Genug, für alle, für immer: Nachhaltigkeit ist einfach komplex [1. Aufl.] 9783658312190, 9783658312206

Wie können wir Klimakrise und Ressourcenverknappung bewältigen?Wie muss ein Werkzeugkasten zur Reparatur der Menschheits

321 9 6MB

German Pages [199] Year 2020

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Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XIV
Einführung und Struktur (Hartwig Haase)....Pages 1-4
„Ich habe Menschen“ – Zustand der Welt zu Zeiten des Anthropozäns (Hartwig Haase)....Pages 5-36
Nachhaltige Entwicklung – Geschichte und Ausprägung eines Konzepts (Hartwig Haase)....Pages 37-42
Die Dimensionen der Nachhaltigkeit – Ökologie, Ökonomie, Soziales (Hartwig Haase)....Pages 43-48
Nachhaltigkeitsstrategien (Hartwig Haase)....Pages 49-65
Nachhaltigkeit messen und managen – Kriterien, Kennziffern, Indikatoren für Produkte, Prozesse, Handeln (Hartwig Haase)....Pages 67-81
Nachhaltigkeit – Umsetzungskonzepte (Hartwig Haase)....Pages 83-132
Nachhaltigkeit ist einfach komplex (Hartwig Haase)....Pages 133-172
Back Matter ....Pages 173-189
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Genug, für alle, für immer: Nachhaltigkeit ist einfach komplex [1. Aufl.]
 9783658312190, 9783658312206

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Hartwig Haase

Genug, für alle, für immer Nachhaltigkeit ist einfach komplex

Genug, für alle, für immer

Hartwig Haase

Genug, für alle, für immer Nachhaltigkeit ist einfach komplex

Hartwig Haase Institut für Logistik und Materialflusstechnik Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Magdeburg, Deutschland

ISBN 978-3-658-31219-0 ISBN 978-3-658-31220-6  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-31220-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Illustrationen: Johanna (Covervorlage) und Wilhelmina (Widmung) Planung/Lektorat: Eric Blaschke Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort

Als erstes möchte ich den vielen Menschen danken, die mich inspiriert, angeregt, motiviert und auf weitere vielfältige Art unterstützt haben und ohne die so ein Buchprojekt weder möglich ist noch kollaborativen Nutzen bringt. Dank an Prof. Sandor Vajna als Initiator und für sein Vertrauen, mir ein Kapitel über Nachhaltigkeit in seinem Handbuch für Integrated Design Engineering zuzutrauen und zuzumuten. Er kann als der Hauptschuldige ausgemacht werden. Er hat es geschafft, mich meine Massenträgheit überwinden zu lassen und später auch den Weg für dieses Buch geebnet! Ganz besonderen Dank auch an Prof. Dietrich Ziems für die sorgfältige und akribische Begutachtung, seine kontinuierlichen Hinweise und Korrekturvorschläge. Dank an Franzi (Umweltpsychologin), Joris (Biologe) und die liebe Familie: Uta (Lehrerin/Germanistin), Anna (Soziologin/Systemische Therapeutin) und Gavin (Philosoph/Kulturanthropologe) für die vielen Tipps und die angeregten interdisziplinären Diskussionen, die viele gute Ideen brachten und vielen guten Wein verbrauchten. Dank an unsere wundervollen Enkelinnen Wilhelmina und Johanna für die stete Versorgung des inneren Antriebs und die coolen Bilder „hallo Welt“ für das Cover und die Widmung. Dank auch an das Radfahren, die Wege von und zur Arbeit waren teils kreativer als manche Stunden am Schreibtisch. Als Ingenieur habe ich mich schon immer auch für die Themen Kultur und Umwelt interessiert. So hatte ich die Chance und das Vergnügen, über 10 Jahre lang das Programm im Jazz- und Kleinkunst-Studentenklub „Kellertheater“ zu gestalten, viele interessante Künstler der ­ DDR-Szene persönlich kennenzulernen und mit Gästen wie Lutz Rathenow und VII

VIII      Vorwort

Stephan Krawczyk auch den einen oder anderen Konflikt mit der Parteiund Staatsführung auszutragen. Privat waren und sind Wandern, Radfahren, Paddeln und mittlerweile das Gärtnern freizeitbestimmend. Beruflich waren die Themen Altlasten und Kreislaufwirtschaft in Forschung und Lehre über lange Jahre dominant. Das Thema Nachhaltigkeit hat sich daraus entwickelt und ist aus der damaligen defizitären Situation in der Lehre an der Universität schnell zum Mittelpunkt der eigenen Lehrtätigkeit geworden. Getreu Otto-von-Guericke kann man sagen, dass ich das hier bestehende Vakuum erkannt habe und hoffentlich nicht nur mit Luft füllen konnte. Seitdem wurde diese Lücke übrigens schnell gemeinsam mit vielen anderen und sehr breit über unterschiedliche Disziplinen verteilt gefüllt. In einer schnelllebigen Zeit verliert Bestandswissen in vielen Fachdisziplinen an Bedeutung. Die Aufgabe einer Dozentin oder eines Dozenten kann nicht allein darin bestehen, vorhandenes Wissen zu vermitteln. Hier ist für jede und jeden auch eine Verpflichtung zu sehen, durch individuelle und gemeinschaftliche Sichten selbst immer wieder neue Erkenntnisse zu gewinnen und Bestehendes weiterzuentwickeln. Dabei hat sich der Autor anfänglich stets im akademischen Umfeld befunden und ist – sich daraus entwickelnd – auch praktisch mit den Studierenden gemeinsam in einen immer noch andauernden Lernprozess eingetreten. Und wir – die Studierenden, andere Neugierige und ich – sind auch die Zielgruppe des Buches. Viele Pioniere der Nachhaltigkeit haben mich dabei begleitet, wie man an den vielen Zitaten im Buch erkennen kann. Ein Urlaub auf dem Weingut Une Campagne en Provence, Gespräche mit dem Gastgeber Claude Fussler und der Besuch seiner Bibliothek können als „Initialzündung“ ausgemacht werden. Weitere Anstöße und Ideen gaben Franz Josef Radermacher mit seiner analytischen Systembetrachtung und seiner globalen Sicht, Harald Welzer mit seiner erfrischenden Ironie und einem immer wieder kritischen Hinterfragen, Niko Paech mit klaren Alternativen und seiner Authentizität, Rob Hopkins mit seiner Begeisterungsfähigkeit und immer wieder Dennis L. Meadows mit deutlichen An- und Aussagen. Und dazu die vielen engagierten Menschen aus dem Kreis der Studierenden, der Kolleg*innen und der regionalen Initiativen. Der anfängliche Glaube an oder die Hoffnung auf eine globale politische Lösung der ökologischen und sozialen Probleme unserer Erde, eine Global Governance, ist schnell gedämpft worden und auch ein kurzes Aufflackern der Hoffnung nach dem Pariser Klimaabkommen hat daran leider nicht

Vorwort     IX

viel ändern können. Sind jemals zu einem Klimagipfel wenigsten die Flüge der Teilnehmenden kompensiert worden? Für Kattowitz wurden zumindest Baumpflanzungen angekündigt. Parallel zu diesem Verlust an Hoffnung auf eine „Rettung von Oben“ ist die Erkenntnis gewachsen, dass jeder Mensch selbst für sein Handeln im nachhaltigen Sinne verantwortlich ist und damit auch die Möglichkeit hat, Dinge als Einzelner zu verändern. Seitdem versuche ich, mich parallel zur Lehrtätigkeit in zivilgesellschaftlichen und oft studentisch geprägten Nachhaltigkeitsinitiativen einzubringen. So konnten wir seit 2014 jährlich Ökosoziale Hochschultage an der Otto-von-Guericke-Universität organisieren, die Uni hat mittlerweile ein Nachhaltigkeitsbüro und eine vom Senat verabschiedete Nachhaltigkeitsstrategie. Die Teilnahme an Demonstrationen (als Scientist, Grandpa und Oldie for Future) und sanften Provokationen (ParkingDay, Critical Mass, Poolnudel-Monday, …) runden dieses Bild ab. Unter dem Aspekt des Agierens in dieser Blase ist auch die Sichtweise des Buches zu verstehen. Es ist damit auch ein sehr persönliches Buch entstanden, da ich quasi im Selbstversuch mal euphorisch, mal frustriert und immer reflektierend versucht habe, mein Verhalten in nachhaltige Richtung zu verändern. Ein Versuch, der bisher nur teilweise gelungen ist und auch noch andauert. Ich habe in dem Buch versucht, unterschiedliche Ansätze und Lösungskonzepte zum Thema Nachhaltigkeit rational, möglichst wertungsfrei und ohne emotionale Beteiligung in ihren Vor- und Nachteilen vorzustellen. Ich befürchte – und hoffe –, das ist mir nicht gelungen! Kritische Leser haben vor allem das zusammenfassende Kapitel als „agitatorisch“ empfunden. Selbstkritisch hatte ich ein ähnliches Gefühl, das ich aber lieber als „missionarisch“ beschrieben haben möchte, aber das ist auch ein Grund dafür, dass ich schreibe. Es ist schwierig bis unmöglich, ein solch komplexes Thema kompakt in einem Büchlein zusammenzufassen, ohne wichtige Aspekte zu vernachlässigen. Es erfordert in vielen interdisziplinären Bereichen exakte Erklärungen und detaillierte Untersetzungen sowie Begründungen für die Fakten. Ich habe mich trotzdem bemüht, keine ausufernden Beschreibungen zu liefern und nur die wesentlichen Fakten, Argumente und Aspekte knapp zusammenzufassen, um vor allem die Zusammenhänge und Abhängigkeiten darzustellen. Daher gibt es aber auch für Details, weiterführende Informationen und Vertiefungen der unterschiedlichen Thematiken sehr viele Links und Literaturverweise!

X      Vorwort

Äußerlich erfülle ich als „alter weißer Mann“ das typische Täterprofil eines Impact-Mans. Schauen wir uns doch mal gemeinsam an, wie es in uns aussieht, jeder für sich: Hier findet man sehr unterschiedliche Ausprägungen: Die einen weisen einen sehr persönlich fokussierten, engen Horizont auf, zeigen kein bis minimales Interesse an anderen, denn diese seien ja selbst schuld, haben keinen Biss, kein Gefühl für Deals, sind vorrangig einem hierarchischen, patriarchischem Denken verfallen. Die anderen sind offen (und besorgt?) für/um andere Mitmenschen in einer Mischung aus Frustration und Wut über die (vielleicht eigene) Lücke zwischen Wissen und Handeln, die so genannte kognitive Dissonanz, über die globale Ungerechtigkeit. Hier können aber auch Hoffnung und Mut gewonnen werden über die „Resilienzgrüppchen der Avantgarde“, durch die Schüler*innen und Jugendlichen von Fridays for Future und Plant-for-the-Planet (und viel besser noch mit ihnen). Die Leserin bzw. der Leser kann ja gern den Menschen, den sie oder er mit dem Thema Nachhaltigkeit verbindet, der anfänglichen Widmung hinzufügen. Zwei Namen entsprechen „öffentlichen“ Persönlichkeiten, alle anderen sind mit Engagierten und Personen aus der eigenen Familie verbunden. Das Thema ist ernst und bedrohlich, im gemeinsamen Agieren gibt es trotzdem Freude, Spaß an der Herausforderung, am Kreativen, am Diskurs, an der Provokation. Hartwig Haase

Inhaltsverzeichnis

1 Einführung und Struktur 1 2 „Ich habe Menschen“ – Zustand der Welt zu Zeiten des Anthropozäns 5 2.1 Kritische Systemzustände – Wachstumsgrenzen 5 2.2 Emissionen als anthropogener Output → Klimawandel 9 2.2.1 Exkurs Klimaleugner und Klimaskeptiker 10 2.2.2 Die Klimaerwärmung und ihre Ursachen 13 2.2.3 Die Klimaerwärmung und ihre Folgen – die Tipping Points 17 2.2.4 Die Klimaerwärmung und ihre Folgen – das ­Unter-2-Grad-Ziel 20 2.2.5 Die Klimaerwärmung und das verbleibende ­CO2-Restbudget 23 2.3 Ressourcenübernutzung → Ressourcenverknappung 25 2.3.1 Fossile Brennstoffe 25 2.3.2 Süßwasser/Trinkwasser 27 2.3.3 Phosphor 28 2.3.4 Sand 29 2.3.5 Bodendegradation und Desertifikation 29 2.3.6 Biodiversität 32 2.3.7 Ressourcen – Zusammenfassung 33 2.4 Bevölkerungswachstum 35

XI

XII      Inhaltsverzeichnis

3 Nachhaltige Entwicklung – Geschichte und Ausprägung eines Konzepts 37 4 Die Dimensionen der Nachhaltigkeit – Ökologie, Ökonomie, Soziales 43 5 Nachhaltigkeitsstrategien 49 5.1 Effizienz – Ressourcenproduktivität, outputorientiert 49 5.2 Suffizienz – Ressourcenverbrauch reduzieren, inputorientiert 53 5.3 Konsistenz – Ressourcen nutzen, ohne zu zerstören, kreislauforientiert 56 5.4 Resilienz- Systemwiderstandsfähigkeit, stabilitätsorientiert 58 5.5 Zusammenfassung Nachhaltigkeitsstrategien 62 6 Nachhaltigkeit messen und managen – Kriterien, Kennziffern, Indikatoren für Produkte, Prozesse, Handeln 67 6.1 Der ökologische Fußabdruck – Ecological Footprint 67 6.2 Klimabilanzen für Unternehmen und Einrichtungen 71 6.3 Nachhaltige Bewertung von Produkten und Dienstleistungen 74 6.4 Nachhaltigkeitsstrategien und Nachhaltigkeitsmanagement 77 6.5 Weitere Konzepte zur Wohlfahrts- und Nachhaltigkeitsmessung 80 7 Nachhaltigkeit – Umsetzungskonzepte 83 7.1 Welt retten I – Systemreparatur und -erweiterung. Ökosoziale Marktwirtschaft & Global Marshallplan Initiative 83 7.1.1 Systemverwerfungen und erkannter Reparaturbedarf 86 7.1.2 Globale Leitplanken und ökosoziale Marktwirtschaft 88 7.2 Welt retten II – Systemkritik und -wechsel. Postwachstum und Degrowth 93 7.2.1 Kapitalismus- und Wachstumskritik 93 7.2.2 Systemwechsel – Postwachstum 98 7.2.3 Systemwechsel als soziale Transformation und humanistische Herausforderung 99

Inhaltsverzeichnis     XIII

7.3 Welt retten III – Akteurssicht Unternehmen/Wirtschaft. „better business, better world“ 103 7.3.1 Vom ehrbaren Kaufmann zur unternehmerischen Gesellschaftsverantwortung 104 7.3.2 Greenwashing oder Going Green 105 7.3.3 Nachhaltigkeit im Unternehmen als Win–­win-Situation 108 7.4 Welt retten IV – Akteurssicht ICH. „Wir fangen schon mal an!“ zivilgesellschaftliche Ansätze 112 7.4.1 Veränderungen zwischen Werten, Wissen, Wollen und aktiv Wandeln 112 7.4.2 Selbstreflexion, -verständnis und SDG 18 116 7.5 Welt retten V – Kompensation, Offsetting, Zeit gewinnen 122 7.5.1 Klimakrise und Zeitnotstand 122 7.5.2 Vermeidungs- und Verminderungsstrategien 123 7.5.3 Negativemissionen 124 7.5.4 Das Verursacherprinzip – die Top-Emitters 126 7.5.5 Eigenverantwortung – einfach | selber | machen 127 7.6 Welt retten – Resümee 129 8 Nachhaltigkeit ist einfach komplex 133 8.1 Die große Enttäuschung – die Lösung aller Probleme ist nicht 42 133 8.2 Nachhaltige Entwicklung als komplexes Problem 135 8.3 Gesellschaft, Politik und Governance 140 8.3.1 Gesellschaftlicher Werte- und Verhaltenskonsens 140 8.3.2 Die Gesellschaft ist so gut, wie das Menschenbild, das sie zugrunde legt 142 8.3.3 Good Governance = Sustainable Governance? 144 8.4 Wirtschaft, Konsum und Produktentwicklung 145 8.4.1 Wirtschaftsziele – Unterscheidung in Akteurssicht und gesellschaftliche Aufgabe 146 8.4.2 Konsum – vom Habenwollen zum Seinsein 151 8.4.3 Produktgestaltung – by design or by Disaster 154 8.5 Mensch 160

XIV      Inhaltsverzeichnis

8.6 Die Lehrsätze 8.6.1 Lehrsatz 1: Nachhaltigkeit erfordert interdisziplinäre Zusammenarbeit und vernetztes Denken für komplexe Systeme im globalen Zusammenhang 8.6.2 Lehrsatz 2: Es gibt kein Generalkonzept zur Lösung des Problems und keine Erfahrungen. Das Problem ist existenziell. Ein Gegeneinander ist hierbei nicht hilfreich. Vieles muss parallel, möglichst verzahnt und möglichst sofort ausprobiert werden 8.6.3 Lehrsatz 3: Alles in Frage stellen! Demut und nicht Übermut! Den Menschen als Teil der Natur sehen! 8.6.4 Lehrsatz 4: Wir brauchen Provokationen, um zu erkennen, was schlecht am Alten ist und Visionen, um Neues zu denken 8.6.5 Lehrsatz 5: Fangt an! Am besten bei Euch selbst! Sucht Verbündete!

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Literatur 175

1 Einführung und Struktur

„Alle … Daten sind der Öffentlichkeit zugänglich und weithin bekannt. Die nahezu unglaubliche Tatsache ist jedoch, dass bisher keine ernsthaften Anstrengungen unternommen wurden, um das uns angesagte Schicksal abzuwenden. Während im Privatleben nur ein Wahnsinniger bei der Bedrohung seiner gesamten Existenz untätig bleiben würde, unternehmen die für das öffentliche Wohl Verantwortlichen praktisch nichts, und diejenigen, die sich ihnen anvertraut haben, lassen sie gewähren.“ Erich Fromm (1976, S. 23)

Soll das Überleben der Menschheit auf unserem Planeten in einem annehmbaren Zustand langfristig gesichert werden, sind radikale gesellschaftliche Veränderungen erforderlich, wobei kritisch zu sehen ist, ob Radikalität und Geschwindigkeit dieser Veränderungen einen Systemkollaps überhaupt noch verhindern können. Diese Veränderungen müssen sowohl über politische Restriktionen zur Einhaltung der planetaren Leitplanken als auch über individuelle Verhaltensänderungen herbeigeführt werden und wirken sich auch auf alle Bereiche der Gesellschaft, auf Politik und Wirtschaft aus. Beispiele für politische Ansätze sind die Energiewende mit dem Kohleausstieg und die Verkehrswende mit der Forcierung der E-Mobilität. Beispiele für Verhaltensänderungen wären der Wechsel zu nachhaltigen Ernährungsmustern mit regionalen/saisonalen Bio- und veganen Produkten oder ein verantwortungsbewusster Umgang mit Mobilität wie die FlyingLess Kampagne1.

1https://academicflyingblog.wordpress.com/.

Zugriff: 01.02.2020.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Haase, Genug, für alle, für immer, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31220-6_1

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2     H. Haase

Die Märkte adaptieren ideologiefrei diese politischen und soziologischen Entwicklungen. Produkte und Dienstleistungen werden den neuen Anforderungen angepasst. Es wird noch diskutiert werden, ob das jetzt eine gute oder eine schlechte Nachricht ist. „Der Konsumismus kennt keine Feinde, weil sein Erfolg davon abhängt, dass alle mitmachen. Er ist unpolitisch und bietet daher auch kein politisch identifizierbares Ziel. Der universale Konsumismus ist … wertneutral, objektiv, robust. Ihn anzugreifen kommt einem Angriff auf sich selbst gleich.“ Harald Welzer (2013, S. 49)

Politische Veränderungen können über Einfluss der Lobbyisten auf wenige politische Entscheidungsträger gegebenenfalls verzögert oder gemildert werden, die diffuse Menge sozialer Veränderungen ist jedoch komplizierter manipulierbar und sowohl im positiven wie im negativen Sinne beeinflussbar. Die breite Palette an veganen und Bio-Produkten in den Supermärkten zeigt aber, wie schnell sich diese Anpassung im Markt realisiert und durch ein neues Produktangebot bedient wird. Selbst Skeptiker akzeptieren mittlerweile den Klimawandel, der weltweit aktuell als stärkste Bedrohung angesehen wird, als real, leugnen aber noch den Einfluss menschlichen Handelns. Wenn aber nur der „liebe Gott“ verantwortlich ist für die nächste Sintflut, sollte man sich dann nicht auch fragen, welche Gründe er dafür hat? Die gleichen wie beim letzten Mal? Sarkastisch wäre zu bemerken, dass der drastische Rückgang der Biodiversität bereits andeutet, dass der Platz auf der nächsten Arche Noah begrenzt sein wird, sollte es denn wieder eine Arche geben. Vielleicht sind aber die von Luther einseitig übersetzten Worte aus der Genesis „Macht euch die Erde untertan“ (gen 1,28)2 auch zu konsequent umgesetzt worden. Im hebräischen Urtext erhalten die Menschen im Widerspruch dazu eine Nutzungslizenz zur Lebensfristung und damit den Auftrag, die Welt zu betreuen, sie weise und umsichtig zu verwalten sowie zu erhalten3. Hinterfragt werden muss bei dieser Thematik auch die Eignung des gegenwärtigen Gesellschaftssystems und seiner Akteure, globale Erfordernisse im

2„Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel des Himmels und über alles Lebendige, was auf Erden kriecht!“. 3Siehe hierzu auch Naturethik und biblische Schöpfungserzählung von Christof Hardmeier, Konrad Ott (2015).

1  Einführung und Struktur     3

ausreichenden Maße kooperativ zu adaptieren sowie richtiges Wachstum (damit ist erforderlichenfalls auch negatives Wachstum gemeint) und Ressourcenendlichkeit überein zu bekommen. Ein Versuch, einen alternativen Gesellschaftsentwurf umzusetzen, ist bereits gescheitert, u. a. da er Individualität und Egoismus der Menschen nicht berücksichtigte und zu sehr auf soziale Gleichheit gesetzt hat. In DDR-Zeiten wurde gesagt: „Der Kommunismus ist die beste Gesellschaftsform, die es je gegeben hat. Er funktioniert leider nur nicht mit Menschen.“ „Im Kapitalismus beutet der Mensch den Menschen aus. Im Kommunismus ist es genau umgekehrt.“ John Kenneth Galbraith

Scheitert momentan gerade ein weiterer Versuch an einseitiger Ausrichtung, an Egoismus und Individualität und den dafür nicht ausreichenden Ressourcen für alle sowie an Missachtung sozialer Ausgewogenheit? Funktioniert auch der Kapitalismus nicht mit den gegenwärtig auf der Welt lebenden Menschen? Wie sich zeigen wird, ist die Welt weitaus komplexer und nicht durch einige wenige Ursachen und einfache Zusammenhänge erklärbar. Der Aufbau des Buches wird nachfolgend beschrieben (siehe auch Abb. 1.1).

Abb. 1.1  Aufbau, Inhalt und Struktur des Buches

4     H. Haase

Einleitend und als Basis wird im Buch eine Situationsbeschreibung zum Zustand der Welt gegeben, um die Bedeutung eines nachhaltigen Handelns und die komplexe Ausgangslage zu verstehen. Hier werden die gegenwärtigen Megatrends des Klimawandels als eines der akuten Probleme anthropogener Emissionen, die Ressourcenverknappung durch Übernutzung des regenerativ zur Verfügung stehenden Angebots und die beide Effekte verschärfende Bevölkerungsentwicklung thematisiert. Nachfolgend werden die Entwicklung des Nachhaltigkeitsgedankens und der Nachhaltigkeitsforschung dargestellt sowie sich daraus ableitende, theoretische Möglichkeiten für eine nachhaltige Gestaltung der menschlichen Gesellschaft diskutiert. Hier werden auch Definitionsfragen und unterschiedliche Sichten der Nachhaltigkeit vorgestellt, wie z. B. die Interpretationen einer schwachen und starken Nachhaltigkeit. Aus den prinzipiellen Nachhaltigkeitsstrategien Effizienz, Konsistenz, Suffizienz und Resilienz werden mögliche Ansatzpunkte für eine nachhaltige Entwicklung aus weltpolitischer, wirtschaftlicher und individueller Sicht erarbeitet und sich daraus ergebende Umsetzungskonzepte vorgestellt. Wie sich zeigt, ist die aktuelle Situation so weit fortgeschritten und dramatisch, dass ein Hoffen auf einen „göttlichen Ingenieur“ oder ein einzelnes Patentrezept nicht erfolgversprechend sein kann. Es braucht neue visionäre und konzeptionelle Ideen für unsere Zukunft sowie ein sofortiges konsequentes Handeln, um für die Umsetzung dieser Ideen Zeit zu gewinnen. Das letzte Kapitel ist den politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und individuellen Schlussfolgerungen aus den genannten Nachhaltigkeitsstrategien und den vorgestellten Lösungsansätzen gewidmet und nennt damit auch einhergehende Hoffnungen für den Erhalt einer lebenswerten Welt. Was für diese „Herkulesaufgabe“ aus Sicht des Autors zu tun ist, wird hier abschließend zusammengefasst (siehe Abb. 1.1).

2 „Ich habe Menschen“ – Zustand der Welt zu Zeiten des Anthropozäns

Treffen sich zwei Planeten im Weltall. Sagt der eine Planet zum anderen: „Du siehst aber schlecht aus“. Der antwortet: „Ja, mir geht es auch nicht gut. Ich habe Menschen“. Darauf der erste: „Hatte ich auch mal. Das geht vorüber“. Planetenwitz anonym, u. a. in Lesch (2017, Cover)

Vorweg und falls das beruhigt: Es geht nicht um das Ende der Menschheit wie im Planetenwitz angedroht. Die Menschheit wird (irgendwie) überleben. Es geht um die Gefahr eines Kollabierens, eines Zusammenbrechens der anthropogenen Systeme, wie in Abb. 2.1 dargestellt.

2.1 Kritische Systemzustände – Wachstumsgrenzen Im ersten Bericht an den Club of Rome1 „Limits to Growth“ (Meadows et al. 1972), der bereits im Jahr 1972 erschien und in einem komplexen dynamischen Weltmodell (kybernetische Computersimulation World3) das Zusammenwirken der fünf Indikatoren Industrieproduktion, Bevölkerung(swachstum), Nahrungsmittel(produktion), Ressourcen(verfügbarkeit) und Umweltverschmutzung untersucht, wird im „Szenario Business-as-usual“ ein Kollabieren des globalen menschlichen Systems

1Der

Club of Rome wurde 1968 als gemeinnützige Organisation gegründet, die sich interdisziplinär für eine nachhaltige Zukunft der Menschheit einsetzt.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Haase, Genug, für alle, für immer, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31220-6_2

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6     H. Haase

Abb. 2.1  Das Business as usual-Szenario des World 3 Modells. (Nach Randers 2010, Source: Meadows, Randers and Meadows, LTG 30 year update, 2004)

mit einer irreversiblen Zerstörung der Umwelt in der zweiten Hälfte des 21.  Jahrhunderts prognostiziert (siehe Abb.  2.1; Meadows et  al. 1972). Durch exponentielles Wachstum wird ein instabiler – quasi hochenergetischer – Systemzustand auf hohem Niveau erreicht. In einem solchen labilen System (bildlich: Kugel auf einer umgekehrten Schüssel) reichen bereits geringe Einflüsse, um das in seiner Statik gestörte System aus dem Gleichgewicht zu bringen. Nach der World-3-Simulation führt die Verknappung nicht erneuerbarer Ressourcen zum Zusammenbrechen der Nahrungsmittel- und Industrieproduktion, hier vor allem durch die abnehmende Fruchtbarkeit des Agrarlandes. Durch fehlende Nahrungsmittel und eine Reduzierung der Gesundheitsdienste sinkt die Lebenserwartung, die durchschnittliche Sterberate steigt und die Bevölkerungszahl reduziert sich deutlich. Trotz der kritischen Einschätzung, dass das Modell ziemlich grob auf der Betrachtung von Erdteilen basiert und kein Einfluss kriegerischer Auseinandersetzungen erfasst ist, liefern die World-3-Szenarien nach Einschätzung der Autoren ein zutreffendes Modell der Zukunft. Ziel der Autoren war es nicht, Horrorszenarien vorherzusagen, sondern Krisenvermeidung zu betreiben und Wege zum Aufbau einer globalen Gemeinschaft mit humanistischen Werten aufzuzeigen. Die Chancen, dieses Ziel zu erreichen, sinken mit der Zeit, die verstreicht, ohne eine erforderliche Transformation einzuleiten.

2  „Ich habe Menschen“ – Zustand der Welt zu Zeiten des Anthropozäns     7

„Auf der Grundlage dieser Arbeiten komme ich zu dem Ergebnis, dass sich angesichts der vorherrschenden politischen, ökonomischen und kulturellen Wertvorstellungen ein Zusammenbruch – ein nicht zu kontrollierendes Absinken der Weltbevölkerung und der industriellen Tätigkeit – nicht mehr vermeiden lässt. Mit anderen Worten: Nach meiner Überzeugung ist es für eine dauerhaft tragbare Entwicklung zu spät.“ Dennis L. Meadows (2000, S. 11)

Der Informatikprofessor und Leiter des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung Franz Josef Radermacher sieht in Radermacher und Beyers (2011, S. 231 ff.) bei einem Businessas-usual-Szenario eine Wahrscheinlichkeit von etwa 15  % für einen ökologischen Kollaps, allerdings mit zunehmender Tendenz, wenn das verbleibende Zeitfenster einer friedlichen Transformation weiter ungenutzt bleibt. Mit 40 % Wahrscheinlichkeit ist ein Szenario der Ökodiktatur mit neofeudalen Strukturen zu erwarten, welches die Umwelt- und verbleibende Ressourcenbasis auf Kosten der sozialen Balance reguliert, beispielsweise über militärische Gewalt und Abgrenzung der Eliten. Der Preis für die Vermeidung eines Systemzusammenbruchs wäre dann, dass 95 % der Menschen oder mehr ohne Fleisch, Treibstoff und beheizbaren Wohnraum in Armut auskommen müssten! Ein dritter transformativer Weg einer „Globalen Ökosozialen Marktwirtschaft“ wird später noch beschrieben werden. Randers, Mitautor von „Limits to Growth“, ist deutlich pessimistischer: „Meine Prognose für die globalen Entwicklungen bis zum Jahr 2052 ist pessimistisch, aber nicht katastrophal.“ (Randers 2012, S. 373). Danach werden Klimakatastrophen, Naturschäden, drastische zum Teil irreversible Verluste an Biodiversität sowie Einbußen des Lebensstandards auch für den reichen Teil der Welt nicht zu vermeiden sein, da die Menschheit es nicht rechtzeitig schafft, die zwar bekannten, aber notwendigen Veränderungen umzusetzen, was gerade bei den Hauptverursachern, den demokratischen Nationalstaaten, an der „komplexen und zeitraubenden Entscheidungsfindung“ scheitert2 (Randers 2012, S. 25). Sollte der gegenwärtige Kurs nicht deutlich geändert werden, gibt Randers am Ende des Buches 20 Ratschläge, die vielleicht eindrucksvoller als wissenschaftliche Prognosen deutlich machen, worum es geht. Hier daraus die ersten fünf Ratschläge:

2Gegenbeispiel

für drastische Veränderungen in Diktaturen ist die Ein-Kind-Politik in China.

8     H. Haase

1. Legen Sie mehr Wert auf Zufriedenheit als auf Einkommen. 2. Vermeiden Sie eine Vorliebe für Dinge, die bald verschwunden sein werden. 3. Investieren Sie in hochwertige Unterhaltungselektronik als Ersatz für die Realität. 4. Erziehen Sie ihre Kinder nicht zu Naturliebhabern. 5. Wenn Ihnen die Vielfalt des Lebens am Herzen liegt, genießen Sie sie, solange Sie noch können. … (Randers 2012, S. 379 ff.) Zahlreiche weitere Literatur, wie z. B. Lesch (2017), von Ditfurth (1985) und Gore (2009) widmet sich diesem komplexen Thema. Vereinfachend lassen sich die gegenwärtigen Probleme der menschlichen Entwicklung auf unserem Planeten mit den drei in Abb. 2.2 dargestellten Megatrends Klimawandel, Ressourcenverknappung und Bevölkerungswachstum zusammenfassen. Der Mensch oder die Anthroposphäre steht mit der Geo-BioSphäre über Input- und Outputströme miteinander in Wechselwirkung. Der Mensch nutzt die Geo-Bio-Sphäre als Grundlage seines wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens zur Ressourcenentnahme und -nutzung sowie zur Emissionsabgabe nicht benötigter oder prozessbedingt entstehender Stoffe. Das Bevölkerungswachstum erhöht die Mengenströme und verschärft die damit entstehenden Konflikte (beispielsweise den Klimawandel und die Ressourcenverknappung). Lange übersehen oder unterschätzt wurde leider, dass der Mensch gleichzeitig aber als Teil der Biosphäre den Auswirkungen seines Handelns ausgesetzt ist (eine Art Bumerangeffekt).

Abb. 2.2  Megatrends menschlicher Entwicklung als Ursache-Wirkung-Komplex

2  „Ich habe Menschen“ – Zustand der Welt zu Zeiten des Anthropozäns     9

Wenn beide Ströme die kapazitiven Grenzen der vorhandenen und regenerativen Möglichkeiten überschreiten, droht das System aus dem Gleichgewicht zu geraten und zu kippen, wie bereits im ersten Bericht an den Club of Rome „Limits to Growth“ (Meadows et al. 1972) am Beispiel gesellschaftlicher Prozesse beschrieben wurde (siehe Abb. 2.1). Nach Maxton (2018, S. 20) ist es zu spät, einen Kollaps gänzlich zu verhindern und es geht jetzt darum, den Zusammenbruch in kontrollierbare Bahnen zu lenken und langfristige Folgen zu reduzieren.

2.2 Emissionen als anthropogener Output → Klimawandel Emissionen als Output der Anthroposphäre können über den Boden-, den Wasser- oder den Luftpfad in die Biosphäre gelangen. Als Beispiele sind Abfälle, Gülle, Klimagase, Feinstaub u. v. m. zu nennen. Die Wirkungen dieser Emissionen verursachen Veränderungen in der Biosphäre, die für den Menschen bedrohliche Dimensionen annehmen können. Pro Tag produziert die Weltbevölkerung rund 3,5  Mio.  t Abfall (Hoornweg et al. 2013). Echevers nennt gar täglich etwa 130 Mio. t. Eine Rolle spielt hierbei die Frage, welche Fraktionen man unter dem Sammelbegriff Abfall erfasst. Rund ein Drittel dieser Abfallmenge stammt aus den USA. Jeder US-Bürger hinterlässt damit am Ende seines Lebens ein Abfallvolumen, „das sich nur mit viel Druck auf die Größe einer Cheops-Pyramide zusammenpressen lässt.“ (Echevers 2013). Diese Abfälle verbrauchen nicht nur (Deponie-)Raum. Hierbei gelangen Schadstoffe in die Sickerwässer und werden in das Grundwasser geleitet. Über Vergärungsprozesse in den Ablagerungen wird Methan freigesetzt, ein Treibhausgas, das ca. 30-mal so wirksam ist wie CO2. Bis etwa 65 % der Gesamtemissionen von Methan sind anthropogenen Ursprungs, neben Deponien zählen zu den Quellen auch der landwirtschaftliche Pflanzenanbau und die Tierhaltung (siehe dazu auch Tab. 2.1). Plastikabfälle gelangen über die Flüsse in die Weltmeere (und über die Lebensmittelkette wieder zum Menschen). Wissenschaftler*innen schätzen, dass bereits jetzt ein Kilogramm Plastik auf drei Kilogramm Fisch kommt. Bei weiterlaufender Entwicklung wird es im Jahr 2050 mehr Plastik als Fisch in den Weltmeeren geben (EllenMacArthurFoundation 2016). Dringlichstes Problem für das Gleichgewicht in unserem Erdsystem ist aber der durch eine zunehmende Konzentration von ­ Treibhausgasen

10     H. Haase Tab. 2.1  Anstieg der Treibhausgase seit dem vorindustriellen Zeitalter nach Maxton (2018, S. 26 f.) ppm – Parts per Million, Teile pro Million; ppb – Parts per Billion, Teile pro Milliarde) Treibhausgas

Schädigungspotential

Kohlendioxid CO2 Methan CH4 30fach CO2 Distickstoffoxid 300fach CO2 N2O

Konzentration 18. Jht.

Konzentration aktuell

Anstieg auf (%)

280 ppm

410 ppm

146

720 ppb 260 ppb

1850 ppb 330 ppb

260 127

in der Atmosphäre verursachte Klimawandel. Seit 1988 fasst der Intergovernmental Panel on Climate Change – IPCC (Weltklimarat) die wissenschaftliche Forschung zum Klimawandel zusammen und wies bereits im ersten Sachstandsbericht 1990 die anthropogenen Ursachen des Klimawandels mit hoher Wahrscheinlichkeit nach. Mit dem fünften Sachstandsbericht 2014 wird eingeschätzt, dass es extrem wahrscheinlich ist (>95 %), dass menschliche Einflüsse Hauptursache für die seit 1950 beobachtete globale Erwärmung sind (IPCC 2014).

2.2.1 Exkurs Klimaleugner und Klimaskeptiker Diese Grundeigenschaft der Wissenschaftlichkeit – Ergebnisse zu validieren und die getroffenen Aussagen über Konsistenz-, Sensitivitäts- und Robustheitsanalysen zu überprüfen und dabei auch Risiken zu quantifizieren (siehe dazu auch Grundwalds Ausführungen für die Zukunftsforschung, Grunwald 2013), wird von Klimaskeptikern genutzt, um Unsicherheiten in den Aussagen zu konstruieren, ohne dass sie selbst ihre Zweifel wissenschaftlich belegen, Gegenargumente ihrerseits mit Wahrscheinlichkeiten angeben und überprüfbar beweisen. Sie vergessen dabei prinzipiell auch, die Folgen zu reflektieren und verantwortlich zu bewerten, sollten sie selbst irren (siehe auch Tab. 4.1: payoff-Matrix zur ethischen Bewertung möglicher Irrtümer). Wer argumentiert „wir werden doch keine Aufwendungen machen für Dinge, die vielleicht gar nicht passieren“, hat noch keine Versicherung abgeschlossen. Im Gesundheits- und Arbeitsschutz ist es alltägliche Praxis, Vorsorge zu betreiben. Durch die damit verbundene Normalität und die direkte Nähe der Maßnahmen zu den persönlichen Interessen wird Vorsorge in dem Zusammenhang nicht infrage gestellt, obwohl es auch hier darum geht, etwaige und meist nur gering wahrscheinliche Schäden abzuwenden. Beim Klimaschutz sind die prognostizierten Schäden diffuser vorstellbar und

2  „Ich habe Menschen“ – Zustand der Welt zu Zeiten des Anthropozäns     11

werden entfernter wahrgenommen, sowohl zeitlich, in der Zukunft liegend, als auch räumlich, vorrangig in den ärmeren Ländern der Südhalbkugel und des Äquators. Die Argumentation der Klimaskeptiker ist damit im höchsten Maße verantwortungslos und ignoriert das Vorsorgeprinzip völlig. Wenn die gesäten Zweifel als Legitimation genutzt werden, notwendige Maßnahmen gegen die Klimakrise zu verhindern oder zu verzögern, ist das für Tausende oder Millionen Menschen auf dieser Erde aktive, vielleicht ungewollte, aber in Kauf genommene Sterbehilfe (Mord 2019). „Eine Leiche mit einem Messer im Rücken erweckt starken Mordverdacht – dass Menschen auch aus natürlichen Gründen sterben, wäre da kein stichhaltiges Argument.“ Stefan Rahmstorf (2019, S. 49)

Bei der Komplexität der Problematik erscheint es eigentlich wenig hilfreich, ein Stereotyp, wie das des alten weißen Mannes als Hauptverursacher der Klimakrise zu bemühen. Der Autor kann sich an der Stelle allerdings nicht zurückhalten: Die zwölf Botschafter, die 2019 eine von 500 Wissenschaftlern unterzeichnete „Europäische Klimaerklärung – Es gibt keinen Klimanotfall“3 an den UNO Generalsekretär Antonio Guterres übergeben haben, waren alle weiß, alle männlichen Geschlechts und mit einer Ausnahme meist weit über 65 Jahre alt. Das U.S.-amerikanische Heartland-Institut als bekannte Lobbyvertretung von Erdöl- und Kohleindustrie und der deutsche Ableger, der Verein EIKE e. V., führen mit den erhaltenen Spenden keine unabhängige Forschung durch, sondern kaufen Wissenschaftler*innen und führen PR-Kampagnen für gewünschte Aussagen der Auftraggeber durch4. Wenn Ausgangspunkt des Handelns der Standpunkt „Ich habe Recht“, „Ich habe die Macht“ oder „I am great“ ist, dann ist das Kriterium für die Argumentation nicht ein wissenschaftliches Richtig oder Falsch, sondern es geht nur noch um die Einschätzung, nutzt es meinen Interessen oder nicht5. Im Gegensatz dazu steht das Auswahlverfahren des IPCC: Für den 5. Sachstandsbericht wurde bei der Auswahl der 831 Experten*innen für die koordinierenden Hauptautor*innen aus 3598 Nominierungen bewusst auf

3https://www.rantlos.de/politik/klimaforscher-an-uno-es-gibt-keinen-klimanotstand.html, Zugriff

14.02.2020.

4https://www.zdf.de/politik/frontal-21/undercover-bei-klimawandel-leugnern-100.html#xtor=CS5-22,

Zugriff 14.02.2020. Unternehmen und Wirtschaftsverbände Klimapolitik weltweit beeinflussen: https://influencemap. org/reports/Reports, Zugriff 24.02.2020.

5Wie

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eine diverse Zusammensetzung von Geschlechtern, Religionen und Sichtweisen Wert gelegt, um unterschiedliche Interessen zu berücksichtigen und Korrumpierbarkeit zu verhindern. Weitere 2000 Expert*innen wurden zu ihren jeweiligen Spezialgebieten konsultiert. Insgesamt wurden 9200 Peer-Review-Studien für den Sachstandsbericht ausgewertet (weitere statistische Angaben unter6). Als Institution der Vereinten Nationen ist der IPCC gleichzeitig wissenschaftliches Gremium und zwischenstaatliche Einrichtung und hat sich für die Veröffentlichung der Berichte strenge methodische Verfahrensregeln gesetzt. Durch ein Mitspracherecht der Regierungen und Konsensfindung zwischen den Autor*innen werden im Abschlussbericht nur Aussagen aufgenommen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit gesichert sind. Unter dem Druck von Politik und Wirtschaftsinteressen wird daher der Klimawandel eher konservativ eingeschätzt, größere Risiken werden verharmlost und Gefahren geringerer Wahrscheinlichkeit werden gar nicht im Bericht aufgenommen. Nehmen Sie das Beispiel Flugzeug: Dort würde niemand einsteigen, wenn die Absturzwahrscheinlichkeit auch nur wenige Prozent betrüge. „Zur Vorsorge gehört aber, die Menschheit vor allen möglichen Gefahren zu schützen und nicht nur vor jenen, die mit 50 % Wahrscheinlichkeit eintreten. Bezogen auf den Klimawandel gibt es Risiken und Szenarien, die weit heftiger ausfallen, als der IPCC-Bericht es darlegt.“ Wolfgang Cramer, PIK (Süddeutsche Zeitung 14.04.07)

In der Stellungnahme von Wissenschaftler*innen der Initiative Scientists4Future zu den Protesten von „Fridays for Future“ für mehr Klimaschutz, die mehr als 26.800 Wissenschaftler*innen aus den deutschsprachigen Ländern unterzeichnet haben, heißt es: „Zurzeit demonstrieren regelmäßig viele junge Menschen für Klimaschutz und den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erklären wir auf Grundlage gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse: Diese Anliegen sind berechtigt und gut begründet. Die derzeitigen Maßnahmen zum Klima-, Arten-, Wald-, Meeres- und Bodenschutz reichen bei weitem nicht aus.“ Hagedorn et al. (2019).

6 https://www.theguardian.com/environment/planet-oz/2013/sep/27/ipcc-report-climate-changenumbers, Zugriff 24.02.2020.

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Untersuchungen belegen, dass auf einen klimaskeptischen Forscher 97 Wissenschaftler*innen kommen (Cook et al. 2008), die den Klimawandel und seine anthropogene Verursachung anerkennen. Für eine wissenschaftliche Widerlegung der Argumente der Klimaleugner und -skeptiker wird die Webseite von Stefan Rahmstorf von PIK Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung empfohlen7.

2.2.2 Die Klimaerwärmung und ihre Ursachen Das Klima auf der Erde wird bestimmt durch das Verhältnis von kurzwelliger Sonneneinstrahlung (Strahlungsantrieb der Sonne etwa 340 W/m2) und langwelliger Abstrahlung von der Erde. Treibhausgase in der Atmosphäre absorbieren die langwellige terrestrische Abstrahlung stärker als die kurzwellige von der Sonne auf die Erde treffende Strahlung. Dadurch erwärmt sich die untere Atmosphäre. Ohne diesen Effekt wäre es auf der Erde im Mittel 33 °C kälter und menschliches Leben wäre nicht denkbar. Ändert sich allerdings diese Bilanz von Ein- und Abstrahlung durch einen verstärkten Eintrag von Treibhausgasen in die Atmosphäre, erhitzt sich das Klima durch die vermehrte Absorption von langwelliger Strahlung (siehe auch8). Das NASA Goddard Institute for Space Studies (GISS) untersuchte 2012 in einem Projekt mit Modellrechnungen (NASA-GISS, ModelE2) unterschiedliche Einflüsse auf die Erwärmung der Erdoberfläche und verglich diese mit realen Messwerten, um festzustellen, wie gut die Modelle die bekannte Klimageschichte reproduzieren. Weltweit gibt es etwa 28 Forschungsgruppen in mehr als einem Dutzend Ländern, die 61 Klimamodelle entwickelt haben. Jede Gruppe verfolgt dabei einen etwas anderen Ansatz, um die Elemente des Klimasystems, wie z. B. Eis, Ozeane oder die Atmosphärenchemie zu berücksichtigen. In der Abb. 2.3 werden im oberen Diagramm natürliche und im unteren Diagramm menschliche Einflüsse mit den beobachteten Temperaturmessungen verglichen. Während die überlagerten natürlichen Einflüsse wie Erdorbit9, Sonnenintensität und Vulkanaktivitäten nicht ansatzweise den

7https://www.pik-potsdam.de/~stefan/klimaskeptiker.html 8https://www.dwd.de/DE/klimaumwelt/klimawandel/ueberblick/ueberblick,

sowie https://klimaandmore. de/?p=408#more-408, Zugriff jeweils 24.02.2020. 9Die Umlaufbahn der Erde um die Sonne und die Neigung der Erdachse verändern sich in Zyklen, die bis zu 100.000 Jahre dauern können.

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Abb. 2.3  Natürliche und menschliche Faktoren der Klimaerwärmung nach Klimakonferenz (2020) oben: natürliche Einflüssen (Erdorbit, Sonnenintensität, Vulkane) unten: menschliche Einflüsse (Treibhausgase, Aerosole, Landnutzung, Ozon) (https:// www.bloomberg.com/graphics/2015-whats-warming-the-world/data/forcings.csv, Zugriff 16.02.2020) im Vergleich mit beobachteten Werten (https://data.giss.nasa.gov/ gistemp/graphs_v3/graph_data/Global_Mean_Estimates_based_on_Land_and_Ocean_ Data/graph.csv, Zugriff 16.02.2020), (Weitere Informationen und Animation: https:// www.bloomberg.com/graphics/2015-whats-warming-the-world, Zugriff 10.01.2020)

gemessenen Temperaturverlauf erklären können, bilden die Auswirkungen anthropogener Prozesse wie Treibhausgase, Aerosole, Landnutzung und Ozon die gemessenen Werte mit guter Genauigkeit ab. Aerosole sind Dispersionen aus Luft und festen oder flüssigen Teilchen, die auf die bodennahen Luftschichten vorrangig abkühlende und damit dem Treibhauseffekt gegenläufige Wirkung haben. Sie entstehen sowohl durch natürliche Vorgänge (hier bei Vulkanaktivitäten erfasst) als auch durch menschliche Aktivitäten, beispielsweise durch Luftverschmutzungen

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bei der Verbrennung von fossilen Brennstoffen. Die zukünftige Abnahme der Emissionen der anthropogenen Aerosole als Ergebnis von Luftreinhaltungsmaßnahmen könnte damit die positiven Effekte für die Klimaerwärmung reduzieren. Entwaldung als eine Änderung der Landnutzungsform hat zwei gegenläufige Effekte. Die in Abb. 2.3 leicht dämpfenden Effekte auf die Erderwärmung gehen laut Roston und Migliozzi (2015) auf die mehr Sonnenlicht reflektierenden helleren Flächen zurück, die durch Entwaldung und Versiegelung entstanden sind. Andererseits führt Entwaldung zu direkter (Brandrodung, Drainage) oder verzögerter Freisetzung (nach stofflicher Nutzung des Holzes) von CO2 sowie zur Reduzierung des CO2-Bindungspotentials, was in der Abb. 2.3 unter dem Begriff „Treibhausgase“ erfasst ist. Nach unterschiedlichen Quellen sind zwischen 17 und 25 % aller weltweiten anthropogenen Treibhausgas-Emissionen auf Entwaldung zurückzuführen. Während das natürliche Ozon in der Atmosphäre das Sonnenlicht geringfügig dämpft und kühlend wirkt, speichert das durch Umweltverschmutzung in Erdnähe emittierte Ozon Wärme und trägt damit leicht zur Erderwärmung bei. Insgesamt sind durch die dargestellten Untersuchungen die anthropogenen Ursachen des Klimawandels mit hoher Sicherheit belegbar (siehe auch Abschn. 2.2.3). Das CO2 wird in einem funktionierenden Kreislauf durch die Aufnahmefähigkeit der Meere, der Böden und der Pflanzen wieder aus der Atmosphäre gebunden (siehe auch Abb. 2.9). Durch den Klimawandel wird dieser Kreislauf gestört und die Funktion der Meere (Ozeanzirkulation) und Pflanzen (Klimastress) als Kohlenstoffsenke vermindert. Neben Kohlendioxid werden Distickstoffoxid (Lachgas) und Methan zu den wichtigen langlebigen Treibhausgasen gezählt. Um die verschiedenen Treibhausgase vergleichbar zu machen, werden sie hinsichtlich ihrer Klimaschädlichkeit in Kohlendioxid-Äquivalente umgerechnet (siehe Tab. 2.1). Der enorme Anstieg der anthropogen verursachten Kohlendioxidemissionen ist vor allem dem steigenden Energiebedarf und der Verbrennung fossiler Kohlenstoffträger geschuldet. Das zweitwichtigste Klimagas Methan entsteht in der Regel bei Fäulnisprozessen unter anaeroben Bedingungen. Neben der natürlichen Methanfreisetzung aus Sümpfen, Wäldern und Permafrostböden (siehe dazu auch Abschn. 2.3.1) werden 50 bis 65 % des Methans anthropogenen Quellen zugeordnet. Wichtigste Verursacher sind hierbei die Viehzucht (Fermentationsprozess bei Wiederkäuern), der Reisanbau (Fäulnisprozesse in stehenden Gewässern), die fossile Energiewirtschaft

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Abb. 2.4  Energiebedingte CO2-Emissionen weltweit nach BMWI (2018), Daten: BP Statistical Review of World Energy 2017 ( https://www.bp.com/content/dam/bp/ business-sites/en/global/corporate/pdfs/energy-economics/statistical-review/bp-statsreview-2.2018-full-report.pdf, Zugriff 02.02.2020)

(Gewinnung und Transport, zunehmend Fracking) und die bereits genannten Mülldeponien (siehe hierzu auch Hmiel et al. 2020). Trotz vieler Mahnungen und Klimakonferenzen (siehe Kap. 3) steigt der Anteil der Treibhausgase stetig an. Während der CO2-Anteil in der Erdatmosphäre seit mindestens 800.000 Jahren unter 300 ppm lag, wird seit 2016 die symbolträchtige Marke von 400 ppm CO2-Konzentration dauerhaft überschritten. Allein 2009, verursacht durch die Finanz- und Wirtschaftskrise10, ist ein Rückgang der anthropogenen verursachten CO2Emissionen zu verzeichnen (siehe Abb. 2.4). Die Corona-Pandemie wird 2020 eine ähnliche Wirkung zeigen. Die Emissionssteigerungen der drei wichtigsten Treibhausgase Kohlendioxid, Methan und Distickstoffoxid im Zuge der Industrialisierung sind in der Tab. 2.1 dargestellt.

