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German Pages 436 Year 2011
Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 153
„Gleicherweiß als wasser das feuer, also verlösche almuse die sünd“ Frühneuzeitliche Fürsorge- und Bettelgesetzgebung der geistlichen Kurfürstentümer Köln und Trier
Von
Alexander Wagner
Duncker & Humblot · Berlin
ALEXANDER WAGNER
„Gleicherweiß als wasser das feuer, also verlösche almuse die sünd“
Schriften zur Rechtsgeschichte
Heft 153
„Gleicherweiß als wasser das feuer, also verlösche almuse die sünd“ Frühneuzeitliche Fürsorge- und Bettelgesetzgebung der geistlichen Kurfürstentümer Köln und Trier
Von
Alexander Wagner
Duncker & Humblot · Berlin
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Landschaftsverbandes Rheinland, Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, Köln
Der Fachbereich V – Rechtswissenschaft – der Universität Trier hat diese Arbeit im Jahre 2010 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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© 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: Process Media Consult GmbH, Darmstadt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 978-3-428-13486-1 (Print) ISBN 978-3-428-53486-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-83486-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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pro posse et non ex obligatione Für M.U. und G.W.
Vorwort Ganz am Ende steht das Vorwort, jedenfalls wenn man es aus der Entstehungsperspektive des Textes betrachtet. Es ließe sich in diesem Sinne als ein Abschied verstehen von einem Thema, dessen Bedeutung – wie es Ahasver Fritsch in seinem noch zu behandelnden Traktat formuliert – doch erst dem neugierigen und wohlwollenden Leser ans Herz zu legen wäre. Hier kann und will ich keinen Anlass dazu geben, den Blick von Armut, Armen und Norm abzulenken. Es zeichnet sich trotz oder gerade wegen der im vergangenen Jahrzehnt vorgenommenen Reformen der Sozialsysteme ein Umgang mit Menschen in Armutssituationen ab, der sich in den ständig vorgetragenen Missbrauchsvorwürfen formelhafter Wendungen bedient. In spätrömischer Dekadenz, so eine im Jahr 2010 bundesweit diskutierte Sicht auf den „HARTZ-IV“-Empfänger, leben Menschen, denen aufgrund ihrer Lebenssituation staatliche Unterstützung gewährt wird. Mit dieser Vorstellung konnte sich auch der frühneuzeitliche Gesetzgeber legitimieren – einer ersten Eigenheit, die bei der Befassung mit Sozialgesetzgebung auffällig ist. Als sich mir nach dem Studium die Gelegenheit bot, im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 600 „Fremdheit und Armut“ an der Universität Trier zum Thema Armenfürsorge in der Frühen Neuzeit zu forschen, begannen gerade die Vorbereitungen zu den später unter dem Namen „HARTZ“ bekannt gewordenen Reformen. Gerade rechtzeitig schien der Gesetzgeber sich der Umgestaltung der Sozialsysteme zu widmen, um in oft verblüffender Weise zum Stichwortgeber für Veröffentlichungen und Vorträge zu werden. Es war indes angesichts der grundlegenden Systemunterschiede zwischen der Fürsorgegesetzgebung des Ancien Rgime und der zeitgenössischen Sozialgesetzgebung nicht das Ziel meiner Untersuchung, erstaunliche Wiederholungen in der Argumentation aufzudecken. Nach einer ersten Einarbeitung zeigte es sich, dass die rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Geschichte der Armenfürsorge nahezu ausnahmslos erst mit den Sozialreformen des Kaiserreichs begann. Trotz oder vielleicht auch ohne Berücksichtigung einer intensiven Forschung in den Geschichts- und Sozialwissenschaften in den vergangenen dreißig Jahren hatten sich Juristen kaum mit der territorialstaatlichen Fürsorgegesetzgebung der Frühen Neuzeit auseinandergesetzt. Dass ich mich dieser Thematik widmen konnte, verdanke ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Franz Dorn, der mich ermutigte, eine rechtshistorische Untersuchung in Angriff zu nehmen. Bei meiner Fahrt in den mitunter wenig erforschten Gebieten frühneuzeitlicher Gesetzgebung konnte ich mich stets auf seinen Kurs und Ratschlag verlassen. Seinen Zuspruch, dass die Beschäftigung mit der Geschichte unseres Rechtssystems auch über die eigentliche Untersuchung hinaus lohnenswert
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Vorwort
sei, möchte ich gerne bestätigen und im Schlussteil weiter vertiefen. Auch Herr Prof. Dr. Gerhard Robbers, dem ich für die Zweitbegutachtung danken möchte, machte mich zu Beginn des Studiums auf die Bedeutung der Kontinuität des Rechts, insbesondere des Staatskirchenrechts, aufmerksam. Wie jeder Text schreibt sich eine Dissertation nur Wort für Wort – eine Feststellung, deren Richtigkeit manchmal ins Ungewisse zu verschwinden scheint. Die Entstehung des nunmehr vorliegenden Buchs wurde begleitet von Menschen, die mir mit Rat und Tat zur Seite standen. Insofern durfte ich vielfach das erfahren, was die untersuchten Quellen nur normativ fassen: Unterstützung. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit verdanke ich den Historikern: Herrn Prof. Dr. Helmut Bräuer, der über seine umfassenden Arbeiten zur frühneuzeitlichen Armutsforschung hinaus mir immer wieder wertvolle und herzliche Impulse gab, meinem Kollegen im Projekt B 3 „Katholische und Protestantische Armenfürsorge in der Frühen Neuzeit“, Herrn Dr. Sebastian Schmidt, mit dem ich die recht eigene Welt staatlicher Archive entdecken durfte, sowie Frau Prof. Dr. Helga Schnabel-Schüle, die zusammen mit Herrn Prof. Dr. Dorn das erwähnte Projekt im Sonderforschungsbereich 600 leitete. Ihnen gelang es zu meinem großen Nutzen, die Sicht eines Juristen auf andere, tatsächlich existierende wissenschaftliche Standpunkte zu lenken. Bei dem Außenanstrich des Textes konnte ich auf die Hilfe eines Mannes vertrauen, der mir Kenntnisse der arkanen Kunst der aktiven Textverarbeitung offenbarte und dem ich hierfür herzlich danke: Herrn Rudolf Bungert. Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2010 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Trier als Dissertation angenommen. Die finanzielle Förderung bei der Veröffentlichung verdanke ich dem Sonderforschungsbereich 600 „Fremdheit und Armut“ an der Universität Trier, dem LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, dem Bistum Trier und dem Erzbistum Köln. Meine Familie, insbesondere die Frau an meiner Seite, Frau Claudine Reichert, und unser Sohn Lucien, der noch rechtzeitig wenige Wochen vor Einreichung der Arbeit geboren wurde, hat mir bei der Fertigstellung dieses Projekts nahe gestanden. Sie sind in meinem Herzen. Perl, im Februar 2011
Alexander Wagner
Inhaltsverzeichnis Erster Teil Einleitung
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A. Untersuchungsgegenstand, -zeitraum und Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 C. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 D. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 E. Forschungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Zweiter Teil Rahmenbedingungen frühneuzeitlicher Armenfürsorge- und Bettelgesetzgebung
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A. Das Almosen in der hoch- und spätmittelalterlichen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 33 I. Mittelalterliche Fürsorgetheorie: Die Almosenlehre des Aquinaten . . . . . . . . . . . . 36 1. Voraussetzungen der Almosenpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2. Verdienstlichkeit des Almosens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3. Arbeitspflicht des Armen und die Berechtigung zum Bettel . . . . . . . . . . . . . . 39 II. Durchsetzung der Almosenverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 III. Zulässigkeit des religiösen Bettels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 IV. Almosen als Anknüpfungspunkt der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 B. Positionen der Rechtswissenschaft im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 I. Legistische Jurisprudenz der Kommentatorenzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 II. Akzeptanz weltlicher Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
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Inhaltsverzeichnis
C. Entwicklungslinien städtischer Bettelordnungen im 14. und 15. Jahrhundert . . . . . . . . 44 I. Nürnberger Bettelordnung von 1370 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1. Regulierung des Bettelns durch das Bettelzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2. Fremdheit als Exklusionskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3. Resümee zur Nürnberger Bettelordnung 1370 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 II. Städtische Kontrolle der Verwaltung der Spitäler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 III. Nürnberger Bettelordnung von 1478 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1. Motivation des städtischen Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2. Beibehaltung der bisherigen Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3. Unterstützungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 4. Sondertatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 5. Verwaltungsstruktur und Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 6. Resümee zur Nürnberger Bettelordnung von 1478 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 IV. Bettelordnungen in anderen Reichsstädten im 15. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . 53 V. Ursachen der städtischen Bettelordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 VI. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 D. Merkmale der europäischen Fürsorgegesetzgebung im frühen 16. Jahrhundert . . . . . . 56 E. Fürsorgekonzepte im Humanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 I. Johannes Geiler von Kaysersberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 II. John Mayor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 III. Yperner Armenordnung von 1525 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 IV. Theoretische Durchdringung des Yperner Fürsorgemodells durch Vives . . . . . . . . 62 V. Auswirkungen: Transfer des Stadtrechts in Territorialnormen . . . . . . . . . . . . . . . . 64 F. Die Reformation und ihre Konzepte zur Armenfürsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 I. Protestantische Armen- und Kastenordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
Inhaltsverzeichnis
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II. Position der protestantischen Theologie zur Armenpflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 1. Ablehnung der Verdienstlichkeit des Almosens als formale „Werkgerechtigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2. Almosenverpflichtung und Bettelverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 3. Kompetenzteilung zwischen weltlicher und geistlicher Ebene . . . . . . . . . . . . . 69 III. Ausblick zu Folgen und Auswirkungen der Reformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 G. Reichsgesetzgebung des 16. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 I. Wormser Reichstag 1495 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 II. Fortführung durch die Reichsabschiede von Lindau, Freiburg und Augsburg . . . . 72 III. Reichspolizeiordnung von 1530 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 1. Vorgaben zur Fürsorgeorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 a) Versorgung durch Zulassung zum Bettel und Bestrafung der Arbeitsfähigen 75 b) Bestrafung der Arbeitsfähigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 c) Ausbildung der Bettlerkinder und Vorsorgungszuständigkeiten . . . . . . . . . 76 d) Ausschluss fremder Bettler von den Versorgungsmöglichkeiten . . . . . . . . 77 e) Hospitalverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 2. Repressive Maßnahmen gegen mobile Personengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3. Resümee zur Reichspolizeiordnung von 1530 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 4. Rezeption der Reichspolizeiordnung von 1530 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 IV. Fortführung durch die Reichspolizeiordnungen von 1548 und 1577 . . . . . . . . . . . 81 V. Ausblick zu den Folgen der Reichsgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Dritter Teil Die Entwicklung im 16. Jahrhundert (Anfangsphase)
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A. Gesetzgebung im Kurfürstentum Trier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 I. Normen im Vorfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 1. Betonung des christlichen Almosenverständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 2. Beispiele von Hospitalordnungen vor 1533 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
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Inhaltsverzeichnis II. Reform der Fürsorgeorganisation: Armenordnung 1533 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 1. Vorzeichen der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2. Aufbau der Armenordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3. Eckpunkte des Fürsorgekonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 4. Adressaten und Geltungsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 5. Ausweitung des Geltungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 6. Legitimation und Kompetenzbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 a) Legitimation durch religiöse Bezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 b) Katholisches Almosenverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 c) Gefahrenabwehr: Christlicher Glaube als Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 d) Gefahrenabwehr: Leib, Leben und Eigentum als Schutzgüter . . . . . . . . . . 93 7. Voraussetzungen zum Empfang von Unterstützungsleistungen . . . . . . . . . . . . 94 a) Erstes materielles Kriterium: Zugehörigkeit / Einheimischer . . . . . . . . . . . 95 b) Zweites materielles Kriterium: Notsituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 c) Drittes materielles Kriterium: Individuelle Versorgungsunfähigkeit . . . . . 96 d) Viertes materielles Kriterium: Frommer christlicher Lebenswandel . . . . . 98 e) Formelle Voraussetzung: Armenliste und Armenzeichen . . . . . . . . . . . . . . 99 8. Grundsätzlicher Versorgungsausschluss von Fremden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 a) Erste Ausnahme: Pilger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Zweite Ausnahme: Untertanen aus Nachbarterritorien . . . . . . . . . . . . . . . . 103 9. Zulässige Versorgungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 a) Bettelverbot: Der Bettel als unzulässige Versorgungsform . . . . . . . . . . . . . 104 b) Almosenzuteilung als zulässige Versorgungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 10. Versorgungsumfang und präventive Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 11. Finanzierung der Unterstützungsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 a) Vermögen der Stiftungen und Hospitäler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 b) Institutionalisierung des Almosens im Almosenstock . . . . . . . . . . . . . . . . 110 c) Regelung der örtlichen Verhältnisse in der Stadt Trier . . . . . . . . . . . . . . . . 111 d) Bedeutung und Einordnung der zentralen Almosenkasse . . . . . . . . . . . . . . 111 e) Grenzen der Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 12. Aufgabenzuweisung und Fürsorgeorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Gesetzgebungskompetenz des Landesherren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
Inhaltsverzeichnis
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b) Zuweisung der Versorgungsträgerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 c) Zuständigkeiten bei der Erfassung der Unterstützungswürdigen . . . . . . . . 114 d) Verwaltung des Almosenstocks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 e) Zuständigkeit für die Kontrolle der Fremden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 f) Zuständigkeiten beim Umgang mit Arbeitsfähigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 13. Sonderregelungen und Ausnahmetatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 a) Ausnahmetatbestand für arme Schüler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 b) Ausnahmetatbestand für Bettelorden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 c) Ausnahmetatbestand für Sieche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 14. Geltungsdauer / Strafvorschriften / Schlusskatalog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 15. Bestätigung der Normkompetenz in der Schlussformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 III. Auswirkungen der Fürsorgegesetzgebung von 1533 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 IV. Repressive Maßnahmen gegen Fremde und Umherziehende . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 1. Repressive Maßnahmen als Reaktion auf Notzeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 2. Ausweitung der Aufgaben der Amtleute und Städte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 V. Umsetzung der „formula reformationis“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 1. Hospitalsordnungen im Vergleich zur „formula reformationis“ . . . . . . . . . . . . 126 2. Situation der Trier Hospitäler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 VI. Trierer Stadtrecht von 1550 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 VII. Trierer Stadtrecht der 1590er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 1. Situation im Jahr 1591 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 2. Statutenbuch von 1593 – 1594 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 VIII. Resümee und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 B. Gesetzgebung im Kurfürstentum Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 I. Neuordnung des Fürsorgewesens in den 1530er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 II. Provinzialsynode von 1536 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 2. Kompetenzanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 3. Primäre Unterstützung: Institutionalisierte Fürsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
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Inhaltsverzeichnis 4. Leitbild der Synode: Keine Notwendigkeit des Bettels . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 5. Auftrag und Aufgabe der kirchlichen Würdenträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 6. Ziele der Unterstützungsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 7. Unterstützungsberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 a) Ausschlusskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Sondergruppe: Leprose und Sieche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 8. Verwaltungsorganisation als Mittel zur Abstellung von Missbrauch . . . . . . . . 142 9. Klösterliche Armenpflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 10. Resümee zur Synodalgesetzgebung von 1536 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 III. Reform des Fürsorgewesens: Polizeiordnung von 1538 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 1. Legitimation und Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Versorgungsform und Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 3. Kriterien der Unterstützungsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 a) Einheimische Arbeitsunfähige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 b) Ausschluss Fremder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 4. Strafbarkeit des Bettelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 5. Präventive Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 6. Hospitalsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 7. Repressive Maßnahmen gegen mobile Personengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 8. Resümee zur Polizeiordnung von 1538 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 IV. Polizeiordnung von 1595 als Wiederholung der Polizeiordnung 1538 . . . . . . . . . . 151 V. Sonderform der Unterstützungssicherung: Bergordnung von 1559 . . . . . . . . . . . . 152 1. Bergmannskasse als zentralisierter Armenkasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 VI. Fortführung der Synodalgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 1. Konzil von Trient im Jahr 1548 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 2. „Formula reformationis“ Karls V. von 1548 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 a) Kompetenzbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 b) Begünstigtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 c) Vorschriften zur ordnungsgemäßen Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 3. Provinzialsynode von 1549 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
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4. „Forma juxta quam in visitatione […] fieri debeat“ von 1550 . . . . . . . . . . . . . 159 a) Fragenkatalog der Visitationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 b) Verwaltungsvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 c) Rechnungslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 d) Sonderregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 5. Umsetzung der Visitationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 VII. Resümee und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Vierter Teil Exkurs: Stand der Rechtswissenschaft im 17. Jahrhundert
163
A. Rechtstheorie der Armenfürsorge im 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 B. Der „tractatus de mendicantibus validis“ von Ahasver Fritsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 I. Pflicht und Kompetenz des Territorialherren zur Fürsorgegesetzgebung . . . . . . . . 165 II. Finanzierung des Almosen- bzw. Gotteskasten durch eine Almosensteuer . . . . . . 166 III. Kompetenz zum Verbot des Bettels als Versorgungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 IV. Abschlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Fünfter Teil Die Entwicklung im 17. Jahrhundert (Zwischenphase)
170
A. Gesetzgebung im Kurfürstentum Trier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 I. Unterhaltssicherung durch Repressionen gegen Fremde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 1. Begrenzung des Bettels fremder Studenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 2. Einreise- und Aufenthaltsverbote für fremde Bettler und Vagabunden . . . . . . 172 3. Bettlerverzeichnis der Stadt Trier im Jahr 1699 zur Vorbereitung der Ausweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 4. Repressive Maßnahmen aufgrund von Gefahrsituationen . . . . . . . . . . . . . . . . 173 5. Maßnahmen gegen Hausierer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 II. Resümee und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
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B. Gesetzgebung im Kurfürstentum Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 I. Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 II. Provinzialsynode von 1612 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 1. Konfessionszugehörigkeit als vorrangiges Versorgungskriterium . . . . . . . . . . 179 2. Hospitäler als kirchliche Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 3. Resümee zur Provinzialsynode 1612 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 III. Provinzialsynode von 1662 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 1. Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 a) Anforderungsprofil der Hospitalsangestellten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 b) Rechnungslegung und Hospitaleinkünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 2. Einführung gemeindlicher Armenkassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 3. Unterstützungswürdige und Unterstützungsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 4. Gefahrenabwehr und Zugangsverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 5. Verträglichkeit der Ausschlusskriterien mit dem Fürsorgeauftrag . . . . . . . . . . 185 6. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 IV. Überblick zu den territorialstaatlichen Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 V. Bergordnung 1669: Zentrale beitragsfinanzierte Armenkasse . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Bergmannskasse: Büchsengeld als Armuts- und Krankheitsfürsorge . . . . . . . . 188 2. Art der Unterstützung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 3. Büchsenkasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 4. Aufnahme Fremder in die Bergstädte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 5. Entwicklungstendenzen der Gesetzgebung im Bergrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 VI. Bettelmandat von 1637 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 1. Differenzierter Umgang mit fremden Unterstützungssuchenden . . . . . . . . . . . 192 2. Arbeitswilligkeit als Inklusionskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 3. Unterstützung fremder Arbeitsunfähiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 VII. Polizeiordnungen von 1645, 1647, 1656 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 1. Polizeiordnung für das Herzogtum Westfalen 1645 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 a) Wohnortbindung zur Verhinderung von Armut und Müßiggang . . . . . . . . 194 b) Arbeitsunwilligkeit als Exklusionskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
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2. Tax- und Polizeiordnung 1647 des Erzstifts Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 a) Bettelverbot und -erlaubnis / Durchsetzung der Arbeitspflicht . . . . . . . . . . 196 3. Polizeiordnung für das Herzogtum Westfalen von 1656 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 VIII. Verordnungen der Residenzstadt Bonn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 1. Bettelordnung von 1697 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 2. Polizeiordnung für die Stadt Bonn 1698 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 a) Bürgerrecht als Voraussetzung für die Aufnahme armer fremder Personen 198 b) Hospitalsverwaltung, Rechnungslegung und Zuständigkeiten . . . . . . . . . . 199 c) Strafkonfiskation als Armenunterstützung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 d) Vergleich der Polizeiordnung Bonn mit der Synodalgesetzgebung . . . . . . 200 IX. Zwischenfazit zur Fürsorgegesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 X. Flankierende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 1. Regulierung des Kornpreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 2. Repressive Maßnahmen gegen Umherziehende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 3. Maßnahmen gegen Räuberbanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 4. Maßnahmen gegen Zigeuner und Landstreicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 a) Eigentumskonfiskation als Mittel der Fürsorgefinanzierung . . . . . . . . . . . 204 b) Fortsetzung der repressiven Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 5. Zusammenfassung und Gleichstellung unterschiedlicher mobiler Personen . . 206 6. Maßnahmen gegen umherziehende Kleinhändler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 XI. Resümee und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Sechster Teil Die Entwicklung im 18. Jahrhundert (Endphase)
209
A. Gesetzgebung im Kurfürstentum Trier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 I. Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 II. Entwicklung bis zum Jahr 1729 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 1. Begrenzung religiös bedingter Sondertatbestände: Eremiten . . . . . . . . . . . . . . 210 2. Bettel als zugelassene Versorgungsform für Einheimische . . . . . . . . . . . . . . . . 212
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Inhaltsverzeichnis 3. Vorzeichen einer Fürsorgereform: Koblenz und Trier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 a) Abkehr vom Bettel als Versorgungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 b) Schwierigkeiten bei der Umsetzung am Beispiel Trier . . . . . . . . . . . . . . . . 215 4. Stand der Fürsorgeorganisation vor den Reformen 1729 – 1736 . . . . . . . . . . . . 218 5. Begrenzung des Zugangs zu den Versorgungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . 218 a) Repressive Maßnahmen gegen Umherziehende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 b) Einzelverordnungen gegen Zigeuner und Vagierende . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 c) Gemeinsame Erfassung von Zigeunern und starken Bettlern . . . . . . . . . . . 220 d) Auswanderung als Exklusionskriterium von der Fürsorge . . . . . . . . . . . . . 224 e) Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung gegenüber Bettlern . . . . . . . . . . . . . 227 f) Verbindung von Gefahrenabwehr und Bettelverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 g) Begrenzung der Zuwanderung in das Erzstift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 6. Ausgangssituation im Jahr 1729 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 III. Regierungswechsel während der Armenfürsorgereform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 IV. Neuordnung der Armenversorgung: Reform der Hospitalsfürsorge 1729 . . . . . . . 231 1. Vorschriften für die Aufsichts- und Verwaltungsebene: 14. 1. 1729 . . . . . . . . . 232 a) Handlungsmotive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 b) Unterstützungsberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 2. Vorschriften zur Organisation und Kontrolle: 4. 2. 1729 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 a) Ziele der Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 b) Legitimation / Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 c) Oberinspektionskommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 d) Erstellung einer Hospitalsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 e) Umgang mit Finanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 f) Aufnahme ins Hospital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 g) Arbeitspflicht im Hospital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 h) Formalisierung der Inventur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 i) Dienstanweisungen des Hospitalpersonals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 3. Normen in der Übergangszeit (1729 – 1736) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 a) Fortführung der repressiven Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 b) Prostitution und Geburt unehelicher Kinder als Exklusionskriterium . . . . 240
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V. Neuordnung der Armenversorgung: Armenordnung von 1736 . . . . . . . . . . . . . . . . 241 1. Normadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 2. Legitimation des Normerlasses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 a) Gefahrenabwehr und Schutz der „guten policey“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 b) Christliche Glaubensvorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 3. Struktur des Fürsorgekonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 4. Unterstützungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 a) Materielles Kriterium: Versorgungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 b) Materielles Kriterium: Wohn- und Geburtsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 c) Formelles Kriterium: Armenliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 5. Ausschluss von Fremden von den Unterstützungsleistungen . . . . . . . . . . . . . . 246 6. Gestaltwandel des Almosen: obrigkeitliche Zuteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 7. Umfang der Zuteilungen und präventive Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 8. Finanzierung der Unterstützungsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 a) Rückgriff auf die christliche Nächstenliebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 b) Grenzen des Finanzierungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 9. Aufgabenverteilung und Fürsorgeorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 a) Kommunale und territorialstaatliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 b) Weltliche und kirchliche Sphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 10. Straf- und Sanktionsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 a) Strafbarkeit des privaten Almosengebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 b) Arbeitsstrafe für starke Bettler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 11. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 a) Klöster und Mendikantenorden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 b) Hausarme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 12. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 VI. Fortgang der Reform unter Franz Georg von Schönborn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 1. Schaffung von Ausbildungsplätzen für Waisenkinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 2. Einschränkung religiöser Sondertatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 a) Almosenverteilungen bei Begräbnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 b) Terminieren der Mendikantenorden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 c) Pilger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
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Inhaltsverzeichnis 3. Eröffnung von Sondertatbeständen als Finanzierungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . 262 4. Stiftungswesen: Begrenzung kirchlicher Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 5. Fortführung der repressiven Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 a) Maßnahmen zur Seuchenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 b) Maßnahmen gegen Zigeuner, Vaganten und starke Bettler . . . . . . . . . . . . . 265 c) Bettlerrepression als militärische Ressource . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
VII. Wechselwirkungen zwischen territorialer und supraterritorialer Gesetzgebung . . . 267 1. Wesentliche Regelungen der Reichskreisordnungen 1726 und 1748 . . . . . . . . 268 2. Umsetzung der PSKO: Repressive Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 a) Umsetzungsschwierigkeiten: Durchsetzung der Kostenpflicht . . . . . . . . . . 270 3. Umsetzung der PSKO: Fürsorgeorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 a) Fortbestand des Wohnsitzes als Unterstützungsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 b) Kontrolle religiös motivierter Sondertatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 VIII. Resümee zur Gesetzgebung unter Franz Georg von Schönborn . . . . . . . . . . . . . . . 274 IX. Gesetzgebung unter Johann Philipp von Walderdorff 1756 – 1768 . . . . . . . . . . . . . 274 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 2. Fortgeltung der Armenordnung von 1736 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 3. Flankierende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 a) Heiratsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 b) Funktionswandel bei der Einbeziehung der kirchlichen Ebene . . . . . . . . . 276 c) Repressive Maßnahmen gegen Umherziehende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 d) Verhinderung von Krankenfuhren als Paradox des Heimatprinzips . . . . . . 277 e) Fortsetzung der supraterritorialen Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 f) Sanktionen bei ungenehmigter Auswanderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 4. Resümee zur Gesetzgebung unter Johann Philipp von Walderdorff . . . . . . . . . 280 X. Fürsorgegesetzgebung unter Clemens Wenzeslaus von Sachsen . . . . . . . . . . . . . . 281 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 2. Fürsorgeorganisation: Armenordnung von 1768 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 a) Legitimation: Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 b) Legitimation: Verhinderung des „dem Staat so gefährlichen Müßiggang[s]“ 282 c) Fürsorgekonzept: Unterstützungsberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
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d) Fürsorgekonzept: Verbot des Bettels als Versorgungsform . . . . . . . . . . . . . 283 e) Durchsetzung der Arbeitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 f) Finanzierung der Fürsorge: Ausgleichspflicht der Gemeinden . . . . . . . . . . 285 g) Straf- und Sanktionsandrohungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 h) Repressive Gefahrenabwehrmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 i) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 3. Ergänzung der Armenordnung durch die Schulordnung von 1768 . . . . . . . . . . 287 4. Umsetzungsschwierigkeiten und Ankündigung eines Arbeitshauses . . . . . . . . 288 5. Entstehung der Arbeitshäuser und die Armenordnungen von 1768 – 1776 . . . . 290 a) Gründung und Finanzierung des Spinnhauses in Trier . . . . . . . . . . . . . . . . 291 b) Verwaltungsstruktur und Aufbau des Spinnhauses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 c) Auswirkung des Spinnhauses: Erlass der Trierer Bettelordnung 1776 . . . . 294 d) Erfolg und Misserfolg des Spinnhauses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 6. Armenordnung und Einrichtung des Spinn- und Arbeitshauses in Koblenz 1776 296 a) Motivation und Anlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 b) Fürsorgeorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 c) Unterstützungswürdige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 d) Zuständigkeiten und Aufgabenverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 e) Finanzierung durch Spenden und Kollekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 f) Zweck des Spinn- und Zuchthauses: Verhinderung Müßiggang . . . . . . . . . 299 g) Zweck des Spinn- und Zuchthauses: Bettelverbot und Almosenverbot . . . 301 h) Sündhaftigkeit der direkten Almosenspende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 i) Konsequenzen aus der Strafbarkeit der direkten Almosenspende . . . . . . . 304 j) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 7. Fortgang der Fürsorgegesetzgebung bis 1790 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 XI. Flankierende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 1. Eingrenzung religiöser Sondertatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 a) Geistlicher Bettel: Fremdheit als Exklusionskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . 308 b) Pilger: Fremdheit als Exklusionskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 c) Beschränkungen zu Ungunsten der Mendikantenorden . . . . . . . . . . . . . . . 309 d) Kontinuitäten der scholastischen Lehre zur Nächstenliebe . . . . . . . . . . . . . 310
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Inhaltsverzeichnis 2. Finanzierung der Armenfürsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 a) Fortführung der funktionalen Umwidmung von Dispenserteilung . . . . . . . 311 b) Umwidmung letztwilliger Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 3. Kornbevorratung und Kollekten bei Missernten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 4. Armutsprävention: Heirats- und Einwanderungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . 314 5. Repressive Maßnahmen: Begrenzung des Versorgungszugangs . . . . . . . . . . . . 315 a) Seuchenabwehr: fremde Bettler und Juden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 b) Umsetzung der Reichskreisverordnungen: Repressive Maßnahmen . . . . . 316 c) Repressive Maßnahmen als Schlusspunkt der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . 317
XII. Resümee und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 B. Gesetzgebung im Kurfürstentum Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 I. Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 II. Fürsorgegesetzgebung unter Joseph Clemens von Bayern ab 1700 . . . . . . . . . . . . 320 1. Reduktion religiös motivierter Sondertatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 a) Bettelverbot für die Kölner Mendikanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 b) Verbot der Almosenspende an die Kölner Mendikanten . . . . . . . . . . . . . . . 322 3. Grundform der Versorgung: Betteln um Almosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 4. Bettelordnung für das Kölner Erzstift von 1715 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 a) Zugangsbegrenzung für Fremde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 b) Strafmaßnahmen gegen fremde Bettler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 c) Erfassung der Armen auf der Ebene der Pfarrgemeinden . . . . . . . . . . . . . . 324 d) Strafbarkeit des Bettelns durch Arbeitsfähige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 5. Polizeiordnung für das Herzogtum Westfalen von 1723 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 a) Fürsorgeorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 b) Bettel als zulässige Versorgungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 c) Ausweitung des Heimatprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 d) Formelle Versorgungsvoraussetzung: Bettelzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 e) Zuständigkeit bei der Bettelzulassung und Hospitalsaufsicht . . . . . . . . . . . 327 f) Präventive Maßnahmen und Kontrolle der Hospitalsverwaltung . . . . . . . . 328 g) Verfestigung der Zuständigkeiten der weltlichen Obrigkeit . . . . . . . . . . . . 328 h) Armenlisten: Erstellung und Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329
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i) Repressive Maßnahmen: Almosenverbot und Sanktionen . . . . . . . . . . . . . 330 j) Landesverweis für nichtberechtigte Bettler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 k) Ausweisung weiterer mobiler Personengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 l) Voraussetzungen für die Annahme als Untertan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 m) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 III. Sonderfall: Armut als Verfahrensprivileg vor der Hofkanzlei . . . . . . . . . . . . . . . . 334 IV. Fürsorgegesetzgebung unter Clemens August von Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 1. Polizeiordnung für das Erzstift 1728 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 2. Variation der Fürsorgeorganisation: Verordnung von 1732 . . . . . . . . . . . . . . . 336 a) Eingrenzung des zulässigen Bettelverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 b) Durchsetzung der Arbeitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 c) Repressive Maßnahmen und Ausnahmeregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 d) Sammelbezeichnung für mobile Personengruppen: Bettler . . . . . . . . . . . . 338 e) Maßnahmen gegen Erpressung durch Bettler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 3. Einrichtung einer Armenkommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 V. Einrichtung des Stock- und Zuchthauses in Kaiserswerth 1736 . . . . . . . . . . . . . . . 340 1. Arbeitspflicht: Strafe und Mittel zur Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 2. Zielgruppen des Stock- und Zuchthauses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 3. Bestrafung und Korrektion als Zweckbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 4. Entstehung des Strafmittels „Arbeit“ im Kurfürstentum Köln . . . . . . . . . . . . . 343 5. Nutzung des Stock- und Zuchthauses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 VI. Kontinuität der Gesetzgebung in den 1740er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 1. Polizeiordnung für das Erzstift Köln im Jahr 1748 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 a) Versorgung durch die Bettelerlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 b) Stärkung der territorialstaatlichen Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 c) Sonderversorgungsberechtigung: Brandgeschädigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 d) Sanktionen bei Verstoß gegen den Erlaubnisvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . 346 e) Repressive Maßnahmen gegen mobile Personengruppen . . . . . . . . . . . . . . 347 2. Normtransfer: Verordnung Herzogtum Westfalen im Jahr 1749 . . . . . . . . . . . 348 VII. Stand der Fürsorgegesetzgebung bis 1760 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348
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VIII. Flankierende Maßnahmen bis 1761 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 1. Arbeitsfähige Bettler als Rekrutierungsressource . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 2. Fortführung der Gesetzgebung gegen Zigeuner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 3. Exklusionsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 4. Umsetzungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 5. Supraterritoriale Zusammenarbeit: Durchführung der Visitationen . . . . . . . . . 352 6. Versorgung der Kinder und Abschreckung durch Terror . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 7. Arbeitstätigkeit als Voraussetzung der Existenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 8. Versagung des Existenzrechts als Konsequenz der Gesetzgebung . . . . . . . . . . 354 9. Arbeitszwang als Sanktion für umherziehende starke Bettler . . . . . . . . . . . . . 355 10. Ausweitung der Pass- und Ausweispflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 11. Ausweitung der funktionalen Zuständigkeit des Stockhauses . . . . . . . . . . . . . 357 12. Verbindung von Seuchenabwehr und Vagantenbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . 358 13. Einfluss der supraterritorialen Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 IX. Fürsorgegesetzgebung ab 1761 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 1. Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 2. Vorlauf der Reformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 a) Wiederholung und Bezug auf das Stockhaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 b) Repressive Maßnahmen: Angleichung an Reichskreisordnungen . . . . . . . 363 3. Vorlauf der Einrichtung des Bonner Arbeitshauses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 a) Wiederholung repressiver Maßnahmen und Milderung der Strafentrias . . 364 b) Versorgung der einheimischen Armen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 c) Umsetzungsschwierigkeiten: Bettelzeichen und Passierscheine . . . . . . . . . 366 4. Fortgang der Entwicklung im Jahr 1769 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 5. Flankierende Maßnahmen: Kornbevorratung und -austeilung . . . . . . . . . . . . . 368 6. Einrichtung des Arbeitshauses und vollständiges Bettelverbot 1774 . . . . . . . . 368 a) Ziele des Bonner Arbeitshauses: Umstellung der Versorgungsform . . . . . . 368 b) Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 c) Schwierigkeiten bei der Finanzierung in den Folgejahren . . . . . . . . . . . . . 372 d) Bedeutung des Bonner Arbeitshauses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 e) Fortexistenz des Bettels trotz des Arbeitshauses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 f) Erneuerung des strafbewehrten Almosenspendeverbots . . . . . . . . . . . . . . . 374
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g) Geltungsgrenzen des uneingeschränkten Bettelverbots . . . . . . . . . . . . . . . 374 7. Umzug des Zuchthauses von Kaiserswerth nach Bonn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 8. Plan zur Einrichtung eines Zuchthauses in Arnsberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 9. Funktionsaufteilung: Polizeiarbeitshaus und Zuchthaus im engeren Sinn . . . . 376 a) Ziele des Polizeiarbeitshauses: Besserung und Korrektion . . . . . . . . . . . . . 377 b) Auswirkungen der Zuchthausreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 X. Flankierende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 1. Reduktion religiös bedingter Sondertatbestände: Geistlicher Bettel . . . . . . . . 379 a) Ausweitung des Verbots des Terminierens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 b) Verbote in der Folgezeit und Zulassung von Ausnahmeregelungen . . . . . . 380 c) Resümee zum Umgang mit dem geistlichen Bettel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 2. Verbot des studentischen Bettelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 3. Vorgehen gegen Müßiggang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 4. Repressive Maßnahmen: Seuchen-, Bettler- und Vagabundenbekämpfung . . . 382 5. Sonderfälle: „Bettelhochzeit“ und „Bettelherberge“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 XI. Verordnungen in den letzten Jahren des Kurfürstentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 1. Vorrang der Armutsprävention vor christlicher Almosenlehre . . . . . . . . . . . . . 386 2. Armenordnung der Stadt Werl von 1801 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 XII. Repressive Maßnahmen nach dem Tod von Maximilian Franz . . . . . . . . . . . . . . . 388 XIII. Resümee und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 Siebter Teil Zusammenfassung der Ergebnisse
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A. Strukturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 I. Fürsorgeorganisation: Spezialmandat und allgemeine Polizeiordnung . . . . . . . . . 390 II. Katalysatorische Wirkung der supraterritorialen Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . 391 III. Christliche Nächstenliebe als primärer Bezugspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 IV. Zusammenwirken von kirchlichem und weltlichem System . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 V. Veränderungen der Kompetenz- und Legitimitätsargumentation . . . . . . . . . . . . . . 392
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Inhaltsverzeichnis
B. Inhaltliche Unterschiede und Gemeinsamkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 I. Kontinuität der Inklusionskriterien: Versorgungsunfähigkeit und Zugehörigkeit . . 393 II. Unterschiede bezüglich der Akzeptanz des Bettels als Versorgungsform . . . . . . . . 394 III. Grenzen des frühneuzeitlichen Finanzierungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 IV. Einführung von Spinn- und Arbeitshäusern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 V. Persistenz der grundsätzlichen Akzeptanz des geistlichen Bettels . . . . . . . . . . . . . 396 VI. Supraterritoriale Vereinheitlichung der repressiven Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . 397 VII. Repressive Maßnahmen als flankierende Fürsorgegesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . 397 VIII. Geringer Anteil präventiver oder flankierender Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 C. Besonderheiten im Vergleich zu anderen Territorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 I. Mehraufwand bei der Umdeutung des Almosenverständnisses . . . . . . . . . . . . . . . 399 D. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 Orts- und Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421
Abkürzungsverzeichnis BMWi CDR DRW HHStAWi HHStAWn Hist. Trev. HRG HSAD LexMA LHAKo LThK3 NSRA PSKO PSO QRW StAMs StAMz StATr TRE VSC
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Erster Teil
Einleitung A. Untersuchungsgegenstand, -zeitraum und Ziele Der gesellschaftliche Umgang mit Armen drückt sich nicht zuletzt in den Erscheinungsformen der Unterstützungsleistungen aus, die der auf fremde Hilfe Angewiesene erhält. Die aktuelle Entwicklung des Sozialsystems der Bundesrepublik Deutschland weist eine zunehmende Relevanz privater Hilfeleistungen für den Bedürftigen auf, beispielhaft erkennbar an der wachsenden Bedeutung der Lebensmitteltafeln. Dies geht sogar so weit, dass es aktuelle Verwaltungsentscheidungen gibt, die statt der staatlichen Sozialhilfe den Bedürftigen auf die privat organisierte Unterstützung durch die Lebensmitteltafeln verweisen.1 An dieser Stelle bereits von einer Systemänderung im Sinne einer Kompetenzverschiebung zu sprechen, wäre verfrüht. Erkennbar ist indes, dass die gefestigte Rolle des Staates als Garant von Sozialleistungen in einem weitaus stärkeren Maß als zuvor ergänzt bzw. sogar ersetzt wird durch privat organisierte Unterstützungsleistungen. Hier deutet sich neben der Entwicklung im Bereich der Altersvorsorge eine Tendenz an, bei der sich der Staat als Träger von Sozialleistungen zurückzieht. Diese Impression steht wiederum im Gegensatz zu der im Spätmittelalter feststellbaren Zuständigkeitsverschiebung hin zur Obrigkeit bzw. zum Territorialstaat. Die Entstehung der staatlichen Kompetenz im Bereich der Armenfürsorgegesetzgebung als einer Vorläuferin der modernen Sozialgesetzgebung ist von grundlegendem Interesse für die vorliegende Untersuchung. Der Beginn der frühmodernen Staatlichkeit ist verbunden mit einer intensiven Verrechtlichung des Austauschverhältnisses zwischen dem Armen und dem Almosenspender. Die gesetzgeberische Tätigkeit der Städte ab dem 14. Jahrhundert und in deren Folge die der Territorien und des Reichs etabliert ein sozialfürsorgerisches Instrumentarium, das ausgehend von der privaten Carität zu einer staatlich gesteuerten Leistungsverteilung gelangt. Die Veranlassung zu dieser Aktivität ist nicht monokausal darstellbar, sondern erweist sich als vielschichtig. Die Darstellung der Ursachen zu dieser Entwicklung ist nicht Zielsetzung dieser Arbeit, vielmehr konzentriert sich die Fragestellung darauf, welche 1
Dieser Sachverhalt liegt einem Beschluss des Sozialgerichts Bremen zugrunde, das im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz über die Verweigerung von Lebensmittelgutscheinen für einen HARTZ-IV-Empfänger unter Hinweis auf das Angebot der Lebensmitteltafeln zu entscheiden hatte. Das Gericht hob die Ablehnung der zuständigen Behörde auf, vgl. SG Bremen S 26 AS 528/09 ER.
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1. Teil: Einleitung
Unterstützungsform hauptsächlich den Gegenstand der ersten Normen bildet. An der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert treten im Zuge dieses Prozesses in den meisten europäischen Ländern zentrale, bis in die Zeitgeschichte wirksame Veränderungen der Armenfürsorge ein. Die Sicherung der menschlichen Existenz durch staatliche Kontrolle und Verwaltung stellt das Ziel des frühneuzeitlichen Armenfürsorgeund Bettlerrechts dar. Die Gesetzgebung dient zugleich der Wahrung der Ordnung und Stabilität der Herrschaftsgewalt. Die Fürsorge und die Bestrafung von Devianz werden demgemäß im Prozess der frühmodernen Staatsbildung als zentrale Aufgaben des Staates begriffen. Gleichzeitig und zum Teil gegenläufig wird im Rückgriff auf das römische Recht die kommunale Zuständigkeit der Gemeinden für die Versorgung ihrer Armen erstmals reichsrechtlich festgelegt. Damit geht auch einher, dass Fremdheit als ein wichtiges Kriterium für Inklusion und Exklusion fixiert wird. Sowohl auf kommunaler wie auf staatlicher Ebene stehen daneben die traditionellen Formen kirchlicher Armenfürsorge. Durch den Prozess der Konfessionalisierung werden diese sich zum Teil ergänzenden, zum Teil auch konkurrierenden Formen der Armenfürsorge durch konfessionsspezifische Muster von Armenfürsorge überlagert. Außerdem kommt es zu einer Diskussion über die rechtstheoretische Grundlegung der staatlichen Armenfürsorge. Dabei sind in den katholischen Herrschaftsgebieten andere Voraussetzungen zu berücksichtigen als in lutherischen und reformierten: In lutherischen und reformierten Staaten entsteht durch die Säkularisierung der Kirchengüter nach der Reformation und der Neuordnung der Landeskirchen gleichsam ein Zwang zur Zusammenführung staatlicher und kirchlicher Kompetenzen. Die argumentative Grundlage der Machtzentrierung bietet die Theorie des Notepiskopats bzw. die Ausübung des landesherrschaftlichen Kirchenregiments. Für die geistlichen Reichsterritorien besteht bereits vor der Reformation die Vereinigung weltlicher und geistlicher Macht in einer Person. Die Einführung territorialstaatlicher Konzepte von Armenfürsorge muss in diesen Territorien unter anderen Voraussetzungen die kirchliche Armenfürsorge integrieren. Zu diesen Eigentümlichkeiten gehört gerade auch der Umgang mit dem geistlichen Bettel der Mendikantenorden. Die katholischen Kurfürstentümer Trier und Köln eröffnen die Perspektive auf den Typus ,geistliches Territorium‘, der in der Historiographie zur Armenfürsorge eine besondere Rolle spielt.2 Die beiden benachbarten Kurfürstentümer Trier und Köln werden dabei gewählt, weil sie Angehörige des Kurrheinischen Kreises sind und die Rolle der Kreise in der Armenfürsorge als territoriale Supraorganisation in der Forschung bislang zu wenig beachtet worden ist.3 Die Armen- und Bettelgesetzgebung dieser beiden katholischen Territorien im Ancien Régime bilden den Hauptgegenstand der Untersuchung. Zugleich ist durch die Wahl der beiden Territorien der Untersuchungszeitraum vorgegeben: der Beginn der territorialen Armenfürsorgegesetzgebung im 16. Jahrhundert und das Ende mit der endgültigen Säkularisierung der 2
Vgl. zum Gebiet und zur Verwaltung der Territorien die Übersichten bei Härter (1996b); Simon/Keller (1996). 3 Einen Überblick über die bisherigen Erkenntnisse zur Rolle der Reichskreise finden sich bei Wüst (2000a).
B. Gang der Untersuchung
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Erzstifte im Jahr 1803. Wie die Fürsorgedebatte vor Beginn der territorialstaatlichen Gesetzgebung vermuten lässt, beeinflussen reichsweit auftretende Entwicklungslinien die kurfürstliche Gesetzgebung. Zu den zentralen Fragestellungen der Untersuchung gehört es herauszuarbeiten, ob es einen gemeinsamen Typus „Armenfürsorgegesetzgebung in geistlichen Territorien“ gibt oder ob unterschiedliche Lösungen gewählt werden. In diesem Zusammenhang soll sich auch auseinandergesetzt werden mit der Frage der Legitimation staatlicher Armenfürsorge und der hieraus resultierenden – aus konfessioneller Sicht durchaus problematischen – Frage der Finanzierung der öffentlichen Armenpflege und den diesbezüglich diskutierten Modellen. Die Untersuchung dient dabei der Herausarbeitung der Bedeutung der Semantiken des Rechts als Katalysator für In- und Exklusionsprozesse. Besonders interessant ist hier das Spannungsfeld zwischen der Freiwilligkeit des Almosens und der Almosenpflicht, weiterhin die Entwicklung der Überlegungen zu einer Armensteuer und deren Voraussetzungen, die Erschließung anderer Geldquellen und deren Legitimierung und die Aufsichtskompetenz über das Vermögen der Armenpflege. Zu den Zielen der Untersuchung gehört es auch, die Genese der Aufgabenverteilung im Spannungsfeld von Staat und Kirche darzustellen und zu prüfen, welche tradierten Rechtsvorstellungen dabei eine Rolle spielen. Der Frage, ob sich der grundlegende Unterschied zwischen Luthertum und Reformiertentum auf der einen und dem Katholizismus auf der anderen Seite in den rechtlichen Regelungen von Armenfürsorge niederschlägt, soll durch den punktuellen Abgleich mit protestantischen Armen- und Bettelordnungen erreicht werden. Ein Exkurs zur rechtstheoretischen Durchdringung des Armenfürsorgerechts im 17. Jahrhundert soll ein Schlaglicht auf das gesetzgeberische Instrumentarium werfen, um dessen Umsetzung im weiteren Verlauf besser darstellen zu können. Weiterhin gehört die Bestimmung der administrativen Vorschläge zur Ausformung der Armenpflege und zur Bewältigung des Bettlerproblems (Bestimmung des zu unterstützenden Personenkreises, Verteilungsverfahren bei der Gewährung von Unterstützung, Ausgestaltung der geschlossenen Armenpflege, Kriminalisierung der Bettelei) zum Gegenstand der Untersuchung.
B. Gang der Untersuchung Die Untersuchung beginnt in Kapitel 2 mit der Darstellung der Rahmenbedingungen für das Entstehen territorialstaatlicher Fürsorgegesetzgebung. Das hochmittelalterliche Almosenverständnis stellt den Ansatzpunkt des Zugriffs des weltlichen Gesetzgebers dar. Zur Almosengabe gehört spiegelbildlich die Bitte des Unterstützungssuchenden, der Bettel. Eben dieses Verhalten reguliert der städtische Normgeber, als er sich aufgrund der sozialen Veränderungen im 14. Jahrhundert zum Handeln gezwungen sieht. Die Stadtordnungen als Vorläufer und Auslöser der Reichs- und Territorialgesetzgebung werden sodann dargestellt. In deren Folge verdichten sich unterschiedliche Positionen zur Fürsorgeorganisation, die wiederum auf die Reichsgesetzgebung Auswirkungen haben. Die Bearbeitung der Gesetzgebung in den Kurfürsten-
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1. Teil: Einleitung
tümern Köln und Trier gliedert sich in drei auf das jeweilige Jahrhundert bezogene Kapitel. Die zeitliche Zäsur deckt sich im Wesentlichen mit den Entwicklungsphasen der Fürsorgeorganisation. Eingeschoben ist ein Exkurs in Kapitel 4 zu der rechtstheoretischen Durchdringung des Armenfürsorgerechts im 17. Jahrhundert. Die hieraus gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen einen verbesserten Abgleich der Möglichkeiten des frühneuzeitlichen Gesetzgebers. Die Arbeit schließt in Kapitel 7 mit dem Resümee der Ergebnisse.
C. Forschungsstand Seit den Arbeiten von Sachße/Tennstedt4 weisen die vergangenen Jahrzehnte eine umfangreiche Beschäftigung der Geisteswissenschaften mit dem Thema „Armut“ auf. Hierzu gehören zusammenfassende Darstellungen wie die von Jütte5 und von Schubert6 ebenso wie jüngere Untersuchungen zum Verhältnis der Reformation zur Fürsorge durch Lorentzen7. Einzelne Instrumente der Fürsorgegesetzgebung wie das Arbeitshaus sind in der 2008 erschienenen Arbeit von Brettschneider dargestellt. Die Polizeirechtslehre des 18. Jahrhunderts, als deren Teilbereich die Armenund Bettelgesetzgebung zu werten ist, wird in der Untersuchung von Simon8 beleuchtet. Eine spezifisch rechtshistorische Untersuchung eines Teilbereichs des Fürsorgerechts liefert Begon in ihrer Arbeit zum Hospitalrecht des „usus modernus“.9 Den Beginn der lebhaften Armutsforschung stellen die immer noch zitierten Standardwerke des 19. Jahrhunderts dar, die einer Zeit entstammen, als die Armenpflege im Zeichen des Kulturkampfes und vor dem Hintergrund der Bismarckschen Sozialgesetzgebung ein großes, ja auch politisches Thema ist.10 Teilweise werden in Standardwerken des 20. Jahrhunderts die merklich konfessionell eingefärbten Bewertungen der Gesetzgebung ungefiltert übernommen.11 Selbst in neueren Erscheinungen wird die protestantische Auffassung, dass die mittelalterliche und später als katholisch fortgeführte Fürsorge über die „Stufe des zufälligen und ungeordneten Almosengebens“ nicht hinausgekommen sei, übernommen.12 Dies hat bis heute zur 4
Sachße/Tennstedt (1980). Jütte (2000). 6 Schubert (1990). 7 Lorentzen (2009). 8 Simon (2004). 9 Begon (2002). 10 Ratzinger (1884); Ehrle (1881); Emminghaus (1870); Uhlhorn (1895). 11 Vgl. nur das Beispiel von Geremek (1991). 12 Vgl. Uhlhorn (1895), S. 521. In diese Richtung gehen auch die Ausführungen von Hersche (1989), S. 143; Kahl (2005). Der rechtswissenschaftliche Teil der rechtsgeschichtlichen Forschung deutet die Fürsorgereformen im 16. Jahrhundert im Sinne Uhlhorns alleine auf der geistigen Grundlage der Reformatoren, vgl. Schädler (1980), S. 12 ff. Eine Tendenz zur Annahme der Rückständigkeit katholischer, speziell geistlicher Territorien lässt sich auch erkennen bei Battenberg (1991), S. 51. 5
C. Forschungsstand
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Folge, dass einige aus dieser Zeit stammende Thesen zum Unterschied zwischen katholischer und protestantischer Armenfürsorge sich immer noch als wirkungskräftig erweisen. So führt für den Protestanten Uhlhorn katholische Armenfürsorge aufgrund ihrer Strukturdefizite unweigerlich zur Vermehrung der Zahl der Armen und vor allem der Bettler. Diese These wird unter Bezugnahme auf ihn weiterhin vertreten, ohne dass sie empirisch überprüft worden wäre.13 Dieses Phänomen ist umso erstaunlicher, als zwischenzeitlich zahlreiche Arbeiten von Historikern und auch von Rechtswissenschaftlern in der Armutsforschung diese Ergebnisse relativieren.14 Untersuchungen von Dussel zur Fürsorgegesetzgebung im Hochstift Speyer oder von Zimmermann zur Fürsorgegesetzgebung in Würzburg sind ebenfalls nicht rezipiert worden.15 Untersuchungen, die sich vornehmlich auf die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Rechtsordnungen konzentrieren, stehen aus oder weisen für das jeweilige Territorium ein unvollständiges Bild auf. Zwar haben jüngere Arbeiten die territorialstaatliche Gesetzgebung weltlicher Territorien dargestellt. So sind insbesondere die Verhältnisse in Österreich durch die Arbeiten von Ammerer, Bräuer, Scheutz oder Weiß erschlossen.16 Die Gesetzgebung in Bayern wird behandelt in den Arbeiten von Schepers und Hauser.17 Zwischen der detaillierten Darstellung von Schepers zur Gesetzgebung im 17. Jahrhundert und der leider nur verkürzenden Untersuchung von Hauser zum 18. Jahrhundert liegt indes eine Untersuchungslücke. Für das angrenzende Kurfürstentum Mainz liegt zum einen die Arbeit von Rösch vor, der mit einer kurzen Darstellung der Vorgeschichte im 18. Jahrhunderts sich auf die Fürsorgereform im Jahr 1787 konzentriert. Die kurmainzische Vorgehensweise besteht darin, zu Anfang des 18. Jahrhunderts den Bettel als Versorgungsform abzuschaffen und auf staatlich kontrollierten Leistungsbezug umzustellen. Begleitet werden diese Maßnahmen durch die Bemühung um die Zentralisierung der Finanzierung im Armen- und später auch im Arbeitshaus zu Mainz. Die Finanzierung der Fürsorge beruht auf Spenden, ergänzt durch Beteiligungen an Lotterieeinnahmen, die im weiteren Verlauf stetig abnehmen. Die Armen- und Bettelgesetzgebung des 18. Jahrhunderts ist weiterhin Bestandteil der umfangreichen Untersuchung von Härter zum Polizeirecht im Kurfürstentum Mainz.18 Dort liegt der Focus indes auf dem polizeirechtlichen Umgang mit Devianz, mobilen Randgruppen und der inhaltlich verknüpften Armenpolitik. Ältere Untersuchungen zur territorial13
„In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war ,Armenpflege‘ durchaus ein modisches Thema für aufgeklärte ,moralische Wochenschriften‘ geworden. Dem damit verbundenen optimistischen Erziehungsglauben stand aber wieder einmal die überhand nehmende Bettlerplage gegenüber, die besonders in katholischen Gebieten unlösbar schien.“ Vgl. Philippi, Art. Diakonie I, in: TRE VIII. 14 Vgl. statt vieler anderer Eder (1997), S. 24; Jütte (2004). 15 Dussel (1995); Zimmermann (2004). 16 Vgl. zu den österreichischen Verhältnissen insbesondere Ammerer (2003a); Bräuer (1996); Scheutz (2006), Weiß (1997). 17 Vgl. zu Bayern Hauser (1986); Schepers (2000). 18 Vgl. Härter (2005); Rösch (1929).
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1. Teil: Einleitung
staatlichen Fürsorgegesetzgebung weisen demgegenüber eine fehlende Distanz zu den verwandten Quellen auf.19 Auf speziell weiterführende Literatur soll bezüglich besonderer Fragestellungen an geeigneter Stelle verwiesen werden. Zu den beiden Kurfürstentümern Trier und Köln gibt es anders als zum benachbarten Mainzer Erzstift bis auf einen Beitrag von Dorn keine Untersuchungen zur Armenfürsorgegesetzgebung.20 Es existieren für Kurtrier und Kurköln Einzelbeiträge, die sich vornehmlich mit kommunalen Strukturen der Armenfürsorge, insbesondere in Gestalt des Armen- und Arbeitshauses, befassen.21 Die Sonderstellung der geistlichen Territorien, die von der historischen Forschung des vergangenen Jahrzehnts durchaus als lohnendes Feld der Betätigung entdeckt worden ist,22 hat in Bezug auf die Armenfürsorge- und Bettelgesetzgebung mit Ausnahme der Arbeit von Rudersdorf zum Wirken des Justus Möser keine tiefere Behandlung erfahren.23 Eine umfassend angelegte Arbeit, welche die gesamte Entwicklung der Armenfürsorgegesetzgebung von deren Beginn bis zum Ende des Ancien Régime beschreibt, fehlt indes nicht nur für die geistlichen Territorien.
D. Quellen Die Quellen der vorliegenden Untersuchung sind die zur Polizeigesetzgebung des frühneuzeitlichen Territorialstaates zu zählenden Rechtsnormen. Diese Form von Rechtsgeboten mit allgemeinem Geltungsanspruch, erlassen durch eine übergeordnete und legitimierte Autorität wird insoweit erfasst, soweit sie inhaltlich direkt oder mittelbar Auswirkungen auf die Armenfürsorgeorganisation hat. Der Erfassung der Normen wird das Normverständnis des „Repertorium der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit“ zugrunde gelegt.24 Die Analyse der ausgewählten Verordnungen bestätigt die Feststellung von Härter/Stolleis, dass es an einer einheitlichen Begrifflichkeit aufgrund der Vielfalt an Erscheinungsformen der frühneuzeitlichen Norm fehlt. Zum Polizeirecht, wozu nach zeitgenössischem Verständnis das Armenfürsorgerecht zählt, können Normen in der Form umfassender Polizei- oder Landesordnungen ebenso ergehen wie in Einzelanweisungen oder Spezialverordnungen. Die hier gewählte Bezeichnung entspricht gemäß dem Ansatz von Härter/Stolleis der formalen 19
Beispielhaft ist dies erkennbar bei der Untersuchung zur Bettelgesetzgebung im Gebiet des heutigen Landes Hessen bei Menzler (1967). Einen Teil des Landes Hessen, die Landgrafschaft Hessen-Kassel bearbeitet Schädler (1980). Diese Darstellung bietet einen Abgleich mit der Ideengeschichte der Aufklärung und der hierdurch verursachten Veränderungen und fasst die Armengesetzgebung knapp zusammen. 20 Dorn (2005). 21 Huberti (1935); Schlue (1957). 22 Vgl. zu Untersuchungen zu geistlichen Territorien im Reich Braun (2002), Kissling (2002), Wüst (2002), Zimmermann (2004). 23 Rudersdorf (1995). 24 Vgl. hierzu Härter/Stolleis (1996a), S. 1 – 19.
E. Forschungsmethoden
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Selbstbezeichnung der Normen. Fehlt eine Bezeichnung der Norm, wird auf die bei Härter/Stolleis gewählte Benennung zurückgegriffen. Die Zielsetzung der Arbeit definiert zugleich die Art der untersuchten Normen. Es handelt sich überwiegend um Rechtsnormen der zentralen, kurfürstlichen Herrschaftsebene, die ergänzt wird durch entsprechende Normen auf städtischer oder untergeordneter territorialstaatlicher Ebene. Soweit es zur Darstellung der institutionellen Fürsorge erforderlich ist, werden einzelne Hospitalsordnungen in den Blick genommen. Die Analyse des Kirchenrechts richtet sich auf die Synodalbeschlüsse der Kirchenprovinz, deren Mitglied und Vorsitzender der Erzbischof und Kurfürst ist. Die Fokussierung der Untersuchung auf Normen der geistlichen Kurfürsten wird punktuell ergänzt durch den Blick auf Verordnungen protestantischer Herrscher. Zur Darstellung der Rahmenbedingungen der Fürsorgegesetzgebung werden darüber hinaus theologische, politische und juristische Quellen hinzugezogen.
E. Forschungsmethoden Die rechtsgeschichtliche Erschließung des Untersuchungsgegenstands konzentriert sich auf die Normebene der Armenfürsorge. Die Analyse der normativen Techniken und Semantiken steht demgemäß im Mittelpunkt. Der Erkenntnisgewinn wird durch den Vergleich der beiden Kurfürstentümer untereinander und mit der Gesetzgebung im Reich und in Europa erzielt. Der Vergleich dient darüber hinaus der Erschließung der kirchenrechtlichen Regelungen. Die zeitliche Dimension ermöglicht es, eine geschlossene Darstellung der Entstehung und der Entwicklungslinien des territorialen Armen- und Bettlerrechts zu schaffen. Angesichts der Überlieferungssituation nicht auszuschließen sind Dokumentationslücken, deren Wahrscheinlichkeit indes angesichts der Wiederholungstechnik beim Gesetzeserlass gering ausfällt. Die Vielschichtigkeit und Disparität der Normen erfordert ein flexibles Vorgehen bei der Normanalyse, bei der die juristische Auslegung im Vordergrund steht. Ergänzt und gestützt werden diese Erkenntnisse durch die Heranziehung von Ergebnissen aus der Geschichtswissenschaft, der Theologie sowie der Soziologie. Auch hier soll durch den Abgleich mit den dort getroffenen Feststellungen die Analyse auf ein breit angelegtes Fundament gestellt werden. Insbesondere die Einbeziehung von Erkenntnissen der Geschichtswissenschaft zu Lebenswelt und Lebenswirklichkeit des Armen selbst dient der Verhinderung einer Abkopplung der Gesetzesanalyse von der menschlichen Situation des Betroffenen. Angestoßen von den Überlegungen von Niklas Luhmann zu Fürsorge und der von ihm entwickelten Systemtheorie bietet sich das Begriffspaar Inklusion/Exklusion bei der Analyse der normativen Grundlage der Armenfürsorge an.25 Durch Beschreibung von Teilhabe bzw. Nichtteilhabe an Leistungen der Gemeinschaft lassen sich Veränderungen in den hierbei relevanten 25 Vgl. zur Systemtheorie und der Fürsorge Luhmann (1972), S. 30 ff.; ders. (1987); Schmidt (2008a), S. 244 ff.
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1. Teil: Einleitung
Kriterien erleichtert beschreiben. Die Prozesshaftigkeit und die „Mechanik“ der Fürsorge kann so besser herausgearbeitet und sprachlich gefasst werden. Dagegen ist es nicht die Intention dieser Untersuchung, die getroffenen Ergebnisse in das systemische Funktionsmodell nach Luhmann zu übertragen.
Zweiter Teil
Rahmenbedingungen frühneuzeitlicher Armenfürsorgeund Bettelgesetzgebung A. Das Almosen in der hoch- und spätmittelalterlichen Gesellschaft Ein Charakteristikum der Fürsorgegesetzgebung der geistlichen Kurfürstentümer ist – wie die weitere Untersuchung zeigen wird – die Schwierigkeit, religiös geprägte Unterstützungsformen zu implementieren oder zu überwinden. Es ist daher zum Verständnis dieser Entwicklung notwendig, auf die Ausgangsformen der christlichen Armenpflege im Hoch- und Spätmittelalter einzugehen. Die von der kirchlichen Lehre geprägte reale Gestalt der Caritas bildet den Ansatzpunkt für die beginnende städtische Normierung der Armenfürsorge. Hierbei knüpft die städtische Obrigkeit an den Empfänger des Almosens als eine Form der christlichen Nächstenliebe an. Der Stadtrat reagiert auf Versorgungsengpässe, Missstände und Systemstörungen, denen er mit den vorgefundenen Unterstützungsmöglichkeiten begegnen will. Die hochmittelalterliche Welt ist geprägt durch die Einheit der verschiedenen Stände, die verbunden sind durch den gemeinsamen christlichen Glauben als Ordnungsprinzip. Ausgangspunkt der caritativen Tätigkeit ist die Akzeptanz der Notwendigkeit der Armut als Stand und das Verständnis des Almosengebens als religiös-ethische Pflicht. Alle diesseitige Tätigkeit ist nach christlicher Lehre letzten Endes ausgerichtet auf die Erreichung jenseitiger Ziele. In diesem Zusammenhang kommt der Kirche wegen ihrer Auslegungskompetenz der göttlichen Offenbarung die maßgebliche Position bei der Heilserlangung zu. Auch der Stand der auf ihrer Hände Arbeit angewiesenen Armen („pauperes“) gehört zur gesellschaftlichen Ordnung und erhält seinen besonderen Wert dadurch, dass er Anlass gibt zu verdienstvollem Tun. Zum Stand der Armen zählen daneben auch diejenigen Bedürftigen („egentes“), die vom Almosen anderer leben müssen. Hierzu rechnet man die Arbeitsunfähigen, die Kranken, die Gebrechlichen, die Alten und die Kinder, also Personen, die nicht mittels körperlicher Arbeit ihr Einkommen erzielen können.1
1
Scherpner (1962), S. 28.
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2. Teil: Rahmenbedingungen der Armenfürsorge- und Bettelgesetzgebung
Armen und Bedürftigen Hilfe zu leisten, gehört von Beginn an zu den zentralen ethischen Forderungen des Christentums.2 Dass diese Forderungen Auswirkungen auf die Spendenbereitschaft des Einzelnen hatten, lässt sich kaum abstreiten.3 Die christliche Nächstenliebe ist eine grundlegende, obgleich nicht die alleinige Antriebsfeder der Gewährung von Unterstützungsleistungen.4 Zu den Almosenleistungen als Akten der Barmherzigkeit zählen die sieben körperlichen und die sieben geistlichen Werke.5 Der Ansporn zum Almosengeben hat entsprechend der Kirchenlehre drei Elemente: der „actus interior“, also die Verursachung durch das göttliche Gebot, der „actus exterior“ aufgrund des Naturrechts, den „fructus“, also den persönlichen Gewinn in Gestalt von Ansehen, Verdienstlichkeit und Rettung des Seelenheils.6 Kennzeichnend für alle Akte der Barmherzigkeit ist die Interaktion zwischen Spender und Empfänger. Der Spender und der Empfänger stehen in einem unmittelbaren Korrelationsverhältnis, in dem sich vermittelt auch ihre Beziehung zur göttlichen Sphäre ausdrückt. Das tatsächliche Geschehen lässt sich dabei typischerweise in zwei Bestandteile unterscheiden. Zum einen erfolgt seitens des Bedürftigen die Bitte, das Herantreten an den potentiellen Spender. Zum anderen entscheidet der Spender über das Ob und Wie einer Gabe an den Bittenden. Die Effekte dieser Interaktion lassen sich bezogen auf die körperlichen Werke wechselseitig beschreiben: Für den Armen bedeutet die Gabe die zur Existenz notwendige Versorgung, für den Spender hingegen die geistliche Belohnung seines Handelns. Die Verdienstlichkeit der guten Werke, also die Vorstellung, dass dadurch die zeitlich begrenzten Sündenstrafen im Fegefeuer abgegolten werden können, ist seit 1343 päpstliche Lehrmeinung.7 Die hoch- und spätmittelalterliche Lehre der christlichen Nächstenliebe findet in der Armenpflege ihre Erscheinungsformen vornehmlich in der Spitalfürsorge und der Austeilung von Almosen.8 Ausgeübt wird die Spitalfürsorge durch die Klöster oder durch die institutionelle Kirche. In den von Laien gegründeten oder unterstützten 2 Deutlich erkennbar wird dies an dem Zitat von Basilius von Cäsarea durch Thomas von Aquin, S.th. II-2 qu. 32, a. 5. ad. 2, worauf Lorentzen (2009), S. 7, hinweist: „Est panis famelici quem tu tenes, nudi tunica quam in conclavi conservas, discalceati calceus qui penes te marcescit, indigentis argentum quod possides inhumatum“, also „Dem Hungrigen gehört das Brot, das du zurückhälst; dem Nackten das Kleid, das du im Schranke verwahrst; dem Barfüßigen der Schuh, der bei dir verfault; dem Bedürftigen das Silber, das du vergraben hast.“ 3 So auch Bog (1986), S. 986. 4 Geremek (1991), S. 34; Scherpner (1962), S. 25 – 27. Dass sich die Motivation zum Almosengeben darüber hinaus aus mehreren Quellen speist, belegen Bräuer (2001), S. 86, 91; Schubert (1992), S. 252 f., 257 f. 5 Thomas von Aquin, S.th. II-2 qu. 32, q. 32, a. 2. Die sieben körperlichen Werke werden in dem Spruch gefasst: „Visito, poto, cibo, redimo, tego, colligo, condo“, also „Besuche, tränke, speise, löse, kleide, gib Obdach, begrabe“. Die sieben geistlichen Werke lassen sich, wie der Verweis des Aquinaten auf Albertus Magnus ergibt, darstellen mit „[Instrue], consule, castiga, solare, remitte, fer, ora“, also „Lehre, rate, rüge, tröste, verzeih, ertrage, bete“. 6 Vgl. Jütte (1984a), S. 24. Jütte betont die Freiwilligkeit des Almosens. 7 Lorentzen (2009) S. 69, 81. 8 Fischer (1979), S. 141; Hartung (1989), S. 158; Jütte (1984a), S. 23 f.
A. Das Almosen in der hoch- und spätmittelalterlichen Gesellschaft
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Hospitälern kommt es im Spätmittelalter zu einer Verbürgerlichung der Hospitalsverwaltung.9 Ein umfassendes Versorgungsnetz kann darin trotz der zahlreichen Einrichtungen nicht gesehen werden, da die vorhandenen Angebote für die große Anzahl an Unterstützungssuchenden nicht ausreichend sind.10 Ein Grund hierfür ist ferner der Umstand, dass die Spitäler gerade auch für die Versorgung vermögender Pfründner, die sich durch Einbringung ihres Vermögens ihre Berechtigung erworben haben, zuständig sind. Zwar steht diese Möglichkeit des Einkaufs zur Sicherung der Altersoder Krankheitsversorgung aufgrund der Höhe der hierfür notwendigen finanziellen Mittel nur einem geringen Teil der Menschen offen. Jedoch wird bereits von den Zeitgenossen die Überlastung der Hospitäler aufgrund der Pfründnerversorgung als Missbrauch und Beeinträchtigung der Versorgungsaufgaben des Hospitals begriffen.11 Für den weitaus größeren Teil stellt das in Form von Lebensmitteln oder Geld ausgeteilte Almosen die wesentliche Versorgungsgrundlage dar. Praktiziert wird dieses zu den körperlichen Akten der Barmherzigkeit zu zählende Almosen sowohl von kirchlichen Einrichtungen wie den Klöstern als auch von Privatpersonen vom König bis hin zu den Bürgern und Bauern. Die Form der Almosengabe stellt damit eine Massenerscheinung dar.12 Die Ausspendung von Almosen erfolgt zudem aus Stiftungen heraus, deren Austeilung der Kirche obliegt. Eindeutig ist die Kompetenz zur Verteilung der Versorgungsleistungen für Bedürftige dem kirchlichen Rechtskreis zugeordnet.13 Das Almosen ist oftmals an feste Termine ohne Berücksichtigung der individuellen Notsituation gebunden. Beispielsweise findet die Verteilung der Gaben an den Todestagen der Stifter oder an Kirchenfesttagen statt. Dass dies keine geregelte Versorgung bedeutet und auch so nicht angelegt ist, ist daher trotz der teilweise bedeutenden Summen der Almosen festzuhalten.14
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Begon (2002), S. 24 ff.; Scherpner (1962), S. 45; Weller (1979), S. 13 ff., 18 ff. Vgl. als Beleg für den Untersuchungszeitraum Schmidt/Wagner (2004), S. 498. 11 Vgl. hierzu Jankrift (2006), S. 137. 12 Vgl. Bräuer (2001), S. 59 ff.; Geremek (1991), S. 47 f. Zur religiösen Bedeutung der Almosenverteilung der Klöster vgl. Little (1978), 84 ff., zum Ausmaß und Gestalt vgl. Davis (2002); Fischer (1982), S. 30 f.; Lorentzen (2009), S. 84 ff.; Schubert (1992), S. 255; Oexle (1986), S. 80 f. 13 Tierney (1959), S. 126 ff., der zutreffend den Rechtscharakter des Almosens betont und sogar von „Medieval Poor Law“ spricht. 14 So Sachße/Tennstedt (1980), S. 29. Fischer (1979), S. 151, betont die unzureichenden finanziellen Kapazitäten dieser Form der Fürsorge. Jütte (1984a), S. 26, weist wegen der Unregelmäßigkeit der mittelalterlichen Almosenpraxis darauf hin, dass insofern nicht von einer Fürsorge im strukturiert-geplanten Sinn zu sprechen ist. Dem ist zuzustimmen, indes ist die von Jütte behauptete Zufälligkeit der Auswahlkriterien für die Kirchenlehre so nicht zutreffend. Für Beispiele der Almosenspenden im Mittelalter vgl. Uhlhorn (1895), S. 423 ff. 10
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2. Teil: Rahmenbedingungen der Armenfürsorge- und Bettelgesetzgebung
I. Mittelalterliche Fürsorgetheorie: Die Almosenlehre des Aquinaten Die anerkannten theologischen Voraussetzungen der Armenpflege sind in den verschiedenen Systemen der Scholastiker zum Almosen niedergelegt.15 Dass sich dort Unterschiede feststellen lassen zu den volkstümlichen, vereinfachten Verkündigungen von den Kanzelpredigern, mindert nicht die Bedeutung der kirchlichen Lehren.16 Vielmehr wird erneut an dieser Stelle die Bedeutung der Kirche offensichtlich, die bei der Gewährung von Almosen als Vermittlerin zwischen Arm und Reich auftritt.17 Den signifikantesten Ausdruck erhalten die mittelalterlichen kirchlichen Vorstellungen über die Armen als Stand und die Funktion und Voraussetzungen des Almosens bei Thomas von Aquin in seiner „Summa theologica“.18 Bezugsraum der Soziallehren des Aquinaten ist die agrarisch-gewerbliche Stadt des Mittelalters, die ihn als seine eigene Lebenswelt prägte. In diesem begrenzten realen Sozialsystem sieht er ein Musterbild der christlichen Gesellschaft verwirklicht.19 Verankert ist das Almosen im Bußsakrament als eine der drei Möglichkeiten der „satisfactio“. Zu den Bußwerken zählen neben dem Almosen das Gebet und das Fasten. Die unbedingte religiös-ethische Pflicht zum Almosengeben ist jedoch unabhängig von der Verknüpfung mit dem Bußsakrament. Diese Genugtuung für begangene Sünden tritt nach der christlichen Lehre an die Stelle der zeitlichen Sündenstrafen. Thomas von Aquin formuliert dies ausdrücklich so: „Almosengeben wird unter die Werke der Genugtuung gerechnet; wie es nach Dan. 4,24 heißt: Löse dich durch Almosen von deinen Sünden.“20 Aus der Bedeutung des Bußsakraments für die Lebensführung des mittelalterlichen Menschen resultieren die ethische Notwendigkeit und der Antrieb zum Almosengeben. Die Motivation enthält sowohl dieses belohnende Element als auch die Furcht vor Bestrafung wegen Nichterfüllung des göttlichen Almosengebots.21 Die Almosengabe fordert tatbestandlich sowohl von den Spendern als auch von der Empfängerseite bestimmte Voraussetzungen ein. Eine wahl- und
15 Eine Übersicht der mittelalterlichen Almosenlehre findet sich bei Lorentzen (2009), S. 78 ff.; Scherpner (1962), S. 25 ff.; Tierney (1959); vgl. Schönberger, Art. Scholastik, in: LexMA VII. 16 Scherpner (1962) S. 25 f. 17 Geremek (1991), S. 51; Scherpner (1962), S. 25; Weller (1979), S. 12. Ein Beleg für die tiefe Verankerung der kirchlichen Lehren in der Bevölkerung stellt die von Lorentzen untersuchte Verbreitung von Almosenbrettern dar, vgl. Lorentzen (2009), S. 65 ff. 18 Vgl. hierzu Scherpner (1962), S. 23 ff., S. 26 Fn. 2. Scherpner spricht sogar davon, dass „die Soziallehren des mittelalterlichen Katholizismus, die klassische Gestalt in den Schriften des Thomas von Aquin erhalten haben“, vgl. Scherpner (1962), S. 29. 19 Scherpner (1962), S. 39 Fn 41; so auch Scherner (1979), S. 57. Zum Lebensweg des Aquinaten vgl. Böckenförde (2002), S. 214 ff. 20 Thomas von Aquin, S.th. II-2 q. 32, a. 1, ad. 1. 21 Lorentzen (2009), S. 80 f.; Scherpner (1962), S. 26.
A. Das Almosen in der hoch- und spätmittelalterlichen Gesellschaft
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ziellose Gewährung von Unterstützung kann der kirchlichen Almosenlehre vor diesem Hintergrund nicht unterstellt werden.22
1. Voraussetzungen der Almosenpflicht Das Ausmaß der Verdienstlichkeit der Almosengabe hängt davon ab, ob sie aus Pflichterfüllung oder aus Freiwilligkeit erfolgt. Pflicht oder Freiwilligkeit bestimmen sich danach, aus welchem Teil des Vermögens die Spende erfolgt.23 Hier richtet sich der Blick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des potentiellen Spenders. Stammt die Gabe des Spenders aus dem „superfluum“ ist die Almosenspende eine religiöse Pflicht. „Superfluum“ meint dabei allen Besitz, der über das „necessarium“ hinausgeht. Das „necessarium“ ist das Gut, welches zum standesgemäßen Lebensunterhalt erforderlich ist. Zum standesgemäßen Lebensunterhalt gehört neben der eigenen auch die Versorgung der Personen, die seiner Sorgepflicht unterstehen.24 Der Aquinate führt dies auf die Bibelstelle in Lk 11, 41 zurück, in der es heißt: „Von dem, was euch übrig ist, gebt Almosen.“ Handelt es sich um eine Spende aus dem „necessarium“, dem zur standesgemäßen Lebensführung Unabdingbaren, ist sie nach christlichem Verständnis freiwillig erfolgt.25 Unausgesprochen tritt hier ein Unterscheidungskriterium zu Tage, das im weiteren Verlauf entscheidende Bedeutung in der Gesetzgebung erlangen wird: Fremdheit bzw. Zugehörigkeit. Erst wenn die Versorgung der eigenen, zugehörigen Personen gesichert ist, kann die Almosenpflicht beginnen.26 Der Berücksichtigung der Vermögenssituation des Spenders steht auf Seiten des Empfängers der Blick auf dessen Lebenssituation gegenüber. Bei dem Almosenempfänger ist „extrema necessitas“, die wirkliche Not, Voraussetzung. Diese Voraussetzung wird durch die Beispiele der körperlichen Almosen weiter konkretisiert: Die Situation ist das jeweilige Äquivalent zum Gebot zu besuchen, zu tränken, zu speisen, zu befreien aus der Gefangenschaft, zum ankleiden, zum Obdach geben, zu begraben. Für die Fürsorgegesetzgebung sind die Versorgung der Hungernden und Dürstenden, die Ausstattung des Nackten mit Kleidung und die Zurverfügungstellung von Wohn22 Auf die Verknüpfung des Almosen mit bestimmten Voraussetzungen weisen Lorentzen (2009), S. 79 f.; Scherpner (1962), S. 28 hin. 23 Lorentzen (2009), S. 81 f. 24 Thomas von Aquin, S.th. II-2 q. 32, a. 5, ad. 1. 25 Die detaillierte Bestimmung des Notwendigen ergibt sich für Thomas von Aquin aus zwei Eckpunkten. Zum einen ist die Untergrenze bei dem angesiedelt, was unmittelbar zum körperlichen Erhalt erforderlich und damit grundsätzlich unantastbar ist. Eine Ausnahme gilt nur bei Opferung für höhergestellte elementare Würdenträger in Kirche oder Staat. Zum anderen ergibt sich die Obergrenze des Notwendigen aus der oben dargestellten Bestimmung der zum standesgemäßen Lebensstil notwendigen Mittel; vgl. Thomas von Aquin, S.th. II-2 q. 32, a. 6. ad 1. 26 Vgl. Tierney (1958), S. 369 f. Dort finden sich bei den Dekretisten und Glossatoren Hinweise auf die Bedeutung des Kriteriums Fremdheit bei der Vergabe von Unterstützungsleistungen.
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2. Teil: Rahmenbedingungen der Armenfürsorge- und Bettelgesetzgebung
raum relevant. Die Notsituation ist demnach klar umrissen: Nur Situationen, in denen die Gefahr besteht, dass ohne deren Behebung der Notleidende sich nicht mehr selbst am nackten Leben erhalten kann.27 Auch die Beschaffenheit der Gabe lässt sich anhand der sieben körperlichen Almosen bestimmen. Aquin befürwortet zwar die reichliche Gabe auf Seiten des Spenders, schränkt jedoch den Empfang reichlicher Gaben auf Seiten des Empfängers ein. Der Almosenempfänger soll zwar reichlich erhalten, um aus seiner konkreten Notsituation zu gelangen. Verhindert werden soll indes eine überreichliche Versorgung, da dies Überfluss zur Folge habe. Besser ist nach Ansicht des Aquinaten daher die Verteilung dieses Überflusses auf viele, statt auf einen Einzelnen. Stets zu berücksichtigen sind indes die persönlichen Lebensumstände des Einzelnen und damit auch dessen Stand. Als zu berücksichtigende Lebensbedingungen und Verteilungskriterien bietet Aquin die bereits von Augustinus aufgezeigten Differenzierungen an: „Beim Spenden soll man das Alter und die Gebrechlichkeit berücksichtigen.“28 Die Gabe selbst muss stets aus „misericordia“, also aus Mitleiden um Gottes Willen, gereicht werden, um verdienstlich zu sein.29 Zumindest auf der theoretischen Ebene ist ein Almosen ohne Mitleid lediglich materiell vollzogen und nicht „formaliter“, seinem inneren Wert gemäß. Auch wenn angesichts des Massenphänomens der Almosenspende die Vermutung recht nahe liegt, dass der Wunsch freigiebig in den Augen anderer zu erscheinen oder von seinen Sünden loszukommen die bedeutendere Antriebsfeder gewesen sein könnte,30 tut dies dem christlichen Postulat keine Abbruch. Bereits nach dem Aquinaten muss eine zusätzliche anderweitige Motivation, so etwa die Genugtuung für eine Schuld, die Motivation des Mitleids nicht ausschließen.31 Für die theologische Lehre ist indes trotz dieser Anforderungen festzuhalten: Eine ausdrückliche Verpflichtung des Helfenden, die Bedürftigkeit zu überprüfen, so wie es später durch die städtische Obrigkeit erfolgt, lässt sich so nicht ausdrücklich feststellen.32 Hierbei mag eine Rolle spielen, dass sich die Almosenlehre in religiösethischer Hinsicht bestimmt und so der Almosenempfänger anders als der Spender nicht im Mittelpunkt der Überlegungen steht. Damit fehlt es an der Notwendigkeit,
27 Thomas von Aquin, S.th. II-2 q. 32, a. 5. Der Aquinate zitiert dabei den Kirchenvater Ambrosius: Speise den, der vor Hunger stirbt. 28 In diese Richtung zielen die Ausführungen in Thomas von Aquin, S.th. II-2 q. 32, a. 10, ad 3 sowie q. 187, a. 10, ad 3: „non est danda eleemosyna ut inde luxurietur, sed ut inde sustentetur.“ 29 Lorentzen (2009), S. 80 f.; Scherpner (1962), S. 26 f.; Thomas von Aquin, S.th. II-2 q. 32, a. 1, ad 1. Zu den identischen Forderungen der Scholastiker vgl. Tierney (1959), S. 51. 30 Hierauf verweisen Bräuer (2001), S. 86, 91; Schubert (1992), S. 252 f., 257 f. 31 Scherpner (1962), S. 28; Thomas von Aquin, S.th. II-2 q. 32 a. 1, ad. 4. 32 Siehe Scherpner (1962), S. 36; mit Hinweis auf die fehlende Feststellung dieser Pflicht bei Thomas von Aquin; bzgl. der im Ergebnis gleichen Ansicht Gratians vgl. Tierney (1959), S. 55.
A. Das Almosen in der hoch- und spätmittelalterlichen Gesellschaft
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auf die Hintergründe der Bedürftigkeit zu blicken und dauerhafte Abhilfemöglichkeiten zu bieten.33 2. Verdienstlichkeit des Almosens Bei Erfüllung der obigen Voraussetzungen gilt: Gibt der Spender aus dem „superfluum“, ist die Spende „de praecepto“, also nach Vorschrift. Demgegenüber ist die Gabe vom „necessarium“ freiwillig und über das Vorgeschriebene hinausgehend. Eine solche Spende ist ein „Rat der Evangelien“, ein Verhalten „de consilio“.34 Beide Spenden sind verdienstvoll, indes ist es die Gabe „de consilio“ als freiwilliges Mehr zur Pflicht in besonders großem Maße. Umgekehrt stellt die Nichterfüllung der christlichen Pflicht eine Sünde dar.35 Der himmlische Lohn des Almosens speist sich darüber hinaus noch aus einer weiteren Quelle: die Fürbitte des Almosenempfängers. Dieser ist im Austausch zur Almosengabe aus Dankbarkeit dazu berufen, für seinen Wohltäter zu beten.36 Der Wunsch nach dieser Art von Gegenleistung wird belegt durch die zahlreichen Stiftungen zugunsten von Armen, Kranken, Kirchen und Klöstern. Die Stiftungen stehen dabei unter der Bedingung regelmäßiger Seelenmessen.37 3. Arbeitspflicht des Armen und die Berechtigung zum Bettel In der Soziallehre des Thomas von Aquin korrespondiert die Almosenpflicht mit der Betonung der Arbeitspflicht der Armen und der scharfen Ablehnung des Bettels aus Faulheit.38 Die Arbeitspflicht der Armen ergibt sich aus der Grundannahme, dass nämlich alle erwerbende Tätigkeit ihren Sinn darin hat, dass sie durch materielle Sicherung der Existenz des Einzelnen und des Bestandes der menschlichen Gesellschaft die Voraussetzung für die Bemühung um das Seelenheil bietet. Arbeit an sich ist dabei kein Wert, sondern als Ausfluss des Naturgesetzes zugleich durch göttliches Gebot verordnet. Nur die herrschenden Stände, Männer der Wissenschaft und der Kirche sind von dieser generellen Arbeitsverpflichtung ausgenommen. Aktualisiert wird die Verpflichtung zur Arbeit gerade dann, wenn ein Mangel an Lebensnotwendigen bei dem Menschen vorliegt. Das Ziel der Erwerbstätigkeit ist auf die Beschaffung des Lebensnotwendigen gerichtet. Zugleich ist die Erwerbstätigkeit dem
33 Zu den Ansätzen im kanonischen Recht, insbesondere bei den Dekretisten, zur Unterscheidung und Untersuchung der Bedürftigkeit von Almosenempfängern vgl. Tierney (1958), S. 361 ff. 34 Thomas von Aquin, S.th. II-2 q. 32, a. 5 – 7. Zur Verpflichtung zur Almosenspende vom „superfluum“ vgl. Lorentzen (2009), S. 79. 35 Thomas von Aquin, S.th. II-2 q. 32, a. 5. Das Zurückhalten von Brot gegenüber dem Hungrigen wird als Unrecht bezeichnet. 36 Thomas von Aquin, S.th. II-2 q. 32, a. 4, 9. 37 Vgl. Lorentzen (2009), S. 81 f. 38 Hierzu Scherpner (1962), S. 29 ff., 35.
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2. Teil: Rahmenbedingungen der Armenfürsorge- und Bettelgesetzgebung
„vita contemplativa“, also dem Streben nach geistigem Heil, untergeordnet.39 Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass die fehlende Erörterung der Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten für Arme auf der Nachrangigkeit der Erwerbstätigkeit beruht. Dem göttlichen Gebot zu arbeiten entspricht die vom Aquinaten geteilte Auffassung, dass der Bettel aus Begierde nach müßigem Leben oder nach mühelosem Erwerb von Reichtum schlichtweg unerlaubt („illicita“) ist. Thomas von Aquin weist diesen Bereich des Verstoßes gegen das göttliche Gebot auch dem „lex civilis“ zu. Die von ihm zitierte Stelle des Codex Justinian in C 11, 25 besagt, dass die gesunden, arbeitsfähigen Bettler, die „mendicantes validi“ mit Strafe zu belegen sind: „Lex autem civilis imponit poenam validis mendicantibus“.40 Daraus folgt umgekehrt, dass derjenige, der arbeitsunfähig ist oder sich nicht ausreichend durch Arbeit selbst versorgen kann, rechtmäßigerweise zum Betteln berechtigt ist. Der Bettel als Erwerbsform unter dieser Voraussetzung ist eine akzeptierte, wenn auch die untere Stufe menschlicher Existenzerhaltung.41 So wendet sich Aquin gegen die Verwerfung des Bettels als „schimpflich“, in dem er darlegt, dass der Bettel ebenso wie Krankheit und Armut allein auf äußerem Mangel und nicht auf Schuld beruht. Mit dieser Argumentation wendet er sich gegen eine moralische Abwertung des Bettelns. Eigentümlicherweise speist sich allerdings aus der Geringwertigkeit die Akzeptanz des Bettelns als Form einer gläubigen Lebensführung. Der Bettel dient dabei als Mittel der christlichen Demutsübung, welche die Existenz der vier Mendikanten- bzw. Bettelorden rechtfertigt.42 Zudem wird ebenso wie die Fürbitte der arbeitsunfähigen Bedürftigen das geistliche gottesfürchtige Leben als Gegenleistung für den Almosenempfang angesehen.
II. Durchsetzung der Almosenverpflichtung Die religiöse Pflicht zum Almosenspenden ist durch die kirchenrechtliche Sanktion der „denuntatio evangelica“ besonders verstärkt. Anders als in Bezug auf den Almosenempfänger richtet das kanonische Recht den Blick auf den Spender und bietet ein Instrumentarium an zur Durchsetzung dieser Pflicht. Nach der Deutung Brian Tierneys, der zutreffend das kanonische Recht als ein mit dem weltlichen Recht gleichberechtigtes Gebiet ansieht, handelt es sich bei der Almosenpflicht um eine
39 Zur Wertung der Arbeit als etwas Zweitrangiges in der Antike und dem Mittelalter vgl. Fumasoli (1981), S. 19; Scherpner (1962), S. 32. 40 Thomas von Aquin, S.th. II-2 q. 187, a. 5 ad 3. Vgl. hierzu Scherpner (1962), S. 33; Scherner (1979), S. 66. 41 Thomas von Aquin, S.th. II-2 q. 187, a. 5c. Vgl. hierzu Lorentzen (2009), S. 86; Scherpner (1962), S. 34 f. Lorentzen betont, dass gerade auch die Bettelorden als freiwillig Arme Repräsentanten der Armut Christi sind. 42 Thomas von Aquin, S.th. II-2 q. 187, a. 5c; Scherpner (1962), S. 34.
A. Das Almosen in der hoch- und spätmittelalterlichen Gesellschaft
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Rechtspflicht.43 Erneut ist dabei zu beachten, dass es sich um eine auf den potentiellen Almosenspender ausgerichtete Pflicht handelt. Eine Möglichkeit für den Bedürftigen, die Unterstützung als eigenen Anspruch einzufordern, besteht nicht.44
III. Zulässigkeit des religiösen Bettels Im direkten inhaltlichen Bezug mit dem Wirkungszusammenhang zwischen Almosen und Fürbitte steht die Zulässigkeit des Bettelns aus religiöser Überzeugung. Die verschiedenen Arten des religiösen Bettels, wozu die vier Bettelorden und die Pilger auf einer Bußfahrt gehören, sind verdienstlich und damit erlaubt. Anerkannt nach allgemeiner Ansicht der Scholasten ist auch der Bettel zu nützlichen Zwecken, das Betteln der fahrenden Schüler. Hier wird das Almosen als Vorschuss für die Erwartung von künftigen Diensten für die Gemeinschaft gewährt.45
IV. Almosen als Anknüpfungspunkt der Gesetzgebung Die Kernpunkte der Kirchenlehre wirken weiter fort in den spätmittelalterlichen städtischen Normen. Bei der Bewältigung der sozialen Probleme der Stadt knüpft der städtische Gesetzgeber an die Interaktion zwischen Spender und Empfänger an und beginnt diese zu verändern, ohne jedoch auf die Zugkraft der ursprünglichen Motivation verzichten zu können. Der Fokus der spätmittelalterlichen Bettel- und Armenordnungen liegt auf der Regulierung der Empfängerseite, des Bettlers. Die Regulierung des Bettels impliziert zugleich die Akzeptanz des Bettelns als Versorgungsform. Aus Sicht des Gesetzgebers stellt sich der Bettel starker, arbeitsfähiger Bettler als abzustellender Missstand dar. Das Fürsorgesystem durch private Unterstützung wird dadurch nicht in Frage gestellt, sondern vielmehr als erhaltungswürdig anerkannt. Die Reaktion des Gesetzgebers sieht so aus, dass nicht ein neues Fürsorgesystem eingeführt wird, sondern das bestehende System durch Stützungsmaßnahmen erhalten werden soll. Dass sich daraus Veränderungen ergeben, zeigen die im Folgenden darzustellenden städtischen Ordnungen. Die christlichen Vorstellungen bleiben indes noch lange wirkungskräftig und konfrontieren den frühneuzeitlichen Gesetzgeber 43 So Scherner (1979), S. 58; Lorentzen (2009), S. 79; Tierney (1959), S. 34 ff., bzgl. der fehlenden Berechtigung zur Ausübung des Eigentums für das superfluum, bzgl. der nach Ansicht Joannes Teutonicus, Huguccio, Alanus bestehenden „denuntiatio evangelica“ siehe S. 126 ff. Zur „denuntiatio evangelica“ vgl. HRG Bd. 1, S. 679 f. s.v.; ,Förmliches kirchenrechtliches Verfahren‘, welches mit einer Strafe als Buße zur Besserung des Schuldigen und zur Wiedergutmachung beendet werden konnte. 44 Tierney (1959), S. 38 f. Diskutiert wird dies von Johannes Teutonicus, ob ein Gerichtsweg zur Durchsetzung der Ansprüche besteht, was im Ergebnis abgelehnt wird. 45 Lorentzen (2009), S. 82 f.; Scherpner (1962), S. 34. Weiterhin ist auch die Bettelkollekte für Werke der Allgemeinheit zulässig, als Beispiel ist die Sammlung für Kirchen- oder Brückenbauten genannt.
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2. Teil: Rahmenbedingungen der Armenfürsorge- und Bettelgesetzgebung
bei dem Versuch die Versorgungsart umzustrukturieren immer wieder mit neuen Herausforderungen.
B. Positionen der Rechtswissenschaft im Mittelalter Die seit Mitte des 14. Jahrhunderts beginnende Aktivität der Städte im Bereich des Fürsorge- und Bettelrechts steht nicht ohne rechtstheoretische Vorbereitung da. Das Rechtsproblem der Bettler- und Armutsfrage ist bereits im Bewusstsein der Kanonisten wie Bernardus Parmensis, Hostiensis, Huguccio, Johannes Teutonicus, Panormitanus und Raymundus de Pennaforte vorhanden. Deren Ausführungen werden von Brian Tierney zutreffend als „Medieval poor Law“ charakterisiert.46 Wie bereits dargestellt, ist die Bestrafung der gesunden, arbeitsfähigen Bettler aufgrund des „ius civile“ anerkannt.47 Die Heranziehung des römischen Rechts als Autorität lässt sich auch bei Johannes Teutonicus’ „Glossa Ordinaria“ der Dekrete feststellen.48 Die Möglichkeit der Regelungskompetenz des weltlichen Normgebers ist demnach für das Vorgehen gegen starke Bettler den Kanonisten des Mittelalters durchaus bekannt.
I. Legistische Jurisprudenz der Kommentatorenzeit Mit diesem Gegenstand beschäftigt sich ebenfalls bereits im 13. und 14. Jahrhundert der weltliche Teil der Rechtswissenschaft, die Legistik. Die legistische Jurisprudenz der Kommentatorenzeit (auch als Postglossatorenzeit bezeichnet) von der Mitte des 13. Jahrhunderts bis hin zum Beginn des 16. Jahrhunderts ist bei der wissenschaftlichen Bearbeitung des „corpus iuris civilis“ geprägt von der Hinwendung zur Praxis.49 Die Heranziehung des römischen Zivilrechts, insbesondere der Stellen C 11, 25 (Bestrafung starker Bettler) oder Nov 80, 5 (Zwang zu öffentlichen Arbeiten) ist den Kommentatoren wie auch schon den Glossatoren vertraut. Der Missbrauch von Versorgungsleistungen durch Personen, die aufgrund ihrer Arbeitsfähigkeit der Hilfe nicht bedürfen, wird als aktuelles Sachproblem juristisch erörtert. Die Ausführungen stehen nicht alleine auf dieser Grundlage, sondern sind darüber hinaus in den damaligen Rechts- und Moralvorstellungen verwurzelt. Erkennbar wird dies an den Ausführungen von Azo, der die fehlende Erlaubnis zum Betteln für Arbeitsfähige daran festmacht, dass jene den wirklich Bedürftigen die für diese bestimmten Gaben wegnähmen. Dies wird mit dem aus der Praxis entnommenen Beispiel des einen ver-
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Tierney (1959), S. 2 ff. Nachweise bei Scherpner (1962), S. 33; Scherner (1979), S. 66. 48 Hierzu Tierney (1959), S. 58 f.; weitergehend zu den Dekretisten und deren Ausführungen zum bedürftigen Armen: Tierney (1958), S. 360 – 373. 49 Vgl. Horn (1973), S. 261 f. 47
B. Positionen der Rechtswissenschaft im Mittelalter
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krümmten Galeerensklaven vortäuschenden Bettlers erläutert.50 Der Schwerpunkt des Vorwurfs liegt, neben der Täuschung des Gebenden, auf der Entziehung der Nahrung von den wahrhaft Bedürftigen. Azo bejaht die Strafbarkeit auch für Mithelfer des Betrugs: So sollen diejenigen, die solchen betrügerischen Bettlern Schutz zukommen lassen oder diese gar zu ihrem Tun anstiften, ebenfalls zu bestrafen sein. Dabei bezieht Azo sich bei den Rechtsfolgen auf C 11,25 (Strafbarkeit der starken Bettler). Azo weist weiter darauf hin, dass die zeitgenössische Rechtswissenschaft auch auf Nov 80, 5 zurückgreift und damit auf die Zwangsarbeit bei öffentlichen Bauten51. Bartolus gibt in seinen Ausführungen zu C 11, 25 umfassend Auskunft auf die Frage nach dem Grund des Bettelverbots für starke und zu Unrecht Almosen heischende Bettler.52 Ausgangspunkt ist das allgemein anerkannte Bettelverbot für starke arbeitsfähige Bettler. Er unterscheidet dabei zwischen der Anklage dieses Verhaltens durch die Behörden und durch Privatpersonen. Bei letzteren sieht er beim betrügerischen Bettel die Absicht des Almosengebers verfehlt. Zur enttäuschten Absicht gehört zumeist auch die (vergebliche) Erwartung der Fürbitte durch den betrügerischen Empfänger. Eindeutig liegt der Schwerpunkt des Betrugs auf der Seite des irregeleiteten Spenders. Zur argumentativen Absicherung bedient er sich der Legitimation durch den Bezug auf kirchlich-religiöse Vorstellungen. Zur Bestätigung beruft er sich auf die theologische Richtigkeit seiner Ausführungen: „cum dare eleemosynam iniuste non sit Deo acceptum“, eine zu Unrecht erfolgte Almosengabe kann nicht von Gott angenommen werden. Klarstellend werden die Sammlungen zugunsten von Hospitälern oder durch die Bettelorden sowie durch die „verschämten Armen“ ausgenommen.53 Diese Eingrenzung des Anwendungsbereichs berücksichtigt die bereits den Kirchenvätern54 und der mittelalterlichen Kanonistik55 bekannten Kategorien.
50 Hierzu und zum Nachweis des Werks Azos bei Scherner (1988), S. 131 Fn. 15: Summa perutilis excellentissimi iuris monache domini Azoni. Lugduni 1525, zu C 11,25 fol. 333, R. 334. Allgemein zur Figur des betrügerischen Bettlers im Mittelalter und der Frühen Neuzeit vgl. Schubert (1998). 51 Die Verbreitung dieser römischen Strafart des „opus publicum“ führt zu einer gesteigerten Verwendung in der Frühen Neuzeit, vgl. Fumasoli (1981), S. 16, 25; v. Hippel (1898), S. 240. 52 Nachweis bei Scherner (1988), S. 131 Fn. 17: Bartoli interpretum iuris civilis coriphaei in duodecim libris codicis commentaria. Basiliae 1562, zu C 11, 25, 912 s. 53 Zum Ganzen Scherner (1988), S. 131; dort bzgl. der theologischen Richtigkeit der Ausführungen von Bartolus das Zitat: „cum dare eleemosynam iniuste petendi non sit deo acceptum“. 54 Siehe Ratzinger (1884), S. 156, 165 mit Hinweis auf Basilius, Hieronymus Ambrosius und Augustin. 55 Tierney (1959), S. 55 ff.
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2. Teil: Rahmenbedingungen der Armenfürsorge- und Bettelgesetzgebung
II. Akzeptanz weltlicher Zuständigkeiten Die Ausführungen der Legisten lassen erkennen, dass trotz der originären Zuständigkeit der Kirche für die Armenfürsorge dieses Rechtsgebiet bereits der weltlichen Rechtswissenschaft zugänglich ist. In dieser Hinsicht ist eine weitere Verfestigung des Einflusses diesseitiger Positionen bei der Belegung des Bettels mit strafrechtlichen Sanktionen zu erkennen. Der Bettel wird zum einen unter dem Gesichtspunkt des Betruges erfasst, den ein Bettler durch Vortäuschung eines zum Bettel berechtigenden Tatbestandes begeht. Zum anderen soll bei Zuwiderhandlungen der „rector civitatis“ eine „poena extraordinaria“ verhängen können.56 Die hier bereits anerkannte Kompetenz für repressive Reaktionen auf unzulässiges Bettelverhalten schafft die Möglichkeit zur Ausweitung der Befugnisse auf die vorgelagerte Kontrolle der Bedürftigen. Der Bettel als solcher bleibt indes weiterhin anerkannte Versorgungsform der Bedürftigen, zu denen auch die Bettelorden gerechnet werden. Die Sanktionen dienen offenkundig alleine der Stabilisierung des bisherigen Versorgungssystems und zielen gerade nicht auf eine Veränderung. Im Anschluss an die Zuordnung der Frage des Bettelverbots durch die mittelalterlichen Kanonisten zur Materie des Kirchenrechts lässt sich nunmehr der selbstbewusste Umgang der Legistik mit diesem Rechtsproblem aus den aufgezeigten Beispielen erkennen.57 Diese Feststellung stützt die anfangs aufgeworfene Erkenntnis: Die Entstehung und Entwicklung der städtischen Rechtsordnungen ist vorbereitet und begleitet durch die Ausführungen der weltlichen Rechtswissenschaft. Die Unterscheidung von Bettlern und die Bezeichnung gewisser Bettler als „starke Bettler“ durch Legistik und städtische Normen verstärkt sich im weiteren Verlauf des 15. Jahrhunderts zu einer Typisierung, deren Gegenstück der so genannte „Hausarme“ darstellt.58
C. Entwicklungslinien städtischer Bettelordnungen im 14. und 15. Jahrhundert Die Armut stellt eine der größten Herausforderungen für die Obrigkeit einer spätmittelalterlichen Stadt dar.59 Für eine privilegierte Gruppe bieten die Hilfeleistungen der Zünfte und Bruderschaften in Gestalt von Krankenversorgung oder Hinterbliebenenversorgung eine soziale Absicherung. Diese Schutzwirkung ist angesichts der zu diesem Zweck geforderten Beiträge auf eine kleine Gruppe beschränkt. Abseits der kooperativen Sicherungssysteme in den Zünften und Bruderschaften stellen die beiden Hauptformen gesellschaftlicher Hilfe die Hospitalspflege und das dem Bettler 56
Nachweis der Fundstelle des Bartolus bei Scherner (1988), S. 131 Fn. 21. So Scherner (1988), S. 132. 58 Schubert (2000), S. 885. 59 So Schubert (2001), S. 661. Zu den Ursachen dieses vielschichtigen Differenzierungsprozesses vgl. Bräuer (1997a), S. 21; Maschke (1980), S. 314 ff. 57
C. Entwicklungslinien städtischer Bettelordnungen im 14. und 15. Jh.
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ausgeteilte Almosen dar.60 Diese Formen der Unterstützung unterliegen der kirchlichtheologischen Betrachtung und sind für den Stifter oder Spender eine Möglichkeit der Abbüßung der Sünden des diesseitigen Lebens.61 Vor Beginn der städtischen Gesetzgebung ist die Gestaltungskompetenz hinsichtlich der Versorgungsleistungen für Bedürftige noch dem kirchlichen Rechtskreis zugeordnet.62 Im ausgehenden Spätmittelalter ändert sich die in den städtisch-obrigkeitlichen Normen zum Ausdruck kommende Wahrnehmung von Armut. Die Almosenspende als sichtbares Zeichen christlicher Nächstenliebe, wird offenbar nicht mehr für sich alleine als ausreichend angesehen, die Probleme des sozialen Zusammenlebens zu lösen. Das Almosengeben als religiös-ethische Pflicht und Mittel zur Buße wird den obrigkeitlichen Regelungen unterworfen, zumindest was die Einwirkung auf die Empfängerseite betrifft.63 Die städtische Obrigkeit reagiert auf konkrete soziale Probleme durch Steuerungsmaßnahmen, die zwar das bestehende System erhalten sollen, aber in sich den Kern zu weitergehenden Veränderungen tragen.
I. Nürnberger Bettelordnung von 1370 Die Almosenspende und die Unterstützungsleistungen der Hospitäler bilden die zentralen Anknüpfungspunkte der städtischen Obrigkeiten. Die ersten städtischen Ordnungen modifizieren insoweit die auf dem privaten Almosen beruhende Unterstützung, ohne eigene neuartige Versorgungskonzepte zu entwickeln. So entsteht in Nürnberg eine spätestens auf das Jahr 1370 datierbare Bettelordnung, die unausgesprochen an bisherige Vorstellungen zur Versorgung Armer anknüpft.64 Diese Nürnberger Bettelordnung ist die mit Abstand bekannteste städtische Norm, die wenn schon nicht mit absoluter Sicherheit die älteste ist, so doch zu den ersten ihrer Art gehört.65 An ihr lassen sich exemplarisch die Ansatzpunkte der städtischen Obrigkeit für die weitere Entwicklung aufzeigen: Einführung formeller Zulassungs60
Vgl. allgemein Fischer (1979), S. 147; Jütte (1984a), S. 19 ff. Vgl. speziell zur Absicherung in den Zünften Bräuer (1990); Fröhlich (1976). Die Hospitäler existieren entsprechend den unterschiedlichen Stiftungszwecken als Einrichtungen für Leprose, Sieche, Arme und andere, vgl. Begon (2002), S. 30 ff. Ein anschauliches Beispiel für diese städtische Struktur findet sich für die Augsburger Verhältnisse bei Clasen (1984), S. 66 f. 61 Vgl. Geremek (1991), S. 30; Sachße/Tennstedt (1980), S. 29; Scherpner (1962), S. 26. 62 So Tierney (1959), S. 5 f., 126 ff. 63 Siehe hierzu Battenberg (1991), S. 36 f.; Knefelkamp (2001), S. 518; Scherner (1979), S. 58 f. Zur geänderten Auffassung hinsichtlich der Klassifizierung von Armen und deren Auswirkung auf die Gestalt des Almosens gerade in Almosenstiftungen Schubert (1992), S. 260. 64 Nürnberger Bettelordnung von 1370 in Rüger (1932), S. 68 f. Die spätestens auf das Jahr 1370 zu datierende Verordnung ist vermutlich sogar älter, möglicherweise aus dem ersten Viertel des 14. Jahrhundert. Vgl. Knefelkamp (2001), S. 522 ff. 65 Vgl. zur Entwicklung der städtischen Rechtssetzung in Nürnberg Buchholz (1991), S. 136.
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2. Teil: Rahmenbedingungen der Armenfürsorge- und Bettelgesetzgebung
voraussetzungen, Entwicklung einer Verwaltungsstruktur, Prüfung der Bedürftigkeit und Ausschluss von Fremden. Der Stadtrat wird anlässlich von akuten sozialen Problemen tätig, um den von der Stadtbevölkerung wahrgenommenen Funktionsstörungen des Fürsorgesystems zu begegnen. 1. Regulierung des Bettelns durch das Bettelzeichen Entscheidend ist für die Berechtigung zum Bettel, dass die Armen zuvor durch ein Bettelzeichen der städtischen Obrigkeit hierzu zugelassen sein müssen.66 Gesetzestechnisch ist diese Anforderung gefasst als Verbot des Bettels ohne eine vorherige Zulassung. Damit erlangt das formelle Kriterium der Zulassung eine entscheidende Bedeutung. Materiell ergeben sich keine Unterschiede zu dem von der christlichen Lehre anerkannten Kriterium der Arbeitsunfähigkeit. Den Personen, „die wohl gewandern oder gearbeyten mochten und die des almusens niht noturftig weren“ ist demgemäß die Zulassung zum Bettel und damit das Bettelzeichen verwehrt. Das Bettelzeichen als formelle Voraussetzung und die Arbeitsunfähigkeit als materielle Anforderung an den Unterstützungssuchenden wird durch den Ratsherrn „Pignot Weigel“ nachgeprüft.67 Dieser ist zuständig für die Prüfung der persönlichen Umstände und die Bestrafung der zu Unrecht bettelnden Personen.68 Zusätzlich abgesichert ist die Prüfung der Bettelberechtigung durch das Erfordernis, zwei oder drei Bürger zu benennen, welche die Bedürftigkeit des Armen beeiden müssen. Die in der theologischen Lehre nicht allgemein anerkannte Pflicht des Spenders, den Bedürftigen zu kontrollieren, ist durch städtisches Recht nunmehr ein Faktum geworden. Die Entscheidung darüber, ob der Bettler bedürftig ist oder nicht, ist der Entscheidungsbefugnis des Einzelnen entzogen. Die obrigkeitliche Erfassung der Armen manifestiert sich in der Anlage eines Verzeichnisses, in welchem die Armen geführt werden, Zur Kontrolle der Berechtigung gehört auch, dass die Bedürftigkeit alle halbe Jahre jeweils am St. Michels- und St. Walpurgistag erneut nachgeprüft werden muss. Erkennbares Ziel des Stadtrats ist es, auf Veränderungen der persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse reagieren zu können. Auffallend bei der Einführung der Überprüfungspflicht ist die Schaffung einer entsprechenden Verwaltungsstruktur, die neben dem Aufseher Weigel aus vier weiteren Stadtknechten besteht. Dies bildet den Anfangspunkt für ein allmähliches personelles Anwachsen der Almosenämter in den übrigen Reichsstädten.69 66
Zu Gestalt und Aussehen der Bettelzeichen in der Frühen Neuzeit vgl. Bräuer (1997b), S. 84 ff.; Maué (1999), S. 126 ff.; Müller-Hengstenberg (1990), S. 25 – 27; Sachße/Tennstedt (1980), S. 35; Beispiele der Erfassung der Armen in Listen bei Knefelkamp (2001), S. 523 f., 528. 67 Zur Person des Pignot Weigel vgl. Rüger (1932), S. 68 Fn. 3. 68 Die Bestrafung ist nicht ausdrücklich bestimmt, geht jedoch aus dem Umstand hervor, dass Personen, die ohne Bettelzeichen bettelnd aufgegriffen werden, von den Bütteln zu dem Pignot Weigel zu bringen sind. 69 So u. a. Jütte (1984a), S. 30 f.; Sachße/Tennstedt (1980), S. 33; Schubert (1992), S. 522.
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2. Fremdheit als Exklusionskriterium Befasst sich die Bettelordnung im Wesentlichen mit dem Verbot des Bettels ohne Bettelzeichen und der hierzu notwendigen Verwaltungsstruktur, steckt eine bemerkenswerte Veränderung erst im Schlussteil der Norm: Für Fremde Bettler, die sich länger als drei Tage in Nürnberg aufhalten, ist als Sanktion eine einjährige Stadtverweisung vorgesehen.70 Ob aus der sich daraus im Umkehrschluss ergebenden dreitägigen Aufenthaltserlaubnis auf eine ebenso lange Bettelerlaubnis für Fremde geschlossen werden kann, ergibt sich so nicht zwingend aus dem überlieferten Wortlaut.71 Wenn man die Anforderungen an den Bedürftigkeitsnachweis bedenkt, nämlich das Bettelzeichen und der durch Zeugen zu erbringende Beweis der Bedürftigkeit, die für einen stadtfremden Armen schwerlich in zwei Tagen zu erbringen sind, spricht manches für ein vollständiges Bettelverbot für Fremde. Letztlich kommt es angesichts des knapp gehaltenen Textes nicht unmittelbar darauf an, da eine andere Handhabung bei Fremden denkbar ist, was sich in der Verordnung von 1478 auch textlich niederschlägt. Fest steht jedenfalls, dass alleine die fehlende Ortszugehörigkeit letzten Endes zu der Versagung der Aufenthaltsberechtigung und damit zugleich zum Ausschluss von der Versorgungsmöglichkeit in der Stadt führt. Zwar ist Fremdheit als Abstufungsmerkmal bei der Frage, wer zuerst versorgt werden soll, ein bekanntes Kriterium. Die Zugehörigkeit respektive die Nichtzugehörigkeit zum Familienverband ist schon in der Kirchenlehre entscheidend für die Bestimmung, wer aus begrenzten, nicht für alle ausreichenden Mitteln versorgt werden soll. Durch das spätestens nach drei Tagen unvermeidliche Verbot des bettelnden Zugriffs auf die städtischen Almosen erhält dieses Merkmal eine veränderte Bedeutung. Fremdheit beeinflusst nicht mehr alleine die Rangfolge, entsprechend der Unterstützung stattfinden soll. Vielmehr bedeutet Fremdheit den Ausschluss von der Versorgungsmöglichkeit des Almosens und der institutionalisierten Fürsorge der Hospitäler in der Stadt.72 Veranlassen zunächst Engpässe der Versorgung in der spätmittelalterlichen Stadt diese Exklusionsmaßnahmen, so gewinnt – wie noch darzulegen sein wird – diese Verfahrensweise in der weiteren Entwicklung eine eigenständige Dynamik bei der Reduktion des Berechtigtenkreises. . .
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Diese Regelung findet alsbald Nachahmung in Ulm im Jahr 1382, vgl. Weller (1979),
S. 32. 71 „Item wo fremde stertzel oder geyler herkommen, wo die lenger hie waren dann drey tag, die sol man aufhalten und von der stat bueßen ein jar“, vgl. Rüger (1932), S. 69. Rüger zieht hieraus den Schluss, dass es sich um eine dreitägige Bettelerlaubnis handeln müsse, ebda. S. 31. Ihm folgt Knefelkamp (2001), S. 523. 72 Schubert (2000), S. 888.
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2. Teil: Rahmenbedingungen der Armenfürsorge- und Bettelgesetzgebung
3. Resümee zur Nürnberger Bettelordnung 1370 Die rechtshistorisch bemerkenswerten Änderungen werden offenbar, wenn man den Kompetenzbereich der Fürsorge bedenkt. Dieser liegt innerhalb des städtischen Kooperationsrechtes der Zünfte sowie des Rechtes der Bruderschaften und Stiftungen des profanen wie des kirchenrechtlich-moraltheologischen Bereiches.73 Hier greift die städtische Norm ein und beginnt eigene Regelungen zu treffen. Vergleicht man die städtische Vorgehensweise mit den bisherigen Formen der Armenversorgung, fallen einige Besonderheiten auf. Das Bettelverbot für die arbeitsfähigen Bettler ist keine Neuerfindung des Stadtrechts, auch die Scholastiker kennen diesen Ausschluss von den Almosenspenden. Neu ist allerdings die Einführung der Kontrollpflicht durch ein weltlich-obrigkeitliches Organ. Hier übernimmt der Bettelaufseher eine Überprüfungspflicht, die so nicht ausgesprochen wird in der Kirchenlehre. Die zur Sicherung dieser Kontrolle eingeführten Bettelzeichen stellen unter diesem Gesichtspunkt die notwendige Innovation der Verwaltung dar. Auffällig ist, dass im ZweiPersonen-Verhältnis der Almosengabe alleine der Empfänger der Spenden zum Gegenstand der Norm gemacht wird. Die Bestrafung des Almosengebers wegen einer Spende an arbeitsfähige und damit unberechtigte Bettler, wie sie in England bereits 1349 erfolgt, bleibt im Reich der territorialstaatlichen Gesetzgebung des 18. Jahrhunderts vorbehalten.74 Obwohl sich die repressiven Maßnahmen zur Bekämpfung des unberechtigten Bettels als Stützungsmaßnahmen für das bestehende Fürsorgesystem begreifen lassen, entwickelt sich dieser Ansatz in eine eigenständige Richtung. Der zunehmende Machtanspruch der städtischen Obrigkeit in den kirchlich-religiösen Bereich hinein wird am Beispiel der Bettelrestriktionen offenkundig. Den Bettlern wird es fortan verboten, sich vor den Kirchen niederzulassen, um so an den Orten der Glaubensausübung leichter an das Almosen zu gelangen. Auch das Betteln in der Kirche selbst in der Nähe des Altars ist untersagt. Die städtischen Bediensteten sind gemeinsam mit den Kirchenmessnern für die Verhinderung dieser Form des Bettelns zuständig. Bezeichnend ist ferner, dass die in der Bettelordnung von 1370 niedergelegten Regelungen noch unter dem Vorbehalt steht, dass so die Versorgung der „armen Lewten“ sichergestellt ist. Für diesen Fall ist vorgesehen, dass der Rat bei Schwierigkeiten andere Lösungen treffen kann, damit „et den armen lewten nicht ze swer sey“.75 Die salvatorische Klausel bekräftigt zugleich den Kompetenzanspruch des städtischen Normgebers, der sich für die Zukunft zur Lösung derartiger Probleme berufen sieht.76 Dass damit keinesfalls die unbegrenzte Freigabe des Bettels gemeint ist, zeigen die weiteren Verordnungen der Reichsstädte. Das Vorgehen in den Reichsstädten 73
Feuchtwanger (1909a), S. 170 f.; Scherner (1979), S. 62 f. Siehe Meier (1870), S. 505 ff. Allgemein zum Almosenverständnis des englischen Poor Law vgl. Slack (1990), S. 42 f. 75 Rüger (1932), S. 69. 76 Gleicher Ansicht ist Scherner bei der Analyse des Zugriffs der Städte auf einen bisher ihrer Regelungssphäre entzogenen Sachverhalt, vgl. Scherner (1979), S. 63. 74
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gleicht sich an und enthält die für Nürnberg charakteristischen Wesensmerkmale. Durch diese Schritte bestätigt sich die städtische Obrigkeit als Fürsorgegesetzgeber, bzw. sie entsteht erst durch diese Aufgabe.77 Der Griff der weltlichen Obrigkeiten nach der Kompetenz für einen bisher ihrer Regelungssphäre entzogenen Sachverhalt ist vollzogen.
II. Städtische Kontrolle der Verwaltung der Spitäler Auch in den zweiten Bereich kirchlicher Zuständigkeit bei der Fürsorge dringt die städtische Obrigkeit ein: die institutionell organisierte Unterstützung Bedürftiger in Gestalt des Spitalwesens.78 Bereits seit dem 13. Jahrhundert versuchen städtische Obrigkeiten Einfluss auf die Leitung und Finanzverwaltung der institutionellen Fürsorge zu nehmen.79 Bis zum 15. Jahrhundert gelingt es in Auseinandersetzungen mit der kirchlichen Aufsicht in Person des Bischofs zumeist die Verwaltung der Spitäler vor Ort zu übernehmen. Das Streben nach Entscheidungsbefugnis geht Hand in Hand mit der gerade im 13. und 14. Jahrhundert steigenden Anzahl privater und kommunaler Stiftungen der Bürger. Kennzeichnend ist, dass sich die Zuständigkeiten in diesem Bereich jeweils auf die einzelnen Spitäler beziehen, was sich in den Administrationsanweisungen der Stiftungsurkunden der einzelnen Spitäler niederschlägt. Gemeinsam ist den beiden dargestellten Vorgängen, dass der Kompetenzbereich der Fürsorgeorganisation, welcher bis dahin vor allem innerhalb des kirchenrechtlich-moraltheologischen Bereiches verortet ist, nun in die Entscheidungsgewalt des weltlichen Trägers politischer Macht übergeht. Nahe liegende Motivation ist die Sicherung eines Teilnahmerechts bei der Verwaltung der durch Mittel der Bürgerschaft geschaffenen Kirchengüter. Dies hat im Ergebnis eine Einschränkung kirchlicher Befugnisse zur Folge.80 Getragen werden diese Bemühungen vom kaufmännisch-ökonomischen und rationalen Denken der städtischen Administration.81 Eine völlige Herauslösung des Hospitals aus dem kirchlichen Zuständigkeitsbereich ist indes nicht die Folge, wie sich nicht zuletzt aus den Bestimmungen des Tridentinischen Konzils ergibt. Gut erkennbar ist die wachsende Bedeutung der städtischen Verwaltung bei der Verteilung von Stiftungsgeldern an einem Beispiel aus Nürnberg. Dort ist bei dem so genannten „Reichen Almosen“ von 1388 der Nürnberger Rat 77
Vgl. Battenberg (1991), S. 38; Scherner (1979), S. 63. Der kirchliche Charakter der Almosenstiftung in Form des Spitals kommt in den drei Rechtserscheinungen des Stiftungsgutes zum Ausdruck: Inkorporation, Steuerfreiheit und Asylrecht, vgl. Reicke 1932/II, S. 691. Vgl. allgemein zu Hospitälern im Untersuchungsraum Pauly (2007). 79 Zum „Verbürgerlichungsprozess“ vgl. Begon (2002), S. 24 ff.; Fischer (1979), S. 141; Oexle (1986), S. 84 f.; Reicke 1932/I, S. 196 ff.; Rüger (1932), S. 14; Scherpner (1962), S. 45; für Straßburg Winckelmann (1922), I/187, 190 f. 80 Siehe Begon (2002), S. 27; Reicke 1932/I, S. 196 ff.; Scherner (1988), S. 140. 81 Scherner (1979), S. 59; Scherpner (1962), S. 47, der das fehlende Vertrauen in die Fähigkeiten der kirchlichen Würdenträger bei der Leitung der Hospitäler hervorhebt. 78
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2. Teil: Rahmenbedingungen der Armenfürsorge- und Bettelgesetzgebung
Oberpfleger der Stiftung. Die Vorgaben zur Verteilung ähneln auffallend denjenigen der Bettelordnung.82
III. Nürnberger Bettelordnung von 1478 Ein Jahrhundert später werden in der Nürnberger Bettelordnung vom 5. 4. 1478 die Elemente der Vorgängerverordnung wieder aufgegriffen und durch umfangreichere Regelungen ergänzt.83 1. Motivation des städtischen Gesetzgebers Bemerkenswert ist das in der Einleitung zum Ausdruck kommende Selbstverständnis des Stadtrates als Normgeber. Während 1370 trotz des unverkennbaren Bezugs noch eine eigens ausgesprochene Betonung christlicher Vorstellungen fehlt, findet sich in der Bettelordnung von 1478 die Herausstellung der Verdienstlichkeit des Almosens. Demnach sei „das almosen, so das gegeben wirdt, ein sunderlich loblich und verdienlich, tugenthafft werck und guttat“.84 Bei der Begründung der Verpflichtung des Rates zum Erlass der Ordnung tritt neben die Verpflichtung gegenüber Gott der Bezug zum konkreten Anlass: „Got zu lob und auch von notdurfft wegen“. Der Missbrauch des verdienstlichen Almosens durch unberechtigt und damit unbedürftig Empfangende entzieht aus Sicht des Rates die Nahrungsgrundlage für die seiner Auffassung nach eigentlich Bedürftigen. Die Reaktion des Gesetzgebers dient wie zuvor unmittelbar dem Schutz der Versorgungsmöglichkeiten für die arbeitsunfähigen Bedürftigen, die auf das Almosen angewiesen sind. Der Missbrauch selbst wird als „ungotforchtig, auch annder unzimlich und ungebürlich“ bezeichnet. Trotz der den städtischen Ordnungen regelmäßig zugrunde liegenden kaufmännisch-ökonomischen Motivation,85 erfolgt hier die Legitimation zum Normerlass unter dem Bezug auf die religiösen Grundlagen. Der Anlass und die Berechtigung zum Handeln liegen aus Sicht des städtischen Rates sowohl im Frevel gegen Gott als auch in der Bedrohung des weltlichen Zusammenseins durch Revolten, die durch die Gefährdung der körperlichen Existenz des bedürftigen Mitmenschen verursacht werden können.
82 Gestiftet ist das „Reiche Almosen“ von dem Nürnberger Bürger Burckhard Sailer. Aus diesem Almosen sollen jeden Freitag 100 Personen drei Kreuzer erhalten. Wie auch in der Bettelordnung verlangt, ist zum Empfang der Unterstützungsleistung die Fürsprache von zwei Bürgern erforderlich. Zudem wird regelmäßiger Kirchenbesuch und ein gottgefälliger Lebensstil gefordert. Vgl. hierzu Rüger (1932), S. 19 ff. 83 Nürnberger Bettelordnung vom 5. 4. 1478 in Baader, Polizeiordnungen, S. 316 ff. Nur die Einleitung wiedergebend Rüger (1932), S. 69. Eine Kurzdarstellung findet sich bei Knefelkamp (2001), S. 524 f. 84 Baader, Polizeiordnungen, S. 316. 85 So Scherner (1979), S. 59.
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2. Beibehaltung der bisherigen Strukturen Die Grundlinien sind im Verlauf des Jahrhunderts unverändert: Der Bettel ist aus Sicht des Normgebers nach wie vor die primär zu regulierende Versorgungsform der Bedürftigen.86 Die Pflicht zur Nutzung der Arbeitskraft besteht sowohl für die vollständig als auch für die nur eingeschränkt Arbeitsfähigen. Die teilweise arbeitsfähigen Personen beziehen dabei zugleich städtische Unterstützungsleistungen. Das Kriterium der Fremdheit als begrenztes Exklusionskriterium ist funktionell exakter bestimmt. Das Zusammenwirken religiöser Vorstellungen mit der Gewährleistung der Versorgung gewinnt weiter an Bedeutung. Schließlich finden sich auch Sanktionen für den Verstoß gegen die städtische Verordnung. 3. Unterstützungsvoraussetzungen Die formellen Anforderungen an den Bedürftigen – nämlich zuvor durch die Obrigkeit geprüft und mittels eines Bettelzeichens zugelassen worden zu sein – werden in ihrer Bedeutung erneut bestärkt: Ohne die Erfüllung der formellen Voraussetzungen ist eine Versorgung durch das Betteln ungeachtet der Bedürftigkeit nicht zulässig und sogar strafbar. Wesentlich detaillierter als zuvor werden die materiellen Kriterien beschrieben, die ein Unterstützung Suchender aus Sicht der Obrigkeit zur Anerkennung der Bedürftigkeit erfüllen muss. Für den Unterstützung Suchenden besteht eine Meldepflicht, wobei jeder anzugeben hat „was stands, wesenns und vermüglicheit des leibs, ob eelich oder ledig sey und wievil kind es habe“.87 Aus diesen Fragen und der Beschreibung der berechtigten Fallgruppen ergibt sich, dass wie bisher grundsätzlich nur Arbeitsunfähige bzw. Personen in vergleichbaren Situationen unterstützungsberechtigt sind. Als Personen in vergleichbaren Situationen werden auch Schwangere anerkannt, denen für die Zeit ihrer Schwangerschaft als Kindbettnerinnen der Bettel erlaubt ist.88 Kinder sind zwar grundsätzlich zum Bettel berechtigt, jedoch geht man bereits ab einem Alter von acht Jahren von ihrer Arbeitsfähigkeit aus.89 Zur Durchsetzung der Arbeitspflicht sollen die Bettelvögte die Kinder in Dienstverhältnisse auf dem umliegenden Land zuweisen. Die Nutzung der eigenen Ressourcen zur Versorgung gewinnt auch bei den zum Betteln zugelassenen Personen stärkere Bedeutung. Die begrenzt 86
Das drückt sich neben der Regulierung des Zugangs zum Bettel durch die Beschränkung des Bettelns in und vor den Kirchen aus. Außer an bestimmten Tagen wie dem St. Nikolaus-Tag ist der Bettel in den Kirchen verboten. Bei Regenwetter ist das Betteln vor den Kirchen gestattet, vgl. Baader, Polizeiordnungen, S. 317. 87 Baader, Polizeiordnungen, S. 317. 88 Die Schwangeren sind umgekehrt vor den mit dem Bettel verbundenen Gefahren geschützt. Zu ihrem Schutz ist angeordnet, dass Bettler mit schweren Körperschäden oder Aussätzen diese Stellen bedecken müssen, um einen Schock der Schwangeren zu vermeiden, vgl. Baader, Polizeiordnungen, S. 318. 89 Eine Ausnahme soll nur dann gelten, wenn das Kind seine jüngeren Geschwister beaufsichtigt.
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Arbeitsfähigen, wovon nur Lahme, Blinde und Krüppel ausgenommen sind, haben ihre Arbeitskraft durch Spinnen oder andere Arbeiten während der Werktage zu nutzen. Soweit diese Möglichkeiten bestehen, sind sie nicht berechtigt zu betteln. Ebenso wie die Maßnahmen zur Durchsetzung der Arbeitspflicht wird das Merkmal „Fremd“ klarer bestimmt. Die fremden Unterstützungssuchenden sind nur für maximal zwei Tage im Vierteljahr zum Bettel in Nürnberg zugelassen. Damit ist zunächst die ausgrenzende Funktion des Kriteriums Fremdheit erneut bestätigt. Die nahezu vollständige Reduktion der Unterstützungsmöglichkeiten wird indes durch eine Ausnahmeregelung abgemildert. Hier offenbart sich die Bedeutung religiöser Vorstellungen auch bei der städtischen Fürsorgegesetzgebung. Ausnahmsweise ist Fremden das Betteln über einen längeren Zeitraum gestattet, sofern eine Erlaubnis des zuständigen Stadtrates vorliegt und der Unterstützungssuchende verschiedene Gebete wie das Vaterunser, das Ave Maria, das Glaubensbekenntnis und die Zehn Gebote beherrscht. Die so bewiesene Zugehörigkeit zur christlichen Glaubensgemeinschaft hat einen höheren Stellenwert als das Streben, fremde Bettler von den Fürsorgemöglichkeiten der Stadt fernzuhalten. 4. Sondertatbestände Die Nürnberger Ordnung von 1478 kennt neben den Kindbettnerinnen weitere Sondertatbestände, welche die Versorgung durch den Bettel für an sich arbeitsfähige Unterstützungssuchende eröffnen. So ist armen Priestern, die wegen der äußeren Erscheinung ihrer Gebrechen nicht mehr „dem priesterlichen stanndt genug mügen“, also nicht mehr dem Erscheinungsbild des Priesterstandes entsprechen, das Betteln erlaubt. Für Pilger auf einer Bußfahrt ist die Dauer der Bettelberechtigung dagegen auf nur einen Tag begrenzt, wenn sie ihre Buße nicht in der Stadt Nürnberg auferlegt bekommen haben. Das Kriterium „Fremdheit“ verliert damit selbst im Bereich religiöser Handlungen nicht mehr vollständig seine ausgrenzende Bedeutung. Des Weiteren finden sich Regelungen für das Betteln der Siechen und Leprosen, denen feste Plätze in der Stadt zugewiesen werden.90 Eine Sonderregelung für die sonst als arbeitsfähig eingestuften Jugendlichen ist für die Schüler der lateinischen Schulen getroffen.91 Diese sind zum Bettel berechtigt, falls sie in einer Notlage sind und sich entsprechend der Schuldisziplin als pfleglich und gehorsam erweisen. 5. Verwaltungsstruktur und Sanktionen Im Schlussteil der Ordnung wird einem Ratsmitglied die Aufgabe zur Aufsicht der Bettler zugewiesen. Ihm kommt die Strafkompetenz nach Maßgabe entsprechender Ratsentscheidungen zu. Grundsätzlich sieht die Verordnung für den Verstoß gegen 90
Eine Ausnahme gilt nur in den „Marterwochen“, in denen entsprechend dem bisherigen Brauch der Bettel zugelassen ist, vgl. allgemein zu den Siechen und Leprosen Uhrmacher (2006), S. 147 ff. 91 Rüger (1932), S. 33.
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die getroffenen Anordnungen die Ausweisung aus der Stadt für die Dauer eines Jahres vor. Selbst den an sich als bedürftig anerkannten Arbeitsunfähigen droht bei dem Bettel ohne Bettelzeichen der Ausschluss von der Bettel- und damit der Versorgungsberechtigung. Nur der Nachweis der erfolgten Buße durch das Zeugnis seines Beichtvaters eröffnet ihm den erneuten Zugang zu den Versorgungsmöglichkeiten. Der Bettel in seiner ursprünglichen unkontrollierten Gestalt ist damit nicht mehr zulässig als Versorgungsform. Nur noch der Bettel mit einem entsprechenden Zeichen ist als zulässiges Versorgungsverhalten anerkannt. Darin liegt eine wesensverändernde Umdeutung, deren weitere Entwicklung die Ablösung des Bettels als Versorgungsform zeitigen wird. 6. Resümee zur Nürnberger Bettelordnung von 1478 Exemplarisch zeigt sich die Gemengelage der städtischen Bettelordnungen. Bei der Bemühung zur Stabilisierung des Versorgungssystems befasst sich der Stadtrat mit religiös geprägten Verhaltensweisen, insbesondere dem Almosenspenden. Der Rat ergreift diesseitig erfahrbare Sanktionen, wobei auch Glaubensvorstellungen wie Beichte und Buße Eingang in die städtische Norm finden. Bereits in dieser Verordnung sind zahlreiche Einzelregelungen erkennbar, die in der späteren territorialstaatlichen Entwicklung von Bedeutung sein werden. Dies gilt vor allem für die repressiven Maßnahmen gegen Fremde, denen als mobile Personengruppen unterschiedliche Gefahren zugeordnet werden.92
IV. Bettelordnungen in anderen Reichsstädten im 15. Jahrhundert Die hier dargestellten Grundlinien lassen sich in zahlreichen anderen Reichsstädten nachweisen.93 So werden beispielsweise auch in Augsburg während des 15. Jahrhunderts mehrere mit den Nürnberger Verhältnissen vergleichbare Bettelordnungen erlassen.94 Für Straßburg lässt sich das Bemühen um Regulierung des Bettels mit zahlreichen Belegen nachweisen. Das Fürsorgewesen entspricht dabei den gängigen Regelungen der Zeit: Begrenzung der Bettelerlaubnis für Fremde, generelle Bettelverbote für Arbeitsfähige und entsprechende Geldbußen, Bettelerlaubnis für kranke und 92 Hierzu gehört auch, dass zur Verhinderung des Aufenthalts unerwünschter Fremder die maximale Beherbergungsdauer für Nichtbürger auf drei Tage festgesetzt wird. Bemerkenswert ist ebenso, dass zusätzliche Erwerbsmöglichkeiten neben dem Bettel wie Singen, Bilderverkauf oder Zurschaustellung von Tieren bei Ausweisung aus der Stadt untersagt ist. 93 Vgl. hierzu z. B. Jütte (1984a); Jütte (2000). 94 Vgl. Clasen (1984), S. 67. Die wesentlichen Elemente wie die Erfassung der Armen, die Regulierung des Bettelns, die Zuweisung der Kinder zu Dienstarbeiten, die Ausweisung aus der Stadt als Sanktion sind neben anderen Entsprechungen deutliche Zeichen für eine Harmonierung der Gesetzgebung.
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schwache einheimische Arme, Ausstellen von Bettelzeichen, städtische Kontrolle des Bettels, weltliche Verwaltung der Spitäler.95 Die institutionellen Stützen der Armenversorgung stellen das Große Spital, die Elendenherberge und zwei Leprosorien dar, die alle schon unter städtischer Verwaltung und Leitung stehen.96 Zwar kommt es erst im Jahr 1464 zu einer ersten „regulären“ Bettelordnung, jedoch befasst sich der Straßburger Rat bereits früher mit dem Phänomen des betrügerischen Bettlers.97 Um 1400 werden die Straßburger Betrügnisse erstellt, eine Aufstellung über die Erfahrungen mit betrügerischen, d. h. an sich versorgungsfähigen, aber bettelenden Personen. Diese Liste wird unter anderem nach Basel gesandt, wo sie sodann als so genannte „Basler Betrügnisse der Gyler“ die Quelle für den Verfasser des „liber vagatorum“ darstellt.98 Die Nürnberger Bettelordnungen bleiben auch zu Beginn des 16. Jahrhunderts oft kopierte Vorlage für das einheimische städtische Recht.99 Der zwischenstädtische Transfer von Normen ist ein Merkmal der Frühen Neuzeit und wird im 16. Jahrhundert fortgesetzt.100
V. Ursachen der städtischen Bettelordnungen Für das Aufkommen der Armen- und Bettelordnungen gibt es verschiedene Erklärungsansätze. In der älteren, stark konfessionell geprägten Forschung des 19. Jahrhunderts wird der Grund im religiös-erzieherisch motivierten Anstoß der Reformatoren gesehen.101 Gegen eine solche einseitige Verortung spricht jedoch, dass die Entwicklungslinien weiter zurückreichen und der Umstand, dass sich Regelungselemente auch in altkirchlichen bzw. vorreformatorischen Ordnungen nachweisen lassen. Überzeugender ist ein Erklärungsansatz, der sowohl materielle als auch immaterielle Faktoren als sich wechselseitig bedingend bündelt.102 So sind zum einen als
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So die Straßburger Armenordnung von 1464, die zwar zwischen 1481 und 1506 geringfügig modifiziert wird, jedoch keine Neuordnung darstellt, vgl. Winckelmann (1922), I/70, II/83 ff. Die Straßburger Bettelordnungen weisen einige Parallelen zur Nürnberger Verordnung auf, beispielsweise erkennbar an der auf drei Tage begrenzten Bettelerlaubnis für Fremde. Allerdings wird erst 1481 ein städtisches Bettelzeichen eingeführt, vgl. Voltmer (2006), S. 101 f. 96 Vgl. Voltmer (2006), S. 97; Winckelmann (1922)/II, S. 5 – 60. 97 Siehe Voltmer (2000), S. 564. 98 Voltmer (2006), S. 101. 99 Ein Beispiel für viele andere ist die Stadt Leipzig, wo sich noch 1520 Elemente des Nürnberger Modells von 1478 nachweisen lassen, vgl. Bräuer (1997a), S. 110 ff. 100 Vgl. zu Transfer und Transformationsprozessen Wagner (2006b), S. 225 ff., insbesondere zum zwischenstädtischen Transfer S. 239 ff. 101 So etwa Uhlhorn (1895), hier S. 520 ff. Dieser Ansatz ist bereits durch Ratzinger (1884), S. 451 – 486 widerlegt worden, zuletzt u. a. durch Jütte (2000), S. 134 ff.; Jütte (1984a), S. 31 f. 102 Vgl. Scheutz (2003), S. 27 ff.
C. Entwicklungslinien städtischer Bettelordnungen im 14. und 15. Jh.
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Ursache konjunkturelle Gründe, die Verschiebung der Bevölkerungsstruktur103 oder die Auswirkungen der ökonomischen Umbruchssituation des ausgehenden Spätmittelalters bzw. der beginnenden Neuzeit von Relevanz.104 Zum anderen ist damit auch eine Änderung der Wahrnehmung der Armut und des Bettlers verbunden. Diese gewinnt eine eigene Dynamik, die zunächst im Anspruch der städtischen Obrigkeiten auf die Allzuständigkeit zur Bekämpfung von Missständen bei der Ordnung des Allgemeinwesens zum Ausdruck kommt.105 Als signifikantes Beispiel dieses gewandelten Blicks auf die Armut kann die Figur des als anstößig empfundenen betrügerischen Bettlers gesehen werden.106 Dabei bilden die auf städtischer Ebene anfertigten Bettlerlisten wie die bereits erwähnten Straßburger Betrügnisse den Ausgangsstoff für die literarische Durchdringung.107 Das so gezeichnete Bild wird im weiteren Verlauf in gesellschaftskritischen Schriften wie dem „liber vagatorum“, dem Narrenschiff oder vergleichbaren anderen Schriften vervielfältigt und typisiert. Mit der Stilisierung des faulen Bettlers geht eine Änderung der Wahrnehmung der freiwilligen geistlichen Bettelarmut einher, die verallgemeinernd als betrügerisch dargestellt wird.108 Inwiefern die Erklärungsansätze untereinander zu gewichten sind, ob also die wirtschaftlichen Veränderungen stärker zu betonen sind oder der Wahrnehmungswandel hervorzuheben ist, muss an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Angesichts der Existenz der Armut begründenden Faktoren wie Wirtschaftskrisen und Hungersnöte infolge der Abhängigkeit von Klima und Witterung auch im Mittelalter, spricht auf den ersten Blick manches für eine stärkere Gewichtung der Änderung der Wahrnehmung.109 Festzuhalten sind indes folgende Punkte: Die städtische Obrigkeit begreift 103 Siehe Fischer (1979), bzgl. des Anschauungswandels S. 155, bezüglich der strukturellen Ursachen S. 166 ff. Fischer betont auch das kumulative Zusammenwirken mit anderen Ursachen. Zu der damit zusammenhängenden Frage nach Ursachen von Armutssituationen vgl. Jütte (2000), S. 28 ff. 104 So Fischer (1979), S. 166 ff.; Scherner (1979), S. 58 f.; Scherpner (1962), S. 45 ff., wobei darüber hinaus auch der Wille und das Bedürfnis der kaufmännisch-ökonomisch und rational denkenden Bürgerschaft nach Regelung des sozialen Problems in den Blick gerückt wird. 105 Siehe Battenberg (1991), S. 37 f. Ein Indiz, dass es sich nicht zwingend um eine Änderung der wirtschaftlichen Situation gehandelt haben muss, liefert auch die Untersuchung zu Nürnberg bei Bog (1986), S. 993; bzgl. der Änderung der Wahrnehmung der Armut vgl. Geremek (1991), S. 212 ff.; Sachße/Tennstedt (1980), S. 34, 36 f.; Schepers (2000), S. 56. 106 Dieser Wandel drückt sich auch in der Bildsprache aus, vgl. hierzu Helas (2004); Korff (1983), S. 18 ff.; Schmidt (2007), S. 286 ff. 107 Vgl. hierzu Voltmer (2000), S. 506 f. Die „Basler Betrügnisse der Gyler“ stammten nach Voltmers Feststellung eindeutig aus Straßburg und gelangen im nachbarstädtischen Austausch nach Basel und werden später wegen ihrer Nützlichkeit nach Bern weitergeleitet. 108 Siehe hierzu Ocker (1999), S. 132 ff.; Sachße/Tennstedt (1980), S. 36, mit Auszügen aus dem Narrenschiff und dem „liber vagatorum“ S. 49 ff.; Scherner (1979), S. 59, mit Verweis auf Scherpner (1962), S. 48 ff.; zu möglichen Auswirkungen der Äußerungen Brants gegen die Bettelmönche im „liber vagatorum“ vgl. Schubert (2000), S. 882, sowie zu weiteren Beispielen ähnlicher Schriften S. 871, 881. 109 Battenberg (1991), S. 38; gleicher Ansicht auch Sachße/Tennstedt (1980), S. 36, 39.
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es als ihre Aufgabe und Pflicht, auf soziale Probleme zu reagieren und Lösungen zu suchen. Die realen sozialen Schwierigkeiten führen entsprechend den Ordnungsvorstellungen des Rates zur Regulierung des Bettelverhaltens als Versorgungsform. Die Unterscheidung von Bettlern in berechtigte und unberechtigte ist damit bereits weit vor dem Reformationszeitalter angelegt und verstärkt sich weiterhin.
VI. Ausblick Die sich weiter festigende Gesetzgebung der Städte wirft die Frage des Umgangs mit der Armut im gesamten Reich auf. Die aus der Ausweisung von Fremden aus der Stadt resultierenden Folgen für das Umland bzw. das Weiterziehen der ortsfremden Bettler in eine andere Stadt stellen Herausforderungen für die Reichsfürsten dar, die nach einer reichseinheitlichen Lösung verlangen. In welchem Umfang einzelne Städte die Rolle als Vorreiter für die Fürsorgereformen einnehmen, ermisst sich an der Bedeutung der Nürnberger Almosenordnung vom 1. 9. 1522, welche in zahlreichen Reichsstädten fast wörtlich übernommen wird.110 Deren Kennzeichen ist das generelle Bettelverbot, das nur durch die Ausnahmen für die Kollekten der Bettelmönche, das Sammeln der armen Schüler und das Sammeln an zwei von alters hergebrachten Tagen vorsieht. Die Versorgung der Armen wird dementsprechend nicht mehr durch den Bettel sichergestellt, sondern durch die zentralisierte Zuteilung von Unterstützung. Deren Finanzierung soll durch Sammlungen, Stiftungen und Vermächtnisse sichergestellt werden.111 Die zu diesem Zeitpunkt in Nürnberg erfolgende Umstellung der Versorgungsform vom kontrollierten Bettel auf die städtisch kontrollierte Zuteilung von Almosen aus der Almosenkasse ist nicht zuletzt für die Entwicklung in Ypern wenige Jahre später von entscheidender Bedeutung.112
D. Merkmale der europäischen Fürsorgegesetzgebung im frühen 16. Jahrhundert Die in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts sich verdichtende Verrechtlichung des Fürsorgewesens erfolgt wie gezeigt nicht ansatzlos oder monokausal.113 Vielmehr entfalten die Reformation ebenso wie die vorherigen Reformüberlegungen katalysatorische Wirkung bei der explosionsartigen Zunahme der städtischen, territorialstaatlichen und reichsrechtlichen Gesetzgebung. Noch einmal bestätigt sich die 110
Vgl. hierzu Sprengler-Ruppenthal (2004), S. 186 f.; Wagner (2006b), S. 240 f. Nürnberger Armenordnung vom 1. 9. 1522 in Winckelmann (1912/13), S. 258 ff.; Rüger (1932), S. 76 ff. 112 Dass dies nicht alleine für protestantische Städte gilt, zeigt sich am Beispiel von Lille im Jahr 1506. Zur dortigen Einrichtung einer „bourse commune“ vgl. Jütte (2004), S. 83. 113 Darauf weisen Bräuer/Schlenkrich (2006), S. 55 f., zutreffend hin. 111
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Vorreiterrolle der Städte bei der Erneuerung der Fürsorgegesetzgebung zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Die städtische Fürsorgegesetzgebung setzt den Impuls für das Reichsrecht, das seinerseits die Grundlage für die ersten territorialstaatlichen Normen bietet. Die begrenzten Räume der Städte lassen die Probleme deutlicher hervortreten und ermöglichen zugleich raschere Reformen. Die theoretische Durchdringung der Problemstellung verstärkt sich, und die sich abzeichnenden Gegenpositionen verhärten sich. Die Wechselwirkungen zwischen theoretischen Ansätzen und der Gesetzgebung treten in der Folgezeit offen zu Tage. Die Gesetzgebung auf dem Gebiet der Armenfürsorge am Anfang des 16. Jahrhunderts ist dabei geprägt von einem europaweiten Austausch über Fürsorgemodelle.114 Zwar übernehmen die Territorialstaaten zunächst die städtischen Konzepte. Die Territorialgesetzgebung bestimmt jedoch ab der Mitte des 16. Jahrhunderts die Entwicklung und Vereinheitlichung des Fürsorgerechts, während die bisherige Alleinstellung des Stadtrechts als Impulsgeber relativiert wird. Die zunächst an die bisherigen Bestimmungen anknüpfenden Ordnungen werden durch humanistische115 und reformatorische Ideengeber beeinflusst.116 Diese Autoren greifen mit unterschiedlichen Blickrichtungen auf die Vorarbeiten aus dem 15. Jahrhundert zurück und entwickeln diese weiter. Hierbei lassen sich Wechselwirkungen in der Entwicklung der Normen nachweisen – sei es aus dem Bedürfnis nach Abgrenzung zur anderen Konfession heraus, sei es durch Übernahme oder Angleichung an als wirksam erkannte Regelungen. Als gemeinsame Elemente der Ordnungen lassen sich die Zentralisation der Fürsorge unter der Aufsicht weltlicher städtischer Verwaltung und der damit verbundene möglichst lückenlose Regelungsanspruch der Obrigkeit erkennen. Dessen bisheriger Inhalt, die bereits aus früheren Vorschriften bekannten Definitionen von Armut, die Überprüfung der Armen und die Einteilung in von obrigkeitlicher Seite anerkannte unterstützungswürdige bedürftige Armut wird beibehalten und weiterentwickelt. Das sich abzeichnende Finanzierungskonzept beruht auf der zentralisierten Verteilung der Mittel, welche sich zunächst aus der Sammlung der Almosen und darüber hinaus in den protestantischen Städten und Territorien aus der Miteinbeziehung ehemals kirchlicher Güter ergeben.117 Neben diesen Finanzierungsquellen werden ansatzweise Schritte zu einer regelmäßigen und verpflichtenden, vom Almosen selbst sich lösenden Finanzierung unternommen. In der Leisniger 114 Ein Überblick gibt Bondolfi (2004), S. 105 ff.; Geremek (2004), S. 59 ff. Für den deutschen Raum vgl. Hartung (1989), S. 167 ff.; Wagner (2006b), S. 239 ff. 115 Dies gilt gerade für die in Ypern, Gent, Brügge und die weiteren in den habsburgischen Niederlanden erlassenen Verordnungen. 116 Vgl. Battenberg (1991), S. 39, der allein für die Jahre 1522 – 1529 die reformatorisch geprägten Ordnungen von Wittenberg, Augsburg, Nürnberg, Leisnig, Regensburg, Straßburg, Kitzingen, Breslau, Magdeburg, Königsberg, Danzig, Altenburg, Stralsund, Halle, Braunschweig und Hamburg aufführt. Eine detaillierte Darstellung des Entstehungsprozesses einer Kastenordnung am Beispiel Zwickaus findet sich bei Bräuer/Schlenkrich (2006), S. 55 ff. 117 Darauf verweisen Battenberg (1991), S. 41 f.; Sachße/Tennstedt (1980), S. 31, 33 ff.; die Bildung einer zentralen Kasse lässt sich auch in der noch zu behandelnden Trierer Verordnung von 1533 finden.
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2. Teil: Rahmenbedingungen der Armenfürsorge- und Bettelgesetzgebung
Verordnung von 1523 lässt sich das Modell einer subsidiären Zulagepflicht für den gemeinen Kasten und damit letztlich auch für die aus diesem Kasten mit zu finanzierende Armenpflege finden.118 In Venedig wird 1528 anlässlich der Gefahr einer Epidemie ein Beitrag zum Unterhalt der Spitäler eingeführt, welcher vom Pfarrer und zwei weltlichen Beisitzern eingezogen wurde. Dies stellt jedoch nur eine vorläufige Maßnahme dar, da man in der Folgezeit am Prinzip der freiwilligen Leistungen festhält, weshalb diese von Geremek als Steuer bezeichnete Leistung eher eine einmalige Abgabe darzustellen scheint.119 In Paris wird nach Angaben von Jütte 1551 eine Armensteuer eingeführt, die jedoch typischerweise nur aus gegebenem Anlass erhoben wird und im 17. Jahrhundert zum Erliegen kommt.120 Ein Heraustreten aus den Bahnen herkömmlicher Finanzierung durch die Einführung einer ständigen und pflichtigen Almosensteuer ist hierin noch nicht zu erkennen.121
E. Fürsorgekonzepte im Humanismus I. Johannes Geiler von Kaysersberg Die theoretische Vertiefung vor der Blütezeit des Humanismus kommt von einer Seite, die sich bereits zu diesem Zeitpunkt den bisherigen Auswirkungen der Fürsorgegesetzgebung nicht entziehen konnte: der Theologie. Erkennbar ist dabei der Zwiespalt zwischen der Verpflichtung gegenüber der hergebrachten Kirchenlehre, welcher das religiöse Verständnis der Armenfürsorge prägt und der Aufnahme neuer Ansätze, welche aus den Ordnungen der städtischen Obrigkeit stammen. Mit dem Blick auf die Lebenswirklichkeit der Bedürftigen ergibt sich daraus für die kirchlichen Amtsträger die Notwendigkeit, Stellung zu beziehen. Besonders deutlich wird dies in den Schriften des Straßburger Münsterpredigers Johannes Geiler von Kaysersberg (1445 – 118 Siehe Scherner (1979), S. 84; Text nach Jütte (2000), S. 141: „ein jerder Erbarman, burger und bawer, yn dem kirchspiell wohnhafftig, nachdem er hat und vermag, fur sich, sein weib und kinder, ierlichen ein gelt zulegen solle, damit die heubtsumma, so sich eine gemeine eingepfarte versammlunge yn yrem bedencken und ratschlage aus der yarrechnung als fur nottdurfitg und gnugsam, belerrnen und erkunden wurde, fur folh aus zubrengen und zuerlangen sein moge“. Jütte charakterisiert diese subsidiäre Zulagepflicht letztlich unzutreffend über den Wortlauf hinaus als Armensteuer. Dass dies so nicht zutreffend ist, zeigt neben Scherners Ausführungen schon Uhlhorn (1895), S. 563, der diese Formulierung der Leisniger Ordnung ebenfalls nicht als Armensteuer ansieht. 119 Siehe Geremek (1991), S. 162, 164; entgegen Geremeks Interpretation als Steuer deutet vieles darauf hin, dass es sich hier um eine Form einer freiwilligen Subskription gehandelt haben könnte. Dafür spricht, dass alleine sozial vermittelter faktischer Druck ausgeübt werden konnte, wofür unter anderem das Verlesen der Nichtzahler in der Messe spricht, sowie die später jährlich erfolgenden periodischen Aufrufe durch die Pfarrer mit dem Inhalt, sich zu einer freiwilligen Abgabe zugunsten der Armen zu entschließen. In dieser Richtung nunmehr auch Geremek (2004), S. 65. 120 Vgl. Jütte (2000), S. 157. 121 So auch Scherner (1979), S. 85.
E. Fürsorgekonzepte im Humanismus
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1510). Dieser verfasst neben zahlreichen Denkschriften an den Straßburger Rat auch zahlreiche Predigten, die sich mit der Frage nach der Versorgung von Armen auseinandersetzen.122 Geiler ist zur Wende vom 15. zum 16. Jahrhunderts ein bekannter und angesehener Mann, der sich aus seinem Amt heraus als „Wächter“ der Stadt Straßburg verpflichtet sieht.123 Bemerkenswert ist, dass Geiler von Kaysersberg in engem Kontakt zum Verfasser des Narrenschiffs Sebastian Brant steht.124 Geiler lehnt den betrügerischen Bettel scharf ab und fordert die Verpflichtung der weltlichen Obrigkeit zur Versorgung der Armen ein. Bereits 1481 greift Geiler eine aktuelle Notsituation bei der Versorgung der Armen in seinen Predigten auf. Plakativ empfiehlt er den Armen, notfalls zur Selbsthilfe bei der Beschaffung von Getreide zu greifen. Seine zahlreichen Predigten stehen insgesamt in der Tradition der scholastischen Ansichten. Die Armut ist ein von Gott gegebener Stand, den es ohne Aufbegehren zu ertragen gilt. Müßiggang ist den Armen nicht gestattet, vielmehr ist er zur Nutzung seiner Arbeitskraft verpflichtet. Bemerkenswert ist allerdings, dass sich die Kritik Geilers hinsichtlich des Müßiggangs nicht polemisch und einseitig nur gegen die vermeintlichen starken Bettler richtet, sondern auch die Spender in den Blick nimmt.125 Zulässig ist das Betteln aus Geilers Sicht für die Erwerbsunfähigen bzw. nur eingeschränkt Erwerbsfähigen. Zu diesen gehören auch die fahrenden Schüler, die um Büchergeld ebenso betteln dürfen wie die Armen um ihr Brot.126 Demgegenüber ist die freiwillige geistliche Armut für ihn nur unter der Voraussetzung der Observanz strenger Ordensregeln und wahrer Demut zulässig. Die bestehenden Missbräuche des religiösen Bettels werden von Geiler zwar kritisiert, eine völlige Abschaffung des geistlichen Bettels wird jedoch nicht gefordert.127 Einen Ausschluss von Fremden von der Versorgung fordert er indes nicht. Geiler erweist sich als Kenner des zeitgenössischen Rechts, was unter anderem in seiner Denkschrift von 1501 zum Ausdruck kommt.128 Er weist auf die aktuellen Vorhaben des Kaisers und des Reichstags hin und meint damit die Reichsabschiede von 1495 bis 1500. Diese hält er jedoch für ergeb-
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Bislang im Blickpunkt der Forschung stehen die Predigt vom 5. 8. 1498 „Von Betleren die unrechtlich betlen“ und die einschlägigen Artikel der XXI Artikel an den Straßburger Rat vom 27. 1. 1501, vgl. zu den Quellen Dacheux in Kaysersberg, Schriften, S. XXIII. 123 Vgl. zur Person Geiler von Kaysersberg und seinem Wirken Simon-Muscheid (2004), S. 57 ff.; Voltmer (2005), 537 – 613. 124 Sachße/Tennstedt (1980), S. 36; Scherner (1979), S. 60; Scherpner (1962), S. 54 ff., 59 ff. 125 Scherpner (1962), S. 58. 126 Siehe Voltmer (2006), S. 117. 127 Vgl. zu den Forderungen Geilers und die Auswirkung auf den Straßburger Rat Winckelmann (1922), S. 64, 72. 128 Vgl. Dacheux in Kaysersberg, Schriften, S. XXIII; Textauszug Geiler von Kaysersberg: XXI Artikel an den Rat, hier Art. XIII bei Sachße/Tennstedt (1980), S. 56, dort der Bezug auf C 1,2,12 § 2: „et quia humanitatis nostrae est prospicere egenis ac dare operam, ut pauperibus alimenta non desint“; vgl. hierzu Fischer (1979), 159; Scherpner (1962), S. 61 f. Darauf, dass Geiler von Kaysersberg auch die Nürnberger Bettelordnung von 1478 gekannt haben könnte, verweist Jütte (1984a), S. 30.
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nislos und fordert stattdessen die städtische Verwaltung auf, die Armen zu unterstützen.
II. John Mayor Die Zuständigkeit der weltlichen Gewalt für die Armenfürsorge wird durch den in Paris an der theologischen Fakultät der Sorbonne lehrenden John Mayor (1470 – 1550) noch nachdrücklicher eingefordert. In seinem Sentenzenkommentar von 1509 stellt er nicht nur die Kompetenz der Obrigkeit zur Einschränkung des Bettels fest, sondern erkennt sogar das allgemeine Verbot des Bettels an.129 Dies stellt Mayor allerdings unter die Voraussetzung, dass jedem Bedürftigen angemessene Arbeit verschafft und das Almosen so geordnet wird, dass eine Versorgung gewährleistet ist.130 Damit geht eine Ausweitung der bisherigen Zuständigkeiten einher, da die städtische Obrigkeit nunmehr auch für die Arbeitsbeschaffung und –zuweisung zuständig ist. Auch nicht vollständig Arbeitsfähige wie Blinde oder Taube sollen entsprechend ihren Fähigkeiten angemessene Tätigkeiten zugewiesen bekommen. Gegenüber der bisherigen rein repressiven Maßnahme der Unterstützungsverweigerung für Arbeitsfähige erweitert dieser Ansatz das Spektrum der Maßnahmen. Hier deutet sich die endgültige Ablösung des Bettels als zulässiger Versorgungsform an, der nach der Vorstellung von Mayor durch das obrigkeitlich zugeteilte Almosen ersetzt werden soll.
III. Yperner Armenordnung von 1525 Wie sehr die städtische Fürsorgegesetzgebung die Entwicklung des Rechtsgebiets prägt, wird in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts in besonderer Weise offenbar. Zugleich bewirkt die im Anschluss an diese Entwicklung einsetzende Territorialgesetzgebung einen Wechsel. Die Territorialherren nehmen die Herausforderungen der Fürsorgeaufgaben an und erreichen eine Vereinheitlichung des Rechts. In diesem Zeitraum fließen unterschiedliche Entwicklungslinien zusammen, wobei einzelne Verordnungen zur Vorlage territorialstaatlicher Gesetzgebung werden. Von maßgeblicher Bedeutung für die weitere Entwicklung nicht nur in den habsburgischen Territorien ist die Yperner Armenordnung von 1525.131 Der Einfluss dieser Ordnung ist 129 Deutlich wird dies, wenn man sich die Formulierung der Absicht Mayors in einem zeitgenössischen Brief vor Augen führt; zitiert bei Scherpner (1962), S. 64 mit Nachweis der Fundstelle bei Nolf (1915), Urkunden XXXXI, S. 163; zum Brief vgl. Scherpner (1962), Anhang 12b: „… ostendit publice mendicationis libertatem posse civium legibus non solum coherceri sed tolli, dummode honesta aliqua ratione inopum necessitate provideatur“. 130 Scherpner (1962), S. 64 ff.; Nachweis der Textstelle u. a. bei Scherner (1979), S. 60 Fn. 21; der Text findet sich bei Winckelmann (1914/15)), S. 196: „Si princeps vel cummunitas statuat, ne sit mendicus in sua patria, et provideatur impotibus, probe agit et quod quidem licet.“ 131 Die Yperner Armenordnung ist abgedruckt bei Winckelmann (1914), S. 13 – 18; zusammenfassend Dorn (2005), S. 95 f. Zum Verhältnis der Yperner Armenordnung zur Nürnberger vgl. Winckelmann (1912/13).
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ihrer theoretischen Durchdringung im europaweit rezipierten Werk von Vives geschuldet. Wie aus dem Regelungsinhalt hervorgeht, ist der Bezug zur zeitgenössischen Nürnberger Verordnung nicht zu verkennen. Auch in Ypern wird die Fürsorge insgesamt unter die zentrale Aufsicht städtischer Behörden gestellt. Anlass und Beweggrund des Stadtrates ist die Abstellung des Missbrauchs des Almosenempfangs durch betrügerische Bettler. Es wird angenommen, dass gerade diese sich durch Aufnahme von Arbeit selbst versorgen können. Die einzurichtende Verwaltungsorganisation gliedert sich nach den städtischen Pfarreien. Pro Pfarrei sollen jeweils vier Verordnete Hausvisitationen vornehmen, um nach diesen Erkenntnissen Verzeichnisse der Armen anzulegen. Erfasst werden dabei Lebensverhältnisse und Lebenswandel, woran sich die Zuweisung der Unterstützung orientiert.132 Die Unterstützungsleistungen in Naturalien oder Geld erfolgen aus der neu geschaffenen Armenbörse. in welche die Einkünfte aus den Opferstöcken und aus den regelmäßig vorzunehmenden Armenkollekten fallen. Stiftungsvermögen wird nur dann zur Armenbörse gezogen, wenn es allgemein zur Versorgung der Armen bestimmt worden ist. Ausgenommen sind das Kirchengut und die Stiftungen zugunsten geistlicher Personen, worin sich deutlich der Unterschied zu den protestantischen Armenkästen manifestiert.133 Festgelegt wird darüber hinaus die Ausbildung von Bettlerkindern durch Schule oder Handwerk.134 Sowohl für Einheimische als auch Fremde wird der Bettel generell verboten und unter Strafe gestellt. Fremde Bettler werden nur auf der Durchreise geduldet und erhalten ein Wegalmosen. Diese Maßnahmen sollen erreichen, dass die Bettler aufgrund der nun gewährleisteten Versorgung durch vermehrte Predigtbesuche besser für ihr Seelenheil sorgen können.135 Die bedeutsamste Veränderung liegt in der Umstellung der Versorgungsart der Bedürftigen. Der Bettel ist nicht länger die rechtlich zulässige Form der Existenzsicherung. Alleine die obrigkeitlich kontrollierte und gesteuerte Zuteilung von Unterstützung kann dem Bedürftigen seinen Lebensunterhalt sichern. Für die als arm und bedürftig anerkannten Arbeitsunfähigen bedeutet dies eine Einschränkung ihrer Gestaltungsmöglichkeiten. Zwar erfolgt die Gewährung von Leistungen aus der Armenbörse nach denselben Kriterien wie die vorherige Zulassung zum Bettel. Indes entfällt für den Bedürftigen die Möglichkeit, mit potentiellen Spendern in Kontakt zu treten und so entsprechend der eigenen Wahrnehmung um Unterstützung zu bitten. Im neuen Modell bleibt er auf die Leistungen angewiesen, welche die Obrigkeit ihm abhängig von seiner Verfassung und den Kapazitäten zuteilt. Die Chance, sich außerhalb dieser Zuteilungen zu versorgen, ist für den arbeitsunfähigen Armen durch das Bettelverbot verschlossen.
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Text bei Winckelmann (1914), S. 14. Text bei Winckelmann (1914), S. 15. Als Beispiel eines protestantischen Almosenkastens kann neben der Leisniger Kastenordnung von 1523 in Strohm/Klein (2004), Bd. 2, S. 24 ff., auch die Zwickauer Kastenordnung dienen, vgl. hierzu Bräuer/Schlenkrich (2006), S. 66 ff. 134 Text bei Winckelmann (1914), S. 16. 135 Text bei Winckelmann (1914), S. 17. 133
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IV. Theoretische Durchdringung des Yperner Fürsorgemodells durch Vives Den profiliertesten Ausdruck erhalten die neuen Ideen bei dem spanischen Humanisten Vives in dessen 1526 für den Rat der Stadt Brügge bestimmten Schrift „de subventione pauperum“.136 Dieses Werk erfährt in Europa eine weite Verbreitung und wird innerhalb kürzester Zeit in verschiedene Sprachen übersetzt.137 Vives orientiert sich augenscheinlich an der Yperner Armenordnung. Deren Vorgaben stellt er in ein Gesamtkonzept, in dem deutlich zwischen privater und öffentlicher Fürsorge unterschieden wird. Während das erste Buch von der privaten Armenpflege handelt und auf die Pflichten von Armen und Reichen eingeht,138 behandelt das zweite Buch die öffentliche Armenpflege. Grundvoraussetzung sowohl der privaten als auch öffentlichen Armenpflege ist die christliche Nächstenliebe. Vives weist dem Almosen unter Betonung des himmlischen Lohns eine besondere Stellung zu.139 Das Bemühen, den weltlichen und theologischen Rechtskreis miteinander in Einklang zu bringen, wird überdeutlich.140 Dass das Verständnis des Almosens sich trotz dieser Herausstellung in einem Wandel befindet, zeigt der Blick auf das Verständnis des Inhalts der Gabe an den Bedürftigen: „Non enim dandum cuique est quod expetit, sed quod ei expedit“, d. h. nicht das, was einer fordert, sondern das, was ihn fördert, ist ihm zu geben.141 In diesem Zusammenhang werden weitere religiöse Vorstellungen offenbar, insbesondere die Vorstellung der Armut als dankbar anzunehmendes Geschenk Gottes.142 Dennoch hat sich das Ziel, verglichen mit der mittelalterlichen Carität, geän-
136 Vives, De subventione. Eine deutsche Übersetzung („Über die Unterstützung der Armen …“) findet sich bei Strohm/Klein (2004), Bd. 1, S. 277 ff. Zur Biographie von Vives vgl. Strohm (2004), S. 277; Kayser (1894), S. 308 ff. Bemerkenswert ist, dass er an der Pariser Sorbonne, der Wirkungsstätte von John Mayor, studierte. 137 So z. B. ins Niederländische: „Vande armen toe onderholden Johannis Lodovici Vivis twee boecken / ut den latijn ind duyts ghestelt deur Henricum Geldorpium“. Antwerpen 1566 und ins Deutsche „Von Almusen geben. Zwey büchlin Ludouici Viuis / Auff disz new xxxiij. Jar durch D. Casparn Hedion verteütscht vnd eim Ersamen Radt vnnd frummer burgerschafft zu Straßburg zugeschriben. Allen Policeyen nutzlich zu lesen“. Straßburg 1533. Zur Übersetzung ins Spanische, Französische und Italienische vgl. 1882, S. 29 Fn. 1; zur Straßburger Ausgabe Jütte (2000), S. 142. 138 Vives, Unterstützung, I., S. 283. Vgl. hierzu Ehrle (1882), S. 29; Feuchtwanger (1909a), S. 194. 139 Vives, De subventione, S. 142 Rn. 21 – 24; Vives, Unterstützung, I., S. 339. Zur Stellung der Nächstenliebe im Konzept von Vives vgl. Scherpner (1962), S. 81 Fn. 44. 140 Vgl. Bondolfi (2004), S. 132, der die theologische Grundausrichtung betont. Dass Vives aber auch durchaus weltlich-obrigkeitliche Argumentationsmuster verwendet, zeigt Vives, Unterstützung, I., S. 317 f., wo er die resultierenden Gefahren, u. a. für die Sicherheit und Gesundheit der Bürger, aufführt. 141 Vives, De subventione, S. 22 Rn. 1 ff.; Vives, Unterstützung, I., S. 289. Vgl. hierzu auch Scherpner (1962), S. 81. 142 Vives, De subventione, S. 32 Rn. 17 ff.; Vives, Unterstützung, I., S. 294. Vgl. hierzu Ijsewijn (1976), S. 235.
E. Fürsorgekonzepte im Humanismus
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dert. Nunmehr soll die Armut endgültig aufgehoben werden: „Vellem in totum efficere possemus, ne ulli essent in hac civitate pauperes“.143 Die Aufgabe zur Gestaltung der Armenfürsorge wird mehrfach und eindeutig der obrigkeitlichen Gewalt zugeordnet. Dabei wird die Pflicht des Magistrates zum Tätigwerden auch auf diesseitige weltliche Gründe gestützt: zum Ersten auf die aus dem Gegensatz Arm und Reich sich ergebende soziale Gefahr, zum Zweiten auf die Gefahr der Übertragung von Krankheiten sowie zum Dritten auf die aus der Vernachlässigung der Armut resultierende zunehmende Unsittlichkeit.144 Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen ist die Annahme der Arbeitspflicht jedes Menschen.145 Klingt dies zunächst wie Altbekanntes, übersteigt die Konsequenz des Gedankenganges die geläufigen Denkschemata. Neu ist, dass die Pflicht nicht nur wie bisher für starke Bettler gilt, sondern auch für Alte und Versehrte. Vives nimmt an, dass bei jedem Menschen ein nie gänzlich verschwundener Rest an Arbeitsfähigkeit vorhanden sei. Sogar Blinde seien befähigt, gewisse Arbeit zu erledigen. Als Beispiele nennt er die Nutzung einer Begabung für die Wissenschaft, das Musizieren mit der Flöte oder den Antrieb von Weinkeltern.146 Damit ist die Trennung des „mendicans validus“ und des „egens“, des Bedürftigen, hinsichtlich der Arbeitspflicht aufgebrochen. Hier setzt die Aufgabe der Obrigkeit an, die Armen in Listen zu erfassen und deren Arbeitsfähigkeit zu überprüfen. Anschließend ist jedem seiner Arbeitsfähigkeit entsprechend eine Arbeit zuzuweisen. Sowohl der Zwang der Handwerksmeister zur Einstellung von Arbeitskräften als auch die erzwungene Tätigkeit müßiger Arbeitnehmer sind für Vives zulässige Mittel.147 Schon Kinder sind neben der Unterrichtung in Lesen, Schreiben und christlicher Religion in ein Arbeits- und Dienstverhältnis zu bringen.148 Untrennbar mit der Arbeitspflicht verbunden ist das uneingeschränkte Verbot des Bettels. Vives fasst dies deutlich in die Worte, dass es eine ungeheure Zierde für eine Stadt sei, ohne Bettler zu sein.149 Statt durch Bettelerlaubnis soll die Versorgung durch Unterbringung in Hospitälern oder durch vorsorgende Unterstützung erfolgen. Bei Geringverdienst besteht die Möglichkeit von Zuschüssen zum Lohn.150
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Vives, De subventione, S. 128 Rn. 18 – 20; Vives, Unterstützung, I., S. 333. Vives, Unterstützung, I., S. 317 f. Hierzu Ehrle (1882), S. 29 f.; Geremek (1988), S. 223. 145 Vives, Unterstützung, I., S. 283 f., 318, 321. Vgl. Ehrle (1882), S. 30 Fn. 1; Scherpner (1962), S. 88 f. 146 Vives, Unterstützung, S. 322 ff. 147 Vives, Unterstützung, S. 322. 148 Vives, Unterstützung, S. 325. Geradezu modern wirkt angesichts den jüngsten Ergebnisse der PISA-Studie die Forderung von Vives: „Bei der Einstellung solcher Lehrer sollen die Behörden nicht am Geld sparen: Sie können dem Staat, dem sie vorstehen, etwas Großes bieten für einen geringfügigen Aufwand“. 149 Vives, Unterstützung, I., S. 337. 150 Vives, Unterstützung, I., S. 324; vgl. zudem Ehrle (1882), S. 30; Scherpner (1962), S. 92. 144
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2. Teil: Rahmenbedingungen der Armenfürsorge- und Bettelgesetzgebung
Bei der Frage nach der Finanzierung greift Vives auf die bisherigen Mittel zurück: die finanzielle Ausstattung der Spitäler und das Almosen. Er ist überzeugt, dass die Spitäler über eine reiche finanzielle Grundlage verfügen und empfiehlt für Ausnahmefälle einen Überschussausgleich. Bei Bedarf sollen in den Kirchen, wie aus Ypern bekannt, Opferstöcke aufgestellt werden. Weiterhin empfiehlt er die Nutzung der bisherigen Motivation der Gabe an den Armen. Insbesondere Prediger sollen am Sterbebett zum Almosenspenden ermahnen.151 Die Einführung einer Almosensteuer wird aufgrund der Freiwilligkeit des Almosens abgelehnt,152 wohingegen Vives zur Frage des religiösen Bettels keine Stellung nimmt. Die Grenzen des Konzeptes zeigen sich hier: Die Finanzierung soll nicht im Vertrauen auf menschliche Fähigkeiten sichergestellt werden, sondern im Vertrauen auf Gott, durch den die Reichen ihren Beitrag leisten werden. In seinem Glauben an die Wirkkraft der Liebe zu Gott sieht er eher die Gefahr einer Überfinanzierung. Eine Auffassung, die angesichts der realen Verhältnisse nachweislich als übertrieben optimistisch einzustufen ist.153 Deutlich wird jedenfalls, dass ungeachtet neuartiger Organisationsformen bisherige religiös begründete Vorstellungen in ein ganzheitliches System übernommen werden. In für diesen Zeitraum symptomatischer Art und Weise fließen in das Werk von Vives die bisherigen Vorstellungen mit den Reformkonzepten zusammen. Die Betonung herkömmlicher christlicher Auffassung stärkt die Kontinuitätslinie zur hergebrachten christlichen Fürsorge und hat zugleich den Effekt, dass sie zur Legitimation der neuartigen Maßnahmen, der Durchsetzung der Arbeitspflicht und der Abschaffung des Bettelns, dient.
