Genesis des Genozids: Polen 1939-1941

Seit den 90er-Jahren herrscht in der Öffentlichkeit wie in der Geschichtswissenschaft ein starkes Interesse am deutschen

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German Pages 248 [242] Year 2004

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Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Das Schlachtfeld zweier totalitärer Systeme. Polen unter deutscher und sowjetischer Herrschaft 1939–1941
„Tragische Verstrickung“ oder Auftakt zum Vernichtungskrieg? Die Wehrmacht in Polen 1939
Ermächtigung zur Vernichtung. Die Einsatzgruppen in Polen im Herbst 1939
„… Mißgeburten, die nicht auf dieseWelt gehören“ Die deutsche Ordnungspolizei in Polen 1939–1941
„… auf eine so saubere und anständige SS-mäßige Art“ Die Waffen-SS in Polen 1939–1941
„Exerzierplatz des Nationalsozialismus“ Der Reichsgau Wartheland 1939–1941
Zentrale und dezentrale Radikalisierung. Die Tötungen „unwerten Lebens“ in den annektierten west- und nordpolnischen Gebieten 1939–1941
Die zerrissene Nation. Die polnische Gesellschaft unter deutscher und sowjetischer Herrschaft 1939–1941
„Nicht in Melancholie verfallen“ Reaktionen der jüdischen Minderheit im deutsch besetzten Polen
Die polnisch-jüdischen Beziehungen unter sowjetischer Herrschaft. Zur Wahrnehmung gesellschaftlicher Realität im westlichen Weißrußland 1939–1941
„Sehr geehrter Herr Gestapo“ Denunziationen im deutsch besetzten Polen 1940/41
Zwischen den Ethnien. Die Oberschlesier in den Jahren 1939–1941
Abkürzungsverzeichnis
Die Autoren
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Genesis des Genozids: Polen 1939-1941

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Genesis des Genozids: Polen 1939–1941

Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, Bd. 3 Herausgegeben von Klaus-Michael Mallmann

Klaus-Michael Mallmann/Bogdan Musial (Hrsg.)

Genesis des Genozids: Polen 1939–1941 Herausgegeben im Auftrag des Deutschen Historischen Instituts Warschau und der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart

Wissenschaftliche Buchgesellschaft

Einbandgestaltung: Peter Lohse, Büttelborn Titelphoto: Erschießung von polnischen Zivilisten durch deutsche Soldaten im September 1939, akg-images

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Informationen sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2004 by Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-darmstadt.de

ISBN 3-534-18096-8

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Bogdan Musial: Das Schlachtfeld zweier totalitärer Systeme Polen unter deutscher und sowjetischer Herrschaft 1939–1941 . . . . . .

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Jochen Böhler: „Tragische Verstrickung“ oder Auftakt zum Vernichtungskrieg? Die Wehrmacht in Polen 1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dorothee Weitbrecht: Ermächtigung zur Vernichtung Die Einsatzgruppen in Polen im Herbst 1939

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Klaus-Michael Mallmann: „… Mißgeburten, die nicht auf diese Welt gehören“ Die deutsche Ordnungspolizei in Polen 1939–1941 . . . . . . . . . . .

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Martin Cüppers: „… auf eine so saubere und anständige SS-mäßige Art“ Die Waffen-SS in Polen 1939–1941 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Michael Alberti: „Exerzierplatz des Nationalsozialismus“ Der Reichsgau Wartheland 1939–1941 . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Volker Rieß Zentrale und dezentrale Radikalisierung Die Tötungen „unwerten Lebens“ in den annektierten west- und nordpolnischen Gebieten 1939–1941 . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Jacek Andrzej Młynarczyk: Die zerrissene Nation Die polnische Gesellschaft unter deutscher und sowjetischer Herrschaft 1939–1941 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

Andrea Löw: „Nicht in Melancholie verfallen“ Reaktionen der jüdischen Minderheit im deutsch besetzten Polen 1939–1941 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

170

Marek Wierzbicki: Die polnisch-jüdischen Beziehungen unter sowjetischer Herrschaft Zur Wahrnehmung gesellschaftlicher Realität im westlichen Weißrußland 1939–1941 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

187

Barbara Engelking: „Sehr geehrter Herr Gestapo“ Denunziationen im deutsch besetzten Polen 1940/41

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Adam Dziurok: Zwischen den Ethnien Die Oberschlesier in den Jahren 1939–1941 . . . . . . . . . . . . . . .

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Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung Der geschichtspolitische Diskurs des vergangenen Jahrzehnts in der Bundesrepublik – insbesondere die Goldhagen-Debatte und die Kontroverse um die beiden sogenannten Wehrmachtsausstellungen – besaß gleichermaßen seine Licht- und seine Schattenseiten. Einerseits plausibilisierte er den Begriff ‚Vernichtungskrieg‘, rückte endlich die Wehrmacht in den Lichtkegel des öffentlichen Interesses und nahm die realen Tatorte an der Peripherie des Deutschen Reiches in den Blick. Andererseits aber betrieb man eine Verinselung eben jenes Vernichtungskrieges, indem man ihn auf die Schauplätze Sowjetunion und Teile Südosteuropas begrenzte. Implizit bedeutete dies, daß man das Polen der Jahre 1939 bis 1941 ausblendete, daß der deutsche Vernichtungskrieg also erst am 22. Juni 1941 begann. 1 Relevant ist eben nicht nur, was erinnert, sondern auch, was vergessen wird. 2 In Polen hat diese Sichtweise zu Recht Befremden ausgelöst. 3 Gegen diese Aussparung in der neudeutschen Gedächtniskultur führt man ins Feld, daß Polen in einer immens langen Kriegszeit von 2078 Tagen zum Golgatha Europas wurde, daß es – bezogen auf seine Größe – mehr Schäden und Todesopfer zu beklagen hatte als jedes andere Land der Erde im Zweiten Weltkrieg. Von einer Gesamtbevölkerung, die 1939 35,1 Millionen betrug, verlor Polen etwa 5,5 Millionen Bürger – eine Verlustquote von 17,1 % gegenüber 1,2 % in Belgien und Frankreich, 1,6 % in Luxemburg, 2,1 % in der Tschechoslowakei, 2,2 % in den Niederlanden, 2,4 % in Albanien, 3,5 % in Griechenland, 10,8 % in Jugoslawien und 12,4 % in der Sowjetunion. 4 Und man betont, daß bereits der deutsche Septemberfeldzug gegen Polen außerhalb der völkerrechtlichen Kriegskonventionen und moralischen Standards seiner Zeit geführt, Gewalt immer mehr enthegt, immer weniger domestiziert wurde, der Zivilisationsbruch bereits 1939 an der Tagesordnung war. Und – so ließe sich hinzufügen – es war kein Geringerer als Generaloberst Franz Halder, der Generalstabschef des deutschen Heeres, der bereits im Frühjahr 1939 explizit von „Vernichtung“ sprach, als er die bevorstehende Auseinandersetzung mit Polen skizzierte. 5 Dieser polnische Einspruch gegen die diskursive Ordnung des deutschen Gedächtnisses spiegelt nicht nur unterschiedliche nationale Perspektiven auf das Geschehen, sondern reflektiert auch den fragmentierten Forschungsstand, mahnt Defizite an, verdeutlicht Desiderate. Eine umfassende Analyse des Septemberfeldzuges und der dabei verübten Verbrechen steht bis heute aus. Ebenso fehlt der wohl überaus aufschlußreiche Vergleich mit dem Überfall auf die Sowjetunion, dem Unternehmen „Barbarossa“ im Sommer 1941. Die Vorstellung von der „tragischen Verstrickung“ der deutschen Wehrmacht, die nach erfolglosen Pro-

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Einleitung

testen in Polen das Feld zugunsten der SS räumen mußte, ist auf deutscher Seite immer noch lebendig. 6 Es ist bezeichnend für den Wissensstand, daß die nach wie vor beste deutsche Darstellung des Septemberfeldzuges bereits aus dem Jahr 1977 stammt und weder die polnischen Quellen noch die polnische Literatur zur Kenntnis nimmt. 7 Obwohl man dem Septemberfeldzug und der deutschen Besatzung in der polnischen Geschichtsschreibung weitaus mehr Aufmerksamkeit schenkte, sind auch dort die Defizite offenkundig. Denn in aller Regel ziehen die polnischen Historiker die deutschen Quellen – insbesondere die umfangreichen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren – nicht heran, rezipieren sie nicht die deutschsprachige Forschung. Doch längst nicht nur die Sprachbarriere schafft Probleme. Obwohl Polen kein kommunistisch beherrschtes Land mehr ist, sind noch längst nicht alle Fälschungen und Entstellungen aufgearbeitet und revidiert, die von der offiziellen, parteilichen Historiographie in all jenen Jahrzehnten in die Welt gesetzt wurden und Geschichte als auf die Vergangenheit bezogene Politik mißbrauchten. In unserem Kontext betrifft dies vor allem die parallel erfolgende Besetzung Ostpolens durch die Sowjetunion und die Einschätzung der polnischen Heimatarmee. 8 Da gerade die deutsch-sowjetische Besetzung Polens Grundlagenforschung erforderlich macht, trafen sich deutsche und polnische Wissenschaftler am 9. und 10. September 2003 in Ludwigsburg unter dem Titel „Die Inkubationsphase des Vernichtungskrieges: Polen 1939–1941“ zu einer gemeinsamen Tagung des Deutschen Historischen Instituts Warschau und der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart. 9 Alle Vorträge des ersten Tages verwiesen darauf, daß am 1. September 1939 die Entgrenzung und Entregelung von Gewalt begann, daß Morde an polnischen und jüdischen Zivilisten und Kriegsgefangenen von Anfang an das Geschehen prägten, daß im Septemberfeldzug der Auftakt zum Vernichtungskrieg zu sehen ist, mit ihm die Genesis des Genozids einsetzte. Nicht nur der militärische Feind, sondern (fast) die gesamte polnische Gesellschaft wurde bekämpft. Eine offene Definition der Gegner und der anzuwendenden Mittel galt als ebenso selbstverständlich wie präventiver Terror. Erstmals begann man mit der Liquidierung einer nationalen Elite. Grenzen zu einem ‚Mehr‘ an Gewalt existierten nicht mehr. Allerdings gilt es auch Unterschiede zur Zeit ab 1941 zu beachten: Noch gab es keine Massenvernichtungslager. Noch kam es zu einzelnen Konflikten mit der Wehrmacht. Noch war die vollständige Ermordung lokaler jüdischer Populationen die Ausnahme, nicht die Regel. Im Vordergrund stand noch die „ethnische Säuberung“ mit durchaus inhärenten genozidalen Zügen 10 , nicht die umstandslose totale Vernichtung. Gleichwohl war 1939 das Denken und Handeln in völkischen Kategorien, das Selbstverständnis vom „Volkstumskampf“, das auch von der Wehrmachtsführung akzeptiert wurde, bereits voll entwickelt. 11 Rasse, Blut und Raum konstituierten bereits das normative Korsett der Besatzer. Äußerst bedeutsam war, daß dieses

Einleitung

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Normengefüge kein bloßes Propagandaunternehmen auf der Ebene volkspädagogischer Diskurse blieb, sondern noch während des Feldzuges Handlungsrelevanz erhielt. Die letzten Reste bürgerlicher Gesellschaftsverfassung – Konzepte von Staatsbürgerschaft, individuellen Freiheitsrechten und persönlicher Leistung – wichen bereits dem Paradigma ethnisch definierter Kollektive und mündeten direkt in die Praxis der rassischen „Flurbereinigung“. Konsens und Schulterschluß erwuchsen weniger aus Schulung und Propaganda, mehr durch das gemeinsame Vorgehen auf der Basis dieser Konzeption. 12 Ohne die in Polen eingeübte Habitualisierung von Gewalt, das Erlernen des rassistischen ‚Blicks‘, die Formung von Selbst- und Fremdbildern auf völkischer Grundlage lassen sich die Vorgänge nach dem 22. Juni 1941 nicht erklären. 13 Die Vorträge des zweiten Tages dienten dem Vergleich mit dem sowjetisch besetzten Ostpolen und beschäftigten sich mit der Reaktion der polnischen Gesellschaft einschließlich ihrer ethnischen Minderheiten in beiden Herrschaftshemisphären. In diesem Polen unter doppelter Tyrannei 14 überwogen die Übereinstimmungen: Beide Aggressoren zielten auf Entstaatlichung, Umwandlung in Kolonialraum, Entpolonisierung der westlichen ebenso wie der östlichen Hälfte des bisherigen Polens. Beide griffen zu Massenterror. Beide teilten die Bevölkerung in absteigende Kategorien der Unerwünschtheit ein. Beide bemühten sich mit vergleichbarer Energie, die Polen in den Zustand einer führerlosen Nation von Heloten hinabzudrücken. Die wichtigste Differenz rührte aus der Unterschiedlichkeit der Projekte ‚Germanisierung‘ und ‚Sowjetisierung‘: Die Nationalsozialisten zielten auf ethnische Homogenisierung und Hierarchisierung. Die Sowjets suchten die angestrebte soziale Vereinheitlichung und Nivellierung durch ein Gegeneinanderausspielen der Ethnien zu erreichen, wobei die klassenmäßig gerichtete Repression der Polen jedoch durchaus entlang der ethnischen und nationalen Linien verlief. Im Gegensatz zum sowjetisch besetzten Ostpolen gab es auf deutscher Seite kaum Kooperationsangebote, wenn man von dem an die einheimischen Volksdeutschen einmal absieht.15 Die Reaktionen darauf waren vielfältig und unterschiedlich, wiesen Grauzonen und Ambivalenzen auf und sperrten sich gegen die starre Dichotomie von Kollaboration und Widerstand. 16 Sie reichten von geschlossenem Boykott bis zur begeisterten Machtteilhabe, von der beginnenden Formierung des Polnischen Untergrundstaates bis hin zur Denunziation und mündeten gerade im sowjetischen Machtbereich in einer enormen Verschärfung des ethnischen Konfliktpotentials, dessen Virulenz aus der Statusänderung der ansässigen Nationalitäten im Zuge der Sowjetisierung resultierte. 17 Zugleich beförderten die exzessiven Gewalterfahrungen in beiden Besatzungshemisphären eine Transformation des Nationsbildungsprozesses, an dessen Ende ethnisch homogene Nachkriegsgesellschaften stehen sollten. Das Zeitalter der Extreme zersetzte so die noch vorhandenen vor- und übernationalen Identitäten, ließ die gewaltsame ‚Lösung‘ national definierter ‚Fragen‘ zur allgemein akzeptierten

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Einleitung

Normalität werden und verwarf zugunsten der ethnisch-sprachlichen Nationsidee endgültig jenes Konzept eines pluralistischen, multikulturellen und multiethnischen Landespatriotismus, das die ‚polnische Nation‘ der frühneuzeitlichen Rzeczpospolita einst ausgezeichnet hatte. 18 Der vorliegende Band enthält die überarbeiteten und um die Diskussionsergebnisse erweiterten Vorträge der Ludwigsburger Tagung. Er gliedert sich in zwei Teile mit sieben bzw. fünf Aufsätzen, die man in Anlehnung an Max Weber ‚Herrschaft‘ und ‚Gesellschaft‘ betiteln könnte. Eingangs finden sich jeweils Überblicke, die eine Synopse der Entwicklung in beiden Besatzungshemisphären beinhalten; 19 ihnen folgen jeweils Spezialstudien zu Teilbereichen. 20 Die Redaktion der Beiträge erfolgte nach den Regeln der alten Rechtschreibung. Die Schreibweise der Zitate wurde ihr stillschweigend angeglichen. Ergänzungen wurden durch eckige Klammern kenntlich gemacht. Abschließend sei auf zwei terminologische Entscheidungen hingewiesen: Im allgemeinen wird von Polen und Juden gesprochen. Da beide Gruppen polnische Staatsbürger waren, wäre es korrekter, aber auch umständlicher, von christlichen bzw. ethnischen Polen und Polen jüdischer Religion bzw. Herkunft zu reden. Unsere terminologische Entscheidung erfolgte ausschließlich aus Gründen sprachlicher Vereinfachung; sie intendiert ausdrücklich keine projektive Segregation, keine semantische Entfernung der Juden aus der kollektiven Erinnerung Polens. Zum anderen werden die unter deutscher Herrschaft gebräuchlichen Ortsnamen benutzt. Natürlich soll darin nicht der Wunsch nach einer ‚Heimholung‘ etwa von Graudenz oder Hohensalza zum Ausdruck kommen, sondern lediglich die deutsche Oberherrschaft. Schließlich war Auschwitz ein deutsches Konzentrationslager und hatte mit dem polnischen Os´wie˛cim nichts gemein. Und das Ghetto Litzmannstadt war eine deutsche Einrichtung, keine der polnischen Stadt Łódz´. Unser Dank gilt den Autoren, die rasch und produktiv auf Kritik der Herausgeber reagierten und so zum ungewöhnlich schnellen Erscheinen dieses Bandes beitrugen. Danken möchten wir auch Heidrun Baur, der Sekretärin der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, die alle Beiträge am Bildschirm bearbeitete. Danken möchten wir aber auch der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, die sich zu diesem Projekt entschloß, um damit den Beitritt Polens, dessen Gesellschaft seit über tausend Jahren integraler Bestandteil der europäischen Völkerfamilie ist, zu den westlichen Kooperationsstrukturen zu würdigen. Ludwigsburg/Warschau im März 2004 Klaus-Michael Mallmann/Bogdan Musial

Einleitung

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Anmerkungen 1 Diese Kritik betrifft nicht Christopher R. Browning: Die Entfesselung der „Endlösung“. Nationalsozialistische Judenpolitik 1939–1942, München 2003, der der polnischen Ouvertüre des Holocaust den gebührenden Platz einräumt. 2 Anregend Heinrich August Winkler (Hrsg.): Griff nach der Deutungsmacht. Zur Geschichte der Geschichtspolitik in Deutschland, Göttingen 2004. 3 Als Reaktion auf und in Ergänzung zur Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung bereitet das Institut des Nationalen Gedenkens (Instytut Pamie˛ci Narodowej) eine Ausstellung über Verbrechen der Wehrmacht im Septemberfeldzug 1939 vor. 4 Hans-Jürgen Bömelburg/Bogdan Musial: Die deutsche Besatzungspolitik in Polen 1939–1945, in: Włodzimierz Borodziej/Klaus Ziemer (Hrsg.): Deutsch-polnische Beziehungen 1939–1945–1949. Eine Einführung, Osnabrück 2000, S. 102 f.; etwas höhere Zahlen bei Norman Davies: Im Herzen Europas. Geschichte Polens, München 20023 , S. 58 f. 5 Christian Hartmann/Sergej Slutsch: Franz Halder und die Kriegsvorbereitungen im Frühjahr 1939. Eine Ansprache des Generalstabschefs des Heeres, in: VfZ 45(1997), S. 483. 6 Martin Broszat: Nationalsozialistische Polenpolitik 1939–1945, Stuttgart 1961, S. 28; mit anderer Gewichtung jetzt Hans Umbreit: Die Verantwortlichkeit der Wehrmacht als Okkupationsarmee, in: Rolf-Dieter Müller/Hans-Erich Volkmann (Hrsg.): Die Wehrmacht. Mythos und Realität, München 1999, S. 743–753; Jürgen Förster: Wehrmacht, Krieg und Holocaust, in: ebd., S. 948–963. 7 Hans Umbreit: Deutsche Militärverwaltungen 1938/39. Die militärische Besetzung der Tschechoslowakei und Polens, Stuttgart 1977. 8 Vgl. Bernhard Chiari (Hrsg.): Die polnische Heimatarmee. Geschichte und Mythos der Armia Krajowa seit dem Zweiten Weltkrieg, München 2003. 9 Rainer Blasius: Einübung in Erbarmungslosigkeit, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 15. 9. 2003. 10 Vgl. Phillip Rutherford: „Absolute Organizational Deficiency“: The 1. Nahplan of December 1939 (Logistics, Limitations, and Lessons), in: CEH 36(2003), S. 235–273; anregend in europäischer Perspektive Norman M. Naimark: Flammender Haß. Ethnische Säuberung im 20. Jahrhundert, München 2004. 11 Klaus-Michael Mallmann/Volker Rieß/Wolfram Pyta (Hrsg.): Deutscher Osten 1939–1945. Der Weltanschauungskrieg in Photos und Texten, Darmstadt 2003, S. 13 ff. 12 Vgl. Bogdan Musial: Deutsche Zivilverwaltung und Judenverfolgung im Generalgouvernement. Eine Fallstudie zum Distrikt Lublin 1939–1944, Wiesbaden 1999, S. 47 ff., 181 ff.; Klaus-Michael Mallmann: „Mensch, ich feiere heut’ den tausendsten Genickschuß“. Die Sicherheitspolizei und die Shoah in Westgalizien, in: Gerhard Paul (Hrsg.): Die Täter der Shoah. Fanatische Nationalsozialisten oder ganz normale Deutsche?, Göttingen 2002, S. 109–136; ders.: Heinrich Hamann – Leiter des Grenzpolizeikommissariats Neu-Sandez, in: ders./Gerhard Paul (Hrsg.): Karrieren der Gewalt. Nationalsozialistische Täterbiographien, Darmstadt 2004, S. 104–114; Jacek Andrzej Młynarczyk: Hans Gaier – ein Polizeihauptmann im Generalgouvernement, in: ebd., S. 86–94. 13 Vgl. Michael Wildt: Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des

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Einleitung

Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2002, S. 480 ff.; Alexander B. Rossino: Hitler strikes Poland. Blitzkrieg, Ideology, and Atrocity, Kansas City 2003, S. 227 ff. 14 Vgl. Dietrich Beyrau: Schlachtfeld der Diktatoren. Osteuropa im Schatten von Hitler und Stalin, Göttingen 2000. 15 Vgl. Czesław Madajczyk: Kann man in Polen 1939–1945 von Kollaboration sprechen?, in: Werner Röhr (Hrsg.): Europa unterm Hakenkreuz. Okkupation und Kollaboration (1938–1945). Beiträge zu Konzepten und Praxis der Kollaboration in der deutschen Okkupationspolitik, Berlin-Heidelberg 1994, S. 133–148; überzogen KlausPeter Friedrich: Zusammenarbeit und Mittäterschaft in Polen 1939–1945, in: Christoph Dieckmann/Babette Quinkert/Tatjana Tönsmeyer (Hrsg.): Kooperation und Verbrechen. Formen der „Kollaboration“ im östlichen Europa 1939–1945, Göttingen 2003, S. 113–150. 16 Vgl. Jan Tomasz Gross: Polish Society under German Occupation: The Generalgouvernement 1939–1944, Princeton 1979; ders.: Revolution from Abroad. The Soviet Conquest of Poland’s Western Ukraine and Western Belorussia, Princeton 1988; Tomasz Szarota: Warschau unter dem Hakenkreuz. Leben und Alltag im besetzten Warschau 1. 10. 1939 bis 31. 7. 1944, Paderborn 1985; Zygmunt Klukowski: Diary from the Years of Occupation 1939–44, Urbana-Chicago 1993. 17 Vgl. Bogdan Musial: „Konterrevolutionäre Elemente sind zu erschießen“. Die Brutalisierung des deutsch-sowjetischen Krieges im Sommer 1941, Berlin-München 2000, S. 42 ff. 18 Timothy Snyder: The Reconstruction of Nations. Poland, Ukraine, Lithuania, Belarus 1569–1999, London 2003; vgl. Roger D. Petersen: Understanding Ethnic Violence. Fear, Hatred, and Resentment in Twentieth-Century Eastern Europe, Cambridge 2002. 19 Siehe die Beiträge von Bogdan Musial und Jacek Andrzej Młynarczyk. 20 Zum Komplex ‚Herrschaft‘ siehe die Beiträge von Jochen Böhler, Dorothee Weitbrecht, Klaus-Michael Mallmann, Martin Cüppers, Michael Alberti und Volker Rieß; zum Komplex ‚Gesellschaft‘ die Beiträge von Andrea Löw, Marek Wierzbicki, Barbara Engelking und Adam Dziurok.

Bogdan Musial

Das Schlachtfeld zweier totalitrer Systeme Polen unter deutscher und sowjetischer Herrschaft 1939–1941 Am 1. September 1939 überfiel Deutschland Polen in Absprache mit der Sowjetunion, festgehalten im geheimen Zusatzabkommen zum Hitler-Stalin-Pakt vom 24. August. Auch die UdSSR beteiligte sich wenig später aktiv an diesem Krieg. Am 17. September, als Polen praktisch besiegt, wenn auch noch nicht ganz besetzt war, überschritten sowjetische Truppen die Grenze und okkupierten das östliche Polen. 1 Die endgültige Aufteilung der Kriegsbeute fand am 28. September statt. An diesem Tag unterschrieben die Außenminister des Dritten Reiches und der UdSSR einen Grenz- und Freundschaftsvertrag, in dem sie die Teilung vertraglich fixierten. Die neue Grenze verlief entlang der Flüsse San und Bug. Das Gebiet, das dem Deutschen Reich zufiel, umfaßte 187 717 km2 , etwa 48,5 % des ehemaligen polnischen Staatsgebietes. Davon wurden 91 974 km2 mit 10 Millionen Einwohnern dem Reich eingegliedert. Auf dem übrigen von Deutschland besetzten Territorium – 95 743 km2 – wurde das Generalgouvernement (GG) mit ca. 12,1 Millionen Einwohnern errichtet. Somit lebten unter der deutschen Besatzung bis zum Sommer 1941 über 22 Millionen ehemalige polnische Staatsbürger, darunter rund 80 % Polen und ca. 10 % Juden. Hinzu kamen Volksdeutsche, Ukrainer und Weißrussen.2 Das Gebiet, das der Sowjetunion zufiel, umfaßte 201000 km2 , also 51,5 % des ehemaligen polnischen Staatsgebietes. Auf diesem Territorium lebten etwa 13,2 Millionen Menschen, denen am 29. November die sowjetische Staatsbürgerschaft verliehen wurde. Die Bevölkerung war ethnisch gemischt; sie setzte sich aus Polen (40 %), Ukrainern (34,2 %), Juden (8,45 %), Weißrussen (8,5 %), Litauern und anderen zusammen. 3

Terror im deutschen Machtbereich Bereits vor dem Überfall auf Polen machte Hitler im engeren Kreis wiederholt deutlich, daß der Krieg gegen Polen kein gewöhnlicher Krieg sein würde. Ihm ging es nicht nur um die Verschiebung der deutschen Grenze nach Osten. Am 25. März 1939 erklärte Hitler: „Polen soll […] so niedergeschlagen werden, daß es in den nächsten Jahrzehnten als politischer Faktor nicht mehr in Rechnung gestellt zu werden brauche.“ In einer Besprechung in der Reichskanzlei am 25. Mai unterstrich er, daß es sich beim Krieg gegen Polen „um die Erweiterung des Lebensraums im Osten und Sicherung der Ernährung“ handle, die durch deutsche Besiedlung erreicht werden sollte. 4 In der Tat beabsichtigte Hitler, dort die ersten

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konkreten Maßnahmen zur Verwirklichung seiner Vision von „Lebensraum“ vorzunehmen und eine Germanisierung des Ostens einzuleiten. Die allgemeinen Grundsätze dieser Volkstumspolitik gegenüber den Polen standen bereits vor dem Krieg fest. Sie umfaßten die Beseitigung der polnischen Führungsschicht und die teilweise Germanisierung der eroberten Gebiete. An die geltenden völkerrechtlichen Normen wollte und konnte man sich dabei nicht halten, denn, so Hitler, ein „volkstumspolitischer“ Kampf gestatte „keine gesetzlichen Bindungen“. 5 Unmittelbar nach der militärischen Niederschlagung Polens und der Teilung der Kriegsbeute mit der Sowjetunion unternahmen die deutschen Besatzer erste konkrete Schritte, um die allgemeinen Zielvorgaben der Volkstumspolitik in die Praxis umzusetzen. Viel Erfahrung hatten sie dabei nicht. Als erste Maßnahme ordnete Hitler an, die Militärverwaltung abzulösen und die deutsch besetzten Gebiete – wie erwähnt – in zwei Territorien aufzuteilen. Die dem Reich einverleibten Gebiete sollten kurzfristig „entpolonisiert“, „entjudet“ und innerhalb von wenigen Jahren vollständig germanisiert werden. Polen und Juden sollten im Rahmen einer „ethnischen Flurbereinigung“ ins GG vertrieben und an ihrer Stelle Volksdeutsche aus dem Osten angesiedelt werden. Die Errichtung des GG hatte dagegen zum Ziel, die Durchführung dieser „ethnischen Flurbereinigung“ zu ermöglichen, also alle „unerwünschten Elemente“ aus den annektierten Gebieten aufzunehmen. Gleichzeitig galt es aber im GG zu verhindern, „daß eine polnische Intelligenz sich als Führungsschicht aufmacht“. Polen sollten zwar zur Verwaltung des GG eingesetzt werden, „eine nationale Zellenbildung darf aber nicht zugelassen werden“, bestimmte Hitler. 6 Die Methoden, mit denen die deutschen Besatzer diese Zielvorgaben umsetzten, bestanden in Terror und Völkermord, Deportationen, Vertreibungen und Umsiedlungen, Zwangsarbeit, Kollektiventeignung und Ausplünderung, Beseitigung und Unterdrückung des kulturellen Lebens. Die Geschichte des deutschen Terrors im besetzten Polen läßt sich chronologisch grob in zwei Phasen – von September 1939 bis Ende 1941 und von Anfang 1942 bis zum Ende der Besatzung – unterteilen. Sie unterschieden sich in der Intensität der Gewalt und teilweise in ihrer Zielsetzung. Der deutsche Terror in Polen begann bereits am 1. September. Die Luftwaffe bombardierte von Anfang an nicht nur militärische Anlagen und gegnerische Truppen, sondern auch gezielt zivile Objekte, Städte, Dörfer und Straßen, auf denen Flüchtlingszüge unterwegs waren. Während des Feldzuges beging die Wehrmacht zahlreiche Verbrechen an Kriegsgefangenen und sowohl jüdischen wie auch polnischen Zivilisten. Außer diesen Terrorakten sind systematische Morde durch die Einsatzgruppen zu verzeichnen, die in dem neuen Charakter dieses Krieges begründet waren. Die insgesamt sieben Einsatzgruppen, die sich aus Angehörigen von SD, Sicherheitsund Ordnungspolizei rekrutierten, hatten die Aufgabe, alle „deutschfeindlichen Elemente“ zu bekämpfen. Darunter verstand man die Angehörigen der einhei-

Das Schlachtfeld zweier totalitärer Systeme

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mischen Eliten im weiteren Sinne, d. h. alle politisch und gesellschaftlich aktiven Personen und die Intelligenz, mit einem Wort: die staatstragenden Schichten Polens. Die Juden als ethnische Gruppe waren 1939 im allgemeinen noch nicht das erklärte Ziel der systematischen Erschießungen; sie galten ja nicht als Führungselite des polnischen Staates, es sei denn, es handelte sich um polonisierte Juden. Wenn damals Juden ermordet wurden, dann meistens bei pogromartigen Ausschreitungen oder bei sogenannten Vergeltungsaktionen. Schätzungen zufolge fielen in ganz Polen bis zur Jahreswende 1939/40 etwa 7000 Juden der deutschen Gewaltherrschaft zum Opfer. 7 Die große Mehrheit der Opfer des deutschen Terrors im Herbst 1939 waren jedoch ethnische Polen. Von dieser Welle waren in erster Linie die westlichen Gebiete betroffen. Allein für Danzig-Westpreußen schätzt man, daß bis Ende des Jahres etwa 30 000 polnische Bürger gewaltsam zu Tode kamen. Im Wartheland geht man von ca. 10 000 Ermordeten bis zum 26. Oktober aus, während in Ostoberschlesien in 58 Massenexekutionen mehr als 1500 Menschen hingerichtet wurden.8 Auf dem Gebiet des späteren GG verlief die erste Terrorwelle bei weitem nicht so blutig wie in den eingegliederten Gebieten. Dort wurden bis Ende 1939 ‚lediglich‘ etwa 5000 Menschen ermordet. 9 Diese Erschießungen liefen unter dem Oberbegriff „Intelligenzaktion“ und wurden von den Einsatzgruppen ausgeführt, aus denen im November 1939 der polizeiliche Sicherheitsapparat im GG gebildet wurde. Im Frühjahr 1940 begannen die deutschen Besatzer mit der zweiten groß angelegten und gezielten Terrorwelle, die gegen die polnische Führungsschicht gerichtet war. Im Wartheland waren davon ca. 5000 Personen betroffen, von denen die meisten in den Konzentrationslagern umkamen. Im GG führten SS und Polizei zu diesem Zeitpunkt die sogenannte Außerordentliche Befriedungsaktion (AB-Aktion) durch. In deren Rahmen ermordete die Sicherheitspolizei etwa 4000 Menschen, größtenteils Angehörige der Intelligenz sowie Menschen, die als „asozial“ eingestuft wurden. Ferner ordnete Himmler die Einweisung von 20 000 Polen in Konzentrationslager an. Zu diesem Zweck wurde auch das KZ Auschwitz eingerichtet, wo der erste Transport mit polnischen Häftlingen am 14. Juli 1940 eintraf. Ende 1940 befanden sich dort 8000 Gefangene, vor allem Polen. 10 Allerdings standen die Pläne zur Vernichtung der polnischen Intelligenz zum Teil im Widerspruch zur aktuellen Besatzungspolitik. So waren im GG die deutschen Besatzer auf Ärzte und Ingenieure, auf einheimische Spezialisten in Wirtschaft, Verwaltung und im Gesundheitswesen angewiesen. Außer der „AB-Aktion“ vom Mai/Juni 1940 fanden im GG keine Massenerschießungen mehr statt, die ausschließlich gegen die Intelligenz gerichtet gewesen wären. Die allgemeinen Richtlinien galten aber bis zum Ende der Besatzung, und die polnischen Eliten im GG blieben Ziel des deutschen Terrors; ihre Angehörigen wurden ermordet oder ins KZ eingewiesen. 11 Im Gegensatz zum GG wurde in den annek-

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tierten Gebieten die Mehrheit der Angehörigen der polnischen Führungsschichten zwischen September 1939 und Frühjahr 1941 entweder ermordet oder in KZs interniert, ins GG deportiert oder zur Zwangsarbeit ins Reich verschleppt, so daß dort die Deutschen ihr Ziel – die Beseitigung der polnischen Führungsschicht – weitgehend erreichten. Von Anfang an setzten die Besatzer auf Kollektivstrafen und Abschreckung, um den Widerstandswillen zu brechen. Während der Kriegshandlungen nahm die Wehrmacht Geiseln, die man vornehmlich unter den Honoratioren der jeweiligen Orte suchte und erschoß sie, falls es zu ‚antideutschen‘ Aktionen kam. Diese ‚Befriedungsmethode‘ wandten Polizei und Verwaltung bis zum Ende ihrer Herrschaft in Polen an. So befahl Generalgouverneur Hans Frank am 10. November 1939, „daß in jedem Haus, an dem ein Plakat [anläßlich des 11. November, des polnischen Nationalfeiertages] angehängt bleibt, ein männlicher Einwohner erschossen wird“. 12 Bis Ende des Jahres fanden im GG 155 Massenexekutionen statt, bei denen 2406 Personen erschossen wurden. Einzelexekutionen, deren Zahl weiterhin unbekannt ist, sind dabei nicht mitgerechnet. Damit die Hinrichtungen abschreckend wirkten, wurden sie bekannt gemacht und zum Teil auch öffentlich durchgeführt. Die erste große halb-öffentliche Exekution im GG kostete am 18. Dezember in Bochnia 64 Opfer, die nächste am 27. Dezember in Wawer 107 Menschen. In beiden Fällen war der Vorwand die Erschießung einzelner deutscher Polizisten – so in Bochnia – oder Soldaten – so in Wawer – durch Kriminelle. Am 14. März 1940 erschossen Polizei und volksdeutscher Selbstschutz in Józefów bei Lublin etwa 200 Personen, um die Ermordung einer volksdeutschen Familie bei einem Raubüberfall zu ‚vergelten‘. Wenige Wochen später, vom 31. März bis 11. April, fand die erste groß angelegte ‚Befriedungsaktion‘ in der Region um Kielce statt, als Antwort auf die Partisanenunternehmen des Majors Hubal. Dabei wurden 687 Personen erschossen und 200 verhaftet. 13 In einem Interview für den „Völkischen Beobachter“ am 6. Februar 1940 erklärte Hans Frank auf die Frage nach dem Unterschied zwischen der Besatzungspolitik im Protektorat Böhmen und Mähren und derjenigen im GG: „In Prag waren z. B. große rote Plakate angeschlagen, auf denen zu lesen war, daß heute 7 Tschechen erschossen worden sind. Da sagte ich mir: wenn ich für je sieben erschossene Polen ein Plakat aushängen lassen wollte, dann würden die Wälder Polens nicht ausreichen, das Papier herzustellen für solche Plakate.“ 14 In Warschau führten die Besatzer 1940 vier große Razzien am 8. Mai, 12. August, 17. September und 6. Dezember durch, bei denen etwa 10 000 Personen festgenommen wurden. Ein Teil von ihnen wurde entlassen, andere erschossen, die übrigen in KZs eingewiesen. Es ist nicht klar, ob es sich um Vergeltungsmaßnahmen oder um eine Fortsetzung der „AB-Aktion“ handelte; oft vermischten sich auch beide Motive. Der deutsche Terror in Polen zwischen 1939 und 1941 übertraf den in den westlichen Ländern erheblich. Doch von 1942 bis 1944 eskalierte er noch. Ende 1941

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fiel die Entscheidung, alle polnischen Juden vor Ort zu ermorden und sie nicht mehr nach dem Osten zu deportieren.15 Das Vernichtungslager Kulmhof, in dem vor allem die Juden aus dem Warthegau ermordet wurden, nahm seinen Betrieb Anfang Dezember auf. Ihm folgten die Vernichtungslager in Belzec (März 1942), Sobibor (Mai 1942), Treblinka und Auschwitz (Juni 1942). Bis Ende 1943 ermordeten die Nationalsozialisten die große Mehrheit der polnischen Juden. Nur etwa 10 % von ihnen haben den Krieg überlebt, die meisten in der Sowjetunion. Polen war während der deutschen Besatzung zudem Schauplatz umfangreicher Deportationen, Vertreibungen, Umsiedlungen und Fluchtbewegungen. Ursprünglich sollten nach Hitlers Vorstellungen insgesamt acht Millionen Menschen – Polen, Juden und Zigeuner – in das GG vertrieben werden. Diese Pläne wurden jedoch modifiziert und die Zahl auf eine Million reduziert. Es wurden insgesamt drei „Nahpläne“ ausgearbeitet, nach denen die Vertreibungen ablaufen sollten. Hans Frank, der anfangs mit den Deportationen einverstanden war, leistete seit der Jahreswende 1939/40 Widerstand gegen die von SS und Polizei geleiteten Umsiedlungen, weil die Unterbringung und Verpflegung der Vertriebenen äußerst schwierig war. Das GG drohte deswegen im wirtschaftlichen und sozialen Chaos zu versinken. Frank erhielt Unterstützung seitens der Wehrmacht und der Wehrwirtschaftsstellen, weil die kriegswirtschaftlichen Interessen zu dieser Art Volkstumspolitik im Gegensatz standen. 16 Von den drei „Nahplänen“ wurde nur der erste voll realisiert; den zweiten und den dritten mußte Himmler wegen Franks Widerstand vorzeitig abbrechen. Insgesamt wurden von Herbst 1939 bis Frühjahr 1941 ca. 460 000 Personen in das GG deportiert. Die meisten Vertriebenen waren Polen und einige Zehntausend Juden. Alle kamen ohne Vermögen, nur mit dem Nötigsten und kaum Bargeld versehen, ins GG. Für sie gab es wenig Erwerbsmöglichkeiten; viele von ihnen – Alte, Kranke, Kinder – waren ohnehin arbeitsunfähig. Die Jungen und Gesunden wurden meist zur Zwangsarbeit ins Reich verschleppt, falls sie keine Juden waren. Auch innerhalb des GG und der annektierten Gebiete fanden umfangreiche Umsiedlungen statt. Im Warthegau wurden zwischen dem 1. April 1941 und dem 21. Dezember 1943 beinahe 200 000 Polen umgesiedelt. 17 Im GG wurden dagegen 1940–1942 insgesamt 188 Dörfer entvölkert, um Truppenübungsplätze für die Wehrmacht und die Waffen-SS zu schaffen. Davon waren 171000 Bauern betroffen. 18 Tausende von Polen und Juden mußten überdies ihre Wohnungen und Häuser verlassen, um Platz für die im Besatzungsapparat eingesetzten Deutschen zu machen. So wurden in allen größeren Städten im GG deutsche Viertel gebildet. Auch im Rahmen von Ghettoisierungsmaßnahmen waren Juden von Umsiedlungen betroffen und zwar sowohl im GG als auch in den annektierten Gebieten. Diejenigen Juden, die noch außerhalb der neuen Ghettos wohnten, mußten ihre Wohnungen und Häuser verlassen und sich dort eine Bleibe suchen. Umgekehrt mußten diejenigen Polen, die bisher innerhalb der jetzigen Judenwohnbezirke gelebt hatten, ihre Wohnungen verlassen und sich außerhalb neue Quartiere su-

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chen. Wie hoch die Zahl dieser Umsiedler war, ist wohl nicht mehr zu ermitteln; sie geht auf jeden Fall in die Hunderttausende. Außerdem verschleppten die deutschen Besatzer Millionen polnischer Bürger ins Reich – bis Ende der Besatzung 2,82 Millionen, wo sie unter entwürdigenden Umständen Zwangsarbeit leisten mußten. Allerdings traf dies auch für polnisches Territorium selbst zu; davon waren besonders die Juden betroffen, bevor sie ermordet wurden. 19

Deutsche Wirtschafts- und Kulturpolitik in Polen Die deutsche Besatzungspolitik, auch die wirtschaftliche, zeichnete sich durch sehr unterschiedliche Zielsetzungen in den eingegliederten Gebieten einerseits und im GG andererseits aus. Die eingegliederten Gebiete waren die industriell und landwirtschaftlich am weitesten entwickelten Teile Polens, in denen etwa vier Fünftel der Industrie konzentriert waren, insbesondere in Oberschlesien (Steinkohle und Stahl), aber auch in Łódz´ (Textilindustrie). 20 Die Prinzipien der Wirtschaftspolitik in den eingegliederten Gebieten, die bis zum Kriegsende galten, waren schnelle Integration in die Wirtschaft des Reiches, Ausnutzung aller Produktionskapazitäten, Rohstoffe und Arbeitskräfte für die Bedürfnisse der Kriegswirtschaft, Enteignung von Polen und Juden, Steigerung der Produktion in Landwirtschaft und Industrie, unter anderem durch Investitionen. 21 Die ersten Wochen der deutschen Besatzung zeichneten sich jedoch durch Plünderungen und Konfiskationen aus. 22 Diese Periode ging aber bald zu Ende, und die deutschen Besatzer machten sich daran, alle wirtschaftlichen Ressourcen im besetzten Land systematisch auszubeuten. Sie übernahmen das gesamte Vermögen des polnischen Staates, der Kommunen, politischen und gesellschaftlichen Organisationen sowie den größten Teil des Eigentums der religiösen Gemeinden. Sie beschlagnahmten alle privaten landwirtschaftlichen und industriellen Betriebe sowie Kredit- und Transportunternehmen, die Polen und Juden gehörten. Über 90 % der Wohnhäuser, Handwerks- und Handelsbetriebe sowie 500 000 vollständig ausgestattete Wohnungen wurden auf diese Weise konfisziert. Im annektierten Teil Polens blieben bis zum Kriegsende nur wenige Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe in polnischer Hand, die jüdischen wurden dagegen vollständig enteignet. 23 So beschlagnahmte man in den eingegliederten Gebieten beinahe 100 % des festgestellten Vermögens, im GG dagegen ‚nur‘ ein Drittel. 24 Nutznießer dieser Kollektiventeignung waren deutsche Zivilbehörden, die NSDAP, die Wehrmacht, die SS sowie verschiedene Verbände und Organisationen. Auch Bombengeschädigte im Reich profitierten davon. Auch deutschen Unternehmen, Siedlern aus dem Reich, einheimischen Volksdeutschen sowie solchen, die aus dem Baltikum oder aus Osteuropa in die eingegliederten Gebiete kamen, wurde enteignetes Vermögen überlassen. 25 Die besondere Aufmerksamkeit galt dem Industriegebiet Oberschlesien. 26 Insgesamt eignete sich das Dritte Reich dort 1764 Industriebetriebe an, darunter 65 Steinkohlegruben mit einer Vorkriegsproduktion von 79 Millionen Tonnen,

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24 Erzgruben mit einer Gesamtförderung von 60 000 Tonnen, 96 Hütten, die 3 Millionen Rohstahl und 1,9 Millionen Stahl produzierten, 67 Chemiewerke, vier Kraftwerke und sieben Zementwerke. Anfang 1940 waren in diesen Betrieben 178449 Arbeiter beschäftigt. 27 Die oberschlesischen Werke und Unternehmen spielten eine große Rolle in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, insbesondere die Steinkohle- und Stahlproduktion. Während die Industrieproduktion in den eingegliederten Gebieten während der Besatzung insgesamt stieg, reduzierten die Deutschen Handwerk und Handel drastisch im Rahmen der Kriegsrationalisierung, was in erster Linie jüdische Betriebe traf. An ihre Stelle traten einige wenige deutsche Fabrikationsstätten. Bis 1942 schlossen die deutschen Behörden ersatzlos beinahe 75 % der Handwerksbetriebe und Einzelhandelsgeschäfte in den annektierten Gebieten. 28 Eine wichtige Rolle bei der Ausbeutung der eingegliederten Territorien spielte die Landwirtschaft. Gerade diese Gebiete, insbesondere Großpolen (Wartheland), galten als landwirtschaftliches Überschußgebiet im Vorkriegspolen. 1939/ 40 wurden aus den eingegliederten Gebieten ins Reich u. a. ausgeführt: 177 000 Tonnen Brotgetreide, 330 000 Tonnen Kartoffeln, ein Jahr später 415000 bzw. 540 000 Tonnen und 1941/42 bereits 869 000 bzw. 814 000 Tonnen.29 Die dortigen landwirtschaftlichen Großbetriebe wurden enteignet und an NS-Prominente und hohe Offiziere vergeben; mittelgroße Betriebe erhielten Volksdeutsche, nachdem die bisherigen Eigentümer vertrieben worden waren. Die enteignete polnische Bevölkerung wurde entweder ins GG deportiert oder in den sogenannten Polenreservaten mit den schlechtesten Böden konzentriert. In Danzig-Westpreußen und Südostpreußen mußten polnische Bauern ihre Erträge an den deutschen Staat abliefern; auf ihren Höfen konnten sie aber in der Regel bleiben. Dem GG maßen die deutschen Besatzer in wirtschaftlicher Hinsicht keine größere Bedeutung bei. Dessen einzige Funktion sah Hitler darin, dem Reich als Sklavenreservoir zu dienen: „Wir wollen dort nur Arbeitskräfte schöpfen.“ Daher sollte im GG ein niederer Lebensstandard herrschen. „Alle Ansätze einer Konsolidierung der Verhältnisse in Polen müssen beseitigt werden. Die ‚polnische Wirtschaft‘ muß zur Blüte kommen.“ 30 Frank erhielt Anfang Oktober 1939 von Hitler Richtlinien, nach denen er die Wirtschaftspolitik im späteren GG zu führen hatte: „Danach kam nur eine Ausnutzung des Landes durch rücksichtslose Ausschlachtung, Abtransport aller für die deutsche Kriegswirtschaft wichtigen Vorräte, Rohstoffe, Maschinen, Fabrikationseinrichtungen usw., Heranziehung der Arbeitskräfte zum Einsatz im Reich, Drosselung der gesamten Wirtschaft Polens auf das für die notdürftigste Lebenshaltung der Bevölkerung unbedingt notwendige Minimum […] in Frage. ‚Polen soll wie eine Kolonie behandelt werden, die Polen werden die Sklaven des Großdeutschen Weltreichs werden.‘“ 31 Diese Politik hatte zum Ziel, das industriell ohnehin unterentwickelte Land noch weiter zu entindustrialisieren und es zu einem Agrarland zu reduzieren, das nur Arbeitskräfte für die Wirtschaft des Reiches zu liefern hatte.

