen und Rindenfelder sind im wesentlichen identische Bezeichnungen). Für die Großhirnrinde des Menschen hat man prinzipiell die gleichen Verhältnisse festgestellt (vgl. Fig. 49 u. 50). Während die Sehsphäre auf der Rinde des Hinterhauptlappens liegt, findet man die Hörsphäre im Schläfenlappen, insbesondere auf der vorderen Querwindung, welche in der Tiefe der Fossa Sylvii liegt und die Wurzel der ersten Schläfenwindung bildet. Die Fühlsphäre (Körperfühlsphäre) stellt ein ziemlich ausgedehntes und geschlossenes Gebiet dar, das den ganzen Gyrus centralis anterior, den Gyrus centralis posterior, den Lobulus paracentralis einnimmt, und nach vorn in die erste Stirnwindung hineinragt, während sie nach unten und außen die Fossa Sylvii erreicht mit Einschluß des davor liegenden Fußes der dritten Stirnwindung. Innerhalb dieser Sphäre liegen auf den beiden Centraiwindungen die Bezirke, welche auch beim Menschen auf elektrische Reizung Muskelbewegungen der Gegenseite geben. Am meisten nach innen liegt der Bezirk für die Beinbewegungen, in der Mitte der für die Armbewegungen und am meisten nach außen gegen die Fossa Sylvii hin in den Fuß der dritten Stirnwindung reichend der Bezirk für die Bewegungen des Kopfes, des Gesichtes und der Zunge. Die Riechsphäre liegt an der inneren, unteren und vorderen Fläche des Gehirns, also in der Fig. 50 eigentlich nicht sichtbar; ihre Lage ist durch das in der Richtung des Pfeiles angebrachte punktierte Feld angedeutet. Die Lage der Schmecksphäre ist unbekannt. Nach einseitiger Zerstörung der Sehsphäre tritt auch beim Menschen homonyme Hemianopsie auf;
Die Associationscentren der Hirnrinde.
409
einseitige teilweise Zerstörung der Körperfühlsphäre führt kontralateral zu Parese der Muskeln und Hypästhesie des Gefühlssinnes in allen seinen Qualitäten; einseitige Zerstörung der Hörsphäre erzeugt einseitige Taubheit. Der Großhirnrinde des Menschen kommt als besondere und eigentümliche Bildung ein Bindenfeld f ü r die Sprache zu, dessen Zerstörung kortikale Sprachstörungen hervorruft, welche man als Aphasie (aphasische Störungen) bezeichnet. Dieselbe besteht darin, daß solche Individuen trotz vollen Bewußtseins und voller Beweglichkeit der Zunge bei ungestörter Seh- und Gehörfunktion doch nicht zu sprechen vermögen. Das Bindenfeld für die Sprache umfaßt den ganzen Windungszug, welcher in und um die Fossa Sylvii hemm liegt, insbesondere die dritte Stirnwindung (BsocAsche Windung), die Insel, die erste Schläfenwindung (WEBNicKEsche Windung). Dasselbe liegt auffallender Weise nur auf der linken Seite, während es rechterseits fehlt, so daß die Zerstörung der symmetrischen rechtsseitigen Hirnrinde keine Aphasie nach sich zieht. Die Aphasie giebt im einzelnen ein vielgestaltetes klinisches Bild, wovon hier nur die beiden hauptsächlichsten Formen erwähnt werden mögen, nämlich die motorische und die sensorische Aphasie, die theoretisch darauf zurückzuführen sind, daß diesen Individuen die Vorstellung der S p r a c h b e w e g u n g e n oder der K l a n g b i l d e r der Sprache verloren gegangen sind (WEBNICKE). Es ist- in neuerer Zeit noch eine andere Methode aufgefunden worden, um die Existenz der kortikalen Sinnescentren auf der Großhirnrinde nachzuweisen. Setzt man je eine unpolarisierbare Elektrode auf die beiden Sehsphären z. B. eines Hundes und läßt plötzlich einen Lichtstrahl in ein Auge fallen, so zeigt das in den Kreis aufgenommene Galvanometer eine elektrische Schwankung. Die Schwankung fehlt, wenn unter den gegebenen Bedingungen statt des Lichtes ein Geräusch als Eeiz benutzt wird. Dasselbe gilt für die übrigen Sinnessphären (V. FLEISCHL, B E C K ) .
B. Die Associationscentren der H i r n r i n d e . 1 Da die kortikalen Sinnescentren nur einen Teil der Oberfläche der Großhirnrinde einnehmen, so bleiben Zwischenstücke von erheblicher Ausdehnung übrig, deren Bedeutung bisher unbekannt war. Verfolgt man die Markentwickelung im Großhirn, so findet man, daß, während in den Sinnessphären eine mächtige Entwickelung von 1
P . FIECHSIG,
geistigen Vorgänge, Leipzig 1896.
Gehirn und Seele. Leipzig 1 8 9 6 , und Die Lokalisation der insbesondere der Sinnesempfindungen des Menschen.
410
Das Großhirn als Organ des Bewußtseins.
Projektionsfasern anzutreffen ist. in den Zwischenstücken Projektionsfasern von irgend erheblicher Menge sich nicht vorfinden. Dagegen wachsen aus den Sinnescentren zahllose Associationsfasern in die Zwischenstücke hinein und treten aus ihnen Associationsfasern aus, welche nähere und entferntere Rindenbezirke miteinander in Verbindung setzen, wobei Ganglienzellen als Centraiorgane eingeschoben sind. Die Zwischenstücke werden deshalb als A s s o c i a t i o n s c e n t r e n bezeichnet; durch sie wird eine i n d i r e k t e Verknüpfung der kortikalen Sinnescentren hergestellt, da eine d i r e k t e Verbindung derselben nicht vorhanden ist. Ihre physiologische Bedeutung besteht demnach darin, die Leistungen der verschiedenartigen Sinnescentren miteinander zu associieren, um neue Einheiten zu schaffen, aus denen die höheren geistigen Potenzen hervorgehen würden. Solcher Associationscentren sind drei vorhanden, nämlich 1) das frontale, 2) das parietale und 3) das occipito-temporale Associationscentrum (vgl. Fig. 50 die nicht punktierten Windungen), welche unter sich funktionell wohl verschieden sind. Auch ihrem Baue und ihrer Konfiguration nach sollen sich die Associationscentren von den Sinnescentren unterscheiden. C. Das G r o ß h i r n als O r g a n des B e w u ß t s e i n s . Der Beweis, daß das Großhirn das Organ des Bewußtseins ist, geht schon aus den bisher mitgeteilten Beobachtungen hervor; dazu treten noch folgende Thatsachen: 1) Nach Abtragung der Großhirnlappen verfallen die Säugetiere (Hund) in einen schlafsuchtartigen oder passiven Zustand, in welchem keine Bewegung ohne äußeren Antrieb ausgeführt wird; selbst die Nahrung nehmen sie nicht spontan und sterben vor der gefüllten Schüssel den Hungertod. 2) Zufällige Verletzungen oder Kompressionen des Gehirns sowie Erkrankungen desselben führen in der Regel zu sehr ähnlichen Zuständen, namentlich sind die sogenannten geistigen Punktionen, der Denkprozeß, erheblich gestört. 3) Störungen des Hirnwachstums während des Embryonallebens aus unbekannten Gründen oder infolge reichlicher Wasseransammlung (Mikrocephalie und Hydrocephalus) beeinträchtigen die geistigen Fähigkeiten außerordentlich (Blödsinn). 4) In der Tierreihe nimmt mit der Entwickelung des Großhirns (Zunahme seiner Windungen und seines Gewichtes gegen das des Körpers) die geistige Entwickelung der Individuen zu. Die Außenwelt ist nur insoweit für uns vorhanden, als die Objekte derselben durch unsere Sinnesorgane in der Großhirnrinde gewissermaßen gespiegelt und in der oben angegebenen Weise weiter verwertet
Die F u n k t i o n der Hirnganglien. werden.
D e r „ W i l l e " erscheint n i c h t m e h r
er ist die n o t w e n d i g e
Folge
das Großhirn von a u ß e n
411
als freier W i l l e ,
sondern
der E i n d r ü c k e u n d A n r e g u n g e n , w e l c h e
erhält.
Die A b t r a g u n g des Großhirns in der Wirbeltierreihe f ü h r t zu sehr verschiedenen Störungen: Bei K n o c h e n f i s c h e n bleibt die willkürliche Bewegung ebenso e r h a l t e n , wie die s p o n t a n e N a h r u n g s a u f n a h m e ; dieselben zeigen also gar keine Störung. K n o r p e l f i s c h e (Haifische) schwimmen zwar tadellos, bedürfen aber hierzu mehr der Anregung u n d nehmen ihre N a h r u n g nicht mehr spontan. Doch tritt dieselbe Störung ein, wenn man statt des Großhirns n u r die mächtigen Riechlappen zerstört h a t (STEINER). Von d e n A m p h i b i e n zeigt der Frosch folgende Erscheinungen: er h ü p f t ganz normal und setzt über Hindernisse, wenn sie nicht zu hoch sind (RENZI); ins W a s s e r g e b r a c h t , sucht er sofort den Ort, wo er gewandt ans L a n d springen k a n n ; eine schiefe Ebene klettert er geschickt in die Höhe u n d übersteigt die h o h e K a n t e ; endlich vermag auch er spontan seine N a h r u n g zu finden (SCHRÄDER). Von den R e p t i l i e n pflegt die Eidechse (Lacerta viridis) ganz normale Bewegungen zu machen u n d Hindernisse geschickt zu umgehen, doch flieht sie nicht mehr ihren Verfolger und nimmt spontan keine Nahrung, die sie nicht zu erkennen scheint; sie zeigt also die Störung, welche man als Seelenblindheit bezeichnet (STEINER). U n t e r den V ö g e l n schreiten H u h n und T a u b e , ohne Großhirn, angestoßen ganz sicher einher und wissen auf der Stange ihres K ä f i g s sehr g u t ihr Gleichgewicht zu b e h a u p t e n , ebenso wenn man sie auf der H a n d balancieren läßt. W i r f t man sie in die L u f t , so breiten sie sofort die Flügel aus und erreichen in vollständig normalem F l u g e den Boden. Doch sollen sie blind sein und ihre N a h r u n g spontan nicht finden nach der einen E r f a h r u n g (MÜNK), nach der anderen E r f a h r u n g sehend bleiben u n d ihre N a h r u n g finden können (SCHRÄDER). Bei den Säugetieren (Hund) ist die s p o n t a n e Bewegung herabgesetzt, doch werden regelmäßige u n d koordinierte Bewegungen ausgeführt, wenn die Tiere angestoßen werden. Indes b e m e r k t man gegen normale T i e r e einen deutlichen Unterschied, der darin besteht, daß j e n e beim Betreten eines glatten Bodens häufig ausgleiten, sowie beim Steigen einer T r e p p e leicht stolpern u n d sonst ungewohnte L a g e r u n g e n ihrer Gliedmaßen unbeanstandet dulden. Die Gefühlsempfindung der H a u t ist herabgesetzt; die Tiere stoßen überall an,, sie sind blind, taub, ohne Geruch und müssen gefüttert werden, da sie spontan ihre N a h r u n g nicht finden. Doch bleiben noch gewisse Gefühle von L u s t und Unlust erhalten, denn der H u n g e r setzt den großhirnlosen H u n d in lebhaftere Bewegung und nach Stillung desselben tritt R u h e und Befriedigtsein auf (GOLTZ). 2.
Die Funktion
der
Hirnganglien.
M a n u n t e r s c h e i d e t Vorder-, Zwischen- u n d M i t t e l h i r n g a n g l i e n . d e m ersten zählt der S t r e i f e n h ü g e l m i t s e i n e n zwei A b t e i l u n g e n , Nucleus gehört
caudatus und der S e h h ü g e l
dem Nucleus
und
lentiformis.
dem Mittelhirn
gehören
Dem
Zu dem
Zwischenhirn
die V i e r h ü g e l an.
W a s die F u n k t i o n des S t r e i f e n h ü g e l s betrifft, so l e h r t e das Tiere x p e r i m e n t , daß n a c h Zerstörung überliegenden
Seite
(Ausfall
desselben
e i n e L ä h m u n g der g e g e n -
der w i l l k ü r l i c h e n
Bewegung)
auftrete
(NOTHNAGEL); dasselbe sollte die p a t h o l o g i s c h e B e o b a c h t u n g b e s t ä t i g e n , w o n a c h die L ä h m u n g besonders die obere E x t r e m i t ä t trifft (MEYNEKT),
412
D a s Kleinhirn.
doch wird andererseits angegeben, daß im Nucl. caudatus und lentiformis Erweichungen vorkommen können, ohne daß im Leben die geringsten hemiplegischen Störungen beobachtet worden waren (CHARCOT); in den positiven Fällen handelt es sich wohl um Beteiligung der dicht daneben liegenden inneren Kapsel (s. unten). Die S e h h ü g e l stehen nach übereinstimmenden Erfahrungen zu dem Sehakt in näherer Beziehung, denn in pathologischen Fällen sind Störungen im Gesichtssinne (Hemianopsie) beobachtet worden, wenn der äußere Kniehöcker und das Pulvinar zerstört waren. Ferner fand man, daß Kaninchen nach Zerstörung der Sehhügel ihre Vorderpfoten nach vorn ziehen lassen, ohne sie wieder zurückzuziehen (NOTHNAGEL). Die Y i e r h ü g e l stehen in direkter Beziehung zu dem N. opticus und oculomotorius. Nach ihrer Zerstörung sind die Tiere (Fische bis zu den Vögeln hinauf und die Nager) durchaus blind, und der Reflex von seiten der Retina auf die Pupille, wenn Licht in das Auge fällt, hat aufgehört. Reizung der Vierhügel giebt bei diesen Tieren associierte Augenbewegungen (STEINEK). Ferner fand FLOUBENS auf Reizung der Vierhügel Verengerung der Pupillen in beiden Augen; wird nur das vordere Vierhügelpaar gereizt, so treten Drehungen beider Augen nach entgegengesetzten Seiten ein (ADAMÜIC). Anders beim Menschen, wo die hinteren Zweihügel für den Sehakt gar keine Bedeutung haben, während bei Zerstörung der vorderen Zweihügel zwar eine Herabsetzung der Sehschärfe auftritt, welche aber Lesen und Farbensehen nicht hinderte. Doch wird auch hier die Reaktion der Pupille auf Licht und auf die Akkommodation gestört, sowie eine Beschränkung der Augenbewegungen, ein- oder doppelseitig, beobachtet. Der hintere Zweihügel steht in Beziehung zum N. acusticus (s. unten). 3. D a s K l e i n h i r n . Während bei Fischen und Amphibien (Frosch) die vollständige Abtragung des Kleinhirns keine nachweisbaren Störungen der Bewegungen erzeugt (STEINER), treten deutliche Störungen ein bei Vögeln und Säugetieren (Alfen), die um so intensiver sind, je tiefer die Zerstörung in das Kleinhirn eindringt. Sie besteht darin, daß die Tiere wie taumelnd herumstolpern (LUCIANI). In dieser Richtung am Menschen angestellte Beobachtungen führen zu dem übereinstimmenden Resultate, daß als Folge von Kleinhirnzerstörungen, namentlich des Wurmes, ein Gang im Zickzack auftritt, wie wenn die Personen betrunken wären; eine Bewegungsstörung, welche man als A t a x i e bezeichnet, die sich namentlich auf den Rumpf und die Unterextremitäten erstreckt, während die Oberextremitäten frei bleiben. Man nennt diese Ataxie zum Unterschiede von der spinalen (s. S. 399) die cerebellare Ataxie. Jede Klein-
Die Lehre von den Zwangsbewegungen.
413
hirnhälfte wirkt auf die gleichseitige Körperhälfte, die Wirkung ist also un gekreuzt. Es ist nicht "wahrscheinlich, daß im Kleinhirn eine selbständige Bewegungs- oder Gefühlscentrale vorhanden ist, sondern es befinden sich in demselben wohl nur wichtige Komponenten für das Zustandekommen des Gleichgewichtes (v. MONAKOW). 4. Die L e h r e von den Z w a n g s b e w e g u n g e n . Man versteht unter Z w a n g s b e w e g u n g e n solche anomale Bewegungen, welche nach e i n s e i t i g e r Verletzung gewisser Hirnteile auftreten. Es sind davon drei Formen deutlich zu unterscheiden, nämlich 1. Die K r e i s - oder M a n e g e b e w e g u n g : das Tier bewegt sich in der Peripherie eines Kreises. 2. Die R o l l b e w e g u n g oder S c h r a u b e n b e w e g u n g : das Tier rollt um seine Längenachse unter gleichzeitiger Translation. 3. Die U h r z e i g e r b e w e g u n g : das Tier bewegt seinen Vorderteil um seinen feststehenden Hinterteil. Die drei Formen unterscheiden sich dadurch, daß die dritte vergänglich ist, während die beiden anderen Formen dauernd sind. Wenn man so verletzte Tiere vor jedem Beize schützt, so treten die Zwangsbewegungen nicht auf; sie beginnen immer erst auf Einwirkung eines Reizes und hinterlassen als Nachwirkung eine mehr oder weniger ausgeprägte Zwangsstellung, die sich allmählich ebenfalls verliert (SCHIFF). Der Wille hat auf die Erzeugung dieser Bewegungen nur insofern Einfluß, als er eine Reizquelle darstellt, von der aus Erregungen eingeleitet werden können. Die Richtung, in welcher die Zwangsbewegungen erfolgen, ist wechselnd nach der Lokalität, wo die Verwundung angebracht worden ist. Im allgemeinen erfolgen die Kreisbewegungen nach der zur verwundeten Seite entgegengesetzten Richtung, die Rollbewegung nach der Seite der Verwundung; die Uhrzeigerbewegung je nach dem Orte der Verletzung nach derselben oder der entgegengesetzten Seite. Die Organe, nach deren einseitiger Verletzung Zwangsbewegungen auftreten, sind die motorische Zone der Hirnrinde, der Pedunculus cerebri, der Streifenhügel, der Sehhügel, das Nackenmark und das Kleinhirn. Im allgemeinen kommen Zwangsbewegungen durch einseitige Verletzung solcher Teile des Gehirns und Nackenmarkes zustande, welche in u n m i t t e l b a r e r B e z i e h u n g zur L o k o m o t i o n s t e h e n . Die Ursache der Zwangsbewegungen liegt daher in dem Ausfall der c e n t r a l e n direkten (motorischen) oder indirekten (reflektorischen) Innervation der e i n e n Seite, welcher infolge der bilateral symmetrischen Anordnung
414
Die Leitungsbahnen des Gehirns. /
des Wirbeltierleibes notwendig die normalen geradlinigen in krummlinige Bewegungen umwandeln muß (STEINER). Auch bei Menschen sind, wenn auch sehr selten, ähnliche Zwangsbewegungen beobachtet worden, und aus ihren Aussagen hat man erfahren, daß diese Personen in der Regel eine falsche Vorstellung von der Lage ihres Körpers gegenüber den Außendingen erhalten haben und diese Bewegungen ausfuhren in der Meinung, die richtige Beziehung wieder herzustellen. 5. Die L e i t u n g s b a h n e n des G e h i r n s . 1 Im Anschluß an die Lokalisation der Sinnesfunktionen auf der Großhirnrinde müssen wir folgerichtig voraussetzen, daß in der unter ihr liegenden weißen Fasermasse alle Leitungsbahnen in Gestalt von markhaltigen Nervenfasern vorhanden sind, in denen die Impulse von den Sinnesapparaten zur Hirnrinde fließen (corticopetale Bahnen) und andererseits solche Fasern, in denen die Bewegungsimpalse geleitet werden, welche auf Grund der Sinnesempfindungen in der Rinde entstehen (corticofugale Bahnen) und die w i l l k ü r l i c h e n Muskeln in Bewegung versetzen (willkürliche Bewegungen). Man nennt die Gesamtheit dieser Fasern, welche, rein morphologisch betrachtet, von der gesamten Hirnrinde ausstrahlend nach dem Hirnstamme und weiterhin zur Brücke zu konvergieren, den S t a b k r a n z . Die nächste Aufgabe besteht nunmehr darin, die Verbindung zwischen Peripherie und Großhirnrinde herzustellen, d. h. dem Verlaufe jener Bahnen nachzugehen. Die Gesamtheit der Fasern, welche im Stabkranze des Großhirns über einen weiten Raum ausgedehnt ist, erscheint in den Großhirnstielen, den Pedunculi cerebri, in Corp.
quadrig.
ant. Aquaed. syiv. Tegmentum
— Subst.
Hans Fig. 51.
nigra
.
Querschmtt durch Vierhügel und ^ Hirnstiele
(GEGENBAUR).
T1
,
,
..
,
eine enge Bahn zusammengedrängt, in welcher nur die Leitungen zu der Riech- und Sehsphäre unvertreten bleiben, da sie besondere Wege einschlagen. Schon anatomisch teilen sich die Hirnstiele in die durch die Sub^
m
getrennte
Basis
(pes) V
'
und die Decke (Tegmentum), welche man als F u ß und H a u b e des Großhirnschenkels bezeichnet (s. Fig. 51); Teile, welche wir auch physiologisch in der Weise unterscheiden, daß im allgemeinen in d e r H a u b e s e n s i b l e , im F u ß m o t o r i s c h e B a h n e n enthalten sind. 1 P. FLECHSIG, Die Leitungsbahnen im Gehirn und Kückenmark des Menschen. Leipzig 1 8 7 6 ; L. EDINGER, Zehn Vorlesungen über den Bau der nervösen Centraiorgane. Fünfte Auflage. Leipzig 1896.
415
Pyramidenbahnen.
Unter den sensiblen Bahnen stehen in erster Linie jene, welche den Gefühlssinn der Haut im weitesten Sinne vermitteln. Yon ihnen wissen wir, daß sie in den sensiblen Nerven durch die hinteren Rückenmarkswurzeln in das Centraiorgan eintreten und daß sie in der Körperfühlsphäre der Hirnrinde landen. Diese Bahn, welche jene beiden Endpunkte verbindet, ist aber, was besonders betont werden muß, eine indirekte, denn sie erleidet Unterbrechungen durch graue Kerne, welche sie im Nackenmark und im Mittelhirn zu durchsetzen hat. « ^ s ^ f t ^ t Im einzelnen ist ihr Verlauf / so gestaltet, daß die sensible lung in den Hintersträngen nach oben zieht, um zunächst in den Kernen des zarten Stranges und des Keilstranges, welche in der Höhe
diesen Kernen gelangen zahlreiche Fasern durch die graue Substanz nach vorn als Fibrae arcuatae intern;«?, um sich über der Pyramidenkreuzung mit den Fasern der anderen Seite zu kreuzen. Diese Kreuzung nennt man die
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Fasern nach der Kreuzung ® wl neben der Mittellinie liegend p/-/'\| zur Schleifenschicht werden, welche letztere auch Oliven- Fig. 52. Schema der motorischen Innervationsbahn zwischenschicht heißt und für den Facialis und die Extremitätennerven. Frontalschnitt durch Großhirn, Hirnschenkel, das ganze Areal zwischen den Brücke, Nacken-und Rückenmark (nach EDINGER). Oliven einnimmt: Weiter A und B zwei Erweichungsherde. aufwärts durch die Brücke gelangt die Bahn in die Schleife, welche als Bestandteil der Haube unter den Yierhügeln liegt. Yon da erreicht sie den ventro-lateralen Kern des Thalamus, welcher ein Knotenpunkt in der Bahn der hinteren Wurzeln zur Großhirnrinde ist, da hier Alles zusammenliegt, was von ihnen corticopetal zieht. Vom Thalamus geht der Weg in die innere Kapsel und von da zur Körperfühlsphäre (FLECHSIG).