10Die US-Investmentbank Lehman Brothers hätte sich somit einen Umweltpreis verdient. Weitere Kandidaten wären Erich Honecker, der ein energieintensives Wirtschaftssystem gegen die Wand gefahren hat, und Klaus Wowereit, der die Fertigstellung des Berliner Flughafens erfolgreich verhindern konnte (frei nach Niko Paech).

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2.2.3 Die Klimaerwärmung und ihre Folgen – die Tipping Points Die mittlere globale Erdtemperatur ist zwischen den 30-Jahresperioden 1901–1930 und 1988–2018 um 0,88 °C angestiegen. Eine Erwärmung um 2° wird als kritische Grenze gesehen, ab der eine weitere Erwärmungszunahme kurzfristig eine Reihe irreversibler Prozesse – die sogenannten Tipping Points, Kippelemente oder Kipppunkte – auslösen würde (siehe Abb. 2.5 und 2.6). Als Kippelemente werden „Bestandteile des Erdsystems von überregionaler Größe“ bezeichnet, die – ähnlich wie bereits unter Abschn. 2.1 bei den „Grenzen des Wachtums“ erläutert – labile Systemzustände nahe eines Schwellenwertes einnehmen und damit bereits bei geringen externen Störungen drastische Zustandsänderungen erfahren können. Im Erdsystem können diese mit der Klimaerwärmung verbundene Prozesse – sofern sie

Abb. 2.5  Geografische Einordnung der wichtigsten Kippelemente im Erdsystem. Drei Klassen: Eiskörper, sich verändernde Strömungs- bzw. Zirkulationssysteme der Ozeane und der Atmosphäre sowie bedrohte Ökosysteme von überregionaler Bedeutung. Fragezeichen kennzeichnen Systeme, deren Status als Kippelement wissenschaftlich noch nicht gesichert ist. Klimaklassifikation nach Köppen (https://www. pik-potsdam.de/services/infothek/kippelemente/kippelemente#klimaklassifikationnach-k-ppen Zugriff 12.02.2020) PIK (2017) Creative Commons BY-ND 3.0 DE Lizenz (https://creativecommons.org/licenses/by-nd/3.0/de/, Zugriff 12.02.2020)

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Abb. 2.6 Kippelemente und das 2°Ziel des Pariser Klimaabkommens nach Schellnhuber et al. (2016) siehe auch Grafik Rahmsdorf und Schellnhuber (2019, S. 98) sowie Beispiele für Risikobewertungen nach Umweltbundesamt (2018, S. 19) und IPCC (2018) (Deutsche Übersetzung und Abkürzungen siehe Abschn. 2.2.3)

diese Schwellwerte/Kippunkte überschritten haben – vielfach selbstverstärkend sein und auch ohne weitere externe Einflüsse eine Rückkehr zum vorherigen, für die Menschheit verträglichen Zustand ausschließen. Eine zusätzliche Gefahr resultiert aus einem befürchteten Domino-Effekt der gegenseitigen Beeinflussung der global gekoppelten Elemente (Steffen et al. 2018; Lenton et al. 2019). Um Tipping Points in industriellen Prozessen (Wandel zur Elektromobilität) zu erklären, vergleicht der Trendforscher Lars Thomsen diesen Zustand mit der Popkornherstellung. Der Mais in einer sich erhitzenden Pfanne reagiert erstmal nicht. Erst ab einer Temperatur von 163 °C reagieren die Maiskörner und werden je nach Größe in einem Bereich bis zu 169° sekundenschnell und unumkehrbar zu Popcorn11. Das Potsdam-Institut für Klimafolgeforschung (PIK) identifiziert mehrere solcher so genannten Tipping Points – Kippelemente (siehe auch Abb. 2.5) und bezeichnet diese auch als Achillesfersen im Erdsystem (PIK 2017), siehe dazu auch Lenton (2008). 11https://www.youtube.com/watch?v=JHUzfw24oCk

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Eiskörper u. a. selbstverstärkend durch freiwerdende dunklere Flächen und damit höherer Wärmeabsorption (Eis-Albedo-Rückkopplung) • Abschmelzen des sommerlichen arktischen Meereises (Arctic summer sea ice) • Abschmelzen des Grönländischen Eisschildes (Greenland) • Abschmelzen des Westantarktischen Eisschildes (WAIS) • Auftauen der sibirischen und nordamerikanischen Yedoma Permafrostböden • Methan-Ausgasung aus den Ozeanen Strömungssysteme • Erlahmen der atlantischen thermohalinen Zirkulation (THC) • Veränderung der El Niño-Southern Oscillation (ENSO) • Zusammenbruch des indischen Sommermonsuns • Veränderungen im Westafrikanischen Monsunsystem mit Auswirkungen auf Sahara und Sahelzone (mit möglicherweise Ergrünen der Sahara als positivem Kippelement) • Verlangsamung und Veränderungen des Jet Stream der Nordhalbkugel • Austrocknen des Nordamerikanischen Südwestens Ökosysteme • • • •

Entwaldung des tropischen Regenwaldes (Amazon rainforest) Rückgang borealer Wälder (Boreal forest) Zerstörung von Korallenriffen (Coral reefs) Abschwächung der Marinen Kohlenstoffpumpe (CO2-Aufnahmefähigkeit der Weltmeere)

In Lenton et al. (2019) werden die Situation und der Zustand mehrerer Tipping Points mit einem planetarischen Notstand verglichen, bei dem sowohl das Risiko als auch die Dringlichkeit zu handeln akut sind: „Wir definieren den Notfall (E) als das Produkt aus Risiko und Dringlichkeit. Das Risiko (R) wird von den Versicherern definiert als Wahrscheinlichkeit (p) multipliziert mit dem Schaden (D). Dringlichkeit (U) wird in Notfallsituationen definiert als Reaktionszeit auf einen Alarm (τ) geteilt durch die verbleibende Interventionszeit, um einen schlechten Ausgang zu vermeiden (T). Somit ist

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E = R × U = p × D × τ/T Die Situation ist ein Notfall, wenn sowohl das Risiko als auch die Dringlichkeit hoch sind. Wenn die Reaktionszeit länger als die verbleibende Interventionszeit ist (τ/T > 1), haben wir die Kontrolle verloren.“ Lenton (2019)

Durch die komplexe Systemnatur von Umweltphänomenen sind exakte Berechnungen schwierig und mit Unsicherheiten für eine zukünftige Entwicklung belegt. Die bereits erwähnten Domino-Effekte erschweren zusätzlich eine sichere Prognose. Manche Wissenschaftler*innen befürchten, dass einige Kipppunkte bereits erreicht sind: „Wir argumentieren, dass die verbleibende Interventionszeit zur Verhinderung von Kippvorgängen bereits gegen Null geschrumpft sein könnte, während die Reaktionszeit zur Erreichung von Netto-Null-Emissionen bestenfalls 30 Jahre beträgt. Daher könnten wir bereits die Kontrolle darüber verloren haben, ob Kippvorgänge stattfinden. Eine rettende Gnade besteht darin, dass die Geschwindigkeit, mit der sich die Schäden durch das Abkippen akkumulieren – und damit auch das Risiko – bis zu einem gewissen Grad noch unter unserer Kontrolle sein könnte.“ (Lenton et al. 2019)

2.2.4 Die Klimaerwärmung und ihre Folgen – das Unter-2-Grad-Ziel Die Verpflichtung von 195 Nationen auf der 21. Vertragsstaatenkonferenz (COP21) in Paris, „den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 °C über dem vorindustriellen Niveau zu halten und die Bemühungen um eine Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau fortzusetzen“, entspricht den wissenschaftlichen Erkenntnissen, dass dadurch die Risiken und Auswirkungen des Klimawandels erheblich verringert werden können (Schellnhuber et al. 2016). In Abb. 2.6 wird deutlich sichtbar, dass bei einer Überschreitung der 2-Grad-Grenze die Gefahr der Auslösung wichtiger Kippelemente mit möglichen Kaskadeneffekten droht. Für die Korallenriffe könnte es bei 2 Grad Klimaerwärmung allerdings bereits zu spät sein. Mit dem politischen 2-Grad-Ziel wird die für die Kommunikation notwendige Einfachheit geschaffen, auch wenn eine Umsetzung der daraus resultierenden Forderungen allein durch staatliche Maßnahmen schwierig erscheint und bisher auch zur Erreichung dieses Ziels unzureichend ist (siehe Abschn. 7.5 und Abb. 7.1).

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„Jenseits von Notwendigkeit und Machbarkeit hat die 2-Grad-Grenze gegenüber konkurrierenden Klimazielen einen Vorteil, der in der Welt der Realpolitik nicht überschätzt werden kann: Sie ist einfach zu verstehen und zu kommunizieren. Die Temperaturgrenze ist eine optimale Balance aus Konkretheit und Verständlichkeit. Jetzt dreht sich die ganze Welt der Klimapolitik um eine einzige Zahl!“ Hans Joachim Schellnhuber12

Wenn das 2-Grad-Ziel nicht eingehalten werden kann, droht laut Schellnhuber et al. (2016) ein vollständiger Eisverlust der nördlichen Erdhalbkugel. Gemeinsam mit der Ausdehnung des Meereswassers durch den Temperaturanstieg führt das Schmelzwasser zu einem Meeresspiegelanstieg, der nach neuesten vorsichtigen Schätzungen sogar deutlich schneller steigt als ursprünglich angenommen. Der Meeresspiegel stieg seit 1993 durchschnittlich drei Millimeter pro Jahr. In Nerem et al. (2018) wurde eine Beschleunigung dieser Rate um durchschnittlich 0,08 mm pro Jahr berechnet. Das würde die bisherigen Prognosen – der durchschnittliche Pegel läge danach etwa 30 cm höher an den Küsten als im Jahr 2005 – auf 65 cm mehr als verdoppeln. Die Ergebnisse stimmen mit den Projektionen der Klimamodelle überein, „die bei einer Erwärmung von 2 Grad bis zum Jahr 2300 einen Anstieg des Meeresspiegels von zwei bis drei Metern zeigen“. Damit wären unterschiedliche Küstenmetropolen in Gefahr, wie beispielsweise New York, Mumbai oder Tokio (Schellnhuber et al. 2016; Energiezukunft 2016). Eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf höchstens 2 Grad ist nach Glanemann et al. (2020) auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten am günstigsten, wenn die Kosten der Klimaschäden, etwa durch zunehmende Wetterextreme oder sinkende Arbeitsproduktivität, den Kosten des Klimaschutzes gegengerechnet werden. „Der Welt gehen die Ausreden zur Rechtfertigung des Nichtstuns aus – all diejenigen, die bisher gesagt haben, dass eine Klimastabilisierung zwar schön wäre, aber zu teuer ist, können nun sehen, dass es in Wirklichkeit die ungebremste globale Erwärmung ist, die zu teuer ist.“ Anders Levermann13

12https://www.energiezukunft.eu/klimawandel/rettung-des-weltklimas-schneller-moeglich-als-gedacht/,

Zugriff: 27.02.2020.

13https://www.focus.de/wissen/klima/potsdamer-insitutut-fuer-klimafolgenforschung-fuer-umwelt-

und-wirtschaft-kosten-sind-am-geringsten-wenn-erwaermung-unter-2-c-bleibt_id_11589721.html; Zugriff 27.02.2020.

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Abb. 2.7  Die Folgen des Klimawandels. (Eigene Darstellung nach Alt 2008 (Weitere Informationen und Visualisierungen unter https://informationisbeautiful.net/ visualizations/how-many-gigatons-of-co2/ Zugriff 22.12.2018))

Wissenschaftler*innen haben mit Prognosen auf der Grundlage der IPCCDaten über ein „Klimadoppel-Szenario“ versucht, zukünftige Temperaturentwicklungen zu veranschaulichen. Für 2 Szenarien (Klimaerwärmung von 1,8 Grad oder 4,2 Grad) können Referenzstädte ermittelt werden, die heute die Temperatur aufweisen, die hierzulande im Jahr 2080 Realität werden könnte. Erwärmt sich die Erde um nur 1,8 Grad, würde Berlin beispielsweise im wärmsten Sommermonat 2080 so warm wie Rutana in Burundi sein. Bereits bei einer Erwärmung von 2 Grad werden Afrika und die Mittelmeerregion 30 % weniger Wasser zur Verfügung haben und es wird erwartet, dass 30 % der Tier- und Pflanzenarten diesen Anstieg nicht überleben können (siehe Abb. 2.7). Die Abb. 2.7 zeigt auch, dass selbst wenn das 2-Grand-Ziel nicht erreicht werden kann, es keine Option für das Nichtstun und Resignieren geben kann.

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„Doch die Klimakrise verschlimmert sich stetig weiter, von zwei auf drei auf vier Grad, und immer wird es sich lohnen, gegen jedes weitere Zehntelgrad zu kämpfen.“ „Defätismus ist vor allem eine bequeme Haltung. Man kann sich damit gemütlich einrichten und über das sich langsam entfaltende Klimadesaster lamentieren, ohne etwas dagegen tun zu müssen. Der Defätismus ist so wie die Leugnung des Problems nichts weiter als eine Ausrede fürs Nichtstun. Er ist eine verantwortungslose Haltung. Unsere Kinder und Enkel verdienen etwas Besseres, als dass wir die Hände in den Schoß legen und den Kampf gegen die Erderhitzung aufgeben, bevor wir ihn überhaupt ernsthaft begonnen haben.“ Stefan Rahmstorf (Spiegel 2019)

2.2.5 Die Klimaerwärmung und das verbleibende CO2-Restbudget Trotz der Systemträgheit und der nur langsam greifenden Wirkung von Maßnahmen halten Wissenschaftler*innen das 2-Grad-Ziel bei konsequenter Nutzung bekannter Technologien für erreichbar (siehe auch Abschn. 7.5). Allerdings drängt der IPCC in seinem im Oktober 2018 veröffentlichten Sonderbericht zur Umsetzung eines 1,5-Grad-Zieles, weil auch bereits bei zwei Grad Erderwärmung, wie bereits beschrieben, schwere Folgen für Mensch und Umwelt zu erwarten wären (IPCC 2018). Auf der Homepage des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) kann man das aktuelle Restbudget für das 1,5 und das 2,0-Grad-Ziel einsehen (so schnell tickt die CO2-Uhr14). Grundlage ist das in der Tab. 2.2 des Sonderberichtes IPCC (2018, S. 100) berechnete verbleibende CO2-Emissionsbudget ab Anfang 2018, welches noch emittiert werden darf, um bei unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten unter einer bestimmten Erwärmungsgrenze zu bleiben. Unter der Annahme, dass die Erderwärmung mit 67 % Wahrscheinlichkeit unter 1,75 Grad zu halten ist, darf die Menschheit ab Anfang 2018 beispielsweise nur noch 800 Mrd. t CO2 emittieren. Rahmstorf (2019) ermittelt das Restbudget, welches für Deutschland dann noch bleibt, wobei festzulegen ist, welchen Startpunkt und welches Kriterium für die weltweite Verteilung zu wählen ist. Wählt man als Startpunkt den ersten IPCC-Bericht 1990, hätte Deutschland sein anteiliges Budget längst verbraucht. Rahmstorf legt in seiner Modellrechnung den internationalen Klimavertrag von Paris 2015 als Bezugspunkt fest. Für den

14https://www.mcc-berlin.net/forschung/co2-budget.html, Zugriff 13.02.2020.

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Startpunkt Anfang 2016 müssten dann 880 Gt CO2 angenommen werden, weil die Welt jährlich 40 Gt emittiert. Eine gerechte Aufteilung nach dem Anteil Deutschlands an der Weltbevölkerung von 1,1 % würde ein Restbudget von 9,7 Gt CO2 ergeben. Jährlich verbraucht Deutschland etwa 0,8 Gt von diesem Budget. Damit verbleiben etwa 7,3 Gt CO2 ab Anfang 2019 und 4,9 Gt ab Anfang 2020. Ohne Emissionsreduktionen hätte Deutschland seinen Anteil in gut 6 Jahren verbraucht. Reduziert Deutschland seine Emissionen um 6 % des heutigen Werts (0,33 Gt/Jahr), wäre Deutschland ab dem Jahr 2036 auf einem klimaneutralen Weg. „Heute sind die nötigen 6 Prozent jährlich sportlich. Und zwar weil viele Jahre davor fast nichts getan wurde. Die Politiker, die diese 6 Prozent nun für ´unrealistisch´ halten, hätten einfach nur früher handeln müssen.“ Stefan Rahmstorf (2019)

Es wäre wünschenswert, wenn der Menschheit solche Raten durch Vernunft und Einsicht und nicht nur durch geplatzte Gier (Finanzkrise 2008/2009, siehe Abb. 2.4) oder Virus-Epidemien (gefördert durch eine wahnhafte Mobilität) gelingen würden. Bei den Annahmen sind Netto-Emissionen zugrunde zu legen. Das Ziel kann einerseits über Vermeidung und Verminderung von Emissionen durch Nutzung erneuerbarer Energien, Dekarbonisierung wirtschaftlicher und privater Aktivitäten (auch Verzicht z. B. auf Flugreisen), Abschöpfung des CO2 an der Gasquelle (Carbon Capture and Storage – CCS, Carbon Capture and Usage – CCU) erreicht werden. Andererseits können Maßnahmen für Negativ-Emissionen genutzt werden, wie biologische (biologische Bodenbewirtschaftung und Aufforstung) und technische Sequestrierung (künstliche Rückgewinnung von CO2 aus der Erdatmosphäre – Air-Capture-Verfahren). Insgesamt müssten die Nettotreibhausgasemissionen jedoch spätestens zwischen 2032 und 2055 – je nach Zielstellung 1,5° oder 2,0°-Ziel, jeweils mit 50 % Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung15 – weltweit auf null zurückgefahren werden. Ein durch langes Abwarten sehr eng gewordenes Zeitfenster, welches wenig Spielraum offenlässt.

15https://www.pik-potsdam.de/~stefan/Country%20CO2%20emissions%202016%20calculator.xlsx,

Zugriff 16.02.2020.

2  „Ich habe Menschen“ – Zustand der Welt zu Zeiten des Anthropozäns     25

2.3 Ressourcenübernutzung → Ressourcenverknappung Die Bezeichnung „Ressourcenverknappung“ ist unter Ursache-WirkungBetrachtung zu stellen. Knappe Ressourcen sind keine „böswillige Rache“ unserer Erde, sondern die Wirkung einer Ressourcenübernutzung durch den Menschen. Die Menschheit ist aufgeklärt, das Wissen ist vorhanden. Die Gebrauchsanweisung für eine ausgewogene Ressourcennutzung auf unserem Planeten ist verfügbar und in alle Sprachen übersetzt. Es fehlt der kollektive Wille der Menschheit, sie einzuhalten. „Die Erde hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht genug für jedermanns Gier.“ Mahatma Gandhi

2.3.1 Fossile Brennstoffe Wenn über endliche Ressourcen diskutiert wird, spricht man in erster Linie über fossile Brennstoffe und hier vorrangig über Erdöl, welches für eine grenzenlose Mobilität bisher unverzichtbar ist16. Nach Schätzungen der ASPO (Association for the Study of Peak Oil and Gas) wurde der Höhepunkt für die Förderung konventionellen Erdöls bereits 2005 überschritten (ASPO 2018). Seither wird versucht, den weltweit steigenden Energiebedarf mit unkonventionellen Quellen wie der Tiefsee, Teersanden und Ölschiefer auszugleichen. Jedoch wird angenommen, dass dies nicht ausreicht, um den Wegfall der sich erschöpfenden, konventionellen Öllagerstätten auszugleichen und auch mit unkonventionellen Ressourcen und der Addition von Flüssiggas wurde der Peak um das Jahr 2015 herum lokalisiert. Damit ist das relativ kurze Erdölzeitalter bereits zur Hälfte durchschritten. Vor allem für Gas aus unkonventionellen Lagerstätten schätzen die Internationale Energieagentur (IEA) und die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) noch hohe Ressourcen, schränken aber selbst ein, dass davon nur ein Teil technisch und wirtschaftlich nutzbar sein wird (DIW 2010). Neben den hohen Umweltrisiken, die sich aus der Gewinnung ergeben (z. B. beim Fracking), ist hier der sogenannte Erntefaktor (EROI

16In der Präsentation eines Projektthemas haben Studierende spielerisch in der Tagesschau die „Ölpokalypse“ verkündet. In diesem Übungsszenario hat der Sprecher einer Weltbehörde daraufhin die Konfiszierung aller privaten Reserven und Fahrzeuge sowie Sanktionen verkündet. Soweit sind wir allerdings (noch) nicht.

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– energy return on investment) zu betrachten. Zu Beginn der Ölförderung musste Energie in Höhe von 1 Barrel Öl investiert werden, um 100 Barrel Öl zu gewinnen. Dieser Erntefaktor hat selbst bei konventionellem Erdöl stark abgenommen und beginnt, bei einem Wert unter 8 für unkonventionelle Energieträger (Teersand, Ölschiefer) ineffektiv zu werden (Bardi 2013, S. 267). Als weitere mögliche wichtige Energiequelle wäre Methan in den Gashydratvorkommen der Permafrostböden der Tundra und am Meeresboden vorrangig an den Kontinentalhängen zu nennen. Diese Vorkommen würden bei technischer Nutzung das fossile Potenzial für den Klimawandel erhöhen, wirken aber auch „natürlich“ selbstverstärkend, wenn ihre Stabilität am Meeresgrund durch Meeresspiegelanstieg (Druckerhöhung) und Meereserwärmung zerstört wird. Über ein Forschungsvorhaben soll versucht werden, das Methan in der Käfigstruktur der Gashydrate durch CO2 aus der Sequestrierung zu ersetzen. So könnte einerseits ein wertvoller Energieträger gewonnen und andererseits klimaschädliches Kohlendioxid im Meeresboden deponiert werden17. In „Das grüne Paradoxon“ nennt (Sinn 2008, S. 120) nach unterschiedlichen Schätzungen ein Potenzial an fossilem Kohlenstoff im Bereich von etwa 4000 bis 5580 Gigatonnen, welches bei vollständiger Verbrennung die CO2-Konzentration in der Atmosphäre von jetzt 400 ppm (parts per million) auf 936 ppm hochtreiben und eine durchschnittliche Temperatur der Erdoberfläche im Bereich von 16,8 bis 22,3 °C ergeben würde. Das wären bis zu 6 Grad Erwärmung. Oben wurde bereits beschrieben, dass bereits 2 Grad ein lebensverträgliches und auch wirtschaftliches verkraftbares Maß überschreiten würden. Durch Technologieentwicklung für Umwandlung, Speicherung und intelligente Vernetzung (Smart Grid) sowie Infrastrukturausbau werden andererseits regenerative Energien immer mehr konkurrenzfähig. Rechnet man den Energieträgern die externen Kosten, u. a. auch Umweltkosten, zu, kann fossile Energie bald auch wirtschaftlich durch regenerative Energie abgelöst werden (Abb. 2.8). Unterliegen die fossilen Energien einem Emissionshandelssystem (Cap and Trade), könnten auch teurer werdende Emissionszertifikate in einem knapper werdenden Markt diese Tendenz beschleunigen.

17Siehe dazu auch GEOMAR – Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, Kiel: SUGAR Submarine Gas Hydrate Reservoirs. www.sugar-projekt.de/, Zugriff 10.12.18.

2  „Ich habe Menschen“ – Zustand der Welt zu Zeiten des Anthropozäns     27

Abb. 2.8  Kostenverlauf erneuerbarer und herkömmlicher Energien. (Nach BMU 2004, S. 21)

„Die Steinzeit ging auch nicht zu Ende, weil die Leute keine Steine mehr hatten.“ Ahmed al Jamani (früherer saudi-arabische Ölminister)18

2.3.2 Süßwasser/Trinkwasser Trinkwasser ist die wohl wichtigste Ressource dieser Welt. Im Gegensatz zu Salzwasser (1351 Mio. km3) nimmt das Süßwasser nur 2,5 % (35 Mio. km3) des Wassers auf der Erde ein. Davon sind 69,5 % nicht verfügbar und in Gletschern, Schnee, Eis und Dauerfrostböden (noch) gebunden (Black und King 2009, S. 21). Problematisch ist hier nicht eine schwindende Gesamtmenge von etwa 12.500 km3 in der Atmosphäre, die über Verdunstung und Niederschläge ca. 36 Mal im Jahr ausgetauscht wird (mit zunehmender Intensität im Zuge der Erderwärmung). Problematisch ist die weltweit ungleiche Verteilung des nutzbaren Süßwassers in den Oberflächenwässern und Grundwasserspeichern. Während im Jahr 2014 in Kolumbien 3240 mm Niederschlag verzeichnet wurden, waren es im gleichen Jahr in Ägypten nur 51 mm (Wassersäule je m2 (entspricht l/m2)). Das genießbare Trinkwasser ist damit nicht dort, wo es die Menschheit benötigt. Schon 18„The Stone Age did not end because we ran out of stones … The age of hydrocarbons is also already over“ Herman Gref, CEO of Russian Sberbank, January 2016.

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jetzt werden Trockengebiete in Indien regelmäßig mit Güterzügen und in Spanien per Schiff versorgt. Immer noch sind nach UNICEF etwa 2,1 Mrd. Menschen weltweit ohne Trinkwasser in sicherer Qualität und 4,4 Mrd. ohne sanitäre Grundversorgung (Black und King 2009, S. 85) und aktueller (UNICEF 2017). Kritisch wird die Versorgungssituation durch den rasanten Zuwachs des Bedarfs, der sich durch die wachsende Weltbevölkerung (siehe Abschn. 2.4), aber auch durch gestiegenen Bedarf bei der Industrie- und Lebensmittelproduktion ergibt. Dazu kommt allzu oft ein sorgloser und ineffizienter Umgang mit Trinkwasser. In den neunziger Jahren kam die Idee auf, im Zuge der Privatisierung über den Markt eine sparsamere und effiziente Nutzung zu gewährleisten. Allerdings ist Wasser kein Handelsgut wie jedes andere und im Sinne der Daseinsvorsorge zur Sicherung des öffentlichen Zugangs zu existenziellen Gütern und Leistungen stark politisch belegt. Trinkwasser ist ein typisches Allmendegut und sollte gemeinschaftlich (als Menschenrecht) bewirtschaftet werden. Zum Ressourcenschutz ist aber eine demokratische und nachhaltige Wasserpolitik erforderlich. Vor allem in den Entwicklungsländern ist dabei die Korruption von Regierungen ein weiteres Problem. Technische Lösungsmöglichkeiten und Gegenmaßnahmen werden in der Entsalzung gesehen, die technisch unproblematisch, aber energieintensiv ist (Energiebedarf bei momentan zwischen 4 und 25 kWh/m3; Black und King 2009, S. 98) oder klimafreundlicher einfach in einem effizienteren Umgang mit Süßwasser vor allem in der Landwirtschaft.

2.3.3 Phosphor Phosphor ist als nicht erneuerbare Ressource ein zentraler Bestandteil der menschlichen Nahrung und nach Kalzium der häufigste Mineralstoff im Körper des Menschen, wo es als Baustein für Knochen und Zähne und als Energielieferant für die Zellen dient (ca. 600 bis 700 g im Körper eines gesunden Erwachsenen). Auch Pflanzen können ohne Phosphor weder atmen noch wachsen. Über Nahrungsmittelreste oder Ausscheidungen wird ein großer Teil des Phosphors ins Meer gespült. Der Peak Phosphor (Phosphorfördermaximum) wird etwa um das Jahr 2030 erwartet GPRI (2015) und die Reichweite der vorhandenen Vorkommen wird auf 50 bis 100 Jahre geschätzt. Guano als Düngerquelle wurde seit Beginn des 20. Jahrhunderts nahezu vollständig ausgebeutet. Speziell in Entwicklungsländern, wo die Böden lange Zeit über Monokulturen ausgelaugt wurden, wird Phosphormangel bereits jetzt zum ernsten Problem. Neben dem effektiveren Einsatz in der Landwirtschaft (Dünge-

2  „Ich habe Menschen“ – Zustand der Welt zu Zeiten des Anthropozäns     29

menge werden exakt auf Phosphorbedarf ausgerichtet) und den natürlichen Kreislaufsystemen des ökologischen Landbaus wird die Phosphatrückgewinnung aus tierischen und menschlichen Ausscheidungen (vor allem Urin) als Hoffnung gesehen. Um ein Gefährdungspotenzial für die menschliche Gesundheit zu vermeiden, wird hier die einzige Möglichkeit darin gesehen, die Klärschlämme und Tiermehle zu veraschen und den Phosphor aus der Asche zurückzugewinnen (Schnug et al. 2008).

2.3.4 Sand Selbst die Ressource Sand ist – für viele schlecht vorstellbar – durch den exponentiell steigenden Bedarf im Baubereich (Infrastruktur, Wohnen, Prestige) mittlerweile knapp geworden. Sandkörner werden von Geologen nach Größe definiert und haben einen Durchmesser von 0,0625 bis zwei Millimeter. Weltweit werden gegenwärtig jährlich zwischen 40 und 50 Mrd. t Sand verbraucht. Das ist doppelt so viel wie die Flüsse der ganzen Welt jährlich Richtung Meer schwemmen.19 In der Bauwirtschaft für die Betonherstellung verwendbar sind allerdings nur Sandkörner mit Ecken und Kanten, die sich verhaken können und haften. Ausreichend vorhandener Wüstensand wird vom Wind rund geschliffen und ist daher weitgehend nutzlos. Salziger Meeressand muss aufwendig gewaschen werden, bevor er verwendet werden kann.

2.3.5 Bodendegradation und Desertifikation „Die Wälder gehen den Menschen voran, die Wüsten folgen ihnen.“ Chateaubriand (in Grundmann 2007)

Unter Bodendegradation versteht man die Verschlechterung der Bodenqualität bis zum völligen Verlust der Bodenfruchtbarkeit. Der Prozess führt über Zustände der Versteppung bis hin zur Wüstenbildung. Die Ursachen sind vielfältig: • Verwehungen und Auswaschungen unter Vernichtung der Vegetationsdecke (Abholzung, Brandrodung oder Überweidung, Ackerbau an Hängen) 19Nach GEAS (2014) wurden im Jahr 2012 knapp 30 Mrd. t Bausand für die Herstellung von Beton eingesetzt. Das Material würde ausreichen, um rund um den Äquator eine 27 m hohe und 27 m breite Mauer zu bauen.

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• Zerstörung der Bodenstruktur und -fruchtbarkeit durch Anbau von Monokulturen, fehlende oder falsche Versorgung mit organischem Dünger, Versalzung durch unzureichende Entwässerung, Verdichtung durch Maschinen und große Nutztierbestände • Verschmutzungen durch urbane Einträge (Abfälle, Schadstoffe) oder intensive anorganische Düngung in der Landwirtschaft Als Hauptverursacher wird die intensive industrielle Landwirtschaft gesehen, die tendenziell in einem Komplettpaket aufeinander abgestimmter Pflanzenschutzmittel und gentechnisch veränderter Hybrid-Saatgüter sowie einer digitalen Präzisionslandwirtschaft gefangen ist, welche die Landwirte im Input von Konzernen und im Output von den Börsen und Lebensmittelspekulationen abhängig machen20. Neben der Verstädterung, der Bodenversiegelung und der künstlichen „Lichtverschmutzung“ ist der Einsatz von Pestiziden auch ein wesentlicher Grund für den alarmierenden Rückgang der Insekten21. Immer wieder hört man die Begründung, dass zur Versorgung der wachsenden Weltbevölkerung höhere Erträge benötigt werden, die nur durch eine industrielle Landwirtschaft realisiert werden können. Beim genaueren Betrachten bedient dieser Teil der Landwirtschaft aber vor allem die Futtermittelproduktion für den Fleischbedarf der nördlichen Industriestaaten. Knapp 2,5 Mrd. Menschen leben weltweit zurzeit vorwiegend von der Landwirtschaft. Über 40 % der Weltbevölkerung ernähren sich – insbesondere in den Entwicklungsländern – noch in einer Subsistenzwirtschaft. Eine Studie des Forschungsinstituts für biologischen Landbau FiBL hat nachgewiesen, dass Biolandbau gemeinsam mit einem nachhaltigem Ernährungssystem (Vermeidung von Lebensmittelverschwendung, weniger tierische Produkte, weniger Kraftfutter) auch eine Weltbevölkerung von über 9 Mrd. Menschen im Jahr 2050 ernähren kann (Muller et al. 2017). Das Thema Ernährung und der Impact, den tierische Produkte – vor allem Rindfleisch – auf das Klima haben, sind weitere ernst zu nehmende Probleme, siehe hierzu (Löwenstein 2011).

20„Wir ernten, was andere säen“. Titel einer Allianz-Werbebroschüre aus Löwenstein (2011, S. 29). Zur Vertiefung der Problematik sei das Buch von Ann-Helen Meyer von Bremen, Gunnar Rundgren „Foodmonopoly. Das riskante Spiel mit billigem Essen“. oekonom Verlag 2014 empfohlen. 21Zur Vertiefung dieser Problematik sei Rachel Carsons Buch „Der stumme Frühling“ aus dem Jahr 1962! empfohlen.

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Das Ziel, kurzfristig höhere Erträge aus den Böden (und in die Kassen) zu holen, zeigt als negativen Nebeneffekt eine sinkende CO2Aufnahmefähigkeit und langfristig einen alarmierenden Verlust an Bodenfruchtbarkeit. „Zehn Millionen Hektar fruchtbarer Boden gehen weltweit jährlich verloren.“ „… zwischen 1950 und 1990 ein Drittel aller fruchtbaren Böden weltweit…“ Felix zu Löwenstein (2011, S. 41)

Der Boden und die Form der Landnutzung stehen auch im komplexen Zusammenhang mit dem Kohlenstoffhaushalt und dem Klimawandel. Nach dem Weltagrarbericht (2009) wurden ungefähr 50 % der gesamten Landfläche der Erde in Weide- und Ackerflächen umgewandelt und damit mehr als die Hälfte der weltweiten Waldflächen vernichtet22, einhergehend mit Speicherverlusten und Freisetzung von Kohlendioxid. Weltweite Systemvergleiche zeigen, dass ökologische Anbausysteme jährlich etwa 500 kg mehr Kohlenstoff pro Hektar binden können als gängige Vergleichssysteme (Kulturland Genossenschaft 2015). Das Potential der Kohlenstoffspeicherung im Humus landwirtschaftlich genutzter Böden wird auf 0,4 bis 1,2 Gt C/Jahr geschätzt. Das wären 5 bis 15 % der weltweiten Emissionen fossiler Brennstoffe. Kohlenstoffsequestrierung über den ökologischen Landbau kann somit als Minderungsstrategie der Landwirtschaft gesehen werden. Die global in Böden gebundene Kohlenstoffmenge (2500 Gt) übertrifft die in der Atmosphäre enthaltene C-Menge (760 Gt) um das 3,3 fache, die im biotischen Pool gebundene C-Menge (560 Gt) um das 4,5 fache (Lal 2004, S. 1623) (siehe auch Abb. 2.9, abweichende Mengenangaben durch unterschiedliche Quellen). „Wir spüren in vielen Bereichen, dass einfache Ursache-WirkungBetrachtungen unserer Lebenswelt nicht gerecht werden. Es ist deshalb zeitgemäßer und notwendiger denn je, den Boden als komplexen Organismus statt als einfaches chemisch-mechanisches Modell zu verstehen.“ Thomas Fisel, DIE BIOLAND STIFTUNG (Berner et al. 2012)

22Zur Vertiefung der Problematik sei das Buch „Wälder, die wir töten“ von Emanuelle Grundman 2007 empfohlen (Grundmann 2007).

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Abb. 2.9  Die Rolle des Bodens im Kohlenstoffhaushalt. (Nach FiBL 2013, S. 28)

2.3.6 Biodiversität Unter Biodiversität versteht man drei ineinandergreifende Bereiche: Die Vielfalt der Ökosysteme, die Vielfalt der Arten und die genetische Vielfalt innerhalb der Arten. Wissenschaftliche Schätzungen zur globalen Gesamtzahl aller Arten liegen zwischen 5 und 20 Mio. Rund 12.000–25.000 Arten können pro Jahr neu erforscht und beschrieben werden. Der langjährige Durchschnitt neu entdeckter Arten liegt knapp über 13.00023. Schon heute geht man von einer Aussterberate von 3 bis 130 Arten pro Tag aus, der um den Faktor 100 bis 1000 über dem natürlich verträglichen Wert liegt. Der Klimawandel wird diesen Prozess deutlich verschärfen (WWF 2018). Die Ressourcenfunktion der Biodiversität wird deutlicher, wenn man die Natur als Unternehmen betrachtet, das vom Menschen nachgefragte Dienstleistungsprodukte anbietet. Dieser Ansatz wird mit dem Konzept der mit einem direkten oder indirekten Nutzen für den Menschen verbundenen Ökosystemleistungen beschrieben. Dazu werden Basisleistungen (Boden-

23Prof. Christian Wirth beschreibt die Situation in einem Podcast des MDR mit einer riesigen Lagerhalle, die mit Millionen unterschiedlichen Waren gefüllt ist. Von der einen Seite versuchen Wissenschaftler*innen den Bestand zu inventarisieren und zu verstehen, wofür man die Waren nutzen kann. Von der anderen Seite wird das Lager mit einem Bagger abgerissen und wir werden niemals die Möglichkeit haben, all das kennenzulernen, was in diesem Lager ist.

2  „Ich habe Menschen“ – Zustand der Welt zu Zeiten des Anthropozäns     33

bildung, Photosynthese), Versorgungsleistungen (Nahrung, Trinkwasser), Regulierungsleistungen (CO2-Speicherung, Wasserreinigung) und kulturelle Leistungen (Erholung) gezählt. Zu den Ökosystemleistungen, die erst in jüngster Zeit stärker wahrgenommen werden, zählt die Bestäubungsleistung durch Bienen und andere Insekten, von der 30 % des weltweiten Ertrags in der Landwirtschaft abhängt. Als weitere wichtige Ökosystemleistungen können die natürliche Schädlingsbekämpfung, die Bereitstellung medizinisch wirksamer Pflanzeninhaltsstoffe und die Erzeugung fruchtbarer Böden angesehen werden (Bioökonomie 2016).

2.3.7 Ressourcen – Zusammenfassung Die vorab genannten Bereiche sind nur eine Auswahl der momentan kritisch gesehenen Ressourcen, die beliebig erweitert werden können. Neben den seltenen Erden werden als weitere endliche Ressourcen Nickel (Reichweite 44 Jahre), Cadmium (34 Jahre), Kupfer (31 Jahre), Zink (22 Jahre) und Blei (20 Jahre) aufgezählt (Franke-Wöller 2010). Unter dem Stichwort „The Great Acceleration – Die große Beschleunigung“ (siehe Abb.  2.10) werden viele weltweite Trends zusammengefasst, die alle exponentiellen Verläufen folgen, z. B. Bevölkerungswachstum, CO2-

Abb. 2.10  Die Große Beschleunigung – ‚The Great Acceleration‘ bei sozio-ökonomischen und Erdsystemtrends. (Eigene Darstellung nach Anregung Bundeszentrale für politische Bildung 2018)

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Abb. 2.11  Übersicht über die planetaren Leitplanken (Steffen et al. 2015)

Konzentration, Biodiversitätsverlust, Bodendegradation, Wasserverbrauch, Anzahl von McDonalds- Restaurants … und alle sind dem anthropozänen Einfluss geschuldet24 (Bundeszentrale für politische Bildung 2018). „Das größte Manko der menschlichen Rasse ist unsere Unfähigkeit, die Exponentialfunktion zu verstehen.“ Albert Bartlett, amerikanischer Physiker

Rockström gibt in den Planetary Boundaries (Rockström et al. 2009) eine zusammenfassende Übersicht der ökologischen Belastungsgrenzen der Erde (siehe auch Abb. 2.11). Mehrere der dort erfassten neun planetaren Grenzen haben bereits den sicheren Handlungsspielraum für die ­Menschheit

24Sozio-ökonomische

Trends: Weltbevölkerung, reales Bruttoinlandsprodukt, ausländische Direktinvestitionen, städtische Bevölkerung, Nutzung von Primärenergie, Düngereinsatz, große Talsperren, Wassernutzung, Papierproduktion, Transport, Telekommunikation, internationaler Tourismus. Erdsystemtrends: Kohlenstoffdioxid, Lachgas, Methan, Ozon, Oberflächentemperatur, Ozeanversauerung, mariner Fischfang, Garnelenzucht, Stickstoff in Küstenzonen, Verlust tropischer Wälder, domestizierte Landfläche, Artensterben.

2  „Ich habe Menschen“ – Zustand der Welt zu Zeiten des Anthropozäns     35

v­ erlassen. Die Dimension „Einbringung neuartiger Substanzen“ konnte auf Grund fehlender Definition für eine Kontrollvariable oder eine Grenze bisher nicht bewertet werden. Bei den beiden Dimensionen „Funktionale Vielfalt“ und „Aerosolgehalt der Atmosphäre“ wurden die Belastungsgrenzen (nur) regional überschritten. Wie bereits mehrfach betont ist Zeit eine Ressource, die durch langes Abwarten und zögerliche Maßnahmen knapp geworden ist. „Die knappste Ressource, die wir noch haben, ist nicht Öl oder Kohle, sondern die Zeit, um Öl oder Kohle durch erneuerbare Energien zu ersetzen.“ Franz Alt (2008, S. 84) „Wir hatten noch nie so wenig Zeit, so viel zu tun.“ Franklin D. Roosevelt25

Als weitere – derzeit bedrohlich beanspruchte – humanistische Leitplanken, welche die oft vernachlässigte soziale Dimension der Nachhaltigkeit abdecken, können die Menschenrechte und die Demokratie angesehen werden sowie humanistische Grundwerte, wie Gerechtigkeit, Vertrauen, Mitgefühl, Würde. „Es ist einfacher für die Demokratie zu kämpfen, solange sie noch besteht. Danach wird es erheblich schwieriger.“ Harald Welzer (2017, S. 28)

2.4 Bevölkerungswachstum „Wenn wir das Bevölkerungswachstum nicht eindämmen, brauchen wir uns um den Naturschutz keine Gedanken mehr zu machen.“ Shrija Mathema (Mitarbeiterin im DSW-Projekt „Bhujung“/Nepal)

Die Weltbevölkerung wächst nach der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW) aktuell um 157 Menschen je Minute; 226.184 je Tag, 82.557.224 je Jahr. Die zum Zeitpunkt des Zugriffs auf dieser Welt lebende Anzahl von 7621 Mio. Menschen wird sich bis zum Jahr 2050 voraussichtlich auf 9852 Mio. Menschen erhöhen und nach Schützungen im Jahr 2100 ihren Höchststand von etwa 11 Mrd. erreichen (Deutsche Stiftung Weltbevölkerung 2018)26. Die vorgenannten Probleme der Emissionen und des 25Grafik 26Siehe

von Lucas Eprét aus Edelhoff: Der Abfall 1988. auch Weltbevölkerungsuhr: https://countrymeters.info/de/World, Zugriff 27.02.2020.

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Abb. 2.12  Wer kommt nach dir? Bevölkerungswachstum nach 2 Generationen. (Quelle: Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW), Stand 19.12.2018)

Ressourcenverbrauches werden damit täglich verschärft, eine Lösung einhergehender Konflikte wird immer anspruchsvoller. Wie Abb. 2.12 deutlich macht, hat das starke Wachstum einen weiteren „Nebeneffekt“: Über 25 % der Bevölkerung ist unter 15 Jahre alt, fast die Hälfte der Weltbevölkerung ist unter 20 Jahre alt. Weltweit sind heute über eine Milliarde Menschen zwischen 15 und 24 Jahre alt. Fussler nennt dieses demographische Phänomen den „globalen Teenager“ (Fussler 1999, S. 35). Kinder und Jugendliche sind heute weltweit allgemein besser ausgebildet als früher. Zwar sind die weiterführenden Bildungschancen – vor allem für Mädchen – in vielen Ländern immer noch schlecht, aber fast alle Kinder werden wenigstens eingeschult. 2015 lag nach Weltbildungsbericht der UNESCO die globale Anschlussrate in der Grundschulbildung bei 83 %, in der unteren Sekundarschulbildung bei 69 % und in der oberen bei 45 % (UNESCO 2017). Der bessere Zugang zu Bildung und Informationen führt aber auch zu erhöhten Gefahren von Frustration und Unzufriedenheit. Der Futurist Peter Schwartz vergleicht die Teenagergeneration in Asien, Afrika, Lateinamerika mit europäischen und nordamerikanischen Bewegungen in den 1950er und 1960er Jahren und erwartet, dass sie die Weltkultur in ähnlicher Weise wie damals beeinflussen werden. „Ihre Energie und ihr Hormonhaushalt schaffen die bekannte Mischung aus Neugier, Vitalität und Rebellion“ (Fussler 1999, S. 35). Ein Zustand, der auch mit „satter Norden“ versus „hungriger Süden“ oder „Graue Panther gegen asiatische Tiger“ beschrieben werden kann.

3 Nachhaltige Entwicklung – Geschichte und Ausprägung eines Konzepts

„Eines scheint mir gewiss: Die Idee der Nachhaltigkeit ist weder eine Kopfgeburt moderner Technokraten noch ein Geistesblitz von Ökofreaks der Generation Woodstock. Sie ist unser ursprünglichstes Weltkulturerbe.“ Ulrich Grober (2010, S. 13)

Noch weit vor dem sächsischen Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz (24.12.1645 bis 03.03.1714), der oft als „Urvater der Nachhaltigkeit“ bezeichnet wird, zeigten die Naturvölker mit ihrer indigenen Lebensweise in viel umfassenderer Weise ein Leben im Einklang mit den und innerhalb der natürlichen Grenzen, jedenfalls solange sie traditionell in zumeist kleinen Gemeinden und Siedlungen lebten1. Allerdings sollte man sich auch hier nicht zu sehr sozialromantischen Vorstellungen hingeben. Auch frühere „Hochkulturen“2 wie die Maya plünderten mit zunehmendem Erfolg auch übermäßig die vorhandenen natürlichen Ressourcen und spalteten die Gesellschaft zugleich in eine reiche Elite und in arme Massen. Im Verbund mit einer Misswirtschaft, die den Nährstoffgehalt ihrer Böden zerstörte, führte das auch damals schon unweigerlich zum Kollaps und Niedergang der Gesellschaft. Kommt uns das jetzt irgendwie bekannt vor?

1Beispielhaft

kann hier das indigene Volk der Yanomami im nördlichen Regenwald Brasiliens genannt werden, siehe https://www.survivalinternational.de/artikel/3171-yanomami-lebensweise-botanischeswissen, Zugriff 28.03.2020. 2Besser: Komplexe Gesellschaften mit hohem Organisationgrad und zivilisatorischen Errungenschaften. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Haase, Genug, für alle, für immer, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31220-6_3

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Das Ergebnis: Das (lokale) System brach zusammen, die Eliten wurden von der unzufriedenen Masse eliminiert und damit auch wertvolles Wissen vernichtet. Der Rest zog weiter und suchte sich Gebiete mit neuen Ressourcen3 (Diamond 2005). Aber wohin zieht die Menschheit, wenn dieses Vorgehen global wiederholt wird? Carlowitz wird zwar die erste Nennung des Begriffes „nachhaltig“ in seiner Sylvicultura oeconomica (von Carlowitz 1713) zugeschrieben, als er auf der Suche nach einem zusätzlichen Synonym für beständig, immerwährend, continuierlich, pfleglich und perpetuierlich war. Eigentlich bediente er mit seinen Überlegungen jedoch nur den ökonomischen Aspekt der Nachhaltigkeit, da das für den Bergbau und die Verhüttung erforderliche Holz langfristig gesichert werden sollte. Das Ergebnis ist ökologisch kritisch zu bewerten und bescherte uns naturfremde Monokulturen. Immerhin prägte Carlowitz einen anfangs nur für forstwirtschaftliche Texte genutzten Begriff für ein bis dahin unbenanntes Konzept. Erst im 19. Jh. wurde der Begriff „nachhaltig“ ins Französische (soutenir) und ins Englische übersetzt. In der Mitte des 20. Jahrhunderts wurden die Begriffe nachhaltig bzw. sustainable das erste Mal außerhalb der Forstwirtschaft durch die Umweltbewegung und im Rahmen der Wachstumskritik genutzt, hier auch im Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ 1972: „We are searching for a model output that represents a world system that is: 1. sustainable without sudden and uncontrollable collapse; and 2. capable of satisfying the basic material requirements of all of its people.“ Dennis L. Meadows (1972, S. 158)

Eine Auswahl von wichtigen Meilensteinen, ausgehend vom eingangs beschriebenen Limits-to-Growth-Bericht an den Club of Rome im Jahr 1972, ist in der Abb. 3.1 im Zeitstrahl dargestellt und wird nachfolgend erläutert. Bereits im Februar 1979 diskutierten Experten*innen auf der von der Weltorganisation für Meteorologie WMO (World Meteorological Organisation) veranstalteten, ersten Weltklimakonferenz (WCC1) in Genf über den Zusammenhang von Klima-Anomalien und anthropogener Beeinflussung. Schon damals wurde die internationale Staatengemeinschaft auf die Gefahren einer globalen Klimaveränderung durch die Zunahme des Kohlendioxid-Gehaltes in der Atmosphäre hingewiesen. Durch das

3Sicherlich

waren und sind die Zusammenhänge wesentlich komplexer als hier dargestellt.