V. Auswirkungen: Transfer des Stadtrechts in Territorialnormen Trotz der Rezeption der Yperner Ordnung als Vorbild für die Konzeption von Vives wird sie aufgrund des Vorwurfs der Ketzerei durch Mitglieder der vier Mendikantenorden am 28. 12. 1530 der theologischen Fakultät der Sorbonne zur Begutachtung vorgelegt. Insbesondere im Bettelverbot sehen die Vorsteher der Karmeliter, Augustiner, Dominikaner und Franziskaner die Nähe zu lutherischen Anschauungen und konstatieren zudem eine Belastung der wahren Armen.154 Die Bettelorden sind zwar nicht direkt von dem Bettelverbot erfasst. Dessen ungeachtet sehen sie sich angesichts der bereits in den reformierten Teilen des Reichs umgesetzten Forderungen Luthers zum Handeln genötigt. Dennoch bestätigt die Sorbonne bald darauf in einem 151 Vives, Unterstützung, I., S. 327 ff. Zur Finanzierungsmöglichkeit der Armenfürsorge durch letztwillige Verfügungen vgl. Klötzer (1997), S. 196 ff.; Schmidt/Wagner (2004), S. 498. Zur Ermahnung der Testierenden zu Spenden durch spätere Verordnungen vgl. z. B. die Verordnung vom 12. 9. 1739 in StAMz LVO. 152 Vives, Unterstützung, I., S. 330. 153 Vives, Unterstützung, I., S. 329. Allgemein zur Beschränktheit der damaligen städtischen Leistungsfähigkeit vgl. Fischer (1979), S. 269, 277; Jütte (1984), S. 148 ff. 154 Ehrle (1882), S. 35 f.
E. Fürsorgekonzepte im Humanismus
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Bescheid vom 16. 1. 1531 grundsätzlich die getroffenen Regelungen.155 Auffallend ist die Parallelität zu dem Gedanken Mayors, dass das Bettelverbot nur bei gleichzeitiger Gewährleistung der Versorgung statthaft ist. Wesentlich ist darüber hinaus, dass den anerkannten Bettelorden wie nach bisheriger Gewohnheit das Betteln nicht verboten und der privaten Wohltätigkeit keine Grenzen auferlegt werden dürfen.156 Ein Konflikt zwischen der kirchlichen und der weltlichen Rechtssphäre wird von der Fakultät ausgeschlossen und die Ordnung als mit christlichen Gebräuchen vereinbar erklärt. Es zeigt sich, dass der Transfer von Kompetenzen aus der kirchlichen Zuständigkeit zur weltlichen Obrigkeit zusätzlicher Legitimation bedarf. Zum einen stellt das positive Gutachten einer theologischen Fakultät selbst eine Stütze der Veränderung dar. Zum andern liegt die Stärkung der Legitimation in der Einbeziehung und dem Fortbestehen bisheriger Vorstellungen. Dies geschieht in Form von Ausnahmeund Auffangtatbeständen, die trotz der Veränderung Kontinuitäten als Voraussetzung der Normakzeptanz sichern. Ein typisches Beispiel für den Transfer der städtischen Fürsorgegesetzgebung in territoriales Recht ist das Edikt Karls V. vom 7. 10. 1531 für die habsburgisch-niederländischen Städte.157 Hier lassen sich die Besonderheiten in mehrfacher Hinsicht darstellen. Das Edikt weist den Städten des Territoriums die Aufgabe zur Einrichtung von Fürsorgeorganisationen zu. Nach den Vorgaben der Yperner Armenordnung und der Schrift von Vives – Zentralisierung des Armenfonds, städtische Verwaltung der Unterstützungsleistungen, Bettelverbot und Arbeitsverpflichtung – bildet das Edikt in der Folge die Grundlage für die Neuordnung zahlreicher weiterer flämischer Städte.158 Auch die Aufforderung bei Vives, Testatoren durch die Prediger zu Spenden zugunsten des Almosenfonds aufzufordern, findet sich wieder im Edikt.159 Durch die Orientierung an Positionen, die bereits anerkannt und durch das Gutachten der Sorbonne abgesichert sind, wird das Fundament zur Akzeptanz der Norm gelegt. Bei dem Edikt Karls V. handelt es sich unverkennbar um eine territorialstaatliche Adaption des städtischen Modells. Die territoriale Rahmengesetzgebung vollzieht mittels des Wechsels der Normebenen den Rechtstransfer in weitere Städte. Durch die Machtposition des Territorialherrn bietet sich eine zusätzliche Legitimationsgrundlage zur Neuordnung des Armenwesens und zur Ergreifung der Zuständigkeit an. Die Territorialnorm beinhaltet im Gegensatz zu den Vorlagen eine Änderung: Das uneinge155
Feuchtwanger (1909b), S. 221; Strohm (2004), S.47. Die Pariser Universität spielte bereits im so genannten Mendikantenstreit von 1252 – 1257, in dem es um die Sünden tilgende Kraft des Almosens und die Frage nach dem Entzug des Almosen für die wahrhaft Bedürftigen durch die arbeitsfähigen Beginen ging, eine entscheidende Rolle, vgl. hierzu Schubert (2000), S. 880 ff. Der Abdruck des Gutachtens findet sich u. a. bei Ehrle (1882), S. 37 Fn. 1; Ratzinger (1884), S. 444 Fn. 1. 156 Ehrle (1882), S. 37, 39; Scherpner (1962), S. 78. 157 Edikt vom 7. 10. 1531 in Strohm/Klein (2004), Bd. 2, S. 154 ff. Zu den Auswirkungen vgl. Geremek (1991), S. 174 ff. Das Edikt findet sich in der französischen Übersetzung bei Steinbicker (1937), S. 246 ff. 158 Ehrle (1882), S. 40; Jütte (2004), S. 88 f. 159 Geremek (1991), S. 175; Steinbicker (1937), 248.
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2. Teil: Rahmenbedingungen der Armenfürsorge- und Bettelgesetzgebung
schränkte Bettelverbot gilt nicht für Gefangene, Aussätzige und Bettelorden.160 Dies legt den Schluss nahe, dass es sich bei den Ausnahmen bezüglich des Bettelverbotes um die Berücksichtigung der Vorbehalte der Sorbonne handelt. Die Aufnahme von Ausnahmetatbeständen und damit das Fortbestehen von bislang nicht verzichtbaren Resten von hergebrachten Vorstellungen bewirken, dass sich die Neuordnung stabilisiert. Exemplarisch zeigt sich hier, wie sehr sich Normsetzung und Diskurs bei der Weiterentwicklung und Übertragung von Normen in andere Rechtskreise gegenseitig beeinflussen. Der in Flandern begonnene Transfer führt über die Person Karls V. als spanischer König zur Armengesetzgebung in Spanien. Der dort betriebene Aufwand zur Akzeptanz der Fürsorgegesetzgebung entspricht in seinen Formen dem Ablauf bei der flandrischen Verordnung.161 Dieses Geschehen wiederholt sich zudem anlässlich der Brügger Armenordnung von 1562, in der zum wiederholten Male die Argumente für und wider ein Bettelverbot ausgetauscht werden. Ungeachtet des weiter fortgeführten Gelehrtenstreits bleibt das Fürsorgemodell nach Vives nicht ohne Folgen auf die Gesetzgebung des 16. Jahrhunderts.162
F. Die Reformation und ihre Konzepte zur Armenfürsorge I. Protestantische Armen- und Kastenordnungen Die Maßnahmen protestantischer Obrigkeiten gehen auf die von Luther beeinflusste Wittenberger Beutelordnung von 1521, die Leisniger Kastenordnung von 1523 sowie die von Bugenhagen mitgestaltete Braunschweiger Kastenordnungen von 1528 zurück.163 Wesensmerkmale der protestantischen Armenordnungen sind ein von den Kommunen getragenes Armenpflegesystem, ein grundsätzliches Bettelverbot, die Umstellung der Armenversorgung auf gesteuerte Zuteilungen von Almosen und die Zusammenfassung kirchlicher Einnahmen in einem gemeinen Kasten.164 Die Einnahmen des gemeinen Kastens sollen der Finanzierung des Unterhalts der Armen ebenso dienen wie dem Unterhalt der Geistlichkeit und des kirchlichen Bau160
Geremek (1991), S. 174; Steinbicker (1937), 245 f. Zur Prozesshaftigkeit des Gesetzgebungsverfahren vgl. Wagner (2006b), S. 233 ff. Auch in Spanien wird die Territorialnorm Gegenstand eines universitären Gutachtens. Die theologische Fakultät von Salamanca bestätigt wie bereits die Sorbonne die Gesetzgebung. 162 Nicht zuletzt Andreas Hyperius führt seine Reformansätze weiter, vgl. hierzu Jütte (1984b), S. 113 ff. 163 Vgl. hierzu Feuchtwanger (1909a), S. 171 ff.; Klein (2004), S. 158; Sprengler-Ruppenthal (2004), S. 189. Zu den von Calvin beeinflussten Kastenordnungen vgl. SprenglerRuppenthal (2004), S. 200 ff. 164 Vgl. allgemein Uhlhorn (1895), S. 554 ff.; zu einzelnen Ordnungen vgl. u. a. Borst (1952); Bräuer (1997a); Demandt (1980); Ernst (1951); Nobbe (1889); Pischel (1916); Schubert (1991); Winckelmann (1914/15). 161
F. Die Reformation und ihre Konzepte zur Armenfürsorge
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wesens, wobei die Armenpflege oftmals nicht die höchste Bedeutung hatte. So kann das Interesse der Landesherren an einem ausgebildeten Predigernachwuchs dazu führen, dass die eigentlichen Adressaten vernachlässigt werden.165 Mit der Erfassung der wirklich Bedürftigen sowie der Verteilung der Mittel ist eine Armenadministration, meist unter dem Vorstand des Pfarrers, betraut. Rechtshistorisch interessant ist dabei der Umstand, dass der protestantische Landesherr elegant den Auftrag, sich der Armen anzunehmen, mit dem Grundsatz des Heimatprinzips und der überkommenen kirchlichen Zuständigkeit verbindet. Erreicht wird dies unter anderem durch die Einbindung der protestantischen Geistlichkeit in die Administration. Als bemerkenswert zu berücksichtigen ist, dass der Landesherr in seiner Eigenschaft als weltlicher Herrscher und oberster Kirchenherr die einschlägigen Kasten- und Kirchenordnungen erlässt.166 Die Vorstellung, dass es sich nur in protestantischen Territorien um generelle Bettelverbote handelt, lässt sich dagegen schon mit Blick auf die Ergebnisse Battenbergs verneinen. Battenberg weist nach, dass durchaus auch protestantische Verordnungen Bettelerlaubnisse für einheimische Bedürftige vorsehen.167
II. Position der protestantischen Theologie zur Armenpflege Die Positionen der Reformatoren stellen kein einheitliches Glaubenssystem dar, wie bereits an den Unterschieden zwischen Luther, Calvin und Zwingli deutlich wird. Für den Bereich der Armenpflege soll jedoch in diesem Rahmen die Darstellung im Wesentlichen auf die Ansätze Luthers beschränkt werden. Luther vollzieht zwar die Abgrenzung zum damaligen römischen Katholizismus in teilweise polemischer Übersteigerung. Gleichwohl oder gerade deshalb lassen seine Ausführungen zur Armenpflege den Wandel im Vergleich zur scholastischen Prägung des Almosens deutlich werden. Dies gilt ungeachtet einiger Divergenzen zu den übrigen Reformatoren.168
165
Siehe Battenberg (1991), S. 40, S. 51; Scherner (1979), S. 77. So Scherner (1979), S. 77 f. 167 Vgl. hierzu Battenberg (1991), S. 48, S. 53 ff., der allerdings trotz der dort bestehenden Unterscheidung bezüglich des Bettelverbots zwischen starken und schwachen Bettlern diesen Schluss so nicht zieht. Dementsprechend ist auch die Aussage von Schepers (2000), S. 55, 57 so nicht zutreffend, dass alleine katholische Territorien den Bettel als letztes Mittel immer zuließen. Zu beachten sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen von Fritsch, De mendicantibus zum Bettelverbot, vgl. Vierter Teil, B. 168 Klein (2004), S. 146. 166
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2. Teil: Rahmenbedingungen der Armenfürsorge- und Bettelgesetzgebung
1. Ablehnung der Verdienstlichkeit des Almosens als formale „Werkgerechtigkeit“ Kernpunkt aller Reformatoren ist die generelle Ablehnung der Verdienstlichkeit der guten Werke, wozu das Almosen zählt.169 In diesem Zusammenhang lehnt Luther auch die übersteigerte Differenzierung zur Almosenpflicht in der Spätscholastik ab. Die dort entfaltete Kasuistik hinsichtlich der Pflicht zur Gabe aus dem „superfluum“ und der freiwilligen Gabe aus dem „necessarium“ stellt für ihn „Gnade ohne Liebe“ dar. Dabei entspringt auch nach Luthers Auffassung das Almosen aus der im Gebot der Nächstenliebe gründenden Christenpflicht.170 Zwar betont er den Wert des Almosens, insbesondere im Vergleich zum gekauften Ablass. Anders jedoch als nach altgläubiger Auffassung steht für ihn fest, dass das Almosen nicht dazu dient, „himmlisches Guthaben“ bei Gott aufzubauen und Gott quasi zum Schuldner zu machen. Es fehlt nach Luther eindeutig an der direkten Verbindung zwischen Almosen und einer Rechtfertigung oder Tilgung der Sündenschuld. Vielmehr bedeutet die Almosengabe die aus dem Glauben selbst notwendigerweise entstehende Tat.171 Es ist seine Überzeugung, dass die Rechtfertigung des Menschen alleine aus dem Glauben erfolgen kann aufgrund göttlicher Gnade, die nicht erkäuflich ist. Die Befähigung des Menschen zu guten Werken ruhe alleine im gläubigen Vertrauen auf Gottes Gerechtigkeit.172 Während er die Verdienstlichkeit des Almosens radikal ablehnt, weist Luther dennoch auf die vorbildliche Almosentätigkeit der Vorfahren hin. Dies gilt ihm sogar trotz ihrer Verführung durch das Papsttum. Das von ihm wahrgenommene Absinken der Spendenfreudigkeit seiner Glaubensgenossen führt er indes nicht auf die Abkehr von dem herkömmlichen Almosenverständnis zurück. 2. Almosenverpflichtung und Bettelverbot Stets wiederholt Luther in seinen Predigten daher die Aufforderung, der notwendigen tätigen Nächstenliebe als Aufgabe des einzelnen Christen und des christlichen Gemeinwesens auch nachzukommen. Anders als beim insofern unveränderten Appell an den Spender lehnt Luther das bislang damit verbundene Verhalten des Almosenempfängers generell ab. Deutlich spricht er dies in Art. XXI seiner Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“ (1520) aus.173 Das Kernstück seiner Forderung ist es, „dass alle betteley abgethan“ werde. Es solle nämlich niemand unter den Christen 169
Sprengler-Ruppenthal (2004), S. 182. Vgl. als Beispiel nur die Stellen in Luther, Vorwort (1523). 171 Klein (2004), S. 148, 150 f. 172 Luther, Traktat, Bd. IV, S. 20, 26 ff., 42 ff.; Luther, Von den guten Werken, Bd. I, S. 62. 173 Luther, An den christlichen Adel, Bd. II, S. 22 f.; Vorwort zum „Liber vagatorum“. Dort wiederholt Luther die wesentlichen Leitlinien zum Armen- und Bettelwesen. Während er aber in der Schrift „An den deutschen Adel“ alle Bettelei abgeschafft wissen will, spricht er im Vorwort zum „liber vagatorum“ davon, dass fremde Bettler zu dulden seien, wenn sie Ausweise und Zeugnisse ihrer Bedürftigkeit vorweisen könnten; ebenso die Reichspolizeiordnung von 1530. 170
F. Die Reformation und ihre Konzepte zur Armenfürsorge
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betteln gehen“. Hier ist eine wesentliche Änderung zur spätmittelalterlichen Fürsorgestruktur erkennbar, die auch von humanistischen Autoren wie Vives geteilt wird. Luther ist der Ansicht, dass die Schaffung entsprechender Gesetze, die ein solches Resultat zugleich mit der Sicherung der Versorgung bewirken können, ein Leichtes sei und nur vom Mut und der Ernsthaftigkeit abhinge. Die Nähe zu den Vorgaben des Reichsrechts werden erkennbar in der Wiederholung der Voraussetzungen für dieses Unterfangen: „Wenn nämlich jede Stadt ihre armen Leute versorge, und keinen fremden Bettler zuließe, sie hiessen wie sie wollten, weren walbruder [Wallfahrer] oder bettelorden“. Getragen wird dies von der Annahme, dass die Versorgungsleistungen eines Gemeinwesens für die eigenen ortsansässigen Bedürftigen ausreichen. Die Höhe der Versorgungsleistungen bestimmt Luther auf den Erhalt der Existenz. Das bedeutet nur die Versorgung mit dem zur Ernährung Notwendigen und der Ausstattung mit der nötigsten Kleidung. Maßgeblich ist für ihn, dass eine üppigere Versorgung nicht auf Kosten anderer sichergestellt werden soll, sondern durch eigene Hände Arbeit. 3. Kompetenzteilung zwischen weltlicher und geistlicher Ebene Die Aufgabe und Kompetenz zur Armenfürsorge ordnet Luther dem Rat und dem Pfarrer zu, bindet also weltliche und geistliche Institutionen zusammen ein. Ein besonders hierzu beauftragter Armenpfleger soll eingesetzt werden, „der alle die Armen kennt, und was ihnen nottut dem Rat oder dem Pfarrer sagt oder wie sonst am besten geordnet werden kann.“ In der Praxis bleibt dies nicht ohne Probleme und Kompetenzgerangel zwischen der weltlichen und kirchlichen Ebene. Teilweise müssen diese Streitigkeiten durch den protestantischen Landesherrn selbst geklärt werden.174 Die weiteren Ideen, ebenso wie das Heimatprinzip der Versorgungszuständigkeit für die ortansässigen Armen stellen an sich keine Neuigkeiten dar, sondern entsprechen dem Reichsrecht. So soll für den Fall, dass eine Versorgung innerhalb des Gemeinwesens aufgrund begrenzter Mittel nicht möglich sei, eine Ausfallhilfe durch die die umliegenden Dörfer erfolgen. Der schon in § 26 des Reichsabschieds von 1495 angelegte Gedanke zur Kontrolle der terminierenden Bettelmönche erfährt bei Luther allerdings insofern eine Steigerung, als er deren vollständiges Verbot einfordert. Das so gesparte Gut soll den wirklich Bedürftigen zugute kommen.175
174
Bräuer/Schlenkrich (2006), S. 78 ff.; Klein (2004), S. 156, zu den Verhältnissen in Zwickau. 175 Klein (2004), S. 156. Zu der Zielsetzung der Zerstörung der Orden und des mönchischen Bettels vgl. Bräuer/Schlenkrich (2006), S. 59.
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2. Teil: Rahmenbedingungen der Armenfürsorge- und Bettelgesetzgebung
III. Ausblick zu Folgen und Auswirkungen der Reformation Die Reformation hat mit ihren zentralen Themen erhebliche Auswirkungen auf die Fürsorgegesetzgebung des zum Protestantismus wechselnden Gesetzgebers. Gerade der Grundsatz „sola fide, sola gratia“ bedeutet eine auf theologischer Ebene grundlegende Änderung der Almosenmotivation.176 Dass sich wie schon bei der Scholastik Differenzen zwischen der Lehre und der Praxis ergeben, in der auch Protestanten womöglich sich nicht doch noch einer zusätzlichen Absicherung durch eine gute Tat begeben wollen, ist nicht auszuschließen. Dessen ungeachtet gilt: Die nicht nur in diesem Punkt modifizierend wirkende Kraft der Reformation auf die Sozialsysteme ist wechselseitig angelegt. Zum einen verändert sie die Gesetzgebung der reformierten Territorien und Städte selbst, zum anderen verlangt sie von den altgläubigen Landesherren eine Abgrenzung zu den protestantischen Glaubensansätzen. Die besonderen Schwierigkeiten bestehen für beide Glaubensrichtungen darin, die Neuerungen der Fürsorgestrukturen ohne Brüche mit den Lehrpositionen systematisch einzubeziehen. Der Protestantismus eröffnet den Obrigkeiten zwar den Zugriff auf das Vermögen und Einkommen der Kirchen, Klöster und sonstigen kirchlichen Institutionen. Dagegen verliert die Aufforderung zur Almosenspende die eingängige Argumentation zur Rettung des Seelenheils, was zu einem bereits von den Zeitgenossen wahrgenommenen Rückgang der Spendenbereitschaft führt.177 Auf Seiten der altgläubigen Territorialherren führt der religiös-politische Gegensatz zur Notwendigkeit einer Abgrenzung von den reformatorischen Glaubenspositionen. Die Einführung vollständiger Bettelverbote und eines Almosenkastens stehen für diese unter einem Rechtfertigungsdruck, wie sich nicht zuletzt an den Vorgängen in den spanischen Niederlanden eindrucksvoll zeigt.
G. Reichsgesetzgebung des 16. Jahrhunderts Die Bedeutung der reichsrechtlichen Vorgaben ermisst sich schon darin, dass selbst die Reichspublizistik zum Ende des Ancien Régime noch feststellen muss: „Daß die Territorialgewalt auch in Polizeisachen der Reichshoheit subordiniert sei, und nur nach den Reichsgesetzen ausgeübt werden dürfe“.178 Zum Polizeirecht, so wie es die Reichspolizeiordnungen des 16. Jahrhunderts umfassen, gehört auch das 176
Klein (2004), S. 147 f.; Sprengler-Ruppenthal (2004), S. 181. Dies erkennt, wie gezeigt, auch Luther selbst, vgl. Klein (2004), S. 152. Einen weiteren Beleg in dieser Hinsicht bieten die Zwickauer Verhältnisse, vgl. Bräuer/Schlenkrich (2006), S. 71. 178 So Härter (1993), S. 66, mit Verweis auf Karl Friedrich Häberlein, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, nach dem System des Herrn Geheimen Justizrath Pütter. Zum gemeinnützigen Gebrauch der gebildetern Stände in Teutschland, mit Rücksicht auf die neuesten merkwürdigen Ereignisse […], Berlin 1794 – 97, Bd. 2, S. 568. 177
G. Reichsgesetzgebung des 16. Jahrhunderts
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Armen- und Bettlerrecht. Der Beginn der frühneuzeitlichen Territorialgesetzgebung auf diesem Gebiet erfolgt unmittelbar nach Verabschiedung der ersten Reichspolizeiordnung von 1530.
I. Wormser Reichstag 1495 Die von den Städten ausgehenden Veränderungen der Fürsorgeorganisation bleiben nicht ohne Auswirkungen auf die Reichsgesetzgebung. Im gleichen Maße, wie sich bei den Städten ein reger Austausch der betreffenden Bettel- und Armenordnungen nachweisen lässt,179 gewinnt die Frage nach der überregionalen Abstimmung des Vorgehens reichsweite Bedeutung. Aus der Exklusion von fremden, nicht stadtangehörigen Bedürftigen ergibt sich eine gesetzlich erzwungene Mobilisierung hin zu den Unterstützungswohnsitzen. Die Folge ist die Notwendigkeit einer Harmonisierung der Vorgehensweise zwischen den Reichsständen. Dieser Punkt ist eines der Anliegen des Wormser Reichstags von 1495. Dort beginnt die Reichsreform auf dem Gebiet der „Policeygesetzgebung“.180 Das Ziel der Reform ist es, einer „aus den Fugen geratenen Welt“ wieder zu „guter Ordnung“ zu verhelfen. Durch die Reichstagsbeschlüsse werden die Grundlagen für die späteren Reichspolizeiordnungen gelegt: die Einrichtung des Reichskammergerichtes, des Reichsregiments und die Befriedung des Reiches durch den Ewigen Landfrieden. Als zentrales Organ etabliert sich der Reichstag, der das im Reich vorhandene und sich verstärkende Bedürfnis nach Gesetzgebungstätigkeit zumindest teilweise erfüllt.181 Zu den zwischen den Reichsständen ausgehandelten Gebieten des Polizeirechts gehört auch das Armen- und Bettlerrecht. Mit diesen Festsetzungen ist der schließlich in die Reichspolizeiordnung mündende Prozess begonnen, der ein neuzeitliches „Reichsgrundgesetz“, die „leges fundamentales“ zum Ergebnis hat.182 Die einschlägigen Regelungen des Reichsabschieds vom 7. 8. 1495 finden sich in § 40 wieder.183 Dort werden die Kurfürsten, Fürsten und die übrigen Obrigkeiten darauf verpflichtet, bis zur nächsten Zusammenkunft Überlegungen zu einer Kleiderordnung anzustellen, welche auch im Jahr 1498 zustande kommt. Ferner sollen Verordnungen vorbereitet werden, die sich mit Spielleuten, Zigeunern und dem Bettelwesen befassen.184 Ziel und Zweck dieses Vorhabens sind „Eren, Nutz und Unterscheid aller Stend“. Die rudimentäre Forderung nach gesetzgeberischer Tätigkeit weist bereits zu 179
Vgl. hierzu Jütte (1984a), S. 39, 42; Wagner (2006b), S. 239 ff., für das Beispiel Straß-
burg. 180
Härter (1996b), S. 38.; Härter (1993), S. 69; Härter (1995); Mathias Weber (2002),
S. 25. 181
Härter (1993), S. 66. Scherner (1979), S. 65. Zum Begriff der „leges fundamentales“ als Begriff für das Reichsgrundgesetz vgl. HRG Bd. 4, S. 587 (Reichsgesetzgebung). 183 Wormser Reichsabschied vom 7. 8. 1495 in NSRA II, S. 24 – 27, hier S. 26. 184 Vgl. zum ersten Auftreten von Zigeunern im Reich Härter (2003b), S. 43 f.; Schubert (1988), S. 130 f. 182
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2. Teil: Rahmenbedingungen der Armenfürsorge- und Bettelgesetzgebung
diesem frühen Zeitpunkt auf die späteren Verknüpfungen hin. Aus den Unterlagen ergibt sich, dass vornehmlich Maßnahmen gegen starke Bettler intendiert sind.185 Die Zusammenführung starker, arbeitsfähiger Bettler mit den unter dem Oberbegriff „Zigeuner“ erfassten Personen in einer Norm wird die weitere Entwicklung noch nachhaltig bestimmen. Dass es sich bei der Erfassung der Spielleute im direkten Zusammenhang mit den Bettlern nicht um einen bloßen redaktionellen Zufall handelt, zeigt der Blick auf die Nürnberger Bettelordnung von 1478.186 Für Spielleute und Schausteller, die „singen, sagen oder zaigen es sey gemelde, bild, wunderlich thyer oder annders“, ist das Betteln um Almosen verboten. Bei einem Verstoß ist das erbettelte Geld zu konfiszieren.187
II. Fortführung durch die Reichsabschiede von Lindau, Freiburg und Augsburg Der Auftrag des Jahres 1495 findet seinen Fortgang im Lindauer Reichsabschied vom 2. 9. 1497.188 Unter § 20 des Reichsabschieds finden sich erstmals auf supraterritorialer Ebene allgemeine Regelungen zur Behandlung von Bettlern und Armen. Die Aussagen halten sich im Rahmen der in den Städten seit längerem geltenden Grundsätze. Als Versorgungsform für die als bedürftig Anerkannten wird der Bettel zugelassen. Das Reichsrecht erkennt nur körperlich schwache oder an leiblichen Gebrechen leidende Personen als zum Empfang dieser Versorgungsleistungen berechtigt an. Dieser Versorgungsgrundsatz ergibt sich gesetzestechnisch aus dem Gebot, das Betteln starker, arbeitsfähiger Personen zu verhindern. Das Verbot des Bettelns für die nicht des Almosen bedürftigen starken Bettler bedeutet umgekehrt gewendet die Anerkennung der Versorgungsform des Bettelns für die Bedürftigen. Zugleich spricht daraus die Annahme, dass durch die Abstellung des Missbrauchs durch arbeitsfähige Bettler die Versorgungslage der Bedürftigen durch den Bettel keiner weiteren Ergänzung bedarf. Direkte Aussagen zur Behandlung fremder, d. h. nicht zu den Untertanen der jeweiligen Obrigkeit gehörenden Personen fehlen in der Verordnung. Die Auswirkung der Praxis der Reichsstädte, fremde Bettler ungeachtet ihrer Arbeitsfähigkeit auszuweisen, wird nicht angegangen. Für die sich aus dieser Praxis ergebende Folge des Umherziehens von Unterstützung suchenden Personen wird offenkundig noch kein gemeinsamer Lösungsansatz gefunden. Die repressive Absicherung des Exklusionskriteriums „Fremd“ auf Reichsebene bleibt der späteren Entwicklung vorbehalten. 185
Härter (1995), S. 85. Dies gilt auch für die Reichsstadt Straßburg, wo es 1411 zu einer Ausweisung von fahrenden Frauen, Bettlern, Spielern, Schaustellern und Zuhältern kam, vgl. Voltmer (2000), S. 508. 187 Nürnberger Bettelordnung vom 5. 4. 1478 in Baader, Polizeiordnungen, S. 316 ff., hier S. 318, Rüger (1932), S. 33. 188 Lindauer Reichsabschied vom 2. 9. 1497 in NSRA II, S. 29 – 35, § 20 auf S. 32. 186
G. Reichsgesetzgebung des 16. Jahrhunderts
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Die Aussagen des Reichstags bleiben spürbar hinter dem bereits in den Reichsstädten geltenden Recht zurück, wie im Abgleich beispielsweise mit der Nürnberger Bettelordnung von 1478 augenscheinlich wird. Ein Ansatz zur Armutsprävention wird demgegenüber als Postulat in den Reichsabschied aufgenommen: die Zuweisung von Bettlerkindern zur Ausbildung mit Beginn ihrer Arbeitsfähigkeit.189 Dies ist bereits als Maßnahme aus dem Nürnberger Stadtrecht bekannt und dient dort zur Verhinderung des Hineinwachsens in die versorgte Armut.190 Ebenfalls parallel zu den Verhältnissen in den Reichsstädten, exemplarisch ist auf die Reichsstadt Nürnberg zu verweisen, gelten die „armen Schüler“ nicht als starke Bettler. Bei ihnen liegt zwar Arbeitsfähigkeit vor, welche an sich ein Exklusionskriterium darstellt. Dessen ungeachtet wird ihre Situation als unterstützungswürdig angesehen.191 Die Kompetenz zum Erlass einer entsprechenden Ordnung liegt aus Sicht der Reichsstände unzweifelhaft bei ihnen selbst. In diesem Sinne wird wie schon 1495 für die nächste Versammlung von jeder Obrigkeit die Vorbereitung entsprechender Normen eingefordert. Ebenfalls in den Bereich der Regulierung des Zugangs zum Almosen gehört die Ermahnung der Erzbischöfe, Bischöfe und Stiftsherren in § 26 des Reichsabschieds.192 Dort werden die geistlichen Reichsstände aufgefordert, dass in ihren weltlichen Herrschaftsgebieten „alle Überflüssigkeit der Questionarien und ander Bitter abgestellt und gemeßigt“ wird.193 Erkennbar zielt diese Aufforderung auf die Beseitigung der Vorwürfe, welche der Kirche und insbesondere den Bettelmönchen bereits in den Straßburger Betrügnissen194 und dem Narrenschiff im Jahr 1494195 gemacht werden. Die umherziehenden, Almosen sammelnden Bettelmönche, 189 Zur Situation armer Kinder in der Frühen Neuzeit vgl. Schmidt (2008b), S. 51 ff.; Papathanassiou (2007), S. 231, 242; zur Situation der Kinder im Allgemeinen vgl. Cunningham (2006), hier S. 120 – 160. 190 Vgl. die Regelungen in der Nürnberger Stadtordnung vom 5. 4. 1478 in Baader, Polizeiordnungen, S. 317; Rüger (1932), S. 32. Für die Kinder sollen sowohl in der Stadt als auch auf dem umliegenden Land Möglichkeiten der Beschäftigung gesucht werden. Rüger äußert ebenfalls die Vermutung, dass die Erfahrungen in Nürnberg zur Aufnahme der entsprechenden Forderung in den Reichsabschied geführt haben, wenngleich er dies erst für den Augsburger Reichsabschied von 1500 annimmt. 191 Vgl. die Regelung in der Nürnberger Stadtordnung vom 5. 4. 1478 in Baader, Polizeiordnungen, S. 319. Dort wird allerdings nur für ortsansässige Schüler unter Nachweis des ordentlichen Schulbesuchs der Bettel gestattet. Die fahrenden Schüler oder Scholasten werden bereits in der Scholastik als unterstützungsberechtigt anerkannt, vgl. Battenberg (1991), S. 45, Scherpner (1962), S. 34 f. 192 Lindauer Reichsabschied vom 2. 9. 1497 in NSRA II, hier S. 32. 193 Vgl. zur Erklärung des Begriffs des Stationierer, Quästonierer und des Terminierens LThK3 IX, Sp. 1339 („Terminieren“); Uhlhorn (1895), S. 495. Dort werden diese Begriffe als Synonyme für sammelnde bzw. umherziehende Bettelmönche erklärt. Das DRW gibt unter Quästonierer an: Die mit einer Einzelerlaubnis versehenen Sammler zugunsten der Kirche oder die an den Kirchentüren bettelnden Armen, vgl. DRW Sp. 1491 – 1492. 194 Vgl. hierzu Voltmer (2000), S. 506 f. 195 Ocker (1999), S. 133 f.; Sachße/Tennstedt (1980), S. 36, 49 ff.; Scherpner (1962), S. 48 ff.; Schubert (2000), S. 871, 882.
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auch Terminierer genannt, sind damit Gegenstand weltlicher Gesetzgebung. Direkt im Anschluss an die Vorgaben zur Behandlung der Bettler werden in § 21 die Zigeuner behandelt, denen die Tätigkeit als „Erfarer, Ausspeher und Verkuntschaffter der Cristen Land“ vorgeworfen wird. Auch hier gilt die Aufforderung an die Obrigkeiten, entsprechende gesetzgeberische Maßnahmen bis zur nächsten Versammlung auszuarbeiten. Weiterverfolgt werden die Vorgaben im Reichsabschied zu Freiburg i.Br. vom 4. 9. 1498.196 Bezüglich des Bettelwesens und der Quästionierer verbleibt es bei der wörtlichen Wiederholung des vorherigen Reichsabschieds in den §§ 44, 48. Die Maßnahmen gegenüber den Zigeunern haben sich dahingehend konkretisiert, als für sie seit Ostern 1499 ein Aufenthalts- und Durchzugsverbot ausgesprochen wird. Den Zigeunern werden die herrschaftliche Sicherheit und das Geleit verwehrt. Für den Fall des Aufenthalts nach Fristablauf wird die Rechtlosigkeit mit den Worten angekündigt: „und yemandts mit der Thate gegen inen zu handlen fürnemen würde, der soll daran nit gefrevelt noch Unrecht gethan haben.“ Der Reichsabschied zu Augsburg vom 10. 9. 1500 beschränkt sich ebenfalls auf die wörtliche Wiederholung der bisherigen Regelungen.197 Der nunmehr mehrfach an die geistlichen Reichsfürsten gerichteten Aufforderung zur Einschränkung der Stationierer und Quästionierer kommen diese mit der Regensburger Konstitution von 1524 nach.198 Der geistliche Bettel ist damit zwar weiterhin anerkannt, unterliegt jedoch einem Erlaubnisvorbehalt. In Caput XVI wird das Almosensammeln der Stationierer nur bei vorheriger Genehmigung durch die zuständigen Orden oder Vikare gestattet. Untersagt ist das Sammeln von Almosen zum missbräuchlichen Überfluss, nur der glaubensbezogene Gebrauch ist zugelassen. Bei Zuwiderhandlungen wird die Konfiskation des zu Unrecht Erworbenen angedroht. Ausgenommen sind die Mendikantenorden, für die es bei der päpstlichen Erlaubnis verbleibt.
III. Reichspolizeiordnung von 1530 Ausgehend von den Reformreichstagen nehmen die Bemühungen um eine reichsweite Ordnung erst ab dem Jahr 1521 wieder konkretere Züge an. Der im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit Martin Luther viel beachtete Wormser Reichstag beginnt mit der Ankündigung einer Polizeiordnung für das ganze Reich.199 Der mit der Vorberatung dieser Ordnung beauftragte kleine Ausschuss legt nur wenige Monate später 196 Reichsabschied zu Freiburg i.Br. vom 4. 9. 1498 in NSRA II, S. 38 – 54; § 44 (Bettler) S. 48 f., § 46 (Zigeuner) S. 49, § 48 (Quästionierer) S. 49. 197 Reichsabschied zu Augsburg vom 10. 9. 1500 in NSRA II, S. 63 – 91, hier S. 80: Art. 27 (Bettler), Art. 28 (Zigeuner), Art. 30 (Stationierer). 198 Concilia VI, S. 196 ff., zu den Stationierern vgl. S. 201 c. 16, c. 17. 199 Kaiserliche Proposition an die Stände zur Eröffnung des Reichstages vom 27. und 28. 1. 1521 in NSRA II, S. 153 – 156. Zur Funktionsweise des Reichstags und des Ablauf der Gesetzgebung vgl. Mohnhaupt (1998), S. 108.
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einen Entwurf vor, in dem sich die Aussagen zur Armen- und Bettlerfrage wiederfinden. Obgleich dieser Entwurf wegen Streitigkeiten über Monopolfragen nicht verabschiedet wird, dient er als Grundlage für weitere Ergänzungen.200. Schließlich kommt es auf dem Augsburger Reichstag am 19. 11. 1530 zur Verabschiedung der ersten Reichspolizeiordnung.201 Die Reichspolizeiordnung von 1530 beschränkt sich nicht auf das bloße Wiederholen der Reichsabschiede, sondern bündelt, präzisiert und verdichtet die älteren Regelungsmaterien. Die Reichspolizeiordnung bietet eine Palette von Strafbestimmungen, Maßnahmen und Vorgaben an, lässt jedoch Raum für die Umsetzung auf die lokalen Verhältnisse.202 Titel XXXIV „Von Bettlern und Müßiggängern“ konkretisiert die Aussagen zur Fürsorgeorganisation. Die Vorgaben stehen unter einer der ganzen Reichspolizeiordnung vorangestellten Bestimmung der gesetzgeberischen Motivation. Die Reichsstände und ihnen voran Kaiser Karl V. sehen sich verpflichtet, zu Gottes Ehr und Lob, der gemeinen Christenheit und deutscher Nation zu Wohlfahrt und Nutzen die bisherige Unordnung zu beseitigen.203 Die Reichspolizeiordnung sichert den Stand der Regelungen auf dem Gebiet des Armenwesens vor 1500 zunächst einmal ab. Nicht aufgegriffen werden die sich in den zurückliegenden zehn Jahren immer stärker abzeichnenden neuartigen Entwicklungen. Anders als in Nürnberg, Straßburg oder in Ypern sieht die Reichspolizeiordnung immer noch in der Gewährleistung der Bettelberechtigung die rechtmäßige Versorgungsform der Bedürftigen. 1. Vorgaben zur Fürsorgeorganisation Der einschlägige Titel XXXIV „Von bettlern und müßiggengern“ bestimmt die Grundprinzipien der Fürsorge: das Inklusionskriterium der Arbeitsunfähigkeit, das Exklusionskriterium der Fremdheit, die Kompetenzen innerhalb der Fürsorgestrukturen, die Befugnis zur Bestrafung arbeitsfähiger Bettler und die Regelungen im Hospitalwesen. a) Versorgung durch Zulassung zum Bettel und Bestrafung der Arbeitsfähigen In § 1 des einschlägigen Titels wird der Stand des 15. Jahrhunderts wiedergegeben. Das entscheidende Kriterium, welches den Ausschluss von den Fürsorgeleistungen bestimmt, ist die Arbeitsfähigkeit. Wie bisher ist es Aufgabe der Obrigkeit, dafür 200
Härter (1993), S. 74 f. Reichspolizeiordnung vom 19. 11. 1530 in NSRA II, S. 332-345; allgemein zu den Polizeiordnungen: Segall (1914), insbesondere S. 35 ff. zu der Entstehungsgeschichte der Reichspolizeiordnung. Eine neuere Bearbeitung findet sich bei Matthias Weber (2002), S. 13 – 42; 129 – 166 (Abdruck der Reichspolizeiordnung vom 19. 11. 1530). 202 Siehe auch Härter (1993), S. 77 f. 203 Vgl. allgemein zu der Motivation und den Leitvorstellungen der politischen Handlungsträger Simon (2004). Zu der Wirkung dieser Leitvorstellungen auf die Inklusion bzw. Exklusion von Armen vgl. Schmidt (2008a), S. 245 ff. 201
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zu sorgen, dass den starken Bettlern und Müßiggängern der Zugriff auf das Almosen verwehrt ist. Die Bettelerlaubnis soll, wie aus den Reichsabschieden bekannt, nur den Schwachen und Gebrechlichen zukommen. Neu ist, dass den Obrigkeiten ausdrücklich das Recht zugewiesen wird, „solche starcke Bettler […] vermög der Recht, oder sonst gebührlich“ zu strafen.204 Bereits der Entwurf der Polizeiordnung aus dem Jahr 1521 weist diese Klausel auf, die nun endgültig Einzug in die Reichsgesetzgebung hält.205 b) Bestrafung der Arbeitsfähigen Im direkten Zusammenhang zum ersten Grundsatz steht hier die Ermächtigung zur Bestrafung starker Bettler. Diese Unterscheidung zwischen starken und schwachen, d. h. als bedürftig angesehenen Bettlern bildet nicht erst seit den bisherigen Stadtordnungen ein nach außen griffig erscheinendes Merkmal, anhand dessen sich Bedürftigkeit zumindest normativ bestimmen lässt. Die Kontinuität zur Figur des „mendicans validus“ im „ius civile“ und den Betrachtungen Thomas von Aquin wird hier erneut sichtbar. Die vorgesehenen Strafen sollen durch Abschreckung generalpräventiv wirken und starke Bettler vom Missbrauch des Almosens abhalten: „andern zu abscheu und exempel“.206 Die Zuweisung und Bestätigung der Strafkompetenz der Obrigkeiten für starke Bettler bildet eine ausgiebig genutzte Möglichkeit territorialstaatlicher Rechtssetzung, wie sich im weiteren Verlauf zeigen wird. Die Reichsstände schreiben damit letztlich gesetzlich fest, was sowohl durch die weltliche als auch durch die kirchliche Rechtswissenschaft bereits seit dem Mittelalter anerkannte Praxis ist. c) Ausbildung der Bettlerkinder und Vorsorgungszuständigkeiten Die Ausbildungszuweisung der Bettlerkinder wird entsprechend den bekannten Regelungen der Reichsabschiede wiederholt und bietet keine Neuerungen. Die durchaus auf den Einzelfall bezogenen Vorschläge im Werk von Vives erfahren in der auf einen allgemeinen Konsens angelegten Reichspolizeiordnung offenkundig keine Akzeptanz. Ein neues Element ist allerdings, dass die Aufgabe jeder Obrigkeit, für eine ausreichende Ernährung der eigenen Armen durch die Städte und Kommunen zu sorgen, zum gesetzlichen Grundprinzip gemacht wird. Dieser Versorgungsauftrag wird auch als das so genannte Heimatprinzip bezeichnet.207 Im Gegensatz zum bislang nur negativ formulierten Auftrag für die Durchsetzung des Bettelverbots bei Arbeitsfähigen zu sorgen, ist nunmehr erstmals positiv die Fürsorgepflicht der Territo204 Vgl. zum Delikt der Bettelei Kassel (1898). Einen kurzen Abriss zur Genese des Delikts der Bettelei bieten Bindzus/Lange (1996), S. 482 – 486. 205 Härter (1993), S. 104 f. 206 Reichspolizeiordnung vom 19. 11. 1530 in NSRA II, S. 332-345, hier Titel XXXIV, § 1 auf S. 343. Zur Entwicklung der generalpräventiven Funktion der Strafe vgl. allgemein Hoffmann (1992), S. 62 ff.; Dorn (2002), S. 178 f. Zum Bezug auf die Strafandrohungen in den Polizeiordnungen vgl. Battenberg (1991), S. 48; Scherner (1979), S. 65, 67. 207 Vgl. zur Verwendung des Begriffs Battenberg (1991), S. 76; Scherner (1979), S. 66.
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rialherren reichsrechtlich bestimmt. Hier ist folglich der für die territorialstaatliche Gesetzgebung bedeutsame Punkt zu verorten: die Pflicht zur Sicherung der Versorgung durch die Kommunen und damit zugleich der Überwachungsauftrag für die territorialen Obrigkeit. Bekannt ist das Heimatprinzip der Versorgungsverpflichtung unter anderem aus dem römischen Recht, worauf sich unter anderem Geiler von Kaysersberg beruft.208 Genauer betrachtet handelt es sich bei dieser möglichen Quelle um zwei Stellen aus dem „Corpus iuris civilis“, nämlich zum einen C 1, 2, 12 § 2, in der die Kaiser Valentinian und Martinian ihre Pflicht anerkennen, die Armen und Bedürftigen zu versorgen und daher die Kirchen mit Mitteln auszustatten. Auffallend bei dieser Stelle ist die Zwiespältigkeit zwischen staatlicher Übernahme christlicher Pflichten und dem Belassen der eigentlichen Fürsorge bei der Kirche. In der anderen Textstelle in Nov 80, 4 ff. wird festgelegt, dass jede Stadt ihre Armen zu unterstützen habe und den Arbeitsfähigen öffentliche Arbeiten zuzuweisen seien.209 In diesem Zusammenhang ist es angesichts des Abgabenbewilligungsrechts der Landstände bedeutsam, dass infolge der Reichspolizeiordnung neben der Aufsicht über die Armenpflege die fiskalrechtliche Legitimation zur Abwälzung der Kosten der Armenpflege auf die Kommunen dem Inhaber der Territorialgewalt zukommt.210 d) Ausschluss fremder Bettler von den Versorgungsmöglichkeiten Hand in Hand mit der Aufgabenzuweisung bei der Versorgung geht das grundsätzliche Verbot des Bettels für Fremde. Erstmals ist hiermit die Existenz des Exklusionskriteriums „Fremdheit“ reichsrechtlich festgehalten. Zwar sichert das Reichsgesetz letztlich nur die bislang erprobte Praxis der Städte ab. Im Gegensatz zu den Sanktionen gegen starke Bettler fehlt es aber an einem entsprechenden Angebot repressiver Maßnahmen zur Durchsetzung des Verbots gegenüber fremden Bettlern. Bei der Ausgrenzung von Fremden zur Sicherung der Versorgungssituation der einheimischen Armen steht das Reichsrecht noch vor der Entwicklung entsprechender Instrumentarien. Die Stigmatisierung „fremder“ und „unwürdiger arbeitsfähiger“ Bettler ist indes damit reichsrechtlich etabliert.211 Dessen ungeachtet eröffnet die Reichsgesetzgebung einen Ausweg aus der Problematik, die sich aus dem Ausweisen und Verschieben von Unterstützungssuchenden in andere Territorien in Krisenzeiten ergeben kann.
208 Geiler beruft sich auf die Stelle des „corpus iuris“ C 1,2,12 § 2; vgl. die Nachweise bei Sachße/Tennstedt (1980), S. 56; Scherpner (1962), S. 61; Scherner (1979), S. 60 Fn. 20. 209 Scherner (1979), S. 66 f.; Scherner (1988), S. 130. 210 Scherner (1979), S. 67. Scherner führt als Beispiel für die legitimierende Wirkung das kursächsische Edikt von 1588 an, welches ausdrücklich auf die Reichspolizeiordnung bei der Zuweisung der Versorgungspflicht an die Kommunen Bezug nimmt. 211 Härter (1993), S. 107.
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2. Teil: Rahmenbedingungen der Armenfürsorge- und Bettelgesetzgebung
Die Reichspolizeiordnung legitimiert für Ausnahmesituationen, in denen eine Stadt oder ein Amt mit der Versorgung der eigenen Armen überfordert ist, die Möglichkeit, die als bedürftig anerkannten Armen zum Bettel in andere Gebiete zu senden. Voraussetzung ist unausgesprochen, dass es sich um arbeitsunfähige, sprich bedürftige Arme handelt. Nur in diesem Fall ist die Territorialgewalt befugt, zum Betteln den ortsfremden und damit an sich unberechtigten Bedürftigen mittels einer förmlichen Bescheinigung in den Versorgungsraum des jeweils benachbarten Amtes zu schicken.212 Bekannt ist diese Ausnahme schon aus Martin Luthers Vorrede zum „liber vagatorum“.213 Dieser Grundsatz soll verhindern, dass die Last der Armenfürsorge auf einen kleinen Raum beschränkt bleibt und dort zur Überlastung führt. Aus der Durchbrechung des Exklusionskriteriums „Fremdheit“ resultiert allerdings das Problem, dass die Möglichkeiten zur Umgehung des Bettelverbotes für Fremde von der Handhabung der Ausstellung solcher Bettelscheine abhängen. Wie sich diese Ermächtigung verträgt mit territorialen Fürsorgegesetzen, welche den Bettel als Versorgungsform schon abgelöst haben, wird in der Reichspolizeiordnung nicht thematisiert. Unklar bleibt weiterhin angesichts der vagen Formulierung der Reichspolizeiordnung, ob damit nur die Befugnis der Territorialgewalt innerhalb ihres eigenen Territoriums gemeint ist, oder sich die Ausnahmeregelung auch auf andere Herrschaftsgebiete bezieht. Wie die Herangehensweise der Kurfürstentümer Trier und Köln zeigen werden, wird dies in den Territorien unterschiedlich gelöst. e) Hospitalverwaltung Das Gegenstück zur Versorgung durch das erbettelte Almosen unter obrigkeitlicher Kontrolle wird in § 2 des Titels XXXIV zum Gegenstand der Reichspolizeiordnung. Auch dort betritt die die Reichsgesetzgebung Neuland mit der Reorganisation und Verwaltung der institutionalisierten Fürsorge in Gestalt der Spitäler. § 2 bestätigt die bereits zuvor etablierte kommunale Kontrolle über die Hospitalsverwaltung und die finanzielle Unterhaltung der Spitäler durch die Obrigkeiten.214 Durchaus parallel zu den kirchlichen Forderungen, etwa im Papstmandat von 1478,215 wird die Bewahrung des Stiftungszwecks eingefordert: „ire nutzung und gefell zu keynem andern sachen, dann alleyn zu underhaltung der noturffftien armen, und zu gütigen barmhertzigen sachen, gekehrt und gebraucht werden“.216 Die Festlegung der Kompetenz 212
Vgl. den Text NSRA II, S. 343. Zum Ausgleich zwischen den Kommunen vgl. Battenberg (1991), S. 49; Scherner, 1979, S. 64 f. 213 Zur Fundstelle Luther, Vorrede zum „Liber vagatorum“, S. 634 – 654; insbesondere S. 639; vgl. hierzu Battenberg (1991), S. 49; vgl. auch Scherner (1979), S. 80 mit Nachweisen zu Regelungen von Ausstellung und Kontrolle der Bettelbriefe. 214 Begon (2002), S. 24 ff.; Reicke (1932), I/196 ff.; Scherner (1988), S. 140; Scherpner (1962), S. 45. 215 Papstmandat vom 18. 4. 1480 in Blattau, Statuta I, S. 27 f.; vgl. auch Marx (1859), I/2, S. 267 f. 216 Reichspolizeiordnung vom 19. 11. 1530 in Mathias Weber (2002), S. 161.
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zur Kontrolle und Aufsicht der Spitäler stärkt die Position der Obrigkeiten und legitimiert die bereits erfolgten städtischen Eingriffe in den ursprünglich kirchlichen Kompetenzbereich der Anstaltpflege.217 Eins ist jedoch unverkennbar: Die mit der Reformation an Bedeutung gewinnende Frage nach den Umwandlungsmöglichkeiten kirchlicher Stiftungen wird zugunsten der Bestandswahrung beantwortet.218 Mit dieser Regelung schließt die Reichspolizeiordnung die Vorgaben zur Fürsorge. Zusammengefasst ergeben sich somit die beiden Grundstützen, auf denen nach Ansicht der Reichsstände die Fürsorge stehen soll: das erbettelte Almosen und die Leistungen der Hospitäler. 2. Repressive Maßnahmen gegen mobile Personengruppen Im direkten systematischen Zusammenhang mit den Regelungen zum Armenwesen und dem dort niedergelegten Versorgungsausschluss von Fremden finden sich in Titel XXXV bis XXXVIII Regelungen zum Umgang mit anderen mobilen Personen. Erfasst werden die Gruppen der Zigeuner, „Schalcksnarrn“, Musikanten, Spielleute, Landfahrer, Sänger und Reimesprecher. Die Regelungen betreffend der Zigeuner entsprechen den bisherigen repressiven Maßnahmen aus den vorangegangenen Reichsabschieden. Erneut wird ihnen eine Frist gesetzt zum Verlassen der Reichsterritorien. Bei Verstreichen der Dreimonatsfrist droht die Rechtlosigkeit. Für die übrigen Personengruppen legt die Reichspolizeiordnung fest, dass Umherziehende ohne Dienstanstellung nicht geduldet und durch die Obrigkeiten bestraft werden sollen. Die Ablehnung dieser Gruppen speist sich aus dem ihnen zugeschriebenen Gefahrenpotential.219 Im Falle der Unterhaltungskünstler bedeutet dies: Man befürchtet, dass sie sich über den geistlichen Stand bei dem weltlichen lustig machen und umgekehrt. Dem hieraus resultierenden „zwyspalt und ungehorsam“ soll durch Strafen ein Riegel vorgeschoben werden.220 Bezeichnenderweise fehlt es an Aussagen zur Rolle der Stationierer, Quästionierer und Bettelmönche. Augenscheinlich wird auf den noch schwelenden Rechtsstreit um die Armenordnung in Ypern und der unterschiedlichen Auffassung der Reichsstände zum Thema des geistlichen Bettels Rücksicht genommen. Die Maßnahmen gegen die mobilen Personengruppen werden in der weiteren Entwicklung der Polizeigesetzgebung zu einem intensiv genutzten Tätigkeitsfeld der Territorialgewalt. Führt man sich das Heimatprinzip der kommunalen Armenfürsorge zusammen mit den Repressionen gegen umherziehende Personen vor Augen, so die-
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Battenberg (1991), S. 47; Scherner (1979), S. 65; Wagner (2006a), S. 38 ff. Die durchaus existente Praxis in protestantischen Territorien, Güter entgegen dem Stiftungszweck weiter zu verwenden wird nicht nur durch das Konzil von Trient abgelehnt. Auch die zeitgenössische (protestantische) Jurisprudenz lehnt eine Verwendung gegen den Stifterwillen ab, vgl. Begon (2002), S. 77 f. 219 Siehe Härter (1993), S. 111. 220 Reichspolizeiordnung vom 19. 11. 1530 in Mathias Weber (2002), S. 163. 218
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2. Teil: Rahmenbedingungen der Armenfürsorge- und Bettelgesetzgebung
nen diese Maßnahmen funktional dem Schutz der als bedürftig Anerkannten vor dem Zugriff Fremder auf die Versorgungsleistungen.221 3. Resümee zur Reichspolizeiordnung von 1530 Im Gegensatz zu den Maßnahmen gegen umherziehende Zigeuner und den Verboten des Bettels Fremder, welche aufgrund der überregionalen Bedeutung auf der reichsrechtlichen Ebene bereits geregelt sind, fehlt es an der Einführung neuartiger Formen der Unterstützung. Stattdessen greift die Reichsgesetzgebung in diesem Punkt auf bekannte Strukturen zurück und beschränkt sich dort auf allgemein gehaltene Vorgaben. Der Grund hierfür ist in den zu großen Unterschieden zwischen den jeweiligen landesherrlichen und städtischen Obrigkeiten und der insoweit fehlenden Kompetenz der Reichsstände zu sehen.222 Entscheidend ist, dass durch den Reichsabschied die durch die städtischen Initiativen begonnene Ausweitung der obrigkeitlichen Kompetenzen als das für das ganze Reich verbindliche Recht erklärt werden und so eine erste reichsweite Legitimationsbasis geschaffen wird.223 4. Rezeption der Reichspolizeiordnung von 1530 Die Wirkung der Reichspolizeiordnung offenbart sich in dem Erlass zahlreicher territorialer Polizeiordnungen. Dabei reicht das Spektrum von einer wörtlichen Wiederholung der gesamten Reichspolizeiordnung224 bis zur eigenständigen Ausgestaltung einzelner Polizeirechtsmaterien wie der Fürsorgeorganisation.225 Die zeitliche Koinzidenz der Polizeigesetzgebung, insbesondere der Armen- und Bettelgesetzgebung, umfasst katholische und protestantische Territorien. Schon aus diesem Grund lässt sich diese Gesetzgebungstätigkeit nicht monokausal auf die Wirkung der Reformation zurückführen. Aufgrund der durchaus vorhandenen Signalwirkung und der Aufnahme der Regelungen in territoriale Normen bestätigt sich die vorab dargestellte Sicht auf die reichsrechtlichen Regelungen als Anfang eines „Reichsgrundgesetzes“, als Rahmen der „lex fundamentalis“ des Armen- und Bettlerrechtes.226 Ob den Poli221
Ammerer (2003a), S. 186 ff.; 191 ff.; Bräuer (1997a), S. 29; Härter (1993), S. 108 f. Battenberg (1991), S. 45. 223 Battenberg (1991), S. 50; Scherner (1979), S. 65. 224 Vgl. Battenberg (1991), S. 45, der auf die Umsetzung der Reichspolizeiordnung in Kleve-Jülich 1558 hinweist; Härter (1993), S. 106, der die wörtliche Übernahme in Württemberg und Weimar belegt; weitere Beispiele finden sich bei Mathias Weber (2002), S. 38 f. 225 Vgl. Battenberg (1991), S. 33, und Härter (1993), S. 107, führen als Beispiel die kurpfälzische Almosenordnung vom 17. 2. 1574 in Sehling, Kirchenordnungen XIV, S. 458 ff., hier S. 480, an. In Bayern erfolgt die Umsetzung der reichsrechtlichen Vorgaben im Jahr 1551, vgl. Schepers (2000), S. 56, 77 ff. 226 Zum Begriff der „leges fundamentales“ bzw. des „lex fundamentalis“ als Begriff für die Reichsgrundgesetze vgl. HRG Bd. 4, S. 587 (Reichsgesetzgebung). Zur Deutung der Reichspolizeiordnung in Bezug auf das Armenrecht vgl. Scherner (1979), S. 51; Scherner (1996), 222
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zeiordnungen oder den Armenordnungen die Funktion zukam, soziale Probleme im Sinne eines einheitlichen Untertanenverbandes zu lösen, um auf diese Weise Herrschaft intensivieren zu können,227 oder ob eine effektive Sozialpolitik nicht doch im Vordergrund stand, ist eine hier nicht relevante Wertungsfrage. Deren einseitige Beantwortung im Sinne der Herrschaftsintensivierung und Sozialdisziplinierung weckt zumindest einige Zweifel.228 Wichtiger für die Weiterentwicklung der Fürsorgegesetzgebung ist, dass die reichsrechtliche Legitimationsbasis zumindest die Möglichkeit weit reichender Eingriffe durch die territoriale Gesetzgebung in zahlreichen Bereichen eröffnet.229 Der Rahmen ist soweit gesteckt, dass Raum für unterschiedliche Reformansätze der Konfessionen zur Inklusion und Exklusion von Armen und Bettlern bleibt. Die Schranken des Reichsrechts ergeben sich aus der Notwendigkeit der territorialstaatlichen Umsetzung. Dies bewirkt zum einen unterschiedliche Formen der Umsetzung. Zum anderen ist die Geltungskraft nur auf den Bereich der jeweiligen Landesherrschaft und des jeweiligen Untertanenverbands begrenzt.230
IV. Fortführung durch die Reichspolizeiordnungen von 1548 und 1577 Die Rahmenregelungen von 1530 werden durch die Reichspolizeiordnungen von 1548 und 1577 wiederholt. Die am 30. 6. 1548 erlassene erneuerte Reichspolizeiordnung enthält in zahlreichen Materien, wie etwa dem Ehebruch oder der Kuppelei, einige Änderungen und Erweiterungen.231 Zudem werden bislang außerhalb der Reichspolizeiordnung behandelte Materien in die Ordnung aufgenommen. Sie weist erstmals Maßnahmen gegen die umherziehenden, herrenlosen Kriegsknechte auf, die als „arbeitslose“ Söldner eine Gefahr für die Bevölkerung darstellen. Im hier interessierenden Zusammenhang bleibt es bei der Wiederholung der schon 1530 getroffenen Regelungen. Eine Berücksichtigung der unterschiedlichen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der verschiedenen Reichsstände bei den Vorgaben zur Fürsorgeorganisation scheitert letztlich an der Erkenntnis des Kaisers, dass sie nur „beschwerlich zu volkommener volziehung gebracht werden“ könnten.232 LeS. 123; Wüst (2003), S. 298. Beispiele für Ordnungen bei Battenberg (1991), S. 45, der jedoch die Bedeutung der Reichspolizeiordnungen als Rahmengesetzgebung einschränkt bezüglich der altkirchlichen Territorien. Dass diese Einschränkung so nicht zutreffend ist, zeigt schon die von Schepers (2000), S. 75 ff., dargestellte Gesetzgebung von 1550/1551 in Bayern. Zu weiteren Nachweisen von Umsetzungsakten vgl. Matthias Weber (2002), S. 36 – 42. 227 Siehe Battenberg (1991), S. 41. 228 In dieser Richtung auch Härter (1999b), S. 371. Zu den vielschichtigen Zielvorstellungen am Beispiel von Kurmainz vgl. Härter (2005), S. 1123ff, 1153 ff. 229 Matthias Weber (2002), S. 39 f. 230 Siehe Battenberg (1991), S. 52. 231 Reichspolizeiordnung vom 30. 6. 1548 in NSRA II, S. 587 – 606, Titel XXVI „Von bettlern und müßiggengern“ S. 601; Titel VII „von den Hernlosen Knechten […]“ S. 591 f. 232 Härter (1993), S. 80.
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2. Teil: Rahmenbedingungen der Armenfürsorge- und Bettelgesetzgebung
diglich § 2 des Titels XXVI, der nunmehr die einschlägigen Regelungen enthält, weist Neuerungen auf: die Verpflichtung zur jährlichen Rechnungslegung und zur Durchführung von mindestens jährlich stattfindenden Visitationen. Diese Anforderungen sind im Zusammenhang mit den Ergebnissen des Konzils von Trient und der „formula reformationis“ Karls V. zu sehen.233 Die insbesondere in der „formula reformationis“ niedergelegten Grundsätze zur Hospitalsverwaltung enthalten die gleichen Pflichten, welche die Reichspolizeiordnungen den Ständen auferlegt. Gemeinsam ist allen Normen, dass in ihnen die Überzeugung ausgedrückt wird, durch Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Verwaltung die Versorgung der Bedürftigen gewährleisten zu können. Während sich die „formula reformationis“ vornehmlich an die geistlichen Würdenträger richtet, bietet der einschlägige § 2 der Reichspolizeiordnung auch für weltliche Obrigkeiten die Legitimation zur Kontrolle der Hospitäler. An dieser Herangehensweise der Reichsgesetzgebung ändert sich schließlich nichts mehr, wie sich aus der insofern unverändert gebliebenen Reichspolizeiordnung vom 9. 11. 1577 ergibt.234
V. Ausblick zu den Folgen der Reichsgesetzgebung Die Reichspolizeiordnungen stellen Anfangs- und Endpunkt der Aktivität des Reiches auf dem Gebiet der Armenfürsorge dar. Gemessen am Postulat des Reichsrechts bleibt deren Wirkungskraft im 16. Jahrhundert eingeschränkt. Gerade was die Organisation des Almosenwesens anbelangt, sind die Maßnahmen zunächst gesetzgeberische Initiative geblieben, deren Wirksamkeit angesichts der Eigenständigkeit der Territorialherrscher schon strukturell eingeschränkt war. Unverkennbar ist allerdings die Initiationswirkung, die von den reichsrechtlichen Grundsätzen für die Territorialgesetzgebung ausgeht. Die meisten Reichsfürsten setzten die Reichspolizeiordnung in eigenes territoriales Recht um.235 Inhaltlich bleibt zwar die Reichsgesetzgebung in der Regel hinter den zu Beginn des 16. Jahrhunderts bereits üblichen Fürsorgekonzepten zurück und beschränkt sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Für die Entwicklung ab dem 17. Jahrhundert stellen die Reichsgesetze immer noch eine Legitimationsquelle dar, inhaltlich beeinflussen sie die konkrete Gestalt der Territorialgesetze allerdings kaum mehr.
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Vgl. hierzu die Ausführungen in Dritter Teil, B., VI. Die Regelungen des Konzils von Trient und der „formula reformationis“ erfolgen dort im Zusammenhang mit der Synodalgesetzgebung. 234 Reichspolizeiordnung vom 9. 11. 1577 in NSRA III, S. 379 – 398. 235 Härter (1993), S. 68; Rudolf Weber (1986), S. 336 ff.
Dritter Teil
Die Entwicklung im 16. Jahrhundert (Anfangsphase) A. Gesetzgebung im Kurfürstentum Trier Die Gesetzgebung des Kurfürstentums Trier im 16. Jahrhundert weist mit der Armenordnung von 1533 einen bemerkenswerten Entwicklungsstand auf, in dem sich die aktuellen Fürsorgekonzepte niederschlagen. Die Darstellung einer der ersten Territorialnormen überhaupt nimmt daher einen besonderen Umfang ein, um so besser den Aufbau und die entscheidenden Kriterien der Fürsorge zu verdeutlichen. Wesentlich prägnanter als in der späteren Entwicklung sind bei dieser Ordnung die Legitimationsargumentationen, die sich aus dem Abgrenzungsbedarf zu protestantischen Herrschern erklären, zu erkennen. Im Weiteren werden die Auswirkungen der Armenordnungen zusammengefasst, wobei zunächst auf repressive Maßnahmen gegenüber mobilen Personengruppen eingegangen wird. Die Gestaltung der kommunalen Fürsorgestrukturen zum Ende des Jahrhunderts wird ferner mit den Vorgaben der Armenordnung von 1533 abgeglichen.
I. Normen im Vorfeld 1. Betonung des christlichen Almosenverständnisses Bis zur ersten Territorialnorm steht die Armenfürsorge in Kurtrier ganz in der Tradition mittelalterlicher Vorgaben. Die Unterstützung von Bedürftigen vollzieht sich innerhalb des Familienverbundes oder bei Mitgliedschaft in einer Zunft durch deren solidarisch organisierte Hilfeleistungen. Für diejenigen, die nicht durch solche sozialen Netzwerke aufgefangen werden, stellt die christliche Caritas die wichtigste Stütze des Lebensunterhalts dar. Die Caritas wird wie in anderen Territorien auch vollzogen durch die Leistungen der Stiftungen und Hospitäler1 sowie durch das im direkten Kontakt mit den Bettlern gereichte Almosen. Eine mit den Verordnungen der Reichsstädte vergleichbare Bettelordnung ist zwar bislang für das Kurfürstentum Trier für 1 Schon für das 9. Jahrhundert weist Marx (1859), I/2, S. 264 f., die Existenz von Klosterhospitälern nach und deutet auf die Umsetzung der Kanones der Synoden von 816 und 836 hin. Die Einrichtung von Hospitälern an Klöstern wird ebenfalls bereits 1227 eingefordert, vgl. Blattau, Statuta I, S. 28 f.; Marx (1859), I/2, S. 267.
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3. Teil: Die Entwicklung im 16. Jahrhundert (Anfangsphase)
diesen Zeitraum nicht überliefert. Angesichts der überall im Reich ähnlich verlaufenden Entwicklung der städtischen Bettelordnungen ist eine Reglementierung des Bettels durch Bettelzeichen zumindest nicht ausgeschlossen. Um die Veränderungen der Armenordnung von 1533 besser darstellen zu können, wird auf einige ausgewählte Beispiele der bis 1530 für das Kurfürstentum Trier überlieferten Hospitalsordnungen zurückgegriffen. 2. Beispiele von Hospitalordnungen vor 1533 Die Hospitalsordnungen des 15. Jahrhunderts drücken die Verbundenheit der institutionalisierten Fürsorge zu den Werten der christlichen Lehre aus. Beispielhaft geschieht dies in der Gründungsurkunde des Hospitals zu Kues von 1458 aus.2 Im Zentrum der Hospitalsordnung steht die Ausübung der Wohltätigkeit in Gestalt der Einrichtung von Hospitälern und der Versorgung der Armen. Diese guten Taten auf der Erde sollen es dem Spender – einem Ernteertrag ähnlich – ermöglichen, vielfach vermehrte himmlische Früchte – also die Vergebung der Sünden – zu erhalten.3 Überdeutlich wird hier der Bezug zur Vorstellung der Verdienstlichkeit des Almosen, welche gerade auch in den Schriften der Scholastiker zum Ausdruck kommt. Die Verbindung zu Christus selbst als Erlöser spiegelt sich in der Anzahl der aufzunehmenden Insassen wider, die der Anzahl der Lebensjahre Christi entspricht. Die 33 Insassen sollen aus der Zahl der „pauperibus christi et elaboratis personis“, kommen. Ausgewählt werden sollen nur Männer, die über 50 Jahre alt, unverheiratet und von gutem Ruf sind.4 Der Hospitalsverwalter ist angehalten, hierüber Zeugnis zu verlangen von den Pastoren der jeweiligen Gemeinde. Im Übrigen enthält die Norm weitere Regelungen zur Aufnahme der Insassen und der Hospitalsgestaltung. Der Stellenwert, den man von kirchlicher Seite den Versorgungsleistungen der Hospitäler zu dieser Zeit beimisst, offenbart sich in einem auf die Verwaltung der Hospitäler im Erzbistum Trier bezogenen Papstmandat von 1480.5 Zumindest aus Sicht des Papstes stellt sich der Bestand an Hospitälern und Stiftungen aus letztwilligen Verfügungen im Erzbistum als zahlreich und umfangreich dar. Trotz oder gerade wegen der Fülle an Mitteln wird eine Überprüfung und Korrektur der Verwaltung der Hospitäler angemahnt. Grund ist die Feststellung des Missbrauchs durch die Verwalter. Diesen wird vorgeworfen, die anvertrauten Güter unter Verstoß gegen den Stiftungszweck an andere als die durch den Stifter Vorgesehenen zu vergeben oder selbst zu verbrauchen. Hierin wird ein Betrug am Stifterwillen gesehen, der zur Verdamm-
2 Gründungsurkunde vom 3. 12. 1458 in Blattau, Statuta II, S. 1 – 8; vgl. hierzu HenselGrobe (2007); Kentenich (1931/32), S. 114 – 116. Allgemein zu mittelalterlichen Hospitälern in Kurtrier vgl. Pauly (2007). 3 Gründungsurkunde vom 3. 12. 1458 in Blattau, Statuta II, S. 1. 4 Gründungsurkunde vom 3. 12. 1458 in Blattau, Statuta II, S. 2. 5 Papstmandat vom 18. 4. 1480 in Blattau, Statuta II, S. 27 f.; vgl. auch Marx (1859), I/2, S. 267 f.
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nis der Seele der Verwalter ebenso führt wie zum Nachteil für die Armen.6 Diese Umstände sollen durch die Einführung einer jährlichen Rechnungspflicht für die Verwalter bekämpft werden. Darüber hinaus wird die Einhaltung des ursprünglichen Stiftungszwecks angemahnt. Bereits zweckwidrige verwandte Mittel sind entsprechend der ursprünglichen Widmung zu verwenden, wobei die Verantwortung der Hospitalsverwalter betont wird. Die Dringlichkeit und die Priorität der Sicherung der finanziellen Grundlagen der Hospitalspflege sprechen bereits aus dieser Regelung. Das Argument des Missbrauchs von an sich funktionsfähigen Systemen taucht bereits an dieser Stelle auf. Die Rechnungslegungspflicht und die Kontrolle der Verwaltung wird im Vorblick auf die Reichsgesetzgebung des 16. Jahrhunderts eine Konstante im Umgang mit der institutionellen Fürsorge bleiben. In der Stadtordnung für Limburg vom 28. 8. 1514 steht in dem das Hospital betreffenden Abschnitt ebenfalls die Sicherung der Einnahmequellen der Einrichtungen im Vordergrund.7 Zur Gewährleistung des Unterhalts der „husser, so verordent syn zu enthaltonge armer lude“ und des Spitals sollen die Einnahmen aus den Renten und Gefällen durch ordnungsgemäße Eintreibung und Verrechnung gesichert werden.8 Ausgebaut wird die Pflicht zur jährlichen Rechnungslegung der Hospitalsverwaltung durch den Spitalsmeister in der Stadtordnung von 1537.9 Zur Kontrolle befugt sind die Amtleute, Kellner und Verordneten des Rates. Die Rechnungspflicht gilt darüber hinaus für die Bruderschaften. Die Stadtordnung zeigt beispielhaft die Umsetzung der Anforderungen der kirchlichen und reichsrechtlichen Normen im Bereich der Kontrolle der Hospitalsverwaltung.
II. Reform der Fürsorgeorganisation: Armenordnung 1533 1. Vorzeichen der Gesetzgebung Als eines der ersten Territorien überhaupt im Reich erhält das Kurfürstentum Trier eine landesweite Armenordnung. Diese unter dem Trierer Kurfürsten Johann III. von Metzenhausen am 1. 7. 1533 erlassene Verordnung stellt eine umfangreich angelegte und von anderen Polizeimaterien abgetrennte Norm zur Armenfürsorge dar.10 In der „ordnung, wie es hinfürter mit dem bettelwerck und handtreichung der almussen“ zu halten ist, vereinen sich sowohl tradierte Vorstellungen als auch Neuerungen in 6 Der Gedanke, dass der Betrug hinsichtlich des Stifterwillens auch einen Diebstahl des Gutes betreffend der Armen bedeutet, findet sich an dieser Stelle noch nicht in dieser Klarheit. 7 Stadtordnung Limburg vom 28. 8. 1514 in Eiler (1991), S. 133 – 136. Die Stadtordnung ist im Einvernehmen des Kurfürsten von Trier und der Landgrafschaft Hessen zustande gekommen, was der geteilten Herrschaft über die Stadt geschuldet ist, vgl. Eiler (1991), S. 2 ff. 8 Stadtordnung Limburg vom 28. 8. 1514 in Eiler (1991), hier S. 135. 9 Stadtordnung Limburg vom 23. 8. 1537 in Eiler (1991), S. 138 – 144, insbesondere S. 143. 10 Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 81 – 87; Scotti, Trier I, S. 298 – 305.
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besonderer Weise. Die bei Blattau als Bettlerordnung titulierte Norm wird im Folgenden aufgrund ihres Inhalts zutreffender als Armen- oder Almosenordnung bezeichnet. Die durch Johann III. von Metzenhausen in seiner Eigenschaft als weltlicher Herrscher erlassene Verordnung steht im unmittelbaren Bezug zu der Reichspolizeiordnung von 1530, die den Anstoß zur Umsetzung der von den Reichsständen gemeinsam beschlossenen Grundlinien der Fürsorgeorganisation gibt.11 Wie andere Obrigkeiten auch zieht der Kurfürst für diesen Bereich die Aufgaben an sich und legitimiert durch die Übernahme dieser Pflichten Eingriffe in bisher verschlossene Tätigkeitsfelder. Die Rezeption der Reichspolizeigesetzgebung erweist sich dabei als geschickte Nutzung der in der Reichsgesetzgebung niedergelegten „leges fundamentales“. Dieser Vorgang ist allerdings kein spezifisch auf die geistlichen Territorien begrenzter Vorgang, sondern ist mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung in weltlichen Territorien nachweisbar.12 Der Trierer Kurfürst erlässt jedoch als einer der ersten Reichsfürsten überhaupt eine auf sein gesamtes Herrschaftsgebiet ausgelegte Armenordnung.13 Diese vereint Bestandteile unterschiedlicher Ansätze, wenngleich die Zusammenführung nicht ganz widerspruchsfrei bleibt. Auffallend ist, dass sich die Ordnung nicht auf die bloße Umsetzung des Reichsrechts beschränkt. Erkennbar sind die Zusammenhänge mit den kurz zuvor vollzogenen Reformen des Armenwesens in den Reichsstädten und in den spanischen Niederlanden. Es zeigt sich außerdem, dass die zeitgleich stattfindende Auseinandersetzung der Gelehrten und die Entscheidung der Sorbonne für die Entwicklung des Armenwesens im Erzstift ebenso von Bedeutung sind wie die Reaktion auf die durch die Reformation ausgelösten Herausforderungen.
2. Aufbau der Armenordnung Die Verordnung beginnt mit der Nennung der Normadressaten. Daran schließt sich einleitend die Darlegung der Motive und der Legitimation des Kurfürsten zum Erlass der Norm an. Die eigentliche Organisation der Fürsorge beginnt mit den Regelungen zur Behandlung fremder Bettler, die von den Fürsorgeleistungen prinzipiell ausgeschlossen werden sollen. Dabei behandelt die Ordnung die hiervon vorzunehmenden Ausnahmen für fremde Pilger und Pilgerreisen eigener Untertanen. Anschließend wird die Versorgungsform der einheimischen Armen festgelegt, darauf folgen die Bestimmung und Erfassung der Bedürftigen, der Umgang mit arbeitsfähigen Armen und die Ausgabe von Berechtigungszeichen. Weiterhin wird die Zweckbindung bestehen11
Der erst 1531 gewählte Kurfürst Johann von Metzenhausen nahm an dem Reichstag 1530 als Vertreter des erkrankten damaligen Kurfürsten Richard Greiffenclau von Vollrads teil. Unumstritten ist seine konfessionell-katholische Haltung. Charakteristisch für seine Amtszeit ist, dass er mehr als Landesfürst, denn als Kirchenfürst handelte, vgl. Gatz (1990), S. 472 ff. 12 So auch Kissling (2002), S. 193; Härter (1993), S. 61 – 141; 134 – 141; Matthias Weber (2002), S. 38.; Schepers (2000), S. 75 ff. 13 Die Armenordnung steht zu Beginn der Amtszeit des Kurfürsten im Zusammenhang mit dessen Maßnahmen zur Abstellung von Missständen in der Bistumsverwaltung („nova reformatio statutorum“) für die beiden Konsistorien in Trier und Koblenz vom 9. 6. 1533, vgl. Gatz (1990), S. 474.
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der Stiftungen gemäß der Almosen- und Bettelordnung festgelegt und die Einrichtung von Almosenstöcken zur Armenversorgung angeordnet. Darauf folgen Ausführungen zur Verwaltung und Organisation des Almosenstocks. Systematisch dazwischen geschoben sind an dieser Stelle die Festsetzungen für die Dauer der Unterstützungsberechtigung. Zum Schluss sind Ausnahmetatbestände vom Anwendungsbereich der Norm und eine Vorbehalts- bzw. Wirksamkeitsklausel aufgeführt. Die Armenordnung wird am 21. 8. 1533 in jeweils gesonderten Publikationsbefehlen sowohl den Städten als auch den Amtleuten und Kellnern mitgeteilt.14 3. Eckpunkte des Fürsorgekonzepts Die Organisation der Fürsorge für die im Kurfürstentum eingesessenen Armen steht klar im Mittelpunkt der Verordnung. Angesichts der Herausforderungen einer landesweiten Organisation des Fürsorgewesens kann sich die Regelung dabei nicht allein auf den Umgang mit den eigenen Untertanen beschränken, sondern muss sich ebenfalls mit fremden Untertanen und deren Beziehung zum eigenen Versorgungssystem auseinandersetzen. Geregelt werden die Form der Unterstützung, der Kreis der Unterstützungswürdigen, der Aufbau einer Struktur von Personal- und Sachmitteln zum Vollzug und Ausführung der Maßnahmen sowie die Bestimmung der Zuständigkeiten weltlicher und kirchlicher Stellen. 4. Adressaten und Geltungsraum Anders als die Reichspolizeiordnung von 1530, deren Anweisung zum Handeln sich primär auf die Reichsobrigkeiten bezieht, hat die Kurtrierer Armenordnung von 1533 zwei unterschiedliche Adressatenkreise. Zum einen ist sie an die Amtsträger des Kurfürstentums, also alle dem Kurfürsten untergeordneten Träger von Herrschaftsgewalt gerichtet.15 Zum anderen erstreckt sich der Normanspruch ausdrücklich auf alle Untertanen, unabhängig davon, ob sie weltlichen oder geistlichen Standes sind. Deutlich wird die für Armenordnungen typische Doppelnatur des Normziels: Handlungsbefehl bzw. -ermächtigung für die Amtsträger und zugleich eine direkte und allgemein gültige Verhaltensanweisung für die Untertanen. Der Anspruch auf Normdurchsetzung weist auf diese „Mischform“ der Ordnung hin. Dies zeigen gerade die Verkündigungsanordnungen mit Nachdruck. Dort werden sowohl die Städte als auch die Amtleute und Kellner als Exekutivvertreter des Kurfürsten als Adressaten angesprochen. Zu ihren Aufgaben gehört es, für die Verkündigung und öffentliche Bekanntmachung der Verordnung zu sorgen.16 Zu diesem Zweck sind den Städten 14
Publikationsbefehl vom 21. 8. 1533 in: Blattau, Statuta II, S. 86 f. Hierzu zählen die Amtleute, Kellner, Schultheißen, Gerichte, Bürgermeister und Räte sowie die Gemeinden. 16 Publikationsbefehl vom 21. 8. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 86: Städte: „euren Mitbürgern thun verkhündigen, […] offentlichen lassen anschlagen“; Amtleute/Kellner: „in deinem 15
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und Amtleuten unter Angabe der jeweiligen Anzahl und der Bestimmungsorte Abdrucke zugesandt worden. Ziel der Publikation ist die Normkenntnis und deren Internalisierung durch die Untertanen.17 Ferner sind die Städte und die Amtleute selbst gehalten, ihrerseits als dem Befehl des Territorialherrn Unterworfene die erforderlichen Maßnahmen zur Durchführung der Verordnung umzusetzen. Zusätzlich zur personenbezogenen Bestimmung zur Gültigkeit der Verordnung findet sich eine räumliche Bestimmung des Geltungsbereichs. So bestimmt der Kurfürst, dass die Verordnung in allen „Stetten, Schlossen, Flecken, Marckten, Dörffern und Weilern“ des Erzstifts und Kurfürstentums gelten soll, mithin im gesamten Herrschaftsgebiet.18 5. Ausweitung des Geltungsanspruchs Für die Städte ergibt sich eine besondere Verpflichtung zur Normakzeptanz. Der Kurfürst weist in dem Publikationsschreiben deutlich darauf hin, dass die Ordnung nach Konsultationen mit den Städten zustande gekommen ist. Die Notwendigkeit dieses Vorgehens ergibt sich daraus, dass der Schwerpunkt der bisherigen Fürsorgeorganisation in den jeweiligen Strukturen der Städte und Gemeinden liegt. Das sich auf diese Strukturen stützende Konzept der Armenordnung weist dementsprechend der Ebene der Obrigkeiten und der Pfarrgemeinden die Organisation der Fürsorgeleistungen zu. Die Einbeziehung der städtischen Gegebenheiten, zumindest jedoch die Berücksichtigung der strukturellen Möglichkeiten der Gemeinwesen wird mit dem Blick auf die getroffenen Regelungen offenkundig. Ein Beleg hierfür ist schon die ausdrückliche Nennung der Trierer Verhältnisse.19 Durch die Erinnerung an die gemeinsame Vorbereitung der Norm verstärkt der Kurfürst die sich daraus ergebende Selbstverpflichtung der Kommunen und sichert damit zusätzlich die Normakzeptanz ab. 6. Legitimation und Kompetenzbegründung Der Bezug auf Legitimationsquellen ist für frühneuzeitliche Normen typisch und enthält üblicherweise die Bestimmung der Herrschaftsgewalt als von Gottes Gnaden.20 Die Armenordnung des Kurfürstentums Trier enthält jedoch darüber hinaus Ampt und deinen Amptsverwandten mit vleis verkundigen, […] offentlich anschlagen“. Zu dieser Publikationsform und weiterhin zum Phänomen der „Doppeladressierung“ vgl. Härter (2002), S. 8 ff. 17 Publikationsbefehl vom 21. 8. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 86: „dieselbige in wirklichkeit khomen, gehalten und gelebt werden“. 18 Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 82. 19 Diese werden in den Ausführungen zur Einrichtung des Almosenstocks explizit herangezogen: „und diejehenigen so in unser statt Trier bei den pfarrkirchen daselbst darzu verordnet werden“, vgl. Blattau, Statuta II, S. 84. 20 Als markantes Beispiel ist die Reichspolizeiordnung vom 19. 11. 1530 zu nennen, die sowohl die Bezeichnung „von Gottes Gnaden“ und „Gott dem Allmächtigen zu Ehr und Lob“ enthält, vgl. NSRA II, S. 332 f.
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spezifisch auf das Regelungsgebiet zugeschnittene Legitimationsbezüge. Die Berechtigung zur Normsetzung auf dem Gebiet der Armenfürsorge gründet sich dabei auf zwei Stützen. Zum einen bezieht sich der Kurfürst beim Normerlass auf Gott und christliche Vorstellungen, zum andern stellt er Gefahrenabwehr und Förderung des gemeinen Nutzens heraus. Die Frage, ob der Gebrauch religiös-christlich geprägter Semantiken in der Norm rein funktionalisiert erklärt werden kann oder ob sich daraus nicht auch zugleich das christliche Selbstverständnis des Herrschers oder sogar seine eigenen Heilsüberzeugungen ausdrücken, ist nicht mit letzter Gewissheit belegbar. Es fügt sich jedoch in die bisherigen Darstellungen von Johann von Metzenhausen als konfessionell-katholisch geprägten Herrscher, dass im Rahmen der Herleitung der Normkompetenz diesem Aspekt besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird.21 Für die Analyse der Normstruktur ist wesentlich, inwiefern diese Argumentation der Bestärkung der Normkompetenz dienen kann. a) Legitimation durch religiöse Bezüge Der Bezug auf Gott und christliche Vorstellungen hat zwei Ebenen: die allgemeine und typische Formulierung des Verpflichtung zu Gott und insbesondere die christliche Nächstenliebe. Dabei stehen die spezifisch christlichen Vorstellungen zur Armenfürsorge im Vordergrund. Der Text konkretisiert die allgemein gehaltene Verpflichtung des Normgebers bei seinem Wirken gegenüber Gott. Zugleich äußert sich darin die gottgegebene Herrschaftsmacht des Kurfürsten. Die Feststellung der Verpflichtung aller Christen, den Armen zur Hilfe zu kommen, ist der Ausgangspunkt der weiteren Ausführungen zum Anlass der Verordnung. Die Frage nach der Motivation der Armenfürsorge wird eindeutig beantwortet. Nach dem Vorbild der Liebe Gottes zu den Menschen, für die Jesus gelitten hat und zu deren Erlösung er gestorben ist, soll auch der Mensch seinen Nächsten lieben und ihm „handt steuer und hilff“ reichen. Gemäß des Beispiels der Taten Jesu sind alle Menschen, also gerade auch der Kurfürst Johann III. von Metzenhausen selbst, aufgefordert und verpflichtet, während des Aufenthalts „in diesem jammerthal auß göttlichen geheisch und bevelch“ christliche Werke zu vollbringen. Darunter versteht die Verordnung „neben andern Christlichen wercken, so der almechtig von unß haben will“ ausdrücklich die Nächstenliebe und die Hilfe für die Amen und Bedürftigen. Gerade an diese Verpflichtung wird bei der Herleitung der Normkompetenz angeknüpft. Deutlich wird dies in der Kurtrierer Ordnung dadurch, dass der Kurfürst als Normgeber betont, dass er „aus Christlicher Pflicht“ heraus handele, um so den Verlust des ewigen Seelenheils zu vermeiden. Die Notwendigkeit zum gesetzgeberischen Handeln erfährt hierdurch eine nicht mehr hinterfragbare oder anzweifelbare Grundlage. Ein Abstreiten oder eine Ablehnung der Normkompetenz des weltlichen Herrschers brächte die ewige Verdammnis als nicht zumutbare Folge der Untätigkeit des Kurfürsten mit sich. Als Konsequenz des Verlustes des persönlichen Seelenheils hätte der Kurfürst nicht mehr die Herr-
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Gatz (1990), S. 473.
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scherqualität „von Gottes Gnaden“. Damit zöge die Untätigkeit des Kurfürsten das Ende seiner Befugnis zur Normsetzung nach sich.22 b) Katholisches Almosenverständnis An dieser Feststellung der Handlungsverpflichtung des Fürsten in seiner Eigenschaft als Christ ist zunächst nichts spezifisch Katholisches zu bemerken. Hierin bestehen keine Unterschiede der Konfessionen. Sie beziehen sich übereinstimmend auf den Auftrag Gottes zur Regelung des Armenwesens. Ein Beispiel hierfür ist der calvinistische Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz. Dieser beruft sich in der Almosenordnung von 1574 darauf, dass es ihm als christlicher Obrigkeit obliege, dem Befehl Gottes zum Unterhalt der Armen nachzukommen mit dem Ziel der Herstellung der christlichen Ordnung.23 Trotz oder gerade wegen der ähnlichen Auffassungen bei der Reform des Armenwesens als christlichem Werk wird jedoch in der Kurtrierer Verordnung unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die vorgesehene Ordnung des Almosen- und Bettlerwesens in keiner Verbindung mit dem Gedankengut der Reformation steht.24 Vor dem Hintergrund der Schriften Luthers entsteht das Bedürfnis nach Abgrenzung von diesen Ideen. Diese Gegenreaktion zu der durch die Reformation veranlassten Ablehnung der Verdienstlichkeit des Almosens als formale „Werkgerechtigkeit“ wird durch die in besonderem Maße ausgeprägte Betonung der Heilversicherung durch gute Werke manifest. Als Besonderheit im Vergleich zu protestantischen Ordnungen ist daher die Hervorhebung der altgläubigen Vorstellung des Almosens als Mittel der Buße und gutem Werk zu sehen. Die in der Wechselzeit zwischen altgläubig geprägten Räten und den Anhängern der Reformation entstandene Nürnberger Almosenordnung des Jahres 1522 kennt zwar auch noch die Herausstellung der christlichen Nächstenliebe: „dies werck der lieb sind die frucht, die aus eynem rechten lebendigen glauben erwachsen […] Es würdet auch (nach anzeig des heiligen evangeliums) eyn jeder christenmensch am jüngsten Tag solicher werck halben, nemlich ob er umb Christus willen seine negsten dürfftigen armen und notleidenden geliebt […] hab.“25 Im Sinne des Lutherschen Grundsatzes „sola fide“ beweist sich aber in diesen Liebesakten nur die Wahrheit des Glaubens. Der Verstorbene hat am jüngsten Tag Rechenschaft dar-
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Zu den Wurzeln des Motivs der Sünden- und Gerichtsangst vgl. Hamm (1993), S. 15 f. Die Furcht vor dem Zorn Gottes ist auch ein Element reformierter Almosenordnungen, vgl. Aspelmeier (2004), S. 329. 23 Zur Almosenordnung der Kurpfalz 1574 vgl. Battenberg (1991), S. 33; Schlösser (1987), S. 108 ff. 24 Dies entspricht auch der Haltung des Kurfürsten vgl. Gatz (1990), S. 473. 25 Nürnberger Armenordnung September 1522 in Winckelmann (1912/1913), S. 242 – 280, S. 259; Ehrle (1888), S. 459. Zur Bedeutung der Nürnberger Verordnung vgl. Winckelmann (1914/15), S. 197 ff., 215 ff.
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über abzulegen, ob er Akte der Nächstenliebe vollzogen hat.26 Eine Betonung des himmlischen Lohns als Folge der guten Tat auf Erden fehlt indes in der Nürnberger Ordnung. Vor diesem Hintergrund und angesichts der klaren Position Luthers zur Frage der „Werkgerechtigkeit“ entwickelt sich bei der Armenfürsorge ein Abgrenzungsbedarf der altgläubigen Herrscher zu den reformatorischen Reichsfürsten. Unter diesem Gesichtspunkt gewinnt die Betonung der Verdienstlichkeit des Almosens zum Zeitpunkt des Normerlasses eine andere Bedeutung. In der Kurtrierer Verordnung wird dies anschaulich gefasst in die Worte: „wir söllen unsere sündt mit der almosen erlösen und außtilgen, dann gleicherweiß als wasser das feuer, also verlösche almuse die sünd“.27 Kein Zweifel besteht damit an dem Festhalten an der altgläubigen Vorstellung der Verdienstlichkeit des Almosens, denn „also das on allen zweifel die steuer und handreichung der armen ein hoch verdienstlich werck, und dem almechtigen sunder angenehm und wolgefellig ist“.28 Gerade in diesen verschränkt wiederholten Hinweisen auf die Verdienstlichkeit zeigt es sich, wie sehr es dem Normgeber darauf ankommt, das durch die Reformation und das Wirken Luthers und Melanchthons erzeugte Misstrauen an der Verdienstlichkeit des Almosengebens als falsch zu zerstreuen.29 Zugleich fungiert die Argumentation als Appell zur Steigerung der Spendenmotivation. Herausgehoben wird die Verdienstlichkeit der Nächstenliebe durch das Almosen noch einmal in den Publikationsanordnungen für die Städte, in der schlagwortartig darauf hingewiesen wird, dass eine Umsetzung der Verordnung als „mildes und guetes werck […] zu forderst Gott Almechtiger nit werdet unbeloenet lassen“. Neben den göttlichen Lohn tritt sodann das Wohlgefallen des Kurfürsten, der für die ordnungsgemäße Ausführung der Anweisungen dies mit „gunst und gnediklichen erkhennen und bedenken“ prämieren will.30 Das Wohlgefallen des Kurfürsten ist gleichsam das vorweggenommene irdische Gegenstück zum göttlichen Gnadenbeweis. Bezeichnenderweise fehlt es an dieser ausdrücklichen Betonung des himmlischen Lohns bei der Publikationsanordnung an die Amtleute, die ansonsten bis auf kleinere Anpassungen der Publikationsanordnung an die Städte entspricht. Der Verzicht auf die Wiederholung in der internen Kommunikation mit den dem Kurfürsten unterstehenden Amtleuten und Kellnern verdeutlich das funktionale Element des Gebrauchs der altgläubigen Semantik. Dem Bedarf nach einer zusätzlichen Sicherung der Normakzeptanz bei den Städten durch die religiös geprägte Semantik entspricht die in die gleiche 26
Winckelmann (1914/15), S. 219. Der Anhänger Luthers Lazarus Sprengler ist nach Aussage Winckelmanns als Urheber dieser Passage zu sehen. Die Verpflichtung, vor Gott am jüngsten Gericht Rechenschaft ablegen zu müssen, ob gute Taten vollbracht worden sind, ist dabei nicht identisch mit der Vorstellung der Verdienstlichkeit des guten Werks im altgläubigen Sinne. 27 Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 81. Das Bibelzitat stammt aus Jesus Sirach 3, 30. 28 Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 81. 29 Diese Einschätzung findet sich auch bei Marx (1859), I/2, S. 254. 30 Vgl. zu beiden Zitaten Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 86.
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Richtung zielende Betonung der gemeinsamen Absprache der Verordnung. In den Publikationsanordnungen enthalten sind darüber hinaus die Formulierungen, dass „Gott dem Almechtigen zu lobe und eheren“ der Erlass der Armenordnung erfolgte. Dies stellt für sich genommen keine Besonderheit dar. Die Herstellung des Kontextes zwischen Normerlass und Mehrung der Ehre Gottes lässt sich für die Frühe Neuzeit an zahlreichen Beispielen belegen. Alleine schon für das Fürsorgerecht lässt sich auf Nürnberger Bettelordnung von 1478 verweisen, wo die Pflicht zum Normerlass ebenfalls aus der Motivation „Got zu lob“ erfolgt.31 Die Legitimation durch Gottesbezug und christlich-religiöse Vorstellungen wird ergänzt durch den Aspekt der Gefahrenabwehr und dem Erhalt der guten „Policey“. Die Legitimationswirkung weist in beide Richtungen: Zum einen kann der Herrscher seine Tätigkeit durch diese Bezüge begründen, zum anderen legitimiert die Fürsorgegesetzgebung seine Herrschaft.32 c) Gefahrenabwehr: Christlicher Glaube als Schutzgut Entgegen der immer noch vertretenen Auffassung, dass katholische Territorien undifferenziert bei der Armenversorgung vorgingen, kann für Trier belegt werden, dass sich insofern keine Unterschiede zwischen den Konfessionen feststellen lassen.33 Gerade bei der Ablehnung der arbeitsfähigen Bettler ergeben sich auf der semantischen Ebene keine Unterschiede.34 Diese aus Sicht des Gesetzgebers nur vorgeblich Armen, die „zu sterckung irer boßheit“ die „almussen zum dickermal den rechten Armen und nottürfftigen entzogen“ haben, bilden den Ansatzpunkt für das obrigkeitliche Handeln. Der entscheidende Gesichtspunkt ist die Abwehr der Gefahr, die von diesen Personen ausgeht. Gerade die Zweckentfremdung der Almosen durch die „leichfertigen, unbresthaftigen [d.h. gesunde] jungen und geraden leutten“ soll abgestellt werden, was der Gesetzgeber selbst als eigene Pflicht und Schuldigkeit begreift. Artikuliert wird dieses Motiv in dem Vorwurf, dass diese arbeitsfähigen Personen „das heilig almuß zu jrer boßheit schandtdeckel“ verwenden.35 Die Handlungspflicht resultiert zwar „aus Christlicher Pflicht“ heraus, jedoch steht die Abstellung dieses Missbrauchs im Vordergrund. Damit stellt die Wiederherstellung der vorher bestehenden Ordnung ein handlungsermächtigendes Legitimationsmerkmal dar.36 Hier drückt sich zudem die Vorstellung aus, dass die bestehenden, auf der christlichen Nächstenliebe beruhenden Strukturen grundsätzlich sind und nur eine gesteigerte Kontrolle notwendig ist. Das primäre Schutzobjekt des kurfürstlichen Handelns ist 31
Nürnberger Bettelordnung vom 5. 4. 1478 (Laetare) in Baader, Polizeiordnungen, S. 319. Zur Legitimation von Herrschaft durch Sozialpolitik vgl. Süßmann (2007), S. 37 f. 33 Zu dieser widerlegten Auffassung vgl. Kahl (2005), S. 101. 34 Vgl. hierzu die Ausführungen zu den Nürnberger Bettelordnungen in Zweiter Teil, C., II., sowie Bräuer/Schlenkrich (2006), S. 65; Jütte (1984a), S. 35; zu andern katholischen Territorien vgl. Schepers (2000), S. 77 ff. 35 Vgl. zu den Zitaten die Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 81, 83. 36 Zu der entsprechenden reichsrechtlichen Zielsetzung vgl. Härter (1993), S. 137 f.; Härter (1996a), S. 37. 32
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dementsprechend zunächst die durch Betrug, Sünden und Laster gefährdete christliche Liebe. Dahinter steht indes die Überzeugung, dass infolge des Missbrauchs von Almosen durch die aus Sicht des Kurfürsten nicht berechtigten arbeitsfähigen Personen die Bereitschaft der Menschen zur Ausübung christlicher Nächstenliebe erschwert und verhindert wird. Mit dem Phänomen der schwindenden Bereitschaft zur Caritas untrennbar verbunden ist die durch mangelnde Spenden verhinderte Versorgung der „armen nottüfftigen“. Die Verordnung wird hinsichtlich der Abwehr von Gefahren bei der Regelung des Umgangs mit arbeitsfähigen Bettlern im Weiteren noch konkreter. Durch das Eingreifen des Kurfürsten soll verhindert werden, dass es als Folge des Müßiggangs von „jungen starken und geraden“ Personen zu Glücksspiel, Trunksucht, Gotteslästerei und Kupplerei unter dem Schein des Bettelns kommt.37 Die Neuordnung der Fürsorge soll Gewähr bieten, dass das Almosen keinen Anlass gibt zum Müßiggang, der als Ursache dieser Laster angesehen wird. Die negative Bewertung des Müßiggangs und die zugleich geäußerte positive Wertschätzung der Arbeit als Mittel zur Tugend sind entgegen immer noch bestehenden Auffassungen in der Literatur nicht alleine auf die protestantischen Territorien beschränkt. Beide Konfessionen verurteilen den Missbrauch des Almosens durch Arbeitsfähige und damit nicht Bedürftige also in gleicher Weise. Ein Beispiel ist die bereits angesprochene Verordnung des pfälzischen Kurfürsten Friedrich III. von der Pfalz, in der ebenfalls die Abstellung des Almosenmissbrauchs durch „faule, müssige Verschwender und Erbbettler“ als Ziel und Grund des landesherrlichen Handelns genannt wird.38 Obwohl sich die Ansichten über die Natur und die Verdienstlichkeit des Almosens wesentlich unterscheiden, gleicht sich an dieser Stelle das Bestreben beider Konfessionen, das Almosen und dessen Spender vor Missbrauch zu schützen. d) Gefahrenabwehr: Leib, Leben und Eigentum als Schutzgüter Stehen diese Schutzobjekte noch in einem weiteren Zusammenhang mit christlichen oder moralischen Werten, ist das Handeln der Kurfürsten dennoch auch auf die Abwehr von Gefahren für irdische Güter gerichtet. Bereits vor den eigentlichen Regelungen wird auf einen Grundgedanken der Reichspolizeiordnung zurückgegriffen: Fremder Bettler werden nicht geduldet! Herausgestellt werden die Gefahren, die mit mobilen Fremden nach Ansicht des Landesherrn verbunden sind. Diese seien verantwortlich für Mord, Totschlag und Brandstiftung. Diese Gefahren durch Verübung von Straftaten beziehen sich auf die Schutzobjekte Körper, Leben und Eigentum. Eine weitere Gefahrenlage durch den Aufenthalt fremder Bettler ist die Bedrohung der Versorgungslage für die eigenen Untertanen. Neben der bereits aufgezeigten Gefährdung der Bereitschaft zur christlichen Nächstenliebe argumentiert hier der Kurfürst 37
Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, hier S. 83. Almosenordnung der Kurpfalz 1574 in Strohm/Klein (2004), Bd. 2, S. 305 ff.; vgl. hierzu auch Battenberg (1991), S. 33; Schlösser (1987), S. 108 ff. 38
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damit, dass durch die „außlendigen und frembden gengeleren“ die Armen des Erzstifts und Kurfürstentums von den Almosen verdrängt würden. Die Sicherung der Versorgungslage für die Bedürftigen unter den eigenen Untertanen stellt für den Kurfürsten ein zusätzliches Handlungsmotiv und Legitimationsmittel dar. Die Schutzgüter der Gefahrenabwehr verbinden sich hier insoweit, wie die Aufrechterhaltung der christlichen Glaubens mittelbar die Existenzsicherung für die Bedürftigen bedeutet. Nicht genannt ist dagegen der gemeine Nutzen als handlungslegitimierendes Element. Erst in der Verkündigung der Ordnung sowohl an die Städte als auch an die kurfürstlichen Amtleute wird angeführt, dass neben der Ehre Gottes der Erlass der Norm wegen des „gemeinen nutz, auch den Rechten armen zu guetem erfolgte“.39 Die Zweigleisigkeit entspricht durchaus der bisher praktizierten Gesetzestechnik. Exemplarisch ist dies in der Nürnberger Verordnung von 1478 nachzuvollziehen, in der die Neuordnung der Armenfürsorge neben der Ehre Gottes „auch von notdurfft wegen“ erfolgt.40 7. Voraussetzungen zum Empfang von Unterstützungsleistungen Die Verordnung verwendet keine Einteilungen in formelle oder materielle Voraussetzungen nach heutigem Verständnis für den Empfang von Unterstützungsleistungen. Dennoch lassen sich mit diesem Begriffspaar zum einen Kriterien bestimmen, die materiell unter dem Gesichtspunkt der Unterstützungswürdigkeit und damit der Anerkenntnis als Unterstützungsbedürftiger an die persönliche Eigenschaften des Armen anknüpfen. Zum anderen lassen sich unter formellen Voraussetzungen vor allem solche Kriterien fassen, die auf Verfahrensregeln bzw. formalisierten Anforderungen beruhen. Das zugrunde liegende Konzept der Versorgung Bedürftiger erschließt sich erst bei der Gesamtschau auf die Behandlung der unterschiedlichen Personengruppen. Die Traditionslinien der Armenordnung bei der Bestimmung der Würdigkeits- bzw. Bedürftigkeitskriterien entsprechen im Wesentlichen den bereits aus den älteren städtischen Armenordnungen bekannten Vorstellungen. Das primäre Unterscheidungskriterium ist die Differenzierung in Fremde und Einheimische, erst bei der Frage der Versorgung der Einheimischen spielt das Kriterium der Arbeitsfähigkeit, also der Selbstversorgungsmöglichkeit eine Rolle. Umgekehrt funktioniert also die Zugehörigkeit zu einem Gemeinwesen des Territoriums als erstes Inklusionskriterium bzw. die Fremdheit als erstes Exklusionskriterium. Die Darstellung folgt demnach zunächst dieser Grundeinteilung, bevor sie sich auf die daran anknüpfenden weiteren Voraussetzungen konzentriert. Für einheimische Unterstützungssuchende ist als weiteres Kriterium die Selbstversorgungsunfähigkeit wegen Arbeitsunfähigkeit entscheidend. Es werden zudem weitere Anforderungen an den Lebenswandel gestellt. Die formellen Voraussetzungen sind die vorherige Erfassung in Armenlisten 39 Dies geschieht sowohl in der Publikationsanordnung für die Städte als auch in derjenigen für die Amtsleute, vgl. Publikationsbefehl vom 21. 8. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 86. 40 Nürnberger Bettelordnung vom 5. 4. 1478 in Baader, Polizeiordnungen, hier S. 316.
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und das Tragen entsprechender Armenzeichen. Für die aus anderen Territorien stammenden Personen gilt grundsätzlich ein Verbot des Zugriffs auf die kurtrierischen Versorgungsleistungen. Eine Schwierigkeit bei der Bestimmung der unterstützungsberechtigten Gruppen stellen die hierzu gemachten Ausnahmetatbestände dar. Sie sind der christlich geprägten Grundlage der Fürsorge geschuldet und erweisen sich als immer noch wirkungsmächtig. a) Erstes materielles Kriterium: Zugehörigkeit / Einheimischer Das grundsätzliche Aufenthaltsverbot und damit der Versorgungsausschluss für Untertanen fremder Herrschaften hat sein Gegenstück in der Ausrichtung der Armenordnung auf die Versorgung der im Kurfürstentum ansässigen Armen. Die Einheimischen sind als originäre Empfänger von Unterstützungsleistungen vorgesehen: „die armen leut, so derselbigen ort pfarren oder kirspel ingesessene burger und nachbawren seind, bei jnen selbst mit almussen zu erhalten“ bzw. „unsers Churfürstenthumbs ingesessene armen“.41 Die Verpflichtung des Kurfürsten zur Sicherung der Versorgung bezieht sich damit alleine auf seine Untertanen. b) Zweites materielles Kriterium: Notsituation Die Grundvoraussetzung für eine Unterstützungsleistung ist die Existenz einer materiellen Notsituation, eines Versorgungsengpasses. Gemeint ist damit das Fehlen des zum Erhalt der menschlichen Existenz Notwendigen, der Nahrung oder eventuell notwendiger elementarer Kleidung. Die Verordnung spricht davon, dass die Armen „mit deren almussen nach notturft underhalten und gespeiset werden“. In Verbindung mit der Aussage, dass derjenige der Almosen nicht bedarf, der sich mit seiner Hände Arbeit ernähren kann, wird deutlich, dass hiermit das Bedürfnis nach elementarer Unterstützung gemeint ist. Die stets wiederkehrende Formulierung „der almussen sunders notturfftig weren“ oder „der almuß unnottürftig würden“ spricht ebenfalls für eine Notsituation als Ausgangspunkt der anerkannten Erforderlichkeit der Hilfeleistungen anderer.42 Dem entspricht die Bestimmung eines zeitlichen Endes der Unterstützungswürdigkeit. Es ist vorgesehen, dass bei Erreichen besserer wirtschaftlicher Verhältnisse keine Berechtigung mehr zum Gebrauch des Almosens besteht. Aus dieser Regelung geht hervor, dass nicht nur an eine konkrete Mangelsituation, sondern auch an längerfristige Phasen gedacht ist, in denen die elementare körperliche Existenzerhaltung mit Nahrung oder Kleidung nicht oder zumindest nicht vollständig gesichert ist.43
41
Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 83. Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 83, 85. 43 Dies ergibt sich aus dem Umkehrschluss, dass nicht mehr unterstützungswürdig ist, wer „mittlerweile zu besseren vermügen [ge]kommen“ ist, vgl. Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 85. 42
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Dass durch die Unterstützung mit dem Almosen grundsätzlich keine Leistungen über den Erhalt der elementaren Existenz hinaus gemeint sind, zeigt der Blick auf die Regelung für potentielle Überschüsse des Armenstocks. Nur für diesen Fall ist eine Verwendung der Mittel für weitergehende Bedürfnisse wie Sicherung der Familiengründung oder eine Ausbildung vorgesehen.44 Das Vorliegen einer Notsituation ist jedoch für sich alleine nicht ausreichend, um zu den Almosen zugelassen zu werden. Die Anerkenntnis als unterstützungswürdig erfordert darüber hinaus zwei zusätzliche Kriterien: das Unvermögen, für den Lebensunterhalt aufzukommen, und einen frommen, christlichen Lebenswandel. Das Unvermögen, selbst durch Arbeitskraft für den Lebensunterhalt aufzukommen, bedingt regelmäßig die materielle Notsituation. Das Kriterium des subjektiven Unvermögens gewinnt seine Bedeutung dadurch, dass es Fälle ausschließt, in denen Arbeitsunfähigkeit wegen anderweitiger Versorgungsmöglichkeiten oder Rücklagen nicht zur Notsituation führt. Letztlich steht nur denjenigen, die an einer Notlage leiden und beide Kriterien erfüllen, als „rechten armen und nottürfftigen“45 die christlich motivierte Hilfe zur Verfügung. c) Drittes materielles Kriterium: Individuelle Versorgungsunfähigkeit Das Kriterium des Unvermögens, für sich selbst zu sorgen, lässt sich in doppelter Weise begreifen. Einmal bei Unvermögen der Selbstversorgung als Inklusionskriterium für den Zugang zu den Unterstützungsleistungen, zum anderen ins Gegenteil gewendet wegen der Möglichkeit der Selbstversorgung als Exklusionskriterium. Grundlage der Annahme von Versorgungsunfähigkeit ist das Nichtvorhandensein von Arbeitsfähigkeit. Die Bestimmung, wann Arbeitsunfähigkeit bzw. Arbeitsfähigkeit vorliegt, wird durch die Nennung von Fallgruppen gelöst. Arbeitsfähigkeit wirkt als Exklusionskriterium bezogen auf den Zugang zu den Fürsorgeleistungen. Zu den Arbeitsfähigen zählen die „jungen starcken und geraden leut“, welche generell von der Möglichkeit des Almosenempfangs ausgeschlossen werden. Die Ordnung geht von der grundsätzlichen Arbeitsfähigkeit dieser Personen aus: „junger gerader vermüglicher leut, auch sunst der almusen unnottürfftig sein, die sich irer handt arbeit neren und darvon erziehen mögen“. Diesen wird unterstellt, dass bei ihnen durch die Verteilung von Almosen der Müßiggang verstärkt werde mit der Folge der Begehung von Sünden und Lastern.46 Den Arbeitsfähigen wird aufgegeben, sich um das Erlernen eines Handwerks zu bemühen, um sich selbst die Ernährungsgrundlage
44 Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 85: „und wo in berürter versamlung und rechnung, oder sunst den armen etwas auffstehn würde, daselbig soll durch die verordenten jederzeit treulich verwart, und mit radt und wissen unsers amptmanns, auch des pastors und der regenten eins jetlichen orts, den erbaren züchtigen und tugendhafftigen weibßbildern zu ehesteuer, auch andern jungen und weisen, die solchs nottürfftig weren, zu der schul, oder anhalten erbarer handtwerck mitgetheilt“. 45 Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 81. 46 Die dort benannten Sünden und Laster sind: Spiel, Suff, Gotteslästerung und Kupplerei, vgl. Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 83.
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zu sichern. Anders ausgedrückt, bleiben diese auf sich selbst angewiesen, bei der Frage nach Beschaffung von für den Lebensunterhalt geeigneten Arbeiten.47 Arbeitsfähigkeit meint dabei nicht alleine die Tätigkeit im Rahmen eines erlernten Handwerks. Dies legt der Umkehrschluss aus der Aufforderung zum Erlernen eines Handwerks nahe: „was junger gerader vermüglicher leut, auch sunst der almusen unnottürfftig sein, die sich jrer handt arbeit neren und darvon erziehen mögen, daß dieselbigen von dem betteln abstehn, und keinswegs dazu gelassen werden, sunder handtwerck lernen und mit jrer arbeit sich erneren“.48 Die Aufforderung weist zwar in die Richtung, dass Arbeit innerhalb des Handwerks angestrebtes Ziel der gesetzlichen Aufforderung ist. Jedoch deutet die Formulierung „die sich jrer handt arbeit neren“ darauf hin, dass auch Tätigkeiten als Tagelöhner als ausreichend angesehen werden.49 Demgegenüber gehören die Arbeitsunfähigen und damit nicht selbst Versorgungsfähigen zur Gruppe der Unterstützungswürdigen. Hierzu zählen neben denjenigen, die „alt schwach und zu arbeiten unvermuglich oder sunst gebrechlich“ sind, auch diejenigen, die „mit kindern überladen“ sind.50 Anerkannt sind zwei Arten unterstützungswürdiger Situationen subjektiven Unvermögens zur Selbstversorgung. Zur ersten gehören Altersschwachheit oder sonst hervorgerufene Gebrechlichkeit, also Lebenssituationen, in denen die eigenen Möglichkeiten zur Versorgung aufgrund körperlicher Mängel ganz oder teilweise unzureichend sind. Die Beschreibung dieser Lebenssituationen erfolgt typisiert und entspricht der scholastischen Lehre des „defectus“.51 Zum anderen ist die Unfähigkeit zur Selbstversorgung mangels Arbeitsfähigkeit der Situation gleichgestellt, in der eine Überlastung mit Kindern zu Versorgungsengpässen führt. Damit sind Konstellationen erfasst, in denen die Erwerbsmöglichkeiten der Familie nicht ausreichend sind zur Versorgung aller Mitglieder bzw. wenn aufgrund der Auslastung mit Betreuung und Versorgung der Kinder keine Möglichkeiten bestehen für den Unterhaltserwerb zu sorgen.52
47 Ein generelles Arbeitsangebot durch die Einführung eines Spinn- oder Arbeitshaus als generelles Inklusionsangebot bleibt der Entwicklung des 18. Jahrhunderts vorbehalten, vgl. Schmidt (2008a), S. 267. Dieser Aspekt ist auch in den anderen zeitgenössischen Ordnungen nur rudimentär gewürdigt, vgl. die Ausführungen in Zweiter Teil, D. – F. 48 Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, hier S. 83. 49 Zur Erwerbstätigkeit von Armen und dem Phänomen der arbeitenden Bettler vgl. Bräuer (1993), S. 86 f. 50 Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 83. 51 Diese Typisierungen von Arbeitsunfähigkeiten aufgrund von Unfällen, körperlichen Behinderungen, Krieg, Brandkatastrophen, Alter oder anderen als redlich anerkannten Situationen ist auch in späteren Ordnungen anderer Territorien nachweisbar. Ein Beispiel für diese typischen Beschreibungen findet sich in der Almosenordnung von 1574 der Kurpfalz, vgl. hierzu Battenberg (1991), S. 34. 52 Zum oftmals ohne weiteres unterstellten Kinderreichtum von Armen in der Frühen Neuzeit vgl. die gegenteiligen Ergebnisse von Schmidt (2004), S. 92, für das Jahr 1787.
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Die Berücksichtigung von Stillzeiten bzw. Schwangerschaftszeiten ist bereits aus älteren Nürnberger Bettelordnungen bekannt. So erlaubt die Nürnberger Ordnung von 1478 den Kindbettnerinnen, also Frauen in den ersten Wochen nach der Geburt, oder von diesen beauftragten Personen das Betteln für die Dauer ihrer Schwächung gestattet. Vorausgesetzt ist aber, dass sie zuvor eine Bettelberechtigung erhalten haben. Diese wird durch „erbern frawen“ ausgestellt, welche die Mütter betreuen.53 In der Nürnberger Armenordnung von 1522 wird zugunsten der Kindbettnerinnen angeordnet, dass ihnen je nach Bedarf Nahrung und Arzneimittel zur Verfügung gestellt werden sollen.54 Zwar entspricht die Regelung der kurtrierischen Armenordnung nicht den bereits spezifisch auf die Situation der Wöchnerinnen eingehenden Nürnberger Regelungen. Deutlich erkennbar ist indes die Akzeptanz dieser Ausnahmesituation. Die mit der Geburt verbundene Phase der Schwäche fügt sich – wenn auch temporär begrenzt – in das Kriterium der Arbeitsunfähigkeit ein. Eine Berücksichtigung jeglichen Restes von Arbeitsfähigkeit, wie es das Konzept von Vives vorsieht, lässt sich für die Verordnung des Kurfürstentums Trier nicht feststellen. Ob überhaupt Arbeitsmöglichkeiten vorhanden sind, spielt bei der Beurteilung als arbeitsfähig ebenfalls keine Rolle. Damit verbleibt die Armenordnung auf dem Entwicklungsstand der zeitgenössischen Stadtordnungen und der Reichsgesetze, ohne Lösungsansätze zur Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten zu bieten. Die durchaus vorhandenen Vorschläge Vives’ Konzepts zur Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten bleiben unberücksichtigt.55 Eine solch differenzierte Herangehensweise, die detaillierte Regelungen und einen ausgebauten Durchführungsapparat erfordert, entspricht nicht den damaligen Möglichkeiten umsetzbarer territorialer Gesetzgebung. Dies wird mit dem Blick auf die rudimentär gehaltenen Anweisungen zur Beschäftigungsanhaltung der Arbeitsfähigen augenscheinlich: „die sich irer handt arbeit neren und darvon erziehen mögen […] sunder handtwerck lernen, und mit irer arbeit sich erneren“.56 d) Viertes materielles Kriterium: Frommer christlicher Lebenswandel Neben der körperlichen Verfassung oder der Zugehörigkeit zum Herrschaftsraum stellt die Norm Anforderungen an das Verhalten der Unterstützungssuchenden selbst. Die Verordnung fordert hierbei von Armen, dass diese „jre tag wie fromm biederleut wol hinbracht“ haben. Diese Anforderung ist im Zusammenhang mit dem obrigkeitlichen Bestreben zu sehen, die aus Müßiggang sich ergebenden Laster zu bekämpfen. Ebenso wie es Intention der Verordnung ist, keiner starken und arbeitsfähigen Person ein Almosen zukommen zu lassen und so Müßiggang und Sünden zu ermöglichen, ist 53
Nürnberger Bettelordnung vom 5. 4. 1478 (Laetare) in Baader, Polizeiordnungen, S. 316ff, hier 319. 54 Nürnberger Armenordnung vom September 1522 in Winckelmann (1912/13), S. 269; Ehrle (1888), S. 463. 55 Zu Vives vgl. Zweiter Teil, E., IV. 56 Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 83.
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man bestrebt, nur diejenigen in den Genuss des Almosens kommen zu lassen, die sich nicht den Sünden und Lastern wie Spiel, Suff oder Kupplerei hingeben. Damit soll auch verhindert werden, dass das als heilig angesehene Almosen durch Personen, die die benannten Sünden und Laster begehen, „zu ihrer boßheit schandtdeckel“ missbraucht und entweiht wird. Hier fallen Anforderungen an die Person des Armen mit den Zielen der Gefahrenabwehr zusammen. Zusätzlich kann durch diese Voraussetzung eventuellen negativen Auswirkungen auf die Spendenbereitschaft vorgebeugt werden. Die Leitbilder des obrigkeitlichen Handelns neben der reinen Gewährleistung der Versorgung treten erneut hervor. Zum einen besteht der Anspruch auf ein normgerechtes Verhalten, welches zumindest indirekt erzwungen wird durch den drohenden Verlust der Unterstützung.57 Dies bestätigt sich mit Blick auf die mit der Ausgabe des Almosens verbundene Intention, „die armen zu ehren und tugenten“ zu erziehen.58 Zum anderen eröffnet das Kriterium des frommen christlichen Lebenswandels eine weitere Möglichkeit, den Berechtigtenkreis angesichts der kaum bestimmbaren Anforderung ermessensgesteuert nach Bedarf zu begrenzen. Die Anforderungen entsprechen, wenngleich sie nicht in vergleichbarer Weise detailliert sind, den einschlägigen Abschnitten der Nürnberger Armenordnung vom September 1522.59 Nur derjenige, der alle materiellen Kriterien erfüllt, hat unter den weiteren rein formellen Voraussetzungen Zugang zu den territorialstaatlich kontrollierten Unterstützungsleistungen. Alleine für diese Personen ist anerkannt, „daß sie der almussen sunders notturfftig weren und derselbigen hilff nit on sein noch geraten mochten“. Die Situationen, in denen christliche Nächstenliebe erforderlich ist, sind durch den Gesetzgeber von einer durch den Spender zu erfassenden materiellen Bedürfnisnotlage zu einer typisierten Beschreibung von Person und Situation reduziert. e) Formelle Voraussetzung: Armenliste und Armenzeichen Das Korrelat zum materiellen Vorliegen der Unterstützungswürdigkeit bildet die formelle Anerkennung des Armen durch Aufnahme der betreffenden Person in die Armenliste und Ausweisung durch ein „sunderlich zeichen“.60 Das Verfahren zur Feststellung der materiellen Unterstützungswürdigkeit ist die zwingende Voraussetzung für die Zulassung zur Unterstützung. Um die materiellen Voraussetzung der Unterstützungswürdigkeit festzustellen, werden die hierfür in Frage kommenden Personen auf ihre persönlichen Umstände untersucht. Geeignete Indikatoren sind dabei
57 Zum Ansatz der Sozialdisziplinierung bei der Armenfürsorge vgl. Breuer (1986), S. 45 ff.; Sachße/Tennstedt (1986a); S. 11 ff. 58 Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 85. 59 Winckelmann (1912/13), S. 263. 60 Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 84. Zu der Gestalt von Bettelzeichen bzw. Almosenzeichen vgl. Bräuer (1997b), S. 78 ff.; Maué (1999), S. 126 ff.; Sachße/ Tennstedt (1980), S. 35.
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„wesen, gestalt, gelegenheiten“.61 Die als unterstützungswürdig Eingestuften sind daraufhin namentlich und unter Angabe ihrer Verhältnisse in Listen zu erfassen.62 Damit setzt das geistliche Kurfürstentum Trier die bislang anzutreffenden Maßnahmen zur Erfassung Armen in eigenes Recht um.63 Die Kontrolle durch „Bürokratisierung“ der Armenpflege ist im geistlichen Kurfürstentum unverkennbar vorhanden.64 Nur den in der Armenliste als unterstützungswürdig Erfassten ist ein „sunderlich Zeichen“ auszustellen, das an der äußeren Kleidung gut sichtbar zu tragen ist. Damit verbindet sich ausdrücklich das Ziel, diese Personen öffentlich wahrzunehmen.65 Und nur die mit einem solchen Zeichen Ausgestatteten sind zu den Almosenausteilungen zugelassen.66 Das Ersuchen um Almosen ohne dieses Zeichen ist unter Strafe gestellt.67 Die Strafbarkeit des Bettelns wird folglich ausgeweitet und ist nicht mehr alleine auf den Bettel Arbeitsfähiger beschränkt. Weiterhin ergibt sich eindeutig, dass alleine das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen für sich alleine nicht mehr ausreichend ist. Die formellen Voraussetzungen sind gleichberechtigte Muss-Kriterien für das Erlangen von Unterstützungsleistungen. Damit etabliert sich der Territorialstaat endgültig als Inhaber der Regelungskompetenz für den Bereich der Armenversorgung. Die Entscheidung darüber, ob und wann Unterstützungsleistungen gewährt werden, liegt alleine im Gestaltungsbereich des Gesetzgebers. Auch die Unterstützungsleistungen selbst sind nunmehr solche, die vom Territorialstaat vermittelt werden. Anders als bei den noch bis zu Anfang des 16. Jahrhunderts ausgegebenen Zeichen der Reichsstädte handelt es sich nicht um ein Bettelzeichen, sondern wie sich gleich zeigen wird, um den Nachweis der Zulassung zu den Almosenausteilungen. 8. Grundsätzlicher Versorgungsausschluss von Fremden Die Zugehörigkeit zu den Einwohnern des Kurfürstentums ist das primäre Inklusionskriterium für die Aufnahme in die Armenfürsorge. Spiegelbildlich ist Fremdheit das primäre Exklusionskriterium. Zwar lassen sich auch die weiteren Kriterien wie beispielsweise die Arbeitsunfähigkeit in ihr Gegenteil gewendet als Exklusionskriterien beschreiben. Jedoch bestehen für den generellen Ausschluss Fremder gewisse 61
Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 83. Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 84. 63 Vgl. nur die entsprechenden Passagen in der Nürnberger Armenordnung vom September 1522 in Winckelmann (1912/13), S. 264 ff. 64 Vgl. zu dieser Deutung der Wirkung der Armengesetzgebung des 16. Jahrhunderts nur Sachße/Tennstedt (1980), S. 33 f., 130 f. 65 Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 84: „da man es offentlich sehen mög“. 66 Vgl. zu den Formulierungen: Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 84: „durch dieselbiegen zugelassen werden, sich der almussen zu gebrauchen“, „so die oberkeit in massen wie vorsteht, zu betteln zugelassen, und jnen deßhalb zeichen und zeugnuß geben hat, und anders niemand“. 67 Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 85. 62
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Ausnahmetatbestände, die sich am besten in Bezug auf die Eigenschaft „fremd“ fassen lassen. Für alle Fremden gilt grundsätzlich, dass die Unterstützungsleistungen im Kurfürstentum ihnen nicht zur Verfügung stehen. Die Antwort auf die Frage, ob die als „außlendigen und frembden gengeleren“, „frembden vermeinten bettler und landtgengeleren“ oder „fremde betler oder gengeler“68 bezeichneten Personen versorgt werden sollen, wird schon vor den eigentlichen Regelungen gegeben. Ausdrücklich wird im zweiten Abschnitt der Einleitung festgestellt, dass keineswegs eine Verdrängung der einheimischen Armen durch die fremden Bettler zugelassen werden soll. Die Zugehörigkeit bzw. gerade die Nichtzugehörigkeit zu den Untertanen des Territorialherrn entscheidet als das vorrangige Ausschlusskriterium über die Feststellung der Versorgungsberechtigung. Hier drückt sich die in allen Fürsorgekonzepten dieser Zeit anzutreffende Überzeugung aus,69 dass die eigenen Versorgungskapazitäten für die eigenen Untertanen ausreichen und eine Überforderung alleine dem Umstand des Missbrauchs insbesondere durch den Zustrom fremder Bettler geschuldet sei.70 Die repressiven Maßnahmen gegen Fremde können daher nach Sinn und Zweck als eigentlich versorgungssichernde Maßnahmen für die eigenen „rechten und nottürfftigen Armen“ begriffen werden. Der Gesetzgeber will dies durch den Ausschluss von Fremden sicherstellen und versucht so einen Verdrängungskampf zulasten der einheimischen Armen zu verhindern. Diese Wertung wird durch den Aufbau der Verordnung belegt, welche zunächst die Almosenpflicht gegenüber den rechten Armen betont und sodann die fremden Unterstützungssuchenden ausschließt. Der ohne diese Sichtweise unstrukturiert wirkende Aufbau der Verordnung, die sich scheinbar unter Vertauschung der Prioritäten erst der Behandlung der Fremden und erst dann der Versorgung der einheimischen Bevölkerung annimmt, erschließt sich dadurch leichter. Den „außlendigen“ und „frembden“ Personen werden daher die Einreise und der Aufenthalt im Erzstift untersagt. Die Ausländer stehen unter dem schon in der Einleitung der Verordnung angelegten generellen Verdacht des betrügerischen Bettels ohne anerkennenswerte Notlage. An alle dem Kurfürsten untergeordneten Stellen im gesamten Erzstift ergeht der Befehl, diese Vorgabe umzusetzen. Das Ziel dieser Maßnahme wird klar benannt: Die fremden „betler oder gengeler“ sollen keinen Zutritt zu den institutionellen Versorgungsmöglichkeiten des Erzstifts erhalten. Sie sollen nicht „geduldet, auch nit gespeist und getrenckt, […] und bei spitellen oder andern heusern mit nichten gehauset oder geherberget werden“. Damit sind grundsätzlich alle Versorgungsmöglichkeiten im Kurfürstentum, seien es die benannten institutionalisierten Versorgungsmöglichkeiten oder das in sonstiger Weise gereichte Almosen, versagt. Die Grenzen der Wirksamkeit dieses Verbots bei Fremden werden erkannt. Da „etliche darüber heimlich inschleiffen würden“, sollen diese wiederum ausgewiesen werden. Diese Erkenntnis wird in den noch zu betrachtenden Zeiträumen 68
Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 82. Vgl. die vorherigen Ausführungen zum Stadtrecht, Ypern oder den protestantischen Kastenordnungen in Zweiter Teil, C. – F. 70 Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 81 f. 69
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dazu führen, dass den repressiven Maßnahmen des Einreiseverbots und der Ausweisung ein weitaus größerer Umfang zukommt. Der Versorgungsausschluss für Untertanen fremder Herrschaften korrespondiert mit dem Verbot für die Untertanen des Kurfürstentums Trier, sich durch Bettel in fremden Territorien zu versorgen.71 a) Erste Ausnahme: Pilger Durchbrochen wird das Zutrittsverbot für Fremde und damit zugleich das Versorgungsverbot durch die Ausnahmeregelung für fremde Pilger. Dieser Personengruppe wird wegen der Verdienstlichkeit religiös motivierter Armutssituationen der Status der Unterstützungswürdigkeit zuerkannt. Dies kommt in der Formulierung „auß christlicher andacht und andern redlichen ursachen […] fürgenommene bittfart“ deutlich zum Ausdruck.72 Noch stärker wird dieser Gedanke betont bei der Gestattung des längeren Aufenthalts für erkrankte Pilger, denen „aus christlichem mitleiden barmhertzigkeit“ erwiesen werden soll. Entsprechend der Ausnahmeregelung für fremde Pilger im Territorium des Kurfürstentums Trier, wird für die eigenen Untertanen eine analoge Regelung für deren Pilgerreise in fremde Territorien getroffen. Die Ausnahme für reisende Pilger ist ein auch in reformierten Stadtordnungen anzutreffender Tatbestand.73 Die Zulassung fremder Pilger zu den Versorgungsleistungen setzt ähnlich den allgemeinen Regelungen als formelle Voraussetzung die Existenz einer Bescheinigung über die Pilgerfahrt voraus. Die Bescheinigung muss eine Bestimmung der Art und des Grundes der Reise enthalten, um als ordnungsgemäß zu gelten. Die Bedeutung dieser formellen Anerkenntnis der Pilgerfahrt wird in zweierlei Hinsicht deutlich. Zum einen berechtigt sie fremde Untertanen zur Nutzung der Versorgungsmöglichkeiten im Erzstift. Die Nutzungsberechtigung bleibt auf die unmittelbar mit der Reise verbundenen Wegstrecken und den hierzu notwendigen Zeitaufwand beschränkt. Die Zulassung stellt so die Gewährleistung der Versorgung während der Pilgerfahrt sicher und damit letztlich auch deren Gelingen. Die streng auf den Zweck der Pilgerfahrt begrenzte Unterstützung wird jedoch insoweit ausgeweitet, als für den Fall einer schweren Erkrankung auf der Pilgerfahrt die Versorgung zugesichert wird. Zum anderen ergibt sich aus der Regelung für Pilgerreisen der eigenen Untertanen, dass eine Pilgerreise nur noch unter der unabdingbaren Voraussetzung einer Kontrolle durch die Obrigkeit oder den Pastor vor Antritt der Pilgerfahrt erfolgen soll.74 Die Regulierung von Versorgungsleistungen greift damit aufgrund der Konnexität der Sachgebiete auch in andere Rechtsgebiete ein. Anders formuliert bedeutet das, dass aufgrund der Normierung des Zugangs zu den Versorgungsleistungen auch die unmittelbar 71
Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 83. Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 82 u. 83. 73 Beispielsweise in der Züricher Almosenordnung vom 15. 1. 1525 in Strohm/Klein (2004), Bd. 2, S. 105 ff., hier S.105. 74 Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 83: „mit solchem schein, und sunst nit die bittfart erbarlich vollenbringen“. 72
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mit der Glaubensausübung verbundene Tätigkeit der Kontrolle unterworfen werden. Dies gilt insbesondere für die Pilgerreisen der Untertanen des Kurfürsten. Diese sind zudem angehalten, die fremden Territorien „mit bettelen [nicht zu] belestigen“, sondern sich in der vorgesehenen Weise der Almosen „zu gebrauchen“. b) Zweite Ausnahme: Untertanen aus Nachbarterritorien Die zweite Ausnahme ist dem Verhältnis zu den benachbarten Territorien des Kurfürstentums geschuldet. Trotz der relativen Geschlossenheit des Kurtrierer Herrschaftsgebietes gibt es zahlreiche Einschlüsse anderer Herrschaften und Grenzen zu anderen Reichsfürsten.75 Für deren Untertanen, „so in der nehe an und umb unsern Ertzstifft und Churfürstenthumb, under andern anstoßenden herrschafften gesessen seind“, die also in den unmittelbar angrenzenden Bereichen der benachbarten Territorien wohnhaft sind, trifft die Armenordnung eine Ausnahmeregelung. Die aus diesen Gebieten stammenden bedürftigen Armen werden als Sondergruppe behandelt und nicht als Fremde, die sonst unter dem Generalverdacht der missbräuchlichen Nutzung des Almosens stehen. Voraussetzung ist zunächst die Erfüllung der materiellen Kriterien der Bedürftigkeit: eine Notsituation und Arbeitsunfähigkeit. Zusätzlich ist die unmittelbare räumliche Nähe des Wohnorts zum Kurfürstentum erforderlich. Für diese Personen sollen die zuvor für die Pilger getroffenen Ausnahmeregelungen der Versorgungsgewährung entsprechend gelten. In formeller Hinsicht ist ebenso wie für die einheimischen Armen eine „ihres armuts […] urkundt und schein“ erforderlich. Die Zulassung zum Genuss der im Kurfürstentum zur Verfügung stehenden Unterstützungsleistungen steht demnach unter der Voraussetzung, dass die Unterstützungswürdigkeit in den Ursprungsterritorien bereits festgestellt ist. Der Nachweis erfolgt durch Vorlage einer glaubhaften Bescheinigung des jeweiligen Territoriums. Fehlt es an einer solchen, sollen die Almosensuchenden wie andere Fremde auch behandelt werden und keinen Zugang zu den Versorgungsleistungen erhalten. Die Vorlage einer entsprechenden Ausnahmeregelung ist in Art. 34 Abs. 1 der Reichspolizeiordnung von 1530 angelegt. Deren Vorgabe „so soll die Oberkeit dieselbe Armen mit einem briefflichen Schein und Urkund in ein ander Amt zu foerdern Macht haben“ wird im Kurfürstentum Trier für die Bescheinigungen über die Armut bzw. eine Pilgerreise anerkannt. Dagegen ist die von Vives vorgeschlagene Wegzehrung für fremde Bettler und deren anschließende Rückführung in deren Heimat nicht aufgenommen. Über die Ausnahmeregelung hinaus ist eine Unterstützung im Sinne von Vives durch das ausdrückliche Verbot eben dieses Handelns ausgeschlossen.76 Augenscheinlich wird die den Armen der Nachbarterritorien zugestandene Versorgung als ausreichend erach75
Zum Herrschaftsgebiet des Trierer Kurfürstentums vgl. Härter (1996b), S. 601 f. Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 82, 83; bzgl. der Vorgabe von Vives siehe Feuchtwanger (1909a), S. 195. 76
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tet, um der Verpflichtung zur Nachbarschaftshilfe Genüge zu tun. Für die eigenen Untertanen ist ein Ausweichen mittels Erteilung von Bettelbriefen bei unzureichenden Versorgungsmöglichkeiten schon von vorneherein nicht vorgesehen. Anders als bei den Pilgern fehlt es hier an einer Verweisung auf eine analoge Anwendbarkeit. Die kurtrierischen Untertanen sind bei Bedürftigkeit folglich alleine auf die im Kurfürstentum angebotenen Hilfeleistungen angewiesen. Der sich auf die Pilgerfahrten der eigenen Untertanen und deren Versorgung durch fremde Unterstützungsleistungen einschlägige Absatz beschränkt sich ausdrücklich nur auf Pilgerfahrten.77 Die in der Reichspolizeiordnung von 1530 angelegte gegenseitige Hilfe der Territorien ist also nur hinsichtlich der Anerkenntnis der fremden Hilfesuchenden erfolgt. Demgegenüber wird die durchaus mögliche Inanspruchnahme dieser Option für ein Ausweichen der kurtrierischen Untertanen in die Nachbarterritorien nicht aufgegriffen. 9. Zulässige Versorgungsformen Obgleich die Armenordnung eindeutig an christliche Vorstellungen und Motivationen zur Fürsorge anknüpft, sind ebenso wie bei den Reformen der Reichsstädte und in den spanischen Niederlanden entscheidende Änderungen hinsichtlich der gewählten Form der Unterstützungsleistungen feststellbar. Bislang akzeptierte oder früher erwartete Formen der Unterstützung bzw. des Unterstützungsempfangs sind nunmehr verboten. Damit folgt das Kurfürstentum Trier den Vorbildern der zeitlich vorangegangenen Fürsorgereformen. Zugleich weicht man in Kurtrier ab von der Konzeption der Reichspolizeiordnung von 1530, die den Bettel als Versorgungsform immer noch akzeptiert. Diese Abweichung weist den Weg in eine wesensändernde Umgestaltung des bisherigen Fürsorgekonzeptes im Kurfürstentum Trier. a) Bettelverbot: Der Bettel als unzulässige Versorgungsform Auch wenn der Kurfürst in der Einleitung sprichwörtlich mit Feuer und Flamme an die christliche Motivation zum Almosenspenden appelliert, wird dennoch den jüngsten Entwicklungen der Städteordnungen entsprechend der Bettel insgesamt verboten: „so ist unser ernstliche meinung und wollen, daß hinfürter kein mensch jungk oder alt, man oder weib, in unsern stetten, schlossen, marckten, dorffern oder weilern, in oder für den kirchen, heusern oder an den gassen und strassen, bei tag oder nacht, betelen oder heischen sollen“.78 Dieses Verbot gilt sowohl für Fremde als auch für Untertanen des Kurfürsten. Letzteren ist auch der Bettel außerhalb des Kurfürstentums untersagt. Statt zum Bettel werden die als bedürftig Anerkannten zum Gebrauch der Almosen zugelassen. Diese Almosen stammen aus den gesteuerten Verteilungen von Mitteln der Stiftungen, der Hospitäler und des Armenstocks. Mangels des Vorliegens von 77 78
Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 83. Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 83.
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Strafvorschriften, welche das private freie Austeilen von Almosen an (nicht-)bettelnde Bedürftige untersagt, bleibt diese Art von Unterstützung zumindest nicht ausgeschlossen. Der Fokus der Verordnung liegt jedoch eindeutig auf der obrigkeitlich kontrollierten Verteilung von Almosen und nicht auf der Regulierung der freiwilligen unaufgeforderten Zuwendungen von Privaten. Aus der Logik der Verordnung ergibt sich, dass die Kontrolle der Bettler ausreichend ist und ein Verbot des Almosenspendens selbst noch nicht erforderlich erscheint. Im Ergebnis wird folglich nur die Empfängerseite des ursprünglich zweigliedrigen Prozesses der Almosengabe reguliert und damit nur die Auswahlfreiheit des Almosenspenders begrenzt. Das Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen Spender und Empfänger wird sowohl hinsichtlich der Handlung, der Bitte um die Spende, als auch hinsichtlich des Resultats, der Gabe und des himmlische Lohns, gelockert oder sogar zerbrochen. Der in vielen Reichsstädten und in Ypern bereits erfolgte Bruch mit der bisherigen Versorgungsform für Arme wird nun auch im Kurfürstentum Trier nachvollzogen.79 Der Bettel steht selbst den als bedürftig und unterstützungswürdig Anerkannten nicht länger als akzeptiertes Versorgungsverhalten zur Verfügung. b) Almosenzuteilung als zulässige Versorgungsform Wie schwierig sich der Wechsel von einer durch den Bettel sichergestellten Versorgung zu einer kontrollierten Zuteilung von Leistungen gestaltet, offenbart sich an den steten Wiederholungen der Bettelverbote für die jeweiligen Personengruppen. Die zuvor zitierte Generalklausel zum Bettelverbot gilt für alle sich im Kurfürstentum aufhaltenden Personen, ausdrücklich ohne Unterscheidung, ob es sich um einheimische oder fremde Untertanen handelt oder ob sie gebrechlich bzw. arbeitsfähig sind. Zur Verdeutlichung des Verbotes werden zudem alle Orte aufgezählt, an denen bislang Bettel üblich war und nunmehr verboten sein soll: „in und für den kirchen, heusern oder an den gassen und strasssen“, zu jeder Tages- und Nachtzeit.80 Dieses direkt an die Betroffenen gerichtete Verbot wird ergänzt durch die Anweisung, dass niemandem dieses Tun zu gestatten sei. Diese Anordnung bezieht sich auf die dem Kurfürsten weisungsgebundenen Herrschaftsträger und dient zur Absicherung einer auf das ganze Territorium ausgelegten Vereinheitlichung. Es entspricht der Typik dieser Verordnungen, dass für die einzelnen Fallgruppen ständig Wiederholungen des Bettelverbotes ausgesprochen werden. Für Fremde wird bereits zu Beginn der Verordnung der Bettel verboten. Für die jungen und arbeitsfähigen Bettler wird dies direkt im Anschluss an das Generalverbot wiederholt. Nochmals aufgegriffen wird das Bettel-
79 Vgl. die Nürnberger Armenordnung vom September 1522 in Winckelmann (1912/13), S. 243 ff. Zu Ypern und weiteren Beispielen vgl. neben den Ausführungen in Zweiter Teil, E., auch Davis 2003, S. 159. 80 Vgl. zu ähnlichen Regelungen in der Nürnberger Bettelordnung vom 5. 4. 1478 Baader, Polizeiordnungen, S. 317. Allgemein zu Orten des Almosenempfang vgl. Bräuer (2001).
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verbot in den Schlussbestimmungen, wo der Verstoß dann auch unter Strafe gestellt wird.81 Die Hindernisse, die sich mit der endgültigen Abkehr vom Bettel als Versorgungsform verbinden, werden sichtbar, wenn die Verordnung auf die eigentliche Versorgungsform zu sprechen kommt. Der Verordnung gelingt es trotz des eindeutigen Bettelverbots nicht, sprachlich eindeutig die Versorgung durch obrigkeitlich kontrollierte Zulassung zu der Verteilung von Almosen als allein zulässige Versorgungsform festzusetzen. Die Verordnung sieht letztlich vor, dass der Bedürftige durch Almosen und Versorgungsleistungen, deren Verteilung durch Kontrollinstanzen gesteuert werden soll, versorgt wird. Die Verordnung spricht dabei von „handtreichung der almussen“ […] „bei den spitellen oder andern heusern“, der Arme soll „gehauset oder geherberget“ werden oder „den [Pilgern bei der Durchreise] soll vergondt werden, sich der almussen zu gebrauchen“. Es finden sich auch Formulierungen wie die Armen „mit almussen zu erhalten“ seien, oder es sei den Armen erlaubt, „sich der almussen zu gebrauchen“.82 Statt sich an den einzelnen potentiellen Spender zu wenden wie dies bisher im Rahmen des Bettelns geschehen ist, wird der Unterstützungssuchende auf die von der Verordnung vorgegebene Form verwiesen. Wie sich aus den aufgeführten Stellen ergibt, sind mit dem „Genuss der Almosen“ zwei wesentliche Grundstützen der bisherigen Versorgung gemeint, allerdings in veränderter Form. Zum einen ist damit die Nutzung der institutionalisierten Fürsorge in Form der Armenhäuser und Hospitäler gemeint. Hierunter fällt insbesondere die Nutzung der Wohn-, Behandlungs- und Beherbergungsmöglichkeiten. Zum anderen wird als „almussen“ die Zuteilung von Unterstützungsleistungen an zuvor geprüfte Unterstützungswürdige bezeichnet. Diese können in Geld oder Naturalleistungen erfolgen. Die Ausgabe dieser Gaben erfolgt entweder über die bereits vorhandenen Hospitäler, Armenhäuser oder Stiftungen oder durch die Verwalter des neu einzurichtenden Almosenstocks. Gerade die letztgenannten Austeilungen sind das Substitut der vorherigen freien Almosenvergabe zwischen Bettler und Spender. Zwischen Geber und Empfänger ist eine Prüfinstanz geschaltet, die den Bettel verhindern soll. Wiederum ergeben sich aus der Ablösung der überkommenen Fürsorgekonzepte Schwierigkeiten, die sich auf die Klarheit der Normsprache auswirken. Aufgrund teilweise widersprüchlicher Formulierungen wird nicht endgültig offenkundig, ob nicht doch der Bettel eine zugelassene Versorgungsform sein könnte.83 Dass der obrigkeitlich kontrollierte Zugang zu den Almosenverteilungen die grundsätzliche Versorgungsform darstellt, ergibt sich zunächst aus der mit Aufnahme in die Armenliste und dem Tragen des entsprechenden Zeichens verknüpften Folge. Die Aufnahme in die Armenliste und das ausgegebene Zeichen berechtigen zum Gebrauch der 81
Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S.82 (Fremde), S. 83 (junge Arbeitsfähige), S. 84 (Strafbarkeit). 82 Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S 82 – 84. 83 Ein Beispiel für die schwierige Interpretation liefert Huberti (1935), S. 38. Sie ordnet das „sunderlich zeichen“ als Bettelzeichen ein.
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zur Verfügung gestellten Almosen.84 Demgegenüber ist im direkten Anschluss davon die Rede, dass die Ausgabe der Almosen der Stiftungen nur an diejenigen erfolgen solle, „so die oberkeit in massen wie vorsteht, zu betteln zugelassen und ihnen deßhalb zeichen und zeignuß geben hat“. Dies widerspricht zunächst dem vorherigen Verbot gerade einer solchen Zulassung zum Bettel.85 Dem Verbot der Zulassung zum Bettel entspricht indes die Aussage bezüglich der Behandlung von Arbeitsfähigen. Dort werden die zuständigen Stellen aufgefordert, dass die Arbeitsfähigen anzuhalten sind, „von dem Bettel abzustehen, und keinswegs darzu gelassen werden“. Betrachtet man die genannten Stellen im Zusammenhang mit den vorherigen Beschreibungen des Almosengebrauchs, ist die Annahme indes wesentlich nahe liegender, dass es sich bei der Formulierung „so die oberkeit in massen wie vorsteht, zu betteln zugelassen“ um eine sprachliche Ungenauigkeit handelt. Der sich anderenfalls ergebende strukturelle Bruch, lässt die Möglichkeit einer Bettelerlaubnis im traditionellen Sinne fern liegend erscheinen. Auch aus einem anderen Gesichtspunkt drängt sich dieses Ergebnis auf. Zwar werden angesichts der missverständlichen Ausdrucksweise Zweifel geweckt, ob die Kurtrierer Fürsorgeorganisation den städtischen Vorbildern aus Nürnberg, Straßburg oder Ypern folgt, oder es sich lediglich um eine Teiladaption handelt. Auf das ausgestellte Zeichen bezogen lautet die Frage, ob es sich um ein Bettelzeichen des älteren bis zum Ende des 15. Jahrhunderts üblichen Konzepts oder doch um ein Almosenzeichen der neueren Fürsorgemodelle handelt. Die Verordnung selbst spricht in den Schlusspassagen vom „sunderlich zeichen“ als „obgemelte zeichen des armuts“. Für die ältere Form des Bettelzeichens könnte die Verpflichtung der Armen, diese Zeichen gut sichtbar an der Kleidung zu tragen, sprechen.86 Wie sich mit Blick auf die Nürnberger Armenordnung vom September 1522 ergibt, hat das öffentliche Tragen des Zeichens im Lichte des dortigen vollständigen Bettelverbots einen Funktionswandel erfahren. Der im 15. Jahrhundert vorherrschende Zweck, für den Spender den berechtigt bettelnden Empfänger des Almosens erkennbar zu machen, ist überholt. In Nürnberg soll durch das öffentlich getragene Zeichen verhütet werden, dass „die armen offentliche tafern wirtsheuser und ander unzymliche ort fuer und fuer“ besuchen.87 Die Kennzeichnung des Armen dient also einer besseren Kontrolle und zur Verhinderung der missbräuchlichen Verwendung der Unterstützungsleistungen. Gegen die Einordnung als Bettelzeichen spricht zudem die Gesamtschau auf das Fürsorgekonzept, das bereits die Mittelerbringung und deren Verteilung eingehend reguliert. Damit entfällt aus systematischer Sicht auf der Gesetzesebene die Notwendigkeit der Unterstützung durch das direkte Almosen zwischen Bettler und Spender. 84
Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S.84. Vgl. zu den Formulierungen: Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 83 („auch niemand das selbig zu thun gestatt oder zugelassen werden“) und S. 84. 86 Zu Zweck und Funktion der Bettelzeichen älterer Prägung vgl. Bräuer (1997b) S. 78 ff., 85 ff. 87 Vgl. Winckelmann (1912/13), S. 265. 85
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Darüber hinaus überwiegen die eindeutigen Aussagen zum Verbot des Bettels gegenüber diesem einmaligen Gebrauch der Formulierung „so die Oberkeit in massen wie vorsteht, zum bettel zugelassen“. Diese Formulierung ist daher als sprachliche Ungenauigkeit zu sehen. Die Ungenauigkeiten sind kein alleine den katholischen Territorien vorbehaltenes Phänomen, sondern lassen sich auch in anderen Stadtordnungen nachweisen.88 Der hier beschriebene Zugriff des Bedürftigen auf Unterstützungsleistungen ist in seiner gewandelten funktionalen Bedeutung zu sehen. Bettel in dieser Formulierung bedeutet ebenso wie „almussen zu gebrauchen“ alleine den Zugriff auf Zuteilung der Almosen der jeweiligen Stellen und nicht mehr als die Kontaktaufnahme zum Vollzug des Almosens im Zweipersonenverhältnis. Die Aktivierung der Nächstenliebe ist nicht mehr Obliegenheit des Bedürftigen, sondern ist Aufgabe des Territorialstaates. Die durch das Gutachten der Sorbonne bestätigte Zulässigkeit der Abschaffung des Bettels als Versorgungsform ist im Kurfürstentum Trier Gesetzeswirklichkeit. 10. Versorgungsumfang und präventive Maßnahmen Die Unterstützungsleistungen sind auf die zum Erhalt der körperlichen menschlichen Existenz erforderlichen Mittel wie Nahrung und Kleidung begrenzt. Dies ergibt der Umkehrschluss aus den die Bedürftigkeit konstituierenden Notsituationen. Die Unterstützungsleistungen zielen auf die Beseitigung der sich aus diesen Notsituationen ergebenden Folgen. Der Umfang der Leistungen bestimmt sich auch aus der Ersetzung des Bettels durch die Zuteilung von Almosen. Weiter als die Versorgungsmöglichkeiten beim Bettel kann die neue Unterstützungsform nicht reichen, da sie letztlich auf die gleichen Ressourcen zurückgreift. Im Gegensatz zu den umfangreichen Ausführungen zu der nur auf bereits entstandene Bedürftigkeitssituationen reagierenden Unterstützung erscheinen die Regelungen zur Prävention von Armutssituationen nur am Rande. Gerade das Gebot zur Aufnahme einer Arbeit oder Ausbildung für junge arbeitsfähige Personen erscheint lediglich als mittelbar geeignet, präventiv zu wirken. Vielmehr geht das Hauptaugenmerk der primär auf Exklusion von den Unterstützungsleistungen angelegten Erfassung dahin, dass dadurch dem Unterstützungswürdigen ein ungeschmälerter Zugang zum Almosen gewährleistet wird. Weitergehende Maßnahmen wie die Ausbildung Jugendlicher im Handwerk oder durch die Schule sind nur für den Fall eines finanziellen Überschusses vorgesehen. Gleiches gilt für die Förderung einer Familiengründung von jungen Frauen als Versorgungssicherung durch Zuschüsse zur Eheaussteuer. Insgesamt bleibt der Eindruck, dass diese Maßnahmen lediglich optional sind und nicht den Schwerpunkt der vorgesehenen Organisation bilden.
88 So ist trotz eines generellen Bettelverbots und der Zuteilung von Almosen als zugelassener Versorgungsform die Rede von einem „Bettelzeichen“ für Schüler in der Züricher Almosenordnung vom 15. 1. 1525 in Strohm/Klein (2004), Bd. 2 S. 105.
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11. Finanzierung der Unterstützungsleistungen Die bei der Transformation der bisherigen Versorgungsform des Bettels aufgetretenen Widersprüchlichkeiten offenbaren sich auch bei der Ausgestaltung der Finanzierung der Fürsorgeleistungen. Wiederum prallen hier die bisherigen christlich geprägten Ansichten zum Almosen und dessen Verteilung auf die Steuerungs- und Kontrollabsichten des entstehenden Territorialstaates. Das Almosen wird entgegen der zu Anfang gebrauchten eindringlichen Ausführungen zur Verdienstlichkeit zunehmend als Finanzierungsmittel funktionalisiert und entsprechend umgewidmet. Die hieraus resultierenden Veränderungen für den ursprünglichen Wert des Almosens werden sich während der gesamten kommenden Entwicklung der Fürsorgegesetzgebung auswirken. Der Territorialherr bedient sich neben dem Zugriff auf die schon bestehenden Institutionen christlicher Nächstenliebe, den Stiftungen und Hospitälern, bei der Finanzierung eines aktuellen Konzepts: Mittels zentralisierter Sammlungen von Almosen in einem Almosenstock soll eine gesteuerte Verteilung der Mittel erreicht werden. a) Vermögen der Stiftungen und Hospitäler Die Grundlage der Hilfe für die Bedürftigen bleibt weiterhin die christliche Nächstenliebe. Durch diese motiviert sollen Mittel für die Hospitäler und Stiftungen aufgebracht werden. Der Kurfürst geht von einem umfangreichen Bestand an Almosenstiftungen, Hospitälern und anderen Häusern aus, die in der Lage sind, Almosen zu verteilen: „vil und mancherlei almussen und Spenden, bei geistlichen und weltlichen, von langen jaren her, gestifft“. Diese Einschätzung bezieht sich ausgehend von den Verhältnissen der Stadt Trier auch auf andere Städte, „Schlossen, Flecken, Marckten, Dörfern und Weilern“ des Erzstifts. Die Verteilung der dortigen Almosen wird jedoch an die Vorgaben der Verordnung gebunden: „den armen zu geben verordnet seind, damit dann solch almussen und spenden dieser unser ordnung gemeß ausgetheilt und darinnen allenthalben gleichheit gehalten werde“.89 Die Vorauswahl des für die Unterstützungsleistungen in Frage kommenden Personenkreises ist damit bereits getroffen.90 Dadurch ist zumindest eine indirekte Stiftungszweckänderung durch die obrigkeitliche Verordnung in Einzelfällen nicht ausgeschlossen. Ungeachtet dessen, ob die bestehenden Einrichtungen eine andere Verteilung vorsehen, wird den gemäß der Verordnung Nichtberechtigten der Zugang zu den Almosen verweigert. Die Sicherung der Normbefolgung und des damit verbundenen Eingriffs in die Entscheidungsfreiheiten der Stiftungen und Hospitäler wird durch die Verordnung argumentativ zusätzlich abgesichert. Die Vorsteher werden an ihren Gehorsam zur Befolgung des Befehls ermahnt unter dem Hinweis auf ihre Rechenschaftspflicht gegen89
Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 84. Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 84. Die Verordnung wiederholt die Aussage und präzisiert die Vorgaben dahingehend: „damit die obgemelte almussen und spenden, in massen dieselbigen gestifft und jnen auszurichten bevolhen seind, den oberzelten armen, so die Oberkeit in massen wie vorsteht, zu betteln zugelassen, und inen deßhalb zeichen und zeugnuß geben hat, und anders niemandt, gentzlich und vollenkülich mitgetheilt“. 90
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über Gott, dem sie beim letzten Gericht gegenübertreten müssen. Der Kurfürst bedient sich damit zur Stärkung der Normdurchsetzung der nicht mehr hinterfragbaren Ebene der Verantwortlichkeit des Menschen gegenüber Gott und der Furcht um sein Seelenheil. Letztlich ist diese Argumentation stringent, da, wie die obigen Ausführungen zeigen, er auch sich selbst dieser Verantwortung unterwirft. b) Institutionalisierung des Almosens im Almosenstock Ergänzt werden die bestehenden Formen der mit dauerhaften finanziellen Mittel ausgestatteten Fürsorgeinstitutionen durch die Einrichtung eines Almosenstockes, „ein sunderlicher stock“ in jeder Pfarrkirche.91 Dieser soll durch die obrigkeitlich beaufsichtigte Einsammlung der bislang im persönlichen Kontakt zwischen Spender und Empfänger ausgetauschten Almosen unterhalten werden. Damit steht dem Territorialstaat neben dem indirekten Zugriff auf die Hospitalsfinanzen ein Instrument zur Finanzierung der Fürsorge auf der Ebene der Pfarrgemeinden zur Verfügung. Der Almosenstock übernimmt im Verhältnis zum Spender die Funktion des Adressaten der Spenden und tritt an die Stelle des Bettlers. Die umfangreichen Ausführungen zu der Verdienstlichkeit des Almosens sind gerade unter diesem Gesichtspunkt von besonderer Bedeutung. Dem Spender ist durch die neuartige Konstruktion der unmittelbare persönliche Bezugspartner genommen und damit die tatsächlich fassbare Wertigkeit des Almosens. Die Ausführungen zum Almosen zielen darauf ab, mittels des Transfers bisheriger Vorstellungen die durch den Trennungsvorgang entstehende Legitimations- und Motivationslücke des Almosenverständnisses zu schließen. Das Bedürfnis nach Ausfüllung dieser Lücke verdeutlicht sich durch die Wiederholung der Formulierung des „notwendig christlich und erbar werck“, als welches die Einrichtung des Almosenstocks dargestellt wird. Der Almosenstock soll als gleichartiges Substitut des bisher privat gespendeten Almosens anzusehen sein. Hier vollzieht sich zumindest im Rahmen der Territorialordnung der Transfer anerkannter Motive der bisherigen Fürsorgeformen auf die neu eingeführten Einrichtungen. Die Wiederholung der Verdienstlichkeit des Almosens in der Publikationsanordnung an die Städte deutet ebenfalls auf das Bestreben hin, die Adressaten als potentiell Unterstützungsunwillige zur Akzeptanz der vorgenommenen Änderungen zu bewegen. Die Wahrung der Persistenz der Verpflichtung zum Almosengeben und der Verdienstlichkeit desselben offenbart sich an weiteren Stellen. So soll das Volk durch die Priester „zu aller zeit mit fleiß erinnert und vermanet werden“, den Armen zu helfen. Die Spende zum Almosenstock erfolgt im Zusammenhang mit dem Gottesdienst „alle Sontags under der predig und andern gottsdiensten“ und wahrt so den Zusammenhang mit dem Vollzug des christlichen Glaubens. Die Sammlungen selbst sollen durch zwei sich jeweils abwechselnde Abgeordnete bei allen Gottesdiensten der jeweiligen Pfarrgemeinde erfolgen. Darüber hinaus sollen Sammlungen direkt an den Haustüren der Gemeinde erfolgen. Der direkte Zusammenhang mit der kirchlichen 91
Vgl. zum Almosenstock die Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 84.
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Glaubensbetätigung scheint auf den ersten Blick bei Sammlungen außerhalb der Kirche von Haus zu Haus gelockert. Die Zielgruppe dieser Sammlungen sind jedoch ebenfalls die „frommen andechtigen leutten, [die] den armen zu trost und guttem“ bereit sind, zu spenden. Die Zielgruppe dieser an den Häusern ein- bis zweimal wöchentlich vorzunehmenden Kollekten ist hinsichtlich der Einsammler und der Spender identisch. Der Rückgriff auf den christlichen Glauben und dessen Ausübung zur Legitimierung ist damit auch auf den außerkirchlichen Bereich ausgedehnt. c) Regelung der örtlichen Verhältnisse in der Stadt Trier Als Sonderfall dieser auf alle Pfarrgemeinden des gesamten Kurfürstentums ausgelegten Kollekten wird die Situation in der Residenzstadt Trier eingehender behandelt. Ausgehend von den lokalen Verhältnissen sind die dort zu den Almosenstöcken Verordneten jeweils im Wechsel unter den Pfarrgemeinden dafür zuständig, die Sammlung der Almosen bei dem „Thumstifft, auch andern Stifften, Klöstern, Kirchen und spitälen, die nit pfarrhen, aber doch darunder gelegen seind“ an allen Sonntagen vorzunehmen. Ob die dabei erzielten Einnahmen dem Almosenstock der jeweils zuständigen Pfarrgemeinde zugute kommen sollen oder umgelegt werden, ist in der Verordnung nicht niedergelegt. Klar wird indes zweierlei: Zum einen, dass eine Zusammenführung der kirchlichen Institutionen bei der Aufgabe der Armenunterstützung intendiert ist. Zum anderen wird der Wille offenbar, an diesen Orten der Ausübung des Glaubens auf die dort vorhandenen finanziellen Ressourcen zurückzugreifen. Zumindest indirekt nutzt der Territorialstaat die diesen Orten innewohnende Beziehung zur christlichen Nächstenliebe als Triebfeder von Spenden. d) Bedeutung und Einordnung der zentralen Almosenkasse Die Schaffung einer zentralen Kasse für fromme Gaben innerhalb der Pfarrgemeinden korrespondiert mit dem Wechsel der Versorgungsform.92 Beide Vorgänge stellen trotz der Betonung tradierter Vorstellungen die Auflösung der persönlichen Beziehung zwischen Spender und Empfänger des Almosens dar.93 Die Schaffung einer zumindest auf der Ebene der Pfarrgemeinde zentralisierten Kasse entspricht den zeitgenössischen Neuerungen. Der Trierer Kurfürst nutzt ebenso wie Karl V. für die spanischen Niederlande die Möglichkeit als Territorialherr, Rahmenbedingungen zu schaffen, um vermittelt über kommunale Versorgungseinheiten die Unterstützung der Bedürftigen innerhalb eines ganzen Territoriums sicherzustellen. Verwirklicht werden damit auch die Grundsätze der Reichsgesetze, die entsprechend den Grundsätzen des „Heimatprinzips“ die finanzielle Verantwortlichkeit für die Ver92 Dass auch der Würzburger Fürstbischof ähnliche Regelungen zur Finanzierung trifft, zeigt Knefelkamp (2001), S. 529 f. Zu den Maßnahmen im Hochstift Speyer vor allem im 18. Jahrhundert vgl. Dussel (1995), S. 229 ff. 93 Zum ursprünglichen persönlichen Aspekt des Almosens vgl. Hartung (1989), S. 165; Voß (1993), S. 51 ff.
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sorgung den Kommunen übertragen. Die Territorialgesetzgebung füllt zudem die gesetzgeberische Lücke bzw. den gesetzgeberischen Freiraum durch die Polizeiordnung bezüglich der Art und Weise der Finanzierungssicherung. Eine regelmäßige Erbringung von Mitteln ist jedoch mit dem gewählten System nicht sichergestellt. Zwar zielen die wöchentlichen Sammlungen in diese Richtung, belassen es jedoch bei dem Ausnutzen der letztlich nicht steuerbaren Spendenmotivation. Damit ist scheinbar ohne Bruch der Rückgriff auf bislang funktionierende Motivationen zur Unterstützung gewahrt. Gleichzeitig unterwirft sich indes die Neuorganisation auch deren Beschränkungen. Ein Unterschied zu den protestantischen Almosenkästen ist unverkennbar. Die dort mögliche Einbeziehung von säkularisierten Kirchengütern ist in Kurtrier nicht vorgesehen und angesichts der Fortexistenz der Stiftungen als Grundlage der institutionalisierten Fürsorge auch nicht erforderlich.94 e) Grenzen der Finanzierung Der Neuorganisation des Fürsorgewesens liegt augenscheinlich die Auffassung zugrunde, dass aufgrund der vorgenommenen Maßnahmen stets ausreichend Mittel zur Verfügung stünden. Dies gilt zumindest dann, wenn der aus Sicht des Gesetzgebers eingerissene Missbrauch abgestellt wird. Ausdruck hierfür sind Regelungen für den Überschuss des neu einzurichtenden Armenstockes, während es an einer entsprechenden Regelung für eine Unterkapitalisierung der Armenversorgung fehlt.95 Ausschlaggebend hierfür könnte die Annahme gewesen sein, durch die Reduktion der Almosennachfrage durch den Ausschluss verschiedener Personengruppen eine bessere und effektivere Versorgung der als unterstützungswürdig Anerkannten zu erreichen. Der zusätzlich eingerichtete Armenstock entspringt offenbar ebenfalls dieser Überzeugung. Eine Mangelsituation, die nicht mehr mit den auf kommunaler Ebene der Städte oder Pfarrgemeinde zur Verfügung stehenden Mittel bewältigt werden kann, ist offensichtlich nicht geregelt worden. Dazu passt, dass es an der von der Reichspolizeiordnung zugelassenen Erstellung von Armutsbescheinigungen für die eigenen Untertanen zur Versorgung in fremden Ämtern fehlt.
12. Aufgabenzuweisung und Fürsorgeorganisation a) Gesetzgebungskompetenz des Landesherren Zunächst ist die Armenordnung von 1533 ein klarer Ausdruck der Tatsache, dass die Kompetenz zur Normgebung in diesem Bereich vom Kurfürsten als Träger der weltlichen Macht ausgeübt wird. Diesem obliegt es, die weiteren Zuständigkeiten bei Umsetzung der Verordnung zu bestimmen. Ebenso wie bei den eigentlichen 94
Vgl. zur Einbeziehung von säkularisierten Kirchengüter das Beispiel eines reformierten „Gemeinen Kastens“ zu Zwickau bei Bräuer/Schlenkrich (2006), S. 62, 69 f. 95 Zur Überschussverteilung für die Eheaussteuer bzw. die Schulbildung der Kinder vgl. Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 85.
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Regelungen spielen bei der Verteilung der Befugnisse die bisherigen Traditionslinien weiterhin eine tragende Rolle. Die Zuständigkeiten in der Fürsorgeorganisation sind demgemäß zwischen weltlichen und kirchlichen Amtsträgern aufgeteilt. Charakteristisch für die Aufgabenverteilung ist die Kompetenzverschränkung durch paritätische Besetzung der Entscheidungsträger. Insgesamt lässt sich jedoch ein Ausweiten der Kompetenzen weltlicher Amtsträger unter Verdrängung oder Einschränkung kirchlicher Zuständigkeiten nachweisen. Bei der Kompetenzaufteilung in vertikaler Sicht vom Territorium hinunter zur kleinsten Einheit der Pfarrgemeinde liegt die Kontrollund Weisungsbefugnis bei der oberen territorialstaatlichen Ebene, während die unmittelbaren Entscheidungen auf der Ebene der Gemeinden getroffen werden. b) Zuweisung der Versorgungsträgerschaft Die Zuständigkeiten für die Versorgung von Armen liegen auf der Ebene der Ortsund Pfarrgemeinden. Diese Zuständigkeit drückt sich aus in der Zuweisung des Versorgungsauftrags an die Pfarrgemeinden und Kommunen. In kommunale Verantwortlichkeit fällt es, für die Erfassung der Bedürftigen und in gemeinsamer Verantwortung mit den Pfarrgemeinden, mittels des Almosenstockes für eine Finanzierungsgrundlage der Unterstützung zu sorgen. Ebenfalls auf den engeren Raum der jeweiligen Gemeinde bezogen sind die Anordnungen zur Hospitalspflege. Damit scheint zunächst die Vorgabe der Reichspolizeiordnung von 1530 umgesetzt, die den Städten und Kommunen die Versorgung der Bedürftigen zuweist. Insoweit bestätigt sich die allgemeine Aussage Scherners, von der Reichspolizeiordnung als fiskalrechtlicher Legitimationsquelle zu sprechen.96 Der Text der Verordnung legt den unmittelbaren Bezug nahe. Heißt es in der Reichspolizeiordnung von 1530 „eine jede Stadt und Commun“ solle „ihre Armen selbst ernehren und unterhalten“,97 so sind in der Trierer Verordnung die Formulierungen „sonder es soll ein jedes ort und pfarr oder kirspel sich befleissen und bearbeiten, auch mit höchstem ernst darzu geneigt und bewegen sein, die armen leute, so derselbigen ort und pfarren oder kirspel eingesessene burger und nachbawren seind, bei jnen selbst mit almussen zu erhalten“ und „damit ein jetliche Commun oder gemein jre armen, on beschwerung der andern erhalten“ gewählt worden.98 Im Unterschied zur Reichspolizeiordnung ist in Kurtrier die Zuweisung nicht alleine an die weltlichen Kommunen oder Städte erfolgt, sondern es wird darüber hinaus ausdrücklich auch an die Pfarrgemeindestruktur angeknüpft. Der Rückgriff auf die Ebene der Pfarrgemeinden entspricht den aus der Yperner Ordnung und dem Konzept von Vives bekannten Strukturen, die sich auch in den protestantischen Ordnungen wieder erkennen lassen. In diesem Zusammenhang ist es angesichts des Steuerbewilligungsrechts der Landstände bedeutsam, dass es zwar zu einer Abwälzung der finanziellen Verpflichtungen der Armenpflege auf die Kommunen kommt. Die Aufsicht über die Armenpflege kommt indes dem Inhaber der Territori96 97 98
Siehe Scherner (1979), S. 67. Reichspolizeiordnung vom 19. 11. 1530 in NSRA II, hier S. 343. Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 83.
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algewalt zu.99 Angesichts der Schwierigkeiten des Trierer Kurfürsten mit den Landständen Steuerbewilligungen zu erreichen,100 bietet alleine die Neuschaffung eines Almosenstocks eine Möglichkeit ohne die für Steuern erforderliche Zustimmung der Stände, sich eine Finanzierungsmöglichkeit auf der Ebene der Pfarrgemeinden zu eröffnen. c) Zuständigkeiten bei der Erfassung der Unterstützungswürdigen Zur Feststellung der Unterstützungswürdigen und deren Aufnahme in die Armenlisten sind für jede Pfarrgemeinde zwei durch die örtliche Obrigkeit ernannte Verordnete zusammen mit den Pastoren der Kirchengemeinde zuständig.101 Damit ist zwar zum einen die Persistenz der christlichen Werte der Armenversorgung durch Einbeziehung der kirchlichen Würdenträger gewahrt. Andererseits stellt die Beteiligung der Vertreter der weltlichen Obrigkeit eine Möglichkeit dar, anders gelagerte Vorstellungen einzubringen. Dies birgt durchaus auch – wie am Beispiel Zwickaus erkennbar – die Gefahr von Auseinandersetzungen zwischen den beteiligten Funktionsträger in sich.102 Der Schwerpunkt der Kompetenz liegt indes bei „der oberkeit und regenten jetlicher ort“, denen die anerkannten Armen „überantwurt und durch dieselbigen zugelassen“ werden.103 Die weltlichen Amtsträger sind somit zuständig für die letztendliche Zulassung zum Almosen auf der Grundlage der gemeinsam zu erstellenden Armenliste. Allein in ihrem Ermessen liegt dabei die Ausstellung der Almosenzeichen, durch welche der Zugang zu den Almosen ermöglicht wird. Das Trierer Modell ähnelt damit mehr der Ausrichtung der Yperner Armenordnung als der Nürnberger Verordnung vom September 1522, welche alleine auf weltliche Amtsträger zugreift.104 Die Entscheidungen dieses gemischten Gremiums binden darüber hinaus indirekt die Almosenverteilungen der einzelnen Hospitäler ohne darüber hinaus in die Verwaltungszuständigkeiten selbst einzugreifen. Da nur diejenigen mit Almosenzeichen versorgt werden dürfen, ist die Verteilungskompetenz, wie oben dargestellt, insofern eingegrenzt. 99 Dies drückt sich in der Formulierung aus: „darin auch unsere amtleut und bevelhaber sampt der oberkeit, an einem jeden ort, ein fleissig und treulich auffsehen haben“, vgl. Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 83. 100 Vgl. hierzu Haxel (1930), S. 60 ff., 79 ff.; Laufner (1968), S. 302 ff.; Marx (1859), I/2, S. 204 ff. Der Kurfürst konnte keine Land-, Kammer-, Reichs-, Defensions-, Legations- oder andere Steuern ohne Zustimmung der Landstände aus seinem Willen oder seiner Autorität heraus alleine beschließen. Die Hauptlast der Steuern trägt die Landschaft, also die Städte und Gemeinden, während der Adel bereits ab 1575 sich der Steuerlast entzieht und der Beitrag der Geistlichkeit im Laufe der Jahrhunderte immer weiter abgesenkt wird. 101 Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 84 f. 102 Die Doppelbesetzung dieser Gremien ist nicht ungewöhnlich, vgl. zu den Verhältnissen in Zwickau Bräuer/Schlenkrich (2006), S. 66. 103 Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 84. 104 Vgl. zu Ypern die Ausführungen in Zweiter Teil, E., III.; zu Nürnberg Zweiter Teil, C., ferner Winckelmann (1914), S. 261.