416
Py ramid enbahn en.
Diesen corticopetalen Bahnen der Korperfühlsphäre entsprechen als corticofugale Bahnen die sog. „ P y r a m i d e n b a h n e n ' ' , in welchen zweifellos die Übertragung von Willensimpulsen auf motorische Wurzeln des Nacken- und Rückenmarkes stattfindet, deren d i r e k t e Verbindung sie darstellen. Die Pyramidenbahnen nehmen ihren Ursprung aus der Rinde der Centraiwindungen und dem Paracentrallappen, d. h. jenen Teilen, welche auch als motorische Region bezeichnet werden; sie gelangen weiter innerhalb des Stabkranzes in die innere Kapsel, von da zum Großhirnschenkelfuß, weiter durch die Brücke zum Nackenmark, wo sie am vorderen Umfange gelegen eine u n v o l l s t ä n d i g e K r e u z u n g erfahren, durch welche der größere Teil der Pasern auf die entgegengesetzte Seite in die Pyramidenseitenstrangbahn des Rückenmarkes eintritt, während der kleinere Teil ungekreuzt auf derselben Seite als Pyramidenvorderstrangbahn weiter zieht. Beide treten von da an die grauen Vorderhörner. Der Anteil der Pyramidenbahnen, welcher zu den motorischen Kernen des Nackenmarkes (Facialis und Hypoglossus) zieht, kreuzt sich schon früher in der Brücke (s. Fig. 52). Unterbrechung dieser Bahn an irgend einer Stelle ihres Verlaufes durch das Gehirn giebt jedesmal Lähmung an der gegenüberliegenden Seite, welche eine vollständige (Hemiplegie) sein wird mit teilweiser Beteiligung der Gesichts- und Zungenmuskulatur, wenn die Unterbrechung da stattfindet, wo die Bahn dichtgedrängt zusammensteht (Capsula interna), während Läsionen weiter oben, z. B. in der Hirnrinde selbst, je nach der ergriffenen Lokalität, Lähmungen einzelner Glieder (Monoplegien), des Beines, des Armes u. a. geben. Der H ö r n e r v , dessen primäres Centrum im Acusticuskern des Nackenmarkes sich befindet, läuft central weiter hinauf durch die Schleife, von da zum hinteren Vierhügel und dem Corp. geniculat. internum, um schließlich in der gleichseitigen Hörsphäre zu enden. Der S e h n e r v , welcher sich in dem Chiasma mit dem der anderen Seite p a r t i e l l kreuzt, erscheint im Tractus opticus wieder, dessen Fasern direkt zum äußeren Kniehöcker und von da zum vorderen Vierhügel ziehen, um durch die innere Kapsel in der Sehstrahlung die Sehsphäre zu erreichen. Aus dem äußeren Kniehöcker tritt außerdem ein ansehnliches Bündel in das Pulvinar des Sehhügels, welches als Stabkranz des äußeren Kniehöckers sich weiterhin der Sehstrahlung beigesellt. Die i n n e r e K a p s e l (s. Fig. 52) ist eine Markmasse, welche zwischen Streifenhügel, Linsenkern und Sehhügel liegend den gesamten Stabkranz der Großhirnrinde aufnimmt, zugleich aber auch Züge von tieferen Hirnteilen enthält, welche in das Großhirn übergehen. Sie stellt so eine Projektion aller dieser Bahnen dar, welche nach ihrer Funktion gesonderte Bündel repräsentieren und zwar so, daß am meisten
417
Großhirn rinden-Brückenbahnen.
nach vorn die Pyramidenbahn mit ihren drei Abteilungen (Kopf, Arm, Bein) zu liegen kommt; dann folgt das sensorische Bündel für die Körperfühlsphäre; hieran schließt sich das Acusticusbündel und schließlich die Sehstrahlung (wahrscheinlich auch Riech- und Schmeckbahnen). Tritt eine Unterbrechung der Leitung in der ganzen Kapsel ein (Erweichungsherd), so folgt vollständige H e m i p l e g i e und H e m i a n ä s t h e s i e der gegenüberliegenden Seite, nebst Hemianopsie und öfter auch Störungen im Gehör, Geruch und Geschmack der anderen Seite. Da die Bahnen in der inneren Kapsel dicht gedrängt nebeneinander stehen, so kommt es, im Gegensatz zur Hirnrinde, hier niemals zu Monoplegien, sondern es handelt sich stets um ausgedehntere Störungen. Das K l e i n h i r n steht in vielfacher Verbindung mit dem Großhirn 1) durch die v o r d e r e G r o ß h i r n r i n d e n - B r ü c k e n b a h n , welche aus der Rinde des Stimlappens entspringt, durch die innere Kapsel in den Großhirnschenkelfuß und von da zur Brücke gelangt, bis wohin ihre Fasern absteigend degenerieren. Aber sie scheinen weiter durch die Brückenarme zur Rinde des Kleinhirns zu gelangen, denn bei angeborenem Kleinhirndefekt fand man diese Bahn atrophiert (FLECHSIG). 2) Die h i n t e r e G r o ß h i r n r i n d e n - B r ü c k e n b a h n , welche von der Rinde des Schläfen- und Hinterhauptlappens entspringt, gelangt durch den basalen Teil der inneren Kapsel ebenfalls in den Hirnschenkelfuß und von hier zur Brücke. Auch diese Fasern scheinen in das Kleinhirn, namentlich in die mittleren Teile desselben einzutreten, denn bei einem Neugeborenen mit totalem Kleinhirnmangel waren sie nicht nachzuweisen. 3) Die S t r e i f e n h ü g e l - B r ü c k e n b a h n entspringt aus dem Nucl. caudatus und dem äußeren Gliede des Linsenkernes, zieht durch die innere Kapsel zu dem Großhirnschenkelfuß, gelangt teilweise (Stratum intermedium n. MEYNEKT) in die Brücke und weiter in das Kleinhirn. Die Fasern dieser Bahn degenerieren nur absteigend. Die B i n d e a r m e des Kleinhirns stammen zum größten Teile aus den Nucl. dentati des Kleinhirns und münden großenteils in den roten Kernen der Haube, was dadurch bewiesen wird, daß Bindearme und rote Kerne in dem Falle von angeborenem Mangel des Kleinhirns vollkommen fehlen. Die Verbindung des Kleinhirns zum Nackenmark bilden: 1) die K l e i n h i r n s e i t e n s t r a n g b a h n , welche aus der Rinde des Wurmes zum Strickkörper zieht, dessen Hauptmasse sie bildet. Von da gehen sie in den Seitenstrang und in die Zellen der CLARKEschen
Säulen. Sie verbinden das Kleinhirn mit den hinteren Wurzeln des Rückenmarkes. 2) F a s e r n vom K l e i n h i r n zu den g r o ß e n Oliven, welche nach u n t e n keine Fortsetzung erkennen lassen, deren Zusammenhang dadurch festgestellt ist, daß bei kongenitaler Atrophie des Kleinhirns jene ebenfalls atrophiert gefunden werden. S t e i n e r , Physiologie. VIII. Aufl.
27
418
Plan des Centralnervensystems der Wirbeltiere.
6. D e r P l a n d e s C e n t r a l n e r v e n s y s t e m s d e r
Wirbeltiere.1
Wenn man den Plan des Centralnervensystems verstehen lernen will, so muß man von den verwickelten Verhältnissen der höheren Wirbeltiere absehen und sich zunächst an die niederen und primitiven Wirbeltiere wenden, wo man einfache Verhältnisse voraussetzen kann. Die primitivsten Wirbeltiere sind die Haifische (GEGENBAUB). Zunächst sehen wir, wie alle animalen Muskeln in den Ganglienzellen der Vorderhörner der grauen Substanz ihr p r i m ä r e s Innervationscentrum haben. Zerstörungen dieser Zellen oder Unterbrechung der Leitung zu den Muskeln durch Unterbindung des motorischen Nerven führt ausnahmslos zur Lähmung dieser Muskeln. Treten jene Ganglienzellen in Beziehung zu den von der Haut kommenden centripetalen Nervenfasern, so ist der Reflexbogen gegeben, in welchem alle jene Reflexbewegungen ablaufen, für welche die graue Substanz des Rückenmarkes das Centraiorgan, und durch welche das Rückenmark charakterisiert ist. Jede Rückenmarksmetamere bildet einen solchen Centralherd, welche alle prinzipiell gleichwertig sind: keine Metamere herrscht über die andere, sie sind sämtlich k o o r d i n i e r t thätig und die Lokomotion eines aus gleichwertigen Metameren gebildeten Organismus (Amphioxus) kommt durch die koordinatorische Thätigkeit dieser Metameren zu stände. An seinem Vorderende geht das Rückenmark in das Gehirn über, in dessen mittlerem Teile (Mittelhirn) die sämtlichen animalen Muskeln, auf einen kleinen Umkreis vereinigt, ein s e k u n d ä r e s Innervationscentrum haben. Wo auch immer dieses Centrum verletzt wird, niemals werden animale Muskeln gelähmt, denn die Glieder können noch reflektorisch bewegt werden, obgleich sie dem Willenseinfluß des Tieres entzogen sind. Treten in das sekundäre Centrum die von der Haut kommenden, das Rückenmark seiner ganzen Länge nach durchsetzenden Fasern ein, in denen Tast-, Druck-, Wärme- etc. Empfindungen geleitet werden, so entsteht das a l l g e m e i n e B e w e g u n g s c e n t r u m , welches alle animalen Bewegungen beherrscht, also f ü h r e n d wird, und dem das Rückenmark durchaus s u b o r d i n i e r t ist. Letzteres ist dadurch zu beweisen, daß die einseitige Verletzung des allgemeinen Bewegungscentrums (d. i. des Mittelhirns) K r e i s b e w e g u n g e n erzeugt, d . h . eine gesetzmäßige Änderung in der Richtung der Bewegung des Tieres, welche man niemals durch einseitige Verletzung irgend einer Metamere des Rückenmarks hervorzurufen vermag. Neben dem allgemeinen Bewegungscentrum finden wir im Gehirn 1
genese.
J.
S T E I N E R , Die Punktionen des Centralnervensystems und ihre PhyloBraunschweig 1885—88—98.
Zeitliches Verhalten psychischer Impulse.
419
noch die Centren für die höheren Sinnesnerven, den Geruch-, Gesichtsund Gehörnerven, welche neben ihrer spezifischen Sinnesempfindung auch auf das allgemeine Bewegungscentrum zu wirken vermögen durch Vermittlung von intercentralen Nervenfasern, welche die Centren miteinander verbinden. Hiermit ist aber das G e h i r n g e g e b e n , w e l ches d e f i n i e r t ist d u r c h das a l l g e m e i n e B e w e g u n g s c e n t r u m in V e r b i n d u n g m i t d e n L e i s t u n g e n d e r h ö h e r e n S i n n e s n e r v e n , wovon indes die Anwesenheit eines allein schon genügen kann. (Es giebt niedere Wirbeltiere, bei denen nur der Riechapparat vorhanden ist, während die anderen höheren Sinne untergegangen sind.) Fügt man hinzu, daß auch die vegetativen Funktionen von gewissen, aber nicht so regelmäßig im Centrainervensystem verteilten Centren abhängig sind, so ist das Nervensystem des Haifisches analysiert, unter dessen Leitung er den Kampf ums Dasein erfolgreich kämpft und für die Fortpflanzung seiner Art zu sorgen imstande ist. Während der Stamm der Wirbeltiere sich allmählich immer höher durch die Säugetiere bis hinauf zum Menschen entwickelt, gehen im Centrainervensysteme wesentlich zwei Veränderungen vor sich, nämlich 1) die Bildung eines G r o ß h i r n s aus dem vorhandenen Gehirn und 2) die allmählich wachsende Ausbildung des Großhirns dadurch, daß alle Funktionen der Bewegung und Empfindung nach und nach auf der Oberfläche des Großhirns gesammelt (projiziert), dort in bestimmter Weise angeordnet und zu beliebiger gemeinsamer Thätigkeit miteinander verbunden werden. Die Bildung des Großhirns geschieht durch Differenzierung aus einem Sinnescentrum, nämlich dem Riechcentrum, so daß also d a s G r o ß h i r n der W i r b e l t i e r e sich p h y l o g e n e t i s c h aus dem Riechc e n t r u m e n t w i c k e l t h a t . Die Vereinigung aller Funktionen auf der Rinde dieses Großhirns eröffnet uns einen Einblick in ein Gewirr von zahllosen Bahnen, welches seinen Weg hin und her nimmt. Das zeitliche V e r h a l t e n p s y c h i s c h e r
Impulse.1
Man versteht unter „Reaktionszeit" oder „physiologischer Zeit" die Zeit, welche verfließt von dem Moment, in welchem eine Person irgend einen Sinneseindruck, z. B. eine Licht-, Gehör- oder Tastempfindung erhält bis zu dem Moment, wo sie darauf durch ein bestimmt verabredetes Signal mit Hand oder Fuß reagiert. Die folgende Tabelle, in welcher mit der rechten Hand reagiert worden ist, giebt eine Anzahl von Versuchen, welche in dieser Richtung an mehreren Sinnen ausgeführt worden sind. 1
logie.
Physiologie d. Großhirnrinde, 1879.
¡S. E X N E R ,
Bd. II.
HERMANNS
Handbuch d. Physio27*
420
Zeitliches Verhalten psychischer Impulse.
Reizungsstelle und Art. Lichtempfindung, hervorgerufen durch direkte elektrische Reizung der Netzhaut Elektrischer Schlag in die linke Hand Plötzliche Schallempfindung . . . . Elektrischer Schlag in die Stirnhaut . „ „ „ rechte Hand . . . . Funke in gewöhnlicher Weise gesehen Schlag in die Zehen des linken Fußes
I Reaktionsj zeiten.
0-1139 0-1276 0-1283 0-1360 0-1374 0-1390 0-1506 0-1749
Die Reaktionszeit ändert sich unter verschiedenen Umständen; sie wechselt mit der I n d i v i d u a l i t ä t : verschiedene Personen, selbst von gleichem Alter, können sehr verschiedene Reaktionszeit zeigen. Sie verringert sich mit der "Übung, mit der I n t e n s i t ä t des Reizes, nach dem Genuß von Kaffee und wenig Alkohol, sowie bei angestrengter Aufmerksamkeit; sie vergrößert sich durch E r m ü d u n g , nach reichlichem Alkoholgenuß und nach Aufnahme von Morphium. Die Reaktionszeit umfaßt eine ganze Reihe von physiologischen Akten, welche uns zum Teil selbst numerisch, wie Ausbreitung der Erregung im Rückenmark sowie in den motorischen Nerven, aus früheren Untersuchungen bekannt sind.
Die „kleinste Differenz" nennt man das Zeitintervall, welches verfließen darf, damit zwei schnell aufeinander folgende Sinneseindrücke ihrer zeitlichen Lage nach noch richtig erkannt werden (EXNER). Die Kenntnis dieser Zeit interessierte vor allem die Astronomen, welche bei der Bestimmung der Sternzeiten, welche von mehreren Beobachtern auf derselben Sternwarte gemacht worden waren, regelmäßige Differenzen untereinander konstatierten. Die Beobachtung geschah so, daß der Beobachter einerseits auf den Sekundenschlag einer astronomischen Uhr zu hören und andererseits zu beobachten hat, wenn der Stern durch den Faden des Fernrohres tritt. Auf diese Weise konnte die Zeit, in welcher der Stern den Faden passiert, auf Zehntelsekunden bestimmt werden. Als Beispiel werde hier nur angegeben die kleinste Differenz für Gesichtsempfindung und Gehörsempfindung (erstere nachfolgend) gleich 0-06 Sekunden. Analoge Beobachtungen, welche entweder mit Hilfe der Reaktionsmethode (bezw. Reaktionszeit) oder mit Hilfe der kleinsten Differenz ausgeführt wurden, führen regelmäßig zu Differenzen zwischen zwei Beobachtern A und B, welche in der Weise registriert werden A—B= 0 - 0 x Sekunden. Diese Gleichung nennen die Astronomen die „persönliche Gleichung", welche in der That der Ausdruck einer physiologischen Erscheinung ist.
Der Schlaf.
421
M i t b e w e g u n g . Als Mitbewegung bezeichnet man eine Bewegung, die o h n e vom Willen beabsichtigt zu sein, neben einer anderen b e a b s i c h t i g t e n Bewegung auftritt, wie z. B. die Kontraktion der Gesichtsmuskeln, bei schwerer Arbeit. M i t e m p f i n d u n g . Die Mitempfindung oder Irradiation der Empfindung ist eine Erscheinung, bei der eine Empfindung über die Punkte hinausgreift, welche direkt erregt worden sind (z. B. Schmerz der ganzen Gesichtshälfte bei einfachem Zahnschmerz). In beiden Fällen handelt es sich nicht etwa um Miterregung von Nachbarfasern durch Querleitung, sondern es breitet sich die Erregung infolge ihrer Intensität über eine größere Gruppe von Ganglienzellen, die alle miteinander in Verbindung stehen (s. oben), aus.
Der Schlaf. Das Centrainervensystem des Menschen und der höheren Tiere ist nicht ununterbrochen während des ganzen Lebens thätig, sondern es treten tägliche Unterbrechungen, namentlich der Thätigkeit des Großhirns, ein, welche man „Schlaf" nennt, im Gegensatz zu dem thätigen, dem wachen Zustande. Der Schlaf, welcher in der Regel in die Nachtzeit fällt und kürzer oder länger anhält, versetzt das Individuum in einen Zustand, der völlig demjenigen gleicht, den wir an den des Großhirns beraubten Tieren beobachtet haben: es ist ausschließlich die Seelenthätigkeit, welche aufhört, während geordnete Reflexbewegungen sowie die vegetativen Funktionen ihren normalen Fortgang nehmen. Die Atmung wird etwas verlangsamt, und die Atemzüge werden vertieft; die Pulsfrequenz ist verringert, und eine Anzahl von Sekretionen, darunter die Harnsekretion, ist vermindert; die Augen sind nach einund aufwärts gerichtet, die Papillen verengt. Das Gehirn selbst scheint etwas anämisch. Der Schlaf kann sehr fest oder „tief" sein oder er kann nur schwach oder „leise" sein; in letzterem Falle ruht das Seelenorgan nicht vollständig, sondern es können eigenartige Vorstellungen, „Träume", entstehen, die ihren Ursprung ebenso wie die Vorstellungen des wachen Zustandes peripheren Erregungen verdanken, deren Eigenartigkeit darin liegt, daß sie ins Unbegrenzte reichen und unabsehbare Phantasie- und Trugbilder entrollen. Was die Ursache des Schlafes betrifft, so ist dieselbe wahrscheinlich in einer Ermüdung der grauen Substanz des Großhirns zu suchen, die, da sie während des Tages unausgesetzt thätig ist, ebenso ermüdet wie der Muskel nach angestrengter Thätigkeit. Die weitere Analogie zur Muskelermüdung, daß es sich beim Schlaf ebenfalls um die Wirkung von im Laufe der Thätigkeit gebildeter Milchsäure handelt (PKEYER), und daß man ein ausgeruhtes Gehirn durch Injektion von Milchsäure ermüden, in Schlaf versetzen kann, hat sich bisher wenig Anerkennung verschaffen können. Andererseits soll jedesmal Scilla!'
422
Das sympathische Nervensystem (N. sympathicus).
eintreten, wenn
von dem Individuum alle centripötalen
Erregungen
f e r n g e h a l t e n w e r d e n (PFLÜGEK, HEUBEL).
Das Wahrscheinlichste ist, daß in erster Linie die Ermüdung des Seelenorganes den Schlaf induziert, und daß die Fernhaltung von centripetalen Erregungen, da das Seelenorgan vielleicht niemals oder doch nur höchst selten vollständig unerregbar ist, dem Eintritt des Schlafes durchaus förderlich sein muß.
Anhang. D a s s y m p a t h i s c h e N e r v e n s y s t e m (N. s y m p a t h i c u s ) . Neben dem cerebrospinalen besitzt der Körper noch das sogen, sympathische Nervensystem, das vielfach in jenes hineinragt und aus den beiden symmetrischen G r e n z s t r ä n g e n und den N e r v e n g e f l e c h t e n besteht. Die Elemente des Sympathicus sind Ganglienzellen und Nerven; die ersteren sind in kleinen Gruppen, als Ganglien, überall im Körper, vorzüglich in den Eingeweiden zerstreut, die letzteren sind marklose Nervenfasern. Bei dieser Zusammensetzung besitzt der Sympathicus voraussichtlich die Funktionen eines Central- und eines Leitungsorgan es. D e r S y m p a t h i c u s a l s C e n t r a i o r g a n . Bewußte Empfindung vermittelt der Sympathicus nicht, und die geringe Empfindlichkeit der Eingeweideorgane ist auf die Nervenfasern zu beziehen, die vom cerebrospinalen System dorthin gelangen. Ebensowenig vermittelt er sog. willkürliche Bewegung, dagegen mit voller Sicherheit automatische Bewegung, und zwar: 1) in den Herzganglien (s. S. 57), 2) in den Ganglien des Magens und Darmes (s. S. 159 u. 161), 3) in den Ganglien der TJreteren (s. S. 141) und 4) in den Ganglien des Uterus (s. unten). Alle diese Centren können auch von Nerven des cerebrospinalen Systems beeinflußt werden (s. an den entsprechenden Stellen). Reflexaktionen von seiten des Sympathicus sind mit Sicherheit nicht beobachtet worden. Im H a l s t e i l des Der S y m p a t h i c u s als L e i t u n g s o r g a n . 1 Sympathicus verlaufen: 1) Fasern für die Pupille (s. S. 392), 2) vasomotorische Nerven für die Gefäße des Ohres, der Zunge, der Epiglottis, der Mandeln, 3) vasodilatatorische Nerven für die Lippen, das Zahnfleisch, die Backen, die Gaumenschleimhaut, die Nasenschleimhaut und die entsprechenden Hautpartien des Gesichtes (diese Nerven gelangen im Trigeminus zu ihrem Bestimmungsgebiete), 4) Sekretionsfasern für die Speicheldrüsen (s. S. 113), 5) centripetale Nerven, die das Yagus1 V U L P I A N , Leçons s. l'appareil vasomoteur. Paris 1875; D A S T R E Rech, expériment. s. 1. système nerveux vasomoteur. Paris 1884.
U. MORAT,
Der Sympathicus als Leitungsorgan.
