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German Pages XII, 222 [231] Year 2020
Tim Senn
Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems Konzeptualisierung der Entscheidungstatbestände und Ableitung von Gestaltungshinweisen
Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems
Tim Senn
Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems Konzeptualisierung der Entscheidungstatbestände und Ableitung von Gestaltungshinweisen
Tim Senn Basel, Schweiz D100
ISBN 978-3-658-31787-4 ISBN 978-3-658-31788-1 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-31788-1 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Carina Reibold Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Vorwort
Auf dem Weg von der Idee bis zur Veröffentlichung haben zahlreiche Personen zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen, denen ich an dieser Stelle herzlich danken möchte. Mein ganz besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Karsten Hadwich für die Betreuung meiner Arbeit. Ich konnte während der ganzen Promotionszeit immer auf ihn zählen; er hat mit seiner fachlichen und persönlichen Unterstützung einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen dieser Arbeit und zu meiner Entwicklung geleistet. Dafür und für das entgegengebrachte Vertrauen, die spannenden Diskussionen und die Möglichkeit, mich als externer Doktorand in den Lehrstuhl zu integrieren, bin ich sehr dankbar. Großer Dank gilt auch Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Manfred Bruhn für die Übernahme des Zweitgutachtens. Mit seinem Engagement für das Thema und seinem großen Erfahrungsschatz stand er mir als wichtiger Diskussionspartner stets mit wertvollen Anregungen zur Seite. Meinen Arbeitskolleg*innen bei der Prof. Bruhn & Partner AG möchte ich ebenfalls herzlich danken. Zunächst Dr. Mareike Ahlers und Dr. Falko Eichen dafür, dass sie mir diesen Weg ermöglicht haben. Falko Eichen hat mich zudem nicht nur dazu bewegt, diesen Schritt überhaupt zu gehen, sondern hat als Coach in den entscheidenden Phasen auch in besonderem Maße zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen; ohne ihn gäbe es die vorliegende Arbeit nicht. Meinen aktuellen und ehemaligen Arbeitskolleg*innen Johann Schweizer, Andreas Martinis, Judith Müller, Damian Hostettler, Rahel Biner, Stefan Zimmermann, Christoph Benecke und Benjamin Biesinger danke ich für die die tolle Arbeitsatmosphäre, die spannenden gemeinsamen Projekte sowie viele unterhaltsame Momente.
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Vorwort
Das gleiche gilt für die aktuellen und ehemaligen Mitarbeiter*innen des Lehrstuhls für Dienstleistungsmanagement Bettina Bürkin, Denise Joecks-Laß, Katharina Mayer, Lukas Ogrzewalla, Lutz Gaissmaier, Dr. Mareike Falter, Dr. Sabrina Weigel, Dr. Marion Popp, Dr. Philipp Maitzen und Dr. Corinna Braun sowie die externen Doktoranden Dr. Cornelius Moll, Felix Salzer, Dr. Philipp Becker und Dr. Michael Hepp. Die gemeinsamen Doktorandenkolloquien und Konferenzbesuche waren stets ein Highlight und haben für viele positive Erlebnisse und spannende fachliche und nicht-fachliche Diskussionen gesorgt. Ein besonderer Dank geht an Dr. Mareike Falter, die mit ihrem fachlichen Engagement und ihrer ansteckenden Motivation eine wichtige Diskussionspartnerin war. Auch Dr. Verena Batt danke ich dafür, dass sie uns Doktoranden als erfahrene Wissenschaftlerin stets bereitwillig unterstützt hat. Schließlich möchte ich mich bei meinen Freunden und meiner Familie bedanken. Bei meinen Freunden, insbesondere Manuel, Bastian, Jonas und Dominik als wichtige Quellen des Ausgleichs. Bei meinen Eltern Pascale und Christoph, die mich mit ihrer unterstützenden und zugleich gelassenen Art immer auf sehr positive Weise gefördert haben. Und bei meinen Geschwistern Joëlle, Kilian und Annick, die mir nicht nur immer gute Freunde waren, sondern in vielen Bereichen eine wichtige Motivationsquelle für mich sind. Basel im Juli 2020
Tim Senn
Inhaltsverzeichnis
1 Die Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems als Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Hintergrund und Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Strukturveränderungen und der Paradigmenwechsel zur Ecosystems-Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Begriffliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Digitalisierte Service Ecosystems als junges Forschungsfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Literaturüberblick und Kernthemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3 Kritische Würdigung und Anforderungen an die weitere Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Prozess der Entstehung und Etablierung von Ecosystems und Fokus der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Zielsetzung, Gang der Untersuchung und Erkenntnisbeitrag . . . . . 2 Konzeptualisierung und theoretische Fundierung von digitalisierten Service Ecosystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Vorgehensweise und theoretisch-konzeptioneller Bezugsrahmen zur Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Konzeptualisierung der Entscheidungstatbessstände in Ecosystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Überblick und Struktur der Entscheidungstatbestände . . . .
1 1 4 6 10 10 11 16 19 24 29
29 33 33
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2.2.2 Unterscheidung zwischen zentralen und peripheren Akteuren in Ecosystems als Grundlage für die Struktur der Entscheidungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.1 Orchestrierung und Partizipation durch zentrale und periphere Akteure . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.2 Komplementarität der zentralen und peripheren Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.3 Modularität der zentralen und peripheren Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Beschreibung der Entscheidungstatbestände . . . . . . . . . . . . 2.2.3.1 ETB 1: Festlegung der zentralen Akteure . . . . . . 2.2.3.2 ETB 2: Integration der zentralen Akteure . . . . . . 2.2.3.3 ETB 3: Festlegung der Offenheit gegenüber peripheren Akteuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3.4 ETB 4: Integration der peripheren Akteure . . . . . 2.3 Konzeptualisierung der Entscheidungsvariablen . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Überblick und Struktur der Entscheidungsvariablen . . . . . . 2.3.2 Transaktionskostentheorie als theoretische Perspektive auf die Entscheidungsvariablen . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Anwendung der Transaktionskostentheorie auf digitalisierte Service Ecosystems und Beschreibung der Entscheidungsvariablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.1 Eingrenzung des Kontinuums auf eher marktliche und hybride Koordinationsformen sowie Erweiterung um Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.2 Verhaltensannahmen: Beschränkte Rationalität und Opportunismus . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.3 EV 1: Spezifität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.4 EV 2: Strategische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.5 EV 3: Unsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.6 EV 4: Häufigkeit/Dauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.7 Transaktionsatmosphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Zusammenführung der ETBs und EVs zu Orientierungshypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35 35 37 40 49 49 51 54 56 60 60 62
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69 71 74 75 75 77 77 78
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3 Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems auf Basis empirischer Evidenzen und konzeptioneller Vertiefung . . . . . . 3.1 Methodisches Vorgehen und Datengrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Fallstudienarbeit als Untersuchungsmethodik . . . . . . . . . . . 3.1.1.1 Auswahl der Fallstudienmethodik für die Untersuchung von digitalisierten Service Ecosystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1.2 Definition und Arten von Fallstudien . . . . . . . . . . 3.1.1.3 Erhebungsmethoden und Datenquellen bei Fallstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1.4 Gütekriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Auswahl und Beschreibung der Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.1 Überblick und Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.2 Fallstudie 1: Smart City Initiative . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.3 Fallstudie 2: Open Data Initiative . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Vorgehen zur Datenerhebung und -analyse . . . . . . . . . . . . . 3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 ETB 1: Festlegung der zentralen Akteure . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.1 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.2 Verfeinerung der Orientierungshypothesen . . . . . 3.2.1.3 Gestaltungshinweise zur Festlegung anhand eines Rollenmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.4 Zusammenfassung der Erkenntnisse zum ersten Entscheidungstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 ETB 2: Integration der zentralen Akteure . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.1 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.2 Verfeinerung der Orientierungshypothesen . . . . . 3.2.2.3 Gestaltungshinweise zur Integration mittels Orchestrator Relationship Management . . . . . . . . 3.2.2.4 Zusammenfassung der Erkenntnisse zum zweiten Entscheidungstatbestand . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 ETB 3: Festlegung der Offenheit gegenüber peripheren Akteuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3.1 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3.2 Verfeinerung der Orientierungshypothesen . . . . . 3.2.3.3 Gestaltungshinweise zur Festlegung der Offenheit anhand eines Kontroll- und Datenstrommodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
3.2.3.4 Zusammenfassung der Erkenntnisse zum dritten Entscheidungstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 ETB 4: Integration der peripheren Akteure . . . . . . . . . . . . . 3.2.4.1 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4.2 Verfeinerung der Orientierungshypothesen . . . . . 3.2.4.3 Gestaltungshinweise zur Integration mittels Participator Relationship Management . . . . . . . . . 3.2.4.4 Zusammenfassung der Erkenntnisse zum vierten Entscheidungstatbestand . . . . . . . . . . . . . .
143 144 144 147 148 154
4 Überführung der Erkenntnisse in ein Anwendungsmodell . . . . . . . . . 4.1 Zielsetzung des Anwendungsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Vorstellung der Instrumente zur Anwendung in der Praxis . . . . . . . 4.2.1 Ecosystem Canvas als strukturierte Diskussionsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1.1 Aufbau des Canvas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1.2 Schritte und Hinweise zu den Elementen des Canvas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Liste mit Umsetzungsthemen hinsichtlich der Organisations-, System- und Angebotsarchitektur . . . . . . . 4.2.3 Anwendungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Anwendungsbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
157 157 161
5 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Limitationen der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Implikationen für die Praxis: Prinzipien des agilen Managements von Ecosystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Implikationen für die weitere Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1.1 Abbildung 1.2 Abbildung 1.3 Abbildung 1.4 Abbildung 1.5 Abbildung 2.1 Abbildung 2.2 Abbildung 2.3 Abbildung 2.4 Abbildung 2.5 Abbildung 2.6 Abbildung 2.7 Abbildung 2.8 Abbildung 2.9 Abbildung 2.10 Abbildung 2.11 Abbildung 2.12 Abbildung 2.13 Abbildung 2.14
Verschiebung der Perspektive zu Ecosystems . . . . . . . . . Definitionen von Ecosystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Themen der aktuellen Forschung zu Service Ecosystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozess der Entstehung und Etablierung von Service Ecosystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erkenntnisbeitrag der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorgehen und theoretischer Bezugsrahmen . . . . . . . . . . . Entscheidungstatbestände in Ecosystems . . . . . . . . . . . . Zentralität und Komplementarität der Akteure . . . . . . . . Vergleich zwischen modularen und integralen Architekturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Integrale und modulare Architektur am Beispiel eines Anhängers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Austauschbeziehungen zwischen den Elementen eines Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zentrale Akteure und Kernkompetenzen in Ecosystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grade der organisatorischen Integration . . . . . . . . . . . . . Schnittstellen und Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entscheidungsvariablen und Einfluss auf die Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markt-Hierarchie-Kontinuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analyserahmen der Transaktionskostentheorie . . . . . . . . Mangelnde Internalisierbarkeit trotz hoher Risiken . . . . Value Co-Creation unter Coopetition . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abbildung 2.15 Abbildung 3.1 Abbildung 3.2 Abbildung 3.3 Abbildung 3.4 Abbildung 3.5 Abbildung 3.6 Abbildung 3.7 Abbildung 3.8 Abbildung 3.9 Abbildung 3.10 Abbildung 3.11 Abbildung 3.12 Abbildung 3.13 Abbildung 3.14 Abbildung 3.15 Abbildung 3.16 Abbildung 4.1 Abbildung 4.2 Abbildung 4.3 Abbildung 4.4 Abbildung 4.5 Abbildung 5.1
Abbildungsverzeichnis
Überblick über die Orientierungshypothesen . . . . . . . . . Stärken und Schwächen von Fallstudien und statistischen Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gütekriterien für Fallstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht über die Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datengrundlage der Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick über die Wertschöpfungsrollen im Ecosystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausprägungsgrade der Interaktion und Koordinationsrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rollenmatrix im Ecosystem (exemplarisch) . . . . . . . . . . Zusammenfassung ETB 1: Festlegung der zentralen Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klassifikation multipler Geschäftsmodelle und Identitäten in Ecosystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung ETB 2: Integration der zentralen Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wertschöpfungsschichten digitalisierter Service Ecosystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Offenheit des Ecosystems auf verschiedenen Layers . . . Ausprägungen der Offenheit/Beschränkung (exemplarisch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung ETB 3: Festlegung der Offenheit gegenüber peripheren Akteuren . . . . . . . . . . . . Services zur Unterstützung der Wertschöpfung peripherer Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung ETB 4: Integration der peripheren Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Handbuch und Poster zum Anwendungsmodell . . . . . . . Ecosystem Canvas (verkleinert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsetzungsthemen hins. der Organisations-, System- und Angebotsarchitektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . Drehbuch Ecosystem Workshop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ecosystem Canvas ausgefüllt (exemplarisch) . . . . . . . . . Stoßrichtungen für die Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79 85 91 94 100 110 112 113 114 128 130 138 141 142 144 153 155 159 162 172 175 178 192
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Die Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems als Herausforderung
1.1
Hintergrund und Motivation
2017 stellt der Automobilzulieferer ZF die innovative Lösung „Car eWallet“ vor. Die Lösung für autonomes Bezahlen von Fahrzeugen basiert auf der BlockchainTechnologie und wird von ZF, der Großbank UBS und dem IT-Dienstleister IBM lanciert: „ZF, UBS und IBM […] stellen künftig gemeinsam die neue offene Automotive-Transaktionsplattform für Mobilitätsdienste auf Basis der BlockchainTechnologie bereit. Car eWallet hat das Potenzial, die Art, wie Hersteller, Zulieferer und Dienstleister digitale Transaktionen verarbeiten, radikal zu verändern und die Nutzung von Services rund um das Fahrzeug erheblich zu vereinfachen“ (IBM, 2017a). Anfangs des selben Jahres stellten UBS und ZF die Lösung an der Technologiemesse CES noch gemeinsam mit dem Energiedienstleister Innogy vor (Orizet, 2017). Inzwischen wurde Car eWallet als Tochterunternehmen von ZF in ein eigenes Startup ausgegliedert (ZF, 2018). Wie hat sich die Konstellation dieser zentralen Akteure verändert? Welchen Entscheidungen sahen sie sich bei der Gestaltung der Lösung gegenüber, die zu einer Veränderung der Rollen im Ecosystem führten? Der Begriff der Ecosystems hat sich zum Schlagwort entwickelt, mit dem ein großer Enthusiasmus hinsichtlich neuer Wege und Formen der Wertschöpfung einhergeht, an denen mehrere Akteure beteiligt sind. Häufig werden damit plattformbasierte Geschäftsmodelle oder digitale Marktplätze in Verbindung gebracht oder Ecosystems betrachtet, bei denen ein zentraler Akteur das Ecosystem und die darin enthaltenen Akteure orchestriert. Das eingangs erwähnte Beispiel zeigt aber, dass Unternehmen zunehmend auch in Kollaboration mit anderen Akteuren Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht https://doi.org/10.1007/ 978-3-658-31788-1_1 © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Senn, Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31788-1_1
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Die Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems …
auf Augenhöhe Lösungen in Ecosystems aufbauen. Dies kann auf die Strukturveränderungen durch die Digitalisierung und der damit verbundenen Auflösung von Branchengrenzen zurückgeführt werden. Historisch bilden sich Allianzen besonders häufig in High-Tech-Industrien mit großer Unsicherheit (Hagedoorn und Schakenraad, 1992). Kooperationen ermöglichen es Unternehmen, neue Technologien anzuwenden, Märkte zu erschließen oder Services zu entwickeln, ohne zuerst die Kompetenzen dazu selber aufbauen zu müssen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich im Kontext der Digitalisierung zunehmend komplexe Ecosystems entwickeln. Unternehmen sehen sich Herausforderungen gegenüber, die die Einbindung komplementärer Kompetenzen erfordert – wenn notwendig auch die bisheriger Konkurrenten. Mit Daimler und BMW entscheiden 2019 zwei große Konkurrenten, ihre Geschäfte im Bereich neuer (digitaler) Mobilitätslösungen zusammenzulegen: „Viele dieser Pläne erfordern nicht nur eine neue Sicht auf unser eigenes Geschäft, sondern auch neue Partnerschaften mit anderen. Über das alte „Freund oder Feind?“Schema hinaus sehen wir auch die Möglichkeit, gleichzeitig Partner und Rivalen zu sein. Deshalb bündeln wir unsere Kräfte mit einem vielleicht unerwarteten aber eben auch höchst kompetenten Partner“ (Zetsche, 2018). Im Rahmen der Open Data Initiative von Microsoft, Adobe und SAP etablieren drei Softwareriesen, die teilweise im Wettbewerb stehen, eine gemeinsame Plattform für den Austausch von Daten zwischen ihren Plattformen, wovon eine Vielzahl an Akteuren profitiert (Ahuja, 2019). Auch im Kontext des Internet of Things sprechen Unternehmen von Ecosystems: „Intel is at the center of a vibrant ecosystem of organizations that are speeding the development of the IoT in industries and applications everywhere“ (Intel, 2020). Sogar in Stellenanzeigen werden „Ecosystem Development Manager (Apps)“ (Huawei, 2019) oder „Senior Ecosystem Manager“ (Vontobel, 2019) gesucht. Letzterer übernimmt strategische Aufgaben hinsichtlich der Entwicklung neuer Lösungen und dem Aufbau von Beziehungen zu Partnern: „Define the company’s ecosystem strategy by identifying existing and future relevant systems and by evaluating market trends and technological developments. Have an active role in the execution of the strategy by coordinating and leading projects to bring use cases to life. Build and maintain relationships with existing and potential partners […]“ (Vontobel, 2019). Auch im wirtschaftspolitischen Kontext findet eine Auseinandersetzung mit dem Thema statt. So unterstützt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in Deutschland eine Digital Hub Initiative, die ein bundesweites Startup-Ecosystem fördern soll (DE-HUB, 2019). Die UNESCO beschreibt, wie durch die Digitalisierung jede Stadt zur Smart City und damit zu einem Ecosystem wird (UNESCO und NETEXPLO, 2019, S. 107).
1.1 Hintergrund und Motivation
3
Analog zu diesen Entwicklungen zeigt sich ein reges Forschungsinteresse. Die aktuelle Forschung stellt die Bedeutung von Ecosystems als Grundlage für Innovation (Chandler et al., 2018; Helkkula et al., 2018; Rubalcaba et al., 2012) und Value Co-Creation (Adner, 2017; Autio und Thomas, 2019; Wieland et al., 2012) heraus. Teece (2016) führt aus: „[…] the concept of ecosystem might now substitute for the industry for performing analysis“ (S. 2). Herkömmliche Perspektiven der Forschung werden als ungeeignet erachtet, um die beschriebenen Entwicklungen in ihrer Gänze zu untersuchen: „Traditional analysis of sectors and their evolution lacks the vocabulary to consider groupings such as ecosystems or examine their dynamics“ (Jacobides et al., 2018, S. 36). Dennoch zeigen sich, trotz der großen Begeisterung für das Thema, Schwierigkeiten im Hinblick auf das bisherige Verständnis von Ecosystems in der Forschung. Dieses ist durch eine geringe theoretische Fundierung (Jacobides et al., 2018), einen hohen Abstraktionsgrad (Vargo und Lusch, 2017) und eine Heterogenität hinsichtlich der theoretischen Grundlagen, Annahmen und beschriebenen Phänomenen gekennzeichnet (Autio und Thomas, 2019, S. 3). Im Bereich der Dienstleistungsforschung lässt sich eine deutliche Verschiebung der Perspektive zu Service Ecosystems beobachten, getrieben durch die Service Dominant Logic (Vargo und Lusch, 2004; Vargo und Lusch, 2017). Die Service Dominant Logic konstatiert, dass alle Unternehmen Serviceanbieter sind, da „[…] in a service-centered view, tangible goods serve as appliances for service provision rather than ends in themselves“ (Vargo und Lusch, 2004, S. 13). Aufbauend auf den Arbeiten der Autoren rund um Steven Vargo und Robert Lusch wird der grundsätzliche Gedanke der Value Co-Creation durch Ressourcenintegration und Service Exchange dahingehend erweitert, dass Akteure in kollaborativen Arrangements neue Formen der Wertschöpfung finden. In diesen Service Ecosystems spielt die Digitalisierung eine zentrale Rolle und in ihrem Mittelpunkt steht eine Service Plattform (Lusch und Nambisan, 2015). Diese Perspektive auf Ecosystems bringt wichtige Erkenntnisse hinsichtlich einer serviceorientierten Betrachtung der Value Co-Creation durch verschiedene Akteure. Ecosystems werden jedoch primär als eine Perspektive auf diese Wertschöpfung betrachtet, die den Charakteristiken der Komplexität und Dynamik Rechnung trägt. Eine gestaltungsorientierte Betrachtung bleibt weitgehend aus und der aktuelle Abstraktionsgrad der Forschung in diesem Bereich ist, wie später aufgezeigt wird, zu hoch, als dass die eingangs beschriebenen konkreten Herausforderungen adressiert werden könnten. Aufgrund der hohen praktischen und wissenschaftlichen Relevanz von Ecosystems besteht ein Bedarf für anwendungs- und gestaltungsorientierte konzeptionelle und empirische Grundlagenarbeit zur Weiterentwicklung des Verständnisses von Ecosystems.
4
1.2
1
Die Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems …
Strukturveränderungen und der Paradigmenwechsel zur Ecosystems-Perspektive
Der Paradigmenwechsel von einer produkt- und unternehmenszentrierten Betrachtungsweise mit Fokus auf dyadische Kunden-Anbieterbeziehungen entlang der Wertschöpfungskette zu komplexen Ecosystems lässt sich auf drei übergeordnete Veränderungen zurückführen: (1) die zunehmende Serviceorientierung, (2) die Digitalisierung und (3) die Vernetzung der Akteure. Zum einen geht mit einem veränderten Nachfrageverhalten und der Inflation der Kundenanforderungen sowie der Commoditisierung von Produkten und klassischen Dienstleitungen eine zunehmende Serviceorientierung in Forschung und Praxis einher (Bruhn et al., 2015a; Bruhn und Hadwich, 2016; Raddats et al., 2019; Vargo und Lusch, 2004). Damit ist nicht nur die zunehmende Orientierung an den Bedürfnissen der Kunden gemeint, sondern der Wandel hin zu serviceorientierten Geschäftsmodellen (Bruhn et al., 2015a) und die Erkenntnis, dass Service die Grundlage ökonomischen Austauschs ist (Vargo und Lusch, 2004). Zum andern verändert die Digitalisierung herkömmliche Wertschöpfungsmodelle und ermöglicht neuen Anbietern bestehende Strukturen neu zu definieren (Sklyar et al., 2019a). Der Begriff der Digitalisierung bezeichnet „[…] the use of digital technologies to change a business model and provide new revenue and value-producing opportunities; It is the process of moving to a digital business“ (Gartner Glossary, 2019). Die Digitalisierung verändert die Wertschöpfung ganzer Branchen und treibt den Trend zu serviceorientierten Geschäftsmodellen an. Dies ist beispielsweise in der Film- oder Musikindustrie zu beobachten. Musik und Filme werden längst nicht mehr als Produkte verkauft, sondern als digitale Dienstleistungen im Abonnement bezogen. Dadurch verändert sich nicht nur das Nachfrage- und Konsumverhalten, sondern auch die Struktur der Anbieter. Einhergehend mit dem Trend, im Internet of Things alltägliche Objekte zu vernetzen (Ng und Wakenshaw, 2017), wird Musik über eine Vielzahl an Geräten – vom Telefon bis zum smarten Fahrzeug – gestreamt und dabei über Plattformen und Apps mit den Anbietern interagiert. Diese Geräte sind Träger weiterer Apps und Services beliebig vieler Akteure (Yoo et al., 2010). Ähnliches lässt sich im Zuge der Industrie 4.0 beobachten: Durch die Vernetzung von Maschinen in der Industrie zu Cyber-Physical-Systems werden diese zu Dienstleistungsplattformen (Bauernhansl et al., 2014; Bruhn und Hadwich, 2017). Die zunehmende Serviceorientierung und Digitalisierung haben eine Vernetzung der Akteure zur Value Co-Creation zur Folge (Bruhn, 2018, S. 29). Zur Entwicklung neuer Formen der Wertschöpfung werden branchenübergreifende komplementäre Kompetenzen zusammengebracht und es lässt sich insgesamt eine
1.2 Strukturveränderungen und der Paradigmenwechsel zur …
5
Auflösung herkömmlicher Branchengrenzen beobachten. Das eingangs erwähnte „Car eWallet“ stellt ein Beispiel für dieses Phänomen dar. Mit dieser neuen Perspektive kommt der Betrachtung komplexer Interaktionen zwischen einer Vielzahl an Akteuren zur Value Co-Creation eine zentrale Bedeutung zu. Die herkömmliche, auf die Wertschöpfungskette (Value Chain) eines einzelnen Unternehmens sowie dyadische oder triadische Kunde-AnbieterLieferanten-Beziehungen fokussierte Perspektive in Wissenschaft und Praxis ist eine ungenügende Basis zur Analyse solcher komplexen Wertschöpfungssysteme. Stattdessen rücken Ecosystems für die Betrachtung ökonomischer Wertschöpfung in den Mittelpunkt (Teece, 2016, S. 2). Damit verändert sich die Perspektive auf die Wertschöpfung als Ganzes, auf die Generierung von Wettbewerbsvoreilen, auf die Stellung des Kunden sowie der Fokus der Interaktion, des Wettbewerbs und letztlich des unternehmerischen Handelns. Abbildung 1.1 veranschaulicht diese Veränderungen.
Abbildung 1.1 Verschiebung der Perspektive zu Ecosystems
6
1
Die Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems …
Mit dieser neuen Perspektive geht eine Verschiebung von der Optimierung der Produktion auf die Optimierung des Value-in-Use einher (Vargo und Lusch, 2004). Die Anbieter interagieren im Ecosystem, um eine Value Proposition zu schaffen (Frow et al., 2014). Wert an sich entsteht jedoch erst durch die Interaktion mit dem Kunden und dessen Nutzung der Leistung (Vargo und Lusch, 2017). Bei der Schaffung dieser Value Proposition und der dazugehörigen Arrangements aus Akteuren entstehen Wettbewerbsvorteile nicht mehr aus produktionsorientierten Skalenerträgen, sondern aus der Integration der komplementären Akteure. Durch eine transaktionskostenminimierende Integration wird die Effizienz und Stabilität des Ecosystems und der Value Co-Creation gewährleistet und Innovation gefördert. Voraussetzung zur Realisierung des Value-in-Use ist die Integration der Kunden als Wertschöpfungspartner. Der Kunde ist damit nicht bloß Abnehmer eines Produkts oder einer Dienstleistung, sondern ein Akteur im Ecosystem, der an der Value Co-Creation aktiv beteiligt ist (Vargo und Lusch, 2004). Die Bedeutung der Integration der komplementären Akteure und der Kunden legt nahe, dass in Ecosystems dem Aufbau von Beziehungen eine wichtige Bedeutung bei der Interaktion mit anderen Akteuren zukommt. Dies bedingt eine langfristige Perspektive, die über einzelne Transaktionen hinaus geht. Die Beziehung zwischen den Akteuren kann dabei zugleich von Kooperation und Wettbewerb geprägt sein. Diese Coopetition (Brandenburger und Nalebuff, 1996) stellt eine wichtige Dynamik innerhalb und zwischen Ecosystems dar (Adner, 2017). Letztlich gilt es für Unternehmen, den Fokus auf diese Beziehungen zu legen und die integrativen Prozesse so auszugestalten, dass eine effektive Interaktion mit Kunden und komplementären Anbietern möglich ist. Zusammenfassend wird Wert nicht mehr als etwas betrachtet, das von einem einzelnen Unternehmen geschaffen wird, sondern als etwas, das durch die Interaktion einer Vielzahl an Akteuren unter Einbezug des jeweiligen Kontexts entsteht (Ng und Vargo, 2018, S. 518). In Anbetracht dieser Strukturveränderungen wird im Folgenden der Begriff der Ecosystems näher betrachtet.
1.3
Begriffliche Grundlagen
Als Grundlage für die vorliegende Arbeit ist ein Verständnis für den Begriff der digitalisierten Service Ecosystems zu schaffen. Moore (1996) prägte den Begriff des Business Ecosystems als Analogie zum biologischen Ökosystem als „[…] an economic community supported by a foundation of interacting organizations and individuals – the organisms of the business world“ (S. 26). Analog zum biologischen Ökosystem besteht das Business Ecosystem aus interagierenden Organisationen und
1.3 Begriffliche Grundlagen
7
Quelle
Begriff
Definition
Lusch und
Service
„[…] a relatively self-contained, self-adjusting system of mostly
Nambisan
Ecosystem
loosely coupled social and economic (resource-integrating)
(2015, S. 161)
actors connected by shared institutional logics and mutual value creation through service exchange.“
Müller-Stewens
Business
„Business ecosystems are an organizational form that enables
und Stonig
Ecosystem
coordination between independent but complementary players
(2019, S. 381)
around a shared value proposition, thus creating added value.“
Autio und
Business
„Business ecosystems are dynamic and purposive networks
Thomas
Ecosystem
within which participating firms co-create value together with
(2018, S. 10)
customers and other ecosystem stakeholders […]. Ecosystem participants combine their individual offerings into a coherent, customer-facing value proposition.“
Teece
Business
„A business ecosystem is a group of interdependent
(2016, S. 1)
Ecosystem
organizations collectively providing goods and services to their customers. Shared standards and interfaces are inherent features of platform-based ecosystems. They permit the members of the ecosystem to innovate independently while competing collectively against other firms and/or ecosystems in the relevant market.“
Moore
Business
„[…] an economic community supported by a foundation of
(1996, S. 26)
Ecosystem
interacting organizations and individuals – the organisms of the business world. The economic community produces goods and services of value to customers, who are themselves members of the ecosystem.“
Adner
Ecosystem
(2017, S. 40)
„[…] the alignment structure of the multilateral set of partners that need to interact in order for a focal value proposition to materialize.“
Jacobides et al. (2018, S. 14)
Ecosystem
„[…] ecosystems are groups of firms that must deal with either unique or supermodular complementarities that are nongeneric, requiring the creation of a specific structure of relationships and alignment to create value.“
Abbildung 1.2 Definitionen von Ecosystems
Individuen. Diese stehen in komplexen Beziehungen untereinander und zu ihrer Umwelt und prägen durch ihre Interaktion das Ecosystem (Iansiti und Levien, 2004;
8
1
Die Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems …
Moore, 1996). Zugleich sind sie von dessen Gesundheit und Fortbestand abhängig (Iansiti und Levien, 2004). Ausgehend von dieser Analogie hat sich der Begriff in den letzten Jahren in der Forschung und in der Praxis stark verbreitet. Dabei findet er in unterschiedlichen Kontexten Anwendung (Autio und Thomas, 2014, S. 2). So wird im Bereich der Dienstleistungsforschung von Service Ecosystems gesprochen (Lusch et al., 2016). Im Bereich des strategischen Managements wird von Business Ecosystems oder Ecosystems gesprochen (Autio und Thomas, 2019; Jacobides et al., 2018; Teece, 2016). Weiter finden sich in verschiedenen Disziplinen Begriffe wie Startup Ecosystems, Innovation Ecosystem, Platform Ecosystem, Software Ecosystems, Digital Ecosystems u. a. m. Die Betrachtung der Literatur zeigt, dass viele Autoren auf eine Definition verzichten oder auf bestehende Definitionen verweisen. Abbildung 1.2 zeigt eine Auswahl an Definitionen auf, die für diese Arbeit relevant sind. Diese Definitionen und die dahinterstehenden Konzepte betonen unterschiedliche Aspekte, können aber als komplementär betrachtet werden und weisen eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf. Insbesondere können auf Basis der erwähnten Quellen folgende Eigenschaften von Ecosystems festgehalten werden: • Interaktion anbieterseitiger Akteure zur Schaffung einer Value Proposition: Eine Gruppe von Unternehmen interagiert und ist so fähig, eine Leistung für den Kunden zu erbringen, die sie alleine nicht erbringen könnten. Dazu kombinieren sie ihre komplementären Kompetenzen. Dabei stehen sie häufig in einer Beziehung, die zugleich durch Kooperation und Wettbewerb geprägt ist (Bouncken et al., 2015). Durch die Einbindung des Kunden entsteht die Value Co-Creation. • Strukturierung und Integration der Akteure: Zum Zweck der gemeinsamen Value Co-Creation koordinieren die Akteure ihre Beziehungen durch Strukturen und institutionelle Arrangements. Nicht alle Akteure sind fest eingebunden, die Struktur zeichnet sich durch Modularität und informelle Verbindungen aus. • Dynamik des Ecosystems: Dabei stehen weder die Value Proposition noch die Koordination der Akteure a priori fest, sondern sind Ergebnis der Interaktion und der Wechselwirkungen im Ecosystem. Ecosystems entwickeln sich „evolutionär“, das heißt sie erzeugen Wertschöpfungsformen und Strukturen, die nicht vorab absehbar waren. Diverse Autoren weisen zudem auf eine gewisse Zentralität von Ecosystem bzw. auf die Existenz zentraler Akteure hin (Breidbach et al., 2016; Dhanaraj und Parkhe, 2006; Hurmelinna und Nätti, 2018; Iansiti und Lakhani, 2017; Klerkx und Aarts, 2013; Nilsen und Gausdal, 2017; Paquin und Howard-Grenville, 2013). Ein oder mehrere Akteure orchestrieren das Ecosystem, ohne dass sie dieses vollständig
1.3 Begriffliche Grundlagen
9
beherrschen oder kontrollieren könnten. Sie stellen eine gemeinsame Basis (Plattform) zur Interaktion zur Verfügung, die es peripheren Akteuren ermöglicht, zu partizipieren (Autio und Thomas, 2018). Im Verlauf dieser Arbeit wird aufgezeigt, dass die Trennung in zentrale und periphere Akteure wesentlich für die Betrachtung von Ecosystems ist (vgl. Abschn. 2.2). Unter Einbezug dieser Aspekte betont der Begriff der digitalisierten Service Ecosystems die serviceorientierte Perspektive und den Fokus auf die Aspekte der Digitalisierung der vorliegenden Arbeit. Sowohl Service als Grundlage der Wertschöpfung als auch die Digitalisierung als wesentlicher Bestandteil und Treiber dieser Wertschöpfung sind aus Sicht der vorliegenden Arbeit konstituierende Merkmale von Ecosystems, weshalb im weiteren Verlauf der Arbeit die Kurzformen Service Ecosystem und Ecosystem synonym verwendet werden. Digitalisierte Service Ecosystems werden auf Basis der aufgezeigten Definitionen für die vorliegende Arbeit wie folgt definiert: Digitalisierte Service Ecosystems sind wechselseitige Arrangements zwischen komplementären Akteuren zur Schaffung einer gemeinsamen Value Proposition mit Hilfe digitaler Technologien. Dabei orchestriert bzw. orchestrieren ein oder mehrere zentrale Akteure diese Arrangements und stellen Strukturen (z. B. in Form einer Plattform) für die Value Co-Creation zu Verfügung. Diese erlaubt es peripheren Akteuren anzudocken und zu partizipieren. Die Value Proposition ist dabei dynamisch und zugleich Vorgabe und Ergebnis der Interaktion und Koordination der Akteure. Die Abgrenzung von Ecosystems zu Netzwerken ist in der Literatur nicht abschließend geklärt. Ecosystems fokussieren stark auf unterschiedliche Formen der Interaktion komplementärer Akteure. Zudem steht die „Emergence“ des Systems im Fokus, das heißt die Tatsache, dass die Interaktionen der Akteure das System prägt und umgekehrt, und so neue Strukturen entstehen können, die nicht vorab vorhersehbar sind (Taillard et al., 2016, S. 2972). Wieland et al. (2012) beschreiben dies wie folgt: „[…] a system view differs from a network view in that each instance of resource integration, service provision, and value creation, changes the nature of the system to some degree and thus the context for the next iteration and determination of value creation“ (S. 15). Die Ecosystemperspektive geht daher weiter als die klassische Netzwerkperspektive: „In this sense, ecosystems do not fit into the classical firm-supplier relationship, Porter’s (1980) value system, or a firm’s
10
1
Die Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems …
strategic networks; neither are they integrated hierarchies“ (Jacobides et al., 2018, S. 5). Zur Abgrenzung von Plattformen führen Müller-Stewens und Stonig (2019) – analog zur Definition der vorliegenden Arbeit – aus, dass Plattformen Teil des Ecosystems sein können: „Ecosystems are an inter-company organizational form that addresses a value proposition; platforms are a technical infrastructure that can be used, but does not have to be used, for the operational implementation of ecosystems. An ecosystem can, for example, consist of several (nested) platforms“ (S. 386).
1.4
Stand der Forschung1
1.4.1
Digitalisierte Service Ecosystems als junges Forschungsfeld
Bei digitalisierten Service Ecosystems handelt es sich um ein relativ junges Forschungsfeld. Erst in den letzten Jahren haben sich Ecosystems in verschiedenen Erscheinungsformen zu einem zentralen Betrachtungsobjekt in der Forschung und einem in der Praxis gängigen Begriff entwickelt. Sowohl der wissenschaftliche als auch der praktische Diskurs sind von einem heterogenen Verständnis über die konkreten Bestandteile geprägt. In dieser relativ frühen Phase der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit digitalisierten Service Ecosystems ist es zweckmäßig, sich systematisch mit der aktuellen Forschung zu beschäftigen, sich dieser aber nicht blind inhaltlich und methodisch anzuschließen. Vielmehr gilt es, die aktuelle wissenschaftliche Diskussion auf Basis theoretischer und praktischer Vertiefung der Thematik zu erweitern. Mit diesem Ziel wird nachfolgend ein Überblick zur aktuellen Forschung und den Kernthemen gegeben. Der Überblick fokussiert sich auf Beiträge aus dem Bereich der Dienstleistungsforschung. Auf dieser Basis werden die Defizite herausgehoben und gezielt Anforderungen für die vorliegende Arbeit formuliert, die darauf abzielen, die theoretische Fundierung und praktische Relevanz des Forschungsfelds voranzutreiben. Eine übergeordnete Gegenüberstellung der Forschung zu Ecosystems innerhalb der drei Disziplinen des Dienstleistungsmanagements, des strategischen Managements und der Information Systems findet sich in (Autio und Thomas, 2019).
1 Dieser
Literaturüberblick baut auf einer früheren Publikation des Autors auf (vgl. Senn und Bruhn (2019))
1.4 Stand der Forschung
1.4.2
11
Literaturüberblick und Kernthemen
Im Folgenden wird der aktuelle Stand der Forschung zu Ecosystems im Bereich des Dienstleistungsmanagements betrachtet. Im Anhang 1 findet sich ein tabellarischer Überblick über die bisherigen Forschungsarbeiten im Hinblick auf die Fragestellung, der Art des Beitrages, die Datengrundlage sowie die zentralen Ergebnisse. Auf dieser Basis werden nachfolgend sechs Kernthemen hervorgehoben und beschrieben. Diese sind in Abbildung 1.3 schematisch dargestellt. Die einzelnen Beiträge bewegen sich mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung jeweils in mehreren dieser Themenfeldern, weshalb auf eine exakte Zuordnung der Beiträge bewusst verzichtet wird.
Abbildung 1.3 Themen der aktuellen Forschung zu Service Ecosystems
(1) Grundlegende Beiträge Die aktuellen Forschungsarbeiten sind größtenteils durch die Service Dominant Logic (SDL) und deren Anwendung auf Service Ecosystems geprägt. Aus dieser
12
1
Die Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems …
Perspektive heraus ergeben sich die drei im Anschluss beschriebenen Themenfelder Koordination & Institutionen, Ressourcenintegration und Value Co-Creation. Die grundlegenden Arbeiten zur SDL beschäftigen sich inzwischen stark mit dem Thema Service Ecosystems und umgekehrt (Vargo und Lusch, 2017; Wilden et al., 2017). Dabei besteht Konsens, dass sich auch die SDL-getriebene Forschung zu Service Ecosystems noch in einem sehr frühen Stadium befindet (Ng und Vargo, 2018). Die Beziehung zu verschiedenen Disziplinen und Theorien wie Systemtheorie, Komplexitätstheorie, Information Systems Research oder Dynamic Capabilities ist Gegenstand aktueller Diskussionen (Lusch et al., 2016; Vargo und Lusch, 2017; Wilden et al., 2017). (2) Koordination & Institutionen Die Value Co-Creation durch Ressourcenintegration setzt eine spezifische Koordination der Akteure voraus. Aufgrund der Komplexität wird diese Koordination durch formelle oder informelle Regeln, soziale Normen oder kulturelle Annahmen standardisiert. Diese Regeln in Bezug auf Koordination, Kommunikation, Entscheidungen usw. werden Institutionen genannt (Lusch et al., 2016). Institutionelle Arrangements sind Gegenstand und Thema zahlreicher Forschungsarbeiten. Als Institutionen können beispielsweise Werte (Prinzipien, Standards, Moral und Ideale) gesehen werden (Aal et al., 2016, S. 7). Handelt es sich um geteilte Werte im Sinne von Wertresonanz der Akteure tragen sie zur Ordnung bei und sind Teil institutioneller Arrangements, in dem sie Verhaltensweisen vorgeben und Teile der Zusammenarbeit orchestrieren (Aal et al., 2016). Dadurch können sie letztlich zu Innovation führen. Ähnlich tragen geteilte Absichten als Institutionen zur Koordination bei, indem sie kollektives, zielkongruentes Handeln ermöglichen (Taillard et al., 2016). Pop et al. (2018) identifizieren insgesamt neun Typen von Institutionen: Kultur, Struktur, Prozesse, Metriken, Sprache, Praktiken, IP, Gesetzgebung und allgemeine Überzeugungen. Koskela-Huotari et al. (2016) argumentieren, dass Veränderungen im Ecosystem und Innovation durch die Transformation von institutionellen Arrangements bzw. Institutionen entstehen. Sie identifizieren drei Verhaltensmuster institutioneller Arbeit: Institutionalisierte Arrangements bzw. Regeln (1) zu brechen, (2) neu zu bilden und (3) aufrechtzuerhalten. Dies erlaubt es den Akteuren, neue Wege der Wertschöpfung zu bilden – insbesondere durch den Einbezug neuer Akteure, die Neudefinition der Rollen bestehender Akteure oder das Reframing von Ressourcen. Dabei können zunächst Proto-Institutionen mit geringer Verbreitung entstehen, indem Akteure bestehende Strukturen hinterfragen (Kleinaltenkamp et al., 2018). Langfristig können diese Änderungen, die zunächst auf dem Level einzelner Akteure stattfinden, das gesamte Ecosystem verändern. Unterstützt wird
1.4 Stand der Forschung
13
diese Emergenz neuer Lösungen durch die Ecosystems inhärente institutionelle Komplexität, im Sinne der vielzähligen Arrangements. Diese stellen die Akteure vor gegensätzliche Handlungsmöglichkeiten. Die Komplexität reduziert zudem den Einfluss vorherrschender Arrangements und fördert bewusstes Problemlösen durch die Transformation von Institutionen (Siltaloppi et al., 2016). Von besonderem Interesse sind die Grenzzonen zwischen Ecosystems. Simmonds und Gazley (2018) bezeichnen diese als Service Ecotones (Ökotone). Sie zeigen auf, dass diese durch Interaktion an den relationalen, technologischen und institutionellen Grenzen zwischen Service Ecosystems entstehen. Die einzigartige Beschaffenheit dieser Zonen führt sowohl zu erschwerten Bedingungen als auch zu neuen Möglichkeiten für Akteure, die sich den Gegebenheiten anpassen können. Die hohe Aktivität und Dynamik führen zu Diversität, Resilienz, Spannung und Anpassung. Durch die Einführung von Boundary Objects (Grenzobjekte) kann die institutionelle Arbeit über Grenzen von Service Ecosystems hinweg gefördert werden. Sie zerbrechen diese Grenzen, was zur Veränderung der bisherigen Institutionen der einzelnen Systeme führt (Sajtos et al., 2018). Insgesamt zeigt sich, dass Unternehmen auf die Veränderung der Institutionen reagieren, diese aber auch proaktiv herbeiführen (Pop et al., 2018). Die bewusste kollektive Formung von institutionellen Arrangements zur Schaffung von Value kann – in Analogie zu Service Design – als Service Ecosystem Design bezeichnet werden (Vink et al., 2019). Die dazu notwendigen Fähigkeiten sind zu identifizieren. Nenonen et al. (2018) zeigen beispielsweise, dass die Dynamic Capabilities „visioning“ und „influencing explicit institutions“ einen direkten Einfluss auf den Erfolg bei der Beeinflussung der Service Ecosystems haben. (3) Ressourcenintegration Akteure im Ecosystem integrieren Ressourcen mit dem Ziel der gemeinsamen Wertschöpfung (Vargo et al., 2008). Eine Interaktion ist dafür zwar eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung (Peters, 2016). Während weitgehend Einigkeit besteht, dass Ressourcenintegration ein zentraler Aspekt der Wertschöpfung ist, herrscht nach wie vor keine Klarheit über Definition, Kategorisierung und Arten von Ressourcen sowie über die Motive und Einflussfaktoren der Interaktion. Auch negative Aspekte und Motive sind hier von Interesse. Hinsichtlich Arten der Ressourcenintegration kann gemäß Peters (2016) zwischen heteropathischer und homopathischer Ressourcenintegration unterschieden werden. Erstere basiert auf emergenten Beziehungen der Ressourcen und letztere auf summativen Beziehungen. Insbesondere die erstere Form der Integration, bei
14
1
Die Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems …
der das Ergebnis mehr als die Summe seiner Teile ist, ist im Kontext von Value Co-Creation in Service Ecosystems zu betrachten. Pera et al. (2016) nennen als Kernmotive der gemeinsamen Wertschöpfung Reputationsgewinne, die Möglichkeit zum Experimentieren und Beziehungsaufbau. Durch innovative Ressourcenintegration und individuelle Führungseigenschaften entsteht ein orchestrierter gemeinsamer Wertschöpfungsprozess, der auf den unterschiedlichen Identitäten der Akteure aufbaut. Zentrale Treiber hierfür sind Vertrauen, Einbindung und Offenheit. Jonas et al. (2018) identifizieren im B2B-Kontext acht Einflussfaktoren für Stakeholder-Engagement in Service Ecosystems: Freundschaft, gemeinsame Erlebnisse, Selbstdarstellung, Vertrauen, ein gemeinsames Ziel, Ressourcenabhängigkeit, Hierarchiestufe, institutionelle Arrangements und lokale Nähe. Aus der Interaktion können sich auch negative Effekte ergeben. Negative Aspekte wie Konflikt, Ambiguität und Opportunismus zeigen sich in Form absichtlicher Versuche, das Service Ecosystem zum eigenen Vorteil zu beeinflussen. Dies im Bewusstsein, dass diese Handlungen die Wertschöpfung anderer Akteure negativ beeinflussen kann (Mele et al., 2018). Banoun et al. (2016) zeigen auf, dass bei der Weiterentwicklung von Service Ecosystems Phasen der Spannung zwischen den Akteuren entstehen. Diesen folgen Lösungsphasen, in denen die Akteure stabile Vereinbarungen treffen. So wechseln Ecosystems in ihrer Entwicklung zwischen Spannungs- und Lösungsphasen. (4) Value Co-Creation Akteure in Service Ecosystems integrieren ihre Ressourcen durch Interaktion untereinander wodurch eine gemeinsame Wertschöpfung (Value Co-Creation) entsteht (Vargo et al., 2008). Dazu braucht es Governance-Mechanismen bzw. Institutionen, Zugang zu Ressourcen, Austausch von Ressourcen, Rekombination von Ressourcen und Monitoring von Ressourcen (Beirão et al., 2017). Innovationen entstehen durch die Transformation von Institutionen, die die Ressourcenintegration und die Interaktion der Akteure beeinflussen und dadurch letztlich neue Formen der Value Co-Creation hervorbringen (Koskela-Huotari et al., 2016). Zentral sind zwei Komponenten der Value Co-Creation: Erstens die Betrachtung des „Value-in-Use“, da Wert nur durch die Nutzung bzw. den Konsum an sich entstehen kann (Vargo et al., 2008). Zweitens die Partizipation der Akteure am Erstellungsprozess der Leistung an sich, der sogenannten „Co-Production“ (Autio und Thomas, 2019). Die Perspektive der SDL auf Value Co-Creation fokussiert auf Value-in-Use durch Ressourcenintegration. Autio und Thomas (2019) zeigen daneben aber zwei weitere, potenziell komplementäre Sichtweisen auf das Thema auf: (1) Die Perspektive der Information Systems, die auf die Eigenschaften
1.4 Stand der Forschung
15
geschichtet-modularer digitaler Architekturen und Technologien fokussiert und (2) die Perspektive des strategischen Managements, die auf die Koordination der Value Co-Production fokussiert. Aus einer Ecosystems-Perspektive gilt es auch bestehende Konzeptualisierungen von Geschäftsmodellen als Beschreibung der Mechanismen zur Value Co-Creation zu überdenken. Gemäß Fehrer et al. (2018) ist die Sichtweise, dass Unternehmen ganze Systeme kontrolliert beeinflussen können, zu hinterfragen und Geschäftsmodelle von einer unternehmenszentrierten Sichtweise zu einer dynamischen, netzwerk- bzw. plattformorientierten Sichtweise hin zu entwickeln. (5) Digitalisierung und Technologien in Service Ecosystems Digitalisierung und neue Technologien stellen einen zentralen Einflussfaktor auf die Ressourcenintegration und die Value Co-Creation dar und eröffnen neue Möglichkeiten hierzu (Bruhn und Hadwich, 2017). Hinzu kommt, dass sich die Struktur von Ecosystems durch die Digitalisierung maßgeblich verändern kann. Gemäß Sklyar et al. (2019a) stellt Technologie eine „Operant Resource“ bei der Veränderung von Mustern der Ressourcenintegration dar. Sie zeigen auf, dass sich prä-digitalisierte und digitalisierte Ecosystems maßgeblich unterscheiden, insbesondere hinsichtlich der Beziehungen zwischen den Akteuren. Technologie erhöht dabei die Komplexität der Integrationsmuster, verbessert aber auch den Umgang mit dieser Komplexität. Die Rolle von digitalen Plattformen wird auf Basis bestehender Konzepte aus der Information Systems Forschung (insb. auf Basis Yoo et al. (2010)) zwar aufgezeigt (vgl. Lusch und Nambisan (2015)), steht bisher nicht im Mittelpunkt der Betrachtung. Ein Übertrag verwandter Konzepte aus der IS Forschung, z. B. zu „Platform Ecosystems“ (Tiwana et al., 2010), steht in der aktuellen Forschung aus. Insgesamt steht Digitalisierung bisher nicht im Mittelpunkt der einzelnen Betrachtungen und wird nur am Rande angeschnitten. Konkrete Technologien wir IoT, Blockchain oder künstliche Intelligenz haben bisher keinen Einzug gehalten. (6) Service Ecosystems in verwandten Forschungssträngen Es zeigt sich eine heterogene Anwendung des Ecosystems Begriffs in verschiedenen, verwandten Bereichen. Russo-Spena et al. (2017) zeigen interdisziplinäre und fragmentierten Forschungsstränge zu Innovation im Kontext mehrerer vernetzter Akteure auf und schlagen ein Framework zur Zusammenführung und Vertiefung anhand der Ecosystems-Perspektive vor. Auch Helkkula et al. (2018) zeigen, dass sich die Forschung zu Serviceinnovation zu den Dimensionen „Experience“ und „System“ hinbewegt, bei denen die Wertschöpfung durch die Interaktion der Akteure in Service Ecosystems stattfindet.
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Die Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems …
Im Bereich des Relationship Marketings identifizieren Payne und Frow (2017) die Verschiebung der Perspektive hin zu kollaborativen Beziehungen in Ecosystems sowie von Value-in-Exchange zu Value-in-Use als kritische Entwicklungsrichtungen. Dabei handelt es sich aber um einzelne Betrachtungen, die bisher nicht in den Gesamtkontext der Forschung zu Service Ecosystems eingebettet sind. Ein weiterer eigenständiger Forschungsstrang, der sich zum Teil mit Service Ecosystems befasst, ist die Forschung zu Servitization (Bruhn und Hadwich, 2016; Raddats et al., 2019). Zunehmend setzt sich die Erkenntnis durch, dass der vorherrschende Fokus auf einen einzelnen Akteur (das transformierende Unternehmen) zugunsten einer Sicht auf das „Service System“ zu verschieben ist (Eloranta und Turunen, 2015; Sklyar et al., 2019b). Dabei ist festzustellen, dass erstens der Begriff der Service Ecosystems sich im Bereich der Servitization noch nicht fest etabliert hat und synonym mit ähnlichen Konzepten wie Netzwerken, Partnerschaften u. a. m. verwendet wird. Zudem besteht auch in aktuelleren Beiträgen, die sich explizit mit Service Ecosystems befassen, keine direkte Verbindung zu den zuvor beschriebenen Diskussionen. Beispiele für aktuelle Beiträge sind Jovanovic et al. (2019), die aus einer internen Ecosystem-Perspektive die Entwicklung von Dienstleistungsfähigkeiten bzw. -ressourcen im Kontext der Servitization untersuchen. Oder Sklyar et al. (2019b), die Veränderungsprozesse in und zwischen Unternehmen in der digitalen Servitization aus einer Ecosystem-Perspektive analysieren.
1.4.3
Kritische Würdigung und Anforderungen an die weitere Forschung
Aus dem Literaturüberblick ergeben sich verschiedene theoretische, konzeptionelle, methodische und empirische Forschungsfragen und Potenziale für die weitere Forschung. Diese lassen sich in drei übergeordnete Anforderungen zusammenfassen. (1) Reduktion der abstrakten meta-theoretischen Perspektive stark konzeptioneller Beiträge Zunächst ist eine Verringerung des Abstraktionsgrads der Auseinandersetzung mit Service Ecosystems notwendig, um verstärkt managementrelevante Erkenntnisse herbeizuführen. Autio und Thomas (2019) weisen der SDL-getriebenen Forschung zu Ecosystems eine geringe Managementrelevanz zu, da diese sich sehr stark auf die Rolle des Kunden und den Value-in-Use fokussiert, dabei aber die Value Co-Production und die unterschiedlichen Rollen der Anbieter unbeachtet lässt. Ein Großteil der Beiträge ist zudem konzeptioneller Art und verzichtet teilweise gänzlich auf praktische Veranschaulichung und Beispiele. Es gilt, die abstrakten
1.4 Stand der Forschung
17
meta-theoretischen Kernthemen wie Value-Co-Creation auf konkretere Teilaspekte und Fragestellungen herunterzubrechen und anhand konkreter Fälle zu analysieren. Entsprechend sind beispielsweise konkrete Rollen wie zentrale Akteure (Iansiti und Levien, 2004), VoiInstitutionen mit formellen und informellen Verträgen oder Prozessen, die zur Bildung von Ecosystems führen, einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Deshalb gilt es, sich teilweise vom Fundament der Service Dominant Logic zu lösen. Durch eine theoretische Fundierung der Thematik und den Fokus auf Managementaspekte gilt es, ein solides Fundament für konkretere Praxisimplikationen und die weitere Forschung herbeizuführen. Vargo und Lusch (2017) fordern zwar selber eine Verringerung des Abstraktionsgrads. Die abstrakte Beschaffenheit der Service-Dominant Logic an sich kann jedoch – ohne deren perspektivischen Beitrag zur Praxis und Forschung in Frage zu stellen – als mitverantwortlich für die aktuelle Ausrichtung der Forschung zu Service Ecosystems gesehen werden. Vargo und Lusch (2017) konstatieren selbst: „S-D logic is still in its infancy […]“ (S. 64). Sie stellt noch keine „Theorie“ im klassischen Sinne dar (vgl. Brodie et al. (2019)), weshalb sich die Fundierung auf Basis anderer Theorien empfiehlt. Hinsichtlich der methodischen Herangehensweise lässt sich eine klare Dominanz theoretisch-konzeptioneller Beiträge feststellen. Um das Forschungsfeld weiterzuentwickeln, ist vermehrt evidenzbasierte, empirische Forschung notwendig (Vargo und Lusch, 2017). Insbesondere quantitative Arbeiten und Langzeitstudien sind bislang eher die Ausnahme. Dies kann auf den niedrigen Reifegrad des Forschungsfelds und die geringe Operationalisierbarkeit von Ecosystems zurückgeführt werden. In der aktuellen Entwicklungsphase empfiehlt sich daher eine weitere theoretische Fundierung, konzeptionelle Vertiefung, sowie die Analyse mittels zielgerichteter qualitativer Fallstudienarbeit. Dadurch kann die Theorieentwicklung vorangetrieben und die Grundlagen für empirische Arbeiten gelegt werden. (2) Vertiefung der Kollaboration Die große Bedeutung von Institutionen in Service Ecosystems gibt Hinweise darauf, dass Kooperationen zwischen Akteuren in Service Ecosystems eine bedeutende Rolle spielen. Dieser Aspekt wird in der aktuellen Forschung durch die Untersuchung der Entstehung, Ausprägung und Veränderung von Institutionen – als Basis für Ressourcenintegration und Value Co-Creation – anhand kollaborativer Arrangements miteinbezogen. Eine explizitere Betrachtung der Kollaboration und Integration von Organisationen kann neue Erkenntnisse für die Gestaltung und das Management von Service Ecosystems liefern. Hier bieten die Erkenntnisse aus der Institutionenökonomik eine Basis, anhand derer die organisationale Integration als Ausprägungsdimension von Institutionen untersucht werden kann.
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Die Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems …
Im Kontext der Kollaboration ergibt sich ein relevantes Forschungsinteresse bei der vertiefenden Betrachtung der coopetitiven Dynamiken und der „Dark Sides“ des Verhaltens der Akteure in Bezug auf die Ressourcenintegration und die ValueCo-Creation. Neue konzeptionell-empirische Arbeiten wie Mele et al. (2018) und Banoun et al. (2016) weisen darauf hin, dass die Value Co-Creation durch Opportunismus und Spannungen geprägt sein kann. Cabiddu et al. (2019) gehen noch weiter und untersuchen Value Co-Destruction in B2B-Beziehungen. Sie identifizieren eine Reihe wertzerstörender Aktivitäten bzw. Interaktionen und deren Auswirkungen. Diese Aspekte wurden in der bisherigen Forschung weitgehend ausgeblendet. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass die Entwicklungen in Service Ecosystems jeweils rein wertschaffend sind und Interaktionen keine negativen Effekte auf die Wertschöpfung haben sowie keine der Akteure schlechterstellen. Vielmehr kann angenommen werden, dass sich die Akteure häufig in einem Zustand der Coopetition befinden und beispielsweise zugleich Wettbewerber und Komplementäranbieter sind (Brandenburger und Nalebuff, 1996; Bruhn und Hadwich, 2019). Dies kann dazu führen, dass bewusst eine opportunistische Reduktion der Gesamtwertschöpfung zugunsten der Maximierung der eigenen Wertschöpfung in Kauf genommen wird. Das damit verbundene Verhalten gilt es vertieft zu analysieren, um Beziehungen und Interaktionen erklären und Implikationen für die Gestaltung von Service Ecosystems ableiten zu können. (3) Vertiefte Betrachtung der Digitalisierung Kollaborationen werden häufig durch das Fortschreiten der digitalen Vernetzung der Akteure befähigt. Die Rolle von Informationstechnologien in Service Ecosystems wird in der Literatur nur am Rande thematisiert (Ausnahmen sind bspw. Lusch und Nambisan (2015); Sklyar et al. (2019a); Sklyar et al. (2019b)). Es findet jedoch bisher keine umfangreiche interdisziplinäre Betrachtung der Digitalisierung in Service Ecosystems statt. Insbesondere in der Forschung zu Information Systems (IS) finden sich komplementäre Konzepte und Fragestellungen (Autio und Thomas, 2019). Mit der interdisziplinären Betrachtung geht auch eine differenziertere Betrachtung von digitalen Technologien in Service Ecosystems einher. Die BlockchainTechnologie und Anwendungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz bieten beispielsweise wichtige Forschungsfragen im Kontext von Service Ecosystems. Die Blockchain-Technologie kann verteilte, dezentrale Systeme fördern und bietet zahlreiche Möglichkeiten für den sicheren Austausch zwischen verschiedenen Akteuren ohne die Existenz einer zentralen Instanz. Sie ermöglicht neue Formen von Institutionen durch Smart Contracts und Konsensmechanismen (Buterin, 2014).
1.5 Prozess der Entstehung und Etablierung von Ecosystems und Fokus der Arbeit
19
Anwendungen Künstlicher Intelligenz ermöglichen es den Akteuren, neue Formen der datengetriebenen Wertschöpfung zu generieren (Brynjolfsson und McAfee, 2017). Daten rücken zunehmend in den Mittelpunkt der Wertschöpfung und es gilt, diese in ihrer Eigenschaft als zentrale Ressource in Ecosystems zu analysieren. Im Zusammenhang damit steht auch die Konzeptualisierung der Wertschöpfungsarchitektur von digitalisierten Service Ecosystems. Die von Lusch und Nambisan (2015) und anderen Autoren propagierte geschichtet-modulare Architektur von digitalisierten Service Ecosystems geht auf Arbeiten aus der Information Systems Forschung, insbesondere Yoo et al. (2010), zurück. Eine vertiefte Betrachtung der Modularität und Integralität (Baldwin und Clark, 2000; Baldwin und Woodard, 2008), wie sie bei digitalen Systemen üblich ist, bleibt bisher weitgehend aus. An dieser Stelle können auch Erkenntnisse aus den Forschungsarbeiten zur Dienstleistungsmodularität (Brax et al., 2017; Dörbecker und Böhmann, 2013; Voss und Hsuan, 2009) hilfreich sein.
