Gregor VII. und Heinrich IV. nach Canossa: Zeugnisse ihres Selbstverständnisses 9783110855739, 9783110089592


157 58 25MB

German Pages 311 [324] Year 1983

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
VORWORT
INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG
I. GREGOR VII. UND HEINRICH IV. IM FRÜHJAHR 1077
II. PAPSTTUM UND DEUTSCHES DOPPELKÖNIGTUM IN DER SPANNUNG ZWISCHEN REFORMHOFFNUNG UND HERRSCHAFTSSICHERUNG. VON DER FORCHHEIMER WAHL BIS ZUR SCHLACHT BEI MELLRICHSTADT
III. DIE UNVEREINBARKEIT VON PÄPSTLICHEM IUDICIt/M-ANSPRUCH UND SALISCHER HERRSCHERAUFFASSUNG. VON DER RÖMISCHEN NOVEMBERSYNODE 1o78 BIS ZUR WÜRZBURGER VERSAMMLUNG IM AUGUST 1o79
IV. DER ERNEUTE BRUCH ZWISCHEN GREGOR VII. UND HEINRICH IV. IM JAHR 1080
ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
ABKÜRZUNGEN
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
REGISTER
Recommend Papers

Gregor VII. und Heinrich IV. nach Canossa: Zeugnisse ihres Selbstverständnisses
 9783110855739, 9783110089592

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

ARBEITEN ZUR FRÜHMITTELALTERFORSCHUNG

ARBEITEN ZUR FRÜHMITTELALTERFORSCHUNG Schriftenreihe des Instituts für Frühmittelalterforschung der Universität Münster In Z u s a m m e n a r b e i t mit

Hans Belting, H u g o Borger, Dietrich H o f m a n n , Karl Josef Narr, Friedrich Ohly, Karl Schmid, Ruth Schmidt-Wiegand und Joachim Wollasch

h e r a u s g e g e b e n von

KARL H A U C K

9. BAND

w DE

1983 WALTER D E G R U Y T E R • BERLIN • N E W Y O R K

GREGOR VII. UND HEINRICH IV. NACH CANOSSA Zeugnisse ihres Selbstverständnisses

JÖRGEN VOGEL

w DE

G 1983

WALTER DE GRUYTER • BERLIN • NEW YORK

CIP-Kurztitelaufnahme

der Deutseben

Bibliothek

Vogel, Jörgen: G r e g o r VII. [der Siebte] und Heinrich IV. [der Vierte] nach Canossa: Zeugnisse ihres Selbstverständnisses / von J ö r g e n Vogel. — Berlin; N e w Y o r k : de Gruyter, 1983. — (Arbeiten z u r Frühmittelalterforschung; Bd. 9) I S B N 3-11-008959-9 NE: GT

D6

C o p y r i g h t 1982 b y W a l t e r de G r u y t e r & C o . , v o r m a l s G . J. G ö s c h e n ' s c h e V e r l a g s h a n d l u n g — J. G u t t e n t a g , V e r l a g s b u c h h a n d l u n g — G e o r g R e i m e r — K a r l J . T r ü b n e r — V e i t & C o m p . — P r i n t e d in G e r m a n y — Alle R e c h t e d e s N a c h d r u c k s , e i n s c h l i e ß l i c h des R e c h t s d e r H e r s t e l l u n g v o n P h o t o k o p i e n u n d M i k r o f i l m e n , v o r b e h a l t e n . D r u c k : H . H e e n e m a n n G m b H &, C o , Berlin B u c h b i n d e r : L ü d e r i t z & B a u e r , Berlin

PARENTIBUS ET UXORI

VORWORT

Diese Arbeit ist im Wintersemester 198o/81 von der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster als Dissertation angenommen worden. Für die Veröffentlichung habe ich den um die letzten Kapitel gekürzten Text geringfügig überarbeitet, wobei die neu erschienene Literatur berücksichtigt wurde. Mein Dank gilt Herrn Prof. Dr. K. Hauck für Anregungen und Hilfen sowie Herrn Prof. Dr. J. Wollasch für die Übernahme des Korreferats. Wertvolle Hinweise verdanke ich auch Herrn Prof. Dr. H. Beumann. Für die Aufnahme dieser Publikation in die 'Arbeiten zur Frühmittelalterforschung1 danke ich den Herausgebern. Frau M.E. Desch und Frau B. Dülberg danke ich für ihre Hilfe bei der Erstellung des Typoskripts. In Dankbarkeit widme ich dieses Buch meinen Eltern Ferdinand(+ 198o) und Maria Vogel sowie meiner Frau Beatrix, die mich zuletzt auch beim Lesen der Korrekturen unterstützte.

Münster, im Juli 19 82

Jörgen Vogel

INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung

I. Gregor VII. und Heinrich IV. im Frühjahr 1o77

1

. . . .

12

1. Die oberitalienischen Reformversuche Gregors VII. im Februar 1o77 und ihr Scheitern am Widerstand der lombardischen Bischöfe

12

2. Heinrichs IV. Bemühen um die Stabilisierung seiner Herrschaft in Oberi,talien und die Sicherung der Ostalpenpässe

25

3. Gregor VII., Heinrich IV. und die Fürstenopposition um Rudolf von Rheinfelden zwischen Canossa und Forchheim . . . . .

4o

4. Die Antwort Gregors VII. auf die Forchheimer Königswahl

47

II. Papsttum und deutsches Doppelkönigtum in der Spannung zwischen Reformhoffnung und Herrschaftssicherung. Von der Forchheimer Wahl bis zur Schlacht bei Mellrichstadt

53

1. Der gescheiterte Königsumritt Rudolfs von Rheinfelden durch Schwaben und die vergeblichen Reformversuche der päpstlichen Legaten bis zum Aufenthalt Bernhards von St. Viktor im Kloster Hirsau 1o77/78

53

2. Heinrich IV. als 'alter Christus'. Der Ulmer Pfingsthoftag 1o77 und die Wiederherstellung des regnum integrum nach Canossa

68

3. Gregors VII. Initiativen zur Entscheidung der deutschen Königsfrage als Reaktion auf das Scheitern der ersten Legation nach Canossa

96

4. Der Widerstand der deutschen Parteien gegen den päpstlichen Plan einer Reichsversammlung

112

III. Die Unvereinbarkeit von päpstlichem iudiaium-Anspruch und salischer Herrscherauffassung. Von der römischen Novembersynode 1o78 bis zur Würzburger Versammlung im August 1 o79 1. Gregor VII. zwischen der Reformkrise im August 1o78 und neuen Reformhoffnungen im Februar 1o79

126

.

126

2. Der wachsende Druck Heinrichs IV. auf das Gegenkönigtum Rudolfs von Rheinfelden und das Scheitern der päpstlichen Legation

15o

3. Gregor VII. und die Sachsen im Streit über das päpstliche -iudiaium in der Königsfrage

172

IV. Der erneute Bruch zwischen Gregor VII. und Heinrich IV. im Jahr 1o8o

184

1. Der zweite Bannspruch Gregors VII. über Heinrich IV. als Antwort auf die Absetzungsdrohung des salischen Königs nach der Schlacht bei Flarchheim

184

2. Die Synoden von Bamberg und Mainz: Die Absage deutscher Bischöfe an Hildebrand-Gregor VII. und ihr Aufruf zur Wahl eines neuen Papstes

198

3. Die Reichssynode von Brixen: Die Absetzung Hildebrand-Gregors VII. im Spiegel des Synodaldekrets . und die Wahl Wiberts von Ravenna zum Gegenpapst

2o9

4. Gregors VII. Bündnis mit den Normannen und sein vergeblicher Kampfaufruf wider den Gegenpapst aus Ravenna

22o

5. Die göttliche Legitimierung des salischen Königtums durch den Schlachtentod Rudolfs von Rheinfelden und Heinrichs Entschluß zum zweiten Speyerer Dombau

237

Exkurs: Das Merseburger Grabrelief Rudolfs von Rheinfelden als Deutung seines Schlachtentodes durch die sächsichen Anhänger . . .

239

Zusammenfassung und Ausblick

254

Abkürzungen

266

Quellen- und Literaturverzeichnis

267

Register

3o3

EINLEITUNG

Die Geschichte Gregors VII. und Heinrichs IV. wird eng verknüpft mit ihrer persönlichen Begegnung auf der Burg Canossa im Januar 1o77, womit die dramatischen Ereignisse der Jahre

1o76/77

ihren Höhepunkt erreichten. Der Zusammenprall der beiden Kontrahenten 1o76, der damals den universus

Romanus

orbis

erzittern

ließ^ und nach Ansicht Th. Schieffers zu den drei

"markante(n) 2 Krisen- und Wendepunkte(n)" des Hochmittelalters gehört , hatte seine Ursache in der geistig-theologischen Veränderung der Epoche des großen Streites und war in erster Linie geprägt von den Persönlichkeiten des Papstes und des Königs

. Die epochale Begegnung

zwischen ihnen auf der Burg Canossa machte schon auf die Zeitgenossen großen Eindruck4 und hat durch die Jahrhunderte bis in unsere Tage nachgewirkt . Von diesem als Wende bezeichneten Ereignis her ist es zu verstehen, daß die Untersuchung seiner Zusammenhänge und seiner Vorgeschichte in der Forschung über Gregor und Heinrich einen

zentra-

len Platz eingenommen hat. Zuletzt hat Christian Schneider ausführlich den "Dialog" beschrieben, den Papst und König von Gre1 Bonizo von Sutri, S. 6o9 Z. 12f. Vgl. Benzo von Alba, S. 642 Z. 35ff. 2 TH. SCHIEFFER, Krisenpunkte, S. 34. 3 FUHRMANN, Deutsche Geschichte, S. 72f.: "Das Ereignis von Canossa ist von den Persönlichkeiten Gregors VII. und Heinrichs IV. geprägt. ... Der Kirchenbann war in gleicher Weise Gregors ureigenes Werk wie der Gang nach Canossa das Heinrichs war". Vgl. R. SCHIEFFER, Gregor VII., S. 95 u.ö.; DERS., Entstehung, S. 2o7. In den Hintergrund gedrängt ist die Ansicht, die Auseinandersetzung sei ein Kampf zweier Rechtsauffassungen gewesen; so VON SCHUBERT, S. 74f.; vgl. KALLEN, Investiturstreit, S. 89ff.; wiederabgedruckt in: DERS., Probleme, S. 118ff. - Zu dem umfangreichen Themenkreis von der Persönlichkeit in der Geschichte seien genannt LÖWE; TELLENBACH, Bedeutung der Personenforschung; K. SCHMID, Verhältnis, mit weiterer Literatur, bes. S. 225f. Anm. 1; GEISS und allgemein FLECKENSTEIN, Otto der Große, S. 253: "Es macht Wert und Wirkung der erinnerten Geschichte aus, daß jede Gegenwart in ihr der Vergangenheit begegnet, auf der sie beruht. In dieser Begegnung treten gewöhnlich einzelne Gestalten hervor. Es sind diejenigen, die ihre Zeit in besonderem Maße geprägt, ihr die Richtung gewiesen haben und die sie deshalb vor der Geschichte repräsentieren". Diese Worte gelten auch und im besonderen von Gregor VII. und Heinrich IV. 4 Vgl. ZIMMERMANN, Canossagang; mit Zusätzen erweitert in italienischer Fassung DERS., Canossa; DERS., Canossa lo77 und Venedig 1177; SPÖRL, S. 7off.; JORDAN, Zeitalter des Investiturstreites, S. 513f.; wiederabgedruckt in: DERS., Ausgewählte Aufsätze, S. llf. HEIMPEL, S. 34 bezeichnet Canossa als "eine der mittelalterlichen Grundlagen des modernen Europa".

2

Einleitung

gors Pontifikatsbeginn 1o73 bis zu den wechselvollen Ereignissen der Jahre 1o76/77 geführt haben5. Die Fülle der Arbeiten auch zu diesem Themenkreis läßt noch deutlicher hervortreten, daß die g

Zeit nach Canossa kaum Beachtung gefunden hat , wenngleich Gregor VII. und Heinrich IV. von der Forschung ein unvermindert lebhaftes Interesse entgegengebracht wird . Diese aus der Forschungslücke resultierende Notwendigkeit, auch über das Jahr 1o77 hinaus das Verhältnis zwischen dem Papst und dem deutschen König zu beleuchten, hat noch dadurch besonderes Gewicht erhalten, daß Rudolf Schieffer soeben den Nachweis erbracht hat, daß das von Gregor VII. auf der Novembersynode 1o78 verkündete Invedas er stiturverbot das erste derartige päpstliche Dekret war, Q schon zwei Jahre später in verschärfter Form erneuerte . Ausgangspunkt unserer Untersuchung ist das Selbstverständnis Gregors VII. und Heinrichs IV. und die Frage, wie beide Persönlichkeiten auf das einschneidende Ereignis von Canossa reagiert haben, ob und inwieweit sie nach ihrer Aussöhnung einen Konsens in Kirchenfragen erzielten oder weiterhin ihre konträren Standpunkte behaupteten. F.-J. Schmale hat jüngst die "grundsätzliche Frage" gestellt, "ob Gregors Persönlichkeit und seine historische Wirkung ... überhaupt über das 1 Selbstverständnis1 erschlossen werden können". Nach seiner Ansicht ist das Wort "Selbstverständnis" ein "verhältnismäßig moderner Begriff, der das subjektive Moment gegenüber einer möglicherweise als objektiv verstandenen Ordnung zu 9

sehr betont" . Nach einer kurzen Diskussion des Kirchenbildes Gregors kommt Schmale zu dem Schluß, daß der Kirchenbegriff des Papstes "als die leidenschaftliche Zustimmung zur göttlichen Wahrheit Kirche" zu begreifen sei; aus diesem Grunde scheine 5 CH. SCHNEIDER. Er gibt S. llff. eine ausführliche Forschungsdiskussion, die sich deshalb in dieser Einleitung erübrigt. Genannt sei lediglich die Aufsatzsammlung Canossa als Wende. An jüngst erschienener Literatur zum Themenbereich Tribur und Canossa ist wichtig R. SCHIEFFER, Mailand, S. 359ff.; DERS., Entstehung, S. 153f., 2o4ff.; BEUMANN, Tribur; UNVERHAU, S. 65ff.; ULLMANN, Canossa, S. 265ff.; E. WERNER, Canossa, bes. S. 69ff. - hierzu PETER CLASSEN (HZ 22o, 1975, S. 691f.); HARALD ZIMMERMANN (MIÖG 82, 1974, S. 447f.); ULLMANN, Geschichte, S. 332 Anm. 148 -; HLAWITSCHKA, Tribur; H.M. SCHALLER, Der heilige Tag, S. 19; ZIMMERMANN, Canossagang; DERS., Canossa lo77 und Venedig 1177; BLUMENTHAL, Canossa; CAPITANI, Canossa. 6 Die letzten Untersuchungen speziell über den Zeitraum zwischen Canossa lo77 und Gregors Tod lo85 stammen aus dem Ende des 19. und dem Beginn des 2o. Jahrhunderts: MEYER VON KNONAU; SIELAFF; LÜNGEN; SANDER; REUTER. 7 GOEZ, Persönlichkeit; R. SCHIEFFER, Gregor VII.; ZIMMERMANN, Faszination; BOSHOF, Heinrich IV. 8 R. SCHIEFFER, Entstehung. Zur Sache vgl. unten S. 129ff., 196. 9 SCHMALE, Briefe Papst Gregors VII., S. 9. Zustimmend EGON BOSHOF (HZ 232, 1981, S. 149f.).

Einleitung

3

"das Geheimnis der Persönlichkeit Gregors ... nicht mehr in irgendeinem Selbstverständnis zu liegen, sondern gerade darin, daß er sich völlig dieser Objektivität der Kirche beugt"^°. Schmale drängt den individuellen Spielraum Gregors VII. zurück und stellt eine "überindividuelle und insofern objektiv erscheinende Ordnung" 11 in den Vordergrund Zweifellos wurzelten Gregor VII. und Heinrich IV. in der mittelalterlichen Ecclesia universalis, die von ihnen als objektive Ordnung anerkannt war. Doch dieses Gefüge brachten sie ins Wanken, als ihre Vorstellungen über diese Ordnung, über das Verhältnis von Regnum und Sacerdotium differierten 1 2 und schließlich nicht mehr miteinander zu vereinbaren waren . Beide Kontrahenten vertraten unterschiedliche Auffassungen über die rechte Ordnung in der Welt, die sie zwar als objektiv verstanden wissen wollten, deren Gestaltung aber ihre individuellen Züge trug. Das Ringen in den Jahren nach 1o77 um den von ihnen als recht verstandenen Ordo, das trotz zahlreicher Verständigungsversuche schließlich doch mit dem Schwert entschieden wurde, ist Gegenstand dieser Untersuchung. Dabei ist es angesichts der schon angesprochenen Tatsache, daß die Auseinandersetzung wesentlich von Gregor VII. und Heinrich IV. geprägt war, erwünscht und gerechtfertigt, die Frage nach ihrem Selbstverständnis, d.h. nach ihren geistigen Grundlagen, nach ihren (kirchen-)politischen Motiven und Intentionen bei der Wiederherstellung oder Verteidigung der rechten Ordnung zu stellen. Für Gregor VII. in dieser Hinsicht verdienstvoll sind die Arbeiten von A. Nitschke und Ch. Schneider, die in seiner tiefreligiösen Erfahrung den Grund 1und 3 die Triebfeder des päpstlichen Denkens und Handelns sehen . Dabei erfaßt die Charakterisierung Gregors als prophetischen Mahners die Persönlichkeit des Papstes 14 sicherlich nicht vollständig , sie ist aber ein signifikanter Wesenszug, der nicht nur bei seiner Papstwahl, sondern auch in späteren Krisensituationen etwa der Jahre 1o8o und 1o84 unübersehbar ist. Das Verständnis Gregors VII. wird wesentlich erleichtert durch seine Briefe, wobei der Interpretation der Bibelzita10 SCHMALE, Briefe Papst Gregors VII., S. loff., Zitat S. 13. Zum Kirchenbild Gregors vgl. GANZER sowie die mir nicht zugänglichen Arbeiten von RODIO und FORTINI. 11 SCHMALE, Briefe Papst Gregors VII., S. 9f. 12 Vgl. TELLENBACH, Libertas, S. 151ff.; GANZER, Kirchenverständnis; STRUVE, Entwicklung, S. 98ff. 13 NITSCHKE, Wirksamkeit; CH. SCHNEIDER. Vgl. R. SCHIEFFER, Gregor VII., S. 99. 14 So SCHMALE, Briefe Papst Gregors VII., S. 9 zu Ch. Schneider.

4

Einleitung

te unter Berücksichtigung der aktuellen historischen

Situation

15

erhebliches Gewicht

zukommt

Darum nähern wir uns Papst Gregor und ebenso König von den Zeugnissen, die von ihnen selbst oder ihrer

Heinrich

unmittelbaren

Umgebung stammen und bei denen ihr Einfluß spürbar zu erkennen ist, wenngleich in dieser Beziehung beide Kontrahenten vertreten

ungleich

sind.

Weniger schöpfen wir aus den Streitschriften, die in den ten beiden Jahrzehnten des standen^.

11. Jahrhunderts

letz-

in reicher Zahl ent-

Zwar greifen wir bisweilen bei einigen Ereignissen

auf

sie zurück, doch im allgemeinen sind sie minder relevant, da ihnen öfter sowohl der unmittelbare Bezug zum aktuellen

histori-

schen Geschehen als auch die notwendige Nähe zu den beiden trahenten

Kon-

fehlen.

Ein deutliches Ubergewicht hat Gregor V I I . durch seine Briefe, die zum größten Teil im Registrum Vaticanum

2 überliefert

in diesem Codex sind auch die Protokolle der päpstlichen in Rom gesammelt^

sind; Synoden

. Diese sind mit den Briefen die wichtigsten

Zeugnisse für die Intention und Intensität gregorianischer form- und Königspolitik. Gegen die Bedenken L. Santifallers

Rehat

H. Hoffmann die Forschungen von W.M. Peitz und E. Caspar bekräftigt, daß die Sammlung im Vatikanischen Archiv ein

Originalre-

gister Gregors VII. ist und zur Zeit seines Pontifikats in der 18 päpstlichen Kanzlei geschrieben wurde . Besonderes Gewicht ge-

15 Die diesbezügliche Kritik von SCHMALE, ebd. an Schneider ist nicht gerechtfertigt. Vgl. R. SCHIEFFER, Gregor VII., S. 99: Gregor VII. griff "immer wieder auf die Bibel zurück, die er natürlich nach Art seiner Zeit typologisch verstand, vor allem aber höchst real auf sich und seine Situation bezog". Zur Bedeutung der Bibelzitate in mittelalterlichen Texten vgl. die Literatur bei CH. SCHNEIDER, S. 21 Anm. 47 sowie ARDUINI, S. 467ff., 487ff. 16 Vgl. MIRBT; FAUSER; ZIESE; ROBINSON, Authority. 17 CASPAR, Register Gregors VII. (Die Registerbriefe sind im Folgenden zitiert mit Reg. und Nummer sowie Seitenangabe nach Caspar). Die außerhalb dieses Registers überlieferten Extravaganten sind ediert von JAFFE 2, S. 52off. (zitiert EC) und - mit englischer Übersetzung - COWDREY, Epistolae Vagantes (zitiert EV); hierzu kritisch und mit Ergänzungen HENNING HOESCH (HZ 217, 1973, S. 412f.); HORST FUHRMANN (DA 3o, 1974, S. 25of.); H. HOFFMANN, Register, S. 112f., 126ff. "131 Stücke, deren Auswahl auf dem objektiven Prinzip der unmittelbaren Relevanz für die deutsche Geschichte beruht" sowie 17 weitere wichtige Texte Gregors VII. liegen jetzt auch in deutscher Übersetzung vor: SCHMALE, Briefe Papst Gregors VII., Zitat S. 3. Zu den Urkunden Gregors vgl. SANTIFALLER, Quellen. 18 PEITZ, Originalregister; DERS., Register Gregors I., S. 136ff.; CASPAR, Studien; SANTIFALLER, Beiträge, S. 94ff.; H. HOFFMANN, Register, S. 86ff., mit weiterer Literatur. Vgl. R. SCHIEFFER, Tomus; GOEZ, Persönlichkeit, S. 198; K.A. FINK, S. 27. Noch 1973 hatte Santifaller Zustimmung gefunden bei GILCHRIST, Reception I, S. 71 Anm. 42. Vgl. auch die Forschungsdiskussion bei MEULENBERG, S. 9f. Zur Datierung lo73-lo84 und zur Frage der letzten Eintragung vgl. H. HOFFMANN, Register, S. 86f. mit Anm. 2.

Einleitung

5

genüber den Kanzleiausfertigungen besitzen dabei die 19 Papst

Eigendiktate

Gregors

Texte gleichen Ranges stehen uns in der Phase nach Canossa Heinrich IV. nicht zur Verfügung; aus der Zeit 1o77-1o8o

für

sind

keine königlichen Briefe ü b e r l i e f e r t 2 0 . Dadurch erhalten die 21 Diplome des salischen Herrschers besonderen Wert . Es ist das Verdienst der diplomatischen Forschung, durch Untersuchung

ein-

zelner Urkundenteile die Rechtstexte zum Sprechen gebracht zu ha22 ben

. Auch bei Urkunden kann m a n davon ausgehen, daß das, was in

der Kanzlei entsteht und sie mit dem eigenhändigen

Signum des Kö-

Herrschers23 unterworfen ist und nigs der Kontrolle des Teile verläßt, seiner Vorstellungswelt übermittelt . In ihnen kommt "eine im Selbstverständnis der Herrscher wurzelnde Ethik als programma24 tische Aussage" zum Ausdruck . Dies gilt für die Diplome Heinrichs IV. besonders dann, wenn sie von dem Notar der

salischen

Kanzlei, Adalbero C, entworfen oder verfaßt sind. 25 Diese als G o t t schalk von Aachen identifizierte Persönlichkeit hat sowohl die meisten der zwischen

1o71 und

1o84 ausgestellten Urkunden als 26 auch wichtige Briefe des salischen Herrschers verfaßt . Dies

19 Vgl. BLAUL; CASPAR, Register Gregors VII., S. XVf.; COWDREY, Epistolae Vagantes, S. XXVIIIf.; GOEZ, Persönlichkeit, S. 212ff. Zu Gregors Briefen immer noch grundlegend CASPAR, Gregor VII. 20 Die Briefe sind ediert von ERDMANN, Briefe Heinrichs IV. (zitiert: Br HIV mit Nummer und Seitenangabe nach Erdmann). Vgl. DERS. ( - VON GLADISS) ,DERS., Untersuchungen; DERS., Anfänge. Die Briefe sind auch hg. und übersetzt von SCHMALE, Quellen, S. 52ff. Die 15 Briefe Heinrichs, die SCHMALE, Fiktionen und DERS., Quellen, S. 9 als Fälschung beurteilte, sind echt; CLASSEN, Heinrichs IV. Briefe. Vgl. ROBINSON, 'Colores Rhetorici', S. 212. 21 Die Urkunden Heinrichs IV. liegen nach der Edition durch DIETRICH VON GLADISS nun nach dem Erscheinen des dritten, von ALFRED GAWLIK bearbeiteten Register- und Nachtragsbandes vollständig vor (zitiert: D HIV mit Nummer und bisweilen Seitenangabe nach von Gladiss oder Gawlik; die Nennung dieser Namen ohne Titelstichwort bezieht sich immer auf die Diplomata-Ausgabe); dazu KARL JORDAN (HZ 229, 1979, S. 68o-683) sowie schon DERS. (HZ 166, 1942, S. 591-594; 177, 1954, S. 35o-353). Vgl. VON GLADISS, Kanzlei; GAWLIK, Intervenienten; DERS., Analekten; DERS., Bedeutung. 22 Genannt seien nur die Arbeiten über Arenga und Intitulatio, weil besonders sie für Heinrichs Urkunden relevant sind: FICHTENAU, Arenga; WOLFRAM, Intitulatio I; DERS., Intitulatio II. Vgl. auch FICHTENAU, Propaganda; wieder abgedruckt in: DERS., Beiträge, S. 18ff. 23 WOLFRAM, Politik, S. 5. 24 KLEINSCHMIDT, Herrscherdarstellung, S. 54. 25 GUNDLACH; ERDMANN - VON GLADISS, bes. S. 12off. Vgl. SCHMEIDLER, Kaiser Heinrich IV., S. 5ff.; H. SCHMIDT; BRUNHÖLZL; R. SCHIEFFER, Gottschalk, Sp. 186f. 26 ERDMANN - VON GLADISS; ROBINSON, Authority, S. 64ff. Vgl. ERDMANN, Untersuchungen, bes. S. 25off.; MEUTHEN, S. 23ff.

6

Einleitung

deutet auf Gottschalks einflußreiche Stellung am königlichen Hof

27

,

so daß die historisch-aktuellen Aussagen, die der Notar bisweilen in Urkunden einfließen ließ, auch eine Antwort auf die Frage nach den Motiven Heinrichs IV. geben können. Schon die erfolgreiche Auswertung von Gottschalk-Diplomen aus den Jahren 1o73-1o76 hat 28 zu interessanten Erkenntnissen geführt Die Urkunden Heinrichs IV. können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Überlieferung an Schriftquellen von dem salischen König und seiner näheren Umgebung gerade für die Zeit 1o771o8o äußerst dürftig ist. Um dieses Defizit auszugleichen, müssen wir versuchen, aus Maßnahmen Heinrichs anläßlich herausragender Ereignisse Erkenntnisse zum Selbstverständnis und zur (kirchen-) politischen Intention des salischen Herrschers zu gewinnen. Dabei gehen wir von der Tatsache aus, daß Heinrich in Canossa sein Kö29 nigtum nicht zur Diskussion gestellt hat . Bestes Zeugnis hierfür ist das auffällige, den Canossa-Eid einleitende Ego Heinrieus rex^°. Ob daraus Gregors Anerkennung des salischen Königtums abzuleiten ist, ist hier unwichtig. Vielmehr dürfen wir die rex-Titulatio wie das ganze Insiurandum als Ergebnis von Verhandlungen ansehen, bei denen Heinrich IV. auf die Nennung seines Königstitels gedrängt und diese Forderung auch durchgesetzt hat. Das Ego Heinrieus

rex ist also als Selbstaussage des Saliers zu wer-

ten, daß er sich ohne Rücksicht auf die von Gregor ausgesprochene Absetzung nach seiner Rekonziliation als legitimen König betrachtete. Somit stellt sich gerade nach Canossa nicht die Frage, ob, sondern wie Heinrich IV. nach Uberwindung der Krise sein Königtum repräsentiert und konsolidiert hat. Doch auch in die sem Punkt ist die Uberlieferung für die sali— sehe Partei keineswegs günstig. Während von ihrer Seite nur die Weltchronik Frutolfs von Michelsberg zu nennen ist

, stammen die

ausführlichsten Schilderungen der Jahre 1o77-1o8o von ausgesprochen antisalisch eingestellten Geschichtsschreibern. Bruno von 32 Merseburg schrieb aus der Sicht der aufständischen Sachsen ,

27 Nach Ansicht CH. SCHNEIDERS, S. 17 war Gottschalk "wohl der bedeutendste Hoftheologe und Sprecher Heinrichs IV.". Dort auch Hinweise auf andere Ansichten über Gottschalk. 28 CH. SCHNEIDER, passim. Vgl. KOCH, passim, bes. S. 3off. 29 CH. SCHNEIDER, S. 2o6; BEUMANN, Tribur, S. 49f. Vgl. schon MIKOLETZKY, S. 261. 30 Reg. IV 12a (CASPAR, S. 314 Z. 23). 31 Vgl. VON DEN BRINCKEN, S. 187ff.; SCHMALE, Frutolfs und Ekkehards Chroniken, S. 4ff.; DERS., Frutolf; DENGLER-SCHREIBER, S. 34ff. 32 Vgl. KOST; SPRIGADE; SCHMALE, Quellen, S. 28ff.; DERS., Bruno von Magdeburg (Merseburg). Zu 'Sachsen' vgl. unten S. lo.

Einleitung

7

Bernold von St. Blasien und Berthold von Reichenau gehörten zu 33 den süddeutschen progregorianisch gesinnten Reformern . Diese nahmen die annalistischen Einträge nicht jährlich vor, sondern schilderten die Ereignisse 1o77-1o8o in Kenntnis der zweiten päpstlichen Bannsentenz gegen Heinrich IV. So sahen sie in 34 der Konsequenz der Worte Gregors den Salier nicht als König an Liest man ihre Berichte im Bewußtsein dieses Parteistandpunktes, bleiben sie dennoch die wichtigsten Quellen für die Ereignisse nach Canossa. Diese für den salischen König ungünstige Überlieferungslage bessert sich mit dem Wandel der politischen Konstellation im Jahre 1o8o. In den 'Mainzer Bischofsbriefen' und dem Brixener Synodaldekret können wir zum erstenmal auf zeitgenössische Texte der salischen Partei zurückgreifen, die von großer historischer Aktualität sind. Auch wenn die saliertreuen Bischöfe an der Abfassung des Dekrets beteiligt waren und vor allem die Briefe inhaltlich wesentlich bestimmt haben, geben diese Texte ebenso Auskunft über Heinrich IV. Als Zeugnis für das Selbstverständnis Heinrichs IV. nach der politischen Wende im Jahr 1o8o besitzen wir das einzigartige 35 architektonische Denkmal des Domes zu Speyer . Nachdem der er36 ste Bauabschnitt mit der Domweihe 1o6l beendet worden war , begann Heinrich IV. etwa zwanzig Jahre später mit der Erweiterung der Kirche. Die Möglichkeit und Notwendigkeit, die mittelalterliche Baukunst auch als geschichtliches Zeugnis auszuwerten, ist längst erkannt 37 . So hat man beim Speyerer Dom in der Verwendung von

33 Vgl. STRELAU, zur Chronik Bernolds S. 67ff.; SCHMEIDLER, Berthold; 0. PRINZ; G. TANGL, in: WATTENBACH - HOLTZMANN 2, S. 514ff.; VON DEN BRINCKEN, S. 158f.; SCHMALE, in: WATTENBACH - HOLTZMANN 3, S. 156*ff.,\ DERS., Reichenauer Weltchronistik, bes. S. 15off.; DERS., Berthold; SIEBEN, S. lo5ff.; ROBINSON, Bernold; DERS., Arbeitsweise, passim; DERS., Pope Gregory VII, S. 724ff. Auf Grund dieser Arbeiten wählen wir den Namen Berthold als 'Fortsetzer' seines Werkes bis lo8o, obwohl das Problem letztlich noch nicht geklärt ist. Meyer von Knonau nannte ihn den "Annalisten von lo75 an". - Zum Hintergrund mittelalterlicher Geschichtswerke vgl. MELVILLE; KLEINSCHMIDT, Erkenntniswert; SCHMALE, Mentalität. 34 ROBINSON, Pope Gregory VII, S. 728. 35 Zur älteren Forschung vgl. MEYER-SCHWARTAU; RÖTTGER. Zum neuesten Stand vgl. 9oo Jahre Speyerer Dom; KUBACH - HAAS; KUBACH, Dom 1974; DERS., Architektur, S. 114f., 154f., 382ff. Vgl. auch die Literaturzusammenstellung bei BOHLENDER. 36 Vgl. GUGUMUS, Dedicatio, S. 175ff.; L.A. DOLL, S. 19ff. 37 Vgl. BANDMANN, Architektur - dazu MARTIN GOSEBRUCH (GGA 2o8, 1954, S. 265277) -; DERS., Ikonologie, S. 7 Anm. 22 mit weiterer Literatur; BOOCKMANN, S. 34f.

8

Einleitung

Bauschmuck und Wandbehandlung einen Rückgriff auf antikische Vorbilder gesehen und sie als Ausdrucksform kaiserlicher Herr38 schaft interpretiert . Der Deutung einer bewußten Nachahmung klassischer Bauelemente ist W. Sauerländer nach der Differenzierung der Bauabschnitte mit Skepsis begegnet; er sieht in Speyer II 39 eine großartige Grablege für das salische Kaisergeschlecht Der kontroverse Forschungsstand erfordert eine Berücksichtigung des Speyerer Dombaus in unserem Rahmen, auch wenn die Fertigstellung des Gotteshauses erst Jahrzehnte später erfolgte. Im Vordergrund steht dabei die Frage, warum Heinrich IV. gerade 1080/81 daranging, die Bauarbeiten an der Speyerer Kirche wieder aufzunehmen. Der historische Zusammenhang ist dabei ebenso miteinzubeziehen wie die zu wenig beachtete Tatsache, daß der Dom, die 'erste Kirche des Reiches', der Gottesmutter Maria 4o geweiht ist. Angesichts der tiefen Marienverehrung Heinrichs verdient dieser Punkt als dritte Komponente in der Diskussion über Speyer II als Zeugnis für das Selbstverständnis des dritten Königs und Kaisers aus der Familie der Salier Beachtung. Die Quellen sind also zeitlich und bezüglich der beiden Persönlichkeiten Gregor und Heinrich unterschiedlich gewichtet, doch ist ihr Angebot groß genug, um die Frage nach dem Selbstverständnis Gregors VII. und Heinrichs IV. beantworten zu können. Diese Untersuchung des Verhältnisses zwischen Regnum und Sacerdotium in der Zeit nach Canossa bliebe jedoch unvollständig, wenn sie das deutsche Gegenkönigtum seit 1o77 und den Beginn des Gegenpapsttums 1o8o sowie die sie tragenden Kräfte unberücksichtigt ließe. Die antisalische Fürstenopposition spielte schon während der Auseinandersetzungen im Jahre 1o76 eine wichtige Rolle. Ihr eigenes Gewicht wurde noch größer durch die Erhebung Rudolfs von Rheinfelden zum Gegenkönig im März 1o77. Die Forchheimer Wahl hat jüngst in der Forschung wieder verstärktes Interesse gefunden, wobei der verfassungsgeschichtliche Aspekt im Vordergrund stand 41 . Darüber hinaus ist gegen die antigregoriani-

38 LEHMANN, Bedeutung des Investiturstreits, bes. S. 84ff.; BORNHEIM GEN. SCHILLING, S. 123ff.; CHRIST, S. lloff. 39 SAUERLÄNDER, S. 9ff. Mit LEHMANN, Bedeutung des Investiturstreits, hatte sich schon kritisch A. MEYER, S. 9off. auseinandergesetzt. 40 Vgl. dazu unten bes. S. 84, 244f., 25of., 263ff. 41 SCHLESINGER, Wahl; GIESE, S. 37ff. mit ausführlicher Forschungsdiskussion; REÜLING, S. lo4ff. JAKOBS, Rudolf von Rheinfelden, S. 87ff. sieht den Wahlgedanken von den Ideen der Kirchenreform beeinflußt. Vgl. auch UNVERHAU, S. 77ff.

9

Einleitung

sehen Publizisten, die Gregor VII. die Verantwortung für die 42 , wohl erkannt worden, daß die Forchheimer Wahl,

Wahl zuschoben

wie der Papst später selbst beteuerte, ohne sein consilium statt43 fand und nicht seinen Vorstellungen entsprach , doch blieb die Bedeutung und Wirkung des Ereignisses auf die nächsten Jahre der Auseinandersetzung zwischen Regnum und Sacerdotium unterbelichtet. Erst jüngst hat I.S. Robinson Rudolf von Rheinfelden und den ihm anhängenden Fürsten eine so hohe Bedeutung im Ringen zwischen Gregor und Heinrich beigemessen, daß er 44 die Phase 1o76-1o81 einen "three cornered struggle" nannte . Zu diesem Ergebnis war Robinson gelangt, da er über die Forchheimer Wahl hinaus auch die Beziehungen zwischen dem Papst und der antisalischen Fürstenopposition 1o77-1o8o beachtet hatte. Eindrucksvolle Zeugnisse hierfür sind die durch Bruno von Merseburg überlieferten Briefe, die der Papst an Rudolf von Rheinfelden und seine Anhänger sowie umgekehrt die Sachsen an Gregor VII. sandten. Diese Sachsenbriefe aus den Jahren 1o78/79 sind zuletzt von O.-H. Kost einer gründlichen Analyse unterzogen worden. In seiner Arbeit machte er nicht nur weiterführende Datierungsvorschläge, sondern konnte auch zeigen, daß der im sächsischen Exil lebende Salzburger Erzbischof Gebhard an der Abfassung der Schrei45 ben großen Anteil hatte . Die Bedeutung der Sachsenbriefe als wichtiger Zeugnisse in der Auseinandersetzung zwischen Regnum und Sacerdotium ist bisher jedoch nicht erkannt worden. Erst jün46 gere Arbeiten haben diesen Aspekt berücksichtigt , doch muß er noch in mehrfacher Hinsicht intensiviert werden. Wenn W. Giese die Argumentation der Sachsen als "Taktik" bezeichnet und ihr Festhalten an Rudolf von Rheinfelden "nicht aus besonders edler Gesinnung, sondern aus ihrer politischen Vorstellungswelt heraus" 47 motiviert sieht

, dann verkennt er nicht nur ihre theologisch-

kirchenrechtliche Beweisführung, an der sie auch nach Rudolfs Tod bei den Verhandlungen in Kaufungen 1o81 und Gerstungen-Berka

1o85

42 Vgl. MIRBT, S. 589. 43 Reg. VII 14a (CASPAR, S. 484 Z. 23): sine meo oonsilio-, Reg. IX 29 (CASPAR, S. 613 Z. 13): non nostro preoepto sive oonsilio. Vgl. BERGES, Gregor VII., S. 2o2ff.; CH. SCHNEIDER, S. 2o9f. 44 ROBINSON, Pope Gregory VII, S. 756. 45 KOST, S. 94ff. Auf die Vorschläge zur Datierung der Briefe wird an Ort und Stelle eingegangen; vgl. unten S. 115, 117, 12of., 173, 175f., 177. 46 ROBINSON, Pope Gregory VII, S. 735ff. ; GIESE, S. 52ff. Der Datierung der Briefe muß allerdings eine höhere Bedeutung beigemessen werden, als es GIESE, S. 52 Anm. 215 tut. 47 GIESE, S. 53, 56.

1o

Einleitung

festhielten und die von der Sorge um das Seelenheil beim Umgang mit Gebannten bestimmt war; er läßt auch die verschiedenen Richtungen und Gruppierungen, die sich hinter der umfassenden Bezeichnung 'Sachsen' verbergen, unberücksichtigt. Denn sie schließt nicht allein die im östlichen Stammesterritorium ansässigen geistlichen und weltlichen Fürsten ein, sondern in dieser Bezeichnung sind auch die Reformanhänger Gregors VII. inbegriffen, die ihr Bistum verlassen hatten und vor Heinrich IV. in das nördliche Herzogtum geflohen waren, wie Altmann von Passau, Adalbero von Würzburg, Gebhard von Salzburg u.a. Dadurch, daß der Salzburger Erzbischof als Mitverfasser der Sachsenbriefe erkannt ist, steigt die Bedeutung dieser im sächsischen Exil lebenden Reformbischö48 fe . Die theologische Ausrichtung der Sachsenbriefe wird bestätigt durch die bisher nicht beachteten Bibelzitate, die gerade in den von Bruno, Kapitel 11o und 115 überlieferten Schreiben auffallen. Ihre Interpretation trägt entscheidend zum Verständnis der Texte und damit der Beziehungen der Sachsen zu Gregor VII. bei. Schließlich beleuchten die Briefe nicht allein das Verhältnis zwischen dem Papst und den Sachsen, sondern auch zwischen diesen und Heinrich IV. Sie geben Auskunft darüber, wie die Sachsen die Herrschaft des Saliers nach dem päpstlichen Bann 1o76 und dessen Rekonziliation in Canossa 1o77 gesehen haben. Verständlicher wird auch die Haltung Heinrichs IV. gegenüber den Sachsen und dem Papst, da der zunehmende Dissens zwischen diesen auf das politische Kalkül des Saliers nicht ohne Einfluß blieb. Das Jahr 1o8o brachte nicht nur einen erneuten Bruch zwischen Gregor VII. und Heinrich IV., sondern auch eine Wende in ihren Beziehungen. Während Gregors Anerkennung Rudolfs als König im März 1o8o ohne Dauerwirkung blieb, da der Rheinfeldener im selben Jahr starb, ließ Heinrich IV. in Brixen einen Gegenpapst wählen, den er im folgenden Jahr in Rom inthronisieren wollte. Damit wurde Gregor VII. in die Defensive gedrängt, während Heinrich IV. nach Rom ziehen konnte. Auch der Papst erkannte dies, und so beteuerte er in den folgenden Jahren immer wieder seine Kampfbereitschaft und Standfestigkeit gegenüber Heinrich IV. und Wlbert von Ravenna. 48 Neben dieser Erläuterung der personellen Zusammensetzung bedarf der in dieser Studie gebrauchte Begriff 'Sachsen' noch einer räumlichen Differenzierung. Es handelt sich hier nicht um eine umfassende Bezeichnung für das ganze sächsische Herzogtum, sondern sie beschränkt sich im wesentlichen auf den ostsächsischen Stammesraum. Dessen Bevölkerung stand auf der Seite Rudolfs von Rheinfelden, die Westfalen dagegen versagten ihm ihre Unterstützung. Vgl. HÖMBERG, S. 25ff.,- JORDAN, Sachsen, S. 547f.

Einleitung

Die Beziehungen zwischen Gregor VII. und Heinrich IV. nach Canossa waren durch das Gegenkönigtum Rudolfs von Rheinfelden seit 1o77 und das Gegenpapsttum Wiberts von Ravenna seit 1o8o geprägt. Indem wir diese gegenüber den Jahren 1o73-1o76 wichtige Veränderung der Verhältnisse in die Diskussion über Regnum und Sacerdotium nach Canossa einbeziehen, tragen wir nicht nur der Bedeutung der beiden neuen Faktoren Rechnung, sondern erhellen auch das Verhältnis zwischen Gregor VII. und Heinrich IV.; denn durch den Anspruch und die Herausforderung des Gegners war jeder von ihnen gezwungen, sein Amt und seine Herrschaft in einer von Gott gegebenen Ordnung als legitim zu erweisen.

I. GREGOR VII. UND HEINRICH IV. IM FRÜHJAHR 1o77

1. Die oberitalienischen Reformversuche Gregors VII. im Februar 1o77 und ihr Scheitern am Widerstand der lombardischen Bischöfe Im Anschluß an seine Schilderung über die Aussöhnung

zwischen

Gregor VII. und Heinrich IV. in Canossa berichtet der Chronist Arnulf von Mailand, Ende Januar 1o77 1 der populus

seien Gesandte des Mailän-

bei Gregor VII. erschienen, um wegen ihres Kontakts

mit dem exkommunizierten Erzbischof Thedald die Lossprechung zu erbitten. Daraufhin habe der Papst Anselm von Lucca und Gerald von Ostia mit dem Auftrag in die Stadt entsandt, 2 posoentibus die Absolution zu erteilen .

quibusoumque

Ein Blick in andere Quellen zeigt, daß sich die beiden Bischö-

1 Der genaue Zeitpunkt der Gesandtschaft aus Mailand ist nicht überliefert. COWDREY, Papacy, S. 41 vermutet, daß die Mailänder, ermutigt durch den Bußgang des Königs, den Papst auf der Burg Canossa aufgesucht haben. Vgl. schon PAECH, S. 62. BARNI, S. 2o4 gibt zwei Gründe für die Gesandtschaft des Mailänder populus und das erneute Aufleben der Reformer an: erstens die Exkommunikation und Absolution des Königs durch den Papst und zweitens die spätere Haltung des Saliers, der in Canossa die Vorherrschaft des Papstes und den Dictatus papae anerkannt habe. Ist dieser letzte Punkt mit Sicherheit auszuschließen, können wir dagegen annehmen, daß die reumütige Haltung des Königs auf die Mailänder Bevölkerung nicht ohne Wirkung geblieben ist. Schon ANEMÜLLER, S. 7f. sah die "verzweifelte Resignation" der königlichen Anhänger als Grund für die Absolutionsbitte an den Papst zu diesem Zeitpunkt. Unsere Datierung Ende Januar wird gestützt durch eine außerhalb des Gregor-Registers tradierte Archivüberlieferung. Aus ihr geht hervor, daß einer der beiden nach Mailand entsandten päpstlichen Legaten, Gerald von Ostia, bei der Absolution Heinrichs in Canossa anwesend war; VON GLANVELL, S. 598: Actum Canusie ... presentibus episaopis Umberto Prenestino, Giraldo Ostiensi Cardinalibus Romanis ... Vgl. CASPAR, Register Gregors VII., S. 314f. mit Anm. 3; zwischen Ostiensi und Cavdinalibus setzt er cum, das in der ältesten Handschrift D fehlt, aber in den jüngeren Codices überliefert ist. Zu den Handschriften vgl. VON GLANVELL, S. XXff. Berthold von Reichenau nennt die Bischöfe Gerald von Ostia und Hubert von Präneste, also genau die in der zitierten Quelle überlieferten Namen, als päpstliche Legaten (vgl. Anm. 3), während andere Schreiber Anselm von Lucca statt Hubert von Präneste anführen (vgl. Anm. 5 und 6). Dies legt nicht nur die Vermutung nahe, daß Berthold die Sonderüberlieferung gekannt haben kann, wobei er vielleicht auch an ihr gemeinsames Reformunternehmen lo74 in Deutschland dachte, sondern ist auch ein Zeichen dafür, daß die Legation von Canossa aus in die Lombardei entsandt wurde. 2 Arnulf von Mailand, S. 31 Z. 6ff. Vgl. MEYER VON KNONAU 2, S. 768f.; BARNI, S. 2o4; KELLER, Pataria, S. 346.

Die oberitalienischen Reformversuche Gregors VII.

13

fe auch in weiteren oberitalienischen Städten aufhielten. Sehr wertvoll ist die Chronik Bertholds von Reichenau« Er berichtet/ daß der Papst die beiden Legaten in notwendigen kirchlichen Angelegenheiten außer nach Mailand und Pavia auch in andere Städte jener Gegend entsandt habe. Ihre nicht erfolglose Tätigkeit habe schließlich in Piacenza ein Ende gefunden, da sie vom Bischof Dionysius gefangengenommen wurden^. Berthold nennt außer Mailand mit Pavia und Piacenza noch zwei weitere Städte Oberitaliens, in denen sich die päpstlichen Legaten aufgehalten haben. Nach Ber nold von St. Blasien, der die Nachricht Bertholds sehr verkürzt 4 wiedergibt und lediglich von der Gefangennahme der Bischöfe Anselm und Gerald berichtet, wurden die beiden päpstlichen Legaten spätestens Mitte Februar in Haft genommen^. Abgesehen davon, daß er Heinrich IV. dafür verantwortlich machte, läßt er uns über den Hintergrund dieser Gefangennahme im unklaren. Auch der Biograph Anselms von Lucca gibt uns keine weiterführenden Hinweise auf die Tätigkeit der beiden Legaten; er drückt sich vielmehr so mißverständlich aus, daß man den Eindruck gewinnen kann, die Boten seien gar nicht in Mailand gewesen und schon vor ihrer Ankunft in der Stadt in Gefangenschaft geraten . Wegen ihrer glorifizierenden Tendenz ist die Vita in diesem Punkte unzuverlässig und kann deshalb für unsere Fragestellung unberücksichtigt bleiben. An dem Aufenthalt Anselms von Lucca und Geralds von Ostia in Mailand gibt es aber keinen Zweifel. Denn der Chronist Arnulf verdient absolute Glaubwürdigkeit. Er war selbst Mitglied der Gesandtschaft, die dem Papst die Absolutionsbitte des Mailänder po7 pulus vortrug , und er wird mit den beiden Bischöfen wieder in seine Heimatstadt zurückgekehrt sein. An den Ereignissen war er unmittelbar beteiligt. Im übrigen gilt seine Chronik für die Zeit nach 1o18 als wichtige und ausgewogene Darstellung der Mailänder Ereignisse, da er nun nicht mehr vom Hörensagen, sondern aus eigeg ner Anschauung berichtet . Die Bedeutung der Absolutionsbitte des populus von Mailand

3 Berthold von Reichenau, S. 29o Z. 32ff. Er nennt fälschlich Hubert statt Anselm; vgl. Anm. 1. 4 Zur Benutzung Bertholds durch Bernold, der auch für diese Stelle seine Vorlage herangezogen hat, vgl. SCHMEIDLER, Berthold, S. 227. 5 Bernold von St. Blasien, S. 433 Z. 32f. Vgl. Vita Anselmi (wie Anm. 6). 6 Vita Anselmi, S. 18 Z. 3off. 7 Arnulf von Mailand, S. 31 Z. 8. 8 Vgl. PAECH, S. 6ff.; VIOLANTE, Arnolfo, S. 281f.; DILCHER, Entstehung, S. 89 Anm. 3; KAHL, Arnulf von Mailand, S. 426f.

14

Gregor VII. und Heinrich IV. im Frühjahr lo77

an den Papst wird deutlich, wenn wir kurz auf die Eigenheiten der Mailänder Kirche und ihre Beziehungen zur römischen Ecclesia eingehen. Die Kirche der oberitalienischen Metropole war sich immer ihrer eigenständigen auf Ambrosius zurückgehenden Traditionen beg wüßt . Dies wirkte auch im 11. Jahrhundert nach, als die Reformideen sich in der Lombardei, besonders aber in Mailand,nur schwer ausbreiten und zunächst kaum durchsetzen konnten. Charakteristisch für die Mailänder Kirche war ihre enge Verbindung mit den führenden Adelskreisen; sie trug "den Charakter einer reinen Adelskirche"10. Ein weiteres Merkmal war die Priesterehe, die man unter Berufung auf Ambrosius für rechtmäßig hielt, da dieser Bischof einem Christen auch nach seiner Weihe noch den Ehestand 11

zugebilligt hatte . Vor allem diese beiden Faktoren trugen dazu bei, daß die Kirche von Mailand, d.h. der Erzbischof und der hohe Klerus sowie in ihrem Gefolge der Lehensadel "aus innerer Notwendigkeit" auf der Seite des 1 deutschen Königtums standen und 2 sich gegen Reformen sträubten Die neuen Reformideen fanden in allen Schichten, vor allem aber in den unteren großen Anklang. Daß ihre Führer aus dem Adel stammten, zeigt, daß sie auch in diesem Kreis nicht ohne Wirkung blieben. Die soziale Bewegung der Pataria übernahm schon bald auch religiöses Gedankengut und rief zum Kampf gegen Simonie und Nikolaitismus auf. Damit richtete sie sich auch gegen den Bischof und hohen Klerus1'*. Entscheidenden Einfluß auf die Pataria-Bewegung gewann das Papsttum seit Alexander II., der allerdings nur 14 ihre reformerische Intention unterstützte . Zwar ging auch bei der innermailändischen Auseinandersetzung die eigenständige Tradition nicht verloren - jede der beiden Parteien, die Pataria und die hohe Geistlichkeit, beanspruchte für sich, die rechte 15 Tradition des Ambrosius fortzuführen

-, doch gelang es Gregor

VII., der schon vor seinem Pontifikat maßgebend die Beziehungen 9 Bonizo von Sutri, S. 59o Z. 32f., der von der Mailänder Kirche sagt, daß

sie fere per CC annos superbig fastu a Romang eaalesig se subtraxerat 10 11 12

13 14

15

diaione ... Vgl. dazu PEYER, Stadt, S. 25ff.; DILCHER, Entstehung, S. 115ff.; KELLER, Pataria, S. 325, mit weiterer Literatur. DILCHER, Entstehung, S. 115. PEYER, Stadt, S. 29. DILCHER, Entstehung, S. 116. T. SCHMIDT, S. 8f. nennt Beispiele, daß aus der Mailänder Domschule auch Reformerpersönlichkeiten hervorgingen. - Zu den Zuständen der Kirche in Italien vgl. DRESDNER, zu Mailand bes. S. 64ff. Vgl. DILCHER, Bischof, S. 255; KELLER, Entstehung, S. 196f-, 2ol. Vgl. ERDMANN, Entstehung, S. 127ff.; TH. SCHIEFFER, Pataria, Sp. 166; VIOLANTE, I laici, S. 64off.; wiederabgedruckt in: DERS., Studi, S. 193ff.; T. SCHMIDT, S. 9f.; ROBINSON, Friendship Network, S. 12f., der wie Erdmann, aber anders als Violante und Schmidt der Mailänder Überlieferung größeren Glauben schenkt und deshalb einen stärkeren Einfluß Alexanders II. (Übersendung der Petrus-Fahne) annimmt. PEYER, Stadt, S. 29; COWDREY, Papacy, S. 3o.

15

Die oberitalienischen Reformversuche Gregors VII.

zwischen Mailand und Rom mitgestaltet hatte 1 ®, seinen bedingungslosen Reformeifer auch auf die Pataria zu übertragen und ihr damit die einseitig religiöse Ausrichtung zu geben, die sie zunächst nicht gehabt hatte1 . Schon im Jahr seiner Papstwahl 1o73, einen Tag nach seiner Weihe, griff er in die Auseinandersetzungen um die Besetzung des Mailänder Erzstuhls ein. In einem Brief an die Getreuen des hl. Petrus in der Lombardei mobilisierte er alle zum Kampf gegen den königlichen Erzbischof Gottfried von Mailand. Dadurch, daß Gregor schon zu Beginn seines Pontifikates die Mailänder Frage aufgriff, machte er deutlich, wie wichtig ihm die Reform in der Kirche der 18

oberitalienischen Metropole war Doch die schweren Kämpfe und der Tod des Pataria-Führers Erlembald 1o75 waren nicht nur ein großer Verlust für die Bewegung; 19 auch die Position des Papsttums war stark erschüttert worden An einen Gefährten Erlembalds, den Priester Liutprand, der bei den Auseinandersetzungen an Nase und Ohr grausam verstümmelt worden war, sandte Gregor VII. einen Trostbrief . Dessen Leiden vergleicht der Papst mit der patientia der Heiligen, quos a Christi martyr

f i d e neo

gladius

C h r i s t i , eonfortare

nee in

utla

poena 21

Domino

d i v i s i t . Mit

proinde,

leitet Gregor den zweiten

Abschnitt seines Briefes ein, dessen Gedanken in die Zukunft weisen. Liutprand solle sein Priesteramt weiter ausüben, 22vor den Feinden der Kirche brauche er sich nicht zu fürchten . Der Papst versichert ihm zum Schluß den Schutz und den Beistand des apostolischen Stuhls. Falls er nach Rom komme, werde er cum gaudio et magno

honore

aufgenommen.

16 Hildebrand war schon lo57 zusammen mit Anselm von Lucca, dem späteren Papst Alexander, in Mailand gewesen, um den Streit zwischen dem königlichen Erzbischof Wido und der Pataria beizulegen. Vgl. VIOLANTE, Pataria, S. 2o5ff. und dazu FRANZ-JOSEF SCHMALE (HZ 187, 1959, S. 376-385) S. 381; T. SCHMIDT, S. 62. 17 KELLER, Pataria, S. 345f.; DERS., Entstehung, S. 196f., 2o4f.; HYDE, S. 33, 55; FOSSIER, S. 47ff.; T. SCHMIDT, S. 9f.; TENUIS, S. 177ff. 18 Reg. I 15 (CASPAR, S. 23ff.); dazu CH. SCHNEIDER, S. 33ff. Vgl. Reg. I 11 (CASPAR, S. 18 Z. 8ff.), wo Gregor VII. gegen die langobardischen Bischöfe heresis zu Felde zieht. als Verteidiger der symoniaaa 19 COVJDREY, Papacy, S. 38f.; TENUIS, S. 179. 20 EC 12 (JAFFE, S. 533f.); JL 4973. Vgl. LADNER, Two Gregorian Letters, S. 222ff.; DERS., Idea of Reform, S. 3f.; COWDREY, Papacy, S. 39. 21 EC 12 (JAFFE, S. 534). Zum Bibelzitat Eph. 6,lo, das von Jaff§ noch nicht kenntlich gemacht wurde, vgl. S. 16,17.

22 EC 12 (JAFFE, S. 534): Magis eredas in te rtu.no esse presbyteratus um; ... Seimus quidem, te ab inimiais sanotae eoalesiae semper atque a f f l i g i . Sed tu ne eos timeas neque perterrearis; ...

officiinimieari

Gregor VII. und Heinrich IV. im Frühjahr lo77

Trotz der jüngsten Ereignisse gab Gregor VII. die Sache der Pataria und die Hoffnung auf einen Reformerfolg in Mailand nicht auf. Diese Erwartung spricht auch aus zwei Briefen an die Mailänder fideles Heinrich, Arderich und Wifred, die nach dem Tode 23 Erlembalds wohl die Führung der Pataria übernommen hatten . Die beiden Dokumente stammen aus dem Jahre 1o76 und sind außer dem Liutprand-Brief die einzigen Schreiben an Getreue in Mailand aus der Zeit zwischen dem Tod Erlembalds 1o75 und der päpstlichen Gesandtschaft in die oberitalienische Metropole im Februar 1o77. Im Brief an den Ritter Wifred (Reg. III 15) berichtet 24 der , sondern

Papst nicht nur über die Beziehungen zu den Normannen

er kommt auch auf die Rolle des miles als Pataria-Führer zu sprechen. Er mahnt ihn zur Festigkeit und Treue. Für seinen Widerstand gegen den diabolus und dessen membra

sichert er ihm die Hil-

fe Roms zu. Wie in dem Liutprand-Brief steht im Mittelpunkt dieses Schreibens die Aufforderung tu itaque , karissime fili, oonfortare in Domino, die als wörtliches Paulus-Zitat in dem zweiten Brief an die drei Mailänder fideles wiederkehrt (Reg. IV 7). Mit Eph. 6,1o aonfortamini

in Domino verstärkt Gregor seinen mahnen-

den Ruf,durchzuhalten und der conspiratio

regis et

haeretioorum

25 zu widerstehen

. Das Paulus-Wort erschließt uns das tiefere Ver-

ständnis dieser Aufforderung. Wie der Apostel die innere Stärke als Grundlage und Vorbedingung für den Kampf gegen die prineipes et gegen die dieWaffenrüstung mundi rectoresschmiede, tenebrarum harum Eph. ansah, fürpotestates, den Gott selbst so wird 6,1o 26 in Gregors Briefen an die Mailänder fideles zum Kampfruf gegen die Feinde des Glaubens. Die in Reg. IV 7 unmittelbar anschließen27 de Verheißung der nahen Erlösung in Anlehnung an Luc. 21,28 offenbart eine gewisse Zuversicht und die Hoffnung auf einen baldigen Erfolg seiner Anhänger. Zum Schluß dieses Briefes versichert der Papst seinen Getreuen wiederum die Hilfe des hl. Petrus. Dieser habe schon die beiden Erzbischöfe Wido und Gottfried vom 23 Reg. III 15 (CASPAR, S. 276) vom April lo76 und Reg. IV 7 (CASPAR, S. 3o5) vom 31. Oktober lo76. DILCHER, Entstehung, S. 121 spricht von einer "Kontinuität des Führerkollegiums". ANEMULLER, S. 7 sieht Wifred an der Spitze der wieder erstarkenden Pataria, der mit Rom in Verbindung getreten war. 24 Vgl. dazu DEER, Papsttum, S. 92, 132f. 25 Reg. IV 7 (CASPAR, S. 3o5). 26 Schon in den beiden Schreiben an Erlembald, in denen es auch um die Reform der Mailänder Kirche ging, hatte Gregor das Wort des Apostels jeweils als Mahnung an den Schluß gestellt; Reg. I 25 (CASPAR, S. 42 Z. 3of.) und Reg. I 26 (CASPAR, S. 44 Z. 2ff.). Zur Bedeutung des Apostels Paulus für Gregor vgl. KEMPF, Gregorianische Reform, S. 424. 27 Reg. IV 7 (CASPAR, S. 3o5 Z. 3of.).

17

Die oberitalienischen Reformversuche Gregors VII.