428
centrum erregen (s. S. 61), 6) durch das unterste Halsganglion beschleunigende Fasern zum Herzen und endlich vom Herzen Fasern, die im N. depressor zum Gehirn aufsteigen und das vasomotorische Centrum beeinflussen (s. S. 60 u. 61). Im B r u s t t e i l e treten durch das oberste Brustganglion die vasomotorischen Nerven für die Armgefäße (sie kommen aus dem untersten Teile des Hals- und obersten Teile des Brustmarkes). Aus dem unteren Teile des Rückensympathicus entspringen sowohl Konstriktoren als Dilatatoren für die Gefäße der unteren Extremität. Aus dem Brustteil entspringen der N. splanchnicus major et minor (sie stammen eigentlich aus dem Rückenmark, dem sie ihre Fasern durch den 2.—12. Brust- und den 1.—2. Lendennerven entnehmen); sie enthalten 1) Hemmungs- und Beschleunigungsfasem für die Darmbewegung (s. S. 161), 2) vasomotorische Nerven für den Magen, die Leber und den ganzen Dünndarm und 3) centripetale Nervenfasern, die auf das Vaguscentrum wirken (S. 61). Im B a u c h t e i l des Grenzstranges und dem Unterleibspiexus sind sowohl bewegende als vasomotorische Nerven für die übrigen Unterleibsorgane (Dickdarm, Milz, Blase, Uterus u. s. w.) enthalten, denn Beizungen dieser Nervenpartien rufen verstärkte Bewegungen und Durchschneidungen, Cirkulationsstörungen, hervor. Beizung des Halssympathicus macht den Druck in den Hirngefäßen steigen, doch ist dieser Einfluß bei verschiedenen Tieren verschieden groß. Dyspnoe, Chloroform und Leuchtgas erweitern die Hirngefäße. Yagus und Depressor sowie faradische Reizung sensibler Nerven sind ohne Einfluß auf die Hirngefäße (HÜETHLE). Wenn man ein Tier mit Nikotin vergiftet, so verliert der Halssympathicus seine Wirkung auf die Pupille und die Gefäße des Ohres, w e n i g s t e n s für den Beiz, welchen man, wie regelmäßig zu geschehen pflegt, zwischen dem unteren und oberen Halsganglion anbringt. Reizt man aber oberhalb des oberen Ganglions, so treten jene Wirkungen noch ein. Es folgt daraus, daß die Fasern des Sympathicus durch das Ganglion nicht einfach durchtreten, sondern zu den Ganglienzellen in irgend einer Beziehung stehen müssen, welche durch das Nikotin aufgehoben wird (LANGLEY U. DICKINSON). Dasselbe wiederholt sich für ein vorgeschrittenes Stadium der Verblutung ( 0 . LANGENDOEPI').
Vierter Abschnitt.
Zeugung und Entwickelung. Das Individuum geht nach kürzerer oder längerer Lebensdauer, entsprechend dem allgemeinen Gesetze von dem stetigen Wechsel alles Lehens, unter, es stirbt; f ü r die Fortpflanzung der Art aber ist gesorgt durch die Zeugung neuer, entwickelungsfähiger Organismen (Embryonen), aus denen sich unter günstigen Bedingungen der Organismus bis zu seiner Vollendung aufbaut. § 1.
Zeugung. 1
Man unterscheidet zwei Arten von Zeugung: 1. Die Zeugung durch T e i l u n g . Sie besteht darin, daß der mütterliche Organismus sich in zwei gleichwertige Stücke teilt, welche dauernd in diesem Zustande fortleben, da sie damit auch die Höhe ihrer Entwickelung erreicht haben. Durch Teilung pflanzen sich fort: a) einzellige Organismen, wie Amöben u. s. w.; b) Die Elementarorganisinen der höheren Tiere, die Zellen, z. B. weiße Blutzöllen, Knorpelzellen u. s. w.
2. Die Zeugung durch A b s p a l t u n g eines entwickelungsfähigen Teiles vom mütterlichen Organismus. Ist dieser abgespaltene Teil, der sich an einer Stelle des mütterlichen Organismus gebildet h a t , ein Z e l l e n h a u f e , so nennt man diese Art der Zeugung die „ Z e u g u n g durch Knospung". Ist die Knospe aber n u r e i n e Zelle, so bezeichnet man diese Zelle als „ E i z e l l e " und die Art der Zeugung als „Zeugung durch Eibildung". Die Zeugung durch Knospung eines sich später ablösenden Zellenhaufens kommt namentlich bei den Pflanzentieren (woher auch der Name stammt), aber 1
Bd. VI.
V.
HENSEN,
1881.
Physiologie d. Zeugung,
HERMANNS
Handbuch d. Physiologie.
Geschlechtliche und ungeschlechtliche Zeugung. Parthenogenesis.
425
auch bei einzelnen anderen niederen Tieren vor. Bei den übrigen Tieren bis hinauf zum Menschen geschieht die Zeugung durch Eibildung.
Die Eizelle kann ohne jeden weiteren äußeren Einfluß ihre Entwickelung beenden (Parthenogenesis), oder sie bedarf dazu eines äußeren Einflusses, der darin besteht, daß die S a m e n z e l l e mit der Eizelle eine direkte V e r s c h m e l z u n g (Konjugation) e i n g e h t (BÜTSCHLI, FOL, HEKTWIG
u. a.), durch welche ein neues entwickelungsfähiges Zellenindividuum entsteht. Man n e n n t diesen Akt die „ B e f r u c h t u n g " und die Art der Zeugung die „ g e s c h l e c h t l i c h e Z e u g u n g " im Gegensatz zu den übrigen Zeugungsformen, welche man als „ u n g e s c h l e c h t l i c h e Z e u g u n g " bezeichnet. Der Befruchtungsakt geschieht durch zwei Individuen, von welchen dasjenige, welches das Ei liefert, das w e i b l i c h e , das andere, welches die Samenzelle liefert, das m ä n n l i c h e Individuum ist. Geschieht die Befruchtung durch e i n Individuum, das zugleich Ei u n d Samen liefert, so n e n n t m a n dasselbe h e r m a p h r o d i t i s c h (verschiedene wirbellose Tiere, namentlich Schnecken). Die, P a r t h e n o g e n e s i s kommt n ur n eb en g e s c h l e c h t l i c h er Z e u g u n g vor, bildet immer nur Individuen eines Geschlechtes, nämlicli nur männliche oder nur weibliche Individuen, und ist überhaupt sehr wenig verbreitet, bisher nur bei den Bienen, Wespen und einigen anderen Tieren sicher festgestellt. Das bekannteste Beispiel der Parthenogenesis ist das der Bienen: Bei den Ausflügen aus dem Bienenstock wird die Königin von den männlichen Bienen (Drohnen) befruchtet und kehrt mit gefüllter Samentasche (Receptaculum seminis) in den Stock zurück. Die Eier, die sie in die Zellen (Honigwaben) legt, sind entweder befruchtet oder unbefruchtet; aus diesen entwickeln sich Drohnen, aus jenen aber Arbeiter (zeugungsunfähige Weibchen). Einige von den befruchteten Eiern geben auch, indem ihre Larven besonderer Pflege seitens der übrigen Bienen unterliegen, zeugungsfähige Weibchen, welche künftige Königinnen sind.
Zeugung: beim Menschen. M e n s t r u a t i o n , B i l d u n g u n d A b l ö s u n g des Eies. Zur Zeit der Geschlechtsreife (in unserer gemäßigten Zone etwa mit 14 J a h r e n ) tritt beim weiblichen Individuum die M e n s t r u a t i o n ein, die darin besteht, daß 2 — 8 Tage lang reichlich mit Schleim gemischtes Blut aus den Genitalien fließt. Die Menstruation, die sich circa alle vier Wochen wiederholt und zwischen dem 4 5 . — 5 0 . J a h r e vollkommen verschwindet (klimakterische Jahre), ist n u r ein äußeres Zeichen f ü r einen inneren, sehr wichtigen Vorgang, die A b l ö s u n g e i n e s E i e s aus dem Eierstock. Der Eierstock enthält nämlich in seiner Substanz eingebettet die GßAAFSchen Follikel, kugelförmige Blasen, die zur Zeit der Reife etwa erbsengroß sind. Die Hülle des GaAAFsclien Follikels besteht aus einer gefäßhaltigen, bindegewebigen Membran, deren Innen-
426
Menstruation, Bildung und Ablösung des Eies.
Der Samen.
fläche mit einem mehrschichtigen Epithel ausgekleidet ist, das die Membrana granulosa bildet. Diese ist durch Wucherung zu einer scheibenförmigen Verdickung, dem Discus oophorus, gewachsen, in welcher sich das Ei, Ovulum, eingebettet befindet. Der übrige Raum des Follikels ist mit einer eiweißhaltigen Flüssigkeit erfüllt, die fortwährend zunimmt, so daß die entstehende Spannung in dem Follikel die Cirkulation des Blutes in den Gefäßen hindert. Die Folge davon ist, daß die Follikelwand atrophisch wird, eine Zerreißung des Follikels eintritt und das Ei aasgestoßen wird. Die Eiablösung erfolgt alle vier Wochen und ist von einer Kongestion der Genitalorgane, namentlich des Uterus und seiner Schleimhaut begleitet, als deren Folge eben die Menstrualblutung auftritt, entweder durch Zerreißung kleiner Uterinschleimhautgefäße oder durch reichlichen Durchtritt von roten Blutkörperchen durch die unversehrte Gefäßwand. Das losgelöste Ei gelangt in die Tuben dadurch, daß das Tubenende zur Zeit der Berstung des Follikels den Eierstock mit seinen Fransen umfaßt. Von dort gelangt es durch die Flimmerbewegung der Tubenschleimhaut nach dem Uterus, wo es entweder unbefruchtet untergeht oder befruchtet zur Entwickelung gelangt. Bei den Säugetieren geschieht die Eilösung nur ein- oder mehreremal während des Jahres zur Brunstzeit und ist ebenfalls von einer Blutung aus den Genitalien begleitet. Die Eiablösung ist gewöhnlich mit einer Menstrualblutung verbunden, dieselbe kann aber auch fehlen, wie die Thatsache einer neuen Schwangerschaft innerhalb der Säugezeit, wo die Menstruation gewöhnlich nicht vorhanden ist, beweist.. Der geborstene G-RAAFsche Follikel bildet sich zum Corpus luteum um, indem er sich durch reichliche Wucherung der Membrana granulosa zu einer kompakten Masse von gelber Farbe verwandelt (die gelbe Farbe verdankt das Corpus luteum dem Hämatoidin, das sich aus dem bei der Berstung in den Follikel gelangten Blutfarbstoff gebildet hat). Man unterscheidet das Corp. lut. verum und spurium; das erstere bildet sich, wenn auf die Eilösung eine Schwangerschaft gefolgt ist, das letztere, wenn eine solche nicht eingetreten ist. Das Corp. lut. spur, ist viel kleiner und schon nach 1—2 Monaten wieder völlig verschwunden, das Corp. lut. ver. wird sehr groß, ragt hoch über die Fläche des Eierstockes hervor und kann noch gegen das Ende der Schwangerschaft vorhanden sein. Später schrumpft es wieder zusammen und hinterläßt nur eine Narbe, so daß der Eierstock nach mehreren Schwangerschaften ganz uneben wird.
Der Samen. Der Samen, welcher im Hoden bereitet wird, ist eine zähe, weißliche, eigentümlich riechende Flüssigkeit von alkalischer Reaktion, die in einer Intercellularflüssigkeit die beweglichen Samenfäden (Spermatozoön, Spermazellen) suspendiert erhält. Die Samenfäden bestehen aus
Der Samen.
427
dem Kopfe und dem Schwänze; sie machen sehr lebhafte, schlängelnde Bewegungen, die durch peitschenartige Ausschläge des häufig mit einer undulierenden Membran versehenen Schwanzes hervorgebracht werden. Die Ursache dieser Bewegung ist vollkommen unbekannt. Auf dem Wege vom Hoden bis zum Penis werden dem Samen aus der Prostata und den CowPEBschen Drüsen noch andere Flüssigkeiten zugemischt, so daß der an die Körperoberfläche entleerte Samen verdünnter ist und demnach weniger Samenzellen enthält, als wenn er direkt aus dem Hoden gewonnen wird. Die chemischen Bestandteile der Samenflüssigkeit sind Eiweißkörper (Seramalbumin und Alkalialbuminat), Nucleln, Lecithin, Cholesterin, Fette, anorganische Salze, vorwiegend Alkalien an Chlor, Phosphorsäure und Kohlensäure gebunden und Wasser. Die Samenbereitung beginnt erst mit dem Eintritt der männlichen Geschlechtsreife (Pubertät); die Absonderung geschieht nicht stetig, sondern unter besonderen Umständen, nämlich bei Reizung des Penis, wie beim Coitus, also reflektorisch, oder im Schlafe durch innere, vom Centraiorgan ausgehende Bedingungen. Die Entleerung des Samens ist jedesmal mit einem eigentümlichen Gefühl, das man als Wollustgefühl bezeichnet, verbunden. Die Entleerung in die Harnröhre geschieht durch peristaltische Kontraktionen der Samenleiter und Samenblasen, die Entleerung aus der Harnröhre durch periodisch wiederholte, plötzliche Zusammenziehungen des M. bulbo-cavernosus. Der reflektorischen Samenentleerung muß jedesmal eine Erektion des Penis voraufgehen, wodurch der Penis gesteift und verlängert wird. Die Ursache der Steifung ist die strotzende Blutfüllung der drei Corpora cavernosa des Penis. In die Corpora cavernosa, die ein kommunizierendes Höhlensjstem darstellen, münden die Arterien der Septa, während aus ihnen die Venen sich sammeln. Da die Septa glatte Muskelfasern enthalten, so kann jene Füllung der Corp. cavernosa verursacht sein durch einen vermehrten Zufluß von Blut oder durch Behinderung des Abflusses aus den Venen. Beide Momente scheinen mitzuwirken. Der vermehrte Zufluß kommt durch eine auf den Nervenreiz (Nn. erigentes) folgende „aktive" Erweiterung der kleinsten Arterien der Schwellkörper zustande. Der Abfluß aus den Yenen kann behindert werden, da die Yv. profundae durch die Corp. cavernosa selbst hindurchgehen. Das Centrum für die Erektion des Penis liegt im Lendenmark, nach dessen Zerstörung die Erektion nicht mehr zustande kommt (GOLTZ). Aber auch mit dem Gehirn muß dieses Centrum in Verbindung stehen, wie die Thatsache beweist, daß auch schon gewisse psychische Zustände Erektion hervorrufen, und die Beobachtung von Erektionen bei Erhängten darthut.
428
Befruchtung.
Generationswechsel.
Die Nn. erigentea kommen beim Hunde aus dem 1. und 2. Sakralnerven, die in den Plex. hypogastricus eintreten, von wo aus Nervenfasern (Nn. erigentes) namentlich zur Pars membranacea urethrae treten (ECKHARD). Die Nerven der Samenleiter kommen aus dem Grenzstrang des Sympathicus, stammen aber aus dem vierten und fünften Lendennerven (BDDQE).
Befruchtung. Die Befruchtung geschieht durch den Coitus, der darin besteht, daß der erigierte Penis in die Vagina immittiert und in derselben spritzenstempelförmig so lange bewegt wird, bis die Ejakulation des Samens erfolgt („Begattung"). Die beweglichen Spermatozo6n treffen irgendwo in dem Genitalkanal auf das Ei, in dessen Dotter sich dasjenige Zoosperm einbohrt, welches zuerst in senkrechter Eichtung dem Ei am nächsten ist. Sobald dies e i n e Zoosperm in den Dotter eingetreten ist, verdichtet sich das Ei an seiner Oberfläche so, daß das Eindringen weiterer Spermatozoon unmöglich wird. Wenn durch irgend welche Verhältnisse trotzdem mehrere Spermatozoon in das Eiplasma eindringen, so sollen sich diese Eier zu Mißbildungen entwickeln. (Bei vielen Seesternen und Seeigeln streckt sich dem nächsten Zoosperm ein vorgestülpter Fortsatz des Eiplasma entgegen). Die weiteren Vorgänge bei der Befruchtung s. unten S. 431. Was den Ort der Befruchtung betrifft, so weist die Auffindung von Samenfaden auf dem Ovarium und die in seltenen Fällen vorkommenden Abdominal- und Tubenschwangerschaften darauf hin, daß Befruchtungen schon auf dem Ovarium und in den Tuben vorkommen können. Normal macht das befruchtete Ei seine Entwickelung im Uterus selbst durch; ob aber auch dort die Befruchtung stattgefunden hat, läßt sich nicht entscheiden. Da nur jeden Monat eine Eiablösung vor sich geht und das menschliche Weib doch jederzeit befruchtungsfähig ist, so muß man annehmen, daß bei erfolgter Konzeption das befruchtete Ei jedesmal von der letzten Menstruation herstammt. Der
Generationswechsel.
Eine eigentümliche Zeugungsform bietet der G e n e r a t i o n s w e c h s e l Das Prinzip dieses Vorganges ist das, daß auch noch nicht völlig entwickelt! Individuen, die sich willkürlich bewegen können, sogenannte L a r v e n , ihrer seits schon zeugungsfähig sind und sich fortpflanzen können. Da die Larvei dieser Art längere Zeit in ihrem Larvenzustande verharren und in ihrer Ge stalt vollkommen von der ihrer Eltern abweichen, so sind erst die Individuei des zweiten oder dritten Gliedes den Großeltern vollkommen gleich, weshal] jene Larven in mehreren Fällen als ganz besondere Tierformen beschriebe! worden sind.
Urzeugung.
429
Ein Beispiel dieser Art bildet die Fortpflanzung des Bandwurms (Taenia). Aus den Eiern des Bandwurms entwickelt sich ein Embryo, der weiterhin zu eiuemBlasenwurm(Cysticercus) wird. Dieser letztere pflanzt sich durch Enospung so lange fort, bis sein Wirt (das Tier, in dem er wohnt) von einem anderen gefressen wird. Ist das geschehen, so wandeln sich die Knospen des Blasenwurms in jenem zweiten Tiere ebenfalls durch Knospung in einen Bandwurm um. Jene zeugungsfähigen Larven werden auch als „Ammen" bezeichnet.
Urzeugung. Als U r z e u g u n g (Generatio spontanea s. aequivoca) bezeichnet man die hypothetische Entstehung von Individuen durch N e u s c h ö p f u n g (aus anorganischem Materiale) im Gegensatz zu der bisher betrachteten e l t e r l i c h e n Z e u g u n g . Man hat diese Art der Entstehung von Organismen aus dem Vorkommen von Tieren an Orten hergeleitet, zu denen man sich weder das Vordringen des entwickelten Tieres, noch das Einwandern eines Keimes hat erklären können, so insbesondere für die Eingeweidewürmer und die Infusorien. Indes ist durch die Entdeckungen über die Wanderung und den Generationswechsel der Entozoön auch ihr Ursprung auf eine Abstammung von gleichartigen Eltern zurückgeführt worden. Was ferner die höchst auffallende, massenhafte Entstehung von Infusorien, Gärungs- und Fäulnispilzen in „Aufgüssen", tierischen und pflanzlichen in Zersetzung begriffenen Flüssigkeiten, bet r i f f t , so ist durch die Untersuchungen von EHBENBEBG, SCHWANN, SCHBÖDEB, PASTEUB U. a. auf das Überzeugendste dargethan, daß aus-
nahmslos sie selbst oder K e i m e von ihnen durch die Luft diesen Flüssigkeiten zugeführt werden, in denen, wenn sie einen geeigneten Boden finden, sie sich in kürzester Zeit auf dem Wege elterlicher Zeugung ansehnlich vermehren. Schließt man die Luft von einem solchen Aufguß, in dem durch vorheriges Kochen alle etwa bereits vorhandenen Keime ertötet sind, ab oder führt man nur solche Luft zu, in welcher durch Glühen, Überleiten über Schwefelsäure oder mittels Filtration durch einen Baumwollenpfropf alle lebenden Orgaganismen und. Keime sicher getötet bezw. ausgeschlossen sind, so entsteht niemals ein pflanzliches oder tierisches Gebilde. Wie jede einzelne neugebildete Zelle aus einer vorhandenen Mutterzelle hervorgeht, so beherrscht die gesamte Reihe der Tier- und Pflanzenarten das Gesetz der k o n t i n u i e r l i c h e n E n t w i c k e l u n g (s. oben S. 8). So wenig mithin das V o r k o m m e n der U r z e u g u n g a u c h n u r d u r c h eine einzige s i c h e r e T h a t s a c h e erwiesen i s t , so kann doch ihre M ö g l i c h k e i t nicht in Abrede gestellt werden, denn die Erzeugung eines ersten Organismus dürfte sich kaum anders als durch eine Urzeugung erklären lassen.
Das Ei.
430
§ 2. Entwiekelung (Ontogenese).1 1. D a s Ei. Das tierische Ei entspricht immer e i n e r Zelle und zeigt alle wesentlichen Teile einer solchen (Fig. 53). Der Zellleib, das Protoplasma, wird mitunter Bildungsdotter genannt (Vitellus formativus); er besteht aus einer eiweißartigen, feinkörnigen Substanz, in welche bei den verschiedenen Abteilungen in sehr verschiedener Menge albuminöse Nährsubstanzen, die dem Aufbau des neuen Individuums dienen, eingelagert sind: Nahrungsdotter, Deutoplasma. J e nach der dazu nötigen Menge findet sich der Nahrungsdotter entweder in Form von Körnern, Krystalloiden u. s. w. in das Protoplasma eingelagert oder Fig. 53. Beifes Ei yon Asterias glaciaiis er bildet eine vom Protoplasma ge(nach FOL). sonderte, höchstens von diesem in feiner Randschicht umgebenen Kugel, auf der das erstere als „Keimscheibe" aufliegt. J e nach der Menge des Nahrungsdotters haben die Eier der Wirbeltiere auch sehr verschiedene Größe; die kleinsten, wie die der Säuger und des Amphioxus, die nur Spuren von Deutoplasma enthalten, messen kaum 0 - 1 mm, die größten, wie der gelbe Dotter der Vögel (Straußenei) überschreiten die Größe -«-mm einer Billardkugel.
Fig. 54. von
Ein Teil des Eies
Asterias
glaciaiis
im
Augenblick der Ausstoßung des ersten Polkörpers und
Der Kern der Eizelle wird Keimbläschen genannt; seine Größe wächst mit der des Eies ( f r e i l i c l 1 n i c l l t proportional), so daß der Kern bei den großen, nahrungsdotterreichen Eiern der Amphibien, Reptilien und Yögel das enorme J ^ von Der Num m Durchmesser zeigt.
der Zurückziehung desRestes ^ der
Spindel
in
das
Pikrinsäurepräparat.
^
Ei.
deg
.
^
heißt Keimfleck
„
pDEKmjEScher ' .
Fleck
; m d e n g r o ß e n Kernen sind sehr zahlreiche Nucleoli (über 100) vorhanden.
1 A . v. KÖLI.IKEE, Entwickelungsgescliichte d. Menschen etc. 3. Aufl. 1897. 0 . HEBTWIG, Lehrbuch d. Entwickelungsgeschichte d. Menschen und d. Wirbeltiere. 5. Aufl. 1896; C. S. MINOT, Lehrbuch d. Entwickelungsgeschichte des
Menschen. Deutsche Ausgabe 1894.
Die Vorkerne und die Befruchtung.