1.5
Prozess der Entstehung und Etablierung von Ecosystems und Fokus der Arbeit
Die vorliegende Arbeit fokussiert auf die Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems. Um diesen Fokus genauer zu erläutern, wird ein konkreter Bezugsrahmen entlang des Prozesses der Entstehung und Etablierung von Service Ecosystems dargelegt. Der Prozess zeigt auf, wie aus den beschriebenen Strukturveränderungen ein Veränderungsdruck und neue Möglichkeiten der Wertschöpfung für Unternehmen entstehen. Dies führt zur Initiierung von digitalisierten Service Ecosystems. Die Initiierung führt wiederum dazu, dass die kollaborierenden Akteure gefordert sind, das Ecosystem fortlaufend zu gestalten. Auf dieser Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems liegt der Fokus der Arbeit. Die Akteure, die das Ecosystem aktiv prägen, sehen sich Organisations- und Koordinationsproblemen gegenüber und es gilt, ihre Organisation, ihre Systeme und ihre Angebote entsprechend auszugestalten. Diese Gestaltung prägt die Marktreaktion in Form der Kundenakzeptanz und der geteilten Erlöse der Anbieter und führt dadurch zu Value-in-Use und Value CoCreation als Outcome für die Akteure. Der Prozess wird nachfolgend beschrieben und ist in Abbildung 1.4 dargestellt. Strukturveränderungen Die in Abschn. 1.2 aufgezeigten Strukturveränderungen sind Treiber für die Auflösung bestehender Strukturen und die Initiierung von digitalisierten Service
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Die Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems …
Abbildung 1.4 Prozess der Entstehung und Etablierung von Service Ecosystems
1.5 Prozess der Entstehung und Etablierung von Ecosystems und Fokus der Arbeit
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Ecosystems durch die Akteure. Sie bauen einen Veränderungsdruck auf, in dem klassische Marktlogiken und Geschäftsmodelle in Frage gestellt und durch neue Konzepte und Anbieter herausgefordert werden. Zudem erzeugen sie eine Zugwirkung, da innovative Konzepte und Geschäftsmodelle ermöglicht werden und diese schneller und einfacher realisiert werden können. Letzteres zeigt sich auch darin, dass die aus dem Bereich der Information Systems bekannten, agilen Methoden der Softwareentwicklung und die damit verbundenen Konzepte Eingang in die Managementpraxis und -literatur gefunden haben (Teece et al., 2016). So werden heute neue Dienstleistungen vermehrt in Form eines Minimum Viable Products (MVP) entwickelt und auf den Markt gebracht. Initiierung von digitalisierten Service Ecosystems Die Druck- respektive Zugwirkung der Strukturveränderungen führt zur Initiierung von digitalisierten Service Ecosystems. Initiale Konzepte und Visonen werden entwickelt und passende Verbindungen zu anderen Akteuren aufgebaut bzw. potenzielle Kollaborateure gesucht. Umgekehrt werden auch ohne konkrete Konzepte Verbindungen zu Akteuren mit komplementären Fähigkeiten bzw. Ressourcen aufgebaut. Aus diesen initialen Kontakten und Interaktionen können sich wiederum erste Konzepte für kollaborative Wertschöpfung ergeben. In der Praxis verbreiten sich seit einigen Jahren verschiedene Formate, bei denen die Entwicklung initialer Konzepte bzw. die Knüpfung initialer Kontakte im Mittelpunkt steht oder aber zumindest gefördert wird. Beispiele hierfür sind Hackathons und Co-working Spaces. Hackathons sind kollaborative Veranstaltungen, bei denen innerhalb der vorgegebenen Zeit mittels Soft- und Hardware gemeinsam kreative Lösungen für ein Problem gesucht und entwickelt werden. Ein Beispiel hierfür ist der die Veranstaltung „Bosch Connected Experience“: „Participants will have 30 hours to team up and tackle several exciting hack challenges, using over 135 connectable devices – including cars, eBikes, robots, smart home appliances, cameras, power tools, production machines, sensors, and whole lot more – made available by Bosch and its ecosystem partners“ (Bosch, 2020). Co-working Spaces sind physische Räumlichkeiten in denen unterschiedliche Unternehmen und Freischaffende arbeiten und sich vernetzen können. Nebst Infrastruktur werden häufig spezifische Vernetzungsmöglichkeiten angeboten. Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems Im Kern der vorliegenden Arbeit steht die Betrachtung der kollaborativen Gestaltung digitalisierter Service Ecosystems, also der iterative Aufbau und das Design des Systems. Dabei sehen sich Akteure, die das Ecosystem aktiv prägen, einem
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1
Die Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems …
Organisations- und Koordinationsproblem gegenüber: Es gilt festzulegen, welche Akteure wie am Ecosystem partizipieren. Ein System besteht jeweils aus Elementen und ihrer Beziehung zueinander: „Ein System besteht aus Elementen (Dingen, Objekten, Sachen, Komponenten, Teilen, Bausteinen, Gliedern) mit Eigenschaften (Attributen), wobei die Elemente durch Beziehungen (Zusammenhängen, Relationen, Kopplungen, Bindungen) verknüpft sind […]“ (Fuchs, 1972, S. 48 f.). Entsprechend besteht ein Ecosystem aus Akteuren mit ihren Attributen und ihren Beziehungen zueinander. Diese beiden Aspekte stellen demnach die grundlegende Struktur der Entscheidungstatbestände in Ecosystems dar. Sie werden in der vorliegenden Arbeit als Konfiguration und Koordination der Akteure bezeichnet: (1) Konfiguration (wer/was?): Die Konfiguration legt fest, welche Akteure mit welchen Attributen und in welcher Rolle am Ecosystem teilhaben. (2) Koordination (wie?): Die Koordination bestimmt, wie die Akteure integriert sind und wie ihre Beziehung ausgestaltet ist. Diese Aspekte werden anschließend entlang der drei Gestaltungsdimensionen der Organisations-, System- und Angebotsarchitektur umgesetzt (Senn und Bruhn, 2019): • Organisationsarchitektur: Umsetzung der Konfiguration und Koordination hinsichtlich der Organisationen und Arbeitsteilung. • Systemarchitektur: Umsetzung der Konfiguration und Koordination hinsichtlich der vernetzten IT-Systeme und Dienstleistungsprozesse innerhalb des Cyberphysical-Systems. • Angebotsarchitektur: Umsetzung der Konfiguration und Koordination hinsichtlich des Serviceangebots aus verschiedenen (Teil-)Leistungen und Marken der Akteure. Für Organisationen, die die Wertschöpfung in digitalisierten Service Ecosystems aktiv prägen oder aufbauen wollen, gilt es, sich mit diesen Aspekten auseinanderzusetzen. Die vorliegende Arbeit fokussiert auf die Identifikation, theoretische Fundierung und Konzeptualisierung, sowie praktische Validierung und Vertiefung der Entscheidungstatbestände zur Konfiguration und Koordination der Akteure. Dabei werden jeweils – wo sinnvoll – Aspekte der Organisations-, System- und Angebotsarchitektur betrachtet (Senn und Bruhn, 2019): Organisationsarchitektur: In einem System, in dem verschiedene Akteure Formen der gemeinsamen Wertschöpfung entwickeln, stellt sich die Frage nach der
1.5 Prozess der Entstehung und Etablierung von Ecosystems und Fokus der Arbeit
23
organisationalen Abbildung dieser Kollaboration. Festzulegen sind der Grad und die Formen der Integration, die von mündlichen Vereinbarungen bis hin zu Allianzen oder Joint Ventures reichen können. Eng in Zusammenhang damit stehen die formellen und informellen Governance-Mechanismen, die zum Tragen kommen. Weiter kommt beim Aufbau einer Organisationsarchitektur den Rollen der verschiedenen Akteure eine zentrale Bedeutung zu. So kann ein Akteur eine zentrale Rolle im System einnehmen (z. B. als Systemintegrator) und diese durch eine Organisationsarchitektur absichern (Hurmelinna und Nätti, 2018; Iansiti und Levien, 2004; Weill und Woerner, 2015). Umgekehrt stellt sich die Frage nach den Grenzen des Systems. Akteure können gleichermaßen stärker integriert und in das Zentrum gerückt oder aber desintegriert und an den Rand des Systems gedrängt werden. Systemarchitektur: Die geschichtet-modulare Architektur von digitalisierten Service Ecosystems (Lusch und Nambisan, 2015; Yoo et al., 2010) bildet die Basis für vernetzte IT-Systeme und Dienstleistungsprozesse. Daraus ergeben sich für die Akteure unterschiedliche Herausforderungen beim Aufbau und Management eines Wertschöpfungssystems. Zunächst sind Schichten, Grad und Formen der Systemund Prozessintegration zu bestimmen. Analog zur Integration von Organisationen stellt sich die Frage nach der Integration der IT-Systeme und Prozesse. Diese bedingt den Aufbau von Schnittstellen und Standards sowie die Festlegung derer Offenheit (welche Akteure können wie partizipieren?). Schnittstellen sind standardisierte Übergänge zwischen Modulen bzw. Komponenten einzelner Akteure sowie zwischen diesen und der allfälligen zentralen Plattform (Baldwin und Woodard, 2008). Im Kern der technischen Integration über Schnittstellen steht der Austausch von Daten. Die Regelung der Datenrechte und des Grads des Daten- und Informationsaustauschs stellt somit eine weitere zentrale Aufgabe dar. Angebotsarchitektur: Aus kollaborativen Arrangements entstehen kollaborative Leistungsangebote, die es zu gestalten gilt. Die Architektur des Angebots, das aus Teilleistungen bzw. -kompetenzen der Akteure im Ecosystem besteht, ist festzulegen und in eine integrierte Customer Experience zu überführen. Ziel ist es, dass organisationale, systemtechnische und prozessuale Schnittstellen nicht zu Brüchen für den Kunden führen. Analog zur Integration der Organisationen sowie der Systeme und Prozesse sind Grad und Formen der Leistungsintegration festzulegen. Die Anbieter können ein integriertes Angebot im Sinne eines Dienstleistungsbündels oder einer Systemdienstleistung, die die einzelnen Wertschöpfungsbeiträge der Akteure integriert, bereitstellen. Die Leistungen können jedoch auch als modulare Serviceangebote angeboten werden, die über Schnittstellen integriert sind (vgl. Burr, 2016). Damit in Verbindung stellt sich die Frage nach der Markierung des Systembündels
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1
Die Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems …
bzw. der einzelnen Dienstleistungsmodule und nach der Prominenz der Ursprungsmarken der beitragenden Akteure. Marken haben einen hohen immateriellen Wert für Unternehmen und dienen den Kunden zur Orientierung sowie zur Beurteilung von Leistungen (Bruhn, 2004). Weiter ist die Customer Journey über die verschiedenen Kontaktpunkte hinweg kollaborativ zu managen (Lemon und Verhoef, 2016). Dabei können die einzelnen Kontaktpunkte von unterschiedlichen Akteuren gestaltet und betrieben werden. Zuletzt stellt sich die Frage nach der Tiefe und Breite des Leistungsangebots. Das heißt welche Leistungen verschiedener Akteure Teil des integrierten Kernangebots sind und welche lediglich über Schnittstellen als Module eingebunden, aber nicht weiter integriert werden. Marktreaktion und Outcome Die Gestaltung des Ecosystems determiniert letztlich die Marktreaktion und den Outcome. Im Fokus hierbei stehen die Akzeptanz und Adoption durch die Kunden. Dadurch werden Erlöse generiert, deren Höhe und Verteilung wiederum die Akzeptanz der einzelnen kollaborierenden Akteure prägt. Nur durch die Akzeptanz des Kunden und der beteiligten Akteure können zuletzt Value-in-Use und Value-Co-Creation als Outcome generiert und maximiert werden. Hier wird sodann auch die Ecosystems inhärente coopetitive Dynamik sichtbar: Die Maximierung der gemeinsamen Wertschöpfung ist ein geteiltes Interesse, das kooperative Anreize setzt. Bei der Verteilung dieser Wertschöpfung können die Interessen jedoch kollidieren, kompetitive Anreize entstehen und dadurch Opportunismus fördern. Das Zusammenspiel dieser kooperativen und kompetitiven Anreize erzeugt die coopetitive Dynamik, die es bei der Gestaltung des Ecosystems vorwegzunehmen gilt (Bruhn und Hadwich, 2019).
1.6
Zielsetzung, Gang der Untersuchung und Erkenntnisbeitrag
Eine zentrale Anforderung an die vorliegende Arbeit ist die Verringerung des theoretischen Abstraktionslevels und die Untersuchung von managementrelevanten Fragestellungen, wie auch von Lusch et al. (2016) gefordert wird. Renommierte Exponenten üben vermehrt Kritik an der mangelnden Praxisrelevanz der Marketingund Dienstleistungsforschung. So unterstellt Homburg (2018) der Marketingforschung, sich zugunsten quantitativ-methodischer (Konsumenten-)Forschung und Journal-Rankings von der Managementrelevanz entfernt zu haben. Gummesson (2019) formuliert mit Blick auf seine Karriere und die aktuellen Entwicklungen
1.6 Zielsetzung, Gang der Untersuchung und Erkenntnisbeitrag
25
der Disziplin „[…] the need for less ritualistic research methodology; and the orientation toward theory generation, decision-making, implementation and achievement of desired results“. Nenonen et al. (2017) sprechen von einem „[…] widening theory-praxis gap in marketing“ (S. 1130). Vor dem Hintergrund der erwähnten Forschungsdefizite und der daraus resultierenden Anforderungen an die Arbeit, besteht die übergeordnete Zielsetzung dieser darin, einen Beitrag zur aktuellen Diskussion zur Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems im Allgemeinen sowie zu den konkreten Entscheidungstatbeständen im Speziellen zu leisten. Im Mittelpunkt steht die theoretische Konzeptualisierung und Fundierung der Entscheidungstatbestände von Service Ecosystems sowie die konzeptionelle Vertiefung und die Ableitung von Gestaltungshinweisen auf Basis von Fallstudienarbeit. Dadurch wird zur stärkeren Fundierung und Konkretisierung von Service Ecosystems beigetragen, indem die Thematik konzeptionell strukturiert wird und Hinweise für die praktische Gestaltung solcher Systeme sowie die weitere Forschung gegeben werden. Die spezifischen Teilziele der Arbeit sind: (1) Die theoretische Fundierung und Ableitung eines theoretischen Bezugsrahmens zur Gestaltung von Ecosystems (2) Die Konzeptualisierung von Entscheidungstatbeständen in Ecosystems: a. Relevante Entscheidungstatbestände (was ist zu entscheiden?) b. Relevante Entscheidungsvariablen (anhand von was wird entschieden?) c. Orientierungshypothesen zu den Entscheidungstatbeständen auf Basis der Variablen (wie ist zu entscheiden?) (3) Die Validierung der Entscheidungstatbestände und die Ableitung von Gestaltungshinweisen durch die Prüfung der Hypothesen anhand der Fallstudienevidenzen und theoretisch-konzeptioneller Vertiefung (4) Der Übertrag der Erkenntnisse in ein in der Praxis einsetzbares Anwendungsmodell (5) Das Aufzeigen von Stoßrichtungen für die weitere Forschung Der geringe Erkenntnisstand erfordert beim Vorgehen der Arbeit eine Forschungsstrategie, die es ermöglicht, ein tiefes Verständnis der Zusammenhänge und Dynamiken zu gewinnen. Diese sind nicht quantitativ-empirisch zu überprüfen, sondern zunächst zu analysieren, zu verstehen und zu interpretieren. Dazu werden Ecosystems theoretisch fundiert, konzeptualisiert und ein Hypothesensystem entwickelt. Weiterhin gilt es, die Hypothesen anhand ausgewählter Fallstudien zu überprüfen und weiter konzeptionell zu vertiefen. Diese qualitativ-analytische
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1
Die Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems …
Herangehensweise eignet sich insbesondere im Falle komplexer dynamischer Sachverhalte (Gummesson, 2008a) sowie wenn die Betrachtungsobjekte schwer von ihrem Kontext zu lösen sind und ein sehr tiefes Verständnis notwendig ist (Yin, 2009). Fallstudien weisen einen hohen Konkretisierungsgrad der Sachverhalte und Erkenntnisse auf (Flyvbjerg, 2011; Yin, 2009, S. 8 ff.). Auf Basis dieser theoretischkonzeptionellen Arbeit und der Vertiefung mittels Fallstudien werden Hinweise für die Gestaltung von Ecosystems abgeleitet, das Anwendungsmodell konzipiert sowie die Stoßrichtungen für die weitere Forschung dargelegt. Zu diesem Zweck gliedert sich der Aufbau der Arbeit in fünf Kapitel. Das erste Kapitel zeigt die Problemstellung auf und konkretisiert diese. Die relevante Literatur zu Service Ecosystems wird analysiert und die Zielsetzungen des Forschungsvorhabens sowie das Vorgehen spezifiziert. Die aufgezeigten Zielsetzungen der Arbeit werden anschließend in vier Teilen verfolgt: Im zweiten Kapitel werden digitalisierte Service Ecosystems theoretisch fundiert und konzeptualisiert. Zur theoretischen Fundierung bietet sich eine Vielzahl von Theorien der Organisations- und Managementforschung an. Auf Basis von Überlegungen zur Komplementarität und Modularität der Akteure werden die relevanten Entscheidungstatbestände identifiziert und konzeptionell vertieft. Um die Dynamiken hinsichtlich dieser Entscheidungstatbestände analysieren zu können wird die Transaktionskostentheorie auf Service Ecosystems übertragen und so die relevanten Entscheidungsvariablen konzipiert. Auf dieser Basis wird zuletzt ein Hypothesensystem zur Orientierung der weiteren Vertiefung entwickelt. Diese Hypothesen werden im dritten Kapitel anhand ausgewählter Fallstudien überprüft und die Entscheidungstatbestände weiter konzeptionell vertieft. Dabei kommen Primärdaten, die spezifisch für die vorliegende Arbeit erhoben werden, zur Anwendung. Anhand des Hypothesensystems wird ein semistrukturierter Interviewfragebogen entwickelt und zwei empirische Fallstudien erstellt: (1) Smart City Initiative: Pilotprojekt eines Automobilherstellers, eines Softwarekonzern und eines Beratungshauses mit Fokus auf neue (digitale) Lösungen im Bereich Mobilität. (2) Open Data Initiative: Initiative dreier globaler Softwareunternehmen zur Erhöhung der Interoperabilität ihrer Systeme, die häufig parallel bei Kunden zum Einsatz kommen. Diese Ecosystems wurden für die Untersuchung ausgewählt, da sie:
1.6 Zielsetzung, Gang der Untersuchung und Erkenntnisbeitrag
27
• Mehrere zentrale Akteure beinhalten, die das Ecosystem aktiv gestalten. Diese bieten einen abgrenzbaren Ausgangspunkt für die Analyse und sind eindeutig identifizierbar. • Eine Reihe an Gemeinsamkeiten und Unterschieden aufweisen. Sofern klar beschrieben, ermöglichen die Gemeinsamkeiten eine Vergleichbarkeit, während die Unterschiede zugleich für eine belastbarere Verallgemeinerung sorgen. • Maßgeblich durch die Digitalisierung getrieben sind, digitale Technologien demnach eine zentrale Rolle spielen und jeweils mindestens einen zentralen Akteur aus dem IT-Bereich beinhalten. • Jeweils ein Potenzial für Coopetition aufweisen. Diese Aspekte werden bei der Beschreibung der Fallstudien im empirischen Teil der Arbeit erläutert. Die Fallstudien werden auf Basis von Interviews mit den zentralen Akteuren des jeweiligen Ecosystems und öffentlich zugänglichen Informationen erstellt. Sie ermöglichen ein vertieftes Verständnis der Entscheidungstatbestände in digitalisierten Service Ecosystems. Dies aus Sicht verschiedener Akteure. Die Nutzung von Fallstudien hat sich zur Exploration eines jungen Forschungsfeldes bewährt (Burr, 2016, S. 6), insbesondere im Kontext von Innovationen. Die in den Fallstudien festgestellten Fakten werden im Anschluss jeweils konzeptionell vertieft. So können Gestaltungshinweise abgeleitet werden. Die Erkenntnisse werden im vierten Kapitel in ein Anwendungsmodell überführt. Im Kern steht ein sogenannter Ecosystem Canvas als Grundlage zur strukturierten Beschreibung und Analyse von Ecosystems. Dieser wird um eine Liste mit Fragen zur Umsetzung sowie um eine Workshop-Methode zur Anwendung des Canvas ergänzt. Dadurch wird die Arbeit ihrem Anspruch an die inhaltliche und praktische Relevanz gerecht (vgl. Kritik zur Praxisrelevanz der Dienstleistungsforschung zu Beginn dieses Kapitels). Zum Abschluss der Arbeit werden im fünften Kapitel Implikationen für die Forschung und Praxis abgeleitet. Auf Basis der Ergebnisse und der gewonnenen Erkenntnisse werden Potenziale für die weitere Forschung im Bereich Ecosystems aufgezeigt. Durch dieses Vorgehen wird den Defiziten der aktuellen Forschung Rechnung getragen und so ein Erkenntnisbeitrag zu digitalisierten Service Ecosystems geleistet. Abbildung 1.5 zeigt auf, wie das beschriebene Vorgehen einen Beitrag zu den identifizierten Forschungsdefiziten leistet.
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1
Die Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems …
Forschungsdefizite
Erkenntnisbeitrag
Vorgehen
Abstrakte, meta-
Entwicklung und Validierung
Theoretische Fundierung
theoretische
konkreter
Konzeptualisierung von konkreten
Perspektive
Entscheidungstatbestände zur
Entscheidungstatbeständen
Gestaltung von digitalisierten
Praktische Validierung und Vertiefung
Service Ecosystems
mittels Fallstudienarbeit Ableitung von Gestaltungshinweisen
Fehlende Vertiefung
Betrachtung Kollaboration im
Konzeptionelle Betrachtung der – den
der Kollaboration
Ecosystem mit Fokus auf Value
einzelnen Entscheidungstatbeständen
Co-Production der Anbieter
inhärenten – coopetitiven Dynamiken
sowie unter Berücksichtigung
Entwicklung der dazugehörigen
von coopetitiven Dynamiken und
Hypothesen auf Basis der
Opportunismusrisiken
Transaktionskostentheorie, die einen starken Fokus auf Unsicherheit und Opportunismus legt Fokus auf die anbieterseitige Betrachtung der Value Co-Creation statt auf den Value-in-Use
Oberflächliche
Interdisziplinäre Betrachtung
Einbezug der Aspekte digitaler
Betrachtung der
und Konzeptualisierung der
Wertschöpfung bei der
Digitalisierung
digitalen Wertschöpfung von
Konzeptualisierung der
Ecosystems
Entscheidungstatbestände Auswahl von Fallstudien, bei denen Digitalisierung eine zentrale Rolle spielt und Vertiefung der Aspekte der Digitalisierung mit Hilfe der dadurch gewonnenen Erkenntnisse
Abbildung 1.5 Erkenntnisbeitrag der Arbeit
2
Konzeptualisierung und theoretische Fundierung von digitalisierten Service Ecosystems
2.1
Vorgehensweise und theoretisch-konzeptioneller Bezugsrahmen zur Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems
Die in Kapitel 1 aufgezeigten Veränderungen führen zur Auflösung bestehender Strukturen und zur Initiierung von digitalisierten Service Ecosystems durch die Akteure. Als Folge ergibt sich das Gestaltungsproblem von Ecosystems. Unternehmen sind gefordert, ihre Wertschöpfung zu überdenken und ihren strategischen Fokus von der Optimierung der klassischen Wertschöpfungskette auf die Gestaltung von Ecosystems zu verschieben. Die Gestaltung dieser komplexen Systeme stellt eine wichtige Grundlage für die langfristige Innovationsfähigkeit dar (Lusch und Nambisan, 2015; Porter und Heppelmann, 2014). Um Ecosystems besser zu verstehen und Gestaltungshinweise ableiten zu können, gilt es zunächst, digitalisierte Service Ecosystems theoretisch zu fundieren und zu konzeptualisieren. Dies geschieht im vorliegenden Kapitel in drei Schritten. Abbildung 2.1 veranschaulicht dieses Vorgehen. (1) Konzeptualisierung der Entscheidungstatbestände: Erstens ist zu identifizieren, was zu entscheiden ist. Das heißt es sind konkrete Entscheidungstatbestände zu benennen und zu konzeptualisieren (vgl. Abschnitt 2.2). Basis hierfür sind theoretische Überlegungen zur Unterteilung in zentrale und periphere Akteure sowie deren Komplementarität und Modularität (Jacobides et al., 2018). (2) Konzeptualisierung der Entscheidungsvariablen: Zweitens ist zu identifizieren anhand von was zu entscheiden ist. Das heißt es sind Entscheidungsvariablen
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Senn, Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31788-1_2
29
30
2
Konzeptualisierung und theoretische Fundierung …
zu benennen (vgl. Abschnitt 2.3). Basis hierfür ist die Transaktionskostentheorie (Williamson, 1985). (3) Ableitung von Orientierungshypothesen: Drittens sind Annahmen darüber zu treffen, wie zu entscheiden ist (vgl. Abschnitt 2.4). Das heißt es sind Orientierungshypothesen abzuleiten. Basis dafür ist die die Zusammenführung der Entscheidungstatbestände mit den Entscheidungsvariablen.
Abbildung 2.1 Vorgehen und theoretischer Bezugsrahmen
(1) Konzeptualisierung der Entscheidungstatbestände Die Entscheidungstatbestände beschreiben die relevanten Aspekte zur Gestaltung des Ecosystems. Jacobides et al. (2018) führen Komplementarität und Modularität als die beiden wesentlichen Bausteine zur theoretischen Fundierung von Ecosystems an. Die beiden Bausteine werden in der vorliegenden Arbeit als theoretische Grundlage zur Konzeptualisierung der Entscheidungstatbestände verwendet.
2.1 Vorgehensweise und theoretisch-konzeptioneller Bezugsrahmen …
31
Akteure im Ecosystem nehmen mit ihren Leistungen und Kompetenzen an der Value Co-Creation teil. Sie stehen in unterschiedlichen Formen der Komplementarität zueinander (Jacobides et al., 2018). Der Kerngedanke der Komplementarität besagt, dass der marginale Nutzen von etwas in Kombination mit etwas anderem steigt (Teece, 2018, S. 7). Auf Ecosystems übertragen heißt das, dass die Kompetenzen und Leistungen eines Akteurs in Kombination mit den Kompetenzen und Leistungen eines anderen Akteurs mehr wert sind. Dabei existieren unterschiedliche Formen der Komplementarität, wie im vorliegenden Kapitel vertieft aufgezeigt wird. Bei hoch spezifischer Komplementarität trägt die Kompetenz bzw. Leistung des Akteurs nicht nur positiv zur Value Co-Creation bei, sondern ermöglicht diese erst. Diese Akteure nehmen eine zentrale Rolle ein (Jacobides et al., 2018). Ecosystems weisen zudem Eigenschaften der Modularität auf (Baldwin und Clark, 2000; Jacobides et al., 2018). Als Ziele der Modularisierung nennt Baldwin (2007) das Management der Komplexität der betrachteten Systeme, die Ermöglichung unabhängiger Parallelarbeit (in den Modulen), die Generierung von Innovationsmöglichkeiten und die Reduktion von Transaktionskosten. Modularität senkt durch die Reduktion der der Anzahl an Austauschbeziehungen und durch die Existenz standardisierter Schnittstellen für diese Austauschbeziehungen die Koordinations- und Transaktionskosten bei der unternehmensübergreifenden Gestaltung des Systems bzw. der Leistungserstellung (Langlois und Robertson, 1992; Sanchez und Mahoney, 1996). Jacobides et al. (2018) führen an, dass Modularität zur Entstehung von Ecosystems beiträgt. Im vorliegenden Kapitel wird nachfolgend aufgezeigt, dass Akteure – je nach Spezifität der Komplementarität ihrer Kompetenzen – entweder als zentrale Akteure eher integral oder als periphere Akteure eher modular an der Wertschöpfung teilhaben. Auf Basis dieser Überlegungen werden vier übergeordnete Entscheidungstatbestände definiert und beschrieben. (2) Konzeptualisierung der Entscheidungsvariablen Neben den Entscheidungstatbeständen gilt es, die grundlegenden Entscheidungsvariablen zu erfassen und im Kontext von Ecosystems zu konzeptualisieren. Diese stellen im Kontext dieser Arbeit Faktoren dar, deren Ausprägungen die Gestaltung der Entscheidungstatbestände bestimmen. Hierzu ist ein Ansatz zu wählen, der sich mit der Koordination von Austauschbeziehungen befasst und die Interaktion der Akteure betrachtet. Die Transaktionskostentheorie stellt hierfür einen effizienzorientierten mikroökonomischen Ansatz zur Verfügung (Williamson, 1985). Sie geht auf den Aufsatz von Coase (1937) zu „The Nature oft he Firm“ zurück und wurde von Williamson maßgeblich weiterentwickelt (Williamson, 1975; Williamson, 1981; Williamson, 1985; Williamson, 1993b; Williamson, 1993c; Williamson,
32
2
Konzeptualisierung und theoretische Fundierung …
1995; Williamson, 1996; Williamson, 1998). Analog zu den verwandten Ansätzen der neuen Institutionenökonomik befasst sich die Transaktionskostentheorie mit der Erklärung ökonomischer Strukturen und der Koordination der Akteure (Williamson, 1998, S. 24 ff.). Ziel sind möglichst effiziente Koordinationsstrukturen und -mechanismen, im Sinne von geringen Transaktionskosten (Williamson, 1985, S. 2 ff.). Der Kostenbegriff wird dabei nicht primär monetär, sondern sehr breit ausgelegt und beschreibt allgemein ökonomische Nachteile (Lasotta, 2007, S. 94 f.). Der Transaktionskostenansatz ist im vorliegenden Kontext nicht nur aufgrund des Fokus’ auf Strukturen zur Koordination sehr gut geeignet. Er enthält Annahmen zu Unsicherheit und Opportunismus und misst diesen eine hohe Bedeutung zu (Williamson, 1993a). Dies qualifiziert den Ansatz zur Untersuchung der Dynamiken unter den Bedingungen von technologischen Veränderungen (Unsicherheit) und Coopetition (Opportunismus) in Ecosystems. Auf Basis dieser Überlegungen werden grundlegende Verhaltensannahmen und vier übergeordnete Entscheidungsvariablen in Ecosystems definiert und beschrieben. (3) Ableitung von Orientierungshypothesen Die Entscheidungstatbestände und Entscheidungsvariablen werden zusammengeführt, um Orientierungshypothesen als Grundlage der empirischen und konzeptionellen Vertiefung zu entwickeln (Bruhn, 1978, S. 104 f.; Georgi, 2000, S. 34 f.). Diese Orientierungshypothesen bilden die Basis für ein theoriegeleitetes Vorgehen bei der Erstellung der Fallstudien. Im Englischen wird im Kontext von Fallstudien auch von „Propositions“ gesprochen (Yin, 2009, S. 29). Dabei handelt es sich nicht um Hypothesen zur statistisch-empirischen Prüfung. Vielmehr sind für die Vertiefung auf Basis der Fallstudien und weitergehender Literatur Aussagen im Sinne von theoriegeleiteten Ankerpunkten zu setzen. Sie betreffen Beziehungen, deren Inhalte während der Wirkungsmodellierung noch unkonkret sind und liefern eine theoriegestützte „[…] story about why acts, events, structure, and thoughts occur“ (Sutton und Staw, 1995, S. 378). Dabei dienen sie zur Orientierung, Fokussierung und Abgrenzung der Untersuchung: „[…] study propositions to help identify the relevant information to be collected […]. Without such questions and propositions, you might be tempted to cover “everything” […]. The more a case study contains specific questions and propositions, the more it will stay within feasible limits“ (Yin, 2009, S. 29). Deren Überprüfung führt nicht wie bei statistischen Hypothesen primär zur Annahme und Ablehnung, sondern zu einer Weiterentwicklung, Vertiefung und Modifikation (Georgi, 2000, S. 34).
2.2 Konzeptualisierung der Entscheidungstatbessstände in Ecosystems
33
2.2
Konzeptualisierung der Entscheidungstatbessstände in Ecosystems
2.2.1
Überblick und Struktur der Entscheidungstatbestände
Im vorliegenden Kapitel werden die zur Identifikation der Entscheidungstatbestände relevanten Aspekte in Beziehung zueinander gesetzt. Wie im ersten Kapitel beschrieben gilt es, die Konfiguration und Koordination der Akteure festzulegen. Die Konfiguration legt fest, welche Akteure in welcher Rolle am Ecosystem teilhaben. Die Koordination bestimmt, wie die Akteure integriert sind und wie ihre Beziehung ausgestaltet wird. Im vorliegenden Kapitel wird darüber hinaus aufgezeigt, dass in Ecosystems jeweils zentrale und periphere Akteure vorzufinden sind. Zentrale Akteure haben Teil an der Kernwertschöpfung und Steuerung des Ecosystems und bringen hoch spezifische komplementäre Kompetenzen dafür ein. Periphere Akteure partizipieren mit weniger spezifischen komplementären Kompetenzen an der Wertschöpfung (Jacobides et al., 2006; Teece, 1986). Daraus ergibt sich eine Unterteilung der Konfiguration und Koordination in die beiden grundlegenden Formen der Einbindung der Akteure, entweder durch Einbindung bei der Orchestrierung oder lediglich durch Ermöglichung der Partizipation. Wie nachfolgend aufgezeigt wird, weist die Konfiguration und Koordination der zentralen Akteure im Rahmen der Orchestrierung eine stärker integrale Architektur auf, während Konfiguration und Koordination der peripheren Akteure im Rahmen der Partizipation eine stärker modulare Architektur aufweist. Aus der Gegenüberstellung von Konfiguration und Koordination der zentralen und peripheren Akteure ergibt sich zusammenfassend eine Struktur aus vier übergeordneten Entscheidungstatbeständen. Diese können ihrerseits wiederum hinsichtlich Organisationsarchitektur, Systemarchitektur und Angebotsarchitektur vertieft werden (Senn und Bruhn, 2019). Je nach Gestaltung der Konfiguration und Koordination der zentralen und peripheren Akteure werden diese Ebenen unterschiedlich ausgestaltet. Abbildung 2.2 stellt diese Struktur dar. Sie wird nachfolgend konzeptionell vertieft und die theoretischen Hintergründe werden erläutert. Sie bildet im Verlaufe der Arbeit die Grundlage zur Strukturierung der Orientierungshypothesen, der Ergebnisse aus den Fallstudien und der Gestaltungshinweise. Wie im ersten Kapitel beschrieben, fokussiert die vorliegende Arbeit dabei auf die Gestaltung des Ecosystems und der Kollaboration der Akteure, nicht auf dessen Initiierung oder die Marktreaktion und den Outcome.
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Konzeptualisierung und theoretische Fundierung …
Abbildung 2.2 Entscheidungstatbestände in Ecosystems
Aus der Zusammenführung ergeben sich vier übergeordnete Entscheidungstatbestände:
2.2 Konzeptualisierung der Entscheidungstatbessstände in Ecosystems
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(1) Entscheidungstatbestand (ETB 1) – Festlegung der zentralen Akteure: Festlegung der zentralen Akteure, Plattform und des Kernangebots. Wer und was steht im Zentrum der Wertschöpfung des Ecosystems? (2) Entscheidungstatbestand (ETB 2) – Integration der zentralen Akteure: Festlegung der Integration der Akteure, ihrer Organisationen, Systeme und Angebote. Wie stark und wie werden die zentralen Akteure integriert? (3) Entscheidungstatbestand (ETB 3) – Festlegung der Offenheit gegenüber peripheren Akteuren: Festlegung der Offenheit gegenüber peripheren Akteuren, so dass diese am Ecosystem partizipieren können. Wer erhält Zugang zu der Wertschöpfung im Ecosystem? (4) Entscheidungstatbestand (ETB 4) – Integration der peripheren Akteure: Festlegung der Integration der Akteure, ihrer Organisationen, Systeme und Angebote. Wie stark und wie werden die peripheren Akteure integriert?
2.2.2
Unterscheidung zwischen zentralen und peripheren Akteuren in Ecosystems als Grundlage für die Struktur der Entscheidungstatbestände
2.2.2.1 Orchestrierung und Partizipation durch zentrale und periphere Akteure Im weiteren Verlauf der Arbeit wird zwischen zentralen Akteuren und peripheren Akteuren unterschieden. Zentrale Akteure haben Teil an der Kernwertschöpfung und Steuerung des Ecosystems und orchestrieren dieses. Periphere Akteure tragen zur Wertschöpfung bei und partizipieren daran. Akteure können eine zentrale Rolle im Ecosystem einnehmen. In ihrem Beitrag „Strategy as Ecology“ greifen Iansiti und Levien (2004) die Perspektive des Ecosystems im strategischen Management bereits früh auf. Sie argumentieren, dass Einzelgänger-Strategien eines Unternehmens nicht funktionieren, da die Wertschöpfung von der Gesundheit des Gesamtsystems aus kollaborierenden Akteuren abhängt. Das heißt die Akteure haben ein Eigeninteresse an der Gesundheit des Gesamtsystems. Dabei kommt gewissen Akteuren eine zentrale Rolle zur Steuerung und Pflege des Ecosystems zu. Die Autoren beschreiben sogenannte „Keystone Businesses“ im Zentrum des Ecosystems. Dies sind Unternehmen, die wichtige Positionen im Ecosystem besetzen und versuchen, dieses als Ganzes zu managen. Sie stellen hierfür stabile Assets zur Verfügung, die anderen Akteuren erlauben auf dieser Basis ihre eigenen Leistungen zu entwickeln oder anzubieten (Iansiti und Levien, 2004, S. 6). Beispiele sind das Betriebssystem iOS (mobiles Betriebssystem), die Entwicklertools für mobile Applikationen und der Appstore von Apple. Die
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Konzeptualisierung und theoretische Fundierung …
Akteure optimieren ihre eigene Wertschöpfung durch die kontinuierliche Optimierung des Gesamtsystems. Sie nehmen nicht nur an der Wertschöpfung Teil, sondern gestalten sie aktiv. Für die Betrachtung der Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems ist es daher zielführend, die Entscheidungstatbestände ausgehend von diesen zentralen Akteuren zu analysieren. Sie stellen einen Ankerpunkt innerhalb der komplexen kollaborativen und interaktiven Wertschöpfung des Ecosystems mit potenziell unendlich vielen Verbindungen dar. Die zentralen Akteure definieren und implementieren die Plattform sowie die damit verbundenen Schnittstellen und Standards. Sie weisen in dieser Aufgabe Ähnlichkeiten zu Systemintegratoren auf: „[…] systems integration is concerned with the way in which firms and other agents bring together high-technology components, subsystems, software, skills, knowledge, engineers, managers, and technicians to produce a product in competition with other firms. The more complex, high technology, and high cost the product, the more significant systems integration becomes to the productive activity of the firm“ (Hobday et al., 2005, S. 1110). Nehmen die zentralen Akteure eine aktive Führungsrolle bei der Orchestrierung des Ecosystems ein, werden sie in der vorliegenden Arbeit als Orchestratoren bezeichnet (Breidbach et al., 2016; Dhanaraj und Parkhe, 2006; Hurmelinna und Nätti, 2018; Klerkx und Aarts, 2013; Nilsen und Gausdal, 2017; Paquin und Howard-Grenville, 2013). Weder der Begriff des Keystone noch der Begriff des Systemintegrators sind im vorliegenden Kontext zielführend. Der der aus der Architektur stammende „Schlussstein“ (Keystone) impliziert, dass es sich um ein einzelnes Element in einer zentralen Position handelt (Encyclopædia Britannica, 2019). Dies kann durchaus zutreffen, aktuelle Beispiele von Kooperationen mehrerer großer Unternehmen mit komplementären Ressourcen zeigen jedoch, dass Ecosystems häufig von mehreren zentralen Akteuren gestaltet und gesteuert werden. Beispiele hierfür sind Kooperationen zwischen Daimler und BMW (SHARENOW, 2019), zwischen UBS, ZF Friedrichshafen und IBM (IBM, 2017b) oder zwischen Adobe, Microsoft und SAP (Microsoft, 2018a). Es ist davon auszugehen, dass diese Akteure als Orchestratoren agieren werden, wobei sich ihre Beziehung untereinander wiederum durch Kooperation und Wettbewerb zugleich auszeichnet. Der Systemintegrator bedient sich verschiedener Komponenten oder Module und fügt diese zu einem Ganzen zusammen (Picot und Baumann, 2007). Demgegenüber integrieren die zentralen Akteure im Ecosystem ihre Kompetenzen und stellen eine Plattform für den standardisierten Austausch der peripheren Akteure und ihrer Ressourcen zur Verfügung. Ausgehend von den zentralen Akteuren kann die Rolle anderer Akteure eingeordnet werden. Akteure können gegenüber den Orchestratoren Lieferant, Kunde, Wettbewerber oder Komplementär sein (Brandenburger und Nalebuff, 1996): Als
2.2 Konzeptualisierung der Entscheidungstatbessstände in Ecosystems
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Lieferant ist er integraler Bestandteil der Wertschöpfung und seine Leistung ist in die Leistung der Orchestratoren integriert. Ein Akteur ist ein Kunde, wenn seine Partizipation in der Wertschöpfung den Value-in-Use freisetzt. Der Kunde entscheidet zwischen den Leistungen der Orchestratoren mitsamt ihren Lieferanten und Komplementären und der Leistungen der Wettbewerber der Orchestratoren. Ein Akteur ist ein Wettbewerber, wenn seine Leistung den Wert der Leistung der Orchestratoren reduziert oder substituiert. Im Zentrum der Betrachtung bei der Konfiguration und Koordination im Ecosystem steht jedoch die Rolle als Komplementär (Jacobides et al., 2018). Ein Akteur ist ein Komplementäranbieter, wenn Kunden die Leistung(en) der Orchestratoren höher bewerten, wenn sie um die Leistung des Komplementärs ergänzt wird bzw. werden kann. Komplementarität ist jeweils reziprok (Brandenburger und Nalebuff, 1996, S. 42). Genauso wie eine Software komplementär zum Smartphone oder Computer ist, ist das Gerät komplementär zur Software. Je mehr Smartphones verkauft werden, desto mehr Apps werden gekauft. Je mehr Apps angeboten werden, desto attraktiver ist der Kauf eines Smartphones. Die zentralen Akteure stehen in einer komplementären Beziehung zueinander. Ihre Leistungen, Ressourcen und Fähigkeiten ergänzen bzw. bedingen sich. Darüber hinaus können periphere Akteure als Komplementäre am Ecosystem partizipieren. Sie bringen dazu ihre komplementären Kompetenzen ein, diese sind jedoch nicht zentral für die Gesamtwertschöpfung. Beispiel hierfür sind Entwickler von Apps für Smartphones. Sie sind auf aggregierter Ebene essenziell für die Gesamtwertschöpfung. Ihre Leistungen können sie an verschiedenen Ecosystems andocken. Sie sind auf jeden Fall komplementär zur Wertschöpfung der zentralen Akteure, können aber untereinander in einer kompetitiven (substituierenden) Beziehung stehen. Akteure können zugleich zentraler Akteur in einem Ecosystem sein und peripherer Akteur in einem anderen. So stehen Apple und Google hinsichtlich ihrer mobilen Plattformen als zentrale Akteure im Wettbewerb, zugleich bietet Google aber auch als peripherer Akteur des Apple-Ecosystems komplementäre Applikationen für das iPhone an (z. B. die Kartensoftware Google Maps). Dies führt wiederum zum coopetitiven Dynamiken. Auch periphere Akteure zeichnen sich durch eine gewisse Spezifität ihrer Komplementarität aus, weshalb eine genauere Betrachtung der Konfiguration und Koordination notwendig ist. Generische Akteure sind demgegenüber austauschbar und nicht für die Ausgestaltung des Ecosystems relevant. Dieser Aspekt sowie die Komplementarität der zentralen und peripheren Akteure werden nachfolgendend vertieft betrachtet.
2.2.2.2 Komplementarität der zentralen und peripheren Akteure Grundlage der Wertschöpfungsbeziehungen in Ecosystems ist die Komplementarität der Akteure. Sowohl die Beziehung der zentralen Akteure untereinander als
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Konzeptualisierung und theoretische Fundierung …
auch zu den peripheren Akteuren zeichnet sich durch Komplementarität aus (vgl. Abbildung 2.3). Adner und Kapoor (2010), Jacobides et al. (2006), Teece (2018) und andere weisen darauf hin, dass die vertiefte Betrachtung von Komplementarität helfen kann, die Value Co-Creation in Ecosystems zu erklären. Teece (2018) stellt jedoch fest: „The literature on complements is both confused and complex […]“ (S. 7). Jacobides et al., (2006) und Teece (2018) unterscheiden zunächst zwei Typen der Komplementarität: (1) Spezifische und (2) generische Komplementarität.
Abbildung 2.3 Zentralität und Komplementarität der Akteure
Generische Komplementarität beschreibt Akteure und Services, die zwar Teil der Gesamtwertschöpfung sind, zugleich jedoch auch austauschbar sind (Teece, 1986). Dadurch sind die Risiken und die Transaktionskosten aus Sicht der Orchestratoren gering. Jacobides et al. (2006, S. 11) illustrieren dies anhand von Elektrizität: Diese ist zwar notwendig für jedes Ecosystem, kann jedoch über reguläre Marktmechanismen bezogen werden und stellt daher kein Koordinationsproblem dar. Es sind keine spezifischen Investitionen durch die zentralen Akteure oder den Anbieter der Elektrizität notwendig. Diese vollständig generischen Komplementäre ohne jegliche Spezifität sind für die vorliegende Arbeit nicht von Interesse: „While any focal actor would do well to consider all its complementarities, we do not think that
2.2 Konzeptualisierung der Entscheidungstatbessstände in Ecosystems
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generic complementarities can usefully capture what is unique about an ecosystem“ (Jacobides et al., 2006, S. 17). Auf eine genauere Betrachtung der generischen Akteure wird daher im weiteren Verlauf der Arbeit verzichtet. Demgegenüber beschreibt spezifische Komplementarität Akteure und Services, die sich zur Wertschöpfung bedingen und mit spezifischen Investitionen in die Koordination verbunden sind (Jacobides et al., 2018; Teece, 1986). Die Ausgestaltung der Konfiguration und Koordination dieser Akteure auf einem Kontinuum zwischen marktlichen Transaktionen und hierarchischer Integration sind der Betrachtungsgegenstand dieser Arbeit und damit Grundlage für die Entscheidungstatbestände. Hierzu gilt es zunächst, die spezifische Komplementarität der zentralen und peripheren Akteure genauer zu betrachten. Die Beziehung der zentralen Akteure zeichnet sich durch einzigartige Komplementarität (Jacobides et al., 2018). Teece (2018) bezeichnet dies als CoSpezialisierung, bei der „[…] one item or technology doesn’t do anything useful whatsoever without another“ (S. 8). Diese Abhängigkeit kann strikt sein, dann sind die Komplementäre „[…] unproductive unless they are used together“ (Hart und Moore, 1990, S. 1135). Sie kann jedoch auch allgemeiner betrachtet werden, so dass die Wertschöpfung nur durch das Zusammenspiel der Akteure maximiert werden kann, ohne dass sämtliche Elemente zwingend notwendig wären (Teece, 2018, S. 8). Im Ecosystem zeigt sich diese Komplementarität dadurch, dass die Kernwertschöpfung ohne die zentralen Akteure nicht in dieser Form zustande kommen würde. Sie bringen hoch spezifische Kernkompetenzen ein, die zusammen den stabilen Kern der Wertschöpfung bilden. Die Beziehung der peripheren Akteure zeichnet sich durch supermodulare bzw. Edgeworth Komplementarität aus (Jacobides et al., 2018). Supermodulare Komplementarität bezeichnet den Fall, dass mehr von X den Nutzen von mehr von Y erhöht (Amir, 2005; Milgrom und Roberts, 1995). Dies ist insbesondere im Kontext von Netzwerkeffekten (Katz und Shapiro, 1985; Katz und Shapiro, 1994; Parker und Van Alstyne, 2005) im Ecosystem relevant und bedeutet, dass der Wert des Ecosystems für die Nutzer durch die peripheren Akteure steigt. Je mehr Appentwickler oder periphere Serviceanbieter beispielsweise teilnehmen, desto attraktiver ist die Plattform. Umgekehrt führt eine attraktive Plattform mit vielen Nutzern zu einer hohen Attraktivität für die Appentwickler bzw. Serviceanbieter. Die Komplementarität ist jedoch von geringerer Spezifität. Die unterschiedlichen Komplementaritäten führen zu unterschiedlichen Abhängigkeiten und Beziehungen zwischen den Akteuren. Dementsprechend gilt es, die Konfiguration und Koordination der zentralen Akteure und peripheren Akteure separat zu betrachten. Während diese Unterscheidung auf unterschiedliche Komplementaritäten zurückzuführen ist, wird nachfolgend auf Basis von Überlegungen
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Konzeptualisierung und theoretische Fundierung …
zur Modularität der Akteure aufgezeigt, welche Implikationen sich bei Gestaltung des Ecosystems daraus ergeben.
2.2.2.3 Modularität der zentralen und peripheren Akteure Ecosystems weisen die Eigenschaften modularer Systeme auf (Baldwin, 2012; Jacobides et al., 2018; Lusch und Nambisan, 2015; Tiwana et al., 2010). Modularität beschreibt „[…] the degree to which a system’s components can be separated and recombined, and it refers both to the tightness of coupling between components and the degree to which the “rules” of the system architecture enable (or prohibit) the mixing and matching of components“ (Schilling, 2000, S. 315). Jacobides et al. (2018) zeigen auf, dass Modularität die Entstehung von Ecosystems befähigt: „[…] modularity enables ecosystem emergence, as it allows a set of distinct yet interdependent organizations to coordinate without full hierarchical fiat hierarchical fiat“ (S. 1). Ecosystems sind nicht rein modular oder integral aufgebaut, sondern weisen zugleich eher integrale und eher modulare Strukturen auf. Für die zentralen Akteure untereinander eignet sich aufgrund der einzigartigen Komplementarität eine eher integrale Struktur. Zwischen ihnen bestehen komplexe Beziehungen und ihr Ziel ist es, das System als Ganzes zu orchestrieren und nicht nur einzelne Module. Aufgrund der Spezifität ihrer Kernkompetenzen bilden sie den stabilen Kern des Ecosystems. Hingegen ist es für die zentralen Akteure zielführend, ihre Beziehungen zu den peripheren Akteuren zu modularisieren. Aufgrund derer supermodularer Komplementarität ist es effizient, eine möglichst flexible Partizipation zu ermöglichen. Die peripheren Akteure können an verschiedenen Ecosystems „andocken“ und durch ihre potenziell große Anzahl gilt es, sie möglichst standardisiert einzubinden. Diese Aspekte werden nachfolgend vertieft, indem Integralität und Modularität im Kontext von digitalisierten Service Ecosystems näher betrachtet werden. Dies erfolgt in drei Schritten: (1) Systeme auf einem Kontinuum zwischen Integralität und Modularität: Zunächst werden die Grundüberlegungen der Modularitätstheorie als Kontinuum zwischen integrierten und modularen Architekturen erläutert. (2) Vor- und Nachteile der Modularität aus Sicht der zentralen Akteure: Anschließend wird aufgezeigt, was die Auswirkungen der Modularität – im Sinne von Vor- und Nachteilen aus Sicht der zentralen Akteure – sind. (3) Trennung zwischen zentralen und peripheren Akteuren auf Basis der Komplementarität und Modularität: Zuletzt ergibt sich daraus die Trennung zwischen der Konfiguration und Koordination der zentralen und peripheren Akteure und die Grundlage für die Struktur der vier Entscheidungstatbestände.
2.2 Konzeptualisierung der Entscheidungstatbessstände in Ecosystems
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(1) Systeme auf einem Kontinuum zwischen Integralität und Modularität Bei einer integralen Architektur sind die Elemente stark miteinander gekoppelt und es existieren komplexe und überschneidende Beziehungen zwischen einzelnen Elementen und Funktionen des Systems (z. B. hat ein Bauteil mehrere Funktionen zugleich und eine Funktion wird durch mehrere Bauteile ermöglicht) (Ulrich, 1995, S. 421). Änderungen an einer Komponente beeinflussen daher typischerweise den Rest des Systems (Ulrich, 1995, S. 426). Ein Beispiel dafür ist ein Smartphone im Sinne des physischen Geräts. Das Gerät ist ein geschlossenes System an Komponenten, die in komplexer Beziehung zueinander stehen. Die Schnittstellen zwischen den Komponenten sind nicht standardisiert und die Änderung einer Komponente führt zu einer Änderung des Gesamtsystems (Yoo et al., 2010, S. 727 f.). Bei einer modularen Architektur sind die Elemente zwar innerhalb eines Moduls stark interdependent, zwischen den Modulen hingegen weitgehend unabhängig. Die Schnittstellen sind standardisiert und die einzelnen Module weisen klar abgegrenzte Teilfunktionen auf (Ulrich, 1995, S. 420). Eine Änderung in einem Modul erfordert demnach Änderungen der anderen Elemente innerhalb des Moduls, führt jedoch nicht zu einer Änderung anderer Module bzw. der darin enthaltenen Elemente (Ulrich, 1995, S. 427; Yoo et al., 2010, S. 727 f.). Die Module können dementsprechend auch ausgewechselt werden, ohne dass das Gesamtsystem verändert werden muss. Die meisten Desktop PCs sind beispielsweise modular aufgebaut: Die Festplatte, Grafikkarte oder der Prozessor können einfach entfernt und ersetzt werden, ohne dass eine darüber hinaus gehende Änderung am System notwendig wäre. In sich sind diese Subsysteme aber wiederum integral aufgebaut. Der Auffassung von Modularität im Kontext der Integration der Akteure liegt in der vorliegenden Arbeit die Auffassung gemäß Parnas (1972) zugrunde, die besagt, dass ein Modul eine Zuordnung von Verantwortung und nicht bloß eine Unterteilung eines Produkts darstellt (Colfer, 2010, S. 12). In diesem Sinne befasst sich Modularität auch mit der Arbeitsteilung zwischen den Akteuren. Abbildung 2.4 stellt die Charakteristika modularer und integraler Architekturen gegenüber.
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Konzeptualisierung und theoretische Fundierung …
Integrale Architektur
Modulare Architektur
Komplexe und überschneidende
Eindeutige Zuordnung von Funktionen und
Beziehungen zwischen Komponenten und
Komponenten
Funktionen
Klare Arbeitsteilung
Keine Arbeitsteilung
Standardisierte Schnittstellen
Schnittstellen sind nicht standardisiert und
Flexible Änderungen auf Modulebene
eng verbunden
möglich, ohne den Rest des Produkts /
Änderungen an einer Komponente
Service / Systems zu beeinflussen
beeinflussen typischerweise den Rest des Produkts / Service / Systems, häufig in unvorhersehbarer Weise Effizient bei hoher Varianz des (Teil-) Systems Effizient bei hoher Kontinuität des (Teil-) Systems
Abbildung 2.4 Vergleich zwischen modularen und integralen Architekturen. (Quelle: Bach et al. (2012); Schilling (2000); Ulrich (1995); Yoo et al. (2010))
Am einfachsten lässt sich dies an einer Produktarchitektur veranschaulichen. Ulrich (1995) definiert eine Produktarchitektur als (1) das Arrangement der funktionalen Elemente, (2) die Zuordnung der funktionalen Elemente zu den physischen Komponenten und (3) die Spezifikation der Schnittstellen zwischen den interagierenden physischen Komponenten. Im Falle einer modularen Architektur besteht eine Eins-zu-eins-Beziehung zwischen funktionalen Elementen und physischen Komponenten. Eine integrale Produktarchitektur zeichnet sich demgegenüber durch komplexe Beziehungen zwischen funktionalen Elementen und physischen Komponenten aus. Abbildung 2.5 zeigt eine modulare und eine integrale Produktarchitektur am Beispiel eines Anhängers (Ulrich, 1995, S. 422).
2.2 Konzeptualisierung der Entscheidungstatbessstände in Ecosystems
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Abbildung 2.5 Integrale und modulare Architektur am Beispiel eines Anhängers. (Quelle: Ulrich (1995, S. 422))
Modularität stellt jedoch keine binäre Entscheidung, sondern ein Kontinuum dar. Reale Systeme sind bestenfalls „nearly decomposable“ und lassen sich niemals perfekt in völlig unabhängige Module zerlegen (Simon, 1962). Es bleiben jeweils intermodulare Abhängigkeiten bestehen, die Effekte auf der Systemebene haben können (Picot und Baumann, 2007, S. 4). Systeme sind fast immer zu einem gewissen Grad modular, da sich immer gewisse Elemente separieren und rekombinieren lassen (Schilling, 2000, S. 312). Hingegen sind sie auch immer zu einem gewissen Grad integral, da der Abstimmungsaufwand bei einer zu kleinteiligen Dekomposition überproportional ansteigen würde (Bach et al., 2012, S. 109). In der Forschung wird das Konzept der Modularität auf verschiedene Bezugsobjekte im Sinne von komplexen Systemen angewendet. Als Systeme werden dabei
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Konzeptualisierung und theoretische Fundierung …
zum Beispiel Produkte (Baldwin und Clark, 2000; Ulrich, 1995), Dienstleistungen (Brax et al., 2017; Dörbecker und Böhmann, 2013; Voss und Hsuan, 2009), Organisationen (Baldwin, 2007; Tiwana, 2008) oder IT-Systeme (Sullivan et al., 2001) betrachtet. Grundsätzlich eignet sich Modularität als Basis für die Betrachtung von Austauschbeziehungen zwischen den Elementen jeglicher Art von Systemen. Abbildung 2.6 zeigt abstrahiert die Austauschbeziehungen zwischen den Elementen eines Systems in einer integrierten und einer modularen Struktur.
Abbildung 2.6 Austauschbeziehungen zwischen den Elementen eines Systems. (Quelle: Burr (2016, S. 216))
Nachfolgend werden diese Überlegungen zu Modularität auf Ecosystems angewendet, in dem die Vor- und Nachteile der Modularität aus Sicht der zentralen Akteure diskutiert werden. (2) Vor- und Nachteile der Modularität aus Sicht der zentralen Akteure Die Frage ist, wie integral bzw. modularisiert Ecosystems gestaltet werden. Dazu werden die Vor- und Nachteile integraler bzw. modularer Architekturen im Detail betrachtet. Diese Aspekte werden anhand der Vor- und Nachteile einer hohen Modularisierung beschrieben. Sie entsprechen umgekehrt jeweils den Vor- respektive Nachteilen einer hohen Integralität. Wenn beispielsweise Komplexitätsreduktion einen Vorteil der Modularisierung darstellt, ist die Komplexität umgekehrt ein Nachteil der Integralität. Die Vorteile einer hohen Modularisierung sind (Picot und Baumann, 2007, S. 7 ff.):
2.2 Konzeptualisierung der Entscheidungstatbessstände in Ecosystems
45
(I) Komplexitätsreduktion beim Design des Systems Die Modularisierung führt zu einer Komplexitätsreduktion bei der Gestaltung des Ecosystems. Eine modulare Systemarchitektur ermöglicht es, ein System herunterzubrechen und dadurch die Komplexität zu reduzieren. Das Betrachtungsobjekt verschiebt sich von einem integralen Gesamtsystem mit komplexen Beziehungen aller Elemente auf einzelne Module. Dies reduziert die Zahl der gleichzeitig zu betrachtenden Variablen (Picot und Baumann, 2007, S. 7). Voraussetzung ist die Abgrenzung der Module und deren Verknüpfung über Schnittstellen und Standards. Das Herunterbrechen ermöglicht die nachfolgend beschriebenen Aspekte der Arbeitsteilung. Zudem erleichtert sie die Aufgabe von der Orchestratoren als Systemdesigner im Ecosystem. Weiter trägt sie der beschränkten Rationalität der Akteure (Simon, 1962) Rechnung. Anstelle der Gestaltung des Ecosystems durch allwissende Designer treten adaptive Such- und Entscheidungsprozesse der einzelnen Akteure zur evolutionären Entwicklung des Systems (Picot und Baumann, 2007, S. 12). (II) Flexibilisierung und Parallelisierung von Entwicklungsprozessen Weiter steigt mit der Modularität die Möglichkeit zur Flexibilisierung und Parallelisierung von Entwicklungsprozessen. Sind die Module abgegrenzt und liegt die Verknüpfung über Schnittstellen und Standards vor, können diese Module unabhängig voneinander entwickelt und optimiert werden. Die Schnittstellen und Standards geben vor, was das Modul „zu liefern“ hat, jedoch nicht wie. Im Sinne der „autonomen Innovation“ können die Module die Art und Weise, wie sie den Output generieren zudem selbständig optimieren (Picot und Baumann, 2007, S. 9). Bei einer Architektur mit konkurrierenden Modulanbietern ergibt sich hier ein Wettbewerb, bei dem sich leistungsfähigere Module gegenüber anderen durchsetzen können. Als Beispiel wird häufig der IBM PC aufgeführt. Dieser war technisch gesehen nicht das beste System, die standardisierte Modularität führte jedoch zu einer hohen Entwicklungsgeschwindigkeit des Systems und dadurch Kosteneinsparungen und technischen Verbesserungen. Dies wiederum führte schnell zu einem Vorsprung gegenüber konkurrierenden Systemen (Langlois, 1992; Langlois, 2002, S. 26). (III) Offene Architektur der Partizipation Auf Basis der Modularität kann eine offene Architektur der Partizipation gestaltet werden. Insbesondere im Kontext der Digitalisierung ist der Zugriff auf verschiedene Technologien und Fähigkeiten wichtig. Der Zugang zu externem spezifischem Wissen oder notwendigen Ressourcen stellt ein Vorteil der Modularisierung dar. So können die zentralen Akteure gewisse Entwicklungsarbeiten auf Modulebene an spezialisierte Zulieferer oder Komplementäre abgeben. Beispiel hierfür ist das iOS
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Konzeptualisierung und theoretische Fundierung …
Ecosystem. Der zentrale Akteur Apple lässt komplementäre Appentwickler Anwendungen entwickeln, die als Module mit der Plattform interagieren. Im klassischen Produktgeschäft werden beispielsweise beim Fahrzeugbau gewisse Entwicklungsschritte an modulare Zulieferer abgegeben, ohne dass der Integrator dieses Wissen aufbauen oder managen muss. Eine offene, modulbasierte Architektur der Partizipation ermöglicht es Entwicklern, einen für sie überschaubaren und ihren spezifischen Fähigkeiten entsprechenden Teil zum Gesamtsystem beizutragen (Baldwin und Clark, 2006). (IV) Layer-übergreifende Möglichkeiten zur Rekombination Ein weiterer Vorteil besteht in den layer-übergreifende Möglichkeiten zur Rekombination (Yoo et al., 2010). Durch die Möglichkeit, Module neu zu kombinieren, können zum einen neue Systemfunktionalitäten oder Designvarianten entwickelt werden. Dieses „Mix and Match“-Vorgehen (Baldwin und Clark, 2000) wird auch als modulare Innovation bezeichnet (Ethiraj und Levinthal, 2004). Zudem kann ein Modul mit verschiedenen Systemen kombiniert werden. So können auf verschiedenen Wertschöpfungslayers (physische Hardware, Plattform, Services) einzelne Module mit neuen Modulen auf anderen Layers kombiniert werden – sei dies in einem konkurrierenden Ecosystem (beispielsweise Applikation auch für die Konkurrenzplattform anbieten) oder in einem komplett anderen Ecosystem bzw. Kontext. Dies ist besonders relevant unter Berücksichtigung der Tatsache, dass 90 % der Geschäftsmodellinnovationen eine Rekombination bestehender Leistungen/Fähigkeiten darstellen (Gassmann et al., 2017, S. 23). Die Digitalisierung ermöglicht neue Formen dieser anbieterübergreifender Rekombination. (V) Schutz von Wissen und Informationen einzelner Akteure Der Schutz von Wissen und Informationen einzelner Akteure kann als weiterer Vorteil betrachtet werden. Die Input-Output-Beziehung der Module untereinander teilt Wissen in offene und versteckte Information (Böhmann und Krcmar, 2006). Wie das Modul die seinen Teil zur Gesamtwertschöpfung beiträgt, muss den anderen Akteuren des Ecosystems nicht preisgegeben werden, solange die Schnittstellen funktionieren und die Standards eingehalten werden. Diese Eigenschaft wird als „Information Hiding“ (Parnas, 1972) bezeichnet und ist in digitalisierten Service Ecosystems aufgrund des coopetitiven Settings und der wichtigen Rolle von neuen, innovativen Technologien und Konzepten von zentraler Bedeutung. Gemäß Parnas (1972) ist ein Modul „[…] characterized by its knowledge of a design decision which it hides from all others. Its interface or definition was chosen to reveal as little as possible about its inner workings“ (S. 1056). Sichtbar und sämtlichen Akteuren bekannt müssen demgegenüber nur die folgenden drei Aspekte sein (Baldwin und Clark, 1997, S. 86): (1) Die Architektur, die definiert welche Module existieren und was ihre Funktionen sind, (2) die Schnittstellen die beschreiben, wie die Module
2.2 Konzeptualisierung der Entscheidungstatbessstände in Ecosystems
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interagieren bzw. kommunizieren und (3) die Standards, die den Output des Moduls bzw. seine Leistung vorgeben. Diesen Vorteilen stehen spezifische Nachteile einer hohen Modularisierung (bzw. Vorteile einer hohen Integralität) gegenüber – insbesondere im Hinblick auf die Innovationsfähigkeit und Kontrollierbarkeit des Systems (Picot und Baumann, 2007, S. 7 ff.): (I) Inkrementelle Innovation Bei der verteilten Entwicklung und Innovation der Module bzw. modularen Akteure besteht die Gefahr der „Modularity Trap“ (Chesbrough und Kusunoki, 2001). Der Fokus auf Innovation in abgegrenzten Modulen innerhalb eines vorgegebenen Frameworks aus Schnittstellen und Standards erhöht die Geschwindigkeit der Problemlösungsprozesse. Sie kann aber dazu führen, dass sich das System primär inkrementell verbessert und grundlegende Veränderungen der Gesamtarchitektur ausbleiben. Für Weiterentwicklungen auf Ebene der Architektur bzw. modulübergreifende Innovation gilt es, die Komplexität des Gesamtsystems wieder zum Betrachtungsobjekt zu machen, was durch die Modularität vermieden wird (Chesbrough, 2003). (II) Fehlendes Systemwissen Um die Modularity Trap zu vermeiden und das Ecosystem als Ganzes weiterzuentwickeln braucht es Akteure, die über Systemwissen verfügen. Brusoni et al. (2001) zeigen, dass in erfolgreichen Netzwerken aus modularen Akteuren, gewisse Unternehmen „[…] know more than they make“. Sie wissen mehr, als das was sie innerhalb ihres Moduls tun. Chesbrough und Kusunoki (2001) zeigen anhand des Festplattenherstellers Fujitsu, wie Systemwissen es dem Unternehmen ermöglichte, grundlegende, durch neue Technologien getriebene Architekturveränderungen vorauszusehen und das eigene Netzwerk an Akteuren darauf auszurichten. Dies auf Basis von Wissen und einem Verständnis, das über die eigenen Produkte und Komponenten hinausging. Eine vollständig verteilte und unabhängige Entwicklung modularer Systeme ist demnach nicht zielführend (Picot und Baumann, 2007, S. 25). Stattdessen sind zentrale Orchestratoren notwendig, die über entsprechendes Systemwissen verfügen: „[…] modularity does not reduce the function of systems integration to one of simply defining architecture, subcontracting the design and production of components, and then assembling them. In complex systems, it is also important to have the competence to deal with unpredicted interactions between components, and uneven rates of development in the technologies underlying different components and subsystems“ (Pavitt, 2003, S. 81). (III) Imitier- und Substituierbarkeit Module können durch die Standardisierung leichter ausgewechselt und dadurch auch einfacher imitiert und substituiert werden (Voss und Hsuan, 2009, S. 555). Am
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Konzeptualisierung und theoretische Fundierung …
Beispiel der Fahrradindustrie kann eine stark modulare Produktstruktur betrachtet werden, bei der verschiedene Komponenten wie Rahmen, Kette, Schalter oder Bremsen beliebiger Anbieter miteinander kombinierbar sind (Fixson und Park, 2008). Ist ein System demnach vollständig modularisiert, lassen sich sämtliche Bestandteile auswechseln, auch die der zentralen Akteure. Dadurch sinkt der Anreiz für spezifische Investitionen in das Gesamtsystem. Generell besteht die Gefahr von Modulanbietern als Trittbrettfahrer, wenn diese von den Investitionen anderer in das Gesamtsystem profitieren, sich selber jedoch nicht daran beteiligen und so beispielsweise niedrigere Preise anbieten können. (3) Trennung zwischen zentralen und peripheren Akteuren auf Basis von Komplementarität und Modularität Aus der Gegenüberstellung der Charakteristika sowie der Vor- und Nachteile integraler bzw. modularer Architekturen zeigt sich, dass eine eher integrale Einbindung der zentralen Akteure untereinander vorteilhaft ist. Eine integrale Architektur ermöglicht es den zentralen Akteuren, modulübergreifende Innovationen zu fördern und eine Systemsteuerung auf Basis von übergreifendem Systemwissen zu gewährleisten. Aufgrund der hohen Spezifität ihrer komplementären Kernkompetenzen und eingebrachten Ressourcen, ist eine offene Architektur der Partizipation mit „Mix-and-Match“ im Kern des Ecosystems nicht im Interesse der Akteure und würde spezifische Investitionen unterbinden. Stattdessen bildet eine eher integrale Architektur den stabilen und schwerer imitierbaren Kern des Ecosystems, an den modulare Elemente andocken können. Demgegenüber bietet eine eher modulare Einbindung der peripheren Akteure Vorteile. Dies aufgrund der strukturierten Arbeitsteilung bzw. Spezialisierung und den daraus resultierenden Effizienz- und Innovationsvorteilen. Die Modularität reduziert Komplexität für die zentralen Akteure bei der Einbindung der peripheren Akteure im Sinne einer offenen Architektur der Partizipation. Aufgrund ihrer supermodularen Komplementarität zu den zentralen Akteuren, ist es im Interesse dieser, möglichst viele periphere Akteure möglichst einfach einzubinden. Die Möglichkeit zur verteilten (dezentralen) Entwicklung und zur Partizipation und Rekombination befähigt periphere Akteure, in digitalisierten Service Ecosystems zur Wertschöpfung beizutragen. Dazu sind in einer modularen Architektur keine starke Integration und keine hohen spezifischen Investitionen notwendig. Hinzu kommt, dass durch die Modularisierung Wissen und Information abgegrenzt wird. Dies ist zwischen den peripheren Akteuren relevant, da sie sich teilweise im Wettbewerb befinden. Zwischen den zentralen und den peripheren Akteuren wird Wissen und Informationen, die die spezifischen Kernkompetenzen der zentralen Akteure und ihre Wertschöpfung betreffen, gezielt abgegrenzt.