3  Nachhaltige Entwicklung – Geschichte …     39

Abb. 3.1  Zeitstrahl von ausgewählten Ereignissen der Umweltpolitik und nachhaltigen Entwicklung

Schmelzen der Polkappen und Gletscher wurde ein Anstieg des Meeresspiegels um bis zu fünf Meter prognostiziert und empfohlen, den Verbrauch von fossilen Brennstoffen rasch zu vermindern und großflächige Abholzungen zu stoppen. Die Einrichtung einer Kommission für Umwelt und Entwicklung unter dem Vorsitz der früheren norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland auf Beschluss der UN-Generalversammlung 1983 und der daraufhin 1987 veröffentlichte Bericht der Kommission „Unsere gemeinsame Zukunft“ (Brundtland-Kommission 1987) können als der Beginn eines weltweiten Diskurses über das Konzept der „Nachhaltigen Entwicklung“ und als Meilenstein der globalen Umweltpolitik angesehen werden. Der Bericht und die dort fixierte Definition wurden in viele Sprachen übersetzt. Er ist damit eines der am häufigsten zitierten umweltpolitischen Werke. „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Zwei Schlüsselbegriffe sind wichtig: • Der Begriff 'Bedürfnisse', insbesondere der Grundbedürfnisse der Ärmsten der Welt, die die überwiegende Priorität haben sollten; • der Gedanke von Beschränkungen, die der Stand der Technologie und sozialen Organisation auf die Fähigkeit der Umwelt ausübt, gegenwärtige und zukünftige Bedürfnisse zu befriedigen.“ (Brundtland-Kommission 1987)

Dabei fordert die intragenerationelle Gerechtigkeit einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Menschen in Industrie- und Ent-

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wicklungsländern und die intergenerationelle Gerechtigkeit, dass zukünftige Generationen in ihrer Bedürfnisbefriedigung4 nicht durch die Lebensweise der gegenwärtigen Generation beeinträchtigt werden. Eine einfache afrikanische Definition für Nachhaltigkeit lautet ALLE, IMMER (oder: genug, für alle, für immer) und steht damit im drastischen Kontrast zu dem ALLES, IMMER, das den Hyperkonsumismus nach Welzer kennzeichnet (Welzer 2013, S. 66). Auf der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (UNCED, auch Rio-Konferenz oder Erdgipfel) 1992 in Rio de Janeiro sollte der Brundtland-Bericht mit der Agenda 21 in internationales Handeln umgesetzt werden. Die Kommission der Vereinten Nationen für Nachhaltige Entwicklung empfahl dafür eine völkerrechtliche Konvention als Rahmen für eine nachhaltige Entwicklung – die Erd-Charta. Da dazu auf der Rio-Konferenz keine Einigung erzielt werden konnte, wurde nur eine unverbindliche Deklaration – die Rio-Erklärung – verabschiedet5. Folgekonferenzen waren der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung (WSSD) 2002 Johannisburg und die Konferenz der Vereinten Nationen über nachhaltige Entwicklung (UNCSD, Rio+20-Konferenz), die 2012 wieder in Rio de Janeiro stattfand. Auf der Rio-Konferenz 1992 wurde auch die Klimarahmenkonvention (UNFCCC) unterzeichnet, deren 197 Vertragsstaaten sich seit 1995 (Berlin) auf den jährlichen UN-Klimakonferenzen (COP – Conference of the Parties) treffen, um Maßnahmen zur Eindämmung der globalen Klimaerwärmung zu beschließen. Wichtige Ergebnisse waren das KyotoProtokoll 1997 (COP 3 in Kyoto), das quantitative Minderungsziele für Treibhausgasemissionen vor allem für Industriestaaten festlegte, und das Pariser Übereinkommen 2015 (COP21), das erstmals alle Vertragsstaaten über ein neues, völkerrechtlich bindendes Klimaabkommen verpflichtet, eigene Minderungsziele festzulegen und zu überprüfen. Eine der wichtigsten Neuerungen des Pariser Abkommens ist die Verankerung eines konkreten Ziels zur Begrenzung des Anstieges der globalen Durchschnittstemperatur deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter.

4Siehe hierzu die Maslowsche Bedürfnispyramide (Maslow 1977), welche menschliche Grundbedürfnisse in eine Rangordnung von Stufe 1 aufsteigend bringt: physiologische Bedürfnisse, Sicherheitsbedürfnisse, soziale Bedürfnisse, Wertschätzung und Selbstverwirklichung. 5Die Idee der Erd-Charta wurde später als zivilgesellschaftliche Initiative „von unten“ wieder aufgenommen und ist seit dem Jahr 2000 von über 5000 Organisationen und zehntausenden von Einzelpersonen unterzeichnet worden. https://erdcharta.de, Zugriff 03.03.2020.

3  Nachhaltige Entwicklung – Geschichte …     41

Parallel dazu ist im November 1988 vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC, Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen, Weltklimarat) gegründet worden. Auf die bisher fünf vom IPCC veröffentlichten Sachstandsberichte ist im Abschn.  2.2 Klimawandel bereits eingegangen worden. An dieser Stelle ist auch nochmals der IPCC-Sonderbericht von 2018 hervorzuheben, der die Bedeutung eines 1,5-Grad-Zieles betont (Intergovernmental Panel on Climate Change 2018). Weitere Meilensteine einer globalen nachhaltigen Entwicklung sind • die Millenniums-Entwicklungsziele (Millennium Development Goals, MDGs) der Vereinten Nationen, die aus der auf der 55. Generalversammlung der Vereinten Nationen (Millenniums-Generalversammlung oder Millenniums-Gipfel) 2000 in New York unterzeichneten Millenniumserklärung abgeleitet wurden, • die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs, siehe Abb. 3.2), die 2012 auf der Rio +20-Konferenz beschlossen und die 2015 auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen (Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung, United Nations Sustainable Development Summit, auch UNO-Nachhaltigkeitsgipfel) als Kernstück der Agenda 2030 verabschiedet wurden.

Abb. 3.2  Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs), die 2015 auf dem UNO-Nachhaltigkeitsgipfel als Kernstück der Agenda 2030 verabschiedet wurden. Lizenz: Heinrich-Böll-Stiftung CC-BY-SA 4.0 (https:// creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de, Zugriff 20.02.2020)

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Die Umsetzung der Millenniumsziele war bis zu einem gewissen Grade erfolgreich und konnte z. B. die Armut in einigen Gebieten der Welt reduzieren und die Bildungschancen verbessern. Allerdings gab es auch Kritik, die bei der Weiterentwicklung der Sustainable Development Goals berücksichtigt wurde. Der NABU fasst die Kritik an den MDGs wie folgt zusammen: Während die quantitativen Ziele und Fristen sich vorrangig auf die an der Zielauswahl wenig beteiligten Länder des globalen Südens bezogen, gab es dagegen keine messbaren Ziele für den „Norden“, sodass dessen Produktions- und Konsumweisen für die Zielerreichung praktisch keine Rolle spielten. Damit folgten die MDGs eher einem verengten Entwicklungsverständnis und verfolgten keinen umfassenden Nachhaltigkeitsansatz. Während in der Millenniumserklärung wesentliche Einflussfaktoren von Entwicklung wie Frieden, Umwelt und Menschenrechte noch erwähnt wurden, wurden diese in den MDGs selbst und ihren Indikatoren weitgehend ausgeblendet (NABU 2018). In den SDGs wurden die Ziele für alle Länder formuliert und sind angepasst nach Entwicklungsstand umzusetzen. Die großen Hoffnungen, die in die SDGs gesetzt werden, sind allerdings auch kritisch zu hinterfragen und teilweise widersprüchlich. „Unter Berücksichtigung aller bisherigen Erfahrungen stellt die Umsetzung der Agenda 2030 eine praktisch unlösbare Aufgabe dar.“ Franz Josef Radermacher (in Die Wirtschaft 2018)

Die beiden großen Ziele der Menschheit „Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen“ und „wirtschaftliche Entwicklung für alle Menschen“ sind nur unter Zurückstellung nationaler Interessen und Verzicht auf Wachstum (zumindest in den Industriestaaten) gleichzeitig zu realisieren. Internationale Vereinbarungen zeichnen sich nach Radermacher zudem meistens durch drei Eigenschaften aus. „Sie sind nicht bindend, niemand ist zuständig, und es gibt kein Budget.“ (Die Wirtschaft 2018). Die SDGs strukturieren aber den internationalen Diskurs und geben der Welt eine gemeinsame Position und Vision. Es wird allerdings auch deutlich, dass es zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele keine einfachen Lösungsansätze gibt und noch extrem schwierige Hürden zu überwinden und komplexe Aufgaben zu erfüllen sind. Gleich wie unterschiedlich die einzelnen Ziele interpretiert und wie weit sie umgesetzt werden können, das Gesamtziel wäre erstrebenswert: „Es geht um nicht weniger als die Rettung der Welt.“ (Die Wirtschaft 2018)

4 Die Dimensionen der Nachhaltigkeit – Ökologie, Ökonomie, Soziales

Ausgangspunkt der Konzeptentwicklung war das Aktionsprogramm für eine nachhaltige Entwicklung (Agenda 21), das auf der Rio-Konferenz 1992 beschlossen wurde und die Erkenntnis widerspiegelte, dass globaler Umweltschutz nur möglich ist, wenn die Politik zugleich ökonomische und soziale Aspekte beachtet. Die Idee des Dreisäulenmodells – Ökonomie, Ökologie und Soziales werden als gleichrangige und gleichzeitige Ziele einer nachhaltigen Entwicklung gesehen (siehe Abb. 4.1, links) – entstand etwa 1994, anschließend an den Brundtland-Bericht. Es wird u. a. der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Schutz des Menschen und der Umwelt“ (EnqueteKommission 1998) zugeschrieben und wurde letztlich EU-weit im Vertrag von Amsterdam 1997 fixiert. Die wesentlichen Inhalte der drei Dimensionen der Nachhaltigkeit sind nachfolgend stichpunktartig beschrieben und beispielhaft durch Indikatoren erläutert: Ökologische Nachhaltigkeit – kein Raubbau an der Natur: Erhalt der natürlichen Ressourcen mit widerstandsfähigen, vitalen Ökosystemen; natürliche Lebensgrundlagen nur in dem Maße beanspruchen, wie diese sich regenerieren können. (Umwelt)Indikatoren nach (OECD 2003): Umweltbelastungen, Umweltzustand (Qualität) und gesellschaftliche Reaktionen. Ökonomische Nachhaltigkeit – dauerhafte Aufrechterhaltung wirtschaftlicher Errungenschaften: Höchstmaß des ökonomischen Ertrags bei gleichzeitiger langfristiger Sicherung der benötigten Eingangsressourcen; Gestaltung eines Wirtschaftssystems, das auf Dauer auch © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Haase, Genug, für alle, für immer, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31220-6_4

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Abb. 4.1  Modelle zu den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit. (Illustration nach: Felix Müller, www.zukunft-selbermachen.de. Lizenz: CC-BY-SA 4.0)

für nachkommende Generationen funktionstüchtig bleibt. Indikatoren: hoher Beschäftigungsgrad, Preisstabilität, Arbeitsproduktivität und außenwirtschaftliches Gleichgewicht. Soziale Nachhaltigkeit – ein friedliches und gerechtes Miteinander: Sicherung einer menschenwürdigen Existenz durch Befriedigung der materiellen und immateriellen Grundbedürfnisse; demokratische Strukturen und gerechte Einkommensverteilung zur Begrenzung und friedlichen Lösung von sozialen Spannungen und Konflikten. Indikatoren: Armutsbekämpfung, Gesundheit, Chancengleichheit, Bildung, Teilhabe und Partizipation (Öko-Institut 1999). Zu seinem Entstehungszeitpunkt erreichte das Dreisäulenmodell, quasi als „Einstiegsthese“, immerhin eine Aufwertung des Umweltschutzes, da dieser jetzt neben ökonomischen und sozialen Zielen gleichrangig aufgenommen wurde. Es wurde vor allem auch für die Wirtschaft mit der Vorstellung akzeptabel, geeignete Win-Win–Win-Situationen in den drei Bereichen erreichen zu können. Jedenfalls wirkte es diskursbelebend und hat viele Diskussionen zwischen den Akteuren in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft befeuert und weitere Ansätze initiiert. Das Dreisäulenmodell wurde unter dem Begriff der schwachen Nachhaltigkeit im Interesse marktradikaler Kreise „neoliberal instrumentalisiert“ (Schreiner 2015). Der Grundgedanke einer generationenübergreifenden

4  Die Dimensionen der Nachhaltigkeit – Ökologie, Ökonomie, Soziales     45

Gleichheit1 der Menschen wurde von marktwirtschaftlich-technologieoptimistischen Akteuren immer stärker dem grundsätzlichen Vorrang von Marktmechanismen und dem Einfordern von fairem, aber freiem Handel geopfert, da staatliche Eingriffe z. B. die „ökonomische Nachhaltigkeit“ schädigen würden. Damit wird „nachhaltig wirtschaften“ allein auf den langfristigen zeitlichen Aspekt bezogen und nicht beispielsweise auf den Ressourcen- und Naturerhalt. Das von der Weltbank 1994 entwickelte Kapitalstockmodell unterstellt, dass alle Objekte, Institutionen und Strukturen einheitlich monetär messbar sind. Es unterteilt alle Produktionsfaktoren (Ressourcen) einer Volkswirtschaft in die drei unterschiedlichen Kapitalstöcke Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft. Um das ihnen innewohnende Potenzial zur Befriedigung von materiellen und immateriellen Bedürfnissen und die damit verbundene gesellschaftliche Wohlfahrt nachhaltig zu ermöglichen, muss die Summe der Kapitalstöcke, das Nachhaltigkeitskapital erhalten bleiben. Nachhaltigkeit im Sinne des Kapitalstockmodells ist gegeben, wenn auf Dauer von den Zinsen und nicht vom Kapital selbst gelebt werden kann, wobei umstritten ist, ob der Kapitalbestand als Summe oder getrennt für jeden einzelnen Kapitalstock konstant (oder zunehmend) gehalten werden muss. Anhänger einer „starken Nachhaltigkeit“ betrachten das Umwelt- oder Naturkapital als Fundament der Wirtschaftstätigkeit als unantastbar. Hier müssen die Bestände der einzelnen natürlichen Ressourcen langfristig mindestens konstant gehalten werden und eine Substitution durch andere Kapitalarten wird als unzulässig erachtet. Nur der Neuzuwachs einer natürlichen Ressource darf verbraucht werden, nicht-erneuerbare Ressourcen sollten möglichst nicht angetastet werden (Brunner et al. 2010). Während eine „starke Nachhaltigkeit“ ökozentrisch und wachstumskritisch verlangt, dass keiner der drei Kapitalstöcke über längere Zeit abnehmen darf, stellt die „schwache Nachhaltigkeit“ hingegen wachstumsorientiert und anthropozentrisch diese Bedingung nur für das gesamte Nachhaltigkeitskapital als Summe der Kapitalstöcke. Beispielsweise wird der Abbau des Umweltkapitalstockes erlaubt, solange als Kompensation mehr Wirtschafts- oder Sozialkapital geschaffen wird (siehe Abb. 4.2). Der deutsche Philosoph und Ethiker Konrad Ott setzt sich in (Ott 2005, S. 45 f.) sehr differenziert und kritisch mit „schwacher Nachhaltigkeit“ auseinander. Das Konzept „schwacher Nachhaltigkeit“ stützt sich implizit auf eine „große Erzählung“ von der Emanzipation der Menschen aus der Ver1Hier

wäre besser, von einer Chancengerechtigkeit auszugehen (siehe Abschn. 7.3.2).

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Abb. 4.2 Paradigmen der Wachstumskontroverse: Paradigma der Wachstumsgrenzen (starke Nachhaltigkeit), quantitatives Wachstumsparadigma (schwache Nachhaltigkeit) und qualitatives Wachstum (ausgewogene Nachhaltigkeit) nach (Steurer 2001, S. 557) und (Steurer 2010, S. 429) KT – Kapitalstöcke gesamt; KN – Naturkapital

haftetheit an eine übermächtige, widerständige und feindliche Natur. Dem Erfindungsreichtum sind keine Grenzen gesetzt, Knappheiten werden durch technische Innovationen beseitigt, und auch eine Welt, in der Natur weitgehend substituiert worden wäre, wäre für den Menschen eine „gute“ Welt (Ott 2005, S. 39 f.). Zur Begründung einer rationalen Auswahl auf der Konzeptebene empfiehlt Ott das aus der Risikobewertung bekannte „false-negative/ false-positive“-Kriterium, mit dem untersucht wird, welcher von zwei möglichen Irrtümern moralisch akzeptabler ist bzw. das am ehesten zu verantwortende Ergebnis bringt und das hier vor allem unter dem Aspekt der intergenerationellen Verantwortlichkeit angewendet werden muss (siehe Tab. 4.1). Man handelt unter der Annahme „Hypothese 1 ist wahr“ und macht alles richtig, wenn sich diese Hypothese bewahrheitet, riskiert aber irreparable Schäden, wenn man sich irrt. Handelt man unter der Annahme „Hypothese 1 ist falsch“ wird ggf. Natur geschützt, auf die man unter anthropozentrischer Sicht verzichten könnte. Man riskiert aber bei Verzicht auf einen eventuellen Nutzen keinen massiven Schaden im System (Ott 2005, S. 45 f.).

4  Die Dimensionen der Nachhaltigkeit – Ökologie, Ökonomie, Soziales     47 Tab. 4.1  Payoff-Matrix zur ethischen Bewertung möglicher Irrtümer Möglichkeiten/Realität

Entwicklung bestätigt Hypothese 1

Entwicklung widerlegt Hypothese 1

Hypothese 1 ist wahr*: Weitgehende Substitution von Naturkapital ist möglich No Error

False Positive: Zerstörung der Lebensgrundlage künftiger Generationen

Hypothese 1 ist falsch**: Weitgehende Substitution von Naturkapital ist nicht möglich False Negative: Auch zur Not „entbehrliche“ Natur wird geschützt = „unnützer“ Aufwand No Error

*Entspricht dem Prinzip der „schwachen Nachhaltigkeit“ **Entspricht dem Prinzip der „starken Nachhaltigkeit“

Abb. 4.3  Das „Wedding Cake“-Modell nach Johan Rockström und Pavan Sukhdev als Verbindung der 17 Sustainable Development Goals mit den planetaren Leitplanken (Planetary Boundaries). Stockholm Resilience Centre (designed by Azote; Stockholm resilience 2016)

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Der Diskurs und die o. g. Kritik führten zu weiteren Konzeptmodellen für Nachhaltigkeit. Das integrierende Nachhaltigkeitsdreieck (Gibbsches Dreieck, siehe auch Hauff und Kleine 2005) versucht, die deutliche Trennung zwischen den drei Säulen aufzuheben und erlaubt damit, überschneidende Themen zuzuordnen. Beispielsweise wird Gesundheit eher der sozialen Säule zugeordnet, ist aber bei Arbeitskräften auch ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor (Arbeitsschutz). Andere Modelle stellen zumeist die natürlichen Grundlagen als Basis aller anderen Dimensionen prioritär dar (z. B. Vorrangmodell, siehe Abb. 4.1, rechts), verbinden die Dimensionen mit der Maslowschen Bedürfnispyramide (Pyramidenmodell Grüner Journalismus; Grüner Journalismus 2019) oder definieren die Grenzen zu nicht nachhaltiger Entwicklung über einen Entwicklungskorridor innerhalb ökologischer Leitplanken (Leitplankenmodell). Der Direktor des Potsdam Institute for Climate Impact Research (PIK), Johan Rockström, verbindet die 17 Sustainable Development Goals des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung 2015 mit den planetaren Leitplanken (Planetary Boundaries, siehe Abb. 2.11) in dem so genannten „Wedding Cake“-Modell (siehe Abb.  4.3). Die Wirtschaft ist dabei integrativer Teil der Gesellschaft mit den vier nichtverhandelbaren planetaren Grenzen Trinkwasser (SDG 6), Klima (SDG 13), Biodiversität (SDG 15) und Meere (SDG 14) als Basis.

5 Nachhaltigkeitsstrategien

Für die Gewährleistung einer nachhaltigen Entwicklung auf unserem Planeten werden unterschiedliche Strategien genannt. Meist sind das die Effizienz, die Suffizienz und die Konsistenz, hier erweitert um die Resilienz1.

5.1 Effizienz – Ressourcenproduktivität, outputorientiert Während Effektivität („Die richtigen Dinge tun“) ein Maß der Zielerreichung und der damit verbundenen Wirksamkeit und Qualität darstellt und nicht den dazu erforderlichen Aufwand im Blick hat, misst die Effizienz („Die Dinge richtig tun“) das Verhältnis von Nutzen und Aufwand, welches zum Erreichen eines bestimmten Ergebnisses benötigt wird. Damit ist die Effizienz ein Maßstab für die Ressourcenwirtschaftlichkeit. Da auch falsche Dinge effizient erledigt werden können, sollte die Effizienz als Unterziel der Effektivität angesehen werden. Selbst bei der heutigen ungleichen Verteilung (pro Kopf gerechnet) der Ressourcen werden die Möglichkeiten der Regenerierbarkeit des ökologischen Systems überschritten. Das Ziel einer gerechteren Verteilung und die steigende Weltbevölkerung würden die Situation drastisch verschärfen (siehe Abb. 5.1). Nur eine deutliche Reduzierung der heutigen Stoffströme wird als Lösung angesehen (Schmidt-Bleek 2007).

1Definitionen

siehe auch: https://sustainable-design-center.de/verein/nachhaltigkeit/, Zugriff 05.03.2020.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Haase, Genug, für alle, für immer, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31220-6_5

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Abb. 5.1  Der Zugriff auf die globalen Stoffströme. (Nach Schmidt-Bleek 2007, S. 34)

Mit einer globalen „Faktor 4 Strategie“ (Doppelter Wohlstand bei halbiertem Naturverbrauch) (von Weizsäcker et al. 1997) soll über eine Effizienzrevolution eine nachhaltige Entwicklung ermöglicht und der drohende Ressourcennotstand der Zukunft vermieden werden. Über die Nutzung marktwirtschaftlicher Instrumente (z. B. Emissionshandel, Ökosteuern) wird mindestens eine Vervierfachung der Ressourcenproduktivität angestrebt. Das Konzept ist marktkonform, baut (intensivierend) auf bekannten und bestehenden wirtschaftlichen Strategien auf und benötigt keine größeren individuellen und gesellschaftlichen Verhaltensänderungen. Es wurde auch unter dem Begriff „Dematerialisierung“ oder „R.I.O. Ressourcen Input Optimierung“ verbreitet und scheint seither als Universalwerkzeug für eine nachhaltige Entwicklung zu gelten. Schmidt-Bleek (2007, S. 83) errechnet, dass ein Faktor 2 ausreichend wäre, um die bestehende globale wirtschaftliche Situation bei schwindenden Ressourcen zu „konservieren“, ein Faktor 4 wäre erforderlich, um aktuell eine gerechtere Verteilung auf der Welt zu schaffen. Allerdings wird unter Berücksichtigung des Bevölkerungswachstums bereits mindestens ein Faktor 10 in den Industrieländern benötigt, um wirtschaftliche Tätigkeit und relativen Wohlstand auf unserem Planeten mit der zukünftigen Bevölkerung einigermaßen gerecht weiterführen zu können sowie auch Schwellen- und

5 Nachhaltigkeitsstrategien     51

Entwicklungsländern einen gewissen (Entwicklungs-)Freiraum einzuräumen. Dabei wird allerdings vorausgesetzt, dass das kalkulatorische Konzept ohne „Nebenwirkungen“ umsetzbar wäre. Allein ein Faktor 10 (inkl. Bevölkerungswachstum) macht deutlich, dass derartige Effizienzsteigerungen nie durch einzelne Maßnahmen erreichbar sind und Produkte oder Dienstleistungen komplex und vor allem unter Berücksichtigung der gesamten Lebensdauer über Produktdesign, Herstellungsprozess, Nutzung bis hin zur Entsorgung betrachtet werden müssen. Zudem hat sich gezeigt, dass Rebound- oder Bumerang-Effekte den über den technischen Fortschritt erreichten spezifischen Effizienzgewinn im weiten Maße und oft in absoluter Betrachtung gänzlich wieder aufbrauchen. Eine ressourceneffiziente (dematerialisierte) Herstellung senkt die Herstellungskosten und führt zu Extraprofiten, die von den Herstellern zur Reinvestition genutzt werden und/oder reduziert die Preise und erhöht daraufhin das Angebot von Gütern und Dienstleistungen, die damit von mehr Konsumenten auch bei gleichbleibendem Einkommen nachgefragt werden können. Immer wieder genannte Beispiele sind Fernsehgeräte und Pkw. Obwohl der Energieverbrauch auf die Bildschirmfläche bezogen bei modernen LED-Monitoren gegenüber den alten Röhrenfernsehern deutlich gesunken ist, steigt der absolute Verbrauch durch größere Bildflächen und die Tendenz zu Zweit- bis Drittgeräten in unterschiedlichen Räumen. Günstigere PkwPreise führen zum Kauf größerer Modelle (oder, um mit Sigmar Gabriel zu sprechen, zu „viel Viagra in Chrom auf unseren Straßen“) und geringerer Treibstoffverbrauch führt zu mehr gefahrenen Kilometern. Ein indirekter Rebound-Effekt kann entstehen, wenn das beim Kauf preiswerterer Produkte eingesparte Geld für den (weiteren) Urlaubsflug eingesetzt wird2. In Neirynck (1997) wird davor gewarnt, die aus der „Technischen Evolution“ entstandene enorme Leistungsfähigkeit der technischen Systeme zu überschätzen. „Ohne Beziehung zu einem Gesellschaftsentwurf […] erzeugt die technische Illusion […] Lösungen, deren Wirksamkeit jede Kritik zunichtemacht. Stellt man sich die schlimme Frage, wie das Verschwinden von 800.000 Menschen kostenlos zu bewerkstelligen sei, dann wird man die Antwort

2„Die

Errungenschaften der Telekommunikationsrevolution liefern hierfür eindrückliche Beispiele: So senken energieeffiziente Server den Energieverbrauch des Internets. Gleichwohl sind immer mehr Computer mit dem Internet verbunden, wodurch der Energieverbrauch insgesamt steigt“ (Baue 2008, S. 135).

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Treblinka erhalten. … Im mikroskopischen Maßstab bleibt die Problematik die gleiche. Wenn man Fleisch zu geringen Kosten produzieren möchte, löst man die BSE Epidemie aus. Wenn man billige Energie erzeugen will, erhält man Tschernobyl. Wenn man jedem Erwachsenen ein Auto verkaufen will, erschöpft man die Ölreserven in zwei Jahrhunderten, ändert das Klima, erstickt die Städte und betoniert die Landschaften mit Autobahnen und Siedlungen.“

Momentan könnte man hinzufügen: Wenn man rigoros markwirtschaftliche Vorteile aus globalen Lieferketten und unkontrollierter Globalisierung schöpft sowie einen unbedachten Umgang mit Tieren betreibt, eine „immer brutalere Penetration der Natur durch den Menschen“ (Ulrich 2020) vollzieht, wird man mit Corona-Pandemie und Schweinepest umgehen müssen. „Technik ohne Ethik ist ein seelischer Ruin.“ Jaques Neirynck (1997, S. 195)

„Das Ziel der biologischen Evolution ist die Anpassung des Körpers an die Umwelt; das Ziel der technischen Evolution ist die Anpassung der Umwelt an den Körper.“ (Neirynck 1997, S. 218). In beiden Fällen geschieht das, um das Überleben der Art zu gewährleisten. Durch Auslese wird zwischen gelungenen und nicht gelungenen Versuchen der Anpassung entschieden. Die Herausforderung ist, diese Versuche rechtzeitig abzubrechen, „wenn die ersten Ergebnisse nicht unseren Erwartungen entsprechen“ und nicht das Experiment unter Intensivierung eines Konzeptes fortzusetzen. Dazu gehört auch das rechtzeitige Erkennen eines sich ankündigenden Misserfolgs. „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Albert Einstein

Meadows hat in einer Simulation seines World 3 Computermodells nachgerechnet, was eine Dematerialisierung um den Faktor 10 bringen würde. Im Weltmaßstab würde eine nachhaltige Wirtschaftsweise nicht erreicht, ein Zusammenbruch nicht verhindert werden können. Allerdings: „Wir gewinnen Zeit“. Er sieht in der Ressourcen- und Energieeffizienz kein „Allheilmittel“, weil dadurch Probleme des Bevölkerungswachstums, der sozialen Gerechtigkeit und des Verlustes an Biodiversität und Bodenfruchtbarkeit nicht gelöst werden können (Meadows 2000).

5 Nachhaltigkeitsstrategien     53

„Wenn dein einziges Werkzeug ein Hammer ist, sieht jedes Problem wie ein Nagel aus.“ Abraham Harold Maslow, US-amerikanischer Psychologe

Es geht in dem Abschnitt nicht darum, Effizienz als Nachhaltigkeitsstrategie zu diskreditieren. Sie wird nur allzu häufig vor allem aus wirtschaftlichen und politischen Kreisen als „alleinseligmachend“ angesehen und in den Fokus gestellt. Gemeinsam mit den folgenden Strategien sollte Effizienz daher ihren Platz in einer ganzheitlichen Betrachtung einnehmen.

5.2 Suffizienz – Ressourcenverbrauch reduzieren, inputorientiert Der Begriff Suffizienz (aus dem Lateinischen sufficere  = ausreichen, genügen3) steht für „das richtige Maß“ oder ein „genug ist genug“ (Bauer 2008, S. 61 ff.). Oft wird in dieser Definition der Genügsamkeit nur das Einschränkende, der Verzicht oder gar eine neue Askese wie bei Schmidbauer gesehen: „Grundsätzlich jeder Kauf muss zu einer spezifisch ethischen Frage werden; jeder Konsumartikel ist ein Mosaiksteinchen in dem Moloch Umweltverschmutzung.“ Wolfgang Schmidbauer (1997, S. 259)

Die Strategie kann aber auch viel umfassender interpretiert und genutzt werden, als diese aggressive Einstellung es vermuten lässt. Suffizienz ist die Einsicht in die Lebensklugheit des antiken Satzes „Von nichts zu viel“4, „was seit der Antike und bis heute als das rechte Maß, als gutes Leben (siehe Abschn. 7.4), als Lebenskunst angesehen wird“ (Linz 2004, S. 10). Quasi gleichzeitig schafft Suffizienz eine Verminderung umweltbelastender Verhaltensweisen, um Ressourcen anders zu nutzen und von ihnen weniger zu verbrauchen als bisher. Damit ist Suffizienz ebenfalls eine Dematerialisierungsstrategie, allerdings in viel umfassenderem Sinne als Effizienz, da sie an der absoluten Ressourcennutzung inputseitig ansetzt. Mit der Änderung der vorherrschenden Konsummuster und der Abkehr von der „Zuvielisation“ können auch die Aspekte der Selbstbegrenzung und damit 3Das

lateinische sufficere, gebildet aus sub und facere, bedeutet in seiner transitiven Fassung den Grund legen, im intransitiven Gebrauch zu Gebote stehen, hinreichen, genug sein, im Stande sein, vermögen (Georges, Handwörterbuch; Werner, Lexikon der lateinischen Sprache). 4Inschrift eines Tempels in Delphi, ca. 500 Jahre vor Christus.

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auch der Selbstbestimmtheit, der Entschleunigung des Lebens sowie der Entkommerzialisierung gesehen werden. Paradebeispiel Auto: Ein Blick aus dem Bürofenster einer beliebigen Stadt zeigt dem Betrachter mit relativer Sicherheit ein Bild der Normalität, an das wir uns gewöhnt haben. Hinterfragt man das Gesehene, wird deutlich, dass Flächennutzung und Stadtprägung vorrangig durch das Auto diktiert sind. Allein der Stellplatzbedarf eines Pkw benötigt knappe 10 m2 und wird bis zu 4-fach je Fahrzeug vorgehalten (Garage, Arbeit, Supermarkt, Kultur, Sport, …). Der Pkw wird durchschnittlich nur eine Stunde pro Tag genutzt und daher von Knoflacher (2009) als Stehzeug und nicht als Fahrzeug beschrieben. Man stelle sich ein Produktionsmittel vor, das mit einer zeitlichen Auslastung von 4 % eingesetzt wird! Bei einem Pkw werden nur 0,6 % (Gore 2009, S. 260) bis 2 % (Fussler 1999, S. 8) der eingesetzten Energie zum eigentlichen Zweck eingesetzt, dem Transport des meist alleinigen Insassen. Selbst vorrangig in der Stadt und auf kurzen Wegen eingesetzte Fahrzeuge weisen zusätzlich eine tendenziell steigende Motorisierung auf. Alternatives Gegenbeispiel: Die tägliche Nutzung des Rades für alle Wege kann selbstverständlich, kann Normalität werden5. Es ist äußerst flexibel, unempfindlich gegen Staus, Sperrungen und Baustellen, weist keinerlei Parkplatzprobleme auf, besitzt fast keinen „Vor- und Nachlauf“ und erspart den Besuch im Fitnessstudio. Für größere Transportaufgaben (Wochenendeinkauf, Kindertransport) stehen mittlerweile Lastenräder, für weitere Strecken und körperlich eingeschränkte Personen E-Bikes zur Verfügung. Bisher waren hier noch keinerlei ökologische Argumente aufgeführt. Den Klimaschutz gibt es on-top als Win-Win dazu (Richter 2019). Die Beispiele sollen aufzeigen, dass Suffizienzstrategien und die mit ihnen verbundenen Verhaltensänderungen nicht mit „Verzicht“ übersetzt werden müssen. Vorherrschende „Normalität“ kann mit reflektiertem Handeln aufgebrochen und mit persönlichem Vorteil verbunden geändert werden. Werden Prozesse und bestehende Strukturen kritisch hinterfragt, ergeben sich automatisch auch Handlungsmöglichkeiten und -anreize. Auch die mentale Überforderung, die sich aus immer mehr Produkten, ihrer Handhabung und Pflege und den überfrachteten Lebensräumen ergibt,

5Die

Hälfte aller Wege in urbanen Räumen ist kürzer als 5 km.

5 Nachhaltigkeitsstrategien     55

macht neue Strömungen wie „Small is beautiful“ (Schumacher 2013) oder Minimalismus interessant6. „Souverän ist nicht, wer viel hat, sondern wer wenig braucht. Wer in materieller Optionenvielfalt zu versinken droht, verzichtet nicht durch Reduktion, sondern befreit sich von Überflüssigem.“ Niko Paech (2012, S. 130)

Sich verändernde Nutzungsformen und Konsumentenanforderungen wiederum haben Einfluss auf die Produktgestaltung und das Dienstleistungsangebot (siehe Abschn. 8.4). „Wir haben jetzt eine Stabsstelle für Effizienz eingerichtet.“ „Gibt es auch eine Stabsstelle für Suffizienz?“ „Was ist das?“ [eigenes Erlebnis]

Suffizienz als Strategie ist noch nicht bei politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern angekommen und spricht vor allem und zuweilen auch ausschließlich einzelne Personen an. Das bringt damit einhergehend die Gefahr einer individuellen Überforderung (Linz 2004, S. 33). Sie kann aber auch eingebettet in Gemeinschaftskonzepte wie die Transition-TownBewegung (Hopkins 2014) oder für andere zivilgesellschaftlich Organisierte gruppendynamisch wirken (siehe auch Abschn.  5.4 Resilienz) sowie prinzipiell auch zu einer Strategie von Politik und Wirtschaft werden, wenn eine Gesellschaft den nicht nur materiell definierten Wohlstand (besser Wohlfahrt) ihrer Bürger fördert, ohne dafür wachsen zu müssen (Stengel 2011, S. 140). Radermacher (2018, S. 177 ff.) unterscheidet Suffizienz in a) Zwangs-Suffizienz derer, denen ein geringes Budget zur Verfügung steht, und b) Suffizienz aus bewusst gewähltem Lebensstil. Bei der zweiten Gruppe erzeuge das eingesparte Geld bei fast allen Verwendungen neue Probleme (auch indirekt über das Sparen z. B. bei Banken) und nur im Falle des Einsatzes als „verlorene Investitionen“ (Kompensation) würde ein positiver Effekt zu verzeichnen sein.

6Hierzu

empfohlen auch Petra Pinzler „Immer mehr ist nicht genug! Vom Wachstumswahn zum Bruttosozialglück“.

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Das gilt allerdings nur unter den gegenwärtigen marktkapitalistischen Bedingungen. Gegenteilig wäre zu argumentieren, dass viele Mitmenschen aus den Welzerschen „Resilienzgrüppchen der Avantgarde“ (Welzer 2013) bewusst mit geringerem Budget und geringerer bezahlter Arbeitszeit auskommen (zum Teil sicher durch prekäre Arbeitsverträge bedingt, aber auch durch geringeren Finanzierungsbedarf ) und die „freie“ Lebenszeit ihrer Halbtagsjobs in Familie, Freunde und zivilgesellschaftliches Engagement investieren (siehe auch Arbeitszeitproblematik, Abschn. 7.2 und 7.4). Damit demonstrieren sie nicht nur alternative Lebensentwürfe, sondern schaffen auch gesellschaftlichen Mehrwert. Auch kann gleiches (oder höheres) Budget für klimafreundlichere Lebensmittel und umweltschonende Mobilität ausgegeben werden.

5.3 Konsistenz – Ressourcen nutzen, ohne zu zerstören, kreislauforientiert Der Begriff Konsistenz im Kontext der Nachhaltigkeit beschreibt die Vereinbarkeit von Natur und Technik und damit die „Anpassung der menschlichen Produktions- und Konsumtionsprozesse an die natürlichen Organisations- und Wirkungsprozesse“ (Bauer 2008, S. 64). Alternativ werden auch die Begriffe Ökoeffektivität oder „Industrial Ecology“ benutzt. Konsistenz lernt damit von der Natur, adaptiert natürliche Kreisläufe und versucht, „soweit dies aus anthropogener Sicht möglich ist, diese zum Vorbild für die Gestaltung der Technosphäre zu nehmen“ (Bauer 2008, S. 64). Dadurch werden im Produktionsprozess entstehende und nicht dem Zweck der Herstellung entsprechende Stoffe nicht Abfälle, sondern bleiben Ressourcen im Sinne einer Circular Economy oder des Cradle-to-Cradle-Ansatzes7 (Braungart und McDonough 2003) und werden immer wieder, ggf. in anderen Produktionsprozessen, genutzt (siehe Abb. 5.2). Dafür müssen Stoffe, die sich nicht ohne Weiteres auf eine ökologische Weise in den Haushalt zurückführen lassen, in den Produkten durch Materialien ersetzt werden, die nach dem Gebrauch als biologischer oder technologischer Rohstoff verwertet werden können.

7Das Prinzip wurde Ende der 1990er Jahre vom deutschen Chemiker Michael Braungart und dem USamerikanischen Architekten William McDonough entwickelt.

5 Nachhaltigkeitsstrategien     57

Abb. 5.2 Die Circular Economy nach dem Cradle-to-Cradle-Konzept. (Nach Braungart und McDonough, adaptiert von Ellen McArthur Foundation; https://res. cloudinary.com/colinwebster/image/upload/v1443789277/Circular_economy_diagram_ Foundation_Feb2015-01_cqrtnr.png, Zugriff 05.03.2020)

Wie im Vorbild Natur8 zielt auch Konsistenz nicht auf Dematerialisierung ab. Das Ziel dieser Strategie ist „die Integration der Materialien und Energien in den natürlichen Stoffkreislauf (Produktionsabfall kann kompostiert werden, Einsatz erneuerbarer Energieträger) oder in den technischen Stoffkreislauf (Recycling ohne Qualitätsverlust)“ (Stengel 2011, S. 131). Gelingt es nicht, industrielle und natürliche Stoffkreisläufe harmonisch und ergänzend zu gestalten, müssen diese getrennt werden und nicht biologisch abbaubare Produkte bleiben den ökologischen Stoffkreisläufen fern (siehe auch Abb. 5.2). Da gleichzeitig auch Konsummuster und Produktionsvorgänge auf ein nachhaltiges Konzept im Sinne einer „dritten industriellen Revolution“ umgestellt werden sollen, ist eine zukunftsorientierte Innovationspolitik mit hohen Investitionen in Forschung und Entwicklung erforderlich, die dieses Ziel unterstützt. Konsistenz-Strategien scheinen damit eine Lösung der ökologischen

8Pflanzen

und Tiere „arbeiten“ nicht ökoeffizient. In Ökosystemen herrscht eher „Überproduktion“, um das Bestehen der Art zu sichern (Schildkröten, Stör etc.). Allerdings verursachen sie dabei keine Umweltschäden, sondern die von ihnen produzierte Surplus-Menge ist Teil des biologischen Stoffkreislaufs (Nahrung für andere Individuen) nach (Stengel 2011, S. 131).

58     H. Haase

Probleme bei gleichzeitigem Erhalt oder gar einer Steigerung des materiellen Wohlstandes ohne Einschränkungen oder Einbußen zu versprechen. „Wir sehen eine Welt der vielfältigen Möglichkeiten, nicht der Grenzen.“ Michael Braungart (Braungart und McDonough 2003, S. 33)

Für eine nach Lösungen suchende Industriegesellschaft wird Konsistenz damit zum Hoffnungsträger. Der vorhandene Kapitalstock und das Knowhow müssen in der Regel nicht vollkommen ersetzt und bekannte Technologien können modifiziert werden (siehe auch Bauer 2008, S. 68). Aus diesem ungebrochenen Technikvertrauen resultiert nicht selten unter den Befürwortern der Konsistenz eine Abwertung des Suffizienzgedankens, während alle ernsthaften Anwälte*innen der Suffizienz die fundamentale Bedeutung der Konsistenz-Strategien anerkennen (Linz 2004, S. 20). Allerdings muss immer wieder betont werden, dass nur ein Zusammenspiel unterschiedlichster Konzepte in der Lage sein dürfte, die komplexe Aufgabe einer nachhaltigen Entwicklung zu lösen (siehe auch Kap. 7). „Es gilt also, Entwicklungspfade einzuschlagen, die gleichermaßen (mindestens) die drei Nachhaltigkeits-Strategien verfolgen, um im Zusammenspiel aller Faktoren nachhaltige Entwicklung zu gewährleisten. Suffizienz und Effizienz im Gleichklang ergeben im besten Fall „Gerechtigkeit“. Konsistenz fügt die Dimension der ökologischen Zukunftsfähigkeit hinzu.“ Joa Bauer (2008, S. 69)

5.4 Resilienz- Systemwiderstandsfähigkeit, stabilitätsorientiert Der Begriff Resilienz beschreibt die Fähigkeit eines Systems, Störungen und Veränderungen aufzunehmen und auszugleichen, um im Wesentlichen immer noch die gleiche Funktion, Struktur, Identität und die gleichen Rückkopplungen zu erhalten. In Walker et al. (2004) werden vier entscheidende Aspekte der Resilienz aufgezählt, wobei die ersten drei sowohl für das Gesamtsystem als auch für dessen Subsysteme gelten können. Latitude: Maximaler Betrag, um den sich ein System ändern kann, bevor es seine Wiederherstellungsfähigkeit verliert (Schwellenwert, bei dessen Überschreitung die Wiederherstellung erschwert wird oder unmöglich ist). Widerstand: Leichtigkeit oder Schwierigkeit, das System zu wechseln; wie „resistent“ ist es gegen Veränderungen.

5 Nachhaltigkeitsstrategien     59

Prekarität: Nähe des aktuellen Zustands des Systems zu einer Grenze oder einem Schwellenwert. Panarchie: Aufgrund von skalenübergreifenden Interaktionen hängt die Widerstandsfähigkeit eines Systems auf einer bestimmten Fokusskala von den Einflüssen aus Zuständen und Dynamiken auf Skalen darüber und darunter ab. So können beispielsweise externe repressive Politik, Invasionen, Marktveränderungen oder der globale Klimawandel lokale Überraschungen und Regimewechsel auslösen. Parallelen zeigen sich in der Systemzuverlässigkeit, die Verfügbarkeiten und Ausfallwahrscheinlichkeit technischer Systeme untersucht. Die Dauerverfügbarkeit p eines technischen Elements wird durch das Verhältnis der Verfügbarkeitszeiten (MTBF – Mean Time Between Failure) zur Gesamtzeit (MTBF + MTTR (Mean Time To Repair, durchschnittliche Reparaturzeit)) angegeben. p=

MTBF MTTR + MTBF

Bei langen Wertschöpfungsketten im reinen Serien- oder Reihenbetrieb fällt das Gesamtsystem bei Störung eines Elements aus und die Gesamtverfügbarkeit wird durch Multiplikation der Einzelverfügbarkeiten ermittelt9, ist also geringer als die kleinste Einzelverfügbarkeit. Durch Parallelbetrieb von redundanten Elementen kann die Verfügbarkeit des Gesamtsystems wieder verbessert werden. Der breitere, über die Systemzuverlässigkeit und die Resilienz hinausgehende Bezug zum Thema Nachhaltigkeit zeigt sich, wenn man sich nach Paech (Schumacher 2013, S. 9 ff.) die Entwicklung der industriellen Produktion anschaut. Durch die effiziente Zerlegung der Produktion in eine Kette vieler spezialisierter Einzelprozesse und Unternehmen führt räumliche und funktionale Ausdifferenzierung dazu, „dass die Verantwortung für den Gesamtprozess auf so viele Zuständigkeiten verteilt wird, dass sie damit gleichsam ausgelöscht wird.“ Der auf seinen Teilaspekt konzentrierte Akteur einer komplexen Prozesskette verliert die Sicht auf die Folgen für den Gesamtprozess. Paech nennt das „moralische Indifferenzen“ und bezieht den Effekt auch auf das Verhältnis von Produzent*in und Konsument*in (siehe auch Abschn. 7.2). 9Bei

sehr kleinen Ausfallwahrscheinlichkeiten der Elemente kann deren Summe auch als Ausfallwahrscheinlichkeit des Gesamtsystems angenommen werden.

60     H. Haase

„Damit schafft das Wesensprinzip moderner, funktional ausdifferenzierter Gesellschaften jene pathologischen Bedingungen, unter denen einzelwirtschaftliche Entscheidungen nahezu perfekt vor Rückkoppelungen und somit moralischen Hemmungen abgeschirmt werden.“ Niko Paech in Schumacher (2013, S. 9)

Da Konsument*innen grundsätzlich Dinge verbrauchen, die sie nicht selbst hergestellt haben, bleiben die Folgen der Herstellung prinzipiell verborgen. „Verantwortung, das Grundelement moralischen Verhaltens, entsteht aus der Nähe des Anderen. Nähe bedeutet Verantwortung und Verantwortung ist Nähe.“ Zygmund Baumann (2002, S. 198)

Eine große Gefahr wird auch darin gesehen, dass grundlegende Fähigkeiten – teilweise für immer – durch die getrennte und hochtechnisierte Arbeitsteilung verlernt werden können und in Krisensituationen nicht mehr zur Verfügung stehen. Für Resilienz müssen sich Systeme und Regionen zumindest bis zu einem bestimmten Grad mit Basisgütern selbst versorgen können, auch wenn sich Störungen zum übergeordneten Gesamtsystem ergeben sollten (Subsistenzwirtschaft). Wichtig ist nicht, dass alle Leistungen, Aktivitäten und Güter messbar und bewertbar sind (Effizienz), sondern dass die Bereitstellung der Basisgüter gewährleistet ist (Effektivität). Damit gewinnen Ehrenamt, informelle Arbeit und handwerkliche Tätigkeiten wieder an Bedeutung (Kopatz 2015). Als praktisches Beispiel sei hier zur Erläuterung die Transition-TownBewegung mit der „Vision einer lokalen Resilienz“ angeführt. Die Idee liegt darin begründet, die Grundbedürfnisse des Lebens wieder in die eigenen Hände zu nehmen und damit die Entscheidungsgewalt auch wieder auf eine nahe, lokale Ebene zu holen. Das resiliente System/die resiliente Gemeinde zeichnet sich durch möglichst viele Elemente aus, die nebeneinander, überlappend, aber unabhängig von anderen Systemteilen funktionieren, anstatt vieler miteinander verbundener und voneinander abhängiger Elemente10 (Hopkins 2014, S. 42). Als reales Beispiel für die Gefahren eines nicht resilienten Systems kann die aktuelle Corona-Pandemie gesehen werden. Das wachstumsabhängige markt-

10Hopkins führt als anschauliches Beispiel den Weltrekordversuch beim Domino-Day an. Ein einzelner, aus Versehen vorzeitig umfallender Dominostein würde die Arbeit von vielen Monaten zunichtemachen. Deshalb werden Lücken in regelmäßigen Abständen eingefügt. Fällt jetzt ein Stein, ist nicht das ganze System betroffen.

5 Nachhaltigkeitsstrategien     61

Abb. 5.3  Gestaltungsfelder der „Wirtschaftsförderung 4.0“ für moderne Ansätze der Gemeinwohlökonomie nach Kopatz (2015)

wirtschaftliche System, das globale Wertschöpfungsketten unter Ausnutzung lokaler Produktionsfaktoren (Arbeitslöhne, Umweltstandards, Steuervorteile, …) zur Gewinnmaximierung nutzt und Risiken ignoriert oder eingeht, um im Wettbewerb höhere Profite oder Vorteile gegenüber den Konkurrenten zu erlangen, gerät bei Systemstörungen in Schwierigkeiten. Neoliberale Stimmen, die vorher eine staatliche Einmischung in die „freie“ Marktwirtschaft abgelehnt haben, fordern nun am lautesten Konjunkturprogramme. Dabei können solche Krisensituationen auch als Chance genutzt werden, Systemschwächen aufzuzeigen und Systemresilienz zu stärken. „Der Corona-Virus wirkt also wie ein großes sozialevolutionäres Experiment. Eine Übung in globaler Resilienz und Zusammenarbeit.“ Matthias Horx, Trend- und Zukunftsforscher11

Instrumente für eine resiliente regionale Gestaltung wären z. B. regionale Wirtschaftspläne, Lokalwährungen, internes Investment, Genossenschaften, Subsistenz und Prosument*innen12 (siehe auch Abb. 5.3).