431
Die meisten Eizellen besitzen eine eigene, schon im Ovarium gebildete (ovarielle, primäre) Hülle, die als Dotterhaut bezeichnet wird. Bei den Säugern heißt die relativ dicke Dotterhaut der Eier Zona pellucida. Bei vielen Wirbellosen und den Fischen besitzt die Dotterhaut eine feine Öffnung, die Mikropyle, die dann von der befruchtenden Spermatozoe als Eintrittspforte benutzt wird. Die R e i f u n g s e r s c h e i n u n g e n des Eies. Ehe der eigentliche Akt der Befruchtung vollzogen wird, der, wie wir sehen werden, in einer Konjugation der Kerne der Geschlechtszellen besteht, macht das Ei eine Reihe von Veränderungen durch, die als „Reifungserscheinungen" bezeichnet werden. Dieselben lassen sich kurz als eine zweimalige mitotische Teilung der Eizelle charakterisieren. Dabei wird der Kern unter den typischen Erscheinungen der Karyokinese bei beiden sogenannten Richtungsteilungen äqual,, der Zellleib dagegen höchst ungleich geteilt, so daß bei jeder Richtungsteilung sich ein Körperchen vom Ei ablöst, das die Hälfte der Kernsubstanz, aber nur ein Minimum von Eiprotoplasma enthält. Dieser vom Ei abgelöste Teil heißt „Polkörperchen oder Richtungskörperchen"(Fig.54). Das zuerst abgelöste Polkörperchen kann sich noch einmal teilen, so daß schließlich aus der zweimaligen Richtungsteilung drei kleine und ein großes Teilstück hervorgehen. Die Polkörperchen gehen bei der weiteren Entwickelung s p u r l o s v e r l o r e n , so daß durch diesen höchst merkwürdigen Prozeß, dessen Kenntnis wir BÜTSCHLI, FOL, HEETWIG, VAN BENEDEN, BOVEBI u. a. verdanken, das Ei mit einer äußerst geringen Protoplasmamenge nicht weniger als s / 4 seiner Kernsubstanz verliert. Die Reifungserscheinungen können sich vor oder auch nach dem Eindringen der befruchtenden Spermatozoe ins Ei abspielen. Es sei aber nochmals hervorgehoben, daß der eigentliche, wir möchten sagen intime Akt der Befruchtung nur nach vollendeter Bildung der Richtungskörper geschehen kann. 2. Die V o r k e r n e u n d die B e f r u c h t u n g . Der nach der zweiten (mitotischen) Richtungskörperchenteilung im Ei zurückbleibende Kernrest ist sehr viel 'kleiner als das Keimbläschen (der Unterschied ist natürlich um so augenfälliger, je größer das letztere war!); derselbe nimmt die Form eines runden Kernbläschens an; er wird weiblicher Vorkern genannt. Bei den meisten Tieren dringt nur eine Spermatozoe in das Ei ein; das Ei schützt sich bei diesen Formen gegen das Eindringen weiterer Spermatozoen durch Zusammenziehung des Protoplasmas, Abscheidung einer Haut etc.; — nur bei erkrankten und geschwächten Eiern dringen mehrere Sper-
432
Die Vorkerne und die Befruchtung.
matozoen ein und rufen einen abnormen, nie zu einem regulären Ende führenden Umbildungs- und Teilungsprozeß hervor; bei diesen Eiern ist die Polyspermie also etwas abnormes. Bei den großen Eiern einiger Wirbeltierfamilien (Selachier, Urodelen, Reptilien) dringen aber normal mehrere Spermatozoen in das Ei ein. Die Polyspermie erseheint demnach hier normal, doch ist sogleich hervorzuheben, daß auch bei diesen nur e i n e bevorzugte Spermatozoe den eigentlichen inneren Akt der Befruchtung vollzieht, während die übrigen zu Grunde gehen. Aus dieser einen bevorzugten Spermatozoe geht der „männliche Vorkern" hervor, d. h. ein Kerngebilde, welches wesentlich durch blasige Umwandlung des S p e r m a t o z o e n k o p f e s gebildet wird. Der Schwanz der Spermatozoe kann z. B. schon in der Mikropyle stecken bleiben, aber selbst wenn er mit ins Ei eindringt, geht derselbe späterhin zu Grunde, ohne an den weiteren wichtigen Vorgängen Anteil zu haben. Das Mittelstück der Spermatozoe liefert ein sehr wichtiges Gebilde, das Centrosoma des männlichen Vorkerns, von dem in direkter Folge alle Centrosomen des neuen Organismus abstammen, da nach ziemlich übereinstimmenden neuesten Untersuchungen der weibliche Vorkern kein Centrosoma mitbringt.
Fig. 55. Drei successive Stadien in der Verschmelzung des männlichen und weiblichen Vorkerns bei Asterias glacialis.
Um den „männlichen" Vorkern tritt sehr früh durch entsprechende Anordnung der Dotterkörner eine Strahlung auf. Beide Vorkerne wandern aufeinander zu und gegen die Mitte des Eies hin (Fig. 55). Dort er-
Fig. 56. Ei von Asterias glacialis mit dem männlichen u. weiblichen Vorkern.
Fig. 57. Ei von Asterias glacialis nach der Verschmelzung des männlichen u. weibl. Vorkerns.
Furchuog; die allgemeinen ersten Entwickelungsvorgänge.
438
reichen sie sieh, wobei der weibliche Vorkern von der Dotterstrahlung des männlichen mit umgeben wird (Fig. 56 u. 57). Schließlich legen sich beide Vorkerne aneinander und verschmelzen (konjugieren sich) zu einem Kerne. Mit dieser K o n j u g a t i o n der beiden Vorkerne, von denen der e i n e von dem m ü t t e r l i c h e n , der andere von dem väterl i c h e n Erzeuger abstammt, ist der e i g e n t l i c h e innere Akt der B e f r u c h t u n g beendet. Es ist klar, daß die Richtungsteilungen des Keimbläschens ganz allgemein den Zweck haben für die Aufnahme des Kernteiles der männlichen Geschlechtszelle Platz zu schaffen; über die interessante Geschichte und spezielle Theorie dieser Dinge muß in den betreffenden Spezialwerken nachgelesen werden. Es ist aber hervorzuheben, daß die Konjugation der beiden Vorkerme nicht in einem regellosen Zusammenfließen ihrer Substanzen besteht, sondern daß eine ganz regelmäßige Ineinander-Einordnung des wichtigsten Kernbestandteiles (des Chromatins) stattfindet, die so abläuft, daß sie genau die Umkehr der Bilderfolge bei der mitotischen Kernteilung darstellt. Der durch Verschmelzung der beiden Vorkerne gebildete erste Kern des nun befruchteten Eies heißt (nach den darauf folgenden Vorgängen) der Furchungskern. 3. F u r c h u n g ; die a l l g e m e i n e n ersten E n t w i c k e l u n g s vorgänge. Mit. der Beendigung der Befruchtung beginnt die Entwickelung des Eies; nur bei Wirbellosen kommt eine ungeschlechtliche (parthenogenetische) Entwickelung des Eies vor. Die Entwickelung setzt sich in erster Linie aus zwei Prozessen zusammen: Z e l l v e r m e h r u n g und Zelldifferenzierung. Zellvermehrung geschieht durch Teilung der ersten Zelle des neuen Individuums, durch Teilung der Eizelle. Würden die durch Teilung der Eizelle entstehenden Zellgenerationen keine neuen Stoffe von außen oder aus Vorräten innerhalb des Eies (Nahrungsdotter) aufnehmen, so würden die Zellen im Verlaufe der Entwickelung immer kleiner werden müssen. Durch Nahrungsaufnahme aus den beiden erwähnten Quellen wird ein W a c h s t u m der n e u g e b i l d e t e n Zellen ermöglicht, das schließlich zu einem Wachstum des ganzen Eies bezw. des aus demselben h e r v o r g e h e n d e n E m b r y o s führt. Doch erreichen auch durch das Wachstum die späteren Zellgenerationen fast nie die Größe des Eies und seiner ersten Teilprodukte. Die ersten drei Teilungen des Eies geschehen bei allen Eiern, bei denen keine Trennung zwischen Protoplasma und Deutoplasma (s. oben) stattgefunden hat und die eine kuglige Form besitzen, in drei aufeinS t e i n e r , Physiologie. VIII. Aufl.
28
434
Bedeutung der Furchung.
ander senkrechten Ebenen, von denen bei den polar differenzierten Eiern der Amphibien u. s. w. die ersten beiden vertikal stehen. Bei den großen Amphibieneiern bemerkt man als Ausdruck der eingetretenen Teilung auf der Oberfläche Furchen, daher die Bezeichnung des ganzen Teilungsvorganges als Furchung, der Teilprodukte als Furchungsstücke oder Furchungskugeln. Bei weiterem Fortschreiten der Teilung (Furchung) bildet sich bei allen Wirbeltieren im Innern des Eies eine Höhle, die Furchungshöhle, aus. B e d e u t u n g der F u r c h u n g . — Nach Roux u. A. bedeutet die Furchung schon eine geordnete Zerlegung des im Ei (d. h. wahrscheinlich im Kern desselben) enthaltenen, formbestimmenden Materials, so daß z. B. die erste Teilungsebene rechts und links, die zweite vorn und hinten u. s. w. scheidet (Theorie der organbildenden Embryonalbezirke von His, Mosaiktheorie von Roux). Nach DBIESCH, H E B T W I G U. A. ist die Furchung eine gleichgültige Zerkleinerung des Eimaterials, wobei die einzelnen Teilstücke vorerst unter sich und mit dem ganzen Ei gleichwertig bleiben. Letztere Anschauung stützt sich namentlich auf den bemerkenswerten Fund, den DKIESCH zuerst bei Echinodermen gemacht hat und der seither bei vielen anderen Tierklassen (auch bei Wirbeltieren, Amphioxus, Amphibien) bestätigt worden ist, daß aus den Teilstücken erster, ja auch aus den Teilstücken zweiter Ordnung, wenn sie aus dem regulären Verbände gelöst werden, sich ein g a n z e r , nur entsprechend kleinerer Embryo entwickelt. Freilich ist nicht zu vergessen, daß nach Roux u. A. beim Frosch und anderen Tieren, bei Zerstörung einer Furchungskugel erster Ordnung, aus der anderen sich ein richtiger Halbembryo entwickelt. Diese e n t w i c k e l u n g s m e c h a n i s c h e n Probleme können hier nur angedeutet werden. Die näheren Vorgänge wollen wir nur für das Säugetierei, im speziellen für das Kaninchenei, beschreiben. Bei diesem tritt die Furchungshöhle excentrisch auf und dehnt sich sehr rasch aus; durch dieselbe wird die ganze innere Zellmasse an einer kreisrunden Stelle der Oberfläche zusammengedrängt, während in der ganzen übrigen Peripherie eine einzige Schicht platter Zellen übrig bleibt. Es resultiert daraus also eine einzellige Blase, die an einer kreisrunden Stelle eine mehrschichtige Verdickung, die K e i m s c h e i b e , zeigt. Nur aus einem centralen Teile der Keimscheibe schnürt sich der Embryo ab, während der übrige Teil des Eies zu einem freilich leeren Dottersacke wird; es ist dies eine deutliche Reminiscenz daran, daß das Ei der Säugetiere aus einem dotterreichen (Sauropsiden) Ei entstanden ist; die niedrigsten Säuger (die Monotremen) haben noch solche große dotterreiche Eier.
Keimblätterbildung und Gastrulation.
435
4. K e i m b l ä t t e r b i l d u n g u n d G a s t r u l a t i o n . Innerhalb der Keimscheibe sondert sich eine einzige Schicht platter Zellen, der Hypoblast, von den darüber liegenden Lagen höherer Zellen dem Epiblast ab; der Epiblast der Keimscheibe hängt mit der übrigen einzelligen Blasenwand zusammen, die demnach auch zum Epiblasten zu rechnen ist. Diese Absonderung der ersten beiden „Keimblätter" bezw. Keimschichten voneinander ist der erste augenfällige Differenzierungsvorgang im Ei, obgleich andere minder sinnfällige diesem schon sicher vorausgegangen sind. Der Hypoblast vervollständigt sich nun dadurch, daß er von der Keimscheibe aus an der Innenfläche der epiblastischen Blasenwand bis zu dem „Gegenpole" herumwächst, so daß dadurch schließlich die ganze Eiblase zweiblätterig wird. Zu den beiden primären Keimblättern 1) dem Ektoblast = (Ektoderm = äußerem Keimblatt = animalem Blatt) und 2) dem Entoblast (Entoderm = innerem Keimblatt = vegetativem Keimblatt) tritt noch ein drittes, mittleres Keimblatt, der Mesoblast (Mesoderm) hinzu. Die Bildungsweise desselben ist eine höchst eigentümliche: In der hinteren, schmäleren Hälfte der birnförmig gewordenen Keimscheibe tritt ein medianer, dunkler Längsstreifen auf, der Primitivstreifen; auf der Mitte desselben findet sich eine Rinne, die Primitivrinne. Der dunkle Streifen beruht auf einer entsprechenden Verdickung des Ektoderms; vom Grunde der Rinne aus brechen lockere Zellen aus dem Verbände des Ektoderms aus und verbreiten sich seitwärts und nach vorn zwischen den beiden primären Keimblättern; diese neu auftretende mittlere Schicht ist das Mesoderm. Danach könnte es scheinen, als stamme dieses vom Ektoderm ab; eine genaue, vergleichende Analyse lehrt aber, daß der Primitivstreifen einen s e i t l i c h z u s a m m e n g e s c h o b e n e n und v e r w a c h s e n e n G a s t r u l a m u n d ( B l a s t o s p e r m ) darstellt, daß das Mesoderm sich also bei den Säugern (d. h. eigentlich bei allen Amnioten) von den L i p p e n d e s G a s t r u l a m u n d e s aus, wie zum Teil auch bei den niederen Wirbeltieren, ausbreitet. Der ganze Vorgang der P r i m i t i v s t r e i f e n b i l d u n g ist also als r u d i m e n t ä r e u n d v e r ä n d e r t e G a s t r u l a t i o n aufzufassen. Von der G a s t r u l a h ö h l e , der ursprünglichen Darmhöhle (der Anamnien) sind bei den Säugern freilich nur Reste in Form eines am vorderen Ende des Primitivstreifens sich findenden Durchbruchs (Canalis neurentericus) nachzuweisen u. s. w.; die Furchungshöhle ist an Stelle der Gastrulahöhle getreten und geht in die Darmhöhle über; wie das bei den Vorläufern der Reptilien zu stände gekommen sein mag, ist hier nicht zu erörtern.
Die drei Keimblätter stellen h i s t o l o g i s c h e P r i m i t i v o r g a n e dar: das äußere und innere Keimblatt, die Grenzblätter, sind rein epit h e l i a l e r N a t u r und liefern nur e p i t h e l i a l e sowie d i e s e n g l e i c h w e r t i g e Gebilde. 28*
436
Keimblätterbildung und Gastrulation.
Das mittlere Keimblatt liefert alle n i c h t e p i t h e l i a l e n S t ü t z und E r n ä h r u n g s g e w e b e , außerdem aber noch die Epithelien des Urogenitalapparates. Im speziellen stellt sich die Produktion der drei Keimblätter folgendermaßen: 1) Das äußere Keimblatt, das Ektoderm (der Ektoblast) liefert die Epithelien der äußeren Haut (Epidermis) mit allen ihren Derivaten, das sind die Epithelien der Schweißdrüsen, Talgdrüsen etc.; das Haar (natürlich mit Ausnahme der bindegewebigen Papille); die Nägel; die Epithelien der Einsenkungen der äußeren Oberfläche (Mundhöhle, Nasenhöhle, Konjunktivalsack, äußerer Gehörgang etc.) mit den in diese einmündenden Drüsen, mit den dort befindlichen Haaren und dem Schmelz der Zähne. Ferner bildet sich vom Ektoderm die
Fig. 58. Querschnitt durch den Urkeim eines bebrüteten H ü h n c h e n s vom zweiten Brüttage. mr Medullarrohr, h H o r n p l a t t e n , uw Urwirbelplatten, df Darmfaserplatte, sp Spalt der Pleuroperitonealhöhle, mp Mittelplatte, ung Urnierengänge, ao primitive Aorten, ch Chorda dorsalis, npl Hautfaserplatte.
Linse des Auges, das ganze Centrainervensystem und die aus diesem aus wachsenden Nerven und Ganglienmassen. Die Sinnesepithelien der großen Sinnesorgane nehmen wie die des Ohres, der Nase und des Mundes entweder direkt ihren Ursprung aus dem Ektoderm oder indirekt wie die des Auges (Retina), indem sie dem Gehirn entstammen. 2) Das innere Keimblatt (Entoderm, der Entoblast) liefert sämtliche Epithelien des Darmrohres und seiner Anhänge, also vor allem die des ganzen Atemrohres; ferner die Epithelien aller auf diesen Schleimhäuten ausmündenden Drüsen und die derjenigen drüsigen Gebilde, welche wenigstens in der Anlage mit diesen Schleimhäuten zusammenhängen, wie Thyreoida, Thymus (ursprünglich), drüsiger Teil der Hypophysis. Endlich sind entodermalen Ursprungs die Epithelien der Harnblase, des Sinus urogenitalis und die Zellen des embryonalen Stützorganes, der Chorda dorsalis. 3) ¡Aus dem mittleren Keimblatt (dem Mesoderm, Mesoblast) entstehen alle Bindesubstanzen (Bindegewebe, Knorpel, Knochen), Blut, quergestreifte und glatte Muskelfasern, die Endothelien der Blutgefäße, der Lymphgefäße, der Schleimbeutel, der serösen Häute. Außerdem gehören hierher aber noch die Epithelien
Die ersten Organbildungen.
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des ganzen Urogenitalapparates, der Drüsen wie der Ausführungsgänge, da diese von dem epithelialen Belege des Cöloms, der primären großen Körperspalte, ihren Ursprung nehmen. 5. Die e r s t e n O r g a n b i l d u n g e n . Die ersten Organbildungen finden in der noch flach ausgebreiteten Keimscheibe statt. Letztere hat sich inzwischen weiter ausgedehnt, ferner hat sich von ihr ein innerer, biskuitförmiger, hellerer Abschnitt (Area p e l l u c i d a ) von einem diesen umgebenden dunkleren Eande gesondert (Area opaca). Innerhalb der Area pellucida und zwar in deren vor dem Primitivstreifen gelegenen axialen Teile spielen sich alle folgenden Veränderungen ab. Die erste Sonderung zeigt sich im Ektoderm, es ist die Anlage des Centrainervensystems. Yor dem vorderen Ende des Primitivstreifens treten zwei parallele Falten im Ektoderm auf, die Medullarfalten (Medullarwülste), die eine Einne, die Medullarrinne, zwischen sich fassen und vorn in einem Schlußbogen ineinander übergehen. Die inneren Schenkel dieser Ektodermfalten erscheinen erheblich verdickt (Medullarplatten); die äußeren bleiben dünn. Diese Falten erheben sich allmählich immer stäiker und neigen sich gegeneinander, bis schließlich die Faltenscheitel einander berühren und verschmelzen. Dann lösen sich die verschmolzenen äußeren Faltenschenkel von den zu einer Röhre vereinigten inneren Schenkeln ab. Die so gebildete Eöhre ist die Anlage des Rückenmarks und Gehirns; die Epithelien produzieren Gliazellen (Spongioblasten), sowie Nervenzellen (Neuroblasten); aus letzteren wachsen dann die zuerst marklosen Nervenfasern aus (Fig. 58). Noch in der flach ausgebreiteten Keimscheibe treten am vorderen Ende der Medullarröhre drei hintereinander folgende Verdickungen, die primären drei Gehirnblasen auf. Der Eest des Ektoderms — nach Absonderung der Medullarröhre — wird Hornblatt genannt. Aus der Schlußlinie der Medullarröhre wachsen die „Ganglienleisten - ' aus, welche die erste Anlage der Intervertebralganglien und der diesen homologen Ganglien der Gehirnnerven darstellen. Unter dem Medullarröhre sondert sich aus der Mitte des Entoderms als strangförmige Verdickung die Anlage der Chorda dorsalis ab; ursprünglich geschieht die Bildung derselben durch Abfaltung. Die der Medullarröhre angelagerten medialen Abschnitte des Mesoderms sondern sich von den lateralen niedrigen Abschnitten, den Seitenplatten, als die verdickten Urwirbelplatten. Zwischen Seitenplatten und Urwirbelplatten bleibt jederseits eine schmälere Verbindungsplatte, die Mittelplatte. Während dieser Differenzierung spalten sich die Seitenplatten durch eine horizontale Spalte in eine obere und untere
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Die ersten Organbildungen. I
Lage; diese Spalte in den Seitenplatten ist die Cölom- oder Pleuroperitonealspalte; — die obere Lage der Seitenplatte heißt die Hautfaserplatte (Somatopleura), sie liefert die fibrösen und glattmuskulären Bestandteile der Körperwand; — die untere Lage der Seitenplatte heißt die Darmfaserplatte (Splanchnopleura), aus der die fibrinös-muskulöse Darmwand entsteht. Die Zellschichten der Somatopleura und Splanchnopleura, welche zunächst die Cölomspalte bekleiden, liefern die epitheliale Auskleidung dieser Spalte (der Pleuroperitonealhöhle). Die Urwirbelplatte zerlegt sich im Rumpfteile des Körpers durch Querteilung in hintereinander folgende würfelförmige Stücke, die Urwirbel. In gewissen Stadien läßt sich die Cölomspalte durch die Mittelplatte hindurch bis in den Urwirbel hinein verfolgen. Jedenfalls enthält der Urwirbel ursprünglich eine Höhle, die Urwirbelhöhle. Diese wird später durch Wucherung der unteren Urwirbelwand wieder ausgefüllt. Aus der gelockerten Zellmasse dieser unteren, gewucherten, Urwirbelwand geht das axiale Bindegewebe (später Knorpel und Knochen) hervor, das sich, seine epitheliale Abgrenzung verlierend, allmählich in der ganzen Umgebung ausbreitet, und Chorda, Rückenmark, sowie die gleich zu erwähnenden Muskelplatten umhüllt (letztere auch durchsetzt, und sich seitlich mit den von den Seitenplatten gelieferten Bindegewebsmassen verbindet). Aus den dorsalen Hälften der Urwirbel gehen durch eine besondere Differenzierung die Muskelplatten hervor, aus deren Ausbreitung und Auswüchsen die ganze quergestreifte metamere Muskulatur des Rumpfes, sowie auch der Extremitäten entsteht. Aus den Mittelplatten entsteht als erster Abschnitt des Urogenitalapparates der WoLFFsche Gang, der von seiner Bildungsstätte im Bereiche der vordersten Urwirbel in der dreieckigen Lücke zwischen Seitenplatte, Urwirbel und Hornblatt strangförmig nach hinten auswächst, wobei er sich mit seinem hintersten Ende von Strecke zu Strecke mit dem Ectoderm verbindet (Andeutung einer ursprünglichen Ausmündung auf der Körperoberfläche). Das vordere Ende (die primäre Bildungsstelle aus den Urwirbelplatten) behält seine offene Verbindung mit der Cölomspalte bei. Es sei besonders betont, daß die ganze Embryonalanlage während dieser ersten Sonderungen noch rein epithelialen Charakter hat, daß erst am Ende dieser Periode (zugleich mit der Ausbildung der Blutgefäße) sich Bindegewebe (s. oben die Bildungsstellen) zwischen den epithelialen Anlagen, dieselben verklebend, ausbreitet. Die ersten „Blutinseln" entstehen bei den Säugern, wie bei den Sauropsiden, außerhalb des Embryos im Bereiche der Area opaca, die damit zur A r e a v a s c u l o s a wird und wachsen von dieser primären Bil-
Abschnürung des Embryos von der Keimblase.
dungsstätte aus in den Embryo hinein. wickelung des Gefäßsystems folgt unten.