2.2 Konzeptualisierung der Entscheidungstatbessstände in Ecosystems
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Aus den Überlegungen zur Komplementarität und Modularität der Akteure zeigt sich, dass die Konfiguration und Koordination der zentralen und peripheren Akteure separat zu betrachten ist. Daraus resultiert die Struktur aus den vier übergeordneten Entscheidungstatbeständen. Diese werden nachfolgend im Detail beschrieben. Die Beschreibung orientiert sich grob an den Dimensionen Organisation, System und Angebot. Die Aspekte innerhalb dieser Dimensionen sind jedoch nicht völlig unabhängig. Es handelt sich um unterschiedliche Ausprägungen und Details des jeweiligen Entscheidungstatbestands. Ziel ist die übergeordnete Betrachtung der ETBs, nicht eine weitere Aufteilung.
2.2.3
Beschreibung der Entscheidungstatbestände
2.2.3.1 ETB 1: Festlegung der zentralen Akteure Zunächst gilt es festzulegen, welche Akteure Teil des Ecosystems sind. Gewisse Akteure nehmen, wie in Abschn. 2.2.2 erläutert, eine zentrale Rolle bei der Steuerung und Pflege des Ecosystems ein. Sie bilden den Kern und werden durch periphere Akteure ergänzt. Als Ausgangspunkt für die Gestaltung des Ecosystems werden zunächst diese Akteure identifiziert bzw. festgelegt. Dies geschieht auf Basis der Kernkompetenzen des jeweiligen Akteures (Prahalad und Hamel, 1990). Kernkompetenzen setzen sich aus Wissen, Technologien und Fähigkeiten eines Akteurs zusammen, die (1) den Zugang zu Märkten ermöglicht, (2) einen substanziellen Beitrag zur Value Proposition bzw. zum wahrgenommenen Kundennutzen leistet und (3) schwer zu imitieren sind (Prahalad und Hamel, 1990, S. 7). Sowohl zentrale als auch periphere Akteure verfügen über komplementäre Kernkompetenzen. Die Kernkompetenzen der zentralen Akteure zeichnen sich jedoch durch eine hohe spezifische Komplementarität (einzigartige Komplementarität) aus und tragen zur integralen Kernwertschöpfung des Ecosystems und Plattform des Ecosystems bei. Ohne die jeweilige Kompetenz könnte die zentrale Wertschöpfung nicht oder nur begrenzt realisiert werden. Sie sind daher auch Kernkompetenzen des Ecosystems. Die Kernkompetenzen der peripheren Akteure sind demgegenüber weniger spezifisch (supermodulare Komplementarität) und stellen zwar aus Sicht der einzelnen Akteure eine Kernkompetenz dar, jedoch nicht für das übergeordnete Ecosystem (Jacobides et al., 2018). Es gilt daher festzulegen, welche Kernkompetenzen essenziell für das Ecosystem sind. Akteure, die diese Kompetenzen beisteuern, nehmen eine zentrale Rolle ein. Akteure deren Kernkompetenzen zwar die Wertschöpfung des Ecosystems positiv beeinflussen und zur Value Proposition beitragen, dafür jedoch nicht zwingend
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Konzeptualisierung und theoretische Fundierung …
notwendig sind, nehmen eine periphere Rolle ein. Abbildung 2.7 veranschaulicht diese Überlegungen.
Abbildung 2.7 Zentrale Akteure und Kernkompetenzen in Ecosystems. (Quelle: In Anlehnung an Prahalad und Hamel (1990))
Ein zentrales Element der Systemarchitektur im Ecosystem ist die Plattform als stabiler Kern der Wertschöpfung. Sie bildet die grundlegende konzeptionelle und technische Infrastruktur des Service Ecosystems. Der Begriff Plattform wird in der Literatur breit eingesetzt. So kann eine Plattform beispielsweise ein Betriebssystem beschreiben, das die Anwendung softwarebasierter Applikationen ermöglicht. Oder ein Geschäftsmodell, das mehrseitige Märkte integriert (Hagiu und Wright, 2015). Auf Produkte bezogen definieren Robertson und Ulrich (1998) eine Plattform als „[…] the collection of assets that are shared by a set of products“ (S. 20). Assets können gemäß dieser Definition Komponenten, Prozesse, Wissen oder Personen sein (Baldwin und Woodard, 2008, S. 6). Bresnahan und Greenstein (1999) definieren auf einen Markt bzw. eine Industrie bezogen: „[…] a platform as a bundle of standard components around which buyers and sellers coordinate efforts“ (S. 4). Tiwana et al. (2010) definieren eine softwarebasierte Plattform als „[…] the extensible codebase of a softwarebased system that provides core functionality shared by the modules that interoperate with it and the interfaces through which they interoperate“ (S. 1). Auf Service bezogen definiert und implementiert eine Plattform gemäß Lusch und Nambisan (2015) „[…] the rules of exchange or protocols for exchange of services […]“ (S. 162). Im Kern stellt die Plattform also – auf Service und auf
2.2 Konzeptualisierung der Entscheidungstatbessstände in Ecosystems
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Software in digitalisierten Service Ecosystems bezogen – die Regeln und Schnittstellen des Austauschs zur Verfügung und integriert die Wertschöpfung auf den verschiedenen Layers und die Akteure im Ecosystem. Die stabilen Komponenten (Regeln, Objekte, usw.), die die Plattform zur Verfügung stellt, ermöglichen es den dynamischen Komponenten (Software, Akteure) darum herum als Module standardisiert zu interagieren. Die Plattform wird von den zentralen Akteuren entwickelt und betrieben. Hinsichtlich der Angebotsarchitektur ist zu betrachten, was das Kernangebot darstellt und was periphere, komplementäre Angebote sind. Als Kernangebot wird die grundlegende Eigenleistung der zentralen Akteure auf Basis ihrer Kernkompetenzen bezeichnet. Das heißt, wenn beispielsweise eine Automobilzulieferer, ein Finanzdienstleister und ein IT-Dienstleister eine autonome Bezahllösung für Fahrzeuge entwickeln, steht diese als Kernangebot im Zentrum des Ecosystems und dient als Ausgangspunkt der Betrachtung. Welche zusätzlichen Teile der Wertschöpfung durch komplementäre, periphere Akteure erbracht wird, wird unter ETB 3 (Festlegung der Offenheit gegenüber peripheren Akteuren) betrachtet.
2.2.3.2 ETB 2: Integration der zentralen Akteure Die Integration der zentralen Akteure beschreibt, wie stark die zuvor festgelegten Akteure des Ecosystems miteinander gekoppelt werden. In digitalisierten Service Ecosystems kann die Integration entlang der drei Dimensionen Organisation, System und Angebot betrachtet werden. Diese können bei der Gestaltung des Ecosystems sehr stark gekoppelt werden, indem für die Kombination der Angebote, Systeme und Organisation der Akteure neue, integrierte Strukturen aufgebaut werden. Stattdessen können aber auch standardisierte Schnittstellen aufgebaut werden und die Elemente darüber nur lose gekoppelt werden. Dabei ist zu beachten, dass Integration sehr unterschiedliche Formen annehmen kann und einfacher zu erkennen als zu definieren und zu messen ist (Stratmann, 2010, S. 147 ff.). Im Zentrum der Betrachtung stehen effiziente Grade und Formen der organisatorischen Integration, die eine effiziente Ressourcenintegration zu ermöglichen. Die Formen dieser Integration können von mündlichen Vereinbarungen bis hin zu Allianzen oder Joint Ventures reichen. Es zeigt sich beispielsweise, dass Allianzen besonders häufig entstehen, wenn neue Technologien im Spiel sind (Ménard, 2004). Die Formen der Integration werden geprägt durch die Wahl der Governance-Mechanismen bzw. Institutionen in Service Ecosystems. In Ecosystems sind insbesondere hybride Integrationsformen zwischen Markt und Hierarchie relevant (Williamson, 1985). In diesem Kontext wird vermehrt auch von modularen
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Organisationen gesprochen (Sanchez und Mahoney, 1996). Unterschiedliche Organisationsformen und Integrationsgrade werden durch entsprechende GovernanceMechanismen getragen (Williamson, 1975). Diese können formeller Natur sein wie kurzfristige oder langfristige Verträge oder Joint Ventures (Rößl, 1994; Jost, 2009). Auch informelle Mechanismen sind denkbar, wie die Schaffung von Abhängigkeiten in Form von „credible commitments“ (Williamson, 1985) oder anderen vertrauensbildende Maßnahmen (Jarillo, 1988). In Service Ecosystems kommt solchen Mechanismen eine zentrale Rolle für die Evolution und Stabilität zu. Sie sind unter den spezifischen Bedingungen in Ecosystems, insbesondere der hohen Komplexität des Beziehungsgeflechts und der gegenseitigen Abhängigkeiten, zu untersuchen. Beispielsweise kann die Annahme getroffen werden, dass Akteure unter diesen Bedingungen Heuristiken anwenden und informelle Ankerpunkte für Vertrauen suchen. Generell ist die besondere Bedeutung informeller Mechanismen zu untersuchen, da die Unsicherheit der zukünftigen Entwicklungen, gerade in frühen Phasen, eine vertragliche Klärung erschwert. Abbildung 2.8 zeigt die Grade der organisatorischen Integration auf. In Bezug auf die Systemarchitektur stellt sich die Frage nach der Integration der IT-Systeme und der Prozesse. Eine technische Integration der Akteure kann wichtige Grundlagen für die Zusammenarbeit schaffen. Es gilt, Schnittstellen aufzubauen und Prozesse zu integrieren. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach der Beziehung zwischen organisationaler Integration und System- bzw. Prozessintegration. In Bezug auf die Angebotsarchitektur ist die Integration des Serviceangebots und der Marken zu betrachten. Die Anbieter können ein integriertes Angebot im Sinne eines Dienstleistungsbündels oder einer Systemdienstleistung, die die einzelnen Wertschöpfungsbeiträge der Akteure integriert, bereitstellen. Die Leistungen können jedoch auch als modulare Serviceangebote angeboten werden, die über Schnittstellen integriert sind (Burr, 2016). Die Eigenschaften, die damit einhergehen, sind vergleichbar mit der Modularisierung von klassischen Dienstleistungen. So ist es beispielsweise für den Kunden einfacher, die Komponente eines Akteurs in einem modularen Design zu substituieren (Voss und Hsuan, 2009). In einem kollaborativen Setting gilt dieser Umstand auch für die anderen Akteure. So können auch die Anbieter einzelne Akteure in einem Ecosystem einfacher durch andere Kooperationspartner ergänzen oder gänzlich ersetzen. Dies hängt von der Verhandlungsposition des Anbieters und dem Beitrag der Einzelleistung zur Wertschöpfung des Gesamtsystems ab.
Abbildung 2.8 Grade der organisatorischen Integration. (Quelle: In Anlehnung an Rößl (1994, S. 47); Jost (2009, S. 267))
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2.2.3.3 ETB 3: Festlegung der Offenheit gegenüber peripheren Akteuren In digitalisierten Service Ecosystems ist die Festlegung der Offenheit gegenüber peripheren Aketuren ein zentraler Entscheidungstatbestand. Die Offenheit bestimmt, wie und ob welche peripheren Akteure am Ecosystem partizipieren können und wie umfassend die Leistungstiefe der zentralen Akteure ist (Gawer und Cusumano, 2002; Hazlett et al., 2011; Weiblen, 2014). Die zentralen Akteure sehen sich dabei einem Trade-off gegenüber: Zum einen führt mehr Offenheit zu einer stärkeren Adoption des Ecosystems durch Kunden und komplementäre Akteure und somit zur Steigerung der Gesamtwertschöpfung. Zum andern führt mehr Geschlossenheit zu einer stärkeren Internalisierung der Gesamtwertschöpfung bei den Orchestratoren (West, 2003). Dabei existieren diverse Gestaltungsmöglichkeiten auf einem Kontinuum. Die beiden Pole werden als „Walled Garden“ (geschlossenes System) bzw. „Open Platform“ (offenes System) bezeichnet (Hazlett et al., 2011). Im vorliegenden Kontext wird deshalb von „Walled Garden Ecosystem“ und „Open Ecosystem“ gesprochen. Ein „Open Ecosystem“ verzichtet auf Restriktionen hinsichtlich der Partizipation von Akteuren bei der Weiterentwicklung, Kommerzialisierung und Nutzung des Systems. Im Falle von notwendigen Restriktionen – wie beispielsweise die Anforderung, sich an technische Standards zu halten oder Lizenzgebühren zu bezahlen – sind diese vernünftig und nichtdiskriminierend ausgestaltet, dass sie keine aktuellen oder potenziellen Akteure begünstigen oder benachteiligen (Eisenmann et al., 2009, S. 131). Der Fokus bei offenen Systemen liegt daher auf Interoperabilität mit möglichst vielen heterogenen Akteuren und anderen Systemen sowie auf nichtdiskriminierenden Schnittstellen und Standards. Dazu sind Standards notwendig. Die Bezeichnung vernünftig und nichtdiskriminierend – im Englischen „Reasonable and non-discriminatory (RAND)“ – stellt einen etablierten Begriff für Lizenzbedingungen gegenüber Nutzern eines Standards dar (vgl. hierzu beispielsweise die Patentpraktiken des World Wide Web Consortium (W3C, 2002) oder Layne-Farrar et al. (2007)). Die Interoperabilität eines Druckers mit den meisten verfügbaren Computern wird zum Beispiel über eine Schnittstelle sichergestellt, die dem USB-Standard entspricht. Der Computer verfügt umgekehrt ebenfalls über eine Schnittstelle mit dem gleichen Standard. Ein Beispiel für ein Open Ecosystem ist das Ecosystem rund um das Open-Source-Betriebssystem Linux. Open Source bezeichnet Software, die frei zugänglich, veränderbar und distribuierbar ist (Rosen, 2004). Jeder Akteur kann Linux frei nutzen, kompatible Software entwickeln und anbieten, Linux mit eigener Hardware bzw. physischen Geräten bündeln und das Betriebssystem an sich weiterentwickeln (unter gewissen Regeln und Bedingungen) (Eisenmann et al., 2009). Auch das Internet an sich kann als extremes Beispiel
2.2 Konzeptualisierung der Entscheidungstatbessstände in Ecosystems
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eines offenen Ecosystems gesehen werden. Ziel sind freie Standards mit möglichst weitreichender Interoperabilität mit jeglichen Plattformen, Systemen und Geräten. Dies führt letztlich zur globalen Verbreitung. Ein „Walled Garden Ecosystem“ beschreibt demgegenüber ein bewusst eingegrenztes System, bei dem der oder die zentralen Akteure die Kontrolle über verschiedene Layers des Ecosystems behalten – sei es die Plattform, die Services bzw. Applikationen oder die Hardware bzw. physischen Geräte (Hazlett et al., 2011). Sie schränken die Weiterentwicklung, Kommerzialisierung und Nutzung bewusst zum Vorteil des eigenen Geschäftsmodells ein. Ein Beispiel hierfür sind Spielkonsolen. Die Hersteller behalten die Kontrolle über sämtliche Wertschöpfungsschichten (Layers): Sie stellen die Konsole an sich her, sie kontrollieren, welche physischen Geräte anderer Hersteller kompatibel sind. Sie stellen zudem die digitale Plattform zur Verfügung und kontrollieren diese. Sie kontrollieren den Zugang peripherer Spieleentwickler vollständig. Hierfür grenzen sie sich klar von anderen Systemen ab und bauen Schnittstellen und Standards so auf, dass eine Interoperabilität nur mit von ihnen direkt kontrollierten bzw. zugelassenen Modulen gewährleistet ist. In Bezug auf die Organisationsarchitektur gilt es, den organisatorischen Zugang festzulegen und zu regeln. Bei einem ausgeprägten Walled Garden Ecosystem ist der Zugang komplementärer Akteure beispielsweise auch organisatorisch eingeschränkt. Sie sind primär Empfänger der Gestaltungsentscheide und es gilt daher lediglich Schnittstellen zu schaffen, um sie zu informieren und zu schulen. In einem offenen Ecosystem hingegen partizipiert eine Vielzahl an Akteuren an zentralen Entscheiden und es gilt Schnittstellen zu schaffen, die die entsprechende organisatorische Einbindung und Interaktion ermöglichen. Beispielsweise können Open Ecosystems, wie das Open-Source-Betriebssystem Linux, durch gemeinnützige Vereine und Online Communities umgesetzt werden. In Bezug auf die Systemarchitektur stellt sich die Frage nach der Offenheit der IT-Systeme und Prozesse. Auch dies wird durch die Integration der Systeme, durch Schnittstellen und Standards gesteuert. Je offener das System, desto mehr haben Akteure Zugang zu den Systemen und Daten, um zu diesen beizutragen oder sie zu nutzen. Insbesondere APIs (Application Programming Interface) sind hier ein relevantes Instrument, um Drittanbietern von komplementären Softwareanwendungen Zugang zum Ecosystem zu ermöglichen. Mit offenen, standardisierten Entwicklerschnittsteller ist es einfacher für komplementäre Akteure, eigene Dienste und Anwendungen auf Basis der jeweiligen Plattform aufzubauen und anzubieten (Dapp, 2015, S. 9). Hinsichtlich der Angebotsarchitektur kann der Plattformanbieter die Offenheit im Sinne des Marktzugangs regulieren. Apple beispielsweise behält sich vor, Softwareapplikationen, die komplementäre Angebote darstellen, vom eigenen
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Konzeptualisierung und theoretische Fundierung …
Marktplatz (Appstore) auszuschließen (Apple, 2019). Zugleich ist es sinnvoll, den Zugang für komplementäre Angebote, die das eigene Kernangebot nicht substituieren, dahingehend zu gestalten, dass möglichst viele Akteure zum Ecosystem beitragen. Es kann dabei von Vorteil sein, Bedingungen zu schaffen, die diesen Akteuren erlauben, ihre Leistungen auch für andere, möglicherweise konkurrierende Plattformen anzubieten. So sinkt das Risiko und steigt die Investitionsbereitschaft beispielsweise eines Softwareentwicklers, wenn die Applikation sowohl für iOS (Apple) als auch Android (Google) angeboten werden kann. Der Wert dieser Anreize kann für die zentralen Akteure höher sein als der Wert einer engen Bindung. Im Kontext von Service Ecosystems ist dieser Trade-off insbesondere aufgrund von Netzwerkeffekten (Katz und Shapiro, 1985; Katz und Shapiro, 1994) relevant. Apple nutzt beispielsweise das iPhone, um den Endkunden mit Anbietern von digitalen Services zu verbinden. Beide sind Nutzer und Kunden der Plattform. Solche mehrseitigen Märkte sind durch Netzwerkeffekte geprägt (Parker und Van Alstyne, 2005). Je höher die Anzahl der Serviceanbieter respektive Applikationsentwickler, desto höher der Wert der Plattform für den End-Nutzer und umgekehrt. Netzwerkeffekte erhöhen die Anreize für Akteure als Nutzer oder Komplementäranbieter an der Value Co-Creation zu partizipieren. Relevant ist in diesem Hinblick auch die Tatsache, dass Netzwerkeffekte zu Winner-takes-all Dynamiken führen können, bei der sich eine oder wenige Plattformen durchsetzen (Eisenmann et al., 2006). Der Markt für Smartphones wird beispielsweise von zwei konkurrierenden Systemen beherrscht, die sich durch ihr Ecosystem an Nutzern und Komplementären über die Layers hinweg behaupten. Im Falle von Apple (iOS) ist es ein Akteur, der seine Ressourcen und Kompetenzen auf dem physischen Layer einsetzt, um ein führender Plattformanbieter zu werden. Bei Google (Android) hingegen sind Gerätehersteller (z. B. Samsung oder Huawei) Komplementäre der Plattform.
2.2.3.4 ETB 4: Integration der peripheren Akteure Zur Umsetzung der Offenheit ist die Integration der peripheren Akteure festzulegen. Grundlage für deren Einbindung ist die Definition von standardisierten Übergängen zwischen Akteuren. Diese Schnittstellen (Interfaces) dienen der Kommunikation zwischen den Akteuren. Durch Schnittstellen werden die Kommunikation und Koordination fokussiert, routinisiert und vereinfacht (Burr, 2016, S. 190). Kommunikation bezeichnet dabei den Austausch von Wissen, Information und Daten, der durch Schnittstellen strukturiert wird. Dort wo im Ecosystem die Interaktion mit komplementären Akteuren modularisiert werden soll, sind standardisierte Schnittstellen aufzubauen. So wird die Kompatibilität bzw. Interoperabilität dieser Module und damit die Effizienz der Interaktion sichergestellt (Voss und Hsuan, 2009).
2.2 Konzeptualisierung der Entscheidungstatbessstände in Ecosystems
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Die Ausgestaltung der Schnittstellen prägt somit die Partizipation am Ecosystem. Schnittstellen können beispielsweise nur innerhalb eines vordefinierten Kreises an interagierenden Akteuren definiert und freigegeben werden oder gegen außen geöffnet und weiteren Akteuren zur Verfügung gestellt werden. Digitale Plattformen nutzen beispielsweise offene Schnittstellen in Form von APIs (Application Programming Interface), um Softwareentwicklern die Möglichkeit zu bieten, am Ecosystem und der Value Co-Creation zu partizipieren (Basole, 2016). In digitalisierten Service Ecosystems ist zu untersuchen, wie die Orchestratoren Schnittstellen ausgestalten, um die (beschränkte) Offenheit umzusetzen. Trotz der hohen Relevanz für die Interaktion zwischen verschiedenen Akteuren sind Schnittstellen bisher wenig erforscht: „[…] interfaces between modules/services, an area posited as important but where we have little detailed understanding“ (Voss und Hsuan, 2009, S. 560). Um Schnittstellen zu schaffen, sind spezifische Koordinationsbemühungen und Standards (z. B. für Datenaustausch) notwendig. In Ecosystems existieren vielzählige unterschiedliche Schnittstellen: „Interfaces in services can include people, information, and rules governing the flow of information“ (Voss und Hsuan, 2009, S. 545). Sie liefern eine standardisierte Beschreibung der Aufgaben und Funktionen der Module respektive Akteure und ihre Einordnung in die gesamte Servicearchitektur (Burr, 2016). Damit Schnittstellen funktionieren sind Standards zu definieren (Baldwin und Clark, 2000). Standards sind Regeln und Vorgaben hinsichtlich der Form bzw. Art und Weise der Interaktion an den Schnittstellen. Sie sorgen für die Interoperabilität der Module. Abbildung 2.9 veranschaulicht diese Überlegungen. Hinsichtlich der Organisationsarchitektur dienen Schnittstellen der Abgrenzung von organisatorischen Aufgaben, der Definition von Zuständigkeiten und der Sicherstellung der Kommunikationsflüsse (Voss und Hsuan, 2009). Sie dienen der Festlegung von Verfügungs-, Anordnungs-, Entscheidungs- und Ausführungskompetenzen von Modulen gegenüber anderen Modulen (Burr, 2016, S. 189). Zudem dienen Sie dem Austausch von Informationen und Wissen, die die Akteure befähigt, ihre Rolle im Ecosystem wahrzunehmen. Sie definieren zum Beispiel Kommunikationskanäle, Berichtswege, oder koordinierende Planung des Managements (Burr, 2016, S. 246). Wie zuvor erläutert, erlaubt es Modularität, nur die Informationen über Schnittstellen preiszugeben, die zur Interaktion bzw. Ausführung der jeweiligen Aufgaben notwendig sind (Parnas, 1972). Eine zentrale Rolle kommt hierbei sowohl dem eigenen Modulwissen als auch dem Systemwissen zu (Chesbrough und Prencipe, 2008). Das Modulwissen umfasst das Wissen zur eigenen Organisation, eigenen Technologien, Prozessen usw. Systemwissen betrifft Wissen zum Ecosystem, dem Zusammenspiel der Akteure, seiner Entwicklung usw. Der Austausch von Modul- und Systemwissen ist ein kritischer Erfolgsfaktor für das Ecosystem (Chesbrough und Prencipe, 2008; Friedli et al., 2014). Dies zeigt das Beispiel
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Konzeptualisierung und theoretische Fundierung …
Abbildung 2.9 Schnittstellen und Standards
von Chesbrough und Kusunoki (2001) des Festplattenherstellers Fujitsu. Dessen Systemwissen es ermöglichte, grundlegende, durch neue Technologien getriebene Architekturveränderungen vorauszusehen und das eigene Netzwerk an Akteuren darauf auszurichten (Tiwana, 2012). Dazu gilt es, gewisses Systemwissen zu teilen bzw. peripheren Akteuren zugänglich zu machen (Dhanaraj und Parkhe, 2006). Beispielsweise brauchen die zentralen Akteure bei der kollaborativen Gestaltung des Ecosystems ein gemeinsames Zielbild (Pera et al., 2016; Taillard et al., 2016). Es gilt, Teile dieses Zielbilds auch gegenüber den peripheren Akteuren zu vermitteln bzw. sie in die gemeinsame Vision einzubinden. Hinsichtlich der Systemarchitektur sind Schnittstellen zwischen IT-Systemen und prozessuale Schnittstellen notwendig. Insbesondere einheitliche elektronische Schnittstellen zur Kommunikation im Sinne von Datenübertragung sind hier relevant, wie beispielsweise zwischen ERP- oder CRM-Systemen. Als grundlegendes Element im Informationszeitalter ist der Begriff der Daten und die Beziehung zu Information und Wissen Gegenstand zahlreicher Diskussionen. Die vorherrschende Auffassung ist, dass Daten die Grundlage für Informationen und diese wiederum die Grundlage für Wissen sind: „Data have commonly been seen as simple facts that can be structure to become information. Information, in turn, becomes knowledge when it is interpreted or put into context, or when meaning is added to it. There
2.2 Konzeptualisierung der Entscheidungstatbessstände in Ecosystems
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are several variations of this widely adopted theme. The common idea is that data are something less than information and that information is less than knowledge“ (Tuomi, 1999, S. 105). Andererseits lässt sich diese Hierarchie auch umdrehen: So ist zur Generierung von Daten Wissen und Information notwendig, um überhaupt die entsprechenden Strukturen (z. B. Design von Datenbanken) anzulegen innerhalb welcher Daten generiert und gespeichert werden können (Tuomi, 1999). In diesem Sinne sind Daten prozessierte Informationen. Sie können jedoch durch Strukturierung und Anreicherung von Kontext wiederum in Informationen und Wissen transformiert werden, das nicht identisch mit der Information, die Voraussetzung zur Speicherung der Daten ist, sein muss. Somit sind die beiden Betrachtungsweisen komplementär und nicht substituierend. Daten sind prozessierte Information, die gespeichert und durch Repräsentation, Strukturierung und Transformation in Information zurückgeführt werden kann, die durch die Anreicherung von Bedeutung Wissen generiert. In digitalisierten Service Ecosystems stellen Daten eine zentrale Ressource dar. Wenn Plattformen die Infrastruktur des Systems zur Verfügung stellen, sind Daten der Treibstoff dieser Infrastruktur. Sie werden metaphorisch auch als das „Öl“ der digitalen Ökonomie bezeichnet (Bhageshpur, 2019). Im Gegensatz zu Öl handelt es sich jedoch um eine Ressource, die exponentiell in ihrem Vorkommen wächst und sich durch mehrfache Verwendung nicht verändert. Daten werden durch digitale Interaktion und Service kontinuierlich generiert. Sie sind Basis für Geschäftsmodelle und Services (Loebbecke und Picot, 2015). Als zentrale Ressource ermöglichen sie es, datenbasierte Services zu entwickeln (z. B. Remote Analytics), Services zu optimieren (z. B. durch nutzungsbasierte Empfehlungen bei Streaming Services), Kundenziehungen zu optimieren und autonome smart Services zu betreiben (z. B. Echtzeit-Routenoptimierung in Fahrzeugen). Daten sind deshalb auch eine Form von Währung zwischen den Akteuren (Bruder, 2012; Eggers et al., 2013) und können von hohem Wert sein (Lim et al., 2018). Es gilt als Unternehmen zu evaluieren, welche Daten wertvoll und dementsprechend zu sammeln und systematisch zu speichern sind. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie und durch welche Akteure Zugang zu wertvollen Daten gewonnen werden kann und wer welche Daten besitzt und austauscht. Daten können im Ecosystem durch den besitzenden oder generierenden bzw. sammelnden Akteur gehandelt bzw. vermittelt werden, je nach Ausgestaltung der externen rechtlichen Faktoren und der Vereinbarungen und Praktiken im Ecosystem. Ein Plattformanbieter kann beispielsweise Nutzungsdaten an Anbieter von komplementären Services verkaufen und dadurch sowohl eigene Erlöse generieren als auch positiv zur Gesamtwertschöpfung beitragen.
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Konzeptualisierung und theoretische Fundierung …
Dabei entstehen verschiedene Arten von Daten. Durch die Vernetzung von Hardware und die Ausstattung mit Sensoren können Nutzungsdaten verwendet werden, um Services anzubieten, die komplementär zum Service des physischen Objekts sind. Dies können beispielsweise vorbeugende smart Services wie Remote Monitoring, Predictive Analytics oder Diagnose sein (Allmendinger und Lombreglia, 2005). Dadurch kann die Nutzung des Objekts optimiert und Ausfallzeiten minimiert werden. Ersatz- oder Verschleißteile können bevor oder wenn sie gebraucht werden geliefert werden. Daten generieren neue Erkenntnisse, bspw. in Form von Prognosen, die es erlauben, ein Problem vor dem Aufkommen zu lösen oder vorbereitende Maßnahmen zu ergreifen (Yan et al., 2017). Die Sensoren können darüber hinaus Umgebungsdaten, die sich nicht auf das physische Objekt beziehen, aufzeichnen. Solche Daten ermöglichen Services, bei denen das physische Produkt nicht Subjekt der Dienstleistung ist, sondern lediglich ein Mittel, um die notwendigen Daten zu generieren. Ein vernetzter Kühlschrank kann beispielsweise den Konsum der Lebensmittel verfolgen und benachrichtigen, wenn etwas fehlt, oder autonom nachbestellen. Eine Smart Watch oder andere sogenannte „Wearables“ (tragbare vernetzte Geräte) können Daten generieren, die für medizinische Dienstleistungen verwendet werden oder das Verhalten des Patienten messen (Piwek et al., 2016). Eine detaillierte Betrachtung der Nutzungsformen und -Rechte von Daten ist daher bei der Gestaltung der Schnittstellen notwendig. Hinsichtlich der Angebotsarchitektur gilt es in der Interaktion mit den Kunden, die Benutzerschnittstellen entlang der Customer Journey über die verschiedenen Kontaktpunkte hinweg zu spezifizieren. Benutzerschnittstellen sind Kontaktpunkte, an denen ein Nutzer mit dem System interagiert (Shneiderman et al., 2016). Dabei können die einzelnen Kontaktpunkte von unterschiedlichen Akteuren gestaltet und betrieben werden. Die Customer Journey anbieterübergreifend zu optimieren und zu integrieren stellt eine zentrale Aufgabe der Gestaltung des Ecosystems dar. Kontaktpunkte, die zentral für das Kundenerlebnis und die Qualitätswahrnehmung sind, gilt es stärker zu integrieren. Die Schnittstellen auf Ebene Organisation, Prozesse und Systeme sollten nicht zu Brüchen im Kundenerlebnis führen (Senn und Bruhn, 2019).
2.3
Konzeptualisierung der Entscheidungsvariablen
2.3.1
Überblick und Struktur der Entscheidungsvariablen
Zur Identifikation und Spezifikation der Entscheidungsvariablen wird die Transaktionskostentheorie (TAKT) herangezogen. Die Transaktionskostentheorie betrachtet
2.3 Konzeptualisierung der Entscheidungsvariablen
61
Probleme der Organisation und Koordination. Sie befasst sich zu diesem Zweck mit Austauschbeziehungen und untersucht, welches institutionelle Arrangement unter welchen Voraussetzungen effizient ist (Picot, 1991). Die Akteure wählen bei der Gestaltung des digitalisierten Service Ecosystems Koordinationsformen, die die Transaktionskosten minimieren. Sie sehen sich dabei einem Trade-off zwischen Transaktionsrisiken und den Kosten der Risikobegrenzung gegenüber. Je nachdem, wie die Variablen der Transaktionskostentheorie ausgeprägt sind, ist es effizienter, hinsichtlich der Entscheidungstatbestände „marktähnliche“ bzw. “wenig organisierte” oder „hierarchieähnliche“ bzw. „organisierte“ Gestaltungsformen zu wählen. Marktähnliche Formen führen zu einem Opportunismusspielraum und entsprechenden Transaktionskosten. Dafür sind keine bzw. geringere Kosten für Koordinations- und Kontrollmechanismen notwendig. Demgegenüber ist der Opportunismusspielraum in „hierarchieähnlichen“ bzw. „organisierten“ Transaktionen aufgrund der Koordinationsmechanismen reduziert, die Kosten für Koordination, Kontrolle und Disziplinierung sind hingegen höher (Rößl, 1994, S. 252 ff.). Grundlage für die Betrachtung sind die Verhaltensannahmen der beschränkten Rationalität der Akteure und der Opportunismusgefahr (Williamson, 1985). Unter diesen Annahmen werden die Transaktionskosten durch die Variablen der Transaktionskostentheorie bestimmt: Spezifität, strategische Bedeutung, Unsicherheit sowie Häufigkeit/Dauer. Sind diese hoch ausgeprägt, ist das Opportunismusrisiko hoch und es empfiehlt sich eine eher organisierte Koordination. Sind sie niedrig ausgeprägt ist das Risiko gering und es empfiehlt sich eine eher marktähnliche Koordination. Die Variablen werden durch die Transaktionsatmosphäre beeinflusst (Williamson, 1985). Die vier Variablen stellen die Entscheidungsvariablen in Ecosystems dar und führen zu eher hierarchieähnlichen oder eher marktähnlichen Mechanismen in Ecosystems. Wie später aufgezeigt wird, können die hierarchieähnlichen Mechanismen entweder formell oder informell (Vertrauen) ausgestaltet werden. Diese Aspekte werden nachfolgend im Detail erläutert. Zunächst wird dazu die grundlegende Fragestellung der TAKT und das Variablensystem der TAKT aufgezeigt (Abschn. 2.3.2). Im Anschluss werden die genannten Verhaltensannahmen und Variablen auf den Kontext der digitalisierten Service Ecosystems übertragen (Abschn. 2.3.3). Sie bieten so die Basis zur Ableitung von Orientierungshypothesen zu den Entscheidungstatbeständen. Abbildung 2.10 gibt einen Überblick über die Entscheidungsvariablen und ihre Auswirkung auf die Gestaltung des Ecosystems.
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Konzeptualisierung und theoretische Fundierung …
Abbildung 2.10 Entscheidungsvariablen und Einfluss auf die Ausgestaltung
2.3.2
Transaktionskostentheorie als theoretische Perspektive auf die Entscheidungsvariablen
Grundlegende Fragestellung der Transaktionskostentheorie Die Transaktionskostentheorie betrachtet Probleme der Organisation und Koordination. Sie befasst sich zu diesem Zweck mit Austauschbeziehungen (Picot, 1991)
2.3 Konzeptualisierung der Entscheidungsvariablen
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und untersucht, welches institutionelle Arrangement unter welchen Voraussetzungen effizient ist. Effizient bedeutet, dass das gewählte Arrangement die Produktionsund Transaktionskosten minimiert. Das heißt, die Theorie fokussiert darauf „[…] how an organization should organize its boundary-spanning activities so as to minimize the sum of its production and transaction costs“ (Barringer und Harrison, 2000, S. 370). Die Transaktionskostentheorie betrachtet Transaktionen zwischen Akteuren als grundlegende Untersuchungseinheit (Williamson, 1975). Sie beschreiben je nach Autor den Austausch von Leistungen: „[…] an exchange of goods or service from one party to another“ (Jones und Hili, 1988, S. 160) oder den Austausch von Eigentumsrechten: „ […] not the „exchange of commodities“, but the alienation and acquisition, between individuals, of the rights of property and liberty created by society, which must therefore be negotiated between the parties concerned before labor can produce, or consumers can consume, or commodities be physically exchanged“ (Commons, 1931, S. 652). Als Ansatz der neuen Institutionenökonomie geht die Transaktionskostentheorie – im Gegensatz zu den Modellen der neoklassischen Theorien – von einer Unvollkommenheit des Marktes aus (Williamson, 1985). Transaktionen sind demnach mit Informations- und Unsicherheitsproblemen verbunden und es entstehen Transaktionskosten. Unvollkommene Information, begrenzte Informationsverarbeitungskapazität und damit eingeschränkte Rationalität, Opportunismus sowie Unsicherheit verursachen Transaktionskosten bei jeglicher Form ökonomischer Aktivität (Tunder, 2000, S. 38 ff.). Sie sind gemäß Williamson (1985) „[…] the economic equivalent of friction in physical systems“ (S. 19). Dementsprechend beschreiben Transaktionskosten jegliche Art von Nachteilen, die entstehen – z. B. Zeit, Mühe oder Opportunitätskosten (Kaas und Fischer, 1993; Picot, 1991, S. 145). Diese Kosten sind von den Produktionskosten zu unterscheiden, die die Kosten für die Erstellung einer Leistung beinhalten (Tadelis und Williamson, 2013, S. 26 f.). Für die vorliegende Arbeit werden Transaktionen und Transaktionskosten in Ecosystems wie folgt definiert (Bach et al., 2012, S. 51; Tunder, 2000, S. 68):
Transaktionen sind verschiedenartige wechselseitige Aktivitäten der Ressourcenintegration zwischen Akteuren im Ecosystem zur Value Co-Creation. Dabei fallen aufgrund von Informations- und Unsicherheitsproblemen Transaktionskosten im Sinne von Reibungsverlusten an.
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Konzeptualisierung und theoretische Fundierung …
Transaktionskosten können nach dem Zeitpunkt der Entstehung unterteilt werden, das heißt es können ex ante- und ex post-Transaktionskosten unterschieden werden (vor und nach der Transaktion) (Williamson, 1985). Ex-ante-Transaktionskosten beinhalten Informations-, Verhandlungs- und Vertragskosten. Demgegenüber enthalten Ex-post-Transaktionskosten die Kosten zur Kontrolle, zur Lösung von Konflikten, für vertragliche Anpassungen usw. (Ebers und Gotsch, 2002, S. 225 f.). Wichtig ist, dass Transaktionskosten ein gedankliches Konstrukt sind und eine geringe Quantifizierbarkeit bzw. Messbarkeit aufweisen. Sie können jedoch durch eine komparative Vorgehensweise für (qualitative) empirische Überprüfungen und praktische Anwendungen operationalisiert werden, indem man nicht ihren absoluten Wert ermittelt, sondern ihre relative Höhe über die Ermittlung der Einflussgrößen Spezifität, Unsicherheit bzw. Komplexität und Häufigkeit (Picot, 1991, S. 155 f.). Auf Basis der Überlegungen zu den Transaktionskosten wird die effiziente Koordinationsform auf einem Kontinuum zwischen Markt und Hierarchie (vgl. Abbildung 2.11) bestimmt (Williamson, 1975). Dazwischen existiert ein breites Spektrum an Zwischenformen wie Unternehmenskooperationen, strategische Allianzen, Joint Ventures, Franchisingsysteme u. a. m. (Picot et al., 2001, S. 53). Welche Organisationsform effizient ist, hängt vom Zusammenspiel der beschriebenen Faktoren ab. Eine stärkere (hierarchische) Integration hat höhere fixe Transaktionskosten für die Verwaltung und Steuerung, z. B. aufgrund des bürokratischen Apparates (Williamson, 1990). Dafür stehen Anreiz- und Kontrollmechanismen bereit, die insbesondere spezifische Transaktionen erleichtern. Umgekehrt geht ein niedriger (marktlicher) Integrationsgrad mit geringen fixen und hohen variablen Transaktionskosten einher, da die Gefahr von opportunistischem Verhalten jeweils Vorsichtsmaßnahmen erforderlich macht (Picot et al., 2001, S. 50 ff.).
2.3 Konzeptualisierung der Entscheidungsvariablen
Koordinationsmechanismus
Dauer der
65
Preis und Wettbewerb
Kooperation, gemeinsame Ziele u. Vertrauen
Zielgerichtete Steuerung, Macht und Weisungen
kurz
mittel
lang
getrennte Ressourcen
gemeinsame Ressourcen
gemeinsame Ressourcen
getrennt
gemeinsam
gemeinsam
dezentral, bei den jeweiligen Partnern
in Abhängigkeit des Kooperationsvertrags
zentral, jedoch Trennung von Aufgabenentscheidung und -ausführung
Transaktionsbezogen, sonst keine
gemeinsames Kooperationsziel
gemeinsames Unternehmensziel
vertragliche Absicherung der Einzeltransaktionen, z.B. Kaufvertrag, klassische Vertragsbeziehung
Rahmenvertrag zur Absicherung der Transaktionen, z.B. Kooperationsvertrag
keine Verträge für Einzeltransaktionen notwendig, z.B. Arbeitsvertrag
Leistungsbeziehung Eigentumsverhältnisse Ergebnisverantwortung Weisungs- und Entscheidungsbefu gnisse in der Leistungskoordinati on Zielübereinstimmung
Zugrundeliegende Vertragsform
Abbildung 2.11 Markt-Hierarchie-Kontinuum. (Quelle: Gaugler (2000, S. 63); Sydow (1998, S. 4))
66
2
Konzeptualisierung und theoretische Fundierung …
Variablensystem der Transaktionskostentheorie Als Entscheidungsvariablen bietet die Transaktionskostentheorie eine theoretische Fundierung und Herleitung der Determinanten von Transaktionskosten, auf deren Basis auf eine effiziente (i. S. v. transaktionskostenminimierende) Koordinationsform geschlossen werden kann. Sie bestimmen die Höhe der Transaktionskosten (Picot, 1991, S. 147): • Die mit der Transaktion verbundene Unsicherheit, die mit Komplexität und unvollständiger Information einhergeht. Gemäß Williamson ist die Unterscheidung zwischen Unsicherheit und Komplexität für die Analyse nicht von Bedeutung (Williamson, 1975, S. 23). Eine hohe Unsicherheit vermindert die vorausschauende Transparenz und steigert somit die Transaktionskosten. • Die Spezifität der Leistungsbeziehung bzw. der eingebrachten Ressourcen. Die Spezifität beschreibt den Wertverlust, der entsteht, wenn die eingebrachten Ressourcen nicht für die Transaktion eingesetzt werden. Eine hohe Spezifität bringt Abhängigkeiten mit sich und steigert so die Transaktionskosten. • Dies hängt auch von der strategischen Bedeutung der Transaktion ab. Sie beschreibt den Beitrag zur Wettbewerbsposition der Gesamtleistung bzw. des Endprodukts. Ist eine Transaktion für gewisse Akteure von hoher Bedeutung steigen die Transaktionskosten. • Die Häufigkeit/Dauer der Transaktion. Eine hohe Häufigkeit bzw. lange Dauer führt zu einer schnelleren bzw. sicheren Amortisation und senkt somit die Transaktionskosten. Übereinstimmend wird dabei der Spezifität und der strategischen Bedeutung die größte Wichtigkeit beigemessen (Picot, 1991; Rößl, 1994). Die anderen Einflussgrößen wirken verstärkend bzw. abschwächend. Diesen Variablen liegen die zwei zentralen Verhaltensannahmen („Human Factors“) der Transaktionskostentheorie zugrunde (Picot, 1991, S. 147; Williamson, 1985, S. 47): • Die Annahme der beschränkten Rationalität besagt, dass die Akteure nicht in der Lage sind, alle Eventualitäten einer Transaktion vorauszusehen. Dies aufgrund der o.g. Unsicherheit bzw. Komplexität. • Die Annahme des Opportunismus beschreibt das Verhalten eines Akteurs, zuungunsten anderer seine Eigeninteressen durchzusetzen und sich einen Vorteil zu verschaffen, beispielsweise durch unvollständige oder verzerrte Informationsweitergabe, Regelbruch oder ähnliches. Generell formuliert (Williamson, 1990,
2.3 Konzeptualisierung der Entscheidungsvariablen
67
S. 54) Opportunismus als Verfolgung des Eigeninteresses unter Zuhilfenahme von List. Zuletzt ist die Transaktionsatmosphäre zu betrachten. Sie umfasst die sozialen, rechtlichen und technologischen Rahmenbedingungen und hat so einen Einfluss auf die anderen Variablen. Beispielsweise ist je nach sozialem Wertesystem das Potenzial für opportunistisches Verhalten unterschiedlich einzuschätzen (Yuki et al., 2005). Auch technologische Neuerungen im Rahmen der Digitalisierung können rationales Verhalten bestärken (durch Informationen) oder den Spezifitätsgrad verändern (Picot, 1991, S. 148). Das Zusammenwirken der Variablen lässt sich wie folgt beschreiben (Picot, 1991; Williamson, 1985; Williamson, 1993a): • Aufgrund ihrer begrenzten Rationalität können Akteure nicht alle Eventualitäten einer Transaktion erfassen, wodurch Spielräume für opportunistisches Verhalten entstehen. • Je höher die Spezifität der Leistung, desto größer ist dieser Spielraum. Dies aufgrund der Abhängigkeiten, die sich durch spezifische Investitionen ergeben. Das heißt je höher die Spezifität desto höher die Transaktionskosten. • Das gleiche gilt für die strategische Bedeutung der Transaktion. Sie erhöht die Abhängigkeiten und dadurch das Risiko. • Durch Unsicherheit bzw. Komplexität wird dieser Faktor zusätzlich verstärkt. Das heißt je höher die Unsicherheit, bei hoher Spezifität, desto höher die Transaktionskosten. • Je höher diese beiden Aspekte, desto höher ist die Notwendigkeit für Anreiz-, Überwachungs- und Kontrollinstrumente. • Je höher die Häufigkeit bzw. je länger die Dauer der Transaktion, desto eher amortisieren sich diese Instrumente bzw. Systeme. • Diese Dynamiken können durch Aspekte der Transaktionsatmosphäre verstärkt oder gemindert werden. Abbildung 2.12 veranschaulicht diese Zusammenhänge. Auf Basis dieses Analyserahmens werden Institutionen zur Reduktion der Transaktionskosten gebildet. Eine Institution ist ein „[…] auf ein bestimmtes Zielbündel abgestimmtes System von Normen einschließlich deren Garantieinstrumente, mit dem Zweck, das individuelle Verhalten in eine bestimmte Richtung zu steuern“ (Richter, 1994, S. 2). Sie setzen sich aus informellen und formellen Mechanismen zusammen, die das Handeln der Akteure bei ihren Transaktionen regeln (Blum et al., 2005, S. 28 f.):
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2
Konzeptualisierung und theoretische Fundierung …
Abbildung 2.12 Analyserahmen der Transaktionskostentheorie. (Quelle: Picot (1991, S. 148))
• Formelle Institutionen wie Eigentumsrechte (property rights), vertragliche und nichtvertragliche Verpflichtungen usw. • Informelle Institutionen wie Gebräuche, Werte, implizite Vereinbarungen, Vertrauen, Kultur, usw. Sie besitzen demnach als Regelsystem bei der Value-Co-Creation im Ecosystem einen „[…] erwartungsbildenden und konfliktmindernden Charakter, erfüllen häufig Informations- und Überwachungsfunktionen und wirken insgesamt organisationsund koordinationskostensenkend“ (Picot, 1991, S. 144). Sie können spontan aus spezifischen Eigeninteressen der Austauschbeteiligten entstehen, über Zeit durch Gewohnheit im Rahmen der Beziehung evolutionär wachsen oder gezielt durch eine allgemein verbindliche Autorität geschaffen werden bzw. entstehen. Der Institutionenbegriff wird im der Rahmen Transaktionskostentheorie sehr weit ausgelegt (Picot, 1991, S. 144).
2.3 Konzeptualisierung der Entscheidungsvariablen
2.3.3
69
Anwendung der Transaktionskostentheorie auf digitalisierte Service Ecosystems und Beschreibung der Entscheidungsvariablen
2.3.3.1 Eingrenzung des Kontinuums auf eher marktliche und hybride Koordinationsformen sowie Erweiterung um Vertrauen In der klassischen, firmenzentrierten Betrachtungsweise von Koordinationsentscheiden wird mithilfe der Transaktionskostentheorie untersucht, welche Governance-Form (Markt, Hybrid, Hierarchie) für den jeweiligen Fall am effizientesten ist. In digitalisierten Service Ecosystems wird eine Vielzahl an Akteuren und ihr Zusammenspiel betrachtet. Deshalb kommen grundsätzlich alle Formen parallel vor. Im Kontext von neuen Geschäftsmodellen, Technologien sowie branchenübergreifenden Kompetenzen ist jedoch davon auszugehen, dass die Fähigkeit zur Internalisierung der Kernkompetenzen von zentralen Akteuren eingeschränkt ist. Ein Beispiel wäre die Internalisierung der Kompetenz zur Herstellung von Fahrzeugteilen durch eine Bank im Kontext einer Smart Car-Lösung. Die Kompetenzen der peripheren Akteure können zwar internalisiert werden. Dies führt jedoch lediglich dazu, dass die zentralen Akteure ebenfalls komplementäre Services mit geringerer Spezifität anbieten und am Wettbewerb zwischen den peripheren Akteuren teilnehmen. So kann Apple eigene Apps für sein Ecosystem entwickeln. Dies hat jedoch keinen Einfluss auf die grundsätzliche Dynamik der eher marktlichen Ausgestaltung der Partizipation peripherer Akteure. Der Fokus liegt daher auf Ausprägungen zwischen Externalisierung (Markt) und formalisierten bzw. vertrauensbasierten Hybridformen, sowie deren jeweilige Ausgestaltung. Abbildung 2.13: veranschaulicht dies. Wie nachfolgend erläutert wird, kommt Vertrauen in Ecosystems aufgrund der Unsicherheit und Komplexität eine wichtige Bedeutung zu. Deshalb werden formelle und vertrauensbasierte Koordination separat betrachtet. Es werden demnach drei grobe Stoßrichtungen für Koordinationsformen betrachtet: (1) Eher marktliche Koordinationsform: Koordination via Preis und Wettbewerb. (2) Hybride Koordinationsform mittels formeller Verträge: Koordination via Kooperationsverträge, Vereinbarungen, Beteiligungen usw. (3) Hybride Koordinationsform mittels Vertrauens: Koordination via Vertrauen und vertrauensbildender Maßnahmen.
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Konzeptualisierung und theoretische Fundierung …
Abbildung 2.13 Mangelnde Internalisierbarkeit trotz hoher Risiken. (Quelle: In Anlehnung an Rößl (1994, S. 277))
In der vorliegenden Arbeit wird Vertrauen als wichtiger Koordinationsmechanismus in Ecosystems betrachtet. Dies aufgrund der Unsicherheit und Komplexität die aus den Strukturveränderungen, den zahlreichen Akteure und dem Innovationscharakter resultieren. Ein gewisses Maß an Vertrauen in das kooperative Verhalten der beteiligten Akteure stellt zudem eine grundlegende Voraussetzung zur Kooperation dar (Rößl, 1994, S. 113). Jarillo (1988) konstatiert: „[…] Iack of trust is the quintessential cause of transactional costs […]“ (S. 36). Dabei muss Vertrauen nicht unbedingt positiv betrachtet werden. Gerade aufgrund der Strukturveränderungen und des dadurch entstehenden Handlungsdrucks kann auch ein übermäßiges Vertrauen im Sinne von Wunschdenken entstehen, das den Opportunismusspielraum ausdehnt. Hardy et al. (1998) weisen darauf hin, dass sich hinter Vertrauen häufig
2.3 Konzeptualisierung der Entscheidungsvariablen
71
Machtdynamiken verbergen. So kann es vorkommen, dass ein Akteur einem anderen Akteur alleine deswegen vertraut, weil er keine andere Wahl hat und auf dessen Fähigkeiten oder Ressourcen angewiesen ist. Unter diesen Gesichtspunkten wird Vertrauen als Koordinationsmechanismus in digitalisierten Service Ecosystems separat betrachtet. Es bezeichnet: „[…] the willingness of a party to be vulnerable to the actions of another party based on positive expectations regarding the other party’s motivation and/or behavior“ (Malhotra und Lumineau, 2011, S. 5). Vertrauen beinhaltet dabei sowohl das Vertrauen in die Absichten anderer Akteure als auch in ihre Fähigkeiten (Das und Teng, 2001; Malhotra und Lumineau, 2011). Williamson selbst spricht die Bedeutung von Vertrauen mehrfach an, verweist jedoch auf die schwierige Operationalisierbarkeit: „[…] operationalizing trust has proved inordinately difficult. A noncalculative orientation may help unpack the issues. Organization theorists would appear to be well suited to the task“ (Williamson, 1985, S. 406). Das Problem liegt darin, dass Vertrauen nicht in den „kalkulatorischen“ Trade-off der anderen Variablen passt (Pessali, 2006, S. 57). Im vorliegenden Kontext wird Vertrauen jedoch nicht als Variable, sondern als aus den Variablen resultierender Koordinationsmechanismus miteinbezogen. Ergänzend wird Vertrauen als Teil der Transaktionsatmosphäre (vgl. Abschnitt 2.3.3.7) betrachtet, die einen Einfluss auf die anderen Variablen haben kann.
2.3.3.2 Verhaltensannahmen: Beschränkte Rationalität und Opportunismus Die Transaktionskostentheorie geht davon aus, dass Akteure unter beschränkter Rationalität und unter Verfolgung ihrer Eigeninteressen über die Gestaltung von Transaktionen entscheiden. Daraus entsteht die Annahme einer allgegenwärtigen Opportunismusgefahr (Rößl, 1994, S. 99). Die zentrale Bedeutung von Opportunismus in der Transaktionskostentheorie wurde in der Vergangenheit häufig kritisiert (Williamson, 1993a). Dabei unterstellt die Theorie nicht, dass Opportunismus an sich allgegenwärtig ist. Gewisse Akteure sind jedoch opportunistisch, und ihre Vertrauenswürdigkeit ist im Vorneherein schwer festzustellen (Williamson, 1985, S. 64). Williamson (1998) formuliert es wie folgt: „Thus, although it is unnecessary to assume that all human agents are identically opportunistic, much less continuously opportunistic, it is truly utopian to presume unfailing stewardship. (Even the saints are known to be fallible; and most of us are better described as mere mortals.)“ (S. 31). Die Opportunismusannahme besagt daher, dass nicht der Opportunismus an sich, sondern die Gefahr des Opportunismus grundsätzlich vorhanden ist. Deshalb wählen die Akteure Mechanismen um ex-ante und ex-post damit umzugehen.
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2
Konzeptualisierung und theoretische Fundierung …
In digitalisierten Service Ecosystems ist die Gefahr von Opportunismus von hoher Relevanz. Neben der Kollaboration und Kooperation ist auch der Wettbewerb zwischen den Akteuren zu betrachten. Die Ecosystems-Metapher suggeriert zu Recht, dass die Akteure nicht in rein symbiotischen Beziehungen existieren. Wettbewerb ist – im Wissen um beschränkte Ressourcen – einer der grundlegendsten und zugleich erfolgreichsten Überlebensmechanismen, sei es bei Organismen, Unternehmen oder Staaten (Camarinha-Matos et al., 2009). Dabei kann auch Kooperation oder Kollaboration dem Zweck dienen, sich im Wettbewerb zu behaupten. Im Zusammenhang mit dem steigenden Interesse an kollaborativen Multi-AkteurPerspektiven wie Netzwerken, Ecosystems usw. setzt sich die Erkenntnis durch, dass das Verhalten kollaborierender Akteure durch Wettbewerb und daher durch Opportunismus und Spannungen geprägt sein kann, da sich die kooperierenden Akteure zugleich im Wettbewerb befinden können (Bouncken et al., 2015, S. 579). Eine Situation bzw. Beziehung, die von Kooperation und Wettbewerb zugleich geprägt ist, wird als Coopetition bezeichnet (Bouncken et al., 2015; Brandenburger und Nalebuff, 1996). Der Begriff geht auf Brandenburger und Nalebuff (1996) und ihre Überlegungen zu Komplementarität von Akteuren im Wertschöpfungsnetzwerk zurück. Sie betonen schon früh die elementare Rolle von Komplementären im Kontext der Digitalisierung. Bei der Betrachtung der Dynamiken zwischen Komplementäranbietern stellen sie jedoch fest: „Business is cooperation when it comes to creating a pie and competition when it comes to dividing it up“ (Brandenburger und Nalebuff, 1996, S. 4). Jüngst ist ein steigendes Interesse an Coopetition zu erkennen. Eine einheitliche detaillierte Konzeptualisierung steht zwar bisher aus, über das grundlegende Verständnis von Coopetition herrscht aber weitgehend Einigkeit (Bouncken et al., 2015). Sie kann anhand der beiden Aspekte der Value Co-Creation erläutert werden: Value Creation und Value Capture (Ben Letaifa, 2014; Ulaga, 2001). Akteure kooperieren bei der Maximierung des gemeinsam geschaffenen Werts (Value Creation) im Ecosystem. Bei der Aufteilung dieses Werts (Value Capture) sind sie im Wettbewerb. Coopetition beschreibt demnach: „[…] a strategic and dynamic process in which economic actors jointly create value through cooperative interaction, while they simultaneously compete to capture part of that value“ (Bouncken et al., 2015, S. 591). Im Beispiel eines Smartphone Ecosystems sind Appentwickler und Plattformanbieter an der Maximierung der der Gesamtwertschöpfung und des Marktanteils des Ecosystems interessiert. Bei der Aufteilung der Wertschöpfung haben sie jedoch gegenläufige Interessen, wenn es beispielsweise darum geht wie hoch die Gebühr ist, die ein Appanbieter an den Plattformanbieter beim Verkauf abgibt. Hinzu kommt, dass ein Appanbieter aufgrund der Modularität auch auf einem konkurrierenden System, bei dem ein anderer Plattformanbieter der zentrale
2.3 Konzeptualisierung der Entscheidungsvariablen
73
Akteur ist, tätig sein kann. Das Beispiel zeigt auch, dass es im Interesse der Akteure ist, ein Gleichgewicht aus Kooperation und Wettbewerb zu halten. Führt opportunistisches Verhalten dazu, dass ein oder mehrere Akteure einen höheren Anteil des gemeinsam geschaffenen Werts für sich beanspruchen, kann dies zur Folge haben, dass die anderen Akteure nicht mehr an der Value Co-Creation partizipieren. Daher gilt es Mechanismen (Markt, Kontrolle, Vertrauen) zu etablieren, die dem vorbeugen. Abbildung 2.14 veranschaulicht das Aufeinandertreffen von Kooperation und Wettbewerb im Service Ecosystem.