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Die Umsetzung dieser Richtlinien begann unmittelbar nach der Besetzung. Die Folgen waren katastrophal und von Anfang an sichtbar: Massenarbeitslosigkeit, Inflation und Güterknappheit. Die deutsche Rüstungswirtschaft und Franks Apparat stellten schnell fest, daß diese Verhältnisse negative Folgen auch für das Reich selbst haben würden. Ab Ende 1939 zeichnete sich deshalb eine neue Entwicklung ab, die den ursprünglichen Plänen Hitlers zuwiderlief. In der Zivilverwaltung setzte sich nämlich die Ansicht durch, daß die örtlichen Industriebetriebe viel effektiver zur Stärkung der deutschen Rüstungswirtschaft beitragen konnten, wenn sie im GG verblieben und weiter produzierten. Folglich ging man seit Dezember dazu über, die Rüstungsbetriebe – ab Januar 1940 auch die übrige Industrie – wieder in Gang zu setzen. Zugleich stoppte man den wilden Abtransport von Maschinen, schränkte die Ausfuhr von Rohstoffen ein und erstellte Pläne für den Wiederaufbau der Wirtschaft im GG, die darauf abzielten, die deutsche Kriegswirtschaft zu stärken.32 Im Gegensatz zu den eingegliederten Gebieten wurde im GG keine allgemeine Enteignungspolitik durchgeführt. Die deutschen Behörden beschlagnahmten und enteigneten zwar als „herrenlos“ das gesamte Eigentum des polnischen Staates, der politischen und gesellschaftlichen Organisationen, soweit sie polnisch oder jüdisch waren, sowie das gesamte Vermögen der jüdischen Bevölkerung, nicht jedoch das private polnische Vermögen. Eine Ausnahme stellte das Eigentum der ins Ausland geflüchteten polnischen Bürger dar. Das gesamte jüdische Vermögen ließen sie treuhänderisch verwalten; die Einkünfte daraus – z. B. Mieten – flossen der deutschen Zivilverwaltung zu. 33 Bis 1942 wurden 2600 landwirtschaftliche Betriebe mit insgesamt 700 000 ha Fläche enteignet. Summa summarum übernahmen die deutschen Behörden im GG etwa ein Drittel des Gesamtvermögens. 34 Ab 1940/41 wurde das GG immer stärker in die Kriegswirtschaft des Reiches einbezogen. Die Zahl der Betriebe, die direkt dafür produzierten, wuchs von 186 im September 1940 auf 299 im Oktober 1941, 358 im September 1942 und 404 im Juni 1944. Der Wert der Lieferungen für die deutsche Kriegswirtschaft stieg von 12 550 000 RM im Oktober 1940 auf 26 860 000 RM im Oktober 1941, 42 686 000 RM im Oktober 1942, 58 950 000 RM im Oktober 1943 und 86 084 000 RM im Mai 1944. 35 Die wirtschaftliche Ausbeutung des GG erfolgte auch durch finanzpolitische Manipulationen. Beispielsweise mußten von der Notenbank enorme Mittel für die Bedürfnisse der Deutschen bereitgestellt werden. Ferner wurden der Bevölkerung hohe Steuern und Kriegsabgaben auferlegt. Damit finanzierte man 1940/41 nicht nur Straßen- und Bauprogramme für den Aufmarsch gegen die UdSSR, sondern auch die Besoldung sowie Sachausgaben der im GG stationierten Wehrmacht, SS und Polizei sowie der Angehörigen der Verwaltung. 36 Auch die Landwirtschaft wurde ausgebeutet und geplündert. Das Territorium des GG war ein agrarisches Zuschußgebiet. Die Überschußgebiete waren entweder ins Reich eingegliedert oder von der Sowjetunion annektiert worden.

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Zudem hatte die Landwirtschaft durch Kriegsereignisse und Beschlagnahmungen stark gelitten. Eines der wichtigsten Ziele der deutschen Besatzung im GG war es daher, zunächst die Eigenversorgung mit Lebensmitteln zu erreichen. In den ersten Monaten der Besatzung mußte noch Getreide eingeführt werden.37 Ab 1940/41 konnte man aber bereits Lebensmittel ins Reich ausführen. Diese Exporte hielten sich bis 1941/42 in Grenzen, um ab 1942/43 enorm zu steigen. So führten die deutschen Behörden 1940/41 unter anderem 55 000 Tonnen Getreide und 122 000 Tonnen Kartoffeln aus dem GG ins Reich aus, ein Jahr später 51000 bzw. 139 000 Tonnen, 1942/43 633 000 bzw. 434 400 Tonnen und 1943/44 571700 bzw. 387000 Tonnen. 38 Hinzu kamen noch Lieferungen an die dort stationierten Wehrmachtseinheiten (durchschnittlich etwa 500 000 Soldaten), an SS- und Polizeieinheiten (ca. 50 000 Mann) sowie an sowjetische Kriegsgefangene (etwa 400 000 Personen).39 Wie hoch diese Leistungen waren, ist beim gegenwärtigen Stand der Forschung nicht zu ermitteln. Die Umwandlung vom Einfuhr- zum Ausfuhrgebiet für Lebensmittel erreichten die deutschen Besatzer auf Kosten der einheimischen Bevölkerung, in dem zum einen Polen und Juden ausgehungert wurden, zum anderen durch den systematischen Massenmord an den Juden ab 1942. Bis 1942 versuchten die deutschen Stellen noch, eine Ertragssteigerung durch rationelle Bewirtschaftung zu erreichen, dies blieb aber ohne Erfolg. Die Erträge waren in den Jahren 1940 bis 1944 sogar niedriger als vor 1939/40, unter anderem wegen ungünstiger Witterungsbedingungen. Ab 1942 kann im GG auf dem Agrarsektor von bloßer Raubwirtschaft und Plünderung gesprochen werden.40 Die Eintreibung der enormen Abgaben war nur dadurch möglich, daß die Deutschen die polnischen Bauern durch individuellen und Massenterror – also Kollektivbestrafungen – einschüchterten, so durch Einweisungen in Zwangsarbeits- oder Konzentrationslager, Prügelstrafen, Enteignungen und Niederbrennen einzelner Bauernhöfe und ganzer Dörfer, Strafexpeditionen und Erschießungen.41 Himmler faßte die Grundsätze der deutschen ‚Kulturpolitik‘ in Polen wie folgt zusammen: „Für nichtdeutsche Bevölkerung des Ostens darf es keine höhere Schule geben als die vierklassige Volkschule. Das Ziel dieser Volksschule hat lediglich zu sein: Einfaches Rechnen bis höchstens 500, Schreiben des Namens, […] Lesen halte ich nicht für erforderlich.“ 42 Die Deutschen schlossen alle Universitäten, Hoch- und Oberschulen. Den Polen genauso wie den Juden war es ohnehin verboten zu studieren. Das Schulwesen blieb auf die Grundschulen beschränkt. Eine Ausnahme stellten im GG Berufsschulen dar, vor allem technische und landwirtschaftliche, in denen Arbeiter für die deutsche Wirtschaft herangebildet werden sollten. Alle wissenschaftlichen und kulturellen Institute, Vereinigungen und Gesellschaften, Bibliotheken und Museen wurden aufgelöst und ihre Bestände ‚erfaßt‘ und ‚sichergestellt‘. Theater und Opern wurden im GG zwar nicht geschlossen, sie durften aber keine gehobene Unterhaltung bieten. In den annektierten Gebieten gab es nicht einmal dies. Kurzum: die deut-

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schen Besatzer zerstörten das gesamte öffentliche kulturelle und wissenschaftliche Leben Polens. 43 Ähnlich gingen sie mit der Presse um. Sie legten das Zeitungs- und Zeitschriftenwesen still und bauten eine auf NS-Propaganda abgestellte Einheitspresse mit lokalen Varianten auf. Diese Blätter hatten die Aufgabe, die Anordnungen der deutschen Behörden bekannt zu machen und die polnische Bevölkerung im Sinne der Besatzer zu indoktrinieren. Die Maßnahmen im Kultur- und Schulbereich zielten darauf ab, die Heranbildung einer einheimischen Intelligenz zu verhindern und das polnische Volk auf die Stufe einer kulturlosen Nation herabzudrücken.

Sowjetischer Terror in Ostpolen Anders verlief die sowjetische Besatzung der ehemaligen ostpolnischen Gebiete, obwohl sie in einigen Punkten mit der deutschen übereinstimmte und sich ebenfalls durch Massenterror auszeichnete. Als erstes ließ Stalin die eroberten Gebiete in die Sowjetunion einverleiben, die nördlichen Teile in die Weißrussische und die südlichen in die Ukrainische Sowjetrepublik. Ein polnisches Autonomiegebiet innerhalb dieser Länder, geschweige denn eine Polnische Sowjetrepublik, war nicht vorgesehen. Und dies, obwohl es Gebiete gab, in denen Polen die überwältigende Mehrheit der Bewohner stellten, wie beispielsweise im Nordosten Polens um Łomz˙a und Białystok, eine Gegend, die zu 90 % von Polen bewohnt war. Das Ziel bestand darin, den polnischen Staat und die alte kapitalistische Ordnung zu zerschlagen und das kommunistische System einzuführen, d. h. das Land zu sowjetisieren. Zudem sollte das Land einerseits ‚entpolonisiert‘ und andererseits ‚weißrussifiziert‘ bzw. ‚ukrainisiert‘ werden. Es ging darum, die bis dahin dominierende polnische Kultur zu unterdrücken und an ihrer Stelle die sowjetisch-weißrussische bzw. sowjetisch-ukrainische zu fördern. Die nationale nichtkommunistische weißrussische bzw. ukrainische Kultur und ihre Vertreter wurden genauso behandelt wie die polnische, also unterdrückt und verfolgt. Um das Land schnellstmöglich zu sowjetisieren, mußten die neuen Machthaber die alten politischen, sozialen und wirtschaftlichen Eliten ausschalten. Dies nahmen sie mit der ihnen gewohnten Brutalität und Rücksichtslosigkeit, die sie seit zwanzig Jahren in der Sowjetunion selbst praktizierten, in Angriff. Zu den Methoden, die sie dabei anwandten, gehörten Verhaftungen, Folter, Massendeportationen, Zwangsumsiedlungen und Massenerschießungen. Bereits während der Invasion verübten kommunistisch bzw. radikal nationalistisch eingestellte Ukrainer, Juden und Weißrussen unzählige Überfälle auf einzelne Polen oder kleine Gruppen von polnischen Soldaten, Polizisten und Zivilisten, wobei sie entweder gemeinsam mit den sowjetischen ‚Befreiern‘ oder selbständig handelten. Die Zahl der dokumentierten Übergriffe geht in die Tausende, die der Opfer wird gar auf bis zu 14000 geschätzt. Diese Periode des ‚spontanen‘ Terrors gegen Polen wurde von den Sowjets nach wenigen Wochen beendet und durch eine gezielte, systematische Verfolgung ersetzt. 44

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In den ersten Wochen und Monaten waren vom sowjetischen Terror vor allem Polen betroffen. Die neuen, insbesondere aus Ukrainern, Weißrussen und Juden gebildeten Milizen führten zusammen mit der Roten Armee und dem NKWD zahlreiche Hausdurchsuchungen und Verhaftungen durch, um die polnische Bevölkerung einzuschüchtern. Bei diesen Aktionen wurden die Opfer mißhandelt und ihre Wohnungen geplündert. Den Hausdurchsuchungen folgten oftmals Verhaftungen. Dabei gingen die Sowjets vor allem gegen führende Persönlichkeiten der Staats- und Kommunalverwaltung, der politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Organisationen sowie der Wirtschaft vor, in der Regel also gegen Polen. Kenntnisse über diese Personengruppen erhielten sie von Informanten aus den Reihen der Revolutionären Komitees und der Miliz, von denen viele einfach Rache übten. Darüber hinaus recherchierte man in den Archiven der polnischen Institutionen. Dem NKWD gelang es auch schnell, ein engmaschiges Informantennetz aufzubauen. Daher war man dort verhältnismäßig gut über die Lage informiert und konnte gezielt zuschlagen. In dieser Atmosphäre hatte der sich organisierende polnische Widerstand einen schweren Stand. 45 Während es sich bei Verhaftungen von ‚Feinden der sowjetischen Ordnung‘ um individuelle Aktionen handelte, hatten die Deportationen, von denen Hunderttausende von Menschen betroffen waren, Massencharakter. Ganze Familien und manchmal sogar Dörfer wurden ins tiefste Innere der UdSSR verschleppt. Tausende starben dabei an Unterernährung, Kälte und Krankheiten. Die Deportationen erwiesen sich als das wirkungsvollste Instrument, um das besetzte Gebiet von ‚unerwünschten Elementen‘ zu säubern. Vier Wellen sind dabei zu unterscheiden. Zuerst wurden im Februar 1940 polnische Siedler und Forstangestellte mit ihren Familien zwangsweise ausgesiedelt, insgesamt 140 000 Personen. Im April und Mai 1940 kamen Familien an die Reihe, deren Angehörige bereits verhaftet, deportiert oder liquidiert worden waren oder später als Kriegsgefangene ermordet werden sollten. Dabei wurden 61000 Personen verschleppt. Im Juni und Juli 1940 erfaßte die dritte Welle etwa 78 000 Personen, vor allem Westflüchtlinge. 84 % von ihnen waren Juden, die man grundsätzlich als ‚unsichere Elemente‘ einstufte. Die letzte große Deportation fand kurz vor dem Ausbruch des deutschsowjetischen Krieges statt und betraf insgesamt etwa 90 000 Personen. Jetzt wurden ‚unerwünschte Elemente‘ aus den westlichen Grenzregionen deportiert, vor allem Ukrainer, aber auch Polen und Litauer. Wegen des deutschen Überfalls konnte diese Aktion nicht abgeschlossen werden.46 Insgesamt wurden nach NKWD-Angaben 330 000 bis 340 000 Menschen deportiert. Die meisten von ihnen, etwa 60 %, waren Polen. Diese Ziffer stellt jedoch eine Mindestzahl dar, die nach oben korrigiert werden muß. Denn außer den vier großen Wellen gab es noch Einzeldeportationen, die in den NKWD-Statistiken nicht auftauchen oder von den Historikern noch nicht erfaßt worden sind. So fanden bereits ab November 1939 Deportationen von Familien oder kleinen Personengruppen statt, deren Zahl nicht bekannt ist. 47 In der Tat wurden nach der

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Statistik der zuständigen Gulag-Abteilung zwischen Februar 1940 und Juni 1941 381000 ehemalige polnische Bürger aus den östlichen Teilen Polens als Sondersiedler weit in die UdSSR hinein ausgesiedelt. Für die Zeit von September 1939 bis Januar 1940 gibt es keine Angaben.48 Hinzu kamen Zwangsumsiedlungen innerhalb der besetzten Gebiete. Betroffen waren vor allem jene Menschen, die in unmittelbarer Nähe der neuen deutsch-sowjetischen Grenze lebten. Insgesamt wurden im Rahmen dieser Aktion in der Weißrussischen Sowjetrepublik 35 300 und in der Ukrainischen Sowjetrepublik 102 800 Menschen zwangsumgesiedelt. Die meisten kamen in Dörfer, aus denen zuvor polnische Siedler und Bauern deportiert oder deren volksdeutsche Bewohner im Rahmen des deutsch-sowjetischen Vertrages ins Reich umgesiedelt worden waren. 49 Eine andere Form der Repression war die Zwangsrekrutierung zum Dienst in der Roten Armee. Nach der Eingliederung der besetzten Gebiete in die UdSSR wurden die Einwohner automatisch zu Sowjetbürgern – mit allen ‚Rechten‘ und Pflichten, die daraus erwuchsen, wozu auch der Militärdienst gehörte. Abertausende von ehemaligen polnischen Bürgern wurden nun zwangsweise in die Rote Armee eingezogen. Es wird geschätzt, daß in den Jahren 1939 bis 1941 bis zu 230 000 ehemalige polnische Bürger gezwungen waren, diesen ‚Ehrendienst‘ abzuleisten. Darüber hinaus zwang man mehr als 100 000 junge Männer zur Arbeit in der sowjetischen Industrie, hauptsächlich im Kohlerevier des Donezbeckens, im Ural und in Westsibirien. 50 Von allen Terrormaßnahmen, mit denen die Bewohner im ehemaligen Ostpolen von den Sowjets überzogen wurden, waren die Massenerschießungen jedoch am schrecklichsten. Es sind dabei drei große systematisch geplante und durchgeführte Aktionen zu unterscheiden. Die erste und zugleich berüchtigtste war der sogenannte Katyn-Mord, die zweite die Liquidierung von Gefängnisinsassen im Frühjahr 1940 und die dritte die Ermordung von Inhaftierten im Sommer 1941. Zunächst zum Katyn-Mord: Im Herbst 1939 gerieten 240 000 bis 250 000 Soldaten und Offiziere der polnischen Armee in sowjetische Gefangenschaft. Die einfachen Soldaten wurden ab Anfang Oktober nach und nach freigelassen, bis auf etwa 37000 Mann, die zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden. Parallel dazu richtete man in Starobielsk und Kozielsk zwei Offizierslager sowie in Ostaszków ein Speziallager für Polizisten, Gefängnispersonal und Grenztruppen ein. Ende Februar 1940 waren in diesen drei Lagern 8376 Offiziere und 6192 Polizisten interniert. Mehrere Monate blieben die sowjetischen Machthaber in der Frage, wie mit diesen ‚gefährlichen Elementen‘ zu verfahren sei, unentschlossen. Anfang März 1940 fiel die Entscheidung. Am 5. März beschloß das Politbüro auf Antrag von Lawrenti Berija, des Volkskommissars für Innere Angelegenheiten, die Gefangenen von Kozielsk, Starobielsk und Ostaszków zu liquidieren. Der Massenmord spielte sich zwischen dem 3. April und dem 13. Mai ab. Die Insassen wurden in kleinen Gruppen aus den Lagern zum Erschießungsort transportiert. Aus dem Lager in Kozielsk brachte man 4404 Personen nach Katyn im Gebiet

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Smolensk, wo sie durch Genickschuß ermordet wurden. Die 3896 Insassen des Lagers von Starobielsk wurden auf dem Gelände des NKWD in Charkow getötet und am Stadtrand bei Piatichatki vergraben. Die 6287 Gefangenen von Ostaszków brachte man bei Kalinin um und verscharrte sie in der Nähe des Ortes Miednoje. Insgesamt liquidierte der NKWD im Rahmen dieser Aktion 14587 Personen.51 Gleichzeitig mit der Entscheidung für den Katyn-Mord beschloß das Politbüro auf Antrag Berijas, etwa 11000 zivile Gefangene – überwiegend Polen – zu liquidieren, die in Gefängnissen in den westlichen Teilen der Ukraine und Weißrußlands festgehalten wurden. Dabei handelte es sich um Widerstandskämpfer, Offiziere, die 1939 nicht mobilisiert worden waren, Regierungs- und Kommunalbeamte sowie andere Gruppen ‚gesellschaftlich gefährlicher Elemente‘, wie Gutsbesitzer, Fabrikanten und Grenzverletzer. Nach Auffassung Berijas waren sie allesamt „unversöhnliche Feinde des sowjetischen Systems, bei denen keine Aussicht auf Besserung besteht“, und das Politbüro schloß sich seiner Meinung an. Eine ‚Troika‘ sollte die Fälle ohne Anhörung der Opfer, ohne formalen Untersuchungsabschluß und ohne Anklageschrift entscheiden. Aus den zugänglichen Quellen gehen weder die näheren Umstände noch die Ausführenden und die Tatzeit hervor. Man weiß lediglich, daß insgesamt 7285 Personen – 3405 in der Ukraine und 3880 in Weißrußland – erschossen wurden, also etwa 70 % der von Berija vorgeschlagenen Personengruppe. Von den in der heutigen Ukraine Ermordeten – vor allem Polen, darunter auch Frauen – sind die Namen überliefert. Wo die Opfer vergraben wurden, ist unbekannt. 52 Darüber hinaus wurden ständig Personen erschossen, die von sowjetischen ‚Gerichten‘ zum Tode verurteilt worden waren. Wie hoch die Zahl dieser Opfer ist, konnte bisher nicht ermittelt werden. Der sowjetische Terror im ehemaligen Ostpolen gipfelte in den ersten Wochen des deutsch-sowjetischen Krieges in Massakern an Tausenden von Gefängnisinsassen. Verglichen mit anderen sowjetischen und nationalsozialistischen Verbrechen, war die absolute Zahl der Opfer relativ klein – schätzungsweise 20 000 bis 30 000 Menschen. Außergewöhnlich waren jedoch die Umstände, unter denen diese Verbrechen begangen und dann aufgedeckt wurden, sowie ihre Auswirkungen. Es handelte sich um eine Ad-hoc-Maßnahme, die beschlossen wurde, weil es den Sowjets nicht mehr möglich erschien, alle Gefangenen aus den von deutschen Truppen bedrohten Gebieten zu evakuieren. Eine Befreiung der Gefangenen durch die Deutschen oder gar ihre Freilassung kamen aus ihrer Sicht nicht in Frage. Es handelte sich schließlich um ‚sowjetfeindliche Elemente‘, die man so oder so ausmerzen mußte. In den meisten Gefängnissen im Baltikum, in Weißrußland, der Ukraine und Bessarabien kam es in diesen Tagen und Wochen zu Massakern an Häftlingen. In der Regel wurden die Opfer einzeln durch Genickschuß oder, wenn die Zeit knapp war, gruppenweise mit Maschinengewehren und Handgranaten liquidiert. Vielfach blieben die Leichen in den Zellen oder Gefängniskellern liegen. In Weißrußland töteten die Sowjets hingegen Tau-

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sende von Häftlingen auf sogenannten Todesmärschen. In Gefängnissen, die weiter von der Grenze entfernt waren, hatte man meistens genug Zeit, die ‚Aktionen‘ abzuschließen, das heißt die Leichen zu verscharren. Auch bedrohte Arbeitslager wurden auf diese Weise ‚aufgelöst‘. Hinzu kamen zahlreiche Verbrechen von Rotarmisten an der Zivilbevölkerung: Verdächtige Personen wurden erschossen, Geiseln genommen und getötet, Häuser und Dörfer niedergebrannt. 53

Wirtschaftspolitik im sowjetischen Machtbereich Vorkriegspolen, insbesondere aber Ostpolen, war ein landwirtschaftlich geprägtes und industriell unterentwickeltes Land. Daher spielte die Agrarpolitik in den sowjetischen Plänen für Ostpolen eine entscheidende Rolle. Die sowjetische Wirtschaftsordnung sah eine vollständige Kollektivierung der Landwirtschaft vor. Allerdings wußten die sowjetischen Machthaber aus eigener Erfahrung, daß Bauern, gleich welcher ethnischer Herkunft, an ihrem Grundbesitz hingen. Daher entschloß man sich, in Ostpolen die neuen landwirtschaftlichen Strukturen stufenweise aufzubauen. Zunächst enteignete man die Großgrundbesitzer, zumeist Polen, und die den nichtpolnischen Bauern verhaßten polnischen Siedler. Sie wurden deportiert, inhaftiert oder sogar ermordet, und ihr Eigentum wurde zum Teil an die arme Landbevölkerung verteilt. Damit gewannen die Sowjets viele Anhänger unter den weißrussischen und ukrainischen Bauern und Landarbeitern. Diese Entwicklung fand in einem von brutaler sozialer und ethnischer Rache geprägten Klima statt. 54 Im Frühjahr 1940 begannen die sowjetischen Behörden die nächste Etappe, eine breit angelegte Kollektivierungskampagne, die bis zum deutschen Überfall auf die UdSSR intensiviert wurde. Doch trotz der Gründung erster Kolchosen war ihr Ergebnis nach 21 Monaten sowjetischer Herrschaft bescheiden. Die weißrussischen, ukrainischen und polnischen Bauern leisteten passiven, teilweise auch aktiven Widerstand, und die ‚sanften‘ Methoden der Behörden – massiver psychischer und administrativer Druck – konnten ihn nicht brechen. Zu härteren Maßnahmen, zum Massenterror also, wollten die Sowjets offenbar zunächst nicht greifen. Im Juni 1941 waren in den in die Weißrussische Sowjetrepublik eingegliederten Gebieten nur 6,7 % der bäuerlichen Betriebe kollektiviert, in den in die Ukraine eingegliederten Gebieten 13 %. 55 Erfolgreicher verlief die Nationalisierung von Industrie-, Handels- und Dienstleistungsbetrieben. Zuerst wurden größere Fabriken und Unternehmen verstaatlicht, im nächsten Schritt Druckereien, Kraftwerke, Hotels, Miethäuser, Kommunalbetriebe, Versicherungen, Schulen und andere Bildungseinrichtungen, Krankenhäuser, Apotheken, Banken und Sparkassen, Kurhäuser, kulturelle Einrichtungen wie Theater, Kinos, Bibliotheken und Museen, Sportanlangen sowie größere Handels- und Dienstleistungsbetriebe. Insgesamt wurden 3918 Unternehmen und Institutionen verstaatlicht. 56 Das neue System bedeutete auch, daß private Handwerksbetriebe und Genossenschaften allmählich liquidiert wurden.

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An ihre Stelle traten Produktionsgenossenschaften nach sowjetischem Muster, die das Eigentum der Vorgängerbetriebe übernahmen.57 Wesentlich radikaler gingen die Kommunisten im öffentlichen Sektor vor. Das polnische Justizwesen wurde durch das sowjetische ersetzt und sowjetisches ‚Recht‘ eingeführt. Die neuen Richter und Staatsanwälte kamen aus der UdSSR. Die Aufgaben der polnischen Polizei übernahmen die Miliz, die sich überwiegend aus Einheimischen zusammensetzte, und der NKWD mit aus der UdSSR abgeordnetem Personal. Ähnlich ging man im Gefängniswesen sowie in der Staatsund Kommunalverwaltung vor. Sogar Bahn und Post wurden von den radikalen Veränderungen erfaßt. In all diesen Sektoren wurde die Belegschaft entweder völlig oder wenigstens auf der Führungsebene ausgetauscht, falls es schwierig war, neues qualifiziertes Personal – beispielsweise bei der Bahn oder im Gesundheitswesen – zu finden. 58 Wer im Vorkriegspolen politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich aktiv gewesen war, wurde aus Führungspositionen entfernt. Die Nachfolger waren in den meisten Fällen aus der Sowjetunion versetzte Kräfte. Für die mittlere und untere Führungsebene stellte man häufig kooperationswillige Einheimische ein, in der Regel jedoch keine Polen. 59 Parallel dazu entstanden in fast allen Bereichen des wirtschaftlichen und öffentlichen Lebens massenhaft neue Arbeitsplätze und Leitungsposten. Der Terrorapparat von NKWD und Miliz wurde auf- und ausgebaut, das Gefängniswesen expandierte. Industrie und Handel, handwerkliche Produktionsgenossenschaften und Kolchosen erhielten neue Verwaltungsstrukturen, während die bestehenden erweitert wurden. Und auch in der Kommunistischen Partei mit ihren Ablegern wie Komsomol, Gewerkschaftsorganisationen und Propagandaapparat baute man eine völlig neue Verwaltung auf. All diese Einrichtungen hatten einen enormen Bedarf an Verwaltungs- und Führungskräften, die man unter politisch zuverlässigen und kooperationswilligen Einheimischen rekrutierte. Die wichtigsten Positionen wurden jedoch mit Fachleuten aus der Sowjetunion besetzt. 60 Wirtschaftlich wirkte sich die Sowjetisierung verheerend aus. Die alte funktionierende Marktwirtschaft wurde zerstört und durch Planwirtschaft ersetzt. Deren Kennzeichen waren extremer Etatismus und wirtschaftliche Trägheit, Zentralismus und Bürokratismus, Inkompetenz und Verschwendung von Ressourcen, Korruption und Vetternwirtschaft, Versorgungsengpässe und die Vortäuschung von Erfolgen, die nur auf dem Papier existierten. 61 Die breite Bevölkerung bekam die sowjetische Mißwirtschaft rasch zu spüren, vor allem in der mangelnden Versorgung mit wichtigen Nahrungsmitteln und Gebrauchsartikeln. Zunächst verursachte das Kriegschaos Versorgungsschwierigkeiten. Im Lauf der Zeit zeigte sich jedoch, daß die neuen Machthaber unfähig waren, mit diesem Problem fertig zu werden. Im Gegenteil, die Lage verschlechterte sich weiter. Vor den Geschäften bildeten sich Schlangen, in denen man tagelang anstehen mußte, um etwas kaufen zu können. Es kam zu Teuerungen, und der Schwarzmarkt blühte. 62 Diese Zustände kompromittierten die neuen Machthaber. Sogar unter denen, die

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das neue System anfangs begrüßt hatten und von den Veränderungen profitierten, wuchs die Unzufriedenheit. Vor allem wegen der sich ständig verschlechternden wirtschaftlichen Lage waren immer mehr von den Kommunisten enttäuscht und sehnten sich nach den ‚alten Zeiten‘ zurück. 63 Alle Maßnahmen, die mit der gewaltsamen Sowjetisierung Ostpolens zusammenhingen, und ihre Folgen verschärften die bestehenden Spannungen und schufen zugleich neue Konfliktherde zwischen den Bevölkerungsgruppen. In eine äußerst prekäre Lage geriet dabei die jüdische Bevölkerung. Einerseits wurden ihre Eliten verfolgt und viele Flüchtlinge aus Westpolen nach Sibirien deportiert, so daß die jüdische Bevölkerung ihre traditionelle Führungsschicht verlor. Viele Juden versuchten auch, sich dem Sowjetisierungsprozeß aktiv und passiv zu widersetzen. So bildete sich unter anderem ein jüdischer antisowjetischer Untergrund, der jedoch, ähnlich wie der polnische, relativ schnell vom NKWD zerschlagen wurde. Andererseits bot das sowjetische System vielen Juden eine neue Perspektive. Für viele von ihnen, insbesondere die Jugend, brachte die kommunistische Herrschaft den sozialen Aufstieg mit sich. Dies weckte bei den anderen Bevölkerungsgruppen Neid und Rachegelüste. Viele assoziierten die sowjetische Herrschaft nun mit der sozialen Besserstellung von Juden und ihrer Beteiligung an der Macht, während sie den jüdischen antisowjetischen Widerstand kaum wahrnehmen konnten, was ja in der Natur der Sache lag. Auf diese Weise erhielten die antijüdischen Ressentiments während der bolschewistischen Herrschaft eine neue Dimension. An die Seite der in wirtschaftlichen, religiösen und sozialen Unterschieden und Konflikten wurzelnden traditionellen antisemitischen Vorurteile trat das Bild des Juden als vermeintlicher Nutznießer der Sowjetisierung und Helfershelfer der Besatzer. 64 Mit dem Anspruch, eine von Gleichheit, Gerechtigkeit, Brüderlichkeit und Altruismus geprägte Gesellschaft aufbauen zu wollen, erreichten die Kommunisten auch in Ostpolen genau das Gegenteil: die Herrschaft von Willkür, Massenterror, Denunziantentum, ethnisch und sozial bedingtem Haß, kollektivem Rachebedürfnis, Mißgunst und Zynismus. Auch wirtschaftlich bedeutete die Besatzung eine weitere Verelendung des ohnehin armen Landes. Der deutsche Überfall auf die UdSSR am 22. Juni 1941 unterbrach den Sowjetisierungsprozeß jäh. Unter den geschilderten Umständen ist es kaum verwunderlich, daß viele Ukrainer, Polen, Letten oder Litauer die einmarschierenden Truppen als Befreier begrüßten. Eine Ausnahme bildeten die Juden, die etwa 10 % der Gesamtbevölkerung Ostpolens ausmachten, sowie diejenigen, die mit den Kommunisten zusammengearbeitet hatten. Sie fürchteten Repression und Verfolgung. In der Tat kam es nach der Flucht der Sowjets in vielen Orten zu blutigen Ausschreitungen und Pogromen, die gegen die jüdische Bevölkerung insgesamt, aber auch gegen echte und vermeintliche Kollaborateure nichtjüdischer Herkunft gerichtet waren. 65

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Deutsche und sowjetische Besatzungspolitik in Polen 1939–1941: Versuch eines Vergleichs Die im September 1939 besetzten polnischen Gebiete eignen sich wie wenige andere für eine vergleichende Untersuchung von deutscher und sowjetischer Besatzungspolitik sowie der Verbrechen beider totalitärer Systeme. So waren sich beide Okkupanten trotz aller ideologischen und strukturellen Unterschiede einig, daß Polen von der Landkarte zu verschwinden habe und seine Führungsschichten zu vernichten seien. In dieser Hinsicht waren die sowjetischen Besatzer im Frühjahr 1941 näher am Ziel als die deutschen, vielleicht mit Ausnahme der annektierten Gebiete. Allerdings betrieben die Deutschen ihre Terrorpolitik gegenüber Polen unverändert bis 1945 und radikalisierten sie nach 1941 noch erheblich. Die sowjetische Polenpolitik wandelte sich dagegen nach dem deutschen Überfall auf die UdSSR, als die Kremlführung überstürzt nach Verbündeten im Kampf gegen die einstigen Komplizen suchte. Jetzt ging es der sowjetischen Führung nicht mehr um die totale Vernichtung Polens als Staat, sondern um dessen Sowjetisierung und Verschiebung nach Westen auf Deutschlands Kosten. Dies realisierte Stalin konsequent seit 1944/45. Im Herbst 1939 setzten die deutschen wie die sowjetischen Besatzer auf Massenterror, um das okkupierte Land zu ‚befrieden‘ und die eigene Herrschaft zu etablieren. Der Terror richtete sich in erster Linie gegen diejenigen, die Widerstand leisteten bzw. nach Auffassung der Okkupanten hätten leisten können. Sie ermordeten, deportierten oder inhaftierten präventiv diejenigen, die als für die eigene Herrschaft gefährlich eingestuft wurden. Es handelte sich dabei in erster Linie um Angehörige der polnischen Führungsschicht im weiteren Sinne und deren Familien. Die Verfolgung der polnischen Juden und ihre spätere Ermordung entsprangen ähnlichen Motiven. Denn die nationalsozialistische Rassenlehre sah in allen Juden grundsätzlich eine Bedrohung für die deutsche Herrschaft. 66 Die sowjetischen und deutschen Besatzer unterschieden sich jedoch darin, wie sie jeweils ihre Feinde definierten. Die Deutschen bestimmten diejenigen, die zu vernichten waren, in erster Linie nach ethnischer Zugehörigkeit. Danach galten grundsätzlich als Feinde Deutschlands alle Angehörigen der polnischen Elite. Den polnischen Arbeitern, Bauern und ‚einfachen Menschen‘, die allen Anforderungen der Okkupanten nachkamen und weder passiven noch aktiven Widerstand leisteten, drohte theoretisch keine unmittelbare Gefahr. Es sei denn, sie wurden im Rahmen einer kollektiven Bestrafung für ‚antideutsche‘ Aktionen ermordet oder inhaftiert, oder sie wurden vertrieben, weil das Land germanisiert werden sollte. Allerdings kamen hierbei bis zum Ende der deutschen Besatzung mehrere Hunderttausend ‚einfache Polen‘ um. Die Juden galten dagegen insgesamt als Feinde, ohne daß man einen Unterschied zwischen ‚einfachen Menschen‘ und Eliten machte. Dagegen definierten die sowjetischen Täter ihre Feinde grundsätzlich nach Klassenzugehörigkeit und sozialer Stellung. Die ethnische Herkunft spielte theo-

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retisch keine Rolle, in der Praxis jedoch sehr wohl. So vermischten sich in Ostpolen die ethnischen Vorurteile mit den gesellschaftlich- und klassendefinierten Feindbildern. Polen galten einerseits als die herrschende Schicht und zugleich als Unterdrücker der Weißrussen und Ukrainer, andererseits war zu dieser Zeit in der Sowjetunion die Stimmung gegen „Weißpolen“ und die „polnischen Herren“, die Pany, weit verbreitet und wurde von der kommunistischen Propaganda gezielt angeheizt. Dies beeinflußte naturgemäß die Behandlung aller Polen durch die sowjetischen Behörden, da man diese grundsätzlich verdächtigte, antibolschewistisch eingestellt zu sein. 67 Aus diesem Grund befanden sich unter den Opfern des sowjetischen Terrors in Ostpolen besonders viele Polen, obwohl die Täter auch Weißrussen, Juden und besonders Ukrainer verfolgten, insofern sie diese als ‚antisowjetische Elemente‘ eingestuft hatten. Gemäß der nationalsozialistischen Ideologie verfolgten die Deutschen das Ziel, die polnische Bevölkerung zu Heloten des deutschen Volkes zu degradieren, ohne eigene Eliten, ohne eigene Kultur und ohne eigene Geschichte. Für die polnischen Juden war dagegen im deutschen Machtbereich überhaupt kein Platz vorgesehen. Als sich die ursprünglich geplante Massendeportation nach Madagaskar und später in die Tiefen Rußlands als unrealistisch erwies, wurden die Juden vor Ort ermordet. Die bolschewistischen Ziele in Bezug auf die multiethnische Gesellschaft Ostpolens definierten sich grundlegend anders. Die Sowjets strebten – wenigstens offiziell – danach, eine gerechte und klassenlose kommunistische Gesellschaft aufzubauen, in der ethnische, soziale und wirtschaftliche Gegensätze und Konflikte nicht mehr existierten. Erreicht haben sie aber genau das Gegenteil. Das ehemalige Ostpolen glich am Vorabend des deutsch-sowjetischen Krieges einem Hexenkessel, in dem sich negative Emotionen und Leidenschaften – vor allem Haß und Rachegelüste – infolge der sowjetischen Besatzungspolitik auf unvorstellbare Weise aufgeladen hatten. 68 Es herrscht allgemein die Überzeugung, daß die Deutschen während des Zweiten Weltkrieges ihre Verbrechen organisatorisch und technisch perfekt vorbereitet und durchgeführt hätten. Die polnische Erfahrung zeigt aber, daß in dieser Hinsicht die sowjetischen Täter die deutschen bei weitem übertrafen. Betrachten wir beispielsweise die Deportationen. Die deutschen wie die sowjetischen Besatzer vertrieben und verschleppten 1939 bis 1941 Hunderttausende polnische Bürger. Die Sowjets erwiesen sich jedoch beim Vollzug dieser Verbrechen insgesamt als viel ‚effizienter‘ und besser organisiert als die Deutschen. So bereiteten sie ihre Aktionen sehr sorgfältig vor; auch die kleinsten Details wurden geregelt. Am 11. Februar 1940 deportierten die Sowjets aus den polnischen Ostgebieten, die in die Weißrussische Sowjetrepublik eingegliedert worden waren, mit einem Schlag 50 732 Personen; geplant gewesen war sogar die Verschleppung von 52 892 Menschen. 69 Ähnlich ‚sorgfältig‘ liefen die übrigen drei großen Massendeportationen und auch die Massenerschießungen ab. Dabei achteten die sowjetischen Täter stets auf Geheimhaltung. So erfuhr die Welt vom Katyn-Massaker nur des-

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wegen, weil die Deutschen im Frühjahr 1943 die Massengräber fanden und dies propagandistisch ausschlachten wollten. Ihren Terror setzten die Kommunisten gezielt ein. Sie bestimmten die Opfer nach Möglichkeit namentlich und trafen dann die entsprechenden Maßnahmen. Allerdings setzte dies voraus, daß sie genug Zeit hatten, ihre Verbrechen in Ruhe vorzubereiten und zu begehen. Nach dem 22. Juni 1941, als diese äußerst knapp war und im Hinterland Chaos und Panik herrschten, richteten die sowjetischen Täter dagegen quasi öffentliche Blutbäder an, die unmittelbar nach dem Einmarsch der Deutschen entdeckt und von der NS-Propaganda instrumentalisiert wurden.70 Die deutschen Täter dagegen führten die Deportationen aus den eingegliederten Gebieten ins GG vergleichsweise ‚dilettantisch‘ durch. Die Planungen erwiesen sich schnell als unrealistisch und mußten bald nach unten korrigiert werden. Bis zum Frühjahr 1941 deportierten sie dann ‚nur‘ 460 000 Polen und Juden. Darüber hinaus waren die Umsiedlungen schlecht vorbereitet, es kam zu ‚wilden‘ Vertreibungen, und es brach unter den Tätern oft Streit darüber aus, wie viele Opfer wann und wohin verschleppt werden sollten. 71 Ähnlich ‚unprofessionell‘, obwohl keineswegs weniger blutig im Vergleich zu den sowjetischen Tätern, gingen die Deutschen bei den Massenerschießungen vor. Im Herbst 1939 richteten sie regelrechte Blutbäder an, die erst später teilweise durch ein systematisches Vorgehen wie etwa die „AB-Aktion“ ersetzt wurden. 72 Auf Geheimhaltung im besetzten Land selbst legten sie keinen größeren Wert. Vielmehr führten sie zahlreiche Massaker als ‚Vergeltungsaktionen‘ durch, mit denen sie die polnische Bevölkerung einschüchtern wollten, um jeglichen Widerstandswillen zu brechen. Ebensowenig läßt sich der spätere Genozid an den polnischen Juden als ein perfekt organisiertes und durchgeführtes Verbrechen bezeichnen. Auch die sowjetische Wirtschaftspolitik unterschied sich in ihren Zielen und in der Umsetzung grundlegend von der nationalsozialistischen. Die deutschen Besatzer zielten darauf ab, das besetzte Land für die Bedürfnisse der Kriegswirtschaft rücksichtslos auszuplündern und auszubeuten; sie machten keinen Hehl daraus und waren dabei relativ erfolgreich. Es ist jedoch zu bezweifeln, daß die Sowjetunion von der Ausbeutung der ostpolnischen Gebiete wirtschaftlich besonders profitiert hat. Dies war auch nicht ihr erklärtes Ziel. Durch die Einführung des sowjetischen Wirtschaftssystems wurde jedoch die bestehende Ordnung zerschlagen, ohne daß statt dessen ein neues, einigermaßen funktionierendes System aufgebaut worden wäre. Wie unterschiedlich die Politik der deutschen und sowjetischen Besatzer in Polen 1939 bis 1941 auch sein mochte, hatte sie doch in beiden Fällen katastrophale Folgen für die polnische Gesellschaft und den polnischen Staat. Die Führungsschichten wurden durch Massenmord dezimiert, die Wirtschaft wurde weitgehend zerstört, mehrere hunderttausend Menschen wurden ermordet oder kamen bei Kriegshandlungen ums Leben. Millionen polnische Bürger – Polen, Juden, Ukrainer, Weißrussen – befanden sich auf der Flucht, wurden gewaltsam

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ausgesiedelt, deportiert, ghettoisiert, in deutschen und sowjetischen Lagern und Gefängnissen inhaftiert oder zur Zwangsarbeit verschleppt. Und doch war das für das Land und seine Bewohner erst der Beginn der Besatzungshölle, in der Millionen polnische Bürger – allein etwa drei Millionen Juden – ihr Leben verlieren sollten.