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Eine Darstellung der Ent-
6. A b s c h n ü r u n g des E m b r y o s von der K e i m b l a s e , B i l d u n g der e m b r y o n a l e n E i h ü l l e n u n d der A l l a n t o i s . Nach der bisherigen Darstellung war nur die Keimscheibe dreischichtig, die ganze übrige Eiblase aber zweischichtig. In der Folgezeit breitet sich allmählich auch das Mesoderm und mit ihm das Gefäßsystem weiter auf der Eiblase aus. Inzwischen aber greift der wichtigste Vorgang, die Abschnürung der Embryonalanlage von der Eiblase ein. Diese Abschnürung geschieht durch Falten, welche die Embryonalanlage samt dem Primitiv-
Fig. 59.
Fig. 60. Bildung der Eihüllen.
Fig. 61. Entstehung der Allantois.
um Amnionfalte, ah Keimblase, al Allantois (Harnsack), ds Nabelbläsehen.
streifenrest am hinteren Ende vorn seitlich und hinten umgreifen und durch alle drei Schichten der Keimscheibe hindurchgehen. Der so abgeschnürte Teil, die Embryonalanlage, erscheint anfänglich als ein kleiner Anhang am Rest der Keimblase, der jetzt Dottersack heißt. Bei dem ungemein raschen Wachstum der Embryonalanlage kehrt sich dies Verhältnis aber sehr rasch um und der Dottersack erscheint als unbedeutender, langgestielter Anhang des mächtig gewachsenen Embryos. Bei der Abschnürung des Embryos bildet sich natürlich an seiner unteren Seite ein vom Entoderm umkleidetes, vorn und hinten blind geschlossenes Rohr, das sich mit seiner rinnenförmigen Mitte breit, später mit langem engen Stiel (dem Dottergang, Ductus omphalo-mesent.) in der Höhle des Dottersackes fortsetzt, das Darmrohr. Das vordere blinde Ende des Darmrohres wird Kopfdarm oder Vorderdarm genannt; es erreicht an der unteren Seite des nunmehr frei abgesetzten
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Abschnürung des Embryos von der Keimblase.
Kopfes das Ektoderm, so daß hier Ektoderm und En'toderm direkt aneinander stoßen. Diese anfänglich oberflächlich gelegene Stelle wird durch Verdickung der Umgebung rasch in den Grund einer Vertiefung — der Mundbucht — eingesenkt; dann reißt der epitheliale Abschluß im Grunde der Mundbucht, die primitive Rachenhaut, ein und damit hat das Darmrohr seine vordere Öffnung erhalten. Aus dem Gesagten geht hervor, daß diese Öffnung nicht der Mundöffnung entspricht, sondern daß sie in der Tiefe der Mundhöhle zu suchen ist und daß demgemäß die epitheliale Auskleidung der Mundhöhle mit ihren Derivaten (Zahnschmelz, Speicheldrüsen u. s. w.) ektodermatischen Ursprungs ist. Ähnliche Prozesse spielen sich auch am hinteren Ende des Darmrohres ab. Auch die „Beckendarmhöhle" ist zuerst blind geschlossen und die „Kloakenöffnung" ein sekundärer Durchbrach (die spätere Mastdarmöffnung ist nur ein Teil der ursprünglichen Kloakenöffnung). J e weiter die Abschnürung des Embryos fortschreitet, um so enger schließt sich die Stelle zusammen (der Leibesnabel), an der an der ventralen Seite der Dottergang heraustritt. Während derselben Zeit setzt die Bildung der embryonalen Hülle, des Amnions und Chorions ein, die von den Reptilien an in der Wirbeltierreihe auftreten und den Embryo in die Tiefe wassergefüllter Säcke versenken, um ihm bei den Sauropsiden Schutz vor Eintrocknung zu geben, bei den Säugern Druckschutz zu gewähren. Um die Embryonalanlage herum tritt ein länglicher Ealtenring auf, die Amnionfalten; diese unterscheiden sich aber von den den Embryo abschnürenden Falten leicht dadurch, daß 1) ihr Scheitel nach oben (dorsalwärts) gerichtet ist, 2) daß in ihnen nicht die ganze Keimscheibe eingefaltet wird, sondern nur das Ektoderm mit dem Hautfaserblatt. In diese Falten tritt demgemäß eine Fortsetzung des „extraembryonalen" Cöloms ein (Fig. 59—61). Die Amnionfalten erreichen sich über dem Rücken des Embryos und verwachsen daselbst (im Amnionnabel), während gleichzeitig eine Trennung ihrer nun verschmolzenen inneren und äußeren Blätter eintritt. Die äußeren Blätter der Amnionfalten bilden so die ä u ß e r s t e oder s e r ö s e H ü l l e (Chorion) des Eies, dann folgt eine Spalte, die nach Obigem der Höhle der Amnionfalten (dem Exocoelom) entspricht und darauf folgt eine zweite Hülle, das A m n i o n . Der Entstehung nach ist die seröse Hülle, die Chorion genannt wird, wenn sie Zotten trägt, außen vom Ektoderm, innen vom Mesoderm (Hautfaserblatt) gebildet, beim Amnion ist die Schichtenfolge umgekehrt. Das Amnion geht unmittelbar in die Haut des Embryos über. Zwischen Amnion und
Bildung der embryonalen Eihüllen und der Allantois.
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Embryo wird bei dem Zusammenwachsen der Amnionfalten die A m n i o n höhle abgeschlossen. Dadurch, daß sich das Mesoderm allmählich weiter um die Eiblase herum ausbreitet und gleichzeitig durch Cölombildung gespalten wird, wird das Chorion um das Ei herum vervollständigt. Nach dem Schema (bei keinem Säugetier je in Wirklichkeit) wird so ein Stadium erreicht, wo das Ei aus folgenden Schichten besteht {von außen nach innen gezählt): Außen findet sich ein vollständiges, blasenförmiges Chorion; die.?es umschließt eine mit Flüssigkeit gefüllte Höhle, das Exocölom, und in diesem schwebt frei der Embryo, umgeben von Amnion (zwischen ihm und dem Amnion die Amnionhöhle), das am Leibesnabel in die Haut des Embryo übergeht, während aus derselben Öffnung der Dottersack heraushängt. Bei der von den Reptilien an durchgeführten Einsenkung des Embryos in mit wässeriger Flüssigkeit gefüllte Blasen (Chorion, Amnion) bedarf es der gleichzeitigen Ausbildung eines besonderen Atmungsorganes, das den Luftaustausch des in die Tiefe versenkten Embryos mit der Oberfläche vermittelt; dies geschieht durch die Allantois; die Amnioten (Reptilien, "Vögel, Säuger) sind also gleichzeitig auch Allantoidea. Die A l l a n t o i s ist eine Ausstülpung an der ventralen Seite des Enddarmes, die hinter dem Dottergang abgeht und mit demselben zum Leibesnabel heraustritt. Sie gelangt so in das Exocölom und legt sich schließlich breit an die seröse Hülle an. Die Allantois enthält als Fortsetzung des Darmrohres beide Schichten desselben: innen Entoderm, außen Darmfaserblatt. Mit letzterem gelangen Gefäße an den extraembryonalen Teil der Allantois und damit auch an die Oberfläche des Eies, dicht unter die seröse Hülle, wo ihr Blut mit der umgebenden Luft (Sauropsiden) oder mit dem Blute der Mutter (Säuger) in respiratorischen Gasaustausch treten kann. Der intraembryonale Teil der Allantois (vom Enddarm bis zum Nabel) erleidet besondere Umbildungen; der erweiterte Anfangsteil wird zur Harnblase (auf die sehr frühzeitig vom Enddarme die Ausführungsgänge des urogenetischen Systems übertreten), die verschmälerte Fortsetzung bis zum Nabel heißt Urachus (späteres Ligam. vesicale mediale). Wegen dieses direkten Zusammenhanges mit dem Harnreservoir führt die Allantois auch den alten Namen Harnsack. Bei den Säugern entwickelt der der serösen Hülle anliegende Teil der Allantois eine Menge äußerst blutreicher, weitverzweigter Zotten, die sich mehr oder weniger tief in die mütterliche Schleimhaut einsenken, so daß dadurch die Berührungsfläche zwischen mütterlichem bluthaltigem Gewebe und kindlichem bluthaltigem Gewebe ganz immens
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Bildung der embryonalen Eihüllen und der Allantois. I
Tergrößert wird. Wie nahe dabei die fötalen und mütterlichen Blutströme aneinander treten, ist bei verschiedenen Säugern sehr verschieden, ebenso die daraus resultierende Innigkeit der Verwachsung der beiderseitigen Gewebe; das höchste Maß wird beim Menschen erreicht. Die Gesamtmasse der fötalen, durch die Allantois gefäßhaltigen Chorionzotten bildet die Placenta foetalis, das dieselben umgebende, ebenso äußerst blutreiche Gewebe der mütterlichen Uterusschleimhaut die Placenta materna; beide zusammen stellen den Mutterkuchen, die Placenta, dar. Bei den Säugern (mit Ausnahme der allerniedrigsten Monotremen, Beutler) dient die aus dem Ende der Allantois gebildete Placenta foetalis nicht nur zum Gasaustausch mit dem mütterlichen Blute, sondern auch zur Aufnahme der flüssigen Nahrungsbestandteile, aus denen der Embryo seinen Leib aufbaut. Zugeführt wird der Placenta das gemischte Blut durch die Enden der Bauchaorten, die auf die Allantois übertreten, die Art. allantoides = umbilicales; abgeführt wird das (nun arterielle und an Nahrungistoffen reiche) Blut durch anfangs zwei, später eine Vena allantoidea = umbilicalis, die, ehe sie das venöse Ende des Herzens erreicht, den größeren Teil ihres Blutes durch die inzwischen gebildete Leber durchpassieren läßt. Ihren Eintritt in den Körper nehmen diese Gefäße natürlich zusammen mit der Allantois und dem Dottergang durch den Leibesnabel. 7. E r s t e E n t w i c k e l u n g s s t a d i e n u n d E i n p f l a n z u n g des m e n s c h l i c h e n Eies. Man kennt aus leicht begreiflichen Gründen keine menschlichen Eier aus den Tuben, sondern nur solche aus dem Uterus; infolgedessen kennen wir die Furchungsstadien, sowie das Primitivstreifenstadium des menschlichen Eies nicht aus direkter Anschauung; es ist aber nach Analogie mit den nächstverwandten Säugern über die Beschaffenheit desselben wenig Zweifel möglich. Die jüngsten bekannten menschlichen Eier entstammen der zweiten Woche. Es sind kleine Bläschen (von 5,5:8,3 mm), die auf einem beschränkten, kreisförmigen Bezirk mit Zöttchen besetzt sind. In dem allerkleinsten (REicHEitTsches Ei u. a.) fand sich keine deutliche Embryonalanlage. Da aber Eier, die nur wenig größer sind, einen deutlichen und weit entwickelten Embryo enthalten (SpEEscher Embryo), so erscheint es zweifelhaft, ob die Eier der ersten Art normal, bezw. ob sie genügend untersucht worden sind. Als charakteristische Merkmale der jüngsten menschlichen Eier können folgende gelten: 1) das Amnion wird ungemein frühzeitig ge-
Erste Entwickelungsstadien u. Einpflanzung des menschlichen Eies.
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bildet und geschlossen (bei noch ganz flachen Medullarwülsten); 2) das Exocölom, der Raum zwischen Amnion und Chorion ist daher anfänglich immer groß; 3) es ist niemals eine freie Allantoisblase vorhanden; das hintere Ende der Embryonalanlage bleibt wahrscheinlich von vornherein (bei der Amnionbildung) mit der serösen Hülle in Verbindung und längs dieser Verbindung (Bauchstiel) wächst die Allantois heraus. Menschliche Eier, die man im Uterus gefunden hat, lagen n i e m a l s frei in dessen Höhle, sondern innerhalb der Wand in einer Schleimhautkapsel eingeschlossen. Offenbar gerät das Ovulum, wenn es aus der Tube in den Uterus übertritt, sogleich in eine Vertiefung der Schleimhaut und wird von dem umgebenden Schleimhautwall überwachsen. Man bezeichnet die Schleimhaut des schwangeren Uterus, da sie bei der Geburt größtenteils mit ausgestoßen wird, als Decidua; und zwar heißt derjenige Teil derselben, welchem das Ei angelagert ist, Decidua serotina = Placenta materna; der Teil, welcher über das Ei hinweggewachsen ist, wird Decidua reflexa oder capsularis genannt, während der übrige Teil der Uterusschleimhaut, der primär nichts mit dem Ovul. zu thun hat, als Decidua vera bezeichnet wird. Die Decidua vera nimmt bis zum ersten Drittel der Schwangerschaft enorm an Dicke zu (bis 1 cm); von der Mitte der Schwangerschaft an legt sich die durch Ausdehnung des Eies schon vorher verdünnte (ursprünglich auch Drüsen- und gefäßhaltige) Decidua reflexa an die schon etwas verschmälerte Vera an, so daß nunmehr das Ei nicht mehr gewissermaßen als wandständige Geschwulst des Uterus erscheint, sondern den Uterus vollständig ausfüllt; damit unterliegt auch die Vera dem Drucke des Eies und nimmt von nun an (in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft), während sie mit der Reflexa untrennbar verklebt, an Dicke so weit ab, daß beide Häute bei der Geburt eine kaum 1 mm dicke, atrophische Schicht auf dem Ei bilden. Charakteristisch sind für die Decidua in den ersten Monaten die großen (30—40 fi) epithelähnlichen Decidualzellen. Während im Bereiche der Reflexa die Chorionzotten rasch an Größe abnehmen (Chorion laeve), entwickeln sie sich gegenüber der Serotina sehr rasch kolossal (Chorion frondosum). Diese kolossal entwickelten Chorionzotten ragen in mit Blut gefüllte Räume (intervillöse Räume) ein, die von der Decid. serotina und von dieser abgehenden Septen umgrenzt werden und in welche die uteroplacentalen Gefäße der Mutter einmünden, so daß die Chorinzotten direkt in mütterliches Blut eintauchen. Die Erweichung ist erst das Resultat eines Wachstums- und Ausdehnungsprozesses der fötalen Chorionzotten und der
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Bildung der Rücken- und Bauchwand
mütterlichen Blutgefäße in der Serotina, bei dem das zwischen beiden gelegene Serotinagewebt schwindet. Die Höhle der Allantois geht beim Menschen sehr zeitig verloren. Bei der Ausdehnung des Amnions umhüllt dasselbe die Allantois-(Umbilical-)Gefäße zugleich mit dem Dottergang in einem Strange, dem Nabelstrang, dessen schleimige Bindesubstanz (WHABTONsche Sülze) von dem Darmfaserblatt der Allantois abstammt. Derselbe inseriert gewöhnlich in der Mitte der Placenta (seltener marginal, noch seltener an den Eihäuten, velamentös) und erreicht eine durchschnittliche Länge von etwas über 1/2 m. A m Anfang des dritten Monates legt sich das Amnion drängung des Exocöloms an das Chorion an: Der Liquor Fruchtwasser, beträgt im 5. bis 6. Monat bis zu zwei Liter, meist nur noch ein Liter; dasselbe enthält etwa 1 °/0 feste und gleicht einem verdünnten Blutserum. 8. B i l d u n g d e r R ü c k e n - u n d
unter VerAmnii, das gegen Ende Bestandteile
Bauchwand.
Die R ü c k e n w a n d bildet sich in folgender Weise: Ursprünglich liegt auf der Rückenseite direkt unter dem Hornblatte das Medullarrohr, das sich aus dem mittleren Teile des äußeren Keimblattes gebildet hatte. Später wachsen die Urwirbelplatten zwischen Hornplatten und Medullarrohr von beiden Seiten hinein, um über dem Markrohr in einer Naht zu verwachsen, die mit der Mittellinie des Rückens zusammenfällt. So wird das Medullarrohr von dem Wirbelrohr umschlossen und kommt ganz nach innen zu liegen, während hiermit die Bildung der Rückenwand beendet ist. Die Bildung der B a u c h w a n d geht in ähnlicher Weise vor sich. Die Hautfaserplatten, welche mit der Hornplatte die oben beschriebenen Amnionfalten bilden, krümmen sich nämlich gegen die Bauchseite hin sehr stark und wachsen einander von rechts und links entgegen. Zur Zeit, wo sich das Darmrohr schließt, tritt auch die Schließung der Bauchwand ein, indem die entsprechenSo den Teile von allen Seiten her sich im „ N a b e l " vereinigen. bildet sich eigentlich ein doppelter Nabel, der D a r m n a b e l und der H a u t n a b e l . Der erstere ist die definitive Verschlußstelle der Darmwand, durch welche die Kommunikation zwischen der Darmhöhle und der Nabelblase aufgehoben wird; der letztere ist die Verschlußstelle der Bauchwand, welche beim erwachsenen Menschen als Grube sichtbar bleibt. Zwischen beiden bleibt ein Raum, durch den man in die Pleuroperitonealhöhle gelangt, und durch den der Urachus herauskommt. Die Urwirbelplatten, welche bisher von den Seitenplatten getrennt waren, vereinigen sich mit denselben wieder, und es beginnen die Muskel-
Bildung der Rücken- und Bauchwand.
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platten, die Spinalnerven und die Wirbelbogen (Teile, die sich aus den Urwirbelplatten gebildet haben) in die Hautfaserplatte der Bauchwand so hineinzuwachsen, daß sie die Hautfaserplatten in einen äußeren dickeren und einen inneren dünneren Teil spalten. So besteht die Bauchwand aus folgenden Schichten: 1) der Hornplatte, 2) dem äußeren dickeren Teile der Hautfaserplatte oder der Anlage der Cutis, 3) der Muskelplatte oder der Anlage der visceralen Muskeln (Intercostales etc.), 4) und 5) der Anlage der Rippen und der Nn. intercostales, 6) dem inneren dünneren Teile der Hautfaserplatte oder der Anlage der Serosa der Pleuroperitonealhöhle. Die Bildung der Rücken- und Bauchwand verläuft also in ganz ähnlicher Weise: auf der R ü c k e n s e i t e entsteht zuerst aus dem äußeren Keimblatte das Medullarrohr, um welches sich konzentrisch aus den Urwirbelplatten das Wirbelrohr herumlegt; der Verschluß erfolgt in der Rücken-Mittellinie. Auf der B a u c h s e i t e entsteht in ähnlicherWeise aus dem inneren Keimblatte das D a r m r o h r , um das sich ebenfalls konzentrisch die Bauchwand herumlegt. Die Wirbelsäulenanlage bezw. Chorda dorsalis ist der feste Stab, an den diese doppelt-röhrenförmige Anlage des Wirbeltierkörpers festgesetzt ist. Auf diese Weise erhalten wir den Embryo in seiner einfachsten, schematischen Form. 9. Die d e f i n i t i v e E n t w i c k e l u n g des I n d i v i d u u m s . Die bisher betrachteten Entwickelungsvorgänge nehmen nur den kleinsten Teil der Entwickelungszeit in Anspruch, welche das Ei bis zur Geburt zu durchlaufen hat. Da bis zur völligen Entwickelung des menschlichen Eies 40 Wochen verfließen, so gehen in der übrigen Zeit alle die Bildungen vor sich, welche aus jener einfachen Anlage das entwickelte Individuum in seiner vielfachen Gliederung herstellen. Oben wurde geschildert, wie durch Durchbruch der „primitiven Rachenhaut" in die „Mundgrube" sich die vordere Darmöffnung und wie sich in ähnlicher Weise auch die hintere Darmöffnung bildet. Die nächste, wichtigste Veränderung ist nun, daß sich jederseits hinter der Mundöffnung seitliche Druchbrüche des Darmrohres gegen die äußere Hautoberfläche hin ausbilden, die Kiemenspalten. Diese bei den Amnioten nur embryonal auftretenden, seitlichen Spalten sind in der That den fungierenden Kiemenspalten der Anamnia (Fische und Amphibien) homolog, obgleich sie bei jenen niemals zur Kiemenatmung benutzt werden. Die Gewebsbrücken vorn, zwischen und hinter den Spalten verdicken sich zu den „Kiemenbogen" und in diese treten (wie bei den Anamnien, nur ohne Auflösung in Capillaren), die aus dem Aortenbulbus hervorgehenden primären Aortenbögen ein, um sich dorsalwärts
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Die definitive Entwickelung des Individuums.
zu den Rückenaorten zu vereinigen. Bei den Säugern (auch beim Menschen) treten vier solcher Kiemenspalten auf; nur die erste von diesen erhält sich als Höhlung, aber mit Funktionswechsel; sie wandelt sich in das Zuleitungsrohr für das Ohr (äußerer Gehörgang, Paukenhöhle, Tube) um. Von den übrigen Kiemenspalten bleiben nur von ihrem Epithelüberzug abstammende Drüsen übrig und zwar leitet sich von der dritten die Thymus, von der vierten die „laterale Anlage" der Thyreoidea her, während die mediane Anlage der Thyreoidea aus dem Darmrohr selbst in der Höhe der zweiten Kiemenbogen auswächst. Letztere Stelle ist beim Erwachsenen noch als Foramen coecum an der Zunge erkennbar, woraus zugleich hervorgeht, daß der Zungengrund aus der ventralen Vereinigung der zweiten Kiemenbogen entsteht, während der Zungenkörper aus einem besonderen Felde zwischen ersten und zweiten Kiemenbogen gebildet wird. Auch bei den Säugern kommen in dem Kiemenbogen knorplige Skelettteile zur Entwickelung, die aber auch Funktionswechsel erlitten haben; aus ihnen gehen die Gehörknöchelchen hervor; aus dem letzten vielleicht Teile der Kehlkopfknorpel. Eine besondere Behandlung erfordert noch der erste mit seinem Hauptteil (dem Unterkieferfortsatz) vor der ersten Kiemenspalte und zugleich am h i n t e r e n Rande der Mundöffnung gelegene Kiemenbogen. Aus seiner dorsalen Wurzel wächst unter der Anlage des Auges am vorderen Rande der Mundöffnung ein Fortsatz nach vorn, der Oberkieferfortsatz. Derselbe tritt in Beziehung zur „Nasengrube". Diese entsteht in Form einer vor der Mundöffnung an der Unterfläche des Großhirns gelegenen Delle, die mit „hohem Sinnesepithel" (ScHKEiDEBSche Membran) ausgekleidet ist. Die anfangs flache Grube wird in eine tiefe Tasche verwandelt, dadurch, daß sich an ihrer äußeren und inneren Seite Verdickungen die „äußeren und inneren Nasenfortsätze" bilden. Unter dem äußeren Nasenfortsatz wächst der Oberkieferfortsatz nach vorn, bis er mit ihm zusammen eine Rinne (die Nasenrinne) von außen begrenzt, deren innere Umgrenzung den inneren Nasenfortsatz bildet. Schließlich wird diese Rinne von den Fortsätzen überwachsen und damit ist ein (wie bei den Amphibien dauernd!) dicht hinter dem Eingang in die Mundhöhle aus dieser zur Nasenhöhle führender Gang hergestellt; die „primitive Choane". Später wachsen dann aus den inneren Flächen der Oberkieferfortsätze, die „Gaumenplatten" heraus und in der Medianebene untereinander und mit dem Sept. narium zusammen, wodurch die Choane immer weiter nach hinten verlegt wird — sekundäre Choane, Gaumenbildung. Störungen in diesen Verwachsungsprozessen führen zu den als Hasenscharte, Wolfsrachen et«, bekannten Mißbildungen.