Abbildung 2.14 Value Co-Creation unter Coopetition. (Quelle: In Anlehnung an Bruhn und Hadwich (2019, S. 9))
Der Wettbewerb unter den kooperierenden Akteuren hat positive und negative Effekte auf das Ecosystem. Camarinha-Matos et al. (2009) beschreiben, dass Innovation häufig das Ergebnis der Konfrontation von Ideen und Perspektiven ist. Reibung zwischen den Akteuren ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass bestehende Strukturen hinterfragt und dadurch das gesamte Ecosystem beeinflusst wird (Kleinaltenkamp et al., 2018). Der Wettbewerb kann aber auch zu opportunistischem Verhalten anregen. Dies gilt es bei der Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems einzubeziehen und bei den einzelnen Entscheidungstatbeständen vorwegzunehmen. Ziel ist es, dass trotz Wettbewerb eine gemeinsame Basis aus
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Konzeptualisierung und theoretische Fundierung …
Vertrauen und Fairness entsteht und so ein Gleichgewicht zwischen Kooperation und Wettbewerb erreicht wird (Camarinha-Matos et al., 2009).
2.3.3.3 EV 1: Spezifität Bei der Interaktion der Akteure in digitalisierten Service Ecosystems entstehen spezifische Leistungsbeziehungen. In diesen erbringen Akteure Vorleistungen, die nur für einen spezifischen Verwendungszweck nutzbar sind und nicht ohne weiteres anderweitig verwertet werden können (Picot und Franck, 1993, S. 188). Werden spezifische Vorleistungen erbracht bzw. spezifische Assets eingebracht, führt dies demnach zu einem Lock-in-Effekt. Beispiele hierfür sind in digitalisierten Service Ecosystems (Picot et al., 2001; Williamson, 1985): • Investitionen in spezifisches Humankapital: Beispielsweise spezifische Mitarbeiterqualifikationen, Aufbau eines spezifischen Teams, z. B. zum Management der Kollaboration oder der organisatorischen Schnittstellen. • Investitionen in zweckgebundene Sachwerte: Investition in an sich unspezifische Assets, die jedoch ohne die Kollaboration Überkapazitäten zur Folge hätten. Beispielsweise zusätzliche Software-Lizenzen. • Investitionen in standortspezifische, d. h. ortsgebundene Assets: Beispielsweise Aufbau eines lokalen Kompetenzzentrums oder einer Produktionsstätte beim Partner vor Ort. • Investitionen in spezifisches Sachkapital: Beispielsweise Investitionen in spezifische digitale Technologien. Wirkung der Variable Mit der Spezifität der eingebrachten Assets steigt ceteris paribus der Opportunismusspielraum. Damit steigt auch der Erwartungswert der Kosten der Ausnutzung dieser Spielräume (Rößl, 1994). Dementsprechend steigt der Anreiz, Strukturen und Mechanismen im Ecosystem zu etablieren, die dem entgegenwirken, insbesondere durch stärkere Integration oder Kontrollmechanismen. Dies insbesondere unter der Voraussetzung hoher Unsicherheit und der daraus resultierende Opportunismusspielräume (Sydow, 1992, S. 133). Ist die Unsicherheit (Komplexität) gering, lässt sich der Opportunismusspielraum durch spezifische Assets vorausschauend einkalkulieren. Bei vollständiger Information (also einer hypothetischen Unsicherheit von null) ließe sich das zukünftige Verhalten der Akteure und die Entwicklung des Ecosystems dahingehend antizipieren, dass diesbezüglich risikolose Entscheidungen getroffen werden könnten (Rößl, 1994, S. 256).
2.3 Konzeptualisierung der Entscheidungsvariablen
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2.3.3.4 EV 2: Strategische Bedeutung Die Interaktionen zwischen gewissen Akteuren können von hoher strategischer Bedeutung für das Ecosystem bzw. die Leistungserstellung sein. Dadurch steigt der Opportunismusspielraum, insbesondere wenn beispielsweise die Bedeutung nicht für alle Beteiligten gleich hoch ist. Sind Transaktionen hoch spezifisch und strategisch bedeutsam, handelt es sich bei den zugrundeliegenden Fähigkeiten um Kernkompetenzen im Sinne von Prahalad und Hamel (1990), die eine höhere Internalisierung erfordern (Picot et al., 2001, S. 52). Wie zuvor erläutert, ist jedoch im Falle von branchenübergreifenden horizontalen Kooperationen zwischen Akteuren mit weitreichenden Kernkompetenzen eine Internalisierung nicht zu realisieren. Beispiele in digitalisierten Service Ecosystems sind: • Technologie: Ein Akteur verfügt über die technologische Basis zum Aufbau bzw. Betrieb der Plattform. • Infrastruktur: Ein Akteur verfügt über Infrastruktur oder eine Installed Base, die zur Leistungserstellung notwendig ist. • Beziehungen: Ein Akteur verfügt über bestehende Beziehungen zu den potenziellen Kunden oder zu anderen wichtigen Akteuren. • Wissen und Fähigkeiten: Ein Akteur verfügt z. B. über spezifisches Wissen oder über Kapazitäten wie geschulte Arbeitskräfte zur Erbringung eines Dienstleistungsprozesses. Wirkung der Variable Mit der strategischen Bedeutung der Transaktion bzw. Transaktionsbeziehung steigt ceteris paribus der Opportunismusspielraum. Damit steigt auch der Erwartungswert der Kosten der Ausnutzung dieser Spielräume. Dementsprechend steigt der Anreiz, Strukturen und Mechanismen im Ecosystem zu etablieren, die dem entgegenwirken, insbesondere durch stärkere Integration oder Kontrollmechanismen, insbesondere unter der Voraussetzung hoher Unsicherheit und der daraus resultierende Opportunismusspielräume (Sydow, 1992, S. 133). Ist die Unsicherheit (Komplexität) gering, lässt sich auch hier der Opportunismusspielraum vorausschauend einkalkulieren.
2.3.3.5 EV 3: Unsicherheit Digitalisierte Service Ecosystems sind von Unsicherheiten und Komplexität geprägt. Unsicherheit drückt sich als „[…] Anzahl und Ausmaß nicht vorhersehbarer Aufgabenänderungen“ (Picot et al., 2001, S. 52) aus. Bei hoher Unsicherheit können sich Gegebenheiten schneller und häufiger ändern. Dies kann die Modifikation von Vereinbarungen notwendig machen und führt damit zu höheren Transaktionskosten.
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Konzeptualisierung und theoretische Fundierung …
Unsicherheit kann in digitalisierten Service Ecosystems beispielsweise hinsichtlich folgender Aspekte bestehen: • Geschwindigkeit technologischer Entwicklungen: Geschwindigkeit des Fortschritts, z. B. hinsichtlich Automatisierung durch Robotik und lernende Algorithmen. So gehen Schätzungen davon aus, dass in den nächsten 10−20 Jahren fast die Hälfte aller Stellen in ihrer jetzigen Form durch Automatisierung bedroht sind oder maßgeblich verändert werden (Nedelkoska und Quintini, 2018). Die Eintrittswahrscheinlichkeit und Implikationen für das eigene Unternehmen sind schwer abzuschätzen. • Durchsetzung von Technologien: Bei digitalen Technologien ist schwer absehbar, wann sich welche durchsetzt. Ein Beispiel sind die unterschiedlichen konkurrierenden Blockchain-Plattformen, die als Basis für Blockchain-Anwendungen verwendet werden können. • Preisentwicklungen: Der Zerfall der Preise für Sensoren ist beispielsweise ein wichtiger Treiber für die Vernetzung von physischen Geräten (Yoo et al., 2010). Technologische Änderungen können auch zu veränderten Preismodellen und so zum Preiszerfall (oder -anstieg) führen. Ein Beispiel hierfür ist die Digitalisierung der Musikindustrie und die damit verbundene Entwicklung hin zu Abonnements (z. B. Spotify). • Kundenpräferenzen: Veränderte Präferenzen oder unvorhersehbare Nutzungsweisen durch die Kunden. Beispielsweise die Auswirkungen aktueller Debatten zum Klimaschutz auf das Nachfrageverhalten. • Regulatorische Änderungen: Gerade im Bereich von digitalen Geschäftsmodellen lassen sich regulatorische Änderungen teilweise schwer voraussehen. Ein Beispiel hierfür sind Datenschutz- oder Urheberrechtsgesetze. • Umfang und Form der kollaborativen Services: Sind die Geschäftsmodelle im Kontext der Kollaboration unklar oder experimentell, führt die zu einer höheren Unsicherheit hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung der Kooperation. Beispielsweise bei einem Innovationsprojekt, bei dem zu Beginn nur ein grober Suchrahmen wie „Smart Healthcare“ feststeht. Wirkung der Variable Mit der Unsicherheit der Transaktion steigt ceteris paribus der Opportunismusspielraum. Damit steigt auch der Erwartungswert der Kosten der Ausnutzung dieser Spielräume (Rößl, 1994). Dementsprechend steigt der Anreiz, Strukturen und Mechanismen im Ecosystem zu etablieren, die dem entgegenwirken, insbesondere durch stärkere Integration oder Kontrollmechanismen.
2.3 Konzeptualisierung der Entscheidungsvariablen
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Zugleich kann Unsicherheit zu Schwierigkeiten bzw. hohen Kosten der Integration bzw. Kontrollmechanismen führen. Sind beispielsweise technologische Entwicklungen unklar oder der Umfang und die Form der kollaborativen Services nicht abschließend geklärt, kann sich eine Formalisierung von Strukturen zur Vermeidung von Opportunismus schwierig gestalten.
2.3.3.6 EV 4: Häufigkeit/Dauer Die Häufigkeit bzw. Dauer erhöht die potenziell erzielbaren Kooperationsgewinne. Dadurch steigt der Anreiz, sich vertrauenswürdig zu verhalten oder sogar spezifische Investitionen vorzunehmen, um die Bereitschaft zu einer langfristigen Kooperation zu signalisieren (Picot et al., 2001). Wirkung der Variable Mit der Häufigkeit und der Dauer der eingebrachten Assets steigt ceteris paribus der Erwartungswert der Kosten der Ausnutzung von Opportunismusspielräumen. Dementsprechend steigt der Anreiz, Strukturen und Mechanismen im Ecosystem zu etablieren, die dem entgegenwirken, insbesondere durch stärkere Integration oder Kontrollmechanismen (Rößl, 1994). Durch die Steigerung der Häufigkeit/Dauer amortisieren sich Kontrollinstrumente zudem schneller und sind dadurch attraktiver.
2.3.3.7 Transaktionsatmosphäre Williamson lädt an verschiedenen Stellen dazu ein, Aspekte der Atmosphäre und Verhaltens von Akteuren, die nicht im Grundraster der Theorie enthalten sind, miteinzubeziehen (Pessali, 2006): „The social context in which transactions are embedded – the customs, mores, habits, and so on – have a bearing, and therefore need to be taken into account […]“ (Williamson, 1985, S. 22). Hinsichtlich der Transaktionsatmosphäre können rechtlich, technologisch und sozial unterschiedliche Rahmenbedingungen einen Einfluss auf die Transaktionskosten und somit auf die Ausgestaltung des Ecosystems haben (Picot et al., 2001, S. 53). Im vorliegenden Kontext werden die rechtlichen und technologischen Rahmenbedingungen als gegeben angenommen. Hinsichtlich der sozialen Rahmenbedingungen wird Vertrauen als zentrale Variable beim Zusammenspiel der Akteure zur Gestaltung des Ecosystems miteinbezogen und der Einfluss auf die anderen Variablen untersucht. Die Ursachen für Vertrauen können unterschiedliche sein, z. B.: • Reputation: Reputation hinsichtlich der Fähigkeiten und Kompetenzen senkt die Unsicherheit in Bezug auf die Qualität des Leistungsbeitrags (z. B. andere Kollaborationsprojekte mit der gleichen Technologie erfolgreich umgesetzt). Reputation hinsichtlich kooperativen Verhaltens senkt das (wahrgenommene)
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Konzeptualisierung und theoretische Fundierung …
Opportunismusrisiko. Zudem ist Marktreputation ein Asset, das durch Opportunismus geschädigt werden kann (Rößl, 1994, S. 192 ff.). • Historie: Die gleichen Mechanismen treten im Falle einer gemeinsamen Historie auf. Dabei können sich Akteure nicht nur auf die Reputation, sondern auf selber erlebtes Verhalten der Vergangenheit stützen, um auf die Zukunft zu schließen (Rößl, 1994, S. 193 ff.). Wirkung auf die Variablen Vorhandenes Vertrauen zwischen Akteuren senkt die wahrgenommene Unsicherheit und das Opportunismusrisiko. Dadurch steigt die Bereitschaft zu spezifischen Investitionen und/oder zu Transaktionen von strategischer Bedeutung.
2.4
Zusammenführung der ETBs und EVs zu Orientierungshypothesen
Nachfolgend werden die Entscheidungstatbestände und Variablen zusammengeführt. Auf Basis der zuvor erläuterten Entscheidungsvariablen lassen sich folgende Wirkungszusammenhänge zusammenfassen (Burr, 2016, S. 54; Rößl, 1994, S. 256): • Je höher die Spezifität, die strategische Bedeutung, die Unsicherheit und die Häufigkeit/Dauer einer Transaktion sind, umso eher werden hybride Kontrollund Koordinationsmechanismen eingesetzt. • Je schwächer diese Einflussgrößen ausgeprägt sind, umso eher wird die Transaktion unter Einsatz marktähnlicher Koordinationsmechanismen abgewickelt. • Im Zentrum stehen dabei primär die Merkmale Spezifität und strategische Bedeutung. • Die Merkmale Unsicherheit und Häufigkeit/Dauer wirken dabei als verstärkende Faktoren. • Vertrauen (Transaktionsatmosphäre) wirkt hingegen als abschwächender bzw. kompensierender Faktor. Im Folgenden werden die daraus abgeleiteten Orientierungshypothesen pro Entscheidungstatbestand kurz erläutert. Abbildung 2.15 gibt einen Überblick zu den Orientierungshypothesen pro Entscheidungstatbestand.
2.4 Zusammenführung der ETBs und EVs zu Orientierungshypothesen
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Abbildung 2.15 Überblick über die Orientierungshypothesen
ETB1: Festlegung der zentralen Akteure Im Ecosystem gestalten zentrale Akteure auf Basis ihrer Kernkompetenzen mit hoher spezifischer Komplementarität die Value Proposition des Ecosystems. Das heißt, die Ressourcen und Fähigkeiten der zentralen Akteure sind von hoher strategischer Bedeutung (ohne sie könnte die Kernleistung nicht erstellt werden) und
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Konzeptualisierung und theoretische Fundierung …
hoher Spezifität (die Akteure wenden ihre Kompetenz auf das spezifische Ecosystem an). Periphere Akteure setzen Kernkompetenzen ein, die von geringerer Spezifität und strategischer Bedeutung sind. Die Spezifität wird möglichst verringert, damit sie einfach „andocken“ können. Die strategische Bedeutung ergibt sich aufgrund von Netzwerkeffekten insbesondere aus einer hohen Anzahl und nicht aus den einzelnen Akteuren. Der weiteren Betrachtung wird folgende Orientierungshypothese zugrunde gelegt: • ETB 1 – OH 1: Das Ecosystem wird durch ein Set an zentralen Akteuren orchestriert, die eine Plattform betreiben und deren jeweiliger Beitrag zum Ecosystem von hoher strategischer Bedeutung und hoher Spezifität gekennzeichnet ist. Darum herum ordnen sich die peripheren Akteure an, deren einzelner Beitrag von geringerer strategischer Bedeutung und geringer Spezifität ist. ETB 2: Integration der zentralen Akteure Aus transaktionskostentheoretischer Sicht bringen die zentralen Akteure mit ihren Kernkompetenzen spezifische Assets ein, die es gegen Opportunismus zu schützen gilt. Deshalb ist eine stärkere Integration und Integralität anzustreben. Da die Kompetenzen, wie zuvor erläutert, nicht vollständig internalisiert werden können, sind hybride Kontroll- und Koordinationsmechanismen notwendig. Dazu können sich entweder formelle Verträge und Beteiligungen eignen oder Vertrauen. Hinsichtlich der Integration dieser zentralen Akteure im Ecosystem ergeben sich folgende Orientierungshypothesen: • ETB 2 – OH 1: Aufgrund hoher strategischer Bedeutung, hoher Spezifität und hoher Unsicherheit ist der Integrationsgrad der zentralen Akteure hoch und ihre Struktur eher integral. Aufgrund mangelnder Internalisierbarkeit wird eine hybride Form angestrebt. • ETB 2 – OH 2: Die Integration kann mittels formeller Verträge umgesetzt werden. Verhindern jedoch die hohe Unsicherheit bzw. Komplexität die formelle Integration, werden Vertrauen und vertrauensfördernde Maßnahmen zur Kompensation eingesetzt. ETB 3: Festlegung der Offenheit gegenüber peripheren Akteuren Nachdem in den ersten beiden ETBs der stabile, integrale Kern des Ecosystems geklärt wurde, gilt es die Offenheit des Ecosystems gegenüber peripheren Akteuren festzulegen. Die Offenheit legt fest, an welchen Stellen des Ecosystems und in welchem Umfang die peripheren Akteure modular an der Wertschöpfung partizipieren können. Zu diesem Zweck ist zu betrachten, welche Bereiche der Wertschöpfung
2.4 Zusammenführung der ETBs und EVs zu Orientierungshypothesen
81
von hoher strategischer Bedeutung sind (z. B. die Plattform an sich) und stark auf den spezifischen Investitionen und Kompetenzen der zentralen Akteure basieren. Diese sind Teil des integralen Kerns des Ecosystems und nicht offen gegenüber peripheren Akteuren. Bereiche der Wertschöpfung, die komplementär zum Kern stehen, sind jedoch zu öffnen, so dass die peripheren Akteure durch ihren Beitrag den Wert des Gesamtsystems erhöhen können. Dies bedeutet nicht, dass der Zugang komplett offen als Markt organisiert ist. Die zentralen Akteure investieren in die grundlegende Infrastruktur des Ecosystems und in die Befähigung der peripheren Akteure. Zum Schutz dieser Investitionen können Instrumente zur Beschränkung eingesetzt werden. Hinsichtlich des damit verbundenen Zugangs ergeben sich folgende Orientierungshypothesen: • ETB 3 – OH 1: Bei hoher strategischer Bedeutung eines Bereichs und spezifischen Investitionen durch die zentralen Akteure ist die Offenheit gering. Umgekehrt sind Bereiche, die nicht die spezifischen Kernkompetenzen der zentralen Akteure betreffen, eher offen. • ETB 3 – OH 2: Wenn die spezifischen Investitionen der zentralen Akteure insgesamt hoch sind, werden auch in Bereichen, die offen für periphere Akteure sind, Beschränkungen eingesetzt, um an der Wertschöpfung dieser Akteure zu partizipieren und die Erlöse zu sichern. ETB 4: Integration der peripheren Akteure Auf Basis der Offenheit gegenüber peripheren Akteuren ist die Integration dieser Akteure zu spezifizieren. Wie zuvor aufgezeigt, werden diese Akteure möglichst modular eingebunden. Dies aufgrund ihrer geringen strategischen Bedeutung als einzelne Akteure. Darüber hinaus können dadurch – mit Hilfe von Standardschnittstellen – die notwendigen spezifischen Investitionen für die peripheren Akteure reduziert und so der Anreiz zur Partizipation erhöht werden. Ziel ist ein möglichst einfaches Andocken der Akteure. Zudem gilt es, Instrumente zu finden, die eine Beschränkung der Offenheit erlauben um so, trotz marktähnlicher Koordination, gewisse hierarchische Mittel einzusetzen. Hinsichtlich der Integration der peripheren Akteure ergeben sich folgende Orientierungshypothesen: • ETB 4 – OH 1: Aufgrund geringer Unsicherheit und zur Senkung der spezifischen Investitionen werden die peripheren Akteure möglichst modular integriert. Das heißt die zentralen Akteure reduzieren die Spezifität der Investitionen peripherer Akteure und den eigenen Koordinationsaufwand durch die Standardisierung der Prozesse und Schnittstellen. So wird eine marktähnliche Koordination ermöglicht.
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2
Konzeptualisierung und theoretische Fundierung …
• ETB 4 – OH 2: Bei einer Beschränkung der Offenheit werden marktähnliche Koordinationsinstrumente durch hierarchieähnliche Instrumente ergänzt. Diese Orientierungshypothesen stellen die Grundlage für die weitere Vertiefung der Entscheidungstatbestände und die Ableitung von Gestaltungshinweisen auf Basis der Fallstudien und konzeptioneller Überlegungen im dritten Kapitel dar.
3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems auf Basis empirischer Evidenzen und konzeptioneller Vertiefung
3.1
Methodisches Vorgehen und Datengrundlage
In diesem Kapitel werden die identifizierten Entscheidungstatbestände anhand von zwei Fallstudien weiter vertieft. Zu diesem Zweck gliedert sich das Kapitel wie folgt: (1) Zunächst werden Methodik, Vorgehen und Datengrundlage begründet und erläutert. Die Eignung und Relevanz der Fallstudienarbeit als Untersuchungsmethodik wird aufgezeigt und die methodischen Anforderungen und Gütekriterien dargelegt. Weiter werden das Vorgehen zur Analyse und die beiden Fallstudien vorgestellt und beschrieben (vgl. Abschn. 3.1). (2) Im Anschluss werden die Entscheidungstatbestände auf Basis der Fallstudien vertieft und Gestaltungshinweise abgeleitet. Grundlage dafür sind die Erkenntnisse aus den zwei Fallstudien sowie konzeptionelle Überlegungen auf Basis der erläuterten Theorien. Zu jedem Entscheidungstatbestand werden die Ergebnisse aus den Fallstudien vorgestellt, anschließend den Orientierungshypothesen gegenübergestellt und zuletzt konkrete Gestaltungshinweise abgeleitet (vgl. Abschn. 3.2). Die gewonnenen Erkenntnisse und Gestaltungshinweise dienen als Basis für das Anwendungsmodell im vierten Kapitel.
Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht https://doi.org/10.1007/978-3-658-31788-1_3 © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Senn, Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31788-1_3
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84
3.1.1
3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
Fallstudienarbeit als Untersuchungsmethodik
3.1.1.1 Auswahl der Fallstudienmethodik für die Untersuchung von digitalisierten Service Ecosystems Die Journal-Literatur in der Marketing- und Managementwissenschaft wird durch quantitativ-empirische Untersuchungen dominiert. Dies trotz verschiedener Plädoyers für einen breiteren methodischen Pluralismus (vgl. z. B. Göthlich (2003); Tomczak (1992)) sowie für eine ausgeglichene Gewichtung der praktischen und (inhaltlichen) wissenschaftlichen Relevanz gegenüber der methodologischen Rigorosität (Gummesson, 2019; Nenonen et al., 2017). Insgesamt weisen daraus resultierende Erkenntnisse häufig eine geringe anwendungsbezogene Relevanz auf: „Viele Marketingforscher sind nicht an der Realität, sondern an der Weiterentwicklung von Methoden interessiert. Für sie ist die Realität eher ein Erprobungsfeld für Forschungsmethoden und -designs […]“ (Tomczak, 1992, S. 81). Methodische Rigorosität wird zur obersten Maxime, was gemäß Homburg (2018) wiederum eine große Gefahr für die Marketingwissenschaft darstellt: Forscher würden zunehmend die inhaltliche und praktische Relevanz zugunsten neuer statistischer Methoden vernachlässigen. Demgegenüber steht ein klarer Bedarf an konkreten, relevanten Erkenntnissen zu Ecosystems (Lusch et al., 2016). Die vorliegende Arbeit hat daher zum Ziel, „[…] the need for less ritualistic research methodology; and the orientation toward theory generation, decision-making, implementation and achievement of desired results“ (Gummesson, 2019, S. 421) zu adressieren und dem „[…] widening theory-praxis gap in marketing“ (Nenonen et al., 2017, S. 1131) zu begegnen. Sie hat den Anspruch konkrete Erkenntnisse und Gestaltungshinweise zu liefern. Dafür ist zunächst ein tiefgehendes Verständnis der komplexen Zusammenhänge notwendig, wofür sich insbesondere Fallstudien eignen (Flyvbjerg, 2011; Yin, 2009, S. 8 ff.). Fallstudien sehen sich jedoch im Zuge des zuvor beschriebenen Fokus’ auf methodische Rigorosität verschiedenen Kritikpunkten bzw. Vorurteilen ausgesetzt, insbesondere hinsichtlich der Genauigkeit bzw. Validität sowie der Generalisierbarkeit (Flyvbjerg, 2011). Hinsichtlich der Genauigkeit von Fallstudien lässt sich festhalten, dass multivariate Analysemethoden dazu zwingen, die Komplexität und Vielschichtigkeit eines Untersuchungsgegenstands künstlich zu reduzieren ohne Spielraum für Graubereiche und Unschärfen zu lassen. Demgegenüber erlauben es Fallstudien sehr genau und zielgerichtet auf komplexe Sachverhalte einzugehen (Yin, 2009). Neben der Genauigkeit wird die Generalisierbarkeit der Erkenntnisse von Fallstudien in Frage gestellt (Flyvbjerg, 2011). Dabei besteht der Unterschied zwischen Fallstudien und statistischen Methoden nicht in der
3.1 Methodisches Vorgehen und Datengrundlage
85
Möglichkeit der Generalisierbarkeit an sich, sondern in der Art der Generalisierbarkeit. Fallstudien sind nicht statistisch, sondern analytisch generalisierbar (Tsang, 2014; Yin, 2009). Analytische Verallgemeinerung zielt darauf ab, die Erkenntnisse theoretisch-konzeptionell zu verallgemeinern. Insgesamt weisen sowohl Fallstudien als auch statistische Methoden spezifische Stärken und Schwächen auf (vgl. Abbildung 3.1). Es gilt, die Methodik am jeweiligen Untersuchungsobjekt auszurichten. Übergeordnet bieten Fallstudien die Möglichkeit, tief in einen Kontext einzutauchen und komplexe Phänomene und Zusammenhänge zu verstehen, statt zu messen: „If you want to understand a phenomenon in any degree of thoroughness – say, child neglect in the family or cost overrun in urban regeneration – what causes it, how to prevent it, and so on, you need to do case studies. If you want to understand how widespread the phenomenon is, how it correlates with other phenomena and varies across different populations, and at what level of statistical significance, then you have to do statistical studies“ (Flyvbjerg, 2011, S. 314).
Fallstudien Stärken
Statistische Methoden
Tiefe Betrachtung eines
Breite Betrachtung eines
Phänomens (Details, vollständiges
Phänomens (Verteilung, Korrelation
Verständnis, Rahmenbedingungen
mit anderen Phänomenen,
usw.)
Signifikanz usw.)
Konzeptionelle Validität
Verständnis der Auftrittshäufigkeit
Kontextuelle Einbettung
oder Stärke eines Phänomens
Verständnis von Phänomenen,
Messung der Korrelation von
deren Ursachen und
Phänomenen
Zusammenhänge
Wahrscheinlichkeitsbasierte
Aufzeigen von neuen
Konfidenzintervalle
Forschungsfragen Schwächen
Über- oder Unterbewertung durch
Nutzung zu heterogener
verzerrte Auswahl der Fälle
Stichproben zu Gunsten der Stichprobengröße
Geringes Verständnis der Häufigkeit
Schwaches Verständnis des
/ Stärke innerhalb einer Population
Kontexts sowie der
Unklare statistische Signifikanz
zugrundeliegenden Prozesse und Zusammenhänge Korrelation ist nicht mit Kausalität gleichzusetzen
Abbildung 3.1 Stärken und Schwächen von Fallstudien und statistischen Methoden. (Quelle: Flyvbjerg (2011, S. 314))
86
3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
Die Fallstudienmethodik weist eine gute Eignung zur empirischen Analyse der Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems auf. Dies hinsichtlich (1) der Zielsetzung der Arbeit und (2) des Betrachtungsgegenstands der Arbeit: (1) Eignung der Fallstudienmethodik hinsichtlich der Zielsetzung der Arbeit: • Verringerung der Abstraktion: Für die weitere Entwicklung des Forschungsfelds ist eine Reduktion des Abstraktionsgrads der wissenschaftlichen Erkenntnisse erforderlich (vgl. Abschn. 1.6). Fallstudien weisen einen hohen Konkretisierungsgrad der Sachverhalte und Erkenntnisse auf (Flyvbjerg, 2011; Yin, 2009, S. 8 ff.). • Theoretische Fundierung: Service Ecosystems sind theoretisch-konzeptionell zu vertiefen und zu fundieren. Dabei dienen die Fallstudien als Grundlage und Orientierung zur weiteren Vertiefung der Entscheidungstatbestände und nicht zu deren quantitativer Validierung. • Praxisrelevante Erkenntnisse: Auf Basis der Fallstudien können konkrete Entscheidungssituationen nachvollzogen und so managementrelevante Implikationen abgeleitet werden. (2) Eignung der Fallstudienmethodik hinsichtlich des Betrachtungsgegenstands der Arbeit: • Hohe Komplexität und schwierige Abgrenzbarkeit: Bei der Betrachtung von digitalisierten Service Ecosystems werden eine Vielzahl an Akteuren und ihre Interaktionen untersucht. Dabei ist das Ecosystem nicht genau abgrenzbar und erfordert daher eine flexible, teilstandardisierte Herangehensweise. • Systemische Sichtweise und kontextuelle Einbettung: Fallstudien untersuchen ein zeitgenössisches Phänomen in seiner Tiefe und seinem realweltlichen Kontext (Yin, 2009, S. 18). Dies insbesondere, wenn die Grenzen zwischen Phänomen und Kontext nicht klar ersichtlich sind, wie dies bei digitalisierten Service Ecosystems der Fall ist. • Geringe Messbarkeit: Ein weiteres Argument für die Anwendung der Fallstudienmethodik ist die Komplexität im Sinne der Vielzahl und Beschaffenheit der Variablen und Einflussfaktoren (Yin, 2009, S. 18). Diese wurden durch den theoretischen Analyserahmen zwar eingegrenzt, lassen sich jedoch nur schwer quantitativ operationalisieren. • Geringe Fallzahl: Fallstudien eignen sich, wenn die Anzahl der Variablen die Anzahl der Fälle deutlich übersteigt (Yin, 2009, S. 18). Im Fall von Ecosystems
3.1 Methodisches Vorgehen und Datengrundlage
87
werden komplexe Zusammenhänge mit vielen Variablen betrachtet, es liegen jedoch nur wenige, ausreichend homogene Fälle vor. Eine quantitative Messung der Variablen ist im vorliegenden Kontext weder sinnvoll umzusetzen noch hinsichtlich des angestrebten Erkenntnisgewinns zielführend. Die Fallstudienmethodik erlaubt ein tiefes Verständnis des komplexen Untersuchungsgegenstands in seinem realweltlichen Kontext und führt zu anwendungsorientierten Gestaltungshinweisen.
3.1.1.2 Definition und Arten von Fallstudien In Bezug auf die Definition und Herangehensweise von Fallstudien folgt die vorliegende Arbeit dem etablierten Ansatz von Yin (2009). Er definiert eine Fallstudie als eine empirische Untersuchung, die ein zeitgenössisches Phänomen in seiner Tiefe und seinem realweltlichen Kontext untersucht (S. 18). Dies insbesondere, wenn die Grenzen zwischen Phänomen und Kontext nicht klar ersichtlich sind. Die Untersuchung mittels Fallstudie zeichnet sich dadurch aus, dass sie: • sich mit Untersuchungsgegenständen und Forschungsfragen beschäftigt, bei denen deutlich mehr Variablen von Interesse als Datenpunkte vorhanden sind. • sich deshalb auf unterschiedliche Datenquellen verlässt, die mittels Triangulation zusammengeführt werden. • von der vorgängigen Entwicklung von theoriebasierten „Orientierungshypothesen“ profitiert, die die Datenerhebung und die Analyse anleiten. Yin (2009) spricht von „Propositions“. Diese erfüllen die gleiche Funktion wie die in dieser Arbeit verwendeten Orientierungshypothesen (vgl. Abschn. 2.4). Der Ansatz unterscheidet sich von anderen etablierten Ansätzen vor allem hinsichtlich des letzten Punkts: Andere Autoren halten bei Fallstudien ein theorieloses Vorgehen für angezeigt. Ein theoriegeleitetes Vorgehen stützt jedoch die analytische Verallgemeinerbarkeit der Erkenntnisse und ermöglicht eine klarere Fundierung und Abgrenzung des Betrachtungsobjekts. Darüber hinaus sind die etablierten Ansätze hinsichtlich ihres grundsätzlichen Vorgehens jedoch gleich (Göthlich, 2003, S. 3). Yin (2009, S. 21) unterscheidet drei Arten von Fallstudien zu Forschungszwecken: • Deskriptive Fallstudien: Deskriptive Fallstudien beschreiben ein Phänomen an sich auf Basis der Daten. Beispielsweise kann beschrieben werden, mit welchen Entscheidungstatbeständen Akteure während der Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems konfrontiert sind.
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3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
• Explorative Fallstudien: Explorative Fallstudien haben zum Ziel, ein Phänomen ohne zugrundeliegende Hypothesen oder Annahmen zu untersuchen (Zainal, 2007). Die Forschungsfrage könnte lauten: „Sind Akteure bei der Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems mit generalisierbaren Entscheidungstatbeständen konfrontiert?“ und „Wenn ja, mit welchen?“. • Explanative Fallstudien: Explanative Fallstudien haben zum Ziel, Zusammenhänge zu untersuchen und zu erklären. Einer explanativen Fallstudie liegen Annahmen über kausale Zusammenhänge zugrunde, sogenannte Orientierungshypothesen. Diese können beispielsweise auf einer explorativen Vorstudie oder auf einer Theorie beruhen. Die vorliegende Arbeit verfolgt einen explanativen Ansatz. Um konkrete Gestaltungshinweise ableiten zu können, ist ein tiefergehendes Verständnis der Zusammenhänge zwischen Entscheidungstatbeständen und Entscheidungsvariablen bei der Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems notwendig. Der empirischen Untersuchung werden in Einklang mit einem explanativen Ansatz theoretischkonzeptionelle Vorüberlegungen zu diesen Zusammenhängen zugrunde gelegt (vgl. Kap. 2).
3.1.1.3 Erhebungsmethoden und Datenquellen bei Fallstudien Für die Datenerhebung können verschiedene Quellen herangezogen werden. Dabei sind Fallstudien nicht nur auf qualitative Daten beschränkt. Auch quantitative Unternehmensdaten oder im Rahmen einer Fallstudie angefertigte Befragungen können eine Informationsquelle sein. Beispiele für Datenquellen – häufig auch in Kombination eingesetzt – sind (Yin, 2009, S. 101 ff.): • Dokumente: Briefe, Zeitungsartikel, Webseiten, Präsentationen usw. • Archivdaten: Budgets, Webdatenbanken, Organigramme, Sitzungsprotokolle usw. • Interviews: Offene, leitfadengestützte oder vollständig standardisierte Interviews mit beteiligten Individuen, z. B. Kunden, Managern, Experten, usw. • (Teilnehmende) Beobachtungen: Aktive oder passive Teilnahme am bzw. Beobachtung des zu untersuchenden Phänomens, z. B. Teilnahme an Sitzungen, Begehung einer Fabrikanlage, Beobachtung eines Prozesses, usw. • Befragung mittels Fragebogen: Quantitative Erhebung von Daten für die Aspekte der Fallstudie, z. B. Zufriedenheitsbefragung der Kunden im Kontext einer Fallstudie zur Transformation eines Unternehmens.
3.1 Methodisches Vorgehen und Datengrundlage
89
Für die vorliegende Untersuchung werden Interviews mit Managern der zentralen Akteure sowie öffentlich verfügbare Dokumente und Informationen als Datenquelle verwendet. Die Vorteile der Verwendung von Interviews sind: • Zugriff auf implizites Wissen (Reber, 1989, S. 223): Der Hauptbeweggrund für die Wahl der Interviewmethodik für den vorliegenden Untersuchungskontext liegt in der Komplexität von digitalisierten Service Ecosystems. Dieser Komplexität sind auch die Probanden bzw. Akteure bei der Gestaltung des Ecosystems ausgesetzt. Damit ergibt sich eine kognitive Herausforderung: Die Akquisition von komplexem Wissen. Es ist davon auszugehen, dass die Akteure implizit lernen (Reber, 1989), d. h. sich komplexes Wissen aneignen, ohne dies bewusst zu tun. Sie verfügen über implizites Wissen, dessen sie sich teilweise nicht bewusst sind oder nicht in der Lage sind, es strukturiert wiederzugeben: „To have an intuitive sense of what is right and proper, to have a vague feeling of the goal of an extended process of thought, to “get the point” without really being able to verbalize what it is that one has gotten, is to have gone through an implicit learning experience and have built up the requisite representative knowledge base to allow for such judgment“ (Reber, 1989, S. 223). Die Interviewmethodik erlaubt es, durch gezielte Fragemethoden und die Anwendungen der theoretisch-konzeptionellen Vorüberlegungen, auf dieses Wissen zuzugreifen. • Zielgerichtet: Qualitative Interviews ermöglichen eine sehr genaue und fokussierte Untersuchung der Aspekte der Fallstudien (Yin, 2009, S. 102), ohne dabei durch eine Standardisierung die notwendige Flexibilität zu verlieren. Zusammenhänge und Ursache-Wirkungs-Beziehungen können direkt vertieft werden. • Standardisierung über verschiedene Cases und Akteure: Interviews auf Basis von Orientierungshypothesen und einem Leitfaden ermöglichen es, über verschiedene Fälle hinweg die gleichen grundlegenden Fragestellungen zu adressieren und dadurch eine inhaltliche Vergleichbarkeit und Standardisierung sicherzustellen. Dadurch wird eine inhaltliche Kongruenz der Daten sichergestellt. Demgegenüber gilt es, folgenden Nachteilen Rechnung zu tragen: • Gefahr von Verzerrungen: Verzerrungen in den Antworten können verschiedene Ursachen haben, beispielsweise schlecht formulierte oder unklare Fragen, erwünschtes Antwortverhalten (sagen, was die/der Interviewende hören will) oder Schwierigkeiten, sich zu erinnern (Yin, 2009, S. 102).
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3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
• Anspruch an den Interviewenden: Aus der Gefahr von Verzerrungen resultiert ein hoher Anspruch an den Interviewenden. Es gilt sicherzustellen, dass die Interviewpartner die Fragen richtig und einheitlich verstehen. Wichtig ist, eine Interviewsituation zu schaffen, in der aufrichtig geantwortet wird und kein Druck entsteht, erwünscht zu antworten, oder zu antworten, obwohl das Wissen fehlt. Darüber hinaus können die genannten Vorteile nur realisiert werden, wenn der Interviewende es versteht, Zusammenhänge im Gespräch zu freizulegen und auch auf implizites Wissen zuzugreifen. Dafür können verschiedene Techniken angewendet werden, zum Beispiel „[…] techniques such as metaphors and storytelling, which have been argued to help express the inexpressible“ (Ambrosini und Bowman, 2002, S. 19). Der Verfasser der vorliegenden Arbeit, der die Interviews durchführt, weist Erfahrung aus über 200 qualitativen Interviews auf. Damit ist die Gefahr, dass Verzerrungen unbewusst die Ergebnisse der Arbeit beeinflussen, als sehr gering einzustufen.
3.1.1.4 Gütekriterien Zur Sicherstellung der Qualität der Fallstudienarbeit werden der Untersuchung Gütekriterien zugrunde gelegt. Für die vorliegende Arbeit sind vier Gütekriterien relevant (Gibbert und Ruigrok, 2010; Göthlich, 2003; Yin, 2009): (1) Konstruktvalidität, (2) interne Validität, (3) externe Validität und (4) Reliabilität. Zur Sicherstellung dieser Kriterien werden verschiedene Maßnahmen eingesetzt. Abbildung 3.2 zeigt die Ziele und Maßnahmen zur Sicherstellung der vier Gütekriterien auf. Nachfolgend werden die Kriterien der Reihe nach erläutert und aufgezeigt, wie die vorliegende Arbeit diese Kriterien adressiert.
3.1 Methodisches Vorgehen und Datengrundlage
Gütekriterium (1) Konstruktvalidität
Ziel
91
Maßnahmen zur Sicherstellung
Korrekte
Theoretisch fundierte Konstrukte
Operationalisierung der
Multiple Datenquellen
Konstrukte, d.h. das
Klare Argumentations-/Beweiskette
„messen“ was gemessen werden soll (2) Interne Validität
Erkennen und Belegen von
Systematische Analysemethodik mit
kausalen
Musterabgleich (Pattern Matching) und
Zusammenhängen
Erklärungsaufbau (Explanation Building) Berücksichtigung von alternativen Interpretationen
(3) Externe Validität
Generalisierbarkeit der
Replikation über mehrere Fälle
Erkenntnisse
Iterative Analyseschleifen Theoriegeleitetes Vorgehen
(4) Reliabilität
Wiederholbarkeit mit
Anlegen einer Datenbank mit Primär-
gleichen Ergebnissen
und Sekundärdaten
Abbildung 3.2 Gütekriterien für Fallstudien. (Quelle: Auf Basis von Gibbert und Ruigrok (2010); Göthlich (2003); Yin (2009))
(1) Konstruktvalidität Konstruktvalidität beschreibt die Verwendung der richtigen Konstrukte bzw. Messgrößen für das zu untersuchende Phänomen (Göthlich, 2003). Sie gestaltet sich bei Fallstudien von den erläuterten Gütekriterien am schwierigsten (Göthlich, 2003; Yin, 2009). Dabei geht es nicht darum, eine Operationalisierung im Sinne einer spezifischen Ausformulierung oder Skalierung wie bei einem quantitativen Fragebogen vorzunehmen. Vielmehr geht es darum, mit unterschiedlichen Maßnahmen sicherzustellen, dass das „gemessen“ wird, was gemessen werden soll. In der vorliegenden Arbeit wird die Konstruktvalidität durch folgende Maßnahmen sichergestellt (Yin, 2009, S. 41 f.): • Theoretische fundierte Konstrukte: Die Variablen der Transaktionskostentheorie stellen ein solides Fundament an etablierten und bewährten Konstrukten dar, die sich für qualitative Untersuchungen sehr gut eignen. Die Konstrukte der
92
3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
Entscheidungstatbestände sind ebenfalls theoretisch fundiert, und ihre Validität ist durch die Konzeptualisierung in Kap. 2 sichergestellt. • Multiple Datenquellen: Innerhalb jeder Fallstudie stehen Daten (Interviews) und Sekundärdaten (Desk Research) aus verschiedenen Quellen (verschiedene Akteure) zur Verfügung. Die Konvergenz dieser unterschiedlichen Datenquellen für das selbe Phänomen sichert die Konstruktvalidität. • Klare Argumentations-/Beweiskette: Durch explizite Verknüpfung der Orientierungshypothesen und Ausgangsfragen mit den Daten und den daraus gezogenen Schlüssen besteht Transparenz hinsichtlich der Konstrukte und ihrer Bestandteile (vgl. Reliabilität). (2) Interne Validität Explanative Fallstudien haben die Identifikation und Erläuterung kausaler Beziehungen zum Ziel. Analog zu anderen Forschungsmethoden und Vorgehensweisen besteht die Gefahr, dass es sich hierbei um Scheinzusammenhänge handelt. Dem gilt es vorzubeugen und die interne Validität sicherzustellen. In der vorliegenden Arbeit geschieht dies durch (Yin, 2009, S. 42 f.): • Systematische Analysemethodik: Die Arbeit verfolgt die Analysetechnik des Erklärungsaufbaus (Explanation Building) als Spezialform des Musterabgleichs (Pattern Matching) (Yin, 2009, S. 141). Damit wird ein systematischer und transparenter Abgleich der theoretisch konzeptualisierten mit den empirisch identifizierten Mustern sowie der empirisch identifizierten Muster untereinander sichergestellt. • Berücksichtigung von alternativen Interpretationen: Zur Sicherstellung der internen Validität werden – wo angebracht und notwendig – rivalisierende Erklärungen jeweils abgewogen und ausgeschlossen (Göthlich, 2003, S. 13). (3) Externe Validität Die externe Validität stellt die Verallgemeinerbarkeit der Erkenntnisse über die Fallstudie hinaus sicher. Wie im vorhergehenden Kapitel beschrieben, wird teilweise unterstellt, dass Fallstudien nicht verallgemeinerbar sind. Wie beschrieben, liegt der Unterschied zu quantitativen Untersuchungen jedoch nicht in der Generalisierbarkeit an sich, sondern darin, dass diese analytischer statt statistischer Natur ist. Dies wird insbesondere durch die nachfolgenden Aspekte sichergestellt (Yin, 2009, S. 43 f.):
3.1 Methodisches Vorgehen und Datengrundlage
93
• Replikation über mehrere Fälle: Durch die Anfertigung zweier Fallstudien können die Erkenntnisse jeweils am anderen Fall repliziert und so auf Verallgemeinerbarkeit geprüft werden. • Iterative Analyseschleifen: Durch ein iteratives Vorgehen (vgl. Abschn. 3.1.3) fließen Erkenntnisse aus einer Fallstudie wiederum in die andere Fallstudie ein, d. h. auf Basis einer zusätzlichen Erkenntnis aus Fallstudie zwei wird Fallstudie eins nochmals im Lichte dieser Erkenntnis betrachtet und deren Verallgemeinerbarkeit dadurch geprüft. • Theoriegeleitetes Vorgehen: Durch das theoriegeleitete Vorgehen sind die Erkenntnisse theoretisch fundiert und werden mittels der Fallstudien repliziert. Durch das iterative Vorgehen werden Erkenntnisse jeweils nicht nur anhand der anderen Fallstudien geprüft, sondern jeweils auch theoretisch-konzeptionell vertieft. (4) Reliabilität Reliabilität beschreibt die Belastbarkeit der Erkenntnisse. Sie ist dann gegeben, wenn ein anderer Forscher die Fallstudie bei erneuter Durchführung unter Anwendung des gleichen Vorgehens und auf Basis der gleichen Daten zu denselben Ergebnissen kommt. Dafür gilt es, die Fallstudie und das Vorgehen rekonstruierbar zu machen. Basis dafür ist die genaue Dokumentation des Vorgehens und die Archivierung der Primär- und Sekundärdaten (Yin, 2009, S. 45). Dies geschieht in der vorliegenden Arbeit durch: • Anlegen einer Datenbank mit Primär- und Sekundärdaten: Die transkribierten Interviews sind in einer Datenbank strukturiert abgelegt. Die Sekundärdaten sind ebenfalls in unterschiedlicher Form (je nach Dateiformat, Dokument usw.) in dieser Datenbank abgelegt.
3.1.2
Auswahl und Beschreibung der Fälle
3.1.2.1 Überblick und Auswahl Zu Vertiefung der Entscheidungstatbestände werden zwei Ecosystems im Rahmen von Fallstudien im Detail untersucht (vgl. Abbildung 3.3).
94
3
Fallstudie
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
Kurzbeschreibung
Zentrale Akteure
Rolle der Digitalisierung / Technologie
Smart City
Pilotprojekt einer
BMW, SAP,
Übergreifende Datenplattform
Initiative
vernetzten Stadt mit Fokus
Deloitte
auf SAP-Basis; App für die
auf Mobilität
Nutzer; Digitale Services
Open Data
Initiative zur Steigerung
Adobe, Microsoft,
Datenaustausch;
Initiative
der Interoperabilität
SAP
Softwareplattformen der drei
verschiedener zentraler
Akteure; Datenstandards;
Systeme innerhalb von
Förderung von KI-Fähigkeiten;
Unternehmen
Digitale Services
Abbildung 3.3 Übersicht über die Fälle
Die beiden Fälle wurden aufgrund folgender Eigenschaften gezielt ausgewählt: (1) Hohe inhaltliche Relevanz mit Innovationscharakter und Fokus auf Digitalisierung. (2) Homogenität hinsichtlich Multi-Orchestrator Setting mit weiteren partizipierenden Akteuren. (3) Heterogenität hinsichtlich Branchenmix und Beziehung zum eigenen Geschäftsmodell. (1) Hohe inhaltliche Relevanz mit Innovationscharakter und Fokus auf Digitalisierung Beide Fälle weisen eine hohe praktische und wissenschaftliche Relevanz auf. Es handelt sich bei beiden vorliegenden Fällen um relevante Großprojekte, deren primärer Zweck nicht kommunikativ ist. Smart City Initiativen rücken im Kontext des Bevölkerungswachstums und der Urbanisierung zunehmend in den Mittelpunkt des Interesses. Städte sind komplexe Systeme, in denen unterschiedliche Akteure von Politik, über Unternehmen bis hin zu Konsumenten aufeinandertreffen. Ihre Vernetzung wird durch die Vernetzung der einzelnen Bürger bzw. Konsumenten und ihrer Geräte, der Unternehmen und ihrer Systeme sowie der Infrastruktur und der Behörden der Stadt an sich getrieben. Sie bietet die Basis für vielfältige Geschäftsmodelle und wirft interdisziplinäre Fragestellungen von Mobilität bis Bildung auf. Großangelegte Ecosystem-Initiativen im Bereich Smart Cities sind daher global zu beobachten.
3.1 Methodisches Vorgehen und Datengrundlage
95
Die Open Data Initiative steht im Kontext der Fragestellungen rund um die Interoperabilität von unterschiedlichen Systemen sowie der Offenheit und Zusammenführung von Daten. Die Vernetzung von Systemen, Akteuren bzw. Geräten ist nur zielführend, wenn diese auch tatsächlich interoperabel sind und die Daten miteinander verknüpft werden können. In der Realität liegt der Großteil der Unternehmensdaten jedoch in Datensilos, deren Zusammenführung bereits innerhalb der Organisation zwischen Abteilungen oder Systemen scheitert. Eine Anbindung an andere, unternehmensexterne Akteure gestaltet sich demnach erst recht schwierig. (2) Homogenität hinsichtlich Multi-Orchestratoren-Setting mit weiteren partizipierenden Akteuren Um die Erkenntnisse vergleichen zu können, sind ausreichend homogene Fälle zu wählen. Beide Fälle beinhalten ein Set an etablierten globalen Unternehmen mit starken Ressourcen als zentrale Akteure. Es werden bewusst nicht Ecosystems betrachtet, bei denen nur ein einzelner Akteur im Zentrum das gesamte Ecosystem steuert. Dadurch ginge ein erheblicher Teil der Aspekte hinsichtlich der ersten beiden Entscheidungstatbestände verloren. Darüber hinaus weisen beide Fälle Möglichkeiten für die Partizipation peripherer Akteure auf. Es handelt sich insgesamt in beiden Fällen um wichtige strategische Projekte mit global tätigen zentralen Akteuren. Das heißt, beide Fälle weisen nicht nur aufgrund der Thematik, sondern auch wegen der beteiligten Akteure eine hohe Relevanz auf. (3) Heterogenität hinsichtlich Branchenmix und Beziehung zum eigenen Geschäftsmodell Um belastbare Erkenntnisse zu erhalten, ist der Homogenität eine gewisse Heterogenität gegenüberzustellen. Die beiden Ecosystems unterscheiden sich hinsichtlich der grundlegenden Thematik, ähneln sich aber hinsichtlich der Zusammensetzung der Akteure. Darüber hinaus weisen die Fälle zwei wichtige heterogene Merkmale auf: (1) hinsichtlich ihres Branchenmix und (2) hinsichtlich der Beziehung des Ecosystem-Projekts zum Geschäftsmodell der Akteure. Die Smart City Initiative wird mit BMW, SAP und Deloitte von einem branchenübergreifenden Konsortium geführt. Die Open Data Initiative mit Adobe, Microsoft und SAP hingegen von drei Unternehmen aus der Software-Branche. Die Smart City Initiative stellt eine Exploration neuer Geschäftsmodelle dar. Die Open Data Initiative dient demgegenüber dazu, das Geschäftsmodell der Cloud Services der drei Anbieter zu stärken.
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3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
3.1.2.2 Fallstudie 1: Smart City Initiative Das Bevölkerungswachstum und die weltweite Urbanisierung bringen ökologische, soziale und ökonomische Herausforderungen mit sich. Während heute bereits 55 % der Weltbevölkerung in Städten lebt, wird diese Zahl bis 2050 weiter auf 68 % steigen. In entwickelten Industrienationen werden bis 2050 gar über 80 % der Bevölkerung in Städten leben (United Nations, 2019, S. 1). Digitale Technologien bieten großes Potenzial zur Bewältigung der damit verbundenen Herausforderungen. Städte weisen eine hohe Konzentration an vernetzten Geräten, Maschinen, Gebäuden usw. auf, die Daten produzieren und interagieren. Dies gilt es zu nutzen, um Städte effizienter, nachhaltiger und lebenswerter zu machen. Öffentliche und private Akteure treiben daher die Digitalisierung von Städten in verschiedenen Bereichen wie Gesundheit, öffentliche Verwaltung, Mobilität, Bildung u. a. m. voran. Ein Beispiel dafür ist die Schweizer Stadt Zug. Hier startete ein Konsortium aus vier Unternehmen ein Pilotprojekt für die Entwicklung der Stadt Zug zu einer Smart City. Mit Fokus auf den Bereich Mobilität erarbeiteten der Automobilhersteller BMW, das Softwareunternehmen SAP, das Beratungshaus Deloitte und der Hersteller von Haushaltsgeräten V-Zug gemeinsam mit der Stadt eine neue Lösung. Im Mittelpunkt des Pilotprojekts stand das Unternehmen V-Zug, das in der Stadt Waschmaschinen, Herde und Kühlschränke produziert. Der Mitarbeiterbestand von 1200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern soll deutlich wachsen und das firmeneigene Areal ausgebaut werden. Mit dem Bau einer vertikalen Produktionsanlage werden Flächen freigelegt und Platz für ein Technologiecluster geschaffen. Ziel ist es demnach nicht nur, die eigenen Kapazitäten zu erhöhen. Es wird auch die Ansiedelung von zusätzlichen Industriebetrieben, technologienahen Dienstleistungen und Ausbildungseinrichtungen verfolgt (BMW Group, 2019). Mit diesen gesteigerten Kapazitäten geht ein potenziell steigendes Verkehrsaufkommen einher. Mithilfe der Digitalisierung soll dem entgegengewirkt und die „Vision einer datengetriebenen und nachhaltigen Stadt der Zukunft“ vorangetrieben werden. Aus den verschiedenen Bereichen einer Smart City wie Gesundheit, Verwaltung oder Energie lag der Fokus der Initiative daher zunächst auf dem Bereich Mobilität (BMW Group, 2019): • Auf dem Areal wird ein smartes Parkhaus gebaut. • Ein Pilotprojekt beinhaltete die Bereitstellung von E-Fahrzeugen. Diese würden morgens und abends zum Pendeln der Mitarbeitenden auf dem Areal genutzt. Tagsüber stehen sie als öffentliches Car-Sharing zur Verfügung. • Eine Funktion zum „Carpooling“ ermöglicht, das Fahrzeug bei gleicher oder ähnlicher Strecke zu teilen.
3.1 Methodisches Vorgehen und Datengrundlage
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• Es wird ein intelligentes Parkraummanagement in der Stadt etabliert. • Schritt für Schritt werden weitere Mobilitätsangebote und -funktionen integriert. Beispielsweise Funktionen zur Verknüpfung von verschiedenen Verkehrsmitteln (Auto, E-Bike, ÖV) inklusive Routen- und Parkempfehlungen. Die Angebote würden über eine digitale Plattform integriert. Neben den Mobilitätsangeboten bietet die Plattform die Möglichkeit, nach und nach weitere Services aus anderen Bereichen der Smart City zu integrieren. Das Ecosystem wäre demnach offen für weitere Akteure. Es besteht die Möglichkeit, sich physisch anzusiedeln und Akteure könnten zukünftig über die Plattform Leistungen erproben bzw. anbieten (BMW Group, 2019). Das Projekt befindet sich aktuell noch in der Konzeptionsphase.
3.1.2.3 Fallstudie 2: Open Data Initiative Daten stellen eine wichtige Ressource in digitalisierten Service Ecosystems dar. Eine zentrale Herausforderung sind dabei sogenannte „Datensilos“ (Cavanillas et al., 2015; Kiron et al., 2013). Eine Ursache für Datensilos sind unterschiedliche Systeme und deren zugrundliegenden Datenstrukturen innerhalb der IT-Landschaft eines Unternehmens. Häufig mangelt es an einer Zusammenarbeit zur Überwindung der Silos (Kiron et al., 2013). Datensilos verhindern, dass Daten wirklich wertschöpfend genutzt werden und stellen daher für viele Unternehmen eine weit größere Herausforderung als das Sammeln der Daten an sich dar (ebd.). Innerhalb von Unternehmen existiert eine Vielzahl solcher Silos. Entsprechend gestaltet sich der unternehmensübergreifende Austausch und die Zusammenführung von Daten schwierig. Neben organisatorischem Change besteht Handlungsbedarf bei der Etablierung von gemeinsamen Datenmodellen, die die Interoperabilität sicherstellen und fördern. In Unternehmen kommen verschiedene Systeme wie CRM, ERP oder Marketingsysteme zum Einsatz, deren Daten inhaltliche Verbindungen und Abhängigkeiten aufweisen. Die Systeme kommen jedoch häufig von unterschiedlichen Herstellern und kommunizieren daher nur begrenzt miteinander und verwenden andere zugrundeliegende Logiken für Datenmodelle und Prozesse. Eine Angleichung beinhaltet ein großes Potenzial für das gesamte Ecosystem, insbesondere für die Kunden (die Unternehmen, die die Systeme verwenden). Ein Beispiel für eine Initiative zur Angleichung und Förderung der Interoperabilität ist die Open Data Initiative (ODI) der drei Softwaregiganten SAP, Microsoft und Adobe (Ahuja, 2019; Microsoft, 2018a): Dies betrifft insbesondere die Angebote der drei Anbieter im Bereich digitales Marketing, CRM und ERP. Dabei sind die Angebote nicht überschneidungsfrei. Sie sind teilweise Wettbewerber, haben
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3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
aber unterschiedliche Schwerpunkte und bei Unternehmen kommen gleichzeitig Systeme der drei Anbieter zum Einsatz – beispielsweise, wenn SAP das ERP des Unternehmens stellt, das CRM von Microsoft verwendet wird und die Experience Cloud von Adobe. Diese Koexistenz wird bereits historisch durch die Zusammenarbeit der Unternehmen und die dadurch vereinfachte Integration begünstigt der Systeme beim Kunden begünstigt. Die ODI verfolgt diesen Weg weiter (Ahuja, 2019; Microsoft, 2018a): • Auf Basis eines gemeinsamen Datenmodells fließen Daten der Systeme dieser Anbieter in einen Data-Lake. Ein Data Lake beschreibt ein Datenverzeichnis, in das Daten aus unterschiedlichen Quellen fließen, die von dort aus analysiert werden können. Beispielsweise können Daten aus dem ERP-System, vernetzten Maschinen und Social Media in das gleiche Verzeichnis fließen (O’Leary, 2014). Dies bietet die Grundlage für komplexe Data-Mining-Anwendungen und neue Erkenntnisse. Die Kunden können diese Daten sodann für beliebige Tools oder Services nutzen. • Der Prozess, wie die Daten zusammengeführt und angereichert werden und in den Data Lake fließen, wird von den drei Unternehmen gemeinsam weiterentwickelt und optimiert. • Ein besonderer Fokus liegt auf der Nutzung der verknüpften Daten als Basis für Anwendungen mit künstlicher Intelligenz (KI). • Die Kunden (Unternehmen, die die Software verwenden) besitzen die Daten und haben die Kontrolle darüber. • The Initiative ist offen und erweiterbar, das heißt andere Akteure im Ecosystem können eigene Lösungen und Erweiterungen entwickeln. Veranschaulicht wird die Vision am Beispiel des gemeinsamen Kunden Unilever: Mit der Adobe Experience Platform können Kundensegmente identifiziert werden mit SAP C/4Hana das Inventar verfolgt und mit Microsoft Azure Cognitive Services analysiert werden. Durch die Verknüpfung kann beispielsweise bei der Planung einer Kampagne festgestellt werden, dass auf einer Farm ein Überschuss an Avocados vorhanden ist. Dementsprechend wird die Kampagne auf Avocado-Produkte angepasst und auf ein Segment ausgerichtet, das mit hoher Wahrscheinlichkeit solche Produkte kauft. Dies wird dahingehend optimiert, dass die Überbestände abgebaut werden können. Ermöglicht wird dies durch das Zusammenspiel der Daten von der Produktion bzw. dem Inventar bis zu den Werbebudgets und Kundensegmenten (Ahuja, 2019). Die Unternehmen arbeiten eng mit großen Partnern zusammen, die ihre Lösungen beim Endkunden (z. B. Unilever) implementieren und optimieren. Die ODI
3.1 Methodisches Vorgehen und Datengrundlage
99
beinhaltet einen Beirat aus 15 solcher Partner (Ahuja, 2019). Dies sind Unternehmen wie Accenture, EY oder Hootsuite. Darüber hinaus besteht das Ecosystem aus vielen kleineren Implementierungspartnern, die nicht aktiv eingebunden aber z. B. durch Informationsressourcen, Schulungen und Standardintegrationen unterstützt werden (vgl. hierzu bspw. Adobe (2019b)).