Anmerkungen 1 Vgl. Sergej Slutsch: 17. September 1939: Der Eintritt der Sowjetunion in den Zweiten Weltkrieg. Eine historische und völkerrechtliche Bewertung, in: VfZ 48(2000), S. 219–254; Kurt Pätzold/Günter Rosenfeld (Hrsg.): Sowjetstern und Hakenkreuz 1938–1941. Dokumente zu den deutsch-sowjetischen Beziehungen, Berlin 1990; Czesław K. Grzelak: Kresy w czerwieni. Agresja Zwia˛zku Sowieckiego na Polske˛ w 1939 roku, Warszawa 1998; Jerzy Łojek (Leopold Jez˙ewski): Agresja 17 wrzes´nia 1939 r., Warszawa 1990; Czesław Grzelak/Stanisław Jaczyn´ski/Eugeniusz Kozłowski (Hrsg.): Agresja sowiecka na Polske˛ w s´wietle dokumentów. 17 wrzes´nia 1939, 3 Bde., Warszawa 1994–1996. 2 Vgl. Martin Broszat: Nationalsozialistische Polenpolitik 1939–1945, Stuttgart 1961, S. 31–37; Czesław Łuczak: Polityka ludnos´ciowa i ekonomiczna hitlerowskich Niemiec w okupowanej Polsce, Poznan´ 1979, S. 13 ff., 209; Czesław Madajczyk: Polityka III Rzeszy w okupowanej Polsce, Warszawa 1970, Bd. 1, S. 581–584; Hans-Jürgen Bömelburg/Bogdan Musial: Die deutsche Besatzungspolitik in Polen 1939–1945, in: Włodzimierz Borodziej/Klaus Ziemer (Hrsg.): Deutsch-polnische Beziehungen 1939–1945– 1949. Eine Einführung, Osnabrück 2000, S. 49–53, 71 f. 3 Bogdan Musial: „Konterrevolutionäre Elemente sind zu erschießen“. Die Brutalisierung des deutsch-sowjetischen Krieges im Sommer 1941, Berlin-München 2000, S. 24–30. 4 Zit. in: Gerhard Eisenblätter: Grundlinien der Politik des Reiches gegenüber dem Generalgouvernement 1939–1945, Diss. Frankfurt/M. 1969, S. 29. 5 Besprechung des Führers mit Chef OKW am 17. 10. 1939, in: IMG, Bd. 26, Nürnberg 1947, S. 378 f. 6 Ebd., S. 378. 7 Helmut Krausnick: Hitlers Einsatzgruppen. Die Truppe des Weltanschauungskrieges 1939–1942, Frankfurt/M. 1985, S. 76; Łuczak (Anm. 2), S. 90. 8 Barbara Bojarska: Eksterminacja inteligencji polskiej na Pomorzu Gdan´skim (wrzesien´ – grudzien´ 1939), Poznan´ 1972, S. 121 f., nennt auf der Basis von polnischen Untersuchungen mindestens 20 000–30 000 Opfer bis Dezember 1939; nach der von der ZSL erstellten Statistik über NS-Verbrechen im Reichsgau Danzig-Westpreußen belief sich die Zahl der Opfer auf 52794–60750, die meisten von ihnen wurden im ersten halben Jahr der deutschen Besatzung ermordet, abgedr. in: Dieter Schenk: Hitlers Mann in Danzig. Gauleiter Forster und die NS-Verbrechen in Danzig-Westpreußen, Bonn 2000, S. 293 ff.; Czesław Łuczak: Pod niemieckim jarzmem (Kraj Warty 1939– 1945), Poznan´ 1996, S. 16–19; Irena Sroka: Górny S´la˛sk i Zagłe˛bie Da˛browskie pod okupacyjnym zarza˛dem wojskowym, Katowice 1975, S. 198; Paweł Dubiel: Wrzesien´ na S´la˛sku, Katowice 1963.

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Łuczak (Anm. 2), S. 71–76. Eisenblätter (Anm. 4), S. 172–178; Werner Präg/Wolfgang Jacobmeyer (Hrsg.): Das Diensttagebuch des deutschen Generalgouverneurs in Polen 1939–1945, Stuttgart 1975, S. 194; Madajczyk (Anm. 2), Bd. 2, S. 287. 11 Präg/Jacobmeyer (Anm. 10), S. 311; Karol Marian Pospieszalski (Hrsg.): Documenta Occupationis. Generalna Gubernia. Wybór dokumentów i próba syntezy, Bd. 6, Poznan´ 1958, S. 462. 12 Präg/Jacobmeyer (Anm. 10), S. 64. 13 Pospieszalski (Anm. 11), Bd. 6, S. 459 f.; Łuczak (Anm. 2), S. 77. 14 Präg/Jacobmeyer (Anm. 10), S. 104. 15 Vgl. Bogdan Musial: The Origins of „Operation Reinhard“: The Decision-Making Process for the Mass Murder of the Jews in the Generalgouvernement, in: YVS 28(2000), S. 113–153. 16 Łuczak (Anm. 2), S. 127 f.; Eisenblätter (Anm. 4), S. 178–194; Bogdan Musial: Deutsche Zivilverwaltung und Judenverfolgung im Generalgouvernement. Eine Fallstudie zum Distrikt Lublin 1939–1944, Wiesbaden 1999, S. 29. 17 Łuczak (Anm. 8), S. 52–57. 18 Łuczak (Anm. 2), S. 127 f., 133. 19 Eisenblätter (Anm. 4), S. 324–430; Madajczyk (Anm. 2), Bd. 1, S. 250–260; Bömelburg/Musial (Anm. 2), S. 54 f., 84 f.; Musial (Anm. 16), S. 164–169. 20 Werner Röhr: Zur Wirtschaftspolitik der deutschen Okkupanten in Polen 1939– 1945, in: Dietrich Eichholz (Hrsg.): Krieg und Wirtschaft. Studien zur deutschen Wirtschaftsgeschichte 1939–1945, Berlin 1999, S. 223. 21 Czesław Łuczak: Polska i Polacy w drugiej Wojnie S´wiatowej, Poznan´ 1993, S. 197. 22 Ebd., S. 201 f. 23 Ebd., S. 204 f.; Diemut Majer: „Fremdvölkische“ im Dritten Reich. Ein Beitrag zur nationalsozialistischen Rechtssetzung und Rechtspraxis in Verwaltung und Justiz unter besonderer Berücksichtigung der eingegliederten Ostgebiete und des Generalgouvernements, Boppard 1981, S. 398–404. 24 Łuczak (Anm. 21), S. 209. 25 Ebd., S. 208. 26 Alfred Sulik: Przemysł cie˛z˙ki rejencji katowickiej w gospodarce Trzeciej Rzeszy (1939–1945), Katowice 1984, S. 197. 27 Ebd., S. 142, 151 f., 196–200. 28 Röhr (Anm. 20), S. 237. 29 Łuczak (Anm. 21), S. 226. 30 Wie Anm. 5. 31 Zit. in: Eisenblätter (Anm. 4), S. 112. 32 Ebd., S. 110–130. 33 Vgl. Musial (Anm. 16), S. 148–156. 34 Łuczak (Anm. 21), S. 205, 209. 35 Eisenblätter (Anm. 4), S. 313. 36 Ebd., S. 306–312. 37 Präg/Jacobmeyer (Anm. 10), S. 89. 38 Łuczak (Anm. 2), S. 402. 39 Madajczyk (Anm. 2), Bd. 1, S. 242. 40 Łuczak (Anm. 2), S. 258–277; vgl. Christian Gerlach: Krieg, Ernährung, Völker10

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mord. Forschungen zur deutschen Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg, Hamburg 1998, S. 170 ff. 41 Czesław Rajca: Walka o chleb 1939–1944. Eksploatacja rolnictwa w Generalnym Gubernatorstwie, Lublin 1980, S. 140–151; Musial (Anm. 16), S. 58 f., 350. 42 Denkschrift RFSS v. 28. 5. 1940: Einige Gedanken über die Behandlung der Fremdvölkischen im Osten, BAB, NS 19/1737; vgl. Hans-Christian Harten: De-Kulturation und Germanisierung. Die nationalsozialistische Rassen- und Erziehungspolitik in Polen 1939–1945, Frankfurt/M.-New York 1996. 43 Christoph Kleßmann: Die Selbstbehauptung einer Nation. Nationalsozialistische Kulturpolitik und polnische Widerstandsbewegung im Generalgouvernement 1939– 1945. Düsseldorf 1971, S. 48–107; Georg Hansen (Hrsg.): Schulpolitik als Volkstumspolitik. Quellen zur Schulpolitik der Besatzer in Polen 1939–1945, Münster-New York 1994. 44 Musial (Anm. 3), S. 42–70; Henryk Kieres´ u. a. (Hrsg.): Encyklopedia „białych plam“, Radom 2000, Bd. 1, S. 169. 45 Albin Głowacki: Sowieci wobec Polaków na ziemiach wschodnich II Rzeczpospolitej 1939–1941, Łódz´ 1997, S. 272–278; Jerzy We˛gierski: Lwów pod okupacja˛ sowiekka˛ 1939–1941, Warszawa 1991; Musial (Anm. 3), S. 31–36. 46 Vgl. IPN (Hrsg.): „Zachodnia Białorus´“ 17 IX 1939–22 VI 1941. Deportacje Polaków z północno-wschodnich ziem II Rzeczypospolitej 1940–1941, Bd. 2, Warszawa 2001; Głowacki (Anm. 45), S. 320–402; Andrzej Paczkowski: Polen, der „Erbfeind“, in: Stéphane Courtois u. a. (Hrsg.): Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrükkung, Verbrechen und Terror, München-Zürich 1998, S. 405 f. 47 Głowacki (Anm. 45), S. 320–402; Musial (Anm. 3), S. 32 ff. 48 Nicolas Werth: Ein Staat gegen sein Volk. Gewalt, Unterdrückung und Terror in der Sowjetunion, in: Schwarzbuch (Anm. 46), S. 232. 49 Głowacki (Anm. 45), S. 399–403. 50 Ebd., S. 405–408; Paczkowski (Anm. 46), S. 407. 51 Vgl. Głowacki (Anm. 45), S. 199–218; Paczkowski (Anm. 46), S. 402–405; Musial (Anm. 3), S. 34 ff. 52 Albin Głowacki: Organizacja i funkcjonowanie wie˛ziennictwa NKWD na Kresach Wschodnich II Rzeczpospolitej w latach 1939–1941, in: Zbrodnicza ewakuacja wie˛zien´ i aresztów NKWD na Kresach Wschodnich II Rzeczpospolitej w czerwcu–lipcu 1941 roku, Warszawa 1997, S. 26–44; Musial (Anm. 3), S. 35 f.; Listy katyn´skiej cia˛g dalszy. Straceni na Ukrainie. Lista obywateli polskich zamordowanych na Ukrainie na podstawie decyzji Biura Politycznego WKP (b) i naczelnych władz pan´stwowych ZSRR z 5 marca 1940 roku, Warszawa 1994. 53 Vgl. Musial (Anm. 3), S. 98–295. 54 Ebd., S. 48–56. 55 Głowacki (Anm. 45), S. 129–134. 56 Ebd., S. 136–143. 57 Ebd., S. 140 f. 58 Ebd., S. 151–160. 59 Ebd., S. 169. 60 ˙ ołyn´ski: Wła˛czenie polskich ziem wschodnich do ZSRR (1939– Vgl. Janusz Z 1940). Problemy ustrojowe i prawne, Wrocław 1994. 61 Głowacki (Anm. 45), S. 168 f.

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Ebd., S. 143–147. Musial (Anm. 3), S. 48–56. 64 Vgl. ebd., S. 31–81; Marek Wierzbicki: Stosunki polsko-z˙ydowskie na Zachodniej Białorusi w latach 1939–1941, in: Paweł Machcewicz/Krzysztof Persak (Hrsg.): Wokół Jedwabnego, Warszawa 2002, Bd. 1, S. 129–158. 65 ˙ ydzi w zaborze sowieckim. Stosunki Ebd., S. 42–81, 172–199; vgl. ders.: Polacy i Z polsko-z˙ydowskie na ziemiach północno-wschodnich II RP pod okupacja˛ sowiecka˛ ˙ bikowski: Local Anti-Jewish-Pogroms in the (1939–1941), Warszawa 2001; Andrzej Z Occupied Territories of Eastern Poland, June–July 1941, in: Lucjan Dobroszycki/Jeffrey Gurock (Hrsg.): The Holocaust in the Soviet Union. Studies and Sources on the Destruction of the Jews in the Nazi-Occupied Territories of the USSR, 1941–1945, Armonk-London 1993, S. 173–179; Bogdan Musial: Indigener Judenhaß und die deutsche Kriegsmaschine. Der Nordosten Polens im Sommer 1941, in: Osteuropa 53(2003), S. 1830–1841; Christoph Mick: Ethnische Gewalt und Pogrome in Lemberg 1914 und 1941, in: ebd., S. 1810–1829; Alexander B. Rossino: Polish ‚Neigbours‘ and German Invaders: Anti-Jewish Violence in the Białystok District during the Opening Weeks of Operation Barbarossa, in: Polin 16 (2003), S. 431–452. 66 Vgl. Bogdan Musial: Die Genese der „Aktion Reinhardt“, in: ders. (Hrsg.): „Aktion Reinhardt“. Judenvernichtung im besetzten Polen, Osnabrück 2004 (im Erscheinen). 67 Musial (Anm. 3), S. 42–47. 68 Vgl. ebd., S. 71–81; Wierzbicki (Anm. 65), S. 164–191. 69 Vgl. „Zachodnia Białorus´“ (Anm. 46), Dok. 7–28. 70 Vgl. Musial (Anm. 3), S. 102–209. 71 Vgl. Eisenblätter (Anm. 4), S. 178–195. 72 Vgl. ebd., S. 157–177; Broszat (Anm. 2), S. 38–48. 63

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„Tragische Verstrickung“ oder Auftakt zum Vernichtungskrieg? Die Wehrmacht in Polen 1939 Über die Rolle der Wehrmacht während des deutschen Angriffs auf Polen im Herbst 1939 hielt sich hierzulande seit Anfang der 1960er Jahre hartnäckig eine Denkfigur, die in allen einschlägigen Veröffentlichungen bis zur Jahrtausendwende auftaucht. Den Grundstein dafür legte Martin Broszat in seiner ansonsten sehr verdienstvollen Studie über die deutsche Besatzung in Polen.

Das Bild der „tragischen Verstrickung“ Darin führte er aus, daß die im Hinterland eingesetzten Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei durch scheinbar willkürliche Verhaftungen und Erschießungen von Polen und Juden im September 1939 den Unmut seitens der Truppe hervorgerufen hätten. 1 Das Versäumnis der Wehrmachtsführung sah er in erster Linie darin, daß sie – überrascht durch das skrupellose Vorgehen der Einsatzgruppen und die andauernden Übergriffe von Polizei-, Zivil- und Parteibehörden – sich allzu bereitwillig ihrer Verantwortung entzogen habe, indem sie am 25. Oktober die vollziehende Gewalt in den besetzten Gebieten abgab. 2 Plausibilisiert wurde dieses Bild durch die oft zitierte Bemerkung des Chefs des Oberkommandos der Wehrmacht, Generaloberst Wilhelm Keitel, gegenüber dem Chef der militärischen Abwehr, Admiral Canaris, am 12. September, die einem Offenbarungseid gleichkam: Umfangreiche Erschießungen in Polen seien vom Führer entschieden, die Wehrmacht habe zu akzeptieren, daß die Mordkommandos neben ihr in Erscheinung träten. 3 Ein Versagen der Wehrmachtsführung angesichts der bereits im September anlaufenden nationalsozialistischen „Volkstumspolitik“ in Polen wird in der einschlägigen Literatur darum allgemein eingeräumt, obwohl einzelne Befehlshaber vor Ort damals Erschießungen durch Einsatzgruppen buchstäblich in letzter Minute verhinderten. 4 Doch ganz so überrascht, wie man sich seitens der Wehrmachtsführung gab, konnte man über das Vorgehen der Einsatzgruppen kaum sein. Zumindest Canaris hatte bereits am 25. August gegenüber dem Chef des Generalstabes des Heeres, Generaloberst Franz Halder, seine „Besorgnis wegen Rolle der Totenkopfverbände“ geäußert 5 , deren Einsatz – mit dem Auftrag der „Bekämpfung aller reichsfeindlichen Elemente im Feindesland rückwärts der fechtenden Truppe“ 6 – vier Tage später dennoch zwischen Vertretern des Generalstabes und der Sicherheitspolizei einvernehmlich geregelt wurde. 7 Da ein genereller Mordauftrag der

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Einsatzgruppen auf Wehrmachtsseite zum damaligen Zeitpunkt jedoch tatsächlich noch nicht bekannt war 8 , wurde die zögerliche Haltung der Wehrmacht hinsichtlich der Exzesse der Mordkommandos im Rücken der Truppe lediglich als verpaßte Chance verbucht, entsprechenden Entwicklungen nach deren Bekanntwerden rechtzeitig einen Riegel vorzuschieben. Ebenfalls entlastend wirkten die häufig bemühten zahlreichen Proteste, die hochrangige Offiziere nach dem Ende der Militärverwaltung bis ins Frühjahr 1940 gegen die weiterwütenden Todesschwadronen einreichten. Generaloberst Blaskowitz in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber Ost konstatierte noch am 6. Februar: „Die Einstellung der Truppe zu SS und Polizei schwankt zwischen Abscheu und Haß. Jeder Soldat fühlt sich angewidert und abgestoßen durch diese Verbrechen, die in Polen […] begangen werden.“ 9 Solcherart unverblümte Kritik 10 blieb in der Praxis allerdings nahezu wirkungslos, und Anfang Februar 1940 äußerte der Oberbefehlshaber des Heeres, Walther von Brauchitsch, gar Verständnis für die im Rahmen der „Sicherung des deutschen Lebensraumes“ in Polen „notwendige und vom Führer angeordnete Lösung volkspolitischer Aufgaben“, die ganz „zwangsläufig zu sonst ungewöhnlichen, harten Maßnahmen gegenüber der polnischen Bevölkerung des besetzten Gebietes führen“ müsse. 11 Mehr noch: er gab Heinrich Himmler am 13. März Gelegenheit, die Handlungsweise seiner Verbände in Polen vor versammelter Generalität zu rechtfertigen. 12 Das Bild einer Wehrmachtsführung, deren Verschulden ausschließlich darin zu sehen sei, daß sie angesichts der von SS- und Polizeieinheiten auf polnischem Boden verübten Morde versagte – der oft bemühte Mythos der „tragischen Verstrickung“ – ist ein Zerrbild. Denn zeitgleich mit den ersten gemeldeten Exekutionen der Einsatzgruppen im September 1939 fanden überall im Lande auch wilde Erschießungen polnischer und jüdischer Zivilisten und Kriegsgefangener durch reguläre Einheiten des deutschen Heeres statt. In der westlichen Historiographie ist die unrühmliche Rolle der Wehrmacht in diesem Zusammenhang bis in die jüngste Zeit weitgehend unbekannt geblieben. Zwar hatte Hans Umbreit bereits 1977 in seiner Untersuchung zu den deutschen Militärverwaltungen 1938/39 festgestellt: „Die Truppe ging [in Polen] von Anfang an brutal gegen die Landeseinwohner vor. […] [Sie] war schnell bereit, aus Rache oder Nervosität Häuser, Gehöfte und ganze Ortschaften in Flammen aufgehen zu lassen.“ 13 Doch wurden in der Folgezeit keine weiterführenden Studien dazu erarbeitet, so daß Dieter Pohl noch zwanzig Jahre später konstatieren mußte: „Bis heute fehlt eine integrale Darstellung des Polenfeldzuges und der dabei verübten Morde. Die Ähnlichkeiten mit der Gewaltentfesselung im Sommer 1941 sind frappierend, Unterschiede müßten noch analysiert werden. Deutsche und polnische Forschung klaffen hier weit auseinander.“ 14 Das Bild der „tragischen Verstrickung“ war bis zu diesem Zeitpunkt hierzulande offenbar bereits so häufig bemüht worden, daß es nicht mehr hinterfragt wurde. Erst in jüngster Zeit hat

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man im Westen damit begonnen, diesem Zustand abzuhelfen. 15 Anhand eines Abgleichs der hierbei gewonnenen neuen Erkenntnisse mit Ergebnissen der polnischen Forschung soll im folgenden die Beteiligung der deutschen Wehrmacht an der Verfolgung von Polen und Juden während des Septemberfeldzuges 16 schlaglichtartig beleuchtet werden.

Indoktrination der Truppe Die deutschen Soldaten marschierten nicht unvoreingenommen in Richtung Osten. Was sie dort vorfinden würden, davon hatten viele von ihnen bereits feste Vorstellungen, die ihnen durch althergebrachte Vorurteile oder bewußte Beeinflussung von außen vorgegeben worden waren. In den Jahren vor dem Septemberfeldzug bemühte man sich in Institutionen, die der Grundausbildung vorgeschaltet waren, den zukünftigen Soldaten – vor allem den jüngeren unter ihnen – ein Weltbild zu vermitteln, das mit den Zielen des Nationalsozialismus übereinstimmte: „Die Mehrzahl der jungen Soldaten kommt heute schon aus dem Arbeitsdienst, der Hitlerjugend, der SA und der SS in die Wehrmacht. Sie sind in der Weltanschauung des Nationalsozialismus erzogen. […] Die Wehrmacht kann und soll nicht Formen und Methoden dieser anders aufgebauten und gegliederten Organisationen übernehmen. Im Streben nach dem gleichen Ziel aber muß sie wetteifern, um Vorbild zu werden.“ 17 Für Offiziersanwärter fand diese Vermittlung auch im Rahmen der militärischen Ausbildung statt. Der Oberbefehlshaber des Heeres formulierte ihr Ziel ein Jahr vor Kriegsbeginn wie folgt: „In der Reinheit und Echtheit nationalsozialistischer Weltanschauung darf sich das Offizierskorps von niemandem übertreffen lassen. […] Es ist selbstverständlich, daß der Offizier in jeder Lage den Anschauungen des Dritten Reiches gemäß handelt, auch dann, wenn solche Anschauungen nicht in gesetzlichen Bestimmungen, Verordnungen oder dienstlichen Befehlen festgelegt sind.“ 18 Auf dem Lehrplan der Kriegsakademie standen zu diesem Zeitpunkt bereits Themen wie „Der Bolschewismus – Die Freimaurerei – Das Weltjudentum – Die politische Kirche – Der Kampf gegen Staatsfeinde – Grundsätze der NS-Rassenpolitik – Die Wehrmacht innerhalb der nationalsozialistischen Erziehungsordnung“.19 Im Sommer 1939 schuf dann das Propagandaministerium ein gezielt polenfeindliches Klima, das die deutsche Bevölkerung auf die geplante Invasion einschwören sollte. Hierzu bediente man sich bereits seit dem 19. Jahrhundert bestehender Stereotype, die während des Nichtangriffspaktes zwischen dem Deutschen Reich und Polen von 1934 bis 1939 zumindest in offiziellen Stellungnahmen nicht bemüht worden waren. Das Vorurteil des Kulturgefälles von Westen nach Osten, das sich in Polen angeblich anhand einer allgemeinen Zurückgebliebenheit und Unfähigkeit zu eigenständigen kulturellen Leistungen belegen ließ, wurde erneut aktiviert. Der Begriff „polnische Wirtschaft“ lebte als Synonym für chaotische Zustände wieder auf, für die man dem „degenerierten Adel und einem in starkem Maße jüdisch durchsetzten Bürgertum“ die Schuld

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gab. Mit dem kulturellen Niedergang, den man bei der polnischen Nation insgesamt zu beobachten meinte, assoziierte man des weiteren minderwertige Charaktereigenschaften der Bevölkerung. In der propagandistischen Ausschlachtung angeblich oder tatsächlich erfolgter polnischer Übergriffe gegen die deutsche Minderheit in Polen ging die deutsche Tagespresse spätestens im August dazu über, den Polen einen grundsätzlichen Haß gegen die Deutschen zu unterstellen. 20 Im Oberkommando der Wehrmacht versah man das nun wieder gezielt im Reich geförderte chauvinistische Polenbild noch mit einem gehörigen Schuß Antisemitismus, als man Ende August zum Thema „Polen – Staatsgebiet und Bevölkerung“ resümierte: „Die Deutschenhetze hat in den letzten Monaten ungeheuer zugenommen, durch den Westverband ständig geschürt. Die Judenfrage ist in Polen vorläufig noch nicht zu lösen, da das Kapital sich völlig in jüdischen Händen befindet. […] In seinen Forderungen ist er [der polnische Mensch] maßlos, in seinen Versprechungen unzuverlässig. Der nationale Stolz ist groß, das Ehrgefühl ist äußerst empfindlich. […] Im Handeln ersetzt er eine planvolle Organisation gern durch Notlösungen. Er ist willkürlich und rücksichtslos gegen andere. Grausamkeiten, Brutalität, Hinterlist und Lüge sind Kampfmittel, die er an Stelle der ruhigen Kraft in der Erregung gebraucht. […] Ebenso wie sein überhebliches Nationalbewußtsein bis zum glühendsten Chauvinismus gesteigert werden kann, so verliert er sich in seinen Haßgefühlen bis zur Sinnlosigkeit und blindem Fanatismus.“ 21

Verhängnisvolle Direktiven Antislawismus und Antisemitismus seitens der Wehrmachtsführung schlugen sich auch in konkreten Weisungen nieder, die noch vor Beginn der Kampfhandlungen erlassen wurden und teilweise den Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung widersprachen, obwohl man diese im Zuge des sogenannten „Falls Weiss“ 22 eigentlich „sinngemäß“ hatte anwenden wollen. 23 Bereits am 16. Februar 1939 war verfügt worden, Kriegsgefangene bei ihrer Ankunft in den Gefangenenlagern nach „rassischen“ Gesichtspunkten zu trennen. 24 Ein halbes Jahr später wurde angeordnet, im Mobilmachungsfall „die Wehrfähigen polnischer und jüdischer Nationalität im Alter von 17 bis 45 Jahren, sobald die Kriegslage es gestattet, zu internieren und wie Kriegsgefangene (jedoch getrennt von diesen) zu behandeln“. 25 Wegen des hohen Gefangenenaufkommens erwies sich diese Maßnahme jedoch häufig als undurchführbar. Ausschlaggebend für eine solch radikale Weisung scheint die Überzeugung gewesen zu sein, die polnische Zivilbevölkerung werde sich aufgrund der ihr unterstellten Mentalität aktiv an den Kampfhandlungen beteiligen. Auch auf Divisionsebene ging man vielerorts von der Möglichkeit einer solchen Bedrohung aus. Am 26. August vermerkte der Ic-Offizier der 208. Infanteriedivision: „Dem hinterhältigen Charakter des Slaven [sic] ent[spre]chend wird

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der Pole versuchen, dem Feind durch […] Sabotageakte Abbruch zu tun. Träger des Franktireurkrieges 26 werden in vielen [Fällen] die Geistlichen sein, die als fanatische Deut[schen]hasser bekannt sind. […] Auch von seiten der wei[teren] Bevölkerung muß hetzerische Tätigkeit erwart[et werden]. Behandlung der Bevölkerung streng […], gegebenenfalls rücksichtsloses Durchgreifen.“ 27 Der Befehlshaber der 7. Infanteriedivision hielt ebenfalls die polnische Bevölkerung für „fanatisch, verhetzt und zur Sabotage sowie zu Überfällen fähig, mit Kleinkriegunternehmungen ist zu rechnen“. Er wies darum die Truppe an, sie solle „bei Überfällen, Sabotageakten der Bevölkerung tatkräftigst durchgreifen“. Verdächtig erschienen ihm dabei vor allem „zurückgebliebene polnische Soldaten in Zivil […], ebenfalls kath[olische] Geistliche, Intelligenzler und Halbintelligenzler“. 28 Viele Soldaten brachten gegenüber der polnischen Zivilbevölkerung bereits eine gewisse Gewaltbereitschaft mit, als sie am 1. September die Grenze überschritten. Ob und in welcher Weise sich dieses gefährliche Potential während des Feldzuges entladen würde, hing entscheidend von den Eindrücken der ersten Tage ab, in denen die Masse der Soldaten aufgrund ihrer Kampfunerfahrenheit in einer gespannten Erwartungshaltung die ungewohnten Situationen und äußeren Reize des Krieges in sich aufnahm. Für die ersten Begegnungen zwischen der polnischen Zivilbevölkerung und den Deutschen ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung, daß ein großer Teil des an der Front eingesetzten aktiven Offizierskorps aus jungen Männern bestand, die – ebenso wie die meisten der ihnen unterstellten Mannschaften – den Krieg als Ernstfall noch nicht erlebt hatten29 und durch ihre Ausbildung zur Zeit der nationalsozialistischen Diktatur in besonderer Weise der propagandistischen Beeinflussung von Partei und Teilen der Wehrmachtsführung ausgesetzt gewesen waren.

Gewalt gegen Zivilisten Die vor dem Angriff erlassenen Warnungen schienen sich für die einmarschierenden Soldaten bereits am ersten Tag des deutschen Überfalls als begründet zu erweisen: Aus allen Einsatzgebieten wurden Überfälle durch die Zivilbevölkerung gemeldet. Im Kriegstagebuch des Infanterieregiments 41 hielt man bereits am Morgen des 1. September fest: „Der Widerstand […] wird am raschesten durch rücksichtsloses Vorgehen und brutales Niederknüppeln der sich am Kampf beteiligenden Landeseinwohner gebrochen.“ 30 Nachdem es in der Nacht vom 1. auf den 2. September in der kleinen Ortschaft Torzeniec – wenige Kilometer östlich der an der Reichsgrenze gelegenen Kleinstadt Schildberg (Ostrzeszów) – zu einer nächtlichen Schießerei gekommen war, deren Ursache im Dunkeln blieb, ließ der Kommandeur dieses Regiments am Morgen des 2. September sämtliche männlichen Einwohner von Torzeniec zum Tode verurteilen und das Urteil sofort an jedem zweiten Mann vollstrecken. 31 Direkt nach ihrem Abzug aus Torzeniec legte die Einheit die Nachbarortschaft We˛glewice in Schutt und Asche. 32 In Tschenstochau (Cze˛stochowa) ereignete sich am Nachmittag des 4. Septem-

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ber im Hof einer Gewerbeschule ebenfalls eine Schießerei unter ungeklärten Umständen, der acht deutsche Soldaten zum Opfer fielen. 33 Die direkt anschließend eingeleitete Durchsuchung der benachbarten Grundstücke und Häuser nach Verdächtigen und Waffen blieb ergebnislos. Eine von Soldaten des betroffenen Infanterieregiments 42 sofort eingeleitete Vergeltungsaktion kostete nach deutschen Angaben drei Frauen und 96 Männern aus Tschenstochau, unter ihnen viele Juden, das Leben. 34 Im Zuge einer vom deutschen Stadthauptmann angeordneten Exhumierung wurden im Frühjahr 1940 an verschiedenen Stellen der Stadt allerdings die Leichen von insgesamt 227 Männern, Frauen und Kindern geborgen. 35 Manche Ereignisse während des Septemberfeldzuges belegen weiterhin, daß es auf der unteren Ebene weniger Spannungen zwischen Einsatzgruppen und Wehrmachtseinheiten gab, als es die Proteste hochrangiger Offiziere nach Abklingen der Kampfhandlungen vermuten ließen. In Bromberg (Bydgoszcz) war es am 3. September und in den Tagen danach – noch vor dem Einmarsch der Wehrmacht – zu Massakern durch polnische Soldaten und Zivilisten an Angehörigen der deutschen Minderheit gekommen. 36 Unmittelbar nach dem deutschen Einmarsch am 5. September ermordeten darum Wehrmachtseinheiten im Schulterschluß mit der Einsatzgruppe IV dort Hunderte polnische Zivilisten. Der Kommandant des rückwärtigen Armeegebietes 580, Generalmajor Braemer, zog am 8. September eine erste Bilanz: „Bisherige Säuberungsaktionen, von den einzelnen Truppenteilen angesetzt, ergaben folgendes: Erschossen 200–300 polnische Zivilisten. Mitteilung stammt von der Ortskommandantur Bromberg. Kommissarischer Oberbürgermeister Kampe schätzt Zahl der Erschossenen auf mindestens 400. Genaue Zahlen sind nicht zu ermitteln. Durchgeführt von Polizei, SDEinsatzgruppe und Truppen, vornehmlich Flieger-Nachrichtenregiment 1.“ 37 So wie in Torzeniec, Tschenstochau und Bromberg liefen deutsche Soldaten in Hunderten polnischen Dörfern und Städten Amok. Nach Schätzungen der Hauptkommission zur Untersuchung der Naziverbrechen in Polen forderten die Exekutionen allein im September mindestens 16 000 Todesopfer. 38 Während die von ihnen verwendeten Quellen und Untersuchungen keinen Zweifel daran lassen, daß solcherart Übergriffe in den ersten Wochen des Krieges in allen Landesteilen stattfanden, zeichnet sich in der deutschen Überlieferung im Bundesarchiv-Militärarchiv ein deutliches Übergewicht an verzeichneten Vorfällen in den südlichen Landesteilen – dem Operationsgebiet der Heeresgruppe Süd – ab. Dies ist jedoch vermutlich nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, daß bei einem Brand im Heeresarchiv Potsdam 1942 etliche Akten aus dem Zeitraum der Militärverwaltung in Polen verloren gegangen sind. Denn auch bei der Heeresgruppe Nord sah man sich zu äußerst rücksichtslosen Direktiven veranlaßt, wie ein Tagesbefehl ihres Oberbefehlshabers, General Fedor von Bock, belegt: „Wird hinter der Front aus einem Haus geschossen, so wird das Haus niedergebrannt. […] Wird aus einem Dorf hinter der Front geschossen und ist das Haus, aus dem

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das Feuer kam, nicht festzustellen, so wird das ganze Dorf niedergebrannt, sofern es zur Unterbringung der Truppe nicht gebraucht wird.“ 39 Ebenfalls am 10. September schrieb ein Soldat der 2. motorisierten Infanteriedivision in die Heimat: „Der Krieg ist hart und wird von den Polen mit der größten Gemeinheit geführt. Wir sind selbst von Franktireurs angeschossen worden und sind endlich zu der Überzeugung gekommen, daß unsere Gutmütigkeit zu groß ist. […] Der reguläre Kampf mit der polnischen Armee ist ja bald vorbei, aber der Krieg gegen die Banden, der nicht weniger blutig und vor allen Dingen abscheulich ist, weil es hier oft Frauen und Kinder trifft, kann noch etwas dauern.“ 40 Ein Großteil der Erschießungen von polnischen Zivilisten durch deutsche Soldaten ist darauf zurückzuführen, daß die Truppe die Einwohner der Ortschaften kollektiv der Partisanentätigkeit verdächtigte. 41 Tatsächlich kämpfte die Wehrmacht dort jedoch nicht gegen einen realen Gegner, sondern gegen eine Schimäre. Eine Partisanenbewegung, an der sich große Teile der Bevölkerung beteiligten, hat es in Polen in jenem Herbst nicht gegeben. 42 Die Partisanengefahr, der sich die deutschen Truppen ausgesetzt fühlten, basierte vielmehr auf einer „Psychose“, die sich der Soldaten bemächtigt habe, wie man bei der 10. Infanteriedivision feststellte. 43 Wie es zu einer solchen Massensuggestion kommen konnte, läßt sich recht klar nachzeichnen: Die Wehrmachtsangehörigen rechneten durch die vor dem Angriff verlesenen Direktiven bereits mit Überfällen von heimtükkischen Zivilisten, noch bevor sie überhaupt polnischen Boden betreten hatten. Dazu kam der Umstand, daß die meisten eingesetzten Soldaten nie zuvor in einer realen Kampfsituation gewesen waren. Ihre Unerfahrenheit ließ sie unübersichtliche Situationen falsch einschätzen. Vielerorts kam es in den ersten Tagen daher zu unkontrollierten Schußwechseln, die aus der Nervosität der jungen Rekruten resultierten. Nach Abklingen der Kampfhandlungen resümierte man etwa bei der 30. Infanteriedivision, daß die meisten „Zwischenfälle“ in ihrem Einsatzgebiet auf friendly fire zurückzuführen gewesen seien; „ob Landeseinwohner geschossen hatten, konnte nirgends mit Sicherheit festgestellt werden.“ 44 Kriegsgerichtliche Untersuchungen, die direkt vor Ort hätten eingeleitet werden müssen, um den verdächtigten Zivilisten zumindest einen fairen Prozeß zu garantieren, sucht man in den Heeresakten vergeblich. Lediglich ein Standgerichtsurteil gegen Zivilisten ist aus dem September 1939 im Wortlaut überliefert: das der bereits erwähnten Exekution polnischer Männer in der Ortschaft Torzeniec am 2. September. In einer bundesdeutschen Nachkriegsuntersuchung wurde dem Dokument allerdings jegliche Rechtsgültigkeit abgesprochen: „Die Verurteilten waren vor Urteilserlaß nicht gehört worden; ihnen wurden erst hinterher […] angeblich der Grund ihrer Festnahme und die gegen sie erhobenen Tatvorwürfe bekanntgemacht und, nachdem behauptetermaßen eine Gegenäußerung der Verurteilten nicht erfolgte, jeder zweite männliche Einwohner erschossen. […] Die im Vorstehenden wiedergegebene Entscheidung des ‚kommissarischen Kriegsgerichts IR 41‘ ist rechtlich gesehen ein Nichturteil, denn sie kam

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unter grundlegenden und schwerwiegenden Verstößen gegen damals geltendes Recht zustande.“ 45 Der verantwortliche ehemalige Kommandeur des Infanterieregiments 41, zum Zeitpunkt der Ermittlungen Bundeswehrgeneral a. D., mußte sich dennoch nie vor einem deutschen Gericht verantworten.