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Die gemischte Besetzung von Entscheidungsträgern setzt sich bei der Zuständigkeit für die Gestattung von Ausnahmen beim Versorgungsausschluss Fremder fort. Die kurtrierische Armenordnung erkennt die Bescheinigungen für Pilgerfahrten sowohl von den Vertretern der kirchlichen Ebene in Gestalt des Pastors als auch durch die Vertreter der weltlichen Obrigkeit an. Bemerkenswert ist, dass für die Anerkennung einer Pilgerreise von eigenen oder fremden Untertanen nicht nur die originär hierzu berufenen kirchlichen Stellen zuständig sind. Die Bescheinigung der Reise, die „auß christlicher andacht und andern redlichen ursachen […] fürgenommene bittfart“ unternommen wird, unterliegt nunmehr der Kontrolle der weltlichen Obrigkeit. Die Anerkennung der ordnungsgemäßen Ausübung des christlichen Glaubens zu Zeiten der konfessionellen Auseinandersetzung gehört also auch zur weltlichen Sphäre. Für die Gültigkeit der Armutsbescheinigungen von Fremden verweist die Verordnung auf die Regelung für die Pilger, wonach sowohl Obrigkeit als auch Pastoren fremder Herrschaften für die Ausstellung von Armutsbescheinigungen zuständig wären. Da in Kurtrier für das Ausstellen der Almosenzeichen alleine die Obrigkeit und Regierung des jeweiligen Orts zuständig ist, bleibt angesichts der Undeutlichkeit des Analogieverweises zunächst unklar, ob auch auswärtige Armutsbescheinigungen der kirchlichen Ebene anerkannt werden. Angesichts der in den Nachbarterritorien ebenfalls etablierten Zuständigkeit der weltlichen Obrigkeit zur Ausstellung der Almosen- bzw. Bettelzeichen ist davon auszugehen, dass der Verweis keine Zusatzkompetenz auswärtiger Pastoren begründen soll.105 d) Verwaltung des Almosenstocks Die Verwaltungsorganisation des Almosenstocks entspricht dem Aufbau des für die Feststellung der Unterstützungswürdigkeit zuständigen Gremiums. Auf Ebene der Pfarrgemeinden nehmen die hierzu bestimmten Verordneten die Sammlungen für den Almosenstock vor. Die Ernennung der Verordneten erfolgt durch die Obrigkeit unter Beteiligung der Pastoren.106 Um die Belastung der „zwen redlichen dapffer mann“ zu verringern und die Bereitschaft zur Übernahme des Amtes zu erhalten, ist die Amtszeit auf ein Vierteljahr begrenzt.107 Um dem Gedanken an eine Ablehnung des Amtes entgegenzuwirken, wird neben dem Verweis auf die kurze Amtsdauer mittels des Rückgriffs auf die Verdienstlichkeit der Aufgabe versucht, solchen Widerstand den Boden zu entziehen. Von den Verordneten, „die solch göttlich und mild werk“ ausüben, wird daher erwartet, dass „darinnen sich niemandt so dazu benant 105 Diese Zuständigkeit ergibt sich aus den Darstellungen des zeitgenössischen Stadtrechts sowie den sich anschließenden Ausführungen zu Kurköln. Zur gleichartigen Zuständigkeit des Landesherren in Bayern vgl. Schepers (2000), S. 74 f., 77 ff. 106 Die Verordnung bleibt sprachlich uneinheitlich in der Benennung. So spricht sie von „durch die oberkeit eins jetlichen ort dazu erwelet“, an anderen Stelle aber von „zwen andern durch den pastor und oberkeit, mit hilff der fürnemigsten der pfarren […] erkoren“, vgl. Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 84 f. 107 Die Amtszeit ist im Kurfürstentum Trier nur halb so lang wie die Amtszeit der Almosenverwalter in der Reichsstadt Nürnberg, vgl. Winckelmann (1912/13), S. 261.
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und erkoren wirdet sperren noch wegern“ wird.108 Die Verwaltung und die Verteilung der gesammelten Mittel erfolgt durch die Verordneten und den Pastor gemeinsam, was sich zunächst gegenständlich in der gemeinsamen Schlüsselgewalt für den Almosenstock ausdrückt.109 Die Verteilung der Mittel erfolgt ebenfalls durch die Verordneten unter Mitwissen des Pastors. Die Verordneten sind „bei jrer selen seligkeit“ verpflichtet, die gesammelten Mittel an die Armen zu verteilen. Der Rekurs auf das Seelenheil ist ein bei allen mit der Fürsorge befassten Amtsträgern genutztes Disziplinierungsmittel. Die Rechnungslegung über Sammlung und Verteilung erfolgt alle Vierteljahre in der Pfarrkirche gegenüber dem Pastor, den Vertretern der Obrigkeit und der Regierung sowie den anwesenden Gemeindemitgliedern.110 Der bei Rechnungslegung vorhandene Überschuss des Almosenkastens ist durch die Verordneten nach Rat und Kenntnis des kurfürstlichen Amtmanns sowie des Pastors und der örtlichen Obrigkeit zu verteilen. Die Verschränkung der kirchlichen und der weltlichen Sphäre vollzieht sich demnach auch bei dieser Aufgabe. Vorgesehen sind diese Überschüsse für die Aussteuer junger Frauen oder als Ausbildungshilfe für Jugendliche, insbesondere für Waisen zur Erlernung eines Handwerks oder für den Schulbesuch. Die Förderung der Ehre Gottes und die Ausübung der Nächstenliebe werden dabei in direkten Zusammenhang mit der Erziehung der Armen zur Tugend gesetzt.111
e) Zuständigkeit für die Kontrolle der Fremden Entsprechend der bereits zur Reichsgesetzgebung vorgenommenen Deutung der repressiven Maßnahmen gegenüber Fremden als versorgungssichernde Maßnahmen wird diese Materie auch in der Armenordnung von 1533 geregelt. Gleichsam als Gegenstück zu der Regelung der Versorgungsstruktur beinhaltet die Armenordnung von 108
Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 85. Die Bedeutung des Amtes als Ausübung des christlichen Glaubens lässt sich auch in der Formulierung der Nürnberger Armenordnung vom September 1522 nachweisen: „uwem ore ratsfreund […] die sich mit der verwaltung solichs almusens allain umb gottes willen und aus brüderlicher lieb on alle belohnung, nutz und genieß, nachvolgender ordnung gemeß beladen haben“, vgl. Winckelmann (1912/13), S. 261. Vgl. zum Aussehen des Almosenkastens zu Wittenberg Wilhelm/Heese (2000), S. 25. 109 Die Schlüsselgewalt wird zwischen den kirchlichen und weltlichen Würdenträgern aufgeteilt: „und berürter stock mit zweien schlossen, darzu der pastor oder krichherr einen schlüssel, und die zwen verordenten den andern haben, bewart werden“, vgl. Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 84. 110 Der Zeitpunkt der Rechnungslegung ist auf „sambstage in der fronfasten gegen den morgen zu acht uhren, in der pfarrkirchen“ festgelegt. 111 Ob dieses Finanzierungssystem auf Dauer Überschüsse erzielen konnte, erscheint angesichts des Verzichts der Almosenordnung für die Stadt Trier von 1591 auf diese Regelung zumindest als zweifelhaft. Die durch diese Ordnung eingerichtete Kasse zur Versorgung der Bedürftigen finanzierte sich zu einem großen Teil aus Vermächtnissen der wegen Hexerei Angeklagten. Vgl. Ackels (1984), S. 80, die diesen Schluss zieht angesichts der Finanzierung der Armenkasse über solche Vermächtnisse.
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1533 daher Vorgaben zur Kontrolle und Ausweisung von Fremden. Zur Verhinderung der Einreise der fremder Bettler sind alle Amtleute, Kellner und Befehlshaber sowie die Städte, Schlösser, Märkte, Dörfer oder Weiler und die „Fürgenger und Regenten“, insbesondere die in den Grenzgebieten „gesessenen und gelegenen“ berufen. Zuständig für die Kontrolle innerhalb des Kurfürstentums Trier ist demnach nur die weltliche Obrigkeit, vertreten durch den Amtmann oder Befehlshaber. Die von auswärts her einreisenden Pilger sind verpflichtet, sich bei dem ersten Amtmann oder Befehlshaber auf ihrer Reise durch das Kurfürstentum zu melden. Aufgrund dieser Meldung sowie der Vorlage der fremden Armuts- bzw. Pilgerbescheinigungen erfolgen die Gewährung der Durchreise und die Zulassung zu den Versorgungseinrichtungen.112 Bei der Kontrolle der Versorgung der christlich motivierten Reisenden ist Folgendes bemerkenswert. Betrachtet man den originären Kontext einer Pilgerfahrt, ist die bereits dargestellte Berechtigung zum Ausstellen der Pilgerscheine relevant. Hier ist dem Vertreter der Kirche die weltliche Obrigkeit zumindest als zeichnungsberechtigt gleichwertig zur Seite gestellt. Kann dies für das geistliche Kurfürstentum noch als Ausdruck der Eigenschaft des Kurfürsten als sowohl weltliches als auch geistliches Oberhaupt gewertet werden, wird bei genauerem Hinsehen die Kompetenzverschiebung deutlicher. Anerkannt wird nämlich auch für fremde Territorien die Zeichnungskompetenz der weltlichen Obrigkeit. Die gesteigerte Bedeutung des Territorialstaates wird schließlich daran erkennbar, dass im Kurfürstentum Trier für die Kontrolle der Berechtigungen alleine die weltlichen Vertreter des Kurfürsten zuständig sind. f) Zuständigkeiten beim Umgang mit Arbeitsfähigen Ein weiteres Gegenstück zu den Aufgaben bei der Versorgung der Bedürftigen stellt der Umgang mit den als nicht unterstützungswürdig Eingestuften dar. Hier sind parallel zu den reichsrechtlichen Vorgaben die Kommunen dazu verpflichtet, die Arbeitsfähigen zur Arbeit und zur Ausbildung anzuhalten, um so präventiv gegen den Müßiggang und unberechtigten Gebrauch des Almosens zu wirken.113 Wie genau die Kommunen diese Aufgabe erfüllen sollen, ist der Armenordnung selbst nicht zu entnehmen. Personell sind hierzu „zwen oder mer erbarer redlicher und dapfferer mann“ abgeordnet. Das Auswahlverfahren und die Zuständigkeitsbeschreibung entsprechen den Regelungen zur Armenversorgung, weshalb von einer personellen Identität mit den Almosenkastenverwaltern auszugehen ist. 13. Sonderregelungen und Ausnahmetatbestände Für das Fürsorgekonzept des Kurfürstentums Trier ist charakteristisch, dass die Grundlinien der Versorgungsvergabe durch einige Ausnahmetatbestände aufgebro112 Die Zuständigkeit für die Kontrolle fremder Armutsbescheinigungen ergibt sich aus dem Verweis der Armenordnung auf die Regelungen zu den Pilgern. 113 Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 83.
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chen sind. Betreffend die Ausnahmen beim Ausschluss Fremder von der Versorgung ist dies bezüglich der Pilger und der Armen benachbarter Herrschaften bereits dargestellt worden. Diese Ausnahmen sind reichsrechtlichen Vorgaben ebenso geschuldet wie der Wirksamkeit christlich geprägter Unterstützungsvorstellungen. Stellen diese bereits dargestellten Ausnahmen nur Modifikationen inkludierender bzw. exkludierender Kriterien dar, handelt es sich bei den nun folgenden Tatbeständen um Ausnahmen von der eigentlichen Kernregelung der Armenordnung: Die Abschaffung des Bettels als Versorgungsform. Die Durchbrechung des Bettelverbots ist indes keine allein für katholische Territorien charakteristische Typik. Für die zeitgenössischen Städteordnungen lassen sich vergleichbare Durchbrechungen nachweisen, beispielsweise in der Nürnberger Armenordnung vom September 1522. Dort findet sich in Punkt 3 bei sonst vollständigem Bettelverbot die Erlaubnis, an „aller hayligen und alle seelen tag, die ynem jeden, er sei burger oder gast, des offentlichen Bettelns halben frey sein, wie mit alter herkummen ist“.114 a) Ausnahmetatbestand für arme Schüler Das generelle Bettel- und Versorgungsverbot für alle arbeitsfähigen Untertanen des Kurfürsten wird für bedürftige Schüler aufgebrochen. Unter der Voraussetzung einer Bescheinigung des Lehrers über ihre Armut und des Tragens des für alle sonstigen Armen auch gebräuchlichen Zeichens ist es diesen Schüler gestattet, dass sie sich der Almosen „wie von alters und gleich anderen gebrauchen“ dürfen.115 Die von Alters hergebrachte Form ist dabei das Singen in den Straßen um Almosen, also der mit Gesang unterlegte Bettel der Schüler.116 Angesichts des ausdrücklichen Verweises der Armenordnung auf die traditionelle Bitte der Schüler liegt darin eine Durchbrechung des Bettelverbots. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es sich um eine Sonderform des Bittens handelt. Die Ermöglichung des direkten Kontakts zwischen Bedürftigem und Spender rechtfertigt es, anders als zuvor bei der Analyse der zulässigen Versorgungsform, von einer begrenzten Durchbrechung zu sprechen. Diese Ausnahmeregelung bedeutet indes keineswegs eine Änderung der zuvor getroffenen Wertungen. Sie lässt sich auch in anderen Armenordnungen finden, die ebenfalls grundsätzlich den Bettel als Versorgungsform abgeschafft haben. Die Ausnahmeregelung für arme Schüler ist bereits aus dem Lindauer Reichsabschied von 1497 bekannt, dort allerdings noch in der Gestalt, dass für Bedürftige generell der Bettel noch zulässige Versorgungsform ist.117 Die Sonderstellung der armen Schüler lässt sich darüber hinaus für zahlreiche Stadtordnungen in den 1520er Jahren bele-
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Winckelmann (1912/13), S. 265. Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 85. 116 Kreiker (1997), S. 174, 180. 117 Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 82 f. Die Begünstigung armer Schüler greift das Scholarenprinzip des Lindauer Reichsabschieds von 1497 auf, vgl. hierzu Battenberg (1991), S. 45. 115
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gen,118 während sich für die Leisniger Kastenordnung ein Verbot des Bettels für Schüler nachweisen lässt.119 Wie der Abgleich mit den Regelungen der Leisniger Kastenordnung und der Nürnberger Almosenordnung zeigt, ist mit der Formulierung „wie von alters her“ der Bettel als Versorgungsform für die Schüler in den oben dargestellten engen Grenzen zugelassen. Während die – insoweit detailliertere – Würzburger Armenordnung von 1533 zumindest noch den Zugang zu Almosenausgaben für die Schüler enthält, wird etwa in der Leisniger Kastenordnung für auswärtige Schüler von vorneherein klargestellt: „Will aber yemand yn die schule bey uns gehen, der mag ym selbst seine kost und narung verschaffen“. Die Durchbrechung des Bettelverbots führt jedoch nicht dazu, dass in Kurtrier die Gruppe der armen Schüler überhaupt nicht von der Neugestaltung des Armenwesens erfasst würden. Auch sie müssen ein Armutszeichen tragen, welches allerdings anders als die übrigen Unterstützungsberechtigten die Schüler zum Singen um Almosen zulässt. Ein Grund für diese Ausnahme kann letztlich in der überschaubaren Anzahl der hierfür in Frage kommenden Kinder zu sehen sein, wie sich aus den ähnlich gelagerten Regelungen der Reichsstädte ergibt, die eine Begrenzung der Anzahl vorsehen. Zudem zeigt gerade an dieser Stelle der Vergleich mit protestantischen Territorien, dass es auch dort Ausnahmeregelung für den Bettel von Schülern in den Folgejahren gibt.120 b) Ausnahmetatbestand für Bettelorden Eine Sonderstellung innerhalb der Ausnahmeregelungen nehmen die Bettelorden ein. Die „vier orden und andere geistlichen“ sind zu den Almosen ebenfalls „wie von alters und gleich andern gebrauchen zugelassen.121 Die gewöhnliche Form des Almo-
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So etwa in der Nürnberger Armenordnung von 1522 in Winckelmann (1912/13), S. 267 f.; Armenordnung Augsburg 27. 3. 1522 in Strohm/Klein (2004), Bd. 2, S. 52 ff., hier 55; Straßburger Armenordnung vom 29. 9. 1523 in Strohm/Klein (2004), Bd. 2, S. 80 ff., hier S. 84. 119 Leisniger Kastenordnung 1523 in Strohm/Klein (2004), Bd. 2, S. 34. Auch das Edikt Karls V. für die spanischen Niederlande vom 7. 10. 1531 enthält keine Ausnahme für arme Schüler, vgl. Strohm/Klein (2004), Bd. 2, S. 159 ff. In der weiteren Entwicklung lassen sich weitere Beispiele finden, bei denen es zwar zur Zusicherung von Versorgungsleistungen für arme Schüler kommt, der Bettel als Versorgungsform aber nicht zugelassen ist. Ein weiteres Beispiel hierfür sind die Wittenberger Kastenordnung von 1522 in Strohm/Klein (2004), Bd. 2, S. 17 ff., hier S. 18, und die Würzburger Armenordnung von 1533 in Strohm/Klein (2004), Bd. 2, S. 167 ff., hier S. 174. 120 Vgl. Kreiker (1997), S. 173 ff., 184 ff. Das Singen um Almosen ist wird dort sogar als Möglichkeit der Jungen gedeutet, sich selbst zu versorgen. 121 Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 85. Gemeint sind mit den vier Orden die Mendikantenorden der Franziskaner, Dominikaner, Augustiner und Karmeliter. Die Nennung dieser Orden unter dem Oberbegriff lässt sich für Trier nachweisen, vgl. beispielsweise QRW I, S. 69. Dass es sich um diese vier Orden handelt, legt auch der inhaltliche Zusammenhang der Ausnahmeregelung mit der Auseinandersetzung um die Yperner Ordnung nahe. In der Trierischen Kronik 1823, S. 143, werden als die vier Orden auch die Karmeliter, Dominikaner und Augustiner gefasst, jedoch werden statt der allgemeinen Bezeichnung „Franziskaner“ deren Untergliederung, die Minoriten, genannt.
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senerbittens durch die Bettelorden ist das Terminieren.122 Damit ist das generelle Bettelverbot für eine weitere Sondergruppe aufgebrochen. Anders jedoch als bei allen sonstigen Ausnahmeregelungen stehen die Mendikantenorden bei der Zulassung zu den Unterstützungsleistungen nicht unter der Verpflichtung, in Armenlisten geführt zu werden und ein Almosenzeichen zu tragen. Augenscheinlich haben sich die im Urteil der Sorbonne zur Yperner Armenordnung berücksichtigten Bedenken der Mendikantenorden gegen ein mögliches vollständiges Bettelverbot in der Kurtrierer Verordnung niedergeschlagen. Als Vorlage drängt sich damit umso mehr die Verordnung Karls V. für die spanischen Niederlande von 1531 auf. Dort sind ebenfalls als Reaktion auf das Urteil der Sorbonne die religiösen Bettelorden vom Bettelverbot ausgenommen und zu der gewohnten Art und Weise der Almosensammlung zugelassen.123 Die jüngste Entwicklung in den Niederlanden erweist sich damit als wirkungsmächtiger als die noch in den Reichsabschieden der Jahrhundertwende geforderte Regulierung des Terminierens der Mendikanten.124 Betrachtet man das generelle Bettelverbot und die Kontrolle der Almosenzuteilung, so stehen die Bettelorden außerhalb der Kernregelungen der Verordnung. Gerade im Gegensatz zu den Bettelverboten in den protestantischen Kirchen- und Kastenordnungen wie in Wittenberg, Leisnig oder Zürich ist hier die Fortexistenz des religiösen Bettels normativ abgesichert.125 Anders als in Bezug auf den territorialstaatlichen Regelungsanspruch, die Zentralisierung der Armenfürsorge oder die Abschaffung des Bettels als Versorgungsform ist hierin der große Unterschied zu sehen zwischen den katholischen und den protestantischen Armenordnungen. Die notwendige Abgrenzung zu protestantischen Obrigkeiten geschieht sowohl bei dem Edikt Karls V. als auch in Kurtrier durch die deutliche Betonung der Verdienstlichkeit des Almosens, der Wahrung der Kontinuität der christlichen Nächstenliebe und der Sicherung der Existenz von religiös motivierten Sondertatbeständen. Zwar enthält die Kurtrierer Verordnung keinen gesonderten Verweis auf die Entscheidung der Sorbonne, wie sie in dem Edikt Karls V. enthalten ist, die Parallelität der Regelungen gibt indes Aufschluss darüber, dass es sich insoweit um für altgläubige Herrscher unabdingbares Elemente der Fürsorgereform handelt. Der Delegitimierung der Bettelmönche in der zeitgenössischen Wahrnehmung und den strikten Verboten in den reformierten Stadtordnungen entgegen wird in den katholischen Territorien die Garantie der Fortexistenz ihrer hergebrachten Lebensweise gegeben.126
122 Vgl. zur Erklärung der Begriffe ,Stationierer‘, ,Quästionierer‘ und ,Terminieren‘ LThK II, Sp. 341 (Bettelorden); Uhlhorn (1895), S. 495. 123 Verordnung für die spanischen Niederlande 1531 in Strohm/Klein (2004), Bd. 2, hier S. 160. 124 Vgl. zur Reichsgesetzgebung die obigen Ausführungen zu Zweiter Teil, G. 125 Strohm/Klein (2004), Bd. 2, S. 18 (Wittenberg) und S. 34 (Leisnig), S. 105 (Zürich). 126 Zur Delegitimierung der Bettelmönche vgl. Ocker (1999), S. 130 ff., insbesondere S. 145 ff.
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c) Ausnahmetatbestand für Sieche Ebenso wie den geistlichen Orden ist den armen Feldsiechen, „armen veltsichen“, gestattet, sich der Almosen wie von alters her zu bedienen. Die Siechen unterliegen bereits einer äußerlich erkennbaren Kennzeichnungspflicht,127 die mit der Berechtigung zum Almosenempfang einhergeht und damit im Ergebnis der neu eingeführten Kennzeichnung der anderen Almosenberechtigten entspricht. Aus dem bereits zuvor dargestellten Zusammenhang der kurtrierischen Armenordnung mit dem Edikt Karls V. ergibt sich ebenfalls, dass die bisherige Kennzeichnung der Siechen dem neuen Armenzeichen gleichgestellt wird. In gleicher Weise wie die Tätigkeit der Bettelorden ist die Sorge für die Siechen ein verdienstliches Werk. Zudem besteht über die Siechenpflege der Bettelorden, insbesondere der Karmeliter, eine Verbindung zum Ausnahmetatbestand der Bettelorden.128 Im Unterschied zu den Bettelorden lässt sich die Ausnahmeregelung für die Feldsiechen nicht als vollständige Herausnahme dieser Gruppe aus dem Anwendungsbereich der Norm deuten, da zumindest die Kennzeichnungspflicht gegeben ist. Meist sind auch in den Städten den Siechen besondere Orte zur Sammlung der Almosen zugewiesen. Eine vergleichbare Regelung ist im Fürstbistum Würzburg überliefert, welche den Siechen zwar das Ersuchen um Almosen weiterhin „wie von Alters her“ erlaubt, jedoch streng auf die bisher gebräuchlichen Stellen festlegt.129 14. Geltungsdauer / Strafvorschriften / Schlusskatalog Die Verordnung stellt das Zuwiderhandeln gegen die getroffenen Regelungen unter Strafe: „und umb sein überfarung nach gelegenheit unableßlich gestrafft werden“.130 Erfasst sind ausdrücklich der Verstoß gegen das Bettelverbot und die unberechtigte Nutzung der Almosen durch Vorspiegelung unzutreffender Tatsachen. Ebenfalls stehen Veräußerung und Weitergabe des Armenzeichens an einen anderen unter Strafe, was sowohl in dem für das Armenzeichen einschlägigen Abschnitt, als auch in der Schlusspassage festgestellt wird. Zuständig für die Bestrafung sind die örtlichen Obrigkeiten und die kurfürstliche Regierung. Für die unberechtigte Einreise
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Zu den allgemein geforderten Merkmalen gehören Hüte, Handschuhe, Mäntel und andere Kennzeichen. Hierauf nimmt das Edikt Karls V. ebenfalls Bezug, vgl. Strohm/Klein (2004), Bd. 2, S. 160. Einen Hinweis auf die Verhältnisse in Kurtrier liefert die Verordnung von 1591, die auf die bestehenden Kennzeichen der Siechen bei Almosenerbitten hinweist, Leprosenordnung vom 17. 11. 1591 in Scotti, Trier I, S. 550 – 554 (Nr. 151), QRW I, S. 542 – 544. Zum Aspekt der Aussonderung siehe Uhlhorn (1895), S. 392 ff.; Uhrmacher (2006), S. 152 ff. 128 QRW I, S. 69. 129 Armenordnung der Stadt Würzburg von 1533 in Strohm/Klein (2004), Bd. 2, S. 167 ff., hier S. 174. 130 Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 85.
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fremder Bettler in das Territorium ist alleine die Ausweisung verfügt, solange kein Verstoß gegen das Bettelverbot vorliegt.131
15. Bestätigung der Normkompetenz in der Schlussformel Dass die erste Verordnung auf dem Gebiet der Fürsorge den endgültigen Griff nach der ausschließlichen Normkompetenz bedeutet, wird in der Schlussformel überdeutlich: „und haben uns für und außbehalten, diese unsere ordnung nach gelegenheit der zeit und zufeliger sachen gantz oder zum theill wieder aufzuheben, zu enderen, zu meren und zu mindern, wie unß für gut ansehen und die nottufft erfordern wirdet.“ Damit ist klar, dass niemand außer dem Kurfürsten als Träger der weltlichen Gewalt im Territorium die Befugnis besitzt, über die Organisation der Fürsorge durch Gesetz zu entscheiden. Wie sich bereits in dieser Verordnung zeigt, gleicht sich die territorialstaatliche Gesetzgebung an die zeitgenössischen Verhältnisse an, bzw. ist auf Augenhöhe mit der Entwicklung. Die Besonderheiten, welche die Armengesetzgebung des geistlichen Kurfürstentums weiterhin beschäftigen werden, sind der Umgang mit den Mendikantenorden und die Gestaltsänderung des Almosens.
III. Auswirkungen der Fürsorgegesetzgebung von 1533 Die Bettel- und Almosenordnung von 1533 bleibt die einzige territoriale Norm im 16. Jahrhundert, die sich umfassend mit der Fürsorgeorganisation befasst. Die Frage nach der Umsetzung und Weiterführung der charakteristischen Merkmale – grundsätzlicher Ausschluss Fremder und Arbeitsfähiger von der Versorgung und entsprechende repressive Maßnahmen, das generelle Bettelverbot, die Zulassung zu Versorgungsleistungen auf der Ebene der Pfarrgemeinden und Kommunen – lassen sich nur in Einzelpunkten nachweisen. Auf territorialstaatlicher Ebene finden sich lediglich für den Bereich der repressiven Maßnahmen gegen Fremde und Umherziehende einige Verordnungen. Für die Fürsorge im engeren Sinne einschlägige Normen lassen sich dagegen nur auf der Ebene der Hospitals- und Stadtordnungen antreffen. Die Regelungen zu den Hospitälern sind im Zusammenhang mit der Umsetzung der „formula reformationis“ Karls V. vom 9. 7. 1548 zu sehen, die auch im Kurfürstentum Trier umgesetzt wurde.132 In dieser an die geistlichen Reichsstände gerichteten Norm ist der Sicherung und der Kontrolle der Hospitalverwaltung ein besonderes Augenmerk geschenkt. Hinsichtlich der Umsetzung der Vorgaben der territorialen Armenordnung ist dementsprechend zu fragen, inwiefern die Stadtordnungen oder Hospitalordnungen die 1533 getroffenen Regelungen aufgreifen oder ihnen zuwiderlaufen. Dies soll 131 Die Armenordnung fasst dies in die Formulierung: „und ob sich etliche darüber heimlich inschleiffen würden, dieselbigen widerumb zurück gewisen“. Vgl. Armenordnung vom 1. 7. 1533 in Blattau, Statuta II, S. 82. 132 Vgl. die Darstellung im Sachzusammenhang mit der kurkölnischen Synodalgesetzgebung in Dritter Teil, B., II.
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an einzelnen Beispielen nachvollzogen werden. Die Auswahl der Beispiele orientiert sich anhand der Überlieferungslage und greift die Stadt Trier als eine der beiden größten Städte im Kurfürstentum heraus.
IV. Repressive Maßnahmen gegen Fremde und Umherziehende Eine der Grundannahmen der Reorganisation des Fürsorgewesens im Jahr 1533 ist, dass durch die Begrenzung bzw. den Ausschluss von Fremden von den Fürsorgemöglichkeiten die Versorgungslage für die Einheimischen sichergestellt sei. Obgleich anfangs noch nicht unmittelbar damit verbunden, weisen die Maßnahmen gegen fremde umherziehende Personengruppen Parallelen und Zusammenhänge auf mit den repressiven Maßnahmen gegen die Zugriffe fremder Untertanen auf die Fürsorgekapazitäten des Kurfürstentums. In der weiteren Entwicklung verbinden und überlagern sich Gefahrabwehr und die Sicherung der Versorgung. Beispielhaft für diese Entwicklung, die in Kurtrier in diesem Umfang erst später eintreten wird, ist das Edikt Karls V. für die spanischen Niederlande von 1531. Dort stehen umherziehende Händler unter dem Verdacht des unberechtigten Bettels, werden umherziehende Fremde der Kontrolle und Ausweisung unterworfen und die Gaststätten als Stätten von Müßiggängern und Spieler reguliert.133 1. Repressive Maßnahmen als Reaktion auf Notzeiten Die Gesetzgebung gegen das herrenlose Gesindel, wie es als Obergriff in den Normen heißt, weist eine reichsweit nahezu gleichartige Entwicklung auf.134 Im Kurfürstentum Trier ergeht im Juli 1544 ein kurfürstliches Mandat gegen das Umherziehen von Zigeunern und Wiedertäufern.135 Zwar stehen diese noch nicht unmittelbar im Zusammenhang mit der Armenfürsorge. Jedoch weist das Mandat die Zuständigkeit für Kontrolle und Bestrafung dieser Personen den Städten und den dort ansässigen Amtleuten zu. Damit kommt denselben Vertretern der kurfürstlichen Herrschaftsgewalt, denen auch die Kontrolle und Ausweisung fremder almosensuchender Personen 133 Edikt vom 7. 10. 1531 in Strohm/Klein (2004), Bd. 2; S. 161 ff. Vgl. zur Kriminalisierung der fahrenden Händler Schubert (1988), S. 139 ff.; Schubert (1990), S. 234 ff. 134 Zur Entwicklung des Typus des „herrenlosen Gesindels“ vgl. Schubert (1988), S. 114 ff. Zur Entwicklung im 18. Jahrhundert vgl. Ammerer (2003b), S. 98 ff., 104 ff.; Härter (2005), S. 930 ff. 135 Mandat vom Juli 1544 in Scotti, Trier I, S. 318 f. (Nr. 76); Hontheim, Hist. Trev. II, S. 701. In dem „Zettel“ findet sich auch der Vorwurf gegenüber den Zigeunern, dass es sich bei diesen um „der Christen verspeher gegen dem Türcken“ handele. Weder den Widertäufern noch den Zigeunern ist der Aufenthalt im Erzstift gestattet, bei Zuwiderhandeln sind diese rechtlos gestellt: „alsdan hand an sie legen; mit dem sullet ir nit freveln, oder mißhandelen, sonder recht und woll thun“.
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obliegt, eine weitere Aufgabe in diesem Bereich zu.136 Am 8. 5. 1551 ergeht aus Anlass eines Straßenraubs der Befehl an alle Städte im Erzstift, auf verdächtige „Gaengeler und Korbträger“ zu achten und diesen ohne ausreichende Ausweisung ihres Gewerbes keinen Aufenthalt zu gewähren und keine Beherbergung zuzulassen.137 Wie die weitere Entwicklung ergeben wird, verbinden sich die Gefahrenzuschreibung von mobilen Kleingewerbetreibenden und fremden Bettlern. Die repressiven Maßnahmen gegen fremde, umherziehende Personengruppen werden am 10. 5. 1587 auf die herumziehenden Gartknechte ausgeweitet.138 Anlass dieses an die Amtleute gerichteten Befehls ist das Umherziehen von Gartknechten, die „den armen Leutten, bei diesen schweren Hungerszeiten, zum höchsten überlestig“ sind und die öffentliche Sicherheit gefährden. Um der Gefahr zu begegnen, dass durch die Gartknechte dem „armen Man mit Abforderung oder Abnehmung des geringsten“ geschadet wird, werden Kontrollen und die Gefangennahme verdächtiger Personen angeordnet. Hier zeigt sich, dass es dem Gesetzgeber in Notzeiten verstärkt auf Abwehrmaßnahmen gegen mobile Personengruppen ankommt. Bemerkenswert ist die Anweisung zur Kosten- und Lastenverteilung dieser Maßnahmen. Hierdurch sollen nicht die Untertanen belastet werden, sondern es sollen „unser Diener von Hauß auß, und Einspennige in deinem Ambt gesessen, zusambt deinen [des Amtmanns] Diener“ hierzu herangezogen werden. Am 18. 12. 1599 ergeht eine Anweisung zur Verhaftung der umherziehenden „gartenden Knechte und Gengeler“ an alle Lokalbehörden.139 Hinzugezogen bei Vollstreckung des Befehls ist der Reiterhauptmann, der die Ordnung in den Ämtern wiederherstellen soll.
2. Ausweitung der Aufgaben der Amtleute und Städte Insgesamt ist eine Ausweitung der Aufgaben der Amtleute und Städte bei der Abwehr umherziehender Personengruppen festzustellen. Auffällig ist dabei, dass der Schutz der Bevölkerung vor weiterer Bedrängnis in Hungerszeiten und vor Straftaten besonders betont wird. Im Ansatz erkennbar ist die Zusammenfassung unterschiedlicher Arten von Umherziehenden in einer Norm. Hier ist der Boden bereitet für die spätere Ausdehnung der Kompetenzen der kurfürstlichen Amtmänner zur Verfolgung Vagierender unter dem rechtfertigenden Motiv der Sicherung der Versorgungslage der eigenen Untertanen. 136
So wird in der Stadtordnung von Trier vom 13. 6. 1580 in Punkt 37 die Befugnis zur Verhaftung von Fremden den örtlichen Amtsträgern zugewiesen. Ferner wird in Punkt 47 die Zuständigkeit der „bürgerlichen Strafen“ für kleinere Ordnungs- oder Polizeivergehen dem Statthalter zusammen mit dem Bürgermeister zugeordnet. Weiterhin finden sich Ausführungen zur Formulierung des Schwurs der Urfehde in Punkt 48, vgl. Scotti, Trier I, S. 509 – 519 (Nr. 123). Entsprechendes findet sich beispielsweise auch im Limburger Stadtbuch von 1548. Dort wird die Aufsicht über fremde Bettler dem „Zuchttmeister“ zugewiesen, der dafür sorgen soll, dass keine fremden Bettler sich über Nacht in der Stadt aufhalten, vgl. Eiler (1991), S. 90. 137 Befehl vom 8. 5. 1551 in Scotti, Trier I, S. 343 f. (Nr. 86). 138 Befehl vom 10. 5. 1587 in Scotti, Trier I, S. 529 f. (Nr. 137). 139 Anweisung vom 18. 12. 1599 in Scotti, Trier I, S. 578 (Nr. 166).
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V. Umsetzung der „formula reformationis“ Während die Armenordnung von 1533 lediglich rudimentäre Vorgaben zur konkreten Hospitalsverwaltung gibt und es dabei hauptsächlich bei der Ermahnung an den Stiftungszweck und bei dem Gebot zur Beachtung der Almosenzeichen belässt, wird 1548 die auf dem Reichstag in Augsburg beschlossene „formula reformationis ecclesiasticae“ Karls V. auch in Kurtrier umgesetzt.140 Ausgangspunkt der Regelungen ist ebenfalls die Ermahnung an die Wiederherstellung der ursprünglichen Stiftungszwecke. Die ursprüngliche Widmung des „Quartum“ für die Armen sei nun zweckentfremdet und vernachlässigt, was eine Sünde und schwerere Unfrömmigkeit darstelle. Nach dem Vorbild der Kirchenväter gehöre es daher zur Pflicht der Bischöfe, die Hospitäler zu renovieren und zu bewahren. Durchaus parallel zu den Vorgaben der kurtrierischen Armenordnung von 1533, wenn auch der Hinweis auf das Almosenzeichen gänzlich fehlt, ist die Beschreibung des berechtigten Personenkreises. Aufzunehmen und zu versorgen sind nur Witwen, Waisen und die wahren Armen, jene die sich nicht selbst den Lebensunterhalt verschaffen können.141 Fremden ist nur ein kurzfristiger Aufenthalt zur Wiederherstellung der Gesundheit zu gewähren. Angemahnt wird insofern auch entsprechend den Vorgaben der Reichspolizeiordnung eine ordentliche Verwaltung mit jährlicher Rechnungslegungspflicht. Ebenfalls gemeinsam ist die Amtsdauer des Aufsehers über die Hospitäler, die ein Vierteljahr beträgt. Diese Amtszeit entspricht der 1533 angesetzten Amtszeit für die kurtrierischen Almosenkastenverwalter. Die Oberaufsicht kommt dem Bischof zu. Zwar wird wiederum betont, dass die Sorge für das geistige Wohl über derjenigen für den Körper steht,142 die eigentlichen Regelungen betreffen indes nur die diesseitige Form der Versorgung. Im Endergebnis stimmen die Vorgaben der „formula reformationis“ mit denen der Kurtrierer Armenordnung überein, insbesondere was den unterstützungsberechtigten Personenkreis betrifft. Im Bereich der Hospitalsverwaltung enthält die „formula reformationis“ weitere detaillierte Vorgaben.
140 „Formula reformationis“ vom 9. 7. 1548 in Blattau, Statuta II, S. 128 ff., insbesondere S. 131 (Umsetzung in Köln, Mainz und Trier) und 144 f. (zu den eigentlichen Regelungen). Marx bezweifelt zwar die Umsetzung und führt dies auf die Existenz des Papstmandats 1480 und dessen entsprechende Regelungen, vgl. Marx (1859), I/2, S. 268. Er vermutet darüber hinaus auch den Verfall der Hospitäler als Ursache der mangelnden Umsetzung, ohne dies jedoch nachzuweisen. Die Ausführungen von Marx gehen jedoch fehl, was sich neben der klaren Aussage bei Blattau aus dem Umstand ergibt, dass die „formula reformationis“ durch den Kurfürsten Johann von Isenburg am 30. 10. 1548 promulgiert wird, ihr also für das Kurfürstentum Gesetzeskraft verliehen wird, vgl. Gatz (1990), S. 325. 141 „Formula reformationis“ vom 9. 7. 1548 in Blattau, Statuta II, S. 144; vgl. auch Wolgast (2005), S. 354. 142 „Formula reformationis“ vom 9. 7. 1548 in Blattau, Statuta II, S. 145. Bildlich gefasst in der Aufforderung bei Erkrankung, die das Herbeiholen eines Arztes erfordert, zuerst den für die Seele Zuständigen zu rufen, dann den Arzt heranzuziehen.
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1. Hospitalsordnungen im Vergleich zur „formula reformationis“ Die jährliche Rechnungslegung ist im Kurfürstentum in zahlreichen Hospitalsordnungen niedergelegt schon vor der „formula reformationis“. Die Sicherung der Einnahmen des Hospitals ist bereits Ziel der Limburger Stadtordnung von 1514. Dort wird die Erzielung der dem Hospital zustehenden Gefälle angemahnt. Die Kontrolle der Hospitalsverwaltung und die Verpflichtung zur Rechnungslegung werden in der 1537 entstandenen Limburger Stadtordnung erneut betont. Zudem werden die Hospitalvorsteher an ihre Fürsorgeverpflichtung zum Besten der Armen erinnert. Zuständig zur Aufsicht sind der kurfürstliche Amtmann, der Kellner und die Limburger Stadträte. Die erzielten Überschüsse sollen durch den Hospitalverwalter „zum besten nutz unnd urbar des hospitals“ angelegt werden.143 Die Buchführungspflicht entspricht dabei im Wesentlichen den entsprechenden Regelungen der Armenordnung von 1533 für den Almosenstock. 2. Situation der Trier Hospitäler Für die Residenzstadt Trier lassen sich ähnliche Ergebnisse nachweisen. In der Stadtordnung von Trier von 1550 ist die Rechnungspflicht der Hospitalsverwalter ausführlich niedergelegt.144 Die Vorschriften des Statutenbuches sehen eine umfassende Inventarisierung sämtlicher Einrichtungsgegenstände und Einkünfte vor.145 Dem Spitalsmeister sind zu diesem Zweck zwei Personen an die Seite gestellt, welche bei der Kontrolle des Nahrungsmittelsvorrats, der Verwendung der dem Hospital gehörenden Weingüter und des Gespannes mitwirken. Der Untermeister des Hospitals ist zur monatlichen schriftlichen Berichtspflicht über den Bestand verpflichtet, wobei der Bericht dem Rat vorzulegen ist. Die Hospitalsverwalter sind dem Wohl der Armen und Kranken verpflichtet und haben für die Unterbringung und Versorgung fremder Pilger zu sorgen. Zwar findet sich kein Bezug auf das 1533 eingeführte Almosenzeichen, jedoch ist vor Aufnahme von Pilgern der Obermeister oder insbesondere der Rat um seine Genehmigung zu fragen. Die Verwalter werden bei der Führung ihrer Amtsgeschäfte an ihre Verpflichtung gegenüber Gott und den Menschen erinnert, was bereits von der Argumentation der Verordnung 1533 bekannt ist. Die Verteilung der Almosen an Bürger oder deren Kinder, die durch Krankheit oder Unfall in Armut geraten sind, soll den jeweiligen Umständen entsprechend erfolgen. In der in den Folgejahren entstandenen Ordnung der Trierer Ämter finden sich weitere Ausführungsvor143 Die Limburger Stadtordnung vom 28. 8. 1514 findet sich bei Eiler (1991), S. 133 ff., hier S. 135. Die Limburger Stadtordnung vom 25. 8. 1537 findet sich ebda., S. 138 ff., hier zur Hospitalsverwaltung Punkt 9 auf S. 143. 144 Stadtordnung Trier 1550 in Trierische Kronik 5, S. 27 – 29, 45 – 48, 55 – 62, 139 – 145; QRW I, S. 44 – 58. Die Stadtordnung selbst ist nicht genau zu datieren, sie ist zwischen den Jahren 1540 und 1550 entstanden. In der Sammlung der QRW sind einige in diesen Jahren vorgenommene Änderungen enthalten. 145 Stadtordnung Trier 1550 in Trierische Kronik 5, hier S. 46; QRW I, hier S. 48 f.
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schriften, die detailliert die einzelnen Aufgaben beschreiben.146 Als Ergebnis bleibt festzuhalten: Die grundlegenden Vorgaben der „formula reformationis“ sind bereits vor deren Erlass in den wesentlichen Zügen im Kurfürstentum Trier umgesetzt. Auch die Regelungen der Armenordnung von 1533 liegen auf einer Linie mit den Anforderungen der „formula reformationis“.
VI. Trierer Stadtrecht von 1550 Die Kernregelungen der Armenordnung des Kurfürsten sind jedoch nicht im Stadtrecht von Trier 1550 nachzuweisen. Es fehlt zunächst an der Überlieferung des für Bettler und Müßiggänger relevanten Teils.147. Demgemäß fehlt es an Hinweisen auf die Einrichtung von Almosenkästen auf der Pfarrgemeindeebene. Zumindest nicht gegen die Prinzipien der Armenordnung von 1533 verstoßen die Anordnungen zur Behandlung fremder Pilger. Diesen ist der Aufenthalt nur für einen Tag gestattet und die Versorgung mit Almosen auf den notwendigen Pilgerweg. Zwar sollen die Pilger durch den Obermeister des Hospitals überprüft werden, es fehlt jedoch die Forderung des Nachweises einer Pilgerbescheinigung. Letztlich läuft die vorherige Kontrolle gleichwohl inhaltlich auf die 1533 beabsichtigen Ziele hinaus. Ebenso entsprechen die Kriterien zur Zulassung zu den vom Hospital verteilten Almosen durchaus den Vorgaben der kurfürstlichen Verordnung. Die wöchentliche Almosenausteilung soll an die in Armut geratenen Bürger oder Bürgerskinder erfolgen, die durch Krankheit, Unfall oder sonst in Armut und Versorgungsunfähigkeit geraten sind. Es fehlt wiederum an einem Eingehen auf den Eintrag in eine Armenliste und das Vorhanden146 Ordnung der Trierer städtischen Ämter von 1550 in QRW I, S. 59 ff., hier S. 61 f. Inhaltlich ergeben sich keine Abweichungen. Der Spitalmeister ist wie schon 1540 gefordert, dem Rat Rechenschaft schuldig über den Bestand des Hospitals an Gütern, die im Einzelnen benannt werden. Der Spitalsmeister ist durch sein Amt der Stadt und den Armen „zu nutz und gutem“ verpflichtet. Zur Aufgabe des Hospitals gehört es, die Armen und Kranken durch die Leistungen des Hospitals zu versorgen. Für das Personal des Hospitals ist vorgeschrieben, dass diese unverheiratet sein sollen. Dies könnte angesichts der Schwierigkeit der Versorgungslage für Alleinstehende auch als indirekte Unterstützung zu sehen sein, vgl. zu ähnlichen Überlegungen Schmidt/Wagner (2004), S. 502. Dem Spitalsmeister zur Seite gestellt ist ein Kellner, der diesem weisungsabhängig und die Funktion eines „huisvatter“ ausübt. Dem Kellnern steht allerdings nicht zu, ohne Wissen des Spitalsmeisters an Almosenbegehrende etwas auszugeben. Der Kellner übernimmt die Leitung der alltäglichen Geschäfte und beaufsichtigt das Dienstpersonal. Über die Ausgaben des täglichen Geschäfts ist der Kellner dem Spitalsmeister Rechenschaft schuldig, was er durch einen Eid gegenüber dem Rat beschwört. Für die Herstellung von Backwaren ist ein Beckerknecht zu bestellen, der für das Mahlen des Getreides, das Backen und die Weine und Früchte zuständig ist. Der Spitalsmeister ist angehalten über den Verbrauch Rechnung zu legen, den Verbrauch sparsam zu gestalten und dem Rat jeden Monat die vier Wochenrechnungen vorzulegen. Zusätzlich besteht auch eine Jahresrechnungspflicht. Der Spitalsmeister ist darüber hinaus für die folgenden Aufgaben zuständig: Einstellen von Tagelöhnern, Übergabe des Vorrat an den Nachfolger, Monatliche Rechnungsbegleichung mit den Handwerkern. Die Entlohnung des Spitalsmeisters beträgt 40 fl. 147 Dies gilt sowohl für die Sammlung der QRW als auch für die Trierische Kronik.
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sein eines Almosenzeichens. Gemeinsam ist allen Regelungen, dass sie zwar die Neuerungen der Verordnung von 1533 hinsichtlich Erfassung und Kontrollmechanismen sowie der Finanzierung in dieser Form nicht übernehmen. Dennoch sind bezüglich der Kriterien für die Versorgungswürdigkeit und der Kontrolle fremder Unterstützungssuchender Ähnlichkeiten erkennbar. Zu berücksichtigen ist bei der Frage der Umsetzung der kurfürstlichen Verordnung in der Stadt Trier, dass sich bereits während der Regierungszeit des Kurfürsten Johann von Metzenhausen der Streit zwischen Stadt und Kurfürst um die Reichsunmittelbarkeit anbahnt und die Umsetzung territorialstaatlicher Normen dadurch gehemmt wird.148 Den mit Blick auf die Verwaltung der Hospitäler und die städtischen Ämter gewonnenen Eindruck stützt auch die Durchsicht der Ordnung für den Siechen- und Leprosenhof bei St. Jost zu Trier.149 Die Ordnung enthält neben Anordnungen zur Überprüfung der Unreinheit, Aussagen zu Versorgungsleistungen für die Erkrankten. Bezeichnend ist, dass der Aufenthalt fremder Siecher verboten wird, um die eigenen Armen ausreichend versorgen zu können. Der Gedanke, dass die vorhandenen Ressourcen nur zur Versorgung der eigenen, einheimischen Siechen ausreichend sind, ist allgegenwärtig. Die Durchreise ist nur für Sieche mit ordnungsgemäßen Papieren zulässig. Die Art und Weise des Almosenempfangs wird für die Siechen eingeschränkt: Die Bitte ist in Demut vor der Kirche in abgesonderter Stellung vorzubringen.150 Bezüglich weiterer Almosensammlung wird auf den bisherigen Brauch verwiesen. Die Verwaltung, insbesondere die Strafkompetenz wird durch den Amtmann und den Abt gemeinsam ausgeübt, bei schwereren Fällen alleine durch den Amtmann. Die geistlichen und weltlichen Stellen sind durch den Befehl des Kurfürsten zur Kooperation verpflichtet. Die Verbindung der beiden Sphären besteht zwar, weist aber der Territorialgewalt den höheren Stellenwert zu. Hier realisiert sich der in der Armenordnung von 1533 ausgesprochene Kontrollanspruch des Territorialstaates, insbesondere wenn man die originäre Zugehörigkeit des Siechenhauses zu den klösterlichen Einrichtungen berücksichtigt.
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Laufner (1988), S. 12 f.; Voltmer (2001), S. 42 ff. Leprosenordnung vom 17. 11. 1591 in Scotti, Trier I, S. 550 – 554 (Nr. 151). Das Siechenhaus St. Jost ist eine Stiftung klösterlichen Charakters der Abtei St. Marien. Die Abtei St. Marien führt bis zur französischen Besetzung 1794 die Verwaltung über das Siechenhaus. 150 Hier zeigt sich, dass die Ausnahme zum generellen Bettelverbot 1533 in Bezug auf die Siechen einen als kleineren klassifizierbaren Bruch darstellt. Das Almosensammeln der Siechen ist frühzeitig eine Sonderform und lässt sich nicht mit den bei den anderen Armen üblichen Bettel vergleichen in Umfang und Art. 149
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VII. Trierer Stadtrecht der 1590er Jahre 1. Situation im Jahr 1591 Erst mit der Einrichtung des städtischen Almosenamtes werden in der Stadt Trier weitere Anstrengungen unternommen, die Fürsorgeorganisation auf kommunaler Ebene weiter auszubauen. Den finanziellen Grundstock bilden Testamente wohlhabender Trierer Bürger, die im Zusammenhang mit den großen Hexenverfolgungen in der Stadt Trier zu sehen sind.151 Das Almosenamt geht denn auch auf eine testamentarische Stiftung des der Hexerei verdächtigen ehemaligen Schöffen und Bürgermeisters Hans Kesten zurück.152 Diese Testamente werden teilweise in der Hoffnung zugunsten der Armen eingerichtet, Schonung in laufenden Verfahren zu erreichen,153 teilweise auch erst nach der Verurteilung.154 Für die Stadt Trier ergibt sich dadurch die Möglichkeit, ohne Rückgriff auf eigene Finanzmittel oder ohne auf andere geringfügigere private Mildtätigkeit angewiesen zu sein, ein städtisches Almosenamt zu schaffen. Durch eine Almosenordnung bindet die Obrigkeit diese finanziellen Ressourcen in einen gesetzlichen Rahmen ein.155 Dabei ähnelt die Organisation zunächst auffallend der Verwaltung des Almosenkastens der Pfarrgemeinden. Unter der Aufsicht der städtischen Obrigkeit sollen zwei Verordnete aus dem Stadtrat die Stiftung verwalten und die Almosen verteilen. Die Amtszeit beträgt im Gegensatz zu dem Vierteljahr der Verordnung von 1533 zwei Jahre für den Amtsmeister bzw. Elemosinierer und drei Jahre für den Schöffen. Diese sind dem Rat und dem Statthalter infolge ihres Amtseids verantwortlich.156 Sowohl die in der Ordnung als unterstützungswürdig Anerkannten als auch die tatsächlich Unterstützten entsprechen den gängigen Unterstützungsvorstellungen.157 Unter-
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Vgl. allgemein dazu Voltmer (2001), S. 77 ff. Ackels (1984), S. 82, 102 f. Eingehender zum Testament des ehemaligen Trierer Bürgermeisters Kestens vgl. Voltmer (2001), S. 82 f. 153 Was zumindest bis zum natürlichen Ableben im Fall des Hans Kesten erfolgreich, vgl. Ackels (1984), S. 78 f., Marx (1859), I/2, S. 123, 133, Voltmer (2001), S. 82. Dagegen war es nicht erfolgreich im Fall Flade Ackels (1984), S. 93, Marx (1859), I/2, S. 139; Voltmer (2001), S. 83. 154 So im Fall Fiedler, der vor seiner Hinrichtung noch eine beträchtliche Summe (100 Taler) stiftete, vgl. Voltmer (2001), S. 94. 155 Vgl. Ackels (1984), S. 79. Der Text liegt als Original in Stadtarchiv Trier StATrier, Akte TA2/1, Armenrechnungen und ist ohne Einleitung transkribiert bei Ackels (1984), S. 102 f. Die Bezeichnung Almosenordnung folgt der von Ackels (1984) u. a. auf S. 102 gewählten Bezeichnung, um Irritationen zu vermeiden. 156 Siehe auch Ackels (1984), S. 79, 102 f., die die möglichen Vorteile einer längeren Amtsdauer – Kontinuität und bessere Sachkenntnis – besonders betont. 157 Unterstützt werden wie auch in der Verordnung von 1533 vorgesehen vornehmlich einheimische Bürger, die unverschuldet in eine finanzielle Notlage geraten sind, vgl. Ackels (1984), S. 87 ff.; 90. Hierunter fallen unbestimmt gehaltene Erkrankungen, die, wie nach aus Ackels (1984) zu schließen ist, auch in den Almosenlisten als „bresthafft“ bezeichnet werden. 152
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stützt werden weitgehend einheimische Arbeitsunfähige, nur in marginalen Ausnahmefällen Fremde.158 Ein Unterschied zu den Vorgaben der Verordnung von 1533 liegt nicht vor. Die Unterstützungswürdigkeit wird durch die Pastoren in Armenlisten festgestellt und jedes Jahr überprüft. Eine Kennzeichnung der Armen erfolgt nicht, wird jedoch 1595 angeregt.159 Der Umfang der Leistungen beschränkt sich zudem auf die Reaktion auf die akute Notlage. Die in der Ordnung vorgesehene Unterstützung zur Erlernung eines Handwerks wird dagegen nur in Ausnahmefällen gewährt.160 Weder die Praxis noch die Ordnung selbst lassen eindeutig werden, inwiefern der Bettel als Versorgungsform verboten ist und damit das Betreffen auf dem Bettel ein von den Fürsorgeleistungen exkludierendes Kriterium ist. Im Gegenteil ist eher anzunehmen, dass ein Bettelverbot im Sinne der Verordnung von 1533 nicht vorliegt.161 Auch die Finanzierung beruht nicht mehr auf ständigen, eher auf kleinen Summen ausgelegten Sammlungen in den Pfarrgemeinden, sondern größtenteils auf den Stiftungen der in den Hexenprozessen Verfolgten und den hieraus erzielten Einkünften.162 Insgesamt lässt auch die Almosenordnung von 1591 keine unmittelbare Umsetzung der Gesetzgebung von 1533 erkennen. Die durch Versorgungsleistungen unterstützten Bedürftigen entsprechen sicherlich den Kriterien der Armenordnung von 1533. Auch die nur ausnahmsweise zugelassene Versorgung von Fremden stimmt damit überein. Die Finanzierungsgrundlage hat sich wesentlich verändert und beruht auf den testamentarischen Stiftungen. Trotz aller Ähnlichkeiten fehlt jedoch eine mit 1533 vergleichbare und eindeutige Umstellung der zulässigen Versorgungsform.
Dazu zählen auch Arbeitsunfähigkeit aufgrund eines Unfalls, Blindheit, Lahmheit, Verkrüppelung oder ansteckender Krankheit wie die Pest. 158 Ackels (1984), S. 90 f., die die Anzahl in 60 Jahren auf acht ausländische Bettler beziffert. Die unterstützen Personen stammen größtenteils aus der Umgebung der Stadt Trier, wie der Blick auf die von Ackels (1984) erarbeitete Karte zeigt, vgl. Ackels (1984), S. 96. 159 Vgl. Ackels (1984), S. 80 mit Verweis auf StAT Ratsprotokolle 1595, fol. 34r. 160 Ackels (1984), S. 99. Zum Vergleich zu den ausführlichen Anweisungen der Stiftung siehe den Text bei Ackels (1984), S. 103. Eine Sonderstellung nimmt die Gruppe der Schüler und Studenten ein. Diese sind nicht ausdrücklich in der Ordnung von 1591 genannt, jedoch durch zahlreiche Einzelstiftungen, nachgewiesen bei Ackels (1984), S. 92 f., bedacht. Unzutreffend ist jedoch der Hinweis, dass 1533 keine Berücksichtigung der armen Schüler erfolgte, vgl. oben Dritter Teil, A., II., 13. 161 Vgl. Ackels (1984), S. 90 f.; 101. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass zumindest mittelbar der Bettel erwähnt ist. Nach den Ergebnissen von Ackels wird nur eine herabgesetzte Unterstützungsleistung bei Einkünften aus dem Bettel gewährt, so dass zumindest mittelbar Betteln Einfluss auf die Unterstützung hat. 162 Vgl. Ackels (1984), S. 80 ff., die diesen Schluss zieht angesichts der Finanzierung der Armenkasse über solche Vermächtnisse. Insbesondere die von Ackels nachgewiesenen bedeutenden Summen legen diesen Schluss nahe. Nichtsdestoweniger treten später noch anders motivierte Spenden hinzu, wie die Stiftung der Witwe Breitscheid, unter der Auflage eines Gottesdienstes zum Jahresgedächtnis.
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2. Statutenbuch von 1593 – 1594 Das Trierer Statutenbuch von 1593 – 1594 enthält weitere einschlägige Regelungen, welche die bereits gewonnenen Eindrücke verstärken.163 Im Rahmen der Statuten für die städtischen Amtsträger werden auch die Aufgaben und Pflichten des Almosinierers, des Hospitalsmeisters und des Bettelvogts beschrieben. Darüber hinaus findet sich noch ein Text mit der Überschrift „Bettelordnung“. Die Ausführungen zum Amt des Almosinierers entsprechen der Ordnung der Almosenstiftung aus dem Jahr 1591, sind jedoch detaillierter.164 Deutlicher gefasst ist die Aufforderung an die Almosinierer die Mittel zum Trost, Besten und Frommen der armen Bedürftigen zu verwenden. Der Bezug zwischen Unterstützung und christlichem Glauben wird durch die Bestimmung des Austeilungstermins an den „vier hohen [christlichen] festen“ (Christi Geburt, Ostern, Pfingsten und Karfreitag) offenkundig. Die Stiftungsgelder sind dabei so auszuteilen, dass kein Bettler begünstigt wird. Unterstützung sollen nur diejenigen erhalten, „die arme, die sich schämen zu betlen und doch bedürftig, so alt, kranck, schwach oder verladen mit vielen kindern, ehrliches, fromen weesens und wandels“ sind und ein Zeugnis des Pastors oder des Statthalters beibringen können. Diese Kriterien stimmen mit denen der Armenordnung von 1533 überein und enthalten überdies auch die Anforderungen in formeller Hinsicht. Zumindest was die Ausgabe von Unterstützungsleistungen durch die institutionalisierte Fürsorge anbetrifft, kann von einer Realisierung der Territorialnorm in der städtischen Verordnung gesprochen werden. Die Almosinierer sind zur jährlichen Rechnungslegung über Einnahmen und Ausgaben verpflichtet. Bezüglich ihrer Amtsführung findet sich erneut der Verweis auf die Verantwortung gegenüber Gott und den Menschen. Die Anweisungen für den Hospitalsmeister und die ihm unterstellten Untermeister und Kellner sind in Bezug auf das bereits zuvor für das Jahr 1591 Dargestellte ohne Änderung geblieben.165 Einheimische Arme sollen bevorzugt versorgt werden und fremde Pilger nur gegen Vorlage eines Zeugnisses zur Übernachtung zugelassen werden. Der Hospitalsmeister ist bei seiner Amtsführung sogleich ermahnt, sie so zu halten, dass „des hospitals nutzen und fromen befördert und sein gewissen nicht hierin beschweret“ sei. Das Statutenbuch betont erneut den Umstand, dass der Hospitalsmeister „ein Gottes lohn verdienen kann“. Der Ermahnung an die Verantwortung vor Gott ist die bereits bekannte Rechenschaftspflicht auf Erden gegenübergestellt. Bemerkenswert ist, dass die Präbender als Hospitalsinsassen an ihre Arbeitsverpflichtung entsprechend den eigenen Möglichkeiten erinnert werden: „weil müßig-
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Abgedruckt ist die Abschrift aus dem Jahr 1678 in QRW I, S. 85 ff. QRW I, S. 92. Vor dem Hintergrund der teilweise aus der Angst vor Verfolgung im Hexenprozess gemachten Stiftungen klingen die Formulierungen „einstiftung etlicher ansehentlicher, guthertziger herren und freunde testamenten merckliche summen geldes besetzt“ beschönigend. 165 QRW I, S. 92 f. (Hospitalsmeister); ebenda S. 123 (Hospitalskellner). 164
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gang ein küssen des teufels“ ist.166 Diese harsche Ablehnung der Arbeitsuntätigkeit und die stete Ermahnung zum Gebrauch der eigenen Arbeitskraft in den katholischen Hospitälern zeigen deutlich, dass auf der semantischen Ebene die Normen in katholischen Territorien keineswegs die Durchsetzung der Arbeitspflicht außer Acht lassen.167 Die Ermahnung an das Ausschöpfen der geringen Arbeitskraft, die mit Ausnahme der eingekauften Pfründner bei der Mehrzahl der Insassen aufgrund der Aufnahmekriterien ohnehin nur vorliegt, erinnert an die Forderungen im Werk von Vives. Was allerdings ebenso wie in den protestantischen Territorien zur Durchsetzung der Arbeitspflicht fehlt, ist ein staatlich organisiertes Arbeitsangebot, wie es das Arbeitshaus darstellen wird. Das bezahlte Amt des Bettelvogts oder Geilermeisters lässt bereits deutlich werden, dass entgegen der Verordnung von 1533 der Bettel anerkannte Versorgungsform ist.168 Zu dem Aufgabenbereich des Vogtes gehört die Ausweisung fremder Bettler, um den Entzug des Almosens zulasten der Trierer Armen zu verhindern. Unterstützung erhält der Bettelvogt durch die Pförtner, welche ihrerseits ebenfalls zur Ausweisung von fremden Bettlern verpflichtet sind. Bei Widerstand sind die fremden Bettler ins „narren- und hundshäusgen“ festzusetzen, nachdem die Genehmigung der Bürgermeister eingeholt ist. Nur für Kranke und Arme, die während der Befragung nachweisen können, dass sie Freunde oder Verwandte besuchen, kommt eine ausnahmsweise zu erteilende und zeitlich begrenzte Bettel- bzw. Aufenthaltserlaubnis in Betracht.169 Arbeitsfähige Bettler, unabhängig davon ob fremd oder einheimisch, sind vom Bettelvogt zur Arbeit zu ermahnen, auch unter dem Hinweis „der straf Gottes“. Falls die dritte und letzte Verwarnung keine Abhilfe bringt, ist der Bettelvogt befugt, die Betroffenen „der gebührlichen Obrigkeit“ anzuzeigen. Eine Vorteilsnahme des Bettelvogtes wird unter willkürliche Strafandrohung des Rates gestellt. Abgesehen von seinen Aufgaben zur Kontrolle des ordentlichen Almosenzugangs und Bettels ist der Bettelvogt verantwortlich für den Zustand und die Sauberkeit der öffentlichen Plätze, die er bei Bedarf zu reinigen hat. Mittelbar ergibt demnach sich aus den Regelungen zum Amt des Bettelvogts, dass der Bettel als Versorgungsform in der Stadt Trier wieder zugelassen ist. Zwar wird an den bisherigen Kriterien zur Unterstützungswürdigkeit festgehalten, bettelnde Arbeitsfähige werden bestraft und Fremde grundsätzlich nicht versorgt, jedoch ist von der eigentlichen Neuerung von 1533, der Umstellung der Versorgungsart, nichts geblieben.
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QRW I, S. 124. Dieses Ergebnis wird bestätigt durch den Abgleich mit der Untersuchung von Brietzke (2000), S. 515 ff. 168 QRW I, 124 f. 169 QRW I, S. 125: Zur Möglichkeit der Versorgung und Aufnahme dieser Fremden ins Hospital heißt es nach vorheriger Absprache mit dem Hospitalsmeister: „damit das werck der bermhertzigkeit nicht hinten gesetzt werde“. 167
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Unter der Überschrift „Bettler oder müßiggänger“ finden sich weitere Ausführungen zum Umgang mit den Bettlern.170 Grundsätzlich sind keine Fremden länger als drei Tage ohne Nachweis einer zulässigen Betätigung zu dulden. Somit fallen alle Fremden ohne eine Beschäftigung unter den Verdacht, sich durch den Aufenthalt Unterstützungsleistungen anzueignen. Zum wiederholten Male wird an dieser Stelle die Notwendigkeit einer Arbeitstätigkeit herausgestellt und der Nachfrage Arbeitsunwilliger nach Unterstützung bereits im Vorfeld entgegengesteuert. Zugleich wird ein Beherbergungsverbot für fremde Müßiggänger ausgesprochen. In diesem Abschnitt wird indes auch klar, dass der Bettel weiterhin als Versorgungsform zur Verfügung steht. Ausdrücklich wird das Betteln nur den alten, schwachen und nachweislich Armen gestattet. Alle Arbeitsfähigen sind vom Bettel ausgeschlossen, insbesondere arbeitsfähige Kinder, die zum Handwerk angewiesen werden sollen. Aufdringlicher Bettel durch „angeilen“ oder vor den Haustüren wird verboten.171 In einem mit „Bettlerordnung“ versehenen weiteren Text wird die Wiedereinführung „sonderlicher Zeichen“ angeordnet.172 Dabei bezieht sich der Text auf die zurückliegende Einführung von Berechtigungszeichen, womit nur deren Einführung in der Verordnung von 1533 gemeint sein kann. Dies ergibt sich aus der Feststellung, dass die Zeichen „nicht lange gewähret noch keinen bestand erfangen“ hatten. Dennoch werden zur besseren Unterscheidung die Zeichen wieder ausgegeben, um so bei den wöchentlichen Almosenausteilungen in „St. Maximin, Matheiß, Carthaus und anderswo“ fremde unbedürftige Bettler leichter abweisen zu können. Im Übrigen beschränkt sich der Text auf die Wiederholung der bereits zuvor dargelegten Regelungen. Aus dieser veränderten Nutzung der Zeichen als Bettelausweise ergibt sich indes kein Bedarf zur Revidierung der zur Armenordnung von 1533 getroffenen Einordnung als Almosenzeichen. Vielmehr wird gerade die Verschiedenheit der Funktion angesichts des klaren Wortlauts im Jahr 1594 (Bettel) zu 1533 (Almosengebrauch) erkenntlich.
VIII. Resümee und Ausblick Zu Beginn des 16. Jahrhunderts ist die Gesetzgebung des Kurfürstentums auf der Höhe der Zeit. Geprägt von den sich im gesamten Reich vollziehenden Reformen übernimmt man die entscheidende Neuerung: Die Abschaffung des Bettels als Versorgungsform. Die Armenfürsorge wird auf kommunaler Ebene zentralisiert und der Kontrolle der kurfürstlichen Beamten unterstellt. Die weltliche und kirchliche Ebene 170 QRW I, S. 145 f. Der Text endet abrupt mit der Anweisung zum Umgang mit Söhnen und Töchtern, die ausgebildet und erwachsen, aber sich dennoch nicht durch eigene Arbeit ernähren wollen und ihren Eltern durch Kartenspiel, Fresserei und Saufen überlästig sind. Die Lösung dieses Problems, welches in abgewandelter Form auch in zeitgenössischen Zeitungsartikeln aufgeworfen wird, fehlt bedauerlicherweise in der Überlieferung. 171 Zu der in den 1990er Jahren aktuellen Diskussion um das Verbot des „aggressiven Bettelns“ vgl. Bindzus/Lange (1996), S. 482 – 486. 172 QRW I, S. 199. Nach dem dortigen Vermerk ist die Bettlerordnung in der Originalakte von anderer Hand geschrieben.
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sind bei der Erfüllung dieser Aufgaben miteinander verbunden. Dies drückt sich auch in den der Abgrenzung zur Reformation geschuldeten, katholischen Besonderheiten aus. Die Betonung der Verdienstlichkeit des Almosens und die Bewahrung des Sondertatbestandes der Bettelmönche sind hierfür sichtbare Zeichen. Die Armenordnung von 1533 geht damit über die rudimentären Anforderungen der Reichsgesetze hinaus. Die Ergebnisse der sicherlich innovativen Territorialordnung von 1533 fallen jedoch gemessen an der Umsetzung in städtisches Recht oder hinsichtlich einer Nachahmung in späteren Territorialordnungen im 16. Jahrhundert verhalten aus. Der angestrebte Wechsel der Versorgungsform weg vom Erbetteln des Notwendigen zum obrigkeitlich zugelassenen Empfang kontrollierter Almosenausteilungen lässt sich nicht feststellen. Zwar besteht eine Kontinuität bei der Frage, wer unterstützungsberechtigt ist, die Erschließung neuer finanzieller Grundlagen der Unterstützung in Gestalt einer Almosenkasse lässt sich nicht finden. In Einzelaspekten bestehen zwar Einflüsse der Armenordnung von 1533 auf die konkrete Ausgestaltung des Trierer Stadtrechts, vermögen jedoch den Gesamteindruck nicht zu ändern. Die sich aus der Ablösung des Bettels als Versorgungsform ergebenden Finanzierungsfragen werden unter veränderten Vorzeichen unter Rückgriff auf sich so im späteren Verlauf nicht erneut ergebende Finanzierungsquellen nur teilweise gelöst. Ebenso wie die reformierten Kastenordnungen bei dem Zugriff auf säkularisierte Kirchengüter profitiert das Armenwesen der Stadt Trier nur von Sonderereignissen, wie sie die Testamente der Hexenprozesse darstellen. Unter keinem Nachfolger des Kurfürsten Johann von Metzenhausen kommt es im 16. Jahrhundert zu einer Wiederholung oder gar zu einem erneuten Versuch der Reorganisation der Fürsorge unter territorialstaatlicher Kontrolle. Obwohl die Gesetzgebung, sei es die städtische oder die territorialstaatliche, die Arbeitspflicht des einzelnen stets einfordert und auch Müßiggang unter Strafe stellt, fehlt es dem Territorialstaat an geeigneten Beschäftigungsinstrumenten. Dies stellt eine – wie sich zeigen wird – auch im 17. Jahrhundert noch ungelöste Herausforderung dar.
B. Gesetzgebung im Kurfürstentum Köln Die Fürsorge im Kurfürstentum Köln beruht ebenso wie in den anderen geistlichen Kurfürstentümern auf den tradierten Strukturen: Innerhalb von Solidargemeinschaften wie den Zünften oder Bruderschaften oder durch die Unterstützungsleistungen der Hospitäler oder aber durch das Betteln um Almosen. In den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts kommt es unter der Regierung des Kurfürsten Hermann von Wied zu zahlreichen Reformen in der Landesherrschaft. Zu den neu geordneten Sachgebieten gehört gerade auch die territorialstaatliche Neuordnung der Fürsorgeorganisation.173 173 Zur Vita Hermann von Wied vgl. Gatz (1990), S. 756. Zur oszillierenden Haltung Hermann von Wied in Bezug auf die Reformation vgl. Gatz (1990), S. 757 f. Bemerkenswert ist, dass Hermann von Wied 1493 als Student der juristischen Fakultät der Universität Köln im-
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Der Einfluss der Reichsgesetze auf die Verhältnisse in Kurköln ist unverkennbar. Ein Merkmal der das Fürsorgewesen prägenden Normen ist, dass im Verlauf dieses Jahrhunderts sich die territorialstaatliche mit der kirchenrechtlichen Gesetzgebung ergänzt.
I. Neuordnung des Fürsorgewesens in den 1530er Jahren Die erste Norm auf territorialer Ebene des Kurfürstentums Köln, die Regelungen zur Armenfürsorge enthält, ist die 1538 durch den Kölner Kurfürsten und Erzbischof Hermann von Wied erlassene Polizeiordnung. Dabei bestimmt die Umsetzung der Regelungen der Reichspolizeiordnung von 1530 die einschlägigen Paragraphen der Polizeiordnung des Kurfürstentums. Das Vorgehen des Kölner Kurfürsten unterscheidet sich an dieser Stelle erheblich von dem benachbarten Trierer Kurfürsten. Während dort über die Vorgaben des Reichsrechts hinaus innovative Regelungen getroffen werden, beschränkt sich der Kölner Kurfürst auf eine Umsetzung des Reichsrechts im Verhältnis 1:1. Der relevante Teil der Polizeiordnung befasst sich mit der Versorgungsform der Bedürftigen, dem erbettelten Almosen. Die Besonderheit des Kurfürstentums Kölns liegt an einer anderen Stelle. Diese Maßnahmen stehen in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit den Beschlüssen der vom Erzbischof einberufenen Provinzialsynode zu Köln im Jahre 1536. Diese befassen sich im Wesentlichen mit der Ausgestaltung der Aufsichts- und Verwaltungsstruktur der institutionellen Fürsorge in Gestalt der Hospitäler. Hermann von Wied verbindet zu Beginn der Normierung der Armenfürsorge die territorialstaatliche Polizeigesetzgebung mit der Nutzung der ihm als Erzbischof und Vorsitzendem der Erzdiözese Köln zur Verfügung stehenden Normen des Kirchenrechts. Durch die Zusammenführung aller Normsetzungsvollmachten gelingt es alle bislang mit der Fürsorge verbundenen Sachgebiete zu erfassen und mit vereinigter Autorität den größtmöglichen Personenkreis zu erreichen. Die in den Polizeiordnungen und in anderen territorialstaatlichen Normen des 16. Jahrhunderts getroffenen Regelungen für die Armenfürsorge sind daher stets im Zusammenhang mit den einschlägigen Beschlüssen der Provinzialsynode Köln zu sehen. Während des 16. und 17. Jahrhunderts enthalten die Provinzialsynoden von 1536, 1549, 1550, 1612 und 1662 für die Armenfürsorge relevante Regelungen. Die Parallelität dieser unterschiedlichen Normarten – weltlicher und kirchlicher Natur – bestimmt in den ersten einhundert Jahren des Untersuchungszeitraums die Ausgestaltung der Fürsorgegesetzgebung. Dabei ist beim Abgleich der beiden Normebenen zu berücksichtigen,
matrikuliert war und damit Kenntnisse erwerben konnte, die bei seiner aktiven Gesetzgebungstätigkeit von Nutzen gewesen sind. Zur der von ihm veranlassten Reformgesetzgebung gehören unter anderem die Münzordnungen von 1531 und 1534 (Scotti, Cöln I/1, S. 34 – 36; 44 f.) sowie die Bergordnung vom 4. 9. 1533 (Scotti, Cöln I/2, S. 36 – 42). Zum Wirken von Hermann von Wied als Gesetzgeber vgl. Molitor (1967), S. 301 f.
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dass die Synodalgesetzgebung sich an einen weit über das eigentliche kurfürstliche Herrschaftsgebiet hinausgehenden Adressatenkreis wendet.
II. Provinzialsynode von 1536 Der Kölner Provinzialsynode vorausgegangen sind die Beschlüsse des Konvents von Fürsten und Bischöfen in Regensburg 1524. Dort sind unter anderem die Kontrolle der Almosensammlungen der Stationierer bzw. der Bettelmönche sowie die Beachtung der zweckentsprechenden Verwendung der Kirchengelder angeordnet.174 Die Bedeutung der Armenunterstützung als vornehmster Pflicht des Christentums wird dabei ausdrücklich festgestellt.175 1. Überblick Die vom 6. 3. 1536 bis zum 10. 3. 1536 zusammengekommene Reformsynode befasst sich mit der Neubestimmung der Amtsaufgaben des Bischofs, den kirchlichen Einnahmen, dem Gemeindewesen und dem Aufgabenbereich der Vikare, ferner mit den Sakramenten und in Teil 10 mit dem Klosterleben.176 Für die Ausgestaltung der Armenfürsorge ist Teil 11 relevant, der sich mit der Verfassung und dem Bestand der Hospitäler auseinandersetzt.177 Die Einleitung zum Synodalbeschluss weist auf die Auseinandersetzung mit der Reformation hin. Als Grundmotiv des Zusammenkommens auf der Synode wird angegeben, dass es in den als gefährlich und turbulent erkannten Zeiten darauf ankomme, das Schiff der Christenheit in den sicheren Hafen zu leiten. Das Bemühen soll dem Leitspruch folgen: Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich werde euch erquicken („Venite ad me omnes, qui laboratis & onerati estis, ego reficiam vos“).178 Bedenkt man den späteren Lebenslauf Hermann von Wieds, der ab 1542 versucht, die Einführung der Reformation im Kurfürstentum Köln durchzusetzen, liegt hier der Schwerpunkt indes eindeutig auf den altgläubigen Glaubensinhalten. In der Einleitung ist noch nichts von den späteren Auseinandersetzungen mit Papst und Kaiser zu spüren. Stattdessen wird ausdrücklich und positiv auf die Rolle des weltlichen und des geistlichen Oberhaupts als Initiatoren dieser Synode eingegangen. Ganz im Gegenteil zu späteren Vorschlägen des Kurfürsten Hermann 174 Concilia VI, S. 196 ff., hier S. 201 Caput XVI & XVII; vgl. hierzu. Feuchtwanger (1909b), S. 216. Als Voraussetzung wird gefordert, dass es sich um Personen mit einem ehrbaren Lebenswandel handelt. Die Almosen dürften nur nach vorheriger Genehmigung des Ordens oder des Vikars sowie des entsprechenden Nachweises gesammelt werden. Die Sammlungen dürfen nicht zum Überfluss des Besitzes dienen. 175 Vgl. Begon (2002), S. 43; Feuchtwanger (1909b), S. 216; Concilia VI, S. 201 c. 16, c. 17. 176 Provinzialsynode von 1536 in Concilia VI, S. 235 ff. Vgl. zum Amt des Bischofs Teil 1, zu den kirchlichen Einkünften / Gütern Teil 1 Caput IVff., zu dem Gemeindewesen und den Aufgaben der Vikare Teil 4, zum Klosterleben Teil 10. 177 Concilia VI, S. 301 ff. (Teil 11 Hospitalverfassung). 178 Vgl. Teil 11 Hospitalverfassung, Concilia VI, S. 235 f.
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von Wied gelten die Reformstatuten der Provinzialsynode von 1536 als eine der „besten und wichtigsten vortridentinischen Reformbestimmungen überhaupt.“179 2. Kompetenzanspruch Im Zentrum des für die Fürsorge einschlägigen Teils 11 stehen Aussagen zur Verwaltungsorganisation, zu den Kontroll- und Aufsichtskompetenzen, zur Bestimmung des Berechtigtenkreises und zum Zweck der Versorgung im Hospital. Eindeutig erkennbar ist der Wille, die Übernahme der Hospitalsverwaltung durch die städtischen Obrigkeiten schärferen Regeln zu unterwerfen. Insbesondere Missbrauchstatbestände wie die Aufnahme arbeitsfähiger Pfründner sollen abgestellt werden. Hieraus ergibt sich die Kompetenzverteilung aus Sicht der kirchlichen Würdenträger. Für den Bereich der nicht institutionalisierten Unterstützungsleistungen, worunter das Almosen zu fassen ist, und seinem Gegenstück, worunter das Betteln zu verstehen ist, finden sich keine ausdrücklichen Vorgaben der Synode. Dagegen versucht die Provinzialsynode gewisse Zuständigkeiten im Bereich der institutionalisierten Fürsorge zu behaupten, die im Zuge der Entwicklung zumindest auf der Ebene der unmittelbaren Verwaltung längst den städtischen Obrigkeiten zugefallen sind.180 Im direkten Zusammenhang zu den Vorgaben zur Anstaltsarmenpflege steht die in Teil 10 eingeforderte Klosterreform. Unter Caput IX f. wird die Verpflichtung der Klöster zur Armenfürsorge erneuert.181 3. Primäre Unterstützung: Institutionalisierte Fürsorge Unter diesen Vorzeichen besinnt sich Teil 11 zunächst auf bereits Bekanntes. Caput I schildert zunächst den Ursprung der Einrichtung von Hospitälern. Diese sowohl durch kanonisches, kaiserliches und althergebrachtes Recht definierten und eingeforderten Institutionen sollen, wo es nur möglich ist, eingerichtet werden. Deutlich wird das Bestreben, eine möglichst flächendeckende Versorgung sowohl Kranker als auch Armer zu gewährleisten. Ausdruck hierfür ist die Aufzählung der entsprechend den aufgenommenen Personengruppen ausdifferenzierten Einrichtungen: Xenodochia (Fremden-, Pilger- oder Reisendenherbergen), Ptochotrophia (Bettler-, 179 Vgl. zur Bedeutung der Synodenbeschlüsse und der Beteiligung Hermann von Wieds Franzen (1971), S. 49 ff., 54 ff. Darüber hinaus vgl. Gatz (1990), S. 757, Feuchtwanger (1909b), S. 216. 180 Feuchtwanger (1909b), S. 217. Ratzinger 1884, S. 464. Vgl. zu den Zuständigkeiten des Bischofs bei der Gründung von Hospitälern Begon (2002), S. 54 f. Zur Schwierigkeit der Umsetzung der Kontrollbefugnis des Kölner Erzbischofs in der Stadt Köln selbst, die zwar nicht zu seinem weltlichen Gebiet, wohl aber zu seiner Erzdiözese gehört vgl., Uhlhorn (1895), S. 620. 181 Concilia VI, S. 299 ff. Für Mönche, die sich beeinflusst durch die Reformation aus den Klöstern entfernt haben, ist ferner auch die gewaltsame Rückführung in die Klöster angeordnet, vgl. Concilia VI, 300 (Caput XVII).
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Armen-, auch Elendenherbergen), Orphanotrophia (Waisenhäuser), Gerontocomia (Altenhäuser), Brephotrophia (Häuser für Findlinge und kleine Kinder).182 Der Rückgriff auf die Ausdifferenzierung der Anstalten spricht dafür, dass man eine umfassende Erfassung der Hilfsbedürftigen vor Augen hatte. 4. Leitbild der Synode: Keine Notwendigkeit des Bettels Die primäre Versorgungsform der als unterstützungswürdig Anerkannten besteht aus den Unterstützungsleistungen des Hospitals, wie sich insbesondere aus den Ausführungen in Caput IVergibt. Dies gilt zumindest für jene Orte, in welchen schon Hospitäler eingerichtet sind. Grundannahme ist, dass bei richtiger und ordnungsgemäßer Verwaltung der Bestand der errichteten Hospitäler grundsätzlich ausreichend ist. Durch Nutzung dieser Kapazitäten könne für alle ausfindig gemachten und ermittelten Armen in den einzelnen Städten, Ortschaften, Dörfern und Ansiedlungen gesorgt werden.183 Aufgrund dieser Annahme geht man davon aus, dass die Armen infolgedessen nicht darauf angewiesen sind, sich das tägliche Brot als Almosen von Tür zu Tür zu erbetteln. Hier wird ein ausdrückliches Bettelverbot vermieden. Stattdessen flüchtet sich die Synode in die Annahme des Wegfalls der Notwendigkeit zum Betteln bei ordnungsgemäßer Umsetzung der Reform- bzw. genauer der Restaurationsmaßnahmen. Zwar lässt die Formulierung immerhin Präferenzen für ein Abstellen des Bettels erkennen. Die von den städtischen Magistraten und zunehmend von den Territorialherren gezogene Konsequenz eines umfassenden Bettelverbots spiegelt sich aber nicht in den Beschlüssen wider.184 Identisch mit den Vorstellungen der weltlichen Obrigkeiten sind nur die Ziele, die Versorgung aller Bedürftigen und das Verschwinden des Bettels, während sich die hierzu vorzunehmenden Maßnahmen unterscheiden. Die Ursache für die fehlenden eindeutigen Erklärungen der Provinzialsynode zur Ausgestaltung einer auf Bettel bzw. individuelle private Almosenleistungen ausgerichteten Fürsorgeorganisation hat mehrere Gründe. Als markant erweist sich die Annahme der Hinlänglichkeit der Hospitalsfürsorge zur Sicherstellung der Versorgung für die in Frage kommenden Bedürftigen. Nur am Rande erscheinen daher Anordnungen bezüglich der Zulässigkeit des Bettels gewisser Sondergruppen. Die Konzentration auf die institutionalisierte Fürsorge folgt sicherlich auch den tatsächlichen Einflussmöglichkeiten. Vorschriften über die Statthaftigkeit des Bettels für bestimmte 182 Die Synode greift auf die Funktionsbenennung in der Gesetzgebung Justinians zurück. Vgl. zur Funktionszuordnung Begon (2002), S. 30 ff., Uhlhorn (1895), S. 197. 183 Concilia VI, S. 301 Dort heißt es: „Quodsi recte curatum est, suffecerint pene (nisi tamen fallamur) iam constituta hospitalia omnibus vere pauperibus, per singula oppida, ac vicos repertis, ut amodo illis non fuerit necesse, ostiatum panem emendicare“. 184 Die bei Feuchtwanger (1909b), S. 217 anklingende Verallgemeinerung des ausdrücklich nur für die starken Bettler in Caput V aufgestellten Bettelverbots erfolgt bei genauer Betrachtung des Wortlauts eben nicht. Schwerpunkt der Ausführungen ist und bleibt die Überzeugung, das Problem des Bettels von Berechtigten durch Wegfall der Notwendigkeit gelöst zu haben.
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Personengruppen liegen infolge der gefestigten Gesetzgebung und der übereinstimmenden Ansicht der kirchlichen und weltlichen Rechtswissenschaft mittlerweile eindeutig in den Händen der weltlichen Obrigkeiten. Die von dieser Erkenntnis geprägte Herangehensweise bleibt daher typisch für die kirchliche Gesetzgebung einschließlich des Konzils von Trient.185
5. Auftrag und Aufgabe der kirchlichen Würdenträger Es entspricht dem Selbstverständnis des erzbischöflichen Amtes als „curator pauperum“ sich für die Armenfürsorge in Gestalt der institutionellen Fürsorge verantwortlich zu fühlen. Die Synode formuliert es daher in Caput I als Auftrag und Ziel der Bischöfe, die bestehenden Einrichtungen in einem guten Zustand zu erhalten und die verfallenen oder zweckentfremdeten Einrichtungen wiederherzustellen. Für den Fall, dass vor Ort noch keine Hospitäler existieren, ist gerade von den an der Provinzialsynode teilnehmenden Bischöfen der Neubau gefordert.186 Die Pflicht der Bischöfe dies umzusetzen, wird auf Stellen aus der Heiligen Schrift zurückgeführt. Es sei der Wille Christi, dass die Sorge für die Armen den Menschen, und somit insbesondere den Bischöfen, auferlegt sei, wozu gerade der Apostel Paulus in dem zweiten Korintherbrief ermahne.
6. Ziele der Unterstützungsleistung Caput II befasst sich mit der Frage, auf welche Art den Bedürftigen in den Hospitälern geholfen werden kann. Deutlich tritt hier die Rangfolge der Art der Fürsorgeleistungen zu Tage, welche auf die schon bei Thomas von Aquin niedergelegten Grundsätze bezüglich der Unterscheidung der körperlichen Hilfe und des geistlichen Beistandes zurückgreift.187 Der Synodalbeschluss spricht dahingehend ebenfalls eine deutliche Sprache: Wo die Hilfe des Arztes erforderlich ist, soll zunächst der Seele geholfen werden, dann erst soll der Arzt dem Körper zur Hilfe kommen. Was das für die konkrete Gestaltung der Leistungen des Hospitals bedeutet, wird sogleich klar. Die Betonung der Fortexistenz hochmittelalterlicher Caritasvorstellungen über die Höherwertigkeit der Hilfe für die Seele ist zwar den weiteren Ausführungen über die materielle Versorgung vorangestellt. Trotz der Hervorhebung in der systematischen Abfolge, behandeln die weiteren Ausführungen alleine die materielle Seite der Unterstützung. Hierdurch verschiebt sich das Gewicht der zuvor festgestellten Vorrangigkeit der Hilfe für die Seele zugunsten der körperlich wirkenden Hilfe. 185
Feuchtwanger (1909b), S. 217; Ratzinger 1884, S. 464 f. Concilia VI, S. 301, Caput I: „idcirco curae nostrae immenebit, ut ejuscemodi loca, ubi constituta sunt, sarta tecta teneantur. Ubi vero dissipata sund, instaurentur, reformenturque. Denique ubi necdum constituta sunt, Episcopali nostra providentia aedificentur, construanturque. vgl. Dorn (2005), S. 101. Eine Darstellung der Gründungsphasen von Hospitälern im Herzogtum Westfalen gibt Grimbach (2006), S. 191 ff. 187 Vgl. die diesbezüglichen Ausführungen in Zweiter Teil, A., I. 186
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Offensichtlich wird die Reform der letztgenannten Unterstützungsform als wichtiger, zumindest aber als dringlicher verbesserungsbedürftig angesehen.188 7. Unterstützungsberechtigte Klar bestimmt ist bereits in Caput I der Kreis der aufzunehmenden und zu versorgenden Personengruppen: Pilger („Peregrini“), Arme („pauperes“), Schwache bzw. Arbeitsunfähige („invalidi“); Greise/Alte („senes“), Waisen („parentibus orbati“), bedürftige Kinder („inopes liberi“), ausgesetzte Kinder („infantes expositi“), Wahnsinnige („furiosi“), Leprose („leprosi“), Sieche („contagiosi“) und andere mit dauerhaften Krankheiten Behaftete („perpetuis morbis obsiti“) und als Auffangtatbestand die Bedürftigen („miserabiles personae“). Caput III fasst das für die Unterstützungswürdigkeit ausschlaggebende Kriterium zusammen. Ungeachtet der Ursachen, seien es etwa Krankheit oder Gebrechlichkeit, ist der Umstand der fehlenden Fähigkeit zum eigenständigen Lebenserwerb entscheidend: „victumque ac vestitum sibi comparere non possunt“. Nur für diese Personen ist der Genuss der caritativen Freigiebigkeit vorgesehen. Das Kriterium der Fremdheit oder positiv gewendet der Ortszugehörigkeit als Hinderungsgrund bzw. Voraussetzung der Fürsorge klingt in Caput IV an. Dort wird die Vorrangigkeit der Versorgung der einheimischen Bedürftigen angeordnet.189 Anders als es längst üblich ist in den zeitgenössischen Bettelordnungen, ist hier lediglich eine Rangfolge in Entsprechung der scholastischen Betrachtungen zur Versorgungspriorität vorgenommen.190 Zum Funktionswandel der Eigenschaft „Fremd“ als Exklusionskriterium ist es kirchenrechtlich offenkundig nicht gekommen, jedoch gewinnt es zunehmend Bedeutung bei der Verteilungspriorität. Hierein fügt sich die ausdrücklich vorgesehene Versorgung von Pilgern („perigrini“) ein, die in den hierzu bestimmten Einrichtungen erfolgt. Auffallend ist, dass eine zusätzliche Anforderung an den Kreis der potentiell Unterstützungswürdigen gestellt wird. Diese müssen akzeptieren, dass sie der kirchlichen Disziplin unterliegen und auf die Freigiebigkeit der Bischöfe und anderer frommer Menschen angewiesen sind.191
188 Anderer Ansicht ist Feuchtwanger (1909b), S. 217. Dieser sieht darin eine bedenkliche Abkehr von den Vorstellungen von Erasmus von Rotterdam und Vives und „Spuren des in die Armenpflege einziehenden Konfessionalismus“. Allerdings erscheint die von Feuchtwanger vorgenommene Wertung angesichts des Umfangs der auf die körperlich wirkenden Fürsorgeleistungen ausgelegten Regelungen als überzogen. 189 Concilia VI, S. 301: „inprimis autem reciapiantur in haec hospitalia personae miserabiles ejus loci, ubi hospitalia constituta sunt“. 190 Vgl. zur Versorgungspriorität nach der hochmittelalterlichen Kirchenlehre Erster Teil, A., I. 191 Concilia VI, S. 301: „quas ad Ecclesiasticam disciplinam Canones pertinere, ac nostris, aliorumque piorum hominum largitionibus vicritare, voluerunt.“ Die Zugehörigkeit des Hospitals zum kanonischen Recht betont Begon (2002), S. 61.
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a) Ausschlusskriterien Ausdrücklich auch im Wortsinne verschlossen („clausa“) sind die Unterstützungsleistungen der Hospitäler den als „mendicantibus validis“ bezeichneten arbeitsfähigen Bettlern. Dies entspricht dem bisherigen Stand der Kirchenlehre, wie schon der Abgleich mit den Ausführungen von Thomas von Aquin vor Augen führt. Anders als bei der Fremdheit handelt es sich bei der Arbeitsfähigkeit eindeutig um ein seit langem kirchenrechtlich gebräuchliches Exklusionskriterium. Die Anweisung bezieht sich allerdings nicht nur auf die Versorgungsleistungen der Einrichtungen selbst. Vielmehr wird das Bettelverbot für die „mendicantes validi“ betont, welches ebenso in der kirchlichen Rechtswissenschaft seit langem anerkannt ist. Nur an dieser Stelle nimmt die Zusammenkunft der Bischöfe Stellung zu den zeitgleichen Entwicklungen in den Reichsterritorien: Arbeitsfähigen ist ganz und gar untersagt, öffentlich oder von Haus zu Haus ziehend zu betteln.192 Die Zuwiderhandelnden sind festzunehmen und der Bestrafung zuzuführen. Die Rechtsgrundlagen der Sanktionen werden unter Caput V bestimmt. Die unrechtmäßig Bettelnden unterliegen den für sie in der bisherigen Gesetzgebung niedergelegten Strafen. Die Begründung der Strafbarkeit gipfelt in der Aussage: „es sei nämlich nützlicher, dem Heischenden das Brot vorzuenthalten, falls dieser in Gewissheit der Speise die Gerechtigkeit verleugne“.193 Die Ablehnung der Versorgung des untätigen Arbeitsfähigen ist offenkundig. Der Rechtsverweis und die Verwendung der entsprechenden Terminologie deuten auf den schon durch Thomas von Aquin erfolgten Bezug auf das römische Recht hin, insbesondere auf die Stelle C 11, 25 zum „mendicans validus“, dem starken Bettler. An dieser Schnittstelle zeigt sich die Besonderheit des Amtes des geistlichen Kurfürsten, dem als Inhaber der weltlichen Herrschaftsmacht und damit der Strafgewalt die Umsetzung der entsprechenden Sanktionen zukommt. Wie die Entwicklung zeigen wird, wird der Kurfürst die Sanktionsbefugnis als Element der Fürsorgegesetzgebung in Anspruch nehmen. b) Sondergruppe: Leprose und Sieche Bei der Behandlung der Sondergruppe der Leprosen und Siechen ist das Spannungsfeld erkennbar im Umgang mit der zwar anerkannten Unterstützungswürdigkeit auf der einen und den Gesundheitsrisiken, die aus dem Kontakt zwischen Gesunden und den potentiell krankheitsübertragenden Siechen und Leprosen entstehen, auf der anderen Seite. In Caput IV wird zunächst festgestellt, dass die Erkrankten sich
192 Concilia VI, S. 301: „sed & publice ac ostiatim mendicare penitus interductum“. Für die Ausweitung des im unmittelbaren Zusammenhang mit den „mendicantes validi“ festgelegten Bettelverbots auch auf die Bedürftigen, mithin also ein allgemeines Bettelverbot, wie es Ratzinger (1884), S. 470, Feuchtwanger (1909b), S. 217 annehmen, spricht angesichts des konkreten Bezugs alleine auf die starken Bettler wenig. 193 Concilia VI, S. 302: „Utilius enim esurienti panis tollitur, si de cibo securus justiam negligat; quam eidem frangitur, ut seductus, injustitiae acquiescat“.
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nicht unter die gesunden Menschen mischen dürfen.194 Der Grund der Gefahr wird klar benannt: Das Übertragungsrisiko der ansteckenden Krankheiten und die Erregung von Angst und Abscheu bei den Betrachtern. Aus diesen Gründen erfolgt die Versorgung in den eigens hierzu eingerichteten Hospitälern.195 Für den Fall, dass die bestehenden Einrichtungen nicht ausreichend sind zur Versorgung, wird eine Ersatzfinanzierung eingerichtet.196 Grund hierfür ist wiederum die Dominanz der Schutzpflicht gegenüber der Allgemeinheit vor den Gefahren im Umgang mit den Siechen. Der Bettel ist dementsprechend den Siechen selbst untersagt. Als Ersatz für den Verlust an Subsistenzmitteln ist vorgesehen, dass stattdessen die Sammlung der Almosen durch hierzu berufene Vertreter im Namen der Erkrankten erfolgen soll. Die rechtschaffenen, zu dieser Aufgabe berufenen Männer sollen das Almosen im Gottesdienst, „in conventu ecclesiae“, einsammeln.197 Zudem sollen Opferstöcke, „trunci“, aufgestellt werden, in denen Almosen gesammelt und aufbewahrt werden sollen. Für die Sondergruppe der Siechen ist somit eine dem städtischen Fürsorgemodell ähnliche Anordnung getroffen. Die Versorgungsberechtigten werden von den potentiellen Spendern getrennt und erhalten die gesammelten Mittel als Zuweisung. Die Almosensammlung als Substitut des individuellen Rückgriffs auf Hilfeleistungen wird mithin auch kirchenrechtlich als probates Mittel angesehen. Anders als das städtische Modell beschränkt sich die Synode indes nur auf diese Sondergruppe, ohne die weitergehenden Konsequenzen für andere Bedürftigengruppen zu ziehen.
8. Verwaltungsorganisation als Mittel zur Abstellung von Missbrauch In Caput VI und VII offenbart sich der Anlass zur Reform des Hospitalwesens. Die Struktur der Begründung der Handlungsnotwendigkeit entspricht den Argumentationsmustern der weltlichen Gesetzgeber. Die Synode findet deutliche Worte der Kritik an den bestehenden Verhältnissen und hält den Verwaltern der Hospitäler und den städtischen Obrigkeiten Missbrauch aus persönlichen Gründen vor. Aus der Gegenüberstellung mit den Missbrauchsvorwürfen entwickelt die Synode Handlungsmaximen, die eine ordentliche Verwaltung sicherstellen sollen. Der Vorwurf gründet zu194 Das Verbot wird durch den Verweis auf das in der Bibel niedergelegte göttliche Gesetz zusätzlich abgestützt: „quod lege Divina (p) ne fiat, prohibitum legimus“, vgl. Concilia VI, S. 301. 195 Zur Verbreitung von Leprosenhäusern vgl. Uhrmacher (2000). Die Furcht vor Ansteckung besteht trotz der besonderen Kleidung und der vorgeschriebenen Benutzung entsprechender Signalklappern. 196 Ratzinger (1884), S. 470 deutet die Almosensammlung als Finanzierungsmöglichkeit für das gesamte Armenwesen. Dagegen spricht indes, dass Caput IV in der fraglichen Passage ganz eindeutig von den fehlenden Möglichkeiten für den Unterhalt von Leprosen oder anderen mit ähnlichen Krankheiten Befallenen spricht. Zudem spricht die erhoffte Wirkung zugunsten der Erkrankten im letzten Halbsatz des Abschnitts ebenfalls gegen eine Ausweitung auf das gesamte Armenwesen. 197 Zur Übersetzung „in conventu eccclesiae“ vgl. Ratzinger (1884), S. 470.
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nächst darin, dass entgegen der Widmung der Hospitäler für Arme und Bedürftige starke, sprich arbeitsfähige Personen aufgenommen werden. Deren Versorgung sei so beschaffen, dass diesen reichlich Speise und Kleidung zur Verfügung gestellt werden. Die Klage geht weiter dahin, dass dadurch die betreffenden Personen bequem und in Müßiggang leben könnten. Erkennbar wird hier auf das Phänomen der Pfründevergabe durch die Stadtobrigkeit abgestellt. Dabei spielt auch die Kritik an dem etablierten System des Pfründnereinkaufs in diesen Vorwurf mit hinein. Die Anklage gipfelt in der Aussage, dass diese Personen nicht anders als Räuber leben. Gleich diesen mästeten sie sich von Anderen und vom Blut der Armen. Die Ähnlichkeiten zur Stoßrichtung der bei Vives geäußerten Kritik sind augenfällig. Dort heißt es: „Die in den Spitälern gesund sind und dort festsitzen, sich wie Drohnen an fremden Schweiß gütlich tun, sollen weggehen und zur Arbeit geschickt werden.“ Diejenigen, die aufgrund einer Familienstiftung einen Hospitalsplatz haben, sollen zur Arbeit angehalten werden.198 Die umfassende Verdammung dieser Umstände wird seitens der Synode durch den Verweis auf den heiligen Hieronymus abgesichert. Dieser sei der Ansicht, dass diejenigen, die sich von dem eigenen oder dem Besitz der Eltern den Unterhalt sichern können, ein Sakrileg begehen, wenn sie sich vom dem nehmen, was für die Armen bestimmt ist. Durch den Verbrauch dieser Mittel durch Essen und Trinken zögen die betreffenden Personen das entsprechende Urteil auf sich. Indes stehen nicht alleine die zu Unrecht Nutznießenden im Blickpunkt. Die Leitung der Hospitäler wird als ungenügend empfunden. Die Verwalter und Vorsteher der Hospitäler werden vor der Gewinnsucht gewarnt. Eindringlich nutzt man die Symbolik der Person des Judas, der seinen Herrn verriet. Es wird davor gewarnt, es diesem gleichzutun und als Dieb die den Armen zustehenden Gelder anzunehmen. Drastisch verweist man auf die ansonsten drohende Folge der für den Dieb bestehenden Todesstrafe.199 Als Konsequenz für die Verwaltungsorganisation fordert man die Einrichtung von Kontrollmechanismen und Aufsichtsgremien. Bei der Auswahl des Hospitalspersonals ist darauf zu achten, dass die Verwalter das Wohl der Armen in den Vordergrund stellen und nicht den Eigennutz. An die Folgen selbstsüchtigen Verhaltens wird eindringlich erinnert: Die Vernachlässigung und der Entzug der benötigten Unterstützung kämen der Tötung gleich und seien als Verbrechen anzusehen. Um dies zu verhindern, wird ein zumindest jährlich zu erfolgender Rechenschaftsbericht gegenüber dem Magistrat und dem Pastor angeordnet.200 Der städtischen Obrigkeit und dem 198 Nicht alleine bei Vives findet sich die Kritik am Einkauf reicher Pfründer und die Forderung, diese zur Arbeit anzuhalten, siehe Vives, Unterstützung, I., S. 322. Vgl. hierzu Ratzinger (1884), S. 440. Reicke (1932/I), S. 291 f. Darauf dass das Phänomen des Pfründereinkaufs trotz zahlreicher Verbote weiterhin verbreitet bleibt, vgl. Begon (2002), S. 172. 199 Concilia VI, S. 302: „ne Judam imitentur, qui (q) loculos (ex quibus pauperibus distribuebatur) ferebat, ac fur erat, ne sicut ille ita & ipsi pereant“. 200 Weshalb Feuchtwanger (1909b), S. 217 die Stelle „et quo vigilantiores in officio sint, annis singulis, aut saepius, Magistratui ejus loci, praesente Parocho, rationem de omnibus reddant“ (siehe Concilia VI, S. 302) in dem Sinne deutet, dass der Magistrat dem Pfarrer Rechnung ablegen muss und nicht die betreffenden Verwalter dem Magistrat in Anwesenheit des Pfarrers, erschließt sich nicht. Vielmehr ist dem Magistrat und dem Pfarrer zur Besserung
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Pfarrer kommt damit die Rolle einer Aufsichtsinstanz zu, die für die Sicherung der ordnungsgemäßen Verwaltung zuständig ist.
9. Klösterliche Armenpflege Der als zerrüttet beurteilte Zustand der Klöster bildet den Anstoß zur Revision des klösterlichen Lebens in Teil 10 des Synodalbeschlusses.201 Zu den Zielsetzungen gehört es, die als einstmals vorbildlich empfundene klösterliche Armenversorgung wieder herzustellen. Im Rahmen der angestrebten umfassenden Klosterreform fordert Caput IX die Wiederherstellung der entfremdeten Klostergüter zur Unterhaltung der dortigen Hospitäler. Insbesondere die Besetzung der Klöster durch das Militär wird als Ursache angesehen für die zweckwidrige Verwendung der Güter, die als Almosen für die Armen vorgesehen sind. Hinsichtlich der unberechtigten Verwendung der Mittel wird auf die schwerwiegenden Strafen hingewiesen. Die Klöster werden aufgefordert, die vernachlässigte Armenpflege wieder aufzunehmen.202 Sichtlich im Eindruck der vorherrschenden Unregelmäßigkeiten stellt Caput X die Notwendigkeit einer Visitation zur Beseitigung des Fehlverhaltens fest. Die Vorgaben für die Klöster vervollständigen die Zielvorstellung der Synode bezüglich einer hinlänglichen Fürsorgeorganisation. Wieder steht die stationäre Versorgung in Gestalt der Klosterhospitäler im Vordergrund der Regelungen. Die offene tägliche Vergabe von Almosen ist zwar ebenfalls Bestandteil der eingeforderten, aber allgemein gehaltenen Fürsorgepflicht der Klöster. Anders als bei den Regelungen in Teil 11 zu den Hospitälern finden sich aber hier keinerlei Vorgaben bezüglich des zu unterstützenden Personenkreises.203
10. Resümee zur Synodalgesetzgebung von 1536 Die Beschlüsse der Provinzialsynode entsprechen den bereits existierenden Formen der Hospitalsverfassung und den Regelungen der Reichspolizeiordnung von 1530.204 Die rudimentär gehaltenen Vorgaben der Reichspolizeiordnungen zur Hospitalsverwaltung werden konkretisiert. Anhand der kritisierten Zustände entwickelt die Synode Kontrollsysteme und stellt Verhaltensanforderungen auf. Die Einführung der jährlichen Rechenschaftspflicht greift den Beschlüssen der Reichspolizeiordnung der Verwaltung Rechnung abzulegen, in diesem Sinne auch Ratzinger (1884), S. 470. Zur Steigerung der Pflichterfüllung wird von den Hospitalsverwaltern bei Amtsantritt eine Kaution verlangt, vgl. Dorn (2005), S. 101. 201 Concilia VI, S. 297 ff., S. 299 (Caput IX & X). 202 Ratzinger (1884), S. 471. 203 Zur Möglichkeit der Klöster religiöse Unterstützungsvorstellungen fortzuführen vgl. Schmidt/Wagner (2004), S. 506 f. 204 Die Kontinuität der Beschlüsse der Kölner Provinzialsynode reicht über das Dekretale „Quia contigit“ bis hin zu den Tridentinischen Beschlüssen und der „formula reformationis“ Karls V., vgl. Begon (2002), S. 106.
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von 1548 vor. Die Sicherstellung von regelmäßigen Austeilungen von Unterstützungsleistungen als ein Substitut für das Betteln ist bekannt, jedenfalls für den Bereich der Versorgung von Leprosen und Siechen. Dieses Instrument weist in die Richtung der zeitgenössischen Reformen der kommunalen Armenpflege, ohne jedoch von der Synode entsprechend ausgeweitet zu werden. Der Bettel wird als Versorgungsform nicht ausdrücklich zugelassen, verboten wird er für die Bedürftigen indes auch nicht. Die als bedürftig anerkannten Personen entsprechen der bisherigen Praxis, während in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht für arbeitsfähige Bettler entsprechende staatliche Strafen vorgesehen sind. Inwiefern die Maßnahmen zur Beschränkung des Berechtigtenkreises miteinander harmonisierten, insbesondere mit der ebenfalls angemahnten klösterlichen Armenpflege, ist bisher noch nicht ausreichend erforscht.205
III. Reform des Fürsorgewesens: Polizeiordnung von 1538 Bereits zwei Jahre nach den Beschlüssen der Provinzialsynode tritt die durch den Kurfürsten Hermann von Wied erlassene Polizeiordnung für das Erzstift Köln in Kraft.206 Die Territorialordnung setzt die Vorgaben der Reichspolizeiordnung von 1530 um. Bis auf kleinere sprachliche und sinngemäße Anpassungen, so beispielsweise das Ersetzen von Obrigkeiten durch die im Erzstift zuständigen „Amptleute“, werden die einschlägigen Bestimmungen des Art. 34 der Reichspolizeiordnung eins zu eins übernommen. 1. Legitimation und Motivation Den eigentlichen Regelungen vorangestellt sind einleitend die Ausführungen über den Entstehungsanlass und die Beweggründe der Gesetzgebung. Die Einleitung folgt dem Aufbau und der Argumentation des entsprechenden Teilstücks der Reichspolizeiordnung. Ausdrücklich wird die Förderung der Ehre Gottes durch den Erlass der Ordnung an die erste Stelle gesetzt. Erst danach folgen der Erhalt von Recht und Frieden und die Mehrung der Landeswohlfahrt. Die Zentrierung auf die kurfürstliche Verpflichtung gegenüber Gott wird zusätzlich betont durch die Aussage, dass der Normerlass erst aufgrund des von Gott auferlegten Amtes erfolgt. Noch in der Schlussformel der Einleitung wird dieser Aspekt durch die Formulierung „eher und lob Gottes des allmechtigen“ weiter verstärkt. Augenfällig ist, dass systematisch die Rechtsgebiete, die mit der benannten Ehre Gottes im Zusammenhang stehen, gemeint sind 205 Um einen Eindruck der Verhältnisse im Rheinland bezüglich der Praxis klösterlicher Armenfürsorge zumindest für das 18. Jahrhundert zu erhalten, vgl. Nolte (2002), S. 207 – 222. 206 Polizeiordnung von 1538 in Scotti, Cöln I/1, S. 60 f. Bei Scotti findet sich nur der Abdruck Vorrede der Verordnung von 1538. Die Regelungen werden durch den Verweis auf die wörtliche Erneuerung der Verordnung im Jahr 1595 dargestellt unter Angabe der Erweiterungen, Scotti, Cöln I/1, S. 166 ff.; bzgl. § 17 („Von Bettleren und Müssiggengeren“) siehe Scotti, Cöln I/1, S. 179 f.
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Gotteslästerung, Schwur und Fluch, allen anderen Regelungsgebieten vorangestellt sind. Eine unmittelbare Verknüpfung des Gottesbezugs mit dem Auftrag zur Sicherung der Armenfürsorge besteht anders als die in dieser Hinsicht konkrete Einleitung des Kurfürstentums Trier in der Armenordnung von 1533 nicht. Insoweit erfolgt die Regulierung des Armenwesens in Erfüllung der allgemeinen gehaltenen Verpflichtung des Kurfürsten. Der Zweck der Polizeiordnung ist es, den eingerissenen Missbrauch und die entstandene Unordnung abzustellen. Erkennbar ist, dass es nicht um eine Verbesserung hinsichtlich eines bislang noch nie erreichten optimalen Zustands geht, sondern um die Rückbesinnung auf eine durch Missbrauch gestörte frühere Ordnung. Das Leitmotiv ist demnach restituierender und reformierender Natur und nicht mit dem Streben nach Weiterentwicklung und Fortschritt verbunden. Dieser Teil der Handlungsbegründung entspricht der auch im Kurfürstentum Trier verwandten Argumentation. Wesentlich in Bezug auf den Geltungsanspruch ist weiterhin, dass der Erlass der Polizeiordnung nach Beratungen („zeitigem fürgehabten raith“) und nach Abgleichung („zu halten verglichen“) mit dem Domkapitel, „Graeven, Ritterschafft und gemeiner landstschafft“ zustande gekommen ist. Ebenso wie die Reichspolizeiordnung erfolgt auch die Umsetzung der reichsrechtlichen Rahmengesetzgebung im Kurfürstentum unter der Beteiligung der betroffenen Stände. Dass die Polizeiordnung für Kurköln zweifelsohne als Umsetzung der Reichspolizeiordnung von 1530 konzipiert ist, wird neben der stellenweise wörtlichen Übernahme aufgrund des ausdrücklichen Verweises unverkennbar. Dort wird festgestellt, dass die getroffenen Regelungen auf „den gemeinen beschrieben rechten, und des heiligen Reichs ordnungen“ beruhen. Ein signifikanter Beleg dafür, dass trotz der fehlenden Rechtspflicht zur Umsetzung die Reichspolizeiordnungen durchaus die Funktion einer Rahmengesetzgebung als „leges fundamentales“ im Sinne Scherners erfüllen.207
2. Versorgungsform und Zuständigkeit Behandeln die Beschlüsse der Provinzialsynode vornehmlich die institutionelle Fürsorge und deren ordnungsgemäße Verwaltung, so befasst sich die Polizeiordnung von 1538 darüber hinaus mit der Umsetzung der für die offene Armenversorgung einschlägigen Regelungen der Reichspolizeiordnung von 1530. Sowohl die Inanspruchnahme der Unterstützungsleistungen der Hospitäler als auch der Rückgriff auf das erbettelte Almosen sind als zulässige Versorgungsformen im Kurfürstentum anerkannt. Der einschlägige § 17 „Von Betleren und Muessiggengeren“ bleibt im Zusammenhang mit der generellen Ausrichtung der Polizeiordnung, dem Abstellen von Missbräuchen. Daraus ergibt sich zugleich der Umfang der Regelungen: Es geht um die Sicherung der bestehenden Fürsorgesysteme, für die rudimentäre Vorgaben ergehen. Eine Umstellung der Fürsorgeorganisation auf ein zentralisiertes, obrigkeitlich gesteuertes Verteilungssystem, in welchem der Bettel als Versorgungsform aus207
Zu diesem Ergebnis kommt auch Matthias Weber (2002), S. 36 f.
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geschlossen ist, findet sich demgemäß nicht. Allenfalls in diese Richtung weist die Aufforderung an die Städte und Kommunen, für den Unterhalt der Bedürftigen zu sorgen. Damit ist zwar die Zuständigkeit zur Versorgung geklärt, indes die Art und Weise der Handhabung offen gelassen. Darin kann zwar eine flexibel handhabbare Ermächtigung zugunsten der Städte im Territorium zu sehen sein. Zusätzlich erschwert wird diesen indes eine Adaption der zeitgenössischen Reformmodelle dadurch, dass der Bettel als letzte Möglichkeit für den Fall örtlicher Versorgungsengpässe zugelassen ist. Dem liegt offenbar die Überzeugung zugrunde, dass durch den Bettel als der am einfachsten nutzbaren Versorgungsform flexibler auf Notsituationen reagiert werden kann als durch die aufwändige Organisation der örtlichen Fürsorge. Anders gewendet lässt sich feststellen, dass die Rüstkosten bei der Einführung neuer Konzepte vermieden werden bei der Beibehaltung des bisherigen Systems. 3. Kriterien der Unterstützungsberechtigung a) Einheimische Arbeitsunfähige Die Bestimmung der Berechtigten folgt den tradierten Vorstellungen. Der zum Bettel und zur Nutzung der Hospitäler zugelassene Personenkreis besteht aus den einheimischen und wegen Altersschwachheit oder Gebrechlichkeit arbeitsunfähigen Personen. Ausgeschlossen sind dementsprechend wie bisher von vorneherein Fremde und die starken, arbeitsfähigen Personen, die als Müßiggänger der verschärften Kontrolle der Amtleute unterworfen sind. Die Versorgungsberechtigung gilt grundsätzlich für alle arbeitsunfähigen Untertanen des Kurfürsten. Wegen der formellen Voraussetzung der Erteilung einer Bettelerlaubnis bezieht sich die Versorgungsberechtigung aber nur auf das jeweilige Amt, in dem der Bedürftige seinen Wohnsitz hat. Inwiefern die Ausgabe von Bettelzeichen oder eine anderweitige Erfassung vorgesehen ist, bleibt ungeregelt. Anders als bei der reichsweiten Regelung hätte aufgrund des begrenzten Herrschaftsraums ein Bedarf an einer Detailregelung bestanden. Die Beschränkung auf die Grundprinzipien eröffnet den jeweiligen Ämtern und Kommunen weitere Handlungsspielräume. Eine Ausnahme vom Heimatprinzip gilt nur für den Fall, dass die örtlichen Versorgungskapazitäten nicht ausreichend sind. In diesem Fall ist unter der Voraussetzung ordnungsgemäß ausgestellter Bescheinigungen allerdings nur der Bettel in den benachbarten Ämtern des Erzstifts zulässig. Zuständig für die Erteilung der Bettelbescheinigungen sind die örtlichen kurfürstlichen Befehlshaber. Die Anordnungen beziehen sich eindeutig nur auf die internen Verhältnisse im Kurfürstentum Köln. Hier ist ein markanter Unterschied bei der Umsetzung der reichsrechtlichen Vorgaben zwischen dem Kurfürstentum Köln und Trier erkennbar. Das hat zugleich auch Auswirkungen auf die Frage nach der Versorgungsberechtigung von fremden Untertanen.
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b) Ausschluss Fremder Anders als die Synodalgesetzgebung bestimmt die Polizeiordnung das Merkmal der Fremdheit zum Entscheidungskriterium über die Berechtigung zum Empfang von Unterstützungsleistungen: Ausgeschlossen von der Versorgungsberechtigung sind ausdrücklich Fremde. Die Anerkennung von Berechtigungsbescheinigungen benachbarter Territorien, wie sie das Kurfürstentum Trier kennt, lässt sich der Polizeiordnung von 1538 nicht entnehmen. Vergleicht man die Regelung in Kurköln mit der des Nachbarterritoriums Kurtrier so ist eine unterschiedliche Herangehensweise an die reichsrechtlichen Vorgaben festzustellen. Während in Trier ausdrücklich die Bescheinigungen anderer Herrschaftsgebiete als almosenberechtigend anerkannt werden, gelten die Regelungen für Bettelscheine nur für den internen Ausgleich in Kurköln. Der Wortlaut und Gestaltungsanspruch der Reichspolizeiordnung weist indes auf einen Ausgleich zwischen den benachbarten Ämtern anderer Territorialherren hin.208 Erstaunlich ist jedenfalls, dass es angesichts der ansonsten wortgetreuen Umsetzung der Reichspolizeiordnung zu einer Reduktion des offen stehenden Normrahmens kommt. Der vergleichende Blick auf die Regelungen der Provinzialsynode ergibt dort ebenfalls die Ausrichtung der Fürsorgeorganisation auf die ortsansässigen Armen und damit das eigene Erzstift. Indes regelt die Provinzialsynode ein Stufungsverhältnis bei der Versorgung einheimischer Bedürftiger, ohne die Versorgung Fremder gänzlich auszuschließen. Das Unterlassen einer Klarstellung in der Polizeiordnung bedeutet nicht zwangsläufig eine Kollision, da anzunehmen ist, dass die Bestimmung des Zugangsrechts zum Territorium auch aus Sicht der kirchlichen Würdenträger Aufgabe des Staates ist. 4. Strafbarkeit des Bettelns Der Versorgungsausschluss für fremde oder arbeitsfähige Bettler wird ergänzt durch die Strafandrohung bei Verstoß gegen das Bettelverbot. „Frembde starcke und argwoenige Gyler oder Betler“ sind festzunehmen. Die anschließende Bestrafung „vermöge der Recht“ soll zur Abschreckung erfolgen. Die sich in der weiteren Entwicklung der Gesetzgebung verstärkende Funktionalisierung der Strafbarkeit des Bettelns hat hier ihren Ursprung.209 5. Präventive Maßnahmen Bleiben bereits die Sanktionen unbestimmt, so lässt sich dies auch für den Bereich der Armutsprävention feststellen. Man wiederholt die reichsrechtlichen Vorgaben: Wegnahme der Kinder von den bettelnden Eltern und die Zuweisung zur Ausbildung. 208
So versteht dies auch Battenberg (1991), S. 49 f. Zur Entwicklung der generalpräventiven Funktion der Strafe vgl. allgemein Hoffmann (1992), S. 62 ff. Zum Bezug auf die Strafandrohungen in den Polizeiordnungen vgl. Battenberg (1991), S. 48; Scherner (1979), S. 65, S. 67. 209
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Dieser Grundsatz erfährt ebenso wie in der Reichspolizeiordnung keine weitere Konkretisierung dahingehend, wie die Zuweisung der Bettlerkinder zu Handwerkern oder als Dienstpersonal gestaltet werden soll. Die durchaus vielseitigen Vorschläge im Werk von Vives werden augenscheinlich nicht durch die Territorialgesetzgebung rezipiert und konkretisiert.210 Immerhin wird erkennbar, dass der Bettel an sich als Gefahr gesehen wird trotz des fortwährenden Rückgriffs auf ihn als Versorgungsform. Die mit der Zuweisungsanordnung verbundene Intention zielt darauf ab, durch eine möglichst frühzeitige Arbeitstätigkeit die Erlernung eines nur auf Unterstützung anderer angewiesenen Lebensstils zu verhindern. Dies entspricht durchaus den zeitgenössischen Reformansätzen und den insbesondere durch Luther verbreiteten Vorstellungen der Missbrauchsmöglichkeiten bei Zulässigkeit des Bettels. Angesichts der fehlenden Konkretisierung drängt sich indes der Eindruck eines Gesetzesbefehls ohne konkrete Umsetzungsakte auf. 6. Hospitalsverwaltung Obgleich das Hauptaugenmerk der Ausgestaltung des Bettelwesens gilt, wird die Regelung zur Hospitalsverwaltung entsprechend der Reichspolizeiordnung umgesetzt. Die Aufsichtskompetenz der Amtmänner, Befehlshaber, Städte oder Kommunen über die ansässigen Hospitäler wird erneut bestätigt. Deren Aufgabe ist es, für den ausreichenden Unterhalt und die ordnungsgemäße Leitung zu sorgen. Hierzu gehört die Verhinderung einer zweckentfremdeten Nutzung der Vermögenswerte des Hospitals zu etwas anderem als der Versorgung der als bedürftig anerkannten Personen. Größtenteils stimmen die territorialstaatlichen Regelungen mit den zwei Jahre zurückliegenden Beschlüssen der Provinzialsynode überein, ohne jedoch deren Detailliertheit etwa bei den Anforderungen an die Person des Verwalters zu erreichen. Dagegen ist die Stellung der kurfürstlichen Amtleute als übergeordnete Aufsichtsinstanzen neu aufgenommen. Die Stärkung der Position der kurfürstlichen Amtsträger liegt in der Kontrollbefugnis über die Zweckwahrung und der allgemeinen Unterhaltspflicht für die Hospitäler. Die Pflicht des Hospitalsverwalters zur jährlichen Rechnungslegung, wie sie die Provinzialsynode vorsieht, findet 1538 noch keine Aufnahme in die kurkölnische Polizeiordnung. Auch die durch die Provinzialsynode vorgesehene Beteiligung des Pfarrers bei der Verwaltungsaufsicht findet sich nicht ausdrücklich im Gesetzestext wieder. Die Polizeiordnung bleibt indes zu unbestimmt, als dass sich aus der fehlenden Beteiligung ein Widerspruch zu der erst kurze Zeit zurückliegenden Provinzialsynode konstruieren ließe. Fest steht immerhin, dass die von der Synode ebenfalls eingeforderte Rolle der weltlichen Obrigkeiten bei der Kontrolle der Erfüllung barmherziger Werke ihre Umsetzung gefunden hat.
210 Vives schlägt die Beschäftigung von Kindern in der Seidenspinnerei vor oder Zuweisung von Erwachsenen zu Handwerksbetrieben, denen öffentliche Aufträge gegeben werden, vgl. Vives, Unterstützung, I., S. 323.
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7. Repressive Maßnahmen gegen mobile Personengruppen Neben anderen Materien gehören die Vorschriften über Tagelöhner (§ 25), das Abwerben von Arbeitskräften (§ 24) und das Auswandern aus dem Territorium (§ 34) zum Gegenstand der Polizeiordnung.211 Darin enthalten sind Regelungen, die sich begrenzend auf den potentiellen Kreis der Nachfrager von Unterstützungsleistungen auswirken. In der weiteren Entwicklung der Gesetzgebung treten diese Aspekte immer öfter in einen direkten Zusammenhang mit der Armenfürsorge. Für die Beurteilung der späteren Entwicklung ist relevant, dass es den Dienstboten, Reisigknechten sowie den Mägden verboten ist, ohne die Bescheinigung eines ehrlichen Abschieds eine andere Stelle anzutreten. Den Amtsleuten, Richtern und Städten des Erzstifts wird die Erstellung einer Ordnung bezüglich der Entlohnung von Tagelöhnern befohlen. Das Auswandern aus dem Erzstift wird unter Androhung des Rechtsverlusts und der Konfiskation des Besitzes verboten. All diese Vorschriften zielen auf die Begrenzung von Mobilität hin, welche eine Veränderung des aktuellen wirtschaftlichen Status der betreffenden Person zur Folge hat. Gerade die zuletzt genannte Vorschrift zur Verhinderung der Auswanderung gewinnt mit den angedrohten Strafen in der weiteren Entwicklung eine Dimension, die sich sowohl auf die Frage der Zugehörigkeit zum Unterstützungsort als auf die Strafen, welche einer umherziehenden Person drohen, erstreckt. Die Sanktionen gegen unerlaubt Vagierende befassen sich zunächst hauptsächlich mit der Personengruppe der Zigeuner. § 35 ordnet die in der Reichspolizeiordnung 1530 durch Art. 35 geregelten repressiven Maßnahmen an.212 Der Vorwurf des Verrats der Christenheit an die Türken wird gegenüber den Zigeunern wiederholt. Aufgrund dessen sind ihnen die Einreise und der Aufenthalt verboten bei gleichzeitiger Ankündigung der Recht- und Friedlosigkeit. Im unmittelbaren systematischen Regelungszusammenhang wird die Kontrolle fremder Personen bei der Einreise ins Erzstift angeordnet und die Erforderlichkeit ausreichender Bescheinigungen über Herkunft und Tätigkeit festgelegt. Im weiteren Sachzusammenhang mit dem Vorgehen gegen die Zigeuner steht das Verbot des Durchzugs von gartenden Landsknechten ohne Genehmigung der Obrigkeit. Direkt im Anschluss wird die Einreise fremder Krämer, die später generell unter dem Diebstahl- und dem Bettelverdacht stehen werden, ohne das Vorliegen entsprechender Ausweise untersagt. Bei verdächtigem Verhalten werden eine peinliche Befragung und gegebenenfalls eine entsprechende Bestrafung angeordnet. Die systematische Annäherung reisender Händler an die Gruppe der fremden umherziehenden Bettler lässt sich bereits in der Gesetzgebung Karls V. für die spanischen Niederlande nachweisen.213 Durch die Zusammenfassung unterschied211 Vgl. zu den einschlägigen §§ der Polizeiordnung von 1538 die jeweils entsprechenden §§ in der Polizeiordnung vom 4. 11. 1595 in Scotti, Cöln I/1, S. 185 f. (§§24 f.), S. 206 f. (§ 34). 212 Vgl. zu den einschlägigen §§ der Polizeiordnung von 1538 die jeweils entsprechenden §§ in der Polizeiordnung vom 4. 11. 1595 in Scotti, Cöln I/1, S. 197 f. (§ 35). 213 Vgl. das Edikt Karls V. für die spanischen Niederlande vom 7. 10. 1531 in Strohm/Klein, Bd. 2, S. 160.
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licher Gefahrenquellen aus polizeirechtlicher Sicht wird der Grundstein gelegt zur späteren Bündelung repressiver Maßnahmen gegen Umherziehende mit dem Vorgehen gegen fremde Bettler. 8. Resümee zur Polizeiordnung von 1538 Die Polizeiordnung des Kurfürstentums Köln verbleibt auf dem Stand der Reichspolizeiordnung von 1530, ohne eigene Akzente setzen zu können. Prägender Wesenszug dieser Verordnung ist die Konservierung der bestehenden Verhältnisse. Insofern wird nur die Abstellung von entstandenen Missständen als erforderlich angesehen, was gerade bei den Regelungen zur Armenversorgung deutlich wird. Hier bleibt die Polizeiordnung im Gefolge der Reichspolizeiordnung im Rahmen der bereits im 15. Jahrhundert in den Städten erprobten – und bereits überholten – Grundlinien der Versorgungsformen: erlaubter Bettel und die Unterstützung durch die institutionalisierte Fürsorge. Demgemäß verbietet man zwar generell das Betteln für starke, selbst versorgungsfähige Personen und stuft die Lebensweise des Bettlers als schädlich ein. Dennoch ändert dies nichts daran, dass der Bettel für schwache, nicht versorgungsfähige Personen eine zulässige Versorgungsgrundlage bildet. Ansatzpunkte für eine Zentralisierung von Mitteln auf kommunaler Ebene zur Finanzierung einer gesteuerten Leistungsverteilung und einer damit verbundenen Aufhebung des Bettelrechtes sind nicht erkennbar. Zwar wird die Verpflichtung zur Ausbildung der Bettlerkinder gefordert. Fraglich sind indes die Umsetzungsmöglichkeiten des Normgebots.214 Auch im Bereich des Hospitalwesens bleibt man auf dem bisherigen Stand, allerdings verstärkt sich die Bedeutung der Funktionsträger der weltlichen Herrschaftsgewalt bei der Aufsicht über die Verwaltung.
IV. Polizeiordnung von 1595 als Wiederholung der Polizeiordnung 1538 Die Polizeigesetzgebung im Kurfürstentum Köln folgt im 16. Jahrhundert dem eingeschlagenen Weg. Ähnlich den Wiederholungen der ersten Reichspolizeiordnung in den Jahren 1548 und 1577, wird am 4. 11. 1595 die Vorgängerverordnung des Jahres 1538 durch den Kurfürsten Ernst von Bayern als neue Polizeiordnung erlassen.215 Die Erneuerung und Wiederholung von Gesetzen stellt ein bis zum Ende des 214
Hierzu ebenfalls kritisch Battenberg (1991), S. 46, Scherpner (1962), S. 41 f. Polizeiordnung von 1595 ist – mit Kennzeichnung der Abweichungen gegenüber der von 1538 - in: Scotti, Cöln I/1, S. 166 – 205 (Nr. 37). Der Ausstellungsort ist Arnsberg. Bei der Polizeiordnung von 1595 handelt es sich um einen der letzten Rechtsetzungsakte des Kurfürsten Ernst von Bayern. Dieser behält zwar weiterhin die Kurwürde und den Titel des Erzbischofs, muss allerdings die weltliche und geistliche Administration an seinen Neffen Ferdinand von Bayern als Koadjutor abgeben, vgl. auch zu den Ursachen des Amtsverzichts Gatz (1990), S. 107, 166 ff. 215
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Ancien Régime anzutreffendes Phänomen insbesondere bei Polizeiordnungen dar. Dabei dient die Wiederholung zugleich auch der Rechtfertigung von Neuerungen und zur Verstärkung der Vollzugspraxis.216 Die Kontinuität wird in der Einleitung deutlich, die nur marginale Veränderungen aufweist. Wiederum erfolgt der Erlass in Abstimmung mit dem Domkapitel. Das Erzstift und das Herzogtum Westfalen werden deutlicher als noch 1538 zum Geltungsraum bestimmt. Die Semantik der Vorgängerordnung hinsichtlich des Gottesbezugs wird wieder aufgegriffen, teilweise unter Verstärkung des Aspekts der Wiederherstellung des momentan fehlenden christlichen Lebenswandels. Neu aufgenommen für den Bereich der Armenfürsorge ist nunmehr die Neuerung der Reichspolizeiordnung von 1548 bezüglich der jährlichen Rechnungspflicht der Hospitalvorsteher. Ansonsten erfolgen synchron zur stagnierenden Reichsgesetzgebung keine weiteren Veränderungen.217 Der Transfer der vorangegangen Rechtsentwicklung in den spanischen Niederlanden, den reformierten Territorien oder des Nachbarterritoriums Kurtrier in territoriales Recht erfolgt im gesamten 16. Jahrhundert nicht. Dies stellt jedoch kein singuläres Phänomen einer diesbezüglich als rückständig einzuordnenden Gesetzgebung eines geistlichen Kurfürstentums dar. Der Vergleich mit dem Herzogtum Bayern zeigt vielmehr, dass sich auch weltliche Fürsten auf die bloße Umsetzung der reichsrechtlichen Vorgaben beschränken, dies sogar mit zeitlicher Verzögerung.218 Der Versuch, durch Einrichtung zentraler Kassen unter eigener Kontrolle zur Ablösung des Bettels durch obrigkeitliche Unterstützungsgewährung zu gelangen, ist in der territorialstaatlichen Gesetzgebung zur öffentlichen Armenfürsorge nicht unternommen worden.
V. Sonderform der Unterstützungssicherung: Bergordnung von 1559 Während die Gesetzgebung zur öffentlichen Armenfürsorge keine auf kommunaler Ebene zentralisierten Kassen kennt, fällt der Befund in einem Sonderrechtsgebiet anders aus. Die Bergordnung vom 14. 6. 1559 stellt insoweit eine gewisse Besonderheit innerhalb der Territorialgesetzgebung dar.219 Nur für die ohnehin in besonderen 216
Auf diesen Zusammenhang weist Wüst (2003), S. 293 hin. Vgl. den einschlägigen § 17 der Polizeiordnung von 1595 in Scotti, Cöln I/1, S. 179 f. (Nr. 37). 218 Vgl. Schepers (2000), S. 77 ff. Das Herzogtum Bayern folgt erst nach der Reichspolizeiordnung von 1548 dem Umsetzungsgebot. Früher als in Kurköln ergeht in Bayern zum Ende des 16. Jahrhunderts eine Armenordnung, die den Bettel als Versorgungsform zugunsten einer zentralisierten Almosenausteilung verbietet. 219 Bergordnung vom 14. 6. 1559 in VSC I, S. 263 – 268 (Nr. 119); Scotti, Cöln I/1, S. 70 – 77 (Nr. 22). Die nur kurze Zeit später erlassene Bergordnung vom 24. 6. 1559 in Scotti, Cöln I/1, S. 77 – 126 (Nr. 23) enthält keine weiteren Bezüge zur Armenfürsorge. Zur Armut im Bergbau vgl. Bräuer (2004), S. 199 ff. 217
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Rechtsverhältnissen stehende Sondergruppe der Bergleute ist die Einrichtung einer Almosenkasse angeordnet. Ebenso wie die Polizeiordnung ist die Bergordnung nach vorheriger Beratschlagung mit dem Domkapitel und den „Ertzstiffts verwandten“ zustande gekommen. Die Bergordnung besitzt im gesamten Herrschaftsgebiet des Kurfürsten Gültigkeit. Als Adressaten sind die gegenwärtigen oder zukünftigen Betreiber der Bergwerke im gesamten Kurfürstentum genannt. Steht bereits in der Polizeiordnung von 1538 der Gottesbezug als Motivation zum Normerlass im Vordergrund, so setzt sich dies bei der Bergbauordnung noch weiter fort. Die Existenz von Bergwerken und Erzvorkommen wird als der Gnade des allmächtigen und barmherzigen Gottes begriffen.220 Dementsprechend soll der Bergbau der Förderung des Lobs Gottes und des gemeinen Nutzens dienen, damit die „edle gottes gaben nit vergeblichen“ ist. Die Betonung des religiösen Zusammenhangs seitens des Landesherren entspricht durchaus der besonderen Frömmigkeit der im Bergbauberuf Beschäftigten.221 Inmitten der Gewährung von Sonderrechten und Sonderfreiheiten für den Bergbau findet sich die Aufforderung zur Einrichtung eines Armenkastens.222 Der Kurfürst ordnet für alle Bergwerke des Erzstifts an, dass der Ertrag eines Stollens („stam“) gemeinnützigen Zwecken zukommen soll. Zu diesen Zwecken zählen die „erhaltung [des] gemeines Nutzens, Kirchendienste und Allmuessen arme leuthe“. Der so bestimmte Verwendungszweck, der über die Armenfürsorge hinaus reicht, ähnelt der Nutzung der protestantischen Armenkästen.223 Jede „gewerckschafft“ ist aufgefordert, diesen „stam“ ausschließlich zu diesem Zweck auszubeuten. Der Ertrag ist dem dazu bestimmten „kasten Herrn“ vierteljährlich gegen Quittung zu überreichen.
1. Bergmannskasse als zentralisierter Armenkasten Für die Sondergruppe der Bergleute existiert demnach die Einrichtung einer zentralen Kasse, zu deren Zweckbestimmungen neben der Erhaltung der Kirchendienste auch die Versorgung Bedürftiger durch Almosen gehört. Zu berücksichtigen ist, dass die Gemeinschaft der Bergleute als Knappschaft eine Standesorganisation darstellt, die vergleichbar mit einer religiösen Bruderschaft gemeinschaftlich Aufgaben der sozialen Sicherung bei Notsituationen und Krankheit erfüllt.224 Dass diese Einrichtung auf einer allgemein verbreiteten Tradition beruht, belegt der Hinweis auf die Üblichkeit in anderen Bergbaugebieten („uff anderen Bergstetten gebreuchlich“). Unabhän220
Bergordnung vom 14. 6. 1559 in Scotti, Cöln I/1, S. 70, 75. Blaschke/Heilfurth, Art. Bergbau V: Bergmännisches Leben, in: LexMA I. 222 Zu den geregelten Sonderrechten gehören Waldnutzungsrechte für Schachtholz, Schmelzvorschriften, Baufreiheiten, Weineinkauffreiheiten, Gläubigerschutzvorschriften, Zehntbefreiungen für die ersten 5 Jahre des Betriebs und andere Bergstadtfreiheiten. 223 Vgl. zur Verwendung der Gelder protestantischer Armenkästen, u. a. auch für die Besoldung von Kirchendienern, Battenberg (1991), S. 40, 51; Bräuer/Schlenkrich (2006), S. 82; Scherner (1979), S. 77. 224 Blaschke/Heilfurth, Art. Bergbau V: Bergmännisches Leben, in: LexMA I. 221
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gig von einer genauen Einordnung des Charakters des zweckgebundenen Abbaus seien es Standestradition, Ausdruck des genossenschaftlichen Verbundes oder caritativer Stiftung, liegt die Bedeutung auf einer anderen Ebene. Wenn auch nur zugunsten eines begrenzten Personenkreises existiert in der Gesetzgebung der Typus einer beständigen zentralen Kasse zur Erfüllung von Unterstützungsaufgaben. Seine Besonderheit liegt zudem in den auf Eigenleistung beruhenden späteren Unterstützungsleistungen. Es bleibt das einzige in der Territorialgesetzgebung des 16. Jahrhunderts im Kurfürstentum Köln anzutreffende Beispiel einer in Ansätzen mit den zeitgenössischen Reformmodellen vergleichbaren Einrichtung.225 Anders gewendet: Es gelingt nur für den Bergbau mit seinen Eigentümlichkeiten der Schritt zu einer zentralisierten Armenkasse. Der Territorialgewalt ist demnach zwar im Grunde die Idee eines solchen Instituts bekannt, dennoch nimmt man eine Übertragung auf die landesweite Organisation der Armenversorgung nicht vor.
VI. Fortführung der Synodalgesetzgebung 1. Konzil von Trient im Jahr 1548 Die durch die Kölner Provinzialsynode von 1536 begonnene Rückbesinnung auf die kirchliche Zuständigkeit im Bereich der Anstaltspflege erfährt in den verschiedenen Sessionen des Tridentinischen Konzils im Jahr 1548 ihre Fortsetzung.226 Die Anweisungen aus Trient für das Hospitalswesen entsprechen im Wesentlichen dem bereits 1536 in der Kölner Erzdiözese erreichten Stand.227 Wiederum steht die Hospitalsfürsorge im Fokus der Neuordnung der Armenpflege. Die Stellung des Bischofs als Aufsichtsinstanz wird weiter verstärkt und präzisiert. Ihm obliegt die Approbation des Hospitalsverwalters und bei Fehlverhalten dessen Absetzung. Dem Verwalter ist eine Restitutionspflicht auferlegt für die aus seiner maximal dreijährigen Amtszeit stammenden Fehlbestände. Bemerkenswert hinsichtlich der Zugangsberechtigung zu den Hospitalsleistungen ist, dass ausdrücklich Fremde für einen kurzen Zeitraum aufzunehmen sind. Dies gilt jedenfalls solange der Stiftungszweck nicht exklusiv für die Bewohner einer bestimmten Region vorgesehen ist. Eben dies verhält sich jedoch konträr zu der in Reichsterritorien und Städten üblichen Praxis, deren Zielgruppe die einheimischen Armen darstellt. Für das zugrunde liegende Verständnis der Fürsorgeorganisation entscheidend ist das Verständnis des Almosens, welches gerade in Abgrenzung zur Reformation immer noch als heilwirksames Werk der Barmherzigkeit verstanden wird.228 Die 225
Vgl. zu Beispielen in anderen Territorien u. a. in Österreich Schöpfer (1976), S. 74 ff. Uhlhorn (1895), S. 619; Ratzinger 1884, S. 463 ff. Beide verweisen auf die Beschlüsse der Sessionen 7 (cap. 15), 22, 25. Die Beschlüsse der Session 7 stellen ihrerseits wiederum die Widerholung der Beschlüsse des Konzils von Vienne dar. 227 Vgl. Begon (2002), S. 107. 228 Vgl. Geremek (1988), S. 248ff; Jütte (1994), S. 133 – 134. 226
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dem kirchlichen Verständnis entspringende Vorstellung der Allzuständigkeit des Bischofs im Bereich der Armenversorgung wird erneut wiederholt. Nach Ansicht des Konzils ist es weiterhin so, dass dem Bischof die Kompetenz zukomme, Einsicht in alles zu nehmen, was zugunsten der Armen geschieht, und dessen Ausführung zu überwachen. Hierunter sind neben der bereits erfassten Anstaltspflege also auch städtische oder territorialstaatliche Einrichtungen zu verstehen. Die Kompetenz zur Armenpflege kommt dem Bischofs kraft seines Amt zu („ex officio suo“). Hergeleitet wird dies mit dem Verweis auf die alten kirchlichen Satzungen.229 Verglichen mit den tatsächlichen Möglichkeiten der Einflussnahme katholischer Bischöfe auf die territorialstaatliche Gesetzgebung,230 stellt die Aufforderung nur für die geistlichen Kurfürsten ein umsetzbares Postulat dar. Die Vorgaben des Tridentinischen Konzils lassen indes über den Umsetzungsverweis an die Provinzialsynode Raum, die faktischen wirtschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen. Die Beschlüsse des Konzils bilden denn auch in der Folge den Ausgangspunkt zahlreicher Umsetzungsakte durch die Partikularsynoden.231 2. „Formula reformationis“ Karls V. von 1548 Die „formula reformationis“ Karls V. von Jahr 1548 steht im Eindruck der bisherigen Beschlüsse des Tridentinischen Konzils. Unter anderem die Verlagerung des Tagungsortes von Trient, einem auf dem Boden des Reichs befindlichen Ort, nach Bologna in den Herrschaftsbereich des Papstes führen zur Notwendigkeit einer eigenständigen Lösung des bestehenden Konfessionenkonflikts im Reich.232 Auf dem Reichstag in Augsburg entsteht am 15. 5. 1548 das für die protestantischen Reichsstände maßgebliche Interim, während die „formula reformationis“ an die geistlichen katholischen Reichsstände gerichtet ist.233 Die am 9. 7. 1548 erlassene „formula reformationis“ greift unter Titel 7 „De hospitalibus pauperum, infirmorum et peregrinorum“ die einschlägigen Regelungen zur Wiederherstellung der institutionellen Für229 Uhlhorn (1895), S. 619; Ratzinger 1884, S. 464, dort in Fn. 3 der Textauszug: Sessio XXII, de reform. C. 8: „omnia quae ad cultum Die aut salutem animarum seu pauperes sustentandos instituta sunt, ipsi (episcopi) ex officio suo juxta canonum sacrorum statuta cognoscant et exequantur non obstantibus quacumque consuetudine etiam immemorabili, privilegion aut statuto.“ 230 So verhält sich im Herzogtum Bayern das Machtgefüge geradezu konträr zur Annahme der Kölner Synode: Nachdem durch das Konkordat von 1583 der Einfluss des Herzogs auf das Kirchenwesen ausgebaut wurde, wird dies gerade im Bettel- und Almosenwesen ausgenutzt, vgl. Schepers (2000), S. 18. Zur Kluft zwischen Anspruch und Realität vgl. auch Uhlhorn (1895), S. 419. 231 Vgl. Jütte (2004), S. 99. Allerdings setzt Jütte den Zeitpunkt der Umsetzung erst ab 1565 und bezieht sich auf die Umsetzung im nördlichen Italien. Dass diese Angabe nicht zutreffend ist, zeigt der Blick auf die Kölner Provinzialsynode von 1549, welche die insofern gleichlaufenden Bestimmungen der „formula reformationis“ bereits zu diesem Zeitpunkt als eines der ersten geistlichen Territorien umsetzt. 232 Wolgast (2005), S. 358 f. 233 Schulze (1997), S. 150 f.
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sorge des Tridentinischen Konzils auf.234 Wie der Titel bereits besagt, beschränken sich die Ausführungen entsprechend der bisherigen Vorgehensweise auf die Verwaltung der Hospitäler.235 a) Kompetenzbestimmung Die einschlägigen Regelungen beginnen mit der Feststellung, dass die von den Kirchenvätern einst eingeführte Zweckbestimmung des vierten Teils des kirchlichen Einkommens zugunsten der Armenpflege in Abgang gekommen ist. Die hierzu gewidmeten Güter seien nunmehr anderen Zwecken zugeführt oder vernachlässigt worden. Man verweist hierzu auf die reichhaltigen Schenkungen der Kaiser, Könige, Fürsten und anderer begüterter mitleidiger Menschen an die Bischöfe, Kollegien und Klöster. Vor diesem Hintergrund ergeht die Aufforderung an die Klöster, sich dem Wiederaufbau verfallener Hospitäler und der Bestandswahrung zu widmen. In diesem Zusammenhang wird die Rückgabe der zweckentfremdeten Güter gefordert. Bei Unklarheiten über die einstige Zweckbestimmung der Stiftungen durch Vermengung und andersartigen Gebrauch, liegt die Entscheidungsbefugnis zur Restitution beim Bischofs oder dem jeweiligen Kirchenoberen des Ortes („dispositione Episcopi aut ordinarii ecclesiastici illius loci“). Damit ist die innerkirchliche Position der Bischöfe gestärkt. In ihrer Macht liegt es, den Gebäuden, deren Gebrauch vornehmlich der Pflege von Schwachen und Armen dienen soll, die zur Wiederherstellung notwendigen finanziellen Mittel aus den Schatzkammern der Klöster oder Kollegien zuzuweisen. Die Pflicht zum Erhalt der Hospitäler gilt auch für die kirchlichen Orden. b) Begünstigtenkreis Der von diesen Reformmaßnahmen begünstigte Personenkreis der institutionellen Fürsorge entspricht den bisherigen Beschlüssen der Kölner Provinzialsynode von 1536. Genannt sind wieder die Witwen, Waisen und die wahren Armen. Das entscheidende Merkmal ist und bleibt die Unfähigkeit, sich selbst zu versorgen.236 Die Priorität der Versorgung durch die örtlichen Hospitäler gilt klar den ansässigen Armen. Für Fremde oder Pilger („peregrini“) ist nur eine übergangsweise Versorgung vorgesehen. Die „formula reformationis“ relativiert jedoch die diesbezügliche Forderung 234 „Formula reformationis“ vom 9. 7. 1548 in Blattau, Statuta II, S. 128ff, zu Titel 7 vgl. S. 144 f.; Concilia VI, S. 742 ff., Titel 7, vgl. S.751 f. Der Entwurf wird am 14. 6. 1548 vorgelegt. Der Text findet sich ebenfalls bei Ratzinger (1884), S. 471 Fn. 2. 235 Vgl. Feuchtwanger (1909b), S. 218. Allerdings ist der fehlende Wille zur Regelung anderer Rechtsgebiete, wie es Feuchtwanger darstellt, im Zusammenhang mit der ebenfalls 1548 erlassenen Reichspolizeiordnung zu sehen. Diese enthält Aussagen zur Regulierung des Bettlerwesens und der Hospitalsverwaltung. 236 Ratzinger 1884, S. 471, trennt zwischen den wahren Armen und denjenigen Ortsarmen, die sich nicht den notwendigen Lebensunterhalt verschaffen können. Indes bietet die lateinische Vorlage zu dieser Trennung bzw. Verknüpfung der Ortsarmen keinen Anlass, zumal die einschlägigen Territorialordnungen die Versorgungsunfähigkeit stets als übergeordnetes Merkmal verwenden.
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des Tridentinums. Im Tonfall heftig wird die längerfristige Beherbergung dieser nicht aus dem jeweiligen Ort stammenden Personen sogar als Betrug an den wahren Armen bezeichnet.237 An dieser Stelle berührt sich die Entwicklung der weltlichen Ordnungen mit der des kirchlichen Bereichs. Die „formula reformationis“ ist zwar vom Kaiser erlassen, jedoch als Umsetzungsakt der Tridentinischen Beschlüsse vor allem an die Kirchenfürsten gerichtet. Handelt es sich bei dem Kriterium der Fremdheit in der bisherigen Synodalpraxis um eine Stufungs- und nicht um ein Ausschlusskriterium, so ist an diesem Punkt eine weitere Verschärfung festzustellen. Fremdheit wandelt sich hin zu einem Ausschlusskriterium, was eben in Bezug auf die den einheimischen Armen offen stehende längerfristige Versorgung im Hospital deutlich wird. c) Vorschriften zur ordnungsgemäßen Verwaltung Unabhängig vom Stiftungsakt des Hospitals, sei es beispielsweise eine Gründung der Bürgerschaft oder der Kirchengemeinde, gilt für alle Hospitäler der Grundsatz der „guten Verwaltung“.238 Dem ordnungsgemäßen Verwaltungsvollzug wird, wie es sämtlichen Normtypen gemein ist, besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Wiederum taucht die Forderung nach Rechnungslegung vor einem hierzu einberufenen Gremium als Merkmal einer ordentlichen Verwaltung auf. Alleine dass die Rechnungslegung alle Vierteljahre erfolgen soll, bildet eine gewisse Neuheit und geht über das in der Reichspolizeiordnung von 1548 geforderte Maß deutlich hinaus.239 Hinter diesen Regelungen steht die Furcht vor Betrug als der Ursache fehlender finanzieller Ressourcen. Die Vorstellung unzureichender Versorgungsleistungen infolge unzureichender oder fehlender finanzieller Ausstattung ist durch die Überfixierung auf den Missbrauchstatbestand vollkommen versperrt. Beleg für die Konzentration alleine auf die Vermeidung von Untreuehandelungen ist die zusätzliche Absicherung der Rechnungslegung durch die regelmäßigen Visitationen. Die gleichsam über allen Kontrollmechanismen stehende Aufsichtsbefugnis steht dem Bischof oder dem Prälaten zu, denen nach Ortsgebrauch dieses Recht gebührt. Hinzugefügt ist diesen Regelungen ein Vermerk, der die Vorrangigkeit der Hilfe für die Seele durch die mildtätigen Einrichtungen betont. Die Kontinuität der scholastischen Vorstellungen lässt sich an dieser Stelle nicht verkennen. Gleichwohl erweist sich auch hier das Bekenntnis zur Höherwertigkeit der Hilfeleistung für die Seele und den menschlichen Geist als peripher, wenn man den eigentlichen Schwerpunkt der Regelungen, das körperliche Almosen, berücksichtigt.
237 Blattau, Statuta II, S. 144: „Peregrinis vero pro refectione, non inhabitatione, aut in pauperum illorum fraudem, patere debent.“ 238 Zum Begriff der „guten Verwaltung“ vgl. Begon (2002), S. 105 ff. 239 Die Reichspolizeiordnung ergeht nur wenige Tage vorher am 30. 6. 1548.
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3. Teil: Die Entwicklung im 16. Jahrhundert (Anfangsphase)
3. Provinzialsynode von 1549 Die unter Kurfürst Adolf von Schaumburg im Jahr 1549 einberufene Provinzialsynode greift den Auftrag der tridentinischen Beschlüsse und der „formula reformationis“ auf.240 Die prompte Erfüllung der Forderungen entspricht unter anderem der engen Verbindung zwischen den Interessen Karls V. und des Kölner Erzbischofs, für welchen die habsburgischen Niederlande militärischen Schutz für das eigene Territorium bedeuten. Angesichts der unter Hermann von Wied versuchten Einführung der Reformation im Erzstift, ist es seinem seit 1547 eingesetzten Nachfolger Adolf von Schaumburg ein besonderes Anliegen, deren Folgen zu beseitigen und die katholische Gegenreform in Gang zu setzen.241 Neben der Wiederherstellung und Reform der kirchlichen Jurisdiktion, des Studiums und der Ämterpflichten steht das Visitationsrecht auf der Tagesordnung. Unter jenem Punkt wird das für die Armenfürsorge relevante Visitationsrecht für die Hospitäler in einem kleineren Unterabschnitt geregelt. Gleichsam selbstverständlich beschränken sich die Regelungen auf die Hospitalsversorgung gemäß der gefestigten Konzentration des Kirchenrechts hierauf. Das katholische Hospital hat aus Sicht der Provinzialsynode seinen religiösen und kirchlichen Charakter nicht verloren. Gerade deshalb wirft die Verwaltung des Stiftungsvermögens durch Vertreter des Magistrats immer wieder Fragen nach dem ordnungsgemäßen Vollzug auf. Der mit der Gegenreformation und dem Tridentinum verstärkt geltend gemachte bischöfliche Einfluss wird kirchenrechtlich entsprechend umgesetzt.242 Von den Bischöfen wird demgemäß zugunsten des Gemeinwesens die Rolle des „pater pauperum et infirmorum“ eingefordert. Zu seinen Aufgaben gehört es, dafür zu sorgen, dass die aus den Stiftungsmitteln geschuldeten Almosen nicht zweckentfremdet werden und nur den Armen selbst zu kommen. Erreicht werden soll dies durch aufmerksame und mit großer Sorgfalt durchzuführende Visitationen. Zur Absicherung des Visitationsrechts wird auf die päpstlichen Kirchengesetze und die Reichsabschiede verwiesen.243 Das Recht, Visitationen und notwendigen Reformationen durchzuführen, erstreckt sich auf alle Hospitäler bis auf die ausdrücklich exempierten und damit der Kompetenz des Bischofs entzogenen und dem Heiligen Stuhl direkt untergeordneten Einrichtungen.244 Die Ausrichtung auf die Behebung von Missständen statt auf die Reflexion über die Fähigkeiten des bestehenden Sys240
Provinzialsynode Köln 1549 in Concilia VI, S. 532 ff., zum Hospitalvisitationsrecht vgl. S. 547. Für Kurköln trifft die Klage Karls V. jedenfalls nicht zu, dass die geistlichen Reichsfürsten Widerstand gegen die „formula reformationis“ leisten würden, vgl. zu diesem Vorwurf Wolgast (2005), S. 362. 241 Vgl. Gatz (1990), S. 6. 242 Vgl. Begon (2002), S. 43, 106 f.; Ratzinger (1884), S. 470 f. 243 Gemeint sind damit die Konzilbeschlüsse von Trient und die 1548 daraufhin erlassene „formula reformationis“ Karls V. 244 Vgl. Ratzinger (1884), S. 463: „impetrandumque Ordinariis a Summo Pontifice, Caesarea Majestatis intercessione, privilegium visitandi & reformandi etiam exemptorum Hospitalia, salvo tamen in aliis exemptionis jure“. So auch schon das Tridentiner Konzil von 1548.
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tems bleibt ein Charakteristikum der Vorgehensweise. Wie begrenzt die Umsetzungschancen außerhalb des weltlichen Herrschaftsgebiets sind, zeigen die Schwierigkeiten bei der Umsetzung in Jülich-Berg. Dort tritt der Landesherr durch seine Kirchenpolitik den Ansprüchen der bischöflichen Jurisdiktion entgegen und verwehrt die Umsetzung der Reformmaßnahmen.245 4. „Forma juxta quam in visitatione […] fieri debeat“ von 1550 Die Beschlüsse der Provinzialsynode erfahren eine Ergänzung im Jahre 1550 durch die „forma juxta quam in visitatione fieri […] debeat“.246 Während sich die Provinzialsynode auf die allgemein gehaltene Kompetenzzuweisung und den Hinweis auf das Visitationsrecht beschränkt, wird hier ein detaillierter Fragenkatalog für die Visitation angeboten. Dieser Fragenkatalog gilt bei der Visitation aller Arten von Hospitälern, seien es zu Kollegien, Klöstern, Pfarreien gehörige oder in Städten, Dörfern oder kleineren Ansiedlungen liegende. Ausdrücklich wird bei den Regelungen auch Bezug genommen auf die kurz zuvor erlassene „formula reformationis“ Karls V. a) Fragenkatalog der Visitationen Ausgehend von der Ursachenerforschung des Verfalls einstmals vorhandener Anstalten soll herausgefunden werden, in welchem Umfang Mittel aus den Finanzen der Klöster, Kollegien oder Kommunen die entstandenen Lücken schließen können. Hier offenbart sich unverkennbar die Vorstellung des Primats der Kirchenführung in den Angelegenheiten der Anstaltspflege. Wie sich die Durchsetzung etwaiger Forderungen an die weltliche kommunale Obrigkeit gestalten soll, bleibt unausgesprochen. In den Bereich des Umsetzbaren fällt die Kontrolle der versorgten Personen. In dieser Hinsicht decken sich die normativen Anforderungen des Kirchenrechts mit den üblichen weltlichen Normen, so dass zumindest auf der Normebene Deckungsgleichheit bezüglich der Inklusionskriterien besteht.247 Der Wandel des Merkmals „Fremd“ vom Abstufungskriterium zum Exklusionskriterium wird erneut wiederholt. Die Priorität der Versorgung von ortsansässigen Personen wird im Gegenzug zur Verwehrung des Zugangs für Fremde hervorgehoben.
245 Vgl. Gatz (1990), S. 7. Trotz der kaiserlichen Bestätigung des Synodalbeschlusses am 4. 7. 1549 findet Adolf von Schaumburg keine Unterstützung seitens des Kaisers oder des Papstes. 246 „Forma juxta quam in visitatione fieri […] debeat“ von 1550 in Concilia VI, S. 622 ff., zur Hospitalsvisitation S. 646 f. 247 Diese werden parallel zu den bisherigen Beschlüssen als Witwen, Waisen und wahre Arme, die sich nicht selbst den Unterhalt verschaffen können, bezeichnet.
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b) Verwaltungsvollzug Die anschließenden Fragen gelten vornehmlich dem Verwalter und dem Verwaltungsvollzug. Beginnend mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Amtseinsetzung und der dafür verantwortlichen Stellen ist der Verwalter dahingehend zu untersuchen, ob er geeignet ist als ordentlicher Leiter eines Hospitals. Für die Hospitäler bei Kirchen und Kollegien ist besonderes Augenmerk darauf zu richten, wem aus den Reihen der Kanoniker oder Vikare die Leitung zukommt. Die Leistungen des Verwalters sind sowohl hinsichtlich der diesseitigen als auch der jenseitigen Wirkung zu beurteilen. Als wichtig wird die Bereitschaft zum Mitleid und zur Versorgung mit dem essbaren und dem geistigen Brot des Wortes Gottes und der Sakramente erachtet. Damit erfährt die stetig wiederholte Betonung des Vorrangs der Seelsorge als Prüfungspunkt eine gesteigerte Bedeutung. Besonderes Gewicht gerade in der Zeit der militärischen Auseinandersetzungen der katholischen und der protestantischen Reichsstände gewinnt die Aufforderung zur Meldung der Prediger und Ausspender von Sakramenten sowie deren Zuhörer. Dahinter steht die Bestimmung der konfessionellen Zugehörigkeit. Dennoch bleibt die Erfassung der wirtschaftlichen Funktionsfähigkeit im Vordergrund. Die Amtsführung soll auf Missbrauch, Veruntreuung und Unterschlagung untersucht werden. Als herauszufindende Merkmale schlechter Verwaltung gelten zudem Übermaß und Verschwendung der Güter. Inwiefern sich die Ermahnung zur Barmherzigkeit gegenüber den Armen und Kranken mit der Verurteilung von Übermaß und Verschwendung verträgt, bleibt nur dann erklärlich, wenn man sich das Ziel der Unterstützungsleistung vergegenwärtigt: Die Unterstützungsleistungen sind alleine auf die Abhilfe der konkreten Notsituation gerichtet.248 c) Rechnungslegung Die Rechnungspflicht bleibt das stetig wiederkehrende Instrument zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen Verwaltung. Deren Regelmäßigkeit soll festgestellt werden, wobei hinsichtlich der Häufigkeit auf die Forderung der „formula reformationis“ nach vierteljährlicher Rechnungslegung verwiesen wird. Überprüft werden sollen zudem die beteiligten Personen der Rechnungsabnahme. Zuständig für die Abnahme der Rechnungen in den Kollegien sollen der Dekan und das Kapitel sein, in den Klöstern der Prälat und der Konvent, in den Städten der Priester und die anderen hierzu bestimmten Personen. In diesem Zusammenhang wird an die Verpflichtung des Verwalters nicht nur aufgrund seines Amtes, sondern gegenüber Gott erinnert. Gerade Gott gegenüber gilt die Pflicht, dafür zu sorgen, dass es den Armen an nichts mangelt.
248 Der Versorgungsumfang ergibt sich – wie bereits dargestellt – aus den Ergebnissen hinsichtlich des Versorgungsberechtigten und seiner Versorgungssituation.
B. Gesetzgebung im Kurfürstentum Köln
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d) Sonderregelungen Dem Hauptteil hinzugefügt ist ein Fragenkatalog für die Häuser des Deutschherrenordens („Ordo domus Sanctae Mariae Teutonicorum“), der Johanniter und Antoniter. Dieser fasst zunächst in Schlagworten die bereits dargestellten Fragepunkte zusammen. Hierzu gehören der Bestand an Hospitäler, die Art und der Umfang der Aufnahme von Schwachen und Kranken und der Umfang der verteilten Almosen. Daneben steht die Ergründung des eigentlichen Ordenlebens angefangen von der Anzahl der Ordensleute, der Altersstruktur, über die Aufnahmebedingungen bis hin zu den militärischen Tätigkeiten. Bei den Antonitern, die nicht als militärische Verteidiger der Christenheit tätig sind, gilt der Schwerpunkt der Visitation den zur Aufnahme von Kranken und Armen eingerichteten Häusern. 5. Umsetzung der Visitationspflichten Die zeitliche Nähe der getroffenen Maßnahmen zeigt, dass den Vorgaben des tridentinischen Konzils und der „formula reformationis“ Karls V. besondere Bedeutung beigemessen wird. Die Umsetzung beschränkt sich nicht auf das bloße Wiederholen, sondern weist auch konkrete Fragenkataloge auf, die den Vollzug erleichtern. Entscheidendes Element bei der Sicherstellung der Versorgungsleistungen der Hospitäler ist die ungebrochene Überzeugung, dass System bewahrende Maßnahmen das Erfolg versprechende Mittel sind. Die Beseitigung von Missständen ist und bleibt Hauptaugenmerk der Gesetzgebung für den Hospitalbereich. Dass sich die Umstände dergestalt gewandelt haben könnten, dass das System an sich nicht mehr in der Lage ist, der Nachfrage an Unterstützungsleistungen nachzukommen, gehört nicht zum Bestandteil der Überlegungen des Gesetzgebers. Dass die von Ratzinger geprägte und auch in aktuellen Erscheinungen wiedergegebene Ansicht, im katholischen Teil Deutschlands seien die Armen vor allem auch durch die Spitäler ausreichend versorgt gewesen, zweifelhaft ist, ergibt bereits der Blick auf die Entwicklung in anderen katholischen Territorien.249 Unter anderem in Bayern kommt es zu Veränderungen in der Fürsorgestruktur.250
VII. Resümee und Ausblick Der Vergleich der Ausgangssituation mit der Gesetzeslage am Ende des 16. Jahrhundert hinterlässt einen gemischten Eindruck. Einerseits verbleibt es keineswegs allein bei der den geistlichen Kurfürstentümern unterstellten Beschränkung auf die Anstaltspflege. Vielmehr beweist das Kurfürstentum Köln gerade zu Beginn der Ter249 Vgl. Begon (2002), S. 107, welche die Ansicht von Ratzinger (1884), S. 473, wiederholt. Als Gegenbeispiel dafür, dass bereits im 17. Jahrhundert seitens des katholischen Gesetzgebers erkannt wird, dass ein Handlungsbedarf bei der Fürsorgeorganisation besteht, vgl. Schepers (2000), S. 84 ff. 250 Vgl. zur Entwicklung in Bayern auch Kink (2004).
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3. Teil: Die Entwicklung im 16. Jahrhundert (Anfangsphase)
ritorialgesetzgebung auf dem Gebiet der Armenfürsorge, dass man die Vorgaben der Reichspolizeiordnung zeitnah umsetzt. Damit befindet sich Kurköln inhaltlich auf gleicher Höhe mit weltlichen Territorien, teilweise sogar zeitlich voraus.251 Die detaillierteren Regelungen der Provinzialsynoden zur Hospitalsfürsorge ergänzen die in diesem Bereich rudimentär gehaltene Polizeigesetzgebung. Was im Bereich der Versorgung der Armen in den Städten nur unbestimmt gehalten wird, wird demgegenüber für die Hospitalverwaltung umfassend und detailliert geregelt.252 Die Einführung zentralisierter Armenkassen für die öffentliche Armenfürsorge erfolgt nicht, auch wenn sie aus dem Bergmannsrecht bekannt ist. Damit ist der Bettel als Versorgungsform weiterhin zulässig. Dass dies jedoch kein zwingendes Charakteristikum der Fürsorgegesetzgebung in den geistlichen Kurstaaten ist, zeigt die Entwicklung in Kurtrier zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Festzuhalten ist, dass es die Synodalgesetzgebung eindeutiger als die Territorialnormen beider Kurfürstentümer erlaubt, die tradierten christlichen Vorstellungen zur Armenfürsorge fortzuschreiben. Dies lässt sich besonders deutlich in Bezug auf die Almosenlehre des Aquinaten und dessen Betonung der Höherwertigkeit des geistlichen guten Werks erkennen. Das Kirchenrecht kennt Finanzierungsinstrumente, die denen des weltlichen Rechts ähneln. Das Beispiel der Sammlungen für die Leprosen, die den Bettel derselben ablösen, weist daraufhin. Zu einer Verallgemeinerung und damit zu einer Ablösung des Bettels als Versorgungsform und der Umstellung auf kontrollierte Zuteilungen führt dies ebenso wenig wie der Armenkasten der Bergleute. Lassen sich für das Kurfürstentum Trier vereinzelt Ausführungen zur Durchsetzung der Arbeitspflicht finden, so fehlen solche in Kurköln nahezu vollständig. Die Bereitstellung staatlicher Arbeitsplätze, die Durchsetzung der Arbeitspflicht mit Zwang, wie sie das Zucht- und Arbeitshaus ermöglicht, bleibt der weiteren Entwicklung vorbehalten.
251
So wie in Kurköln auch der Stand im Herzogtum Bayern bis zum Jahr 1597, vgl. Schepers (2000), S. 78 – 83. 252 Janssen (1984), S. 24 f. Die von Janssen getroffene Aussage, dass sich die geistlichen Reichsfürsten bei der Gesetzgebung schwer taten, und dies trotz ihrer Tradition als Gesetzgeber von Synodalstatuten, ist angesichts der hier gefundenen Ergebnisse für den Anfang des 16. Jahrhunderts eindeutig abzulehnen.
Vierter Teil
Exkurs: Stand der Rechtswissenschaft im 17. Jahrhundert A. Rechtstheorie der Armenfürsorge im 17. Jahrhundert Die Entwicklungen des Armenrechts im vergangenen Jahrhundert bleiben nicht ohne Auswirkungen auf die Rechtswissenschaften. Wie schon die zuvor dargestellte Beschäftigung der mittelalterlichen Rechtswissenschaft mit dem Bettlerrecht,1 beschäftigt sich die Gemeinrechtswissenschaft, der „usus modernus pandectarum“, im 17. Jahrhundert mit diesem Rechtsproblem.2 Hinsichtlich der bereits geschilderten Auseinandersetzung der Kommentatoren mit der Problematik des weltlichen Bettelverbots betritt die Jurisprudenz des „usus modernus“ kein Neuland. Allerdings hat sich die Fragestellung neben der Aufarbeitung der Reichsgesetzgebung um das Problem der Kompetenz der Obrigkeit zur Regelung der Armenpflege erweitert. In den bedeutendsten Werken des „usus modernus“, dem „Collegium theoretico-practicum“ von Wolfgang Adam Lauterbach und dem „Usus modernus pandectarum“ von Samuel Stryck, wird die unredliche Bettelarmut unter den Straftaten, unter den „delicta extraordinaria“ erörtert. Lauterbach verweist in seinen Ausführungen auf den hier näher in den Blick zu rückenden Traktat Ahasver Fritschs zur Thematik. Die Aufnahme als einzige Monographie in eines der prägendsten Werke des „usus modernus“ zum Gebiet des Armenrechts weist auf eine herausragende Stellung hin.3
B. Der „tractatus de mendicantibus validis“ von Ahasver Fritsch Der „Tractatus de mendicantibus validis“ nimmt nicht ohne Grund besondere Aufmerksamkeit in Anspruch. Die besondere Stellung erklärt sich nicht allein aus der Tatsache, dass das Werk nicht nur zu den wenigen juristischen Spezialschriften des „usus modernus“ gehört, die sich in den großen Kompendien zum Thema Armen1
Vgl. Zweiter Teil, A., II. Zum Begriff des „usus modernus“ vgl. Söllner (1977), S. 501 ff., insbesondere S. 512 f. 3 Scherner (1988), S. 132 f., durch dessen grundlegende Untersuchung der folgende Einstieg in die Bearbeitung der Werke von Fritsch und Frantzkius ermöglicht wurde; vgl. Wagner (2006a), S 51 f. 2
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4. Teil: Exkurs: Stand der Rechtswissenschaft im 17. Jahrhundert
recht finden.4 Der Verfasser selbst ist von hohem Renommee. Fritsch ist wie viele bedeutende Juristen seiner Zeit Protestant. Für seine literarische Fruchtbarkeit stehen zahlreiche theologische und geistlich-erbauliche Schriften neben seinem umfangreichen juristischen Werk.5 Die Spannweite seines Schaffens reicht vom Sammeln und Zusammenstellen lokaler Ordnungen über kleinere staatsrechtliche Schriften und Werke zum Berufsrecht und Zunftrecht bis zu Themen des Wirtschaftsverwaltungsund des allgemeinen Verwaltungsrechts. Für den vorliegenden Zusammenhang ist auf das Werk über das Hospitalrecht und über die Zigeuner hinzuweisen.6 Der Titel verspricht zunächst die Behandlung repressiver Maßnahmen gegen starke Bettler. Darüber hinaus wird die Behandlung der Sorge- und Unterhaltspflicht der Obrigkeit gegenüber den Armen, die Verteilung der Almosen und weiterer Fallgruppen angekündigt.7 Im Vorwort nimmt Fritsch zum Anlass und Vorhaben des Werkes genauer Stellung. Er beklagt keinen neuen, akuten Missstand als Beweggrund seiner Schrift. Vielmehr führt er diese auf bereits bekannte Umstände zurück, wie Hartherzigkeit, Hochmütigkeit und fehlende Gottesfurcht seiner Zeitgenossen, das Vorliegen wahren Elends, das gerade die Kinder zum Bettel treibe sowie die Existenz betrügerischer Bettler.8 Fritsch stellt die Existenz geeigneter reichsrechtlicher Sanktionen gegen Müßiggang fest, hinterfragt aber deren Beachtung und Überwachung.9 Dem wohlwollenden Leser wird die Beleuchtung der sich aufdrängenden Fragen angekündigt, wie im Staat mit der Armut zu verfahren sei, inwiefern in der Öffentlichkeit das Betteln zu verbieten oder zu erlauben sei und auf welche Weise die Almosen zu verteilen seien.10 Der Blick ins Inhaltsverzeichnis zeigt, dass sich der Verfasser nicht nur mit den allgemeinen Problemen auseinandersetzt, sondern auch Einzelfälle betrachtet und Ratschläge für die Praxis gibt. Dabei setzt sich das Werk zu Beginn mit den allgemeinen Fragen nach Zuständigkeit, Pflicht und Art der Armenfürsorge auseinander, um 4 Das Werk von Fritsch, De mendicantibus, ist auch in der bedeutendsten juristischen Bibliographie des 18. Jahrhunderts, der des Lipenius (Bibliotheca), aufgeführt, die unter den Stichwörtern „eleemosyna“, „hospitale“, „mendicantes“, „mendici“, „miserabiles personae“, „pauper“, „paupertatis ius et privilegia“ und „pauperies“ weitere Hinweise auf die einschlägigen Werke bietet. 5 Stolleis (1988), S. 256. 6 Fritsch, De jure hospitalium. Diese Arbeit wurde ausgewertet durch Begon (2002). Weiterhin Fritsch, De vita zygenorum. Seine umfassende Übersicht über das zeitgenössische Recht ist angesichts des Umfangs seiner Arbeit evident, vgl. Scherner (1988), S. 134. 7 Der vollständige Titel lautet: „de officio magistratuum circa pauperes, eorum cura & sustentatione; eleemosynarum distributione, exulantibus Lutheranis, vagantibus Scholaribus eorumque studiiis stipendiis, otio & mendicitate licita illicita, Ordinibus mendicantium Religiosorum, Zigensis, erronibus, aliisqque impostoribus, variis fraudibus ac technicis, Item de modis coercendi, censuri publica, operis publicis, Ergasteria, & de poenis falsarorium ac stellionum.“ 8 Fritsch, De mendicantibus, S. 1, 3 (Praefatio). 9 Fritsch, De mendicantibus, S. 2 (Praefatio). 10 Fritsch, De mendicantibus, S. 3 (Praefatio).
B. Der „tractatus de mendicantibus validis“ von Ahasver Fritsch
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dann im weiteren auf die Unterscheidung zwischen erlaubter und unerlaubter Bettelei und auf die Frage eines gänzlichen Bettelverbots einzugehen. Anschließend werden einige besondere Fallgruppen in den Blick gerückt wie die Scholaren oder die Mendikantenorden. Auffallend ist dabei, dass die aufgrund ihrer lutherischen Konfession Vertriebenen nicht von Fritsch unter die „mendicantes validi“ gezählt werden.11 An die Schilderung von Techniken des betrügerischen Bettels schließen sich Ausführungen an über die staatliche Aufsicht und Erfassung der starken Bettler, die Strafbarkeit der Bettelei und den Zwang zu öffentlichen Arbeiten und die Einweisung ins „Zuchtoder Werckshaus“ (ergasteria).