3.1.3
Vorgehen zur Datenerhebung und -analyse
Datenerhebung mittels Experteninterviews Zur Erhebung der Datengrundlage werden teilstandardisierte Experteninterviews durchgeführt (Gläser und Laudel, 2010, S. 37 f.). Dies ermöglicht es, explizites und implizites Expertenwissen (Gläser und Laudel, 2010, S. 40) zum jeweiligen Ecosystem zu erschließen. Basis für die Interviews ist ein Interviewleitfaden (vgl. Anhang 2). In der vorliegenden Arbeit wird ein theoriegeleitetes Vorgehen verfolgt (Yin, 2009). Auf Basis theoretischer Vorüberlegungen zu den Entscheidungstatbeständen, Entscheidungsvariablen und den resultierenden Orientierungshypothesen werden Themenblöcke und Fragen für die Leitfadenkonstruktion abgeleitet. Ziel des Leitfadens ist ein gewisser Grad an Standardisierung, der die Vergleichbarkeit bei der Auswertung sicherstellt (Gläser und Laudel, 2010, S. 30 f.). Das halboffene, leitfadengestützte Interview erlaubt jedoch auch Abweichungen vom Leitfaden. Es ist zu vermeiden, „[…] dass die Beobachtung in vorgefertigte Kategorien gepresst und Unerwartetes ausgeschlossen wird“ (Gläser und Laudel, 2010, S. 30). Der Leitfaden setzt sich aus sechs Themenblöcken zusammen. Der erste Themenblock dient der Bestandsaufnahme. Es wird das Ecosystem und seine Entwicklung, die beteiligten Akteure und die Rolle des Interviewpartners an sich betrachtet. Darauf folgen vier Themenblöcke entlang der Entscheidungstatbestände. Zuletzt wird zusätzlicher Raum für weitere Anmerkungen und Hinweise seitens der Probanden gelassen. Die Interviews dienen als Datengrundlage für die nachfolgende Analyse. Als Interviewpartner werden Repräsentanten der zentralen Akteure identifiziert, die durch ihre Funktion mit dem Ecosystem konfrontiert bzw. darin involviert sind. Ergänzt werden sie durch Desk Research (z. B. Websites, Medienberichte usw.). Abbildung 3.4 zeigt die Datengrundlage für die beiden Fälle.
100
Fallstudie
3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
Datengrundlage
Smart City
4 Interviews mit direkt involvierten Personen der zentralen
Initiative
Akteure Mitteilung auf Unternehmenswebsite (BMW Group, 2019) Teilnahme an 3 Workshops
Open Data
1 Interview mit direkt involvierter Person der zentralen
Initiative
Akteure Pressemitteilungen und Blogartikel der Akteure (Ahuja, 2019; Microsoft, 2018a) Video zur Verkündung der Initiative mit den drei CEOs (Microsoft, 2018b) Unternehmenswebsites und Marketingmaterial (Adobe, 2018; Adobe, 2019a; Adobe, 2019b; Adobe, 2019c) (Microsoft, 2018d; Microsoft, 2019b; SAP, 2018; SAP, 2019c)
Abbildung 3.4 Datengrundlage der Fälle
Datenanalyse mittels Explanation Building Zur Sicherstellung der Qualität der Untersuchung und der zuvor beschriebenen Gütekriterien wird Explanation Building (Yin, 2009) als strukturiertes Vorgehen zur Analyse der Daten verfolgt. Dabei ist zu beachten, dass strukturiert nicht mit linear gleichzusetzen ist. Vielmehr ist der Ansatz des Explanation Building durch eine Reihe iterativer Schlaufen gekennzeichnet (Yin, 2009, S. 141 ff.): (1) Ausgangslage ist das Aussagesystem zu den Entscheidungstatbeständen, Variablen und den Orientierungshypothesen. (2) Zunächst werden die Daten für jeden Fall isoliert betrachtet, kondensiert und mit diesen Entscheidungstatbeständen und Orientierungshypothesen abgeglichen. (3) Auf dieser Basis werden die Entscheidungstatbestände und Orientierungshypothesen inhaltlich verfeinert. (4) Die anderen Einzelheiten des Falls werden mit der Verfeinerung bzw. Anpassung abgeglichen. (5) Die Verfeinerung bzw. Anpassung wird mit dem zweiten Fall abgeglichen. (6) Dieser Prozess wird so oft wie nötig wiederholt.
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
101
Das heißt, die empirischen Evidenzen werden untersucht, mit der theoretischkonzeptionellen Vorarbeit abgeglichen, die Erkenntnisse verfeinert und die Evidenzen auf Basis dieser neuen Erkenntnisse erneut betrachtet. Dadurch entsteht nach und nach ein robustes Aussagesystem (Explanation). Nachfolgend werden diese Erkenntnisse entlang der vier Entscheidungstatbestände dargestellt und jeweils die Orientierungshypothesen verfeinert sowie Gestaltungshinweise abgeleitet. Zur Darstellung der Erkenntnisse werden Zitate aus den Interviews verwendet.
3.2
Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
3.2.1
ETB 1: Festlegung der zentralen Akteure
3.2.1.1 Ergebnisse Hinsichtlich der Festlegung der zentralen Akteure ergeben sich die nachfolgenden Erkenntnisse: (1) Ergebnisoffene Kombination spezifischer, komplementärer Kernkompetenzen zu einer Value Proposition Im Kern des Ecosystems stehen Akteure mit spezifischen komplementären Kernkompetenzen (Jacobides et al., 2018). „Jeder Player kommt an den Tisch mit Kernkompetenzen und wir müssen diese nicht selber aufbauen. Daher haben wir überlegt, was sind wichtige Kernkompetenzen, die uns ergänzen?“. Im Falle der Smart City Initiative sind dies die Mobilitätskompetenz und -software seitens BMW, die Kompetenz hinsichtlich technischer Plattformen und Business Services seitens SAP, sowie die Strategie- und Implementierungskompetenz seitens Deloitte. Im Falle der Open Data Initiative sind dies unterschiedliche Anwendungsbereiche innerhalb der IT-Landschaft der Kunden: „Microsoft has its roots in IT and talks to the IT people and the CIOs. Adobe has a heritage in marketing, we talk to the creatives, the CMOs. We help each other. Adobe now has more IT conversations and Microsoft more marketing talks regarding the value proposition“. Hier zeigt sich auch, dass eine detailliertere Betrachtung der Kompetenzen im digitalen Bereich wichtig ist. Verschiedene Software bietet unterschiedliche Kompetenzen: „Microsoft Azure ist z. B. Technologie, SAP bietet Business Services wie Abrechnungen etc.; das sind unterschiedliche Fähigkeiten“. Im Kern der Gestaltung des Ecosystems steht die Frage nach dem Wert für die Kunden bzw. der Value Proposition. Im Zuge der zunehmenden Digitalisierung und verschwindender Branchengrenzen verändern sich herkömmliche Logiken dabei grundlegend (Parker et al., 2016). In beiden Cases handelt es sich um einen
102
3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
ergebnisoffenen und fortlaufenden Prozess: „Wir haben uns zunächst weiter zu dritt getroffen und gefragt, wer ist der Kunde?“. Das heißt, die Entwicklung der Value Proposition stellt einen agilen Prozess dar. Es wird nicht von einer Lösung aus gedacht und auf dieser Basis die entsprechenden Kompetenzen gesucht. Vielmehr werden durch die Rekombination der Kompetenzen neue Lösungen gesucht: „We course correct quite regularly, it is driven by failure and success. Adobe has acquired products nobody knew about when the partnership started“. (2) Komplexität bei zu vielen Akteuren In Anbetracht einer zunächst unklaren Value Proposition erscheint die Einbindung möglichst vieler Akteure mit spezifischen Kernkompetenzen bei der Entwicklung des Ecosystems zielführend. Grundsätzlich existieren jeweils vielzählige Akteure mit komplementären Kernkompetenzen, die schwer internalisierbar sind und daher potenziell maßgeblich zur Wertschöpfung beitragen könnten. Im Bereich Smart City sind dies Akteure aus den Bereichen Telekommunikation, Öffentlicher Verkehr, Verwaltung, Energie und viele weitere. Demgegenüber zeigt sich jedoch, dass der Aufwand für die Zusammenarbeit der Akteure mit dem Interaktionsgrad, das heißt mit zunehmender Anbindung, steigt. Je mehr Akteure bei der Gestaltung und Orchestrierung des Ecosystems mitwirken, desto höher die Komplexität. Der Koordinationsaufwand steigt exponentiell und das Spektrum der Einzelinteressen der Akteure wird ausgeweitet: „Was ich mich frage: Ist die Komplexität bei drei gleichberechtigten Orchestratoren nicht bereits zu groß? Der Abstimmungsaufwand ist so groß“. Zudem sind Unternehmen historisch auf sich selbst fokussiert und auf dyadische, transaktionale Beziehungen ausgelegt. Bereits bei drei Orchestratoren zeigen sich erhebliche Abstimmungsaufwände: „Es liegt historisch nicht in der Natur von Firmen, das zu dritt so zu machen“. Eine Partnerschaft muss fortlaufend intern erklärt und vermittelt werden. Die entsprechenden Personen sehen die Vermittlung der Value Proposition gegen innen als Kernbestandteil ihrer Aufgabe: „Another important thing we do is articulating the joint value proposition to the Adobe and the Microsoft teams, the stakeholders who talk to customers/prospects“. Hinzu kommt, dass mit der Anzahl der Partner das Opportunismusrisiko steigt. Die Bandbreite der Partikularinteressen steigt mit jedem Akteur und damit auch die Gefahr, dass diese Interessen nicht oder nur teilweise kompatibel sind. „Je mehr Partner, desto höher das Risiko, dass einer mal sagt, ich brauche die andern eigentlich gar nicht“. Deshalb gilt es, die Anzahl der Co-Orchestratoren und zentralen Akteure gering zu halten. Nur so kann eine gemeinsame Value Proposition generiert werden: „Ideen entwickeln und eine gemeinsame Vision finden ist sehr anspruchsvoll.
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
103
Wenn wir jetzt z.b. einen Anbieter aus dem Bereich Energie hinzugenommen hätten, was durchaus wichtige Kompetenzen sind, hätte dieser wieder andere Bedürfnisse gehabt“. (3) Unklare Rollenverteilung und Doppelrollen Hinsichtlich der Rollenverteilung ergeben sich zwei verschiedene Dimensionen der Betrachtung: (1) die Betrachtung der Wertschöpfungskonstellation. Das heißt, wer nimmt welche Rolle in der Value-Co-Creation ein? (2) die Betrachtung der Koordinationskonstellation. Das heißt, wer nimmt welche Rolle bei der Orchestrierung der Akteure ein? Hinsichtlich der Wertschöpfungskonstellation stellt sich zunächst die Frage, ob die Rolle des Kunden geklärt ist. Im Falle der Cloud-Services von Adobe und Microsoft ist der Kunde weiterhin der historische Softwarekunde im Sinne von Unternehmen (B2B). Im Falle der Smart City Initiative ergeben sich verschiedene Optionen. Der Endnutzer, d. h. Bürger der Stadt bzw. Arbeitnehmer des Unternehmens oder die Stadt bzw. das Unternehmen selbst können Kunde sein. Im vorliegenden Fall fiel der Entscheid zunächst auf den Industriekunden: „Etwas aufzusetzen, das so groß ist, dass man direkt via Enduser Revenue generiert, war unrealistisch“. Wichtig ist demnach zu beachten, dass die Rolle des Kunden nicht unbedingt mit der Rolle des Nutzers (User) zusammenfällt. Gerade in Ecosystems mit vielseitigen Märkten können Unternehmen Wert für den Endkunden schaffen (B2C) ohne dass diese selbst dafür bezahlen. Die generierte Nutzerbasis, die Daten usw. bieten die Möglichkeit für Geschäftsmodelle (B2B oder B2B2C), bei denen stattdessen Unternehmen für die Plattform bezahlen (Jacobides et al., 2018, S. 15). Bei Innovationen und bei technischen Entwicklungen nehmen gewisse Kunden in einer frühen Phase eine spezielle Rolle als Pilotkunden und Entwicklungspartner ein: „VZUG war Pilotkunde, der sehr eng mit uns gearbeitet hat. Man braucht jemanden der das propagiert“. In der Softwareindustrie nehmen Pilotkunden eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Lösungen ein. Sie helfen mit, die Anforderungen zu spezifizieren. Dabei liegt eine hohe Integration der Kunden vor, die von ganz frühen bis zu späteren Phasen der Entwicklung in eigens dafür entwickelte Programme und Prozesse eingebettet sind. SAP bietet Kunden beispielsweise die Möglichkeit, als Beta-Tester noch nicht marktreife Software zu nutzen und verfügt über sogenannte „Early Adopter Care Services“, die frühen Kunden spezifische Supportleistungen zur Verfügung stellen (SAP, 2019b). Darüber hinaus existiert eine Vielzahl an Rollen der Anbieter hinsichtlich der Wertschöpfungskonstellation. Plattformbetreiber, Anbieter von Hardware oder Services, die Kernbestandteil der Lösung sind, Software- und Technologieanbieter, Vertriebs- bzw. Implementierungspartner u. a. m. Hier ist im Case der Smart City
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3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
Initiative nicht geklärt, wer die Plattform betreiben wird. Demgegenüber betreibt der Kunde die Plattform im Falle der Lösungen von Adobe und Microsoft selbst. Die Implementierung von Softwarelösungen und die dazugehörige Beratung gehören beispielsweise zum Kerngeschäft des Beratungshauses Deloitte. Auch Adobe, SAP und Microsoft arbeiten eng mit Partnern wie Accenture, EY oder Cognizant zusammen, die ihre Lösungen implementieren: „The others – EY etc. – are informing the ODI from a customers’ and services perspective. It’s not an off the shell solution. They will be able to do the implementation and run the installation“. Als Technologielieferant entwickelt SAP bei der Smart City Initiative nicht nur den ersten Prototypen der Plattform, sondern stellt langfristig die Technologie zu deren Betrieb zur Verfügung. Microsoft wiederum verfügt mit Azure über eine Technologiebasis, die sich an Softwareentwickler richtet und die Basis zur Entwicklung und zum Betrieb von Cloud-Lösungen bietet (Microsoft, 2019a). Die Adobe Experience Cloud läuft z. B. über die Microsoft Azure Technologie. Insgesamt zeigt sich bei diesen Rollen eine Vermischung und das Auftreten von Doppelrollen, beispielsweise bei Software- und Technologieanbietern, die aufgrund ihrer Kompetenz wichtige Entwicklungspartner für die zentralen Akteure bzw. den Betreiber der Plattform sind. Aufgrund ihrer Geschäftsmodelle sehen sie sich jedoch je nachdem selber primär als Lieferant. Für sie ist die Plattform ein Kunde, dem sie die Technologie zum Betrieb bereitstellen. Umgekehrt sind Implementierungspartner zugleich Kunden aus Plattformsicht. Zwischen ihnen und dem Endnutzer besteht eine Kundenbeziehung, zwischen Ihnen und dem Plattformbetreiber teilweise eine Lieferantenbeziehung. Pilotkunden wiederum sind wichtige Partner bei der Entwicklung und helfen, die Lösungen so zu entwickeln, dass sie ein Marktbedürfnis adressieren. Gleichzeitig sind sie Kunde der anderen Partner wodurch widersprüchliche Erwartungen entstehen können: „[Pilotkunden] wollen Lösungen, die auf sie zugeschnitten sind, wir wollen Lösungen, die multiplizierbar sind“. Die Koordinationskonstellation zeichnet sich dadurch aus, dass gewisse Akteure eine Führungsrolle als Orchestrator(en) des Ecosystems einnehmen (Breidbach et al., 2016; Dhanaraj und Parkhe, 2006; Hurmelinna und Nätti, 2018; Klerkx und Aarts, 2013; Nilsen und Gausdal, 2017; Paquin und Howard-Grenville, 2013). Im Falle der Open Data Initiative sind Adobe und Microsoft mit ihrer Partnerschaft in einer Rolle als Orchestratoren. SAP ist ein wichtiger Partner der beiden, steuert das System jedoch nicht mit. Ebenso hat das Gremium aus wichtigen Partnern zwar Einfluss auf die Weiterentwicklung, und die einzelnen Akteure darin sind wichtige Implementierungspartner, sie nehmen jedoch ebenfalls keine Führungsrolle im Ecosystem ein. Die Orchestratoren erfüllen diverse Führungsaufgaben gegenüber den anderen zentralen Akteuren und den peripheren Akteuren. Dies beinhaltet die
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
105
Vermittlung und Zusammenführung von Wissen, Information und Innovationen, die Aktivität als Unternehmer im Ecosystem sowie insbesondere die Leitfunktion und Festlegung der Strategie (Breidbach et al., 2016, S. 1). Kernkompetenzen können vielseitig eingebunden und angewendet werden. Dabei ist jeweils auch zu prüfen, wann eine Orchestratorenrolle Sinn macht, und wo eine Partnerschaft als Lieferant oder Vertriebspartner o.ä. ohne Orchestratorenrolle zielführender ist. Dementsprechend sind die zentralen Akteure neben ihrer Rolle in der Wertschöpfung auch in Orchestratoren und zentrale Partner der Orchestratoren zu unterteilen. (4) Nähe/Beziehung zum Geschäftsmodell beeinflusst Rollen Eine wichtige Basis für die Rollen sind die jeweiligen Kernkompetenzen. Die Cases zeigen jedoch, dass nicht die Kernkompetenzen alleine die Position und Rolle im Ecosystem bestimmen. Nicht jeder Akteur mit wichtigen spezifischen Kernkompetenzen möchte beispielsweise Orchestrator sein und nicht jeder Orchestrator möchte eine Plattform auch selber betreiben. Der Beziehung zum eigenen Geschäftsmodell kommt eine zentrale Bedeutung zu. Der Fit der Rolle mit der eigenen Strategie und dem eigenen Geschäftsmodell ist eine Voraussetzung für ein erfolgreiches Agieren im Ecosystem. Ist dies nicht gegeben, drohen Konflikte und Probleme hinsichtlich Identität, Unternehmensstrategie, finanziellen Kennzahlen im Sinne des Shareholder-Value und buchhalterischen Praktiken, Kundenbeziehungen usw. Deshalb ist zu betrachten, ob das Geschäftsmodell des Ecosystems und die Rolle darin im Gegensatz zum eigenen Kerngeschäft steht oder eine Ergänzung dazu darstellt. Bei der Zusammenarbeit zwischen Adobe und Microsoft geht es darum, eine gemeinsame Value Proposition zu finden, die die bestehenden Services zusammenführt und zusätzlichen Wert für die Kunden schafft. Dies steht im Kontext sich wandelnder Geschäftsmodelle in der IT-Industrie. Das Ecosystem beschleunigt und befähigt diesen Wandel zu Cloud-Anbietern, der an sich jedoch auf strategischer Ebene in beiden Unternehmen vorangetrieben wird. Im Gegensatz dazu zeigen sich im Smart City Case unterschiedliche Beziehungen zwischen Kerngeschäft des Ecosystems und Kerngeschäft der einzelnen Akteure. Während der Wandel vom Automobilhersteller zum Mobilitätsdienstleister und letztlich zum Mobilitätsbetreiber für die Fahrzeughersteller seit einiger Zeit im Mittelpunkt der strategischen Bemühungen steht, ist das Betreiben einer Plattform, die auf der eigenen Plattform läuft, im Geschäftsmodell von SAP nicht vorgesehen. SAP ist Lieferant der Software und IT-getriebenen Business Services. Deloitte ist als Beratungshaus Implementierungspartner und hilft beim: „Ausarbeiten von Services, Business Plänen, SAP-Beratung, Business Services auf SAP-Basis etc.“. Daraus ergibt sich im Case die Situation, dass unklar ist, wer zum Betreiber der Plattform wird. Es wird daher die Möglichkeit eines klar abgegrenzten Spin-Offs betrachtet. Für SAP ist die
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3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
Plattform und das Ecosystem in ihrem bestehenden Geschäftsmodell ein Kunde: „Unser Geschäftsmodell sind Lizenzen und die Cloud. So sind auch die Boni ausgestaltet, die ganze Kultur. Das heißt wir brauchen jemanden, der eine Plattform betreibt, das machen wir nicht“. Im Kontext der Transformation von Geschäftsmodellen ist nicht nur das aktuelle, sondern auch das zukünftige Geschäftsmodell zu betrachten. Neue Geschäftsmodelle in einem Ecosystem voranzutreiben kann durchaus eine Strategie sein, um die Transformation eines Unternehmens vorantreiben, ohne dass von Beginn an sämtliche Aktivitäten auf das neue Modell ausgerichtet werden. Vielmehr zeigt sich im Kontext der Transformation häufig, dass Unternehmen gleichzeitig mehrere, teilweise konkurrierende Geschäftsmodelle verfolgen (Andriopoulos und Lewis, 2008). Beispiele hierfür ist das Flottenmanagement von Automobilherstellern, bei dem keine Fahrzeuge der eigenen Marke verwendet werden oder servicebasierte Geschäftsmodelle für Werkzeuge, die den eigentlich Produktverkauf des Herstellers substituieren. In diesem Kontext zeigt sich, dass die Probleme der organisationalen Ambidextrie (O’Reilly und Tushman, 2008) bei Ecosystems hoch relevant sind. Ambidextrie bezeichnet die Fähigkeit gleichzeitig neue Geschäftsmodelle zu erschließen und bestehende erfolgreich auszubauen. Dabei können Widersprüche und Konflikte entstehen. Wird das Ecosystem gezielt genutzt, um Geschäftsfelder auszuprobieren, die allenfalls das historische Kerngeschäft substituieren, stellt sich die Frage nach der organisationalen Abbildung dieses Weges. Eine Möglichkeit ist die Auslagerung der betroffenen Einheit: „Ein klar abgegrenztes Spin-off hilft, wenn ansonsten die Entwicklung intern durch die klassischen Aussagen gehemmt wird wie: Geht nicht, haben wir schon immer so gemacht etc.“. Beispiele wie die autonome Bezahllösung Car eWallet von IBM, ZF Friedrichshafen und UBS (IBM, 2017) oder der Mobilitätsanbieter ShareNow von BMW und Daimler (Zetsche, 2018) zeigen, dass Unternehmen diesen Weg teilweise konsequent in Form eines Joint Ventures mit eigener Marke bestreiten.
3.2.1.2 Verfeinerung der Orientierungshypothesen Der Betrachtung des ersten Entscheidungstatbestands, der sich mit der Festlegung der zentralen Akteure befasst, wurde folgende Orientierungshypothese zugrunde gelegt: • ETB 1 – OH 1: Das Ecosystem wird durch ein Set an zentralen Akteuren orchestriert, die eine Plattform betreiben und deren jeweiliger Beitrag zum Ecosystem von hoher strategischer Bedeutung und hoher Spezifität gekennzeichnet
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
107
ist. Darum herum ordnen sich die peripheren Akteure an, deren einzelner Beitrag von geringerer strategischer Bedeutung und geringer Spezifität ist. Aus den Fallstudien resultieren folgende Erkenntnisse: (1) Ergebnisoffene Kombination spezifischer, komplementärer Kernkompetenzen zu einer Value Proposition: Die Kernaufgabe der Orchestratoren ist die Entwicklung der zentralen Value Proposition. Diese ergibt sich aus der Rekombination der spezifischen komplementären Kernkompetenzen der zentralen Akteure. Der Prozess zur Entwicklung einer Value Proposition ist ergebnisoffen. Die Akteure suchen fortlaufend nach Wegen, ihre Kernkompetenzen zu einer Value Proposition zu kombinieren. Die Unsicherheit ist hoch und es ist unklar, welchen Kompetenzen letztlich welche Bedeutung zukommt. (2) Komplexität bei zu vielen Akteuren: Potentiell kann eine große Anzahl an komplementären Akteuren beigezogen werden. Dadurch steigen jedoch die Komplexität und Unsicherheit exponentiell. Hinzu kommt, dass Unternehmen historisch nicht darauf ausgelegt sind, mit zwei oder mehr Akteuren auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten. Deshalb gilt es die Anzahl der Co-Orchestratoren gering zu halten. (3) Unklare Rollenverteilung und Doppelrollen: Ergebnisoffenheit, Unsicherheit und Komplexität führen zu einer unklaren Rollenverteilung. Zudem nehmen Akteure verschiedene Rollen ein und es ergeben sich Doppelrollen und Graubereiche zwischen Rollen. Implizite Rollenerwartungen und -interpretationen führen dabei zu Konfliktpotenzialen. Deshalb gilt es, (mögliche) Rollen möglichst strukturiert und transparent zu diskutieren, auch wenn diese sich ändern können. (4) Nähe/Beziehung zum Geschäftsmodell beeinflusst Rollen: Nicht jede zentrale Rolle orchestriert das Ecosystem mit. Kernkompetenzen können vielseitig eingebunden und angewendet werden. Nicht jeder Orchestrator möchte eine Plattform auch selber betreiben und nicht jeder Akteur mit wichtigen spezifischen Kernkompetenzen möchte Orchestrator sein. Die Beziehung der Value Proposition des Ecosystems zum eigenen Geschäftsmodell bestimmt die Rolle mit. Auf Basis der Ergebnisse kann die Orientierungshypothese bestätigt werden. Eine Verfeinerung ist dahingehend notwendig, dass eine weitere Ausdifferenzierung der zentralen Akteure angebracht ist. Die zentralen Akteure zeichnen sich durch spezifische Kernkompetenzen von strategischer Bedeutung aus. Darüber hinaus nehmen
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3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
sie jedoch unterschiedliche Rollen hinsichtlich der Wertschöpfung und der Koordination (Orchestrierung) des Ecosystems ein. Dies auf Basis ihrer Geschäftsmodelle und deren Beziehung zum Ecosystem. Die o g. Orientierungshypothese kann leicht angepasst und in zwei Orientierungshypothesen hinsichtlich der Rollen aufgeteilt werden. Hinzu kommt eine ergänzende Orientierungshypothese hinsichtlich der Anzahl zentraler Akteure. • ETB 1 – OH 1: Im Kern des Ecosystems befindet sich ein Set an zentralen Akteuren deren jeweiliger Beitrag zum Ecosystem von hoher strategischer Bedeutung und hoher Spezifität der komplementären Kernkompetenzen gekennzeichnet ist. Darum herum ordnen sich die peripheren Akteure an, deren einzelner Beitrag von geringerer strategischer Bedeutung und geringer Spezifität ist. • ETB 1 – OH 2: Die zentralen Akteure nehmen auf Basis ihrer Kernkompetenzen unterschiedliche Rollen in der Wertschöpfungskonstellation (z. B. als Betreiber der Plattform) und auf Basis ihres Geschäftsmodells unterschiedliche Rollen in der Koordinationskonstellation (z. B. als Orchestrator) ein. • ETB 1 – OH 3: Je höher die Anzahl zentraler Akteure, desto höher die Unsicherheit, Komplexität und die Koordinationskosten, insbesondere im Hinblick auf die Kompatibilität der Geschäftsmodelle und die gemeinsamen Ziele. Dementsprechend gilt es, die nachfolgenden Gestaltungshinweise darauf auszurichten, die Rollen der zentralen Akteure zu klären.
3.2.1.3 Gestaltungshinweise zur Festlegung anhand eines Rollenmodells In komplexen Beziehungskonstellationen zwischen Akteuren ist es von Bedeutung, die Rollen der einzelnen Akteure genauer zu betrachten und zu klären. Dies dient der Koordination durch die Schaffung von Transparenz und eines gemeinsamen Verständnisses über die Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Dadurch wird Konflikten und Missverständnissen vorgebeugt. Aus den Fallstudien zeigt sich, dass zur Betrachtung der Rollen der Fit zum jeweiligen Geschäftsmodell des Akteurs und die Einbindung wichtiger Kompetenzen im Ecosystem von Bedeutung sind. Hinzu kommt die separate Behandlung von Pilotkunden, die bei der Spezifikation der Anforderungen helfen. Die Festlegung der Rollen der zentralen Akteure ist somit Grundlage für den Aufbau von Beziehungen und die Integration der Akteure. Hierzu bietet sich die Analyse und Klärung mittels eines Rollenmodells an. Das nachfolgend erläuterte Rollenmodell basiert auf zwei Rollenaspekten:
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
109
(1) Festlegung der Rolle hinsichtlich der Wertschöpfungskonstellation des Ecosystems. (2) Festlegung der Orchestratorenrolle hinsichtlich der Koordinationskonstellation des Ecosystems. (1) Festlegung der Wertschöpfungsrolle hinsichtlich der Wertschöpfungskonstellation des Ecosystems Ein oder mehrere Akteure können die Rolle als Betreiber der Plattform bzw. der Lösung einnehmen. Damit ist nicht der technische Betrieb der Plattform gemeint, sondern der betriebswirtschaftliche Betrieb im Sinne des laufenden Geschäfts. Diese/r Betreiber besitzen die Eigentumsrechte an der Plattform und investieren in den Betrieb und die Entwicklung (Eisenmann et al., 2009). Meist finden sich ein oder mehrere IT-Dienstleister als Technologiepartner, da technologische Kompetenz – unabhängig von der Branche – ein wesentlicher Bestandteil eines Ecosystems ist. Servicepartner bieten komplementäre Services an, die essentieller Bestandteil der Gesamtleistung sind. Dies sind Business Services durch die SAP (Abrechnungssystem) oder Mobilitätsleistungen der BMW im Falle der Smart City. Analog dazu bieten Hardwarepartner komplementäre Hardware an, die essentieller Bestandteil der Gesamtleistung ist. Dies sind beispielsweise vernetzte Fahrzeuge von BMW. Vertriebs- und Implementierungspartner wiederum helfen, die Lösung bei Kunden zu implementieren. Abbildung 3.5 gibt einen Überblick über die beschriebenen Rollen und ihren Beitrag zur Wertschöpfung im Ecosystem. Ein Akteur kann beliebig viele dieser Rollen parallel einnehmen.
110
Rolle
3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
Wertschöpfungsbeitrag
Beispiel
Plattformbetr
Unterhalt und Betrieb der Plattform
Betrieb einer Mobilitätsplattform
eiber
Management der nachfrageseitigen
für Smart Cities
Plattformuser Management der angebotsseitigen Plattformuser (Entwickler von Apps) Technologiea
Technologische Plattform
Lieferung der Technologie und
nbieter
Technologien für die Entwicklung und den
Software zum Betrieb und zur
Betrieb der Serviceapplikationen
Weiterentwicklung der Plattform
(Servertechnologie, Softwareframeworks)
und von digitalen Services
Technische Schnittstellen (APIs) Implementier
Vertriebsleistungen
Beratung der Stadt oder des
ungspartner
Implementierung der Lösung bei Kunden
Unternehmens bei der
Beratung der Kunden
Implementierung der Plattform,
Support und After-Sales
der Integration mit eigenen Systemen, der Kommunikation usw.
Zentraler
Serviceleistungen, die Kernbestandteile der
Angebot der übergreifenden
Serviceanbiet
Plattform sind
Car-Sharing-Software oder
er
Business Services
Zahlungsabwicklung
Zentraler
Physische Produkte, „Things“ oder
Lieferung der vernetzten,
Hardwareanbi
Infrastruktur die Kernbestandteil der Plattform
autonomen Fahrzeuge
eter
sind Herstellung und Ausstattung mit Technologie zur digitalen Vernetzung
Pilotkunde
Spezifikation von Anforderungen
Unternehmen, das die
Test und Feedback hins. Funktionalitäten,
Mobilitätslösung als integriertes
Benutzerfreundlichkeit, Stabilität usw.
Konzept in Zusammenarbeit mit der Stadt implementiert
Abbildung 3.5 Überblick über die Wertschöpfungsrollen im Ecosystem
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
111
(2) Festlegung der Orchestratorenrolle hinsichtlich der Koordinationskonstellation des Ecosystems Hinsichtlich der Koordinationskonstellation stellt sich nicht die Frage nach dem Wertschöpfungsbeitrag der einzelnen Akteure, sondern nach der Struktur und Rolle bei der Zusammenarbeit der Akteure. Hierzu bietet sich eine Strukturierung der Akteure nach Interaktionsgrad an. Zunächst wird die Kooperation bzw. Kollaboration der Akteure näher betrachtet. Die Begriffe Kooperation und Kollaboration werden häufig verwechselt bzw. synonym verwendet (Camarinha-Matos et al., 2009). Im Kontext von Netzwerken wird von Kooperation zwischen Unternehmen gesprochen als „[…] die gemeinsame Ausübung betrieblicher Funktionen mit dem Ziel größerer Wirtschaftlichkeit und Rentabilität der einzelnen Unternehmen“ (Sydow, 1992, S. 93). Gemäß dieser Betrachtung bezeichnet Kooperation jegliche Formen von zwischenbetrieblichen Interaktionen mit dem Ziel der Harmonisierung oder gemeinsamen Erfüllung von Aufgaben durch zwei oder mehr unabhängige Akteure (Zentes, 2003, S. 5). Dies unabhängig von der Intensität der Interaktion bzw. dem Grad der Integration. Dieser kann sich in digitalisierten Service Ecosystems jedoch erheblich unterscheiden. Bei der Open Data Initiative von Adobe, Microsoft und SAP wird den Kunden der drei Unternehmen ermöglicht, die Daten der verschiedenen Softwaresysteme zu verbinden: „With this alliance, you can weave together data from any channel or device using a single data model to create a real-time customer profile. It’s time to reimagine what customer experience management can be“ (Adobe, 2019c). Dazu ist eine tiefergehende gemeinsame Entwicklungsarbeit notwendig. Gemeinsame Standards müssen definiert, Schnittstellen geschaffen und die einzelnen Systeme weiterentwickelt werden. Es handelt sich um eine strategische Entscheidung zur Zusammenarbeit auf Top-Management-Ebene. Das Ecosystem beinhaltet daneben viele weitere Akteure. Mit Beratungshäusern wie Accenture bestehen (Marketing-) Kooperationen zur Implementierung. Kleinere Implementierungspartner werden z. B. durch Informationsressourcen, Schulungen und Standardintegrationen unterstützt. Über einen Marktplatz können Entwickler ihre eigenen Applikationen anbieten. Das zugrundeliegende Datenmodell „Experience Data Model“ (XDM) wird auf GitHub – einer Plattform für kollaborative Softwareentwicklung – vollständig mit Dokumentation und Referenzmaterial zur Verfügung gestellt (Adobe, 2018). Dies unter einer „Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0)“-Lizenz (Creative Commons, 2019). Die Lizenz erlaubt jedem Akteur, das Modell für kommerzielle und nicht-kommerzielle Zwecke zu teilen („copy and redistribute the material in any medium or format“) und zu adaptieren („remix, transform, and build upon the material“) (Creative Commons,
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3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
2019). Dies ermöglicht beliebige Rekombinationen und die Entwicklung komplementärer Angebote, ohne dass dafür eine vertiefte strategische Zusammenarbeit notwendig wäre. Das Beispiel zeigt, dass verschiedene Grade der Interaktion in digitalisierten Service Ecosystems existieren. Diese werden auf Basis von Camarinha-Matos et al. (2009) entlang von vier aufeinander aufbauenden Stufen systematisiert (vgl. Abbildung 3.6). Auf der Stufe der „Kommunikativen Interaktion“ findet eine Interaktion lediglich durch Kommunikation und den Austausch von Informationen zum gegenseitigen Nutzen statt. Dies kann jegliche Akteure betreffen, selbst solche, die nicht aktiv bzw. maßgeblich am Ecosystem partizipieren. „Koordinative Interaktion“ beinhaltet darüber hinaus die Harmonisierung von Aktivitäten zur Schaffung von Nutzen. Dies betrifft die peripheren Akteure, die am Ecosystem partizipieren (ETB 3 und 4). Sie werden als Partizipatoren bezeichnet. Kommen der Austausch von weiteren Ressourcen und eine gewisse Arbeitsteilung hinsichtlich der Kernwertschöpfung hinzu, wird von „Kooperation“ gesprochen. Dies betrifft die zentralen Akteure, die jedoch keine Orchestratorenrolle einnehmen. Sie werden als zentrale Partner bezeichnet. Die Orchestratoren wiederum interagieren in Form einer „Kollaboration“. Dies bedeutet gegenüber der Kooperation, dass zusätzlich gemeinsame Verantwortung übernommen wird und nicht nur kompatible, sondern gemeinsame Ziele vorherrschen. Dies mit dem Ziel, etwas gemeinsam zu erarbeiten bzw. zu gestalten. In digitalisierten Service Ecosystems sind sämtliche Stufen relevant. Die Akteure interagieren je nach ihrer Position im Ecosystem mit unterschiedlicher Intensität.
Abbildung 3.6 Ausprägungsgrade der Interaktion und Koordinationsrollen. (Quelle: In Anlehnung an Camarinha-Matos et al. (2009, S. 3))
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
113
Diese beiden Perspektiven auf die Rollen der Akteure können zum besseren Verständnis der Aufgaben und Konstellation in einer Rollenmatrix in Ecosystems zusammengeführt werden. Abbildung 3.7 zeigt die Logik einer solchen Matrix exemplarisch auf. In diesem fiktiven Beispiel betreiben ein Hersteller von Medizinalgeräten und ein Softwareunternehmen gemeinsam eine Plattform für den Gerätepark in Spitälern und die damit verbundene Datensammlung, Unterhaltsund Betriebsservices, Digitale Applikationen (z. B. Remote Surgery) u. a. m.
Abbildung 3.7 Rollenmatrix im Ecosystem (exemplarisch)
3.2.1.4 Zusammenfassung der Erkenntnisse zum ersten Entscheidungstatbestand Die Ergebnisse aus den Fallstudien bestätigen, dass die Festlegung der zentralen Akteure ein zentraler Entscheidungstatbestand von hoher Komplexität ist. Im Kern steht die Klärung der Rollen auf der Basis von Kompetenzen und bisherigem Geschäftsmodell. Abbildung 3.8 fasst die Ergebnisse, die verfeinerten Orientierungshypothesen und die Gestaltungshinweise zum ersten Entscheidungstatbestand zusammen.
114
3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
ETB 1: Festlegung der zentralen Akteure Ergebnisse
(1)
Der Prozess zur Entwicklung einer Value Proposition ist ergebnisoffen. Die Unsicherheit ist hoch und es ist unklar, welchen Kompetenzen letztlich welche Bedeutung zukommt.
(2)
Unternehmen sind nicht darauf ausgelegt, Wertschöpfung in einem Multi-
(3)
Dabei führen Ergebnisoffenheit, Unsicherheit und Komplexität zu einer
(4)
Nicht jede zentrale Rolle orchestriert das Ecosystem mit. Die Nähe/Beziehung
Akteur-System zu managen, und die Komplexität steigt mit jedem Akteur.
unklaren Rollenverteilung. Zudem nehmen Akteure Doppelrollen ein.
zum Geschäftsmodell determiniert die Zielkongruenz und dadurch die Rolle. Verfeinerte
ETB 1 - OH 1: Im Kern des Ecosystems befindet sich ein Set an zentralen
Orientierungs
Akteuren, deren jeweiliger Beitrag zum Ecosystem von hoher strategischer
hypothesen
Bedeutung und hoher Spezifität der komplementären Kernkompetenzen gekennzeichnet ist. Darum herum ordnen sich die peripheren Akteure an, deren einzelner Beitrag von geringerer strategischer Bedeutung und geringer Spezifität ist. ETB 1 - OH 2: Die zentralen Akteure nehmen auf Basis ihrer Kernkompetenzen unterschiedliche Rollen in der Wertschöpfungskonstellation (z.B. als Betreiber der Plattform) und auf Basis ihres Geschäftsmodells unterschiedliche Rollen in der Koordinationskonstellation (z.B. als Orchestrator) ein. ETB 1 – OH 3: Je höher die Anzahl zentraler Akteure, desto höher die Unsicherheit, Komplexität und die Koordinationskosten, insbesondere im Hinblick auf die Kompatibilität der Geschäftsmodelle und die gemeinsamen Ziele.
Gestaltungshi
Zur Festlegung der zentralen Akteure ist die Schaffung von Transparenz und
nweise und
gemeinsamem Verständnis über Rollen notwendig. Grundlage dafür ist die Einbindung
Instrumente
wichtiger Kompetenzen und die Nähe zum Geschäftsmodell der Akteure. Dies geschieht mittels eines Rollenmodells: (1)
Rolle hinsichtlich der Wertschöpfungskonstellation des Ecosystems
(2)
Rolle hinsichtlich der Koordinationskonstellation des Ecosystems
Abbildung 3.8 Zusammenfassung ETB 1: Festlegung der zentralen Akteure
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
3.2.2
115
ETB 2: Integration der zentralen Akteure
3.2.2.1 Ergebnisse Hinsichtlich der Integration der zentralen Akteure ergeben sich die nachfolgenden Erkenntnisse: (1) Geringe Eignung transaktionaler Verträge Klassische Verträge zwischen den zentralen Akteuren sind bei hoher Komplexität und Unsicherheit nicht realisierbar. Erstens ist der Koordinationsaufwand zu hoch: „Es gab nie einen Vertrag, das wäre zu viel Aufwand gewesen“. Zweitens ist der Prozess an sich nicht kompatibel mit der Agilität solcher Projekte: „Ein Vertrag friert alles ein. Das geht so lange, dann hat sich alles wieder verändert. Bis Legal alles durchgearbeitet hatte, war das Projekt an einem ganz anderen Punkt und die Verträge wieder hinfällig“. Bis zu einer Unterzeichnung des Vertrags dauert es zwei bis drei Monate und bis dahin haben sich die vertraglich festzulegenden Gegebenheiten bereits wieder geändert. Drittens führt die Ergebnisoffenheit der Zusammenarbeit dazu, dass auf transaktionaler Ebene nur inputorientierte Aspekte vereinbart werden können, jedoch keine, die sich auf die Ergebnisse und Erlöse der Zusammenarbeit beziehen. Das heißt, die Vereinbarungen betreffen zu leistende Beiträge an die Zusammenarbeit in Form von finanziellen und personellen Ressourcen, jedoch nicht das wertschöpfende Ergebnis dieses Ressourceneinsatzes und deshalb auch nicht dessen Verteilung unter den Akteuren. Stattdessen wird nach dem Grundsatz agiert, dass jeder Akteur für sein eigenes Geschäftsmodell und die Frage, wie er aus der Kooperation Wert zieht, verantwortlich ist. Der Kunde geht jeweils separate Einzelverträge mit den verschiedenen Unternehmen ein. Zuletzt kann ein starrer Vertrag bei Rückschlägen oder Konflikten konsensoder kompromissorientierte Lösungen verhindern. Wenn zwei Partner einen Konflikt auf rechtlichem Weg beilegen, ist davon auszugehen, dass die Partnerschaft dadurch – trotz rechtlicher Klärung des Konflikts – nachhaltig geschädigt werden kann: „Es gab auch Rückschläge. Aber auch da: Wenn man Verträge gehabt hätte, hätten sich alle auf die Verträge gestürzt. Das hätte nicht unbedingt zur Lösung beigetragen“. (2) Vertrauen als zentraler Integrationsmechanismus Insgesamt zeigt sich in beiden Fallstudien eine geringe Präsenz von Überlegungen zu möglichem zukünftigem opportunistischem Verhalten. In beiden Fällen ist stattdessen Vertrauen die Grundlage der Zusammenarbeit und ersetzt umfassende
116
3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
Verträge zwischen den zentralen Akteuren: „Der Leim und Motor war Vertrauen“. Das Vertrauen basiert auf verschiedenen Aspekten. Erstens auf dem Potenzial der gemeinsamen Lösungen. Dies beinhaltet das wirtschaftliche Potenzial des Angebots kombiniert mit der Tatsache, dass dieses nur realisiert werden kann, wenn die Akteure ihre Kernkompetenz einbringen. Darüber hinaus beinhaltet es die Arbeit an einer Sache, die für einen Bereich wegweisend und zukunftsorientiert ist. Sei dies, weil die neusten Produkte und Lösungen des Unternehmens als Branchenführer vorangetrieben werden oder weil die Lösung darüber hinaus gesellschaftliche Relevanz hat, wie im Beispiel der Smart City: „An etwas zu arbeiten, woran Google auch arbeitet. Wenn etwas in die News kommt. Auch für dich selber, generell etwas besser machen“. Zweitens basiert das Vertrauen auf den Individuen, die zusammenarbeiten. Fachkräfte, die über längere Zeit mit den gleichen Leuten zusammenarbeiten und eine Verbundenheit und Beziehung auf persönlicher Ebene aufbauen: „Mit den gleichen Leuten zusammenarbeiten, gemeinsam Teilsiege erringen“. Auf Basis dieser Aspekte wird Vertrauen als Substitut für Verträge eingesetzt. Die Koordination wird durch informelle und häufig implizite Vereinbarungen getrieben. In diesem Sinne weist die Zusammenarbeit Ähnlichkeiten zu den psychologischen Verträgen (Psychological Contracts) (Shore und Tetrick, 1994) in der Beziehung zwischen Arbeitnehmern, Arbeitskollegen, Vorgesetzten und Arbeitgebern auf. Neben den explizit vertraglich festgelegten Grundformalitäten sind solche Beziehungen größtenteils durch implizite und teilweise unbewusste Erwartungen und Regeln geprägt, wie beispielsweise, dass eine hohe Leistung zu einer Beförderung führt. Obwohl diese Regeln nicht explizit vereinbart wurden, besteht ein Grundvertrauen in deren Einhaltung und ein Vertrauensbruch hat weitreichende Konsequenzen für die Beziehung zwischen den Akteuren (Robinson, 1996). Im den vorliegenden Cases zeigen sich diverse solcher impliziten und teilweise unbewussten Regeln und Erwartungen, die das gegenseitige Vertrauen prägen. Beispiele hierfür sind Reziprozität der eingebrachten Leistungen und persönlichen (Zeit-) Aufwände, Transparenz, sowie eine geteilte Loyalität zwischen Arbeitgeber und der gemeinsamen Sache. Diese impliziten Erwartungen beinhalten ein großes Risiko für die Beziehung, da ein auf individueller Ebene wahrgenommener Bruch dieser Regeln weitreichende Folgen auf das Verhalten haben (Morrison und Robinson, 1997) und somit die Beziehung der Akteure auf übergeordneter Ebene stören kann. Das Vertrauen bzw. die psychologischen Verträge werden durch lose Verträge und Vereinbarungen ergänzt, die die Zusammenarbeit und gemeinsame Investitionen regeln: „Man committed sich für Investments und darüber hinaus hat man sich vertraut. Ansonsten wird es gleich politisch, auch intern“. Die Verträge und Vereinbarungen sind daher flexibel und erweiterbar gehalten und tragen der beschriebenen
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
117
Ergebnisoffenheit Rechnung: „[The contract] focuses on investments and collaboration. Not on the things we build. The contract will get longer, it will evolve. We did not have the experience platform when we started“. Das Vertrauen in das gemeinsame Potenzial und die Zusammenarbeit geht jedoch über diese Verträge hinaus: „It goes much beyond the contract. We are not just partners, we build things together, we have a go-to-market machine“. Im Rahmen solcher Vereinbarungen finden Treffen der oberen Managementstufen statt, was die Zusammenarbeit begünstigt und die Entscheidungsfindung vereinfacht: „Wir hatten C-Level Meetings, da wurde gesagt, was erwarten wir voneinander etc. Auf laufender Basis, alle zwei bis drei Monate“. (3) Dezidierte Teams und Herausbildung einer Ecosystemidentität Für die Koordination der zentralen Akteure werden dezidierte Personen beauftragt und Teams gebildet, die sich mit der Entwicklung des Ecosystems befassen. Bei Adobe existiert für die Partnerschaft ein Business Lead pro Region. Dies aufgrund der regionalen Spezifika: „Characteristics and maturity of regions are very different. Each business lead creates a go-to-market-strategy, but also influences the overall product strategy. For example in Switzerland the banks with their data have requirements that have an impact on how the product is built and marketed, this is very specific“. Diese Teams und Personen übernehmen die Verantwortung für das Voranschreiten der Zusammenarbeit: „There’s ownership and investment on both sides. There are people like this on both sides. We talk about accounts, events etc.“. Wie bei ETB 1 beschrieben, besteht eine Kernaufgabe der Teams auch nach mehreren Jahren darin, die Value Proposition gegen Innen zu vertreten und zu erläutern. Das heißt, sie übernehmen eine Verantwortung für die Zusammenarbeit der Akteure und vertreten diese nicht nur gegen außen, sondern auch gegenüber den Stakeholdern des eigenen Arbeitgebers, auch gegen Widerstände. Dies setzt eine hohe Identifikation mit dem Ecosystemgedanken voraus. Aus der Zusammenarbeit und der resultierenden Identifikation der beteiligten Individuen und Teams bildet sich eine gemeinsame Identität dieser Personen und Teams. Daraus resultiert letztlich das Vertrauen auf der Ebene der Einzelpersonen als Fundament für das Vertrauen auf der Makroebene: „Vertrauen ist immer zu den Leuten. Es ist ein Give-and-Take. Wenn jemand einmal intern ansteht, dann glaubt man ihm“. Dabei spielt das Signaling der einzelnen Personen eine wichtige Rolle: „Sobald der erste gesagt hat, dass sei mehr im Vorteil des Ecosystems statt im Vorteil des einzelnen Akteurs, haben die andern auch ähnliche Verhaltenszüge angenommen“. Zusammenfassend sind es die Einzelpersonen in akteursübergreifenden Teams, die das Vertrauen und damit die Entwicklung der Partnerschaften prägen.
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3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
(4) Widersprüche zum Kern (Geschäftsmodell und Identität) Dadurch entsteht eine Eigendynamik der Teams, die die Beziehung der Akteure auf Ebene der Teams und Individuen in einer Form befähigen kann, wie es auf der reinen Organisationsebene nicht möglich wäre. Es bildet sich eine Ecosystemidentität, die sich von der herkömmlichen, unternehmenszentrierten Identität unterscheidet. Dies bringt, wie zuvor beschrieben, positive Dynamiken mit sich: Die einzelnen Personen handeln im Sinne des Ecosystems und nicht rein im Sinne eines einzelnen Akteurs. Dies wiederum begünstigt das Vertrauen zwischen den Personen und dadurch zwischen den Akteuren (Organisationen). Zentral ist hierbei die Betrachtung, ob diese Identität und das Geschäftsmodell komplementär und kompatibel zum Mutterhaus sind oder nicht. Bei zu großen Widersprüchen birgt sie Potenzial für Interessenskonflikte oder Hemmnisse: „Ich habe auch einmal bei einem Softwarehaus gearbeitet, das Businesspotenzial einer solchen Plattform ist einfach nicht so hoch am Anfang, dass man sich vom bestehenden Geschäftsmodell abwenden würde“. Es gilt jeweils die Motivation aus Sicht der Gesamtorganisation und ihrer Identität bzw. ihrem bestehenden Geschäftsmodell zu betrachten: „Im Kern steht das Businessmodell dieser Firmen. Was ist die Motivation? Bei uns geht es nicht darum, unser Geschäftsmodell zu ändern, sondern darum, Neues zu testen, in ein Umfeld reinzukommen, Dinge, die wir noch nie gemacht haben, Wissenshunger“. In einem solchen Fall bietet ein Spin-off bzw. ein Joint Venture Abhilfe: „Es bräuchte hier ein Spin-off bzw. Joint Venture, weil es nicht zum Geschäftsmodell bzw. der Strategie passt. Plattform / Betreiber muss im Möglichen der Firma liegen, sonst macht es keinen Sinn, so etwas zu verfolgen“. Grundsätzlich sind die Diskussionen und Konflikte aber auch notwendig und gehören zum Alltag einer sich in der Entwicklung befindenden Organisation, egal in welcher Form: „Man hätte die gleichen Diskussionen auch als Startup, einfach mit Geldgebern“. Hinzu kommt, dass ein Joint Venture eine hohe vertragliche Integration darstellt, die langfristig geregelt werden muss: „Wenn wir am Anfang ein Joint Venture gegründet hätten, hätten wir zu lange diskutiert. Wie ist der Revenue-Split in Zukunft? Wer gibt wie viel rein? So konnten wir die Geschwindigkeit hoch halten“.
3.2.2.2 Verfeinerung der Orientierungshypothesen Der Betrachtung des zweiten Entscheidungstatbestands, der sich mit der Integration der zentralen Akteure befasst, wurden folgende Orientierungshypothesen zugrunde gelegt:
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
119
• ETB 2 – OH 1: Aufgrund hoher strategischer Bedeutung, hoher Spezifität und hoher Unsicherheit ist der Integrationsgrad der zentralen Akteure hoch und ihre Struktur eher integral. Aufgrund mangelnder Internalisierbarkeit wird eine hybride Form angestrebt. • ETB 2 – OH 2: Die Integration kann mittels formeller Verträge umgesetzt werden. Verhindern jedoch die hohe Unsicherheit bzw. Komplexität die formelle Integration, werden Vertrauen und vertrauensfördernde Maßnahmen zur Kompensation eingesetzt. Aus den Fallstudien resultieren folgende Erkenntnisse: 1) Geringe Eignung transaktionaler Verträge: Klassische Verträge zwischen den Orchestratoren und Partnern sind bei hoher Komplexität und Unsicherheit nicht realisierbar. Bis zu einer Unterzeichnung des Vertrags dauert es zwei bis drei Monate, und bis dahin haben sich die vertraglich festzulegenden Gegebenheiten bereits wieder geändert. Hinzu kommt die Ergebnisoffenheit der Zusammenarbeit. 2) Vertrauen als zentraler Integrationsmechanismus: Anstelle klassischer Verträge wird Vertrauen eingesetzt. Dies wird dadurch begünstigt, dass das Opportunismusrisiko ex-ante als gering eingeschätzt bzw. von dem wahrgenommenen Potenzial der Zusammenarbeit überlagert wird. Das Vertrauen erlaubt es den Akteuren, unter Komplexität und Unsicherheit handlungsfähig zu bleiben. Hinzu kommen allgemeine Verträge, die die Zusammenarbeit regeln. 3) Dezidierte Teams und Herausbildung einer Ecosystemidentität: Vertrauen wird begünstigt durch den Einsatz dezidierter Personen und Teams. Sie befassen sich mit der Entwicklung des Ecosystems. Die akteursübergreifende Zusammenarbeit schafft Vertrauen zwischen den Individuen und lässt bei diesen eine Ecosystem-Identität und Identifikation mit dem gemeinsam Geschaffenen entstehen. 4) Widersprüche zum Kern (Geschäftsmodell und Identität): Die Ecosystemidentität unterscheidet sich von der herkömmlichen, unternehmenszentrierten Identität. Dies bringt positive Dynamiken mit sich, birgt aber auch Potenzial für Interessenskonflikte, wenn die Interessen des Ecosystems und des Mutterhauses nicht identisch sind. In einem solchen Fall bietet ein Spin-off bzw. ein Joint Venture Abhilfe. Auf Basis der Ergebnisse können die Orientierungshypothesen bestätigt werden. In den betrachteten Fällen kommt der Koordination mittels Vertrauens eine zentrale
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3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
Bedeutung zu. Es ist davon auszugehen, dass aufgrund der Technologie und Umweltveränderungen, eine vertrauensbasierte Integration häufiger anzutreffen ist als eine formale Integration mittels transaktionaler Verträge. Dementsprechend gilt es, die nachfolgenden Gestaltungshinweise darauf auszurichten, die Vertrauensbildung zu systematisieren.
3.2.2.3 Gestaltungshinweise zur Integration mittels Orchestrator Relationship Management Die Fallstudien zeigen, dass die Anwendung von klassischen Verträgen nur bedingt zur Integration der Akteure geeignet ist. Malhotra und Lumineau (2011) führen drei Gründe auf, die dazu führen, dass Akteure auf formale Verträge verzichten: (1) Die Reduktion der Kosten für die Entwicklung, Überwachung und Durchsetzung von Verträgen, (2) der Einfluss von neuer (noch unbekannter) Information auf die Interessen, Bedürfnisse und Fähigkeiten der Akteure und (3) die Entwicklung und Förderung von gegenseitigem Vertrauen und kooperativem Verhalten. Alle drei Aspekte treffen auf die betrachteten Fälle zu. Stattdessen wird Vertrauen eingesetzt. Vertrauen ermöglicht es, mit Unsicherheit und Komplexität umzugehen (Bachmann, 2001) und ist fundamental für die Zusammenarbeit: „[…] trust is pivotal to collaboration. Attitudes of mistrust and suspicion are a primary barrier to co-operation between organizations and professional boundaries: collaborative behaviour is hardly conceivable where trusting attitudes are absent“ (Webb, 1991, S. 237). Dennoch stellt die Integration mittels Vertrauens zunächst ein fragiles Gleichgewicht dar, das auch auf einer niedrigen Einschätzung bzw. bewussten Inkaufnahme des Opportunismusrisikos basiert. Der Aufbau von Vertrauen ist ein langfristiger Prozess, entlang dessen die Akteure Risiken hinsichtlich des Verhaltens der anderen Akteure eingehen und ein bestimmtes Ergebnis bzw. positives Verhalten erwarten. Tritt dieses Verhalten ein, wird das Vertrauen gestärkt: „Each time partners act together, they take a risk and form expectations about the intended outcome and the way others will contribute to achieving it. Each time an outcome meets expectations, trusting attitudes are reinforced. The outcome becomes part of the history of the relationship, so increasing the chance that partners will have positive expectations about joint actions in the future“ (Huxham und Vangen, 2005, S. 139). Der Aufbau von stabilen, langfristigen Beziehungen zwischen den zentralen Akteuren ist somit Grundlage für eine transaktionskostenminimierende Koordination mittels Vertrauens. Hierzu bietet sich die Etablierung eines systematischen und professionellen Relationship Managements an. Dieses Orchestrator Relationship Management wird wie folgt definiert (in Anlehnung an Bruhn (2015)):
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
121
Das Orchestrator Relationship Management umfasst sämtliche Maßnahmen der Analyse, Planung, Durchführung und Kontrolle, die der Initiierung, Stabilisierung, Intensivierung und Wiederaufnahme sowie gegebenenfalls der Beendigung von Beziehungen der Orchestratoren untereinander und zu den zentralen Akteuren des Ecosystems mit dem Ziel des gegenseitigen Nutzens dienen. Im Fokus steht dabei der Aufbau von Vertrauen als Koordinationsmechanismus. Folgende Instrumente und Maßnahmen eignen sich auf Basis der vorliegenden Erkenntnisse für das Orchestrator Relationship Management: (1) (2) (3) (4) (5)
Einsatz von „boundary spanning“ Personen und Teams Austausch von Wissen und Information Aufbau einer gemeinsamen Ecosystemidentität Einsatz von Regeln der Zusammenarbeit (Relational Contracting) Integration von multiplen Identitäten und Geschäftsmodellen
(1) Einsatz von „boundary spanning“ Personen und Teams In Ecosystems findet eine Koordination durch horizontale Integrationseinheiten statt. In diesen stehen die Akteure bzw. die sie vertretenden Individuen nicht in einem vertikalen Hierarchieverhältnis. Die Koordination ist nicht durch Weisungsbefugnisse geprägt, sondern durch Abstimmung und Konsensfindung (Winkler, 1999, S. 204). Dadurch wird eine akteursübergreifende Zusammenarbeit unter Gleichberechtigung angestrebt. In diesem Kontext wird auch von „boundary spanning roles“ (grenzübergreifende Rollen) gesprochen (Aldrich und Herkner, 1977; Sydow, 1992). Boundary Spanner sind Personen und Teams, die an den Grenzen zwischen Akteuren eine Schnittstellenfunktion bzw. eine Rolle als „Brückenbauer“ wahrnehmen; gemeint sind die Unternehmensgrenzen zwischen den Akteuren (Picot et al., 2001, S. 470). Diese Personen und Teams nehmen verschiedene Aufgaben wahr. Ihre Kernaufgabe ist es, „[…] to functionally relate the organization to its environment“ (Adams, 1980, S. 328). Dazu strukturieren und planen sie zunächst die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren, in dem sie klären, wie zusammengearbeitet wird, wer die Stakeholder der beteiligten Organisationen sind und was letztlich gemeinsam entwickelt und vermarktet wird. Sie übernehmen Projektaufgaben, wie Projektmanagement, -kommunikation und -controlling. Weiter stellen sie den Informationsfluss und Wissensaustausch zwischen den Akteuren sicher. Durch
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3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
die Kenntnis sowohl der internen Informationsbedürfnisse als auch der externen Informationsquellen, fungieren sie als Informationsdrehscheibe und können fehlende Schnittstellen zwischen Abteilungen kompensieren. Sie übernehmen zudem Verantwortung für die funktionierende Zusammenarbeit und Koordination der Akteure, in dem sie Konflikte antizipieren bzw. lösen und sicherstellen, dass – wo notwendig – Verträge ausgehandelt und durchgesetzt werden (Winkler, 1999, S. 204 f.). Mit diesen Aufgaben betraut, verfügen sie über maßgeblichen Einfluss auf die Koordination der Akteure: „Sie können erstens den Zugang zu Unternehmungen mehr oder weniger kontrollieren, zweitens als kompetente „broker“ Ressourcen – etwa Informationsflüsse – zwischen den Netzwerkunternehmungen sichern und drittens, im Falle von Unternehmungsnetzwerken, die Formation anderer direkter Verbindungen zwischen den Netzwerkunternehmungen behindern oder (nur selektiv) befördern“ (Windeler, 2001, S. 197). Aufgrund dieses Aufgabenspektrums und des daraus entstehenden Einflusses, stellt sich die Frage nach der Beschaffenheit und Zusammensetzung dieser Einheiten. Zur Erfüllung der Aufgaben eignen sich „cross-functional“ und „self-directed“ Teams (Picot et al., 2001, S. 458). Insbesondere während frühen Entwicklungsphasen von Ecosystems eignen sich cross-functional Teams, wie sie beispielsweise bei Service- oder Produktentwicklungen zum Einsatz kommen. Sie bestehen aus Mitarbeitern aus unterschiedlichen Abteilungen und Fachgebieten. Self-directed Teams sind Teams die „[…] für einen kompletten Geschäftsprozess verantwortlich sind, der ein Produkt bzw. eine Dienstleistung an einen unternehmensinternen bzw. unternehmensexternen Kunden liefert. Die Teammitglieder verbessern ihre Arbeitsprozesse kontinuierlich, lösen auftretende Probleme selbständig und planen bzw. kontrollieren ihre Arbeit“ (Picot et al., 2001, S. 458). Solange die gemeinsamen Leistungen nicht die Kernwertschöpfung der Akteure ausmachen, eignen sich solche Teams, um die Entwicklung der Value Proposition im Ecosystem voranzutreiben. Hinsichtlich der Teammitglieder werden in der Literatur zahlreiche Charaktereigenschaften bzw. Persönlichkeitsmerkmale aufgeführt und diskutiert, wie beispielsweise Zuverlässigkeit, Toleranz, diplomatisches Geschick, Ehrlichkeit, Einfühlungsvermögen usw. Demgegenüber stehen Erkenntnisse, dass Eigenschaftstheorien sich nur geringfügig zur Vorhersage tatsächlichen Verhaltens eignen. Die Relevanz von Persönlichkeitsattributen im Kontext von Boundary Spanners und die Frage, ob solche Personen „so geboren oder gezielt gezüchtet“ werden, bleibt daher Gegenstand von wissenschaftlichen Diskussionen (Williams, 2002, S. 112). Um die Handlungsfähigkeit zu gewährleisten, sind diese Teams und Personen mit Entscheidungs- und Handlungskompetenzen auszustatten. Die Fallstudien
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
123
zeigen, dass die Unterstützung durch das Top-Management wichtig für den Zugang zu Ressourcen und die Motivation der Teammitglieder ist. Der Aufbau und die Zusammensetzung von funktionierenden Teams stellt bereits innerhalb von Unternehmensgrenzen eine Herausforderung dar. Dementsprechend ist den erläuterten Aspekten in einem unternehmensübergreifenden Kontext besondere Aufmerksamkeit zu schenken. (2) Austausch von Wissen und Information Der Austausch von Wissen ist ein zentraler Erfolgsfaktor unternehmensübergreifender Kollaboration. Sogenannte Knowledge-Sharing-Routinen (Wissen gegen Wissen) tragen zudem dazu bei, eine gemeinsame Vertrauensbasis im zu etablieren (Dyer und Singh, 1998). Wie in Kapitel 2 beschrieben, ist der Aufbau von Systemwissen eine wichtige Aufgabe der zentralen Akteure. Sie müssen mehr wissen, als das, was sie innerhalb ihres eigenen Bereichs tun (Brusoni et al., 2001). Nur so können sie das System orchestrieren und das Zusammenspiel der einzelnen Akteure zu Gunsten des gesamten Ecosystem steuern. Dieses Wissen über die Architektur, die vielfältigen Wechselwirkungen und die externen Einflussfaktoren des Ecosystems gilt es gemeinsam aufzubauen. Hierzu bieten sich Methoden zum Mapping und zur Simulation des Systems an. So kann beispielsweise ein akteursübergreifender Service Blueprint (Fließ und Kleinaltenkamp, 2004) ein gemeinsames Verständnis über die Prozesse schaffen. Die Wechselwirkungen im System können zur Prognose oder zur Bewertung von Szenarien mit Methoden wie System Dynamics simuliert werden (vgl. z. B. Moll (2019)). Weiter tauschen die Akteure Information durch das Teilen von Daten aus. Durch den Austausch von Daten mittels digitaler Technologien werden eine einfache, schnelle und zuverlässige Erhebung, Analyse und Übertragung von Informationen zwischen den Akteuren ermöglicht (Winkler, 1999, S. 214). Dies stellt eine Grundlage für die Verknüpfung der Plattform und der digitalen Services der Akteure dar. Zudem erhöht die Verfügbarkeit von Daten die Transparenz über die Prozesse im Ecosystem. Grundlage dafür ist die Standardisierung von Daten und Schnittstellen (Picot und Baumann, 2007). Damit Daten über elektronische Schnittstellen – sogenannte Electronic Data Interfaces (EDI) – ausgetauscht werden können, müssen sie zunächst nach einem gemeinsamen Standard strukturiert werden. Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass Datensilos nach wie vor die größte Barriere bei der Implementierung von datenbasierten Strategien oder Konzepten ist: „The biggest obstacle to using advanced data analysis isn’t skill base or technology; it’s plain old access to the data“ (Wilder-James, 2016).