Gewalt gegen Juden Übergriffe von Wehrmachtssoldaten richteten sich im September 1939 aber nicht nur gegen die polnische Bevölkerung allgemein, sondern oft gezielt gegen polnische Juden. Diese wurden von den Deutschen nicht nur angestarrt, verhöhnt oder gedemütigt – etwa durch die brutale Prozedur des gewaltsamen Bartscherens, die nach Aussagen von Überlebenden überall im Land praktiziert wurde, durch die gezielte Zwangsrekrutierung zu Aufräumarbeiten, zum Ausheben von Gräbern oder zu schikanösen Säuberungsaktionen. 46 Plünderungen und andere Ausschreitungen, die in den ersten Tagen nach Abschluß der Kampfhandlungen für die Wehrmacht ein ernsthaftes disziplinarisches Problem darstellten und mit aller Härte geahndet wurden, richteten sich häufig gezielt gegen jüdische Händler und Privatleute und zwar nicht nur aus offensichtlich antisemitischen Motiven, sondern auch, weil die Soldaten der Auffassung waren, daß solche Verbrechen von den Kriegsgerichten nicht geahndet würden. An höherer Stelle sah man sich daher wiederholt dazu genötigt, in Befehlen, die das allgemeine Phänomen der Plünderungen unterbinden sollten, explizit darauf hinzuweisen, daß sich dies auch auf von Juden bewohnte Häuser bezog. 47 Der Kommandeur der 3. Panzerdivision berichtete am 17. September aus Włodowa: „Die Truppe zeigte Ansatz zu undiszipliniertem Verhalten. Es wurden Ansichten laut, als ob bei Juden geplündert werden konnte. Eine geringe Zahl kriegsgerichtlicher Verhandlungen verschaffte Klarheit.“ 48 So beraubten etwa drei Wehrmachtsangehörige mehrere Tage hintereinander die Wohnungen jüdischer Familien und vergewaltigten deren Frauen. Einer von ihnen war von seinen beiden Kameraden mit dem Argument zu den Verbrechen überredet worden, daß es völlig in Ordnung und nicht strafbar sei, Verbrechen gegen Juden zu begehen. Dementsprechend hatten sich die furchtbaren Übergriffe der drei Männer tatsächlich ausschließlich gegen Juden gerichtet. 49 Der Fall wurde bekannt, weil auf die Anzeige einer der geschädigten Familien hin kriegsgerichtliche Ermittlungen eingeleitet wurden. Es wirft allerdings ein merkwürdiges Licht auf die Untersuchung, daß man das größte Interesse der Frage widmete, ob bei den Vergewaltigungen der Geschlechtsakt tatsächlich vollzogen worden sei und ob die Delinquenten sich über die Bestimmungen der Nürnberger Gesetze im Klaren gewesen seien. In der Anklageschrift wurden sie der Vergewaltigung, Erpressung, Plünderung und Rassenschande beschuldigt. 50 Die Ermordung von Tausenden polnischer Juden sowohl durch deutsche Polizisten als auch durch deutsche Soldaten ist in der Forschung heute unbestritten. „Seit dem ersten September 1939 verging kein Tag, an dem nicht Wehrmacht, SS

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oder Polizei polnische Staatsbürger jüdischer Nationalität erschossen, erschlugen, erstachen, füsilierten oder lebendig verbrannten – von ‚gewöhnlichen‘ Drangsalierungen und Ausplünderungen ganz zu schweigen. […] Am Vorabend und am jüdischen Neujahrsfest (13. bis 15. September 1939) wurden Hunderte polnischer Juden in Mielec, Dynów, Przemys´l und Piotrków Tribunalski von Wehrmachts- und SS-Einheiten in ihren Synagogen verbrannt.“ 51 Es ist aber kaum möglich, verläßliche Aussagen darüber zu machen, wie hoch die Zahl der jüdischen Opfer tatsächlich ist, die durch Ausschreitungen von Wehrmachtssoldaten im September 1939 ums Leben kamen. 52 Daher können die folgenden Fallbeispiele nur als Illustration eines Phänomens verstanden werden, über dessen tatsächliches Ausmaß noch wenig bekannt ist. Am 12. September ereignete sich im Befehlsbereich der 3. Armee ein Massaker an polnischen Juden durch einen Wachtmeister der Geheimen Feldpolizei – eine Wehrmachtsformation – und einen SS-Mann. Der Fall war der erste Übergriff dieser Art, der während des Septemberfeldzuges kriegsgerichtlich geahndet wurde. Man stellte fest, die beiden Männer hätten „etwa 50 Juden, die tagsüber zur Ausbesserung einer Brücke herangezogen worden waren, nach Beendigung der Arbeit abends in einer Synagoge zusammengetrieben und grundlos zusammengeschossen“. Während dem SS-Mann mildernde Umstände zugebilligt wurden, weil er „durch zahlreiche Greueltaten der Polen gegen Volksdeutsche im Reizzustand gewesen“ sei und „als SS-Mann im besonderen Maße beim Anblick der Juden die deutschfeindliche Einstellung des Judentums empfunden, daher in jugendlichem Draufgängertum völlig unüberlegt gehandelt“ habe, wurde diese Argumentation nicht für den Wehrmachtsangehörigen zugelassen. Zudem hatte dieser als ranghöherer Unteroffizier den Sturmmann durch Überreichen des Gewehrs erst zu der Tat veranlaßt. Die erklärtermaßen nicht provozierte Tat ist ein Indiz für die These, daß bereits im September auch bei Wehrmachtsangehörigen die Hemmschwelle für antisemitische Gewaltanwendung sehr niedrig angelegt sein konnte. Die Militärbehörden waren durch diesen Vorfall offenbar empört und nicht bereit, die für einen SS-Angehörigen als selbstverständlich angesehene antisemitische Grundhaltung als Entschuldigung für soldatisches Fehlverhalten anzusehen. Es kam ihnen aber nicht in den Sinn, das geringe Strafmaß – jeweils 3 Jahre Gefängnis für die Ermordung von 50 Juden – selbst als Ausdruck einer antisemitischen Grundhaltung anzusehen. 53 Am selben Tag ereignete sich in der Stadt Kon´skie ein Massaker an polnischen Juden durch Soldaten eines Luftaufklärungsbataillons der 10. Armee, bei dem zufällig auch Leni Riefenstahl mit einem Kamerateam anwesend war. 54 Juden aus der Ortschaft waren dazu gezwungen worden, auf einem Platz ein Grab für gefallene deutsche Soldaten auszuheben. Dabei wurden sie von den umstehenden Deutschen schwer mißhandelt. Nachdem der Ortskommandant den Juden erlaubt hatte, sich vom Platz zu entfernen, näherte sich ein Leutnant mit einem Fahrzeug dem Ort des Geschehens und feuerte zwei Schüsse auf die vermeintlich

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Fliehenden ab. Die Soldaten, die zuvor die Juden verprügelt hatten, eröffneten nun ihrerseits das Feuer. Nach dem Abklingen der Schießerei lagen 19 Juden tot auf der Straße, acht waren schwer verletzt, drei von ihnen erlagen bis zum 15. September ihren Wunden. Das Kriegsgericht, das sich mit der Untersuchung des Vorgangs beschäftigte, kam zu dem Ergebnis, der Leutnant habe nicht aus einer militärischen Notwendigkeit heraus gehandelt, sondern mit der Absicht, wahllos Zivilisten zu töten. Andererseits wurden ihm mildernde Umstände zugestanden, da die polnische Bevölkerung während des Septemberfeldzuges dadurch, daß sie „sich nicht gescheut hat, sich […] am Kampfe zu beteiligen, deutsche Soldaten in ihren Unterkünften zu überfallen und zu töten“ gegen geltendes Völkerrecht verstoßen habe. 55 Damit erteilte das Gericht den Wehrmachtsangehörigen geradezu einen Freibrief für Ausschreitungen gegen die gesamte polnische Zivilbevölkerung. Der Leutnant wurde zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Die anderen Soldaten, die blindlings in die Menge geschossen hatten, wurden nicht zur Verantwortung gezogen. Sie hatten durch die vorherige brutale Mißhandlung der Juden die Situation provoziert, und sie waren sich dessen bewußt, daß es sich bei den Juden, auf die man schoß, nicht etwa um flüchtende Gefangene handelte. Das Kriegsgericht dagegen schenkte der Beteiligung von einfachen Soldaten an der Schießerei keinerlei Beachtung. Auch an dem Massaker, das die Einsatzgruppe z.b.V. Mitte September unter den Juden von Przemys´l und Umgebung anrichtete 56, waren offenbar Angehörige der 14. Armee beteiligt. Deren Oberbefehlshaber, Generaloberst Wilhelm List, erließ drei Tage danach einen Befehl, in dem er feststellte: „Es mehren sich in den letzten Tagen die Meldungen über Disziplinlosigkeiten, Übergriffe und Willkürmaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung. Als Beispiele müssen angeführt werden: Plünderungen, eigenmächtiges Erbrechen von Läden und Aneignung solchen Gutes, das nicht zum täglichen Bedarf benötigt wird […], willkürliche Erschießungen ohne vorheriges kriegsrechtliches bzw. standrechtliches Urteil, Mißhandlung Wehrloser, Vergewaltigungen und Notzuchtsverbrechen, Niederbrennen von Synagogen. […] Alle diese Vorfälle lassen ein Nachlassen in Haltung und Disziplin der Truppe, vor allem bei den im rückwärtigen Armeegebiet eingesetzten Einheiten, erkennen.“ 57 Einen Tag später, am 19. September, sah sich List erneut genötigt, seine Leute mit aller Schärfe darauf hinzuweisen, daß „Maßnahmen gegen die Juden […] unbedingt zu unterbleiben“ hätten. 58 Am 21. September erging durch den Oberbefehlshaber des Heeres ein Befehl, in dem vermerkt wurde: „Die Teilnahme von Heeresangehörigen an polizeilichen Exekutionen ist verboten.“ 59 Einige der Verbrechen, die gegen polnische Juden während des Feldzugs begangen wurden, sind nicht nur auf unkontrollierte Ausschreitungen von deutschen Soldaten zurückzuführen, sondern ereigneten sich im Rahmen der Planung des Oberkommando des Heeres, polnische Juden aus den westlichen Landestei-

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len nach Ostpolen zu vertreiben. Vereinzelt wurden entsprechende Maßnahmen bereits vor Mitte September von örtlichen Militärbehörden durchgeführt, so in Mława, Włocławek, Nowy Dwór, Ostrołe˛ka, Zichenau (Ciechanów) 60 ; sie scheinen zunächst jedoch nicht von höherer Stelle angeordnet worden zu sein. Der erste Befehl des Oberkommandos des Heeres zur Abschiebung von Juden über den Fluß San erging am 12. September durch den Oberst im Generalstab Eduard Wagner. Zu diesem frühen Zeitpunkt erschien den örtlichen Behörden eine solche Maßnahme jedoch noch nicht durchführbar. Dies änderte sich nach dem Einmarsch der Roten Armee in Ostpolen am 17. September. Da eine große Zahl der ortsansässigen Polen, unter ihnen auch viele Juden, über die Flüsse Narew, Weichsel und San geflüchtet war, konnten letztere durch die Abriegelung der Demarkationslinie zum sowjetisch besetzten Gebiet leicht an der Rückkehr gehindert werden. Eine entsprechende Anordnung erließ Wagner bereits am 18. September an alle Oberkommandos der im Verband der Heeresgruppe Süd eingesetzten Armeen. Welche Schwierigkeiten diese völkerrechtswidrige Maßnahme in der Umsetzung mit sich brachte und welche Härten sie für die Betroffenen beinhaltete, belegt die eine Woche später erfolgte Verschärfung, sie solle „auch außerhalb der Brücken mit allen Mitteln – notfalls mit der Waffe“ durchgeführt werden.61 Es spricht für einzelne verantwortliche Befehlshaber vor Ort, daß sie sich der Anweisung widersetzten. Die Armeeoberkommandos bestanden jedoch auf der Durchführung und beauftragten damit neben Wehrmachtspersonal auch Einsatzkommandos, die neben der Abriegelung der Grenzflüsse auch die ursprüngliche Idee der aktiven Vertreibung in die Tat umsetzen sollten. Bei der 14. Armee, deren Oberbefehlshaber – wie weiter oben bereits ausgeführt – selber noch vier Tage zuvor angeordnet hatte, alle „Maßnahmen gegen die Juden“ zu unterlassen, wies man die örtlichen Einsatzkommandos an, die an den Flüssen gelegenen Orte „aus Abwehrgründen von allen unzuverlässigen Elementen zu säubern, in erster Linie […] die jüdische Bevölkerung […] – soweit möglich – über den San abzuschieben“. 62 Ein Angehöriger des Einsatzkommandos 3/I gab im Dezember 1939 zu Protokoll: „Dann bekam ich erneut ein Kommando, die Sansicherung von Jaroslau [Jarosław] bis Sandomierz. Diese Strecke habe ich dann judenfrei gemacht und etwa 18 000 Juden über den San abgeschoben. Das Gebiet war vor allem mit der Wehrmacht gesäubert worden.“ 63 Ein Soldat beschrieb damals die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung als Idyll: „Viel Kaftan-Juden sahen wir über den San ziehen in russisch werdendes Gebiet. Wir sind hier außer als Brückenbewachung und Verkehrsposten auch als Rückmarschsicherung.“ 64 Die Realität sah für die Betroffenen anders aus, wie das Kriegstagebuch des Grenzabschnittskommandos Süd bezeugt, in dem am 28. September vermerkt wurde: „Bei dem z.Zt. herrschenden Hochwasser sind dabei viele Flüchtlinge ertrunken, z. T. wurden sie dabei von den Russen erschossen.“ 65 Doch nicht nur Rotarmisten nahmen die Vertriebenen unter Beschuß.

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Überlebende bezeugten, daß beispielsweise in Pułtusk, wo es nur Frauen und Kindern gestattet wurde, den Narew über die Brücke zu überqueren, jüdische Männer, die durch den Fluß schwimmen mußten, teils ertranken, teils von deutschen Soldaten von der Brücke aus erschossen wurden. 66 Neben der Direktive Wagners fehlte es auch nicht an persönlichem Engagement einzelner Wehrmachtsbefehlshaber. Generalleutnant Brandt vom Grenzabschnitts-Kommando 3 hatte für das von seiner Truppe besetzte ostoberschlesische Industriegebiet ebenfalls ambitionierte Pläne. Er schlug am 28. September im Hinblick auf „bevölkerungspolitische Gesichtspunkte“ vor, eine Evakuierungszone für die dort ansässigen Juden zu bilden, um „deutsches Blut“ vor der Verunreinigung durch „volksfremde Elemente“ zu schützen. Dies sollte seiner Auffassung nach am besten noch während des Krieges geschehen. Doch dort mußte man sich zunächst aus logistischen Gründen darauf beschränken, mit allen Mitteln das Zurückströmen von „unerwünschten Elementen“ zu unterbinden.67 Das geplante und zumindest an der Demarkationslinie auch durchgeführte Programm der Vertreibung von polnischen Juden aus deutsch besetztem Gebiet macht deutlich, daß man auf Wehrmachtsseite auch an höchster Stelle weitgehend mit der Auffassung des Reichsicherheitshauptamtes übereinstimmte, die Reinhard Heydrich in einem Schnellbrief am 21. September an die Chefs aller Einsatzgruppen68 zum Ausdruck brachte: Die polnischen Juden stellten in den Augen der deutschen Besatzer ein Problem dar, dem man sich möglichst schnell durch Konzentrierung, Abschiebung und Unterbindung einer Rückwanderung zu entledigen gedachte. Diese Tatsache relativiert die vorläufige Aussetzung der im Schnellbrief angekündigten Maßnahmen, die der Oberbefehlshaber des Heeres im Hinblick auf militärische Notwendigkeiten einige Tage später durchsetzte. 69

Gewalt gegen Kriegsgefangene Der Mißhandlung von polnischen Zivilisten durch Soldaten der Wehrmacht entsprach die schlechte Behandlung vieler polnischer Soldaten, die in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten waren. Sie ist nicht zuletzt auf gravierende Mängel in der Vorbereitung des Heeres auf eine bewaffnete Auseinandersetzung vom Ausmaß des Septemberfeldzuges zurückzuführen, die sich bereits in den ersten Tagen des Krieges bemerkbar machten und chaotische Zustände begünstigten. Die Wehrmacht war durch die hohe Zahl an polnischen Kriegsgefangenen schlichtweg überfordert. Verheerend wirkte sich dabei die bereits erwähnte Direktive aus, nicht nur die sich ergebenden polnischen Soldaten, sondern die gesamte männliche Zivilbevölkerung zwischen 17 und 45 Jahren festzunehmen. Beim XI. Armeekorps rechnete man bereits am 11. September für den nächsten Tag mit etwa 10 000 Kriegs- und Zivilgefangenen. 70 Am 16. September zog man dort in Eigenverantwortung die Konsequenzen und bestimmte, daß nur noch „Soldaten und solche Zivilisten, bei denen begründeter Verdacht besteht, daß es sich um Soldaten in Zivil handelt“, den Gefangenensammelstellen zugeführt wer-

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den dürften.71 Im Hinterland dagegen fehlte es überall an Sicherungs- und Polizeikräften, die die Gefangenen hätten übernehmen können. Das führte häufig zu kritischen Situationen bei den rückwärtig stationierten Einheiten. Am 8. September meldete das VII. Armeekorps: „Die Zustände hinter VII. Armeekorps, das mit Gefangenen überlastet ist, spotten nunmehr jeder Beschreibung. Oberquartiermeister 10. Armee kann nicht helfen. VII. Armeekorps bittet durch Vorführen von Polizeikräften […] die dringend notwendige Abhilfe zu schaffen.“ 72 Die kämpfenden Truppen wurden durch die ungenügende Regelung des Abschubs von Gefangenen in Mitleidenschaft gezogen. 73 Durch die unzureichende Vorbereitung auf ein so hohes Gefangenenaufkommen stieg zudem die Gefahr, daß zurückströmende Gefangenengruppen sich auf ihrem Marsch in die rückwärtigen Gebiete mit dort noch herumliegenden Waffen versorgten und den Kampf wieder aufnahmen.74 Zum Teil war von den Armeen nicht einmal eine ausreichende Versorgung gewährleistet worden. 75 Beim Offizierskorps wurde Unkenntnis über die rechtlichen Implikationen des Kriegsgefangenenwesens konstatiert. 76 Die Schwierigkeit, die Masse polnischer Gefangener zu bewältigen, wirkte sich offenbar mancherorts in fataler Weise auf das Verhalten deutscher Soldaten aus. Bei der Panzerdivision Kempf vermerkte man am 13. September: „Es sind einzelne Fälle vorgekommen, daß deutsche Soldaten wehrlose Gefangene und Zivilpersonen hingemordet haben. Die Schuldigen werden zur Verantwortung gezogen werden und die ganze Strenge der Kriegsgesetze zu spüren bekommen, denn sie haben die Ehre der deutschen Wehrmacht beschmutzt. Solche Elemente dürfen wir nicht unter uns dulden.“ 77 Polnische Augenzeugen berichteten nach Kriegsende von zahlreichen Massenerschießungen von Kriegsgefangenen, die sich unmittelbar nach der Gefangennahme ereigneten. 78 Am 26. Februar 1949 gab etwa der Bauer Stanisław Gozdur dem Gerichtshof von Lipsko die Ermordung von 13 polnischen Soldaten durch eine Wehrmachtseinheit in Da˛browa am 7. oder 8. September 1939 zu Protokoll: „I […] saw Polish soldiers kneeling on the highway. In front of them stood armed German soldiers with weapons in their hands directed to those kneeling. The German soldiers however did not shoot – they waited for their commanding officer. When the officer arrived, they asked him what to do. The commanding officer ordered to shoot the Polish soldiers as he did not know what to do with them and he did not wish to take them across the Vistula [Weichsel]. […] He ordered ‚fire‘. There was a series of shots.“ 79 In einem anonymen Schreiben, das im August 1950 dem polnischen Konsulat in München zuging und bei dem es sich offenbar um einen Auszug aus dem persönlichen Kriegstagebuch eines deutschen Soldaten handelt, findet sich die Schilderung einer Exekution durch die 11. Kompanie des zur 29. motorisierten Infanteriedivision gehörigen 15. Regiments, die am 8. September bei Ciepiełów durchgeführt worden sein soll. Der Exekution ging ein heftiges Waldgefecht voraus, in dessen Verlauf ein Hauptmann namens Lewinsky durch Kopfschuß fiel.

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„Eine Stunde später sammelt sich alles auf der Straße. 14 Tote zählt die Kompanie, einschließlich Hauptmann von Lewinsky. Der Regimentskommandeur Oberst Wessel (Kassel) tobt, den Monocel [sic] im Auge: ‚Eine Frechheit, uns aufhalten zu wollen, und meinen Lewinsky haben sie mir erschossen.‘ Die Landser zählen nicht bei ihm. Er stellt fest, daß es sich um Partisanen handelt, obwohl jeder der 300 gefangenen Polen eine Uniform trägt. Sie müssen die Röcke ausziehen. So, nun sieht das schon eher nach Partisanen aus. […] Fünf Minuten später höre ich ein Dutzend deutsche Maschinenpistolen bellen. Ich eile in die Richtung, sehe […] die 300 polnischen Gefangenen erschossen im Straßengraben liegen. Ich riskiere zwei Aufnahmen.“ 80 Ebenfalls berichtet wurde von der Verbrennung ganzer Gruppen von Kriegsgefangenen in Scheunen oder anderen Gebäuden während des Septemberfeldzuges, beispielsweise in Urycz, wo Angehörige einer nicht identifizierten Wehrmachtseinheit auf diese Weise etwa 100 polnische Soldaten töteten. 81 Ein ähnlicher Vorfall ereignete sich am 12. September in Szczucin. Ein polnischer Oberleutnant hatte während seiner Vernehmung einen Deutschen erschossen. Das VIII. Armeekorps vermerkte lapidar: „Wie der Pole an die Waffe gekommen ist, ist z.Zt. ungeklärt. Sämtliche Gefangenen, auch der Oberleutnant, sind erschossen; das Gefangenenlager in Brand gesteckt.“ 82 Polnische Augenzeugen schilderten den Vorfall nach dem Krieg etwas ausführlicher: „The German reaction was as instantaneous as it was ruthless. Hand grenades were thrown into the building and heavy fire opened through the windows and doors. The building started to burn. The Polish soldiers trapped in it were being burnt alive. […] Some soldiers tried to jump from the upper story and the roof of the building, but the Germans shot at them and killed them on the spot. The groaning of dying people could be heard until late at night.“ 83 Einen schweren Verstoß gegen das Kriegsrecht bedeutete auch die rassistisch motivierte ungleiche Behandlung von gefangenen polnischen Soldaten. Zahlreiche ehemalige jüdische Kriegsgefangene berichteten von Vorfällen, bei denen direkt nach der Gefangennahme diejenigen, die jüdischen Bekenntnisses waren, ausgesondert und auf der Stelle erschossen wurden. 84 Die Quellen geben keinen Hinweis darauf, wie viele der etwa 60 000 bis 65 000 polnischen Kriegsgefangenen jüdischen Glaubens 85 derartigen Übergriffen zum Opfer fielen. Unzweifelhaft ist jedoch, daß jüdische Gefangene spätestens in den Lagern von ihren Mithäftlingen getrennt wurden.86 Die Methoden, mit denen die Konfessionszugehörigkeit ermittelt wurde, reichten dabei von der einfachen Befragung über die Verwendung von Namenslisten bis hin zu jener demütigenden Prozedur, mittels derer in Zweifelsfällen überprüft wurde, ob eine Beschneidung vorlag. 87 Der Isolierung der jüdischen Kriegsgefangenen folgte in der Regel eine diskriminierende Behandlung. Den sofort nach ihrer Gefangennahme an der Bzura am 19. September von ihren Kameraden getrennten 1500 jüdischen Soldaten wurde etwa von einem deutschen Offizier unterstellt, sie hätten Berlin erobern wollen. Im Gefangenen-

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˙ yrardów wurden sie zehn Tage lang nicht mit Nahrungsmitteln verlager von Z sorgt und waren auf die Unterstützung seitens der örtlichen Bevölkerung angewiesen. 88 Etliche weitere Berichte zeugen davon, daß jüdische Gefangene in Lagern und auf Transporten mißhandelt und zu demütigenden oder unmenschlich anstrengenden Arbeiten gezwungen wurden89 , so daß man zu Recht feststellen muß, daß „ihre Verpflegung, ihre Unterbringung und ihre allgemeine Behandlung eher dem Standard für KZ-Häftlinge“ entsprach, und ihre „Sterblichkeitsrate […] erheblich höher lag als die der übrigen polnischen Gefangenen“. 90 In den oberen Wehrmachtskreisen war man frühzeitig von Übergriffen gegen polnische Kriegsgefangene informiert. In einem vom Ic-Offizier Major Langhäuser verfaßten Entwurf für einen Befehl des Heeresgruppenkommandos Süd zum Thema „Aufrechterhaltung der Manneszucht“ wurde festgestellt, daß an den vorausgegangen Tagen „teilweise die Gefangenen unmenschlich verprügelt“ worden seien. 91 Generalleutnant Erich von Manstein verweigerte in seiner Eigenschaft als Chef des Generalstabs der Heeresgruppe Süd die Vorlage des Entwurfs beim Oberbefehlshaber, Generaloberst Gerd von Rundstedt. Der Befehl, der die angeprangerten Zustände abstellen sollte, konnte daher nicht in Kraft treten.

„Kein Wunder nach der jahrelangen Erziehung“ Deutsche Soldaten begingen vom ersten Tag des Septemberfeldzuges an Verbrechen gegen die polnische Bevölkerung, die durch Brutalität und die Bereitschaft gekennzeichnet waren, nicht nur gegen Einzelne, sondern gegen große Gruppen brutal und mörderisch vorzugehen. Dabei war den Ausschreitungen mittels einer bereits vor dem Feldzug praktizierten propagandistischen Beeinflussung durch Partei und Militär der Weg bereitet worden. Major Helmuth Groscurth schrieb am 10. Oktober 1939 an seine Frau: „Sehr ernste Erscheinungen in der Truppe im Osten bezgl. Plünderung. Kein Wunder nach der jahrelangen Erziehung.“ 92 Antisemitische und allgemein gegen den Osten gerichtete Ressentiments erzeugten bei deutschen Soldaten eine Gewaltbereitschaft, die sich jederzeit gegenüber der Zielgruppe der projizierten Vorstellungen in Form von Gewaltanwendung äußern konnte. Auslösend und verstärkend wirkten kritische Situationen. Dennoch wurde die Gewalt in vielen Fällen völlig unprovoziert entfesselt. Auffällig ist dabei, daß sie sich hauptsächlich gegen eben die Gruppierungen richtete, die auch während des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion – allerdings in anderen Dimensionen – zu den Opfern der Wehrmacht zählten: vermeintliche Partisanen, Juden und Kriegsgefangene. Auch Heydrichs Anordnung, die Konzentrierung der polnischen Juden in den Städten sei damit zu begründen, „daß sich Juden maßgeblichst an den Franktireurüberfällen und Plünderungsaktionen beteiligt haben“ 93 , gemahnt bereits in fataler Weise an die während des „Unternehmens Barbarossa“ von Beginn an propagierte Richtlinie: „Wo der Partisan ist, ist der Jude, und wo der Jude ist, ist der Partisan.“ 94 Ausschreitungen

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deutscher Soldaten wurden im Herbst 1939 nur selten kriegsgerichtlich geahndet. In keinem der Fälle, in denen ein Urteil überliefert ist, kann das Strafmaß als den verhandelten Straftaten angemessen gelten. Eine am 4. Oktober durch Hitler erlassene Generalamnestie ermöglichte des weiteren die vorzeitige Entlassung von bereits abgeurteilten Tätern, sofern diese „aus Erbitterung wegen der von den Polen verübten Greuel“ gehandelt hatten. 95 Martin Broszat, der Urvater des Bildes der „tragischen Verstrickung“, schrieb 1961: Trotz strenger Ausübung der vollziehenden Gewalt „achteten die Armeebefehlshaber […] in aller Regel ebenso unnachsichtig auf Einhaltung der Disziplin der Truppe und sorgten dafür, daß gegen Übergriffe einzelner Wehrmachtsangehöriger, Plünderungen usw. energisch eingeschritten wurde“. 96 Angesichts des tatsächlichen Verhaltens, das viele deutsche Soldaten im Zuge der Eroberung Polens an den Tag legten, muß man jedoch feststellen, daß dies weit von der Wahrheit entfernt ist. In Wirklichkeit bildete der erste Einsatz der Wehrmacht im Osten den Auftakt zum Vernichtungskrieg, dessen Charakteristika – Ermordung von Zivilisten und Kriegsgefangenen, Judenverfolgung und -vertreibung – er bereits im Keim in sich trug.

Anmerkungen 1 Martin Broszat: Nationalsozialistische Polenpolitik 1939–1945, Stuttgart 1961, S. 28; zu den Einsatzgruppen Helmut Krausnick/Hans-Heinrich Wilhelm: Die Truppe des Weltanschauungskrieges. Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD 1938–1942, Stuttgart 1981; Alexander B. Rossino: Nazi Anti-Jewish Policy During the Polish Campaign. The Case of the Einsatzgruppe von Woyrsch, in: GSR 24(2001), S. 35–54; sowie der Beitrag von Dorothee Weitbrecht in diesem Band. 2 Broszat (Anm. 1), S. 29; vgl. Klaus-Jürgen Müller: Das Heer und Hitler. Armee und nationalsozialistisches Regime 1933–1940, Stuttgart 1969, S. 435 ff.; Hans Umbreit: Deutsche Militärverwaltungen 1938/39. Die militärische Besetzung der Tschechoslowakei und Polens, Stuttgart 1977, S. 117; Krausnick/Wilhelm (Anm. 1), S. 80–106. 3 Gerhard Eisenblätter: Grundlinien der Politik des Reiches gegenüber dem Generalgouvernement 1939–1944, Diss. Frankfurt/M. 1969, S. 38 f., 44 f.; Müller (Anm. 2), S. 428; Umbreit (Anm. 2), S. 154; Krausnick/Wilhelm (Anm. 1), S. 64. 4 So etwa am 12. 9. 1939 in Lublinitz (Lubliniec), Vortragsnotiz HGr Süd/O.Qu. IV für OB v. 17. 9. 1939, BA-MA, N 104/3; Michael Wildt: Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2002, S. 451. 5 Generaloberst Halder. Kriegstagebuch, bearb. v. Hans-Adolf Jacobsen, Bd. 1, Stuttgart 1962, S. 30; vgl. Winfried Baumgart: Zur Ansprache Hitlers vor den Führern der Wehrmacht am 22. August 1939. Eine quellenkritische Untersuchung, in: VfZ 16(1968), S. 138. 6 Richtlinien für den auswärtigen Einsatz der Sicherheitspolizei und des SD, BAB, R 58/241. 7 Elisabeth Wagner (Hrsg.): Der Generalquartiermeister. Briefe und Tagebuchauf-

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zeichnungen des Generalquartiermeisters des Heeres General der Artillerie Eduard Wagner, München-Wien 1963, S. 103. 8 Helmut Krausnick: Hitler und die Morde in Polen. Ein Beitrag zum Konflikt zwischen Heer und SS um die Verwaltung der besetzten Gebiete, in: VfZ 11(1963), S. 196– 209; Dorothee Weitbrecht: Der Exekutionsauftrag der Einsatzgruppen in Polen, Filderstadt 2001. 9 Vortragsnotizen OB Ost v. 6. 2. 1940, BA-MA, RH 53–23/23; dort führte Blaskowitz allerdings auch aus, es sei „abwegig, einige 10 000 Juden und Polen, so wie es augenblicklich geschieht, abzuschlachten; denn damit [würden] angesichts der Masse der Bevölkerung weder die polnische Staatsidee totgeschlagen noch die Juden beseitigt“; die „Erzfeinde im Ostraum“ waren für ihn „der Pole und der Jude, dazu noch besonders unterstützt von der katholischen Kirche“. 10 Weitere kritische Anmerkungen hochrangiger Militärs um die Jahreswende 1939/ 1940 bei Helmuth Groscurth: Tagebücher eines Abwehroffiziers 1938–1940, hrsg. v. Helmut Krausnick/Harold C. Deutsch, Stuttgart 1970, S. 426 f., S. 437 ff.; Gerd R. Ueberschär (Hrsg.): NS-Verbrechen und der militärische Widerstand gegen Hitler, Darmstadt 2000, S. 156–162; vgl. Brief von Hellmuth Stieff, Major im Generalstab, an seine Frau v. 21. 11. 1939: „Die blühendste Phantasie einer Greuelpropaganda ist arm gegen die Dinge, die eine organisierte Mörder-, Räuber- und Plündererbande unter angeblich höchster Duldung dort [im Generalgouvernement] verbricht. […] Diese Ausrottung ganzer Geschlechter mit Frauen und Kindern ist nur von einem Untermenschentum möglich, das den Namen Deutsch nicht mehr verdient. Ich schäme mich, ein Deutscher zu sein!“, in: Horst Mühleisen (Hrsg.): Hellmuth Stieff. Briefe, Berlin 1991, S. 108. 11 Befehl OBdH v. 7. 2. 1940: Heer und SS, IfZ, Nbg.Dok. NOKW-1799. 12 Klaus-Jürgen Müller: Zur Vorgeschichte und Inhalt der Rede Himmlers vor der höheren Generalität am 13. März 1940 in Koblenz, in: VfZ 18(1970), S. 95–120. 13 Umbreit (Anm. 2), S. 141 f. 14 Dieter Pohl: Die Holocaust-Forschung und Goldhagens Thesen, in: VfZ 45(1997), S. 44. 15 Wildt (Anm. 4), S. 419–485; Alexander B. Rossino: Hitler strikes Poland. Blitzkrieg, Ideology, and Atrocity, Kansas City 2003. 16 Der Begriff „Septemberfeldzug“ (poln. „kampania wrzes´niowa“) wird an dieser Stelle dem in der deutschsprachigen Forschung üblicherweise verwendeten Begriff „Polenfeldzug“ vorgezogen, da letzterer der nationalsozialistischen Propagandamaschinerie entlehnt ist. 17 Erlaß Reichswehrminister v. 18. 12. 1934 über die Pflichten des jungen Offiziers, zit. in: Klaus-Jürgen Müller: Armee und Drittes Reich 1933–1939. Darstellung und Dokumentation, Paderborn 1987, S. 169. 18 Erlaß OBdH v. 18. 12. 1938 über Erziehung des Offizierskorps, abgedr. in: Müller (Anm. 17), S. 181. 19 Manfred Messerschmidt: Der Reflex der Volksgemeinschaftsidee in der Wehrmacht, in: ders.: Militärgeschichtliche Aspekte der Entwicklung des deutschen Nationalstaats, Düsseldorf 1988, S. 210. 20 Tomasz Szarota: Poland and Poles in German Eyes during World War II, in: PWA 19(1978), S. 229–254, dort auch die hier wiedergegebenen Zitate; vgl. Hubert Orłowski: „Polnische Wirtschaft“. Zum deutschen Polendiskurs der Neuzeit, Wiesbaden 1996;

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Carsten Roschke: Der umworbene „Urfeind“. Polen in der nationalsozialistischen Propaganda, Marburg 2000. 21 Merkblatt OKW: Geheim! Polen – Staatsgebiet und Bevölkerung (undat./1939), BA-MA, RH 26–17/77. 22 So lautete der Deckname für den geplanten Angriff auf Polen. 23 Sonderbestimmungen OKH für die Versorgung v. 9. 8. 1939, BA-MA, RH 19 I/91. 24 Shmuel Krakowski: The Fate of Jewish Prisoners of War in the September 1939 Campaign, in: YVS 12(1977), S. 301. 25 Wie Anm. 23; gemeint sind nicht feindliche Soldaten, sondern Zivilisten. 26 Franktireurs oder Freischärler waren noch aus dem 19. Jahrhundert stammende, im September 1939 übliche Bezeichnungen für Partisanen. 27 Merkblatt für Nachrichtengewinnung und Auswertung, Spionageabwehr und Polen (undat./1939), BA-MA, RH 26–208/5. 28 XVIII. A.K. v. 28. 8. 1939: Kurze Übersicht über das polnische Kampfverhalten und unser Verhalten, ebd., RH 26–7/60. 29 Vgl. Bernhard Kroener: Die personellen Ressourcen des Dritten Reiches im Spannungsfeld zwischen Wehrmacht, Bürokratie und Kriegswirtschaft 1939–1942, in: Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hrsg.): Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 5, Stuttgart 1988, S. 734. 30 KTB IR 41/Ia v. 1. 9. 1939, BA-MA, RH 37/7125. 31 Vgl. Szymon Datner: 55 dni Wehrmachtu w Polsce. Zbrodnie dokonane na polskiej ludnos´ci cywilnej w okresie 1. IX.–25. X. 1939 r., Warszawa 1967, S. 172–176; Karol Marian Pospieszalski: Dzien´ 2 wrzes´nia 1939 r. w Torzen´cu i Wyszanowie, in: PZ 11(1955), S. 730–743; BAL, 420 AR 3382/65. 32 KTB IR 41/Ia v. 2. 9. 1939, BA-MA, RH 37/7125. 33 KTB IR 42/Ia v. 3. 9. 1939, BAL, Dok.Slg. Verschiedenes 301 Cl (O. 171). 34 Kdr. I./IR 42: Bericht über Tschenstochau (undat./1939), ebd. 35 Vgl. Jan Pietrzykowski: Cien´ Swastyki nad Jasna˛ Góra˛, Katowice 1985, S. 15. 36 Zu den Ereignissen am 3. 9. 1939 in Bydgoszcz vgl. Günter Schubert: Das Unternehmen „Bromberger Blutsonntag“. Tod einer Legende, Köln 1989; Christian Jansen / Arno Weckbecker: Der „Volksdeutsche Selbstschutz“ in Polen 1939/40, München 1992, S. 26 f. 37 KTB Korück 580: Lage am 9. 9. 1939 morgens, BA-MA, RH 23/167; Wildt (Anm. 4), S. 432–447; Rossino (Anm. 15), S. 61–74. 38 Czesław Madajczyk: Die Okkupationspolitik Nazideutschlands in Polen 1939– 1945, Berlin (DDR) 1987, S. 12; wie viele dieser Exekutionen von den EG durchgeführt wurden und wie viele von Wehrmachtssoldaten, läßt sich nicht eindeutig feststellen; die polnischen Zahlen stützen sich auf Aussagen von Augenzeugen und Ergebnisse von Exhumierungen, in beiden Fällen ist eine nachträgliche Identifizierung der Täter problematisch; in den Reihen der beiden HGr marschierten 1 516 000 deutsche Soldaten in Polen ein, vgl. Robert M. Kennedy: The German Campaign in Poland 1939, Washington 1959, S. 77, während das Personal der EG aus 2000 Mann bestand, vgl. Vermerk Sicherheits-HA II 12 v. 8. 7. 1939, BA-ZA, ZR 521/9; angesichts des in den KTB freimütig eingeräumten rücksichtslosen und brutalen Vorgehens der Truppe gegen vermeintliche Partisanen ist es daher legitim anzunehmen, daß zumindest zur Zeit der Kampfhandlungen die Wehrmacht kaum weniger Exekutionsopfer zu verantworten hatte als die EG.

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39 Befehl OB HGr Nord v. 10. 9. 1939: Maßnahmen zum Schutz der Truppe gegen völkerrechtswidriges Verhalten der polnischen Bevölkerung, BA-MA, RH 26–3/1. 40 Brief des Gefreiten W. K. v. 10. 9. 1939, BfZ, Slg. Sterz, 07 849/10. 9. 1939. 41 Die im BA-MA befindlichen Akten der während des Septemberfeldzuges eingesetzten deutschen Einheiten enthalten Hunderte von Angaben über eine angenommene Beteiligung der Bevölkerung am Kampf, obwohl es in Polen zum damaligen Zeitpunkt nicht einmal Ansätze einer organisierten Partisanenbewegung gab. 42 Organisierte Partisanenverbände rekrutierten sich erst ab September/Oktober 1939 aus versprengten polnischen Truppenteilen, wie etwa die berühmte Einheit des Major „Hubal“, vgl. Wolfgang Jacobmeyer: Henryk Dobrzan´ski („Hubal“). Ein biographischer Beitrag zu den Anfängen der polnischen Résistance im Zweiten Weltkrieg, in: VfZ 20(1972), S. 63–74; Rossino (Anm. 15) geht dagegen irrtümlicherweise von einer massiven Gefährdung der deutschen Truppen durch polnische Freischärler aus, was seine ansonsten überzeugende Darstellung an entscheidenden Stellen abschwächt; demnächst dazu Jochen Böhler: Auftakt zum Vernichtungskrieg. Die Wehrmacht in Polen 1939, Frankfurt/M. 2005. 43 KTB 10. ID/Ia v. 2. 9. 1939, BA-MA, RH 26–10/1; auch bei der 4. ID warnte man vor der „Gefahr der Freischärler-Psychose“, 4. ID/Ia: Zusätze zu Armeebefehl v. 6. 9. 1939, ebd., RH 26–4/3; für diesen Hinweis danke ich Timm C. Richter. 44 Erfahrungsbericht 30. ID/Ic v. 18. 10. 1939, ebd., RH 37/6966; hier zeigen sich deutliche Parallelen zwischen dem Vorgehen der deutschen Wehrmacht 1939 in Polen und der deutschen Reichswehr 1914 in Belgien und Frankreich, vgl. John Horne/Alan Kramer: Deutsche Kriegsgreuel 1914. Die umstrittene Wahrheit, Hamburg 2004. 45 Einstellungsverfügung Staw Amberg v. 30. 9. 1966, BAL, 420 AR 3382/65, Bl. 27 ff. 46 Tatiana Berenstein/Adam Rutkowski: Przes´ladowanie ludnos´ci z˙ydowskiej w okresie hitlerowskiej administracji wojskowej na okupowanych ziemiach polskich ˙ IH 38, 1961, S. 3–38, ebd. 39, 1961, S. 63–87. (1. IX.–25. X. 1939 r.), in: BZ 47 Etwa Befehl AOK 10/ O.Qu. v. 7. 9. 1939, BA-MA, RH 20–10/39. 48 Einsatz der 3. Panzerdivision im Polenfeldzug, dargestellt von ihrem Kdr. Generalleutnant Freiherr Geyr von Schweppenburg, Eintrag v. 17. 9. 1939, ebd., RH 27–3/243. 49 Vgl. Alexander B. Rossino: Destructive Impulses. German Soldiers and the Conquest of Poland, in: HGS 11(1997), S. 357 f. 50 Ebd.; vgl. BA-MA, RH 19 I/112, Bl. 12 ff., 28 ff. 51 Werner Röhr: Zum Zusammenhang nazistischer Okkupationspolitik in Polen und dem Völkermord an den europäischen Juden, in: ders. (Hrsg.): Faschismus und Rassismus. Kontroversen um Ideologie und Opfer, Berlin 1992, S. 300 f. 52 Folgt man den Angaben in polnischen Nachkriegsuntersuchungen, so geht die Zahl der im September 1939 ermordeten Juden in die Hunderte, vgl. Szymon Datner/ Janusz Gumkowski/Kazimierz Leszczyn´ski: War Crimes in Poland. Genocide 1939– 1945, Warszawa-Poznan´ 1962, S. 125–248; die Zahl etlicher hundert Juden, die allein der EG z.b.V. in der Woiwodschaft Rzeszów zum Opfer gefallen sind, ist darin nicht berücksichtigt; wie viele Juden in diesem Monat des weiteren in brennenden Häusern und Synagogen ermordet wurden, ist kaum abzuschätzen; der Anteil von Wehrmachtssoldaten an solchen Übergriffen läßt sich noch weniger beziffern; aus den im BA-MA lagernden Akten geht jedoch klar hervor, daß Gewalt gegen polnische Juden im deutschen Heer bereits zu Beginn des Krieges an der Tagesordnung war.