Thron gestoßen, und so werde ihm auch zur Uberwindung des 'Dritten' - so nennt er verächtlich Thedald - die Kraft nicht fehlen. Gregor wiederholt die schon Liutprand gegebene Zusage zur Unter28 stutzung Damit wollen wir den kurzen Überblick über die Entwicklung der Mailänder Pataria und ihre Beziehung zum Papsttum, besonders zu Gregor VII., abschließen. Er war notwendig, um richtig einschätzen und voll ermessen zu können, was es für den Papst bedeutete, daß Anfang 1o77 Vertreter des Mailänder populus ihm die Bitte um Absolution vortrugen. Gregor hatte der Mailänder Kirche immer besondere Aufmerksamkeit gewidmet und auch - das ist in den besprochenen Briefen deutlich geworden - nach dem schweren Rückschlag von 1o75 seine Reformhoffnungen nicht aufgegeben. Die apostolische gleichsam beschwörende Durchhalteformel oonfortamini in Domino (Eph. 6,1o) in allen drei Schreiben an Mailänder Getreue unterstreicht Gregors unermüdlichen Kampf gegen die inimioi sanatae 29 eoolesiae , den er auch von seinen Anhängern immer wieder forderte . Damit kehren wir wieder zurück zu den Ereignissen am Beginn des Jahres 1o77. Noch nicht geklärt ist der von Arnulf gebrauchte Begriff populus Mediolanensium. Das Wort populus ist bei Arnulf "ständisch indifferent; es bezeichnet die Einwohnerschaft unter Einschluß der Unterschichten, oft im Gegensatz zum Klerus""^0. Diese Erläuterung ist zum Verständnis des Arnulf-Berichts hilfreich. Die Zuwendung zum Papst und die damit verbundene Abkehr vom Erzbischof und Klerus setzte sich nicht nur in der Pataria durch, sondern griff auch auf den größten Teil der Mailänder Bevölkerung über. Sie empfand Schuld für die soaietas mit dem exkommunizierten Erzbischof Thedald und erbat nun die Absolution. Ein Beispiel für diesen Umschwung ist der Chronist Arnulf, der, aus einer 31 alten Capitanenfamilie stammend, früher Gegner der Pataria war

,

nun sich aber auf ihre Seite stellte und dem Erzbischof den Rükken kehrte. Gregor VII. war zur Vergebung bereit und wies seine Legaten an, daturos

veniam

quibuseumque

posaentibus.

Wie groß

28 Zur Beziehung Gregors zu Petrus vgl. NITSCHKE, Wirksamkeit, S. 155ff.; KEMPF, Gregorianische Reform, S. 424; BRAKEL, S. 29of.; GOEZ, Persönlichkeit, S. 21lf. 29 S. 15 Anm. 22 und S. 21f. mit Anm. 54. 30 KELLER, Verfassung Mailands, S. 41. Vgl. DERS-, Entstehung, S. 198f.; DERS., Adelsherrschaft, S. 38; DILCHER, Entstehung, S. 198. Der von Arnulf später genannte Begriff civitas universa macht klar, daß populus weder allein auf die Pataria - so BEUMANN, Tribur , S. 59 - noch auf die Mailänder Geistlichkeit - so BRUNS, S. 28, 36 - eingeschränkt werden kann. 31 Ob Arnulf Kleriker war, steht nicht eindeutig fest; vgl. KAHL, Arnulf von Mailand, S. 426.

18

Gregor VII. und Heinrich IV. im Frühjahr lo77

der Wandel in der Bürgerschaft war, offenbarte nicht nur die freudige Aufnahme der päpstlichen Legaten, sondern auch die Tatsache, daß der Versuch Thedalds, eine seditio zu entfachen, 32 scheiterte

, was auf die schwindende Autorität des Erzbischofs

und den wachsenden Einfluß des Papstes schließen läßt. Diese Entwicklung hat Gregor in der Hoffnung auf Fortschritte bei der Durchsetzung seiner Reformideen zweifellos gestärkt. Denn gerade die Zustände in Mailand mußten in den Reformkreisen Anstoß erregen . Interessant ist nun die schon erwähnte Meldung Bertholds von 33 Reichenau , daß die päpstlichen Legaten nicht nur in Mailand, sondern auch in anderen Städten der Lombardei, namentlich in Piacenza und Pavia, tätig waren. Zum besseren Verständnis dieser Nachricht ist daran zu erinnern, daß es nicht nur in der oberitalienischen Metropole eine Pataria gab. Hier gewann sie zwar die größte politische Bedeutung, doch war diese Bewegung auch in anderen Städten der Lombardei lebendig. Nach der schweren Niederlage 1o75 in Mailand waren viele Patarener vertrieben worden und 34 zu ihren fratres in die Nachbarstädte geflüchtet Die Zeugnisse sind äußerst dürftig, doch scheint es nach Canossa in anderen Städten zu ähnlichen Erscheinungen wie in Mailand gekommen zu sein, wo sich die nicht der Adelsschicht angehörende Stadtbevölkerung vom königstreuen Bischof lossagte und sich Rom zuwandte. Dies dürfen wir zumindest für Pavia und Piacenza vermuten, da Berthold von Reichenau sie neben Mailand als Aufenthaltsorte der Legaten nennt. Während die Pataria in Piacenza 35 schon seit 1o67 bezeugt ist , sind wir über Pavia relativ schlecht informiert^®. Die Auflehnung richtete sich sowohl gegen den Bischof als Stadtherrn als auch gegen die weltliche Macht, die sie stützte, also gegen die Reichsgewalt, die ja zugleich der Gegner des Papsttums im Kampf um die Reform war; ergriffen von den neuen Ideen kämpften die kirchlichen Reformer aber auch gegen die der 37 Bischöfe und Kleriker, die sie mit Hilfe Roms Sittenlosigkeit beseitigen wollten 32 Arnulf von Mailand, S. 31 Z. llff. 33 S. S. 13 mit Anm. 3. 34 Vgl. Bonizo von Sutri, S. 6o5. COWDREY, Papacy, S. 39. Graf Eberhard war Ratgeber Heinrichs IV.; er stammte nicht aus dem Geschlecht der Nellenburger, wie ERNST DÜMMLER (MGH Ldl 1) S. 6o5 Anm. 5 meinte. Vgl. KUMSTELLER, S. 14o; HILS, S. 75. 35 DILCHER, Entstehung, S. 12o, 138. Vgl. COWDREY, Papacy, S. 36 mit Anm. 2. 36 Zur Einstellung des dortigen Bischofs Wilhelm gegenüber Gregor vgl. HOFF, S. 288ff. 37 GOETZ, S. 48. Vgl. DILCHER, Entstehung, S. 116f.; KELLER, Entstehung, S. 197.

Die oberitalienischen Reformversuche Gregors VII.

19

Um diese Reformkräfte zu unterstützen, waren die Legaten Anselm von Lucca und Gerald von Ostia in die lombardischen Städte gezogen - das meint Berthold mit der Formulierung pro et regimine

sanatae aecclesiae.

necessitate

Gerade auch die Auswahl der bei-

den Legaten unterstreicht unsere Annahme, daß Gregor nach Canossa versuchte, in Oberitalien aktive Reformpolitik zu betreiben. So dürften sich ihre Aufgaben nicht nur auf die Absolution der Mailänder oivitas beschränkt - vielleicht lösten sie auch in anderen Städten die Bürger vom Bann -, sondern ebenso auf die Beseitigung von Simonie und Priesterehe erstreckt haben. Gerald von Ostia, früher Mönch in Cluny, war schon 1o74 zusammen mit Hubert 38 von Praeneste mit Reformaufgaben in Deutschland betraut worden Anselm von Lucca hatte sich 1o75 im Sinne gregorianischer Reformvorstellungen verhalten, als er sein vom König übertragenes Bistum Lucca vorübergehend verließ und kurz danach von Gregor VII. ex novo investiert w u r d e ^ . Der Erfolg ihres Unternehmens scheint jedoch nicht sehr groß gewesen, letztlich sogar gescheitert zu sein. Berthold von Reichenau wählt die angesichts seiner unbedingten gregorianischen Einstellung etwas zurückhaltende und schönfärbende Formulierung, die Tätigkeit der beiden Bischöfe sei vor ihrer Festnahme non sine fruotu gewesen. Aus den scharfen Angriffen des Papstes gegen 4o die lombardischen Bischöfe ist jedoch zu schließen, daß die Gesandtschaft Anselms und Geralds seine Reformhoffnungen nicht erfüllten. Der neue Reformvorstoß des Papstes und der verstärkte Kontakt zur bischofsfeindlichen Stadtbevölkerung bedeutete für den lombardischen Episkopat eine Gefährdung seiner bischöflichen Rechte und eine Einschränkung seiner bischöflichen Gewalt. Sowohl ihre Stellung als Lehnsherrn als auch die Tatsache, daß die Bischöfe in

der Regel verheiratet waren und somit gegen das geforderte

Zölibat verstießen, machen

deutlich, warum

sie "keine Verbin41

dung zur religiösen Reformbewegung finden konnten"

. Jeder Ver-

such, die gegebene Verfassungsstruktur zu ändern sowie ihre 38 Vgl. SCHUMANN, S. 23ff. und CH. SCHNEIDER, S. 2o7, die jedoch die Gesandtschaft im Februar nicht berücksichtigen. Zu Gerald vgl. MEHNE, S. 263; HÜLS, S. loof. mit kurzer biographischer Übersicht. 39 BORINO, Monacato, S. 361ff.; VIOLANTE, Anselmo, S. 4oo; SCHWARZMAIER, Lucca, S. 4o2f.; HÜBINGER, Die letzten Worte, S. 63; MEHNE, S. 273. Anselm wurde auch in das cluniacensische Totengedächtnis aufgenommen; vgl. K. SCHMID WOLLASCH, S. 397 mit Anm. 26. 40 S. S. 21f. 41 DILCHER, Entstehung, S. 94, vgl. S. 88ff., 115f. Vgl. GOETZ, S. loff., bes. S. 19; DRESDNER, S. 24; HOFF, S. 293; ANEMÜLLER, S. 4; BOSL, Unfreiheit, S. 13.

2o

Gregor VII. und Heinrich IV. im Frühjahr lo77

geistliche und weltliche Gewalt zu verringern, mußte bei ihnen auf entschiedenen Widerstand stoßen. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte wird es klar, warum der Bischof von Piacenza die päpstlichen Legaten gefangennahm. Als 42 sie sich der Stadt näherten (profte^scerentur ), nahm er sie in Haft, um ihre päpstliche Mission und die für ihn gefährliche Verbindung mit den Reformkreisen von vornherein zu unterbinden. Schon seit Jahren lag Dionysius im 43Streit mit der Pataria, wußte sie jedoch immer im Zaum zu halten . Anselm von Lucca wurde schon

bald wieder auf freien Fuß

gesetzt, Gerald von Ostia je44 doch erst nach längerer Haft entlassen Damit war Gregors Reformversuch in Oberitalien an dem Widerstand der lombardischen Bischöfe gescheitert. Sie hatten schon wenige Wochen nach der Reichssynode vom 24. Januar 1o76 in Worms 'in noch schärferer Form als die geistlichen Fürsten45 in Deutschland dem Papst eidlich ihren Gehorsam aufgekündigt . Diesem Angriff war Gregor VII. mit ihrer Amtsenthebung und Exkommunikation auf der Fastensynode 1o76 entgegengetreten, wobei er die betroffenen Bischöfe zwar nicht einzeln nannte, aber auf die Teilnehmer der Versammlung von Piacenza verwies, die sich contra bea46 tum Petrum

apoetolorum

prvnoipem

sacvamento

verschworen hätten

Doch dies war für den oberitalienischen Episkopat kein Anlaß zur Umkehr und Buße. Während die deutschen Bischöfe vor dem Papst erschienen und in der Mehrzahl rekonziliiert wurden, sind Absolutionsbitten lombardischer 47 Bischöfe nicht bezeugt. Wegen ihrer unversöhnlichen Haltung sah Gregor auch keine Möglichkeit, sie 48 wieder in die kirchliche Gemeinschaft aufzunehmen . Wie feindselig die Bischöfe der Lombardei gegenüber dem Papst eingestellt 49 waren, können wir dem Bericht Lamberts von Hersfeld entnehmen Der Mönch schreibt, Gregor VII. habe vor der Abreise des Königs von Canossa den Bischof Eberhard von Naumburg in die Lombardei entandt, um denjenigen, die vorher mit dem exkommunizierten König zusammengekommen seien, die Absolution zu erteilen; dadurch habe 42 Berthold von Reichenau, S. 29o Z. 34. 43 Von einer eontroversia zwischen dem Bischof Dionysius und der Pataria erfahren wir schon aus einem Brief Gregors VII. vom November lo74; Reg. II 26 (CASPAR, S. 158f.). Vgl. LEHMGRÜBNER, S. 4off.; CAPITANI, Episcopato, S. 352ff. mit Anm. 83; ROBINSON, Friendship Network, S. 13. Schon Petrus Damiani warf Dionysius Verstöße gegen das Zölibat vor; vgl. DRESDNER, S. 321. 44 MEYER VON KNONAU 2, S. 769; 3, S. 92; MASSINO, S. 4o, 5of. 45 Bruno von Merseburg, S. 57 Z. 2of. Vgl. MEYER VON KNONAU 2, S. 629f. mit Quellen. Rainald von Como war in Piacenza nicht anwesend; vgl. GOEZ, Rainald von Como, S. 491. 46 Reg. III 10a (CASPAR, S. 269 Z. 4ff.). 47 Vgl. Arnulf von Mailand, S. 31 Z. 4f. 48 Vgl. unten S. 21 vor und nach Anm. 53. 49 Lambert von Hersfeld, S. 298 Z. 3ff.

21

Die oberitalienischen Reformversuche Gregors VII.

er den Salier, wenn er mit diesen Bischöfen wieder in Kontakt trete, vor einem Rückfall in den Bann bewahren wollen. Doch die 'Italiener' empörten sich und erklärten den Bannspruch des Papstes nicht nur für nichtig, sondern machten dem König ihrerseits schwere Vorwürfe. Das Beispiel Heinrichs IV. empfanden sie nicht als nachahmenswert; vielmehr

tadelten sie ihn, sie im Stich ge-

lassen und nur an seinen eigenen Vorteil gedacht zu haben. Er habe durch die Unterwerfung unter den päpstlichen Willen fidem plane catholicam3

auctoritatem

aecclesiae,

dignitatem

rei publi-

cae preisgegeben. Lambert führt also weiter aus, was Arnulf von Mailand kurz andeutet Aus Lamberts Bericht geht hervor, daß Gregor VII. ernsthaft bestrebt war, die lombardischen Bischöfe zur Rückkehr in die Kirche zu bewegen. Zweifel daran ^ sind angesichts seiner Bemühungen um Heinrich IV. nicht angebracht. Doch die Front des lombardischen Episkopats konnte auch durch einen königlichen Gesandten, den Gregor einem seiner Legaten vorgezogen hatte, nicht gelockert werden. Ende Februar 1o77 schreibt der Papst verbittert:Cumque Langobardorum

episcopi

tion et prudentiae

totius negoaii summam ad aommunem

vestrae aonsultationem

reservatam

cerent, neo de suis culpis ea quam sperabant lutionem consequi potuissent,

impunitate

quantam superbiam

Conven-

esse cognosabso-

quantosque

mali-

ciae aonatus contra nos adorsi sint ad dioendum quidem triste, ad audiendum columpnae

est abhominabile, cum Uli qui in aecclesia Dei 52 esse debuerunt non modo in compage corporis Christi

nullum locum teneant sed pertinaciter se destructores

existant

impugnatores

et quantum ad

. Gregor VII. war verärgert, daß die

Bischöfe seinem Wunsch nach Versöhnung nicht entgegenkamen. Scharf verurteilte er ihre unversöhnliche Haltung und machte deutlich, daß sie nicht, wie sie gehofft hatten, ohne Buße die Absolution erlangen könnten. Sie, die glaubensstark'in der Kirche Gottes die Säulen sein sollten', zerstörten nicht nur das corpus Christi, sondern auch sich selbst. In den Mai-Schreiben von 1o77

50 Vgl. S. 2o Anm. 47. 51 Vgl. VON GIESEBRECHT, S. 1152 mit dem Hinweis auf den Inhalt des Schreibens EC 2o. Doch berücksichtigt er nicht, daß dieser Brief nach dem Scheitern der Legatentätigkeit in Oberitalien abgefaßt ist. Anders DERS., S. 422. Ablehnend auch BENZ, S. 8of. 52 Vgl. Apoc. 3,12. Zur Deutung der Bibelstelle vgl. REUDENBACH, S. 334ff. mit Anm. 94'. Berthold von Reichenau, S. 3ol Z. 33f. bezeichnet den Erzbischof

Gebhard von Salzburg als eine inmobilis colurrma sanctae ecclesiae. Auch im Pseudoisidor taucht dieses Bild auf; ROBINSON, Periculosus 53 EC 2o (JAFFE, S. 545f.) = EV 19 (COWDREY, S. 52).

homo, S. lo9.

22

ioli

Gregor VII. und Heinrich IV. im Frühjahr

nannte der Papst die lombardischen Bischöfe inimiai religionis, t

te

unter denen er sich non

sine

magno

iperiaulo

Christiane aufhal-

54

Es ist bezeichnend, daß Gregor VII. in dem Februar-Brief, in dem er den deutschen Fürsten auch über seine Reisechancen ins deutsche Reich berichtete, die feindselige Haltung des lombardischen Episkopats erwähnte. Hier sah der Papst einen Zusammenhang. Das Verhalten der Bischöfe war ein

weiterer Faktor, von dem

eine erfolgreiche Reise Gregors über die Alpen abhing. Der Papst war also auf ihre maßvolle Einstellung angewiesen, und so wird er mit dem Angebot der Absolution unter der Voraussetzung ihrer Reue auch das Ziel verfolgt haben, sich von den Bischöfen den freien Durchgang zu den Alpenpässen und damit den Weg ins deut55 sehe Reich zu sichern , wo die antisalische Fürstenopposition auf ihn wartete. Wie Gregor den König vom Bannfluch löste und dafür als Gegenleistung das Iusiurandum von Canossa erhielt, in dem sich Heinrich zur Geleitsicherung und Reformunterstützung verpflichtete, so hat der Papst in ähnlicher Weise den exkommunizierten langobardischen Bischöfen das Angebot der Absolution gemacht, falls sie versicherten, ihm den Weg durch Norditalien nicht zu versperren. Doch die Bischöfe waren zu einem Kompromiß nicht bereit. Somit waren es drei Faktoren, die einen päpstlichen Reiseerfolg im Februar 1o77 zwar noch nicht endgültig ausschlössen, aber doch sehr in Frage stellten: die Unfähigkeit der deutschen Fürstenopposition, dem Papst sicheres Geleit zu g e b e n ^ , die erbitterte Feindschaft der lombardischen Bischöfe und die unsichere Haltung Heinrichs IV. Eigentlich konnte nur noch der König dem Papst zur Realisierung seines Ziels verhelfen, worüber sich wohl auch Gregor VII. im klaren war 57

54 Reg. IV 23 (CASPAR, S. 335 Z. l t . ) ; vgl. Reg. IV 24 (CASPAR, S. 338 Z. 16ff.). Von Bonizo von Sutri, S. 595 Z. 11 stammt das bekannte Wort von

den cervioosi

episcopi

Longobardie.

55 Diesen Zusammenhang deutet BRUNS, S. 2o an, wobei er jedoch nur auf den Bericht Lamberts zurückgreift, den wichtigen Brief Gregors VII. an die deutschen Fürsten dagegen unberücksichtigt läßt. Rainald, der Bischof von Como, das an einer wichtigen Straße zu den Alpen lag, nahm nicht eine unentschiedene Haltung ein - so BRUNS, S. 21 mit Anm. 61 -, sondern stand auf der Seite des Papstes - so GOEZ, Rainald von Como, S. 291. 56 Vgl. unten S. 45. 57 Vgl. EC 2o (JAFFE, S. 546)= EV 19 (COWDREY, S. 52), wo Gregor auf Vorwürfe gegen den König verzichtet.

Die oberitalienischen Reformversuche Gregors VII.

23

Diese Probleme werden auch Gegenstand der Unterredung gewesen sein, die am 3. Februar in Bianello zwischen Gregor VII. und Heinrich IV. unter Beteiligung Mathildes von Tuszien stattfand. Einziges Zeugnis für dieses Zusammentreffen ist die Vita Mathil58 dis, die Donizo von Canossa im Jahre 1114 abschloß . Auf Grund der Tatsache, daß die Unterredung nur in dieser relativ späten Quelle überliefert ist, war die ältere Forschung über den Wert 59 . Jüngste Arbeiten ge-

der Mitteilung Donizos geteilter Meinung

hen allgemein von der Glaubwürdigkeit der Nachricht aus^°. Da Gregor am 6. Februar in Bianello eine Urkunde ausgestellt hat®^, können wir in der Tat davon ausgehen, daß er sich schon drei Tage vorher auf der mathildischen Burg aufgehalten und mit Heinrich IV. eine Unterredung gehabt hat. sind wir nicht unÜber Inhalt und Ergebnis der Besprechung 62 dürfte auch hier die Fra-

terrichtet. Doch wie schon in Canossa

ge des salischen Königtums ausgeklammert worden sein. Das lag nicht nur in Heinrichs, sondern auch in Gregors Interesse; denn in dem von Canossa an die deutschen Fürsten gesandten Brief hatte er darauf hingewiesen, daß 6 sie an der Entscheidung über die 3 Königsfrage mitwirken sollten . Seine größte Sorge war wenige 64 Tage nach Canossa die Haltung der lombardischen Bischöfe . Sie gefährdeten nicht nur ihn selbst, sondern durch ihre Polemik gegegen die Übereinkunft mit Heinrich IV. auch die reformbereite Haltung des Königs. Da trotz der Versöhnung der prinzipielle Streit zwischen Königtum und Papsttum keineswegs beigelegt war, konnte der Salier seine Anhänger in Oberitalien - und das waren vor allem die mächtigen Bischöfe - bei seinen Entscheidungen nicht außer acht lassen. Gregors wichtigstes Anliegen bei der Unterredung in Bianello wird also darin bestanden haben, bei Heinrich IV. auf die Erfüllung seiner Versprechungen zu drängen und den König zu veranlassen, mäßigend auf die lombardischen Bischöfe einzuwirken. Dieser Punkt war insofern wesentlich, als man sich einigte, eine Reichsversammlung nach Mantua einzuberufen, 58 Donizo von Canossa, S. 382 V. 125ff. 59 Zustimmend VON GIESEBRECHT, S. 423, 1153; KILIAN, S. 76; HOLDER-EGGER, Studien, S. 553 Anm. 3; OVERMANN, S. 141. Ablehnend MEYER VON KNONAU 2, S. 766 Anm. 31; KÖHNCKE, S. 32. 60 BEUMANN, Tribur, S. 59; ZIMMERMANN, Canossagang, S. 4o, 159. 61 SANTIFALLER, Quellen, Nr. 129 S. 129ff. Zum Itinerar Gregors in Oberitalien nach Canossa vgl. RAMACKERS, Analekten, S. 56ff. und die kartographische Darstellung bei ZIMMERMANN, Canossagang, S. 3o. 62 Vgl. oben S. 6; CH. SCHNEIDER, S. 2o6; BEUMANN, Tribur, S. 5o; ZIMMERMANN, Canossagang, S. 177f. 63 Reg. IV 12 (CASPAR, S. 313 Z. 22ff.). Vgl. EC 2o (JAFFE, S. 545) = EV 19

(COWDREY, s. 52): ... ab anathematis vinoulo absolutum in gratiam communionis ewn recepimus, de oetero niehil seeum statuentes nisi quod ad eautelam et honorem ornnium vestrum fore putavimus.

64 MEYER VON KNONAU 2, S. 764.

Gregor VII. und Heinrich IV. im Frühjahr lo77

24

wo eine Vermittlung zwischen Papst und Episkopat geplant war^ 5 . Doch kam

diese Zusammenkunft nicht zustande - ein Zeichen für

die nicht zu überwindenden Gegensätze. Der Versuch, eine Annäherung zwischen Gregor und den Bischöfen herbeizuführen, war damit gescheitert. Dies bedeutete schon nach kurzer Zeit das Ende einer Phase, die für Gregor VII. mit dem Bußgang des Königs und seiner Versöhnung mit ihm so

hoffnungsvoll

begonnen hatte. Das Verspre-

chen Heinrichs IV. zur Mithilfe bei der Reform der Reichskirche^® und der Umschwung der Bevölkerung in einigen lombardischen Städten zugunsten des Papsttums hatten Gregor VII. zu einer sofortigen Reformoffensive veranlaßt. Doch nicht der König, sondern die reformfeindlichen Bischöfe widersetzten sich diesen für sie gefährlichen Bestrebungen so energisch, daß sie vor der Gefangennahme der päpstlichen Legaten nicht zurückschreckten. Es ist verständlich, daß Gregor VII. in dem Brief an die Forchheimer Fürstenversammlung Heinrich IV. schonend behandelt, das Verhalten der oberitalienischen Bischöfe dagegen mit scharfen Worten verurteilt. Angesichts ihres Widerstandes erkannte er die Notwendigkeit seiner Unterstützung durch den salischen König. Ohne ihn konnte Gregor VII. weder seine Reformpläne in Oberitalien realisieren noch auf sicherem Weg durch die Lombardei ins deutsche Reich gelangen. Heinrich IV. dagegen hatte gerade nach Canossa andere Intentionen, die von der Sorge um den Fortbestand seiner Königsherrschaft bestimmt waren.

65 Donizo von Canossa, S. 382 V. 129ff. 66 CH. SCHNEIDER, S. 2o7ff. hat anhand des Canossa-Eides Heinrichs IV. (Reg. IV 12a) und des dazugehörigen Schreibens an die Deutschen (Reg. IV 12) deutlich gemacht, daß die Abmachungen "ein neuer Versuch des Papstes (waren), den König für das große päpstliche Ziel einer Reform der Reichskirchen zu verpflichten". Nun wird klar, daß Gregor dabei an die Unterstützung des Saliers auch in Oberitalien dachte. Dafür spricht ebenfalls der Passus in dem zweiten Teil des Sicherheitseides, in dem sich Heinrich IV. verpflichtet, dem Papst, seinen Begleitern oder seinen Gesandten auf

ihren Reisen nicht nur ultra montes, sondern auch ad alias partes terrarum sicheres Geleit zu geben (Reg. IV 12a [CASPAR, S. 315 Z. 7ff.]). Die aliae partes terrarvm mußten sich nach Lage der Dinge und von Canossa oder Rom aus gesehen in erster Linie auf Oberitalien beziehen. Über Italien scheint also gesprochen, jedoch keine abschließende Vereinbarung getroffen worden zu sein; vgl. BEUMANN, Tribur, S. 5o.

Heinrichs IV. Bemühen um die Stabilisierung seiner Herrschaft

25

2. Heinrichs IV. Bemühen um die Stabilisierung seiner Herrschaft in Oberitalien und die Sicherung der Ostalpenpässe

In Bianello war es das letzte Mal, daß Heinrich IV. und Gregor VII. sich persönlich begegneten. Eine Fortsetzung der Gespräche war in Mantua geplant, wo auch die lombardischen Bischöfe erscheinen sollten, damit Mathilde von Tuszien zwischen ihnen und dem Papst vermitteln konnte®^. Dieses Treffen kam jedoch nicht zustande, so daß die Möglichkeit einer Annäherung zwischen Papst und Episkopat in weite Ferne rückte. Heinrich IV., der schon auf dem Weg nach Mantua war, mußte nun klar Stellung beziehen, da es nicht mehr möglich war, weiter zwischen den Fronten zu stehen. Zwar stellte er sich nicht ausdrücklich gegen den Papst, doch indem er nicht zu Gregor zurückkehrte, sondern sich in oberitalienische Bischöfsstädte begab, ließ der König erkennen, daß er sich den lombardischen Episkopat, der auf seine Aussöhnung mit Gregor VII. ohnehin sehr zurückhaltend, bisweilen sogar empört reagiert hatte, nicht noch mehr entfremden wollte; denn auf die Unterstützung der mächtigen Bischöfe konnte er in seiner damaligen Lage nicht verzichten. Bemerkenswert ist, daß Heinrich IV. sich zuerst nach Piacenza begab, wo mit Bischof Dionysius einer der entschiedendsten Gegner des Papstes residierte und dies wenige Tage zuvor durch die Ge68

fangennahme zweier päpstlicher Legaten bekräftigt hatte . Ob Heinrich IV. sich für Gregors Gesandte einsetzte - im Gegensatz zu Gerald von Ostia wurde Anselm von Lucca bald wieder auf freien Fuß gesetzt -, wissen wir nicht. Am 17. Februar hielt er auf einer öffentlichen Straße in der Vorstadt von Piacenza eine Gerichtssitzung, in der er die Besitzungen der bischöflichen Kirche 69 und des Stiftes St. Antonin unter seinen Bannschutz stellte Diese Maßnahme war nicht nur ein Schutz gegen Übergriffe weltlicher Fürsten, sondern wirkte angesichts der jüngsten Entwicklung auch als nachträgliche Zustimmung zur Gefangennahme der Legaten Gregors durch den Bischof Dionysius. Mit königlicher Autorität wurde der bischöfliche Besitz auch gegen Eingriffe päpstlicher Legaten geschützt. 67 Donizo von Canossa, S. 382 Z. 129ff. Vgl. VON GIESEBRECHT, S. 1153; KILIAN, S. 76f. 68 S. oben S. 13 und 2o. 69 D HIV 286; MANARESI 3, Nr. 438 S. 335ff.; HÜBNER, Nr. 1456 S. 19of.

26

Gregor VII. und Heinrich IV. im Frühjahr lo77

Zwei Wochen später, am 4. März, ist der König durch eine Urkunde in Verona bezeugt. Nun bestätigte er der bischöflichen Kirche in Parenzo ihren Besitz und verlieh ihr die Immunität . Wie lange Heinrich sich in Verona aufhielt, können wir nicht mit Sicherheit bestimmen, überhaupt ist sein Itinerar während seines Aufenthaltes in Oberitalien 1o77 sehr lückenhaft. Erst am 3. April ist er durch die in Pavia für das Salvatorkloster ausge71

stellte Urkunde

wieder bezeugt. Zuvor fanden Mitte März in Ve-

rona drei Placita statt: am 15. März unter dem72Vorsitz des italienischen Kanzlers Bischof Gregor von Vercelli , einen Tag später unter der Leitung der Bischöfe Benno von Osnabrück und Odo von Novara 73 sowie ebenfalls am 14. März erneut unter dem Vor74 sitz Gregors von Vercelli und des Königsboten Odalrich . Gibt der Aufenthalt des Kanzlers Anlaß zu der Vermutung, daß auch Heinrich IV. noch Mitte März in Verona anwesend war'\ so wird diese Annahme durch die Gegenwart Bennos von Osnabrück unterstrichen^. Beide Bischöfe befanden sich neben anderen Fürsten auch 77 in Pavia am Hof des Saliers , so daß wir umgekehrt aus ihrem Aufenthalt in Verona Mitte März auf die gleichzeitige Anwesenheit ihres Königs schließen können. Zusammen mit ihm sind die Bischöfe nach Pavia gezogen. Hier fand am 1. April ein weiteres Placitum 78 unter dem Vorsitz Bennos von Osnabrück und eines Missus statt , so daß wir die Ankunft Heinrichs spätestens bis zu diesem Tag 79 annehmen können und nicht erst für den 3. April, wie aus D HIV 293 zu schließen wäre. In der Zeit nach Canossa, während der sich Heinrich IV. in oberitalienischen Städten aufhielt, fanden sechs Placita statt, bei denen entweder der König selbst oder Bischöfe und Missi den Vorsitz führten. Durch diese intensive Gerichtstätigkeit unterstrich Heinrich, daß er weiter im Besitz der königlichen Gewalt 70 71 72 73 74 75

76

77

D HIV 29o. D HIV 291. MANARESI 3, Nr. 44o S. 34of.; F. SCHNEIDER, Nr. III S. 2oof. MANARESI 3, Nr. 441 S. 341ff.; HÜBNER, Nr. 1458 S. 191, mit falschem Datum vom lo. März. MANARESI 3, Nr. 442 S. 343ff.; HÜBNER, Nr. 1459 S. 191. Vgl. FICKER, Forschungen, S. 324. Erst a.l.s Heinrich ins deutsche Reich zog, trennten sich beide auf dem Rückweg von Pavia in Verona; dazu W. HOLTZMANN, Diplom, S. 523. Daß Benno sich während dieser Zeit am königlichen Hof aufhielt, erfahren wir aus der Vita Bennonis, S. 7o Z. loff. und von Lambert von Hersfeld, S. 3ol Z. 5ff. Benno befand sich schon auf der Burg Canossa im Gefolge des Königs; vgl. auch JOHNSON, S. 399. Vgl. MEYER VON KNONAU 3, S. 12.

Heinrichs IV. Bemühen um die Stabilisierung seiner Herrschaft

27

war. Dies war in den Tagen nach Canossa von besonderer Bedeutung. Denn die Regierungsfähigkeit und -ausübung wurde ihm von den päpstlichen Anhängern bestritten, wie die Texte der salierfeindlichen Geschichtsschreiber bezeugen®0. Von Interesse ist auch die Frage, wo Heinrich und seine Vertreter ihre Gerichtssitzungen abgehalten haben. In Piacenza fand das Placitum auf einer öffentlichen Straße in der Vorstadt statt, in Padua im Haus des dortigen Bischofs Udalrich. In Verona tagte das Gericht vor den Mauern der Stadt im Kloster S. Zeno, in Pavia ebenfalls vor der Stadt im Kloster S. Pietro in Ciel d'Oro. Diese schon unter Heinrichs Vorgängern zu beobachtende Entwicklung, daß der König und seine Vertreter ihre Placita vor den Mauern der Stadt abhielten, ist von der Forschung unterschiedlich beurteilt worden. H. Keller sieht diese Erscheinung als Fortsetzung der schon unter den Ottonen einsetzenden Entwicklung, daß im Zuge der zunehmenden Entfremdung zwischen dem Königtum und den oberitalienischen Städten der deutsche Herrscher immer mehr an Einfluß verlor und die Kommunen ihn schließlich aus den Mauern verdrängten, um nach der Verlegung der Pfalz aus der Stadt 81

auch von wirtschaftlichen Lasten befreit zu sein . Dagegen bekräftigt C. Brühl seinen Standpunkt, daß diese Verlegung der Pfalz aus dem Stadtkern vor die Mauern, wie es z.B. in Ravenna, Mailand oder Verona der Fall war, "völlig freiwillig und ohne den geringsten Druck seitens eines Grafen, Bischofs oder gar der städtischen Bevölkerung erfolgte" und "daher nicht als eine besondere Etappe in dem jahrzehntelangen Ringen zwischen Kommu82 nen und Kaiser gedeutet werden" darf Unter den Gerichtsstätten, die Heinrich und seine Vertreter nach Canossa aufgesucht haben, fällt lediglich die öffentliche Straße in der Vorstadt von Piacenza auf, wenngleich dies nicht zu voreiligen Schlüssen verleiten darf. Die Gerichtsstätten von Piacenza wechselten während der Ottonen- und Salierzeit häufig und lagen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Stadtmauern. Auf 8 3 öffentlicher Straße sprach schon 1o5o der Königsbote Wido Recht Zu bedenken ist auch, daß der dortige Bischof Dionysius ein ent80 Vgl. Bernold von St. Blasien, S. 433 Z. 28ff.; Lambert von Hersfeld, S. 292f., bes. 293 Z. llff.; Bruno von Merseburg, S. 84f., bes. 84 Z. 14ff. und Z. 29ff. Diese Historiographien machen auch durch die Erwähnung von Auflagen, die Gregor VII. dem Salier angeblich zur Buße gemacht habe, deutlich, daß sie diesem das Königsamt und damit auch die königlichen Rechte nicht zugestanden. - Zu den Placita s. auch GAWLIK, Intervenienten, S. 173ff. 81 KELLER, Gerichtsort, S. 59. Vgl. DILCHER, Entstehung, S. lo5. Ergänzend sei auch genannt SUTHERLAND. 82 BRÜHL, Königs-, Bischofs- und Stadtpfalz, S. 411, 413. Vgl. DERS., Fodrum 1, S. 485ff., bes. 49off.; DERS., Stätten, S. 636f., 64o. 83 KELLER, Gerichtsort, S. 44f.

28

Gregor VII. und Heinrich IV. im Frühjahr lo77

schiedener Gegner des Papstes war und kurz vor Heinrichs Ankunft sogar die päpstlichen Legaten in Haft genommen hatte. Warum sollte er dann nicht den Aufenthalt des Königs sichern können, zumal dieser auf die Besitzungen der bischöflichen Kirche den Bann aussprach und ihnen damit seinen Schutz verlieh. Ein gutes Einvernehmen zwischen König und Bischof liegt also näher als eine mögliche durch Canossa hervorgerufene Verstimmung, die Dionysius dazu veranlaßt hätte, dem Salier den Weg in die Stadt zu versperren. In Padua tagte das Gericht unter Vorsitz der Missi Sigefridus und Moizo im Haus und mit Erlaubnis des dortigen Bischofs Udalrich, der auch selbst anwesend war. Daraus dürfen wir schließen, daß dieses Placitum innerhalb der Stadtmauern abgehalten wurde. Drei Placita hielten königstreue Bischöfe am 13. und 14. März 84 in der sogenannten Klosterpfalz S. Zeno vor den Mauern Veronas ab. Zwar hatten im 1o. und 11. Jahrhundert auch im Bischofshof innerhalb der Stadt Placita stattgefunden, doch S. Zeno war ebenfalls eine traditionelle Gerichtsstätte, die sogar schon im 9. Jahrhundert als Gerichtsort bezeugt ist und an der 8 5 alle sieben Placita zwischen 1o41 und 1o84 abgehalten wurden • Die Wahl von S. Zeno war keine Verlegenheitslösung. Heinrichs Bischöfe hielten an derselben Stelle Gerichtssitzungen wie schon 1o21 Heinrich II. 86

und 1o27 Konrad II. '. Von einer Verdrängung des Königs aus der Stadt kann also nicht die Rede sein. Verona war im Gegenteil mit zwölf Aufenthalten die von Heinrich IV. bei weitem am häufigsten besuchte Stadt Oberitaliens 87 . Auch aus dieser Sicht ist unsere Annahme gerechtfertigt, daß Heinrich IV. während der Gerichtstage 88 Mitte März in Verona geweilt hat Das letzte Placitum während Heinrichs Aufenthalt in Oberitalien 1o77 fand am 1. April im Kloster S. Pietro in Ciel d'Oro vor den Mauern von Pavia statt. Auch an dieser Stelle war schon Recht gesprochen worden. Drei von fünf Placita 89 zwischen 1o24 und 11oo haben in diesem Kloster stattgefunden . S. Pietro lag für den König und seine Begleiter insofern nahe, als bei dem Kloster eine Pfalz lag, die seit Konrad II. den deutschen Herrschern bei ihrem 9o Aufenthalt in Pavia als Residenz diente . Da der salische König 84 Zu diesem von BRÜHL, Fodrum 1, S. 3o u.ö. eingeführten Begriff kritisch ADOLF GAUERT (Rheinische Vierteljahrsblätter 35, 1971, S. 5ol-5o4) S. 5o2f. Vgl. danach BRÜHL, Königs-, Bischofs- und Stadtpfalz, S. 4o8f.; DERS., Stätten, S. 636f., 64o. 85 KELLER, Gerichtsort, S. 58f. 86 D HII 461; MANARESI 2, Nr. 3o9 S. 626ff.; HÜBNER, Nr. 124o S. 144 und D K U 92; MANARESI 3, Nr. 326 S. llff.; HÜBNER, Nr. 1263 S. 149. 87 BRÜHL, Fodrum 1, S. 467. Vgl. MOR, S. 147f. 88 Vgl. auch S.26 nach Anm. 74. 89 KELLER, Gerichtsort, S. 54; BRÜHL, Fodrum 1, S. 492. 90 BRÜHL, "Palatium", S. 2o3ff. Vgl. DERS., Fodrum 1, S. 492.

Heinrichs IV. Bemühen um die Stabilisierung seiner Herrschaft

29

durch eine Urkunde für die Abtei S. Salvatore am 3. April in Pavia bezeugt ist, dürfen wir vermuten, daß er schon am 1. April, als Benno von Osnabrück das Placitum abhielt, im Kloster S. Pietro in Ciel d'Oro anwesend war. Denn weil das Salvatorkloster erst in Staufischer Zeit Bedeutung erlangte, hält es C. Brühl für sehr wahrscheinlich, daß die salischen Herrscher und Lothar von Supplinburg bei ihren Besuchen in Pavia im Kloster S. Pietro 91 Quartier nahmen Eine nähere Betrachtung der sechs Placita, die Heinrich IV. und seine Vertreter zwischen dem 17. Februar und 1. April in Oberitalien abgehalten haben, hat uns nicht nur Anhaltspunkte für die Ergänzung des in dieser Zeit sehr lückenhaften Itinerars des deutschen Herrschers geliefert. Darüber hinaus geben die Gerichtsurkunden Aufschluß über das salische Königtum nach Canossa. Die Placita fanden an Orten statt, die auch schon Jahrzehnte vorher als Gerichtsstätten gedient hatten. Wir haben keinen Anlaß zu der Vermutung, daß Heinrich IV. nach Canossa Positionen 92 preisgeben mußte, die noch seine Vorgänger innegehabt hatten . Diese Beobachtung wird gestützt durch die Tatsache, daß selbst die antisalischen Geschichtsschreiber nicht von Schwierigkeiten Heinrichs in Oberitalien berichten. Lambert von Hersfeld schreibt sogar, daß der König nach seiner 93 Trennung vom Papst täglich neue Anhänger in Oberitalien gewann Der Salier war entschlossen, durch Rechtsprechung seine geschwundene königliche Autorität wiederherzustellen. Dieses Bestreben, durch Betonung eines wirksamen Königtums wieder neue Anhänger zu gewinnen und sich allgemeine Anerkennung zu verschaffen, wird auch in einem anderen Fall sichtbar. In der Chronik Bertholds von Reichenau finden wir die Nachricht, daß Heinrich IV. sich in 94 Pavia iuxta ritum legis Longobardorum krönen lassen wollte Etwas modifizierter erzählt Paul von Bernried in seiner Vita Gregors VII., der König habe den Papst um sein Einverständnis gebeten, daß ihn entweder die beiden Bischöfe von Mailand und Pavia oder, da sie exkommuniziert waren, ein von Gregor zu bestimmender Bischof kröne 95 . Als geplanten Krönungsort nennt Paul Monza,

91 BRÜHL, "Palatium", S. 2o5f. Zur Zahl der Aufenthaltsorte in Pavia vgl. DERS., Fodrum 1, S. 467f. Zum Aufenthalt Heinrichs vgl. auch oben S. 26. 92 Wenn die deutschen Herrscher in den oberitalienischen Städten an Boden verloren haben - zur Kontroverse darüber vgl. die zitierten Arbeiten S. 27 Anm. 81 und 82 -, dann war das eine allmählich fortschreitende Entwicklung, die sich nicht speziell auf die ersten Jahre Heinrichs IV. fixieren läßt. 93 Lambert von Hersfeld, S. 3oof. 94 Berthold von Reichenau, S. 29o Z. 41ff. 95 Paul von Bernried, S. 525f.

3o

Gregor VII. und Heinrich IV. im Frühjahr lo77

doch geben wir in diesem Punkt der Angabe Bertholds als einer zeitgenössischen Quelle den Vorzug^®. Aber wichtiger als die strittige Frage des geplanten Krönungsortes ist die Tatsache, daß beide Zeugnisse übereinstimmend von einem Krönungsplan Heinrichs berichten, dieses Vorhaben jedoch am Widerstand des Pap97 stes gescheitert sei In diesen Zusammenhang gehört die am 4. März in Verona ausgestellte Urkunde, die durch ihre ungewöhnliche und für Heinrich einmalige Intitulatio unser besonderes Interesse weckt, zumal sie die Meldung der Historiographen über das Scheitern des KrönungsHeinrious plans zu widerlegen scheint. Die Titelformel lautet: 98 divina

favente

alementia

Franaorum

et

Longabardorum

rex

. Hein-

rich IV. führt in diesem Diplom neben dem fränkischen auch den langobardischen Königstitel, wie ihn Karl der Große im Jahre 774 übernommen hatte, um nach der Einnahme Pavias seinen Sieg über die Langobarden und die Herrschaft über Norditalien zu proklamie99 ren . Der Schreiber der salischen Urkunde scheint allerdings nicht das karolingische, sondern ein verlorenes Diplom Heinrichs II. aus den Jahren 1oo4/o5 als Vorlage benutzt zu haben. In die Kanzlei des Saliers hat der Titel keinen Eingang gefunden, denn die anderen Urkunden, die von den königlichen Schreibern während des Aufenthaltes südlich der Alpen abgefaßt wurden, haben die übliche Formel divina favente alementia rex. Das Diplom HIV 29o bildet also, was die Intitulatio anlangt, zweifellos eine Ausnahme, die uns aber nicht berechtigt, die Echtheit dieser Urkunde in Frage zu stellen^ 00 . 96 Es ist zu berücksichtigen, daß 1128, als Paul seine Gregor-Vita abschloß vgl. GREVING, S. 7; MAY, Leben, S. 344f. -, Konrad von Staufen sich in Monza zum langobardischen König krönen ließ. Dies ist "die einzig sicher bezeugte Königskrönung in Monza"; BRÜHL, Fodrum 1, S. 5oo. Pauls Formulierung, S. 525, Heinrich IV. habe sich more priorvm regvm krönen lassen wollen, projiziert die jüngsten Ereignisse auf das Jahr lo77. Diesen mos der Krönung in Monza gab es aber nicht. Vgl. auch VON GIESEBRECHT, S. 655f., 1187; PEYER, Friedrich Barbarossa, S. 441ff. 97 Nach dem Bericht Bertholds (wie Anm. 94) verlangte der Papst vor seiner Zustimmung die Freilassung seines Legaten Gerald von Ostia, der von Bischof Dionysius gefangengehalten wurde. Laut Paul von Bernried (wie Anm.95) wies totius regni Gregor VII. darauf hin, daß Heinrich IV. nur anm ooneensu legitime gekrönt werden könne. Dies entsprach dem Ziel des Papstes, die Königsfrage im Einvernehmen mit den deutschen Fürsten auf einer Reichsversammlung zu lösen. MÜLLER-.MERTENS, S. 176 sieht in der Absage ein Bestreben des Papstes, "Heinrich als König der Deutschen zu definieren". Vgl. BEUMANN, Regnum, S. 217 und unten S. 39 Anm. 157. Die grundsätzliche Zurückweisung der Überlieferung durch HAASE, S. 32ff. ist nicht gerechtfertigt. 98 D HIV 29o. 99 D K 8o vom 5. Juni 774. Vgl. WOLFRAM, Intitulatio I, S. 217ff.; CLASSEN, Karl der Große, S. 552. loo So VON GIESEBRECHT, S. 1154.

Heinrichs IV. Bemühen um die Stabilisierung seiner Herrschaft

31

Der Herrschertitel kann einen hohen politischen Aussagewert besitzen und "konkrete historische Aktualität" vermitteln 101 . Doch um dies feststellen zu können, ist zunächst die Frage zu klären, in welcher Umgebung und von welchen Schreibern die Urkunde mit der Titelformel abgefaßt wurde. So nähern wir uns auch dem Verhältnis des Herrschers zur Intitulatio. Da es sich bei dem Diplom HIV 29o um eine Empfängerausfertigung handelt, in der Heinrich IV. das Monogramm vollzogen hat 1 °^, können wir davon ausgehen, daß der Salier an der Aufnahme des Titels in die Urkunde nicht aktiv beteiligt war. Die Intitulatio, die, wie gesagt, von der salischen Kanzlei nicht verwendet wurde, berechtigt also nicht zu der Annahme, die lombardische Königskrönung habe tatsächlich stattgefunden, zumal die Berichte Bertholds von Reichenau und Pauls von Bernried anders lauten. Vielmehr ist sie als Beweis dafür zu werten, daß zur Zeit der Abfassung der Urkunde, Anfang März 1o77, der Plan der lombardischen Königskrönung bestanden hat. Der Schreiber, der als Parteigänger des Königs anzusehen ist^°\ hat von diesem Vorhaben gewußt und - voreilig - als Vorlage für die Titelformel Heinrichs IV. ein Diplom Heinrichs II. herangezogen. Gleichzeitig wollte er durch den Titel "wohl besonders die Herrschaftsrechte des deutschen Königs in Italien 1o4 hervorheben" . Da Heinrich IV. das Monogramm vollzogen hat, ist nicht auszuschließen, daß er nach Canossa die Intitulatio in jener Absicht und in der Erwartung seiner Krönung geduldet hat. Auf jeden Fall ist das Diplom insofern wertvoll, als sich mit seiner Hilfe der Plan des Königs zumindest bis nach Verona zurückverfolgen läßt. Diesen Rückschluß bestätigt das Itinerar, denn von Verona zog Heinrich nach Pavia, der alten Hauptstadt des Regnum Italiae und Krönungsstadt der langobardischen Könige 10 ^. Angesichts der Beispiele früherer deutscher Herrscher seit Karl dem Großen hatte Heinrichs Plan eine aktuelle politische Bedeutung. Pavia gehörte "nicht (zu den) Zentren von militärischer und politischer Bedeutung im modernen Sinne", sondern zählte wie Aachen und Arles zu den "rechte(n) Orte(n), an denen man nach dem Herkommen Recht anmeldet und ergreift" 106 . Daß es zu der lango101 Wolfram, Intitulatio I, S. 14. Vgl. OERS., Intitulatio II, S. loff.; ZIELINSKI, S. lo9ff. 102 VON GLADISS in der Vorbemerkung zu D HIV 29o. 103 VON GLflpiSS, Kanzlei S. 261. 104 KOCH, S. lo3. 105 Vgl. SCHULTE, Pavia; PEYER, Friedrich Barbarossa, S. 442ff.; VACCARI, Pavia, S. 33ff.; EWIG, Residence, S. 36ff.; wiederabgedruckt in: DERS., Gallien, S. 373ff.; BRÜHL, Hauptstadtproblem, S. 5o; DERS., Remarques, S. 2o3ff.; BULLOUGH, S. 94. 106 BERGES, Reich, S. 13. Vgl. auch WOLFRAM, Intitulatio II, S. 555.

32

Gregor VII. und Heinrich IV. im Frühjahr loll

bardischen Krönung nicht kam, schreiben die erwähnten

papst-

freundlichen Gewährsmänner allein der ablehnenden Haltung gors VII.

Gre-

Zwar dürfte der Papst Heinrichs Plan nicht

ge-

billigt haben, ob der Salier aber aus diesem Grund sein Vorhaben fallenließ, m u ß ernsthaft

in Frage gestellt werden, wenn man

auch

noch berücksichtigt, daß außer zahlreichen Bischöfen, die Heinrich IV. nach Canossa begleiteten

, in Pavia auch die Erzbi-

schöfe W i b e r t von Ravenna und Thedald von Mailand, die als C o r o 1 o9 natores in Betracht kamen, am salischen Hof bezeugt sind . Entscheidend dafür, daß die Königskrönung nicht stattfand, war die aus Deutschland eintreffende Nachricht von der Forchheimer

Kö-

nigswahl, von der Heinrich IV. während

in

Pavia erfahren hat

seines A u f e n t h a l t e s

° und die ihn zum unverzüglichen

Aufbruch

ins deutsche Reich veranlaßte^ ^ ^. W i c h t i g war nun auf Grund der neuen Konstellation eine le Rückkehr ins deutsche Reich. Sie schien jedoch

sehr

schnel-

schwierig

zu sein, da die süddeutschen Herzöge Rudolf von Rheinfelden und Weif von Bayern die Straßen durch die westlichen und mittleren A l p e n blockierten 1 1 2, unter ihnen auch den Weg von Verona über den Brenner nach A u g s b u r g , der im Mittelalter als die

kürzeste

und zweckmäßigste V e r b i n d u n g zwischen dem deutschen und 11 3 sehen Reich galt . Auch die beschwerliche Route durch

italiBurgund,

die Heinrich im Winter 1o76/77 auf der Reise nach Italien be114 nutzt hatte , war ein zu großer Umweg und kam nicht in Betracht.

107 Vgl. oben S. 3o Anm. 97. 108 Vgl. Lambert von Hersfeld, S. 3ol Z. 5ff. 109 Vgl. die Intervenientenliste in D HIV 293. MEYER VON KNONAU 3, S. 12. Zu den Erzbischöfen von Mailand und Ravenna als Coronatores vgl. KAHL, Arnulf von Mailand, S. 429ff. 110 Wenn man davon ausgeht, daß ein Brief von Rom nach Goslar dreieinhalb Wochen unterwegs war und ein Schreiben von Worms aus nach drei Wochen in Rom ankam - vgl. HLAWITSCHKA, Tribur, S. 38 Anm. 57 und jetzt ELZE, Leistungsfähigkeit, S. 4ff. (Rom-Goslar 23 Tage, Worms-Rom 19-2o Tage) -, können wir unter Berücksichtigung der geringeren Entfernung annehmen, daß die Nachricht von Rudolfs Königswahl binnen 14 Tagen Oberitalien erreichte. Da Heinrich IV. sich nachweislich Anfang April in Pavia aufgehalten hat - vgl. oben S.26 -, wird er in dieser Stadt von dem Forchheimer Ereignis erfahren haben. Diese Vermutung stützt Bonizo von Sutri, S. 611 Z. 6f. 111 Vgl. Bonizo von Sutri, S. 611 Z. llf.; Arnulf von Mailand, S. 31 Z. 19ff. Nach der Meldung Bertholds von Reichenau, S. 291 Z. 12ff. befand sich Heinrich IV. am 9. April schon wieder in Verona auf dem Rückweg nach Deutschland. 112 Marianus Scotus, S. 561 Z. 35f. Vgl. OEHLMANN, S. 274; BOSL, Adel, S. 1124; POPELKA, S. 9: "Auf die Verkehrswege der Alpen wirkten sich die politischen Machtverschiebungen aus, die Europa seit der Römerzeit bewegten". 113 Vgl. SCHREIBER, Alpenpässe, S. 337; HAFF, S. 3o2. 114 Vgl. MEYER VON KNONAU 2, S.741ff., 748ff.; BÜTTNER, Staufer, S. 2; wiederabgedruckt in: DERS., Schwaben, S. 438.

Heinrichs IV. Bemühen um die Stabilisierung seiner Herrschaft

33

Die Maßnahmen, die Heinrich unmittelbar nach der Kunde von der 11 5 Forchheimer Königswahl noch in Pavia traf , zeigen, daß er in der Sicherung der Ostalpenpässe die momentan beste Lösung sah, schnell und ohne Schwierigkeiten ins deutsche Reich zu gelangen. Der erste Schritt war die Ablösung Bertholds von Zähringen als Herzog von Kärnten, wo er ohnehin nicht richtig Fuß gefaßt hatt e ^ ^ , durch den Eppensteiner Liutold. Dieses Ereignis ist zwar 117 ohne Datum überliefert , doch traf Heinrich diese Entscheidung wohl während seines Aufenthaltes in Pavia, da Liutold in der dort 118 ausgestellten Urkunde schon dux genannt wird . Der König übertrug nun keinem Stammesfremden die Herzogswürde, sondern wählte einen Angehörigen aus dem in Kärnten ansässigen und dort reich begüterten Adelsgeschlecht der Eppensteiner. So hatte Liutold anders als Berthold eine solide Grundlage, auf der er sich auch aus eigener 119 Kraft ohne Unterstützung des Königs durchzusetzen . Sein Herzogtum wurde noch erweitert durch den süd-

vermochte

lich der Drau gelegenen Teil Kärntens, der von Friaul abgetrennt und nach über 2oo Jahren dem Mutterland wieder angegliedert wur, 1 2o de Die Grafschaft Friaul, die seit 976 zum Herzogtum Kärnten gehörte

1 21

, übertrug der König neben einigen anderen Besitzungen

dem Patriarchen von Aquileia, dem bis auf das königliche Fo122 123 drum auch alle Regalien und herzoglichen Rechte zufielen Sigehard, der noch 1o76 auf der Versammlung von Tribur

als

Legat Gregors VII. fungiert hatte, war offenbar nach Canossa zur salischen Partei übergetreten und wurde nun für diesen Kurs1 24 Wechsel durch die Erweiterung seines Territoriums belohnt , wobei Sigehards Entscheidung durch das Angebot Heinrichs zweifellos erleichtert wurde. Durch die Verleihung des Herzogtums Kärnten und die Übertragung der Grafschaft Friaul wollte Heinrich IV. die östlichen Alpen mit den Pässen und damit seine Rückkehr über die Alpen sichern. Schon Heinrich III. und sein junger Sohn waren 115 116 117 118 119 120 121 122 123

So KLAAR, S. lo8f. gegen HEYCK, S. 8o mit Anm.248. Vgl. unten nach Anm. 117. HEYCK, S. 8o. Chronik des Klosters Petershausen, S. llo. D HIV 293. Vgl. KLAAR, Reg. 56 S. 45 und S. lo8; HOCHENBICHLER, S. 147. Vgl. KLAAR, S. 97ff.; TELLENBACH, Reichsadel, S. 55; wiederabgedruckt in: Herrschaft und Staat, S. 224. JAKSCH, S. 214. Zur Entwicklung Friauls vgl. SCHMIDINGER, Patriarch, S. 57ff.; HOKE, Stellung, S. 45f. BRÜHL, Fodrum 1, S. 567 Anm. 6 0 8 . D HIV 293. Vgl. F.M. MEYER, S. 91, 97f.; SCHMIDINGER, Patriarch, S. 63, 162; HOKE, Stellung, S. 5of.; FRIED, Regalienbegriff, S. 487ff.

124 D HIV 293 (VON GLADISS, S. 385 Z. 15): ob fidele servitium Sigehardi patriarchae.

Gregor VII. und Heinrich IV. im Frühjahr lo77

34

bestrebt, durch Wildbannverleihungen oder Grafschaftsschenkungen etwa an die Bischöfe von Augsburg und Brixen

125

oder an das Bis-

126

tum Como , wichtige Alpenübergänge unter ihre Kontrolle zu bringen. Um sein Konzept nicht zu gefährden, war der König an einem guten Einvernehmen zwischen Herzog und Patriarch interessiert, was keineswegs selbstverständlich war, da jener seine herzoglichen Rechte in Friaul an den Patriarchen von Aquileia abtre1 27

ten mußte

. Die Intervention Liutolds von Kärnten in der Urkun-

de unterstreicht seine Zustimmung zu der Verleihung an die Kirche von Aquileia. In diesem Sinne ist auch die Nennung der Kaiserin 128 Agnes, der Königin Bertha sowie zahlreicher Fürsten zu werten Nach diesen territorialen Regelungen in den Ostalpen machte sich Heinrich IV. mit nur wenigen Begleitern, unter ihnen Llutold von Kärnten und Sigehard von Aquileia, schleunigst auf den Weg ins deutsche Reich. Seinen Sohn Konrad ließ er in Italien zurück, "gleichsam als Repräsentant des väterlichen Anspruchs auf dieses 129 Reich" . Für Heinrichs Reiseweg besitzen wir nur wenig Anhaltspunkte^ 0 . 1 31

Von Pavia zog er über Verona

nach Aquileia, wo er das Oster-

fest feierte, was als ein Zeichen für das enge Verhältnis zwischen König und Patriarch gewertet werden kann. Von Aquileia aus ging Heinrich den Weg, der im Mittelalter gewöhnlich mit per Ca132

nalem oder per Canalee umschrieben wurde

. Es war die alte rö-

mische Eisenstraße, die über Gemona, durch das Fellatal und 1 33 über Chiusaforte, den Pontebbapaß, Tarvis nach Villach führte

. Diese

Stadt war schon damals ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt in den Ostalpen und gehörte wie die Straße durch das Kanaltal 1 34 zum Besitz des saliertreuen Bamberger Bischofs in Kärnten Schwieriger ist es, den weiteren Verlauf der Route zu bestim125 Vgl. HAFF; STÖRMER, Engen, S. loof.; BOSL, Adel, S. 1125f. 126 Vgl. BOSL, Adel, S. 1126; GOEZ, Rainald von Como, S. 468ff. 127 Die Eppensteiner hatten mindestens seit lo31 die Vogtei über das Patriarchat von Aquileia in ihrer Hand; vgl. KLAAR, S. 112; SCHMIDINGER, Patriarch, S. 48f.; SCHNORR, S. 441 mit Anm. 72. 128 Vgl. FAUSSNER, S. 448f.; GAWLIK, Bedeutung. 129 Berthold von Reichenau (wie Anm. 13o); GAWLIK, Konrad, S. 496 (Zitat) . 130 Es sind im wesentlichen drei Quellen, die uns Hinweise auf die Route des Königs geben: Berthold von Reichenau, S. 294 Z. 29ff.; Marianus Scotus, S. 561 Z. 35f.; Casuum sancti Galli continuatio II, S. 156 Z. 24ff. (Die Erwähnung Markwards ist nicht richtig, da er schon lo76 gestorben war.). 131 D HIV 293a (GAWLIK, S. 733f.); auch abgedruckt in: W. HOLTZMANN, Diplom, S. 525f. Vgl. Berthold von Reichenau, S. 291 Z. 12ff. 132 FICKER, Alpenstraßen, S. 298; N. SCHALLER, S. 22f. 133 SCHROD, S. 18f.; SCHMIDINGER, Patriarch, S. 137f. mit Anm. 2o. Zum Weg vgl. auch ERTL, S. 126 und Kartenbeilage; N. SCHALLER, S. 22ff. 134 Vgl. NEUMANN, Urkunde; DERS., Bamberg, mit weiterer Literatur; NEUKAM; MORO, Geschichte, bes. S. 29o, 293, 3o3. JAKSCH, S. 214 weist darauf hin, daß die eigentliche Herrschaft über das Kanaltal von Herzog Liutold ausgeübt wurde.