11https://www.horx.com/47-corona-eine-resilienz-uebung/,

Zugriff 10.03.2020. oder zu Deutsch Prosument*innen, moderne Bezeichnung für Selbstversorger*innen, aber auch erweitert, wenn Konsument*innen durch ihr Wissen bei der Produktgestaltung mitwirken oder z. B. Solaranlagen betreiben. 12Prosumer

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Grundlagen einer resilienten Gemeinde sind nach Hopkins (2014): • das Sozialkapital (soziale Netzwerke und lebendige, vertrauensvolle Gemeinschaften), • die Innovation (voneinander lernen und Raum für Experimente), • die Überlappung (ein Durcheinander ist besser als ein perfekt rationalisiertes System ohne Reserven), • kurze Feedback-Schleifen (kurze Wege für Ursache-WirkungErfahrungen, Nähe s. o.) • und die Umweltverantwortung (resiliente Gemeinden berücksichtigen Auswirkungen ihrer Aktivitäten auf das Ökosystem). Die „resilienten Gemeinden“ können dabei auf Nachbarschafts-, Stadtteil oder Ortsgröße gedacht und organisiert werden und weisen durch die Vielschichtigkeit der regionalen bzw. lokalen Verhältnisse auch eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze und Lösungsvarianten auf. Sie können daher auch als Blaupausen für neue lokale Wirtschaftssysteme genutzt werden und als Reallabore für deren Erprobung dienen, Scheitern inklusive (siehe auch Abschn. 7.2 und 7.4).

5.5 Zusammenfassung Nachhaltigkeitsstrategien Je nach Interessenslage und gesellschaftlichem Hintergrund der Akteur*innen gibt es unterschiedliche Präferenzen für die beschriebenen Nachhaltigkeitsstrategien Effizienz, Suffizienz, Konsistenz und Resilienz. Aber auch eine bereits angeklungene Geringschätzung bis zur Ablehnung auf der einen und Kooperationsansätze für die Strategien auf der anderen Seite finden sich in den unterschiedlichen Lagern. Mit der I = PAT-Formel können die gegenseitigen Abhängigkeiten nach Ehrlich und Ehrlich (1990) wie folgt beschrieben werden: (Environmental) Impact = f (Population, Affluence, Technology) oder Umweltwirkung = f (Bevölkerung, Wohlstand, Technologie), wobei die Strategien Effizienz und Konsistenz auf die Technologie zielen und die Suffizienz auf die Ausstattung der einzelnen Person mit Konsumgütern ausgerichtet ist. In Huber (1999, S. 1) werden dazu auch noch globale Aspekte genannt: Während bei Entwicklungsländern das „genug ist genug“ der Suffizienz eher auf das Bevölkerungswachstum bezogen wird

5 Nachhaltigkeitsstrategien     63

und andere Suffizienzaspekte bei einem aufholenden Konsumanspruch eher unbeachtet bleiben, wollen zumindest die NGOs des industriellen Nordens eher den Faktor des Konsumanspruchsniveaus beeinflussen. In der Wirtschaft und der Politik wird zurzeit eindeutig die Effizienzstrategie präferiert. Die Konsistenz wird gemeinsam mit der Effizienz für die Umsetzung und richtungssichere Entwicklung des Ansatzes der industriellen Ökologie gesehen (Bauer 2008, S. 68). Bei Huber (1999) wird dieses Zusammenspiel aus Öko-Effizienz und Konsistenz als „metabolische Naturintegration“ bezeichnet. Da Effizienz und Konsistenz mit einem politikseitig verfolgten weiteren Wirtschaftswachstum kompatibel sind, wird diesen beiden Strategien sowohl von der Weltbank, der Europäischen Kommission als auch von der Bundesregierung der Vorrang eingeräumt (Stengel 2011, S. 147 f.). Technische Entwicklungen zur Umsetzung von Effizienz und Konsistenz sind zeit-, material-, energie- und kostenintensiv. Das trifft vor allem auf das langfristige Ziel der Konsistenz zu. Deshalb werden kurzfristig umzusetzende Effizienzansätze zur Verminderung oder Verlangsamung der ökologischen Eingriffe mitunter auch als Mittel gesehen, um jene Zeit zu verschaffen, „welche die Konsistenzstrategie zu ihrer Entwicklung benötigt“ (Stengel 2011, S. 132). Allerdings bieten Konsistenz- und Effizienzstrategie nicht für jedes ökologische Problem eine Lösung. „So vermögen beide z. B. nichts gegen die ökologisch gravierenden Auswirkungen einer aus mehreren Milliarden Tieren bestehenden globalen Viehherde und die Überfischung der Meere auszurichten“ (Stengel 2011, S. 132). Linz sieht hier eine andere Reihenfolge: Suffizienz vor Effizienz vor Konsistenz. Er argumentiert, dass sich das Konsumniveau am schnellsten, nämlich von heute auf morgen, deutlich reduzieren lässt13. Soziolog*innen mahnen andererseits, dass gerade Verhaltensänderungen – sollten diese nicht administrativ angeordnet und umgesetzt werden – schlecht zu beschleunigen sind und ihre Zeit brauchen, vielleicht deutlich mehr als technologische Entwicklungen das tun. Da das langfristige Ziel Konsistenz noch in weiter Ferne liegt, bedarf es nicht nur der Effizienz, sondern auch der Suffizienz, um die Zeit bis zur Funktionsreife der erforderlichen Technik für die Konsistenzstrategie zu überbrücken. Die Suffizienz, vorrangig in den reichen Industrieländern umgesetzt, liefert dabei gleichzeitig einen Beitrag zur globalen Ressourcengerechtigkeit: 13Beispielhaft

wäre hier das Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden zu nennen.

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„Das wohlhabende knappe Drittel der Weltbevölkerung wird nicht weiterhin mehr als die Hälfte der Umweltgüter in Anspruch nehmen können“ (Linz 2004, S. 24). Bauer visualisiert das Zusammenspiel der drei Strategien Effizienz, Konsistenz und Suffizienz mit einem Kegel als möglichen Gestaltungsraum nachhaltiger Entwicklung, der nicht verlassen werden darf (siehe Abb. 5.4). Der Entwicklungsstand und damit der Spielraum, sich im nachhaltigen Bereich zu bewegen, nehmen zu, je weiter man sich innerhalb des idealisierten Kegels vom Ursprung entfernt. Vernachlässigt man eine der Strategien, würde man irgendwann den Kegel nachhaltiger Entwicklungspfade verlassen. Diesen Raum einzuhalten und zu erweitern, sollte als Kooperationsaufgabe der Weltgemeinschaft, als Zielvorgabe des Handelns im Sinne der Effektivität verstanden werden. „Ökologische Nachhaltigkeit als Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen ist in den entscheidenden Jahrzehnten vor uns mit Ressourcen-Effizienz und der Aussicht auf Konsistenz-Strategien allein nicht zu erreichen. Beide

Abb. 5.4  Entwicklungskegel der Nachhaltigkeitsstrategien Effizienz, Konsistenz und Suffizienz. (Nach Bauer 2008, S. 70)

5 Nachhaltigkeitsstrategien     65

werden erst im Zusammenwirken mit Suffizienz die beabsichtigte Wirkung erzielen. Soziale Nachhaltigkeit als das friedensfähige Zusammenleben einer weiter wachsenden Menschheit wird nicht zu Stande kommen ohne ausgeglichenere Entwicklungschancen zwischen den Armen und den Wohlhabenden und zwischen den Nationen, in denen sie leben. Das schließt eine geringere Inanspruchnahme von Ressourcen durch die Industrieländer ein.“ Manfred Linz (2004, S. 18)

Wie in vielen Bereichen der Nachhaltigkeit führt nicht ein einzelner Weg für alle zum Ziel. „Erst die ganzheitliche Berücksichtigung aller denkbaren Umsetzungsstrategien kann zielführend wirken“ (Bauer 2008, S. 62).

6 Nachhaltigkeit messen und managen – Kriterien, Kennziffern, Indikatoren für Produkte, Prozesse, Handeln

„If you can’t measure it, you can’t manage it.“ Peter Drucker

Zur Unterscheidung von nachhaltigen und nicht nachhaltigen Produkten, Dienstleistungen und persönlichem Handeln zu einem bestimmten Zeitpunkt und zu Vergleichszwecken sind für die unterschiedlichen Anwendungsgebiete zugeschnittene Instrumente entwickelt worden. Vielfach konzentrieren sich die Methoden und Werkzeuge auf ökologische Aspekte oder versuchen, über die Erfassung von CO2-Emissionen1 nur den Impact auf die Klimaerwärmung zu beschreiben. Die Methoden können nach dem Zweck der Messung zwischen einer momentanen Zustandsbeschreibung und dem Monitoring laufender Prozesse und ihrem Anwendungsbereich für Produkte, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Prozesse sowie individuelle Verhaltensweisen eingeteilt werden.

6.1 Der ökologische Fußabdruck – Ecological Footprint Am bekanntesten ist wahrscheinlich der ökologische Fußabdruck (ecological Footprint) zur Bewertung der individuellen Lebensweise. Um herauszufinden, welchen ökologischen Fußabdruck, welche Auswirkung eine

1In der Regel sind dabei unterschiedliche Treibhausgase gemeint, die in ihrer Klimawirkung auf CO 2 Äquivalente (CO2e) vereinheitlicht werden.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Haase, Genug, für alle, für immer, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31220-6_6

67

68     H. Haase

bestimmte Lebenssituation und Lebensweise auf unserem Planeten hinterlässt, wird die individuelle Nachfrage an Naturkapital aus unterschiedlichen Lebensbereichen dem Angebot auf unserem Planeten, der biologisch produktiven Erdoberfläche (Biokapazität) gegenübergestellt. Als „Währung“ gilt dabei der „globale Hektar“, die bioproduktive Fläche, die benötigt wird, um eine Ware oder eine ökologische Dienstleistung bereit zu stellen und die bei der Wertschöpfung produzierten Abfälle auch zu entsorgen (Wackernagel und Beyers 2010). Dabei ist die Landnutzung in der gesamten Lieferkette zu erfassen und kann damit auch Im- und Exporte berücksichtigen. Der persönliche Flächenbedarf kann dabei auf die regional unterschiedliche Biokapazität des eigenen Landes bezogen oder pauschalisiert weltweit betrachtet werden. Deutsche Online-Rechner werden z. B. von Brot für die Welt unter https://www.fussabdruck.de/ für Einsteiger*innen und vom Global Footprint Network unter https://www.footprintcalculator.org/ für Fortgeschrittene bereit gestellt. Vom World Wide Fund for Nature (WWF) gibt es einen Footprint-Rechner, der mit 38 Fragen direkt umrechnet, wie viel Erden mit ihren Ressourcen benötigt werden, wenn jeder Mensch auf der Erde den persönlich angegebenen Lebensstil führen würde (siehe Abb. 6.1 oben). Auch der CO2-Ausstoß kann auf Grund seiner aktuellen Relevanz als Footprint-Maßstab gelten (Carbon Footprint) und bezogen auf ein „verträgliches“ Maß umgerechnet werden. Das Umweltbundesamt bietet auf seiner Webseite einen CO2-Rechner an, der das eigene Verhalten und die damit verbundenen Emissionen mit dem bundesdeutschen Durchschnitt vergleicht (siehe Abb. 6.1 unten). Beide Rechner in Abb. 6.1 geben im Anschluss an die persönliche Berechnung Tipps und Hinweise, wie die eigene Bilanz verbessert werden kann. Im Tool des Umweltbundesamtes können auch Vermeidungsmaßnahmen und Kompensation berücksichtigt werden. Durch den Vergleich der Ergebnisse in den verschiedenen Lebensbereichen lassen sich auch leicht potentielle Ansatzpunkte für Verbesserungen erkennen. Das persönliche Beispiel in Abb. 6.1 zeigt, dass die Vorteile durch einen Ökostromvertrag (Strom) und den Verzicht auf Flugreisen sowie die vorrangige Nutzung des Fahrrades zur Fortbewegung (Mobilität) durch Defizite bei der Heizung, der Größe des genutzten Wohnraumes und durch nicht genutzte Potentiale bei der Ernährung aufgebraucht werden und fast wieder das (global schlechte) Durchschnittsmaß erreicht wird. In der Tab. 6.1 werden Footprint-Rechner mit unterschiedlichen Bezugsmethoden (Fläche, Erden, Treibhausgasemissionen) und der sich daraus

6  Nachhaltigkeit messen und managen – Kriterien …     69

Abb. 6.1  Footprint-Rechner auf CO2-Basis vergleichen Angaben zum persönlichen Lebensstil mit nationalen Durchschnittswerten (oben für die Schweiz WWF [https://www.wwf.ch/de/nachhaltig-leben/footprintrechner, Zugriff 05.03.2020. In einer früheren Version des Footprintrechners wurde im Hintergrund mit Umweltbelastungspunkten gerechnet. Da die Gewichtung dieser Umweltbelastungen teilweise auf politischen Diskussionen basiert und die Treibhausgas-Emissionen aktuell eine hohe Relevanz aufweisen, wurde auf diese Bezugsgröße umgestellt.], unten für Deutschland Umweltbundesamt [https://uba.co2-rechner.de/de_DE/, Zugriff 05.03.2020])

errechnende Earth Overshoot Day verglichen. Der Earth Overshoot Day kennzeichnet den Tag innerhalb eines Kalenderjahres, ab dem die zur Verfügung stehenden Ressourcen verbraucht sind und die Menschheit auf Kosten der Zukunft lebt. Um die Rechner für die Nutzer*innen in einem zumutbaren Fragenumfang und Zeitaufwand zu halten, werden Informationen nur qualitativ

70     H. Haase Tab. 6.1  Vergleich von Footprint-Rechnern Methode Bezugs maß

Flächea Erden Treibhausgas

verträgliches Maß

Hektar / 1,7 Person Erden 1 t/a CO2e 4,35

Footprint Verhältnis Earth Durchschnitt Overshoot Day Welt Staat Welt Staat Welt Staat D*/CH D*/CH D*/CH

Quelle

2,8

5,0*

1,6

2,9*

14.08. 06.05.*

(1)

1,6 7,41

3,3 13,51

1,6 1,7

3,3 3,1

14.08. 20.04. 02.08. 27.04.

(2) (3)

aBei

der Fläche ist der nationale Footprint auf das verträgliche Maß der Welt bezogen, alternativ könnte er auch auf die nationale Biokapazität bezogen werden Quellen: 1) www.fussabdruck.de (2018); 2) www.wwf.ch (2016); 3) https://www.wwf. ch/de/nachhaltig-leben/footprintrechner (2018)

oder in groben quantitativen Rastern abgefragt. Trotzdem können die Nutzer*innen durch die Fragen für maßgebliche Verhaltensarten sensibilisiert werden und ggf. zur Hinterfragung und Veränderung von umweltschädlichen Verhaltensweisen angeregt werden. Hinter den relativ einfach scheinenden Fragen verstecken sich komplexe Datenbanken und verknüpfte Öko-Bilanzierungsmethoden (z.  B. die Methode der ökologischen Knappheit, die zur Bewertung von Produkten und Dienstleistungen entwickelt worden ist und über Umweltbelastungspunkte eine Aggregation unterschiedlicher Einflüsse ermöglicht2). Obwohl mittlerweile z. B. auch Lärmemissionen bewertet werden können, erfassen die Ökobilanzen vorrangig Umwelteinflüsse und nicht z. B. Krankheiten durch Feinstaubbelastungen oder die schlecht bilanzierbare Beeinflussung der Artenvielfalt. In Abb. 6.2 sind wesentliche Reduzierungspotentiale dargestellt, die insgesamt eine Minderung von etwa 40 % der Umweltbelastungen ermöglichen (hier ermittelt über Umweltbelastungspunkte, s. o.). „Sorry! The lifestyle you ordered is currently out of stock.“ Banksy, Graffiti

Der Anteil für öffentliche Emissionen oder der sogenannte „graue Footprint“3 für den Overhead und die öffentliche Infrastruktur, der 10 %

2Nähere

Erläuterungen siehe unter https://esu-services.ch/de/projekte/ubp06/ Zugriff 05.03.2020. Overhead: Schulen, Krankenhäuser, Banken, Versicherungen, Polizei, Feuerwehr, Militär, Regierungen und Verkehrsinfrastruktur. 3Gesellschaftlicher

6  Nachhaltigkeit messen und managen – Kriterien …     71

Abb. 6.2  Reduzierungspotentiale 2016 von Umweltbelastungen durch veränderte Konsum- und Lebensweise nach (Jungbluth et al. 2012)

bis 30 % betragen kann (große Spannbreite aufgrund unterschiedlicher Höhe des persönlichen Impacts), lässt sich nicht individuell, sondern nur gemeinsam gesellschaftlich beeinflussen.

6.2 Klimabilanzen für Unternehmen und Einrichtungen Unternehmensklimabilanzen (CCF – Corporate Carbon Footprint) sind oft Teil eines umfassenden Nachhaltigkeitsmanagements (siehe Abschn. 6.4), sollen hier aber detaillierter vorgestellt werden. Das Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) nennt die wichtigsten Initiativen und Organisationen für Unternehmensklimabilanzen: • CDP (Carbon Disclosure Project): Eine gemeinnützige Organisation, die ein globales Offenlegungssystem für Investoren, Unternehmen, Städte, Staaten und Regionen betreibt, um deren Umweltauswirkungen zu kontrollieren4. • Aktienindizes für Nachhaltigkeit: Ratings, die auch die Treibhausgasemissionen eines Unternehmens berücksichtigen, z. B. der Dow Jones Sustainability Index und der FTSE4Good-Index.

4https://www.cdp.net/en,

Zugriff 07.03.2020.

72     H. Haase

Abb. 6.3  Erfassung und Bilanzierung von unternehmensbezogenen Treibhausgasemissionen nach dem Greenhouse-Gas-Protocol

• GHG Protocol Initiative: Eine Initiative des World Ressource Institutes (WRI) und des World Business Council for Sustainable Development (WBCSD), welche die derzeit am meisten genutzten Standards für die Unternehmensklimabilanzierung entwickelt hat5. • Science-based Targets Initiative: Eine Partnerschaft aus CDP, WWF, UN Global Compact und WRI, die Unternehmen bei der Festlegung wissenschaftsbasierter Reduktionsziele unterstützt, um die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels im Einklang mit den Ergebnissen des Paris-Abkommens zu verhindern.6 • Global Reporting Initiative (GRI): Eine gemeinnützige Organisation, die für das weltweit meist genutzte Rahmenwerk zur Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten verantwortlich ist (siehe Abschn. 6.4). Teil dieses Rahmenwerks sind Vorgaben zur Veröffentlichung der Ergebnisse von Unternehmensklimabilanzen. Für das Klimareporting, die Klima-Fußabdrücke oder die Klimabilanzen von Unternehmen sind die Systemgrenzen abzustimmen, die z. B. nach dem Greenhouse-Gas-Protocol (GHG-Protocol) festgelegt werden können

5https://ghgprotocol.org/,

Zugriff 07.03.2020. und https://www.wwf.de/zusammenarbeit-mit-unternehmen/sciencebased-targets/, Zugriff 07.03.2020. 6https://sciencebasedtargets.org/

6  Nachhaltigkeit messen und managen – Kriterien …     73

Abb. 6.4  Treibhausgasemissionen von Bertelsmann 2018 Darstellung nach (Bertelsmann SE & Co. KGaA 2017, S. 13), Daten nach (Bertelsmann SE & Co. KGaA 2018, S. 34 f.)

(siehe Klimareporting 2014 und Abb. 6.3). Unterschieden werden nach GHG-Protocol direkte und indirekte Geltungsbereiche (Scopes). Scope 1: Alle direkten THG-Emissionen der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens, z. B. direkte CO2-Emissionen aus dem Produktionsprozess (z. B. Zementherstellung), aus dem Betrieb des eigenen Fuhrparks, aus eigenem Verbrauch von fossilen Primärenergieträgern (Blockheizkraftwerk). Scope 2: Alle indirekten THG-Emissionen aus der Erzeugung extern bezogener Energie, z. B. Verbrauch von fossilen Sekundärenergieträgern wie Strom, Fernwärme, Dampf oder Kühlungsenergie. Scope 3: Alle sonstigen indirekten THG-Emissionen aus vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsprozessen des Unternehmens, z. B. für die Produktion bezogener Güter (Zulieferer), die Nutzung und Entsorgung der produzierten Güter, Aktivitäten der Geschäftstätigkeit (Geschäftsreisen, Arbeitnehmerpendeln, …) In Scope 1 und 2 sind mit wenigen Ausnahmen (z. B. Zementherstellung) vorrangig direkte und indirekte (bezogene) Energie- und Wärmeverbräuche für die Emissionen verantwortlich, die relativ einfach über bekannte Verbrauchswerte (kWh je Jahr und Unternehmens[-einheit]) und die Emissionsfaktoren (Strommix, Gas, Fernwärme, …) zu bestimmen sind. Damit können relevante Treiber für Emissionen schnell ermittelt und Ansatzpunkte für Vermeidung (mit Win-Win-Situationen für die Senkungen der Energiekosten) und Substitution (verbesserte CO2-Faktoren der Energielieferanten oder Bezug von Ökostrom) aufgedeckt werden. Weitere indirekte Emissionen aus Scope 3 sind sehr branchenspezifisch und schwieriger zu bestimmen. Z. B. ergibt sich bei Bertelsmann

74     H. Haase

der Schwerpunkt in diesem Bereich aus der Herstellung des eingekauften Papiers für Printerzeugnisse (siehe Abb. 6.4 und Bertelsmann SE & Co. KGaA 2017, S. 13). Hier helfen branchenspezifische Vergleichswerte für erste Schätzungen oder letztendlich professionelle Klimabilanzen weiter. Branchenvereine und Interessensvertretungen unterstützen diesen Prozess. Das Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft e. V. (KTBL) bietet hier z. B. Hilfestellungen zur standardisierten Berechnung von Treibhausgasemissionen für landwirtschaftliche Produktionsprozesse7. KlimAktiv8 bietet beispielsweise sowohl CO2-Rechner für Unternehmen als auch für Produkte und Dienstleistungen an. Prinzipielle Rangfolge von Maßnahmen auf dem Weg zur Klimaneutralität von Unternehmen sollten Vermeidung, Verminderung, Substitution und als letzte, aber sofortige Maßnahme die Kompensation (noch) nicht vermeidbarer Emissionen sein. Ziel einer begleitenden Strategie wäre dann eine mittel- bis langfristige Senkung der Kompensationsmenge durch einen terminierten Maßnahmenkatalog zur Emissionssenkung.

6.3 Nachhaltige Bewertung von Produkten und Dienstleistungen Als wichtigste quantitative Methode zur Bewertung der Umweltwirkung von Produkten ist die Ökobilanz oder Lebenszyklusanalyse (Life Cycle Assessment – LCA) anzusehen, die nach ISO 14040 (Umweltmanagement – Ökobilanz – Grundsätze und Rahmenbedingungen) Umweltaspekte und – auswirkungen eines Produkts von der Wiege bis zur Bahre (from cradle to grave) systematisch erfasst und bewertet. Eine Ökobilanz wird gemäß DIN EN ISO 14040/14044 in 4 Schritten durchgeführt: • Definition von Zielen, Systemgrenzen und Untersuchungsrahmen: Festlegung der zu analysierenden/zu vergleichenden Erzeugnisse oder Dienstleistungen und der dazugehörigen Rahmenbedingungen

7Berechnungsstandard Klimabilanz (BEK). https://www.ktbl.de/themen/klimagasbilanzen/, Zugriff 11.03.2020. 8KlimAktiv gemeinnützige Gesellschaft zur Förderung des Klimaschutzes und KlimAktiv Consulting GmbH, https://www.klimaktiv.de/, Demoversion CO2-Rechner für Unternehmen: https://demo. co2ckpit.de/de_DE/footprint, Zugriff 11.03.2020.

6  Nachhaltigkeit messen und managen – Kriterien …     75

• Sachbilanz: Erfassung der Stoff- und Energieströme entlang des Lebensweges des Produktes • Wirkungsabschätzung: Bewertung der Ergebnisse der Sachbilanz hinsichtlich ihrer Umweltauswirkungen • Auswertung: Zusammenfassende Beurteilung der Ergebnisse der Sachbilanz und der Wirkungsabschätzung Vereinfachte Werkzeuge für eine interne Ökobilanzierung, die speziell kleinen und mittleren Unternehmen die Möglichkeiten bieten, ihre Produkte zu bewerten und ökologisch(er) zu designen, sind beispielsweise: Ecolizer, Eco Design Pilot und die IdematLightLCA-App9. Ähnlich der Ökobilanz erfasst auch die 1994 von Schmidt-Bleek entwickelte Methode „Material-Input je Serviceeinheit“ (MIPS) den Ressourcen- und Umweltverbrauch eines Produktes oder einer Dienstleistung entlang des gesamten Lebenslaufes und visualisiert diesen über den „ökologischen Rucksack“. Als Maß des Naturverbrauchs wird die Masse der Ressourcen bezogen auf die Masse des Industrieproduktes, die Ressourcenproduktivität, genutzt. Um eine Tonne Roheisen herzustellen, benötigt man z. B. als ökologischen Rucksack 7,05 t abiotisches Material, 35,9 t Wasser und 2,34 t Luft (Schmidt-Bleek 2007). Der Vergleich des Impacts von Produkten und Dienstleistungen anhand des Ökologischen Rucksacks soll als Ansatz zu Faktor 4 bzw. Faktor 10 Dematerialisierungen motivieren. „Eine soziale Zukunftssicherung wird es ohne Beachtung der ökologischen Leitplanken nicht geben können. Der materiellen Wachstumswirtschaft sind natürliche Grenzen gesetzt. Mehr Arbeit für Menschen als heute kann im Rahmen einer Systemerhaltungsgesellschaft geschaffen werden, nicht aber in einer ressourcenverzehrenden Produktionswirtschaft. Zu viele und immer neue Produktschwemmen helfen weder dem Wohlbefinden der Menschen, noch sind sie ökologisch verkraftbar. (…) ist die Forderung, aus den der Umwelt entnommenen Ressourcen so lange und so viel wie möglich Nutzen zu ziehen. Jeder Material-, jeder Energie- und jeder Flächeneinsatz sollte technisch so gestaltet sein, dass mit möglichst wenig Natur ein Maximum an Dienstleistungen erbracht und damit Wohlstand erzeugt wird. (…)

9https://www.ecolizer.be, https://pilot.ecodesign.at, https://idematapp.com/coll-page-section/lightlca/ Zugriff jeweils 12.03.2020.

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Unsere Produkte müssen ihre ökologischen Rucksäcke loswerden, sie müssen intelligenter werden. Hier liegen die Weltmärkte von morgen!“ Auszug aus der Carnoules Deklaration 1994 (Aachener Stiftung Kathy Beys 2019)

Der CO2-Fußabdruck von Produkten (Product Carbon Footprint – PCF) konzentriert sich – ähnlich wie die bereits genannte Klimabilanz – auf die Treibhausgas-Emissionen, die entlang der gesamten Wertschöpfungskette eines Produktes entstehen und ist meist wie der MIPS auf eine definierte Anwendung des Produktes bezogen. Als methodischer Rahmen für die quantitative Ermittlung eines Product Carbon Footprint und die Kommunikation der Ergebnisse kann die internationale Technische Spezifikation ISO/TS 14067 von 2013, aktualisiert 2019 (DIN EN ISO 14067:2019-02), genutzt werden. Sie basiert auf den bereits vorgestellten internationalen Normen zur Ökobilanz (ISO 14040 und ISO 14044) sowie zu Umweltkennzeichnungen und –deklarationen (ISO 14020, ISO 14024 und ISO 14025). Mit der ISO/TS 14067 wurde versucht, bereits bestehende Dokumente (z. B. das Greenhouse Gas Protocol, vom World Business Council for Sustainable Development (WBCSD), dem World Resources Institute (WRI) oder der PAS 205010) zu harmonisieren und damit eine breite Anwendbarkeit im globalen Markt zu erreichen. Auch Dienstleistungen (z. B. in der Logistik) können mit Product Carbon Footprints ermittelt werden. Diese fließen wiederum in die Bewertung der Emissionen der Vorkette bei der Beschaffung, der Warendistribution sowie der Entsorgung der Produkte mit ein. Über die DIN EN 16258 können CO2-Emissionen der Logistikkette berechnet und verglichen werden, z. B. bei unterschiedlichen Verkehrsträgern für die gleiche Transportaufgabe (Schmied und Knörr 2013). Das Umweltbundesamt veröffentlicht in regelmäßigen Abständen mit dem Handbuch für Emissionsfaktoren (HBEFA) eine umfangreiche Übersicht zu den Straßenverkehrs-Emissionen11. Weitere qualitative Methoden, Produkte zu bewerten und in ihrer Wirkung zu vergleichen, wie z. B. Matrizen (Sustainable SWOT Analysis), Checklisten (EcoDesign Checkliste) und Spinnennetzdiagramme zur

10britische

Spezifikation zur Bewertung von Treibhausgasemissionen von Waren und Dienstleistungen.

11 https://www.umweltbundesamt.de/themen/verkehr-laerm/emissionsdaten#handbuch-fur-

emissionsfaktoren-hbefa, Zugriff 11.03.2020.

6  Nachhaltigkeit messen und managen – Kriterien …     77

­ nalyse und Visualisierung (Ökokompass), werden von Wiesner in (2020) A vorgestellt.

6.4 Nachhaltigkeitsstrategien und Nachhaltigkeitsmanagement Über die Entwicklung von Nachhaltigkeits-Indikatorensystemen, die meist für das Monitoring von Nachhaltigkeitsstrategien und –managementsystemen eingesetzt werden, soll nachfolgend ein kurzer Überblick gegeben werden. Auch hier standen am Anfang umweltpolitische Ziele im Vordergrund: Die 1961 gegründete Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) hat 1991 ein Schlüssel-Set von Umweltindikatoren vorgestellt, welches die umweltpolitischen Vorgaben und Verpflichtungen der Mitgliedstaaten überprüfen sollte (OECD 2003). 1996 hat die UN-Kommission für Nachhaltige Entwicklung CSD (Commission on Sustainable Development), ein nach der Konferenz in Rio geschaffenes Gremium, das die Umsetzung der Agenda 21 überwachen und vorantreiben soll, eine Liste von etwa 130 Indikatoren für eine nachhaltige Entwicklung zusammengestellt sowie eine methodologische Einordnung dieser Indikatoren vorgenommen. Der Katalog umfasst ökologische, ökonomische, soziale und institutionelle Indikatoren, die in Anlehnung an das PSR-Modell der OECD (Pressures: Belastungen der Umwelt, State: Beschreibung von Umweltzustand und -qualität und Responses: gesellschaftliche Reaktionen) eingeteilt werden (Öko-Institut 1999). Im Jahr 1999 wurde den Unternehmen von den Vereinten Nationen anlässlich des Weltwirtschaftsforums der Global Compact angeboten, eine Willenserklärung der Unternehmen gegenüber den Vereinten Nationen, soziale und ökologische Mindeststandards einzuhalten. Mittlerweile gibt es über 13.000 Verpflichtungen und auch Wissenschaftseinrichtungen, Verbände, Kommunen und zivilgesellschaftliche Organisationen nehmen teil. Die Global Reporting Initiative (GRI, 1997 gegründet) entwickelt über ein partizipatives Verfahren Rahmenbedingungen und Hilfestellung für die Nachhaltigkeitsberichterstattung und will dadurch über vergleichbare Entscheidungs- und Orientierungshilfen Organisationen und Unternehmen weltweit unterstützen. 1999 wurde der erste Entwurf der GRI-Richtlinie für die Nachhaltigkeitsberichterstattung mit Kennzahlen und Indikatoren zu wirtschaftlichen, ökologischen und gesellschaftlichen Aspekten von

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Abb. 6.5  Überblick über den Aufbau und die Anwendung der GRI-Standards für das Nachhaltigkeitsreporting nach (Global Sustainability Standards Board 2016; https:// www.globalreporting.org/standards/the-reporting-process/, Zugriff 15.03.2020)

Tätigkeiten, Produkten und Dienstleistungen veröffentlicht und danach kontinuierlich weiterentwickelt. Als fünfte Version der Entwicklung wurden im Oktober 2016 die modularisierten GRI Sustainability Reporting Standards veröffentlicht, die seit dem 1. Juli 2018 für die Berichterstattung im Rahmen von GRI verpflichtend sind (siehe Abb. 6.5). Der Global Compact der Vereinten Nationen empfiehlt seinen Mitgliedern, einen CSR(Corporate Social Responsibility) oder einen Nachhaltigkeitsbericht vorzulegen, der nach den Richtlinien der GRI verfasst ist. Der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (DNK, erster Entwurf des Nachhaltigkeitsrates Ende 2010) umfasst zwanzig DNK-Kriterien und ergänzende nichtfinanzielle Leistungsindikatoren, die aus den GRI SRS (Sustainability Reporting Standards der Global Reporting Initiative) und den EFFAS KPIs for ESG (Key Performance Indicators for Environmental Social und Governance Issues der European Federation of Financial Analysts Societies) ausgewählt wurden. Die Anwender, „große und kleine, öffentliche und private Unternehmen mit und ohne Nachhaltigkeitsberichterstattung, berichtspflichtige Unternehmen und all jene Organisationen, die ihre Stakeholder über ihre Nachhaltigkeitsleistungen informieren wollen“, können über die DNK-Datenbank eine Erklärung erstellen. Die DNK-Erklärung kann auch

6  Nachhaltigkeit messen und managen – Kriterien …     79

Abb. 6.6  Nachhaltiges Wirtschaften – Strategien und Instrumente nach EMAS (https://www.emas.de/nachhaltigkeit/?type=98, Zugriff 14.03.2020)

als nichtfinanzielle Erklärung zur Erfüllung der Berichtspflicht im Rahmen der Corporate Social Responsibility (CSR, Kriterien 11, 14, 17, 18 und 20, siehe auch Abschn. 7.3) und zur Berichterstattung der Kernelemente menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (Kriterium 17) genutzt werden (DNK 2019). Die nationale Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie definiert über das zugrunde liegende Nachhaltigkeitsmanagementsystem „konkrete Ziele mit einem Zeitrahmen zur Erfüllung, Indikatoren für ein kontinuierliches Monitoring sowie Regelungen zur Steuerung und Festlegung zur institutionellen Ausgestaltung“. Mit der Agenda 2030 orientiert sich die Strategie an den 17 SDGs, denen die insgesamt 63 Indikatoren zugeordnet sind (Statistisches Bundesamt 2016). Das Eco-Management and Audit Scheme – kurz EMAS – ist ein standardisiertes europäisches Verfahren für ein freiwilliges nachhaltiges Umweltmanagementsystem in Organisationen. Die europäische EMAS-Verordnung erfüllt alle Anforderungen der internationalen Umweltmanagementnorm ISO 14001, legt aber über internationale Normen hinausgehende zusätzliche Qualitätskriterien und

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Überwachungsmechanismen fest. Werden diese in der Verordnung fixierten Anforderungen erfüllt, darf die Organisation das EMAS-Logo führen. Die Umwelterklärung nach EMAS erfasst überschneidend Kriterien anderer Instrumente und kann in andere Berichtsformate, wie z. B. den Nachhaltigkeitsbericht, integriert werden (siehe Abb. 6.6). Zur Berichterstattung im Rahmen der Corporate Social Responsibility (CSR), der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen wird im Abschn. 7.3 berichtet.

6.5 Weitere Konzepte zur Wohlfahrts- und Nachhaltigkeitsmessung Zudem gibt es zur Messung des Wohlstandes, der bekanntlich unterschiedlich definiert werden kann, in Ergänzung oder als Alternative zu dem in die Kritik geratenen Bruttoinlandsprodukt12 international eine Reihe von Indikatoren- bzw. Kriteriensystemen, die z. B. einzelne Aspekte aufgreifen wie der GINI-Koeffizient zur Messung von Einkommens(un)gleichheit. Als weitere Beispiele wären die in Tab. 6.2 durch den Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) aufgeführten Konzepte zu nennen.

12Das BIP steigt auch, wenn Gefängnisse oder Waffen gebaut oder Klimaschäden repariert werden und trifft u. a. keine Aussage zu Verteilungsfragen und zur Umwelt- und Lebensqualität (siehe auch Schlussbericht der Enquete-Kommission 2013).

6  Nachhaltigkeit messen und managen – Kriterien …     81 Tab. 6.2  Übersicht über Konzepte zur Wohlfahrts- und Nachhaltigkeitsmessung (WBGU 2011, S. 80) Art des Messkonzepts

Bezeichnung des Index/ Indikators

Dimension Ökon.

Sozial

Ökol.

Erweiterungen des BIP: monetarisierte Indikatoren/Indizes

Measure of Economic Welfare Index of Sustainable Economic Welfare (ISEW) Genuine Progress Indicator (GPI) Full Cost of Goods and Services (FCGS) National Welfare Index (NWI) Umweltökonomische Gesamtrechnung/UN System of Environmental and Economic Accounting (SEEA) Ecological Footprint Living Planet Index Human Development Index (HDI) Index of Economic Wellbeing Happy Planet Index* KfW Nachhaltigkeitsindikator Sustainable Development Indicators (Eurostat) Index of Economic Freedom Environmental Sustainability Index (ESI)/Environmental Performance Index (EPI) Gross National Happiness* (Bhutan) Canadian Index of Wellbeing* (CIW) Corruption Perception Index (CPI) National Accounts of Well-being*

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Erweiterungen des BIP: Umweltökon. Gesamtrechnung/Satellitensysteme Nicht monetarisierte Indikatoren/Indizes Zusammengesetzte Indikatoren/ Indizes (Integration monetarisierter und nicht monetarisierter Größen)

(* Index enthält subjektive Indikatoren)

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7 Nachhaltigkeit – Umsetzungskonzepte

Die Einsicht, dass der eingeschlagene marktradikale Weg in einer endlichen Welt nicht (mehr lange) funktionieren kann, führte zur Entwicklung unterschiedlicher Konzepte, die politische, wissenschaftliche, unternehmerische, aber auch zivilgesellschaftliche Ansätze verfolgen und unterschiedlich stark die im Kap. 5 vorgestellten Nachhaltigkeitsstrategien zugrunde legen. In Tab. 7.1 stehen allerdings teilweise auf Wirtschaftskritik begrenzte Konzepte im Vordergrund, die für globale Lösungen konzeptionell erweitert werden müssen, siehe Abschn. 7.1. Die nachfolgende, in den Abschn. 7.1 bis 7.5 getroffene Einteilung ist ein Versuch, unterschiedliche Sichten auf erforderliche Veränderungsprozesse darzustellen und die daraus folgenden Lösungsansätze zu strukturieren. Eine klare Trennung zwischen den unterschiedlichen Ansätzen aus System- und Akteurssicht wird vom Autor nicht gesehen und scheint im Sinne einer ganzheitlichen Lösung auch nicht sinnvoll (siehe auch Abschn. 7.6).

7.1 Welt retten I – Systemreparatur und -erweiterung. Ökosoziale Marktwirtschaft & Global Marshallplan Initiative In diesem Abschnitt wird nicht davon ausgegangen, dass das marktwirtschaftliche Wirtschaftsprinzip prinzipiell für ein ressourcenendliches Gesamtsystem Erde und den „Superorganismus Menschheit“ (Radermacher und Beyers 2011) ungeeignet ist. Dieses momentan die Welt bestimmende © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Haase, Genug, für alle, für immer, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31220-6_7

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Ein grüner Umbau der Wirtschaft führt zu nachhaltiger Entwicklung Europa 2020 Entkopplung ist durch intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum möglich Enquete Kommission Konkrete politische f.Wachstum, WohlEmpfehlungen schaffen stand und Lebensmehr Wohlstand und qualität Lebensqualität in Deutschland Blue Economy Die innovative Nutzung von Abfällen und Ressourcen führt zu einer prosperierenden Zero Emission Economy Cradle to Cradle Geschlossene Materialkreisläufe machen „intelligente Verschwendung“ möglich Faktor X Mehr Wohlstand aus weniger Natur durch die Steigerung der Ressourcenproduktivität – um den Faktor X Steady State Economy Wirtschaftliche Entwicklung auf einem optimalen physischen Niveau

Green Economy

Ziel/Vision

Wissenschaftlich, unternehmerisch

(Fortsetzung)

Wissenschaftlich

Herman E. Daly

Global

Wissenschaftlich, unternehmerisch, politisch

Friedrich Schmidt-Bleek, Auf der Ebene von Produkten, DienstErnst Ulrich von Weizleistungen, Untersäcker, Faktor X Institut nehmen, national

International

Michael Braungart, William McDonough

Parlamentarische Debatte

Wissenschaftlich, unternehmerisch

Deutschland im internationalen Kontext

International Gunter Pauli, Blue Economy Institute, Blue Economy Alliance

17 Abgeordnete des Deutschen Bundestages;17 externe Expert-Innen

Politisch

Europäische Kommission, Europäische Union Europäischer Rat

Ansatz Politisch

Perspektive National und international

UNEP, OECD

Vertreter

Tab. 7.1  Überblick über alternative Wirtschafts- und Gesellschaftskonzepte nach Lebensministerium (2012)

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Transition Bewegung

Solidarische Ökonomie

Gemeinwohl-Ökonomie

Buen Vivir

Postwachstumsgesellschaft

Degrowth

Tab. 7.1  (Fortsetzung) Vertreter

Wirtschaft, die auf gemeinwohlorientierten Grundsätzen basiert Die Vielfalt von basisdemokratisch und bedürfnisorientierten Wirtschaftsformen leben Lokale resiliente und autarke Gemeinschaften gemeinsam aufbauen Rob Hopkins, Naresh Giangrande, Louise Rooney

Christian Felber, 500 Pionier-Unternehmen Viele Akteur*innen

Viele Aktivist*innen und Gesundschrumpfen der Wirtschaft für mehr soziale Wissenschaftler*innen Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit und Wohlbefinden Tim Jackson, Niko Paech, Eine Wirtschaft, die auch Peter Victor ohne Wachstum zu hoher Lebensqualität innerhalb ökologischer Grenzen führt Entwicklungsmodell, das zu Alberto Costa, Eduardo einem guten Leben führt Gudynas

Ziel/Vision Ansatz

Wissenschaftlich, zivilgesellschaftlich

Wissenschaftlich, zivilgesellschaftlich

Lokal, regional

Meist lokal

Zivilgesellschaftlich

Zivilgesellschaftlich, selbstorganisiert

Südamerika, v. a. Ecuador Wissenschaftlich, politisch, zivilund Bolivien gesellschaftlich Zivilgesellschaftlich, National unternehmerisch

National

Lokal bis global

Perspektive

7  Nachhaltigkeit – Umsetzungskonzepte     85

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Wirtschaftssystem hat für die Mehrzahl der „Nutzer*innen“ durchaus positive Ergebnisse und Wohlstandsgewinne gebracht und arbeitet aus dieser Sicht betrachtet effizient und erfolgreich. Um die Effizienz (Aufwand zu Nutzen) weiter zu erhöhen, wurde allerdings der Aufwand zum Systemerhalt vernachlässigt und das System – ingenieurtechnisch formuliert – zunehmend auf Verschleiß gefahren. Andererseits erfolgte die Verteilung des damit gewonnenen Nutzens nur zu Gunsten weniger. Eine gute Systemwartung sowie Korrekturen und Anpassungen an sich verändernde Einsatzbedingungen wurden vernachlässigt. Damit wird zunehmend die Systemzuverlässigkeit gefährdet, die Fehleranfälligkeit des Systems wird immer größer, die fehlerfreie Systemarbeitszeit (Mean Time between Failure, siehe Abschn. 5.4) wird immer kürzer (Finanz- und Wirtschaftskrise, Corona-Pandemie). Der nächste Systemfehler, die Klimakrise und alle begleitenden Effekte wie Biodiversitätsverlust u. v. a., könnte suizidale Folgen haben oder, um im technischen Kontext zu bleiben, das Ende der MEGA-Maschine1 bedeuten.

7.1.1 Systemverwerfungen und erkannter Reparaturbedarf Der Zusammenbruch der parteikommunistischen Systeme des Ostblocks wurde vor allem auf westlicher Seite dem Sieg der „freien“ Marktwirtschaft zugeschrieben und nicht den Schwächen der maroden staatlichen Misswirtschaft einer ideologiegesteuerten Parteidiktatur. Mit diesem Mantra setzten sich in der Folge marktfundamentale Positionen des Neoliberalismus mit starken Tendenzen einer Deregulierung und Privatisierung durch, zudem mit dem Argument, dass globale Märkte mit ihren Gesetzmäßigkeiten keine ordnungspolitischen Regelungen zulassen. „Der Neoliberalismus, wie er heute propagiert wird, ist nichts anderes als ein umgekehrter Kommunismus. Der Kommunismus ersetzt den Markt durch Politik, der Neoliberalismus ersetzt die Politik durch den Markt. Ein entfesselter, irrationaler Markt und eine unkontrollierte Globalisierung schaden den Menschen nicht nur materiell, sondern auch psychisch, charakterlich, da dieses System auf einem extremen Individualismus und einer brutalen und selbstmörderischen Konkurrenz beruht, welche das Negative im 1Den Begriff Megamaschine hat der US-amerikanische Forscher und Schriftsteller Lewis Mumford in seinem Sachbuch „Der Mythos der Maschine“ 1967/1970 geprägt. Siehe auch https://www.megamaschine.org/ und Scheidler (2015).

7  Nachhaltigkeit – Umsetzungskonzepte     87

Menschen fördert. Solidarität, Gemeinschaft, Familie, lang dauernde Arbeitsbeziehungen und die moralischen Grundlagen der Gesellschaft lösen sich auf, die Zunahme autoritärer Maßnahmen ist die notwendige Folge.“ Gerald Mader: Der totale Markt. Zitat aus Radermacher et al. (2011, S. 26)

In Radermacher et al. (2011 S. 14) wird die Philosophie des „freien“ Marktes als „DNA des aktuellen westlichen ökonomischen Systems“ bezeichnet, die den Charakter einer Ersatzreligion angenommen hat, „als hätte sie naturwissenschaftliche Unumstößlichkeit“2. Die Wirkungen einer vornehmlich dem Markt überlassenen Globalisierung zeigen sich auf der einen Seite in extrem hohen Renditen und einer massiven privaten Anhäufung und Konzentration von Kapital und auf der anderen Seite in einer Ausbeutung der natürlichen (und gesellschaftlichen) Ressourcen nach dem Muster „Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der Verluste“. Diese Entwicklung führte auch zur jüngsten Krise des Weltfinanz- und Wirtschaftssystems, die dann mit öffentlichen Mitteln stabilisiert werden musste (wobei wiederum das private Bankensystem profitieren konnte). „Bezogen auf die westlichen Nationalisten bedeutet dies: hemmungslose Globalisierung der eigenen Bedürfnisse und zugleich brutale Abwehr der dadurch erzeugten Folgekosten – besonders der Flüchtenden, jener Globalisierungsfolge, die auch noch sprechen, Forderungen stellen und Vorwürfe machen kann.“ Bernd Ulrich, DIE ZEIT N°12, 12. März 2020

Der so genannte „freie Markt“ gewährleistet zwar Effizienz, hat aber keine ethisch moralischen Ziele für Staat und Gesellschaft. Nur über Regeln (globale Leitplanken) können diese Ziele und damit die Effektivität des Systems festgelegt werden (zum Thema Effizienz siehe Abschn. 5.1). Ein alter Indianer sitzt mit seinem Sohn am Lagerfeuer und spricht: „Mein Sohn, in jedem von uns tobt ein Kampf zwischen 2 Wölfen. Der eine Wolf ist böse. Er kämpft mit Neid, Eifersucht, Gier, Arroganz, Selbstmitleid, Lügen, Überheblichkeit, Egoismus und Missgunst. Der andere Wolf ist gut. Er kämpft mit Liebe, Freude, Frieden, Hoffnung, Gelassenheit, Güte, Mitgefühl, Großzügigkeit, Dankbarkeit, Vertrauen und Wahrheit.“ Der Sohn fragt: „Und welcher der beiden Wölfe gewinnt?“ Der alte Indianer schweigt eine Weile. Dann sagt er: „Der, den du fütterst.“ (Watzke 2008) 2Mont

Pèlerin Society – einflussreiche Gruppe von Ökonomen in Regierungs- und Wissenschaftskreisen mit dem Ziel, marktradikales Denken als Ideologie zu verbreiten. Siehe dazu auch Randers, Maxton: Ein Prozent ist genug (Randers und Maxton 2016, S. 114 f.).

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7.1.2 Globale Leitplanken und ökosoziale Marktwirtschaft Klaus Töpfer, deutscher Politiker, Bundesumweltminister a. D. und ehemaliger Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, fordert eine „soziale und ökologische Qualifizierung der Marktwirtschaft“ (Radermacher et al. 2011, Vorwort S. 9). Neben oder besser über den Restriktionen des Marktes wird ein zweites Restriktionssystem der Nachhaltigkeit in Form einer Global Governance mit sozialen und ökologischen Minimalstandards erforderlich (Radermacher 2014, S. 287 ff.). „Was wir heute brauchen, ist ein „Global Marshall Plan“, um die Umwelt zu retten und Milliarden besitzlosen Menschen die Möglichkeiten zu geben, wirklich an der Wirtschaft teilzuhaben. Bedenken Sie, dass das Richtige richtig bleibt, auch wenn niemand das Richtige tut. Und das Falsche falsch bleibt, auch wenn alle es tun.“ Al Gore (Homepage der Global Marshall Plan Initiative)

Radermacher sieht eine Chance von ca. 35 % für das Gelingen einer ökosozialen Marktwirtschaft (siehe auch Prognose für eine zukünftige Entwicklung nach Abschn.  2.1). Sollte ein Umbau der Wirtschaft von marktradikal zu ökosozial nicht gelingen, so prognostiziert Radermacher in Bezug auf die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit Folgendes: • Ein Wegbrechen der ökologischen Dimension würde mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 15 % zu einer „globalen Osterinsel“, einem Kollaps führen. • Der Verlust der sozialen Dimension bedeutet ein Zurück zu (neu) feudalen Strukturen oder Brasilianisierung/Ökodiktatur (etwa 40 %). • Ein Wegbrechen der ökonomischen „Marktdimension“ (etwa 10 %) würde zu einem „neuen“ Kommunismus, einer planwirtschaftlichen, aber einigermaßen sozial gerechten Verteilung der verbleibenden Ressourcen auf niedrigem Niveau führen (Radermacher et al. 2011, S. 94 f.). Es bleibt also die Wahl zwischen drei wenig erstrebenswerten Alternativen! Auf der Homepage der Global Marshall Plan Initiative für eine Welt in Balance werden fünf Bausteine genannt (Globalmarshallplan 2019), die nachfolgend in anderer Reihenfolge genutzt und ergänzt aufgegriffen werden sollen. Die Schritte bauen aufeinander auf, bedingen einander und bilden so ein ganzheitliches Lösungskonzept.