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53 Vgl. Léon Poliakov/Joseph Wulf: Das Dritte Reich und seine Diener. Auswärtiges Amt, Justiz und Wehrmacht, Berlin 1956, S. 485 f. 54 Rossino (Anm. 49), S. 358 ff.; Rainer Rother: Leni Riefenstahl. Die Verführung des Talents, Berlin 2000, S. 140 ff.; Lutz Kinkel: Die Scheinwerferin. Leni Riefenstahl und das „Dritte Reich“, Hamburg-Wien 2002, S. 219 ff.; Leni Riefenstahl: Memoiren, München 1987, S. 350 ff. 55 Bericht Oberkriegsgerichtsrat Rittau v. 19. 9. 1939, BA-MA, RH 19 I/112. 56 Vgl. Rossino (Anm. 1). 57 Tagesbefehl OB AOK 14 v. 18. 9. 1939, BA-MA, RH 26–7/119. 58 Anlage dto. v. 19. 9. 1939, ebd., RH 26–7/63. 59 Befehl OBdH v. 24. 9. 1939, ebd., RH 19 I/192. 60 In den beiden letztgenannten Ortschaften hatte man den jüdischen Bewohnern gedroht, „die nachfolgende Gestapo werde mit den Juden ‚nicht mehr sprechen‘“; vgl. Frank Golczewski: Polen, in: Wolfgang Benz (Hrsg.): Dimension des Völkermords. Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, München 1991, S. 422. 61 Vgl. Krausnick/Wilhelm (Anm. 1), S. 70 f., Zitat S. 70. 62 Ebd., S. 71. 63 Vern. Kriminalkommissar K. v. 9. 12. 1939, BAB, BDC, O. Hasselberg, Bl. 439. 64 Brief des Soldaten R. T. v. 23. 9. 1939, BfZ, Slg. Sterz, 28 774/23. 9. 1939. 65 Vgl. Krausnick/Wilhelm (Anm. 1), S. 71, Anm. I/236. 66 Vgl. Golczewski (Anm. 60), S. 423. 67 Rossino (Anm. 15), S. 119. 68 Schnellbrief CdS v. 21. 9. 1939, BAB, R 58/954. 69 Dto. v. 30. 9. 1939, BAB, R 58/276. 70 Vgl. Umbreit (Anm. 2), S. 145. 71 Besondere Anordnungen für die Versorgung des XI. A.K. v. 16. 9. 1939, BA-MA, RH 24–11/4a. 72 VII. A.K./Qu. an HGr Süd v. 8. 9. 1939, ebd., RH 24–7/1. 73 KTB 31. ID/Ia v. 8. 9. 1939: „Das Fehlen von Landesschützenverbänden für die Sicherung im rückwärtigen Gebiet bei der unruhigen Bevölkerung und zur Bewachung Kriegsgefangener und wehrfähiger Zivilisten sowie Bewachung der Beutewaffen macht sich störend bemerkbar und zehrt an den Kräften der fechtenden Truppe“, ebd., RH 26–31/1. 74 Abendmeldung 19. ID v. 10. 9. 1939, ebd., RH 24–11/4a. 75 Erfahrungs- und Zustandsbericht 17. ID über den Einsatz im Osten (undat.), ebd., RH 24–13/19. 76 XIII. A.K./Ia: Kurzer Erfahrungs- und Zustandsbericht (undat./Okt. 1939), ebd., RH 24–13/20. 77 Unterlagen vom Einsatz der SS-Verfügungstruppe-Nachrichtenabteilung bei der Panzerdivision Kempf, ebd., RS 4/1118. 78 Die hier wiedergegebenen Berichte stellen nur eine Auswahl aus dem umfangreichen Material der polnischen Hauptkommission zur Untersuchung der Naziverbrechen in Polen dar. 79 BAK, All.Proz. 5/201, POL-23. 80 AIPN, DS 15/67; dem Schreiben waren Photographien der Exekution beigefügt; polnische Augenzeugen schätzten nach 1945 die Zahl der Ermordeten allerdings auf etwa 400, vgl. Szymon Datner: Crimes against Prisoners-of-War. Responsibility of the

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Wehrmacht, Warszawa 1964, S. 23 ff.; das KTB einer Einheit der 29. mot. ID bestätigt die der Exekution vorausgegangenen Ereignisse sowie den Tod von Hauptmann Lewinsky, vgl. III. Abt./AR (mot.) 29: Erster Kriegsbericht 19. 8.–11. 9. 1939, Eintrag v. 8. 9. 1939, BA-MA, RH 41/1012; auch wenn in dieser Quelle nicht von der Ermordung der polnischen Soldaten berichtet wird, so sprechen diese Übereinstimmungen doch für die Zuverlässigkeit der Angaben der anonymen Zusendung; die deutschen Heeresakten lagerten zum Zeitpunkt ihres Eingangs noch in den USA; ein Ermittlungsverfahren in dieser Angelegenheit wurde eingestellt, obwohl man feststellte: „Bei dem Gefecht um das Waldgelände bei Ciepiełów waren auf deutscher Seite 13 Tote […] und auf polnischer Seite 250 Tote zu beklagen gewesen“, Einstellungsverfügung Staw Aschaffenburg (undat./1971), BAL, 302 AR-Z 96/71, Bl. 199; das offenkundige Mißverhältnis der Opferzahlen scheint die ermittelnden Beamten nicht zu weiterführenden Überlegungen angeregt zu haben. 81 BAK, All.Proz. 5/201, POL-21. 82 VIII. A.K./Ic an AOK 14 v. 13. 9. 1939, BA-MA, RH 24–8/97; für den Hinweis auf diese Quelle danke ich Bogdan Musial. 83 Zeugenaussagen bei Datner (Anm. 80), S. 25 f.; nach Ryszard Kotarba: Zbrodnie Wehrmachtu w Krakowskiem, in: BGK 32, 1987, S. 176, kamen bei dieser Exzeßtat etwa 40 polnische Soldaten und 30 Zivilisten ums Leben. 84 Krakowski (Anm. 24), S. 300. 85 Zahlenangabe nach Peter Longerich: Politik der Vernichtung. Eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung, München-Zürich 1998, S. 247. 86 Krakowski (Anm. 24), S. 303 f.; Datner (Anm. 80), S. 99 f. 87 Krakowski (Anm. 24), S. 304. 88 Ebd., S. 303. 89 Zahlreiche Beispiele ebd. 90 Longerich (Anm. 85), S. 247. 91 Befehlsentwurf HGr Süd v. 8. 9. 1939, zit. in: Krausnick/Wilhelm (Anm. 1), S. 77. 92 Krausnick/Deutsch (Anm. 10), S. 216. 93 Wie Anm. 68. 94 Hannes Heer: Nicht Planer, aber Vollstrecker. Die Mitwirkung der Wehrmacht beim Holocaust, in: Stig Förster/Gerhard Hirschfeld (Hrsg.): Der Genozid in der modernen Geschichte, Münster 1999, S. 75. 95 Abgedr. in: Czesław Łuczak: Połoz˙enie Ludnos´ci Polskiej w tzw. Kraju Warty w okresie hitlerowskiej okupacji, wybór z´ródeł, Poznan´ 1990, S. 1 f. 96 Broszat (Anm. 1), S. 27 f.

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Ermchtigung zur Vernichtung Die Einsatzgruppen in Polen im Herbst 1939 „Exekutionskommandos“ nannte Generaloberst Johannes Blaskowitz, der Oberbefehlshaber Ost, die in Polen agierenden Einsatzgruppen im November 1939. 1 Im Gegensatz zu den vorangegangenen Einsätzen in Österreich, dem Sudetenland und der sogenannten Rest-Tschechei wurde dort ein „Volkstumskampf“ 2 praktiziert, dem zehntausende polnische Zivilisten zum Opfer fielen. 3 Polen war das „erste große Operationsfeld“ 4 der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD, die als die Organe der nationalsozialistischen Diktatur gelten, die für „beinahe alle Deportations-, Ausrottungs- und Vernichtungsoperationen […] vor allem […] in den besetzten Gebieten, insbesondere Osteuropas“ 5 verantwortlich waren. Trotz der Bedeutung, die den in Polen operierenden sicherheitspolizeilichen Einheiten im Rahmen der Vernichtungspolitik zukommt 6 , existiert bislang keine hinreichende Untersuchung über den dortigen Einsatz. 7 Bisherige Monographien beschäftigen sich in erster Linie mit den Einsatzgruppen ab 1941. 8 Lediglich Helmut Krausnicks Publikation berücksichtigt all ihre Operationsgebiete von 1938 bis 1942. 9 Insbesondere die Weisungsgrundlagen für die Vernichtung der polnischen Oberschicht sind bei den in Polen aktiven Einsatzgruppen noch nicht geklärt. 10 Die schriftliche Überlieferung läßt jedoch Rückschlüsse auf Befehlsstruktur und Aufgabenstellung zu. Vor allem Widersprüche zwischen offiziellen schriftlichen Anordnungen und dem tatsächlichen Vorgehen der Einsatzgruppen geben Hinweise auf Planung und Strategie der SS-Führung.

Die Instruktionen vor dem Polenfeldzug Organisatorische Maßnahmen für einen „auswärtigen Einsatz“ in Polen wurden schon im Frühjahr 1939 durch das Sicherheitshauptamt mit der Erstellung von Fahndungslisten durchgeführt. In dessen Abteilung II/21 wurde am 22. Mai die Zentralstelle II P eingerichtet. In deren Personenkartei sollten nicht nur „die Deutschen in Polen und die Polen in Deutschland, sondern auch die im Rahmen der Volkstumsauseinandersetzung hervorgetretenen Polen in Polen“ aufgenommen werden. 11 Auf Grundlage dieser Kartei wurden Sonderfahndungslisten mit den Namen von 8700 Polen erstellt. In den „Richtlinien für den auswärtigen Einsatz“ erhielten die Einsatzgruppen die Anweisung, die in der „ausgegebenen Fahndungsliste verzeichneten Personen“ festzunehmen. 12 Im Rahmen der frühen Vorbereitungsmaßnahmen war auch die Wehrmachtsführung schon im Frühjahr 1939 über die Aktivität außermilitärischer Verbände im bevorstehenden Feldzug

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informiert worden. In einer Ansprache erklärte der Generalstabschef des Heeres, Franz Halder, daß „die Besetzung des Landes in weitem Maße von den paramilitärischen Formationen der Partei vorgenommen“ werde. 13 Im Laufe des Juli fanden mehrere die Aufstellung der Einsatzgruppen betreffende Besprechungen unter der Leitung Heydrichs oder seines Stellvertreters Dr. Werner Best statt. 14 Parallel müssen intensive Gespräche mit der Wehrmacht geführt worden sein. Denn während die Einsatzgruppen bei der Annexion Österreichs aus dem Zuständigkeitsbereich der Wehrmacht herausgelöst worden waren 15 , erhielt das Heer im Polenfeldzug als Inhaber der vollziehenden Gewalt, wie schon zuvor bei der Besetzung Böhmens und Mährens, den Oberbefehl über alle im Operationsgebiet tätigen Institutionen.16 Im August erschienen die „Richtlinien für den auswärtigen Einsatz der Sicherheitspolizei und des SD“. 17 Sie sind das ausführlichste offizielle, die allgemeine Tätigkeit und Organisation betreffende Dokument über die Einsatzgruppen in Polen. 18 Nach Absprache mit dem Oberkommando des Heeres wurde deren Tätigkeit folgendermaßen definiert: „Aufgabe der sicherheitspolizeilichen Einsatzkommandos ist die Bekämpfung aller reichsfeindlichen Elemente in Feindesland rückwärts der fechtenden Truppe.“ Dabei unterstanden sie zwar grundsätzlich der Wehrmacht, die „sachliche Leitung“ einer „Aktion“ lag aber laut „Richtlinien“ in den Händen der Einsatzgruppenführung, der so größtmögliche Unabhängigkeit zugesichert wurde. Auffallend ist, daß die polnische Intelligenz und Oberschicht in den „Richtlinien“ nicht explizit zu den „reichsfeindlichen Elementen“ gezählt wurden. Bei den Zusammenkünften von SS-Führung und Einsatzgruppenleitern wurden jedoch – wie zu zeigen sein wird – gerade diese Gesellschaftsgruppen in ihrer Gesamtheit zum Hauptziel der Tätigkeit erklärt. Die bemerkenswertesten Passagen in den „Richtlinien“ beziehen sich auf das Auftreten allgemein. Unter „Persönliches Verhalten“ hieß es: „Jeder Angehörige der Einsatzgruppe hat in jeder Lage und gegen jedermann bestimmt, aber korrekt aufzutreten. Die gesetzten Ziele sind so zu erreichen, daß Beschwerden möglichst vermieden werden.“ Tatsächlich wurde diese Anweisung in Polen völlig ignoriert. Ebenfalls unbeachtet blieb die Vorgabe, „Mißhandlungen oder Tötungen festgenommener Personen sind strengstens untersagt“ sowie die Weisung, ihre „dienstlichen Obliegenheiten und Verpflichtungen“ gegenüber der polnischen Bevölkerung „in höflicher, korrekter, aber bestimmter Form zu vollziehen“. Auf eine straff hierarchisch geordnete Befehlskette verweist die Anordnung, „dauernd Verbindung mit dem Geheimen Staatspolizeiamt in Berlin aufrechtzuerhalten“; an den Chef der Sicherheitspolizei müsse jeweils ein Tagesbericht erstattet werden. Die Direktiven in den „Richtlinien“ lassen die Einsatzgruppen als polizeiliche Formationen in ‚Feindesland‘ erscheinen, die eine der Kriegssituation angemessene Sicherungsfunktion erfüllen sollten. Ursache dafür waren die Erfahrungen, die die SS-Führung mit der Wehrmacht bei der Besetzung Tschechiens gemacht hatte. 19 Es war darum zu erwarten, daß jene das tatsächlich geplante Vorgehen der Einsatzgruppen gegen

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die polnische Intelligenz nicht billigen würde. So können die „Richtlinien“ zwar Aufschluß über die innere Struktur der Einsatzgruppen geben, aber der Informationsgehalt hinsichtlich ihrer eigentlichen Aufgabenstellung ist äußerst gering. Neben den Verhandlungen mit der Wehrmacht fanden im August auch interne Zusammenkünfte statt, in denen die Einsatzgruppenführer „mündliche Weisungen und schriftliche Unterlagen“ erhielten. 20 Am 18. August notierte Best in seinem Kalender: „Unterweisung der Führer eines Großeinsatzes der Sicherheitspolizei“. 21 Der Chef der Einsatzgruppe IV, Lothar Beutel, sagte darüber aus, daß Himmler und Heydrich „die Aufgaben der Einsatzgruppen in groben Zügen bekanntgaben. […] Einzelheiten wurden nur insoweit bekanntgegeben, als uns erklärt wurde, daß im Rahmen der Bekämpfung von Widerstandsbewegungen und -gruppen alles erlaubt sei, also sowohl Erschießungen als auch Verhaftungen. Die Entscheidung, welche Maßnahme zu ergreifen war, oblag den durchführenden Organen, also den dem Gruppenstab unterstehenden Einsatzkommandos. Wenn ich mich recht erinnere, waren auch die Einsatzkommando-Führer bei den Besprechungen dabei. Von ausdrücklichen Maßnahmen gegen die polnische Intelligenz wurde damals im einzelnen nicht gesprochen. Es wurde aber darauf hingewiesen und lag ja an sich auch auf der Hand, daß der Motor der Widerstandsbewegungen in der polnischen Intelligenz zu suchen war.“ 22 Beutel bekräftigte seine Aussage in einer weiteren Vernehmung: „Dabei wurde besonders hervorgehoben, daß Widerstandshandlungen in erster Linie von den national eingestellten Polen […] oder sonstigen politischen Parteien und aus den Kreisen der polnischen Intelligenz zu erwarten seien. Für die Teilnehmer an dieser Besprechung war danach klar, daß die Einsatzgruppen ihr besonderes Augenmerk auf diese Gruppen zu richten hatten.“ 23 Nach Aussage des Verbindungsführers der Einsatzgruppe IV zur 4. Armee, Ernst Gerke, sollte den Einsatzgruppenleitern in eigener Verantwortung überlassen werden, mit welchen Mitteln die polnische Oberschicht ‚auszuschalten‘ sei: „Ein genereller Liquidierungsbefehl ist […] nicht erteilt worden. Denn damals war es nicht Methode, derartige Dinge so klar auszudrücken. Es wurde vielmehr allgemein von der ‚Ausschaltung‘ der polnischen Intelligenz und des polnischen Widerstandes gesprochen. In welcher Form die ‚Ausschaltung‘ geschehen sollte, wurde nicht klar ausgedrückt. Derartige Dinge blieben der eigenen Initiative des Ausführenden überlassen.“ 24 Beutel und Gerke erklärten also übereinstimmend und unabhängig voneinander mit Bezug auf die Besprechung am 18. August, daß kein eindeutiger Tötungsbefehl gegeben worden sei und die Einsatzgruppenleiter mit einem großen Spielraum ausgestattet wurden. Daß beide sich damit selbst belasteten, erhöht den Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen. Sie stimmten aber auch darin überein, daß die ‚Ausschaltung‘ der polnischen Intelligenz zum Hauptziel der Einsatzgruppen erklärt wurde. Erschießungen erschienen dabei als legitime Methode, die nicht explizit angeordnet werden mußte. Der Grund für die Schaffung einer offiziellen und einer inoffiziellen Ebene hinsichtlich der Weisungs-

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gebung lag darin, daß Differenzen mit der Wehrmacht vermieden werden sollten. Durch diese Doppelbödigkeit versuchte die SS-Führung, eine schriftlich-formale Konfrontation mit der Wehrmacht zu vermeiden. Deshalb wurden die Einsatzgruppen mittels mündlicher Instruktionen wenn nicht explizit angewiesen, so doch unmißverständlich ermächtigt, die polnische Intelligenz und Oberschicht ‚auszuschalten‘.

Das Vorgehen in den ersten Kriegswochen Aus den ersten beiden Kriegstagen sind keine Äußerungen von Himmler oder Heydrich die Einsatzgruppen betreffend überliefert. Auch die in den „Richtlinien“ angeordnete Berichterstattung begann erst mit dem 6. September. 25 Bereits am 3. des Monats ergingen jedoch Anordnungen Himmlers, die sich ganz erheblich von der bisherigen offiziellen Weisungsgebung abhoben. Äußerer Auslöser für diese Zäsur waren Meldungen über polnische Übergriffe auf deutsch besiedelte Dörfer, die propagandawirksam verbreitet wurden.26 Himmler wies alle Einsatzgruppen an: „Polnische Aufständische, die auf frischer Tat oder mit der Waffe ergriffen werden, sind auf der Stelle zu erschießen. […] Wenn zur Abwehr des Handelns der Aufständischen die Erschießung von Geiseln erforderlich erscheint, ist mir sofort zu berichten und meine Entscheidung einzuholen.“ 27 Nicht nur, daß hier ohne rechtliche Grundlage sofortige Erschießungen angeordnet wurden, sondern auch die Tatsache, daß derartige Entscheidungen gleich zu Beginn des Polenfeldzugs ohne Einbeziehung der Wehrmacht getroffen wurden, weist auf eine weitaus radikalere Zielsetzung hin als in den offiziellen „Richtlinien“ vorgegeben. Am selben Tag ernannte Himmler SS-Obergruppenführer Udo von Woyrsch zum „Sonderbefehlshaber der Polizei“, dem die neu aufgestellte Einsatzgruppe z.b.V. zur Verfügung stehen sollte. Woyrsch sollte den „aufflammenden Polenaufstand“ in den „neu besetzten Teilen Oberschlesiens […] radikal […] mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln“ niederwerfen.28 Der Auftrag, den er erhielt, war eindeutig. Einschränkungen hinsichtlich des Opferkreises wurden keine mehr gemacht. Daß es zu Erschießungen in größerem Ausmaß kam, belegen die Beschwerden seitens der militärischen Instanzen. Eine „Besondere Anordnung“ des Armeeoberkommandos 14 gab zwar bekannt, daß die Aufgabe Woyrschs die „Niederkämpfung und Entwaffnung polnischer Banden, Exekutionen, Verhaftungen“ sei 29 , doch die Beschwerden zeigen, daß die Einsatzgruppe z.b.V. dabei eine inakzeptable Grenze überschritt. So ist ein Bericht erhalten, der die „Unruhe“ erwähnt, „die im Armeebereich durch die zum Teil ungesetzlichen Maßnahmen der Einsatzgruppe des Obergruppenführers von Woyrsch entstanden ist“. 30 Der Abwehroffizier Helmuth Groscurth wies in seinem Tagebuch ebenfalls auf deren Morden hin: „Admiral [Canaris] teilte über seine Eindrücke bei der 14. Armee mit, daß die Einsatzkommandos (Woyrsch) verheerend wirkten.“ 31 Unter den erhaltenen Tagesberichten der Einsatzgruppen sind dagegen nur drei

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Meldungen, die Erschießungen durch die Einsatzgruppe z.b.V. erwähnen. Die Zahl der Toten ist dort nicht auffällig hoch. 32 Auch sonst läßt sich aus den Tagesberichten nicht erschließen, daß die Einsatzgruppe z.b.V. sich durch besonders rücksichtloses Vorgehen von den anderen Formationen abhob. Eine schriftliche Fixierung ihrer Tätigkeit war demnach nicht erwünscht. Ebenfalls am 3. September ereignete sich der „Bromberger Blutsonntag“, an dem das polnische Militär und polnische Zivilisten einige hundert deutschstämmige Einwohner töteten. 33 Die Empörung der Wehrmacht über diese Tat 34 gab der Einsatzgruppe IV die Möglichkeit, nun ganz offen mit großer Brutalität in Bromberg vorzugehen. 35 Laut Zeugenaussagen fielen ihr zwischen dem 5. und 12. September mindestens 1306 Polen zum Opfer, darunter Geistliche, Juden, Frauen und Jugendliche. Am 7. September befahl das Armeeoberkommando 4, dem die Einsatzgruppe IV zugeordnet war, daß der Kommandant des rückwärtigen Armeegebietes, für die Einhaltung der für die „Kriegsführung geltenden Bestimmungen (Haager Landkriegsverordnung […]), auch bei Einsatz von neu unterstellten Polizeiverbänden bzw. Einsatz von Sondereinheiten“ zu sorgen habe. 36 Der Oberbefehlshaber des Heeres, Walther von Brauchitsch, monierte „Schweinereien hinter der Front“ im Zusammenhang mit den „Bromberger Ereignissen“. 37 Aber Hitler überging die Armee und ließ am 11. September mitteilen: „Der Führer hat im Hinblick auf die aufsässige polnische Bevölkerung in Bromberg dem Reichsführer SS befohlen, dort 500 Geiseln festzusetzen und zu schärfsten Maßregeln (standrechtliche Erschießungen) zu schreiten, bis die Befriedung erreicht ist. Truppe ist anzuweisen, die Organe des Reichsführers SS hierbei nicht zu behindern.“ 38 Dabei waren die Einsatzgruppen von der Wehrmacht als Inhaber der vollziehenden Gewalt nicht bevollmächtigt, eigenständig standrechtliche Erschießungen durchzuführen. Der für Bromberg zuständige Oberbefehlshaber der 4. Armee reagierte dementsprechend: „Kommandant rückw. Armeegebiet und Kommandant von Bromberg sind angewiesen, Arbeiten des Reichsführers SS in Bromberg nicht zu behindern. Durch diese Maßnahme tritt aber eine völlige Verschiebung der Verantwortlichkeit in Bromberg ein, auf die ich als Inhaber der vollziehenden Gewalt ausdrücklichst hinweise.“ 39 Schon in den ersten Kriegstagen führten die Einsatzgruppen IV und z.b.V. also Massenexekutionen durch und ließen das Recht der Wehrmacht auf die vollziehende Gewalt unbeachtet. Da bis auf Himmlers Befehl vom 3. September keine schriftlichen Instruktionen überliefert sind und auch keine Berichte über Besprechungen Himmlers, Heydrichs oder Bests mit den Einsatzgruppenführern aus den ersten Septembertagen vorliegen, kann nur angenommen werden, daß das oben beschriebene Verhalten der Einsatzgruppen im Rahmen der Ermächtigung lag, die vor dem Beginn des Polenfeldzuges erteilt wurde. Ein Angehöriger der Einsatzgruppe IV erklärte in seiner richterlichen Vernehmung: „Schon in Bromberg bestand bei uns die Parole, daß die polnische Intelligenz ausgerottet werden sollte.“ 40

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Die Amtschefbesprechungen im September 1939 Der Vermerk über die erste Amtschefbesprechung am 7. September enthält erstmals konkrete Vorgaben, die die polnische Oberschicht betreffen: „Die führende Bevölkerungsschicht soll so gut wie möglich unschädlich gemacht werden. […] Es wird entschieden, daß die Führerschicht, die auf keinen Fall in Polen bleiben darf, in deutsche KZ’s kommt.“ 41 Absichten, die „Führerschicht“ zu ermorden, sind wie in allen vorherigen Verlautbarungen nicht formuliert. Aber im Gegensatz zur Anweisung, die polnische Oberschicht in Konzentrationslager zu verbringen, trug Groscurth am 8. September in sein Tagebuch ein: „Heydrich hetzt weiter in wüstester Weise gegen Armee – es ginge alles viel zu langsam!!! Täglich fänden 200 Exekutionen statt. Die Kriegsgerichte arbeiteten aber viel zu langsam. Er würde das abstellen. Die Leute müßten sofort ohne Verfahren abgeschossen oder erhängt werden. ‚Die kleinen Leute wollen wir schonen, der Adel, die Popen und die Juden müssen aber umgebracht werden.‘“ 42 Einen Tag später notierte er: „Er [Canaris] sagt, es sei Absicht des Führers und Görings, das polnische Volk zu vernichten und auszurotten. Das übrige kann auch nicht andeutungsweise schriftlich niedergelegt werden.“ 43 Am 12. September „warnte“ Canaris im Verlauf mehrerer Besprechungen im „Führerzug“ „in sehr eindringlicher Form“ den Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Wilhelm Keitel, „vor Maßnahmen, die ihm […] bekannt geworden wären, nämlich die bevorstehenden Erschießungen und Ausrottungsmaßnahmen, die sich insbesondere gegen die polnische Intelligenz, den Adel, die Geistlichkeit, wie überhaupt aller Elemente, die als Träger eines nationalen Widerstandes angesehen werden könnten, richten sollten“. 44 Keitel erwiderte darauf, „daß diese Dinge vom Führer entschieden seien, und der Führer den Oberbefehlshaber des Heeres habe wissen lassen, daß, wenn die Wehrmacht diese Dinge nicht durchführen wolle bzw. damit nicht einverstanden sei, sie es sich gefallen lassen müsse, wenn neben ihr SS, Sicherheitspolizei und dergleichen Organisationen in Erscheinung träten und diese Maßnahmen ausführten“. 45 Das Resultat einer Absprache zwischen Hitler und Himmler 46 fand seinen Niederschlag in dem Vermerk über die Amtschefbesprechung am 21. September 1939 47 . Erstmals seit Kriegsbeginn wurden alle Einsatzgruppenführer zu einer gemeinsamen Sitzung unter Leitung Heydrichs nach Berlin beordert. Sie wurden dabei angewiesen, die Juden in Polen im Verlauf eines Jahres an wenigen Orten zu konzentrieren. In Bezug auf die „Lösung des Polenproblems“ wurde angeordnet, daß die verbliebenen drei Prozent des „politischen Führertums […] unschädlich gemacht werden und […] in KZ’s“ eingewiesen werden müßten. Obwohl in den folgenden Wochen nach dieser Amtschefbesprechung eine deutlich höhere Exekutionsrate bei den Einsatzgruppen festzustellen ist 48 , soll Heydrich ihren Leitern laut Vermerk befohlen haben, „Erschießungen […] nur noch vorzunehmen, wenn es sich um Notwehr handelt bzw. bei Fluchtversuchen“. Der Grund für diesen offensichtlichen Widerspruch ist darin zu suchen, daß Heydrichs Mög-

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lichkeiten, mit den Zielen der SS-Führung offensiv umzugehen, zu diesem Zeitpunkt noch Einschränkungen unterlagen. Denn tags zuvor, am 20. September, hatte eine Besprechung zwischen Hitler und Brauchitsch stattgefunden. 49 Der Oberbefehlshaber des Heeres forderte Aufklärung über die „volkspolitische“ Befehlsgebung und deren Befehlsstränge. Hitler gab die Zusage, daß er ihn künftig über alle an Himmler und Heydrich ergangenen Weisungen informieren werde. Im Gegenzug wollte Brauchitsch den Einsatzgruppen dafür das Recht einräumen, ihre Aufgaben ungehindert durchzuführen. Zwei Tage später sollte Heydrich im Auftrag Himmlers „Wünsche des OB.d.H.“ 50 entgegennehmen. Bei dieser Unterredung nahm Brauchitsch partiell seine Zugeständnisse gegenüber Hitler zurück. Er verlangte von Heydrich: „a. Orientierung des Heeres über alle Befehle der SS. […] c. Volkspolitische Bewegungen erst nach Beendigung der Operationen d. Keine Maßnahmen, die ungünstig im Ausland wirken können.“ Heydrich „gab die Zusage, daß alle Befehle der SS bekannt gegeben würden“. Außerdem sollten die Befehle zur „Erschießung der Insurgenten“ und „Freischärler […] ohne Standgericht“ zurückgenommen werden. Gleichzeitig beklagte er jedoch, daß die Kriegsgerichte zu langsam arbeiteten und beharrte darauf, daß trotz wirtschaftlicher Interessen „keine Rücksicht genommen werden [könne] auf Adel, Geistlichkeit, Lehrer und Legionäre. Das seien aber nur wenige, ein paar Tausend. Diese müßten sofort verhaftet werden und in die K.Z.’s verbracht werden.“ Brauchitsch verlangte auch hier „langsames Vorgehen“. Als Heydrich dann die geplanten Deportationen von Juden ansprach, forderte Brauchitsch, daß „diese Bewegung von militärischer Seite gesteuert würde unter Ausschaltung der Zivilbehörden. Er verlangt kein eigenmächtiges Vorgehen der Zivilstellen. Sonst käme es zu Reibungen.“ Darauf kam es zu einem Disput, in dem Heydrich dem Oberbefehlshaber des Heeres sein Mißtrauen vorwarf, und dieser im Gegenzug „seine rein sachlichen Gründe“ unterstrich. Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD äußerte sich „sehr unzufrieden über den Besuch und spricht von Voreingenommenheit“, hielt die Gesprächsnotiz fest. Die Unterredung zwischen Heydrich und Brauchitsch spiegelte den zwischen SS und Heer bestehenden Gegensatz über das Vorgehen der Einsatzgruppen in Polen in aller Deutlichkeit wider. Der Vermerk über die Amtschefbesprechung vom 21. September, der erst sieben Tage später abgefaßt wurde, berücksichtigte diese Situation. Heydrich war jedoch mit der von Brauchitsch erzwungenen Zurückhaltung höchst unzufrieden. Laut Vermerk verfügte er in der Besprechung im Anschluß an die Beschränkung in Bezug auf Exekutionen: „Die Kriegsgerichte müssen mit Anträgen so eingedeckt werden, daß sie der Arbeit nicht mehr Herr werden können“. 51 Daß am 21. September weitaus schärfere Anweisungen als im offiziellen Vermerk notiert erfolgt sind, daß das Schriftstück nur das Resultat ungünstiger Bedingungen für eine offizielle Fixierung der tatsächlichen Aufträge war, belegt

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eine Aussage Beutels, der bei dieser Amtschefbesprechung anwesend war: „Ich kann mich erinnern, daß bei dieser Besprechung u. a. auch erörtert wurde, daß der künftige Widerstand in Polen geringer sein würde, wenn möglichst wenige Angehörige der polnischen Intelligenz überlebten. Ich kann mich allerdings nicht entsinnen, daß in dieser Besprechung direkt Befehle zur Tötung der Intelligenz gegeben wurden. Gesprochen wurde im allgemeinen von der ‚Sicherstellung‘. Der Zweck dieser Sicherstellung war ja aber durch die schon erwähnte Bemerkung, ‚je weniger Überlebende, desto geringer der Widerstand‘, klargestellt.“ 52 In einer weiteren Vernehmung bestätigte Beutel seine Aussage nochmals: „Auch heute möchte ich aber sagen, daß jeder Teilnehmer nach dieser Besprechung das Gefühl hatte, daß jede Maßnahme eines ‚energischen Durchgreifens‘ gleich welcher Art von Berlin aus gebilligt würde. Wenn der Zeuge […] ausgesagt hat, daß seinerzeit allgemein von der Ausschaltung der polnischen Intelligenz gesprochen worden ist und daß es der Initiative der Ausführenden überlassen werden sollte, in welcher Form sie die Ausschaltung vornehmen wollten, so entspricht das dem, was ich auch heute gesagt habe.“ 53 Dr. Emanuel Schäfer, der Führer der Einsatzgruppe II, gab in Bezug auf die Amtschefbesprechung am 21. September zu Protokoll: „Heydrich sprach […] immer ziemlich verschleiert und in Rätseln. Er deutete irgendwelche Absichten meistens nur an. Selbstverständlich wurde damals ein etwaiger potentieller Widerstand in der geistigen Führungsschicht, also in der polnischen Intelligenz, erwartet.“ 54 Das grundsätzliche Interesse der SS-Führung an der Verdunklung ihrer Tätigkeit wird auch hier wieder evident. Es zeigt sich, daß allen offiziellen schriftlichen Verlautbarungen in dieser Phase nur mit großem Vorbehalt begegnet werden kann. 55 „Volkstums- und rassenpolitische“ Sonderaufträge wie in Polen hatte es bei den Einsätzen in Österreich, im Sudetenland und in Böhmen und Mähren nicht gegeben, da „für diesen Raum kein aktuelles volkstumspolitisches Programm“ 56 bestanden hatte. In Polen aber war dies anders. Dort mußte erstmals der völkerrechtlich vorgegebene Rahmen durchbrochen werden. Dies sollte möglichst inoffiziell und ohne schwerwiegendere Konfrontationen mit den militärischen Stellen geschehen.

Organe zur Durchsetzung einer „Volkstumspolitik“ Im Verlauf der nun folgenden Wochen läßt sich eine fortschreitende Festigung der sicherheitspolizeilichen Position parallel zur Schwächung der militärischen Stellung verfolgen. Unmittelbare Folge der Unterredung Hitlers mit Brauchitsch am 20. September war die Legitimierung der selbständigen Tätigkeit der Einsatzgruppen; sie hätten, so Brauchitsch, „gewisse volkspolitische Aufgaben im besetzten Gebiet durchzuführen“, die „außerhalb der Verantwortlichkeit der Oberbefehlshaber“ lägen. 57 Ebenso gravierend war eine Verordnung vom 21. September, in der Brauchitsch die Einsatzgruppen bevollmächtigte, standrechtliche Erschießungen durchzuführen.58 Ab Ende September deutete sich ein

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Wendepunkt bezüglich der äußeren Stellung der Einsatzgruppen in Polen an. Das Verhältnis zwischen dem Heer und ihnen hatte sich trotz der am 20. September erzielten Einigung stetig verschlechtert. Am 3. Oktober erklärte Heydrich den Einsatzgruppenleitern, „das alte Problem SD-Polizei und Wehrmacht“ sei „in seiner ganzen Schwere wieder aufgetaucht“. 59 In dieser angespannten Lage bestimmte Hitler am 4. Oktober: „Taten, die in der Zeit vom 1. September 39 bis zum heutigen Tag in den besetzten polnischen Gebieten aus Erbitterung wegen der von den Polen verübten Greuel begangen worden sind, werden strafgerichtlich nicht verfolgt.“ 60 Unmißverständlich stellte sich Hitler damit hinter die von den Einsatzgruppen begangenen Morde. Die Einsetzung Himmlers zum „Reichskommissar zur Festigung deutschen Volkstums“ zeigt, daß nun auch die „Volkstumspolitik“ systematischer vorangetrieben werden sollte. Zur „Ausschaltung des schädigenden Einflusses von solchen volksfremden Bevölkerungsteilen, die eine Gefahr für das Reich und die deutsche Volksgemeinschaft bedeuten“ 61 , war Himmler befugt, sich „der vorhandenen Behörden und Einrichtungen des Reichs“ zu bedienen. Hitler befreite zugleich die ausführenden Institutionen von der Bindung an die Wehrgerichtsbarkeit. Mit diesem Erlaß war die Bedeutung der Wehrmacht endgültig auf ausschließlich militärische Belange reduziert. Die Inhaber der vollziehenden Gewalt in Polen besaßen keine Mittel mehr, um sich gegenüber der SS-Führung und ihren Organen durchzusetzen. Der Bericht eines Wehrkreiskommandos legt Zeugnis über das wachsende Selbstbewußtsein der Einsatzgruppen ab: „Die große Aufbauarbeit […] wird nicht gefördert durch das Eingreifen von SS-Formationen, die mit ‚volkspolitischen Sonderaufträgen‘ eingesetzt, […] in alle Gebiete der Verwaltung eingreifen und einen ‚Staat im Staate‘ zu bilden. […]. Fast in allen größeren Orten fanden durch die erwähnten Organisationen öffentliche Erschießungen statt. Die Auswahl war dabei völlig verschieden und oft unverständlich, die Ausführung vielfach unwürdig.“ 62 Entsprechend läßt sich ab Oktober eine drastische Erhöhung der Exekutionszahlen feststellen. 63 Allein durch das Einsatzkommando 16 wurden etwa 6000 Polen erschossen.64 Inzwischen befanden sich unter den Opfern auch Frauen und Kinder in größerer Zahl, was auf eine Veränderung der Rahmenbedingungen hindeutet. Am 7. und 8. Oktober erfolgte etwa in Schwetz die Erschießung von 83 Polen und Juden. 28 davon waren Frauen, zehn der Opfer Kinder im Alter von zwei bis acht Jahren. 65 Am 14. Oktober fand in Berlin im Reichssicherheitshauptamt die letzte der elf Amtschefbesprechungen statt. In dem Vermerk darüber wurde zum ersten Mal die Formulierung „Liquidierung des führenden Polentums“ 66 in einem offiziellen Dokument verwendet. Die SS-Führung war nun in der Lage, ihre Ziele offensiv zu vertreten. Indem Heydrich den Einsatzgruppen befahl, „daß die Liquidierung des führenden Polentums […] bis zum 1. 11. durchgeführt sein muß“, formulierte er dies nicht wie einen erstmaligen Befehl, sondern implizierte vielmehr die bereits angelaufene Durchführung dieser Anordnung.

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Keitel wagte am 17. Oktober einen letzten Vorstoß, die Position der Militärverwaltung in Polen zu stärken. Als er mit Hitler über die künftige Gestaltung der dortigen Verhältnisse sprach, trug er Brauchitschs Forderung vor, die „Verantwortlichkeit des Oberbefehlshabers des Heeres durch keinerlei an 3. Stellen gegebene Sondervollmachten zu beeinträchtigen“. 67 Vermutlich sprach Keitel auch die illegalen Massenerschießungen an. Denn Hitler erwiderte ihm, ein „harter Volkstumskampf“ gestatte „keine gesetzlichen Bindungen“, und „der polnischen Nation“ würden „nur geringe Lebensmöglichkeiten“ gegeben werden.68 Er erklärte weiter, es müsse verhindert werden, daß sich die „polnische Intelligenz“ als „Führerschicht“ etablieren könne und daß man darum „das alte und neue Reichsgebiet […] von Juden, Polacken u. Gesindel“ zu „säubern“ habe. 69 Dem Ansinnen Keitels, die militärische Autorität zu stärken, entgegnete Hitler mit Bezug auf die Einrichtung der Zivilverwaltung am 1. November nur, die Wehrmacht solle „es begrüßen, wenn sie sich von den Verwaltungsfragen in Polen absetzen kann“. Brauchitsch bat daraufhin um seine Enthebung als Inhaber der vollziehenden Gewalt. Hitler reagierte unmittelbar und gab am 19. Oktober mit Wirkung vom 25. des Monats das Ende der Militärverwaltung bekannt, das ursprünglich erst für den 1. November vorgesehen war. 70 Am 21. Oktober entzog er dem Oberbefehlshaber des Heeres ab 25. des Monats die „Befugnis […] zur Ausübung vollziehender Gewalt in dem gesamten Ostgebiet“. Die militärische Präsenz unter der Führung des Oberbefehlshabers Ost beschränkte sich seit dem 25. Oktober ausschließlich auf Maßnahmen hinsichtlich der Reichsverteidigung. 71 Ab Mitte Oktober waren die Einsatzgruppen letztlich nur noch dem Reichsführer-SS verpflichtet und konnten dessen Aufträge ohne Rücksichten auf andere staatliche Instanzen durchführen. Blaskowitz, der neue Oberbefehlshaber Ost, verfaßte eine Protestschrift, die am 18. November Hitler vorgelegt wurde. Dessen Reaktion war dieselbe wie bei allen vorherigen Beschwerden gegen das sicherheitspolizeiliche Vorgehen in Polen. Er wies die Einwände mit der Begründung ab, in einem Krieg dürfe man keine Schwäche zeigen. 72 Blaskowitz wandte sich daraufhin an Brauchitsch: „Dazu kommt, daß die Truppe es ablehnt, mit den Greuelhandlungen der Sicherheitspolizei identifiziert zu werden […]. Inwieweit sich die Polizei selbst damit abzufinden vermag, daß sie ihre Leute zwangsläufig dem Blutrausch ausliefert, kann von hier nicht beurteilt werden.“ 73 Die Befehlshierarchie und die Machtstrukturen in den besetzten Gebieten waren mit der einhergehenden Schwächung der Militärverwaltung ab Oktober eindeutig zugunsten des „volkstumspolitischen“ Programms Hitlers festgelegt. Im Zuge dieser Entwicklung läßt sich ein Zusammenhang zwischen der Aufweichung der militärischen Autorität und der stetigen Radikalisierung der Einsatzgruppen feststellen. Deshalb kann die Vermeidung von flächendeckenden systematischen Massenerschießungen in den ersten Kriegswochen mit dem angespannten Verhältnis zwischen Wehrmacht und Einsatzgruppen begründet werden und nicht mit einem

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Mangel an eindeutiger Zielsetzung. Die zentrale Planung und Befehlskompetenz lagen dabei eindeutig bei der SS-Führung, die von Hitler unterstützt wurde. 74 Warum das Heer nicht in die Pläne der SS-Führung eingeweiht werden konnte, erklärte Heydrich in einem Aktenvermerk vom 2. Juli 1940. Dort zeigte sich, daß das Vorgehen der Einsatzgruppen in Polen auf einer Tötungsermächtigung von höchster Ebene beruhte, die jedoch mit Rücksicht auf Wehrmachtsstellen nicht bekanntgegeben werden durfte: „Ursache lag jedoch hier darin, daß die Weisungen, nach denen der polizeiliche Einsatz handelte, außerordentlich radikal waren (z. B. Liquidierungsbefehl für zahlreiche polnische Führungskreise, der in die Tausende ging), daß den gesamten führenden Heeresbefehlsstellen und selbstverständlich auch ihren Stabsmitgliedern dieser Befehl nicht mitgeteilt werden konnte, so daß nach außen hin das Handeln der Polizei und SS als willkürliche, brutale Eigenmächtigkeit in Erscheinung trat.“ 75 Am 20. November löste Best die Einsatzgruppen auf. 76 Gleichzeitig wurde die Aufteilung ihrer Angehörigen auf verschiedene Polizeidienststellen innerhalb der eingegliederten Gebiete und des Generalgouvernements bekanntgegeben; die „Zuteilung der SD-Angehörigen“ war „bereits erfolgt“. Das Hauptziel der mobilen Einheiten in Polen, die Oberschicht zu liquidieren, hatte man bis Ende November nahezu erreicht. 77 Die Tätigkeit der stationären polizeilichen Dienststellen sollte sich nun auf die Absonderung und schließlich auf die Beseitigung der jüdischen Bevölkerung konzentrieren.