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In den Fallstudien zeigt sich, dass es wichtig ist, sich gegenseitig das eigene Geschäftsmodell, die damit verbundenen Motive und die resultierenden Grenzen aufzuzeigen. Demnach ist Transparenz hinsichtlich der Motive und Bedürfnisse der Akteure essenziell für die Zusammenarbeit und die Entwicklung des Ecosystems (Taillard et al., 2016). Auch auf individueller Ebene ist ein entsprechendes Verhalten zielführend: Es liegt an den Team-Mitgliedern ihre eigene Einbettung in ihrer Organisation den anderen verständlich zu machen und Anreizstrukturen, die für die Zusammenarbeit wichtig sind, genauso zu erläutern wie interne Hürden, die zu überwinden sind. Informationsaustausch ist nicht nur ein Instrument zur Gewährleistung einer effizienten Zusammenarbeit und Orchestrierung des Ecosystems, sondern auch zur aktiven Vertrauensbildung mittels Signaling. Signaling befasst sich mit Maßnahmen zur Reduktion von Informationsasymmetrien zwischen Akteuren (Spence, 2002). So weiß ein Akteur zunächst nicht über die tatsächlichen Motive eines anderen Akteurs Bescheid, woraus ein Opportunismusrisiko entsteht. Die bewusste Preisgabe von Wissen und Information stellt in dieser Situation ein wichtiges Instrument zur Signalisierung der Bereitschaft zur Kooperation und zur Investition in die Beziehung dar. Dies betrifft sowohl die Ebene der Organisation als auch der Einzelpersonen. Gibt ein Unternehmen sensible Daten preis, ist dies ein klares Signal gegenüber einem anderen Unternehmen. Auf individueller Ebene können die Teammitglieder Informationen teilen und Verhaltensmuster annehmen, die den anderen kooperatives Verhalten signalisieren. Dies lässt sich auch aus einer sozialpsychologischen Perspektive begründen: Der Prozess der Selbstöffnung (Self-Disclosure) (Forgas, 2011) durch die Beziehungspartner fördert die Nähe der Beziehung und trägt so zu deren langfristiger Stabilität bei. (3) Aufbau einer gemeinsamen Ecosystemidentität In den Fallstudien konnte beobachtet werden, dass sich durch die Schaffung von dezidierten Teams und den Aufbau von Vertrauen zwischen den beteiligten Personen eine gemeinsame Ecosystemidentität herausbildet. Diese ermöglicht die Identifikation mit dem Ecosystem und existiert parallel zur Identifikation mit dem eigenen Unternehmen. Sie fördert kollaboratives Verhalten und hat einen positiven Einfluss auf die Motivation und Leistungsbereitschaft der Teams. Die Identität eines Unternehmens, einer Marke oder eines Systems beschreibt, wofür diese/s steht und ist die Grundlage für Identifikation (Whetten, 2006). Identifizieren sich die Akteure und Teams mit einer gemeinsamen Sache, unterstützt dies den Aufbau von Vertrauen und fördert den Informationsaustausch (Flanagin et al., 2014). Basis dafür ist ein gemeinsames Zielbild im Sinne einer geteilten Vision. Die Entwicklung dieses Zielbilds trägt maßgeblich zur Co-Creation in Ecosystems bei
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
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(Pera et al., 2016; Taillard et al., 2016). Gemeinsame Ansichten und Zukunftsbilder haben einen starken Einfluss auf strategische Entscheidungen und Maßnahmen (Lusch und Nambisan, 2015, S. 165). Das gemeinsame Zielbild führt zu einer übereinstimmenden Wahrnehmung von Zukunftsszenarien. Daraus resultiert ein Einverständnis hinsichtlich der Chancen und Risiken und dadurch letztlich zu einer kompatiblen Einschätzung des Werts verschiedener Fähigkeiten, Ressourcen und Strategien (Weiblen, 2014, S. 127). Sie eröffnen damit gemeinsame Wahrnehmungsund Entscheidungshorizonte und legitimieren Managemententscheidungen (Heidenreich und Töpsch, 1998). Dadurch wird der Austausch von Ressourcen und Informationen zwischen den Akteuren angeregt. Insgesamt führt es zu einer Reduktion von Transaktionskosten. Zur Formulierung eines solchen Zielbilds eignen sich bewährte Mittel aus Change- bzw. Transformationsprozessen wie Metaphern und Geschichten (Heidenreich und Töpsch, 1998). Bei Microsoft beispielsweise beschäftigt sich das zentrale Zukunftsbild rund um das Ecosystem der Office 365Cloud mit dem Thema „The Future of Work“. Damit setzt der Anbieter seine und die Lösungen der komplementären Akteure in einen konkreten Kontext: „Eine neue Arbeitskultur muss her. Eine Kultur mit offenen, kollaborativen Umfeldern, die Beschäftigten die Möglichkeit geben, praktisch überall und jederzeit zu arbeiten. Eine Kultur, in der Routineabläufe durch kreatives Denken und Agilität ersetzt werden. Eine Kultur, in der dynamische Teamarbeit und datengestützte Problemlösung belohnt werden und an die Stelle von Befehlen und Kontrolle treten. […] Zur Schaffung einer solchen Arbeitskultur in Ihrem Unternehmen ist eine Kombination aus kulturellen Veränderungen, geeigneter Technologie und durchdachter Arbeitsplatzgestaltung erforderlich“ (Microsoft, 2018c, S. 1). Zu diesem Zielbild werden vielfältige Technologien diskutiert, Veranstaltungen ausgerichtet und Geschichten erzählt. IBM teilt unter dem Überbegriff „5-in-5“ regelmäßig seine Visionen zu fünf Schlüsseltechnologien, die in den jeweils folgenden fünf Jahren unser Leben verändern werden (IBM Research, 2019). Dies mit einem Fokus auf eine Branche und das jeweilige Ecosystem. So wird beispielsweise aktuell aufgezeigt, wie Technologie unsere komplexe Nahrungskette im Kontext von Bevölkerungswachstum, Klimawandel und begrenzten Wasserreserven transformieren kann. Die beiden Beispiele veranschaulichen, wie zwei Zielbilder für alle beteiligten Akteure klar unterschiedliche Perspektiven auf die gleichen Technologien vorgeben können. Eine weitere Basis für die gemeinsame Identität sind geteilte Werten und Normen (Aal et al., 2016). Eine solche „kulturelle Integration“ trägt ebenfalls zu einem Gefühl der Zusammengehörigkeit bei und stützt so das kooperative Verhalten (Bijlsma-Frankema, 2001). Schein (2017) definiert die Kultur als: „[…] the accumulated shared learning of that group as it solves its problems of external adaptation and internal integration; which has worked well enough to be considered valid and,
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Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
therefore, to be taught to new members as the correct way to perceive, think, feel, and behave in relation to those problems. This accumulated learning is a pattern or system of beliefs, values, and behavioral norms that come to be taken for granted as basic assumptions and eventually drop out of awareness“ (S. 21). Das heißt die Kultur stellt im Grunde gemeinsame, bzw. gemeinsam erlernte Problemlösungsstrategien auf Basis gemeinsamer Grundansichten dar. Sie hat somit einen direkten Einfluss auf die Koordination der Akteure. Gelingt bewusst oder unbewusst die Herausbildung einer gemeinsamen Identität, stellt sich die Frage nach der Beziehung dieser Identität zur individuellen Identität der einzelnen Akteure. Die Betrachtung multipler organisationale Identitäten findet bisher in der Wissenschaft nur wenig Beachtung (Pratt und Corley, 2015; Pratt und Foreman, 2000). Auf der Ebene des Individuums kann die Konfrontation mit multiplen Identitäten und Geschäftsmodellen zu einer Ambiguität oder zu Konflikten in dessen Rolle führen (Pratt und Corley, 2015). Individuen können sich in ihrer Doppelrolle Situationen gegenübersehen, in denen sie sich zugunsten einer Identität entscheiden müssen, da diese in einem gewissen Widerspruch zueinander stehen. Dies wiederum kann zu Stress, Unsicherheit, Unzufriedenheit mit dem Job bis hin zu Ängsten und hoher psychischer Belastung führen (Rizzo et al., 1970). Dem Management multipler Konzepte der Selbstwahrnehmung einer Organisation gilt es daher im Kontext von Ecosystems besondere Aufmerksamkeit zu schenken. (4) Regeln der Zusammenarbeit und Einsatz von Relational Contracts Der langfristige Aufbau von Vertrauen basiert auf der Einhaltung gewisser Erwartungen und Normen durch die Akteure. Daraus ergeben sich implizite Verhaltensregeln wie beispielsweise Offenheit (Austausch von Informationen), Toleranz (Akzeptanz der Ansichten und Bedürfnisse anderer Akteure), Ehrlichkeit (keine bewusste Irreführung) oder Reziprozität (Leistung und Gegenleistung) (Loose und Sydow, 1994, S. 177). Solche Verhaltensregeln bestehen implizit und informell in Form von Relational Contracts (Baker et al., 2002). Gemäß der Theorie der Relational Contracts sind Beziehungen zwischen den Akteuren durch eine Reihe an Klauseln bestimmt, die wiederum auf inneren Werten und sozialem Kontext basieren (Ambrozini und Martinelli, 2017). Sie helfen, die Schwierigkeiten herkömmlicher Verträge zu umgehen: „[…] help circumvent difficulties in formal contracting (i.e., contracting enforced by a third party, such as a court). For example, a formal contract must be specified ex ante in terms that can be verified ex post by the third party, whereas a relational contract can be based on outcomes that are observed by only the contracting parties ex post, and also on outcomes that are prohibitively costly to specify ex ante“
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
127
(Baker et al., 2002, S. 40). In diesem Sinne sind Relational Contracts als Ergänzung zu formalen transaktionalen Verträgen zu betrachten. Bei geringer Eignung transaktionaler Verträge und im Kontext langfristiger, komplexer Beziehungen zwischen Unternehmen schlagen Frydlinger et al. (2019) eine neue Herangehensweise vor: Den Einsatz von formalen Relational Contracts. Diese stellen schriftliche, formale Verträge dar, die rechtlich durchsetzbar sind. Sie enthalten jedoch beziehungsorientierte anstatt transaktionaler Klauseln und Elemente. Beispiele hierfür sind das gemeinsame Zielbild, Verhaltensregeln und Kontrollstrukturen. Die Autoren führen sechs zentrale Prinzipien als Verhaltensregeln, als Basis für die Zusammenarbeit und als Orientierungsgrößen bei Konflikten auf: • • • •
Reziprozität: Ausgeglichenes Verhalten zum gegenseitigen Vorteil Autonomie: Beibehaltung der Selbstbestimmung der Akteure Ehrlichkeit: Offenlegen und Korrektheit von relevanten Informationen Loyalität: Vertreten der gemeinsamen Interessen, auch wenn dies situativ nicht opportun ist • Fairness: Angemessenheit unter Anerkennung von Ungleichheit. Das heißt beispielsweise, dass ein Akteur mit beschränkten Ressourcen nicht zwangsweise den gleichen Beitrag zu leisten hat • Integrität: Übereinstimmung von Verhaltenswerten und eigentlichem Verhalten Solche Prinzipien mögen im Vergleich zu transaktionalen Klauseln unspezifisch erscheinen. Dennoch zwingt eine Formalisierung dieser Prinzipien in einem Vertrag die Gerichte in einem Rechtsstreit dazu, diese auch auszulegen (Frydlinger et al., 2019). Darüber hinaus ist von einem stärkeren Effekt von expliziten Regeln auf die Akteure auszugehen, da diese kognitiv und emotional präsenter sind. Die bisher vor allem im Kontext von vertikalen Lieferanten-Kunden-Beziehungen diskutierten formalen Relational Contracts eignen sich daher auch für Ecosystems. (5) Integration von multiplen Identitäten und Geschäftsmodellen Zuletzt ist im Rahmen des Relationship Managements zu beachten, dass sich Geschäftsmodell und Identität im Ecosystem maßgeblich von der herkömmlichen, unternehmenszentrierten Identität und dem historischen Geschäftsmodell der einzelnen Akteure unterscheiden können. In Anlehnung an Pratt und Foreman (2000) lassen sich vier Situationen im Umgang mit Identitäten der Akteure im Ecosystem ableiten. Dies auf Basis der angestrebten Pluralität (eine oder mehrere Geschäftsmodelle und Identitäten) und der Synergie (wie kompatibel sind die Identitäten und Geschäftsmodelle?). Abbildung 3.9 veranschaulicht die vier Situationen und die entsprechende Strategie.
128
3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
Abbildung 3.9 Klassifikation multipler Geschäftsmodelle und Identitäten in Ecosystems. (Quelle: In Anlehnung an Pratt und Foreman (2000, S. 27))
Kurzfristig ist nicht davon auszugehen, dass sich die beteiligten Akteure von ihrer bisherigen Identität und Geschäftsmodellen trennen. Vielmehr verfügen einzelne Akteure selbst bereits über multiple Geschäftsmodelle und Identitäten, beispielsweise im Kontext der Transformation vom Produkt- zum Serviceanbieter (vgl. hierzu Bruhn et al. (2015a)). Demnach sind zunächst vor allem die Abgrenzung und Verknüpfung relevant (Pratt und Foreman, 2000): • Sollen mehrere Identitäten beibehalten werden und ist deren Synergie gering, empfiehlt sich eine Abgrenzung. Diese kann auf unterschiedliche Weise geschehen, z. B. symbolisch (kommunikativ, eigenes Branding) oder räumlich (eigene Räumlichkeiten oder eigener Standort für die Teams). In der Praxis zeigt sich dieses Verhalten häufig bei Innovationsteams bzw. unternehmensinternen Inkubatoren für neue Geschäftsmodelle. Organisatorisch stellt die Einheit ein Spin-off dar und kann rechtlich in ein Joint Venture überführt werden. Durch diese
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
129
Maßnahmen werden klare Grenzen gezogen und möglichen Konflikten oder Ambiguitäten vorgebeugt. • Existiert jedoch im Falle von mehreren Identitäten und Geschäftsmodellen ein hohes Synergiepotenzial, empfiehlt sich eine Verknüpfung. Dabei bleiben die Identitäten und Geschäftsmodelle bestehen und werden nicht voneinander abgegrenzt, sondern stärker zusammengeführt. Es werden Verbindungen und Gemeinsamkeiten aktiv offengelegt und neue geschaffen, ohne dass dabei eine Verschmelzung stattfindet. Eine klare Ordnung darüber, wie die einzelnen Elemente zueinander in Beziehung stehen – beispielsweise hierarchisch oder sequenziell – hilft dabei, die Synergien zu erkennen und zu nutzen. Nach Voranschreiten der Veränderungen im Ecosystem kann sich die Situation ergeben, dass die historischen individuellen Identitäten und Geschäftsmodelle an Relevanz verlieren. In diesem Falle kann eine Verschmelzung oder Reduktion angestrebt werden: • Eine Verschmelzung empfiehlt sich, wenn die individuellen Geschäftsmodelle und Identitäten zugunsten einer gemeinsamen aufgegeben werden sollen und die Synergiepotenziale hoch sind. Sie werden in etwas Gemeinsames, Neues überführt. • Demgegenüber ist bei einem niedrigen Synergiepotenzial eine Reduktion angezeigt. Bei einer Reduktion wird eine bewusste Entscheidung zugunsten einer Identität bzw. eines Geschäftsmodells getätigt und auf diese fokussiert.
3.2.2.4 Zusammenfassung der Erkenntnisse zum zweiten Entscheidungstatbestand Die Ergebnisse aus den Fallstudien bestätigen, dass klassische transaktionale Verträge nicht zur Integration geeignet sind. Im Kern steht der Aufbau von Vertrauen zwischen den Akteuren, Teams und Individuen. Dabei gilt es eine Ecosystemidentität aufzubauen und in Beziehung zur Identität der Akteure zu setzen. Abbildung 3.10 fasst die Ergebnisse, die verfeinerten Orientierungshypothesen und die Gestaltungshinweise zum zweiten Entscheidungstatbestand zusammen.
130
3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
ETB 2: Integration der zentralen Akteure Ergebnisse
(1)
Geringe Eignung klassischer transaktionaler Verträge in dynamischen Ecosystems.
(2)
Stattdessen wird Vertrauen eingesetzt. Hinzu kommen allgemeine Verträge, die die Zusammenarbeit regeln.
(3)
Dies wird begünstigt durch den Einsatz dezidierter Teams, was zu Vertrauen
(4)
Dabei können sich Widersprüche zum Kern (Geschäftsmodell und Identität)
auf persönlicher Ebene und zur Herausbildung einer Ecosystemidentität führt.
bilden und die Entwicklung behindern. Verfeinerte
ETB 2 – OH 1: Aufgrund hoher strategischer Bedeutung, hoher Spezifität und
Orientierungs
hoher Unsicherheit ist der Integrationsgrad der zentralen Akteure hoch und ihre
hypothesen
Struktur eher integral. Aufgrund mangelnder Internalisierbarkeit wird eine hybride Form angestrebt. ETB 2 – OH 2: Die Integration kann mittels formeller Verträge umgesetzt werden. Verhindern jedoch die hohe Unsicherheit bzw. Komplexität die formelle Integration, werden Vertrauen und vertrauensfördernde Maßnahmen zur Kompensation eingesetzt.
Gestaltungshi
Zur Systematisierung des Aufbaus vertrauensbasierter Beziehungen empfiehlt sich
nweise
die Koordination mittels Orchestrator Relationship Management (ORM): (1)
Einsatz von „boundary spanning“ Personen und Teams
(2)
Austausch von Wissen und Information
(3)
Aufbau einer gemeinsamen Ecosystemidentität
(4)
Einsatz von Regeln der Zusammenarbeit (Relational Contracting)
(5)
Integration von multiplen Identitäten und Geschäftsmodellen
Abbildung 3.10 Zusammenfassung ETB 2: Integration der zentralen Akteure
3.2.3
ETB 3: Festlegung der Offenheit gegenüber peripheren Akteuren
3.2.3.1 Ergebnisse Hinsichtlich der Offenheit gegenüber peripheren Akteuren ergeben sich die nachfolgenden Erkenntnisse:
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
131
(1) Beschränkte Offenheit hinsichtlich komplementärer (digitaler) Services Um Ecosystems aufzubauen, setzen Orchestratoren und Plattformbetreiber modulare Konzepte und Technologien ein. Dadurch kann das Ecosystem geöffnet werden und Teile der Wertschöpfung in kompetitive Märkte zwischen peripheren Akteuren überführt werden (Parker et al., 2016, S. 6). Die auf Microsoft Azure aufgebaute Experience Platform von Adobe stellt das Denken als datengetriebene Serviceplattform in den Vordergrund: „[…] Adobe Experience platform where you can build your service, instead of here is an analytics product. It’s built completely on Azure, it’s open and extensible“. Sie fügt eine Ebene zu den bestehenden Softwareprodukten hinzu und ermöglicht es, Daten aus diesen zu aggregieren. Diese Daten wiederum können Input für Applikationen und Services sein, unabhängig von welchem Anbieter. Hinzu kommt, dass die Plattform an sich durch Applikationen und Services anderer Anbieter erweiterbar ist. Ein weltweites Netzwerk aus großen und kleinen Implementierungspartnern übernimmt die Implementierung und begleitende Services wie Schulungen und Support. Im Kern stehen jedoch langfristig intelligente, datengetrieben Services, die durch die Plattform ermöglicht werden. Auch die Smart City Initiative sieht vor, als Plattform für eine Vielzahl an Services zu agieren: „Es gibt viele Einzelservices die jeder als App auf seinem Phone hat. Aber die Verknüpfung fehlt“. Über eine integrierte Plattform könnten in Zukunft auch von Drittanbietern wie Fahrdiensten (z. B. Uber), Reinigungsservices u. a. m. angeboten werden. Dabei ist in beiden Fällen eine Beschränkung der Offenheit zu beobachten. Das heißt, die Orchestratoren behalten sich vor, Eintrittsbarrieren zur Partizipation aufzubauen bzw. periphere Akteure nur selektiv einzubinden. Sie setzen demnach eine „Walled Garden“-Strategie hinsichtlich ihrer Serviceplattform um. Diese Beschränkung stellt die Interessen der Orchestratoren sicher. Dabei ergibt sich ein breites Spektrum an Ausgestaltungsmöglichkeiten und Ausprägungsgraden der Beschränkung. Der schrittweise Übergang von einem geschlossenen zu einem beschränkten Ecosystem ermöglicht in frühen Phasen auf die Interaktion und Integration der zentralen Akteure zu fokussieren: „Man würde die Organisation überfordern, wenn man gleich alle reinnimmt“. Eine Beschränkung der Offenheit kann auch im Interesse der der Kunden sein. Die Beschränkung stellt eine Form des Kuratierens von Services dar, die Vorteile für die Kunden mit sich bringt. Die Orchestratoren stellen Qualitäts- und andere Standards sicher und prüfen, ob der Service bzw. die Softwareapplikation genügend ausgereift ist. Darüber hinaus können sie auch eine Vorauswahl treffen und so dem Kunden die Auswahl und den Bezug von Services vereinfachen. Dadurch ist der Kunde nicht mit einer großen Auswahl an Anbietern konfrontiert, deren Eignung er teilweise selbst gar nicht einschätzen kann und deren Anzahl zu groß ist, um eine
132
3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
effiziente Wahl zu treffen: „Die Plattform kann in Zukunft auch ganz offen sein. Es wird jedoch auch schwierig für den Kunden, wenn man siebenmal den gleichen Service hat“. Aus Sicht der peripheren Akteure, die potenziell am Ecosystem partizipieren, kann eine Beschränkung ebenfalls Vorteile bieten. Sie kann den Wettbewerb zwischen diesen Anbietern verringern oder sogar weitgehend unterbinden, sodass ihren spezifischen Investitionen klarer kalkulierbare Erlöse gegenüberstehen: „Stattdessen eher einen onboarden, dann ist auch der Business Case grösser für den jeweiligen Akteur“. Demgegenüber ergeben sich durch die Beschränkung erhöhte Opportunismusrisiken für die Kunden und die peripheren Akteure. Beschränkte Systeme bringen eine höhere Kontrolle der Orchestratoren mit sich. Ist die Marktmacht genügend groß oder die Wechselbarrieren für Kunden und periphere Akteure genügend hoch (z. B. aufgrund spezifischer Investitionen zur Nutzung der Services oder Partizipation am Ecosystem), können die Orchestratoren dies nutzen, um höhere Erlöse zu generieren. In diesem Kontext geraten die Preisstrategien dominanter Akteure wie Apple zunehmend in Kritik. Apple fordert beispielsweise 30 % jeglicher Transaktionen die mit Apps, die über den Appstore vertrieben wurden, generiert werden (t3n, 2019). Dies schließt nicht nur den einmaligen Kauf einer App mit ein, sondern insbesondere auch fortlaufende Serviceleistungen. Neben dem Preis kann aber auch der Zugang an sich als Machtinstrument im Wettbewerb genutzt werden. So nutzte Apple 2009 die Möglichkeit, im eigenen Appstore gewisse Applikationen des Konkurrenten Google aus dem Angebot zurückzuziehen. Es handelte sich dabei um kostenlose SMS- und Telefonieapplikationen, die gemäß Branchenmedien auf direkte Intervention des amerikanischen Telekommunikationsanbieters AT&T zurückgezogen wurden (Kincaid, 2009). (2) Hohe Komplexität und hoher Koordinationsaufwand bei beschränkter Offenheit Die Öffnung des Ecosystems und die damit verbundene Einbindung peripherer Akteure hat zunächst eine Steigerung der Komplexität für die Orchestratoren zur Folge: „Wir wollten unglaublich viele einspannen. Partnerprogramm, Gold, Silber, Bronze. Aber die Komplexität wird einfach zu groß“. Komplementäre Serviceanbieter gilt es einzubinden und zu managen. Die Qualität sowie die Interoperabilität müssen gewährleistet werden und potenzielle Interessenkonflikte (vgl. nachfolgenden Abschnitt zu Datenhandhabung) müssen geklärt werden. Gerade während die zentralen Akteure noch stark mit ihrer eigenen Wertschöpfung und Integration beschäftigt sind, kann daher eine Fokussierung auf den Kern des Ecosystems und die Koordination der zentralen Akteure Sinn machen:
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
133
„Zuerst das MVP ins Ziel bringen. Die Komplexität war schon da zu hoch, dass wir nicht weitere Partner wollten“. Ebenso kann ein schrittweises Öffnen verfolgt werden. Zunächst werden periphere Akteure individuell und selektiv eingebunden. Dies ähnelt dem nicht standardisierten bzw. nicht modularisierten Vorgehen zur Integration zentraler Akteure, ohne dass diese peripheren Akteure jedoch an den zentralen Interaktionen beteiligt würden: „Neue kleinere Akteure, beispielsweise aus den Bereichen Energie oder Bikesharing, wären bei der Einbindung nur betreffend ihrer eigenen Einbindung mit den Orchestratoren in Kontakt gekommen“. Die beschränkte Öffnung und der kontrollierte Prozess der Einbindung kann so auch nach und nach skaliert und standardisiert werden (vgl. hierzu Erkenntnisse und Gestaltungshinweise zu ETB 4). (3) Datenhandhabung, -besitz und -kompetenz als wesentliche Komplexitätstreiber Ein wesentlicher Bestandteil der Komplexität bei der Einbindung von komplementären digitalen Services ist der Umgang mit Daten. Die Data Governance bei Plattformen und Ecosystems ist ein zentraler Aspekt bei der Gestaltung dieser und wirft zunehmend kritische Fragen für Wissenschaft und Praxis auf (Lee et al., 2018). Die Sensibilisierung der Kunden und der Öffentlichkeit hinsichtlich des Datenschutzes führt zu Herausforderungen. In der Öffentlichkeit werden Sorgen um den Umgang von Unternehmen mit Nutzerdaten zunehmend kritisch diskutiert. Probleme hinsichtlich Privatsphäre, Verfolgung von Nutzeraktivitäten und Sicherheit potenzieren sich in Ecosystems, in denen Daten verschiedener Services aggregiert oder verknüpft werden. In diesem Zusammenhang ist die Einhaltung von datenrechtlichen Bestimmungen, wie bspw. der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) der EU, von Bedeutung. Dies wird zunehmend komplexer, insbesondere wenn Kundendaten für den Serviceaustausch zwischen Akteuren transferiert werden. Die Prüfung und Einhaltung der Richtlinien erfordert es von den Akteuren, das Ecosystem entsprechend aufzusetzen. Darüber hinaus bestehen Interessenskonflikte zwischen den Akteuren hinsichtlich der Daten. Wer erhält und nutzt welche Daten? Wenn beispielsweise ein Fahrdienst als komplementärer Akteur Services über die Smart City Plattform anbietet, könnte der Prozess über die Plattform ablaufen, ohne dass der Fahrdienst dafür die Nutzerdaten erhält. Wenn der Kunde dann nur noch die Smart City App nutzt, hat der Fahrdienst keine Nutzerdaten mehr. Der Fahrdienstanbieter selber ist jedoch womöglich für sein Geschäftsmodell an diesen Daten interessiert, wodurch ein Interessenskonflikt entstehen kann.
134
3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
Auch Interessenskonflikte mit den Kunden bzw. Nutzern können sich ergeben. Insbesondere die Angst vor einem Lock-in ist aus Kundensicht ein relevantes Entscheidungskriterium. Orchestratoren können die Datenhoheit dazu verwenden, in einem geschlossenen Ecosystem hohe Wechselbarrieren zu errichten. In diesem Kontext werden vermehrt Forderungen zur Portabilität von Daten laut: „Solutions being suggested include requirements for social network and data portability similar to the requirements for phone number portability that telecommunications regulators instituted to increase competition among phone service providers“ (Iansiti und Lakhani, 2017). Auch die DSGVO beinhaltet eine entsprechende Regelung (vgl. DSGVO, 2016, Art. 20). Es handelt sich hierbei um strategische Entscheide mit weitreichenden Folgen. Im Falle der Open Data Initiative gehören die Daten dem Kunden, das heißt dem Unternehmen, das die Lösungen einsetzt. Die Verknüpfung dieser Daten über die verschiedenen Systeme und Anbieter hinweg geschieht somit beim Kunden und nicht beim Anbieter. Dies entspricht dem Geschäftsmodell: Die angebotenen datengetriebenen Services im Bereich der künstlichen Intelligenz sehen nicht vor, die Nutzerdaten als Basis für die Services zu verwenden. Stattdessen werden die Services auf die Nutzerdaten des Kunden angewendet. Das heißt der Kunde kann auf Basis seiner Daten KI-Applikationen Entwickeln oder anwenden (Ahuja, 2019). Auch im Smart City Case könnte eine ähnliche Strategie zielführend sein: „Wir könnten kontrollierte Ecosystems entwickeln, bei denen die Datenhoheit bei Stadt oder dem User liegt. Wir sind nicht an den Daten interessiert, nicht wie Google“. Es ist jedoch anzunehmen, dass die Relevanz verknüpfter und teilweise nicht anonymer Daten im Kontext von intelligenten Services zunehmen wird. Wenn beispielsweise im Rahmen des Smart City Projekts Fahrten mit Sharing-Fahrzeugen zugleich dazu genutzt werden sollen, Güter zu transportieren, müssen die Daten darüber wer wann wohin fährt und was wann wohin transportiert werden soll verknüpft und der entsprechende Nutzer identifiziert werden. Der Entscheid auf Daten zu verzichten, kommt daher einem Verzicht auf das Anbieten solcher Services gleich. Der Nutzer wiederum könnte jeweils auch im Einzelfall solchen Nutzungen zustimmen. Die Ausführungen zeigen, dass diese Entscheide weitreichende Konsequenzen auf die Architektur und die Value Proposition des gesamten Ecosystems haben, bzw. daraus abgeleitet werden sollten: „Aufgrund solcher Themen haben wir beschlossen, dass eine B2C Plattform „Phase zwei“ ist. Zuerst Großkunden und Services, die wir bereits selber anbieten können“.
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
135
3.2.3.2 Verfeinerung der Orientierungshypothesen Der Betrachtung des dritten Entscheidungstatbestands, der sich mit der Festlegung der Offenheit gegenüber peripheren Akteuren befasst, wurden folgende Orientierungshypothesen zugrunde gelegt: • ETB 3 – OH 1: Bei hoher strategischer Bedeutung eines Bereichs und spezifischen Investitionen durch die zentralen Akteure ist die Offenheit gering. Umgekehrt sind Bereiche, die nicht die spezifischen Kernkompetenzen der zentralen Akteure betreffen, eher offen. • ETB 3 – OH 2: Wenn die spezifischen Investitionen der zentralen Akteure insgesamt hoch sind, werden auch in Bereichen, die offen für periphere Akteure sind, Beschränkungen eingesetzt, um an der Wertschöpfung dieser Akteure zu partizipieren und die Erlöse zu sichern. Aus den Fallstudien resultieren folgende Erkenntnisse: 1) Beschränkte Offenheit hinsichtlich komplementärer digitaler Services: Um Ecosystems aufzubauen, setzen Orchestratoren und Plattformbetreiber modulare Konzepte und Technologien ein, um als Serviceplattform agieren zu können. Eine beschränkte Offenheit ermöglicht die Partizipation komplementärer peripherer Akteure und stellt die Interessen der Orchestratoren sicher. 2) Hohe Komplexität und Koordinationsaufwand bei beschränkter Offenheit: Analog zur Einbindung zentraler Akteure bringt auch die Öffnung des Ecosystems gegenüber peripheren Akteuren eine Erhöhung der Komplexität mit sich. Die Akteure müssen eingebunden und gemanaged werden. Die Qualität und die Interoperabilität gilt es zu gewährleisten und potenzielle Interessenkonflikte müssen geklärt werden. 3) Datenhandhabung, -besitz und -kompetenz als wesentlicher Komplexitätstreiber: Wesentliche Faktoren sind dabei die Datenhandhabung, der Datenbesitz und die Datenkompetenz. Zum einen führen datenrechtliche Bestimmungen zu Schwierigkeiten, wenn Kundendaten für den Serviceaustausch zwischen Akteuren transferiert werden. Zum andern bestehen Interessenskonflikte zwischen Akteuren im Hinblick auf die Datenrechte und -nutzung. Auf Basis der Ergebnisse können die Orientierungshypothesen zwar grundsätzlich bestätigt werden, bedürfen jedoch einer weiteren Konkretisierung und Ergänzung hinsichtlich des Betrachtungsobjekts der Offenheit und der Umsetzung einer beschränkten Offenheit:
136
3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
• ETB 3 – OH 1: Aufgrund hoher strategischer Bedeutung und spezifischer Investitionen durch die zentralen Akteure ist die Offenheit auf dem Platform Layer gering. Umgekehrt ist der Services/Software Layer, der nicht die spezifischen Kernkompetenzen der zentralen Akteure betrifft, offen für komplementäre Angebote peripherer Akteure. • ETB 3 – OH 2: Wenn die spezifischen Investitionen der zentralen Akteure insgesamt hoch sind, werden auch auf dem Layer der komplementären Services und Software Beschränkungen im Sinne eines „Walled Garden“ eingesetzt, um an der Wertschöpfung dieser Akteure zu partizipieren und die Erlöse zu sichern. • ETB 3 – OH 3: Die Öffnung des Ecosystems erhöht die Unsicherheit, Komplexität und die Koordinationskosten für die zentralen Akteure, insbesondere im Hinblick auf den Austausch von und den Zugang zu Daten. Dementsprechend gilt es, die nachfolgenden Gestaltungshinweise auf die verschiedenen Schichten (Layers) der Wertschöpfung in Ecosystems auszurichten und so eine detaillierte Betrachtung der Offenheit und der Datenströme zu ermöglichen.
3.2.3.3 Gestaltungshinweise zur Festlegung der Offenheit anhand eines Kontroll- und Datenstrommodells Die Fallstudien zeigen, dass sich die Akteure vertieft mit der Offenheit des Ecosystems auseinandersetzen müssen. Eine Beschränkung des Zugangs bringt dabei Kontrollmöglichkeiten mit sich. Die Orchestratoren können den Markt für komplementäre Angebote so regulieren und ihre eigenen Interessen durchsetzen. Dies bringt jedoch auch komplexe Fragestellungen mit sich und bedeutet Kontroll- und Koordinationsaufwände. Nachfolgend wird als Grundlage für die damit verbundenen Gestaltungsentscheide ein Kontrollmodell mit zwei Bestandteilen konzipiert und vorgestellt: (1) Festlegung der Offenheit entlang und innerhalb der Ecosystem Layers (2) Festlegung der Datenströme (1) Festlegung der Offenheit entlang und innerhalb der Ecosystem Layers Statt entlang einer Wertschöpfungskette von der Entwicklung über die Produktion bis hin zum Vertrieb (Porter, 1998, S. 36 ff.), wird die Offenheit des Ecosystems auf verschiedenen Schichten (Layers) betrachtet. So können die Orchestratoren beispielsweise die Schicht des physischen Geräts bzw. der Hardware kontrollieren wie bei einem iPhone. Apple lässt für sein Betriebssystem und die damit verbundenen Applikationen und Services keine anderen Geräte zu. Google hingegen stellt ein
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
137
Betriebssystem zur Verfügung, dass für eigene und fremde Geräten anderer Akteure offen ist. Diese Schichten ergeben sich aus der geschichtet-modularen Architektur von digitalisierten Service Ecosystems. Sie erweitert die Aspekte modularer Produktbzw. Dienstleistungsarchitekturen um die geschichtete Architektur digitaler Technologien (Yoo et al., 2010, S. 725). Ziel der Betrachtungsweise ist im vorliegenden Kontext die systematische Untersuchung von Komplementarität und Modularität der Akteure über die verschiedenen Schichten hinweg. Die geschichtet-modulare Architektur von digitalisierten Service Ecosystems wird als zentrales Element von Lusch und Nambisan (2015) zwar beschrieben, jedoch nicht im Detail spezifiziert. Deshalb wird nachfolgend das Konzept der Wertschöpfungsschichten, analog zur geschichteten Architektur von IT-Systemen, für den Ecosystems-Kontext konzeptualisiert und auf Basis von Yoo et al. (2010) und Senn (2017) eine geschichtet-modulare Architektur für digitalisierte Service Ecosystems vorgestellt. Sie integriert vier Schichten der Wertschöpfung: Platform Layer, Service/Software Layer, Hardware Layer und User Layer. Akteure im Ecosystem integrieren Ressourcen auf diesen vier Layers zur Value Co-Creation. Die geschichtete Betrachtung und die Darstellung als „Layer Diagram“ ist eine der am weitest verbreiteten Betrachtungsweisen von Softwarearchitekturen (Bachmann et al., 2000). Die Schichten werden üblicherweise als Stapel „Stack“ (Stapel) dargestellt, wobei der Rückgriff einer Schicht auf die Funktionen der darunterliegenden durch die Reihenfolge der aufeinanderliegenden Schichten dargestellt werden kann, teilweise auch durch Pfeile visualisiert. Der Begriff des Stacks hat im Bereich der Information Systems eine hohe Relevanz und Verbreitung, sowohl in der Forschung als auch in der Praxis. Ein Software-Stack kann dazu verwendet werden, Architekturen zu beschreiben, zu veranschaulichen und zu vergleichen. Gao und Iyer (2006) analysieren beispielsweise die Komplementarität verschiedener Akteure über die Schichten des Software Stacks hinweg. Abbildung 3.11 zeigt die vier Layers im Ecosystem als Stack auf. Die nachfolgende Beschreibung der Layers basiert weitgehend auf Senn (2017).
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Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
Beschreibung Repräsentation zum Nutzer im Sinne des User Interface bzw. der User Interaction zur Generierung des Value-in-Use Softwareapplikationen und digitale Services oder digital befähigte Services Physische Objekte, Produkte oder Infrastruktur (z.B. Haus)
Digitale Plattform als Basis für die Ressourcenintegration der Akteure
Abbildung 3.11 Wertschöpfungsschichten digitalisierter Service Ecosystems. (Quelle: Auf Basis Senn (2017))
Der Plattform Layer umfasst die im vorhergehenden Kapitel unter dem ersten Entscheidungstatbestand beschriebene Plattform im Kern des Ecosystems (vgl. Abschn. 2.2.3.1). Der Hardware Layer umfasst vernetzte Objekte als Träger von Dienstleistungen (Ng und Wakenshaw, 2017, S. 7). Sie ermöglichen die Erbringung von Dienstleistungen, Kommunikation, Interaktion und die Generierung von Daten. Die Relevanz des (markierten) physischen Produkts an sich im Ecosystem kann dabei variieren (Senn, 2017): Das Produkt kann zum Beispiel Bestandteil einer Dienstleistung sein (z. B. das Auto als Bestandteil des Car-sharing-Services). Es kann aber auch im Zentrum eines Ecosystems stehen, wenn sich zum Beispiel das Ecosystem rund um Industriemaschinen eines oder mehrerer Hersteller bildet und durch die komplementären Akteure der Wert der Maschine erweitert wird (z. B. durch Datenanalysen oder Fernwartung). Es kann jedoch auch nur noch ein Mittel sein, um auf eine Plattform bzw. Dienstleistungen zuzugreifen (z. B. Smart Watch). Die zunehmende Vernetzung von physischen Objekten (Produkte, Infrastruktur usw.) erlaubt diesen den Austausch von Information, beispielsweise über ihre Nutzung, Umgebung oder ihren Kontext. Alltägliche Objekte werden dadurch zu „smart Objects“ oder „Things“: Neben Mobiltelefonen können dies mit Sensoren ausgestattete Gebäude (Smart Buildings) (Weng und Agarwal, 2012) oder Kleidungsstücke aus smarten Stoffen (Smart Textiles) (Stoppa und Chiolerio, 2014) sein. Ein Hersteller kann seine Produkte vernetzen und so den Weg für neue Wertschöpfungsformen auf den
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
139
anderen Layers öffnen. Durch diesen Schritt können bei einer großen Installed Base (Anzahl der Geräte in Betrieb) Netzwerkeffekte freigesetzt werden, die genutzt werden können, um sich auf dem Platform Layer oder Service Layer durchzusetzen (Schilling, 1999). Wenn beispielsweise ein Automobilhersteller seine Fahrzeuge vernetzt und eine (eigene oder fremde) Plattform zur Verfügung stellt, macht der existierende Fahrzeug- und Kundenbestand die Plattform für komplementäre Serviceanbieter interessant. Deren Integration hat wiederum einen positiven Effekt auf die Wertschöpfung auf dem Hardware Layer und dem Platform Layer. Ohne direkten Zugang zum physischen Hardware Layer (Fahrzeug) wird hingegen ein konkurrierender Plattformanbieter Schwierigkeiten haben, sich durchzusetzen. Die erläuterte Wertschöpfungsschicht wird bewusst nicht als „Product Layer“ bezeichnet. Mit der stattdessen gewählten Bezeichnung „Hardware Layer“ wird die Ambiguität des herkömmlichen Begriffs des Produkts vermieden und der serviceorientierten Perspektive der Wertschöpfung in Ecosystems Rechnung getragen. Die historische Trennung in Produkte und Dienstleistungen bzw. Services ist insbesondere im Kontext der Digitalisierung nicht mehr zielführend (Rust und Huang, 2014). Der Begriff „Hardware“ verweist dabei auf den Gedanken des „Internet of Things“ (Internet der Dinge), das die Möglichkeit beschreibt, dass jedes Objekt Teil des Internets sein kann (Ng und Wakenshaw, 2017). Der Begriff verdeutlicht zudem die Breite der physischen Objekte von Geräten bis hin zu Maschinen und Infrastrukturen (z. B. Straße). Diese können als physische Bestandteile zur Wertschöpfung beitragen und Bestandteil eines Ecosystems sein, sind aber keine Voraussetzung dafür. Der Begriff Hardware umfasst somit jegliche Art physischer Entitäten (Objekte, Geräte, Infrastrukturen) des Ecosystems, die durch Sensoren zur digitalen Vernetzung befähigt sind (Ashton, 2009; Ng und Wakenshaw, 2017). Der Service/Software Layer umfasst klassische und neue Formen softwaregetriebener Services (Schumann et al., 2012; Wuenderlich et al., 2015). Die Digitalisierung ermöglicht die Erbringung von traditionell lokalen Services unabhängig von Zeit und Ort genauso wie komplett neue, rein digitale Formen der Wertschöpfung. Jede Art der physischen Hardware kann als Plattform für eine potenziell unendliche Zahl an Services fungieren. Durch die Vernetzung werden unterschiedliche Formen von digitalen Services ermöglicht. Beispielsweise SelfServices, bei denen der Konsument die Leistung für sich selber erbringt, „[…] independent of direct service employee involvement, using a technological infrastructure that is provided by the service provider“ (Schumann et al., 2012, S. 134). Klassische Beispiele für Self-Services durch Technologie sind Bankomaten oder online Banking. Digital übermittelte Services beinhalten entweder eine technologiegetriebene Serviceinteraktion oder eine Serviceerbringung auf Distanz (Schumann
140
3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
et al., 2012). Beispiele hierfür können medizinische Beratungsleistungen oder Telechirurgie (Remote Surgery) sein. Die Service Dominant Logic konstatiert, dass Wert durch verschiedene Akteure geschaffen wird, immer unter Einschluss des Empfängers bzw. Nutznießers (Beneficiary) (Vargo und Lusch, 2017, S. 47). Diesen gilt es auf dem User Layer über eine Interaktionsschnittstelle einzubinden. In digitalisierten Service Ecosystems ist hier die Betrachtung des User Interfaces zentral. Der Begriff User Interface (UI) beschreibt im Bereich der Information Systems die Nutzerschnittstelle bzw. Benutzeroberfläche des Systems (Shneiderman et al., 2016). Diese kann grafisch (GUI) oder anderswie geartet sein – beispielsweise bietet Amazon mit Alexa eine sprachgesteuerte Schnittstelle an (Amazon, 2018). Beispiel für ein GUI ist die visuelle Benutzeroberfläche eines iPhones. Sie verbindet die Wertschöpfungsangebote (Services) der Akteure über die Plattform mit dem Benutzer. Dabei stellt sie nicht nur den Zugang zur interaktiven Wertschöpfung sicher, sondern prägt diese auch maßgeblich. Ästhetik, intuitive Handhabung und Zuverlässigkeit des Interfaces können den wahrgenommenen und tatsächlichen Wert für den Benutzer stark beeinflussen (Calisir und Calisir, 2004; Hartmann et al., 2008; Yang et al., 2016). Nutzer können im Ecosystem über unterschiedliche Schnittstellen interagieren. So können dank der digitalen Vernetzung Smartphones, Laptops, Uhren, Fahrzeuge und vieles anderes als Benutzeroberfläche fungieren. Nutzerschnittstellen können beliebig granular sein: Während in China beispielsweise beinahe sämtliche Leistungen von Messaging bis E-Commerce in der Applikation WeChat unter einer Oberfläche integriert sind (Livingston, 2014), bieten in Europa viele Dienstleistungen eigene Applikationen und dadurch eigene User Interfaces innerhalb des iOS- oder AndroidFrameworks an. Der deutschsprachige Begriff der Oberfläche verdeutlicht, dass es sich hierbei um diejenigen Aspekte des Systems handelt, die die Benutzer zu sehen bekommen, bzw. über die sie das System „erleben“. Gemäß der SDL ist Value immer und ausschließlich phänomenologisch durch den Empfänger determiniert (Vargo und Lusch, 2017, S. 47). Der Value-in-Use bzw. der Value-in-Context ist daher maßgeblich durch das User Interface bzw. die User Interaction bestimmt: Sie gibt die Form und den Kontext der Nutzung vor bzw. beeinflusst diese.
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
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Abbildung 3.12 Offenheit des Ecosystems auf verschiedenen Layers. (Quelle: Auf Basis Eisenmann et al. (2009))
Die Betrachtung der Offenheit des Ecosystems auf diesen Layers wird in Abbildung 3.12 veranschaulicht. Die Akteure können auf jedem Layer bestimmen, ob und wie das Ecosystems gegenüber peripheren Akteuren geöffnet werden soll. Die Offenheit bzw. Beschränkung der einzelnen Layers stellt keine binäre Entscheidung dar. Vielmehr sind die Ausprägungsformen jeweils pro Layer durch die Akteure zu definieren. Abbildung 3.13 veranschaulicht mögliche Ausprägungsgrade pro Layer.
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Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
Layer
Offen
Geringe Beschränkung
Hohe Beschränkung
User Layer
Keine Beschränkung der
Beschränkung auf
Privates System für eine
Nutzergruppen
Mitarbeiter
geschlossene Gruppe von
partizipierender
Usern
Unternehmen Software/
Keine Einschränkung der
Zusammenarbeit mit
Nur Geräte, die durch die
Service
Kompatibilität mit Geräten
ausgewählten
zentralen Akteure
Geräteherstellern
angeboten werden
Layer Hardware
Offene Schnittstellen,
Marktplatz mit
Nur ausgewählte oder
Layer
jeder kann
Zulassungskriterien,
eigene Services und
Services/Applikationen
Möglichkeit des
Applikationen. Bspw. nur
andocken
Ausschlusses durch
ein Anbieter pro Kategorie
Orchestratoren Platform
Open Sourcing der
Teile der Plattform werden
Plattform wird durch
Layer
Plattform
offengelegt, z.B. Open
Orchestratoren kontrolliert
Source
und weiterentwickelt
Abbildung 3.13 Ausprägungen der Offenheit/Beschränkung (exemplarisch)
Mithilfe des vorgestellten Modells können die zentralen Akteure die Offenheit gegenüber peripheren Akteuren strukturiert analysieren und diskutieren und so die Kontrolle über das Ecosystem gezielt steuern. (2) Festlegung der Datenströme Zwischen den Layers und Akteuren fließen Daten. Die Kontrolle dieser Datenströme in einem Ecosystem mit einer Vielzahl an Akteuren stellt die Orchestratoren vor komplexe Herausforderungen hinsichtlich Rechtslage, Geschäftsmodellen und Beziehung zu den Akteuren. Als Basis für die damit verbundenen Überlegungen und Verhandlungen ist es zielführend, die verschiedenen Aufgaben und Verantwortlichkeiten im Prozess der Datensammlung und -nutzung zu betrachten. Die Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union benennt verschiedene Rollen beim Ablauf der Datenverarbeitung (DSGVO, 2016, Art. 4), die auch in Ecosystems betrachtet werden können. Als „betroffene Person“ wird das Individuum bezeichnet, dessen Daten aufgezeichnet werden. Dies sind zum Beispiel Namen, Standortdaten oder Merkmale „[…] die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
143
sozialen Identität dieser natürlichen Person sind“ (DSGVO Art. 4 Abs. 1). Dies ist beispielsweise der Besucher einer Website oder Benutzer einer App. Als „Verantwortlicher“ werden Personen, Unternehmen oder Behörden bezeichnet, die „[…] über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet […]“ (DSGVO, 2016, Art. 4 Abs. 7), das heißt das Unternehmen, dass die Daten besitzt und verwaltet. Beispielsweise der Betreiber der Plattform, der mittels Analytics-Software Daten über die Nutzung sammelt. Als „Auftragsverarbeiter“ werden Personen, Unternehmen oder Behörden bezeichnet, die „ […] personenbezogene Daten im Auftrag des Verantwortlichen verarbeitet […]“ (DSGVO, 2016, Art. 4 Abs. 8). Dies kann das Unternehmen sein, das die Analytics-Software oder die Software der Plattform zur Verfügung stellt. „Empfänger“ sind wiederum Akteure, „[…] denen personenbezogene Daten offengelegt werden […]“ (DSGVO, 2016, Art. 4 Abs. 9). Empfänger sind beispielsweise Zahlungsanbieter oder Subdienstleister wie ein Paketdienst. Aus dem Zusammenspiel dieser Rollen ergeben sich unterschiedliche Pflichten und Rechte, insbesondere im Hinblick auf die Weitergabe der Daten durch die Akteure im Ecosystem. Beispielsweise ist zu prüfen, ob die Weitergabe zur Vertragserfüllung notwendig und im Interesse des Kunden ist (DSGVO, 2016, Art. 6 Abs. 1). Dies ist der Fall, wenn auf einer Mobilitätsplattform Daten an den Zahlungsanbieter weitergegeben werden, damit die Fahrt verrechnet werden kann. Die Weitergabe der Trackingdaten auf einer solchen Plattform an andere Akteure ist demgegenüber jedoch genauer zu prüfen. Auf eine detaillierte Betrachtung der Datenschutzvorgaben und deren Einhaltung durch die Akteure wird im Rahmen dieser Arbeit verzichtet. Bei der Gestaltung des Ecosystems kann auf Basis der beschriebenen Rollen jedoch eine Grundauslegung der Akteure stattfinden, die die Basis für vertiefende Abklärungen bildet. Insbesondere die Berechtigung partizipierender Akteure, Daten der Plattform zu empfangen und umgekehrt, ist im Detail zu betrachten.
3.2.3.4 Zusammenfassung der Erkenntnisse zum dritten Entscheidungstatbestand Die Ergebnisse aus den Fallstudien zeigen, dass die Orchestratoren ihre Interessen mittels einer Beschränkung der Offenheit sicherstellen. Die Festlegung der beschränkten Offenheit ist auf verschiedenen Layers zu betrachten und innerhalb dieser Layers zu spezifizieren. Ein Treiber der Komplexität ist dabei die Festlegung der Datenströme unter Berücksichtigung gesetzlicher Vorgaben und der Interessen verschiedener Akteure. Abbildung 3.14 fasst die Ergebnisse, die verfeinerten Orientierungshypothesen und die Gestaltungshinweise zum dritten Entscheidungstatbestand zusammen.
144
3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
ETB 3: Festlegung der Offenheit gegenüber peripheren Akteuren Ergebnisse
(1)
Die Orchestratoren setzen eine beschränkte Offenheit hinsichtlich
(2)
Dabei sind sie mit hoher Komplexität und hohem Koordinationsaufwand
komplementärer digitaler Services um, um die Kontrolle sicherzustellen.
konfrontiert. (3)
Ein Zentraler Faktor ist dabei die Datenhandhabung, -besitz und -kompetenz.
Verfeinerte
ETB 3 – OH 1: Aufgrund hoher strategischer Bedeutung und spezifischer
Orientierungs
Investitionen durch die zentralen Akteure ist die Offenheit auf dem Platform Layer
hypothesen
gering. Umgekehrt ist der Services/Software Layer, der nicht die spezifischen Kernkompetenzen der zentralen Akteure betrifft, offen für komplementäre Angebote peripherer Akteure. ETB 3 – OH 2: ETB 3 – OH 2: Wenn die spezifischen Investitionen der zentralen Akteure insgesamt hoch sind, werden auch auf dem Layer der komplementären Services und Software Beschränkungen im Sinne eines „Walled Garden“ eingesetzt, um an der Wertschöpfung dieser Akteure zu partizipieren und die Erlöse zu sichern. ETB 3 – OH 3: Die Öffnung des Ecosystems erhöht die Unsicherheit, Komplexität und die Koordinationskosten für die zentralen Akteure, insbesondere im Hinblick auf den Austausch von und Zugang zu Daten.
Gestaltungshi
Für die Festlegung der Offenheit ist eine detaillierte Betrachtung der Offenheit und der
nweise
Datenströme entlang und innerhalb der Ecosystem Layers notwendig. Dies geschieht mittels eines Kontrollmodells: (1)
Festlegung der Offenheit entlang und innerhalb der Ecosystem Layers
(2)
Festlegung der Datenströme
Abbildung 3.14 Zusammenfassung ETB 3: Festlegung der Offenheit gegenüber peripheren Akteuren
3.2.4
ETB 4: Integration der peripheren Akteure
3.2.4.1 Ergebnisse Hinsichtlich der Integration der peripheren Akteure ergeben sich die nachfolgenden Erkenntnisse:
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
145
(1) Umsetzung beschränkter Offenheit mittels kontrollierter Marktplätze und Partnersysteme Die Umsetzung einer beschränkten Offenheit auf dem Service Layer beinhaltet die Entwicklung und Etablierung eines umfassenden Konzepts mit Schnittstellen und Standards wie Regelwerke, Prozesse und Kontrollmechanismen. Dafür bieten sich kontrollierte Marktplätze oder Partnersysteme an. Beide Systeme bieten den Orchestratoren die Möglichkeit, die peripheren Akteure aktiv zu managen und ihnen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um sie zu befähigen. Beide bieten zudem auch Kontroll- und Machtinstrumente. Kontrollierte Marktplätze sind digitale Vertriebsplattformen für komplementäre Services und Applikationen, die anbieterseitig nicht frei zugänglich sind. Das heißt, die Orchestratoren müssen den komplementären Anbietern (z. B. App-Entwicklern) Zugang gewähren. Partnersysteme sind strukturierte Netzwerke aus komplementären Akteuren, deren Wertschöpfung auf der Kernleistung des Orchestrators oder der Orchestratoren basiert. Adobe nutzt beide Systeme parallel für die Experience Plattform: Einen Marktplatz für Applikationen und Services. Hinzu kommt ein Partnersystem mit fünf Stufen von Community Partner bis Platinum Partner (Adobe, 2019b). Im Rahmen der Smart City Initiative ist ebenfalls ein Partnersystem mit Abstufungen vorgesehen, aufgrund des Entwicklungsstands jedoch noch nicht umgesetzt. Generell ist die Eingliederung neuer Akteure in einem beschränkten System aufwändig. Die Einbindung bringt einen gewissen Prüf- und Koordinationsaufwand mit sich: „There are people involved, you cannot just upload something, you have to join the programme“. Wie die Smart City Initiative zeigt, fehlen hierzu in einer frühen Phase die Kapazitäten. Der Optimierung der Integrations-, Kontroll- und Steuerungsprozesse, die hinter diesen Marktplätzen und Partnersystemen stehen, kommt daher langfristig eine strategische Bedeutung zu. Dadurch wird das Ecosystem skalierbar und die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig gesteigert. Jacobides et al. (2019) führen hierzu das Beispiel von IBM Watson an, einer Plattform für Services im Bereich der künstlichen Intelligenz. Im Bereich Smart Healthcare startete Watson erst 2014 und damit später als viele Konkurrenten. Bis 2017 entstand jedoch ein schlagkräftiges Ecosystem aus 53 Partnern. Dies führen die Autoren auf einen stark automatisierten und optimierten Eingliederungsprozess zurück, der eine schnelle und effiziente Integration der komplementären Akteure ermöglichte. (2) Investitionen der Orchestratoren in die Senkung der Asset Spezifität der peripheren Akteure Orchestratoren unterstützen periphere Akteure durch das Teilen von Wissen, Technologien, Werkzeugen und anderen Ressourcen. So senken sie die spezifischen
146
3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
Investitionen und das Risiko für diese Akteure und befähigen sie in ihrer Wertschöpfung. Verschiedene Programme und Services von der Entwicklung bis zum Vertrieb sorgen so für die Gesundheit des Gesamtsystems. Die Gesundheit und Stärke der peripheren Anbieter als Komplementäre ist ein grundlegender Faktor für eine erfolgreiche Strategie der Orchestratoren (Iansiti und Lakhani, 2017). Wie zuvor beschrieben, dienen Marktplätze und Partnersystem nicht nur dazu, die Akteure zu kontrollieren und Standards durchzusetzen. Sie sind großangelegte Programme zum Wissensaustausch und zur Befähigung. SAP bietet beispielsweise “Co-Innovation Services” an, die darauf ausgelegt sind, die komplementären Angebote und Leistungen zur Marktfähigkeit zu bringen. Die umfangreichen Services beinhalten z. B. Reviews der Use Cases oder der Softwarearchitektur, Coachings und Workshops, technische und funktionale Assessments mit Handlungsempfehlungen oder Go-to-market Support wie Co-Branding („Coinnovated with SAP“) und den Review von Pressemitteilungen (SAP, 2019a; SAP, 2019c). Eine Vernachlässigung dieser Aufgabe kann den zentralen Akteuren schaden oder das Ecosystem sogar als Ganzes bedrohen. Iansiti und Lakhani (2017) führen als Beispiele hierfür Uber und das Ecosystem rund um die Microsoft-Software für Server auf: Ubers eigennütziger Umgang mit Fahrern und Fahrgästen bereitet dem Unternehmen, trotz Verbesserungsmaßnahmen, nach wie vor Probleme. Bei Microsoft führten Probleme im Ecosystem dazu, dass das Server-Geschäft an Linux verloren ging, dessen Ecosystem durch die starke Open Source Community getrieben ist. (3) Investition der peripheren Akteure in die Senkung der eigenen Asset Spezifität (Plug & Play) Für die peripheren Akteure, die die Funktionsweisen von Ecosystems kennen, stellt die leichte Andockbarkeit ohne hohe spezifische Investitionen eine Herausforderung dar, die nicht nur durch die Orchestratoren zu lösen ist. Vielmehr ist die einfache Andockbarkeit an verschiedene Systeme Teil ihres Geschäftsmodells in der „New Economy“. Die Möglichkeit zum „Plug & Play“ ist die Basis für ihre Wertschöpfung und die Partizipation am Ecosystem. Die peripheren Akteure sind daher selber um ihre Anbindung besorgt. Hier zeigt sich ein Unterschied zwischen Akteuren, deren Geschäftsmodell und Prozesse ihren Ursprung im digitalen Bereich haben und Akteuren der „Old Economy“, für die die Digitalisierung eine Veränderung ihrer bisherigen Tätigkeiten und Herangehensweise bedeutet. Letztere müssen sich aktiv in die Richtung „Plug & Play“ transformieren und gemeinsam mit den Orchestratoren Anbindungsmöglichkeiten erlernen und schaffen: „Neue Unternehmen kommen bereits mit APIs,
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
147
die sind dafür aufgestellt in Ecosystems einzusteigen. Das wird von Grund auf mitaufgebaut und macht es einfach zu kooperieren“.
3.2.4.2 Verfeinerung der Orientierungshypothesen Der Betrachtung des vierten Entscheidungstatbestands, der sich mit der Integration der peripheren Akteure befasst, wurden folgende Orientierungshypothesen zugrunde gelegt: • ETB 4 – OH 1: Aufgrund geringer Unsicherheit und zur Senkung der spezifischen Investitionen werden die peripheren Akteure möglichst modular integriert. Das heißt, die zentralen Akteure reduzieren die Spezifität der Investitionen peripherer Akteure und den eigenen Koordinationsaufwand durch die Standardisierung der Prozesse und Schnittstellen. So wird eine marktähnliche Koordination ermöglicht. • ETB 4 – OH 2: Bei einer Beschränkung der Offenheit werden marktähnliche Koordinationsinstrumente durch hierarchieähnliche Instrumente ergänzt. Aus den Fallstudien resultieren folgende Erkenntnisse: (1) Umsetzung beschränkter Offenheit mittels kontrollierter Marktplätze und Partnersysteme: Über kontrollierte Marktplätze und Partnersysteme können Schnittstellen und Standards wie Regelwerke, Prozesse und Kontrollmechanismen etabliert werden. Diese Systeme und Prozesse können skalierbar gemacht werden. (2) Investitionen der Orchestratoren in die Senkung der Asset Spezifität der peripheren Akteure: Orchestratoren teilen Wissen, Technologien, Werkzeuge und andere Ressourcen, um die spezifischen Investitionen und das Risiko für generische Komplementäre zu senken und sie in ihrer Wertschöpfung zu befähigen. Verschiedene Programme und Services von der Entwicklung bis zum Vertrieb unterstützen die Gesundheit des Gesamtsystems. (3) Investition der peripheren Akteure in die Senkung der eigenen Asset Spezifität (Plug & Play): Periphere Akteure, die die Funktionsweisen der Ecosystem Economy kennen, verfolgen gezielt ein Geschäftsmodell, bei dem sie an verschiedene Systeme andocken können. Sie sind selber um ihre Anbindung besorgt, die Basis für ihr Geschäftsmodell ist. Akteure der „Old Economy“ müssen demgegenüber, gemeinsam mit den Orchestratoren, Anbindungsmöglichkeiten erlernen und schaffen.