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Als Erstes wird das Ziel (quasi die Vorgabe für die Effektivität) der Entwicklung und der erforderlichen gesellschaftlichen Transformation über die Nachhaltigkeitsdefinition des Brundtland-Berichtes festgelegt. Das wäre einerseits die Sicherung der Grundbedürfnisse und eine gerechte Verteilung (intragenerationelle Gerechtigkeit, vor allem sozial, ökonomisch) und andererseits die Zukunftssicherung der Menschheit und damit der Ressourcenerhalt und die intergenerationelle Gerechtigkeit (vor allem ökologisch, ökonomisch). Konkreter sind diese Ziele in den Sustainable Development Goals (SDGs, siehe Abb. 3.2) 2015–2030 verankert, die im Rahmen des Transformationsprozesses umzusetzen sind. Als Zweites gilt es, einen weltweit geltenden Rahmen aufzubauen, der die Leitplanken zur Umsetzung dieser Ziele vorgeben kann. Gegenwärtig finden global agierende Unternehmen (z. B. aus dem Finanzsektor) kein Regulativ. Hier ist eine Global Governance, eine Weltinnenpolitik mit einem ganzheitlichen Regelwerk („Weltgrundgesetzbuch“) mit verbindlichen sozialen, ökologischen und kulturellen Standards aufzubauen. Historische Parallelen können im Projekt einer humanistischen Weltdemokratie mit einer Weltverfassung gesehen werden, die Thomas Mann und emigrierte Intellektuelle in „The City of Man. A Declaration on World Democracy“ entworfen haben. „Die Demokratie lehrt, dass alles durch, nichts gegen und nichts außerhalb der Menschlichkeit zu geschehen hat. Die Diktatur der Humanität auf der Basis des Gesetzes zum Schutz der Menschenwürde ist die einzige Herrschaft, von der die Hoffnung für unser eigenes Leben ausgeht …“ The City of Man. A Declaration on World Democracy

Die Global Marshall Plan Initiative fordert dazu: „Funktionierende Global Governance-Strukturen brauchen Reformen bestehender Institutionen und Regelwerke (z.  B. Vereinte Nationen, Welthandelsorganisation und Weltfinanzsektor) sowie deren kohärente Verknüpfung zu einem funktionierenden Ganzen.“ Ebenso ist die „Durchsetzung einer balancierten Eigentums- und Vermögensverteilung und der Transparenz von Eigentum“ erforderlich. Als Drittes kann innerhalb dieses normativen Rahmens eine effiziente Nutzung vorhandener Ressourcen und Möglichkeiten weiter über den Markt und seine Mechanismen geregelt werden (z. B. über eine Ökosoziale Marktwirtschaft oder Green Economy). Die Global Marshall Plan Initiative fordert dazu: „Eine nachhaltige Weltökonomie mit reformierten Schwerpunkten und Rollenverteilung“. Das Regelwerk (unter Zweitens) muss diesen Prozess unterstützen und das bisherige Marktversagen für eine

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nachhaltige Wirtschaft z. B. durch die Internalisierung externer Kosten korrigieren (Randers und Maxton 2016, S. 199). Über „Grünes Wachstum – Green Growth“ sollen Ökoinnovationen (Ressourceneffizienz) und ein besseres Management von Naturkapital neue Märkte erschließen und ein umweltverträgliches Wachstum möglich machen. Ein konsequent durchgesetzter „Cap and Trade“-Ansatz des Emissionshandels kann hier als Beispiel dienen. Das „Cap“ regelt die politischen Grenzen, die Leitplanken des Marktes (die Zielerreichung, Effektivität). Über den „Trade“, den Markt, wird die Effizienz gewährleistet. Allerdings müssen dann auch die Zertifikate von z. B. stillgelegten Kohlekraftwerken konsequent vom Markt genommen werden und nicht anderweitigen Emissionen zur Verfügung stehen (grünes Paradoxon, siehe auch Radermacher 2018, S. 232 f.). Bei begrenzten Systemen wie beim European Union Emissions Trading System (EU ETS) könnten räumliche Verlagerungseffekte für Im- und Exporte durch ein Border Adjustment an den Systemgrenzen abgewendet werden (siehe Felix Ekardt, Arbeitspapier zur möglichen Totalrevision des Emissionshandels, Ekardt 2019). Weiterhin ist ergänzend (und integrativ zum Emissionshandel) eine Steuerreform erforderlich, die nicht das Einkommen, sondern Emissionen und den Rohstoffverbrauch als Bezug nutzt (Pigou-Steuer für Externalitäten, vor allem fossile Brennstoffe) und eine faire Besteuerung aller, auch globaler Wertschöpfungsprozesse, insbesondere im Finanzsektor erreicht. „Nach Auffassung des WBGU ist die Bepreisung von CO2 die wichtigste politische Maßnahme für die Dekarbonisierung und notwendiger Bestandteil eines regulatorischen Rahmens für die Transformation zu einer klimaverträglichen Gesellschaft.“ (WBGU 2011, S. 11)

Ottmar Edenhofer (PIK) und Christoph M. Schmidt (RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung) sehen in (Edenhofer und Schmidt 2018) eine CO2-Steuer nicht nur für die im Emissionshandel nicht erfassten Sektoren wie etwa Wärme und Verkehr als notwendig an. Eine am CO2Gehalt der Energieträger orientierte Besteuerung aller Sektoren und Energieträger würde besser als starre Sektorenziele eine optimale Aufteilung der Emissionsminderung zwischen den Sektoren durch den Markt erzielen. Gleichzeitig empfehlen sie die Reduzierung der Stromsteuer, da diese Strom aus erneuerbaren Energien genauso besteuert wie Strom aus Kohle oder Gas und damit die falschen Anreize setzt.

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„Wenn nun noch die staatlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen und nicht der Ertrag des Unternehmens besteuert wird, sondern der Ressourcen- und Energieeinsatz, dann ergibt sich die zur Aufrechterhaltung unseres Wohlstandes dringend notwendige Ressourceneffizienz fast von selbst.“ Walter Stahel (2000, S. 45)

Die Global Marshall Plan Initiative regt hierzu an: „Mögliche Finanzierungsmechanismen sind eine Terra-Abgabe auf den Welthandel, eine Abgabe auf Welt-Finanztransaktionen, der Handel mit gleichen CO2-Emissionsrechten pro Kopf, eine Kerosinsteuer oder Sonderziehungsrechte beim Internationalen Währungsfonds (IWF).“ Ein mögliches nationales Steuerkonzept für Deutschland stellt das IASS mit dem Zukunftsfonds vor (IASS 2018; siehe Abb. 7.1), der drei wesentliche Aspekte für eine Nachhaltigkeitstransformation verbinden soll: 1. Der Vermögensaufbau erfolgt durch die Bepreisung der Emissionen über eine CO2-Steuer und eine reformierte Nachlasssteuer. 2. Die Mittel werden für den Ausbau einer klimafreundlichen Infrastruktur sowie für den Aufbau eines demokratisch kontrollierten, transformativen Staatsfonds eingesetzt und unter Beachtung sozialökologischer Transformationsprioritäten verwendet. 3. Ein Teil der Einnahmen sowie mögliche Renditen werden für die sozial- und kulturpolitische Flankierung des Strukturwandels im Transformationsprozess und einen sozialen Ausgleich eingesetzt. Grundlage für dieses Instrument waren ein Sondergutachten des WBGU (2016) und ein Workshop dazu am IASS Potsdam. Als Viertes ist die Finanzierung des Konzeptes zu gewährleisten. Die o. g. Steuerreform kann dazu neben dem Regulativ für den Umgang mit globalen Gemeingütern auch als Möglichkeit zur Finanzierung gestaltet werden. Die Mittel dienen neben der Umsetzung der SDGs auch der Finanzierung der dazu erforderlichen Entwicklungskooperationen und -partnerschaften. „To meet the investment needs of the Sustainable Development Goals, the global community needs to move the discussion from “Billions” … to “Trillions” in investments of all kinds: public and private, national and global, in both capital and capacity.“ (Development Committee 2015)

Die Mittel sind national zur Erfüllung des Pariser Klimaschutzabkommens zur Einhaltung, besser noch zur deutlichen Unterschreitung des

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Abb. 7.1  Finanzierung und Mittelverwendung eines Zukunftsfonds für Deutschland nach IASS (2018)

2-Grad-Limits, aber auch zur globalen Mitfinanzierung des in Paris verabredeten Klimafinanzausgleichs einzusetzen. Die Einhaltung dieses Zieles ist nach Ekardt (2018) völkerrechtlich verbindlich. „Die vorliegende Untersuchung zeigt in der Schnittmenge des ParisAbkommens (sowie naturwissenschaftlicher Prognosefragen) mit dem rechtlichen Vorsorgeprinzip und den Menschenrechtsgarantien auf, dass ein Voranschreiten zu globalen Nullemissionen innerhalb kürzerer Zeit als meist angenommen rechtsverbindlich vorgeschrieben ist.“ Felix Ekardt (2018, S. 4)

Die Global Marshall Plan Initiative fordert, mindestens 0,7 % des Bruttonationaleinkommens der Industrieländer in Entwicklungskooperationen zu investieren und schätzt ein, dass dafür zusätzliche Mittel in Höhe von rund 150 Mrd. US$ jährlich erforderlich wären3. Hier von Entwicklungshilfe zu sprechen, wäre allerdings verfehlt. De Facto handelt es sich um Wiedergutmachung der (neo)kolonialistisch verursachten Schäden der Industrieländer in den Entwicklungsländern, zu deren Lasten teilweise der Aufschwung der Industrieländer stattgefunden hat (quasi als Kreditrückzahlung), und auch die Klimaschäden, deren Reparatur oder deren Auswirkungen finanziell aufzufangen wären, sind ursächlich von den Industrieländern verschuldet worden. 3Das entspricht etwa den jährlichen US-Kriegskosten in den Jahren 2007 bis 2011 für Militärbeteiligungen im Irak und Afghanistan. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/173138/umfrage/ kriegskosten-der-usa-im-irak-und-afghanistan/, Zugriff 24.03.2020.

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„Ein effektiver Mitteleinsatz für selbstbestimmte Entwicklungswege ist der vielleicht schwierigste Aspekt eines Global Marshall Plan. Die Förderung von Good Governance, Subsidiarität, Regionalität, Bildung, die Bekämpfung von Korruption sowie koordinierter und basisorientierter Formen der Mittelverwendung, werden als entscheidend für eine selbstgesteuerte Entwicklung angesehen. Konkrete Beispiele sind Mikrofinanzierung, erneuerbare Energien und die Zusammenarbeit mit einheimischen Entwicklungshelfern.“ Global Marshall Plan Initiative

7.2 Welt retten II – Systemkritik und -wechsel. Postwachstum und Degrowth Die im vorangegangenen Abschnitt behandelten Konzepte einer Ökosozialen Marktwirtschaft, einer Green Economy oder eines grünen Kapitalismus korrigieren die Systemverwerfungen und „reparieren“ das bestehende Wirtschaftssystem für die neuen globalen Herausforderungen. Wirtschaftswachstum wird weiterhin für den Wohlstand und Fortschritt der Gesellschaft als notwendig erachtet, soll aber – vorrangig über Ressourceneffizienz und Innovation – von den Umweltwirkungen entkoppelt werden. Auch Radermacher sieht Wachstum an sich nicht negativ. Er relativiert allerdings, dass es für den globalen Süden erforderlich bleibt, um Armut zu bekämpfen, und der globale Norden bei Bedarf vom Wachstumszwang zu befreien wäre (Radermacher et al. 2011, S. 110). Alle Ansätze bewegen sich innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftslogik, hinterfragen bestehende Konsum- und Produktionsweisen nicht (Lebensministerium 2012, S. 6) und blenden weitgehend Suffizienzstrategien aus oder sehen diese nachrangig. Ausführlich ist diese Thematik im Schlussbericht der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ 2013 (Schlussbericht der Enquete-Kommission 2013) auf 850 Seiten diskutiert.

7.2.1 Kapitalismus- und Wachstumskritik „Momentan nehmen wir aus der Zukunft, verkaufen es in der Gegenwart und nenne es BIP. Wir können genauso gut eine Wirtschaft haben, die darauf gründet, die Zukunft zu heilen, anstatt sie zu bestehlen.“ Paul Hawkins in Hopkins (2014)

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Die Protagonisten dieses Abschnitts betrachten das alte System als nicht zukunftsfähig und zielführend, nicht mehr den kommenden Anforderungen entsprechend und überlegen, wie ein System beschaffen sein muss, sodass planetare Grenzen eingehalten und humanistische Anforderungen gerecht erfüllt werden und wieder in den Mittelpunkt gerückt werden können. Damit wird ein Sichtwechsel vollzogen: Man passt nicht das System den Anforderungen an, sondern gestaltet es nach den Anforderungen neu. Für eine Systemgestaltung entstehen damit neue Freiheitsgrade, allerdings auch höhere Risiken des Scheiterns, da empirische Erfahrungen größtenteils noch nicht vorliegen. Hier kann einerseits vor allem Wachstumskritik gesehen werden – was passiert, wenn es nicht gelingt, Wachstum und Umweltverbrauch zu entkoppeln? – und andererseits generelle Kapitalismuskritik und damit die Suche nach alternativen Wirtschafts- und Gesellschaftsformen. „Der Kapitalismus hat genau zwei Grenzen: die Umwelt und die Rohstoffknappheit. Man muss kein Genie sein, um zu erkennen, dass es nicht möglich ist, in einer begrenzten Welt unbegrenzt zu wachsen. Der Kapitalismus ist aber auf Wachstum angewiesen. Und deswegen wird er zusammenbrechen.“ Ulrike Herrmann, Wirtschaftsjournalistin4

Die Ansätze, die auch unter dem Begriff Degrowth zusammengefasst werden, sind vielfältig, teilweise in beiden Kritikbereichen angesiedelt und reichen bis hin zu Konzepten, die völlig auf Markt und Staat verzichten (siehe auch Abschn. 7.4). Beide Kritikbereiche können über eine bedingte Anweisung in ihrem Zusammenhang beschrieben werden: WENN „Kapitalismus zum Wachstum gezwungen ist“ UND „Wachstum in letzter Konsequenz zum Kollaps führt“, DANN „ersetze Kapitalismus durch ein alternatives System“. Um nach diesem Algorithmus einer bedingten Anweisung zu handeln, sind zunächst die beiden Bedingungen auf Wahrheit (true oder false) zu überprüfen. Die Formel „Kapitalismus = Bankendemokratie + Konsumdiktatur“ eignet sich dabei gut für ein Spruchband auf einer Demonstration, ist aber zu oberflächlich, um argumentativ die Hintergründe zu klären.

4https://www.meinbezirk.at/linz/c-wirtschaft/die-marktwirtschaft-gibt-es-nicht_a893310, Zugriff 08.05.2020.

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Nach Marx ist Kapital ein „Wert, der danach strebt, seinen Wert zu erhöhen“. Durch Reinvestition des Mehrwertes wird Kapital reproduziert und über diese Akkumulation Wachstum erzeugt, gemessen am veränderten Bruttoinlandsprodukt (BIP). Wachstum wird dabei durch Erhöhung der Arbeitsproduktivität, technische Innovationen und „Ausweitung des Operationsfeldes“ erreicht. In einer Schleife aus Wettbewerb und Reinvestition, um konkurrenzfähig zu bleiben, sowie Expansion werden nicht nur vorhandene Ressourcenmengen erschöpft, sondern es bleiben auch immer weniger noch nicht kommerzialisierte Lebensbereiche übrig, die für weiteres Wachstum erschlossen werden können (Andreucci und McDonough 2016, S. 148 f.). „Wachstum als heaven on earth-Narrativ – Wachstum ist das säkulare Erlösungsversprechen des Kapitalismus.“ Birger Pridden auf dem Workshop „Wachstum ohne Alternativen?“ (Ferger 2014)

Ist Kapitalismus ohne Wachstum denkbar, wenn dieses Wirkungsgefüge nicht zu durchbrechen ist? Hier sind sich die Degrowth-Theoretiker uneinig: Steady-State-Ökonomen erkennen zwar die zweite Bedingung (Wachstumskritik) als wahr an, sehen aber die Möglichkeit eines Nullwachstums auf einem optimalen, nachhaltigen Konsum- und Bevölkerungsniveau oder fordern gar ein negatives Wachstum bis eine stationäre Wirtschaft erreicht ist. „While technology will continue to pull rabbits out of hats, it will not pull an elephant out of a hat – much less an infinite series of ever-larger elephants.“ Herman E. Daly in Lebensministerium (2012, S. 31)

Nach Daly ist Wirtschaftswachstum schon jetzt unwirtschaftlich geworden und schafft in Summe keinen Wohlstand mehr, sondern verringere den Kapitalstock (Lebensministerium 2012, S. 31). Die (kapitalistische) Ökonomie wird nicht am Krebs von „Growthmania“, sondern an Altersschwäche sterben (Daly 1974). In der Argumentation beruft sich Daly „… vor allem auf die Gesetze der Thermodynamik, wonach der Menschheit ein begrenztes Budget an Energie mit niedriger Entropie zur Verfügung steht, mit der sie wirtschaften und leben kann. Wenn zu viel dieser Energie für wirtschaftliche Aktivitäten verwendet wird, beginnen die komplexen lebenserhaltenden ökologischen Systeme zu versagen. Darauf basiert seine Kritik an der orthodoxen ökonomischen Theorie

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und ihrer Wachstumslogik. Sie verstoße gegen das zweite Gesetz der Thermodynamik: Eine Wirtschaft könne mit einem begrenzten Vorrat an Energie und Ressourcen einfach nicht unendlich wachsen“ (Aachener Stiftung Kathy Beys 2018; siehe zum Thema Entropie auch Ulgiati 2016, S. 123). „Wer glaubt, dass exponentielles Wachstum in einer begrenzten Welt unbegrenzt fortgesetzt werden kann, ist entweder verrückt oder Wirtschaftswissenschaftler.“ Kenneth Boulding, Wirtschaftswissenschaftler, in Maxton (2018, S. 16)

Kontinuierliches, unendliches Wachstum, wie es in marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystemen zur Gewährleistung von Wohlstand durch den „zinsbedingten Zwang zum Überschuss“ als gesetzmäßig angesehen wird (Paech 2012, S. 118), ist aus der Natur nicht bekannt. „Auf Wachstum folgt Niedergang – eine ganz normale Geschichte.“ Dennis L. Meadows (2000, S. 8)

In der Natur verlaufen Prozesse eher in zyklischen Abfolgen aus Wachsen, Absterben und Zersetzen … und der Verbrauch ist auf die verfügbaren Ressourcen abgestimmt. Ressourcenmissachtendes Wachstum in der Natur ist am ehesten mit Krebszellen zu vergleichen, die auf Kosten der (begrenzten) Ressourcen des Wirtes wachsen und letztlich mit ihm zugrunde gehen. Auch in gesellschaftlichen Prozessen war die Geschichtsvorstellung bis ins 18. Jahrhundert durch Zeittheorien besetzt, Aufstieg und Niedergang wechselten sich ab: „Wachstum ist ein ökonomischer Topos des 20. Jh.“ Nach Priddat waren „selbst Smith, Malthus, Ricardo bis Marx noch von einer absoluten historischen Grenze dieser Steigerungsprozesse überzeugt (Ricardos Grenzböden, Marx’ Krise etc.)“ (Priddat 2017, S. 3). Wie in der Natur gibt es aber auch in der Gesellschaft Zyklen von Wachstum, Niedergang, Regeneration (Pulsing Paradigm). Nur sind diese gesellschaftlichen Zyklen langwellig und schwer zu erkennen, da wir erstens Teil des Systems und zweitens kürzere Zyklen aus der Natur (Jahreszeiten) gewohnt sind. „Nachhaltigkeit ist in dem Sinne dann eher die Fähigkeit, sich an die Ressourcenoszillationen anzupassen.“ Sergio Ulgiatti (2016, S. 117)

In D’Alisa et al. (2016, S. 23 f.) wird Wachstum weder als wirtschaftlich, noch als sozial und wie hinlänglich beschrieben schon gar nicht als ökologisch eingestuft.

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Wachstum ist unwirtschaftlich, da der verursachte Schaden – zumindest in den Industriestaaten – schneller zunimmt als der Wohlstand. Während das BIP wächst, zeigen Wohlstandsindikatoren wie der Genuine Progress Index5 seit den 70er Jahren stagnierenden Wohlstand. Die Glücksforschung zeigt, dass oberhalb eines gewissen Wohlstandsniveaus eher Partizipation und Gleichheit das soziale Wohlbefinden erhöhen als ein steigendes Einkommen, welches für positionale Güter und einen immanenten Wettbewerb um Status und gesellschaftliche Anerkennung aufgewendet werden muss6. „Durch den Abwurf von Wohlstandsballast hätten wir die Chance, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren, statt im Hamsterrad der käuflichen Selbstverwirklichung zusehends Schwindelanfälle zu erleiden.“ Niko Paech (2012, S. 129)

Wachstum ist ungerecht und nicht sozial, da es den Ressourcenbedarf häufig aus unterentwickelten Regionen deckt und durch Kommerzialisierung soziale Arbeit, Fürsorge, Gastfreundschaft, Bürgerpflichten, etc. zunehmend als Objekte des Marktes bewertet werden und Profitmotive „moralische oder altruistische Verhaltensweisen“ verdrängen (D’Alisa et al. 2016, S. 24 f.). Über die ökologischen Schäden des Wachstums wurde bereits ausreichend berichtet. Die angestrebte und erforderliche Entkopplung von Wachstum und Umweltverbrauch ist jedenfalls bisher nicht gelungen. „Die völkerrechtlich verbindliche Temperaturgrenze aus Art. 2 Abs. 1 PA (Parisabkommen) wirkt … zugleich als Anfrage an die bisherige Wachstumsgesellschaft, sobald sich neben besserer Technik auch ein genügsamerer Lebensstil als erforderlich für die ambitionierten Ziele erweisen sollte. Umgekehrt jedoch hängen am Wirtschaftswachstum bislang zentrale gesellschaftliche Institutionen wie der Arbeitsmarkt, das Renten- und das Bankensystem. Dies ändert allerdings wenig an den festgestellten Verpflichtungen aus Art. 2 Abs. 1 PA – umso mehr, wenn man sich die absehbar auch wirtschaftlich verheerenden Folgen des Klimawandels vor Augen hält.“ Felix Ekardt (2018)

Neben Wachstum und Kapitalismus nimmt Degrowth auch den Indikator BIP in die Kritik und die Kommerzialisierung, die als „Kolonialisierung der 5Alternativer

Wirtschaftsindikator zum BIP, der versucht, sowohl Nutzen (wie BIP) als auch wohlstandsschädigende Kosten von Wachstum zu erfassen, siehe Tab. 6.2 6„Wir kaufen Dinge, die wir nicht brauchen, von Geld, das wir nicht haben, um Menschen zu beeindrucken, die wir nicht mögen.“ (Unbekannter Autor).

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Allmende als neuen Raum für das Kapital zur Akkumulation“ bezeichnet wird (Gomez-Baggethun 2016, S. 153). So werden beispielsweise soziale Produkte und sozioökologische Dienstleistungen und Beziehungen mit Geldwert in Waren verwandelt, um sie für marktwirtschaftliche Mechanismen nutzbar zu machen. Auch hier machen manchmal erst Krisen die Gefahren deutlich, wenn die Daseinsvorsorge nicht mehr im Zuge der sozialstaatlichen Verantwortung wahrgenommen, sondern dem Wettbewerb überlassen wird.

7.2.2 Systemwechsel – Postwachstum Degrowth und Postwachstumsökonomik liefern nicht nur Kritik am Bestehenden, sondern sie entwickeln daraus Konzepte für eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Umgestaltung ohne Wachstumsabhängigkeit. Die Postwachstumsökonomie versucht, Wachstumstreiber auszuschalten, was strukturell durch eine Verkürzung oder Entflechtung komplexer Produktionsketten mit einer Reduzierung des Fremdversorgungsgrades (und damit auch den Forderungen der Resilienzstrategie folgt) und kulturell über Suffizienzansätze zu realisieren ist. Für die strukturelle Umgestaltung werden drei parallele Versorgungssysteme kombiniert. Unter dem Motto „so regional wie möglich, so global wie nötig“ sind das nach Paech (2012, Kap VI, S. 113 ff.): 1. Entmonetarisierte Subsistenzansätze mit einer Nutzungsintensivierung durch Gemeinschaftsnutzung, eine Verlängerung der Nutzungsdauer durch Pflege, Instandhaltung und Reparatur sowie Eigenproduktion auch zur Erhöhung der Resilienz. Dabei werden Objekte aus arbeitsteiliger Industrieproduktion teilweise substituiert und durch Subsistenzinputs länger und intensiver genutzt. Als Subsistenzinputs werden marktfreie Güter genutzt, wie eigene Zeit, handwerkliche Kompetenzen und soziale Beziehungen. 2. Eine Ökonomie der Nähe mit Lokal- oder Regionalversorgung, die über kurze Produktionsketten bei hinreichend geringer Distanz Transparenz und Vertrauen zwischen den Marktteilnehmern schafft, durch Verlust von Anonymität und Schaffung von gegenseitiger Empathie eine Identifizierung mit der Region erlaubt und über Verwendungskontrolle und Interessenkongruenz zwischen Kapitalgeber und Konsument Renditeansprüche relativiert. Unterstützt wird das regionalökonomische System durch zinslose, regionale Komplementärwährungen (siehe auch Dittmer 2016, S. 194).

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3. Leistungen aus globaler Arbeitsteilung, wobei die industrielle Produktion neben der Neuproduktion von langlebigen, reparaturfreundlichen Produkten auf den Fokus des Erhalts, der Um- und Aufwertung vorhandener Produktbestände (Renovierung, Optimierung, Nutzungsintensivierung) auszurichten wäre. Damit ließen sich die Kompetenzen der Subsistenz ergänzen und die Neuproduktion von Waren minimieren (siehe auch „Steady State Economy“). Bei geringen Distanzen zwischen den Akteuren auf lokaler Ebene sind die Grenzen zwischen „der Selbstversorgung der Haus-Hof-Wirtschaft und der informellen Nachbarschafts- und Verwandtenhilfe hin zum formellen Wirtschaften fließend“. Der direkte Austausch und der „alltägliche Erfahrungshintergrund binden auch die formelle Wirtschaft an das Nützliche, an das, was notwendig ist für ein gutes Leben, im Gegensatz zum Unnützen des Konsumismus, der das alltagsweltliche Pendant der ökonomischen Profitjagd ist“ (Bennholdt-Thomsen 2006, S. 77). „Subsistenz – als kulturell definierte Armut – ist nicht gleichbedeutend mit geringer (physischer) Lebensqualität, ganz im Gegenteil, die Subsistenzlandwirtschaft hilft dem Haushalt der Natur und leistet einen Beitrag zum sozialen Wirtschaften. Auf diese Weise gewährleistet sie hohe Lebensqualität – siehe das Recht auf Nahrung und Wasser – sie gewährleistet eine nachhaltige Existenz, sie gewährleistet eine robuste soziale und kulturelle Identität und Lebenssinn.“ Shiva 2005 in Bennholdt-Thomsen (2006, S. 67)

7.2.3 Systemwechsel als soziale Transformation und humanistische Herausforderung Die Degrowth-Entwürfe und die Postwachstumsökonomie legen damit den Schwerpunkt nicht auf „weniger“, sondern vor allem auf „anders“. Aus Sicht eines „Guten Lebens“ könnte man damit auch „besser“ definieren. Konzepte wie Teilen, Fürsorge, Commons oder Allmenden, Konvivialität, Minimalismus, Ökogemeinschaften und Kooperativen verbinden Altbewährtes mit Weiter- und Neuentwickeltem oder Weiterzuentwickelndem. Grundlegende Kritik an der Industriegesellschaft übt der österreichischamerikanische Autor, Philosoph, Theologe und katholische Priester Ivan Illich in seinem Buch „Tools for Conviviality“ (Illich und Lang 1973). Illich, ein radikaler Kritiker und großer Provokateur, der gnadenlos Entwicklungen in der Entwicklungshilfe, der Schule, dem Verkehr, der Technik und der Medizin

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hinterfragt, fordert: „Die Gesellschaft muss entschult werden“, da „bei jeder Entwicklung die anfänglichen Vorteile irgendwann in die ihnen spezifischen Nachteile umschlagen. Von einem bestimmten Punkt an wird das Wachstum an Schaden größer als das Wachstum an Nutzen. Der Schaden, der entsteht, ist sowohl ökonomisch als auch allgemein menschlich“ (Dönhoff 2012). Der laut Duden veraltete Ausdruck konvivial für gesellig, heiter wird von Illich für die Beschreibung einer lebensgerechten, wie er es nennt konvivialen Gesellschaft genutzt, die im Gegensatz zur Industriegesellschaft nicht nur Ansprüche auf eine gerechte Verteilung der gesellschaftlichen Produkte (outputs) fordert, sondern ebenso die Möglichkeit von inputs in das System anmahnt. Die wesentliche Ursache für die Unfähigkeit der zeitgenössischen Ethik, den Begriff Gerechtigkeit zu erfassen, sieht Illich in dem vernachlässigten Anspruch, der Gesellschaft auch etwas geben zu können (Illich 2014). Bis heute wird Gerechtigkeit in der öffentlichen Debatte mit Verteilungsgerechtigkeit gleichgesetzt. Für eine konviviale Gesellschaft fordert Illich eine „volle Gerechtigkeit, die sowohl distributiv als auch partizipatorisch ist“ (Illich und Lang 1973, S. 13). Das, was wir unter den Begriffen Teilhabe und Partizipation meinen könnten, aber meist nicht tun. „Eine Gesellschaft, die das Gute als maximale Befriedigung der größtmöglichen Zahl von Menschen durch den größtmöglichen Konsum industrieller Güter und Dienstleistungen definiert, kann nicht umhin, die Autonomie der Person in unerträglicher Weise zu verletzen. [Dies ist nur zu überwinden,] indem das Gute definiert wird als die Fähigkeit eines jeden, das Bild seiner eigenen Zukunft zu entwerfen. … Ein solches politisches Unternehmen, das die Dimensionen der materiellen Produktivkräfte … beschränkt, um die für jede Person wesentlichen Freiheitswerte zu verteidigen, sieht nicht nur auf langfristiges Überleben der Gemeinschaft und auf gerechte Verteilung von Produkten, sondern ebenso auf eine gerechte Bestimmung des Raumes, in dem sich die schöpferische Autonomie entfalten kann.“ Ivan Illich (2014)

Nach Illich verselbstständigen sich „Werkzeuge“7, die ursprünglich vom Menschen entwickelt wurden, um unterstützende, definierte Aufgaben zu erledigen, und die in ihnen steckenden Potenziale diktieren mit der Zeit gesellschaftliche und wirtschaftliche Prozesse. Auf das dem Rhythmus des Menschen angepasste Werkzeug folgt ein im Rhythmus des ­ Werkzeugs

7Illich

erfasst mit dem Begriff Werkzeug sowohl Maschinen, Technologien, ganze Werke, als auch institutionalisierte Abläufe, wie Schulwesen, Gesundheitswesen, Transportwesen …

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agierender Mensch und damit eine Transformation aller menschlichen Handlungsweisen: „Das Werkzeug wird vom Diener zum Despoten“ (Illich 2014). „Die ungehemmte Industrialisierung produziert Werkzeuge, die scheinbar unverzichtbar sind, aber in erster Linie die individuelle Autonomie entwerten und Menschen in wachsende Abhängigkeit von Waren zwingen, für die sie immer mehr arbeiten müssen. Das Ergebnis – so Illich – ist, dass die Wachstumsrate der Frustration die Produktionsrate übertrifft, was eine „Modernisierung der Armut“ zur Folge hat.“ Marc Deriu (2016, S. 158)

Beispielhaft sah Illich hier das Auto und das Verkehrswesen, das anfänglich entwickelt wurde, um Mobilität zu ermöglichen, und heute nicht nur das Denken der Stadt- und Verkehrsplaner bestimmt und eine Dimension erreicht hat, die Mobilität erzwingt. Dadurch werden Lebensraum und Lebensqualität in einem früher unvorstellbaren Maße beschnitten, ohne dass sich die Menschen dessen überhaupt bewusst werden. Oder aber sie sind bereit, zugunsten von Bequemlichkeit und erwarteter Beschleunigung diesen Preis zu zahlen. Werkzeuge und Waren, die zu Effizienzsteigerung und zur Verbesserung der Wohlfahrt erdacht und eingesetzt werden, nehmen so immer mehr Lebensraum und -zeit ein und lenken von wesentlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten ab. „Da verfügbare Zeit aus individueller Sicht nicht gesteigert werden kann, droht eine Eskalation: Ein knappes, nicht vermehrbares Quantum an Zeit muss auf eine immer größere Anzahl von Konsumobjekten verteilt werden. … Unter dem Regime der Zeitknappheit hat das Wachstum der individuellen Möglichkeiten einen verheerenden Preis, nämlich Oberflächlichkeit – und die macht niemanden glücklich, sondern fördert den Burnout.“ Niko Paech (2012, S. 127 f.)

Die notwendige, monetär entlohnte Arbeitszeit reduziert sich in einer schrumpfenden kapitalistischen Wirtschaft (beispielsweise nach der Steady State Economy) durch das geringere Produktionsniveau einer stationären Wirtschaft oder in einer Postwachstumsökonomie durch die Aufteilung der menschlichen Tätigkeiten auf verschiedene Schaffensbereiche. Während im industriellen Produktionsbereich durch Digitalisierung und künstliche Intelligenz Arbeitskraft eingespart werden kann, sind weniger arbeitsteilige und spezialisierte Wirtschaftskonzepte der Subsistenz oder Regionalversorgung

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bewusst nicht auf Effizienz ausgelegt und benötigen je Produkteinheit mehr Arbeitszeit. In Summe schafft das einerseits Entlastung und Raum für Familie und Engagement8, benötigt andererseits aber auch alternative Konzepte der praktischen Umsetzung. „In den arbeitsfixierten Gesellschaften des globalen Nordens leiden Familienund Gemeinschaftsleben ebenso wie das politische Engagement darunter, dass Menschen nicht genügend Muße für soziale Aktivitäten haben.“ Juliet B. Schor (2016, S. 199)

Der geringer werdende „Lohnarbeits“-Anteil kann dabei über Jahresarbeitszeit oder Lebensarbeitszeit unter den arbeitsfähigen Menschen aufgeteilt werden. Auch ein Anteil der unbezahlten und im BIP nicht erfassten Sozialarbeit (beispielsweise häusliche Pflege) kann nach unterschiedlichen Ansätzen als bezahlte Arbeit integriert werden (Randers und Maxton 2016, S. 150 f.). Flankiert werden können diese Konzepte durch ein bedingungsloses Grundeinkommen, entweder für die Bedürftigen (Randers und Maxton 2016, S. 277 ff.) oder ggf. gekoppelt an soziale Arbeit oder Anerkennung unbezahlter Arbeit sowie ein Höchsteinkommen, beispielsweise durch progressive Besteuerung, zur Vermeidung großer materieller Ungleichheit (Alexander 2016, S. 215 ff.). Der deutsche Politikwissenschaftler und Armutsforscher Christoph Butterwegge sieht ein bedingungsloses Grundeinkommen bei Aufgabe des Sozialstaates allerdings kritisch: „Das Grundeinkommen behandelt alle gleich und tut so, als gäbe es Gleichheit, die wir aber erst herstellen müssen.“ Christoph Butterwegge (Deutschlandfunk Kultur 2018)

Er präferiert eine einheitliche und solidarische Bürgerversicherung als Weiterentwicklung des deutschen Sozialsystems, in die alle Bürger*innen, nach Butterwegge „Wohnbürger“, ohne Beitragsbemessungsgrenzen einzahlen (Butterwegge 2019). Im Sinne einer Bedarfsgerechtigkeit erhalten nur die Menschen Sozialleistungen, „die es auch wegen ihrer Einkommenssituation nötig hätten“. Eine Grund- bzw. Mindestsicherungsregelung sorgt 8Im Umfeld des Autors arbeiten mehrere Menschen mit Teilzeitverträgen, um gesellschaftliches Engagement zu ermöglichen oder Freiraum für Familie und Leben zu haben. Der Autor selbst ist in (Alters-)Teilzeit (und nutzt diese, um dieses Buch zu schreiben ).

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dafür, dass es auf der Leistungsseite keine Armut, Unterversorgung und soziale Exklusion gibt (Deutschlandfunk Kultur 2018). In vielen Bereichen dieses U-Turns, dieser 180°-Wende, die mit De-Globalisierung, Subsistenz, Suffizienz, Regionalwirtschaft, Umgestaltung globaler Wertschöpfungsketten beschrieben wird, kann „unten“ angefangen werden, ohne dass „oben“ Systemänderungen bereits vollzogen sind. Die Graswurzelbewegung benötigt keine neuen Gesetze und politische Parteiprogramme und kann auch kaum „verhindert“ werden9. Kleinteilige Konzepte können einfach von kleinen Gruppen erprobt werden und Erfahrungen schaffen. Urban Gardening, Repair Cafés, solidarische Landwirtschaft und Energiegenossenschaften sind keine Zukunftsmusik mehr, sondern real gewordene Zukunftslabore und erreichen unter jungen und alten Menschen immer mehr Anhänger*innen, siehe auch Abschn. 7.4.

7.3 Welt retten III – Akteurssicht Unternehmen/Wirtschaft. „better business, better world“ In diesem Abschnitt sollen wirtschaftliche und unternehmerische Konzepte diskutiert werden, die aufgrund der Einsicht entwickelt worden sind, dass mit dem bisherigen marktradikalen Vorgehen ohne Rücksicht auf die Ressourcenendlichkeit und die Umweltgrenzen keine zukunftsfähige Entwicklung möglich ist. Der Vollständigkeit halber sollen unter dieser Überschrift auch oft hoch spezialisierte Unternehmen erwähnt werden, die ihr Geschäftsfeld in der Lösung meist einzelner Probleme der Nachhaltigkeit sehen und versuchen, diese mit technischen Mitteln oder anderen Innovationen zu lösen. Beispielhaft sind hier Entwicklungen zu nennen, die Prinzipien der Innovation, Effizienz und Substitution nutzen, wie regenerative Energien, alternative Antriebe, Technologieentwicklung für Carbon Capture and Storage – CCS, Carbon Capture and Usage – CCU und Climate Engineering, künstlicher Rückgewinnung von CO2 aus der Erdatmosphäre (Air-Capture-Verfahren).

9In

einem Workshop mit dem Improvisationstheater „Tapetenwechsel“ zu den 1. Ökosozialen Hochschultagen an der OVGU 2014 haben zwei Laienspieler angefangen, Konsum zu boykottieren und über einen fiktiven Gartenzaum Gemüse zu tauschen. Daraufhin hat ein anderer Teilnehmer als Regierungsvertreter verkündet, dass Tauschgeschäfte jeglicher Art zur Aufrechterhaltung der Marktwirtschaft ab sofort verboten wären.

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Erläuterungen und weitere Beispiele hierzu siehe Franken (2013, S. 222 ff.) und BUND und UnternehmensGrün (2002, S. 210 ff.).

7.3.1 Vom ehrbaren Kaufmann zur unternehmerischen Gesellschaftsverantwortung Als Schwerpunkt sollen hier Unternehmen betrachtet werden, die quasi integriert in ihr Unternehmensziel ein nachhaltiges Konzept verfolgen und/oder dieses als Mittel im globalen Wettbewerb sehen, um gegenüber Konkurrenten zu bestehen, sich von diesen abzusetzen oder um „sich mit einem Beitrag zur Erreichung der SDGs positiv in Szene zu setzen“, wie es Brunhilde Schram, Präsidentin des CSR Dialogforums, formuliert (Die Wirtschaft 2018). Dieses Vorgehen wird oft auch unter Green New Deal, Green Economy subsumiert und die Spanne der Umsetzung reicht zwischen Green Washing bis hin zu grünen Startups und Unternehmen, die bewusst keine Wachstumsziele in ihr Unternehmenskonzept aufgenommen haben10. „Das Quartalsdenken ist der natürliche Feind der Nachhaltigkeit.“ Stephan Fischer, Hochschule Pforzheim

Nachhaltigkeit in Unternehmen wird in Managementstrategien wie Corporate Social Responsibility (CSR – Unternehmerische Gesellschaftsverantwortung) oder Corporate Sustainability (Nachhaltigkeitsmanagement in Unternehmen) erfasst. Dieser Ansatz kann auch in Fortsetzung und Modernisierung der Tradition des „Ehrbaren Kaufmanns“ gesehen werden. „Wenn man den Begriff der Werte spiegelt, erwarten wir im Zwischenmenschlichen zum Beispiel Integrität und Ehrlichkeit, Fleiß, Anstand, Respekt, Verantwortungsbewusstsein, aber auch langfristiges Denken. Diese Tugenden kann man sehr gut auf andere Bereiche erweitern. … Sorgfältiger Umgang mit Rohstoffen, Achtsamkeit bei Verarbeitung natürlicher Ressourcen und die Fragestellung, welche Auswirkungen hat mein Handeln, müssen sich Wirtschaft und Zivilgesellschaft im verstärkten Maß stellen. Was verträgt unser Planet? Wie wollen wir ihn den künftigen Generationen hinterlassen? Der Umgang mit Ressourcen ist auch eine Frage des Verstehens. Und globale Wirtschaftstätigkeit bedeutet, die Zusammenhänge über den eigenen Horizont 10Als Beispiel kann hier das Premium Projekt genannt werden, das von einem Internet-Kollektiv nach dem Prinzip der Konsensdemokratie gesteuert wird. https://www.premium-cola.de/ Zugriff 16.04.2020.

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hinaus weltumspannend zu beobachten.“ Elisabeth Slapio, Geschäftsführerin der IHK, Köln in einem Interview zur Renaissance des ehrbaren Kaufmanns (Slapio 2019).

In Abb. 7.2 wird dargestellt, wie sich die beiden Bereiche unternehmerische Verantwortung – ausgehend vom „ehrbaren Kaufmann“ – und Nachhaltigkeit historisch entwickeln und schließlich einander angenähert haben.

7.3.2 Greenwashing oder Going Green Was ist wirklich „Going Green“ und was ist nur „Greenwashing“11? Der Journalist Marcus Franken hinterfragt, ob Unternehmen Teil der Lösung oder Teil des (Klima-)Problems sind, ob sie sich schneller wandeln als der Rest der Gesellschaft oder sich nur durch rigide Gesetzgebung zum Handeln drängen lassen (Franken 2013, S. 227). Die erfolgreichen Bemühungen deutscher Unternehmen im eigenen Lande werden beispielsweise bei der Betrachtung der gesamten Wertschöpfungskette durch Verlagerung von Produktionen nach Asien sowie den dortigen Produktionsbedingungen und hohen Wachstumsraten in der Gesamtbilanz wieder zunichte gemacht. Dem Weltklima hilft dann eine positive Klimabilanz mit engen Bilanzgrenzen nicht weiter (siehe auch Abschn. 6.2 und 6.3). Die Ausgangslage, in der sich die Wirtschaft zwischen kurzfristiger Gewinnorientierung und langfristiger Existenzsicherung derzeit befindet, wird in dem Buch „Global Impact“ von Radermacher et al. gut beschrieben: „In der derzeitigen arbeitsteiligen, globalisierten Wirtschaft werden mit der Zeit immer kleinere Wettbewerbsunterschiede immer wettbewerbsentscheidender“ (Radermacher und Obermüller 2009, S. 22). Die Wirtschaftsunternehmen optimieren systembedingt die globale Produktion „unter Ausnutzung aller Stärken und Schwächen aller Länder der Welt“. Länder geraten dabei in Konkurrenz einer „immer besseren Befriedigung der Wünsche der Wirtschaft“, um Wertschöpfung und Arbeitsplätze regional zu generieren oder zu halten. Der zunehmende Lobbyismus versucht, Partikularinteressen durchzusetzen, indem z. B. Unternehmen und Verbände Anwaltskanzleien für die Ausarbeitung nationaler Gesetze und internationaler Abkommen bezahlen. Das Vermeiden systemischer Schäden steht dabei nicht im Fokus ihrer Bemühungen (Radermacher und Obermüller 2009, S. 24). 11Zum Thema Greenwashing sei an dieser Stelle das Buch von Kathrin Hartmann „Die grüne Lüge“ (Hartmann 2018) und der Film „The Green Lie“ (Werner Boote, Kathrin Hartmann u. a.) empfohlen.

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So ergibt sich für die Unternehmen eine Art verschärftes „ökonomisches Gefangenendilemma“: Wenn sie nachhaltig agieren, um zum langfristigen Erhalt der Wirtschaftsbasis beizutragen, steht nicht nur zu befürchten, dass andere nicht mitmachen und der eigene Anteil allein nicht ausreicht. Selbst wenn die eigenen Bemühungen zum Erfolg beitragen, besteht die Gefahr, in dieser Zukunft dann aus Wettbewerbsnachteilen nicht mehr mitspielen zu können. Solange ein nachhaltiges Agieren im Markt nicht auch wirtschaftliche Vorteile im Wettbewerb bietet, liegt damit das Problem aus dieser Sichtweise nicht in einer globalisierten Wirtschaft, sondern in einer fehlenden politischen globalen Rahmensetzung für die wirtschaftliche Tätigkeit. Im Ergebnis des Global Risks Reports 2019 (Weltwirtschaftsforum 2019, S. 8) gefährden aber vorrangig Umweltrisiken die Weltwirtschaft. Nach dem Kriterium „Wahrscheinlichkeit“ fallen drei und nach dem Kriterium „Auswirkung“ vier der fünf größten Risiken auf den Umweltbereich12. Der 2020er Global Risks Report (Weltwirtschaftsforum 2020, S. 2) sieht sogar die ersten fünf wahrscheinlichsten Risiken im Umweltbereich! Hohe Umweltauflagen sind dabei für eine globale Wirtschaft kein Problem, wenn sie wettbewerbsneutral wirken und alle gleich betreffen (Radermacher und Obermüller 2009, S. 30). Mittlerweile fordert die Wirtschaft selbst immer mehr diesen politischen Rahmen, beispielsweise auf dem G-8-Gipfel 2005 in Davos. „Statt weiter eine professionelle Ausnutzung von Systemschwächen“ zuzulassen, wird eine Wende in der Wirtschaft erforderlich sein. „Gemeinwohlinteressen sind intelligenter als Partikularinteressen“ (Radermacher und Obermüller 2009, S. 21 f.), wenn eine Basis langfristiger wirtschaftlicher Tätigkeit erhalten bleiben soll. Allerdings sind auch solche euphemistischen Begriffe wie „Chancengleichheit“ und „Wettbewerbsneutralität“ kritisch zu bewerten. Die Einhaltung eines „Level Playing Field“ bedeutet, dass für alle Marktteilnehmer die gleichen Rahmenbedingungen gelten. Hierbei wird argumentiert, dass die Sicherstellung einheitlicher wettbewerblicher Rahmenbedingungen eine wesentliche Grundlage darstellt, um eine nachhaltige Wirtschaftsweise im Einklang mit der Wettbewerbsfähigkeit zu befördern. Denn im Vordergrund steht bei dieser Sichtweise der Abbau von Wettbewerbsverzerrungen, die zum

12Nach Wahrscheinlichkeit: 1) Extremwetter, 2) Scheitern der Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen, 3) Naturkatastrophen, 4) Datenbetrug oder -diebstahl, 5) Cyberangriffe. Nach Auswirkung: 1) Massenvernichtungswaffen, 2) Scheitern der Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen, 3) Naturkatastrophen, 4) Wasserknappheit, 5) Vom Menschen geschaffene Umweltkatastrophen.

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Abb. 7.2  Geschichtliche Entwicklung von CSR Corporate Social Responsibility und Nachhaltigkeit nach Schneider (2012, S. 29)

Beispiel durch Subventionen oder auch durch im Staatsbesitz befindliche Unternehmen zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen führen. Wettbewerbsbedingungen, die zu mehr Wettbewerb beitragen, umfassen dabei beispielsweise den „freien und fairen“ Handel zwischen den Vertragsparteien, weltweit offene Gütermärkte sowie die Abschaffung von speziellen Zöllen, flexible Beschäftigungsbedingungen und die Sicherstellung eines rechtlichen Umfelds für Unternehmen, welches mit den Regeln des freien Wettbewerbs vereinbar ist (Schlussbericht der Enquete-Kommission 2013, S. 75). Kritisch ist zu sehen, ob global agierende Konzerne und Kartelle sich noch in einer „freien Konkurrenz“ befinden und kleinere Wettbewerber überhaupt Chancen haben, am Spiel teilzunehmen. „Märkte gibt es tatsächlich nur im Kleinen als Nischenprodukt. Handwerker, Anwälte, Architekten oder auch Gastwirte befinden sich in einer Marktwirtschaft. Wenn es den Kunden nicht gefällt, gehen sie woanders hin. Aber die großen Konzerne agieren nicht in einer Marktwirtschaft, sondern im Kapitalismus. Das ist etwas völlig anderes.“ Ulrike Herrmann, Wirtschaftsjournalistin13

13https://www.meinbezirk.at/linz/c-wirtschaft/die-marktwirtschaft-gibt-es-nicht_a893310, Zugriff

08.05.2020.

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Die Forderungen nach Chancengleichheit in einem globalen Markt, die vor allem von der Finanzwirtschaft gefordert wird, hören sich im ersten Moment gut an. Gleiche (Wettbewerbs)Regeln für alle! Frei, offen, fair! Bei Spielern mit unterschiedlichen Voraussetzungen wäre allerdings Chancengerechtigkeit gefordert, sonst erhält man allein Freiheit für den Stärkeren!