Die definitive Entwickelung des Individuums.
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Zwischen den letzten Kiemenspalten wächst aus der ventralen Seite des Darmrohres ein anfänglich einfacher hohler Gang, ventralwärts und nach hinten aus, der sich bald in ztfei große Äste teilt, von denen sich der rechte in drei, der linke in zwei Zweige zerlegt. Soweit macht der Mesodermüberzug die Teilung mit; die weiteren, rasch folgenden, meist dichotomischen Teilungen werden vom Epithelrohr allein ausgeführt. So entstehen als ventraler Auswuchs des Darmrohres Kehlkopf, Trachea, Bronchien und die weiteren Verästelungen der Luftwege. Der Bauchteil des Darmrohres wächst sehr viel rascher, als die ihn einschließenden Körperwände, er legt sich daher in eine große Anzahl komplizierter Windungen und Schlingen, wobei seine dorsale Anheftung zu einem mehr oder minder langen Mesenterium ausgezogen wird. Die Einzelheiten können hier unmöglich verfolgt werden, nur soviel sei erwähnt, daß die definitiven Mesenterialverhältnisse sich, wie Told nachgewiesen hat, durch eine Reihe komplizierter Yerklebungen ursprünglich freier Mesenterien mit der hinteren Bauchwand herstellen. Die Epithelien der großen Darmdrüsen bilden sich als Auswüchse des Dannepithels aus. Die Leber tritt sehr zeitig auf in Form zweier primärer Lebergänge, von deren Zweigen sich Zellbalken loslösen, die ein Netzwerk bilden. In den Maschen dieses Netzwerkes treten sogleich capillare Äste der großen Bauchvenen (erst der Omphalomesenterialvenen, später der Umbilicalvenen) ein. Wie aus der netzförmigen Struktur der embryonalen Leber sich die „lappige" der Erwachsenen bildet, ist noch wenig bekannt. Für das Pankreas sind drei ursprünglich getrennte epitheliale Anlagen nachgewiesen. Die Milz ist wohl eine rein mesodermale Bildung. Oben wurde schon erwähnt, daß die ersten Gefäße und das erste Blut außerhalb des Embryos im Gefäßhofe gebildet werden und von hier aus in den Embryo hineinwachsen. Beim Kaninchen und bei anderen Säugern sind primär zwei primitive, seitlich gelegene, gerade Herzschläuche vorhanden, die erst sekundär (mit der Abschnürung des Kopfes) unter dem Darmrohr aneinander gelagert werden und verschmelzen. Beim Hühnchen treten die Pulsationen des Herzens am zweiten Tage der Bebrütung nachweislich vor der Ausbildung von Muskelfasern in demselben auf. In das hintere Ende des einfachen, wenig gekrümmten Herzschlauches, dessen Muscularis und Serosa von dem Darmfaserblatt geliefert wird, münden die beiden Venae omphalo-mesentericae, die ihm das Blut aus dem Gefaßhofe zuführen; aus dem vorderen Herzende gehen die ersten beiden Aortenbögen hervor, die den Darm seitlich umgreifen und an dessen
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Die definitive Entwickelung des Individuums.
Dorsalseite nach hinten als Rückenaorten verlaufen. 'Quer aus diesen heraustretende Äste sind die Art. omphalo-mesent., die das Blut aus dem Körper herausführen und im Kapillargebiet des Gefäßhofes verteilen; so entsteht der erste Embryonalkreislauf (der „Dottersackkreislauf"). Da der Dottersack bei den höheren Säugern aber keinen Dotter enthält, spielt bei ihnen auch der Dottersackkreislauf keine erhebliche Eolle, sondern wird bald durch den Placentarkreislauf in den Hintergrund gedrängt. Der anfangs gerade Herzschlauch krümmt sich rasch zu einer nach rechts ausgebogenen Schlinge zusammen, wobei sich seine dorsalen und ventralen Anheftungen (Mesocardium dors. und ventr.) lösen. Dann tritt in der Länge desselben durch zwei Einschnürungen eine Gliederung in drei erweiterte Röhrenstücke, die getrennt und nach einander pulsieren, in Yorhofssack, Kammerschlinge und Aortenbulbus, auf. Der Vorhofsack, der zeitig zwei seitliche Ausbuchtungen, die Herzohren, erkennen läßt, tritt dorsalwärts hinter den Aortenbulbus. Die inzwischen ausgebildeten Venen vereinigen sich zu einem dem Yorhofssack angefügten, später teilweise in denselben einbezogenen Sinus venosus. Das erste Septum (S. primum) wächst im Vorhofssacke von der oberen, hinteren Wand herab bis in den Canalis auricularis, der diesen mit der Ventrikelschlinge verbindet und teilt das bisher einfache Ostium atrioventriculare in das dextrum und sinistrum; während des Herabwachsens bekommt das Sept. prim. an seiner Basis ein Loch, das Foramen ovale, das oben von einem sekundär gebildeten Sept. secund. umrahmt, bis nach der Geburt offen bleibt. Im Ventrikel wächst ein Septum interventriculare herauf, das sich einesteils mit dem unteren Rande des Vorhofsseptums, anderenteils mit einem Bulbusseptum, das im Aortenbulbus herabsteigt, verbindet. Aus dem Aortenbulbus haben inzwischen jederseits fünf Aortenbögen ihren Ursprung genommen, von denen aber immer nur drei gleichzeitig bestehen, d. h. die ersten und zweiten werden undurchgängig, wenn die vierten und fünften gebildet werden. Das Bulbus-septum nimmt seinen Anfang so zwischen der Abgangsstelle der vierten und fünften Aortenbögen vom Bulbus, daß dieser in zwei Röhren zerlegt wird, von denen die eine nur zu dem fünften Aortenbogen, die andere zu allen übrigen von dem vierten an aufwärts führt; das Bulbus-septum verbindet sich dann so mit dem oberen Rande des Interventrikularseptums, daß die erste, nur zu dem fünften Aortenbogen leitende Röhre als Art. pulm. zum rechten Ventrikel, die andere zu den übrigen Aortenbögen leitende Röhre als Aortenstamm zum linken Ventrikel hinabführt.
Die definitive Entwickelung des Individuums.
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Der v i e r t e l i n k e A o r t e n b o g e n e r h ä l t s i c h a l s b l e i b e n d e r A o r t e n b o g e n . Der fünfte rechte Aortenbogen' obliteriert, der Stamm des linken fünften Bogens erhält sich als der der Art. pulmonalis, aus dem die Äste zu beiden Lungen auswachsen; die weitere Fortsetzung dieses Bogens jenseits der Abgangsstelle der Lungenäste bis zur Rückenaorta hin bleibt als Ductus Botalli während des Fötallebens erhalten. Wie sich aus dem rechten vierten, den dritten Aortenbögen und den erhaltenen ventralen und dorsalen Enden der beiden ersten Bögen die Anonyma, die Subclaviae und Carotiden bilden, muß in speciellen Werken nachgelesen werden. Jedenfalls steht für das vom Sinus venosus her ins Herz einströmende, von der Placenta her teilweise arterialisierte Blut, während des ganzen Fötallebens durch das offene Foramen ovale und den Ductus Botalli der Weg von rechts nach links durchaus offen. Es ist wohl anzunehmen, daß schon in den Vorhöfen eine vollständige Mischung des Blutes stattfindet. Erst nach der Geburt entsteht der d r i t t e p o s t e m b r y o n a l e Kreislauf, der durch das ganze Leben bleibt, indem das Foramen ovale und der Ductus Botalli sich schließen und alles Blut durch die Art. pulmonalis in die Lungen geht, um erst dann in die linke Kammer und die Aorta zu gelangen. In entsprechender Weise hat sich das Yenensystem entwickelt. Zunächst besitzt der Embryo vier Körpervenen, zwei vordere, die Vv. jugulares, die das Blut aus dem Kopfteil, und zwei hintere, die Kardinalvenen, die das Blut aus dem Hinterteil zum Herzen zurückführen. Diese stehen mit dem Herzen jederseits durch einen Ductus C u e v e r i in Verbindung. Diese münden mit den vom Darme und seinen Anhängen (Nabelblase, Allantois, Placenta) kommenden Venensystem zusammen in den Sinus venosus (s. oben). Der vom Darm zum Herzen führende Stamm, der je nach dem Entwickelungsstadium als Fortsetzung der Omphalomesenterialv., der Umbilicalv. und zuletzt der Darmvene (Pfortader) erscheint, löst sich, wie erwähnt, frühzeitig bei Bildung der Leber in ein zu dieser führendes Astwerk — Venae adventes = den späteren Zweigen der Porta auf. Die aus der Leber herausführenden Zweige, die Venae revehentes, werden zu den V. hepaticae, die sich in die inzwischen ausgebildete Vena cava inferior ergießen. Nur der rechte Ductus Cuvieri erhält sich beim Menschen als Cava sup.; das Blut der linken oberen Körperhälfte wird durch eine Anastomose (Anonyma sinistra) nach rechts hinübergeleitet. Das Ende des linken Duct. Cuv. bleibt als Sinus venosus cordis bestehen. Die Card, dextra wird zur Azygos, ein Rest der Card, sinistra zur Hemiazygos, ein großer Teil des peripheren Gebietes der Cardinales wird durch Anastomosen auf die Cava inf. übernommen. Ein Teil des durch die S t e i n e r , Physiologie. VIII. Aufl.
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Harn- und Geschlechtsorgane.
Umbilicalis von der Placenta her dem Körper zugeführten arteriellen Blutes passiert das Kapillarsystem der Leber nicht, sondern geht durch eine früh gebildete Anastomose, den Ductus venosus Arantii, direkt zur Cava infer. K r e i s l a u f d e s F o e t u s . Die Nabelvene fuhrt das in der Placenta arteriell gewordene Blut in die Y. omphalo-mesenterica, von wo es direkt durch den Duct. venosus Arantii und indirekt durch das Pfortadergebiet der Leber zur Hohlvene und zum rechten Herzen gelangt. Vom rechten Herzen fließt es durch die Art. pulmonalis und den Duct. BotalH sowie durch das Foramen ovale in die Aorta. Der weitere W e g fuhrt durch die Aorta descendens in die Aa. iliacae, aus denen die beiden Aa. umbilicales entspringen, welche Blut zur Placenta wieder zurückführen, während ein anderer Weg durch die Körpervenen zum rechten Herzen führt.
H a r n u n d G e s c h l e c h t s o r g a n e . Das erste, was auftritt, ist, wie oben beschrieben, der WoLFFSche oder TJrnierengang (Fig. 58). Mit diesem Gang verbinden sich die Kanälchen der Urniere (Mesonephros), die ursprünglich als Ausstülpungen des Cölomepithels entstehen, erst sekundär. Bei den Säugern geht die Verbindung der Kanälchen der Urniere mit dem Peritoneum frühzeitig verloren, bei niederen Vertebraten (Amphibien, Selachier) erhalten sich diese Kommunikationen. An den Kanälchen der Urniere bilden sich MALPiomsche Kapseln, es findet eine sichere Sekretion statt; das Sekret wird durch die WOLFFschen Gänge zur Allantois abgeleitet. Aus dem Ende der WoLFFschen Gänge sproßt der Ureter heraus und als Äste dieses bilden sich die Zweige des Nierenbeckens, die Sammelröhren u. s. w. Ob das eigentliche secernierende Parenchym der bleibenden Niere (Metanephros) denselben Ursprung hat, oder auf einem Umwege aus dem Cölomepithel entsteht, ist noch nicht sicher entschieden. Die i n n e r e n G e s c h l e c h t s o r g a n e sind h e r m a p h r o d i t i s c h angelegt. An der inneren Seite der WoLirschen Körper nach außen von der Wurzel des Mesenteriums bilden sich zwei mit erhöhtem Cölomepithel (Keimepithel) bekleidete Mesodermleisten, die Genitalleisten; — diese sind die ersten Anlagen der Geschlechtsdrüsen. Schon im Keimepithel treten vergrößerte, helle, großkernige Zellen auf, die kleinen Eiern ähnlich sehen, die sogenannten U r e i e r . Ureier und unveränderte Keimepithelien wachsen in Form von Zapfen und Strängen (PFLüGEitsche Schläuche) in das untenliegende, mesodermale Gewebe ein. Beim männlichen Geschlecht wandeln sich diese Stränge in die Canaliculi seminiferi um, beim weiblichen zerteilen sie sich zu den GnAAPSchen Follikeln, bei beiden Geschlechtern verlieren sie ihren Zusammenhang mit dem oberflächlichen Keimepithel. Inzwischen hat sich neben dem WoLFFschen Gang ein neuer Gang gebildet, der oben, wie jener, mit dem Cölom kommuniziert, unten in den Anfang der Allantois ausmündet: der MüLLKKsche
Harn- und Geschlechtsorgane.
451
Gang. Beim m ä n n l i c h e n G e s c h l e c h t e vergeht der MüLLEBsche Gang wieder bis auf einen kleinen Rest, der zum Uterus masculinus und der Vesicula prostatica, wird; die Geschlechtsdrüse dagegen tritt mit einem Teile de» WoLirschen Körpers in Verbindung, der zum Nebenhoden wird, während der WoLirsche Gang sich zum Samenleiter umbildet, an dessen unterem Ende sich als Auswüchse die S a m e n b l ä s c h e n entwickeln. Beim weiblichen G e s c h l e c h t e dagegen verschwindet der WoLFFsche Körper und sein Gang vollständig bis aaf den kleinen Rest, der zum Nebeneierstock wird, während die Müllebschen Gänge zu eigentlichen Geschlechtsgängen werden, indem sie mit ihren unteren Enden zur Scheide und zum Uterus verschmelzen, während die oberen Teile getrennt bleiben und zu Eileitern werden. Der unterste Teil des Urachus oder der späteren Harnblase, in den die Öffnungen der Harn- und Geschlechtsorgane münden, heißt der S i n u s urogenitalis. Die ä u ß e r e n G e s c h l e c h t s o r g a n e entwickeln sich folgendermaßen: In der vierten Woche zeigt sich am hinteren Leibesende eine einfache öflnung, welche die gemeinsame Mündung des Urachus, bezw. der Harnblase und des Darmes, die man Kloake nennt, enthält. In der sechsten Woche erhebt sich vor der Kloakenmündung ein einfacher Wulst, als G e s c h l e c h t s h ö c k e r mit zwei seitlichen G e s c h l e c h t s f a l t e n . Der Geschlechtshöcker wird größer und zeigt an seiner unteren Seite eine zur Kloake verlaufende Rinne, die Urethralrinne. Durch seitliche Falten, die sich zum Perineum vereinigen, wird nun die Kloake in die Afteröffnung und die Harngeschlechtsöffnung (Sinus urogenitalis) getrennt. Beim m ä n n l i c h e n G e s c h l e c h t bildet sich aus dem Geschlechtshöcker der Penis, aus den Geschlechtsfalten unter gleichzeitiger Verschmelzung das Scrotum, in dem die Raphe, Naht, die Stelle der Verwachsung anzeigt. Die Harnröhre, welche an der Spitze des Penis mündet, entsteht dadurch, daß die an der unteren Seite des Geschlechtshöckers befindliche Rinne sich zum Kanal schließt; den hinteren Teil dieses Kanales bildet der Sinus urogenitalis. Im achten Monat der Schwangerschaft erfolgt der Descensus testiculorum in das Scrotum, dessen Detail in den anatomischen Lehrbüchern beschrieben wird. — Beim w e i b l i c h e n G e s c h l e c h t e bleibt die Öffnung des Sinus urogenitalis frei; die Geschlechtsfalten werden zu den großen Schamlippen, der Geschlechtshöcker wird zur Clitoris, die Ränder der Öffnung zu den kleinen Schamlippen. In den Sinus urogenitalis (Vestibulum vaginae) münden die kurze Harnröhre und die Vagina. Centrainervensystem. Aus den Neuroblasten der primären Anlage wachsen marklose Fasern heraus, die am Rückenmark teilweise direkt als vordere Wurzeln herauswachsen, teils sich als ein 29*
452
Centrainervensystem.
„Randschleier" auf die epithelialzellige Eöhre auflegen. Diese erste Anlage der weissen Substanz wird aber auch durch Fasern verstärkt, die von den Intervertebralganglien aas in das Rückenmark hineinwachsen. Der anfänglich hohe und weite Centralkanal wird teilweise durch Obliteration verengt. Später bleibt das Rückenmark im Längenwachstum gegen die Wirbelsäule zurück, dadurch rückt sein unteres Ende relativ höher hinauf. Die Fasern des Rückenmarkes werden „systemweise" markhaltig (FLECHSiGsche Regel). Von der vordersten der drei primären Gehirnblasen schnüren sich zuerst seitlich die „primären Augenblasen" ab. Dann treibt der Rest der ersten Gehirnblase eine Ausstülpung nach vorn, die sich bald durch eine von vorn und oben einschneidende Falte in zwei Blasen — die beiden Großhirnblasen — zerlegt. Der Rest der primären ersten Gehirnblase, nach Absonderung der Großhirnblasen, wird Zwischenhirn genannt. Die dritte primäre Gehirnblase sondert sich in zwei hintereinander liegende sekundäre Blasen, indem an der vorderen Hälfte die Decke sich zu einer starken Masse, dem Kleinhirn, entwickelt (diese vordere Hälfte wird „Hinterhirn" genannt), während in der hinteren Hälfte, dem Nachhirn, die Decke dünn bleibt. Schon bei Beginn dieser Sonderungen beginnen die „Krümmungen" des Gehirnrohrs, da dieses viel rascher wächst als seine Umgebung. Zwei davon, die „Scheitelkrümmung" und „Nackenkrümmung" sind ventralwärts konkav; die Brückenkrümmung ist ventralwärts konvex. Nach diesen Sonderungen kann man fünf (sekundäre) Gehirnblasen unterscheiden, auf die sich die Teile des Gehirns der Erwachsenen folgendermaßen verteilen: 1) Großhirnblase = die beiden Hemisphären; dazu gehörig: die Ganglienmassen der Basis, der Streifenhügel; als sekundäre Kommissuren, Balken, Comissura baseos alba, Comissura antr. und Fornix., — endlich sind die sogenannten Nervi olfact. der Entstehung nach nichts anderes als ursprünglich hohle Ausstülpungen des Großhirns. 2) Zwischenhirnblase: Höhle des dritten Ventrikels; Decke Ependym, Seitenwand die Thalami optici, Boden, Lamina terminal, bis Substantia perf. post. Ausstülpungen des Zwischenhirns sind der nervöse Teil der Hypophysis und die Epiphysis; die Augen, welche als Ausstülpungen der ungeteilten primären ersten Gehirnblasen entstanden, hängen später durch ihre Stiele mit dem Zwischenhirnboden zusammen. 3) Mittelhirnblase: Höhle Aquaeductus; Decke Corpora quadrig., Boden die Pedunculi. 4) Hinterhirnblase: Decke Kleinhirn, Boden Pon§. 5) Nachhirnblase: Decke Ependym, Boden Medulla obl. -— Die Höhle für 4) und 5) ist der vierte Ventrikel. Das Labyrinth, d. h. das Epithel desselben, entsteht ähnlich wie die Nase, als flache Delle im Ektoderm, die mit hohem Sinnesepithel
Centrainervensystem.
Der Geburtsakt.
453
ausgekleidet ist. Diese Delle wird rasch tiefer, schnürt sich aber dann im Gegensatz zur Nasenanlage) als Labyrinthbläschen ganz vom Ektoderm ab und senkt sich in die Tiefe. Durch lokales Auswachsen, Einschnürungen und Durchbrechungen entsteht aus diesem einfachen birnförmigen Säckchen der komplizierte epitheliale Kanal des Ohres, an dem sich im Bereich der Maculae, Cristae und der Papilla cochlearis hohes Sinnesepithel mit (in der Papilla sehr komplizierten) Stützzellen entwickelt, während im übrigen das Epithel sich abflacht. I m umgebenden Mesoderm entstehen Lymphspalten, (perilymphatische) Räume, Bindegewebe, Knorpel- und schließlich steinharte Knochenkapseln. Die primäre Augenblase wird bei der Abschnürung des ektodermatischen „Linsensäckchens" zu einem doppelwandigen Becher eingestülpt. Das innere Blatt desselben liefert die Retina, das äußere Blatt bleibt einschichtig und stellt später das sechseckige Retinalpigment dar; die Höhle der primären Augenblase verschwindet dabei. Der Rand des Augenbechers wächst vor die Linse als Uvea der Iris heraus, während das Stroma der Iris mesodermatischen Ursprungs ist. Die Augenkammer ist eine Lymphspalte in dem Mesoderm, das zwischen abgeschnürter Linse und Ektoderm hineingewachsen ist; der dem Ektoderm anliegende Teil dieses Mesoderms liefert die Cornea. Durch eine Spalte, die bei der Einstülpung und beim Auswachsen des Augenbechers an dessen unteren Umfang bleibt, das Colobom, wächst in das Innere des Augenbechers, Mesoderm (mit Blutgefäßen) hinein, aus dem das Corpus vitreum hervorgeht. Choroidea und Sklera sind die Differenzierungen des den Augenbecher umgebenden Mesoderms. Ebenso, wie die primäre Augenblase, wird auch der hohle Augenstiel von der unteren Seite her eingestülpt; dadurch kommt die Art. centr. in den No. optic. hinein. K n o c h e n u n d M u s k e l n entwickeln sich in der schon oben angedeuteten Weise zu ihrer definitiven Formation. Die E x t r e m i t ä t e n sprossen als warzenartige, später in die Länge wachsende Fortsätze aus dem mittleren Keimblatte hervor, nehmen aber gleichzeitig Überzüge von dem Hornblatte mit. 10. D e r
Geburtsakt.
Während das Ei sich entwickelt, wird der Uterus immer stärker ausgedehnt, und seine Wandungen nehmen durch Neubildung von Muskelfasern an Dicke erheblich zu. Gegen Ende der Schwangerschaft (vierzig Wochen) ist die Ausdehnung des Uterus derart geworden, daß auch der Uterushals völlig verstreicht und in der Uterushöhle aufgeht. Zugleich erfolgt jetzt die Ausstoßung der reifen Frucht durch schmerz-
Der ßeburtsakt.