Heinrichs IV. Bemühen um die Stabilisierung seiner Herrschaft

35

men. Berthold von Reichenau gibt lediglich den ungenauen Hinweis, Heinrich sei per Carantaniae

abvuptas angustias gezogen. Caran-

tania ist zwar zunächst die Bezeichnung für Kärnten, doch gemäß dem Sprachgebrauch der damaligen Zeit kann in dieser Angabe auch 135 die Steiermark mit einbezogen sein . Auszuschließen ist der Weg nach Westen über das Kloster Innichen, Brixen und über den 136

Brenner-Paß

, da man diesen Alpenübergang vom Gegner kon-

trolliert glaubte. Wäre dieser Paß frei gewesen, hätte Heinrich, da er eilig war, schon von Verona aus den Weg direkt nach Norden eingeschlagen. So kommt nur einer der beiden Wege über Werfen, Salzburg oder über Klagenfurt, Gurk, Steyr in Frage. Da diese Strecke einen Umweg bedeutete, den Heinrich sich aus Zeitgründen nicht leisten konnte, plädierte schon die ältere Forschung für den kürzeren Reiseweg über Salzburg 137 . Von hier dürfte er als 138

kürzeste Strecke nach Regensburg die alte Römerstraße

gewählt

haben. Diese Route führte zwar durch das Gebiet des Erzbischofs von Salzburg und des Herzogs von Bayern, doch beide Fürsten hatten ihre Gebiete nicht vollständig unter ihrer Kontrolle. Der Friesacher Besitz des Erzbischofs war schon im Winter 1o76/77 von Adalbero, dem Markgrafen der Kärntner Mark, zerstört wor139 den . Auch Weif von Bayern konnte dem Salier den Weg durch sein Herzogtum nicht ganz versperren, da sein Anhang in Bayern nur gering war und zahlreiche 1 4oGrafen in seinem Herzogtum auf der Seite . Sie halfen ihm nicht nur in kurzer Zeit

Heinrichs IV. standen

ein Heer zu sammeln, sondern bildeten auch in den nächsten Jahren eine wichtige Stütze seiner Königsherrschaft. Der König hatte auf seinem Rückweg ins deutsche Reich keine Schwierigkeiten und überraschte durch sein schnelles Eintreffen in Bayern sogar seine Gegner, wie die verwunderte Reaktion der antisalischen Historiographen

135 WAHNSCHAFFE, S. 4. 136 So PETER SCHMID, S. 34. Zum Paß N. SCHALLER, S. 19ff. 137 OEHIMANN, S. 274f. ist der Ansicht, daß Heinrich IV. den alten Weg der Salzburger Bischöfe von Friesach nach Salzburg benutzt habe; die von Erzbischof Gebhard im Sommer lo77 zu Werfen und Friesach angelegten Burgen seien die "Wegweiser für den zurückgelegten Weg". HANN, S. 98 modifiziert diesen Vorschlag ein wenig, hat gegen den Weg über Salzburg jedoch keine Einwände. Mit wieder einem kleinen Änderungsvorschlag für den Weg zwischen Villach und Werfen KLEIN, S. 22f. und Karte S. 34. Jüngst vermutet DOPSCH, S. 243, Heinrich IV. sei über den Rauriser- oder Felbertauernpaß gezogen. Zu den Straßen, die von Aquileia aus über die Alpen führten, vgl. auch GÖTZ, S. 37lff. 138 Vgl. hierzu PETER SCHMID, S. 12 Anm. 82, 83. 139 PIRCHEGGER, S. 4, 6; OEHLMANN, S. 274f. 140 REINDEL, Bayern, S. 248. VON RIEZLER, S. 152 nennt eine Reihe von Heinrichs Anhängern. Vgl. auch BOSL, Adel, bes. S. 1124ff.; BOSHOF, Bischof Altmann, S. 328ff.

36

Gregor VII. und Heinrich IV. im Frühjahr lo77

141

bezeugt . Rudolf von Rheinfelden und seine Anhänger waren nicht in der Lage, die rasche Ankunft Heinrichs, der nur mit wenigen Begleitern in Bayern eintraf, zu verhindern. Die Schenkungen an die Kirche von Aquileia und die Neubesetzung des Herzogtums Kärnten zahlten sich politisch aus. Schon wenige Wochen nach seiner Rückkehr aus Italien machte Heinrich IV. der Kirche von Aquileia nochmals reiche Schenkungen. Nach Abschluß des Ulmer Fürstengerichts zog er nach Nürnberg, wo außer der Königin noch zahlreiche Reichsfürsten sich versammelt hatten. In dieser fränkischen Stadt übertrug Heinrich am 11. Juni 1o77 dem Patriarchen Sigehard von Aquileia die Grafschaft Istrien und 1 42 die Mark Krain . Diese war nach dem Tod des Markgrafen Ulrich nicht wieder vergeben worden und zunächst im Besitz des Königs geblieben. Nun verlieh Heinrich IV. sie de nostra regali pvopvietate

et potestate in pvoprietatem et potestatem sanete 143 prefate Aquilegensis aeaalesvae . Auch über Istrien wurden dem Patriarchen die gräflichen Rechte übertragen. Unter den zahlreichen Intervenienten für die Kirche von Aquileia befand sich wiederum Liutold von Kärnten. Dies deutet nicht allein auf seine enge Bindung an den König, sondern auch auf seine Zustimmung zu der Gebiets- und Machterweiterung seines südlichen Nachbarn. Das Konzept, das hinter den königlichen Maßnahmen steckte, wird noch deutlicher durch die Schenkung, die Heinrich IV. am 13. Juni, also zwei Tage nach den Gebietsübertragungen an das Patriarchat von Aquileia, der Kirche von Brixen machte. Neben anderen Besitzungen im Vintschgau verlieh er ihr das Gut Schlanders, das vorher wohl im Besitz Welfs von Bayern gewesen war, und suchte sich damit in den Zentralalpen einen wichtigen Punkt 144 an der Straße entlang der Etsch zu sichern Die drei Schenkungsurkunden an zwei Bischofskirchen in den mittleren und östlichen Alpen sind die einzigen Diplome, die von dem Nürnberger Hoftag überliefert sind. Diese Erscheinung ist auffallend und legt den Schluß nahe, daß die Kontrolle über die

141 Berthold von Reichenau, S. 294 Z. 29ff.; Bernold von St. Blasien, S. 434 Z. 14ff.; Bonizo von Sutri, S. 611 Z. llf. 142 DD HIV 295 und 296; Nürnberger Urkundenbuch, Nr. 17 und 16 S. 12 und loff. Vgl. SCHMIDINGER, Patriarch, S. 69 zu Istrien, S. 73 zu Krain. Die Intervenientenliste gibt Aufschluß über die anwesenden Fürsten. Vgl. auch unten S. 86 mit Anm. 181. 143 D HIV 296 (VON GLADISS, S. 39o Z. 3f.). Vgl. HAUPTMANN, S. 387; SCHMIDINGER, Patriarch, S. 68. Die Mark Krain unterstand nicht der Oberhoheit des Herzogs von Kärnten, wie GAWLIK, Intervenienten, S. 60 meint. 144 D HIV 297; Urkunden der Brixner Hochstifts-Archive, Nr. 3o S. 35f.; Bündner Urkundenbuch, Nr. 2oo S. 16o, mit Lokalisierung der Besitzungen. Vgl. SCHWARZMAIER, Königtum, S. 89 Anm. 85; G. SANDBERGER, S. 758f.

Heinrichs IV. Bemühen um die Stabilisierung seiner Herrschaft

37

Alpenpässe ein zentraler Punkt der Versammlung war. Bevor Heinrich sich den anstehenden Problemen im deutschen Reich widmete, wollte er das wichtige Verbindungsstück zum Regnum Italiae der Obhut seiner Anhänger anvertrauen,

da er selbst diesem Raum

nicht die notwendige Aufmerksamkeit widmen konnte. Daß die Sicherung der Alpenregion eng mit dem Bemühen um die Konsolidierung der Königsherrschaft zusammenhing, verdeutlicht das in Nürnberg ausgestellte Diplom HIV 296 für Aquileia, in dem Adalbero A die Wiederherstellung . 145 nannte

der stabilitaa

regni als vorrangige Aufgabe

Die Notwendigkeit einer gesicherten Verbindung zwischen dem deutschen und italischen Reich hatte sich jüngst erwiesen und sollte sich in den nächsten Jahren wiederholt zeigen. Statt der drei süddeutschen Herzöge Berthold, Rudolf und Weif, denen er ihre Lehen entzogen hatte, setzte Heinrich nun auf die geistlichen Fürsten. Schon vor dem Investiturstreit hatten deutsche Herrscher den Bischöfen von Bamberg, Brixen, Freising und Salzburg Schlüsselpositionen in den Alpen

verliehen, da man die Haupt-

verkehrswege mit den Pässen durch sie zuverlässiger kontrolliert 146 glaubte als durch weltliche Fürsten . Hatte Heinrich die östliche Alpenregion mit den strategisch und wirtschaftlich

bedeu-

tenden Territorien Friaul, Istrien und Krain in seinen Einflußbereich gebracht, indem er sie seinem Anhänger Sigehard von Aquileia anvertraute, nutzte er auch die Möglichkeit, durch die Einbehaltung Bayerns als königliches Herzogtum und die zusätzliche Stärkung der Bischöfe von Augsburg und Brixen, die auf seiner Seite standen, sich die wichtige Strecke 14 7 zwischen Augsburg und . Damit hatte der Salier

Verona mit dem Brenner-Paß zu sichern

auch die mittlere Alpenregion unter seine Kontrolle gebracht. Dieses Gebiet behielt er auch weiter im Auge. Im Jahre 1o78 übertrug er den bischöflichen Kirchen von Brixen und Augsburg Güter aus dem Besitz des ehemaligen Bayernherzogs Weif, die im Alpenbereich lagen 148 . Dadurch versuchte Heinrich IV. sich auch

145 Vgl. hierzu unten S. 83ff. 146 Vgl. NEUMANN, Bamberg, S. 5o; MORO, Wirken; SCHMIDINGER, Besetzung, S. 345. 147 Zur Bedeutung dieser Bischöfe für die Sicherung der nördlichen und südlichen Zugangswege zum Brenner vgl. HAFF, S. 3olff.; A. SANDBERGER, S. 589ff. und oben S. 32. 148 DD HIV 3o4 und 3o6. Vgl. dazu unten S. 124.

38

Gregor VII. und Heinrich IV. im Frühjahr lo77

von Norden her den Weg nach Italien zu sichern; schon seit Merowinger- und Karolingerzeiten war die Kontrolle der Alpenstraßen "unabdingbare Voraussetzung" für ein erfolgreiches Eingreifen in 1 49 Italien . Verfolgte die in Pavia vollzogene Übertragung Friauls an den Patriarchen von Aquileia den Zweck, die sofortige Reise Heinrichs ins deutsche Reich zu gewährleisten, waren die Nürnberger Schenkungen an die Kirchen von Aquileia und Brixen von anderen Motiven bestimmt. In Anbetracht des geplanten Zuges gegen Rudolf von Rheinfelden^ 0 wollte Heinrich IV. sich den Rücken frei halten. Vor allem mußte er die Tatsache berücksichtigen, daß Gregor VII. in Oberitalien weilte und immer noch auf die Möglichkeit zur Reise ins deutsche Reich wartete. Mit den Schenkungen an seine Anhänger in Aquileia und Brixen wollte der König die mittleren und östlichen Alpenwege für den Papst unpassierbar machen. Der westlichen Alpenregion war im Süden die Lombardei vorgelagert, deren papstfeindliche Bischöfe Gregor VII. die Durchreise ohnehin unmöglich machten. Diese Auffassung, daß Heinrich IV. mit seiner Alpenpaßpolitik dem Papst den Weg ins deutsche Reich versperren wollte, bestätigt Gregor VII. selbst auf zweifache Weise: einmal durch sein starkes Engagement in der Besetzung des Aquileienser Patriarchenstuhls, das er in zwei Briefen Anfang September 1o77 zum Ausdruck 151 brachte , und durch den Eid, den er auf der Fastensynode 1o79 152 dem Patriarchen Heinrich von Aquileia abverlangte . Da sich sein Verhältnis zum lombardischen Episkopat in keiner Weise besserte, sah Gregor eine Reisemöglichkeit für sich und seine Legaten wohl nur durch das Territorium der Kirche von Aquileia. Deshalb suchte er auf diesen Patriarchen Einfluß zu gewinnen. Die Ordnung der territorialen Verhältnisse in den Alpen, die Heinrich in Pavia begonnen und in Nürnberg fortgeführt hatte, schien in Gefahr, als im August 1o77 überraschend der Patriarch Sigehard von Aquileia starb und der Klerus von Aquileia kurz nach dessen Tod ohne Rücksprache mit dem König den einheimischen Archidiakon zu Sigehards Nachfolger wählte. Die großzügigen

149 STÖRMER, Früher Adel, S. 289. Vgl. TH. MAYER, Alpen, bes. S. loff.; N. SCHALLER, S. 6ff. 150 Vgl. unten S. 86. 151 Reg. V 5 und 6. Vgl. dazu unten vor Anm. 155 und unten S. 97ff. 152 Vgl. unten S. 139f.

Heinrichs IV. Bemühen um die Stabilisierung seiner Herrschaft

39

Schenkungen an die Kirche von Aquileia wären nicht nur nutzlos, sondern geradezu in ihr Gegenteil verkehrt worden, falls der neue Patriarch mehr der päpstlichen als der königlichen Seite zugeneigt sein sollte. Die Stellung Heinrichs wäre entscheidend geschwächt worden, während Gregor VII. einen wichtigen königlichen Stützpunkt gewonnen und die Chance zur Reise ins deutsche Reich erlangt hätte. Das Patriarchat von Aquileia war traditionell eng mit dem deutschen Königtum verbunden und bildete einen Gegenpol zu der Kirche von Grado, der von päpstlicher Seite der Vorrang eingeräumt w u r d e ^ . Diese komplexe Situation wird abgesehen von dem ohnehin beanspruchten Recht, Bischöfe nach eigener Wahl einsetzen zu können, ausschlaggebend für das rasche Handeln des Saliers gewesen sein. Er lehnte den Kandidaten des örtlichen Klerus ab und investierte am 8. September den Augsburger Kanoniker Heinrich zum neuen 154

Patriarchen von Aquileia . Gregor VII. hatte sich zwar die Prüfung der Wahl des Archidiakons vorbehalten^^, konnte jedoch gegen das Vorgehen des Königs nichts ausrichten. Mit der Durchsetzung seines Kandidaten hatte Heinrich IV. weiterhin die Kontrolle über die östlichen Alpen behalten. Breite Alpengebiete waren nun in der Hand des Königs oder seiner Anhänger. Diese Politik hatte ihm nicht nur den Rückweg von Italien ins deutsche Reich gesichert. Sie diente auch der engeren Bindung Italiens an das deutsche Reich und das Königtum^**. Dies war in der Auseinandersetzung mit dem Papsttum wichtig, da Gregor VII. versuchte, dem König die Herrschaft über Oberitalien streitig zu 1 57

machen

. Gerade in dieser wichtigen Region vermochte Heinrich

seinen Einfluß zu stärken und zu erweitern. Drei Jahre später konnte er in Brixen die große Synode abhalten, und auch in den folgenden Jahren stand dieser 1 5Raum "als Rückzugsbasis in Zei8 ten der Bedrängnis" zur ihm Verfügung Die kurze Zeit nach Canossa, während der Heinrich IV. in den 153 Mindestens seit lol9 gab es in Aquileia nur Patriarchen deutscher Abstammung; vgl. SCHWARTZ, S. 31ff. mit S. 3o Anm. 5; KLEBEL, Geschichte, S. 4oo, 4o2f., 419f.; SCHMIDINGER, Besetzung, S. 345; BAUERREIS, Vescovi, S. 158f. - Zum alten Streit zwischen Grado und Aquileia vgl. LENEL; FUHRMANN, Studien 4o, 1954, S. 43ff. ; HERRMANN, S. 89ff. Zur Haltung Gregors gegenüber Grado vgl. KEHR, Rom, S. lo4ff. 154 Vgl. unten S. 89. 155 Reg. V 5 und 6. Vgl. unten S. 97ff. 156 Zur Bedeutung der Alpen in Europa vgl. Le Alpi; PEYER, Alpenpässe, Sp. 453f. 157 KEMPF hat "die Bedeutung Italiens im Denken und Fühlen Gregors VII. sehr hoch eingeschätzt"; zitiert bei JAKOBS, Rudolf, S. lo6 Anm. 69. 158 E. ZÖLLNER, S. 82.

4o

Gregor VII. und Heinrich IV. im Frühjahr lo77

lombardischen Städten weilte, nutzte er, um seine erschütterte Königsherrschaft in Oberitalien wieder aufzurichten und zu stär1 59 ken . Dies wurde in dreifacher Weise deutlich. Durch Gerichtssitzungen, die entweder er selbst oder seine Bischöfe bzw. Boten abhielten, stellte er die königliche Rechtsautorität wieder her. Die lombardische Königskrönung sollte ebenfalls sein legitimes Königtum unterstreichen, doch kam dieser Plan wegen der Forchheimer Ereignisse und der dadurch bedingten Abreise Heinrichs nicht zur Ausführung. Der dritte Aspekt ist die Festigung der territorialen Verhältnisse in den östlichen und mittleren Alpen, um das wichtige Verbindungsstück zwischen dem deutschen und italischen Reich unter seine Kontrolle zu bringen. Die Forchheimer Königswahl zwang Heinrich dazu, seinen Aufenthalt in Oberitalien unverzüglich zu beenden und ins deutsche Reich zurückzukehren. Der Salier war nach Canossa zuerst um die Konsolidierung seiner Königsherrschaft bemüht, bevor er in der Abfolge der Prioritäten an die Erfüllung der päpstlichen Reformwünsche dachte. 3. Gregor VII., Heinrich IV. und die Fürstenopposition um Rudolf von Rheinfelden zwischen Canossa und Forchheim In den Wochen zwischen Canossa und Forchheim fand zwischen dem Papst, dem König und der deutschen 'Absetzungspartei' ein fortwährender Briefwechsel und Gesandtenaustausch statt, die deutlich machen, wie sehr nach bzw. trotz der durch Canossa veränderten Lage die drei Parteien, besonders die antisalischen deutschen Fürsten an der Realisierung ihrer Pläne festhielten. Wichtigste Quellen für diese Ereignisse sind die Annalen Lamberts von Hersfeld^ 0 , die Chronik Bertholds von Reichenau^®^, die Vita Gregorii Pauls von Bernried 2 und die Briefe des Papstes . Die nicht immer klaren Aussagen dieser Zeugnisse analysiert und mit159 Vgl. Lambert von Hersfeld, S. 3o2 Z. 24ff. Die Formulierung von F. SCHNEIDER, S. 195, Heinrich sei schon wieder in den "Vollbesitz der italienischen Regierungsgewalt" gelangt, ist überzogen. Vgl. MOR, S. 215f. 160 Lambert von Hersfeld, S. 3olff. Er berichtet ebenfalls über Gesandtschaften in der Zeit nach Canossa. Doch trotz der Nennung von richtigen Namen erweist sich seine Darstellung über Italien als lückenhaft und unzuverlässig, da Lambert sein Wissen nicht aus Quellen schöpfte, sondern über die Vorgänge südlich der Alpen nur vom Hörensagen berichtete. Vgl. STRUVE, Lambert von Hersfeld, Teil B, S. 79f., 87ff.; Zimmermann, Canossagang, bes. S. 88f. Lambert hat lediglich den Gregor-Brief Reg. IV 12 mit dem Iusiurandum Heinrichs IV. (Reg. IV 12a) gekannt; vgl. STRUVE, S. 8o Anm. 48a, 88 mit Anm. 6. 161 Berthold von Reichenau, S. 291f. 162 Paul von Bernried, S. 526ff. 163 Reg. IV 12 (CASPAR, S. 31ff.) und EC 2o (JAFFE, S. 545ff.) = EV 19 (COWDREY, S. 5off.).

41

Gregor VII., Heinrich IV. und die Fürstenopposition

einander koordiniert zu haben, ist wesentlich das Verdienst J. 1 64

Kerkhoffs , der in seiner Arbeit ähnliche Untersuchungen von G. Meyer von Knonau^^ und J. Greving^*' in einigen Punkten korrigierte. Auf der Grundlage der Quellen hat er von den Gesandtschaften, die zwischen Papst, König und Fürsten ausgetauscht wurden, zwar ein realistisches Bild gezeichnet, doch auf die Auswertung seines Ergebnisses vor den Hintergrund der aktuellen Ereignisse verzichtet, so daß auf die Problematik in unserem Zusammenhang erneut eingegangen werden muß. Unmittelbar nach der Absolution Heinrichs IV. sandte Gregor VII. noch von Canossa aus an die deutschen Fürsten einen Brief, in dem er ihnen die Rekonziliierung des Königs mitteilte. Überbringer dieses Schreibens war der päpstliche Legat Rapoto, der in der zweiten Februarwoche in Deutschland e i n t r a f A l s die Fürstengruppe um Rudolf von Rheinfelden durch diese oertissima relatio von den Vorgängen in Canossa erfuhr, hielt sie bald (mox) in Ulm eine Versammlung ab. Um keine Zeit zu verlieren, fand das Treffen mit nur geringer Beteiligung ohne Bayern, Lothringer und Sachsen statt, die durch Briefe benachrichtigt wurden 1 6 8 . Laut dem Bericht Pauls von Bernried beschlossen die anwesenden

Mavtii

ad

Fürsten,

novi

regis

generalius

aolloquium

eleetionem

abzuhalten

ad 169

Fovche-Lm

IV.

. Diese Meldung

idus des

Gregor-Biographen ist von der Forschung allgemein akzeptiert worden^ 0 , obwohl auffällt, daß in den zeitgenössischen Zeugnissen über den Ulmer Fürstentag von einer in Forchheim geplanten Königswahl nicht ausdrücklich die Rede ist. In seiner Chronik berichtet Berthold von Reichenau von einem Aufruf, den die anwe164 165 166 167 168

KERKHOFF, S. 113ff., auch zum Folgenden. MEYER VON KNONAU 2, S. 773ff. GREVING, S. 84ff. MEYER VON KNONAU 2, S. 773; KERKHOFF, S. 119. Paul von Bernried, S. 526. Berthold von Reichenau, S. 291 Z. 19ff. Nach seiner Auskunft (Z. 22f.) kamen wegen Eis und Schnee nur pauei nach Ulm. Dieser Mitteilung ist der Vorzug zu geben gegenüber der Angabe Lamberts von Hersfeld, S. 3ol Z. 17ff., neben Siegfried von Mainz, Adalbero von Würzburg, Hermann von Metz, Rudolf von Schwaben, Weif von Bayern und Berthold von Kärnten seien a l i i plerique ex principibus Teutoniois in Ulm erschienen. Vgl. GIESE, S. 37; REULING, S. lo4. - Der genaue Termin der Ulmer Fürstenversammlung ist immer noch umstritten; er schwankt zwischen Anfang und Mitte Februar. Die ältere Forschung ist zusammengefaßt bei BRUNS, S. 32 Anm. lo2; zuletzt SCHMITT, S. 127 (Mitte Februar) und REULING, S. lo4 (Anfang Februar). Unter Berücksichtigung der damaligen Reisegeschwindigkeit - vgl. als Beispiel HLAWITSCHKA, Tribur, S. 38 Anm. 57; jetzt auch ELZE, Leistungsfähigkeit - und der Folge der Gesandtschaften vgl. weiter im Text - können wir die Ulmer Versammlung um den lo. Februar ansetzen.

169 Paul von Bernried, S. 526. 170 Vgl. MEYER VON KNONAU 2, S. 775f.; BRUNS, S. 34; SCHLESINGER, Wahl, S. 71; SCHMITT, S. 61; REULING, S. lo4.

Gregor VII. und Heinrich IV. im Frühjahr lo77

42

senden Großen an einige Fürsten sandten und in dem sie zu der Versammlung in Forchheim einluden; dort sollten sie bestimmen, quicquid vitae

Optimum

iHorum

videretur,

necessaria

de statu regni et aecclesiae, 171 constitutione

et

Bei Lambert von Hersfeld heißt es, einige Fürsten seien zusammengetreten - der Versammlungsort Ulm wird nicht genannt um tractare

de utilitatibus

sen, ut principes

Saxoniae

rei publicae, et omnes,

curae foret,

III. Idus Marcii

ni consilio,

quid faoto

per absentiam tionibus

regis

tranquillis

ac consultationibus

quibuscumque

in Forecheim

opus esset,

und hätten beschlos-

decernerent,

rebus

res

occurrerent

tempus

nacti fuissent.

publica et

commu-

presertim

oportunum

cum

delibera—

Ferner hätten die

Fürsten, so fährt Lambert fort, einen Brief an den Papst gesandt, in dem sie ihn baten, nachdem der Augsburger Tag nicht habe 1 72 stattfinden können, nun wenigstens nach Forchheim zu kommen Der Bericht des Hersfelder Mönches enthält zwei wichtige Einzelheiten: Erstens wollten die Fürsten die Abwesenheit Heinrichs IV. in Italien nutzen, um das Königsproblem in ihrem Sinne zu löDiese Frage, die Gregor in Canossa offengelassen hatte, wie sie dem Brief Reg. IV 12 entnehmen konnten, war auch in den Augen der Fürsten noch nicht entschieden. Zweitens legten sie Wert darauf, daß Gregor VII. in Forchheim erschien, wie es schon für den Augsburger Tag geplant war. Auch auf jener Versammlung sollte Gregor VII. das apostolici

moderaminis

gubernaculum

in die

Hand nehmen. Da der Papst ihnen versichert hatte, daß er auch nach der Absolution Heinrichs IV. die Königsfrage weiterhin offenhalte und sie nur im Einvernehmen mit den deutschen Fürsten lösen würde, konnten diese noch mit der Unterstützung Gregors rechnen. Rapoto, der nach der Übergabe des Canossa-Briefes

(Reg. IV 12)

auf die Antwort der Fürsten gewartet hatte, kehrte nun mit der 1 74 Ulmer Botschaft zurück nach Oberitalien Gregor VII. antwortete der Fürstenopposition in einem zweiten Schreiben, das er seinen beiden Legaten, dem Kardinaldiakon Bernhard und dem gleichnamigen Abt von St. Viktor in Marseille, auf den Weg nach Forchheim mitgab. Der Papst versichert noch einmal, daß Heinrich IV. in Canossa wohl rekonziliiert, über die deutsche

171 Berthold von Reichenau, S. 291 Z. 26ff. 172 Lambert von Hersfeld, S. 3ol Z. 17ff. Vgl. Anm. 168. 173 S. dazu unten S. 44.

174 EC 2o (JAFFE, S. 546) = EV 19 (COWDREY, S. 52): Inter hec vestra Consilia expectantes tandem per filium nostrum Rapotonem, quem ad vos misimus, hoc vos velie et postulare cognovimus, ...

43

Gregor VII., Heinrich IV. und die Fürstenopposition

175 Königsfrage jedoch nichts entschieden worden sei partes

vestras

. Ob er

ad

kommen könne, vermag er jetzt noch nicht zu sagen.

Doch beurteilt er seine Erfolgsaussichten skeptisch, da die lombardischen Bischöfe weiter eine feindselige Haltung einnähmen und die Position des Königs unklar sei. Durch Boten will er sich bei ihm um die Sicherung seiner Reise bemühen. Einen Tag, nachdem die beiden Bernharde den Papst verlassen hatten, erschien Graf Manegold von Altshausen-Veringen. Seine Ankunft fällt in die beiden letzten F e b r u a r t a g e 1 . Nach den Überlegungen Kerkhoffs ist Manegold mit dem Gesandten identisch, den Rudolf von Rheinfelden nach dem Bericht Bertholds von Reichenau oum oonsilio

aaeterorum

regni

prinaipum

in der Zeit zwischen Ulm

und Forchheim nach Italien schickte; er habe den Papst eingeladen, nach Deutschland zu kommen, den König dagegen nimis

obnixe

et

dignanter

gebeten, nicht eher die Alpen zu überqueren, bis er 177 den Papst oder die Kaiserin vorausgeschickt habe . Paul von Bernried überliefert, Gregor sei durch die relatio novo

rege

aonstituendo

Manegolds de

benachrichtigt worden. Er schickte den

Grafen von Altshausen zusammen mit dem Diakon Gregor zu Heinrich IV., damit sie ihm die Bitte um Geleitsicherung vortrügen; rex

seauritatem,

quam Papa postulabat,

faoere

eontemsit.

sed

Darauf-

hin machte Manegold sich unverzüglich auf den Weg nach Deutschland Gegen die Annahme, "daß Manegold zwar 1später, aber noch wäh79 rend der Beratungen Forchheim erreichte" , spricht das Zeugnis Papae inaerti Pauls von Bernried, die Fürsten seien de adventu 1 8o gewesen . Wäre die Teilnahme Manegolds an den Gesprächen in Forchheim gesichert, hätte der Gregor-Biograph dies nicht schreiben können, da nach seinem eigenen Bericht Heinrich IV. das geforderte Geleit verweigerte und damit eine Reise Gregors zu diesem Zeitpunkt nicht möglich war. Weil die Fürsten dies nicht wußten, wir aber annehmen dürfen, daß der Graf von Altshausen sie bei seiner Anwesenheit davon in Kenntnis gesetzt hätte, ist eine Teil-

175 EC 2o (JAFFE, S. 545) = EV 19 (COWDREY, S. 52): ... ab anathematis

absolutum statuentes

176 177 178 179 180

in gratiam aommunionis eum reaepimus, de oetero niahil n-isi quod ad oautelam et honorem orrmiim vestrum fore

Vinculo

seaum putavimus.

Vgl. Reg. IV 12 (CASPAR, S. 313 Z. 24ff.). Paul von Bernried, S. 526f. Vgl. GREVING, S. 91f. Berthold von Reichenau, S. 291 Z. 44ff. Vgl. KERKHOFF, S. 116ff. Paul von Bernried, S. 526f. Vgl. Lambert von Hersfeld, S. 3o2 Z. 5ff. KERKHOFF, S. 125. Paul von Bernried, S. 53o.

44

Gregor VII. und Heinrich IV. im Frühjahr lo77

nähme Manegolds an der Wahl Rudolfs ausgeschlossen. Die Ungewißheit über die Ankunft des Papstes resultierte vielmehr aus dem Inhalt des Briefes, den die beiden Bernharde nach Forchheim mit181

gebracht hatten

und der zum Zeitpunkt der Wahl für die Fürsten

der neueste Stand war. Da sie aber de maxima dissensione differentj

eventuva et per-iaulo, si

eevtissimi waren, folgten sie nicht dem päpstlichen

Wunsch nach Verschiebung der Wahl, sondern drängten auf eine schnelle Erledigung der Königsfrage. Aaoepta

licent-La a legatis

schritten sie zur Wahl, womit die Legaten allerdings von1 82 ihrer ursprünglichen Haltung und der Weisung Gregors abwichen . Die schon erwähnte Notiz Lamberts zeigt, daß die Abwesenheit Heinrichs in Italien bei der Entscheidung der Fürsten eine wichtige 1 83 Rolle spielte. Dieses oportunum

tempus wollte man nutzen

. So

ist es auch glaubhaft, daß Rudolf von Rheinfelden durch seinen Gesandten dem salischen König mitteilen ließ, nicht vor dem Papst ins deutsche Reich zurückzukehren. Die Reise Manegolds im Auftrag des Schwabenherzogs ist ein deutliches Zeichen, daß Rudolf nach den Ulmer Beratungen seine 184

eigene Wahl betrieb

. Offenbar konnte er schon vor der Forch-

heimer Versammlung mit seiner Erhebung rechnen, da er im elsässischen Kloster Ebersheimmünster die Anfertigung einer Krone 185 in Auftrag gegeben hatte

. Dadurch wird klar, daß es dem Rhein-

feldener nicht mehr um ein Schiedsgericht ging, wie es ursprünglich in Augsburg geplant war und Gregor VII. immer noch vor Augen schwebte, sondern um die Anwesenheit des Papstes bei der Wahl zum Zweck der Legitimation seiner Königsherrschaft. Dies zeigt auch das Bemühen, mittels zu der Legaten den ließ Papstsich für darauf die 1 86 .letztlich Wahl verantwortlich machen Gregor VII. jedoch nicht ein und beteuerte noch Jahre später, Rudolf sei sine meo oonsilio zum König gewählt worden

1 87

. Auch dem in den

181 S. oben S. 42f. nach Anm. 174. 182 Paul von Bernried, S. 53o. Vgl. Berthold von Reichenau, S. 291f. SCHLESINGER, Wahl, S. 69; ROBINSON, Pope Gregory VII, S. 732. 183 S. oben S. 42 nach Anm. 171. 184 KERKHOFF, S. 124; REULING, S. lo5. Vgl. REINHARDT, S. 213 mit Anm. 268. Den Einfluß Rudolfs und der süddeutschen Fürsten bewertet GIESE, S. 36 zu gering. 185 Chronicon Ebersheimense, S. 444 Z. 32ff., bes. Z. 36f. 186 BRUNS, S. 55, mit Einschränkung; RÖRIG, S. 28; SCHLESINGER, Wahl, S. 71. 187 Reg. VII 14a (CASPAR, S. 484 Z. 23). Vgl. Reg. IX 29 (CASPAR, S. 613 Z. 8); oben S. 9.

Gregor VII., Heinrich IV. und die Fürstenopposition

45

folgenden Jahren immer stärkeren Drängen der Sachsen nach der päpstlichen Anerkennung Rudolfs und Verdammung Heinrichs gab 1 88 Gregor VII. bis zum Jahr 1o8o nicht nach . Vielmehr hielt er weiter an dem Plan eines Schiedsgerichts auf deutschem Boden fest. Zentraler Punkt war dabei das Reisegeleit für ihn oder seine Legaten. In dieser Hinsicht hatten die deutschen Fürsten schon vor Canossa ihre Schwäche zu erkennen gegeben, als sie ihre Zusage, Gregor VII. bis zur Veroneser Klause 1 89entgegenzuziehen und ihn von dort nach Augsburg zu geleiten , nicht einhalten konnten. Denn als sie hörten, daß Heinrich IV. über die Alpen gezogen war, gaben sie aus Furcht vor Nachstellungen und gewaltsamen Aktionen des Königs 'ungern und widerwillig' ihren Plan auf. Nur mit Mühe war es ihnen möglich, den Papst von 1der 9o Änderung ihrer Absichten wenigstens in Kenntnis zu setzen Diese Schwäche der Fürsten war dem Papst nicht verborgen geblieben. Er maß ihnen die Schuld zu, daß Heinrich IV. ihm in Canossa die Absolution abgerungen hatte und er selbst sich noch nicht in Deutschland befand, da das Geleit zu verabredeter Zeit 191 und an vereinbartem Ort nicht zur Stelle war Dagegen war Heinrich IV. auf dem Weg nach Canossa von der Be1 92 völkerung in der Lombardei stürmisch empfangen worden ; weiteren Rückhalt fand der König bei den papstfeindlichen Bischöfen Oberitaliens. Das Scheitern der Reformtätigkeit der päpstlichen Legaten hatte Gregor gezeigt, daß er ohne die Unterstützung des Königs in Oberitalien festsaß und nicht zu den Alpen gelangen konnte. Aus diesem Grunde forderte auch Rudolf von Rheinfelden durch seinen Boten Manegold die Hilfe des Saliers. Sowohl Gregor VII. als auch Rudolf waren also auf die Unterstützung Heinrichs IV. angewiesen. Nach dem Zeugnis Pauls von Bernried weigerte sich der König jedoch, dem Papst sicheres Geleit zu gewähren. Doch müssen wir annehmen, daß Manegold ihm die Absicht der Fürsten 1 93 mitgeteilt hatte, in Forchheim einen neuen König zu wählen

. Dies aber

bedeutete, daß sie sich über die Vereinbarung von Tribur hinweg188 Vgl. ROBINSON, Pope Gregory VII, S. 73off. und weiter in dieser Arbeit, bes. S. 115ff., 173ff. 189 Reg. IV 12 (CASPAR, S. 312 Z. 19ff.). Vgl. HLAWITSCHKA, S. 42 Anm. 69. 190 Berthold von Reichenau, S. 288f. Vgl. ebd. S. 292 Z. 52f.

191 EC 2o (JAFFE, S. 545) = EV 19 (COWDREY, S. 52): Et perveniese quidem potu-

issemus, si duaatum eo tempore, eo loao quo constitutum erat ex vestra

parte habuissemus.Vgl. Reg. IV 12 (CASPAR, S. 312 Z. 17ff.).,- Reg. IV 23 (CASPAR, S. 335 Z. 5ff.). BEUMANN, Tribur, S. 55f. 192 MEYER VON KNONAU 2, S. 753; VON DEN STEINEN, Canossa, S. 7o. 193 Vgl. S. 43 vor Anm. 177. Vgl. BEUMANN, Tribur, S. 57. Manegold hatte schon an der Ulmer Versammlung teilgenommen; SCHMITT, S. 129.

Gregor VII. und Heinrich IV. im Frühjahr lo77

46

setzten und im Gegensatz zum Papst zu einer Verständigung nicht mehr gewillt waren. Schon jetzt und nicht erst in Forchheim war die oonaordia,

zu deren Wiederherstellung sich der König in Ca-

nossa bereit erklärt hatte und die "die Voraussetzung für den 1 94

Reiseerfolg des Papstes schaffen" sollte

, von Seiten der Für-

sten nicht mehr angestrebt und somit unmöglich geworden. Allein durch die Ankündigung der Königswahl hatten die Gegner Heinrichs IV. die Voraussetzung beseitigt, unter der sich dieser zur Einlösung des Sicherheitseides bereit gefunden hatte. Der König weigerte sich, Gregor VII. zu einer Versammlung zu führen, die nicht die oonaordia wiederherstellen wollte, sondern deren erklärtes Ziel es nach dem Plan der Fürsten war, einen neuen König zu erheben und damit die murmuratio

und dissensio,

von denen im Ca-

nossa-Eid noch die Rede war, weiter zu vertiefen. Die Untersuchung der Gesandtschaften und Botschaften, die nach Canossa vor allem zwischen Gregor VII. und der Fürstengruppe um Rudolf von Rheinfelden ausgetauscht wurden, hat deutlich gemacht, wie sehr der Papst nach der Absolution Heinrichs IV. die antisalischen Reichsfürsten zu beschwichtigen bemüht war; er beteuerte, die Königsfrage offengelassen zu haben und sie nur mit ihrem Einverständnis lösen zu wollen. Die radikale Fürstenopposition ließ sich jedoch von den Erklärungen des Papstes und seiner Legaten nicht beeindrucken. Während die gemäßigten Fürsten sich wieder 1 95

dem rekonziliierten salischen Herrscher anschlössen

, drängte

die Absetzungspartei auf die Wahl eines neuen Königs, wobei Rudolf von Rheinfelden die führende Rolle spielte, wie die Entsendung Manegolds nach Oberitalien und der Auftrag zur Fertigung einer Krone schließen lassen. Ungeachtet der päpstlichen Mahnungen erhoben die Fürsten in Forchheim Rudolf zum Gegenkönig. Ein wichtiger Grund für ihr rasches Handeln war neben der Unsicherheit, ob und wann Gregor VII. in Deutschland erscheinen könne, vor allem das oportunum

tempus der Abwesenheit Heinrichs IV. in

Italien. Dies sahen sie als politischen Vorteil, den sie vor der Rückkehr des Saliers nutzen wollten. Der Papst hingegen konnte seiner Konzeption nach das eigenmächtige Handeln der Fürsten in Forchheim nicht billigen. Schon die ersten nach diesem Ereignis ins deutsche Reich entsandten Briefe geben Zeugnis von der reservierten Haltung des Papstes gegenüber der Entscheidung der Fürsten. 194 CH. SCHNEIDER, S. 2o9. Vgl. ZIMMERMANN, Canossagang, S. 18o. 195 Zu den Gruppierungen im deutschen Episkopat lo76/77 vgl. FLECKENSTEIN, Heinrich IV. und der deutsche Episkopat, S. 233f.

Die Antwort Gregors VII. auf die Forchheimer Königswahl

47

4. Die Antwort Gregors VII. auf die Forchheimer Königswahl

Die Forchheimer Ereignisse hatten auch für Gregor VII. eine neue und unvorhergesehene Situation geschaffen. Ohne seinem Rat zu folgen und auf seine Ankunft in Deutschland zu warten, hatte die radikale Fürstenopposition Rudolf von Rheinfelden zum König gewählt. Doch war dieser weiter an einer Reise Gregors über die Alpen interessiert. Unmittelbar nach seiner Erhebung sandte der Gegenkönig auf dem Weg zu seiner Krönung nach Mainz von Würzburg aus ein Schreiben an den Papst, in dem er ihn einlud, nach Deutschland zu kommen, um selbst die Angelegenheiten pro regimine aeoolesiastiao

in die Hand zu nehmen. Sicheres Geleit konnte

er ihm allerdings prae militari penuria nicht gewähren^*'. Auch Heinrich IV. wandte sich auf die Nachricht von der Forchheimer Wahl an den Papst, allerdings nicht mit einer Einladung ins deutsche Reich, sondern mit der Aufforderung, Rudolf von 1 97 Rheinfelden zu exkommunizieren Die neue Lage und die Bitte jedes Königs um seine Unterstützung zwangen den Papst, zum deutschen Thronstreit Stellung zu nehmen. Seine Haltung legte er in zwei Schreiben dar, die er am 31. Mai 1o77 an seine beiden Legaten (Reg. IV 23) und an seine Getreuen in Deutschland sandte (Reg. IV 24). Sie sind nicht nur die ersten päpstlichen Zeugnisse nach der Forchheimer Wahl, sondern auch die einzigen Briefe Gregors vor seiner Abreise aus Oberitalien nach Rom im September 1o77, die die deutsche Königsfrage betreffen. Ihr Gewicht wird 1 98dadurch erhöht, daß sie von . Mit den Eigendiktaten unter-

Gregor VII. selbst verfaßt sind

strich er sein starkes Engagement in den deutschen Angelegenheiten. Jene Dictatus papae machen Vorschläge zur Lösung des Konflikts und geben Auskunft über Gregors weitere Pläne und Ziele 196 Berthold von Reichenau, S. 292 Z. 5off. Vgl. Paul von Bernried, 'S. 532:

Igitur Rudolphus rex in regem sublevatus, statim Apostolioo missa legatione, de sua promotione innotuit eique debitum obsequium in ecalesiasticis administrationibus promisit multoque se promtiorem ad obediendum sedi Apostolioae, quam anteoessor eius, exhibuit. Die historiographische Überlieferung bestätigte Gregor VII. selbst im Jahre lo8o mit der

Auskunft, Rudolf sei bereit gewesen, miohi Omnibus modis oboedire. Seine Versprechungen habe er durch die Stellung von Geiseln, worunter sich auch sein Sohn Berthold befunden habe, zu bekräftigen versucht; Reg. VII 14a (CASPAR, S. 484f.). Vgl. schon Reg. IV 24 (CASPAR, S. 337 Z. 19ff.). BRUNS, S. 85. Zur Frage eines von Rudolf geleisteten Eides vgl. unten S.

192.

197 Bonizo von Sutri, S. 611 Z. 8f. Gregors Worte sind nicht so konkret; Reg. IV 24 (CASPAR, S. 337 Z. 19ff.) und Reg. VII 14a (CASPAR, S. 485 Z. 6f.). 198 Dies hat auch CASPAR, Register Gregors VII., S. 334, 337 kenntlich gemacht. Vgl. BLAUL, S. 181.

48

Gregor VII. und Heinrich IV. im Frühjahr lo77

im deutschen Thronstreit. Im ersten Schreiben an die Legaten Bernhard von St. Viktor und Kardinaldiakon Bernhard weist der Papst einleitend nochmals darauf hin, daß er bei seinem Aufbruch von Rom die feste Absicht gehabt habe, nach Deutschland zu reisen, um dort zwischen den feindlichen Parteien ad honorem

Dei et utilitatem

sanctf

eoole-

si§ paoem zu stiften. Doch da das verabredete Geleit der Fürsten ausblieb und Heinrich IV. ihm entgegenzog, wurde er in Oberitalien aufgehalten; dort befinde er sich nun inter inimioos ohristi199 ane religionis

non sine magno

periaulo

. Trotz dieser Schwie-

rigkeiten hält der Papst an dem Plan fest, über die Alpen zu ziehen. Seine Legaten ermahnt er, utrumque regem, Heinrich und Rudolf, zu drängen, ihm einen sicheren Weg zu eröffnen. Gregor will selbst auf einer Reichsversammlung cum consilio alericorum atque

laicorum

eiusdem

inter

eos Deo favente

magis

ad regni

regni,

qui Deum

timent

et diligunt,

verhandeln und entscheiden, auius

gubernaeula

iustitia

faveat^00.

causam

parti

Als König sollte

also derjenige Anerkennung finden, auf dessen Seite die Gerechtigkeit stand. Gregor ließ sich mit der Forchheimer Wahl nicht vor vollendete Tatsachen stellen, sondern beharrte darauf, selbst die Königsfrage zu entscheiden. Als Begründung dafür schreibt er seinen Legaten weiter: Saitis enim,

quia nostri

tias maiora diffinire.

Hoc autem,

tatis

est tantique

sione

neglectum,

ecclesie

offiaii

eoalesiarum

magnum

et apostolice

negotia quod

inter

periculi,

non solum

discutere

sedis

eos agitur,

ut, si a nobis Ulis

et lamentabile

et nobis, pariat

est

et diotante negotium fuerit

detrimentum^ ^

tantf

aliqua

sed etiam 0

Provideniustitia gravi-

ooca-

universali . Gregor

VII. wiederholt hier die Forderung, die er schon im berühmtesten Dictatus papae, Satz 21 formuliert hatte: Quod maiores causq cuiuscumque

eaalesif

ad eam referri

debeant^0^.

Um Streitigkeiten

in der Kirche zu vermeiden, sollen alle wichtigeren Angelegenheiten vom apostolischen Stuhl untersucht und entschieden werden.

199 Reg. IV 23 (CASPAR, S. 335 Z. lff.). Vgl. Reg. IV 24 (CASPAR, S. 338 Z. 16ff.) und oben S.22. Ähnliches schrieb Gregor auch nach Frankreich, wie aus einem Brief des Erzbischofs Manasses von Reims hervorgeht; ERDMANN FICKERMANN, Nr. lo7 S. 18o Z. 6ff. 200 Reg. IV 23 (CASPAR, S. 335 Z. 9ff.). Vgl. Reg. IV 24 (CASPAR, S. 337 Z. 25f.). Zur iustitia vgl. die älteren Arbeiten von MEINE, S. 25f. und KRÜGER, S. 35 sowie zuletzt HÜBINGER, S. 9 mit Anm. 1 (Literatur). 201 Reg. IV 23 (CASPAR, S. 335 Z. 2off.). 202 Reg. II 55a (CASPAR, S. 2o6 Z. 6f.).

49

Die Antwort Gregors VII. auf die Forchheimer Königswahl

Diesen Anspruch, über alle Kirchen zu richten, weitet Gregor auf die päpstliche Jurisdiktionsgewalt über Fürsten und König aus, da ihre Herrschaft nach seiner Ansicht auch für die Gesamtkirche von großer Wichtigkeit ist. Die Könige werden in den Bereich der Kirche einbezogen; über sie kann der Papst ebenso richten wie über B i s c h o f D e n

Anspruch einer umfassenden päpstlichen

Kirchenherrschaft erneuerte Gregor VII. auch später im zweiten Brief an Bischof Hermann von Metz, in dem er forderte, daß omnes maiores res et preoipua

negotia neenon omnium foalesiarum iudiaia .2o4 ad eam quasi, ad matrem et oaput debere referri . Die päpstliche Gerichtsbarkeit dient der Ordnung in der Kirche. Mit dem Hinweis an die Legaten, daß die Vernachlässigung dieser wichtigen Angelegenheit der ganzen Kirche zum Nachteil gereiche, macht Gregor deutlich, daß er in seinem Entscheidungsvorbehalt bezüglich der deutschen Thronfrage nicht nur sein Recht, sondern auch seine Pflicht sieht, um die Kirche vor Schaden zu bewahren. Schon zu Beginn des Briefes hatte er darauf hingewiesen, daß er ad honorem Dei et utilitatem

sanatf ecclesif Frieden im Reich

stiften wolle. Mit dieser Formel umschrieb der Papst nicht nur die Entscheidung in der deutschen Thronfrage, sondern damit meinte er auch die Reform der deutschen Reichskirchen. Diese konnte nur erfolgreich durchgeführt werden, wenn der Thronstreit beigelegt und die oonoordia

im Reich wiederhergestellt wurde. Wie eng

dies miteinander zusammenhing, hatte Gregor schon in dem CanossaBrief an die deutschen Fürsten mit der Wendung pax eoclesif et conaordia regni umschrieben^ 0 ^. Die Bewältigung der maiora

eaale-

siarum negotia bestand nicht nur in der Entscheidung zwischen Heinrich IV. und Rudolf von Rheinfelden, sondern erstreckte sich darüber hinaus auf die Reform der Reichskirchen. Dies war Gregors eigentliches Ziel, zu dessen Durchführung er selbst schon die Reise von Rom aus angetreten hatte; nun aber saß er in Oberitalien fest und konnte ohne Hilfe aus Deutschland nicht Weiterreisen. Wer sich dem päpstlichen Vorhaben widersetzte, den sollten die energischen Maßregeln der Legaten treffen, so daß er mit Absetzung und Exkommunikation rechnen mußte. Nachdem Gregor seine

203 KERN, Gottesgnaden tum, S. 62f. ; K. HOFMANN, S. 8o r 9o; TELLENBACH, Libertas, S. 182f. 204 Reg. VIII 21 (CASPAR, S. 549 Z. 9ff.). 205 Reg. IV 23 (CASPAR, S. 335 Z. 3ff.). Vgl. Reg. IV 12 (CASPAR, S. 313 Z. 19ff.) ; CH. SCHNEIDER, S. 2o7, 2o9.

5o

Gregor VII. und Heinrich IV. im Frühjahr lo77

Ansprüche formuliert hatte, warnte er eindringlich vor Ungehorsam gegenüber dem apostolischen Stuhl; diese Haltung verurteilt er mit 1. Sam. 15,23 als Götzendienst. Diese Bibelstelle, die neben Matth. 16,18ff. in seinen Briefen am häufigsten zitiert wurde, hat für Gregor VII. besondere Bedeutung

. Durch den Hinweis

auf den König Saul, der ungehorsam war, weil er die Weisungen Gottes mißachtete, warnt der Papst, daß jeder,qui apostolicae sedis

oboedire

oontemnit

und dadurch das scelus

idiolatrif

auf

sich lade, das gleiche Schicksal wie Saul zu erwarten habe. Mit dem Samuelwort unterstreicht Gregor VII. seine Forderung nach unbedingtem Gehorsam gegenüber der römischen Kirche. Dabei beruft er sich außer auf das Alte Testament auch auf den Musterpapst Gregor den Großen, der angeordnet habe, daß die Könige ihre Ämter verlieren sollten, wenn sie den Anforderungen des päpstlichen Stuhls nicht nachkämen^ 0 ^. Mit dem Lobpreis auf den Herrscher, qui nostrg liter paruerit

et oboedientiam

universali

christianum regem, exhibuerit^0^,

matri,

iussioni sicut

humi-

decet

umreißt Gregor VII. seine Vor-

stellungen vom rechten König; er soll seine und der Legaten Anerkennung finden. Die Deutschen fordert er auf, diesem demütigen König zu gehorchen, ut regiam et sanatf

ecclesie

iam pene

dignitatem

labenti

honeste

succurrere.

possit

obtinere

Von ihm erhofft

sich Gregor VII. also Unterstützung bei der Wiederherstellung, der Reform der 'schwankenden' Kirche, während er denjenigen, der superbia

inflatus

ist, als ein membrum

antichristi

et

desolatorem

Christiane religionis verachtet, weil er die göttliche Weltordnung zerstöre.

Wie Jakobus warnt der Papst vor Unfrieden und

mahnt seine Getreuen, das Urteil Gottes zu achten und den Hof— 2o9 färtigen zu widerstehen, den Demütigen aber zu folgen . Dieses Urteil spricht aus der von ihnen verkündeten, jedoch vom Heiligen Geist gefällten Entscheidung; indubitanter enim, so fährt der Papst in Anlehnung an Matth. 18,2o fort, credimus, ubiaumque duo

206 Vgl. HACKELSPERGER, S. 75 Anm. 3o; NITSCHKE, Wirksamkeit, S. 179 mit Anm.

254; CH. SCHNEIDER, S. 118 mit Anm. 364; FUHRMANN, "Quod aatholicus", S. 274; ROBINSON, Periaulosus homo, S. U l f . S. auch die Bibelstellenverzeichnisse in den Ausgaben von CASPAR, Register Gregors VII., S. 644 und C0WDREY, Epistolae vagantes, S. 169. 207 Reg. IV 23 (CASPAR, S. 335f.). Vgl. Reg. IV 24 (CASPAR, S. 338 Z. 8ff.). Dazu Register Papst Gregors I. XIII 11, S. 378 Z. 9ff. Vgl. FUHRMANN, "Quod aatholicus", S. 284f. ; HAGENEDER, Häresie, S. 37f. 208 Reg. IV 23 (CASPAR, S. 336 Z. 9ff.). 209 Reg. IV 24 (CASPAR, S. 337£-) .Vgl. Jac. 4,6. Zu 'Hochmut' und 'Demut' vgl. WE INERT; SCHAFFNER.

Die Antwort Gregors VII. auf die Forchheimer Königswahl

vel tres in nomine Domini oongregati

fuerint, praesentia

51

eius

inluminantur Mit der in beiden Mai-Briefen ausgesprochenen Warnung vor Ungehorsam, den er mit dem Götzendienst vergleicht, hält Gregor Heinrich IV. und Rudolf von Rheinfelden das Bild des alttestamentlichen Königs Saul vor Augen, der vom Herrn verstoßen wurde, weil er auf seine Worte nicht hörte. Das Bibelzitat 1. Sam. 15, 23 hatte Gregor schon früher gewählt, wenn er die Kirchenreform ansprach und es darum ging, die bisher tradierte und anerkannte oboedientia

regia durch den Papstgehorsam als einzige Form und 21 1

wahren Ausdruck des Gottesgehorsams zu ersetzen Die oboedientia

gegenüber dem Nachfolger Petri als Anspruch

der päpstlichen Kirchenherrschaft unterstrich Gregor VII. in dem Brief an die Legaten noch durch die Forderung nach humilitas . Die Betonung der iustitia war ebenfalls eine Aufforderung an 212 Heinrich und Rudolf, dem Papst gegenüber Gehorsam zu wahren In den ersten Schreiben, die Gregor VII. nach der Forchheimer Wahl ins deutsche Reich sandte, machte er deutlich, daß er den Thronstreit nicht den Deutschen bzw. den beiden Königen zur Entscheidung überlassen wollte, sondern er stellte klar, daß auch nach Canossa und Forchheim das päpstliche Urteil in der Königsfrage nicht übergangen werden konnte, und unterstrich damit nachdrücklich die apostolische Gewalt auch über weltliche Angelegenheiten als römische Kirchensachen. Um diese wirkungsvoll zur Geltung zu bringen, trug Gregor VII. sich immer noch mit dem Gedanken, seine durch Canossa unterbrochene Reise ins deutsche Reich fortzusetzen. Doch aus einem wenige Tage nach den Mai-Briefen abgefaßten Schreiben geht hervor, daß der Papst seine Reise213 aussichten zur Zeit nicht günstig beurteilte . Denn die deutschen Angelegenheiten hätten sich inzwischen ad gravissimam et pene ad totius patrig divisionem

litem

entwickelt, daß er hoo in

tempore keine Möglichkeit sehe, seine Reise ins deutsche Reich, die er mit dem Ziel angetreten habe, inter regem Heinriaum et prinaipes

210 211 212 213

Reg. Vgl. Vgl. Reg.

terrf paaem et eonoordiam

eomponere,

IV 24 (CASPAR, S. 337f.). CH. SCHNEIDER, S. lo6f.( 119, 123. HAMMLER, S. 46f. IV 25 (CASPAR, S. 339) vom 9. Juni lo77.

fortzusetzen.

52

Gregor VII. und Heinrich IV. im Frühjahr ioli

Die Ereignisse in den Wochen nach Canossa schufen zwischen den drei Parteien eine Konstellation, die sich bis 1o8o nicht wesentlich veränderte. Ist der Zugang zum Selbstverständnis Heinrichs IV. auch durch das Fehlen schriftlicher Zeugnisse sehr erschwert, läßt sich an seinem Verhalten in Oberitalien doch klar erkennen, daß der Salier nach seiner Absolution sowohl auf die Präsentation als auch auf die wirksame Ausübung seiner Königsherrschaft bedacht war. Dies war gerade im italischen Reich wichtig, da Gregor VII. dem Salier die Herrschaft über dieses Regnum streitig machen wollte. Der Papst befand sich im Frühjahr 1o77 in einer schwierigen Situation. Die auf Grund der Canossa-Vereinbarung in Heinrich gesetzten Erwartungen hatten sich nicht erfüllt. So scheiterten seine Reformversuche in Oberitalien, und seine Reise über die Alpen war äußerst ungewiß. Auch nach der gegen seine Mahnungen erfolgten Forchheimer Wahl Rudolfs von Rheinfelden hielt Gregor VII. an dem Schiedsgericht fest, das in Deutschland stattfinden und über die Könige entscheiden sollte. Dieser Anspruch spielte in Gregors Selbstverständnis eine wichtige Rolle und war in den folgenden Jahren ein bedeutender Faktor der päpstlichen 'Politik'. Er resultierte aus der Auffassung, daß die Königsfrage eine kirchliche Angelegenheit sei, der Gregor sich in priesterlicher Pflicht anzunehmen habe.

II. PAPSTTUM UND DEUTSCHES DOPPELKÖNIGTUM IN DER SPANNUNG ZWISCHEN REFORMHOFFNUNG UND HERRSCHAFTSSICHERUNG. VON DER FORCHHEIMER WAHL BIS ZUR SCHLACHT BEI MELLRICHSTADT

1. Der gescheiterte Königsumritt Rudolfs von Rheinfelden durch Schwaben und die vergeblichen Reformversuche der päpstlichen Legaten bis zum Aufenthalt Bernhards von St. Viktor im Kloster Hirsau 1o77/78 Da Gregor VII. nicht selbst über die Alpen reisen konnte, schickte er zwei Legaten zur Forchheimer Versammlung, damit sie die radikale Fürstenopposition beschwichtigen und zur Verschiebung der Königswahl Rudolfs von Rheinfelden veranlassen sollten. Die Übertragung dieses Auftrags an den in Canossa anwesenden Kardinaldiakon Bernhard

1

und den reformerfahrenen

2

Abt Bernhard

von St. Viktor in Marseille hat die Forschung zu der Vermutung angeregt, daß die beiden Legaten auch Reformaufgaben wahrzunehmen hatten. Dabei verwies man allerdings beinahe ausschließlich auf die Tätigkeit des Abtes Bernhard im Kloster Hirsau . Dagegen informieren insbesondere Bernold von St. Blasien und Berthold von Reichenau, daß das Wirken der Legaten weitaus umfangreicher war; dies hat bisher jedoch keine nähere Beachtung gefunden. Die päpstlichen Legaten, die gegen die Weisung Gregors VII. der Erhebung

Rudolfs

letztlich ihre Zustimmung gaben, schlössen

sich nach der Wahl dem 'neuen1 König an. Sie begleiteten ihn zu seiner Krönung und auf dem Zug durch sein Herzogtum Schwaben. Un-

1 Dies geht aus einer Archivüberlieferung zum Canossa-Ereignis hervor; VON

GLANVELL, s. 598: Aatum Canusif ... presentibus ... Romanis diaconibus Gve-

gorio et Bernavdo ... Vgl. CASPAR, Register Gregors VII., S. 315. Zu Bernhard vgl. MASSINO, S. 6off.; SCHUMANN, S. 21f.; CH. SCHNEIDER, S. 2o8; HÜLS, S. 245f. 2 Bernhard von St. Viktor hatte schon Klöster in Frankreich und Spanien reformiert. Vgl. MASSINO, S. 57f.; PAUL SCHMID, Entstehung, S. 184f.; GANZER, Entwicklung, S. 32 mit Anm. 4, 177. 3 Vgl. GISEKE, S. lo; BRACKMANN, Canossa, S. 12; wiederabgedruckt in: Canossa als Wende, S. 315; CH. SCHNEIDER, S. 2o8. SCHUMANN, S. 36ff. hat als einziger auch andere Reformtätigkeiten berücksichtigt.