I. Pflicht und Kompetenz des Territorialherren zur Fürsorgegesetzgebung Die eigentliche Neuheit ist in dem Werk Ahasver Fritschs die Herleitung der staatlichen Pflicht und Kompetenz für die „cura pauperum“. Fritsch verdeutlicht zunächst im ersten Kapitel die allgemeine Aufgabe des idealen Fürsten, dessen Ziel das öffentliche Wohl ist.12 Der Zusammenhang zwischen dem staatlichen Idealziel und der Beseitigung des misslichen Zustands der Armenfürsorge wird erst durch den Hinweis auf die jeden Christen treffende Pflicht zur Armenunterstützung hergestellt. Diese nicht im freien Belieben stehende christliche Pflicht sei innerhalb des Staatswesen in erster Linie dem Fürsten („princeps“) oder der Obrigkeit („magistratus“) auferlegt, wie Fritsch unter Verweis auf ein Zitat aus Charles Dumoulins’ „Tractatus commerciorum“ anführt.13 Die Grundlagen der obrigkeitlichen Armenfürsorge werden in Caput II Nr. 9 durch Fritsch prägnant zusammengefasst: der Auftrag Gottes, die Verpflichtung des Fürsten gegenüber seinen Untertanen und die Vorbilder der besten Herrscher.14 Auffallend ist, dass Fritsch weniger eine juristische Begründung als vielmehr eine theoretische Rechtfertigung liefert. Beachtet man das Fehlen einer Armenfürsorge im Sinne Fritschs in der staatsrechtlichen Lehre des frühen 18. Jahrhunderts, so ist Scherners Schluss nahe liegend, dass ein Praktiker wie Fritsch das Bedürfnis nach einer Theorie gesehen hat nicht trotz, sondern gerade aufgrund des Anwachsens des einschlägigen positiven Rechts.15 Die im dritten Kapitel aufgeworfenen Fragen nach der Art und Weise, wie den Armen zu helfen sei, behandelt Fritsch unter drei 11
Fritsch, De mendicantibus, Caput IX: „Validos mendicantes non esse, quos constans veretatis Evangelicae confeßio exules fecit“. 12 Fritsch, De mendicantibus, Caput I, Nr. 1: „scopus boni principis salus publica“. 13 Fritsch, De mendicantibus, Caput II, Nr. 1 – 5; wie Scherner (1988), S. 136, nachweist, betrifft der Hinweis auf Charles Dumoulins „tractatus commerciorum“ die Gesetzwidrigkeit des Verleihens gegen Wucherzinsen, da sonst die Armen ausgeplündert werden. 14 Unter den Vorbildern etwa Ludwig der Fromme und Jakob V. als schottischer König, vgl. Scherner (1988), S. 137. 15 Scherner (1988), S. 138 f.; zu Ansätzen der Fürsorgepflicht der weltlichen Obrigkeit bezogen auf den begrenzten Bereich des Hospitalwesens vgl. Begon (2002), S. 40 f.
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4. Teil: Exkurs: Stand der Rechtswissenschaft im 17. Jahrhundert
Gesichtspunkten. Zunächst kommt er auf das Verhältnis der staatlichen Armenfürsorge zur kirchlichen Armenfürsorge zu sprechen. Dann wendet er sich in einem historischen Abriss der Pflicht der Kirche zur Armenfürsorge zu.16 Dabei stützt Fritsch in der gleichen Art, wie er die herkömmliche kirchliche Pflicht herleitet, die staatliche Kompetenz zur Aufsicht über kirchliche Einrichtungen wie etwa die Hospitäler auf den Befund aus älteren Rechtsquellen, insbesondere durch Stellen aus einem Kapitular Karls des Großen17 und abschließend auf die Reichsgesetzgebung in der Reichspolizeiordnung von 1577.18
II. Finanzierung des Almosen- bzw. Gotteskasten durch eine Almosensteuer Der zweite Punkt betrifft die Einrichtung und Organisation der Verwaltung eines Gotteskastens, des „aerarium sacrum“, dessen Existenz im öffentlichen Interesse stehe.19 Als über die traditionellen Grenzen hinausreichende Kernfrage des Traktats zu betrachten ist der von Fritsch erörterte dritte Punkt seiner Ausführungen zu Caput III. Was geschieht, wenn das vom Fürst einzurichtende „aerarium sacrum“ erschöpft ist, aber niemand zur freiwilligen Abhilfe gewillt ist? Hier fragt es sich, ob dann die Obrigkeit die Untertanen in Fällen extremer Not zwingen kann, irgendeinen Beitrag zum Unterhalt zu erbringen.20 Der Tatbestand des „casus extremae necessitatis“ gibt in der mittelalterlichen, aber auch in der neuzeitlichen Gesetzgebungsgeschichte unter anderem die Möglichkeit zum Erlass von Ausnahmegesetzen und ist von Fritsch bewusst gewählt.21 Fritsch stützt dabei seine Ausführungen auf ein Gutachten von Georg Frantzkius.22 Hinsichtlich der Almosensteuer muss sich Fritsch mit dem bedeutsamsten Gegenargument auseinandersetzen, ob nämlich die Freiwilligkeit des Almosens die Kompetenz des Staates insofern sperrt, als das Almosengeben als ein „actus internus“ nicht von der „lex civilia“ vorgeschrieben werden kann.23 Demgegenüber schließt sich Fritsch, ebenso wie Frantzkius, dem Zitat aus dem Werk des Conradus Theorodicus an, der bei Hungersnot oder großer Teuerung den 16
Fritsch, De mendicantibus, Caput III, Nr. 4 – 8. Fritsch, De mendicantibus, Caput III, Nr. 11 – 13; bzgl. des oströmischen Staatskirchenrechts vgl. Scherner (1988), S. 139 f.; bzgl. der Kapitularen vgl. Dort/Reuther (2008), S. 133 ff.; Scherner (1994). 18 Fritsch, De mendicantibus, Caput III, Nr. 14. 19 Fritsch, De mendicantibus, Caput III, Nr. 16 – 23. 20 Fritsch, De mendicantibus, Caput III, Nr. 26 f. 21 Hierzu und zum Vorherigen Scherner (1988), S. 141. 22 Frantzkius, Libri duo. 23 Fritsch, De mendicantibus, Caput III, Nr. 26; neben der Zitierung einer Stelle des Neuen Testaments (2. Korinther Brief 8,8) wird als Vertreter dieser Ansicht Diego Covaruvias benannt, vgl. Scherner (1988), S. 142. Zu den in diesem Zusammenhang vorgebrachten Argumenten gegen eine Almosensteuer bei de Soto vgl. Wagner (2006a), S. 35 f. 17
B. Der „tractatus de mendicantibus validis“ von Ahasver Fritsch
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Obrigkeiten das Recht zur zwangsweisen Erhebung zuerkennt.24 Die Einführung einer Armen- oder Almosensteuer ist demgemäß eröffnet.25 Die Begründung weist eine zweigleisige Argumentation auf. Zum einen wird der Staat als Hüter der zehn Gebote in die Pflicht genommen, dem guten Recht Geltung zu verschaffen und die Untertanen zur Beachtung der Pflichten anzuhalten.26 In dieselbe Richtung zielt die Aussage, das Almosen sei in der Heiligen Schrift vorgeschrieben und nicht eine Sache des Beliebens. Durch die anschließende Anführung von Beispielen, in denen religiöse Pflichten der Untertanen durch den Herrscher festgeschrieben werden,27 wird die Befugnis, die Almosenpflicht der Untertanen durch eine Steuer durchzusetzen, nahegelegt. Bezogen sich die vorherigen Argumente auf die Bedeutung religiöser Pflichten und deren Rolle im Staat, so zielen zum anderen die sich nun anschließenden Argumente auf weltliche Aspekte. Die Unterlassung der Pflicht zum Almosengeben schadet nach Ansicht von Fritsch und Frantzkius der Allgemeinheit außerordentlich.28 Außerdem sei die Almosensteuer nicht nur als Akt der Nächstenliebe zu verstehen, sondern von Natur aus auch eine bürgerliche Pflicht. Belegt wird dies durch Berufung auf Stellen des römischen Rechts, der Lex Rhodia, sowie unter Berufung auf Thomas von Aquin und Hugo Grotius. Die unter die ausgleichende Gerechtigkeit fallende „caritas“ sei Gegenstand des weltlichen Rechts.29 Auffallend ist, dass die Argumentation Strukturen der mittelalterlichen Kanonistik zur Almosenpflicht aufgreift. Dies legt den Schluss Scherners nahe, dass das Vorbild der von den Protestanten Fritsch und Frantzkius als weltliches Recht begründeten allgemeinen Bürgerpflicht des Almosengebens das materielle mittelalterliche Kirchenrecht ist. Obgleich nach Begründung der Kompetenz zur Armensteuer nicht unbedingt erforderlich, weist Fritsch darüber hinaus die Befugnis des Staates zum Erlass von Almosenordnungen nach.30 24
Fritsch, De mendicantibus, Caput III, Nr. 27; unter Bezug auf quaestio 4 des „discursus de eleemosyna“ des Conradus Theorodicus. 25 Vgl. zu Steuerkonzepten im 17. Jahrhundert Simon (2004), S. 297 ff. 26 Frantzkius, Libri duo, quaestio VII, Nr. 25; Fritsch, De mendicantibus, Caput III, Nr. 28. 27 Frantzkius, Libri duo, quaestio VII, Nr. 26, 27; Fritsch, De mendicantibus, Caput III, Nr. 28. 28 Frantzkius, Libri duo, quaestio VII, Nr. 28. Frantzkius beklagt für den behandelten Notfall bei fehlender Almosensteuer sowohl den Schaden für die Religionsausübung als auch für den wirtschaftlichen Zustand des Staates; vgl. hierzu Fritsch, De mendicantibus, Caput III, Nr. 28. 29 Fritsch, De mendicantibus, Caput III, Nr. 28, Frantzkius, Libri duo, quaestio VII, Nr. 30 ff.; in diesen Stellen wird die Verpflichtung der Reichen gegenüber den Armen aus Gerechtigkeitsgründen angeführt, die Stellen des römischen Rechts beziehen sich auf Hilfeleistungsverpflichtungen bei Notfällen; siehe Scherner (1988), S. 143. 30 Scherner (1988), S. 143; mit Verweis auf Fritsch, De mendicantibus, Caput III, Nr. 29 f.; die Herleitung erfolgt durch Verweis auf die aus dem oströmischen Staatskirchenrecht sowie den Schriften der Kirchenväter abgeleitete Pflicht, den Armen zu helfen; die Erfassung der Armen soll sich jedoch nicht an den bisherigen Klassifizierungen der Moraltheologen orientieren, sondern an den von Lucas de Penna vertretenen Kriterien wie Glaubwürdigkeit, Ursache, Alter, Notwendigkeit und die jeweiligen Umstände.
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4. Teil: Exkurs: Stand der Rechtswissenschaft im 17. Jahrhundert
III. Kompetenz zum Verbot des Bettels als Versorgungsform An diese Betrachtungen schließen sich die Ausführungen über den eigentlichen Titel an, über das Verbot der Bettelei der starken Bettler.31 Anknüpfungspunkt ist zunächst die Frage nach der erlaubten Bettelarmut, bei welcher Frisch der einstimmigen Ansicht von theologisch-kirchenrechtlicher und weltlicher Seite folgt. Hinsichtlich des Verbotes des Bettels weist Fritsch auf die bestehende Rechtslage hin, die er in der hierarchischen Abfolge vorstellt.32 Der Frage nach der Kompetenzverteilung zwischen Kirche und Territorialstaat weicht Fritsch insofern aus, als er auf das verbindliche gemeinsame Handeln der weltlichen und geistlichen Obrigkeit nach sächsischem Recht hinweist.33 Über die erfolgte positivistische Feststellung des Bettelverbots für starke Bettler hinaus bejaht Fritsch anders als Besold die Kompetenz des Staates, den Gassenbettel gänzlich abzuschaffen.34 Fritsch zieht jedoch daraus nicht den durchaus möglichen Schluss, dass der Bettel ganz abzuschaffen sei, sondern rechtfertigt damit die bestehende Praxis der Kontrolle. Er erkennt das Ausstellen von Bettelscheinen an, sieht aber auch die praktischen Schwierigkeiten im Umgang mit diesen und führt zahlreiche Normen und Regelungen an.35 Angemahnt wird im Folgenden die Schaffung einer öffentlichen Aufsicht über die Bettler, die für die Einweisung starker Bettler und Müßiggänger in öffentliche Arbeiten und Arbeitshäuser zuständig sein soll. Daneben stehen Strafvorschriften für die über das Vorliegen der Bedürftigkeit täuschenden Bettler.36
IV. Abschlussbetrachtung Bei der Abschlussbetrachtung des Werkes müssen alte und neue Vorstellungen auseinander gehalten werden. Bekannt sind die Unterschiede des „mendicans validus“ und des „egens“ und die zugrunde liegenden Wertungen. Die Ursachen der 31 Fritsch, De mendicantibus, Caput IV – V, Caput VII – XII behandeln verschiedene Fallgruppen wie die Mendikanten (welche er in protestantischen Territorien ablehnt, vgl. Caput XI, Nr. 21), Scholaren oder die wegen ihres (protestantischen) Bekenntnisses Vertriebenen. 32 Fritsch, De mendicantibus, Caput V, Nr. 1 – 5: Reichsrecht an erster Stelle, dann das örtliche Recht, das römische Recht und die antike Gewohnheit. 33 Fritsch, De mendicantibus, Caput V, Nr. 6 – 9; Scherner (1988), S. 147 f. 34 Fritsch, De mendicantibus, Caput V, Nr. 12 ff.; Scherner (1988), S. 148; die Argumentation stützt sich auf Autoren des Kirchenrechts ebenso wie auf protestantische Theologen und auf die Bibelstelle „es sollen keine Bettler unter euch sein“ (Deuteronomium 15,4). 35 Fritsch, De mendicantibus, Caput V, Nr. 31 – 79; ebenso in diese Richtung die Ausführungen unter Caput VII. 36 Fritsch, De mendicantibus, Caput XIV bzgl. Einrichtung der öffentlichen Aufsicht; Caput XV bzgl. der Einweisung in Arbeitshäuser; Caput XVI bzgl. der Strafbarkeit nach dem „crimen falsi“, welches die im Belieben des Richters stehende „poena extraordinaria“ (üblicherweise Körperstrafe) nach sich zieht; bzgl. prozessualer Fragen Caput XVII.
B. Der „tractatus de mendicantibus validis“ von Ahasver Fritsch
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Armut werden immer noch in der Person des Armen gesucht.37 Neu ist die theoretische Herleitung der staatlichen Kompetenzen im Bereich der Armenfürsorge. Die „Cura pauperum“ als Staatsziel ist damit nicht erst ein Produkt der Aufklärung oder der Armenordnungen des 18. Jahrhunderts, sondern knüpft an hochmittelalterliche Vorstellungen an, die ihrerseits Wurzeln bis ins frühe Mittelalter haben. Auffallend ist die zweigleisige Argumentationsweise, die sich ebenso wie auf christliche Vorgaben auch auf Notwendigkeiten des Territorialstaates stützt. Klar wird trotz der Betonung der christlichen Pflicht zum Almosenspenden, dass diese als vom Staat einforderbare Leistung angesehen wird. Darüber hinaus tritt bei den Aufforderungen Fritschs, Almosen zu spenden, hervor, dass damit nicht die freie Verteilung von Almosen gemeint ist, sondern das Spenden in den Gotteskasten oder an die verschämten Hausarmen.38 Diese Auffassung über die Gabe des Almosens tritt im 18. Jahrhundert, wie unter anderem der Blick auf die Ordnungen Kurtriers zeigen wird, ebenfalls in nichtprotestantischen Vorstellungswelten immer klarer zu Tage. Gleiches lässt sich sagen hinsichtlich der Aufgabe der Obrigkeit, über die Einhaltung christlicher Pflichten zu wachen. Die Einführung von Zucht- und Arbeitshäusern wird, wie Fritsch es vorschlägt, besonders im Lauf des 18. Jahrhunderts zu dem Instrument der territorialstaatlichen Gesetzgebung in ganz Europa.39
37
Scherner (1988), S. 150; siehe auch die Ausführungen zur „inertia“ und „otio“ bei Fritsch, De mendicantibus, Caput VI. 38 Fritsch, De mendicantibus, Caput III, Nr. 17 ff., insbesondere 21. 39 Vgl. zur Institution des Arbeits- und Zuchthauses Foucault (1976); Stekl (1978); Stekl (1986), S. 119 – 147; v. Weber (1941), S. 427 – 468.
Fünfter Teil
Die Entwicklung im 17. Jahrhundert (Zwischenphase) A. Gesetzgebung im Kurfürstentum Trier Das durch die Untersuchung des 16. Jahrhunderts gewonnene Bild der territorialen Gesetzgebung verändert sich zunächst nicht. Vielmehr verstärkt es sich noch bei der Gesamtschau auf das 17. Jahrhundert bis in die ersten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts. Eine mit der Verordnung von 1533 vergleichbare Norm ist für diesen Zeitraum nicht nachweisbar.1 Als Ursachen hierfür kann neben Lücken in der Überlieferung herangezogen werden, dass das Kurfürstentum im dreißigjährigen Krieg besonders belastet wird, und dass die Auseinandersetzungen zwischen Kurfürst und den Ständen die Territorialgewalt zusätzlich schwächen.2 Die Darstellung für das 17. Jahrhundert beschränkt sich dementsprechend auf die wenigen kurfürstlichen Normen sowie Quellen aus der Stadt Trier, die zumindest indirekte Auswirkungen auf die Versorgungsstruktur haben. Die Analyse der Normen erfolgt dabei primär entsprechend der sachlichen Bezüge und erst in zweiter Linie chronologisch. Charakteristisch für die Fürsorgegesetzgebung in diesem Zeitraum ist, dass es keine Maßnahmen hinsichtlich der Unterstützungsorganisation gibt. Es existieren lediglich Normen, die Repressionen gegen umherziehende fremde Personengruppen enthalten und damit nur bedingt im Zusammenhang mit der Bedrohung der Versorgungsressourcen der einheimischen Armen stehen. Insbesondere in den Quellen, welche die Verhältnisse der Stadt Trier betreffen, sind einige Beispiele zu finden, die zumindest in Vorschriften zum Umgang mit fremden Bettlern mittelbar auf die Versorgung der einheimischen Bevölkerung zu sprechen kommen. Die Tätigkeit der Trierer Kurfürsten bewegt sich im 16. Jahrhundert auf einem anderen Gebiet der Armenfürsorge, der privaten Carität. Für die Kurfürsten Carl Caspar von der Leyen und Johann Hugo von
1
Zu diesem Ergebnis kommt bereits der Verfasser des Textes in der Trierischen Kronik von 1823, S. 143, der den so nicht zweifelsfreien Schluss zieht, dass die Stadt Trier „in der Zwischenzeit ziemlich genau auf die erwähnte kurfürstliche Verordnung möge gehalten haben“. 2 Vgl. Laufner (1968), S. 295 f.; Laufner (1988), S. 14 ff.; Marx (1859), I/2, S. 256. Zweifelhaft ist jedoch die Annahme von Marx, dass die bisherigen Regelungen leidlich ausgereicht haben und daher keine erneuter Gesetzgebungstätigkeit stattfand. Dagegen sprechen schon die Ergebnisse von Ackels (1984), S. 99. Bezüglich des zunehmenden Einflusses des Domkapitels, der sich im Statut des Jahres 1650 niederschlägt und den jeweiligen Wahlkapitulationen vgl. Haxel (1930), S. 53 ff.
A. Gesetzgebung im Kurfürstentum Trier
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Orsbeck ist die Stiftung und Förderung des Trierer Waisenhauses überliefert.3 Letztlich bleibt es bei der punktuellen finanziellen Förderung, ohne dass gesetzgeberische Maßnahmen ergriffen werden.
I. Unterhaltssicherung durch Repressionen gegen Fremde 1. Begrenzung des Bettels fremder Studenten In der Stadt Trier ergeht am 28. 5. 1626 ein Schreiben des Statthalters, des Bürgermeisters und Rates an den Rektor der Universität.4 Aus Anlass einer Notzeit, die so schwerwiegend ist, dass das „liebe brodt nit woll umb geldt, zu geschweigen vor ein almuß zu bekommen ist“ wird die Begrenzung der Anzahl fremder Studenten gefordert. Nach dem Beispiel anderer Städte wie Luxemburg sollen zunächst die „validi mendicantes und frembde Bettler“ aus der Stadt gewiesen werden. Insbesondere die fremden Studenten stehen unter dem Verdacht, dass sie sich alleine wegen der Almosen in der Stadt aufhielten. Um die ablehnende Haltung der Universitätsleitung zu überwinden, appelliert das Schreiben an die Verpflichtung zum gemeinen Besten.5 Darüber hinaus wird an die Gefährdung der Versorgungslage der Untertanen durch die unberechtigte Entziehung der Almosen erinnert: „wardurch [den unberechtigten Bettel] dan den abgelebten alten Maenneren, welche ihren taglohn nit mehr gewinnen können, so dan den Wittiben undt Weißen dieser Statt, daß brodt gleichfals auß dem mundt genohmben wirdt.“6 Weiterhin findet sich die Ermahnung, dass doch „jeder seinen Nachtbaren nacher als einem fremden wehre“. Daher wird unter dem erneuten Verweis auf das Beispiel anderer Städte der Rektor aufgefordert, keine fremden Studenten zuzulassen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen. Aus dem Schreiben lässt sich zweierlei ableiten. Zum einen ist bei der Versorgung der einheimischen Armen immer noch das Betteln um Almosen neben anderen Versorgungsleistungen
3 Huberti (1935), S. 27 f. Carl Caspar von der Leyen stiftet 1676 2 600 Reichstaler als Grundvermögen des Waisenhauses, sein Nachfolger Johann Hugo von Orsbeck stiftet 1712 die Summe von 6 400 Reichstalern. Die Verwaltung des Waisenhauses in Trier obliegt bis zum Ende der kurfürstlichen Herrschaft Statthalter, Bürgermeister, Schöffen und Rat der Stadt Trier. Die letzte Kontrollinstanz des Jahresabschlusses stellt der Statthalter als Vertreter der kurfürstlichen Macht dar. 4 Text in Trierische Kronik 1823, S. 144. Vgl. zur Geschichte der Universität Trier und der Jesuiten in Trier Franz (1988), S. 209 ff., 216 ff. 5 Wie sich aus dem Text ergibt, ist bereits eine Aufforderung an die „herren patribus societatis“ ergangen. Darauf folgt die vom Stadtrat als „schlechte Antwort“ bezeichnete Erklärung: Eine solche Problemlage sei nicht ersichtlich und es stünde den Studenten gleich jedem anderen frei, zu betteln. Außerdem sei jedermann frei darüber zu entscheiden, ob er Almosen gebe. Der Verfasser des Textes vermutet im Bestreben, die Bettelstundenten in Trier zu halten, die Sorge um den Nachwuchs für die Mendikanten und die anderen geistlichen Orden. 6 Trierische Kronik 1823, S. 144.
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5. Teil: Die Entwicklung im 17. Jahrhundert (Zwischenphase)
vorgesehen.7 Zum zweiten ist primäres Mittel der Sicherstellung der Versorgung zunächst die Begrenzung des almosenbegehrenden Personenkreises durch Ausschluss von Fremden. Eine Neustrukturierung der Finanzierungsgrundlagen erfolgt offensichtlich nicht. Erkennbar ist allerdings, dass bisherige Sondertatbestände für Schüler und Studenten zunehmend eingeschränkt werden. Letztlich wird der reagierende Charakter der obrigkeitlichen Maßnahmen erkennbar. Erst nachdem andere Städte und Herrschaften bereits gehandelt haben und einen faktischen Zwang zum Handeln erlassen haben, werden für Trier Maßnahmen ergriffen. Dies muss nicht zwangsläufig eine Rückständigkeit und abwartendes Verhalten bedeuten, denkbar ist auch die Interpretation als ein zusätzliches Legitimationsargument. Zudem lässt sich die Reaktion auf Gesetze in Nachbarterritorien als Beleg für den kommunikativen Austausch verstehen.8 2. Einreise- und Aufenthaltsverbote für fremde Bettler und Vagabunden Erst 1699 ergehen weitere Anweisungen des Kurfürsten, die zumindest indirekt auf die Sicherstellung der Versorgung der einheimischen Armen ausgelegt sind. Diese teilweise für das gesamte Erzstift gültigen Befehle haben die Reduzierung der Anzahl an Almosenbegehrenden zum Ziel. Als Anlass dieser Maßnahmen ist oftmals das Verhalten benachbarter Territorien oder aktuelle Notsituationen angegeben. Am 16. 2. 1699 wird ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für fremde Bettler ausgesprochen.9 Wiederum ist der Befehl des Kurfürsten an alle kurfürstlichen Beamten und Ortsvorsteher zunächst eine Reaktion auf das Exempel der Nachbarterritorien.10 Darüber hinaus werden die zurückliegenden Kriegszeiten und die durch schlechte Ernten hervorgerufenen Preissteigerungen als Ursache des kurfürstlichen Handelns angeführt. Nach Ansicht des Kurfürsten wird die Notsituation verstärkt durch den Aufenthalt fremder Bettler. Aufgrund dessen ist allen fremden Bettlern befohlen, das Land innerhalb von drei Tagen zu verlassen. Um dem Schutzargument der Unkenntnis des Gesetzes vorzubeugen, ist die öffentliche Bekanntmachung befohlen.11 Das Zuwiderhandeln ist mit Einsperren in den Turm und anderen unbestimmt gehaltenen hohen Strafen geahndet. Dieser Befehl wird am 24. 11. 1699 in einem an den Bürgermeister und den Rat der Stadt gerichteten Befehl wiederholt.12 Nochmals werden die Ortsvorsteher ermahnt, eine genaue Untersuchung durchzuführen und bis auf die eigenen Landeskinder alle fremden, ausländischen Bettler innerhalb von 14 Tagen 7 Die Versorgungsmöglichkeiten durch den Bettel werden ergänzt durch die Leistungen der Hospitäler. Die städtische Almosenkasse hat im Laufe des 17. Jahrhunderts deutlich an finanzieller Leistungskraft verloren, vgl. Ackels (1984), S. 82, 85. 8 Zu diesem Gedanken des Austauschs von Polizeiordnungen vgl. Wüst (2003), S. 294 f. 9 Verordnung vom 16. 2. 1699 in Trierische Kronik 1823, S. 145. 10 Ein Beispiel ist die Verordnung vom 15. 7. 1699 in StAMs, KKE Bd. 36, Nr. 25. 11 Die Veröffentlichung erfolgt durch Anschlagen des Befehls und andere geeignete Formen. Zu Publikationsformen vgl. Härter 2003, S. 6 ff. 12 Befehl vom 24. 11. 1699 in Trierische Kronik 1823, S. 145.
A. Gesetzgebung im Kurfürstentum Trier
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zu ihrem Geburtsort, „ad locum originis“, auszuweisen. Das Festhalten am reichsrechtlichen Grundsatz des Heimatprinzips bleibt somit eine Konstante der territorialstaatlichen Gesetzgebung. Hier zeigt sich auch die Verbindung zwischen den repressiven Maßnahmen und der Fürsorgegesetzgebung. Es fehlt indes in beiden Befehlen an Durchbrechungen des Kriteriums der Fremdheit, wie sie noch die Armenordnung von 1533 bezüglich der Zulassung zu den Versorgungsleistungen kennt. Damit kommt klar zum Ausdruck, dass generell Fremde nicht mehr als unterstützungswürdig gelten. Die Konsequenz aus dem seit dem 16. Jahrhundert für das gesamte Reich geltenden Heimatprinzip ist nunmehr, dass der Territorialstaat Fremde an die für sie nach den reichsrechtlichen Prinzipien zuständigen Stellen, also ihre Herkunftsorte, zurückschickt.
3. Bettlerverzeichnis der Stadt Trier im Jahr 1699 zur Vorbereitung der Ausweisungen Die Vorgaben zur Ausweisung aller Fremden werden am 10. 12. 1699 durch Musterung aller Trierer Bettler vollzogen.13 Den Einheimischen werden Zeichen ausgeteilt, während die übrigen aus der Stadt gewiesen werden. Die Austeilung des Zeichens durch den Bettelvogt gibt darüber Auskunft, dass zumindest für die Stadt Trier der Bettel als anerkannte obrigkeitlich gesteuerte Versorgungsform weiterhin Bestand hat. Insgesamt werden an 96 Personen die Bettelzeichen ausgeteilt. Weiterhin ist eine Liste der Armen bei der „Alt-, Muspforten und Martinspforte“ überliefert, wobei kein Name der mit einem Bettelzeichen versehenen Personen dort auftaucht. Ob es sich bei dieser Liste um die Erfassung der Empfangsberechtigten bei der Almosenausgabe der institutionellen Einrichtungen handelt oder ob es eine Auflistung von verschämten Hausarmen ist, kann der Quelle nicht entnommen werden. Angesichts der lückenhaften Überlieferung ist in diesem Zusammenhang ein abschließendes Urteil zwar nicht möglich, jedoch könnte die fehlende personelle Identität der Listen ein Indiz dafür sein, dass sich der Bettel als Versorgungsform und der Empfang von gesteuerten Almosenausteilungen gegenseitig ausschließen. Anders gewendet sieht das Fürsorgerecht entweder die Versorgung durch den Bettel oder die Inanspruchnahme von gesteuerten Almosenausteilungen vor.
4. Repressive Maßnahmen aufgrund von Gefahrsituationen Weitere Normen, die auf die Fürsorgeorganisation zumindest mittelbar Bezug nehmen, sind über die bereits dargestellten Texte hinaus für das 17. Jahrhundert nicht feststellbar. Jedoch sind einige Verordnungen überliefert, die den Aufenthalt fremder Untertanen aufgrund von Gefahrsituationen begrenzen und damit auch den Kreis der potentiellen Unterstützungssuchenden verringern. Die Befürchtung, dass der Aufenthalt fremder Untertanen die Versorgung der eigenen Untertanen be13
Trierer Bettlerliste vom 10. 12. 1699 in Trierische Kronik 1823, S. 145.
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5. Teil: Die Entwicklung im 17. Jahrhundert (Zwischenphase)
droht, findet sich schon in der Armenordnung von 1533. Auch der Generalverdacht gegenüber fremden umherziehenden Personen, dass sie darüber hinaus weitere Straftaten während ihres Aufenthalts im Territorium begehen, ist dort bereits angelegt. Unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Gefahrenabwehr durch die Polizeigesetzgebung verknüpfen sich im Weiteren die unterschiedlichen Materien, wobei der Schwerpunkt auf den repressiven Maßnahmen zur Abwehr von Straftaten durch das so genannte „herrenlose Gesindel“ liegt. So ergeht am 3. 6. 1672 ein Befehl des Kurfürsten, in dem Maßnahmen gegen den Straßenraub angeordnet werden.14 Als Anlass angegeben sind zahlreiche Diebstähle und Straßenraub durch herrenloses Gesindel. Die kurfürstlichen Amtleute sind angewiesen, Patrouillen anzuordnen zur Visitation der Straßen in ihren Bezirken. Alle nicht mit einem beglaubigten Pass versehenen Personen sind auszuweisen oder bei Verdachtsmomenten zu verhaften, um anschließend die Verfügung der kurfürstlichen Regierung einzuholen. In ähnlicher Weise ergeht am 24. 1. 1680 eine weitere Norm.15 In dieser gegen Vaganten und herrenloses Gesindel gerichteten Norm wird besonders an die Gefahren für die eigenen Untertanen durch den Aufenthalt dieser Personengruppen erinnert. Den Grund hierfür erkennt der Kurfürst in der bislang mangelnden Befolgung der vorangegangenen Befehle. Das Argument des fehlenden Normerfolgs ist ein stetig wiederkehrendes Phänomen. Ungeachtet des durchaus möglichen Bezugs auf eine reale Nichtbeachtung der Norm, ist sein funktioneller Gebrauch offenkundig.16 Die für die kurfürstlichen Amtleute selbstverständliche Pflicht, auf der Tat betroffene Landstreicher und Straßenräuber festzunehmen, wird nunmehr auch auf die Untertanen ausgeweitet. Um die Durchführung des Befehls abzusichern, ist nachlässigen Amtleuten die Verantwortung und „Indemnisation“, die Ersatzpflicht, für die entstandenen Schäden auferlegt. Die beiden dargestellten Normen haben noch nicht die Gruppe der „starken Bettler“ zum Gegenstand, stellen jedoch einen Anfangspunkt dar. In der späteren Entwicklung werden die zunächst dem herrenlosen Gesindel zugeschriebenen Straftaten den „starken Bettlern“ ebenfalls angelastet. Im direkten Zusammenhang mit Maßnahmen gegen fremde umherziehende Personengruppen steht der Befehl des Kurfürsten vom 11. 3. 1690.17 Dieser sieht Heiratsund Niederlassungsbeschränkungen für Fremde vor zur Bekämpfung der Ursachen für das Vermehren umherziehender Personengruppen. Anlass der Maßnahmen ist die Meldung des Einschleichens von „viel unnützes gesindel, bettler, und landläufer“ in die Ämter „Camberg, Villmar, und Limburg“.18 Deutlich wird hier, dass der (fremde) Bettler mit anderen als gefährlich eingestuften Personengruppen gemeinsam be14
Befehl vom 3. 6. 1672 in Scotti, Trier I, S. 650 (Nr. 238). Generale vom 24. 1. 1680 in HHStAWi 110/II/8. 16 Vgl. hierzu den Ansatz von Härter (2002), S. 23 f.; Landwehr (2000b), S. 154 ff. Skeptischer ist die Einschätzung bei Ammerer (2001a), S. 18 f. Ammerer weist dabei auf Schwierigkeiten der Normimplementierung und Normumsetzung auf den Ebenen der Untertanen, Beamten und des Gesetzgebers hin. 17 Befehl vom 11. 3. 1690 in HHStWi, 115/IIa/2b. 18 Diese unterstehen dem Freiherrn von Hohenfels als Amtmann. 15
A. Gesetzgebung im Kurfürstentum Trier
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handelt wird und sich so Gefahrzuschreibungen überlagern. Das Niederlassen dieser Personen in den Ämtern stellt nach Ansicht des Gesetzgebers eine Gefahr zum Schaden des gemeinen Wesens dar. Aufgrund dieses Umstandes wird die Territorialgewalt tätig. Im Namen des Kurfürsten ergeht daher die Weisung an die Pastoren, keine Heirat zwischen Fremden ohne die vorherige Erlaubnis des betreffenden kurfürstlichen Amtmannes zuzulassen. Bemerkenswert ist dabei, dass die Anweisung an die Pastoren gerade als Inhaber der weltlichen Herrschaftsgewalt im Rahmen der Gefahrenabwehr ergeht. Darüber hinaus wird allen zu den betroffenen Ämtern gehörigen Städten und Ortschaften befohlen, keine fremden Einwohner ohne Zustimmung und entsprechenden Ausweis des Amtes zu dulden. Dem Amt obliegt die Aufgabe, die persönlichen Umstände des Niederlassungswilligen zu erfassen.19 Diese Maßnahmen zur Verhinderung von unerwünschter Einwanderung ins Kurfürstentum stellen Exklusionsmechanismen dar, die zumindest mittelbar den Kreis der unterstützungsberechtigten Personen begrenzen und so eine Gefährdung der Versorgung der eigenen Untertanen verhindern sollen. 5. Maßnahmen gegen Hausierer Die schon für das 16. Jahrhundert nachweisbaren Restriktionen gegenüber umherziehenden Kleinhändlern setzten sich im 17. Jahrhundert weiter fort. Eine Verbindung der Maßnahmen gegen diese Gruppe mit denjenigen gegenüber den Vagabunden und starken Bettlern erfolgt noch nicht. Allerdings sind erste Anzeichen erkennbar, dass eine Vereinheitlichung und zentralisierte Steuerung der Maßnahmen bevorsteht. In einem gewissen Zusammenhang mit der Sicherung von Verdienstmöglichkeiten der einheimischen Bevölkerung gegen den Zugriff umherziehender Personengruppen stehen die Verbote im Bereich des Tuchhandels.20 Für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts existieren zumindest sechs normative Quellen, in denen fremden Händlern und Hausierern der Handel beschränkt oder gar verboten wird.21 Zwar findet sich (noch) kein Vorwurf von Straftaten wie in den Normen gegen die übrigen umherziehenden Personen. Angegebener Anlass ist jedoch zumeist der Schutz des einheimischen Handels vor den Nachteilen durch die ausländische Konkurrenz. Dieses Argument stammt aus den Klagen der Trierer oder Koblenzer Bürgerschaft. Der Schutzbereich erstreckt sich vor allem auf den Kleinhandel von Haus zu Haus mit Waren wie Tuch, Kupferwerk oder Lebensmittel. Zur Kontrolle 19
Die hierbei zu erhebende Gebühr beträgt pro Person für den Amtmann 1 Reichstaler, für den Amtschreiber 18 albus, dem Ortsschultheißen 18 albus, unbeschadet der Rechte der Kellerei. 20 Allgemein zur Situation des Trierer Textilgewerbes vgl. Irsigler (1988), S. 105 ff., insbesondere S. 115 ff. zu den Schutzmaßnahmen. 21 Befehl am 11. 4. 1663 in Scotti, Trier I, S. 639 (Nr. 226 Anm.); Verordnung vom 13. 10. 1668, Nachweis in Trierische Kronik 10, S. 130, Befehl vom 22. 9. 1670 in Scotti, Trier I, S. 639 (Nr. 226 Anm.); Verordnung von 10. 5. 1668, deren Erneuerung am 19. 5. 1676 und die erneute Bestätigung am 7. 10. 1698 in QRW I, S. 581; Befehl vom 8. 10. 1680 in Scotti, Trier I, S. 639 (Nr. 226 Anm.); Verordnung vom 11. 9. 1687 in HHStAWi 115/IIa/2b.
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5. Teil: Die Entwicklung im 17. Jahrhundert (Zwischenphase)
aufgefordert sind die kurfürstlichen Amtleute, denen es obliegt, im Fall des wiederholten Verstoßes die Waren zu konfiszieren.22 Ausgenommen vom Verbot sind lediglich die Jahr- und Wochenmärkte. Die Denunziation des Verstoßes wird mit einem Viertel der konfiszierten Waren prämiert. Die kurfürstlichen Amtleute sind damit zentrale Instanz bei der Kontrolle über umherziehende Personen, seien es gänzlich unerwünschte wie Vagabunden oder eben auch Hausierer.23 Hinsichtlich des Bestandsschutzes des einheimischen Handwerks ist die mehrfach wiederholte kurfürstliche Verordnung von 1668 zum Schutz der Wollweber in Trier zu beachten.24 Die infolge der Kriegszeiten verarmten Wollweber wenden sich aufgrund der erstarkten ausländischen Konkurrenz mit der Bitte um Abhilfe an den Kurfürsten. Dass die Mitglieder der im Textilgewerbe arbeitenden Bevölkerung potentielle Almosenempfänger sind, zeigen bereits die Untersuchungen von Ackels. Nach ihren Ergebnissen stammt die größte Gruppe der Almosenempfänger des städtischen Almosens in Trier bis 1650 aus der im Textilgewerbe arbeitenden Bevölkerung.25 Um die Wollweber zu schützen wird der Handel mit fremden Tüchern durch höhere Preisbindungen und Maße erschwert. Das Bemühen um den Schutz der einheimischen Produktion und damit auch der Verdienstmöglichkeiten der einheimischen Bevölkerung lassen sich als Beispiel einer flankierend oder sekundär wirkenden Unterhaltssicherung begreifen.
II. Resümee und Ausblick Weist bereits das ausgehende 16. Jahrhundert einen Mangel an territorialstaatlichen Normen im Bereich des Fürsorgewesens auf, gilt dies umso mehr für das gesamte 17. Jahrhundert. Ein Grund für die zumindest gehemmte Entwicklung in Kurtrier kann in der starken Belastung durch Kriegszüge der europäischen Mächte gesehen werden, die gerade auch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Entwicklung des Erzstifts behindern.26 Selbst bei Berücksichtigung möglicher Überlieferungslücken lässt sich der Eindruck fehlender Aktivität der kurfürstlichen Gesetzgebung festhalten. Hierfür spricht, dass die auffindbaren Quellen keinen Hinweis auf eine Neuordnung des Fürsorgesystems bieten. Lediglich die als flankierend oder sekundär zu bezeichnenden Maßnahmen zur Reduktion potentieller Almosenempfänger durch 22
So unter anderem am 11. 4. 1663, 22. 9. 1670, 8. 10. 1680 und 11. 9. 1687. Dabei verbinden sich auch bei der Durchführungen dieser Restriktionen die Tätigkeit der weltlichen Beamten und die kirchlichen Ebene. Aus Anlass von Missständen der bei den Wallfahrten üblichen Jahrmärkte wird der Handel mit Kleinwaren zu diesen Gelegenheiten während der Gottesdienste untersagt, vgl. Verordnung vom 29. 7. 1679 in Scotti, Trier I, S. 639 (Nr. 250). Zur Gefahrenzuschreibung an die Gruppe der ambulanten Kleinhändler Härter (2005), S. 960. Zu gleichartigen Maßnahmen in der Kurpfalz vgl. Stolleis (1995), S. 110. 24 QRW I, S. 580. Zur Bedeutung der Verordnung vgl. Irsigler (1988), S. 112. 25 Ackels (1984), S. 95. Hierfür spricht auch das Absinken der Verdienstmöglichkeiten des Trierer Textilgewerbes insgesamt, vgl. Irsigler (1988), S. 116. 26 Siehe Marx (1859), I/2, S. 256. 23
B. Gesetzgebung im Kurfürstentum Köln
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Ausschluss von Fremden oder die Verdrängung ausländischer Konkurrenten sind feststellbar. Zu berücksichtigen ist, dass insgesamt die Gesetzgebungstätigkeit im Bereich des Polizeirechts verglichen mit dem 18. Jahrhundert gering ausfällt.27 Die Einrichtung von Zucht- oder Arbeitshäusern, wie sie in Amsterdam (Rasphuis, 1595 für Männer und 1597 für Frauen) oder in England (Bridewell ab Mitte des 16. Jahrhunderts) gegründet werden, erfolgt im Kurfürstentum Trier im Vergleichszeitraum nicht. Solche Stätten obrigkeitlich geschaffener Arbeitsmöglichkeit und -zwangs finden sich im 17. Jahrhundert zunächst in zahlreichen Städten wie Lübeck, Hamburg oder Danzig. Zum Ende des Jahrhunderts ziehen katholische Territorien wie Bayern oder Österreich in der Entwicklung nach. Im Jahr 1716 gründet auch das Kurfürstentum Sachsen in Waldheim ein Zuchthaus.28 Die Einführung in Kurtrier erfolgt indes etwas zeitversetzt im 18. Jahrhundert. Aus dem Quellenmaterial ergibt sich weiterhin, dass zum Jahrhundertswechsel der Bettel neben den Almosenausteilungen der institutionalisierten Fürsorge als die anerkannte Versorgungsform fortbesteht. Ein erneuter normativer Versuch zum Wechsel der Versorgungsform für Unterstützungswürdige bleibt die Aufgabe der künftigen Kurfürsten. Ebenfalls unbeantwortet sind damit verbundene Fragen nach dem Bedeutungswandel des Almosens, der Finanzierung von Unterstützungsleistungen und die Sonderrolle der Bettelmönche.
B. Gesetzgebung im Kurfürstentum Köln I. Ausgangssituation Das Vorgehen der Kölner Kurfürsten unterscheidet sich im 17. Jahrhundert nicht wesentlich von den Grundzügen, welche die Fürsorgegesetzgebung bereits im vergangenen Jahrhundert prägen. Für die Erzdiözese konzentriert man sich mittels der kirchenrechtlichen Regelungen auf die institutionalisierte Armenpflege, die allerdings deutlicher als zuvor vom Gegensatz der Konfessionen geprägt ist.29 An einschlägigen Vorgaben der Territorialgesetzgebung zur Fürsorgeorganisation, die mit dem Stand der Polizeiordnungen des 16. Jahrhunderts vergleichbar sind, fehlt es allerdings. Nachweisbar sind flankierende Maßnahmen, die im Wesentlichen in der Reduktion der Anzahl potentieller Unterstützungsbegehrender mittels Aufenthaltsverbot und Ausweisung aus dem Erzstift bestehen.30 Zwar ist das Jahrhundert geprägt von den langen Regierungszeiten von nur drei geistlichen Kurfürsten, indes verhindern schon die machtpolitischen Entwicklungen und die Belastungen durch den 30jährigen Krieg eine Stabilisierung der finanziellen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Erzstift. Die Darstellung beginnt daher mit der Untersuchung der einschlägigen 27 So sind für das 17. Jahrhundert 139 Verordnungen überliefert, dagegen für das 18. Jahrhundert 1492, vgl. Härter (1996b), S. 642 ff. 28 Bräuer (1997a), S. 39; Bretschneider (2004), S. 142; Bretschneider (2008). 29 Dorn (2005), S. 100. 30 Vgl. allgemein hierzu Schnabel-Schüle (1995), S. 73 – 82; Ammerer (2008).
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Synodalbeschlüsse zur Hospitalsfürsorge, die neue Exklusionskriterien und das Finanzierungsinstrument der gemeindlichen Armenkasse enthält. Daran schließt sich die Analyse der territorialstaatlichen Gesetzgebung an, wozu neben dem Sonderrecht der Bergleute die repressiven Maßnahmen gehören. Aus letzteren lässt sich der Schluss ziehen, dass der Bettel als Versorgungsform für die als unterstützungsberechtigt anerkannten Personen weiterhin zulässig ist. Neben der Darstellung der einschlägigen Polizeiordnungen, werden die mittelbar und flankierend wirkenden repressiven Maßnahmen gegen Umherziehende in den Blick genommen.
II. Provinzialsynode von 1612 Die Bestimmungen der Provinzialsynode 1549 bleiben bis zu Beginn des 17. Jahrhunderts die letzten Anstrengungen zur Umsetzung der einschlägigen Regelungen des Tridentinums und der „formula reformationis“. An der grundsätzlichen Ausrichtung der Kirchengesetzgebung auf die Regulierung der Verwaltung der Stiftungen und Hospitäler ändert sich indes nichts. Auf der im Namen des Kölner Erzbischofs und Kurfürsten Ernst von Bayern einberufenen und unter seinem Nachfolger Ferdinand von Bayern fortgeführten Diözesansynode von 1612 kommt es zur Fortsetzung der bisherigen Vorschriften zur Verwaltung der Hospitäler.31 Verglichen mit dem Schwerpunkt der Regelungen ist bereits mit Blick auf den Umfang der für die Armenversorgung einschlägigen Anordnungen in Titel 7 und 8 des Synodalbeschlusses feststellbar, dass es sich hierbei nur um ein Randgebiet handelt.32 Merklich hat sich auch der Zweck der Maßnahmen verschoben. So steht nicht zwingend die Verbesserung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Hospitäler oder die Sicherung der Unterstützungsleistungen im Vordergrund. Aus dem Vergleich mit den bereits dargestellten Synodalbeschlüssen ergibt sich, dass sich der Wesensgehalt verschoben hat: Die Wirkung der guten Werke dieser Einrichtungen soll der Bewahrung des katholischen Glaubens dienen. Die grundsätzliche Festlegung der bayerischen Erzbischöfe auf Verteidigung und Festigung des Katholizismus wirkt sich über die territorialstaatliche Politik hinaus gerade auf die kirchenpolitischen Entscheidungen aus.33 Am Vorabend des 30-jährigen Krieges gewinnt die konfessionelle Zugehörigkeit dermaßen an Bedeutung, dass sie nunmehr als Inklusions- bzw. Exklusionskriterium fungiert.
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Provinzialsynode von 1612 in Concilia IX, S. 155 ff., insbesondere S. 163 (Titel 7, 8). Die vorher einberufene Diözesansynode von 1576 und die Synoden von 1589, 1590 und 1598 enthalten keine einschlägigen Regelungen. Ferdinand ist der Neffe von Ernst von Bayern, vgl. Gatz (1990), S. 107, 169. 32 Die Synode befasst sich mit den Anforderungen an das Leben der Kleriker, den Amtspflichten des Dekans, des Pastors sowie dem Gottesdienst und den Sakramenten. Allen Sachgebieten ist die Abwehr protestantischen Gedankengutes gemein, beispielhaft erkennbar an der Bestimmung zulässiger Bibeln und Katechismen sowie beim Verbot ketzerischer Schriften im Bereich der Jugenderziehung. 33 Gatz (1990), S. 109.
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1. Konfessionszugehörigkeit als vorrangiges Versorgungskriterium Die Auswirkungen des Bedeutungswandels liegen auf zwei Ebenen. Zum einen verändern sie die Anforderungen an die Verwaltungspersonen. Titel 7 fordert an erster Stelle, dass der zuständige „magister pauperum“, der Verwalter der mildtätigen Stiftungen, Katholik ist. Entsprechend fordert Titel 8 von den „rectores Hospitalium“, den Hospitalsverwaltern, das Bekenntnis zum katholischen Glauben.34 Erst an zweiter Stelle der Profilanforderung für eine Tätigkeit in der Hospitalsverwaltung steht der Nachweis des Wohlwollens gegenüber den Armen, die ja eigentlich die Begünstigten der Pflegeleistungen sein sollen. Verglichen mit den Anforderungen der herkömmlichen Almosenlehre, die eine gute Tat ohne die entsprechende Motivation als unvollkommen betrachtet, handelt es sich hierbei um eine bemerkenswerte Abstufung durch die Synode: Noch vor dem freigiebigen Herzen ist der katholische Glaube bei der Auswahl entscheidend. Ebenfalls von minderem Interesse erscheint die bisher stets im Fokus stehende Verhinderung des Amtsmissbrauchs. Lediglich in der Erforderlichkeit des Amtseids des Verwaltungspersonals („Praestent juramentum fidelitatis“) auf die Treue und Rechtschaffenheit klingt der bisherige Hauptgesichtspunkt der synodalen Reformbemühungen an. Zum anderen wirkt sich der Prioritätenwechsel für die eigentlich unterstützungswürdigen Armen in der Weise aus, dass nunmehr die Zugehörigkeit zur „falschen“ Konfession den Ausschluss von den durch die katholische Kirche kontrollierten Unterstützungsleistungen bedeutet. Erst nachgestellt erfolgt der Zusatz, dass nach Erfüllung des konfessionellen Zugehörigkeitskriteriums der Stiftungszweck beachtet werden soll: „Non distribuant eleemosynas aliis personis, quam Catholicis, & quibus ex fundatione debentur“. Die Bedeutung der bislang entscheidenden Kriterien der Versorgungsunfähigkeit und der Ortszugehörigkeit werden zwar nicht aufgehoben, treten aber als nachrangig hinter die Religionszugehörigkeit zurück. Gleichsam als Orientierungsanleitung findet sich im unmittelbaren Anschluss an die Regelungen in Titel 7 und 8 ein Auszug aus dem von Papst Pius IV. vorgegebenen katholischen Glaubensbekenntnis. Im Zusammenhang mit der Ausrichtung der Hospitalsversorgung als Mittel zur Konfessionalisierung wird die Sorgepflicht für das jenseitige Heil der Hospitalsinsassen erneut aufgegriffen, was an sich keine neue Forderung darstellt. Berücksichtigt man, dass Regelungen zur körperlichen Versorgung anders als bisher üblich im Hintergrund stehen, so erfährt die Betonung dieses Aspekts der Amtspflichten der Verwalter eine entscheidende Aufwertung. Augenfällig wird die Verknüpfung zwischen der eingeforderten Seelsorge und der beabsichtigten Stärkung des Katholizismus im Schlussteil des Titels 8. Dort wird besonderer Wert darauf gelegt, dass kein Todkranker ohne die kirchlichen Sakramente aus dem Leben scheidet. Im Wettkampf um die Konfessionszugehörigkeit gewinnt die Begleitung im letzten Lebensstadium einen finalen Aussagewert. Die Bedeutung, welche die Synode den 34 Concilia IX, S. 163. Die Bedeutung des katholischen Glaubensbekenntnisses wird auch auf die Kirchenbaumeister ausgeweitet, vgl. Titulus VI ebenda: „Ein offentliche Bekanntnuß des Catholischen Glaubens“.
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aus ihrer Sicht einzig gültigen Sakramenten beimisst, kann somit für die Anforderungen an die Leistungen der Hospitalsverwaltung nicht ohne Einfluss bleiben. Das Bedürfnis nach Bewahrung des wahren katholischen Glaubens bei den Insassen weist bereits auf die Ausweitung der „Religionsordnung“ des Erzstiftes auf das Herzogtum Westfalen hin, wodurch der Katholizismus zur „Staatsreligion“ erhoben wird.35 Die Rolle der Spitalversorgung als Instrument der Gegenreformation ist offenkundig. Ein vergleichbares Vorgehen findet sich ebenso in anderen katholischen Territorien. Im Juliushospital in Würzburg werden gleichfalls nur Bedürftige der katholischen Konfession aufgenommen. Die Versorgung Andersgläubiger erfolgt nur ausnahmsweise und für kurze Dauer.36 Indes handelt es sich bei der Reduktion des Berechtigtenkreises aufgrund der Konfessionszugehörigkeit nicht um ein allein in katholischen Hospitälern verbreitetes Phänomen. Anders als bei den übrigen katholischen Reichsfürsten, denen mit Ausnahme der geistlichen Fürsten keine den protestantischen Herrschern vergleichbare Doppelfunktion als weltlicher und kirchlicher Oberinstanz zukommt, ist bei den protestantischen Herrschern die Kirchenpolitik Teil der Staatspolitik. In zahlreichen protestantischen Territorien finden sich denn auch Beispiele eines entsprechenden Vorgehens. In der Visitationsordnung des Herzogtums Preußen von 1568 heißt es: „und Paulus den unterscheid auch will gehalten haben, das wir fürnehmlich und sonderlichen guts sollen thun an den glaubensgenossen“.37 Der Grund für die Exklusivität der Aufnahme liegt gerade für die protestantischen Territorien darin, Erinnerungen und Kontakte zu anderen Konfessionen zu vermeiden und so eine Rekonversion zu verhindern.38
2. Hospitäler als kirchliche Einrichtungen Die Synode stärkt erneut die Rolle der kirchlichen Würdenträger. Titel 7 weist den Erzdiakonen und Pastoren die Stellung ständiger Hospitalsaufseher zu, denen die Sorge für die Armen vorzugsweise obliegt. Damit folgt die Synode der mit der Forderung nach der Oberaufsicht des Bischofs über die Hospitalsverwaltung begonnenen Linie. Der Anspruch auf Zuständigkeit der katholischen Kirche im Bereich der Anstaltspflege bleibt unverändert. Diesem Verständnis entspricht die Forderung der Synode nach der Restitution der profanisierten Hospitäler und zugehörigen Güter.39 Unabhängig von den tatsächlichen Umsetzungsmöglichkeiten bleibt der kirchliche Machtanspruch über die Hospitalsverwaltung auf der normativen Ebene 35
Vgl. zu dieser Sichtweise Gatz (1990), S. 109. Wendehorst/Merzbacher (1979), S. 120. 37 Vgl. hierzu Begon (2002), S. 157; zur Visitationsordnung vgl. Sehling, Kirchenordnungen IV, S. 107 ff., 119. 38 Begon (2002), S. 158. 39 Diese Forderung ist bereits wie gezeigt Bestandteil der Synodalbeschlüsse des 16. Jahrhunderts. Eine Forderung, die nicht nur von katholischer Seite erhoben wird. Schon Luther fordert – wenngleich auch unter anderen Vorzeichen – die Wiederherstellung des ursprünglichen Stiftungszwecks der Hospitalsgüter, vgl. die Ausführungen zu Zweiter Teil, F., II. 36
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unverändert. Die höchste Wirksamkeit der Reformprogramme während der Regierungszeit Ferdinands von Bayern liegt im Bereich seiner weltlichen Herrschaftsgebiete, während die Entwicklung etwa in der Stadt Köln selbst und in Münster gehemmt verläuft.40 3. Resümee zur Provinzialsynode 1612 Insgesamt weist die Synode schon mangels der fehlenden Regelungstiefe keine grundsätzliche Veränderung der bisherigen Herangehensweise hinsichtlich der Versorgungsart auf. Alleine in der Betonung der Exklusivität der Versorgung nur für Katholiken sowie der Ausschließlichkeit der katholischen Konfession in der Verwaltungsstruktur liegt die Besonderheit. Letztlich prägt die Fokussierung der Synode auf Maßnahmen zur Gegenreformation die relativ knappen Regulierungen der Armenfürsorge. Die Funktionalität von Fürsorge gewinnt eine so bislang nicht aufgetretene Facette.
III. Provinzialsynode von 1662 Mehr als ein Jahrhundert nach dem Tridentinischen Konzil bestimmen dessen Richtlinien immer noch die Dekrete der Synoden. Die durch Heinrich von Bayern im Jahr 1662 einberufene Synode befasst sich unter dem Titel 13 „De bonis fabricae Ecclesiarum, & mensae pauperum“ mit der Armenversorgung.41 Im Zentrum der in drei Sachgebiete aufgeteilten Beschlüsse stehen in Teil 1 die Inhalte des katholischen Glaubens und der Gottesdienste, in Teil 2 die Definition der kirchlichen Sakramente und in Teil 3 die Rechtsverhältnisse der kirchlichen Würdenträger. Unter Teil 3 und damit inhaltlich dem Personenrechtsverhältnis untergeordnet finden sich in Titel 13 die für die Armenversorgung einschlägigen Regelungen. Nach den verhältnismäßig kurzen Aussagen der Synode von 1612 erfährt das Rechtsgebiet der institutionellen Fürsorge noch einmal eine umfassendere Berücksichtigung. Schließlich erscheint in dieser letzten Diözesansynode, die sich im Untersuchungszeitraum mit der Hospitalsverwaltung befasst, ein neues Element der Armenversorgung.42 Zwar werden mit den Anordnungen bezüglich der Kirchengüter, der Hospitäler und deren Verwaltungsstruktur nur Sachgebiete geregelt, die primär zur institutionellen und kirchlich geprägten Fürsorge zählen. Indes stellt die Einführung von pfarrgemeindlichen Armenkassen, die schon aus dem Fürsorgemodell Kurtriers zu Anfang des 16. Jahrhunderts bekannt sind, eine bislang für die Erzdiözese Köln unbekannte Herangehensweise dar. Sichtlich relativiert ist angesichts der nunmehr umfangreicheren Ausführungen zur Verwaltungsorganisation der durch die Synode 1612
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Gatz (1990), S. 109. Provinzialsynode von 1662 in Concilia IX, S. 899 ff.; Inhaltsübersicht auf S. 923 ff., Pars III Tit. XIII „De bonis fabricae Ecclesiarum, & mensae pauperum“, vgl. S. 1074 ff. 42 Vgl. Ratzinger (1884), S. 473. 41
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gewonnene Eindruck der besonderen Bedeutung der konfessionellen Auseinandersetzung. 1. Verwaltungsvorschriften a) Anforderungsprofil der Hospitalsangestellten Die Regelungen beginnen in Caput I, § 1 „Fabricae Ecclesiarum, aliisque piis locis quinam paeficiendi“ mit den Vorschriften über die Anforderungen an die Verwalter und den Verwaltungsvollzug. Die Grundanforderung an die „magistri, provisores atque administratores“, die Verwalter der Kirchengüter, Armenkassen, Hospitäler und anderer frommer Stiftungen, ist die Zugehörigkeit zur katholischen Glaubensgemeinschaft. Die Veränderungen am Anforderungsprofil durch die Synode von 1612 findet hier ihre Fortsetzung. Im Übrigen gelten die altbekannten Anforderungen an die Persönlichkeitsstruktur eines Verwalters: „quique domui suae bene praeesse sint comperti, qui sciant, velint, valeantque loca ipsa, bona eorum, ac jura, instar Tutorum, & Curatorum conservare“. Ebenso wie Ehrbarkeit, guter Ruf und die Fähigkeit zur guten Haushaltsführung als Einstellungsvoraussetzung gelten, sollen Verschwender, Spieler und Trunksüchtige keinesfalls als Verwalter eingestellt werden. Unter keinen Umständen sind Häretiker oder der Häresie Verdächtige als Verwalter zugelassen.43 Vor Amtsantritt ist in Gegenwart des Pastors oder des Vizepastors ein Amtseid abzulegen, in welchem die Treue und eine nutzbringende Pflichterfüllung gelobt werden. Um die Kontrolle und Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung zusätzlich zu verstärken, ist die Leitung der Einrichtungen durch zwei Verwalter auszuüben. Einer der beiden Verwalter ist als „provisor mensae pauperum“ speziell für das den Armen gewidmete Vermögen zuständig.44 Die Amtszeit der Verwalter ist auf zwei Jahre begrenzt, kann aber nach Erneuerung des Amtseids verlängert werden (Caput I, § 2).45 Die Handlungsbefugnisse des Verwalters der pfarrgemeindlichen Armenkassen sind durch Caput II, § 3 deutlich eingeschränkt. Ihm ist es untersagt, ohne das Vorwissen und die Genehmigung des örtlichen Kirchenvertretern und der weltlichen Obrigkeit einen Prozess zu beginnen. b) Rechnungslegung und Hospitaleinkünfte Die einschlägigen Beschlüsse der 25. Sitzung des Tridentinischen Konzils in Kapitel 8 & 10 sind immer noch prägend für die Synode, was aus dem ausdrücklichen Verweis in Caput I, § 1 hervorgeht. Für die Verwalter ist es Pflicht, jährlich oder mindestens aber alle zwei Jahre den aufsichtsbefugten Erzdiakonen, Dekanen, Pastoren 43
Concilia IX, S. 1074: „nullatenus autem haeretici, vel de haeresi suspecti“. Siehe Dorn (2005), S. 101. 45 Caput II, § 1 und 2 enthalten weitere Anforderungen an die Sorgfaltspflicht der Verwalter. Indes stehen die Anweisungen für die Verwalter der Kirchenbauten im Vordergrund. Insbesondere ist es ihnen bei hoher Schadensersatzpflicht und anderer Strafe untersagt, die kirchlichen Gebäude zweckzuentfremden. Vgl. Concilia IX, S. 1075. 44
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oder sonstigen hierzu Deputierten Rechenschaft abzulegen. Die Rechenschaftspflicht bezieht sich auf alle Vermögensgegenstände der Kirchengemeinde. So ist über den Bestand an Grundstücken wie Äcker, Wiesen, Wälder und sonstiger vergleichbarer, den kirchlichen Einrichtungen („pia loca“) zugehörigen Güter alle zehn Jahre ein Rechenschaftsbericht abzugeben. Gleiches gilt für die zum Eigentum oder zur Nutznießung überlassenen Gebäude und der Grundstücke. Darüber hinaus müssen die Verwalter der Kirchengüter, die Hospitals- und Armenkassenverwalter und sonstige Stiftungsverwalter grundsätzlich für eine angemessene Kaution sorgen. Eine Ausnahme gilt nur dann, falls in Ansehung der persönlichen Verhältnisse vom Erzdiakon, den Dechanten oder den Pastoren etwas anderes vorgesehen ist.46 Von den beiden Vermögensverwaltern ist einer für den Kirchenbau, der andere für die Armenpflege und das Priesterkollegium zuständig sein (Caput I, § 2). Zur Sicherung der seit vielen Jahren vergeblich durch die Pastoren und Verwalter angemahnten und ausstehenden Renteinkünfte („reditus“) der Hospitäler wird darüber hinaus die Einstellung eines Spezialschuldeneintreibers („specialis Receptor“) angeordnet. Dieser ist gegen eine angemessene Entlohnung für die Eintreibung und Abrechnung der Renditen zuständig.47 Die Rechenschaftsberichte sind zu im Voraus zu bestimmenden festen Terminen abzuliefern. Die Strafe für das verspätete Abliefern der Rechnung wird auf 12 Goldflorin festgesetzt.48 Zur Anwesenheit bei Ablegung der Rechenschaftsberichte verpflichtet sind die Erzdiakone, Dechanten oder zumindest die örtlichen Pastoren. In ihren Zuständigkeitsbereich fallen alle Güter, Armenkassen, Hospitäler, Waisenhäuser, Bruderschaften und sowie die sonstigen rechenschaftspflichtigen religiösen Vereinigungen. Unverkennbar wird an der Auffassung festgehalten, dass die finanziellen Grundlagen der Anstaltspflege originärer Kompetenzbereich der Kirche ist. 2. Einführung gemeindlicher Armenkassen Zu den bislang nicht durch Synodalbeschlüsse geregelten gemeindlichen Armenkassen, den „mensae pauperum“, fehlen abgesehen von der Benennung der Existenz des Armenprovisors und seiner Aufgaben weitere Aussagen über deren Struktur. Ungeklärt bleibt, ob freiwillige Spenden, Sammlungen oder pflichtige Beiträge die Finanzierungsgrundlage bilden. Dem Hinweis Ratzingers zufolge handelt es sich um Sammlungen durch ein Mitglied der Gemeindeverwaltung während des Gottes46 Concilia IX, S. 1074: Caput I, § 1 „Insuper Magistri fabricae Ecclesiarum, Administratores Hospitalium, mensae pauperum, similiumque fundationum Curatores, cautionem ad minus fidejussoriam proportionatam reditibus per ipsos administrandis, paestent, nisi aliud, attenta qualitate personarum, Archidiaconis, Decanis, Ruralibus, aut Pastoribus visum fuerit.“ Vgl. Dorn (2005), S. 101. 47 Concilia IX, S. 1074 Caput I, § 3 „Ad emonendos a multis annis restantes reditus a Pastore, magistris fabricae, & provisoribus mensae pauperum, constituatur specialis receptor, qui erga condignam mercedem eosdem diligenter exigat, colligat desuperque rationes reddat.“ 48 Concilia IX, S. 1074 Caput I, § 4: „stato tempore rationem non reddentes, mulctentur“.
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dienstes.49 Fest steht, dass die Einrichtung der „mensae pauperum“ dazu dient, an festgelegten Terminen Unterstützungsleistungen an die hierzu Berechtigten auszuteilen. 3. Unterstützungswürdige und Unterstützungsleistungen Behandeln Caput I (§§ 1 – 5) sowie Caput II (§§ 1 – 3) vornehmlich verwaltungsorganisatorisches, so finden sich in Caput II (§§ 4 f.) Vorgaben bezüglich des berechtigten Personenkreises und zu den Austeilungsdaten.50 Die Almosen sollen nur an wahre, rechtschaffene Arme an festgelegten Terminen, insbesondere an Sonn- und Feiertagen ausgeteilt werden. Ein möglicher Grund neben der offensichtlichen Beziehung zur christlichen Caritas liegt in der Annahme, dass an diesen Tagen alle potentiellen Adressaten der Unterstützungsleistungen anwesend sein werden. Von besonderer Bedeutung sind die beiden höchsten Feiertage des Kirchenjahres: Weihnachten als der Tag der Geburt Christi und Ostern als Tag seiner Auferstehung.51 Jeweils an diesen Tagen müssen die Vorsteher der Gemeindearmenkassen den örtlichen Priestern die Namen der Almosenempfänger mitteilen. Die Pastoren sind daraufhin gehalten, den Lebenswandel der Armen zu überprüfen. Hierzu gehört insbesondere die Befolgung des Gebots der Osterkommunion. Die Auswirkungen dieser Überprüfung werden in der nachfolgenden Erklärung offenkundig: Bei der Almosenverteilung soll nicht nur die Bedürftigkeit, sondern gerade auch der Lebens- und Sittenwandel berücksichtigt werden (Caput II, § 4). Obgleich dieses Kriterium im Vergleich zur Intensität der Forderungen von 1612 nach dem katholischen Bekenntnis nicht mehr die zentrale Rolle einnimmt, sind dennoch Kontinuitäten unverkennbar. Dass die Versorgungsunfähigkeit alleine nicht mehr ausreicht, um in den Genuss von Unterstützungsleistungen zu gelangen, ist keine neue Erkenntnis. An den Unterstützungssuchenden werden vielmehr weitere Anforderungen gestellt, die Armenfürsorge mit anders gelagerten Zielen verbinden. Das Kriterium der wahren, christlichen Lebensführung tritt gleichberechtigt als potentielles Inklusions- bzw. Exklusionskriterium auf. Die christliche Lebensführung ist eine auch in anderen Territorien unabhängig der Konfessionszugehörigkeit übliche Anforderung an den Unterstützungssuchenden.52 Unverkennbar bietet sich hier den kirchlichen Würdenträgern ein weiteres Disziplinierungsmittel an. Die Verknüpfung 49
Ratzinger 1884, S. 473. Concilia IX, S. 1075, Caput II § 2. 51 Die gesteigerte Bedeutung gerade der höchsten Feiertage für die Unterstützungsleistungen an Arme lässt sich auch an der erhöhten Qualität der Gaben festmachen. So ist für Trier zu Anfang des 18. Jahrhunderts überliefert, dass an diesen Tagen Weißbrot ausgegeben wird, vgl. Heyen (1981), S. 189 ff. Für die Stadt Rheinberg in Kurköln ist die Ausgabe von Butter oder anderen Lebensmitteln an einen wesentlich erweiterten Kreis von Bedürftigen überliefert, vgl. Schmidt/Wagner (2004), S. 499 f. 52 Vgl. zu Kurtrier die dargestellte Armenordnung von 1533, Dritter Teil, A., II. Zu Beispielen aus protestantischen Ordnungen vgl. Begon (2002), S. 138, 238, 243 f.; Kreiker (1997), S. 102 ff. 50
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der Bitte um Unterstützung mit der Forderung nach ordnungsgemäßer religiöser Glaubensbetätigung intensiviert infolge der Abhängigkeit der Bedürftigen die Verbindung zur katholischen Kirche. In einer weiteren Hinsicht erscheint dieses Kriterium als bemerkenswert. Zunächst scheint es an den oftmals wiederholten Grundsatz anzuknüpfen, dass die materielle Versorgung nur nachrangig hinter der Sorge für das Seelenheil steht. Betrachtet man allerdings die bisherigen Synodalbeschlüsse, welche die Betonung der Seelsorge bislang als eigenständigen Auftrag an die Hospitäler ansehen, so wird der Funktionswandel deutlicher. Nunmehr ist die ordnungsgemäße religiöse Lebensweise ein Umstand, welcher den Zugang gerade erst eröffnet und nicht mehr nur ein Ziel, welches erst durch die Leistungen der Hospitäler erreicht werden soll. 4. Gefahrenabwehr und Zugangsverweigerung Mit weiteren Ausschlussgründen bzw. Verhaltensanforderungen beschäftigt sich Caput II § 5.53 Dabei orientiert sich die Synode an den herkömmlichen aus ihrer Sicht bestehenden Gefahrenquellen: Fremdheit und Sexualität. Zum einen sollen in den Fremden- und Pilgerhospitälern keine fremden Gaukler, Spielleute, Würfelspieler oder andere Menschen dieses Schlages Aufnahme finden. Hier realisieren sich dieselben Verdachtsmomente gegen umherziehende Personengruppen, die in den territorialstaatlichen Verordnungen ebenfalls von entscheidender Bedeutung sind.54 Zum anderen sollen bei der Aufnahme ins Hospital Männer und Frauen in getrennte Räume eingewiesen werden, ungeachtet aller Beteuerungen von Eheverhältnissen. Dahinter steht die Befürchtung, dass anderenfalls unter diesem Anstrich („hoc colore“) die Hospitäler häufig zu Bordellen verkommen. Diese Regelungen entsprechen dem beiden Konfessionen gemeinsamen allgemeinen Hospitalrecht des „usus modernus“.55 5. Verträglichkeit der Ausschlusskriterien mit dem Fürsorgeauftrag Ungeachtet der zahlreichen Gründe, weshalb keine Unterstützung erfolgen soll trotz vergleichbarer materieller Notsituation, bleiben die zugrunde liegenden christlichen Motive der Fürsorge nicht gänzlich unbeachtet. So erinnert Caput II, § 6 zum Abschluss der Regelungen des Titels 13 nochmals deutlich an die Grundlage der Motivation zur Armenfürsorge. Alle an der Verwaltung und an Tätigkeiten im Rahmen des Hospitals beteiligten Personen sind aufgerufen, bei ihrem Tun vor allem an ihre Verpflichtung zur Hilfe und Unterstützung aufgrund Gottes Gebot zu denken. Die jen53
Concilia IX, S. 1076, Caput II § 5. Vgl. zu den stereotypen Verdachtsmomenten gegen Gaukler, Spielleute und Prostituierte siehe Irsigler (1986), S. 185 ff.; Jütte (2000), S. 190 – 209; Rheinheimer (2000), S. 70 – 77, 152 ff., 174 ff.; Roeck (1993), S. 66 ff., 119 ff. 55 Vgl. Aderbauer (1997), S. 173; Begon (2002), S. 245, welche auf die Nachweise bei Ahasver Fritsch, De jure hospitalium, p. 43, verweist. 54
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seitigen Folgen der irdischen Liebestätigkeit oder gar deren Fehlen werden eindringlich vor Augen geführt. Die Wohltaten zugunsten der Armen, Kinder, Witwen, Greisen, Kranken, Pilger und anderer Bedürftiger aus Mitleid und im Rahmen des auferlegten Amtes werden von Christus selbst am Tag des jüngsten Gerichts als an ihm selbst vollzogen belohnt werden. Für die Bequemen und Untätigen gilt die Androhung, dass am jüngsten Tag die Untaten der Menschen bestraft werden. Dazu gehören insbesondere die Veruntreuung der für die Armen vorgesehenen Güter sowie die schlechte Verwaltung derselben, was auf das Härteste bestraft werden wird.56 Hier wird eindeutig noch einmal die Verdienstlichkeit des Almosens und der Nächstenliebe im altgläubigen Verständnis betont, wie sie aus der Kurtrierer Armenordnung von 1533 ebenfalls bekannt ist. Trotz der angestrebten Kontrollmechanismen und der intendierten Verhinderung des Missbrauchs bei den Hospitalleistungen ist nicht zu übersehen, dass man als zusätzliche Absicherung gegen Betrug auf die Vorstellung des jüngsten Gerichts und der Verantwortung vor Gott zurückgreift. Geschickt werden beide zur Verfügung stehenden Einflussmöglichkeiten auf die Verwaltungsebene genutzt. Anders gewendet belässt man es nicht alleine bei der Überprüfung der Amtsführung, sondern nutzt die psychologische Wirkung der Furcht vor unabwendbarer Vergeltung. Ungeklärt bleibt, inwiefern die Vorgaben der Synode zum Berechtigtenkreis mit dem Auftrag Christi zur Unterstützung der Armen deckungsgleich sind. Berücksichtigt man die relativ „nackten“ Anforderungen an die Voraussetzungen der sieben körperlichen Werke der Barmherzigkeit bei Thomas von Aquin – auch wenn er ebenfalls den Ausschluss Arbeitsfähiger von der Bettelberechtigung anerkennt – so ist ein Anwachsen der zusätzlich zu erfüllenden Kriterien unverkennbar. Bevor der gute Christenmensch in Person des Hospitalverwalters Unterstützung gewähren kann und darf, müssen neben der Arbeitsunfähigkeit die Zugehörigkeit zur Versorgungsgemeinschaft und ein guter christlicher Lebensstil entsprechend der katholischen Konfession vorliegen. Ein Erklärungsansatz kann in der gängigen Überzeugung gesehen werden, dass durch die Versorgung Unberechtiger ansonsten den wahren Armen keine Unterstützung mehr zur Verfügung stünde. Betrachtet man die Entwicklung in systematischer Hinsicht, lässt sich die Einführung weiterer Kriterien auch als Stabilisierungsmaßnahme deuten, welche durch Reduktion des Berechtigtenkreises die begrenzten oder sich relativ verringernden Ressourcen den veränderten Gegebenheiten anpasst. Aus der Sichtweise der Synode selbst ergibt sich aus alledem kein den Beschlüssen zu entnehmender Widerspruch. 6. Resümee Auch ohne die rückblickend zu bemerkende Entfremdung von der mittelalterlichen Vorstellung von Caritas durch die Synodalbeschlüsse ist unverkennbar, dass die katholische Kirche ihren Machtanspruch über die Anstaltspflege keineswegs aufgibt, vielmehr sogar noch intensiviert. Gerade die Verstärkung der Kontrollmechanis56
Concilia IX, 1076 Caput II, § 6).
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men für die Hospitals- und Armenkassenverwalter und die Einbindung von kirchlichen Würdenträgern verschiedener Hierarchieebenen belegen dies nachdrücklich. Innerhalb des kurkölnischen Herrschaftsgebiets lässt sich auf der Normebene insofern kein Gegensatz zwischen dem Anspruch der Synode und dem Bestreben des Landesherrn feststellen. Dass die bestehenden Hospitäler durch Schenkungen der Kurfürsten selbst gefördert werden, belegt das Vermächtnis des Kurfürsten Maximilian Heinrich im Jahr 1688.57 Eine umfassende Untersuchung von Konflikten zwischen städtischer Verwaltung und kirchlicher Oberaufsicht in der Praxis der einzelnen Hospitalsordnungen übersteigt indes den Untersuchungsrahmen dieser Arbeit. Aus der nachfolgend darzustellenden Polizeiordnung der Residenzstadt Bonn vom 15. 12. 1698 wird punktuell ersichtlich, wie sich der Vollzug gestaltet. Wie sich zeigen wird, werden die Vorgaben zwar durchgesetzt, erfahren jedoch signifikante Modifizierungen.58
IV. Überblick zu den territorialstaatlichen Normen Enthalten die Synodalprotokolle des 17. Jahrhunderts einige Aussagen zum Fürsorgewesen, so ist in Bezug auf die territorialstaatlichen Normen des 17. Jahrhunderts ein Mangel an umfassend angelegten Regelungen feststellbar. Die Zurückhaltung der Kurfürsten im Bereich der Polizeigesetzgebung trifft während des gesamten 17. Jahrhunderts auf alle Rechtsgebiete zu. Erst unter den Kurfürsten Maximilian Heinrich von Bayern (1650 – 1688) und Joseph Clemens von Bayern (1688 – 1723) steigt die Zahl der Verordnungen an. Auffallend ist die Tendenz zu Einzelverordnungen mit einem begrenzten Anwendungsbereich statt der umfassend angelegten Polizeiordnungen von 1538 und 1595. Eine Ausnahme zur Einzelfallgesetzgebung stellen die beiden Polizeiordnungen für das Herzogtum Westfalen und die Polizeiordnung von 1647 für das Erzstift dar.59 Im Bereich der Armenfürsorge wird die Differenzierung der Unterstützungssuchenden mittels des Kriteriums der Arbeitsfähigkeit fortgeführt. Keine Veränderung erfährt die Akzeptanz des Bettels als zulässiges Versorgungsmittel für die anerkannten Armen. Deutet die Kirchengesetzgebung auf die Einrichtung gesonderter Kassen zur Armenunterstützung hin, findet sich im Bereich der weltlichen Normen bis auf die bereits aus dem 16. Jahrhundert bekannte Armenbüchse der Bergleute keine Einführung neuer Unterstützungsformen. Es verbleibt beim Rückgriff auf die herkömmlichen Organisationsformen. Die in den beiden Polizeiordnungen des vergangenen Jahrhunderts angelegten Repressionen gegen umherzie57
Vgl. Ohm (1998), S. 212. Polizeiordnung 15. 12. 1698 in VSC I, 301 ff. 59 Vgl. Härter (1999a), S. 205, 207. Die Gründe des Trends zum Einzelgesetz liegen nach Härter in der verbesserten Möglichkeit auf kurzfristig eintretende Krisenzustände flexibel zu reagieren, vgl. Härter (1999a), S. 210. Zudem stellt die Beteiligung der Landstände bei dem Erlass umfassend angelegter Polizeiordnungen ein aus Sicht der Territorialgewalt zu vermeidendes Hemmnis dar. 58
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hende Personengruppen werden ebenfalls weiter fortgesetzt. Die Verordnungen, die sich mit diesen mobilen Randgruppen auseinandersetzen, stellen im Gesamtvergleich einen Schwerpunkt der Gesetzgebungstätigkeit dar und weisen eine erhöhte Regelungsdichte auf.60
V. Bergordnung 1669: Zentrale beitragsfinanzierte Armenkasse Am 4. 1. 1669 wird eine umfangreiche Bergordnung durch Kurfürst Maximilian Heinrich von Bayern für das gesamte Herrschaftsgebiet erlassen.61 Das angegebene Ziel der Verordnung ist die Wiederherstellung eines funktionsfähigen Bergbaus, der aufgrund der Kriegswirren in Abgang geraten ist. Dahinter stehen auch die finanziellen Interessen des Landesherrn als Regalherr. Gleichsam zur „Ankurbelung“ der Wirtschaft und als Starthilfe werden alle mit dem Bergbau in Verbindung stehenden Rechtsgebiete vom Gerichtswesen über Abbauvorschriften bis hin zu den Privilegien überarbeitet. Zu den Besonderheiten des Bergbaus gehört die Daseinsfürsorge, welche aus der durch Teil 2, Art. 12 und 13 geregelten und auf Beiträgen der Bergleute basierenden Armen- und Krankenkasse besteht.62 1. Bergmannskasse: Büchsengeld als Armuts- und Krankheitsfürsorge Die Existenz der „buechsen=Pfenningen“-Kasse wird auf das Bergmannherkommen zurückgeführt. Zudem weist die Zweckbestimmung auf die in der Bergordnung 1559 vorgesehene Einrichtung einer Gemeinschaftskasse hin, die durch die zweckgebundene Nutzung einer bestimmten Abbaufläche finanziert wird. Anders als in der damaligen Bergordnung ist nunmehr ein Modell vorgesehen, welches sich durch wöchentliche Beiträge entsprechend dem jeweiligen Einkommen finanziert. Die Höhe des pflichtigen „Buechsengelt[s]“ beträgt „4 schwaere Pfenninge oder den halben Teil von einem Groschen“ für alle „Hauerknecht und Jung“ sowie die „Puchkinder“.63 Die Schichtmeister oder Steiger sind befugt, die ausstehenden Beiträge vom Lohn einzubehalten. Zuständig zur Aufbewahrung des „Buechsengelt[s]“ sind die Knappschaftsältesten. Gemeinsam mit dem Schichtmeister sind die Knappschaftsältesten zur Buchführung über die einkommenden Gelder verpflichtet. Die Zweckbestimmung des Büchsengeldes entspricht den gängigen Unterstützungsvorstellungen: „nur arme, kranke oder sonst gebrachliche bergleuthe und dero Wittiben 60
Vgl. Härter (1999a), S. 207 f. Bergordnung vom 4. 1. 1669 (Publikation der am 2. 1. 1669 erlassenen Bergordnung) in Scotti, Cöln I/1, S. 306 – 472 (Nr. 117), insbesondere S. 306, 332; VSC I, S. 269 – 390 (Nr. 120). 62 Zu Art. 12 f. vgl. Bergordnung vom 4. 1. 1669 in VSC I, S. 332 f. 63 Die „Puchkinder“ sind in der Anlage zur Zerkleinerung des Erzes angestellte Kinder. Teilweise wird in anderen Territorien Kindern aus verarmten Familien diese Art von Tätigkeit bevorzugt als Existenzsicherung angeboten, vgl. Dennert (1979), S. 232. 61
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und Waisen“. Die Arbeitsunfähigkeit oder Versorgungsunfähigkeit stellt auch für den Bergbau das primäre Unterstützungskriterium dar. Die Begrenzung auf Bergleute und damit der denknotwendige Ausschluss der Versorgung Fremder liegen in der Natur dieser auf Beiträgen beruhenden sozialen Sicherung.64 2. Art der Unterstützung Die Bergordnung sieht zwei Möglichkeiten der Unterstützung mit Hilfe des Büchsengeldes vor. Zum einen ist die Zuteilung eines „Gnadengelt[s]“ vorgesehen. Voraussetzung ist die Supplikation, also ein Bittantrag, eines anerkannten Bedürftigen beim Bergamt. Die Zahlung des „Gnadengelt[s]“ oder sonstiger Unterstützungsleistungen soll durch die Ältesten der Knappschaft aus dem Büchsengeld erfolgen. Zum anderen ist für den Fall, dass der Bestand des Büchsengeldes nach Erfüllung der primären Unterstützungsaufgabe einen Überschuss aufweist, die Darlehensgewährung zur Existenzsicherung vorgesehen. Bei dieser Art von Unterstützung soll das Darlehen „armen Bergleuthen“ zum Erwerb einer eigenen Wohnung oder einer vergleichbaren Anschaffung zur Überbrückung der Finanzierungslücke gewährt werden. Die jährliche zu verzinsende Summe soll dabei nicht mehr als zehn oder 15 Reichstaler betragen. Der dahinter stehende Sinn liegt in dem Erhalt der Zahlungsfähigkeit der Knappschaft („damit die Knapschaft deßhalber wieder bezahlet werden könne“). Den Knappschaftsältesten kommt dabei wiederum eine herausgehobene Stellung zu. Ihnen obliegt neben der Entscheidung über die Gewährung das Haftungsrisiko für ausgefallene Darlehen, wodurch sie also als Bürgen der Darlehensschuld dienen sollen. 3. Büchsenkasten Während sich der vorangegangene Artikel vornehmlich mit der Art und der Zielsetzung der gemeinsamen Kasse befasst, regelt Artikel 13 die verwaltungsorganisatorischen Fragen. Gerade die Art und Weise der Aufbewahrung offenbart signifikante Ähnlichkeiten mit den Armenkassen des 16. Jahrhunderts, wie sie aus Kurtrier oder anderen Territorien bekannt sind.65 Besonders deutlich wird dies bei der Beschreibung der äußerlichen Gestalt des Kastens, der mit zwei Schlössern versehen sein soll. Die Schlüsselgewalt ist entsprechend den bekannten Vorschriften zu den Armenkassen aufgeteilt. Sie steht zum einen dem „Oberbergmeister“ und zum anderen den Knappschaftsältesten zu. Ebenso wie durch die Teilung der Schlüsselgewalt beim Armenkasten etwa in Kurtrier zwischen Pastor und obrigkeitlich Verordnetem soll hierdurch der Missbrauch durch eigenmächtige Entnahmen verhindert werden. Dieser Kontrollmechanismus wird mittels der gemeinsamen Rechnungsführung durch die Schichtmeister und Knappschaftsvorsteher zusätzlich abgesichert und unterstützt. 64
Weitere Beispiele der Hilfe auf Gegenseitigkeit bei Jütte (2000), S. 126 ff. Vgl. zum äußeren Erscheinungsbild eines Armenkasten das Beispiel aus Wittenberg, dessen „Gemeine[r] Kasten“ bei Wilhelm/Heese (2000), S. 25 abgebildet ist. 65
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4. Aufnahme Fremder in die Bergstädte Die Armenkasse der Bergleute ist unausgesprochen aber offenkundig nur auf den eng begrenzten Personenkreis der im jeweiligen Bergwerk Tätigen beschränkt. Damit entfällt der in den obrigkeitlichen Normen notwendige Ausschluss der Fremden von der Unterstützungsberechtigung. In diesem Zusammenhang ist Teil 2, Artikel 14 zu beachten, wonach die Aufnahme fremder, Arbeit suchender Bergmänner oder Handwerker einer vorherigen Prüfung unterliegt.66 Zuständig für die Bewilligung der Aufnahme in die Bergfreiheit und die Eröffnung der Verdienstmöglichkeiten im Bergbau ist der Oberbergmeister, während für die Handwerker der Richter und der Rat der Bergstadt zuständig sind.67 Mittelbar ist neben der Begrenzung des Zugangs zu den Arbeitsplätzen damit auch eine unkontrollierte Ausweitung des Kreises potentieller Berechtiger verhindert, da nur erwerbstätige und somit nicht unterstützungsbedürftige Personen aufgenommen werden. Dies entspricht dem der Finanzierung zugrunde liegenden Gedanken. Nur wer in der Lage ist, selbst einen Beitrag zu leisten, kann sich einen Anspruch auf ein Almosen verdienen. 5. Entwicklungstendenzen der Gesetzgebung im Bergrecht Wie schon aus dem Vergleich der Einleitungen der Bergordnungen von 1559 und 1669 hervorgeht, ist der Gottesbezug bei der Textgestaltung deutlich reduziert. In der schlichter gehaltenen jüngeren Verordnung wird das Bergbauvorkommen weniger als Geschenk Gottes angesehen, denn als nutzbare Ressource des Kurfürstentums. Dies deutet bereits auf die in Bezug auf die Funktion der Bergmannskasse erkennbare Reduktion hin. Stand die Bergmannskasse 1559 noch zur Nutzung für „gemeines Nutzen und Kirchendienste“ zur Verfügung, so beschränkt sich nunmehr die Zweckbestimmung alleine auf Fürsorgeleistungen und Armutsprävention. Zum Teil mag dies auch in der Veränderung der Finanzierung liegen, die von der in gewissem Umfang auch auf Eigenleistung beruhenden Stollennutzung auf ein reines Beitragssystem umgestellt wird. Durch die Zurückdrängung der Beziehung der Vorsorge und der Unterstützungsleistungen zur Religion tritt zudem eine funktionale Differenzierung ein. Die Leistungen erfolgen sowohl als Reaktion auf Notlagen als auch zur Prävention durch Kreditvergabe. Diese Systematik weist zumindest in Teilpunkten Parallelen auf zu den neuzeitlichen Sozialversicherungssystemen. Die Einrichtung zentraler auf Beiträgen der potentiellen Leistungsempfänger beruhender Versicherungssysteme bleibt eine auf die Sondergruppe der Bergleute begrenzte Erscheinung. Eine Übernahme dieses Modells in die allgemeine territorialstaatliche Fürsorgegesetzgebung
66 67
Bergordnung vom 4. 1. 1669 in Scotti, Cöln I/1, S. 333, Teil 2, Art. 14. Zur Bergfreiheit vgl. Blaschke/Heilfurth, Art. Bergbau, in: Lex MA I.
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findet im Ancien Régime nicht statt.68 Dies kann nicht zuletzt aus den anders gelagerten Interessen des Landesherrn erklärt werden. Dient die Bergmannskasse als soziales Sicherungssystem dem Erhalt des für ihn finanziell lukrativen Bergbaus, so resultiert aus einer Neuordnung des Finanzierungssystems für die öffentliche Armenfürsorge kein unmittelbarer finanzieller Nutzen aus der Verbesserung der Versorgungssituation. Eine andere denkbare Adaption, gemeint ist die Einrichtung einer auf kommunaler Ebene zentralisierten Armenkasse, die sich aus Almosenspenden finanziert, findet in Kurköln auf territorialstaatlicher Ebene im 17. Jahrhundert nicht statt. Es bleibt insofern alleine bei den in der Synodalgesetzgebung nachweisbaren Formen.
VI. Bettelmandat von 1637 Die wenigen für das 17. Jahrhundert erfassbaren Normen, die sich zumindest mittelbar mit Unterstützungsleistungen für Bedürftige befassen, beschränken sich auf die Unterscheidung der Unterstützungssuchenden in berechtigte und unberechtigte Bettler. Die Zulässigkeit des Bettels als Versorgungsform lässt sich einem entsprechendem Bettelmandat entnehmen. Daran knüpft die Darstellung der für das 17. Jahrhundert überlieferten Polizeiordnungen an. Die Polizeiordnung für die Stadt Bonn bietet schließlich die Möglichkeit, einen Abgleich zwischen den Forderungen der Synodalbeschlüsse und der weltlichen Normebene herzustellen. Im zeitlichen Umfeld des Eintritts des Königreichs Frankreich in den Dreißigjährigen Krieg und den damit verbundenen Auswirkungen auf die rheinischen Kurstaaten kommt es am 20. 5. 1637 zum Erlass eines Bettelmandats durch Kurfürst Ferdinand von Bayern.69 Das Mandat gilt im gesamten Erzstift und ist an alle kurfürstlichen Amtsträger gerichtet.70 Anlass ist der Aufenthalt von Fremden auf der Suche nach Unterstützungsleistungen in Gestalt des erbettelten Almosens. Zu diesen Fremden zählen Kriegsflüchtlinge, die sich in das zu diesem Zeitpunkt relativ sichere Bonn begeben und dort die Kapazitäten der Hospitäler überlasten. Besonders im Winter 1636/ 1637 erfahren viele Bedürftige Unterstützung durch die einheimische BevölkeArNUGTRECH ung.71 Dagegen gilt die gesetzgeberische Reaktion den Risiken, die mit dem Aufenthalt von Fremden verbundenen sind. Als solche werden die Ausbreitung ansteckender Krank68 Zu weiteren Ansätzen des Versicherungsgedankens im Ancien Règime vgl. Schöpfer (1976), S. 73 ff., 87 ff., 113 ff. Dort weist Schöpfer auf die Einrichtung von Witwen- und Waisenkassen hin. Allgemein zur Versicherung v. Zedzwitz (1999). 69 Mandat vom 20. 5. 1637 in VSC II, S. 62 f. (Nr. 285); Scotti, Cöln I/1, S. 248 (Nr. 68). Kurtrier überlässt den Franzosen aufgrund eines Schutzvertrages die Festungen Ehrenbreitstein und Phillipsburg. Kurköln bleibt zwar in dieser Phase ebenfalls von größeren Kampfhandlungen verschont, befindet sich jedoch im weiteren Verlauf unter militärischer Besetzung durch Hessen, vgl. Ennen (1962), S. 179 ff. 70 Diese werden als „Ambtleuthe, Voegte, Schultheis, Kelner, und andere Bediente, fort Buergermeister und Vorsteher in Staetten, Flecken, und Dorffschafften“ genannt, vgl. VSC II, S. 62 f. Zu den kurkölnischen Ämtern vgl. Simon/Keller, S. 425 ff. 71 Ennen (1962), S. 179.
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heiten ebenso genannt wie die Gefährdung der Sicherheitslage durch die als Begehung von „Wuthwill, Aergernuß, Leichtfertigkeit, und andere Excessen“ bezeichneten Handlungen. Unter den „Excessen“ wird insbesondere die Gefährdung des Handels- und Reiseverkehrs durch Straßenraub verstanden. Hier treffen zwei Gefahrenzuschreibungen zusammen, die in der weiteren Entwicklung sich erneut verbinden werden: Der umherziehende Bettler ist aus Sicht der Territorialgewalt Krankheitsüberträger und zugleich (potentieller) Straftäter. Anders als im Rahmen der umfassenden Polizeiordnungen des vergangenen Jahrhunderts wird hier detaillierter auf die gebräuchlichen Beweggründe armen- bzw. repressivpolizeilichen Handelns eingegangen. Allerdings fehlt es an der sonst anzutreffenden Begründung, dass der Zugriff Fremder auf die einheimischen Almosen die Versorgungslage der ansässigen Armen gefährde. 1. Differenzierter Umgang mit fremden Unterstützungssuchenden Im Gegensatz zur sonst üblichen Vorgehensweise zur Verhinderung des Aufenthalts Fremder in einem Territorium, welche in Aufenthaltsverboten, Bestrafung und Ausweisung besteht, wählt das vorliegende Mandat einen anderen Ansatz. Der Gesetzgeber greift auf Maßnahmen zurück, die mehr dem Umgang mit der einheimischen Bevölkerung angenähert sind. Zwar bestimmt sich anhand des Kriteriums „Fremdheit“ das Ausmaß an Versorgungsmöglichkeiten, innerhalb der als fremd eingestuften Personen gewinnt das Kriterium der Arbeitsfähigkeit an Bedeutung. Eine generelle Ausweisung Fremder findet also nicht statt. Vielmehr wird hier zwischen schwachen, also arbeitsunfähigen und damit hilfebedürftigen Personen, und „stark [en], und [der] Gesundheit wegen zur Arbeit tauglich[en]“ unterschieden. Dies entspricht der bereits gezeigten Bereitschaft, den hilfsbedürftigen Flüchtlingen Unterstützung zu leisten. 2. Arbeitswilligkeit als Inklusionskriterium Es passt zur veränderten Herangehensweise, dass keine generelle Ausweisung von Fremden erfolgt. Im Unterschied zu den ansonsten stets unmittelbar mit den oben dargestellten Gefahrzuschreibungen verknüpften Ausweisungen von Arbeitsfähigen, wird vorliegend den Fremden unter der Voraussetzung der Aufnahme einer Arbeitstätigkeit das Aufenthaltsrecht im Erzstift gewährt. Die Arbeitstätigkeit sichert demnach den sonst Exkludierten das Bleiberecht. Angesichts der zurückliegenden Verwüstungen des Erzstifts im 30-jährigen Krieg ist das Bedürfnis nach Arbeitskräften ein Grund für die Bereitschaft zur Aufnahme. Nur für den Fall der Verweigerung einer angebotenen Arbeit ist die sofortige Ausweisung unter Strafandrohung vorzunehmen.
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3. Unterstützung fremder Arbeitsunfähiger Im Vergleich zu den bisherigen Polizeiordnungen nimmt sich die Zusage von Hilfe und Unterstützung gegenüber den arbeitsunfähigen Fremden ungewöhnlich aus. Die Zuteilung von „Allmußen zur Ehren Gottes“ ist allerdings auf die Reichung von Wegzehrung beschränkt. Dies ergibt sich aus der Handlungsanweisung an die Amtsträger, dass die betreffenden Personen „weiter gewiesen“ werden sollen. Zwar sind hieran nicht die Erfordernisse der Reichspolizeiordnungen für den Bettel Fremder im Territorium geknüpft; es wird also eine Bettelbescheinigung von anderen Territorien nicht verlangt. Ein Grund hierfür ist darin zu sehen, dass es sich ohnehin nur um eine reduzierte Versorgungsleistung handelt. Zudem ist die Kriegssituation zu berücksichtigen. Dennoch liegt in dieser Ausnahmeregelung eine bislang durch die kurkölnische Gesetzgebung nicht gewährte Versorgungsleistung. Die durch die Polizeiordnungen zugelassene Versorgung von Armen aus anderen kurfürstlichen Ämtern wird nunmehr in einem geringeren Umfang auch für fremde Untertanen auf der Flucht eröffnet. Angesichts der ausdrücklichen Betonung der Motivation der Ausnahmeregelung, erweist sich die christliche Verpflichtung zur Nächstenliebe als immer noch – wenn auch begrenzt – wirkungsmächtig. Die Regelungen erinnern nur im Ansatz an die Ausnahmen, welche die Trierer Armenordnung von 1533 für die Versorgung von Armen aus benachbarten Territorien und zur Versorgung von Pilgern kennt.72 Bedeutsamer als die Adaption bekannter Ausnahmeregelungen ist für das Handeln des Gesetzgebers die Notwendigkeit einer Reaktion auf den verheerenden Kriegszustand.
VII. Polizeiordnungen von 1645, 1647, 1656 Die Durchsetzung der Arbeitsverpflichtung bleibt dennoch prägendes Merkmal der Regelungen, die mit der Unterstützungsberechtigung im Zusammenhang stehen. In den letzten Jahren des Dreißigjährigen Krieges ergehen kurz aufeinander folgend jeweils für das Herzogtum Westfalen und sodann für das Erzstift geltende Polizeiordnungen. Im Unterschied zu den Polizeiordnungen des 16. Jahrhunderts enthalten diese keinen eigenen speziellen Abschnitt, der sich mit den Unterstützungsleistungen in Gestalt der institutionellen Fürsorge und des durch Bettel zu verschaffenden Almosens insgesamt befasst. Offensichtlich wird die Notwendigkeit für territorialstaatliche Gesetze angesichts der Synodalbeschlüsse verneint.
1. Polizeiordnung für das Herzogtum Westfalen 1645 Unter Bezug auf die bereits erlassenen Polizeiordnungen ergeht auf Weisung des Kurfürsten Ferdinand von Bayern am 15. 2. 1645 eine für das Herzogtum Westfalen 72 Sie entspricht ebenfalls dem in Ypern oder in den spanischen Niederlanden in den 1530er Jahren geltenden Recht, vgl. Zweiter Teil, E., III.
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geltende erneuerte Polizeiordnung.73 Wesentliche Bestandteile der Verordnung sind die Regulierung der Kornpreise, das Auswanderungsverbot, die Beschränkungen des Aufwands bei Fastnacht, Hochzeit, Taufen und Begräbnissen sowie arbeits- und dienstrechtliche Regelungen für Knechte, Mägde und Tagelöhner. a) Wohnortbindung zur Verhinderung von Armut und Müßiggang Die im Zusammenhang mit Unterstützungsleistungen relevanten Regelungen erfolgen im Rahmen der arbeitsrechtlichen Vorschriften. Ausgangspunkt ist zunächst die Forderung nach Angleichung der Kornpreise an das Preisniveau der Jahre 1628 – 1630, an der sich die Anpassung der Entgelder der Tagelöhner orientiert. Die Regulierung des Tagelohns soll unter Vorbehalt der kurfürstlichen Genehmigung den örtlichen Gegebenheiten gemäß erfolgen. Die Arbeiter sind zum Verbleib im Erzstift verpflichtet, falls die örtlichen Umstände die Verwendung ihrer Arbeitskraft erfordern. Dies gilt sogar dann, wenn ihre Lohnforderungen nicht erfüllt werden sollten. Die Beweggründe des Verbots der Aufnahme einer auswärtigen Tätigkeit liegen in der Furcht vor den mit der Aufgabe der Ortsgebundenheit verbundenen Gefahren. Zum einen steht dahinter die Befürchtung des ansonsten eintretenden Mangels an Arbeitskräften. Zum anderen wird die Gefahr darin gesehen, dass durch den Wegzug des Familienernährers Bedürftigkeitsverhältnisse der zurückgelassenen Familie entstehen. Diese Schlussfolgerung ergibt sich sowohl aus der Androhung der Zuweisung der Familien zum neuen Arbeitsplatz des Ernährers als auch aus den nachfolgenden Regelungen zur Verhinderung des Müßiggangs. Dass die Nachsendung der Familie eine Sanktion des Verbotsverstoßes darstellt, belegt die unmittelbare Verbindung mit der Androhung, „sonsten nach befindung deß muhtwillenß (doch mit direction) anderer undt bester gestalt zu bestraffen“. Zuständig für den Vollzug der Sanktionen sind die jeweiligen Ortsobrigkeiten. Punkt 10 der Polizeiordnung verweist auf die Möglichkeit des Eigentumsarrestes und auf die Brüchtenordnungen zur Bestrafung der auswärtig tätigen Landeskinder. Zur Stabilisierung des eigenen Arbeitsmarktes sind den Untertanen demnach die räumliche Veränderung und damit der Wechsel zu anderen auf der Arbeitstätigkeit beruhenden Versorgungsmöglichkeiten untersagt. Die Furcht, für die zurückgebliebenen Familien anstelle des abgewanderten Ernährers sorgen zu müssen, bedingt die getroffenen Sanktionsdrohungen. b) Arbeitsunwilligkeit als Exklusionskriterium Die Polizeiordnung reagiert durch Zuweisungen von untätigen Personen in Dienst- oder Tagelohnverhältnisse auf den festgestellten Umstand der Verödung von Ortschaften. Zurückgeführt wird der Bevölkerungsschwund auf den Umzug zahlreicher Familien in entlegene Behausungen mit dem Ziel, „umb sich der contribution 73 Polizeiordnung vom 15. 2. 1645 in StAMs, KKE Bd. 36, Nr. 197 – 200, Scotti, Cöln I/1, S. 249 – 251 (Nr. 70).
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zu Entziehen“.74 Die Flucht vor der mit dem Aufenthalt in geschlossenen Ortschaften verbundenen Abgabenpflicht führt aus Sicht des Landesherrn zum Müßiggang in den nicht durch die Territorialgewalt ständig kontrollierbaren Bereichen. Da zahlreiche Familien zu dem betreffenden Personenkreis gehören, befürchtet der Gesetzgeber die Gewöhnung der Kinder an das Bettelleben und die Untätigkeit. Infolgedessen werden die Ortsobrigkeiten angewiesen, diesen Zustand durch die Zuweisung der angesprochenen Personenkreise in Lohnverhältnisse zu verhindern. Für Arbeitsunwillige und damit zugleich Verweigerer von Abgaben ist die Ausweisung aus dem Territorium und der Entzug des kurfürstlichen Schutzes angeordnet: „daß Keiner mehr Zudulden, undt Churf. Dchltt. Schutzeß Zugemessenen der nicht nach betrüge seineß thuenß undt nahrung in vielen oder Einigen etwaß Zur Contribution undt gemeinen lasten tragen undt leisten müsse“. Die Bedeutung der Erwerbstätigkeit als Grundlage der Landesfinanzen führt zum rigiden Umgang mit Arbeitsunwilligen und Müßiggang. Der Gedanke der Nützlichkeit des Individuums für das gesamte Territorium zieht im Umkehrschluss die Aussonderung der Person aus dem Territorialstaat bei fehlender Nützlichkeit nach sich. Während umgekehrt der Wille zur Aufnahme einer Beschäftigung ein Kriterium ist, welches das Exklusionskriterium „Fremdheit“ zu überwinden vermag, ist Arbeitsunwilligkeit ein Merkmal, welches zum Verlust der Zugehörigkeit zum Territorium und damit letztlich zum Verlust dieser Versorgungsmöglichkeiten führt. An diese Regelungen schließen sich in Punkt 5 ff. der Polizeiordnungen zahlreiche Vorgaben zur Dauer von Lohnverhältnissen, Ablösezahlungen, Preis- und Lohnbindungen und Kündigungsfristen an. Diese enthalten indes über die dargestellten Regelungen keinen weiteren eigenständigen Aussagewert für den Bereich der Armenversorgung im weiteren Sinn. 2. Tax- und Polizeiordnung 1647 des Erzstifts Köln Die Tax- und Polizeiordnung vom 28. 6. 1647 stellt für das Erzstift das entsprechende Gegenstück zur Polizeiordnung des Herzogtums Westfalen dar.75 Hier wie dort steht die Wiederherstellung der durch die Kriegswirren zerrütteten Ordnung im Vordergrund. Die Regelungen der beiden Ordnungen entsprechen sich im Wesentlichen. Wiederum stehen die Neuordnung des Lohn- und Preisniveaus durch Wucherund Vorkaufsverbote sowie die arbeitsrechtlichen Vorgaben zu Dienst- und Tagelohnverhältnissen im Zentrum. Insbesondere die negativen Auswirkungen der Preisstei74
Die Polizeiordnung fasst den Zustand der Ortschaften anschaulich mit den Worten: „Vielle platzen sowoll auffn landt alß in stetten ledigh undt wuest werden“. Der Rückzug erfolgt nach den Angaben der Polizeiordnung in abgelegene „Backhaeusern“. Diese stellen einen häufig genutzten Rückzugsraum für soziale Unterschichten dar, vgl. Schepers (2000), S. 152. 75 Tax- und Polizeiordnung vom 28. 6. 1647 in VSC II, S. 6 – 22 (Nr. 255); Scotti, Cöln I/1, S. 252 f. (Nr. 73). Die Adressaten der Polizeiordnung sind die „Praelaten, Graven, denenvon der Ritterschafft Statthaltern, Ambtleute, Voegten, Schultheissen, Richtern, Kellnern, auch Buergermeistern, Scheffen und Rat, und sonsten allen und jeden unseren Befehlchhaberen und Dienern, auch Geist= und Weltlichen Underthanen und Schirm Verwandten“ des Erzstifts.
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gerungen zu Lasten der Landbevölkerung sollen abgestellt werden. Der erzstiftischen Polizeiordnung entbehrt es zwar nicht an einschlägigen Vorschriften zur Ortsgebundenheit der Arbeitskräfte. Es fehlt indes an der 1645 vorgenommenen Verknüpfung mit den Gefahren des Müßiggangs. Anders als die westfälische Polizeiordnung enthält ihr erzstiftisches Pendant jedoch ausdrückliche Vorgaben zur Versorgungsform des Bettels in der Tradition der Gesetzgebung des 16. Jahrhunderts. Die Anordnungen erfolgen im Zuge der vorherigen Beratungen mit Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg als Landesherrn des Nachbarterritoriums Jülich-Kleve-Berg. a) Bettelverbot und -erlaubnis / Durchsetzung der Arbeitspflicht Unter der Überschrift „Bettler und Müssiggaenger“ finden sich die einschlägigen Anordnungen zur Frage der Zulässigkeit des Bettels.76 Die Veranlassung zur Regulierung des Bettelwesens wird in der angestiegenen Anzahl der starken Bettler und Müßiggänger infolge der Kriegszeiten gesehen. Aufgrund dessen werden die kurfürstlichen Amtsträger angewiesen, ihre Kontroll- und Aufsichtsaufgaben in den Ämtern und Städten zu erfüllen. Entsprechend den Regelungen in Westfalen sollen arbeitsfähige Personen, die „zur Arbeit [zu] bequemblich“ sind, Arbeitsstellen zugewiesen und dabei entsprechend entlohnt werden. Wie dies umgesetzt werden soll, ist der Polizeiordnung selbst nicht zu entnehmen. Für diejenigen, die „bresthafft und nit arbeiten koennen“, sind die Austeilung von Bettelzeichen unter der Aufsicht der Bettelvögte und die Zulassung zum Bettel vorgesehen. Die Polizeiordnung verbleibt mithin auf dem schon 1538 erreichten Stand der Fürsorgeorganisation: Arbeitsfähige sind durch die kommunalen Obrigkeiten unter der Aufsicht der kurfürstlichen Beamten zur Arbeit anzuweisen, während für die Unterstützungsberechtigten der Bettel weiterhin die zulässige Versorgungsform darstellt. Einzig die Vorschriften über Wucherverträge, genauer gesagt auf Monopolstellungen zielende Kaufverträge, weisen in eine neue Richtung. Diese enthalten Bußgeldvorschriften und Konfiskationsandrohungen, deren erzielte Einnahmen der Armenversorgung zu Gute kommen sollen.77 Zuständig für die Umsetzung des Verbots sind die kurfürstlichen Beamten und die städtischen Obrigkeiten. Aus den so erzielten Mitteln sollen zunächst die Hausarmen und sodann die übrigen Armen versorgt werden. Den kurfürstlichen Beamten und städtischen Obrigkeiten obliegt im Sachzusammenhang mit der Bußgelderhebung die Verteilung des Almosens. Die Zuteilung obrigkeitlich kontrollierter Mittel an ausgewählte Berechtigte taucht damit erstmals in der kurkölnischen Gesetzgebung auf. Abgesehen von dieser Neuheit weist die Polizeiordnung von 1647 keine weiteren ein-
76
Tax- und Polizeiordnung vom 28. 6. 1647 in VSC II, hier S. 20. Tax- und Polizeiordnung vom 28. 6. 1647 in VSC II, hier S. 22. Zur indirekten Finanzierung der Armenversorgung in zeitgenössischen Normen vgl. zum Einzelbeispiel der Stadt Landshut Schepers (2000), S. 167. Diese Einrichtung weist bereits auf die spätere Intensivierung der Nutzung u. a. in Bayern hin, vgl. Scherner (1979), S. 88 f. Weitere Beispiele für Bonn und Kurmainz liefern Ennen (1962), S. 134, und Härter (2005), S. 942 f. 77
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schlägigen Regelungen auf. Die Verteilung von Bußgeldern an Bedürftige bleibt daher nur ein Fragment.
3. Polizeiordnung für das Herzogtum Westfalen von 1656 Am 28. 1. 1656 wird die noch zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs erlassene vorherige Polizeiordnung erneuert.78 Die mit den Landständen im Beisein der kurfürstlichen Beamten des Herzogtums Westfalen verhandelte Polizeiordnung beruht im Wesentlichen auf derjenigen des Jahres 1645. Der Anlass zur Revision wird mit der mangelhaften Befolgung der Vorgängerverordnung angegeben. Die Verordnung selbst enthält keine Regelungen mit Aussagewert zur Armenfürsorge. Angesichts des Geltungsverweises in einer Generalklausel ist allerdings von der grundsätzlich fortbestehenden Gültigkeit der Anordnungen zur Verhinderung des Müßiggangs sowie der Durchsetzung der Arbeitspflicht auszugehen. Eine den Regelungen der erzstiftischen Polizeiordnungen entsprechende Gestaltung des Bettelwesens hat jedoch nicht stattgefunden. Das Fehlen einschlägiger Regelungen deutet indes nicht auf eine Veränderung der Versorgungsstrukturen hin, vielmehr ergibt die Gesamtschau die Kontinuität der Zulässigkeit des Bettels als Versorgungsform.
VIII. Verordnungen der Residenzstadt Bonn 1. Bettelordnung von 1697 Die bisherige Beobachtung, dass das aus dem 16. Jahrhundert stammende Fürsorgesystem auf normativer Ebene unverändert bleibt, wird durch die beiden letzten diesbezüglichen Verordnungen des ausgehenden 17. Jahrhunderts erhärtet. Beide Normen haben ihren Ausgangspunkt in den Bonner Verhältnissen, unterscheiden sich jedoch in Bezug auf ihren Geltungsraum. In der am 6. 8. 1697 durch Kurfürst Joseph Clemens erlassenen Verordnung steht die Regelung des Bettelwesens im Zentrum.79 Die Normsetzung erfolgt – wie so oft – durch den Verweis auf die Wahrnehmung einer gesteigerten Anzahl von Bettlern in der Residenzstadt. Die Folgen werden mit der Behinderung der kirchlichen Andacht und der Gefährdung der Versorgungssituation der einheimischen Bedürftigen angegeben. Die durch die Verordnung primär sicherzustellenden Schutzgüter sind demnach die Religionsausübung und der Unterhalt der Bedürftigen. Die Beschreibung der durch fremde Bettler ausgehenden Gefahren erhält damit eine weitere Facette. Die Gefährdung der religiösen Glaubensbetätigung als Bedrohung des seelischen Heils ergänzt die Bedrohung der körperlichen Existenz. Ferner wird der generelle Verdacht der Begehung von „Lasteren und Unthaten“ durch das müßiggehende, fremde „Bettelgesindlein“ geäußert. Die Ver78
Polizeiordnung vom 28. 1. 1656 in Scotti, Cöln I/1, S. 263 ff. Bettelordnung vom 6. 8. 1697 in VSC II, S. 63 (Nr. 286); Scotti, Cöln I/1, S. 248 (Nr. 68, Anm.). 79
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ordnung nimmt zwar die Verhältnisse der Residenzstadt zum Ausgangspunkt, bezieht aber die Zustände der anderen Städte und Ämter des Erzstifts mit ein. Infolgedessen gilt im gesamten Erzstift die Anweisung an die kurfürstlichen Amtsträger, fremde Bettler auszuweisen. Ankommende fremde Bettler sind bereits an den Stadttoren abzuweisen. Ausgenommen von dem Aufenthaltsverbot und dem zugleich geltenden Bettelverbot sind ausdrücklich nur die einheimischen Hausarmen. Auf die Erteilung von Bettelgenehmigungen oder -zeichen wird nicht eingegangen. Angesichts des Schutzzwecks, der Erhaltung der Versorgungsmöglichkeiten der einheimischen Bevölkerung durch das erbettelte Almosen, ist indes von der Fortexistenz des bisherigen Fürsorgesystems auszugehen. Die Territorialgesetzgebung hat sich schließlich von der noch 1637 zugebilligten Unterstützung fremder Bedürftiger in Kriegszeiten verabschiedet. Im Zentrum des Bestrebens stehen alleine die einheimischen Bedürftigen, deren Unterhalt sicherzustellen ist. Nach dem Stufungsprinzip bei der Versorgungsreihenfolge ist die Gesetzgebung wieder zum grundsätzlichen Ausschluss von Fremden zurückgekehrt. 2. Polizeiordnung für die Stadt Bonn 1698 In der Polizeiordnung der Residenzstadt Bonn vom 15. 12. 1698 finden sich keine Aussagen zu Voraussetzungen und Reglementierungen des innerstädtischen Bettelwesens.80 Zudem weisen weder die Beschreibungen der städtischen Ämter noch die Markt- und Handwerksvorschriften Aussagen zum Umgang mit unberechtigten Bettlern oder Müßiggängern auf. a) Bürgerrecht als Voraussetzung für die Aufnahme armer fremder Personen Unter dem Punkt „Von den Buergeren der Stadt Bonn, wie sie anzunehmen, und was sie globen und schweren sollen“ finden sich mit der Unterstützungsberechtigung mittelbar zusammenhängende Regelungen.81 Die einschlägigen Regelungen entsprechen dabei dem bereits zum Ende des 16. Jahrhunderts geltenden Recht.82 Grundsätzlich gilt für die Annahme Fremder als Bürger der Stadt Bonn der Genehmigungsvorbehalt der städtischen Obrigkeit. Neben der Zahlung des Eintrittsgeldes in Höhe von sechs Goldgulden ist zur Annahme die Ableistung eines Bürgereids erforderlich. Dieser muss die Erklärung enthalten, dass der Neubürger katholischer Konfession ist. Für fremde Personen, die „Armuths oder sonst geringer Nahrung, und Gelegenheit halber das obgemelt gewöhnlich Buerger=Geld nit erlegen oder zahlen“ können, ist eine Ausnahmeregelung vorgesehen. Unter den Voraussetzungen, „daß es fromme und getreue Arbeiter waeren“ und auch sonst kein Verdachtsmoment besteht, können diese 80
Polizeiordnung der Stadt Bonn vom 15. 12. 1698 in VSC I, S. 301 ff. Diese Polizeiordnung stellt die Erneuerung derjenigen aus dem Jahr 1582 dar (vgl. Hinweis VSC I, S. 318). 81 Polizeiordnung der Stadt Bonn vom 15. 12. 1698 in VSC I, hier S. 302 ff. Die städtische Obrigkeit besteht aus Bürgermeister, Schöffen und Rat. 82 Ennen (1962), S. 125.
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nach vorheriger Genehmigung des Rates als Bürger angenommen werden. Die bereits für die Polizeiordnung des Herzogtums Westfalen feststellbare Wirkung des Merkmals Arbeitswilligkeit als inkludierendes Kriterium, welches über das Kriterium Fremdheit hinweg hilft, lässt sich hier ebenfalls nachweisen. Umgekehrt bedeutet die Forderung nach einem arbeitsfähigen und arbeitswilligen Bewerber, dass die Aufnahme in die Stadt keinem aktuell Hilfsbedürftigen erteilt wird. Dass mit der Aufnahme als neuer Bürger auch die Zugehörigkeit zum Unterstützungssystem verbunden ist, steht bei den Regelungen des Bürgerrechts sicherlich nicht unmittelbar im Vordergrund. Vielmehr dienen diese Maßnahmen der Wiederherstellung der Bonner Wirtschaft und dem Wiederaufbau nach den in den vergangenen Jahren erlittenen Verlusten durch die Belagerungen und die völlige Zerstörung Bonns im Jahr 1689.83 Alleine die Arbeitsfähigkeit ist primäres Kriterium bei der Entscheidung über die Aufnahme in die Stadt. Dagegen ist die sonst inkludierend wirkende Arbeitsunfähigkeit nicht ausreichend, um Fremde in das Versorgungssystem aufzunehmen. Dies bleibt den bereits in der Stadt wohnenden Armen vorbehalten. b) Hospitalsverwaltung, Rechnungslegung und Zuständigkeiten Obwohl es an einschlägigen Aussagen der Polizeiordnungen zur Versorgungsberechtigung fehlt, knüpft diese unausgesprochen an die bestehenden normativen Vorgaben zur Fürsorgeorganisation an. Dabei handelt es sich um die Anordnungen der Synoden des 17. Jahrhunderts, die auch ihre Transformation ins städtische Recht finden. Im Anschluss an den Abschnitt „Jahresrechnungen“ werden unter dem Punkt „Von Jahrrechnungen deren Pfarr=Kirchen, Hospital, Haus=Armen, Heyl. Geist und Leprosen, auch Minderjaehrigen Renthen, und Gefaellen“ Elemente der Synodalvorschriften umgesetzt.84 Der Blick auf die Bonner Verhältnisse ermöglicht die Einschätzung der Umsetzung der Kirchengesetzgebung. Deren Wirkung lässt sich bereits an der ersten Vorschrift ermessen. Dort wird zur Verhinderung von Vermischung und Konfusion die Trennung der Verwaltung der städtischen Güter und der Kirchenund Hospitalsgüter angeordnet. Zu diesem Zweck wird dem Rat die Zuständigkeit entzogen und den vier Bürgermeistern zugewiesen. Die Bürgermeister sind aufgrund der Verordnung nunmehr als „ewigen Kirchen=Meisteren und Provisoren“ bestimmt. In ihren Aufgabenbereich ohne Abhängigkeiten gegenüber dem Stadtrat fällt die Bestandsaufnahme und -kontrolle der bestehenden Einnahmequellen der Kirchen und Hospitäler. Die eigentliche Finanzverwaltung obliegt für zwei Jahre dem ältesten Schöffen und dem Bürgermeister, der diese Aufgabe mit „alles moeglichsten Fleiß und Treue umbsonst und Gott zu Ehren“ erfüllen soll. Nach Ablauf dieser Zeit soll nach vorgenommer Abrechnung das Amt an den anderen Bürgermeister übertragen werden. Grundsätzlich verbleibt es aber bei der Pflicht zur jährlichen Rechnungslegung. Die Anwesenheit des Pfarrers, wie sie die Synodalgesetzgebung einfordert, wird durch die Bestimmung des Pfarrhauses als Ort der Rechnungslegung sicherge83 84
Ennen (1962), S. 127, 195 f. Polizeiordnung der Stadt Bonn vom 15. 12. 1698 in VSC I, hier S. 318 f.
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stellt. Zusätzlich sollen zwei oder drei Gemeindemitglieder zur Kontrolle hinzugezogen werden. Die unmittelbare Verwaltungstätigkeit verbleibt bei den vom Rat und dem Bürgermeister bestimmten Provisoren und Verwaltern. Zu deren Aufgabe gehört es, die Einforderung der ausstehenden Renten durchzusetzen. Die Verleihung bzw. Verpachtung der Güter soll nur mit Wissen des Bürgermeisters, des Rates und des Zwölferrates gegen entsprechende Kaution erfolgen. Zur besseren Durchsetzbarkeit der Rentenforderungen wird die nichtfristgemäße Befriedigung der Forderungen der Hospitäler, Kirchen, Leprosenhäuser und Hausarmen bei Überschreiten einer 14-tägigen Karenzzeit mit einer Geldstrafe belegt. Die Strafe in Höhe von „6. Rader=Albus“ soll den Hausarmen, vertreten durch die Provisoren zu Gute kommen. Auch diese Regelungen entsprechen den zuvor dargestellten Punkten der Synodalgesetzgebung. Ergänzt werden diese Regelungen durch die Eidesformeln für die Stadträte. Diese enthalten die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass die dem Hospital gestifteten Mittel aus dem Jahr 1460 dem Stiftungszweck zufolge verwendet werden. Die Stiftung besteht zur Ehre und Lob Gottes, dem Trost der Verstorbenen und schließlich zur Unterstützung der Armen der Stadt Bonn.85 Entsprechende Vorschriften finden sich auch bei den Eidesformeln der „Zwölffterer“.86 Die Zweckbewahrung bleibt somit prägendes Motiv der Verwaltung im kirchlichen wie auch im weltlichen Bereich. c) Strafkonfiskation als Armenunterstützung Für den Fall des Zuwiderhandelns gegen Marktregeln und des Stapelrechts ist vorgesehen, die beiseite geschafften Waren zu konfiszieren und an die Armen der Stadt Bonn zu verteilen. Daneben steht eine Geldbuße in Höhe von fünf Goldgulden zugunsten der Stadt Bonn.87 Die in der Polizeiordnung für das Erzstift von 1647 bereits nachweisbare Figur der Zuweisung von Strafgeldern zur Armenfürsorge findet hier ihre Fortsetzung. d) Vergleich der Polizeiordnung Bonn mit der Synodalgesetzgebung Obzwar sich wesentliche Elemente der Synodalgesetzgebung wieder finden, ist ein Unterschied unverkennbar. Eindeutig ist die Aufsichts- und Verwaltungskompetenz in der Hand der weltlichen Herrschaftsträger. Der Aufbau der Kontrollmechanismen hat in vielen Punkten seine Entsprechung in der städtischen Norm gefunden, nachweisbar an der Amtsdauer, der personalen Organisation und den Aufgabenbeschreibungen. Anders als in den Synoden vorgesehen dient die Rechnungslegung indes nicht der Weiterleitung der Rechnungen an die mittlere und höhere Kirchenhierarchie des Erzbistums, sondern der innerstädtischen Kontrolle der Verwaltungstätig85 86 87
Polizeiordnung der Stadt Bonn vom 15. 12. 1698 in VSC I, hier S. 311. Polizeiordnung der Stadt Bonn vom 15. 12. 1698 in VSC I, hier S. 313. Polizeiordnung der Stadt Bonn vom 15. 12. 1698 in VSC I, hier S. 336.
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keit. Die kirchliche Beteiligung in Gestalt des Pastors erscheint als auf die Legitimität sichernde, begleitende Kontrollfunktion reduziert. Dessen ungeachtet lassen sich zahlreiche Gemeinsamkeiten wieder finden, nicht zuletzt der grundsätzliche Ansatz der Wahrung des Stiftungszwecks. Als Fazit gilt, dass die Kontrollmechanismen übernommen werden, der Anspruch auf die Zuständigkeit der Kirche dagegen an der städtischen Realität scheitert.
IX. Zwischenfazit zur Fürsorgegesetzgebung Die Gesetzgebung im gesamten Kurfürstentum Köln verbleibt letztlich auf dem Stand des 16. Jahrhunderts. Der Zugriff auf die Versorgungsmöglichkeiten für ortsfremde Personen wird zunehmend eingeschränkt. Die Einführung von Zucht- und Arbeitshäusern lässt sich nicht nachweisen. Neuartige Finanzierungskonzepte sind abgesehen von den dargestellten punktuellen Ausnahmen nicht erkennbar. Alleine die Synodalgesetzgebung deutet an, dass es zu einer Zentralisierung von Spendenmitteln auf der Ebene der Pfarrgemeinden kommt. Alleine hierin deutet sich eine Ergänzung der Versorgungsform durch den Bettel an. Das Zusammenspiel zwischen kirchlichen und weltlichen Normen weist einen Gleichlauf auf, der allerdings von der zunehmenden Dominanz der weltlichen Herrschaftsgewalt bestimmt ist.
X. Flankierende Maßnahmen 1. Regulierung des Kornpreises Nicht unmittelbar mit der Sicherung der Subsistenzmittel von Unterstützungswürdigen, jedoch zumindest im weiteren Zusammenhang mit der Versorgungssituation im Erzstift steht die Gesetzgebung zur Regulierung des Kornhandels. Anders als die folgenden Maßnahmen ist die Regulierung des Kornhandels nicht auf Verringerung der Zugangsmöglichkeiten gerichtet, sondern auf Erhalt des Ernährungssystems. Die schon in den Polizei- und Taxordnungen der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts angelegten Maßnahmen werden in weiteren Verordnungen entsprechend der jeweils aktuellen Situation weiter fortgeführt. Sie reichen von Verkaufsverboten an das Ausland bis hin zur Vorgabe von Höchstpreisen.88
2. Repressive Maßnahmen gegen Umherziehende Die Entwicklung der Gesetzgebung gegen umherziehende Personengruppen, worunter nach und nach vagierende Bettler und Müßiggänger gefasst werden, hat ihre 88 Beispiele für Regelungen bezüglich des Kornhandels in den Verordnungen vom 30. 8. 1651 in Scotti, Cöln I/1, S. 254 f., Verordnungen vom 11. 10. 1692, 26. 8. 1693 und 9. 9. 1698 in Scotti, Cöln I/1, S. 541.
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Anfänge in den jeweiligen Artikeln der beiden Polizeiordnungen des vergangenen Jahrhunderts. Deren Grundlinien setzten sich zunächst in verschiedenen Einzelordnungen gegen Räuberbanden und Zigeuner fort. Am Endpunkt der Entwicklung ist auch im Kurfürstentum Köln eine Konversion der Gefahrenzuschreibungen der unterschiedlichen Gruppen feststellbar. Zwar sind die Personengruppen vom Strafmaß und der Behandlung her betrachtet differenzierbar. Unterscheidungskriterien, die an einen konkreten äußeren Tatbestand anknüpfen, finden sich in den Normen jedoch nicht. Die Bedeutung der angedrohten Sanktionen, die bislang nicht im direkten Zusammenhang mit den Bettlern stehen, ermisst sich an der späteren Gleichbehandlung im Fall des gemeinsamen Aufenthalts. 3. Maßnahmen gegen Räuberbanden Inmitten einer der intensivsten Phasen des Dreißigjährigen Krieges entsteht am 11. 1. 1633 ein für das Erzstift gültiges Patent zur Wiederherstellung der durch Räuberbanden gestörten Sicherheit des Reiseverkehrs.89 Kernpunkt ist die Anweisung an die Lokalbehörden, keinen Aufenthalt der Räuberbanden zu dulden und sofortige gewaltsame Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Der Handlungsauftrag sieht das sofortige Erschießen dieser Personen an Ort und Stelle vor. Nur die sich Ergebenden sind zu verhaften. Den Ortschaften, deren Obrigkeit oder Einwohner keine derartigen Maßnahmen ergreifen, wird mit Sanktionen in Gestalt von Brüchten- oder Leibesstrafen gedroht. Dieses Patent bildet die Umsetzung einer Vereinbarung zwischen Kurköln und seinen Nachbarterritorien aus dem Jahr 1631. Fortgeführt und weiter ergänzt wird es durch die Patente vom 29. 11. 1633 und vom 8. 3. 1637.90 In diesen Patenten wird zudem die Durchführung bewaffneter Streifen durch die lokalen Herrschaftsträger eingefordert. Ferner finden sich Vorgaben zur Einrichtung eines Alarmsystems der Gemeinden.91 Die so alarmierten Kräfte sind aufgefordert, alle auf der Streife bei Tatbegehung ergriffenen Personen unverzüglich zu verhaften und ihrer Bestrafung zuzuführen. Bei Widerstand ist die Tötung der Widerstandsleistenden gestattet. Die bei der Streife durch die Städte, Dörfer sowie auf den Landstraßen betroffenen Vagabunden ohne gültige Ausweispapiere sind ebenfalls zu verhaften und entsprechend zu bestrafen. Bei der Kontrolle stehen insbesondere die Wirtshäuser als Übernachtungs- und Rückzugsräume im Mittelpunkt. Darüber hinaus finden sich Vorschriften zur Zusammenarbeit der kurkölnischen Kräfte mit denen der Nachbarterritorien. Die gemeinsam festgenommenen Personen sind an die Obrigkeiten des Ortes der Festnahme auszuliefern. Ferner finden sich Strafandrohungen für die Beihilfe zu Raub und Diebstahl. Um Schutzgeldzahlungen einzudämmen, ist für den Erpressten auf die Erfüllung der Forderungen des Erpressers die gleiche Strafe wie für Räuber angedroht. In den Patenten sind bereits alle Maßnahmen angelegt, die in der kommen89
Patent vom 11. 1. 1633 in Scotti, Cöln I/1, S. 246 (Nr. 66). Zum Nachweis der Vereinbarung von 1631 und der Patente vom 29. 11. 1633 und 8. 3. 1637 vgl. Scotti, Cöln I/1, S. 246. 91 Dieses beruht auf der Signalisierung der Gefahr durch Glockenläuten. 90
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den Gesetzesentwicklung während des 18. Jahrhunderts typischerweise den Umgang mit sämtlichen vagierenden Personengruppen prägen werden. Aufenthaltsverbote, Streifen und Visitationen in Zusammenarbeit mehrerer Territorien und die Bestrafung der Vagierenden verbinden sich dabei zu einem Maßnahmenkatalog, dem auch die umherziehenden Bettler unterliegen. Am 7. 12. 1652 wird ein Auslieferungsvertrag zwischen Kurköln und den Nachbarterritorien zur besseren Strafverfolgung gegen Räuberbanden geschlossen.92 Darin wird bestimmt, dass zum einen das wechselseitige Verfolgen der Räuberbanden in die jeweiligen Herrschaftsbereiche zugelassen ist und zum anderen die Auslieferung der Festgenommenen an die Obrigkeit des Tatortes erfolgen soll. Die Verordnungen vom 8. 12. 1683 und vom 7. 12. 1696 enthalten keine weiteren Neuerungen des Vorgehens gegen Straßenräuber im Erzstift.93 In Erweiterung um eine zusätzliche Zielgruppe sollen die Kontrollen der Streifen nunmehr auch den unberechtigten und ohne Ausweispapiere umherziehenden Soldaten gelten.
4. Maßnahmen gegen Zigeuner und Landstreicher Die in § 35 der kurkölnischen Polizeiordnungen von 1538 und 1595 angelegten Maßnahmen und Verbote gegenüber den Zigeunern erfahren in der Verordnung vom 9. 2. 1663 ihre Fortsetzung.94 Ausdrücklich bezieht sich der Kurfürst beim Erlass auf die Reichspolizeiordnung von 1548 und die darauf folgenden Reichsabschiede und Landesordnungen. Damals ebenso wie nunmehr wird in dem Aufenthalt der Zigeuner die Gefahr von „grossen Muthwillen, Aergernuß, Leichfertigkeiten und sonsten verübende unleidsambe Excessen und Untathaten, auch zu zeiten mit Rauben und Pluenderen“ gesehen. Der schon aus der unterstellten Tätigkeit für die Türken bekannte Tatvorwurf des Ausspionierens von Ortschaften wird nunmehr hinsichtlich der Ausspähung von Diebstahlsgelegenheiten erneut aufgegriffen. Die Zigeuner verursachen zudem als „müßige Landstreicher“ aufgrund ihres „aergerliches Leben und Wandel“ den Zorn Gottes. Die Anordnungen sehen daher vor, dass alle kurfürstlichen Amtsträger verpflichtet sind, die Einreise von „zigeineren und dergleichen Landstreicherischen mueßigem Gesindel“ zu verhindern und keinerlei Aufenthalt oder Lagerung zu gestatten. Ohne Rücksicht auf Frauen oder Kinder sind die Landschützen angewiesen, für die Durchsetzung des Aufenthaltsverbotes zu sorgen. Dabei unterliegt das Eigentum der Zigeuner mit Betreten des Landes der Konfiskation durch die bewaffneten Streifen. Die Gefahrenzuschreibung gegenüber den Zigeunern bewegt sich von dem Vorwurf der Spionage für die Türken weg, wobei die Begehung von Straf92
Vertrag vom 7. 12. 1662 in Scotti, Cöln I/1, S. 257. Verordnung vom 8. 12. 1683 in Scotti, Cöln I/1, S. 513 (Nr. 168); HSAD, KK II 3124, Nr. 97; StAMs, KKE Bd. 36, Nr. 135; Verordnung vom 7. 12. 1696 in Scotti, Cöln I/1, S. 550 (Nr. 245). Vgl. neben anderen zur Repression der Zielgruppen dieser Verordnung Ammerer (2003a), S. 168 – 174; Rheinheimer (2000), S. 159 – 202. 94 Verordnung vom 9. 2. 1663 in VSC II, S. 56 f. (Nr. 281); Scotti, Cöln I/1, S. 292 (Nr. 108). 93
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taten an Gewicht gewinnt. Die entsprechenden Sanktionen werden weiter spezifiziert zuungunsten der Zigeuner. Im weiteren Verlauf wird die Gesetzgebung durch die Verordnungen vom 6. 5. 1673 und 5. 9. 1692, die ebenfalls gegen Zigeuner und andere Müßiggänger gerichtet sind, fortgesetzt.95 Liegt der Bezugsraum der bisher dargestellten Verordnungen nur im Erzstift, so fehlt es dennoch nicht an gleichartigen Verordnungen für das übrige Herrschaftsgebiet des Kurfürsten. Am 7. 12. 1697 ergeht ein solches Edikt, welches neben dem Erzstift auch für das Herzogtum Westfalen und das Vest Recklinghausen Geltung besitzt und sich auf die Vorgängerverordnung vom 7. 12. 1696 bezieht.96 Ausschlaggebender Anlass ist die Sorge, dass es nach erfolgtem Friedensschluss des pfälzischen Erbfolgekrieges im Gefolge umherziehender abgedankter Soldaten zum Aufenthalt des so genannten herrenlosen Gesindels im eigenen Herrschaftsbereich und in den Nachbarterritorien kommt. Der Territorialherr befürchtet daher die Schädigung und den Rückgang des Handels und sieht sich aus landesfürstlicher Sorge zum Handeln verpflichtet. Dabei wird auf die bekannten Instrumentarien zurückgegriffen: Aufenthaltsverbote, Durchführung bewaffneter Streifen, Kontrolle der Wirts- und Gasthäuser sowie Kooperation und Amtshilfe mit den benachbarten Territorien. Die festgenommenen Personen sind ebenso wie Untertanen, die strafbare Beihilfe oder Hehlerei begehen, zur Abschreckung anderer zu bestrafen. Erkennbar werden die zuvor auf die Bekämpfung von Räuberbanden ausgelegten Maßnahmen auf die unbestimmt gehaltene Gruppe des „herrenlosen Gesindels“ ausgedehnt, wozu auch fremde Bettler gerechnet werden. a) Eigentumskonfiskation als Mittel der Fürsorgefinanzierung Wie eng sich im Laufe der Entwicklung repressive Maßnahmen gegen Umherziehende und Fürsorge miteinander verbinden und verwirren, zeigt bereits die Verordnung vom 1. 2. 1698 auf.97 Nach der typischen Wiederholung der Maßnahmen zur Verhinderung des Aufenthalts und der Einreise von Zigeunern und sonstigen Müßiggängern rückt die bereits bekannte Androhung der Eigentumskonfiskation in ein neues Licht. Nach dem Vertreiben der Zigeuner mit ihrer ganzen Familie aus dem Territorium soll ihr Eigentum versteigert werden und der Erlös der kurfürstlichen Hof-
95
Verordnung vom 6. 5. 1673 als Nachweis in Scotti, Cöln I/1, S. 292 (Nr. 108, Anm.) Verordnung vom 5. 9. 1692 als Nachweis in Scotti, Cöln I/1, S. 540 f. (Nr. 221). Dabei werden die Vorgängerverordnungen wiederholt und zur strengeren Handhabung befohlen. 96 Edikt vom 6. 12. 1697 in StAMs, KKE Bd. 36, Nr. 79; Scotti, Cöln I/1, S. 550 (Nr. 245, Anm.). 97 Verordnung vom 1. 2. 1698 in VSC II, S. 58 f. (Nr. 283); Scotti, Cöln I/1, S. 292 (Nr. 108, Anm.). Wiederum bezieht sich die Verordnung auf die einschlägige Reichsgesetzgebung, welche die Ungültigkeit der von den Zigeunern mitgeführten Pässe betrifft, vgl. neben den einschlägigen Reichspolizeiordnungen den Reichsabschied vom 14. 2. 1551 in NSRA II, S. 609 – 632, §§ 81 f.
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kanzlei gemeldet werden.98 Die Ämter sind daraufhin gehalten, diese Summen den erzstiftischen Hospitälern und anerkannten Armen zuzuweisen. Die Maßnahmen zur Abwendung des göttlichen Zorns wegen des Aufenthalts der Zigeuner als „gottloses Gesind“ werden mittels der Förderung der Hospitalsfürsorge durch die Konfiskationsgüter in ihrer Wertigkeit gesteigert. Die Verdienstlichkeit der Armenfürsorge liefert zugleich eine Legitimation der existenzvernichtenden Maßnahmen gegen die Zigeuner. Die Unterstützung der einheimischen Bevölkerung durch Nebenprodukte der Zwangsmaßnahmen kann auch als Akzeptanz fördernde Wirkung in der eigenen Bevölkerung interpretiert werden. Die dahinter verborgene Widersprüchlichkeit zwischen der Existenzvernichtung nicht zuletzt durch den Eigentumsentzug und der mildtätigen Verwendung des Erlöses ist dem Gesetzestext als Verkörperung des Bewusstseins des Gesetzgebers offenkundig nicht präsent. b) Fortsetzung der repressiven Maßnahmen Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts wird diese Gesetzgebung durch weitere Verordnungen fortgesetzt. Bereits am 5. 10. 1700 werden die 1698 getroffenen Regelungen nochmals unter stellenweise wortwörtlicher Wiederholung für alle Herrschaftsgebiete des Kurfürsten erneuert.99 Allerdings verschwindet die bislang übliche Semantik, dass durch den Aufenthalt des „herrenlosen Gesindlein“ der göttliche Zorn geweckt werde, aus dem Gesetzestext. Augenscheinlich bedarf die 1698 vorgesehene Begünstigung der Hospitäler durch die Erlöse der Konfiskationen bereits der ersten Nachbesserungen. Nunmehr sollen nicht mehr alleine die Armen und Hospitäler in den Genuss der finanziellen Zuwendungen kommen, sondern gleichfalls die Vollzugspersonen der Repressionen gegen die Zigeuner. Damit sollen deren Leistungen prämiert werden beim Aufgreifen, Ausweisen und Ausliefern der Zigeuner an die zuständigen Ämter. Die Vermutung liegt nahe, dass zum einen eine Verbesserung der Vollzugsmotivation, zum anderen die Verhinderung von Selbstaneignungen beabsichtigt ist. Feststeht jedenfalls, dass die ursprünglich intendierte Förderung der Fürsorge wesentlich geschmälert wird. Die Annahme, durch Repression und Reduktion des Berechtigtenkreises zusätzliche Synergien zugunsten der auf Unterstützung der Einheimischen ausgelegten Fürsorgeorganisation zu gewinnen, erweist sich als für die Gesetzgebung nicht handhabbar.
98 Zu den Zigeunern in Köln vgl. Irsigler/Lassotta (1984), S. 167 – 178. Gerade die sich im Eigentum der Zigeuner befindlichen Pferde sollen beschlagnahmt und verkauft werden. Die Pferdezucht stellt eine der Haupttätigkeiten der Zigeuner dar, vgl. Fricke (1996), S. 17 ff.; Härter (2003b), S. 67. Die Sanktionen gegen straftatverdächtige Personen sehen die Festnahme und die Einsperrung „in den Thurn“ des nächstgelegenen Amtshauses vor. 99 Verordnung vom 5. 10. 1700 in VSC II, S. 57 f. (Nr. 282); Scotti, Cöln I/1, S. 292 (Nr. 108, Anm.). Vgl. zur Zusammenfassung und Gleichsetzung dieser Gruppen Härter (2003b), S. 51 ff.
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5. Zusammenfassung und Gleichstellung unterschiedlicher mobiler Personen Die unterschiedlichen Stränge der repressiven Gesetzgebung gegen mobile Personengruppen werden in der Verordnung vom 15. 7. 1699 gebündelt.100 Die Zusammenlegung besteht dabei nicht in der Aneinanderreihung der jeweiligen Maßnahmen, sondern vielmehr in der Vermischung der vorgeworfenen Gefahren und der Gleichstellung in der Behandlung. Hier kulminiert die Ausschließung fremder Bettler mit der Nutzung aller gebräuchlichen Zwangsmaßnahmen gegen vagierende Personen. Ausgangspunkt sind die Berichte über den Aufenthalt von „frembde Juden, auch andere verdaechtige Betteler und Passanten“. Ihnen wird die Begehung von Kirchenund anderen Diebstählen sowie Mord vorgeworfen.101 Dies entspricht den in den vorangegangenen Verordnungen gegenüber den Straßenräubern und Zigeunern geäußerten Vorwürfen. Den letzten Beweis hierfür liefert der ausdrückliche Verweis auf die Gültigkeit der bisherigen Verordnungen gegen Straßenräuber und Zigeuner. Die Anweisung zur Vollziehung dieser Normen stellt die Maßnahmen gegen Juden und fremde Bettler in ein Gesamtkonzept der Repressionen gegen vagierende Personengruppen. Alle Untertanen, darunter auch die Juden mit kurfürstlichem Schutzgeleit, sind angehalten, das Beherbergungs- und Aufenthaltsverbot zu beachten. Bei Verstoß sind hohe willkürliche Leibes- und Geldstrafen als Sanktionen angedroht. Entsprechend der Handlungserlaubnis der bewaffneten Streifen gegen die Zigeuner ist nunmehr auch bei den benannten Personengruppen die sofortige Eröffnung des Feuers auf Widerstand Leistende bei der Verhaftung gestattet. Die aufgegriffenen Personen sind an das Gericht, in dessen Bezirk sich die Gruppe aufgehalten hat, zur rechtlichen Vernehmung zu überstellen. Dem Ausschluss der fremden Bettler von den Fürsorgeleistungen des Erzstifts folgt die Gleichstellung mit Straftätern. Der Status der um Unterstützungsleistungen ersuchenden Personen hat sich angesichts der gegen sie zugelassenen Handlungsermächtigungen weiter verschlechtert.
6. Maßnahmen gegen umherziehende Kleinhändler Ebenso wie im Kurfürstentum Trier kommt es im Erzstift Köln zu Beschränkungen des Kleinhandels. Betroffen ist vornehmlich der Tuchhandel durch Hausierer. Sanktionen sind die Konfiskation der Waren und die Ausweisung aus dem Territorium. Zudem wird die Passpflicht für die Händler eingeführt. Die Maßnahmen erfolgen unter anderem aufgrund der Klage der Bonner Tuchhändler und dienen deren Schutz vor hausierenden Tuchhändlern aus Brabant.102 Zu einer Verbindung des Vorgehens gegen umherziehende Händler mit den Repressionen gegen Vagierende kommt es indes im 17. Jahrhundert im kurkölnischen Herrschaftsbereich noch nicht. Noch 100
Verordnung vom 15. 7. 1699 in StAMs, KKE Bd. 36, Nr. 25. Zum Vorwurf des Kirchendiebstahls und der Hostienschändung gegenüber den Juden vgl. Schubert (1990), S. 158 ff. 102 Ennen (1962), S. 138. 101
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nicht nachweisbar bleibt auch der Vorwurf der Begehung von Diebstahl und Betrug unter Vortäuschung des Kleinhandels.103
XI. Resümee und Ausblick Die Grundzüge der Armengesetzgebung bleiben im Vergleich unverändert. Die wenigen einschlägigen Vorschriften finden sich verstreut in umfassend angelegten Polizei- und Taxordnungen. Die im vergangenen Jahrhundert erfolgte Reichsgesetzgebung bildet immer noch die Richtschnur der kurkölnischen Gesetzgebung. Lediglich im Bereich der Synodalgesetzgebung, die keine Entsprechung in der Kirchenprovinz des Erzbistums Trier hat, lässt sich eine Besonderheit der kurkölnischen Verhältnisse darstellen. In den Synodalbeschlüssen findet eine intensivere Auseinandersetzung mit der Fürsorgeorganisation statt. Zwar beschränkt sich diese auf die institutionalisierte Fürsorge. Sie ergänzt jedoch die weltlichen Normen, die den Zugang zu den frei verteilten Almosen regulieren. Die Einrichtung zentralisierter Armenkassen hat erst während der Synode von 1662 Eingang in die Beschlüsse gefunden. Diese auf der Ebene der Pfarrgemeinden gebildeten Armenkassen bleiben durch die territorialstaatliche Gesetzgebung ohne Nachahmung. Alleine das Sonderrecht der Bergleute in Bezug auf die Bergmannskasse zeigt, dass der Landesherr ein ähnliches Finanzierungsinstrument kennt und auch einsetzt. Die Zwangsmaßnahmen gegen Umherziehende und die in diesem Kontext einbezogenen Maßnahmen gegen vagierende Bettler werden weiter intensiviert. Die Behandlung von Unterstützungsnachfragern erstreckt sich vom Ausschluss vom Territorium bis hin zur Anwendung körperlicher Zwangsmittel und Strafen. In Ergänzung der auf Sicherung der Unterstützung für die einheimische Bevölkerung ausgelegten Ausschließungsmechanismen wird die Funktion der Zwangsmaßnahmen ausgeweitet. Partiell wird die Eigentumskonfiskation beim repressiven Zugriff auf die Vagierenden direkt als Finanzierungsquelle der Fürsorgeorganisation erschlossen. Die darin angelegte Widersprüchlichkeit zwischen Existenzvernichtung und Existenzerhaltung lässt sich nicht auflösen und erweist sich als nicht handhabbar. Der Durchsetzung der Arbeitspflicht und deren Wertigkeit für die Entwicklung des Territorialstaats wird in den einschlägigen Regelungen große Bedeutung beigemessen. Man belässt es bei der Anweisung zu Arbeitsverhältnissen durch die örtlichen Herrschaftsträger unter Androhung von Ausweisungen. Teilweise überlagert das Kriterium der Arbeitswilligkeit das Exklusionskriterium Fremdheit. Zur Einrichtung territorialstaatlicher Institutionen in Gestalt des Arbeitshauses gelangt 103 Beispiele für Beschränkungen des Kleinhandels in den Verordnungen vom 6. 3. 1656, 17. 3. 1681, 25. 3. 1682 in Scotti, Cöln I/1, S. 265; Verordnung vom 20. 6. 1695 in Scotti, Cöln I/1, S. 545 (Nr. 234).
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5. Teil: Die Entwicklung im 17. Jahrhundert (Zwischenphase)
man im Kurfürstentum Köln im 17. Jahrhundert nicht. Offen bleibt neben der Schaffung staatlicher Arbeitsangebote zur Durchsetzung der Arbeitspflicht die Umstellung der Versorgungsform vom Bettel weg auf eine obrigkeitlich gesteuerte Verteilung von Almosen.
Sechster Teil
Die Entwicklung im 18. Jahrhundert (Endphase) A. Gesetzgebung im Kurfürstentum Trier I. Ausgangssituation Während seit Erlass der Reichspolizeiordnung von 1577 keine Aktivität des Reichs auf dem Gebiet der Armenfürsorge- oder Bettelgesetzgebung mehr erfolgt, gewinnen die Reichskreise als supraterritoriale Gesetzgeber im 18. Jahrhundert zunehmend an Bedeutung.1 Die Normen der Reichskreise haben bündelnde und vereinheitlichende Effekte auf die territorialstaatliche Gesetzgebung. Hauptsächlich im Bereich der repressiven Maßnahmen entfalten sie ihre Wirkung. Wie sich in der zusammenhängenden Darstellung zeigen wird, beeinflussen sie in dieser Hinsicht auch die Gesetzgebung im Kurfürstentum Trier. Bis zur Regierungsübernahme des Kurfürsten Franz Georg von Schönborn im Jahr 1729 ist im Bereich der Fürsorge kein grundlegendes Gesetzeswerk überliefert. Die Darstellung der Gesetzgebung fasst daher zunächst die unter den Kurfürsten Johann Hugo von Orsbeck, Karl Joseph Ignaz von Lothringen und Franz Ludwig von PfalzNeuburg im 18. Jahrhundert ergangenen Verordnungen thematisch zusammen. Erst in der Regierungszeit von Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg kommt es zu bemerkenswerten Aktivitäten. Die Voraussetzungen für die Zulassung zur Versorgung bleiben weiterhin unverändert: die Zugehörigkeit zum Territorium und das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit. Gleichwohl sind für Trier und Koblenz auf kurfürstliche Initiative hin zumindest auf der Stadtebene Aktivitäten erkennbar, welche die bisherigen Formen der Sicherung des Unterhalts für die einheimische Bevölkerung aufgreifen und einen Wechsel der Versorgungsform andeuten. Den Ausgangspunkt der Normen stellt hier wiederum der Ausschluss von Fremden von den Möglichkeiten des Almosenerwerbs dar. Erstmals sind darüber hinaus Eingriffe feststellbar in Sondertatbestände, die christlich-religiösen Vorstellungen geschuldet sind. Die Veränderungen der Versorgungsstrukturen vollziehen sich teilweise uneinheitlich. Der Prozess ist begleitet von einem stetigen Austausch zwischen territorialstaatlicher Ebene und den Städten.
1 Vgl. Wüst (2000), S. 153. Zur besonderen Bindung gerade der geistlichen Reichsfürsten an die Reichsinstitutionen vgl. Braun (2002), S. 28 ff.; Wüst (2002b), S. 18.
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6. Teil: Die Entwicklung im 18. Jahrhundert (Endphase)
Für den Bereich der repressiven Maßnahmen gegen umherziehende Personengruppen ist neben einem zahlenmäßigen Anstieg auch die Zusammenfassung unterschiedlicher Gruppen in einer Norm zu erkennen. Eindeutig erkennbar erfolgt auch die Übertragung der Gefahrzuschreibungen von einer Gruppe auf die jeweils andere. Weiterhin beginnt sich eine gewisse Stufung hinsichtlich der Strenge und Härte der angedrohten Maßnahmen abzuzeichnen.
II. Entwicklung bis zum Jahr 1729 1. Begrenzung religiös bedingter Sondertatbestände: Eremiten In einem Mandat vom 18. 4. 1715 greift die Territorialgewalt erstmals einschränkend in die bislang nicht angetasteten Sonderberechtigungen des religiösen Bettels ein.2 Die Lebensweise der Eremiten und insbesondere ihre Almosensammlungen stehen im Focus der Norm. Zwar kommt es noch nicht zu einer Aufhebung des Erlaubnistatbestands, jedoch sind erste Schritte zur Begrenzung und Kontrolle zu erkennen. Angegebener Grund für die Maßnahmen ist das Niederlassen von Eremiten im Erzstift ohne Beachtung der einschlägigen Gesetze und ohne Genehmigung des zuständigen Priors zu Medtberg. Damit verbunden ist der Vorwurf, durch den Gebrauch des Almosens „bloß allein das freyere Leben [zu] suchen“. Der Vorwurf zielt demnach nicht auf die Rechtfertigung dieser Form der Glaubensbetätigung an sich, sondern auf die konkrete Art und Weise, welche eine Anerkennung des religiösen Werks ausschließt. Vor allem das Umherziehen fremder Eremiten wird als Übel betrachtet, das es abzustellen gilt. Um diesen Missbrauch entgegenzuwirken, werden die vorherige Genehmigung des Priors sowie eine Probationszeit von einem Jahr als Voraussetzungen angeordnet. Die Annahme als Eremit durch andere Autoritäten als dem zuständigen Prior wird unter die Androhung schwerer Kirchenstrafen gestellt. Ziel der Verordnung ist es, zum einen die Bevölkerung nicht zu sehr zu belasten und zum anderen, Klagen anderer Ordensgeistlicher zu vermeiden. Um eine bessere Koordination beim Terminieren, also den Zeitpunkten des Almosensammelns der geistlichen Orden in den jeweiligen Bezirken, zu erreichen, wird eine Anmeldepflicht dieser Termine in schriftlicher Form angeordnet. Das Zuwiderhandeln wird mit sofortiger Ausweisung geahndet. Aufgefordert zur Befolgung und zur Amtshilfe für den Prior sind sowohl die geistlichen Stellen wie „unseres Ertz=Stiffts Officialen, dechanten und Pfarr=herren“ als auch die weltlichen Amtsleute, Schultheißen und Richter des Erzstifts. An andere, dem Kurfürsten nicht unterstellte Amtsträger ist die Bitte um „alle Obrigkeitliche Hülff“ gerichtet.
2 Mandat vom 18. 4. 1715 in Blattau, Statuta III, S. 387 f. Laut Vermerk handelt es sich dabei um eine Übertragung der 1715 notariell beglaubigten deutschen Übersetzung des lateinischen Originals.
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Gleicht man die Regelung mit dem Stand der Armenordnung von 1533 ab, wird der Wandel erkennbar. Während 1533 die Sammlung der Bettelorden wie von alters her zugelassen ist, unterliegen nunmehr die Bettelorden, insbesondere die AugustinerEremiten verschiedenen Pflichten. Durch die Anmeldung und die Zuteilung bestimmter Bezirke sind erste Schritte einer Eingrenzung dieses Sondertatbestandes gemacht. Von einer Ausnahme vom Anwendungsbereich der Norm, wie er sich aus der vorherigen Darstellung zur Armenordnung von 1533 ergibt, kann von nun an nicht mehr gesprochen werden. Wohl aber erweist sich weiterhin die Wirkkraft religiös bedingter Sonderrollen als ausschlaggebend. Ergänzt wird dieses Mandat durch den Befehl des benannten Priors vom 10. 5. 1715.3 Kraft des kurfürstlichen Mandats wird die Konfiskation des nicht ordnungsgemäß gesammelten Almosens angeordnet und „ad pius usus“ umgewidmet. Bezeichnend ist, dass „solche Vagabunden, außländische, ungehorsame und haltzstarrige Eremiten“ unter eine gemeinsame Gruppenbezeichnung fallen. Hier vereinen sich bislang noch getrennt voneinander gefasste Personenbeschreibungen, die aus obrigkeitlicher Sicht eine Gefahr insbesondere für die Versorgungsleistungen, namentlich in Gestalt des Almosens, darstellen. Zuwiderhandelnde Mitglieder geistlicher Orden oder Eremiten werden durch die Gleichstellung in der Benennung mit den Personengruppen in Verbindung gebracht, für die der Territorialstaat scharfe Maßnahmen vorsieht. Der Wandel in der Behandlung der Bettelorden wird hier noch deutlicher. Gerade der Vergleich der Eremiten mit Vagabunden und anderen unerwünschten Fremden weist in diese Richtung. Der Gedanke, dass die so gesammelten Almosen zweckentfremdet sind, führt zur Notwendigkeit der Konfiskation und zur Verwendung für die Armenfürsorge. Damit ist endgültig die Abkehr von der Position des Jahres 1533 vollzogen, die den Bereich des religiösen Bettels vollständig dem Zugriff territorialstaatlicher Kontrolle entzogen hatte. Zumindest für einen begrenzten Teil ist die Sonderrolle der Bettelorden aufgelöst. In dieser Hinsicht nähert sich damit die Gesetzgebung in einer im 16. Jahrhundert noch nicht vorstellbaren Weise an die Sichtweise Luthers und anderer Reformatoren an. Um den Wandel der Auffassungen plastisch zu machen, sei vermittelt einer Überspitzung auf einstige Trierer Verhältnisse zurückgegriffen: Der Eremit St. Simeon, einst ein Wanderer durch ganz Europa, sähe sich als in Kleinasien Geborener den Verdächtigungen gegen umherziehende Eremiten ausgesetzt. Statt Wertschätzung zu erfahren durch den Trierer Bischof Poppo – der tatsächlich mit ihm sogar ins heilige Land reist – wären ihm die gesammelten Almosen abgenommen worden. Die Behandlung wäre ihm zuteil geworden, da er – was man annehmen darf – keine Sammelerlaubnis zuvor erhalten hätte als Ausländer. Ferner wäre seine feierlich im Jahr 1030 begangene Einmauerung in der Porta Nigra gar nicht erst erfolgt, wenn er gar nicht erst als Eremit anerkannt worden wäre und das erforderliche Jahr Approbationszeit nicht hätte ableisten können.
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Befehl vom 10. 5. 1715 in Blattau, Statuta III, S. 388 f.
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2. Bettel als zugelassene Versorgungsform für Einheimische Der Blick auf das Trierer Stadtrecht vermittelt mangels des Vorliegens territorialstaatlicher Normen einen Einblick in die bis zu den Reformen von 1729 und 1736 herrschenden Verhältnisse im Erzstift. Aus einem Beschluss des Statthalters und der Bürgerschaft Triers vom 10. 12. 1717 geht hervor, dass ungeachtet anderer Unterstützungsformen der Bettel weiterhin anerkannte Versorgungsform – jedenfalls für die einheimische Bevölkerung – ist.4 Wie so oft ist als Grund des Handelns das Überhandnehmen des Bettelns fremder „auswendig ins Vaterland nit gehoerigen menschen“ angegeben. Die gängigen Gefahrenzuschreibungen werden erneut wiederholt. Den Fremden wird Diebstahl, Vortäuschen von Hilfsbedürftigkeit und die damit verbundene Schädigung der Versorgungssituation der einheimischen Bevölkerung vorgeworfen. Aufgrund des Bettelns in den Kirchen wird auch die Andacht als gefährdet angesehen. Das Bedrohungspotential umfasst somit alle Lebensbereiche von der körperlichen Gefährdung bis zur Beeinträchtigung der Glaubensbetätigung. Infolgedessen wird das Bettelverbot für Fremde wiederholt zusammen mit der Aufforderung stattdessen den einheimischen Bettlern und Hausarmen zu spenden. Das Betteln der Studenten wird auf eine einmal pro Woche stattfindende Sammlung beschränkt.5 Aus alledem ergibt sich, dass die Verhältnisse zu Beginn des 18. Jahrhunderts zunächst unverändert sind und der Bettel nur reguliert ist.
3. Vorzeichen einer Fürsorgereform: Koblenz und Trier Für die Residenzstadt Koblenz sind zunächst ähnliche Maßnahmen nachweisbar in einem an den Bürgermeister, Rat und Vorsteher der Stadt Koblenz gerichteten Befehl vom 10. 4. 1723.6 Das Kernstück bildet auch hier die Ausweisung fremder umherziehender Bettler. Unter Bezug auf bereits erlassene Mandate fordert der Kurfürst zur Steigerung der Effektivität die Verschärfung der Kontrollen an den städtischen Pforten ein. Die Kontrollen werden durch die Amtshilfe des Kommandanten der Festung Ehrenbreitstein unterstützt, der hierzu Anweisung vom militärischen Oberbefehlshaber erhalten soll. Als angegebener Anlass des Tätigwerdens taucht die regelmäßig wiederholte Feststellung der fehlenden oder unzureichenden Befolgung der bisherigen Befehle auf.7 Zu den mit der Ausweisung bedrohten Personengruppen 4
Beschluss vom 10. 12. 1717 in Trierische Kronik 1823, S. 196. Die Sammlung soll dergestalt vorgenommen werden, „als in die von selben wochentlich herumbtragende Buechse beliebig mitsteuren möge“. Die im Jahr 1626 erfolgte Begrenzung des studentischen Bettels findet hier ihre Fortsetzung. 6 Befehl vom 10. 4. 1723 in LHAKo, 1C/19658. Der Befehl bezieht sich auf die Verordnungen der Jahre 1721 und 1722 sowie auf die Erinnerung vom 1. 3. 1723, welche jedoch nicht überliefert sind. Die Wichtigkeit der Umsetzung des Befehls wird durch die Betonung der Aussage, dass diese Angelegenheit dem Kurfürsten „sehr Zu Gemuth gehet“ und „dero so Rühmlichst, dem Publico und Löbliche policeij so sehr angelegens“ ausgedrückt. 7 Vgl. neben den bereits aufgeführten Deutungen dieses Phänomens auch Härter (1999a), S. 215; Landwehr (2003), S. 254 f. 5
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unter dem Oberbegriff „verdächtiges Gesindel“ gehören neben den fremden umherziehenden Bettlern auch abgedankte Soldaten. Unabhängig von vorhandenen Pässen ist diesen Personen kein Einlass in die Stadt zu gewähren und das Zuwiderhandeln mit „unaußbleiblicher mahnhaffter Straff“ zu ahnden.8 Neben den Aufenthaltsverboten für fremde Bettler deutet der Befehl an, dass zumindest für die Stadt Koblenz der Bettel durch eine zuvor erlassene Verordnung vollständig verboten ist und keine anerkannte Versorgungsform mehr darstellt.9 Ebenso wie in Koblenz lassen sich nunmehr auch in Trier Ansätze dafür finden, dass dem Bettel als anerkannte Versorgungsform auf normativer Ebene die Grundlage entzogen wird. Ein Reskript der kurfürstlichen Regierung vom 7. 4. 1725 an die Stadt Trier bezieht sich auf die Verordnung von 14. 6. 1721, in der neben der Ausweisung fremder Bettler die Versorgung der einheimischen Armen durch die bestehenden geistlichen Stiftungen angeordnet wird.10 Im Reskript werden die aus Sicht der kurfürstlichen Regierung bislang fehlende Umsetzung der Abschaffung des Gassenbettelns und die Ausweisung der fremden Bettler angemahnt. Die Parallelität der Verhältnisse in Koblenz und Trier gibt Anlass zur Annahme, dass es sich um eine auf das gesamte Territorium angelegte Reform der Unterstützungsstrukturen handelt. Bezeichnend ist, dass man trotz des Wegfalls des Bettels die Versorgung der 130 Trierer Armen aufgrund der reichen Stiftungen und Klöster als gesichert betrachtet.11 Zusammen mit einer angekündigten Stiftung des Kurfürsten sollen aus der Kollekte bei den Stiftungen und Klöstern sowie Mitteln des Rates „einheimische, wahre“ Arme durch die städtischen Almosenpfleger versorgt werden.12 Für den Fall, dass diese Mittel nicht ausreichen, ist eine Almosensammlung durch die Armen in der Stadt vorgesehen. Diese sollen dann wöchentlich an einem oder mehreren Tagen unter Vorantragen des Kreuzes stattfinden. Die Armen sollen dabei „unter Absingung einiger von denen Pfarren hierzu ausersehenen geistlicher Lieder, auch Bettung des heyl. Rosenkrantz“ 8 Eine Ausnahme hiervon soll für fremde Bettler und Vagabunden nur beim notwendigen Passieren durch Koblenz auf dem Weg zum Geburtsort oder Wohnort gemacht werden. Diese Maßnahme dient offenbar der Ermöglichung der Durchreise von Bettlern, die bereits aus anderen Orten ausgewiesen sind und nunmehr zu den ihnen vorgeschriebenen zuständigen Unterstützungsorten ziehen müssen. 9 Der Text bezieht sich auf die vorangegangene Verordnung mit den Worten: „hingegen aber erhaltung deren Einheimischen Armen, Mithin Errichtung der Vorhin allbereits auff dem Tapett gebrachter Bettel Ordnung in der Statt Coblentz und dem [unleserlich] Ehrenbreitstein Zu abunnd einstellung des Offentlichen Bettlenß, in Kirch-Straßen unnd Vor denen Haußernn“. 10 Reskript vom 7. 4. 1725 in Trierische Kronik 1823, S. 195 f. Der Verfasser der Trierischen Kronik weist auf die Verordnung vom 14. 6. 1721 und die Antwort der Stadt Trier vom 9. 7. 1721 hin. Darüber hinaus deutet das Reskript auf die angeforderte Vorbereitung einer Verordnung für das gesamte Erzstift hin. 11 Zum Umfang des Kapitalvermögens geistlicher Institutionen vgl. Irsigler (1988), S. 182. 12 Der Nachweis der Stiftung lässt sich in der Trierischen Kronik 1823, S. 200 f., finden. Dort weist der Kurfürst am 23. 5. 1725 der Stadt Trier insgesamt 50 Malter Korn jährlich zur Verteilung unter die Armen an. Die gleiche Menge wurde auch der Stadt Koblenz zugeteilt, wie aus den Angaben von Marx (1859), I/2, S. 258, und dem Hinweis im Reskript vom 4. 8. 1725 in Trierische Kronik 1823, S. 202, zu entnehmen ist.
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in einer Büchse das aus Geld oder Brot bestehende heilige Almosen einsammeln. Eindeutig wird durch christliche Symbolik und Liedgut an die ursprüngliche Motivation des Almosens appelliert: „Gütig- und Barmhertzigkeit“.13 Die so gesammelten Almosen sind an einem vom dem städtischen Rat zu bestimmenden Ort zu verteilen.14
a) Abkehr vom Bettel als Versorgungsform Eindeutig erkennbar ist die Abkehr vom Bettel als zugelassener Versorgungsform für Bedürftige. Der Bettel wird ersetzt durch die von der Obrigkeit gesteuerte Zuteilung von Unterstützungsleistungen. Die Almosenspende selbst erfolgt grundsätzlich nicht mehr an den Bedürftigen selbst, sondern nur noch im Rahmen der wöchentlichen Almosensammlung. Dabei handelt es sich um eine weiter veränderte Form des Almosens. Zum einen ist die Tätigkeit des Erbittens kanalisiert, reglementiert und durch den gemeinsamen Zug durch die Straßen gleichzeitig ein Massenvorgang. Zum anderen ist jede andere Spende des Almosen an Arme zu einer anderen als der festgesetzten Zeit unter schwere Strafe gestellt, als eine „der Churfürstlichen gnädigster Intention und Verordnung“ zuwiderlaufendes Verhalten. Zur Kontrolle dieses Verbots für die Spender sind die Bettelvögte, die bislang nur für die Kontrolle der Bettler zuständig sind, verantwortlich. Damit vollzieht der Gesetzgeber den nächsten notwendigen Schritt auf dem Weg zum vollständigen Verbot des Bettels, indem er neben dem Vorgehen gegen den potentiellen Empfänger den Spender als zweiten Verursacher dieser Handlungsform einschränkt. Aufgrund der starken Eingrenzung des Vorgangs erscheint die Sammelprozession kaum mehr als Akt des Bettelns mit der Interaktion zwischen Spender und Empfänger. Der Schritt ist damit getan hin zu einer Anonymisierung des Empfängers, der in der Gruppe verschwindet. Vergleicht man diese Form der Mittelbeschaffung mit der 1533 vorgesehenen Sammlung in den 13 Diese Kreuzprozessionen wurden auch in Koblenz und St. Wendel eingeführt, worauf Huberti (1935), S. 39 f., hinweist. Nach seinen Angaben waren etwa 100 Arme an dieser Kreuzsammlung beteiligt. Auch aus Kurmainz sind solche Sammelzüge der Armen durch die Gemeinde bekannt, vgl. die Armenordnung vom 28. 8. 1710 in StAMZ, LVO; Rösch (1929), S. 8 f.; Schmidt (2006), S. 74 f. Dort dienen sie ebenso wie in Kurtrier als Ersatz für den nicht mehr zulässigen Bettel. In der Spätzeit werden diese Sammlungen negativ beurteilt, vgl. hierzu HHStAWi, Abt. 108, Kurmainz: Rheingau, Nr. 2665: A. F. Rulffs: Vortrag über einige wichtige Fragen und Einwürfe die zweckdienlichste Allmosen-Einsammlung für Arme betreffend, vorgetragen im General-Armen-Direktorium Mainz 1786. Hier heißt es: „Des in Körben gesammelten oft ganz schimmlichten und ungenusbaren Brodes erwehne ich nicht, da ich diese Gaben meistens mehr entehrend für die Menschheit als den Menschen anpassend finde.“ Zwar gibt Rulffs den Durchschnitt der Mainzer Wochensammlungen in den Pfarreien mit ca. 6 000 fl. im Jahr an, doch bei über 2 000 Personen in der offenen Fürsorge bedeutete dies gerade einmal 3 fl. pro Person und Jahr. Zu den Auswüchsen bei öffentlichen Spendenausteilungen vgl. für Trier Heyen (1981), S. 189. Um Streit und Auseinandersetzungen in der Kirche zu vermeiden beschloss das Stiftskapitel 1760, dass die Bettelprozession, die ursprünglich zur Unterkirche der Porta Nigra führte, nun dort nicht mehr hinführen dürfe. 14 Der Ort der Verteilung sollte ein hierzu bestimmtes Armenhaus sein. Dies geht aus dem Hinweis von Marx (1859), I/2, S. 257 und dem Auszug aus der Beitragsliste in Trierische Kronik 1823, S. 199, hervor.
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Almosenkasten wird der Bedeutungswandel noch offenkundiger. Die Sammlung von Haus zu Haus ist zwar schon Bestandteil der Verordnung aus dem 16. Jahrhundert. Anders als im Jahr 1533, als der direkte Bezug der Sammlung über die durch den Besuch des Gottesdienstes vermittelte Identität des Adressatenkreises noch besteht, wird der religiöse Kontext der Spende hier über das Absingen von Kirchenliedern hergestellt. Die verstärkte Entpersonalisierung der Almosenspende verlangt nach der Demonstration des religiösen Kontextes, um die Stimulation des Spenders aufrechtzuerhalten. b) Schwierigkeiten bei der Umsetzung am Beispiel Trier Die Umsetzung dieser Anordnungen wird in einem weiteren Reskript vom 30. 4. 1725 an den „Vicedom“, den kurfürstlichen Statthalter, angemahnt.15 Das Schreiben enthält die Aufforderung zur Meldung über den Stand der Absprachen mit den „vier Abteyen auch anderen geistlichen Stiftern und Clöstern“. Wieder erfolgt der Verweis auf die Verordnung des Jahres 1721, in welcher die Klöster zur Überlassung eines „gutwilligen“ Beitrags aufgefordert wurden. Die Antwort erfolgt am 9. 5. 1725 und gibt Auskunft über Art und Umfang der Bereitschaft, die bislang eigenständig verwalteten und der Fürsorge gewidmeten Mittel der weltlichen Obrigkeit zur Verteilung zu überlassen.16 Hieran zeigt sich letztlich auch, wie erfolgreich der Zugriff des katholischen Territorialstaats auf die Mittel der Stiftungen und Klöster zur Finanzierung der Armenfürsorge zu diesem Zeitpunkt sein kann. Insgesamt ist die Reaktion bestenfalls als verhalten zu beurteilen. Selbst für die geringwertigsten Überlassungen von Mitteln ist kennzeichnend, dass diese unter dem Vorbehalt der Freiwilligkeit stehen. Exemplarisch ist die Antwort der Gotteshäuser Oehren und St. Annen: Man sei des heilsamen Bestrebens wohl zufrieden und wolle „pro posse et non ex obligatione“ dem Armenhaus die Almosen zukommen lassen.17 Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass das Betteln abgestellt werde. Gleiches billigen die Prioren der Dominikaner, Augustiner und Karmeliter zu, die aber ebenfalls fordern, dass das „Bettelngehen der weltlichen [sic!] Bettler in Trier abschafft würde“. Der Verdacht drängt sich hier auf, dass man dem Ansinnen der weltlichen Obrigkeit mit dessen eigenen Waffen, sprich der Forderung nach Abstellung des Bettelns, begegnen will. Dahinter könnte die Überlegung stehen, angesichts der zu erwartenden Umsetzungsschwierigkeiten einen Zugriff auf die eigenen Finanzen zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Immerhin lässt die Forderung nach Abstellung des Bettels erkennen, dass auch kirchliche Würdenträger die einst übliche Form des Almosenempfangs nicht mehr als selbstverständlich ansehen. Betrachtet man die Angebote der Klöster, entsteht der Eindruck sparsamster Zurückhaltung. Lediglich unter Vorbehalt der Genehmigung des Prinzipals wollen die 15
Reskript vom 30. 4. 1725 in Trierische Kronik 1823, S. 196. Antwort der Klöster vom 9. 5. 1725 in Trierische Kronik 1823, S. 199 f. 17 So auch die Rektoren des Jesuitenkollegs und die Pastoren der Gemeinde St. Gangolf, St. Antonius und St. Paulinus, wobei letztere nur das dem Armenhaus zubilligen, was sie ohnehin „pro posse et non ex obligatione“ ausspenden. 16
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Vertreter der Deutschherren zwei Brote zur Verteilung überlassen.18 Der Dechant zu St. Simeon und der Scholaster zu St. Paulinus erklären sich demgegenüber lediglich dazu bereit, die Sache vor ihre Kapitel zu bringen. Die „Mater ad S. Joannem im Hospitälchen et Mater in Congregatione“ wollen die Sache erst ihrem Konvent vorschlagen. „Die „Matres ad S. Nicolaum et S. Marcum“ sind zwar einverstanden mit der kurfürstlichen Anordnung und wollen auch ohne Verpflichtung etwas an Almosen dem Almosenstock zukommen lassen. Sie weisen jedoch daraufhin, dass sie keine Fundationen besäßen und selbst arm seien. Einzig die Priorin von St. Agnes und die Ehrwürdige Mutter von St. Katharina sind mit der Verordnung zufrieden. Eingeschränkt wird dies jedoch dadurch, dass sie sich nur mit den für die anderen Klöster getroffenen Regelungen einverstanden erklären. Insgesamt betrachtet wird offenkundig, dass der von der weltlichen Territorialgewalt gewünschte Zugriff auf die ihm nicht unmittelbar unterstehenden Stiftungen und Kapitalvermögen der Klöster im Ansatz stecken bleibt. Die Klöster lassen damit keinen Zugriff auf die Verwaltung der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel selbst zu. Geradezu im Gegensatz zur kurfürstlichen Aufforderung sind die Vertreter der Klöster und Stifte nur zur Überlassung unbestimmt gehaltener, freiwilliger Spenden gewillt. Der Kooperationswille erschöpft sich maximal in der Überlassung der ohnehin frei verteilten Almosen. Zusätzlich zu den obigen Beiträgen sind auch die versprochenen Beiträge privater Spender in den jeweiligen Stadtvierteln Triers zum Unterhalt der Armen erfasst worden.19 Die privaten Spender stiften im Schnitt kleinere doppelstellige Albus-Beträge.20 Die Summe dieser Spenden ist jedoch angesichts einer auf das ganze Jahr angelegten Versorgung der Armen als kaum ins Gewicht fallend zu beurteilen. Angesichts der verhalten ausgefallenen Reaktion ergeht unmittelbar im Anschluss an das kurfürstliche Dekret vom 23. 5. 1725, in welchem 50 Malter Korn zur Verteilung durch den Magistrat der Stadt Trier gestiftet werden,21 ein Reskript an die städtische Obrigkeit in Trier.22 Das Reskript bezieht sich nach Angaben des Verfassers der
18 Nach den Angaben von Huberti (1935), S. 40, verteilten die Deutschherren jährlich im Namen der zwölf Apostel Brot und Geld an zwölf Arme. 19 Vgl. hierzu Trierische Kronik 1823, S. 201. 20 Zu Anfang des 18. Jahrhunderts wurde der Reichstaler zu 72 Albus gerechnet, vgl. Irsigler (1988), S. 172 f. Als Vergleichsmöglichkeit sei auf den Wochenlohn eines Arbeiters im Baugewerbe hingewiesen, der 1706 knapp 5 Albus betrug, vgl. Irsigler (1988), S. 196 f. Vor diesem Hintergrund sind die Spenden zu würdigen: So gab ein Tagelöhner 1 Albus, ein Wollweberknecht 12 Albus, ein Glockengießer dieselbe Summe und eine Witwe 36 Albus. Insgesamt beträgt der Gesamtbetrag einige Reichstaler. 21 Dekret vom 23. 5. 1725 in Trierische Kronik 1823, S. 200 f. Die Überlassung des Getreides steht allerdings unter der Voraussetzung, dass der vom Kurfürst angewiesene Erlass einer Bettlerordnung zur Abstellung des Bettelns „behoerig continuirt werden wird“. 22 Reskript vom 23. 5. 1725 in Trierische Kronik 1823, S. 201 f. Das Reskript bezieht sich auf den nach Angaben des Verfassers der Trierischen Kronik Bericht der Stadt Trier vom 11. 5. 1725. Die Spende des Kurfürsten stellt eine bedeutende Menge dar im Vergleich zur zuvor dargestellten Spendenbereitschaft. Verglichen allerdings mit den jährlichen Leistungen der
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Trierischen Kronik auf den Bericht der Stadt Trier vom 11. 5. 1725. In diesem werden deutliche Vorwürfe hinsichtlich der zögerlichen Umsetzung der Ausweisung fremder Bettler und der Abstellung des Gassenbettelns erhoben. Dem Magistrat wird vorgeworfen, die aus Sicht der kurfürstlichen Regierung längst erfolgte Anordnung zur Ausweisung der fremden Bettler nicht vollstreckt, sondern statt dessen erneut einen solchen Befehl angefordert zu haben.23 Trotz des Befremdens des Kurfürsten über diese Haltung ergeht erneut der erbetene Befehl zur Ausweisung. Der Befehl erhält den erläuternden Hinweis, dass dadurch den einheimischen Armen das Almosen nicht verkürzt werden solle und der Gassenbettel abzustellen sei. Des Weiteren stellt man von kurfürstlicher Seite die bisher mangelhafte und zögerliche Rückmeldung seitens der Abteien, Stifte und Klöster sowie der Bürgerschaft über ihre Bereitschaft zu den jährlichen Beiträgen zur Armenkasse fest.24 Zum wiederholten Male wird dazu aufgefordert, zu erklären, was man bereit sei, für ein bestimmtes Jahr ohne Verpflichtung für das nächste zur Finanzierung beizutragen. Für die Umsetzung „dieses so heylsamen und bei Gott hoechstverdienstlichen Werks“ wird statt des bisher vorhandenen Missvergnügens nunmehr die kurfürstliche Gnade in Aussicht gestellt. Als Richtschnur soll die vorbildliche Gesinnung des Kurfürsten bei seiner Getreidespende dienen. Zur Verstärkung der Motivation findet sich also auch hier als Stützargument der Hinweis auf die religiöse Verdienstlichkeit der Armenfürsorge. Hinzu tritt der Verweis auf die kurfürstliche Gunst für das verdienstvolle Tun. Mit diesen Schreiben ist indes nicht der Endpunkt des Austauschs zwischen Kurfürst und der Stadt erreicht. Nach einer erneuten Antwort der Stadt vom 30. 7. 1725 ergeht wiederum ein Reskript des Kurfürsten.25 Erneut wird die Unzulänglichkeit der bisherigen Bereitschaft zum Spenden festgestellt. Zum wiederholten Male wird auf das Beispiel der kurfürstlichen Getreidespende verwiesen und auf das löbliche Beispiel der Residenzstadt Koblenz, in der die Abstellung des Gassenbettels und die Durchführung von Almosenprozessionen bereits Erfolg habe. Das Ergebnis dieser Bemühungen bleibt offen. Jedoch zeigt der Blick auf einen Befehl vom 30. 4. 1730 des nachfolgenden Kurfürsten Franz Georg von Schönborn, wie man aus Sicht der Territorialgewalt den Stand der Dinge in Trier beurteilt.26 Darin wird das offensive Heischen um Almosen von Bettlern beiderlei Geschlechts festgestellt, was der „in wohlregulirten Staetten gefuehrte Policey“ zuwiderläuft.