454
hafte, von der Bauchpresse unterstützte Kontraktionen des Uterus, die „ W e h e n " genannt werden. Die Uterinnerven verlaufen in den Sakralnerven und in einem sympathischen Zweige, der an der Aorta herunterläuft, denn Beizung des peripheren Endes dieser Nerven ruft Bewegungen des Uterus hervor. Im Lendenmark befindet sich das'Centrum für die Uterusbewegungen (GOLTZ), und eine Abtrennung des letzteren vom .Rückenmark ließ den Geburtsakt ungestört vor sich gehen. Nach Keizungen auch noch anderer Markteile, verschiedener Teile des Kückenmarkes, des Nackenmarkes, des Kleinhirns und der Brücke sind Uterusbewegungen beobachtet worden (KÖRNER). Der Uterus scheint, wie der Darm, in seinem Parenchym liegende Centren zu besitzen, welche analog verschiedenen anderen Centren durch dyspnoisches Blut
e r r e g t w e r d e n ( O S E R U.
SCHLESINGER).
Register. Abdominaltypus d. Atmung 7. Abführmittel 163. Abklingen der elektrotonischen Veränderungen 295. Abklingen der Lichtempfindung 346. Absorption der Gase 87. A b s o r p t i o n s b a n d v o n STOKES 37.
Absorptionskoefficient 87. Absorptionsstreifen d. Hämoglobin 37. Achromatische Linsen 336. Achroodextrin 147. Achsenband 369. Achsencylinderfortsatz 387. Achsenstab 11. 440. Adäquater Reiz 316. ADDisONSche Krankheit 194. Aderfigur 339. Adenin 25. Adipocire 199. Akkommodationsbreite 332. Akkommodationslinie 332. Akkommodationsmechanismus 333. Akkommodationsmuskel 335. Akkord 380. Albumin 19. Albuminoide 22. Alexine 45. Alkoholische Getränke 213. Allantoin 26. Allantois 441. Alloxan 200. Amboß 369. Ameisensäure 29. Amidartige Körper 24. 201. Amidulin 146. Ammen 429. Ammetropie 335. Amnion 440.
Amnioten 441. Amöboide Bewegungen 40. Amphioxus lanceolatus 11. 31. 436. Ampullen 373. Amylum s. Stärke. Anästhesie 397. Analgesie 398. Analytische Prozesse 7. Anamnia 445. Anelektrotonus 289. Anode 244. Ansatzrohr 276. Anspannüngszeit des Ventrikels 56. Antagonisten 265. Aortenbögen 448. Aphasie 409. Apianatische Flächen 338. Apnoe 103. Apomorphin 160. Arbeit, äußere 249. „ innere 249. Arbeiter (Bienen) 425. A r b e i t s s a m m l e r v. PICK 250.
Area pellucida, A. opaca 437; A. vasculosa 438. Arsen 15. Arten, ihre Entstehung 9. Arteria umbilicalis 442. Arteriae omphalo-mesenteriae 450. Arterien 61. Arterienblut 85. Arthrodie 267. Asparaginsäurc 151. Asphyxie 108. Aspiration des Thorax 65. 101. Assimilation 5. 199. Associationsfasem 404. Asterias glacialis, Ei von Ast. 430U
456
Register.
Astigmatismus 338. Ataxie, cerebellare 412. „ spinale 399. Atembewegungen 93. Innervation d. A. 103; konkomitierende A. 103. Atemmuskeln 98. Atemnerven 99. Atemzug 94. Atmen in fremden Gasen, in verdichteter und verdünnter Luft 91. Atmung, Chemie d. A. 81. „ Mechanik d. A. 93. „ Wirkung auf den Blutdruck 65. 103. Atmungscentrum 104. 404. Atmungsgeräusche 101. Atmungsluft und ihre Untersuchung 81. Atmungstypus 97. Atropin 113. Auge 324; schematisches 327; reduziertes 329; Äquator d. A. 353; Meridiane 353; Achse d. A. 325; Höhenachse 354; Querachse 354. Augenbewegungeu 353. Augenbrauen 366. Augendrehpunkt 354. Augenhintergrund 339. Augenleuchten 339. Augenlidschluß 403. Augenmuskeln 356. Augenspiegel 341. Ausgaben des Körpers 221. Austreibungszeit d. Ventrikels 56. Auswanderung d. weißen Blutkörper 40. Automatie 388. Bandwurm 429. Bauchpresse 160. Bauchspeichel 122. Bauchwand, Bildung derselben 444. Becherzellen 166. Beckendarmhöhle 440. Befruchtung 428. Begattung 428. Begattungscentruin b. Frosch 391. Beißen 155. Belegzellen der Magendrüsen 115. BELL-MAOENDtEScher Lehrsatz 303. Benzoesäure 26. 202. Benzol, Fütterung von B. 201. Beschleunigungsnerven 460. Bewegungslehre, allgemeine 239. „ spezielle 264. Bier 218. Bildungsdotter(Vitellus formativus)430. Bilifuscin 118. Bilihumin 118. Biliprasin 118. Bilirubin 23. 118.
Biliverdin 23. 118. Binnenzellen 396. Biogenetisches Grundgesetz 10. Biuretreaktion 128. 147. Blasenwurm 429. Blastoporus 435. Blei 15. Blickebene 354. Blickfeld 354. Blicklinie 354. Blickpunkt 354. Blut 31. Blutbewegung 47. Blutdruck 66. Blutfarbstoff 23. 35. Blutgase 85. Blutgefäßinner vation 75. Blutgerinnung 41. Blutkörperchen, rote 32, weiße 39. Blutkrystalle 35. 37. Blutkuchen 32. Blutmenge 46. Blutplasma 41. 197. Blutserum 32. 44. Blutwasser s. Blutserum. Bogengänge 378. Brechungsexponent 325 Brechweinstein 160. Brennebene 326. Brennpunkt 326. Brenzkatechin 201. Brillen 335. Brot 215. Brunstzeit 429. Brustdrüse 205. Brustkorb 93. Brusttöne 280. Butter 209. Buttersäure 29. Butyrin 29. C siehe auch K. Calabar 113. Calcium 15. Canalis cochleae 373. Capron-, Capryl-, Caprinsäure 30. Carbamid 24. Carbonate 18. Case'in 21. Cellulose 29. Centraiorgane, nervöse 386. Centralzellen der Speicheldrüsen 112. Centrosoma 432. Centrum 388. Centrum anospinale 391. „ ciliospinale 342. 392. „ vesicospinale 391. Cerealien 214'. Cerealin 215.
Register. Cerebrin 24. 186. Chemie d. Gewebe 185. Chlor to. Chloral 144. 392. Chlorkalium 17. Chlornatrium 17. Chloroform 144. 392. Chlorophyll 6. Chlorwasserstoffsäure 17. 115. Cholalsäure 23. 120. Cholesterin 23. 118. Cholin 23. Chondrin 22. Chorda dorsalis 11. 440. Chorda tympani 113. 306. Chorioidea 339. Chorion 440. Chromatische Abweichung 336. Chylus 176. Chylusgefäße 164. 174. Chymus 148. Ciliarmuskel 335. CLARK Esche Säulen 3 9 5 . Clitoris 451. Coitus 428. Col lateralen 395. Cölom 437. Colostrumkörperchen 208. Columella 370. Contraoktave 375. Cornea 325. Corpora cavernosa 430. CoETisches Organ 372. Costaltypus der Atmung 97. Curare 113. 245. Cyanverbindungen 201. Cysticercus 432. Darmatmung 80. Darmbewegungen 161. Darmdrüsenblatt 436. Darmfaserplatte 438. Darmfisteln 152. Darmfurche 440. Darmnabel 444. Darmrinne 440. Dannrohr 440. Darmsaft 124. Darmverdauung 150. 153. Darmzotten 165. DiEwiNsche Theorie 10. Decidua 441. Deckfarbe des Blutes 45. Defäkation 172; Centrum d. D. 394. Degeneration der Nerven 304. „ sekundäre 417. Dendriten 389. Denken 390. Descehdenzlehre 9.
457
Deutoplasma 430. Dextrin 29. 146. Diabetescentrum 190. Diabetes mellitus 189. Diabetesstich 190. Diastole 59. Differentialmanometer 56. Differenz, kleinste 423. Differenztöne 380. Dikrotie 64. Dilatator iridis 342. Dioptrik des Auges 324. Diphthongen 283. Discs 240. Discus oophorus 429. Disdiaklasten 240. Dissonanz 387. Doppelbilder, Vernachlässigung ders. 364. Dotter 430. Dottergang 439. Dotterhaut 431. Dottersack 439. Dottersackkreislauf 448. Drohnen 425. Druck in der Lunge 101. Druckpunkte 321. Drucksinn 320. Ductus Botalli 449. Ductus Cuvieri 449. Ductus venosus Arantii 450. Durakkord 380. Durst 322. Dyspnoe 103. Ectodenn 10. 436. Giablösung 425. Eibildung 425. Eier 213. Eierstock 425. Eihüllen 439. Einfachsehen 361. Eisen 15. Eiweißkörper 18. Eizelle 9. 427. Ekel 322. Elastin 22. Elastizität der Muskeln 212. Elektrische Fische s. Zitterfische. „ Nerven 300. „ Organe 300. Platte 301. Elektrotonus 289. 297. Embryonalkreislauf 450. Emmetropie 335. Empfindungscentrum 315. Empfindungskreise 319., Emulsion von Öl 167. Endolymphe 371,
458
Register.
Endplatte, motorische 286. Energie der Lage oder potentielle E. 3. ,, derBewegung od. kinetische E. 3. „ spezifische 315. Entladungshypothese 299. Entoderm 435. Entoptische Erscheinungen 339. Entwickelung 430. Epiblast 435. Erbrechen 159. Erhaltung der Kraft oder der Energie, Gesetz der 2. Ermüdung des Auges 346. „ „ Muskels 251. Ermüdungsstoffe 251. Ernährung, einseitige 205. Erregbarkeit des Muskels 250. „ der Nerven 294. E r s p a r n i s t h e o r i e v o n VOIT 199.
Erstickung 107. Erythrodextrin 146. Eupnoe 103. Eustachische Trompete 374. Exkremente 171. Exkrete 127. Exspiration 94. Extremitäten, Entwickelung ders. 453. Falsettöne 280. F a r b e des Blutes 45. Farben 347. Farbenblindheit 351. Farbenempfindung, Theorien der 350. Farbenkreisel 350. Farbenmischung 349. Faserstoff 20. 41. Faserzelle, kontraktile 360. Federmanometer 70. Fermentationen 200. Fermente 27. 200. Fernpunkt 332. Fettbildung 199. Fette 29. Fettsäuren 29. Fibrin s. Faserstoff. Fibrinogene Substanz 20. 41. Fibrinoplastische Substanz 20. 41. Fieber 229. Fisteltöne s. Falsettöne. Fixieren 332. Fleck, blinder 344. „ gelber 329. 346. Fleisch 210. Fleischbrühe 212. Fleischmilchsäure 30. 241. Fleischprismen 240. Flimmerzellen $63. Flüstersprache 283. Fluor 15.
Fluorcalcium 18. Follikel 194. Foramen, ovale 449. Formatio reticularis 396. Formveränderung des Thorax 95. Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung im Muskel 247, im Nerven 291. Fremdkörperpneumonie 314. Fruchthof 11. 436. Fruchtwasser 444. Fruchtzucker 29. Fühlsphäre 407. Furchung 433. Furchungskern 432. Furchungskugeln 433. Furchungszellen 433. Fußgelenk 273. Gärungen 27. 200. Gärungsmilchsäure 30. Gärungspilz 200. Galle 117. Gallenbereitung 120. Gallenfarbstoffe 23. 118. Gallensäuren 23. 118. Gallensteine 122. Gangliengrau 404. Ganglienzellen 387. Gase im Blute s. Blutgase. „ im Verdauungskanal 154. Gastachograph 73. Gastrulation 435. Gaumenlaute 284. Geburtsakt453; Centrum desselben 454. Gedächtnis 410. Gefäßcentrum 402. Gefäßnerven 75. Gefäßreflexe 402. Gefäßsystem, Bildung desselben 447. . Gefühlssinn 317. Gegenfarben 352. Gehen 274. Gehirn 404; Entstehung desselben 451. Gehirnnerven s. Hirnnerven. Gehörempfindung 374. Gehörgang 367. , Gehörknöchelchen 369. Gehörsinn 366. Gehörswahrnehmungen 381. Gelbsucht s. Icterus. Gelenke 266. Gelenkflächen 267. Gelenkschmiere 266. Gemüse 216. Gemeingefühl 322. Generatio spontanea s. aequivoca 429. Generationswechsel 428. Genitalleisten 450. Geräusche 377.
Register. Geruchsempfindung 382. Geruchssinn 382. Geschlechtsfalten 451. Geschlechtshöcker 451. Geschlechtsorgane, Entstehung derselben 450. Geschmack, elektrischer 384. Geschmacksempfindung 383. Geschmacksknospen 384. Geschmackssinn 383. Geschwindigkeit des Blutstromes 70. Gesichtsempfindungen 343. Gesichtsfeld 353. Gesichtslinie 329. Gesichtssinn 324. Gesichtswahrnehmungen 353. Gesichtswinkel s. Sehwinkel. Getränke 216. Gewebsatmung 89. Gewürze 216. Ginglymus 269. Glanz, stereoskopischer 365. Gleichung, persönliche 420. Gliazellen 386. Globulin 20. Glottis 277. Glutin 22. Glycin 26. Glycerinphosphorsäure 24. Glykocholsäure 23. 118. Glykokoll 26. Glykogen 28. „ der Leber 188. „ des Muskels 189, 241. Glykosurie 190. GMELiNsche Reaktion 118.
GoLLSche Stränge 396.
GsAAFscher Follikel 425.
Griesmehl 214. Großhirn 404. Großhirnrindenbrückenbahn 417. Großhirnschenkelfuß 414. Grundbündel 396. Grundton 276. Guanin 25. Gymnotus electricus 300. Haarzellen. 372. Hämatin 2i. 35. Hämatogene Bildung des Gallenfarbstoffes 121. Hämatoidinkrystalle 39. Hämautographie 64. Häminkrystalle 39. Hämodromograph 73. Hämodromometer 72. Hämodynamometer 69. Hämoglobin 21. 35; quantitative Bestimmung desselben 46.
459
Hämoglobinkrystalle 37. Hämotachometer 73.
Halbmonde, GIANUZZIS 112.
Halbzirkelförmige Kanäle 371. 379. Halluzinationen 316. Hammer 369. Hangbein 274. Harmonie der Klänge 379. Harn 127. Harnausscheidung 136; Centrum ders. 394.
Harnbereitung 135. Harnbestandteile 127. Harnblase, Entstehung derselben 450. Harnfähige Substanzen 139. Harngärung 134. Harngang 450. Harnleiter 141. 450. Harnmenge, tägliche 134. Harnorgane, Entstehung ders. 450. Harnpigmente 27. 131. Harnröhre, Entstehung derselben 450. Harnsack 450. Harnsäure 25. 129. Harnsteine 134. Harnstoff 24. 128. Harnstoffbestimmung 129. Hasenscharte 446. Haube 414. Hauptebene 326. Hauptpunkt 326. Hauptzellen der Magendrüsen 115. Hautatmung 107. Hautfaserplatte 438. Hautnabel 444. Hauttalg 126. Hebel, einarmige 265. Hemialbumose 147. 206. Hemiplegie 416. Hemmungsbänder od. Hilfsbänder 267. HENRY-DALTousches Gesetz 87. Hepatogene Gallenfarbstoffbilduiig 121. Hermaphroditismus 425. Herz 49; Nebenherzen 66. Herzbeschleunigungsnerv 60. Herzdruckkurve 55. Herzganglien 57. Herahemmungsnerv59; Centr.dess.406. Herzhöhlen, Kapazität derselben 49. Herzinnervation 56. Herzklappen 49. Herzmuskel 49. Herzschlag 50. Herzstoß 53. Herzstoßkurve 55. Herzsystole, — Diastole 50. Herzthätigkeit 49. Herztöne 54. Hinterhirn 452. Hippursäure 26. 130.
460
Register.
Hirnblasen 452. Hirnganglien, Funktion der 411. Hirnneryen 304. Hoden 426. Höhlenflüssigkeiten 184. Höhlengrau, centrales 404. Hören mit beiden Ohren 382 Hörsphäre 406. Homoiothermen 230. Hornhaut s. Cornea. Hornplatten 436. Hornstoff 22. Horopter 362. Hubhöhe 249. Hüftgelenk 272. Hülle, seröse 440. Hülsenfrüchte 215. Hunger 322. Husten; Centrum f. H. 401. Hydrocephalus 410. Hydrochinon 201. Hydrolytische Spaltungen 200. Hydrops 185. Hyperästhesie 398. Hypermetropic 336. Hypoblast 435. Hypoxanthin 25. Icterus 122. Identische Netzhautpunkte 362. Inanition 223. Indifferenzpunkt 295. Indigo 131. Indikan 131. Indol 26. 131. Indoxyl 131. Inosit 28. 241. 258. Inspiration 94. Iris 341. Irradiation 347. Irrigationsstrom 109. Kältepunkte 322. Kälteschmerz 323. Käse 209. Kaffee 217. Kalialbuminat 20. Kalium 15. Kalorie 4. 233. Kaltblüter 230. Kapsel, innere 416. Kardinalebene 326. Kardinalpunkte 326. Kardinalvenen 449. Kardiograph 54. Kartoffeln 215. Kathode 244. Kauen 155 Centrum desselben 400. Kehlkopf 277.
Kehlkopfspiegel 280. Keimbläschen 430. Keimblätter 10. 435. Keimscheibe 11. 434. Keratin 22. Kiefergelenk 270. Kiemen 108. Kiemenbogen 445. Kiemenspalten 445. Kitzel 322. Klänge 276. 375. Klangfarbe 276. Klappen des Herzens 49; der Venen 66. Kleie 214. Kleinhirn 412. Kleinhirngrau 404. Kleinhirn-Seitenstrangbahnen 396. 399. Kloakenöffnung 440. Kniegelenk 273. Knochen, Entstehung derselben 453. „ Gewebe derselben 185. Knochenmark 185. Knopfgelenk 269. Knorpel, Gewebe desselben 185. Knospung,Zeugung durchKnospung424. Knotenpunkte 326. Körperfühlsphäre 408. Kohlehydrate 27. Kohlenoxyd 37. Kohlensäure 17. 44. 81. 85. Kohlenstoff 15. Kombinationstöne 380. Komplementärfarbe 349. Konsonanten 281. Konsonanz 380. Kontraktion, idiomuskuläre 247. Kontraktionswelle 247. Kontrafit, simultaner 351. „ successiver 351. Koordinierte Bewegungen 394. Kopfdarm 439. Kopftöne 280. Korrespondierende Netzhautpunkte 362. Kostmaß 220. Kot s. Exkremente. Krämpfe, allgemeine 402. Kraft, lebendige 2. Kraftmaß 4. Kreatin 25. 241. Kreatinin 25. 130. Kreislauf d. Blutes 47; intermediärer 171. „ der Tiere 79. „ des Fötus 447. Kresol 26. 130. Krystalllinse 325. Kurzsichtigkeit 335. Kymographion 70. Labdriisen 115. Labyrinth des Ohres 371.
Register. Lackfarbe des Blutes 45. Lävulose s. Fruchtzucker. Lamina reticularis 372. „ basilaris 372. Larven 428 Lateralsklerose 399. Laufen 275. Lebendige Kraft 3. Leber 117. 187. Lecithin 23. 186. Legumin 215. Leguminosen 215. Leichenwachs 199. Leitung der Erregung im Nerven 290. „ doppelsinnige 290. ,, isolierte 290. „ im Bückenmark 393. ,, im verlängerten Mark 403. „ im Gehirn 417. Leucin 26. 123. 151. Leukämie 192. Leukomai'ne 198. Linsenkern (Nucleus lentiformis) 411. Liquor pericardii, pleurae, peritonei, cerebrospinalis 184. Lippenlaute 283. Lokalisation; periphere od. exccntrischo L. d. Empfindung 316. Lokalzeichen 320. Lungenatmung 81. Lungenbewegung 100. Lungenkreislauf 48. Luxuskonsumption 226. Lymphdrüsen 194. Lymphe 180. Lymphgefäße 173. Lymphherzen 182. 393. Lymphzellen 180. 193. Mästung 199. Magenbewegung 158. Magendrüsen 115. Magensaft 115. Magenverd:iuung 147. Magnesium 15. Mälopterürus electr. 300. Maltose 28. 147. Manigebewcgung 413. Mangan 15. M A R I O T T E S Fleck s. blinder Fleck. M A B I O T T E S Gesetz 87. Mark, verlängertes 401. Markscheide 283. Markwülste 436. Medulla oblongata s. Nackenmark. Medullarplatten 436. Medullarrohr 436. MEiBOMSche D r ü s e n 126.
Melanin 23.
461
Menstruation 435. Mesoderm 435. Metamorphose, regressive 16. 24. Metazoën 9. Methämoglobin 39. Mikrocephalie 413. Mikropyle 431. Milch 205. Milchproben 209. MilchverfälschuDg 209. Milchzucker 28. 206. M I L L O N S Reagens 19. Milz 192. Mischfarben 349. Mitbewegung 424. Mitempfindung 424. Mittelhirn 452. Mittelplatte 436. Mittleres Auge 327. Molekularbewegung 262. Molken 209. Mollakkord 380. Monochromatische Abweichung 337. Monoplegie 416. Monotremen 434. Morula 10. Mucine 22. Mundgrube 445. Muscarin 63. Muskelarbeit 249. Muskelgefühl 321. Muskelirritabilität 245. Muskelkraft 248. Muskeln, blasse und rote 257. „ Chemie derselben 241. „ Entwickelung 453. „ glatte 260. ., quergestreifte 239. Muskelpliysiologie, allgemeine 239. Muskelplasma 241. Muskelplatte 438. .Muskelreizung 243. Muskelserum 241. Muskelstrom 253. Muskelton 243. Muskeltonus s. Tonus. Muskelverkürzg. 242 ; zeitl. Verlauf ders. 246; ihre Größe 248; ihre Kraft 248. Muskelzuckung 242. Mutieren 279. Mutterkuchen 443. Myographion 247. Myopie 335. Myosin 20. 241. Nabel 444. Nabelstrang 444. Nachbilder, positive und negative 346. ,, farbige 351.
462
Register.
Nachhirn 452. Nackenmark 400. Nahepunkt 332. Nahrungsdotter 430. Nahrungsklystiere 170. Nahrungsmittel 204; ihr absoluter Wert 218.