148
3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
Auf Basis der Ergebnisse können die Orientierungshypothesen bestätigt werden. Die erste wird jedoch um eine weitere Orientierungshypothese ergänzt. Diese besagt, dass auch die peripheren Akteure selbst in die Reduktion der Spezifität ihrer Investitionen investieren. Die zweite wird umformuliert, um die Aufgabe der Orchestratoren, ein Gleichgewicht aus Anreizen und Kontrolle in beschränkten Ecosystems zu finden, hervorzuheben. • ETB 4 – OH 1: Aufgrund geringer Unsicherheit und zur Senkung der spezifischen Investitionen werden die peripheren Akteure möglichst modular integriert. Die zentralen Akteure reduzieren die Spezifität der Investitionen peripherer Akteure und den eigenen Koordinationsaufwand durch die Standardisierung der Prozesse und Schnittstellen. So wird eine marktähnliche Koordination ermöglicht. • ETB 4 – OH 2: Die peripheren Akteure investieren zur Senkung der eigenen spezifischen Investitionen und mit dem Ziel der Partizipation mittels „Plug & Play“ ebenfalls in die Standardisierung ihrer Prozesse und Schnittstellen. • ETB 4 – OH 3: Bei einer Beschränkung der Offenheit werden marktähnliche Koordinationsinstrumente durch hierarchieähnliche Instrumente ergänzt, um ein Gleichgewicht aus Anreizen und Kontrolle gegenüber den peripheren Akteuren zu erreichen. Dementsprechend gilt es, die nachfolgenden Gestaltungshinweise auf ein Beziehungsmanagement der Orchestratoren gegenüber den peripheren Akteuren auszulegen, das sich auf Standardisierung sowie die Schaffung von Kontroll- und Anreizinstrumenten fokussiert.
3.2.4.3 Gestaltungshinweise zur Integration mittels Participator Relationship Management Kernaufgabe der Orchestratoren ist der Aufbau und die Steuerung eines gesunden Ecosystems. Amazon, Alibaba, Google und Apple verdienen Milliarden durch die Transaktionen von komplementären Akteuren, die über ihre Plattformen Produkte und Applikationen verkaufen (Iansiti und Lakhani, 2017). Apple und Google investieren dafür intensiv „[…] in the developer community, providing programming frameworks, software tools, and opportunities and business models that enable developers to grow their businesses“ (Iansiti und Lakhani, 2017). Sie üben einerseits eine starke Kontrolle aus und steuern, wer partizipieren kann und zu welchen Konditionen. Andererseits setzen sie durch eine große Nutzerbasis und gezielte Unterstützung der App-Entwickler in deren Wertschöpfung starke Anreize zur Partizipation.
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
149
Der Aufbau von Kontroll- und Anreizinstrumenten zur Einbindung der peripheren Akteure ist somit Grundlage für eine transaktionskostenminimierende Koordination. Die Fallstudien zeigen, dass die Integration komplementärer Akteure jedoch mit Aufwand verbunden ist und ein Gleichgewicht zwischen Anreizen und Kontrolle zu schaffen ist. Hierzu bietet sich – analog zur Integration der zentralen Akteure – die Etablierung eines systematischen und professionellen Relationship Managements an. Dieses ist jedoch weniger auf Vertrauen ausgelegt, sondern auf eine möglichst einfache und standardisierte Integration sowie auf das Gleichgewicht zwischen Anreiz und Kontrolle. Das Participator Relationship Management wird wie folgt definiert (in Anlehnung an Bruhn (2015)): Das Participator Relationship Management umfasst sämtliche Maßnahmen der Analyse, Planung, Durchführung und Kontrolle, die der Initiierung, Stabilisierung, Intensivierung und Wiederaufnahme sowie gegebenenfalls der Beendigung von Beziehungen der Orchestratoren zu den peripheren Akteuren des Ecosystems mit dem Ziel des gegenseitigen Nutzens dienen. Im Fokus steht dabei der Aufbau von Kontroll- und Anreizinstrumenten als Koordinationsmechanismen. Folgende Instrumente und Maßnahmen eignen sich auf Basis der vorliegenden Erkenntnisse für das Participator Relationship Management: (1) (2) (3) (4)
Aufbau eines Markplatz- oder Partnersystems für komplementäre Anbieter Teilen von Wissen und Technologie Services zur Förderung der Leistungsfähigkeit der peripheren Akteure Sicherstellung der Interoperabilität
(1) Aufbau eines Markplatz- oder Partnersystems für komplementäre Anbieter Zentraler Aspekt des Participator Relationship Managements ist die Standardisierung und Strukturierung der Integration peripherer Akteure. Hierfür bieten sich auf Basis der Fallstudien und weiterer Beispiele aus der Praxis kontrollierte Marktplätze als digitale Vertriebsplattformen für komplementäre Services und Applikationen sowie Partnersysteme im Sinne von strukturierten Netzwerken aus komplementären Akteuren an. Ein bekanntes Beispiel für einen kontrollierten Marktplatz ist der Appstore von Apple. Der Preis für die App kann vom Entwickler nach vorgegebenen Preisstufen
150
3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
frei gewählt werden. Apple behält davon Gebühren in Höhe von 30 Prozent ein (t3n, 2019). Die hohen Abgaben sind im Falle von Google und Apple jedoch nur aufgrund der Marktmacht durchsetzbar und schaden der Beziehung zwischen Orchestrator und komplementären Appanbietern. Erst wenn diese Komplementäre mit ihren Services genügend Marktmacht erreichen, bestehen Chancen, gegen den Opportunismus des Orchestrators vorzugehen. Zuletzt versuchten die bekannten Musikund Videostreaming-Plattformen Spotify und Netflix, sich dagegen aufzulehnen (t3n, 2019). Ein etabliertes Beispiel für ein Partnersystem ist das Partnernetzwerk von Microsoft. Dieses umfasste gemäß eigenen Angaben 2017 bereits über 64’000 Partner (Microsoft, 2017). Es beinhaltet Großunternehmen und Individuen oder Kleinstbetriebe. Diese nehmen unterschiedliche komplementäre Teile der Wertschöpfung wahr und reichen von reinen Vertriebsorganisationen über Unternehmen, die die Software implementieren, bis hin zu Entwicklern von Zusatzapplikationen und kompatiblen Hardwareherstellern. Kern dieser Systeme ist die Zertifizierung der Partner und die Schaffung von Ressourcen (technische Ressourcen, Ausbildungsmöglichkeiten, Vertriebsunterlagen, Coachings usw.). Je nach System werden für die Zertifizierung und den Zugang zum Partnersystem Gebühren fällig. Im Solution Partner Programm von Adobe variieren diese zwischen einer gebührenfreien Community-Mitgliedschaft und einer Platin-Mitgliedschaft, die jährlich 25’000 USD kostet (Adobe, 2019b). Mit jeder Partnerschaftsstufe sind Pflichten und Vorteile verbunden. Pflichten beinhalten beispielsweise die Einhaltung der Compliance-Richtlinien, positive Bewertungen in Kundenbefragungen durch Adobe oder minimale Umsatzvolumen. Dem stehen Vergünstigungen für Ausbildungsprogramme, Unterstützungsleistungen und Umsatzbeteiligungen an getätigten Verkäufen gegenüber. Beim Aufbau eines Marktplatz- oder Partnersystems sind demnach Anreize zur Partizipation zu setzen. Da es sich um zweiseitige Märkte mit Netzwerkeffekten handelt, steht im Kern der Aufbau einer großen Nutzerbasis (Parker und Van Alstyne, 2005). Diese stellt den Markt für die komplementären Anbieter dar und je größer dieser Markt ist, desto größer das wirtschaftliche Potenzial und somit der Anreiz zur Partizipation. In einer frühen Phase können ergänzend dazu beispielsweise finanzielle Anreize eingesetzt werden. Als Apple 2008 den Appstore lancierte, wurde im gleichen Jahr ein Venture Capital Fund mit 100 Millionen USD zur Finanzierung von App-Entwicklern für das iPhone verkündet (CNET, 2008). Im gleichen Jahr startete Google einen Wettbewerb für App-Entwickler mit einer Gewinnsumme von 10 Millionen USD (linuxdevices.com, 2008).
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
151
(2) Teilen von Wissen und Technologie Neben finanziellen Anreizen kommt in Marktplätzen und Partnersystemen dem Teilen von Wissen und Technologie sowie dem Angebot von Unterstützungsservices eine zentrale Rolle zu. Das Teilen von Wissen und Technologie steigert das Innovationspotenzial des Ecosystems, birgt aber auch Opportunismusrisiken (Dhanaraj und Parkhe, 2006). Die Sicherstellung der „Knowledge Mobility“ ist demnach eine wichtige Aufgabe der Orchestratoren (Hurmelinna und Nätti, 2018, S. 5). Wie zuvor beschrieben, verfügen die zentralen Akteure über Systemwissen, das ihnen erlaubt, das Ecosystem und seine Bestandteile als Ganzes zu steuern. Die Modularität des Ecosystems in der Zusammenarbeit mit den peripheren Akteuren reduziert den Bedarf des Wissens- und Informationsaustauschs im Vergleich zum Austausch der Orchestratoren untereinander (Tiwana, 2008). Dennoch liegt es im Interesse der Orchestratoren, die peripheren Akteure durch den Austausch von Wissen zu befähigen. Tiwana (2012) zeigt anhand des Wissensaustauschs der steuernden Business-Abteilungen und der ausführenden IT-Abteilungen in Unternehmen auf, dass „peripheres Wissen“ einen positiven Einfluss auf die Entwicklung des Gesamtsystems hat, insbesondere bei Projekten mit Innovationscharakter. Analog dazu ist es Aufgabe der Orchestratoren, peripheres Wissen über die Vision, die Veränderungen und die Weiterentwicklung des Ecosystems aufzubauen. Nur so kann sichergestellt werden, dass die peripheren Akteure ihre eigene Wertschöpfung und ihr Handeln daran ausrichten und so die Gesundheit des Systems gewahrt wird. So richten beispielsweise Softwareunternehmen spezifische Konferenzen für Entwickler aus. Ein weiteres wichtiges Element ist die Entwicklung von technischen Grundgerüsten, auf denen andere aufbauen können. Insbesondere der Zugang zu Technologien ist genauer zu betrachten. Schlüsseltechnologien wie künstliche Intelligenz sind essenziell für den Aufbau von komplementären Services. Dabei lässt sich beobachten, dass solche Technologien durch die Orchestratoren im Softwarebereich nicht nur zur Anwendung zur Verfügung gestellt werden, sondern als Open Source-Software komplett offengelegt werden. Dadurch erhalten andere Akteure vollständigen Zugang und können Teile davon selbstständig weiterentwickeln. Google hat beispielsweise 2015 seine KI-Software Tensorflow als Open Source veröffentlicht. Dadurch gibt das Unternehmen die grundlegende Technologie preis, erhält im Gegenzug jedoch Daten aus der breiten Nutzung im Ecosystem, was die eigentliche Grundlage des Geschäftsmodells ist (Metz, 2015). Künstliche Intelligenz lebt von der Größe der Datenmengen und ein möglichst großes Ecosystem wiederum generiert diese. Hinzu kommt, dass sich die Innovationszyklen dadurch verkürzen lassen. Gemäß Satell (2016) ermöglicht es das Open Source-Modell Google, in Echtzeit mit anderen Akteuren wie Unternehmen und Universitäten
152
3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
zusammenzuarbeiten und zu forschen, anstatt in einem klassischen Forschungszyklus wissenschaftliche Beiträge zu veröffentlichen und dann abzuwarten, bis eine Publikation erscheint, die darauf aufbaut. (3) Services zur Förderung der Leistungsfähigkeit der peripheren Akteure Zur Befähigung der peripheren Akteure gilt es, über den gesamten Lebenszyklus hinweg Services und Unterstützung von der Entwicklung bis zur Vermarktung von komplementären Angeboten anzubieten. Die erwähnten „Co-Innovation Services“ von SAP stellen ein solches Unterstützungssystem dar (SAP, 2019a). Abbildung 3.15 gibt einen Überblick über mögliche Services durch die Orchestratoren auf Basis der jeweils eigenen Partnerprogramme von SAP, Microsoft und Adobe (Adobe, 2019b; Microsoft, 2019b; SAP, 2019c).
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
153
Phase
Unterstützungsleistung
Geschäftsmodell-
Unterstützung bei der
Review des Use Cases
entwicklung
Entwicklung und Prüfung des
Hinweise zur Kompatibilität mit den
Business Cases
Leistungen und Plänen der Orchestratoren
Sicherstellung des internen
Online-Trainings, Webinare und Unterlagen
Know-hows der Mitarbeiter
Kurse zur Zertifizierung und Spezialisierung
Training
Mögliche Bestandteile
Vor-Ort Trainings Konferenzen und Meetings mit anderen Komplementäranbietern Entwicklung und
Zugang zu Technologien und
Informationen zur Softwarearchitektur
Betrieb
Support beim laufenden
Best Practices zur Integration
Betrieb
Beratung hinsichtlich technischer Infrastruktur Qualitätsassessments & Softwaretests
Vermarktung und
Unterstützung von der
Eintrag in Partnerverzeichnissen
Vertrieb
Bekanntmachung bis zum
Weiterverwendbare Marketing-Ressourcen
Verkauf
wie Präsentationen, Demos usw. Relevante Inhalte für Content Marketing wie Success Stories Möglichkeiten zum Co-Branding Prüfung von Pressemitteilungen Referenzen und Fallstudien Gemeinsame Vertriebsplanung
Abbildung 3.15 Services zur Unterstützung der Wertschöpfung peripherer Akteure
(4) Sicherstellung der Interoperabilität Im Hinblick auf die Realisierung der Modularität mit dem Ziel einer effizienten und skalierbaren Einbindung der peripheren Akteure kommt der Interoperabilität eine wichtige Bedeutung zu. Ziel ist es, ein möglichst reibungsloses Andocken der peripheren Akteure zu ermöglichen. In diesem Kontext wird auch von der Möglichkeit zum „Plug and Play“ der Akteure gesprochen (Weill und Woerner, 2015). Die Interoperabilität wird über Schnittstellen und Standards sichergestellt (Baldwin und Woodard, 2008, S. 9). Baldwin und Clark (2000) unterscheiden zwei Typen von Standards: (1) Konformitätsstandards im Sinne von Regeln, Routinen, Standardtools, Formaten usw., um die Interaktion der Module effizient zu gestalten (Burr, 2016, S. 189; Campagnolo und Camuffo, 2010). (2) Performancestandards
154
3
Gestaltungshinweise zu digitalisierten Service Ecosystems …
im Sinne von Terminplänen, Qualitätsmaßstäben usw., um die Leistung der Module zu messen, zu kontrollieren und zu vergleichen (Burr, 2016, S. 189). Konformitätsstandards schreiben die Regeln des Ecosystems fest und bestimmen, wer wie und unter welchen Bedingungen partizipieren kann. Sie sind ein Instrument zur Steuerung der Mobilität, des Wettbewerbs und des Zugangs von komplementären Modulen (Jacobides et al., 2006). Wie Jacobides et al. (2006) beschreiben, ergibt sich jedoch nur selten die Situation, dass Akteure eigenmächtig die Standards des Ecosystems als Ganzes festschreiben können. Vielmehr entstehen diese Standards bei der Ausgestaltung des Ecosystems durch: „[…] a trial-anderror process with several firms engaging in cooperation and competition at the same time“ (Jacobides et al., 2006, S. 1210). Dennoch können die Orchestratoren maßgeblich Einfluss auf die Ausgestaltung der Standards nehmen. Offene, allgemein zugängliche Standards befähigen die Partizipation am Ecosystem an den jeweiligen Schnittstellen, während andere Standards dazu dienen Eintrittsbarrieren aufzubauen (Pil und Cohen, 2006). Hinsichtlich der Systemschnittstellen können beispielsweise Konformitätsstandards wie einheitliche Administrationssysteme oder spezifische Datenformate festgelegt werden. Spezifische Datenformate sind wiederum notwendig, um offene Entwicklungsschnittstellen (APIs) anzubieten. Performancestandards erlauben es zu prüfen, wie gut das Ecosystem funktioniert, ob ein Modul seine Leistungsanforderungen erfüllt und wie die Leistung eines Moduls im Vergleich zu anderen ist (Baldwin und Clark, 2000, S. 77). Performancestandards können beispielsweise technische Leistungsanforderungen sein, z. B. Serververfügbarkeit, Klassifikationsgenauigkeit eines Algorithmus usw.
3.2.4.4 Zusammenfassung der Erkenntnisse zum vierten Entscheidungstatbestand Die Ergebnisse aus den Fallstudien zeigen, dass die beschränkte Offenheit in Marktplätzen und Partnersystemen umgesetzt werden kann. Ziel ist dabei nicht nur Kontrolle, sondern auch Anreize für die peripheren Akteure zu schaffen. Zentrale und periphere Akteure investieren in die Senkung der Asset Spezifität der peripheren Akteure. Abbildung 3.16 fasst die Ergebnisse, die verfeinerten Orientierungshypothesen und die Gestaltungshinweise zum vierten Entscheidungstatbestand zusammen.
3.2 Erkenntnisse und Gestaltungshinweise
155
ETB 4: Integration der peripheren Akteure Ergebnisse
Beschränkte Offenheit wird in kontrollierten Marktplätzen und Partnersystemen strukturiert. Orchestratoren investieren in die Senkung der Asset Spezifität der modularen Akteure. Periphere Akteure investieren selber in die Senkung ihrer Asset Spezifität, um besser Andocken zu können (Plug & Play).
Verfeinerte
ETB 4 – OH 1: Aufgrund geringer Unsicherheit und zur Senkung der spezifischen
Orientierungs
Investitionen werden die peripheren Akteure möglichst modular integriert. Die
hypothesen
zentralen Akteure reduzieren die Spezifität der Investitionen peripherer Akteure und den eigenen Koordinationsaufwand durch die Standardisierung der Prozesse und Schnittstellen. So wird eine marktähnliche Koordination ermöglicht. ETB 4 – OH 2: Die peripheren Akteure investieren zur Senkung der eigenen spezifischen Investitionen und mit dem Ziel der Partizipation mittels „Plug & Play“ ebenfalls in die Standardisierung ihrer Prozesse und Schnittstellen. ETB 4 – OH 3: Bei einer Beschränkung der Offenheit werden marktähnliche Koordinationsinstrumente durch hierarchieähnliche Instrumente ergänzt, um ein Gleichgewicht aus Anreizen und Kontrolle gegenüber den peripheren Akteuren zu erreichen.
Gestaltungshi
Zur Systematisierung des Aufbaus von Kontroll- und Anreizinstrumenten zur
nweise
Integration empfiehlt sich die Koordination mittels Participator Relationship Management: (1) Aufbau eines Markplatzes und/oder Partnersystems für komplementäre Anbieter (2) Teilen von Wissen und Technologie (3) Services zur Förderung der Leistungsfähigkeit der komplementären Anbieter (4) Sicherstellung der Interoperabilität
Abbildung 3.16 Zusammenfassung ETB 4: Integration der peripheren Akteure
4
Überführung der Erkenntnisse in ein Anwendungsmodell
4.1
Zielsetzung des Anwendungsmodells
Um im Wettbewerb bestehen zu können, sind Unternehmen gefordert, mehr Wert als ihre Konkurrenten zu generieren (Porter, 1998). Die Grundlage dafür ist die Innovationsfähigkeit des jeweiligen Unternehmens (Adner und Kapoor, 2010). Dabei verschiebt sich die Perspektive von Technologien über Geschäftsmodelle zunehmend hin zur Einbettung des Unternehmens in komplexe Ecosystems. Das Ecosystem stellt nicht eine Alternative zur herkömmlichen Betrachtung von Ressourcen und Fähigkeiten von Unternehmen als Quelle der Wertschöpfung und von Wettbewerbsvorteilen dar. Vielmehr handelt es sich um eine erweiterte Perspektive auf diese Faktoren und ihren Ursprung. Dieser wird nicht mehr nur innerhalb der eigenen Unternehmensgrenzen gesucht. In der Forschung und Praxis des strategischen Managements stehen Ecosystems daher seit einigen Jahren im Mittelpunkt des Interesses. Der Fokus in der Forschung liegt bisher darauf, zu definieren, was Ecosystems sind und wie diese funktionieren (Jacobides et al., 2018, S. 1). Die tatsächliche Gestaltung dieser Ecosystems ist jedoch mit Herausforderungen verbunden. Sowohl in der wissenschaftlichen Forschung als auch in der betrieblichen Praxis existiert ein explizit formuliertes Bedürfnis nach konkreten, managementrelevanten Erkenntnissen und Gestaltungswerkzeugen (Bughin et al., 2018; Vargo und Lusch, 2017). Um dem Bedürfnis zu begegnen, betrachtet diese Arbeit digitalisierte Ecosystems zunächst mittels Fallstudien vertieft in ihrem realweltlichen Kontext (Yin, 2009). Neben dem Erkenntnisziel der Arbeit wird dabei auch ein Gestaltungsziel
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Senn, Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31788-1_4
157
158
4
Überführung der Erkenntnisse in ein Anwendungsmodell
verfolgt. Der analytische Ansatz der vorhergehenden Kapitel wird im vorliegenden Kapitel um eine gestalterische Herangehensweise ergänzt. Dies im Sinne von „Design Science“ als wissenschaftlichem Denkansatz zur Problemlösung: „Everyone designs who devises a course of action aimed at changing existing situations into preferred ones“ (Simon, 1969, S. 111). Voraussetzung für solche „Design Science“ ist, instrumentelles Wissen (Pelz 1978) zu generieren, das zur Gestaltung und Implementierung von Ecosystems eingesetzt werden kann. Zu diesem Zweck wird ein Anwendungsmodell aus drei Instrumenten auf Basis der theoretischen und empirischen Erkenntnisse entwickelt. Die Fallstudienarbeit bestätigt die grundlegende Struktur und die Inhalte der Entscheidungstatbestände. Daher wird diese Struktur im vorliegenden Kapitel zusammen mit den Erkenntnissen und Gestaltungshinweisen in das Anwendungsmodell für die Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems überführt. Anhand des Modells lassen sich die wichtigsten Aspekte diskutieren und abbilden. Es umfasst folgende Instrumente: • Ecosystem Canvas: Als strukturierte Diskussionsgrundlage wird eine Vorlage zur Beschreibung des Ecosystems entlang der Value Proposition und der vier Entscheidungstatbestände (ETB 1–4) vorgestellt. Diese orientiert sich an den Gestaltungshinweisen. Zu den Elementen des Canvas werden jeweils Vorgehensschritte und Hinweise formuliert. Diese dienen zur Unterstützung der Arbeit mit dem Ecosystem Canvas. Der Name orientiert sich am breit etablierten Business Model Canvas (Osterwalder und Pigneur, 2010). • Liste mit Umsetzungsthemen: Der Canvas bildet die Basis für die weitere Vertiefung und Ableitung von Implikationen und Maßnahmen auf Ebene der Organisations-, System- und Angebotsarchitektur. Hierfür wird eine Liste mit Umsetzungsthemen im Sinne von Diskussionspunkten zur Verfügung gestellt. • Workshopmethode: Je nach Einsatz kann der Canvas unterschiedlich gefüllt und diskutiert werden. Dabei variiert der Aufwand in Abhängigkeit des Vorgehens. Exemplarisch wird die Anwendung im Rahmen eines Workshops aufgezeigt und erläutert. Diese Instrumente des Anwendungsmodells werden im vorliegenden Kapitel inhaltlich vorgestellt. Sie werden darüber hinaus in zwei konkrete, in der Praxis einsetzbare Formate überführt: Ein Handbuch, das die Erkenntnisse und Methoden kondensiert, und ein Poster zur Anwendung in einem Workshop (vgl. Abbildung 4.1).
4.1 Zielsetzung des Anwendungsmodells
159
Abbildung 4.1 Handbuch und Poster zum Anwendungsmodell
Das Anwendungsmodell kann im Prozess der Initiierung und Etablierung von Ecosystems zur Gestaltung, zur Analyse und zur Simulation eingesetzt werden:
160
4
Überführung der Erkenntnisse in ein Anwendungsmodell
• Planung und Gestaltung eines sich im Aufbau befindenden Ecosystems: Wie soll das Ecosystem ausgestaltet werden? Wer sind die zentralen Akteure und welche Rolle nehmen sie ein? Wie werden periphere Akteure integriert? Dies Fragestellungen entlang der Entscheidungstatbestände stehen im Kern der Gestaltungsüberlegungen beim Aufbau von Ecosystems. Das vorgestellte Instrumentarium bietet einen Rahmen zur strukturierten Beschreibung während der Analyse und Konzeption. • Reflektion und Analyse eines bestehenden Ecosystems: Auch bestehende Ecosystems können entlang der Entscheidungstatbestände analysiert und reflektiert werden. Dadurch können Problemfelder und Ursachen für Konflikte (beispielsweise Rollenkonflikte) identifiziert und mögliche Alternativen diskutiert werden. Darüber hinaus können die eigene Rolle reflektiert und Entwicklungspfade genauer betrachtet werden. • Simulation von zukünftigen Entwicklungen und Ecosystems: Zukünftige Ecosystems können beschrieben werden, um so beispielsweise verschiedene Gestaltungsalternativen aufzuzeigen oder Szenarien zu simulieren. Dies kann Grundlage für die anschließende Planung und Gestaltung sein. Die Auswirkungen von Ecosystems auf das eigene Unternehmen können greifbar gemacht und mögliche zukünftige Rollen antizipiert werden, um die eigene Strategie darauf auszulegen. Damit wird eine strukturierte Grundlage geschaffen, die im Sinne eines agilen Managements zur kontinuierlichen Gestaltung und Weiterentwicklung des Ecosystems genutzt werden kann. Die theoretischen Hintergründe der EcosystemsPerspektive und die Erkenntnisse aus den Fallstudien zeigen, dass das Management von Ecosystems nicht entlang eines wasserfallartigen Prozesses geplant und dann umgesetzt werden kann. Vielmehr ist ein agiles, iteratives Vorgehen in Zyklen notwendig, bei der sich die Akteure einer gemeinsamen Value Proposition annähern und dabei ihre Konfiguration und ihre Formen der Koordination fortlaufend optimieren.
4.2 Vorstellung der Instrumente zur Anwendung in der Praxis
4.2
Vorstellung der Instrumente zur Anwendung in der Praxis
4.2.1
Ecosystem Canvas als strukturierte Diskussionsgrundlage
161
4.2.1.1 Aufbau des Canvas Zunächst wird der Ecosystem Canvas als zentrales Instrument zur Analyse, Beschreibung und Diskussion von Ecosystems vorgestellt (vgl. Abbildung 4.2). Dieser besteht aus fünf zu beschreibenden Elementen: Den vier Entscheidungstatbeständen und der zentralen Value Proposition. Die Value Proposition hilft, die Erwartungen an die Wertschöpfung explizit zu machen (Vargo et al., 2008) und wird daher als Element im Canvas – zusätzlich zu den Entscheidungstatbeständen – aufgenommen. Die Fallstudien zeigen, dass die Entwicklung der Value Proposition in digitalisierten Ecosystems einen fortlaufenden, dynamischen Prozess darstellt. Die Akteure entwickeln diese mittels Co-Creation durch den gegenseitigen Austausch von Wissen und Information (Kowalkowski et al., 2012, S. 1553). In diesem Prozess ist die sich fortlaufend weiterentwickelnde Value Proposition zugleich Vorgabe und Ergebnis aus der Konfiguration und Koordination der zentralen und peripheren Akteure. Welche Akteure wie und mit welchen Fähigkeiten eingebunden werden, beeinflusst die Value Proposition und umgekehrt. Während die Entscheidungstatbestände jedoch eine chronologische Ordnung aufweisen, wird die Value Proposition jeweils bei den anderen Dimensionen mitbetrachtet. Sie wird zu Beginn grob festgehalten, kann aber auf Basis der anderen Dimensionen angepasst bzw. verfeinert werden. Die Struktur der anderen vier Elemente ist analog zum Aufbau der Entscheidungstatbestände: Die beiden Aspekte der Konfiguration (Festlegung der Akteure) und der Koordination (Festlegung ihrer Integration) werden jeweils für die zentralen und peripheren Akteure betrachtet. Daraus ergibt sich die Struktur mit vier Entscheidungstatbeständen, die in der Reihenfolge ihrer Nummerierung vom ersten bis zum vierten Entscheidungstatbestand bearbeitet werden.
4
Überführung der Erkenntnisse in ein Anwendungsmodell
Abbildung 4.2 Ecosystem Canvas (verkleinert)
162
4.2 Vorstellung der Instrumente zur Anwendung in der Praxis
163
Entlang der fünf Elemente ergeben sich die folgenden Schritte zum Ausfüllen des Canvas. Sie werden im Anschluss im Detail beschrieben: 1. Formulierung der Value Proposition 1.1 Formulierung der zentralen Value Proposition (kann fortlaufend verfeinert oder angepasst werden) 2. Festlegung der zentralen Akteure 2.1 Sammlung der Akteure und Kompetenzen 2.2 Unterteilung in zentrale und periphere Akteure 2.3 Prüfung des Fits zum Geschäftsmodell bzw. zur Strategie der Akteure 2.4 Festlegung der Koordinationsrolle 2.5 Festlegung der Wertschöpfungsrolle 3. Integration der zentralen Akteure 3.1 Spezifizierung des Einsatzes von „boundary spanning“ Personen und Teams 3.2 Spezifizierung des Austauschs von Wissen und Information 3.3 Spezifizierung des Aufbaus einer gemeinsamen Ecosystemidentität 3.4 Spezifizierung des Einsatzes von Regeln der Zusammenarbeit (Relational Contracting) 3.5 Spezifizierung der Integration von multiplen Identitäten und Geschäftsmodellen 4. Festlegung der Offenheit gegenüber peripheren Akteuren 4.1 Festlegung der Offenheit entlang und innerhalb der Ecosystem Layers 4.2 Identifikation kritischer Datenströme 5. Integration der peripheren Akteure 5.1 Spezifizierung eines Markplatz- und/oder Partnersystems 5.2 Spezifizierung des Teilens von Wissen und Technologie 5.3 Spezifizierung von Services zur Förderung der Leistungsfähigkeit der peripheren Akteure 5.4 Spezifizierung von Maßnahmen zur Sicherstellung der Interoperabilität
4.2.1.2 Schritte und Hinweise zu den Elementen des Canvas (1) Formulierung der Value Proposition Schritt 1.1: Formulierung der zentralen Value Proposition Was ist der Kern der gemeinsamen Wertschöpfung? Die Value Proposition ist zugleich Vorgabe und Ergebnis aus der Konfiguration und Koordination der zentralen und peripheren Akteure und beeinflusst, welche Akteure wie und mit welchen Fähigkeiten eingebunden werden. Demgegenüber beeinflusst die Einbindung der
164
4
Überführung der Erkenntnisse in ein Anwendungsmodell
Akteure auch die Value Proposition. Sie dient dazu, die Erwartungen an die Wertschöpfung explizit zu machen (Frow et al., 2014): Als Versprechen/Vorschlag gegenüber Kunden, als Einladung/Verbindung gegenüber zentralen und peripheren Akteuren, als Leuchtturm/Weg zur Orientierung sämtlicher Akteure. Die Art und Weise der Formulierung der Value Proposition ist offen. Sie kann im weiteren Verlauf fortlaufend verfeinert oder angepasst werden. (2) Festlegung der zentralen Akteure Schritt 2.1: Sammlung der Akteure und Kompetenzen Wer sind die (potenziell) relevanten Akteure und was sind ihre Kompetenzen? Als Basis für die Zuordnung von Rollen sind zunächst die Akteure zu sammeln bzw. festzuhalten, die (potenziell) an der Wertschöpfung beteiligt sind. Die Value Proposition ergibt sich aus der Rekombination der spezifischen komplementären Kernkompetenzen deser Akteure. Festgehalten wird jeweils der Akteur und eine oder mehrere zugehörige Kompetenzen wie z. B.: Systemwissen, Dienstleistungskompetenzen bzw. -ressourcen, Technologie, Installed Base, Marke, Kundenbeziehungen, Beziehungen zu anderen Akteuren u. a. m. (Senn, 2017, S. 23). Schritt 2.2: Unterteilung in zentrale und periphere Akteure Welche Akteure sind zentral, welche sind peripher und welche sind so generisch, dass sie vorerst nicht betrachtet werden? Die gesammelten Akteure werden auf Basis ihrer strategischen Bedeutung für die Value Proposition in zentrale und periphere Akteure aufgeteilt. Generische Akteure (z. B. Elektrizität) werden nicht weiter betrachtet, da ihre Eigenschaften und die Koordination rein marktbasiert sind und daher keine Besonderheiten in Ecosystems aufweisen. Das heißt, die Akteure werden in drei Gruppen eingeteilt und auf dem Canvas festgehalten bzw. aussortiert: • Zentraler Akteur: Akteure mit komplementären Kompetenzen von hoher Spezifität und strategischer Bedeutung für das Ecosystem, notwendig für die Value Proposition • Peripherer Akteur: Akteure mit komplementären Kompetenzen von geringerer Spezifität und Bedeutung • Generischer Akteur: Akteure mit generischer Kompetenz (aussortieren)
4.2 Vorstellung der Instrumente zur Anwendung in der Praxis
165
Schritt 2.3: Prüfung des Fits zum Geschäftsmodell bzw. zur Strategie der Akteure Ist die Value Proposition kompatibel mit dem Geschäftsmodell der zentralen Akteure? Der Fit der Rolle mit der eigenen Strategie und dem eigenen Geschäftsmodell ist eine Voraussetzung für ein erfolgreiches Agieren im Ecosystem. Ist dies nicht gegeben, drohen Konflikte und Probleme hinsichtlich Identität, Unternehmensstrategie, finanziellen Kennzahlen usw. Deshalb ist zu betrachten, ob das Ecosystem und die Rolle darin im Gegensatz zum eigenen Kerngeschäft steht oder eine Ergänzung dazu darstellt. Dabei ist nicht nur das aktuelle, sondern auch das zukünftige Geschäftsmodell zu betrachten. Neue Geschäftsmodelle in einem Ecosystem voranzutreiben kann eine Strategie sein, um Transformation eines Unternehmens zu fördern, ohne dass von Beginn an sämtliche Aktivitäten auf das neue Modell ausgerichtet werden. Festgehalten wird demnach pro Akteur eine der drei Ausprägungen: • Kompatibel: Das Geschäftsmodell ist eine Erweiterung oder sinnvolle Ergänzung zum Bestehenden • Kompatibel im Sinne eines bewussten Gegensatzes: Das Ecosystem steht in einem gewissen Gegensatz oder ist gar substituierend, dies ist jedoch Teil der Strategie (Transformation) • Nicht kompatibel: Der Akteur sieht sich bspw. als Lieferant und nicht als Anbieter der Kernleistung im Ecosystem Schritt 2.4: Festlegung der Koordinationsrolle Welche zentralen Akteure nehmen eine Führungsrolle als Orchestrator ein und welche sind zentrale Partner dieser Orchestratoren? Die Koordination zeichnet sich dadurch aus, dass gewisse Akteure eine Führungsrolle als Orchestrator(en) des Ecosystems einnehmen. Eine Rolle als Orchestrator ist zu prüfen, wenn die Kernkompetenz hoch spezifisch und von strategischer Bedeutung für die Value Proposition des Ecosystems ist und das Geschäftsmodell kompatibel ist. Ist das Geschäftsmodell nicht kompatibel oder die Kernkompetenz zwar von hoher strategischer Bedeutung, jedoch nicht in einem solchen Ausmaß, dass es eine Rolle als Orchestrator rechtfertigen würde, dann ist eine Rolle als zentraler Partner angebracht. Dabei ist zu beachten, dass die Komplexität mit jedem Orchestrator steigt. Bestenfalls sind zwei oder drei Orchestratoren anzustreben. Dementsprechend wird für die zentralen Akteure eine der folgenden beiden Ausprägungen festgehalten: • Orchestrator: Zentraler Akteur mit Führungsrolle
166
4
Überführung der Erkenntnisse in ein Anwendungsmodell
• Zentraler Partner: Zentraler Akteur mit wichtiger Kompetenz für die Value Proposition aber ohne Führungsrolle Schritt 2.5: Festlegung der Wertschöpfungsrolle Welche Rolle nehmen die zentralen Akteure in der Value-Co-Creation ein? Diese ergibt sich aus den Kompetenzen und dem Geschäftsmodell der Akteure. Dabei besteht ein Zusammenhang zwischen Koordinationsrolle und Wertschöpfungsrolle, je nach Relevanz der einzelnen Wertschöpfungselemente. Es ist beispielsweise davon auszugehen, dass der Plattformbetreiber häufig auch Orchestrator ist. Für jeden Akteur werden im Canvas eine oder mehrere der folgenden Rollen festgehalten: • Plattformbetreiber: Unterhalt und Betrieb der Plattform, Management der Plattformuser • Technologieanbieter: Liefert technologische Basis für die Plattform, Technologien für Entwicklung und Betrieb der Serviceapplikationen (Servertechnologie, Softwareframeworks), stellt technische Schnittstellen (APIs) zur Verfügung • Implementierungspartner: Übernimmt Vertriebsleistungen, Implementierung der Lösung bei Kunden, Beratung der Kunden, Support und After-Sales • Zentraler Serviceanbieter: Bietet Serviceleistungen, die Kernbestandteil der Plattform sind und Business Services für den Betrieb der Plattform • Zentraler Hardwareanbieter: Produzent oder Eigentümer physischer Produkte, „Things“ oder Infrastruktur, die Kernbestandteil der Plattform sind, Herstellung und Ausstattung mit Technologie zur digitalen Vernetzung • Pilotkunde: Spezifikation von Anforderungen, Mitentwicklung (3) Integration der zentralen Akteure Schritt 3.1: Spezifizierung des Einsatzes von „boundary spanning“ Personen und Teams Wie wird die akteursübergreifende Zusammenarbeit auf der Ebene von Teams und Personen gestaltet? „Boundary Spanner“ sind Personen und Teams, die an den Grenzen zwischen Akteuren eine Schnittstellenfunktion bzw. eine Rolle als Brückenbauer wahrnehmen (Sydow, 1992). Sie strukturieren und planen die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren, bestimmen wie zusammengearbeitet wird, wer die Stakeholder der beteiligten Organisationen sind und was die gemeinsame Leistung umfasst. Sie übernehmen zudem Projektaufgaben und stellen den Informationsfluss und Wissensaustausch zwischen den Akteuren sicher (Winkler, 1999,
4.2 Vorstellung der Instrumente zur Anwendung in der Praxis
167
S. 204 f.). Es eignen sich insbesondere cross-funktionale, selbstgesteuerte Teams (Picot et al., 2001, S. 458). Es gilt folgende Aspekte zu klären und festzuhalten: • Beschaffenheit und Zusammensetzung der Teams (z. B. cross-funktional, selfdirected, Integration von externen Experten, Fähigkeiten usw.) • Aufgaben der Personen und Teams (z. B. Projektaufgaben, Aufgaben hins. Kommunikation und Change usw.) • Entscheidungs- und Handlungskompetenzen der Personen und Teams (z. B. Sicherstellung des Supports durch das Management, eigenes Budget usw.) Schritt 3.2: Spezifizierung des Austauschs von Wissen und Information Welches Wissen und welche Informationen tauschen die zentralen Akteure zur gegenseitigen Integration aus und wie tun sie dies? Kommunikation und der Austausch von Wissen sind zentrale Erfolgsfaktoren unternehmensübergreifender Zusammenarbeit (Dixon, 2000) und helfen, eine gemeinsame Vertrauensbasis zu etablieren (Abrams et al., 2003). Die zu spezifizierenden Maßnahmen können sich auf verschiedene Aspekte beziehen: • Aufbau von gemeinsamem Systemwissen: Wissen über die Architektur, die vielfältigen Wechselwirkungen und die externen Einflussfaktoren des Ecosystems • Teilen von Daten: Abbau von Datensilos und Aufbau von Schnittstellen zur digitalen Datenübertragung • Schaffung von Transparenz hinsichtlich der Motive und Bedürfnisse: Offenlegung der eigenen Anreize und Hindernisse Schritt 3.3: Spezifizierung der Maßnahmen zum Aufbau einer gemeinsamen Ecosystemidentität Wie bauen die zentralen Akteure eine gemeinsame Identität zur Integration auf? Identifikation mit dem Ecosystem existiert parallel zur Identifikation mit dem eigenen Unternehmen. Dies fördert kollaboratives Verhalten und hat einen positiven Einfluss auf die Motivation und Leistungsbereitschaft der Teams. Die zu spezifizierenden Maßnahmen können sich auf verschiedene Aspekte beziehen: • Maßnahmen zur Entwicklung einer geteilten Vision (z. B. ManagementWorkshops zur Formulierung, Visualisierung und Kommunikation usw.)
168
4
Überführung der Erkenntnisse in ein Anwendungsmodell
• Maßnahmen zur Entwicklung geteilter Werten und Normen (z. B. explizite gemeinsame Formulierung, Signaling-Instrumente usw.) • Andere: Es können weitere Maßnahmen eingesetzt werden, die direkt auf die Identität wirken, beispielsweise internal Branding Schritt 3.4: Spezifizierung von Regeln der Zusammenarbeit (Relational Contracting) Welche gegenseitigen Erwartungen und Normen halten die zentralen Akteure zur Integration fest und wie? Der langfristige Aufbau von Vertrauen basiert auf der Einhaltung gewisser Erwartungen und Normen bzw. impliziter Verhaltensregeln. Durch den Einsatz von formalen Relational Contracts werden diese explizit gemacht, was die vertrauensbasierte Integration fördert. Es gilt, beziehungsorientierte Klauseln und Elemente formal festzuhalten. Zu spezifizieren sind die inhaltlichen Elemente der Zusammenarbeit, die geklärt und festgehalten werden sollen, z. B. (Frydlinger et al., 2019): • • • •
Reziprozität: Ausgeglichenes Verhalten zum gegenseitigen Vorteil Autonomie: Beibehaltung der Selbstbestimmung der Akteure Ehrlichkeit: Offenlegen und Korrektheit von relevanten Informationen Loyalität: Vertreten der gemeinsamen Interessen, auch wenn dies situativ nicht opportun ist • Fairness: Angemessenheit unter Anerkennung von Ungleichheit. Das heißt beispielsweise, dass ein Akteur mit beschränkten Ressourcen nicht zwangsweise den gleichen Beitrag zu leisten hat • Integrität: Übereinstimmung von Verhaltenswerten und eigentlichem Verhalten Schritt 3.5: Spezifizierung der Integration von multiplen Identitäten und Geschäftsmodellen Wie ist der Umgang mit multiplen Identitäten und Geschäftsmodellen? Geschäftsmodell und Identität im Ecosystem können sich von der herkömmlichen, unternehmenszentrierten Identität und dem historischen Geschäftsmodell der einzelnen Akteure unterscheiden. Auf Basis der angestrebten Pluralität (eine oder mehrere Geschäftsmodelle und Identitäten) und der Synergie (wie kompatibel sind die Identitäten und Geschäftsmodelle?) lässt sich festlegen, wie mit dieser Situation umzugehen ist. Es gilt, eine der folgenden Optionen festzulegen (Pratt und Foreman, 2000): • Abgrenzung: Mehrere Identitäten, deren Synergie gering ist, sollen beibehalten und klar voneinander abgegrenzt werden
4.2 Vorstellung der Instrumente zur Anwendung in der Praxis
169
• Verknüpfung: Mehrere Identitäten, deren Synergie hoch ist, sollen beibehalten werden. Es werden Verbindungen geschaffen • Verschmelzung: Individuellen Geschäftsmodelle und Identitäten mit hohem Synergiepotenzial sollen zugunsten einer gemeinsamen Identität bzw. eines gemeinsamen Geschäftsmodells aufgegeben werden • Reduktion: Individuellen Geschäftsmodelle und Identitäten mit geringem Synergiepotenzial werden zugunsten einer Identität bzw. eines Geschäftsmodells aufgegeben (4) Festlegung der Offenheit gegenüber peripheren Akteuren Schritt 4.1: Festlegung der Offenheit entlang und innerhalb der Ecosystem Layers Auf welchen Layers und wie wird das Ecosystem gegenüber peripheren Akteuren geöffnet? Die Orchestratoren und Plattformbetreiber setzen modulare Konzepte und Technologien ein, um das Ecosystem auf gewissen Layers (Platform, Hardware, Service, User) gezielt für die peripheren Akteure zu öffnen, ihnen dadurch die Partizipation zu ermöglichen und so als Serviceplattform agieren zu können. Eine Beschränkung der Offenheit stellt jedoch die Interessen der Orchestratoren sicher und reduziert Komplexität. Daher gilt es, pro Layer den Grad der Offenheit festzulegen und zu beschreiben, wie diese umgesetzt wird: • Offen: Keine Einschränkungen, offene Schnittstellen, Open Sourcing usw. • Beschränkt: Teilweise Einschränkungen, Exklusivität, Selektion, Zulassungskriterien usw. • Geschlossen: Restriktive bis keine Partizipation, außer durch die zentralen Akteure Schritt 4.2. Identifikation kritischer Datenströme Welche kritischen Datenströme zwischen den Layers und Akteuren sind im Detail zu klären? Die Kontrolle der Datenströme in einem Ecosystem mit einer Vielzahl an Akteuren stellt die Orchestratoren vor komplexe Herausforderungen hinsichtlich Rechtslage, Geschäftsmodelle und Beziehung zu den Akteuren. Insbesondere der Austausch von Kundendaten durch die Akteure untereinander ist im Detail zu betrachten. Als Basis für die die verschiedenen Rollen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten im Prozess der Datensammlung und -nutzung sind daher zunächst die kritischen Datenströme zu identifizieren:
170
4
Überführung der Erkenntnisse in ein Anwendungsmodell
• Kundenbezogene Datenströme zwischen den zentralen Akteuren • Kundenbezogene Datenströme zwischen den peripheren und den zentralen Akteuren (5) Integration der peripheren Akteure Schritt 5.1: Spezifizierung eines Markplatz- und/oder Partnersystems. Wie wird die (beschränkte) Offenheit systematisiert? Über kontrollierte Marktplätze und Partnersysteme können Schnittstellen und Standards sowie Regelwerke, Prozesse und Kontrollmechanismen etabliert werden. Sie bieten die Möglichkeit, die peripheren Akteure aktiv zu managen und ihnen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Diese Systeme und Prozesse können langfristig optimiert und automatisiert werden. Zu spezifizieren ist eine der folgenden Optionen sowie Eckpunkte zur Umsetzung: • Kontrollierter Marktplatz: Digitale Vertriebsplattformen für komplementäre Services und Applikationen • Partnersystem: Strukturierte Netzwerke aus peripheren Akteuren, bspw. mit Vertriebsanreizen, Zertifizierungsmöglichkeiten usw. • Kombination: Mischung bzw. Einsatz beider Systeme • Andere: Weitere Formate können entwickelt werden, z. B. ein AccelaratorSystem für periphere Startups Schritt 5.2: Spezifizierung des Teilens von Wissen und Technologie Welches Wissen und welche Technologien werden wie mit den peripheren Akteuren geteilt? Es ist Aufgabe der Orchestratoren sicherzustellen, dass die peripheren Akteure über die Vision, die Veränderungen und die Weiterentwicklung des Ecosystems Bescheid wissen. So können sie ihre eigene Wertschöpfung und ihr Handeln daran ausrichten. Neben Wissen stellen sie auch Technologien zur Verfügung, zu denen die peripheren Akteure alleine keinen Zugang haben. Durch das Teilen von Wissen und Technologie sinken die spezifischen Investitionen der peripheren Akteure. Es gilt festzulegen, welches Wissen und welche Technologien wie geteilt werden: • Teilen von Wissen: Systemwissen, Strategie der Orchestratoren, Veränderungen usw. als Basis für kongruentes Verhalten • Teilen von Technologien: Schlüsseltechnologien wie künstliche Intelligenz als Basis für den Aufbau von komplementären Services
4.2 Vorstellung der Instrumente zur Anwendung in der Praxis
171
Schritt 5.3: Spezifizierung von Services zur Förderung der Leistungsfähigkeit der peripheren Akteure Welche Services werden zur Befähigung der peripheren Akteure angeboten? Zur Förderung komplementärer Angebote gilt es, über den gesamten Lebenszyklus hinweg Services und Unterstützung von der Entwicklung bis zur Vermarktung der Angebote anzubieten. Services können beispielsweise entlang der folgenden Kategorien festgehalten werden: • Geschäftsmodell: Unterstützung bei der Entwicklung und Prüfung des Business Cases • Training: Sicherstellung des internen Know-hows der Mitarbeitenden • Entwicklung und Betrieb: Zugang zu Technologien und Support beim laufen-den Betrieb • Vermarktung und Vertrieb: Unterstützung von der Bekanntmachung bis zum Verkauf Schritt 5.4: Spezifizierung der Maßnahmen zur Sicherstellung der Interoperabilität Wie wird ein möglichst reibungsloses Andocken der peripheren Akteure ermöglicht? Im Hinblick auf die Realisierung der Modularität mit dem Ziel einer effizienten und skalierbaren Einbindung der peripheren Akteure kommt der Interoperabilität eine wichtige Bedeutung zu. In diesem Kontext wird auch von der Möglichkeit zum „Plug and Play“ der Akteure gesprochen (Weill und Woerner, 2015). Zu spezifizieren sind hierzu: • Schnittstellen: Standardisierte Übergänge, sowohl technisch als auch organisatorisch • Standards: Standards an den Übergängen, z. B. hinsichtlich Datenformaten
4.2.2
Liste mit Umsetzungsthemen hinsichtlich der Organisations-, System- und Angebotsarchitektur
Der Ecosystem Canvas dient liefert einen Überblick über die Entscheidungstatbestände. Die einzelnen Aspekte können im Anschluss konkretisiert werden, indem sie auf die Organisations-, System- und Angebotsarchitektur heruntergebrochen werden. So können die konkreten Implikationen für die beteiligten Unternehmen betrachtet werden. Die in Abbildung 4.3 dargestellte Liste mit Themen bietet die Basis dazu.
4
Abbildung 4.3 Umsetzungsthemen hins. der Organisations-, System- und Angebotsarchitektur
172 Überführung der Erkenntnisse in ein Anwendungsmodell
4.2 Vorstellung der Instrumente zur Anwendung in der Praxis
4.2.3
173
Anwendungsmethode
Das Vorgehen zum Befüllen des Ecosystem Canvas und zur darauffolgenden Vertiefung mittels der Checkliste ist grundsätzlich offen. Eine einzelne Person kann beispielsweise mit Hilfe des Canvas kurz ein Konzept skizzieren oder eine interdisziplinäre Gruppe kann in einem ganztägigen Workshop detaillierte Szenarien entwickeln oder Analysen vornehmen. Nachfolgend wird das Konzept für einen solchen Workshop als Anwendungsmethode vorgestellt. Der Workshop ist dabei als initialer Schritt konzipiert, lässt sich jedoch bei der agilen Entwicklung des Ecosystems beliebig wiederholen, wobei jeweils auf den bisherigen Erkenntnissen aufgebaut wird. Nachfolgend werden die Zusammensetzung der Teilnehmer, die Methoden und der Ablauf des Workshops beschrieben. Hinsichtlich der Zusammensetzung der Teilnehmer des Workshops sind die Anzahl, die Qualifikation und die Diversität zu betrachten. Die Anzahl Teilnehmer ist primär durch die involvierten Akteure getrieben. Eine Fokussierung auf die zentralen Akteure oder die Orchestratoren ist – sofern bereits absehbar - empfehlenswert. Eine Gruppengröße von 8–12 Teilnehmern ist für die nachfolgend vorgestellten Methoden zielführend. Wichtig ist, dass die Teilnehmer über Expertenwissen und eine intrinsische Motivation verfügen (Amabile, 2013). In der Praxis herrscht die weitläufige Meinung vor, dass Diversität ein zentraler Treiber von Kreativität und Innovation sei (Chamorro-Premuzic, 2017). Die wissenschaftliche Evidenz dafür ist jedoch rar. Es zeigt sich, dass zwar Vorteile bei der Ideengenerierung entstehen können, diesen jedoch Nachteile hinsichtlich der Selektion und Integration von Ideen gegenüberstehen (Harvey, 2013). Zu unterschiedliche Akteure scheitern dabei, die Gedanken der anderen miteinzubeziehen und zu kombinieren. Auch zeigt sich, dass der Prozess insgesamt einen höheren Einfluss auf die Problemlösung hat als Aspekte, die das Team betreffen (Hülsheger et al., 2009). Hinsichtlich der Methoden im Workshop ist der Einsatz von Kreativitätstechniken empfehlenswert. Zur Förderung der Kreativität werden folgende Methoden eingesetzt: • Brainstorming/Brainwriting (Engeln, 2006, S. 101): Beim Brainstorming werden offen Ideen gesammelt und anschließend diskutiert. Dabei liegt der Fokus zunächst auf der Quantität. Kritik während der Ideensammlung ist untersagt. Wichtig ist, dass das Thema klar eingegrenzt und erläutert ist. Beim Brainwriting hält jeder Teilnehmer seine Gedanken zunächst schriftlich fest. • Galeriemethode (Gassmann und Sutter, 2011, S. 280 f.; Schallmo, 2013): Die Galeriemethode kombiniert Brainstorming in der Gruppe und individuelles Brainwriting. Zunächst werden bildhaft und mit Notizen die eigenen Ideen und
174
4
Überführung der Erkenntnisse in ein Anwendungsmodell
Vorstellungen skizziert, so dass sie für andere nachvollziehbar sind. In größeren Gruppen geschieht dies bereits zu zweit oder zu dritt. Die Ideen werden anschließend durch alle gesichtet und auf Basis der dadurch gewonnenen Eindrücke wiederum weiterentwickelt. Anschließend werden sie erneut gesichtet, finalisiert und gegebenenfalls selektiert. Der Name der Methode bezieht sich darauf, dass die Ideen für die Sichtung in Form einer Galerie „ausgestellt“ werden. • World Café (Brown und Isaacs, 2005): Im World Café diskutieren Gruppen an verschiedenen Tischen unterschiedliche Themen oder Fragestellungen. Anschliessend wechseln sie den Tisch und bauen auf der Arbeit ihrer Vorgänger auf. So werden die Teilnehmer über mehrere Runden mit den Themen konfrontiert und jedes Thema wird nach und nach vertieft bzw. ergänzt. Zwölf Personen auf drei bis vier Tische verteilt, mit einem Thema pro Tisch, stellt üblicherweise das Minimum dar (Harbig, 2007, S. 213). Die Methode lässt sich jedoch anpassen, indem eine Gruppe mehrere Themen bearbeitet oder auch nur zwei Personen gleichzeitig ein Thema diskutieren. Der Ablauf des Workshops kann entlang der Elemente des Canvas und den in Abschn. 4.2.1 erläuterten Schritten strukturiert werden. Je nach Element werden verschiedene Methoden angewendet. Abbildung 4.4 zeigt das Drehbuch für einen eintägigen Workshop zur Bearbeitung des Canvas.
4.2.4
Anwendungsbeispiel
Zur Veranschaulichung wird nachfolgend ein fiktives Beispiel beschrieben. Abbildung 4.5 zeigt den ausgefüllten Canvas zum Beispiel. Darin sind die zentralen Akteure ein Software-Startup, das Cloudlösungen implementiert, ein großes Immobilienverwaltungsunternehmen, das eigene Areale entwickelt und Immobilien im Auftrag von Eigentümern verwaltet, sowie ein Energieversorger dabei, eine Plattform für die Verwaltung von Immobilien und Mietern zu entwickeln. Das Startup wurde mit diesem Ziel gegründet, es handelt sich demnach um das Kerngeschäft des Unternehmens. Für die Immobilienverwaltung stellt die Plattform eine Strategie dar, digitale Geschäftsmodelle zu erschließen. Dabei drohen jedoch Konflikte mit der Identität und den bisherigen Geschäftsmodellen, da die Plattform auch an Konkurrenten des Kerngeschäfts vertrieben werden wird. Für das Energieunternehmen ist das Ecosystem-Projekt komplementär zum eigenen Kerngeschäft, die Transformation zum (digitalisierten) Serviceanbieter entspricht der Strategie. Daher ist geplant, dass alle drei Akteure das Ecosystem gemeinsam orchestrieren. Diese Aspekte sind in der Entwicklungsphase jedoch noch nicht final geklärt. Hinsichtlich
4.2 Vorstellung der Instrumente zur Anwendung in der Praxis
Element
Fragestellung
Allgemeine
Wieso sind wir heute hier? Was ist die
Einführung
Bedeutung von Ecosystems?
175
Methode
Zeit
Inputvortrag
8:30 30 Min.
Was sind Suchbereiche für die Value Proposition? Formulierung
Was ist der Kern der gemeinsamen
der Value
Wertschöpfung?
Galeriemethode
9:00 30 Min.
Proposition Festlegung der
Wer sind die (potenziell) relevanten Akteure und
Brainstorming in
09:30
zentralen
was sind ihre Kompetenzen?
Gruppen;
20 Min.
Akteure
Vorselektion in der Gruppe Welche Akteure sind zentral, welche sind
Jede Gruppe stellt
09:50
peripher und welche sind so generisch, dass sie
ihre Akteure im
20 Min.
vorerst nicht betrachtet werden?
Plenum vor; Diskussion
Welche zentralen Akteure nehmen eine
Diskussion im
10:10
Führungsrolle als Orchestrator ein und welche
Plenum pro
20 Min.
sind zentrale Partner der Orchestratoren?
zentralem Akteur
Welche Rolle nehmen die zentralen Akteure in der Value-Co-Creation ein? Pause
10:30 30 Min.
Integration der
Wie wird die akteursübergreifende
World Café: Die
11:00
zentralen
Zusammenarbeit auf der Ebene von Teams und
Teilnehmer
75 Min.
Akteure
Personen gestaltet?
verteilen sich auf
Welches Wissen und welche Informationen
5 Flipcharts; 10
tauschen die zentralen Akteure zur
Minuten Pro
gegenseitigen Integration aus und wie tun sie
Thema; 25
dies?
Minuten
Wie bauen die zentralen Akteure eine
Diskussion
gemeinsame Identität zur Integration auf? Welche gegenseitigen Erwartungen und Normen halten die zentralen Akteure zur Integration fest und wie? Wie ist der Umgang mit multiplen Identitäten und Geschäftsmodellen?
Abbildung 4.4 Drehbuch Ecosystem Workshop
176
4
Element
Überführung der Erkenntnisse in ein Anwendungsmodell
Fragestellung
Methode
Mittagspause
Zeit 12:15 60 Min.
Festlegung der
Auf welchen Layers wird das Ecosystem wie
Diskussion im
13:15
Offenheit
gegenüber peripheren Akteuren geöffnet?
Plenum pro Layer
45 Min.
peripheren
Welche kritischen Datenströme zwischen den
Brainstorming;
14:00
Akteuren
Layers und Akteuren sind im Detail zu klären?
Selektion im
30 Min.
gegenüber
Plenum Integration der
Wie wird die (beschränkte) Offenheit
World Café: Die
14:30
peripheren
systematisiert?
Teilnehmer
60 Min.
Akteure
Welches Wissen und welche Technologien
verteilen sich auf
werden wie mit den peripheren Akteuren geteilt?
4 Flipcharts; 10
Welche Services werden zur Befähigung der
Minuten Pro
peripheren Akteure angeboten?
Thema; 20
Wie wird ein möglichst reibungsloses Andocken
Minuten
der peripheren Akteure ermöglicht?
Diskussion
Pause
15:30 30 Min.
Abschluss und
Wie ist weiter vorzugehen?
Diskussion im
16:00
weiteres
In welcher Konstellation?
Plenum und
45 Min.
Vorgehen
Welche Akteure sind fortan einzubinden?
Verabschiedung
Welche Themen der Checkliste sind durch wen
der nächsten
zu vertiefen?