Anmerkungen 1

OB Ost an OBdH v. 27. 11. 1939, BA-MA, RH 1/v.58. Hitler bei einer Besprechung mit Chef OKW am 17. 10. 1939, in: IMG, Bd. 26, Nürnberg 1947, S. 379. 3 Peter Longerich: Politik der Vernichtung, Eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung, München 1998, S. 243. 4 Helmut Krausnick: Hitlers Einsatzgruppen. Die Truppe des Weltanschauungskrieges 1938–1942, Frankfurt/M. 1985, S. 26. 5 Ulrich Herbert: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903–1989, Bonn 1996, S. 13. 6 Zur Bedeutung Polens für die nationalsozialistische Eroberungspolitik Alexander B. Rossino: Hitler strikes Poland. Blitzkrieg, Ideology, and Atrocity, Kansas City 2003, S. 235; Michael Wildt: Radikalisierung und Selbstradikalisierung. Die Geburt des Reichssicherheitshauptamtes aus dem Geist des völkischen Massenmords, in: Gerhard Paul/Klaus-Michael Mallmann (Hrsg.): Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg. ‚Heimatfront‘ und besetztes Europa, Darmstadt 2000, S. 11–41; Longerich (Anm. 3), S. 250; Christoph Kleßmann (Hrsg.): September 1939. Krieg, Besatzung, Widerstand in Polen, Göttingen 1989, S. 5. 7 Neue Überlegungen zu Auftrag und Funktion der Einsatzgruppen in Polen finden 2

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sich bei Klaus-Michael Mallmann: Menschenjagd und Massenmord. Das neue Instrument der Einsatzgruppen und -kommandos, in: Paul/ders. (Anm. 6), S. 291–299; Dorothee Weitbrecht: Der Exekutionsauftrag der Einsatzgruppen in Polen, Filderstadt 2001; Alexander B. Rossino: Nazi Anti-Jewish Policy During the Polish Campaign: The Case of the Einsatzgruppe von Woyrsch, in: GSR 24(2001), S. 35–53; ders. (Anm. 6), S. 1–28; Michael Wildt: Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2003, S. 485. 8 Vgl. Dorothee Weitbrecht: Die Einsatzgruppen in Polen. Ihre Aufträge und Tätigkeit unter besonderer Berücksichtigung ihrer Funktion als „Exekutionskommandos“, Magisterarbeit Stuttgart 1999, S. 4 f. 9 Krausnicks Arbeit weist aber Schwächen in der Darstellung der Einsatzgruppen vor 1941 auf, siehe Weitbrecht (Anm. 8), S. 5. 10 Vgl. Dieter Pohl: Von der „Judenpolitik“ zum Judenmord. Der Distrikt Lublin des Generalgouvernements 1939–1944, Frankfurt/M. u. a. 1993, S. 22; Michael Wildt: Der Hamburger Gestapochef Bruno Streckenbach. Eine nationalsozialistische Karriere, in: Frank Bajohr/Joachim Szodrzynski (Hrsg.): Hamburg in der NS-Zeit. Ergebnisse neuerer Forschungen, Hamburg 1995, S. 107. 11 Vermerk Sicherheits-HA v. 22. 5. 1939, BA-ZA, ZR 521/9. 12 Richtlinien für den auswärtigen Einsatz der Sicherheitspolizei und des SD (undat./Aug. 1939), BAB, R 58/241. 13 Christian Hartmann/Sergej Slutsch: Franz Halder und die Kriegsvorbereitungen im Frühjahr 1939. Eine Ansprache des Generalstabschefs des Heeres, in: VfZ 45(1997), S. 493. 14 Weitbrecht (Anm. 7), S. 9 f. 15 Vgl. Krausnick (Anm. 4), S. 21. 16 Vgl. Czesław Madajczyk: Die Okkupationspolitik Nazideutschlands in Polen 1939–1945, Köln 1988, S. 19. 17 Wie Anm. 12. 18 Vgl. Weitbrecht (Anm. 7), S. 10 ff. 19 Hans Umbreit: Deutsche Militärverwaltungen 1938/39. Die militärische Besetzung der Tschechoslowakei und Polens, Stuttgart 1977, S. 43. 20 Vern. Lothar Beutel v. 20. 7. 1965, BAL, Dok.Slg.LO Einsatzgruppen in Polen II. 21 Anklage Staw Berlin v. 10. 2. 1972, BAL, ASA 179. 22 Wie Anm. 20. 23 Vern. Lothar Beutel v. 20. 4. 1971, BAL, 415 AR 1310/63/E 16. 24 Vern. Ernst Gerke v. 2. 11. 1966, ebd. 25 BAB, R 58/1082. 26 Wildt (Anm. 7), S. 433. 27 Überliefert in CdO an BdO beim AOK 4 v. 16. 9. 1939, BA-MA, RH 20–4/856. 28 Fernschreiben RFSS an Udo von Woyrsch v. 3. 9. 1939, ebd., RH 24–8/97. 29 AOK 14/O.Qu.: Besondere Anordnungen Nr. 14 v. 12. 9. 1939, ebd., RH 20–14/ 129. 30 Bericht AOK 14/Ic v. 20. 9. 1939, in: ZSL: Einsatzgruppen in Polen, H. 1, Ludwigsburg 1962, S. 90. 31 Helmuth Groscurth: Tagebücher eines Abwehroffiziers 1938–1940, hrsg. v. Helmut Krausnick/Harold C. Deutsch, Stuttgart 1970, S. 209. 32 CdS: Tagesbericht „Unternehmen Tannenberg“ v. 8. 9., 20.00 Uhr bis 9. 9. 1939,

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8.00 Uhr, BAB, R 58/1082; dto. v. 12. 9., 20.00 Uhr bis 13. 9. 1939, 8.00 Uhr, ebd.; dto. v. 10. 9. 1939, ebd. 33 Vgl. BAL, 211 AR-Z 13/63, Bd. 10, Bl. 1908 f. 34 Vgl. Fernschreiben OBdH v. 16. 9. 1939: „Ein solcher Feind ist jeder Niedertracht fähig und verdient keine Schonung“, zit. in: Krausnick (Anm. 4), S. 46. 35 Vgl. Wildt (Anm. 7), S. 438. 36 Befehl AOK 4 v. 7. 9. 1939, BAL, 211 AR-Z 13/63, Bd. 10, Bl. 1974. 37 Äußerung OBdH am 10. 9. 1939, in: Generaloberst Halder. Kriegstagebuch, bearb. v. Hans-Adolf Jacobsen, Bd. 1, Stuttgart 1962, S. 68. 38 OKH/Gen.Qu. an AOK 4 v. 11. 9. 1939, BAL, 211 AR-Z 13/63, Bd. 10, Bl. 1976. 39 OB AOK 4 an OKH/Gen.Qu. v. 11. 9. 1939, ebd., Bl. 1976 f. 40 Vern. Erich Brümmel v. 13. 1. 1967, zit. in: Anklage Staw Berlin v. 10. 2. 1972, BAL, ASA 179. 41 Vermerk über Amtschefbesprechung am 7. 9. 1939, BAB, R 58/825. 42 Groscurth (Anm. 31), S. 201; Krausnick (Anm. 4), S. 51, zit. fälschlicherweise „Polen“ statt „Popen“. 43 Groscurth (Anm. 31), S. 202. 44 Aussage Erwin Lahousen v. 30. 11. 1945, in: IMG, Bd. 2, Nürnberg 1947, S. 492 f. 45 Ebd., S. 493; vgl. Vermerk dess. über Besprechung in Illnau im Führerzug am 12. 9. 1939, BA-MA, N 104/3. 46 Vermerk über Amtschefbesprechung v. 14. 9. 1939: „Dem Führer werden vom Reichsführer Vorschläge unterbreitet“, BAB, R 58/825. 47 Vgl. Vermerk v. 27. 9. 1939 über Amtschefbesprechung am 21. 9., ebd. 48 Wie Anm. 21. 49 Vgl. Tagebucheintrag Wagners v. 19. 9. 1939, in: Elisabeth Wagner (Hrsg.): Der Generalquartiermeister. Briefe und Tagebuchaufzeichnungen des Generalquartiermeisters des Heeres General der Artillerie Eduard Wagner, München-Wien 1963, S. 134. 50 Notiz über Unterredung zwischen OBdH und CdS am 22. 9. 1939, BA-MA, N 104/ 3. 51 Wie Anm. 47. 52 Vern. Lothar Beutel v. 20. 7. 1965, BAL, Dok.Slg.LO Einsatzgruppen in Polen II. 53 Dto. v. 20. 4. 1971, BAL, 415 AR 1310/63/E 16. 54 Dto. Dr. Emanuel Schäfer v. 27. 1. 1967, ebd. 55 Erst gegen Ende der Kriegshandlungen bedienten sich einige Lageberichte, zu denen die Tagesberichte zusammengefaßt wurden, einer offeneren Sprache, siehe Anm. 66. 56 Umbreit (Anm. 19), S. 61. 57 Befehl OBdH v. 21. 9. 1939: Tätigkeit und Aufgaben der Polizei-Einsatzgruppen im Operationsgebiet, BA-MA, RH 20–14/178. 58 Dto. v. 21. 9. 1939: Verordnung zur Ergänzung der Verordnung über Waffenbesitz, in: ZSL: Einsatzgruppen in Polen, H. 1, Ludwigsburg 1962, S. 207; vgl. Weitbrecht (Anm. 7), S. 40 f. 59 Vermerk über Amtschefbesprechung am 3. 10. 1939, BAB, R 58/825. 60 Führererlaß v. 4. 10. 1939, in: ZSL: Einsatzgruppen in Polen, H. 1, Ludwigsburg 1962, S. 221. 61 Dto. zur Festigung deutschen Volkstums v. 7. 10. 1939, BAB, R 49/2.

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WK-Kdo. XXI/Ic an Bfh. des Ersatzheeres v. 23. 11. 1939, BA-MA, N 104/3. Vgl. Auflistung der Exekutionen, Anklage Staw Berlin v. 10. 2. 1972, BAL, ASA

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Ermittlungsvermerk GStaw Berlin v. 10. 12. 1968, BAL, 415 AR 1310/63/E 16. Vgl. Auszüge aus Meldung der Krankentransport-Abt. 3. Komp. 581 (undat./ 1939), BA-MA, N 104/3. 66 Vermerk über Amtschefbesprechung am 14. 10. 1939, BAB, R 58/825; der Kontext, in dem der Begriff „Liquidierung“ in den Lageberichten kurze Zeit später verwendet wird, legt nahe, daß damit jetzt physische Tötung gemeint war: „Die gegen die polnische Intelligenz eingeleitete Aktion ist so gut wie abgeschlossen. Von der polnischen Intelligenz […] sind 250 im Laufe der letzten Wochen liquidiert worden“, Lagebericht EK 16/Bromberg v. 4. 11. 1939, BAB, R 70 Polen/83; „Zur Durchführung […] machen sich nach übereinstimmender Ansicht aller zuständigen Stellen folgende Maßnahmen notwendig: 1. physische Liquidierung aller derjenigen polnischen Elemente, die a) in der Vergangenheit auf polnischer Seite irgendwie führend hervorgetreten sind oder b) in Zukunft Träger eines polnischen Widerstandes sein können. […] Die angeführten Maßnahmen sind von Anfang an in Angriff genommen worden“; Bericht Dr. Rudolf Oebsger-Röder/Bromberg (undat./Ende Okt. 1939), BAL, Dok.Slg. Polen 258; „Die in dem Stadtkreis Bromberg noch vorhandene polnische Intelligenz zieht es teilweise vor, Bromberg zu verlassen, um nach Kongreßpolen auszuwandern. 3 polnische Ärzte wurden in der Berichtswoche liquidiert. Auch in Nakel und Fordon ist die Überprüfung und Liquidierung der polnischen Intelligenz und der Angehörigen des Westmarken-Verbandes restlos durchgeführt“, Lagebericht EK 16/Bromberg v. 17. 11. 1939, BAB, R 70 Polen/83; vgl. Wildt (Anm. 7), S. 476 ff. 67 Notizen Chef OKW v. 17. 10. 1939, in: IMG, Bd. 26, Nürnberg 1947, S. 380. 68 Besprechung des Führers mit Chef OKW am 17. 10. 1939, ebd., S. 378 f. 69 Bericht Chef OKW v. 17. 10. 1939, ebd. S. 381. 70 Führererlaß über Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete v. 8. 10. 1939, RGBl. v. 18. 10. 1939, 1939/I, S. 2042. 71 Dto. über die Überleitung der Verwaltung im GG auf den Generalgouverneur v. 19. 10. 1939, BAB, R 43 II/1340. 72 Tagebucheintrag seines Adjutanten Hauptmann Engel v. 18. 11. 1939, BAL, 211 AR-Z 13/63, Bd. 10, Bl. 1942. 73 Wie Anm. 1. 74 Vgl. Rossino (Anm. 6), S. 30. 75 Vermerk CdS v. 2. 7. 1940, BAB, R 19/395. 76 Erlaß CdS v. 20. 11. 1939, BAB, R 58/241. 77 Vgl. Weitbrecht (Anm. 8), S. 85 f. 65

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„… Mißgeburten, die nicht auf diese Welt gehren“ Die deutsche Ordnungspolizei in Polen 1939–1941 Während der Einsatz von Sicherheitspolizei und SD bereits vor Beginn des Polenfeldzuges feststand, erfolgte das Eingreifen der Ordnungspolizei erst Tage nach Ausbruch der Kampfhandlungen. Dieser improvisierte Entschluß ging originär nicht auf Himmler zurück, sondern entsprang Projektionen der Wehrmacht, in denen sich die historischen Erfahrungen der oberschlesischen Aufstände in den Jahren 1919–1921 1 mit der wachsenden „Freischärler-Psychose“ 2 in den ersten Tagen des Überfalls mischten. „In Oberschlesien sind überall schwere Bandenkämpfe, die nur durch drakonische Maßregeln gebrochen werden können“, notierte Oberst Eduard Wagner, der Stabschef des Generalquartiermeisters im Oberkommando des Heeres, am 3. September 1939 3 , und Generaloberst Franz Halder, der Chef des Generalstabes, präzisierte am selben Tag: „14. Armee braucht Polizei für rückwärtiges Gebiet.“ 4

Polizei im Polenfeldzug Erst nach diesem Hilferuf trat Himmler auf den Plan und ordnete am Abend desselben Tages die Aufstellung einer Einsatzgruppe z.b.V. an, um die auf Galizien zumarschierende 14. Armee zu unterstützen: SS-Obergruppenführer Udo von Woyrsch, der seit 1930 die schlesische SS aufgebaut hatte 5, wurde im Armeebereich zum „Sonderbefehlshaber der Polizei“ ernannt und mit der „radikale[n] Niederwerfung des aufflammenden Polenaufstandes in neu besetzten Teilen Oberschlesiens“ beauftragt. Unterstellt wurden ihm Kommandos der Sicherheitspolizei mit 350 Mann unter Dr. Dr. Otto Rasch, vor allem aber die fünf Polizeibataillone 92 aus Kassel, 81 aus Breslau, 171 aus Wien sowie 62 und 63 aus Münster mit zusammen 2250 Mann. 6 Der Kommandeur dieser Bataillone, die nunmehr als Polizeigruppe 1 firmierten, wurde bereits nach kurzer Zeit durch den bisherigen Leiter der Polizeisportschule Berlin-Spandau, Oberst Karl Brenner, ersetzt. 7 Damit stand ein überzeugter Nationalsozialist, der noch zum SSGruppenführer und Generalleutnant der Polizei avancieren sollte und uns bald schon als Kommandeur des Polizeiregiments Warschau wieder begegnen wird, an der Spitze dieses personenstarken Verbandes. 8 Das Armeeoberkommando 14 honorierte Himmlers rasche Hilfe und wies von Woyrsch als „Aufgabe“ explizit zu: „Vor allem Niederkämpfung und Entwaffnung polnischer Banden, Exekutionen, Verhaftungen in unmittelbarer Zusammenarbeit mit dem Chef der Zivilverwaltung in Krakau und dem Kommandan-

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ten des rückwärtigen Armeegebiets.“ 9 Dieses explosive Zusammentreffen von militärisch entblößten Räumen und radikaler Feindbildprojektion bei gleichzeitig offener Definition der Aufgaben führte bereits in den nächsten Tagen zu verfahrenslosen Massakern an polnischen Insurgenten und wen immer man darunter subsumieren wollte. Da kein „Polenaufstand“ zu entdecken war, stießen von Woyrschs Einheiten rasch nach Nordosten vor, steckten die Synagogen von Kattowitz (Katowice) und Bendsburg (Be˛dzin) in Brand und ermordeten Juden im Raum Tarnów und Przemys´l. „Massenerschießungen, insbesondere von Juden“, notierte Oberstleutnant Lahousen vom Amt Ausland/Abwehr am 20. September nach einem Besuch beim Ic-Offizier der 14. Armee. 10 Daß daran stets auch Angehörige der Ordnungspolizei beteiligt waren, geht aus den Aussagen etlicher Zeugen hervor, die sich an die grüne Uniformfarbe erinnerten. 11 Die Behauptung, es habe sich dabei um „crimes of obedience, not simply actions resulting from a base hatred of Jews“ gehandelt 12 , vermag angesichts der erläuterten Befehlslage wenig zu überzeugen. Brenners Polizeigruppe 1 sollte jedoch lediglich der Vorreiter sein. „Die Schwierigkeiten im rückwärtigen Polen werden immer größer. Abscheuliche Banden- und Franktireurkämpfe, Unsicherheit überall“, befand Wagner am 5. September und wandte sich umgehend an das Hauptamt Ordnungspolizei: „Abends um 21 Uhr noch eine Besprechung mit dem eilig von mir herbeigeholten General von Bomhard, dem Chef von Daluege, wegen Polizeiabstellungen. Sie kratzen noch zusammen, was sie haben, und wir fahren es morgen abend von Hamburg, Münster, München in Eiltransporten an die Ostfront. Bis tief in die Nacht werden bei uns noch die nötigen Befehle bearbeitet.“ 13 Halder war von Wagners Initiative am nächsten Tag sehr angetan. „Polizeiwalze hinter Armeen“, notierte er erfreut. 14 Sukzessive wurden nunmehr fünf weitere Polizeigruppen gebildet und den Armeeoberkommandos bzw. Militärbefehlshabern unterstellt. 15 Ende September befanden sich bereits 21 Polizeibataillone und zwei berittene Abteilungen beim Einsatz in Polen. 16 Am 20. September gestand ihnen Generaloberst Walther von Brauchitsch, der Oberbefehlshaber des Heeres, das Recht zu, auf Regiments- oder Bataillonsebene Polizeistandgerichte einzurichten, deren Urteile ausschließlich vom Reichsführer-SS nachgeprüft werden sollten. 17 Die Autonomie war damit groß, die Befehlslage blieb vage, und die Spielräume wiesen erhebliche Bandbreiten auf. Wie man etwa eine Order zu „Säuberungs- und Befriedungsaktionen“ 18 konkret ausgestaltete, wie man also seine Definitionsmacht vor Ort nutzte, beruhte in beträchtlichem Maße auf mitgebrachten Vorurteilen, auf ethnischen Konstrukten, Stereotypen und Phobien, die die Wahrnehmung bestimmten, die Perzeption der Wirklichkeit steuerten. Zur Verstärkung dieses Reflexes übernahmen die Kommandeure der Ordnungspolizei umgehend Brauchitschs „Merkblatt für das Verhalten des deutschen Soldaten im besetzten Gebiete in Polen“ und machten es zum „Gegenstand eingehender Belehrung“ ihrer Verbände. 19 „Der deutsche Soldat ist in dem befreiten Gebiet

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der Repräsentant des Deutschen Reiches und seiner Macht. Er soll sich als solcher fühlen und entsprechend ausrichten“, hieß es da, und man setzte wie selbstverständlich voraus: „Das Verhalten gegenüber den Juden bedarf für den Soldaten des nationalsozialistischen Reiches keiner besonderen Erwähnung.“ 20 Polen sind Untermenschen, Juden Freiwild, ließ sich dort also mühelos herauslesen. 21 Da die Polizeibataillone während des Feldzuges jedoch nur geringfügige dokumentarische Spuren hinterließen, die Umsetzung der Befehle daher im Regelfall ungeklärt blieb und demzufolge später kaum Aufhänger für justitielle Recherchen lieferte, läßt sich kein quasi flächendeckendes Bild des polizeilichen Verhaltens in diesem Zeitraum zeichnen. Einige Beispiele werfen allerdings bezeichnende Schlaglichter. Bereits am 3. September befahl Himmler seinen Polizeiverbänden: „Polnische Aufständische, die auf frischer Tat oder mit der Waffe ergriffen werden, sind auf der Stelle zu erschießen.“ 22 Als am 5. September „Bandenkämpfe“ in Tschenstochau (Cze˛stochowa) gemeldet wurden, und man daraufhin ein Polizeibataillon in Marsch setzte, hielt Kurt Daluege, der Chef der Ordnungspolizei, fest: „Der Führer des Bataillons hat den Befehl zum schärfsten Durchgreifen und zu Maßnahmen wie im oberschlesischen Industriegebiet: Aufhängen von polnischen Franktireuren an den Laternenpfählen.“ 23 Als die Polizisten dort eintrafen, hatte die Wehrmacht den Widerstand jedoch schon unterdrückt und 99 polnische Zivilisten getötet. 24 Am 7. September schließlich ordnete Daluege an: „Der Reichsführer SS hat fernmündlich befohlen, daß die Exekutionen im besetzten Gebiet durch die Polizei selbst durchgeführt werden sollen, nicht durch die Armee.“ 25 Damit waren beträchtliche Vollmachten zur Legitimation tödlicher Gewalt erteilt. Am 10. September notierte der Ia-Offizier des I. Armee-Korps, das von Ostpreußen aus in Richtung Narew und Bug vorrückte: „Etwa 80 jüdische alte Zivilgefangene werden von den Gendarmen in einer nahe gelegenen Kiesgrube erschossen.“ 26 Als zwei Tage später Wehrmachtsangehörige in Kon´skie 22 Juden töteten, kommentierte dies der Ortskommandant, ein Major der Schutzpolizei, mit der Feststellung, daß „die Juden […] an allem Unglück, das jetzt über die Welt gekommen sei, die Schuld hätten“. 27 Als die Demarkationslinie zum sowjetisch besetzten Ostpolen feststand, beteiligte sich auch die Ordnungspolizei an der Abschiebung von Zehntausenden von Juden über die Grenzflüsse Bug und San nach Osten. 28 Das Standgericht des Dortmunder Polizeibataillons 61 wiederum fällte ab Ende September im Warthegau Todesurteile nach zehnminütiger Verhandlung und exekutierte sie auf den Marktplätzen. 29 Das Polizeibataillon 102 urteilte damals bereits über ‚den Juden‘: „Er ist hündisch unterwürfig, tarnt Ergebenheit, ist und bleibt ein gefährliches Element in Polens Volkskörper. Er muß bei gerechter Behandlung schärfstens überwacht und rücksichtslos mit schwersten Strafen belegt werden, wo nur die geringste Handhabe sich bietet.“ 30 Und zwei Monate später beklagte man dort, daß „die Juden stellenweise ihre

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typische dreiste Art an den Tag zu legen versuchen, was auf ein zu rücksichtsvolles Verhalten einzelner Wehrmachtsformationen zurückzuführen ist“. 31 Am präzisesten sind wir hinsichtlich der Phase des „Feldzuges der 18 Tage“ über Bromberg (Bydgoszcz) informiert. Am 3. September hatten Angehörige der deutschen Minderheit dort auf sich zurückziehende polnische Truppen geschossen. Daraufhin gingen polnische Soldaten und Zivilisten mit Gewalt gegen die vermeintlichen Aufständischen, aber auch gegen die deutsche Zivilbevölkerung vor. 32 Als die Wehrmacht am 5. September die Stadt besetzte, diente dieser „Bromberger Blutsonntag“ 33 als Anlaß brutaler Vergeltung. Polizisten nahmen öffentliche Geiselerschießungen auf dem Marktplatz vor. 34 Generalleutnant Arthur Mülverstedt, der Generalinspekteur der Schutzpolizei in Dalueges Hauptamt, dem das aus Berlin herangeführte Polizeibataillon 6 und die Einsatzgruppe IV der Sicherheitspolizei unterstellt waren 35 , ließ Säuberungsaktionen in den einzelnen Stadtteilen durchführen, bei denen Polen wahllos erschossen wurden. 36 Allein zwischen dem 9. und dem 11. September fielen ihnen 370 Menschen zum Opfer 37 ; die Gesamtzahl der Toten dürfte ein vielfaches betragen haben.38 Das Vorgehen in Bromberg demonstriert zugleich die Bedeutung altgedienter Nationalsozialisten als Befehlsgeber vor Ort: Mülverstedt war der Partei bereits vor 1933 beigetreten, nahm 1939 den Rang eines SS-Brigadeführers ein und wurde von Daluege als „fanatischer Nationalsozialist“ gewürdigt, nachdem er als Kommandeur der SS-Polizei-Division 1941 gefallen war. 39 Chef der 1. Kompanie des Polizeibataillons 6 war damals Hauptmann Hans Gabel, NSDAP-Mitglied seit 1927, Träger des goldenen Parteiabzeichens und 1941/42 Führer der zur Einsatzgruppe D abgeordneten Polizeikompanie. 40 Für beide war Bromberg der Einstieg in den Vernichtungskrieg. Bereits in den ersten Tagen des Einsatzes in Polen traten die Polizeibataillone und bald auch jene 1279 Gendarmen, die Ende September in die eroberten Gebiete abgeordnet wurden41 , in engen Kontakt zu zwei polizeifremden Formationen: zu den SS-Reitstaffeln und zum Selbstschutz. Die SS-Reiter, aus denen 1941 die SS-Kavallerie-Brigade hervorgehen sollte 42, wurden im September 1939 in Berlin als Berittene Abteilung der verstärkten SS-Totenkopfverbände aufgestellt, abteilungsweise auf Polen verteilt und den Befehlshabern der Ordnungspolizei als „Polizeiverstärkung“ zugewiesen. 43 Gemeinsam führte man in der Folgezeit Aktionen zur „Befriedung“ und „Säuberung“ des Landes durch. 44 Zweifellos verstärkte dies die Verbindung zwischen SS und Ordnungspolizei auf der unteren Ebene und erleichterte eine Angleichung der Horizonte. Als wohl noch folgenreicher erwies sich die Beziehung zum Selbstschutz, einer Miliz aus Volksdeutschen, die unmittelbar nach dem Einmarsch von speziell abgeordneten SS-Offizieren aufgezogen wurde. Radikalisiert durch die „Volkstumskämpfe“ der Zwischenkriegszeit und häufig genug nationalsozialistisch infiziert durch die Sozialisation in der Jungdeutschen Partei sammelten sich dort gewalt- und denunziationsbereite Einheimische deutscher Herkunft, die ihre wirklichen und ver-

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meintlichen offenen Rechnungen mit ihren polnischen Nachbarn zu begleichen suchten und dabei seitens der SS jegliche Aufmunterung erhielten. 45 Da der Selbstschutz der Ordnungspolizei als „Hilfspolizei“ unterstellt wurde und ihr zugleich als Rekrutierungsfeld bei Personalaufstockungen diente 46, kam es auch hier zu vielfältigen Kooperationen, die insbesondere die Gendarmerie im neuen Reichsgau Danzig-Westpreußen in Mordaktionen verwickelten 47 . „Daß der Polizeibeamte in den Ostgebieten bedeutend erweiterte Aufgaben zu erfüllen hatte und zu Handlungen herangezogen wurde, die der Polizeibeamte im Altreich nicht kennt, beweisen [sic] die Heranziehung der Polizei zu Exekutionen“, reflektierte dies die Schutzpolizei in der westpreußischen Kreisstadt Konin. 48 Auch hier wird man von Assimilationsprozessen und Radikalisierungsschüben auszugehen haben, zumal „gute Kameradschaft und dienstliche Zusammenarbeit seitens der Offiziere der Ordnungspolizei mit den SS- und Selbstschutzführern“ von ‚oben‘ befohlen wurde. 49

„Volkstumskampf“ und „Flurbereinigung“ Brachte der September 1939 die militärischen Entscheidungen, so wurden im Oktober die Weichen für die politische Beherrschung des eroberten Territoriums gestellt. Mit der 4. Teilung verschwand der polnische Staat erneut von der Landkarte. Während sich die Sowjetunion Ostpolen einverleibte, annektierte das Reich weite Gebiete im Westen und Norden mit dem Ziel beschleunigter Eindeutschung, Entjudung und Entpolonisierung durch die Vertreibung von Einheimischen und die Neuansiedlung von Volksdeutschen. Der verbleibende Rest des Territoriums sollte als Generalgouvernement (GG) eine Art Abladeplatz bilden, um „das alte und neue Reichsgebiet zu säubern von Juden, Polacken und Gesindel“. 50 Völkische „Neuordnung“ und ethnische „Flurbereinigung“ gehörten damit von Anfang an zu den konstitutiven Elementen deutscher Okkupationspolitik. 51 Wegweisend für die Realisierung dieses Programms war die Ernennung des Reichsführers-SS zum Verantwortlichen seiner Durchführung. Als „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums“ oblag ihm nunmehr „die Ausschaltung des schädigenden Einflusses von solchen volksfremden Bevölkerungsteilen, die eine Gefahr für das Reich und die deutsche Volksgemeinschaft bedeuten“. 52 Diese neue Funktion ihres obersten Dienstherrn machte die Ordnungspolizei vollends zum Träger des rassisch begründeten „Volkstumskampfes“, der für sie zur Schule des Vernichtungskrieges werden sollte. Denn diese Politik forcierter Vertreibung wurde als Aufgabe den Höheren SSund Polizeiführern (HSSPF) zugewiesen, Himmlers regionalen Stellvertretern also, die sowohl die Sicherheits- als auch die Ordnungspolizei befehligten. 53 Doch allein schon die Zahl der verfügbaren Männer favorisierte letztere für den unmittelbaren Einsatz vor Ort: Während Gestapo, Kripo und Grenzpolizei 1940 lediglich über 2250 Planstellen im GG verfügten 54 , hatte die Ordnungspolizei damals dort 9132 Mann in mobilen Verbänden sowie 1361 im Einzeldienst der Schutz-

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polizei und Gendarmerie stationiert; hinzu kamen 7 Polizeibataillone mit 3563 Mann in den „neuen Ostprovinzen“ 55 . Angesichts dieser Proportionen ergab sich wie von selbst eine Arbeitsteilung: Die Sicherheitspolizei übernahm die Stabsfunktionen in den Umsiedlungsorganen im besetzten Polen und organisierte gemeinsam mit dem SS-Rasse- und Siedlungshauptamt in diesen Einwanderer- und Umwandererzentralstellen ein System der rassischen Überprüfung und ethnischen „Umvolkung“ 56 , die Ordnungspolizei mit ihren Mannschaften setzte dieses Programm in die Praxis um. Sie wurde in Polen zum Fußvolk der Massendeportation und Völkerverschiebung. 57 Dabei lassen sich mehrere vorbereitende und begleitende Maßnahmen erkennen, die die Durchführung erleichtern sollten: Zum einen verlangte man Freiwilligkeit, lockte zwar mit baldiger Beförderung als Belohnung für den Osteinsatz 58 , verwies aber zugleich auf die Möglichkeit, Versetzungsgesuche einzureichen: „Jedem, der sich den gestellten Anforderungen nicht gewachsen fühlt, steht es frei, um seine Ablösung zu bitten.“ 59 Zum anderen nahm man wenigstens in den Führungspositionen eine gezielte Personalauswahl vor. Zwei Beispiele aus dem Distrikt Radom mögen dies verdeutlichen: Kommandeur der Ordnungspolizei wurde dort im November 1939 der SS-Standartenführer und Oberstleutnant der Schutzpolizei Ferdinand Heske, der 1919 eine antisemitische Buchhandlung in Königsberg aufgemacht hatte, 1923 der NSDAP beigetreten war, ab 1926 in der SA avancierte und 1936 als Major in die Schutzpolizei übertrat. „Mit den Juden und Polen lebte ich fast immer auf Kriegsfuß“, schrieb er über seine Jugend in Westpreußen; „damals schon habe ich die Rassengegensätze deutlich gespürt.“ 60 Ähnliches war auch eine Stufe tiefer zu beobachten: Leiter der Schutzpolizei in der Kreisstadt Kielce wurde 1940 Hauptmann Hans Gaier, der als SA-Obersturmbannführer 1936 zur Polizei gewechselt war und sich in Kielce bald schon als führender Akteur der örtlichen Exzeßtäterszene hervortat.61 Männer dieser Couleur sollten das interne Klima der Dienststellen nachdrücklich prägen. Daneben vergrößerte man die Distanz zur einheimischen Bevölkerung bis hin zur Kontaktsperre und absoluten Segregation: Polnische Familiennamen mußten eingedeutscht werden. 62 Jeder private Verkehr mit Polen, insbesondere der Geschlechtsverkehr mit Polinnen wurde verboten und zog ein Verfahren vor den SS- und Polizeigerichten sowie die Entlassung nach sich. 63 Für den Warthegau kündigte Reichsstatthalter Greiser in diesen Fällen sogar die Einweisung in ein Konzentrationslager an. 64 Darüber hinaus entregelte man faktisch den Schußwaffengebrauch: Umgesiedelte Juden und Polen waren zu töten, falls sie auf Reichsgebiet zurückkehrten. 65 Bei Fluchtversuchen konnte generell ohne weiteres geschossen werden.66 Im Oktober 1940 erteilte SS-Obergruppenführer Krüger, der HSSPF Ost, der Polizei im Kampf gegen „Verbrecherbanden“ sogar „die Ermächtigung, daß dieses Verbrechergesindel und Untermenschentum […] sofort an Ort und Stelle erschossen wird“. 67 In der Praxis ließ sich damit jede Anwendung tödlicher Gewalt legitimieren. Parallel dazu verstärkte man die In-

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tegration der Polizei in die SS durch die Gründung lokaler „SS- und Polizeisportgemeinschaften“ 68 und die Auslage der „SS-Leithefte“ in den Aufenthaltsstuben und Wachräumen der Ordnungspolizei 69 . Dem legitimierenden Diskurs diente auch die verstärkte Belieferung mit der NS-Tagespresse 70 sowie ein vom HSSPF 1940 ausgeschriebener „kultureller Wettbewerb“, den ein Oberwachtmeister bezeichnenderweise mit der Arbeit „Volk im Ghetto“ gewann 71 . Richtlinien für Kameradschaftsabende forderten von den Offizieren fortan, dabei keinen „Klub für sich“ mehr zu bilden, sondern „unter ihren Männern“ zu sitzen 72 ; auch dies erweiterte die Möglichkeiten politisierender Kommunikation innerhalb der Einheiten. Unübersehbar sind auch die Bemühungen zur Intensivierung und Radikalisierung der weltanschaulichen Schulung. 73 Um deren ideologisches Verführungspotential zu steigern, verzichtete man auf abstrakte Belehrung und setzte auf populären Lesestoff. Die speziell für das GG herausgegebenen „Mitteilungsblätter für die weltanschauliche Schulung der Ordnungspolizei“ etwa enthielten Artikel wie „So sind die Juden“, in denen die behaupteten Rasseneigenschaften in der Verpackung erzählter Geschichten erläutert wurden.74 SS-Sturmbannführer Helmuth Koschorke, der Pressereferent im Hauptamt Ordnungspolizei, verfaßte die in hoher Auflage erschienene Broschüre „Polizeireiter in Polen“ im Stil einer Reportage und betonte darin die Gleichwertigkeit der Polizeibataillone im Vergleich zu SS und Wehrmacht. Denn man wußte in den Führungsetagen um die „Befürchtung“ vieler Polizeioffiziere, daß „später eine gewisse Unterbewertung eintreten könnte“. 75 Untermischt war diese Glorifizierung des Kriegseinsatzes der deutschen Polizei mit unverhüllter Vernichtungsmetaphorik. In seinem Schlußkapitel „Polens Blutschuld“ zog Koschorke das Fazit: „Das sind keine Menschen mehr! Das sind Tiere! Aber nein. Man soll den Tieren nicht unrecht tun, denn Tiere sind lange nicht so bestialisch verworfen wie dieses Mörderpack. Das sind nicht Menschen, das sind auch nicht Tiere, nein, das sind irgendwelche Mißgeburten, die nicht auf diese Welt gehören.“ 76 Die Schlußfolgerungen daraus lagen für jeden Leser auf der Hand. Die antipolnischen Ressentiments fanden ihr Ventil in zunehmender Gewalt. Polizisten im Warthegau verprügelten Polen vielfach mit der Reitpeitsche, und trotz Verbots änderte sich daran nichts. 77 „Achtungsverletzungen und Verkehrsverstöße werden meistens auf der Stelle von Uniformträgern durch körperliche Züchtigung geahndet“, hieß es auch noch Anfang 1942. 78 Als in Anin zwei deutsche Soldaten von Kriminellen getötet wurden, erhängten Angehörige des Polizeibataillons 6 den Wirt der Kneipe, in der der Mord geschehen war, vor seinem Lokal und erschossen wahllos 114 Menschen aus dem umliegenden Viertel. 79 Im Durchgangslager Soldau (Działdowo), das Rasch als neuem Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD in Königsberg unterstand, stellte die Ordnungspolizei einen Teil des Wachpersonals und beteiligte sich an den Mißhandlungen und den rund 1000 Exekutionen von Polen im ersten Halbjahr 1940. 80 Zu einem Unternehmen gegen polnische Freischärler im Raum Kon´skie im April 1940, bei

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dem 257 Menschen getötet wurden81 , notierte Generaloberst Johannes Blaskowitz, der Oberbefehlshaber Ost, über das beteiligte Polizeibataillon: „Geschossen wurde auf alles, was sich irgendwie zeigte, auf Frauen und Krähen.“ 82 Und der Vertreter des Auswärtigen Amtes beim Generalgouverneur berichtete gar, daß „in einigen Dörfern […] die ganze männliche Bevölkerung erschossen worden sein“ soll. 83 Auch die bereits im Herbst 1939 einsetzenden Massendeportationen von Juden und Polen aus den annektierten Gebieten waren von Gewalt gekennzeichnet. Einheiten der Ordnungspolizei erschienen in der Regel ohne Vorankündigung im Morgengrauen und erklärten, daß der Besitz in spätestens zwei Stunden zu verlassen sei. Die Opfer durften nur mitnehmen, was sie in der Eile zusammenraffen konnten. Vieh, Maschinen und Möbel mußten grundsätzlich zurückbleiben. 84 Mitgenommen werden durften pro Person 200 Złoty, von Juden nur 50 Złoty. „Bei Juden ist die Anzahl der mitzunehmenden Gegenstände erheblich einzuschränken“, ordnete der HSSPF im Warthegau zudem an. 85 Der Transport – gleichfalls von der Ordnungspolizei begleitet – erfolgte trotz der zeitweilig eisigen Temperaturen in ungeheizten Viehwaggons und erstreckte sich oft über Tage. 86 Erfrorene waren dabei keine Seltenheit. „Am 21. Dezember wurden die Juden auf Befehl restlos ausgewiesen“, berichtete beispielsweise ein Osnabrükker Kommando der Schutzpolizei über die Deportation im wartheländischen Konstantynow. „Die Ausweisung hat nur 3 Stunden in Anspruch genommen. Ein Begleitkommando von 4 Polizeibeamten und 25 Mann vom Selbstschutz brachten den Judenzug an die Gouvernementsgrenze. Auf dem Transport sind viele kleine Kinder erfroren.“ 87 Wer zu flüchten versuchte, mußte mit gezielten Kopfschüssen rechnen. 88 Allein im Warthegau wurden so bis Ende Januar 1941 261 517 Personen ausgesiedelt. 89

Antijüdische Exzesse Betraf diese Politik der „rassischen Flurbereinigung“ gleichermaßen christliche wie jüdische Polen, so lassen sich überdies für das gesamte okkupierte Territorium bereits seit 1939 spezielle Gewaltmaßnahmen gegen Juden feststellen, die weit über dieses Konzept der „Germanisierung“ hinausreichten und nicht mehr als dessen integraler Bestandteil zu verstehen sind. Symptomatisch dafür sind die Notizen, die Blaskowitz für seinen Vortrag bei Brauchitsch im Februar 1940 anfertigte. Sie enthalten 33 Fälle, in denen SS und Polizei ihre Befugnisse grob überschritten hatten. Immerhin 16 von ihnen betrafen die Ordnungspolizei, wobei 9 Vorfälle – also mehr als die Hälfte – gegen Juden gerichtet waren. 90 Beispielhaft für dieses Vorgehen war die Ermordung der jüdischen Einwohnerschaft von Ostrów Mazowiecki am 11. November 1939, die bisher von der Holocaustforschung völlig übersehen wurde, obwohl sie die erste Totalliquidierung einer jüdischen Gemeinde überhaupt war und somit selbst das exzessive Ausmaß des antipolnischen Terrors weit überschritt. 91

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Am 9. November brach in Ostrów, einer Kreisstadt nordöstlich von Warschau, Feuer aus und verbreitete sich rasch, da der Ort fast ausschließlich aus Holzhäusern bestand. Ein NSDAP-Kreisleiter aus Ostpreußen brachte das Gerücht in Umlauf, Juden seien die Brandstifter. 10 jüdische Männer, die mit dem Löschen des Feuers beschäftigt waren, wurden daraufhin von ihm, anderen Amtswaltern, Polizisten und Soldaten mit Stöcken und Hundepeitschen verprügelt. 92 Einen Tag später nahmen Streifen des Königsberger Reserve-Polizeibataillons 11 alle Juden in Ostrów fest. 93 Da das Gefängnis überfüllt war, sperrte man die Männer, Frauen und Kinder jeden Alters in den Eiskeller der örtlichen Brauerei und meldete den Vorfall dem Kommandeur des Polizeiregiments Warschau, Oberst Brenner. 94 Dieser beauftragte seinen Kasinooffizier damit, ein Standgericht durchzuführen und mit einem Zug des Kasseler Polizeibataillons 91 Exekutionen vorzunehmen. Als die Warschauer Polizisten am 11. November in Ostrów eintrafen, fanden sie bereits ausgehobene Massengräber vor. Daraufhin verzichtete man auf jede Rechtsförmigkeit und ersparte sich eine Untersuchung, obwohl es keinerlei Beweis für die Brandstiftung gab. „Die Offiziere haben an jenem Tag nur in meiner Anwesenheit verhandelt“, sagte der damalige Landrat aus. „Hierbei ist nichts geschehen, was den Anschein einer Standgerichtsverhandlung erwecken konnte.“ 95 Insgesamt wurden 364 Menschen getötet – 156 Männer, 208 Frauen und Kinder. 96 Als sich einige Polizisten weigerten, die Babies zu erschießen, da dies kaum die Brandstifter sein könnten97 , erinnerte einer der Offiziere an den Bombenanschlag auf Hitler im Münchener Bürgerbräukeller am 8. November – also drei Tage zuvor – und versicherte, „daß die Hintermänner des Attentats in jüdischen Kreisen zu suchen seien“. 98 Andere Polizisten hatten weniger Skrupel. Einer entriß einen Säugling seiner Mutter, hielt ihn mit ausgestrecktem Arm vor sich und schoß. Der Kopf des Kindes zerplatzte. 99 Für Himmler war das Massaker wichtig genug, um damit bei Hitler zu renommieren. „Erschießung von 380 Juden in Ostro“, stand auf seinem Besprechungszettel am 17. November. 100 Für die beteiligten Polizeibataillone wiederum war der weitere Weg in den Vernichtungskrieg damit vorgezeichnet: 1941/42 war das Polizeibataillon 91 für mehrere Massenerschießungen von Juden und Kriegsgefangenen im Bezirk Białystok verantwortlich. 101 Das Reserve-Polizeibataillon 11 hingegen stellte 1941 das Wachpersonal des Ghettos von Kauen (Kowno/Kaunas) und ermordete Tausende von Juden in Weißrußland. 102 Die erwähnten Vortragsnotizen von Blaskowitz 103 belegen, daß die Liquidierung der Juden von Ostrów eingebettet war in eine Fülle antisemitischer Ausschreitungen durch die Ordnungspolizei: In Kazimierz ließ ein Kompaniechef des Polizeibataillons 102 – er war als 18-jähriger Gymnasiast bereits 1930 der NSDAP beigetreten 104 – jüdische Männer und Frauen vor dem Abrücken „schwerstens mißhandeln, damit, wie er sich selbst ausdrückte, ‚sie uns im guten Andenken behalten‘“. In Parczew nutzten Angehörige dieser Einheit die Suche nach Hamsterwaren zu Plünderungen. In Petrikau (Piotrków) vergewaltigten

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Wachtmeister der Polizeibatterie 182 eine junge Jüdin. In Nasielek sperrten Polizisten 1600 Juden in der Synagoge ein und peitschten sie aus. In Tschenstochau raubte ein Hauptmann des Polizeibataillons 72 für die Wehrmacht bestimmte Lederwaren aus einem jüdischen Geschäft, ließ die Frau des Inhabers als unbequeme Zeugin festnehmen und in der Haft töten; der Mord sei „in einer Art Blutrausch geschehen“, meldete die zuständige Feldkommandantur. 105 Die Tatsache, daß alle Fälle dieser Art keine Befehlstaten waren, beweist nicht nur die eingetretene Verrohung, sondern demonstriert auch, wie sehr private Interessen und Bedürfnisse die offizielle Politik für sich instrumentalisierten. 106 Einen weiteren Schub erhielt antijüdische Gewalt durch die 1940 einsetzende Ghettoisierung. 107 In der Regel wurden die Polizeibataillone bzw. Schutzpolizeidienstabteilungen mit der Bewachung der Zwangswohnbezirke beauftragt. 108 Zugleich erteilte man ihnen umfassende Befugnisse zum Schußwaffengebrauch 109 und belobigte Todesschützen vor der Truppe 110. Wie sehr in dieser Phase bereits die Verstümmelung oder Tötung von Flüchtlingen als Ziel begriffen wurde, demonstriert das Beispiel von Oberstleutnant Joachim Petsch, des neuen Kommandeurs der Schutzpolizei in Warschau. Als er im Januar 1941 seinen Antrittsbesuch bei der Abteilung Umsiedlung beim Distriktsgouverneur machte, erklärte er sogleich sein „Einverständnis, Schritte einzuleiten, daß die Schlupfwinkel in der Grenze des jüdischen Wohnbezirks durch Tretminen besonders zu sichern seien“. 111 Mord war bereits erklärte polizeiliche Absicht, noch bevor das Unternehmen „Barbarossa“ begann.