Nahrangsstoffe 204. Naht 266. Natrium 15. Negative Schwankung d. Muskelstromes 256; ihre Fortpflanzungsgeschwindigkeit 256. Negative Schwankung d. Nervenstromes 298; ihre Fortpflanzungsgeschwindigkeit 298. Nephrotomie 135. Nerven 285; Histologie 285; Endigung im Muskel 286; Chemie 286; centripetalleitende, centrifugalleitende, in tercentrale 301; des Rückenmarks 303; des Gehirns 307. Nervenendknöpfchen 318. Nervenendkolben 317. Nervenreizung 288. Nervenstrom 296. Nervenzellen 387. Nervmuskelpräparat 256. Nervus oculomotorius 304; trochlearis 305; abducens 305; facialis 306; trigeminus 307; glossopharyngeus 310; hypoglossus 311; accessorius Willisii 311; vagus 312; sympathicus 323. NESSLERS Reagens 217. Netzhaut 330. Netzhauterregung 343; Ort ders. 343; Art ders. 345; zeitlicher Verlauf ders. 346. Netzhauthorizont 354. Neurilemm 285. Neuroglia 386. Neurokeratin 286. Neuron 387. Niere 127. Niesen 401. Nikotin 60. Noeud 104. 401. Nucleine 21. Nußgelenk 268. Obertöne 276. Ölsäuren 30. Oesophagus, Bewegung desselben 156. Ohrenschmalz 126. Ohrmuschel 3ß6. Ohrtrompete 374. Oikoid 34. Oktave 375. Olein 29. Ontogenese 10. 430.
Ophthalmometer 329. Optisches System, centriertes 325. Optogramm 345. Optometer 333. Organismen 1. Ortssinn 318. Otolithen 371. Ovovitellin 21. Oxalsäure 127. 200. Oxybenzol s. Phenol. Oxydation 7. 200. Oxyhämoglobin 35. PidNische Körperchen 317. Palmitin 29. Palmitinsäure 30. Pankreassaft 122. Papillen der Haut 317; der Zunge 386. Parotis 111. Parthenogenesis 425. Partialdruck 87. Partialtöne 276. Paukenfell 367. Paukenhöhle 369. Paukentreppe 371. Pedunculus cerebri 414. Penis, Erektion 427. Pepsin 115. Peptone 20. 148. 171. Peristaltik des Oesophagus 156; des Magens und Darmes 158 und 161; der Ureteren 141. PETTENKOFERSche Reaktion 118. Pfanne 268. Pflanzen, Stoffwechsel derselben 6. Phenol 26. 130. 151. 201. Phenylhydrazin 29. 133. Phloridzin 190. Phosphate 18. Phosphor 15. Phylogenie 10. Physostigmin 113. 335. Phytophysiologie 1. Picrotoxin 144. Pilokarpin 113. 144. Piqûre 140. 190. Placenta sanguinis 32 ; Placenta uterina 442; Placenta foetalis 442. Placentarkreislauf 450. Plasma d. Blutes 41.197 ; d. Muskels 241. Pneumatische Kabinette 92. Pneumograph von MAREY 95. Poikilothermen 230. Point vital s. Noeud vital. Polkörper 431. Polyspermie 431. Polyurie 140. 403. Eostembryonaler Kreislauf 449. Presbyopiç 336.
Register. Primärstellung der Augen 35). Primitivrinne 435. Projektionsfasern 404. Protagon 24. Proteine 18. Protoplasma8; Bewegung desselben 261; Protoplasmafortsätze 387. Protozoon 9. Pseudopodien 262. Psychischelmpulse, zeitliches Verhalten derselben 419. Psychophysisches Gesetz 385. Ptoma'ine 198. Ptyalin 111. 146. 171. Pubertät 430. Puls 74. Pulsfrequenz 74. Pulßkurve 64. Pulsqualitäten 74. Pulewelle 63. Pupille 342.
PüRKiNJEsche Aderfigur 344.
PüRKiNJE-SiNSONSche Bildchen 333. Purpur 349. Pyramidenbahnen 396. 417.
Qualität der Lichtempfindung 347. Quantität der Lichtempfindung 347. Quecksilber 15. Querleitung, Zeit der Querleitung im Rückenmark 390. Quotient, respiratorischer 81.
Raddrehung des Auges 354. Raddrehungswinkel 354. Rahm 206. Randzellen der Speicheldrüsen 112. Ranzigwerden der Fette 29. Re.aktionszeit (physiologische Zeit) 419. Reduziertes Auge 329. Reflex 388; Reflexzeit 390; Reflexbewegungen, geordnete, ungeordnete 388; Reflexhemmung 390; Reflexbahn399; Reflexzellen 396. Regio olfactoria 384. R e g i s t r i e r t r o m m e l , MABEYS 5 4 .
Reizwelle 256. 299. Reserveluft 96. Resonatoren 276. Resorption in der Mundhöhle und dem Magen 164; im Dünndarm 165; im Dickdarm 170; der Fette 160; der Eiweiße 168; der Kohlehydrate 169; der anorganischen Substanzen 169; der Galle in der Leber 122; interstitielle 173; durch die Haut 175.
463
Respirationsapparat 82. Respirationsluft 96. Rheotom 299. Richtungskörper 431. Richtungslinien 329. Richtungsspindel 430. Riechsphäre 407. 408. Riechstoffe 382. Riechzellen 382. Rindenfelder 408. Rohrzucker 28. 153. 169. Rollbewegungen 413. Rotblindheit 351. Rückenmark 388. Rückenmarksnerven 303. Rückenmarksseele 393. Rückenwand, Entstehung derselben 444.
Saftkanäle 174. Salze des Blutes 45. „ des Harns 128. ,, ihreBedeutungf. d. Stoffwechsel 227. „ ihre Resorption 169. Salzsäure im Magensaft 17. 115. Samen 426. Samenblasen 427. Samenfäden 263. 427. Samenleiter 427. Samentasche 425. Samenzellen 263. 427. Sarcous elements 240. Sarkolemm 240. Sattelgelenk 266. Sauerstoff 15. Sauerstoffzehrung des Blutes 36. Sauropsiden 434.
SAVAmsches Rad 377.
Schallleitung 366. „ durch die Kopfknochen 373. Schamlippen, ihre Entwickelung 451. Schatten, farbige 354. Schauder 322. Scheide 428. 451. SCHEINERS V e r s u c h
331.
Schematisches Auge 327. Schielen 357. Schilddrüse 194. Schlaf 421. Schleim 125. Schleimkörperchen 125. Schließungszuckung 290. Schlingcentrum 400. Schlingen 155. Schmeckbecher 384. Schmecken 383. Schmerz 322. Schnecke 371.
464 ScHNEiDERBche Membran 446.
Register.
Schraubengelenke 272. Schritt 274. Schultergelenk 268. Schutzorgane des Auges 365 Schwangerschaft 428. Schwebungen der Töne 379. Schwefel 15. Schwefelsäure 17. 132. Schweiß 142. Schweißdrüsen 142. Schwellenwert 385. Schwellkörper 427. Schwerpunkt des Körpers 271. Schwitzcentrum 892. Seele 410. Seelenthätigkeit des Rückenmarkes 393. Sehen, deutliches 330. „ mit beiden Augen 358. Sehepithel 345. Sehhügel 412. Sehnenreflexe 391. Sehnerv 324. Sehorgan 324. Sehpurpur 345. Sehrot 345. Sehsphäre 406. Sehstoffe 346. Sehstrahl 329. Sehstrahlung 416. Sehsubstanz 352. Seilwinkel 329. Seifen 29. 166. Seitenplatten 436. Seitenstrangsklcrose 399. Seitenstränge 395. Seitenwendungswinkel 354. Sekrete 110. Sekundärstellung der Augen 354. Selbststeuerung des Herzens 52. Semilunarklappen 50. Seröse Flüssigkeiten 184. Serumalbumin 19. Silicium 15. Sinnesorgane 316. „ ihre Entwickelung 452. Sinus Morgagni 281. Sinus urogenitalis 451. Sirene 376. Skatol 26. 130. 152. Skelett 266. Spaltung,einfache200 ;hydrolitische200; oxydative 200. Spannkraft 3. Spannkraft, osmotische 202. Speichel 111. 146. Speicheldrüsen, Histologie 112. Speicheldrüsennerven 114. Speichelkörperchen 111. Spektrum 348.
Sphärische Abweichung 337. Sphygmograph 64. Spinalganglien 302. Spinalnerven s. Rückenmarksnerven. Spiralgelenk 270. Spiralwand der Schnecke 371. Spirometer 96. Spitzenstoß des Herzens 53. Splanchnicus major et minor 423. Sporen 6. Sprache 281. Sprunggelenk 273. Stabkranz 414. Stadium der latenten Reizung 247. „ der steigenden Energie 247. „ der sinkenden „ 247. Stälschen der Netzhaut 346. Stärke 29. 146. 153. Stärkemehl 214. Stammfortsatz 387. Stearin 29. Stearinsäure 29. Stehen 275. Steigbügel 370. STENSONS Versuch 251. Stereoskop 360. Stickoxyd 37. Stickstoff 15. Stimmbänder 277. Stimmbildung 278. Stimme 278. Stimmritze 277. Stimmumfang 280. Stimmwechsel 279. Stoffwechsel 5. 15. „ Bilanz 221. ,, im Hunger 222. „ bei verschiedener Ernährung 224. „ bei Arbeit 220. „ des thätigen Muskels 258. Strabismus s. Schielen. Strahlen, chemische, unsichtbare 348. „ ultraviolette 348. Strangzellen 396. Streifenhügel 411. Streifenhügelbrückenbahn 420. Stromschwankungen, elektrische 243. Stromuhr 72. Strychninwirkung 390. Stützbein 274. Sublingual-, Submaxillardrüse 111. Substanz, graue und weiße 386. Sulfate 18. S ü l z e , WHAETONSche 2 2 .
Summationstöne 380. Sympathicus 422. Symphyse 266. Synergeten 265. Synovia 266.
Register.
465
Synthetische Prozesse 7. 199. Syntonin 20. Systole des Herzens 50.
Trommelfell 368. Trompete, Eustachische 374. Tyrosin 26. 151.
Taenien 431. Talgdrüsen 126. Tambour enregistreur 54. Tapetum 339. Tastempfindungen 318. Tastfeld 319. Tastkörperchen 317. Tastsinn 318. Tastzellen 317. Taurin 26. Taurocholsäure 23. 118. Täuschungen, optische 360. Temperatur, eigene 228. „ des Blutes 230. „ der Körperhöhlen 231. „ der Haut 231. Temperatursinn 321. Tempefaturtopographie 230. Tenor 279. Tensor tympani 369. Tertiärstellung der Augen 355. Tetanometer 288. Tetanus 243. „ sekundärer vom Muskel 257. „ „ „ Nerven 298.
Uhrzeigerbewegung 413. Umlaufezeit des Blutes 74. Unterscheidungsvermögen der Netzhaut 344. Unterstützung beider Augen 364. Urachus 441. Ureteren 141. 450. Urnieren 450. Urnierengänge 450. Urwirbel 436. Urwirbelplatten 436. Urzeugung 429. Uterinnerven 391. 454. Uterus 428. 443.
,,
RiTTERScher
289.
Thee 217. Theorie der Atmung 90. „ der Tonempfindungen 377. Theorien der Farbenempfindung 350. Thermosäulen 253. Thorakometer 97. Thränen 125. Thrombusbildung 44. Thymus 194. Tiefendimension, ihre Wahrnehmung 357. Timbre 376. Tonbildung 276. Tonleiter 375. Tonus der glatten Muskeln 395. „ der quergestreiften Muskeln 395. Totenstarre 260. Toxalbumine 198. Toxine 198. Tracheen 108. Transfusion des Blutes 78. Transmutationslehre 10. Transsudate, seröse 184. Traubenzucker 27. Traum 421. Trigeminus 307. Trismus 400. Trochlearis 305. S t e i n e r , Physiologie.
V I I I . Aull.
Vagus 312. Versuch 374. Valvula bicuspidalis et tricuspidalis 50. Vasodilatatorische Nerven 77. Vasomotorische Nerven 76. „ Centren 76. 395. 405. VATEE-PACiNische Körperchen 317. Vena omphalo-mesenterica 449. „ umbilicalis 449. Venen 65. Venenklappen 66. Verbrennungswärme 235. Verdauung im allgemeinen 145. Verdauungssäfte 110. Verkürzung der Muskeln 246. Versuch des ARISTOTELES 320. Vierhügel 412. Visceralbogen s. Eiemenbogen. Visierlinie 358. Vitalkapazität der Lunge 96. Vokale 281. Vorderhim 452. Vorderhörner der grauen Substanz 394. Vorderstränge des Rückenmarks 394. Vorhof des Herzens 49. Vorhofstreppe 371. Vorkern, männlicher, weibliches 434. Vorstellungen 315. VALSALVAS
Wärme 3. „ tierische 228. „ ihre Entstehung 232. Wärmebilanz 235. Wärmebildung des Muskels 252. Wärmeregulierung 236. 30
466
Register.
Wärmepunkte 322. Wärmeschmerz 323. Wärmestarre des Muskels 259. Wärmecgntrum 238. Wahrnehmungen 313. Wandstrom 71. Warmblüter 230. Wasser 16. Wassergefäße 108. Wasserstoff 15. Wehen 454. Wein 218. Weitsichtigkeit 336. Wettstreit der Sehfelder 364. WHARTonsche Sülze 22. Wille 413. Windrohr 276. Wirbelsäule 272. Wohlgerüche 383. WoiFFSche Gänge 438. „ Körper 450. Wolfsrachen 446. Wollust 324. 430. Wurzeln der Kückenmarksnerven 303. X a n t h i n 25. 130. Xanthoprotei'nreaktion 18. Zähne 155. Zapfen der Netzhaut 343.
Zeitmessung nach P o c i l l e t 292. Zeitverhältnisse des Herzschlages 50. „ der Muskelkontraktion 246.
Zelle 8. Zerstreuungsbilder 330. Zerstreuungskreise 330. Zeugung 424. Zeugungsarten 424. Zink 15. Zitterfische 300. Zona pellucida 431. Zonula Zinnii 336. Zooid 34. Zotten des Chorion 441. „ „ Dünndarms 165. Zuckerbildung in der Leber 187. Zuckerstich 190. Zuckerproben 28. Zuckung des Muskels 242. „ sekundäre vom Muskel 257. „ „ vom Nerven 297. „ paradoxe 297. Zuckungsgesetz 290. Zuckungskurve 247. Züchtungslehre 10. Zunge 155. 386. Zungenlaute 283. Zwangsbewegungen 413. Zweizipfelversuch 291. Zwerchfell 98. Zwischenhirn 452.
Verlag von VEIT & COMP, in L e i p z i g .
LEHRBUCH [DER
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE DES MENSCHEN von
Charles Sedgwick Minot, Professor of Histology a n d H u m a n Embryology, Harvard Medical School Boston.
Deutsche Ausgabe, mit Zusätzen des Verfassers, von Dr. med. Sdndor Kaestner, Priyatdozenten an der TJniversitÄt Leipzig.
Mit 463 Abbildungen. Lex. 8. 1894. geh. 24 Jt. „ D e r Verfasser h a t sich die Aufgabe gestellt, den Stand unseres heutigen Wissens vom Werden des Menschen In allseitig umfassender Weise zur Darstellung zu b r i n g e n , u n d er h a t dieses s c h w i e r i g e U n t e r n e h m e n in h e r v o r r a g e n d e r Weise d u r c h g e f ü h r t . Als hervorragende Eigenschaften des Minot'schen Werkes sind hervorzuheben: d e r große l i t t e r a r i s c h e U m b l i c k des Verfassers, die V i e l s e i t i g k e i t seiner Auffassungen u n d die auf eine reiche eigene Anschauung gegründete U n b e f a n g e n h e i t s e i n e s k r i t i s c h e n U r t e i l e s . Minot's W e r k ist zur Zeit die r e i c h h a l t i g s t e E n t w i c k e l u n g s g e s c h i c h t e des Menschen, die wir besitzen. Man k a n n sich darin über jeden Gegenstand des weiten Gebiets Rats erholen." . Aus dem Vorwort von W. H i s .
LEHRBÜCH DER KLEINEN CHIRURGIE (Verbandlehre, Wundbehandlung, Massage u. s. w.) für
Studierende
von
und
Ärzte
Dr. Gregor Urban, Direktor
des M a r i e n k r a n k e n h a u s e s
in
Hamburg.
Mit 2 5 4 Abbildungen im Text.
8.
1896.
geb. in Ganzleinen 7 M.
Dies Lehrbuch d e r kleineff Chirurgie des langjährigen ersten Assistenten an d e r Leipziger chirurgischen Klinik enthält die therapeutische Chirurgie des täglichen Lebens. Anschließend an den auf den Universitäts-Kliniken üblichen Kursus der kleinen Chirurgie soll es zunächst ein Leitfaden f ü r die Teilnehmer an diesen Kursen sein. Es b i e t e t . a b e r dadurch wesentlich m e h r , d a ß es auch gar vieles, was an den großen Kliniken nicht gelehrt wird u n d zur Kenntnis d e r Studenten häufig n u r d u r c h besonders glückliche Umstände gelangt, behandelt, weil es sich die weitere A u f gabe gestellt h a t , dem angehenden, sowie dem in der P r a x i s stehenden Arzt ein treuer Berater bei allen Maßnahmen zu sein, die d e r Beruf täglich auf chirurgischem Gebiet an ihn stellt. U r b a n s 264 Abbildungen enthaltende kleine Chirurgie ist ein f ü r jeden P r a k t i k e r höchst nützliches, fast unentbehrliches Buch.
LEHRBUCH DER GEBÜRTSHÜLEE einschliesslich
der Pathologie und Therapie des Wochenbettes. Für praktische Ärzte und Studierende. Von
Dr. Franz v. winckel,
Professor der Gynäkologie und Director der königl. Frauenklinik, Mitglied des Obermedicinalausschusses u n d des Medicinalcomit&s an der Universität München. Mit 2 0 6 Holzschnitten im Text.
Lex.-8.
Zweite, verbessserte Auflage. 1893. geh. 22 Jt,, geb. in Halbfr. 24 Jt.
W e n n schon seither die Winckel'sche Geburtshülfe, wie dies nicht anders zu erwarten war, von Ärzten u n d Studierenden bei der W a h l unter den zahlreichen Werken gleicher Tendenz ftevor» eugt wurde, so wird dies bei d e r verbesserten zweiten Auflage noch viel mehr der Fäll sein. Es ist ein seltener Fall, daß ein ausgezeichneter Kliniker und L e h r e r noch Muße findet, in einem L e h r buch den reichen Schatz seiner Erfahrungen niederzulegen. Daneben giebt der Verfasser auch die Meinungen anderer Forscher u n d gestaltet durch vollständige Litteraturangaben und Excurse über die geschichtliche Entwickelung d e r Geburtshülfe sein W e r k zu einem erschöpfenden Lehr- u n d Nachschlagebuch. •
Verlag von VEIT & COMP, in L e i p z i g .
KOMPENDIUM DER PSYCHIATRIE für
Studierende und Ärzte von Dr. med. Otto Dornblüth. Mit Abbildungen im Text und zwei Tafeln. 8. 1894. geb. in Ganzl. 6 Jt.
Der wohlbekannte und erfahrene Verfasser des „Kompendiums der inneren Medie in", das allseitig die günstige Beurteilung und A u f n a h m e gefunden h a t , bietet mit diesem Werbe eine Psychiatrie f ü r die Bedürfnisse des praktischen A r z t e s und des Studierenden. In knappen und klaren ScQilderungen werden die wichtigsten Erscheinungen behandelt und durch Krankengeschichten, die der P r a x i s entnommen s i n d , ergänzt. Die beiden Tafeln mit T y p e n der verschiedeneu A r t e n von geistiger Störung bilden eine wertvolle Beigabe. „Parmi les manuels de médeáne mentale gui s'adressent au praticien non spécialiste, le compendium du docteur Dornblüth occupera un des Premiers, sinon le premier rang." Za Fl, Mtdieale. ISO4. X"o. 27.
WÖRTERBUCH
KLINISCHEN Kür
DER
KUNSTAUSDRÜCKE.
Studierende und Ärzte. Von Dr. med. Otto Dornblüth. 8. 1894. geb. in G-anzl. 3 Jt.
Ein für jeden Mediziner äusserst nützliches, fast unentbehrliches Büchlein. Die wissenschaftliche Medizin verwendet heute so viele nötige und unnötige F r e m d w ö r t e r und Kunstausdrücke, d a ß es auch dem Belesenen schwer w i r d , sie im Gedächtnisse zu bewahren. Das gilt noch besonders von den zahlreichen Benennungen flir K r a n k h e i t e n , S y m p t o m e u. s. w., wo der Eigenname des Entdeckers als kennzeichnend verwendet wird. Das Büchlein stellt deshalb die gebräuchlichsten Fremdwörter mit kurzer A n g a b e der Ableitung und der Bedeutung, die wichtigsten KunstausdrQcke und aus den modernen Sprachen eine Anzahl von Wörtern zusammen, die in ihrer medizinischen Bedeutung in den allgemeinen Wörterbüchern nicht vertreten sind. E s soll dadurch zugleich ein Hilfsmittel für den A r z t b i l d e n , der die Fachschriften fremder Sprachen liest.
GRUNDRISSDERHYGIENE.
Für Studierende und praktische Ärzte, Medicinal- und Verwaltungsbeamte von Dr. C a r l Plügge, o. ö. Professor der H y g i e n e und Direktor des hygienischen Instituts an der Universität Breslau.
Vierte, vermehrte und verbesserte Auflage. Mit 9 6 Figuren im Text, gr. 8. 1897. geh. 12 Jt, geb. in Ganzleinen 13 Jt. „ S e i t dem Erscheinen der ersten A u f l a g e des vorliegenden Buches, das damals den ersten V e r s u c h einer gedrängten Darstellung der modernen Hygiene repräsentierte, Bind mehrere C o m pendien der Hygiene erschienen, die vor dem „Grundriss" das voraushaben, dass sie um einiges oder gar um vieles kürzer s i n d ; ich sage voraushaben, denn in der T h a t ist es unleugbar ein V o r z u g , wenn der gleiche Inhalt in knapperer F o r m geboten wird. V o r der Bearbeitung der neuen A u f l a g e habe ich mich g e f r a g t , ob ich den „ G r u n d r i s s " nicht auch entsprechend kürzen müsse. A b e r ich habe mich dazu nicht entschliessen können. K o c h jetzt gilt n a c h meiner M e i n u n g , w a s ich in der Vorrede zur ersten Auflage ausgeführt h a b e : k n a p p gefasste Lehrsätze sind in der gegenwärtigen Entwickelungsphase der Hygiene nicht geeignet, den Lernenden zu einem eigenen Urtheil in hygienischen F r a g e n zu erziehen; vielmehr ist dazu vielfach eine ausführliche Begründung der Lehrsätze und eine Kritik der gegenteiligen Anschauungen unerlässlich. B e i zu k n a p p e r F a s s u n g wird daher ein Lehrbuch der Hygiene leicht zu einem, vorzugsweise zum Einlernen f ü r das E x a m e n geeigneten Kepetitorium. Soll dagegen das Lehrbuch Interesse .und wirkliches Verständniss f ü r die Hygiene w e c k e n , und nicht nur Studierende, sondern auch Ä r z t e und Medicinalbeamten mit dem heutigen Stande der Wissenschaft vertraut zu m a c h e n , so eignet sich nicht die compendióse Fassung, die in anderen mehr abgeschlossenen Disciplinen zulässig i s t . " Aus dem Vorwort zur vierten Auflage.