Abtei St. Maximin, in der weit über 80 Malter Korn jährlich ausgeteilt werden, wird die größere Leistungsfähigkeit der Klöster deutlich. 23 Dass dies eindeutig geschehen ist, belegen die überlieferten vorherigen Befehle an die Stadt Trier. Der Kurfürst gibt seinem Befremden darüber Ausdruck, dass es nicht längstens von Amtswegen zu einer Ausführung der Befehle kam. Zum vermuten ist, dass die Stadt Unklarheit oder Unkenntnis über den erteilten Befehl vorschützt, um die Ausführung zu verzögern. 24 Aufgrund des Schreibens vom 11. 5. 1725 nach Koblenz ist anzunehmen, dass die notariell bestätigten Erklärungen vom 9. 5. 1725 den Kurfürsten erreicht haben. 25 Reskript vom 4. 8. 1725 in Trierische Kronik 1823, S. 202. Der Text der Antwort der Stadt Trier vom 30. 7. 1725 ist nach den Angaben des Verfassers nicht überliefert. 26 Befehl vom 30. 4. 1730 in Trierische Kronik 1823, 1823, S. 203.
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4. Stand der Fürsorgeorganisation vor den Reformen 1729 – 1736 Verglichen mit der nur punktuell mit der Fürsorgeorganisation in Verbindung stehenden Gesetzgebung im 17. Jahrhundert lassen sich in der Regierungszeit des Kurfürsten Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg Ansätze einer Veränderung nicht verkennen. Die noch zu Beginn des Jahrhunderts zugelassene Versorgungsform des Bettels wird verboten und ähnlich dem Konzept der Armenordnung von 1533 durch die gesteuerte Almosenausteilung ersetzt. Eingeschränkt werden die Bemühungen jedoch durch die unübersehbaren Schwierigkeiten bei der Durchsetzung vollständiger Bettelverbote und der Erschließung von Finanzierungsquellen. Hier verweigern sich die traditionellen Träger der Fürsorge, wozu die Klöster und Stiftungen zählen, dem Zugriff der Territorialgewalt auf die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel. Dennoch wird das Bemühen um die Einrichtung einer mit stetigen Einnahmen versehen finanziellen Grundlage zur Versorgung der Armen erkennbar. Ebenso vollzieht sich fließend ein Übergang von der Begrenzung des Bettelns zum grundsätzlichen Verbot. Die bisherigen Ausnahmetatbestände werden zumindest eingeschränkt oder unter Kontrolle gestellt. Die Substitute für die Versorgung durch den Bettel sind die daran angelehnte Form der obrigkeitlichen gesteuerten Almosenprozession und der Empfang von kontrollierten Austeilungen.
5. Begrenzung des Zugangs zu den Versorgungsmöglichkeiten a) Repressive Maßnahmen gegen Umherziehende Die wenigen vorhandenen Regelungen zur Versorgung der einheimischen Armen stehen stets im Zusammenhang mit der Begrenzung der möglichen Unterstützungsempfänger. Diese Begrenzung erfolgt zunächst – wie zuvor aufgezeigt – durch den Ausschluss fremder Bettler. Diese Maßnahmen stehen jedoch in einem immer intensiver werdenden Kontext mit Repressionen gegen andere Personengruppen. Die sich abzeichnende Zusammenfassung von verschiedenen Gruppen umherziehender Personen verstärkt sich in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts. Mehr und mehr werden Zigeuner, Vagabunden, starke Bettler und Kleingewerbetreibende als gemeinsam zu erfassende Gefahrenquellen erfasst. Diese summarische Behandlung fällt jedoch noch nicht zusammen mit Regelungen des Fürsorgewesens, wie sie das Kurfürstentum Köln im 18. Jahrhundert in Gestalt der Polizeiordnungen kennt. b) Einzelverordnungen gegen Zigeuner und Vagierende Der nicht als Fürsorgegesetzgeber in Erscheinung tretende Kurfürst Karl Joseph Ignaz von Lothringen erlässt am 30. 5. 1711 eine Verordnung gegen Zigeuner.27 Darin werden diese als Gefahr für die öffentliche Sicherheit dargestellt. Die Lokalbehörden werden beauftragt, die Zigeuner auch unter Waffengebrauch aus dem Land 27
Verordnung vom 30. 5. 1711 in Scotti, Trier II, S. 754 (Nr. 324).
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zu treiben. Den Zigeunern werden darüber hinaus bei Wiederaufgreifen Brandmarkung und zusätzliche Strafen angekündigt. Zur Warnung und Abschreckung der Zigeuner soll die Verordnung an hierfür einzurichtenden Stöcken, den Zigeunerstöcken, angeschlagen werden.28 Die Repressionen gegen umherziehende Zigeuner werden im Befehl vom 6. 5. 1721 fortgeführt.29 Angegebener Anlass ist die Bedrohung des Kurfürstentums durch umherziehende Gruppen von „unnützig herrenlossen, so gahr auch Ziegeuner, gesindlein“. Diese aus den benachbarten Erzstiften Köln und Mainz Vertriebenen sollen auch aus dem Kurfürstentum Trier mit Waffengewalt ausgewiesen werden. Bei erneutem Betreten sollen diese Personen nach dem Beispiel der anderen Kurfürsten und Stände „als vogelfreij“ angesehen werden. Der Befehl spricht in diesem Zusammenhang sogar vom Säubern des Erzstifts. Hier zeigt sich auch die Wechselwirkung des in allen Territorien bestehenden Aufenthaltsverbots für die Gruppen. Aus einem Territorium notwendigerweise in ein anderes vertrieben, werden sie dort erneut in gleicher Weise behandelt. Gesetzestechnisch ist damit ein Ablauf vorprogrammiert, an dessen Ende nach der Logik der Verordnung auf die bereits Gebrandmarkten die Todesstrafe wartet. Zur Bekämpfung des Straßenraubs werden in der Verordnung vom 21. 4. 1712 Maßnahmen aufgrund der Gefährdung Reisender angeordnet.30 Die Verordnung ist eine Reaktion auf schwere Straftaten durch die umherziehenden Personengruppen und droht diesen schwere Leibes- und Lebenstrafen an. Die Gemeinden und Amtsvorsteher sind ebenso wie in den Verordnungen gegen Zigeuner zur gegenseitigen Zusammenarbeit verpflichtet.31 Während der Vakanz des Kurfürstensitzes ergeht ein Memorial der Trierer Stadtverwaltung an das übergangsweise regierende Domkapitel.32 Die Stadt Trier meldet die Ansiedlung von „einige Vagabundi und gantz liederliches Gesindtlein“ in kleineren Häusern in den außerhalb der Stadtmauer gelegenen Gebieten.33 Aus Sicht der Stadtobrigkeit besteht ein Verdacht auf die Begehung von Straftaten wie Kuppelei oder Diebstahl. Man vermutet zugleich den Aufenthalt von 28
Zur ähnlichen Vorgehensweise in anderen Territorien vgl. Härter (2003b), S. 57. Befehl vom 6. 5. 1721 in LHAKo, 1C/19658. Dieser Befehl ist an den Amtmann in Hammerstein gerichtet. 30 Verordnung vom 21. 4. 1712 in HHStAWi, 110/II/8. Ein ähnlicher Befehl ergeht am 14. 4. 1719, LHAKo, 1C/19658. Dort wird zur Abwehr von Räubern und „lose[m] Gesindel“ an den Amtmann verfügt, dass verdächtige Personen ohne Pass festgenommen werden sollen. 31 Auffallend ist auch die Parallelität des Benachrichtigungssystems zwischen den Gemeinden in beiden Verordnungen. Diese alarmieren sich über den Glockenschlag. Der Vorwurf schwerer Straftaten ist ungeachtet seines tatsächlichen Wahrheitsgehalts auch funktional als Legitimationsmittel zu sehen, vgl. Härter (2003b), S. 58. 32 Memorial aus dem Jahr 1716 ohne genauere Datumsangabe in Trierische Kronik 1823, S. 195 f. Zur Regierungsbefugnis des Domkapitels während der Vakanz vgl. Haxel (1930), S. 59; Marx (1859), I/2, S. 298 ff. 33 Die Ansiedlung erfolgt nach Angabe des Memorials vor allem zu Zeiten des zurückliegenden Krieges. Die Ansiedlung erfolgt in St. Barbara (nahe der Römerbrücke), in Karthaus, am „Heiligen Creutz“ (heute der Ortsteil Trier-Heiligkreuz) und „jenseits der Brücken im Berg und Felsen“ (das heutige Trier-West). 29
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Bettlern und anderen verdächtigen Personen. Beklagt wird auch, dass die grundeigentumslosen Menschen ihr Vieh auf den Gärten anderer weiden lassen, wodurch der Ernteertrag vernichtet würde. Daher ergeht ein Gesuch an die territorialstaatliche Regierung, diese Leute zu vertreiben.34 Die Trierer Vororte bleiben indes ein Sammelpunkt der potentiell auf Unterstützung Angewiesenen.35 Der Sicht der in Mitleidenschaft gezogenen Trierer Bürger folgend fasst die Norm unterschiedliche Gruppen von mittellosen Personen zusammen. Den Bettlern wird ebenso wie den Vagabunden und Straftätern das Aufenthaltsrecht im Stadtgebiet abgesprochen. Auch die Gruppe der Kleinkrämer ist wie schon im 17. Jahrhundert Gegenstand territorialstaatlicher Normen. Am 1. 6. 1717 ergeht der Befehl des kurfürstlichen Hofrats an die Lokalbehörden, anlässlich der Verfolgung und Ausweisung von Vagabunden und herrenlosen Gesindel in anderen Territorien die früher erlassenen Verordnungen zu befolgen.36 Insbesondere sind alle unbekannten und verdächtigen „Nadlen-, Brillen-, Mausfallen- und Hechlen-Krämer“ in den jeweiligen Amtsbezirken aus dem Erzstift zu verweisen. Die bislang noch als eigene Gruppe erfassten Kleinhandelstreibenden werden nunmehr als Untergruppe der Vagabunden behandelt. Damit verbunden ist auch die Bedrohung mit den gegen Vagabunden vorgesehenen Sanktionen. Das Sonderrecht der Juden enthält ebenfalls Restriktionen zur Verhinderung des Vagierens. Die Judenordnung vom 10. 5. 1723 enthält in Kapitel 1, § 15 Regelungen hinsichtlich vagabundierender fremder Juden.37 Diese „von einem Orth zum andern herumblauffende[n] Juden“ sind an den Grenzen des Erzstifts und den Stadttoren abund auszuweisen, ungeachtet vorhandener Pässe. Die Aufgabe zur Durchführung wird den kurfürstlichen Ortsbeamten, Schultheißen, Vögten und Ortsvorstehern übertragen.
c) Gemeinsame Erfassung von Zigeunern und starken Bettlern Während die zuvor dargestellten Normen sich auf einen bestimmten Teil der mobilen Personen beziehen, finden sich vermehrt Verordnungen, welche die unterschiedlichen Gruppen zusammenfassen. Die Tendenz zur Vereinheitlichung wird begleitet durch die Koordination des Vorgehens mit den benachbarten Territorien. Am 34 Laut Verfasser der Trierischen Kronik ist der Regierungsbeschluss vom 18. 4. 1716 nicht überliefert. 35 Gerteis (1988), S. 80 f. Dort findet sich der Hinweis, dass 1719 alle Heiligkreuzer Heimbürger als Tagelöhner eingestuft sind. Darüber hinaus ist charakteristisch, dass in den Vororten die überwiegende Anzahl der Haushalte als unvermögend eingestuft werden und keinen Schirmgulden aufgrund der Armut zahlen. Die Abhängigkeit von Unterstützungsleistungen drückt sich auch in der Tatsache aus, dass – außer für Olewig oder Kürenz – keine ausreichenden Möglichkeiten zum Ackerbau in den anderen Vororten bestanden. 36 Befehl vom 1. 6. 1717 in Scotti, Trier II, S. 767 (Nr. 349). 37 Judenordnung vom 10. 5. 1723 in Scotti, Trier II, S. 869 – 891 (Nr. 387), zu Kapitel 1, § 15 vgl. S. 874. Diese Anweisung steht im Zusammenhang mit den Anordnungen in Kap. 1, § 7, dass die nicht vom Kurfürst „verglaydete Juden“ ausgewiesen werden sollen und des gemäß § 14 täglich zu zahlenden Leibzolls für ausländische Juden.
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30. 10. 1721 ist die Störung der öffentlichen Sicherheit durch Zigeuner und anderes herrenloses Gesindel Anlass einer Verordnung.38 Die Art der vorgeworfenen Delikte reicht nun von Raub bis zur Begehung von Brandstiftung.39 Unter dem wiederholt auftretenden Hinweis auf die „löblichen Exempel“ der benachbarten Herrschaften und der Reichskreise soll das Erzstift von diesen Personen „ein vor allemahl gesaubert“ werden.40 Ungeachtet des Geschlechts oder des Alters soll das „ruchlose Volk“ festgenommen und unter Beschwörung der Urfehde ausgewiesen werden. Die für die Gewährung von Fürsorge relevanten Merkmale haben in Bezug auf die repressiven Maßnahmen gegen Umherziehende keine Bedeutung. Für das Wiederbetreten des Erzstifts wird der Tod durch Strang ohne Prozess angedroht. Die in der Todesstrafe liegende Verneinung des Existenzrechts erhält in dieser Verordnung ihre semantisches Entsprechung: Das Territorium ist von dem herrenlosen Gesindel ,sauber‘ zu halten, ihr Aufenthalt ist eine ,Verschmutzung‘. Wieder bedeutet die inhaltsgleiche Gesetzgebung der Reichsterritorien für die umherziehenden Zigeuner mangels eines Auswegs nur die finale Bestrafung. In einem Befehl vom 20. 5. 1722 sind sowohl umherstreifende Zigeuner, starke Bettler als auch anderes „herrenloses Gesindt“ gemeinsam erfasst.41 Wegen Überfällen auf Reisende sollen die Unterschlupfmöglichkeiten in abgelegenen Häusern kontrolliert werden. Um diese Möglichkeiten zu verringern, sind die Amtleute bei Strafe angewiesen, keine Bauten von Häusern weit außerhalb von Ortschaften zuzulassen. Nunmehr sind ursprünglich getrennt behandelte Gruppen von Vagierenden gemeinsam erfasst, also fremde starke Bettler gemeinsam mit Zigeunern. Hierdurch findet eine Übertragung von Gefahrenzuschreibungen statt. Der starke Bettler ist nicht nur aufgrund seines Bettelns an sich gefährlich, sondern wird auch als Störer der öffentlichen Sicherheit sowie als Ausgangspunkt schwerer Straftaten wie dem Straßenraub betrachtet. .
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Verordnung vom 30. 10. 1721 in LHAKo, 1C/1114; HHStAWi, 110/IIa/2a; Scotti, Trier II, S. 862 f. (Nr. 378). Die Umsetzung der Verordnung und ein diesbezüglicher Bericht sind innerhalb von 14 Tagen vorzunehmen. Ein ähnliches Mandat ergeht am 21. 10. 1723, vgl. den Nachweis bei Scotti, Trier II, S. 862 f. (Nr. 378 Anm.) und HHStAWi, 110/II/8. 39 Der Vorwurf der Brandstiftung lässt sich auch in anderen Reichsterritorien nachweisen, vgl. Sachße/Tennstedt (1980), S. 110; Schepers (2000), S. 81. Die Gleichstellung fremder Bettler mit Gartknechten und die Ausweitung auf einheimische Bettler und Sieche erfolgt auch in Bayern. 40 So sind bereits 1705 Maßnahmen des Oberrheinischen Reichskreises überliefert, vgl. Härter (2003b), S. 56. 41 Befehl vom 20. 5. 1722 in HHStAWi 110/IIa/2a; HHStAWi, 110/II/8; LHAKo, 1C/1114. Hierauf bezieht sich der Befehl vom 31. 7. 1722, auffindbar in LHAKo, 1C/1224. Dort wird die unzureichende Befolgung der Befehle – es kamen nur drei Rückmeldungen aus den Ämtern – unter Warnung vor einer Geldstrafe für Säumigkeit in Höhe von 20 Gulden angemahnt.
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Die Anzahl der Normen, die Sanktionen gegen Zigeuner und andere Umherziehende enthalten, steigert sich noch in der weiteren Entwicklung.42 Damit geht eine Verschärfung und Ausweitung der angedrohten Sanktionen einher. Beispielhaft zu sehen ist dies an einem Edikt vom 28. 5. 1725, welches Sanktionen gegen den Aufenthalt von Zigeunern, „Jauner[n]“ und starken müßigen Bettlern sowie herrenlosen Landstreichern enthält.43 Ausgangspunkt des Ediktes ist die Gefahr durch diese Personen infolge der Begehung von Raub, Diebstahl, bewaffnetem Überfall, dem Entzug der Nahrungsgrundlagen der Untertanen und die Bedrohung mit Brandstiftung.44 Hier kulminieren nahezu alle bislang in der Gesetzgebung anzutreffenden Gefahrzuschreibungen. Zum wiederholten Male erfolgt der Verweis auf das Vorgehen der benachbarten Kurfürsten: Im Vorfeld der Poenal- und Sanktionsordnung des Oberrheinischen Reichskreises (PSO) von 1726 sind hier verstärkte Aktivitäten der beteiligten Reichsfürsten feststellbar.45 Demzufolge wird auch das Vorgehen der benachbarten Kurfürsten als Grund angegeben, weshalb eine eigene Verordnung ein Akt der Notwendigkeit darstellt. Für alle Zigeuner und starken Bettler wird das Verlassen des Erzstifts innerhalb einer Frist von acht Tagen angeordnet.46 Für den Verstoß gegen das Aufenthaltsverbot ist die körperliche Züchtigung durch Rutenschläge angedroht. Die so Bestraften sind daraufhin zu brandmarken und nach beschworener Urfehde auszuweisen. Mit der Urfehde verbunden ist die Warnung, dass ein wiederholtes Betreten den Bruch des Urfehdeschwurs und damit die sofortige Todesstrafe zur Folge hat. Dieser Dreischritt – Rutenstrafe, Brandmarkung, Todesstrafe – ist die typischerweise im 18. Jahrhundert gegenüber vagierenden Personen verwandte Strafandrohung.47 Diese Strafentrias gilt jedoch nicht für Kinder bis 18 Jahren, sofern sie keine weiteren Straftaten begangen haben. Die Kinder werden vor der Ausweisung jedoch gezwungen, zur Abschreckung bei der Vollstreckung der Rutenschläge anwesend zu sein. Für den wiederholten Verstoß dieser Kinder gegen das Aufenthaltsverbot ist eine Stufung der Bestrafung vorgesehen. Bis zum Alter von 18 Jahren soll eine angemessene Prügelstrafe, bis zum Alter von 14 Jahren eine Züchtigung mit der Rute erfolgen. Jüngere Kinder unter 10 Jahren sind von den Einwohnern des Amtes als Arme zu versorgen und in christlicher Lehre zu unterweisen, bis sie selbst arbeitsfähig 42 Der Anstieg der Gesetzgebung gegen Zigeuner und Vaganten hat seine erste Spitze in den Jahren 1700 – 1719 und nimmt bis zu den 1740er Jahren weiter zu, vgl. Härter (2003b), S. 48. 43 Edikt vom 28. 5. 1725 in HHStAWi, 110/IIa/2a. Adressaten dieses Edikts sind neben den kurfürstlichen Amtspersonen auch die Untertanen. Das Edikt bezieht sich auf die Verordnung des Jahres 1721 und weitere unbenannte Verordnungen. 44 Eigentumsdelikte, Mord und Totschlag stellen die häufigsten Deliktsvorwürfe dar, vgl. die Untersuchung von Ammerer (2001b), S. 25. 45 Poenalordnung des oberrheinischen Reichskreises (PSO) vom 20. 12. 1726 in HHStAWi, 100/212. 46 Gleichgestellt mit den Zigeunern hinsichtlich der Ausweisung und den Sanktionen sind die sich bei ihnen aufhaltenden starken Bettler, Vagabunden und Landstreicher. Für das Verlassen des Territoriums kann ein bis zu zwei Tage gültiger Pass ausgestellt werden. 47 Vgl. zur Gesetzgebung in Mainz Härter (2003b), S. 53 ff. Zur Gesetzgebung im Kurfürstentum Bayern vgl. Schubert (1990), S. 247 f.
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sind. Die jüngeren Kinder erfahren damit eine Statusaufwertung. Der Erziehungsgedanke überwindet insoweit die an sich auf Auslöschung der Existenz gerichteten Maßnahmen.48 Die ursprünglich grundsätzlich von dem Aufenthaltsrecht im Territorium Exkludierten werden nun zu in die Fürsorge Inkludierten.49 Die strenge Strafentrias gilt für alle Zigeuner und allen bei ihnen sich aufhaltenden Personen. Halten sich also fremde starke Bettler bei Zigeunern auf, bedeutet dies, dass sie vom Gesetz in allen Punkten gleichgestellt sind. Die Gefahrzuschreibungen gelten unter diesen Umständen auch für die Gruppe der Bettler. Fehlt diese Qualifikation des gemeinsamen Aufenthalts gilt der Befehl an alle anderen starken Bettler, Spieler, Kessel- und Wannenflicker, innerhalb von acht Tagen das Land zu verlassen. Verbunden mit der Ausweisung ist die Aufforderung ein besseres christliches Leben anzufangen. Bezeichnenderweise werden hier die Bettler nicht mehr als Ausübende eines zwar gering geschätzten, aber dennoch akzeptierten Verhaltens gesehen, sondern als unchristlich Handelnde. Hier wird die gewandelte Auffassung zur Versorgungsform des Bettelns im Rahmen der Strafsanktionen überdeutlich. Der gemeinsame Aufenthalt mit Zigeunern wirkt sich auch bei einem Verstoß gegen das Aufenthaltsverbot qualifizierend aus. Dagegen werden Bettler ohne diese Qualifikationsvorausetzung bei einem Wiederantreffen im Territorium glimpflicher behandelt.50 Erst das dritte Aufgreifen im Territorium führt zu schärferen Konsequenzen. Wieder wirkt der gemeinsame Aufenthalt mit Zigeuner als straferhöhend, da für diesen Fall die betroffenen Personen als „faule und ansteckende Glieder menschlicher Gesellschaft aus derselben weggeraumet und mit der Todts-Straff gegen sie verfahren werden sollt“. Ohne diese Qualifikation sollen die betroffenen Bettler, Spieler und übrigen Personen als wiederholt Meineidige zu Arbeitsstrafen zum Festungsbau oder zum Dienst auf die Galeeren „verdammet“ werden.51 Die Arbeitsstrafe ist in diesem Zusammenhang alleine auf den Strafcharakter beschränkt. Zum Vollzug sind die hierfür aufgestellten Landkompanien und alle kurfürstlichen Beamte aufgerufen. Zur Sicherung des Erfolgs des Edikts sind Beihilfehandlung der Untertanen wie Schutz, Beherbergung oder Warnung mit Geld-, Leibesstrafen und Landesverweis bedroht. Zur Vollstreckung der Maßnahmen sind bewaffnete Streifen
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Siehe Schmidt (2008a), S. 258 f. Die Differenzierung der Bestrafung entsprechend dem Alter ist bereits aus der schon angesprochenen Verordnung vom 21. 10. 1723 ersichtlich, vgl. den Nachweis bei Scotti, Trier II, S. 862 f. (Nr. 378 Anm.). 50 So sind zunächst nur eine Prügelstrafe und die Beschwörung der Urfehde vorgesehen, erst bei einer weiteren Ergreifung drohen dann nach der Prügelstrafe die Brandmarkung und die Urfehde. Der Strafenkatalog gilt darüber hinaus auch für die kurz zuvor aus den anderen Kurfürstentümern ausgewiesenen Personen, die nach Empfang der Prügelstrafe und Beschwören der Urfehde ausgewiesen werden unter dem Hinweis auf die Sanktionen bei Wiedereintritt. 51 Zur fehlenden Umsetzung wegen der Risiken bei den Transporten zu dem Galeerendienst vgl. Härter (2003b), S. 49; Härter (1999a), S. 222 f. 49
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durch das Erzstift angeordnet, die zur Festnahme und zum Vollzug der Todesstrafe bei bewaffneten Gruppen befugt sind.52 Die Durchführung von Streifungen im gesamten Erzstift wird im Weiteren fortgesetzt. Am 11. 12. 1727 ergeht ein Befehl an das Amt Hammerstein zum Einsatz einer bewaffneten Streife gegen Diebesbanden und „vagierendes Gesindel“.53 Im Zusammenwirken mit einer Generalvisitation in den kölnischen und bergischen Gebieten wird dem Ersuchen der Nachbarterritorien entsprochen. Das Ziel ist immer noch die Ausrottung des „schädlichen und gefährlichen Gesindels“. Bemerkenswert ist der Zeitpunkt der Durchführung, die vom 22. 12. bis zum 24. 12. dauern soll. Stellen hohe christliche Feiertage eigentlich Termine zur Ausspendung von Unterstützungsleistungen dar, so finden in Umkehrung dieses Gedankens gerade kurz vor solchen Tagen repressive Maßnahmen statt.54 An dem Edikt von 1725 wird die sich schon abzeichnende Pauschalisierung der Maßnahmen gegenüber den Vagierenden deutlich sichtbar. Auffallend ist, dass der Aufenthalt zusammen mit Zigeunern gerade für die starken Bettler einen Qualifikationsgrund hinsichtlich der Bestrafung bedeutet. Berücksichtigt man, dass es seit 1725 Bestrebungen des Kurfürsten zur generellen Abstellung jeglichen Bettelns gibt, so passen die Sanktionen gegen die Bettler als Vertreter einer nicht christlichen Lebensweise ins Gesamtbild. Der weltliche Bettel ist insofern keine akzeptierte Versorgungs- oder Lebensform. Die repressiven Maßnahmen gegen Vagierende werden durch supraterritoriale Gesetzgebung wie die PSO von 1726 begleitet.55 Die Reichsfürsten gleichen ihre zunächst als Einzelnormen angelegten Maßnahmen zunehmend an, um die Effizienz der Gefahrenabwehr zu erhöhen. d) Auswanderung als Exklusionskriterium von der Fürsorge Erfahren die als „starke Bettler“ oder „Vagabunden“ bezeichneten Personen eine Verschärfung der gegen sie angedrohten Maßnahmen infolge ihres Zusammenseins mit Zigeunern, so lässt sich für andere Personengruppen eine ähnliche gleichstellende Vorgehensweise feststellen. Eine bemerkenswerte Fallgruppe stellen Untertanen dar, die aufgrund ihrer unzulässigen Auswanderung hinsichtlich der angedrohten Sanktionen mit Vagabunden und Zigeunern gleichgestellt werden.
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Für die Frauen und Kinder der Zigeuner ist die Anwesenheit bei der Bestrafung angeordnet, um so zusammen mit einer erneuten Verwarnung eine abschreckende Wirkung zu erzielen. Zu den Vollzugsorganen vgl. Härter (2003b), S. 55 f. 53 Befehl vom 11. 12. 1727 in LHAKo, 1C/19658. Der Amtmann wird angewiesen, die Streife in aller Heimlichkeit und Verschwiegenheit vorzubereiten und dies auch bei der Kommunikation mit anderen Ämtern zu beachten. 54 So stellt das Weihnachtsfest an sich einen der hohen Feiertage dar, an welchem es zu den besonderen Almosenausteilungen kommt, vgl. QRW I, S. 92 ff. 55 Vgl. hierzu die Ausführungen in Sechster Teil, A., VII.
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Den Anfangspunkt dieser Gesetzgebung bildet ein Mandat vom 8. 6. 1724.56Aus Anlass der beginnenden Auswanderung nach Ungarn ins „Bannat Temesvar“ wird es sämtlichen Untertanen verboten, dem österreichischen Angebot zu folgen.57 Die Emigration ohne Zustimmung beurteilt der Kurfürst unter Berücksichtigung der Rechtslage, insbesondere der Reichsordnungen, als ein mit Leib- und Lebensstrafen zu ahndendes aufständisches Verhalten. Da man hinter der Motivation zum Auswandern eine Irreführung von „gewissenlosen von bösen Buben herrührenden Verleitungen“ sieht, stellt das Mandat den Inhalt des kaiserlichen Siedlungsangebots klar. Das Angebot gelte nur für Personen mit einem Vermögen von mindestens zwei- bis dreihundert Reichsgulden, da nur der freie Transport gewährt werde und keine weiteren Kosten. Keineswegs sei eine Werbung von Armen oder mittellosen Familien vorgesehen, da diese in Ungarn nicht aufgenommen und daher zurückgewiesen würden.58 Letztere müssten mit der Abweisung und Rücksendung in die ursprüngliche Heimat rechnen. Darüber hinaus wird den gegen das kurfürstliche Verbot verstoßenden Auswanderern keine Rückkehr gestattet sowie der Verlust des „Landes=herrlichen Schutzes“ angedroht. Aus der Verordnung ergibt sich klar, dass für Arme aus dem Kurfürstentum Trier die Auswanderung keine von der Territorialgewalt geduldete Option zur Verbesserung ihrer Situation darstellt. Unerwünscht in dem Zielland werden die ausgewanderten Armen darüber hinaus im ursprünglichen Heimatterritorium rechtlos gestellt. Damit einher geht der Verlust des Unterstützungswohnsitzes nach dem Heimatprinzip. Die aus der Fremde zurückkehrenden nunmehr ehemaligen kurtrierischen Untertanen sind den anderen umherziehenden Personen gleichgestellt und entsprechend von Verfolgung und Repression bedroht. Knapp zwei Monate später ergeht ein weiteres Mandat an die Amtleute mit der Aufforderung, das ausgesprochene Emigrationsverbot durchzusetzen.59 Das Mandat bezieht sich auf ein kaiserliches Schreiben an den oberrheinischen Kreis vom 4. 7. 1724, in dem der Zuzug von „müßigen und unnützen Leuten“ infolge der Werbung für die ungarischen Kolonien angezeigt wird. Diese würden, da keine Möglichkeiten zur Niederlassung und zum Gewerbe bestünden, dann durch Betteln und „Herumgahrten“ den Einwohnern zur Last fallen. Dem kaiserlichen Willen entsprechend wird für das Kurfürstentum Trier bekannt gegeben, dass in Zukunft niemanden die Auswanderung gestattet wird, der nicht mit einem kaiserlichen Pass zur Niederlassung in Ungarn zugelassen ist. Im selben Monat ergeht ein ergänzender Befehl an
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Mandat vom 8. 6. 1724 in LHAKo 1C/1114; Scotti, Trier II, S. 897. Das bedeutende Privilegien enthaltende Angebot resultierte aus den Gebietsgewinnen der Habsburger aufgrund des Friedens von Passarowiz von 1718. Vgl. Marx (1859), I/2, S. 199 ff. 58 Diese Klarstellung beruht auf dem Informationsabtausch mit dem im Temeswarischen Bannat kommandierenden Generalfeldmarschall von Mercy. Die Städte und Gemeinden sind zur klarstellenden Publikation aufgefordert. 59 Mandat vom 5. 8. 1724 in LHAKo 1C/1114 Scotti; Trier II, S. 897 (Anm.). Nach der im LHAKo überlieferten Quelle wird damit auch ein kurfürstliches Reskript vom 28. 7. 1724 umgesetzt, welches jedoch nicht überliefert ist. 57
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die Lokalbehörden.60 Die kurfürstlichen Amtleute werden erneut darauf hingewiesen, dass auswandernde Einwohner ihr „jus incolatus“, also ihr Einwohnerrecht, verlieren. Die als Nachteil für das gemeine Wesen betrachtete Auswanderung führt unmittelbar zu einer Gleichstellung der Auswanderer mit den Vagabunden. Die Rückkehr dieser Personen wird durch das oben dargestellte Aufenthaltsverbot verhindert. Angesichts der angedrohten Sanktionen gegen diese Personengruppe ist dies eine Statusverschlechterung mit weit reichenden Folgen. Das Problem der unerwünschten Auswanderung aus Kurtrier beschäftigt die Territorialgewalt weiterhin in den nächsten Jahren. Am 6. 7. 1726 ergeht die Wiederholung der bereits erlassenen Mandate.61 Die seit mehreren Jahren andauernde Emigration soll nun endgültig abgestellt werden. Die Hingabe der Auswanderer an falsche Hoffnungen, nämlich in Ungarn besser als im Erzstift „ihr außkommen [zu] finden“, ist Ansatzpunkt der obrigkeitlichen Kritik an der heimlichen oder öffentlichen Emigration. Ersichtlich als Sanktion und zur Abschreckung vor diesem Verhalten wird zum wiederholten Mal angekündigt, dass die enttäuscht aus Ungarn Rückkehrenden unabhängig von Dauer ihrer Abwesenheit nicht mehr in ihren ehemaligen Wohn- oder Geburtsorten aufgenommen werden. Wiederum ist damit als Konsequenz des Heimatprinzips der automatische Verlust des Unterstützungswohnsitzes verbunden. Zudem werden die Heimkehrer gleichgestellt mit Zigeunern und Vagierenden. Man droht ihnen daher die Rutenstrafe und ewigen Landesverweis an. Die Auswanderung weiterer Untertanen wird mit der Konfiszierung des Vermögens oder bei Mittellosigkeit mit Leibesstrafen bedroht.62 Das Vorgehen gegen die von territorialstaatlicher Seite unerwünschte Auswanderung berührt mehrere Felder, die im Rahmen der Versorgungsgewährung bzw. des Versorgungsausschlusses relevant sind. Zunächst bedeutet es den Ausschluss der Möglichkeit für die kurtrierischen Untertanen, sich einer Situation mit beschränkten oder nicht vorhandenen Selbstversorgungsmöglichkeiten durch Auswanderung zu entziehen. Weiterhin zeigen die Mandate deutlich, dass gerade die mittellosen Untertanen gar nicht in den Genuss des Auswanderungsangebotes kommen sollen. Das von der Territorialgewalt vorgegebene Verhalten für Armutssituationen sieht nur das Verbleiben am Ursprungsort unter Nutzung der dort gebotenen Versorgungsleistungen vor. Ein nicht normgerechtes Verhalten hat prompt den Verlust der Untertanenstellung zur Folge. Die Konsequenzen dieses Statusverlusts werden mit dem Blick auf die angedrohten Sanktionen sofort deutlich. Zudem steht dann nicht mehr der Zugang zu den Versorgungsleistungen innerhalb des Erzstifts zur Verfügung. Die Auswanderung als solche stellt für die eigenen Untertanen neben dem bekannten Exklusionskriterium Arbeitsfähigkeit und Fremdheit eine – durch die Gleichstellung mit Zigeu60 Mandat vom 26. 8. 1724 in LHAKo 1C/1114; Scotti, Trier II, S. 897 (Anm.). Das Mandat bezieht sich auf ein kurfürstliches Reskript vom 22. 7. 1724. 61 Mandat vom 8. 7. 1726 in HHStAWi, 110/IIa/2a; Scotti, Trier II, S. 897 (Anm.). 62 Zur Durchführung des Auswanderungsverbots sind die örtlichen Amtleute in Stadt und Land aufgerufen. Ihnen obliegt auch die Aufsicht über die „Auffwickler- und Raedelsfuehrere“. Bei Festnahmen ist das Vermögen genau zu erfassen und bei der Meldung des Vorfalls anzugeben.
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nern und Vagabunden konstruierte – Eigenschaft dar, die von der Fürsorge ausschließt. e) Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung gegenüber Bettlern Die in den bislang untersuchten Quellen am häufigsten vertretenen Gefahrzuschreibungen für umherziehende Bettler bestehen in dem Vorwurf der Begehung von Straftaten und der Beeinträchtigung der Versorgungslage für die bedürftigen Untertanen. Fremde umherziehende Personen, zu denen auch Bettler gehören, werden jedoch unter dem Eindruck einer weiteren Gefahrenquelle behandelt: als Überträger gefährlicher, leicht übertragbarer Krankheiten. Am 9. 11. 1720 ergeht eine Verordnung mit prophylaktischen Maßnahmen gegen eine sich im Raum Marseille und in Polen ausbreitende Seuche zum Schutz des „Gott sey Danck“ bislang nicht betroffenen Erzstifts.63 Bezeichnenderweise werden neben der Beschränkung des Handels als möglichem Übertragungsweg der Krankheit gerade die Vagabunden, insbesondere fremde Bettler und Juden, Adressaten der Einreiseverbote. Zunächst wird ein allgemeines Verbot des Waren- und Personentransfers aus den betroffenen Gebieten verhängt und die Pflicht zur Führung von Gesundheitspässen eingeführt.64 Insbesondere besteht das Einreiseverbot für verdächtige Personen wie „herrenloses Gesindel, frembde Bettller, Vagabonden, auch alle ausländischen Juden [ohne Geleit]“ ungeachtet des Vorhandenseins von Pässen. Diese Personen gelten, wie hier deutlich wird, als Gefahrenverursacher per se, ungeachtet der konkreten Art der Gefährdung.65 Ein Jahr später wird diese erneut wiederholt und die ordnungsgemäße Durchführung angemahnt.66 Als Grund der Erneuerung ist angegeben, dass die Ausstellung der Gesundheitspässe nicht unentgeltlich erfolgt, sondern vielmehr gegen Entgelt. Bemängelt wird, dass dadurch Landstreichern und Bettlern das Hausieren und Betteln gestattet wird. Um die Konfusion der Gesundheitspässe mit vermeintlichen Bettelund Hausierberechtigungen zu vermeiden, wird die widerrechtliche Ausstellung solche Pässe unter Strafe von zehn Goldgulden gestellt. Insbesondere der Einlass von verdächtigen Personen wie Landstreicher und Bettler wird untersagt. An dieser Stelle wird die Verbindung zwischen zwei unterschiedlich gelagerten Sachgebieten offenkundig. Steht die Gruppe der fremden, starken Bettler bislang außerhalb der Versorgungswürdigkeit und unter dem Verdacht von Straftaten, so sind sie nun auch noch als 63 Verordnung vom 9. 11. 1720 in LHAKo, 1C/1114; Scotti, Trier II, S. 821 f. (Nr. 370). Die Verordnung ist vornehmlich an die kurfürstlichen Beamten in den Grenzämtern. Die Regelungen in den anderen Territorien u. a. den an Marseille angrenzenden französischen Provinzen dienen als Vorbilder der eigenen Maßnahmen. 64 Ausgenommen von der Pflicht zu Gesundheitspässen sind nur die bekannte Einwohner benachbarter Territorien und die eigenen Untertanen. 65 Die Auswirkungen der Pestzüge des 18. Jahrhunderts auf die Bevölkerung und das Phämomen des „Versperrtseins“ werden dargestellt bei Schlenkrich (2004), S. 99 ff., 108 ff. 66 Befehl vom 8. 11. 1721 in HHSTAWi, 115/IIa/2a; Scotti, Trier II, S. 822 (Anm.). Adressaten sind alle Ämter, Städte, Gemeinde und alle Untertanen.
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mögliche Überträger von Seuchen das Ziel repressiver Maßnahmen. Die Seuchenabwehr erfordert das Ausstellen von Passierscheinen, die nach dem Willen des Gesetzgebers gerade nicht an Bettler und Vagierende ausgestellt werden sollen. Das Ausstellen von Gesundheitspässen durch die Amtleute für diese Personen, die dann entgegen den kurfürstlichen Willen als Erlaubnis zum Bettel und zum Hausieren genutzt wird, ist ein sicherlich unbeabsichtigtes Paradoxon. Durch den vom Gesetzgeber reklamierten Missbrauch kommt es nicht nur zu einer Umgehung der Quarantänemaßnahmen, sondern darüber hinaus auch zu einem Betrug am Versorgungssystem. Das ursprüngliche Ziel, Bettler vom Territorium fernzuhalten, wird geradezu in das Gegenteil verkehrt. f) Verbindung von Gefahrenabwehr und Bettelverbot Wie sehr sich Bettlerbekämpfung, Seuchenabwehr und Beschäftigungspolitik miteinander verbinden, zeigt sich in einem Reskript an die Stadt Trier im November 1721.67 Das Reskript bezieht sich auf das Einreiseverbot für fremde Bettler und ordnet die Begrenzung der Arbeitserlaubnisse für Tagelöhner an. Anlass ist der Bericht über die Beschäftigung von armen Leuten und abgedankten, vornehmlich aus französischen Territorien stammenden Soldaten zur Aufräumung der Straßengräben. Aus Sicht der kurfürstlichen Regierung besteht der begründete Verdacht, dass es ebenso wie in Paris zur Übertragung der Krankheit durch „prackticirende Betteler“ kommt. Daher sollen „so wenig einige fremde arme Leuthe und Bettler“ eingelassen werden wie möglich und zur Erledigung der Aufräumungsarbeiten unabdingbar. Gerade hier offenbart sich die Zwiespältigkeit des Umgangs mit fremden Bettlern. Einerseits ist man bemüht, den Kreis der Versorgung beanspruchenden Personen durch Ausschluss von Fremden so klein wie möglich zu halten und zunächst die Versorgung der eigenen Untertanen sicherzustellen. Auch das Fernhalten Fremder zur Verhinderung der Übertragung von Seuchen dient – wenn auch in anderer Weise – dem Schutz der eigenen Bevölkerung. Andererseits erfordern wirtschaftliche oder auch militärische Gesichtspunkte den Rückgriff auf das Leistungspotential dieser Personen. Das Resultat ist eine Durchbrechung der allgemeinen Grundsätze durch zeitlich begrenzte Sondertatbestände. Ob man hierin ein Zeichen von Flexibilität wegen der Berücksichtung der lokalen Verhältnisse oder, im Gegenteil, das inkonsequente Vorgehen einer unbeständigen Herrschaft sehen will, bleibt letztlich eine Wertungsfrage.68
67 Reskript vom 7. 11. 1721 in Trierische Kronik 1823, S. 196 f. Der Verfasser der Trierischen Kronik nimmt aufgrund der Regulierung der Arbeitserlaubnis für fremde Tagelöhner an, dass die bereits 1717 geforderte Ausweisung aller fremden Bettler erfolglos geblieben ist. Angesichts der vor allem aus Frankreich stammenden Tagelöhner erscheint dieser Schluss jedoch nicht zwingend. 68 Für die Wertung als Flexibilität spricht, dass es nicht untypisch für die Reaktion territorialer Herrschaft ist, auf lokale Bedürfnisse einzugehen. Für Beispiele aus dem Bereich der Fürsorge sei unter anderem verwiesen auf Schepers (2000), S. 104 ff., 142 ff. Nach den schlechten Erfahrungen der Ausweisung von saisonal Arbeitslosen macht sich dort ein Arbeitskräftemangel in der Erntesaison bemerkbar, worauf der Kurfürst reagiert.
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g) Begrenzung der Zuwanderung in das Erzstift Die Zugriffsmöglichkeiten von Fremden auf die Fürsorgeeinrichtungen im Erzstift sind durch das Aufenthaltsverbot und die Abschreckung durch diverse Strafen begrenzt. Wie der Blick auf die dargestellten Normen zeigt, bildet diese Art von Norm den Hauptbestandteil der Gesetzgebungstätigkeit im Bereich des indirekten Schutzes von Fürsorgeleistungen. Gesetzestechnisch haben die repressiven Maßnahmen eine „dienende“ Funktion in Bezug auf die seltenen Normen, die sich mit aktiven Regelungen zur Fürsorgeorganisation befassen. Eine Besonderheit des Bereichs repressiver Gesetzgebung stellt die Verordnung vom 16. 10. 1721 dar.69 Beschränken sich andere Verordnungen alleine auf die Feststellung des unberechtigten Aufenthalts und entsprechende Maßnahmen zur Entfernung dieser Personen, so werden in dieser Norm die Voraussetzungen niedergelegt, unter welchen eine Annahme Fremder als Untertanen erfolgen kann. Bezeichnenderweise ist der Anlass der Verordnung die langjährige Duldung des Aufenthalts Fremder in den erzstiftischen Städten und Ämtern. Die Fremden, die wegen Armut (sic!), Schulden oder Vagabundieren aus ihrer Heimat ausgezogen oder ausgewiesen sind, stellen der gängigen Gesetzgebung entsprechend eine Gefahr dar. Die Gefährdung betrifft die öffentliche Sicherheit ebenso wie den Wohlstand und die Sittlichkeit der kurfürstlichen Untertanen. Die bislang üblichen Zuschreibungen – öffentliche Sicherheit und Gefährdung der Versorgungsleistungen für einheimische Arme – sind hier sogar noch ausgeweitet. Die Lokalbehörden werden angewiesen, alle im Erzstift niedergelassenen Ausländer zu überprüfen und diejenigen auszuweisen, die sich und ihre Familie nicht eigenständig erhalten, sprich „nicht ohne Stehlen oder Bettlen ernaehren“ können. Insofern noch im Rahmen der üblichen Regelungen wird weiterhin angeordnet, dass „kein Frembder zum Unterthan auf- und angenommen werden soll, er habe dann 200 Flor. Trierisch im Vermögen, oder sye sonst nebst 100 Flor. an Geld, ein kunstreicher Mann, welcher sich in diesem oder jenem Ort wohl ernaehren könne“. Deutlich tritt hier der Wille des Gesetzgebers hervor, keine Personen ins Land einzulassen, welche die Voraussetzungen für eine Anerkennung als bedürftig erfüllen. Lediglich die zur Steigerung des allgemeinen Wohlstands nützlichen Einwanderer erhalten den Status von Untertanen des Erzstifts, da bei dieser Personengruppe ein Absinken auf die Stufe materieller Bedürftigkeit bei Vorliegen der weiteren Unterstützungskriterien nicht zu erwarten ist.70 Die Voraussetzungen zur Einwanderung ins Kurfürstentum entsprechen bezeichnenderweise den Voraussetzungen, unter denen eine Auswanderung nach Ungarn nach den dortigen Bestimmungen zulässig ist. Daher bestätigt sich 69
Verordnung vom 16. 10. 1721 in Scotti, Trier II, S. 861 (Nr. 377). Die Partizipationsfähigkeit ist demnach Voraussetzung zur Aufnahme in den Untertanenstatus. Zur Förderung der Partizipationsfähigkeit des Individuums als Staatsziel im Abgleich mit dem Glückseligkeitsbegriff von Justi vgl. Hofmann (2004), S. 531 ff. Zum Begriff der Glückseligkeit und des gemeinschaftlichen Wohlstands bei Justi vgl. Pankoke (1986), S. 151 f. 70
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der bereits zuvor gewonnene Eindruck, dass ein Wechsel des Territoriums als Verbesserung der Versorgungssituation vom Gesetzgeber für die Armen nicht vorgesehen ist. 6. Ausgangssituation im Jahr 1729 Während bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts die Fürsorgeorganisation hinter dem schon 1533 erreichten Entwicklungsstand zurückbleibt, offenbaren die beiden ersten Jahrzehnte deutliche Ansätze einer Änderung. Kurz zusammengefasst bedeutet dies, dass der Bettel auf der Ebene der Territorialnormen nicht länger als Versorgungsform zur Verfügung steht, was dem Stand von 1533 entspricht. Anfänge einer Reduzierung oder Aufhebung gewisser Sondertatbestände lassen sich ebenso feststellen wie ein immer umfangreicheres Vorgehen gegen Fremde als potentielle Nachfrager innerterritorialer Unterstützungsleistungen. Dies beschränkt sich jedoch nicht nur auf umherziehende Personen, sondern, wie die Verordnung vom 16. 10. 1721 zeigt, auf bereits im Erzstift wohnende, aber aus fremden Ländern stammende Personen. Ein neuartiges Element, wenn auch noch lediglich im rudimentären Stadium, ist die zwangsweise durchgesetzte Zuweisung fremder starker Bettler zu öffentlichen Arbeiten wie dem Festungsbau. Die Einrichtung spezieller Arbeits- und Zuchthäuser ist indes noch nicht erfolgt. Die Reform des Hospitalwesens Anfang 1729 und die unter dem Nachfolger des Kurfürsten Franz Ludwig ergangene Bettel- und Almosenordnung von 1736 führen diese Entwicklung zu Ende. Insbesondere die letztere hält eine Abkehr von bisherigen katholischen Vorstellungen bereit, ohne sich jedoch gänzlich davon lösen zu können. Die von Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg ins Leben gerufene Kommission zur Vorbereitung einer Reorganisation sowohl der institutionellen als auch offenen Fürsorge kann in seiner Regierungszeit keine Ergebnisse aufweisen. Sein Nachfolger Franz Georg von Schönborn setzt das begonnene Werk jedoch fort.
III. Regierungswechsel während der Armenfürsorgereform Zu den noch durch Kurfürsten Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg im Jahr 1729 unternommenen Anstrengungen gehört die Vorbereitung einer landesweiten Revision des Hospitals- und Spendenwesens, vorbehaltlich der exempierten Klöster und Abteien. Die Durchführung dieser Maßnahmen obliegt der Kommission „ad pias causas“. Zu den letzten Amtshandlungen des Kurfürsten Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg gehört auch die Stiftung eines Waisenhauses in Koblenz im Jahr 1729.71 Kurz 71 Marx (1859), I/2, S. 306. Die Ordnung des Waisenhauses findet sich im Codex Diplomaticus Rheno mosellanus, CDR V, S. 497 ff. (Nr. 265). Nach den Angaben in CDR V, S. 97 f., richtete der Erzbischof eine Stiftung in Höhe von 60 000 Gulden ein, zu denen allerdings die ursprünglichen Hospitalsmittel in Höhe von 21 500 Gulden zählten. Das Waisenhaus sollte neben der Unterkunft und Verpflegung auch für die christliche Erziehung sorgen. Die Aufenthaltsdauer endete mit Erreichen des Alters, in dem die Selbstversorgung durch Arbeit ge-
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nachdem die Reform in die Wege geleitet ist, ist Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg gezwungen, am 3. 3. 1729 auf das Kurfürstentum Trier zu verzichten, da er die Nachfolge von Lothar Franz von Schönborn in Mainz antritt.72 Unter seinem Trierer Nachfolger Franz Georg von Schönborn kommt es erst 1736 zu einer für das gesamte Territorium geltenden Armenordnung. Sie ergänzt die Regelungen zur Hospitalsfürsorge durch die Neugestaltung der territorialstaatlich beaufsichtigten Versorgung auf kommunaler Ebene. Ein Grund für die Verzögerung der Reform des Armenwesens liegt sicherlich in der schwierigen politischen Lage des Erzstifts. Das Kurfürstentum Trier ist infolge des Polnischen Erbfolgekrieges seit 1734 französisch besetzt und wird erst 1735 befreit.73 Die beiden für die institutionelle Fürsorge grundlegenden Normen des Jahrs 1729 stehen am Anfang der Betrachtung, woran sich die Analyse der Armenordnung von 1736 anschließt. Die Folgen der Reform 1729-1736 in der weiteren Gesetzgebung des Kurfürsten Franz Georg von Schönborn sowie die im weiteren Kontext zur Fürsorge stehenden Normen werden im Anschluss dargestellt. Neben der Fortführung der repressiven Maßnahmen ist die Beschränkung religiös bedingter Sondertatbestände von besonderem Interesse.
IV. Neuordnung der Armenversorgung: Reform der Hospitalsfürsorge 1729 Die erste umfassend angelegte Neuordnung des Armenwesens im Erzstift seit dem 16. Jahrhundert zerfällt in zwei Teile, die Hospitalreform und die Reform der Fürsorgeorganisation. Die Reorganisation des Hospitalwesens bildet den ersten Teil, dessen Grundlage die am 14. 1. 1729 und am 4. 2. 1729 ergehenden Verordnungen bilden. Die Verordnung vom 14. 1. 1729 befasst sich vornehmlich mit dem Innenleben der Hospitäler sowie der Zweck- und Nutzungsbestimmung. Dagegen bildet die Einrichtung einer für das gesamte Territorium zuständigen Fürsorgekommission, deren Organisationsaufbau und Pflichten den Hauptbestandteil der Verordnung vom 4. 2. 1729.74
währleistet war. Eine generelle Angabe zum Erreichen des Arbeitsalters liegt nicht vor, vgl. hierzu den Text des Originals in CDR V, S. 498. 72 Der Verzicht auf die Trierer Kurwürde erfolgt nur widerstrebend, zudem versuchte Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg die Wahl des Nachfolgers Franz Georg von Schönborn zu verhindern, vgl. Laufner (1988), S. 43, sowie Gatz (1990), S. 126 f. Jedoch währte seine Amtszeit in Mainz nicht mehr lange, da er am 18. 4. 1732 an den Folgen eines Schlaganfalls verstarb. 73 Vgl. Gatz (1990), S. 433. Die Stadt Trier blieb sogar von 1734 bis zum Friedensschluss 1737 von französischen Truppen besetzt. Laufner (1988), S. 47. 74 Verordnung vom 14. 1. 1729 in Blattau, Statuta IV, S. 147 – 149; Verordnung vom 4. 2. 1729 in Blattau, Statuta IV, S. 150 – 164. Kernelemente der Reform sind die Bestandsaufnahme, Begrenzung des aufnahmeberechtigten Personenkreises (ausdrücklich ausgenommen von der Zugangsberechtigung sind Landstreicher und Fremde), Kontrolle durch standardisierte Visitationsfragebögen.
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1. Vorschriften für die Aufsichts- und Verwaltungsebene: 14. 1. 1729 a) Handlungsmotive Die Verordnung vom 14. 1. 1729 ist an die städtischen Obrigkeiten und die Verwalter der Hospitäler gerichtet.75 Die Neuordnung der Hospitäler beginnt mit einer Bestandsaufnahme, welche die Anfänge bis zum aktuellen Zustand umfasst. Aus den Berichten der Kommission ergibt sich die ursprüngliche Zweckbestimmung der Hospitäler: der Auftrag, arme Passanten und „preßhafte Leuthe“ zu beherbergen. Darüber hinaus sollen die Hospitäler der Verhinderung ansteckender Krankheiten dienen. Die Erforderlichkeit des staatlichen Eingriffs in die Verwaltung wird auf den inzwischen eingerissenen Missbrauch zurückgeführt. Bemängelt wird die Aufnahme unbekannter Reisender, welche die Begehung von Kirchen- und anderen Diebstählen vorbereiten würden. Darüber hinaus käme es zur Aufnahme von „liederliches deren Benefactorum Wohlthaten unwürdiges Gesindel“, die den wahren Bedürftigen die Nutzung unmöglich machten. Dieser Missstand löst die Aktivität des Territorialherrn aus. Infolgedessen erklärt der Kurfürst Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg seine Verpflichtung damit, dass die „Ertz=Bischofflichen Höchsten Ambt= und Landsfürst=Vätterlicher Sorgfalt“ die Wiederherstellung der ursprünglichen Intention der Stifter verlange. Damit verbindet sich das gebräuchliche Legitimationsargument des Missstandes mit der Amtspflicht, die hier im Fall des geistlichen Kurfürsten sowohl in seinem weltlichen als auch in seinem geistlichen Amt gründet. Daneben tritt in Entsprechung der bisherigen Verordnungen die Wahrung der von den Spendern hochgeschätzten Liebe gegenüber den Mitmenschen. Da dieses Ziel alleine durch Regeln zum Abstellen des Missbrauchs und der Lastertaten erreicht werden soll, spricht hieraus die Überzeugung, dass die bestehenden Einrichtungen zur Versorgung der Armen strukturell ausreichend sind. Immer noch wird das Versorgungssystem als solches nicht in Frage gestellt. .
b) Unterstützungsberechtigte Im Einklang mit den bislang geltenden Versorgungskriterien bleiben die „auswärtig frembd herrenloses und verdächtiges Gesindel oder Landstricher“ generell von der Versorgung ausgeschlossen. Damit finden die bisherigen repressiven Maßnahmen ihre Entsprechung in den Vorgaben für die Hospitäler. Insbesondere bei Kirchweihen, Prozessions-, Markt- und anderen Tagen, an denen es zu großen Zusammenkünften kommt, soll dem Zustrom von Landstreichern und Bettlern Einhalt geboten werden. Bei Strafandrohung von 10 Gulden ist es den kommunalen Obrigkeiten (Schultheiß, Bürgermeister und Vorsteher) aufgetragen, an solchen Tagen generell keinen Einlass
75 Der Durchführungsbefehl ist zunächst an die Konsistorien des Ober- und Unterstifts gerichtet, dann an die Ämter und dann an jeden Ort mit Hospital. Überall dort soll die Verordnung durch Anschlagung publiziert werden; Verordnung vom 14. 1. 1729 in Blattau, Statuta IV, hier S. 149.
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in die Hospitäler zu gewähren.76 Aufnahmewürdig sind primär einheimische Arme, dagegen andere fremde Arme nur, falls diese ehrbar sind und ordentliche Pässe über Herkommen und persönliche Verhältnisse erbringen können. Die 1533 angelegte Ausnahme zum Exklusionskriterium Fremdheit hat im 18. Jahrhundert ihre Fortsetzung gefunden. Die Kontrollbefugnis für diese Voraussetzungen liegt bei den Vertretern der weltlichen Obrigkeit, dem Schultheißen oder dessen Vertreter. Stellt dieser Ablauf noch die hergebrachte Organisationsform dar, so wird darüber hinaus ein besonderes Element eingeführt. Nach der Kontrolle durch die weltliche Obrigkeit soll eine Überprüfung des christlichen Wandels, in Gestalt der Überprüfung der „prima principia fidei“, also der Glaubensgrundsätze, durch den Pfarrer erfolgen. Die gesteigerte Bedeutung wird durch das Folgende offenbar: Sollten die Antworten nicht auf „Unschuld und Ehrbarkeit“ schließen lassen, sondern „übeler Wandel, Liederlich= und Verdächtigkeit“ offenkundig werden, so sind diese Personen nicht zur Aufnahme ins Hospital zugelassen.77 Damit erfährt die aus der Armenordnung von 1533 bekannte Forderung nach einem christlichen Lebenswandel eine Präzisierung und Funktionsaufwertung. Durch die Verknüpfung mit der Abfrage der Glaubensgrundsätze wird dies nunmehr zum nachprüfbaren Exklusionskriterium von der institutionellen Fürsorge. Die Zugehörigkeit zur römisch-katholischen Glaubensgemeinschaft, wie sie für das Kurfürstentum Köln im 17. Jahrhundert typischerweise gefordert wird, wird nicht ausdrücklich bestimmt, lässt sich jedoch unter die Prüfung der Glaubensgrundsätze fassen. Nur bei Vorliegen aller genannten Voraussetzungen soll die Aufnahme erfolgen, wobei bezüglich der Unterbringung die Geschlechtertrennung mit Ausnahme der Ehepaare besonders hervorgehoben wird. Trotz aller Prüfungen betrachtet man von obrigkeitlicher Seite aus die Insassen der Hospitäler mit Argwohn. Man vermutet den Einlass anderer Personen und die Gefahr von Bandenbildungen. Aufgrund dessen werden allabendliche Kontrollen durch die Wächter angeordnet. 2. Vorschriften zur Organisation und Kontrolle: 4. 2. 1729 a) Ziele der Verordnung Die Anweisungen an die Verwaltungs- und Aufsichtsebene im Januar 1729 werden kurz darauf durch detaillierte Vorschriften ergänzt. Die drei Wochen später erlassene Verordnung bezieht ebenfalls zu Beginn Stellung dazu, was den Anlass für das kurfürstliche Handeln darstellt. Den Angaben zufolge bestand bereits seit Amtsantritt die Kenntnis des Verfalls der bestehenden Stiftungen und Hospitäler. Der Gesetzge76 Bemerkenswert ist die angegebene Motivation hierbei: „damit auf solchen zu höchsten Ehren Gottes angestellten heiligen Festtagen dessen Majestät nicht mehr beleidiget, als geehret und gepriesen werden möge“, vgl. Verordnung vom 14. 1. 1729 in Blattau, Statuta IV, hier S. 149. 77 Zusätzlich betont wird dies dadurch, dass den weltlichen Verwaltern eingeschärft wird, dass keine Aufnahme erfolgen soll ohne die Kenntnis des Seelsorgers, vgl. Verordnung vom 14. 1. 1729 in Blattau, Statuta IV, hier S. 148.
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ber sieht die Gründe für diese Entwicklung in den Kriegs- und Notzeiten aber auch in der schlechten Verwaltung. Zur Wiederherstellung „eine[r] Gott gefällige[n], dem gemeinen Weesen nützliche[n], und convenable[n] Administration“ ist die Untersuchung des Bestandes an Hospitälern und Stiftungen durch die eigens hierfür eingerichtete Kommission angeordnet. Dabei sollen der Finanzbestand und Missstände, insbesondere die fehlende Abhaltung von Gedenkgottesdiensten zugunsten der Spender gemeldet werden. Im Zusammenspiel mit den Rechnungspflichten und weiteren Kontrollmechanismen soll eine korrekte Verwaltung der Hospitäler und Stiftungen erreicht werden. Das Ziel der Reform ist damit definiert, nicht das System als solches bedarf einer Überarbeitung, sondern alleine dessen Vollzug. b) Legitimation / Motivation Ebenso deutlich wie schon im Januar werden die Grundlagen der Verpflichtung zum Normerlass bestimmt. Die Gewissenspflicht aus dem Amt des Erzbischofs heraus und das Streben zum Besten des Erzstifts werden als Handlungsgrund angegeben. Die Tolerierung der bestehenden Missstände wird als unverantwortlich gegenüber Gott und den Mitmenschen angesehen. Der Text erinnert an die drohenden Folgen zeitlicher und ewiger Strafen für das Erzstift. Wie bereits aus der Armenordnung von 1533 bekannt, verbindet sich hier die weltliche Handlungsverpflichtung mit der religiös-moralischen Pflicht.78 Hinzu tritt das Bestreben die vorhandenen Mittel wieder dem „destinatos usus“, also dem ursprünglichen Stifterwillen, zuzuführen. Diese Bestandteile bilden in der Einleitung eine in sich geschlossene Argumentationskette, die den Bestand sichernden Maßnahmen den Legitimationsgrund bietet. c) Oberinspektionskommission Zur Kontrolle des sich nach Angaben des Kurfürsten fast auf eine Million Gulden erstreckenden Hospitalfundus im gesamten Erzstift wird die Einrichtung einer Oberinspektionskommission angeordnet.79 Deren Hauptaufgaben liegen in der Durchführung der Bestandsaufnahme, der Visitationen sowie der Einsetzung und Rechnungsüberprüfung der Provisoren der Hospitäler. Angesichts der dem Erzbischof kraft seines kirchlichen Amtes zukommenden Aufsichts-, Visitations- und Kontrollkompetenzen steht die Schaffung des Gremiums als Vertretung des Erzbischofs auf gesi78 Hierfür spricht auch, dass der Kurfürst „dero Ertz=Bischoflichen Ambt, als Gewissens Obliegenheit ein Gnügen“ tun will; vgl. Verordnung vom 4. 2. 1729 in Blattau, Statuta IV, hier S. 150. 79 Die Kommission besteht aus sechs weltlichen und geistlichen Räten, die für ihre Tätigkeit entlohnt werden. Vorgesehen ist eine Sitzung alle zwei Wochen, anfangs jedoch bis zur Erreichung einiger Fortschritte jede Woche zweimal. Die Zuständigkeit dieser Kommission besteht über Hospitäler, Spenden und Almosenverteilungen und milde Stiftungen. Zur besseren Bewältigung der Aufgaben sind jedem Rat bestimmte Ämter des Kurfürstentums zugewiesen, in denen er „eventualiter“ entscheiden kann, bis zur Billigung in der wöchentlichen Sitzung, vgl. Verordnung vom 4. 2. 1729 in Blattau, Statuta IV, S. 152 f., 155; Scotti, Trier II, S. 922.
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cherter und durch die Rechtswissenschaft anerkannter Basis.80 Durch die Begrenzung auf das Erzstift, also das weltliche Herrschaftsgebiet des Erzbischofs, wird der weltliche Charakter des Gremiums verstärkt. Vorgesehen ist also eine zentrale territorialstaatliche gesteuerte Stelle, welche sowohl aufsichts- als auch weisungsberechtigt gegenüber den Institutionen auf kommunaler Ebene ist. Dies drückt sich darin aus, dass zur Rechnungslegung des Hospitals nicht mehr der „Magistratibus in corpore“, sondern nur die hierfür vorgesehenen Provisoren und der Pastor zuständig sind.81 Die Provisoren sind auf der kommunalen Ebene auszuwählen und müssen über einen „recommendablen Leben[s-] Handel und Wandels“ verfügen. Der Vorschlag der Ortsgemeinde steht unter dem Vorbehalt der Prüfung und Approbation des Kandidaten. Das aus Pastoren und Provisoren gebildete Gremium stellt nunmehr die Mittelinstanz zwischen Hospital und territorialstaatlicher Oberbehörde dar, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die jeweilige Gründungsurkunde keine andere Vorkehrung getroffen hat.82 Die Provisoren üben auf der mittleren Ebene die unmittelbare Aufsichtsund Weisungskompetenz über die Hospitalsmeister aus. Der Vollzug der Aufsichtskompetenz der Oberkommission soll durch die mindestens alle vier Jahre stattfindenden Visitationen der Hospitäler sichergestellt werden.83 d) Erstellung einer Hospitalsordnung Eine weitere zentrale Zielvorgabe ist es, dass für jedes Hospital eine Ordnung aufgestellt wird, die auf der Grundlage der Stiftungsurkunde die Regelungen für die wirtschaftliche Betätigung und das Zusammenleben selbst regelt.84 Ein Beispiel für die Nutzung solcher Möglichkeiten stellt die im Jahr 1758 erlassene Verwaltungsordnung für das St. Jakob Hospital in Trier dar.85 Zur Erreichung der Ziele sind alle kur-
80 Vgl. Begon (2002), S. 105 ff., 220 f. Die Berechtigungen ergeben sich bereits aus dem Tridentinum, dem Kölner Konzil sowie der „formula reformationis“. Die zeitgenössische Rechtswissenschaft, insbesondere Lauterbach und Fritsch, weisen dem Bischof die oberste Stellung bei der Gründung und Aufsicht bzw. Visitation der Hospitäler zu. 81 Als Rechnungstermin ist der Januar vorgesehen, damit die Überprüfung durch die Kommission bis nach den Ostertagen erfolgen kann. Vgl. Verordnung vom 4. 2. 1729 in Blattau, Statuta IV, hier S. 152. 82 Verordnung vom 4. 2. 1729 in Blattau, Statuta IV, hier S. 154. Auch dies entspricht der Ansicht der zeitgenössischen Rechtswissenschaft, vgl. Begon (2002), S. 220. 83 Aufgefordert sind die kurfürstliche Regierung, Konsistorien, die „Commissariatus“, Ämter, Gerichte und andere dem kurfürstlichen Befehl untergeordnete Obrigkeiten. Das Widersetzen gegen Maßnahmen ist dem Kurfürsten zur Abstellung anzuzeigen, vgl. Verordnung vom 4. 2. 1729 in Blattau, Statuta IV, hier S. 155. 84 Diese „special der Fundation nach proportionirte Tag-oeconomie, und Bett=Ordnung“ soll den Hospitalsinsassen monatlich von den Provisoren bekannt gegeben werden. Das Zuwiderhandeln wird unter Strafe gestellt oder mit Entlassung aus dem Hospital geahndet. Dies entspricht den im Reich gängigen Grundtypen von Hospitalsordnungen unabhängig von der Konfession, vgl. Begon (2002), S. 246, 250. 85 Nachweis der Hospitalsordnung vom 11. 2. 1758 in Scotti, Trier II, S. 941 (Anm.).
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6. Teil: Die Entwicklung im 18. Jahrhundert (Endphase)
fürstlichen Stellen zur Kooperation und Unterstützung der Maßnahmen der Kommission angehalten. e) Umgang mit Finanzen Im Zentrum der Vorgaben zur Reform der Verwaltung steht klar die Kontrolle der finanziellen Mittel, insbesondere des Verleihs der bestehenden Güter. Verboten ist ein Verleih ohne ausreichende gerichtliche Absicherung oder an Personen außerhalb des Erzstifts. Eingefordert wird auch die pünktliche und vollständige Eintreibung der ausstehenden Renten und Gefälle. Die Hospitalsverwalter werden insofern an ihre den Armen geschuldete und bei Gott verdienstliche Aufgabe gemahnt. Die doppelte Verpflichtung der im Bereich der Fürsorgeverwaltung Tätigen ist ständiges Element der territorialstaatlichen Normen geworden. Im Zentrum der Aufmerksamkeit bei der Wiederherstellung der finanziellen Güter stehen im Erzstift Trier die an Rhein und Mosel gelegenen Weingüter.86 Hier wird von Seiten der Territorialgewalt den Schwierigkeiten des Einzelfalls dadurch Rechnung getragen, dass der Oberkommission aufgrund der eingehenden Berichte zur Regelung des Erforderlichen ein Ermessensspielraum überlassen wird. Die Vorschriften zur Finanzverwaltung und zu den Amtspflichten gleichen den in der Synodalgesetzgebung des Erzbistums Köln nachweisbaren Strukturen. f) Aufnahme ins Hospital Die Aufnahme ins Hospital richtet sich grundsätzlich nach der jeweiligen Gründungsurkunde, wobei die Bedürftigkeit den wichtigsten Aspekt darstellt.87 Die Kriterien der Bedürftigkeit entsprechen – wie sich aus der Verordnung vom 4. 2. 1729 ergibt – dem bislang aus den Territorialnormen bekannten Stand. Falls bei der Überprüfung der Hospitäler ein finanzieller Spielraum festgestellt wird, ist die Schaffung neuer Praebenderstellen vorgesehen.88 Durch die streng den Stiftungszweck wahrende Revision der Hospitalsfinanzen bleibt der Bestand der bisherigen Austeilungen und Unterbringungsmöglichkeiten gewahrt. Die Oberkommission hat daher darauf zu achten, dass bei der Schaffung neuer Unterstützungsstellen nur auf die nicht bereits durch den Willen der Stifter festgelegten Beträge zurückgegriffen wird. Lediglich für diese nicht zweckbestimmten Werte erfolgt der Zugriff der Territorialgewalt. Die Provisoren besitzen ein Vorschlagsrecht zur Aufnahme in das Hospital, während die letztendliche Entscheidungsbefugnis alleine bei der Kommission liegt. Die so geschaffenen Praebenderstellen sind durch die Kommission „gratis, außerhalb was ein oder ander aus seinem Vermögen und an Mobilien ad Hospitale hergeben, oder mitbringen würde“ zu vergeben.89 Im Ergebnis zielt die Territorialgewalt darauf 86
Verordnung vom 4. 2. 1729 in Blattau, Statuta IV, S. 153, 155. Vgl. Begon (2002), S. 142 ff. 88 Vgl. Begon (2002), S. 17 f. Die „praebenda“, d. h., die Pfründe sind der Inbegriff der den Aufgenommenen vom Spital regelmäßig auf Dauer gewährten Leistungen. 89 Das entspricht der von Begon (2002), S. 174 f., als Armenpfründer bezeichneten Kategorie. 87
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ab, sich durch die Optimierung ungenutzter Ressourcen Versorgungsstellen zu schaffen, über deren Vergabe sie sodann bestimmen kann. g) Arbeitspflicht im Hospital Um eine ausreichende Bekleidung der Praebender sicherzustellen, ist die Anschaffung von Tuch vorgesehen. Hier findet sich in Punkt 14 ein Hinweis auf die Planung entsprechender Fabriken.90 Die Umsetzung dieser Idee in Gestalt eines Spinnund Arbeitshauses bleibt indes der späteren Entwicklung vorbehalten. Dennoch wird die Verbindung von Fürsorge und Arbeitsverpflichtung deutlich. Zur Schonung der finanziellen Ausstattung des Hospitals wird nach dem Gottesdienst die Leistung kleinerer Arbeiten verlangt, insbesondere das Spinnen von Flachs. Neben dieser Pflicht wird besondere Bedeutung der Wiederaufnahme der Gottesdienste und täglichen Gebete zugunsten der Stifter beigemessen.91 Beide Pflichten entsprechen den üblichen, durch die zeitgenössische Rechtswissenschaft geforderten Bedingungen.92 h) Formalisierung der Inventur Augenscheinlich enthalten die vor dem Erlass der beiden Verordnungen durchgeführten Visitationen aus kurfürstlicher Sicht einige Lücken und Unstimmigkeiten, so dass eine erneute Durchsicht der Gründungsakten aller Hospitäler und Stiftungen vorgesehen ist.93 Aufgrund dieser dem Zeitmangel und dem Arbeitsumfang zugeschriebenen Ungenauigkeit befindet sich im Anhang der Verordnung ein formalisierter Erfassungsbogen.94 Die „puncta inquirenda“, die einzuholenden Auskünfte, umfassen den finanziellen Bestand des Hospitals, das Vorliegen einer Gründungsurkunde, die Immobilien und Grundstücke,95 den Schuldenstand, die Renteinkünfte bis hin zu bestehenden Kreditsicherheiten. Insbesondere auf die Anfertigung von Kopien der Urkunden wird Wert gelegt. Erfasst werden auch die aktuelle Verwaltungsstruktur sowie die laufenden Aufwendungen des eigentlichen Hospitalbetriebs, die neben den Lohnkosten auch die Kosten für die momentanen Insassen umfassen. Um die künftige Finanzverwaltung besser planen zu können, werden Informationen über aktuelle und potentielle Entleiher eingeholt. Das Ziel ist es, die Selbstbegünstigung durch den Missbrauch beim Verleihen an den Magistrat, den Verwalter oder deren
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Verordnung vom 4. 2. 1729 in Blattau, Statuta IV, hier S. 153. Die Hospitalsinsassen sind darüber hinaus alljährlich an Pfingsten an ihre Pflichten gegenüber dem Hospital hinzuweisen, unter anderen die Meldepflicht drohender Schäden an die Inspektoren; vgl. Verordnung vom 4. 2. 1729 in Blattau, Statuta IV, hier S. 154 Nr. 15. 92 Begon (2002), S. 239. 93 Verordnung vom 4. 2. 1729 in Blattau, Statuta IV, hier S. 154 Nr. 16. 94 Erfassungsbogen zur Verordnung vom 4. 2. 1729 in Blattau, Statuta IV, S. 155 – 159. 95 Hier wird unter anderem die Art des Landbesitzes erfragt, ob es sich um Getreide- oder Weingüter handelt; vgl. Erfassungsbogen zur Verordnung in Blattau, Statuta IV, hier S. 159. 91
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Freunde zu verhindern.96 Hierzu dient die Feststellung der Art und Weise der Rechnungslegung und der damit verbundenen Kosten. Hinsichtlich der getätigten Ausgaben wird die Angabe der begünstigen Personengruppen und die Art und Dauer der erteilten Spende eingefordert.97 Die Aufmerksamkeit zieht eine andere eher am Rande stehende Regelung auf sich. In Punkt 20 wird Auskunft darüber verlangt, inwiefern in den Kirchen Almosenstöcke oder Klingelbeutel eingerichtet sind und welchen Verwendungszweck diese habe. Diese Angaben stehen nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Bestandsaufnahme des einzelnen Hospitals, geben jedoch Aufschluss darüber, dass die Erfassung der Hospitäler auf mehr abzielt als auf eine Reform alleine des Hospitalwesens. Erkennbar wird die Absicht, einen Gesamtüberblick über die bestehenden finanziellen Kapazitäten sämtlicher bestehenden Fürsorgeeinrichtungen zu gewinnen. Dies deutet auf zweierlei hin: Zum einen auf die Absicht, die Neuordnung der institutionellen Fürsorge durch weitere Maßnahmen zu ergänzen. Zum zweiten weist es auf die generelle Herangehensweise hin, die darin besteht, die existenten Formen zwar an sich unverändert zu lassen und wie bisher zu nutzen, sie dennoch aber der zentralisierten Aufsicht und Weisung zu unterwerfen. Bezeichnend für das Vorgehen, welches christlich geprägte Unterstützungsmechanismen mit dem politischen Ansatz der Mehrung des gemeinen Nutzens verbindet, ist die Schlussformel „Zu grösserer Ehre Gottes und Nutzen des Nechsten“.98 Die Territorialgewalt nutzt zur Legitimation auf der semantischen Ebene immer noch gleichberechtigt religiöse und politische Argumente. i) Dienstanweisungen des Hospitalpersonals Unter Berücksichtigung der bislang eingegangenen Berichte ist der Kurfürst überzeugt, dass die Mehrzahl der zu finanziellen Einbußen führenden Fehler der Verwalter infolge mangelhafter Instruierung erfolgt. Zur Abstellung dieser Fehlerquelle ist der Verordnung eine entsprechende Dienstanweisung beigefügt, die für alle „Provisores Locales, Hospitalsmeister und Kellner in Städten, Flecken und Dörfferen“ gilt.99 Deren Ansatzpunkt ist die Reduzierung der für den Vollzug und die Aufsicht über die Verwaltung zuständigen Personen. In deren hohen Anzahl wird eine Ursache der zurückgehenden Versorgungsleistungen für die Bedürftigen gesehen. Eine all96 Erfassungsbogen zur Verordnung vom 4. 2. 1729 in Blattau, Statuta IV, hier S. 159. Einen Einblick in die Überprüfung von Hospitalsrechnungen und von Bestandslisten – allerdings in einem reformierten Territorium – gibt Aspelmeier (2006), S. 174 ff. 97 Eingefordert wird die Auskunft darüber, was „den Stipendiariis, Portionistis, Peregrinantibus, Mendicantibus und armseeligen Leuthen“ wann und in welcher Form ausgeteilt wird. 98 Erfassungsbogen zur Verordnung vom 4. 2. 1729 in Blattau, Statuta IV, hier S. 159. Der Umsetzung und dem Erfolg dieser Bestandsaufnahme kann im Rahmen dieser Arbeit nicht eingehend nachgegangen werden. Verwiesen sei allerdings auf den knappen Hinweis von Huberti (1935), S. 8, der anführt, dass nur ein Teil der Armenstiftungen dieser Aufforderung nachgekommen sei. Entsprechend den bereits in den vorangegangenen Jahren erzielten dürftigen Ergebnissen der Visitationen in der Stadt Trier liegt dieser Schluss nahe. 99 Dienstanweisung zur Verordnung vom 4. 2. 1729 in Blattau, Statuta IV, S. 159 ff.
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mähliche Funktionsverschiebung des Hospitals, welches anstelle von Unterstützungsausteilungen vermehrt als Arbeitgeber Versorgungsmöglichkeiten schafft – und dies durchaus konträr zur eigentlichen Zielsetzung – lässt sich hieran ablesen.100 Im Weiteren wiederholt die Dienstanweisung die elementaren Regelungen der Verordnung, die nochmals auf das Ausführlichste erläutert werden.101 Den Hospitalsverwalter werden wiederum die Vorgaben der Verordnung vom 14. 1. 1729 zur Beachtung bei der Aufnahme von Passanten eingeschärft.102 Dass zur Sicherung der Kapitalvermögen alle dem Terrritorialherrn zur Verfügung stehenden Gesetzgebungsbefugnisse genutzt werden, zeigt die Halbierung der Gerichtsgebühren für Forderungen aus dem Stiftungsvermögen heraus.103 Hier offenbart sich der durchaus vorhandene Blick für die Schwierigkeiten in der Praxis bei der Umsetzung der territorialstaatlichen Vorgaben. Dafür spricht zudem die Bestimmung des Zahltags für die ausstehenden Renten, die auf den Martinstag festgelegt werden. Der Grund hierfür ist die Annahme, dass dann „der Landmann am besten bey Mitteln zu seyn pfleget“.104 Ebenso wie für die Kommissionsmitglieder wird auch den Provisoren und Hospitalsmeistern ein Entgelt für ihre Arbeit zugesichert. So offenbart sich ungeachtet der stetigen Betonung der himmlischen Verdienstlichkeit des Bemühens als Funktionsträger der christlichen Fürsorge der Realitätssinn des Gesetzgebers. Die Erkenntnis des Kurfürsten, dass eine Entlohnung „dahier in der Zeitlichkeit“ dazu führt, dass das übertragene „officium nicht damnosum seye“, offenbart die Notwendigkeit, über das Versprechen des Seelenheils hinaus für einen irdischen Gegenwert zu sorgen.105 Anders als in den Beschlüssen der Kölner Synode von 1662 wird positiv an die Verdienstlichkeit des Verwaltungshandelns appelliert, statt auf die göttliche Strafe für Betrug zu verweisen. 3. Normen in der Übergangszeit (1729 – 1736) Bis zum Erlass der landesweiten Verordnung von 1736 sind keine weiteren Territorialnormen überliefert, die mehr als peripheren Bezug zu Versorgungsleistungen haben. Der Regierungswechsel und die Belastung durch den Polnischen Erbfolgekrieg erscheinen hierfür als die wahrscheinlichsten Ursachen. Die in dieser Zeitspanne erlassenen Normen berühren die Fürsorge nur am Rande und ergehen alleine im ersten Regierungsjahr des Kurfürsten Franz Georg von Schönborn.
100 Zu dieser Deutung der großen Anzahl von Kirchenbediensteten oder Hospitalsangestellten vgl. Schmidt/Wagner (2004), S. 502. 101 So wird unter anderem der Zeitpunkt der Rechnungslegung, die Sicherung der Kassenbestände, die Anforderungen an die Provisoren und deren Aufgabenbereich bestimmt. 102 Es wird betont, dass zwar Pilger aufzunehmen seien, jedoch keine Landstreicher und Vagabunden, vgl. Dienstanweisung zur Verordnung vom 4. 2. 1729 in Blattau, Statuta IV, S. 161 Nr. 20. 103 Dienstanweisung zur Verordnung vom 4. 2. 1729 in Blattau, Statuta IV, S. 162 Nr. 25. 104 Dienstanweisung zur Verordnung vom 4. 2. 1729 in Blattau, Statuta IV, S. 163 Nr. 38. 105 Dienstanweisung zur Verordnung vom 4. 2. 1729 in Blattau, Statuta IV, S. 164 Nr. 44.
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a) Fortführung der repressiven Maßnahmen Den deutlichsten Bezug zur Armenversorgung lässt die bereits dargestellte Aufforderung des Kurfürsten an die Stadt Trier vom 30. 4. 1730 erkennen, in welcher die Abstellung des Almosenheischens der Bettler gefordert wird. In den übrigen erlassenen Verordnungen werden die Maßnahmen gegen umherziehende Personen fortgeschrieben. Die Maßnahmen zur Wiederherstellung der durch Räuber und Vagierende gefährdeten öffentlichen Sicherheit werden ebenfalls erneuert.106 Gleiches gilt für die Repressionen gegen umherziehende Hausierer.107 b) Prostitution und Geburt unehelicher Kinder als Exklusionskriterium Eine über die bisherige Bedeutung hinausgehende Dimension gewinnen die übrigen Normen alleine durch die Tatsache, dass Kuppelei und die Geburt unehelicher Kinder zu einem weiteren Kriterium der Gleichbehandlung mit Vagierenden werden. Dass dieser Ansatz der fehlenden gesetzgeberischen Bereitschaft zur Unterstützung fremder, nicht selbst erhaltungsfähiger Personen entspricht, zeigt die Verordnung vom 20. 5. 1730.108 Der Kurfürst moniert die Duldung von „liederlich und herrenloses Gesindel“, die in Verbindung mit der Begehung von Unzucht Anlass zur Befürchtung gibt, dass der Zorn Gottes zeitliche und ewige Strafe über das Erzstift und seine Einwohner bringt.109 Dies nimmt die Verordnung zum Anlass, den kurfürstlichen Beamten die Ausweisung von „derley Unrats und verdaechtiges Gesindel“ und die Abschaffung der „Hurenwinckel“ zu befehlen. Dieses Ziel will man durch wöchentliche Hausdurchsuchungen erreichen, um festzustellen, ob die betreffenden Personen einen ehrbaren Verdienst haben. Diejenigen, die hierzu nicht in der Lage sind, sind auszuweisen und bei Wiederbetreten an den Pranger zu stellen, sodann nach Befinden zu strafen und nach Abschwören der Urfehde aus dem Land zu weisen.110 Für Prosti106 Verordnung vom 22. 3. 1729 in Scotti, Trier II, S. 942 (Nr. 425). Während der Vakanz des Kurfürstenstuhls ist durch das Domkapitel die Anstellung von Nachtwächtern zur Abwehr nächtlicher Diebstähle angeordnet. 107 Befehl vom 14. 8. 1730 für das Amt Limburg in LHAKo, 1C/1115. Dort wird in Entsprechung der bisher erlassenen Verordnungen zum Schutz einheimischer Händler, unter anderem der Verordnung vom 11. 9. 1687, vor den „Gängler, Kessler, Heuerling, und Juden“ die bisherigen Verbote bestätigt. Dies erfolgt aufgrund der Supplikationen der Untertanen. 108 Verordnung vom 20. 5. 1730 in HHStAWi, 115/IIa/2. 109 Der Kurfürst bezieht sich auf Vorgänge in der Residenzstadt Koblenz und im Niederstift. Auffallend ist, dass diese Verordnung in der Haupt- und Residenzstadt Trier erlassen wurde, während in der weitaus überwiegenden Anzahl der Verordnungen Ehrenbreitstein als Ausstellungsort angegeben ist. 110 Vorgesehen ist auch das Spannen an die Lasterkarre, vgl. hierzu Ammerer (2006), S. 15 f. Gemeint ist im Vergleich mit den Verhältnissen in Österreich das Verrichten von Kehrarbeiten, während die Delinquenten an einen Karren gekettet sind. Die Aufgabe zum Vollzug dieser Kontrollen liegt bei den Stadtpförtnern. Zum Verhältnis von entehrenden Strafen und Körperstrafen vgl. allgemein Ammerer (2008), S. 316 ff.; Härter (2003a), S. 67 – 99.
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tuierte gilt folglich auch der bei den repressiven Maßnahmen übliche Strafdreischritt. Da diese Maßnahmen im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Prostitution stehen, wird den Hebammen die Pflicht eingeschärft, uneheliche Kinder und deren Mütter bei der Obrigkeit zu melden. Darüber hinaus sind die Hebammen angewiesen, während den Geburtswehen den Namen des Vaters herauszufinden und dem Fiskus mitzuteilen.111 Eine analoge Regelung zu der auf die Verhältnissen im Niederstift, insbesondere in Koblenz, zugeschnittenen Verordnung vom 20. 5. 1730 ergeht am 17. 6. 1730.112 Unter Bezug auf die örtlichen Gegebenheiten wird dort ebenfalls zur Abstellung der Unsittlichkeit, sprich der Prostitution, die Ausweisung des „herrenlosen Gesindel“, die Durchführung von Hausdurchsuchungen und die Meldepflichten der Hebammen angeordnet.113
V. Neuordnung der Armenversorgung: Armenordnung von 1736 Erst mit der Armenordnung von 1736 vervollständigt sich die mit der Reform des Hospitalwesens begonnene Neustrukturierung des Armenwesens. Die am 18. 10. 1736 erlassene Verordnung hält eine Abkehr von bisherigen katholischen Vorstellungen bereit, ohne sich jedoch gänzlich davon lösen zu können.114 Die Grundlinien der bisherigen territorialstaatlichen Gesetzgebung aus dem 16. Jahrhundert werden aufgegriffen und auf den aktuellen Stand gebracht. Die Kanalisierung der christlich geprägten Carität ist und bleibt der Ansatzpunkt zur Finanzierung der Versorgungsleistungen. Es finden jedoch partielle Verschiebungen und Neuerungen statt, die auf einen Bruch mit den traditionellen Formen hinweisen. Charakteristisch ist, dass sich die Brüche trotz der angestrebten Wahrung der bisherigen Formen vollziehen. Die Veränderungen werden deutlich im Vergleich mit der älteren Armenordnung von 1533 und der Gesetzgebung in den Jahren von 1720 und 1730. Die Armenordnung beginnt wie schon 1533 mit der Herleitung des Anlasses und Aussagen zur Legitimation. Daran schließen sich achtzehn Punkte an, in denen die Einrichtung eines Armenfundus als Finanzierungsgrundlage der obrigkeitlich gesteuerten Unterstützungsleis111 Diese Pflichten stehen unter einer Strafandrohung von 6 Goldgulden. Angegebener Grund für die Maßnahmen ist die Beweisschwierigkeit vor Gericht bei Todgeburten. Hierzu dienen auch die Privilegierungen der unehelich Gebärenden, falls sie innerhalb von 7 Monaten die bevorstehende Geburt anzeigt, wofür nur arbiträre Strafen angedroht sind. Demgegenüber ist für eine Todgeburt ohne rechtzeitiges Anzeigen die volle Gesetzesschärfe angedroht. 112 Verordnung vom 17. 6. 1730 in Scotti, Trier II, S. 959 f. (Nr. 429). 113 Die Adressaten der kurfürstlichen Verordnung sind die Ortsobrigkeiten Triers und der näheren Umgebung. Bezeichnenderweise sind unter anderem die Zender der Vororte bei St. Barbara, Palligen (Pallien) und Löwenbrücken genannt. Diese standen bereits im Memorial von 1716 im Zentrum der Maßnahmen gegen die sich dort aufhaltenden Bettler; vgl. Trierische Kronik 1823, S. 195 f. 114 Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, S. 243 – 247; Scotti, Trier II, S. 995 – 997.
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tungen, das Bettelverbot, die organisatorische Erfassung der Armen, der Vollzugsapparat und die Ausnahmetatbestände geregelt sind.
1. Normadressaten Die Verordnung weist – wie die übrigen Normen auch – einen Mischcharakter auf. Einerseits richtet sie sich an die kurfürstlichen Amtleute sowie die Ortsobrigkeiten und die Pfarrer als Vollzugspersonen, hat also insofern den Charakter einer internen Verwaltungsanweisung. Zum anderen richtet sich der Gültigkeitsanspruch gerade auch an sämtliche Untertanen, was insbesondere bei den Beteiligungspflichten, Unterstützungsanforderungen und Strafvorschriften zum Ausdruck kommt.
2. Legitimation des Normerlasses a) Gefahrenabwehr und Schutz der „guten policey“ Bereits in der Angabe des Anlasses zur Ordnung ist eine markante Veränderung erkennbar. Stand 1533 die religiöse Herleitung an erster Stelle, so führt Kurfürst Franz Georg von Schönborn die Gründe zum Tätigwerden zunächst auf den Umstand zurück, dass die bislang erlassenen Verordnungen ihre Wirksamkeit verloren hätten. Er bezieht sich augenscheinlich auf die Anstrengungen seines unmittelbaren Vorgängers.115 Daneben weist der Kurfürst auf den Zulauf fremder, aber auch einheimischer Bettler in die Ortschaften des Erzstiftes hin. Hierdurch entstehe die Gefahr, dass die Bedürftigen durch die jungen starken Bettler um ihren Unterhalt durch das Almosen gebracht würden.116 Damit steht erneut die Gefährdung der Versorgungssituation im Focus des territorialstaatlichen Handelns. Diese Begründung, die zwar aus der Verordnung von 1533 bekannt ist, wird im Folgenden noch um ein weiteres Element ausgeweitet. Der Zustrom des „liederlichem müßigen und anderwärths vertriebenem unsaubern Volck“ bilde eine Gefahr „grober Laster“ für die Städte und Ortschaften. Die Einleitung schließt mit der Feststellung, dass der Erlass aus landesfürstlicher Sorge nicht nur zum Allgemeinwohl, sondern zur Beruhigung jedermanns erfolgt. Ergänzt werden die allgemein gehaltenen Ausführungen der Einleitung durch die Beschreibung der Gefahren, die bei Nichtvollzug der angeordneten Maßnahmen drohen. Insbesondere auf die Gefährlichkeit des Gassenbettels, der zur Vermischung der Bettler 115 Die Aussage: „Demnach Wir mit sonderbahrem Misslieben vernehmen müssen, was maßen die von Unserm nächsten Herrn Vorfahrern Christmildester Gedächtnuß wegen des Allmoßen=Wesens erlaßene heilsame Verordnungen in gäntzlichen Verfall und Abgang zu gerathen scheinen“, weist darauf hin, dass damit der inzwischen verstorben Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg gemeint ist, vgl. Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 243. Dagegen findet die 1533 erlassene Verordnung keine direkte Erwähnung. 116 Die Armenordnung spricht davon, „daß nicht nur die Inheimische alte und unvermögliche von frembden jungen starcken und auf’s bettlen gewohnten Leuthen an den sonst zu geniesen habenden Allmoßen verkürzet und ihnen die benöthigte Nahrung voraus abgelossen würde“; vgl. Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 243.
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mit Dieben führe und damit die Begehung von Straftaten erleichtere, weist die Verordnung mehrfach hin.117 Vergleicht man die Verordnung von 1736 mit ihrer 200 Jahre älteren Vorgängerin, ist auffällig, dass anders als damals die Einleitung zunächst keinen direkten Bezug zu christlichen Fürsorgevorstellungen aufweist. Die Verbindung von repressiven Polizeimaßnahmen und Regelungen zur Fürsorgeorganisation ist so intensiv geworden, dass eine Normierung der Fürsorge ohne polizeiliche Gefahrenabwehr im damaligen Verständnis nicht möglich ist. b) Christliche Glaubensvorstellungen Erst im Anschluss an die Einleitung als Punkt 1 der eigentlichen Anordnungen steht die biblische Herleitung des Gebots der Nächstenliebe und der Pflicht zum Almosengeben. Damit offenbart sich ein markanter Wechsel der Bedeutung der religiösen Semantiken. Die Herleitung der Normkompetenz wird nicht mehr primär auf die christliche Obliegenheit des Kurfürsten zurückgeführt. Die Erläuterungen zum Almosen stehen wie schon 1533 auf dem Boden der katholischen Lehre. Betont werden ebenso wie damals die Verdienstlichkeit „zu seiner Seelen selbst eigenem Besten“ und das Gebot Gottes im alten Testament, Deuteronomium 15,11: „Es werden nicht auffhören Armen zu seyn im Land deiner Wohnung, darumb gebiete ich dir, daß du deine Hand auffthuest deinem Bruder, der betrangt und arm ist in deinem Land bey dir“. Dieses Gebot wird durch den Hinweis auf weitere Bibelstellen zusätzlich abgesichert.118 Eindringlich wird die Notwendigkeit des Almosens beschrieben: „Allmosen entlediget von aller Sünd und vom Todt, und lasset die Seel nicht in die Finsternüß kommen, dann Allmoßen ist ein großer Trost vor dem höchsten Gott all denen, die sie geben.“119 Jedoch hat im Vergleich zu 1533 der Blickwinkel gewechselt. Primärer Adressat dieser Handlungsaufforderung sind die eigenen Untertanen. Der 1533 anzutreffende Schluss, dass die christliche Pflicht und die Sorge um sein eigenes Seelenheil es vom Kurfürsten verlangen, gesetzgeberisch tätig zu werden, findet in dieser Verordnung keine Entsprechung mehr. Augenscheinlich bedarf es zur Begründung der Gesetzge117 Vgl. Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 244 Punkt 2, wo es heißt: „die Bettler von der Gassen, wie obgedacht, gehalten werden, als unter welchen sich allerhand Diebs-Gesindel einmischen, die Häuser ausspioniret und hernacher bestohlen werden können; dahero zu Abwendung solchen Schadens, und Erhaltung gemeiner Ruhe und guter Ordnung“. Vgl. zudem ebda. S. 246 Punkt 18: „die gemeine Ruhe stöhrender höchstschädlicher Unordnung allerley auf den Straßen herumstreiffenden Bettel- und Diebs-Gesindlein zu reichen, sich darmit den Räuber vor der Thür aufziehen, und dem rechten Lands-Bedürfftigen die Lebens-Nothdurfft gegen Gottes Gebott und die natürliche Billigkeit entziehen und hinwegrauben zu lassen.“ 118 So durch den Verweis auf den Spruch in Tobias 4,7 ff.: „Von deinem Guth gieb Allmosen, und kehre dein Gesicht von keinem Armen, so wird Gott sein Angesicht nicht von dir kehren, nach deinem Vermögen beweiß Barmhertzigkeit“, und dem Hinweis auf das Evangelium nach Lukas 3,11 und 12,33. 119 Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 243.
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bungskompetenz nicht mehr eines auf den Kurfürsten bezogenen, personalisierten Hinweises auf das eigene Seelenheil. Demgegenüber verdient die Feststellung, dass es jeder weltlichen Obrigkeit obliege, über die Einhaltung der christlichen Pflicht, also auch über die Ausübung christlicher Nächstenliebe durch das Almosen, zu wachen, besondere Aufmerksamkeit.120 Durch den Hinweis auf die Kontrollbefugnis sollen bloße Schutzbehauptungen eines angeblichen finanziellen Unvermögens ausgeschlossen werden. Es steckt jedoch noch mehr in der Feststellung der Kontrollbefugnis. Sie bezweckt zudem, die Fehlannahme bei den Untertanen auszuschließen, dass die kurfürstliche Befugnis zur Belastung der „vom Laster des Geitzes“ befallenen Untertanen mit den festgelegten Almosenzahlungen nicht bestünde.121 Auf die Konsequenz dieser Argumentation wird bei der Frage der Finanzierung erneut zurückzukommen sein. Trotz des sich andeutenden Anspruchs der Territorialgewalt, für eine Durchsetzung der christlichen Verpflichtung zum Almosengeben zu sorgen, nutzt der Kurfürst zusätzlich seine Stellung als geistliches Oberhaupt, also als „des Hohen Ertz=Stiffts und dessen Einwohneren Obrister Seelen-Hirt“. Die Pfarrer und Prediger werden angewiesen, ihre Zuhörer an ihre Schuldigkeit zum Almosengeben ebenso zu erinnern wie an den Gehorsam gegenüber der kurfürstlichen Verordnung.122 Die Verpflichtung der Untertanen zur Normbefolgung ist damit wiederum doppelt abgesichert: durch die Pflicht und Schuldigkeit sowohl Gottes Gesetz als auch dem Gesetz des weltlichen Herrschers gegenüber. 3. Struktur des Fürsorgekonzepts Im Zentrum der Regelungen steht aufgrund der bereits erfolgten Neuordnung des Hospitalswesens die Errichtung einer zentralisierten Verteilung von Unterstützungsleistungen. Zu diesem Zweck soll auf kommunaler Ebene ein Armenfundus eingerichtet werden, der Ähnlichkeiten zu dem Modell von 1533 aufweist. Die zulässige Versorgungsform wird vom Bettel auf den Empfang der zugeteilten Almosen umgestellt. Die Kriterien für den Empfang dieser Unterstützungsleistungen bleiben nahezu unverändert.
120 Die Armenordnung formuliert es so: „maßen jeder Obrigkeit oblieget, ihre Untergebene zu Observirung der Gebott Gottes anzuhalten, und wie allen Lasteren, also auch dem Gott so ärgerlich, als dem nach Göttlichen Gebott zu erhaltenden Armen höchst schädlichen ungemessenen Geitz zu steuren“; vgl. Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 244. 121 Vgl. die Ausführungen zu Fritsch und Frantzkius in Vierter Teil, B. Diese leiten allerdings noch weiter gehende Kompetenzen her, z. B. die Einführung einer Almosensteuer. 122 Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 244.
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4. Unterstützungsvoraussetzungen a) Materielles Kriterium: Versorgungsunfähigkeit Die materiellen Kriterien für Unterstützungswürdigkeit entsprechen den bisher bekannten. Nur einheimische „alte gebrechliche, schwach- und krancke, auch Kinder“ sollen Unterstützung erhalten. Besonders betont wird demgegenüber die Arbeitspflicht für gesunde und arbeitsfähige Personen. Ihnen wird eine Frist zur Arbeitsaufnahme eingeräumt, auf deren erfolgloses Verstreichen eine Strafe folgt. Für die Unterstützungswürdigkeit verbleibt es also bei dem Kriterium der Unfähigkeit zur Selbstversorgung. Nicht mehr erwähnt ist die Fallgruppe der mit Kindern überladenen Personen. Es ist indes nicht ausgeschlossen, dass diese Konstellation eines Versorgungsengpasses auch durch das Kriterium „schwach“ oder durch eine direkte Gewährung von Leistungen an die Kinder selbst erfasst ist. Für die Kinder gilt allerdings die besondere Voraussetzung, dass sie „aber nicht participiren und Theil haben solle[n], welche kein Zeugnuß beybringen könne[n], dass sie der Christlichen Lehr fleißig beygewohnt haben“. Im Vergleich mit der Verordnung von 1533 lässt sich darin eine Verschiebung des Augenmerks feststellen. Die damalige Betrachtung erfasst den bisherigen Lebenslauf als frommer Christ und damit eher eine ältere Personengruppe. Funktional gesehen stellt dies eine rückblickende Verhaltensbeurteilung dar. Dagegen geht es in dieser Verordnung um die Schulung der Heranwachsenden als Christen. Dies entspricht den bereits 1729 aufgestellten Voraussetzungen zur Versorgungswürdigkeit in den Hospitälern. Eine Verschiebung des Akzents auf die pädagogische Wirkung ist feststellbar, anstatt die Unterstützung gleichsam als Belohnung für ein bisher unbescholtenes Leben zu gewähren. Die anwachsende Bedeutung des Erziehungsgedankens entspricht der Entwicklung in den benachbarten Reichsterritorien.123 Unklar bleibt, ob die Gruppe der (Latein-)Schüler durch diese Vorschriften ebenfalls in den Genuss von Unterstützungsleistungen gelangen sollen. Den Gegenentwurf zur Erziehung in der christlichen Lehre stellen die starken Bettler dar, die entsprechend der bereits dargestellten Gesetzgebung einen unchristlichen Lebenswandel haben. b) Materielles Kriterium: Wohn- und Geburtsort Markanter noch als in den bisherigen Verordnungen erfährt das Zugehörigkeitskriterium eine Präzisierung. Die Unterstützungswürdigkeit besteht nur im jeweiligen aktuellen Wohnort. Im Umkehrschluss aus Punkt 4 der Verordnung, in dem die Ausweisung aller Fremden an ihren Geburtsort angeordnet wird, ergibt sich, dass die Zuständigkeit zur Versorgung Bedürftiger grundsätzlich beim Geburtsort liegt. Dieser Schluss widerspricht nicht der Zuweisung der kurtrierischen Einwohner an ihre Wohnorte, da augenscheinlich kein diesbezüglicher Unterschied gesehen wird zwi123 Vgl. zum Erziehungsgedanken in der Staatsrechtslehre des 18. Jahrhunderts und seiner Auswirkungen auf andere Reichsterritorien Schmidt (2008a), S. 255 ff. Zum Beispiel von Kurmainz ebda., S. 259 ff.
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schen Geburts- und Wohnort. Unabhängig davon steht jedenfalls fest, dass die Unterstützungswürdigkeit alleine auf den jeweiligen Heimatort im Amt bezogen ist.124 c) Formelles Kriterium: Armenliste Wie bereits in der Verordnung von 1533 vorgesehen, ist die Aufnahme in die Armenliste die formelle Voraussetzung der Zulassung zum Almosen, ohne die keinerlei Unterstützungsleistungen gewährt werden.125 Die Einführung von Almosenzeichen zur besseren Kennzeichnung der Armen wird nicht mehr aufgegriffen trotz entsprechender Vorbilder aus dem 16. Jahrhundert. Dadurch wird gleichzeitig die Verwechslungsgefahr mit anderen Bescheinigungen, wie etwa die Gesundheitspässe in der Seuchenbekämpfung, für die Zukunft ausgeschlossen.126 5. Ausschluss von Fremden von den Unterstützungsleistungen Für Fremde besteht der generelle Versorgungsausschluss weiter fort. Um den Ausschluss der fremden Bettler sicherzustellen, sollen in jeder Stadt und Ortschaft Visitationen und Hausdurchsuchungen durchgeführt werden. Die Visitationen selbst stellen eine Fortsetzung der bisherigen repressiven Gesetzgebung dar. Die angetroffenen fremden Bettler sind sodann an ihren Geburtsort zu verweisen. Das Ziel dieser Maßnahmen dient ausdrücklich der Sicherstellung der Versorgung für die eigenen Armen, die so in den ungeschmälerten Genuss der zur Verfügung stehenden Mittel kommen sollen.127 Die in der Verordnung von 1533 getroffenen Ausnahmetatbestände für Pilger und Personen mit Armutsbescheinigungen benachbarter Herrschaften haben keine Aufnahme mehr gefunden. Die Nachbarschaftshilfe ist allerdings noch für einen kleinen Teil der Fremden offen. Für sie besteht noch die Möglichkeit eines zumindest kurzfristigen Rückgriffs auf Unterstützungsleistungen. Es fällt auf, dass in diesem Zusammenhang ausdrücklich von „frembden oder außländischen Armen“ statt von „frembden Bettleren“ gesprochen wird. Zwar soll diesen fremden ausländi124 Hierfür spricht auch die Formulierung in Punkt 10 der Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 245, in der es heißt: „Zehntens nicht erlaubet seyn soll, daß die Einheimische aus einem Orth in das andere, oder auch aus einem Ambt in das andere bettelen gehen, sonderen es solle ein jeder darmit sich begnügen lassen, was ihme von seines Orts Obrigkeit oder Vorsteheren in seinem Heimath gereichet wird.“ Der Gebrauch des Wortes Heimat weist daraufhin, dass es sich bei dem längerfristigen Aufenthaltsort um den Ursprungsort handelt. Gleiches gilt für die Formulierung in Punkt 11, in der es heißt, dass die Vagabunden, fremde oder erzstiftische Bettler zu ihren Geburts- oder Wohnorten geschickt werden sollen. 125 Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 244 Punkt 5. 126 Die Bedeutung der Bettel- oder Almosenzeichen nimmt aufgrund der Umstellung der Versorgungsform in ihrer Bedeutung während des 18. Jahrhunderts insgesamt ab. Die Zuteilung staatlicher Unterstützungsleistungen erfordert wegen der vorherigen Erfassung keine zusätzliche Kennzeichnung. 127 Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 244, Punkt 2, 4 und 11.
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schen Armen nicht das geringste Almosen oder ein Obdach gewährt werden. Es besteht jedoch für arme Reisende mit beglaubigten Pässen oder für Arbeitssuchende, wie beispielsweise Handwerksgesellen, die Möglichkeit, ein Almosen von den jeweiligen Ortsvorstehern zu erhalten. Bezeichnenderweise soll diese Leistung gerade nur zum Weiterziehen ausreichend sein und somit verhindern, dass verbotswidrig von Haus zu Haus gebettelt wird. Von der Anerkenntnis von Armutspässen fremder Herrschaftsgebiete wie es noch die Reichspolizeiordnungen oder die Verordnung von 1533 vorsehen, kann angesichts dieses Vorgehens nicht mehr gesprochen werden. Vagabunden und fremden Bettlern ist dagegen unter der Bedingung der Ausreise aus dem Kurfürstentum alleine die Passage auf direktem Weg zu ihrem Wohn- oder Geburtsort gestattet.128 6. Gestaltwandel des Almosen: obrigkeitliche Zuteilung Die Armenordnung von 1736 erfasst anders als die Armenordnung von 1533 nicht die Versorgungsleistungen der institutionellen Fürsorge und beschränkt sich auf die obrigkeitlich kontrollierte Austeilung aus den kommunalen Armenfonds. Die Voraussetzungen für die Gewährung der Hospitalleistungen entsprechen den nun getroffenen Regelungen für die Unterstützung aus dem Armenfonds. Ein unverändertes Kennzeichen der terrrialstaatlichen Gesetzgebung im Jahr 1736 ebenso wie schon 1533 und in den 1720er Jahren ist es, dass der Bettel für alle Untertanen als Selbstversorgungsform nicht zugelassen ist und unter Strafe steht.129 Die den Armen zu gewährende Unterstützungsleistung wird freilich weiterhin als Almosen bezeichnet, welches aus Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen gereicht wird. Dass damit keineswegs mehr das Almosen zwischen Geber und Bettler gemeint ist, wird aus den weiteren Regelungen überdeutlich. Zwischen den berechtigten Empfängern und den Spendern sind obrigkeitlich bestellte Kollektoren gestellt. Begründet wird dies damit, dass nur so der Missbrauch des Almosens abgestellt werden könne. Durch das Verhindern des Gassenbettels werde Dieben, welche sich unter die Bettler mischen könnten, keine Gelegenheit mehr gegeben und mithin letztlich die „gemeine Ruhe und Ordnung“ erhalten.130 Das private Almosen wird sogar unter Geldstrafe gestellt und das Anzeigen desselben mit einem Anteil daran prämiert.131 Nur das Almosen des Spenders an den 128 Dies geht aus der Anweisung in Punkt 11 Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 245 hervor, in der der Kommandant zu Koblenz und im Tal Ehrenbreitstein sowie die Torwachen angewiesen sind, nur unter diesen Umständen die Passage zu gewähren. 129 Das Bettelverbot gilt sowohl für die als unterstützungswürdig anerkannten Einheimischen wie auch für Arbeitsfähige und Fremde, vgl. die Regelungen in Punkt 2, 6 und 11 in Blattau, Statuta IV, hier S. 244 f. An dem Befund für die einschlägigen territorialstaatlichen Gesetze ändert es nichts, dass zwischenzeitlich in den Städten selbst der Bettel eine zugelassene Versorgungsform ist. 130 Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 244, Punkt 2. 131 Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 246, Punkt 16.
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kommunalen Almosenfonds ist eine zulässige Ausübung der christlichen Nächstenliebe. War 1533 zumindest die Möglichkeit des Spenders zur privaten, freiwilligen und unkontrollierten Gabe an einen nicht bettelnden Armen nicht explizit ausgeschlossen, so verdichtet sich die bereits 1725 nachweisbare Entwicklung der Reglementierung des Spenders. Durch das Einwirken auf den Spender selbst wird der verbotene Rückgriff in Gestalt des Bettelns auf diese Form der Unterstützung weiter erschwert. Der zweiteilige Akt des Almosens, die Bitte und die Spende, ist nunmehr in seiner ursprünglichen Form vollständig durch die territorialstaatliche Gesetzgebung verboten. Die Durchführung von Kreuzprozessionen, wie sie in den 1720er Jahren unter dem Kurfürsten Franz Ludwig für Koblenz und Trier vorgesehen sind, hat keinen Eingang mehr in die Verordnung von 1736 gefunden. Obwohl die Kreuzprozession in der Spätphase des Kurfürstentums wieder Gesetzeswirklichkeit werden, ist 1736 sogar diese beschränkte Kontaktmöglichkeit des Spenders mit dem Armen nicht mehr eröffnet.132 Aus Sicht des bedürftigen Empfängers ist die Kontaktaufnahme zur eventuellen Steigerung der Gaben durch Erregung besonderen Mitleids nun verschlossen. Die Verbote des Bettels und der direkten Almosenspende haben zur Folge, dass ein persönlicher Kontakt zwischen den Beteiligten verhindert wird. Die Forderung des Kurfürsten „von deinem Guth gieb Allmosen, und kehre dein Gesicht von keinem Armen, so wird Gott sein Angesicht nicht von dir kehren“ läuft angesichts der verbotenen Kontaktaufnahme gerade in diesem Punkt ins Leere. Der ursprüngliche Charakter als Gabe und Herstellung einer Beziehung zwischen Spender und Empfänger ist damit verloren. Ungeachtet der Betonung des Grundes für das Almosengeben ist das Almosen selbst endgültig dem Zugriff und der Interpretation durch den Gesetzgeber unterworfen. Bezüglich des Leistungsempfangs durch die Berechtigten hat sich nichts verglichen mit dem Stand in den 1720er Jahren verändert. Wie zuvor erfolgt die Verteilung durch die Kollektoren. Die fortschreitende Objektivierung der Beziehung zwischen Unterstützendem und Unterstützten lässt sich auch am Verbot der Bevorzugung festmachen. So sind die Kollektoren angewiesen, keine Rücksicht auf bestehende persönliche Verbindungen oder Gefälligkeitsverhältnisse zu nehmen.133 All dies steht gleichsam gegensätzlich zum immer noch vorhandenen Rückgriff auf die Gefühlsebene des Mitleidens mit dem Nächsten. Die einzig verbliebene Nische des persönlichen Kontakts des Gebers mit dem Bedürftigen bietet die Versorgung der Hausarmen und Kranken. Allein diese Eigeninitiative erklärt die Verordnung für zulässig, sofern sie „in der Stille in ihre Wohnungen [der Armen] zugeschickt“ wird.134
132 Ob die Kreuzprozessionen trotz der fehlenden Aufnahme in die Verordnung weiterhin durchgeführt wurden, wovon Huberti alleine aufgrund des Umstands der späteren Wiedereinführung im Jahr 1768 ausgeht, ist angesichts der bestehenden Lücke in der Armenordnung von 1736 nicht zwingend der Fall. Vgl. Huberti (1935), S. 40. 133 Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 244 Punkt 2. 134 Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 246 Punkt 18.
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7. Umfang der Zuteilungen und präventive Maßnahmen Was die Armen als Unterstützungsleistung erhalten, wird in der Verordnung mehrfach deutlich gemacht. Die Rede ist in diesem Zusammenhang von „Allmoßen und ohnentbehrliche Lebens=Mittelen“, „Nothdürfftige Lebens-Mittelen“ und von „mit denen Allmoßen nothdürfftig nicht beygesprungen“.135 Damit sind die Unterstützungsleistungen wie bisher nur auf das unmittelbar zum physischen Überleben Ausreichende beschränkt. Dass man dies für ausreichend hält, beweist die Aufforderung, „es solle ein jeder darmit sich begnügen lassen, was ihme von seines Orts Obrigkeit oder Vorsteheren in seinem Heimath gereichet wird“.136 Die Regelung präventiver Maßnahmen selbst rudimentärster Natur, die sich in der Verordnung von 1533 noch aufspüren lassen, lässt sich für die vorliegende Verordnung nicht feststellen. Weder die aus dem Jahr 1533 bekannte Erleichterung der Familiengründung noch die Förderung einer Schul- oder Handwerksausbildung sind Gegenstand der Regelungen. Teilweise wird diese Lücke aufgefangen durch die Möglichkeiten der Erziehung in den Waisenhäusern.137 8. Finanzierung der Unterstützungsleistungen a) Rückgriff auf die christliche Nächstenliebe Das Spannungsfeld, das zwischen dem Rückgriff auf die christlich geprägte Hilfsbereitschaft und dem Bedürfnis entsteht, durch Normierung Armenfürsorge planbar und steuerbar zu machen, wird bei der Frage nach der Finanzierung der Unterstützung eminent. Dabei greift der Kurfürst Franz Georg von Schönborn auf das bereits von seinem Vorgänger eingeführte Modell eines auf kommunaler Ebene bestehenden Armenfundus zurück. Die Einrichtung von Almosenstöcken in den Pfarrgemeinden, welche die Verordnung von 1533 vorsieht, findet im Rahmen der Neuorganisation des 18. Jahrhunderts eine Fortsetzung – wenn auch mit einem verändertem Schwerpunkt. Die Einführung einer direkten Landessteuer durch Beschluss der Landstände ist für den ganzen Untersuchungszeitraum nicht feststellbar. Die hierzu notwendige Zustimmung erscheint angesichts der ohnehin schwierigen Durchsetzung des bestehenden Steueraufkommens als nicht realisierbares Mittel, ein Phänomen, welches nicht alleine auf die geistlichen Kurfürstentümer beschränkt ist. Die von der Jurisprudenz bereits im 17. Jahrhundert diskutierte und letztlich bejahte
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Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 245 Punkt 7, 9, 13. Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 245 Punkt 10. 137 Huberti (1935), S. 33 f. In Bezug auf die Schul- und Handwerksausbildung sind allerdings die bestehenden Stiftungen zu beachten. Zudem ist die nachfolgend behandelte Anweisung zur kostenlosen Annahme als Lehrling bei den Zünften für das Waisenhaus Koblenz zu beachten, vgl. die Verordnung vom 29. 10. 1736 in Scotti, Trier II, S. 1001 f. (Nr. 459). Vgl. hierzu auch Marx (1859), I/2, S. 306 f. 136
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Möglichkeit einer Almosensteuer hat keine Umsetzung in die Gesetzeswirklichkeit erfahren.138 Als einzig zur Verfügung stehende Finanzierungsgrundlage des Armenfundus verbleibt damit lediglich die mehrfach wiederholte Pflicht des Christen „aus Lieb zu Gott und seinem Bedürfftigen Nächsten nach Vermögen“ Almosen zu spenden.139 Diese sind alleine an die kurfürstlichen Kollektoren zu erbringen, woraufhin aus dem Armenfundus die Verteilung an die Bedürftigen erfolgt. Die Einrichtung des Armenfundus bezieht sich auf das erkennbar als Präzedenzfall angeführte Vorgehen in Koblenz. Ausgehend von einem freiwilligen Beitrag der „in Unserer Stadt Coblentz wohnende Noblesse, sonderen auch Clerus, wie imgleichen Unsere Rähte, Bedienten und Bürgerschafft“ schließt der Kurfürst auf eine jährliche Wiederholung dieser Zahlungen. Die Motivation seitens der Untertanen zur jährlichen Erneuerung der Spende sieht der Kurfürst in der „Erlangung Göttlichen Seegens und Wohlstands“.140 Weiterhin sollen Listen angelegt werden, in denen die Spender und die Höhe der Spenden aufgezeichnet werden. Begründet wird dies mit der besseren Planbarkeit der Ausgaben. Die eigentlichen Adressaten der Finanzierungsaufforderung sind nochmals klar benannt: alle geistlichen und weltlichen Stellen. Hierunter fallen sowohl die Stifte und Klöster als auch die Zünfte. Wie schon die in den vergangenen Jahren vorgenommenen Erfassung der freiwilligen Beiträge zeigt, sind die von der Bürgerschaft eingebrachten Mittel wesentlich geringer als die – wenn auch dem Zugriff des Kurfürsten verweigerten – Möglichkeiten der Klöster. Der Kurfürst behält sich denn auch vor, die Listen dahingehend zu überprüfen, ob und wie der einzelne seine Liebe zu Gott und den Mitmenschen sowie den Willen zur Erhaltung der guten Ordnung im gemeinen Wesen beweist.141 Durch das Prüfungsund Kontrollrecht erhalten die einmal bewilligten Spenden einen Bindungscharakter infolge einer Selbstverpflichtung. Dass hier sogar noch mehr dahinter steht, wird offenbar, wenn man die Ausführungen unter Punkt 8 betrachtet. Dort werden alle Bürger aufgefordert werden, einen ihrem Vermögen entsprechenden Beitrag zu leisten. Entgegen den bisherigen auf die Nächstenliebe und damit die Schuldigkeit gegenüber Gott bezogenen Formulierungen stehen hier die finanziellen Möglichkeiten des Einzelnen im Vordergrund und nicht der Umfang seiner Großherzigkeit. Zwar bemisst 138 Zur Steuererhebung in Trier vgl. Haxel (1930), S. 60 ff., 79 ff.; Laufner (1968), S. 302 ff.; Marx (1859), I/2, S. 204 ff. Die fehlende Einführung einer direkten Almosensteuer ist kein Einzelfall, wie die Schwierigkeiten im Kurfürstentum Bayern belegen. Selbst bei der indirekten Besteuerung durch die „quarta pauperum“ bei Testamenten ist der Erfolg fraglich. Die Einführung einer direkten Armensteuer erfolgt erst 1805, als Kurtrier als Staat nicht mehr existiert, vgl. Hauser (1986), S. 83 ff., 100 ff. Dies gilt auch für protestantische Territorien, wie der Blick auf die Hessen zeigt, vgl. Scherner (1979), S. 87. 139 Diese und andere ähnliche Formulierungen finden sich in Punkt 1, 2, 3 der Armenordnung, vgl. Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 243 f. 140 Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 244 Punkt 3. 141 Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 244, Punkt 3; hier wird wieder die Überwachung christlicher Pflichten durch den Landesherren bestätigt, welche schon in Punkt 1 angelegt ist.
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sich auch nach der Kirchenlehre, insbesondere nach Thomas von Aquin, die Höhe des zu spendenden Almosens entsprechend den wirtschaftlichen Verhältnissen des einzelnen. Durch die territorialstaatlichen Kontrollmechanismen gewinnt dieser Aspekt eine grundsätzlich gewandelte Bedeutung. Die Nichtvornahme des „billigen Beytrag[s]“ soll an die Obrigkeit gemeldet werden, welche dann je nach Erforderlichkeit die notwendigen, nach der Art offen gehaltenen Maßnahmen zu ergreifen hat.142 Der Gedanke einer Sanktionierung fehlender oder unzureichender Almosenspende ist, wie bereits aufgezeigt, auch den Vorstellungen der mittelalterlichen Theologen nicht ganz fremd. Allerdings ist hier anders als im Mittelalter nicht mehr die Kirche zuständig, sondern der Kurfürst reagiert durch seine weltlichen Beamten auf dieses Verhalten. Der Wechsel der Kompetenzen zur Kontrolle des Almosens ist unverkennbar. Die Aufhebung des Gegensatzes zwischen einer steuerbaren und letztlich auf regelmäßigen Einnahmen durch eine Armensteuer basierenden Armenfürsorge und der herkömmlichen Carität, deren Grenzen sich durch die Wechselhaftigkeit des freiwilligen Almosen ergeben, ist letztlich nicht gelungen. Der Versuch, auf dem Umweg der Überprüfung freiwilliger Beiträge und damit einer auf eine faktischen Selbstverpflichtung hinauslaufenden Leistung zu einer Finanzierung der Armenpflege zu gelangen, ohne offen mit den bisherigen Vorstellungen zu brechen, ist indes kein spezifisch katholisches Phänomen.143 b) Grenzen des Finanzierungssystems Anders als in der Verordnung von 1533 finden sich Regelungen für den Fall, dass eine Versorgung wegen Überforderung der auf kommunaler Ebene zur Verfügung stehenden Mittel nicht möglich sein sollte.144 Als mögliche Ursachen für die Überlastung der einzelnen Kommune wird nicht das mangelhafte oder nicht durchsetzbare Finanzierungsmodell gesehen, sondern das Problem wird auf die zu große Menge der lokalen Armen zurückgeführt. Der Ausweg über die Erteilung von Bettelscheinen für andere Ämter, wie sie das Kurfürstentum Köln zur gleichen Zeit noch kennt, wird indes ausgeschlossen. Stattdessen ist es Aufgabe der jeweiligen Beamten, die erforderlichen Mittel durch den finanziellen Ausgleich im Amt zwischen den wohlhabenderen Orten oder Kirchspielen durchzuführen. Die Koordination soll durch die kurfürstlichen Beamten nach Beratung mit den Ortsvorstehern erfolgen. Die Situation, dass die in den vorhandenen Formen überhaupt mögliche finanzielle Leistungsfähigkeit im gesamten Erzstift unzureichend sein könnte, ist bezeichnenderweise nicht erfasst.
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Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 245, Punkt 8. Vgl. hierzu Scherner (1979), S. 87; mit Verweis auf die brandenburgische Verordnung von 1708, in der die Freiwilligkeit des durch die Priester anzumahnenden Beitrags betont wird, bei Zuwiderhandlung allerdings eine Sanktion seitens der Administration vorgesehen wird. 144 Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 245 f. Punkt 9, 13. 143
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Zudem weist aus Sicht des auf Unterstützungsleistung Angewiesenen ein Versorgungsengpass auf kommunaler Ebene zwei auf den ersten Blick nicht vollständig stimmige Handlungsanweisungen auf. In Punkt 10 sind alle Einheimischen angewiesen, sich mit dem ihnen Zugewiesenen zufrieden zu geben und das Betteln in anderen Ämtern zu unterlassen. Dagegen sieht Punkt 13 für den Fall, dass „wider alles Verhoffen in ihren Wohnstädten und Orthen auf diese gemachte Veranstaltung mit denen Allmoßen nothdürfftig nicht beygesprungen werden“ kann, die Möglichkeit der Anzeige des Missstands an den zuständigen Beamten vor, der zur unverzüglichen Abhilfe verpflichtet ist.145 Um dieser Verpflichtung Durchsetzungskraft zu verschaffen, steht die Nichtbefolgung der Anweisung unter Strafandrohung mit „exemplarischer Strafe“ oder mit dem Entzug des Amtes. Für den arbeitsunfähigen Bedürftigen bedeutet dies im Falle unzureichender Unterstützung den normativen Ausschluss jeder Möglichkeit, durch eigene Initiative, also durch Betteln, der unmittelbaren Notsituation zu entgehen. Im Gegenteil ist er auf die Reaktion der Obrigkeit angewiesen, die er zwar aktivieren, aber nicht steuern kann.146 9. Aufgabenverteilung und Fürsorgeorganisation Die Aufgabenverteilung innerhalb der Fürsorgeorganisation weist die bisherigen Charakteristika auf. Die Fürsorge ist auf kommunaler Ebene bei den Ortsobrigkeiten zentralisiert, während den Funktionsträgern der Territorialgewalt Weisungs- und Aufsichtsbefugnisse zukommen. Eindeutig und durch Praxis und Theorie gefestigt liegt die Gesetzgebungskompetenz bei der Territorialgewalt.147 a) Kommunale und territorialstaatliche Ebene Die Kommune ist als unterste Ebene in der Fürsorgeorganisation für die Versorgung der Bedürftigen zuständig. Als Unterstützungswohnsitz wird die Heimatoder Wohngemeinde bestimmt.148 Zu ihrer Aufgabe gehören darüber hinaus die Durchführung der Visitationen zur Ergreifung fremder Bettler und die Überwachung des Bettelverbots. Damit verbunden ist die Verpflichtung zur Übernahme der hierdurch entstehenden Kosten. Den Bettelvögten, Spießträgern und sonstigen Bediens145
Die Anzeige zur „Remediirung“ soll an die Ortsobrigkeit, Vorstehern oder Beamten erfolgen. Vgl. Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 245 f. Punkt 13. 146 Der von Schepers so genannte Unterstützungsanspruch des einheimischen Bedürftigen gegenüber seiner Gemeinde, der auf der Ausübung seines Supplikationsrechts beruht, entspricht nicht der Rechtsnatur der Supplikation. Dieser fehlgehende Ausdruck findet sich bei Schepers (2000), S. 22, 39. Vgl. Hülle, Art. Supplikation, in: HRG V, S. 91. 147 Die Rechtstheorie weist dem Fürsten ausschließlich die Gesetzgebungskompetenz zu, wie der Blick auf das Werk „de mendicantibus validis“ von Ahasver Fritsch belegt, vgl. Vierter Teil, B., I. 148 Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 245 Nr. 7. Als Umkehrschluss folgt dies auch aus Punkt 12.
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teten der Gemeinden oder Städte obliegt neben der Androhung auch der Vollzug der repressiven Maßnahmen. Die Befugnisse reichen von dem Recht zur Festnahme und bis zur Ausweisung. Für die Residenzstadt Koblenz ist zusätzlich die Mitwirkung der kurfürstlichen Militärkommandanten angeordnet. Diese haben durch entsprechende Anweisungen dafür Sorge zu tragen, dass die Torwachen Vagabunden oder Bettler nicht einlassen bzw. diese Personen nur in dem vorgesehenen Rahmen Passierrecht gewährt bekommen. Sichtlich im Bemühen um eine Steigerung der Effektivität steht die Einführung einer Verpflichtung der Bürger zur Unterstützung der Festnahme von Bettlern als Unterstützung der Bettelvögte.149 Zuständig für die Durchsetzung der an sich freiwilligen Beiträge zum Armenfundus sind wiederum die Ortsobrigkeiten und die Beamten, vertreten durch die örtlichen Kollektoren. Letzteren obliegt zudem die Verteilung der Unterstützungsleistungen. Bei mangelndem Erfolg der Sammlungen ist damit die direkt von den Kosten betroffene Stelle zunächst auf sich selbst gestellt. Die Kollektoren sind zwar durch die Formulierung „dann deßfals die Nothdurfft ohne Anstand und das Allmoßen=Wesen der Erfordernis nach, auf die best=thunliche Art zu regulieren hätten“ zu entsprechenden Maßnahmen ermächtigt.150 Indes bleibt unklar, welche Maßnahmen damit gemeint sind. Diese bewusste offene Rechtsfolge ist nicht nur eine in Trier anzutreffende Erscheinung, sondern ist auch protestantischen Armenordnungen zueigen.151 Der kurfürstliche Prüfungsvorbehalt der Listen ist in dieser Hinsicht nur sekundär als geeignetes Mittel zur Durchsetzung der Beiträge zu sehen. Eine Selbstverpflichtung des Kurfürsten zur Abstellung der potentiellen finanziellen Probleme durch direkte Maßnahmen ist nicht normativ verankert. Den Städten und Kommunen bleibt es zunächst selbst überlassen, eine momentane finanzielle Überforderung eines Ortes etwa im Wege einer Kooperation auszugleichen. Der finanzielle Ausgleich soll innerhalb des jeweiligen Amtsbezirks zwischen den Kommunen stattfinden. Die zuständigen kurfürstlichen Beamten veranlassen nach einer entsprechenden Beratung mit den Ortsvorstehern die erforderlichen Maßnahmen. Die Schlussfolgerung aus dieser Anordnung ist die Verpflichtung der Ortsobrigkeiten finanzielle Engpässe anzuzeigen und bei der Beseitigung entsprechend mitzuwirken. Hier tritt die Territorialgewalt als Aufsichtsinstanz in Erscheinung, die auf fehlende Abhilfe mit dem Entzug des Amtes oder anderen Sanktionen reagieren kann.152 Den Kommunen obliegt nicht nur die Unterstützung der Bedürftigen. Sie sind darüber hinaus auch verpflichtet, 149 Die Pflicht zur Mithilfe beinhaltet auch, den festgenommenen Bettlers im eigenen Haus einzusperren, bis Unterstützung eingetroffen ist. Die Mithilfepflicht sowie eine Denunziationspflicht sind auch aus dem Kurfürstentum Mainz bekannt. Zur Mithilfeverpflichtung vgl. nur Punkt VI der Verordnung vom 12. 8. 1721 in StAMz, LVO; Rösch (1929), Anhang, S. 19 – 22. Zur Denunziationspflicht vgl. Landwehr (2000a), S. 27 ff. 150 Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 245 Punkt 8. 151 Vgl. Scherner (1979), S. 88; mit Hinweis auf § 4 der Mecklenburgischen Verordnung von 1798. 152 Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 245 f. Punkt 13. Dort ist die Verletzung dieser Pflichten durch die Ortsobrigkeiten mit Amtsentzug und Strafe bedroht.
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die arbeitsfähigen Personen zur Arbeit anzuhalten. Hierzu sind entsprechende Fristen zu setzen, die bei Verstreichen zu Sanktionen führen. b) Weltliche und kirchliche Sphäre Das Zusammenwirken zwischen weltlichen und kirchlichen Amtsträgern bei der Vergabe von Unterstützungsleistungen erscheint im Vergleich zur Hospitalsreform 1729 reduziert. Ist nach der Reform von 1729 die Zustimmung des Pastors zur Aufnahme ins Hospital zwingende Voraussetzung, so findet sich in der vergleichbaren Regelung für die Armenliste keine Entsprechung. Auch mit Blick auf die Armenordnung von 1533 zeigt sich hier ein Unterschied. Anders als 1533 fehlt es an einer ausdrücklichen Einbeziehung der Pastoren bei der Verwaltung des kommunalen Armenfundus. Lediglich für den Nachweis der christlichen Lehre bei Jugendlichen stellt die Mitwirkung des Pfarrers eine Bedingung für die Gewährung von Unterstützungsleistungen dar. Stärker betont ist demgegenüber die Aufgabe der Pastoren und Seelsorger, für die Aktivierung der Spendenbereitschaft zu sorgen, also in ihrem originären Tätigkeitsfeld die weltliche Steuerung der Versorgung zu fördern. Der Schwerpunkt der Tätigkeit der kirchlichen Funktionsträger liegt folglich im emotionalen Bereich, der als Unterstützung zur Sicherung der finanziellen Mittel dient. Der Eindruck entsteht, dass es insofern zu einem funktionalisierten Einsatz der Weisungsbefugnis des geistlichen Kurfürsten gekommen ist. Hierfür spricht auch die Wiederholung der diesbezüglichen Anweisung vom 20. 10. 1736.153 10. Straf- und Sanktionsregelungen Die Strafandrohungen folgen den Entscheidungskriterien für die Unterstützungswürdigkeit, also der Unterscheidung in fremde, arbeitsfähige und arbeitsunfähige. Die bei den Visitationen angetroffenen fremden Bettler oder Vagabunden sind generell aus dem Erzstift und an ihre Geburtsorte zu verweisen.154 Ungeachtet der territorialen Zugehörigkeit oder dem Vorliegen von Unterstützungswürdigkeit sind beim Betteln angetroffene Personen von den Bettelvögten aufzugreifen und festzunehmen. Hier unterscheidet sich jedoch die weitere Behandlung. Für die nicht aus Kurtrier stammenden Personen verbleibt es bei der Ausweisung. Wenngleich die Verordnung selbst nicht auf die übliche Strafentrias zu sprechen kommt, zeigt der Blick auf die frühere und die sich anschließende Gesetzgebung in Bezug auf repressive Maßnahmen gegen Umherziehende, dass neben der Ausweisung dieselben Regelungen weiterhin Gültigkeit besitzen.
153 Anweisung vom 20. 10. 1736 in Scotti, Trier II, S. 997 (Anm.). Dort wird den Pastoren aufgetragen, die Verordnung von der Kanzel zu verlesen, Sinn und Zweck darzustellen und zur Befolgung aufzurufen. Die Prediger sind damit Vermittler und Mittel der Internalisierung der Norm. 154 Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 244 Punkt 4.
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Die als unterstützungswürdig anerkannten Personen sind nach der Festnahme wegen Bettelns durch den Bettelvogt zwar wieder freizulassen. Die Sanktion für das erste verbotswidrige Verhalten besteht nach Mitteilung des Vergehens an die Kollektoren im Ausschluss von der nächsten Austeilung. Bei Wiederholung wird die Dauer des Ausschlusses verdoppelt und beim dritten Verstoß gegen das Bettelverbot ist der Betreffende von der Liste auszuschließen. Darüber hinaus gilt dies für Eltern, deren Kinder zum Betteln geschickt werden. Die Mitverantwortlichkeit für das Handeln der Angehörigen ist ein deutliches Zeichen für das Bemühen, eine Umgehung des Bettelverbots zu verhindern. Der Verlust der Unterstützungswürdigkeit ist in seiner Konsequenz ebenfalls Ausdruck für die auf normativer Ebene bestehende Entschlossenheit, den Bettel endgültig zu beseitigen. a) Strafbarkeit des privaten Almosengebens Dem entspricht es, dass das private Almosengeben in den „Gassen oder [an] Hauß= und Kirchen=Thüren gegen alle bessere Zuversicht [sic!]“ unter Strafe von zwei Goldgulden oder bei finanziellem Unvermögen sogar unter Leibesstrafe gestellt ist. Hier vollendet sich letztlich der mit der Beschränkung des Bettelns begonnene und durch Verbot und Bestrafung fortgesetzte Prozess mit dem Zugriff auf den Almosenspender. Offensichtlich zur Steigerung der Effektivität des Verbotes dient die Prämierung der Anzeige durch ein Viertel des zu zahlenden Strafgeldes.155 Die bereits unter Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg eingeführten Verbote in den 1720er Jahren sind demnach ausführlicher und umfassender fortgesetzt worden. b) Arbeitsstrafe für starke Bettler Die Verordnung sieht in Punkt 6 die Bestrafung von starken und gesunden Bettlern vor, die sich nach der Aufforderung zur Arbeitsergreifung und dem Verstreichen der hierfür gesetzten Frist, „aus eigenem Muthwillen oder Faullheit sich darzu nicht bequemen wollen“. Diese sind daraufhin zur Arbeit im Steinbruch oder anderen öffentlichen Arbeiten zuzuweisen oder auch aus dem Land zu verweisen. Gerade der letztere Punkt hat nicht nur den Landesverweis zur Folge, sondern bedeutet auch den Verlust der Zugehörigkeit zum einzig in Frage kommenden Unterstützungsterritorium. Angesichts der in den anderen Territorien drohenden Sanktionen gegen fremde Umherziehende zieht dieser Verlust des Unterstützungswohnsitzes zudem die für Vagabunden geltende Strafentrias nach sich.156 Die Bestrafung zur Arbeit im Steinbruch oder anderen öffentlichen Arbeiten entspricht dem Vorgehen in Kurköln. Anders 155
Vgl. zur Denunziation Landwehr (2000a), S. 27. Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 244 f.; bzgl. der Verweisung an den Geburtsort Punkt 9 und 10; Führen der Listen Punkt 5; Arbeitszwang Punkt 6; Kategorien der Berechtigten Punkt 7, wobei sich die Kategorien nach den bereits im 16. Jahrhundert üblichen Kriterien richten. Vgl. zur Strafart des Landesverweises SchnabelSchüle (1995); Segall (1914), S. 131 f. 156
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als dort kommt es jedoch nicht zur Einrichtung eines Stock- und Zuchthauses, welches fast zeitgleich mit der Armenordnung in Kurtrier entsteht. 11. Ausnahmen a) Klöster und Mendikantenorden Die bisherige Entwicklung im 18. Jahrhundert, insbesondere die der letzten zehn Jahre vor Erlass der Verordnung, zeigt, dass Sondertatbestände eingeschränkt oder aufgehoben werden, unabhängig davon, ob sie religiösen Überzeugungen oder sonstigen Traditionen geschuldet waren. Dass sich der Kurfürst letztlich dennoch noch nicht ganz von hergebrachten Vorstellungen lösen kann, wird nicht zuletzt in den Ausnahmen vom Anwendungsbereich der Norm für Klöster und Mendikantenorden ersichtlich.157 Dies geschieht sogar wesentlich detaillierter als noch 1533, ohne sich jedoch im Inhalt zu unterscheiden. Ausdrücklich fällt das gewöhnliche Terminieren der Bettelorden nicht in den Anwendungsbereich der Norm. Die Ausnahme für die mittäglichen Essenspenden der Klöster verdient besondere Beachtung. Anders als beim Terminieren handelt es sich nicht um die Anerkennung von Bettel im Rahmen religiöser Betätigung. Vielmehr ist durch die mangelnde Bindung an die Versorgungsvorgaben der kurfürstlichen Ordnung den Klöstern die Möglichkeit eröffnet, eigene Unterstützungsvorstellungen zu realisieren. Anders ausgedrückt, was für den Bürger bei Strafe untersagt ist, ist den Klöstern nicht ausdrücklich verboten. Für die Klöster besteht insofern anders als für die Hospitäler, die den kurfürstlichen Reformverordnungen unterliegen, ein Freiraum, der nicht durch das Kriterium der Fremdheit begrenzt ist. Dass dieser Rahmen genutzt wird, lässt sich aufgrund erster Untersuchungen zu dieser Praxis annehmen.158 b) Hausarme Weiterhin ist hinzuweisen auf die bereits erwähnte Ausnahme bzgl. der Verpflichtung, Almosenspenden nur an die Kollektoren zu geben, bzw. hinsichtlich des Verbots der privaten Almosenspende. Die Auflage, dass diese Unterstützung „in der Stille in ihre Wohnungen zugeschickt, oder von selbigen abgenommen wird“, weist auf den Grund dieser Ausnahme hin. Nur ein solches Verhalten wird als ordnungsgemäß angesehen und damit als nicht potentiell ursächlich für das Aufkommen von „die gemeine Ruhe stöhrender höchstschädlicher Unordnung [durch] allerley auf den Straßen herumstreiffender Bettel= und Diebs=Gesindlein“.159 Die Zulässigkeit dieser Spende gründet in der mangelnden Gefahrenverursachung. Die sich einst öffentlich vollziehende Nächstenliebe hat nur im Stillen und Häuslichen einen persönlichen Kontakt. 157
Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 246, Punkt 18. Vgl. die zuvor unter Fünfter Teil, A., II. 3. festgestellten Ergebnisse sowie Schmidt (2004), S. 95; Schmidt/Wagner (2004), S. 497 ff. 159 Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 246 Punkt 18. 158
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12. Resümee In der Gesamtschau offenbart die Ordnung von 1736 die Schwierigkeiten des Territorialherrn in mehrfacher Hinsicht. Dies drückt sich nicht zuletzt in der Schlussformel aus.160 Fest steht, dass Gesetzgebungskompetenz zur Organisation und Kontrolle der Fürsorge von der weltlichen Territorialgewalt beansprucht und ausgeübt wird. Das Streben nach einer regelmäßigen Finanzierung als Grundlage einer steuerbaren Fürsorge ist unverkennbar. Die Herstellung „guter Ordnung“, der Verhinderung von Straftaten und des Müßiggangs gewinnt im Vergleich zu christlichen Motiven als Veranlassung zum Tätigwerden zunehmend an Bedeutung. Jedoch bleibt das geistliche Kurfürstentum, wie andere protestantische oder katholische Territorien auch, bei der Suche nach finanziellen Grundlagen auf die Aktivierung der christlichen Nächstenliebe der Untertanen mangels eigener steuerrechtlicher Möglichkeiten begrenzt. Hieraus ergibt sich das Dilemma, auf der einen Seite den Akt des Almosengebens regulieren zu müssen und auf der anderen Seite beim potentiellen Spender die religiöse Verpflichtung zum Geben zu bewahren. Die Regelungen lassen den Schluss zu, dass ungeachtet der Betonung des Grundes für das Almosengeben, das Almosen selbst vollständig dem Zugriff und der Steuerung durch die Obrigkeit unterworfen ist. Es hat so seinen ursprünglichen Charakter als Gabe und Herstellung einer Beziehung zwischen Spender und Empfänger verloren. Hierin ist eine markante Zäsur zu sehen, die in der kommenden Entwicklung weitere Brüche nach sich ziehen wird. Gleichwohl ergeben sich aus den ursprünglichen Grundlagen des Almosens letztlich nicht auflösbare Hindernisse. Eine mit Zwang verbundene Durchsetzung des Almosengebotes ist nur in Ansätzen erreicht. Die von der Rechtswissenschaft vorbereitete Einführung einer Almosensteuer erfolgt – wie in anderen Reichsgebieten auch – eben nicht. Zudem bewahren sich die Klöster Freiräume für die Austeilung von Almosen unabhängig von den kurfürstlichen Gesetzen. So weist der Appell des Kurfürsten, dass die Gabe an die umherziehenden Bettler „gegen Gottes Gebott und die natürliche Billigkeit“ sei, angesichts dieser Ausnahmeregelung Widersprüchlichkeiten in sich auf.
VI. Fortgang der Reform unter Franz Georg von Schönborn Die weitere Entwicklung der Gesetzgebung im 18. Jahrhundert zeigt allerdings, dass sich die bislang nachzuweisende Ablösung von den ursprünglichen Positionen 160 Dort appelliert der Kurfürst erneut doppelgleisig an die Vernunft ebenso wie an die Nächstenliebe: „ab welchem allem dann jeder nach der gesunder Vernunfft, und eines Ruhe liebenden Gemüths selbst eigenem Begriff finden und erkennen wird, besser zu seyn, die Allmoßen in guter Ordnung dem Vatterlands nothdürfftigem Bettler, als in einer die gemeine Ruhe stöhrender höchstschädlicher Unordnung allerley auf den Straßen herumstreiffenden Bettel- und Diebs-Gesindlein zu reichen, sich darmit den Räuber vor der Thür aufziehen, und dem rechten Lands-Bedürfftigen die Lebens-Nothdurfft gegen Gottes Gebott und die natürliche Billigkeit entziehen und hinwegrauben zu lassen“; vgl. Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 246 Punkt 18.
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weiter fortsetzt, bis hin zur Umkehr der ursprünglichen Bedeutung in das Gegenteil. In der Regierungszeit des Kurfürsten Franz Georg von Schönborn ergehen keine weiteren umfassend angelegten Verordnungen. Dass die Verordnung in der Stadt Trier, die während des Erlasses noch französisch besetzt war, ebenfalls Wirkung entfaltet, zeigen die Verordnungen vom 18. 4. 1741 und vom 18. 6. 1754. Dort werden einzelne Regelungen aufgegriffen, insbesondere das Almosenverbot.161 Nachweisbar sind darüber hinaus Normen, die verschiedene Aspekte intensivierend umsetzen, und solche, welche als flankierende Maßnahmen wirken. 1. Schaffung von Ausbildungsplätzen für Waisenkinder Nur wenige Tage nach Erlass der Armenordnung kommt es am 29. 10. 1736 zu einer Anweisung an die Zünfte der Residenzstadt Koblenz.162 Zugunsten des von seinem Vorgänger eingerichteten Koblenzer Waisenhauses ergeht die Anweisung an die Zünfte, die aus dem Waisenhaus stammenden Lehrlinge kostenlos freizusprechen.163 Diese den Handwerksmeistern zugewiesenen Lehrlinge stellen aus Sicht der Meister einen belastenden Kostenfaktor dar. Als Ausgleich für die entfallende Lehrgebühr wird den Handwerksmeistern eine Verlängerung der Dienstzeit in Aussicht gestellt. Hinzu kommt der Wegfall der Bekleidungskosten, welche das Waisenhaus übernimmt. Darüber hinaus wird zugesichert, dass die Möglichkeit zur Einstellung weiterer Lehrlinge fortbesteht und die Einquartierung eines Lehrlings genauso angerechnet wird, wie ein Mann in Friedenszeiten – ein Privileg, wie es typischerweise Hospitälern zukommt.164 Diese Verordnung stellt damit einer der seltenen Fälle dar, in der die territoriale Gesetzgebung direkte präventive Anordnungen zur Verhinderung von Armutssituationen trifft. Erstmals wird damit eine in der Armenordnung von 1736 diesbezüglich vorhandene Lücke geschlossen. Im Vergleich der rudimentären Zuweisungsanordnung in der Armenordnung von 1533 geschieht dies mit dem Unterschied, dass die hier getroffenen Regelungen wesentlich konkreter sind. Inwiefern die Verordnung Erfolg hatte, lässt sich schwer beurteilen. Ein Indiz für die existierenden Widerstände und Schwierigkeiten ist der Befehl vom 3. 3. 1737.165 Darin werden die am 29. 10. 1736 getroffenen Anordnungen erneut den Zünften zur Kenntnis gebracht, was auf deren zurückhaltende Umsetzung schließen lässt. Zur Absicherung der Umsetzung wird von kurfürstlicher Seite sogar in die Zunftfreiheit eingegriffen: Den Zünften wird die Integration der obigen Bestimmungen in ihre Zunftordnungen vor161
Vgl. Huberti (1935), S. 52. Verordnung vom 29. 10. 1736 in Scotti, Trier II, S. 1001 f. (Nr. 459). Vgl. hierzu auch Marx (1859), I/2, 306 f. 163 Das Freisprechen ist der Wechsel aus dem Lehrlingsverhältnis in das Gesellenverhältnis, vgl. Art. Lehrling/Geselle, in: LexMA V. Hier ergibt sich die Besonderheit, dass sich an das Ende der Lehrlingszeit eine unbezahlte Zeit des Nachdienens als Lohnknabe anschließt vor der Gesellenzeit. 164 Vgl. Begon (2002), S. 201. 165 Befehl vom 3. 3. 1737 in Scotti, Trier II, S. 1001 f. (Anm.). 162
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geschrieben. Als Sanktion wird den zuwiderhandelnden Handwerkern der Verlust der Zunftprivilegien und andere willkürliche Strafen angedroht.166 Dass der Kurfürst sich zu solch schwerwiegenden Drohungen veranlasst sieht, spricht für die Entschlossenheit, hier Abhilfe zu schaffen. Unabhängig von den Ergebnissen betreffen diese präventiven Maßnahmen nur einen Teil aller zur Arbeit angewiesenen und verpflichteten Personen. Für andere junge, arbeitsfähige und vornehmlich männliche Personen, die statt einer Unterstützung auf die Selbstversorgung durch Arbeitstätigkeit verwiesen werden, verbleibt es alleine bei Drohung mit Arbeitsstrafen. Die Schaffung von Unterhalt sichernden Arbeitsplätzen durch ein Arbeitshaus ist kein unter Franz Georg von Schönborn genutztes Instrument territorialstaatlicher Gesetzgebung. 2. Einschränkung religiöser Sondertatbestände a) Almosenverteilungen bei Begräbnissen Die am 28. 6. 1737 erlassene Trauer- und Begräbnisordnung führt den in der Armenordnung von 1736 angelegten Deutungswandel der Almosenspende weiter fort.167 Deren Absatz 23 verbietet die letztwillige Anordnung von Speisungen mit Brot und Wein anlässlich des Sterbefalles. Diese insbesondere bei den Zünften und der Geistlichkeit vorgenommenen Spenden werden als „aergerlicher Missbrauch“, als fälschlicherweise angenommene „Schuldigkeit“ und schließlich als „kostspieligen niemand nutzenden Uberfluß“ bezeichnet. Diese Austeilungen sieht der Gesetzgeber offensichtlich als nicht übereinstimmend mit dem Almosenspendeverbot der Armenordnung von 1736. Die dennoch vorgenommenen letztwilligen Verfügungen erfahren durch die Verordnung des Erzbischofs und Kurfürsten eine Änderung ihrer Bestimmung. Die für die Armen gewidmeten Mittel sind den zuständigen Stellen zuzuwenden und durch diese entsprechend der Normvorgaben zu verteilen. Die Armen sind zudem daran zu erinnern, dass eine Fürbittepflicht gegenüber dem Verstorbenen besteht. Gerade an dem letzten Punkt wird wiederum die Zwiespältigkeit der Gesetzgebung offenbar. Einerseits bemüht man sich, tradierte religiös motivierte Verhaltensweisen den Territorialgesetzen anzupassen. Andererseits ist gerade der Appell an die Pflicht zur Fürbitte eine unverkennbare Kontinuität tradierter Glaubenslehren. In eine ähnliche Richtung zielt die Regelung unter Absatz 24. Dort wird das Verteilen von Almosen an den Sterbehäusern verboten. Dahinter steht wie im vorangegangenen Absatz die Befürchtung, dass hierdurch Bettler angelockt werden und „Bet166 Dass zumindest teilweise eine andere örtliche Praxis fortbesteht, zeigt das Beispiel des Ortes Merzig. Dort zahlt das Elisabeth-Hospital für bedürftige Lehrjungen das Lehrgeld an die Merziger Handwerksmeister, vgl. Glandien (2003), S. 19. 167 Trauerordnung vom 28. 6. 1737 in LHAKo, 1C/1115 (Druck: 1752) und 1219 (Kopie), S. 14 ff.; Scotti, Trier II, S. 1006 f. (Nr. 467). Einschlägig sind die Absätze 23 ff.
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tel=unordnung“ entsteht. Auch hier wird die Spende umgewidmet: Die Gaben sind in aller Stille durch die Trauernden oder den Pfarrer an Hausarme zu verteilen, entsprechend Punkt 18 der Armenordnung von 1736. Der Verstoß gegen Vorschriften der Trauerordnung wird in den Schlussbestimmungen unter Strafe gestellt.168 Dadurch erfahren Verstöße Almosenverbote bei Begräbnissen eine im Vergleich zur Armenordnung sogar noch gesteigerte Ahndung. Die Trauerordnung ist ein weiterer Beleg für das umfassende Bestreben nach Schließung der religiös begründeten Sondertatbestände. Am 13. 6. 1752 wird die Trauerordnung erneut wiederholt und insbesondere der Vollzug der Strafen angemahnt.169 b) Terminieren der Mendikantenorden Bezüglich der Mendikantenorden ist die Fortführung des bisherigen Vorgehens im Erzstift anzunehmen. Beleg hierfür ist die am 23. 1. 1740 ergangene Aufforderung des Kurfürsten zur Meldung aller Bettelorden.170 Offensichtlich um den Umfang des Terminierens zu erfassen, sollen Informationen über die Anzahl der Niederlassungen und der Personen gesammelt werden. Zwar wird hierdurch die Berechtigung der Bettelorden zum Terminieren nicht aufgehoben. Jedoch weist die Maßnahme auf eine Fortsetzung der bisherigen Gesetzgebung hin, die das ursprünglich ungesteuerte Almosensammeln der Orden durch Meldepflichten zunehmend kontrolliert und kanalisiert. Dass die Begrenzung der Erlaubnis zum Terminieren zuerst fremde, nicht im Territorium ansässige Orden betrifft, kann angesichts der längst feststehenden, grundsätzlich getrennten Behandlung von Einheimischen und Fremden kaum überraschen. Kurz vor Ende der Regierungszeit des Kurfürsten Franz Georg von Schönborn manifestiert sich dies 1755 in der Aufenthaltsbeschränkung für italienische Bettelmönche.171 Ausgangspunkt ist die verschärfte Kontrolle Fremder bei der Passage durch Koblenz. Unter ausdrücklichem Hinweis auf die Verordnung von 1736 werden der Kommandant der Festung Ehrenbreitstein und der Magistrat zum Vollzug aufgefordert. Insbesondere „auslaendische Italiaenische Bettel=Geistliche“ sind an den Stadttoren auf ihre zum Aufenthalt berechtigenden Pässe und Urkunden zu kontrollieren. Der bei ordnungsgemäßen Papieren gewährte Einlass ist auf drei Tage begrenzt. Nach Ablauf dieser Frist ist eine erneute Überprüfung des Aufenthaltsgrundes vorzunehmen. Bei fehlender Legitimation für einen längeren Aufenthalt sind die betreffenden Personen festzunehmen und auszuweisen. Bezeichnenderweise folgt der 168
Die Strafhöhe beträgt 100 Taler oder sonstige willkürliche Strafe. Wiederum findet sich das Phänomen der Prämierung der Anzeige des Verstoßes durch Beteiligung am Strafgeld. 169 Wiederholung der Trauerordnung vom 13. 6. 1752; vgl. der Nachweis bei Scotti, Trier II, S. 1006 f. (Nr. 467). Es wird angeordnet, dass die anzumeldenden Übertreter bei den gewöhnlichen Brüchtenverhören zur ediktgemäßen Strafe gezogen werden. 170 Nachweis: Trierische Kronik 5, S. 119. 171 Verordnung vom 15. 11. 1755 in LHAKo, 1C/1115; Scotti, Trier II, S. 1095 (Nr. 555). Dieser Verordnung geht ein gleichgerichtetes Generale vom 13. 9. 1755 voraus.
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Hinweis, dass das Erzstift mit Bettelleuten überfüllt sei und der Versorgungsgrundsatz des Jahres 1736 zu beachten ist. Obgleich die Sonderbehandlung des geistlichen Bettels sich als beständiges Element der kurfürstlichen Gesetzgebung erweist, führen dennoch die Mechanismen des Merkmals Fremdheit einer vereinheitlichten Behandlung. Zunehmend sind Bettelorden ein Gegenstand weltlicher Gesetzgebung mit den damit verbundenen Einschränkungen. c) Pilger Während 1736 im Gegensatz zur Verordnung von 1533 die Pilgerreisenden nicht gesondert im Rahmen eines Ausnahmetatbestandes erfasst werden, kommt es knapp zwei Jahrzehnte später zu einem diesbezüglichen Befehl des Kurfürsten an das Generalvikariat in Trier.172 Bezugspunkt ist die bislang unentgeltliche Ausstellung von Pilgerpatenten durch das Generalvikariat zur Besuchung der „limina sancta“.173 Aus dem Befehl ergibt sich, dass die Pilger zum Gebrauch der Almosen durch diese Patente zugelassen werden. Die diesbezüglich bestehende gesetzgeberische Lücke in der Armenordnung von 1736 ist damit durch eine Einzelverordnung geregelt bzw. es wird die bisherige Praxis bestätigt. Typisch sind hier wiederum die Schwierigkeiten, die bisherigen religiösen Ausnahmetatbestände mit den Grundsätzen der Armenfürsorge in Einklang zu bringen. Zwar will der Kurfürst diesen „von unerdencklichen Zeiten üblich eingeführten gebrauch“ nicht abstellen. Dennoch soll aufgrund zahlreicher „mißbräuche, betrügereijen und Schalckhafftigkeiten“ die Vergabe an schärfere Bedingungen geknüpft werden. Künftig soll für die Patente der in Trier beginnenden Pilgerfahrt die Vorlage eines gerichtlichen Zeugnisses des „Ehrbahren aufführens und guten Leijmuths“ erforderlich sein. Die zuständigen Stellen sind die Pastoren und die weltliche Obrigkeit. Es vereinen sich mithin bei einem an sich originär dem kirchlichen Bereich zuzuordnenden Gegenstand die Zuständigkeiten weltlicher und kirchlicher Funktionsträger zu einer Mischform. Zudem erfährt der Gebrauch der Pilgerpatente eine Einschränkung. Diese sollen nicht mehr „leichtdingen“ und „ohne erhebliche Ursachen“ ausgestellt werden. Zur Verhinderung des Missbrauchs wird darüber hinaus die Berechtigung auf die direkte Wegstrecke und die hierzu notwendige Reisedauer begrenzt.174 Wie der Blick auf eine nur zwei Monate später erlassene Verordnung erkennen lässt, beziehen sich die obigen Regelungen auf die kurfürstlichen Untertanen. Die Verordnung vom 4. 7. 1752 hat erneut die Ausstellung und Gültigkeit von Pilgerschei-
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Befehl vom 6. 4. 1752 in LHAKo, 1C/1115. Der Besuch der „Limina sancta“ schließt sich an die Verehrung der Reliquien der Apostel Matthias und Philipp in der Abteikirche von St. Matthias an. Vgl. zu den Prozessionen Franz (1988), S. 325 ff., zur Verehrung des hl. Matthias ebda., S. 328. Die erwähnte Pilgerfahrt besaß überregionale Bedeutung; vgl. Bernard (1995). 174 Vgl. zur Veränderung in der Wahrnehmung von Wallfahrten Schneider (2004), S. 281 ff., 308 ff. 173
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nen zum Gegenstand.175 Wie in anderen Verordnungen üblich nimmt die Gesetzgebung einen Missstand als Handlungsanlass. Es sei „unterm Nahmen deren Pilgrmen, vieles liederliches Gesindel in dem Ertzstift“, dessen Aufenthalt „gemein schaedlich“ sei. Die Ursache hierfür wird in der Praxis der Passaustellung gesehen. Aufgrund dessen wird bestimmt, dass durch die kurfürstlichen Stellen alleine kurtrierische Bürger, Beisassen oder Untertanen einen Pilgerausweis erhalten sollen. Ausgeschlossen ist die Pilgerscheinausstellung für Fremde, ungeachtet ob Ausweispapiere vorhanden sind oder nicht. Zudem sind alle fremden Pilger auf dem Weg nach Rom, St. Jakob (Santiago de Compostella) oder Trier nur zur Reise auf den jeweiligen Hauptrouten zugelassen. Die Reise auf Nebenstrecken ist mit Stockschlägen zu bestrafen. Die Benennung des Handlungsanlasses und die Bestrafung des Zuwiderhandelns weisen auf die gewandelte Einstellung gegenüber der Verdienstlichkeit und Förderungswürdigkeit von Pilgerreisen hin. Diese sind längst nicht mehr ein uneingeschränkt begrüßtes christliches Wohlverhalten, sondern bilden den Anlass einer auf Eindämmung und Kontrolle zielenden Gesetzgebung.
3. Eröffnung von Sondertatbeständen als Finanzierungsmittel Die bislang erfolgten Eingriffe in den Ausnahmetatbestand des religiösen Bettels und der Ausnahmeregelung zur Versorgung von Pilgern bewirken eine Begrenzung des Anwendungsbereichs. Durch die Reduzierung des nachfragenden Personenkreises und damit einer Verringerung der solchermaßen nachgefragten Almosens ist indirekt eine Umverteilung dieser Mittel zugunsten der eigentlichen Bedürftigenversorgung eröffnet. Fraglich erscheint allerdings, ob sich die gesetzestechnische Kanalisierung in der Praxis realisieren ließ. Während einerseits in dieser Hinsicht religiös motivierte Tätigkeiten eingegrenzt werden, werden andererseits religiös bedingte Verhaltensanforderungen mittels von Dispensen aufgelockert und als zusätzliche Finanzierungsgrundlage der Fürsorge genutzt. Am 28. 1. 1755 ergeht ein an das untere Erzstift gerichtetes Mandat, in welchem für die kommende Fastenzeit ein Dispens zum Verzehr von Fleischwaren zugelassen wird.176 Den Anlass bildet der Mangel an geeigneten Fastenspeisen, die Gefahr von kältebedingten Krankheiten und der befürchteten Teuerung von Lebensmitteln. Unabdingbare Voraussetzung des auf eine bestimmte Zeit begrenzten Dispenses bildet die „Ausspendung freigebiger Allmosen, und Ausübung anderer guten Werken“. Zur besonderen Erinnerung an diese Gegenleistung für den Dispens sind die Prediger aufgefordert. Obwohl es sich hierbei um eine eingeschränkte Maßnahme handelt, sind bezüglich des Almosenverständnisses einige bemerkenswerte Punkte herauszuarbeiten. Es wird unverkennbar, dass der Wert des Almosens immer noch als religiöse Handlungen begriffen wird, was an der zusätzlich verlangten Ableistung von Gebeten zur Erlangung des Dispenses sichtbar wird. Ob die erwartete Almosenspende in der 175 176
Verordnung vom 4. 7. 1752 in LHAKo, 1C/1115; Scotti, Trier II, S. 1062 (Nr. 539). Mandat vom 28. 1. 1755 in Blattau, Statuta IV, S. 364.
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ursprünglichen freien Form erfolgen soll oder an die Vorgaben der Territorialnormen gebunden ist, geht aus dem Text selbst nicht hervor. Angesichts der bislang erfolgten Eingriffe in die Almosenpraxis bei Begräbnissen ist die Annahme nahe liegender, dass es sich hierbei um die Aufforderung zur Spende an den jeweiligen Armenfundus handelt. Ungeachtet dessen wird hier ein Beleg für den Fortbestand des Almosens als Glaubensbetätigung geliefert. Die paradoxe Gestalt des Almosens als Glaubensbetätigung und als eine zum Finanzierungsmittel der Armenfürsorge reduzierte Spende wird in Entsprechung der Armenordnungen weiterhin aufrechterhalten. Diese Gesetzgebung wird unter dem nachfolgenden Kurfürsten Johann Philipp von Walderdorff am 14. 2. 1759 fortgesetzt.177 Erneut wird der Verzehr von Fleisch in der Fastenzeit gestattet. Auffällig ist, dass nunmehr der Missbrauch des Dispenses als Anlass angegeben wird. Um die ordnungsgemäßen Voraussetzungen des Dispenses wieder zur Geltung zu bringen, wird auf die Verpflichtung zum Gebet und auf die Fürbitte für das Heilige Reich deutscher Nation hingewiesen. Erst danach steht in Umkehrung der 1755 getroffenen Reihenfolge die Aufforderung an den Vermögenden zur Almosenspende. 4. Stiftungswesen: Begrenzung kirchlicher Zuständigkeit Im Bereich der Finanzverwaltung der Stiftungen und Hospitäler kommt es am 31. 1. 1755 zu einem an alle Pastoren im Erzstift gerichteten Befehl.178 Der Grund für das Eingreifen des Gesetzgebers ist die bisherige Praxis der Pastoren, Zahlungen aus Stiftungen der Kirchen, Kapellen oder Hospitäler in Empfang zu nehmen. Der Vorwurf geht noch über den unberechtigten Empfang dieser Gelder hinaus, insoweit als den Pastoren die unbefugte Verwendung vorgeworfen wird. Unter Strafandrohung von 40 Goldgulden wird nunmehr diese Praxis untersagt. Gleiches gilt für den Empfang von Leistungen aufgrund letztwilligen Verfügungen zugunsten von Kirchen, Hospitälern oder Bruderschaften.179 Zuständige Stelle für die Revision der Finanzverwaltung ist die Oberkommission („Erzbischöfflichen Consistorio“) respektive das Offizialat in Koblenz. Zusätzlich wird verfügt, dass der Schuldner bei Zahlung an die zum Empfang unzuständigen Pfarrer nicht von seiner Leistungspflicht befreit wird.180 Vergleicht man diese Regelung mit der für den Bereich der Hospitalsverwaltung getroffenen aus dem Jahr 1729, ist eine Stärkung der Stellung der für die Finanzen zuständigen Provisoren erkennbar. Zwar ist der Pastor weiterhin gemeinsam mit den Provisoren für die lokale Finanzaufsicht zuständig. Durch diesen Befehl ist
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Verordnung vom 14. 2. 1759 in Blattau, Statuta V, S. 38. Befehl vom 31. 1. 1755 in Blattau, Statuta IV, S. 365. 179 Für bereits erfolgte unberechtigte Empfangsnahmen wird eine Frist gesetzt, innerhalb derer die Gelder an das erzbischöfliche Konsistorium zu melden und abzugeben sind. 180 An dieser Stelle zeigt sich wieder die Heterogenität einer frühneuzeitlichen Norm, welche hier neben kirchen- und finanzrechtlichen Regelungen auch in das Zivilrecht nach heutigem Verständnis eingreift. 178
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jedoch klargestellt, dass ihm keinerlei direkter Zugriff auf die Finanzen gestattet ist.181 5. Fortführung der repressiven Maßnahmen Während es sich bei den Verordnungen der Jahre 1729 und 1736 um die beiden Ausnahmefälle der direkt auf die Fürsorgeorganisation bezogenen territorialstaatlichen Gesetzgebung handelt, werden die repressiven Maßnahmen gegen Umherziehende ausgeweitet. Die gemeinsame Erfassung starker Bettler, die von der Fürsorge auszuschließen sind, und anderer Personengruppen setzt sich fort. Sie führt zu einer Vereinheitlichung des Vollzugs und der Strafsystematik. Insgesamt stehen die Maßnahmen in einer ungebrochenen Kontinuitätslinie. Dabei spielt die supraterritoriale Gesetzgebung der Reichskreise eine bedeutende Rolle. a) Maßnahmen zur Seuchenabwehr Zur Eindämmung der Seuchengefahr verfolgt Kurfürst Franz Georg von Schönborn die unter seinem Vorgänger typische Vorgehensweise. Ausgangspunkt ist das am 7. 10. 1738 erlassene Reskript, welches die Ortsbehörden zur Abweisung des herrenlosen Gesindels, fremder Passanten und Bettler sowie der herumziehenden Juden auffordert.182 Anlass ist der Ausbruch der Pest in Ungarn und Siebenbürgen. Diese Verordnung wird am 9. 12. 1738 und 30. 12. 1738 unter Verweis auf die einschlägigen Verordnungen 1720 und 1721 wiederholt.183 Die Maßnahmen werden in Folge durch die Verordnung vom 30. 7. 1739 aufrechterhalten.184 Ungeachtet des Vorliegens von Pässen sind Deserteure, Vagabunden, Bettler und Juden aus dem Land zu weisen bzw. nicht einzulassen. Das Zuwiderhandeln steht unter der Androhung von Stockschlägen. Darüber hinaus ist das Beherbergen dieser Personen unter Strafe gestellt. Das Vorgehen erfolgt in Abstimmung mit den benachbarten geistlichen Kurfürstentümern Mainz und Köln.185 Die Zuschreibung als Seuchenverursacher bleibt für die arbeitsfähigen Bettler eine beständige Erscheinung und bildet ein zusätzliches Argument für die Verweigerung des Zugangs zu den Fürsorgemöglichkeiten im Erzstift. 181 Huberti (1935), S. 8, merkt an, dass die 1729 eingeführte Oberkommission „ad pias causas“ ihre Bedeutung nach 1729 verloren habe und es erst im Jahr 1753 zu einem erneuten Versuch der Wiederaufnahme gekommen sei. Der zuvor dargestellte Befehl weist ebenfalls in diese Richtung, zumindest insoweit als die Bedeutung der zentralen Stellen in Koblenz als Aufsichtsbehörden gestärkt wird. 182 Reskript vom 7. 10. 1738 in Scotti, Trier II, S. 1015 (Nr. 477), LHAKo, 1C/1115; HHStAWi, 110/II/8. Es besteht zudem „für alle dergleichen Individuen, mit und ohne Packen, welche sich nicht durch legale Paesse aus dem Orte ihrer angeblichen Herkunft ausweisen können“, ein Einreiseverbot ins Kurfürstentum. 183 Verordnungen vom 9. 12. 1738 und 30. 12. 1738 in Scotti, Trier II, S. 1015 (Anm.); LHAKo, 1C/1115; HHStAWi, 110/II/8 & 116/II/7. 184 Verordnung vom 30. 7. 1739 in Scotti, Trier II, S. 1015 (Anm.); HHStAWi, 115/IIa/2b. 185 Vgl. nur die in Kurköln nahezu zeitgleich erlassene Verordnung vom 11. 7. 1739 in HSAD, KK II 3127, Nr. 62; Scotti, Cöln I/2, S. 726, 727 (Nr. 441, Anm.).
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b) Maßnahmen gegen Zigeuner, Vaganten und starke Bettler Der Ausschluss umherziehender Personengruppen wird ferner unter dem Aspekt der Abwehr von Straftaten fortgesetzt. In Kontinuität mit der bisherigen Gesetzgebung kommt es am 29. 11. 1738 zu einer Verordnung gegen „Ziegeuner und anderes herrenloses Gesindel“.186 Besondere Beachtung verdient die Tatsache, dass es sich hierbei um eine gemeinsame Verordnung von Kurtrier und Nassau-Saarbrücken für das zusammen verwaltete Amt Wehrheim handelt. Ungeachtet konfessioneller Unterschiede arbeiten die Territorialstaaten bei der Repression von Vagierenden zusammen. Den Anlass der Verordnung bildet der Aufenthalt dieser Personengruppen im Amt „auf denen Muehlen und dem Closter zum Thron“. Bei letzterem soll es darüber hinaus zum Erpressen von Verpflegung und Unterkunft bei den Einwohnern gekommen sein. Der bislang mittelbar erkennbare Zweck der Abhaltung der Umherziehenden tritt unmissverständlich zu Tage, da die Übergriffe zur Beeinträchtigung der Schutzgüter Nahrung und Unterhalt für die eigenen Untertanen führen. Als möglicher Anzugspunkt für die Vagierenden wird das Kloster genannt. Augenscheinlich führt die bislang immer noch nicht kontrollierte Austeilungspraxis des Klosters zu einer gesteigerten Anzahl von umherziehenden Fremden, ohne dass dieser Vorwurf von der Territorialgewalt ausdrücklich erhoben wird. Zur „Beschuetzung Dero Unterthanen“ wird indes das Aufenthaltsverbot für alle „Ziegeuner und zu denenselben sich rottierende mueßige Bettler und Vagabunden“ erneuert und nach dem bekannten Dreischritt Prügelstrafe, Brandmarkung und Schwur der Urfehde bei der Ausweisung geahndet. Dieses Vorgehen, das ohne Rücksicht auf das Vorliegen von Straftaten und ungeachtet des Geschlechts erfolgen soll, stellt eine Reduzierung der Handlungsbedingungen dar. Noch weiter herabgesetzt sind die Voraussetzungen für das Antreffen bewaffneter Gruppen. In einem solchem Fall ist der sofortige Feuerbefehl angeordnet. Die festgenommenen Personen sind ohne Prozess durch den Scharfrichter hinzurichten. Lediglich für die Kinder verbleibt es unter Beibehaltung der Altersstufung bei den bereits aus der Verordnung vom 28. 5. 1725 bekannten Folgen: Rutenstrafe oder Annahme zur Versorgung im jeweiligen Amt auf dessen Kosten.187 Zum Vollzug dieser Anordnungen sind heimliche Streifungen durch das Amt angeordnet.188 Die Synchronisierung der Maßnahmen entsprechend der noch darzustellenden PSO von 1726 ist in diesen Punkten unverkennbar.