54

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

sere Aufmerksamkeit gilt nicht allein dem Umritt Rudolfs als Ver4 such der Begründung und der Durchsetzung seiner Herrschaft , sondern auch der Tätigkeit der in seinem Gefolge reisenden päpstlichen Legaten. Von Forchheim zog Rudolf von Rheinfelden über Bamberg und Würzburg nach Mainz, wo ihn Erzbischof Siegfried am 26. März 1o77, dem Sonntag Laetare, zum König krönte^. Im Verlauf der Krönungsfeierlichkeiten kam es zu einem Aufstand der Mainzer Bürger^. Diese Unruhen waren nicht allein durch die 'politische' Einstellung der saliertreuen Stadtbevölkerung hervorgerufen, son7 dern, so berichtet Bernold von St. Blasien , 'auf Anstiften simonistischer Geistlicher' entstanden. Was diese zu dem Aufruhr g

veranlaßte, führt Paul von Bernried näher aus . Während des Gottesdienstes habe Rudolf von Rheinfelden einen am Altare stehenden simonistischen Subdiakon abgewiesen, den Erzbischof Siegfried von Mainz daraufhin durch einen anderen ersetzt habe. Dies stieß bei den Geistlichen auf so großen Widerstand, daß sie nicht davor zurückscheuten, die Bevölkerung von Mainz gegen Rudolf und Siegfried aufzuhetzen. Dieses Bündnis zwischen Geistlichkeit und Bür9 gerschaft zwang den Gegenkönig schließlich zum Abzug aus Mainz . Während G. Meyer von Knonau den Berichten Pauls und Bernolds kein großes Gewicht beimaß und unter Berufung auf Bruno von Merseburg den Aufstand vor allem auf die Anhänglichkeit der Bevölkerung an Heinrich IV. zurückführte verteidigte H. Schrohe die Glaubwürdigkeit jener Überlieferung, die D. Demandt durch den Hinweis aufwertete, daß die Mainzer schon 1o72 in einem Brief an ihren Erzbischof Siegfried, der vorübergehend in Cluny als Mönch lebte, ihre Distanz zu den neuen Reformideen zum Ausdruck ge11

bracht hatten . So waren sie jetzt nicht bereit, die Entscheidung Rudolfs widerspruchslos hinzunehmen. Durch ihre Ablehnung 4 Vgl. SCHEIBELREITER, S. 15ff., der auf Grund einzelner Elemente Rudolfs Zug durch Schwaben und Sachsen als Umritt erkannt hat. Zur Bedeutung des Umritts vgl. R. SCHMIDT, bes. S. 231ff. 5 Berthold von Reichenau, S. 292 Z. 33ff.; Bernold von St. Blasien, S. 433 Z. 38f.; Bruno von Merseburg, S. 85f.; Regesten zur Geschichte der Mainzer Erzbischöfe, Nr. 135 S. 211f. Vgl. THOMAS, S. 394ff., der in der Erringung des Krönungsrechtes das wesentliche Motiv der Königspolitik Siegfrieds sieht; BOSHOF, Köln, S. 44f. 6 Berthold von Reichenau, S. 292 Z. 36ff.; Bruno von Merseburg, S. 86f.; Frutolf von Michelsberg, S. 88 Z. U f f . Vgl. DAUCH, S. 122f.; BÜTTNER, Bischofsstädte, S. 357; RUDOLPH, S. 127-127b. 7 Bernold von St. Blasien, S. 433 Z. 4off. 8 Paul von Bernried, S. 532f. 9 Frutolf von Michelsberg, S. 88 Z. 17ff. 10 Bruno von Merseburg, S. 86f. Vgl. MEYER VON KNONAU 3, S. 632ff., bes. 634; ebenso GREVING, S. lo4 und FALCK, S. 123f. 11 CU 39 (JAFFE, S. 82). SCHROHE, S. 18f., 21off.; TELLENBACH, Liberias, S. 67ff.; DEMANDT, S. 8ff. Zu Siegfrieds Verhältnis zu Cluny vgl. BÜTTNER, Erzstift Mainz, S. 44f., 5o; MEHNE, S. 272f.

Der gescheiterte Königsumritt Rudolfs von Rheinfelden

55

seiner Maßnahme gaben sie auch zu erkennen, daß sie weiter auf der Seite Heinrichs IV. standen. Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, daß die beiden päpstlichen Legaten, deren Aufenthalt in Mainz bezeugt 12

ist , keine reformerische Tätigkeit entfalten konnten. Wie in Mainz stieß Rudolf von Rheinfelden auch in Worms auf Ablehnung^; der vorzeitige Protest der Bürger machte sogar einen Einzug in die Stadt unmöglich. So zog der Gegenkönig weiter über Lorsch, Esslingen und Ulm nach Augsburg; dort feierte er das 14

Osterfest In der Stadt am Lech fanden mehrere Akte statt, die den Herrscherantritt Rudolfs bekunden und ihn als legitimen König ausweisen sollten. Die Meldung Bertholds von Reichenau, der König, der gesamte Klerus und das Volk seien am Osterfeste in feierli15 eher Prozession zur St. Johannes-Kirche gezogen , kann ein Hinweis darauf sein, daß in Augsburg eine Festkrönung Rudolfs stattgefunden hat 1 ®. Zwar erwähnt Berthold nicht, daß Rudolf die Krone getragen hat, doch wird die feierliche Prozession unter starker Beteiligung des Volkes und der Geistlichkeit hervorgehoben; dies war ein Charakteristikum einer mittelalterlichen Festkrönung, die auch anläßlich eines Umritts erfolgen konnte1^. Weiter wird überliefert, daß Rudolf in Augsburg einen Hoftag abhielt. Hier wollte er perplura, quae regno et aecclesiae sanetae neoessaria fuevant, -Lilie traatare et disponeve cum princi18

pibus suis . Diese Versammlung war jedoch keineswegs ein generale colloquium mit den Fürsten des Reiches, wie Bernold von St. 19

Blasien berichtet ; aus dem Reichsepiskopat gehörten lediglich die vertriebenen Bischöfe von Worms, Würzburg und Passau zu den ständigen Begleitern des Gegenkönigs. Berthold muß enttäuscht

12 Frutolf von Michelsberg, S. 88 Z. lof.; Paul von Bernried, S. 53o. 13 Mainz und Worms gehörten in diesen Jahren zu den saliertreuen Städten am Mittelrhein; vgl. METZ, Städte, S. 39ff.; BÜTTNER, Bischofsstädte, S. 355ff.; SEIDER, S. 4ff.; KOTTJE, Bedeutung, S. 134ff. - Die Züge Rudolfs nach Mainz, Horms und später nach Würzburg - hierzu unten S. 87 können u.a. die Absicht verfolgt haben, die zu seinem Gefolge gehörenden Bischöfe Siegfried, Adalbert und Adalbero wieder in ihre Bistümer zurückzuführen. 14 Bernold von St. Blasien, S. 434 Z. 7f.; Berthold von Reichenau, S. 292 Z. 41ff.; Regesten der Bischöfe und des Domkapitels von Augsburg, Nr. 336 S. 2olf. 15 Berthold von Reichenau, S. 293 Z. 9f. 16 Diese Ansicht vertritt SCHEIBELREITER, S. 18. Daß der Rudolf freundlich gesinnte Berthold das Tragen einer Krone nicht erwähnt, stimmt beim Vergleich zu Heinrich IV. skeptisch. Vgl. den folgenden Text. 17 BRÜHL, Festkrönung, Sp. lllo. Zu Kennzeichen und Bedeutung einer Festkrönung vgl. unten S. 77ff. 18 Berthold von Reichenau, S. 292 Z. 45ff. 19 Bernold von St. Blasien, S. 434 Z. 12. Daß der Chronist den Hoftag irrig nach Esslingen verlegt, hat schon SCHEIBELREITER, S. 18 mit Anm. 17 erkannt.

56

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

feststellen, daß immer mehr Fürsten - non solum vero milites,

set etiam antiqui,

suam oonfirmaverant

qui ipsi iureiurando

novitii

iam olim fidem

- von Rudolf abfielen^ 0 . Der Versuch, sich

auf dem Augsburger Hoftag die Anerkennung der Schwaben zu verschaffen, schlug damit fehl. Auch der in Augsburg residierende Bischof widersetzte sich dem Gegenkönig. Als Anhänger Heinrichs weigerte sich Embriko, Rudolf 21

wie einen König zu empfangen und ihm zu huldigen . Dies war ein Zeremoniell, das Rudolf als Zeichen der Anerkennung seiner Herrschaft forderte. Gerade "Huldigungen spielen immer dann eine besondere Rolle, wenn dem Herrschaftsantritt Hindernisse im Wege 22 stehen"

. Wie sehr der Rheinfeldener darauf Wert legte, zeigt

seine Einmischung in die Tätigkeit der päpstlichen Legaten. Diese wurden in Augsburg zum erstenmal in kirchlichen Angelegenheiten aktiv. Anlaß dazu gab die Person des Bischofs Embriko. Er war wohl mit Heinrich IV. nach Canossa gezogen, doch nicht vom Bann gelöst worden, da er sich dem geforderten Eid durch die 23 Flucht entzog und nach Augsburg zurückkehrte

. Als er nun be-

kannte, durch den Verkehr mit dem gebannten König Schuld auf sich geladen zu haben, wurde er von den Legaten zunächst seines Priesteramtes entkleidet, denn Embriko galt als exkommuniziert und war für die Reformer deshalb in seinem Amt untragbar. Erst auf dringende

Bitten Rudolfs erlaubten sie 24 dem Bischof wieder, sein

Amt zunächst eine Zeitlang

auszuüben

. Politische Rücksicht-

nahme war entscheidend dafür, daß die Amtsenthebung wieder rückgängig gemacht wurde. Denn angesichts seiner schwachen Stellung war Rudolf auf jede Unterstützung angewiesen. Gegen den ursprünglichen Plan der Legaten beließ er Embriko in seinem Bischofsamt, 25 nachdem dieser ihm Handgang und Treueid

geleistet hatte

. Trotz

seiner Huldigung blieb Embriko kein zuverlässiger Parteigänger Rudolfs. Schon bald wandte er sich dem aus Italien zurückkehren-2 6 den salischen König zu und zog mit ihm zum Pfingsthoftag nach Ulm . Der Aufenthalt in Augsburg, wo ursprünglich das Schiedsgericht unter Leitung Gregors VII. stattfinden sollte, hatte für 20 Berthold von Reichenau, S. 292 Z. 47ff., zu den Bischöfen als Begleiter Rudolfs ebd. S. 292. 21 PEYER, Empfang, S. 226; SCHEIBELREITER, S. 18. 22 R. SCHMIDT, S. 232. Vgl. DIESTELKAMP, Huldigung, Sp. 262, 264. 23 Berthold von Reichenau, S. 29o Z. 29f. Vgl. Regesten der Bischöfe und des Domkapitels von Augsburg, Nr. 335 S. 2oof.,- ZOEPFL, Augsburger Bischöfe, S. 3o7; DERS., Bistum Augsburg, S. loo. 24 Berthold von Reichenau, S. 293 Z. lff. 25 Ebd. S. 295 Z. 49ff.; Bernold von St. Blasien, S. 434 Z. 34f. Zur hominatio vgl. MINNINGER, S. 34f. 26 Berthold von Reichenau, S. 295f.; Bernold von St. Blasien, S. 434 Z. 34f. Vgl. ZOEPFL, Augsburger Bischöfe, S. 3o8; DERS., Bistum Augsburg, S. lol.

Der gescheiterte Königsumritt Rudolfs von Rheinfelden

57

Rudolf von Rheinfelden einen hohen Stellenwert. Durch mehrere Akte, wie die Prozession in Art der Festkrönung und die Huldigung, auch durch Abhaltung eines Hoftages wollte er sich als neuen und einzig legitimen Herrscher des Reiches darstellen. Dabei blieb ihm jedoch der Erfolg versagt. Auch das Wirken der beiden päpstlichen Legaten wird in den Quellen erwähnt und verdient unsere besondere Aufmerksamkeit. Mit der Suspendierung des in Canossa nicht absolvierten Augsburger Bischofs handelten sie im Sinne der Reform. Ob Gregor VII. ihnen diese Aufgabe übertragen hatte, ist zwar nicht überliefert. Doch dürfen wir annehmen, daß der Papst ihnen in Reformangelegenheiten allgemeine Weisungen erteilt hat, wie Gregor VII. seinen Legaten 27

häufig mündlich Aufträge und Informationen auf den Weg mitgab Doch konnten sich die Legaten in Augsburg nicht durchsetzen, da politische Rücksichtnahme sie zur Revision ihrer Maßnahme zwang. Darüber hinaus äußerten sie sich zu kanonischen Fragen und suchten alte päpstliche Vorschriften wieder zur Geltung zu bringen. Unter anderem wandten sie sich gegen die bisherige Verwendung des Ostertaufwassers und erneuerten die angebliche Vorschrift Papst Alexanders I., daß Salz 28 und Wasser an jedem Sonntag von Priestern geweiht werden sollten 29

Von Augsburg zog Rudolf von Rheinfelden auf der Königsstraße über Ulm zum Kloster Reichenau und weiter nach Konstanz. Auch in dieser wichtigen Stadt, die neben Ulm ein Zentrum des schwäbischen Herzogtums war^°, wurden die päpstlichen Legaten aktiv. Sie beriefen eine Versammlung ein, zu der sie auch den auf die Burg des Grafen Otto von Buchhorn geflohenen Bischof von Konstanz luden, damit er sich vor ihnen rechtfertige"^ . Otto gehörte zu den Unterzeichnern des Wormser Absetzungsdekrets der Bischöfe an den Papst und war deshalb von Gregor VII. 27 Vgl. GROSSE, S. 27. Als Beispiele vgl. EC 2o (JAFFE, S. 547) = EV 19 (COWDREY, S. 54); EC 26 (JAFFE, S. 552) = EV 27 (COWDREY, S. 7o). 28 Berthold von Reichenau, S. 293 Z. loff. Vgl. SCHUMANN, S. 129f. Anm. 41; ZOEPFL, Augsburger Bischöfe, S. 3o8 Anm. 22. Die auf Grund der Überschrift über der Schwäbischen Rezension der 74-Titel-Sammlung von MICHEL, Sentenzen, bes. S. 136ff.; OERS., Humbeit, S. 112 und GILCHRIST, Diuersorum patrum sententie, S. XXVIIf., LXXVIII; DERS., Collection, S. 29 vertretene Ansicht, daß die Legaten im Besitz der 74-Titel-Sammlung gewesen seien und sie in Deutschland verwendet hätten, erhält durch den zitierten Bericht Bertholds eine Stütze; denn die von diesem erwähnte, wenn auch inhaltlich wohl nicht ganz richtig wiedergegebene Bestimmung Alexanders I. ist als identisch mit dem Titel 33, c. 211 (GILCHRIST, Diuersorum patrum sententie, S. 134) De benedictione salis et aque anzusehen. Zur 74-Titel-Sammlung vgl. zuletzt FUHRMANN, Reformgeist; BLUMENTHAL, Codex Guarnerius 2o3. 29 Zu der seit der Angliederung Burgunds lo33 wichtigen Straße Augsburg - Ulm - Konstanz - Zürich vgl. RIECKENBERG, S. lo8; TELLENBACH, Augsburgs Stellung, S. 65; PETER SCHMID, S. 3o. 30 Vgl. zuletzt MAURER, Konstanz; DERS., Herzog, passim. 31 Berthold von Reichenau, S. 293 Z. 21ff., auch zum Folgenden.

58

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

32 seines Bischofsamtes enthoben worden

. Trotzdem habe er, so be-

richtet Berthold von Reichenau, weiterhin Geistliche ordiniert, Kirchen eingeweiht und andere bischöfliche Amtshandlungen vorgenommen. Um dieses zu unterbinden, hielten die Legaten ein Kapitel ab und gingen ex apostoliaa auotoritate besonders gegen Simonie und Nikolaitismus vor, die in dem Bistum weit verbreitet waren. Darüber hinaus verboten sie den Gläubigen, die Amtshandlungen verheirateter Kleriker anzunehmen. Die beiden Bernharde untersagten alles, was nicht im Sinne der neuen Reformideen war. Doch führten ihre Bestrebungen über Versuche nicht hinaus. Ihr Vorgehen gegen den Bischof Otto brachte keinen Erfolg. Denn nichts deutet darauf hin, daß Otto der Ladung folgte. Vielmehr nahm er auch in den folgenden Jahren noch bischöfliche Amtshandlungen, wie z.B. die Einsetzungen verheirateter Kleriker vor, was im Jahre 1o8o zu seiner Absetzung und Exkommunikation durch Papst Gregor VII. führte 33 . Vom Bodensee wandte sich Rudolf von Rheinfelden nach Zürich. Sogar Berthold von Reichenau, ein Anhänger des Gegenkönigs, berichtet, daß zu dieser Zeit immer mehr Geistliche sich wieder 34 Heinrich IV. zuwandten und Rudolf verließen . Diese Umstände ließen noch weniger als in Augsburg und Konstanz eine Reformtätigkeit der Legaten zu. So hören wir nichts von einer Aktivität der beiden Bernharde, obwohl wir davon ausgehen können, daß sie den Gegenkönig auch nach Zürich begleitet haben 3 ^. Um diese Zeit trat Abt Bernhard von St. Viktor mit seinem Begleiter Christian den Rückweg nach Rom an, wurde aber unterwegs von Udalrich von Lenzburg, einem Anhänger Heinrichs IV., gefangengenommen und auf 36 die nahe bei Zürich gelegene Lenzburg gebracht , ohne daß Rudolf helfend eingriff. Schon bald kehrte dieser um und zog ins Schwarzwaldkloster Hirsau, wo er das Pfingstfest 37 feierte. Dem Kloster machte er eine Schenkung von zwölf Hufen . Da der Zustrom zu Heinrich IV. immer größer wurde, konnte sich der Rhein32 Einige Quellen berichten zwar auch von einer Exkommunikation Ottos - vgl. Regesten zur Geschichte der Bischöfe von Constanz, Nr. 5o8 S. 65 -, doch geht die neuere Forschung davon aus, daß der Konstanzer Bischof nur suspendiert wurde; E. HOFMANN, S. 194ff. mit Diskussion der älteren Forschung; zuletzt MAURER, Konstanzer Bürgerschaft, S. 366; MISCOLL-RECKERT, S. 97. 33 Regesten zur Geschichte der Bischöfe von Constanz, Nr. 514 S. 66. 34 Berthold von Reichenau, S. 294 Z. 3ff. Zu dieser Zeit kehrte Heinrich IV. ins deutsche Reich zurück. 35 Schon SCHUMANN, S. 39 äußerte diese Vermutung. 36 Berthold von Reichenau, S. 297 Z. 4off. Vgl. WEIS, S. 87. Nach Bernold von St. Blasien, S. 434 Z. 9 war Abt Bernhard nach Rom gerufen worden. - Zur Parteienkonstellation in dieser Region vgl. WEIS, S. 88ff.; BÜTTNER, Staufer, S. 3ff.; wiederabgedruckt in: DERS., Schwaben, S. 439ff. 37 Bernold von St. Blasien, S. 434 Z. 21f. Vgl. SCHÄFER, S. 9; SCHEIBELREITER, S. 18.

59

Der gescheiterte Königsumritt Rudolfs von Rheinfelden

felderier in Süddeutschland nicht mehr länger halten; noch im Juni 1o77 zog er nach Sachsen, nachdem sein Versuch, Heinrich IV. mit einem Heer entgegenzuziehen, am Widerstand seiner Gefolgsleute gescheitert war, da sie prudenti aautione rieten, den Heer38 zug auf einen späteren günstigen Zeitpunkt zu verschieben Rudolf von Rheinfelden kam zunächst nach Erfurt und wurde 'von einer nicht geringen Menge Sachsen mit königlichen Ehren' nach Merseburg geleitet, wo er am 29. Juni eintraf. Dort huldigten ihm auf einem Hoftag de aunotis

Saxoniae 39

partibus

maiores

et

medioares und erkannten ihn als König an . Doch sein Reiseweg durch das östliche Sachsen und die Nachricht Bertholds, Rudolf habe nach seiner Ankunft in Sachsen einige Westfalen 4o und Thüringer unterworfen, da sie sich gegen ihn empört hätten , zeigen, daß nicht ganz Sachsen sich dem Rheinfeldener anschloß; dauernde und sichere Unterstützung fand der Gegenkönig nur im östlichen Teil des Herzogtums. "Mit dem Herrschaftsantritt Rudolfs in Sachsen war der formale 41 und effektive Höhepunkt seiner königlichen Gewalt erreicht" Rudolfs Umritt in Schwaben war gescheitert; in den anderen Herzogtümern unternahm der Gegenkönig nicht einmal den Versuch, die Anerkennung durch Adel und Volk zu erlangen. Auch im Reichsepiskopat fand er keine Unterstützung. Nur Adalbert von Worms, Adalbero von Würzburg und Altmann von Passau gehörten zu Rudolfs ständigen Begleitern auf seinem Umritt. Auch Siegfried von Mainz stand zu ihm. Embriko von Augsburg trat nur scheinbar und um sein Bischofsamt zu retten auf die Seite des Gegenkönigs, während Otto von Konstanz sich der Huldigung durch die Flucht entzog. Im Gegensatz zum Interesse an den Anfängen des rudolfinischen Gegenkönigtums ist die Tätigkeit der beiden päpstlichen Legaten in den Hintergrund gedrängt und kaum beachtet worden. Zwischen Beidem besteht aber eine Beziehung, die in unserem Zusammenhang von Bedeutung ist. Wir dürfen als gesichert annehmen, daß die Legaten den Gegenkönig auf seinem Zug von Forchheim bis Zürich begleite38 Berthold von Reichenau, S. 298 Z. loff. Rudolfs Entschluß und die Absage seiner Gefolgsleute war wohl die Antwort auf die Aufstellung eines Heeres durch Heinrich IV. in Regensburg; vgl. unten S. 69. 39 Bruno von Merseburg, S. 87 Z. 16ff. Vgl. Berthold von Reichenau, S. 298 Z. 23ff. BRUNS, S. 89; SCHLESINGER, Merseburg, S. 178; SCHEIBELREITER, S. 19ff.; GIESE, S. 5o. SCHWINEKÖPER, Königtum, S. 53 übernimmt mit der Datierung des Erfurter Aufenthaltes auf Pfingsten die falsche Angabe Brunos von Merseburg, S. 87 Z. 15f. 40 Berthold von Reichenau, S. 3o2 Z. 31f. Vgl. LEIDINGER, S. 291. Anfang lo79 sah Rudolf sich zu einem erneuten Heerzug in diese Region genötigt; vgl. unten S. 147. 41 SCHEIBELREITER, S. 21.

6o

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

ten. Während Abt Bernhard von St. Viktor sich von hier aus auf den Weg nach Italien machte, dabei jedoch gefangengenommen wurde, blieb der Kardinaldiakon Bernhard bei Rudolf von Rheinfelden 42 und zog mit ihm nach Sachsen Damit war das gemeinsame Wirken der beiden päpstlichen Legaten beendet. Ihre Reformtätigkeit in Schwaben blieb ohne Erfolg. Ausschlaggebend dafür war die Tatsache, daß Rudolf von Rheinfelden in diesem Herzogtum keine Anerkennung fand und scheiterte. Nur ein starker König konnte die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Durchsetzung der neuen Reformideen schaffen. Eine Ausnahme bezüglich des Reformwirkens der Legaten macht das Kloster Hirsau, das wir wegen seiner Wichtigkeit nicht übergehen können, wenngleich das Schwarzwaldkloster 43 damals von seiner späteren Bedeutung noch weit entfernt war . Da es von den Kriegswirren verschont blieb, konnte es sich zu einem führenden Reformkloster in Deutschland entwickeln. Entscheidenden Anteil daran hatte Abt Bernhard von St. Viktor in Marseille, der zusammen mit seinem Begleiter etwa im September 1o77 von Udalrich von Lenzburg aus der Haft entlassen wurde, nachdem Hugo von Cluny zu seinen Gunsten bei Heinrich IV. inter44 veniert hatte . Nach seiner Freilassung zog Bernhard nicht, wie er ursprünglich geplant hatte, nach Italien, sondern machte sich auf den Weg nach Hirsau. Am 6. Oktober ist er in St. Blasien bezeugt, wo er an dem Verbrüderungsvertrag 45 zwischen diesem Kloster und St. Viktor in Marseille mitwirkte . Dabei datierte man nicht mehr nach den Regierungsjähren Heinrichs IV., sondern nach dem vierten Pontifikatsjahr Gregors VII. und dem ersten Königsjahr Rudolfs von Rheinfelden und gab dadurch zu erkennen, daß man nur diesen als Herrscher akzeptierte. Anschließend zog Bernhard weiter ins Kloster Hirsau, wo er sich etwa ein Jahr lang aufhielt und auf nach die Möglichkeit zur Rückkehr nach Italien wartete, da ihm 46 der Weg Süden noch immer versperrt war

42 SCHUMANN, S. 42. Zu Abt Bernhard vgl. oben S.58 nach Anm. 35. 43 Vgl. FEIERABEND, S. 22f. Anm. 4; HIRSCH, Reinhardsbrunn, S. 46f.; KURZE, S. 271ff. Zu den Anfängen Hirsaus vgl. K. SCHMID, Kloster Hirsau, S. 13ff., hier S. 29f. 44 Berthold von Reichenau, S. 297 Z. 44ff. Vgl. MEYER VON KNONAU 3, S. 89f.; SCHUMANN, S. 4o; WEIS, S. 88. 45 MGH Nekrologia Germaniae 1, S. 327. Vgl. WOLLASCH, Muri, S. 433; BÜTTNER, St. Blasien, S. 143f.,- wiederabgedruckt in: DERS. , Schwaben, S. 137. 46 Berthold von Reichenau, S. 298 Z. 6ff. Vgl. Constitutiones Hirsaugienses (MIGNE 15o, Sp. 927f.).

Der gescheiterte Königsumritt Rudolfs von Rheinfelden

61

Die Wahl Hirsaus war keineswegs zufällig. Schon vor den turbulenten Ereignissen der Jahre 1o76/77 waren Abt Wilhelm und Papst Gregor einander begegnet, als jener im Herbst 1o7 5 nach Rom reiste, um den päpstlichen Schutz für sein Kloster zu erlangen. Noch am Ende dieses Jahres stellte Gregor VII. ihm ein Privileg aus, mit dem er Hirsau in seinen Schutz nahm und die durch das Hirsauer Formular Heinrichs IV. entstandene Rechtslage bestätigte^. Auch Adalbert von Calw, der Wiederbegründer und Förderer Hirsaus, stand seit einigen Jahren mit Gregor VII. in Verbindung. Dieser hatte sich schon 1o74 lobend über den Grafen geäußert und ihn zur Standfestigkeit gegenüber simonistischen Bischöfen und 48 Priestern ermutigt . Im Frühjahr 1o77 nahm Adalbert den saliertreuen Bischof Theoderich von Verdun gefangen und bot in seinem "festgefügte(n) und bedeutende(n) Machtkomplex" dem Gegenkönig sichere Zuflucht vor seinem Rückzug nach Sachsen 49 49a Graf Adalbert von Calw und vor allem Abt Wilhelm von Hirsau , die beide den neuen Reformideen gegenüber aufgeschlossen waren, hatten also, etwa durch die Beseitigung des Eigenkirchenrechts, günstige Voraussetzungen geschaffen, unter denen sich Hirsau schnell zu einem Reformkloster entwickelte. Auf dieser Grundlage konnte der päpstliche Legat die Reform weiter ausbauen. Unter Berücksichtigung dieser Vorgeschichte, die wir hier nur skizzieren, wird es verständlich, warum Bernhard von St. Viktor gerade das Kloster Hirsau aufsuchte. Abt Wilhelm von Hirsau gibt uns in seinen Constitutiones Hirsaugienses genauere Auskunft über die Tätigkeit Bernhards während dessen einjährigem Aufenthalt in dem Kloster an der Nagold. Die Einkehr des päpstlichen Legaten in Hirsau sieht Wilhelm als 'wunderbare' und 'barmherzige' Fügung Gottes. Durch Wilhelms Be47 JL 5279; SANTIFALLER, Quellen, Nr. 88 S. 72f. Daß Gregor VII. das Hirsauer Formular (D HIV 28o) bestätigt habe, nahm zuerst an BÜTTNER, Abt Wilhelm, S. 33of.; im Anschluß an ihn JAKOBS, Adel, S. 55 Anm. 4o; zuletzt GAWLIK, Analekten, S. 375ff. Vgl. auch COWDREY, Cluniacs, S. 199ff. Die Bestätigung bestritten noch TH. MAYER, Gregor VII., S. 159ff. u.ö.; DERS., Fürsten, S. lo2ff.; K. SCHMID, Kloster Hirsau, S. 56; JAKOBS, Hirsauer, S. llff., 17ff., 99ff.; KURZE, S. 268, 271. Vgl. auch unten S. 65. Zur Bedeutung des Romaufenthalts für Wilhelm vgl. ROBINSON, Friendship Network, S. lf. 48 Reg II 11 (CASPAR, S. 142f.). 49 Lambert von Hersfeld, S. 289 Z. 3ff. KURZE, S. 271f., Zitat S. 272. Zum Besitz der Grafen von Calw um Hirsau vgl. GREINER, S. 4off. Zur politischen Bedeutung von Rudolfs Aufenthalt vgl. schon die Kontroverse zwischen SÜSSMANN, S. 29f., der sie bestreitet, und M. FISCHER, S. 14f., der Süßmann widerspricht. Vgl. oben S. 6o. 49aZur Wiederaufrichtung Hirsaus K. SCHMID, Kloster Hirsau, S. 53ff. Zum Verhältnis Kloster und Adel bei der Reform DERS., Adel.

62

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

rieht erfahren wir, wie stark der Einfluß Bernhards auf die Umgestaltung des Klosters gewesen ist. Der päpstliche Legat wies Wilhelm darauf hin, daß Hirsau admodum aptus est monasticae,

aonversationi

und riet zur Einführung cluniacensischer Gewohnheiten,

da nach seiner Ansicht Cluniaeense

aoenobium potissimum

. . .

el-i-

gendum sei 5 °. Mönche wurden zum burgundischen Reformzentrum gesandt, während Ulrich von Regensburg um 1o79/8o für Hirsau die cluniacensischen Gewohnheiten aufzeichnete

. Die Gestaltung und

endgültige Einführung der 'Consuetudo Hirsaugiensis' dürfte sich 52 bis ins Jahr 1o79 hingezogen haben Den wichtigen Anstoß dazu gab also Bernhard von St. Viktor. Trotz der Tatsache, daß er vor allem auf Fürsprache des Abtes Hugo von Cluny die Freiheit wiedererlangte, müssen wir davon ausgehen, daß Bernhard das aufstrebende Schwarzwaldkloster auf Weisung Gregors VII. nach seiner Freilassung aufsuchte. Denn nicht ohne Grund erwähnt Wilhelm von Hirsau in der Einleitung seiner Constitutiones Hirsaugienses, daß Bernhard apostoliaae

sedis

legatione funotus an die Nagold gekommen sei"^. Die päpstliche Mission des Legaten wird auch aus den Worten deutlich, mit54 denen Abt Wilhelm auf das Ende von Bernhards Tätigkeit hinweist . So konnte Bernhard von St. Viktor, während er auf eine Reisemöglichkeit nach Italien wartete, seinen päpstlichen Auftrag ausführen und in Hirsau eine Phase einleiten, an deren Ende die Reformierung des Klosters im Sinne cluniacensischer Gewohnheiten s t a n d ^ . Damit war dieses Unternehmen erfolgreicher als der im Frühjahr und Sommer 1o77 mit seinem Gefährten, dem Kardinaldiakon Bernhard, unternommene Versuch, in einzelnen Bistümern - wir besprachen die 50 Constitutiones Hirsaugienses (MIGNE 15o, Sp. 927ff.K 51 Ebd. Sp. 929. Vgl. M. FISCHER, S. 18ff. ; BRACKMANN, Anfänge, S. 221t.-, wiederabgedruckt in: DERS., Aufsätze, S. 284f.; TÜCHLE, S. 216f.; OTT. 52 BRACKMANN, Anfänge, S. 228; wiederabgedruckt in: DERS., Aufsätze, S. 285; BÜTTNER, Abt Wilhelm, S. 331f. 53 Constitutiones Hirsaugienses (MIGNE 15o, Sp. 927f.). PAUL SCHMID, Entstehung, S. 186f. und BRACKMANN, Gregor VII., S. 9f.; wiederabgedruckt in: DERS-, Aufsätze, S. 531f. betonen, daß Gregor VII. auf Grund des gespannten Verhältnisses zu Cluny und angesichts des Reformerfolgs dieses Klosters in den romanischen Ländern mittels seines Legaten das Heft selbst in die Hand nehmen wollte, um in Hirsau ein Reformzentrum in Deutschland zu schaffen. Zum Verhältnis Hugo - Gregor HUNT, S. 142ff. Ohne den 'Konkurrenz-Aspekt' sieht auch COWDREY, Cluniacs, S. 2o2ff. Hirsau "as an apt instrument of Gregory VII's purposes in Germany". 54 Constitutiones Hirsaugienses (MIGNE 15o, Sp. 929B). 55 Auch BRACKMANN, Canossa, S. 12; wiederabgedruckt in: Canossa als Wende, S. 315 betont die "cluniacensische Aufbauarbeit" des Legaten "in Hirsau und den später folgenden Klöstern". Daß dies allein die "Hauptaufgabe" des Abtes war, läßt sich in Anbetracht der Reformtätigkeit der Legaten in den Bischofsstädten so uneingeschränkt nicht sagen. Ferner müssen die Texte Bertholds von Reichenau und Wilhelms von Hirsau berücksichtigt werden; vgl. oben S. 6omit Anm. 46. - Zu Einzelheiten der Reform vgl. immer noch GISEKE, S. 24ff.

Der gescheiterte Königsumritt Rudolfs von Rheinfelden

63

Beispiele Augsburg und Konstanz - Reformideen durchzusetzen. Daß diese erfolglose Mission wesentlich aus der politischen Schwäche des neuen Königs, dem sie sich nach Forchheim angeschlossen hatten, resultierte, war dabei deutlich geworden. Der Reformerfolg in Hirsau wurde vor allem dadurch entschieden, daß das Kloster nicht in den salischen Einflußbereich gelangte. Ein drohender Angriff Werners von Straßburg im Herbst 1o77 blieb durch den plötz56

liehen Tod des Bischofs bei Pforzheim aus . In den folgenden Jahren war das Kloster fest in den Händen der Reformpartei; Hirsauer Mönche halfen wohl auch bei der Verbreitung päpstlicher Schriften5^. Daß Bernhard von St. Viktor den Hirsauer Abt für die Reform nach dem Vorbild Clunys gewonnen hatte, trug schon wenige Jahre später über Hirsau hinaus Früchte. Im Jahre 1o79 beauftragte Graf Burkhard von Nellenburg den Abt von Hirsau, sein Kloster Allerheiligen zu Schaffhausen nach den5 8cluniacensischen Gewohnheiten Hirsauer Prägung umzugestalten . Nach Überprüfung der Verhältnisse begab sich Wilhelm mit einigen Mönchen nach Schaffhausen und führte dort innerhalb von zwei Jahren die Reform ein. Die Erfahrung der Verhandlungen mit Adalbert von Calw 1o75 kam ihm dabei ebenso zugute, wie ihn die "Weiterentwicklung seiner eigenen Anschauungen" beeinflußte. Vor allem die cluniacensischen Gewohnheiten, mit denen ihn Abt Bernhard von St. Viktor 1o77/78 vertraut gemacht hatte, leiteten Wilhelm bei der Reformierung 59 eines auswärtigen Klosters Mit dieser Umwandlung änderte sich auch die rechtliche Stellung von Allerheiligen. Auf Grund einer Abmachung zwischen Wilhelm und Burkhard verzichtete der Nellenburger Graf auf alle Rechte, die mit seiner bisherigen Position als Eigenkirchenherr verbunden waren, einschließlich der Vogtei, die ihm später - allerdings durch das Kloster - wieder übertragen wurde, so daß er "nicht selbständiger Herr der Vogtei, sondern Klosterbeamter" war^°. Anfang März 1o8o schenkte Burkhard dem ehemaligen Nellenburger Hauskloster die Freiheit®^. 56 Regesten der Bischöfe von Straßburg, Nr. 331 S. 287ff.; HAFNER, S. 7o. Vgl. SCHERER, S. 6off.; STENZEL, Hirsau, S. 26; BÜTTNER, Bischofsstädte, S. 352. Die Zweifel von FEIERABEND, S. 23 Anm. 4 an dem Plan Werners überzeugen nicht. 57 FUHRMANN, Ein in Briefform verschicktes Constitutum Constantini, S. 347. 58 Die ältesten Urkunden von Allerheiligen, Nr. 7,1 S. 15. Vgl. BÜTTNER, Abt Wilhelm, S. 332; HILS, S. 82. 59 BÜTTNER, Klosterreform, S. lo7f. Zum Wandel Wilhelms in Rom vgl. unten S. 65. 60 HEILMANN, S. 42f. 61 Die ältesten Urkunden von Allerheiligen, Nr. 7,1 S. 15. Vgl. BÜTTNER, Allerheiligen, S. 9f.; wiederabgedruckt in: DERS., Schwaben, S. 192f. ; DERS-, Abt Wilhelm, S. 332; HILS, S. 82.

64

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

Nur zwei Monate später bestätigte Gregor VII. die neue Rechtsstellung des Klosters, wie er Abt Wilhelm in einem Brief mit62

teilte

. Dem ersten Teil dieses Schreibens entnehmen wir, daß

schon der Abt wichtige Schritte unternommen hatte, um die Freiheit des Klosters sicherzustellen. Gregor bestätigt dies Vorgehen und billigt Wilhelms Studium dileotionis. Dieser solle für die Einsetzung eines Abtes Sorge tragen. Dann legt Gregor dar, wie er sich den Rechtszustand des Klosters vorstellt. Damit die Mönche von Allerheiligen ihr propositum leichter erreichen und das obsequium debite devotionis einlösen können, will der Papst jede Einmischung von außen unterbinden. Weder Kleriker noch Laien sollen irgendwelche Rechte Gregor zählt sie auf - an dem Kloster geltend machen, sed ita sit ab omni seaulari potestate seaurus et Romanf sedis libertate quietus, s-iout oonstat Cluniaaense monasterium et Massiiiense manere. Der Abt allein soll den Vogt bestimmen und, falls er untauglich sei, durch einen anderen ersetzen. In einer früheren Urkunde hatte Alexander II. dem Gründer von Schaffhausen, dem Grafen Eberhard von Nellenburg, die erbliche Vogtei, das Recht der Abteinsetzung und die gesamte Vermögensverwaltung zugebilligt 6 3. Dieses Privileg seines Vorgängers erklärt Gregor VII. nun für ungültig, da es contra sanatorum patvum statuta verkün64 det worden sei . Der Papst bestätigte nicht nur die Maßnahmen Wilhelms von Hirsau, sondern verlieh dem Kloster noch eine enge Bindung an Rom; Allerheiligen wurde "ein päpstliches Kloster"®^. Als vorbildiche Klöster nannte Gregor VII. Cluny und St. Viktor in Marseille, nicht aber Hirsau, das 1o75 noch seinen päpstlichen Schutz und 1o77/78 mittels seines Legaten Bernhard die cluniacensischen Gewohnheiten erhalten hatte. 62 Reg. VII 24 (CASPAR, S. 5o2ff.); SANTIFALLER, Quellen, Nr. 184 S. 217ff., auch zum Folgenden. Da zwischen dem Verzicht Graf Burkhards auf alle Rechte an dem Kloster und der Bestätigung der neuen Rechtslage durch Gregor VII. nur zwei Monate lagen, schloß BÜTTNER, Abt Wilhelm, S. 332f., daß die Gesandten Burkhards "bereits mit festumrissenen Vorschlägen" Wilhelms nach Rom kamen, die der Papst im wesentlichen gebilligt habe. Daß Gregor VII. in seinem Privileg selbst auf die 'Vorarbeit' des Hirsauer Abtes hingewiesen hat, hat Büttner nicht erwähnt. HILS, S. 83ff. drängt Wilhelm zu stark in den Hintergrund. 63 Das Privileg ist nicht erhalten und nur durch diesen Brief Gregors bekannt. Vgl. JL 4749; Germania pontificia, Nr. 2 S. lof. BÜTTNER, Abt Wilhelm, S. 333. Zur Datierung in oder um das Jahr lo64 vgl. BRACKMANN, Papsturkunden, S. 423 Anm. 1; HIRSCH, Studien, S. 521. 64 Die Bestimmungen Gregors VII. in Reg. VII 24 (CASPAR, S. 5o3f.). - Vgl. allgemein H. KRAUSE, Widerruf. 65 TH. MAYER, Urkunden, S. 2. Vgl. SCHREIBER, Kurie, S. 9ff.; HIRSCH, Klosterimmunität, S. 42. DERS., Studien, S. 52of. hebt hervor, daß Allerheiligen schon seit seiner Gründung mit der Reform und dem Papsttum eng verbunden war.

Der gescheiterte Königsumritt Rudolfs von Rheinfelden

65

Das Privileg Gregors VII. für das Allerheiligenkloster in Schaffhausen "spiegelt im Jahre 1o8o... ebensosehr die Auffassungen Wilhelms von Hirsau wie jene des Papstes wider"®6. Diese enge Zusammenarbeit zwischen Wilhelm und Gregor, die schon für die Reform Hirsaus ein wichtiger Faktor war, geht zurück auf den Aufenthalt des Abtes in Rom 1o75/7 6. Wilhelm war im Spätjähr 1o75 als Gesandter Heinrichs IV. in die Tiberstadt gereist, um die päpstliche Zustimmung zum Hirsauer Formular einzuholen. Doch während seines mehrmonatigen durch Krankheit bedingten Aufenthalts in Rom schloß Wilhelm von Hirsau sich unter dem Einfluß Gregors VII. im ausbrechenden Kampf zwischen Regnum und Sacerdotium 67 dem Papst und seinen Reformideen an . Dieser Wandel des Abtes hatte - was damals noch nicht vorauszusehen war - schwerwiegende Konsequenzen. Wilhelm stellte sich Anfang 1o77 nicht nur auf die Seite des Gegenkönigs und bot ihm Schutz auf dem Weg nach Sachsen, sondern förderte auch die Reform seines Klosters und unterstützte nachdrücklich die Ausbreitung der gregorianischen Reformideen auf andere Klöster. Insofern bedeutete das Privileg Gregors VII. für Schaffhausen auch eine Anerkennung des Wirkens Wilhelms von Hirsau. In Gregors unterschiedlicher Haltung 1o75 zu Hirsau und 1o8o zu Schaffhausen glaubte man einen Wandel in seinen Reformauffassungen zu erkennen. Dabei hat man jedoch die verschiedenen 'politischen1 Situationen 1o75 und 1o8o nicht berücksichtigt. Noch während der Abfassung der Königsurkunde D HIV 28o hatten Abt Wilhelm von Hirsau und Graf Adalbert von Calw 1o75 die Zustimmung dazu aus Rom eingeholt, so daß die später ausgestellte Papstur68 künde in dem Hirsauer Formular schon genannt ist . Gregors Haltung in dieser Frage wird verständlich durch einen Brief aus jener Zeit, Reg. III 7 von Anfang September 1o75, der "eindrucksvoll den päpstlichen Willen zur Zusammenarbeit mit dem König" 69 bezeugt . Dieses Bestreben war im Herbst 1o75 entscheidend für die Bestätigung des Hirsauer Formulars. Gerade das Zugeständnis des Königs, das Eigenkirchenrecht des Laien preiszugeben, veran-

66 BÜTTNER, Abt Wilhelm, S. 333. 67 ROBINSON, Friendship Network, S. 1. 68 So BÜTTNER, Abt Wilhelm, S. 331; zustimmend GAWLIK, Analekten, S. 386f. Zur Bestätigung des Hirsauer Formulars durch Gregor VII. vgl. oben S. 61 Anm. 47. 69 CH. SCHNEIDER, S. 133. TH. MAYER, Fürsten, S. lo8 beurteilt dagegen "die allgemeinen politischen Verhältnisse im Herbst lo75 keineswegs besonders günstig für die Erteilung eines päpstlichen Privilegs". COWDREY, Cluniacs, S. 199 setzt die Bestätigung Gregors zu spät an, wenn er schon auf Reg. III lo und sogar Reg. III 10a als Zeichen des Bruches zwischen König und Papst verweist.

66

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

laßten den Papst zu der Hoffnung, daß Heinrich IV. ihm entgegenkomme und zu gemeinsamem Vorgehen bei der Reform bereit sei^°. Das Papstprivileg von 1o75 bedeutete kein Abweichen von dem Streben nach Libertas - Gregor VII. hatte durchaus Bedenken gegen einige Bestimmungen des Hirsauer Formulars^^ -, sondern unter den gegebenen Umständen die Beschränkung auf einen Teilerfolg, der von der Erwartung auf eine zukünftige Zusammenarbeit mit dem salischen König begleitet war. Bestand im Herbst 1o75, wenige Wochen vor der Wende, noch die begründete Hoffnung auf ein gemeinsames Handeln von Papst und König in Kirchenfragen, war im Mai 1o8o das Band zwischen Regnum und Sacerdotium zerrissen. Gregor hatte Heinrich im März zum zweitenmal

gebannt, während der Salier die Synode von Brixen und

die Absetzung des Papstes vorbereitete. So waren nicht einmal die Voraussetzungen für eine kompromißbereite Haltung beider Kontrahenten wie 1o75 gegeben. Gregor brauchte nun keine Rücksicht mehr auf den deutschen König zu nehmen. Eine Bestätigung des Rechtszustands von Allerheiligen durch Heinrich kam ebensowenig in Betracht Das Privileg Gregors VII. für Schaffhausen ist das wichtigste Dokument "für das, was der Papst in Deutschland erreichen wollte", 73 genannt worden . Nicht mehr der König war der Garant für die Freiheit des Klosters wie in Hirsau, sondern der Papst übernahm das munus libertatis RomaneJ für Allerheiligen und drohte jedem 74 den Bann an, der contra hoc salubre praeaeptum nostvum verstieß Mit 1. Sam. 15,23 und dem angeblichen Ambrosius-Zitat Eretioum 75 esse oonstat, qui Romanae eoclesiae non oonoovdat unterstrich Gregor VII. seine Forderung nach unbedingtem Gehorsam und verdammte jeden als Häretiker, der nicht nur in Glaubensfragen, 76 sondern grundsätzlich mit der römischen Kirche uneins war . Die70 CH. SCHNEIDER, S. 132 vermutet, "daß Heinrich seine Zustimmung zur Selbstinvestitur in Hirsau als Zeugnis seiner Reformgesinnung 'propagandistisch' ausgewertet hat". 71 TH. MAYER, Fürsten, S. lo9ff.; JAKOBS, Adel, S. 55 Anm. 4o. 72 Vgl. HILS, S. 85. 73 BRACKMANN, Gregor VII., S. 19; wiederabgedruckt in: DERS., Aufsätze, S. 541. 74 Reg. VII 24 (CASPAR, S. 5o4 Z. 15ff.). 75 Reg. VII 24 (CASPAR, S. 5o4f. mit Anm. 8). Die Existenz eines wörtlichen oder sinngleichen Ambrosius-Zitats bestreiten K. HOFMANN, S. 63 und RYAN, S. 79. Dagegen unterstützt BERSCHIN, S. 48f. die Annahme Caspars, "daß Ambrosius die Quelle des unter seinem Namen gehenden Wortes ist und daß Petrus Damiani die Stelle in Umlauf gesetzt hat". Die Verbreitung des angeblichen Ambrosius-Zitats in Texten, die in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts von Reformern verfaßt wurden, veranschaulicht die Zusammenstellung von FUHRMANN, Reformpapsttum, S. 187 Anm. 29; vgl. auch DERS., "Quod catholious", S. 275ff., 282ff. 76 MEULENBERG, S. 44, 46; FUHRMANN, Reformpapsttum, S. 187; DERS., "Quod oatholious", S. 274ff.; HAGENEDER, Häresiebegriff, S. 61; DERS., Häresie, S. 35f.

Der gescheiterte Königsumritt Rudolfs von Rheinfelden

67

se scharfen Worte sind aus der Situation im Jahr 1o8o heraus zu erklären; ein Wandel der Ansichten Gregors über die Reform ist aus der Änderung seines Verhaltens gegenüber 1o75 nicht abzu, . . 77 leiten Daß Gregor vielmehr unablässig weiter daran arbeitete, die Reformideen zu verwirklichen, dafür ist Bernhards Wirken während seines Aufenthalts in Hirsau 1o77/78 ein deutliches Beispiel. Das Schwarzwaldkloster sollte nicht auf dem Stand von 1o75 bleiben, sondern weitergeführt werden auf dem Weg zur abbatia libeva, wenn auch Bernhards erfolgreiche Anregung, die cluniacensischen Gewohnheiten einzuführen, den Einfluß der Laien, etwa Adalberts von Calw, nicht beseitigen konnte. Dieser Einblick in die gregorianische Klosterpolitik verdeutlicht, wie wichtig und folgenreich die Reform des Klosters Hirsau durch den päpstlichen Legaten Bernhard von St. Viktor 1o77/78 war. Sie ist angesichts des Scheiterns der Reformbemühungen der beiden Bernharde beim Umritt Rudolfs von Rheinfelden, namentlich in den Bischofsstädten Augsburg und Konstanz, ein weiteres Beispiel dafür, daß Reform im Sinne Gregors VII. nur dort möglich war, wo Heinrich IV. und seine Anhänger ihren Einfluß nicht durchsetzen konnten. Nach dem Tode Werners von Straßburg waren in Hirsau unter dem Schutz Adalberts von Calw und Wilhelms von Hirsau deshalb die Voraussetzungen für die Umgestaltung des Klosters günstig. Abt Bernhard von St. Viktor versuchte ebenso wie der in Sachsen weilende Kardinaldiakon Bernhard weiter aktiv in den deutschen Thronstreit einzugreifen. Während dieser Heinrich IV. am 12. November 1o77 in Goslar erneut bannte und Rudolf als König aner78 kannte , sandte Abt Bernhard im November/Dezember 1o77 von Hirsau aus ein Schreiben an Erzbischof Udo von Trier und dessen Suffragane Hermann von Metz, Pibo von Toul und Theoderich von Verdun.

77 Gegen die Ansicht von BRACKMANN, Anfänge, S. 232; wiederabgedruckt in: OERS., Aufsätze, S. 289, Gregor VII. habe erst I 0 8 0 seine Klosterpolitik geändert, wandte sich schon TH. MAYER, Gregor VII., S. 174ff., wobei er allerdings noch von der falschen Voraussetzung ausging, der Papst habe das Hirsauer Formular nicht bestätigt (vgl. oben S. 61 Anm. 47). Zur Klosterpolitik Gregors VII. vgl. MEULENBERG, S. lloff. - Zum päpstlichen Schutz für Klöster vgl. auch den kurzen Überblick von FRIED, Der päpstliche Schutz, S. 37ff., bes. 38. 78 Berthold von Reichenau, S. 3o2 Z. 36ff.; Bernold von St. Blasien, S. 435 Z. 2ff. Vgl. SCHUMANN, S. 43.

68

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

Er ging diplomatischer vor als sein Gefährte in Sachsen und versuchte, das Vertrauen der auf Ausgleich gesinnten lothringischen Bischöfe, vor allem des Trierer Erzbischofs, zu gewinnen und sie zum Abfall von Heinrich IV. zu bewegen. Deswegen stellt er den salischen König als einen Gewaltherrscher dar, der Gregors Ankunft in Deutschland verhindere und jedes Friedensgespräch unterbinde. Udo und seine Suffragane sollen nun Ort und Zeit einer Unterredung nennen. Sollte Heinrich auch diese Versammlung zu verhindern suchen, dann sind die Bischöfe aufgefordert, ihm den Ge79 horsam zu verweigern . Ein endgültiges Urteil fällte Bernhard noch nicht, doch ist seine deutliche Stellungnahme gegen Heinrich IV. nicht zu übersehen. Die Untersuchung der Tätigkeit der beiden päpstlichen Legaten in Deutschland nach der Forchheimer Wahl hat auch wichtige Aufschlüsse über die päpstlichen Intentionen vermittelt. So ist deutlich geworden, daß nach Canossa Gregor VII. wie in Oberitalien so auch im deutschen Reich mittels seiner Legaten die Durchsetzung seiner Reformideen erneut in Angriff nahm. Doch mit Ausnahme des Klosters Hirsau scheiterte auch hier die päpstliche Reformpolitik, da nicht nur Bischöfe (Augsburg, Konstanz) sowie Geistlichkeit und Bürgerschaft (Mainz) Widerstand leisteten, sondern auch Rudolf von Rheinfelden politisch zu schwach war, um ein erfolgreiches Wirken der Legaten zu gewährleisten.

2. Heinrich IV. als 'alter Christus'. Der Ulmer Pfingsthoftag 1o77 und die Wiederherstellung des regnum integrum nach Canossa Die Nachricht von der Wahl Rudolfs von Rheinfelden veranlaßte Heinrich IV., unverzüglich von Oberitalien ins deutsche Reich auf8o zubrechen. Da er das Osterfest im Bistum Aquileia feierte , wird 81

er Anfang Mai in Bayern eingetroffen sein

. Aus einigen Quellen

wird trotz ihrer unterschiedlichen Parteistellung deutlich, daß der salische König nach seiner Rückkehr nicht nur von treuen Anhängern freudig in Empfang genommen wurde 8 2 . Durch seine Absolu-

79 ERDMANN - FICKERMANN, Nr. 33 S. 69ff. Vgl. MEYER VON KNONAU 3, S. 9off. 80 Berthold von Reichenau, S. 294 Z. 29. 81 Frutolf von Michelsberg, S. 88 Z. 23 setzt die Ankunft um den 1. Juli zu spät an. 82 Berthold von Reichenau, S. 295 Z. 7ff., 296 Z. 18ff., 298 Z. 46ff.; Annales Augustani, S. 129 Z. 17. Vgl. auch unten S. 91f.

69

Heinrich IV. als 'alter Christus'

tion in Canossa hatte er wieder an Ansehen gewonnen, und viele, die sich nach dem Bannspruch Gregors VII. auf die Seite der opponierenden Fürsten und Rudolfs von Rheinfelden gestellt hatten, 83 fielen nun ab und wandten sich wieder dem Salier zu Bald nach seiner Ankunft hielt Heinrich IV. in Regensburg einen Hoftag ab, an dem die Fürsten von Bayern, Böhmen und Kärnten sowie der Patriarch von Aquileia teilnahmen. 84 Aus dem Berieht Bertholds von Reichenau über diese Versammlung geht hervor, daß ein Feldzug gegen Rudolf von Rheinfelden beschlossen wurde. Dazu stellte Heinrich IV. in kurzer Zeit aus den Vasallen der Fürsten ein beträchtliches Aufgebot von 12.ooo Mann zusammen. Diese wurden schon wenige Wochen später für ihre Hilfe und ihren Aufwand dadurch entschädigt, daß der 85 König ihnen Lehen von in Ulm verurteilten Fürsten übertrug . Heinrich führte aber den Kampf nicht nur mit militärisch-politischen Mitteln, sondern verlagerte ihn auch auf die geistig-theologische Ebene. Ein Zeugnis dafür, daß die salische Königspartei damals auch propagandistisch gegen Rudolf von Rheinfelden zu Felde zog, ist eine Mitteilung in der Chronik des Klosters Petershausen aus dem 12. Jahrhundert. Ihr Bericht über die Forchheimer Königswahl in Kapitel 33 des zweiten Buches ist vom Verfasser der Chronik am Rand durch folgenden Nachtrag ergänzt: Ex hoc loco (sc. Forchheim) Pilatus vero nullum

Pila,

Domini unde

umquam

concinebant,

Pilatus

omnino

quod

alter

crucifixor est germen Pilatus

OTtus

dicitur

compositum. gignit.

Et Unde

surrexisset.

patre terra,

tunc

Ato, ubi

vulgus

matre

natus de

est, Roudolfo

Der für uns besonders

wichtige letzte Satz wurde gegen die bisherige Deutung von concinere als 'prophezeien' erst von 0. Feger richtig übersetzt: "Daher sang man immer im Volk, mit Rudolf sei ein zweiter Pilatus auferstanden" 86 . Die Bedenken K. Kupfers87 gegen die neue

83 Vgl. Königsberger Fragment (HOLDER-EGGER, Fragment, S. 189): Regressus

inte—

rim de Italia Heinricus nec parvam de sua absolutione gloriam reportans, maximam in regno commovit seditionem. Zum 'Fragment' vgl. ROBINSON, Arbeits-

weise, S. 65. 84 Berthold von Reichenau, S. 294 Z. 35ff. Zur Bedeutung Regensburgs unter Heinrich XV. vgl. A. KRAUS, S. 57ff.; PETER SCHMID, passim; KOTTJE, Bedeutung, S. 145ff. 85 Berthold von Reichenau, S. 298 Z. 41ff. und unten S. 76 mit Anm. 128. Vgl. allgemein K.F. WERNER, Heeresorganisation, S. 839, zur Heeresstärke S. 813ff. und die Diskussionsbeiträge S. 849ff.; wiederabgedruckt in: DERS., Structures, Nr. III. 86 Chronik des Klosters Petershausen, S. llo, 112, Übersetzung S. 113. - Zu Pilatus vgl. auch D. WERNER, hier bes. S. 23f. 87 KUPFER, S. 191.

lo

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

Übertragung berücksichtigen nicht, daß ooncinere

schon im klassi-

schen Latein nur selten im Sinn von 'prophezeien, voraussagen' gebraucht wird, während das Wort im Mittelalter sehr häufig die 88 Bedeutung von 'singen, zusammen singen' hat An diese andere Ubersetzung des lateinischen Wortes

oonainere

schloß sich auch eine neue Interpretation dieser Marginalie an. K. Hauck folgerte, daß die Randnotiz nicht nur eine Forchheimer Pilatussage bezeuge, sondern auch auf eine "politische Kampfdichtung, offenbar in Liedform, zur Forchheimer Königswahl" hinwei89 se . Aus dem letzten Satz des Nachtrages, in dem mitgeteilt wird, daß Rudolf von Rheinfelden als 'alter Pilatus' besungen wurde, zog er den "sicheren Rückschluß, daß in dem Lied neben Rudolf als 'alter Pilatus', das heißt 'neuer Pilatus', Heinrich IV. als 'alter Christus', als neuer Gesalbter des Herrn besungen wurde"; dabei konnte er auf eine vergleichbare Schrift des Hofes Kaiser Friedrichs II. gegen Papst Gregor IX. verweisen, in der ebenfalls die antithetische9oPilatus-Christus-Stilisierung in die Gegenwart übertragen wurde Schon in die Literatur des Investiturstreites hat dieses Gegensatzpaar Eingang gefunden. Wido von Ferrara läßt an einer Stelle seines Werkes De scismate Hildebrandi einen Papstgegner die Frage stellen, ob Hildebrand, wenn er Kriege zwar nicht veranlassen, Heinrich aber dennoch die potestas

nehmen und einem an-

deren übertragen wolle, nicht genauso handele wie Pilatus, der den Tod Christi zwar nicht befohlen, aber dennoch geduldet und 91 mit angesehen habe . Der Schuldspruch, den Wido gegen den römischen Statthalter fällt, trifft in erster Linie den Papst. Wie Christus vor den Augen des Pilatus den Tod erleiden mußte, so ist Heinrich IV. sogar den Angriffen Gregors VII. ausgesetzt. Hier wird nicht nur der Papst als 'alter Pilatus' angeklagt, sondern die Analogie wird durch die Darstellung des Königs als 'alter Christus' vervollständigt. Diese Quelle bestätigt nicht nur die Ausführungen K. Haucks, sondern läßt auch den Schluß zu, daß die Propagierung Heinrichs IV. als 'alter Christus' Bestandteil der salischen Königstheologie war. 88 PLOSS, S. 8. Vgl. Mittellateinisches Glossar, Sp. 75. 89 K. HAUCK, Pontius Pilatus, S. Ilo. 90 Ebd. S. Ilo. Die Stelle der Schrift Collegerunt pontifiaes (H.M. SCHALLER, Propaganda, S. 45) lautet: et velut lapis, qui de funda jacitur, sic contention emisit subito verbum malum, aa velut omnino respuens in perturbatione consilium, 'quod sovipsi scvipsi', vooifevans (i.e. Gregor ix.), respuit viam pads. Vgl. GRAEFE, S. 51ff.; KANTOROWICZ, Kaiser Friedrich, S. 46o. 91 Wido von Ferrara, S. 556 Z. 18ff. Vgl. LEHMANN-DANZIG, S. 66. Zu Wido auch

71

Heinrich IV. als 'alter Christus 1

Die Betonung des Königs als 'Typus Christi' war dann besonders stark, wenn man diese Stellung und diesen Anspruch gegen Angriffe verteidigen mußte. So hatte nach der Bannung Heinrichs IV. Gottschalk von Aachen als Gottes Lehre verkündet, jedermann solle durch das geistliche Schwert ad oboedientiam zwungen werden, während der regalis Gehorsam gegenüber dem saoerdotium expellendos

Christi

inimioos

gladius

regis

pro

Deo ge-

im Innern für den

sorgen solle, nach Außen ad

verpflichtet sei

92

. Unterstreichen

diese Gedanken, vor allen die pro

deo-Formel, den theologischen Ursprung seines Königtums und die Stellung des Königs als 'Typus 93

Christi1

, so tragen sie auch zum Verständnis von Heinrichs

Kampf wider den Gegenkönig bei, worin den Salier sein Selbstverständnis als 'alter Christus' bestärkte. Die Auseinandersetzung mit Rudolf von Rheinfelden wurde durch die politische Kampfdichtung von der salischen Königspartei propagandistisch vorbereitet und begleitet. Einen Hinweis darauf gibt uns auch die Schilderung Bertholds von Reichenau. Während Rudolf von Rheinfelden, so schreibt er, 94 sich in Zürich aufhielt

, kehrten ihm immer mehr den Rücken und

incontinentes olerioi et symoniaai, d.h. der saliertreuen Kleriker hörte nicht auf, Rudolf zu verdammen, zu verleumden und anzufeinden, während sie Heinrich IV., den sie quasi iniustissime vom Papst verurteilt ... inmanissimis in den Himmel hoben. Bischöfe glaubten, laudibus

wandten sich Heinrich IV. zu. Ein großer Teil der

und Geistliche ruhten nicht, istud summopere adulatorium laudamentum>illius (sc. Rudolfi) 95

pervum

zu verkünden

huius autem

(sc. hostile

Heinrioi) vitu-

. Dieser Text berichtet nicht nur von der

veränderten Haltung der Bevölkerung zu den beiden Königen. Wichtiger für uns ist der Hinweis, daß Rudolf von Rheinfelden verdammt und 'verteufelt', Heinrich IV. dagegen mit laudes

über-

FLICHE, Guy de Ferrare. Das Paar Christus - Pilatus wurde von päpstlicher Seite natürlich umgekehrt angewandt; vgl. Anselm von Lucca, S. 528 Z. lf. und ders. im Psalmenkommentar, abgedruckt bei Paul von Bernried, S. 541:

Nonne iterum Barabbas eligitur et Christus sub Pitato morti addioitur, awn Ravennas Guibertus eligitur et Papa Gregorius reprobatur? Zur Typik und Gegentypik vgl. KÖLMEL, Typik. 92 Br HIV 13 (ERDMANN, S. 19 bes. Z. 7ff.). Zum Brief zuletzt CH. SCHNEIDER, S. 167f. 93 Vgl. SCHRAMM, Sacerdotium, S. 449f.; überarbeitet wiederabgedruckt in: DERS., Kaiser 4,1, S. loo; DÜHRIG; K. HAUCK, Pontius Pilatus, S. 111; BORNSCHEUER, S. 13f., 2o2. 94 Der Aufenthalt Rudolfs in Zürich dürfte etwa 15 Tage nach seinem Osteraufenthalt in Augsburg am 16. April anzusetzen sein. Ähnlich SCHUMANN, S. 39. Zur gleichen Zeit kehrte Heinrich IV. aus Italien zurück. Vgl. oben S. 58 mit Anm. 34 und S. 68. 95 Berthold von Reichenau, S. 294 Z. 6ff. Das Volk hielt im allgemeinen am alten König fest; vgl. BRUNS, S. 68f., 78ff.