Kontinuitäten zur „Endlösung“ Wie die Beispiele von Brenner, Gabel und Mülverstedt, das des Polizeibataillons 91 sowie das des Reserve-Polizeibataillons 11 bereits gezeigt haben, war die polnische Erfahrung für sie Grundlage der genozidalen Explosion ab 1941. 112 Diese Kontinuitätslinie kann durchaus als Massenerscheinung angesehen werden. Gerret Korsemann etwa, NSDAP- und SA-Mitglied seit 1926, SS-Brigadeführer und Oberst der Schutzpolizei, befehligte das Polizeiregiment Lublin seit November 1939 113 ; 1941/42 sollte er als HSSPF z.b.V. zahlreiche Judenmassaker in der südlichen Sowjetunion – so in Rowno (Równe) und Charkow – verantworten 114 . Oberst Hermann Franz, Parteimitglied seit 1931 und 1939 Befehlshaber der Ordnungspolizei beim Armeeoberkommando 8, führte 1941 das Polizeiregiment Rußland-Süd.115 Oberstleutnant Max Montua, ab Dezember 1939 Kommandeur der Ordnungspolizei in Krakau, stand 1941 an der Spitze des Polizeiregiments Rußland-Mitte. 116 Major Theodor Stahr, ab 1933 Parteimitglied und seit Februar 1941 Bataillonschef in Zamos´c´, führte beim Judenmassaker in Brest-Litowsk Anfang Juli 1941 das Polizeibataillon 307, das gleichfalls im Distrikt Lublin stationiert gewesen war. 117 Major Ewald Sternagel, NSDAP-Mitglied seit 1932, kommandierte seit Mai 1940 das Reserve-Polizeibataillon 22 in Thorn (Torun´); 1943 sollte er den Einsatzstab von Brigadeführer Jürgen Stroop, des Warschauer SS-

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und Polizeiführers, bei der dortigen Niederschlagung des Aufstandes im Ghetto leiten und dabei mörderische Effizienz unter Beweis stellen. 118 Was für einzelne Polizeioffiziere galt, galt erst recht für einzelne Einheiten. Das Hamburger Reserve-Polizeibataillon 101 etwa hatte ab Mai 1940 fast 37 000 Menschen aus dem Warthegau vertrieben und danach vier Monate lang die Wachmannschaften für das Ghetto in Litzmannstadt (Łódz´) gestellt; dabei „gelang es dem Bataillon in kürzester Zeit, Ausbruchsversuche fast völlig zu unterbinden“. 119 Als es im Sommer 1942 erneut nach Polen beordert wurde, um an der „Endlösung“ im Distrikt Lublin mitzuwirken 120 , bestand es längst nicht mehr aus jenen „ordinary men“, wie Christopher R. Browning annahm 121 . Ähnliches traf auch auf das Leipziger Reserve-Polizeibataillon 41 zu: Bereits im Herbst 1939 und erneut 1941/42 im Warthegau stationiert, wurde es „laufend zu Evakuierungen eingesetzt“; allein bis Januar 1942 vertrieb es fast 25 000 Menschen und stellte daneben die Wachen für das Ghetto von Kutno. 122 Als das Bataillon im April 1943 an der Vernichtung des Warschauer Ghettos teilnahm und auch am 3./4. November dieses Jahres bei der Aktion „Erntefest“ zum Einsatz kam – der Erschießung von 43 000 Juden in Majdanek, Trawniki und Poniatowa –, war man von der inneren Einstellung her bereits bestens darauf vorbereitet. 123 Auch für den Weltanschauungskrieg gegen die Sowjetunion sind die in Polen gesammelten Erfahrungen unübersehbar: Das Kölner Polizeibataillon 309 etwa, seit September 1940 in Radom stationiert und im Unternehmen „Barbarossa“ der Sicherungsdivision 221 unterstellt, trieb bereits am 27. Juni 1941 mindestens 700 Juden in der Synagoge von Białystok zusammen und verbrannte sie dort bei lebendigem Leib. 124 Das Bremer Polizeibataillon 303 wiederum, das im September 1940 nach Jasło kam, war 1941 als Teil des Polizeiregiments Rußland-Süd nach den Worten eines seiner Verwaltungsbeamten „fast ausschließlich zur Judenbekämpfung eingesetzt“, so auch in Babij Jar mit seinen 33 771 ermordeten Menschen. 125 Auch das Wiener Polizeibataillon 314, seit Dezember 1940 im Distrikt Lublin stationiert, wurde 1941 dem Polizeiregiment Rußland-Süd eingegliedert und hinterließ eine Blutspur in der Ukraine, gipfelnd im Judenmassaker von Dnjepropetrowsk mit seinen 15 000 Opfern. 126 Das Chemnitzer Polizeibataillon 304 stellte 1940/41 die Wachmannschaften für das Warschauer Ghetto, ehe es für das Unternehmen „Barbarossa“ zum Polizeiregiment z.b.V. abkommandiert wurde und gleichfalls mordend durch die Ukraine zog; Winniza, Gaisin, Kirowograd und Uman hießen seine Stationen. 127 Das Oranienburger Polizeibataillon 310 schließlich, seit Oktober 1940 in Polen, widmete sich 1942 in Wolhynien (Wołyn´) der Vernichtung ganzer Dörfer im Zuge der „Bandenbekämpfung“ und beteiligte sich an der Liquidierung der Ghettos von Brest-Litowsk und Pin´sk. 128 Für sie alle bedeutete der mehrmonatige Aufenthalt im besetzten Polen, der dem Einsatz in der Sowjetunion vorausging, vor allem eine Schule der Wahrnehmung, in der sich schnell ein neues Wirklichkeitsmodell herausbildete. Erstmals bewegte man sich in einer mehrheitlich außerhalb der imaginierten Volksgemein-

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schaft stehenden Population und ordnete sie mit rassistischem Blick, mit Vorstellungen, die ‚Eigenes‘ und ‚Fremdes‘ entlang ethnischer Grenzen schieden. Die Thesen von der scheinbaren Unausweichlichkeit genetischer Vorgaben, von der behaupteten eigenen Höherwertigkeit und der fremden Minderwertigkeit plausibilisierten die gelebte Dichotomie von Herren- und Untermensch, die Selbstverständlichkeit der rassisch begründeten Ordnung des Alltags. Die Biologisierung des Sozialen machte ‚Rasse‘ zur zentralen Kategorie, zum Subjekt politischen Handelns, ließ den historischen Prozeß als Abfolge von Rassenkämpfen erscheinen. Dynamisiert wurde dieses Erlernen einer Weltanschauung durch die Politik der gewalttätigen Homogenisierung, Vertreibung und Deportation, die die Dissimilierung und Diskriminierung, die rassische Musterung und völkische Umstrukturierung für die Beteiligten gewissermaßen zum Tagesgeschäft machten. Ethnische Säuberung als Beruf bedeutete für alle Polizisten eine permanente Einübung in Erbarmungs- und Mitleidlosigkeit, eine Erziehung des Blicks, eine Verhärtung von Stereotypen und Feindbildern, eine Habitualisierung von Gewalt. In diesem Sinne vollzog sich 1939–1941 im besetzten Polen die Formierung eines Heeres von Rassenkriegern, wurde ein Modell für das Verhalten im „Deutschen Osten“ geschaffen. Längst nicht alle Polizisten hatten 1941 bereits gemordet, doch das Sortieren von Menschen nach vermeintlicher rassischer Wertigkeit war längst in Fleisch und Blut übergegangen. Das Konzept der ethnischen Homogenisierung hatte eine völkische Mobilisierung bewirkt, eine mentale Hierarchisierung der Welt, eine verfestigte Konfiguration von Deutungsbildern. Wer an der Germanisierung der annektierten Gebiete mitgewirkt hatte, der wußte, was die Realisierung der nationalsozialistischen Vision von der „Eroberung des Lebensraums im Osten“ meinte, der wußte, daß dies der erste Schritt hin zur Schaffung jener rassisch homogenen arischen Volksgemeinschaft war, die als gesellschaftssanitäre Utopie die Phantasien beflügelte. Selektion, Ghettoisierung und Deportation gehörten bereits zu den eingeübten Praktiken. An die Suspendierung völkerrechtlicher Normen hatte man sich ebenso gewöhnt wie an rechtsfreie Räume. Rassenideologisch motivierter Terror besaß bereits Tradition. Prinzipielle Grenzen in der Gewaltausübung gegenüber „Fremdvölkischen“ existierten nicht mehr. Gerade für die Ordnungspolizei war Polen so das „Laboratorium der Rassenpolitik“ 129 , die Schule der Shoah, der Auftakt zum Vernichtungskrieg.

Anmerkungen 1 Vgl. Hunt T. Tooley: National Identity and Weimar Germany: Upper Silesia and the Eastern Border, 1918–1922, Lincoln 1997; zu antipolnischen Vorurteilen und Feindbildern Tomasz Szarota: Poland and Poles in German Eyes during World War II, in: PWA 19(1978), S. 229–254; Hubert Orlowski: „Polnische Wirtschaft“. Zum deut-

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schen Polendiskurs der Neuzeit, Wiesbaden 1996; Carsten Roschke: Der umworbene „Urfeind“. Polen in der nationalsozialistischen Propaganda 1934–1939, Marburg 2000. 2 KTB 4. ID/Ia v. 6. 9. 1939, BA-MA, RH 26–4/3; vorzüglich dazu Jochen Böhler: Verbrechen der Wehrmacht in Polen im September 1939, Magisterarbeit Köln 1999, S. 19 ff. 3 Elisabeth Wagner (Hrsg.): Der Generalquartiermeister. Briefe und Tagebuchaufzeichnungen des Generalquartiermeisters des Heeres General der Artillerie Eduard Wagner, München-Wien 1963, S. 123. 4 Generaloberst Halder. Kriegstagebuch, bearb. v. Hans-Adolf Jacobsen, Bd. 1, Stuttgart 1962, S. 57; ebenso OB AOK 14 an die Kdre. v. 1. 10. 1939, BA-MA, RH 53– 23/12. 5 BAB, BDC, SSO Udo von Woyrsch. 6 Fernschreiben RFSS an von Woyrsch v. 3. 9. 1939, BA-MA, RH 24–8/97; vgl. Alexander B. Rossino: Nazi Anti-Jewish Policy During the Polish Campain: The Case of the Einsatzgruppe von Woyrsch, in: GSR 24(2001), S. 35–53; die Behauptung von Dorothee Weitbrecht: Der Exekutionsauftrag der Einsatzgruppen in Polen, Filderstadt 2001, S. 23, dies sei eine Reaktion auf den „Bromberger Blutsonntag“ gewesen, kann keine Plausibilität beanspruchen, da Himmler am 3. September noch nichts von diesen Ereignissen erfahren haben konnte und die Wehrmacht erst am 5. September Bromberg erreichte. 7 Vern. Udo von Woyrsch v. 14. 12.1967, BAL, 205 AR-Z 302/67, Bd. 2, Bl. 233 ff.; Runderlaß RFSS v. 2. 10. 1939, BAB, R 70 Polen/1; die Behauptung von Sybille Steinbacher: „… nichts weiter als Mord“. Der Gestapo-Chef von Auschwitz und die bundesdeutsche Nachkriegsjustiz, in: Norbert Frei/dies./Bernd C. Wagner (Hrsg.): Ausbeutung, Vernichtung, Öffentlichkeit. Neue Studien zur nationalsozialistischen Lagerpolitik, München 2000, S. 271, daß Otto Hellwig „in der Einsatzgruppe z.b.V. als Befehlshaber der Schutzpolizeiabteilung fungierte“, beruht auf freier Erfindung. 8 BAL, Zentralkartei, Karteikarte Karl Brenner; Vern. Wilhelm P. v. 23. 8. 1960, BAL, 211 AR-Z 350/59, Bd. 2, Bl. 390 ff. 9 AOK 14/O.Qu.: Besondere Anordnungen Nr. 14 v. 12. 9. 1939, BA-MA, RH 20–14/ 129. 10 Notiz über Reise Oberstleutnant Lahousen nach Polen 19.–22. 9. 1939, IfZ, Nbg.Dok. PS-3047; ähnlich Helmuth Groscurth: Tagebücher eines Abwehroffiziers 1938–1940, hrsg. v. Helmut Krausnick/Harold C. Deutsch, Stuttgart 1970, S. 209 (Eintrag v. 23. 9. 1939). 11 Aussage Jakub G. v. 21. 1. 1969, BAL, 205 AR-Z 302/67, Bd. 3, Bl. 498 ff.; Wojciech S. v. 12. 6. 1973, ebd., Bl. 552 ff.; Stanislaw F. v. 29. 8. 1977, ebd., Bd. 2, Bl. 480 ff.; Wincenty K. v. 29. 8. 1977, ebd., Bl. 488 ff.; BAL, 205 AR-Z 308/67; KorpsKdo. XVIII/General z.b.V. an Gen.Kdo. XVIII. A.K. v. 28. 9. 1939: Erschießungen ohne gerichtliches Verfahren, BA-MA, RH 19 I/112; CdS: Tagesberichte „Unternehmen Tannenberg“ v. 9. und 10. 9. 1939, BAB, R 58/1082; Hans Umbreit: Deutsche Militärverwaltungen 1938/39. Die militärische Besetzung der Tschechoslowakei und Polens, Stuttgart 1977, S. 167; vgl. Helmut Krausnick: Hitlers Einsatzgruppen. Die Truppe des Weltanschauungskrieges 1938–1942, Frankfurt/M. 1985, S. 41 ff.; Sybille Steinbacher: „Musterstadt“Auschwitz. Germanisierungspolitik und Judenmord in Ostoberschlesien, München 2000, S. 52 ff. 12 Rossino (Anm. 6), S. 46.

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13 Wagner (Anm. 3), S. 127; Vermerk CdO v. 5. 9. 1939, BAB, R 19/334; Adolf von Bomhard war damals Chef des Kommandoamtes und damit faktischer Stabschef des Hauptamtes Ordnungspolizei, vgl. Florian Dierl: Das Hauptamt Ordnungspolizei 1936 bis 1945. Führungsspitze und die Befehlshaber in den Wehrkreisen, in: Alfons Kenkmann/Christoph Spieker (Hrsg.): Im Auftrag. Polizei, Verwaltung und Verantwortung, Essen 2001, S. 159–175. 14 Halder (Anm. 4), S. 62. 15 Runderlaß CdS v. 13. 9. 1939, BAB, R 58/241; Auflistung bei Georg Tessin: Die Stäbe und Truppeneinheiten der Ordnungspolizei, in: Hans-Joachim Neufeldt/Jürgen Huck/ders.: Zur Geschichte der Ordnungspolizei, o. O. o. J. (Koblenz 1957), S. 33. 16 CdO: Der Kräfteeinsatz und der Kriegseinsatz der Ordnungspolizei seit Beginn des Krieges v. 20. 8. 1940, BAB, R 19/97. 17 Halder (Anm. 4), S. 82; vgl. Schnellbrief RFSS v. 17. 10. 1939, BAB, R 58/240; Klaus-Jürgen Müller: Das Heer und Hitler. Armee und nationalsozialistisches Regime 1933–1940, Stuttgart 1969, S. 432 f. 18 XVIII. A.K. an I./PR 3 v. 21. 9. 1939, BAB, Slg. Schumacher 466. 19 BdO beim AOK 8: Sonderbefehl Nr. 1 v. 23. 9. 1939, BAB, R 70 Polen/1. 20 OBdH: Merkblatt für das Verhalten des deutschen Soldaten im besetzten Gebiete in Polen v. 19. 9. 1939, BA-MA, RH 20–8/32. 21 Vgl. Szymon Datner: Crimes committed by the Wehrmacht during the September Campaign and the Period of Military Government (1. Sept. 1939–25. Oct. 1939), in: PWA 3(1962), S. 294–338; Alexander B. Rossino: Destructive Impulses: German Soldiers and the Conquest of Poland, in: HGS 11(1997), S. 351–365; ausführlich dazu der Beitrag von Jochen Böhler in diesem Band. 22 Der Befehl selbst ist nicht erhalten; er wird zit. in CdO an BdO beim AOK 4 v. 16. 9. 1939, BA-MA, RH 20–4/856. 23 Vermerk CdO v. 5. 9. 1939, BAB, R 19/334. 24 Kdr. I./IR 42: Bericht über Tschenstochau (undat./1939), BAL, Dok.Slg. Verschiedenes 301 Cl (O. 171); die Behauptung von Werner Röhr (Hrsg.): Die faschistische Okkupationspolitik in Polen (1939–1945), Köln 1989, S. 347, wonach Wehrmacht und Polizei dort am 4. September „ca. 300“ Menschen erschossen hätten, ist falsch. 25 Vermerk CdO v. 7. 9. 1939, BAB, BDC, SSO Kurt Daluege. 26 KTB I. A.K./Ia v. 10. 9. 1939, BA-MA, RH 24–1/1. 27 Urteile und Begründungen des Gerichts der 10. Armee v. 14. und 16. 9. 1939, ebd., RH 19 I/112; vgl. Alexander B. Rossino: Hitler strikes Poland. Blitzkrieg, Ideology, and Atrocity, Kansas City 2003, S. 186 ff. 28 Vern. Bruno Streckenbach v. 16. 6. 1961, BAL, 208 AR-Z 52/60, Bd. 3, Bl. 471 ff. 29 BdO beim Chef der Zivilverwaltung beim Militär-Bfh. Posen v. 19. 10. 1939, BAL, Dok.Slg. Verschiedenes 301 Bt (O. 153); vgl. BAL, 203 AR-Z 166/78; Stefan Klemp: Freispruch für das „Mord-Bataillon“. Die NS-Ordnungspolizei und die Nachkriegsjustiz, Münster 1998, S. 31 ff. 30 Lagebericht PB 102/2 v. 15. 10. 1939, BAL, Dok.Slg. Polen 365 A 10. 31 Dto. PB 102 v. 14. 12. 1939, ebd. 32 Vgl. die von der Wehrmacht-Untersuchungsstelle gesammelten Zeugenaussagen von Volksdeutschen dazu, BA-MA, RW 2/v. 51. 33 Vgl. Günter Schubert: Das Unternehmen „Bromberger Blutsonntag“. Tod einer Legende, Köln 1989; Włodzimierz Jastrze˛bski: Der Bromberger Blutsonntag. Legende

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und Wirklichkeit, Poznan´ 1990; ders.: Die deutsche Minderheit im September 1939 in Polen, in Sonderheit in Bromberg, in: Beiträge zur Geschichte Westpreußens 18(2002), S. 155–163; kontrovers dazu Hugo Rasmus: Zur Bewertung der September-Ereignisse 1939 in Polen, besonders in Bromberg, in: ebd., S. 165–186. 34 Vern. Heinz B. v. 6. 12. 1961, BAL, 203 AR-Z 313/59, Bd. 1, Bl. 276 ff.; Ernst B. v. 28. 2. 1962, ebd., Bd. 2, Bl. 355 f. 35 Korück 580: Befehl an Kdre. v. 9. 9. 1939, BA-MA, RH 23/167. 36 Einsatzkommando im Polenfeldzug. Von SS-Sturmbannführer und RR Bischoff (1939), in: Tadeusz Esman/ Włodzimierz Jastrze˛bski (Hrsg.): Pierwsze miesiace okupacji hitlerowskiej w Bydgoszczy, Bydgoszcz 1967, S. 112–120; Hauptmann der Schutzpolizei Friedrich Klocke an Stadtbaurat Froese/Bromberg v. 23. 7. und 2. 10. 1942, ebd., S. 128–134; Vern. Erich M. v. 30. 11. 1964, BAL, 211 AR-Z 13/63, Bd. 1, Bl. 113 ff.; vgl. Rossino (Anm. 27), S. 64 ff.; daß Krausnick (Anm. 11), S. 45, dies als „Repressalien“ bezeichnet und reiner Willkür so einen völkerrechtskonformen Anstrich verleiht, muß als abwegige Interpretation zurückgewiesen werden. 37 Korück 580: Lage am 11. 9. 1939, BA-MA, RH 23/167. 38 Szymon Datner: 55 dni Wehrmachtu w Polsce. Zbrodnie dokonane na polskiej ludnosacutesci cwilnej w okresie 1. 9.–25. 10. 1939 r, Warszawa 1967, S. 114 ff., gibt 2177 Exekutionen bis 10. September an. 39 Ansprache CdO bei der Ehrenfeier für Mülverstedt am 21. 8. 1941, BAB, R 19/ 382. 40 Vern. Hans Gabel v. 13. 3. 1967, BAL, 211 AR-Z 13/63, Bd. 7, Bl. 1457 ff.; BAL, 213 AR 1897/66; Namentliche Übersicht der Alt-Pg. vor 1932 (ohne 1932) der Offiziere der Schutzpolizei und Gendarmerie v. 27. 3. 1942, BAL, Dok.Slg. Verschiedenes 301 dd (O. 56); vgl. Andrej Angrick: Besatzungspolitik und Massenmord. Die Einsatzgruppe D in der südlichen Sowjetunion 1941–1943, Hamburg 2003, S. 395 f. 41 Erlaß RFSS v. 20. 9. 1939, BAB, R 19/304. 42 Vgl. Klaus-Michael Mallmann/Volker Rieß/Wolfram Pyta (Hrsg.): Deutscher Osten 1939–1945. Der Weltanschauungskrieg in Photos und Texten, Darmstadt 2003, S. 143 ff.; vgl. Beitrag von Martin Cüppers in diesem Band. 43 Erfahrungsbericht Berittene Abt. der verstärkten SS-Totenkopfverbände (undat./Nov. 1939), BA-MA, RS 4/60. 44 Etwa BdO beim AOK 8: Sonderbefehle Nr. 5 und 6 v. 8. und 11. 10. 1939, BAB, R 70 Polen/1. 45 Eva Seeber: Der Anteil der Minderheitsorganisation „Selbstschutz“ an den faschistischen Vernichtungsaktionen im Herbst und Winter 1939 in Polen, in: Jahrbuch für Geschichte der sozialistischen Länder Europas 13(1969), H. 2, S. 3–34; Christian Jansen/Arno Weckbecker: Der „Volksdeutsche Selbstschutz“ in Polen 1939/40, München 1992; zur Vorgeschichte Richard Blanke: Orphans of Versailles. The Germans in Western Poland 1918–1939, Lexington 1993; Albert S. Kotowski: Polens Politik gegenüber seiner deutschen Minderheit 1919–1939, Wiesbaden 1998; Beate Kosmala: Juden und Deutsche im polnischen Haus. Tomaszów Mazowiecki 1914–1939, Berlin 2001. 46 Erlaß RFSS v. 26. 9. 1939, BAB, R 19/311; RFSS: Vorläufige Richtlinien für die Organisation des Selbstschutzes in Polen v. 7. 10. 1939, BAB, R 19/304; BdO beim Chef der Zivilverwaltung beim Militär-Bfh. Posen: Besprechung beim HSSPF v. 19. 12. 1939, BAB, R 70 Polen/187. 47 Etwa Selbstschutz Westpreußen an CdO v. 7. 10. 1939, BAB, Slg. Schumacher 457;

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Urteil LG Gießen v. 27. 4. 1959, BAL, SA 72; Vern. Dr. Hans K. v. 26. 8. 1968, BAL, 415 AR 1310/63/E 16; Robert K. v. 26. 7. 1968, ebd. 48 Schutzpolizeidienstabt./Konin an Stabsoffizier der Schutzpolizei beim RP/Hohensalza v. 5. 7. 1940, BAL, Dok.Slg. Polen 365 A 16. 49 BdO GG: Zusammenarbeit der Angehörigen der Ordnungspolizei mit den SSund Selbstschutzführern v. 16. 12. 1939, ebd. Polen 365 A 10. 50 Chef OKW an Wagner v. 17. 10. 1939, in: IMG, Bd. 26, Nürnberg 1947, S. 381; vgl. Halder (Anm. 4), S. 107. 51 Vgl. Martin Broszat: Nationalsozialistische Polenpolitik 1939–1945, Stuttgart 1961, S. 9 ff.; Gerhard Eisenblätter: Grundlinien der Politik des Reichs gegenüber dem Generalgouvernement, 1939–1945, Diss. Frankfurt/M. 1969, S. 66 ff.; Richard C. Lukas: The Forgotten Holocaust. The Poles under German Occupation 1939–1944, Lexington 1986, S. 17 ff.; Czesław Madajczyk: Die Okkupationspolitik Nazideutschlands in Polen 1939–1945, Köln 1988, S. 30 ff. 52 Führererlaß zur Festigung deutschen Volkstums v. 7. 10. 1939, BAB, R 49/2; vgl. Robert Lewis Koehl: RKFDV: German Resettlement and Population Policy 1939– 1945. A History of the Reich Commission for the Strengthening of Germandom, Cambridge/Mass. 1957; Richard Breitman: Der Architekt der „Endlösung“: Himmler und die Vernichtung der europäischen Juden, Paderborn u. a. 1996, S. 103 ff. 53 RFSS als RKFDV: Anordnung 1/II v. 30. 10. 1939, BAB, R 75/3 b; RFSS: Führerorganisation der Polizei im GG v. 1. 11. 1939, BAB, R 58/241. 54 RSHA an RMF v. 11. 3. 1940, BAB, R 2/12138. 55 Wie Anm. 16; vgl. Edward B. Westermann: „Friend and Helper“: German Uniformed Police Operations in Poland and the General Government, 1939–1941, in: The Journal of Military History 58(1994), S. 643–661. 56 RFSS als RKFDV: Erste Anordnung (undat./Okt. 1939), BAB, R 49/2; vgl. Götz Aly: „Endlösung“. Völkerverschiebung und der Mord an den europäischen Juden, Frankfurt/M. 1995; Isabel Heinemann: „Rasse, Siedlung, deutsches Blut“. Das Rasseund Siedlungshauptamt der SS und die rassenpolitische Neuordnung Europas, Göttingen 2003, S. 187 ff.; unverzichtbar als Quellenedition Szymon Datner/Janusz Gumkowski/Kazimierz Leszczyn´ski: Wysiedlanie ludnos´ci z ziem polskich wcielonych do rzeszy, Warszawa 1960. 57 HSSPF Posen: Erfahrungsbericht über die Umsiedlung von Polen und Juden aus dem Reichsgau Wartheland v. 26. 1. 1940, BAB, R 75/3 b. 58 Schnellbrief RFSS v. 10. 6. 1940, BAB, R 19/314. 59 Kdr.-Besprechung beim BdO Posen am 15. 1. 1940, BAL, Dok.Slg. Polen 365 r. 60 Lebenslauf (undat.), BAB, BDC, SSO Ferdinand Heske. 61 Vgl. Jacek Andrzej Młynarczyk: Hans Gaier – ein Polizeihauptmann im Generalgouvernement, in: Klaus-Michael Mallmann/Gerhard Paul (Hrsg.): Karrieren der Gewalt. Nationalsozialistische Täterbiographien, Darmstadt 2004, S. 86–94. 62 Erlaß CdS v. 18. 3. 1940, BAB, R 58/261. 63 BdO Posen: Tagesanordnung Nr. 37 v. 9. 5. 1940, BAB, R 70 Polen/187. 64 Reichsstatthalter Posen: Umgang der deutschen Bevölkerung des Reichsgaues Wartheland mit Polen v. 25. 9. 1940, BAL, Dok.Slg. Polen 365 q. 65 Runderlaß Stapo-Leitstelle Posen v. 19. 12. 1939, ebd. Verschiedenes 301 AAx (O. 131). 66 Offiziersbesprechung PB 314 am 23. 12. 1940, ebd. Polen 365 A 9.

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HSSPF Ost an BdS Krakau v. 30. 10. 1940, ebd. Polen 365 b. PR Lublin: Regimentsbefehl Nr. 29 (undat./Okt. 1940), ebd. Polen 365 A 10. 69 BdO GG: Tagesbefehl Nr. 46 v. 12. 9. 1941, ebd. Verschiedenes 301 Dn (O. 198). 70 Erlaß RFSS v. 17. 6. 1940, BAB, R 20/25. 71 PR Lublin: Regimentsbefehl Nr. 17 v. 17. 7. 1940, BAL, Dok.Slg. Verschiedenes 301 Dn (O. 198). 72 RFSS: Richtlinien für Kameradschaftsabende v. 22. 2. 1941, BAB, R 20/25. 73 Vgl. Jürgen Matthäus: „Warum wird über das Judentum geschult?“. Die ideologische Vorbereitung der deutschen Polizei auf den Holocaust, in: Gerhard Paul/KlausMichael Mallmann (Hrsg.): Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg. ‚Heimatfront‘ und besetztes Europa, Darmstadt 2000, S. 100–124; ders.: Die „Judenfrage“ als Schulungsthema von SS und Polizei. „Inneres Erlebnis“ und Handlungslegitimation, in: ders./ Konrad Kwiet/Jürgen Förster/Richard Breitman: Ausbildungsziel Judenmord? „Weltanschauliche Erziehung“ von SS, Polizei und Waffen-SS im Rahmen der „Endlösung“, Frankfurt/M. 2003, S. 35–86. 74 Mitteilungen für die weltanschauliche Schulung der Ordnungspolizei, hrsg. v. BdO GG, Folge 11 v. 20. 10. 1941, BAL, Dok.Slg. Polen 365 m. 75 RPB 41 an BdO Posen v. 29. 1. 1942, BAB, R 20/88; Beispiele dafür in R 20/35, 36 und 37. 76 Helmuth Koschorke: Polizeireiter in Polen, Berlin-Leipzig 1940, S. 58; ähnlich ders.: Polizei greift ein! Kriegsberichte aus Ost, West und Nord, Berlin 1941; vgl. Vern. Helmuth Koschorke v. 22. 10. 1964, BAL, 415 AR 1310/63-P; Thomas Köhler: Anstiftung zu Versklavung und Völkermord – „Weltanschauliche Schulung“ durch Literatur. Lesestoff für Polizeibeamte während des „Dritten Reichs“, in: Kenkmann/Spieker (Anm. 13), S. 130–157. 77 HSSPF Posen: Tagesanordnung v. 19. 12. 1939, BAB, R 70 Polen/187. 78 SS- und Polizeigericht VI/Krakau an Richter beim RFSS v. 19. 2. 1942, BAB, BDC, SSO Dr. Konrad Morgen. 79 Vortragsnotizen OB Ost v. 6. 2. 1940, BA-MA, RH 53–23/23. 80 CdS IV C 4 b an Richter beim RFSS v. Februar 1943, BAB, BDC, SSO Dr. Dr. Otto Rasch; die bei Peter Longerich: Politik der Vernichtung. Eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung, München-Zürich 1998, S. 247, genannte Zahl von 12 000 Opfern ist deutlich überhöht und findet in der von ihm genannten Quelle keine Stütze. 81 Lagebericht CdO v. 15. 5. 1940, BA-MA, RH 53–23/25; vgl. BAL, 206 AR-Z 70/66. 82 OB Ost an OBdH v. 9. 4. 1940, BA-MA, RH 1/v. 58. 83 Gesandter von Wühlisch an AA v. 15. 4. 1940, IfZ, Nbg.Dok. NG-5421. 84 Eidesstattliche Erklärung Hermann Krumey v. 30. 9. 1947, ebd. NO-5364. 85 Merkblatt HSSPF Posen v. 22. 11. 1939, BAB, R 70 Polen/198; vgl. Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden, Bd. 1, Frankfurt/M. 1990, S. 215 ff.; Christopher R. Browning: Die nationalsozialistische Umsiedlungspolitik und die Suche nach einer „Lösung der Judenfrage“ 1939–1941, in: ders.: Der Weg zur „Endlösung“. Entscheidungen und Täter, Bonn 1998, S. 13–36; ders.: Die Entfesselung der „Endlösung“. Nationalsozialistische Judenpolitik 1939–1942, München 2003, S. 65 ff. 86 Bericht RR Gschliesser/Krakau v. 29. 12. 1939, abgedr. in: Josef Wulf: Lodz. Das letzte Ghetto auf polnischem Boden, Bonn 1962, S. 11; weitere Berichte dieser Art BAB, R 43 II/1411 a. 68

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87 Tät.Ber. vom Einsatz in Polen, Anlage 7 (undat./1940), Staatsarchiv Osnabrück, Dep. 3 b XIX, Nr. 1; für die Kopie danke ich Martin Hölzl M.A. (Münster). 88 Bericht 19. Pol.-Revier/Litzmannstadt v. 15. 7. 1940, BAL, Dok.Slg. Polen 365 A 8. 89 Abschlußbericht über die Aussiedlungen im Rahmen der Ansetzungen der Bessarabiendeutschen (3. Nahplan) vom 20. 1. 1941–20. 1. 1942 im Reichsgau Wartheland, BAB, R 75/8. 90 Wie Anm. 79. 91 Urteil LG Gießen v. 3. 12. 1963, BAL, SA 112. 92 OB Ost an OBdH v. 7. 12. 1939, BAL, Dok.Slg. Verschiedenes 301 Bt (O. 153). 93 Höheres Kdo. z.b.V. XXXV/Ic/AO an OB Ost v. 15. 11. 1939, BA-MA, RH 20–18/ 14. 94 Vern. Hans-Joachim T. v. 14. 2. 1962, BAL, 211 AR-Z 350/59, Bd. 4, Bl. 756 ff.; Anklage OStaw Wiesbaden v. 27. 12. 1961, BAL, SA 112. 95 Vern. Heinrich von B. v. 28. 9. 1961, BAL, 211 AR-Z 350/59, Bd. 3, Bl. 570 ff. 96 OB Ost an Generalgouverneur v. 7. 12. 1939, BAL, Dok.Slg. Verschiedenes 301 Bt (O. 153). 97 Vern. Rudolf D. v. 5. 4. 1961, BAL, 211 AR-Z 350/59, Bd. 3, Bl. 531 ff. 98 Dto. Otto F. v. 22. 2. 1960, ebd., Bd. 1, Bl. 140 ff. 99 Dto. Theodor P. v. 28. 9. 1961, ebd., Bd. 3, Bl. 550 ff. 100 Besprechungsnotiz RFSS v. 17. 11. 1939, BAB, NS 19/1447. 101 BAL, 205 AR 512/63; Urteil LG Düsseldorf v. 24.1. 1973, BAL, SA 450. 102 BAL, 202 AR-Z 262/59; Urteil LG Kassel v. 9. 1. 1963, BAL, SA 119; vgl. Hannes Heer: Gustav Freiherr von Mauchenheim, genannt Bechtolsheim – ein Wehrmachtsgeneral als Organisator des Holocaust, in: Mallmann/Paul (Anm. 61), S. 33–46. 103 Wie Anm. 79. 104 Lebenslauf v. 22. 11. 1938, BAB, BDC, RuSHA Heinz Altendorf. 105 FK 512 an OFK 587 v. 28. 1. 1940, BAL, Dok.Slg. Verschiedenes 301 Dn (O. 198). 106 Vgl. Klaus-Michael Mallmann: „Mensch, ich feiere heut’ den tausendsten Genickschuß“. Die Sicherheitspolizei und die Shoah in Westgalizien, in: Gerhard Paul (Hrsg.): Die Täter der Shoah. Fanatische Nationalsozialisten oder ganz normale Deutsche?, Göttingen 2002, S. 109–136. 107 Vgl. Hilberg (Anm. 85), S. 225 ff.; Christopher R. Browning: Die nationalsozialistische Ghettoisierungspolitik in Polen 1939–1941, in: ders.: Weg (Anm. 85), S. 37–65; ders.: Entfesselung (Anm. 85), S. 173 ff. 108 Lagebericht CdO v. 15. 6. 1940, BA-MA, RH 53–23/25. 109 Kdo. der Schutzpolizei/Litzmannstadt: Sonderbefehl v. 11. 4. 1941, als Faksimile in: Hanno Loewy/Gerhard Schoenberner (Red.): „Unser einziger Weg ist Arbeit“. Das Getto in Łódz˙ 1940–1944, Wien 1990, S. 155. 110 BdO Posen: Tagesanordnung v. 27. 6. 1941, BAB, R 70 Polen/187. 111 Vermerk Abt. Umsiedlung/Warschau v. 14. 1. 1941, BAL, Dok.Slg. Polen 365 d. 112 Vgl. Jürgen Matthäus: What About the „Ordinary Men“? The German Order Police and the Holocaust in the Occupied Soviet Union, in: HGS 10(1996), S. 134– 150; Klaus-Michael Mallmann: Vom Fußvolk der „Endlösung“. Ordnungspolizei, Ostkrieg und Judenmord, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 26(1997), S. 355–391. 113 Namentliche Übersicht (Anm. 40); BAB, BDC, SSO Gerret Korsemann; Korsemann an CdO v. 5. 3. 1940, BAB, R 19/405; vgl. Angrick (Anm. 40), S. 566 ff.

„… Mißgeburten, die nicht auf diese Welt gehören“

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114 Dieter Pohl: Schauplatz Ukraine: Der Massenmord an den Juden im Militärverwaltungsgebiet und im Reichskommissariat 1941–1943, in: Frei/Steinbacher/Wagner (Anm. 7), S. 147 f., 154. 115 Namentliche Übersicht (Anm. 40); BAL, 204 AR-Z 1251/65. 116 Vorschlagsliste BdO GG für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes v. 2. 12. 1940, BAL, Dok.Slg. Polen 258; BAB, BDC, SSO Max Montua; vgl. Mallmann/ Rieß/Pyta (Anm. 42), S. 136 ff. 117 Personalheft Theodor Stahr, BAB, R 19/680; BAL, 204 AR-Z 82/61; BStU, RHE 46/76 SU; vgl. Klaus-Michael Mallmann: Der Einstieg in den Genozid. Das Lübecker Polizeibataillon 307 und das Massaker in Brest-Litowsk Anfang Juli 1941, in: Archiv für Polizeigeschichte 10(1999), S. 82–88. 118 Personalheft Ewald Sternagel, BAB, R 19/689; Vern. Jürgen Stroop v. 7. 9. 1946, BAB, R 70 Polen/139; BAL, 211 AR 739/72; vgl. Mallmann/Rieß/Pyta (Anm. 42), S. 117 ff. 119 Bericht RPB 101 v. 4. 4. 1941, BAB, R 20/51. 120 Befehl Kdo. der Schutzpolizei/Hamburg v. 20. 6. 1942, BAL, Dok.Slg. Verschiedenes XII; BAL, 208 AR-Z 27/62; Urteil LG Hamburg v. 8. 4. 1968, BAL, SA 245. 121 Christopher R. Browning: Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen, Reinbek 1993; vgl. Daniel Jonah Goldhagen: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, Berlin 1996, S. 243 ff. 122 RPB 41 an BdO Posen v. 29. 1. 1942, BAB, R 20/88. 123 BAL, 208 AR-Z 23/63. 124 BAL, 205 AR-Z 20/60; Urteile LG Wuppertal v. 12. 3. 1968 und 24. 5. 1973, BAL, SA 214; vgl. Mallmann/Rieß/Pyta (Anm. 42), S. 70 ff. 125 Vern. Otto S. v. 4. 10. 1961, BAL, 204 AR-Z 269/60, Bd. 2, Bl. 266 ff.; vgl. Urteil LG Darmstadt v. 29. 11. 1968, BAL, SA 392; Eberhard Jäckel/Peter Longerich/Julius H. Schoeps (Hrsg.): Enzyklopädie des Holocaust, Bd. 1, München-Zürich 1995, S. 144, geben dafür fälschlicherweise das PB 305 an. 126 BAL, 204 AR-Z 4/65; 204 AR-Z 1251/65; Urteil LG Wiesbaden v. 23. 2. 1968, BAL, SA 253; dto. LG Traunstein v. 26. 5. 1982, BAL, SA 598; Jäckel/Longerich/Schoeps (Anm. 125), Bd. 1, S. 356, machen fälschlicherweise hauptsächlich das EK 6 für das Massaker von Dnjepropetrowsk verantwortlich. 127 BAL, 204 AR-Z 140/67; 204 AR-Z 561/67; Urteile Bezirksgericht Halle v. 29. 8. 1975, 26. 10. 1978 und 2. 10. 1981, BStU, ZUV 53, 56, 65. 128 BAL, 204 AR-Z 334/59; 204 AR-Z 392/59; 204 AR-Z 393/59; 204 AR-Z 12/61; Urteil LG Lübeck v. 28. 6. 1972, BAL, SA 444; dto. LG Frankfurt/M. v. 6. 2. 1973, BAL, SA 447; dto. LG Kiel v. 24. 6. 1977, BAL, SA 175; vgl. Edward B. Westermann: „Ordinary Men“ or „Ideological Soldiers“? Police Battalion 310 in Russia, 1942, in: GSR 21(1998), S. 41–68. 129 Browning: Entfesselung (Anm. 85), S. 30.

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„… auf eine so saubere und anstndige SS-mßige Art“ Die Waffen-SS in Polen 1939–1941* Am Abend des 16. November 1940 verließ der in Lublin stationierte SS-Hauptscharführer August Hennemann das Quartier seiner Einheit, der 6. Kompanie des 2. SS-Totenkopf-Reiterregiments. Hennemann hatte Durst; ihn zog es in eine Lubliner Kneipe, obwohl eigentlich zwei Gründe den Wirtshausbesuch von vornherein verboten hätten. Zum einen existierte seit geraumer Zeit ein Regimentsbefehl, der den SS-Reitern den Besuch polnischer Gaststätten untersagte. Des weiteren war August Hennemann an diesem Abend als Führer vom Dienst eingeteilt, was seine generelle Anwesenheit im Kompaniequartier zwingend erforderte. An diesem Abend setzte der 45-jährige Hennemann jedoch persönliche Prioritäten, pfiff auf Regimentsbefehl und Wachdienst und zog los, Richtung Lubliner Innenstadt. Bei seinem Gang in die Kneipe nahm sich der SS-Unterführer immerhin noch so wichtig, daß er ohne ersichtlichen Grund die Ausweispapiere einiger polnischer Passanten kontrollierte. Dann verschwand der SS-Unteroffizier in einem der auf dem Weg liegenden Wirtshäuser. In der Kneipe trank er einige Schnäpse und lud auch eine im Schankraum anwesende Polin zu einem Gläschen ein, mit der sich allerdings kein näherer Kontakt ergab. Deutlich alkoholisiert verließ Hennemann nach einer guten Stunde die Kneipe, um noch eine Runde durch die Innenstadt zu drehen. Wieder kontrollierte der betrunkene Waffen-SS’ler auf dem weiteren Weg die Papiere mehrerer Polen. In der durch die Straßenlaternen nur schwach beleuchteten Narutowicza-Straße schoß Hennemann schließlich völlig grundlos auf die 49-jährige Polin Karolina Józefa Golisowicz, die wenig später auf offener Straße an ihrer Schußverletzung verblutete. Dem nach der Tat herbeigeeilten Gerichtsoffizier der SS-Kavallerie beichtete Hennemann nach anfänglichem Leugnen, daß er betrunken sei. Als Grund für die Schußabgabe gab der SS-Unterführer an, daß er aufgrund des ausgiebigen Alkoholkonsums fälschlicherweise der Meinung gewesen sei, sich noch im Lubliner Judenviertel zu befinden. Dort hatte er von morgens 4.00 Uhr bis 18.00 Uhr abends an einem Einsatz seiner Einheit gegen die Juden der Stadt teilgenommen. 1 Der geschilderte Fall beleuchtet zweierlei. Erstens wirft der Hergang des Verbrechens ein bezeichnendes Licht auf die in Polen unter deutscher Besatzung herrschenden Lebensbedingungen. Von persönlichen Allmachtsphantasien und den rassischen Kategorien des Nationalsozialismus getrieben, traten Deutsche

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selbst in ganz alltäglichen Situationen als absolute Herrenmenschen, als Herren über Leben und Tod auf. Der (verbotene) Besuch einer polnischen Kneipe oder die (verbotene) Anmache einer Polin galten als kleine persönliche Freiheiten, die man sich bei der Bewältigung des Alltags eben gönnte. Ganz generell war die polnische Bevölkerung jedoch dem rassistischen Terror der Deutschen ausgesetzt, eine Exzeßtat wie die beschriebene Tötung einer Polin stellte keine Seltenheit dar und ergänzte die ohnehin schon brutale, offizielle Unterdrükkungspolitik. Zumindest in den ersten Jahren deutscher Besatzung war der individuelle, völlig beliebige Mord an polnischen Zivilisten allerdings noch nicht völlige Normalität geworden und zog allein zur Wahrung von ‚Ruhe und Ordnung‘ in der Regel eine – wenn auch sehr fragwürdige – justitielle Untersuchung nach sich. Für die polnischen Juden bestand dieses dünne Polster existentieller Garantie seit dem Erscheinen der Deutschen nicht mehr. Das Geständnis des betrunkenen SS-Unterführers, in dem er den brutalen Einsatz seiner SS-Einheit im Lubliner Judenviertel andeutete, läßt erahnen, mit welchem Ausmaß an mörderischem Antisemitismus die jüdischen Gemeinden Polens seit dem deutschen Überfall auf ihr Land konfrontiert waren. Das führt zum zweiten Aspekt des geschilderten Fallbeispiels, dem darin angedeuteten Anteil der Waffen-SS an der deutschen Besatzungspolitik im deutsch besetzten Polen, der im folgenden skizziert werden soll.