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Verordnung vom 29. 11. 1738 in HHStAWi, 110/II/8. Hinzu kommt die Unterrichtung durch die Geistlichkeit. Die Jugendlichen unter zehn Jahren sollen bis zum Zeitpunkt, so sie „ihr Brodt ehrlich zu erwerben im Stand seynd“, von Amts wegen versorgt werden. 188 Für diese besteht bei Flucht das Nacheilerecht in benachbarte Herrschaften. Die Untertanen des Amtes sind zur Unterstützung der Streifungen aufgefordert. Umgekehrt sind Beihilfehandlungen der Bevölkerung unter Geld- und Leibesstrafe sowie Ausweisung gestellt. 187
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c) Bettlerrepression als militärische Ressource Obgleich starke Bettler und Umherziehende als „unnützig“ oder als die „müßigen und unnützen“ Personen bezeichnet werden,189 können sie dennoch aus Sicht des Staates „nutzbare“ Objekte darstellen. Am 17. 3. 1739 ergeht eine an alle inländischen jungen Männer gerichtete Verordnung mit der Aufforderung, sich freiwillig zur Rekrutierung in kaiserliche oder kurtrierische Dienste bei den im Land stationierten Werbeoffizieren zu melden.190 Zusätzlich werden die Ortsbehörden aufgefordert, innerhalb von acht Tagen die „liederlichen, vagierenden und excedirenden jungen Purschen“ zu verhaften und anschließend zur Ableistung kaiserlicher Kriegsdienste in Ungarn abzugeben. Die Zwangsrekrutierung verwirklicht zwei Ziele der bisherigen Gesetzgebung im Bereich der Fürsorge. Zum einen verhindert sie die mit dem Müßiggang und Umherziehen junger Menschen verbundenen potentiellen Gefahren für die Untertanen, zum anderen setzt sie in gewisser Hinsicht das Arbeitsgebot in Form des Kriegsdienstes durch. Die hier gefundene Antwort auf die Frage des Umgangs mit fremden potentiellen Unterstützungsnachfragern ist im 18. Jahrhundert durchaus anerkannt.191 Darüber kann die Wiederherstellung der Sicherheit und Ordnung durch Entfernung der Vagierenden zugleich als Unterstützung der kaiserlichen Armee gesehen werden. Offensichtlich dient die Zwangsrekrutierung auch zur Schonung der landeseigenen Bevölkerung vor den nachteiligen Folgen intensiver Betätigung im Kriegshandwerk. Dieses Vorgehen ist ebenfalls aus dem benachbarten Kurköln bekannt.192 In einem weiteren auf die vorangegangene Verordnung bezogenen Befehl vom 9. 4. 1739 an die Ämter Limburg, Camberg und Villmar tritt die Reichweite dieser Maßnahmen offen zu Tage.193 Für alle nicht kriegsdienstfähigen Vagabunden und liederlichen Burschen wird, um weitere Unsicherheit im Erzstift zu vermeiden, die sofortige Ausweisung verfügt. Anders gewendet bedeutet dies, dass die nicht für Kriegsdienst verwendbaren Vagierenden erst recht kein Aufenthaltsrecht im Erzstift haben. Ihre Fortsetzung findet diese Gesetzgebung in der Verordnung vom 5. 1. 1744.194 Dezidiert wird die Rekrutierungsreihenfolge geregelt. Zuerst sind wie bisher Freiwillige in die kurfürstlichen Truppen aufzunehmen. An zweiter Stelle steht die Erfassung der jungen dienstfähigen Männer, die sich bettelnd oder in sonstiger unerlaubter Weise versorgen. Erst an letzter Stelle erfolgt die zwangsweise Einziehung 189
So u. a. in den bereits dargestellten Verordnungen vom 6. 5. 1721 und 4. 7. 1724. Verordnung vom 17. 3. 1739 in Scotti, Trier II, S. 1016 (Nr. 480). 191 Darauf verweist ebenfalls Schmidt (2004), S. 77 f. Dieser bezieht sich auf ein Zitat aus dem ,Leviathan‘, dem Hauptwerk von Thomas Hobbes. Hobbes schlägt dort zur Lösung des Problems der Überbevölkerung, eine der Ursachen von Armut, den Krieg vor. 192 Verordnung vom 21. 6. 1701 in HSAD, KK II 3124, Nr. 41; Scotti, Cöln I/1, S. 573 (Nr. 269). 193 Befehl vom 9. 4. 1739 in HHStAWi, 115/IIa/2b. 194 Verordnung vom 5. 12. 1744 in Scotti, Trier II, S. 1040 f. (Nr. 506). Vgl. hierzu Marx (1859), I/2, S. 192 ff. Dieser betrachtet allerdings nur die Verordnung von 1744 hinsichtlich der Rekrutierung umherziehender Bettler. 190
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gestaffelt nach der Anzahl an kriegsdienstfähigen Söhnen pro Haushalt.195 Die Werbung von kurtrierischen Untertanen durch ausländische Werber, insbesondere aus benachbarten Territorien wie Kurköln, Hessen-Kassel oder der Kurpfalz, ist demgegenüber generell untersagt. Nur in Ausnahmefällen kann dies nach vorheriger kurfürstlicher Genehmigung gestattet werden.196 Offensichtlich werden müßige, also letztlich beschäftigungslose junge Männer, die statt des Broterwerbs auf Unterstützungsleistungen zurückzugreifen versuchen, als Rekrutierungspotential eingesetzt, um die übrige Bevölkerung vor dieser Belastung zu verschonen.
VII. Wechselwirkungen zwischen territorialer und supraterritorialer Gesetzgebung Bereits seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts koordinieren die Reichsfürsten ihr Vorgehen gegen vagabundierende und heimatlose Arme.197 Die Poenal- und Sanktionsordnung des kur- und oberrheinischen Kreises (PSKO) wird im Kurfürstentum Trier durch ein eigenes Publikationsgebot vom 19. 10. 1748 in Kraft gesetzt.198 Die PSKO stimmt bis auf wenige Änderungen mit der am 20. 12. 1726 erlassenen PSO überein.199 Infolgedessen bietet sich eine gemeinsame Darstellung an, die auch darauf beruht, dass eine personelle Verflechtung des oberrheinischen mit dem kurrheinischen Reichskreis durch den Mainzer Kurfürsten besteht.200 Die PSKO selbst stellt eine Zusammenfassung der auf einzelne Verordnungen und Befehle verstreuten Gesetzgebung der beteiligten Reichsstände dar. Dabei wird die Materie systematisiert und es kommt zur Ausweitung einzelner Tatbestände. Während seit den Reichspolizeiordnungen des 16. Jahrhunderts auf Reichsebene keine einschlägige Gesetzgebung mehr existiert, erfüllen die Reichskreise für das Armen- und Bettlerrecht diese Aufgabe. Ebenso wie bei den Reichspolizeiordnungen lässt sich für die Umsetzungsmöglichkeiten ein weiter Raum feststellen. Zu den Kernregelungen der Poenalund Sanktionsordnungen gehören sowohl Maßnahmen gegen Diebes- und Räuberbanden, Zigeuner, Vagabunden und Klein- bzw. Anscheinskrämer als auch Grund195 Die in den zünftigen Handwerken tätigen jungen Männer sind von der Rekrutierung ausgenommen. In der Folge ergehen weitere Verordnungen bezüglich der Rekrutierung; vgl. Scotti, Trier II, S. 1040 f. (Anm.). Die Verordnung vom 19. 12. 1744 ist die Reaktion auf Beschwerden der Untertanen über die Bestechlichkeit der Musterungsbeamten. Die Verordnung vom 30. 12. 1747 enthält weitere Details zur Musterungsreihenfolge und dem Abstellungsersatz der Ämter. Die Verordnung vom 24. 1. 1750 betrifft die Vergütung der Landsknechte. 196 Vgl. hierzu Marx (1859), I/2, S. 198 f. Die Sanktionen bei Zuwiderhandeln reichen von Vermögenskonfiskation, Staupenschlag, lebenslanger Festungshaft bis zur Todesstrafe. 197 Wüst (2000), S. 159 ff. 198 Die gemeinsame Poenal- und Sanktionsordnung des kur- und oberrheinischen Kreises (PSKO) vom 4. 9. 1748 in LHAKo, 1C/1115. Vgl. zum Publikationsgebot Scotti, Trier II, S. 1052 (Nr. 522). 199 PSO vom 20. 12. 1726 in HHStAWi, 100/212. 200 Vgl. zur gemeinsamen Abstimmung der beiden Reichskreise Hartmann (1997), S. 38 f.
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linien zur territorialen Versorgungsorganisation. Die hier gewählte Darstellung erleichtert in der Rückschau auch die Beurteilung der Entwicklung der territorialstaatlichen Gesetzgebung zwischen den beiden Kreisordnungen. Die im Bereich der Fürsorge aufgestellten Minimalanforderungen werden dabei entsprechend den Gegebenheiten des Territoriums umgesetzt. In Bezug auf die repressiven Maßnahmen stimmen die Normen nahezu miteinander überein. 1. Wesentliche Regelungen der Reichskreisordnungen 1726 und 1748 Trotz der Zusammenführung der repressiven Maßnahmen gegen die verschiedenen Arten von mobilen Gruppen weist die PSKO Differenzierungen auf. Die Strafandrohungen sind für die jeweiligen Gruppen gestuft.201 Die Maßnahmen setzen bereits mit der sofortigen Erschießung der Diebes- und Räuberbanden bzw. der Zigeunergruppen bei Widerstand an.202 Weiterhin ist als Schlusspunkt die Hinrichtung ohne Prozess nach dem bekannten Dreischritt Rutenstrafe, Brandmarkung, Urfehde bei den Zigeuner- und Vagabundengruppen. Die mildeste Sanktion besteht in der Ausweisung aus dem Territorium oder in einer Arbeitsstrafe. Die Verhängung der Arbeitsstrafe erfolgt gestaffelt und kann bis zur lebenslänglichen Verurteilung reichen. Zu den Arbeitsarten gehört entsprechend der PSO von 1726 die Verurteilung zur Galeerenstrafe. Gerade die nach Aussage der PSO bereits erwiesene Unwirksamkeit der Leibes- und Lebensstrafen, etwa bei der Gruppe der Anscheinskrämer, führt zu einem verstärkten Rückgriff auf Arbeitsstrafen. Das noch 1726 projektierte gemeinsame Zucht- und Stockhaus des oberrheinischen Kreises findet sich in der PSKO von 1748 nicht wieder. Letztlich stellt das freiwillige Anbieten zur Arbeitsaufnahme die einzige Möglichkeit einer Strafmilderung für die Gruppe der Zigeuner und der Vagabunden dar. Wie schon zuvor werden auf der normativen Ebene keine Unterschiede hinsichtlich des Geschlechts gemacht. Die bisherige Regelung der PSO von 1726 für die Aufnahme und Versorgung von Kindern wird 1748 fortgeführt. Die nach dem Vollzug der Todesstrafe an den Eltern zu Waisen gewordenen Kinder sollen in Hospitälern oder anderen Einrichtungen aufgenommen und bis zum Erreichen der Arbeitsfähigkeit versorgt werden. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass bei der Kostentragungspflicht entsprechend der Zugehörigkeit zum Ober- bzw. Kurrheinischen Kreis unterschieden wird. Während im Kurrheinischen
201 Auf die fehlende Möglichkeit, eindeutige Kriterien zur Differenzierung festzustellen, weist Härter hin. Inwiefern die als Vagabunden oder Zigeuner bezeichneten Personen sich als ethnisch bestimmbare Gruppe fassen lassen, bleibt unklar, vgl. Härter (2003b), S. 57; Landwehr (2001), S. 56 f., 66 ff. 202 Zur Durchsetzung dieser Maßnahmen wird bereits 1726 eine Militärtruppe eingerichtet, vgl. Instruktion des Oberrheinischen Kreisleutnants vom 19. 12. 1726 in HHStAWi 100/212.
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Kreis generell die Ämter kostenpflichtig sind,203 werden vom Oberrheinischen Kreis die Unterhaltskosten in Höhe von 30 Kreuzern pro Woche übernommen. Letzteres gilt allerdings nur für Zigeunerkinder bis zum zehnten Lebensjahr. Bezüglich der Kinder von Vagabunden oder Landstreichern bleibt es bei den für den Kurrheinischen Kreis getroffenen Regelungen.204 § 15 der PSKO von 1748 bestimmt ebenso wie der inhaltsgleiche § 14 der PSO von 1726, dass der Aufenthalt geistlicher Personen ungeachtet ihrer Konfession ohne gültige Pässe in den Territorien nicht zu dulden ist. Die solchermaßen betroffenen Personen sind an die für sie zuständigen geistlichen Vorgesetzten zu übergeben, falls sie wegen ihres Handelns nicht der territorialen Gerichtsbarkeit unterliegen. Für den Bereich der unmittelbaren Regelungen zur Versorgungsorganisation werden die bestehenden Grundlinien der territorialen Gesetzgebung bestätigt. Ausdrücklich ohne Rücksicht auf die Religionszugehörigkeit gilt ein generelles Aufenthaltsverbot für fremde Bettler unter Verweis auf die für Vagabunden geltenden Strafen. Die einzige Unterstützung ist in Gestalt des Zehrpfennigs zur Ausreise vorgesehen. Die Versorgung der einheimischen Bedürftigen fällt wie schon bisher in den Zuständigkeitsbereich des jeweiligen Standes. Als Unterstützungsort wird der Heimat- bzw. Wohnort festgelegt. Die aus Kurtrier bekannte Finanzausgleichspflicht der Gemeinden wird ebenfalls aufgeführt. Neben den Versorgungsleistungen der Armenhäuser und Hospitäler soll die Unterstützung durch die Almosenkästen erfolgen. Für Jugendliche ist die Ausbildung im Handwerk vorgesehen. Die hierzu benötigten Mittel sind auch durch Zweckumwidmungen der Armenstiftungen zu beschaffen. Arbeitsfähige sind unter Strafandrohung zur Arbeit anzuhalten. Die Kreisordnung betont jedoch die Gültigkeit der bislang in den Territorien geltenden Gesetze. Eindeutiges Ziel ist die Abschaffung des Bettels. Dennoch finden sich in der Ordnung Ausnahmetatbestände. Bei Unglücksfällen wie Überschwemmungen und Bränden sind unter Vorlage genauer obrigkeitlicher Urkunden Sammlungen in den Territorien zugelassen. Die Fälschung solcher Ausweise ist als „crimen falsi“ zu ahnden und stellt einen Diebstahl der „ohnverdiente[n] Allmosen [von] guten Christlichen Herzen“ dar.205 Zur Verhinderung des Missbrauchs der Sonderstellung von Geistlichen ist ungeachtet der Konfessionen die besondere Kontrolle verdächtiger Personen durch die zuständigen Stellen angeordnet.206 Ferner sind Vollzugsmaßnahmen wie die Durchführung von Streifen, die
203 Die Finanzierung soll entsprechend den Landesbräuchen erfolgen. Hinzu treten Einnahmen aus Strafgeldern oder anderen Quellen. Dies entspricht der Vorgehensweise bei der Finanzierung der Unterstützungsleistungen aus den zentralisierten Armenkassen. 204 PSKO vom 4. 9. 1748 in LHAKo, 1C/1115, dort § 6. 205 Vgl. zum betrügerischen Bettel Ammerer (2003b), S. 112 ff. Zum Delikt des „Crimen Falsi“ und dessen Strafart der „poena extraordinaria“ vgl. Schaffstein (1978), S. 286 ff. 206 Die verdächtigen katholischen, evangelisch-lutherisch oder reformierten Geistlichen sind gemäß Punkt 14 der PSKO durch die zuständigen Vikariate, Konsistorien, Kirchenräte oder andere entsprechend der Landesgewohnheit dazu bestimmten Richter zur Kontrolle zu verweisen.
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Kooperation zwischen den Ständen unter Beachtung der jeweiligen Rechtssphären und die Mitwirkungspflichten der Untertanen geregelt.207 2. Umsetzung der PSKO: Repressive Maßnahmen Obgleich man nicht im modernen Sinn von einer Pflicht zur Umsetzung in territoriales Recht sprechen kann, finden sich dennoch einige Beispiele in der Gesetzgebung, die sich teilweise in Fortführung der bisherigen Gesetzeslage als Umsetzungsakte begreifen lassen. So entstehen in Kurtrier bereits im unmittelbaren zeitlichen Kontext mit der PSKO mehrere Verordnungen mit dem Schwerpunkt repressiver Maßnahmen.208 Dies gilt insbesondere für die bereits 1726 erlassene PSO, die gleichfalls zahlreiche Normen auslöst.209 Gemeinsam ist allen Normen, dass die detaillierten Handlungsvorgaben der Reichskreisbeschlüsse in die Gesetze des Kurfürstentums eingebaut werden. Am 22. 4. 1748 werden Maßnahmen gegen Hausierer angeordnet, welche die schon in der PSKO von 1748 unterstellte Zusammenarbeit der Hausierer mit Dieben zum Anlass nehmen.210 Die dort angelegte Regulierung des Passwesens wird am 6. 7. 1751 zur Abwehr des „liederlichen Gesindels“ weiter ausgebaut.211 Die Kontrolle der Wirthäuser als ein Instrument zur Verhinderung der Beherbergung bzw. des Aufenthalts unerwünschter Personen im Erzstift wird am 1. 3. 1753 umgesetzt.212 a) Umsetzungsschwierigkeiten: Durchsetzung der Kostenpflicht Bedeutet die Umsetzung repressiver Maßnahmen mittels des vorhandenen Vollzugsapparats zunächst keine Schwierigkeit für die kurfürstliche Verwaltung, so erweist sich die Aufnahme der kostenträchtigen Versorgungspflicht für Kinder von Zigeunern und anderen festgenommenen Personen als wesentlich komplizierter. Zwar werden die Maßnahmen umgesetzt. In dem Reskript vom 4. 8. 1754 treten jedoch die Schwierigkeiten bei der Umlage der Kosten offen zutage.213 Ausgangspunkt ist die grundsätzliche Zuweisung der Kosten an die kurfürstlichen Ämter und Kellereien zu Lasten der kurfürstlichen Finanzwaltung in Gestalt der Hofkammer. Aufgrund 207
Hier finden sich wiederum die bereits bekannten Prämierungen der Anzeige. Ferner besteht für die mit Strafe bedrohten Personen die Möglichkeit, mittels Anzeige anderer Straffreiheit zu erlangen. 208 Ähnliche Ergebnisse lassen sich auch für die Umsetzung in anderen Reichskreisen finden, vgl. Wüst (2000), S. 166 ff. 209 Vgl. nur das Edikt vom 28. 5. 1725 in HHStAWi, 110/IIa/2a. 210 Edikt vom 22. 4. 1749 in LHAKo, 1C/1115; HHStAWi, 110/II/8; Scotti, Trier II, S. 761 (Anm.). Dieses Edikt bezieht sich zudem auf die Verordnung vom 11. 11. 1738. 211 Befehl vom 6. 7. 1751 in LHAKo, 1C/1115; HHStAWi, 115/IIa/2b. 212 Verordnung vom 1. 3. 1753 in LHAKo, 1C/1115; HHStAWi, 110/II/8. 213 Reskript vom 4. 8. 1754 in HHStAWi, 110/II/8. Das Reskript ergänzt ein Extrakt des Regierungsprotokolls vom 6. 7. 1754.
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der Zweiteilung des Finanzwesens bezieht die Hofkammer ihre Einnahmen im Wesentlichen aus den Einkünften der kurfürstlichen Domänen.214 Der Kurfürst verwehrt sich gegen diese Belastung der Hofkammer mit den aus der Verpflegung der Kinder entstehenden Kosten. Die Argumentation stützt sich zunächst auf die grundsätzliche Entscheidung zu den Länderfinanzen nach dem Stand des Westfälischen Friedens 1648. Laut dem Reichsabschied von 1654 obliegt den Landständen die Mittragungspflicht für die Militärausgaben, worauf sich der Kurfürst ebenfalls bezieht. Aufgrund der Verhältnisse im Kurfürstentum Trier, in der die Landessteuern den westfälischen Friedensverträgen entsprechend nur für das Land und nicht für die Versorgung des Kurfürsten oder seiner Dienerschaft verwandt werden,215 hält er die zusätzliche Belastung der Kammer mit den in Frage stehenden Kosten für unzulässig. Hinzu tritt nach seiner Auffassung, dass es in anderen Territorien durchaus üblich sei, die Kosten des kurfürstlichen Unterhalts dem Land aufzuerlegen, während diese in Kurtrier nur aus den erzbischöflichen Fundations- und Tafelgütern erfolge. Bei der so gewählten Versorgungsart sei der „Reichs-Kurfürst auf solche Weise lediglich nur als ein Kostgänger Vom Ertzbischof gehalten“. Da die Aufgaben zum Unterhalt der Landstraßen, der Brücken, der Abwehr von Gesindel und Zigeunern, der Zuchthäuser und die Verpflegung der zur Festungshaft Verurteilten ebenso wie die Versorgung der Zigeunerkinder eine gemeinsame Landessache sei, könne eine einseitige Belastung der Kammer mit eben den letztgenannten Kosten nicht erfolgen.216 Das Reskript schließt mit der Aufforderung, diese Rechtsauffassung entsprechend umzusetzen.217 Anhand dieses Vorgangs lassen sich die entscheidenden Problemstellen für den Territorialstaat herausarbeiten.218 Die Anordnung repressiver Maßnahmen gegen 214 Zur Finanzverfassung des Kurfürstentums Trier vgl. Haxel (1930), S. 79 – 81; Härter (1996b), S. 610; Marx (1859), I/2, S. 235 f. Marx setzt die Einnahmen der Domänen mit 320 000 bis zu 600 000 Talern an. Ursache dieser Zweiteilung ist die Zuständigkeit der Landstände zum Beschluss der direkten Landessteuern und der Zuständigkeit der Stände für die Steuererhebung und -verwaltung. 215 Ausgeführt wird dies in den anschaulichen Worten: „und ein zeitlicher Kurfürst nicht Eines Krützers wehrt zu seiner […] dienerschaft unterhaltung (wie es jedoch zu Maijntz, und überall herkommlich) von dem Lande ziehet.“ 216 Das Reskript spricht in diesem Zusammenhang von „Sauberhaltung des Landes von bösem Gesindel, und zigeünern (worunter die Kinder auch gehören)“. Zu den vom Land zu erbringenden Kosten gehören die Kreiskosten und Gesandtschaften ebenso wie die Kosten für die Unterbringung von Findelkindern. 217 Am 22. 11. 1757 ergeht eine Verordnung zur Verpflegung von Findelkindern, vgl. Scotti, Trier II, S. 1106 (Nr. 576). Laut paraphrasiertem Text bei Scotti werden die Kosten der Unterbringung und Versorgung der Findelkinder den Gemeinden auferlegt, in denen sie ausgesetzt worden sind. 218 Auch weitere Streitpunkte – wie die Gesandtschaftskosten oder der 1756 ausgezahlte Vorschuss der Kosten bei der Kaiserwahl 1745 durch die Hofkammer – sind beständiger Gegenstand der Auseinandersetzungen zwischen Ständen und Kurfürsten, vgl. Haxel (1930), S. 62 f. Typisch für die Form der Konfliktaustragung ist das Verschieben der Entscheidung von einem Landtag auf den nächsten. Auch die unter Clemens Wenzeslaus von Sachsen eingerichtete Kommission zur Schlichtung der Streitigkeiten kann bis zum Ende des Kurfürstentums eine Entscheidung nicht mehr herbeiführen.
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Umherziehende verursacht zumindest auf der Normebene keinen weiteren Begründungsaufwand. Anders sieht es dagegen für die Durchführung von Streifungen aus, wenn zusätzlicher Aufwand über den bestehenden Vollzugsapparat hinaus erforderlich wird. Angesichts der Zugehörigkeit dieser Maßnahmen zum Bereich der Landessicherheit gilt in Kurtrier die Kostentragungspflicht für die Landstandschaft. Zusätzlich verursachen die strukturellen Gegebenheiten der Landesverfassung gerade im Bereich des Finanzwesens weitere erhebliche Schwierigkeiten bei der Fortführung von Anschlussmaßnahmen wie der Kinderversorgung, die zusätzliche Kosten verursachen. Die Territorialgewalt ist bestrebt diese Kosten ebenfalls auf die Landstände umzulegen, um die eigenen, unabhängig von den Landständen nutzbaren finanziellen Ressourcen nicht zusätzlich zu belasten. 3. Umsetzung der PSKO: Fürsorgeorganisation Im Vergleich mit der bisherigen territorialen Fürsorgegesetzgebung weisen die Vorgaben der PSKO von 1748 keine wesensändernden Neuerungen auf. Die dort auf der Ebene der Reichskreise getroffenen Regelungen entsprechen – in diesem Umfang nicht weiter überraschend – dem bisherigen Landesrecht. Dies erklärt sich daraus, dass es bereits im Gefolge der PSO von 1726 zu den Reformen der 1730er Jahre kommt. Dort werden die zentralen Forderungen nach der Geltung des Heimatprinzips, der Abschaffung des Gassenbettels, die Schaffung von Armenkassen und die Durchsetzung der Arbeitsverpflichtung bereits einbezogen. In den Jahren unmittelbar nach dem Beschluss der PSKO von 1748 ergehen im Erzstift nur wenige Normen mit direktem Bezug zur Fürsorgeorganisation. Diese fokussieren sich auf einzelne Punkte, ohne die Gesamtkonzeption erneut zu verändern. a) Fortbestand des Wohnsitzes als Unterstützungsort Am 9. 11. 1751 ergeht ein an alle Ämter und die beiden Hauptstädte gerichtetes Generale, welches den Versorgungsgrundsatz bestärkt und erneuert.219 Ausdrücklich nimmt das Generale Bezug auf die vorherigen kurfürstlichen Verordnungen. Wie so oft wird auch hier als Anlass angegeben, dass es entgegen den Verordnungen zum Aufenthalt von Bettlergesindel in den Straßen und an den Kirchentüren gekommen ist. Offensichtlich weisen diese Räume die höchste Attraktivität auf, da dort die Wahrscheinlichkeit am größten ist, eine widerrechtlich ausgeteilte Spende zu erhalten. Gerade die Nennung der Kirchentüren zeigt, dass aus obrigkeitlicher Sicht die Orte, die den engsten räumlichen Bezug zur christlichen Grundmotivation aufweisen, als Zentren des Missstandes begriffen werden. Aufgrund dessen wird die Zuweisung der einheimischen Bettler an ihren Wohnort angeordnet, wo sie entsprechend der Rechtslage Unterstützung oder Arbeitszuweisung erwarten dürfen. Ausländische Bettler sind generell aus dem Erzstift auszuweisen. Die Regelungen entsprechen der bisherigen Ge219
Generale vom 9. 11. 1751 in HHStAWi, 110/II/8.
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setzgebung. Sie liegen damit, ohne dass dies ausdrücklich im Text zum Ausdruck kommt, auch auf der Linie der in den Reichskreisbeschlüssen festgelegten Grundsätze. b) Kontrolle religiös motivierter Sondertatbestände Die im Rahmen der Sondertatbestände bereits beleuchtete Verordnung vom 15. 11. 1755 ergibt denselben Befund. Die angesprochene Anordnung für die Stadt Koblenz entspricht den Vorgaben beider Normebenen.220 Insbesondere die Kontrolle der italienischen Bettelgeistlichen entspricht den Vorgaben des § 14 der PSKO. Betrachtet man die bisherige Entwicklung einer schrittweisen Zurückdrängung religiöser Sondertatbestände, so erweist sich hier deutlicher als bei anderen Maßnahmen die PSKO als verstärkendes Element. Die Kontrolle der Herbergen und die Einführung von sogenannten Nachtzetteln stellt ein ebenfalls aufgegriffenes Element der PSKO dar. Der Fortbestand der Geltung der Armenordnung von 1736 wird demgegenüber gerade bei den Kontrollmaßnahmen und den damit verbundenen Ausweisungen der fremden Bettler ausdrücklich betont.221 Zuständig für die Kontrolle der ausländischen Bettelgeistlichen sind die Stadtschultheißen und der Bürgermeister zu Koblenz sowie das Gericht im Tal Ehrenbreitstein. Aus der Verordnung geht keine Verweisung an geistliche Stellen hervor. Der Territorialgesetzgeber hat sich also gegen die in § 15 der PSKO ebenfalls eröffnete Kontrollinstanz geistlicher Stellen entschieden und stattdessen auf die Träger der Territorialgewalt zurückgegriffen. Entspricht die Verweisung der nicht in Koblenz wohnhaften Untertanen und der Ausländer zu deren Wohnorten der üblichen Durchsetzung des Grundsatzes der Versorgungszuständigkeit, so lässt die Verordnung dennoch eine Besonderheit erkennen. Obgleich „alle in die Stadt und den Thal nicht gehoerende Bettlere“ nicht zu dulden und daher auszuweisen sind, gilt für die in den nahe gelegenen Orten Ansässigen eine Ausnahme. Diese sind zweimal wöchentlich zu den zu diesem Zeitpunkt stattfindenden Austeilungen von Brot und Almosen zugelassen.222 Augenscheinlich ist diese Regelung den größeren wirtschaftlichen Kapazitäten der Residenzstadt und der daraus folgenden Attraktivität für Unterstützungssuchende geschuldet. Berücksichtigt man die Ausweisung der sonstigen erzstiftischen Untertanen ist davon auszugehen, dass der ohnehin nicht gänzlich zu verhindernde Zustrom auf das geringstmögliche Maß begrenzt werden soll.
220 Verordnung vom 15. 11. 1755 und das zuvor inhaltsgleich ergangene Generale vom 13. 9. 1755 in Scotti, Trier II, S. 1095 (Nr. 555); LHAKO, 1C/1115 & 1C/1224. 221 Die Anordnungen beziehen sich auf die Kontrolle des Zugangs zur Residenzstadt Koblenz und sind insbesondere an den Kommandanten zu Koblenz und im Tal Ehrenbreitstein gerichtet. Das Bestreben nach Kontrolle der Umsetzung in den Ämtern geht aus einem Befehl vom 29. 11. 1755 in LHAKo, 1C/1115 hervor. Dort wird angeordnet, dass die Ämter vierteljährlich über die Umsetzung der ergangenen Verordnungen zu berichten haben. 222 Diese Austeilungen finden jeweils mittwochs und samstags gegen neun Uhr statt.
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VIII. Resümee zur Gesetzgebung unter Franz Georg von Schönborn In der Regierungszeit des Kurfürsten Franz Georg von Schönborn wird mit der ersten territorialen Armenverordnung die schon unter seinem Vorgänger begonnene Reform des Fürsorgewesens fortgesetzt. Die Zurückdrängung religiöser Sondertatbestände wird ebenfalls fortgeschrieben. Die Anzahl der flankierenden Normen mit repressivem Charakter wird durch die Kreisbeschlüsse in Gestalt der PSO und PSKO auf supraterritorialer Ebene ausgeweitet. Die 1729 in Angriff genommene Zentralisierung der Verwaltung der Hospitäler durch die Kommission „ad pias causas“ lässt sich hinsichtlich ihrer Wirkung im Rahmen der Gesetzgebungsdarstellung nicht abschließend beurteilen. Aus den Ausführungen Hubertis geht indes hervor, dass es 1753 zu einem erneuten Versuch kommt, die Arbeit der Kommission voranzutreiben.223 Die Regierungszeit des Kurfürsten Franz Georg von Schönborn schließt mit seinem Testament, in dem 60.000 Gulden für den Unterhalt armer Kleriker auf dem Land bestimmt werden.224
IX. Gesetzgebung unter Johann Philipp von Walderdorff 1756 – 1768 1. Überblick In der Regierungszeit von Johann Philipps von Walderdorff ergeht keine grundlegende territorialstaatliche Verordnung zur Fürsorgeorganisation. Die Gesetzgebungstätigkeit besteht in der Fortführung repressiver Maßnahmen und einigen wenigen Beispielen von flankierend wirkenden Anordnungen zur Verhinderung von Armutssituationen. Die Einführung von Arbeits- und Zuchthäusern erfolgt auch unter der Herrschaft Johann Philipps von Walderdorff nicht. Die Belastungen infolge der Truppendurchzüge im Siebenjährigen Krieg könnten für diese – im Vergleich zu anderen Territorien verschleppten – Entwicklung ursächlich gewesen sein.
223 Vgl. Huberti (1935), S. 8. Nach seinen Angaben mangelte es an regelmäßigen Sitzungen der Kommission sowie an der Kooperation mit den einzelnen Hospitälern, die sich der Einsendung der Rechnungen zunehmend entzogen. Für das St. Jakobshospital kommt es am 11. 2. 1758 zum Erlass einer Verwaltungsordnung, vgl. Scotti, Trier II, S. 941 (Anm.). Dies weist darauf hin, dass es zur Umsetzung der Vorgaben von 1729 bezüglich der Pflicht zur Einführung einer solchen Ordnung kommt. Die Erfolgsaussichten der Umsetzung sind in den beiden Residenzstädten des Erzstifts am größten, da dort der Zugriff durch die Territorialgewalt am ehesten möglich ist. Dies gilt jedenfalls für städtisch kontrollierte Institutionen wie das St. Jakobshospital. Dort kommt es auch umgehend zur Umsetzung der 1729 angeforderten Bestandsaufnahme; vgl. Marx (1859), I/2, S. 276. Zum städtischen Charakter des Hospitals vgl. Huberti (1935), S. 22, Marx (1859), I/2, S. 277. 224 Gatz (1990), S. 435.
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2. Fortgeltung der Armenordnung von 1736 Die Armenverordnung von 1736 hat ungeachtet fehlender eigener Verordnungen unter Johann Philipp von Walderdorff weiterhin Gültigkeit. Dies geht aus einem Reskript des Hofrats vom 3. 8. 1761 für die Stadt Koblenz hervor.225 Das Reskript wiederholt die Strafbarkeit des privaten Almosens und die allwöchentliche Durchführung der Almosensammlung. Letztere ist zwar nicht Gegenstand der Verordnung von 1736, entspricht jedoch der in den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts eingeführten Kreuzprozession. Die Kreuzprozession soll abwechselnd durch ein Mitglied des Rates unter Begleitung eines Stadtoffiziers erfolgen. Die Mitwirkungspflicht der Militärwachen bei Maßnahmen der Bettelvögte ist ebenfalls aufgenommen. Zusätzlich ist der Widerstand durch die Bevölkerung gegen das Vorgehen der Bettelvögte gegen fremde oder einheimische Bettler unter Strafe gestellt.
3. Flankierende Maßnahmen a) Heiratsbeschränkungen Stärker noch als noch zum Ende des 17. Jahrhunderts beziehen sich die Einschränkungen der Heiratsmöglichkeiten auf die Verhinderung der Entstehung unterstützungsbedürftiger oder Unterstützung verlangender Personen. Für die Regierungszeit Johann Philipps von Walderdorff lässt sich dies an einige Beispielen belegen. Ausgangspunkt ist das Heiratverbot vom 22. 2. 1758.226 Dort wird den kriegsdiensttüchtigen Männern des Erzstifts die Heirat ohne vorherige Genehmigung des Amtes verboten. Am 6. 6. 1758 ergeht ein an alle Ämter gerichtetes Mandat, welches sich auf die einschlägigen Regelungen der Konsistorialverordnung bezieht, in der die Heirat unter 25 Jahren für „müßige Herren=lose Gesinde und Bettelbuben“ verboten wird.227 Den Ämtern wird als Anlass der Gesetzgebung das Anwachsen der „nichtsnutzigen Leute“ im Alter von 15 oder 16 Jahren infolge der Eheschließungen angegeben. Dies habe die zur Belastung der Untertanen zur Folge und schade dem gemeinen Wesen. Für den Fall einer verbotswidrigen Heirat werden die Pfarrer angewiesen, den kurfürstlichen Beamten zu informieren, der daraufhin die Ausweisung vornehmen soll. Die Heiratbeschränkungen sollen nur für die „müßigen und flüchtigen Gesindel“ gelten, wie aus dem Mandat vom 27. 6. 1758 hervorgeht.228 Das Mandat bezieht sich dabei auf das generelle Verbot vom 22. 2. 1758, welches nunmehr ausdrück225
Das Reskript vom 3. 9. 1761 findet sich als paraphrasierter Text in Scotti, Trier II, S. 997 (Anm.). Das Mandat vom 3. 9. 1761 liegt bei Blattau, Statuta V, S. 48, vor. Dort finden sich allerdings nur die drei Punkte: Almosenstrafbarkeit, Unterstützungspflicht und Beihilfestrafbarkeit der Untertanen. 226 Verordnung vom 22. 2. 1758 in Scotti, Trier II, S. 1108. Laut Scotti entspricht dies den Maßnahmen der benachbarten Reichsstände. 227 Mandat vom 6. 6. 1758 in Blattau, Statuta V, S. 36; Scotti, Trier II, S. 1109 f. (Nr. 584); QRW I, S. 652. 228 Mandat vom 22. 6. 1758 in Blattau, Statuta V, S. 37.
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lich nicht für die kurfürstlichen Untertanen gelten soll. Vielmehr gelten die Regelungen explizit für die umherziehenden Personen. Damit ist auch der Bezug zur Gesetzgebung hergestellt, infolge der eine Rekrutierung der als nutzlos bezeichneten umherziehenden starken Bettler für den Militärdienst eröffnet ist. b) Funktionswandel bei der Einbeziehung der kirchlichen Ebene Offensichtlich zur besseren Umsetzung des Heiratsverbotes werden die Kuratoren in der Verordnung vom 15. 9. 1758 zur Anlegung von Verzeichnissen des „ohnseßhaften und flüchtigen Bettel=Gesindels“ angewiesen.229 Diese auf Ortsebene anzufertigenden Verzeichnisse sollen „zur Aussauberung des Hohen Erz=Stifts von ohnnützigen Leuthen“ dienen. Vierteljährlich soll die aktuelle Fassung an die Landdechanten gesandt und von dort an das Vikariat weitergeleitet werden. Waren vornehmlich die Träger der weltlichen Herrschaftsgewalt mit dem Ausschluss fremder Umherziehender und den damit verbundenen Zwangsnahmen befasst, wird hier zusätzlich die Kirchenhierarchie mit einbezogen. Dies stellt einen signifikanten Funktionswandel bei der Einschaltung der kirchlichen Hierarchie dar. Die bisherige Beteiligung kirchlicher Instanzen, vor allem in Person des Pastors, konzentriert sich vornehmlich auf die Feststellung der Unterstützungswürdigkeit und die Mitwirkung bei der Vergabe von Unterstützungsleistungen. Die nun eröffnete Kontrolle von Lebensbereichen, die originär dem kirchlichen Bereich zugehören, vervollständigt die Kontroll- und Zwangsmaßnahmen gegen umherziehende und müßige Personen. c) Repressive Maßnahmen gegen Umherziehende Neben der Einbeziehung der Kirchenebene bei der Repression gegen Vaganten setzt sich die hergebrachte Gesetzgebung der Straf- und Zwangsmaßnahmen weiter fort. Die Kontinuität der Regelungen der Reichskreisbeschlüsse wird unter anderem in der Verordnung vom 13. 3. 1760 gewahrt.230 Der gebräuchlichen Normgestaltung folgend wird als Anlass angegeben, dass es infolge der Nichtbeachtung der erlassenen Verordnungen zum Aufenthalt von Vagabunden im Erzstift käme. Das Aufenthaltsund Beherbergungsverbot wird erneut wiederholt und die Kontrolle verdächtiger Stellen, insbesondere die Backhäuser, angeordnet.231 Die Verordnung enthält die Erinnerung an das auch für Privatpersonen geltende Aufnahme- und Beherbergungsverbot bezüglich fremder Vagierender. 229 Verordnung vom 15. 9. 1758 in LHAKo, 1C/19659; Blattau, Statuta V, S. 37 f.; Scotti, Trier II, S. 1112 (Nr. 588). 230 Verordnung vom 13. 3. 1760 in HHStAWi, 110/IIa/2a. Auch die Verordnung vom 14. 2. 1760 stellt eine Fortführung der Kontrollinstrumentarien der PSKO dar. Dort wird insbesondere die Kontrolle der Beherbergungsmöglichkeiten durch Ausstellen von Nachtzetteln zur Personenerfassung angeordnet, vgl. die Zusammenfassung bei Scotti, Trier II, S. 1095 (Anm.). 231 Die Kontrolle von Backhäusern als potentielle Aufenthaltsorte umherziehender Personen ist unter anderem auch aus Bayern bekannt, vgl. Schepers (2000), S. 17, 153.
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d) Verhinderung von Krankenfuhren als Paradox des Heimatprinzips Bewegt sich die zuvor genannte Gesetzgebung im Rahmen der konventionellen Herangehensweise, enthält die Verordnung vom 16. 3. 1762 einige Anordnungen, die über das Übliche hinausgehen.232 Blickt man auf die im Bereich der Seuchenund Krankheitsbekämpfung einschlägigen Normen, so dominieren die Verhinderung des Zugangs zum Territorium und die Androhung von Sanktionen. Dagegen handelt sich nunmehr um die Reaktion auf den Umstand, dass fremde Erkrankte solange von einem Territorium ins nächste verschoben werden, bis die Krankheit schließlich zum Tode führt: „Daß dergleichen arme fremde krancke Siech= und Preßhafte, zu Beschwärung des Publici gar öfters, aus einem Ort zum andern […] so lang geführet werden, bis endlich sie liegen bleiben, allda, wo sie sind, sterben.“ Offensichtlicher Hintergrund für das Verschieben des Problems sind die mit der Aufnahme verbundenen Risiken und Kosten. Entsprechend der Versorgungspflicht für die zum Territorium gehörigen Armen ordnet die Norm die entsprechende Versorgungspflicht für die Erkrankten an. Aufgrund dessen werden alle Grenzämter zur Sicherstellung der Versorgung für die einheimischen Kranken aufgefordert. Ferner ist fremden Kranken, die gruppenweise in so genannten „Bruder=Fuhren“ unterwegs sind, der Einlass zu verwehren. Eine Ausnahme gilt nur, falls förmliche obrigkeitliche Urkunden vorhanden sind. So sind beispielsweise bei kranken Soldaten ordnungsgemäße Entlassungspapiere notwendig. Hier offenbart sich eine paradoxe Folge des Heimatprinzips der Versorgungszuständigkeit. Man erkennt zwar, dass es zu einem bloßen Verschieben des Problems kommt. Ursache ist das Ausschaffen der unerwünschten fremden Personen, für die man sich nicht zuständig erklärt und für die man kein Geld aufwenden will. Der gewählte Lösungsansatz bietet jedoch offenkundig keinen Ausweg aus dieser Situation, sondern ist vielmehr geeignet, diese zu perpetuieren bis zu ihrem biologischen Ende. Gerade die Wiederholung und das Beharren auf der eingeschränkten Zuständigkeit nur für die eigenen Untertanen kann in Verbindung mit der Ausweisung der nicht mit ordnungsgemäßen Pässen versehenen Krankenfuhren konsequenterweise nur zu den kritisierten Folgen führen. Die Akzeptanz der Passage der sich urkundlich Ausweisenden kann keine Lösung bieten. Die Erfolgsaussichten der Annahme, dass bei ausreichender Versorgung in den jeweiligen Gebieten keinerlei Fluktuationen zwischen den Territorien erfolgten, sind dementsprechend von vornherein begrenzt.233 e) Fortsetzung der supraterritorialen Gesetzgebung In den sechziger Jahren des 18. Jahrhundert kommt es erneut zu einer Intensivierung der Gesetzgebung auf der Kreisebene. Diese im Kurfürstentum Trier umgesetz232
Verordnung vom 16. 3. 1762 in HHStAWi, 110/IIa/2a; Blattau, Statuta IV, S. 49 f.; Scotti, Trier II, S. 1132 f. (Nr. 618). 233 Zumal selbst bei der Zuweisung eines Bettlers an seinen Geburts- und Versorgungsort die Versorgung dort oftmals ebenfalls verweigert wird, vgl. Jütte (1995), S. 69 f.
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ten Maßnahmen entsprechen den bereits 1748 getroffenen Regelungen. So ergeht am 13. 4. 1763 ein gemeinsames Edikt des kurrheinischen Kreises.234 Aufgegriffen werden die Strafregelungen der PSKO von 1748 gegen das „Mordt=Todtschlag=Raub= und Diebs=Volck, auch anderes Herrenlose Gesindel“. Die dort niedergelegten Vorschriften für den Strafprozess und die Befugnisse der Streifen, insbesondere die der sofortigen Feuereröffnung werden nochmals wiederholt. Die Feuererlaubnis bezieht sich auf Ansammlungen von mehr als drei Personen von Zigeunern oder anderen Gruppen, zu denen auch „boßhafte Müßiggänger“ zählen. Die Strafart der Arbeitsstrafe durch Zuweisung ins Zuchthaus, zum Galeerendienst oder dem Festungsbau ist ebenfalls vorhanden. Wie schon 1748 ist diese Arbeitsstrafe nicht an das Vorliegen von Straftaten gebunden. Welche Bedeutung der Bestrafung mit Galeerendienst zukommt, lässt die Aussage im Zusammenhang mit der Strafbarkeit der Tatbeteiligung der Untertanen bei Hehlerei oder Beihilfe erkennen. Dort heißt es, „diese sollen zum Tod, oder nach bewanden Umstaenden zur Galere, oder zu einer sonstigen Galere maeßigen, und Todtes=gleichen Straffe verdammt werden“. Für alle Bettler unabhängig der Herkunft, Kollektensammler oder Hausierer mit geringwertigem Warenbestand wird auf die Strafandrohungen der PSKO von 1748 verwiesen.235 Kurz darauf setzt ein am 21. 4. 1763 erlassenes Edikt auf territorialstaatlicher Ebene diese Regelungen um.236 Schwerpunkt ist hier der Aufbau eines entsprechenden Vollzugsapparates in Gestalt von Wachmannschaften. Die Kosten fallen den zuständigen Gemeinden zur Last.237 Betont wird erneut, dass Fremde ohne ordnungsgemäße Papiere kein Aufenthaltsrecht im Erzstift besitzen. Das Vorgehen gegen Kleinkrämer und Hausierer wird durch die Verordnung vom 7. 2. 1764 weiter fortgesetzt.238 Wiederholt wird das Hausieren Fremder verboten und unter Strafe gestellt. Dahinter steht die ausdrückliche Motivation, den Nahrungserwerb der einheimischen Händler durch den Schutz vor ausländischer Konkurrenz mit gleichartiger Ware zu schützen.239 Eine Ausnahme gilt für einen kurzen Aufenthalt zum Verkauf an den Adel, die kurfürstlichen Räte und Beamten.
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Edikt des kurrheinischen Kreises vom 13. 4. 1763 in LHAKo, 1C/1116. Zum Vollzug sind wiederum die jeweiligen Beamten aufgefordert. Zudem ist das Kreismilitär zur Unterstützung verpflichtet. Die in der PSKO vorgesehenen Streifen sollen weiter fortgesetzt werden. Die Beschränkungen des Hausiererhandels wird im Reskript vom 3. 9. 1763 fortgeführt, vgl. hierzu Scotti, Trier II, S. 997 (Anm.). 236 Edikt vom 21. 4. 1763 in HHStAWi, 110/IIa/2a Scotti, Trier II, S. 1052 f. (Anm.). 237 Darüber hinaus werden Vorgaben zur Verbesserung der Kooperation zwischen den Gemeinden gemacht. Unter anderem sind zur Alarmierung so genannte Katzenköpfe (Kanonen) anzuschaffen. Die bei den Streifungen oder Untersuchungen festgenommenen Verdächtigen sind an die zuständigen Kriminalrichter zu überweisen. Die Kontrolle der Herbergen durch die Nachtzettel wird gleichfalls fortgesetzt. 238 Verordnung vom 7. 2. 1764 in HHStAWi 115/IIa/2a. Diese Verordnung bezieht sich auf die bisherigen Verordnungen vom 11. 9. 1687, 31. 1. 1714, 29. 8. 1724, 11. 11. 1738. 239 Die Gefahr der Begehung von Straftaten unter dem Deckmantel des Hausierens wird ebenfalls als Anlass angegeben. 235
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Innerhalb von Jahresfrist ergeht erneut eine Verordnung auf Kreisebene, dieses Mal durch den oberrheinischen Kreis am 18. 5. 1764.240 Wiederum steht die Verhinderung des unberechtigten Zugangs zu den Territorien im Mittelpunkt. Ausgehend von zahlreichen Missbrauchsfällen werden insbesondere für das Passwesen verschärfte Regelungen getroffen. Diese reichen von der intensivierten Kontrolle durch die zuständigen Beamten bis zur Durchführung von General- und Spezialstreifen zur Ergreifung unberechtigter Personen.241 Das Vorgehen auf Kreisebene findet seine unmittelbare Entsprechung in der kurfürstlichen Verordnung vom 22. 11. 1764.242 Neben dem stets im Fokus stehenden Diebes- und Mordgesindel sind die „herumziehende, und im deme Land nicht seßhafte Wannenmachere, Kesselflickere, fort andere mit Steinen=Geschirr, oder so genanten kurtzen Waaren herumstreichende Juden und Christen, wie auch unter diesen jene, so mit Rosenkraenzen herumwanderen, minder nicht auslaendische Pack= und Bettel=Jueden, die so genante Jacobsbrüder Baehrenfuehrere, Murmelthier= und Laterna Magica Traegere“ Objekte des Aufenthaltsverbots. Auf deren widerrechtliche Einreise oder Aufenthalt ist die Konfiskation ihres Hab und Guts angedroht. Die Besonderheit der Verordnung besteht indes im Verbot der Kollekten im Erzstift für Fremde, unabhängig ob sie „geistlich[e] oder weltlich[e]“ Personen sind. Insbesondere den „unter dem Nahmen Italiaenischer Geistlichen“ Umherziehenden ist der Aufenthalt im Erzstift verboten. Die Sanktion für unberechtigte Kollekten ist bei Erstbegehung der Landesverweis. Eine Ausnahme gilt nur für den Fall, dass eine Erlaubnis der kurfürstlichen Regierung vorliegt. Für den Bereich der weltlichen Kollekten ist diese Möglichkeit bereits durch die entsprechenden Regelungen der PSKO von 1748 für Brand- und Überschwemmungsopfer eröffnet.243 Für die einheimischen Mendikantenordnen ist ausgehend von der Armenordnung von 1736 die Möglichkeit zum Terminieren weiterhin eröffnet. Die bisherige Entwicklung zeigt indes, dass gerade das Terminieren auswärtiger Bettelorden zunehmend kontrolliert wird. f) Sanktionen bei ungenehmigter Auswanderung Die Verhinderung ungenehmigter Auswanderung ist bereits Gegenstand der kurtrierischen Gesetzgebung gewesen. Offensichtlich wird diesem Punkt in anderen Reichsterritorien ebenfalls soviel Gewicht beigemessen, dass es nunmehr auf der supraterritorialen Ebene des kurrheinischen Kreises zu dem Edikt vom 20. 5. 1766 240
Verordnung vom 18. 5. 1764 in LHAKo, 1C/1116. Ferner finden sich Vorschriften zur Durchführung der Verordnungen. So werden das Nacheilerecht, die Betretungsbefugnis bei Nichtbeteiligung eines Territoriums, die Verhaltensanforderungen der Streifen sowie die zuständigen Stellen für die Festgenommenen geregelt. 242 Verordnung vom 22. 11. 1764 in LHAKo, 1C/1116; Blattau, Statuta V, S. 78 f.; Scotti, Trier II, S. 1156 (Nr. 636). 243 Ein Beispiel für die Praxis der Sammelerlaubnis für Geschädigte durch Brände im Fürststift Kempten liefert Kissling (2002), S. 190. 241
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kommt.244 Verboten wird die Auswanderung in Gebiete außerhalb der Reichsgrenzen. Die Sanktionsandrohung besteht neben der Konfiskation der Güter in der Belegung mit Arbeitsstrafen in Gestalt von Zuchthaus- und Schanzenarbeit. Die zur Vorbereitung der Auswanderung vorgenommenen Rechtsgeschäfte wie Verkauf des Hab und Guts werden als nichtig erklärt und unterliegen der Konfiskation. Die Strafandrohung erstreckt sich auch auf die Werber der Emigranten. Die Ortsobrigkeiten werden zur Beaufsichtigung und Kontrolle aufgefordert. Insgesamt stellt dieses Kreisedikt eine Fortsetzung der bisherigen Territorialgesetzgebung dar. Die Besonderheit liegt zum einen im gemeinsamen Vorgehen der drei geistlichen Kurfürsten und der Kurpfalz, zum anderen in der Ergänzung des Strafkatalogs durch die Zuchthausstrafe. Im Vergleich zur bisherigen Sanktion des Statusverlustes als Untertan ist die Strafe milder, jedoch sind die verbotenerweise Auswandernden dennoch den Vagabunden hinsichtlich der Bestrafung im Zuchthaus gleichgestellt. Inwiefern der Befund von Marx zutreffend ist, dass sich ausnahmsweise Genehmigungen zur Auswanderung feststellen lassen, kann dem Kreisedikt selbst nicht entnommen werden. Marx verweist darauf, dass diejenigen, die wegen „Armuth, Schwelgerei oder Müßiggang dem Lande lästig waren“, auf Anfrage eine Auswanderungsgenehmigung erhielten. Dass der Territorialstaat die Gesetzgebung zur Auswanderung in Umkehrung der eigentlichen Regelungen als Möglichkeit nutzt, das Armutsproblem gleichsam durch Abschiebung zum Verschwinden zu bringen, erscheint indes zweifelhaft. Dagegen spricht, dass das ältere Mandat vom 8. 6. 1724 eindeutig klarstellt, dass gerade arme Familien nicht ausreiseberechtigt sind und deren Rückkehr als Kostenfaktor gefürchtet ist. Dem Anreiz, den der „werbende“ Staat angesichts der versprochenen Privilegien setzt, wird also bisher vom Auswanderungsland entgegengewirkt. Gründe für einen Paradigmenwechsel sind aus der Gesetzgebung nicht erkennbar. 4. Resümee zur Gesetzgebung unter Johann Philipp von Walderdorff Einzig die im Vergleich gesteigerte Aktivität auf Kreisebene tritt bei der Betrachtung der Regierungszeit dieses Kurfürsten hervor. Angesichts dieser durch Kooperation mit den anderen Reichsständen zustande gekommenen Maßnahmen kann indes nicht von einem für die Herrschaft Johann Philipps von Walderdorff bestehenden Charakteristikum gesprochen werden. Insgesamt bleibt die im Wesentlichen auf den Bereich der Repressionen gegen Umherziehende ausgerichtete Rechtsetzung ohne entsprechende strukturelle Fürsorgeregelungen einseitig beschränkt.
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Edikt des kurrheinischen Kreises vom 20. 5. 1766 in HHStAWn MEA KrhK 76. Das Edikt ist ausgestellt durch die Kurfürsten von Mainz, Köln, Trier und der Kurpfalz. Vgl. hierzu Marx (1859), I/2, S. 201 ff. Dem Edikt vorausgegangen sind zahlreiche territoriale Normen. So ist am 28. 4. 1763 ein Edikt ergangen, in welchem die bisherigen Strafbestimmungen gegen Auswanderer und Werber wiederholt wurden. Herauszuheben ist der Verlust der Erbwürdigkeit für Auswanderer. Weitere Verordnungen in diesem Tenor ergehen am 28. 1. 1764 und am 17. 2. 1766. Ihre Entsprechung finden diese Verordnungen in der kaiserlichen Verordnung vom 7. 7. 1768. Am 18. 4. 1786 werden erneut alle vorangegangenen Verordnungen wiederholt.
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X. Fürsorgegesetzgebung unter Clemens Wenzeslaus von Sachsen 1. Überblick Erst unter der Regierung des letzten Trierer Kurfürsten entstehen weitere Armenordnungen, in denen die in anderen Territorien des Reiches schon seit längerem eingeführten Arbeits- und Zuchthäuser zum Bestandteil der Fürsorgeorganisation werden. Kurz vor Beginn der Französischen Revolution findet eine erneute Erhebung über den Bestand an Hospitälern und Stiftungen im Erzstift statt. Die Wiederaufnahme der schon 1729 angelegten Arbeit der Kommission „ad pias causas“ kann infolge der sich aus der Französischen Revolution ergebenden Folgen für das Erzstift keine weiteren Ergebnisse zeitigen. An die Seite der beiden zu Beginn der Regentschaft entstehenden Armenordnungen treten die hergebrachten flankierenden Maßnahmen, vornehmlich zur Verhinderung des Zugangs von Fremden. Die Schließung von Sondertatbeständen setzt sich weiter fort, ohne zur endgültigen und vollständigen Aufhebung zu führen. 2. Fürsorgeorganisation: Armenordnung von 1768 Nur wenige Wochen nach der Amtsübernahme kommt es am 7. 4. 1768 zum Erlass einer für das gesamte Erzstift geltenden Armenordnung.245 Die erste Armenordnung in der Regierungszeit von Clemens Wenzeslaus greift auf das Grundgerüst der Verordnungen vom 18. 10. 1736 und 15. 11. 1755 zurück und bestätigt die damaligen Strukturen. Die Gesetzestechnik besteht neben der Verweisung in Punkten, die aktuell nicht thematisiert werden, in einer Präzisierung und Aktualisierung der Regelungen, die sich in der Tradition der bisherigen Gesetzgebung befinden. Trotz einiger auffälliger Erweiterungen ist die Einrichtung von Zucht- und Arbeitshäusern zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorgesehen. a) Legitimation: Gefahrenabwehr In der Einleitung wird auf die bislang für die kurtrierischen Armenordnungen charakteristischen Einleitungen mit Bezug zur Almosenlehre und der Caritas verzichtet. Dagegen findet sich an erster Stelle die Feststellung des Missstandes als Anlass des Tätigwerdens. Die Gefahr der Beeinträchtigung der Versorgung der einheimischen Armen durch die unberechtigte Nutzung von „zur Arbeit annoch tüchtige[n] Bettlere[n] und Müßiggänger[n]“ ist der erste genannte Grund. Der unberechtigte Genuss 245
Armenordnung vom 7. 4. 1768 in HHStAWi, 110/IIa/2a; Blattau, Statuta V, S. 114 ff.; Scotti, Trier III, S. 1213 ff. (Nr. 665). Die Verordnung soll ausdrücklich in den „beyden Städten Trier und Coblenz, dann auch in denen Land-Aemteren“ veröffentlich werden, vgl. Blattau, Statuta V, S. 116. Clemens Wenzeslaus von Sachsen wird am 10. 2. 1768 zum Erzbischof gewählt und am 14. 3. 1768 bestätigt, vgl. Gatz (1990), S. 389.
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von Versorgungsleistungen, vornehmlich von Almosen, wird als „wider alle Billigkeit“ empfunden. Der Ursprung dieser Gefahr liegt in der „nothwendig“ mit der Ausweisung dieser Personen aus den benachbarten Territorien verbundenen Einreise des „unnützen liederlichen Volk“ in das Erzstift.246 Dass man daraus nicht auf die Fragwürdigkeit der Verschiebung des Problems schließt, sondern gerade die das Problem verursachenden Maßnahmen weiter intensivieren will, entspricht der Typik des eigenen und des zeitgenössischen Umgangs mit vagierenden Personengruppen. b) Legitimation: Verhinderung des „dem Staat so gefährlichen Müßiggang[s]“ Vagierende Personen stellen aus Sicht des Gesetzgebers weiterhin eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Ein weiterer Beleg für die Gleichstellung von Bettlern und Vagabunden mit Räubern und Dieben findet sich in der Formulierung: „massen wohl unter denen Bettel=Kleideren öfters ein Dieb und Räuber verlarfet ist“ wieder. Darüber hinaus ist der „dem Staat so gefährliche[n] Müßiggang, woraus unumgängliche Gattungen der Uebelthaten erwachsen“, als Ursache der kurfürstlichen Gesetzgebungstätigkeit genannt. Erneut belegt das Beispiel Kurtriers, dass sich in katholischen geistlichen Territorien die immer noch alleine dem Protestantismus zugeschriebene Verdammung und Bekämpfung des Müßiggangs und die Hochschätzung der Arbeitstätigkeit nachweisen lassen. Auf Gesetzesebene lassen sich insoweit zwischen den einzelnen Reichsterritorien im Untersuchungszeitraum keine Unterschiede feststellen.247 Entsprechend den Schutzgütern Sicherheit und Wohlfahrt des Erzstifts ergeht die Verordnung aus „Landesvätterlicher Sorge und Liebe“.248 Damit steht die gesetzgeberische Zielsetzung auf der Höhe der zeitgenössischen Staatsrechtslehre.249 Noch markanter drückt sich dies durch die Formulierung in Punkt 9 aus, in der von der „nur das gemeine Wohl zum Ziel habende Churfürstliche Landes=Verordnung“ die Rede ist.250 Die in den Armenordnungen unmissverständlich zum Ausdruck gebrachte Verpflichtung gegenüber den Lehren des Christentums, insbesondere der des Almosens, ist gänzlich der rationalen Argumentation der Gefahrenbeseitigung gewichen. Obgleich die Verordnung von 1736 einen Funktionswandel der christlich geprägten Semantik erkennen ließ, hat sich der Schwerpunkt nunmehr vollends verschoben. Die Einleitung schließt mit der stets wiederholten Feststellung, dass „dieses Unwesen, indeme solcher nur aus nicht Beobachtung deren bisherigen heilsamsten 246 Besonders die größeren Reichsterritorien nutzen die Verschiebung von Bettlern über die Landesgrenze, vgl. Jütte (1995), S. 65; Scheutz (2003), 49 ff. 247 Vgl. nur die Gesetzgebung in Kurköln und Kurmainz. Gerade die Gesetzgebung in Kurmainz weist zahlreiche Beispiele der Wertschätzung der Arbeitstätigkeit auf, siehe auch die Zuchthausordnung vom 23. 7. 1754 in StAMZ, LVO. Weitere Beispiele finden sich in den Vorschlägen des Mainzer Armendirektors Rulffs, vgl. Rösch (1929), S. 17 ff., 35 ff. Zur Funktion der Arbeitstätigkeit als Inklusionsangebot vgl. Schmidt (2008a), S. 260. 248 Armenordnung vom 7. 4. 1768 in Blattau, Statuta V, hier S. 114. 249 Zur Staatsrechtslehre, insbesondere Christian Wolffs, und der Zielsetzung Wohlfahrt und Sicherheit vgl. Preu (1983), S. 108 ff. 250 Armenordnung vom 7. 4. 1768 in Blattau, Statuta V, hier S. 115 Punkt 9.
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Verordnungen lediglich seinen Ursprung hat“. Nur noch über den Verweis auf die Armenordnung von 1736 wird eine Verbindung zur ursprünglich der christlichen Nächstenliebe geschuldeten Motivation des Gesetzgebers vermittelt. Wie sehr sich der Stellenwert christlicher Vorstellungen gewandelt hat, offenbart sich nicht zuletzt daran, dass, anders als die Gefahrenabwehr, dieser Gedanke in der aktuellen Norm keine ausdrückliche Erwähnung findet. c) Fürsorgekonzept: Unterstützungsberechtigte Die Inklusionskriterien bleiben weiterhin unverändert: Die Versorgungsberechtigung erstreckt sich nur auf einheimische Arme in ihren Geburtsort oder in dem Ort, in welchem sie ein Wohnrecht besitzen. Erstmals findet sich ein ergänzender Hinweis, unter welchen Umständen das Wohnrecht anerkannt wird. Punkt 2 beschreibt den Ort, an dem der einheimische Bedürftige das Wohnrecht hat, als denjenigen, der sich wegen der Geburt, einer Heirat oder durch einen Erwerb ergibt. Fremde sind demgemäß ausgeschlossen von der Fürsorge. Die Gruppe der zum Empfang der Unterstützungsleistungen berechtigten einheimischen Bevölkerung ist im Vergleich zu den vorangegangenen Verordnungen identisch geblieben. Die Arbeitsunfähigkeit ist weiterhin das entscheidende materielle Kriterium für die Zulassung zu den Unterstützungsleistungen. Hinzu tritt wie bisher die Notwendigkeit der formellen Anerkennung in Gestalt einer durch die Beamten und den Pfarrer zu erstellenden Urkunde. Die Rolle des Pfarrers bei der Bedürftigkeitsprüfung ist somit wieder ausdrücklich aufgenommen worden.251 Im Rahmen der Erfassung der gesamten Bevölkerung des Erzstiftes sollen auch die Bedürftigen eigens in entsprechende Listen aufgenommen werden. d) Fürsorgekonzept: Verbot des Bettels als Versorgungsform Eine Generalklausel zum Verbot des Bettels als Versorgungsform fehlt in der Armenordnung von 1768. Zumindest mittelbar wird diese jedoch aktiviert durch den ausdrücklichen Geltungsverweis auf die Verordnungen der Jahre 1736 und 1755 und so auf das dort verankerte Bettelverbot. Ungenaue Formulierungen werfen indes die Frage auf, ob es für Unterstützungswürdige eine Aufbrechung des Bettelverbots gibt. Zunächst spricht Punkt 3 davon, dass es den Berechtigten erlaubt sei, „das Allmoßen in ihrem Geburts= oder Wohnungs=Ort [zu] geniessen“. Das Verbot „in umliegenden Ortschaften sich zu dessen Sammlungen“ blicken zu lassen und die Formulierung „solle denenselben dannoch ausser ihrem Ort in andern desselben Amts Ortschaften bettlen zu gehen keinesweegs erlaubt seyn“ scheinen anzudeuten, dass es den Unterstützungswürdigen zumindest gestattet ist, in ihrem Heimatort zu betteln. Dagegen spricht, dass mit der Sammlung in anderen Ortschaften die in Kurtrier aus 251 Dieser Punkt fehlt in der Verordnung von 1736, vgl. die entsprechenden Ausführungen in Sechster Teil, A, V., 9. Weshalb es nunmehr zu einer verstärkten Bedeutung der Kirchenhierarchie in Gestalt des Pastors gekommen ist, lässt sich der Norm so nicht entnehmen.
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den 1720er Jahren bekannte Sammlung unter Vortragen des Kreuzes erfasst sein dürfte. Gegen eine örtlich begrenzte Bettelerlaubnis spricht ebenso die Reaktion des Trierer Magistrats auf die kurfürstliche Verordnung.252 Das belegt auch das Aufgreifen der Regelung von 1736 bezüglich der wandernden Handwerksgesellen. Diese sollen entsprechend Punkt 6 wie bisher keine Erlaubnis zum Bettel erhalten, sondern bei fehlender Arbeitsmöglichkeit vor Ort mit einem Almosen zum Fortkommen versehen werden. Zudem weist der territorialstaatlich gesteuerte Ausgleich zwischen den Gemeinden zur Überwindung finanzieller Engpässe auf die vorgesehene Versorgung hin. Der Wechsel der Versorgungsform wird, anders als im 16. Jahrhundert, in der Gesetzgebung des 18. Jahrhunderts nicht mehr aufgehoben. Die Versorgungsform beruht alleine auf der kontrollierten Vergabe von Unterstützung statt der Selbstverschaffung (Bettel) des Almosens durch private Spenden. Letztlich gibt der Rückgriff auf die Strukturen der vorangegangenen Verordnungen im Kurfürstentum das Verbot des Bettels als Versorgungsform vor. Insgesamt ist mithin auch ohne ausdrückliche Benennung von einer Untersagung des Bettels auszugehen. e) Durchsetzung der Arbeitspflicht Das territorialstaatliche Repertoire an Maßnahmen im Umgang mit arbeitsfähigen Einheimischen ist merklich vergrößert. Ungeachtet des Geschlechts sind arbeitsfähige Einheimische verpflichtet, innerhalb eines Monats den Nachweis einer Arbeitstätigkeit beim zuständigen Beamten vorzulegen. Dahinter steht die Auffassung, dass ohne einen solchen Nachweis der Erwerb des Lebensnotwendigen nur durch den untersagten Bettel erfolgen kann. Bei Nichterbringung des Nachweises sind diese Personen nach der Gesetzeslogik als arbeitsfähige starke Bettler aus dem Land zu weisen. Hier erfährt die in der Einleitung angelegte Verurteilung des Müßiggangs die entsprechende Sanktionierung. Anders formuliert bedeutet es: Wer als Arbeitsfähiger nicht arbeitet und damit zum Erhalt des Staates beiträgt, verliert selbst als Untertan jegliches Aufenthaltsrecht und damit auch die Unterstützungsmöglichkeiten. Die in den Anfängen der Armengesetzgebung erkennbare Intention der Arbeitsanweisung hat sich angesichts der angedrohten Konsequenzen noch verstärkt. Die Motivation zur Selbstversorgung soll auch durch den Einsatz von Zwangsmitteln aktiviert werden und so die Versorgung sicherzustellen. Die Konsequenzen der Arbeitsverweigerung führen indes zur Schaffung neuer Probleme, bedeutet doch die Nichtbefolgung des Befehls die Ausweisung aus dem Territorium und damit die Entlassung der betreffenden Person aus dem potentiellen Unterstützungsverhältnis. Für den Aufenthalt in anderen Territorien heißt das für den arbeitsunwilligen Arbeitsfähigen, dass er weder in seinem Geburtsterritorium noch in einem anderen Territorium ein Aufenthaltsrecht hat. Die Folge wäre, dass er als Vagierender der Strafentrias nicht entrinnen kann. 252 Dort ersucht man um die Einrichtung eines Armenhauses, ohne welches die Durchführung eines Bettelverbotes unmöglich zu realisieren sei; vgl. hierzu Huberti (1935), S. 42. Dieser verweist auf die Ratsprotokolle vom 17. 5. und 25. 5. 1768. Anlass des Ersuchens ist das Vorstelligwerden der Trierer Stadtarmen aufgrund des Rückgangs der Almosenspenden.
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f) Finanzierung der Fürsorge: Ausgleichspflicht der Gemeinden Zur Finanzierung der Unterstützungsleistungen finden sich keine eigenständigen Vorschriften. Aufgrund des Geltungsverweises verbleibt es bei den bisherigen Finanzierungssystemen wie der Kreuzprozession und der Spendensammlung bei der Bürgerschaft.253 Auf die Beibehaltung der Eintragung in Spendenlisten, wie sie die Verordnung von 1736 kennt, deutet auch die landesweite Erhebung über den Vermögensstand aller Untertanen hin. Diese Verzeichnisse sind durch die Beamten im jeweiligen Amt bis zum Ende des Jahres 1768 zu erstellen.254 Die mit der Anlage der Verzeichnisse verbundenen Folgen sind in zweierlei Hinsicht von Interesse: Zum einen soll die Erhebung zur besseren Umsetzung der Armenordnung dienen, augenscheinlich bezogen auf die Kenntnis der für das Spendenaufkommen entscheidenden Vermögenswerte der Untertanen. Die Anweisung geht indes über den bisherigen Stand hinaus. Während 1736 den Untertanen die Möglichkeit zur Selbstverpflichtung offen steht, bevor eine Einschätzung durch die kurfürstlichen Beamte erfolgt, ist die Vorgehensweise nun genau umgekehrt. Die Erfassung der Vermögensverhältnisse setzt den Territorialherrn von vorneherein in die Lage, den Umfang einer freiwilligen Verpflichtung zu beurteilen. Die vollständige Kenntnis der Vermögenswerte der Untertanen bietet darüber hinaus zum anderen die Möglichkeit der Kontrolle und Überprüfung der durch die Landstände einzubringenden Steuern.255 Berücksichtigt man die originäre Zuständigkeit der Landstände im Bereich der Steuerverwaltung und -erhebung intensiviert sich der Zugriff des Kurfürsten auf diese Kompetenzen.256 Um Situationen zu vermeiden, in denen sich Bedürftige wegen unzureichender Versorgungsmöglichkeiten in ihrer Gemeinde gezwungen sehen, in anderen Gemeinden um Unterstützung nachzufragen, ist die aus der Armenordnung von 1736 bekannte Regelung wiederholt worden. Die Reaktion auf eine örtliche begrenzte Überforderung der kommunalen Fürsorge besteht in einer Ausgleichspflicht unter den Gemeinden. Zu den 253
Zumindest für die Kreuzprozessionen findet sich ein Nachweis bei Huberti (1935), S. 39 f. 254 Die Nichteinsendung der entsprechenden Berichte an die Landesregierung wird mit 50 Goldgulden Strafe geahndet. Zusätzlich soll über den Vollzug der Arbeitszuweisungen und Landesverweisungen berichtet werden, vgl. Armenordnung vom 7. 4. 1768 in Blattau, Statuta V, hier S. 116. 255 Vgl. zur Teilung des Steuervolumens in drei Teile und der Zuständigkeiten des weltlichen und geistlichen Standes Marx (1859), I/2, S. 215 ff. Insbesondere für den gemeinsam nach Vermögensanteilen zu gleichen Teilen zu tragenden Restbetrag nach Abzug des alleine durch den weltlichen Stand zu tragenden Schirmgulden und der Nahrungssteuer ist die Vermögensbemessung relevant. 256 Die originäre Zuständigkeit der Landstände zur Bewilligung und Einziehung der Steuern geht auf das 14. Jahrhundert zurück und ist insbesondere im Binger Rezess anerkannt. Die letzte Ausprägung erhält die Finanzverfassung im Vergleich von 1714 zwischen Kurfürst und Landständen, vgl. Haxel (1930), S. 60 ff., 79 ff.; Härter (1996b), S. 610; Marx (1859), I/2, S. 215 ff. Unter Clemens Wenzeslaus von Sachsen kommt es zu einer Ausweitung des Zugriffs auf die Steuererhebung, insbesondere bzgl. der Anstellung der Generalsteuereinnehmer und der Eintreibung ausstehender Steuerschulden durch kurfürstliche Beamte; vgl. Haxel (1930), S. 64, 81.
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Aufgaben des jeweiligen Amtmannes gehört es wie bisher, den Finanzausgleich zwischen den Gemeinden des jeweiligen Kirchspiels oder bei größeren Schwierigkeiten zwischen den Ämtern selbst zu koordinieren. g) Straf- und Sanktionsandrohungen Den Sanktionen gegen Arbeitsunwilligkeit vergleichbar wird der nicht gestattete Zugriff auf Almosen außerhalb der eigenen Ortschaft verschärft geahndet. Das erste Almosensammeln außerhalb des Unterstützungsortes ist mit drei Wochen Turmstrafe bedroht, bei Wiederholung mit sechs Wochen und schließlich beim dritten Vergehen mit Ausweisung „ohne Rücksicht“ aus dem Territorium. Im Vergleich zur vorherigen Gesetzgebung ist eine markante Verschärfung der Sanktionen feststellbar.257 Die an sich auf die Versorgung ausgelegte Norm weist hier ebenso wie bei der Durchsetzung der Arbeitspflicht eine Verschiebung des Schwerpunktes auf. Angesichts der weit reichenden Folgen kommt der Drohung zur Festigung der Normakzeptanz mehr Gewicht zu als der Gestaltung der Unterstützungsleistungen. Stellte 1736 die Ausweisung aus der Stadt die höchstmögliche Sanktion dar, so gilt die Ausweisung nunmehr für das gesamte Territorium mit den bereits genannten Folgen. Dass diese Sanktion die arbeitsunfähigen und schwachen Personen, die als zur Selbstversorgung Unfähige die eigentlich Hauptbegünstigten der Armenfürsorge sein sollen, stärker trifft als Arbeitsfähige, ist ein Paradoxon dieser Regelung. Berücksichtigt man die ohnehin begrenzten Möglichkeiten der Ausgewiesenen, bedeutet es den auf normativer Ebene angeordneten Ausschluss von der letzten Versorgungsmöglichkeit. Die Strafbestimmungen für unzulässiges privates Almosengeben werden beibehalten. An die Stelle einer Geldstrafe in Höhe von 2 Goldgulden tritt bei finanziellem Unvermögen eine Körperstrafe. Für wiederholtes Zuwiderhandeln ist der Strafstock angedroht.258 h) Repressive Gefahrenabwehrmaßnahmen Im Bereich der repressiven Maßnahmen verbleibt es beim Stand des Jahres 1736. Ausdrücklich herausgegriffen wird die Anweisung an die Kommandanten in Trier und Koblenz zur Kontrolle des Zugangs zu den Städten und der Verhinderung des Eintritts von Bettlern. Die Stadtmagistrate von Koblenz und Trier sind verpflichtet, auf den Landstraßen Streifen durchzuführen zur Ergreifung von Landstreichern und fremden Bettlern.259 Ein weiteres Element zur Verbesserung der Effizienz dieser
257 Zum Vergleich die Sanktionen der Armenordnung von 1736 für denselben Verstoß (Betteln trotz Verbot durch die als unterstützungswürdig Anerkannten): Beim ersten und zweiten Verstoß ist nur der auf ein oder zwei Tagesrationen begrenzte Ausschluss vorgesehen. Beim dritten Verstoß drohen die Ausweisung aus der Stadt und der Ausschluss von der Liste. 258 Zum Strafstock und der Doppelfunktion als Körperstrafe und entehrende Strafe vgl. Ammerer (2008), S. 321 ff. 259 Die Streifen sind zunächst halbmonatlich, bei Erfolg einmal im Monat durchzuführen.
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Maßnahmen ist die Prämierung der Untertanen mit 5 Gulden für jeden aufgegriffenen Bettler oder Landstreicher.260 i) Resümee Der Entwicklungstrend der Armen- und Fürsorgegesetzgebung setzt sich in dieser Verordnung weiter fort. Die Ablösung von der christlich geprägten Legitimationssemantik hin zur Argumentation mit dem „gemeinen Besten“ erfährt eine zunehmende Verfestigung. Die angestrebte Einbindung der Untertanen zur Effektivierung der Zwangsmaßnahmen wird durch die Festnahmeprämien weiter ausgebaut. Die Forderung nach einem Nachweis der Beschäftigung deutet auf die Notwendigkeit der zu diesem Zeitpunkt noch nicht verwirklichten Errichtung eines Arbeits- und Zuchthauses hin. 3. Ergänzung der Armenordnung durch die Schulordnung von 1768 Im weiteren Verlauf seines ersten Regierungsjahr geht der neue Kurfürst an weitere Aufgabenstellungen des Erzstifts an, wobei sein Vorgehen von den Ideen der Aufklärung geprägt ist. Sein Zugriff richtet sich vor allem auf die weltliche Verwaltung des Kurfürstentums, auch und vor allem das Schulwesen.261 Für diesen Bereich ergeht am 29. 10. 1768 eine für das gesamte Erzstift geltende Schulordnung,262 deren Ziel es ist, die Kinder als „Pflaenzlinge der Kirche und des Staats“ zu behandeln und „das gute Gewaechs vom Unkraut, die tuechtige subjecta von denen Untuechtigen“ zu trennen.263 Relevant in Bezug auf die Fürsorgeorganisation ist Punkt 11.264 Dort wird den Bettelstudenten mit entsprechenden Erlaubnisscheinen („Testimoniis“) erlaubt, im Land zum Almosensammeln herumzuziehen. Aufgrund missbräuchlicher Ausnutzung und Überziehung der Dauer der Berechtigung sind die Bescheinigungen durch einen Hinweis in ihrer Gültigkeit auf die Dauer der Ferien zu beschränken. Diese Erlaubnis entspricht der Tradition der in der Stadt Trier für Studenten eröffneten Versorgungsmöglichkeiten.265 Die Sondergruppe der Studenten ist für eine begrenzte Zeit als unterstützungswürdig anerkannt. Stellt dies eine begünstigende Regelung dar, so enthält Punkt 8 Vorschriften, die Maßnahmen zur Beschränkung des Berechtigtenkreises enthalten.266 Grundsätzlich ausgeschlossen sind Fremde vom Zugang zu dem durch Stipendien geförderten Schulbesuch. Ferner sind zur Verhinderung des Anstiegs von Bettelstudenten aufgrund von Nichtversetzung nur geeignete Kandidaten aufzunehmen. Kennzeichnend für die Sonderregelung ist nicht der 260 261 262 263 264 265 266
Die Kosten fallen dem Amt zur Last, in welchem die Person aufgegriffen wird. Gatz (1990), S. 389; Franz (1988), S. 262. Schulordnung vom 29. 10. 1768 in Scotti, Trier III, S. 1226 – 1239 (Nr. 680). Schulordnung vom 29. 10. 1768 in Scotti, Trier III, hier S. 1227. Schulordnung vom 29. 10. 1768 in Scotti, Trier III, hier S. 1230. Beschluss vom 10. 12. 1717 in Trierische Kronik 1823, S. 196. Schulordnung vom 29. 10. 1768 in Scotti, Trier III, S. 1229.
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Umstand, dass für eine bestimmte Gruppe von Jugendlichen eine Ausnahmestellung besteht. Vielmehr entsprechen die einschlägigen Regelungen den bei der Fürsorge zu beobachtenden Tendenzen: die Vorrangigkeit der Versorgung Einheimischer und das Bestreben nach Reduzierung des Berechtigtenkreises. 4. Umsetzungsschwierigkeiten und Ankündigung eines Arbeitshauses Die Tatsache, dass die nur wenige Monate zuvor erlassene Armenordnung bereits am 30. 8. 1768 durch eine Zusatzbestimmung erläutert werden muss, zeigt, dass kein Endpunkt der Armengesetzgebung erreicht ist.267 Die Veranlassung zur Klarstellung bilden die offensichtlich aus kurfürstlicher Sicht bestehenden Missverständnisse über den Umgang mit den im Erzstift wohnenden oder eingeheirateten Armen, die ursprünglich aus dem Ausland stammen. Gemäß der Verordnung vom 7. 4. 1768 steht ihnen das Aufenthaltsrecht zu, und somit kommen sie als potentielle Unterstützungswürdige in Frage. Ausdrücklich wird die Ausweisung dieser Personen alleine wegen ihrer Armut untersagt. Unter der Voraussetzung, dass die Notlage unverschuldet, etwa durch widrige Zufälle, entstanden ist und keine anderweitigen Beschwerden vorliegen, wird eine Bezuschussung durch den Armenkasten angeordnet. Die Dauer der Unterstützung bzw. der Aufenthaltsberechtigung steht unter der Bedingung der weiterhin „gute[n] Auffuhr“, und dass die Armen „sonst deme Publico nicht zum Last gereichen werden“.268 Für Arbeitsfähige gilt ebenfalls die Duldung im Erzstift, allerdings unter der Voraussetzung, dass sie sich durch ein „anzurichtendes Arbeitshaus ernehren“. An dieser Stelle wird ein weiteres Anliegen der Klarstellung deutlich. Die Verordnung vom 30. 8. 1768 weist erstmals, wenn auch indirekt, auf die Pläne zur Errichtung eines Arbeitshauses hin.269 Die Verordnung reagiert damit aufgrund einer Eingabe des Trierer Magistrats auf ein Ersuchen der Trierer Stadtarmen. Diese geben an, wegen der seit der Armenordnung eingeschränkten Almosen nicht mehr weiter zu wissen. Unter Hinweis auf die ansonsten drohende Undurchführbarkeit des Bettelverbotes bittet daraufhin der Magistrat um die Einrichtung eines Arbeitshauses.270 Die Konsequenz aus der direkten Arbeitsverpflichtung und dem indirekten Arbeitszwang durch Ausschluss von der Versorgung wird durch den Rückgriff auf das in anderen Reichsterritorien bereits seit längerem existente Instrument der Arbeitsbeschaffung nun auch durch den kurtrierischen Gesetzgeber gezogen.
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Verordnung vom 30. 8. 1768 in Blattau, Statuta V, S. 120 f. Verordnung vom 30. 8. 1768 in Blattau, Statuta V, S. 121. 269 Hierfür spricht die Formulierung „durch ein anzurichtendes Arbeitshaus ernehren, oder von deme Armenkasten ihre Gutthat erhalten können“, vgl. Verordnung vom 30. 8. 1768 in Blattau, Statuta V, S. 121. 270 Huberti (1935), S. 42. 268
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Die Verordnung vom 27. Mai 1769 ist bezeichnend für Schwierigkeiten, die bereits die Auslegung von Normen den kurfürstlichen Beamten bereiten.271 Der Kurfürst nimmt die Rechtsauffassung einiger Ortsobrigkeiten zum Anlass einer erneuten Klarstellung. Die Verwirrung wird verursacht von der Frage, ob infolge der Verordnung vom August 1768 die Regelungen der Armenordnung vom 7. 4. 1768 weiterhin Geltung besitzen oder nicht. Der Auslöser aus Sicht des Kurfürsten für die entstandenen Missverständnisse ist die unzutreffende Auslegung des am 30. 8. 1768 erfolgten Hinweises. Dieser bezieht sich auf das Aufenthaltsrecht für eingeheiratete oder seit längerem im Erzstift ansässige Auswärtige. Die fehlgeleitete Verwaltungspraxis hat zusammen mit der aus Sicht des Kurfürsten nicht vollständig stattgefundenen Umsetzung der „sorgsamst erlassene[n]“ Verordnung zur Folge, dass der Aufenthalt „fremde[r] Bettlere, Passanten und Landstrichere“ gestattet wird. Zur Abstellung des „geschöpften Irrwohn“ halber ergeht nunmehr erneut die Erklärung an alle Städte und Ämter, dass die Regelung vom 7. 4. 1768 unverändert ihre Gültigkeit besitzt. Dies gilt gerade hinsichtlich der einreisenden und aus fremden Territorien stammenden „fremde Bettlere und Land=Lauffere“. Sichtlich zur Überprüfung des beeinträchtigten Normverständnisses verlangt der Kurfürst von den Ortsobrigkeiten einen regelmäßigen Bericht über die Umsetzungsakte, insbesondere bzgl. § 10 der Armenordnung von 1768 (Streifen auf den Landstraßen). Angesichts dieser Sachlage kann im weiteren Verlauf nicht verwundern, dass aus Sicht des Kurfürsten die Umsetzung der Gesetzgebung weiterhin nicht oder nur unzureichend erfolgt. Anders als bei der sonst stereotyp wiederholten Klage über die fehlende Umsetzung lässt sich hier ein Einzelfall der Gesetzeswirklichkeit abbilden. Aufgrund dieser Situation ergeht am 4. 9. 1773 ein an die Stadt Koblenz gerichteter Befehl.272 Aufgrund der Anwesenheit von Bettlern in der Stadt schließt der Kurfürst auf den fehlenden Vollzug. Die vorangegangene Bettelordnung wird erneuert, insbesondere das Almosenverbot außerhalb der obrigkeitlich gesteuerten Sammlungen in die „armen Büchsen“. Gerichtet ist dieser Befehl an den Koblenzer Magistrat, den Vogt und das Gericht. Wiederum findet sich Forderung nach Berichterstattung innerhalb einer Frist von acht Tagen nebst der Androhung von unbestimmt gehalten Sanktionen bei Zuwiderhandlungen gegen die Verordnung. Die Umsetzungsschwierigkeiten sind zwar ein Beleg für mangelnde Effizienz des Gesetzesvollzugs. Unverkennbar ist jedoch, dass eine Auseinandersetzung mit den Normen erfolgt, ein völliges Ignorieren oder eigenwilliges Weiterhandeln ohne entsprechende Reaktionen des Fürsten also nicht möglich ist.273
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Verordnung vom 27. 5. 1768 in Blattau, Statuta V, S. 155 f. Befehl vom 4. 9. 1773 in LHAKo, 1C/1215. Dieser Befehl bezieht sich auf eine Bettlerverordnung vom 14. 2. 1771. 273 Ähnliche Schwierigkeiten auf der Verwaltungsebene lassen sich auch in Österreich nachweisen, vgl. Ammerer (2001a), S. 15 ff. Ammerer zieht allerdings die hier nicht in dieser Weise geteilte Schlussfolgerung, dass die Gesetze gegen Bettler und Vaganten sehr nachlässig angewandt wurden. 272
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5. Entstehung der Arbeitshäuser und die Armenordnungen von 1768 – 1776 Der Zwiespalt zwischen dem seit Jahrzehnten geltenden Bettelverbot und den offenkundigen Schwierigkeiten bei der Umsetzung führt letztlich zur Einrichtung von Arbeitshäusern im Erzstift. Damit erschließt sich der Trierer Kurstaat – wenn auch mit Verzögerung – ein bislang ungenutztes Instrument der zeitgenössischen staatlichen Armengesetzgebung.274 Vorauszusetzen ist die Erkenntnis des Territorialherrn, dass es mit der 1768 vorgesehenen Ausweisung arbeitsunwilliger Arbeitsfähiger letztlich nicht getan sein kann. Hierfür spricht die Kommunikation zwischen dem Kurfürsten und den beiden Residenzstädten. Insbesondere in Trier kommt es nach den bereits 1768 eingereichten Anfragen nach der Einrichtung eines Arbeitshauses zu einem erneuten Vorstoß im Juli des Jahres 1773. In beiden Fällen wendet sich der Trierer Magistrat an den Kurfürsten, um diesen dazu zu bewegen, „ein Armenhaus dahier aufkommen zu lassen, womit den Armen und Bettleren auf diese Art geholfen werde“.275 Die vorgesehene Anstalt soll mehreren Zwecken dienen. Zum einen sollen dort „alle kräftige Arme bald Arbeit und den dürftigen Unterhalt finden“, zum anderen die gebrechlichen, sprich arbeitsunfähigen Armen ihren Unterhalt bekommen. Jugendliche, die noch nicht voll arbeitsfähig sind, sollen im Lesen und Schreiben sowie in der christlichen Lehre unterwiesen werden. Schließlich soll „das ausschweifende Gesindel zur behörigen Züchtigung gebracht werden“.276 Geplant ist offenbar die Zusammenfassung der Funktionen zu einem Armen-, Arbeits- und Zuchthaus. Das an alle Haupt- und Nebenstädte sowie alle Ämter gerichtete Reskript vom 30. 11. 1773 bezieht sich augenscheinlich auf diesen Vorgang und enthält neben den stets wiederkehrenden Beanstandungen ein erstaunliches Eingeständnis.277 Altbekannt ist die Feststellung, dass die Verordnungen zur Abschaffung des Gassenbettels nicht umgesetzt worden sind. Zugegeben wird indes, dass dies dem Umstand geschuldet sei, dass es bislang zu keiner Vorgabe bezüglich der Art und Weise gekommen sei, wie die Armen denn nun im jeweiligen Zuständigkeitsbereich der Städte oder des Amtes zu versorgen seien. Der Kurfürst fordert daher die Ortsobrigkeiten zur Erstellung von Gutachten auf, inwiefern Möglichkeiten zur bezahlten Beschäftigung bestehen. Als Beispiel für Erwachsene genannt ist die Beschäftigung beim Erhalt von Landstraßen und gemeinen Wegen. Für Kinder ist wegen der Untauglichkeit zur schwereren 274
Die Einrichtung von Arbeits- und Zuchthäusern wird in anderen geistlichen Territorien wesentlich früher vollzogen, so beispielsweise in Kurköln bereits 1736, vgl. die Ausführungen in Zweiter Teil, B., V. In Kurmainz erfolgt die Einführung eines Arbeitshauses nach dem 1710 gescheiterten Versuch erst in den 1740er Jahren, vgl. Rösch (1929), S. 7 f., sowie die Verordnung vom 28. 6. 1742 in StAMz, LVO. Im Hochstift Speyer gibt es bereits 1728 Pläne zur Errichtung eines Zucht- und Arbeitshauses, die allerdings erst 1776 verwirklicht werden, vgl. Dussel (1995), S. 227, 230. 275 Trierisches Wochen=Blättgen Nr. 38 vom 8. 9. 1768. 276 Huberti (1935), S. 42. Diese verweist auf die Schreiben vom 22. 7. 1773, 26. 8. 1773 und 2. 9. 1775. 277 Reskript vom 30. 11. 1773 in HHStAWi, 110/IIa/2a & II/8.
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Arbeit die Beschäftigung mit Spinnarbeiten vorgesehen. Die Beschäftigung mit Spinnarbeiten ist möglicherweise auf das Vorbild der Trierer Baumwollmanufaktur während der sechziger Jahre zurückzuführen. Diese Unternehmung, die nach anfänglichen Schwierigkeiten einen aussichtsreichen Start absolviert hatte, ist letztlich gescheitert.278 Am Ende dieses Prozesses steht sowohl in Trier als auch in Koblenz die Errichtung von Spinn- und Arbeitshäusern.279 a) Gründung und Finanzierung des Spinnhauses in Trier Als das Hauptproblem bei der Umsetzung des Vorhabens stellt sich die Sicherung der Finanzierung dar. Der ursprüngliche Plan des Bürgermeisters sieht neben der Bereitstellung eines städtischen Hauses die Deckung der Anschaffungskosten durch eine Kollekte vor. Hier offenbart sich wiederum die Begrenztheit der zur Verfügung stehenden Finanzierungsarten, da man stets auf die Inanspruchnahme der christlichen Nächstenliebe angewiesen ist. Die Notwendigkeit einer Kollekte entfällt jedoch aufgrund der Stiftung des am 8. 2. 1774 verstorbenen Vikars Dahlstein. Dieser hinterlässt testamentarisch einen Teil seines Vermögens „ad pias causas“ in Höhe von ungefähr 2.000 Reichstalern. Nach Rücksprache und Genehmigung durch den Kurfürsten wird ein Teil dieser Summe zum Grundfundus des Spinnhauses bestimmt, welches wie vorgesehen in einem von der Stadt überlassenen Gebäude eingerichtet wird.280 Da dass Spinnhaus zunächst über keinerlei eigene Einnahmen verfügt, wird es zur Generalalmosensammelstelle bestimmt.281 Alle Almosen, die von „mitleidige[n] Christen in Geld, Brod, oder sonsten den Armen zugewendet“ werden, sollen nur noch dem Spinnhaus zur Verteilung zustehen. Hierunter fallen insbesondere die im Rahmen der Kreuzprozessionen gesammelten Almosen. Hier fügt sich das Spinnhaus in die bestehende Fürsorgestruktur ein, indem es die Aufgabe der Almosenerhebung und Verteilung übernimmt. Zusätzlich sind dem Spinnhaus indirekte Einnahmen der Stadt zugewiesen aus der so genannten Torsperre und den Gebühren für die Genehmigung von Lustbarkeiten wie der Veranstaltung von Fastnachtsbällen.282 Ferner dienen die Ein278 Huberti (1935), S. 41. Inwiefern es tatsächlich zur geplanten Anstellung arbeitsfähiger Armer gekommen ist, wie Huberti andeutet, ist im vorliegenden Rahmen nicht nachprüfbar ebenso wie die erwähnte Beschäftigung von Kindern unter sieben Jahren. Diese Altersgrenze widerspricht den sonst in den Normen anzutreffenden Altersangaben von acht oder zehn Jahren. 279 Vgl. allgemein zur Einrichtung des Zucht- und Arbeitshauses Ammerer/Weiß (2006); Bretschneider (2008); Scheutz (2008a); Sachße/Tennstedt (1980), S. 113 ff. 280 Huberti (1935), S. 42 f. Das Spinnhaus ist in dem alten Rathaus untergebracht, das ursprünglich vorgesehene Universitätsgebäude ist aufgrund der hohen Reparaturkosten nicht genutzt worden. Nach den Angaben Hubertis werden noch etwa 2 000 bis 3 000 Reichstaler aus der Hinterlassenschaft Dahlsteins zur Reparatur und zum Ankauf weiterer Gebäude aufgewandt. Insgesamt entspricht diese Summe der im Trierischen Wochen=Blättgen Nr. 5 vom 4. 2. 1776 genannten Summe von insgesamt 5 000 Reichstalern. Hierzu wandte der Kurfürst eine Spende von 60 Reichstalern auf. 281 Trierisches Wochen=Blättgen Nr. 4 vom 4. 2. 1776. 282 Bei der schon in Koblenz eingeführten Torsperre handelt es sich um die bei Eintritt nach Schließung der Tore in die Stadt fällige Gebühr, vgl. hierzu Huberti (1935), S. 43 ff. Die
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nahmen aus der laufenden Produktion von Wolle und Leinen zur Finanzierung des Spinnhauses. Dass man diese Einkünfte nicht als ausreichende finanzielle Grundlage betrachtet, zeigt der Versuch, Beiträge von den umliegenden Klöstern einzufordern. Die vom Kurfürsten veranlassten Bemühungen der Stadt Trier im Jahr 1775 ähneln den Vorgängen des Jahres 1725 in frappierender Weise. Zunächst bleibt die städtische Aufforderung zur Beteiligung am Spinnhaus ohne Erfolg. Die Klöster verweisen auf die von ihnen gewährleistete Versorgung von 1000 Personen. Eine Beteiligung käme nicht in Frage, solange keine Entlastung hinsichtlich der dort erbrachten Versorgungsleistungen erfolgt sei. Der argumentativ nicht überwindbare Zirkelschluss besteht in der Aussage, dass das Spinnhaus diese Unterstützungsleistungen mit dem ihm zur Verfügung stehenden vergleichsweise geringfügigen Mitteln gar nicht erbringen könne. Hier offenbart sich zum wiederholten Mal die Hilflosigkeit der weltlichen Obrigkeit beim Zugriff auf Güter, die nicht der ihrigen, sondern der kirchlichen Regelungsgewalt unterworfen sind. Diese Pattsituation wird nur teilweise gelöst durch einen ausdrücklichen Befehl des Kurfürsten an die Abteien und Klöster. Als Reaktion auf diesen Befehl erklären sich die Klöster und Abteien mit der wöchentlichen Überlassung von rund 800 Pfund Getreide einverstanden.283 Eine vollständige Übertragung der zur Armenfürsorge zur Verfügung stehenden Güter erfolgt indes nicht.284 Auch bei der Einrichtung des Spinnhauses greift man zur der Finanzierung im Wesentlichen auf das hergebrachte christlich geprägte Motiv der Nächstenliebe zurück. Die Nutzung zusätzlicher indirekter Finanzierungsquellen aus Gebühren und Beiträgen erweist sich als nicht ausreichend. Erkennbar ist, dass man die tradierten Finanzierungsformen einer direkten Umlage der Kosten vorzieht. Die Heranziehung der klösterlichen Güter stößt auf Widerstand und führt letztlich nur zu einem begrenzten Erfolg. b) Verwaltungsstruktur und Aufbau des Spinnhauses Die Verwaltung des Spinnhauses untersteht dem Kurfürsten und wird durch eine Verwaltungskommission aus Statthalter, Bürgermeister und einem geistlichem Rat vor Ort ausgeübt. Später wird dieses Gremium um drei städtische Räte erweitert.285 Das Spinnhaus selbst ist entsprechend den Planungen multifunktional ausgelegt. In einer Erläuterung im Trierischen Wochen=Blättgen von 1776 wird ausführlich auf
„Splitterfinanzierung“ aus zahlreichen Quellen lässt sich auch am gut dargestellten Beispiel des Zucht- und Arbeitshauses in Wien erkennen, vgl. Scheutz (2006), S. 82 ff. 283 Die Klöster und Hospitäler verfügen über bedeutende Korn- und Getreidevorräte. Zur Rolle der Klöster und Hospitäler bei der Kornbevorratung in Kurtrier vgl. Irsigler (1988), S. 128 f. 284 Gemäß den Angaben von Huberti (1935), S. 45, standen dem Spinnhaus im Jahr 1789 rund 1 500 Reichstaler als Einnahmen zur Verfügung. Die Einnahmen aus der Produktion stellten dabei gerade ein Fünfzehntel des Gesamtbetrags dar. 285 Huberti (1935), S. 45.
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die Ziel- und Zwecksetzung eingegangen.286 Die aufzunehmenden Personen werden in vier Klassen eingeteilt. Wie vorgesehen dient es der Versorgung arbeitsunfähiger Personen (1. Klasse),287 der entlohnten Beschäftigung von Arbeitsfähigen (3. Klasse), sprich der Schaffung bezuschusster Arbeitsstellen, sowie dem Zwang von Arbeitsunwilligen zur Arbeit im Zuchthaus (4. Klasse).288 Hinzu tritt die Erziehung und Unterrichtung von Kindern und Jugendlichen (2. Klasse).289 Klar herausgestellt sind die Zielsetzungen, die man mit dem Aufenthalt im Spinnhaus verbindet: Die Kinder sollen als „junge Zweiglinge zu nuetzlichen, und tugendhaften Buergern“ und in der christlichen Lehre erzogen werden, während die Erwachsenen in den Stand gesetzt werden sollen, sich selbst durch Arbeit zu versorgen. Für Zuchthausinsassen soll der Aufenthalt zum einen Straf- und Bußfunktion haben, zum anderen zur „Besserung ihres liederlichen Lebenswandel[s]“ dienen. Lediglich die Versorgung der Arbeitsunfähigen wird nicht ausdrücklich mit einem darüber hinausgehenden Zweck verknüpft. Gemäß den Angaben von Huberti erhielt jeder Arme pro Woche eine Zuteilung von 4 bis 8 Albus und vier Pfund Brot.290 Der Tages- und Arbeitsablauf ähnelt den Vorgaben der Arbeits- und Spinnhäuser in anderen Territorien.291 Gleiches gilt für die zur Verfügung gestellten Materialien und Arbeitsgeräten. Insgesamt arbeiten zeitweise 250 Personen im Spinnhaus. Besonderer Wert wird neben der Versorgung mit Arbeit und Unterhalt gerade der religiösen Erziehung beigemessen. Dies gilt insbesondere auch für die Zuchthausinsassen.292 Die Bekämpfung des Müßiggangs gewinnt durch das Spinnhaus eine verstärkte Bedeutung. Ziel ist es, „den Muessiggang in Fleiß und Arbeit“ zu verwandeln. In der Erläuterung zur Einrichtung des Spinnhauses geht man sogar so weit, den Müßiggang als „die Urquelle aller Ausschweifung, und aller Uebelthaten“ zu bezeichnen. 286 Vgl. die „Nachricht vom Spinnhause“ in Trierisches Wochen=Blättgen 1776 Nr. 4 – 6 vom 28. Januar – 28. Februar 1776. Die Unterbringung einer Vielzahl von Funktionen entspricht dem seit der Angliederung eines Zucht- und Arbeitshauses in Kurmainz üblichen Aufbau, vgl. hierzu die Verordnung vom 28. 6. 1742 in StAMz, LVO. 287 Hierzu gehören neben alten und gebrechlichen Personen auch kurzfristig erwerbsunfähige Personen wie stillende Mütter, vgl. Huberti (1935), S. 47; s. a. Trierisches Wochen=Blättgen Nr. 4 vom 28. 1. 1776. 288 Zur Entlohnung der Zuchthausinsassen vgl. Trierisches Wochen=Blättgen Nr. 5 vom 14. Februar 1776: „Die vierte Classe hingegen, als welche aus zu Zuechtigenden bestehet, mithin keinen Lohn empfangen, erhalten sich selbst.“ 289 Der Vollzug des Arbeitszwangs im Zuchthaus erfolgt in einem mit dem Spinnhaus verbundenen Gebäude, vgl. Huberti (1935), S. 46, 49. Auch im Fürstbistum Osnabrück erfolgt durch Justus Möser eine Klassifizierung, vgl. Rudersdorf (1995), S. 112 ff. 290 Vgl. den Hinweis auf Spinnhausrechnungen aus dem Jahr 1789 bei Huberti (1935), S. 47 Fn. 268. 291 Vgl. beispielsweise die Kurmainzischen Armenhausordnungen vom 23. 3. 1722 und 12. 9. 1739 in StAMZ, LVO. 292 Huberti (1935), S. 46; Trierisches Wochen=Blättgen Nr. 4 vom 28. 1. 1776. Zur Funktion des Religionsunterrichts als Mittel zur Selbsthilfe vgl. Stekl (1986), S. 129 ff. Zum Zusammenhang zwischen Erziehung und Arbeit insbesondere bei der Kinder- und Waisenerziehung vgl. auch Rudolf Weber (1986), S. 258 ff.
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Darüber hinaus bezieht man sich auf die Erkenntnisse der Polizeiwissenschaften, dass der Müßiggang die „durch die Erfahrung bestätigte naechste Gelegenheit zu Gesetzwidrigen Handlungen“ darstellt.293 Bezüglich der Normintention bei der Einrichtung des Zuchthauses lässt sich demnach kein Unterschied zwischen der Programmatik protestantischer und katholischer Territorien erkennen. c) Auswirkung des Spinnhauses: Erlass der Trierer Bettelordnung 1776 Kurz nach der Eröffnung des Spinnhauses hält man nun auch von städtischer Seite den Zeitpunkt für gekommen, ein generelles Bettelverbot durch eine Verordnung auszusprechen. Mit diesem Anliegen wendet sich der Magistrat am 10. 12. 1775 zwecks Erlaubnis an den Kurfürsten.294 Wie es bei Kenntnis der bisherigen territorialstaatlichen Gesetzgebung wenig verwundern kann, erfolgt die gewünschte Genehmigung wenig später am 15. 1. 1776. Inwiefern es sich um eine Verzögerungstaktik wegen einer vorgeblichen Unkenntnis des wiederholt durch die Kurfürsten festgelegten generellen Bettelverbots handelt oder ob es dem Bedürfnis nach Synchronisierung bei der Einführung des Bettelverbots mit dem Spinnhaus entspricht, lässt sich nicht abschließend feststellen. Hinsichtlich der Umsetzungsschwierigkeiten erscheint es allerdings nahe liegend, dass die bislang kurfürstlich angeordneten Bettelverbote, verbunden mit der nicht näher bestimmten Durchsetzung der Arbeitspflicht, offenkundig nicht zu deren Akzeptanz auf städtischer Ebene geführt haben. Aufgrund der kurfürstlichen Genehmigung kommt es schließlich am 23. 1. 1776 zum Erlass der Verordnung.295 Darin werden die Ziele des Spinnhauses erneut wiederholt: die Erziehung der Jugend, deren Ausbildung in der Spinnerei, die Ausgabe von Arbeitsmaterialien für Arbeitsfähige und schließlich die Versorgung der Alten und Gebrechlichen. Hinzu tritt, dass nunmehr erneut alles Betteln untersagt wird, insbesondere solches in den Kirchen, Abteien, Stiften und Klöstern ebenso wie auf den Straßen oder Plätzen. Der Verstoß gegen das Bettelverbot ist mit Einsperren in das Zuchthaus zu ahnden. Zum einen bedeutet dieses Verbot des Bettelns vor den Klöstern das Ende der Ausnahmeregelung für die klösterlichen Unterstützungsleistungen, die noch 1736 explizit ausgenommen wurden. Dem bislang nicht antastbaren Bereich der klösterlichen Carität ist zumindest in dem durch die städtische Obrigkeit steuerbaren Vorfeld erstmals ausdrücklich das Bezugsobjekt genommen. Allerdings kann dieses Verbot unter Berücksichtigung der vorherigen Bemühungen um eine Sicherung der Finanzierung des Spinnhauses durch Beiträge der Klöster als Eingehen 293 Die Verschiebung des Augenmerks bei der Ausbildung und Erziehung auf die Schaffung von „disziplinierten Produktionshelfern“ ist ein in der utilitaristischen Staatsrechtslehre des 18. Jahrhunderts angelegte Entwicklung, vgl. Schmidt (2008a), S. 257 f. 294 Huberti (1935), S. 52 f. 295 Verordnung vom 23. 1. 1776 in Trierisches Wochen=Blättgen Nr. 4 vom 28. 1. 1776, vgl. hierzu Huberti (1935), S. 53. Offenkundig zur Erläuterung der Neuregelungen ist im Trierischen Wochen=Blättgen in den folgenden Nummern die bereits erwähnte „Nachricht vom Spinnhause“ hinzugefügt.
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auf deren Forderungen gedeutet werden. Fest steht jedenfalls, dass der Ausweitung des gesetzgeberischen Instrumentariums der Unterstützungsformen eine weitere Intensivierung der repressiven Maßnahmen gegenübersteht und sich mit dieser verbindet. Der Vollzugsapparat in Gestalt der Bettelvögte zur Durchsetzung des Bettelverbots wird entsprechend ausgebaut.296 Die Einsperrung in das Zuchthaus erfolgt „ohne die anstaendige Menschliebe, ohne das Christenthum zu verletzten, vielmehr wird durch diese Policey=Verbesserung dem einen wie dem anderen die gedylich=Gott, und dem gnaedigsten Landesfuerstn gefaelligste Art“ bewirkt.297 Die Bestrafung starker Bettler entspricht zwar den bereits in der Scholastik vorgenommenen Betrachtungen und der bislang geübten Praxis. Mit der vorgenannten Formulierung erreicht die Verknüpfung zwischen dem Willen Gottes und dem Willen des Kurfürsten eine neue Dimension. Die Einrichtung des Zuchthauses hat nicht nur für die weltliche Gesetzgebung Auswirkungen: Auch für kirchenrechtliche Bußen ist die Einweisung ins Zuchthaus nunmehr probates Strafmittel anstelle der bislang üblichen Kirchenbuße.298 d) Erfolg und Misserfolg des Spinnhauses Die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Trierer Spinnhauses fällt geteilt aus. Zwar kommt es angesichts der anfänglichen Wirkkraft zu entsprechenden Anfragen von Ämtern, die eine ähnliche Einrichtung beabsichtigen. Die konkrete Umsetzung dieses Vorhabens bleibt indes aus.299 In den besten Zeiten des Spinnhauses werden dort mehr als 350 Personen versorgt, was zur Notwendigkeit des Zukaufs eines weiteren Gebäudes führt. Aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse in der Stadt Trier kommt es in den späten 1780er Jahren zu einer signifikanten Verringerung der Einnahmen. Die Gesamteinnahmen verringern sich von 1 500 fl. im Jahr bis auf 539 fl. im Jahr 1794. Zusätzlich belastend wirkt sich aus, dass die Verkaufserlöse aufgrund des zunehmenden Eigenverbrauchs an Kleidungsstücken sinken. Die Klöster reagieren auf die Missernten mit der Einstellung ihrer Kornspenden an das Spinnhaus.300 Der trotz anfänglicher Erfolge unaufhaltsame wirtschaftliche Niedergang und damit der Ineffektivität bezüglich der eigentlichen Aufgaben ist kein nur auf das Spinnhaus in Trier begrenztes Phänomen.301 Die angestrebte vollständige Zentralisierung der Mittel erweist sich schon aufgrund des Widerstandes der Klöster als nicht realisierbar. Zudem finden sich Anzeichen dafür, dass neben der Unterstützung durch das Armenhaus eine Unterstützung durch die Pfarrer für die Hausarmen er296
Huberti (1935), S. 53. Trierisches Wochen=Blättgen Nr. 4 vom 28. 1. 1776. 298 Haxel (1930), S. 76. 299 Huberti (1935), S. 54. Allerdings erfolgt in Montabaur die Beschäftigung von Kindern in einer dem Hospital angegliederter Spinnstube, vgl. Schewior (2004), S. 147 f. 300 Huberti (1935), S. 55 f. 301 Einen Hinweis auf die auch in protestantischen Territorien wahrgenommene Schwierigkeit der Finanzierung gibt Bräuer (2003), S. 147. Zur Situation in Mainz vgl. Rösch (1929), S. 182 f. 297
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folgt.302 Dass die Existenz des Spinnhauses nicht automatisch die Abstellung des Bettels zur Folge hat, zeigen die Angaben von Einwohnern der Vororte im Jahr 1785. So gibt der Tagelöhner Phillip Probst an, dass seine Kinder betteln gehen.303 Ein Verhalten, das entsprechend den geltenden Territorialgesetzen die Strafbarkeit des Vaters nach sich ziehen müsste. Die ersten Schritte zur Einbeziehung der Klostergüter liegen zwar vor. Es kommt jedoch bis zum Ende des Kurfürstentums nicht zu einer vollständigen Integration. Der unter Clemens Wenzeslaus von Sachsen intensivierte Zugriff auf die Klostergüter entspricht der Auffassung des kurfürstlichen Beamtenapparates. In einem Gutachten heißt es: „Man überdenke die unglaublichen Stiftungen für Abteien und Klöster, worin nicht weniger meistens Ausländer ihren Unterhalt genießen, welche dem Staat wenige oder gar keine Dienste leisten, und rechne zugleich, daß diese mit den Mendikanten Klöstern über die Hälfte der Einkünfte des Staates verzehren.“304 Die negativen Veränderungen der Wertschätzung klösterlicher Carität in der ursprünglichen Gestalt des Almosengebens sind unverkennbar. Gleiches gilt für die Betrachtungsweise von Menschen durch die Territorialgewalt, die zunehmend und fast bis hin zur Ausschließlichkeit deren Nützlichkeit und Funktionalität als Maßstab nimmt.305 6. Armenordnung und Einrichtung des Spinn- und Arbeitshauses in Koblenz 1776 Unter der Regierung Clemens Wenzeslaus’ von Sachsen kommt es zu keiner auf das gesamte Territorium angelegten Armenordnung mehr. Für die Residenzstadt Koblenz dagegen ergeht am 11. 3. 1776 parallel zur Einrichtung des Spinn- und Arbeitshauses und zu den Vorgängen in Trier eine letzte Armenordnung.306 Diese enthält die wesentlichen Elemente der vorangegangenen Armenordnungen unter Anpassung an 302 Hierfür spricht die Tatsache, dass die Spinnhauskommission die Pfarrer um Angabe der von ihnen unterstützten Armen ersucht zwecks Einbeziehung derselben in das Spinnhaus, vgl. Huberti (1935), S. 49. 303 Vgl. Gerteis (1988), S. 81. 304 Vgl. zum Textexzerpt Gerteis (1988), S. 84. Die Fundstelle des Gutachten ist LHAKo 1C/9660. Auf Veranlassung des Kurfürsten wird ferner von einem Mitglied der Oberinspektionskommission ein Plan zur Reform des Armenanstaltswesens entworfen. Unter Einbeziehung der bestehenden Hospitäler und milden Stiftungen sieht der Entwurf den Ausbau des kurstaatlichen Armenanstaltswesens zu einem allgemeinen Versorgungssystem für arbeitsunfähige Arme vor und zugleich zur Beschaffung von Arbeitsgelegenheiten für arbeitsfähige Bedürftige. 305 Augenscheinlich wird dies in der Bemessung der Würde des Armen anhand seiner Arbeitsleistung. So heißt es in Kurmainz zu, das sich anhand des gesponnenen Garns die Würde des im Armenhaus Tätigen ermesse, vgl. Schmidt (2008a), S. 259. Zu der zugrunde liegenden Verordnung vom 2. 1. 1787 vgl. StAMz, LVO. Zum Gewicht der ökonomischen Leitlinien für die Politik vgl. Simon (2004), S. 193 f. 306 Armenordnung vom 11. 3. 1776 in Blattau, Statuta V, S. 205 – 209.
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die aktuellen Verhältnisse seit der Einrichtung des Koblenzer Spinn- und Arbeitshauses. a) Motivation und Anlass Der schon 1768 feststellbare Verzicht auf eine religiös gehaltene Einleitung setzt sich weiter fort. Die Antriebsfeder des kurfürstlichen Handelns liegt in der „väterlichen Vorsorge für die Armen der Residenzstadt“ und der „Landesväterlichen Absicht“. Angegebener Anlass ist die ungenügende Kollekte der wöchentlichen Sammlungen, die auf das Verleumden der bestehenden Fürsorgeleistungen durch das „müßige Bettelgesindel“ zurückgeführt wird. Um dieser Beeinträchtigung der Spendenbereitschaft des „christliche[n] Volk[s]“ abzuhelfen, sieht sich der Kurfürst zum Handeln gezwungen. Vorangegangen ist die in seiner Eigenschaft als Erzbischof ergangene Anweisung an die Pfarrer, in den Predigten an die Verpflichtung zum Almosen zu erinnern. Offensichtlich wird, dass die Aktivierung christlich geprägter Vorstellungen nunmehr alleine zum Zweck der Finanzierung erfolgt. b) Fürsorgeorganisation Die Fürsorgestrukturen entsprechen dem in den Vorgängerverordnungen niedergelegten Aufbau unter Hinzuziehung der Möglichkeiten des Spinn- und Arbeitshauses. Die Verordnungen der Amtsvorgänger werden in ihrer Gültigkeit bestätigt, sofern durch die aktuelle Verordnung für Koblenz nicht anderweitige Regelungen getroffen sind.307 Die Versorgungszuständigkeit der Heimatgemeinde wird ausdrücklich bestätigt.308 Das generelle Bettelverbot behält ebenfalls Gültigkeit. Die Verordnung entfaltet zwar über den Geltungsverweis landesweite Gültigkeit, indes betreffen die neuen Regelungen fast ausschließlich die Verhältnisse in Koblenz. Hier ist hauptsächlich die Armenkommission als Entscheidungsstelle zuständig für die Finanzverwaltung, Unterstützungsbewilligung und Vollzugskontrolle. Aufgrund des Geltungsbezugs auf die vorherigen landesweiten Armenordnungen gewinnt diese Norm eine über die Stadtgrenzen hinausgehende Bedeutung. c) Unterstützungswürdige Unterstützungswürdig sind gemäß Punkt 8 die in der Armenliste aufgeführten Koblenzer Armen. Die sonstigen Landesuntertanen werden insofern als Fremde entsprechend dem „Heimatprinzip“ eingestuft und an ihre eigentlichen Unterstützungsorte verwiesen. Für den Umfang der Verteilungen gilt der Grundsatz, dass alte und wegen Krankheit arbeitsunfähige Personen mehr erhalten sollen als die Arbeitsfähigen. Die bislang nicht vorhandene Unterstützung Arbeitsfähiger hat ihre Ursache in der 307 Es sind die zuvor besprochenen Verordnungen vom 18. 10. 1736, 5. 11. 1755, 7. 4. 1768 und 14. 2. 1771. 308 Armenordnung vom 11. 3. 1776 in Blattau, Statuta V, hier S. 209 Punkt 21.
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Durchsetzung der Arbeitspflicht mittels des Spinnhauses. Die vorher verschlossene Sicht auf unzureichende Subsistenzbeschaffung trotz Arbeit ist nunmehr infolge der durch das Spinnhaus durchsetzbaren Pflicht eröffnet.309 Die arbeitende Armut gehört erst ab diesem Zeitpunkt zum Erkenntnisstand der kurtrierischen Gesetzgebung.310 Das Kriterium der Arbeitsfähigkeit ist nunmehr nur noch dann Ausschlusskriterium von der Fürsorge an und für sich, falls die Arbeitskraft überhaupt nicht genutzt wird. Augenscheinlich ist erst mit dem Erreichen der institutionalisierten Arbeitsmöglichkeit die Überzeugung entstanden, Armutssituationen trotz Arbeitstätigkeit als unterstützungswürdig anzuerkennen, ohne das Risiko eines Missbrauchs fürchten zu müssen. Das Angebot des Spinnhauses weist dementsprechend neben der Tätigkeit im Haus auch die Möglichkeit der entlohnten Arbeit zu Hause auf.311 Aus den Punkten 9 – 11 geht ferner hervor, um welche Fallgruppen es sich bei den „verschämten Hausarmen“ handelt.312 Je nach Lebenslage weist die Verordnung eine differenzierte Herangehensweise auf, welche Situationen wie etwa Krankheit, Arbeitslosigkeit, Schicksalsschläge oder das Versterben des Ernährers berücksichtigt. Im längerfristigen Krankheitsfall und bei Bettlägerigkeit ist für die Betroffenen die Möglichkeit eröffnet, nach Meldung bei den Seelsorgern oder bei den Vertretern der Armenkommission Unterstützung durch Medikamente und Lebensmittel zu erhalten. Sowohl Tagelöhner als auch im Handwerk Beschäftigte sind bei entsprechender Bescheinigung über den Mangel an Arbeitsaufträgen oder bei Unglücksfällen als unterstützungswürdige Hausarme anerkannt. Für mittellose oder zumindest nicht selbst versorgungsfähige Witwen und Waisen gilt ebenfalls der Grundsatz, dass sie entsprechend ihrer Bedürfnisse bei den Austeilungen bedacht werden sollen. d) Zuständigkeiten und Aufgabenverteilung Die Kompetenz zur Erfassung der Unterstützungswürdigen und hiermit verbunden die Führung der Armenlisten fällt in den Verantwortungsbereich der Armenkommission. Wie sich aus den nachfolgend erläuterten Regelungen ergibt, ist die Zuständigkeit zur Ausgabe der vorhandenen Mittel aufgeteilt. Grundsätzlich ist der zur Rechnungsabnahme der Almosenkollekte verantwortliche Buchhalter zuständig für die Verteilung der Mittel gemäß der Armenliste. Für die Versorgung der „verschämten Haußarmen“, also diejenigen Personen, die nicht öffentlich als Bedürftige 309 Ob dies ebenfalls für die Verdienstmöglichkeiten im Spinnhaus gilt, ist zweifelhaft. Möglich wäre der Schluss für die Entscheidungsträger jedenfalls insofern, wenn man berücksichtigt, dass die Lohnzahlungen im Zuchthaus nicht generell als ausreichend für die Verpflegung angesehen werden, vgl. hierzu Armenordnung vom 11. 3. 1776 in Blattau, Statuta V, hier S. 209 Punkt 21. 310 Beispiele für Sozialprofile der arbeitenden Armut gibt Bräuer (2003), S. 86 f. 311 Dies geht aus den Regelungen in Punkt 12 hervor, vgl. Armenordnung vom 11. 3. 1776 in Blattau, Statuta V, hier S. 207. Den Armen wird die Möglichkeit geboten, Rohmaterialien innerhalb bestimmter Zeiträume zu festgelegten Arbeitslöhnen zu Hause weiter zu verarbeiten. 312 Armenordnung vom 11. 3. 1776 in Blattau, Statuta V, hier S. 207 Punkt 9 – 11.
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in Erscheinung treten wollen, sind dagegen die Seelsorger zuständig. Ihnen wird hierfür ein entsprechender Betrag von der Kommission zugewiesen. Mit der Aufgabenteilung im Bereich der Fürsorge und dem Zusammenwirken von weltlichen und kirchlichen Amtsträgern wird die Tradition der bisherigen Gesetzgebung fortgesetzt. Gerade bei der Finanzierung manifestiert sich die Zusammenarbeit der beiden Verwaltungsapparate. e) Finanzierung durch Spenden und Kollekten Der Fürsorgeorganisation liegt erkennbar die Annahme zugrunde, dass durch die Verdienstmöglichkeiten im Spinnhaus und durch die Kollekten der wöchentlichen Almosensammlung ausreichende Unterstützungsleistungen vorhanden seien, um alle städtischen Armen zu versorgen. Untrennbar verbunden hiermit ist die Folgerung, dass nunmehr dem öffentlichen Betteln der Boden entzogen sei.313 Die für die Verwirklichung dieses Ziel entscheidende Frage nach der Finanzierung nimmt einen Hauptteil der Verordnung ein. So befassen sich Punkt 1 – 8 mit der Organisation der Sammlungen mit der Armenbüchse.314 Neben den in der Stadt unter Aufsicht zweier Magistratsmitglieder vorzunehmenden Sammlungen sind weitere Kollekten an allen Sonn- und Feiertagen in allen Pfarr-, Kollegial und Klosterkirchen vorzunehmen. Die gesammelten Geldspenden sind der Armenhauskommission zu übergeben, während die Sachspenden direkt an das Armenhaus weitergeleitet werden. Die am Tag der Austeilungen vorzunehmende öffentliche Rechnungslegung zu jedermanns Einsicht soll offenkundig die aufgetretenen Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit der Verteilungen zerstreuen. Zuständig für die Rechnungsnahme sind die beteiligten Magistratsmitglieder, der Armenhausverwalter und die Dechanten des Kollegialstifts zu St. Castor. Ergänzt werden die Spendensammlungen durch die Spendenbüchsen, die in den Wirts- und Gasthäusern einzurichten sind und deren Erlös monatlich abzugeben ist.315 f) Zweck des Spinn- und Zuchthauses: Verhinderung Müßiggang Obgleich sich die Erkenntnis, dass unverschuldete Situationen von Untätigkeit bei Arbeitsfähigen entstehen können, sich in der Verordnung niederschlägt, ändert dies nichts an der grundsätzlichen Haltung. Gegenüber den „müßige[n], zum Arbeiten fähige[n] Leuthe[n]“ erhält der Vorwurf in Punkt 12 eine weitere Facette.316 Nicht nur die Ausnutzung der prinzipiell nur für Arbeitsunfähige vorgesehenen Unterstützungsleistungen, sondern die Vergeudung der kostbaren Lebenszeit an sich ist der 313
Armenordnung vom 11. 3. 1776 in Blattau, Statuta V, hier S. 205. Armenordnung vom 11. 3. 1776 in Blattau, Statuta V, hier S. 206. 315 Diese Art der Spendensammlung ist in Mainz seit der Armenhausordnung vom 22. 8. 1710 (StAMz, LVO) üblich. Jedoch laufen seit dem Amtsantritt des Mainzer Generaldirektors August Friedrich Rulffs, spätestens seit dem Jahr 1786, Bestrebungen, diese wegen ihrer Ineffektivität abzustellen, vgl. hierzu das Gutachten des Jahres 1786 in StAMz, LVO. 316 Armenordnung vom 11. 3. 1776 in Blattau, Statuta V, hier S. 207 Punkt 12. 314
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Grund der Maßnahmen.317 Aus der Überzeugung heraus, mit der Einrichtung des Arbeitshauses für eine ausreichende Menge an Arbeitsplätzen gesorgt zu haben, gelten weiterhin Sanktionen für die Personen, die dieses Angebot nicht wahrnehmen. Außer der bewussten Ablehnung der angebotenen Arbeit zwecks Müßiggangs ist die Veruntreuung der anvertrauten Materialen, sprich die unbefugte Selbstverwertung, ein strafwürdiges Verhalten. „So lang sie keine Besserung verspüren lassen“ sind die betreffenden Personen von den Austeilungen der Unterstützungsleistungen auszuschließen und bei „anhaltendem Ungehorsam“ ins Zuchthaus zu überweisen. Der Stadt- und Landesverweis steht erst an letzter Stelle, falls die vorangegangenen Maßnahmen „nicht früchten“ sollten. Dahinter steht der Gedanke der Erziehbarkeit der Arbeitsunwilligen. Dem entspricht der als Prävention verstandene Eingriff in das Eltern-Kind-Verhältnis. So bestimmt Punkt 13 der Verordnung, dass Kinder ab einem Alter von sechs Jahren in das Spinnhaus zur Schule und Arbeit zu schicken sind. Widerstand gegen diese Maßnahmen durch die Eltern ist mit den gleichen Sanktionen wie gegen Müßiggänger zu ahnden. Darüber hinaus sind die Kinder von ihren Eltern zu trennen, um zu verhindern, dass „die Jugend zu eben dem müßigen Lebenswandel, wozu sich ihre Elteren angwöhnet, aufgezogen werden sollen“.318 Der Unterschied zu der bisherigen Gesetzgebung wird an dieser Stelle deutlich. Wie bisher gelten die Kinder prinzipiell als unverdorbene Personen, die an die Existenz als Werktätige gewöhnt werden können. Das Spinnhaus bietet nunmehr – wenn auch in Erkenntnis der faktischen Grenzen – die Möglichkeit außer durch den Einsatz von Zwangsmitteln die als Missstand empfundene Bereitschaft zur Untätigkeit ins Gegenteil zu korrigieren. Um für den Fall eines Misserfolgs wenigstens die Arbeitsmoral der zukünftigen Untertanen zu schützen, greift die Territorialgewalt zu weiteren Maßnahmen. Sie reichen bis zur Aufhebung des Erziehungsrechtes der Eltern. Die Territorialgewalt ersetzt dieses natürliche Recht der Eltern durch den generellen staatlichen Erziehungsanspruch.319 Die Hoffnung auf Besserung durch den Aufenthalt im Spinnhaus, genauer gesagt in der Zuchthausabteilung, erstreckt sich ebenfalls auf Frauen, deren Zuneigung ein gewisses pekuniäres Element aufweist. Diese „liederliche[n], nächtlicher Weile auf den Straßen herumschwermende[n] Weibeleuthe“ sollen solange in einem gesonderten Zimmer des Zuchthauses zur Arbeit angehalten werden, „bis man von ihnen einen 317
Die Wertschätzung der Zeit als nutzbare Ressource ergibt sich aus der Formulierung: „müßige, zum Arbeiten fähige Leuthe, in so fern dieselbe entweder mit sonstigen Diensten oder Beschäftigungen die edle Zeit zuzubringen durch glaubwürdige Zeugnüssen sich nicht rechtfertigen können“, vgl. Armenordnung vom 11. 3. 1776 in Blattau, Statuta V, hier S. 207 Punkt 12. Zur Wertigkeit der Zeit und Zeittheorie im 18. Jahrhundert und der Veränderung gegenüber dem mittelalterlichen Verständnis von Zeit vgl. Mainzer (2002), S. 26 ff., 32 ff. 318 Armenordnung vom 11. 3. 1776 in Blattau, Statuta V, hier S. 207 Punkt 13. 319 Zum Zusammenhang zwischen den Staatszielen „gute Policey“ und „Glückseligkeit“ und Sozialpädagogik vgl. Pankoke (1986), S. 19 f.; Rudolf Weber (1986), S. 309ff, 318 ff. Zur Auswirkung der Sozialpolitik Justus Mösers vgl. Rudersdorf (1995), S. 110 f.
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anständigeren Lebenswandel wird hoffen können“. Prostituierte gelten demnach als durch Arbeit therapierbar. Im Vergleich zur bisherigen Auffassung stellt dies eine „Besserung“ der Wahrnehmung dar.320 Neben den Prostituierten gehört generell das „unartige Gesindel“ zu den mit „Zuchthauß=Straf“ bedrohten Personen, wobei unbestimmt bleibt, wer darunter verstanden wird. Aus der sprachlichen Nähe der Bezeichnung zu den zuvor dargestellten repressiven Maßnahmen ist davon auszugehen, dass hierunter die üblicherweise unter Vagabunden und „herrenloses Gesindel“ gefassten Personen verstanden werden. Bei Wiederholungstaten ist wegen der fehlenden Änderung des „ärgerlichen Lebenswandels“ die Dauer des Zuchthausaufenthalts zu verdoppeln. Besonders scharfer Bestrafung nach Ermessen der Kommission unterliegen die Zuhälter/-innen der Prostituierten („verheeler und verheelerinnen“).321 Der Zuchthausaufenthalt hat für Obrigkeit endgültig den Charakter eines Heilmittels angenommen, welches zur besseren Wirksamkeit auch doppelt dosiert werden kann. Zuständig für die Patrouillen zur Ergreifung der „verdächtige[n] Personen“ sind sowohl das Militär als auch die Stadtverwaltung.322 Diese sind verpflichtet auf die Anzeige von Seelsorgern, Sendschöffen oder sonstiger geistlicher oder weltlicher Stellen tätig zu werden. Die Befugnisse reichen bis hin zur Festnahme der Verdächtigen in ihren Wohnungen. g) Zweck des Spinn- und Zuchthauses: Bettelverbot und Almosenverbot Die letzte Armenordnung im Kurfürstentum Trier setzt die Bettel- und Almosenverbote der bisherigen Verordnungen weiter fort. Dabei spitzt sich die Argumentation auf ihren Höhepunkt zu. Das in Punkt 16 niedergelegte Bettelverbot selbst ist freilich angesichts der bereits weit fortgeschrittenen Entwicklung in sich nicht mehr steigerbar.323 Alleine bezüglich der Gruppe der Handwerksburschen ist eine Verschärfung feststellbar. Zwar wird für Handwerksburschen wie für Tagelöhner anerkannt, dass sie wegen Mangel an Arbeitsgelegenheiten unterstützungsberechtigt sind. Auffällig oft wird diese Gruppe indes ausdrücklich bei den Sanktionstatbeständen genannt, die sich auf Verstöße gegen das Bettelverbot beziehen.324 Im Bereich der administrativen Umsetzung kommt es dementsprechend zu einigen Erweiterungen. Als Beispiel für das Bemühen um die Schaffung einer effektiveren Kontrolle des Bettelverbots ist die Beweislastverteilung zu Ungunsten der als Bettler Aufgegriffenen zu nennen. Den Aussagen der Bettelvögte wird unter Punkt 17 zu den von ihnen festgestellten Verstößen die alleinige Wahrheit beigemessen; dies gilt jedenfalls, solange das Gegenteil
320
Zur negativen Wahrnehmung, der Ehrlosigkeit und der Sündhaftigkeit der Prostituierten vgl. Irsigler (1986), S. 185 ff.; Jütte (2000), S. 206; Roeck (1993), S. 122 ff. 321 Armenordnung vom 11. 3. 1776 in Blattau, Statuta V, hier S. 207 f. Punkt 14. 322 Das Stadtschultheißenamt wird angewiesen, hierfür auf die beibehaltenen Mannschaftsteile der ehemaligen Freikompanie zurückgreifen. 323 Armenordnung vom 11. 3. 1776 in Blattau, Statuta V, hier S. 208. 324 Armenordnung vom 11. 3. 1776 in Blattau, Statuta V, hier S. 208, Punkt 17, 18, 20.
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nicht bewiesen ist.325 Die Beweislastumkehr steht im Zusammenhang mit der eindrücklichen Ermahnung der drei in Koblenz angestellten Bettelvögte zur genauesten Beachtung der Dienstpflichten. Zu diesen gehört gerade die Anzeige der gegen das Bettelverbot verstoßenden Personen. Als Schlussfolgerung ergibt sich, dass die für den Festgenommenen pejorativ wirkende Beweislastumkehr als Bestärkung der Vollzugspersonen zur Ausübung ihrer Pflichten gedacht ist. Zur Steigerung der Erfolgsrate bei der Bekämpfung der Bettler ist eine Prämierung nach Anzahl der aufgegriffenen Personen angeordnet. Die Auszahlung dieser Fangprämie in Höhe eines „Batzen“ erfolgt aus der Stadtrentkasse.326 Als Gegenstück zu diesem Ansporn ist für den Fall der mangelhaften Pflichterfüllung die Entlassung aus dem Dienst angedroht. Die Bettelvögte, die sich als unfähig erwiesen haben, sind sodann durch „andere tüchtige Leuten“ zu ersetzen.327 Ein bekanntes Element zur Effektivierung des Bettelverbots ist die aus den vorangegangenen Armenordnungen bekannte Mitwirkungspflicht der Untertanen. Die Untertanen sind verpflichtet, die gegenüber der Obrigkeit „widerspenstige[n]“ Bettler einstweilig in Verwahrung zu nehmen, bis anderweitig Abhilfe geschaffen werden kann. Ergänzend wird den Untertanen eingeschärft, keinen Widerstand gegen die Festnahme von Bettlern zu leisten oder es zu wagen, die Vollzugspersonen mit „Schänden und Schmähen“ zu überziehen. Auf Zuwiderhandlungen sind arbiträre Strafen durch die Kommission entsprechend der Person und den Umständen angedroht. Die Kehrseite dieser Verhaltensanforderung an die Untertanen ist die Ermahnung an die Bettelvögte, die Bettler „nicht ohne Not zu mißhandeln“. Anlass für diese Anordnungen sind offenbare Ausschreitungen gegen die Bettelvögte und Vorwürfe gegen deren Vorgehen.328 Die noch 1768 vorgesehene Prämierung der Untertanen bei Festnahme von Bettlern hat keinen Eingang mehr gefunden. Angesichts der gegenüber den Bettelvögten vorgebrachten Vorwürfe ist davon auszugehen, dass die Aktivierung der Untertanen durch die Prämie sich als nicht wirkungsmächtig erwiesen hat.329 Zur Warnung der Bettler aus den Nachbarländern wird das Aufstellen von Warnschildern an den Stadttoren angeordnet. Darauf enthalten sein sollen das Bettelverbot und Androhungen von Strafen bei Einreise und Aufenthalt in Koblenz.330 Für die aus 325
Armenordnung vom 11. 3. 1776 in Blattau, Statuta V, hier S. 208. Armenordnung vom 11. 3. 1776 in Blattau, Statuta V, hier S. 209 Punkt 20. 327 Vgl. zur Konfliktsituation der Bettelvögte bei der Verfolgung von Bettlern und der Last des „Erfolgsdrucks“ die Ausführungen bei Bräuer (2002), S. 128 f., 131 f. 328 Armenordnung vom 11. 3. 1776 in Blattau, Statuta V, hier S. 208 Punkt 19. Dieses Phänomen ist keine kurtrierische Besonderheit, sondern typisch für den Berufsstand des Bettelvogts, wie das Beispiel Leipzigs zeigt; vgl. hierzu Bräuer (2002), S. 133. 329 Einen Hinweis auf die in der Praxis fehlende Bereitschaft zur Denunziation liefert Landwehr (2000a), S. 49. 330 Der erste Verstoß ist mit mehrtägiger Zuchthausstrafe und der Ausweisung aus der Stadt belegt. Hieran schließt sich die Verwarnung an, dass bei Wiederholung eine Strafverschärfung und zusätzliche Züchtigung erfolgt. Für den weiteren Verstoß weist Punkt 22 unbestimmt 326
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anderen Ämtern des Kurstaates stammenden Bettler sieht Punkt 21 eine bislang noch nicht gezogene Folgerung aus dem Heimatprinzip vor. Nach dem Verantwortlichkeitsgrundsatz zur Versorgung ist es nunmehr Pflicht der kurfürstlichen Amtleute, dafür Sorge zu tragen, dass keinerlei Personen außerhalb des eigenen Amts betteln gehen. Aufgrund dessen fallen die im Koblenzer Zuchthaus entstehenden Kosten, soweit sie nicht durch das Arbeitsentgelt der fremden Bettler gedeckt sind, dem Amt ihrer Herkunft zur Last. Dieses Amt ist sodann auch für den Rücktransport aus Koblenz verantwortlich.331 Die Konsequenz aus dem Versorgungsgrundsatz des Heimatprinzips weist die Kostenpflicht für die Gefahrenabwehr dem Verursacher zu. h) Sündhaftigkeit der direkten Almosenspende Die Besonderheiten der letzten Armenordnung im Erzstift Trier liegen nicht in der Wiederholung von Verboten oder Vollzugsmaßnahmen. Vielmehr ist die größtmögliche Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Mittel charakteristisch für den Abschluss der Gesetzgebung. Auf die Spitze getrieben wird die Entwicklung bei dem in Punkt 16 niedergelegten Almosenverbot.332 Die Eigentümlichkeit liegt keineswegs in der beständigen Wiederholung des bereits aus zahlreichen Verordnungen bekannten Verbots, sondern in der argumentativen Absicherung. Die Diskrepanz zwischen dem Rückgriff auf das Almosen als Finanzierungsmittel und der Behandlung der in der ursprünglichen Art und Weise Spendenden hat hier ihren Höhepunkt erreicht. An dieser Stelle ist der eschatologische Wert des Almosens auf seine Nützlichkeit als Argument zur Erzielung höherer Einnahmen reduziert. Ungeachtet des Standes oder der persönlichen Verhältnisse ist es allen Koblenzer Einwohnern verboten, an „In= noch Ausheimischen, er seye Handwerksmann oder sonstiger Bettler, weder an Geld noch sonstigen Almoßen […] das Mindeste zu ertheilen“. Die direkte Gabe von dem Spender und an den Bedürftigen ist ohne Ausnahme ein strafwürdiges Verhalten. An ihre Stelle tritt alleine die obrigkeitlich kontrollierte Sammlung. Für die Kontrolle und zum Vollzug der Strafe in Höhe eines halben rheinischen Guldens ist die Armenkommission zuständig. Soweit handelt es an sich um hergebrachtes Recht aus der Armenordnung von 1736. Der Scheidepunkt bei der Ablösung vom christlichen Ursprungswert des Almosens liegt aber in der Aussage des Kurfürsten zur verbotswidrigen Spende: „wie es nicht nur kein Gott gefälliges Werk seyn könne, sondern vielmehr für eine sündhafte Vergehung angesehen werden müßte, wenn Unterthanen der von Gott ihnen vorgesetzten Obrigkeit entgegen zu handeln sich kein Bedenken machen“. Um der ursprünglichen Bedeutung des Almosens zu entrinnen, wird die Bedeutung des Almosens als Wohltat und Bußsakrament ins genaue Gegenteil verkehrt. Dies wird ermögdarauf hin, dass dann das „ein= oder andern wider sie nach aller Schärfe würklich verfahren werden“, vgl. Armenordnung vom 11. 3. 1776 in Blattau, Statuta V, hier S. 209 Punkt 22. 331 Armenordnung vom 11. 3. 1776 in Blattau, Statuta V, hier S. 209 Punkt 21. 332 Armenordnung vom 11. 3. 1776 in Blattau, Statuta V, hier S. 208 Punkt 16.
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licht über das Konstrukt eines Verstoßes gegen den Willen des von Gott legitimierten Herrschers. Anhand des Verhaltens des heiligen Martin lässt sich die Entwicklung verbildlichen.333 Ursprünglich gibt Martin dem Bettler die Hälfte seines Mantels. Der Armenordnung von 1776 zufolge kann der Vorgang nur mehr so aussehen: St. Martin ist aufgefordert, zur Armenkasse beizutragen. Dort gibt er seine Gabe ab. Die Armenkommission vermittelt diese Spende sodann weiter an die durch sie geprüften und anerkannten Bedürftigen. Die Szene, so wie sie sich ursprünglich darstellt, wäre nunmehr wie folgt zu behandeln: Der Bettler ist entsprechend den Vorschriften zu bestrafen. St. Martin ist ebenfalls mit einer Geldstrafe zu belegen. Seine ursprünglich zu seiner Heiligsprechung führende Verhaltensweise ist nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Armenordnung eine „sündhafte Vergehung“, da sie dem Willen des Kurfürsten widerspricht.334 In aller Kürze zusammengefasst: Der einstige Weg zum Heiligen führt nunmehr in das Höllenfeuer. Hier hat der stets schwierige Umgang der Territorialgesetzgebung mit der ursprünglichen Gestalt des Almosens seinen Schlusspunkt gefunden. Alleine die Ausnutzung der christlichen Nächstenliebe zur Finanzierung des Fürsorgesystems ist von der ursprünglichen Gestalt des Almosens geblieben. Die Almosenspende als unmittelbare Beziehung zwischen Empfänger und Spender ist unmöglich, ohne strafbar zu werden. Die Verrechtlichung des privaten und religiösen Verhaltens findet in der Sinnumkehrung des Almosens ihren Höhepunkt.335 Obgleich der Schritt zur Almosensteuer nicht gemacht wird, zeigt sich hier an dieser Stelle der Entwicklung im Kurfürstentum Trier, dass sich die Territorialgesetzgebung nahezu vollständig löst von religiösen Anschauungen und diese sogar ins Gegenteil pervertiert. Im Vordergrund steht alleine die Kanalisierung der Nächstenliebe als Finanzierungsmittel. i) Konsequenzen aus der Strafbarkeit der direkten Almosenspende Die Zwiespältigkeit der Beurteilung des Almosens wird in einem an das Konsistorium in Koblenz gerichteten Befehl vom 2. 12. 1776 offenkundig.336 Bezeichnenderweise ist der angegebene Anlass die Klage über das Schwinden der Einnahmen bei den Kollekten in Koblenz. Aus Sicht des Kurfürsten geschieht dies trotz und nicht wegen der durch die eigene Gesetzgebung geänderten Wesensform des Almosens. Die befürchtete Folge der geringen Einnahmen ist die Behinderung der unternommenen Anstrengungen zum Nutzen der Armen. In dem Befehl kommt das Un333
Zur Wahl des Beispiels von St. Martin und zur Wandlung der Wahrnehmung Schmidt (2007), S. 298 f. 334 Bei dieser Beurteilung bleibt sogar noch der Umstand außer Betracht, dass es sich bei dem Teilen des Armeemantels um Beschädigung und Zweckentfremdung von Staatseigentum gehandelt haben dürfte. 335 Dies stellt keine Einzelerscheinung für geistliche Territorien dar, wie der Vorbericht zur Armenordnung von 1770 des Kemptener Fürststifts zeigt, vgl. Kissling (2002), S. 196. 336 Befehl vom 2. 12. 1776 in Blattau, Statuta V, S. 220 f. Der Befehl an das Konsistorium ergeht durch Clemens Wenzeslaus ausdrücklich in seiner Eigenschaft als Kurfürst.
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verständnis über diesen Umstand zum Ausdruck, da nach Ansicht des Gesetzgebers durch die Kanalisierung der Nächstenliebe die Öffentlichkeit erleichtert ist von der Last der Fürsorge. Der Rückgang der Spendebereitschaft wird zudem auf die nachlässige oder nicht erfolgte Instruktion der Pfarrer zurückgeführt. Dem Konsistorium wird befohlen, die Pfarrer zu vierteljährlichen Predigten über den Wert des Almosens und die jedem „thätigen“ Christen obliegenden Pflichten anzuweisen. Insbesondere sollen die Verbundenheit der „gottseligen und frommen Christen [mit] ihren Nebenmenschen“ und die Bedeutung der „mildern Werken der christlichen Liebe“ herausgestellt werden. Das Konsistorium ist gegenüber dem Kurfürsten berichtspflichtig über den Vollzug dieser Anordnung, insbesondere sind Nachlässigkeiten der Pfarrer zu melden. Die Kirchenhierarchie wird eindeutig in den Dienst der territorialstaatlichen Gesetzgebung gestellt und dient dabei der Steigerung der Effizienz der Gesetzesanwendung. Geblieben ist also die Betonung der Wertigkeit des Almosens als Ausdruck christlicher Nächstenliebe. Gemeint ist entsprechend der Armenordnung letztlich jedoch nur die Spende an die Armenkommission als das obrigkeitlich genutzte Mittel zur Finanzierung. Dass die Entpersonalisierung des Kontakts zu der Beeinträchtigung der Spendenbereitschaft führen kann, sieht der Gesetzgeber so nicht. Die Konsequenz des offenkundigen Widerspruchs zwischen Strafbarkeit der direkten Spende und der Gabe an die Armenkasse mündet schließlich in der Überbeanspruchung der Glaubensbetätigung als Finanzierungsquelle der staatlichen Fürsorge.337 Auch an dieser Stelle ist die Sicht auf mögliche strukturelle Schwächen des Systems verstellt. Der Blick bleibt alleine auf Fehler bei der Umsetzung gerichtet. j) Resümee Die Armenordnung von 1776 stellt den Endpunkt der Möglichkeiten dar, die dem Territorialstaat mittels des Rückgriffs auf christliche Fürsorgekonzepte zur Verfügung stehen. Es gelingt, auf dem Weg hin zu einer planbaren Armenfürsorge gewisse Erfassungs- und Kontrollmechanismen zu schaffen. Bei der Frage nach der Finanzierung der Armenpflege wird der Schritt zu einer pflichtigen Armensteuer nicht gemacht – wie in anderen Territorialstaaten auch. Ausdrückliche Ausnahmeregelungen für die Austeilungen der Klöster und die Termine der Bettelorden sind indes nicht mehr in der Gesetzgebung nachweisbar. 7. Fortgang der Fürsorgegesetzgebung bis 1790 Dass man mit der Armenordnung aus dem Jahr 1776 einen Endpunkt der Gesetzesentwicklung für erreicht hält, geht aus deren Wiederholung durch den Unterpunkt 10 der am 26. 4. 1784 publizierten „Stadt=Policey=Verordnung“ her337 Dass der Rückgriff auf die Spendebereitschaft aus christlicher Nächstenliebe in ihrer funktionalisierten Form schwindende Einnahmen zur Folge hat, belegt auch das Gutachten von Rulffs aus dem Jahr 1786 in StAMZ, LVO.
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vor.338 Der Gesetzgeber ist trotz des Eindringens von fremden Bettlern und Vagabunden von der Wirksamkeit der getroffenen Regelungen an sich überzeugt und ordnet lediglich die genauere Befolgung und den besseren Vollzug an. Bis zum Ende des Kurfürstentums Trier ist keine weitere Armenordnung überliefert. Die bemerkenswerten Umstellungen wenige Jahre vor dem Ende des Kurstaates gehen auf die Wiedereinberufung der Oberkommission „ad pias causas“ zurück, die durch ein Gutachten über Verbesserungsmöglichkeiten der Fürsorgeeinrichtungen im Erzstift den Grundstein zur letzten Reformphase der Armengesetzgebung legt.339 Die prägenden Elemente der Reformen unter Clemens Wenzeslaus von Sachsen sind in diesem Bericht bereits enthalten. Verwirklicht wird die eingeforderte Zuständigkeit des Staates für die Versorgung, insbesondere durch den Einsatz von Armen- und Arbeitshäuser. Die im Bericht vorgesehenen unterstützungswürdigen Personen entsprechen den tatsächlich legislativ anerkannten. Bei der Finanzierung wird zurückgegriffen auf eben jene vorgeschlagenen Mittel aus öffentlichen Kollekten, Beiträgen der Gemeinden und Gebühren auf gewisse Waren und Vergnügungen.340 Der Vorschlag, dass sämtliche Anstalten einer allgemeinen Verwaltung aus Mitgliedern des Domkapitels, der Regierung und der Vikariate unterstellt und die Einnahme aller Einrichtungen an einen zur Verwaltung und Ausgabe zuständigen Generaleinnehmer abgeführt werden, ist zumindest auf der Ebene der beiden Hauptstädte des Erzstifts verwirklicht. Die ausdrücklich nach dem Vorbild der Reformen unter Franz Ludwig von PfalzNeuburg wieder einberufene Oberkommission beginnt in den Jahren 1786 – 89 mit der Visitation des gesamten Hospital- und Spendenwesens. Zum Untersuchungsgegenstand gehören auch die zu den Klöstern gehörigen Hospitäler und die von den Pfarrern verwalteten Armengelder.341 Zur Bestandsaufnahme wird die Kirchenhierarchie genutzt. So ergeht auf Anweisung des Kurfürsten am 26. 9. 1786 ein entsprechender Befehl des Generalvikariats zu Trier an alle Seelsorger des Erzstifts Trier.342 Darin sind sämtliche Seelsorger aufgefordert, binnen Monatsfrist den beigefügten Fragebogen ausgefüllt an das zuständige Landdechanat zu senden. Gemeldet werden soll der gesamte Bestand der milden Stiftungen, Hospitäler, Spenden, Bruderschaften oder sonstiger Formen der durch die christliche Nächstenliebe motivierten Stiftungen sowie deren finanzielle Grundlagen und die Verwaltungszuständigkeit. Zwar erfol338 Verordnung vom 26. 4. 1784 in LHAKo, 1C/1222. Vgl. den Nachweis bei Härter/Stolleis (1996), S. 801, wo allerdings als Datum den 21. 4. 1784 angegeben ist. Die Verordnung ist jedes Jahr erneut zu publizieren. Beibehalten wird ferner die Auflage für die Wirts- und Gasthäuser, bei der Übernachtung von Fremden Nachtzettel an die zuständige Stelle zu senden. 339 Textexzerpt bei Gerteis (1988), S. 84. Vgl. zudem die Zusammenfassung bei Huberti (1935), S. 8 f. 340 Die vorgesehenen Gebühren beziehen sich auf Schornsteinfegerei, Wein- und Tabakhandel, Spielkarten, Veranstaltungen wie Komödien oder Festbälle, vgl. zum ganzen Huberti (1935), S. 8 ff. 341 Huberti (1935), S. 10 Fn. 14. 342 Befehl vom 26. 9. 1786 in Blattau, Statuta VI, 47 f.
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gen die Erhebungen, indes beenden die Auswirkungen der Französischen Revolution auf das Erzstift spätestens mit der Besetzung des Territoriums die Aktivitäten in diesem Bereich.343
XI. Flankierende Maßnahmen 1. Eingrenzung religiöser Sondertatbestände Begünstigende Ausnahmetatbestände für Versorgungsleistungen der Klöster und anderer kirchlichen Einrichtungen haben in keiner Armenordnung der Regierungszeit von Clemens Wenzeslaus von Sachsen eine direkte Aufnahme gefunden. Inwiefern über die stets erfolgten Generalverweise auf die bisherigen Verordnungen, insbesondere die des Jahres 1736, die dortigen Ausnahmeregelungen für Klöster weiterhin Gültigkeit besitzen, lässt sich auf dieser Ebene alleine nicht entscheiden. Angesichts des verstärkten Zugriffs auf die finanziellen Ressourcen der Klöster und des Verbots des Bettelns vor der Klosterpforte liegt der Schluss nahe, dass ohne ausdrückliche Ausnahmeerlaubnis keine Verteilung an Bettler mehr zugelassen ist. Dafür spricht auch, dass im Vorfeld der Klöster besondere Kontrollen zur Verhinderung des Aufenthalts von Bettlern getroffen werden.344 Das Bestreben, die noch bestehenden Ausnahmen zum Bettelverbot zu reduzieren, lässt sich an der Einschränkung der bisherigen Sondererlaubnis für das Terminieren der Bettelorden ebenfalls nachvollziehen. Die Verordnung vom 19. 11. 1770 lässt die Parallelität zum längst abgeschlossenen Prozess des Verbots des weltlichen Bettels offenkundig werden.345 Die zurückliegenden schlechten Getreideernten nimmt der Kurfürst zum Anlass, den religiösen Bettel in einer so noch nicht vorgenommenen Art und Weise zu begrenzen. Der Eingriff territorialstaatlicher Normen in mönchische Lebensformen wird legitimiert durch den Verweis auf die Pflicht des Kurfürsten, zum Besten der Untertanen handeln zu müssen. Die Notwendigkeit zum Handeln wird bestärkt durch das Argument, man reagiere auf den faktischen Zwang infolge ähnlicher Verbote in den benachbarten Territorien.346 Diese Schlussfolgerung führt zum letztlich unabwendbaren Erlass gleichartiger Vorschriften im Kurfürstentum.
343 So auch Huberti (1935), S. 9 f. Zu den Symptomen der Anspannung der politischen Lage gehören die Auseinandersetzungen mit den Zünften, vgl. Gerteis (1988), S. 96 f. 344 So in der Verordnung vom 23. 1. 1776 in Trierisches Wochen=Blättgen Nr. 4 vom 28. 1. 1776. 345 Verordnung vom 19. 11. 1770 in Blattau, Statuta V, S. 173. 346 Die Verordnung spricht davon, dass in „allen Hohen Benachbarten […] zu Steuerung der innerlichen Landes=Noth getroffenen Verkehrungen, auch die Verfügungen erlassen worden“ sind. Für Kurköln ist eine entsprechende Verordnung einige Monate früher erlassen worden, ebenfalls mit dem Hinweis auf das Vorgehen der benachbarten Territorien Kurpfalz und JülichBerg, vgl. Verordnung vom 20. 7. 1770 in VSC II, S. 55 f. (Nr. 280); Scotti, Cöln I/2, S. 907 (Nr. 653). Auch in Kurmainz lassen sich einige ältere Verordnungen nachweisen, im engeren zeitlichen Zusammenhang ergeht die Verordnung vom 21. 6. 1773 in StAMZ, LVO.
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a) Geistlicher Bettel: Fremdheit als Exklusionskriterium Dementsprechend wird das Almosensammeln für die „auswendigen Mendicanten-Klöster“ strikt verboten. Gemeint sind damit, wie die anschließende Klarstellung offenbart, alle „außer dem Erzstift und Dioeceses wohnenden Mendicanten“. Die Zuwiderhandlungen sind mit Konfiskation des Gesammelten und der Ausweisung aus dem Erzstift zu bestrafen. Die Ämter werden angewiesen, keine Termine dieser fremden Mendikanten zu gestatten. Alle dem Kurfürsten untergeordneten Amtsträger, wie Schultheißen, Bürgermeister und Vorsteher, sind unter Strafandrohung verpflichtet, für den Vollzug des Verbots zu sorgen. Alleine für die im Land ansässigen Klöster ist das Terminieren weiterhin zugelassen. Die sich daraus ergebende Situation ähnelt den ersten gesetzgeberischen Schritten der Städte zur Begrenzung des Bettels. Inwiefern wegen dieser Anordnung im Umkehrschluss eine entsprechende Genehmigungspflicht für das Terminieren der einheimischen Klöster zu vermuten sein könnte, lässt sich nicht abschließend beurteilen, da hierzu keine Normen vorliegen. Ein Indiz für eine mögliche Genehmigungspflicht liefert immerhin der Vergleich mit den Auflagen für die Niederlassung als Eremit aus dem Jahr 1715.347 Bei der Beurteilung der Veränderungen kommt es hierauf indes nicht in entscheidender Weise an. Vielmehr richtet sich mit einer gewissen Verzögerung – insoweit durchaus parallel zur Entwicklung des Bettelverbots im Spätmittelalter – der erste Eingriff gegen fremde Bettelmönche. Das Exklusionskriterium Fremdheit hat nunmehr auch für den geistlichen Bettel entscheidende Wirkung erlangt. Der Ausschluss Fremder in Notzeiten von den Versorgungsleistungen eines als Einheit angesehenen Raum- und Personenverbandes kennt somit keine Ausnahme mehr. Eindeutig geklärt sind zugleich die Kompetenzen zwischen weltlichem und kirchlichem Bereich. Die weltlichen kurfürstlichen Amtsträger sind zuständig für die Kontrolle und die Sanktionsmaßnahmen. Bezeichnend ist, dass die als Reaktion auf einen Notstand erlassene Norm zunächst nur bis auf Widerruf Geltung besitzt und eine Vorläufigkeit der Vorgehensweise anzudeuten scheint. Mit eben dieser Klausel ist bereits die Nürnberger Bettelordnung von 1370 versehen, die keineswegs einen nur vorübergehenden Eingriff bereithielt. .
b) Pilger: Fremdheit als Exklusionskriterium Ungeachtet dieser Klausel lässt sich für eine weitere Sondergruppe eine vergleichbare Verschärfung feststellen. Ähnlich der Gesetzgebung gegenüber den fremden Mendikanten ergeht am 9. 4. 1776 eine Verordnung bezüglich des Almosengebrauchs fremder Pilger.348 Die an alle Ämter und Städte gerichtete Ordnung erfolgt in Abstimmung mit dem Kaiser und den Reichsstädten Aachen und Köln. Darin enthalten ist das Verbot für die aus Ungarn kommenden Pilgern, Almosen zu sammeln und sich länger
347 348
Vgl. die Ausführungen in Sechster Teil, A., II., 1. Verordnung vom 9. 4. 1776 in LHAKo, 1C/1117; HHStAWi, 110/IIa/2a.
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als für die direkte Durchreise unabdingbar im Erzstift aufzuhalten.349 Für die benannte Gruppe bedeutet dies im Vergleich zu dem Genehmigungsvorbehalt aus den 1750er Jahren nunmehr einen grundsätzlichen Ausschluss. Auch für den Bereich der Pilgerfahrten wird der Zugang für Fremde zu Almosenleistungen im Erzstift demnach weiter begrenzt. Die dargestellte Verordnung repräsentiert die grundsätzlich ablehnende Haltung des Kurfürsten Clemens Wenzeslaus von Sachsen gegenüber Pilger- und Wallfahrten. In Kooperation mit Kaiserin Maria Theresia als luxemburgischer Landesherrin wird unter anderem bei der bekannten Echternacher Springprozession das charakteristische Springen verboten. Auch die Trierer Prozessionen und die Heiligrockwallfahren zum Dom und nach St. Matthias sind Einschränkungen unterworfen zur Verhinderung des Missbrauchs. Bezeichnenderweise haben die Restriktionen Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Stadt Trier, die vom Besuch der Pilger profitiert. Erst die Furcht vor der Entstehung revolutionärer Stimmungen führt 1790 wieder zur Erlaubnis der Wallfahrten in der vorher üblichen Form.350 c) Beschränkungen zu Ungunsten der Mendikantenorden Deutet die Verordnung von 1770 durch den Geltungsvorbehalt auf Widerruf scheinbar eine Übergangslösung an, beweist die 14 Jahre später erlassene Verordnung vom 11. 11. 1784 die Langlebigkeit der zunächst für Notzeiten vorgesehenen Einschränkung.351 Dort wird die Aus- bzw. Abweisung der kurkölnischen Bettelorden aus dem Kurfürstentum Trier angeordnet. Die kurfürstlichen Amtsträger werden wie schon 1770 angewiesen, das Terminieren dieser Orden nicht zu gestatten und bei Verstoß die gesammelten Almosen zugunsten der einheimischen Armen zu konfiszieren. Die beschlagnahmten Almosen erfahren hierdurch eine Zweckänderung. Dieses Vorgehen verdeutlicht die dahinter stehende Überlegung: Der unberechtigte Zugriff auf die vorhandenen Unterstützungsmittel stellt einen Eingriff in das eigentlich den einheimischen Armen zustehende Gut dar. Strafregelungen für die Almosengeber finden sich indes – anders als beim weltlichen Bettel – nicht. Der Gesetzgeber belässt es bei der Schenkungszweckänderung durch die Konfiskation als Ersatz. Die Eingrenzung der Bettelbefugnisse der Mendikantenorden bedeutet jedoch nicht, dass für auswärtige Orden keinerlei Aussicht auf Unterstützung durch kurtrierische Almosen besteht. Am 15. 9. 1786 ergeht ein Befehl des Trierer Generalvikars an die Seelsorger des Oberstifts, der eine Durchbrechung des Ausschlusses fremder Mendikantenorden von den Almosen im Erzstift Trier beinhaltet.352 Zur Unterstützung der Tätigkeit des Franziskanerordens im heiligen Land, speziell zur Aufbrin349 Die Verordnung spricht anschaulich von „oder auch einen einzigen verlaengerten Aufenthalt, ausser dem geraden Durchweg in hoechstders Chur=Landen fernerhin zu gestatten“. 350 Vgl. Franz (1988), S. 331. Zur zunehmenden Ablehnung von Pilgerreisen auch in katholischen Kreisen vgl. Schneider (2004), S. 300 ff., 308 ff. Auch in Kurköln werden ähnliche Maßnahmen ab 1765 ergriffen, vgl. Ohm (1998), S. 196. 351 Verordnung vom 11. 11. 1784 in Scotti, Trier III, S. 1353 (Nr. 801). 352 Befehl vom 15. 9. 1786 in Blattau, Statuta VI, S. 47.
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gung des den Türken geschuldeten Duldungstributs, wird das Bedürfnis nach „milder Beisteuern“ anerkannt. Infolgedessen wird dem Ersuchen um Gestattung einer Kollekte stattgegeben. Die Ausnahme gründet in der Bedeutung der Tätigkeit des Franziskanerordens für die gesamte Christenheit, da ansonsten aufgrund unzureichender Mittel die Vertreibung und die Entehrung und Entheiligung der „heiligsten Oerter“ droht. Jedermann ist daher aufgefordert, hierzu Almosenspenden zu leisten. An die Seelsorger ergeht die Anweisung, den Kollektenaufruf von der Kanzel zu verkünden und zu möglichst reichhaltigen Spenden aufzurufen. Die gesammelten Almosen sind binnen Monatsfrist an das Vikariat zur Weiterleitung zu überweisen. Die Sammlung für die auswärtigen Franziskaner bedeutet zwar einen Rest an Zugriffsmöglichkeiten auf die Almosenleistungen von Kurtrier. Unverkennbar ist jedoch, dass eine Rückkehr zur einstmals üblichen Praxis des ungehinderten Almosensammelns der fremden Bettelorden nicht mehr gesetzgeberische Zielvorstellung ist. Alleine das Ergebnis der Sammlung und nicht mehr die eigene Durchführung der Sammlung steht den ortsfremden Franziskanern zu. Eine Situation, die der Lage ähnelt, in der sich die einheimischen, auf Unterstützung angewiesenen, weltlichen Einwohner des Erzstifts befinden. Hinzu kommt, dass nur die Bedrohung höchster Glaubensorte und -objekte die Begünstigung auslöst. Insgesamt betrachtet, hat die Genehmigung eher den Charakter einer begrenzten Ausnahmeregelung als den eines Abweichens vom Grundprinzip. Für den Umgang mit fremden Bettelorden kann demnach festgehalten werden, dass am Ende der Gesetzgebung das Bettelverbot auch für diese gilt. Im überlieferten Quellenmaterial lässt sich indes kein Beleg für ein Verbot bezüglich der einheimischen Mendikantenorden finden. Offenkundig stößt hier die Gesetzgebung des geistlichen Territorialherrn an die Grenzen ihrer Gestaltungsmacht. Eine völlige Verneinung des Bettelns für die einheimischen Orden liefe auf die gedankliche Aufhebung der Verbindung des Kurstaates mit der kirchlichen Sphäre hinaus – jedenfalls solange die Bettelorden durch die katholische Kirche selbst zugelassen sind. Letztlich beendet die Auflösung des Reichs und in dessen Folge die der geistlichen Kurstaaten jede Spekulation, ob es zu einer völligen Abschaffung des religiös motivierten Bettels durch den geistlichen Kurfürsten hätte kommen können. d) Kontinuitäten der scholastischen Lehre zur Nächstenliebe Entgegen allen Veränderungen und Brüchen, denen die Idealtypen der Caritas und der Vorstellungen über die Verdienstlichkeit der freiwilligen Armut unterworfen sind, finden sich bis zum Ende der Gesetzgebung Beispiele für ein – wenn auch begrenztes – Fortbestehen der althergebrachten Überzeugungen. Die Persistenz der Vorstellung über die sieben körperlichen Arten des guten Werks ist als Grundlage der Verordnung vom 27. 4. 1789 – am Vorabend der Französischen Revolution – auszumachen.353 Anlässlich der Gebührenforderungen der Seelsorger für die Beerdigung von armen Reisenden und Verunglückten im Rhein und in der Mosel, sieht sich der Kurfürst zur Richtigstellung genötigt. Die Seelsorger werden darauf hingewiesen, dass die Forde353
Verordnung vom 27. 4. 1789 in Blattau, Statuta VI, S. 118.
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rung nach Gebühren von den Ortsgemeinden oder anderen öffentlichen Fonds nicht dem geistlichen Stand entspreche. Es sei vielmehr der Pflicht des Seelsorgers angemessener, eine unentgeltliche Beerdigung der Leichen vorzunehmen. Das zu den sieben Werken der Barmherzigkeit gehörende Begraben der Toten als Bestandteil eines christlichen Lebenswandels ist hier offenkundig ausschlaggebender Grund der Gebührenfreiheit.354 Aufgrund seiner exponierten Stellung als Vorbild bei der Ausübung barmherziger Werke unterliegt der Seelsorger dieser christlichen Pflicht in besonderer Weise. Der Appell an die religiösen Werte bringt es indes mit sich, dass zugleich eine Kostenentscheidung zu Gunsten der weltlichen Gemeinden getroffen ist. Inwiefern darin ein Handeln aus empfundener Verpflichtung zu Glaubensinhalten oder ein funktionalisierter Gebrauch zur Schonung der öffentlichen Kassen zu sehen ist, ist im vorliegenden Untersuchungsrahmen nicht entscheidend. Vielmehr offenbart sich die Multifunktionalität der frühneuzeitlichen Gesetzgebung. Festzuhalten ist, dass es für die Seelsorger bei der Kontinuität der herkömmlichen Glaubensinhalte bleibt. Dem steht die Beobachtung bei der Fürsorgegesetzgebung gegenüber, dass es bei der Bedeutung des Almosens für den Privaten zu einer radikal zu nennenden Sinnumkehrung gekommen ist. In der Gesamtwürdigung ist dieser Bezug auf die ursprünglichen Lehrpositionen nur als Ausnahme zu werten. 2. Finanzierung der Armenfürsorge a) Fortführung der funktionalen Umwidmung von Dispenserteilung Die Verknüpfung von Zuwendungen an Bedürftige als Gegenleistung für einen erteilten Fastendispens bleibt wie schon unter dem Vorgänger Franz Georg von Schönborn Bestandteil der Gesetzgebung. Am 6. 2. 1776 ergeht ein diesbezügliches Mandat.355 Bei Erteilung eines Dispenses sind die Vermögenden gehalten, neben der Ableistung entsprechender Gebete den Bedürftigen die Ersparnisse aus dem Dispens zukommen zu lassen. Der Rückgriff auf jede nur mögliche Art zusätzlicher Mittelbeschaffung zur Fürsorge setzt sich gerade im Bereich der glaubensbestimmten Verhaltensformen fort. b) Umwidmung letztwilliger Verfügungen Derselbe Befund lässt sich für die unter Clemens Wenzeslaus von Sachsen erneute Trauerordnung vom 19. 9. 1777 treffen.356 Hier zeichnen sich elementare Eingriffe in letztwillige Verfügungen zugunsten der Armenkasse ab. Die Trauerordnung gilt für 354 Vgl. zur Zugehörigkeit des Bestattens zu den sieben körperlichen Arten des Almosens Thomas von Aquin, S.th. II-2, q. 32, a. 2, S. 257. 355 Mandat vom 6. 2. 1776 in Trierisches Wochen=Blättgen Nr. 6 vom 11. 2. 1776. 356 Trauerordnung vom 19. 9. 1777 in LHAKo, 1C/1117 u. 1215; Scotti, Trier II, S. 1062 f. (Anm.). Vorliegend wird zur Seitenangabe die Paginierung der Überlieferung aus Koblenz genutzt. Die Ordnung erneuert die aus dem Jahr 1737 stammende Trauerordnung Franz Georgs von Schönborn.
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alle geistlichen und weltlichen Untertanen des Kurfürsten, deckt also beide Herrschaftsbereiche ab. Von besonderer Bedeutung ist deren § 3, welcher die testamentarische Begünstigung von Kirchen, Klöstern oder anderen geistlichen Vereinigungen betrifft.357 § 3 erklärt alle letztwilligen Schenkungen und Vermächtnisse für nichtig, die als Vorbedingung eine gegen die Trauerordnung verstoßende Bestattung zum Gegenstand haben.358 Den Erben ist der Vollzug des Testaments in diesem Punkt untersagt. Für den Fall, dass die Schenkungen dennoch entrichtet werden, wird die ehemalige Zweckbestimmung zugunsten der Armenhäuser umgeändert. Der Bischof als „supremus executor“ der „testamenta ad pias causas“ ist dabei grundsätzlich befugt, den Stifterwillen auszulegen.359 Die Durchsetzung der Umwidmung ist entsprechend der Trauerordnung ohne gerichtliches Verfahren durch „strackliche Zwangsmittel“ zulässig. In der Veränderung des Empfängers bei gleichzeitiger Verwehrung der gewollten, aber unzulässigen Bestattung liegt eine geschickte Nutzung der Kompetenzen des Kurfürsten. Da kein Dispens gewährt werden soll, werden die insofern vergebens aufgewandten Mittel den neueingerichteten Armenhäusern zugeführt. Vergleicht man dieses Vorgehen mit dem Umgang bestehender Hospitalsstiftungen, so ergibt sich hier eine erstaunliche Divergenz. Für die Hospitalsstiftungen findet die bisherige Territorialgesetzgebung keinen Weg, eine ausdrücklich anders gewollte Zuweisung nachträglich abzuändern und die Mittel dem allgemeinen Armenfond zuzuführen. Für die hier geregelten letztwilligen Verfügungen hat die Territorialgewalt dagegen eine Möglichkeit gefunden, zusätzliche finanzielle Mittel ex nunc zugunsten der eigenen Fürsorgeorganisation zu sichern. Die Möglichkeit einer Zweckänderung ist in der zeitgenössischen Rechtswissenschaft nicht zuletzt seit Carpzov anerkannt, solange sich die Umwidmung im Rahmen der „pia causa“ hält.360 Für sich betrachtet stellt die Regelung des § 3 eine Weiterentwicklung dar hinsichtlich der bereits aus dem Jahr 1755 bekannten Umwidmungsmöglichkeit von Geldern, die von Todes wegen zur Almosenvergabe am Trauerhaus vorgesehen sind. Eben diese Regelung wird in § 10 der Trauerordnung erneut wiederholt und festgelegt, dass diese Gelder in der Stadt in die öffentliche Armenkasse, auf dem Land dem Pfarrer zum Empfang gegeben werden sollen.361 Darüber hinaus findet sich in der Trauerordnung in § 18 der Grundsatz, dass die Beerdigungen für begüterte und arme Bürger in gleicher Art und Weise erfolgen sollen.362 Für arme Bürger soll aller357
Trauerordnung vom 19. 9. 1777 in LHAKo, 1C/1117, dort S. 6. In den Worten der Verordnung wird die Nichtigkeit durch die Formulierung „als unbuendig und nicht existirend“ ausgedrückt. 359 Die Kompetenz beruht nicht zuletzt auf den Bestimmungen des Tridentinums, vgl. Begon (2002), S. 74. 360 Auch das Konzil zu Trient hat ähnliche Beschlüsse gefasst, vgl. hierzu und zu der Position von Carpzov Begon (2002), S. 76 f. 361 Trauerordnung vom 19. 9. 1777 in LHAKo, 1C/1117, hier S. 9. § 39 droht für den Fall der Abgabe von Brot, Wein oder Geld an Nachbarn, Zünfte oder Bruderschaften ungeachtet der vorgebrachten Gründe schwere willkürliche Strafe an, vgl. ebda. S. 20. 362 Trauerordnung vom 19. 9. 1777 in LHAKo, 1C/1117, hier S. 12. 358
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dings die Beerdigung kostenlos erfolgen. Die Kosten für die „Todtenlade“, also die Sargkosten, sollen daher zu Lasten der Armenkasse oder anderer frommen Stiftungen gehen. Zwar bewahrt dieses Vorgehen auf der einen Seite das Werk der Barmherzigkeit, auf der anderen Seite liegt hinsichtlich der Kostenzuweisung zu den Stiftungen eine Abwälzung der Kostenlast vor. Insgesamt lässt sich feststellen, dass der Zugriff auf letztwillige Verfügungen weiter ausgebaut wird zugunsten einer Zweckänderung und -zuweisung zu der weltlichen Fürsorgeorganisation. Die Trauerordnung wird am jeweils 30. 3. 1778 und am 21. 4. 1778 widerrufen und zugleich erneut erlassen. Die dargestellten Regelungen bleiben in jeder Version bestehen.363 Die Normkompetenz des Kurfürsten in kirchenrechtlicher Hinsicht wird so weiterhin zur Heranziehung zusätzlicher Mittel zur Armenkasse genutzt. 3. Kornbevorratung und Kollekten bei Missernten Zu der üblichen Reaktion der Territorialstaaten auf Versorgungskrisen gehören die Bevorratung von Getreide und sonstigen Feldfrüchten und deren Abgabe bei Missernten. In den ernteschwachen Jahren der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstehen auch im Kurfürstentum Trier diesbezügliche Normen.364 Ein solcher an das Amt Hammerstein gerichteter Befehl ergeht am 6. 10. 1770.365 Die Gemeindevorsteher werden aufgefordert, ein Ernteverzeichnis über den Ertrag von Korn, Weizen und Hülsenfrüchten abzuliefern. Darüber hinaus ist der Verbrauch für Saat, Viehfutter und für die Einwohner, das Gesinde und die Armen zu melden. Stellt dies die wirtschaftspolitische Herangehensweise an das Problem knapper Ressourcen dar, so belegt der Befehl vom 28. 5. 1771 den Zusammenhang zwischen der Versorgung für Unterstützungsbedürftige in Notzeiten und der Caritas.366 Der Generalvikar wird dabei auf ausdrücklichen Befehl des „mit Lands=vätterlichen Besorgnissen“ erfüllten Kurfürsten vom 21. 5. 1771 tätig. Die Sorgen des Kurfürsten haben ihre Ursache in der anhaltenden Verschlechterung der Versorgungslage von Getreide aufgrund der bisherigen Missernten. Diese haben aus Sicht des Kurfürsten zur Folge, dass die „zu bemitleydenden Armen, welche sogar den geringsten Credit nicht haben, und also der würklichen Hungers=Not ausgesetzet seynd“. Um diesem Umstand abzuhelfen, soll durch alle Pfarrer des Obererzstifts eine Kollekte durchgeführt werden. Um die Motivation der Spender zu stärken, wird die Erfassung derselben in „eigenen CollectBüchlein“ angeordnet. Gleichzeitig drängt sich angesichts der Ähnlichkeit der Vor363
Trauerordnung vom 30. 3. 1778 und vom 21. 4. 1778 in Scotti, Trier III, S. 1284 – 1295 (Nr. 739). 364 So unter anderem die Verordnung vom 4. 7. 1752 in HHStAWi 110/II/8; Scotti, Trier II, S. 1062 (Nr. 538). Dort wird zur Vorratsbildung von Getreide aufgrund von Missernten aufgerufen. Dieses Vorgehen entspricht den Bemühungen in Kurköln, vgl. Sechster Teil, B., IX., V. Vgl. insbesondere zum 16. Jahrhundert bzgl. des Zusammenhangs zwischen Hungersnot, Bettelwesen und Armenfürsorge Jütte (2005), S. 228 ff. 365 Befehl vom 6. 10. 1770 in LHAKo, 1C/19659. 366 Befehl vom 28. 5. 1771 in Blattau, Statuta V, S. 176.