72

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

schüttet wurde. Die salierfreundliche Partei begnügte sich nicht nur mit dem Angriff auf den Gegenkönig, sondern lieferte auch eine Verteidigung und Rechtfertigung der eigenen Position. Die Beteuerung der Anhänger Heinrichs, ihr König sei iniustissime verurteilt worden, ist ein klarer Beweis dafür, daß die Diskussion der vergangenen Ereignisse noch nicht abgeschlossen war. Vielmehr wurde von salischer Seite darauf verwiesen, daß das Vorgehen des Papstes ungerecht und unrechtmäßig gewesen sei. Der König kiönne von niemandem, auch nicht vom Papst gerichtet wer96 den . Die Propagierung Heinrichs IV. als 'alter Christus' spielte dabei eine wichtige Rolle. Damit haben wir zugleich einen Ansatzpunkt zur Datierung der politischen Kampfdichtung. Auf Grund der obigen Ausführungen sind wir berechtigt, die Entstehung des Liedes in die Zeit unmittelbar nach der Rückkehr des Saliers aus Italien 97 und zu Beginn des Kampfes gegen den Rheinfeldener zu setzen Die Übertragung der Antithese 'alter Pilatus' - 'alter Christus' auf Rudolf und Heinrich lag deshalb besonders nahe, weil Pilati erfolgt die Wahl jenes Königs auf dem praedium Pontii 98 war . In der Erhebung eines 'neuen Pilatus' sah man ein Vor99 zeichen , das den Beginn einer unheilvollen Herrschaft verkündete. Mit der Verurteilung Rudolfs von Rheinfelden als 'alter Pilatus' und der Rühmung Heinrichs IV. als 'alter Christus' wurde propagandistisch der Kampf gegen den verräterischen Lehensmann begleitet und die Rechtfertigung der von Gott gewollten salischen Herrschaft unterstrichen. Unter diesem Aspekt werden wir uns eingehend mit dem Hoftag beschäftigen, den Heinrich IV. Pfingsten 1o77 in Ulm abhielt. Die geschlossene Front der drei süddeutschen Herzöge und die Forchheimer Wahl Rudolfs von Rheinfelden bedeuteten eine Gefährdung für den Fortbestand des salischen Königtums. Heinrich mußte deshalb verhindern, daß der Schwabenherzog als neuer König im Reich an Ansehen gewann und seine Position ihm gegenüber stärken konnte. Nach seiner schnellen Rückkehr aus Italien zog er nun von Regensburg weiter nach Ulm und wählte damit den Ort, 96 Berthold von Reichenau, S. 296 Z. 24ff. 97 Vgl. auch Anm. 94. Ähnlich K. HAUCK, Pontius Pilatus, S. 113. 98 Das ppaedium Pontii Pilati ist wohl identisch mit dem Quartier des Erzbischofs von Mainz; K. HAUCK, Pontius Pilatus, S. 116, 123. 99 Daß die salische Seite abgesehen von der Wahl auf dem locus infaustus auf weitere unglückverheißende prodigia verweisen konnte, die die Anfänge der Königsherrschaft Rudolfs begleiteten, verdeutlichen die Annales Augustani, S. 129 Z. 13ff. Vgl. dazu K. HAUCK, Pontius Pilatus, S. l o 8 ; PLOSS, S. 7.

73

Heinrich IV. als 'alter Christus'

an dem sich die radikale Fürstenopposition vor Tribur und Forchheim versammelt und die Absetzung des Königs beschlossen hatte 1 0 0 . In dieser schwäbischen Pfalz feierte der Salier am 4. Juni 1o77 das Pfingstfest und hielt einen Hoftag ab 1 ° 1 . Ein wichtiges Ereignis dieses Tages schildert uns Berthold von Reichenau 10 ^: Rex autem Heinrious regem Roudolfum Alemannorum mannioam,

habito Ulmae, cum quibus poterat,

aolloquio,

cum duaibus suis Bertholdo et Welfo et oaeteris

ipsi aonsentaneorum

maioribus,

seaundum

legem Ale-

quasi dignos iugulari, feait sententialiter

damnari, et pariter dignitatibus

et benefioiis

adiudiaatos

suis privari.

Heinrich hielt Gericht über die Herzöge Rudolf von Rheinfelden, Berthold von Kärnten und Weif von Bayern sowie die übrigen alemannischen Großen, die sich der Partei des Gegenkönigs angeschlossen hatten. Interessant ist nun die Frage, wie der Salier selbst seine Maßnahme gesehen und beurteilt hat. Die Zeugnisse hierüber sind zwar spärlich, doch vermitteln sie ein klares Bild. Wenn der König auch gewöhnlich dort Recht sprach, wo er sich gerade aufhielt 1 0 ^, war die Wahl Ulms als Ort des Gerichts über Rudolf und seine Anhänger auch eine politische Entscheidung. Statt den Gerichtstag schon in Regensburg abzuhalten, bezog Heinrich durch sein Auftreten in der schwäbischen Pfalz eine Gegenposition zu den Fürsten, die vorher hier getagt hatten. Hinzu kam, daß man das Gericht nach Möglichkeit in dem Herzogtum des Schuldigen ab1 o4 hielt . Heinrichs Entscheidung für Ulm muß also im Zusammenhang sowohl seiner eigenen Selbstpräsentation als auch seines Kampfes gegen den König und Führer der opponierenden Partei, der zugleich Herzog von Schwaben war, gesehen werden. Heinrich IV. hielt das Königsgericht

auf schwäbischem Boden

und urteilte nach heimischem Recht, der lex Alemannioa.

Dabei

handelte es sich um das Gewohnheitsrecht, das alte ungeschriebene

100 So auch SCHLESINGER, Pfalz, S. 11; SCHMITT, S. 61. 101 Den Ulmer Hoftag erwähnen Berthold von Reichenau (s. Anm. lo2); Bernold

von St. Blasien (s. Anm. 129) und Gallus Öhem, S. 98: Darnach hielt küng

102 103 104 105

Hainrieh hoff zu Ulm uff pfingsten. Dieser setzt das Ereignis fälschlich in das Jahr lo76. - Zur steigenden Bedeutung Ulms unter den Saliern vgl. KLEWITZ, Das alemannische Herzogtum, S. lo6; wiederabgedruckt in: DERS., Aufsätze, S. 258; TELLENBACH, Augsburgs Stellung, S. 64; SCHMITT, S. 47ff., bes. S. 51 ff.; MAURER, Herzog, S. 91ff.; mit anderen Aspekten DERS., Bischofssitz, S. 3, 11. Berthold von Reichenau, S. 295 Z. 21ff. FRANKLIN, S. 63f.; H. BRUNNER - VON SCHWERIN, S. 184; KAUFMANN, Königsgericht, Sp. lo38. WAITZ, S. 18f. Prozesse des Königs gegen seine Vasallen wurden vom Königsgericht entschieden; MITTEIS, Lehnrecht, S. 196.

74

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

Stammesrecht, das noch immer im Volke lebendig war 1 °^. Der König war zwar nicht an die Bestimmungen des Volksrechts gebunden und konnte auch ohne den Konsens des Volkes nach freiem Ermessen sein Recht durchsetzen^0^, doch wie bei anderen Fürstenprozessen hat er auch in Ulm das Volksrecht zur Grundlage seiner Rechtssprechung gemacht, um für das Urteil und seine Vollstreckung die breite Zustimmung des Volkes zu finden^0®. Diese Rücksichtnahme hatte auch politische Gründe. In den Urkunden, in denen Heinrich IV. nach dem Ulmer Tag den Fürsten entzogene Güter anderen Großen übertrug und die eine wichtige Dokumentation für das Selbstverständnis des Saliers darstellen, spricht der Verfasser Adalbero C von dem iustum iudicium 1 o9 und betont damit das rechtmäßige Verfahren . Bedeutsam ist auch das aus dem Jahr 1o79 stammende Diplom HIV 311. Hier schreibt der Gottschalk-Schüler Gebehard II A über die Verurteilung Rudolfs von Rheinfelden: fandas verum

... dux R&dolfus

praesumptiones proscriptus

omni divina

et damnatus

ob multas

in nos regnumque

et humana

lege tarn vitf

ne-

quam

(est). Dieser Text ist insofern

wertvoller als der Bertholds von Reichenau, als er uns aus der nächsten Umgebung Heinrichs nicht nur den gegen Rudolf erhobenen Vorwurf, sondern auch die Grundlage seiner Rechtssprechung mitteilt. Rudolf war wegen ruchloser Verbrechen gegen den König und das Reich geächtet und verurteilt worden. Der Salier bezeichnete ihn später als periurum et proditorem 1 o . Der Rheinfeldener war von seinem Lehnsherrn abgefallen und durch den Bruch 111 des Eides, den er ihm geschworen hatte, zum Verräter geworden . Doch nicht nur dies machte Heinrich ihm und dessen Anhängern zum Vorwurf. Die Rebellion der Fürsten gipfelte in dem Angriff auf seine Königsherrschaft und in dem Bestreben, ihn seines 'Königtums zu 106 OSENBRÜGGEN, S. 9; HÖSS, Stämme, S. 87. H. KRAUSE, Königtum, S. 8 weist darauf hin, daß "lex keineswegs immer das geschriebene Stammesrecht bedeuten muß". Vgl. MITTEIS, Lehnrecht, S. 421; DERS., Prozesse, S. 33. Zum Zustand des Rechts vom 9. bis 12. Jahrhundert vgl. FRANKLIN, S. lff.; EBEL, S. 42; COING, S. 14f.; KAUFMANN, Königsgericht, Sp. lo38. 107 KAUFMANN, Aequitatis iudicium; DERS., Königsrecht, in Auseinandersetzung mit der älteren Forschung, die noch die Auffassung von einem Dualismus von Volksrecht und Amtsrecht im fränkischen Rechtsdenken vertrat; SCHEYHING, S. lo. 108 Vgl. MITTEIS, Prozesse, S. 31ff. zu den Prozessen gegen Otto von Northeim und Ekbert von Meißen, S. 36 kurz zu Rudolf von Rheinfelden. 109 DD HIV 298, 3ol, 3o6. Im Br HIV 23 (ERDMANN, S. 33 Z. 28) spricht er da-

von, daß er iudiaiario ordine geurteilt habe. Iudicium hat im Hochmittelalter die Bedeutung von Gericht; vgl. KÖBLER, Richten, S. 68, lo2, 112; DERS., Recht, S. 27; KROESCHELL, S. 317. 110 Brixener Dekret (ERDMANN, S. 71 Z. 22f.). Vgl. Br HIV 17 (ERDMANN, S. 25 Z. 31f.). 111 Proditor war nicht nur die Bezeichnung für den Landesverräter, sondern

75

Heinrich IV. als 'alter Christus'

berauben'

112

. Durch ihren Verrat hatten sie die Treuepflicht des

Untertanen verletzt und gegen den Nutzen des Reiches und die Ehre des Königs gehandelt^^. Darüber hinaus galt der Eidbruch als Sünde und Beleidigung Gottes, da das Mittelalter von der Vorstellung ausging, daß al11 4 les Recht in Gott seinen Ursprung habe und von ihm gesetzt sei Dies unterstreicht der Verfasser des genannten Diploms HIV 311 durch die Verwendung des sakralen Begriffs nefandus.

"Glaube an

Gott ist zugleich Treue gegen den König: Glaube und Treue werden in eins g e s e t z t " ^ V o n dieser engen Bindung war auch Heinrich IV. überzeugt. Rudolf war durch den Verrat an seinem Lehnsherrn und vex dei gratia vor Gott in tiefe Schuld geraten. Indem er den Frieden zerstörte, handelte er gegen Christus und die Kirc h e ^ ^ . Deshalb mußte er omni divina et humana lege verurteilt werden. Stehen lex divina und lex humana bisweilen auch in Gegensatz zueinander^^, so wird durch die gemeinsame Verwendung bei118 der Begriffe häufig auch eine "Harmonie" zum Ausdruck gebracht Dies ist auch in D HIV 311 der Fall. Heinrich ist der Ansicht, daß das Ulmer Urteil sowohl mit der lex divina als auch mit der lex humana in Einklang steht. In seinem Richterspruch, in seiner Person als Stellvertreter Christi ist letztlich die Einheit von menschlichem und göttlichem Recht gewährleistet. Als oberster Hüter der Rechtsordnung war er wohl an das Recht gebunden, doch gleichzeitig darüber erhaben, solange er selbst nicht durch einen 119 Verstoß gegen die göttliche Weltordnung zum rex iniustus wurde

drückte, wie in der Anm. llo zitierten Stelle, auch das Verbrechen gegen den König aus. Vgl. HIS 2, S. 32. Meineid und Eidbruch wurden in der alten deutschen Rechtssprache nicht scharf voneinander geschieden; vgl. OSENBRÜGGEN, S. 391. 112 Vgl. D HIV 3ol (VON GLADISS, S. 395 Z. 16); D HIV 3o6 (VON GLADISS, S. 4o2 Z. 26). 113 Vgl. MERK, S. 463. 114 KERN, Recht, S. 13f., 26f.; DERS., Gottesgnadentum, S. 6ff.; FEHR, S. 591f.; 0. BRUNNER, Land, S. 133ff.; SCHEYHING, S. 9; H. KRAUSE, Königtum, S. 4of.

Zum periurium vgl. ELSENER, S. 78. 115 HELBIG, S. 289. Vgl. SCHLESINGER, Herrschaft, S. 252f.; ergänzt wiederabgedruckt in: Herrschaft und Staat, S. 166; DERS., Kirchengeschichte Sachsens, S. lo7; MINNINGER, S. 11. 116 Liber de unitate, S. 192 Z. 35. Vgl. ebd. S. 264 Z. 2o, wo der Anonymus den in Ulm abgeurteilten Weif von Bayern einen perseeutor eoalesiae nennt. Diese beiden Stellen zeigen, daß umgekehrt Heinrich IV. vom Verständnis des salischen Hofes her als Verteidiger der Kirche handelte. 117 KÖBLER, Recht, S. 86, 91. 118 Ebd. S. 91, 2oo. 119 Vgl. D HIV 4o2 (VON GALDISS, S. 531 Z. 29f.). HILLMANN, S. 27ff.; KAUFMANN, Aequitatis iudicium, S. 9of.; H. KRAUSE, Königtum, S. 98.

76

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

Der Spruch gegen Rudolf und seine Anhänger war die Erfüllung der im Krönungsgelübde eingegangenen Verpflichtung, das Recht zu verteidigen und das Unrecht abzuwehren^ 0 . Mit dem mehrfachen Hinweis auf das iustum iudia-ium unterstrich Heinrich, daß er von der Rechtmäßigkeit seiner Maßnahme überzeugt war. Als oberster Richter des Königsgerichts sprach er das Urteil, 1 21

das über einen einfachen Huldentzug hinausging. Die abtrünnigen Königsgegner wurden geächtet und zum Tode verurteilt. Heinrich IV. scheute sich nicht festzusetzen, daß den ehemaligen Herzögen, die zu den führenden Dynastien des Reiches gehörten, 1 22 im Falle ihrer Ergreifung die Kehle durchgeschnitten würde Durch ihren Eidbruch waren sie ehrlos und damit für ein Amt unfähig geworden

1 23

, so daß sie auch ihre Lehen, Herzogtümer und

Grafschaften verloren, über die der König nun frei verfügen 1 24 konnte . Das Herzogtum Kärnten hatte er schon in Italien dem 1 25 Eppensteiner Liutold übertragen , Schwaben und Bayern behielt 126

er zunächst noch in seiner Hand . Vor allem dieses Herzogtum entwickelte sich in den folgenden Jahren zu einem wichtigen 1 27

Stützpunkt des Königs . Einen Teil der Lehen übergab er altbewährten Anhängern als Belohnung oder Stärkung ihrer Position sowie anderen Fürsten, die er fester an sich binden oder noch für sich gewinnen wollte. Vor allem zahlreiche Güter, die er Weif von Bayern als Lehen übertragen hatte, zog Heinrich IV. wieder ein und verlieh wichtige Besitzungen den Bischöfen von Brixen und Augsburg, die in den Alpen die salische Stellung stärken soll120 Vgl. SCHRÖDER - VON KÜNSSBERG, S. 522; CONRAD, S. 314. 121 Vgl. KÖSTLER, S. 34; DIESTELKAMP, Huldeverlust. 122 Berthold von Reichenau (wie Anm. lo2); Vita Heinrici IV., S. 18 Z. 4f.; D HIV 311 (VON GLADISS, S. 41o Z. 11). Zur Acht vgl. POETSCH; MAYER-HOMBERG, S. 126ff.; HIS 1, S. 41off.; SIUTS, S. 112ff.; PLANITZ, S. 226f.; KAUFMANN, Acht. HIS 1, S. 39f. weist zwar darauf hin, daß seit dem 11. Jahrhundert die Todesstrafe an vornehmen Personen nicht mehr vollzogen wurde, doch scheiterte die Hinrichtung Rudolfs und seiner Anhänger daran, daß die salische Partei sie nicht ergreifen konnte. Sie wurden zu Ulm in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Vgl. auch NIESE, S. 2o6ff. Zum Wandel des Strafrechts in dieser Zeit vgl. NITSCHKE, Naturerkenntnis, S. 215ff. 123 Vgl. BUISSON, S. 224. 124 MITTEIS, Prozesse, S. 31ff., bes. 35; HÖSS, Stämme, S. 87; HAGENEDER, Fürstenabsetzung, Sp. 1354; MAURER, Herzog, S. 139f. Zum Problem vgl. auch H. KRAUSE, Widerruf, S. 127f., 133f. 125 Vgl. oben S. 33. 126 Schwaben übertrug er lo79 Friedrich von Büren; vgl. unten S. 151 f. Bayern behielt Heinrich bis zur Wiederbelehnung an Weif lo96 in seinem Besitz. 127 A. KRAUS, S. 6o; PETER SCHMID, S. 169ff. 128 D HIV 297; vgl. SCHWARZMAIER, Königtum, S. 89 Anm. 85; G. SANDBERGER, S. 758f. D HIV 298. D HIV 3o4; vgl. SCHWARZMAIER, Königtum, S. 89 Anm. 85; G. SANDBERGER, S. 721 Anm. 38, 744. D HIV 3o6; vgl. FLECKENSTEIN, Herkunft, S. 86f. mit Anm. 95; G. SANDBERGER, S. 744. D HIV 311; vgl. unten S. 149ff. Nicht berücksichtigt wurde bisher Berthold von Reichenau, S. 298 Z. 41ff.,

Heinrich IV. als 'alter Christus'

77

Mit der Verurteilung und Absetzung Rudolfs von Rheinfelden und seiner Anhänger reagierte Heinrich IV. auf die Forchheimer Wahl und den Angriff der Fürsten auf sein Königtum. Durch das Ulmer Gericht entzog er Rudolf die rechtliche und politische Grundlage für dessen usurpierte Königsherrschaft.

Gleichzeitig

gab Heinrich durch die Verurteilung der Rechtsbrecher zu erkennen, daß er die Eidlösung des Papstes nicht

akzeptierte.

Wie schon in der politischen Kampfdichtung begnügte sich Heinrich IV. auch in der Praxis nicht allein mit dem Angriff auf seinen Gegner, sondern legte Wert darauf, sich selbst als legitimen Herrscher darzustellen. Nicht weniger deutlich als in dem Königsgericht kommt dies in einem Ereignis zum Ausdruck, von dem Bernold von St. Blasien anläßlich des Ulmer 129 1o77 berichtet Ulmam,

- : Eo

interdiotum

tempore

regnum

Heinrious

imposita

Pfingsthoftages sibi eorona

apud

usuvpavit.

Daß mittelalterliche Herrscher an liturgischen Festtagen die Krone trugen, war durchaus keine S e l t e n h e i t ^ 0 . Die ottonischen Herrscher bevorzugten dazu vor allem das Oster- und Weihnachtsfest^1;

erst seit dem 1 11. 32 Jahrhundert ist auch der Pfingsttermin

als Krönungstag bezeugt Die Frage, ob in Ulm eine Festkrönung stattgefunden habe, ist bisher wohl in Betracht gezogen^ jedoch noch nicht näher unter134 sucht worden. Angesichts der Tatsache, daß das "Kronetragen"

129 130 131 132 133

134

der von benefioia spricht. Das Allod der abgesetzten Fürsten wurde zunächst nicht berührt. Bernold von St. Blasien, S. 434 Z. 23f. SCHRAMM, Herrschaftszeichen 3, S. 915f. KLEWITZ, Festkrönungen, S. 35f. Vgl. die tabellarische Übersicht bei KLEWITZ, Festkrönungen, S. 5off.; HIRSCH, Recht, S. 228; zuletzt in: DERS., Aufsätze, S. 4o; BRÜHL, Krönungsbrauch, S. 279f. Anm. 5; DERS., Kronen- und Krönungsbrauch, S. 7f. Vgl. SCHLESINGER, Pfalz, S. 22: "Heinrich IV. ... setzte sich in Ulm ... die Königskrone aufs Haupt, wohl in Form einer Festkrönung ...". SCHMITT spricht S. 6o von einer Festkrönung, versieht das Wort auf S. 94 aber mit einem Fragezeichen; KLEWITZ, Festkrönungen, S. 52; MAURER, Herzog, S. 97. Diesen Begriff nennt JÄSCHKE, Festkrönungen, S. 567f. in Anlehnung an KANTOROWICZ, Laudes Regiae, S. 85, 92ff., der von "crown-wearing" spricht. Jäschke und Kantorowicz sprechen von "Kronetragen" ("crown-wearing") im Gegensatz zur "Festkrönung" ("festival coronation") und wählen jenes Wort statt der Wendungen "Unter der Krone gehen" - so CLASSEN, Karl der Große, S. 581 - und "Unter Krone gehen" - so BRÜHL, Krönungsbrauch, S. 269, 271f. u.ö.; DERS., Festkrönung. Ohne Hinweise auf diese Literatur verwendet auch KNAPPE, S. 192f. jenen Begriff wohl ebenso wie Jäschke und Kantorowicz; vgl. KNAPPE, S. 193: "..., ob es nun Kronetragen ... oder Festkrönung selbst war". Wir bezeichnen mit dem Wort Kronetragen die Tatsache, daß der König eine Krone trägt, ohne schon genau zu differenzieren, ob eine feierliche Krönung durch einen Coronator oder ein Krone-Aufsetzen durch den Herrscher selbst voranging. Denn schon KANTOROWICZ, Laudes Regiae, S. 92 wies auf die Schwierigkeit hin, dies immer eindeutig festzustellen. Vgl. jetzt auch BRÜHL, Kronen- und Krönungsbrauch, S. 6ff., hier S. 12f.

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

78

eines Herrschers an den Hochfesten Sitte war und kein so besonderes und außergewöhnliches Ereignis darstellte, daß es den mittel135

alterlichen Geschichtsschreibern immer eine Erwähnung wert war

,

erweckt die Nachricht Bernolds unsere Aufmerksamkeit. Für das Volk spielte die Krönungsform eine untergeordnete Rolle. Den Zeitgenossen kam es darauf an, den Herrscher im 136

Schmuck seiner Krone sehen zu können

. Zum Verständnis des Ul-

mer Ereignisses aus der Sicht Heinrichs IV. ist es aber wichtig zu klären, ob dem Kronetragen eine Selbstkrönung oder eine Festkrönung vorangegangen war. Daß der König sich selbst die Corona aufs Haupt setzte, brauchte nicht notwendig am Tage eines liturgischen Festes geschehen. Dies war die einfache Form einer wiederholten Krönung. Bei der Festkrönung dagegen war nicht nur der feierliche liturgische Rahmen, d.h. vor allem die Prozession von einer Kirche zur anderen erforderlich, sondern jene mußte auch von einem so1 37 genannten Coronator vorgenommen werden . So knapp die historiographische Uberlieferung auch ist, sie genügt, um eine Ulmer Festkrönung Heinrichs IV. als sicher annehmen zu können. Dafür spricht zunächst Bernolds Formel aovona sibi

imposita.

Heinrich handelt nicht selbst, sondern er verhält sich passiv: ihm wird die Krone aufgesetzt. Daß der Coronator, also die Person, die die Krönung vornimmt, nicht genannt ist, widerspricht dem nicht. Dies ist unter den Berichten über mittelalterliche Festkrönungen kein Einzelfall. Denn die krönende Persönlichkeit spielte hierbei im Gegensatz zur Erstkrönung eine untergeordnete ~ •, n 1 3 8 Rolle Dennoch sei die Frage gestellt, wer in Ulm Heinrich die Krone aufs Haupt gesetzt hat. In Betracht kam nur ein Vertreter des 1 39 . Als geistliche Teilnehmer des Hoftages sind le-

Episkopats

1 4o

diglich Embriko von Augsburg und Sigehard von Aquileia bezeugt Gerade der Patriarch hatte dem Salier nach Canossa schon gute Dienste geleistet und setzte sich auch in Ulm für Heinrich als 135 KLEWITZ, Festkrönungen, S. 23; BRÜHL, Krönungsbrauch, S. 274; DERS., Kronen- und Krönungsbrauch, S. 9; KAHL, Angliederung, S. 73, mit dem Beispiel der Festkrönung Konrads II. lo33 in Peterlingen S. 69ff. 136 KLEWITZ, Festkrönungen, S. 28; BRÜHL, Krönungsbrauch, S. 271 Anm. 5, 292 Anm. 2; JÄSCHKE, Festkrönungen, S. 568f. 137 BRÜHL, Krönungsbrauch, S. 269, 271f.; DERS., Festkrönung, Sp. llo9; JÄSCHKE, Festkrönungen, S. 567f.; KAHL, Arnulf von Mailand, S. 42o. 138 KAHL, Angliederung, S. 72. 139 KLEWITZ, Festkrönungen, S. 27; BRÜHL, Krönungsbrauch, S. 269, 271; DERS., Festkrönung, Sp. llo9; DERS., Kronen- und Krönungsbrauch, S. 9, 13; jfiSCHKE, Festkrönungen, S. 559; einschränkend KAHL, Angliederung, S. 72, der jedoch bemerkt, daß man "nur im Notfall" von dieser Regel abgewichen sei, da sonst "der Glanz des hohen Tages" fehlte. 140 Berthold von Reichenau, S. 295f.

Heinrich IV. als 'alter Christus'

79

den einzig legitimen König ein. Deswegen dürfen wir annehmen, daß er sich nicht hur auf das Verlesen angeblich gefälschter Briefe 1 41 Gregors VII. zugunsten Heinrichs IV. beschränkte , sondern daß 1 42 er auch die Festkrönung an dem Salier vornahm , zumal er der 143 ranghöhere der beiden anwesenden geistlichen Fürsten war Schon die Tatsache, daß Berthold von Reichenau ihn in direktem Zusammenhang mit den Vorgängen in Ulm als einzigen erwähnt, läßt darauf schließen, daß er hier eine besondere Rolle gespielt hat. Die der Festkrönung folgende Prozession des Herrschers aus der Kirche in ein anderes Gotteshaus war in Ulm möglich, da sich mindestens zwei, 144vielleicht sogar mehr Kirchen im Umkreis der Pfalz befanden . Auch das Bemühen Heinrichs, den Ulmer Hoftag 1 45 cum quibus poterat abzuhalten, ist ein weiteres Argument für die Annahme einer Festkrönung, da der König bei der Selbstpräsentation als Herrscher des Reiches nicht 146 nur sein Gefolge, sondern auch das Volk anwesend wissen wollte . Diese kurze historiographische Notiz zeigt zugleich, daß die Krönung kein spontaner, erst in Ulm gefaßter Entschluß des Königs, sondern schon vorher von ihm beabsichtigt war. Da Heinrich IV. Ostern noch in Aquileia weilte, nahm er mit Pfingsten den frühest möglichen Festkrönungstermin wahr. Er beantwortete gleichzeitig die Fest1 47 krönung Rudolfs von Rhelnfelden am Osterfest 1o77 in Augsburg Sprechen formale und inhaltliche Kriterien der Meldung Bernolds von St. Blasien für eine Festkrönung in Ulm, so wird dies noch durch die Erwähnung des Ereignisses an sich unterstrichen. Hans-Walter Klewitz hat in einer grundlegenden Arbeit 38 Festkrönungen aus zweieinhalb Jahrhunderten von den Ottonen bis zu den Staufern untersucht und festgestellt, "daß sie alle - wenigstens im 11. und 12. Jahrhundert - einen Regelfall darstellen und von dem Chronisten nur deshalb überliefert sind, weil sich für sie mit ihnen eine das gewöhnliche Maß übersteigende allgemeine oder persönliche Denkwürdigkeit verband" 1 48. Damit 141 Ebd. S. 295 Z. 26ff. 142 So auch SCHMITT, S. 6o. 143 Zur Rangordnung vgl. KLEWITZ, Festkrönungen, S. 28; KAHL, Angliederung, S. 72. 144 MAURER, Herzog, S. 96. 145 Berthold von Reichenau, S. 295 Z. 21. 146 KLEWITZ, Festkrönungen, S. 24. Vgl. JÄSCHKE, Festkrönungen, S. 565. 147 Vgl. oben S. 55, 56. 148 KLEWITZ, Festkrönungen, S.23. Vgl. KAHL, Angliederung, S. 73; BRÜHL, Krönungsbrauch, S. 292, der "überspitzt" formuliert, "daß allein schon der Hinweis auf eine Krönung die Vermutung erlaubt, daß es sich nicht um eine einfache Festkrönung handelt, denn die Fälle, in denen Festkrönungen auf Grund ungewöhnlicher Vorkommnisse in den Quellen erwähnt werden, sind ... äußerst selten. Die Registrierung des Ereignisses als solche erschien den Zeitgenossen bereits so bedeutsam, daß der Gedanke, es könne sich um eine der üblichen Festkrönungen handeln, bei dem Leser gar nicht erst aufkam".

8o

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

kommen wir auf einen unentbehrlichen Aspekt der Notiz Bernolds zu sprechen. Der Chronist erwähnt nicht allein die Festkrönung des Königs. In gleichem Atemzug stellt er fest, daß Heinrich dadurch, daß er sich die Krone aufsetzen ließ, die ihm untersagte Regierung wiederaufnahm

(regnum interdiatum

usurpavit)

. Der antisalische

Mönch betrachtete die Festkrönung vor dem Hintergrund der vergangenen Ereignisse. Daß Heinrich in Ulm die Krone trug, sah Bernold als sichtbares Zeichen für die Wiederaufnahme und Ausübung königlicher Herrschaft, die seiner Ansicht nach der Papst 1 49

dem Salier untersagt hatte

. Die Festkrönung war also nicht

das eigentlich Entscheidende dieses Ereignisses. Wichtiger war und dies ist die "Denkwürdigkeit", die Bernold von St. Blasien veranlaßte, das Ulmer Ereignis in einer kurzen Notiz zu erwähnen -, daß Heinrich durch das feierliche Zeremoniell seine Königsherrschaft unterstrich und in diesem Sinne von den Zeitgenossen verstanden wurde. Er wollte nach Canossa deutlich machen, daß er seine Herrschaftskrise überwunden hatte und im Vollbesitz seiner Regierungsgewalt war. Die Krönung in feierlichem Rahmen war nicht nur Symbol für die Ausübung der Herrschaft, sondern in dieser historischen Situation Ausdruck ihrer Befestigung. Insofern ist es berechtigt, auch von einer "Befestigungskrönung" in Ulm zu sprechen. Sie schuf nicht eine neue rechtliche Stellung, 1 5 1sondern sollte Heinrichs Herrschaft als König unterstreiv, chen Wie sind nun Festkrönung und Befestigungskrönung miteinander vereinbar? Beide Begriffe brauchen sich nicht gegenseitig auszu1 52

schließen

, sie können sich vielmehr ergänzen. Die Festkrönung

war eine Krönungsform, die sich durch den feierlich-formalen Ab-

149 Das Tragen der königlichen Insignien nach Canossa war später auch für Paul von Bernried ein Zeichen dafür, daß Heinrich IV. gegen das päpstliche Verquae bot die Herrschaft wieder ausübte; Paul von Bernried, S. 526:

(sc. regalía insignia) resumere et interdicta

tarnen non multo post contra bannum domini Papae regni gubernacula usurpare non timuit.

150 Zum Begriff BRÜHL, Krönungsbrauch, S. 283ff.; DERS., Kronen- und Krönungsbrauch, S. 13ff. 151 Vgl. SCHRAMM, Geschichte, S. 32; KANTOROWICZ, Laudes Regiae, S. 95; KAHL, Arnulf von Mailand, S. 42: Befestigungskrönung ist der Ausdruck für das, was "an gekrönten Häuptern, deren HerrscherStellung durch Schicksalsschläge wie eine demütigende Gefangenschaft nach außen hin beeinträchtigt war, vollzogen wird, sobald sie wieder Herr ihrer Entschlüsse sind, um feierlich vor aller Augen darzutun, daß ihre wirkliche Majestät von alledem unberührt geblieben ist". BRÜHL, Kronen- und Krönungsbrauch, S. lo zum Verzicht des Herrschers auf eine Festkrönung. 152 So BRÜHL, Festkrönung, Sp. lllo; zurückhaltender noch DERS., Krönungsbrauch, S. 291f.

Heinrich IV. als 'alter Christus'

81

lauf des Zeremoniells und in ihrer herrscherlichen Intention von einer Selbstkrönung des Königs unterschied. Darüber hinaus bezeichnet der Begriff Befestigungskrönung nicht die Art des Krönungsvorgangs, sondern das Motiv und den Zweck dieser Handlung. Durch die feierliche Form der Festkrönung wollte Heinrich IV. dem Volk zeigen, daß sein Königtum weder durch den Gang nach Canossa noch durch die Königswahl Rudolfs von Rheinfelden in Forchheim geschwächt war. Die Ulmer Festkrönung am Pfingsttag 1o77 ist geradezu als Befestigungskrönung aufzufassen, durch die Heinrich die Rechtmäßigkeit und Stabilität seiner Herrschaft unterstreichen wollte. Das bedeutete jedoch noch nicht, daß dieser Anspruch und diese Vorstellung auch der Wirklichkeit entsprach. Zur Vertiefung unserer Ausführungen wollen wir auf die besondere Bedeutung der Krone eingehen. Corona und regnum standen in sehr enger Beziehung zueinander. Wer die aorona trug, war Inhaber des regnum. So sah es, wie wir gesehen haben, nicht nur der anti1 53 salisch eingestellte Bernold von St. Blasien , sondern auch Heinrich IV. Ein Jahr vorher, als er in Oppenheim mit den feindlichen Reichsfürsten verhandelte, war er auf sein Verhältnis zu den insignia eingegangen und hatte deutlich gemacht, daß er die Zeichen des Reiches rechtmäßig, legitime, erhalten habe. Wenn ihm diese nun genommen würden, dann leide darunter auch der Glanz des Rei1 54 ches . Der König wies darauf hin, daß ihm die Insignien nicht mehr genommen werden könnten, da er sie rechtmäßig erlangt habe. Andernfalls erleide auch die Ehre der Fürsten Schaden. Der splendor regni Teutoniai werde durch die Auslieferung der Insignien ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen. Heinrich verteidigte die insignia regni nicht allein in seinem Interesse, sondern er argumentierte aus seiner Verantwortung für das Reich. Er wollte verhindern, daß durch die Herausgabe der Zeichen der Glanz des Reiches verlorengehe. Denn das bedeutete die Herrschaft eines Tyrannen^So

sollte das Tragen der Krone den Glanz des Rei-

ches und die rechtmäßige Herrschaft des Gekrönten sichtbar machen. Heinrich betrachtete die Krone als das wichtigste und vornehmste Zeichen seiner königlichen Herrschaft. Als er in einer noch153 Vgl. oben bes. S. 77, 8o. 154 Lambert von Hersfeld, S. 278f. 155 WOLFRAM, Splendor, S. 164; KOCH, S. 14, 143. - Doch machten auch die Fürsten ihre Sorge um das Wohl und die Ehre des Reiches als Grund für ihr Handeln geltend. Vgl. TELLENBACH, Reichsadel, S. 69f.; wiederabgedruckt in: Herrschaft und Staat, S. 238ff.

82

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

maligen Krisensituation am Ende seines Lebens im Brief an König Philipp von Frankreich von der erzwungenen Auslieferung seiner Herrschaftszeichen berichtete, nannte er die Krone an erster Stelle^Ebenso

gibt der unbekannte Verfasser des Liber de

unitate ecclesiae conservanda unter den königlichen ornamenta 1 57 der eorona den Vorrang . Die Krone wurde also als das hervorragendste Herrschaftszeichen angesehen? im Bewußtsein der Zeit war es das anerkannte Zeichen königlicher Herrschaft. Die oorona 158 gehörte zu dem aoronatus . Durch den Besitz der Krone wies sich der mittelalterliche Herrscher als Inhaber oder Anwärter auf die 1 59 Regierung aus . So war es für die Zeitgenossen Heinrichs klar Bernold gibt davon ein Zeugnis -, daß das feierliche Kronetragen in Ulm nicht allein ein Festtagsbrauch war, sondern daß der salische König vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse seine alleinige und rechtmäßige Herrschaft dokumentieren wollte und auch in diesem Sinne verstanden wurde. Da die Krone nur dem König zustand, der sie auf Grund seiner Herrschaft verdient hatte^®°, machte der Salier auch deutlich, seine Aufgabe als rex iustus bisher erfüllt zu haben und weiterhin als solcher dem Volk dienen zu wollen. Die Krone löst sich erst später von der Person des Königs und wird zum Symbol königlicher Macht und zum Inbegriff der Herrschaft^^. Mit dem 'Reich' ist die 'Krone' zur Zeit Heinrichs IV. noch nicht gleichzusetzen, wie auch rex und regnum

nicht

identisch sind. Doch waren sie eng miteinander verbunden. Heinrich fühlte sich sehr stark dem regnum verpflichtet und für seinen geordneten Zustand verantwortlich. Dies machte nicht nur sein Richterspruch gegen die rebellischen Fürsten deutlich. Auch urkundliche Zeugnisse seiner Kanzlei aus dem Jahre 1o77 unterstreichen dieses Bild. Sie ergänzen unsere Ausführungen über die Auffassung Heinrichs von seiner Königsherrschaft und seiner Beziehung zum Reich. 156 157 158 159

Br HIV 39 (ERDMANN, S. 56 Z. 8f.). Liber de unitate, S. 192 Z. llf. H. HOFFMANN, Krone, S. 79. Vgl. die Beispiele bei HADWIG, S. 56ff. Deshalb ist es verständlich, daß sich Rudolf von Rheinfelden im elsässischen Kloster Ebersheimmünster eine Krone anfertigen ließ; Chronicon Ebersheimense, S. 444 Z. 32ff. 160 KAHL, Weihekrone, S. 2o3. 161 HÄRTUNG, S. 34; erweitert wiederabgedruckt in: Corona regni, S. 51. Gegen HEINRICH MITTEIS (HZ 166, 1942) S. 132 bleibt HÄRTUNG bei seiner Auffassung, daß "für die Verwendung des Wortes Krone im übertragenen Sinne ... unsere deutschen Quellen kaum Belege" hergeben. Vgl. jedoch BEUMANN, Entwicklung, S. 21off.; wiederabgedruckt in: DERS., Wissenschaft, S. 16off.; CLASSEN, Corona; KÖLMEL, Regimen, S. 38f.; GRAUS, S. 2ol. Zur Krone FILLITZ.

83

Heinrich IV. als 'alter Christus'

Unter den Diplomen Heinrichs zwischen 1o77 und 1o8o stechen zwei Urkunden hervor, die in besonderer Weise das Verhältnis zwischen rex und regnum ansprechen. Daß auf diese Beziehung gerade in den Wochen nach Canossa und Ulm, am Beginn des Doppelkönigtums Heinrichs und Rudolfs, eingegangen wird, dürfen wir nach den Untersuchungen zum Ulmer Hoftag nicht als Zufall ansehen. In seiner Herrschaftskrise war die Sorge um das Königtum und das Reich ein wichtiges Anliegen des Saliers. Dieses Moment hat vor allem in den Urkunden DD HIV 296 und 298 seinen Nieder162

Diplom HIV schlag gefunden. In dem von Adalbero A verfaßten 296 vom 11. Juni 1o77 heißt es: Si eaclesias dei honoramus, ditamus

et sublimamus,

anime

quoque

regno

aeternam

nostro

stabilitatem,

renumeraoionem

corpori

per hoc adipisci

salutem,

non

dubita-

mus. Die zweite, von Adalbero C produzierte Urkunde HIV 298 ist wenige Tage später am 1. Juli 1o77 ausgestellt und gehört in den gleichen Zusammenhang. In seiner Arenga sind Vorstellungen über den König und das Reich entwickelt: Saluti lere oredimus, Honorare Mariam,

cum eam, per quam

studemus, quam

oorreptione

sanotam

in peccatis

sustentatricem,

tate fundatriaem

salus mundi

videlicet

nostris

nostrae

credentibus

dei genitricem

propitiatricem3

in regni

et regni

et honoris

in

consu-

apparuit,

virginem peccatorum

nostri

stabili-

habemus .

In beiden Arengen ist die stabilitas regni als wichtiges Anliegen genannt. Wenn Heinrich IV. den Kirchen Schenkungen macht, dann - so formulieren es seine Schreiber - verbindet er damit drei Bitten: an erster Stelle nennt er die stabilitas regni et honoris

nostri,

dann folgen die salus

corporis

und die

aeterna

renumeracio animae. Das körperliche Wohl und vor allem das persönliche Seelenheil sind immer wichtige Anliegen des Saliers ge163

wesen , jetzt aber treten sie zurück hinter die Sorge um die 'Festigkeit des Reiches', die ihm in seiner schwierigen Situation besonders am Herzen lag und für die er sich als rechtmäßiger Herrscher verantwortlich fühlte. Die stabilitas regni verknüpft

162 Zu Adalbero A vgl. SCHMEIDLER, Kaiser Heinrich IV., S. 86ff.; VON GLADISS - GAWLIK, S. LXf. Adalbero C hat bei der Corroboratio mitgewirkt. D HIV 296 ist das letzte von Adalbero A verfaßte Diplom. Die Urkunden der nächsten Jahre bis zum Italienfeldzug wurden bis auf wenige Ausnahmen von Adalbero C und seinem Schüler Gebehard II A verfaßt. Vgl. die Übersicht bei (VON GLADISS -) GAWLIK, S. 762. 163 Vgl. DD HIV lo9, 174, 238, 352, 41o, 491 u.a.m. Vgl. H. KRAUSE, Königtum, S. 47, 74ff., der darauf hinweist, daß "der jenseitige Gedanke des Seelenheils ... oft mit dem diesseitigen des Staatswohls verbunden" wird.

84

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

Heinrich eng mit der stabilitas honoris nostri. Ebenso wird auch die salus des Königs in engem Zusammenhang mit der salus regni gesehen. Hier ist noch archaischer Königsglauben lebendig, daß die Wohlfahrt des Landes von dem Heil, das dem König und seinem 164 Geschlecht zukommt, abhängig sei . Festigte sich seine eigene Position, dann wurde auch der Zustand des Reiches wieder sicher und geordnet. Stabilitas

regni

und honor

regis

waren eng mitein-

ander verbunden^®^. Dafür erbat sich Heinrich die Unterstützung der Jungfrau Maria^^. Durch die Stilfigur einer Klimax^^ unterstreicht Gottschalk im Diplom 298 die Bedeutung der Gottesmutter als Beistand Heinrichs IV. In peocatis nostris war sie ihm propitiatrix, regni

in peoaatorum

et honoris

nostri

aorreptione stabilitate

sustentatrix fundatrix.

und nun in

Wie sie ihn in

tiefer Sündenschuld nicht verließ, sondern versöhnte, so hofft der König auch nun wieder auf ihren Beistand für sich und das Reich. Mit ihr als fundatrix will er gleichsam einen Neuanfang machen. Durch die Ehrung der Gottesmutter Maria erwartet Heinrich eine stärkende Rückwirkung auf die stabilitas regni et honoris nostri.

Neben der engen Beziehung zwischen König und Reich wird regnum sowohl mit salus als auch mit honor verbunden. Doch sind auch 1 6 8 Verbindungen zwischen diesen beiden Worten selbst nicht selten Damit ist honor nicht nur Ehre, Besitz oder Amt ; er meint auch die Integrität und Unverletzlichkeit In Verbindung mit salus weist er über den Bereich der lex hinaus in den des saora171 . Er geht in die Sphäre des Religiösen und Sakralen und mentum deutet auf die von Gott stammende Macht und Würde des Herrscheramtes. Der Regent berief sich in seiner 'politisch' schwachen Situation auf die göttliche Heiligung seiner Königsgewalt und versuchte dadurch, seiner Herrschaft größere Autorität zu verlei164 Vgl. hierzu BOSL, Kontinuität, S. 22; wiederabgedruckt in: DERS., Frühformen, S. lo2; 0. BRUNNER, Gottesgnadentum, S. 285; wiederabgedruckt in: DERS., Wege, S. 165f.; ERLER. 165 Vgl. Br HIV 21 (ERDMANN, S. 31 Z. llff.). 166 Vgl. (ERDMANN -) VON GLADISS, S. 13o. 167 Zum stilistischen Geschick Gottschalks vgl. ERDMANN (- VON GLADISS), S. 135ff. Zur Klimax als Form der "Ausdruckssteigerung" vgl. auch ARBUSOW, S. 47; FICHTENAU, Elemente, S. 49; wiederabgedruckt in: DERS., Beiträge, S. 138. 168 WOLF, S. 195, 2ol Anm. lo3; wiederabgedruckt in: Friedrich Barbarossa, S. 3o5, 313f. mit Anm. lo3. Zur "Verknüpfung sinngleicher und sinnverwandter Ausdrücke" in mittelalterlichen Quellen vgl. MERK, S. 454ff., bes. 474f. 169 KEHR, Belehnungen, S. 4o Anm. 1; IMMINK, S. 289ff. Zur Bedeutungsbreite von honor vgl. auch NIERMEYER, Semantik. KLOSE, im Register s.v. honos gibt Auskunft über die Vielschichtigkeit des Begriffs schon in der antiken Sprache und Literatur. 170 NIERMEYER, Remarques, S. 254. 171 WOLF, S. 2ooff., 2o5; wiederabgedruckt in: Friedrich Barbarossa, S. 312ff., 318f. Zum Begriff honor vgl. auch ZUNKEL, bes. S. 5ff.

85

Heinrich IV. als 'alter Christus'

hen

. Die bewußt gewählten Formulierungen sollen die sakrale 1 73 Seite und den göttlichen Ursprung des Herrscheramtes betonen Die Festigung des honor regni konnte nur erfolgen, wenn der honor des Königs wiederhergestellt war. Heinrich hatte in Ulm gezeigt, daß der splendor regni von dem Glanz seiner eigenen Herrschaft abhängig war. Jetzt betonten seine Urkunden, daß der honor des Reiches nicht wachsen könne, ohne daß sich nicht auch seine eigene 'Ehre' vergrößere. Die Berufung auf Gott, dessen Hilfe die dignitas

imperii

stärken solle, bringt auch ein anderes Diplom aus der Zeit nach 174 : ... imperii dignitatem, que deo auxiliCanossa zum Ausdruck ante per nos gubernatur, oorroborari eertissime oredimus. Angesichts der Frage, "ob der Entwurf der Kanzlei überhaupt vorge1 75 legen hat"

, scheidet das Schriftstück zwar als Selbstzeugnis

•Heinrichs IV. aus. Dennoch ist es ein interessantes Dokument dafür, daß auch außerhalb der Kanzlei des Königs die Stärkung der dignitas

imperii - das entspricht dem honor regni in den von der

Kanzlei angefertigten Urkunden^** - als aktuelle Aufgabe angesehen wurde. Durch den Gebrauch der Imperium-Formel brachte der aus Florenz stammende Schreiber von D HIV 294 seine Erwartung zum Ausdruck, daß der salische König seine Herrschaft sowohl im deutschen als auch im italischen Reich festigen könne. Für das Selbstverständnis Heinrichs IV. wertvollere Zeugnisse sind die Diplome 296 und 298. Durch den betonten Hinweis auf die erstrebte Festigkeit des Reichs erhalten die Urkunden einmal den Charakter einer programmatischen Aussage. Die Erreichung der stabilitas

regni war das angestrebte Ziel und die nächstliegende

Aufgabe des K ö n i g s ^ ^ . Darüber erwachsen die Urkunden aus den Ulmer Ereignissen, die wenige Wochen zuvor stattgefunden hatten. Durch die Absetzung seiner Gegner und die Festkrönung wollte Heinrich IV. den Glanz und die wieder erstarkende Kraft des Königtums der Bevölkerung seines Reiches vor Augen führen. Diese Intention fand nur wenige Wochen später auch in den ersten Schriftzeugnissen der königlichen Kanzlei ihren Niederschlag. Bei-

172 O. BRUNNER, Gottesgnadentum, S. 285ff.; wiederabgedruckt in: DERS., Wege, S. 165ff. Vgl. K. HAUCK, Bedeutung, S. lo8. 173 Vgl. FICHTENAU, Arenga, S. 19, 63; W. ZÖLLNER. 174 D HIV 294, vor dem 28. August lo77. 175 VON GLADISS in der Vorbemerkung zu D HIV 294, S. 386. 176 WOLF, S. 2o7; wiederabgedruckt in: Friedrich Barbarossa, S. 321. 177 D HIV 296 (VON GLADISS, S. 398 Z. 28f.).

86

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

des unterstreicht, wie bewußt der salische König im Sommer 1o77 die Einheit von honor regni und honor regia

zum Ausdruck brach-

te. Diese Gedanken finden wir auch in seinen Briefen wieder, in denen honor regis und honor regni Größen gebraucht"

178

zeitweise "wie austauschbare

werden.

Der honor regni bedeutete für Heinrich auch die Ausübung des 1 79 temporalen Rechts

. Die Weigerung, in Oppenheim die Reichsin-

signien an die Fürsten auszuliefern, verdeutlicht dies ebenso wie die Festkrönung in Ulm. Auch bei ihm war offenbar noch die Vorstellung lebendig^® 0 , daß er seine königliche Stellung auf keinen Fall preisgeben dürfe. Dies war mit der 'Ehre' des Reiches nicht vereinbar. Die Urkunden umreißen nicht nur die Auffassung Heinrichs von der Rechtmäßigkeit seines Königtums; sie zeigen auch, daß er entschlossen war, daraus zur Wiederherstellung der

stabilitae

regni die Konsequenzen zu ziehen. Schon in Ulm wurde der erste Schritt getan, weitere sollten folgen. Von dieser schwäbischen Pfalz zog der Salier nach Nürnberg, wo er am 11. Juni, dem Fest Trinitatis, einen Hoftag abhielt und schon wieder eine Reihe geistlicher und weltlicher Fürsten um 181

sich versammelte

. Die schon in Italien begonnene Übertragung

wichtiger Territorien in den mittleren und östlichen Alpen an treue Anhänger setzte er fort, um durch die Verriegelung der Paß182 Straßen die Reise des Papstes ins deutsche Reich zu verhindern Damit hatte der König sich gesichert für eine Expedition nach Sachsen, die er 1 nach Auskunft Bertholds von Reichenau Qß me vorbereitete der Feldzug

sollertissi-

. Schon auf der Versammlung in Regensburg war

gegen Rudolf von Rheinfelden beschlossen worden. Daß

Heinrich IV. diesen Plan nun weiter verfolgte, zeigt auch die Wahl Nürnbergs als Ort des Hoftages, eines wichtigen

Stützpunk-

tes an der Königsstraße, die über Bamberg, das obere Werratal

178 H. HOFFMANN, Krone, S. 77. Vgl. KOCH, S. lo4f. Siehe jedoch Br HIV 39 (ERDMANN, S. 56 Z. 6ff.). Diese Äußerung ist wohl aus der ungleich schwierigeren Lage Heinrichs 11o5/o6 zu erklären. 179 KÖLMEL, Regimen, S. 119. 180 Vgl. H. HOFFMANN, Unveräußerlichkeit, S. 396f. 181 Vgl. die Intervenientenliste in den DD HIV 295-297. Anwesend waren die Königin, fünf Bischöfe, zwei Herzöge, ein Pfalzgraf, ein Markgraf und familiares. Vgl. auch Berthold von Reichenau, S. 294f. Zu den Anhängern Heinrichs vgl. die Zusammenstellung bei MEYER VON KNONAU 3, S. 41; BRUNS, S. 75ff. - Zum Begriff 'Hoftag' vgl. zuletzt KREUZER, S. 83ff. mit Anm. 5 und MORAW, S. 5ff. zur Terminologie 'Reichstag'. 182 Vgl. Berthold von Reichenau, S. 299 Z. 24ff.; oben S. 33f., 36ff. 183 Berthold von Reichenau, S. 298 Z. 44ff. Vgl. Nürnberger Urkundenbuch, Nr. 18 S. 13 Anm. 1; MEYER VON KNONAU 3, S. 43; KILIAN, S. 78.

87

Heinrich IV. als 'alter Christus' 184

entlang weiter ins östliche Sachsen führte

. Dies war das Kern-

land der antisalischen Opposition. Zwei Jahre später, als Heinrich IV. ebenfalls auf 1dem Weg nach Sachsen war, machte er wiederum in Nürnberg Halt QC. Wie die folgenden Ereignisse zeigen, hinderten ihn 1o77 wohl die letztlich unzureichende Unterstützung der Fürsten daran, den Sachsenzug auszuführen, da sie nicht die nötigen Vasallen stellten und Heinrichs Heer deshalb zu schwach war. Infolgedessen zog der König über Bamberg auf der alten Königsstraße den Main entlang

186

nach Mainz, wo er am 1. Juli für Werner von Straßburg

urkundete und ihm vor allem ob fidele servitium die Berthold von 187 Zähringen entzogene Grafschaft im Breisgau verlieh Mainz war in den folgenden Jahren der bevorzugte Aufenthalts188

ort Heinrichs IV. , da diese Stadt am mittleren Rhein vor allem von ihrer Lage her strategische Vorteile bot. Von hier aus konnte der salische König auf der erwähnten Mainstraße schnell 1 89 in Franken, dessen Adel und Bürger auf seiner Seite standen , eintreffen und einer drohenden Vereinigung der sächsischen und süddeutschen Gegner zuvorkommen sowie auch selbst Vorstöße nach Sachsen oder Schwaben unternehmen. So hatte er1 9o auch in Mainz den Plan eines Sachsenzuges noch nicht aufgegeben . Doch Rudolf von Rheinfelden marschierte ihm schon entgegen und zog nach der erfolglosen Belagerung von Würzburg an den Neckar, wo der Salier auf Verstärkung der Bayern und Böhmen wartete; dieser mied deshalb eine offene Feldschlacht ebenso wie seine sächsischen und schwäbischen Gegner, dessen Heere sich vorher zusammenschließen konnten 1 91 In dieser Situation kam es zu Gesprächen zwischen beiden Sei1 92 ten . Die Initiative dazu ging von den Fürsten aus. Auf salischer Seite führten Udo von Trier und Hermann von Metz, wohl als 'Kompromißkandidaten', die Verhandlungen, die jedoch durch be184 185 186 187 188 189 190

191 192

RIECKENBERG, S. 61f.; OEHLER, S. 16f.; PETER SCHMID, S. 29. Vgl. unten S. 164. RIECKENBERG, S. 61f.; PETER SCHMID, S. 23f.; SCHICH, S. 36ff. D HIV 298. Vgl. Regesten der Bischöfe von Straßburg, Nr. 327 S. 287; SCHERER, S. 59. Vgl. METZ, Städte, S. 41; KOTTJE, Bedeutung, S. 14o. HÖSS, Stellung Frankens, S. 3o6ff. Berthold von Reichenau, S. 299 Z. 29ff. Vgl. Bernold von St. Blasien, S. 434 Z. 43ff. HÖSS, Stellung Frankens, S. 3o6 nimmt an, daß auch ein Teil des salischen Heeres gegen Rudolfs schwäbische Anhänger ziehen sollte. Berthold von Reichenau, S. 299f.; Bruno von Merseburg, S. 88 Z. 3ff. Vgl. BRUNS, S. 91; HÖSS, Stellung Frankens, S. 3o6f.; SCHICH, S. 113. Berthold von Reichenau, S. 3oof.; Bruno von Merseburg, S. 88 Z. 8ff., auch zum Folgenden.

88

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

stimmte Auflagen des Königs erschwert waren

1 93 . Es wurden

schließlich ein Waffenstillstand vereinbart und für den 1. Növem1 94 ber eine weitere Versammlung am Rhein, an der alle Fürsten des Reiches und die päpstlichen Legaten, nicht jedoch die beiden Könige teilnehmen sollten. Nach Abschluß dieser Vereinbarungen begab sich Rudolf von Rheinfelden wieder nach i 95 Sachsen, während Heinrich IV. nach Schwaben und Bayern zog . In dieser Zeit nahm er die Neubesetzung des Patriarchats Aquileia, des Bistums Augsburg und der Abtei St. Gallen vor. Nach Embrikos Tod am 3o. Juli ^ ^

wählten Klerus und Volk

von Augsburg den Propst von St. Moritz, Wigold, zu dessen Nachfolger. Die Wahl Wigolds wurde nach Ansicht des reformerisch ge1 97 sinnten Berthold von Reichenau sanomae durchgeführt . Der König hielt sich während dieser Zeit vornehmlich in der Rheingegend 1 98 auf

und konnte erst Anfang September in die Augsburger Angele-

genheiten eingreifen. Er überging Wigold und setzte bei seinem Aufenthalt am 8. September in Augsburg 199 stattdessen seinen Kapellan Siegfried zum neuen Bischof ein

. Die Ernennung Sieg-

frieds hatte schon vorher stattgefunden, und zwar an demselben Tage, so weiß Berthold zu berichten^ 0 0 , an dem Udalrich von Eppenstein zum neuen Abt von St. Gallen bestimmt wurde. Schon Rudolf von Rheinfelden hatte während seines Augsburger Osteraufenthaltes 1o77 den Mönch Lutold zum Nachfolger des am 9. Dezember 1o76 verstorbenen Abtes Udalrich ausersehen, doch die Mönche zerbrachen den Abtsstab und vertrieben Lutold aus ihrem Kloster^ 0 ^. Sie standen weiter auf der Seite Heinrichs. Durch die Vergabe des Klosters an Udalrich^ 0 ^ übertrug der Salier einem weiteren Mitglied des Eppensteiner Hauses ein wichtiges Amt, nachdem er schon im Frühjahr 1o77 das Herzogtum Kärnten an Udalrichs Bruder Liutold zu Lehen gegeben hatte. Das mächtige Kloster St. Gallen hatte er damit gegen die salierfeindliche Abtei Reichenau gesichert. 193 194 195 196 197 198 199

200 201 202

MEYER VON KNONAU 3, S. 54; GLADEL, S. 25f.; SALLOCH, S. 35f. Diesen Termin nennt Marianus Scotus, S. 561 Z. 39. MEYER VON KNONAU 3, S. 59f.; KILIAN, S. 79. Annales Augustani, S. 129 Z. 21ff. Vgl. Regesten der Bischöfe und des Domkapitels von Augsburg, Nr. 34o S. 2o3f. Annales Augustani, S. 129 Z. 27f. Vgl. Regesten der Bischöfe und des Domkapitels von Augsburg, Nr. 341 S. 2o4; ZOEPFL, Bistum Augsburg, S. loo. KILIAN, S. 79. Annales Augustani, S. 129 Z. 26. Vgl. Regesten der Bischöfe und des Domkapitels von Augsburg, Nr. 342 S. 2o4ff. Zu Siegfried ebd. S. 2o5f.; ZOEPFL, Bistum Augsburg, S. lo3. - Zur Haltung Gregors R. SCHIEFFER, Entstehung, S. 157f. mit Anm. 235. Berthold von Reichenau, S. 3ol Z. 17ff. Vgl. RIESE, S. 41f.; FEIERABEND, S. 44f. Vgl. BÜTLER, S. 261f.; KLAAR, S. lo9.

Heinrich IV. als 'alter Christus 1

89

In Augsburg nahm Heinrich IV. auch die Neubesetzung des Aquileienser Patriarchenstuhls vor 2 0 3 , der durch Sigehards Tod am 2o4 12. August in Regensburg vakant geworden war. Nach Canossa hatte der König die Kirche von Aquileia mit einer Reihe von Schenkungen bedacht und sich durch die Übertragung der Grafschaft Friaul und weiterer Besitzungen von Oberitalien aus den Rückweg durch die Ostalpen gesichert. Durch weitere umfangreiche Schenkungen auf der Nürnberger Versammlung im Juni 1o77 hatte Heinrich unterstrichen, wie hoch er die Bedeutung Aquileias als Verbindung zwischen dem deutschen und italischen Reich einschätzte. Diese konnte nur gesichert werden, wenn dem verstorbenen Patriarchen Sigehard ein zuverlässiger königstreuer Anhänger nachfolgte. Die Investitur in Aquileia war also auch von hervorragender politischer Bedeutung . Wie in Augsburg waren Klerus und Volk unverzüglich zur 'kanonischen'20® Wahl eines eigenen Kandidaten geschritten und hatten Gregor VII. davon in Kenntnis gesetzt 20 ^. Der Papst versicherte seine Zustimmung, falls von ihm entsandte Legaten den Wahlvorgang untersucht und sich von der legalis et . Der Salier dagegen akzepoanonioa eleat-io überzeugt hätten tierte die Wahl des uns unbekannten Kandidaten nicht und ernannte den Augsburger Kapellan Heinrich von Biburg zum neuen Patriarchen 2o9 von Aquileia , der ohne Widerstand sein Amt antreten konnte. Die drei königlichen Investituren in Aquileia, Augsburg und St. Gallen machen zweierlei deutlich. Erstens konnte Heinrich IV. ohne Mühe seine Kandidaten durchsetzen. Dies offenbart nicht nur seine politische Stärke, sondern zeigt auch, daß die Reformen nach den Vorstellungen des Papstes Gregor und seiner Anhänger keineswegs überall verbreitete Zustimmung fanden 2 ^ 0 . Das Verhalten der Mönche von St. Gallen gegenüber den beiden Königen und den von diesen eingesetzten Äbten ist hierfür ein deutliches Beispiel.