7.3.3 Nachhaltigkeit im Unternehmen als Win–winSituation Andererseits wird Nachhaltigkeit nicht mehr nur als reine Image- und Marketingaufgabe gesehen, die meist noch mit Zusatzkosten behaftet ist, sondern wird von vielen Unternehmen auch immer stärker als Wettbewerbsfaktor (über einen Imagevorteil hinaus) mit vielen Win–win-Ansatzpunkten erkannt und in das Kerngeschäft integriert. „Die Motivation von Unternehmen, nachhaltig zu handeln, hat sich verbreitert: energiesparende Prozesse, der effiziente Umgang mit Ressourcen oder die nachhaltige Nutzung von Abfällen im industriellen Kreislauf sind längst nicht mehr nur ethisch-moralisch begründet, sondern zu einem strategischen, wirtschaftlichen, ja monetären Argument geworden.“ Klaus Töpfer in (Leuphana Universität Lüneburg und Centre for Sustainability Management 2012)

Eine Studie des Center for Sustainability Management e. V. zum Praxisstand und Fortschritt des Nachhaltigkeitsmanagements in den größten Unternehmen Deutschlands hat untersucht, aus welchen Gründen sich Unternehmen mit Nachhaltigkeit befassen (Leuphana Universität Lüneburg und Centre for Sustainability Management 2012). Danach üben NGOs und Medien den stärksten Nachhaltigkeit fördernden Einfluss aus. Als weiterer wesentlicher Grund für unternehmerisches Nachhaltigkeitsmanagement werden der Aufbau und die Sicherung von Legitimation gesehen. Hier haben Wettbewerber, Eigenkapitalgeber und Ratingagenturen den größten Einfluss. Lieferanten, Banken und Versicherungsgesellschaften werden als am wenigsten förderlich gesehen. Die steigende Bedeutung von Nachhaltigkeit in Unternehmen findet systemgemäß primär unter Win–win-Gesichtspunkten ihren Antrieb, wie Aus- und Weiterbildung, Arbeitsschutz, Energieverbrauch, und seltener aus externen Motivationen, wie zum Beispiel Erhalt der Biodiversität, globale Armutsbekämpfung und Vermeidung der Meeresverschmutzung. Nach

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einer KPMG-Studie aus dem Jahr 2017 haben im Bereich gesellschaftliche Verantwortung die Kategorien „Maßnahmen zum Klimaschutz“, „Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum“ und „Gesundheit und Wohlergehen“ die größte Priorität für Unternehmen (KPMG 2017). Nachhaltigkeitsmaßnahmen in großen Unternehmen sind nach Untersuchungen vor allem innenorientiert (defensiv und offensiv) und gesellschaftsorientiert (defensiv), untergeordnet sind offensive gesellschaftsorientierte und marktorientierte Aktivitäten, wobei marktorientierte Maßnahmen sich zwischen 2010 und 2012 sprunghaft entwickelt und etwa verdoppelt haben (Leuphana Universität Lüneburg und Centre for Sustainability Management 2012, S. 22). Einen Überblick über Aufgaben und mögliche Maßnahmen eines Nachhaltigkeitsmanagements im Unternehmen sind in der Tab.  7.2 zusammengestellt. Das Nachhaltigkeitsmanagement wird hier nicht als zu kontrollierender Endzustand gesehen, sondern als „zielorientierter Lern- und Gestaltungsprozess“, der viele kleine pragmatische Schritte erfordert und situationsspezifisch je Unternehmen entschieden werden muss (BUND und UnternehmensGrün 2002, S. 17 f.). Nach wie vor bilden für größere Unternehmen die Standards der Global Reporting Initiative (GRI, siehe auch Abschn. 6.4) das Rahmenwerk für die Berichterstattung (63 %). Integrierte Berichte (Nachhaltigkeit ist Bestandteil des Geschäftsberichtes) gelten weiterhin eher als Ausnahme, verzeichnen aber eine steigende Tendenz. Zwei Drittel der 250 größten Unternehmen weltweit (67 %) und fast die Hälfte aller analysierten Unternehmen (45 %) lassen ihre Angaben extern prüfen und bereits etwa 40 % der weltweit größten Unternehmen beziehen die Sustainable Development Goals bereits in die Berichterstattung ein (KPMG 2017). In Deutschland wie im Europaraum besteht seit 2017 Berichtspflicht für größere Unternehmen. Seit 1994 führt das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und future e. V. ein Ranking der Nachhaltigkeitsberichte großer sowie kleiner und mittelständischer Unternehmen aus ganz Deutschland durch. Zum Ranking werden für Großunternehmen und kleine und mittlere Unternehmen (KMU) eigene Kriteriensets angewendet, die neben ökologischen Aspekten der Produktion, Verantwortung in der Lieferkette oder Berücksichtigung der Interessen der Mitarbeiter*innen u. a. auch die Glaubwürdigkeit der Angaben bewerten (Institut für ökologische Wirtschaftsforschung und future e. V. – verantwortung unternehmen 2015). In der Tab. 7.3 sind die jeweils drei besten Berichte im Ranking 2018 erfasst. Die Umsetzung der SDGs ist natürlich auch aus unternehmerischer Sicht interessant. Speziell in vier großen Bereichen: Lebensmittel und

Beschaffung

Organisation (Effizienz) Produktion Administration

Personal (Engagement) Motivation Qualifikation

Flexibilisierung Entwicklung von Rationalisierung Rationalisierung Reduktion der ­Nachwuchskräften der Arbeitsder der Beschaffungsund effektiven zeit und AdministrationsProduktionskosten für Qualifikationsmaßnahmen leistungsprozesse prozesse Rohstoffe, gerechte Personal und Entlohnung Kapital ÖkoÖkologische Aufklärung/ Belohnung RessourcenRessourcenRessourcenRessourcenlogie Transparenz und ökologischen schonung durch schonender schonende schonendes Qualitätsmanagement Verhaltens papierloses ProduktionsBeschaffung und multimittels JobBüro- und Office prozess funktionales und Transport ticket u. ä. Sharing der Rohstoffe Produktund Produkte design Soziales SozialTeamentwicklung/ Work-LifeTeamorientierte Home/Part-Time Soziale AusGendertraining und Balance Office und wirkungen der ProzessEthischer Förderung von sozialem und flexible behindertengestaltung Beschaffung ZusatzEngagement monetäre/ gerechte und nutzen der nichtArbeitsplätze Faire Preise Produkte monetäre und SozialSponsoring leistungen Ökosoziales Marketing Ökosoziale Prozessoptimierung Ökosozial. Personalmanagement

ÖkoSteigerung nomie von Umsatz und Rohertrag

Markt (Effektivität) Absatz

Tab. 7.2  Nachhaltigkeitsmanagement in Unternehmen (BUND und UnternehmensGrün 2002, S. 17)

Sozialbilanz und Sozialaudit

Ökobilanz und Ökoaudit

Benchmarking und Controlling

Nachhaltigkeitsbericht:

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7  Nachhaltigkeit – Umsetzungskonzepte     111 Tab. 7.3  Die besten Nachhaltigkeitsberichte im IÖW/future-Ranking 2018a Platzierung

Klein- und mittelständische Unter- Großunternehmen nehmen KMU

1

VAUDE Nachhaltigkeitsbericht 2017 Lebensbaum Nachhaltigkeitsbericht 2016 MEMO Nachhaltigkeitsbericht 2017/2018

2 3

REWE Nachhaltigkeitsbericht 2017 BMW Sustainable Value Report 2017 Deutsche Telekom Corporate Responsibility Bericht 2017

ahttps://www.ranking-nachhaltigkeitsberichte.de/die-besten-berichte.html, 24.04.2020

Zugriff:

­andwirtschaft, Städte, Energie und Werkstoffe sowie Gesundheit und L Wohlergehen wird ein großes Marktpotenzial erwartet. „Achieving the Global Goals creates at least US$12 trillion in opportunities.” (Business and Sustainable Development Commission 2017, S. 12)

Unternehmen, die dieses Marktpotenzial voll ausschöpfen wollen, sollten sich rechtzeitig positionieren und ökologisch und gesellschaftlich nachhaltig präsentieren. Dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass „First Mover auch das größte Stück vom Kuchen erhalten werden. Die Rettung der Welt sollte sich also auch wirtschaftlich lohnen“ (Die Wirtschaft 2018). Der britische Ökonom Maxton sieht Wohltätigkeit (Charity-Aktivitäten) und CSR allerdings eher kritisch und betitelt diese Aktivitäten kategorisch als „Blendwerk“ (Maxton 2018, S. 107 f.). Das boomende Geschäft der CharityOrganisationen vor allem in Großbritannien mit Steigerungsraten von 78 % innerhalb von 10 Jahren (auf 2016 bezogen) und in den USA sieht Maxton als Ersatz für eine gute Gesellschaft und ein Beispiel für Kommerzialisierung. „Sie sind ein Ersatz für eine gute Gesellschaft und behindern mit ihrer wachsenden Anzahl immer mehr die eigentlich benötigten strukturellen Veränderungen.“ Graeme Maxton (2018, S. 109).

Damit wird das Nachhaltigkeitskonzept verwässert und zum „Marketingtool“ degradiert. Der Soziologe Niklas Luhmann sieht CSR als „eine Art Blitzableiter, der den Zorn am Hause vorbei in den Boden leitet, ohne viel Schaden anzurichten“. Immerhin diene diese „Trivialmoral“ aber der Erhaltung eines Problembewusstseins und sei insoweit nicht ganz unnütz (Bruton 2016).

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7.4 Welt retten IV – Akteurssicht ICH. „Wir fangen schon mal an!“ zivilgesellschaftliche Ansätze „Die Kultur des ALLES IMMER verbraucht die Zukunft derjenigen, die das Pech haben, später geboren zu sein als Sie.“ „Ich selbst bin das Problem, das gelöst werden muss, wenn unsere Welt zukunftsfähig werden soll.“ Harald Welzer (2013, S. 53, 65)

Damit überträgt sich die Verantwortung für Wirkungen, die jeder Einzelne durch sein Handeln auf unserem Planeten verursacht, (nicht nur, aber auch) auf uns selbst ganz persönlich. „I always wondered why somebody doesn’t do something about that. Then I realized I was somebody.“ Lily Tomlin

Wir müssen nicht abwarten, bis notwendige Maßnahmen vom Gesetzgeber angeordnet und politische Entscheidungen von unseren Regierungen getroffen worden sind. Jeder Einzelne kann durch sein alltägliches Tun selbst Verantwortung übernehmen. In welchen Lebensbereichen welcher Impact verursacht wird, kann leicht an den bereits beschriebenen Footprints ermittelt werden.

7.4.1 Veränderungen zwischen Werten, Wissen, Wollen und aktiv Wandeln Allerdings stellen die gegenwärtigen existenziellen Probleme der Klimakrise eine völlig neue Situation für die Menschheit dar. Die erforderlichen drastischen Änderungen (beispielsweise die Energie- und Verkehrswende) umfassen Dimensionen, die es in dem Umfang bisher noch nicht gab. Historische Erfahrungen sind schwierig zu nutzen oder in Nutzbares zu übersetzen. Praktische Erfahrungen sind nicht vorhanden oder werden gerade erst im „Labormaßstab“ gemacht. „Mehr Nachhaltigkeit im Klimaschutz scheitert bisher weniger am Wissen als vielmehr an überkommenen Vorstellungen von Normalität, an Gewohnheiten, Bequemlichkeit, Verdrängung und emotionalen Schwierigkeiten mit hochkomplexen und multikausalen Schädigungszusammenhängen.“ Felix Ekardt (2017, S. 11)

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Auch wenn immer noch Menschen den Klimawandel insgesamt oder die menschgemachte Verschärfung der Klimakrise leugnen, mittlerweile kann niemand mehr behaupten, nicht ausreichend informiert zu sein oder wenigstens die Chance dazu zu haben. Warum aber ist die Kluft zwischen Wissen und Handeln14 scheinbar so schwer überwindbar? Die im Zitat von Ekardt genannten Hürden bilden gleichzeitig auch die Ansatzpunkte für mögliche Veränderungen, die aber als fortlaufende und Zeit benötigende Prozesse verstanden werden müssen und vorteilhaft durch politische Maßnahmen unterstützt (oder aber behindert) werden können. Mögliche Ansatzpunkte dafür, wie persönliche und damit auch gesellschaftliche Veränderungen determiniert sind und schließlich auch gelingen können, sind in Ekardt (2017) beschrieben. Neben dem Wissen in Verbindung mit besseren Informationsangeboten und Forschungsunterstützung werden u. a. ein erforderlicher Wertewandel und eine Änderung der Normalitätsvorstellungen und der Eigennutzenkalküle als „Baustellen“ beschrieben. Unter Werten werden hier gesellschaftliche oder kulturelle Werte verstanden: „etwas soziokulturell Gewordenes, das unabhängig von einzelnen Individuen existiert“ (WBGU 2011, S. 72). Bei einem Wertewandel geht es nicht um Schwarz-Weiß-Entscheidungen (Haben oder Sein), sondern um Schwerpunktverschiebungen zwischen dem materiellen Bedürfnisbefriedigungsstreben, welches oft deutlich über die Befriedigung der Grundbedürfnisse (siehe Maslow) hinausgeht, und den postmateriellen Bedürfnissen, wie der Selbstverwirklichung, das Ausleben geistiger, schöpferischer und ästhetischer Bedürfnisse, Partizipationsmöglichkeiten in Staat und Gesellschaft, die Wertschätzung von Meinungsfreiheit und Toleranz (WBGU 2011, S. 73). „Die Werte der Wirtschaft widersprechen den Werten des Lebens und der Gemeinschaft. Der Vorrang für das Finanzkapital zerstört das ökologische und Sozialkapital – und die Menschenwürde.“ Cristian Felber (2008, S. 10).

Im globalen Norden (nach Fromm „im Westen“) wird versucht, die innere Leere durch Besitz(zwang), „Habenwollen“15, durch zwanghaftes Konsumieren auszugleichen, was Fromm als ein Symptom der „Pathologie 14Ein Phänomen der sogenannten „kognitiven Dissonanz“: Menschen handeln entgegen ihrem eigenen Wissen und ihren eigenen Überzeugungen. 15Siehe hierzu auch Buch von Wolfgang Ullrich: „Habenwollen: Wie funktioniert Konsumkultur? 2008.

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der Normalität“ (Fromm 2005), als allgemeine Krankheit bezeichnet, die nur nicht als solche empfunden wird, da ja alle an der gleichen Krankheit leiden: „Wenn Haben die Basis meines Identitätsgefühls ist, weil „ich bin, was ich habe“, dann muss der Besitzwunsch zum Verlangen führen, viel, mehr, am meisten zu haben.“ Erich Fromm (1976, S. 139)

Allerdings stellen Wissenschaftler*innen (z. B. Ronald Inglehart) in den letzten 25 Jahren gerade in wohlhabenden und „sicheren“ Gesellschaften im Zusammenhang mit einem zunehmenden Sättigungsgrad des materiellen Wohlstandes eine globale Schwerpunktverschiebung zu postmateriellen Werthaltungen fest (Ausweitung von Wahlmöglichkeiten und individueller Handlungsautonomie; WBGU 2011, S. 73). Normalitätsvorstellungen bewegen sich eher im un- oder halbbewussten mentalen Bereich und weisen (wie Werte) ein hohes Beharrungsvermögen auf. Sollen Normalitäten verändert werden, ist ein erster Schritt, bisherige Gewohnheiten zu hinterfragen und dann die sich dabei ergebenden, oft verblüffend einfachen und sinnvollen Möglichkeiten experimentell durch alternative Lebenspraktiken auszuprobieren (siehe persönliches Beispiel Radfahren, Abschn. 5.2). Um hier erfolgreich zu sein, ist es hilfreich, sich Verbündete zu suchen, um sich gegenseitig Vorbild zu sein, gemeinschaftlich anzupacken und sich darüber auszutauschen. Das ist besonders wichtig, da „das Aufbauen neuer Normalitätsvorstellungen auf eine Aufkündigung der Konformität mit dem bisherigen Umfeld hinausläuft“ (Ekardt 2017, S. 114 f.). Wer schon einmal an einer Critical Mass16 teilgenommen hat, kann sich z. B. gut vorstellen, dass Fahrräder auf vielen innerstädtischen Straßen Normalität sein könnten und nicht an den Straßenrand gedrängt werden müssen. Bei Eigennutzenkalkülen wäre zur Veränderung in der individuellen Anschauung ein Mittelweg zu finden zwischen geburtsbedingtem Eigennutz (wirtschaftsliberal, Thomas Hobbes) und gesellschaftlich verursachtem und damit sozial beeinflussbarem Eigennutz (antiautoritär-bildungsoptimistisch, Jean-Jacques Rousseau; Ekardt 2017, S. 119). Dabei verfolgt der Eigennutzen nicht nur die oft im Vordergrund stehenden wirtschaftlichen Interessen, wobei alternative Nutzensanschauungen u. a. durch Wertewandel 16Critical mass (zu deutsch ‚kritische Masse‘), Aktionen in vielen Städten der Welt, bei der sich Radfahrer*innen scheinbar zufällig und unorganisiert treffen, um mit gemeinsamen Fahrten durch die Innenstädte auf ihre Rechte als Verkehrsteilnehmer*innen aufmerksam zu machen.

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und Änderung der Normalitätsvorstellungen gestärkt werden können. Auch hier hilft die persönliche Reflexion zu entscheiden, was als Eigennutzen gesehen wird und wie wichtig etwas ist (siehe Wertediskussion). An dieser Stelle sind auch wieder Informationen und Bildung gefragt, um zu verstehen und speziell jungen Menschen zu verdeutlichen, dass auch das Angehen langfristiger Ziele (z. B. Klimawandel) und weit entfernter Probleme (z. B. intragenerationelle Gerechtigkeit, Armut) den persönlichen Eigennutzen unterstützen kann (Ekardt 2017, S. 120). Die traditionellen und neoliberalen Wirtschaftswissenschaften versuchen spieltheoretisch nachzuweisen, dass der Mensch (vorrangig) als Homo Oeconomicus handelt, als absolut zweckrational handelnder Akteur und Nutzenmaximierer. Hauptmerkmale seines „zweckrationalen“ Handelns sind vollkommene Information über die Bedingungen, Möglichkeiten und Folgen des Handelns (Besitz und Nutzung) und Maximierung eigenen Nutzens bei Minimierung des Aufwands als Ziel (Minimax-Prinzip/Ökonomisches Prinzip; Klages 2016). „Der Unterschied zwischen Physikern und Wirtschaftswissenschaftlern besteht darin, dass die ersteren ihre Postulate überprüfen, wenn die Theorien nicht mit der Realität übereinstimmen, wohingegen die letzteren sich bemühen, durch Machtausübung die Realität ihren theoretischen Voraussagen anzupassen.“ Jaques Neirynck (1997, S. 279)

Im Gegensatz dazu vertreten viele Wissenschaftler die Ansicht, dass der Homo Oeconomicus, die Fähigkeit zu rationalem Verhalten, zwar „eine existenzgewährleistende `Sekundärtugend` moderner Menschen ist“ (Klages 2016), im Vordergrund aber soziale und intrinsische Motivationen, das Streben nach Zuwendung und Wertschätzung sowie Gemeinsamkeit und Kooperation stehen (Bauer 2008). Ein gelungenes Miteinander wird nach dem Arzt und Psychotherapeuten Joachim Bauer (Bauer 2008) durch „Ausschüttung von Botenstoffen belohnt, die gute Gefühle und Gesundheit erzeugen“. „Der Mensch ist nicht für gesellschaftliche ´Modelle´ gemacht, in denen Kampf und Auslese vorherrschen.“ Joachim Bauer (2008, S. 204)

Nach dem Historiker und Journalisten Rutger Bregman ist ein negatives Menschenbild Bestandteil von Ideologie und wird vor allem von jenen gepflegt, die die Macht ausüben, um die Notwendigkeit von Staat und Führung aufrechtzuerhalten. Ein neues positives Menschenbild würde auch

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die Gesellschaft positiv transformieren (hr2 2020). Hier kann an die Parabel unter Abschn. 7.1.1 erinnert werden: „Es gewinnt immer der Wolf, den du fütterst.“ Ekardt sieht Kooperation kritischer und bezeichnet sie als Gruppenegoismus, der bei der Lösung globaler Probleme versagt (Ekardt 2017, Kap. 20). Der Kollektivgutcharakter von nachhaltigen Problemstellungen verlangt nach Ekardt „politisch-rechtliche und damit für alle geltende Regeln“, um dem Handeln des Einzelnen Motivation und Legitimation zu geben. Für politische Veränderungen brauchen Politiker wiederum demokratische Legitimation, die nicht nur alle vier Jahre durch Wahlen hergestellt wird, sondern auch durch gesellschaftlichen Druck (z. B. über die Fridays for Future Bewegung), durch einen Diskurs in der Zivilgesellschaft, also von jedem Einzelnen, auch vom verehrten Leser, von der verehrten Leserin. Neben dem bereits erwähnten Footprint kann damit jeder auch positiv durch seinen „Handprint“ zur Veränderung beitragen. Wie aber kann ein Wertewandel vollzogen werden, wie können sich Normalitätsvorstellungen ändern?

7.4.2 Selbstreflexion, -verständnis und SDG 18 In einem Hafen wird ein Fischer durch das Klicken des Fotoapparates eines Touristen geweckt. Der Tourist fragt den Fischer, warum er denn nicht draußen auf dem Meer sei und fische. Heute sei doch so ein toller Tag, um einen guten Fang zu machen, es gebe draußen viele Fische. Der Fischer antwortet, er sei schon draußen gewesen und habe für die nächsten Tage genug gefangen. Der Tourist entgegnet, dass der Fischer noch zwei-, dreioder gar viermal hinausfahren und dann ein kleines Unternehmen aufbauen könnte, danach ein größeres Unternehmen und dieses Wachstum schließlich immer weiter steigern könnte, bis er sogar das Ausland mit seinem Fisch beliefern würde. Danach hätte der Fischer dann genug verdient, um einfach am Hafen sitzen und sich ruhig entspannen zu können. Der Fischer entgegnet gelassen, am Hafen sitzen und sich entspannen könne er doch jetzt schon. (verkürzt nach: Heinrich Böll: Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral; Sendung des Norddeutschen Rundfunks zum „Tag der Arbeit“ am 1. Mai 1963)

Wenn auch die Anekdote als naiv angesehen werden kann, stellt sich parabelhaft damit vorrangig die Frage nach den wichtigen Dingen im Leben. So normal sich die Ansicht des Touristen darstellt, so überraschend ist schließlich auch die Sicht des Fischers. Über das story telling wird angeregt,

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Vorhandenes, Normales, alltäglich Praktiziertes und Erprobtes auf Sinnhaftigkeit, auf individuelle Bedeutung zu hinterfragen (siehe oben, z. B. Wertediskussion), wobei die Antworten damit natürlich auch in breiter Varianz ausfallen können. Die Vielfalt unterschiedlicher Entwürfe (siehe Beispiele in Jensen 2011 und Welzer 2014) ist gerade für das Erkunden und Betreten von Neuland immens wichtig, denn nicht jeder Entwurf kann automatisch zum Ziel führen und Scheitern ist im Prinzip der Suche inbegriffen. Zum klassischen Trial-and-Error-Prinzip erzählt der britische Ökonom und Journalist Tim Harford die Geschichte von Peter Palchinsky, einem russischen Ingenieur und Manager, der wegen der schonungslosen Kritik an Stalins gigantischen Prestige-Bauprojekten in Ungnade gefallen ist (Harford 2012). Palchinsky entwickelte drei Prinzipien für die Planung von Projekten: 1. Entwickle immerzu Ideen und verfolge neue Ansätze. 2. Wenn Du etwas Neues probierst, dann tue es in einer Größenordnung, in der ein Scheitern zu verschmerzen ist. 3. Fordere Rückmeldungen ein und lerne aus Deinen Fehlern. Um mit Welzer zu sprechen, ist dazu „Selbst Denken!“ unerlässlich (Welzer 2013). Oft aus der Unlust resultierend, sich den Konsumismus der Zuvielisation diktieren zu lassen und auf der Suche nach eigenen Werten, nach einem selbstbestimmten Leben wird Neues ausprobiert oder Altbewährtes auf Eignung überprüft und für die eigenen Ansprüche modifiziert (Beispiel Urban Gardening). Da ein Alleingang gegen die Kultur des „AllesImmer“ schwierig ist, finden sich Gleichgesinnte in „Resilienzgrüppchen der Avantgarde“ (Welzer 2013) zusammen und proben dort bereits heute ein anderes Leben für morgen: „Wir fangen schon mal an“. Social Media macht es hier einfach, darüber zu kommunizieren, sich zu vernetzen und Bündnispartner zu suchen. Suffizienzstrategien sind oft die Basis, die Degrowth-Bewegung mit einer Gemeinwohl-Ökonomie oder einer Solidarischen Ökonomie und die Postwachstumsökonomie sind „Seelenverwandte“ dieser Bewegung. Transition Town, RepairCafé u. a. sind Reallabore für den Test alternativer Lebensund Gesellschaftsentwürfe und liefern die Blaupausen für Nachahmer und für Weiterentwicklungen (z. B. die Genossenschaft und Lebensgemeinschaft vitopia eG in Magdeburg). Welche Einstellungen, welche Sichten müssen sich prinzipiell ändern, damit Nachhaltigkeit gelingen kann? Aktuell stellt sich zumindest der globale Norden hoch technisiert dar und sich dabei tendenziell eher von

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der Natur entfernend. Siehe hierzu den Ansatz der schwachen Nachhaltigkeit (Ersatz von Naturkapital ist möglich) bis hin zu Ideen der radikalen Technisierung des Menschen (flexible Anpassung des „Mängelwesens Mensch“ an die Marktanforderungen durch technische Mittel, Gentechnik, mit Chip ausgestattete Transhumaniden). „Das Natürliche sei keineswegs automatisch das Gute. Der einzige Maßstab des Handelns seien vielmehr die Lebensqualität und der Mensch als Selbstzweck.“ nach Klaus Mainzer in Ropers (2014)

Kann man diesem Zitat beruhigt folgen oder benötigt der Mensch für das Leben in und mit der Natur mehr Demut und muss sich von seinem Übermut verabschieden? Können wir alle individuellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ziele und Wünsche unter nur zwei Fragestellungen zu erfüllen versuchen: Was ist technisch möglich? Und wie viel Geld kostet es? Und wenn „Natur“ knapp wird, versuchen wir sie „einzupreisen“ und marktwirtschaftlich optimal zu nutzen. War da noch was? Ach ja, Menschenrechte und Moral! Dafür gibt es Kommissionen sowie Fair Tradeund Tierwohl-Label. „Eine der großen Aufgaben besteht darin, die Trennung von Natur und Mensch aufzuheben.“ Alberto Acosta (2017, S. 36)

Auch bei den 17 Sustainable Development Goals (SDGs) sehen wir selbst „von außen auf das System“, sind Analytiker, setzen Ziele, managen bestenfalls Transformationen, beobachten Entwicklungen und kontrollieren die Zielerreichung. Was fehlt und was aus Sicht des Autors dringend notwendig ist, ist ein 18. – ein eigenes, ganz persönliches – Nachhaltigkeitsziel, gern auch mit höchst individueller Ausprägung. Die Story, die bei dem Autor zur Entstehung der Idee eines 18. SDGs geführt hat, lässt sich durch drei fast gleichzeitige Anlässe beschreiben: Die Signatur des Deckblatts des Indikatorenberichtes auf der Tagung des Nachhaltigkeitsrates 2018 (siehe Abb. 7.3), um sich einen Sitzplatz für die Rede von Frau Merkel zu reservieren. Der mehrfach zitierte Vortrag von Thomas Bruhn, IASS (2018b), zu den 5. Ökosozialen Hochschultagen „180° - It´s UrTurn“ zu dem Thema Nachhaltigkeit und Achtsamkeit (inkl. Meditations-

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Abb. 7.3  Die Idee: 17 + 1 = 18 SDG’s. Wir brauchen ein persönliches Nachhaltigkeitsziel! Jede Leserin, jeder Leser kann sich ein eigenes Symbol für sein persönliches SDG aussuchen

Flashmob vor der Mensa). Und ein Vortrag von Alberto Acosta zur Philosophie des „Buen Vivir“17 mit Konzert der Grupo Sal in Magdeburg. Dazu muss jeder bei sich selbst anfangen, Eigenverantwortlichkeit im doppelten Sinne wahrnehmen und sich dabei selbst als Teil der Natur, des Systems sehen. „Die dichotome Trennung zwischen Mensch und Natur muss in Frage gestellt werden. Der Mensch ist integraler Bestandteil des vernetzten Systems. Wir können nicht über die Transformation des Systems sprechen, als ob das System irgendwo wäre – Wir sind das System.“ Thomas Bruhn (2018b)

Aus unserem Standpunkt, entweder „über“ oder „inmitten“ der Natur (siehe Abb. 7.4), resultiert auch unser Umgang mit dem Ökosystem und der

17„Buen Vivir“ – das gute Leben – ist aus Sicht der indigenen Bevölkerung des Andenraumes ein gemeinschaftliches Leben im Einklang mit und nicht auf Kosten der Natur und anderer Menschen.

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Abb.  7.4  Die unterschiedlichen Sichtweisen von EGO und ECO

Respekt, den wir ihm entgegenbringen. Bereits einfache Modelle aus Systems Dynamics (Wolfschaf Predation) zeigen, dass Dominanz eines einzelnen Mitgliedes eines Biotops, zum Zusammenbruch der Nahrungskette führt. Die Vielfalt der Natur – beispielsweise Insekten oder Regenwald – kann nicht beliebig reduziert werden, irgendwann bricht das System zusammen. „Sieh dich um, und du wirst Geschöpfe sehen, die sich verhalten, als gehöre die Welt ihnen, und andere, die sich verhalten, als gehörten sie zur Welt dazu.“ Der Gorilla Ismael im gleichnamigen Roman von Daniel Quinn (1994, S. 235).

Wir sind nicht die „Krone der Schöpfung“, als abschließenden Akt der Genesis widmete Gott den letzten Tag der Ruhe und Besinnung. „Humans are not the crown of creation. On the 7th day there was inaction. There was being and letting be.“ Jürgen Manemann, Theologe, in Bruhn (2018b)

Fromm nennt den Sabbat die wichtigste Idee der Bibel und „die einzige strikte religiöse Anweisung der 10 Gebote“ (Fromm 1976, S. 68). Im Alten Testament war der Sabbat der Tag der Ruhe „im Sinne der Wiederherstellung vollständiger Harmonie zwischen den Menschen und zwischen

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Mensch und Natur. Nichts darf zerstört und nichts aufgebaut werden“ (Fromm 1976, S. 69). Ein Mittel, sich seiner selbst besser bewusst zu werden, zu hinterfragen, welche Werte für einen selbst ganz persönlich wichtig sind, ist Achtsamkeit. Ergebnisse aus der Hirnforschung zeigen, dass Meditation die Wahrnehmungsfähigkeit und das Konzentrationsvermögen steigert. Eine „regelmäßige Achtsamkeitsmeditation führt so zu bewussterem Erleben und Bewerten“ und unterstützt damit den für Nachhaltigkeit erforderlichen und wichtigen kulturellen Wandel (Bruhns, IASS Blog). „Wenn Sie erkennen, wer Sie sind, zu sich kommen und Ihre innere Mitte finden, können Sie beginnen, selbstbestimmter zu leben und Diskrepanzen zwischen Ihrem Wollen und tatsächlichem Tun zu reduzieren.“ Ulrich Ott (2011)

Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Forschungsverbundprojekt BiNKA – Bildung für nachhaltigen Konsum durch Achtsamkeitstraining hat Zusammenhänge zwischen Achtsamkeit und Konsumverhalten untersucht. Im Verlauf des Projektes war die direkte Wirkung auf ein nachhaltiges Konsumverhalten kurzfristig eher gering zu bewerten (es gab leider bisher keine Erfassung langfristiger Wirkungen). Neben einem allgemein gesteigerten Wohlbefinden waren in der qualitativen Studie allerdings eine „gesteigerte Wertschätzung für Produkte und eine vertiefte Problemwahrnehmung, ein gesteigertes Gewahrsein der eigenen Bedürfnisse, eine Klärung vorhandener Werte und deren Entfernung von materiellen Besitztümern“ festzustellen. Damit wurde eine Möglichkeit gesehen, nicht-nachhaltige Verhaltensmuster zu durchbrechen und einen Weg zu finden, der ein gesteigertes Wohlbefinden schafft und dieses vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln versteht (BiNKA 2018). Während die Zeit immer knapper wird und viele der hier beschriebenen Aspekte auch bereits seit Langem bekannt sind, „konzentriert sich der Nachhaltigkeits- und Klimadiskurs auf Effizienz und Ökoeffizienzbestrebungen, während das Thema Suffizienz immer wieder in den Hintergrund gedrängt wird“ (Bruhn 2018a). „Trauen wir uns doch an die schmerzhaften Fragen heran, die die eigentlichen Ursachen in den Blick nehmen! Was ist das gute Leben? Was brauchen wir wirklich und welche Werte sind uns wichtig? Und wie gelingt es uns, endlich gemäß unserer tieferen Erkenntnisse und Überzeugungen zu leben, um den Lebens- und Zivilisationsraum Erde zu erhalten?“ Thomas Bruhns (2008)

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7.5 Welt retten V – Kompensation, Offsetting, Zeit gewinnen Radermacher stellt mit seinem Buch „Der Milliarden-Joker“ (Radermacher 2018), das vorrangig diesem Kapitel zugrunde liegt, eine Möglichkeit vor, über freiwillige Kompensation von CO2-Emissionen kurzfristig Klimaentlastung zu schaffen und damit Zeit für weitere, erforderliche mittel- und langfristige Maßnahmen zu gewinnen.

7.5.1 Klimakrise und Zeitnotstand Die Erwartungen an die Regierungen unserer Erde, Nachhaltigkeitsprobleme (Klimakrise, Ungerechtigkeit, …) durch ein weltweites gemeinsames politisches Vorgehen zu lösen, sind nach Radermacher überzogen und haben sich leider auch als unrealistisch erwiesen. Die politische Leistungsfähigkeit, die sich im Pariser Klimaabkommen manifestiert, ist nicht ausreichend, den Temperaturanstieg durch die Klimakrise unter 2 Grad oder gar darunter in Richtung 1,5 Grad zu bringen. Die bisherigen freiwilligen, staatlichen Zusagen zur CO2-Reduzierung (Nationally Determined Contributions – NDC) zum Pariser Klimavertrag reichen ggf. aus, die Erderwärmung auf etwa 3 Grad in Bezug auf das vorindustrielle Zeitalter zu begrenzen und müssten bereits dafür nachgebessert in Abb. 7.5). Zudem ist die Umsetzung höchst unsicher, werden (Kurve da es keine Sanktionen bei Nichteinhaltung gibt und die USA mit Wirksamkeit im Jahr 2020 aus dem Vertrag austeigen werden. „Die selbstgesetzten Ziele der Staaten bringen uns insgesamt zu 3 Grad Erwärmung. Dieser Weg führt in die Katastrophe und entspricht nicht den Zielen des Pariser Abkommens.“ Stefan Rahmstorf

Bereits diese notwendigen Veränderungen sind aber nicht kurzfristig durch Vermeidung und Verminderung von Emissionen ohne wirtschaftliche Konflikte vor allem in den entwickelten Industriestaaten umzusetzen. Was benötigt wird, ist Zeit, um politische Einigungen umzusetzen, die Wirtschaft auf klima“freundlich“ umzubauen, Innovationen zur technischen Sequestrierung und Emissionsminderung, z.  B. die Methanolstrategie (Radermacher 2018, S. 86 f.), großtechnisch einsetzbar zu machen und der Entwicklung von suffizienten Lebensstilen Raum zu geben. Und dieser Zeit-

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Abb. 7.5  Anteile und Verläufe der Klimaentwicklung (Radermacher 2018, S. 50)

korridor für Änderungen der Wirtschaft, der Lebensstile, für Innovationen der Energieversorgung, für die Entwicklung synthetischer Kraftstoffe muss kurzfristig – also jetzt – geschaffen werden!!! in Abb. 7.5) und die Um das 2-Grad-Ziel zu erreichen (Kurve sogenannte „Paris-Lücke“ zu schließen, werden Reduktionen in Höhe von weiteren ca. 500 Mrd. t CO2 benötigt, wovon etwa die Hälfte über biologische Sequestrierung, die andere Hälfte über Vermeidungs- und Verin Abb. 7.5) zu erreichen sind. Beide minderungsstrategien (Kurve Bereiche können kurzfristig angegangen werden und zur Entlastung der Klimakrise führen, wenn das zur Umsetzung erforderliche Geld zur Verfügung gestellt wird (z. B. im Rahmen des „Milliarden-Joker-Programms“ durch freiwillige „verlorene“ Investitionen).

7.5.2 Vermeidungs- und Verminderungsstrategien Moderne Technologien, vor allem Innovationen im Energie- und Gebäudesektor, können zur Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Umweltzerstörung, zur Vermeidung von CO2-Emissionen beitragen. Den größten Effekt werden diese Innovationen nicht dort erzielen, wo das technische

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Level bereits weit ausgereizt ist, sondern dort, wo die Potenziale für Verbesserungen unter Einsatz geringer Mittel noch am größten sind, wo vorhandene Mittel effizient eingesetzt werden können: in den Entwicklungsländern. Gute Beispiele hierfür sind Klimaschutzprojekte in Afrika, Asien und Lateinamerika, die fossile Energieumwandlung durch regenerative Energieversorgungssysteme ersetzen: Bereitstellung effizienter Kochstellen, dezentrale Stromgewinnung aus Wind- und Wasserkraft oder Solarenergie, Kochen mit Biogas aus landwirtschaftlichen Abfällen, Förderung der Umweltbildung u. a. Genau wie bei der Entstehung und der Verursachung der Umweltprobleme ist auch bei der Lösung global zu denken. Kompensationszahlungen für (noch) nicht vermeidbare CO2-Emissionen können über Co-Benefits gleichzeitig soziale Probleme der Verteilungsgerechtigkeit lösen helfen und zum Technologietransfer beitragen, wenn es gelingt, Maßnahmen möglichst korruptions- und verschleißarm, d. h. mit geringen Transaktionsverlusten, in den Staaten des globalen Südens umzusetzen. Dazu sollten die Projekte durch unabhängige PrüferInnen validiert und auf Zusätzlichkeit und Einsparungsmenge geprüft werden18. Als strengster verfügbarer Standard gilt der CDM Gold Standard. Durch den „Clean Development Mechanism“, kurz CDM, werden Einsparungen von CO2Emissionen durch Projekte in Entwicklungs- und Schwellenländern international anerkannt (nach Kyoto-Protokoll) und unterstützen dort eine klimafreundliche Entwicklung (Atmosfair 2019). Eine weitere Möglichkeit ist die Stilllegung von CO2-Zertifikaten aus dem europäischen Emissionshandelssystem (European Union Emissions Trading System, EU ETS). Wenn Zertifikate gekauft und nicht genutzt (stillgelegt) werden, unterschreitet man damit den politisch gesteuerten „Cap“, reduziert die Anzahl auf dem Markt, die Zertifikate werden teurer, erhöhen den Marktdruck im „Trade“ und damit die Anreize, CO2 einzusparen.

7.5.3 Negativemissionen Während technische Sequestrierungsverfahren eingesetzt werden, um CO2-Emissionen z. B. bei fossilen Verbrennungsprozessen aufzufangen

18Es werden nur Emissionen als Differenz zwischen Emissionen, die mit Projekt entstehen, und den Emissionen, die ohne Projekte angefallen wären („baseline“), angerechnet.

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und eine Freisetzung in die Atmosphäre zu verhindern, können durch biologische Sequestrierung vorhandene CO2-Mengen der Atmosphäre entzogen und gebunden werden. Die bekanntesten technischen Sequestrierungsverfahren sind CO2-Abtrennung und Speicherung (Carbon dioxide Capture and Storage – CCS) und CO2-Abtrennung und -Nutzung (Carbon Capture and Recycling – CCR, auch Carbon Capture and Usage). Trotz intensiver Forschung wird weiterer erheblicher Forschungsbedarf zum technischem Prozess und zur sicheren Speicherung von CO2 gesehen und CCS gegebenenfalls als Brückentechnologie empfohlen (Fischedick et al. 2006, S. 87)19. Carbon Capture and Recycling Verfahren versuchen, das abgetrennte CO2 als Rohstoff nutzbar zu machen. Beispielsweise über die Power-toX-Technologie: Wasserstoff aus der Speicherung regenerativer Energie wird katalytisch mit CO2 zu flüssigen Treibstoffen (Methanol) umgesetzt (Radermacher 2018, S. 87, 264; Wodopia 2015). Bisher fehlen aber auch für diese Technologien die Anwendungsreife und die Möglichkeit zu einer großtechnischen Umsetzung. Biologische Sequestrierungsverfahren gelten weiterhin als deutlich wirtschaftlicher und weisen zudem meist zusätzliche Vorteile auf, z. B. für die Verbesserung der Biodiversität. Eine wesentliche biologische Sequestrierungsmaßnahme ist das Pflanzen von Bäumen (und anderen Gehölzen). Eine Buche kann z. B. nach den ersten Jahren durch ihr Wachstum 12,5 kg CO2 pro Jahr binden20. Auch hier kann dieses viel preiswerter in den Entwicklungsländern umgesetzt werden, schafft gleichzeitig über zusätzliche Arbeitsplätze Win–win-Situationen und unterstützt eine nachhaltige, klimafreundliche Entwicklung in Nicht-Industriestaaten (siehe hier die Kinder- und Jugendinitiative Plant-for-the-Planet). Wird die Aufforstung von degradierten Flächen am Rande der tropischen Regenwälder betrieben, kann dadurch zusätzlich das Austrocknen verhindert und das bedrohte Mikroklima der Regenwälder erhalten werden (einer der Kipppunkte nach Abschn. 2.2.3). Zu dieser Maßnahme zählen auch die Verhinderung von Rodung und ein bezahlter Schutz von Regenwäldern (Radermacher 2018, S. 311).

19CSS ist zwar in den Szenarien des IPCC erfasst, spielt aber wegen mangelnder technischer Reife und den bisher hohen Kosten eine untergeordnete Rolle in Klimaschutzstrategien. 20https://www.co2online.de/service/klima-orakel/beitrag/wie-viele-baeume-braucht-es-um-eine-tonneco2-zu-binden-10658/ Zugriff: 20.04.2020.

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Weitere Maßnahmen sind die Humusbildung durch ökologische Landwirtschaft (siehe Abschn. 2.3.5), der Erhalt und die Förderung von Mooren und Feuchtbiotopen, die Renaturierung degradierter Böden unter Einsatz von Bio-Kohle21 sowie ein Methanmanagement beim Reisanbau (Radermacher 2018, S. 151). Als weitere Möglichkeit nennt Radermacher die Entschädigung für die Nichtförderung fossiler Brennstoffe, wie das der Präsident von Ecuador, Rafael Correa, 2007 den Industriestaaten leider erfolglos angeboten hat. Mit der Begründung „Ich bezahle doch nicht dafür, dass etwas nicht passiert!“ wurde es vom damaligen deutschen Entwicklungsminister abgelehnt, der wahrscheinlich noch nie für eine Versicherung gezahlt hat (Radermacher 2018, S. 111).

7.5.4 Das Verursacherprinzip – die Top-Emitters Wie eingangs in diesem Abschnitt beschrieben, kann die Politik allein die Reduzierung der Erderwärmung auf ein hoffentlich verträgliches Maß nicht leisten. Erforderlich sind nach Radermacher finanzielle Mittel, die als „verlorene Beiträge“ für kurzfristige Kompensationsmaßnahmen einzusetzen sind. Hier drängt sich das Argument des Verursacherprinzips auf: Diejenigen, die die Hauptschuld an der Klimaerwärmung und an den CO2-Emissionen tragen, sollten auch den Hauptanteil zur Problembewältigung leisten. Radermacher identifiziert diese Gruppe der „Top-Emitters“ unter den Personen mit einem „elaborierten Lebensstil und einem großen Aktivitätsspektrum“, die in allen Teilen der Welt, allerdings in sehr unterschiedlicher Konzentration zu finden sind. Die reichsten 10 % der Weltbevölkerung sind für etwa die Hälfte der CO2-Emissionen verantwortlich (siehe Abb. 7.6). Die Top-Emitters und die mit ihnen verbundenen Unternehmen und Organisationen sind nicht nur die Hauptverursacher des Problems, sie sind auch diejenigen, die über die erforderlichen Mittel verfügen und die am meisten von einer Vermeidung eines Kollapses profitieren und so ihren „Lebensstil und ihre Eigentumstitel“ absichern können (Radermacher 2018, S. 20). Erwartet wird deshalb, dass diese Top-Emitters in vernünftiger Einsicht diese „verlorenen Investitionen“ freiwillig leisten und sich klimaneutral

21Die Ursprünge der Bio- oder Pflanzenkohle finden sich bei den Ureinwohnern des Amazonasgebiets vor Hunderten bis Tausenden von Jahren. Die Kohle wird durch Erhitzen von organischen Materialien hergestellt und zur fruchtbaren Erde – Terra preta – gemischt.

7  Nachhaltigkeit – Umsetzungskonzepte     127

oder klimapositiv stellen22. Die Politik kann das anerkennen, unterstützen und fördern und sollte zumindest Kompensationszahlungen als Betriebsausgaben gelten lassen. Die Politik und die öffentliche Verwaltung sollten hier auch mit gutem Beispiel vorangehen. Die Gemeinden, Städte, Bundesländer und die Bundesregierung sind mit ihren Liegenschaften und ihren Aktivitäten für die „grauen Emissionen“ der öffentlichen Infrastruktur verantwortlich. Im persönlichen CO2-Fußabdruck nach Umweltbundesamt macht das immerhin 0,73 t CO2 je Einwohner und Jahr aus. Die Bundesregierung hat immerhin in der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie das Ziel einer klimaneutralen Bundesverwaltung gesetzt. Die Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Hessen streben unter der Maxime „Vermeiden, Vermindern, Kompensieren“ Klimaneutralität an. Das Bundesumweltministerium und das Bundesentwicklungsministerium haben sich das Ziel gesetzt, bis zum Jahresende 2020 klimaneutral zu werden. Zur Steuerung des Prozesses nutzen beide Ministerien EMAS (Eco-Management and Audit Scheme; Bundesregierung Deutschland 2018, S. 38).

7.5.5 Eigenverantwortung – einfach | selber | machen Der Markt wird direkt (Business-to-Consumer, B2C) oder indirekt (Business-to-Business, B2B) durch eine Summe von Individuen in ihrer Funktion als Konsumenten gebildet. Der Impact, der durch Befriedigung von Konsum“bedürfnissen“ entsteht, kann also individuell umgelegt werden. Damit ist auch wieder jede/r Bürger*in persönlich angesprochen. Dabei ist es bei einer durchschnittlichen bundesdeutschen CO2-Bilanz von 11,6 t CO2 je Person und Jahr (siehe auch Abb. 6.2) erschreckend preiswert, seinen CO2-Ausstoß bis zur Klimaneutralität zu kompensieren. Bei „atmosfair“ oder „klimaohnegrenzen“ kann man sich derzeitig für ca. 260 €/ Mensch und Jahr klimaneutral stellen! Das entspricht etwa 22 bis 23 € je t CO2 und pro Jahr. Beide Organisationen legen ihren Rechnungen Kompensationsmaßnahmen in Form von nach Gold Standard registrierten Projekten und damit bestem Ranking zugrunde.23 Auch die Kinder- und

22Unter den DAX-30-Unternehmen haben die Allianz und die Deutsche Bank angekündigt, ihre Geschäftstätigkeit klimaneutral zu stellen (Radermacher 2018, S. 205). 23https://klimaohnegrenzen.de/kompensieren/gold-standard, https://admin.atmosfair.de/de/cdm-goldstandard

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Abb. 7.6  Die Top-Emitters – Verursacher der CO2-Emissionen (Radermacher 2018, S. 219)

Jugendinitiative Plant-for-the-Planet und viele andere Initiativen können je nach unterschiedlicher, individueller Interessenslage genutzt werden. Die Emissionszertifikate im EU-Emissionshandel – obwohl seit Anfang letzten Jahres fast verdreifacht im Preis – lagen im September 2018 bei rund 20 €. Allerdings wird erwartet, dass durch die Reform des Emissionshandels die Preise bis 2023 auf durchschnittlich 35 bis 40 € je Tonne steigen werden, woraus sich dann auch neue wirtschaftliche Rahmenbedingungen für Kohlekraftwerke ergeben würden24. Soll das von Radermacher gesteckte Ziel, die Einsparung von 500 Mrd. t CO2 zur Schließung der „Paris-Lücke“, erreicht werden, muss der „Zertifikatemarkt dramatisch erweitert werden“ (Radermacher 2018, S. 193). Viele weitere Projekte müssen initiiert werden und vor allem Afrika könnte (und sollte) auch durch neue sinnvolle Arbeitsplätze damit unterstützt werden.

24https://www.unendlich-viel-energie.de/themen/strom/preise-fuer-co2-zertifikate-steigen. Zugriff 12.02.2019.

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Kompensation wird auch kritisch und oft herablassend als Ablasshandel bezeichnet (und damit als persönliche Rechtfertigung genutzt, nicht teilzunehmen und das Geld sparen zu können). Das Vorhaben, sich ein besseres Gewissen durch Kompensation zu verschaffen, setzt allerdings zumindest voraus, bei der Abwägung, eine Flugreise z. B. doch anzutreten, wenigstens verantwortungsvoll darüber nachzudenken! Damit resultiert dieser „Ablasshandel“ nicht aus Glauben an einen persönlichen Vorteil (Seelenheil), sondern aus Wissen um gesellschaftliche Verantwortung. Eine Studie, die beweist, dass vor allem bereits sensibilisierte Personen ihre CO2-Emissionen kompensieren, hier vorrangig Flüge, wird als Argument angeführt, dass Kompensation nicht dazu genutzt wird, unbekümmert seine Umwelt mit CO2 zu verschmutzen. Dabei zeigte sich übereinstimmend, dass Personen, die klimaschädliche Emissionen ihres Konsumverhaltens kompensieren, tendenziell auch anderweitig einen nachhaltigeren Lebensstil pflegen. Das bedeutet: Kompensationszahlungen werden keineswegs als Freikauf oder Freibrief, sondern als eine zusätzliche Möglichkeit für klimaschützendes Handeln verstanden (Umweltbundesamt 2014, S. 2). Im Umkehrschluss heißt das aber auch: Gerade Personen, die nicht sensibilisiert sind, die „Umweltsünder“, denken nicht oder weniger über Kompensation nach! Kann man dann die Top Emitter oder eine ausreichende Anzahl von ihnen bewegen, den geforderten Beitrag über symbolische Beiträge aus Marketingzwecken hinaus „freiwillig“ zu leisten? Sind freiwillig und außerhalb von Marktzwängen getätigte „verlorene Investitionen“ zu erwarten, wenn andererseits jedes Steuerschlupfloch genutzt und billige Softwaretricks statt vorhandener, aber teurerer Innovation eingesetzt werden? Werden die Top-Emitter Einsicht in die Notwendigkeit zeigen? Auch wenn es nur in der Hoffnung ist, ihr Eigentum und ihren Lebensstil zu sichern, wäre es zu wünschen! Oder ist eher zu erwarten, dass sie Donald Trumps Weg der Renationalisierung und des Protektionismus gehen?