Schritte mit Datum und Verantwortlichkeit
Abbildung 4.4 (Fortsetzung)
der Wertschöpfungsrolle werden sie die Plattform gemeinsam betreiben, das Startup übernimmt die Rolle als Technologiepartner, die Immobilienverwaltung übernimmt Vertriebsaufgaben und ist zugleich Pilotkunde und Anbieter von Services. Der Energieversorger ist ebenfalls Serviceanbieter und Vertriebspartner. Zudem liefert er gewisse Hardware aus dem Bereich Smart Home. Zur Integration der zentralen Akteure wurde in der frühen Phase eine Beteiligung am Startup gewählt. Darüber hinaus ist die Zusammenarbeit primär vertrauensbasiert. Ein interdisziplinäres Kernteam aus jeweils zwei Vertretern der drei Unternehmen arbeitet Vollzeit als Produktmanager am Projekt und greift auf ein
4.2 Vorstellung der Instrumente zur Anwendung in der Praxis
177
erweitertes Projektteam aus Spezialisten zu. Das erweiterte Team trifft sich in einem virtuellen Meeting jeden Montag morgen. Das Kernteam arbeitet abwechselnd an den Standorten der drei Unternehmen und stellt so die Sichtbarkeit und Identifikation sicher. Zu Beginn wurden gemeinsame Vorstudien mit peripheren Akteuren und potenziellen Kunden angefertigt und die bestehenden Customer Insights der Unternehmen gemeinsam analysiert. Auf dieser Basis wurde eine Vision mit dem C-Level Management erarbeitet und verabschiedet. Diese wird intern kommuniziert und bildet die Grundlage für das Projekt und die gemeinsame Identität. Neben der Beteiligung wurde ein Vertrag mit Verhaltensprinzipien und Aufgaben formuliert. Die enthaltenen Prinzipien werden intern kommuniziert und sorgen so für Verbindlichkeit. Ziel ist es zudem, den Mitarbeitenden der Unternehmen mittels interner Kommunikation die Parallelen zum Kerngeschäft und zur eigenen Identität aufzuzeigen und zu fördern. So soll Ängsten über Substituierung bzw. Kannibalisierung vorgebeugt werden. Das Startup wird auch als Inkubator für neue Ideen der beiden Grossunternehmen betrachtet. Die neue Lösung soll eine zentrale Daten- und Interaktionsplattform zwischen Mietern, Vermietern und Verwaltern bieten. Diese greifen auf den Vertrag, Mietabrechnungen, Nebenkostenabrechnungen usw. zu. Ein Ticket-System ermöglicht es Mietern, Anliegen zu melden, z. B. Schäden oder Reparaturen. Die Plattform wird als Service an Vermieter und Immobilienverwaltungen verkauft, die eine Lizenzgebühr bezahlen. Hinsichtlich der Offenheit gegenüber peripheren Akteuren ist der Platform Layer demnach geschlossen. Die Mieter verwenden jedoch eine App, mittels derer sie auf eine Reihe von komplementären Services wie Handwerker, Reinigung, Smart Home-Services, Versicherungen u. a. m. zugreifen können (Service Layer). Dabei werden nur selektierte Anbieter zugelassen (beschränkte Offenheit). Diese bezahlen eine Provision an die zentralen Akteure. Auch die Vermieter können, wenn ein Ticket (z. B. Schadensmeldung) eröffnet wird, direkt diese Anbieter beauftragen. Darüber hinaus sind Integrationen mit Herstellern von Geräten rund um das Thema Smart Home geplant (Hardware Layer). Auch hier ist die Offenheit beschränkt. Um die Komplexität geringer zu halten, werden vorerst nur Geräte, die der Energieversorger bereits selber anbietet und installieren kann, integriert. In einem späteren Schritt sollen offene Schnittstellen geschaffen werden, um das Andocken weiterer Hersteller zu vereinfachen. Aus der beschränkten Offenheit auf dem Service Layer und dem Hardware Layer ergeben sich Fragestellungen in Bezug auf Datenschutz und Dateneigentum: Wer erhält welche Daten (Plattformanbieter, Vermieter, Serviceanbieter)? Was geschieht, wenn jemand wegzieht? Zur Integration der peripheren Akteure wird – wie oben beschrieben – ein Marktplatz für Mieterservices implementiert: Mieter und Vermieter können Handwerker, Smart Home-Services und Umzugsdienstleistungen beauftragen sowie
4
Überführung der Erkenntnisse in ein Anwendungsmodell
Abbildung 4.5 Ecosystem Canvas ausgefüllt (exemplarisch)
178
4.2 Vorstellung der Instrumente zur Anwendung in der Praxis
179
Versicherungen abschließen. Die Services werden laufend ergänzt. Um Anreize zur Partizipation zu setzen, werden Abrechnungsservices und weitere Prozessoptimierungen für komplementäre Serviceanbieter implementiert. So sparen diese die initialen Aufwände der Integration langfristig durch Effizienzgewinne wieder ein. Hinzu kommt ein Partnersystem für Architekten und Bauunternehmen als Vertriebspartner mit entsprechenden Rückvergütungen.
5
Zusammenfassung und Ausblick
5.1
Zusammenfassung
In der vorliegenden Arbeit wird die Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems durch kollaborierende Akteure untersucht. Das erste Teilziel umfasst die theoretische Fundierung und die Konzeptualisierung von Entscheidungstatbeständen in Service Ecosystems. Dazu erfolgt im zweiten Kapitel die Konzeptualisierung der Entscheidungstatbestände (was ist zu entscheiden?) und der Entscheidungsvariablen (anhand von was wird entschieden?) als Grundlage für die Untersuchung der Gestaltungsentscheide in Ecosystems. Auf Basis theoretischer Überlegungen zur Komplementarität und Modularität der Akteure werden vier übergeordnete Entscheidungstatbestände hinsichtlich der Konfiguration und Koordination dieser Akteure in Ecosystems abgeleitet: (1) Die Festlegung der zentralen Akteure, (2) die Integration der zentralen Akteure, (3) die Festlegung der Offenheit gegenüber peripheren Akteuren und (4) die Integration der peripheren Akteure. Hinsichtlich der Entscheidungsvariablen werden auf Basis der Transaktionskostentheorie zunächst die Verhaltensannahmen der beschränkten Rationalität und des Opportunismus auf Ecosystems übertragen. Das Opportunismusrisiko ist Ecosystems aufgrund der Coopetition zwischen den Akteuren inhärent. Darüber hinaus werden Unsicherheit, Spezifität, strategische Bedeutung und Häufigkeit/Dauer als Entscheidungsvariablen identifiziert. Aus der Zusammenführung der Entscheidungstatbestände und der Entscheidungsvariablen ergeben sich Hypothesen für jeden Entscheidungstatbestand (wie ist zu entscheiden?). Das zweite Teilziel umfasst die Validierung der Entscheidungstatbestände und die Ableitung von Gestaltungshinweisen. Die Validierung geschieht entlang der Orientierungshypothesen anhand von Fallstudienevidenzen. Dies ermöglicht
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Senn, Gestaltung von digitalisierten Service Ecosystems, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31788-1_5
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182
5
Zusammenfassung und Ausblick
die Ableitung von Gestaltungshinweisen anhand theoretisch-konzeptioneller Vertiefung der Erkenntnisse aus den Fallstudien. Die zuvor entwickelte Struktur erweist sich dabei als zielführend und die Orientierungshypothesen werden in ihrer Tendenz bestätigt und weiter verfeinert. Erstens zeigt sich hinsichtlich der Festlegung der zentralen Akteure, dass der Prozess zur Entwicklung einer Value Proposition im Ecosystem ergebnisoffen und mit hoher Unsicherheit verbunden ist. Daher ist nur teilweise klar, welchen Kompetenzen und Akteuren letztlich welche Bedeutung zukommt. Unternehmen sind zudem historisch nicht darauf ausgelegt, Wertschöpfung gemeinsam in einem Ecosystem zu managen. Die Komplexität steigt mit jedem Akteur und unklare Rollen bergen Konfliktpotenziale. Die unterschiedlichen Rollen werden dabei nicht nur durch die Kompetenzen der Akteure, sondern auch durch ihr Geschäftsmodell determiniert. Nicht jede zentrale Rolle orchestriert das Ecosystem mit. Das eigene Geschäftsmodell und die Strategie bestimmen die Zielkongruenz mit den anderen Akteuren. Aus diesen Erkenntnissen lassen sich Gestaltungshinweise hinsichtlich eines Rollenmodells ableiten. Es werden Koordinations- und Wertschöpfungsrollen aufgezeigt. Zweitens zeigt sich bei der Integration der zentralen Akteure eine geringe Eignung klassischer transaktionaler Verträge. Stattdessen wird primär Vertrauen zur Integration eingesetzt. Dies wird begünstigt durch den Einsatz dezidierter Teams, was zu Vertrauen auf persönlicher Ebene und zur Herausbildung einer Ecosystemidentität führt. Dabei können sich Widersprüche zum Kern bilden und die Entwicklung behindern. Sowohl die zentrale Bedeutung von Vertrauen als auch die Herausbildung einer Identität zeigen, dass emotionale Faktoren bei der Betrachtung von Ecosystems zentral sind. Aus diesen Erkenntnissen lassen sich Gestaltungshinweise zum Aufbau eines Orchestrator Relationship Managements ableiten. Diese zielen auf die Integration der zentralen Akteure mittels Vertrauens ab. Drittens wird hinsichtlich der Festlegung der Offenheit gegenüber peripheren Akteuren aufgezeigt, dass die Umsetzung einer „Walled Garden“-Strategie mit beschränkter Offenheit den Orchestratoren ermöglicht, die Wertschöpfung der peripheren Akteure zu kontrollieren. Dies ist insbesondere im Bereich von komplementären Services und Applikationen relevant. Die (beschränkte) Öffnung bedeutet jedoch für die Orchestratoren wiederum eine Steigerung der Komplexität und ist mit einem hohen Koordinationsaufwand verbunden. Wesentlicher Treiber dieser zusätzlichen Komplexität ist das Management der Datenströme. Aus diesen Erkenntnissen lassen sich Gestaltungshinweise hinsichtlich eines Kontrollmodells ableiten. Es werden Layer und Grade der Offenheit aufgezeigt und auf die datentechnischen Herausforderungen der Offenheit hingewiesen.
5.2 Limitationen der Arbeit
183
Viertens ist erkennbar, dass die Integration der peripheren Akteure bei beschränkter Offenheit in kontrollierten Marktplätzen und Partnersystemen strukturiert werden kann und die Orchestratoren mittels dieser Systeme nicht nur Kontrollmechanismen etablieren, sondern aktiv in die Senkung der spezifischen Investitionen der peripheren Akteure investieren. Umgekehrt investieren die modularen Akteure selber in die Senkung ihrer Asset Spezifität, um besser andocken zu können (Plug & Play). Aus diesen Erkenntnissen lassen sich Gestaltungshinweise im Rahmen des Aufbaus eines Participator Relationship Managements ableiten. Im Gegensatz zur Integration der zentralen Akteure mittels Vertrauens, zielen diese auf die Etablierung von Kontroll- und Anreizinstrumenten ab. Das dritte Teilziel ist der Übertrag der Erkenntnisse in ein Anwendungsmodell. Das im Rahmen dieses Gestaltungsziels entwickelte Anwendungsmodell enthält drei Instrumente, die in Kombination anwendbar sind: Erstens einen Ecosystem Canvas als strukturierte Diskussionsgrundlage und Vorlage zur Beschreibung des Ecosystems entlang der Value Proposition und der vier Entscheidungstatbestände. Zweitens eine Liste mit Themen zur Umsetzung des Ecosystems entlang der Organisations-, System- und Angebotsarchitektur. Drittens eine Methode zur Anwendung im Rahmen eines Workshops. Diese Instrumente werden inhaltlich erläutert und in zwei konkrete, in der Praxis einsetzbare Werkzeuge überführt: Ein Handbuch mit sämtlichen Elementen und Hintergründen sowie ein Poster mit dem Ecosystem Canvas zur Anwendung in einem Workshop. Diese Instrumente können zur Planung und Gestaltung eines sich im Aufbau befindenden Ecosystems, zur Reflektion und Analyse eines bestehenden Ecosystems oder zur Simulation von zukünftigen Entwicklungen und Ecosystems eingesetzt werden. Das vierte Teilziel umfasst die Ableitung von Stoßrichtungen für die Forschung. Dazu werden die Limitationen der Arbeit und neue Fragestellungen und Problemfelder für die weitere Forschung aufgezeigt. Diese werden nachfolgend in Abschn. 5.4 im Rahmen der Forschungsimplikationen beschrieben.
5.2
Limitationen der Arbeit
Zur Erreichung der Ziele der Arbeit wurden bestimmte Vorgehensweisen gewählt und Aspekte bearbeitet, aus denen sich nicht nur Vorteile hinsichtlich der Zielerreichung, sondern auch Limitationen für die Arbeit ergeben. So geht beispielsweise eine breite Bearbeitung eines Themas zu Lasten der Tiefe der einzelnen Aspekte. Die Wahl von Fallstudien als empirische Methode mit dem Ziel des detaillierten analytischen Verständnisses komplexer Zusammenhänge geht wiederum mit
184
5
Zusammenfassung und Ausblick
einem Verzicht auf eine statistische Verallgemeinerbarkeit dieser Erkenntnisse einher. Nachfolgend werden die wichtigsten limitierenden Faktoren aufgezeigt, die die Erkenntnisse maßgeblich prägen. Zunächst ist festzuhalten, dass die Fragestellungen der Arbeit das Thema Ecosystems mit einer hohen thematischen Breite und Offenheit betrachten. Es wird nicht ein spezifischer Aspekt bei der Gestaltung von Ecosystems in seiner Tiefe untersucht. Stattdessen wird ein breites Fundament gelegt, das die verschiedenen Aspekte überhaupt erst identifiziert, strukturiert und in Beziehung zueinander setzt. Dementsprechend findet beispielsweise keine differenzierte Betrachtung der Entscheidungstatbestände und Gestaltungshinweise hinsichtlich der Organisations-, System- oder Angebotsarchitektur statt. Stattdessen werden diese Dimensionen, wo zielführend, miteinbezogen. Detaillierteren Fragestellungen wie beispielsweise der Abbildung der dezidierten Personen und Teams (vgl. Abschn. 3.2.2.3) in der Aufbauorganisation (Organisationsarchitektur) oder dem Zusammenspiel der Marken der Akteure (Angebotsarchitektur) wird nicht nachgegangen. Hinsichtlich der theoretischen Fundierung lässt sich festhalten, dass die Arbeit eine erfolgreiche Anwendung, jedoch keine Erweiterung der Theorien auf Ecosystems bietet. Sie verzichtet – aufgrund der zuvor beschriebenen Breite – auf eine detaillierte Operationalisierung und theoretische Erweiterung einzelner Aspekte. In verschiedenen Arbeiten zu Ecosystems werden die Aspekte der Komplementarität und Modularität in Ecosystems betrachtet oder zumindest darauf verwiesen. Die Grundannahmen und Variablen der Transaktionskostentheorie – insbesondere die zentralen Annahmen der beschränkten Rationalität und des Opportunismusrisikos – erhalten im Kontext von Ecosystems neue Relevanz. Unsicherheit und Komplexität bestimmen das Verhalten grundlegend. Die verwendeten Theorien erweisen sich demnach als geeignet für die Konzeptualisierung der Entscheidungstatbestände und Entscheidungsvariablen und dementsprechend werden auch die daraus resultierenden Orientierungshypothesen weitgehend bestätigt. Diese Aspekte werden jedoch auf einer generischen theoretischen Ebene betrachtet und dargestellt. So werden beispielsweise Variablen wie Unsicherheit nicht im Detail für Ecosystems operationalisiert. Aus dem empirischen Vorgehen mittels qualitativer Fallstudienarbeit ergibt sich eine analytische statt statistische Verallgemeinerbarkeit der Erkenntnisse (Yin, 2009, S. 15). Analytische Verallgemeinerbarkeit ist gegeben, wenn „[…] a previously developed theory is used as a template with which to compare the empirical results of the case study. If two or more cases are shown to support the same theory, replication may be claimed“ (Yin, 2009, S. 38 f.). Die Begründung für die analytische Verallgemeinerbarkeit ist grundsätzlich anders als bei statistischen Methoden.
5.2 Limitationen der Arbeit
185
Die Arbeit verwendet aus diesem Grund auch den Begriff der Orientierungshypothese, die vielmehr eine analytische Vertiefung der Fragestellungen anleitet, als dass eine (Nicht-)Annahme der Hypothesen an sich das Ziel wäre. Die gewonnen Erkenntnisse stellen daher Tendenzaussagen dar, die sich unter Zuhilfenahme der theoretischen Werkzeuge auf vergleichbare Fälle übertragen lassen. So ließe sich für andere Ecosystems, die gewisse Voraussetzungen erfüllen, beispielsweise stringent aufzeigen, wieso Vertrauen als zentrales Integrationselement eingesetzt wird bzw. werden sollte. Es lassen sich jedoch zum Beispiel keine Aussagen darüber treffen, wie groß die Population dieser Fälle ist. Zudem ist zu beachten, dass lediglich zwei Fälle betrachtet wurden. Hinzu kommt, dass sich die Datengrundlage aus Informationen zusammensetzt (Interviews, Unterlagen, Berichte), die direkt von den betroffenen Unternehmen selber stammen. Dies liefert zwar wertvolle Einsichten in das „Innenleben“ der betroffenen Akteure, führt jedoch auch zu einem Bias der Datengrundlage. Es handelt sich um ein strategisches Thema und die damit verbundenen Informationen und Entscheide sind für die beteiligten Unternehmen und Individuen von hoher Sensibilität. Die detaillierte Betrachtung nicht anonymisierter Fälle in ihrem realweltlichen Kontext liefert sehr konkrete Erkenntnisse und ein tiefergehendes Verständnis. Sie führt aber auch zu potenziellen Verzerrungen, da hochsensitive Informationen nicht geteilt oder nicht zur Verwendung freigegeben werden. So konnten in der vorliegenden Arbeit gewisse Informationen nicht verwendet werden und zu gewissen Aspekten wurden keine Informationen weitergegeben. Die gezielte und enge Auswahl der Fälle führt zu einer Einbettung der Erkenntnisse in einen spezifischen Kontext. Sie basieren auf einer spezifischen Auslegung von Ecosystems. Dies dient dazu, dem inflationären Gebrauch des EcosystemBegriffs entgegenzuwirken und den Erkenntnissen einen klaren Rahmen zu geben. Es handelt sich in beiden Fällen um Ecosystems mit drei zentralen Akteuren auf Augenhöhe. In beiden Fällen besteht die Zusammenarbeit seit ungefähr drei Jahren und die Akteure sind bemüht, gemeinsame Lösungen mit einem starken digitalen Fokus zu entwickeln, deren Umfang nicht absehbar ist. Dies stellt jedoch nur eine Auslegung bzw. Form von Ecosystems dar. Verwandte Auslegungen sind insbesondere im Bereich des strategischen Managements zu finden. Ecosystems einzelner großer Orchestratoren wie Amazon oder Apple folgen grundsätzlich den gleichen Denkmustern, die Kollaboration zentraler Akteure entfällt jedoch, da diese Unternehmen tatsächlich die Möglichkeit haben, neue Kernkompetenzen bei Bedarf zu internalisieren. Demgegenüber lassen sich die Überlegungen der vorliegenden Arbeit nur bedingt in den Kontext von reinen digitalen Marktplätzen übertragen, die teilweise auch als Ecosystems bezeichnet werden. Auch die vielzähligen Arbeiten
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5
Zusammenfassung und Ausblick
auf Basis der Service Dominant Logic verwenden teilweise andere Denkmuster und Anwendungsfälle (z. B. eine Gemeinschaftspraxis). Der Kontext der beiden Fallstudien ist durch die Digitalisierung geprägt. Die Aspekte der Digitalisierung werden von der theoretischen Fundierung über die Untersuchung der Fallstudien bis hin zu den Gestaltungshinweisen konsequent miteinbezogen. Es findet jedoch keine detaillierte Betrachtung einzelner digitaler Technologien und deren Einfluss auf Ecosystems statt. Es ist davon auszugehen, dass Technologien wie künstliche Intelligenz oder Blockchain das Potenzial haben, Ecosystems strukturell zu beeinflussen. Darüber hinaus handelt es sich bei den betrachteten Fällen um eine situative, statische Aufnahme der Beziehungskonstellation. Wie die Fälle selber zum Ausdruck bringen, ändern sich die Gegebenheiten und dadurch auch die Interaktion der Akteure kontinuierlich. Der Fokus der Betrachtung liegt aber auf der aktuellen Situation und den Hintergründen dazu sowie den Implikationen daraus. Die Entwicklungsschritte der beiden Ecosystems werden nicht konsequent im Zeitverlauf betrachtet und analysiert. Insgesamt betrachtet die Arbeit die Gestaltung von Ecosystems, lässt deren Initiierung sowie deren Outcomes jedoch außen vor. Beispielsweise wird nicht untersucht, wie die Akteure initial zueinandergefunden haben oder wie Akteure auch wieder auseinander gehen. Es werden Entscheidungstatbestände und Entscheidungsvariablen für die Gestaltung von Ecosystems betrachtet. Daraus wird ein Anwendungsmodell abgeleitet, das im Prozess der Gestaltung angewendet werden können. Der eigentliche Prozess der Gestaltung ist jedoch nicht Teil der Betrachtung. Damit einher gehen Limitationen hinsichtlich der Vertiefung der Beziehungen im Ecosystem. Die Arbeit zeigt die hohe Relevanz des Relationship Management in Ecosystems auf. Es werden auf Basis der Erkenntnisse aus der Theorie und den Fallstudien Gestaltungshinweise für das Orchestrator Relationship Management sowie das Participator Relationship Management gegeben. Ein systematischer Übertrag der Erkenntnisse und Instrumente des kundenbezogenen Relationship Marketings (Bruhn, 2015), des Total Relationship Marketings (Gummesson, 2011) oder des Complementor Relationship Managements (Günther, 2015) findet nicht statt. Zuletzt gilt es, die Vernachlässigung der Perspektive der Kunden festzuhalten. Die Arbeit fokussiert stark auf das Zusammenspiel der Akteure bei der Findung einer Konfiguration und Integrationsform für die Value Co-Creation. Die Kunden sind wichtige Bestandteile dieser Value Co-Creation. In beiden Fällen zeigt sich, dass die Value Proposition gegenüber den Kunden ein zentrales Element bei dieser Findung ist. Die Kunden an sich sind jedoch nicht maßgeblich an der Ausgestaltung des Ecosystems beteiligt. Die Grundstrukturen werden durch eine Vielzahl anderer Einflussfaktoren bestimmt und nur ein kleiner Teil dieser Strukturen, namentlich
5.3 Implikationen für die Praxis: Prinzipien des agilen Managements…
187
ihre Ausprägung hinsichtlich der Angebotsarchitektur, sind für die Kunden überhaupt sichtbar. Im extremsten Fall bieten die Akteure eine integrierte Systemlösung unter einer neuen Marke an und die dahinterstehende Struktur des Ecosystems ist für den Kunden gar nicht ersichtlich oder er nimmt nur die komplementären Angebote der peripheren Akteure separat wahr. Dennoch zeigt sich, dass die Formulierung der Value Proposition gegenüber (potenziellen) Kunden eine zentrale Herausforderung ist und dass gerade Pilotkunden eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Ecosystems spielen. Diese Aspekte werden in der vorliegenden Arbeit jedoch nicht vertieft betrachtet und die Kundensicht ist nicht expliziter Bestandteil der empirischen Fallstudien.
5.3
Implikationen für die Praxis: Prinzipien des agilen Managements von Ecosystems
Ecosystems sind komplexe dynamische Systeme (Wieland et al., 2012, S. 13), die sich durch die Entscheidungen und Handlungen der Akteure fortlaufend weiterentwickeln (Lusch und Nambisan, 2015). Aus diesen Handlungen entstehen Strukturen, die wiederum die Entscheidungen und Handlungen der Akteure beeinflussen. Hinzu kommen komplexe soziale, technologische, ökonomische und politische Umweltfaktoren (Basole und Rouse, 2008). Diese hohe Komplexität führt zu einer hohen Unsicherheit der Akteure hinsichtlich der Gestaltung von Ecosystems. Für Unternehmen gilt es daher anzuerkennen, dass Ecosystems nicht entlang eines klassischen linearen Management-Prozesses geplant und umgesetzt werden können. Vielmehr gilt es, Denkweisen und Instrumente zu etablieren, die es erlauben, unter Unsicherheit zu entscheiden und zu handeln. Bei Entscheiden unter Unsicherheit ist aufgrund der Komplexität nur unzureichend bekannt, welche Auswirkungen entstehen. Die Akteure sind daher gefordert, kontinuierlich auf sich verändernde Gegebenheiten zu reagieren und sich anzupassen. Die Erkenntnisse der Arbeit und das daraus resultierende Anwendungsmodell liefern eine Grundlage dafür. Als Ergänzung werden nachfolgend weitere Implikationen für die Praxis in Form von fünf Prinzipien des agilen Managements von Ecosystems formuliert. (1) Komplexitätsreduktion Die Herangehensweise an Ecosystems in der Praxis ist durch Optimismus und Tatendrang geprägt. Ecosystems werden als Schlüssel zu Innovation oder zumindest einer Positionierung als innovativer Anbieter angesehen. Vermutete Potenziale neuer Geschäftsmodelle, des Internet-of-Things oder von Plattformen treiben diese Wahrnehmung an. Dabei zeigt die vorliegende Arbeit, dass Ecosystems im Bereich
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5
Zusammenfassung und Ausblick
der Digitalisierung mit mehreren Akteuren eine sehr hohe Komplexität aufweisen. Beispielsweise bestehen bereits bei drei Akteuren und innerhalb eines bereits abgegrenzten Suchfelds für die Value Proposition erhebliche Unsicherheit, Opportunismusrisiken und Koordinationsaufwände. Es erscheint deshalb zielführend, Potenziale zur Reduktion der Komplexität von Beginn an gezielt zu nutzen. Als erstes gilt es, die Komplexität durch eine Eingrenzung der Akteure und des Spielraums handhabbar zu halten. Erfolgsversprechend ist es, klein anzufangen. Je mehr Akteure und je breiter und ambitionierter die Value Proposition, desto höher die Komplexität, die Anzahl der Partikularinteressen und der Koordinationsaufwand. Anstatt beispielsweise im Bereich Smart City von allen Aspekten der vernetzten Stadt – von Mobilität über Bildung bis hin zu „Smart Retail“ und „Urban Agriculture“ – zu starten, empfiehlt sich einer dieser Bereiche als Ausgangspunkt. Bereits der Aspekt der Mobilität beinhaltet ein Spektrum an Geschäftsmodellen, technologischen Entwicklungen und Akteuren, das sich nur bedingt erfassen, abbilden und analysieren lässt. Auch innerhalb dieses Bereichs stellt sich demnach die Frage, welche Akteure wirklich zentral sind und in einer frühen Phase eingebunden werden. Ein weiterer Aspekt ist die Anwendung einfacher Methoden und Modelle bei der Entscheidungsfindung. Ein Ecosystem kann mittels komplexer Modelle in beliebig hohem Detaillierungsgrad beschrieben oder simuliert werden. Dabei gilt es jedoch das Box’sche Gesetz zu beachten: „Essentially, all models are wrong, but some are useful“ (Box und Draper, 2007, S. 414). In Ecosystems ist die Information, die zur Entscheidungsfindung herbeigezogen werden kann, potenziell unendlich. Daher können unendlich komplexe Modelle erstellt und analysiert werden. Dadurch steigt jedoch nicht zwangsläufig die Korrektheit der daraus gewonnenen Erkenntnisse. Statt dem Versuch einer Simulation des gesamten Ecosystems, beispielsweise mittels System Dynamics (Coyle, 1996), ist es zielführender einfache Modelle anzuwenden, die vorhandene Informationen strukturieren und in Relation setzen. Dafür ist beispielsweise der zuvor vorgestellte Ecosystem Canvas geeignet. Zur Reduktion der Komplexität bei der Zusammenarbeit empfiehlt sich die Anwendung von Heuristiken und Mechanismen bei der Interaktion. (Luhmann, 1968) sieht beispielsweise Vertrauen als einen Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität. Auch in der vorliegenden Arbeit wird auf die zentrale Bedeutung von Vertrauen hingewiesen. Ursache für die vertrauensbasierte Integration der Akteure ist ein Komplexitätsgrad, der einzig Vertrauen zulässt. Weitere Instrumente können eine offene Kommunikation bis hin zu Signaling sein. Explizite Botschaften und Signale sind durch die anderen Akteure einfacher zu interpretieren als implizite.
5.3 Implikationen für die Praxis: Prinzipien des agilen Managements…
189
(2) Anpassungsfähigkeit Die Unsicherheit und Dynamik in Ecosystems führen dazu, dass Akteure regelmäßig gezwungen sind, sich an verändernde Gegebenheiten anzupassen. Daher kommt der Anpassungsfähigkeit der Akteure eine wichtige Bedeutung zu. Damit ist nicht ein unkoordinierter Aktionismus gemeint, sondern die Fähigkeit, sich in einem sich fortlaufend weiterentwickelnden System evolutionär mitzuentwickeln. Zentral sind hierfür dynamische Fähigkeiten („Dynamic Capabilities“) (Teece und Pisano, 1994). Teece et al. (1997) definieren diese als: „[…] the firm’s ability to integrate, build, and reconfigure internal and external competences to address rapidly changing environments“ (S. 516). Gemäß Teece (2007, S. 1342) sind drei Fähigkeiten zentral: Sensing, Seizing und Transforming. Sensing beschreibt die Fähigkeit des Akteurs zu lernen und Chancen bzw. Risiken zu spüren, zu selektieren, zu prägen und richtig zu kalibrieren. Seizing beschreibt Strukturen, Prozesse und Anreize, um diese Chancen auch effektiv wahrzunehmen bzw. auf die Risiken einzugehen. Transforming beschreibt zuletzt die Anpassung und Neuausrichtung der eigenen Assets als Folge des Seizing. (3) Abwägen der Inputs statt des Outputs Da die Outcomes des Ecosystems nicht vorhersehbar sind, können sich die Akteure nicht an konkreten Erlösen bzw. deren Verteilung orientieren. Sie suchen nach Wegen, ihre Kompetenzen zu kombinieren und so neue Wertschöpfungspotenziale zu realisieren. Das heißt, sie sind bereit, in das Ecosystem zu investieren, ohne jedoch eine genauere Vorstellung des Outputs zu haben. Unter diesem Blickwinkel erscheint eine Orientierung an diesen Inputs anstelle potenzieller Outputs zielführend. Dieser Aspekt wird in der Entrepreneurship-Forschung im Kontext der Effektuierung (Sarasvathy, 2001) aufgegriffen. Effektuierung beschreibt eine unternehmerische Herangehensweise an Entscheidungssituationen unter Unsicherheit, die davon ausgeht, dass die Zukunft nicht prognostizierbar ist. Sie greift daher die beschränkte Möglichkeit der Erlösorientierung auf: „Since it is not clear at the early stages of the effectual process what the pie will be, let alone how much each piece will be worth down the road, stakeholders cannot effectively use expected return as their immediate criterion for selecting resource investments“ (Wiltbank et al., 2006, S. 993). Stattdessen empfiehlt sich eine Orientierung an den Inputs der einzelnen Akteure. Diese entscheiden für sich, welche potenziellen Verluste sie bereit sind in Kauf zu nehmen: „Instead, each has to reconcile within his own mind whether they can live with the loss of what they are investing in the enterprise. This takes away the need to predict what the returns will be; calculation of affordable loss depends
190
5
Zusammenfassung und Ausblick
only on the investor’s current situation and their subjective judgment of what they are able to afford; it is entirely within their control“ (Wiltbank et al., 2006, S. 993). (4) Beziehungsorientierung Im Kontext von Ecosystems und der zunehmenden Vernetzung der Akteure können Beziehungen als Quelle für Wettbewerbsvorteile gesehen werden (Dyer und Singh, 1998; Eloranta und Turunen, 2015). Zur Schaffung solcher Wettbewerbsvorteile sind Unternehmen gefordert, aktiv Beziehungen aufzubauen und zu managen. Dadurch erhalten sie im Ecosystem Zugang zu wertvollen Kompetenzen und können ihre eigene Wertschöpfung um komplementäre Aspekte ergänzen. Auch die Fähigkeit, in Beziehungen von Partnern zu lernen, wirkt sich positiv auf die Innovationskraft von Unternehmen aus (Yiu et al., 2019). Mangelhafte Beziehungsführung oder ein Mangel an Beziehungen zu anderen Akteuren stellen ein Risiko dar. Im Ecosystem sind Beziehungen ein stabilisierender Faktor und zentraler Ankerpunkt. In einer klassischen, firmen- und produktzentrierten Sichtweise werden externe Partner und Lieferanten gezielt an gewissen Stellen des Entwicklungs-, Produktions- oder Vermarktungsprozesses beigezogen. Die hohe Unsicherheit im Ecosystem führt dazu, dass sich die notwendigen Kompetenzen nicht aus der Value Proposition ableiten lassen. Diese entwickelt sich laufend weiter und orientiert sich an den Akteuren und ihren geteilten Kompetenzen. Während bei einer klassischen Sichtweise zuerst das Produkt und auf dieser Basis die notwendigen Beziehungen spezifiziert wird, wird im Ecosystem die Value Proposition maßgeblich durch die Beziehungen getrieben. Im Kontext der hohen Unsicherheit sind stabile Beziehungen somit eine Voraussetzung zur Stabilisierung des Ecosystems. Die Arbeit zeigt die Bedeutung des Relationship Managements in Ecosystems auf. Sowohl die Integration der zentralen Akteure untereinander als auch die Integration der peripheren Akteure erfordert gezielte Maßnahmen zum Aufbau von Vertrauen bzw. von Kontroll- und Anreizmechanismen. Analog zum Relationship Marketing gilt es im Ecosystem, den Fokus auf die Beziehungen zu komplementären Anbietern zu legen und nicht auf Einzeltransaktionen (Bruhn, 2015). Dies bedingt Investition in die eigene Beziehungsfähigkeit. Um die Kompatibilität und Interoperabilität der Organisationen, Systeme und Angebote sicherzustellen, gilt es, entsprechende Investitionen zu tätigen und Maßnahmen zu ergreifen. Dies beinhaltet Beispielsweise die Verankerung des Beziehungsmanagements in der Strategie, den Aufbau von personellen Ressourcen und Kompetenzen sowie den Aufbau von Schnittstellen, um anderen Akteuren den Zugang zu den eigenen Kompetenzen zu erleichtern: „Success requires taking what makes you great – your core
5.3 Implikationen für die Praxis: Prinzipien des agilen Managements…
191
business transactions – and making them easily and securely available throughout your business – and also to your partners“ (Weill und Woerner, 2015, S. 33). Ecosystems entwickeln sich fortlaufend weiter. Die Zusammensetzung der Akteure kann sich – z. B. bei Veränderungen in der Umwelt oder bei der Konkretisierung der Value Proposition – ändern. Deshalb gilt es neben dem Aufbau und der Pflege von Beziehungen auch die Beendigung von Beziehungen zu betrachten (Bruhn et al., 2008). Wird das Projekt gestoppt oder ändert sich die Konstellation der Partner, sollte dies nicht zu einer grundsätzlichen Schädigung der Beziehung der Akteure führen. (5) Organisationale Ambidextrie Unternehmen wechseln nicht einfach von einer klassischen Wertschöpfung und ihren herkömmlichen Geschäftsmodellen zu einem Ecosystem-Ansatz. Das Ecosystem kann eine Möglichkeit zur Erweiterung oder Stärkung des bestehenden Geschäftsmodells darstellen, wie im Falle von Microsoft und Adobe. Es kann aber auch die Möglichkeit bieten, alternative Geschäftsmodelle auszuprobieren und voranzutreiben. Anpassungsfähigkeit bedeutet demnach nicht, dass sich eine Organisation vollständig an neue Gegebenheiten anpasst. Vielmehr ist es zielführend, die bisherige Wertschöpfung weiter zu betreiben und gleichzeitig neue Wege zu erkunden. Dies wird als organisationale Ambidextrie beschrieben und bedeutet, dass Unternehmen Expoloitation und Exploration gleichzeitig betreiben (O’Reilly und Tushman, 2004). In der Umsetzung kann zwischen struktureller und kontextueller organisationaler Ambidextrie unterschieden werden (Birkinshaw und Gibson, 2004, S. 50). Bei einer strukturellen Ambidextrie werden die entsprechenden Aktivitäten in eigene Teams oder Organisationseinheiten überführt. Ein Beispiel hierfür ist das Unternehmen Sharenow, in dem neue Geschäftsmodelle und Mobilitätsformen weiterentwickelt werden. Daimler und BMW grenzen dadurch in diesem Joint Venture ihre Aktivitäten zur Exploitation klar vom herkömmlichen Geschäft ab. Microsoft und Adobe verfügen z. B. über spezifische Teams, die ausschließlich für die Partnerschaft zuständig sind. Demgegenüber sind Mitarbeitende bei kontextueller Ambidextrie situativ mit herkömmlichen Aktivitäten und solchen, die das Ecosystem bzw. neue Geschäftsmodelle betreffen, beschäftigt. Dies ist im Smart City Case der Fall, bei dem die Vertreter der zentralen Akteure dies neben ihren herkömmlichen Aufgaben verfolgen. Ein weiteres Beispiel ist Google, bei dem Mitarbeitende früher 20 % ihrer Arbeitszeit nach eigenem Belieben für neue Projekte einsetzen konnten. Inzwischen verfolgt auch Google einen strukturellen Ansatz (Steiber, 2014, S. 52).
192
5
Zusammenfassung und Ausblick
In diesem Kontext ist der Ecosystemidentität und dem damit verbundenen Management multipler Identitäten Aufmerksamkeit zu schenken.
Stoßrichtungen für die Forschung
Fragestellungen
Theoretische Grundlagen
Methodisches Vorgehen
(1) Prozess zur
Wie kann ein Prozess zur
Entscheidung unter
Design Science
Gestaltung von
Gestaltung von Ecosystems
Unsicherheit; Dynamic
Research;
Ecosystems
unter Berücksichtigung der
Capabilities; Effektuierung
Action Research
Komplexität aussehen?
(Sarasvathy, 2001)
Welche Fähigkeiten sind zur Gestaltung von Ecosystems notwendig? Welche Methoden eignen sich innerhalb dieses Prozesses für die Zusammenarbeit? (2) Value Co-
Welche opportunistischen
Neue
Destruction in
Verhaltensmuster und
Institutionenökonomie;
Ecosystems
weiteren Praktiken der Value
Verhaltenswissenschaftliche
Co-Destruction prägen
Ansätze
Experimente
Ecosystems? Was sind Determinanten und Wirkungen antizipierten und tatsächlichen opportunistischen Verhaltens? Welche Präventionsmechanismen lassen sich daraus ableiten? (3)
Wie kann die organisationalen
Theorien der sozialen
Grounded
Organisatorische
Ambidextrie im Kontext der
Identität
Theory;
Umsetzung von
Transformation zu Ecosystems
Ecosystems
organisatorisch umgesetzt werden? Wie können multiple Identitäten gesteuert und organisatorisch abgebildet werden?
Abbildung 5.1 Stoßrichtungen für die Forschung
Experimente
5.3 Implikationen für die Praxis: Prinzipien des agilen Managements…
Stoßrichtungen für die Forschung
Fragestellungen
Theoretische Grundlagen
Methodisches Vorgehen
(4) Relationship
Wie kann ein multilaterales
Relationship
Empirisches
Management in
Relationship Management
Marketing; Theorie
Modell
Ecosystems
in Ecosystems
der sozialen
systematisiert und
Durchdringung;
konzeptualisiert werden?
Modularitätstheorie;
Was sind Instrumente zum
Komplementarität
Beziehungsaufbau? Was sind Determinanten und Wirkungen der Beziehungsqualität? Wie können Beziehungen beendet werden? (5) Vertrauen als
Was sind Determinanten
Vertrauen in Supply
Empirisches
Integrationsmechanismus
und Wirkungen von
Chains, Netzwerken
Modell;
in Ecosystems
Vertrauen in Ecosystems?
und Allianzen; Neue
Experimente
Wie beeinflussen sich die
Institutionenökonomie;
verschiedenen
Relational View of the
Bezugsobjekte
Firm
(Organisation und Individuum) von Vertrauen? Was sind Risiken der vertrauensbasierten Integration (z.B. Fragilität)? (6) Rolle von Anbietern
Einfluss der Unsicherheit
Theorien der Macht;
Fallstudien;
digitaler Technologie in
über neue Technologien
Service-
Grounded
Ecosystems
auf die Initiierung und
transformation
Theory
Gestaltung von Ecosystem Rolle von Technologieanbietern in Ecosystems (7) Integration von
Welche Rollen des Kunden
Kundenintegration;
Empirisches
Kunden in die Gestaltung
bei der Gestaltung von
Service Dominant
Modell
von Ecosystems
Ecosystems existieren?
Logic
Was sind Motive und Barrieren aus Sicht der Orchestratoren und der Kunden?
Abbildung 5.1 (Fortsetzung)
193
194
5.4
5
Zusammenfassung und Ausblick
Implikationen für die weitere Forschung
Die in der vorliegenden Arbeit gewonnenen Erkenntnisse über die Gestaltung von Ecosystems sowie die mit der Arbeit verbundenen Limitationen legen weiteren Forschungsbedarf offen. Es ergeben sich vielfältige Möglichkeiten zur quantitativen Prüfung der Erkenntnisse, zur Vertiefung einzelner Tatbestände sowie der Umsetzung in der Organisations-, System- und Angebotsarchitektur oder zur weiteren theoretischen Fundierung, beispielsweise im Bereich der Modularität. Nachfolgend werden sieben ausgewählte Stoßrichtungen vorgestellt (vgl. Abbildung 5.1), die eine inhaltliche Erweiterungen der Forschung darstellen. Pro Stoßrichtung werden relevante Fragestellungen aufgezeigt und jeweils um Vorschläge zu möglichen theoretischen Grundlagen und zum methodischen Vorgehen ergänzt. (1) Prozess zur Gestaltung von Ecosystems Die vorliegende Arbeit betrachtet die Entscheidungstatbestände zur Gestaltung von Ecosystems. Der Prozess der Gestaltung an sich und die damit verbundenen Fähigkeiten, Entscheidungsprozesse und -methoden sind jedoch nicht Teil der Betrachtung. Die in den Fallstudien gezeigte Ergebnisoffenheit, Komplexität und hohe Unsicherheit weisen darauf hin, dass lineare Planungsprozesse und auf Prognosen basierende Entscheidungen ungeeignet sind. Daher gilt es, einen Prozess zur Gestaltung von Ecosystems zu entwickeln, der den spezifischen Gegebenheiten in Ecosystems gerecht wird. Darüber hinaus stellt sich die Frage, welche Fähigkeiten zentrale Akteure brauchen, um sich aktiv und zielführend an diesem Prozess zu beteiligen. Für die Zusammenarbeit der Akteure innerhalb dieses Prozesses gilt es, geeignete Methoden zu identifizieren und auf Ecosystems zu übertragen. Die Betrachtung von Dynamic Capabilities im Kontext von Ecosystems kann Aufschluss über notwendige und organisatorisch abzubildende Fähigkeiten geben (Nenonen et al., 2018). Als theoretische Grundlage für den Prozess der Gestaltung an sich bieten sich Elemente der Entscheidungstheorie an, insbesondere Betrachtungen zu Entscheidung unter Unsicherheit. Das Konzept der Effektuierung (Sarasvathy, 2001) beschreibt beispielsweise eine unternehmerische Logik für Entscheide unter Unsicherheit. Sie geht davon aus, dass die Zukunft nicht prognostizierbar aber dennoch zum eigenen Vorteil beeinflussbar ist (Sarasvathy, 2008, S. 18). Das Konzept orientiert sich an den vorhandenen Mitteln, statt an den Zielen. Der Prozess der Effektuierung leitet demnach die Ziele aus den Mitteln ab und stellt zunächst die Fragen: Wer bin ich? Was weiß ich? Wen kenne ich? Auf dieser Basis können die eigenen Möglichkeiten (Was kann ich tun?) und die notwendigen und möglichen Partner evaluiert werden (Sarasvathy und Dew, 2005). Der Ansatz der Effektuierung erscheint
5.4 Implikationen für die weitere Forschung
195
aufgrund der Grundannahmen zu Unsicherheit und Komplexität sowie einem starken Fokus auf die Kombination der Mittel verschiedener Akteure als geeignet für die Betrachtung von Ecosystems. Er weist zudem eine Nähe zu den Betrachtungen von Dynamic Capabilities auf, weshalb diese theoretischen Elemente möglicherweise zusammen für die Betrachtung herangezogen werden können. Basierend auf der Klärung des Prozesses und der Fähigkeiten lassen sich Methoden wie Design Thinking (Brown, 2008) evaluieren und übertragen. In methodischer Hinsicht gilt es, den Prozess auf Basis von theoretischen und praktischen Erkenntnissen zu entwickeln. Da ein klares Gestaltungsziel vorliegt, eignet sich Design Science Research (DSR) als Forschungsdesign (Hevner, 2007). DSR lässt sich als „gestaltungsorientiertes Forschungsparadigma“ übersetzen (Österle et al., 2010). Ziel des DSR-Ansatzes ist die Entwicklung und Validierung sogenannter Artefakte zur Lösung von Problemen (Hevner et al., 2004; Hevner, 2007). Vielversprechend erscheint im Rahmen eines solchen Forschungsdesigns der Einsatz von Action Research zur iterativen „hands-on“ Weiterentwicklung und Validierung des Prozesses und der Methoden. Gemäss (Peffers et al., 2007) betrachtet Action Research den Forschenden als „[…] an „active participant“ in solving practical problems in the course of studying them in organizational contexts“ (S. 33). Sie weisen auf weitgehende Ähnlichkeiten zwischen Action Research und Design Science Research hin. Der Kern von Design Science Research ist die Entwicklung und Implementierung eines Artefakts zur Lösung eines Problems. Der Kern von Action Research ist die Einbettung des Forschenden in den konkreten Kontext und dessen Rolle als aktiver Teilnehmer bei der Problemlösung. Beispielsweise kann der Forschende als Moderator an Praxis-Workshops teilnehmen und diese auf Basis der theoretischen Vorarbeit auch konzipieren und leiten. Eine Kombination aus DSR und Action Research erscheint daher als vielversprechend zur Entwicklung eines Gestaltungsprozesses. (2) Value Co-Destruction in Ecosystems Die Arbeit zeigt, dass Ecosystems durch Coopetition geprägt sind und inhärente Opportunismusrisiken bergen. Durch opportunistisches Verhalten kann aus Sicht des gesamten Ecosystems Wert zerstört werden. Es ist davon auszugehen, dass Opportunismus nicht die einzige Praktik ist, die zu Value Co-Destruction (Cabiddu et al., 2019) führt. Weitere Praktiken sind zu identifizieren und es ist näher zu untersuchen, wie diese Ecosystems prägen. Dazu sind die Determinanten und Wirkungen dieser Verhaltensweisen zu identifizieren und zu messen sowie abzuleiten, welche Präventionsmechanismen geeignet sind. Dabei könnte sich eine Unterscheidung zwischen antizipiertem und tatsächlichem Verhalten als zielführend erweisen. Zum Beispiel ist es aus Sicht der Transaktionskostentheorie das Opportunismusrisiko
196
5
Zusammenfassung und Ausblick
und nicht das tatsächliche opportunistische Verhalten, das die Governancestrukturen determiniert und dadurch wiederum opportunistisches Verhalten verhindert. Als theoretische Grundlagen bieten sich hierzu die Ansätze der neuen Institutionenökonomik oder der Verhaltensökonomik an. Die Institutionenökonomik liefert, wie in der vorliegenden Arbeit mit Hilfe der Transaktionskostentheorie gezeigt wird, ein geeignetes Denk- und Variablenmodell (vgl. Kap. 2). Opportunismus und begrenzte Rationalität sind die grundlegenden Verhaltensannahmen der Transaktionskostentheorie. Die Verhaltensökonomik fokussiert auf diese begrenzte Rationalität und untersucht menschliches Verhalten unter Unsicherheit. Sie bezieht dabei auch psychologische Aspekte mit ein (Kahneman und Tversky, 2000). Hinsichtlich der Methodik ist das Vorgehen mittels Fallstudien wenig geeignet, diese strategischen und sensiblen Dynamiken weiter zu untersuchen. Die Auskunftsbereitschaft der Akteure ist gering und es besteht ein Positiv-Bias bei den Probanden und öffentlich zugänglichen Informationen. Auch bei einer expliziten quantitativen Befragung besteht das Risiko verzerrter Antworten. Auf Basis der Theorie und qualitativer Vorstudien können stattdessen Modelle entwickelt und im Anschluss durch Experimente geprüft werden. Eine innovative methodische Erweiterung könnte der Einsatz von Rollenspielen darstellen, beispielsweise zur Hypothesenfindung. Green (2002) zeigt auf, dass Rollenspiele sehr gut geeignet sind, Entscheidungen in realen Konflikten mit wenigen Akteuren und mit hoher Bedeutung für diese Akteure zu prognostizieren. (3) Organisatorische Umsetzung von Ecosystems Die Transformation von einer firmenzentrierten zu einer Ecosystem-Perspektive stellt Unternehmen vor interne Herausforderungen. Es gilt, Personen zu identifizieren und Teams zu bilden, die für die verschiedenen Aspekte der Interaktion mit anderen Akteuren zuständig sind, ihre Aufgaben und Kompetenzen zu regeln und ihre organisatorische Einbindung zu klären. Dabei ist ein besonderes Augenmerk auf die organisationale Ambidextrie im Kontext dieser Transformation zu legen. Die Arbeit zeigt, dass sich bei den Personen und Teams eine Ecosystem-Identität herausbildet. Da das Geschäftsmodell und die Identität im Ecosystem nicht zwangsläufig im Einklang mit dem bisherigen Geschäftsmodell bzw. der bisherigen Identität stehen, können dabei Rollenkonflikte entstehen. Es stellt sich die Frage, wie multiple Identitäten gesteuert und organisatorisch abgebildet werden können. Dabei sind beispielsweise der Autonomiegrad und die Abstimmung zwischen Primärund Sekundärorganisation festzulegen (Schulte-Zurhausen, 2014). Insgesamt gilt es, die Effekte unterschiedlicher Formen der Organisation bzw. des Managements multipler Identitäten auf das Unternehmen sowie auf die Teams und Individuen zu untersuchen. Ambiguitäten beeinflussen Mitarbeitende beispielsweise sowohl in
5.4 Implikationen für die weitere Forschung
197
ihrem Wohlbefinden als auch in ihrem Handeln maßgeblich (Pratt und Corley, 2015, S. 100). Zum Umgang mit multiplen Identitäten im Kontext der organisationalen Ambidextrie erscheint es zielführend, soziologische Theorien der Identität heranzuziehen (Pratt und Corley, 2015; Pratt und Foreman, 2000, S. 19). Diese befassen sich mit der Identität von Individuen und der Tatsache, dass diese sich mehreren Gruppen zugehörig fühlen und somit mehrere Identitäten in sich tragen. Daraus können Konflikte entstehen. Methodisch eignet sich ein qualitatives Vorgehen mittels Grounded Theory (Glaser und Strauß, 2010) zur Identifikation der Ambiguitäten, Rollenkonflikte und Bewältigungsstrategien von Individuen, Teams und Organisationen. Auf Basis von Experimenten können im Anschluss die Auswirkungen unterschiedlicher Voraussetzungen und Maßnahmen genauer untersucht werden. (4) Relationship Management in Ecosystems Die Arbeit bekräftigt die zentrale Bedeutung von Beziehungen als Quelle für Wettbewerbsvorteile und gibt konkrete Gestaltungshinweise für das Orchestrator Relationship Management der zentralen Akteure und das Participator Relationship Management der peripheren Akteure. Eine Systematisierung und Konzeptualisierung eines umfassenden Relationship Managements in Ecosystems steht jedoch aus. Es stellt sich die Frage, wie ein multilaterales Relationship Management in Ecosystems systematisiert und konzeptualisiert werden kann. In diesem Rahmen sind Prozesse und Instrumente zum Beziehungsaufbau und die Determinanten und Wirkungen der Beziehungsqualität zu identifizieren bzw. zu messen (Hadwich, 2003). Auch der Beendigung von Beziehungen kommt eine wichtige Bedeutung zu (Bruhn et al., 2008). Wie können beispielsweise Beziehungen, die auf informellem Vertrauen basieren, beendet werden, ohne dass dies als opportunistisches Verhalten ausgelegt wird? Bei sämtlichen Aspekten sind die Rollen der Akteure miteinzubeziehen und zwischen dem Orchestrator Relationship Management und dem Participator Relationship Management zu unterscheiden. Als theoretische Ausgangslage bieten sich Ansätze Relationship Marketings (Bruhn, 2015), des Total Relationship Marketings (Gummesson, 2011) und des Complementor Relationship Managements (Günther, 2015) an. Zur theoretischen Fundierung eignet sich z. B. auch hier die Neue Institutionenökonomik, da sie wichtige Aspekte der Beziehung zwischen zentralen Akteuren erklären kann, insbesondere das Zusammenspiel zwischen Unsicherheit, Opportunismus und Vertrauen (Günther, 2015, S. 38).
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5
Zusammenfassung und Ausblick
In methodischer Hinsicht empfiehlt sich zunächst eine theoretische Analyse und Konzeptualisierung. Dabei kann das Ecosystem Relationship Management umfassend betrachtet werden. Es können aber auch einzelne Aspekte wie die Beziehungsqualität oder das Initiierungs- und Beendigungsmanagement von Beziehungen in Ecosystems konzeptualisiert werden. Auf dieser Basis kann ein Wirkungsmodell entwickelt und quantitativ geprüft werden. (5) Vertrauen als Integrationsmechanismus in Ecosystems Die Ergebnisse der Fallstudien bestätigen, dass Vertrauen aufgrund der Komplexität und Unsicherheit als zentraler Integrationsmechanismus eingesetzt wird. Vertrauen ist eine wichtige Grundlage für die Wertschöpfung in Ecosystems: „[…] fundamental enablers of multi-stakeholder value co-creation are trust, inclusiveness, and openness“ (Pera et al., 2016). Vertrauen fördert Innovation und die Diffusion neuer Technologien (Volken, 2002) und ermöglicht es, starre Prozesse und interne Bürokratie zu umgehen (Grey und Garsten, 2001). Eine genauere Untersuchung der Determinanten und Wirkungen von Vertrauen in Ecosystems bietet daher Potenziale zur Weiterentwicklung. Wichtig erscheint unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus der vorliegenden Arbeit eine differenzierte Betrachtung der Bezugsobjekte des Vertrauens. So zeigt sich, dass das Vertrauen primär auf der Beziehung der involvierten Personen basiert. Eine Untersuchung auf verschiedenen Ebenen wie Unternehmen, Team und Individuum ist daher notwendig. Der Rolle von Individuen als „Boundary-spanner“ kommt hier eine wichtige Bedeutung zu (Aldrich und Herkner, 1977; Sydow, 1992). Darüber hinaus gilt es, die Risiken der Integration mittels Vertrauens genauer zu untersuchen. Dazu sind die zuvor beschriebenen Opportunismusrisiken und andere Verhaltensweisen, die zur Reduktion der Wertschöpfung führen, miteinzubeziehen. Informelle Integration und der Verlass auf persönliche Beziehungen können negative Effekte haben. Verschiedene Autoren weisen auf eine enge Beziehung zwischen Vertrauen, Macht und Kontrolle hin (Bachmann, 2001). Gemäß (Hardy et al., 1998) ignorieren viele Arbeiten, dass sich hinter Vertrauen häufig Machtdynamiken verbergen: „[…] power can be hidden behind a facade of “trust” and a rhetoric of “collaboration” and can be used to promote vested interests through the manipulation and capitulation of weaker parties“ (S. 65). Demnach gilt es nicht nur besser zu verstehen wie sich Vertrauen zusammensetzt und gesteuert werden kann. Es ist auch zu untersuchen, wie viel Vertrauen unter welchen Gegebenheiten angemessen ist. Ein optimales Maß zwischen zu viel und zu wenig Vertrauen ist zu identifizieren: „[…] need to appropriately “calibrate” trust level in an alliance to the lifecycle stage of the alliance. With proper management attention, too much and too little trust can be avoided“ (Parkhe, 1998, S. 417).
5.4 Implikationen für die weitere Forschung
199
Als theoretische Ausgangslage für die Determinanten und Wirkungen bietet sich zunächst die bisherige Forschung zu Vertrauen zwischen Akteuren in klassischen Wertschöpfungsketten (Panayides und Venus Lun, 2009; Sharfman et al., 2009), Netzwerken (Inkpen und Tsang, 2005; Raub et al., 2014) oder Allianzen (Parkhe, 1998; Russo und Cesarani, 2017) an. Die Neue Institutionenökonomik und die Relational View of the Firm (Dyer und Singh, 1998) liefern theoretische Grundlagen für die Funktion von Vertrauen auf Ebene der Organisation. Als methodisches Vorgehen bietet sich die Konzeptualisierung eines Wirkungsmodells zu Vertrauen in Ecosystems an, das mittels Experimenten oder einer quantitativen Studie empirisch geprüft werden kann. (6) Rolle und Macht digitaler Technologieanbieter Bereits heute sind die meisten Bereiche von Unternehmen durch IT befähigt. Langfristig kann jedoch die Annahme getroffen werden, dass sämtliche Offline-Elemente von Services, die durch Digitalisierung ersetzt oder ergänzt werden können, auch tatsächlich ersetzt oder ergänzt werden (Andreessen, 2011). Als Beispiel kann die Automobilindustrie betrachtet werden: Finanzdienstleistungen sind ein relevanter Bestandteil des rentablen Serviceangebots von Automobilherstellern. In Anbetracht der jüngsten Entwicklungen und dem Aufkommen sogenannter FintechUnternehmen (Financial Technology), ist unklar, wie diese Services sich verändern werden und wie die Einkünfte daraus gesichert werden können. Die Digitalisierung macht auch die weiteren Geschäftsmodelle der Automobilhersteller angreifbar und es besteht das Risiko in eine Rolle als Lieferant zurückgedrängt zu werden. Daraus ergibt sich eine hohe Unsicherheit für viele Akteure und eine potenzielle Machtasymmetrie zugunsten von Anbietern digitaler Technologien in Ecosystems. Wie zuvor beschrieben, können sich hinter Kollaboration und Vertrauen weitreichende Machtdynamiken verstecken: „[…] collaboration may mask moves by powerful organisations to protect their privileged positions and to disadvantage less powerful stakeholders: those who collaborate are coopted; those who do not are excluded“ (Hardy und Phillips, 1998, S. 218). Demgegenüber zeigt sich jedoch, dass große Technologieanbieter wie Microsoft oder SAP zwar die Infrastruktur für branchenspezifische Plattformen zur Verfügung stellen – beispielsweise für eine Smart City-Plattform – jedoch nicht zwangsläufig den Betrieb von Plattformen an sich übernehmen. Dennoch verfügen viele IT-Unternehmen und Technologieanbieter wie Google und Apple über die Daten, die langfristig zur Grundlage intelligenter Services in Ecosystems werden. Zunehmende Kritik, behördliche Untersuchungen und Rechtsstreitigkeiten in Bezug auf monopolistische Praktiken von Google, Apple, Facebook oder Amazon zeigen die wettbewerbspolitische Dimension dieser Machtasymmetrien auf (The Guardian, 2019; Reisinger, 2019). Es ist davon
200
5
Zusammenfassung und Ausblick
auszugehen, dass ähnliche Asymmetrien und Praktiken auch im kleineren Rahmen auftreten. Als theoretische Grundlagen sind Theorien der Macht (Anter, 2012; Luhmann, 1969) auf ihre Eignung zur Anwendung auf den Ecosystem-Kontext zu prüfen. Hinsichtlich der Motive dieser Akteure sind die theoretischen Überlegungen zur Entwicklung von produkt- zu serviceorientierten Geschäftsmodellen (Bruhn et al., 2015a; Raddats et al., 2019; Sklyar et al., 2019b) beizuziehen. Diese beziehen sich jedoch größtenteils auf produzierende Unternehmen aus der Industrie und sind daher inhaltlich zu übertragen. Methodisch gilt es, mittels qualitativer Grundlagenarbeit ein tieferes Verständnis der Motive und Machtdynamiken zu entwickeln. Dafür eignen sich beispielsweise Fallstudien (Yin, 2009) oder ein Vorgehen mittels Grounded Theory (Glaser und Strauß, 2010). (7) Integration von Kunden in die Gestaltung von Ecosystems Die Arbeit zeigt, dass die Formulierung der Value Proposition gegenüber den Kunden eine zentrale Aufgabe bei der Gestaltung des Ecosystems ist. Dies ist jedoch ein fortlaufender Prozess, der stark von innen heraus auf Basis der eigenen Kompetenzen getrieben wird. Es werden kundenorientierte Lösungen durch die Rekombination der Kompetenzen der Akteure entwickelt und nicht auf Basis der Kundenbedürfnisse Kompetenzen gesucht, wie häufig propagiert wird. Demnach ist der starke Fokus auf Customer Centricity in der Marketingforschung und -praxis kritisch zu hinterfragen (Gummesson, 2008b). Steve Jobs, der frühere CEO von Apple, vertrat beispielsweise die Meinung, dass Kunden häufig erst wissen was sie wollen, wenn sie es gezeigt bekommen (Ciotti, 2014). Dennoch sind Kunden wichtige Akteure im Prozess der Gestaltung von Ecosystems und die Value CoCreation bedingt, dass die Leistungen der Akteure auf ein tatsächliches Bedürfnis der Kunden treffen. Die Betrachtung der Integration von Kunden bei der Gestaltung von Ecosystems stellt daher ein weiteres Forschungsfeld dar. Insbesondere die spezielle Rolle von Pilotkunden, die die Value Proposition maßgeblich prägen und Anforderungen spezifizieren, ist im Detail zu betrachten. Dabei gilt es, verschiedene Typen der Kundenintegration zu identifizieren (Bruhn et al., 2015b) sowie die Treiber und Barrieren der Kundenintegration aus Sicht der Orchestratoren und der Kunden. Als theoretische Ausgangslage eignet sich hierzu die bisherige Forschung zur Integration von Kunden in Dienstleistungs- und Innovationsprozesse an (Bruhn und Hadwich, 2015; Büttgen, 2007). Zur theoretischen Fundierung eignet sich die Service Dominant Logic. Sie setzt einen klaren Fokus auf die Rolle des Kunden bei der Value Co-Creation und auf die damit verbundenen Konzepte wie Value-in-Use oder Value-in-Context (Vargo, 2008; Vargo und Lusch, 2017).
5.5 Fazit
201
Hinsichtlich des methodischen Vorgehens bietet sich auch hier die Konzeptualisierung und empirische Prüfung eines Wirkungsmodells zur Kundenintegration in Ecosystems an.
5.5
Fazit
Die vorliegende Arbeit liefert eine Struktur für Ecosystems, die als integratives Denk- und Anwendungsmodell sowohl in der Praxis angewendet werden kann als auch eine Grundlage für die Ableitung weiterer Forschungsideen bietet. Die darin enthaltenen Elemente sind theoretisch fundiert und auf Basis der Fallstudien validiert. Zu den einzelnen Elementen liegen konkrete Gestaltungshinweise und Konzepte zur weiteren wissenschaftlichen Vertiefung und zur praktischen Anwendung vor. Die Erkenntnisse weisen einen hohen Konkretisierungsgrad und eine klare Struktur auf. Sie sind jedoch nicht quantitativ geprüft und daher im Kontext der Grundlagen aus der theoretischen Arbeit und den Fallstudien zu interpretieren. Die Arbeit trägt zur Konkretisierung der Ecosystem-Perspektive bei und bietet Anknüpfungspunkte für weitere wissenschaftliche Arbeiten. Die Frage, wie Akteure Ecosystems gestalten, ist für Unternehmen von strategischer Bedeutung und für die Forschung von großem Interesse. Diese Relevanz geht mit gewissen Nachteilen einher. Zum einen führt der inflationäre Gebrauch des Ecosystem-Begriffs in der Wissenschaft zu Schwierigkeiten in der Abgrenzung und Konzeptualisierung von Forschungsvorhaben. Zum andern geht die hohe praktische Relevanz einher mit einer Sensibilität der Fragestellungen. Dies stellt eine zentrale Herausforderung der vorliegenden Arbeit dar. Der Zugang zu qualifizierten Informationen und Personen ist ohne persönliche Beziehungen aussichtslos und die Handhabung von Informationen, die strategische Entscheide betreffen, sehr restriktiv. Dies gilt es bei weiteren Forschungsvorhaben in Betracht zu ziehen. Insbesondere quantitativ-empirische Forschung gestaltet sich deshalb und aufgrund der Heterogenität der Betrachtungsobjekte als schwierig. Diese Aspekte sind jedoch allgemeine Herausforderung der strategischen Managementforschung, insbesondere wenn Business-to-Business-Beziehungen statt Beziehungen zwischen Konsumenten und Unternehmen betrachtet werden. Sie kann als eine Ursache für die Dominanz quantitativer Consumer-Forschung in der Marketingwissenschaft gesehen werden, die in starkem Kontrast zur volkswirtschaftlichen Bedeutung des Business-to-Business-Geschäfts steht. Gerade deshalb kann die vorliegende Arbeit aber als Schritt betrachtet werden, sich diesen Herausforderungen zu stellen. Dies zwar zu Lasten methodischer und statistischer Rigorosität, dafür zugunsten inhaltlicher Relevanz.
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