203 Annales Augustani, S. 129 Z. 26f.; Berthold von Reichenau, S. 3ol Z. 27ff., auch zum Folgenden. Vgl. Regesten der Bischöfe und des Domkapitels von Augsburg, Nr. 342 S. 2o6. 204 MEYER VON KNONAU 3, S. 65. 205 Vgl. oben S. 33, 36ff. 206 Berthold von Reichenau, S. 3ol Z. 29. 207 Reg. V 6 (CASPAR, S. 354f.). BONIN, S. 14 nimmt auch eine Benachrichtigung Heinrichs an. 208 Reg. V 5 (CASPAR, S. 354). Vgl. Reg. V 6 (CASPAR, S. 354f.) und unten S. 96ff. 209 Vgl. Anm. 2o3; BONIN, S. 14; SCHWARTZ, S. 34; SCHMIDINGER, Besetzung, S. 346f.; FLECKENSTEIN, Hofkapelle und Reichsepiskopat, S. 129. Zu Heinrich vgl. auch KLEBEL, Geschichte, S. 4o3. 210 S. unten S. 93f.

9o

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

Zum zweiten geben die Investituren Auskunft über Heinrichs Haltung in kirchenpolitischen Fragen, die uns gerade nach Canossa besonders interessiert, worüber wir jedoch keine schriftlichen Zeugnisse des Saliers oder seines Hofes besitzen. Der König läßt erkennen, daß er weiterhin das Recht der Investitur beansprucht und frei über Bistümer und Klöster verfügen will. Der Versuch Gregors, Heinrichs Königtum auf das temporale Recht zu beschränken, mußte auf den entschiedenen Widerstand des Saliers 211

stoßen . Daß dieser seine alten Königsrechte schon so uneingeschränkt und ohne nennenswerten Widerstand durchsetzen konnte, zeigt, wie schnell sich in einigen Teilen des Reiches sein Einfluß und seine Macht schon wieder konsolidiert hatte. Nach den Investituren machte Heinrich in Regensburg den Versuch, Erzbischof Gebhard von Salzburg für sich zu gewinnen. Die Meldung Bertholds von Reichenau läßt keinen Zweifel daran, daß der Anstoß zu dieser Unterredung von Heinrich IV. ausgegangen 212

war . Der salische König bemühte sich darum, diese wichtige Persönlichkeit auf seine Seite zu ziehen. Im Falle einer Verständigung hätte er seinen Einfluß im Südosten des Reiches gestärkt, während die Reformpartei einen exponierten Vertreter verloren hätte. Daß eine Annäherung zwischen Heinrich und Gebhard nicht erzielt wurde, lag wohl an grundsätzlichen kirchenpolitischen 213 Fragen und der immer größer werdenden Verhärtung der Fronten Auf dem Rückweg nach Salzburg entzog sich Gebhard dem königlichen Geleit und floh nach Sachsen, wo er sich in den nächsten Jahren ,, . , . 2 1 4 aufhielt Aus der endgültigen Abkehr Gebhards zog Heinrich IV. noch im selben Jahr die Konsequenz. Er entzog der Salzburger Kirche das 215 1o62 verliehene Kloster (Frauen-)Chiemsee und schenkte diesem die Freiheit wieder^ 211 Vgl. auch FLECKENSTEIN, Hofkapelle und Reichsepiskopat, S. 129. 212 Berthold von Reichenau, S. 3ol Z. 31ff. Dennoch hat es an Versuchen nicht gefehlt, Gebhard von Salzburg den Impuls zu diesem Gespräch zuzuschreiben. Zur Forschungsdiskussion über diese Frage zuletzt STEINBOCK, S. 118f., der allerdings auch keine befriedigende Lösung bietet. Seine Datierung in den Monat Juli geht aus der Chronik Bertholds von Reichenau nicht hervor. Jene Unterredung fand vielmehr Ende September/Anfang Oktober statt. 213 KOST, S. 112 nennt 'territoriale' Gründe. Dabei dachte er vielleicht an die Salzburger Alpenstraßen und ihre verkehrspolitische Bedeutung; vgl. hierzu KLEIN; STÖRMER, Engen, S. 94ff. Die Urkunde gibt jedoch nur die 'Libertas-Argumentation'; vgl. unten S. 91, 92f. 214 Vita Gebehardi, S. 39 Z. 26ff. Vgl. MEYER VON KNONAU 3, S. 67. 215 D HIV 97 vom 12. Dezember lo62; Salzburger Urkundenbuch, Nr. lol S. 168f. 216 D HIV 3o2. VON GLADISS in der Vorbemerkung, S. 396 datiert die Ausstellung der Urkunde auf "wahrscheinlich Weihnachten lo77"; GAWLIK (- VON GLADISS), S. XXII Anm. 5 weist darauf hin, daß die Datierung seit dem 5. Oktober möglich ist.

Heinrich IV. als 'alter Christus 1

91

Diese Exemtionsurkunde liegt uns nicht im Original vor, sondern nur in einer Abschrift aus dem 14. Jahrhundert. So hat es nicht 21 7 an Stimmen gefehlt, die das Diplom als Fälschung ablehnten Doch schon E.E. Stengel war davon ausgegangen, daß die Urkunde zwar an einigen Stellen verderbt, im wesentlichen aber echt 218 219 sei . Diesem Urteil hat sich D. von Gladiß angeschlossen , der das bisher in unzureichendem Druck vorliegende Diplom neu edierte. Zunächst können wir davon ausgehen, daß der Rechtsinhalt dieser Urkunde echt ist. Dies bestätigt der Vergleich mit dem Diplom, mit dem Heinrich IV. im Frühjahr 1o78 auch dem Kloster Benediktbeuren wieder die Freiheit verlieh^ 0 . Da diese Urkunde im Original erhalten und ebenso wie D HIV 3o2 von dem Notar Gebehard 221

II A verfaßt und geschrieben ist , dürfen wir auf Grund gleicher oder ähnlicher Formulierungen auf die Echtheit der Dispositio des Chiemseer Diploms schließen. Umstritten ist dagegen seine Narratio. Sie kommt auf die Geschichte der Abtei zu sprechen und erinnert daran, daß das Kloster seit der Gründung durch Tassilo die libertas der fränkischen und deutschen Könige genossen und a rege ad regem bestätigt erhalten habe. Heinrich selbst bekannte, einen Fehler begangen zu haben, als er unter dem Einfluß schlechter Ratgeber dem Kloster einst diese Freiheit genommen habe. Er will ihm nun die libertas wieder zurückgeben, die Chiemsee schon ab auctore suo Tessalone rege erhalten habe, und durch die Verleihung der perfeotissima

regalis

libertas,

wie es in D HIV 3o2 heißt, dem

222 Kloster regia tutela et defensio gewähren . Dieser Hinweis auf die Gründung durch Tassilo und die Tradition der königlichen Libertas-Verleihungen wurde ebenso wie die Besitzliste des Klosters als ein "unbeholfenes Machwerk" angesehen, das ein späterer Schreiber zur Glorifizierung Chiemsees dem ursprünglichen Text beigefügt habe 223

217 MEYER VON KNONAU 3, S. 73 Anm. llo; KILIAN, S. 8of.; SEIDENSCHNUR, S. 193 Anm. 4; SCHMEIDLER, Kaiser Heinrich IV., S. 32f.; PETER SCHMID, S. 497. 218 STENGEL, S. 251ff. u.ö. (s. Register S. 746). 219 VON GLADISS (-GAWLIK), S. 396. Zustimmend zuletzt auch BAUERREIS, Gotteshäuser, S. 8f. 220 D HIV 3o8. VON GLADISS (-GAWLIK), S. 396. 221 VON GLADISS, Kanzlei, S. 77. 222 D HIV 3o2. Letztes Zitat aus D HIV 3o8. 223 Salzburger Urkundenbuch, S. 168. Vgl. WIDEMANN, S. 29f.; J. D0LL, S. 19 Anm. 3.

92

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

Nun hat schon Stengel auf die enge Verwandtschaft der Diplome 224 225 226 Heinrichs IV. für Hornbach , Einsiedeln , Chiemsee , Bene227 228 diktbeuren und Klingenmünster hingewiesen. Zwar sind sie nicht alle, wie er noch annahm, von Gottschalk von Aachen ver229 faßt worden , sondern nach den Forschungen von D. von Gladiß und A. Gawlik müssen die Diplome für Chiemsee und Benediktbeuren dem schon erwähnten Notar Gebehard II A zugeschrieben werden. Doch weil dieser als Schüler Gottschalks von dessen Stil sehr beeinflußt war, können wir die drei anderen Urkunden zum Vergleich heranziehen. Die Narrationes in den Diplomen für Hornbach und Klingenmünster zeigen, daß die Schilderung historischer Zusammenhänge im Chiemseer Diplom keinen Einzelfall darstellt. Die in der Urkunde aufgezeichnete geschichtliche Entwicklung von Frauenchiemsee als Herzogs- und Reichskloster wird endgültig bestätigt durch seine wichtigen in der Alpenregion gelegenen Besitzungen, die von wirtschaftlicher und verkehrspolitischer Be231 deutung waren , so daß Zweifel an der Güterliste des Diploms nicht berechtigt sind. Die wesentlichen Teile der Urkunde sind also als echt anzusehen, die Annahme einer Fälschung kommt nicht in Betracht. Der erhaltene Text aus dem 14. Jahrhundert gibt nicht nur den Rechtsinhalt, sondern im wesentlichen auch den vollständigen Wortlaut des Originals wieder. Dadurch erhalten die Formel perfeatissima regalis libertas und der betonte Hinweis, daß Heinrich IV. die Consuetudo seiner Vorgänger fortsetze - ein Gedanke, der in seiner Herrschaftslegitimation eine bedeutende Rolle spielte -, ein stärkeres Gewicht. Die Narratio des Chiemseer Diploms wird zum aktuellen Zeugnis des salischen Hofes. Gebhard von Salzburg, dem Heinrich IV. das Kloster Chiemsee im Jahre 1o62 übertragen hatte, wurde nun das Kloster entzogen. Bezeichnenderweise nannte der Schreiber keine territorialen, wirtschaftlichen oder bei verkehrspolitischen Gründe für diesen 232 Schritt, obwohl dies der Bedeutung Chiemsees im Alpenraum

224 225 226 227 228 229 230

D HIV 249. D HIV 26o. D HIV 3o2. D HIV 3o8. D HIV 326. Vgl. hierzu unten S. 238, 248f. STENGEL, S. 251. Er bezeichnet Gottschalk als Adalbero B. GAWLIK - VON GLADISS, S. XXXIX, LXVIII, 396; VON GLADISS, Kanzlei, S. 159f.; DERS. (- ERDMANN), S. 133. 231 G. und A. SANDBERGER, S. 65, 67ff. Vgl. STÖRMER, Engen, S. 93f. 232 Vgl. vorige Anm.

Heinrich IV. als 'alter Christus'

93

und angesichts der Einziehung und Neuvergabe der Lehen 1o77/78 durchaus nahelag. Aus der Urkunde geht vielmehr unmißverständlich hervor, daß kirchen- und reformpolitische Gesichtspunkte den König zu dieser Maßnahme bewogen. Heinrich glaubte die Libertas der Abtei wiederherzustellen, wenn er einem Verfechter der neuen Reformideen sowie Anhänger des Papstes und Rudolfs die Verfügung über das Kloster entzöge. Der von Gregor VII. verliehenen Libertas setzte er als wahre Freiheit die 'königliche Iiibertas' gegenüber, die schon seit der Gründung Chiemsees von den Königen immer wieder verliehen worden war. Zur Abwehr der päpstlichen Ansprüche stellte Heinrich sich bewußt in die Tradition seiner Vorgänger und betonte durch die Übernahme Chiemsees in die Reichsunmittelbarkeit, daß nur er den Schutz und die Sicherheit des Klosters gewährleisten könne. Im Frühjahr 1o78, nach dem Tode Ellinhards von Freising, baten die Mönche von Benediktbeuren selbst um die Loslösung ihres Klosters von der Freisinger Kirche und um die Wiederherstellung der Reichs233 unmittelbarkeit , obwohl der Bischof Anhänger des Saliers war. Heinrich IV. entsprech dem Verlangen der Mönche; er gewährte dem 234 Kloster Benediktbeuren die libertas und nahm es damit wieder in seinen königlichen Schutz. Mit der Zuwendung der Reichsabteien zum salischen König wuchs auch sein politisches Gewicht. Die Klöster bedeuteten eine wichtige Stütze in der Auseinandersetzung mit Gregor VII. und Rudolf von Rheinfelden. Das Kloster Selz erhielt am 13. August 1o77 eine Schenkung von 3o Hufen im nördlichen Elsaß als Belohnung für seine treuen Dienste 235 . Auf dem Wormser Hoftag Ende Oktober 1o77 sind neben 2o Bischöfen auch zehn Äbte am königlichen Hof be236 zeugt . Schon H. Feierabend stellte fest, "daß mit wenigen ... Ausnahmen die deutschen Reichsabteien bei Beginn des Investiturstreites für Heinrich IV. Partei ergriffen, ihm auch in den folgenden Jahren die Treue bewahrten und von den gregorianischen Ideen, um deren Verbreitung sich besonders die Hirschauer Bewegung bemühte, fast ganz unberücksichtigt geblieben ist" 237 . Die-

233 234 235 236

FEIERABEND, S. 84. D HIV 3o8. Vgl. Chronicon Benedictoburanum, S. 235 Z. 3f. D HIV 299. Zu den Besitzungen vgl. BANNASCH, S. 12o. Außerdem waren multi oleriai et laici. anwesend; D HIV 3o3 (VON GLADISS, S. 399 Z. lf.) vom 3o. Dezember lo77. Vgl. FEIERABEND, S. 19o. GAVJLIK, Intervenienten, S. 61 sieht in der Zahlenangabe mehr die Andeutung auf die Anwesenheit einer großen Anzahl geistlicher Fürsten.- Die Echtheit dieses Diploms und seine Datierung hat JÄSCHKE, Studien I, S. 16off. dargelegt. Vgl. GAWLIK (- VON GLADISS), S. XXII Anm. 5, XXXIX Anm. lo2. 237 FEIERABEND, S. 19o, vgl. S. 43f., 187ff.

94

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

se Aussage trifft auch für die Zeit nach Canossa zu. Das Bild wird vervollständigt durch die königlichen LibertasDiplome, die bislang unbeachtet geblieben sind. Der 'gregorianischen Freiheit' mit der Unterordnung unter die Obödienz des Papsttums stellte Heinrich IV. die vegal-is libertas mit seinem Schutz gegen innere und äußere Feinde der Klöster gegenüber. So war die Parteinahme der meisten Reichsklöster und ihrer Äbte für den salischen König nicht nur eine Absage an die päpstlichen Vorstellungen; sie bezeugt auch, daß sie sich lieber dem König unterstellten und Heinrich IV. für fähig hielten, ihnen den gewünschten Schutz zu geben. Trotz der Versuche Gregors, den königlichen Einfluß in kirchlichen Fragen zurückzudrängen, war der Salier noch im gleichen Jahr seines Canossaganges in der Lage, Bistümer und Abteien mit seinen Kandidaten zu besetzen. Entscheidend für diese Entwicklung war auch die zunehmende politisch-militärische Stärke des Königs. Von Regensburg zog er in das rheinfränkische Gebiet und konnte mit Erfolg verhindern, daß die für den 1. November einberufene Fürstenversammlung, auf der unter Ausschluß der Könige über den deutschen Thronstreit verhandelt werden sollte, 238 nicht stattfand . Ein Schiedsgericht über das von ihm allein beanspruchte Königtum konnte nicht die Billigung des Saliers finden. Dagegen hielt Heinrich IV. am 3o. Oktober in Worms ein Gericht ab, auf dem er dem Markgrafen Ekbert von Meißen sein Lehen aberkannte, und gab so zu erkennen, daß er gegen die abtrünnigen Fürsten hart und konsequent vorging. G. Meyer von Knonau hat zu Recht darauf hingewiesen, daß der König diese Maßnahme bewußt einen Tag vor der geplanten Fürstenversammlung traf und durch sein hartes Vorgehen gegen Ekbert seine starke Stellung demon239 strieren wollte . Die Urkunde, mit der Heinrich am gleichen Tage dem Utrechter Bischof die Ekbert entzogene Grafschaft in 24o Stavoren übertrug , ist mehr als ein Rechtsdokument. Sein Schreiber Adalbero C hat in die Narratio und Dispositio Gedanken einfließen lassen, die wir als Auffassung des salischen Königshofes interpretieren können und die deshalb unsere Aufmerksamkeit 238 Berthold von Reichenau, S. 3ol Z. 38ff. Vgl. MEYER VON KNONAU 3, S. 69f.; BRUNS, S. 93f. 239 MEYER VON KNONAU 3, S. 68. JÄSCHKE, Studien II, S. 315 nimmt an, daß Heinrich IV. "die Fürsten für eine regelrechte Reichsversammlung unter seinem Vorsitz zu gewinnen" suchte. Das energische Vorgehen gegen Ekbert könnte Ausdruck des Scheiterns dieses Plans oder eine Maßnahme zur Abschreckung im Fall der Gefolgschaftsverweigerung sein. 240 D HIV 3ol, auch zum Folgenden. Vgl. auch GUNDLACH, S. 49.

Heinrich IV. als 'alter Christus 1

95

verdienen. Die Feinde des Königs seien der Verfolgung durch das ganze Reich ausgesetzt. Wer sich durch infamen Meineid außerhalb der Gesetze stelle, verliere auch die Erbansprüche auf seine Güter. Da Ekbert darauf hinarbeitete, Heinrich seines Königtums zu berauben, 'soll er am Reich keinen Anteil mehr haben'. Der ehemalige Markgraf hatte sich des Hochverrats schuldig gemacht. Deshalb hielt Heinrich über ihn ein Gericht, das Gottschalk wie den Ulmer Tag als iustum iudicium bezeichnete. Hatte der Salier sich damals auf das Volksrecht sowie die lex divina und lex humana berufen, führte er nun auch das ius gentium an, auf Grund dessen 241 er das Recht habe, die Feinde des Reiches zu verfolgen . Die Stabilität, deren Wiederherstellung auf dem Nürnberger Hoftag noch als vordringliches Ziel genannt worden war, schien aus der Sicht des salischen Königshofes so weit erreicht zu sein, daß der Schreiber nun von einem regnum integrum sprechen konnte. In der Tat hatte sich seit Heinrichs Rückkehr aus Italien die Situation im deutschen Reich grundlegend gewandelt. Rudolf von Rheinfelden wurde von immer größeren Teilen der Bevölkerung im Stich gelassen und mußte nach dem gescheiterten Umritt durch sein Herzogtum Schwaben schließlich den Rückzug nach Sachsen antreten. Dagegen wurde dem 'alten' vom Bann gelösten König in Süddeutschland ein stürmischer Adventus bereitet. Die vom salischen Königshof betriebene Propagierung Heinrichs als 'alter Christus' wie auch die demonstrative Festkrönung auf dem Pfingshoftag in Ulm verkündeten den Anspruch auf die Rechtmäßigkeit und die Unantastbarkeit des von Gott verliehenen Königtums. Mit dieser theokratischen Selbstdarstellung als Stellvertreter Christi verband der Salier die propagandistische Verdammung Rudolfs von Rheinfelden als 'alter Pilatus 1 , was sich wegen dessen Wahl im Forchheimer Pilatushof anbot. Darüber hinaus zog Heinrich IV. auch politisch die Konsequenzen aus dem Abfall Rudolfs und seiner Anhänger. Er verhängte über sie die Acht und enthob sie ihrer Ämter und Würden. Auch seine kirchenpolitischen Maßnahmen, die Investituren von Aquileia, Augsburg und St. Gallen, wo Heinrich ohne Widerstand seine Kandidaten durchsetzen konnte, und die Libertas-Verleihungen an Klöster zeigen, daß der Salier auch nach Canossa auf seine kirchlichen Rechte nicht verzichtete und schon im Herbst 1o77 wieder so stark war, sie zu realisieren. "Mit größerer Selbstverständlichkeit, als es manche späteren Quellen und vor allem die

241 Vgl. KÖBLER, Recht, S. 71f., der in Anm. 426 das falsche Diplom Heinrichs angibt.

96

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

Kontroverse in der modernen Detailforschung vermuten lassen, nahm Heinrich IV. (nach Canossa) seine königlichen Funktionen .„242 auf"

wieder

3. Gregors VII. Initiativen zur Entscheidung der deutschen Königsfrage als Reaktion auf das Scheitern der ersten Legation nach Canossa In den beiden letzten Kapiteln haben wir uns mit Rudolf von Rheinfelden im ersten Jahr seines Königtums und mit Heinrich IV. nach seiner Rückkehr aus Italien beschäftigt und dabei festgestellt, daß der 'alte' König bei großen Teilen des Volkes wieder zunehmende Anerkennung fand, während das Ansehen des 'neuen' Herrschers immer mehr schwand. Dies konnte auch dem Papst nicht verborgen bleiben. Die Reformtätigkeit seiner Legaten erwies sich ohne den notwendigen politischen Rückhalt als sehr schwierig, ja unmöglich. Diese Entwicklung im deutschen Reich und die Erkenntnis, daß via

sibi

patuerit

in partes

243

Theutonicas

ad

tot

discordias

componendas

non

, veranlaßten Gregor VII., im August 1o77 nach Rom zu244 rückzukehren, wo er 'mit großer Freude' eingeholt wurde . Indem er Oberitalien verließ, nahm er auf absehbare Zeit Abstand von seinem Plan, selbst nach 245 Deutschland zu reisen und das geplante

Schiedsgericht zu leiten Das Verhältnis zwischen dem Papst und dem salischen König wurde schon bald geprüft, als es um die Neubesetzung des Patriarchats Aquileia ging. Nach dem Tode des Patriarchen Sigehard hatten, wie bereits gestreift, Volk und Klerus dieser Stadt ohne Rücksprache mit Heinrich IV. einen eigenen Kandidaten gewählt und 246 Gregor VII. um die Anerkennung ihres neuen Patriarchen gebeten

242 So hypothetisch SERVATIUS, Kirche und Staat, S. 54. 243 Berthold von Reichenau, S. 291 Z. 41. Vgl. oben S. 21f., 51. 244 Berthold von Reichenau, S. 291 Z. 38ff.; Arnulf von Mailand, S. 31 Z. 22f. Vgl. MEYER VON KNONAU 3, S. 83 Anm. 126 mit weiteren Quellen. 245 Schon am 9. Juni hatte er sich über die Möglichkeit, nach Deutschland zu reisen, sehr skeptisch geäußert; Reg. IV 25 (CASPAR, S. 339 Z. 25ff.). Gegen die Annahme einer endgültigen Aufgabe des Reiseplans - so CH. SCHNEIDER, S. 21o - spricht die zeitliche Einschränkung hoc in tempore. Nach DEHNICKE, S. 49f. ließ Gregor seinen Plan erst auf der Fastensynode lo78 fallen; ebenso BRUNS, S. 96ff. ("Verzicht Gregors auf eine persönliche Entscheidung") und GROSSE, S. 32. Abwägender A. HAUCK, S. 814. 246 Vgl. oben S. 38f., 89 zur politischen Bedeutung aus der Sicht Heinrichs.

Gregors VII. Initiativen zur Entscheidung der Königsfrage

97

Da sich auch der Salier in die Frage der Neubesetzung einmischte, konnte es hier zu einem neuen Konflikt zwischen König und Papst kommen. Gregor selbst hielt die Angelegenheit für so wichtig, daß er nicht nur einen Brief an Klerus und Volk von Aquileia sandte, 247 sondern auch ein Schreiben an die Suffragane des Patriarchats Sein Brief an die Geistlichkeit und Bevölkerung der Stadt soll uns besonders beschäftigen, da er als Eigendiktat programmatischen Charakter hat. Gleichsam als Leitwort, als antiqua et nota saore institutionis...

regula, stellt der Papst das Wort Christi

vom hinterhältigen Dieb und vom guten Hirten an den Anfang des Briefes:

'Qui intrat per ostium, pastor est ovium; qui autem 248 non •intrat per ostium, sed asoendit aliunde, für est et latvo'

Die in der Vergangenheit lange geübte Praxis der Bischofserhebung geißelt Gregor als nefanda eonsuetudo, et salutem totius ahristianitatis

die er nun ad honorem Dei

innovare et restaurare

will.

Der Bischof soll auf die Weise gewählt werden, daß er gemäß der sententia

Veritatis nicht 'Dieb und Räuber' genannt werden kann,

sondern daß er des nomen et officium pastoris wird. Hfa quidem nostra voluntas, miserante

für würdig gehalten

hoc nostrum est desiderium,

Deo nostrum, quoad vixerimus,

indefessum

hoc

erit Studium.

In diesem ersten Abschnitt seines Briefes hat Gregor knapp, aber doch präzise und eindringlich sein Ziel genannt. Er will verhindern, daß sich ein Bischof 'nach ruchloser Gewohnheit' wie ein Dieb durch die Hintertür in sein Amt einschleicht. Auf die Ansprüche des Königs geht der Papst im zweiten Abschnitt seines Briefes ein: Ceterum, quod ad servitium

et debitam

fidelitatem regis pertinet, nequaquam contradiaere aut impedire volumus. Dem König sollen die Leistungen aus dem Reichskirchengut 249 weiterhin zustehen # und auch auf die 'gebotene Treue' braucht er nicht zu verzichten. So glaubt der Papst niahil novi einzuführen; er sei auf der Suche nach dem, quod et omnium salus et neaessitas. evangeliaa

postulat

Bei der Ordination von Bischöfen soll vor allem die

et oanonioa auotoritas

bewahrt bleiben. Daß Gregor VII.

auf ein Zurückdrängen des königlichen Gewohnheitsrechts der Investitur bedacht war, ist zunächst nicht anzunehmen, da er diesen Vorgang bei der Aquileienser Bistumsbesetzung nicht erwähnte. Viel-

247 Reg. V 5 (CASPAR, S. 353f.) an Volk und Klerus, Reg. V 6 (CASPAR, S. 354f.) an die Suffragane, beide vom 17. September lo77. 248 Vgl. Joh. lo,lf. 249 Vgl. FICKER, Eigentum, S. 142f.; JAKOBS, Hirsauer, S. 2o9; R. SCHIEFFER, Entstehung, S. 158f. MINNINGER, S. 61 weist darauf hin, daß angesichts der Lehensstruktur diese Zusicherung im Widerspruch zur Lösung des Treueides steht.

98

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

mehr legt der Vergleich mit anderen Texten, in denen der Papst das Christuswort Joh. 1o,1f. anführte2"*0, den Schluß nahe, daß Gregor als für et latro den Bischof verurteilte, der sich wider die 'kanonische Wahl' und vor allem durch die nefanda aonsuetudo der Simonie das Amt verschafft habe oder in einen derartigen Verdacht geraten sei. Nach den allgemeinen Ausführungen geht Gregor VII. im dritten und letzten Teil seines Schreibens auf die konkrete Situation in 251 Aquileia ein . Er bedankt sich für die Benachrichtigung von der Wahl und versichert seine Zustimmung, si ita rite factum esse aonstiterit,

ut in nullo

vobis

sacra

contradicat

auatoritas.

Vor

der Anerkennung des von Volk und Klerus gewählten Kandidaten will Gregor den Wahlvorgang durch Legaten genau untersuchen lassen. Die Angelegenheit soll nicht nach seinem arbitrium, sondern gemäß der doctrina

orthodoxorum

patrum

entschieden werden. Ist die

Wahl 'legal' und 'kanonisch' durchgeführt worden, verspricht Gregor die Anerkennung des Kandidaten. Andernfalls sollen Volk und Klerus eine Person wählen, quf tanto honori et officio congruat et quam nostra

per eosdem

legatos

representata

auctoritas

appro-

bare et confirmare debeat. Sollte ein Kandidat auf andere Weise den Patriarchenstuhl erlangen, dann, so warnt Gregor am Schluß seines Briefes, werde Petrus sein Schwert nicht nur gegen jenen, sondern auch gegen die richten, die ihn unterstützten. Die Untersuchung durch die Legaten sollte gewährleisten, daß ein für die Reformer integrer Kandidat das Kirchenamt bekleidete. An einer ordnungsgemäßen Erledigung der Angelegenheit lag Gregor sehr viel. Ebenfalls am 17. September sandte er ein Schreiben an die Suffragane der Kirche von Aquileia und forderte sie zur Unterstützung der Legaten auf (Reg. V 6). Er betonte die Notwendigkeit der Untersuchung durch die Gesandten und wandte sich vor allem an die, qui scismate

polluistis

... manus

et linguas

vestras

et ob hoc in laqueum

novo

anathematis

et

inaudito incidistis.

250 Vgl. Reg. IV 11 (CASPAR, S. 31o) ,- Reg. VI 5b (CASPAR, S. 4o3f.); Reg. VI 24 (CASPAR, S. 448); EC 7 (JAFFE, S. 527) = EV 4 (COWDREY, S. lo); EC 16 (JAFFE, S. 541) = EV 16 (COWDREY, S. 44); EC 32 (JAFFE, S. 56of.) = EV 3o (COWDREY, S. 78, 8o) (von April/Mai lo79, hier mit Hinweis auf die Annahme der Investitur aus Laienhand); EC 35 (JAFFE, S. 563) = EV 4o (COWDREY, S. loo); EC 4o (JAFFE, S. 567) = EV 45 (COWDREY, S. lo8). Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Brief Heinrichs IV. an Gregor VII. im Jahr lo73, wo der König ebenfalls das Christus-Wort aus dem Johannes-Evangelium zitiert (ERDMANN, Nr. 5 S. 9 Z. 7ff.).- Schon Humbert von Silva Candida hatte im dritten Buch seines Werkes Adversus simoniacos, cap. 34, S. 242f. zur Bekräftigung seiner Argumente gegen die Simonie aus Joh. lo, 1-13 zitiert. 251 Reg. V 5 (CASPAR, S. 353f.).

Gregors VII. Initiativen zur Entscheidung der Königsfrage

99

Bei der Wahl eines 'würdigen und geeigneten' Kandidaten sei die sincera volun'tas wichtig. Sollte jemand contra divinum et oanonicam auctoritatem

den Stuhl des Patriarchen in Besitz nehmen, wer-

de der 'den gerechten Lohn seiner Ungerechtigkeit finden'. Der Brief an die Suffragane zeigt, daß Gregor durchaus mit Schwierigkeiten rechnete. Die Begrüßungsformel läßt darauf schließen, daß sich einige Bischöfe schon von dem Papst losge252 sagt hatten . Nur denjenigen, die sich als Brüder verhielten, übermittelt er seinen Gruß und apostolischen Segen, während er die anderen, die sich durch ihre soismatioa pravitas von der Einheit der Kirche getrennt hatten, zum schuldigen Gehorsam ermahnt. Gregor betont auch gegenüber den Bischöfen die Notwendigkeit, durch seine Legaten causam et ordinem electionis

subtili

explo-

ratione untersuchen zu lassen. Gleichzeitig ermahnt er sie, sich dem für würdig befundenen Kandidaten nicht zu widersetzen. Die beiden Schreiben Reg. V 5 und 6 dokumentieren das besondere Interesse, mit dem Gregor VII. sich um die Neubesetzung des 253 . In dem Brief an Volk

Aquileienser Patriarchenstuhls kümmerte

und Klerus von Aquileia weist der Papst unmißverständlich darauf hin, daß die Entscheidung über den neuen Patriarchen allein seine Sache sei. Von den Königsrechten nennt er nur das servitium und die debita

fidelitas.

Die große Aufmerksamkeit, die Gregor VII. der Aquileienser Angelegenheit widmete, wird noch verständlicher, wenn wir uns in Erinnerung rufen, daß die Reise des Papstes nach Deutschland deswegen nicht möglich war, weil ihm die Alpenwege versperrt waren. Deshalb war er vor kurzem nach Rom zurückgekehrt. Nun sah er die Chance, durch die Einsetzung eines papsttreuen Kandidaten auf den Patriarchenstuhl in Aquileia, sich die Wege durch die östlichen Alpen zu öffnen, wodurch eine Reise nach Deutschland möglich ge.. 254 , worden wäre Um einer solchen Wendung zuvorzukommen, hatte Heinrich IV. am 8. September in Augsburg den Kanoniker Heinrich, einen Kapellan, zum Nachfolger Sigehards ernannt. Leider besitzen wir darüber keine weiteren Nachrichten. Auch von Gregor VII., der am 17. September von der Augsburger Erhebung Heinrichs von Biburg zum neuen Patriarchen von Aquileia noch keine Kenntnis erlangt haben konn-

252 Die Anhänger des Königs und des Papstes nennt, soweit sie bekannt sind, CASPAR, Register Gregors VII., S. 354 Anm. 1. Vgl. SCHWARTZ, S. 3off. 253 Dagegen ist eine unmittelbare schriftliche Reaktion Gregors auf die Augsburger Vakanz nicht überliefert (vgl. R. SCHIEFFER, Entstehung, S. 157f. mit Anm. 235). Auch dies kann ein Hinweis auf das aktuelle territorialpolitische Interesse des Papstes an Aquileia sein. 254 Vgl. oben S. 96 mit Anm. 243.

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

te, fehlen weitere Zeugnisse. Ob seine Legaten überhaupt Gelegenheit zur Untersuchung hatten, muß offen bleiben. Fest steht, daß sich der Kandidat des Königs durchsetzte. Damit wurde Gregor klar, daß der Salier seine Investiturrechte weiterhin beanspruchte und auch imstande war, sie zu realisieren. Während der Papst sich zur Investitur eines Bischofs durch den König nicht äußerte, gab Heinrich IV. mit den Investituren von Augsburg und Aquileia zu erkennen, daß er an diesem Gewohnheitsrecht festhielt. Gregor VII. sah die Vorgänge jedoch nicht 255 als erledigt an und kam später noch auf sie zu sprechen . Einen erneuten Bruch mit Heinrich IV. zog er jedoch nicht in Betracht. Er wußte, daß ihm bei der Reform der deutschen Reichskirchen nur 2 56 ein starker, nicht ein schwacher König behilflich sein konnte Die gescheiterte Tätigkeit der beiden Legaten, des Kardinaldiakons Bernhard und des Abtes Bernhard von St. Viktor, im Gefolge Rudolfs hatte gezeigt, daß dem Rheinfeldener für diese Aufgabe die notwendige politische Kraft fehlte. Die Gewinnung des salischen Königs mußte für den Papst also von vorrangigem Interesse sein, da Heinrich wegen seiner zunehmenden Erfolge in Deutschland die Durchführung der Reform gewährleisten oder sie durch seinen Widerstand verhindern konnte. Jedoch wandte sich Gregor VII. nicht direkt an den Salier, sondern an Bischöfe, die sich am königlichen Hof befanden und deshalb Einfluß auf den König nehmen konnten. Am 3o. September 1o77 sandte er einen Brief an Erzbischof Udo von Trier und dessen 257 Suffragane . Gregor wird inzwischen erfahren haben, daß Udo und sein Suffragan Hermann von Metz bei den Verhandlungen, die im August mit Rudolf von Rheinfelden am Neckar stattfanden, die Friedensinitiative ergriffen hatten und mit der Gegenseite als 258 Vertreter Heinrichs in ein Gespräch getreten waren . Damit bestätigte Udo erneut, daß er auf Ausgleich bedacht war. Schon 1o76 hatte er sich "als ein Mann des Friedens erwiesen" (Erdmann) und bei den Verhandlungen von Tribur und Oppenheim "als der von Gregor VII. autorisierte Vermittler" (Schneider) zu 259 den Befürwortern einer Versöhnung zwischen König und Papst gehört . Udo von Trier war also für Gregor der geeignete Mann, um mit dem Salier im Gespräch zu bleiben. 255 Zu Augsburg, wo er die Untersuchung zurückstellte, vgl. unten S. 163; zu Gregors Approbation Heinrichs von Aquileia s. unten S. 144ff. 256 Vgl. POST, S. 263f.; SPÖRL, S. 64ff.; PETERS, S. 3off. 257 Reg. V 7 (CASPAR, S. 356ff.), auch zum Folgenden. 258 Vgl. oben S. 87f. 259 ERDMANN, Tribur, S. 364; wiederabgedruckt in: Canossa als Wende, S. 92; CH. SCHNEIDER, S. 177, 18o.

Gregors VII. Initiativen zur Entscheidung der Königsfrage

1o1

In seinem Brief bekundet Gregor VII. die Sorge über die perturbatio regni Teutonioorum

und beteuert erneut seine Friedens-

liebe. Mit diesem Schreiben übersendet er auch die beiden MaiBriefe, da er nicht weiß, ob sie überall bekannt geworden sind2^°. Er unterstreicht, daß er an dem Inhalt jener Schreiben weiterhin festhält, und ermahnt die Bischöfe, gemäß seinen Weisungen darauf hinzuarbeiten, daß der Streit im deutschen Reich ein Ende finde. Im zweiten Teil kommt Gregor auf Heinrich IV. zu sprechen. Er legt dem Schreiben auch den Canossa-Eid des Königs bei, damit Udo und seine Suffragane anhand dieser Vereinbarung sehen können, quam reote quamque honeste pro suo nomine se erga nos habuerit. Unmittelbar im Anschluß daran verweist der Papst auf die Gefangennahme seiner Legaten Gerald von Ostia und Bernhard von St. Viktor durch königliche Anhänger und zieht daraus den Schluß: unde eurn (sc. üeinricum)

niohil adhuc digni fecisse

oognovimus.

Gregor erkennt wohl, daß Heinrich nicht selbst gegen die Abmachungen verstoßen hat, gibt ihm aber eine gewisse Teilschuld an dem Vergehen seiner Anhänger, da er nichts für die päpstlichen Legaten unternommen habe. Dennoch will er sich nicht über den Salier beklagen, sich von ihm auch nicht verleiten lassen, ein Urteil gegen die Gerechtigkeit zu fällen. Zum Schluß des Briefes gibt Gregor dem Trierer Erzbischof und seinen Suffraganen die Mahnung, die libertas eoclesie und die communis

salus omnium zu

schützen, damit jeglicher Schaden vom deutschen Reich und von der gesamten Christenheit abgewehrt werde. Den Äußerungen des Papstes ist zu entnehmen, daß er von Heinrich IV. enttäuscht ist. Er wirft ihm keinen Verstoß gegen die Vereinbarungen von Canossa vor, doch hatte er von dem salischen König eine größere Unterstützung bei der Durchführung seiner Pläne erwartet, die sich schon in dem besseren Schutz der jetzt noch gefangengehaltenen Legaten Gerald und Bernhard geäußert hätte. Daß Gregor dem Trierer Erzbischof den Canossa-Eid noch einmal übermittelt, bedeutet eine Aktualisierung des Iuramentum, um es nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Udo soll selbst anhand des Textes prüfen, ob der König sein Versprechen gehalten hat. Doch durch die Formel, der Salier habe niohil adhus digni getan, nimmt Gregor das Urteil schon vorweg. Über Udo erhoffte sich der Papst eine Einflußnahme auf Hein-

26o Daß nicht alle Briefe und so auch Reg. IV 24 die gewünschte Verbreitung fanden, zeigt die Meldung Bertholds von Reichenau, S. 297 Z. 37ff., daß einige Bischöfe einen Brief Gregors VII. nach Ostern gar nicht bekannt machten und sich so verhielten, als hätten sie ihn nicht erhalten.

1 o2

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

rieh IV. Der Erzbischof sollte den König zur Einhaltung seines Iuramentum bewegen. Die angesichts seiner Unzufriedenheit zurückhaltenden Äußerungen Gregors gegenüber dem salischen König sind ein deutliches Zeichen, daß der Papst weiter eine Zusammenarbeit mit Heinrich anstrebte, die er durch Angriffe nicht gefährden wollte^®^. Nicht nur mit der salischen Seite, auch mit Rudolf von Rheinfelden hat Gregor VII. in Verbindung gestanden. Der Gegenkönig war nach den Verhandlungen mit Heinrich IV. am Neckar nach Sachsen gezogen und hatte von dort den Papst um Rat und Unterstützung gebeten. In seiner Antwort wies Gregor.auf die beiden Mai-Schreiben hin und gab zu verstehen, daß er immer noch auf eine erfolgversprechende Wirkung dieser Briefe warte. Durch diese Worte non parum quidem animatus, so berichtet Berthold von Reichenau weiter, habe Kardinaldiakon Bernhard am 12. November in Goslar 262

den Salier erneut gebannt und Rudolf als König bestätigt Entgegen den Worten des Annalisten entsprach diese Entscheidung allerdings nicht der sententia apostolieae auetoritatis. Der Papst zeigte Ende 1o77 wenig Neigung, den in Sachsen isolierten Rheinfeldener anzuerkennen und das Königtum Heinrichs IV., der schon wieder große Teile des Reiches beherrschte, für ungültig zu erklaren 263 Auch auf die salische Königspartei machte der Bannspruch kei264 nen Eindruck . Die politische Entwicklung in Unteritalien wird auch nicht ohne Einfluß auf die Haltung Gregors zu den deutschen Königen gewesen sein. Die erneuten Vorstöße des Herzogs Robert Guiskard, der nach der Eroberung Amalfis 1o73 vier Jahre später auch das Fürstentum Salerno in Besitz nahm, hatten dem Papst die Bedrohung Roms durch die Normannen vor Augen geführt. Am 13. Dezember fiel Salerno endgültig in Roberts Hände 2 6 5 , und schon sechs Tage später stand der Herzog vor Benevent, das er nach dem Tode Landulfs ebenfalls in seine Gewalt bringen wollte

266

. Mit diesem

Vorstoß hatte er seinen Eid von 1o59 gebrochen, in dem er unter anderem versichert hatte, die Integrität der terra sanoti Petri zu wahren 2 6 7 . Dieses Vorgehen beantwortete Gregor auf der Fasten-

261 Vgl. MEYER VON KNONAU 3, S. 89. 262 Berthold von Reichenau, S. 3o2 Z. 32ff. Vgl. Bernold von St. Blasien, S. 435 Z. 2ff. 263 Schon früher hatte sich Gregor VII. die Überprüfung der von seinen Legaten getroffenen Entscheidungen vorbehalten; Reg. I 16 (CASPAR, S. 25 Z. 28ff.). Vgl. GROSSE, S. 43. 264 A. HAUCK, S. 814; BRUNS, S. 94. 265 MEYER VON KNONAU 3, S. 85; DEER, Papsttum, S. 115; SCHWARZ, S. 58ff. 266 MEYER VON KNONAU 3, S. lo2f. 267 Zum Eid vgl. DEER, Papsttum, s. 63ff., zur terra sanoti Petri ebd. S. 7off.

Gregors VII. Initiativen zur Entscheidung der Königsfrage

1o3

synode 1o78 mit der Exkommunikation aller Normannen, qui invadere terram sanoti Petri laborant ... et qui temptant urbem Ro268 . Der Papst erkannte, daß die Expansion der manam eonfundere Normannen für Rom gefährlich werden konnte. Dies war auch ein Moment, das ihn veranlaßte, "um so behutsamer in der deutschen 269 Frage vorzugehen" Ein weiterer Faktor, den Gregor VII. in seine Überlegungen einbeziehen mußte, waren die lombardischen Bischöfe, die ihm große Schwierigkeiten bereiteten. Ihre Sache sollte auf der Fastensynode von 1o78 zur Sprache kommen. Dazu erging am 28. Januar ein Einladungsschreiben an Erzbischof Wibert von Ravenna und seine Suffragange sowie an weitere Bischöfe und Äbte in Oberitalien^ 0 . Auf Grund ihrer Exkommunikationssituation, in der sie sich seit dem Frühjahr 1o76 befanden, enthält Gregor ihnen den apostolischen Segen vor. Er beschuldigt sie, Petrus und die römische Kirche beleidigt zu haben; doch wie es Gottes Art sei, Reuigen Verzeihung zu gewähren, so warte auch die Kirche wie eine Mutter darauf, daß sie wieder in ihren Schoß

zurück-

kehrten. Gregor gab seine Versöhnungsbereitschaft zu erkennen, allerdings erwarte er von den Bischöfen den Willen zur Umkehr. Mit der Zusicherung, daß sie ab omni Ifsione vite et membvorum rerumque vestrarum quoe oonstringere

et ab omni 271 seeulavi iniuvia, eovum scilicet, poterimus , sicher sein sollten, lud Gregor

sie zur Fastensynode nach Rom ein. Der Papst vermied jegliche Schärfe, statt seiner Angriffe gegen die lombardischen Bischöfe ein Jahr zuvor (EC 2o) setzte er jetzt seine Hoffnung auf eine Versöhnung mit ihnen. Doch Wibert und die meisten oberitalienischen Bischöfe gingen auf das Angebot Gregors nicht ein und blieben der römischen Fa272 stensynode fern . Nun reagierte der Papst energisch. Er suspendierte die Erzbischöfe Thedald von Mailand und Wibert von Ravenna von ihren Ämtern und erneuerte das schon 1o76 gegen sie verkündete Anathem. Das gleiche Schicksal traf den Kardinalpriester Hugo Candidus sowie weitere anwesende und abwesende Bischöfe 27 3. Gregor mußte erkennen, daß er durch die Aufforderung 268 269 270 271

Reg. V 14a (CASPAR, S. 371 Z. 17ff.). MEYER VON KNONAU 3, S. 88. Reg. V 13 (CASPAR, S. 366f.), auch zum Folgenden. Gregor VII. gebraucht wie Heinrich IV. im Canossa-Eid die einschränkende Formel, lim nicht für die Taten anderer in die Verantwortung genommen zu werden. 272 LÜBBERSTEDT, S. 55. 273 Reg. V 14a (CASPAR, S. 369f.). Vgl. KÖHNCKE, S. 33; HOLTKOTTE, S. 45; LERNER, S. 5off.; SERVATIUS, Paschalis II., S. 13f. Vgl. auch unten S. 135 (zu Herbst lo78).

1 o4

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

zur Reue und das Angebot der Vergebung den Widerstand des lombardischen Episkopats nicht brechen konnte. Die Gegensätze zwischen beiden Seiten waren vor allem kirchenpolitischer Natur, und in diesen Fragen war keine Einigung zu erwarten. Trotz der Bedrohung aus dem Süden Italiens war Gregor nicht bereit, mit seinen Gegnern in Norditalien um jeden Preis Frieden zu schließen. Wie verhielt sich der Papst gegenüber dem salischen König und dessen Rivalen Rudolf? Aufschluß darüber gibt uns auch die Fastensynode 1o78 mit ihren Beschlüssen. Heinrich IV. entsandte zur römischen Versammlung seine Bischöfe Benno von Osnabrück und Theoderich von Verdun, während Rudolf von Rheinfelden und seine Anhänger Legaten schickten, non quos voluerant,

set qualeseumque

poterant;

Schwierigkeiten nach Rom gelangen

274

sie konnten nur unter

Die Gesandten beider Seiten trugen dem Papst ihre Standpunkte 275 vor. Benno und Theoderich sprachen vor der Synodalversammlung , während Rudolfs Boten vom Papst nur heimlich empfangen und auch 276 später wieder entlassen wurden . Berthold von Reichenau gibt uns Auskunft darüber, welche Stellungnahme die salische Königs277 partei abgab . Sie wies darauf hin, daß Rudolf von Rheinfelden als Lehensmann Heinrichs einst geschworen habe, dem König in allen Dingen, quae ad vegni

sui tutamenta

pertinerent,

Unter-

stützung zu gewähren. Stattdessen habe er, periurus et perfidus, ihn aus der Herrschaft (regnum) verdrängt und sie selbst an sich gerissen. Der Bruch des Lehnseides und der Angriff gegen die Herrschaft des Königs als seines Herrn ist das wesentliche Argument, auf das die salische Partei den Vorwurf des Unrechts gegen Rudolf von Rheinfelden baut. Die Anklage des Meineids gegen Rudolf und seine Anhänger fanden wir schon in Urkunden nach dem Ulmer Pfingsthoftag 1o77, und er taucht auch später jedesmal auf, wenn die Partei Heinrichs das Königtum des Rheinfeldeners verurteilt. Die Gesandten des Saliers wiesen darauf hin, daß sie diese Klagen nicht der Synode vortrügen, weil sich ihr König im Kampf gegen seinen Rivalen in Schwierigkeiten befände, sondern vor allem um die Ansicht und die Entscheidung des apostolischen Stuhls

274 Berthold von Reichenau, S. 3o6. 275 Ebd. S. 3o7 Z. 16ff. 276 Ebd. S. 3o9 Z. 29ff. Vgl. auch die Klagen im Brief bei Bruno, cap. lo8; dazu unten S. 115ff. 277 Berthold von Reichenau, S. 3o7 Z. 19ff.

1o5

Gregors VII. Initiativen zur Entscheidung der Königsfrage

zu hören. Sträubte sich Heinrich IV. gegen ein Schiedsgericht auf deutschem Boden unter der Leitung des Papstes oder dessen Legaten, so legte er doch Wert auf eine Verdammung Rudolfs und eine ausdrückliche Anerkennung seiner eigenen Herrschaft durch Gregor VII. Heinrichs Gesandte Theoderich von Verdun und vor allem Benno 278

von Osnabrück

warben so erfolgreich für die Sache des Saliers,

daß ein Teil der Versammlungsteilnehmer das Verhalten Rudolfs ebenfalls als Unrecht ansah und darauf drängte, den Rheinfelde279 ner ob tarn manifestam

et saarilegam

... faotionem

zu bannen

Dieser Forderung kam Gregor VII. zwar nicht nach, doch verlangte er von den geistlichen Fürsten, die Rudolf die Königsweihe erteilt hätten, eine Rechtfertigung ihres Vorgehens; falls sie eine Verteidigung nicht vorbringen könnten, seien sie und Rudolf 28o ' aus ihren Ämtern zu entfernen . Dies war für die antisalische Partei eine alarmierende Entwicklung. Doch Gregor hielt daran fest, vor einer endgültigen Entscheidung die aausa regis auf einer Versammlung sorgfältig zu untersuchen, wenngleich er nicht mehr von seiner eigenen Leitung sprach 281

und stattdessen Legaten für diese Aufgabe vorgesehen hatte Aus dem Text des Synodalprotokolls spricht vor allem Gregors Sorge um die Kirche, die ihn nicht ruhen läßt. Um Schaden von ihr abzuwenden, ist eine Beilegung der Auseinandersetzung zwischen den beiden Königen und die Befriedung des Reiches notwendig. Dieser Frieden soll auf einer Versammlung zustande kommen, die durch päpstliche Legaten einberufen wird. Gregor VII. droht

jedem, ob

König, Bischof oder Ritter, mit dem Bann,2 8 2der sich den Friedensbemühungen der Legaten in den Weg stellt Darüber hinaus berichtet Berthold von Reichenau, daß der Papst auf der Fastensynode auch ein generelles Investiturverbot verkündet habe. Sowohl Laien als auch Geistlichen sei bei Androhung der Exkommunikation verboten worden, gegen die kanonischen Bestimmungen Bistümer, Abteien, Propsteien, Kirchen, Zehnten oder sonst 278 Bennos Verdienst betonten besonders M. TANGL, Forschungen, S. 234, 3o9; wiederabgedruckt in: DERS., Mittelalter, S. 394, 459; JOHNSON, S. 4oo. Vgl. schon die abwägende Beurteilung von THYEN, S. 163. 279 Berthold von Reichenau, S. 3o7 Z. 3off. Vgl. LÜBBERSTEDT, S. 53; BRUNS, S. 96. 280 Reg. IX 29 (CASPAR, S. 613 Z. 9ff.). 281 Reg. V 14a (CASPAR, S. 37of.). Vgl. Berthold von Reichenau, S. 3o7 Z. 35ff. Seine Angabe S. 3o7 Z. 54, statt seiner Legaten habe Gregor selbst noch die Reise nach Deutschland in Betracht gezogen, erweist sich durch den Vergleich mit dem eigenen Zeugnis des Papstes als nicht korrekt. 282 Reg. V 14a (CASPAR, S. 37of.).

1 o6

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

irgendwelche kirchlichen Würden einem Geistlichen zu übertragen und somit das, was Gott einst übergeben wurde, gleichsam als ihr 283

*

Eigentum und Erbe non conseerata Deo manu zu übertragen . Wäh284 rend P. Schmid diese Meldung ohne Einschränkung übernahm , war A. Scharnagl der Ansicht, Berthold habe "zwei Beschlüsse zu einem 285

zusammengefaßt, das Verbot der Laieninvestitur und das an Kleriker und Laien gerichtete Verbot, kirchliche Zehnten auszu286 leihen, das wahrscheinlich schon damals erlassen wurde" . Doch da weder in Gregors Register-Protokoll über die wichtigsten Beschlüsse der Fastensynode noch 287 in einer außerhalb des Registers tradierten Sonderüberlieferung ein Investiturverbot erwähnt wird, muß die Nachricht mit Zurückhaltung aufgenommen werden. Gegen ein allgemein verkündetes Verbot der Investitur spricht die vorsichtige Haltung Gregors in der deutschen Thronfrage. Dieses scharfe Vorgehen, das sich vor allem gegen Heinrich IV. und seine jüngste Investiturpraxis richten mußte, hätte nicht im Einklang mit seinem sonstigen Verhalten gegenüber dem salischen Kö288 nig und seinen beiden Gesandten Benno und Theoderich gestanden Auch die Reaktion Heinrichs auf die Beschlüsse der Synode, die 289 ihm seine Legaten in Regensburg überbrachten , deutet darauf 29o hin, daß ein Investiturverbot nicht verkündet wurde Doch trieb Gregor VII. die Reform durchaus voran. Das wichtigste Dekret in dieser Hinsicht war, daß er alle Weihen für un291 gültig erklärte, die von Exkommunizierten erteilt worden waren Auf der Herbstsynode von 1o78 ergänzte er diese Bestimmung für alle Weihen, die gegen Geld, Dienstleistungen oder auf Bitten hin, ohne die gemeinsame Zustimmung von Klerus und Volk oder 292 ohne Billigung der weiheberechtigten Oberen vorgenommen wurden

. Da-

mit unterstrich der Papst die Ungültigkeit aller häretischen Weihen, wenn auch die dogmatische Frage letztlich ungeklärt blieb 293 . Das auf der Frühjahrssynode verkündete Verbot, das zu283 Berthold von Reichenau, S. 3o8f. 284 PAUL SCHMID, Begriff, S. 192f.; ebenso H. HOFFMANN, Ivo von Chartres, S. 397. 285 Die Meldung des Petrus Diaconus, S. 733 Z. 46ff. hat WILHELM WATTENBACH (MGH SS 7) S. 733 Anm. 72 in das Jahr lo75 gesetzt, nimmt jedoch eine Wiederholung drei Jahre später an. Vgl. auch die jüngste Ausgabe der Chronik von Montecassino von H. HOFFMANN, S. 42o. 286 SCHARNAGL, S. 35. 287 Vgl. CASPAR, Register Gregors VII., S. 373f. Anm. 1. 288 Vgl. BRUNS, S. 97. 289 Vgl. unten S. 112. 290 Vgl. unten S. 131. 291 Reg. V 14a (CASPAR, S. 372 Z. 8ff.). 292 Reg. VI 5b (CASPAR, S. 4o3f.). 293 Vgl. SOHM, S. 363ff.; MICHEL, Reordinationen, S. 53; NITSCHKE, Wirksamkeit, S. 154f. widerspricht der These von SCHEBLER, S. 238ff., daß Gregor VII. die von Exkommunizierten und Simonisten vorgenommenen Weihen aner-

1o7

Gregors VII. Initiativen zur Entscheidung der Königsfrage

nächst nur die Weihen von Gebannten betraf, war in erster Linie wohl gegen den oberitalienischen Episkopat gerichtet, dem Gregor durch seine Verfügung die bischöfliche Autorität entziehen wollte. Grundsätzlich bestand in der Frage der Sakramentenlehre der größte Gegensatz zwischen Gregor VII. und Wibert von Ravenna, der wie der Papst gegen Simonie und Nikolaitismus vorging. Während dieser die von exkommunizierten, schismatischen und häretischen Klerikern vorgenommenen Weihen nicht anerkannte und sogar den Krieg gegen sie nicht ausschloß, um das Seelenheil der Gläubigen zu retten

294

, hielt Wibert als Anhänger der augustinischen 295

Sakramentenlehre Reordinationen nicht für notwendig

. Daß Gre-

gor VII. auf den Synoden von 1o78 durch Dekrete die Weihebestimmungen in seinem Sinne verschärfte und Wibert mit seinen Anhängern wiederholt exkommunizierte, vertiefte den Graben zwischen dem Papst und den Bischöfen in Oberitalien. Zurückhaltender als gegenüber diesen salischen Anhängern verhielt sich Gregor VII. zu Heinrich IV., da er weiter auf seine Hilfe hoffte. So unternahm er nach der Fastensynode wieder den Versuch, einer Entscheidung in der Königsfrage näher zu kommen. Wenige Tage nach Beendigung der Synode, am 9. März 1o78, sandte er an alle Deutschen einen Brief, in dem er ihnen die Beschlüsse 296

der römischen Bischofsversammlung mitteilte

. Der Papst beteu-

ert zu Beginn seine Sorge über die ruina et oonfusio nobil-Lssimi 297 regm

und sein Bemühen um die reparatvo

pacis

. Um dieses zu

erreichen, sollten Legaten an einem beiden Seiten passenden Ort mit Beteiligung der weltlichen und geistlichen Fürsten eine Versammlung abhalten, ut aut paaem Deo auxiliante

inter vos compo-

nant aut, oui parti iustitia faveat, vevao-iter addisaant.

Bei An-

drohung des Bannfluchs warnt er wiederum jeden, der diese Zusammenkunft oder Vereinbarung zu verhindern trachte, und fügt hinzu, daß dieser presumptor

iniquitatis

nicht nur an Leib und Seele

Gottes Strafe erleide, sondern auch im Kampf keine Stärke und im 298 Leben keinen Triumph mehr haben werde . Zum Schluß des Schrei-

294 295 296 297 298

kannt habe. Vgl. KEMPF, Gregorianische Reform, S. 426. Gegen den Versuch von BORINO, Osservazione, S. 411f., den Begriff ordirvztiones -Lvritae schwächer zu fassen, wendet sich NITSCHKE, Verständnis, S. 158f. NITSCHKE, Verständnis, S. 157ff. Ebd. S. 161f. Reg. V 15 (CASPAR, S. 375f.), auch zum Folgenden. Vgl. auch Reg. VI 1 (CASPAR, S. 389f.). Auch später wiederholt Gregor VII. seinen Anspruch und seine Drohung, er bzw. Petrus könne über Sieg und Niederlage entscheiden; vgl. z.B. Reg. VI 1 (CASPAR, S. 39o Z. 17ff.); Reg. VI 14 (CASPAR, S. 418f.); Reg. VI 16 (CASPAR, S. 422 Z. llff.). ERDMANN, Entstehung, S. 134f.

1o8

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

bens weist Gregor VII. darauf hin, daß sein Legat, der nach der Fastensynode in Begleitung der Bischöfe Benno von Osnabrück und Theoderich von Verdun nach Deutschland gegangen war und diesen 299 Brief überbracht hatte , zusammen mit dem Erzbischof Udo von Trier, qui Heinrieo favet, und einem Vertreter von Rudolfs Seite Ort und Zeit der geplanten Versammlung festsetzen sollte, damit weitere Gesandte kommen und mit ihnen das Gott Wohlgefällige zu Ende bringen könnten. Gleichzeitig sandte der Papst noch ein persönliches Schreiben an den Trierer Erzbischof Udo"^00. Erneut klagt er über die schlimmen Zustände im Reich und bittet Udo um die Mithilfe bei der Verbesserung dieser Lage. Dann legt Gregor dar, wie er sich die Unterstützung des Erzbischofs vorstellt: Nachdem Udo und der von Rudolf bestellte Vermittler die Antworten der beiden Könige auf die päpstlichen Beschlüsse^ 0 ^ eingeholt haben, sollen beide nach Rom kommen, damit Gregor ohne Gefahr und in berechtigter Hoffnung auf einen Erfolg seine Legaten mit Udo und dem anderen mediator wieder nach Deutschland schicken kann. Für den Fall, daß Udo auf Rudolfs Seite keinen socius itineris findet, soll er allein die Reise nach Italien antreten. In Anlehnung an ein alttestamentliches Bibelzitat"^0^ verspricht Gregor dem Erzbischof Gottes gerechten Lohn, der ihm auch dann zuteil werde, wenn seine Bemühungen nicht zum Erfolg führen sollten. Zum Schluß ermahnt er ihn, sich demjenigen anzuschließen, der für die Gerechtigkeit eintrete. Schließlich soll sich der Trierer Erzbischof bei Heinrich IV. dafür einsetzen, daß die Legaten Kardinaldiakon Bernhard und Abt Bernhard von St. Viktor sicheren Weges nach Rom zurückkehren könnten. Gregors Hoffnungen, in der deutschen Königsfrage einen Schritt weiter zu kommen, beruhten nun vor allem auf Udo von Trier. Die Gründe für die Wahl dieses Mannes lagen, wie gesagt, in dem Verhältnis des Erzbischofs zu Heinrich IV. und in der schon 1o76 geübten Vermittlerrolle zwischen Königtum und Papsttum"^0^. Ein persönlicher und brieflicher Kontakt zwischen Gregor und Heinrich nach Canossa ist nicht mehr belegt. So versuchte der Papst, auf andere Weise auf den Salier Einfluß zu nehmen. Nachdem sich die beiden Bernharde schon früh Rudolf von Rheinfelden angeschlossen

299 300 301 302 303

Seinen Namen kennen wir nicht. Vgl. SCHUMANN, S. 44f. Reg. V 16 (CASPAR, S. 376ff.) vom 9. März lo78, auch zum Folgenden. Vgl. Reg. V 14a (CASPAR, S. 37of.) und Reg. V 15 (CASPAR, S. 375). Sir. 12,2. Vgl. Reg. V 16 (CASPAR, S. 377 Z. 32ff.). Vgl. auch HILS, S. 81.