7.6 Welt retten – Resümee Um die vorangegangenen Kapitel zusammenzufassen, sei ein bildhafter Vergleich aus dem Bereich der Medizin erlaubt: Der Patient Nr. 1 ist unsere Erde, dem als Diagnose eine Stoffwechselkrankheit bescheinigt werden muss. Die pathologischen Abweichungen von normalen, verträglichen Stoffwechselvorgängen resultieren einerseits

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aus einem Zuviel an Emissionen, hier vor allem Klimagase, was sich durch Fiebersymptome (Erderwärmung) bemerkbar macht. Wenn beim Menschen die Normaltemperatur um ein Grad überschritten wird, fühlt er sich bereits unwohl. Ein kritischer Zustand mit erforderlicher Beobachtung wird ab zwei Grad gesehen und ab drei Grad Temperaturerhöhung wird es ohne ärztliche Behandlung lebensgefährlich. Das Fieber hat beim menschlichen Körper aber auch eine positive Funktion, denn durch eine Erhöhung der Temperatur werden Eindringlinge, wie Viren, Bakterien und andere Parasiten geschwächt oder beseitigt. Andererseits sind Mangelerscheinungen, die unsere Erde zeigt, durch ein Zuwenig, eine übermäßige Ausbeutung der Ressourcen zu erkennen. Die Symptome sind hier z. B. Verlust von Biodiversität und Bodendegradation. Der Patient Nr. 2 ist der „Superorganismus Menschheit“ wie Radermacher ihn nennt (Radermacher und Beyers 2011, S. 31). Hier lautet die Diagnose Verhaltensstörung und Suchterscheinungen. Die Verhaltensstörungen äußern sich zum einen im Parasitismus gegenüber Patient Nr. 1, der sich mit Fieber wehrt, und andererseits mit Anzeichen von indirektem Kannibalismus gegenüber seinen Mit- und Nachmenschen. Die Suchterscheinung äußert sich in seiner Abhängigkeit von Konsum- und Wachstumszwängen. Die vorangegangenen Abschnitte beschreiben die Symptome und unterschiedliche Therapieansätze. Die Strategie der Suffizienz und das Konzept ICH/SDG18 setzen vor allem bei der Heilung der Verhaltensstörung bei Patient Nr. 2 an (Therapie: Rückkehr zum „menschlichen Maß“ und Einklang mit der Natur) und könnten damit auch indirekt, aber langfristig (in homöopathischen Dosen) Patient Nr. 1 retten. Effizienz und Konsistenz sowie die diese Strategien nutzenden Konzepte der Systemreparatur (ökosoziale Marktwirtschaft) und der Wirtschaft behandeln dagegen vorrangig die Stoffwechselprobleme des Patienten Nr. 1 (Therapie: effizienter, marktregulierter Einsatz endlicher Ressourcen und Wirtschaften in Kreisläufen), sind eher als konventionelle Heilmethoden einzuschätzen und lassen den komplizierten Patienten Nr. 2 weitgehend in „Ruhe“ oder betreiben höchstens ein wenig Symptombekämpfung. Das Konzept der Postwachstumsökonomie berücksichtigt die Diagnose von Patient Nr. 1, versucht dessen Erkrankung aber gleichzeitig mit der Erkrankung von Patient Nr. 2 zu therapieren (radikaler Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft), was allerdings einen langen Rehabilitations-Prozess erfordert.

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Durch das Konzept der Kompensation ließe sich kurzfristig das Fieber auf ein verträgliches Maß senken bzw. ein weiteres Ansteigen verzögern, um damit genügend Zeit für die Heilung der grundlegenden Probleme/ Erkrankungen zu schaffen. Diese „Pille“ müsste dem Patienten Nr. 2 verordnet werden und verursacht ggf. Konflikte mit seiner Verhaltensstörung. Während die Medizin hier nur – grob vereinfacht – zu Vergleichszwecken dient, sind bisher viele unterschiedliche Fachdisziplinen bei der Thematik der Nachhaltigkeit zu Wort gekommen. Das zeigt eine unvollständige Liste der Experten aus unterschiedlichsten Bereichen: Ökonomen (Paech, Acosta, Radermacher, Meadows, Maxton, Sinn, …), Klima- und Zukunftsforscher (Randers, Rockström, …), Philosophen (K. Ott, Ekardt), Juristen (Ekardt), Mathematiker (Radermacher), Ingenieurswissenschaftler (Neirynck), Soziologen (Ekardt, Welzer), Politiker (Acosta, Al Gore, Neirynck), Biologen (E. U. v. Weizsäcker), Publizisten (Quinn, Grober), Chemiker (Bardi, Schmidt-Bleek), Agrarwissenschaftler (Löwenstein). Viele von ihnen sind bereits in mehreren Disziplinen zu Hause (Radermacher: Mathematiker, Informatiker, Wirtschaftswissenschaftler; Ekardt: Jurist, Soziologe, Philosoph; Neirynck: Politiker, Elektrotechniker, Verbraucherschützer; Diamond: Evolutionsbiologe, Physiologe). Bis hierher wurde nur die männliche Form der Berufsbezeichnung genutzt, da es leider wenig Frauen zu zitieren gab (Donella Meadows: Umweltwissenschaftlerin, Pinzler und Herrmann: Journalistinnen, Carson und Grundmann: Biologinnen, Matthies: Umweltpsychologin). Der Initiator, Sandor Vajna, der akribische Gutachter, Dietrich Ziems, und der Autor dieses Buches sind gelernte Ingenieure. Die Aufzählung zeigt die extremen interdisziplinären Anforderungen, die sich bei der Bearbeitung und Lösung von nachhaltigen Problemen ergeben. Von Kind auf und leider auch allzu oft fortgesetzt im Studium lernen wir allerdings in Fächern und Schubladen, was – im Gegensatz zur komplexen Wirklichkeit draußen – in unseren Köpfen ein Denken in Disziplinen, Branchen und Ressourcen im Rahmen eines künstlichen Klassifizierungsuniversums erzeugt. Die Wirklichkeit, die Welt draußen, ist im Gegenteil dazu ein hoch vernetztes Wirkungsgefüge mit voneinander unterschiedlich stark ausgeprägten Wechselwirkungen zwischen den Elementen (Bruhn 2018b). „Wenn die Statik eines Systems einmal grundlegend gestört ist, addieren sich die negativen Faktoren auf.“ Dennis L. Meadows (2000, S. 14)

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Gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt, da sich das Entwicklungsniveau auf einem Wendepunkt befindet, bereits geringe Einflüsse große Wirkungen verursachen können (siehe die bereits mehrfach genannten Tipping Points oder Kipppunkte) und die Komplexität der Welt zunimmt, sind Erfahrungen mit und Kenntnisse von komplexen Systemen unbedingt notwendig. Leider wird es damit aber immer schwieriger und von Einzelpersonen kaum leistbar, die Probleme in ihrem Wirkungsgefüge zu erfassen, die Wechselwirkungen in den Strukturen in Zusammenhänge zu bringen und Lösungsansätze zu erarbeiten. Zudem sind komplexe Probleme in einer schnelllebigen Zeit mit einer immer geringer werdenden Konzentrationsdauer und -fähigkeit auf ein Problem schlecht für alle Bevölkerungsgruppen kommunizierbar. In dieses Bildungsvakuum oder –defizit dringen zurzeit nationalistische Scharlatane mit eindimensionalen Feindbildern und einfachen Scheinlösungen ein, sammeln Orientierungslose und geben ihnen neue, aber leider falsche Hoffnungen.

8 Nachhaltigkeit ist einfach komplex

8.1 Die große Enttäuschung – die Lösung aller Probleme ist nicht 42 Es gibt keine einfachen Lösungen, wie die Anspielung auf den satirisch-skurrilen Science-Fiction-Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams in der Überschrift deutlich machen soll. Hier wurde die Frage nach dem ultimativen Sinn des Lebens einem eigens dafür entworfenen Computer namens Deep Thought gestellt, der die erschöpfende Antwort 42 gab. Es gibt kein Patentrezept und leider auch noch keine empirischen Erkenntnisse über ein nachhaltig funktionierendes Gesellschaftssystem. Bisher gibt es eine Sammlung verschiedener Versuche, die mit unterschiedlicher Qualität an der Menschheit erprobt worden sind, und keines dieser Experimente hat bisher seine langfristige Eignung nachweisen können. Soll man für die Zukunft auf das Verantwortungsbewusstsein und die Weitsicht von auf vier Jahre gewählten Politiker*innen setzen und vertrauen, dass sie nationale Interessen einer globalen Weltordnung – einer neuen „World Declaration for Justice and the Future“ unterordnen (siehe Abschn. 7.1.2)? Oder wäre ein erfolgversprechenderer Weg, auf Philanthropen unter den großen Wirtschaftsführer*innen zu hoffen, da diese global mittlerweile besser aufgestellt und einflussreicher sind als nationale Regierungen? Zeichnet sich hier eine Rettung ab durch kurzfristige freiwillige „verlorene“ Investitionen, die uns einen Zeitgewinn verschaffen für technische © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Haase, Genug, für alle, für immer, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31220-6_8

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Innovationen, wie Geoengineering, Methanolstrategie und Energieeffizienz (siehe Abschn. 7.5)? Oder ist einfach individuelles Anfangen wichtig, Ausprobieren von alternativen Lebensentwürfen, die möglichst nicht zu Lasten zukünftiger Generationen oder wehrloser Gesellschaften gehen? Genügen hier vielleicht kleine lokale Gemeinschaften, um Beispiele für eine alternative und lebenswertere Normalität zu schaffen, die für breitere Gesellschaftsschichten nachahmenswert werden können (siehe Abschn. 7.4)? Das Problem ist so existenziell, dass jeder Ausweg betrachtet, jedes Lösungskonzept versucht werden sollte. Selbst, wenn man einschätzen könnte, welcher Ansatz die beste Aussicht auf Erfolg bietet: Es gibt keine Zeit für ein serielles Herangehen. Scheitern gehört dazu, aber wenn Dinge parallel erprobt werden, ist der Zeitverlust am geringsten und die oben genannten Wege stehen bei einem gemeinsamen Ziel nicht in Konkurrenz, sondern können sich ergänzen! Alles Genannte ist wichtig, allerdings gibt es noch kein Gesamtkonzept, nicht einmal eine weltweit anerkannte Ursachenforschung. Ähnlich wie beim IPCC für die Lösung des (komplexen) Problems Klimawandel wäre ein interdisziplinäres, diverses Expert*innengremium erforderlich, nur eben wegen der Spannweite und Vielfältigkeit der zu lösenden Menschheitsprobleme noch wesentlich breiter aufgestellt. Der 5. Sachstandsbericht der IPCC wurde von 831 Expert*innen zusammengestellt und folgt einer aufwendigen Methodik (siehe Abschn. 2.2.1). Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) besteht als nationales Beratungsgremium aus sieben Expert*innen im Beirat aus unterschiedlichen Fachbereichen, 20 Mitarbeitenden in der Geschäftsstelle und sechs Fachreferen*innen. Deshalb wird dieses Buch – auch wenn es auf zahlreiche Veröffentlichungen zurückgreift – keine befriedigende Antwort auf die oben gestellte Frage geben können, sondern allenfalls Anregungen für alternative Ansätze aufnehmen und auffordern, diese zu prüfen und möglichst individuell nach persönlichen Möglichkeiten im Alltagsleben, im gesellschaftlichen Engagement oder im beruflichen Umfeld umzusetzen. Wie oben beschrieben ist die „Weltrettung“ keine Aufgabe für Einzelpersonen. Deshalb soll das Buch vor allem dazu beitragen und aufrufen: Aufklären, Anstiften, Mitmacher*innen suchen, Ideen verbreiten und gemeinsam Neues ausprobieren.

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8.2 Nachhaltige Entwicklung als komplexes Problem Eine verständliche Diskussion von komplexen Zusammenhängen in ihren vielfältigen Wirkungen und gegenseitigen Beeinflussungen allein in Textform ist schwierig und kann am besten durch grafische Übersichten unterstützt werden. In der Abb. 8.1 ist ein Versuch der kartografischen Verortung verschiedener Betrachtungsweisen nachhaltiger Entwicklung in Anlehnung an Hopwood et al. (2005) dargestellt. Die Grafik zeigt die Spannbreite vorhandener Lösungsansätze und die damit verbundene Priorisierung zwischen gerechtigkeitsbezogenen und umweltbezogenen Kriterien. Sie unterstützt die Einordnung und die kritische Bewertung der verschiedenen Strategien und Konzepte im Rahmen des gesamten Nachhaltigkeitsdiskurses. In schwarzer Farbe sind die originalen Begriffe nach Hopwood et al. (2005, S. 41) ­eingetragen. Die in diesem Buch vorgestellten Strategien sind in blau, Lösungsansätze und -konzepte in braun angeordnet. Die Abb. 8.1 impliziert, dass die Erfordernisse der Zukunft sowohl im Sinne einer gerechten wie auch umweltbeständigen Welt am vollständigsten und besten durch Transformation erfüllt werden können. Reformen und vor allem Versuche auf der Grundlage bestehender Wirtschafts- und Gesell-

Abb. 8.1  Kartografische Verortung verschiedener Nachhaltigkeitsstrategien und -konzepte in Anlehnung an Hopwood (2005, S. 41)

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schaftssysteme können allenfalls Teilaspekte berücksichtigen und verbessern. Dazu muss aber auch betrachtet werden, mit wie viel gesellschaftlichem Widerstand die Konzepte eingeführt und umgesetzt werden können. Welche Ziele und damit verbundene Veränderungen haben die beste Chance zur Umsetzung? Hier erscheinen kleine Schritte der Veränderung „im gewohnten Umfeld“ erst einmal erfolgversprechender. Die immer wieder vorgetragenen Heilsversprechen, ein (oft marktwirtschaftliches) Instrument oder ein Ansatz (meist das Spezialgebiet des vortragenden Verfechters/seltener der Verfechterin) sei einfach und zielführend geeignet, sind eher gefährlich für den erforderlichen ganzheitlichen Lösungsansatz. Als Beispiel sei hier der Emissionshandel genannt, der allenfalls mithelfen kann, die Klimakrise in verträglichen Bahnen zu halten und genau hier ist er auch zu nutzen und einzuordnen. Er scheitert allerdings auch dort bereits global an nationalen Alleingängen und ist regional (bisher) durch die erfassten Sektoren begrenzt1. Zudem löst der Emissionshandel kein Problem der Gerechtigkeit, der Biodiversität oder der Bodendegradation. In der Abb. 8.1 fehlt eine wichtige Dimension, nämlich die benötigte Zeit, die die Strategie oder das Konzept benötigt, um Wirksamkeit zu entfalten. Auch hier scheinen „Status-Quo-Ansätze“ eher durchsetzbar zu sein und Wirkung erwarten zu lassen als grundlegende Veränderungen, beispielsweise durch eine Postwachstumsökonomie. Was aber nicht heißen darf, Bemühungen in diese Richtung auf später zu verschieben! Gegenteilig müssen erfolgversprechende Konzepte – auch wenn sie eine längere Umsetzung befürchten lassen – sofort angegangen werden: Zum einen zeigen Transformationskonzepte meist auch sofort eine geringe, aber wachsende Wirkung. Andererseits sind sie in der Regel noch nicht „großtechnisch“ erprobt und benötigen möglicherweise Fehlversuche für Richtungskorrekturen. Bisher sind unterschiedliche Versuche bekannt, die Zusammenhänge für eine nachhaltige Entwicklung grafisch darzustellen. In linearen Modellen, wie z. B. in Abb. 8.2 dargestellt, fehlen vor allem die Rückkopplungen und ein wichtiger Systemcharakter geht damit verloren. Mensch und Umwelt werden in der Darstellung als Antipoden erfasst. Damit steht der Mensch außerhalb der Umwelt und ist nicht selbst Teil der Natur.

1In der EU sind 45 % der Treibhausgasemissionen durch das EU-Emission Trading System erfasst. https://ec.europa.eu/clima/sites/clima/files/factsheet_ets_de.pdf/, Zugriff 28.04.2020.

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Abb. 8.2  Lineare Betrachtung des Einflusses des Menschen auf die Umwelt (https:// commons.wikimedia.org/wiki/File:Einfluss_des_Menschen2.jpBenutzer:Wissen [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)])

Der komplexe Charakter einer nachhaltigen Entwicklung erfordert in der Herangehensweise ein systemisches Denken und damit kommen Wirkungsgefüge oder Concept Maps in der Darstellung dieser Anforderung am nächsten. Das Wirkungsgefüge nach dem Sensitivitätsmodell von Vester (siehe Abb. 8.3; Vester 1999) stellt die Komplexität und vor allem die gegenseitigen Wechselwirkungen sehr gut dar, auch wenn trotzdem noch wichtige Bausteine, wie z. B. die Biodiversität und die Bodendegradation, fehlen. Die Darstellung eignet sich gut und ist erforderlich zur Daten- und Wirkungserfassung als Grundlage für ein Simulationsprogramm. Durch die Komplexität leidet allerdings auch die Übersichtlichkeit und Strukturen sind nicht mehr erkennbar. Ähnlich ist das World3 Modell zu sehen2. In Abb. 8.4 wird vom Autor versucht, die Einflüsse, Wirkungen und Zusammenhänge zwischen Gesellschaft, Wirtschaft und Natur grafisch

2https://insightmaker.com/insight/1954/The-World3-Model-A-Detailed-World-Forecaster, Zugriff 04.05.2020.

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Abb. 8.3  Klimanetzwerk und Wirkungsgefüge. (Nach dem Sensitivitätsmodell von Vester 1999, S. 215)

­arzustellen und die bemängelten Defizite der vorab vorgestellten d Abbildungen wenigstens teilweise auszugleichen. Wie sich zeigt, ein schwieriger Versuch bei einem derart komplexen System. Vollständigkeit kann dabei nicht Ziel der Darstellung sein und die Anordnung kann ergänzend zu den zuvor vorgestellten grafischen Methoden gesehen und diskutiert werden. Die drei Bereiche Gesellschaft (oder Soziales), Wirtschaft (Ökonomie) und Natur (Ökologie) nehmen die Kategorien des 3-Säulen-Modells auf, allerdings mit der Natur/Ökologie als Basis, auf der sich die im weitesten Sinne kulturellen Aktivitäten der Menschheit aufbauen. Eine funktionierende Natur (Bio- und Geosphäre) bildet damit die Grundlage für den „Superorganismus Menschheit“. Die beiden Bereiche Gesellschaft und Wirtschaft (Anthroposphäre) nutzen gegenwärtig die natürlichen Ressourcen bis über die Grenze ihrer Reproduzierbarkeit hinaus und beeinflussen gleichzeitig die ökologische Qualität durch ihre Emissionen in fester, flüssiger und gasförmiger Form (vgl. auch Abb. 2.2). Die Pfeile sollen zeigen, dass es sich nicht um ein lineares, sondern um ein zirkulares System handelt, dessen Zusammenhänge Kreislaufcharakter besitzen (obwohl auch Wechselwirkungen in Gegenrichtung bestehen).

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Abb. 8.4  Einflüsse, Wirkungen und Zusammenhänge nachhaltiger Entwicklung – der Versuch einer Darstellung

Der Mensch als Individuum ist Teil und Akteur in allen drei Bereichen, was in der Anthroposphäre selbstverständlich ist, in der Biosphäre aber leider – wie schon mehrfach bemängelt – oft vergessen wird. Außenstehende Begriffe der Kategorien Gesellschaft und Wirtschaft charakterisieren aus Sicht des Autors die im Status Quo negativ wirkenden Aspekte für eine nachhaltige Entwicklung. Bildhaft gesehen entfalten sie hohe Fliehkräfte, die langfristig sprengende Wirkung auf das System ausüben und zum ökologischen oder sozialen Kollaps führen oder in der ­Kategorie Natur/Ökologie bereits Merkmale des Zusammenbruchs sind. Nach innen zum Menschen gerichtete Nennungen besitzen hingegen positiven Einfluss und stellen Ziele für eine nachhaltige Entwicklung dar, wie Suffizienz, Kreislaufführung (Konsistenz), Kooperation und Gerechtigkeit oder spiegeln Konzepte wider, mit denen diese Ziele erreicht werden sollen, wie Postwachstums- oder Gemeinwohlökonomie. Es gibt antagonistische Begriffspaare, wie Konkurrenz und Kooperation, und dichotome, schnittmengenfreie Begriffspaare, wie fossile und

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regenerative Energie. Andere Begriffe besitzen mehrere Möglichkeiten als Alternative: Statt marktradikal kann beispielsweise reformatorisch ökosozial, aber auch transformatorisch gemeinwohlwirtschaftlich, postwachstumsorientiert gedacht werden (siehe auch Abb. 8.1). Weitere Begriffe bieten als Gegenpart nur eine Vermeidung oder Reduzierung an, wie Abfallentsorgung. Begriffspaare sind einerseits als Antipoden, als unvereinbare Gegensätze zu sehen (schwarz und weiß/gut und böse), wie Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, andererseits als komplementär, sich ergänzende Seiten eines Objektes, wobei es darauf ankommt, beide Seiten zu berücksichtigen und deren Stärken und Schwächen richtig zu nutzen (Kooperation und Konkurrenz oder Homo Oeconomicus und Homo Sustinens) und nicht nur einer Seite zu huldigen. Kritisch ist zu sehen, dass keine Hierarchie der Begriffe erkennbar ist und Strategien, Wirkungen und Konzepte nebeneinander auf gleicher Ebene stehen. Auch hier ist der Mensch aus Sicht des Autors nicht deutlich genug als Teil der Natur erfasst. Eine Trennung des Lösungsraumes, beispielsweise wie hier in die Bereiche Gesellschaft, Wirtschaft und Mensch, die auf der ökologischen Basis beruhen und diese kritisch beeinflussen, ist eigentlich durch ein komplexes gegenseitiges Wirkungsgefüge nicht möglich. Eine getrennte Betrachtung erweckt immer den Anschein, dass separate Lösungen – beispielsweise eine bahnbrechende Innovation der Wirtschaft, auf die viele hoffen – Gültigkeit haben könnten. Aus Gründen der Strukturierung soll trotzdem nachfolgend ein Versuch gewagt werden, spezielle Aspekte dieser Bereiche zu diskutieren, nur mit der ausdrücklichen Warnung, dass für eine gelingende nachhaltige Entwicklung die Bereiche zusammengedacht werden müssen!

8.3 Gesellschaft, Politik und Governance 8.3.1 Gesellschaftlicher Werte- und Verhaltenskonsens Ethische Verhaltensgrundsätze wurden und werden oft durch religiöse Kodizes fixiert. Im Judentum und Christentum sind das die 10 Gebote (Dekalog), die Gott Mose auf dem Berg Sinai übergeben hat. Auf der ersten Tafel sind die Gebote der Gottesliebe und auf der zweiten Tafel die Gebote für ein ethisches Minimum der Nächstenliebe vorgegeben. Der Buddhismus

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nennt als die drei Hauptgebiete der Ethik: Das Unterlassen von schädlichem Verhalten, Disziplin und die Unterstützung Anderer und formuliert die ethischen Grundsätze in der „Fünffachen Rechtschaffenheit“ (pañcashīla). „Wenn wir keinen richtigen fundamentalen moralischen Hintergrund haben, werden wir schließlich mit einer totalitären Regierung enden, die nicht an die Rechte für jeden glaubt außer für den Staat!“ Harry S. Truman (1884–1972), US-amerikanischer Politiker, Demokrat

Religionskritiker*innen3, Humanist*innen4 und Philosoph*innen5 haben immer wieder die Idee aufgegriffen und in Anlehnung an die 10 Gebote alternative Regeln für das Zusammenleben zusammengestellt. Wie würde eine Neuauflage, ein Versuch einer Neuinterpretation für unsere Zeit, eine Version 2.0 aussehen? 1. Du bist nicht die „Krone der Schöpfung“ (siehe Abb. 7.4). 2. Du sollst dich als Teil der Schöpfung betrachten und danach leben (Buen Vivir, Acosta 2017). 3. Du sollst die Schöpfung nicht zur Ressource degradieren (Abschn. 2.3). 4. Du sollst an das Gute im Menschen glauben und es unterstützen (Bregman 2020), füttere den guten Wolf, nicht den bösen (indianische Weisheit, Abschn. 8.3). 5. Du sollst mehr ein Lasser denn ein Nehmer sein (Ismael in Quinn 1994). 6. Du sollst die Diversität in Natur, Gesellschaft und Wirtschaft erhalten und fördern, da vielfältige Systeme überlebensfähiger sind, … 7. ….. Für die atheistische Variante kann einfach durchgängig Schöpfung durch Natur ersetzt werden. Oder reicht für einen gesellschaftlichen Werte- und Verhaltenskonsens der kategorische Imperativ von Immanuel Kant „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“?

3https://www.patheos.com/blogs/daylightatheism/essays/the-new-ten-commandments/ 4https://www.giordano-bruno-stiftung.de/leitbild/zehn-angebote 5https://thecodeforglobalethics.com/

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8.3.2 Die Gesellschaft ist so gut, wie das Menschenbild, das sie zugrunde legt „Die Sache ist die: Was man den Leuten unterstellt, bekommt man von Ihnen zurück. Das Menschenbild ist die Grundlage jeder Ideologie. Wenn es sich ändert, ändert sich alles.“ Ludger Bregmann, niederländischer Historiker

Die schon im Abschn. 7.4.1 kritisierte einseitige Darstellung des Menschen als Homo Oeconomicus schafft für das Menschenbild eine instrumentelle Vision als Grundlage für eine imperiale Stellung der „Wirtschaftswissenschaft über das Denken“ und eine „Hegemonie des Marktes über die Gesellschaft“ (Caillé 2005). Der österreichische Aktivist Christian Felber nennt dieses Menschenbild den ideologischen Kern des Kapitalismus (Felber 2008, S. 10). Oder wie Bregmann formuliert, wird auf diesem Menschenbild basierend durch die Ökonomen eine „Kathedrale aus Theorien und Modellen“ errichtet, die dann wiederum als Grundlage für eine Unmenge von Gesetzen dienen (Bregman 2020, S. 34). „Wenn man davon ausgeht, dass Menschen völlig rational sind, wie das etwa die Ökonomen der Chicagoer Schule tun, hat das wichtige Konsequenzen auf die Gesetzgebung.“ Daniel Kahneman

Und obwohl die beiden „Totengräber des Homo Oeconomicus“, die Psychologen und Nobelpreisträger Daniel Kahneman und Amos Tversky bewiesen, dass der Mensch keinesfalls immer rational handelt, steht dieser immer noch im Mittelpunkt der traditionellen Wirtschaftslehre. Allerdings fand der US-amerikanische Anthropologe Joseph Henrich bei seiner Untersuchung am Beispiel von 15 kleinen Gemeinden aus fünf Kontinenten keine Entsprechung für ein solch egoistisches Menschenbild (Henrich et al. 2001), jedenfalls nicht beim Menschen6. „Als utilitaristisch bezeichnen wir jene Doktrin, die auf der Behauptung beruht, dass menschliche Subjekte von der Logik des egoistischen Kalküls von Lust und Schmerz lediglich von ihren Interessen oder lediglich von ihren Vorlieben beherrscht werden; und dass dies gut sei, weil es keine andere mög6„Die kanonischen Vorhersagen des Modells des Homo Oeconomicus haben sich bei der Vorhersage des Verhaltens von Schimpansen in einfachen Experimenten als bemerkenswert erfolgreich erwiesen. Die gesamte theoretische Arbeit war also nicht umsonst, sie wurde nur auf die falsche Spezies angewandt.“ https://evonomics.com/scientists-discover-what-economists-never-found-humans/, Zugriff 13.05.2020.

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liche Grundlage für ethische Normen gebe außer dem Gesetz des Glücks von Individuen und ihren Gemeinschaften.“ Alain Caillé (1989, S. 13)

Antiutilitaristen kritisieren diese Reduzierung des Menschen auf ein Individuum, das nur die Befriedigung eigener Bedürfnisse im Blick hat. Der französische Soziologe Alain Caillé fordert, den Homo Oeconomicus nicht als den einen universellen, „natürlichen“ Menschentyp zu sehen, der sich nur für seine eigene Zufriedenheit, seinen Nutzen oder seine Vorlieben maximiert. Wenn man den wirtschaftlichen Notwendigkeiten, dem Markt weniger Raum gibt und dem Homo Oeconomicus weniger Bedeutung beimisst, treten andere Menschentypen wieder mehr in den Vordergrund, beispielsweise der Homo Politicus, der Homo Ethicus oder der Homo Religiosus. Caillé sieht in Anlehnung an die brahmanische Klassifikation (Puruṣārtha) eine Vielfalt menschlicher Ziele: Das sind die Sinnesbefriedigung (kama), der Wohlstand (artha), die Pflichterfüllung (dharma) und die verlustlose Befreiung von allem Begehren (moksha). Der Utilitarismus reduziert die Ziele einzig auf das Reich des artha (Romano 2016, S. 41). Der französische Anthropologe Marcel Mauss stellt fest, dass Gesellschaften sich nicht allein auf Verträge und kommerziellen Austausch verlassen, sondern auf das, was er als die dreifache Verpflichtung zum Geben, Nehmen und zur Rückkehr bezeichnet. Die Verpflichtung, seine Großzügigkeit zu zeigen (Caillé 2005). Die Fokussierung auf ein einzelnes (und im gegenwärtigen Fall auch noch negatives) Menschenbild ist auch ein Haupthindernis für eine funktionierende Demokratie und führt nach dem Politologen Onofrio Romano zur Entpolitisierung. Demokratie muss die Komplexität und Pluralität der Lebensentwürfe anerkennen und braucht die Vielfalt unterschiedlichster Lebensstile für eine konstruktive Debatte und für „die Vermehrung der Möglichkeiten der Selbstverwirklichung“ (Romano 2016, S. 42). Damit steht auch die Demokratie in ihrer jetzigen Form auf dem Prüfstand. Wie in Abschn. 7.4.1 bereits beschrieben, könnte eine Gesellschaft mit einem positiven Menschenbild auch mit deutlich weniger Staat auskommen und viel mehr Entscheidungen könnten in einer direkten dezentralisierten Demokratie getroffen werden. Die direkte Demokratie (als radikale Form) basiert auf einer prinzipiellen politischen Gleichheit, die aber eine größtmögliche Verteilung der Macht bietet (Zografos 2016, S. 104 f.). Beispielsweise in Bürger*innenversammlungen, wie sie bereits im antiken Griechenland (unter den erwachsenen männlichen Bürgern, allerdings keine Frauen, Sklaven und Ausländer) oder den germanischen Things bekannt

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waren und aktuell u. a. von der Bewegung Extinction Rebellion (XR) in ihrem Programm7 als konstruktive Ergänzung unseres parlamentarischen Systems gefordert werden8. „Wenn wir über die größten Herausforderungen unserer Zeit sprechen – von der globalen Erderwärmung bis hin zum schwindenden gegenseitigen Vertrauen –, glaube ich, dass deren erfolgreiche Bewältigung mit der Entwicklung eines anderen Menschenbildes beginnt.“ Rutger Bregman (2020, S. 27)

8.3.3 Good Governance  = Sustainable Governance? Wie kann eine gute Regierungs- oder Staatsführung, eine Good Governance die Rahmenbedingung für eine nachhaltige Entwicklung setzen? Die allgemeinen Prinzipien der Governance, die übrigens auch für die Unternehmensführung (Corperate Governance) genannt werden, sind Rechenschaftspflicht, Verantwortlichkeit, Offenheit und Transparenz von Strukturen bzw. Prozessen und Fairness. Der Staat (und seine föderalistischen Strukturen) sind für die Daseinsfürsorge, für die Versorgung der Bürger*innen mit den notwendigen Gütern und sozialen Dienstleistungen verantwortlich, für eine chancengerechte und partizipative Gestaltung der Gesellschaft, für die Einhaltung der ökologischen und sozialen Leitplanken. Wie kann eine nationale Regierungsführung nachhaltige Entwicklung gewährleisten, wenn die Einflussmöglichkeiten in einem globalen System begrenzt sind oder gar im Verhältnis zu einer weltweit agierenden Wirtschaft abnehmen? Die Bertelsmann Stiftung glaubt, „dass gute Regierungsführung und nachhaltige Entwicklung Hand in Hand gehen“ und untersucht in ihren SGI Sustainable Governance Indicators die nachhaltige Regierungsführung von OECD-Staaten unter den drei Aspekten politische Leistung, Demokratie und Regierungsführung9. Eine gute nationale Regierungsführung eines jeden Staates in seiner territorialen Verantwortlichkeit besitzt nicht nur eine Innenwirkung, sondern wirkt mit einer „Guten Praxis“ auch extern als nachahmenswertes

7https://extinctionrebellion.de/wer-wir-sind/unsere-forderungen/bv/,

Zugriff 11.05.2020. Informationen in: Smettan, Jürgen, Patze, Peter: Bürgerbeteiligung vor Ort. Sechs Beteiligungsverfahren für eine partizipative Kommunalentwicklung. Stiftung Mitarbeit Bonn, 2014. 9https://www.sgi-network.org/2019/, Zugriff 10.05.2020. 8Weitere

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Erfolgsmodell. Der Einfluss auf eine globale nachhaltige Entwicklung im Sinne einer Global Governance unter Abwesenheit einer Weltregierung (Global Government) erfordert geeignete internationale Kooperationen und institutionalisierte Netzwerke. Momentan ist eine direkte Außenwirkung der Nationalstaaten über die Mitwirkung in internationalen staatlichen Organisationen (UNO, UNEP, WTO, WHO, …), Konferenzen (UN-Klimakonferenz in Paris 2015) und Abkommen (Agenda 2030 mit den 17 Sustainable Development Goals) möglich. Bei den bestehenden Netzwerken wird vor allem ein starker Lobbyeinfluss und fehlende Chancengerechtigkeit gegenüber den Entwicklungsländern kritisch gesehen. Auch nationale Alleingänge (America first) erschweren ein gemeinsames Vorgehen. Eine mögliche Gestaltung einer Global Governance, wie sie die Global Marshall Plan Initiative zur nachhaltigen Entwicklung fordert, ist in Abschn. 7.1.2 dargestellt (z. B. die Forderung nach einem verbindlichen „Weltgrundgesetzbuche“)10. Gesellschaftliches Ziel einer Sustainable Governance sollte damit nicht ein schon im semantischen Sinne statischer (End-)Zustand Wohlstand sein, der genauer zu definieren wäre, sondern besser Wohlfahrt oder Wohlergehen (well-being), ein eher dynamischer, prozessorientierter Indikator, der mehr die Lebensqualität unter nachhaltigen Gesichtspunkten in den Fokus stellt und weniger auf Quantität (Alles immer) ausgerichtet ist. Oder um noch einmal mit Erich Fromms Opposition Haben und Sein zu argumentieren: Statt „Guthaben“, was „Besitz“ und „Nehmen“ indiziert, sollte lieber „Gutsein“ in den Vordergrund gestellt werden, was ein „Geben“ und ein „Lassen“ einschließt. Eigenschaften und Zustände, die dem oben beschriebenen Menschenbild wesentlich näherkommen!

8.4 Wirtschaft, Konsum und Produktentwicklung Nach volkswirtschaftlicher Definition (Drei-Sektoren-Hypothese) wird die Wirtschaft in drei Bereiche oder Sektoren eingeteilt: 1. Primärsektor: Land- und Forstwirtschaft (Urproduktion, Rohstofflieferant)

10Siehe hierzu auch: Frey, Armin: Zielerreichung internationaler Verträge. Das Konzept Weltvertrag. Nomos Baden-Baden, 2008.

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2. Sekundärsektor: Industrieller Sektor (Rohstoffverarbeiter) 3. Tertiärsektor (Dienstleistungen) Diese Hierarchie entspricht vom Bilde her eher einem linearen Ansatz, der den Anforderungen der Zukunft nicht entspricht. Die Ordnung muss besser zirkular im Sinne einer Kreislaufwirtschaft gesehen werden, allerdings viel umfassender als im abfallwirtschaftlichen Kontext, sondern alle Lebensbereiche umfassend. Der Rohstofflieferant ist gleichzeitig der Aufbereiter von genutzten Produkten, der Nutzer von (land)wirtschaftlichen Abfällen: Von der Ressourcenverschwendung (Linearwirtschaft) zur Ressourcenverwendung (Kreislaufwirtschaft, Circular Economy).

8.4.1 Wirtschaftsziele – Unterscheidung in Akteurssicht und gesellschaftliche Aufgabe Wirtschaftssysteme können grob eingeteilt werden in staatenlose Wirtschaftsformen wie Commons und Subsistenzwirtschaft (siehe auch Abschn. 5.4 und 7.2.2), Marktwirtschaft in unterschiedlicher Ausprägung und staatliche Planwirtschaft oder Kriegswirtschaft. Um die Tauglichkeit dieser Wirtschaftsformen für Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit zu untersuchen, ist es sinnvoll, nach den Zielen der einzelnen Wirtschaftsformen zu fragen. Hier ist deutlich zu unterscheiden, welche Funktion die Wirtschaft aus gesellschaftlicher Sicht zu erfüllen hat und welche Ziele die Wirtschaftsakteure selbst, die Unternehmen haben. Gesellschaftlich „hat die Wirtschaft dafür zu sorgen, dass alle Menschen ausreichend und in einem als gerecht empfundenen Maße mit Gütern und Dienstleistungen versorgt werden“ (Bender 2013, S. 102). In kapitalistischen Wirtschaftssystemen ist dagegen Kapitalerhöhung durch Wachstumszwang für die Akteure selbst systemimmanent (siehe auch Abschn. 7.2.1). „Die privaten Mächte der Wirtschaft wollen freie Bahn für ihre Eroberung großer Vermögen. Keine Gesetzgebung soll ihnen im Wege stehen. Sie wollen die Gesetze machen, in ihrem Interesse, und sie bedienen sich dazu eines selbstgeschaffenen Werkzeugs, der Demokratie, der bezahlten Partei.“ Oswald Spengler11

11In: Der Untergang des Abendlandes, Zweiter Band, Erste bis fünfzehnte Auflage, C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, München 1922, S. 634.

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Unternehmen der Marktwirtschaft12 haben als vorrangiges Ziel, Interessen und Ziele ihrer Anteilseigner (meist Steigerung des Aktienkurses, Shareholder-Ansatz) zu erfüllen. Vor allem größere Unternehmen erweitern dies oft für eine langfristige Strategie um den Stakeholderansatz, der auch Interessen weiterer mit dem Unternehmen verbundener Anspruchsgruppen berücksichtigt. Da nicht alle Stakeholderinteressen berücksichtigt werden können, wird meist auf wichtige und einflussreiche Stakeholder fokussiert (Anteilseigner, Management, Mitarbeiter). Damit ist die Zielgruppe begrenzt und gesellschaftliche Ziele allgemein und speziell soziale und ökologische Nachhaltigkeitsziele werden in der Regel nur betrachtet, wenn es die Marktposition stärkt. Gesellschaftliche Verantwortung wird zwar zunehmend wahrgenommen, muss sich aber in der Konkurrenz des Marktes behaupten können (siehe Abschn. 7.3), solange Wachstumszwang und kapitalistisches Wirtschaftssystem die Rahmenbedingungen vorgeben. „Die Märkte verfügen über enorme Macht, aber nicht per se über Moral. … Aus all diesen Gründen ist klar, dass der Markt gezähmt und gezügelt werden muss, um sicherzustellen, dass sie dem Gemeinwohl – dem Nutzen der meisten Bürger – dienen.“ Joseph Stiglitz, Nobelpreisträger für Wirtschaft (2012, S. 13)

Der propagierte „Wohlstand für alle“ und die lange Zeit immer wieder beanspruchte Vertröstung auf einen Trickle-down-Effekt, ein Durchsickern von Gewinnen auch an einkommensschwächere Bevölkerungsschichten, hat sich bisher weder durch Marktwirtschaft13 oder Kapitalismus noch durch konsequentes Ausbeuten der ökologischen Ressourcen verwirklichen lassen. „Was Amerika in den letzten Jahren erlebte, ist genau das Gegenteil dessen, was die Trickle-down-Theorie behauptet: Die Vermögenszuwächse der Reichen gingen auf Kosten der Armen.“ Joseph Stiglitz, Nobelpreisträger für Wirtschaft (2012, S. 35)

An dieser Stelle ist es angeraten, die besondere Rolle der Finanzwirtschaft näher zu betrachten. Nach volkswirtschaftlicher Definition ist sie dem

12Zur Abgrenzung von Kapitalismus und Marktwirtschaft siehe auch Abschn. 7.3.2 sowie Herrmann (2019) und Lang (2016). 13Gerhard Schick nennt es auch Machtwirtschaft: Schick, Gerhard: Machtwirtschaft – nein danke! Für eine Wirtschaft, die uns allen dient. Campus Verlag Frankfurt/New York 2014.

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Tertiärsektor zugeordnet und trägt damit den Charakter eines Dienstleisters. Diese Funktion als Dienstleister der Realwirtschaft muss die Finanzwirtschaft wieder vorrangig (oder ausschließlich) wahrnehmen. Es genügt nicht, den Finanzsektor ein wenig zu regulieren und neu als „Nachhaltige Finanzwirtschaft“ zu etikettieren. Die Rückbesinnung auf ihre Grundaufgabe, Ersparnisse und Investitionen zusammenzubringen und Gelder für gesellschaftlich sinnvolle Investitionen bereitzustellen, ist Voraussetzung für eine nachhaltige Finanzwende. Der deutsche Grünen-Politiker Gerhard Schick nennt zwei Baustellen für eine Wende zur nachhaltigen Finanzwirtschaft: Die Rolle des Finanzsektors muss im Verhältnis zur Realwirtschaft „kleiner und weniger komplex und selbstreferenziell werden; und er muss weg von der kurzfristigen Renditeorientierung“. Des Weiteren sind klare Regeln für die systematische Berücksichtigung von ökologischen und sozialen Risiken für Realisierung von nachhaltigen Investitionen erforderlich (Schick 2017, S. 139). Zunehmend geht der Finanzwirtschaft in einer neoliberalen Marktwirtschaft der Bezug zur Realwirtschaft verloren und sie agiert immer mehr auf sich selbst bezogen (Wertpapierhandel, Extrembeispiel: Hochfrequenzhandel). Felber kritisiert ihre „Tendenz zur korruptiven Vereinnahmung, zum blinden monetären Wachstum, zur finanzalchemistischen Selbstreferenzialität, zur ´Umwertung aller Werte´ und zur ungebremsten Konzentration ökonomischer und politischer Macht“ (Felber 2014). „Es ist offensichtlich, dass das System kaputt ist.“ … „Die Banken arbeiten in Mikrosekunden. Die Behörden arbeiten in Jahrzehnten.“ John Baker, Ex-Mitarbeiter von Merrill Lynch zum Cum-Ex-Betrug14

Gleichzeitig nimmt die Transparenz im Finanzhandel ab und der Finanzsektor entzieht sich größtenteils regelnden politischen Einflüssen. Staatliche Grenzen und steuerliche Rahmenbedingungen können weitgehend ignoriert oder umgangen werden. „Das Weltfinanzsystem ist eine komplexe Materie und die Akteure auf diesem Markt, die über besondere Hebelwirkungen verfügen, legen keinen besonderen Wert darauf, dass die Allgemeinheit versteht, was vor sich geht.“ Franz Josef Radermacher (Solte 2007, S. 20)

14 https://www.zeit.de/2020/05/cum-ex-files-merrill-lynch-investmentbank-steuerbetrug/seite-3,

Zugriff: 14.04.2020.

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Gewinne aus Kapitalgeschäften benötigen keine oder wenig Erwerbsarbeit, nehmen aber gleichzeitig auch weniger an sozialen Leistungen (Steuern) teil. Geldvermögen werden in knappe Ressourcen, Grund und Boden und Immobilien investiert oder zur Nahrungsmittelspekulation eingesetzt und konzentrieren damit Einfluss und Macht in privaten Händen, die aber keine Verantwortung dem Gemeinwohl gegenüber besitzen. Vermehrt geraten die Staaten über eine zunehmende Staatsverschuldung direkt oder indirekt in Abhängigkeit (Solte 2007). Da durch die hohe spekulative Ausrichtung der Finanzwirtschaft die Krisenfestigkeit nicht gegeben ist, besitzen andererseits aber systemrelevante Großbanken durch das sogenannte Too-big-to-fail-Problem eine implizite Staatsgarantie und machen auch dadurch den Staat erpressbar (Schick 2017, S. 140). Selbst George Soros, ein bekannter Spekulant und Fondsinhaber, warnt „vor dem Wahnsinn und den unabsehbaren Folgen der globalisierten Finanzspekulationen und der enthemmten neoliberalen Marktfreiheitsideologie“ (Bergmann und Daub 2012, S. 33). Auch ein reformistischer, marktwirtschaftlich ausgerichteter Weg fordert grundlegende Eingriffe in das Weltfinanzsystem, um beispielsweise Steuerflucht oder das Umlenken von Wertschöpfung zu beenden. Im Sinne der oben genannten indirekten Erpressbarkeit lenken wenige Staaten durch nationale Wettbewerbsvorteile Kapital und Wirtschaft zu Lasten anderer Staaten ins eigene Land, um das „Steuersubstrat“ als Quelle der Besteuerung zu nutzen (Solte 2007, S. 164). Eine weitere vom Mitarbeiter des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung Dirk Solte geforderte Maßnahme für eine nachhaltige Steuerreform wäre die Einführung einer Finanztransaktionssteuer (auch Tobinsteuer15). Nach Solte würde eine Abgabe von nur 1 ‰ auf das Transaktionsvolumen des weltweiten Handels mit verbrieften Sicherheiten ausreichen, um die Neuverschuldung der öffentlichen Hand abzudecken, 100 Mrd. US$ jährlich für Entwicklungshilfe bereitzustellen und zusätzlich mittelfristig die globale Staatsverschuldung zu tilgen (Solte 2007, S. 168). Bisher hat sich die Finanzwirtschaft – teilweise durch von ihr abhängige Staaten wie USA und Großbritannien – erfolgreich gegen die Einführung wehren können und auch die 2021 möglichst europaweit geplante, begrenzte Finanztransaktionssteuer betrifft in der reduzierten Form keine professionellen Spekulanten (Hochfrequenzhandel, Derivatgeschäfte und Intraday-Trading). Ein Zeichen

151972 hat der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler James Tobin eine Finanztransaktionssteuer auf internationale Devisengeschäfte vorgeschlagen.

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wie hoch der Einfluss und die meist unsichtbare Macht des Finanzsektors ist, der wohl nicht nur Gewinneinschränkungen, sondern vor allem die dann mögliche Transparenz der Finanzgeschäfte fürchtet. Damit sind bisher alle Versuche gescheitert, die Marktwirtschaft und insbesondere die Finanzwirtschaft ökosozial zu reformieren und staatlicherseits ökologische und soziale Leitplanken zu setzen und zu kontrollieren. Pessimistisch könnte man sagen, dass tendenziell eher neoliberale Einflüsse eine gegenläufige Entwicklung indizieren. Alternativ zum reformistischen Versuch, eine nachhaltige Wirtschaft zu entwickeln, sind rigorose Änderungen der Ausrichtung von Unternehmenszielen und damit eine grundlegende Änderung des Wirtschaftssystems zu sehen. Bei der Änderung des Zielsystems für eine neue nachhaltige Ökonomie darf nicht Wachstum im Mittelpunkt stehen, sondern Reduktion und Gemeinwohl sowie die dazu notwendigen Anreize. „Unser jetziges Wirtschaftssystem steht auf dem Kopf. Das Geld ist zum Selbst-Zweck geworden, statt ein Mittel zu sein für das, was wirklich zählt: ein gutes Leben für alle.“ Christian Felber

Prinzipiell verlangt Felber dazu, die zentrale Rolle des Eigentums und des Geldes zu hinterfragen und neu zu gestalten sowie eine neue demokratische Geldordnung – „eine Hochzeit von Geld und Demokratie“ – zu entwickeln (Felber 2014)16. Auch Bender et al. von der Akademie Solidarische Ökonomie forderten für eine Alternative zum Leitbild ‚Wachstum‘, die Funktion und die Wirkung unseres Geldsystems in den Fokus zu rücken und einen grundlegenden „Wandel vom alles beherrschenden zum dienenden Geld“ vorzunehmen, um den Weg zu einer Wirtschaft ohne Wachstumszwang zu ebnen (Bender et al. 2013). Beispielhaft kann hier Felbers Gemeinwohlökonomie beschrieben werden (Felber 2018). In einer Gemeinwohl-Bilanz untersuchen Unternehmen, Gemeinden und Bildungseinrichtungen in einem Punktesystem, inwieweit die Kategorien Menschenwürde, Solidarität & Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie Transparenz & Mitentscheidung berücksichtigt werden. Eine höhere Anzahl an Gemeinwohlpunkten würde dann bei nachhaltig orientierten Konsument*innen auch höhere Kaufanreize setzen.

16Für eine alternative Finanzwirtschaft siehe beispielsweise die österreichische Genossenschaft für Gemeinwohl, https://www.gemeinwohl.coop/, Zugriff 25.05.2020.

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Weitere Anreize könnten beispielsweise über Steuervorteile, günstigere Kreditvergabe oder Vorrang bei öffentlichen Investitionen gesetzt werden. Ein anderes, noch stärker regional orientiertes Beispiel bilden die Commons, selbstgesteuerte Wirtschaftsgemeinschaften mit nachhaltigem, fairem Umgang mit bestimmten materiellen und immateriellen Ressourcen (Helfrich und Bollier 2019). Sie wirken als soziale Strukturen damit nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftlich und politisch17. Materielle Güter können dabei als Gemeindegut (Allmende), als genossenschaftliches Eigentum (Kollektiveigentum) oder auch als Privateigentum eingebracht und gemeinsam genutzt werden. Meist im ländlichen Raum angesiedelte Ökogemeinschaften können als besondere Form der Commons angesehen werden. Durch die Zusammenführung der Versorgung durch Landwirtschaft, Produktion und Dienstleistungen können sie als Umsetzung der Idee eines konvivialen Ortes nach Illich interpretiert werden, wo Produktionsmittel gemeinsam genutzt werden (siehe auch Abschn. 7.2.2; Cattaneo 2016, S. 231). „The good economy should serve the good life.“ Edmund Phelps, US-amerikanischer Ökonom in seiner Nobelpreisrede 2006

8.4.2 Konsum – vom Habenwollen zum Seinsein Historiker*innen sehen die Entwicklung einer differenzierten Konsumkultur erst seit dem 18. Jahrhundert, da es zuvor aus ökonomischen Gründen kaum Wahlfreiheit und daher auch keine Angebotsvielfalt gab. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts spielte repräsentativer Konsum vor allem die Rolle des „Beweises der Zahlungsfähigkeit“ – am besten durch demonstrative Verschwendung zu zeigen – oder der „demonstrativen Muße“, dem Kundgeben, dass nicht selbst gearbeitet werden müsse (Ullrich 2014, S. 19 f.). Erst seit dem 20. Jahrhundert erhalten Konsum und die damit erworbenen Dinge zusätzlich den Charakter, Identität und Selbstverständnis auszudrücken und sind Quelle des Selbstwertgefühls (der deutsche Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler Wolfgang Ullrich nennt es Dingkultur). Während anfangs noch Patina einen hohen Lebensstandard über mehrere Generationen demonstrierte, dominiert im Zeitalter

17Laut International Land Rights Coalition nutzen bis zu 2,5 Mrd. Menschen Commons als Versorgungsmodell Helfrich und Bollier (2019, S. 7).