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gehensweise mit der Erfassung der potentiellen Spender gemäß der Armenordnung von 1736 eine weitere Schlussfolgerung auf. Es ist nahe liegend, dass die Erfassung der Spender und der Spenden der Kontrolle über die Hilfsbereitschaft dient. Wie bereits zur Finanzierung der zentralen Armenkassen vorgesehen, soll der Appell zum reichhaltigen Geben durch die Pfarrer von der Kanzel aus erfolgen. Durch die gesammelten Informationen wird das direkte Einwirken auf hartherzige Spendenverweigerer erleichtert. Der Erlös der Sammlung soll von den Pfarrern, vermittelt durch die Mittelinstanz der Landdechanten, an das Generalvikariat überwiesen werden. Daraufhin soll für die Armen Getreide angekauft und verteilt werden. Dem Almosen kommt wiederum der Charakter eines Allheilmittels gegen alle Versorgungsschwierigkeiten zu. Dennoch ist unverkennbar, dass durch die Sammlung und die Zentralisierung der Gelder in der Hand des Generalvikars einstmals übliche Formen nicht mehr aktiviert werden. Die nach den Lehren der Scholastik eröffneten Spenden jedes Einzelnen direkt an den sichtbar Hungerleidenden, den der Kurfürst ebenfalls vor Augen hat, sind infolge der territorialstaatlichen Gesetzgebung längst nicht mehr zulässig. Allein in der vom Kurfürsten normierten Form besteht Raum zur Ausübung christlicher Nächstenliebe. 4. Armutsprävention: Heirats- und Einwanderungsbeschränkung Die Verordnung vom 9. 2. 1779 knüpft an die Grundelemente der bisherigen Gesetzgebung zur Steuerung der Bevölkerungsanzahl des Kurfürstentums an.367 Hier finden sich Elemente der Gesetzgebung aus den 1720er Jahren bezüglich der Aufnahme als Untertan und aus den 1750er Jahren betreffend der Vorraussetzungen einer Hochzeit wieder. Die Voraussetzungen zur Bürgerschaft oder „Mitgemeinds=Genossenen“ sind die Befähigung zu einem Handwerk oder sonstigen Tätigkeit, ersatzweise ein ausreichendes Vermögen, ein guter christlicher Lebensstil und Arbeitsamkeit. Man erwartet von der Person, dass sie „einen nuetzlichen Burger, und guten fleißigen Haus=Vater“ abgeben wird. Als Gegenteil des erwünschten Neubürgers werden „alle Nachtschwaermer, Zaenker, faule Tagdiebe, und liederliche Kerl, welche nur ihres gleichens nichtswuerdiges Bettel=Gesindel anziehen werden“, verstanden. Für diese Personengruppe gilt die Einschätzung, dass „an ihnen keine dauerhafte Besserung ihrer Sitten verspueret“ werden kann. Insbesondere fremde Personen stehen unter diesem Generalverdacht. Zur Erreichung der Auswahlkriterien ist aufgrund dessen die vorherige Feststellung der persönlichen Umstände durch die Stadtmagistraten und kurfürstlichen Beamten angeordnet. Die Annahme als „Mitgemeindsmann“ ist originäre Zuständigkeit der Territorialgewalt, welche durch die „Orts Burgermeister, Heimburger, Zender, Gerichte oder Vorsteher“ nicht ausgeübt werden darf. Wegen der Kontrollvorschriften und den Strafandrohungen für falsche Angaben zu den persönlichen Verhältnissen ist man jedoch grundsätzlich überzeugt von der Sorgfalt der Magistrate, insbesondere in den beiden Hauptstädten Trier und Koblenz. 367
Verordnung vom 9. 2. 1779 in HHStAWi, 110/IIa/2a.
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Die Einbürgerung bildet zugleich die Voraussetzung zur Eheschließung, die erst bei Vorlage einer entsprechenden mit Kosten von zwölf Albus verbundenen Urkunde vorzunehmen ist. Die Vikariate werden angewiesen, keine Dispensationen hiervon zuzulassen. Die Ausrichtung auf die Nützlichkeit der Einwanderungswilligen für den Territorialstaat lässt die Aufnahme bettelnder, nicht arbeitstätiger Personen von vorneherein nicht mehr zu. Hier offenbart sich die Gewichtung der Herrschaftsziele in herausgestellter Weise. Kein Platz ist mehr für die christliche Barmherzigkeit bei der Beurteilung von Unterstützungswürdigkeit, vielmehr bestimmen Nützlichkeitserwägungen die Entscheidungen. Die Arbeitstätigkeit stellt konsequenterweise die Bedingung für die Aufnahme als Mitglied des Territorialstaates dar. Der Einsatz von Arbeitskraft und dessen Nützlichkeit für den Staat sind die Grundvoraussetzung für die Entstehung potentieller Unterstützungsverhältnisse. Durch die Zulassungsbeschränkungen zum Bürger oder „Mitgemeindsmann“ steuert die Territorialgewalt gleichzeitig mit der Einschränkung der Eheschließungen das Bevölkerungswachstum. Ziel ist es eindeutig, erst gar keine als unverbesserlich angesehenen verarmten Bettler entstehen zu lassen. Die Notwendigkeit einer Heiratserlaubnis als Steuerungsmittel der Armutsbekämpfung wird in den folgenden Jahren weitergenutzt. Wie Gerteis nachweist, ist die Verweigerung derselben durchaus nicht unüblich.368 Die Anforderungen an die potentiellen Eltern künftiger Untertanen bleiben auch in der Verordnung vom 27. 6. 1782 erhalten.369 Das Heiraten ist nur solchen „eingeborenen Untertanen“ gestattet, „wenn sie nur gute Christen und wohlerzogenen arbeitsame Leute von gutem Leumund“ sind. Für Einheimische gilt zu diesem Zeitpunkt offensichtlich keine Anforderung bezüglich ihrer Vermögensverhältnisse. Indes bietet die Genehmigungspflicht ausreichend Steuerungsmöglichkeiten für den beabsichtigten Zweck.
5. Repressive Maßnahmen: Begrenzung des Versorgungszugangs Der Bereich der repressiven Gesetzgebung gegen Fremde und Umherziehende weist auch in der Regierungszeit von Clemens Wenzeslaus von Sachsen die bislang gebräuchlichen Typen auf. a) Seuchenabwehr: fremde Bettler und Juden Das für den Bereich der Seuchenabwehr typische Vorgehen gegen die umherziehenden „Juden und Bettelgesindel“ ist Inhalt der Verordnung vom 18. 9. 1770.370 Wie368
Vgl. Gerteis (1988), S. 83 f. mit Fn. 82, der auf eine solche Verweigerung des Heiratskonsenses verweist. 369 Verordnung vom 27. 6. 1782 in Scotti, Trier III, S. 1302. Auf diese verweist Gerteis (1988), S. 84. 370 Verordnung vom 18. 9. 1770 in HHStAWi, 110/IIa/2a.
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der werden Bettler und Juden als Verursacher der Ausbreitung der Seuche bezeichnet. Unter Bezug auf bereits erlassene Generaledikte werden die bisherigen Regelungen in ihrer Gültigkeit bestätigt. Ungeachtet des Vorliegens von Pässen ist das „herumstreichende […] fremde Gesindel“ nicht ins Erzstift einzulassen bei Androhung von Stockschlägen. Gleichfalls gilt für die Untertanen ein Beherbergungsverbot. Die bekannte Sichtweise auf fremde Bettler als Krankheitsverursacher setzt sich damit fort. Ein weiterer Aspekt im Vorgehen gegen diese Personengruppen beinhaltet die Verordnung vom 16. 9. 1783.371 Obgleich sich die Verordnung ausdrücklich auf jene aus dem Jahr 1770 bezieht, ist nunmehr nicht die Gefährdung der Gesundheitslage der angegebene Anlass für Maßnahmen gegen fremde Bettler und Juden. Vielmehr besteht durch das zahlenmäßige Anwachsen dieser Personengruppen „die größte Gefahr“ für „die allgemeine Wohlfahrt“. Eine allgemeine, unbestimmt gehaltene Gefährdungslage ersetzt die noch auf konkretisierte Risiken zurückführbare Gefahrenannahme der früheren Verordnung.372 Dessen ungeachtet kommt es zu einer ausdrücklichen Wiederholung derselben Maßnahmen wie im Jahr 1770. Anders gewendet bedeutet dies, dass es für repressive Maßnahmen gegen fremde Personen keiner Gefährdung konkreter Rechtsgüter mehr bedarf. b) Umsetzung der Reichskreisverordnungen: Repressive Maßnahmen Die gegen umherziehende Personengruppen gerichtete Gesetzgebung wird unter Clemens Wenzeslaus von Sachsen in der bisherigen Form fortgesetzt. Unter Bezug auf die weiterhin geltenden Kreisordnungen und die mehrfach ergangenen eigenen territorialstaatlichen Normen ergeht am 14. 9. 1771 ein Generale an alle Ämter zur Durchführung von Streifungen im Erzstift.373 Die „ohnleijdenliche Zigeüner- und vagabunden fort anderes herrnlooßes gesindel“ bleiben in den Folgejahren die Zielgruppen der Streifungen.374 Eine Intensivierung der Maßnahmen gegen fremde Bettler ist im Rahmen dieses Normtypus nicht auszumachen. Offensichtlich versucht man von territorialstaatlicher Seite den Vollzug der Sanktionen auf die unteren Ebenen zu verschieben. Dies geht aus einer Verordnung vom 2. 12. 1773 hervor, in welcher die Gerichts- und Vollzugszuständigkeiten bestimmt werden.375 Die Stadtgerichte und Ämter sind angewiesen, die auf den Streifungen festgenommenen fremden Landstreicher nicht mehr generell nach den Verhören zu den Oberhöfen nach Koblenz und Trier
371
Verordnung vom 16. 9. 1783 in LHAKo, 1C/1118; HHStAWi, 110/II/8. Zum Begriff der Wohlfahrt in der Staatsrechtslehre des 18. Jahrhunderts vgl. Preu S. 108 ff., 226 ff. Zur Entwicklung des Begriffs der Wohlfahrt vom 16. zum 19. Jahrhundert vgl. Süßmann (2007), S. 20 ff. 373 Generale vom 14. 9. 1771 in LHAKo, 1C/19659. 374 So geschehen am 5. 5. 1772, 6. 10. 1772 und 11. 5. 1776 in Scotti, Trier II, S. 1052 f. (Anm.). 375 Verordnung vom 2. 12. 1773 in HHStAWi, 110/II/8, Scotti, Trier III, S. 1267. 372
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zu schicken.376 Erstrebt ist ein formalisiertes Verfahren, das auf der Zusendung der Verhörprotokolle an die Oberhöfe beruht. Bei kleineren Straftaten wie Diebstahl ohne zusätzliche qualifizierend wirkende Tatbegehung ist nach summarischer Untersuchung das Protokoll zur Urteilsfindung an den jeweiligen Oberhof zu senden, während bei schwereren Delikten erst eine Entscheidung durch dieses Obergericht einzuholen ist. c) Repressive Maßnahmen als Schlusspunkt der Gesetzgebung Die entscheidende Neuerung während der Regierungszeit des letzten Trierer Kurfürsten ist die im Vergleich zu anderen Territorien längst überfällige Einführung von Zucht- und Arbeitshäusern. Damit nutzt der Trierer Kurstaat alle während des Ancien Régimes zur Verfügung stehenden Mittel der Bedürftigenversorgung aus. Anders als bei der Gesetzgebung mit direkten Regelungen der Fürsorgeorganisation sind neuartige oder im Vergleich verschärfte Verordnungen mit repressiven Maßnahmen nicht feststellbar. Das Zuchthaus wird in die Gesetzgebung, welche auf Bekämpfung der vagierenden Personengruppen ausgelegt ist, nicht einbezogen. Es bleibt bei der bereits dargestellten Integration im Rahmen der Sanktionsandrohungen der Armenordnungen. Bezeichnenderweise bildet kurz vor Ende des Kurstaates eine auf Veranlassung Kurtriers entstandene und gegen Raubgesindel und Vagabunden gerichtete Norm den Endpunkt der für die Untersuchung relevanten Gesetzgebung.377 Ein Überfall auf den Reichsposthalter stellt den Anlass zum Handeln dar. Dabei wird auf die Kreisverordnungen und die dort vorgesehenen Maßnahmen erneut zurückgegriffen. In Kooperation mit dem französischen Generalkommando in Frankfurt werden Streifungen angeordnet. Als eigentliche Neuheit ist in diesem Bereich die Anordnung in § 9 zu werten, dass nicht mehr wie bisher die aufgegriffenen Personen über die nächste Grenze zu schicken seien, sondern geeignetere Maßnahmen zum gemeinen Besten zu ergreifen seien. Was darunter zu verstehen ist, lässt § 11 erkennen. Dort wird für den Fall fehlender Kapazitäten im Bereich der Zucht- und Arbeitshäuser die Nutzung der Ressourcen benachbarter Territorien angeboten.378 Die Entscheidung über die Umlage der dadurch entstehenden Kosten wird auf eine weitere Zusammenkunft verschoben.
376
Zum Gerichtswesen in Kurtrier vgl. Haxel (1930), S. 74 ff. Die Oberhöfe in Koblenz und Trier sind alleine für die Krimaljustiz zuständig. Zuständig für die Abnahme des Verhörs sind in Städten mit Hochgerichten die zeitlichen Amtsverwalter, der Stadtverwalter oder Stadtvogt und die Gerichtsschöffen. Auf dem Land sind die kurfürstlichen Beamten zusammen mit zwei Schöffen zuständig. 377 Actum Wetzlar vom 28. 1. 1801 in HHStAWi, 110/II/8. Dies stellt eine Kooperation dar zwischen Kurtrier, Oranien-Nassau, Nassau-Usingen, Nassau-Weilburg, Anhalt-Schaumberg, Solms-Braunsfels, Wied-Neuwied, Wied-Runkel, Solms-Laubach, Solms-Rödelheim und der Reichsstadt Wetzlar. 378 Als mögliche Territorien sind Nassau-Oranien und Nassau-Weilburg genannt.
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XII. Resümee und Ausblick Die Gesetzgebung im Kurfürstentum Trier spiegelt die zeitgenössischen Versorgungsstrukturen wider. In der letzten Hälfte des Jahrhunderts gelingt die Einführung von Spinn- und Armenhäusern. Der Bettel ist seit den 1720er Jahren nicht mehr als zulässige Versorgungsform vorgesehen, sondern wird durch die staatlich gesteuerte Zuteilung von Unterstützungsleistungen abgelöst. Das Zusammenwirken zwischen weltlicher und kirchlicher Verwaltungsebene wird weiter fortgesetzt, wobei der Eindruck einer zunehmenden Funktionalisierung der kirchlichen Würdenträger im staatlichen Handeln entsteht. Der Unterhalt der Fürsorgestrukturen bleibt in den Grenzen einer auf freiwilligen Spenden oder Zuschüssen aus dem allgemeinen Staatshaushalt basierenden Finanzierung verhaftet, was sich auch in protestantischen Territorien beobachten lässt. Ebenso wie dort kommt es nicht zur Einführung einer direkten Steuer zur Finanzierungssicherung. Bei der zugeteilten Unterstützungsleistung handelt es sich nicht um die Erfüllung eines Rechts der betroffenen Person. Diese besitzt keinen rechtlichen Anspruch auf Versorgung, vielmehr erkennt die Territorialgewalt für sich die Pflicht an, verantwortlich im Allgemeinen für die Unterstützung von Bedürftigen zu sein. Wer Bedürftiger und damit arm aus Sicht der Obrigkeit ist, bestimmt diese sodann selbst. Die christliche Nächstenliebe bildet das Fundament und zugleich die Schranke des Fürsorgesystems. Die Verschiebung der politischen Zielvorgaben bei der Armenunterstützung ist trotz aller Neuerungen in Gestalt des Spinnhauses weiterhin auf private Carität angewiesen. Staatliche Mittel in ausreichendem Umfang stehen zur Finanzierung nicht zur Verfügung. Durch die sich zugleich vollziehende radikale Umdeutung des Almosens verringert sich die Attraktivität einer Spende. Die fehlende persönliche Beziehung und der Verlust der eigenen Entscheidungsfreiheit führen schon aus Sicht des Territorialherrn zu einem gesteigerten Bedarf an Appellen zur Steigerung der Spendenbereitschaft. Die Loslösung von ursprünglichen Glaubensvorstellungen führt im Bereich des geistlichen Bettels zur Aufnahme des Merkmals der Fremdheit als Ausschlusskriterium. Die Bereitstellung von Arbeitsmöglichkeiten in den Spinnhäusern weist auf die in den repressiven Maßnahmen ebenso feststellbare Ausrichtung auf die Nützlichkeit der Untertanen hin. Gefördert werden soll die Ausnutzung der Arbeitskraft des einzelnen, zum eigenen Lebensunterhalt und zum Wohl des Territorialstaates. Die Gefahrenabwehr ebenso wie die präventiven Maßnahmen dienen der Durchsetzung dieser Ziele. Besonders in diesem Bereich ist die Gesetzgebung des Kurfürstentums Trier auf einer Höhe mit den benachbarten Territorien. Vermittelt über die Kreisverordnungen, die auf der supraterritorialen Ebene katalysatorische und fokussierende Wirkung entfalten, vereinheitlichen sich die Normen in den Mitgliedstaaten. Die Revolutionskriege führen zum Untergang des Kurfürstentums und zum Ende der Fürsorge- und Bettelgesetzgebung. Damit fallen faktisches Ende der Gesetzgebung und der sich mit Blick auf die strukturellen Grenzen ergebende Endpunkt der Entwicklungsmöglichkeiten zusammen.
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B. Gesetzgebung im Kurfürstentum Köln I. Ausgangssituation Zu Beginn des 18. Jahrhunderts und damit in der Mitte der Regierungszeit von Joseph Clemens von Bayern ist das Versorgungskonzept des Kurfürstentums Köln immer noch auf dem Stand des 16. Jahrhunderts. Die Polizeiordnung von 1698, welche die konkreten Verhältnisse der Residenzstadt Bonn widerspiegelt, weist darauf hin, dass sich auch in der Fürsorgepraxis keine wesentlichen Änderungen vollziehen.379 Die während der beiden zurückliegenden Jahrhunderte ausgeprägte Synodalgesetzgebung für den Bereich der institutionalisierten Fürsorge findet im 18. Jahrhundert keine Entsprechung mehr.380 Während im Heimatland der späteren Kölner Erzbischöfe, dem Kurfürstentum Bayern, längst ein grundsätzliches Bettelverbot besteht und damit der Bettel als Versorgungsform generell unzulässig ist, hängt die Entwicklung in Kurköln hinterher.381 Die exponierte Lage des Erzstifts und dessen Bedeutung in der Auseinandersetzung zwischen Kaiser und Frankreich ist sicherlich eine der Ursachen der verzögerten Entwicklungen in der Armenfürsorge. An der Akzeptanz des Bettels als Versorgungsform ändert sich dementsprechend bis weit in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts nichts. Korrespondierend dazu fehlt es an der Einführung anderer Organisationsformen der Fürsorge, die auf kommunaler Ebene unter territorialstaatlicher Aufsicht die finanziellen Ressourcen bündeln. Die Reduktion von Ausnahmetatbeständen für den religiösen Bettel oder bezüglich der Gewährung von temporären Unterstützungsleistungen für Fremde hat noch nicht stattgefunden. Sofern sich einschlägige Regelungen finden lassen, erfolgen diese im Rahmen umfassend angelegter Polizeiordnungen des Erzstifts und des Herzogtums Westfalen. Die im Kurfürstentum Bayern schon 1680 stattgefundene Einführung von Arbeitsund Zuchthäusern gehört zwar zu Anfang des 18. Jahrhunderts noch nicht zum Instrumentarium der kurkölnischen Fürsorgegesetzgebung.382 Dennoch gewinnt
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Für die Beibehaltung der bisherigen Versorgungsformen der Hospitalunterstützung und des erbettelten Almosens spricht auch der Umstand, dass das durch die Belagerung 1689 zerstörte städtische Hospital sogleich wieder aufgebaut wurde. Zudem weist die Fortexistenz des Amtes des Bettelvogts in Bonn darauf hin, dass der Bettel weiterhin zulässige Versorgungsform ist, vgl. Ennen (1962), S. 210, 239. 380 Vgl. die Überlieferung nach Schannat/Hartzheim für das 18. Jahrhundert, wo sich für das Erzbistum Köln keine weiteren einschlägigen Regelungen finden lassen. 381 Vgl. Schepers (2000), S. 109. Erstmalig kann man auf der Gesetzesebene von einem vollständigen Bettelverbot und damit dem Verbot des Bettels als Versorgungsform im Jahr 1627 sprechen, vgl. das Bettelmandat von vom 19. 11. 1627 in Kurbayern Mandatensammlung. Dass dieses Verbot bereits 1630 aufgrund der kriegsbedingten wirtschaftlichen Situation teilweise aufgelockert werden muss, weist auf die Schwierigkeiten hin, die sich auch einem weltlichen Reichsstand bei der Einführung eines Bettelverbots stellen. Durch die Wiederholung des Bettelverbots 1655 und 1666 wird indes der Bettel als Versorgungsform verboten. 382 Zu Einrichtungen in Österreich ab 1671 vgl. Stekl (1978); Stekl (1986). Zu Bayern vgl. Hauser (1986), S. 45. Durch Mandat vom 10. 9. 1680 wird im Kurfürstentum Bayern ein
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der Aspekt des Arbeitszwangs bei der Behandlung vagierender Personen immer mehr an Bedeutung, was schließlich in der Einrichtung des Zucht- und Arbeitshauses in Kaiserswerth im Jahr 1736 kulminiert. Andererseits erfolgt eine wesentliche Umstrukturierung der anerkannten Versorgungsformen erst in den 1760er Jahre. In der gesamten Entwicklung setzt sich indes die Verschärfung des Vorgehens gegen mobile Personengruppen fort. In deren Umfeld findet sich zunehmend die Nennung der Bettler wieder, zu deren bisherigen Gefahrzuschreibung nunmehr im Rahmen der Seuchenprävention ein neues Element hinzugefügt wird. Im Nachfolgenden wird zunächst die Entwicklung der Fürsorgegesetzgebung der Regierungszeit von Joseph Clemens von Bayern (1700 – 1723) und sodann die der Regierungszeit von Clemens August von Bayern (1723 – 1761) dargestellt. Die Fürsorgegesetzgebung beinhaltet oftmals repressive Maßnahmen, welche in diesem Zusammenhang betrachtet werden. Hieran schließt sich die Übersicht über die Normen an, die fast ausschließlich repressive Anordnungen beinhalten. Die Regierungszeiten der beiden letzten Kölner Kurfürsten (Maximilian Friedrich von Königsegg-Rothenfels (1761 – 1784) und Maximilian Franz von Österreich (1784 – 1801) werden angesichts des vergleichsweise geringeren Quellenbestands verstärkt thematisch geordnet. In diese Phase fällt schließlich die Einführung eines allgemeinen Bettelverbotes. Die Darstellung der kurfürstlichen Gesetzgebung orientiert sich dabei nicht vorrangig an der Chronologie der Verordnungen. Sie fasst diese anhand der wesentlichen Merkmale der Fürsorgegesetzgebung für die gesamte Regierungszeit zusammen. Hierfür spricht vor allem die Konstanz der Art und Weise des gesetzgeberischen Umgangs mit der Fürsorgeorganisation.
II. Fürsorgegesetzgebung unter Joseph Clemens von Bayern ab 1700 Die charakteristischen Normen in diesem Bereich weisen die bisherigen Unterstützungsgrundsätze auf. Sie ergehen jedoch im Vergleich zu repressiven Maßnahmen in wesentlich geringerer Anzahl. Versorgt werden weiterhin schwache, arbeitsunfähige Personen, die im Erzstift ansässig sind. Für fremde versorgungsunfähige Personen ist nur die Reichung begrenzter Wegalmosen vorgesehen. Demgegenüber steht die Ausweisung der arbeitsfähigen Fremden, während für die einheimischen Arbeitsfähigen der Zwang zu öffentlichen Arbeiten zunehmend an Bedeutung gewinnt. Bislang unberührte Sondertatbestände rücken indes in die Aufmerksamkeit des Gesetzgebers.
Spinnhaus eingerichtet, welches die Funktion eines Arbeitsplatzanbieters für die Bedürftigen übernimmt.
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1. Reduktion religiös motivierter Sondertatbestände Während man sich im Erzstift Trier seit Beginn der territorialen Fürsorgegesetzgebung mit der Problematik der freiwilligen klösterlichen Armut befasst und hierfür Ausnahmetatbestände vorsieht, sind vergleichbare Regelungen in den Polizeiordnungen des Kurfürstentums Köln nicht überliefert. Dass die Sonderrolle der Mendikantenorden bei der uneingeschränkten Berechtigung zum Bettel dennoch berücksichtigt wird, zeigt eine am 17. 10. 1705 erlassene Verordnung.383 Hier ist erstmals eine Einschränkung der Bettelerlaubnis der Mendikantenorden ausgesprochen. Gerade dies deutet auf die vorherige Praxis einer uneingeschränkten Gestattung des geistlichen Bettels hin. Bezeichnenderweise bildet die sich über die gesamte Frühe Neuzeit hinziehende Auseinandersetzung zwischen Kurfürstentum und der freien Reichsstadt Köln den Anlass zur Einschränkung des Terminierens der Mendikanten.384 a) Bettelverbot für die Kölner Mendikanten Die Verordnung ist an die kurfürstlichen Untertanen ebenso gerichtet wie an die Stadtdechanten, Pastoren und übrigen geistlichen Personen der Stadt Köln. Den Stein des Anstoßes bildet aus Sicht der Normgeber die eindeutig vorliegende Verletzung der unstreitig in der Stadt Köln bestehenden kurfürstlichen Kriminaljurisdiktion und der zu diesem Zweck ergangenen Prozessordnungen.385 Nach Ansicht der kurfürstlichen Regierung ist gegen das dort enthaltene Verbot der Bestattung von Selbstmördern ohne vorherige Besichtigung durch die erzstiftischen Kriminalgerichte verstoßen worden.386 Die Antwort des zuwiderhandelnden Minoritenkonvents in der Stadt Köln falle „theils impertinent, theils frech“ aus, zumal diese „sich nicht entblöden“ zu antworten, dass sie den Vorgang gegebenenfalls nochmals wiederholen würden. Diesen Verstoß will man von Seiten der kurfürstlichen Regierung nicht dulden, da trotz Aufforderung an die vorgesetzten „patri provinciales“ bislang keinerlei Reaktion erfolgte. Aufgrund dessen wird gegenüber den Kölner Minoriten das bislang offenkundig erlaubte Terminieren für die Zukunft verboten. Die Argumentation lautet dahingehend, dass den Verächtern der erzbischöflichen und kurfürstlichen Edikte 383 Verordnung vom 17. 10. 1705 in HSAD, KK II 3125, Nr. 110. Ausgestellt ist die Verordnung durch die Prälaten und Kapitulare des Erzstifts Köln. Der Grund hierfür liegt in dem durch den Spanischen Erbfolgekrieg ausgelösten Exil Joseph Clemens’ von Bayern ab 1702, vgl. Ennen (1962), S. 228; Gatz (1990), S. 211. 384 Trotz der Loslösung der freien Reichsstadt Köln aus dem Herrschaftsgebiet des Kurfürsten hat das höchste territoriale Gericht, das „weltliche Hofgericht“, seinen Sitz in Köln, wo sich auch eines der geistlichen Obergerichte befindet, vgl. Simon/Keller (1996), S. 436 f. 385 Der Text bezieht sich auf eine Verordnung des Jahres 1700. Offensichtlich handelt es sich hierbei um die bei Härter/Stolleis (1996), S. 475, erfasste Verordnung vom 22. 1. 1700, die Bestattungsvorschriften und Regelungen zur Leichenschau enthält. 386 Der Vorwurf bezieht sich auf die Bestattung eines „so sich mit eigenem Gewehr ungluecklich entleibt[en]“ Sohns eines Ratsverwandten. Diesbezüglich wird der Verstoß gegen das Kanonische Recht und das Bestattungsrecht gerügt.
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kein Nutzen oder Vorteil aus dem Erzstift zugute kommen solle. Den Untertanen ist es nunmehr verboten, an die Minoriten bei deren Sammlungen Almosen zu spenden. Falls dennoch der Wille zur Almosenspende besteht, soll diese an andere Geistliche oder Ordenspersonen erfolgen. Der Verstoß gegen die aufgestellten Verbote ist mit einer Geldstrafe in Höhe von 10 Goldgulden belegt.387 b) Verbot der Almosenspende an die Kölner Mendikanten Erst aufgrund dieser Auseinandersetzung kommt es in Kurköln zum ersten – wenn auch begrenzten – Almosenspendeverbot. Das Verbot, bei den Sammlungen der Minoriten zu spenden, erweist sich als erster Fingerzeig in eine Richtung, welche andere Territorien bereits eingeschlagen haben. Dort findet sich im gesetzgeberischen Instrumentarium das auf den Spender abzielende Almosenverbot.388 Während es im Hauptfeld der Armenfürsorge an einem vollständigen Bettelverbot geschweige denn an seinem Gegenstück, dem Spendeverbot, fehlt, ermöglicht offensichtlich erst die Schwere der Auseinandersetzungen zwischen dem Kurfürstentum Köln und den Kölner Minoriten diese Maßnahmen im Bereich des religiösen Bettels. Die Existenz eines strafbewehrten Almosenspendeverbots beschränkt sich demgemäß zunächst auch nur auf diesen eng begrenzten Bereich. Inwiefern die Umdeutung der bisherigen Unterstützungsvorstellungen sich auf die Fürsorgegesetzgang auswirken wird, bleibt dem weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts vorbehalten. 3. Grundform der Versorgung: Betteln um Almosen Das Betteln ist unverändert gesetzlich zulässige Versorgungsform. Die entscheidenden Kriterien für den Ausschluss von Versorgungsleistungen bestehen weiter, wozu auch weiterhin die Arbeitsuntätigkeit trotz Arbeitsfähigkeit, also sanktionierter Müßiggang, als das primäre Ausschlusskriterium zählt. Daneben ist die fehlende Zugehörigkeit zum Territorialstaat ein entscheidendes Merkmal bei der Verweigerung von Versorgungsleistungen. Dass dieser Aspekt in verschärfter Form Bedeutung gewinnt, belegt nicht erst der Befehl vom 27. 6. 1719.389 Aufgrund der Zustände in der Residenzstadt Bonn wird der Befehl an die kurfürstlichen Beamten erteilt, für die Ausweisung dieser Personen zu sorgen. Auffällig ist erneut, dass bei landesfremden Personen die Gleichstellung von Bettlern und Müßiggängern erfolgt.
387 Um Schutzbehauptungen der Unwissenheit von der Existenz der Verordnung zu verhindern, ist die Verordnung in jedem Ort zu verkünden. Die Beamten sind monatlich zum Bericht über den Fortgang des Vollzugs bei Androhung willkürlicher Strafe angehalten. 388 So lassen sich in Bayern Anfänge eines begrenzten Almosenspendeverbots in dem Bettelmandat von 1627 für Dorfbewohner gegenüber Fremden finden, vgl. Schepers (2000), S. 99, 261. In Kurtrier kommt es in den 1720er Jahren erstmals zu Verboten privater Almosen spenden, vgl. Sechster Teil, A., II., 3. 389 Befehl vom 27. 6. 1719 in HSAD, KK II 3115 I, Nr. 167.
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4. Bettelordnung für das Kölner Erzstift von 1715 a) Zugangsbegrenzung für Fremde Die 1719 in verkürzter Form erkennbare Ausrichtung der Verteilungssteuerung lässt sich in der umfangreicheren Verordnung vom 9. 7. 1715 noch deutlicher fassen.390 Bezeichnenderweise in Sanktions- und Verbotsanordnungen gegen mobile Personengruppen eingebettet finden sich Regelungen zur Versorgung der einheimischen Armen im Erzstift. Hier zeigt sich erneut die aus Sicht des Gesetzgebers bestehende inhaltliche Verbindung der beiden Rechtsmaterien. Ausgangspunkt ist zum wiederholten Mal die Feststellung des Anstiegs von Diebstahl und Gewalttaten als Folge des Aufenthalts fremder Personengruppen wie „frembde[n] Juden, auch andere[n] verdaechtige[n] Bettler und Passanten“. Fremde Bettler stehen damit hinsichtlich des Vorwurfs von Straftaten auf einer Stufe mit den im vergangenen Jahrhundert noch gesondert verfolgten Räuberbanden. Infolge dessen greift der Territorialstaat auf die dort eingesetzten Mittel zurück. An erster Stelle steht zunächst die Ausweisung der fremden Bettler innerhalb einer Frist von zwei Wochen, welche gekoppelt ist mit einem Aufenthalts- und Beherbergungsverbot.391 Die Verschärfung der Kontrollen von „Zeugnus und Attestata“ zur Bettelberechtigung von Fremden ist Begleiterscheinung dieser Verbote. Nunmehr ist betreffend der Akzeptanz von Bettelscheinen eine entscheidende Veränderung eingetreten. In Punkt 2 werden generell auswärtige Bescheinigungen nicht mehr anerkannt, ungeachtet deren Gültigkeit. Nur noch aufgrund besonderer Erlaubnis durch die kurfürstlichen Beamten ist fremden Bettlern überhaupt die Übernachtung im Erzstift gestattet. Von der Zulassung fremder, von anderen Territorien anerkannten Bedürftigen zu einem Wegzehrungsalmosen, wie es noch die Polizeiordnung von 1647 kannte, ist nichts geblieben. Die Ämter und Städte sind aufgefordert, die Gast- und Wirtshäuser entsprechend zu kontrollieren.
b) Strafmaßnahmen gegen fremde Bettler Die Verschärfung des Vorgehens drückt sich ebenfalls in den Strafmaßnahmen aus, die gegenüber den Nutzern gefälschter Bettelberechtigungen angedroht werden. Diese sollen entsprechend dem gemeinen Recht als „Falsarii“, also Betrüger, behandelt werden und zudem entsprechend der territorialstaatlichen Verordnung mit Staupenschlag und Brandmarkung bestraft werden.392 Der Betrug liegt letztlich in der Irreführung des Spenders über die Verdienstlichkeit seines Almosens. Für den Fall des Mitführens von Waffen ist eine Verschärfung der Strafe angeordnet. Mit der Durch390 Verordnung vom 9. 7. 1715 in VSC II, S. 63 – 66 (Nr. 287); Scotti, Cöln I/1, S. 600 f. (Nr. 313). 391 Die Sanktionsmaßnahmen sehen zunächst eine zweistündige Fesselung an einen Strafpfahl vor, im Wiederholungsfall sind härtere arbiträre Strafen vorgesehen, vgl. Verordnung vom 9. 7. 1715 in VSC II, hier S. 64. 392 Zum Deliktstatbestand des Betrugs („stellionatus“) vgl. Ammerer (2001b), S. 26; Schaffstein (1978), S. 286 ff.
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führung der Maßnahmen sind die Ämter betraut, die für die Einrichtung und den Unterhalt eines entsprechenden Vollzugsapparats zuständig sind. Im Verbund mit den Aufenthalts- und Duldungsverboten für fremde Bettler finden sich die entsprechenden Maßnahmen gegenüber Kleingewerbetreibenden.393 Diese stehen unter dem Verdacht des Diebstahls und sollen nunmehr bei Aufgreifen wie Vagabunden behandelt werden. Auch hier verbindet sich aufgrund der Ähnlichkeit der zu treffenden Maßnahmen die Gefahrzuschreibungen und somit letztlich die Zusammenfassung zuvor getrennt behandelter Personengruppen in einer Norm. c) Erfassung der Armen auf der Ebene der Pfarrgemeinden Erst nach den Regelungen über den Ausschluss Fremder aus dem erzstiftischen Versorgungsbereich des Erzstifts kommt es lediglich in Punkt 7 zu Aussagen über die Fürsorgeorganisation. Die Unterstützung Bedürftiger gilt immer noch als Ausdruck christlicher und natürlicher Liebe. Die Umsetzung der Liebespflicht als mildtätiger Beistand für die „bekanten einlaendischen Armen und Preßhafften“ ist jedoch durch die Erfassung der Armen in Listen zunehmend formalisiert. Diese auf Ebene der Kirchspiele zu führenden Listen geben mit der Berechtigung zur Bitte um Almosen an Sonn- und Feiertagen zugleich den Geltungsraum der Begünstigung vor. Außerhalb der eigenen Pfarrgemeinde ist nämlich das Begehren nach Almosen bei Strafe untersagt. Der Wandel der christlichen Liebesbetätigung ist indes nicht alleine auf Seiten der Bedürftigen spürbar. Bei den sonn- und feiertäglichen Gottesdiensten sollen die Pfarrgenossen an ihre Verpflichtung zum Almosenspenden erinnert werden. Die stetigen Ermahnungen an die Spender, entsprechend den persönlichen Verhältnissen zu helfen, steht zwar im Einklang mit den scholastischen Lehren zum Umfang der Hilfsverpflichtung. Die Übernahme in obrigkeitliche Anweisungen birgt indes die zunehmende Formalisierung und Entfremdung von der eigentlichen Hauptmotivation des Mitleids in sich. Mehr und mehr entwickeln sich das Almosen und die christliche Nächstenliebe zur staatlich genutzten Finanzierungshilfe der Fürsorge. Die Begrenzung des Almosenspendens seitens der Gesetzgebung weicht der nutzenden Erschließung als Finanzierungsinstrument. Die Regelung beschränkt sich vom Wortlaut alleine auf die Spendensammlung für die Bedürftigen vor den Kirchen. Sie wirkt sich jedoch auf andere Situationen des Gebens aus. Die Versorgung der Armen durch Zulassung zum Bettel wird hier ergänzt durch die Sammlung von Almosen im Gottesdienst. Die so von der Kirchengemeinde gesammelten Almosen werden entsprechend der Armenliste verteilt. Die zusätzliche Erfassung der Armen in den Listen der Pfarrgemeinden tritt an die Seite der bislang üblichen Bettelzeichen. Hier vereint sich im territorialstaatlichen Zugriff die Steuerung des Almosens im weltlichen Raum mit der Kontrolle der Almosenverteilung im kirchlichen Raum. Die Verteilung der in den Kirchen gesammelten Almosen an die 393 Verordnung vom 9. 7. 1715 in VSC II (Nr. 287), hier S. 65 Punkt 6: Gemeint ist hier der Verkauf von Gläsern, Brillen, Wannen und ähnlichen Waren.
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aufgelisteten Armen setzt die entsprechenden Regelungen der Synodalgesetzgebung des 17. Jahrhunderts weiter fort.394 d) Strafbarkeit des Bettelns durch Arbeitsfähige Den ohnehin nie als unterstützungswürdig anerkannten arbeitsfähigen Bettlern wird das Betteln bei Strafe verboten. Die Sanktion für die fehlende Bereitschaft, selbst für den Unterhalt zu sorgen und sich stattdessen dem Müßiggang hinzugeben, ist die Zuweisung derselben zu öffentlichen Arbeiten.395 Während die Arbeitszuweisung an sich nur die zwangsweise Durchsetzung der Pflicht zur Selbstversorgung darstellt, weist die ebenfalls eröffnete Sanktion des Geleitentzugs für Arbeitsunwillige die Tendenz zur endgültigen Exklusion aus der Versorgungsgemeinschaft auf. Unter welchen Umständen der Entzug des kurfürstlichen Geleits und Schutzes oder die Arbeitszuweisung erfolgen soll, geht nicht aus der Verordnung hervor. Klar erkennbar sind jedenfalls die Grenzen der zuvor herausgestellten „Christlich= und natürliche Lieb“. Mit dem Verlust des Zugehörigkeitsrechts zum Territorialstaat geht letztlich die Unterstützungschance im Alter und bei Arbeitsunfähigkeit sicher verloren. 5. Polizeiordnung für das Herzogtum Westfalen von 1723 Erst siebzig Jahre nach Erlass der letzten Polizeiordnung für das Herzogtum Westfalen ergeht am 20. 9. 1723 eine erneuerte, alle wesentlichen Materien des Polizeirechts umfassende Verordnung.396 Diese intensiviert die 1715 im Erzstift getroffenen Regelungen und weitet deren Anwendungsbereich auf Westfalen aus. Der Aufbau entspricht dem der territorialen Polizeiordnungen des 16. Jahrhunderts. Immer noch prägt die Gliederung der Reichspolizeiordnungen die Struktur, augenfällig jeweils an der Behandlung der Gotteslästerung unter Punkt 1.397 Gleiches gilt auch für die Fassung der Einleitung, in der zum wiederholten Male die Wiederherstellung der gestörten Verhältnisse auf den alten Stand als Handlungsziel angegeben wird. Wiederum wird auf die Beteiligung der Landstände bei der Normentstehung hingewiesen.398 Anders als in den zurückliegenden Verordnungen ist das Handlungsmotiv 394
Vgl. Ratzinger 1884, S. 473; sowie die Ausführungen in Fünfter Teil, B., III., 2. Zu weiteren Beispielen der Bestrafung mit Arbeitszuweisung, beispielsweise für den Festungsbau, den Straßenbau oder auch den Hofgartenbau, vgl. Schubert (1990), S. 291 f. Zum Gedanken der Erziehung durch den Arbeitszwang im Innsbrucker Arbeitshaus vgl. Ammerer/ Weiß (2006), S. 98 ff. 396 Polizeiordnung vom 20. 9. 1723 in Scotti, Cöln I/1, S. 623 – 687 (Nr. 358). Ebenso wie schon die Polizeiordnungen der vergangenen Jahrhunderte bündelt diese Polizeiordnung für das Herzogtum Westfalen unterschiedliche Materien. Sie reichen von der Gotteslästerung bis hin zu Glücksspiel, Recht der Apotheker und eben dem Armen- und Bettlerrecht. 397 Reichspolizeiordnung vom 19. 11. 1530 in NSRA II, hier S. 333. 398 „Demnach Uns Unsere treu=gehorsambste Landt=Staende von Ritterschafft und Staedten Unsers Hertzogthumbs Westphalen auff verschiedenen bis anhero vorgewesenen Landtaegen underthaenigst vorgebracht“, vgl. Polizeiordnung vom 20. 9. 1723 in Scotti, Cöln 395
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nicht mehr auf Gott als Legitimationsquelle bezogen, sondern der „Wohlfart und Auffnahm des gemeinen Wesens eintzig und allein abzielender Lands=Vaetterlicher Sorgfalt“ geschuldet. Dies entspricht der Entwicklung in der Staatsrechtslehre, die verstärkt den Schwerpunkt auf die Sicherung und die Verpflichtung gegenüber der Wohlfahrt setzt.399 Der für die Organisation der Fürsorge relevante Teil findet sich unter Titel 17 wieder. Auffällig ist der im Vergleich zu den eher kargen Umsetzungsakten der Vergangenheit wesentlich ausführlicher gehaltene Normtext. a) Fürsorgeorganisation Die Janus-Köpfigkeit der Gesetzgebung, die einerseits den (unregulierten) Bettel zum Gegenstand repressiver Maßnahmen macht, andererseits gerade den Bettel als Versorgungsform sich nutzbar macht, wird in Titel 17 erneut offenbar. Wie schon in der Verordnung vom 9. 7. 1715, auf welche Titel 17 § 1 direkt verweist, ist nicht die Sorge um die Bedürftigen primärer Anlass für das Handeln des Gesetzgebers. Vielmehr forderte zum wiederholten Mal der Aufenthalt fremder Bettler und Vaganten im Herzogtum zur Reaktion heraus. Die Gefährlichkeit ergibt sich aus der Befürchtung, dass diese Personen Straftaten wie Diebstahl und Raub begehen könnten.400 Die Verquickung der Gefahrenabwehr mit der Sicherstellung der Versorgung der Bedürftigen verdeutlicht sich durch die nachfolgenden Regelungen. Trotz des Hinweises auf den Missstand schließt sich daran zunächst die Darstellung der Versorgungsorganisation in § 1 – 3 an, während die Festlegung der repressiven Maßnahmen erst in §§ 4 ff. erfolgt. b) Bettel als zulässige Versorgungsform In Bezug auf die Struktur der territorialstaatlich geregelten Unterstützungsleistungen gelten die hergebrachten Grundsätze der Polizeiordnungen des 16. und 17. Jahrhunderts weiter. Die bislang als unterstützungswürdig anerkannten Personengruppen sind gemäß § 1 zum Bettel zugelassen: Alte, Schwache oder an Leibesgebrechen leidende Personen. Mithin ist Arbeitsunfähigkeit ein primäres Inklusionskriterium. Es entspricht dem hergebrachten Heimatprinzip, dass die Versorgungsberechtigung alleine für die kurkölnischen Armen gilt. Das bedeutet zugleich, dass Fremdheit das primäre Exklusionskriterium bleibt. Der Geburtsort im Herrschaftsgebiet ist weiterhin Grundvoraussetzung der Versorgungswürdigkeit. I/1 (Nr. 358), hier S. 623. Zur Beteiligung der Landstände bei umfassenden Gesetzgebungsvorhaben, gerade bei Polizeimaterien im Gegensatz zur Einzelverordnung, vgl. Härter (1999a), S. 206, 210. 399 Wie bereits Kurtrier erweist sich Kurköln in Bezug auf die Zielsetzung seiner Polizeigesetzgebung auf der Höhe der Zeit. Zu den Staatszielen „Wohlfahrt“ „gemeiner Nutzen“ vgl. Hibst (1991); Preu S. 108 ff. Zur Ergänzung des „gemeinen Besten“ durch die Förderung der Staatswohlfahrt vgl. Merk (1968), S. 55. 400 Polizeiordnung vom 20. 9. 1723 in Scotti, Cöln I/1, hier S. 640.
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c) Ausweitung des Heimatprinzips Jedoch wird das Heimatprinzip um eine bislang nicht gekannte Erweiterung in § 3 des Titels ergänzt. Auch die seit „einigen Jahren hero unverdaechtig aufhaltender Armen“ sollen gleich den im Herzogtum Geborenen in die Armenlisten aufgenommen werden. Dies spricht dafür, dass für diese Personengruppe, welche die Voraussetzung der Erwerbsunfähigkeit erfüllen, ebenfalls die Zulassung zu den Versorgungsmöglichkeiten vorgesehen ist. Diese Regelung entspricht der bisherigen Gesetzgebung. Aufgrund der durch die Erbfolgekriege in Mitleidenschaft gezogenen Wirtschaft des Erzstifts ist arbeitswilligen Personen die Aufnahme als Bürger eröffnet. Diese sind demnach bislang auch als willkommene Einwohner aufgenommen worden. Die Gewährung der Unterstützungsberechtigung vervollständigt und bestätigt diese Einbürgerungspolitik. d) Formelle Versorgungsvoraussetzung: Bettelzeichen Wie bisher ist jedoch die Bettelerlaubnis im Grundsatz räumlich beschränkt auf den Umkreis des eigenen Wohnsitzes. In § 1 finden sich erstmals genauere Vorgaben der kurfürstlichen Regierung zur Ausgestaltung der Bettelzeichen, die als formelle Voraussetzung der Unterstützungsberechtigung dienen. Hinsichtlich möglicher Sanktionen bei Verstoß gegen die Pflicht des Bedürftigen zum Tragen des Bettelzeichens sind indes in der Polizeiordnung nicht enthalten. Ob dieser Auslassung die Annahme des Gesetzgebers zugrunde liegt, dass ohnehin alle Berechtigen ein solches Zeichen erhalten, während die unberechtigten Bettler des Landes verwiesen werden, bleibt der Vermutung überlassen. Die detaillierte Vorgabe deutet ungeachtet dessen auf den Willen der Landesherrschaft zu einer verstärkten Vereinheitlichung hin. Diese am linken Arm zu befestigen „bleyernen Zeichen“ sollen den Namen der Stadt oder des Dorfes sowie des jeweiligen Amtes enthalten, um so die Begrenztheit der Bettelerlaubnis zu verdeutlichen. Zwar ist grundsätzlich der Wohnort in der jeweiligen Stadt, Kommune und das als übergeordneter Herrschaftsraum angegebene Amt als Versorgungsraum bestimmt. Für den Fall begrenzter eigener Ressourcen bleibt es jedoch bei den aus den Polizeiordnungen des 16. Jahrhunderts bekannten Ausnahmeregelungen. Die dahinter stehende Grundannahme bei der Beurteilung des Versorgungssystems in Gestalt von Bettel und Hospitalleistungen bleibt ebenfalls bestehen. Aus den Regelungen spricht die Überzeugung, dass ausreichend privat motivierte Spenden bereit stehen und es allenfalls aufgrund lokaler Eigenarten zu räumlich begrenztem Mangel kommen kann. e) Zuständigkeit bei der Bettelzulassung und Hospitalsaufsicht Die Verantwortung zur Versorgung der „arme Leuthe und duerfftige Bettler so sich nicht ernehren moegen“ liegt weiterhin bei den Städten, Kommunen und Ämtern. Eine Antwort auf die Frage, wie über das Gestatten des Bettels hinaus die Versorgung
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organisiert werden soll, findet sich nicht. Die Sicherstellung der Versorgung beschränkt sich demnach gesetzestechnisch auf reine Steuerungsprozesse. Nur für Ausnahmesituationen finden sich übergreifende Lösungsansätze. Den möglichen Versorgungsengpässen in einem Amt soll entsprechend dem bislang erprobten Vorgehen durch Sonderbescheinigungen der Bettelerlaubnis in anderen Ämtern des Herzogtums entgegengewirkt werden. Zuständig für die Ausstellung dieser Ausnahmebescheinigungen sind die örtlichen Beamten. Mit den Bescheinigungen sind die Bedürftigen berechtigt, im nächsten benachbarten Amt zu betteln. Die Sonderbescheinigungen entfalten dabei ihre Wirksamkeit nur in Verbindung mit den an der Kleidung zu befestigenden Bettelzeichen. f) Präventive Maßnahmen und Kontrolle der Hospitalsverwaltung Bei der Umsetzung der Versorgungsverpflichtung der Städte, Kommunen und Ämter für ihre Armen verbleibt es bei dem Verweis auf die bestehenden Strukturen. Ergänzende Finanzierungsmaßnahmen oder Unterstützungssysteme finden sich nicht. Lediglich als sekundäre Begleitmaßnahme kann die Regelung in Titel 14 „Von Erziehung der Kinder“ angesehen werden.401 Dort werden die Eltern und Verwandten verpflichtet, für eine Lehre und religiöse Erziehung zu sorgen. Die im Wesentlichen agrarisch geprägte Gesellschaft wird dahingehend berücksichtigt, dass die Schul- und Lehrpflicht der Kinder in den arbeitsintensiven Sommermonaten auf die Religionserziehung an Sonn- und Feiertagen reduziert wird. Weitergehende Anordnungen, welche die seit Beginn der Fürsorgegesetzgebung bekannte Forderung nach Ausbildung der Jugendlichen umsetzt, lassen sich indes nicht finden. Dass an eine Einführung neuartiger Organisationsmodelle nicht gedacht wird, zeigt demgemäß Titel 17 § 2. Dort wird in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtslage die Verantwortung der kurfürstlichen Amtsträger und der Kommunen für die Sicherung des Bestands und des Unterhalts der Hospitäler als Stützen der Armenversorgung wiederholt. Der Zweckwahrung der gestifteten Renten und Gefälle zugunsten des Unterhalts der Armen gilt dabei in hergebrachter Weise die größte Aufmerksamkeit. Begleitet wird dies durch die wiederholte Forderung nach ordnungsgemäßer Verwaltung und Jahresabschlussrechnung. Die Sicherstellung der Grundsätze ordentlicher Verwaltung ist der westfälischen Polizeiordnung von 1723 mit der Synodalgesetzgebung und den bisher erlassenen Polizeiordnungen gemein. Wesentliche Unterschiede in der Herangehensweise in den Herrschaftsräumen, sei es das Erzstift oder wie hier das Herzogtum Westfalen, lassen sich nicht feststellen. g) Verfestigung der Zuständigkeiten der weltlichen Obrigkeit Die Kontrollkompetenz der weltlichen Obrigkeit entspricht dem jüngeren Stadtrecht, beispielhaft erkennbar an der Polizeiordnung aus dem Jahr 1707 für die Resi401
Polizeiordnung vom 20. 9. 1723 in Scotti, Cöln I/1, hier S. 635 ff.
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denzstadt Bonn.402 Auch dort finden sich Regelungen zur Sicherung der Zweckwidmung der Hospitalsgüter zugunsten der Hausarmen. Die Maßnahmen des Domkapitels und der Bonner Stadtverwaltung werden schon einleitend damit erklärt, dass sie als Reaktion auf die die Beschwerden von Bürgern über Missstände, die sich eingeschlichen haben, erfolgen. In Punkt 12 wird dieses Argument für die Hospitalsverwaltung wieder aufgegriffen, da anlässlich eines Verkaufs von Hospitalvermögen Unklarheiten über die weitere Verwendung des Erlöses entstanden sind.403 Hier belegt die Wahl des Adressaten durch die sich beschwerenden Bürger, wem auch aus deren Sicht die Kontrollkompetenz zukommt: der weltlichen Obrigkeit. Um die Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung zu beseitigen, soll nun detailliert aufgelistet werden, wozu die einzelnen Vermögensteile des Hospitals Verwendung finden. Es stellt sich heraus, dass diese zum Teil veräußert und wiederum gegen Zinsen angelegt oder sonstig geldwert verpachtet sind. Im Ergebnis werden die Bedenken als unbegründet abgewiesen und die bisherige Verwaltung durch Bürgermeister und Rat für deren „vielmehr […] gebrauchte gute Sorgfalt“ gelobt. Beispielhaft wird deutlich, dass der Forderung nach Überprüfung auch in der Praxis nachgekommen wird. Auffällig ist gerade am Bonner Beispiel, dass das Verbot der Zweckentfremdung der Stiftungen nicht ausschließlich gilt. Bereits im Jahr 1715 werden mangels entsprechenden Bedarfs die nicht mehr benötigten Leprosenstiftungen für die Hausarmen verwandt. Aus den ehemaligen Leprosengefällen werden nunmehr die Unterhaltskosten eines Findelkindes und Zuschüsse für arme oder erkrankte Bürger bezahlt. Daneben werden auch Gehälter für die Pastoren der Gemeinde aus diesem Stiftungsfond beglichen.404 Eine Änderung des Stiftungszwecks liegt damit offenkundig vor, jedoch erfolgt die Umwidmung durch den Wechsel zu einem anderen der sieben christlichen wohltätigen Werke. h) Armenlisten: Erstellung und Kontrolle Was sich mit der landesweiten Vereinheitlichung des Bettelzeichens für das Herzogtum Westfalen bereits andeutet, setzt sich hinsichtlich der auf bislang auf der unteren und mittleren Verwaltungsebene geführten Armenlisten fort. Der verstärkte Kontroll- und der Aufsichtsanspruch der Landesregierung in diesem Bereich äußern sich in Titel 17 § 3. Dort findet sich die Verpflichtung der unteren lokalen Verwaltungsebenen zur jährlichen Einsendung der Armenlisten an die kurfürstliche Kanzlei in Arnsberg. Die dadurch zu gewinnenden Informationen über Anzahl und Eigenschaften der Bedürftigen stellen eine Verbesserung der Lenkungsmöglichkeiten der Landesregierung dar. Insoweit lässt sich eine Weiterentwicklung hinsichtlich 402 Verordnung vom 20. 5. 1707 in VSC II, S. 352 – 361 (Nr. 480); Scotti, Cöln I/1, S. 590 (Nr. 288). 403 Verordnung vom 20. 5. 1707 in VSC II, hier S. 355. 404 Ennen (1962), S. 342 f. Im Jahr 1715 befand sich nur ein als Leproser anerkannter Kranker im Leprosenhaus. Zu diesem Zeitpunkt besaß die Leproserie einen Kapitalstock von 3 529 Reichstalern 25 Albus. Es wurden zudem auch Kosten für Beerdigungen und Gottesdienst übernommen.
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der 1715 für das Erzstift getroffenen Regelungen erkennen, in denen eine solche Kontrollbefugnis fehlt. Letztlich hat das Streben nach effizienterer Kontrolle deutlichen Vorrang gegenüber dem Bemühen um die Erschließung neuer Finanzierungsquellen oder Unterstützungssysteme. i) Repressive Maßnahmen: Almosenverbot und Sanktionen Die Systematisierung der Fürsorge durch Erfassung und Versorgungszuteilung steht indes nicht isoliert da. Die Polizeiordnung sieht darüber hinaus zahlreiche repressive Maßnahmen vor, welche die Wirkung der Lenkungsmaßnahmen steigern sollen. Während sich im Bereich der Versorgungsstrukturen keine Neuerungen abzeichnen, greift der Kurfürst auf ein bislang nicht in diesem Herrschaftsgebiet verwandtes Mittel zurück: das Almosenverbot. Die Bestätigung der Versorgungsberechtigung der Arbeitsunfähigen hat wie in früheren Verordnungen ihr Gegenstück in den repressiven Maßnahmen. Hierzu zählt neben dem obligatorischen Versorgungsausschluss arbeitsfähiger Bettler erstmals im Herrschaftsgebiet eines Kölner Kürfürsten die Bestrafung des unrechtmäßig handelnden Almosengebers. Titel 17 § 4 formuliert das Verbot, Almosen an Personen ohne Erlaubnisschein oder Kennzeichen zu verteilen und droht eine Strafe von 10 Mark bei Zuwiderhandeln an. Damit scheint für das zum kurkölnischen Herrschaftsgebiet gehörende Herzogtum Westfalen der nächste Schritt getan zur Aufspaltung der Verbindung zwischen Spender und Empfänger. Indes gilt dieses Verbot nur für den Umgang der Spender mit unberechtigten Bettlern. Im Vergleich zu den zeitgleichen Almosenverboten im Kurfürstentum Trier, wo überhaupt keine direkte Almosenspende an den Bettler mehr zulässig ist, verbleibt in Kurköln noch ein Rest der ursprünglichen Kontaktmöglichkeiten. Eine veränderte Beurteilung des Almosens ist dennoch unverkennbar. Sie bedeutet auch, dass nunmehr der Spender von Almosen stärker in die Verantwortung genommen wird. Den Almosenspendern wird die Kontrollpflicht auferlegt, ob der Bettler tatsächlich zum Almosenempfang berechtigt ist. Der Untertan soll zu diesem Zweck die Kennzeichen der an seiner Tür bettelnden Personen nachprüfen. Für den Fall, dass ein Bettler gegen das bestehende Bettelverbot verstoßen sollte, obliegt dem Untertan zudem eine Anzeigepflicht an die kommunale Obrigkeit.405 Auch hier findet sich zur Durchsetzung der Pflicht eine Strafdrohung für das Unterlassen der Anzeige. Zwar ist der Almosengeber letztlich immer noch frei vom obrigkeitlichen Zwang, ein Almosen an eine Armenkasse zu spenden. Die Pflichten bei der ordnungsgemäßen Almosenspende haben indes deutlich zugenommen. Die in der ursprünglichen Lehre nicht festgeschriebene Prüfpflicht des Almosenspenders ist durch weltliches Recht sanktionierte Wirklichkeit geworden.
405 In den Städten soll die Anzeige an den Bürgermeister und den Rat bzw. den hierzu abgestellten Aufseher, in den Dörfern an die Dorfvorsteher erfolgen, vgl. Polizeiordnung vom 20. 9. 1723 in Scotti, Cöln I/1, hier S. 641.
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j) Landesverweis für nichtberechtigte Bettler Welches Ziel die Anzeigepflicht hat, offenbart sich in Titels 17 §§ 5 f. Die zuständigen kommunalen Stellen sind aufgrund der Denunziation verpflichtet, die Bettler aufzugreifen und deren Identität festzustellen. Von besonderem Interesse ist dabei die bisherige Aufenthaltsdauer im Herzogtum. Für den Fall, dass die Personen sich als fremde Bettler unerlaubt im Erzstift aufhalten, soll der Vorfall an den Landdrost in Arnsberg gemeldet werden. Dieser soll darauf die jeweilige Ortsobrigkeit wegen Verstoßes gegen das kurfürstliche Gebot mit 20 Mark Brüchtenstrafe belegen. Offensichtlich verspricht man sich von diesem Melde- und Verhörsystem, die Durchsetzung der getroffenen Anweisungen zu erhöhen. Zweifel bleiben jedoch dahingehend bestehen, als gerade diejenige lokale Obrigkeit, in deren Bereich der fremde Bettler nach längerem Aufenthalt aufgegriffen wird, sich selbst anzeigen müsste und sich somit den Sanktionen ausgesetzt sähe. Ob diese Regelung also ein wirksames Kontrollmittel darstellen kann oder lediglich der Fremddenunziation dient, ist zweifelhaft.406 Die Zweifel an der Umsetzung der Selbstanzeige wachsen umso mehr, als gerade der Anlass der Anzeige – der Bettler ohne genügenden Ausweis – sofort ausgewiesen werden soll, wie Titels 17 § 7 vorschreibt.407 Zuständig zur Ausweisung sind die kurfürstlichen Richter, denen von den lokalen Obrigkeiten die Bettler überstellt werden sollen. Für den betroffenen Bettler ist die Ausweisung verbunden mit einer körperlichen Bestrafung durch Staupenschläge und der Beschwören der Urfehde, deren Bruch entsprechend den Edikten mit der Todesstrafe geahndet werden soll.408 Vom Aufenthaltsverbot erfasst sind indes nicht nur die sich unberechtigt aufhaltenden Bettler, vielmehr sieht § 7 für fremde unvermögende Bettler mit ordnungsgemäßen Pässen vor, dass diese zwar passieren dürfen, jedoch kein Aufenthaltsrecht genießen. Die Ausübung von Zwang auf Bettler und Müßiggänger findet sich noch an systematisch anderer Stelle. Anlässlich der Regelungen über den Umfang der Feierlichkeiten von Fastnacht, Hochzeiten, Begräbnissen und Kindstaufen, werden die lokalen Beamten angewiesen, die Müßiggänger und Bettler aus- und abzuweisen und gegebenenfalls in das Gefängnis zu bringen.409
406 Zur Wirksamkeit von Denunziationspflichten am Beispiel Kurkölns vgl. Landwehr (2000a), S. 37 f. 407 Zur geringen Bereitschaft der Untertanen zur Mithilfe bei repressiven Maßnahmen vgl. Ammerer (2001b), S. 12 f. 408 Vgl. hierzu das Edikt vom 28. 3. 1722 in Scotti, Cöln I/1, S. 601 (Nr. 313, Anm.); HSAD, KK II 3115 I, Nr. 176, sowie die Verordnung vom 9. 7. 1715 in VSC II, S. 63 – 66 (Nr. 287); Scotti, Cöln I/1, S. 600 f. (Nr. 313). 409 Polizeiordnung vom 20. 9. 1723 in Scotti, Cöln I/1, hier S. 646 (Titel 19).
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k) Ausweisung weiterer mobiler Personengruppen Obwohl Titel 17 „Von Bettlern und Müßiggängern“ handelt, wird im Zusammenhang mit der Kontrolle mobiler Bettler die Gelegenheit genutzt, um in §§ 8 f. weitere Gruppen von Umherziehenden zu behandeln. Besondere Aufmerksamkeit wird der Gruppe der Kleinhandels- und Kleingewerbetreibenden gewidmet.410 Die Landesregierung sieht sich aufgrund der täglichen Berichte der Bevölkerung veranlasst, der aus ihrer Sicht mit diesen Tätigkeiten verbundenen Gefahr von Eigentumsstraftaten entgegenzuwirken. Zu diesem Zweck sollen nur solche Händler geduldet werden, die entweder einen festen, durch die Obrigkeit bestätigten Wohnsitz haben oder in sonstiger Weise zum Handel zugelassen sind. Alle nicht gemeldeten Händler sind durch die örtlichen Obrigkeiten unmittelbar auszuweisen mit der Warnung, dass sie für den Fall eines Betretens des Territoriums mit den für Vagabunden vorgesehenen Strafsanktionen rechnen müssen. Die Gesetzestechnik der Gleichstellung verschiedener Personengruppen führt an dieser Stelle dazu, dass bei der Bestrafung der fahrenden Kleinhändler nicht mehr gegenüber Bettlern oder Vagabunden differenziert wird. Damit entfällt die in der Praxis möglicherweise Probleme aufwerfende Frage nach der Unterscheidung dieser Gruppen, da pauschal alleine auf die Existenz gültiger Ausweispapiere abgestellt wird. Dies gilt für die mobilen Randgruppen mit Ausnahme der Zigeuner.411
l) Voraussetzungen für die Annahme als Untertan Augenscheinlich um die in diesem Zusammenhang noch offenen Fragen zu klären, kommt der Gesetzgeber zur Regelung des Aufenthalts- und Einbürgerungsrechts. Als Grundsatz gilt, dass niemand ohne vorherige Überprüfung in das Herzogtum aufgenommen werden soll. Die Ortsobrigkeiten sind zur Prüfung der Herkunft und des bisherigen Lebenswandels verpflichtet. Der Landdrost wird angewiesen, den Beamten im Herzogtum einen Termin zu setzen, an dem im gesamten Land alle Häuser nach fremden Bettlern und verdächtigen Personen durchsucht werden sollen. Die aufgegriffenen Personen sind sodann außer Landes zu bringen, sofern sie nicht über entsprechende Papiere verfügen. Die Territorialgewalt schätzt das Gefahrenpotential bei diesen Maßnahmen als erheblich ein. Es soll daher besondere Vorsicht bei der Ergreifung und Ausweisung von Personen mit Waffenbesitz angewandt werden. Wie in den bisherigen Normen üblich, ist diese Anweisung an die Beamten begleitet von der Strafandrohung für säumige Umsetzung. Die Doppelfunktion, die nach dem Verständnis des Gesetzgebers diesen Regelungen zukommt, drückt sich – bei aller Vorsicht hinsichtlich der geringen Systematisierung der frühneuzeitlichen Normen – in der Wiederholung an unterschiedlichen 410
Die Kleinhändler bieten Waren wie Gläser, Nadeln, Brillen, Wannen, Mausefallen oder auch religiöse Gegenstände wie Rosenkränze an. Zudem werden die Kleingewerbe der Kannengießer, Kessel- und Pfannenflicker angegeben. 411 Zu den unterschiedlichen Strafsanktionen vgl. Härter (1999a), S. 214 f.
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Punkten aus. Während sich die oben dargestellten Regelungen im Zusammenhang mit Aussagen zum Fürsorgewesen finden, werden sie bezüglich der fahrenden Händler in Titel 40 teilweise wiederholt. Die Behandlung mobiler Personengruppen erfolgt zwar nacheinander, weist aber dennoch aufgrund der sich teilweise überschneidenden Regelungen eine inhaltliche Verschmelzung auf. So steht zwar die Behandlung „Von Zigeineren und Heyden“ im Vordergrund, jedoch wird aufgrund der Ähnlichkeit der zu treffenden Maßnahmen die Gruppe der fahrenden Händler erneut zum Gegenstand. Ausgangspunkt ist wie stets die Furcht vor Straftaten. Für Zigeuner ist ohne Berücksichtigung des Ob und Wie von Straftaten die Trias Rutenstrafe und Brandmarkung, bei erneuten Betreten des Territoriums die Todesstrafe vorgesehen. Für die zuwiderhandelnden Händler ist neben einer ermessensabhängigen Bestrafung die Ausweisung unter Konfiskation der Waren angedroht. Um der Unterstützung oder Duldung durch die Bevölkerung zugunsten der Umherziehenden vorzubeugen, ist für solche Beihilfehandlungen eine Brüchtenstrafe von 5 Mark vorgesehen. Hieran zeigt sich, dass man seitens der Territorialgewalt nicht unbedingt von Denunziationsund Mithilfebereitschaft der Bevölkerung ausgeht. m) Resümee Die Polizeiordnung von 1723 steht in der Tradition der einschlägigen reichsrechtlichen und landesrechtlichen Gesetzeswerke des 16. und 17. Jahrhunderts. Sie enthält neben zahlreichen anderen Rechtsgebieten Aussagen zum Fürsorge- und Bettlerrecht. Die Regelungen in diesem Bereich verbinden sich mit der aus Sicht des Gesetzgebers korrespondierenden Materie der Repression umherziehender Personengruppen. Neue Elemente der Armenfürsorge sind nicht zu finden. Wohl kommt es zur Erfassung der Armen auf der lokalen Ebene, die einer verstärkten Zentralisierung der Kontrolle auf der höchsten kurfürstlichen Verwaltungsebene im Herzogtum Westfalen dient. Die Vereinheitlichung der Bettelzeichen weist ebenfalls auf das Bestreben des Territorialherrn hin, die Steuerung des Fürsorgewesens unter der Aufsicht der kurfürstlichen Regierung in Arnsberg zu intensivieren. Die Unterstützungsstruktur ist unverändert: Bettel um Almosen und die Leistungen der Hospitäler. Deren Verwaltung steht wie zuvor unter dem Gebot ordentlicher Geschäftsführung und Rechnungslegung. Die Unterstützungsberechtigung entscheidet sich aufgrund der seit langem anerkannten Kriterien, wobei eine Versorgung Fremder nicht mehr vorgesehen ist. Bemerkenswert ist die Strafbarkeit der Almosenspende an unberechtigt Bettelnde, wodurch der Gestaltwandel des Almosens weiter verstärkt wird. Die repressiven Maßnahmen gegen Umherziehende werden zunehmend vereinheitlicht und zusammengefasst. Die Gefahrzuschreibung an verschiedene Gruppen führt dazu, dass fremde Bettler den Vagabunden gleichgestellt werden. Im Vergleich zum 17. Jahrhundert ist die Möglichkeit als arbeitswilliger aber armer Fremder Aufnahme ins Kurfürstentum zu finden, erschwert und steht unter einem Prüfungsvorbehalt.
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III. Sonderfall: Armut als Verfahrensprivileg vor der Hofkanzlei Ganz im Gegensatz zu den Strafdrohungen gegen umherziehende starke Bettler steht der Ansatz, der sich in der erneuerten Kurkölnischen Hofkanzleiordnung vom 11. 8. 1724 finden lässt.412 Die Ordnung regelt dabei unter anderem die Besetzung, das Verfahren, die Häufigkeit der Sitzungen und die Aufgaben der Hofkanzlei, zu denen die gesamte Jurisdiktion zählt. Dazu gehören unter anderem Zivilstreitigkeiten, Lehnssachen und Strafsachen sowie Sonderzuständigkeiten. Punkt 23 der Ordnung beinhaltet für die Gruppe der Witwen und Waisen und der Armen Sonderregelungen.413 So sollen deren Angelegenheiten vor allen anderen und mit entsprechender Rücksicht auf deren Elend behandelt werden. Dabei soll in Erwägung gezogen werden, ob die Bitte an den Hof, welche oftmals mit einem Nachreisen verbunden ist, aus Not, Einfalt oder Mutwillen unternommen wurde. Für die Fälle, in denen die Anrufung der Hofkanzlei aus erwiesener Notsituation heraus erfolgt, soll dieser abgeholfen werden. Demgegenüber soll bei mutwilligem Ausnutzen die Sache abgewiesen und bei großem Frevel entsprechend der Notwendigkeit verurteilt werden. Hier findet auch für Kurköln das in zahlreichen juristischen Dissertationen der Frühen Neuzeit erörterte Problem des Armenrechts, des Rechts der „miserabiles personae“, Berücksichtigung.414 Die gesonderte Berücksichtigung von Armutssituationen lässt sich ebenfalls im materiellen Strafrecht nachweisen. So wird Armut etwa bei der Frage des Diebstahls in der Frühen Neuzeit zugunsten des Armen berücksichtigt.415 Die dargestellte Privilegierung der Armut vor Gericht steht nicht unmittelbar mit der Fürsorgegesetzgebung in Zusammenhang, zeigt jedoch, dass Armut auch in anderen Zusammenhängen als ein auszugleichender Nachteil anerkannt wird.
IV. Fürsorgegesetzgebung unter Clemens August von Bayern Der Amtsantritt Clemens Augusts im November 1723 bringt zunächst keine Veränderung der normativen Herangehensweise an die Fürsorgeorganisation mit sich. Im Gegenteil steht zu Beginn der Regierungszeit die Gesetzgebung ganz in der Kontinuitätslinie der zuvor für das Herzogtum Westfalen erlassenen Polizeiordnung.416 Anders als in Westfalen erfolgt die Regelung des Bettel- und Fürsorgewesens im Erzstift nicht 412
Erneute Hofkanzleiordnung vom 11. 8. 1724 in VSC I/1, S. 515 – 534. Erneute Hofkanzleiordnung vom 11. 8. 1724 in VSC I/1, hier S. 522. 414 Vgl. die Übersicht bei Lipenius, Bibliotheca, S. 48, 134 („miserabiles personae“, „pauper“). Zum prozessualen Recht der „miserabiles personae“ vgl. Elsener (1989); Erler, Art. Armenrecht, in: HRG I, S. 288 f. 415 Dorn (2008). 416 Dies wird auch daran erkennbar, dass Clemens August unmittelbar nach seinem Amtsantritt die Polizeiordnung seines Vorgängers für das Herzogtum Westfalen bestätigt, vgl. Härter (1999a), S. 203. 413
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im Rahmen einer umfassend angelegten Polizeiordnung, sondern durch eine auf diese Materie beschränkte Verordnung.417 Diese Vorgehensweise entspricht dem Ansatz der 1715 für das Erzstift ergangenen Verordnung, auf welche sich die nunmehr erlassene Verordnung ausdrücklich bezieht. 1. Polizeiordnung für das Erzstift 1728 Die erneute Verordnung vom 30. 6. 1728 setzt die einschlägigen Regelungen der fünf Jahre zurückliegenden Verordnung für das Herzogtum Westfalen im Erzstift Köln um.418 Ihren Anlass bildet die wiederholt vorgebrachte Klage über den Zustrom von verdächtigem Gesindel, welches aus Bettlern, Vaganten und Müßiggängern besteht. Neben dem Vorwurf des Diebstahls findet sich hier eine besondere Art des Betrugsvorwurfs. So sollen als Jakobsbrüder getarnte Betrüger vorgeben, Gelder zu sammeln, um Gefangene der Türken zu befreien. Die Vortäuschung eines der sieben körperlichen barmherzigen Werke, die Hilfe für Gefangene, veranlasst den Kurfürsten zum Einschreiten. Die Fürsorgeorganisation bleibt weiterhin unverändert. Die Gestattung des Bettelns gilt für diejenigen einheimischen Armen, welche aufgrund von Arbeitsunfähigkeit mit einem Bettelzeichen versehen sind. Der Arme wird definiert als in einem erzstiftischen Amt wohnhaft, aufgrund körperlicher Gebrechen arbeitsunfähig und demgemäß in Armut befindlich. Armut ist nach dem Wortlaut der Verordnung der „Abgang der Lebens=Notdurfft“. Augenscheinlich wird hier, dass Armut auf das zum Erhalt der körperlichen Existenz erforderliche Minimum bezogen ist. Nur für diesen Fall ist Versorgung vorgesehen. Die äußere Gestalt des Bettelzeichens ist ebenso wie im Herzogtum Westfalen vereinheitlicht und soll den kommunalen Geltungsraum bezeichnen. Die Erweiterung der Bettelerlaubnis über den Wohnort hinaus bei unzureichenden lokalen Versorgungsmöglichkeiten entspricht der westfälischen Regelung. Die Stärkung der kurfürstlichen Kontrollaufsicht durch die Einsendung der Armenlisten an den Hofrat verläuft parallel zur Gesetzgebung in Westfalen. Die Regelungen zur Hospitalsfürsorge als zweites Standbein der Fürsorgeorganisation sind ebenfalls identisch. Die kurfürstlichen Beamten und die Vorsteher der Kommunen sind gehalten, die Verwaltung der Hospitäler entsprechend den bisherigen Vorgaben auszuführen. Die Zweckwahrung des Hospitalkapitals, die Rechnungslegung und der Unterhalt der Armen sind die hier wiederholten Hauptpunkte. Der Katalog der repressiven Maßnahmen fasst das Vorgehen gemäß der westfälischen Polizeiordnung von 1723 zusammen. Die kommunalen Obrigkeiten sind zu Kontrollen der fremden Bettler aufgerufen, denen im Erzstift kein Aufenthalt gestattet ist. Angetroffene Bettler sind auszuweisen und mit der Trias Staupenschlag, Ur417
Der Erlass einer Polizeiordnung für das Erzstift Köln scheitert zunächst am Widerstand der Stände gegen die aus ihrer Sicht belastenden Regelungen, vgl. Härter (1999a), S. 206. Infolgedessen greift der Kurfürst auf Einzelverordnungen zurück, bei der es keiner Mitwirkung der Stände bedarf. 418 Verordnung vom 30. 6. 1728 in VSC II, S. 66 – 68 (Nr. 288); Scotti, Cöln I/1, S. 602 (Nr. 313, Anm.); HSAD, KK II 3126, Nr. 61.
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fehde und Androhung weiterer Strafen zu behandeln. Fremden Bettlern wird bei Vorlage ordnungsgemäßer Pässe nur der Durchzug durch das Erzstift gestattet. Die Verordnungen von 1715 und 1723 werden hinsichtlich der Kleinhändler und Hausierer und der Durchführung von Visitationen und Hausdurchsuchungen wiederholt. Identisch geblieben ist die hohe Strafandrohung für die kurfürstlichen Beamten bei mangelhafter Umsetzung der Anordnungen.419 Insgesamt bietet die Verordnung für das Erzstift keinerlei Neuerung. Lediglich die Anpassung an die Verwaltungsstruktur des Erzstifts und die inhaltliche Beschränkung unterscheiden die Norm des Erzstifts von der des Herzogtums. 2. Variation der Fürsorgeorganisation: Verordnung von 1732 Die Kontinuität der Armen- und Bettelgesetzgebung in den bekannten Bahnen setzt sich weiter fort. Die Verordnung vom 22. 10. 1732 verändert demgemäß die Formen der zulässigen Versorgungsarten nur in Teilpunkten.420 Die Verordnung beginnt mit der Benennung des herkömmlichen Anlasses, der Reaktion gegenüber Straftätern unter dem Vorwand des Bettelns. Neu ist daran die Verbindung mit dem Vorwurf der Brandstiftung und der darauf bezogenen Erpressung der Landbevölkerung. a) Eingrenzung des zulässigen Bettelverhaltens Grundsätzlich bleibt es für die Bedürftigen bei der bisherigen Versorgungssituation. Die Einschränkung des persönlichen Kontakts der Bettler mit einem potentiellen Spender setzt sich allerdings weiter fort. Nachdem durch das strafbewehrte Almosenspendeverbot an nicht Berechtigte, also Bettler ohne Bettelzeichen, dieser Kontakt für den willigen Spender von vorneherein ausgeschlossen ist, gilt die Aufmerksamkeit des Gesetzgebers wieder dem Gegenpart, dem Bettler. Hier kommt es zu einer Änderung durch die einschränkende Definition des zulässigen Bettelverhaltens. Dies drückt sich bereits in der Bezeichnung der Handlungen aus. Der Ausdruck „Allmosen samblen“ bezeichnet das erlaubte Verhalten, während das Verbot mit „des Bettelns sich allerdings mueßigen sollen“ formuliert wird. Letztlich ist, wie sich aus dem Zusammenhang ergibt, dieselbe Aktivität gemeint, alleine der räumliche Bezug des Verhaltens bedingt den Unterschied. Den Bedürftigen ist gestattet, tagsüber an den Haustüren zu betteln. Dies gilt selbstverständlich grundsätzlich nur in dem bisherigen Umfang, also in den jeweiligen Ortschaften und mit einem Bettelzeichen. Das Betteln auf der Straße oder in der Kirche ist erstmals untersagt. Damit sind die beiden häufigsten Erscheinungsformen des Bettelns verboten. Nach dem Gesetz bleibt nur noch der Kontakt an der Haustür übrig, der für den Spender den Vorteil bietet, ungewünschten Personen den Zutritt zu verwehren. Offensichtlich ist man bemüht die Belästigung der 419
Verordnung vom 30. 6. 1728 in VSC II, hier S. 68. Verordnung vom 22. 10. 1732 in VSC II, S. 68 – 71 (Nr. 289); Scotti, Cöln I/2, S. 712 (Nr. 410). 420
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Spender zu reduzieren. Dies wird daran deutlich, dass das Bettelverbot auf den Straßen vor allem für die Form des Hinterherlaufens gilt.421 Dass die Versorgung der Bedürftigen durch die Zulassung zum Bettel möglicherweise nicht für immer in dieser Art erfolgen soll, deutet die Verordnung an: „bis zu fernerer Verordnung“ soll der Bettel gestattet sein. Auffällig ist ferner, dass eine Ausweitung des Geltungsraumes der Bettelberechtigung nicht nur aufgrund der Bescheinigung durch den kurfürstlichen Amtmann erfolgen kann. Nunmehr kann eine entsprechende Bescheinigung auch nach einer vorherigen Anfrage durch den Pastor des Ortes erteilt werden. Dies stellt im Bereich der offenen Fürsorge eine Erweiterung der Kompetenzen der kirchlichen Funktionsträger dar, welche bis zu diesem Punkt im Kurfürstentum Köln nur an der Verwaltungskontrolle der Hospitäler beteiligt sind.422 b) Durchsetzung der Arbeitspflicht Unter Punkt 2 der Verordnung findet sich eine weitere Neuerung hinsichtlich eines Teilaspektes. Die arbeitstauglichen Männer und Frauen sollen angesichts des für sie geltenden Bettelverbots zur Arbeit angewiesen werden. Für den Fall, dass sie nicht freiwillig arbeiten, sollen die Ortsbeamten ausreichende Zwangsmittel anwenden. Falls auch dies ohne Erfolg bleiben sollte, sind die Beamten angewiesen, die Müßiggänger aus dem Land zu verweisen. Damit konkretisiert sich die 1715 noch allgemeiner gehaltene Sanktion bei Arbeitsverweigerung. Eine genaue Bestimmung der in Frage kommenden Arbeiten fehlt jedoch wie zum damaligen Zeitpunkt. Die Ausweglosigkeit der Situation, die sich für die Betroffenen nach der Ausweisung eröffnet, ist nach der Gesetzeslage offensichtlich. Falls man nicht arbeitet, muss man mit einer Ausweisung rechnen. In dem fremden Territorium drohen dieselben Sanktionen für fremde Vagabunden wie im Kurfürstentum Köln. Der im Nachbarterritorium als fremder Vagabund geltende frisch ausgewiesene Arbeitsunwillige muss mit erneuter Ausweisung und Bestrafung rechnen.423 Einer Rückkehr steht das Aufenthaltsverbot gegenüber. Die Folge der Arbeitsverweigerung ist also nicht nur der Ausschluss von der Versorgung, sondern aus dem ganzen Kurfürstentum. Damit geht zugleich der Verlust eines zulässigen Aufenthaltsortes einher.
421 Diese Regelung erinnert an das so genannte „aggressive Betteln“ in heutigen kommunalen Polizeiordnungen, vgl. Bindzus/Lange (1996); Frehsee (2000); Höfling (2000). Mit Feldbeispielen der verschiedenen Erscheinungsformen des Bettelns in der Neuzeit befasst sich Voss 1993, S. 50 ff., 57 ff. 422 Vgl. für das 16. und 17. Jahrhundert die Synodalgesetzgebung bzw. auch die Polizeiordnung für Bonn aus dem Jahr 1698 in Fünfter Teil, B., VIII., 1. 423 Allgemein zu Bettelfuhren, den Routen und den sich daraus ergebenden Problemen vgl. Ammerer (2003a), S. 209 ff.; Dubler (1970), S. 67 ff.; Jütte (1995), S. 69 f.; Scheutz (2003), S. 43 ff.; Schubert (1990), S. 216 ff.
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c) Repressive Maßnahmen und Ausnahmeregelungen Die bisherigen Aufenthaltsverbote für fremde Bettler werden in Punkt 3 ff. fortgeführt. Wie bisher sollen alleine schon für das Betreten des Territoriums Stockschläge als Strafe verhängt werden. Die Durchreiseerlaubnis für mittellose Fremde mit ordnungsgemäßem Pass bleibt erhalten, erfährt allerdings eine signifikante Ausweitung. Ausgehend von der Folgerung, dass die mittellosen Fremden zwangsläufig zum Betteln gezwungen sind, wird ihnen gestattet, ein bis zwei Tage betteln zu dürfen. Voraussetzungen sind stets ordnungsgemäße Papiere und Zulassung durch die jeweilige Ortsobrigkeit. Die Ausnahmeregelung bleibt bei Strafandrohung nur auf die notwendige Reisezeit begrenzt. Anders als im Herzogtum Westfalen ist für einen kleinen Teil der Fremden damit eine Möglichkeit geboten, wie sie zuletzt aus der Gesetzgebung des 17. Jahrhunderts bekannt ist. Die Anfälligkeit von Ausnahmeregelungen für Missbrauch ist dem Normgeber bekannt. Zudem stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem Bettelverbot auf den Straßen. Eine Besserstellung Fremder ist offensichtlich nicht beabsichtigt,424 dennoch ist durch die wieder einbezogene Ausnahme für den Bettel von Fremden die Entwicklung zu einem vollständigen Bettelverbot im Erzstift weiterhin hinausgezögert.425 d) Sammelbezeichnung für mobile Personengruppen: Bettler In Punkt 5 wird ausdrücklich der bislang sich aus der gemeinsamen Behandlung ergebende Zusammenhang von Bettlern und anderen Umherziehenden artikuliert. Unter den Begriff Bettler werden nunmehr auch Vagabunden, Spielleute, Gaukler, Zinngießer, Kesselflicker und sonstige mobile Personengruppen gefasst. Für alle gilt, dass sie auf den Besitz von Waffen und Diebstahlsutensilien untersucht werden sollen. Der Besitz von Waffen wird mit körperlichen Strafen bis hin zur Todesstrafe geahndet. e) Maßnahmen gegen Erpressung durch Bettler Während für ordnungsgemäß Reisende ausnahmsweise der Bettel zugelassen ist, will man andererseits gegen unberechtigt Bettelnde schärfer vorgehen. Dies zeigen die Regelungen in Punkt 6 ff. Bettler, die sich Obdach, Geld oder Lebensmittel durch Gewalt oder Drohungen verschaffen, sollen ungeachtet ihres Taterfolgs bestraft werden. Die Strafen, die von einer Körper- bis zur Todesstrafe reichen, sind bei der staatlichen Reaktion auf das Phänomen der Brandbriefdrohungen noch verschärft. 424 Die Versorgung von Fremden zumindest für einen kurzen Zeitraum lässt sich für die Residenzstadt Bonn auf die Schwierigkeiten der Normdurchsetzung durch die städtischen Verwaltung zurückführen, vgl. Ohm (1998), S. 208. 425 Die Persistenz des Bettelns als Versorgungsform muss nicht zwingend auf das Fehlen ausreichender staatlicher oder kirchlicher Einrichtungen zurückzuführen sein, so aber Härter (1999a), S. 218. Nur mit diesem Hinweis ist die unterschiedliche Entwicklung im Vergleich zu Kurmainz oder Kurtrier alleine nicht zu erklären.
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Der Verwender solcher Brandbriefe, die als Mittel zur Erpressung genutzt werden, unterliegt derselben Strafe wie ein Brandstifter. Um den Anreiz für die Denunziation von geplanten Erpressungen zu erhöhen, ist der Verrat durch die Mitwisser mit Straffreiheit prämiert.426 Zur weiteren Sicherung der Landbevölkerung ergeht das Verbot, sich zur Nachtstunde ohne Grund in der Nähe der Siedlungen aufzuhalten. Hier ist die Androhung von Strafe auf den ausreichenden Verdacht der Begehung einer Straftat herabgesenkt. Die Aufgabe zur Sicherung und Überwachung obliegt den kurfürstlichen Beamten, denen das Militär ebenso wie die Bevölkerung ihre Unterstützung zukommen lassen soll. Die aufgegriffenen Personen sind unmittelbar an das Kriminalgericht zu überweisen. Wie schon in der supraterritorialen Gesetzgebung des oberrheinischen Reichskreises vorgesehen, ist das Militär bei den hierzu vorzunehmenden Visitationen befugt, auf Flüchtende das Feuer zu eröffnen.427 3. Einrichtung einer Armenkommission Die ersten Regierungsjahre des Kurfürsten Clemens August von Bayern weisen nur punktuelle Abweichungen von der seines Vorgängers auf. Die Gesetzgebung verläuft nicht zwingend linear in Richtung eines vollständigen Bettelverbots, obwohl Tendenzen hier zu erkennen sind in Gestalt der Begrenzung des zulässigen Bettelverhaltens. Bemerkenswert ist die Beschränkung des Sondertatbestandes des Terminierens der Bettelorden, obgleich sie auf einer Auseinandersetzung zwischen Kurfürst und der Stadt Köln beruht. Die Ausweitung der Durchreiseerlaubnis im Jahr 1732 für mittellose Personen, welche eine befristete Bettelerlaubnis besitzen, stellt einen Widerspruch zur allgemeinen Entwicklung dar. Die Kontrolle der Versorgungsstrukturen durch Armenlisten, Bettelzeichen und die Überwachung der Hospitalsverwaltung bildet weiterhin den Hauptteil der gesetzgeberischen Aktivitäten. Repressive Maßnahmen gegen mobile Personengruppen begleiten diese Regelungen. Diese Aussagen gelten auch in Bezug auf die Residenzstadt Bonn, für die Clemens August im Jahr 1730 eine Armenkommission einsetzt. Angeregt werden soll die Schaffung eines „Liebesbundes“ entsprechend den Vorbildern von Freising, Mainz und weiteren Städten.428 Die Parallele zu entsprechenden Kommissionen in den beiden anderen geistlichen Kurfürstentümern ist augenfällig, wenn auch die Ergebnisse in ihrer Reichweite teilweise unterschiedlich ausfallen. Kennzeichnend für die in Bonn gebildete Kommission ist ebenso wie in Kurtrier die Mischung aus geistlichen und weltlichen Würdenträgern.429 Eine gesteigerte gesetzgeberische Aktivität für die Residenzstadt 426 Die Carolina sieht die Todesstrafe auf diese Form des Landzwingens vor. Die Drohung mit Brandstiftung war durchaus eine reale Gefahr, vgl. Schubert (1990), S. 184 f., der nachweist, dass es zur Brandstiftung als Racheakt oder zur Erfüllung einer Drohung kam. 427 PSO vom 20. 12. 1726 in HHStAWi, 100/212, dort Punkt 2. 428 Siehe Ennen (1962), S. 339; Ohm (1998), S. 209. 429 Diese besteht in Bonn aus einem Hofrat, einem Hofkammerrat, dem Stiftsdechanten, dem Rektor des Jesuitenkollegs, einem Pfarrer und dem Bürgermeister, vgl. Ennen (1962), S. 339.
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ist allerdings erst Jahrzehnte später in der Regierungszeit des nachfolgenden Kurfürsten Maximilian Friedrich nachweisbar.
V. Einrichtung des Stock- und Zuchthauses in Kaiserswerth 1736 Obwohl die Armenkommission keine vergleichbaren Resultate bewirkt wie in den Erzstiften Trier und Mainz, so weist die kurkölnische Gesetzgebung eine andere Neuerung auf. Durch die Verordnung vom 6. 10. 1736 wird in Kaiserswerth das Stock- und Zuchthaus eingerichtet, in das insbesondere Landstreicher und vagierenden Bettler zur Besserung eingewiesen werden sollen.430 Damit ist man im Vergleich zum Kurfürstentum Trier einen Schritt voraus und schafft die Angleichung an eine in anderen Territorien bereits übliche Vorgehensweise.431 Die Einführung des Stockhauses entspricht dem überregionalen Vorgehen der Reichskreise. In der PSO von 1726 wird unter Punkt VI die Einrichtung eines Zucht- und Arbeitshauses gefordert, in dem geeignete Maßnahmen durchgeführt werden können.432 Die zuletzt in der Verordnung vom 22. 10. 1732 lediglich ausgesprochene Arbeitspflicht erhält hier erstmals eine institutionelle Umsetzungsmöglichkeit. Führt die Verletzung der Arbeitspflicht bislang zur Ausweisung und dem Verlust der Unterhaltsberechtigung an sich, bietet das Stock- und Zuchthaus für Einheimische weniger einschneidende Maßnahmen an. Die Folgen früherer Arbeitsverweigerung, die in der Praxis kaum lösbare Probleme durch die Schaffung neuer heimatloser Armen zur Folge hat, kann nunmehr differenzierter gelöst werden. Die Umsetzung der Maßnahmen wird bereits im darauf folgenden Jahr erreicht. Anstelle eines Neubaus geschieht die Einrichtung des Stockhauses durch die Nutzung und Umwidmung bereits bestehender Gebäude. Das Stock- und Zuchthaus in Kaiserswerth ist für das gesamte Erzstift bis zur Auflösung des geistlichen Kurfürstentums die einzige Einrichtung seiner Art. Die hieraus resultierenden Transportprobleme aus dem Herzogtum Westfalen führen dazu, dass angesichts der hohen Kosten nur selten ein Transfer von Gefangenen erfolgt.433 Die Gefangenen des Vests Recklinghausen werden ebenfalls nach Kaiserswerth gebracht, wobei die Regierungen der entsendenden Gebiete Zuschüsse zu den Verwaltungskosten leisten müssen.434
430 Verordnung vom 6. 10. 1736 in VSC II, S. 73 – 75 (Anlage zu Nr. 290); Scotti, Cöln I/2, S. 723 (Nr. 432). 431 Vgl. Schlue (1957), S. 10 f. Zum Beispiel eines benachbarten Territoriums vgl. Eisenbach (1994). 432 PSO vom 20. 12. 1726 in HHStAWi, 100/212. 433 Vgl. Ohm (1998), S. 207; Schlue (1957), S. 13 f. Das Stock- und Zuchthaus wird 1772 nach Bonn verlegt. 434 Schlue (1957), S. 16. Die Kosten betragen pro Züchtling und Jahr 25 Reichstaler.
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1. Arbeitspflicht: Strafe und Mittel zur Versorgung Der Geltungsanspruch der Verordnung bezieht sich indes von vorneherein nicht alleine auf die Versorgung von einheimischen Armen durch (erzwungene) Arbeitsaufnahme. Dies wird bereits in der Herleitung des Anlasses überaus deutlich. In Bezug genommen werden die zahlreichen Verordnungen zur Ausweisung von verdächtigen Vagabunden und starken müßigen Bettlern. Diese Kombination verweist auf das repressive Vorgehen gegen diese Personengruppen, bei denen die Strafe für nicht erwünschtes Verhalten im Vordergrund steht. Die Abwehr der durch Betteln und Müßiggang verursachten Gefahren mit dem Ziel der „Ausrottung dieses müßigen Gesindels“ ist nach der Argumentation der Verordnung der Hauptbeweggrund für das Handeln. Nach der Erfolglosigkeit der bisherigen Versuche stellt die Einrichtung des „Stock- oder Zuchthauß“ in der Stadt Kaiserswerth die Lösung dieser Herausforderungen aus Sicht der Territorialgewalt dar. Dort sollen von nun an alle herrenlosen Vagabunden sowie die arbeitsfähigen Bettler beiderlei Geschlechts durch die Arbeit „zur Zucht und Correction“ gebracht werden. Hier steht der – wenngleich mit Zwang durchgesetzte – Wille zur Erziehung und zur Verbesserung des als schädlich beurteilten Verhaltens noch im Vordergrund. Hierzu gehört auch die Sicherstellung der leiblichen Versorgung, die jedoch auf das allernotwendigste beschränkt bleibt: „Wasser und Brot“. Der Erziehungsgedanke wird indes durch den Bezug auf repressive Maßnahmen relativiert und teilweise sogar ins Gegenteil verkehrt. Das Leben im Stockund Zuchthaus richtet sich nach der durch den Zuchthausverwalter durchzusetzenden Zuchthausordnung. Diese regelt den Tagesablauf, die Kleidung, den Arbeitsbetrieb und die Einschließung der Züchtlinge. Weiterhin sind die jeweiligen Strafen und Vergünstigungen sowie die Sicherstellung des seelischen und körperlichen Wohlergehens festgelegt.435 .
2. Zielgruppen des Stock- und Zuchthauses Der Ansatzpunkt zur Bestimmung der potentiellen Insassen der Einrichtung in Kaiserswerth bleibt die Unterscheidung nach den gängigen Kriterien zur Anerkennung der Unterstützungswürdigkeit: Die Untertanen, die sich nicht selbst durch (Hand-)Arbeit ernähren können, sind zum Betteln in den jeweiligen Gemeinden zugelassen, ausnahmsweise nach vorheriger Erlaubnis auch in anderen Gemeinden. Für sie gelten die bisherigen Regularien, wozu das Tragen des Bettelzeichens und entsprechender Papiere gehört. Alle sonstigen Müßiggänger, wobei hierzu gerade Vagabunden und starke Bettler gehören, sind schon alleine aufgrund der Arbeitsunwilligkeit Objekte des staatlichen Zugriffs. Sie sollen durch entsprechende Patrouillen aufgegriffen und nach Kaiserswerth gebracht werden. Dort soll der Fall untersucht und gegebenenfalls wegen anderer Straftaten ein Verfahren vor dem jeweiligen Gericht 435 Vgl. Schlue (1957), S. 17 – 27. Das Reglement für das Stock- und Zuchthaus in Kaiserswerth entspricht im Wesentlichen dem seiner Nachfolgeeinrichtung in Bonn.
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eröffnet werden. Während beim Vorwurf des Müßiggangs der Aufenthalt im Stockhaus als „Correction“ verstanden wird, soll bei Verurteilung wegen anderer Taten oder bloß wegen des „argen Verdachts“ derselben zu Stockhaus „durch Urteil und Recht verdammet“ werden. Hier zeigt sich, dass der Aufenthalt im Stockhaus nicht nur als Hilfestellung, sondern im Gegenteil als Strafe dienen soll. Dem entspricht auch die Anweisung vom 19. 7. 1738,436 in der verfügt wird, dass den durch Urteil zu sechs oder zwölf Monaten Stockhaus verurteilten Delinquenten ihre Strafzeit nicht bekannt gegeben werden soll.437 Dieser Aspekt tritt bei einer anderen Zielgruppe noch deutlicher in den Vordergrund. Um der umherziehenden Deserteuren Herr zu werden, nutzt der Kurfürst die sich ihm durch das Stockhaus bietenden Möglichkeiten. Umherziehende Soldaten sollen wie bisher zunächst einer strengen Melde- und Ausweispflicht unterliegen. Ihnen werden Routen und Aufenthaltsdauer vorgegeben, wovon sie nicht abweichen dürfen. Für den Verstoß gegen die Auflagen besteht die Sanktion darin, dass sie als Deserteure festgenommen und ins Stockhaus verbracht und ihre Kommandeure hiervon informiert werden sollen. Vor der Rückführung zur Truppe wird ihnen die gegenüber den Zigeunern und Vagabunden übliche Strafentrias für das unerlaubte erneute Betreten des Territoriums angedroht: Staupenschläge und tatbedingt auch Brandmarkung sowie beim zweiten Verstoß die Todesstrafe. .
3. Bestrafung und Korrektion als Zweckbestimmungen Die Verordnung, die „zum Besten und Sicherheit des gemeinen Wesens“ dienen soll, verdeutlicht nochmals die Aufgabe des Stockhauses. Zwar kommt auch der Gedanke der Besserung durch Gewöhnung an Arbeit zum Tragen, wenngleich dieser Zweck zwangsweise durchgesetzt wird. Die deutlich im Vordergrund stehenden Funktionen der Verwahrung und Bestrafung lassen indes erkennen, dass es sich schon aufgrund der institutionellen Struktur bei dem Ziel der Korrektion um kaum zu verwirklichende Maßnahmen zur Verbesserung der Situation der arbeitsfähigen Armen handeln kann. Ein Angebot, das Arbeit als Ersatzversorgungsform für den Bettel beinhaltet, kann letztlich darin nicht gesehen werden. Zwar hat nunmehr die bereits in den Verordnungen vom 9. 7. 1715, 20. 9. 1723, 30. 6. 1728 oder 22. 10. 1732 ausgesprochene zwangsweise zu erfolgende Durchsetzung der Arbeitspflicht eine konkrete Form gefunden. Angesichts des überwiegenden Strafcharakters der Arbeitszuweisung ist jedoch die ursprünglich dahinter stehende Absicht zur Durchsetzung der Selbstversorgung ganz in den Hintergrund getreten. Im Endergebnis ist festzuhalten, dass die Korrektion durch Zuchthausaufenthalt tatsächlich weniger auf die
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Anweisung vom 19. 7. 1738 in Scotti, Cöln I/2, S. 725 (Nr. 438). Stattdessen ist vorgesehen, dass die Dauer der Strafe durch das fiskalische Urteil nachträglich dem veröffentlichten Urteil zugesetzt wird. Das Urteil selbst soll verschlossen zusammen mit dem Delinquenten dem Aufseher des Stockhauses zugestellt werden. Dies stellt eine Verschärfung der Strafe dar, vgl. Härter (1999a), S. 224. 437
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Umsetzung von armenpolizeilichen Grundsätzen als vielmehr auf eine Strafform hinausläuft.438
4. Entstehung des Strafmittels „Arbeit“ im Kurfürstentum Köln Der Einsatz von Arbeit als Strafe findet sich unter anderem in dem Edikt vom 28. 3. 1722 für das rheinische Erzstift.439 Das Edikt hat dabei den gleichen Adressatenkreis im Blick, für den später auch die Verordnung vom 16. 10. 1736 Arbeit als Strafe vorsieht. Aufgrund des standardisiert wiedergegebenen Missstandes des Umherziehens von Zigeunern, Bettlern und Müßiggängern werden die bisherigen Befehle wiederholt und ergänzt. Um der diesen Gruppen zugeschriebenen Urheberschaft von Diebstählen oder Gewaltverbrechen zu begegnen, sollen sechs Tage nach Verkündung folgende Maßnahmen ergriffen werden: Gegen Zigeuner und arbeitsfähige Bettler, ungeachtet dessen, ob sie Einheimische oder Ausländer sind, soll zunächst die Zuweisung „in opere publico“, also zu öffentlichen Gemeinschaftsarbeiten wie dem Festungsbau, erfolgen bei Wasser und Brot.440 Die Zwangsarbeit soll dabei mehrere Monate betragen, woran sich die Ausweisung anschließt. Beim zweiten Aufgreifen soll gegen diese Personengruppen Pranger und Staupenschläge verhängt werden und nach Brandmarkung und Beschwören der Urfehde die erneute Ausweisung erfolgen. Für die dritte Ergreifung ist schließlich die Todesstrafe durch den Strang angeordnet. Hier zeigt sich, dass die 1736 vorgesehene Versorgung der arbeitsfähigen bettelnden Armen während des Aufenthalts im Stock- und Zuchthaus Kaiserswerth kaum den Charakter einer Unterstützungsleistung hat. Bemerkenswert ist die Milderung der Maßnahmen für die Gruppe der „unbekannte und ihrens verhaltens und herkommens verdächtige, obgleich sonsten arme Bettlere“. Augenscheinlich ist hier die Schonung von umherziehenden Armen gewollt, die selbst arbeitsunfähig sind, jedoch nicht aus dem Territorium stammen und/oder für die wegen fehlender Zusammenrottung keine mit den zuvor dargestellten Gruppen vergleichbare Gefahr ausgeht. Für diese Gruppe ist zunächst die Ausweisung mit Androhung von Staupenschlägen vorgesehen, die bei Zuwiderhandlung am Pranger vollzogen werden soll. Wie genau eine Abgrenzung vorzunehmen ist, ist dem Edikt letztlich nicht zu entnehmen. Hier eröffnet sich ein weiter Beurteilungsspielraum, der lediglich durch die Betonung der Gefahren durch Zusammenrottung der Zigeuner und Bettler konkretere Formen erhält.441 438
Zu diesem Schluss kommen auch Härter (1999a), S. 225; Schlue (1957), S. 32 ff. Nach den Angaben Ohms (1998), S. 209, werden dementsprechend einheimische arbeitsfähige Bettler nur in geringer Anzahl nach Kaiserswerth gebracht. 439 Edikt vom 28. 3. 1722 in HSAD, KK II 3115 I, Nr. 176; Scotti, Cöln I/1, S. 601 (Nr. 313, Anm.). 440 Schlue (1957), S. 9. 441 Zur Befolgung der Anweisungen sind die kurfürstlichen Amtleute, Drosten, Unterherren, Vögte, Richter, Schultheiße, Gogreven, Bürgermeister und Räte sowie die Gemeindevorsteher angewiesen. Zu ihren Aufgaben gehört es neben dem Aufstellen der Stöcke und dem Anschlagen des Edikts, auf die benannten Personengruppen zu achten. Die Nichtbeachtung der Anweisung steht unter Strafandrohung.
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Die solchermaßen privilegierte Gruppe der arbeitsunfähigen Fremden ist von vorneherein keine Zielgruppe des später eingerichteten Stock- und Zuchthauses. 5. Nutzung des Stock- und Zuchthauses Die vorrangige Nutzung des Stock- und Zuchthauses verdeutlicht die Verordnung vom 9. 2. 1743.442 Ohne auf die detaillierte Unterscheidung der Verordnung vom 6. 10. 1736 einzugehen, werden alle fremden Bettler, wobei unter fremd auch die nicht zur Residenzstadt Bonn gehörigen Personen gezählt werden, aufgefordert, die Stadt zu verlassen. Bei Zuwiderhandeln wird ein bis zu zwei Monate dauernder Aufenthalt im Stockhaus angedroht.443 Diese Strafandrohung gilt ebenso für Bonner Bettler, die, ohne hierzu zuvor vom Bürgermeister durch ein Bettelzeichen ermächtigt worden zu sein, um Almosen nachsuchen. Hier zeigt sich der durchaus pragmatische Umgang mit den ausdifferenzierten Strafsanktionen. Letztlich ist bei Zuwiderhandlungen sowohl von Fremden als auch von unberechtigt bettelnden Einheimischen dieselbe Strafe vorgesehen. Das entscheidende Kriterium, welches über den zwangsweisen Aufenthalt im Stock- und Zuchthaus entscheidet, ist die Arbeitsfähigkeit der Bettler, wohingegen die territoriale Zugehörigkeit in dieser Hinsicht keinerlei Unterschied bewirkt.
VI. Kontinuität der Gesetzgebung in den 1740er Jahren 1. Polizeiordnung für das Erzstift Köln im Jahr 1748 Die weitere Gesetzgebung verlässt die Bahnen der bisherigen Strukturen nicht. Es kommt lediglich in einigen Punkten zu Erweiterungen des empfangsberechtigten Personenkreises. Deutlich wird dies in der am 20. 3. 1748 für das Erzstift erlassenen Verordnung.444 Eingebettet in repressive Maßnahmen gegen umherziehende Personengruppen findet sich die Wiederholung der hergebrachten Fürsorgegrundsätze. Ganz in der Tradition der bisherigen Gesetzgebung zum Armenrecht, ist auch hier als Anlass der Gesetzgebung die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angegeben. Die aus Sicht des Gesetzgebers fehlende Befolgung der bisherigen Verordnungen führt zu der üblichen Schilderung der daraus resultierenden Gefahren: Straftaten, Mord und Diebstahl durch umherziehende Personen. Namentlich die Zigeuner und das herrenlose Gesindel werden als ausschlaggebend für den Erlass angeführt. Den-
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Verordnung vom 9. 2. 1743 in VSC II, S. 367 (Nr. 486); Scotti, Cöln I/2, S. 736 (Nr. 460). Ob diese Strafandrohung vollzogen wurde, erscheint zweifelhaft. Angesichts der Klagen der kostentragenden Landstände über eine aus ihrer Sicht zu lange Verweildauer der Insassen scheint dies nicht sehr wahrscheinlich. Die Klagen bedingen eine hohe Entlassungs- und Wechselquote der Insassen, vgl. Ohm (1998), S. 207. 444 Verordnung vom 20. 3. 1748 in VSC II, S. 77 – 80 (Nr. 293); Scotti, Cöln I/2, S. 760 (Nr. 508). 443
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noch beginnt die Verordnung selbst mit einer Wiederholung der bisherigen Fürsorgeorganisation, bevor es zur Darstellung der repressiven Maßnahmen kommt. a) Versorgung durch die Bettelerlaubnis Die Erlaubnis zum Almosensammeln soll nur an einheimische Arme erteilt werden, die sich zuvor bei der jeweiligen Ortsobrigkeit den Bettelbrief, so wie er aus den vorherigen Verordnungen bekannt ist, einholen müssen. Arbeitsfähigen Armen wird diese Berechtigung von vorneherein verweigert. Das Betteln steht, wie aus Punkt 6 nochmals deutlich hervorgeht, unter einem Erlaubnisvorbehalt. Der Vorbehalt gilt auch für den Kinderbettel.445 Darüber hinaus wird bei der Prüfung der Bedürftigkeit der Kinder ebenfalls danach unterschieden, ob diese arbeitsfähig sind oder nicht. Die Erlaubnis selbst bleibt auf den jeweiligen Gerichtsbezirk begrenzt. Zur besseren Absicherung gegen Missbrauch soll zudem eine Liste der Bettelberechtigten öffentlich in den Städten und Dörfern angeschlagen werden. Verstärkt wird die Kontrolle dadurch, dass auf dem Land der Bedürftige mit einem Bettelschein erst nach vorheriger Anmeldung beim Ortsvorsteher betteln darf. Diese Vorschriften stellen eine Verdichtung der bisherigen Kontrollsysteme dar. Ihr Ziel ist es, den Spendern und der Obrigkeit besser als bisher zu ermöglichen, Bedürftige von Müßiggängern zu trennen. Die differenzierte Herangehensweise an die erlaubten Formen des Bettelns, wie sie noch die Verordnung vom 22. 10. 1732 kennt, findet sechzehn Jahre später allerdings keine Entsprechung mehr. b) Stärkung der territorialstaatlichen Aufsicht Es bleibt jedoch bei einer Ausnahmegestattung für den Bettel in anderen Gemeinden, falls die Versorgungsmöglichkeiten in der Ursprungsgemeinde nicht ausreichend sind. Zuständig für die entsprechenden Zuweisungen ist alleine die Hofkanzlei als übergeordnete Stelle. Dies entspricht zwar im Wesentlichen dem bisherigen Recht, allerdings lässt sich eine Verschiebung der Kontrollinstanz zur Hofkanzlei nicht verkennen. Statt dass wie zuvor die jeweilige Ortsobrigkeit oder das Amt zuständig ist für die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen, kommt diese Aufgabe nur noch der Hofkanzlei zu. Das unverkennbare Ziel dieser Maßnahme ist es, einem denkbaren extensiven Gebrauch durch die zentrale Steuerung entgegen zu wirken. Dem dient auch die Erklärung der Ungültigkeit der bisherigen Bettelscheine und Pässe.446 Der Grund hierfür wird mit der bisherigen Praxis der zuständigen Ortsobrigkeiten angegeben. Den zuständigen örtlichen Stellen wird vorgeworfen, die Vorschriften zur Erteilung der Scheine nicht richtig umgesetzt zu haben. Infolgedessen wird den entsprechenden Stellen bei Strafe von 5 bis 20 Goldgulden verboten, wider-
445
Allgemein zum Kinderbettel vgl. Bräuer (2003). Verordnung vom 20. 3. 1748 in VSC II, hier S. 78 f., Punkt 3 – 7 (Stellung Hofkanzlei), Punkt 11 (Ungültigkeit Bettelscheine). 446
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rechtlich Bettelscheine auszustellen. Die Kompetenz der örtlichen Beamten wird letztlich auf die jeweiligen Bezirkseinwohner begrenzt. c) Sonderversorgungsberechtigung: Brandgeschädigte Überraschenderweise und ganz im Gegensatz zu den schwerwiegenden Vorwürfen gegen Vagierende in der Einleitung beginnt die Verordnung nicht mit Sanktionen gegen diese bisherigen Gefährder der öffentlichen Sicherheit. Vielmehr wird es nunmehr einer bislang nicht berücksichtigten Sondergruppe ermöglicht, an den Versorgungsmöglichkeiten im Kurfürstentum teilzuhaben. Für Brandgeschädigte ist das Betteln und Sammeln von Almosen mit einem entsprechenden Erlaubnisschein gestattet. Dabei folgt die Zulassung den für die einheimischen Bedürftigen geltenden Regeln. Erlaubt ist nur das Sammeln innerhalb der jeweiligen örtlichen Zulassung und für einen festgelegten Zeitraum.447 Die ausgestellten Bescheinigungen sollen darüber hinaus die Beschreibung der jeweiligen Inhaber enthalten, was im Verbund mit der Befristung der Verhinderung von Missbrauch dienen soll. Allerdings bleibt allen Brandgeschädigten die Möglichkeit eröffnet, in jedem Ort des Kurfürstentums um eine solche Zulassung nachzusuchen. Festzuhalten bleibt: Ungeachtet ihrer Arbeitsfähigkeit wird für die Menschen, die sich in einer solchen Notlage befinden, eine Ausnahme von dem allgegenwärtigen Kriterium der Arbeitsunfähigkeit gemacht. Der Gesetzgeber offenbart an dieser Stelle den Blick dafür, dass es abgesehen von Versorgungsunfähigkeit andere die Existenz bedrohende Situationen gibt, in denen die persönlichen Fähigkeiten nicht zur Abhilfe ausreichend sind. d) Sanktionen bei Verstoß gegen den Erlaubnisvorbehalt Das Bettelzeichen gewinnt als formelle Voraussetzung der Unterstützungsberechtigung an Bedeutung. Bezüglich des Verstoßes gegen die Bestimmungen zum Erlaubnisvorbehalt werden die Brandgeschädigten insofern mit den sonstigen Armen gleichgestellt. Als Sanktion für die Verletzung des Erlaubnisvorbehalts ist die übliche Strafentrias vorgesehen, die jedoch erheblich gemildert ist. Für die erste Zuwiderhandlung sind sechs Tage, für den zweiten Fall zwölf Tage Einsperren bei Wasser und Brot und für die dritte Übertretung der endgültige Landesverweis vorgesehen. Das Strafmaß ist damit geringer angesetzt als beim Vorgehen gegen Vagierende. Am Ende droht indes der Landesverweis, der zum Verlust der heimischen Versorgungsmöglichkeiten führt. Bemerkenswert ist, dass es somit zwar Arme gibt, die an sich als bedürftig und zum Bettel berechtigt gelten können, die aber dennoch bei fehlender Erlaubnis oder Überschreitung derselben zu bestrafen sind. Dies stellt in dieser Form eine Neuerung dar, welche in den vorherigen Normen des Kurfürstentums keine Erwähnung gefunden hat. Die Umsetzung der formellen Voraussetzung der Unterstützungsberechtigung spiegelt die Regelung in Punkt 10 wider. Dort 447
Verordnung vom 20. 3. 1748 in VSC II, hier S. 77 f., Punkt 1 – 2.
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wird für den Fall, dass entgegen Punkt 6 trotz Bettelschein ohne vorherige Meldung beim Ortsvorsteher oder ohne Erlaubnis der Hofkanzlei in einem anderen Ort gebettelt wird, der Entzug der Bettelscheine angeordnet. Ob diese später wieder erteilt werden können oder der Entzug endgültig ist, lässt sich der Verordnung direkt nicht entnehmen; jedoch lässt zuvor dargestellte Stufung der Sanktionen auf die Möglichkeit einer erneuten Ausstellung schließen. Neu ist die Ausweitung der Sanktionsdrohung auf die Eltern von bettelnden Kindern. Den Eltern wird die Pflicht auferlegt, unerlaubtes Betteln ihrer Kinder, also ohne Erlaubnisschein, zu verhindern. Bei unerlaubtem Bettel der Kinder sieht Punkt 9 der Verordnung vor, dass die Eltern den oben dargestellten Sanktionen unterliegen. Diese Ausweitung der Verantwortlichkeit ist in Kurtrier bereits aus Punkt 14 der Armenordnung vom 18. 10. 1736 bekannt und findet nun auch im Kurfürstentum Köln seine Entsprechung.448 Hier lässt sich ein strenger Umgang mit der Kinderarmut feststellen, die nur für den Fall der Arbeitsunfähigkeit als unterstützungswürdig angesehen wird. Ein explizites Almosenspendeverbot, welches mit dem Bettelverbot korrespondiert, gibt es dagegen nicht, jedoch ist angesichts des Verweises auf die Fortgeltung der bestehenden Verordnungen von der Weiterexistenz des aus der Verordnung vom 20. 9. 1723 bekannten Spendenverbots an Unberechtigte auszugehen. e) Repressive Maßnahmen gegen mobile Personengruppen Im Gegensatz zur alleine auf die Gefahrenlage durch umherziehende Zigeuner und Bettler bezogenen Einleitung wird zunächst die Fürsorgestruktur bestimmt. Erst ab Punkt 12 werden Maßnahmen gegen die verschiedenen Gruppen der umherziehenden Personen festgesetzt. Dabei wird ausdrücklich auf die Einrichtung des Stockund Zuchthauses in Kaiserswerth und die entsprechende Verordnung vom 6. 10. 1736 zurückgegriffen. Augenscheinlich den begrenzten Kapazitäten des Stockhauses und den Transportkosten geschuldet ist die räumliche Aufteilung der Maßnahmen. Für alle linksrheinisch aufgegriffenen „ausländische Bettler und Vagabunden, Pack-Juden und dergleichen verdächtiges herrenloses Gesindel“ gilt, dass sie ins Zuchthaus zur Korrektion gebracht werden sollen. Außerhalb des Einzugsgebiets des Stock- und Zuchthauses soll mit den rechtsrheinisch Festgenommenen entsprechend der Sanktionstrias verfahren werden: Festsetzung bei Wasser und Brot und Ausweisung, sodann Prangerstrafe und schließlich Auspeitschung. Für die Zigeuner und das „sich rottierende Gesindel“, welche gebrandmarkt sind, soll die Todesstrafe gelten. Die Beamten sollen diese jedoch nicht vollziehen, ohne den entsprechenden Untersuchungsbericht an die Hofkanzlei oder den Landdrost zu senden und deren Entscheidung abzuwarten.449 Für herumziehende Spielleute oder Kleinwarenhändler sind vergleichsweise moderate Maßnahmen vorgesehen. Bei dieser Gruppe soll von 448
Armenordnung vom 18. 10. 1736 in Blattau, Statuta IV, hier S. 246 Punkt 14. Der Aufbau des Strafverfahrens führt zur Überlastung der unteren Ebene. Seitens der Zentralverwaltung wird beklagt, dass die Inquisitionsprotokolle nur mit erheblicher Verspätung oder sogar überhaupt nicht ankommen, vgl. Härter (1999a), S. 228. 449
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den Ortsobrigkeiten geprüft werden, ob sie im Land geduldet werden können oder nicht. Um die Maßnahmen durchzusetzen und die unerwünschten Personen aus dem Erzstift zu vertreiben, sind entsprechende Berichte der örtlichen Beamten an die Hofkanzlei angeordnet. Weiterhin sind entsprechende Visitationen und Durchsuchungen der Rückzugsgebiete dieser Personen durchzuführen und darüber zu berichten. Die angrenzenden Gemeinden sind zur entsprechenden Nachbarschaftshilfe bei den Visitationen oder bei Gefahr verpflichtet. Das Alarmsystem besteht aus dem bereits aus den Vorschriften des 17. Jahrhunderts bekannten Glockenläuten.450 2. Normtransfer: Verordnung Herzogtum Westfalen im Jahr 1749 Entsprechend der bereits in der Verordnung von 1748 angelegten Geltungserklärung für das Herzogtum Westfalen, wird am 21. 4. 1749 eine inhaltlich entsprechende Verordnung erlassen.451 Diese unterscheidet sich lediglich in Bezug auf die thematisch strukturierte Untergliederung, die deutlicher als die Ursprungsverordnung die Regelungsgebiete erkennen lässt. Unter den Punkten „Wegen der einheimische Armen“, „Wegen der Ausländischer Bettler und Vagabunden auch Pack-Juden“, „Wegen des sich rottierenden Gesindels auch Zigeuner“ und „ Wegen der Pässen“ werden die 1748 getroffenen Regelungen ohne erhebliche Veränderungen wiederholt. Die einzige insoweit erwähnenswerte Veränderung liegt in der Verdoppelung der Strafandrohung für fremde Bettler, die beim ersten Betretungsfall statt der 1748 vorgesehenen vier Tage nunmehr acht Tage Haft bei Wasser und Brot vorsieht.
VII. Stand der Fürsorgegesetzgebung bis 1760 Die letzten Regierungsjahre des Kurfürsten Clemens August weisen keine weitere einschlägige Gesetzgebung auf. Es verbleibt somit bis zum Ende seiner Regierungszeit bei dem bis 1748 erreichten Stand. Die Fürsorgeorganisation beruht weiterhin auf privater Mildtätigkeit, deren Nutzung indes der staatlichen Kontrolle unterliegt. Zwar werden auch die Almosenspender durch Androhung von Sanktionen kontrolliert. Der Fokus der Bemühungen liegt auf einer Steigerung der Nutzung der vorhandenen Strukturen, wobei die Tendenz zur Beseitigung der tradierten Bettelweise nicht zu verkennen ist. Dies versucht der Territorialstaat durch entsprechende Reglementierungen und Zentralisierung der Aufsicht zu erreichen. Die zentrale Aufsicht über die auf lokaler Ebene stattfindende Versorgung wird gestärkt durch die Zuständigkeit der Hofkanzlei zur Erweiterung der Bettelerlaubnis. Ergänzend tritt ab 1736 das Stock- und Zuchthaus in Kaiserswerth hinzu, dessen Aufgabe sich strukturell im Wesentlichen in der Bereitstellung geeigneter Sanktionen bei Verstößen erschöpft. 450
Verordnung vom 20. 3. 1748 in VSC II, hier S. 79 f., Punkt 14 – 16. Verordnung vom 21. 4. 1749 in Scotti, Cöln I/2, S. 762 – 764 (Nr. 514), StAMs, KKE Bd. 10, Nr. 10. 451
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Dessen Möglichkeiten sind angesichts der Größe des kurfürstlichen Herrschaftsraums begrenzt und werden zunehmend durch die Zuweisung neuer Funktionen überlastet.
VIII. Flankierende Maßnahmen bis 1761 Der sich bereits aus der Untersuchung der Regelungen zur Fürsorge ergebende Eindruck, dass mehr durch Verhinderung von Missbrauch denn durch Neuorganisation eine Besserung des Fürsorgesystems erreicht werden soll, bestätigt sich. Es existiert keine Verordnung mit Regelungen zum Fürsorgewesen, ohne dass zugleich auch repressive Maßnahmen zur Ausweisung von starken Bettlern enthalten sind. Das Aufenthaltsverbot und die Instrumente zu dessen Durchsetzung sind die häufigsten Formen der kurfürstlichen Gesetzgebung. Dies ergibt der Blick auf die wesentlich zahlreicheren Verordnungen mit repressiven Maßnahmen gegenüber den umherziehenden Personengruppen. Die Gesetzgebung auf diesem Gebiet knüpft ausdrücklich an die bereits im 17. Jahrhundert erlassenen Verordnungen an. Die Maßnahmen selbst werden ausdifferenzierter und stehen im Einklang mit dem entsprechenden Vorgehen der benachbarten Reichsfürsten. Die Einführung des Stock- und Zuchthauses wird in den Sanktionskatalog ebenso übernommen wie die wesentlichen Vorgaben der Reichskreise. 1. Arbeitsfähige Bettler als Rekrutierungsressource Einem Sonderfall des Umgangs mit umherziehenden Müßiggängern begegnet man bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts. In der Verordnung vom 21. 6. 1701 findet sich eine vom üblichen Vorgehen gegen arbeitsunwillige Personen abweichende Maßnahme.452 Anstelle von Vertreibung und Todesstrafe, also final auf Ausschließung zielenden Maßnahmen, werden die Umherziehenden hier als Potential des Territorialstaates begriffen. Die im Kurfürstentum umherziehenden „müßige[n] und in keinen Diensten stehende[n] noch etwa angesessene sondern gantz herrenlose[n]“ Personen werden zunächst als nutzlos eingestuft. Um das Landstreichen und Müßiggehen dieser Menschen jedoch zu verhindern und um sie gleichsam wieder zur Nützlichkeit zurückzuführen, wird es jedoch den Werbeoffizieren gestattet, die Gruppe der Müßiggänger als Rekrutierungspotential zu nutzen. Die Werbeoffiziere benötigen hierfür die Erlaubnis der jeweiligen örtlichen Beamten. Dieses auch aus Kurtrier bekannte Vorgehen, z. B. aus der Verordnung vom 17. 3. 1739,453 verbindet zwei Ziele: die Verringerung des Gefahrenpotentials durch umherziehende Personen sowie die Deckung des Personalbedarfs des Militärs. Die einschlägige Gesetzgebung zur Militärwerbung deutet ein mögliches weiteres Ziel an. Regelmäßig wird in diesen Ver452
Verordnung vom 21. 6. 1701 in Scotti, Cöln I/1, S. 573 (Nr. 269); HSAD, KK II 3124,
Nr. 41. 453 Verordnung vom 17. 3. 1739 in Scotti, Trier II, S. 1016 (Nr. 480). Dieses Phänomen ist in den anderen Reichsterritorien verbreitet, beispielsweise im süddeutschen Raum, vgl. Schubert (1990), S. 140 f.
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ordnungen die Rekrutierung durch ausländische Werber eingeschränkt, um eine zu starke Abwanderung von Untertanen zu verhindern. Durch die Freigabe zur Rekrutierung der im Übrigen für den Territorialstaat nutzlosen Personengruppen bleiben die kurkölnischen Untertanen als eigenes Rekrutierungspotential erhalten.454
2. Fortführung der Gesetzgebung gegen Zigeuner Die einschlägigen Verordnungen beziehen sich bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts auf die noch aus der Regierungszeit des Kurfürsten Joseph Clemens von Bayern stammenden Regelungen. Die Schutzgüter Leben und Eigentum sowie die öffentliche Reise- und Handelssicherheit sind die zentralen Zielsetzungen. In dem Befehl vom 24. 3. 1708 wird ausdrücklich auf das Edikt vom 1. 2. 1698 und damit mittels Verweis auf die Verordnung vom 9. 2. 1663 Bezug genommen.455 Der Regelungsgegenstand selbst ist unverändert geblieben. Angesichts der Gefahren durch die Zigeuner und die müßigen Landstreicher werden die örtlichen Beamten zum Vollzug der bekannten Maßnahmen bei Strafandrohung angehalten. Der Befehl vom 1. 9. 1710 wiederholt diese Aufforderung.456 Ebenso wie schon im 17. Jahrhundert reagiert die Gesetzgebung auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr auf Entwicklungen in den Nachbarterritorien. Neben den üblichen Feststellungen zur fehlenden Umsetzung kommt in der Verordnung vom 21. 5. 1711 die Gesetzgebung der Nachbarterritorien zur Sprache.457 Die Verordnung stellt eine Reaktion dar auf die dort beschlossenen „scharfe[n] Edicta“. Ein Gedanke daran, dass durch gleichartige Maßnahmen lediglich einem Verschieben dieser Personen Vorschub geleistet wird, ist der Norm nicht zu entnehmen. Vielmehr ist die Wirksamkeit der Gesetze in den Nachbarterritorien aus Sicht des Normgebers durch den Aufenthalt der das Land verderbenden Personen im eigenen Territorium belegt. Um denselben Erfolg zu erzielen, sollen zur „Außrottung“ gegen die als „Raub- und Diebisch Volck“ bezeichneten Zigeuner folgende Maßnahmen ergriffen werden: bei Aufgreifen Rutenstrafe und Brandmarkung mit dem Zeichen des Galgens, beim weiteren Betreten dann die Todesstrafe. Die aus der nahezu zeitgleich erlassenen Verordnung des Kurfürstentums Trier vom 30. 5. 1711 bekannte Aufstellung der so genannten Zigeunerstöcke findet auch in Kurköln Anwendung.458 454 Beleg hierfür ist die Polizeiordnung für das Herzogtum Westfalen vom 20. 9. 1723 in Scotti, Cöln I/1, S. 623 – 687 (Nr. 358). Weitere Beispiele sind die Verordnungen vom 19. 2. 1723 und 22. 1. 1724 in Scotti, Cöln I/1, S. 622. Vgl. auch die Nachweise der Verordnungen vom 16. 2. 1739, 14. 7. 1741, 6. 9. 1743, 20. 6. 1757, welche das Abwerben von Landeskindern einschränken und die Freiwilligkeit des Militärdienstes stärken, vgl. Scotti, Cöln I/2, S. 727 (Nr. 444). 455 Befehl vom 24. 3. 1708 in VSC II, S. 58 f. (Nr. 283); Scotti, Cöln I/1, S. 293 (Nr. 108, Anm.). 456 Befehl vom 1. 9. 1710 als Nachweis überliefert in Scotti, Cöln I/1, S. 292 f. (Nr. 108). 457 Verordnung vom 21. 5. 1711 in HSAD, KK II 3115 I, Nr. 149. 458 Verordnung vom 30. 5. 1711 in Scotti, Trier II, S. 754 (Nr. 324). Das Aufstellen der Stöcke und der Anschlag der einschlägigen Verordnungen soll der Warnung an die Zigeuner dienen.
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Die Androhung von Sanktionen geht einher mit der Anweisung, entsprechende Untersuchungen der umherziehenden Gruppen vorzunehmen. In dem Befehl vom 11. 6. 1711 werden die Beamten des Herzogtums Westfalen und des Vests Recklinghausen angewiesen, Durchsuchungen vorzunehmen.459 Die Zielgruppe der Verordnung, das „Diebisch- und Mörderisch Gesindel“, wird als Unheil bringend und Unsicherheit hervorrufend beschrieben. Schließlich gelten diese Personen sogar als „gottlos“. Dass ihnen keinerlei Unterstützungsleistungen zustehen können, ergibt sich daraus bereits von selbst. Die zentrale Steuerung der Aktionen soll durch die Berichtspflicht an die Hofkanzlei gewährleistet werden.
3. Exklusionsmaßnahmen Das Zusammenwirken von Regelungen zur Fürsorgeorganisation mit Sanktionsdrohungen und Exklusionsmaßnahmen tritt bei der bereits zuvor behandelten Verordnung vom 9. 7. 1715 zutage.460 Neben den Ausführungen zur Fürsorgeberechtigung und zur Arbeitspflicht steht die gesetzgeberische Intention der Gefahrenabwehr im Vordergrund. Die entsprechenden Maßnahmen des Zutritts- und Aufenthaltsverbots, der Durchsuchungen und Sanktionsandrohungen weisen im Zusammenspiel mit den inkludierenden Festsetzungen zur Versorgungsberechtigung eine weitere Deutungsmöglichkeit auf. Durch die Begrenzung der Unterstützungsberechtigten ist zumindest nach dem gesetzgeberischen Anspruch der Zugriff anderer auf die Versorgungsmöglichkeiten des Erzstifts verhindert. Die mobilen Gruppen der Kleinwarenhändler, Juden und arbeitsfähigen Bettler werden – wie bereits aus dem 17. Jahrhundert bekannt – zum Gegenstand einer gemeinsamen Verordnung. Die jeweiligen Maßnahmen und Sanktionen weisen die zuvor dargestellte Differenzierung auf, die sich an der Beurteilung des Gefahrenpotentials orientiert. Auffällig ist, dass in der Verordnung vom 9. 7. 1715 die Gruppe der Zigeuner nicht behandelt wird. In einem wesentlich kürzer gehalten Befehl vom selben Tag werden indes eigens für diese Gruppe entsprechende Maßnahmen angeordnet.461 Während für den ersten Verstoß gegen das Aufenthaltsverbot für fremde arbeitsfähige Bettler Strafpfahl und Ausweisung angedroht ist, gelten für Zigeuner verschärfte Sanktionen: die Drohung der Rutenstrafe und das Brandmarken. Diese Qualifikation des Strafmaßes ist für umherziehende Bettler nur bei Gebrauch falscher Pässe angedroht. Für den zweiten Verstoß gilt für die Zigeuner die Todesstrafe durch Strang. Der Befehl schließt in typischer Weise mit den Strafdrohungen für säumige Beamte und dem Verweis auf die Weitergeltung der vorherigen Verordnungen. Wiederholt werden die Sanktionen in der bereits unter dem Aspekt der Arbeitsstrafe behandelten Verordnung vom 28. 3. 1722.462 459
Befehl vom 11. 6. 1711 in VSC II, S. 84 f. (Nr. 296). Verordnung vom 9. 7. 1715 in VSC II, S. 63 – 66 (Nr. 287); Scotti, Cöln I/1, S. 600 f. (Nr. 313). 461 Befehl vom 9. 7. 1715 in HSAD, KK II 3125, Nr. 29. 462 Verordnung vom 28. 3. 1722 in Scotti, Cöln I/1, S. 601 (Nr. 313, Anm.); HSAD, KK II 3115 I, Nr. 176. 460
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Deutlich wird dort der differenzierte Sanktionskatalog, der für die Gruppe der fremden Bettler eine vergleichsweise mildere Behandlung vorsieht. 4. Umsetzungsbeispiele Der Vollzug der Aufenthaltsverbote und die Durchsetzung der Passierscheinpflicht soll durch die Anordnung von Visitationen und Durchsuchungen erreicht werden. Der Befehl vom 21. 4. 1718 enthält neben der typischen Feststellung der weiterhin bestehenden Gefahrenlage die Anordnung von Durchsuchungen durch die Ortsbeamten.463 Diese Visitationen der umliegenden Landschaft und der Wirts- und Gasthäuser sollen zweimal pro Woche erfolgen, wobei die Untertanen zur Mithilfe durch entsprechende Meldungen verpflichtet sind. Zur Umsetzung der Passierscheinpflicht ergeht am 6. 12. 1718 ein entsprechender Befehl.464 Bemerkenswert ist daran, dass gerade die missbräuchliche Ausnutzung der Almosenspenden zur Begründung der Sanktionen herangezogen wird. Aufgrund eines Berichts über umherziehende Fremde, die unter falschem Vorwand Almosen erbetteln, wird den örtlichen Beamten erneut bei Strafandrohung befohlen, auf die Umsetzung der Passierscheinpflicht und der Bettelberechtigung zu achten. Der Befehl macht keinen Unterschied zwischen dem Betrug durch weltliche oder geistliche Bettler.465 Die sich bereits in der Reduktion der Ausnahmeerlaubnis für den Bettel der Kölner Minoriten abzeichnende Entwicklung erfährt an dieser Stelle eine Fortsetzung. Der unberechtigte, da nicht genehmigte Bettel ist nach dem Willen des Gesetzgebers ohne Blick auf dessen Erscheinungsform zu unterbinden. Nur auf diesem Wege ist nach der Argumentation des Textes die Belastung der Untertanen durch den Missbrauch zu verhindern. 5. Supraterritoriale Zusammenarbeit: Durchführung der Visitationen Die Anordnung der Visitationen gegen Räuberbanden ebenso wie gegen Bettler und Müßiggänger setzt sich mit dem Befehl vom 28. 11. 1719 weiter fort.466 Die Durchführung der Generalvisitation steht im Zusammenhang mit entsprechenden Maßnahmen in den Nachbarterritorien.467 Die Visitation soll in aller Stille vorbereitet werden, um eine Flucht zu verhindern. Für den Fall der Grenzüberschreitung ist die Zusammenarbeit mit den zu benachrichtigenden Beamten der Nachbarterritorien vor463
Befehl vom 21. 4. 1718 in HSAD, KK II 3115 I, Nr. 138. Befehl vom 6. 12. 1718 in Scotti, Cöln I/1, S. 614 (Nr. 333); StAMs, KKE Bd. 5, Nr. 69. 465 Beispiele für den Bettel vorgeblicher geistlicher Bettler liefern Schunka (2003) und Schubert (1990), S. 227 f. 466 Befehl vom 28. 11. 1719 in StAMs, KKE Bd. 45, Nr. 135. 467 Zur Kooperation der Reichsfürsten vgl. Härter (1999a), S. 221 f.; Härter (2003b), S. 55 f. Härter weist neben der Koordination der Maßnahmen auf die Schwierigkeiten mit widerstrebenden Nachbarterritorien hin. 464
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gesehen. Wieder findet sich die Betonung der Störung und Belästigung der Untertanen durch die müßiggehenden fremden Bettler. Hierunter ist nicht nur die Störung der potentiellen Spender durch das unerlaubte Anbetteln zu verstehen, vielmehr sollen die Untertanen vor Schaden durch den Bettel geschützt werden. Dies spricht neben der Abwehr von Straftaten auch für einen Schutz der Versorgung der einheimischen Armen. Neben den Visitationen wird die Schaffung ständiger Einrichtungen zur Abwehr von Räuberbanden, umherziehenden Bettlern und Vagabunden angeordnet. Die Verordnung vom 1. 12. 1722 weist die Einrichtung von bewaffneten Nachtwachen und entsprechenden Alarmierungssystemen durch Glockenschlagen an.468 6. Versorgung der Kinder und Abschreckung durch Terror Wenige Monate vor der Polizeiordnung für das Herzogtum Westfalen ergeht für das Erzstift am 14. 6. 1723 eine Verordnung, die ihr in Bezug auf die repressiven Maßnahmen im Wesentlichen entspricht.469 Unter ausdrücklichem Bezug auf vorangegangene Reichskreisbeschlüsse sowie Vorkommnisse in der Wetterau und im Odenwald soll nunmehr das „Unwesen auß dem Grund zu vertilgen und außzurotten“ sein. Hierzu soll gegen die vagierenden Zigeuner und Bettler die angedrohte Todesstrafe tatsächlich umgesetzt werden. Man verspricht sich davon, dass die aufgrund der fehlenden Einleitung entsprechender Verfahren angefallenen hohen Gefängniskosten künftig verhindert werden. Zigeuner und mit ihnen reisende Vagabunden werden hinsichtlich der Strafsanktion gleichgestellt. Statt wie bisher nur bei Kapitalverbrechen soll jetzt bereits die Verletzung der kurfürstlichen Verbote ausreichend sein, um der Todesstrafe zu unterliegen. Bei den Generalvisitationen besteht eine weit reichende Feuererlaubnis. Bei Widerstand ist sofort von der Waffe Gebrauch zu machen. Die Gefangenen sind nach vorheriger Anweisung der Hofkanzlei entsprechend dem Standrecht zu hängen oder zu erschießen. Lediglich ein letzter Kontakt mit einem Geistlichen der jeweiligen Konfession ist ihnen zugestanden. Die radikalisierte Vorgehensweise kommt auch darin zum Ausdruck, dass die üblichen Warn- und Brandmarkungsvorschriften fehlen. Als Endergebnis steht jedoch wie stets die Todesstrafe, die hier vom gesetzgeberischen Anspruch rigide umzusetzen ist. 7. Arbeitstätigkeit als Voraussetzung der Existenz Bemerkenswertes enthält die Verordnung dagegen in Bezug auf den Umgang mit den Kindern der Hinzurichtenden. Der kurkölnische Gesetzgeber greift hier Regelungen vor, die sich in der supraterritorialen Gesetzgebung der Reichskreise in der PSO 468 Verordnung vom 1. 12. 1722 in Scotti, Cöln I/1, S. 621 f. (Nr. 353). Die Verordnung enthält die üblichen Strafandrohungen für säumige Beamte und die Prämierung der Denunzianten des Dienstvergehens mit der Hälfte der Geldstrafe. 469 Verordnung vom 14. 6. 1723 in HSAD, KK II 3115 I, Nr. 181, KK II 3126, Nr. 77; Scotti, Cöln I/1, S. 602 (Nr. 313, Anm.).
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von 1726 wiederfinden.470 Für Kinder unter 18 Jahren verspricht man sich durch die Anwesenheit bei der Exekution der Eltern und Angehörigen eine abschreckende Wirkung. Dem soll auch die Warnung dienen, dass sie bei erneutem Antreffen das gleiche Schicksal erwartet. Alleine die Aufnahme eines geregelten Lebens in einem Arbeitsoder Dienstverhältnis wird diesen Kindern als Ausweg aus dieser Drohung offen gelassen. Die Arbeitstätigkeit gewinnt in diesem Zusammenhang noch eine über die Verschaffung der eigenen Lebensgrundlage hinausgehende Bedeutung. Sie ist als Ausdruck einer angepassten Lebensweise Voraussetzung für die Verschonung vor der Todesstrafe. Eine Sondergruppe stellen die Kinder dar, die nach ihrer Entwicklungsphase noch nicht fähig sind, sich ihr Brot selbst zu verdienen. Für sie sollen die Einwohner des jeweiligen Amtes aufkommen, bis die Kinder in einem dienstfähigen Alter sind. Die Kinder werden den Armen für diese Zeitdauer gleichgestellt. Hier erweist sich das Kriterium der Arbeitsunfähigkeit für die Aufnahme in die territorialstaatliche Fürsorge als entscheidend. Die Arbeitsunfähigkeit bei unterstellter Unverdorbenheit der Kinder gewährleistet ganz im Gegensatz zu der Todesstrafe gegen die Eltern eine zumindest temporäre Einbeziehung in das territorialstaatliche Fürsorgesystem. 8. Versagung des Existenzrechts als Konsequenz der Gesetzgebung Diese Gesetzgebung findet ihre Fortsetzung in dem Edikt vom 21. 7. 1724.471 Die sofortige Feuererlaubnis bei Widerstand wird beibehalten, während im Übrigen wieder auf die Strafentrias Rutenstrafe, Brandmarken und Todesstrafe zurückgegriffen wird. Weiterhin finden sich Regelungen zur besseren Kooperation mit entsprechenden Visitationen im Nachbarstaat Jülich-Berg. In der Verordnung vom 26. 3. 1725 werden die Maßnahmen zusammengefasst und fortgeführt.472 Das Vorgehen steht unter dem ausdrücklichen Verweis auf die vorangegangenen Beratungen mit den benachbarten Kurfürsten und Reichsständen. Gegen die Widerstand leistenden Vagierenden, welche kurfürstliche Soldaten verletzt oder getötet haben, soll entsprechend der Carolina wegen Landfriedensbruch vorgegangen werden.473 Insgesamt bleiben die scharfen Sanktionen gegen bewaffnete Gruppen, zu denen die Zigeuner und Vagabunden gezählt werden, bestehen. Die Todesstrafe trifft sowohl Männer als auch Frauen, denen die Begehung von Diebstählen vorgeworfen wird. Sie gilt ohnehin für Kapitalverbrechen, wobei wie bisher alleine die Missachtung des Aufenthaltsverbots ausreichend sein kann. Die Verletzung des Aufenthaltsverbots zieht als körper470 Vgl. zur entsprechenden Regelung der PSO bzw. der PSKO und deren Umsetzung in Kurtrier die Ausführungen in Sechster Teil, A., VII. 471 Edikt vom 21. 7. 1724 in StAMs, KKE Bd. 45, Nr. 240; Scotti, Cöln I/1, S. 602 (Nr. 313, Anm.). Das Edikt nimmt auf die Verordnungen vom 28. 3. 1772 und 14. 6. 1723 Bezug. 472 Verordnung vom 26. 3. 1725 in HSAD, KK II 3126, Nr. 61; VSC II, S. 60 – 62 (Nr. 284); Scotti, Cöln I/1, S. 693 (Nr. 372). 473 Die Carolina regelt den Landfriedensbruch in Art. 129 unter dem Aspekt des Fehdewesens, vgl. Schaffstein (1976), S. 991.
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liches Kennzeichen die Brandmarkung nach sich. Die auf das Aufgreifen mit einer Brandmarkung angedrohte Todesstrafe wird auf die Brandzeichen der benachbarten Reichsfürsten ausgeweitet. Eine Präzisierung erfährt weiterhin das Alter, bis zu dem Kinder als arbeitsunfähig angesehen werden. Der Gesetzgeber geht dabei von einem Alter von 10 Jahren aus.474 9. Arbeitszwang als Sanktion für umherziehende starke Bettler Dagegen richtet sich bei den umherziehenden starken Bettlern die Härte der Sanktionen danach, ob zusätzliche Straftaten begangen worden sind. Die Gruppe der Spielleute, Brettdreher, Gaukler und sonstigen Hausierer wird per Definition unter die Oberbegriffe der starken Bettler und Vaganten gefasst. Hier vollzieht sich die definitorische Zusammenfassung der ursprünglich getrennt behandelten Personengruppen. Den wiederholt Ausgewiesenen ist in letzter Konsequenz wegen des Eidbruchs Strafarbeit angedroht. Die Strafarbeit kann dabei in der Verurteilung zum Festungsund Schanzenbau oder zum Galeerendienst bestehen.475 Diese Strafen gehören zu den schwersten Sanktionsmitteln, sind jedoch im Vergleich zur sonst drohenden Todesstrafe deutlich abgemildert. Die Todesstrafe selbst gilt nur noch für den Fall, dass neben dem Eidbruch weitere Straftaten hinzugetreten sind. Dann werden die fremden umherziehenden Bettler den Zigeuner gleichgestellt, da sie wie diese „sich bloß vom Stehlen und verbottenem Betteln“ ernähren. Für beide Gruppen gilt dann, dass sie „als faule und ansteckende Glieder menschlicher Societät aus deroselben hinweggeraumet“ werden sollen. Der Ausschluss aus dem Versorgungssystem geht also für diese Gruppen noch weiter. Sie sind wegen fehlender Selbstversorgung durch Arbeit und der ihnen vorgeworfenen Gefährdung der Sicherheit nicht nur unnütz, sondern sogar schädlich. Die Gleichstellung von Diebstahl und dem zu Unrecht, also ohne territorialstaatliche Zulassung erfolgten Bettel zeigt auf, dass der starke Bettler als Straftäter gesehen wird. Damit haben die Bettler aus Sicht des Territorialstaats ihre Existenzberechtigung endgültig verloren. Deutlicher als an dieser Stelle findet man diese Konsequenz der Inklusions- bzw. Exklusionskriterien selten in der territorialstaatlichen Gesetzgebung des 18. Jahrhunderts. Die Gefahr der Ansteckung der anständigen Armen durch das schlechte Vorbild der müßigen Bettler wird in einem anderen Kontext wieder virulent: der Seuchenabwehr.
474 Dies entspricht der Vorgabe der PSO vom 20. 12. 1726 in HHStAWi, 100/212, hier Punkt 6. 475 Zu den einzelnen Strafarten vgl. Schlosser (1988), S. 36 f.; Schubert (1990), S. 289 ff.
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10. Ausweitung der Pass- und Ausweispflicht Die Verordnungen vom 19. 7. 1715, 21. 7. 1724 und 30. 6. 1728 werden in der Verordnung vom 29. 1. 1729 nahezu unverändert aufgegriffen und wiederholt.476 Erneut wird die über die Landesgrenzen hinausgehende Zusammenarbeit mit den benachbarten Reichsfürsten betont. Die Verordnung vom 22. 12. 1738 belässt es ebenfalls bei der Wiederholung der Maßnahmen, nimmt jedoch die 1736 eingeführte Möglichkeit der Zuchthausstrafe mit in die Systematik auf.477 Im Umfeld der bereits behandelten Verordnung vom 20. 3. 1748 und der im selben Jahr beschlossenen PSKO kommt es im Kurstaat zu mehreren Umsetzungsakten. Sie haben im Wesentlichen die Bekämpfung umherziehender Räuberbanden zum Gegenstand.478 Demgegenüber liegt der Fokus der Verordnung vom 10. 11. 1748 auf dem Vorgehen gegen fremde starke Bettler und Vagabunden.479 Dabei bezieht sich der Text auf die vorherige Gesetzgebung und weist auf § 15 der am 20. 3. 1748 veröffentlichten Verordnung für das Erzstift hin. Die dort angeordneten repressiven Maßnahmen werden wiederholt und wiederum den zuständigen Beamten und Offizieren zur genauesten Umsetzung befohlen. Diese Gesetzgebung fügt sich in die beiden Polizeiordnungen der Jahre 1748 und 1749 ein, betrifft indes nur die repressiven Maßnahmen. Weitere Ausführungsbestimmungen enthält die Verordnung vom 8. 6. 1750.480 Sie beginnt mit der typischen Einleitung unter Bezug auf die bisherige Gesetzgebung. Auffällig ist an dieser Verordnung, dass die Gefahren durch die mobilen Gruppen hier nicht auf die fehlende Umsetzung der Normen zurückgeführt werden. Vielmehr stellt der Text fest, dass es trotz der „vielfältig an Leib und Leben erfolgter Bestraffungen“ fast ungemindert bei dem Missstand geblieben sei. Das ist angesichts der sonst üblichen Klagen über die fehlende Umsetzung eine neue Erkenntnis, obgleich sie in kommenden Verordnungen keine unmittelbare Wiederholung erfährt.481 Ein Paradigmenwechsel ist dennoch nicht als notwendig erachtet worden. Es soll bei den bisherigen Maßnahmen gegen Kleinhändler, Reisende und Vagabunden verbleiben. Genauere Regelungen finden sich zu der Problematik der Passvergabe. Ausdrücklich soll unverdächtigen Personen nach vorheriger Antragstellung unentgeltlich ein Pass ausgestellt werden. Der Pass ist auf die jeweilige Reiseroute zu begrenzen.482 Dabei nimmt der Text Bezug auf die 476 Verordnung vom 29. 1. 1729 in HSAD, KK II 3126, Nr. 44; Scotti, Cöln I/1, S. 602 (Nr. 313, Anm.). 477 Verordnung vom 22. 12. 1738 in VSC II, S. 59 – 60 (Nr. 284); Scotti, Cöln I/1, S. 693 (Nr. 372, Anm.). 478 Vgl. die Verordnung vom 9. 9. 1748 sowie der Befehl vom 24. 9. 1748 in Scotti, Cöln I/2, S. 761; Befehl vom 29. 10. 1748 in VSC II, S. 81 (Nr. 294). 479 Verordnung vom 10. 11. 1748 in VSC II, S. 80 f. (Nr. 294); Scotti, Cöln I/2, S. 761 f. (Nr. 512). 480 Verordnung vom 8. 6. 1750 in VSC II, S. 71 – 73 (Nr. 290); Scotti, Cöln I/2, S. 767 f. (Nr. 523). 481 Bald darauf lässt sich wieder die übliche Feststellung der fehlenden Umsetzung in der Verordnung vom 21. 4. 1751 finden, vgl. VSC II, S. 82 f. (Nr. 295). 482 Zu den Umsetzungsschwierigkeiten der Passkontrolle vgl. Härter (1999a), S. 226.
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entsprechenden Regelungen der Verordnung vom 19. 6. 1736 zur Einrichtung des Stockhauses. .
11. Ausweitung der funktionalen Zuständigkeit des Stockhauses Die Einweisung ins Stockhaus als Sanktion für unerlaubtes Umherziehen im Territorium wird im Folgenden auf andere bislang nicht erfasste Personengruppen ausgeweitet. In der Verordnung vom 3. 7. 1751 wird Entsprechendes mit Wirkung für das gesamte Herrschaftsgebiet des Kurfürsten angeordnet.483 Die Gruppe der umherziehenden Studenten, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts in zahlreichen Territorien als zum Almosensammeln berechtigt erachtet werden,484 unterliegt nunmehr denselben Sanktionen wie die von der Fürsorge exkludierten Vagabunden. Diejenigen Studenten, die betteln, sowie Jäger oder umherziehende Juden ohne gültige Papiere sind als Vagabunden in das Stockhaus zu Kaiserswerth einzuweisen.485 Durch die Verordnung vom 9. 1. 1753 werden die bisherigen Regelungen über Kleinwarenhändler ausgeweitet auf umherziehende Soldaten, die ebenfalls entsprechende Waren anbieten.486 In der Verordnung vom 30. 6. 1753 versucht man eine als Umgehungstatbestand genutzte Lücke zu schließen.487 Für die notwendigerweise durch das Erzstift nach getaner Arbeit zurückwandernden Flößer gilt nunmehr ebenfalls die Ausweispflicht. Ohne entsprechende Papiere gelten die Flößer als nichtsnutzige und liederliche Personen, welche die Untertanen durch Erpressung von Nahrungsmitteln belasten. Die Gleichstellung mit den Vagabunden bedeutet in diesem Fall die Androhung von Leibes- oder Todesstrafe. Die Maßnahmen sollen von den eigens 1751 zur Vagantenbekämpfung aufgestellten Husarenkompanien umgesetzt werden.488 Die Ausweitung der funktionalen Zuständigkeiten des Stock- und Zuchthauses in Kaiserswerth zeigt sich in den dargestellten Normen. Offenbar wird diese Einrichtung zunehmend als Allheilmittel für die Bewältigung des Kampfes gegen umherziehende Personen
483 Verordnung vom 3. 7. 1751 in VSC II, S. 82 f. (Nr. 296); Scotti, Cöln I/2, S. 769 (Nr. 528). 484 Vgl. die entsprechenden zuvor dargestellten Verordnungen von Nürnberg und Kurtrier in Erster Teil, C. sowie Dritter Teil, A., II., 13., a). 485 Die Anordnungen gegenüber umherziehenden Juden werden in der Verordnung vom 29. 1. 1755 wiederholt, vgl. VSC II, S. 86 f. (Nr. 302). Dort wird diese Gruppe ausdrücklich mit den als schädlich und nichtsnutzig charakterisierten Vagabunden gleichgestellt. 486 Angedroht ist die Konfiskation der Waren und die Auslieferung an die jeweiligen inoder ausländischen Garnisonen, vgl. Verordnung vom 9. 1. 1753 in StAMs, KKE Bd. 39, Nr. 89. 487 Verordnung vom 30. 6. 1753 in VSC II, S. 83 f. (Nr. 298); Scotti, Cöln I/2, S. 774 (Nr. 538). 488 Die Einrichtung entsprechender Kompanien erfolgt durch die Verordnung vom 25. 9. 1751, vgl. VSC II, S. 90 f. (Nr. 303).
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verstanden. Dass sich hieraus angesichts der begrenzten Kapazitäten des Stock- und Zuchthauses eine Überlastung abzeichnet, zeigt die weitere Entwicklung.489 12. Verbindung von Seuchenabwehr und Vagantenbekämpfung Einen Sonderfall auf dem Gebiet der Vagantengesetzgebung nehmen die Verordnungen zur Seuchenabwehr ein. Hier verbinden sich hygienische und seuchenprophylaktische Vorschriften mit der Vagantenrepression. Die Art und Weise der Entwicklung ähnelt dem Verlauf in dem benachbarten Kurfürstentum Trier. Typisch für diese Gesetzgebung ist, dass sich ihre Maßnahmen zunächst auf bestimmte Gruppen beschränken, um dann später mehrere Gefahrenabwehrmaßnahmen zusammenfassend abzuhandeln. Im Herbst 1713 beginnen mit der Verordnung vom 4. 10. 1713 die Schutzmaßnahmen gegen die in Österreich, Böhmen und Schlesien wütende Pest.490 Die Einreise und die Einfuhr von Waren ohne einen entsprechenden Gesundheitspass sind verboten.491 Der Gesundheitspass ist nur nach dem Nachweis eines Aufenthalts von 40 Tagen in einem unverseuchten Gebiet zu erteilen. Fortgesetzt wird dies durch den Befehl vom 11. 11. 1713.492 Die Einreise der bereits an den Grenzen abgewiesenen Juden aus dem Seuchengebiet um Prag soll durch verschärfte Kontrollen verhindert werden. Sieben Jahre später finden die gleichen Vorsichtsmaßnahmen wieder Anwendung bei der Kontrolle der Einreise von Fremden.493 In den Instruktionen zur Verordnung vom 5. 10. 1720 werden die Beamten darauf hingewiesen, dass keinesfalls Bettler, Vagabunden, Zigeuner oder anderes herrenloses Gesindel einreiseberechtigt sind. Hier verbinden sich gesundheitspolizeiliche Maßnahmen mit der herkömmlichen Gefahrenabwehr. Die Gruppe der umherziehenden fremden Bettler ist aus dieser Sicht nicht alleine eine Gefahr für die Versorgungsstruktur des Erzstifts, sondern auch als möglicher Überträger von Seuchen Gegenstand der kurfürstlichen Gesetzgebung. Die Religionszugehörigkeit bildet bei diesen Maßnahmen ausdrücklich kein Unterscheidungskriterium. Die Verbindung der Gesundheitspolizei mit der Gefahrenabwehr wiederholt sich in der Verordnung vom 9. 11. 1720.494 Der Kurfürst greift zu diesem 489 Das allmähliche Anwachsen der Funktionen des Zuchthauses beschreibt Schlue (1957), S. 16 ff. 490 Verordnung vom 4. 10. 1713 in Scotti, Cöln I/1, S. 596 (Nr. 303). 491 Nähere Regelungen zur Ausstellung des Gesundheitspasses finden sich in der Verordnung vom 1. 12. 1713 in Scotti, Cöln I/1, S. 596 (Nr. 303, Anm.). 492 Befehl vom 11. 11. 1713 in Scotti, Cöln I/1, S. 596 (Nr. 303, Anm.). 493 Verordnung vom 5. 10. 1720 in Scotti, Cöln I/1, S. 596 (Nr. 303, Anm.); StAMs, KKE Bd. 45, Nr. 145 – 147. Dort finden sich auch genaue Ausführungen zur Befragung der Reisenden und den Bedingungen zur Erteilung von Gesundheitspässen. Vor allem Reisende aus dem südlichen Frankreich, insbesondere der Provence, sollen kontrolliert werden. 494 Verordnung vom 9. 11. 1720 in Scotti, Cöln I/1, S. 596 (Nr. 383, Anm.); StAMs, KKE Bd. 45, Nr. 148. Die Vorschriften zur Ausstellung von Gesundheitsscheinen werden in der Verordnung vom 5. 3. 1721 wiederholt, vgl. VSC II, S. 85 (Nr. 300).
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Zweck auf die in der Bettelbekämpfung angewandten Methoden zurück: Visitation der Wirtshäuser, Melde- und Ausweispflicht. Fremde Bettler, abgedankte Soldaten oder andere untätige müßige Personen stehen unter einem generellen Einreiseverbot. Selbst als die Seuche 1722 abklingt, vermischen sich die Kontrollen der Gesundheitspässe und die Bekämpfung einer umherziehenden Räuberbande.495 Als es 1738 erneut zu Schutzmaßnahmen gegen eine in Ungarn herrschende Seuche kommt, werden in der Verordnung vom 11. 7. 1739 die herkömmlichen Maßnahmen wiederholt.496 Wieder werden die Beamten angewiesen, keine umherziehenden Bettler und Vagabunden zu dulden, unabhängig davon, ob sie einen Pass mit sich führen. Ein Kennzeichen dieser Gesetzgebung ist es, dass primär der Gesundheitsschutz im Vordergrund steht. Fremde Bettler und Vagabunden werden schnell als Überträger von Krankheiten eingestuft. Schließlich sind die umherziehenden Bettler sowohl eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und die Versorgungslage als auch für die öffentliche Gesundheit. An diesem Punkt vereinen sich dann die jeweiligen Maßnahmen der repressiven Bettelbekämpfung. In der bereits beschriebenen Verordnung vom 26. 3. 1725 drückt sich dies in einer Vermischung der Zielvorgaben aus. Zur argumentativen Absicherung des gewaltsamen Zugriffs auf mobile Personengruppen wird die Ausweisung starker Bettler als Hygienemaßnahme beschrieben und zugleich als der Verhinderung der Ansteckung der Gesellschaft an dem Müßiggang dienend. 13. Einfluss der supraterritorialen Gesetzgebung Die für das Kurfürstentum Trier belegbare Bedeutung der Normen der Reichskreise ist für das Erzstift Köln ebenfalls nachweisbar. Im zeitlichen Umfeld der PSO von 1726 sind bereits zahlreiche Beispiele in der kurkölnischen Gesetzgebung dargestellt worden. In Abstimmung mit den Nachbarterritorien kommt es zur Synchronisierung der Maßnahmen. Für den Bereich der Armenversorgung sind dies vor allem die Polizeiordnungen von 1723 bzw. 1728, welche den Anforderungen der PSO von 1726 im Wesentlichen entsprechen. Das Aufenthaltsverbot für fremde Bettler und die Geltung des Heimatprinzips sind Kernbestandteile der kurkölnischen Gesetzgebung. Zwar wird die Forderung nach einem Finanzausgleich zwischen ärmeren und reicheren Gemeinden in Punkt IX der PSO von 1726 nicht in der Art und Weise umgesetzt, wie es sich für Kurtrier durch die Reform von 1736 nachweisen lässt. Stattdessen greift der kölnische Kurfürst auf das einfacher einsetzbare Mittel der Bettelgenehmigung für angrenzende Gemeinden zurück, wodurch er Streitigkeiten wegen des Zugriffs auf die jeweiligen Finanzmittel der Ämter vermeidet. Die Einführung einer mit der kurtrierischen Gesetzgebung vergleichbaren Armenkasse unterbleibt jedoch. Dies hält sich im Rahmen der Reichskreisverordnung, die ausdrücklich die Letztentscheidung
495
Verordnung vom 19. 9. 1722 in Scotti, Cöln I/1, S. 621 (Nr. 353). Verordnung vom 11. 7. 1739 in Scotti, Cöln I/2, S. 726, 727 (Nr. 441, Anm.); HSAD, KK II 3127, Nr. 62. 496
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bei den jeweiligen Territorialstaaten belässt.497 Annäherungsversuche an das Ziel der PSO von 1726, den Straßenbettel abzuschaffen, finden sich wieder in der Verordnung vom 22. 10. 1732. Dort werden, wie oben dargestellt, einzelne Erscheinungsformen des Bettels untersagt. Einen Schritt weiter als Kurtrier geht das Kurfürstentum Köln mit der Einrichtung eines Stock- und Zuchthauses im Jahr 1736. Die nicht realisierte Forderung nach einer solchen Einrichtung des Reichskreises wird damit für das Erzstift selbst umgesetzt. Die Polizeiordnungen der Jahre 1748 und 1749 führen die bisherige Gesetzgebung fort und stehen im Einklang mit den entsprechenden Regelungen der PSKO vom 1748.498 Ein Beleg für die Abstimmung der Gesetzgeber auf supraterritorialer Ebene ist die Einführung der Bettelerlaubnis für Brandopfer im Jahr 1748, welche in Punkt 11 der PSKO festgelegt wird. Ebenso wie in Kurtrier reagiert der Kölner Kurfürst auf die Forderung des Kreisbeschlusses und setzt diese Ausnahmeregelung für sein Territorium um. Hier zeigt sich die Wirkung der Reichskreisgesetzgebung, die als Rahmengesetzgebung systematisierenden und vereinheitlichen Einfluss auf die territorialstaatliche Gesetzgebung hat. Die Fälschung solcher Brandopferausweise ist nach der PSO und der PSKO als „crimen falsi“ zu ahnden und stellt einen Diebstahl der „ohnverdiente Allmosen [von] guten Christlichen Herzen“ dar. Diese Festlegung entspricht der in Kurköln bereits seit längerem geltenden Rechtslage, wie sich bereits aus der Verordnung vom 9. 7. 1715 ergibt. Besonders deutlich sind die Gemeinsamkeiten in Bezug auf die repressiven Maßnahmen. Schon im Vorfeld der PSO von 1726 sind es vor allem die Maßnahmen gegen Umherziehende, die sich in der Territorialgesetzgebung nachweisen lassen. Beispiele hierfür sind die Verordnung vom 26. 3. 1715 oder die Verordnung vom 14. 6. 1723. Die erstere weist dabei die gleiche Regelungstechnik auf wie die spätere Zusammenfassung auf der Kreisebene. Der Ausgangspunkt ist die Bekämpfung der Umherziehenden, wobei inzident Regelungen zur Fürsorgeorganisation getroffen werden. Die Maßnahmen gegen Zigeuner und Vagabunden sind mit den jeweiligen Normen der Reichskreise nahezu identisch. Die Verordnung vom 14. 6. 1723 sowie die Verordnung vom 29. 1. 1729 nehmen explizit Bezug auf Kreisbeschlüsse mit repressiven Maßnahmen. Die vom Reichskreis vorgegebene Vorgehensweise, die Eltern mit dem Tod zu bestrafen und die Kinder aufzunehmen, ist ebenfalls in der Verordnung von 1729 angelegt. Weitere Belege lassen sich unter anderem auch in der Verordnung vom 26. 3. 1725, in welcher der Umgang mit Brandzeichen und dem Vollzug der Todesstrafe im Zusammenspiel der Territorien geregelt ist. Der Gleichlauf bei der repressiven Gesetzgebung setzt sich bei den Polizeiordnungen für das Erzstift 1748 und das Herzogtum Westfalen 1749 fort. Die dort getroffenen Regelungen entsprechen der in der PSKO von 1748 vorgesehenen Herangehensweise. Die PSO ebenso wie die PSKO lassen sich grundsätzlich als gemeinsame Zusammenführung der bisherigen Maßnahmen verstehen, die allenfalls punktuell Neuerun497 498
PSO vom 20. 12. 1726 in HHStAWi, 100/212, hier Punkt 10. PSKO vom 4. 9. 1748 in StAMz, LVO; HHStAWi 106/316.
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gen anbieten, zu denen die einzelnen Territorien nicht in der Lage sind. Ein Beispiel hierfür ist das Projekt der PSO von 1726 zur Einrichtung eines Zuchthauses. Obgleich dieses Vorhaben so nicht realisiert wird, weist die Einrichtung des Stock- und Zuchthauses in Kaiserswerth eine zeitliche und sachliche Nähe zu dieser Vorgabe auf. Abgesehen von dieser Ausnahme ist der Befund vergleichbar mit demjenigen im Kurfürstentum Trier. Die Kreisbeschlüsse führen zu einer Vereinheitlichung der Maßnahmen. Sie wiederholen im Wesentlichen die Vorgaben der Reichspolizeiordnungen des 16. Jahrhunderts und bieten detaillierte Beschreibungen der Umsetzungsmaßnahmen an. Die Umsetzung bleibt bei der Fürsorge ausdrücklich den Territorialstaaten vorbehalten, weshalb sich hier größere Unterschiede als bei den repressiven Maßnahmen erkennen lassen.
IX. Fürsorgegesetzgebung ab 1761 1. Ausgangssituation Die Strukturen der Armenfürsorge sind zu Beginn der Regierungszeit des vorletzten Kölner Kurfürsten, Maximilian Friedrich von Königsegg-Rothenfels, im Vergleich zum Beginn des 18. Jahrhunderts weitgehend unverändert geblieben. Die Versorgung soll durch die Nutzung vorhandener Hospitäler und Armenstiftungen sowie den zugelassenen Bettel sichergestellt werden. Zwar sind Tendenzen der Auflösung der Beziehung zwischen Almosengeber und dem Empfänger erkennbar durch zunehmende Restriktionen. Diese führen jedoch noch nicht zu einem endgültigem Bettelverbot. Gleiches lässt sich für die Behandlung von Sonderfällen wie den terminierenden Mönchen oder den Kollekten der Brandopfer feststellen. Die repressiven Maßnahmen sind supraterritorial vereinheitlicht und zunehmend intensiviert worden. Die einzige Neuerung besteht in der Einrichtung des Stock- und Zuchthauses, dessen Zweck sich im Wesentlichen in der Sanktionierung von Verbotsverstößen und Arbeitsunwilligkeit erschöpft. Wenige Jahre nach dem Regierungsantritt des Kurfürsten Maximilian Friedrich beginnt eine weitere Reformphase, die ausgehend von den Bonner Verhältnissen auf das gesamte Erzstift wirkt.499 Die Entwicklung zielt auf die vollständige Abstellung des Bettels als Versorgungsform an sich. Ersetzt werden soll diese Art der Existenzsicherung durch eine staatlich gesteuerte Zuteilung der Unterstützungsleistungen, was die Frage nach ihrer Finanzierung aufwirft. Das Stock- und Zuchthaus zieht aus Kaiserswerth nach Bonn um und wird durch das 1774 eingerichtete Arbeitshaus ergänzt. Die Gesetzgebung entwickelt sich schrittweise, wobei bisherige Vorgehensmuster wiederholt werden.500 Am Ende der Reformen steht die endgültige Einführung eines ausnahmslosen Bettelverbots in Verbindung mit der Einrichtung des Bonner Arbeitshauses. Die Reduktion von Sondertatbeständen für den geistlichen Bettel schreitet gerade in der Regierungszeit des letzten Kölner Kur499
Siehe Ennen (1962), S. 339. Einen Überblick mit dem Schwerpunkt auf der Residenzstadt Bonn bietet Ohm (1998), S. 179 ff. 500
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fürsten Maximilian Franz weiter fort. In dessen Herrschaftszeit fällt auch die Justizreform der 1790er Jahre, in der es zur Auftrennung der Funktionen des Zuchthauses kommt. Insgesamt ist die Überlieferungslage für die Phase der Gesetzgebung der beiden letzten Kurfürsten weniger dicht als für die vorangegangenen Jahrzehnte.
2. Vorlauf der Reformen a) Wiederholung und Bezug auf das Stockhaus Die Regierungsperiode des Kurfürsten Maximilian Friedrich ist wesentlich geprägt von der Tätigkeit seines Ministers Caspar Anton von Belderbusch.501 Während sich der Kurfürst aus der Leitung der Geschäfte zurückzieht, kann Belderbusch im Laufe der Jahre immer mehr Kompetenzen an sich ziehen und bestimmt die Leitlinien der kurfürstlichen Politik. Im Vorfeld der von Belderbusch initiierten Maßnahmen lassen sich vornehmlich repressive Verordnungen feststellen. Das gilt gerade auch für die erste einschlägige Norm, welche die bislang gebräuchlichen Exklusionsmaßnahmen beinhaltet und nur am Rande auf die Versorgung der Bedürftigen eingeht. Die am 5. 4. 1762 für das Erzstift ergangene Verordnung erneuert die 1736 zur Einrichtung des Stockhauses in Kaiserswerth erlassene Verordnung.502 Die Bestrafung mit dem Stockhaus soll dazu dienen, die auswärtigen und müßig gehenden Bettler und Vagabunden zur „Correction“ zu bringen. Ihnen wird Erpressung und Betrug zur Erschleichung von Lebensmitteln vorgeworfen. Die Arbeitsuntätigkeit wird neben der Störung der öffentlichen Sicherheit auch als liederliches und gottloses Verhalten gekennzeichnet. Hier zeigt sich das Gegenstück zur religiös motivierten Armenunterstützung. Die wegen ihrer Arbeitsfähigkeit als unterstützungsunwürdig klassifizierten Personen haben nicht nur kein Almosen verdient, sondern sie verstoßen zudem gegen das göttliche Arbeitsgebot. Diesem Missstand soll durch den Arbeitszwang im Stockhaus bei Wasser und Brot abgeholfen werden. Der Aufenthalt im Stockhaus stellt nach der Zielsetzung des Gesetzgebers zwar ein Besserungsmittel dar, angesichts der Aufenthaltsbedingungen im Stockhaus und der oben dargestellten Zielsetzung kann jedoch die „Correction“ der Insassen nur als Besserung durch Bestrafung denn als Hilfestellung verstanden werden. Dem entsprechen die folgenden Anweisungen zum Vollzug der Verordnung. Alleine der Umstand des Bettelns ohne Erlaubnis und damit automatisch verbunden der Müßiggang reichen für die fremden Umherziehenden aus, um ins Stockhaus eingeliefert zu werden. Die Hofkanzlei ist nach entsprechender Meldung durch den Inspektor des Stockhauses zuständig zur Bestimmung der Dauer und Art des Aufenthalts. Lediglich in einem Zwischensatz wird die bisherige Versorgungsberechtigung für Einheimische wiederholt. Einheimische Arbeits- und Versorgungsunfähige sind wie bisher berechtigt, mit entsprechenden 501
Vgl. Ennen (1962), S. 277; Gatz (1990), S. 232. Allgemein zu Person und Wirken Belderbuschs vgl. Penning (1999), S. 96 ff. 502 Verordnung vom 5. 4. 1762 in VSC II, S. 75 f. (Nr. 291); Scotti, Cöln I/2, S. 768 (Nr. 523, Anm.).