Gregors VII. Initiativen zur Entscheidung der Königsfrage

1o9

hatten, wählte Gregor als Mittelsmann zwischen ihm und dem Salier eine Person, die früher als päpstlicher Legat aufgetreten war, nun aber auf Seiten Heinrichs IV. stand und ein wichtiger Ratgeber war. Durch Udo versuchte er schon Ende September auf 3o4 den salischen König einzuwirken , und der Erzbischof sollte auch jetzt bei der Durchsetzung des Synodalbeschlusses seine wichtigste Hilfe sein. Mit der Wahl des Trierer Metropoliten als Vermittler machte Gregor deutlich, daß er gegenüber dem Salier eine wohlwollende Haltung einzunehmen gewillt war . Sie zeigt aber auch, daß ohne das Einverständnis Heinrichs keine Versammlung stattfinden konnte. Dies hatte Gregor erkannt. Deshalb mußte er gerade den König für seinen Plan gewinnen. Rudolf von Rheinfelden trat dagegen in den Hintergrund. Seine Gesandten blieben auf der römischen Synode ohne Bedeutung. Auch die Aufforderung Gregors an Udo von Trier, ohne den Vermittler von Rudolfs Seite nach Rom zu kommen, wenn es sich nicht vermeiden lasse^0^, macht deutlich, daß der Gegenkönig beim Zustandekommen der geplanten Versammlung politisch gesehen nur eine untergeordnete Rolle spielte. Die über Udo ausgesprochene Bitte an Heinrich XV., den beiden Bernharden einen sicheren Weg nach Rom zu garantieren, deutet darauf hin, daß Gregor VII. die Abberufung dieser beiden Gesandten vorbereitete oder schon eingeleitet hatte. So werden sie bei den neuen Bemühungen um die geplante Versammlung nicht mehr berücksichtigt. Gregor will, wenn Udo nach Rom kommt, neue Legaten entsenden, deren Namen er noch nicht nennt. Der Grund dafür lag in dem Verhalten des Kardinaldiakons Bernhard und seines gleichnamigen Gefährten, des Abtes von St. Viktor, die sich nach Forchheim Rudolf von Rheinfelden angeschlossen und im Herbst 1o77 öffentlich Stellung gegen den Salier bezogen hatten. Damit verstießen sie gegen den Plan Gregors, die Entscheidung in der deutschen Thronfrage erst auf einer Reichsversammlung zu treffen. Daß Heinrich durch seine Gesandten in Rom die Bitte um eine Ablösung der beiden Bernharde an den Papst vortragen ließ, ist nicht auszuschließen. Einer Lösung standen sie in jedem Fall im Wege. Gregor selbst war auch nicht mit der Stellungnahme seiner Boten einverstanden und versagte ihr seine Zustimmung. Wie er die 304 Reg. V 7 (CASPAR, S. 3S6ff.); vgl. oben S. looff. 305 Vgl. BRUNS, S. 97. 306 Reg. V 16 (CASPAR, S. 377 Z. 35ff.).

11o

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

zu strenge Haltung seines Legaten in Frankreich, Hugo von Die, nicht billigte"^0^, legte er auch in Deutschland keinen zu harten Maßstab an. Den Rat an Hugo von Die, diseretionis temperan3o8 tiam potius

quam rigorem

oanonum

zu befolgen

, hat er auch

selbst im Frühjahr 1o78 bei der Regelung der deutschen Verhältnisse eingehalten. Am 19. März 1o78 erging ein päpstliches Schreiben an den sa3o9 liertreuen Bischof Huzmann von Speyer , in dem Gregor darauf hinwies, daß Huzmann 'gegen das Dekret des apostolischen Stuhls den Bischofsstab wissentlich und heimlich aus der Hand des Königs in Empfang genommen habe'. Doch da der Bischof angab, ein derartiges Verbot bei der Übernahme des Bistums nicht gekannt zu haben, erlaubte ihm Gregor die Ausübung des Bischofsamtes, allerdings mit der Aufforderung, sich zu gegebener Zeit vor dem Papst oder dessen Legaten zu rechtfertigen. Gregor wies auf das Verbot der Simonie hin und ermahnte Huzmann, die clerioos non aaste viventes mit pastoraler Strenge zurechtzuweisen. Das Mißtrauen gegenüber Huzmanns Bekenntnis ist nicht angebracht da nach den jüngsten Forschungen von R. Schieffer im Jahr 1o75 kein päpstliches In311 vestiturverbot erlassen worden ist . Vorher und nachher wurde in ähnlichen Fällen die Versicherung von Bischöfen, ein Investi312 turverbot nicht zu kennen, von Papst Gregor akzeptiert . Gregor beließ auch den Speyerer Bischof in seinem 313 Amt. Als "praktisches Zugeständnis in der Investiturfrage" ist die maßvolle Haltung des Papstes nicht zu verstehen. Vielmehr kann die Tatsache, daß Huzmann ein Anhänger Heinrichs IV. war, eine Rolle ge31 4 spielt haben . Das Festhalten an kanonischer Wahl und Zölibat sowie seine Aufforderung an Huzmann, sich zu rechtfertigen, dokumentieren, daß Gregor VII. von seinen grundsätzlichen Positionen nichts preisgab. Dieses halbe Jahr, von der Rückkehr Gregors VII. aus Oberitalien nach Rom im September 1o77 bis zur Fastensynode vom 27. Februar 307 308 309 310 311 312

Vgl. TH. SCHIEFFER, Legaten, S. lo6ff. Reg. V 17 (CASPAR, S. 378 Z. 27f.). Reg. V 18 (CASPAR, S. 381f.), auch zum Folgenden. Vgl. GUGUMUS, Speyerer Bischöfe, S. llo. R. SCHIEFFER, Entstehung, S.114ff., zu Huzmanns Fall S. 144. So beteuerten Gerard von Cambrai lo77 (Reg. IV 22 [CASPAR, S. 33of.] ) und Heinrich von Aquileia noch lo79 (Berthold von Reichenau, S. 317 Z. 45ff.), ein Verbot nicht gekannt zu haben. Dazu jetzt auch R. SCHIEFFER, Entstehung, S. 143ff. 313 So BRUNS, S. 98. SIELAFF, S. lol spricht in ähnlichem Sinn von "Konzessionen" . 314 BRUNS, S. 98.

Gregors VII. Initiativen zur Entscheidung der Königsfrage

11 1

bis 3. März 1o78, ist durch eine Anzahl päpstlicher Briefe relativ gut beleuchtet. Die Zeugnisse geben uns Auskunft sowohl über das Selbstverständnis Gregors als auch seine Pläne und Ziele, vor allem seine Haltung im deutschen Thronstreit. Gregor VII. erkannte, daß die Gesandtschaft des Kardinaldiakons Bernhard und des gleichnamigen Abtes von St. Viktor gescheitert war. Sie blieben nicht nur bei der Reform der Reichskirchen ohne Erfolg; Abt Bernhard wurde sogar von einem salischen Anhänger gefangengesetzt, während der Kardinaldiakon durch seinen Anschluß an Rudolf von Rheinfelden in Sachsen isoliert war. Ihre wichtige Aufgabe, das geplante Schiedsgericht abzuhalten, wozu ihnen Gregor VII. noch Ende Mai Instruktionen erteilt hatte, 315 konnten sie so jedenfalls nicht erfüllen Aus dieser Entwicklung und der Tatsache, daß die Position Heinrichs gegenüber Rudolf von Rheinfelden immer stärker wurde, zog der Papst die Konsequenzen. Er rief seine Legaten nach Rom zurück und wandte sich stattdessen an Udo von Trier, der bei der Vorbereitung der geplanten Versammlung behilflich sein sollte. Der Erzbischof war zwar 1o76 bei den Auseinandersetzungen zwischen Regnum und Sacerdotium als päpstlicher Legat aufgetreten, galt nun jedoch als ein salischer Parteigänger, der immer nach Möglichkeiten des Ausgleichs suchte. Die Wahl Udos war nicht nur eine Geste des Papstes gegenüber Heinrich IV., sondern entsprang auch der Einsicht, daß vor allem der Salier für die vorgesehene Zusammenkunft aller Fürsten gewonnen werden mußte. Auch die bevorzugte Behandlung der salischen Gesandten Benno von Osnabrück und Theoderich von Verdun auf der Fastensynode 1o78 in Rom sollte der Verbesserung des Verhältnisses zwischen König und Papst dienen. Obwohl Heinrich IV. im Herbst 1o77 in Aquileia, Augsburg und St. Gallen ohne Rücksprache mit dem Papst zwei Bischöfe und einen Abt eingesetzt hatte, zeigte sich dieser nachsichtig. Daraus ist nicht zu schließen, daß der Papst von seinen Reformzielen Abstriche machte oder sogar ganz Abstand nahm. Er hielt weiter an ihnen fest, wie er in dem Brief an Volk und Klerus von Aquileia (Reg. V 5) deutlich maclfte. Doch zeigte er Geduld, 'weil es Gewohnheit der heiligen römischen Kirche ist, Manches zu ertragen und Manches auch zu übersehen'. Dieses Wort, wenige Tage

315 Die Erfolglosigkeit der beiden Bernharde müssen sogar die gregorianischen und antisalischen Geschichtsschreiber eingestehen. Zu Bernhard von St. Viktor vgl. Berthold von Reichenau, S. 313 Z. 4ff.; zum Kardinaldiakon Bernhard vgl. Bruno von Merseburg, S. lo2 Z. 28.

112

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

nach der Fastensynode 1o78 an Hugo von Die

gerichtet^1wandte

Gregor nicht nur auf die französischen Verhältnisse an, sondern beherzigte es auch bei dem Salier und seinen Anhängern. Der Papst brauchte Heinrich IV. einmal für die Vorbereitung und Durchführung der deutschen Reichsversammlung, auf der entweder Gregor selbst oder kraft seiner Autorität Legaten die Königsfrage entscheiden sollten, und er benötigte die Hilfe des salischen Königs, um die Reform der Reichskirchen in Angriff nehmen zu können, denn Rudolf von Rheinfelden hatte sich für diese Aufgabe als zu schwach erwiesen. So überließ es Gregor sogar der salischen Partei, Ort und Zeit für die geplante Zusammenkunft zu bestimmen. Gleichwohl war der Papst bestrebt, sich absolut unparteiisch zu verhalten. Dies bedeutete für ihn jedoch nicht, die Entwicklung im deutschen Reich unbeteiligt von Rom aus zu betrachten und keine Anstrengungen zu unternehmen, in irgendeiner Weise auf sie einzuwirken. Vielmehr war seine Rolle als Schiedsrichter von der Gerechtigkeit bestimmt; und so urteilte er nach nichts anderem, preter quod iustum videretur.

Atque in ea re, so beteuerte er

Ende September 1o77 Udo von T r i e r ^ ® , quoad vixerimus, ter Deo adjuvante persistere

nullo perioulo

inaunatan-

vite vel mortis de-

terrebimur.

4. Der Widerstand der deutschen Parteien gegen den päpstlichen Plan einer Reichsversammlung Heinrich IV. weilte in Regensburg, als er die ersten Nachrichten über die römische Fastensynode von 1o78 erhielt. Uber Würz317 bürg und Mainz zog er weiter nach Köln, wo er das Osterfest 318 feierte . Hier empfing er die übrigen Gesandten und die päpstliche Legation, die ihm von dem Verlauf und den Beschlüssen der Februarsynode berichteten. Uber die unmittelbare Reaktion des Saliers besitzen wir kein Zeugnis von ihm selbst, sondern nur den Bericht Bertholds von Reichenau, der als einziger wenige Datails überliefert. Seinem Kommentar, der König habe die ersten in Regensburg319 erhaltenen Berichte über die Synode aliquantum subtristis aufgenommen, ist wohl Glauben zu schenken, da Heinrichs Gesandte in Rom auf die Exkommunikation Rudolfs von Rheinfelden 315a Reg. V 17 (CASPAR, S. 378 Z. 25ff.). Vgl. oben S. llo und BENSON, S. 224. 316 Reg. V 7 (CASPAR, S. 357f., bes. S. 358 Z. 2ff.). Vgl. Reg. IV 24 (CASPAR, S. 338). 317 Hier urkundete Heinrich IV. am 25. März lo78; D HIV 3o7. 318 Berthold von Reichenau, S. 3o9 Z. 35ff., auch zum Folgenden. 319 Ebd. S. 3o9 Z. 36f.

Der Widerstand der deutschen Parteien

113

gedrängt hatten, Gregor VII. dieser Bitte jedoch nicht nachgekommen war. Ansonsten ist die weitere Schilderung des Annalisten über Heinrichs Reaktion in Köln bösartige Unterstellung und kritisch zu betrachten. Wenige Tage nach Ostern begab sich der salische König wieder nach Mainz und ergriff von hier aus die Initiative zu einer Reichsversammlung. Dazu setzte er sich allerdings nicht mit Rudolf von Rheinfelden in Verbindung, sondern nahm mit dem sächsischen Adel Kontakt auf und berief sich dabei auf die Botschaft des Papstes^ 0 . Zur Beilegung der Auseinandersetzungen lud er die Sachsen zu einer Zusammenkunft nach Fritzlar ein. In diesen Jahren war Fritzlar "der Hauptstützpunkt Heinrichs IV. im Vor321

feld der aufständischen Sachsen" Der Verlauf der Fritzlarer Unterredung ist auf Grund der dürftigen Überlieferung nicht mehr klar nachzuvollziehen. Wir be322 sitzen nur den tendenziösen Bericht Bertholds von Reichenau So ist entgegen seiner Mitteilung, Heinrich habe außer einigen Ratgebern keinen Reichsfürsten zu der Unterredung gesandt, doch damit zu rechnen, daß Erzbischof Udo von Trier die salische Ge323

sandtschaft leitete , da Gregor VII. ihn schon als Vermittler auf Heinrichs Seite vorgeschlagen hatte. Diesen Vorteil gegenüber den Sachsen wird der Salier genutzt haben, zumal Udo ohnehin für Gespräche mit dem Gegner eintrat. Die Unterredung in Fritzlar begann mit gegenseitigen Vorwürfen und Anklagen. Dabei wurde von salischer Seite, die sich auf den Papst berief, den Sachsen erneut der Bruch ihres Eides vorgehalten, da sie Heinrich verlassen und sich einem neuen König zugewandt hätten. Die Sachsen dagegen, glaubt man Berthold von Reichenau, brachten keine Klagen vor, sondern sie begrüßten lebhaft die von Gregor gewünschte Versammlung, um nicht den Anschein zu erwecken, sie fühlten sich der salischen Vorwürfe schuldig. Sie erwarteten die Ankunft des 3 2Papstes oder seiner Legaten; ihrem Ur4 teil würden sie sich fügen . Trotz der Differenzen kamen die Unterhändler beider Seiten schließlich überein, bis zur geplanten Versammlung Frieden zu bewahren. 320 Dies wertet Berthold von Reichenau, S. 31o Z. 22f. mit der Formel süb no-

mine et oeeasione apostolveae illius legationis et sententiae zwar ab, ist 321 322 323 324

jedoch wichtig zur Beurteilung der Haltung Gregors nach dem Scheitern dieses Unternehmens. GOCKEL, S. 113, vgl. S. 112, 12o; RÜTHER, S. 174. Berthold von Reichenau, S. 31o Z. 25ff., auch zum Folgenden. VON GIESEBRECHT, S. 465; MEYER VON KNONAU 3, S. 123. Vgl. GLADEL, S. 28. Berthold von Reichenau, S. 31o Z. 35ff.

114

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

Doch diese Abmachung war nur von kurzer Dauer. Denn als ein sächsischer Gesandter mit den salischen Unterhändlern zu Heinrich IV. zurückkehrte, kam es angeblich wegen der gegenseitigen 325 Stellung von Geiseln zu Streitigkeiten . Heinrich gab zu erkennen, daß er wohl an einem Frieden im Reich, nicht jedoch an einer Versammlung unter päpstlicher Führung interessiert war. So wird trotz aller Tendenz aus dem Bericht Bertholds die Absicht Heinrichs erkennbar. Der Salier versuchte mit den Sachsen und nicht mit Rudolf von Rheinfelden Kontakt aufzunehmen, um je326 . Sein Ziel war die Isolation ne ad se quomodooumque adduoere Rudolfs in Sachsen, wodurch er ihm die letzte Machtgrundlage entziehen wollte. Doch hatte er damit im Frühjahr 1o78 noch keinen Erfolg. Der sächsische Gesandte verließ unverrichteterdinge den salischen Königshof. So ist die Angabe Bertholds nicht zu bezweifeln, die Initiative zu dem Gespräch mit den Sachsen sei vom salischen Königshof ausgegangen. Der päpstliche Legat hatte zuerst Heinrich IV. über die Pläne Gregors VII. informiert, worauf der Salier nicht lange zögerte, entsprechende Schritte zu unternehmen. Der König war über den Verlauf der römischen Fastensynode und vor allem über die ausgebliebene Exkommunikation Rudolfs von Rheinfelden verstimmt. Deshalb bereitete er nicht eine päpstliche Versammlung vor, sondern nahm mit Vertretern des sächsischen Adels Kontakt auf, um unabhängig von Rudolf und Gregor den Frieden im Reich wiederherzustellen. Sollte ihm das gelingen, hätte er nicht nur als König weitgehend, d.h. auch in Sachsen Anerkennung gefunden, sondern auch der Reise des Papstes nach Deutschland ihre Grundlage entzogen. Wie verhielten sich nun die Sachsen zu den Vorschlägen des Papstes? Ist Berthold von Reichenau für Heinrich IV. und seinen Hof die einzige Quelle, besitzen wir für die Reaktion der Sachsen auf die Pläne Gregors VII. noch wertvollere Zeugnisse als jene Chronik. Es sind Briefe der Sachsen an Gregor VII., die Bruno von Merse327 bürg in sein Buch vom Sachsenkrieg aufgenommen und uns dadurch überliefert hat. Nachdem O.-H. Kost die fünf Sachsenbriefe aus den Jahren 1o78/79 auf ihre Form und ihren "Anschauungsgehalt" 325 Es ist nicht auszuschließen, daß Heinrich IV. mit dem Verhandlungsergebnis seiner Gesandten, vor allem mit der Stellung von Geiseln, nicht einverstanden war. Daß es Differenzen am salischen Königshof gegeben hat, macht der Abfall des Bischofs Hermann von Metz offenkundig; vgl. hierzu unten S. 121ff. 326 Berthold von Reichenau, S. 311 Z. 2. 327 Bruno von Merseburg, cap. lo8, S. 97ff.; cap. llo, S. 99ff.; cap. 112, S. lolff.,- cap. 114, S. lo6ff. ; cap. 115, S. lo8f.

Der Widerstand der deutschen Parteien

untersucht hat

115

328

und E. Müller-Mertens der Frage nach dem Reichs329 begriff in den Briefen nachgegangen ist , haben jüngste Arbeiten die Bedeutung der Texte in der Auseinandersetzung zwischen Regnum und Sacerdotium skizziert . Unser Interesse konzentriert sich einmal auf die Frage, wie die Sachsen auf die Königspolitik Gregors VII. reagiert und dem Papst gegenüber ihre eigenen Vorstellungen vertreten haben. Weiter geben uns die Briefe auch Aufschluß über die Stellung des salischen Königs aus der Sicht Rudolfs und seiner sächsischen Anhänger. Uns beschäftigt zunächst der erste der fünf sogenannten Sachsenbriefe, den die Anhänger Rudolfs von Rheinfelden im April 1o78 an den Papst sandten, nachdem sie von den Beschlüssen der römi331 sehen Fastensynode Kenntnis erlangt hatten . Das Schreiben ist die unmittelbare Reaktion der Sachsen auf das Verhalten Gregors zu den Gesandten der deutschen Könige in Rom und auf seine Vorstellungen über die Vorbereitung der geplanten Reichsversammlung. Die Sachsen sind unzufrieden mit ihrer momentanen Lage; das Königtum Rudolfs von Rheinfelden empfinden sie als 'Last'. Diese hätten sie aber nicht nach eigenem Entschluß und selbständiger Überlegung auf sich genommen, sondern allein auf den Befehl des Papstes. Deshalb erwarteten sie nun auch seine Unterstützung. Doch stattdessen fühlen sie sich in mehrfacher Beziehung von Gregor im Stich gelassen. Hatten sie, so lautet die Ansicht der Sachsen, durch ihren Kampf, dem Heinrich nicht gewachsen war, den König zur Bußfahrt und Unterwerfung unter den Papst genötigt, so 'dankte' Gregor VII. ihnen ihren Einsatz durch die Lossprechung des Saliers und überging damit nicht nur ihren Rat, sondern fügte ihnen auch noch Schaden zu, obwohl sie den Spruch des Papstes 332 anerkannt und ihm unter großer Gefahr Gehorsam geleistet hätten Wenn sie schon, so fährt der Brief fort, die Absolution Heinrichs hinnehmen mußten, gingen sie aber davon aus, daß der Salier nicht in seine Königsherrschaft wiedereingesetzt worden war. Sie bezweifeln, ob das nach dem einmal gefällten Urteil überhaupt noch möglich sei. Auch die Lösung der Eide kann ihrer An-

328 329 330 331

KOST, S. 94ff. MÜLLER-MERTENS, S. 212ff. GIESE, S. 52ff. ; ROBINSON, Pope Gregory VII, S. 735ff. Bruno von Merseburg, cap. lo8, S. 97ff. Übereinstimmend datieren in den April lo78 MAY, Brunos Schrift, S. 363; HEIDRICH, S. 128f.; KOST, S. lo6; ROBINSON, Pope Gregory VII, S. 736. Der Versuch von SCHMALE, Quellen, S. 355 Anm. lo, 357 Aran. 17, die Entstehungszeit des Briefes in die Zeit vor November lo77 zu setzen, ist nicht durchschlagend. Vgl. S. 116 Anm. 335; GIESE, S. 53f. 332 Bruno von Merseburg, S. 97 Z. loff.

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

sieht nach vom Papst nicht mehr rückgängig gemacht werden. Die Rückkehr Heinrichs IV. in die Königsherrschaft ist in den Augen der Sachsen also ausgeschlossen; nach dem päpstlichen Urteilsspruch auf der Fastensynode 1o7 6 kam und kommt eine Anerkennung des Saliers für sie nicht mehr in Betracht. Deshalb schritten sie, nachdem der Königsthron ein Jahr vakant gewesen war, zur Wahl eines neuen Herrschers. Statt nun Rudolf von Rheinfelden die erhoffte Anerkennung auszusprechen, enttäuschte der Papst die Sachsen wiederum, als er in dem Mai-Schreiben von zwei Königen sprach. Diese pluralitas

regii nominis und divisio regni hatte 333 die Spaltung des Volkes und den Streit der Parteien zur Folge Die Sachsen sehen also nicht in der Wahl eines neuen Königs die Ursache für die Auseinandersetzungen im deutschen Reich. 334 Grund dafür ist vielmehr die schwankende Haltung des Papstes , da er sowohl Heinrich als auch Rudolf als König anredet und behandelt. Sie beklagen sich sogar, daß Heinrich IV. und seine Vertreter von Gregor bevorzugt werden. Obwohl sie durch den päpstlichen Legaten aus der Kirche ausgeschlossen wurden, würden die salischen Gesandten in Rom nicht nur freundlich in Empfang genommen, sondern sogar glovia et honove geehrt, während sie selbst im Abseits stünden und die Strafen ertragen müßten, die ihre Gegner verdient hätten'^"'. Denn diese, so heißt es im Brief weiter, brachen ihre eidliche Zusage, indem sie den Gesandten der Sachsen die Wege versperrten. Während der Papst den Eidbruch Heinrichs unbeachtet lasse, mache er seinen sächsischen Anhängern das Fernbleiben zum Vorwurf Auch die Tatsache, daß Gregor VII. die Bitte um Geleitsicherung für die Reise nach Deutschland an Heinrich IV. heranträgt, betrachten die Sachsen mit Argwohn. In diesem Zusammenhang gehen sie kurz auf die geplante Versammlung ein. Cuius

disaussio-

nis qualis modus sit, ut salva gvatia vestra dioamus,

mirabile

est in oaulis nostris, scilioet ut is, qui iam synodali

iudioio

nulla aondiaione

interposita

depositus

est, alio in eandem digni-

tatem apostolioa

auatoritate

fivmato, nunc tandem ad rationem

po-

natur et, quod finitum est, denuo inoipiatuv et de ve indubita337 bili quaestio moveatur . Die Sachsen verstehen nicht, warum 333 Ebd. S. 97f. 334 Vgl. ebd. S. 98f., bes. 99 Z. 7ff. 335 Ebd. S. 98 Z. 5ff., 15ff. Dieser Passus bezieht sich auf den Bannspruch, den der Kardinaldiakon Bernhard am 12. November lo77 über Heinrich verhängte, und auf den Aufenthalt der Gesandten Heinrichs und Rudolfs bei der Fastensynode lo78. Er schließt also aus, daß dieser Brief vor dem November lo77 verfaßt ist, wie SCHMALE (wie Anm. 331) meinte. 336 Bruno von Merseburg, S. 98 Z. 26ff. 337 Ebd. S. 98 Z. 8ff.

Der Widerstand der deutschen Parteien

117

der Papst die Königsfrage erneut untersuchen will. Heinrich ist durch ein Synodalurteil abgesetzt, Rudolf von Rheinfelden wurde dagegen apostoliea

auotovitate

in seiner Königswürde bestätigt;

damit ist die Angelegenheit für sie eindeutig entschieden. In einer ReichsverSammlung, die den Thronstreit zwischen Heinrich und Rudolf entscheiden soll, sehen die Sachsen keinen Sinn, da dadurch 'von neuem begonnen wird, was schon entschieden ist 1 . Für die Sachsen war Heinrich IV. der ehemalige, abgesetzte König, der exrex, der nicht wieder zur Herrschaft gelangen konnte. Zwar taucht die Bezeichnung exrex im Gegensatz zu Brunos Text in den 338

Sachsenbriefen nicht auf

, doch sind die Formulierungen jenem

Wort inhaltlich analog. Die abweisende Haltung der Sachsen gegenüber der vom Papst geplanten Versammlung und Untersuchung kommt noch deutlicher in zwei Briefen zum Ausdruck, die Bruno von Merseburg uns ebenfalls 339 überliefert hat . Die beiden Schreiben sind stilistisch sehr eng miteinander verwandt und fallen vor allem durch ihre Fülle an rhetorischen Fragen auf. Der erste der beiden Briefe, cap. 114, ist nach der Angabe Brunos die Antwort der Sachsen auf den Papstbrief Reg. VI 1 vom 1. Juli 1o78, den auch der sächsische Geschichtsschreiber ein Kapitel vorher überliefert hat. Obwohl er in der chronologischen Zuordnung der Briefe nicht zuverlässig ist, haben wir34o in diesem Fall keinen Anlaß, seine Angabe in Zweifel zu ziehen . Denn sowohl der Gregor- als auch der Sachsenbrief beschäftigen sich mit der Königsfrage und der geplanten Versammlung. Beide Schreiben gehören eng zusammen''^ . Gregor VII. hatte nach dem Scheitern der Fritzlarer Verhandlungen die Beschlüsse der letzten Fastensynode erneuert und bekräftigt, daß er eine Versammlung zur Entscheidung der deutschen Königsfrage für unumgänglich halte 342

338 KOST, S. 158f. 339 Bruno von Merseburg, cap. 114, S. lo6ff. und cap. 115, S. lo8f. 340 Die Bedenken SCHMALES, Quellen, S. 372f. Anm. 17 überzeugen nicht, da Reg. VI 1 ausdrücklich von dem Synodalurteil vom Februar lo78 spricht. 341 Die Abfassung des Briefes cap. 114 ist angesichts der unmittelbaren Reaktion der Sachsen auf die Beschlüsse der Fastensynode lo78 in die Monate August/September zu setzen. So auch MAY, Brunos Schrift, S. 366: Antwort auf den Papstbrief vom 1. Juli lo78; HEIDRICH, S. 134: Ende August oder Anfang September; vgl. MÜLLER-MERTENS, S. 222 Anm. 478. Anders LOHMANN, S. I06 Anm. 1: Oktober oder November lo78; ebenso KOST, S. 115. 342 Reg. VI 1 (CASPAR, S. 389ff.). Vgl. unten S. 122.

118

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

In ihrem Antwortschreiben drücken die Sachsen gleich zu Beginn ihre Verwunderung darüber aus, daß der Papst etwas ange343 ordnet habe, quod nullo modo posse fieri oonstat . Im Folgenden bringen sie Argumente vor, mit denen sie ihre ablehnende Haltung gegenüber einer erneuten Untersuchung zu rechtfertigen versuchen. Sie weisen darauf hin, daß 'alle Bischöfe, die dem apostolischen Stuhl gehorchen', von ihren Sitzen vertrieben seien. Diese Verfolgten könnten nicht mit ihren Verfolgern über Fragen verhandeln, pro quibus aliqui illorum oocisi sunt, quidam in oaptivitatem abduati, reliqui vero ómnibus rebus suis expoliati 344 . Damit sprechen sie die Anfang August geschlagene Schlacht von Mellrichstadt an, in deren Verlauf einige sächsische Bi345 schöfe gefangengenommen oder sogar getötet worden waren Für die Sachsen ist es auch unverständlich, daß sie mit Heinrich und seinen Legaten in Verhandlungen treten sollen, obwohl diese vom päpstlichen Legaten aus der Kirche ausgeschlossen wurden. Bezüglich der Reichsversammlung nennen sie zwei Alternativen. Die erste Möglichkeit lautet, daß Heinrich IV. 1o76 verurteilt worden ist, nachdem eine Untersuchung vorangegangen war. Ist dies geschehen - die Sachsen zweifeln nicht daran, da eine Synode bisher niemals de re indiseussa so fragen sie, quae ergo neaessitas te

entschieden habe -, dann,

seoundae

disoussionis.

Soll-

jedoch, und dies ziehen die Sachsen als andere Möglichkeit nur

theoretisch in Betracht, vor der Verkündigung des Banns keine Untersuchung stattgefunden haben, quae ratio fuit, Frage, ut homini

indisausso

lica sine ullo oondioionis

regalis

dignitas

additamento

so lautet ihre

ex dignitate

interdiceretur.

apostó-

Wie konn-

te der Papst ihnen dann befehlen, einem anderen König zu 346gehorchen, ohne daß der Fall des einen vorher untersucht war . Die Sachsen gehen von der ersten Alternative aus und halten deshalb eine erneute Untersuchung für unnötig. Als wichtigstes Argument für ihre ablehnende Haltung nennen sie die päpstlichen Briefe vom 347 31. Mai 1o77, die Bruno von Merseburg ebenfalls überliefert . Sie sind für das Verständnis des sächsischen Standpunkts wichtig. E. Müller-Mertens hat auf Grund eines Textvergleichs festgestellt, daß bei der Abfassung des Briefes cap. 114 "Gregors Schreiben an die Legaten - Kardi343 344 345 346 347

Bruno von Merseburg, S. lo6 Z. 19f. Ebd. S. lo6 Z. 24ff. Vgl. dazu VON GIESEBRECHT, S. 1158; MEYER VON KNONAU 3, S. 142f. Bruno von Merseburg, S. lo6f. Reg. IV 23 und 24 = Bruno von Merseburg, capp. lo5 und lo6. Vgl. dazu oben S. 47ff.

Der Widerstand der deutschen Parteien

naldiakon Bernhard und Abt Bernhard von Viktor - nicht nur vorgelegen (hat), sondern es diente als Vorlage und ging teilweise 348 wörtlich in die Kundgebung der Sachsen ein" . In dem MaiSchreiben wurden die Legaten angewiesen, demjenigen, der sich dem Willen des Papstes widersetze, die Herrschaft zu untersagen und ihn zu exkommunizieren, dagegen den als König anzuerkennen, 349 . In dem Brief

der den päpstlichen Anordnungen Folge leiste

an alle Deutschen unterstrich Gregor die Autorität des Urteils seiner Legatan: Quapropter, obstiterit..., Christiane

si alteruter

eorum

hunc velut membrum antichristi

religionis

contemnite

et sententiam,

gati contra eum nostra vice dederint, vero ... servitium legati decreverint, u 35o obsequentes...

(sc. regum) ... et desolatorem

et reverentiam,

conservate

quam nostri le... Alteri

secundum quod nostri

exhibite annitentes

prefati

et modis omnibus ei

Als nun am 12. November 1o77 Kardinaldiakon Bernhard in Goslar Heinrich IV. erneut bannte und Rudolf von Rheinfelden als alleinigen König anerkannte, fand diese Entscheidung nicht die päpstliche Zustimmung. Dennoch versuchten die Sachsen, Gregor VII. an das Urteil Bernhards zu binden, indem sie das Mai-Schreiben an die Legaten als 'Beweis' dafür heranzogen, 'daß der Legat des apostolischen Stuhls auf euren Befehl dem früheren König erneut die Herrschaft über das Reich untersagte und ihn wie seine Anhänger aus der heiligen Kirche ausschloß, dagegen denjenigen, der durch unsere Wahl an jene Stelle gesetzt wurde, auf Grund apostolischer Vollmacht in der Königswürde bestätigte und allen im deutschen Reich im Namen des allmächtigen Gottes befahl, ihm zu gehorchen'

. Doch diese Auffassung der Sachsen war "unzu-

lässig-willkürlich im Sinne der späteren Entscheidung des Legaten Bernhard und gibt Gregors Weisungen dementsprechend entstellt 352 wieder" . Denn der Papst hatte nur allgemein von der Verwerfung des hochmütigen Königs und der Anerkennung des demütigen Herrschers gesprochen. Die konkrete Anwendung dieser Kategorien auf Heinrich und Rudolf sollte nicht Sache seiner Legaten sein, sondern blieb allein dem Papst vorbehalten, der nach der Untersuchung sein Urteil durch die Legaten verkünden lassen konnte. War diese Ansicht für Gregor auch selbstverständlich, so mag der Papst an348 349 350 351 352

MÜLLER-MERTENS, S. 223. Reg. IV 23 (CASPAR, S. 335f.). Reg. IV 24 (CASPAR, S. 337f.). Bruno von Merseburg, S. lo7 Z. 13ff. MÜLLER-MERTENS, S. 222f.

12o

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

gesichts seiner Weisungen an die Legaten im Mai 1o77 nun durch seine Zurückhaltung gegenüber dem Spruch des Kardinaldiakons Bernhard Verwirrung bei den Sachsen ausgelöst haben. Es war für sie kaum vorstellbar, daß die Entscheidung des Legaten noch 353 rückgängig gemacht werden konnte Die Lösung aller Heinrich IV. geschworenen Eide war ein weiterer Grund der Sachsen für ihre Haltung gegenüber dem Salier. Sie konnten keinem König dienen, an den sie nicht durch Treue gebunden waren, und es konnte keiner König sein und ein gerechtes Urteil fällen, dem niemand durch einen Eid verpflichtet war. Auf der anderen Seite ist es für die Sachsen nicht denkbar, daß die Lösung der Eide ungültig war. Denn dann hätten alle diejenigen, die mit Heinrich IV. gebrochen und sich Gregor VII. angeschlossen hätten, einen Meineid begangen. Was wäre dann mit den Eiden, die sie des Papstes wegen Rudolf von Rheinfelden geschworen hätten?^^ Am Schluß des Schreibens"*^ beschwören die Sachsen den Papst, seine Anhänger und das Reich durch eine erneute Untersuchung der Königsfrage nicht in heillose Verwirrung zu stürzen. Gregor VII. soll bei dem einmal gefällten Urteil, d.h. bei der Absetzung Heinrichs IV. und der Anerkennung Rudolfs von Rheinfelden bleiben. In eo, quod

aoepistis,

firmiter

persistite

et, quod

aedi-

ficastis, non destruite, lautet die Aufforderung 356 an den Papst, wenn er die Auseinandersetzungen beenden wolle . Durch das Beharren auf dem Bannspruch wollten die Sachsen das 'Unwetter' überleben, in das sie sich, wie sie sagten, wegen Gregor hinausgewagt hatten. Die päpstliche Sentenz 1o76 war die Legitimation für ihr Festhalten an Rudolf von Rheinfelden und für ihre Weigerung, an der geplanten Reichsversammlung mit der Untersuchung der Königsfrage teilzunehmen. Auch in dem von Bruno, cap. 115 überlieferten Brief wird deutlich, daß die Sachsen Gregors Urteilsspruch auf der Fastensynode 1o76 als allein gültig ansahen. Nun überwiegen jedoch nicht die Argumente, mit denen sie den Papst für sich gewinnen wollen, sondern es häufen sich die Klagen über die ungleiche Behandlung 357 Heinrichs und Rudolfs . Die Sachsen fühlen sich vom Papst im 353 354 355 356 357

Bruno von Merseburg, S. lo7 Z. 19f. Ebd. S. lo7 Z. 2off. Ebd. S. lo7 Z. 32ff. Ebd. S. lo8 Z. lf. Darüber hatten die Sachsen sich auch nach der Fastensynode lo78 im Brief Bruno, cap. lo8 beschwert, also kann dieses Schreiben dementsprechend nach der römischen Herbstversammlung verfaßt sein. Diese Datierung in den November/Dezember lo78 vertritt auch LOHMANN, S. I08 Anm. 1. MAY, Brunos Schrift, S. 366 und HEIDRICH, S. 14o setzen den Brief dagegen in den Oktober.

Der Widerstand der deutschen Parteien

121

Stich gelassen und glauben, solche Behandlung nicht verdient zu haben. Wie das Volk Gottes, das sich gegenüber seinem Herrn keiner Schuld bewußt ist, beklagen sie, daß sie 'geachtet würden wie Schafe, die zum Schlachten bestimmt seien'; allen dienten 358 sie zum Gerede und Gespött . Diese bitteren Vorwürfe durchziehen den ganzen Brief und sind Ausdruck der wachsenden Unzufriedenheit mit Gregor VII. Die Sachsen beharrten weiter auf der einmal ausgesprochenen Absetzung Heinrichs IV. und beurteilten auf dieser Grundlage die Haltung des Papstes gegenüber den beiden deutschen Königen. Ihr Desinteresse an der Reichsversammlung entsprang weniger der Furcht vor dem Urteilsspruch des Papstes zugunsten des salischen Königs; zumindest wird davon in den Briefen nicht gesprochen. Vielmehr hatten sie grundsätzliche Bedenken gegen die Behandlung Heinrichs als König. Für sie war der Salier im Februar 1o76 abgesetzt worden. Damit hatte er für immer seine Königswürde verloren. Das Urteil Gregors war endgültig und konnte nicht mehr rückgängig gemacht werden. Diese Einstellung der Verfasser der Sachsenbriefe unterscheidet sich grundsätzlich von der Haltung der Sachsen, die sich in Fritzlar mit Vertretern der salischen Partei getroffen hatten. Während diese den päpstlichen Plan einer Reichsversammlung und eine Diskussion über Heinrichs Königtum akzeptierten, war für jene Gruppe die salische Herrschaft mit der Sentenz Gregors 1o76 endgültig erledigt. Die vergleichende Analyse des von Berthold mitgeteilten Standpunkts der in Fritzlar verhandelnden Sachsen und der in den Briefen an den Papst formulierten Auffassung führt zu dem Schluß, daß schon in den ersten Monaten des Jahres 1o78 unter den ostsächsischen Gegnern Heinrichs IV. mit zwei Gruppierungen zu rechnen ist. Detaillierte Angaben über ihre personelle Zusammensetzung sind in den Quellen nicht zu finden; als Verfas359 ser der Briefe sind sächsische Bischöfe vermutet worden Auf jeden Fall führte das Verhalten aller Sachsen dazu, daß Gregors neuer Plan einer Reichsversammlung schon zwei Monate nach der Fastensynode 1o78 gescheitert war. In diesen Tagen kehrte sich Bischof Hermann von Metz, der am königlichen Hof erschienen war, von Heinrich IV. ab"'®0 und zog

358 Bruno von Merseburg, S. lo8 Z. 9ff. Vgl. Ps. 43,22 und Tob. 3,4. 359 Vgl. KOST, S. 94ff. S. auch untens. 141 , wo auf den Widerspruch zwischen Gedanken der Briefe und dem Gregor geleisteten Eid hingewiesen wird. 360 Berthold von Reichenau, S. 311 Z. 15ff.

1 22

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

damit die Konsequenz aus dem Scheitern der Fritzlarer Verhandlungen. Der Aufruf des päpstlichen Legaten Abt Bernhard von St. Viktor an Udo von Trier und dessen Suffragane, zu denen auch der 361 Metzer Bischof gehörte, sich von Heinrich IV. abzuwenden , wird nicht ohne Einfluß auf den Umschwung Hermanns zur päpstlichen Partei gewesen sein. Heinrich ergriff sofort Gegenmaßnahmen. Anfang Mai zog er mit Theoderich von Verdun nach Metz und vertrieb Hermann von seinem Bischofssitz. Von dort marschierte er weiter nach Straßburg 362 und setzte den Konstanzer Propst Thiepald zum neuen Bischof ein . Durch sein rasches Eingreifen hatte der Salier eine größere Abfallbewegung in Lothringen zunächst unterbunden . Vom Rhein zog er nach Regensburg, wo er am 27. Mai das Pfingstfest feierte. In seiner Begleitung befand sich auch der päpstli363 che Legat , der von Bayern aus wieder nach Rom zurückkehrte. Er überbrachte dem Papst die Nachricht vom Scheitern der Verhandlungen zwischen Heinrich und den Sachsen. Dies veranlaßte Gregor VII., einen weiteren Brief nach Deutsch364 land zu senden . Er wiederholte seinen auf der letzten Fastensynode iudiaio sanati Spiritus gefaßten Beschluß, eine Reichsversammlung abzuhalten und durch seine Legaten die Königsfrage entscheiden zu lassen. Er warnte davor, den inimioi Dei et filii diaholi, die dies zu verhindern suchten, Unterstützung zu leisten. Gregor widmete auch einige Worte seinen fratres

aarissimi,

was sich wohl vor allem auf seine Anhänger in Sachsen bezog. Ohne konkrete Versprechungen gab er lediglich die allgemeine Zusage, auf keinen Fall die iniusta pars zu begünstigen. Die 365 Schlußworte in dem Brief lassen erkennen, daß Gregor trotz seiner bedrängten Lage zuversichtlich ist. Dies gründet auf seiner Hoffnung, daß Gott ihm wie Paulus Trost und Erbarmen schenke 366 , den Deutschen dagegen ein offenes Herz für sein Gesetz 367 und seine Vorschriften verleihe

. Dann, so verheißt er ihnen,

seien sie auf dem Weg ins himmlische Reich. Mit diesen Worten wollte der Papst seine Anhänger wieder aneifern, sich für seine Pläne einzusetzen. 361 Vgl. oben S. 67f. 362 Berthold von Reichenau, S. 311 Z. 22ff. Vgl. Regesten der Bischöfe von Straßburg, Nr. 332 S. 289; SCHERER, S. 69f.; SALLOCH, S. 38f.; MOHR 3, S. 17f. 363 Berthold von Reichenau, S. 311 Z. 33ff. 364 Reg. VI 1 (CASPAR, S. 389ff.), auch zum Folgenden. 365 Reg. VI 1 (CASPAR, S. 391 Z. lff.). 366 Vgl. 2. Cor. 7,4. 367 Vgl. 2. Mac. 1,4.

123

Der Widerstand der deutschen Parteien

Doch die Worte Gregors fanden in Deutschland kein Gehör. Sie waren schon von den Ereignissen überholt. Nachdem die Unterredung in Fritzlar nicht das erhoffte Ergebnis gebracht hatte und eine Verständigung zunächst wieder in weite Ferne gerückt war, bereiteten sich Heinrich IV. und Rudolf von Rheinfelden dar368

auf vor, die Entscheidung auf dem Schlachtfeld zu suchen Der Anstoß dazu scheint von Rudolf ausgegangen zu sein. Denn am Pfingsfest Ende Mai in Goslar beschloß er, einen Kriegszug gegen Heinrich IV. vorzubereiten, nachdem ihm die zahlreich erschienenen sächsischen und thüringischen Großen sowie Gesandte ausländischer Könige und Fürsten ihre Unterstützung zugesagt hatten, 369 ohne daß alle ihr Versprechen hielten . im Laufe des Sommers erzielte die antisalische Partei in Schwaben, Franken und im Elsaß so große Erfolge"^0, daß Rudolf von Rheinfelden und die süddeutschen Fürsten Weif 371 und Berthold eine Zusammenführung ihrer Heere beabsichtigten , um mit vereinten Kräften gegen den Salier zu kämpfen. Dieser gefährlichen Entwicklung konnte Heinrich nicht tatenlos zusehen. Eine Vereinigung der gegnerischen Heere mußte er verhindern, um von vornherein die Gefahr einer Stärkung Rudolfs und damit das Risiko einer eigenen Niederlage zu bannen. So stellte er den süddeutschen Fürsten am Neckar ein Bauernheer entgegen, während er selbst in die Maingegend zog. Hier kam es bei Mellrichstadt am 7. August zur Schlacht zwischen Heinrich IV. und Rudolf von Rheinfelden, aus der jedoch keiner der beiden Könige 372 als eindeutiger Sieger hervorging . Zwar konnten die Anhänger Rudolfs am gleichen Tag das salische Heer am Neckar schlagen, doch brachte dieser Sieg dem Rheinfeldener keinen Nutzen. Denn er selbst erlitt bei Mellrichstadt so schwere Verluste, daß er sich wieder nach Sachsen zurückziehen mußte und dort weiterhin isoliert blieb. Sein Ziel der Vereinigung mit den süddeutschen Fürsten war gescheitert. Diese Tatsache war für Heinrich Grund genug, daß er den Ausgang der Schlacht propagandistisch als Erfolg wertete, obwohl er keinen Sieg erfochten hatte. Er präsentierte sich auf der Reichsversammlung in Regensburg, wohin er inzwischen gezogen war, den 368 Vgl. BRÜNS, S. loo; HÖSS, Stämme, S. 8o mit Anm. 38o. 369 Berthold von Reichenau, S. 311 Z. 45ff. Vgl. KIENAST, Deutschland 1, S. 18of. 370 Berthold von Reichenau, S. 311f. Vgl. MEYER VON KNONAU 3, S. 135. 371 Berthold von Reichenau, S. 312 Z. 7ff., auch zum Folgenden. 372 Differenzierter als Berthold von Reichenau, S. 312 Z. 25ff. schildert Bruno von Merseburg, S. 88ff. das Kampfgeschehen. Vgl. BRUNS, S. lol; CRAM, S. 14off.; HÖSS, Stämme, S. 81f. Uber die Zusammensetzung der königlichen Heere vgl. DIES., Stellung Frankens, S. 3o7ff.

124

Papsttum und deutsches Doppelkönigtum

Fürsten als der Sieger von Mellrichstadt. Diese Nachricht verbreitete er nicht nur im deutschen Reich. Auch seine lombardischen Anhänger und den Papst unterrichtete er von seinem angeb373 liehen Sieg über Rudolf von Rheinfelden . Damit unterstrich er, daß er sich seinem Rivalen überlegen fühlte, und erhoffte sich weiteren Zulauf aus den Reihen seiner Gegner. Dabei war es weniger wichtig, daß Heinrich sie nicht entscheidend schlagen konnte. Bedeutsamer war, daß es Rudolf von Rheinfelden und seinen Anhängern nicht gelungen war, ihre Heere zusammenzuführen. Das Scheitern dieses Vorhabens war ein Rückschlag für die Gegner des salischen Königs, so daß es nicht unberechtigt war, daß Heinrich Rudolfs Zurückweichen nach Sachsen als Erfolg für sich wertete. Betrachtet man die Entwicklung im Reich zwischen 1o77 und 1o8o, kann man Mellrichstadt als Wendepunkt bezeichnen, nach dem das salische Königtum nicht mehr ernsthaft gefährdet war. Dagegen blieb der Rheinfeldener, der bis zum August auf Grund der Erfolge seiner Partei noch berechtigte Siegeshoffnungen haben konnte, weiter in Sachsen isoliert, was entmutigend auf seine Anhänger im Süden des deutschen Reiches wirkte. So zog Abt Bernhard von St. Viktor aus der Hoffnungslosigkeit, mit Hilfe Rudolfs noch einen Reformerfolg zu erzielen, die Konsequenz und kehrte nach der Schlacht am Neckar, an der er im Gefolge Welfs und Bertholds teilgenommen hatte, und der in Franken nach Rom .. , 374 zuruck Die Niederlage am Neckar wies Heinrich IV. darauf hin, daß weitere Unternehmungen in Süddeutschland notwendig waren, um in 375 Zukunft ungefährdet Vorstöße nach Sachsen machen zu können Schon zu Beginn des Jahres 1o78 hatte er sich mehrere Wochen in Bayern aufgehalten und war dabei bis Passau, 37 6 der Stadt des gregorianischen Bischofs Altmann, vorgestoßen . Der Salier wollte das Herzogtum, das er nach der Absetzung Welfs im Juni 1o77 nicht wieder verliehen hatte, ganz unter seine Kontrolle bringen. Durch Schenkungen aus dem Besitz des ehemaligen Bayernherzogs an die 377 378 Kirche von Brixen und den Bischof von Augsburg stärkte er die Position seiner bischöflichen Anhänger Altwin und Siegfried, wodurch er sich auch eine Festigung der eigenen Stellung, vor allem in der Alpenregion, versprach. 373 Vgl. Berthold von Reichenau, S. 313 Z. lff.; Bruno von Merseburg, S. 92 Z. 4ff. 374 Berthold von Reichenau, S. 313 Z. 4ff. 375 BRÜNS, S. lol. 376 Berthold von Reichenau, S. 3o6 Z. 13ff. Zum Passauer Aufenthalt DD HIV 3o4 und 3o6. 377 D HIV 3o4. 378 D HIV 3o6.

Der Widerstand der deutschen Parteien

125

Im Herbst 1o78 wandte Heinrich sich nun nach Schwaben, nach' 379 dem er in Regensburg ein neues Heer aufgestellt hatte . Von 38o Regensburg, in diesen Jahren das "königliche Hauptquartier" , zog er mit seinem Heer zunächst in Richtung Sachsen, schwenkte 381 dann aber in den Südwesten des Reiches ab , als Rudolf ihm mit 382 einer Streitmacht entgegentrat . Durch den Tod des ehemaligen 383 Herzogs Berthold von Kärnten Anfang November erlitten die Gegner des Saliers einen empfindlichen Verlust. Doch auch Heinrich hatte den Tod eines wertvollen Ratgebers und Anhängers zu beklagen. Wenige Tage später, am 11. November, starb 384 bei der Belagerung von Tübingen der Erzbischof Udo von Trier . Damit hatten aber auch der Papst und Rudolf von Rheinfelden einen Vermittler mit grundsätzlichen Erfolgschancen verloren. Wie die Verhandlungen am Neckar und in Fritzlar zeigten, gehörte Udo am salischen Königshof zu denjenigen, die immer, auch gegen die Bedenken ihres Königs, zu Friedensgesprächen bereit waren. Da er bei Heinrich großen Einfluß hatte und auch bei den Gegnern in hohem Ansehen stand, war der Trierer Erzbischof auch ein Garant für die Möglichkeit, auf dem Verhandlungswege zu einer Übereinkunft zu kommen. Gerade Gregor VII. hatte ihn als Vermittler zwischen Königtum und Papsttum wiederholt angesprochen. Nach dem Abbruch der Fritzlarer Verhandlungen und dem Kampf zwischen den beiden Königen blieb abzuwarten, wie der Papst auf das erneute Scheitern seines Plans reagierte.

379 Berthold von Reichenau, S. 313 Z. 12ff. 380 A. KRAUS, S. 60 mit Anm. 15. Vgl. PETER SCHMID, S. 449. 381 Berthold von Reichenau, S. 313 Z. 12ff.; Bruno von Merseburg, S. 92f., bes. 93 Z. 2ff.; Bernold von St. Blasien, S. 435 Z. 26ff.; Annales Augustani, S. 129 Z. 41ff. 382 Berthold von Reichenau, S. 315 Z. 47ff. Diese zu lo79 gegebene Nachricht ist vom Herausgeber zu Recht in das Jahr lo78 datiert worden. 383 Bernold von St. Blasien, S. 435 Z. 31f. Berthold starb am 5. oder 6. November lo78. Vgl. MEYER VON KNONAU 3, S. 152f.; HEYCK, S. 92f. mit Anm. 31o. 384 Gesta Treverorum, S. 183 Z. 6f.; Frutolf von Michelsberg, S. 9o Z. 1. Vgl. GLADEL, S. 29; HILS, S. 81.

III. DIE UNVEREINBARKEIT VON PÄPSTLICHEM IUDICIt/M-ANSPRUCH UND SALISCHER HERRSCHERAUFFASSUNG. VON DER RÖMISCHEN NOVEMBERSYNODE 1o78 BIS ZUR WÜRZBURGER VERSAMMLUNG IM AUGUST 1o79

1. Gregor VII. zwischen der Reformkrise im August 1o78 und neuen Reformhoffnungen im Februar 1o79 Der erneut unternommene Versuch Gregors VII., durch eine Reichsversammlung eine Annäherung zwischen den zerstrittenen Deutschen in die Wege zu leiten, führte zu keinem Erfolg. Die Schlacht bei Mellrichstadt bedeutete das Scheitern des päpstlichen Plans, durch Vermittlung des Erzbischofs Udo von Trier eine gewünschte Unterredung zustande zu bringen. Auch die mahnenden Worte, die Gregor am 1. Juli an die Deutschen richtete und mit denen er die Beschlüsse der Fastensynode von 1o78 nochmals unterstrich, hatten den ersten Waffengang zwischen Heinrich IV. und Rudolf von Rheinfelden nicht mehr aufgehalten. Die pax und concordia,

von Gre-

gor VII. immer wieder als Voraussetzung für die Versammlung im i Reich und die Erneuerung der Kirche beschworen , waren mit diesem Kriegsgeschehen in weite Ferne gerückt. Der Kampf zwischen den Königen bedeutete eine ernsthafte Gefährdung der päpstlichen Reformpläne. Diese Krisensituation im deutschen Reich nach der Schlacht von Mellrichstadt veranlaßte Gregor VII., noch zu Mitte November 2 1o78 eine Versammlung nach Rom einzuberufen . Römische synodale Versammlungen in diesem Monat waren unter Gregor VII. üblich; so hatte er noch am Allerheiligentag die Sache Berengars von Tours 3 behandelt . Doch eine Generalsynode im November war während seines Pontifikats ungewöhnlich. Das besondere Gewicht dieser Novemberversammlung und seiner Beschlüsse hob der Papst noch dadurch 4 hervor, daß er die wichtigen Dekrete in sein Register aufnahm . 1 Vgl. Reg. IV 23 (CASPAR, S. 335 Z. 16ff.); Reg. V 14a (CASPAR, S. 37o Z. 12ff.); Reg. V 15 (CASPAR, S. 375 Z. 13ff.); Reg. VI 1 (CASPAR, S. 389f.); EC 25 (JAFFE, S. 551) = EV 25 (COWDREY, S. 66). 2 Bonizo von Sutri, S. 611 Z. 31ff. 3 Vgl. LEHMGRÜBNER, S. 14o; PERELS, Bonizo, S. XIII Anm. 2; BERSCHIN, S. 9. Vgl. MELTZER, S. 146, der beide Synoden allerdings zusammenzieht; SCHMALE, Synodus, S. 91f. S. auch die Stellenhinweise bei MEYER VON KNONAU 2, S. 353 Anm. 61. 4 Reg. VI 5b (CASPAR, S. 4ooff.). - Nur in den Wirren des Jahres lo83 hat noch einmal eine Generalsynode im November stattgefunden, deren Protokoll in das Register aufgenommen wurde; Reg. IX 35 a (CASPAR, S. 627f.).

Gregor VII. zwischen August lo78 und Februar lo79

127

Aus den die Oberschrift zum ersten Kapitel einleitenden Worten De Teutoniois contvadioendis läßt sich entnehmen, daß die Dekrete in erster Linie für das deutsche Reich galten^. Die deutschen Könige waren wiederum durch Gesandte vertreten, die ihr Verhalten rechtfertigen sollten. Dem Verdacht und Vorwurf des Papstes, jene hätten ein oolloquium im deutschen Reich verhindert, traten sie durch einen Eid entgegen, in dem jede Seite versicherte, quod

in Teutonioo

nullis

dolis

oolloquium

legatovum

vegno habendum impedierit^.

sedis

apostolioe

Die Gesandten der Könige

brachten dagegen ihre bekannten Forderungen vor: Heinrichs Unterhändler, zu denen der Passauer Dompropst Egilbert gehörte*'3, verlangten vom Papst die Exkommunikation Rudolfs, während dessen Boten die Bestätigung des vom Kardinaldiakon Bernhard im November 1o77 gefällten Urteils erbaten. Gregor lehnte jedoch eine klare Entscheidung ab und verschob sie auf die nächste Synodalversamm7 lung . Gleichzeitig exkommunizierte er wiederum diejenigen, quoQ

; Namen nannte er jedoch nicht. Außer dem deutschen Thronstreit widmete sich Gregor VII. besonders den Fragen der Kirchenreform. Die zahlreichen Dekrete sind ein klares Zeugnis für seinen energischen Versuch, den Einfluß der Laien in der Kirche auszuschalten. Gregor unternahm auch einen ersten Schritt gegen das Eigenkirchenrecht und Niederkirchenwesen, indem er bestimmte, daß die Laien den Zehnten, den die oanonioa auotoritas zum frommen Gebrauch bestimmt habe, nicht einziehen sollten, auch wenn er ihnen vom König oder Bischof übertraTum

aulpa

oolloquium

remansit

9

gen worden sei . Wie dem kirchlichen Zehnten widmete Gregor seine Aufmerksamkeit auch dem Kirchengut, das durch die Kämpfe besonders stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Er verbot den Bischöfen bei Androhung ihrer Suspension, ohne seine Zustimmung ein predium 5 Vgl. S. 132 mit Anm. 35. 6 Reg. VI 5b (CASPAR, S. 4oof.); Liber Pontificalis, S. 285 Z. 23ff. SCHMALE, Briefe Papst Gregors VII., S. 285 sieht in impedierit die Form Futur II und übersetzt dementsprechend, "daß dieser ... behindern wird". Dies ist grammatisch möglich, doch die in Anm. 2 zitierte Meldung Bonizos von Sutri und auch der Bericht Bertholds von Reichenau, S. 313 Z. 51ff. lassen nur die Interpretation zu, daß sich die Eide der königlichen Gesandten auf die vergangenen Ereignisse bezogen; sie dienten gleichsam der Rechtfertigung und Reinigung. 6aBENSON, S. 225; BOSHOF, Bischof Altmann, S. 326. Da Egilbert von seinem Bischof Altmann schon exkommuniziert war, mußte seine Entsendung durch Heinrich IV. auf den Papst wie ein Affront wirken. 7 Berthold von Reichenau, S. 314 Z. 2ff. Vgl. MEYER VON KNONAU 3, S. 164; BRUNS, S. lo2f. 8 Reg. VI 5b (CASPAR, S. 4ol Z. 8f.). Schon Anfang Oktober hatte er sie gerügt; Reg. VI 4 (CASPAR, S. 397 Z. 26ff.). Vgl. auch den nach der Synode den Deutschen übermittelten Brief EC 25 (JAFFE, S. 551) = EV 25 (COWDREY, S. 66); zur Datierung vgl. unten S. 136 Anm. 5o. 9 Reg. VI 5b (CASPAR, S. 4o4f.). Vgl. FEINE, Kirchenreforra, S. 511; KEMPF, Gregorianische Reform, S. 428; STUTZ, S. 47.

Päpstlicher iudioium-Anspruch

128

eeelsiq

und salische Herrscherauffassung

als Lehen auszugeben^ 0 . Dieses Verfahren war für Gregor

ein grundsätzliches Problem; noch im Oktober 1o78 hatte er sich nicht gescheut, seinen Anhänger Hermann von Metz

zurechtzuweisen,

weil dieser sich durch Vergabe von Kirchengütern an Laien Helfer 11 im Kampf gegen Heinrich IV. zu verschaffen suchte . Doch auch den Rittern und anderen Personen als den Empfängern des Besitzes wurde der Bann angedroht,1 wenn sie Kirchengüter, die sie von einem König oder weltlichen Fürsten, von unrechtmäßigen

Bischöfen,

Äbten oder Kirchenvorstehern erhalten oder sich angeeignet hätten, 12 nicht den Kirchen zurückgäben . Unter Berufung auf diese Bestim13 mung forderte Gregor nach der Fastensynode 1o79 sieben milites der Bamberger Kirche auf, die Kirchengüter, die sie besäßen, entweder zurückzugeben oder aus der Hand des Bischofs

entgegenzuneh-

men. Folgten sie dieser Anordnung nicht innerhalb von zwanzig Tagen nach Erhalt der päpstlichen Botschaft, drohe ihnen die Exkom14 munikation Ferner wurde den Bischöfen bei Androhung ihrer Amtsenthebung untersagt, kirchliche Ämter zu v e r k a u f e n ^ oder Äbten und Klerikern ein gravamen seu servile servitium zuzumuten oder ihnen, falls sie suspendiert sind, für Geld die Ausübung ihres Amtes wieder zu ge16

statten

. Weiter verschärfte Gregor die auf der Fastensynode

1o78

verkündete Bestimmung, daß Ordinationen von Gebannten ungültig seien, nun durch die Erweiterung auf alle Weihen, die

interveniert-

10 Reg. VI 5b Nr. [XXX] (CASPAR, S. 4o2 Z. 16ff.). 11 Reg. VI 5 (CASPAR, S. 399 Z. 3ff.). Vgl. SALLOCH, S. 39. Zur Vertreibung Hermanns vgl. oben S. 122. 12 Reg. VI 5b (CASPAR, S. 4o2f.). Anders Berthold von Reichenau, S. 314 Z. 14ff. 13 Gregor VII. berief sich in seinem Brief Reg. VI 19 (CASPAR, S. 431 Z. 8f.) auf die Fastensynode lo79, doch ist eine Registereintragung hierzu nicht überliefert. So hat VON GUTTENBERG, Regesten, Nr. 516 S. 263 zu Recht darauf hingewiesen, daß Gregor sich auf das genannte Dekret (vgl. Anm. 12) der Novembersynode lo78 bezog. Zu dieser Auffassung tendiert auch SCHMALE, Briefe Papst Gregors VII., S. 315 Anm. lol. 14 Reg. VI 19 (CASPAR, S. 43of.); Regesten der Bischöfe und des Domkapitels von iam diu deutet darauf Bamberg, Nr. 516 S. 263. Die Formulierung intelleximus hin, daß die Angelegenheit dem Papst schon im November lo78 bekannt war.VON GUTTENBERG, Territorienbildung, S. 248ff. macht gegen JOETZE, S. 754f. mit Anm. 2 und CASPAR, Register Gregors VII., im Kopfregest S. 43o darauf aufmerksam, daß es sich bei den milites nicht um bischöfliche Minsterialen, sondern um edelfreie Vasallen handelte. SCHMALE, Briefe Papst Gregors VII., S. 315 übersetzt milites mit 'Vasallen'. VON GUTTENBERG, Territorienbildung, S. 248 und DERS., Bistum Bamberg, S. 112 vermutet, daß Gregor die Vasallen zum Abfall vom Bischof bringen wollte. Daß Gregors Drohung nichts änderte, bezeugt die Tatsache, daß ein Vasall im Bann starb. 15 Reg. VI 5b (CASPAR, S. 4o3 Z. 2off.). Bei Berthold von Reichenau, S. 314 Z. 29 beginnt das Dekret si quis episoopus. 16 Reg. VI 5b (CASPAR, S. 4o5 Z. 13ff.).