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der Mode mehr der Ausdruck der aktuellen Kaufkraft und des persönlichen Geschmacks (Ullrich 2014, S. 28). Ein wachstumsorientiertes kapitalistisches Wirtschaftssystem benötigt über den bedarfsgerechten, reproduzierenden Konsum hinaus steigende Warenproduktion und steigenden Warenabsatz. Eine zweifelhafte „Kultur“ des Konsumismus übersteigt die eigentlichen Konsumbedürfnisse und den Konsumbedarf deutlich und hat u. a. über die Werbung ideologischen Einfluss auf die Ausrichtung der Gesellschaft und das Wertesystem. Dieser Konsumismus18 hat damit nur ein Ziel, Wachstum zu ermöglichen, und bringt keinen realen Wohlstandsgewinn und keinen langfristigen Glückszuwachs. Die gesellschaftlichen Werte werden sichtbar, wenn man sich die Konsumursachen anschaut, die einen o.  g. bedarfsgerechten, reproduzierenden Konsum übersteigen. Einerseits ist hier die Suche nach Teilhabe, die Sehnsucht nach Anerkennung zu nennen. Der Lebensstil anderer wird kopiert, um sich der gesellschaftlichen Normalität anzupassen, soweit Einkommen oder Kreditwürdigkeit dieses zulassen (und teilweise darüber hinaus). Andererseits ist auch der Wille zur Abgrenzung gegenüber „unten“ zu sehen und der damit verbundene Zwang, die besten, teuersten, modernsten und aktuellen Dinge zu besitzen. Im bildhaften Vergleich wäre das im Paech’schen Hamsterrad der käuflichen Selbstverwirklichung (siehe Abschn. 7.2.1) einerseits das Hinterherhecheln, um mit der Geschwindigkeit des rotierenden Rades mitzuhalten; andererseits das Vorweglaufen, die Geschwindigkeit vorzugeben und damit ständig zu erhöhen. In Abb. 8.5 wird dargestellt, wie derzeitig aus einem persönlichen Bedürfnis, einer Nutzungsabsicht, durch äußere Einflüsse und innere Beweggründe aufgeblähte Konsumentscheidungen entstehen, die dem eigentlichen Anlass nicht mehr entsprechen. „Dies ist vielleicht die wichtigste Aufgabe, die ansteht: jene Aspekte dieser komplexen sozialen Struktur zu identifizieren (und zu korrigieren), die verkehrte Anreize zugunsten eines materialistischen Individualismus liefern und das Potenzial für gemeinsamen Wohlstand unterminieren.“ Tim Jackson (2017, S. 286)

18Erstaunlicherweise handelt der Mensch hier völlig irrational und damit genau diametral zum sonst gern propagierten Menschenbild des Homo Oeconomicus.

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Abb. 8.5  Einflüsse zwischen Nutzungsabsicht und Kaufentscheidung von Konsumenten zum aktuellen Zeitpunkt

Es sind zwingend Veränderungen notwendig, um das Konsumverhalten ressourcen- und umweltschonend zu verändern und unter einer anderen Werteauffassung zu gestalten. Der Wirtschaftsingenieur Dirk Solte stellt in seinem Buch „Wann haben wir genug?“ zur Sicherung einer nachhaltigen Zukunft die Fragen für ein bewusstes Einkaufen: „Wo kommt das her? Wie wird das hergestellt und von wem? Wie aufwändig ist das? Kann es repariert werden? Wieviel ist Müll? Wie viel ist Verpackung? Ist der Preis billig, fair oder teuer?“ (Solte 2015, S. 314). Tim Jackson, ein britischer Naturwissenschaftler, macht deutlich, dass den Menschen im Gegensatz dazu bisher „zwangsläufig immer genau die Werte, Überzeugungen und Lebensweisen“ eingeimpft wurden, die im Marktumfeld Erfolg versprechen, gleichzeitig aber „strukturelle Ursache für soziale Entfremdung und schwache soziale Normen“ sind (Jackson 2017, S. 288). Er argumentiert, dass die Demontage des Konsumismus ähnlich hohe systematische und ausdauernde Anstrengungen fordert wie diejenigen,

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die benötigt wurden, diese Kultur zu etablieren, und nur gelingen wird, wenn man gleichzeitig alternative, attraktive Lebensinhalte anbietet und entwickelt, um das entstehende konsumdefizitäre Vakuum zu füllen. Die bei einer Abkehr vom Konsumismus frei werdende Kraft kann genutzt werden, um Möglichkeiten zu schaffen, auf andere, weniger materialistische Weise ein gutes Leben zu führen. Jackson sieht als Beispiel dafür Investitionen in öffentliche Einrichtungen und Räume sowie die Strategie, Gemeinschaften zu stärken und starke soziale Bindungen aufzubauen, die das Leben bereichern, ohne den Fußabdruck zu vergrößern (Jackson 2017, S. 287). In Abb. 8.6 wird dargestellt, wie mit einer alternativen, achtsamen Herangehensweise ein Bedürfnis, eine Nutzungsabsicht in einem Prozess zur Kaufrealisierung führen kann. Die Kaufentscheidung und damit verbundenen alternativen Möglichkeiten hängen auch eng mit dem Produktangebot und damit mit der Produktgestaltung zusammen und müssen durch diese unterstützt werden, siehe nachfolgender Abschnitt. Neben einem nachhaltigen Konsum im Sinne des physischen Besitzes oder eines Konsumverzichtes können neue Nutzungsformen gewählt werden und sind weiter zu entwickeln, die einen individuellen physischen Besitz in einigen Bereichen obsolet machen (Wiesner 2020).

8.4.3 Produktgestaltung – by design or by Disaster Ähnlich wie bei den Konsumentscheidungen in Bezug auf die Nutzung (siehe Abb. 8.6) kann man sich die Frage stellen, ob das Leben völlig spaßbefreit wäre, wenn alle Produkte rein zweckbestimmt gestaltet und hergestellt werden würden? Im Umkehrschluss ist für wenige Produkte ein „Spaßfaktor“ erforderlich und der kann außerdem durchaus kollaborativen oder nachhaltigen Charakter haben und überaus kreativ sein. Und Humor ist z. B. nicht material- oder energieintensiv. Momentan wird die Verantwortung für bewusstes Einkaufen der Konsumentin und dem Konsumenten übertragen. Allerdings müssen auch Produkte entwickelt und angeboten werden, die eine nachhaltige, ressourcenschonende Nutzung ermöglichen. Hier setzt eine wachstumsorientierte Wirtschaft eher gegenteilige Anreize. Stefan Schridde von MURKS? NEIN DANKE!19 vertritt die Meinung, dass Gesetzgeber und 19Berliner Verein zur Aufklärung über die geplante Obsoleszenz, https://www.murks-nein-danke.de/verein/, Zugriff 27.05.2020.

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Abb. 8.6  Einflüsse auf die Konsumenten-Kaufentscheidung durch kollaborativen Konsum, nachhaltigere Produktalternativen und Suffizienzüberlegungen der Konsumierenden

Handel dafür sorgen müssen, dass „unbekümmert in die Regale gegriffen werden kann“. Die Politik ist gefordert, die Rahmenbedingungen für nachhaltige Güter zu setzen, die Designer und Produktentwickler sind für eine gute Umsetzung zuständig. Produktänderung durch veränderte rechtliche Anforderungen Seit unter dem ehemaligen Umweltminister Klaus Töpfer vor mittlerweile 30 Jahren der Grüne Punkt die Verpackungsflut eindämmen sollte, hat sich die Produktverantwortung als feste Säule in der abfallwirtschaftlichen

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Gesetzgebung etabliert. Der Gedanke dahinter war, dass Hersteller die Verantwortung und die Kosten für den gesamten Lebenszyklus ihrer Produkte (neben Verpackungen mittlerweile Elektronik, Batterien, Fahrzeuge, …20) zu übernehmen hatten und damit ein Regulativ für „umweltverträgliche“ Produkte eingeführt wird. Allerdings wurde auch hier vorrangig auf die „Intelligenz des Marktes“ vertraut und dieser entwickelte aus dem Gedanken des Umwelt- und Verbraucherschutzes vor allem eins, nämlich profitable Geschäftsideen. Zwar wird in der europäischen Gesetzgebung und auch in Deutschland Abfallvermeidung an erster Stelle in der Abfallhierarchie genannt, allerdings geht es in der aktuellen Abfallpolitik eher um das Recycling und hier stehen vorrangig das Recycling von Kunststoffen und höhere Recyclingquoten im Vordergrund. „Die Überbetonung des Recyclings als Korrektiv suggeriert, dass es möglich sein könnte, das auf der Ausweitung von Produktion basierende Wirtschaftswachstum in seinen negativen Auswirkungen wirksam zu kompensieren.“ Helmut Maurer (2018, S. 21)

Helmut Maurer, „Senior Expert“ in der Generaldirektion Umwelt der Europäischen Kommission, stellt sich angesichts des hohen Stellenwerts, den man dem Recycling zumisst, die Frage, ob Recycling21 überhaupt richtig definiert ist, da hier keinerlei qualitative Merkmale erfasst sind. „Im Gegensatz zu natürlichen Kreisläufen sind industrielle Stoffkreisläufe vom Abfall zum Produkt nur unter Einsatz erheblicher Mengen von Energie bei gleichzeitiger Qualitätsminderung der Stoffe möglich. Dies gilt sogar für so bewährte Verfahren wie das Stahlrecycling“ (Maurer 2018, S. 21). Die Abb. 8.7 zeigt, dass wirklich geschlossene Stoffkreisläufe aktuell nur geringfügig realisiert werden können. Die Anreize zur Vermeidung, Materialreduktion oder -substitution sind dabei leider gering. Ressourcenschutz nach Art. 1 der EU-Rahmenrichtlinie setzt aber voraus, dass recycelte Materialien primäre Rohstoffe substituieren können, was Maurer als substitutives Recycling bezeichnet.

20Rücknahmeverordnungen auf der Basis des §23 Produktverantwortung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes. 21Die EU-Abfallrahmenrichtlinie definiert Recycling „…als jedes Verwertungsverfahren, durch das Abfallmaterialien zu Erzeugnissen, Materialien oder Stoffen entweder für den ursprünglichen Zweck oder für andere Zwecke aufbereitet werden…“

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Abb. 8.7  Produzent – Konsument – Entsorger. Status Quo

Die EU hat zwar das Abfallrecht engmaschig durchnormiert, aber bisher keine Normen festgelegt22, die sich mit der Nachhaltigkeit von Produkten befassen und z. B. Produktstandards wie Langlebigkeit und Reparaturfähigkeit setzen. Nach Maurer liegen die Defizite bei zu geringen Garantiezeiten, nicht ausreichender Vorhaltung von Ersatzteilen, disproportionalen Preisunterschieden zwischen neuer Komplettware und Ersatzteil, Obsoleszenz durch Softwareupdates … (Maurer 2018). Durch das Fehlen solcher Standards erzielen Unternehmen ihre Gewinne zu oft hauptsächlich über hohe Umsätze und nicht über Qualität. Dabei werden die Umsatzgewinne privatisiert, „aber die Kosten für die Beseitigung von Umweltschäden durch Raubbau an Rohstoffen und Energie sowie die damit einhergehenden Emissionsfolgen sozialisiert“ und damit gemeinwohlschädigend allen Bürgern auferlegt. „In Wahrheit liegt hier ein eklatantes Marktversagen vor, welches dringend durch Regulierung korrigiert werden müsste. Gesetzliche Mindestqualitätsanforderungen für möglichst viele Produktgruppen sind kein unzulässiger Eingriff in die unternehmerische Freiheit. Durch einen soliden rechtlichen Rahmen sollten diejenigen belohnt werden, welche nachhaltig und qualitativ sehr hochwertig produzieren.“ Helmut Maurer

22Erst im Aktionsplan zur Kreislaufwirtschaft geht die EU mit dem Ökodesign-Arbeitsprogramm 2016–2019 erste Schritte in diese Richtung. https://ec.europa.eu/germany/news/20190304-aktionsplan-kreislaufwirtschaft_de, Zugriff 30.05.2020.

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Produktänderung durch veränderte Hersteller- und Nutzerinteressen Veränderungen und Antriebe, die das Potenzial haben, die aktuelle ScheinKreislaufwirtschaft zur umweltschonenden Ressourcenwirtschaft zu entwickeln, können aus zwei Richtungen gesehen werden. Einerseits sind verschiedene Rohstoffe mittlerweile so knapp und wertvoll geworden, dass Hersteller sich diese am Markt sichern wollen. Andererseits verändert sich gerade unter jungen Menschen der Anspruch an die Produkte, jedenfalls in einigen Bereichen, weg vom Besitzen hin zum Nutzen. Viele Rohstoffe, gerade in Bereichen der Spitzentechnologie, wie bei der Herstellung von Smartphones und bei der Elektromobilität für die Batterieherstellung, werden knapp und somit teurer oder werden unter mittelalterlichen, kritischen Bedingungen mit Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung abgebaut (beispielsweise die Erze Coltan und Kobalt im Kongo). Dieser Umstand induziert einerseits ein größeres Interesse an der Rückgewinnung der Materialien aus gebrauchten Produkten bis hin zur Wiederaufnahme älterer Ablagerungen. Beides hat mittlerweile eine eigene Bezeichnung als Urban Mining. Um 250 g Gold als Primärrohstoff zu gewinnen, müssen beispielsweise über 50 t Gestein abgebaut werden. Die gleiche Menge Gold ist aber auch über das Recycling von 1 t Elektronikschrott zu erreichen. Seltene Erden, die insgesamt gar nicht so selten sind, wie der Name es vermuten lässt, kommen nur im Verbund, in diffusen Vorkommen mit anderen Stoffen verteilt und oft mit Radioaktivität gekoppelt vor und sind deshalb schwer abzubauen und voneinander zu trennen. Zudem hat China die klar dominante Stellung als Produzent von seltenen Erden (97 %, davon 45 % Bayan Obo Mine) und schafft somit hohe Marktabhängigkeiten (Fahimi 2012). Sicherlich weist auch hier das Recycling die oben beschriebenen Probleme der Verluste und des Downcyclings (Verschlechterung der Materialeigenschaften) auf, aber bei einem sicheren Zugriff auf Altprodukte bekommt hier der Begriff Produktverantwortung eine wesentlich höhere Bedeutung. Und zwar bidirektional: Das Produkt erlangt Verantwortung (Bedeutung) für die Sekundärrohstoffversorgung des Herstellers. Die Produkte sind deutlich anders zu gestalten, herzustellen und zu konsumieren. Wenn das Produkt im Eigentum des Herstellers bleibt, ist der Zugriff auf die beinhalteten Materialien gesichert und die investierten Aufwendungen für das Produktdesign (Modularisierung, Trennbarkeit) rentieren sich direkt beim Unternehmen. Solche „Eigentum-Produkte“ erfordern ein ganz anderes Herangehen an Gestaltung, Materialeinsatz und Rückführlogistik (Reverse Logistics).

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Abb. 8.8  Eigentum-Produkt sichert Ressourcenzugriff für Hersteller

Auch das Leitbild „Nutzen statt Kaufen“ der Sharing Economy führt zu geänderten Anforderungen an das Produkt oder die Dienstleistung. Der Grundgedanke Nutzen statt Besitzen kann aber nicht nur als neues marktwirtschaftliches Geschäftsmodell angesehen werden, auch nachbarschaftliches23 oder genossenschaftliches Nutzen von Produkten stellt ähnliche Produktanforderungen. In Abb. 8.8 sind durch den breit dargestellten Kreislauf die Vorteile eines solchen Systems hinsichtlich der Ressourcenschonung zu erkennen. Sicherlich sind auch hier nicht alle Stoffe im Kreislauf zu führen und Verluste müssen in Kauf genommen werden. Auch besteht die Gefahr eines potentiell überhöhten Verschleißes der Produkte, insbesondere wenn Nutzer nachlässig mit den Produkten umgehen. Dieser Kehrseite können Produktentwickler durch langlebige Ausgestaltung der Produkte begegnen. Weitere Strategien und Grundlagen einer nachhaltigen Produktentwicklung wie der Einsatz von nachwachsenden, recycelten und schadstofffreien Materialien, 23z. B. das Peer-to-Peer Car-Sharing – eine neuere Form der gemeinsamen privaten Autonutzung. https://www.ioew.de/publikation/nutzen_statt_besitzen_1, Zugriff 01.06.2020.

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der Rezyklierbarkeit der eingesetzten Werkstoffe, der Langlebigkeit, der Reparierbarkeit, der fairen Produktion, der Naturraumerhaltung, der Energie- und Distributionseffizienz beschreibt Wiesner im neuen Handbuch für Integrated Design Engineering (Wiesner 2020). Der schweizer Politik-, Wirtschafts- und Unternehmensberater Walter Stahel beschreibt die Umbrüche, die ein solches Modell hätte, wie folgt: „Wenn ein Produkt nicht mehr besessen wird, sondern nur der Nutzen abgekauft wird, verändert sich alles. Das Produkt bleibt im Eigentum des Produzenten. Er kann seinen Gewinn maximieren, indem er den Nutzen an seinem Produkt möglichst lange verkaufen kann. Und damit hat er ganz automatisch ein Interesse an den Dingen, die nachhaltiges Wirtschaften ausmachen: Langlebigkeit, modularer Austausch von Komponenten, Weiternutzung von Einzelkomponenten nach Ablauf der Lebensdauer des Gesamtprodukts.“ Walter Stahel (2000, S. 43)

8.5 Mensch Zum Schluss soll noch einmal der Mensch als Individuum in seiner Rolle für eine nachhaltige Entwicklung betrachtet werden. Er ist in allen vorher genannten Bereichen beteiligt und beeinflusst eine nachhaltige Entwicklung im positiven wie leider aktuell auch vorrangig im negativen Sinne. Damit wird der Mensch zum wichtigsten Element in diesem Wirkungsgefüge, welches am schwierigsten zu ändern ist. Diese Änderung wird aber am dringlichsten benötigt. Viele Ansätze und grundlegende Überlegungen wie die Einstellung des Menschen als Herrscher oder als Teil der Natur sind dazu bereits im Abschn. 7.4 genannt und müssen hier nicht wiederholt werden. Auch wenn der Mensch selbst Treiber der Entwicklung von Technik und Digitalisierung ist, wird man das Gefühl nicht los, dass diese Entwicklung schneller voranschreitet als die adäquaten menschlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Während die künstliche Intelligenz mit hohem Einsatz entwickelt wird, fehlen notwendige Innovationen im gesellschaftlichen Raum. Nun muss daraus nicht eine Spenglersche faustische Maschinenkultur mit der Tendenz zur Selbstzerstörung abgeleitet werden: „Der Herr der Welt wird zum Sklaven der Maschinen“24. Die Technik selbst ist nicht dämonisch, sondern der Mensch entscheidet über Entwicklung und Ein-

24Spengler,

Oswald: Der Mensch und die Technik C. H. Beck München, 1931.

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satz. Der Gedanke soll Defizite aufzeigen und das Erfordernis, dass für einen Systemwechsel Mensch, Technik und Gesellschaft aufeinander abgestimmt und unter Berücksichtigung ihrer Wechselwirkungen entwickelt sein müssen. Sicher hat der Mensch auch eine egoistische Seite – den schon oft diskutierten Homo oeconomicus. Ulrich vertritt dazu die These, dass die ökologische Krise im Kern keine Krise der Natur, sondern eine unseres Selbstbildes ist (Ulrich 2019, S. 209). Egoismus ist keine Quelle des Fortschritts, sondern einfach nur eine falsche Ideologie. Sie besteht und diktiert die Bedingungen, solange wir kein „alternatives Bild von uns als Individuum haben“. „Konkurrenzverhältnisse werden dabei ideologisch als »Normalität« der menschlichen Entwicklungsbedingungen angesehen, obwohl die moderne Evolutionsforschung genau das Gegenteil belegt, dass nämlich Kooperation und nicht Konkurrenz das erfolgversprechende Muster für Entwicklung ist.“ Gustav Bergmann, Jürgen Daub (2012, S. 37)

Der Mensch muss als kooperatives Wesen begriffen werden und menschliche Gemeinschaft, Gesellschaft sind unter diesem Kredo zu gestalten. Dazu müssen persönliche und damit auch gesellschaftliche Ziele neu überdacht und gewichtet werden. Ulrich fordert dazu beispielsweise • Motivation durch Partizipation statt durch Druck und Drohung, • ein hegender statt erziehender Umgang mit Kindern für Entfaltung statt Zurichtung, • Diversität statt Konformität, • mehr Weiblichkeit statt freidrehender Männlichkeit, • Work-Life-Balance statt Unterwerfung des Lebens unter die Arbeit. Auch Wohlstand ist persönlich neu zu definieren und nicht allein materiell zu sehen: Neben dem Güterwohlstand sind nach einem gewissen Grundbedürfnisstandard auch Ernährungs-, Tätigkeits-, Raum-, Zeit-, Beziehungs-, Informations- und Demokratiewohlstand für das individuelle Wohlergehen wichtig (Holzinger 2012, S. 207). Die Suche nach einem Paradigmenwechsel, nach neuen Werten wird nach Paul Raskin et al. (2003, S. 56) von einem komplexen Satz von Faktoren vorangetrieben, siehe Tab. 8.1. Dabei spielen sowohl Ängste als auch Wünsche eine Rolle. Die Angst vor ökologischen und sozialen Krisen führt dazu, dass die Menschen etablierte Werte in Frage stellen und die Not-

162     H. Haase Tab. 8.1  Wirkungen in Richtungen eines neuen Paradigmas. (Nach Raskin et al. 2002, S. 56, angepasst nach Holzinger 2012, S. 224) Push

Pull

Angst vor Zukunft

Verheißung von Sicherheit und Solidarität Eine Ethik der Verantwortung für den Mitmenschen ebenso wie für die Natur

Befürchtung, dass politische Modifikationen die Krise nicht verhindern können Drohender Verlust von Entscheidungsfreiheit mangels Alternativen Entfremdung durch eine dominante Kultur Stressiges, gehetztes Leben

Anteilnahme am Leben der Gemeinschaft, am politischen wie kulturellen Leben Ein sinnerfülltes, selbstgewähltes Leben Zeit für persönliche Dinge, mehr Nähe zur Natur

wendigkeit eines Wechsels erkennen (Push). Gleichzeitig ziehen Visionen von einer harmonischeren Welt und einem besseren Leben die Menschen auf das neue Paradigma (Pull). Gemeinsam führen die Faktoren zu einem revidierten Begriff von Wohlstand, der Prinzipien der Erfüllung, der Solidarität und der Nachhaltigkeit in den Vordergrund rückt (Raskin 2002, S. 55). Für den einzelnen Menschen ist es schwierig, in einer marktwirtschaftlich dominierten Gesellschaft diesen Richtungswechsel voranzutreiben, da er gegen die Normalität unter Aufkündigung der Konformität mit ihr handeln muss. „Solange man für 30 € nach Rom fliegen kann, bedarf es eines gewissen asketischen Heldentums, darauf zu verzichten.“ Bernd Ulrich (2019, S. 199)

Gemeinsames Agieren mit Gleichgesinnten kann hier eine andere Sicht auf Ziele und Gemeinschaftssinn sowie Motivation zum Handeln erzeugen, im besten Fall sogar in alternative Lebens- und Wirtschaftsformen im Nahfeld münden. Für das Einzelwesen ist es allerdings bedrückend, allein die Verantwortung aufgebürdet zu bekommen. „Sie dienen mir eine Verantwortung an, die ich nicht tragen kann, weil das, was ich verantworten soll, überhaupt nicht in meiner Verfügungsgewalt ist.“ Marianne Gronemeyer Holzinger (2012, S. 226)

Wie Felix Ekardt (siehe Abschn. 7.4.1) sieht Ulrich hier die Politik in der Pflicht, „das Richtige zur Struktur werden zu lassen, das Gebotene zu

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gebieten“, um dem Handeln des Einzelnen Motivation und Legitimation zu geben. Demokratische Politik erfordert, wie Ulrich es nennt, „die soziale und ökologische Muskulatur des Einzelnen zu entlasten – jedenfalls teilweise“ (Ulrich 2019, S. 199). Die Politiker*innen wiederum brauchen demokratische Legitimation für politische Veränderungen und damit schließt sich der Kreis!

8.6 Die Lehrsätze Im gegenwärtigen kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem bildet eine Mischung aus Markt, Konkurrenz und Wachstum(sglauben) den Treibstoff, der die Titanic vorantreibt. Wir navigieren in gefährlichen Gewässern. Das Vorhandensein von Eisbergen ist bekannt und aus Erfahrung wissen wir auch, dass nur ein kleiner Teil der Probleme sichtbar ist. Scheinbar haben wir es verschlafen, weit genug voraus das Terrain zu erkunden und müssen nun unseren Kurs drastisch korrigieren, um Kollisionen zu vermeiden. Achtung: Ihre große Trägheit und lange „Bremswege“ erschweren das Manövrieren zusätzlich! Zu diesem Bild passt gut die Story eines Funkverkehrs, der am 16. Oktober 1997 von der Frequenz des Spanischen Maritimen Notrufs, Canal 106, an der Galizischen Küste Costa De Finisterra aufgenommen worden ist: Ein Galizier fordert den Kapitän eines amerikanischen Flugzeugträgers zum Kurswechsel auf, um eine Kollision zu vermeiden. Dieser sieht es als Mitglied eines alliierten Staates, als Mitglied der Nato, als Befehlshaber über eine militärische Streitmacht und im bedeutenden, internationalen Auftrag handelnd nicht ein, dass er den Kurs wechseln soll und fordert den Galizier auf, nein befiehlt ihm, seinen Kurs zu wechseln. Darauf der Galizier: Hier spricht Juan Manuel Salas Alcantara. Wir sind zwei Personen. Uns geleiten unser Hund, unser Essen, zwei Bier … und wir fahren nirgendwo hin, da wir mit Ihnen vom Festland aus reden. Wir befinden uns im Leuchtturm A-853 Finisterra an der Küste von Galizien. (Kurzfassung nach Watzke 2008)

Vielleicht liegt die Rettung aber auch nicht in dem großen, innovativen, technisch „unsinkbaren“ Versprechen einer „titanischen“ Arche Noah, sondern in kleinen, flexiblen, wendigen Einheiten, die sich dem natürlichen Wellengang anpassen und nicht dagegen anzukämpfen versuchen? Wenn wir uns als Außenstehende, als Herrschende der Umwelt(probleme) sehen und nicht als Teil der Natur, werden Veränderungen nur schwer umzusetzen sein.

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Die aus Sicht des Autors erforderlichen Ansätze, um die Chance für eine Transformation zu wahren, sind nachfolgend in Form von Lehrsätzen zusammengefasst.

8.6.1 Lehrsatz 1: Nachhaltigkeit erfordert interdisziplinäre Zusammenarbeit und vernetztes Denken für komplexe Systeme im globalen Zusammenhang „Wir leben in einer Welt wachsender Komplexität. Wenn wir sie verstehen wollen, müssen wir ein neues, ein vernetztes Denken und Handeln entwickeln.“ Frederic Vester

Umso schneller die vernetzte, digitale und beschleunigte Welt sich um uns herum zu drehen scheint, umso wichtiger wird ein intuitives, kreatives und emotionales Denken, das Widersprüche und komplementäre Perspektiven zulässt25. „Alles, was nicht ganzheitlich gedacht und gelebt wird, rächt sich früher oder später, weil das Übersehene, mindestens gleich Gültige oder noch Wichtigere integriert werden muss.“ Christian Felber (2008, S. 18)

Nachhaltigkeit als Prozess der „inneren Transformation“ fordert nach Bruhns eine Selbstidentifikation im System: Das Verstehen der eigenen Person und ihrer Handlungen (Beziehungsmuster), die Beziehungen zur Umwelt (menschlich/nicht menschlich) und die Auswirkungen der eigenen Handlungen (siehe hierzu auch den Abschn. 7.4.2 zum Thema Selbstreflexion). Um die Transformation zur Nachhaltigkeit aktiv zu gestalten, ist die Kultivierung von Beziehungsmustern erforderlich, die mit dem gewünschten systemischen Zustand kohärent sind. Als Randbedingungen nennt Bruhns sichere Räume, Vertrauen, Offenheit, geeignete Reflexions-/ Sparringspartner, Out-of-the-box-Perspektiven und Zeit (!!!) (Bruhn 2018). Ein „Wertewandel von einem Haben- zu einem Seins-orientierten Leben“ erfordert über technologische Innovationen und politische Leitplanken

25Slow Thinking: Die Kunst, vernetzt zu denken. https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/slowthinking-die-kunst-vernetzt-zu-denken/, Zugriff 30.05.2020.

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hinaus einen kulturellen Wandel „hin zu einer Kultur der Achtsamkeit und Teilhabe“ (Bruhn 2018). „Ich suche nicht, ich finde. Suchen, das heißt, ausgehend von alten Beständen und dem Drang, das Vertraute im Neuen zu finden. Finden, das ist das ganz Neue, das Neue auch in Bewegung. Alle Wege sind offen, und was gefunden wird, ist ungewohnt. Es ist ein Wagnis, ein heiliges Abenteuer. Die Ungewissheit solcher Unternehmungen kann nur derjenige auf sich nehmen, der sich in der Unsicherheit sicher fühlt, der sich in der Ungewissheit, in der Orientierungslosigkeit führen lässt, der sich von der Zielperson ziehen lässt und die Zielperson nicht selbst definiert. Eine solche Offenheit gegenüber neuen Einsichten, äußeren und inneren, das ist das Wesen des modernen Menschen, der bei aller Angst vor dem Loslassen dennoch den Segen erfährt, in der Eröffnung neuer Möglichkeiten gehalten zu werden.“ Pablo Picasso in Bruhn (2018)

8.6.2 Lehrsatz 2: Es gibt kein Generalkonzept zur Lösung des Problems und keine Erfahrungen. Das Problem ist existenziell. Ein Gegeneinander ist hierbei nicht hilfreich. Vieles muss parallel, möglichst verzahnt und möglichst sofort ausprobiert werden „Es ist nicht so schwer, neue Konzepte und Strategien zu entwickeln, viel schwerer ist es, die alten Routinen und Leitbilder zu vergessen.“ John Maynard Keynes, in WBGU (2011, S. 283)

Bei der Energiewende – einem Teilaspekt auf dem Weg in die Nachhaltigkeit – können die fossilen Energieträger nicht einfach durch eine universelle Energie-Wandlungsart ersetzt werden, sondern es ist ein Mix aus unterschiedlichen regenerativen Energiequellen, aus einem effizienten Einsatz und aus Energieeinsparung durch Verzicht, z. B. auf energieintensive Mobilität, erforderlich. Zur Erreichung eines nachhaltigen Zustandes unserer Welt sind – wie bei der zuvor beschriebenen Energiewende – die Möglichkeiten und Maßnahmen vielfältig! Einige Akteure sind bereits mit unterschiedlichen Ideen unterwegs und unterschiedliche Lösungsansätze werden auch bei dieser Aufgabe erforderlich sein!!! Es ist kein Königsweg in Sicht. Alle Möglichkeiten müssen genutzt werden!

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Die Suffizienzstrategie, das Ausprobieren von alternativen Ansätzen und Lebensweisen in kleinen, dezentralen Gruppen und übersichtlichen Regionen, kann einen Weg zu einem „verträglichen, menschlichen Maß“ im Einklang mit den natürlichen Möglichkeiten aufzeigen. Hier ist ein langsames Wachsen oder besser Ausbreiten, ein Ausprobieren und Erfahrungen sammeln möglich. Auch ein Scheitern einzelner Versuche, ohne großen Schaden anzurichten, ist inbegriffen. Die Strategien Effizienz und Konsistenz können zur langfristigen Umgestaltung der industriellen Produktion in einer ökosozialen Marktwirtschaft, einer steady-state- oder auch einer Postwachstumsökonomie genutzt werden. Bei der Effizienz müssen Rebound-Effekte verhindert werden, um die durch Innovationen gesteigerte Ressourcenproduktivität nicht wieder aufzuzehren. Der Aufbau konsistenter Kreisläufe erfordert ebenfalls technische Entwicklungen und benötigt Zeit. Der wirtschaftliche Umbau kann nur global gedacht werden und erfordert eine Global Governance, die die planetaren Leitplanken setzt. Die (sofortige) Kompensation von Treibhausgasemissionen durch freiwillige und administrative „verlorene“ Finanzierungszuschüsse greift beim dringlichsten Problem der Klimakrise an, um die notwendige Zeit für eine gesellschaftliche Transformation zu gewinnen. Die Kompensationsmaßnahmen und Vermeidungs- und Verminderungsansätze sind global zu denken, um die vorhandenen Finanzmittel gut dort „anzulegen“, wo die größten Effekte erzielt werden können. Wenn in Europa nur mit hohem Aufwand und gegen große Widerstände geringe Einsparungen zu erreichen sind, dann ist es besser, in den Ländern des globalen Südens beispielsweise moderne Energiesysteme aufzubauen und gleichzeitig dort Co-Benefits zur ganzheitlichen Umsetzung der Sustainable Development Goals zu schaffen. Dafür ist eine differenzierte, international abgestimmte Kooperation erforderlich. Es ist also wenig hilfreich, in den unterschiedlichen Konzepten für nachhaltige Entwicklung nur mögliche Denkfehler nachzuweisen. Die verschiedenen Konzepte sollten besser auf Verzahnungsmöglichkeiten, zeitliche Reihung und gemeinsame Potenziale untersucht werden. „Es geht um einen neuen Gesellschaftsvertrag für eine klimaverträgliche und nachhaltige Weltwirtschaftsordnung. Dessen zentrale Idee ist, dass Individuen und die Zivilgesellschaften, die Staaten und die Staatengemeinschaft sowie die Wirtschaft und die Wissenschaft kollektive Verantwortung für die Vermeidung gefährlichen Klimawandels und für die Abwendung anderer Gefährdungen der Menschheit als Teil des Erdsystems übernehmen. Der Gesellschaftsvertrag

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kombiniert eine Kultur der Achtsamkeit (aus ökologischer Verantwortung) mit einer Kultur der Teilhabe (als demokratische Verantwortung) sowie mit einer Kultur der Verpflichtung gegenüber zukünftigen Generationen (Zukunftsverantwortung).“ WBGU (2011, S. 282)

8.6.3 Lehrsatz 3: Alles in Frage stellen! Demut und nicht Übermut! Den Menschen als Teil der Natur sehen! „Es geht vielmehr darum, das ganze System der menschlichen Entwicklung … komplett zu überdenken. … Falls die Menschheit ihre Umweltprobleme lösen und eine bessere Welt aufbauen will, muss sie nahezu alles hinterfragen, was ihr bisher normal erschienen ist.“ Graeme Maxton (2018, S. 8)

Hier wäre noch einmal die Wertediskussion aufzunehmen (siehe Abschn. 7.4.1). Die Diagnose Ronald Ingleharts in seinem Buch „The Silent Revolution“ (1977), dass sich die Konsumnachfrage mit steigendem Einkommen und einer zunehmenden Bedürfnisbefriedigung zunehmend in Richtung immaterieller Güter und Lebensqualität verschieben und sich die Ökonomie folglich von selbst dematerialisieren werde, ist zwar eine Hoffnung, aber in der Mitte der westlichen Gesellschaft bisher noch nicht angekommen. Viele Menschen versuchen, ein gelungenes Leben und eine repräsentative Identität vorrangig durch einen energie- und ressourcenintensiven Lebens- und Konsumstil zu realisieren. „Sie sind Angehörige eines zivilisatorischen Systems, das Sie mehr oder weniger dazu zwingt, die Welt weiter zu zerstören, um zu leben.“ Daniel Quinn (1994)

Die Beharrungskraft dieses Stils gegenüber der Suffizienz-Maxime, gut zu leben, statt viel zu haben, ist nicht zu unterschätzen und der Widerwille gegen Verzichtsforderungen sowie aufgezwungene Verzichtsmaßnahmen (etwa ökologische Preise) groß (Stengel 2011, S. 214). Der Wechsel zu einem nachhaltigen Verhalten muss daher als (möglicherweise langwieriger) Prozess verstanden werden, als eine Folge von kleinen Schritten, die entweder auf Einsicht oder erzieltem Nutzen oder veränderter Gewohnheit beruhen (Linz 2004, S. 31). „Die wachsende Zahl von Menschen, die einen Anfang mit Widersprüchen wagen, stellt ein größeres Veränderungspotential dar als einige wenige, die

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sich fundamental anders verhalten. Mit Widersprüchen, Ambivalenzen und Anfängen können sich mehr Menschen identifizieren als mit Fundamentalisten.“ Micha Hilgers in Linz (2004, S. 31)

Der Druck von unten bewirkt langfristig auch politische Änderungen und gibt den Politikern Legitimation zum Handeln. Wir benötigen mehr Aufmerksamkeit und Achtsamkeit den einfachen Lösungen, aber auch uns selbst (siehe auch Lehrsatz 1) und der Natur gegenüber. Natur darf nicht beherrscht werden, um sie in Exportgüter oder Freizeitparks zu verwandeln. Der Mensch muss akzeptieren, dass er Teil der Natur ist und ihre biophysikalischen Grenzen zu beachten hat. „Es liegt an überholten Weltbildern, die dazu führen, dass wir Menschen uns außerhalb der Natur empfinden, als etwas von der Natur Verschiedenes. Naturvergessenheit könnte man das nennen. Damit haben auch Religionen zu tun. In der Art und Weise, wie der Mensch über die Natur erhoben und Gott ähnlich gemacht wird, haben wir die Natur erniedrigt. Der Mensch betrachtet die Natur nur noch als Werkzeug oder als Bausteine und nichts anderes – obwohl wir wissen, dass wir selbst in die Natur eingebettet sind. Diese Vorstellung der Trennung müssen wir überwinden.“ Hans-Peter Dürr (2010, S. 50)

Der oft von reformistischen Vertretern geäußerte Gedanke, der Norden muss sich eventuell vom Wachstumswahn verabschieden, um bei endlichen Ressourcen im Süden Wachstum nach „westlichen Muster“ und damit ein Aufholen im Wohlstandsniveau zu ermöglichen, greift zu kurz und verharrt in konventionellen Denkmustern. Dahinter steckt der Glaube an die Zukunftsfähigkeit einer marktwirtschaftlichen Globalisierung und die schadensfreie Übertragbarkeit auf andere Kulturen. Bei der Gestaltung der Zukunft sollte indigenen Visionen wie „Ubuntu“ und „Buen Vivir“ genügend Platz eingeräumt werden (Ramose 2016, S. 277). Das lateinamerikanische Konzept „Buen Vivir“ oder „Sumak Kawsay“ sieht sich nicht als alternative Entwicklung, sondern als Alternative zur Entwicklung. Es versteht sich weltanschaulich als „Zusammenleben in Vielfalt und Harmonie mit der Natur“ und fordert „gutes Leben“ für alle und nicht „Dolce Vita“ für Wenige (Acosta 2017, S. 177). „Wenn man zu wählen hat zwischen Erhaltung […] und dem Besitz überschüssigen Reichtums, muss man sich für die Erhaltung des Lebens entscheiden.“ Ubuntu-Philosophie

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8.6.4 Lehrsatz 4: Wir brauchen Provokationen, um zu erkennen, was schlecht am Alten ist und Visionen, um Neues zu denken Intellektuelle wie Illich, der durch Industrialisierung die individuelle Autonomie verloren sieht, oder Knoflacher, der mit seinem Gehzeug demonstriert, wie viel Platz wir dem Auto einräumen, provozieren bewusst und regen zum Nachdenken über unmenschliche „Normalitäten“ an. Erst beim genaueren Hinsehen, kritischen Reflektieren und „selbst denken“ kann erkannt werden, was im Kern wertvoll, nützlich und in Abwägung aller Wirkungen erhaltenswert ist. Und natürlich auch, was für einen selbst wichtig ist, was dem „menschlichen Maß“ entspricht. Dabei darf Widerstand und Veränderung durchaus Spaß machen und ästhetische Strategien sind nach Welzer „sehr viel lust- als auch wirkungsvoller als die altbekannten Latschdemos mit anschließender Kundgebung“ (Welzer 2019, S. 292). Als Beispiele für kreative Aktionen/Provokationen sind die amerikansichen Yes-Men, das Berliner Peng!-Kollektiv oder das Zentrum für politische Schönheit zu nennen. Während auf der einen Seite Vorhandenes auf die oben beschriebene Weise zu hinterfragen ist, braucht es alternative, neue Ideen zur Lösung der anstehenden Probleme. Das Magazin für Zukunft und Politik taz.Futurzwei titelte einmal „Wer keine Visionen hat, soll zum Arzt gehen“ in Umkehrung eines Zitates von Helmut Schmidt. „Die wirkliche Herausforderung des 21. Jahrhunderts besteht darin, … das zivilisatorische Projekt der Moderne weiterzudenken und weiterzubauen. Ein radikales Modernisierungsprojekt, die Wiedereinführung von ZUKUNFT in die Politik. Die Zukunft von heute ist nicht mehr: weniger Ungleichheit, mehr Humanität, gerechtere Verteilung, ein befriedetes Naturverhältnis. Sie ist: eine Konsumhölle im globalen Maßstab. Dass das nicht gut gehen kann, erzeugt das diffuse, aber drängende Grundgefühl. Je neurotischer die Politik an den (alten) Rezepten festhält, desto klarer wird, warum es gegenwärtig vibriert im mentalen Haushalt der Republik. Unklar allerdings bleibt, wer am Ende den politischen Resonanzkörper für diese Vibrationen bauen kann.“ Harald Welzer (2018, S. 3)

Um die Menschen mitzunehmen, ihnen eine Idee des Da-hin-Wollens zu geben, braucht es attraktive Visionen, Träume, Ziele und Zukünfte. Dabei muss keiner auf die Visionen der Politik warten, sondern sollte selbst aktiv werden.

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„Jetzt kommt eine neue Generation, eine neue Bewegung. Die wird einen neuen Sound des Politischen entwickeln, sich nach Spaß im Widerstand anfühlen, irritierend sein und insgesamt so, dass man zu denen gehören will, die diese Utopie zur Wirklichkeit machen.“ Harald Welzer (2019, S. 294)

8.6.5 Lehrsatz 5: Fangt an! Am besten bei Euch selbst! Sucht Verbündete! Alle Vorhersagen der Wissenschaftler*innen, oft als lähmende Dystopien oder gar als Alarmismus eingestuft, mögen sie auch noch so gut wissenschaftlich begründet sein, haben die Menschheit bisher nicht vom Wissen zum Handeln geführt. Die Ziele bleiben, nur die zur Verfügung stehende Zeit wird immer knapper, aber nichts ändert sich. Das Hoffen auf politische Veränderungen oder die Selbsteinsicht der Global Player der Wirtschaft zur freiwilligen Ressourcen- und Klimaschonung führt eher in persönliche Passivität – und beinhaltet ein gewaltiges Frustpotenzial. „Alle … Daten sind der Öffentlichkeit zugänglich und weithin bekannt. Die nahezu unglaubliche Tatsache ist jedoch, dass bisher keine ernsthaften Anstrengungen unternommen wurden, um das uns angesagte Schicksal abzuwenden. Während im Privatleben nur ein Wahnsinniger bei der Bedrohung seiner gesamten Existenz untätig bleiben würde, unternehmen die für das öffentliche Wohl Verantwortlichen praktisch nichts, und diejenigen, die sich ihnen anvertraut haben, lassen sie gewähren.“ Erich Fromm (1976, S. 23)

Um dieses Zitat von Erich Fromm, welches auch das Buch einleitet, zu konkretisieren: Es sind nicht nur die Daten (Rohmaterial, beispielsweise Temperaturmessungen) bekannt und daraus abgeleitete Informationen (strukturierte Daten, beispielsweise Zeitreihen, Verläufe, Temperaturanstieg, gegebenenfalls mit regionalem Bezug). Auch das erforderliche empirische Wissen (Informationen mit wechselseitigen Zusammenhängen, Wirkungsgefüge, Ursache-Wirkung-Zusammenhänge, beispielsweise die Hypothese für die Klimaerwärmung und eine statistisch verlässliche Überprüfung dieser Hypothese) steht der Menschheit zur Verfügung. Es existiert das Wissen, wer die Hauptverursacher, die Top Emitters sind – Personen mit einem elaborierten Lebensstil und die für diesen Lebensstil erforderlichen Wertschöpfungs- und Dienstleistungsprozesse (fossile Energiewirtschaft, industrielle Landwirtschaft, …). Über den ökologischen Fußabdruck werden aber auch Ansatzpunkte für Veränderung deutlich und in welchen

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Bereichen die wichtigsten Stellschrauben, die Big Points, liegen (Fliegen, Fleisch, Heizen, Hyperkonsum). Diese Ansatzpunkte und Handlungsoptionen gelten für jeden Einzelnen, je nach seinen individuellen Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie Wirkungsmöglichkeiten. Die Voraussetzungen (befriedigte Grundbedürfnisse, Entscheidungsfreiheit, Haltungen, Empathie, …) und darauf aufbauend erlernte Fertigkeiten bilden die Grundlage, um zu handeln. Mit der entsprechenden Motivation führt dies zu eigener Verhaltensänderung und zu nachhaltigem Handeln. Durch aktive Mitgestaltung kann nicht nur weniger schlecht (reduzierter Fußabdruck – Footprint), sondern über sogenannte Handprints auch positiv gewirkt werden. Die Möglichkeiten und Wirkungsfelder in beiden Bereichen sind vielfältig: • individuelle Verhaltensänderung in Konsum, Wohnen, Ernährung und Mobilität, • gesellschaftlichen Druck erzeugen und den Politiker*innen Legitimation, Anreiz und Zwang zum Handeln geben, • selbst aktiv werden in zivilgesellschaftlichen oder politischen Organisationen, Bäume pflanzen und andere unterstützen, positive Maßnahmen zu ergreifen, • gemeinschaftliches Erproben von alternativen Wirtschafts- und Lebensformen in „Reallaboren“, • professionelle Einflussnahme bei der nachhaltigen Gestaltung von Prozessen, Produkten und Dienstleistungen. „Die Welt ist zum Verändern da, nicht zum Ertragen.“ Harald Welzer (2019, Cover)

Jeder Einzelne kann alternativ und aktiv im unmittelbaren Nahfeld tätig werden, Verbündete suchen und gemeinsam Empowerment (Anstiften zur (Wieder-)Aneignung von Selbstbestimmung über die Umstände des eigenen Lebens) betreiben. Solches Vorgehen bringt im doppelten Sinne Gewinn. Es erhöht die persönliche Kompetenz, schafft soziale Gemeinschaft und hilft dem Klima und der Menschheit für die Zukunft. Fehlende Zeit ist hier kein Argument, da Nicht-anfangen keine Verbesserung bringt. „… sie woll’n und woll’n es nicht begreifen, dass sich alles ändern muss und wandeln, und da gibt es nichts mehr zu verhandeln, kein System ist festgeschrieben in Gestirnen, alles nur erdacht in unvollkomm´nen Hirnen. Und

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drum habt den Mut – steht endlich auf, wenn der Lauf uns nicht gefällt, verändern wir den Lauf.“ Konstantin Wecker: Revolution, Album Ohne Warum, 2015

Momentan sind es noch wenige, die bei „Ende Gelände“ gegen fossile Energie demonstrieren oder den Hambacher Forst besetzen. Mit „Fridays for Future“ kommt die jüngere Generation, kommen die hauptsächlich Betroffenen hinzu. Auch genossenschaftliche oder nachbarschaftliche Gemeinschaften, die in „Reallaboren“ alternative Wirtschaftsformen proben, sind noch selten zu findende, aber bereits wahrnehmbare, erfolgreiche und sich ausbreitende Ansätze (Transition Town Totham, Ökodorf Sieben Linden, Lebensgut Pommritz, vitopia eG.)26. „Um etwas zu bewirken, braucht man nicht die Mehrheit. 80 % der Veränderungen werden von ganz wenigen Leuten bewerkstelligt. Find a few and make them powerful.“ Dennis L. Meadows (2000, S. 18)

26Siehe auch: Verzeichnis-Solidarische-Dörfer-Lebens-Gemeinschaften Ökoligenta (2017) und https:// ecovillage.org/, Zugriff 02.05.2020.

Literatur

Aachener Stiftung Kathy Beys: Lexikon der Nachhaltigkeit. https://www.nachhaltigkeit.info/artikel/steady_state_economy_1848.htm. Zugegriffen: 29. Dez. 2018 Aachener Stiftung Kathy Beys: Lexikon der Nachhaltigkeit. https://www.nachhaltigkeit.info/artikel/ziele_und_wege_3/indikatoren_54/schmidt_bleek_mips_ konzept_971.htm. Zugegriffen: 11. Jan. 2019 Acosta, A.: Buen Vivir. Vom Recht auf ein gutes Leben. oekom, München (2015) Alexander, S.: Grund- und Höchsteinkommen. In: D’Alisa, G., Demaria, F., Kallis, G. (Hrsg.) DEGROWTH. Handbuch für eine neue Ära. oekom, München (2016) Alt, F.: Sonnige Aussichten. Wie Klimaschutz zum Gewinn für alle wird. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh (2008) Andreucci, D., McDonough, T.: Kapitalismus. In: D’Alisa, G., Demaria, F., Kallis, G. (Hrsg.) DEGROWTH. Handbuch für eine neue Ära. oekom, München (2016) ASPO: https://aspo-deutschland.blogspot.com/p/peak-oil.html (2018). Zugegriffen: 9. Dez. 2018 Atmosfair: https://www.atmosfair.de/de/standards/zulassung_und_standards/ (2019). Zugegriffen: 12. Febr. 2019 Bardi, U.: Der geplünderte Planet. oekom, München (2013) Bauer, J.: Industrielle Ökologie. Theoretische Annäherung an ein konzept nachhaltiger produktionsweisen. Dissertation. Universität Stuttgart (2008). https:// elib.uni-stuttgart.de/bitstream/11682/5515/1/Dissertation_Bauer_.pdf. Zugegriffen: 20. Febr. 2019 Bauer, J.: Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren. Heyne, München (2008) Baumann, Z.: Dialektik der Ordnung. Die Moderne und der Holocaust. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg (2002) © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Haase, Genug, für alle, für immer, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31220-6

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