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Bettelzeichen der Ortsobrigkeit in der Heimatgemeinde zu betteln. Für die Residenzstadt Bonn bemüht sich Belderbusch, der gleichzeitig Oberpolizeidirektor ist, um die Bewahrung der bisherigen Fürsorgestruktur. Fremde Bettler sollen aus der Stadt geschafft werden, damit sich die einheimischen Bedürftigen durch den Bettel ausreichend versorgen können. Mit der Stockhausstrafe soll auch gegen einheimische arbeitsfähige Bettler vorgegangen werden, deren Not alleine ihrem eigenen Unwillen zur Arbeitsaufnahme zugeschrieben wird.503 Die Verordnung vom 30. 3. 1763 wiederholt schließlich alleine die Vorschriften zur Verbringung in das Stockhaus. Dessen Einzugsraum wird auf das gesamte Regierungsgebiet einschließlich Westfalen und das Vest Recklinghausen ausgeweitet.504 Zuständig für das Aufgreifen der Vagabunden sind die hierzu eingerichteten Husarenkorps.505 b) Repressive Maßnahmen: Angleichung an Reichskreisordnungen Ein weiteres Zeichen dafür, dass man im Bereich der repressiven Maßnahmen an die bisherigen Gesetze anknüpft, ist die Verordnung vom 19. 6. 1765.506 Für das Herzogtum Westfalen werden unter Verweis auf die in den Jahren 1732, 1736, 1748, 1749 und 1750 ergangenen Verordnungen alle bislang gebräuchlichen Mittel wiederholt und zusammengefasst. Erkennbar wird an dieser Verordnung auch, dass für das Herrschaftsgebiet Westfalen die für das Erzstift erlassenen Normen herangezogen werden.507 Neuerungen, die über den Stand der PSKO von 1748 und der kurkölnischen Polizeiordnungen hinausgehen, sind indes nicht feststellbar. Die Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen gegen Hausierer und andere mobile Personengruppen beruhen auf einem Passsystem. Hierbei wird die zentrale Zuständigkeit der Hofkanzlei für die Vergabe erneut betont. Der Straf- und Sanktionenkatalog für zuwiderhandelnde Bettler und Vagabunden besteht immer noch aus dem Drei-Schritt: Stockhausstrafe, Brandmarken, Todesstrafe. Die Zuständigkeit zum Vollzug der Maßnahmen liegt wie bisher bei den örtlichen Beamten und Gemeinden. Angesichts der fast zeitgleich ergangenen gleichartigen Verordnungen im Kurfürstentum Trier erweisen sich die Aktivitäten des kurrheinischen Reichskreises in den 1760er Jahren als Impulsge-
503 Siehe Schlue (1957), S. 42. Das Missfallen konzentriert sich dabei auf den Umstand, „daß das ungestümme Bettlen sogar von jenen Leuthen, welche noch bey guten Kräfften sind, und ihre Nahrung, wan sie anders wollen, mit der arbeith sich zu verschaffen noch allerdings vermögend wären, gantz ohngescheut getrieben“ wurde. 504 Verordnung vom 30. 3. 1763 in Scotti, Cöln I/2, S. 844 (Nr. 582); HSAD, KK II 3117. 505 Dies ergibt sich aus der Verordnung vom 13. 10. 1763 in VSC II, S. 91 f. (Nr. 304), und für die 1750er Jahre aus der Verordnung vom 25. 9. 1751 in VSC II, S. 90 f. (Nr. 303). Zu dem nicht immer disziplinierten Verhalten der Husarenkorps und der Überforderung der Kommunen mit den abgelieferten Delinquenten vgl. Härter (1999a), S. 227 f. 506 Verordnung vom 19. 6. 1765 in Scotti, Cöln I/2, S. 768 (Nr. 523, Anm.); HSAD, KK II 3117, Nr. 52 – 54. 507 So ist beispielsweise mit der Verordnung aus dem Jahr 1748 die am 20. 3. 1748 erlassene Polizeiordnung für das Erzstift gemeint.
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ber.508 Das am 13. 4. 1763 ergangene Kreisedikt mit seinem Schwerpunkt auf den repressiven Maßnahmen ist sowohl für Kurtrier als auch Kurköln in territorialstaatliches Recht umgesetzt worden.509
3. Vorlauf der Einrichtung des Bonner Arbeitshauses In nahezu zeitlicher Koinzidenz zu den Initiativen in Kurtrier durch Kurfürst Clemens Wenzeslaus ergeht für das gesamte Herrschaftsgebiet des kölnischen Kurfürsten am 24. 1. 1769 eine Verordnung, welche die vorangegangenen Verordnungen der Jahre von 1762 bis 1765 wiederholt und bündelt.510 Dabei wird die Gefahr von Erpressungen durch Branddrohungen gegen die Bevölkerung erneut aufgegriffen.511 Ausdrücklich wird zur Erklärung der Notwendigkeit des eigenen Handelns auf entsprechende Verordnungen, zu denen auch diejenigen des benachbarten Kurfürstentums Trier gehören, Bezug genommen. Die Norm weist die typische Verquickung repressiver Maßnahmen mit Aussagen zum Fürsorgesystem auf. Es handelt sich um die letzte territoriale Norm vor Einrichtung des Bonner Arbeitshauses, die noch Regelungen zur Fürsorge enthält. a) Wiederholung repressiver Maßnahmen und Milderung der Strafentrias Die Verbote für fremde Bettler wiederholen sich und bleiben auf dem bisherigen Stand. Den fremden Bettlern ist kein Aufenthalt gestattet. Die Aufgegriffenen sind nach einer summarischen Vernehmung vor Gericht bereits ohne das Vorliegen anderer Straftaten ins Stockhaus zu verbringen. Die weiteren mobilen Personengruppen wie Spielleute, Hausierer oder Vagabunden sollen entsprechend dem bisherigen Verfahren behandelt werden. Für Hausierer wie für Reisende besteht eine Reisepasspflicht. Aus der Vergabepraxis entstehen Probleme, die auf dem Missbrauch der Reisepässe als Bettelscheine beruhen. Um dem entgegen zu wirken, wird das allgemeine Bettelverbot für Fremde erneuert. Für Reisende oder Hausierer, die sich abseits der erlaubten Reisestrecke aufhalten, wird unter Punkt 2 bzw. 4 der Verordnung die Gleichstellung mit Vagabunden angeordnet. Die Gleichstellung mit den Vagabunden droht auch für zurückreisende Flößer, falls sie sich außerhalb der Reisestrecke zum Ursprungsort befinden. Die Gastwirte werden wie schon 1765 verpflichtet, die bei ihnen untergebrachten Flößer der Ortsobrigkeit zu melden. Begleitet werden diese Maßnahmen durch die Anordnung zur Durchführung entsprechender Streifen und Vi508 Beispielsweise die Verordnung vom 22. 11. 1764 in LHAKo, 1C/1116. Der gleiche Befund gilt auch für das geistliche Kurfürstentum Mainz, vgl. Härter (1999a), S. 223. 509 Edikt vom 13. 4. 1763 in LHAKo, 1C/1116. Das Edikt wiederholt im Wesentlichen die bisherige Rechtslage der PSO und PSKO. 510 Verordnung vom 24. 1. 1769 in VSC II, S. 86 – 90 (Nr. 302); Scotti, Cöln I/2, S. 898 f. (Nr. 643). 511 Teilweise geschieht dies sogar unter wörtlicher Wiederholung der durch die Erpressung zu erlangenden Güter (Fleisch, Brot und Früchte).
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sitationen. Zuständig hierfür sind die örtlichen Beamten.512 Die Leitung der Aktionen erfolgt in den jeweiligen Distrikten durch die hierzu zu berufenden Provisoren. Die bisherige Strafentrias für fremde Bettler und Vagabunden erfährt eine entscheidende Veränderung und die bisherige Vorgehensweise – Aufgreifen, Auspeitschen und Ausweisung unter Androhung der Todesstrafe, die schließlich den Bruch der beschworenen Urfehde sanktioniert – wird abgelöst. Nunmehr steht für den ersten Verbotsverstoß ein Jahr Zuchthausaufenthalt aus, während der zweite Verstoß mit einer Rutenstrafe sowie zwei Jahren Zuchthaus mit anschließender Ausweisung nach Beschwören der Urfehde geahndet wird. Bemerkenswert ist aber, dass als Sanktion für den Bruch der Urfehde keine Todesstrafe mehr vorgesehen ist, sondern eine zwölfjährige Zuchthausstrafe. Dies gilt jedoch nur für das Erzstift selbst, während es für das Erzstift Westfalen bei den bisherigen Sanktionen bleibt.513 b) Versorgung der einheimischen Armen Die Versorgungsformen bleiben unverändert: der Bettel und die Leistungen der Hospitäler. Den durch „Alter und schwächlichen Leibs-Umstände zur Arbeit unvermögenden Erzstiftischen Armen“ gilt wie bisher die „Lands-Fürst-vätterliche Milde“ des Kurfürsten, der nach eigenem Verständnis zu allen möglichen Hilfen entschlossen ist. Tatsächlich bleibt es aber für die einheimischen als bedürftig Anerkannten bei den bisherigen Verhältnissen. Ihnen ist das Betteln mit entsprechenden Zeichen innerhalb der Gemeindegrenzen gestattet. Wörtlich spricht die Verordnung von den „zum Allmosen-Sammlen priviligiirten Armen“. Dass damit die bisherige Tätigkeit des Bettelns gemeint ist, ergibt sich aus dem Umkehrschluss zur Begrenzung des Versorgungsraumes: Ohne das mit dem Namen des Ortes versehene Zeichen ist auch den als bedürftig anerkannten Armen das Betteln nicht gestattet.514 Während die zur Unterstützung berechtigten Armen positiv benannt werden als Alte und Gebrechliche, grenzt die Norm die Arbeitsfähigen indirekt von den anerkannten Armen aus. Das absolute Bettelverbot gilt für die einheimischen Arbeitsfähigen, denen kein Müßiggang gestattet ist und die durch scharfe Zwangsmittel zur Arbeit angehalten werden sollen. Bei anhaltender Untätigkeit werden die einheimischen arbeitsfähigen und arbeitsunwilligen Personen den ausländischen Bettlern gleichgestellt mit der Folge der Einweisung ins Zuchthaus. Selbst den Bedürftigen droht bei Verstoß gegen die Pflicht zum Tragen des Bettelzeichens der Entzug der Unterstützungsberechtigung. Diese ergänzende Detailregelung findet erstmals Aufnahme in die kurkölnische Fürsorge512 Der ordnungsgemäße Vollzug soll durch Strafgelder für Säumigkeiten sichergestellt werden. Um den Missbrauch der Wächteruniformen durch Vagabunden einzuschränken, sollen Abzeichen ausgestellt werden, vgl. Punkt 7 – 11 der Verordnung. 513 Der von Schlue (1957), S. 67 ff., 75 f., festgestellte Wandel der Strafarten im Kurfürstentum lässt sich bereits zu diesem Zeitpunkt feststellen. 514 Verordnung vom 24. 1. 1769 in VSC II, S. 86 – 90 (Nr. 302) Punkt 16: Ein Zeichen „denen zum Allmosen=sammlen privilegiirten Armen zustellen, mithin ohne demselben sich allen Bettlens unter Verlust des ihnen verstatteten Beneficii enthalten“.
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gesetzgebung. Nur in Ausnahmefällen ist die Ausweitung der Sammelerlaubnis auf andere Orte des jeweiligen Amtes zulässig. Die Kompetenz hierzu liegt bei den örtlichen Beamten des Amtes. Die noch 1748 bestehende Kontrollkompetenz der Hofkanzlei zur Sondererlaubniserteilung hat sich zu diesem Zeitpunkt wieder zurück auf die örtliche Ebene verschoben. Ergänzt wird diese Form der Unterstützung durch die Verteilung von Almosen, die in den Gottesdiensten gesammelt werden, wie sie schon aus der Verordnung vom 9. 7. 1715 und den Synodalbeschlüssen des 17. Jahrhunderts bekannt ist.515 Wohin das Wiederaufgreifen der wöchentlichen Kollekten führen wird, wird sich an späterer Stelle erweisen. Daneben steht die altbekannte Anweisung und Ermahnung zur besseren Aufsicht über die Stiftungen zugunsten der Armen und die Betonung der Rechnungslegungspflicht. Die Doppelnatur der Versorgungsstruktur wird an dieser Stelle offenkundig. Die territorialstaatliche Herangehensweise ist auch hier geprägt von der weltlichen Kontrolle und Nutzung von bereits existenten christlich geprägten oder kirchlichen Unterstützungsformen. c) Umsetzungsschwierigkeiten: Bettelzeichen und Passierscheine Während bereits die Gesetzessprache bei der Bestimmung des zulässigen Bettelns Schwierigkeiten hat, sind auch bei der Ausgabepraxis und der Geltungskontrolle Probleme mit den Bettelzeichen nachweisbar. Auffallende Ähnlichkeiten zwischen den Kurfürstentümern Trier und Köln sind hinsichtlich der Verständnisschwierigkeiten zwischen Regierungsebene und lokalen Beamten erkennbar.516 Anlass der Instruktionen ist der Kleinhandel der Bürger der Stadt Köln, die im umliegenden Erzstift ihre Waren anbieten, ohne hierzu berechtigt zu sein. Klarstellend wird betont, dass alleine die kurfürstlichen Pässe gültig seien zur Durchreise oder zur Berechtigung zum Hausieren. Zudem solle die Gültigkeitsdauer besser beachtet werden. Bedeutsam ist, dass vor dem Missbrauch der Pässe als Bettelberechtigungsscheine gewarnt wird. Den Beamten wird eingeschärft, dass die zur Durchreise oder zum Hausieren ausgestellten Pässe gerade keine Bettelberechtigung darstellen. Die Schwierigkeiten der nachgeordneten Stellen, zwischen Bettelscheinen, Passierscheinen, Reisepässen oder Hausiererlaubnisscheinen zu unterscheiden, werden überdeutlich. Ebenso deutlich ist das Bemühen, die gemeldeten Missbrauchsfälle durch eine verstärkte Kontrolle zu beseitigen. Die Problematik des Missbrauchs kurfürstlicher Pässe als Bettelberechtigung wird erst mit Abschaffung der Bettelerlaubnis entfallen, zumindest auf der Normebene. 4. Fortgang der Entwicklung im Jahr 1769 Die Verordnung vom Januar 1769 stellt erneut eine Zusammenfassung der bisherigen Maßnahmen dar. Sie weist allerdings mit dem Wiederaufgreifen der Kollekten in den Kirchen in die Richtung der Auftrennung der Versorgungsbeziehung zwischen 515 516
Verordnung vom 9. 7. 1715 in VSC II, S. 63 – 66 (Nr. 287), Punkt 7. Vergleiche das zu Kurtrier in Sechster Teil, A., IX., 4. besprochene Beispiel.
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Spender und Empfänger. Am Ende dieser Entwicklung steht das absolute Bettelverbot. Bevor man zu diesem Punkt gelangt, erfolgt zu Anfang des Jahres 1769 eine Erfassung der Bedürftigen. Ausgehend von den bisherigen Initiativen geschieht dies zunächst in der Residenzstadt Bonn. Dort werden alle Bonner Stadtbettler in einem Bericht erfasst, den die Hofkanzlei im April 1769 vorlegt. Der Bericht enthält detaillierte Angaben über die Anzahl und die persönlichen Umstände der Bettler.517 Nach diesem Bericht beträgt die Anzahl der einheimischen Bettler 143, während es darüber hinaus noch 26 fremde bettelnde Personen gibt. Erfasst werden unterschiedliche Typen von Bettlern, wozu sowohl die in den Verordnungen benannten Alten, Kranken oder unverschuldet in Not geratenen Personen als auch gelegentlich bettelende Personen mit einer unzureichenden Erwerbstätigkeit zählen. Zu den mitunter nicht zur Existenzsicherung ausreichenden Arbeiten gehören solche als Schuster, Schreiner, Tagelöhner, Wäscherin, Näherin oder Spinnerin. Auch Mütter mit Kindern, die auf die Unterstützung durch den Bettel angewiesen sind, lassen sich ebenfalls in der Liste nachweisen. Von einigen Bettlern ist bekannt, dass sie Kostgänger der Bonner Klöster sind. Hier offenbart sich zwar erneut die religiös geprägte Armenfürsorge in den Klöstern als Versorgungsmöglichkeit. jedoch stellt auch diese Form der Unterstützung nur einen Teil der benötigten Mittel zur Existenzsicherung dar.518 Die infolge des Berichtes vorgeschlagenen Maßnahmen des Hofrats halten sich an den Stand der Verordnung vom Januar 1769. Lediglich im Bereich der Aufteilung der Stadt in mehrere Armenbezirke und der Forderung nach Schaffung von Arbeitsplätzen für arbeitsfähige Arme sind Veränderungen zu erkennen. Der Vorschlag richtet sich auf die Gründung einer Tuchfabrik, damit sich die starken arbeitsfähigen Bettler ihre Kost selbst verdienen können. Dabei wird durchaus erkannt, dass es an tatsächlichen Möglichkeiten für die Betroffenen fehlt, der gesetzlich geforderten Arbeitspflicht nachzukommen.519 Um diese Vorschläge umsetzen zu können, wird durch Belderbusch eine Armenkommission eingerichtet, welche die weiteren Schritte plant. Angesichts der beabsichtigten Einrichtung eines Arbeitshauses mit entsprechenden Arbeitsmöglichkeiten bei der Tuchherstellung ist erkennbar, dass der Schritt zu einer vollständigen Abschaffung des Bettelns nicht mehr weit entfernt ist. Aus den Überlegungen der Armenkommission resultiert nach einigen Jahren eine Denkschrift, welche denn auch den Vorschlag zur Gründung eines Arbeitshauses mit dem Ziel der Abstellung des Gassenbettels und der Versorgung der Armen enthält.
517 Siehe Ennen (1962), S. 339 f.; Dorn (2005), S. 102; Ohm (1998), S. 217. Die Liste ist teilweise abgedruckt in Weinforth 1992, S. 108 ff. 518 Ennen (1962), S. 340. 519 Vgl. Ennen (1962), S. 339 f.; Schlue (1957), S. 44 f. Die Feststellung lautet, dass für die Armen „bey gegenwärtigen schlecht- und geldklemmigen Zeithen“ nicht genügend Arbeitsgelegenheiten bestehen.
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5. Flankierende Maßnahmen: Kornbevorratung und -austeilung Während sich eine Veränderung des Fürsorgesystems in Bonn abzeichnet, existieren zudem flankierende staatliche Unterstützungsleistungen, z. B. die Abgabe von Brotgetreide in Teuerungszeiten und bei Missernten, neben den bestehenden Versorgungsangeboten.520 Dieses Vorgehen entspricht den Maßnahmen, die im benachbarten Kurfürstentum Trier ebenfalls zum Tragen kommen.521 Am 10. 1. 1772 werden zum wiederholten Male Maßnahmen zur Abwendung einer Getreideteuerung ergriffen.522 Für Bonn und andere erzstiftische Städte werden die Einrichtung von Kornmagazinen angeordnet und Festpreise für Getreide festgesetzt. Der Verkauf soll nur an Untertanen erfolgen, die auf diese Vorräte angewiesenen sind. Dagegen sollen Händler und Branntweinhersteller hiervon ausgeschlossen sein. Diese Maßnahmen bilden ebenso wie in Kurtrier einen kleinen Mosaikstein zur Sicherung der Versorgungslage. Zusätzlich zielen diese Maßnahmen auch darauf, ein Abgleiten der betroffenen Bevölkerungsschichten wegen der überhöhten Preise in finanziell ausweglose Situationen für die Zeiten einer Hungerkrise zu verhindern. Kennzeichnend bleibt also, dass die Maßnahmen lediglich situativ und punktuell reagierend sind.
6. Einrichtung des Arbeitshauses und vollständiges Bettelverbot 1774 Während für das Herrschaftsgebiet des Kölner Kurfürsten keine landesweit angelegten Verordnungen für den Bereich des Bettel- und Armenwesens ergehen, konzentriert sich die kurfürstliche Gesetzgebung auf die Residenzstadt Bonn. Dort kommt es zu der Angleichung an den zeitgenössischen Stand der Fürsorgeorganisation und zur Einführung eines vollständigen Bettelverbots. Bemerkenswert ist die zeitliche Parallele der Einrichtung eines Arbeitshauses mit der Entwicklung im Kurfürstentum Trier: Mitte der 1770er Jahre werden in Koblenz und Trier Spinn- und Arbeitshäuser zur Bettelbekämpfung eingerichtet.523 a) Ziele des Bonner Arbeitshauses: Umstellung der Versorgungsform Die Einrichtung des Bonner Arbeitshauses fällt zusammen mit dem vollständigen Verbot des Bettelns, welches bis zu diesem Zeitpunkt zumindest auf normativer 520
So beispielsweise die Abgabe von Brotgetreide im Teuerungswinter 1771/1772, vgl. Ennen (1962), S. 343. 521 Vgl. zu Kurtrier die Ausführungen in Sechster Teil, A., X., 3. Ein Beispiel ist die Verordnung vom 6. 10. 1770 in LHAKo, 1C/19659. Dort wird zur Vorratsbildung von Getreide aufgrund von Missernten aufgerufen. 522 Verordnung vom 10. 1. 1772 in Scotti, Cöln I/2, S. 911 (Nr. 663). Wegen der Umsetzungsschwierigkeiten der prophylaktischen Maßnahme wird das Verbot des Branntweinbrennens im Erzstift jedoch bereits am 25. 2. 1772 aufgehoben. 523 Ob sich die Verzögerung zwischen der Erstellung der Bonner Bettler- und Armenliste und der Einführung eines Arbeitshauses auf das Abwarten der Erfahrungen mit dem Koblenzer Spinnhaus zurückführen lassen, ist eine Vermutung von Ohm (1998), S. 218.
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Ebene den Hauptgegenstand der Fürsorgegesetzgebung darstellt. Offensichtlich ist, dass man nunmehr annimmt, ein geeignetes Instrument zur Versorgung aller Armen, d. h. sowohl der arbeitsunfähigen als auch arbeitsfähigen, gefunden zu haben. Im November 1774 wird schließlich „das dem Publico so höchst-ersprießliche, als Gottsgefällige Werck“ fertig gestellt.524 In der hierzu verkündeten Verordnung macht die Armenkommission den finalen Schritt zum vollständigen Bettelverbot: Niemanden – auch nicht den Arbeitsunfähigen – ist nunmehr das Betteln in den Gassen und an den Häusern erlaubt. Die bisher übliche Versorgung durch den Bettel ist damit endgültig abgelöst worden durch die wöchentlich vorzunehmende staatliche Zuteilung von Geldleistungen. Die Verbindung von Spender und Empfänger im Rahmen des christlichen Almosens ist nun auch in Kurköln aufgespalten zugunsten der territorialstaatlichen Kontrolle über das Fürsorgewesen. In besonders gelagerten Einzelfällen erfolgt im Arbeitshaus eine Versorgung von Personen aufgrund von Rechtsgeschäften, die mit dem Einkauf als Pfründner in ein Hospital vergleichbar sind.525 Insgesamt vereint die Bonner Einrichtung Elemente eines Armen- und Arbeitshauses. Für die arbeitsfähigen Bedürftigen existieren nunmehr staatlich offerierte Beschäftigungsmöglichkeiten. Das Bonner Arbeitshaus ist auf Wollspinnerei ausgelegt und bietet zu Beginn der Arbeitsaufnahme am 21. 11. 1774 Arbeitsmöglichkeiten für 160 Personen in diesem Bereich an.526 Neben dem Angebot von Arbeitsplätzen hat die Erziehung zum katholischen Glauben, der durch entsprechenden religiösen Unterricht und Gottesdienste gefördert werden soll, einen besonderen Stellenwert. Die Erziehung der Kinder zur Arbeitstätigkeit ist ebenfalls durch eine entsprechende Beschäftigung als ein Zweck der Einrichtung vorgegeben.527 So können aus Sicht des Gesetzgebers ideal mehrere Ziele in Gestalt des Arbeitshauses miteinander verbunden werden: Versorgung der Armen mit Unterstützungsleistungen und Arbeit sowie die Entfernung der Bettler von den Straßen, die nun „auch dem publico nimmermehr zur last fallen“. Insbesondere durch die Beschäftigung der Kinder und Jugendlichen will man die künftigen Müßiggänger, die als schädlich für das Staatswesen eingeschätzt werden, verhindern.528 Zusätzlich wird in späteren Jahren für die medizinische Behandlung der Stadtarmen gesorgt. Zuständig sind hierfür ein Arzt, ein Wundarzt 524
Schlue (1957), S. 45. Siehe Ennen (1962), S. 340. So übertrug die Jungfer Martha Scharmack, die zuvor eine wöchentliche Unterstützung von 30 Stübern bezog, nach einer Erbschaft von 100 Gulden dieses Vermögen an das Arbeitshaus unter der Bedingung, dass ihre Armenrente auf 40 Stüber und den Genuss der Zinsen erhöht werde. 526 Schlue (1957), S. 47. Die Festlegung auf die Tuchherstellung ist eine weit verbreitete Herangehensweise, vgl. Schubert (1990), S. 300 f. 527 Siehe Ennen (1962), S. 340; Schlue (1957), S. 56 f. Man will den Anblick verhindern, „daß derlei Kinder nackend und bloß herumgehen, ohne Erziehung und Religion bleiben, mithin heut oder morgen sicher als schlechtes unerzogenes Gesindel dem Staat sehr schädlich fallen.“ Dass diese Verknüpfung von Ausbildung und Arbeit im Spinnhaus für Kinder optimal ist, ist eine weit verbreitete zeitgenössische Vorstellung, vgl. Schmidt (2008b); Weiss (2006), S. 170. 528 Vgl. Ennen (1962), S. 340; Schlue (1957), S. 54. 525
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und eine Hebamme, die ebenfalls aus der Armenkasse entlohnt werden und nach einer kurfürstlichen Verordnung von 1787 von den Armen unentgeltlich in Anspruch genommen werden können.529 b) Finanzierung Neben den in Lohn stehenden Beschäftigten versorgt das Arbeitshaus nach einer Liste des Jahres 1781 an die 492 Arme, die regelmäßig eine Zuteilung erhalten. Die Spenden für eine Person beträgt 06 – 30 Stüber wöchentlich, die Gesamtspendensumme 127 Speciestaler 11 Stüber.530 Mit der Abschaffung des Gassenbettels und der Versorgung durch Leistungen des Armenhauses stellt sich daher die Frage nach der Finanzierung der Unterstützungsleistungen. Die von Edith Ennen als „eine etwas peinlich wirkenden Mischung mittelalterlicher Frömmigkeit und staatlicher Wirtschaftspolitik“ bezeichnete Einbeziehung herkömmlicher christlicher Liebestätigkeit zeigt den Zwiespalt auf, der nicht nur für die geistlichen Kurfürstentümer charakteristisch ist. Dem Ziel der zentralen Kontrolle der Versorgung und damit letztlich der Abschaffung der ungelenkten privaten Mildtätigkeit steht der Zwang zur Finanzierung gegenüber. Bei der Finanzierung ist man mangels anderer Quellen gerade auch auf die christliche Liebenstätigkeit angewiesen. Dementsprechend fußt die Finanzierung in Bonn im Wesentlichen auf drei Quellen: Spendensammlungen bei den Bonner Bürgern, testamentarische Stiftungen und Zuweisung von hälftigen Gebührenanteilen bei Meisterprüfungen und Beförderungen im Staatsdienst.531 Ergänzt werden diese Quellen durch den Versuch, auf die Rentgefälle der Bonner Hospitäler zurückzugreifen, was jedoch nur teilweise erfolgreich ist.532 Allen Maßnahmen zur Finanzierung ist gemeinsam, dass sie den bereits existenten Formen der Mittelbeschaffung entsprechen. Die Sicherung der Armenfürsorge durch Anteile an Sondergebühren ist bereits aus Kurtrier und Kurmainz bekannt.533 Die Umwidmung von bestehenden Hospitalgefällen ist für Bonn schon im Jahr 1715 nachweisbar und deckt sich mit entsprechenden Vorschriften der PSKO von 1748.534 Die Sammlungen von 529
Ennen (1962), S. 341. Siehe Ennen (1962), S. 340. Zusätzlich werden noch 17 Arme mit Extraspenden versorgt sowie sieben Expectanten. 531 Schlue (1957), S. 48. 532 Ennen (1962), S. 342. Das Rentgefälle der Leprosie wird bereits seit 1715 mangels Bedarf für die Stadtarmen verwandt. Des Weiteren wird auch zwangsweise Kapital eingezogen, wie aus der Einziehung der Bestände der Huberti-Schützenbruderschaft im Jahr 1781 hervorgeht. 533 Ein Beispiel für eine solche Zusatzfinanzierung lässt sich im Kurfürsten Bayern anhand der Widmung des Faßgroschens zugunsten der Armenkasse finden, vgl. Schepers (2000), S. 50. In Kurmainz wird beispielsweise die Schornsteinfegerlizenz zugunsten des Armenhauses versteigert, vgl. den Befehl vom 13. 8. 1750 in StAMz, LVO. Zu weiteren Beispielen ergänzender Finanzierung der territorialstaatlichen Fürsorgeleistungen vgl. Sachße/Tennstedt 1980, S. 108 ff.; Scherner (1979), S. 89. 534 Vgl. dort Punkt X der PSKO, der die Verwendung von Armenstiftungen für die Ausbildung und Versorgung mit notwendigen Kleidern für Jugendliche und damit eine so nicht vorgesehene Verwendung vorschlägt. 530
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Spenden für das Armenhaus ersetzen das unmittelbare Almosen an den Bettler und stehen in der Tradition der bisher in den Gottesdiensten erfolgten Sammlungen. Die Sammlung der Spenden erfolgt ähnlich wie für die Residenzstadt Koblenz in Kurtrier über die Aufnahme in entsprechende Spendenlisten. Ziel dieser Listen ist bezeichnenderweise, dass die Sammlungen durchgeführt werden sollen, „um alle mitleidige Seelen der Theuren Empfindungen wiederhohlter Christlicher Liebesübungen nicht zu berauben“. Die Kollekten an Sonn- und Feiertagen sollen fortgesetzt und durch die in Gasthäusern aufgestellten Armenbüchsen ergänzt werden.535 Gerade die Aufstellung von Sammelbüchsen in Gasthäusern ist eine aus Kurmainz seit längerem bekannte Einrichtung zur Finanzierung des dortigen Armenhauses.536 Was schon zuvor für die Fürsorgegesetzgebung im Kurfürstentum Trier festzustellen ist, gilt somit auch für das Kurfürstentum Köln: Ohne den Rückgriff auf die tradierten Motive der Armenunterstützung besteht keine Finanzierungsbasis. Aus der christlich motivierten Unterstützung und der entsprechenden Sorge um das seelische Heil heraus ergeben sich die Spannungen zwischen der wirtschaftlichen und erzieherischen Ausrichtung der Arbeitshäuser. Besonders deutlich wird dies bei den zugunsten des Arbeitshauses eingerichteten Testamenten und Stiftungen. Die Gräfin von Satzenhoven stiftet dem Arbeitshaus 1000 Florin unter der Bedingung, dass die Armen für ihr und ihrer Verwandten Seelenheil wöchentlich eine Messe hören sollen.537 Dies erinnert stark an die bereits aus dem Mittelalter bekannten Vorgaben der Stiftungen an die Hospitäler. Es wirkt zumindest nicht kongruent, wenn den Armen der Besuch der Messe erlassen wird, um die Arbeit im Haus nicht zu stören. An diesem Eindruck ändert es nichts, dass der Erlass unter der Bedingung steht, einen Rosenkranz zu beten. Das Erziehungsziel und die Aufrechterhaltung der Arbeitstätigkeit haben einen Stellenwert erreicht, dem es zwar noch nicht vollständig zukommt, die christlichen Motive zu verdrängen. Indes ist eine Gewichtsverschiebung zugunsten der Beschäftigung der Bedürftigen mit Arbeiten deutlich erkennbar. Ein Beispiel hierfür ist auch die Umsetzung der Arbeitsmöglichkeit für Kinder und Jugendliche. Als man 1783 sich wegen der schlechten finanziellen Lage im Arbeitshaus nicht im Stande sieht, entsprechende Arbeiten anzubieten, greift man auf klösterliche Einrichtungen zurück. Dem Kloster zu den „Welschen Nonnen“ wird statt Geld oder Lebensmitteln zur Unterstützung ein Vorrat an Garn zugewiesen, damit sich die dort untergebrachten Jugendlichen daraus Socken herstellen können.538
535 536
Schlue (1957), S. 48. Vgl. nur die Verordnung vom 22. 8. 1710 in StAMZ, LVO; Rösch (1929), Anhang, S. 3 –
11. 537 538
Vgl. Ennen (1962), S. 340 f.; Schlue (1957), S. 58 f. Schlue (1957), S. 55 f.
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c) Schwierigkeiten bei der Finanzierung in den Folgejahren Letztlich bleibt trotz der Abschaffung des Bettelns und der Einrichtung staatlich gesteuerter Fürsorgeeinrichtungen der Territorialstaat bei der Frage der Finanzierung auf die bisherige christlich geprägte Spendenbereitschaft angewiesen. Mehr noch, er ist sogar darauf angewiesen, sie aktiv zu halten. Denn erst aus der Befürchtung heraus, dass „die gesinnungen des haufens veränderlich und der bisherige eifer der Bürgerschaft erkalten dörffte“, versucht man durch die Erhöhung von Gebühren zusätzliche Mittel zu erschließen.539 Die weitere Entwicklung des Arbeitshauses beweist, dass die erschlossenen Finanzierungsquellen nicht ausreichend sind. Die Erwartung, der Betrieb des Arbeitshauses könne genügend Gewinn zur Deckung der Kosten abwerfen, erweist sich ebenfalls als unzutreffend.540 Die Armenkommission ist schon bald nach Inbetriebnahme genötigt, Obligationen aufzunehmen, um den Bedarf zu decken. Durch die Schwierigkeiten bei dem Absatz der Wollprodukte kommt es bereits Ende Dezember 1774 zu Engpässen bei den Rohstoffen und dazu, dass nur noch die Hälfte der anfänglich Beschäftigten tätig ist.541 Auch eine auf 40 Jahre angelegte Verpachtung des Betriebes an einen privaten Unternehmer führt trotz der Gewährung weit reichender Monopole nicht zu den erwünschten Ergebnissen. Der ohnehin aufgrund seines reformierten Bekenntnisses von Anfang an vom Domkapitel beargwöhnte Lütticher Tuchfabrikant erweist sich bereits nach einem Jahr als unfähig, und die Tuchfabrikation steht vor dem Ruin.542 Mehrfach ist das Arbeitshaus daher auf finanzielle Zuwendungen des Kurfürsten selbst angewiesen, der auf Veranlassung Belderbuschs für ein halbes Jahr die Bezahlung der 120 Beschäftigten aus der Hofkasse sicherstellt.543 Erst mit einer Neuordnung der Produktionsstätten im Jahr 1784 und nach der Einsetzung eines neuen Verwalters sind wieder ungefähr 400 Menschen in dem Arbeitshaus beschäftigt.544 Mit dem Ende der kurfürstlichen Herrschaft durch den Einmarsch der Franzosen endet gleichfalls das staatliche Arbeitshaus.545
539
Siehe Schlue (1957), S. 48. Dies gilt für nahezu alle Zucht- und Arbeitshäuser, vgl. Schubert (1990), S. 300. Eine Ausnahme zu diesen „Zuschussbetrieben“ ist alleine das Bayreuther Zuchthaus, in dem Marmor weiterverarbeitet wird. 541 Siehe Schlue (1957), S. 47. 542 Vgl. Ennen (1962), S. 319; Schlue (1957), S. 52 f. Sowohl die geschäftliche Unerfahrenheit des Alexis Hermanns als auch die Abgelegenheit der Produktionsstätte im Poppelsdorfer Schloß sind als Ursachen des Scheiterns genannt. 543 Ohm (1998), S. 229. 544 Das Armenhaus selbst erwirbt zur Deckung seines Finanzbedarfs Obligationen früherer Kurfürsten vom Domkapitel, was im Jahr 1782 durch die Bestätigung durch Kurfürst Maximilian Friedrich zu einem Vermögensbestand von 14 775 Reichstalern führt, vgl. Ennen (1962), S. 342. 545 Das Arbeitshaus wird im 19. Jahrhundert durch Initiativen Bonner Bürger weitergeführt, vgl. Schlue (1957), S. 54. 540
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d) Bedeutung des Bonner Arbeitshauses Die Schwierigkeiten bei der Ablösung des traditionellen Fürsorgesystems werden mit der Errichtung des Arbeitshauses erneut offenbar. Ohnehin nur auf das Gebiet der Residenzstadt Bonn beschränkt, vermehrt die ständige territorialstaatlich gelenkte Verteilung von Unterstützungsleistungen und Arbeits- bzw. Verdienstmöglichkeiten den Bedarf an entsprechenden Finanzierungsmitteln. Der Rückgriff auf die christliche Nächstenliebe als Triebfeder der finanziellen Unterstützung reicht alleine nicht aus und führt zudem zu einer Fortexistenz tradierter religiöser Vorstellungen. Die zusätzlichen Finanzierungsquellen erweisen sich als nicht tragfähig. Zwar steigt durch das Arbeitshaus kurzfristig das Beschäftigungsangebot, sinkt jedoch im Verlauf der kommenden Jahre wieder ab. Die Erkenntnis, dass zumeist nur finanzielle Zuwendungen aus der Hofkasse das Überleben des Arbeitshauses sichern, führt nicht zur nahe liegenden Schlussfolgerung: die Notwendigkeit einer Umstellung auf eine vollständige Finanzierung aus dem Staatshaushalt und damit letztlich aus Steuermitteln. Nicht zuletzt die Zielsetzung des Arbeitshauses als Ort der Erziehung zu nützlichem aber auch gottesfürchtigem Leben spricht gegen einen Bruch mit der christlichen Tradition der Fürsorge. Die Verbindung zur bisherigen Tradition durch die Betonung des Stellenwerts eines christlichen Lebens lässt weiterhin einen Rückgriff auf das als Geldquelle fungierende Almosen zu. Die Konzeption einer sich selbst tragenden Tuchfabrik erweist sich trotz wechselnder Verwalter und trotz der Privilegien als teure Illusion.546 .
e) Fortexistenz des Bettels trotz des Arbeitshauses Die Schwierigkeiten selbst für den begrenzten Raum der Residenzstadt den Normanspruch auf ein vollständiges Bettelverbot auch faktisch durchzusetzen, belegt die Verordnung für die Stadt Bonn vom 9. 8. 1777.547 Während der österreichische Gesandte anlässlich seines Besuchs im Jahr 1776 voll des Lobes ist und feststellt, dass „das Ordnungswesen in Bonn und die dafür eingeschlagenen Maßnahmen jedem Fremden ins Auge fallen“, beurteilt dies der Gesetzgeber im darauf folgenden Jahr bereits anders. Unabhängig von den sich schon abzeichnenden finanziellen Schwierigkeiten des Arbeitshauses ist ein anderer Missstand handlungsauslösendes Moment.548
546 Insofern ist die Schlussfolgerung Ohms zu relativieren, der den Grund für das Anwachsen der Beschäftigtenzahl im Arbeitshaus vor allem in der Person des Verwalters Bertram zu verorten scheint, vgl. Ohm (1998), S. 231 f. Dagegen ist die Einbeziehung der städtischen Einrichtungen in das Gesamtkonzept der wirtschaftlich wahrscheinlichere Grund. 547 Verordnung vom 9. 8. 1777 in StAMs, KKE Bd. 41, Nr. 54; Scotti, Cöln I/2, S. 972 (Nr. 716). 548 Schlue (1957), S. 47.
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f) Erneuerung des strafbewehrten Almosenspendeverbots Den Anlass zum Tätigwerden bildet wie üblich die Meldung über die mangelnde Befolgung der Bettelverbote. Die Nichtbeachtung des ausnahmslosen Bettelverbots führt aus Sicht des Normgebers zu einer Belästigung der Öffentlichkeit und der Reisenden. Dies wird als eine umso unanständigere Verhaltensweise empfunden, als wegen der Versorgungsmöglichkeiten im Arbeitshaus der Grund für den Bettel endgültig entfallen sei. Infolge dessen wird nochmals das ausnahmslose Verbot des Bettelns wiederholt, gleichgültig in welcher Form sich das Betteln vollzieht.549 Als Sanktion droht den Bettlern ein sechswöchiger Zuchthausaufenthalt. Mit der Abschaffung des Bettels als Versorgungsform geht erstmalig ein lückenloses Almosenspendeverbot einher. Die zuvor bestehenden Möglichkeiten des direkten Auswahlkontakts zwischen Spender und dem mit einem Bettelzeichen versehenen Armen sind auf normativer Ebene endgültig beseitigt. Gegen den Übertreter des Almosenspendeverbots ist eine Geldstrafe in Höhe von 10 Goldgulden zu verhängen. Die Höhe der Geldstrafe entspricht der einst durch die Verordnung vom 17. 10. 1705 bzw. der Polizeiordnung von 20. 9. 1723 angedrohten Sanktion. Diese Sanktion war indes begrenzt auf das Spenden von Almosen für die nicht zugelassenen stadtkölnischen Mendikanten oder Bettler ohne Bettelzeichen.550 Um die Durchsetzung der Verbote zu fördern, wird den Denunzianten eines Verstoßes die Hälfte des Strafgeldes in Aussicht gestellt – eine aus der Kurtrierer Armenordnung von 1736 bereits bekannte Praxis. Zusätzlich wird zur Umsetzung der Verbote die Unterstützung durch die Militärgarnison in Aussicht gestellt.551 Damit ist der letzte Schritt getan. Die ursprüngliche Beziehung bedürftiger Bettler und Almosenspender unterliegt nun vollständig Verbotstatbeständen mit Sanktionsdrohungen für beide Seiten. Aus der Logik der staatlichen Steuerung der Versorgungsleistungen ergibt sich zwangsläufig, dass zum einen für das Verhalten des Bedürftigen, das Betteln, zum anderen für das Verhalten des Spenders kein Raum mehr bleiben kann. Beiden wird jeweils der Weg gewiesen zur territorialstaatlich kontrollierten Instanz des Arbeitshauses. Das Arbeitshaus ist nunmehr Abnehmer der christlichen Nächstenliebe, ja sogar auf deren materiellen Erträge angewiesen mit allen Folgen einer schwindenden Motivation. Außerdem ist das Arbeitshaus alleinige Anlaufstelle für die Nachfrage und die Gewährung von Unterstützungsleistungen. g) Geltungsgrenzen des uneingeschränkten Bettelverbots Der Gegenstand des Vorwurfs der Nichtbeachtung der Verbote „des aufm Lande überhaupt sowohl als auch insbesondere in hiesiger unserer Residenzstadt Bonn be549 Hier werden wieder die typischen Formen des öffentlichen Bettelns an den Kirchen, Häusern, Straßen oder vor den Stadttoren beschrieben. 550 Vgl. Sechster Teil, B., II., 1., a). 551 Dass die Unterstützung durch das kurfürstliche Militär auch umgesetzt wird, belegt der Befehl vom 13. 2. 1782 in Scotti, Cöln I/2, S. 972 (Nr. 716, Anm.). Dort wird das Militär angewiesen, durch die Torwachen fremde Bettler abzuweisen und auf Ansuchen der Bettelvögte bei der Verhaftung Amtshilfe zu leisten.
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triebenen offenen Bettelganges“ könnte mit dem Bezug auf entsprechende Verbote in Verordnungen der Vorgänger Maximilian Friedrichs darauf hindeuten, dass das ausnahmslose Bettelverbot im gesamten Herrschaftsgebiet Bestand hat. Wie sich jedoch aus dem Bezug auf die Gegebenheiten der Residenzstadt ergibt, ist letztlich nur eine auf den eingrenzbaren Raum von Bonn und Umgebung zielende Regelung getroffen worden. Dafür spricht der Bezug auf die Verteilung von Unterstützungsleistungen durch das Arbeitshaus, für welches sich keine entsprechenden Institutionen im übrigen Herrschaftsgebiet finden lassen.552 Darüber hinaus sind die Adressaten der Verordnung ausdrücklich mit „Bürgermeister, Scheffen, und Rath“ der Residenzstadt Bonn benannt, ohne dass weitere Beamte des Kurfürstentums einbezogen sind. Zudem spricht der Blick auf die bisherige Gesetzgebung gegen ein auf das gesamte Herrschaftsgebiet ausgeweitetes vollständiges Bettelverbot. Zwar werden durch die Verordnung vom 22. 10. 1732 einige Erscheinungsformen des Bettels verboten, dennoch bleibt der Bettel um Almosen Versorgungsgrundlage. Gerade daran ändern auch die Polizeiordnungen von 1748 und 1749 nichts, ebenso wie die Verordnung vom 24. 1. 1769. Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass das Kurfürstentum Köln zwar den Schritt zu einem vollständigen Bettelverbot macht und über die bloße Reglementierung des privaten Almosens hinausgeht. Indes bleibt diese Gesetzgebung auf den Raum der Residenzstadt Bonn begrenzt. 7. Umzug des Zuchthauses von Kaiserswerth nach Bonn Mit der Einrichtung des Arbeitshauses in Bonn hat das Stock- und Zuchthaus in Kaiserswerth sein Gegenstück gefunden. Nunmehr stehen beide Funktionen sich ergänzend zur Verfügung: zum einen die Möglichkeit mittels Versorgungsleistungen und Arbeitsmöglichkeiten die Bedürftigen zu unterstützen, zum anderen die Möglichkeit, durch Arbeitszwang und Arbeitsstrafe Arbeitsunwillige und Vagabunden zu disziplinieren. Als im Jahr 1772 nach einer diesbezüglichen Entscheidung des Reichskammergerichts Kaiserswerth von der Kurpfalz eingelöst wird und damit an das Herzogtum Jülich-Berg zurückfällt, ergibt sich die Notwendigkeit der Rückverlegung des dort ansässigen Stock- und Zuchthaus. Die Einrichtung zieht daraufhin nach Bonn, wo bereits 1768 ein Gebäude durch die rheinischen Landstände angekauft wird.553 Die Organisation und Verwaltung fällt zugleich in den Zuständigkeitsbereich der rheinischen Landstände. Die Finanzierung des Stock- und Zuchthauses beruht auf Steuern und Abgaben, soweit sie nicht durch die Erlöse der im Stockhaus gefertigten Waren gedeckt ist. Die Einrichtung in Bonn verfügt für einen gewissen Zeitraum über eine Abteilung für ungeratene Kinder.554 Die Niederlassung in Bonn stößt indes auf
552
Vgl. Schlue (1957), S. 46. Auch Scotti, Cöln I/2, S. 972 (Nr. 716), spricht von einer auf die Stadt Bonn begrenzten Armenversorgung. 553 Schlue (1957), S. 13. 554 Die Dauer dieser Einrichtung ist nicht genau bestimmbar. Die Kinder konnten aufgrund einer Einweisung durch die Eltern auf deren Kosten zur Besserung untergebracht werden. Auch
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den Widerstand der Bürger, so dass 1794 das Stockhaus aufgrund eines Unterhaltsvertrags in die Stadt Neuß umzieht. Das Stock- und Zuchthaus findet 1797 letztmalig in den Archivalien Erwähnung und wird 1807 durch den Neubau eines Arresthauses ersetzt. Ein Jahr später wird in der ehemaligen Benediktinerabtei Brauweiler nach französischem Vorbild eine Bettleranstalt („dépôt de mendicité“) für 500 Bettler errichtet, die ebenfalls eine strafrechtliche Bekämpfung des Bettlerunwesens mittels Arbeitszwang zum Ziel hat.555 8. Plan zur Einrichtung eines Zuchthauses in Arnsberg Ein der Bonner Einrichtung entsprechender Bau in der Stadt Arnsberg wird zwar für das Herzogtum Westfalen im Jahr 1781 beschlossen und 1783 durch die Grundsteinlegung auch begonnen. Jedoch macht der Bau in den folgenden Jahren nur geringe Fortschritte und ist bis zum Einmarsch der Franzosen im Jahr 1793 nur zur Hälfte vollendet. Die Fertigstellung des Stockhauses unterbleibt schließlich nach Klagen der Landstände wegen der hohen Kosten und der „nutzlosen Belastung“, obwohl bereits der Entwurf einer Zuchthausordnung vorliegt. Diese ähnelt in ihrem Inhalt dem Bonner Pendant. Die Einrichtung soll zum einen der Bestrafung und Besserung von Verbrechern dienen, zum anderen starke Bettler durch leichtere Arbeiten dergestalt anlernen, dass sie „später nützliche Glieder des Staates“ werden. Ebenso wie für Bonn ist hierzu die Einrichtung einer Fabrik geplant.556 Letzten Endes wird jedoch nie der vorgesehene Betrieb aufgenommen. Somit existiert während der gesamten Herrschaft der Kölner Kurfürsten nur ein aktives Stock- und Zuchthaus. 9. Funktionsaufteilung: Polizeiarbeitshaus und Zuchthaus im engeren Sinn Der im Jahr 1736 angestrebte Verwendungszweck des Stock- und Zuchthauses erfährt im Verlauf der Zeit einen Wandel. Die zunächst zur Aufnahme und Korrektion von ausländischen arbeitsfähigen Bettlern und Vagabunden gegründete Einrichtung wird zunehmend auch dazu verwandt, Straftäter, säumige Schuldner und Geisteskranke unterzubringen.557 Die funktionale Überladung des Zuchthauses wird auch daran erkennbar, dass sowohl bettelnde Studenten als auch Müßiggänger, die an Sonntagen dem Kegelspiel nachgehen, in das Zuchthaus eingewiesen wer-
die Kinder, deren Eltern selbst zur Zuchthausstrafe verurteilt worden sind, mussten ab dem sechsten Lebensjahr dort mitarbeiten, vgl. Schlue (1957), S. 27. 555 Schlue (1957), S. 13 – 15. Zur weiteren Entwicklung des Armen- und Bettlerwesens unter der französischen Herrschaft, vgl. die Ausführungen zur Stadt Köln bei Dorn (1990). 556 Vgl. Schlue (1957), S. 13 f., 39 ff. 557 Schlue (1957), S. 61 f. Zu den Zuständen im Zucht- und Polizeiarbeitshaus vgl. ebda. S. 71 ff.
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den.558 Dies hat zur Folge, dass angesichts der fehlenden organisatorischen Trennung die unterschiedlichen Aufenthaltszwecke nicht mehr verwirklicht werden können. Im Rahmen der Justizreformen des letzten Kölner Kurfürsten Maximilian Franz, einem Bruder Kaiser Josephs II. von Österreich, kommt es neben den Veränderungen im Gefängniswesen auch zur Auftrennung des Zuchthauses in ein Polizeiarbeitshaus und in ein Zuchthaus im engeren Sinn. Am 3. 8. 1790 ergeht die entsprechende Verordnung, in der auf Bitten der Landstände eine räumliche Trennung entsprechend den jeweiligen Strafzwecken angeordnet wird.559 Grundlage der Verordnung ist ein entsprechender Gesetzesentwurf der Landstände, die dem Durcheinander der Verwendung durch Polizeibehörde, Strafgericht und städtischer Wohlfahrtspflege nicht länger zusehen wollen. Die Insassen werden nunmehr entsprechend den Aufenthaltszwecken kategorisiert. Die Voraussetzung für eine getrennte Behandlung der Klassifikationen ist die räumliche Auftrennung in das Polizei-Landarbeitshaus und das Zuchthaus im engeren Sinne in einem anderen Flügel des Gebäudes. Beide Abteilungen sind nicht mehr miteinander verbunden. Zur Zuchthausstrafe bestimmt § 1 der Verordnung alleine Täter von schweren oder entehrenden Verbrechen, soweit nicht die Todesstrafe verhängt ist. „PolizeiVerbrecher“, worunter im Wesentlichen die umherziehenden starken Bettler und Vagabunden zu zählen sind, sollen gemäß § 2 grundsätzlich zur Polizeiarbeitshausstrafe verurteilt werden. Nur ausnahmsweise ist zwecks einer nachdrücklicheren Erziehung die Einweisung ins Zuchthaus vorgesehen. Die Entscheidung, ob Zuchthaus- oder Polizeiarbeitshausstrafe verhängt wird, wird in das Ermessen des Richters gestellt. Dabei soll vor allem das Strafmaß entscheidend sein und regelmäßig ab einem Jahr Strafe ins Zuchthaus verwiesen werden. Jedoch besteht auch die Möglichkeit, bei längerer Strafzeit unter Berücksichtigung der Umstände eine Polizeiarbeitshausstrafe zu verhängen. a) Ziele des Polizeiarbeitshauses: Besserung und Korrektion Das Ziel des Polizeiarbeitshauses ist deutlicher als zuvor die Besserung und Korrektion der Insassen durch Gewöhnung an die tägliche Arbeit. Um einen Missbrauch des Polizeiarbeitshauses zu verhindern, bestimmt man in § 13 mit klaren Worten: Keinesfalls sollen die Ortsobrigkeiten auf den Einfall kommen, „durch dieses Strafmittel sich einiger in ihrem Bezirke wohnender, ihnen lästiger, etwa kränklicher, und sonstiger Armen“ bei minderen Vergehen zu entledigen. Dieses Verhalten wird nicht nur als ungerecht betrachtet, sondern hat auch die Amtsenthebung und Bestrafung der jeweiligen Beamten zu Folge. Ausdrücklich bestimmt zudem § 11, dass eine Verurteilung zum Polizeiarbeitshaus keine Entehrung darstellt. Der ehemalige Insasse ist 558 Siehe die Verordnung vom 3. 7. 1751 in VSC II, S. 82 f. (Nr. 296); Scotti, Cöln I/2, S. 769 (Nr. 528) (Studenten) sowie die Verordnung vom 11. 5. 1770 in VSC II, S. 53 – 55 (Nr. 279); Scotti, Cöln I/2, S. 903 – 906 (Nr. 651) (Müßiggänger). 559 Verordnung vom 3. 8. 1790 in StAMs, KKE Bd. 43, Nr. 7; Scotti, Cöln I/2, S. 1181 – 1184 (Nr. 922).
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daher „als ein ehrbarer Mensch“ anzusehen. Ob man alleine durch diese Erklärung dem Problem des schlechten Ansehens der ehemaligen Insassen abhelfen konnte, erscheint bereits angesichts der im Zusammenhang mit den Insassen verwandten Semantik des „nutzlosen Gesindels“ zweifelhaft.560 Eine andere Form der Nutzbarmachung der als „arbeitsunwillig“ Eingestuften ist die bereits in Verordnungen zu Beginn des 18. Jahrhunderts vorgesehene Verwendung zum Militärdienst. Statt einer länger als ein Jahr andauernden Polizeiarbeitshausstrafe besteht die Möglichkeit, bei entsprechender körperlicher Verfassung, zur Einreihung in das kurfürstliche Militär.561 Zu den Zielgruppen des Polizeiarbeitshauses gehören Wilderer, unverbesserliche Säufer oder Verschwender ebenso wie fremde Bettler und Vagabunden. Bemerkenswert ist, dass wie schon zuvor alleine der Umstand des Bettelns an sich die Strafe nach sich zieht. Jedoch wird erneut betont, dass grundsätzlich in diesen Fällen, die Polizeiarbeitshausstrafe vorzuziehen sei. Die Verordnung enthält weiterhin noch Regeln zur bisherigen Praxis des provisorischen Verschickens aus dem gesamten Herrschaftsgebiet ins Zuchthaus. Man ist bemüht, das Verschicken ins Zuchthaus auf die ausdrücklich bestimmten Fälle zu begrenzen. Nur Bettler und Vagabunden sind, falls keine weiteren Straftaten nachzuweisen sind, direkt ins Arbeitshaus zu verschicken. Für den Fall, dass darüber hinaus noch Straftaten begangen worden sind, bleibt es bei der bisherigen Praxis des Landesverweises nach Absitzen der entsprechenden Zuchthausstrafe.562 b) Auswirkungen der Zuchthausreform Durch die Zuchthausreform stehen auf der normativen Ebene voneinander deutlich getrennte Institutionen zur Verfügung, um alle bislang erfassten Gruppen entsprechend zu behandeln. Die Versorgung der Bedürftigen mit Unterstützungsleistungen und das Arbeitsangebot vollziehen sich im Arbeitshaus, die mit Zwang verbundene Erziehung zur Arbeit erfolgt im Polizeiarbeitshaus, und das Zuchthaus steht als Strafmittel für Verbrecher zur Verfügung. Angesichts des nur wenige Jahre später durch die Französische Revolution ausgelösten Exils des Kurfürsten und des Endes seiner Herrschaft ist die Auswirkung letztlich begrenzt.
560 Vgl. das Beispiel in Kurmainz, wo bereits aufgrund der zerlumpten Kleidung von Arrestanten eine schlechte Ehrbarkeit befürchtet wird und dementsprechende Gegenmaßnahmen getroffen werden müssen, Reskript vom 22. 12. 1785 in StAMZ, LVO. 561 Verordnung vom 3. 8. 1790 in StAMs, KKE Bd. 43, Nr. 7; dort § 12; Schlue (1957), S. 69 f. 562 Verordnung vom 3. 8. 1790 in StAMs, KKE Bd. 43, Nr. 7; dort § 7 – 9.
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X. Flankierende Maßnahmen 1. Reduktion religiös bedingter Sondertatbestände: Geistlicher Bettel Während der Bettel als Versorgungsform der Bevölkerung im Gebiet der Residenzstadt ohne Ausnahme gesetzlich abgeschafft und verboten ist, fehlen bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts entsprechende Maßnahmen zur Einschränkung oder Aufhebung der Sonderrolle der Mendikantenorden. Lediglich für die auswärtigen Kölner Minoriten beinhaltet die zuvor dargestellte Verordnung vom 17. 10. 1705 entsprechende Verbote. Nur wenige Monate vor vergleichbaren Maßnahmen im Kurfürstentum Trier ergeht indes am 20. 7. 1770 eine Verordnung, die für die aus dem Herzogtum Jülich-Berg kommenden Mendikanten ein Verbot des Bettelterminierens ausspricht.563 Während sich das Verbot in Kurtrier auf alle auswärtigen Mendikantenklöster bezieht und anlässlich einer Missernte ergeht, ist das Verbot für die Klöster aus Jülich-Berg in einem anderen Zusammenhang zu sehen. Zwar stützt sich auch der Trierer Kurfürst auf die Vorgehensweise anderer Territorien, jedoch nutzt er die Notsituation des Getreidemangels als weitere Argumentationshilfe für sein Vorhaben. Die kurkölnische Maßnahme erfolgt demgegenüber im zeitlichen Kontext mit der Auseinandersetzung um die Rückgabe der verpfändeten Stadt Kaiserswerth und reagiert auf ein gegen die kurkölnischen Mendikantenklöster gerichtetes Bettelverbot in Jülisch-Berg. Als Gegenmaßnahme steht ein vergleichbares Verbot mit gleichartigen Sanktionen. Die aus der Verordnung von 1705 bekannte Strafe für das Almosengeben an unberechtigte Sammler wird wiederholt.564 Obgleich die Regulierung des geistlichen Bettels relativ zurückhaltend erfolgt, greift man nach vergleichsweise kurzer Entwicklungszeit zu Sanktionen gegen den Almosengeber. Dass man eine Abschaffung des geistlichen Bettels insgesamt anstrebt, lässt sich noch im Jahr 1770 nicht erkennen. Dafür spricht auch, dass die verbotswidrig gesammelten Almosen konfisziert und den einheimischen kurkölnischen Mendikantenklöstern übergeben werden sollen. a) Ausweitung des Verbots des Terminierens Das Verbot des Terminierens zum Almosensammeln für auswärtige Bettelorden wird zu Beginn der Regierungszeit des Kurfürsten Maximilian Franz am 15. 12. 1784 ausgeweitet.565 Die kurkölnische Gesetzgebung reagiert damit auf ein gegenüber den Kurkölner Mendikantenklöstern geltendes Verbot durch die Verordnung des Kurfürstentums Trier vom 11. 11. 1784.566 Den Mendikantenklöstern aus dem Kurfürstentum Trier wird gleichfalls das Almosensammeln überhaupt untersagt 563 Verordnung vom 20. 7. 1770 in VSC II, S. 55 f. (Nr. 280); Scotti, Cöln I/2, S. 907 (Nr. 653). 564 Während die Strafe 1705 10 Goldgulden beträgt, ist sie nunmehr auf 2 Goldgulden festgesetzt. 565 Verordnung vom 15. 12. 1784 in StAMs, KKE Bd. 42, Nr. 60; Scotti, Cöln I/2, S. 1100 (Nr. 793). 566 Verordnung vom 11. 11. 1784 in Scotti, Trier III, S. 1353 (Nr. 801).
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und die Beschlagnahme der widerrechtlich gesammelten Almosen angedroht. Anders als 1770 sollen die beschlagnahmten Gelder allerdings nicht mehr den ansässigen Mendikantenorden zufallen, sondern unter den Untertanen aufgeteilt werden. Am 1. 4. 1791 wird das Verbot des Terminierens auf alle stadtkölnischen Mendikantenorden ausgeweitet.567 Als Grund für dieses Verbot wird die Klage der Landstände angeführt, die sich durch die große Anzahl von Almosensammlungen der Bettelmönche belastet fühlen. Wieder wird die Konfiskation des zu Unrecht Gesammelten angeordnet und anders als bisher als Prämie für den Anzeigenden ausgelobt. In seiner Eigenschaft als Erzbischof erlässt Kurfürst Maximilian Franz weitere eingrenzende Regelungen. Am 11. 5. 1791 ergeht eine Weisung an die kurkölnischen Mendikantenklöster, die Aufnahmebeschränkungen zu beachten.568 Nunmehr sollen keine Novizen unter 25 Jahren aufgenommen werden. Die Aufnahme von auswärtigen Mönchen unterhalb dieser Altersgrenze ist ebenfalls untersagt. b) Verbote in der Folgezeit und Zulassung von Ausnahmeregelungen Das Verbot des Terminierens wird auch im Vest Recklingshausen am 10. 11. 1791 auf alle auswärtigen Mendikanten ausgeweitet.569 Auf Beschluss des Kurfürsten setzten die örtlichen Beamten das Verbot in das lokale Recht um und verweisen zudem auf die Prämierung des Anzeigenden mit dem konfiszierten Sammlungserlös. Eine Ausnahme vom Bettelverbot für auswärtige Mendikantenorden wird alleine für die Minoriten aus Duisburg gemacht. Die Möglichkeit von Ausnahmegenehmigungen ist indes auch für das Erzstift nachweisbar. In dem Befehl vom 14. 3. 1792 wird das Missfallen darüber geäußert, wie wirkungslos die vorherige Verordnung vom 1. 4. 1791 geblieben ist.570 Es wird festgestellt, dass trotz des Verbots weiterhin stadtkölnische Mendikanten im Erzstift terminieren. Infolgedessen wird das Verbot erneut wiederholt. Jedoch wird übergangsweise den Kapuzinern (bis zum 8. 6. 1792), den Karmelitern (bis zum 4. 5. 1793) sowie den armen Klarissen (bis auf Widerruf) zeitlich befristet und örtlich begrenzt das Termnieren noch gestattet. Es bleibt bei der zuletzt üblichen Prämierung des Anzeigenden durch die konfiszierten Almosen. c) Resümee zum Umgang mit dem geistlichen Bettel Anders als beim Bettel als Versorgungsform für die Untertanen lässt sich für die Sonderrolle des geistlichen Bettels kein vollständiges Bettelverbot feststellen. Die seit dem 16. Jahrhundert diskutierte Frage, ob auch der geistliche Bettel zu verbieten sei, findet ebenso wie in Kurtrier in der territorialstaatlichen Gesetzgebung keine ab567
Verordnung vom 1. 4. 1791 in StAMs, KKE Bd. 44, Nr. 232; Scotti, Cöln I/2, S. 1188 f. (Nr. 933). 568 Weisung vom 11. 5. 1791 in Scotti, Cöln I/2, S. 1190 (Nr. 938). 569 Verordnung vom 10. 11. 1791 in HSAD, KK II 3115 II, Nr. 80. 570 Befehl vom 14. 3. 1792 in HSAD, KK II 3122, Nr. 177; Scotti, Cöln I/2, S. 1189 (Nr. 933, Anm.).
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schließende Antwort. Indes ist in beiden Kurfürstentümern eine Reduktion der Möglichkeiten für auswärtige Mendikantenorden feststellbar. Analog zu dem Vorgehen gegen fremde Bettler bzw. Unterstützungssuchende wird den auswärtigen Mendikanten der Zugriff auf die kurkölnischen Almosenspenden in der Endphase des Kurfürstentums verwehrt. Die Verbote erweisen sich nicht zuletzt aufgrund der dargestellten Ausnahmeregelungen als durchlässig. Zur Abschaffung des geistlichen Bettels kann sich auch der letzte Kölner Kurfürst nicht durchringen. 2. Verbot des studentischen Bettelns Das Betteln der Studenten um Unterstützung stellt ebenso wie in Kurfürstentum Trier einen Sonderfall dar, der im Laufe des 18. Jahrhundert zunehmend reglementiert wird. Der gerade in Krisenzeiten nicht immer einfache Umgang mit dem studentischen Bettel drückt sich in der bereits dargestellten kurkölnischen Verordnung von 1751 aus. Die dort erfolgte Gleichstellung von unberechtigt bettelnden Studenten mit Vagabunden unterwirft die Studenten der Sanktion der Zuchthausstrafe. Am 16. 3. 1781 und am 14. 3. 1783 werden die 1751 ausgesprochenen Verbote des studentischen Bettels für sämtliche Herrschaftsgebiete des Kurfürsten erneut wiederholt.571 Im Fokus stehen die ausländischen Studenten, zu denen vor allem die Luxemburger zählen. Ihnen ist bei der zuvor genannten Zuchthausstrafe jeglicher Bettelgang untersagt. Um schon im Vorfeld möglichen Verstößen vorzubeugen, droht die gleiche Sanktion, falls die Studenten ohne gültige Pässe unterwegs sind. Ausdrücklich wird festgestellt, dass der Bettel der auswärtigen Studenten eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und eine Belastung der Bevölkerung darstellt. Die im 16. Jahrhundert eröffneten Ausnahmeregelungen auf reichsrechtlicher Ebene sind somit Ende des 18. Jahrhunderts nicht mehr gegeben. 3. Vorgehen gegen Müßiggang Das Ziel des Staates, die Untertanen zu einem gottgefälligen und arbeitsamen Leben anzuhalten, lässt sich neben den Vorschriften zum Arbeits- und Zuchthaus in weiteren Normen feststellen. Die Sonn- und Feiertagsverordnungen für das Erzstift enthalten Regelungen, die als Sanktion für Müßiggang eine Stockhausstrafe nach sich ziehen. Ein Beispiel dafür ist die Verordnung vom 11. 5. 1770.572 In dieser Verordnung greifen die aus erzbischöflicher Macht erlassene Sonntags- und Gottesdienstordnung und territorialstaatliche Normen ineinander. Unter Punkt 8 wird verboten, an Sonnund Feiertagen Vergnügungen wie Kegelspielen nachzugehen. Diesen „zum Unterhalt des Müßiggangs nur abzweckende Zusammenkünften“ gilt das mit einer Brüch571 Verordnung vom 16. 3. 1781 und Verordnung vom 14. 3. 1783 in Scotti, Cöln I/2, S. 769 (Nr. 528, Anm.); HSAD, KK II 3119. 572 Verordnung vom 11. 5. 1770 in VSC II, S. 53 – 55 (Nr. 279); Scotti, Cöln I/2, S. 903 – 906 (Nr. 651). Die Verordnung bezieht sich auf zahlreiche bereits erlassene Normen gleichen Inhalts.
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tenstrafe belegte Verbot. Um den Wert der Arbeit zu betonen und zu schützen, sieht sich der Kurfürst zu weiteren Maßnahmen gezwungen. Aufgrund ähnlicher Vorfälle wird denjenigen, die Handarbeiten herabwürdigen oder gar zerstören, mit der Strafe des Stockhauses gedroht. Hier wird nicht nur offenbar, dass der Strafzweck des Stockhauses immer mehr ausgeweitet wird. Zudem wird die Arbeitstätigkeit als solche geschützt und dem ethischen Wert der Arbeit besondere Bedeutung beigemessen. Die Verordnung, die am 21. 7. 1770 ebenfalls im Herzogtum Westfalen verkündet und im Jahr 1784 wiederholt wird,573 gehört nicht zu der primär mit der Armenfürsorge verbundenen Gesetzgebung. Deutlich wird indes, dass die in den Verordnungen zur Fürsorge und Bettelbekämpfung enthaltenen Aussagen zur Arbeitspflicht durch diese Anordnungen ergänzt werden. Was für die Insassen des Stockhauses oder für die im Arbeitshaus tätigen Personen gilt, wird auch von der übrigen Bevölkerung gefordert: die Nutzung der eigenen Arbeitskraft und die Verhinderung von Müßiggang. Die Erziehung der Jugendlichen im Arbeitshaus zur christlichen Lehre und zum tugendhaften, d. h. arbeitsamen Leben, wird in Punkt 6 der Sonntagsordnung für alle übrigen Jugendlichen vorgeschrieben. Die kurfürstlichen Beamten werden dazu angehalten, die Umsetzung der Unterrichtung in christlicher Lehre zu überwachen. Die Vorschrift gibt einen Hinweis darauf, dass es sich hierbei um konkrete Vorgaben handelt, da an den Unterrichtstagen bezahlte erwachsene Viehhüter zur Entlastung der Jugendlichen anzustellen sind.
4. Repressive Maßnahmen: Seuchen-, Bettlerund Vagabundenbekämpfung Im Bereich der repressiven Maßnahmen weist die Regierungszeit der beiden letzten Kurfürsten keine Neuerungen gegenüber dem vorherigen Stand auf. Die Verordnungen zur Seuchenbekämpfung enthalten hergebrachte Anordnungen, wie sich aus der Verordnung vom 26. 9. 1770 für das gesamte Herrschaftsgebiet des Kurfürsten ergibt.574 Die mobilen Vagabunden und fremden Bettler sind ebenso wie andere Gruppen von Reisenden an der Einreise zu hindern. Auf den Verstoß steht nach Ablauf der unmittelbaren Kerkerhaft eine einjährige Stock- oder Zuchthausstrafe mit körperlichen Züchtigungen. Die Ausdehnung der funktionalen Zuständigkeit des Stockhauses ist hier deutlich erkennbar. Die sich hieraus ergebende „Allzuständigkeit“ für verbotswidriges Verhalten nicht nur mobiler Personengruppen führt letztlich zu der bereits besprochenen Justizreform der 1790er Jahre. Der Aufenthalt im Stockhaus bleibt dessen ungeachtet weiterhin die primäre Sanktion für die sich im Erzstift aufhaltenden Vagabunden und fremden starken Bettler, wie sich aus dem Befehl vom 2. 9. 1775 ergibt.575 Dieser bezieht sich unter anderem auf die Verordnung vom 13. 10. 1763 und 573
Verordnung vom 21. 7. 1770 in HSAD, KK II 3118, Nr. 152 f.; Scotti, Cöln I/2, S. 906 (Nr. 651, Anm.). 574 Verordnung vom 26. 9. 1770 in StAMs, Archivbibliothek 13 S 42, Bd. 2, Anh. Nr. 127; Scotti, Cöln I/2, S. 908 f. (Nr. 656). 575 Befehl vom 2. 9. 1775 in StAMs, KKE Bd. 41, Nr. 83.
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droht den kurfürstlichen Beamten bei fehlendem Vollzug Strafgelder an. In der Verordnung vom 12. 12. 1775 wird auf ein sich aus den Sonderregelungen für Brandopfer ergebendes Problem eingegangen.576 Neben den bereits dargestellten Reaktionen auf Missbräuche beim Passwesen steht der Betrug mit Bescheinigungen über Brandschäden der benachbarten Grenzbewohner im Vordergrund. Den Grenzbewohnern wird vorgeworfen, zu Unrecht unter Vortäuschung nicht eingetretener Unglücksfälle im kurfürstlichen Herrschaftsgebiet Geld zu sammeln. Das so gesammelte Almosen werde danach in den Wirtshäusern verprasst. Um diesen Umstand zu begegnen, sind die kurfürstlichen Beamten zu strengeren Kontrollen aufgerufen. Den Tätern wird mit der Strafbarkeit als „falsarii“, als Betrüger, gedroht. Die unter falschen Voraussetzungen gesammelten Almosen werden somit weiterhin als Betrug am freiwillig handelnden Spender aufgefasst. Soweit die Ausnahmeregelungen in den Polizeiordnungen von 1748/1749 eine Auflockerung des Sammelverbots für Fremde darstellen, ist nunmehr das Bemühen um eine Eingrenzung erkennbar. Zwar erfolgt keine Abschaffung des Sondertatbestandes, indes ist ein erster Schritt zur Einengung der Praxis erkennbar. Einen anderen Aspekt greift die Verordnung vom 1. 3. 1776 zum wiederholten Male auf.577 Diese Norm schützt ebenfalls die Freiwilligkeit des Entschlusses des Almosenspenders, jedoch nicht vor Täuschung, sondern vor Zwang. Wie bereits aus zahlreichen anderen Verordnungen bekannt, z. B. der Verordnung vom 9. 7. 1715, soll die Erpressung von Almosen durch Branddrohungen verhindert werden. Um gegen die Drohungen durch die Brandbriefe vorzugehen, werden Kontrollen angeordnet und die Gerichte zur Beachtung der kurfürstlichen Rechtsauffassung angewiesen. Die stets virulenten Probleme bei der Kontrolle von Reisenden beschäftigen die kurfürstliche Gesetzgebung bis zu ihrem Ende. Die Kontrolle von Pässen auf ihre Gültigkeit stellt eine Hauptaufgabe der lokalen Beamten dar. Dagegen wird die Ausstellung von Reisepässen auf die zentralen Behörden der jeweiligen Herrschaftsgebiete übertragen, wie sich beispielhaft aus der Verordnung vom 19. 1. 1791 und dem Regulativ für die Bonner Hofkanzlei vom 5. 3. 1792 ergibt.578 Für alle Reisenden ohne gültige Papiere gilt, dass sie alleine aufgrund dieses Umstands als Vagabunden anzusehen sind und entsprechend mit Stockhausstrafe belegt werden sollen. Dies gilt sowohl für kaiserliche Soldaten auf dem Rückmarsch579 als auch für Reisende, die ihre Pässe als Berechtigungsscheine zum Bettel missbrauchen.580 Die Sorge um die allgemeine Sicherheit ist Triebfeder für die Kontrollen, die eine Befreiung des Erzstifts von Vagabunden und „Bettelgesindel“ bezwecken. 576 Verordnung vom 12. 12. 1775 in Scotti, Cöln I/2, S. 965 (Nr. 700); StAMs, KKE Bd. 1, Nr. 151. 577 Verordnung vom 1. 3. 1776 in HSAD, KK II 3119. 578 Verordnung vom 19. 1. 1791 in Scotti, Cöln I/2, S. 1186 (Nr. 926, Anm.); Regulativ vom 5. 3. 1792 in StAMs, KKE Bd. 44, Nr. 195. 579 Verordnungen vom 14. 1. 1785 und vom 7. 11. 1785 in Scotti, Cöln I/2, S. 1101 f. (Nr. 794). 580 Verordnung vom 19. 1. 1791 in Scotti, Cöln I/2, S. 1186 (Nr. 926, Anm.); Verordnung vom 18. 4. 1792 in StAMs, KKE Bd. 44, Nr. 181, Scotti, Cöln I/2, S. 1197 (Nr. 948).
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Die Gesetzestechnik der Generalverdächtigung der Reisenden, die nur für gültige Pässe eine Ausnahme vorsieht, bleibt während der gesamten Entwicklung schwierig. Die Umsetzung der Anforderungen an die Reisepässe und die sich hieraus ergebenden Probleme durch Fälschung oder Ungültigkeit beschäftigen die kurfürstliche Gesetzgebung, ohne dass es zu einer endgültigen Lösung kommt. 5. Sonderfälle: „Bettelhochzeit“ und „Bettelherberge“ Die Möglichkeiten der Bevölkerung, sich zu kostenintensiven Lebensentscheidungen wie einer Heirat oder einem Hausbau eine finanzielle Unterstützung der Verwandten und Angehörigen zu verschaffen, liegen außerhalb der staatlich beeinflussten Sozialsphäre. Eine dieser Möglichkeiten ist die Veranstaltung von Geldsammlungen anlässlich der jeweiligen Feste, um so zu einer Finanzierung zu gelangen.581 Zwar stehen diese nicht unmittelbar in Verbindung zum territorialstaatlichen Armen- und Bettelrecht. Jedoch ist ebenso wie bei der Verdrängung des Bettels als Versorgungsform ein Zurückdrängen dieser Unterstützungsart erkennbar. Beispielhaft ist hier die Verordnung vom 17. 12. 1785 für das Vest Recklinghausen zu nennen.582 In dieser Verordnung wird unter Bezug auf vorangegangene gleichartige Normen die Veranstaltung dieser Feste verboten oder zumindest stark reglementiert. Hochzeitsfeste sind nur noch für die Dauer von einem Tag zugelassen, dagegen sind Richtfeste, in den Worten des Gesetzgebers „Mistfeste“, oder andere ähnliche „Bettelfeste“ untersagt bei entsprechender Brüchtenstrafe. Unabhängig vom anders gelagerten Kontext ist dem Bereich der Armenversorgung vergleichbar, dass die private Verknüpfung Spender und Empfänger durch die territorialstaatliche Kontrolle aufgehoben oder eingeschränkt wird. Die Verordnung wird in den Folgejahren am 2. 10. 1792 erneut wiederholt und insbesondere bezüglich der Veranstaltung von Richtfesten bei Kleinbauten weiter verschärft.583 Einer anderen Besonderheit ist die Verordnung vom 12. 5. 1792 geschuldet.584 Die bisherigen Maßnahmen gegen umherziehende Vagabunden, worunter auch die so genannten Betteljuden gezählt werden, setzten sich in dieser Verordnung fort. Bemerkenswert ist an dieser Norm, dass an die Existenz von Bettelherbergen angeknüpft wird. In diesen Unterkünften vermutet man aufgrund des Zusammentreffens der mobilen Personengruppen Konspirationen zur Begehung von Raub und Diebstahl. Wie bereits zuvor wird daneben auch der Verdacht der Übertragung gefährlicher Krankheiten durch diese Personen geäußert. Für alle Betteljuden, Vagabunden oder fahrenden Spielleute gilt weiterhin im Kurfürstentum das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Sanktionsdrohung des Zuchthauses. Die bisherigen Aufenthaltsorte und 581
Ein Beispiel aus Salzburg im 17. Jahrhundert beleuchtet Schindler (1994), S. 165 ff. Verordnung vom 17. 12. 1785 in Scotti, Cöln I/2, S. 1113 f. (Nr. 812). 583 Verordnung vom 2. 10. 1792 in HSAD, KK II 3115 II, Nr. 81. 584 Verordnung vom 12. 5. 1792 in HSAD, KK II 3122, Nr. 160; Scotti, Cöln I/2, S. 1197 (Nr. 948, Anm.). 582
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Übernachtungsmöglichkeiten in den Bettelherbergen sind ebenfalls verboten. Im Übrigen werden die hergebrachten Instrumente zur Kontrolle und Ausweisung der im Kurfürstentum nicht erwünschten Personen wiederholt. Eigentümlich ist, dass die Praxis der Unterstützung von fremden umherziehenden Juden durch die kurkölnischen jüdischen Gemeinden Gegenstand der kurfürstlichen Rechtssetzung ist. Die einheimischen Juden werden angewiesen, entsprechend den Regelungen für die christliche Bevölkerung keinem Fremden mehr Unterstützung aus ihren Almosenkasten zu gewähren. Vielmehr sollen diese alleine den einheimischen armen Juden „richtiger und reichlicher“ zugewendet werden. Hier werden die Grundsätze des Gebots, alleine die einheimische Bevölkerung zu versorgen, auf die jüdischen Gemeinden übertragen. Dem entspricht es, dass analog der Verkündung der kurfürstlichen Verordnungen von den Kanzeln durch die Pastoren die Publikation dieser Norm durch die Rabbiner in den Synagogen befohlen wird. In der Gesamtschau lässt sich darin eine konsequente Umsetzung der geltenden Grundsätze für alle Lebensund Religionssphären lesen: das Primat der Versorgung der einheimischen Bevölkerung und das Bettelverbot für ausländische Personen.
XI. Verordnungen in den letzten Jahren des Kurfürstentums Der im Jahr 1794 erfolgte Einmarsch der französischen Revolutionsarmeen und die Besetzung der später abgetretenen linksrheinischen Gebiete schränken die gesetzgeberischen Möglichkeiten weiter ein. Die Bewahrung zumindest eines Restes des Herrschaftsgebietes in Westfalen hat von nun an oberste Priorität. Mit dem Tod des Kurfürsten Maximilian Franz im Juli 1801 und dem Vertrag von Lunéville im selben Jahr, durch den alle linksrheinischen Gebiete an Frankreich fallen, ist das Ende des Kurstaates absehbar. Die verbliebenen Restgebiete werden durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 säkularisiert und auf die benachbarten Territorien aufgeteilt. Bereits zuvor sind in den verbliebenen Herrschaftsgebieten des Kölner Kurfürsten Auflösungstendenzen erkennbar, die im Zusammenhang mit dem Ende des geistlichen Territorialstaats zu sehen sind. In diesen letzten Jahren der kurfürstlichen Herrschaft wechselt der Aufenthaltsort des Kurfürsten von Westfalen über Frankfurt nach Wien. Während des Aufenthalts in Frankfurt ergeht am 26. 1. 1797 die Verordnung für das Vest Recklinghausen, in welcher die Aufhebung aller Lebensmittelstiftungen angeordnet wird.585 Ausdrücklich aus erzbischöflicher und kurfürstlicher Macht heraus reformiert der Kurfürst das Kirchenrechnungswesen inklusive der Ausgaben und Vergütung der Ortspfarrer. Die Verwendung von Armenrenten für die Bezahlung von Pastoren, Küstern oder Lehrern ist nunmehr untersagt, wobei eine Ausnahme für die Unterrichtung armer Kinder zu machen ist. Die Aufhebung aller Lebensmittelrenten wird mit dem üblichen Missbrauchsargument begründet, nämlich dass das Brot zumeist fremden oder müßigen Personen zugute komme. Die Situation hat sich dahingehend entwickelt, dass sich das Missbrauchsargument 585
Verordnung vom 26. 1. 1797 in Scotti, Cöln I/2, S. 1240 f. (Nr. 1021).
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auf der normativen Ebene als wirkungsmächtiger erweist als die zuvor durch die Jahrhunderte wiederholte Betonung der Bewahrung des Stiftungszwecks. Die nunmehr freiwerdenden Güter sollen meistbietend verkauft werden und die Erlöse durch den Pfarrer an die einheimischen Armen verteilt werden. Es wird betont, dass die Pflicht der Pfarrer, für das Armenwesen zu sorgen, unentgeltlich ist. Zechereien auf Kosten der Armenkasse werden ausdrücklich verboten. Im Exil erfolgt also für das Vest Recklinghausen zumindest die Säkularisierung der Lebensmittelrenten, was einen Fingerzeig auf die nur wenige Jahre später erfolgte Säkularisierung aller kirchlichen Güter bietet. Die solchermaßen erfolgte Aufhebung der Rentenwidmung steht daher untrennbar im Zusammenhang mit den Konsequenzen der Revolutionskriege. 1. Vorrang der Armutsprävention vor christlicher Almosenlehre Der dergestalt beschleunigte Wandel der Auffassung wird in der Kirchenordnung vom 14. 7. 1798 für das Vest Recklinghausen besonders deutlich.586 In dieser auf eine erzbischöfliche Generalvisitation der Vestischen Pfarreien reagierenden Norm wird die Sorge für Arme und deren Notwendigkeiten als die dritte Hauptpflicht der Pfarrer dargestellt. Neben Vorschriften zu Gottesdienst und Sittenzucht wird die Rolle der Pfarrer als treue Haushälter und Väter der Armen betont. Um dem nach Auffassung des Kurfürsten unverdienten Vorwurf der eigenmächtigen oder willkürlichen Verteilung der Armengelder entgegenzuwirken, wird die Zuziehung eines Armenprovisors bei den Austeilungen angeordnet. Einen bemerkenswerten Bruch mit der Tradition des Almosenverständnisses stellt die Aussage dar, dass der Armutsvorbeugung ein weit größeres Verdienst zukommt als der Wohltätigkeit. Das Lob für die Pfarrer, die Spinnstuben eingerichtet haben, enthält die Feststellung, dass dies das stärkste Mittel gegen Armut sei. Die so verstandenen präventiven Maßnahmen durch Arbeitsangebote sollen ergänzt werden durch die Einrichtung von Industrialschulen und die Ausbildung der Jugend. Die Steigerung der Produktivität durch das Erlernen von Handarbeiten für Mädchen und der Obstbaumveredlung für Jungen steht nach Ansicht des Gesetzgebers untrennbar mit dem Wachstum des Wohlstands in Verbindung. Selbst unter Berücksichtigung der besonderen Rahmenbedingungen dieser im Namen des Kölner Erzbischofs und Kurfürsten erlassen Norm ist ein prägnanter Deutungswandel erkennbar. Die Verdienstlichkeit des Almosens mit dem beiderseitigen Nutzen für Empfänger und Spender ist vollkommen zurückgetreten hinter der Erwägung, der Armut durch irdische Maßnahmen ein Ende bereiten zu können. Im Gegensatz zur immer noch auf christliche Nächstenliebe gestützten Finanzierung der Unterstützungsleistungen hat sich die konträre Auffassung der präventiven Armutsbekämpfung argumentativ durchgesetzt – wenn auch nur räumlich begrenzt und unter den Vorzeichen der Säkularisierung des gesamten geistlichen Kurfürstentums. Trotz der Singularität der Kirchenordnung in der Endzeit der Gesetzgebung ist die Art
586
Kirchenordnung vom 14. 7. 1798 in HSAD, KK II 3122, Nr. 4 – 6.
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und Weise, wie mit der christlichen Tradition des Almosens gebrochen wird, bemerkenswert. 2. Armenordnung der Stadt Werl von 1801 Im letzten Regierungsjahr von Maximilian Franz ergeht am 12. 3. 1801 schließlich noch eine Verordnung zum Armenwesen der Stadt Werl im Herzogtum Westfalen.587 Diese auf einer Vorlage des hiermit beauftragten westfälischen Ratsherren und Domkapitulars von Weichs beruhende Verordnung bleibt wiederum in den gewohnten Bahnen der Fürsorgeorganisation: Unter Aufsicht des Magistrats ist eine Armenkommission einzurichten, der neben den beiden Bürgermeistern und dem Pfarrer zwei weitere vorzuschlagende Mitglieder angehören. Die Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung soll durch wöchentliche Sitzungen und die Rechnungslegung sichergestellt werden. Die Amtsausübung steht in der christlichen Tradition der Nächstenliebe und soll aus Liebe zu Gott und den Nächsten erfolgen. Einen Schritt weiter als bisher geht man dadurch, dass die Kommission nunmehr für alle Armenfonds inklusive der Verwaltung des Hospitals zuständig ist. Die notwendigen Mittel sind durch zwei Sammlungen pro Monat in der Gemeinde sowie aus dem Klingelbeutel zu bestreiten. Die aus Kurmainz bekannte Praxis des Aufstellens von Almosenbüchsen in Gaststätten, die dort durch die letzte Reform im Jahr 1786 wegen ihrer Unwirksamkeit abgeschafft wurde, wird in Werl ungeachtet dessen erneut aufgegriffen.588 Zwar zieht man die Möglichkeit dürftiger Kollekten in Betracht, indes hält man die Ermahnung durch die Pfarrer und die Berichte der Kommission für ausreichend, genügend Spendenmotivation zu wecken. Insoweit hat sich nichts an der Grundüberzeugung von der Leistungsfähigkeit der christlichen Nächstenliebe geändert. In den Vorschriften zur Dienstausübung der Wachtmeister und Bettelvögte ist die Bestimmung enthalten, diesen ein höheres Salär zukommen zu lassen, um so einer Zusammenarbeit zwischen Bettelvogt und Bettlern den Anreiz zu nehmen.589 Zu diesem Zweck ist, anders als in der Kirchenordnung, zugelassen, dass Hospitalsrenten oder die bisher für den Stadtmusikus vorgesehene Entlohnung hierzu herangezogen wird. Im Unterschied zum Vest Recklingshausen wird hier ausdrücklich klargestellt, dass die Stiftungen selbst unangreifbar sind und die Befugnis der Kommission sich nur auf die Renten und Zinsen bezieht. Die bereits in der Kirchenordnung desselben Jahres erwähnte Einrichtung von Industrialschulen soll auch in Werl erfolgen. § 13 legt entsprechend den bisherigen Unterstützungskriterien der Arbeitsunfähigkeit und Zugehörigkeit die Berechtigung zum Empfang von Leistungen fest. Es besteht für Tagelöhner die Möglichkeit zusätzlicher Unterstützungsleistungen. 587
Verordnung vom 12. 3. 1801 in HSAD, KK II 3123, Nr. 68 ff. Die Einführung einer Armenbüchse in den Gaststätten findet sich erstmals in der Armenordnung vom 22. 8. 1710 in Rösch (1929), Anhang, S. 3 – 11; StAMz, LVO. Die Abschaffung der Armenbüchsen beruht auf der Erkenntnis, dass diese mehr Staub als Geld enthalten, vgl. das Konzept zur Fürsorgereform 1786 in StAMz, LVO. 589 Zu diesem Problem mit Beispielen zum Zusammenwirken der Beteiligten vgl. Bräuer (2002), S. 140 f. 588
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Auch für die Wohnungsrenovierung oder die Krankenversorgung kann die Kommission Zuschüsse gewähren. Die Erziehung von armen Kindern oder Waisen zu einem Handwerk, die aus dem Fokus der kurfürstlichen Gesetzgebung im 18. Jahrhundert verschwunden ist, wird an dieser Stelle aufgegriffen. Man ist überzeugt, durch die Austeilung der Leistungen eine ausreichende Versorgung sicherzustellen. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass wie bereits zuvor den Leistungsempfängern bei Verstoß gegen das Bettelverbot eine Sperrzeit droht. Bemerkenswert ist gerade im Zusammenhang mit der Ausbildungspflicht für die Jugendlichen, dass die Eltern für Unterstützungsleistungen gesperrt werden, wenn der Schulbesuch verhindert wird.590 Insgesamt greift diese städtische Norm auf bereits bekannte Strukturen zurück, ohne sie wesentlich zu verändern. Lediglich im Bereich der Verfügungsgewalt über Rentgefälle und der Einrichtung einer städtischen Armenkommission sind Neuerungen erkennbar. Teilweise greift man, wie am Beispiel der Armenbüchse erkennbar, auf aus anderen Territorien bekannte, aber überholte Instrumente zurück. Die christliche Mildtätigkeit wird als Finanzierungsmittel immer noch als ausreichend oder zumindest als einzig nutzbares Mittel angesehen, eine Versorgung der Armen sicherzustellen.
XII. Repressive Maßnahmen nach dem Tod von Maximilian Franz Nur wenige Monate nach dem Tod des letzten Kurfürsten und vor Ende der Existenz des Kurfürstentums Köln ergeht durch die übergangsweise regierenden Prälaten und Kapitularen des Domstifts Köln am 2. 6. 1802 eine letzte Verordnung.591 Bezeichnenderweise wiederholt diese lediglich die repressiven Maßnahmen der Verordnungen vom 24. 1. 1769 und 12. 5. 1792. Noch einmal wird fremden Bettlern und Vagabunden die Einreise in das Herzogtum Westfalen verboten. Da das Bonner Stock- und Zuchthaus nicht mehr zur Verfügung steht, wird auf die ursprüngliche Sanktionskette von Auspeitschen, Brandmarken und Landesverweis zurückgegriffen.
XIII. Resümee und Ausblick Im Vergleich zum Beginn des 18. Jahrhunderts, als sich die Armenfürsorge auf dem im 16. Jahrhundert erreichten Stand befindet, ist zum Ende des Ancien Régime eine Weiterentwicklung zunächst unverkennbar. Die Einrichtung des Stock- und Zuchthauses, später des Arbeitshauses, die – wenn auch räumlich begrenzte – Um590 Die Verantwortlichkeit der Eltern für den Bettel der Kinder ist bereits aus der Verordnung von 1774 für die Residenzstadt Bonn bekannt. Neu ist der Aspekt, dass die Eltern nicht nur für die Verhinderung des Bettelns der Kinder verantwortlich sind, sondern auch deren Schulausbildung sicherstellen müssen. 591 Verordnung vom 2. 6. 1802 in HSAD, KK II 3123, Nr. 78.
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stellung der Unterstützungsform vom Bettel auf zentral gesteuerte Austeilungen stellen eine Anpassung an die in den Reichsterritorien gängige Gesetzeslage dar. Der Prozess selbst läuft gerade hinsichtlich der Abschaffung des Bettels als Versorgungsform im Vergleich zum Kurfürstentum Trier zeitlich versetzt ab. Zur Finanzierung der Fürsorge wird immer noch auf die christliche Nächstenliebe als Motivation zurückgegriffen. Mehr und mehr dient die Spende nur als Ergänzung der Zuschüsse des kurfürstlichen Hofes zum Betrieb des Arbeitshauses und der Unterstützungsleistungen. Die persönliche Beziehung zwischen Spender und Empfänger ist vollständig unterbrochen und der Staat in beide Richtungen als Kontrollinstanz dazwischengetreten. Zu einer Umkehr des freiwilligen Almosens in eine verbindlich zu erbringende Steuerleistung ist es ebensowenig wie in Trier gekommen.
Siebter Teil
Zusammenfassung der Ergebnisse Wie in der Einleitung formuliert, ist es das Anliegen dieser Untersuchung, Unterschiede und Gemeinsamkeiten der territorialstaatlichen Armenfürsorgegesetzgebung der geistlichen Kurfürstentümer Köln und Trier herauszuarbeiten. Nachgeprüft werden sollte, inwiefern sich die Besonderheit des geistlichen Kurfürstentums, in dem der Kurfürst und Erzbischof zugleich weltliches wie geistliches Oberhaupt ist, im Umgang mit den tradierten Formen der Fürsorge bemerkbar macht. Hierbei sollte neben Fragen der Zuständigkeiten auch der Blick auf die gesetzgeberischen Instrumente gerichtet werden, welche im weiteren Sinne zur Armenfürsorgegesetzgebung gehören. Intendiert war darüber hinaus, Kontinuitäten und Brüche in der Deutung der christlichen Nächstenliebe erkennbar zu machen, insbesondere am Verständnis der Almosengabe.
A. Strukturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten I. Fürsorgeorganisation: Spezialmandat und allgemeine Polizeiordnung Die Herangehensweise im Kurfürstentum Trier weist in Bezug auf die Regelungstechnik im Vergleich zum Nachbarterritorium Kurköln einen markanten Unterschied auf. Während seit Beginn der territorialstaatlichen Fürsorgegesetzgebung in Kurtrier der Gesetzgeber die Möglichkeit spezieller Armenordnungen nutzt, ist es im Kurfürstentum Köln üblich, die einschlägigen Regelungen in eine sämtliche Materien umfassende Polizeiordnung einzubetten. Die unterschiedlichen Herangehensweisen werden in beiden Territorien bis zum Ende des 18. Jahrhunderts beibehalten. Erst in den letzten Jahrzehnten des Kurfürstentums Köln ergehen Einzelverordnungen zur Fürsorgeorganisation. Beiden Territorien gemeinsam ist wiederum die Art und Weise des Vorgehens gegen mobile Personengruppen. Hier greifen beide Gesetzgeber verstärkt auf Einzelnormen zurück, um so Gefahrenabwehrmaßnahmen gegen einzelne oder mehrere Gruppen anzuordnen. Während des 16. und 17. Jahrhunderts ist für den Kölner Kurfürsten üblich, neben den rudimentären Vorgaben zur Handhabung des Straßenbettels die Verwaltung der Hospitäler durch Synodaldekrete zu regeln. In der Kirchenprovinz des Erzbistums Trier lassen sich keine vergleichbaren Synodalbeschlüsse nachweisen, jedoch werden Bestimmungen des Tridentinums und der „formula reformationis“ auch im Kurfürstentum Trier umgesetzt. Insofern
A. Strukturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten
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beruht die Armenfürsorgegesetzgebung in beiden Kurfürstentümern auf weltlichen wie kirchlichen Rechtsquellen. Der Auslöser der territorialen Gesetzgebung ist unverkennbar die Reichsgesetzgebung in Gestalt der Reichspolizeiordnung. In ihrem Gefolge ergehen in den Kurfürstentümern die ersten Verordnungen. In Kurköln kommt es zur nahezu wörtlichen Wiederholung, während Kurtrier sich erkennbar am Vorgehen Karls V. in den spanischen Niederlanden orientiert. Die untersuchten Abläufe zeigen beispielhaft die zu Beginn der Frühen Neuzeit erforderlichen Modulationen beim Rechtstransfer zwischen Städten, Territorien und Reich. Hinzu kommt der Wechsel von dem kirchlichen Rechtskreis in den weltlich-obrigkeitlichen. Deutlich erkennbar sind die Schwierigkeiten, die sich aus der Ablösung und Überwindung hergebrachter Vorstellungen ergeben. Die Normakzeptanz wird insbesondere in Trier durch die Einbeziehung von Ausnahmetatbeständen, welche die Fortexistenz bisheriger Rechtsvorstellungen sichern und damit Kontinuitäten bewahren, zusätzlich abgesichert. Während die Erzstifte im 16. Jahrhundert gesetzgeberisch an der Spitze der Entwicklung stehen, weist das 17. Jahrhundert eine im Vergleich zu anderen weltlichen Territorien erkennbare Lücke bei der Fürsorgegesetzgebung auf. Eine Aktivität, die den Bettelverboten und Zentralisierung der Armenfürsorge im Herzogtum/Kurfürstentum Bayern entspricht, findet sich zu diesem Zeitraum gerade nicht.
II. Katalysatorische Wirkung der supraterritorialen Gesetzgebung Die Reichsgesetzgebung selbst setzt nach der Reichspolizeiordnung von 1577 keine Impulse mehr. Erst im 18. Jahrhundert übernehmen die Reichskreise die Rolle des supraterritorialen Gesetzgebers. Die Kreisverordnungen vereinheitlichen und systematisieren die Territorialnormen, allerdings hauptsächlich im Bereich der repressiven Maßnahmen gegen Vaganten. Insofern kann man eine katalysatorische Wirkung der Reichskreisordnungen feststellen. Das Ziel dieser Gesetzgebung ist es auch auf der supraterritorialen Ebene dem umherziehenden Bettler keine Ausweichmöglichkeiten mehr zu lassen. Bezüglich der Fürsorgeorganisation bleiben die Kreisverordnungen ebenso wie die Reichspolizeiordnungen unbestimmt. Erkennbar ist jedoch eins: Die Bereitschaft, Personal- und Sachmittel zur Repression und Gefahrenabwehr aufzubringen, ist bei den Reichsständen größer als sich bei der Armenfürsorge auf supraterritorialer Ebene zu engagieren. Augenfälligstes Beispiel ist die fehlende Umsetzung des 1726 vom oberrheinischen Reichskreis geforderten gemeinsamen Arbeitshauses.
III. Christliche Nächstenliebe als primärer Bezugspunkt Eine Gemeinsamkeit des gesetzgeberischen Handelns besteht in der Anknüpfung an vorgefundene Formen zwischenmenschlicher Hilfe. Der Gesetzgeber befasst sich mit der Steuerung existierender Strukturen des gesellschaftlichen Umgangs mit der
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7. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse
Armut: der christlichen Nächstenliebe in Gestalt des Almosens und der Hospitalspflege. Die allen Reformen und Veränderungen zugrunde liegende Annahme ist, dass die bestehenden Kapazitäten zur Unterstützung von Bedürftigen ausreichend sind. Als alleinige Ursachen der Unzulänglichkeiten oder Funktionsstörungen des Systems werden Missbrauch durch die Leistungsempfänger und fehlerhafter Verwaltungsvollzug angesehen. Man ist überzeugt, durch Schaffung von Kontrollmechanismen oder Umfunktionalisierung die Bedürftigen ausreichend unterstützen zu können. Dies gilt bereits für alle Territorien, in denen der Bettel als Versorgungsform durch die staatlich gesteuerte Zuteilung von Leistungen aus zentralisierten Kassen ersetzt werden soll. In Kurköln ist diese Überzeugung bis zur Umstellung der Versorgungsform sogar noch ausgeprägter. Der Bettel als akzeptierte Versorgungsform wird immer noch als funktionsfähige Möglichkeit der Subsistenzsicherung angesehen, lediglich der Missbrauch ist abzustellen. Die Erkenntnis der fehlenden Steuerbarkeit des privaten Spendenverhaltens führt indes auch in Kurköln schließlich zur Umstellung der Versorgungsform. Die Umstellung selbst ist ebenso wie in anderen Reichsterritorien auch begleitet von der Schaffung der Strukturen des Arbeits- und Armenhauses sowie der Einführung zentralisierter kommunaler Armenkassen.
IV. Zusammenwirken von kirchlichem und weltlichem System Die Fürsorgeorganisation ist geprägt von dem Zusammenwirken von kirchlicher und weltlicher Hierarchie. Gerade auf der unmittelbaren Kontaktebene mit dem Unterstützungssuchenden arbeitet die weltliche Obrigkeit mit den Gemeindepastoren zusammen. Die Synodaldekrete in der Kirchenprovinz Köln zeigen, dass die Kirche ihren Kompetenzanspruch im Bereich der institutionellen Fürsorge weiterhin aufrechterhält. Die tatsächlichen Strukturen in den Städten Bonn, Trier oder Koblenz belegen dagegen, dass die weltliche Obrigkeit nicht nur beteiligt ist, sondern auch die Entscheidungspositionen innehat. Im Rahmen der Almosenkontrolle ist der kirchliche Amtsträger der unteren Ebene alleine bei der Entscheidung über das Ob und Wie der Unterstützung eingebunden, über eine Beteiligungsrolle gelangt dies nicht hinaus. Wie sehr sich das Gewicht verschiebt, zeigen die Beispiele aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In diesem Zeitraum kommt es zu einem funktionalisierten Einsatz der Kirchenhierarchie, und zwar gerade nicht bei der Fürsorge, sondern bei der Umsetzung repressiver Maßnahmen.
V. Veränderungen der Kompetenz- und Legitimitätsargumentation Der Wechsel der Funktionen der Kirchenebene entspricht der Kompetenzverschiebung hin zum weltlichen Gesetzgeber. Dies lässt sich auch an der Veränderung der Legitimationssemantiken in den Armenordnungen feststellen. Besonders augenfällig ist dies an der Entwicklung im Kurfürstentum Trier. Steht 1533 der Bezug auf
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religiöse Vorstellungen und die Herleitung der Handlungskompetenz aus dem göttlichen Gebot im Zentrum der Argumentation, wird in der letzten Armenordnung dieser Zusammenhang gar nicht mehr erwähnt. Als Schlusspunkt der Veränderungen der Legitimationsargumentationen steht die Verpflichtung des Landesherrn für den gemeinen Nutzen und die Wohlfahrt des Landes. Religiöse Semantiken finden sich nur noch, wenn mangels anderer Alternativen auf die christlich motivierte Spendenbereitschaft zurückgegriffen wird. Ein unverändert durch die gesamte Entwicklung bleibendes Element der Handlungsnotwendigkeit ist die Pflicht zur Wahrung und Wiederherstellung der guten Ordnung bzw. die Abstellung von Missbrauch. Der Gedanke der Gefahrenabwehr und die Sorgepflicht für die Untertanen löst letztlich die religiöse Verpflichtung des Landesherrn zum Normerlass ab.
B. Inhaltliche Unterschiede und Gemeinsamkeiten I. Kontinuität der Inklusionskriterien: Versorgungsunfähigkeit und Zugehörigkeit Der mit drei Jahrhunderten weit gespannte Untersuchungszeitraum lässt trotz oder gerade auch wegen seines Umfangs die Tendenzen in der Armenfürsorgegesetzgebung deutlich hervortreten. Ein Charakteristikum ist, dass unmittelbar einschlägige Normen nur in sehr geringer Anzahl existieren. Inhaltlich entsprechen sich die Anforderungen an die Unterstützungssuchenden. Inklusionskriterien sind die Zugehörigkeit zum Territorium, Arbeitsunfähigkeit und damit verbunden die fehlende Möglichkeit zur Selbstversorgung sowie bestimmte Anforderungen an das Verhalten und die Lebensführung der Betroffenen. Die Analyse der Kriterien zur Anerkennung der Versorgungsberechtigung zeigt klar, dass „Fremdheit“ und „Arbeitsfähigkeit“ hier die entscheidenden Ausschlusskriterien sind. Zugleich sind damit die Exklusionskriterien benannt: Fremdheit und Arbeitsfähigkeit. Insbesondere in Kurköln gewinnt die konfessionelle Zugehörigkeit bei der institutionellen Fürsorge den Charakter eines Exklusionskriteriums. Bedeutet bereits eines dieser Kriterien den Ausschluss aus dem Fürsorgesystem, sind umgekehrt die Begriffsgegenpaare „Arbeitsunfähigkeit“ und „Zugehörigkeit“ kumulativ erforderlich für die Partizipationsberechtigung. In Ausnahmekonstellationen ist es allerdings möglich, dass der Gesetzgeber Möglichkeiten schafft, durch Ausnutzung der Arbeitsfähigkeit den drohenden Ausschluss wegen Fremdheit zu überwinden. Die staatliche Anerkennung kann dabei als Vorschuss auf die Arbeitswilligkeit bei Arbeitskräftemangel erfolgen oder auf einer Berücksichtigung einer langjährigen Tätigkeit als Bewohner des Territoriums beruhen. Anderseits ist den einheimischen Bedürftigen seitens des Gesetzgebers die Möglichkeit eines selbstbestimmten Wechsels in andere Territorien versperrt. Der angedrohte Verlust des Untertanenstatus soll die Attraktivität der Werbung für die Arbeitstätigkeit in anderen Territorien vermindern. Fremdheit und Arbeitsfähigkeit als in der Armutsgeschichte stets existente Kriterien bei der Bestimmung, ob die Gemeinschaft
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7. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse
dem einzelnen helfen soll, erfahren in der Gesetzgebung – und das gilt für protestantische wie für katholische Territorien – eine in diesem Umfang noch nicht bestehende Verrechtlichung der Überprüfungsmethode. Die Inklusions- und Exklusionskriterien werden fortgeschrieben und weiterhin präzisiert. Der zur Überprüfung notwendige Verwaltungsapparat und dessen Funktionen werden ausgeweitet und erstrecken sich neben der Verteilung von Unterstützungsleistungen auf Repressionen gegenüber den von der Fürsorge Ausgeschlossenen. Die Regelungen zur Verwaltung, der Kontrolle der Unterstützungssuchenden sowie der Kontrolle der Verwaltung selbst nimmt einen weitaus größeren Umfang ein als die Bestimmung der Fürsorgeleistungen selbst.
II. Unterschiede bezüglich der Akzeptanz des Bettels als Versorgungsform Deutliche Unterschiede lassen sich bei der Ausgestaltung des Versorgungssystems erkennen. Die territorialstaatliche Gesetzgebung sieht in Kurtrier – und das gilt ungeachtet der zwischenzeitlichen Änderungen auf städtischer Ebene – die Versorgung durch obrigkeitlich gesteuerte Leistungen vor. Der Bettel ist im Kurfürstentum Trier keine zulässige Versorgungsform des Bedürftigen. Demgemäß sieht das territorialstaatlich kontrollierte Versorgungsangebot an den anerkannten Bedürftigen die Leistungen der Hospitälern und die Zuteilung von Almosen vor. Die Versorgungsleistungen der Klöster werden mittelbar gesteuert durch Beschränkungen der Zugangsmöglichkeiten zu den Klöstern selbst. Dagegen ist in Kurköln bis weit in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein der Bettel zulässige Versorgungsform für Bedürftige neben dem Versorgungsangebot der Hospitäler. Erst in den letzten Jahrzehnten der Existenz des Kurstaates wird – wenn auch auf die Residenzstadt Bonn begrenzt – die Versorgung auf staatlich kontrollierte Leistungszuteilung umgestellt. Die Schaffung zentralisierter Kassen, aus denen heraus die Leistungsverteilung erfolgen soll, lässt sich für beide Territorien nachweisen. Dies gilt mit der Einschränkung, dass Kurköln erst mit zeitlicher Verzögerung dieser Schritt gelingt. Die mitunter immer noch anzutreffende Behauptung, gerade in den geistlichen Territorien sei der Bettel als Versorgungsform zulässig gewesen, lässt sich für Kurtrier mit Bestimmtheit widerlegen.
III. Grenzen des frühneuzeitlichen Finanzierungssystems Die Sicherung der Finanzierung ist ein bis zum Ende des Ancien Régime ungelöstes Problem. Eine Armensteuer, wie sie als Instrument in der Rechtswissenschaft des 17. Jahrhunderts bekannt ist, wird in keinem der beiden Territorien eingeführt. Man belässt es angesichts der Beteiligung der Landstände an der Steuerbewilligung, wie in den übrigen Reichsterritorien auch – wiederum unabhängig der konfessionellen Ausrichtung – bei einer „Splitterfinanzierung“. Sie besteht aus mehreren Bausteinen, die neben der Abführung bestimmter Gebühren oder Abgaben, Umwidmung von Stif-
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tungsgeldern in begrenztem Umfang und dem Spendenaufkommen der Bevölkerung vor allem in den Zuschüssen aus der Staatskasse bestehen. Aus Sicht des Gesetzgebers wird besonderen Wert auf die Aktivierung der Spendenbereitschaft der Bevölkerung gelegt. Dabei kommt es zur funktionellen Umdeutung der christlichen Nächstenliebe. Über den Umweg einer freiwilligen Selbstverpflichtung bemüht sich der Territorialstaat, zu einer steuerbaren und regelmäßigen Einkunftsquelle zu gelangen. Der Gesetzgeber greift auf den faktischen Druck der Selbstverpflichtung zurück, den er vermittels einer genauen Information über das Vermögen seiner Bürger zusätzlich zu erhöhen versucht. Der Zugriff des Territorialstaates auf die kirchlichen bzw. klösterlichen Stiftungen zugunsten der Armen stößt auf Widerstand. Dabei ist auch die Einbeziehung der kirchlichen Autorität des geistlichen Kurfürsten als Erzbischof wirkungslos, da zumindest für die exempierten Klöster seine Zuständigkeit begrenzt ist. Erst unter dem Eindruck der Ereignisse in Frankreich ab 1789 sehen sich die Klöster in den geistlichen Kurfürstentümern zu einer gesteigerten Kooperation veranlasst – unmittelbar vor der Säkularisierung der Erzstifte und damit der Kirchen- und Klostergüter insgesamt. Die Säkularisierung von Kirchengütern kann jedoch weder in den katholischen noch in den protestantischen Territorien – wo sie bereits im 16. Jahrhundert erfolgte – darüber hinweg helfen, dass bezüglich der Finanzierung die frühneuzeitliche Fürsorgegesetzgebung ihre strukturellen Grenzen erreicht. Vergleicht man die Finanzierungsansätze anderer Territorien mit denen der beiden untersuchten geistlichen Kurfürstentümer, so stellt erst die Einführung einer gesonderten Armensteuer einen signifikanten Wechsel hin zu einer umlagefinanzierten Fürsorge dar.
IV. Einführung von Spinn- und Arbeitshäusern In beiden Kurfürstentümern wird die Steuerung von Unterstützungsleistungen ergänzt durch die Einführung von Spinn- und Arbeitshäusern. Die Schaffung dieser Strukturen erfolgt indes erst zeitverzögert in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts. Die Institutionen sind darauf ausgerichtet, der Förderung der Staatsökonomie zu dienen. Zugleich sollen sie den arbeitsfähigen Untertanen Arbeits- und Versorgungsmöglichkeiten anbieten. In diesem Zusammenhang bestätigt sich für die geistlichen Territorien der bislang für die weltlichen Fürstentümer getroffene Befund der Pädagogisierung der Armen und ihrer Einbeziehung als nützliche Glieder des Staates. Der scharfen Ablehnung des Müßiggangs über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg entspricht das Gebot an die Untertanen, ihre Arbeitskraft zur Selbstversorgung zu nutzen. Diese Pflicht bleibt hinsichtlich seiner Umsetzung während des 16. und 17. Jahrhunderts normativ unbestimmt. Erst im 18. Jahrhundert schafft der Gesetzgeber ein konkretes Umsetzungsinstrument in Gestalt der Spinn- und Arbeitshäuser. Der Religionsunterricht wird als Voraussetzung und Begleitung zur Besserung des arbeitsunwilligen Bettlers eingesetzt. Die tatsächlichen Kapazitäten der Einrichtungen begrenzen die Umsetzung des umfassenden Vorhabens. Die Funktionsüberlagerung von Zucht-, Arbeits- und Armenhaus trägt ihrerseits zur Ineffektivität
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der angestrebten Erziehung zur eigenen Glückseligkeit bei. Angesichts der Untersuchungen zu den Versorgungsmöglichkeiten der Institutionen oder der offenen Fürsorge ist festzuhalten, dass zwar der Schwerpunkt der Gesetzgebung auf der Regulierung dieser Bereiche liegt, indes diese Fürsorgestruktur – wenn überhaupt – nur kurzfristige Unterstützung bieten kann. Die Bedürftigen sind daher neben den temporären Leistungen auf die Nutzung anderer Versorgungsmöglichkeiten angewiesen. Hinzu kommt, dass die staatlichen Institutionen sich auf die Machtzentren beschränken und die Infrastruktur auf dem Land nicht in der Lage ist, Vergleichbares zu leisten. Dies gilt in Kurtrier, Kurköln, Kurmainz ebenso wie in Kurbayern oder der Kurpfalz. Im Ergebnis bedeutet dies: Armut trotz Arbeitszwang, Armut wegen der erzwungenen Beschäftigung im Arbeitshaus und Armut aufgrund des Mangels an Ausweichmöglichkeiten.
V. Persistenz der grundsätzlichen Akzeptanz des geistlichen Bettels Gemeinsam ist beiden Territorien die Akzeptanz des geistlichen Bettels. Erst im Verlauf des 18. Jahrhunderts ändert sich die Vorgehensweise in Bezug auf das Terminieren von fremden Bettelmönchen. Das ausschlaggebende Unterscheidungsmerkmal ist dabei ebenso wie bei den weltlichen Untertanen die Zugehörigkeit zum weltlichen Herrschaftsgebiet. Das Exklusionskriterium „Fremdheit“ wirkt nunmehr in den kirchlichen Bereich hinein. Zwar ist es vom Kirchenrecht als Stufungs- bzw. Ausschlussmerkmal anerkannt, jedoch nur bezogen auf die Versorgung der weltlichen Untertanen. Die Aktivierung des Ausschlussmechanismus auch für den geistlichen Bereich stellt eine markante Änderung dar. Dennoch bleibt es im Unterschied zu den protestantischen Territorien, wo der geistliche Bettel keine Existenzberechtigung hat, bei dessen Zulässigkeit unter Erlaubnisvorbehalt für die einheimischen Mendikantenklöster. Insgesamt gleicht diese begonnene Einschränkung der Mendikantenorden der Entwicklung zur Versorgungsform „Bettel“, der in beiden Territorien schließlich unzulässig ist. Ob auch für den Bereich des geistlichen Bettels eine vollständige Kehrwende vollzogen worden wäre hin zu einer gesteuerten zentralen Sammlung und Verteilung, ist nicht verlässlich zu beurteilen. Zwar existieren einige Anzeichen in diese Richtung, beispielsweise die Verteilung von unrechtmäßigen Kollekten fremder Bettelorden an die einheimischen Klöster. Angesichts der systemimmanenten Verbindung zwischen weltlichem und kirchlichem Amt erscheint eine vollständige Aufhebung der Bettelberechtigung bei hypothetischer Fortexistenz der geistlichen Kurstaaten ausgeschlossen. Die Versagung der Berechtigung für die einheimischen Mendikantenorden liefe letztlich auf eine Leugnung der das Amt des geistlichen Kurfürsten zugrunde liegenden Kirchenstrukturen hinaus.
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VI. Supraterritoriale Vereinheitlichung der repressiven Maßnahmen Die Regelungen zur Fürsorgeorganisation sind im gesamten Untersuchungszeitraum begleitet von repressiven Maßnahmen gegen diejenigen, denen der frühneuzeitliche Territorialstaat die Versorgungsberechtigung abspricht. Die repressiven Maßnahmen gegen Umherziehende und Fremde zielen ungeachtet der unterschiedlichen Ausprägung des Fürsorgesystems zum einen darauf ab, den Kreis der Unterstützungsberechtigten zu bestimmen. Auf der semantischen Ebene werden die fremden, umherziehenden Personen, zu denen Zigeuner, Spielleute, Vagabunden, Räuber, Juden, Bettler, Hausierer oder sonstige verdächtige Personen zählen, nie als arm oder bedürftig bezeichnet. Zum anderen verkürzen sie die faktischen Möglichkeiten des Zugriffs Fremder auf Unterstützungsleistungen des Territoriums. Das zugrunde liegende Handlungsmotiv wird mehrfach genannt: die Bewahrung der Versorgungssicherheit für die Untertanen. Diese Argumentation der Beeinträchtigung der einheimischen Bevölkerung durch das Abschöpfen von Spenden und Spendenbereitschaft durch unberechtigte fremde Bettler tritt offenkundig in Konstellationen ein, in denen wie in Kurköln die Versorgung durch Zulassung zum Bettel gesichert wird. Für das in Kurtrier geltende System der zentralisierten Sammlung und Austeilung der Spenden unter obrigkeitlicher Aufsicht verschiebt sich die Beeinträchtigung auf eine andere Ebene. Hier entsteht die Gefährdung der Versorgungssicherheit mittelbar durch das gesetzwidrige Umleiten von Almosenspenden und die Missachtung der Umstellung der Versorgungsstruktur. Der auf der Normebene bestehende Unterschied in der Versorgungsberechtigung wird gelegentlich aufgebrochen. Beide Territorien kennen die Möglichkeit, in besonders gelagerten Situationen Fremde als versorgungswürdig anzuerkennen. Voraussetzungen sind der langjährige Aufenthalt und die Ausübung einer Arbeit. In dieser Hinsicht sind die Verordnungen mit repressivem Regelungsgehalt bei der Darstellung der Armenfürsorgegesetzgebung als flankierende Normen zu betrachten. Dieser Zusammenhang ist aus Sicht des historischen Gesetzgebers zwingend, was aus der gemeinsamen Regelung und dem ausdrücklichen inhaltlichen Bezug hervorgeht.
VII. Repressive Maßnahmen als flankierende Fürsorgegesetzgebung Die Steigerung der Anzahl von Verordnungen, die sich gegen die Gruppen der Vagierenden richten, ist im 18. Jahrhundert begleitet von der Steigerung des Einwirkungsgrads der Maßnahmen. Bedeutet die Ausweisung aus dem Territorium anfangs mittelbar zugleich die Versagung der Versorgungsmöglichkeiten, so läuft die spätere Entwicklung auf die Versagung des Existenzrechts an sich hinaus. Mit der selbst beschworenen Urfehde wird der Bettler aus der engeren Rechtsgemeinschaft ausgewiesen. Auf die Wiederholung des Verstoßes steht die Todesstrafe. Die Situation ist damit
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7. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse
spätestens mit der Ausweisung aus dem Territorium gesetzestechnisch ohne Ausweg. Verliert der arbeitsunwillige Einheimische seinen Unterstützungswohnsitz, weisen ihn die benachbarten Territorien als Fremden in seinem Geburtsterritorium aus. Die Folge des in den Territorien vereinheitlichten Rechts ist, dass zwangsläufig mit einem Aufenthalt in einem beliebigen Territorium der Eidbruch steht und die Todesstrafe droht. Damit existiert zwar für den Bettel kein eigener Straftatbestand, sondern alleine der Eidbruch stellt ein Verbrechen dar mit den geschilderten kapitalen Folgen. Dieser Kreislauf wird für die einheimischen Arbeitsunwilligen erst durch die Schaffung der Zucht- und Arbeitshäuser unterbrochen. Anders als im Bereich der Versorgungsstruktur ist hier Kurköln der Entwicklung in Kurtrier voraus. An der Kriminalisierung dieser Personenkreise ändert sich durch die Einführung der Zuchthäuser nichts, vielmehr wandelt sich mit Blick auf das 19. Jahrhundert das Polizeidelikt der Bettelei bzw. Landstreicherei zum Straftatbestand. Die repressiven Maßnahmen gegen fremde umherziehende Bettler und Müßiggänger dienen aus Sicht des Gesetzgebers auch der Bewahrung der Bevölkerung vor schädlichen Einfluss in moralischer Hinsicht. Man befürchtet, dass angesichts des Vorbilds eines nutzlosen, müßigen Lebens, das sich trotz alledem durch den Bettel finanzieren lässt, die Bevölkerung diese Daseinsweise nachahmt. Um in diesem Sinne eine Ansteckung durch die „faule[n] und ansteckende[n] Glieder menschlicher Societät“ zu verhindern, sollen diese Menschen „aus deroselben hinweggeraumet“ werden. Hier verbinden sich auf der semantischen Ebene Hygienevorstellungen, die im Rahmen der Seuchenabwehr ebenfalls gegen fremde Bettler gerichtet sind, mit der politischen Zielsetzung der Schaffung eines idealen Staatsvolks. In den Zusammenhang der Bewahrung der Nützlichkeit des Staatsvolks gehört auch die Zwangsrekrutierung von umherziehenden Bettlern in den Militärdienst. Hier werden die faulen Glieder der menschlichen Gesellschaft einem Zweck zugeführt, der im Sinne von Thomas Hobbes zur Lösung der Arbeitsuntätigkeit und der Armut an sich führt: dem Gebrauch als Militärpersonal und final der Vernichtung im Kriegseinsatz.1
VIII. Geringer Anteil präventiver oder flankierender Maßnahmen Neben den repressiven Maßnahmen – wenn auch in einem weit geringerem Umfang – kennt die Gesetzgebung der Kurfürstentümer Köln und Trier andere flankierend wirkende Regelungen. Hierzu gehören die Regelungen zur Kornbevorratung, zum Eheschließungs- und Bürgerrecht und die nur in ganz geringer Anzahl überlieferten Normen zur Prävention von Armutssituationen. Zu letzteren zählen die Schaffung von Ausbildungsplätzen für Waisenkinder oder die Förderung von Schul- und Handwerksausbildung. Die in der Fürsorgetheorie des 16. Jahrhunderts oder der Staats- und Rechtswissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts entwickelten Instru1
Siehe zu diesem Gedanken Schmidt (2004), 68.
C. Besonderheiten im Vergleich zu anderen Territorien
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mente zur Abschaffung von Armutssituationen sind in der frühneuzeitlichen Territoritalgesetzgebung so nicht angekommen. Sie werden verkürzt in den Institutionen der Zucht- und Arbeitshäuser umgesetzt, verlieren jedoch angesichts der geringen Kapazität an Effektivität. Umgekehrt gewendet stellen sie eher Leuchttürme mit einer gewissen Ausstrahlungswirkung als eine umfassende Lösung dar.
C. Besonderheiten im Vergleich zu anderen Territorien I. Mehraufwand bei der Umdeutung des Almosenverständnisses In der Gesamtbetrachtung weist die Gesetzgebung der Erzstifte Köln und Trier keine wesentlichen Abweichungen zu der Entwicklung im Reich auf. Es fehlt nicht an den gängigen Elementen der zeitgenössischen Fürsorgegesetzgebung. Eine gewisse zeitliche Verzögerung bei der Einführung von Arbeits- und Armenhäusern lässt sich zwar ausmachen im Vergleich zu größeren weltlichen Territorien wie Bayern, Brandenburg oder Österreich. Die Besonderheit liegt indes gerade im Vergleich zu protestantischen Verordnungen in dem argumentativen Aufwand bei der Adaption der privaten Almosenspende in die Fürsorgegesetzgebung. Innerhalb des Untersuchungszeitraums ändert sich auf der Normebene die Gestalt des Almosens, wie es aus der mittelalterlichen Scholastik bekannt ist. Im Rahmen der funktionalen Umdeutung verliert der Almosengeber zunächst die freie Wahl seines Bezugsobjekts. Mit Einführung der Armenkassen ist der direkte Kontakt zwischen Spender und Empfänger verhindert durch das Dazwischentreten der obrigkeitlichen Kollektoren. End- und Höhepunkt der funktionalen Umdeutung des Almosens ist das strafbewehrte Almosenspendeverbot. Die Transformation des privaten Almosens in ein staatlich genutztes Finanzierungsinstrument ist damit abgeschlossen. Der eschatologische Wert des Almosens ist auf seine Nützlichkeit als Argument zur Erzielung höherer Einnahmen begrenzt. Die Begrenzung religiöser Handlungsformen auf ihre Finanzierungsfunktion wird in der Formulierung der Kurtrierer Gesetzgebung überdeutlich: Die Almosenspende an den Bittenden ist nach dem Verständnis des Gesetzgebers „nicht nur kein Gott gefälliges Werk […], sondern vielmehr […] eine sündhafte Vergehung […], wenn Unterthanen der von Gott ihnen vorgesetzten Obrigkeit entgegen zu handeln sich kein Bedenken machen“. Um seiner anfänglichen Bedeutung zu entrinnen, ist das Verständnis des Almosens als Wohltat und Bußsakrament ins genaue Gegenteil verkehrt. Die Territorialgesetzgebung hat sich an dieser Stelle gelöst von den ursprünglichen religiösen Anschauungen und diese im Ergebnis sogar pervertiert. Der argumentative Mehraufwand zur Überwindung des offensichtlichen Widerspruchs liegt in dem Rückgriff auf das Konstrukt des Verstoßes gegen den Willen des von Gott bestimmten Herrschers. Wenn auch nicht in dieser Konsequenz, lässt sich der Wandel der Anschauungen für den Umgang mit dem geistlichen Bettel der Mendikantenorden feststellen. Zumindest die Sammlungen von ausländischen Klöstern haben nichts mehr von ihrer ursprünglichen Verdienstlichkeit und Berechtigung.
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7. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse
D. Ausblick Die Aufgabe des Rechts ist die Erfüllung der Ordnungs-, Friedens-, Schutz-, Erziehungs- und Stabilisierungsfunktion. Alle genannten Ziele lassen sich bei der frühneuzeitlichen Armenfürsorgegesetzgebung ausmachen. Insbesondere die Erhaltung des sozialen Friedens innerhalb der Gesellschaft, die Erziehung zur Nutzung der Arbeitskraft und die Sicherung der Rechtsgüter Eigentum und Leben der Bevölkerung sind konstante Schutzgüter. Dabei entsteht Recht nicht abstrahiert von einer sozialen Wirklichkeit. Die Vorstellung einer von realen menschlichen Problemfällen losgelösten Rechtslage, deren Vollzug keinerlei Bindung zur Gesetzesvorgabe hat, lässt sich den untersuchten Quellen nicht entnehmen. Die Eindringlichkeit, mit welcher von kurfürstlicher Seite gegen unzutreffende Gesetzesanwendung der Verwaltung vorgegangen wird, zeigt, dass die unteren Verwaltungsebenen sich – wenn auch mangelbehaftet – mit der Gesetzeslage auseinandersetzen. Alleine Fehler bei der Umsetzung oder bei Verstößen gegen Normverbote lassen die generelle Folgerung nicht zu, dass die Gesetze keine Wirkung entfalten. Dies kann – unter Vorbehalt aller strukturellen Unterschiede – neben den Ergebnissen der Untersuchungen durch einen einfachen Vergleich belegt werden. Am Beispiel der aktuellen Straßenverkehrsordnung, die täglich unzählige Male nicht beachtet, falsch angewendet oder umgangen wird, wird erkennbar, dass sich die Wirkungskraft von Gesetzen nicht einzig an der Anzahl der Verstöße messen lässt. Der Bezug des Rechts zum Menschen, die Reaktion auf menschliche Interaktionen lässt sich aus den untersuchten frühneuzeitlichen Armen- und Bettelordnungen teilweise deutlicher herauslesen als in die modernen Gesetze hinein. Ebenso wie Gesetze Auswirkungen auf menschliches Verhalten haben, haben sie auch den Menschen und seinen Mitmenschen zum Gegenstand. Armengesetzgebung hat dabei stets auch den Umgang mit Armut zum Gegenstand. Die dabei entwickelten Instrumentarien, die Argumentationen oder das Bemühen um die Legitimation gesetzgeberischen Handelns lassen sich in den Debatten zur modernen Gesetzgebung ebenfalls nachweisen.2 Die Wertschöpfung der rechtshistorischen Untersuchung für die aktuelle Sozialgesetzgebung kann nicht in der Herausarbeitung von Rechtsfiguren liegen, die nach einer „Entstaubung“ system-, struktur- und zeitlos heute angewendet werden können. Dies gilt gerade auch dann, wenn aktuelle Entwicklungen derartig ähnlich verlaufen, dass man von einer – unterstellt unbewussten – Kopie des frühneuzeitlichen Vorgehens sprechen könnte. Ein Beispiel: Die kurtrierischen Armenordnungen von 1736 und 1776 sehen als Sanktion für den Bettel eines an sich Unterstützungsberechtigten vor, diesen von der Austeilung der Mittel aus der Armenkasse für einige Tage zu sperren. Die Stadt Göttingen kürzte einem HARTZ-IV-Empfänger wegen zweimaligen Bettelns seine monatliche Unterstützung um einen auf den Monat hochgerechneten Betrag.3
2
Vgl. zu Beispielen aus dem Jahr 2005 vgl. Wagner (2006a), S. 225, 244. Meldung vom 30. 3. 2009 auf dem Internetportal des Trierischen Volkfreunds: www.volksfreund.de. 3
D. Ausblick
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Der Erkenntnisgewinn ist an anderer Stelle zu suchen. Hierbei ist der mit fast drei Jahrhunderten weit gespannte Untersuchungszeitraum geeignet, die Grenzen bei der Transformation ursprünglicher Fürsorgesysteme darzustellen und die Funktion bestimmter Legitimationsargumente zu bestimmen. Die Grundüberzeugung, dass das jeweils aktuelle Unterstützungssystem an sich funktionstüchtig sei und nur Missbrauch und mangelnder Vollzug ihm schade, ist eine Konstante der frühneuzeitlichen wie modernen Gesetzgebungsdebatte. Zu erkennen, dass diese Argumentation die eigentliche Systemstörung bzw. die Grenzen der Leistungsfähigkeit überdecken kann, ist ein Ergebnis, das Beachtung in der aktuellen Debatte verdienen sollte. Die Tendenz des frühneuzeitlichen Gesetzgebers, Kontroll- und Verwaltungsapparat zu verstärken, immer rigidere Anforderungen mit der Leistungsverteilung zu verknüpfen und immer härtere Sanktionen für den Verstoß anzudrohen, ist auch bei der aktuellen Entwicklung sichtbar.4 Die Verschiebung der finanziellen Kapazitäten in diesen Bereich erscheint angesichts der Erfahrungen mit der Effektivität von Zucht- und Arbeitshäusern bei der Disziplinierung des Individuums als zumindest fragwürdig. Der sich abschließend aufdrängende Gedanke führt zur Frage, inwiefern es durch Umverteilungen im Rahmen des sozialen Systems möglich ist, Fehlfunktionen des Wirtschaftssystems und fehlende Teilhabe daran aufzufangen. Inwiefern sich die aktuellen Missbrauchsargumentationen und die Vorwürfe des „Sozialparasitentums“ sodann als vergebliche Versuche zur Stabilisierung eines Sozialsystems erweisen,5 bleibt einer rechtshistorischen Arbeit der Zukunft vorbehalten.6
4 Zur Erhöhung des Steuerungsbedarfs bei der Verwirklichung der politischen Leitziele vgl. Simon (2004), S. 533 ff. 5 Der Vorwurf des Leistungsmissbrauchs gegenüber den Empfängern von Sozialleistungen findet sich bei BMWi (2005), S. 10: „Biologen verwenden für ,Organismen, die zeitweise oder dauerhaft zur Befriedigung ihrer Nahrungsbedingungen auf Kosten anderer Lebewesen – ihren Wirten – leben‘, übereinstimmend die Bezeichnung ,Parasiten‘. Natürlich ist es völlig unstatthaft, Begriffe aus dem Tierreich auf Menschen zu übertragen. Schließlich ist Sozialbetrug nicht durch die Natur bestimmt, sondern vom Willen des Einzelnen gesteuert.“ 6 Der Verfasser vertritt in dieser Hinsicht nicht die bittere Einschätzung des Engländers Richard Burn, der im Jahr 1764 konstatierte: „Almost every proposal which hath been made for the reformation of the poor laws hath been tried in former ages and found ineffectual.“ Vgl. zum Zitat Slack (1990), S. 27.
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Orts- und Sachverzeichnis Abgabenbewilligungsrecht siehe Steuerbewilligungsrecht Ablass 68 Abschiebung siehe Ausweisung Actus exterior 34 Actus interior 34 Actus internus 166 Aerarium sacrum 166 Alarmsystem 202, 219, 278, 348, 353 Almosen – Bedeutungswandel 177, 214 f., 303 f., 311, 399 – Entpersonalisierung 215, 305, 369 – Erscheinungsformen 34 – Freiwilligkeit 27, 34, 37, 39, 64, 68, 105, 166 f., 183, 215 f., 248, 250 f., 253, 266, 285, 318, 383, 389 – fructus 34 – geistliche/körperliche Werke 34, 38 – Motivation 34, 36, 38, 41, 64, 70, 91, 104, 112, 214, 250 – Verdienstlichkeit 34, 37, 39, 50, 67, 84, 90 f., 109 f., 115, 121, 131, 134, 186, 217, 239, 243, 323, 386, 399 Almosenamt 46, 129 Almosenbretter 36 Almosenbüchse 289 Almosengebot siehe Almosenpflicht Almosenkasse 56, 11, 134, 153, 172 Almosenkasten 61, 70, 112, 116, 127, 129, 215, 269, 385 Almosenkollekte 298 Almosenpfleger 213 Almosenpflicht 27, 33, 36 f., 39 f., 45, 57, 68, 89, 101, 110, 136 f., 144, 167, 193, 216, 243 f., 250, 256 f., 285, 297, 305, 324, 386 Almosenprozession siehe Kreuzprozession Almosenspende – Strafbarkeit 255, 275, 304, 330, 333 – Sündhaftigkeit 303 f., 399
– Verbot 248, 255 f., 259, 303 f., 322, 330, 347, 374, 399 Almosensteuer 58, 64, 166 f., 244, 249 ff., 257, 304 f., 318, 394 f. Almosenstock 87 f., 106, 109 ff., 113 ff., 116, 126, 216, 238, 249 Almosenverständnis 27, 33, 37, 48, 62, 68, 83, 90, 110, 154, 186, 243, 248, 262, 303 f., 310 f., 383, 386, 390, 399 – Hochmittelalter 34 f. – Katholizismus 90, 154, 186 – Luther 68 – Wandel 214 f., 257, 303 f., 374 Almosenzeichen 99, 107, 114 f., 120, 125 f, 128, 133, 246 Almosenzuteilung 56, 61, 66, 105 f., 108, 120, 162, 169, 193, 196, 214, 246, 247, 249, 293, 318, 330, 361, 369 f., 392, 394 Altenburg 57 Anhalt-Schaumberg 317 Antoniterorden 161 Arbeit, öffentliche 43, 77, 165, 168, 230, 255, 320, 325, 343 Arbeitserlaubnis 228 Arbeitshaus 28 ff., 97, 132, 162, 168 f., 177, 201, 207, 237, 259, 274, 281, 288, 290 ff., 293, 296 f., 300, 306, 317, 320, 325, 340, 361, 364, 367 ff., 370 ff., 373 ff., 376 ff., 382, 388 f., 391, 395 f., 398 f., 401 Arbeitskräftemangel 150, 192, 194, 228, 393 Arbeitsmarkt 194 Arbeitspflicht 39, 51 f., 63 f., 96 f., 117, 132, 134, 162, 196 f., 207 f., 208, 237, 245, 272, 284, 286, 288, 294, 298, 325, 337, 340 ff., 351, 367, 382, 395 Arbeitsstrafe 223, 255, 259, 268, 278, 280, 293, 300 f., 341 ff., 344, 351, 362, 365, 375 Arbeitszuweisung siehe Arbeitspflicht oder Arbeit, öffentliche
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Orts- und Sachverzeichnis
Arbeitszwang 288, 293, 320, 325, 355, 362, 375 f., 396 Armenadministration 67 Armenbörse 61 Armenbüchse 187, 289, 299, 371, 387 f. Armenfond siehe Armenfundus Armenfundus 65, 241, 244, 247 f., 249 f., 253 f., 263, 312, 387 Armenhaus 106, 214 f., 269, 284, 290, 293, 295 f., 299, 312, 318, 370 ff., 392, 395, 399 Armenkasse 116, 130, 154, 162, 178, 181 ff., 184, 187 ff., 190 f., 207, 217, 269, 272, 304 f., 311 ff., 314, 330, 359, 370, 386, 392, 399 f. Armenkasten 61, 153, 162, 189, 288 Armenkommission 297 f., 301 f., 303 ff., 339 f., 367, 369, 372, 387 f. Armenliste 94, 99 f., 106, 114, 120, 127, 130, 246, 254, 283, 297 f., 324, 327, 329, 335, 339, 345, 368 Armenpfleger 69 Armenprovisor 183, 386 Armensteuer siehe Almosensteuer Armenstiftung 238, 269, 361, 370 Armenstock 96, 104, 112 Armenzeichen 95, 99, 121 Armut – arbeitend 298 – Verfahrensprivileg 334 – Würde 296 Armutsbescheinigung 115, 117, 246 Arnsberg 151, 329, 331, 333, 376 Aufenthaltserlaubnis siehe Aufenthaltsrecht Aufenthaltsrecht 47, 102, 123, 125, 127, 132, 192, 220, 266, 278, 284, 288 f., 332 Aufenthaltsverbot 74, 95, 101, 124, 128, 150, 172, 177, 192, 198, 203 f., 206, 213, 219, 222 f., 226, 229, 265, 269, 276, 279, 323 f., 331, 337 f., 349, 351 f., 354, 359, 364, 384 Augsburg 45, 53, 57, 72 ff., 75, 119, 125, 155 Augustinerorden 64, 119, 211, 215 Ausbildung 61, 73, 76, 96, 108, 117, 148, 151, 249, 258, 269, 294, 300, 328, 369, 386, 388, 398 Aussätzige siehe Leprose
Auswanderung 150, 194, 224 ff., 229, 279 f. Ausweis 68, 150, 174 f., 202 ff., 204, 205 ff., 213, 219 f., 222, 225, 227 f., 233, 246 f., 260, 262, 264, 269 f., 277, 279, 316, 323, 331 f., 336, 345, 338, 351 f., 356 ff., 359, 363 f., 366, 381, 383 f. Ausweisung siehe Landesverweis Backhäuser 195, 276 Barmherzigkeit siehe Caritas Basler Betrügnisse 54 f. Bayern 29, 80 f., 115, 151 f., 155, 161 f., 177, 196, 221 f., 250, 276, 319, 322, 370, 391, 396, 399 Beerdigung 194, 259 f., 263, 310 ff., 313, 321, 329, 331 Begräbnis siehe Beerdigung Bergbau 152 ff., 188 ff., 191 Bergfreiheit 190 Bergmann 153, 188, 190 Bergmannskasse 153, 188, 190 f., 207 Bergmannsrecht 162 Beschlagnahme siehe Konfiskation Bestattung siehe Beerdigung Betrug siehe crimen falsi Bettel – aggressiv 133, 337, 363 – religiös 41, 59, 64, 120, 210 f., 262, 310, 319, 322 – Strafbarkeit 43, 100, 106, 121, 132, 141, 148, 163, 165, 254, 325, 330, 383 – Versorgungsform 29, 40 f., 44, 51, 53, 56, 60, 72, 75, 78, 86, 104 ff., 108 f., 111, 118 ff., 130, 132 ff., 138, 145 ff., 149, 151, 162, 168, 173, 177 f., 191, 196 f., 201, 208 f., 212 ff., 218, 223, 230, 244, 246 f., 283 f., 318 ff., 322, 326, 338, 361, 365, 368, 374, 379 f., 384, 389, 392, 394, 396 Bettelarmut 55, 163, 168 Bettelbescheinigung siehe Bettelschein Bettelerlaubnis 47, 53 f., 63, 67, 76, 107, 147, 151, 191, 196, 284, 321, 327 f., 335, 339, 345, 348, 360, 366 Bettelfest 384 Bettelherberge 384 f. Bettelhochzeit 384 Bettelmönche siehe Mendikanten
Orts- und Sachverzeichnis Bettelorden siehe Mendikantenorden Bettelprozession siehe Kreuzprozession Bettelschein 78, 148, 168, 193, 251, 323, 345, 346 f., 364, 366 Bettelstudent 171, 287 Bettelverbot 43 f., 47 f., 53, 56, 61, 64 ff., 67 f., 76, 78, 104 ff., 107 f., 118 ff., 121 f., 128, 130, 138, 141, 148, 163, 165, 168, 196, 198, 212, 218, 228, 242, 247, 252, 255, 283 f., 288, 290, 294 f., 297, 301 f., 307 f., 310, 319, 321 f., 330, 337 ff., 347, 361, 364 f., 367 ff., 373 ff., 379 f., 385, 388, 391 Bettelvogt 51, 131 f., 173, 196, 214, 252 ff., 255, 275, 295, 301 f., 319, 374, 387 Bettelzeichen 46 ff., 51, 53 f., 84, 100, 106 ff., 115, 133, 147, 173, 196, 198, 246, 324, 327 ff., 333, 335 f., 339, 341, 344, 346, 363, 365 f., 374 Bettler – Sammelbezeichnung 338 – starker siehe Mendicans validus Bettlerrecht 26, 31, 71, 80, 163, 267, 325, 333 Bettlerverzeichnis 173 Bevölkerungsschwund 194 Binger Rezess 285 Blinde 52, 60, 63, 130 Böhmen 358 Bonn 187, 191, 196 ff., 199 f., 206, 319, 322, 329, 337 ff., 340 f., 344, 361, 363 f., 367 ff., 370, 372 ff., 375 f., 383, 388, 392, 394 Bordell 185 Bourse commune 56 Brabant 206 Brandbrief siehe Branddrohbrief Branddrohbrief 338 f., 364, 383 Brandenburg 251, 399 Brandgeschädigte 279, 346, 360 f., 383 Brandmarkung 219, 222 f., 265, 268, 323, 333, 342 f., 347, 350 f., 353 ff., 360, 363, 388 Brandopfer siehe Brandgeschädigte Brandstiftung 93, 221 f., 336, 339 Braunschweig 57, 66 Brephotrophia 138 Breslau 57
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Brettdreher 355 Bridewell Arbeitshaus 177 Brüchtenordnung 194 Brüchtenstrafe 202, 331, 333, 384 Brüchtenverhör 260 Bruderschaft 44, 48, 85, 134, 153, 183, 263, 306, 312, 370 Brügge 57, 62, 66 Büchsengeld 189 Büchsenkasten 189 Bürgereid 198 Bürgerrecht 198 f., 398 Bürokratisierung 100 Bußgeld 196 f. Bußsakrament siehe satisfactio Caritas 33 ff., 45, 62, 68, 78, 83, 89 ff., 92 f., 99, 102, 108 f., 111, 116, 120, 139, 149, 153 f., 160, 167, 184, 186, 193, 214, 243 f., 248 ff., 256 f., 281, 283, 291 f., 296, 304 ff., 310 f., 313 ff., 318, 324, 335, 370, 373 f., 386 ff., 389 ff., 392, 395 Carolina 339, 354 Casus extremae necessitatis 166 Corpus iuris civilis 42, 77 Crimen falsi 43 f., 54 f., 59 ff., 84 f., 157, 165, 168, 186, 207, 228, 239, 261, 269, 323, 335, 352, 360, 362, 383, 401 Cura pauperum 165, 169 Curator pauperum 139 Danzig 57, 177 Defectus 97 Dekretisten 37, 39, 42 Denuntiatio evangelica 41 Denunziation 176, 253, 255, 302, 331, 333, 339 Dépot de mendicité 376 Deserteur 264, 342 Deutschherrenorden 161, 216 Diebstahl 85, 150, 174, 202 f., 206 f., 212, 219, 222, 232, 240, 269, 317, 323 f., 326, 334 f., 338, 343 f., 354 f., 360, 384 Dispens 262 f., 311 f., 315 Domänen 271 Dominikanerorden 64, 119, 215 Duisburg 380
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Orts- und Sachverzeichnis
Echternach 309 Egens 33, 63, 168 Eheaussteuer 108, 112, 116 Ehrbarkeit 136, 182, 233, 240, 261, 378 Ehrenbreitstein Festung 191, 212 f., 240, 260, 273 Ehrenbreitstein Tal 247, 273 Ehrlosigkeit 301 Einbürgerung 315, 327, 332 Einreiseverbot 101 f., 150, 172, 203, 227 f., 264, 358 f., 384 Einwanderung 175, 229., 314 f. Einwohnerrecht 226 England 48, 177, 401 Eremit 210 f., 308 Ergasteria siehe Zuchthaus Erziehung 29, 116, 178, 230, 245, 249, 293 f., 325, 341, 328, 362, 369, 371, 373, 377 f., 382, 388, 396, 400 Erziehungsanspruch, staatlicher 300, 396 Erziehungsgedanke 223, 245, 300, 325, 341, 377, 396 Existenzvernichtung siehe Maßnahme Existenz vernichtend Exklusionskriterium – Arbeitsfähigkeit 72 f., 96 f., 132, 141, 226, 355, 393 – Arbeitsunwilligkeit 194, 325, 355, 378 – Auswanderung 224 ff., 279 f. – Fremdheit 26, 37, 47, 51, 71 f., 75, 77 f., 94, 100 f., 140, 148, 159, 172 f., 195, 207, 226, 232 f., 272 f., 283, 287, 308, 310, 315 f., 323, 326, 393, 396 – Konfession 178 f., 184, 233 – Lebenswandel 96, 233 – Prostitution 240 Extrema necessitas 37, 166 Exulanten lutherisch 165 Faßgroschen 370 Fastenzeit 262 f. Fastnacht 194, 291, 331 Feiertage 131, 184, 224, 299, 324, 328, 371, 381 Festungsbau 223, 230, 278, 325, 343 Finanzausgleich 253, 269, 286, 359 Finanzierung 27, 29, 56 ff., 64, 66, 78, 109 ff., 112 ff., 116, 128 f., 130, 134, 142,
151, 156 f., 162, 166, 172, 178, 183, 188 ff., 191, 196, 201, 204, 207, 215, 217 f., 241, 244, 249 ff., 257, 262 f., 269, 285, 291 f., 294 f., 297, 299, 303 ff., 306, 311, 314, 318, 324, 328, 330, 361, 370 ff., 373, 375, 384, 386, 388 f., 394 f., 399 Findelkind 271, 329 Flandern 66 Flößer 357, 364 Flüchtlinge 191 f. Formula reformationis 82, 122, 125 ff., 144, 155 ff., 158 ff., 161, 178, 235, 390 Frankfurt 317, 385 Frankreich 191, 228, 319, 358, 385, 395 Franziskanerorden 64, 119, 309 f. Frauen 72, 98, 108, 116, 177, 185, 203, 224, 300, 337, 354 Freiburg i.Br. 72, 74 Freising 339 Fürsorgekonzept 58, 82 f., 87, 101, 104, 106 f., 117, 244, 283, 305, Fürsorgeorganisation 27 f., 30, 49, 65, 71, 75, 80 f., 85 f., 107, 112 f., 122, 129, 134, 138, 144, 146, 148, 154, 161, 173, 177, 196, 199, 205, 207, 218, 229 f., 243, 252, 264, 272, 274, 281, 287, 297, 299, 312 f., 317, 320, 324, 326, 334 ff., 345, 348, 351, 360, 368, 387, 390 ff., 397 Galeerendienst siehe Galeerenstrafe Galeerenstrafe 223, 268, 278, 355 Gartknechte 124, 221 Gassenbettel 168, 217, 242, 247, 272, 290, 337, 360, 367 Gasthaus 123, 202, 204, 270, 299, 306, 323, 352, 359, 371, 383, 387 Gaststätte siehe Gasthaus Gastwirt 364 Gaukler 185, 338, 355 Gefahrenabwehr 89, 92 ff., 99, 174 f., 185, 224, 228, 242 f., 281, 283, 286, 303, 315 f., 326, 350 f., 358, 390 f., 393 Gefahrenquelle Sexualität 185 Gefahrenzuschreibung 124, 175 f., 192, 202 f., 212, 222, 227 f., 351 Geilermeister siehe Bettelvogt Geisteskranke 376
Orts- und Sachverzeichnis Geistlicher Bettel siehe Mendikanten Gemeiner Kasten 66 Gemeiner Nutz 70, 75, 89, 94, 153, 190, 238, 287, 326, 393 Gemeines Bestes 287 Gemeines Wesen siehe Gemeiner Nutz Generalalmosensammelstelle 291 Gerontocomia 138 Geselle 247, 258, 284 Gesetzgebung Supraterritorial 72, 209, 224, 264, 267, 274, 277, 279, 318, 339, 352 f., 359 ff., 391, 397 Gesetzgebungskompetenz 42, 45, 48 f., 60, 65, 69, 73, 76, 89, 112, 122, 163, 165 ff., 168 f., 243 f., 252, 257, 313 Gestaltungskompetenz siehe Gesetzgebungskompetenz Gesundheitspass 227 f., 246, 358 f. Glossatoren 37, 42 Glückseligkeit 229, 396 Gotteskasten 166, 169 Gotteslästerung 96, 146, 325 Habsburg 57, 60, 65, 158, 225 Halle 57 Hamburg 57, 177 Handwerker 127, 149, 190, 259, 301 Häretiker 182 Hausarme 44, 169, 173, 196, 198, 200, 212, 248, 256, 260, 295, 298, 329 Hausdurchsuchung 61, 240 f., 246, 336 Hausierer siehe Kleinhandeltreibende Hebamme 98, 241, 370 Heimarbeit 298, 386 Heimatprinzip 67, 69, 76 f., 79, 111, 147, 173, 225 f., 245 f., 252, 255, 272, 277, 297, 303, 326 f., 359 Heimatprinzip Paradoxon 277 Heiratsbeschränkung 275, 314 Heiratserlaubnis 315 Heiratsverbot 175, 275 f. Hessen-Kassel 30, 85, 191, 250, 267 Hexenprozesse 129 ff., 134 Hexenverfolgung siehe Hexenprozesse Hexerei 116, 129 Hochzeit 194, 314, 331, 384 Hospital 35, 43 ff., 47, 49, 63, 75, 79, 83 ff., 104, 106, 109, 113 f., 122, 125 ff., 132,
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134 f., 136 ff., 139 ff., 142 ff., 146 f., 149, 151, 154 ff., 156 ff., 159 ff., 162, 165 f., 172, 178 ff., 181 ff., 185 ff., 191, 199 f., 205, 216, 230 ff., 233 ff., 236 ff., 239, 241, 244 f., 247, 254, 256, 258 f., 263, 268 f., 274, 292, 295 f., 306, 312, 319, 327 ff., 333, 335, 337, 339, 361, 365, 369 ff., 387, 390, 392, 394 – Altersversorgung 35 – Finanzierung 110, 126, 182, 199 f., 231, 235 f., 329, 370, 387 – Provisor siehe Hospitalsverwalter – Verwaltung 78, 82, 122, 125 f., 128, 135, 137, 144, 149, 156, 160, 162, 179 ff., 182, 199, 233, 328 f., 339 Hospitalfundus 234 Hospitalpersonal 127, 143, 182, 238 f. Hospitalrecht 28, 164, 185 Hospitalsaufseher siehe Hospitalsverwalter Hospitalsmeister siehe Hospitalsverwalter Hospitalsverwalter 84 f., 126, 131 f., 143 f., 149, 152, 154, 160, 179 f., 183, 186 f., 234 ff., 238 f., 263 Hospitalvisitationsrecht 158 f. Hospitalvorsteher siehe Hospitalsverwalter Hungersnot 55, 124, 166, 313 Husaren 357, 363 Industrialschule 386 f. Inertia 169 Inklusionskriterium – Alter 33, 38, 97, 131, 147, 167, 221, 325, 365 – Arbeitsunfähigkeit 33, 40, 46, 50 f., 61, 78, 94, 96 ff., 130 f., 140, 147, 186, 189, 192 f., 199, 209, 252, 254, 283, 290, 293, 296 f., 299, 320, 325 f., 330, 335, 343 f., 346 f., 354 f., 362, 369, 387, 393 – Arbeitswilligkeit 192, 199, 207, 314, 327, 333, 393 – Christlicher Lebenswandel 94, 96, 98 f., 102, 152, 184, 233, 245, 311 – Kinderreichtum 51, 97, 131 – Konfession 160, 165, 177 ff., 180, 182, 184, 233 – Lebenswandel 184, 314, 332 – Notsituation 35, 38, 95 f., 103, 108, 153, 334
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Orts- und Sachverzeichnis
– Versorgungsunfähigkeit 94, 96, 127, 156, 179, 184, 189, 245, 297 f., 320, 346, 362, 365, 393 – Zugehörigkeit 37, 95, 98, 100, 147, 150, 156, 186, 199, 245, 255, 283, 325, 387, 393, 396 Innsbruck 325 Jahrmarkt 176 Jesuiten 171, 215, 339 Johanniterorden 161 Juden 206, 220, 227, 240, 264, 279, 315 f., 323, 347 f., 351, 357 f., 384 f., 397 Jugendliche 52, 108, 116, 178, 254, 265, 269, 288, 290, 293 f., 300, 328, 369 ff., 382, 386, 388 Jülich-Berg 159, 196, 307, 354, 375, 379 Kaiserswerth 320, 340 f., 343, 347 f., 357, 361 f., 375, 379 Kamberg 174, 266 Kapuziner 380 Karmeliter 64, 119, 121, 215, 380 Kastenordnungen 57, 61, 66 f., 101, 119 f., 134 Katzenköpfe 278 Kegelspiel 377, 381 Kempten 279, 304 Kesselflicker 223, 279, 332, 338 Kindbettnerin 51 f., 98 Kinder 33, 51, 53, 58, 61, 63, 73, 76, 97, 112, 126, 131, 133, 138, 140, 148 f., 151, 164, 186, 188, 195, 203, 222 ff., 245, 255, 265, 268 ff., 271 f., 287, 290 f., 293, 295 f., 300, 328 f., 345, 347, 353 ff., 360, 367, 369, 371, 375 f., 385, 388, 398 – unehelich 240 f. Kinderbettel 345, 347 Kirchendiebstahl 206 Kirchengut 26, 49, 61, 112, 134, 181 ff., 395 Kirchenordnung katholisch 386 f. Kirchenordnung reformiert 67, 80, 180 Kitzingen 57 Kleingewerbetreibende 124, 218, 324, 332 Kleinhandeltreibende 175 f., 206 f., 220, 227 f., 240, 267, 270, 278 f., 332, 336, 347, 351, 355 ff., 363 f., 366, 397 Kleinhändler siehe Kleinhandeltreibende
Kleinwarenhändler siehe Kleinhandeltreibende Kleve-Jülich 80, 196 Klingelbeutel 238, 387 Kloster 34 f., 39, 70, 83, 111, 128, 137, 144 f., 156, 159 f., 213, 215 ff., 218, 230, 250, 256 f., 265, 292, 294 ff., 299, 305 ff., 308, 312, 321, 367, 371, 379 f., 394 ff., 399 Klostergüter 144, 292, 296 Klosterhospital 83, 144 Klosterkirche 299 Klosterleben 136, 144 Klosterreform 137, 144 Knappschaft 153, 188 f. Koblenz 86, 175, 209, 212 ff., 217, 230, 240 f., 247 ff., 250, 253, 258, 260, 263 f., 273, 275, 286, 289, 291, 296 f., 302 ff., 311, 314, 316 f., 368, 371, 392 Kollekte 41, 56, 61, 111, 213, 278 f., 291, 297 ff., 304, 306, 310, 313, 361, 366, 371, 387, 396 Köln Stadt 137, 181, 308, 321 f., 339, 352, 366, 376, 379 Köln Universität 134 Kommission ad pias causas 230 ff., 234 ff., 239, 263 f., 271, 274, 281, 296 f., 306 Konfessionalisierung 26, 140, 179 f. Konfiskation 72, 74, 150, 176, 196, 200, 203 ff., 206 f., 211, 226, 267, 279 f., 308 f., 333, 357, 379 f. Konfiszierung siehe Konfiskation Königsberg 57 Konzil von Trient 49, 79, 82, 139, 144, 154 ff., 157 f., 161, 178, 181 f., 235, 312, 390 Kornbevorratung 201, 292, 313, 368, 399 Kornpreis 194, 201 Kornspende 213, 216 f., 295 Krankenfuhren 277 Kreditvergabe 190, 237 Kreisleutnant 268 Kreuzprozession 214, 217 f., 248, 275, 285, 291 Kriegsknechte siehe Söldner Kuppelei 81, 93, 96, 99, 219, 240 Kurpfalz 80, 90, 93, 97, 176, 267, 280, 307, 375, 396
Orts- und Sachverzeichnis Landesverweis 102, 117, 122 f., 132, 173, 177, 192, 195, 205 ff., 210, 212 f., 217, 220, 222 f., 226, 228, 240 f., 245, 253 ff., 264 ff., 268, 273, 275, 277, 279 f., 282, 284 f., 286, 288, 290, 300, 302, 308, 320, 322 f., 331 ff., 337, 340 f., 343, 346 f., 349, 359, 365, 378, 385, 388, 397 f. Landfahrer 79 Landshut 196 Landstreicher 174, 203, 222, 227, 231 f., 239, 269, 286 f., 289, 340, 349 f., 398 Lasterkarre 240 Laterna Magica 279 Lebensmitteltafel 25 Leges fundamentales 71, 80, 86, 146 Lehrling 249, 258 Leibesstrafe 202, 206, 219, 223, 226, 255, 265, 268, 357 Leibzoll 220 Leipzig 54, 302 Leisnig 57 f., 61, 66, 119 f. Leprose 45, 51 f., 54, 66, 121, 128, 140 ff., 145, 162, 199 f., 221, 329, 370 Leprosorium 54 Liber vagatorum 54 f., 68, 78 Liebesbund 339 Limburg 85, 124, 126, 174, 240, 266 Limina sancta 261 Lindau 72 f., 118 Luxemburg 171, 309, 381 Magdeburg 57 Magister pauperum 179 Mainz 29 f., 81, 125, 196, 214, 219, 222, 231, 245, 253, 264, 267, 280, 282, 290, 293, 295 f., 299, 307, 338 ff., 364, 370 f., 378, 387, 396 Marktrecht 198, 200 Marseille 277 Maßnahme – Existenz vernichtend 205, 207, 221, 223, 349, 354 f., 397 – flankierend 175 ff., 178, 201, 246, 258, 274 f., 281, 307, 349, 368, 379, 388, 397 f. – präventiv 73, 108, 118 f., 148, 190, 249, 259, 318, 328, 368, 386, 388, 398 f. – repressiv 44, 48, 52 f., 60, 72, 74 f,, 77, 79 ff., 83, 101 f., 116., 122 ff., 145,
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150 f., 164, 170, 173 f., 178, 192, 197 f., 202 ff., 205 ff., 209 ff., 212, 218 f., 221, 223 f., 227 ff., 231 f., 240 f., 243, 246, 253 f., 264 ff., 267 f., 270 ff., 274 ff., 280, 284, 286 f., 295, 300 f., 308, 315 ff., 318, 320, 323, 326, 330 ff., 333, 335, 338 ff., 341 ff., 344 f., 347, 349 ff., 352, 354, 356 ff., 359 ff., 362 ff., 382, 388, 390 ff., 397 f. – System stabilisierend 26, 41, 44 f., 48, 53, 146, 161, 186, Mecklenburg 253 Medieval Poor Law 35, 42, 48 Medizinische Versorgung 369 Medtberg 210 Meineid 223 Mendicans validus 40 ff., 43 f., 59, 63, 67, 72 f., 76 f., 93, 98, 138, 141, 143, 147, 151, 164 f., 168, 171, 174 f., 192, 196, 218, 220 ff., 223 f., 227, 230, 242, 245, 255, 264 ff., 276, 284, 295, 334, 341, 349, 355 f., 359, 367, 376 f., 382 Mendikanten 55 f., 69, 73, 79, 120, 134, 136, 177, 238, 260, 279, 308, 321 f., 361, 374, 380 f., 396 Mendikantenorden 26, 40, 64 f., 74, 119 f., 122, 164 f., 171, 256, 260, 279, 296, 308 ff., 321, 379 ff., 396, 399 – Delegitimierung 120 Mendikantenstreit 65 Mensa pauperum 181 ff., 184 Merzig 259 Militärressource 266, 349, 378 Minoriten 119, 321 f., 352, 379 f. Miserabiles personae 140, 164, 334 Misericordia 38 Missbrauchsargumentation 35, 42, 50, 59, 61, 72, 74, 76, 84 f., 92 f., 99, 101, 103, 107, 112, 137, 142, 146, 149, 160, 179, 186, 189, 210, 228, 232, 237, 247, 259, 261, 263, 279, 287, 298, 309, 338, 345 f., 349, 352, 364, 365 f., 377, 383, 385, 392 f., 401 Missernte 295, 313, 368, 379 Mistfest siehe Bettelfest Mord 93, 206, 222, 278 f., 344, 351 Münster 181 Musikanten siehe Spielleute
428
Orts- und Sachverzeichnis
Müßiggang 40, 59, 63, 75 f., 81, 93, 96, 98, 117, 123, 127, 131, 133 f., 143, 147, 164, 168, 194 ff., 197 f., 201, 203 f., 222, 225, 242, 257, 266 f., 275 f., 278, 280 ff., 284, 293 f., 297, 299 f., 322, 325, 331 f., 335, 337, 341 ff., 345, 349 f., 352 f., 355, 359, 362, 365, 369, 376 f., 381 f., 385, 395, 398 – Ansteckungsgefahr 355, 359, 398 Nacheile 265, 279 Nächstenliebe siehe Caritas Nachtwache 353 Nachtzettel 273, 276, 278, 306 Nassau-Oranien 317 Nassau-Saarbrücken 265 Nassau-Usingen 317 Nassau-Weilburg 317 Necessarium 37, 39, 68 Norm Legitimation 27, 30, 43, 50, 64 f., 75, 77 ff., 80 ff., 83, 86, 88 ff., 92, 94, 110 f., 113, 122, 145, 153, 172, 201, 205, 219, 232, 234, 238, 241 ff., 281 f., 287, 297, 304, 307, 325 f., 392 f., 400 f. Norm Motivation siehe Norm Legitimation Normkompetenz siehe Gesetzgebungskompetenz Not siehe extrema necessitas Notsituation 95 Nürnberg 45, 47 ff., 5, 52 ff., 55 ff., 59 ff., 72 f., 75, 90 ff., 94, 98 ff., 105, 107, 114 ff., 118 f., 308, 357
Passierscheine siehe Ausweis Pauperes 33, 63, 140, 155, 164 Pest 130, 227, 264, 358 Pferdezucht 205 Pfründer 35, 132, 137, 143, 236 f., 369 Pilger 41, 52, 86, 102 ff., 106, 115, 117 f., 126 f., 131, 137, 140, 156, 185 f., 193, 239, 246, 261 f., 308 f. Pilgerausweis siehe Pilgerschein Pilgerbescheinigung siehe Pilgerschein Pilgerfahrt siehe Wallfahrt Pilgerpatent siehe Pilgerschein Pilgerreise siehe Wallfahrt Pilgerschein 117, 127, 261 f. Poena extraordinaria 44, 168, 269 Polen 227 Polizeiarbeitshaus 376 ff. Polizeiwissenschaft 229, 294 Porta Nigra 211, 214 Praebender siehe Pfründer Prag 358 Preissteigerung 166, 172, 262, 368 Preußen 180 Prostitution 185, 240 f., 301 Provence 358 PSKO 267 ff., 270, 272 ff., 276, 278 f., 317, 354, 356, 360, 363 f., 370 PSO 222, 224, 265, 267 ff., 270, 272, 274, 339 f., 353 ff., 359 ff., 364 Puchkinder 188 Quästionierer
Oberhof Koblenz 316 f. Oberhof Trier 316 f. Oberinspektionskommission siehe Kommission ad pias causas Obstbaumveredelung 386 Opferstock 61, 64, 142 Opus publicum siehe Arbeit, öffentliche Orphanotrophia 138 Osnabrück 293 Österreich 29, 154, 177, 22, 240, 289, 319, 358, 373, 399 Otio 164, 169 Papstmandat 1478 78, 84, 125 Paris 58, 60, 62, 65, 228 Pass siehe Ausweis
73 f., 79, 120
Rabbiner 385 Rasphuis Amsterdam 177 Raub 124, 143, 174, 192, 202 f., 206, 219, 221 f., 240, 243, 257, 267 f., 278, 282, 317, 326, 350, 359, 371, 384, 397 Räuberbande 202 ff., 268, 278 f., 323, 352 f., 356, 359 Rechenschaftspflicht siehe Rechnungslegung Rechnungslegung 58, 82, 85, 109, 116, 125 ff., 131, 143 f., 149, 152, 157, 160, 182 f., 189, 199 f., 234 ff., 238 f., 274, 293, 298 f., 328, 333, 335, 366, 385, 387 Rechtlosigkeit 74, 79, 123, 150, 225 Rechtstheorie 26 ff., 42, 163, 252
Orts- und Sachverzeichnis Rechtstransfer 65, 391 Recklinghausen 204, 340, 351, 363, 380, 384 ff., 387 Regelungskompetenz siehe Gesetzgebungskompetenz Regensburg 57, 74, 136 Reichsabschied 1495 69, 71 Reichsabschied 1497 72 f., 118 Reichsabschied 1498 74 Reichsabschied 1500 74 Reichsabschied 1551 204 Reichsabschied 1654 271 Reichsgesetzgebung Umsetzung 80, 82 Reichskreis – kurrheinischer 26, 267 f., 270, 272, 278 ff., 360, 363 – oberrheinischer 221 f., 225, 267 f., 270, 272, 279, 339 f., 353, 359 f., 391 Reichspolizeiordnung 1530 70, 74 ff., 77 ff., 80, 86 f., 89, 93, 104, 112 f., 125, 135, 144 ff., 148 ff., 151, 325 Reichspolizeiordnung 1548 81 f., 152, 156 f., 203 Reichspolizeiordnung 1577 81 f., 166, 209, 391 Reisepass siehe Ausweis Reiseverkehr 192, 202 Religionsunterricht 293, 395 Rheinberg 184 Rom 262 Rutenstrafe 222, 226, 265, 268, 333, 350 f., 354, 365 Säkularisierung 26, 112, 180, 385 f., 395 Salamanca 66 Salzburg 384 Sammelprozession siehe Kreuzprozession Satisfactio 36, 303, 399 Sauferei siehe Trinksucht Schanzenbau 280, 355 Schausteller 53, 72 Schirmgulden 220, 285 Schlesien 358 Scholar 118, 164 f., 168 Scholastik 36, 38, 41, 48, 59, 67 f., 70, 73, 84, 97, 140, 157, 295, 310, 314, 324, 399 Schornsteinfegerei 306, 370
429
Schulausbildung 249, 398 Schule 52, 61, 108, 116, 249, 300 Schüler arme/fahrende 41, 52, 56, 59, 73, 108, 118 f., 130, 172, 245 Schulpflicht 328 Selbstmord 321 Seuche 227 f., 316, 358 f. Seuchenabwehr 227 f., 246, 264, 277, 315, 355, 358, 382, 384, 398 Seuchenbekämpfung siehe Seuchenabwehr Seuchenprävention 320 Seuchenverursacher 264, 384 Sicherheit, öffentliche 62, 124, 192, 202, 218, 221, 229, 240, 266, 272, 282, 342, 344, 346, 350, 355, 359, 362, 383 Sieche siehe Leprose Soldaten 203 f., 213, 228, 277, 342, 354, 357, 359, 383 Söldner 81 Solms-Braunsfels 317 Solms-Laubach 317 Solms-Rödelheim 317 Sondertatbestand 52, 120, 134, 172, 209 ff., 228, 230 f., 256, 259 f., 262, 273 f., 279, 281, 307, 320 f., 339, 361, 379, 383 Sorbonne 60, 62, 64 ff., 86, 108, 120 Sozialparasitentum 401 Sozialversicherungssystem 190 Spanien 66 Spanische Niederlande 70, 86, 104, 111, 119 f., 123, 150, 152, 193, 391 Spendenliste 250, 285, 313 f., 371 Speyer 29, 111, 290 Spieler 72, 123, 182, 185, 223 Spielleute 71 f., 79, 185, 338, 347, 355, 364, 384, 397 Spinnhaus 97, 237, 291 ff., 294 ff., 297 ff., 300 f., 318, 320, 368 f., 395 Spinnhauskommission 292, 296 Spinnstube 295, 386 St. Wendel 214 Staatsrechtslehre 70, 164 f., 245, 282, 294, 316, 326 Stadtmusikus 387 Stadtverweis 47, 53, 56, 72, 286, 300 Stationierer 73 f., 79, 120, 136 Steuerbewilligungsrecht 113 f., 394
430
Orts- und Sachverzeichnis
Stiftung 35, 39, 45, 48 ff., 56, 61, 78 f., 83 ff., 87, 104, 106 f., 109, 112, 125, 128 ff., 131, 143, 154, 156 ff., 171, 178 ff., 182 f., 200 f., 213, 215 f., 218, 230, 233 ff., 236 ff., 239, 249, 263, 269, 281, 291, 296, 306, 312 f., 329, 361, 366, 370 f., 385 ff., 395 Stock- und Zuchthaus 256, 268, 340 ff., 343 f., 347 ff., 357 f., 360 ff., 363 f., 375 f., 381 ff., 388 Stockschläge 262, 264, 316, 338 Strafentrias 222 f., 254 f., 265, 268, 284, 331, 333, 335 f., 342, 346 f., 350, 353 f., 363 ff., 388 Strafgeld 200, 255, 269, 365, 374, 383 Strafstock 286 Stralsund 57 Straßburg 49, 53 ff., 57 ff., 62, 71 ff., 75, 107, 119 Straßburger Betrügnisse 54 f., 73 Straßenbettel siehe Gassenbettel Straßenraub siehe Raub Streifen siehe Streifungen Streifungen 174, 202 ff., 206, 223 f., 246, 252, 254, 265, 269, 272, 278 f., 286, 289, 316 f., 336, 339, 348, 352 ff., 354, 359, 364 f. Student 130, 134, 171 f., 212, 287, 357, 376, 381 Superfluum 37, 39, 41, 68 Supplikation 189, 240, 252 Systemtheorie 31 f. Tagelöhner 97, 127, 150, 194 f., 216, 220, 228, 296, 298, 301, 367, 387 Taube 60 Taufe 194, 331 Terminieren 69, 73 f., 120, 210, 256, 260, 279, 307 ff., 321, 339, 361, 379 f., 396 Testament 129, 134, 166, 250, 274, 312, 371 Teuerung siehe Preissteigerung Textilgewerbe siehe Textilindustrie Textilhandel 206 Textilindustrie 175 f. Todesstrafe 143, 219, 221 f., 224, 267 f., 331, 333, 338 f., 342 f., 347, 349 ff., 353 ff., 357, 360, 363, 365, 377, 397 f.
Trier-Heiligkreuz 219 f. Trier-Karthaus 133, 219 Trier-St. Barbara 219, 241 Trier St. Jost 128 Trier St. Maximin 133, 217 Trier St. Simeon 216 Trier Stadt 86, 88, 109, 111, 116, 123 f., 126 f., 128 ff., 131 f., 134, 170 f., 173, 175 f., 184, 209, 211 ff., 214 ff., 217, 219 f., 228, 231, 235, 238, 240 f., 248, 258, 261 f., 281, 284, 286 ff., 290 ff., 294 ff., 309, 314, 316 f., 368 Trier Textilindustrie 291 Trinksucht 93, 133, 182, 378 Türken 150, 203, 310, 335 Überschwemmung 269, 279 Ulm 47 Umherziehende siehe Vagabund Ungarn 225 f., 229, 264, 266, 308, 359 Universität Trier 171, 291 Unterstützungsanspruch 252 Urfehde 124, 221 ff., 240, 265, 268, 331, 343, 365, 397 Usus modernus pandectarum 28, 163, 185 Vagabund 123 f., 150, 164, 170, 172, 174 ff., 188, 201 ff., 203, 206 f., 211, 213, 218 ff., 221 f., 224, 226 ff., 229, 239 f., 246 f., 253, 254 f., 264 ff., 267 ff., 276, 280, 282, 284, 289, 301, 306, 316 f., 324, 320, 326, 332 f., 335, 337 f., 340 ff., 346 ff., 353 ff., 356 ff., 359 f., 362 ff., 365, 375 ff., 378, 381 ff., 384, 388, 391, 397 Vaganten siehe Vagabund Vagierende siehe Vagabund Venedig 58 Vermögenserhebung 285 Versorgungsumfang 108, 143, 160, 341 Villmar 174, 266 Visitation Häuser 61, 246, 336 Visitation Hospital 82, 157 f., 161, 180, 231, 234 f., 237 f., 306, 386 Visitation Kloster 144 Visitation mobile Personengruppen siehe Streifungen Visitationsrecht Hospital 158 f., 234
Orts- und Sachverzeichnis Waisen 116, 125, 140, 156, 159, 189, 191, 258, 268, 293, 298, 334, 388, 398 Waisenhaus 138, 171, 183, 230, 249, 258 Waisenkasse 191 Waldheim 177 Wallfahrt 69, 86, 102 f., 104, 115, 117, 176, 261 f., 309 Wasser und Brot 341, 346 f. Wegalmosen siehe Wegzehrung Wegzehrung 61, 103, 193, 269, 320, 323 Wehrheim 265 Weimar 80 Weingut 126, 236 f. Werkgerechtigkeit 68, 90 Werl 387 Westfalen 139, 152, 180, 187, 193, 195 ff., 199, 204, 319, 325, 328 ff., 333 ff., 338, 340, 348, 350 f., 353, 360, 363, 365, 376, 382, 385, 387 f. Wetzlar 317 Wied-Neuwied 317 Wied-Runkel 317 Wiedertäufer 123 Wien 292, 385 Wilderer 378 Wirtshaus siehe Gasthaus Wittenberg 57, 66, 119 f., 189 Witwe 125, 130, 156, 159, 186, 191, 216, 298, 334 Witwenkasse 191 Wohlfahrt 75, 282, 316, 326, 393 Wohlfahrtspflege 377 Wollproduktion 292, 372
431
Wollspinnerei siehe Wollproduktion Wollweber 176, 216 Worms 71, 74 Wucherverbot 195 f. Wucherzinsen 165 Württemberg 80 Würzburg 29, 111, 119, 121, 180 Xenodochia
137
Ypern 56 f., 60 ff., 64 f., 65, 75, 79, 101, 105, 107, 113 f., 119 f., 193 Zehrpfennig 269 Zeitwahrnehmung 300 Zigeuner 71 f., 74, 79 f., 123, 150, 164, 202 ff., 205 f., 218 ff., 221 ff., 224, 226, 265, 267 ff., 270 f., 278, 316, 332 f., 342 ff., 347 f., 350 f., 353 ff., 358, 360, 397 Zigeunerstöcke 219, 343, 350 Zuchthaus 162, 165, 169, 177, 201, 230, 256, 268, 271, 274, 278, 280 ff., 287, 290 ff., 293 ff., 298 ff., 301 ff., 317, 319 f., 340 ff., 343 f., 347 ff., 356 ff., 360 ff., 365, 372, 374 ff., 377 f., 381 f., 386, 388, 395, 398 f., 401 Zuhälter 72, 301 Zunft 44 f., 48, 83, 134, 164, 249 f., 258 f., 267, 307, 312 Zürich 102, 108, 120 Zwangsrekrutierung 266, 276, 398 Zwickau 57, 61, 69 f., 112, 114