Gregor VII. zwischen August lo78 und Februar lo79

te pretio impenso

vel vel

canoniaas net,

non

precibus

..'. non

vel

obsequio

aommuni

sanctiones

fiunt

oomprobantur,

...

alioui

oonsensu et ab his,

cleri

personq

129 ea

et populi

ad quos

intentione seaundum

aonsearatio

perti-

^.

Außer dem Simonieverbot forderte der Papst die Einhaltung des Zölibats. Jeder Bischof, der in seiner Diözese die fornicatio seiner Kleriker oder das crimen ineestus auf Bitten oder für Geld er18 laube, solle sein Amt verlieren In einem fragmentarisch überlieferten Brief an seine Getreuen in Deutschland und Italien aus dem Jahre 1o79 unterstrich er die19 ses Dekret . Gregor verbot allen Priestern, Diakonen und Subdiak o n e n , qui

iaaeant

in crimine

che. Eindringlich warnte

forniaationis,

den Zutritt zur K i r -

er die Gläubigen davor, ihren Amtsge-

s c h ä f t e n b e i z u w o h n e n , quia

benediotio

Ulis

vertitur

in

maledictio-

nem et oratio in peccatum. Um seinen Reformforderungen Nachdruck zu verleihen, forderte er unbedingten Gehorsam gegenüber dem apostolischen Stuhl und bekräftigte dies durch die alttestamentlichen Bibelzitate Mal. 2,2, wo Gott bei Mißachtung seiner Weisungen den Fluch androhte, und 1. Sam. 15,23, mit dem Gregor Ungehorsam als Götzendienst geißelte. Wandte sich Gregor 1o79 direkt an die Inhaber niederer Weihen und an das gläubige Volk, richtete er auf der Novembersynode 1o78 die Dekrete gegen Simonie und Nikolaitismus an die Adresse der Bischöfe. Er warnte sie davor, verheiratete Kleriker in ihren Bistümern zu dulden, und verbot ihnen den Kauf und Verkauf von kirchlichen Ämtern. Das schärfste Dekret der Synode aber war das Verbot der Laieninvestitur, das Gregor VII. zum erstenmal verkündete^0. Mit dem Hinweis auf die Ungültigkeit der Belehnung und unter Androhung des Banns verbot der Papst jedem Kleriker, investituram episoopatus

vel

abbatie

vel

eaalesie

de manu

imperatoris

vel

regis

vel

aliouius laioe pevson| anzunehmen. Die Strafandrohung richtete sich nicht gegen die Laien, die die Investitur vornahmen, sondern gegen die Geistlichkeit und den Episkopat, denen das geistliche

17 Reg. VI 5b (CASPAR, S. 4o3f.). Vgl. oben S. lo6. 18 Reg. VI 5b (CASPAR, S. 4o5f.). Zu fornicatio vgl. BOELENS, S. 133ff., bes. 135. 19 EC 28 (JAFFE, S. 554f.) = EV 32 (COWDREY, S. 84ff.). 20 Reg. VI 5b (CASPAR, S. 4o3 Z. llff.). Vgl. jetzt R. SCHIEFFER, Entstehung, S. 114ff.

1 3o

Päpstlicher iudicium-Anspruch und salische Herrscherauffassung 21

Amt übertragen wurde Ohne die Verhältnisse in anderen Ländern, vor allem in Frank22 reich , außer acht zu lassen, ist anzunehmen, daß der neue Reformvorstoß mit der Entwicklung im deutschen Reich zusammenhing und 23 in erster Linie gegen den deutschen Reichsepiskopat gerichtet war . Die wenn auch dürftigen Zeugnisse für das Verhältnis zwischen Gregor VII. und den deutschen Bischöfen in den Jahren 1o771o8o lassen erkennen, daß der überwiegende Teil des Episkopats dem salischen König nahestand, die Reformwünsche des Papstes dagegen skeptisch beurteilte oder sogar schroff ablehnte. Diese Abneigung bekundete er auch durch sein Fernbleiben von den römischen Synoden 24 , während er schon im Oktober 1o77 auf dem Wormser Hoftag 25 Heinrichs IV. zahlreich erschienen war Dieser Widerstand der Bischöfe gegen Gregor VII. ist für uns nachvollziehbar am Beispiel Huzmanns von Speyer, einem engen Vertrauten Heinrichs IV. Auf Grund seiner Bischofsinvestitur durch den salischen König und der Nichtbeachtung päpstlicher Vorschriften hatte Gregor VII. den Speyerer Bischof im März 1o78 aufgefordert, sich vor ihm oder seinen Legaten, die gerade in Deutschland 26 weilten, zu rechtfertigen . Huzmann weigerte sich jedoch, dieser Forderung des Papstes nachzukommen. Darin dürfen wir angesichts der Königsnähe dieses Bischofs auch einen Einfluß des salischen Herrschers vermuten. Schon nach Canossa hatte der saliertreue Episkopat 27 eine Reformtätigkeit der päpstlichen Legaten unmöglich gemacht . Diese für die Reformer ungünstige Situation wurde durch den Ausgang der Schlacht von Mellrichstadt noch verschlechtert. Sie veranlaßte schließlich den Abt Bernhard von St. Viktor, seine Reformtätigkeit in Deutschland zu beenden und nach Rom zurückzukehren, quia nullum inpositae

legationis

et aeaolesiatioae

utilitatis

profeatum

apud

21 Vgl. VON GIESEBRECHT, S. 473; BRUNS, S. lo3. 22 Vgl. BECKER, Studien; SPRANDEL, S. 116ff. Zu beachten ist dabei auch der Unterschied in der "Sozialstruktur" des deutschen und französischen Episkopats; dazu BRÜHL, Sozialstruktur, S. 42ff. R. SCHIEFFER, Entstehung, S. 159 weist darauf hin, daß "im Sommer lo77 der Durchbruch des Neuen (in Frankreich) bereits im Gange" war. Vgl. ebd. S. 162ff. 23 So auch BROOKE, S. 233 (unter Einbeziehung Italiens). 24 Vgl. LÜBBERSTEDT,' S. 52ff. und unten S. 198. Zum Verhältnis Gregors VII. zu den Bischöfen vgl. auch CAPITANI, Episcopato, S. 316ff.; ROBINSON, Perioulosus homo, S. lo3ff. 25 D HIV 3o3 (VON GLADISS, S. 399 Z. lf.). Vgl. oben S.93f. 26 Reg. V 18 (CASPAR, S. 381f.). Zum Brief vgl. oben S. llo. 27 Vgl. oben S. 56ff. als Beispiel für das Verhalten einiger Bischöfe gegenüber den Legaten nach Canossa sowie oben S. lol Anm. 26o.

Gregor VII. zwischen August lo78 und Februar lo79

apostolioae

sedis

28

adversarios

se nee habuisse

nee habitum

131 fore

perspexerat . Wir dürfen davon ausgehen, daß der Bericht dieses 29 Legaten über die Zustände im deutschen Reich wesentlicher Anlaß für das Vorgehen des Papstes war. Das Scheitern seiner Reformpläne, bedingt durch den Widerstand der saliertreuen Bischöfe und besiegelt durch den Kampf der beiden Könige, beantwortete Gregor VII. durch die Verkündung verschärfter Reformdekrete auf der Novembersynode 1o78 und die energische Androhung rigoroser Strafmaßnahmen. Die Dekrete richteten sich nicht nur gegen Simonie und Priesterehe. Gregors Interesse galt nun auch in gleichem Maße dem Schutz des Kirchengutes, das durch die Kämpfe im deutschen Reich besonders stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. So forderte er von allen Laien die Rückgabe der Kirchengüter und -zehnten. Hatte der Papst noch im September 1o77 dem König die Leistungen aus dem Reichskirchengut zugestanden"^0, verkündete schon im Januar 1o78 sein Legat in Frankreich, Bischof Hugo von Die, auf der Synode von Poitiers, daß kein Geistlicher donum episcopatus vel einem abbatiae vel entgegennehmen eeelesiae vel aliquarum eoolesiasticarum von Laien dürfe 31 . Die Annahme, diesesrerum De32 kret sei im Sinne Gregors gewesen , ist keineswegs zwingend.

Die Zurückhaltung des Papstes gegenüber den Verfügungen seines Le33 gaten stimmt vielmehr skeptisch. Auf jeden Fall muß stärker berücksichtigt werden, daß die Maßnahme Hugos von Die nur für Frankreich galt. Nichts deutet darauf hin, die Beziehungen zwischen dem Papsttum und dem deutschen Königtum sowie dem Reichsepiskopat sprechen sogar dagegen, daß entgegen der Meldung Bertholds von 34 Reichenau auf der Fastensynode 1o78 ein ähnliches Verbot wie in Frankreich verkündet wurde. Dagegen hatte sich die Situation bis zum November grundlegend verändert. Die päpstlichen Hoffnungen einer Annäherung zwischen den Deutschen mit Hilfe einer Reichsversammlung hatten sich nicht erfüllt, stattdessen war die Kluft durch den Kampf noch größer ge28 Berthold von Reichenau, S. 313 Z. 4ff. Das Scheitern der Reformtätigkeit Bernhards klingt auch in Gregors Brief an die Mönche von St. Viktor in Marseille an; Reg. VI 15 (CASPAR, S. 419f.). 29 Vgl. Berthold von Reichenau, S. 313 Z. 9ff. 30 Reg. V 5 (CASPAR, S. 353). Vgl. oben S. 97 und unten S. 134. 31 MANSI, Sp. 498 (cap. 1). Vgl. dazu jetzt auch R. SCHIEFFER, Entstehung, S. 165f. 32 So H. HOFFMANN, Ivo von Chartres, S. 397f „-BENSON, S. 223f. Vgl. MINNINGER, S. 81. 33 Vgl. Reg. V 17 (CASPAR, S. 378ff., bes. 378 Z. 25ff.). S. auch oben S. lo2 Anm. 263. 34 Berthold von Reichenau, S. 3o8f. Dagegen schon E. MEYER, S. 77f.; ebenso BECKER, Studien, S. 68 und zuletzt (unabhängig von mir) R. SCHIEFFER, Entstehung, S. 168ff. ; s. oben S. lo6.

132

Päpstlicher iudioiwn-Anspruch

und salische Herrscherauffassung

worden. Gregor VII. reagierte darauf mit den genannten Verfügungen. In der Uberschrift zum ersten Dekret bezog er das Verbot, Kirchengüter anzunehmen, ausdrücklich auf das deutsche R e i c h ^ , womit erneut unterstrichen wird, daß man die Beziehungen zwischen 36

dem Papsttum und einzelnen Ländern getrennt sehen muß

. Aus der

in derselben Überschrift enthaltenen Formulierung, die predia eoolesiastioa

a regibus

data sive ab invitis

episaopis

seien zu-

rückzugeben, können wir den Schluß ziehen, daß in erster Linie die beiden Könige und, nach der Lage der Dinge, die von Heinrich IV. eingesetzten Bischöfe gemeint waren. Gregor wollte nicht nur den unmittelbaren Eingriff der Könige in die Kirchengüter unterbinden, sondern auch die Verleihung der predia

eoolesiastioa

an weltliche

Vasallen durch die Bischöfe, die sich als Gegenleistung für das kirchliche Benefizium von jenen ein Aufgebot zur Unterstützung des Kampfes gegen ihre Feinde stellen ließen. Daß er in dieser Angelegenheit sowohl seinen Anhänger Hermann von Metz tadelte als auch den Vasallen des saliertreuen Bamberger Bischofs mit dem Bann drohte, verdeutlicht Gregors Bemühen um eine Beseitigung dieser verbreiteten Erscheinung. Die Verkündung der neuen Dekrete über Kirchengut und -zehnten muß in erster Linie vor dem aktuellen historischen Hintergrund der Schlacht von Mellrichstadt gesehen werden. Für diesen Zusammenhang spricht ebenso die erwähnte Notiz Bonizos von Sutrl wie auch die von Gregor selbst vorgenommene Beschränkung seines ersten Kirchengut-Dekrets auf das deutsche Reich. Unterstrichen werden diese Verknüpfungen durch die Worte, mit denen der Papst den Erlaß des Investiturverbotes begründet. Er entschloß sich zu diesem radikalen Schritt, quoniam eoolesiarum multis

contra

partibus

in eoolesia

statuta

oognovimus

oriri,

sanotorum

patrum

fieri p.t ex eo plurimas

ex quibus

christiana

investituras

a laiois personis

religio

in

perturbationes 37

oonouleatur

Gregor VII. sieht in der Kirche den Zustand größter Verwirrung, der dadurch entstanden sei, daß Kirchen von Laien übertragen wurden. In diesem Zusammenhang können wir die Frage nicht ausklammern, inwieweit die Verkündung des Investiturverbots zu diesem Zeitpunkt auch gegen die deutschen Herrscher gerichtet war. Aus diesem Grund 35 Reg. VI 5b (CASPAR, S. 4ol Z. 6f.). 36 Der Überblick von KEMPF, Gregorianische Reform, S. 43off. macht die spezifischen Beziehungen des Papsttums zu den einzelnen Ländern deutlich. 37 Reg. VI 5b (CASPAR, S. 4o3 Z. llff. R. SCHIEFFER, Entstehung, S. 172 läßt auf Grund der Formulierung in multis partibus "keinen Zweifel an seiner (d.i. des Investiturverbots) gesamtkirchlichen Bedeutung, also an dem Anspruch, auch in Deutschland und Italien be-

133

Gregor VII. zwischen August lo78 und Februar lo79

müssen wir kurz auf die Investiturpraxis der beiden Könige eingehen. Rudolf von Rheinfelden hat nur wenige Investituren vorgenommen. Als Musterbeispiel für seine Beteiligung an einer Bischofserhebung gilt die Investitur Wigolds zum Bischof von Augsburg am Osterfest 1o78 in Goslar. Einzelheiten dieses Ereignisses entneh38 men wir der Chronik Bertholds von Reichenau . Nach dem Tod Embrikos war Wigold, Propst in Augsburg,

'von Klerus, Volk sowie

dem größeren und besseren Teil 39 der Ritterschaft kanonisch' zum neuen Bischof gewählt worden . Doch konnte er sich gegen den salischen Kandidaten Siegfried nicht durchsetzen. Daraufhin

scheint

er nach Sachsen gezogen zu sein, denn dort wurde er am Osterfest 1o78 mit Zustimmung des Kardinaldiakons Bernhard, eines der beiden päpstlichen Legaten, und des Erzbischofs Siegfried von Mainz geweiht und ordiniert. Auf die wichtigen Akte der Wahl und Einsetzung hatte Rudolf keinen Einfluß. Schon bei der Forchheimer Wahl hatte er auf diese alten Königsrechte verzichtet, als er, so überliefert Bruno von Merseburg, neben dem Verzicht auf die Sohnesfolge4o auch die Anerken. Damit war seine

nung der kanonischen Bischofswahl versicherte

Mitwirkung bei der Bestimmung eines Bischofskandidaten

ausgeschlos-

sen. Die Erhebung Wigolds zum Bischof war eine rein kirchliche Angelegenheit. Der Einfluß des Papsttums war noch dadurch verstärkt worden, daß sein Legat das suffragium als erster vor dem des Metro41 politen und der anderen Bischöfe abgab . Die Investitur mit Ring

38 39 40 41

achtet zu werden". Das schließt nicht aus, vielmehr macht der historische (von Bonizo von Sutri, S. 611 Z. 25ff. so überlieferte) Zusammenhang, auf den Schieffer nicht eingeht, deutlich, daß die Einberufung der Novembersynode lo78 vor allem durch das Kampfgeschehen im deutschen Reich bedingt war. Deshalb verkündete Gregor die Dekrete, auch das Investiturverbot, vor allem mit Blick auf die deutschen Kontrahenten; ihre Geltung für die Gesamtkirche war davon nicht berührt. (Vgl. grundsätzlich auch SCHIEFFER, S. 29.) SCHIEFFER, S. 159f., 162ff. weist selbst darauf hin, daß die Entwicklung der Reform in Frankreich im Vergleich zu Deutschland nach lo77 größere Fortschritte gemacht hatte. - Anders als lo78 (S. 172: "der grundsätzliche, über jeden unmittelbaren Anlaß hinausweisende Rang des Dekrets") hält SCHIEFFER es bezüglich des Investiturverbots von lo8o für "nicht ganz unnütz, die Frage nach dem konkreten Adressaten zu stellen" (S. 174f.). Zusätzliches Gewicht erhält unsere Annahme von einem Zusammenhang zwischen der Entwicklung im deutschen Reich und der Verkündung des Investiturverbots noch dadurch, daß Gregor VII. dem salischen König, als er seine Haltung nicht änderte, auf der Fastensynode lo79 die Exkommunikation androhte. Berthold von Reichenau, S. 3o9f. Vgl. Regesten der Bischöfe und des Domkapitels von Augsburg, Nr. 341 S. 2o4. Berthold von Reichenau, S. 3ol Z. 2of., 3o9 Z. 49ff. Vgl. Regesten der Bischöfe und des Domkapitels von Augsburg, Nr. 346 S. 2o9f. Bruno von Merseburg, S. 85 Z. 23ff. Vgl. HAIDER, S. 33ff.; SCHLESINGER, Wahl, S. 73f. ; REULING, S. lo6ff. Berthold von Reichenau, S. 3o9f. Vgl. BONIN, S. 6of.

134

Päpstlicher ¿lidieium-Anspruch und salische Herrscherauffassung

und Hirtenstab erfolgte durch den Mainzer Erzbischof Siegfried. Erst danach konnte Rudolf seine Amtshandlung vornehmen und Wigold in die weltliche Herrschaft einweisen. Er verlieh ihm ex sua parte quiequid regii iuris fuerit in proourandis

bonis

aeaalesiastiois,

d.h. er wies ihn in die Regalien ein und verpflichtete ihn zur Ab42 legung des Treueids . Das servitium und die fidelitas waren die Rechte, die Gregor VII. zu dem Zeitpunkt dem Herrscher noch belas43 sen wollte Auf Grund dieses Verfahrens bei der Erhebung Wigolds zum Bischof von Augsburg nennt Berthold von Reichenau Rudolf von Rheinfelden oboedientissimus

gegenüber dem angeblichen Beschluß der Fa-

stensynode von 1o78, der besage, daß kein Laie Kirchen oder 44 kirchliehe Zehnten und Würden als sein Eigentum vergeben dürfe . Die Verkündung des Verbots der Laieninvestitur im Februar 1o78 war allerdings eine Fiktion Bertholds; es ist also nicht damit zu rechnen, daß Rudolfs Übertragung der Temporalien beim Papst auf Kri45 tik gestoßen ist . Denn ähnlich wie bei Wigold verhielt sich Rudolf auch bei der Erhebung Hartwigs zum Erzbischof von Magdeburg 46 1o79

. Die Bestimmungen der Bischofswahl wurden erst 1o8o als

Folge des erneuten Bruchs zwischen Papst und salischem König erheblich verschärft. Rudolfs Verhalten konnte also keinen Anlaß zur Verkündung des Verbots der Laieninvestitur im November 1o78 bieten. Der Rheinfeldener vermochte Wigold jedoch nicht zu seinem Bistum zu verhelfen. Dieser konnte sich gegen das saliertreue Augsburg und dessen Bischof Siegfried nicht 47 durchsetzen; deshalb zog er sich auf eine Burg bei Füssen zurück . Dieser Vorgang zeigte erneut die Wirkungslosigkeit von Entscheidungen, wenn sie ohne Absprache mit Heinrich IV. getroffen wurden. Dagegen nahm der salische König auch nach Canossa Investituren in der herkömmlichen Weise vor. Er setzte seine Anhänger durch, zum Teil gegen die örtlichen canonioe gewählten Kandidaten, wie in Augsburg und Aquileia, oder, wie in Straßburg, nach der bung des von ihm abgefallenen bischöflichen Reformers 48 .VertreiDiese 42 Vgl. BONIN, S. 64; W. SCHNEIDER, S. 13o, 132; SCHARNAGL, S. 37; PAUL SCHMID, Begriff, S. 194; BENSON, S. 22o. 43 Reg. V 5 (CASPAR, S. 353). Vgl. BENSON, S. 22o; LADNER, Gregory the Great, S. 22. 44 Berthold von Reichenau, S. 31o Z. 5ff. Vgl. TELLENBACH, Liberias, S. 137 Anm. 26. S. aber oben S. lo5f., 131. 45 H. HOFFMANN, Ivo von Chartres, S. 398f.; BENSON, S. 22o und MINNINGER, S. 81 gelangen wegen der Zustimmung zum Bericht Bertholds zu Fehlschlüssen. Vgl. FRIED, Regalienbegriff, S. 476. 46 Vgl. unten S. 179. 47 Berthold von Reichenau, S. 31o Z. 9ff. Vgl. Regesten der Bischöfe und des Domkapitels von Augsburg, Nr. 346 S. 21o; ZOEPFL, Bistum Augsburg, S. lo4. 48 Vgl. oben S. 88ff., 122.

135

Gregor VII. zwischen August lo78 und Februar lo79

Praxis konnte nicht den Vorstellungen Gregors entsprechen. Wenn das Investiturverbot also auch den Königen gelten sollte, mußte nach Lage der Dinge Heinrich IV. betroffen sein, weil seine Art der Bischofseinsetzung - bei der Besetzung der Abteien war es nicht anders - der im Dekret verbotenen Praxis entsprach. Wie die Androhung der Strafmaßnahmen für die Investierten allerdings zeigt, richtete sich der päpstliche Erlaß zunächst gegen die Bischöfe und Äbte, die zum Gehorsam gegenüber dem Papst gezwungen werden sollten. Auf der anderen Seite war nicht zu übersehen, daß ein Verzicht jener Geistlichen, ihr Amt aus der Hand des salischen Königs entgegenzunehmen, der Autorität Heinrichs schweren Schaden zufügen mußte. Der Vergleich mit dem Verbot von 1o8o, als auch den Investierenden die Exkommunikation angedroht wurde, macht allerdings deutlich, daß Gregor VII. auch nach der Wendung von Mellrichstadt ein zu energisches Vorgehen gegen Heinrich IV. im November 1o78 vermied. Die Rückkehr des Legaten Bernhard von St. Viktor war zwar ein Signal für das Scheitern der bisherigen Reformbemühungen. Doch gab Gregor die Erwartung, den deutschen Thronstreit auf einer Reichsversammlung friedlich zu schlichten und die Reform der Reichskirchen durchzuführen, nicht auf. Unter diesem Aspekt war die Hoffnung auf eine Übereinkunft mit Heinrich IV., der seine Herrschaft zunehmend konsolidierte, ein wichtiger Grund, das Verbot der Laieninvestitur auf der Novembersynode 1o78 zunächst nur auf die Geistlichen zu konzentrieren. Gregors Dekrete zur Laieninvestitur sowie zu den Kirchengütern und -zehnten waren eine deutliche Warnung. Durch sein Vorgehen gegen Wibert von Ravenna, den Führer des lombardischen Episkopats, machte er aber klar, daß er dauernden Widerstand gegen den apostolischen Stuhl nicht duldete. Da der Erzbischof in seinem Hochmut und Ungehorsam, den Gregor mit dem bekannten Zitat 1. Sam. 15,23 geißelte, verharrte und der Papst bei ihm keine spes

reouperatio-

nis mehr hatte, erklärte er Wibert nach der Suspension 1o75 und der Bannung 1o76 auf der Synode 1o78 für abgesetzt und entband die 49 Ravennaten von ihrer Gehorsamspflicht Die Verkündung von Reformdekreten war nutzlos, wenn sie nicht auch in die Tat umgesetzt werden konnten. Dies aber war unmöglich, solange die Auseinandersetzung zwischen den Königen andauerte. So

49 Reg. VI lo (CASPAR, S. 41lf.). Vgl. KÖHNCKE, S. 34; BORINO, Quando, S. 456ff.; JORDAN, Ravenna, S. 195; ROBINSON, Friendship Network, S. 5.

136

Päpstlicher iudicium-Anspruch und salische Herrscherauffassung

es ist verständlich, daß die beiden Schreiben, die der Papst in den Wochen nach der Herbstsynode 1o78 ins deutsche Reich sandte, sich weniger mit den Dekreten als vor allem mit dem Thronstreit beschäftigten. In dem nach der Synode abgesandten Brief an die geistlichen und weltlichen Fürsten, soweit sie nicht gebannt waren und dem Papst Gehorsam leisteten, stand die Frage der deutschen Reichsversammlung im Mittelpunkt Das Schreiben fällt auf durch die Adresse, in der Gregor zwischen dem deutschen und sächsischen Reich unterscheidet. Daß darin kein "Teilungsplan" Gregors zu sehen ist, hat E. Müller-Mertens richtig gesehen. Doch mit seiner Beurteilung als "taktisches Manöver" hat er dessen Denken in politischen Kategorien zu hoch 51 eingeschätzt

. Vielmehr trug der Papst mit dieser Adressierung

der momentanen Lage in Deutschland nach der Schlacht von Mellrichstadt Rechnung, daß nämlich Heinrich IV. das deutsche Reich weithin beherrschte, ausgenommen das Herzogtum Sachsen, in dem Rudolf von Rheinfelden königliche Funktionen ausübte. Zudem setzte Gregor die territorialen Titelformeln gegen die Ambitionen imperia52 ler Herrschaft, die er für das Papsttum anstrebte In dem Brief stellt Gregor wiederum die Entsendung geeigneter Legaten in Aussicht, die eine Zusammenkunft der Bischöfe und Laien vorbereiten und mit weiteren Boten Domini

gratia

praeeunte

für

Frieden sorgen sollten. Jedem, der sich den Gesandten in den Weg stelle und den Abschluß eines Friedens zu verhindern suche, droht Gregor mit dem Anathem und der Sieglosigkeit seiner Waffen. Trotz seiner Enttäuschung und der äußerst schwierigen Situation, die durch den Kampf zwischen den Königen entstanden war, nahm Gregor erneut einen Anlauf zur Entscheidung der deutschen Thronfrage. Der Inhalt seines Briefes gleicht dem Schreiben, 53 das er nach der Fastensynode 1o78 nach Deutschland gesandt hatte . Ein wichtiger Unterschied besteht allerdings darin, daß der Papst nach dem Tod Udos von Trier keinen Kirchenfürsten zur Unterstützung seiner Pläne mehr zu nennen wußte 54

50 EC 25 (JAFFE, S. 55of.) = EV 25 (COWDREY, S. 64ff.). Die jüngere und jüngste Forschung ist sich darin einig, daß dieser Brief nach der Synode im November lo78 abgefaßt wurde: LOHMANN, S. 111 Anm. 3; KOST, S. 122; MÜLLER-MERTENS, S. 178, 214; COWDREY, Epistolae Vagantes, S. 64. Vgl. Anm. 54. 51 MÜLLER-MERTENS, S. 179, 221. Vgl. unten S. 176f. 52 Dazu BEUMANN, Bedeutung, S. 325f.,36o,362; DERS., Der deutsche König, S. 79. 53 Reg. V 15 (CASPAR, S. 375f.). Vgl. oben S. lo7f. 54 GOERZ, S. 12. Dies könnte darauf hindeuten, daß Gregors Brief EC 25 nicht vor Ende November lo78 abgefaßt wurde. Noch am 9. Oktober hatte der Papst Udo und Hermann von Metz seine religiosi eonfvatres genannt; Reg. VI 4 (CASPAR, S. 397 Z. 17f.).

137

Gregor VII. zwischen August lo78 und Februar lo79

Die zögernde Haltung Gregors und die Verschiebung seiner Entscheidung in der deutschen Thronfrage riefen verstärkt den Unmut der antisalischen Fürsten hervor, die von Rom eine Unterstützung ihres Widerstands gegen Heinrich IV. erwartet hatten. So sah sich der Papst gezwungen, Ende Dezember 1o78 in mehreren Schreiben an deutsche Fürsten, von denen der Brief an den ehemaligen Herzog 55 Weif von Bayern in das Register aufgenommen wurde , erneut seine Haltung zu rechtfertigen. Gregor stellt die equitas pontifioalis offioii, nicht die proprio voluntas seiner Anhänger als Maßstab seines Handelns hin und glaubt, Deo duoe den Weg der Väter zu gehen. Er fordert Weif und die anderen Adressaten auf, angesichts der maxima perturbatio regni nicht gegen den Papst zu murren. Vielmehr könnten sie in den Beschlüssen der Fastensynode 1o78 die auatoritas

et potestas

beati

Petri

erkennen. Wie er einst sei-

ne Mailänder Getreuen in der Pataria nach dem schweren Jahr 1o75 ermunterte, so mahnt er nun auch seine deutschen Anhänger, die sich offenbar in einer ähnlich desolaten Lage befanden, mit dem gleichen Paulus-Zitat confortamini

in Domino

et in potentia

virtu-

tis eius, im Vertrauen auf die Gerechtigkeit den Kampf gegen die Mächte der Finsternis durchzustehen^®. Gregor verheißt 57 ihnen baldigen Sieg und Frieden, wenn sie treu Gott anhingen Das Verlangen der salischen Gegner in Deutschland nach einem klaren Votum des Papstes zugunsten Rudolfs von Rheinfelden weist Gregor VII. als proprio voluntas zurück und macht sie darauf aufmerksam, daß ihnen bereits das adiutorium beati Petri zukomme. Fortdauernde Unzufriedenheit auf allen Seiten kennzeichnete die Lage, als Gregor im Februar 1o79 in Rom die traditionelle Fastensynode eröffnete. Wiederum waren Gesandte beider deutscher Herrscher anwesend, die ihre Klagen und Standpunkte vortrugen. Die Boten aus Sachsen klagten den Salier an, er schone keinen Ort und keine Person und sei für die Leiden im deutschen Reich verantwortlich. Priester und Bischöfe würden gefangengenommen und sogar getötet. Auf Grund der Vergehen Heinrichs verlangten sie des58 sen Exkommunikation durch den Papst . Diese wiederholt gestellte Forderung erhielt nun dadurch besonderes Gewicht, daß sie von den Reformern Kardinaldiakon Bernhard sowie den Bischöfen Altmann von

55 Reg. VI 14 (CASPAR, S. 418f.), auch zum Folgenden; vgl. CASPAR, S. 418 Anm. 4. 56 Eph. 6,lo. Zur Bedeutung der Bibelstelle vgl. die Briefe an die Pataria-Führer in den Jahren lo75/76; oben S. 15f. 57 Reg. VI 14 (CASPAR, S. 419 Z. 5f.). 58 Bruno von Merseburg, S. lolff. Vgl. ausführlicher unten S. 173f.

138

p ä p s t l i c h e r •¿udicium-Anspruch und s a l i s c h e

Herrscherauffassung

Passau und Hermann von Metz, die den beschwerlichen Weg nach Rom zur Bekräftigung ihrer Wünsche nicht gescheut hatten, vor der 59

Synodalversammlung vorgetragen wurde Dagegen war von Heinrich IV. nur unus de minoribus

regni^°

nach Rom gesandt worden, womit der Salier schon äußerlich zu erkennen gab, daß er der päpstlichen Synode keine Kompetenzen in deutschen Reichsfragen zubilligte. Während die wichtigsten von der sächsischen Legation gegen Heinrich vorgetragenen Anschuldigungen mit der Exkommunikationsforderung, der sich quampluves oonoilii anschlössen, im päpstlichen Synodalprotokoll wiedergegeben sind 61 , wird der Vortrag des salischen Boten im Register Gregors nicht erwähnt. Doch besitzen wir eine Aufzeichnung aus der Hannoverschen 62 BriefSammlung , die angesichts fehlender Zeugnisse vom salischen Königshof ein besonders wertvolles Dokument ist, da es uns in die Vorstellungen Heinrichs über die weitere Entwicklung des Verhältnisses zwischen Papst und König einen Einblick gewährt. Heinrich IV. läßt dem Papst durch seinen Unterhändler mitteilen, daß er in propinquo

tempore mehrere Getreue de melioribus

regni zu

Verhandlungen über den Frieden zwischen Regnum und Sacerdotium nach Rom entsenden werde. Der salische Bote ist bereit, durch einen Eid zu bekräftigen, daß er mit diesem Auftrag von Heinrich geschickt worden sei, nachdem dieser das aonsilium

prinaipum

suorum eingeholt habe. Die vom König angekündigten Fürsten träfen tatsächlich in Rom ein, falls ihnen keine Hindernisse im Weg stünden. Die Anklagen der salischen Gegner beantwortet der Gesandte Heinrichs mit dem Hinweis, daß jene auf dem Konzil gar nicht gehört werden dürften. Dies hatte schon umgekehrt die sächsische Legation für Heinrichs Boten gefordert. Dieser kündigt an, die Aussagen von Rudolfs Anhängern würden durch die angekündigten salischen fideles widerlegt. Zum Schluß richtet der Unterhändler Heinrichs an den Papst die Bitte, keine sententia gegen den König zu verkünden, und gibt die Zusage, ipse dominus rex oboediens

esse

velit in omnibus. Er appelliert an die Synodalteilnehmer, misericordia walten zu lassen, und weist sie darauf hin, nea levem quam-

59 Berthold von Reichenau, S. 316 Z. 41ff. - Zu Altmanns Aufenthalt mit der Neuinvestitur durch den Papst zuletzt BOSHOF, Bischof Altmann, S. 327. 60 MGH Const. 1, Nr. 388 S. 552 Z. 17. Vgl. unten Anm. 65. 61 Reg. VI 17a (CASPAR, S. 427 Z. 16ff.). 62 MGH Const. 1, Nr. 388 S. 552. Zur Sammlung "Bamberger Herkunft" vgl. ERDMANN, Bamberger Domschule, S. loff., 29ff.

139

Gregor VII. zwischen August lo78 und Februar lo79

libet personam,

antequam

oanonioe

convinoatur,

damnandam,

neodum

regem. Damit reagierte er auf die an Gregor gerichtete Forderung der Boten Rudolfs von Rheinfelden und mehrerer (aomplures) Konzilsteilnehmer, der Papst solle das apostolische Schwert aus der Scheide ziehen, d.h. den Salier exkommunizieren. Der salische Unterhändler konnte durch seine Rede in der Tat einen Bannspruch gegen seinen König verhindern und den Papst zum Einlenken bewe63 gen . Die Weisungen Gregors nach der Synode zeigen aber auch, daß er die Klagen der Gesandtschaft aus Sachsen nicht unberück64 sichtigt ließ und teilweise auf sie einging Das Angebot Heinrichs IV., seine Versprechen durch den Eid seines Gesandten zu bekräftigen, griff der Papst auf 6 5 und übernahm Heinrichs gab

den Wortlaut des Eides in sein Register. Der Bote

folgende Zusicherung: Die Legaten des Königs sollen bis Christi Himmelfahrt (2. Mai) nach Rom kommen und den päpstlichen Boten auf ihrem Hin- und Rückweg nach und von Deutschland sicheres Geleit geben. Diese Aussage gilt allerdings nur für den Fall, daß die salischen Gesandten nicht durch widrige Umstände, id est morte vel gravi

infirmitate

vel oaptione

absque

dolo,

gehindert werden.

Der Gesandte verspricht, daß Heinrich in omnibus seeundum6 6iustitiam et iudioium der päpstlichen Legaten gehorchen werde Ein Vergleich dieses Eides mit dem Angebot, das Heinrich IV. dem Papst durch seinen Boten machte, führt zu interessanten und wichtigen Erkenntnissen. Der Salier war bereit, mehrere Reichsfürsten nach Rom zu senden, damit sie mit dem Papst einen Frieden aushandelten. Heinrich wollte dadurch sowohl die Synode als Forum einer Entscheidung im deutschen Thronstreit meiden als auch dem Plan Gregors entgegentreten, in Deutschland eine Versammlung abzuhalten und über das Königtum zu richten. Deshalb ist von dieser Zusammenkunft in den Ausführungen des Gesandten keine Rede. Dem päpstlichen Schiedsspruch als Ausdruck des Vorrangs des Papsttums vor dem Königtum setzte Heinrich IV. die Gleichrangigkeit beider Gewalten gegenüber und betonte dies auch in der Botschaft mit der 63 Reg. VI 17a (CASPAR, S. 427 Z. 23f.). Die päpstliche Kanzlei spricht von apostoliaa mansuetudo. Berthold von Reichenau, S. 317 Z. lff. erweckt den Eindruck, als hätten plurimi auf der Seite des salischen Boten gestanden. Zu den anwesenden Bischöfen vgl. LÜBBERSTEDT, S. 58. 64 S. dazu näher unten S. 175.

65 Die Überschrift im Register Saaramentum nuntiorvm Heinrioi regis ist später um die letzten drei Worte ergänzt worden. Aus der Rede des Legaten und seinem Eid, aus den Worten Gregors (Reg. VI 22 [CASPAR, S. 434 Z. 27f.]) und der Chronik Bertholds von Reichenau (wie Anm. 63) wird deutlich, daß für Heinrich IV. nur ein Gesandter sprach. Mit Blick auf Reg. VI 19 vermutete ERDMANN, Bamberger Domschule, S. 3off., 4o einen Bamberger Kleriker. 66 Reg. VI 17a (CASPAR, S. 428); vgl. Berthold von Reichenau, S. 317 Z. lff.

1 4o

Päpstlicher iudiciu/n-Anspruch und salische Herrscherauffassung

unmißverständlichen Formulierung, der Frieden müsse inter (sc. Heinrioi)

regnum

et saaerdotium

vestrum

(sc. Gregorii)

ipsius ge-

schlossen werden. Heinrichs Zusicherung, er werde den von Papst und Reichsfürsten ausgehandelten Beschlüssen ad honorem ad salutem

sanotae

ecolesiae

suum et

zustimmen, zeigte gleichzeitig die

Grenzen seiner Kompromißbereitschaft. Die im zweiten Teil der Rede vorgetragene und durch den Eid bekräftigte Versicherung des salischen Boten, Heinrich werde in omnibus Gehorsam leisten, wur67 de vom Papst gern aufgenommen , entsprach in dieser uneinge68 schränkten Form aber nicht den Vorstellungen des Königs Aus dem Eidestext geht nun hervor, daß Gregor VII. dem Vorschlag des Königs zwei wichtige Ergänzungen hinzufügte. Mit der Angabe -in propinquo setzte den 2. Mai

tempore

gab er sich nicht zufrieden, sondern

(Christi Himmelfahrt) als letzten Termin fest,

bis zu dem die Getreuen Heinrichs in Rom angekommen sein sollten. Zweitens sollten diese Gesandten nicht dort mit dem Papst über den Frieden verhandeln, sondern die päpstlichen Legaten zu der Reichsversammlung nach Deutschland geleiten. Damit hatte Gregor den Vorschlag des Saliers in seinem Sinne umgeändert; Friedensverhandlungen in Rom kamen für ihn nicht in Frage. An dem Plan eines Schiedsgerichts über die eausa regni hielt er weiterhin fest, und dies konnte in seiner Sicht nur auf deutschem Boden stattfinden. Außer dem salischen Gesandten legten auch die Boten Rudolfs von Rheinfelden einen Eid ab, der folgenden Inhalt hatte^^: Rudolf verpflichtet sich, zu dem oolloquium,

wo und wann es auch immer

stattfinden mag, vor dem Papst oder seinen Legaten zu erscheinen oder seine Bischöfe oder Getreuen dorthin zu entsenden; er werde die von der römischen Kirche gefaßten Beschlüsse de causa

regni

67 Reg. VI 22 (CASPAR, S. 434 Z. 27ff.). 68 Diese weitgehende Zusage stand im Gegensatz zu der eben genannten und interpretierten Formel (vgl. vor Anm. 67). Darüber hinaus können wir aus der Rede des salischen Boten schließen, daß diese Wendung aus dem Auftrag des Königs stammte, nicht aber jene allgemeine Gehorsamsversicherung. Denn wir haben Grund zu der Annahme, daß der Legat im ersten Teil seines Vortrags die Erklärung bzw. den Standpunkt seines Königs darlegte, im zweiten Abschnitt dann auf die Rede von Rudolfs Unterhändlern, die vor ihm gesprochen hatten, einging. Auf die Zweiteilung deutet der starke Einschnitt sed inter haec, Venerande pater, audieram (MGH Const. 1, Nr. 388 S. 552 z. 23). Dieser Teil war als Gegenrede improvisiert, um die von Rudolfs Boten geforderte sententia gegen Heinrich abzuwehren und um einen entscheidenden Erfolg der sächsichen Gesandtschaft zu verhindern. Deshalb machte der salische Legat ein so weitgehendes Zugeständnis, wozu er von Heinrich IV. aber nicht autorisiert war. Die Auffassung, der Eid sei die Reaktion auf die Anschuldigungen der Gegenseite gewesen, stützt auch das Register; Reg. VI 17a (CASPAR, S. 427 Z. 23ff.). 69 Reg. VI 17a (CASPAR, S. 428).

Gregor VII. zwischen August lo78 und Februar lo79

141

anerkennen und die Zusammenkunft nicht verhindern. Nach der Festsetzung des Friedens werde Rudolf sich dann dafür einsetzen, daß die päpstliche Legation für Frieden und Eintracht im Reich wirken kann. Auch der Rheinfeldener machte seine Zusicherungen unter den gleichen Einschränkungen wie Heinrich IV. Die Aufnahme von Vorbehalten in den Eid war eine vorbeugende Maßnahme, um bei einer schuldlosen Nichterfüllung des Eides nicht den Vorwurf des Eidbruchs auf sich zu ziehen' 0 . Der salische Bote gab für seinen König eine Geleitzusicherung was für Gregor angesichts der politischen Konstellation in der Alpenregion und im deutschen Reich sehr wichtig war - und ein umfassendes Gehorsamsversprechen'^ ab, das allerdings nur im Zusammenhang mit der oratio des Unterhändlers vor der Synode verständlich ist. Daher kommt in seinem Eid das Stichwort

aolloquium

nicht vor. Dagegen gaben die aus Sachsen angereisten Reformbischöfe ihre Zustimmung zu dem von Gregor geplanten

aolloquium

und versprachen, das iudiaium, quod sanata Romana eoolesia decreverit de causa regni, anzunehmen (subire). Mit dieser Zusage lösten sich die Bischöfe vollständig von dem bisher in den Sachsenbriefen nachdrücklich vertretenen Standpunkt, der eine Reichsversammlung mit einem päpstlichen Urteil in der Königsfrage aus72 schloß

. Doch blieb das päpstliche Schiedsgericht mit der er-

hofften Anerkennung Rudolfs die einzige Möglichkeit zur Durchsetzung seines Königtums, nachdem in der Schlacht von Mellrichstadt der Versuch, aus der sächsischen Isolation auszubrechen, gescheitert war. An dieser Stelle wird besonders deutlich, warum sich die aus ihren Bistümern vertriebenen Reformbischöfe Altmann von Passau und Hermann von Metz durch ihr Erscheinen in Rom entschieden für Rudolf einsetzten. Die Eide der beiden Gesandtschaften dienten nicht wie im November 1o78 dazu, ihre Könige Heinrich und Rudolf zu rechtfertigen und von Vorwürfen zu entlasten. Vielmehr sollten sie nun für Gregor VII. die rechtliche Grundlage bei dem erneut unternommenen Versuch sein, die Versammlung im deutschen Reich abzuhalten. Er hoffte, die Könige in die Pflicht nehmen zu können, denn ohne ihre Hilfe war er nicht imstande, sein Ziel zu erreichen. In dem

70 Vgl. DILCHER, Eid, Sp. 869. 71 Vgl. auch Reg. VI 22 (CASPAR, S. 434 Z. 27ff.). 72 Vgl. oben S. 115ff.

1 42

Päpstlicher iudiaium-Anspruch

und salische Herrscherauffassung

Brief nach der Novembersynode 1o78 hatte er geschrieben, daß er summa ope ... pro viribus

danach strebe, geeignete Boten ins

deutsche Reich zu entsenden, die auf einer Versammlung das maximum in sancta

eaolesia

periaulum

beseitigen sollten. Gleichzei-

tig aber wies er darauf hin, daß nonnulli

diaboliao

instinatu

aonfeoti

lieber Zwietracht als Frieden wünschten und sich den 73 Legaten in den Weg stellten . Trotz der Banndrohung am Schluß des Briefes ist es zu einer Gesandtschaft nicht gekommen, von einem Aufenthalt päpstlicher Legaten in Deutschland zwischen der Novembersynode 1o78 und der Fastensynode 1o79 ist nichts bekannt. Die 'Kräfte' des Papstes reichten nicht aus, um sein Vorhaben ohne die Geleitzusage der Könige realisieren zu können. So war ihm nun die Unterstützung Heinrichs IV. besonders wichtig. Anders als dem Rheinfeldener setzte Gregor dem salischen König eine Frist. Innerhalb der nächsten drei Monate bis zum 2. Mai mußten seine Gesandten in Rom eingetroffen sein; andernfalls drohte Heinrich auf der geplanten Pfingstsynode die Exkommunika74 tion

. Indem Gregor den König derart unter Druck setzte, hoffte

er ihn zu einer schnellen Einlösung des vom salischen Boten abgelegten Eides bewegen zu können. Doch ohne Heinrichs Boten abzuwarten, sandte Gregor nicht lan75 Legaten nach Deutschland. Es

ge nach Abschluß der Fastensynode

waren die Bischöfe Petrus von Albano und Udalrich von Padua, denen er zwei bestimmte Aufgaben übertrug: Sie sollten erstens den salischen Königshof aufsuchen und zusammen mit Heinrich IV. den Ort und die Zeit der Reichsversammlung festsetzen, damit Gregor zu ihr weise und geeignete Boten propter

disoutiendam

causam

(regni) entsenden könne; zweitens sollten sie vertriebene Bischöfe wieder in ihre Bistümer zurückführen7 6und allen mitteilen, sich von Exkommunizierten fernzuhalten . In einem späteren Schreiben an die beiden Gesandten wiederholte Gregor diese beiden Punkte und betonte, kein Urteil de causa regum vel regni fällen; auch die Investiturfrage sollten sie ausklammern 77

zu

73 EC 25 (JAFFE, S. 55of.) = EV 25 (COWDREY, S. 64ff.). 74 Berthold von Reichenau, S. 318 Z. 39f. 75 Am 3. März hatte die Gesandtschaft Rom verlassen; vgl. Reg. VI 22 (CASPAR, S. 434 Z. 29ff.). 76 Reg. VII 3 (CASPAR, S. 463 Z. 2ff.). Vgl. Berthold von Reichenau, S. 318 Z. 39ff., der, was Gregor in seinem Brief mit Rücksicht auf seine Anhänger nicht erwähnen konnte, vermerkt, daß der Papst die Bestimmung über Ort und Zeit der Versammlung dem salischen König überlassen habe. Die Rückführung der Bischöfe in ihre Bistümer meldet er als päpstliche Forderung an Heinrich. Vgl. MICCOLI, Pietro Igneo, S. 91 f. und unten S. 175. 77 EC 31 (JAFFE, S. 557) = EV 31 (COWDREY, S. 82).

Gregor VII. zwischen August lo78 und Februar lo79

143

Die Legation der beiden Bischöfe diente zunächst nur zur Vorbereitung umfassender Maßnahmen, vor allem des Colloquium. Petrus von Albano war als vir religiosissimus bekannt. Im Jahre 1o68 hatte er in Florenz eine Feuerprobe auf sich genommen 78 und dadurch den dortigen Bischof der Simonie überführt . Auch später erwies er sich durch die Bekämpfung der Simonie als entschiedener Anhänger der Reformideen. Auf diesen Mann, der bisher unerschrocken für die Durchsetzung der Reform eingetreten war, setzte Gregor VII. nun auch seine Hoffnungen für einen Erfolg in Deutschland 79 Das Bild des zweiten Legaten, des Bischofs üdalrich von Padua, ist vor allem geprägt durch die negativen Äußerungen zweier Greis,-. gorianer, und zwar Bertholds von Reichenau und eines päpstlichen Anhängers, den Wido von Ferrara in seiner Streitschrift De scismate Hildebrandi in einem fingierten Streitgespräch zu 81

Wort kommen läßt

. Ihr Urteil ist im wesentlichen von dem späte-

ren Verhalten Udalrichs während seiner Gesandtschaft bestimmt. Ausgewogener urteilte Bonizo von Sutri, der Udalrich von Padua einen vir valde eloquentissimus et Heinriao regi satis fidelis82

simus nannte

. In der historischen Rückschau mußte Udalrich als

Anhänger des salischen Königs gelten, doch dürfte Gregor ihn im Februar 1o79 nicht nach Deutschland entsandt haben, wenn er ihn nicht für loyal gehalten 8hätte. Wäre Udalrich ein "Mann mit lo3 sen Grundsätzen" gewesen , hätte Gregor VII. ihm das wichtige Amt eines Legaten in Deutschland wohl nicht übertragen. Vielmehr wollte er dadurch, daß er Udalrich als Unterhändler wählte, Heinrich IV. seine Gesprächsbereitschaft signalisieren. Durch diese Wahl hoffte er den Dialog zwischen Königtum und Papsttum zu 84 erleichtern

, wozu Udalrich durch seine Eloquenz einen wichti-

gen Beitrag leisten konnte. Die Aufgabe der päpstlichen Legaten war nicht einfach, weil

78 Bonizo von Sutri, S. 612 Z. 2ff.; Bernold von St. Blasien, S. 436 Z. 8ff. Vgl. MASSINO, S. 51ff.; MICCOLI, Pietro Igneo, S. 23ff.; HÜLS, S. 9o. 79 Vgl. MICCOLI, Pietro Igneo, S. 47ff. BORINO, Odelrico, S. 69 sieht in Petrus die Hauptperson. 80 Berthold von Reichenau, S. 322 Z. 34ff. 81 Wido von Ferrara, S. 558 Z. 2ff. 82 Bonizo von Sutri, S. 612 Z. 4f. BORINO, Pietro Igneo, S. 68 vermutet in der aktiven Rolle, die Udalrich im Streit mit Berengar von Tours auf der Allerheiligensynode lo78 und der Fastensynode lo79 spielte, den Grund für die Formulierung Bonizos. Vgl. DE MONTCLOS, S. 226, 229f. 83 MASSINO, S. 56. 84 Vgl. BRUNS, S. lo7.

144

Päpstlicher iudieiiOT-Anspruch und salische Herrscherauffassung

sie sich nun auch um die Rückführung der vertriebenen Bischöfe in ihre Bistümer bemühen sollten. Da Heinrich IV. bis auf Sachsen das deutsche Reich im wesentlichen beherrschte, waren davon vor allem die päpstlich-reformerisch gesinnten und meist salierfeindlichen Bischöfe betroffen, wie Altmann von Passau, Adalbero von Würzburg oder Hermann von Metz. Die Wiedereinsetzung dieser Bischöfe bedeutete nicht nur Kampf gegen Simonie und Nikolaitismus; sie mußte auch den Einfluß des Papsttums stärken und damit eine Schwächung der salischen Position zur Folge haben. Es war für die Gesandtschaft ein schwieriges Unternehmen, ihre beiden Aufgaben miteinander zu verbinden und erfolgreich zu erfüllen. Auf der einen Seite unternahm der Papst den Versuch, den Salier für seinen Plan zu gewinnen, während Gregor auf der anderen Seite sein großes Ziel nicht aus den Augen verlor, die Reichskirchen in seinem Sinne zu reformieren, wodurch er in Konflikt mit Heinrich IV. geraten mußte. Daß Gregor weiterhin entschieden seine Reformforderungen vertrat, unterstrich er in einem Brief an seine Getreuen in Deutsch85

land und Italien

. Darin verbot er ihnen, den Amtshandlungen

der Kleriker, die gegen sein Zölibatsgebot verstießen, beizuwohnen und gab bekannt, daß jeder, der dem päpstlichen Stuhl nicht gehorche, das peooatum

paganitatis 86

auf sich lade, auch wenn er

sich für einen Christen halte Zusammen mit den Bischöfen Petrus und Udalrich zog auch Heinrich von Aquileia nach Deutschland. Bonizo von Sutri und Berthold von Reichenau rechneten ihn zu den päpstlichen Boten, der wie diese die Aufgaben Gregors zu erledigen habe 8 7 . Dies wurde von der Forschung mit dem Hinweis auf andere Zeugnisse zu Recht be88

stritten

. Doch wurde bisher noch nicht der Frage nachgegangen,

warum Gregor VII. seinen Legaten einen Begleiter auf den Weg mitgab und weshalb er gerade Heinrich von Aquileia zu dieser Aufgabe heranzog. Der Patriarch war vom Papst vor die Fastensynode geladen wor-

85 Vgl. oben S. 129 mit Anm. 19. 86 Vgl. HAGENEDER, Häresiebegriff, S. 6of.; CLASSEN, Häresiebegriff, S. 32f.

Vgl. Dictatus papae XXVI: Quod oatholious dat

Romane

"Quod

eoolesiq

oatholious".

non habeatur,

qui non

concov-

(Reg. II 55a [CASPAR, S. 2o7 z. 12f.]); dazu FUHRMANN,

87 Bonizo von Sutri, S. 611f.; Berthold von Reichenau, S. 318 Z. 4off. 88 Bernold von St. Blasien, S. 436 Z. 6ff. nennt nur die beiden Bischöfe; vgl. Annales Augustani, S. 129 Z. 48f. Vgl. MEYER VON KNONAU 3, S. 182; SCHUMANN, S. 47.

Gregor VII. zwischen August lo78 und Februar lo79

145

den, um sich wegen seiner Erhebung zum Patriarchen durch den

deutschen König zu rechtfertigen 89 , nachdem diese Angelegenheit 9o schon auf der Novembersynode 1o78 zur Sprache gekommen war Heinrich beteuerte zunächst testimonio probabili,

daß seine

Wahl den kanonischen Vorschriften entsprochen habe. Auf den Vorwurf des Papstes, die Annahme einer Investitur aus Laienhand sei nicht erlaubt, erklärte Heinrich von Aquileia öffentlich, diese Vorschrift nicht gekannt zu haben. Gregor akzeptierte dies und übergab ihm Ring, Stab und die übrigen Insignien des PatriarChats 91 . Zuvor mußte Heinrich allerdings ein Gehorsamsversprechen 92 geben, dessen Text in das Register aufgenommen wurde . Das saaramentum bestand aus sieben Punkten: 1. Der Patriarch bekundet Treue und Gehorsam gegenüber Petrus, Gregor und dessen Nachfolgern; 2. Er will weder bei der Vorbereitung noch durch die Tat an der Verletzung von Leib und Leben des Papstes beteiligt sein; 3. Der Ladung vor eine Synode will er aanonice Folge leisten oder, wenn er verhindert ist, Legaten entsenden; 4. Das römische Papsttum und die Regalien des heiligen Petrus will er salvo . .. ordine erhalten und verteidigen; 5. Einen Plan, den ihm die Päpste offenlegen, will er zu ihrem Schaden niemandem mitteilen; 6. Einen römischen Legaten will er ehrenvoll empfangen und verabschieden und ihn in schwierigen Lagen unterstützen; 7. Mit denen, die exkommuniziert sind, will er wissentlich keinen Kontakt haben; 8. Er verspricht, die römische Kirche mit militärischer Macht zu unterstützen, wenn er dazu aufgefordert ist. Dieses Sacramentum gleicht dem Bischofseid, den Wibert von Ravenna bei seiner Konsekration im März 1o73 dem Papst Alexander II. 93 leistete . Die ersten sechs Sätze von Heinrichs Eid sind in teilweise veränderter Reihenfolge wiedergegeben, weisen aber eine starke inhaltliche und formale Übereinstimmung mit dem Wibert-Eid auf. Wiberts Versprechen, am Feste Peter und Paul persönlich in

89 Zu Heinrichs Erhebung vgl. oben S. 89.

90 Reg. VI 5b (CASPAR, S. 4ol Z. 26): [ XVII ] De patriarcha Aquileiensi. 91 Berthold von Reichenau, S. 317f. 92 Reg. VI 17a (CASPAR, S. 428f.). Vgl. VERHEIN, S. 18. 93 Der Eid Wiberts ist überliefert in der Kanonessairanlung des Kardinals Deusdedit (VON GLANVELL, S. 599). Vgl. TH. GOTTLOB, S. 42f.; VERHEIN, S. 16f.; DEER, Papsttum, S. 65ff.; GIRGENSOHN, S. 173f., 178; allgemein ebd. S. 172ff. und FRIED, Der päpstliche Schutz, S. 51. - Der bei Deusdedit, cap. 425 (VON GLANVELL, S. 6oo) überlieferte zweite Eid Wiberts vor Gregor VII. ist wohl eine Umfälschung des Iusiurandum Bischof Roberts von Chartres (Reg. III 17a); vgl. CASPAR, Register Gregors VII., S. 282 Anm. 1.

päpstlicher iudiaium-Anspruch

1 46

und salische Herrscherauffassung

Rom zu erscheinen oder Boten zu entsenden, wenn er von dieser Pflicht nicht suspendiert sei, wurde im siebten Satz ersetzt durch die Zusage, Exkommunizierte zu meiden. Auch der Punkt acht mit der Verpflichtung Heinrichs zur militärischen Waffenhilfe war neu und eine für Gregors radikal-kriegerischen Reformeifer 94 "höchst bezeichnende Zutat" . Dieser Gehorsamseid war die Voraussetzung für die päpstliche Neuinvestitur. Er sollte den Patriarchen vom deutschen König lösen und eng an die Weisungen des apostolischen Stuhls binden sowie die hierokratische Stellung 95 des Papsttums unterstreichen Bei der Entscheidung über die deutsche Königsfrage und der Vorbereitung der geplanten Reichsversammlung spielte das sichere Geleit für den Papst und seine Legaten auf ihrer Reise nach Deutschland von Anfang an eine wichtige Rolle. Gerade der Weg durch das Gebiet der saliertreuen und papstfeindlichen lombardischen Bischöfe war dabei ein 96 besonderes und für Gregor selbst . Nun bot das Sacramentum des Patriar-

unüberwindbares Hindernis

chen die Möglichkeit, Heinrich von Aquileia in die Pflicht zu nehmen. Im sechsten Satz hatte dieser eidlich versichert: Romanum bus

suis

eundo

et

adiuvabo.

redeundo

honorifioe

traotabo

et

in

Legatum

neoessitati-

Wollte Heinrich nach seiner Rechtfertigung und

der Neuinvestitur nicht erneut sein Amt gefährden, mußte

er sich

an diese eingegangene Verpflichtung halten. Sein Versprechen, die päpstlichen Legaten auf ihrem Weg nach Deutschland zu begleiten, war Bestandteil des Eides, der zu den Vorbedingungen von Heinrichs Anerkennung durch den Papst gehörte. So erweist sich die Wahl des ursprünglich97vom salischen König eingesetzten und mit diesem eng verbundenen Patriarchen von Aquileia als Begleiter der päpstlichen Legaten keineswegs als Entgegenkommen oder Zugeständnis an Heinrich IV., sondern als Sicherheitsmaßnahme Gregors für die Reise der beiden Bischöfe Petrus von Albano und Udalrich von Padua über die Alpen ins deutsche Reich. Der Papst hatte nun den Nutzen davon, daß Heinrich IV. nach Canossa der Kirche von Aquileia wichtige Schenkungen zur Sicherung des Ostalpenraumes und zur Kontrolle der Pässe nach Bayern

94 DEER, Papsttum, S. 69. ZERBI, S. 133 weist auf die 'feudale' Bedeutung von f-Ldelitas an dieser Stelle hin. 95 Vgl. MEULENBERG, S. 64ff. 96 Vgl. oben S.22, 51.

97 Berthold von Reichenau, S. 319 Z. 5 nennt ihn unus

rioi.

de intimis

regis

Hein-

Gregor VII. zwischen August lo78 und Februar lo79

147

gemacht hatte, die der päpstlichen Gesandtschaft mit Hilfe des Patriarchen eine sichere Reise ins deutsche Reich 98 sollte, da sie die Lombardei meiden konnten

ermöglichen

W i e w e r t v o l l die Hilfe Heinrichs von Aquileia für Gregor VII. und dessen Legaten w a r , entnehmen wir einem Brief des Papstes 99 16. Juni 1o79

vom

. Darin teilte Gregor dem Patriarchen mit, daß er

ihm persönlich über die von früheren Päpsten der Kirche von Aquileia zugestandenen Festtage hinaus

0 0

das Tragen des Palliums

den Festen des hl. Udalrich und der hl. A f r a 1 ® 1 seiner Bitte Papst, quia fidimus, Paduensem,

an

erlaube und damit

'gern' entspreche. Dieses Zugeständnis m a c h t e der te sincere

quia

legatos

benigne

visse

dinosceris,

dasse

probaris^0^.

dilectionis nostros,

tractasse postremo

erga

Albanensem et fideliter

quia

pro

nos

affeotum

videlicet siout

componenda

habere

con-

episcopum

oportuit pace

et

adiu-

multum

desu-

Mit diesem Brief reagierte Gregor auf die in-

zwischen erhaltene Nachricht, daß Heinrich von Aquileia mit den Legaten zu Pfingsten am 12. Mai bei Heinrich IV. in

Regensburg

0