Die bewaffnete SS im Osteinsatz Noch während des Polenkrieges existierten mit der Verfügungstruppe und den Totenkopfstandarten zwei bewaffnete Stränge des SS-Apparats, die von einer ganz unterschiedlichen Herkunft und Organisationsgeschichte gekennzeichnet waren. 2 Die SS-Verfügungstruppe war 1933 aus der persönlichen Leibwache Hitlers, der „Leibstandarte Adolf Hitler“ und den zeitgleich in den einzelnen SSOberabschnitten als regionale Schutz- und Sicherheitsverbände gegründeten „Politischen Bereitschaften“ entstanden. 3 An ganz anderer Stelle, in den ab 1933 zunehmend von der SS geführten nationalsozialistischen Konzentrationslagern, entstanden als Wachmannschaften die sogenannten SS-Totenkopfverbände. Bis zum Ausbruch des Krieges waren an den Lagerstandorten in Dachau, WeimarBuchenwald, Oranienburg und Mauthausen vier paramilitärisch geschulte SS-Totenkopfstandarten in Regimentsgröße stationiert. 4 Die Wehrmacht stand dem sich abzeichnenden Aufbau SS-eigener militärischer Verbände ablehnend gegenüber, verlor letztlich jedoch den Konflikt mit der SS. 5 Mit einem Erlaß vom 17. August 1938 gestand Hitler sowohl der Verfügungstruppe als auch den Totenkopfstandarten einen von Wehrmacht und Polizei unabhängigen Status als „stehende bewaffnete Truppe“ zu. 6 Als Deutschland am 1. September 1939 Polen überfiel, waren auf Weisung Hitlers bis auf das noch in Ausbildung befindliche SS-Regiment „Der Führer“ sämtliche Einheiten der Verfügungstruppe am Angriffskrieg beteiligt. 7 Der Division

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des Generalmajors Walter Kempf unterstand das SS-Regiment „Deutschland“, das SS-Artillerieregiment sowie der Aufklärungssturmbann. Der 14. Armee unter Generaloberst Wilhelm List wurde das SS-Regiment „Germania“ zugeordnet, während die Leibstandarte und der SS-Pioniersturmbann der 10. Armee des Generals Walter von Reichenau unterstellt wurden. 8 Das Urteil des Heeres bezüglich der Eignung der SS als Fronttruppe fiel recht negativ aus; einige SS-Verbände wurden nach kurzem Einsatz schnell wieder als Reserve in rückwärtige Gebiete abgezogen. 9 Zudem provozierte die Verfügungstruppe einige Kritik seitens der Wehrmacht, weil sich SS-Einheiten bei diversen Gelegenheiten wie selbstverständlich Polizeibefugnisse anmaßten, die sie wegen ihrer militärischen Verwendung gar nicht besaßen. 10 Ergänzend zu den Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei hatte Hitler den Einsatz der SS-Totenkopfstandarten „Oberbayern“, „Brandenburg“ und „Thüringen“ als Sicherungstruppen in den bereits eroberten Gebieten befohlen. Die drei Standarten begannen ihre Operationen in Polen in der zweiten Kriegswoche, während ihr Kommandeur, Theodor Eicke, den sich bald als Kette von Mordaktionen erweisenden Einsatz von Hitlers Hauptquartier aus leitete. 11 Darüber hinaus kam im Krieg gegen Polen die sogenannte SS-Heimwehr Danzig zum Einsatz. Im Sommer 1939 auf Beschluß des Senats der freien Stadt Danzig (Gdan´sk) aufgestellt, bestand der Kern des Verbandes aus dem in Berlin-Adlershof stationierten 3. Sturmbann der 4. SS-Totenkopfstandarte. Die SS-Männer unter dem Kommando des SS-Obersturmbannführers Hans-Friedemann Goetze reisten im Juni 1939 als ‚Touristen‘ getarnt nach Danzig und wurden vor Ort durch Freiwillige aus der Region ergänzt. Mit Kriegsbeginn wurde die Heimwehr Danzig bei Gefechten in der Stadt selbst und anschließend bei den Kämpfen um Gdingen (Gdynia) sowie um die Westerplatte eingesetzt. 12 In Danzig wurde aufgrund einer weiteren Senatsentscheidung mit dem SS-Wachsturmbann „Eimann“ im Juli 1939 ein zweiter SS-Verband aufgestellt. Der Sturmbann sollte zur Verstärkung der Polizei sowie zur Realisierung spezieller „Sonderaufgaben“ dienen, für die sich die Danziger Polizei nach Angaben des dortigen Höheren SS- und Polizeiführers Richard Hildebrandt „nicht genügend geschult“ zeigte. 13 Ende 1939 umfaßte die aus Angehörigen der Allgemeinen SS der Region Danzig bestehende Einheit etwa 550 Mann. 14 Schließlich wurden in der zweiten Septemberhälfte noch zwei SS-Reitstaffeln nach Polen in Marsch gesetzt. Kommandiert wurde die Truppe von dem 32–jährigen SS-Standartenführer Hermann Fegelein, bis dahin Leiter der SS-Hauptreitschule in München-Riem. 15 Zwischen dem 15. und 21. September in Berlin zusammengezogen, kamen die Mannschaften der SS-Kavallerie hauptsächlich aus den Reiterstandarten der Allgemeinen SS. Die beiden, in jeweils zwei Schwadronen gegliederten berittenen Abteilungen in einer Gesamtstärke von 451 Mann wurden am 22. September in Berlin-Grunewald verladen und per Bahn nach Polen transportiert, wo die SS-Reiter als sogenannte Polizeiverstärkung unter dem

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Befehl der Ordnungspolizei zum Einsatz kamen. Während die Reitstaffel 2 mit der 2. und 3. Schwadron im Raum Posen (Poznan´) stationiert wurde, bezog die Reitstaffel 1 mit den Schwadronen 1 und 4 in Litzmannstadt (Łódz´) und Umgebung Quartier. 16 Anders als es die Denkschrift des Oberbefehlshabers Ost des Heeres, Generaloberst Johannes Blaskowitz, mit seiner harschen Kritik am Vorgehen der SS vermuten lassen würde 17, pflegten Wehrmachtseinheiten in Polen offensichtlich beste Beziehungen zu den Verbänden der Waffen-SS. SS-Gruppenführer Pancke, Chef des Rasse- und Siedlungshauptamtes, der als Sonderbefehlshaber der Polizei im Bereich von Blaskowitz’ 8. Armee eingesetzt war, wußte von umfangreicher Anerkennung seitens des Heeres zu berichten. So sei gerade das Verhältnis zu Offizieren aus dem Stab des Armeeoberbefehlshabers „besonders warm“ gewesen. Nostitz’ 2. SS-Totenkopfstandarte habe sich bei Blaskowitz persönlich „größte Achtung und vollste Anerkennung erworben“. Außerdem sei „das ruhige und scharfe Zugreifen und die einwandfreie Art der Aburteilung und der Exekutionen“ der SS-Standarte von Wehrmachtsoffizieren immer wieder besonders anerkennend hervorgehoben worden. 18 Einheiten der SS-Kavallerie meldeten im Herbst 1939 ebenfalls ein „ausgezeichnetes Zusammenarbeiten“ mit den Ortskommandanturen der Wehrmacht, von denen das Erscheinen der SS-Reiter „überall begrüßt“ werden würde. 19 In einer zweiten Phase des Einsatzes der Waffen-SS wurde ein Großteil der im September 1939 in Polen operierenden Verbände ins Reichsgebiet zurückverlegt. Aus den Regimentern der SS-Verfügungstruppe wurde noch im Oktober 1939 die Verfügungsdivision aufgestellt 20 , und aus den Totenkopfstandarten „Oberbayern“, „Thüringen“, Teilen der Standarte „Brandenburg“ sowie den Angehörigen der SS-Heimwehr „Danzig“ wurde die SS-Division „Totenkopf“ gebildet. 21 Damit waren in Polen vorübergehend nur der SS-Wachsturmbann „Eimann“ und die beiden SS-Reiterabteilungen verblieben, zusammen nicht einmal 1000 Mann. Während der Wachsturmbann Anfang 1940 aufgelöst und ein Großteil der Mannschaften im August 1940 in die 5. SS-Totenkopfstandarte eingegliedert wurde 22, befahl Himmler im Dezember 1939 die Übernahme der SS-Kavallerie in die Organisationsstruktur der verstärkten SS-Totenkopfstandarten. 23 Die ursprünglich zwei SS-Reitstaffeln wurden im November 1939 zu einer Reiterstandarte mit dreizehn Schwadronen erweitert, die als Besatzungstruppen auf Städte im gesamten Generalgouvernement verteilt wurden. 24 Bis Ende März 1941 entstanden aus der Standarte zwei komplette SS-Kavallerieregimenter. 25 Mit Kriegsbeginn wurde zudem eine ganze Reihe neuer, sogenannter verstärkter SS-Totenkopfstandarten gebildet. Insgesamt dreizehn Totenkopfstandarten sowie die bereits erwähnte Totenkopf-Reiterstandarte entstanden bis Mitte Mai 1940 und wiesen mit Ersatz- und Verwaltungseinheiten einen Gesamtumfang von 30 694 Mann auf. 26 Allein in Polen wurden zwischen Herbst 1939 und Sommer 1940 die 8. bis 12. und die 15. SS-Totenkopfstandarte in den Städten Warschau,

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Krakau (Kraków), Bromberg (Bydgoszcz), Lauenburg (Le˛bork), Radom, Lublin, Posen, Litzmannstadt, Plock (Płock) und Allenburg stationiert. 27 Damit war die Mannschaftsstärke der in Polen stationierten SS-Truppen im März 1940 bereits wieder auf 11 314 Mann angestiegen. Kaum verändert waren es Ende Juli des gleichen Jahres 12 002 SS-Soldaten.28 Als gegen Ende des Jahres 1939 erstmals der Begriff „Waffen-SS“ als gemeinsame Bezeichnung für Verfügungstruppe und Totenkopfstandarten aufkam, waren beide unabhängig voneinander entstandenen Organisationsstränge jedoch noch lange nicht aufgelöst. 29 Erst mit der Einrichtung des SS-Führungshauptamtes im August 1940 wurden sowohl die Verfügungstruppe als auch die Totenkopfstandarten einer einheitlichen Kommandobehörde unterstellt, die gleichzeitig den weiteren Ausbau der Waffen-SS organisierte. 30 Im Februar 1941 verschwand dann der Begriff der SS-Totenkopfstandarten. Nach dem Vorbild des Heeres wurden die einstigen Standarten umbenannt und trugen zukünftig die Bezeichnung SS-Infanterie- beziehungsweise SS-Kavallerieregiment. 31

Die Männer der Waffen-SS Die SS-Soldaten, die im September 1939 als Angehörige der Verfügungstruppe oder in einer der drei SS-Totenkopfstandarten nach Polen einmarschierten, waren in der Regel Freiwillige, die teils schon eine jahrelange Mitgliedschaft in der NSDAP oder der SS vorweisen konnten. Andere suchten als junge Männer nach Hitlerjugend oder Reichsarbeitsdienst eine Perspektive bei der bewaffneten SS. Der Anteil der Parteimitglieder lag in beiden Organisationssträngen der bewaffneten SS weit über dem Reichsdurchschnitt. Im Jahr 1937 hatten 32 Prozent der Angehörigen der Verfügungstruppe und sogar 43 Prozent der Männer der Totenkopfverbände Anträge auf Aufnahme in die NSDAP gestellt. 32 Mit Beginn des Krieges wurden dann, gestützt auf eine Notdienstverordnung vom 15. Oktober 1938, ungefähr 36 000 Männer aus den Reihen der Allgemeinen SS zu den verstärkten SS-Totenkopfstandarten eingezogen. 33 Gleichzeitig stießen mehr und mehr Volksdeutsche zu den SS-Standarten, die oft vor Ort von den einzelnen Verbänden angeworben wurden.34 Schon Ende März 1940 wies die SSReiterstandarte bei einer Gesamtstärke von 1854 Mann einen volksdeutschen Anteil von 26 Prozent auf. 35 Der Grad an Freiwilligkeit war bei den vielen tausend neuen SS-Männern immer noch sehr hoch. Mancherlei Unzulänglichkeiten hatten keine längerfristigen negativen Auswirkungen auf die Stimmung der SSTruppe. 36 Tätigkeitsberichte verschiedener SS-Einheiten vermerkten jedenfalls laufend eine „positive“ oder „ausgezeichnete“ Stimmung unter den SS-Mannschaften. 37 Sicherlich zum überwiegenden Teil bestanden die in Polen stationierten Einheiten der Waffen-SS aus überzeugten Nationalsozialisten. Diese Männer empfanden sich als Teil einer besonderen Elite innerhalb der deutschen ‚Volksgemeinschaft‘. Ein nicht zu unterschätzendes Mittel zur Schaffung des Elitegedankens und

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eines einheitlichen ideologischen Bewußtseins unter den SS-Mannschaften bestand in der sogenannten weltanschaulichen Erziehung, eines bei allen SS-Einheiten regelmäßig stattfindenden, politisch-ideologischen Unterrichtsprogramms. 38 Derartige Schulungsstunden wurden bei der Allgemeinen SS bereits ab Mitte der 1930er Jahre abgehalten. Ein inhaltlicher Schwerpunkt des Unterrichts lag schon in diesen frühen Jahren in der Verbreitung radikal antisemitischer Unterrichtsinhalte. 39 Die in Polen im Rahmen der weltanschaulichen Erziehung vermittelten Inhalte schlossen nahtlos daran an. Der Schulungsplan für die zehnwöchige Rekrutenausbildung der SS-Kavallerie für das letzte Quartal des Jahres 1940 sah beispielsweise vor, daß den Rekruten im Rahmen der weltanschaulichen Schulung gleich zu Beginn das „Judenproblem“ zu vermitteln sei; erst danach folgten Themen mit Titeln wie „SS“, „Aus dem Leben des Führers“ oder „Bolschewismus in Rußland“. 40 Ein für das Jahr 1940 vorgesehener, vierwöchiger Lehrgang für SS-Führerbewerber setzte ebenfalls eindeutige weltanschauliche Prioritäten. Gleich in der ersten Woche sollten die angehenden Offiziere über die „Rassenfrage unter besonderer Berücksichtigung des Judentums“ unterrichtet werden. Während der drei verbleibenden Wochen standen die Themen „Deutsche Geschichte“, „Geschichte und Kampf der nationalsozialistischen Bewegung unter besonderer Berücksichtigung des Lebens des Führers und der Geschichte der SS“ und schließlich das Thema „Deutschlands Schicksalskampf seit dem 1. September 1939“ auf dem Lehrplan. Solche Themenstellungen bargen ihrerseits mühelos zusätzliches Potential zur Vermittlung ergänzender judenfeindlicher Unterrichtsinhalte. 41 Himmler persönlich verfügte im September 1940 zudem, daß sämtliche SS- und Polizeieinheiten im Laufe des Winters Veit Harlans berüchtigten Propagandafilm „Jud Süß“ zu sehen bekommen sollten. 42 Die Abteilung weltanschauliche Erziehung des 1. Halbregiments der SS-Kavallerie meldete drei Monate später, daß der Film bei sämtlichen Schwadronen „ungeteilte, begeisterte Aufnahme“ gefunden habe. 43 In der Wahrnehmung des Zusammenhangs zwischen den Inhalten des weltanschaulichen Unterrichts und den eigentlichen Einsätzen der Waffen-SS deutet sich an, daß die SS-Männer die Schulungsstunden keineswegs nur als pures ideologisches Geschwafel betrachteten, sondern der Unterricht durchaus ernsthaft zur Verarbeitung geleisteter und als Vorbereitung auf zukünftige Einsätze genutzt wurde.

Krieg gegen die Juden Einer der ersten Einsätze der bewaffneten SS gegen die polnischen Juden richtete sich gegen die Gemeinde von Wloclawek (Włocławek). Täter waren die Männer der 2. SS-Totenkopfstandarte „Brandenburg“ unter ihrem Kommandeur, SSStandartenführer Paul Nostitz. 44 Jüdische Überlebende berichteten, wie die Einheit in der Nacht des 22. September die Stadt erreichte. Umgehend begann die SS damit, jüdische Männer und Frauen aus ihren Betten zu holen und sie unter Schlägen in eine polnische Schule zu treiben, die der Standarte als Unter-

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kunft diente. Drei Juden, die auf dem Weg nicht Schritt halten konnten, wurden von SS-Männern umgehend erschossen, die Körper anschließend auf offener Straße verbrannt. Die übrigen Juden wurden am nächsten Vormittag nach zahlreichen Schikanen wieder freigelassen. Am 24. September brannte die SS die beiden Hauptsynagogen des Ortes nieder und verhinderte sämtliche Löschversuche. Anschließend wurden 25 Juden gezwungen, eine Erklärung des Inhaltes zu unterzeichnen, daß sie selbst die Gotteshäuser in Brand gesteckt hätten, worauf der Jüdischen Gemeinde von den wahren Brandstiftern umgehend eine Zwangsabgabe in Höhe von 100 000 Złoty auferlegt wurde. 45 Anstatt, wie mit der Wehrmacht besprochen, in der Umgebung der Stadt militärische Sicherungsaufgaben wahrzunehmen, plante Nostitz am gleichen Tag zusätzlich die Festnahme aller Juden der Stadt. Auf den Einwand der Wehrmacht hin, daß für die Inhaftierung von mehreren tausend Juden die Kapazitäten der Gefängnisse nicht ausreichten, entgegnete der Adjutant von Nostitz, daß ja doch alle Juden erschossen werden würden. Letztlich blieb es dann bei der Inhaftierung der an jenem Tag erneut festgenommen 800 bis 1500 Juden. 46 In den folgenden Wochen, Monaten und Jahren waren die vor Ort stationierten Einheiten der Waffen-SS an allen Formen antijüdischer Besatzungspolitik beteiligt. Allein schon Formulierungen wie die folgende, „die Juden und Polen wissen bereits genau, daß sie in den Ortschaften, wo unsere SS-Reiter sind, nichts mehr riskieren können und grüßen allerorten mit einer tiefen Verneigung“, lassen erahnen, welches Schreckensregime von ständig drohenden Übergriffen und antisemitischem Terror die SS-Verbände in Polen seit ihrem Erscheinen bei den dort lebenden Juden auslösten. 47 Neben der Sicherheits- und der Ordnungspolizei war die Waffen-SS das entscheidende Exekutivorgan der Besatzungsverwaltung zur Realisierung der in Berlin, Krakau oder auf lokaler Ebene getroffenen Entscheidungen. Die weitgehende Entrechtung der polnischen Juden, ihre ab Anfang 1940 einsetzende Ghettoisierung, die massenhafte Aushebung von Juden zur Zwangsarbeit sowie deren Vertreibung aus den annektierten polnischen Gebieten setzten ganz wesentlich gerade auch Verbände der Waffen-SS in die Tat um. In die Errichtung des Ghettos von Litzmannstadt zu Beginn des Jahres 1940 war die vor Ort stationierte SS-Kavallerieschwadron ebenso involviert wie noch gegen Ende des Jahres in Einsätze, die darauf abzielten, sämtliche noch im Warthegau lebenden Juden nach Litzmannstadt oder in die kleineren Ghettos der Region zu sperren.48 In Krakau wurden junge Rekruten der 8. SS-Totenkopfstandarte Ende 1939 – zu einer Zeit, als in der Stadt noch gar kein Ghetto bestand – im jüdischen Wohnviertel regelrecht zum Judeneinsatz konditioniert. Während erfahrenere SS-Männer das Viertel absperrten, wurden die Rekruten mit dem Auftrag, Geld, Schmuck und andere Wertsachen zu requirieren, in die Häuser der Krakauer Juden geschickt. 49 Als die 8. Standarte im Mai 1940 von der 10. SSTotenkopfstandarte abgelöst wurde, gehörte das jüdische Viertel auch für die

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Nachfolgeeinheit zum wichtigen Einsatzgebiet. Ehemalige Angehörige dieser Einheit erzählten noch im Frühjahr 1941 von Einsätzen in dem im März eingerichteten und isolierten Krakauer Ghetto, bei denen Juden erschossen worden seien, „daß das Blut nur so spritzte“. 50 Mit der Einführung der Zivilverwaltung am 26. Oktober 1939 bestand für die im Generalgouvernement lebenden Juden überdies eine allgemeine Arbeitspflicht. 51 Seitdem waren die dort stationierten Totenkopfstandarten immer wieder an Aktionen zur massenhaften Aushebung jüdischer Zwangsarbeiter beteiligt, bei denen ab Sommer 1940 auch Zehntausende von Juden in neu errichteten Arbeitslagern im Distrikt Lublin interniert wurden. 52 Zudem bediente sich die Waffen-SS selbst der billigen Arbeitskräfte. Jüdische Zwangsarbeiter wurden zu Bauarbeiten an den Unterkünften herangezogen 53 , und jüdische Facharbeiter waren in den unterschiedlichsten Anstellungen zu Hilfsarbeiten für die Waffen-SS gezwungen. 54 Im Rahmen der deutschen Judenpolitik nahm das im Herbst 1939 begonnene und ein Jahr später abgebrochene Projekt der Errichtung eines „Reichsghettos“ im Generalgouvernement einen ganz zentralen Stellenwert ein. Dazu war vorgesehen, sämtliche im deutschen Machtbereich lebende Juden in ein Gebiet im südöstlichen Bereich des Distrikts Lublin zu verschleppen. 55 Vor Ort kulminierten die brutalen Deportationen im Winter 1939/40 in einzelnen Massakern an den vertriebenen Juden. In einem Fall plante das Grenzpolizeikommissariat Chelm (Chełm), über tausend Juden der Stadt kurzerhand über die deutsch-sowjetische Demarkationslinie abzuschieben. Dazu wurde Ende November 1939 bei der 5. Schwadron der SS-Reiterstandarte angefragt, ob die Waffen-SS die Bewachung des umfangreichen Judentransports übernehmen könne. SS-Obersturmführer Reichenwallner, der Chef der Reiterschwadron, die gerade erst in der Kreisstadt Quartier bezogen hatte, willigte ein. 56 Am 1. Dezember übernahm die Schwadron im Stadtgebiet nach eigener Darstellung 1018 jüdische Männer, die anschließend von der SS in einem Fußmarsch in das über 40 Kilometer entfernte Hrubieszow (Hrubieszów) getrieben wurden. Überlebenden ist dieser Tag als „Todesmarsch“ in Erinnerung, weil die von den SS-Reitern gestellte Eskorte mit einer unglaublichen Brutalität gegen die Juden vorging. Von Beginn an wurden die Männer gequält und mißhandelt. Ältere oder schwache Menschen, die dem Marschtempo nicht folgen konnten, wurden von den Deutschen umgehend erschossen. Andere, die sich daraufhin besonders beeilten, ereilte das gleiche Schicksal. Immer wieder griffen sich die SS-Reiter zudem einzelne Juden oder ganze Gruppen von Männern heraus, die sie willkürlich ermordeten; die Straße zwischen Chelm und Hrubieszow war nach dem Durchmarsch des Zuges mit den vielen toten Körpern der Opfer der Deutschen gesäumt. „Auf der Flucht“, wie es in dem betreffenden Einsatzbericht der Schwadron hieß, wurden auf dem Marsch im Tagesverlauf insgesamt mindestens 440 Juden erschossen. Völlig traumatisiert erreichten die Juden schließlich gegen halb zehn Uhr nachts Hrubieszow, wo die

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578 Überlebenden vom SS-Begleitkommando der dortigen Schutzpolizei übergeben wurden. Am nächsten Morgen wurden die Männer aus Chelm zusammen mit etwa 1000 Juden aus Hrubieszow an die wenige Kilometer entfernte Demarkationslinie getrieben. Dort mißlang jedoch der Abschiebeversuch. Offenbar verweigerten die sowjetischen Grenzsoldaten den Juden nach vielen Stunden des Wartens in der winterlichen Kälte letztlich den dauerhaften Übertritt. 57 In aller Öffentlichkeit hatte die SS-Schwadron am Vortag den Massenmord an den mehr als 400 Juden verübt, denn als weiteres Ergebnis meldete die Reitereinheit lapidar, die Bevölkerung der Gegend sei „nach dem letzten Judentransport […] ziemlich eingeschüchtert“. 58 Einige Wochen später übernahm die 5. Schwadron auf eine entsprechende Bitte der Sicherheitspolizei des Kreises Chelm hin erneut die Bewachung eines mit 600 Juden aus Lublin eintreffenden Eisenbahnzuges. Das in Stärke von 21 Männern in der Nacht des 12. Januar in Marsch gesetzte Kommando der Waffen-SS fand in dem überfüllten Zug schreckliche Bedingungen vor. Nach tagelanger Irrfahrt war unter den deportierten Juden die Ruhr ausgebrochen; in den Waggons lagen bereits ungefähr vierzig Tote. Nach entsprechender Meldung durch das Bewachungskommando erschien der Schwadronskommandeur am nächsten Morgen persönlich zur Inspektion. Nach kurzer Beratung mit dem ebenfalls herbeigerufenen lokalen Chef der Sicherheitspolizei und dem stellvertretenden Landrat sei man sich schnell einig geworden, daß es, nach den Worten des SSObersturmführers Reichenwallner, „ein Verbrechen wäre, die verseuchten und verwanzten Juden im Kreisgebiet Chelm auszusetzen“. Statt dessen entschied sich die kleine Expertenkommission für die Ermordung sämtlicher Zuginsassen, die von Reichenwallners SS-Schwadron noch am gleichen Tag in die Tat umgesetzt wurde. Unterstützt von der örtlichen Gendarmerie, die ausreichend Munition zur Verfügung stellte, erschoß ein Kommando der SS-Kavallerie am 13. Januar 1940 die mehr als 550 noch lebenden Juden in einem Waldgebiet außerhalb von Chelm. 59

„Intelligenzaktion“, „Umvolkung“ und die Bekämpfung polnischer „Freischärler“ Auf Seiten der deutschen Führung existierten bereits vor Kriegsbeginn Überlegungen, zur weitestgehenden Herrschaftssicherung und absoluten Kolonisierung des eroberten Landes die potentiell für den Erhalt polnischer Identität oder für Widerstandshandlungen in Frage kommende gesellschaftliche Elite Polens kurzerhand umzubringen. In einer Rede vor führenden Militärs sprach Hitler am 22. August 1939 auf dem Obersalzberg von der „Beseitigung der lebendigen Kräfte“ des Landes. 60 Eine Woche nach Kriegsbeginn teilte Reinhard Heydrich, der Chef der Sicherheitspolizei und des SD, den Abteilungsleitern des Hauptamts Sicherheitspolizei während einer Besprechung mit, daß die „führende Bevölkerungsschicht in Polen […] so gut wie möglich unschädlich gemacht werden“ sol-

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le. 61 Tatsächlich begannen die von seiner Behörde aufgestellten Einsatzgruppen Anfang September mit der Erschießung polnischer und jüdischer Menschen, die aufgrund ihres Berufes oder ihrer Herkunft von den deutschen Mordkommandos zur gesellschaftlichen Elite Polens, zur „Intelligenz“ gezählt wurden.62 Als sich angesichts der zahlreichen Morde seitens des Heeres punktueller Protest regte, gab Heydrich bei einer neuerlichen Besprechung am 21. September die Formel aus, daß die Massenerschießungen zukünftig als „Notwehr“ oder als „Fluchtversuche“ zu tarnen seien. Die Morde selbst fanden weiterhin statt. 63 Die von den Deutschen organisierte Vernichtung der gesellschaftlichen Führungsschicht kostete zwischen Herbst 1939 und Frühjahr 1940 mehreren zehntausend Polen und Juden das Leben. 64 Neben Einheiten der Sicherheits- und der Ordnungspolizei sowie den Banden des volksdeutschen „Selbstschutzes“ war auch die Waffen-SS an der Ermordung der polnischen Elite beteiligt. Zwei SS-Sturmbanne der 2. SS-Totenkopfstandarte „Brandenburg“, die vom Kommandeur Paul Nostitz am 24. September 1939 nach Bromberg in Marsch gesetzt worden waren, erschossen dort innerhalb von zwei Tagen ungefähr 800 Polen. 65 Die Stabstruppen und die in Warschau stationierte Schwadron der SSKavallerie waren gemeinsam mit Verbänden der Ordnungspolizei an umfangreichen Massenerschießungen im Warschauer Parlamentsgarten und in dem bei Palmiry, am Warschauer Stadtrand gelegenen Wald von Kampinos beteiligt. Allein in dem besagten Waldgebiet wurden nach Ermittlungen der bundesdeutschen Justiz ab dem 7. Dezember 1939 über 1700 Personen, darunter zahlreiche Juden, unter anderem von Angehörigen der SS-Kavallerie getötet. 66 Während sich in den originalen Unterlagen der SS-Reiterstandarte kaum Hinweise auf die Massenerschießungen im Winter 1939/40 finden lassen, berichtete der SS-Kavallerieverband noch im Oktober 1940, daß von den Regimentstruppen allein im Vormonat „200 Exekutionen im Auftrage des SD“ ausgeführt worden seien. 67 Umfangreiche Massenmorde im Zusammenhang mit der „Intelligenzaktion“ verübte zu gleicher Zeit die in Lucmierz bei Litzmannstadt stationierte 9. SS-(Ersatz)-Schwadron. In Bezug auf die eigene Tätigkeit berichtete die SS-Schwadron, daß zwischen September und November 1939 „Sonderaufträge im Zusammenhang mit der Gestapo laufend erledigt“ worden wären. 68 Polnische Zeugen berichteten diesbezüglich, daß die SS-Einheit in der Zeit zwischen ihrem Erscheinen im Herbst 1939 und der Abkommandierung im Frühjahr 1941 laufend Erschießungen vorgenommen habe. Immer wieder seien aus Richtung Litzmannstadt kommende, verschlossene Lastwagen oder Busse erschienen. Die Fahrzeuge seien sofort in den Wald in der Nähe der SS-Unterkunft gefahren. Daraufhin hätten jeweils Gruppen von SS-Soldaten ihre Unterkünfte verlassen und seien, mit Karabinern bewaffnet, in gleicher Richtung in den Wald marschiert. Kurze Zeit später seien dann jedes Mal Schüsse zu hören gewesen. 69 Allein in den ersten Wochen müssen im Rahmen solcher Mordaktionen viele hundert Juden und Polen erschossen worden sein. Wie Rekruten, die im Januar 1940

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zur SS-Kavallerie nach Lucmierz kommandiert wurden, von ihren SS-Kameraden erfuhren, lagen unter den sechs oder sieben großen, etwa zehn mal vier Meter messenden Hügeln in der Nähe der Unterkunft, die Massengräber von Polen und Juden aus der Gegend von Litzmannstadt, die alle von der SS-Schwadron erschossen worden waren. 70 Ähnlich groß war die Beteiligung der Waffen-SS bei der Umsetzung der völkischen Neuordnung in den annektierten polnischen Gebieten. Nach den deutschen Planungen sollte neben den Juden auch die nicht „eindeutschungsfähige“ polnische Bevölkerung aus den annektierten Gebieten ins Generalgouvernement abgeschoben werden. Im Gegenzug war die Ansiedlung von Volksdeutschen in den neuen Reichsgebieten geplant. Insgesamt wurden im Rahmen dieser gigantischen „Umsiedlungen“ bis März 1941 etwa 365 000 Polen vertrieben. 71 In Danzig-Westpreußen war der Wachsturmbann „Eimann“ ganz wesentlich an der Deportation von Polen und Juden aus Gotenhafen beteiligt. Dabei wurden zwischen Oktober und Dezember 1939 über 50 000 Personen in Eisenbahnwaggons ins Generalgouvernement verschleppt. 72 Von den Schwadronen der SS-Kavallerie existieren ebenfalls zahlreiche Berichte, die die Beteiligung der Waffen-SS an der Vertreibung von Polen und Juden sowie die Unterstützung der Ansiedlung von Volksdeutschen dokumentieren.73 Zusätzlich war die polnische Bevölkerung mit dem ständigen Mißtrauen der deutschen Besatzungsinstitutionen konfrontiert, die angesichts der eigenen Politik nicht von ungefähr die Entstehung größerer Widerstandshandlungen befürchteten. Organisierte bewaffnete Widerstandsaktionen fanden jedoch bis 1942 faktisch nicht statt. 74 Trotzdem war der deutsche Besatzungsapparat ab Herbst 1939 im gesamten Land mit der Bekämpfung angeblichen Widerstands beschäftigt. Das völlig brutalisierte deutsche Vorgehen gegen vermeintliche derartige Anzeichen zeigte sich Anfang April 1940 bei einem von der SS organisierten Großeinsatz gegen eine Gruppe ehemaliger polnischer Soldaten, die sich auf dem Lande im Distrikt Radom versteckt hielten. 75 Im Rahmen dieses Einsatzes erschossen Einheiten der 8. SS-Totenkopfstandarte am 7. April wegen angeblicher Unterstützung der „Freischärler“ in dem Dorf Królewiec sämtliche Männer im wehrfähigen Alter. 76 Am folgenden Tag ermordeten Reiterschwadronen der ebenfalls eingesetzten SS-Kavallerie in benachbarten Orten weitere 250 polnische Männer. 77 Als Resümee dieses Massenmordeinsatzes formulierte Hermann Fegelein, der Kommandeur der SS-Kavallerie, den für das Treiben der Waffen-SS ungemein bezeichnenden Satz: „Die gestellten Aufgaben im Niederbrennen von schuldigen Dörfern als Sühneaktion und das Erledigen von üblen Elementen geschahen auf eine so saubere und anständige SS-mäßige Art, daß jeder Zweifel an der Charakterfestigkeit der Truppe beseitigt werden mußte.“ 78

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Die Ermordung „lebensunwerten Lebens“ Zeitgleich zur Ermordung der polnisch-jüdischen Eliten fand zwischen Oktober 1939 und März 1940 in den annektierten westpolnischen Gebieten und einigen grenznahen Städten des Reiches eine groß angelegte Massenmordkampagne an Psychiatriepatienten statt. Die vorgeschobene Begründung für die Ermordung der psychisch Kranken bestand häufig in dem Verweis auf dringend benötigten Platzbedarf für die neu aufzustellenden SS-Totenkopfstandarten oder die etwa 60 000 aus der Sowjetunion aufgenommenen Baltendeutschen. Neben dem Sonderkommando des Kriminalkommissars Herbert Lange von der Stapo-Leitstelle Posen, das seine Opfer mittels eines Gaswagens tötete, waren Erschießungskommandos des SS-Wachsturmbanns „Eimann“ ganz wesentlich in die Ermordung des „lebensunwerten Lebens“ involviert. 79 Die Initiative zur Ermordung von Patienten aus verschiedenen Psychiatrieanstalten Pommerns ging von Franz Schwede-Coburg, dem Gauleiter und Oberpräsidenten der Provinz, aus. Schwede-Coburg sah nach dem gewonnenen Polenfeldzug die günstige Gelegenheit gekommen, die Psychiatriepatienten seiner preußischen Provinz auf unbürokratischem Weg ermorden zu lassen. Seine Mitarbeiter wies er an, „die übelsten Kranken“ auszusondern. In der Folge wurden männliche und weibliche Psychiatriepatienten der Anstalten in Stralsund, Lauenburg, Ueckermünde, Treptow und Meseritz-Obrawalde per Bahn in das westpreußische Neustadt (Wejherowo) gebracht. 80 Auf dem Bahnhof warteten Angehörige von Eimanns SS-Wachsturmbann, die die Kranken übernahmen und jeweils mit mehreren Lastwagen in die 12 Kilometer entfernten Krokower Wälder in der Nähe des Ortes Groß-Piasnitz (Mała Pias´nica) transportierten. 81 Die Kranken wurden auf einer abgeschirmten Lichtung von anderen Einheitsangehörigen in Empfang genommen. Jeweils einzeln wurden die Patienten von zwei SSMännern zu einer der vorbereiteten Gruben geführt, die im Vorfeld von polnischen Häftlingen des Konzentrationslagers Stutthof ausgehoben worden waren. Am Rand der Grube wurde die Opfer dann von einem dritten SS-Mann durch Genickschuß ermordet. Nacheinander wurden von ständig sich abwechselnden Einheitsangehörigen alle Kranken getötet. Der geschilderte Ablauf wiederholte sich im Verlauf mehrerer Wochen bei mindestens sieben weiteren Krankentransporten.82 Insgesamt wurden dabei im Spätherbst 1939 allein 1400 Patienten aus Anstalten der Provinz Pommern umgebracht. Darüber hinaus ermordete Eimanns SS-Einheit ungefähr 2000 Psychiatriepatienten der westpreußischen Anstalt Konradstein (Kocborowo). 83 Damit war der SS-Wachsturmbann „Eimann“ zwischen Oktober 1939 und Januar 1940 für den Tod von mindestens 3400 Psychiatriepatienten verantwortlich. An den „Euthanasie“-Morden war wahrscheinlich auch die im Herbst 1939 nach Polen verlegte 12. SS-Totenkopfstandarte beteiligt. Stab und I. Bataillon des Verbandes waren im Laufe des Oktobers 1939 in Posen-Treskau stationiert worden; das zweite Bataillon lag zu gleicher Zeit in Litzmannstadt. Ende des

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Monats verlegte eine Kompanie der 12. SS-Totenkopfstandarte ihren Standort in die etwa zehn Kilometer nördlich von Posen gelegene Kleinstadt Owinsk (Owin´ska). Dort war die Einheit wohl an der systematischen Ermordung der Insassen des örtlichen psychiatrischen Krankenhauses beteiligt. Die Kranken wurden von der SS in Lastwagen aus der Stadt gefahren und an vorbereiteten Massengräbern erschossen. In knapp einem Monat ermordeten die Deutschen auf diese Weise über eintausend Psychiatriepatienten der Anstalt. 84 Schließlich dürfte auf das Konto der in Lucmierz stationierten Schwadron der SS-Kavallerie noch die Ermordung von 50 Patienten des Pflegeheims der jüdischen Gemeinde für psychisch Kranke in Litzmannstadt im März 1940 gehen. 85

Der persönliche Krieg der SS-Soldaten Die bislang geschilderten Verbrechen der Waffen-SS fanden nicht zuletzt wegen des hohen Maßes an Einsatzbereitschaft statt, die die beteiligten Führer und Mannschaften immer wieder an den Tag legten. Hinweise auf disziplinarische Probleme wegen einer ablehnenden Einstellung gegenüber den zu realisierenden Mordtaten oder gar die Verweigerung eines solchen Einsatzes sind in keinem einzigen Fall nachweisbar. Vielmehr existieren mannigfaltige Belege dafür, daß zahlreiche SS-Soldaten polnische Zivilisten und insbesondere Juden noch auf reine Eigeninitiative hin quälten. In der Werteskala der deutschen Besatzer nahmen die Juden die unterste gesellschaftliche Stufe ein. Anders als im Reich waren polnische Juden wegen ihrer traditionelleren Lebensweise aufgrund der Kleidung oder der Haartracht vielfach gut erkennbar. Die bald von den Besatzungsbehörden eingeführte Kennzeichnung tat ein übriges. Das aus Deutschland mitgebrachte antisemitische Stereotyp des „Ostjuden“ fand vor Ort, in den Städten und Dörfern Polens seine eingebildete Entsprechung. Die Folge waren unzählige antisemitische Übergriffe der deutschen Truppen, die als Souvenir vom Osteinsatz auch zehntausendfach photographisch dokumentiert wurden. 86 Die Bandbreite der Taten reichte von Erniedrigungen und Schikanen über schwerere Formen physischer Gewaltausübung bis zu Mord. Nur weil ein antisemitischer Übergriff in Lublin ausnahmsweise die Intervention von zwei Unteroffizieren der Wehrmacht nach sich gezogen hatte, legte der SS-Reiter Georg Dach über den alltäglichen Auslöser der Auseinandersetzung mit den Wehrmachtssoldaten überhaupt einen schriftlichen Bericht an. In nur einem Satz offenbarte Dach ungemein viel über die in der SS-Uniform steckende Persönlichkeit: „Als ich auf der Petrikauerstrasse einen Juden traf, der mir nicht aus dem Weg ging, habe ich demselben eine Ohrfeige gegeben“, formulierte der SS-Mann in aller Selbstverständlichkeit. 87 In Kielce stürmten am 22. September 1940 zwei SS-Soldaten einen von der Wehrmacht geführten Tischlereibetrieb, in dem etwa einhundert jüdische Zwangsarbeiter angestellt waren. Ihr Eindringen begründeten die Deutschen mit der Suche nach einem Juden, der die beiden nicht gegrüßt habe und anschließend möglicherweise in die Räume der Tischlerei geflohen sei.

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Als die Fahndung der SS-Soldaten in der Tischlerei ergebnislos verlief, schlugen sie ersatzweise kurzerhand einige der jüdischen Zwangsarbeiter zusammen. 88 Gerade im Abverlangen der Grußpflicht von jüdischen Passanten oder – je nach Gelegenheit – in der Ahndung eines solchen Grußes, bestand ein weitverbreiteter Zeitvertreib von Wehrmachtssoldaten, Waffen-SS’lern und Ordnungspolizisten. Bei unzähligen solcher in aller Öffentlichkeit zelebrierten Szenen wurden Juden schikaniert und gequält. Bezeichnenderweise war es nicht eine, sich theoretisch ja zu durchaus denkbaren Konflikten zuspitzende Ablehnung solcher Taten seitens einzelner Soldaten, sondern gerade die massenhafte Verbreitung antisemitisch motivierter Übergriffe, die in den Augen der SS wohl zurecht die Gefahr zunehmender disziplinarischer Probleme barg. Mitunter mußte dem antijüdischen Terror darum deutlich Einhalt geboten werden.89 Mit dem Hinweis, es sei „unter der Würde eines jeden SS- und Polizeiangehörigen, von diesen drekkigen Ostjuden einen Gruß zu verlangen“, versuchte etwa der SS- und Polizeiführer des Distrikts Radom, SS-Oberführer Friedrich Katzmann, mit dem Erlaß eines Sonderbefehls vom Oktober 1940 die Übergriffe abzustellen. 90 Wie eine fast gleichlautende Anordnung des Befehlshabers Ost der Waffen-SS vom Dezember 1940 dokumentiert, dauerten die antijüdischen Schikanen jedoch weiter an. 91 Die in die Tat umgesetzten Ressentiments von Soldaten der Waffen-SS erschöpften sich längst nicht nur in Schikanen. Im westpolnischen Turek fuhr am 30. Oktober 1939 ein aus drei Lastwagen bestehender Konvoi der SS unter der Führung eines Offiziers durch die Stadt. Mit Ochsenziemern und Reitpeitschen schlugen die SS-Soldaten während der Fahrt wahllos auf Passanten ein. Schließlich hielten die Lastwagen an, und die SS-Männer trieben eine Gruppe von Tureker Juden in die Synagoge. Begleitet von ständigen Schlägen mit den Reitpeitschen, mußten die Juden singend durch die Bankreihen des Gebetshauses kriechen. Als ein Mann vor lauter Angst in die Hose machte, wurde er von den SS-Männern gezwungen, anderen Juden die Exkremente ins Gesicht zu schmieren. 92 In Błonie, einer westlich von Warschau gelegenen Stadt, war am 19. September 1939 eine Gruppe von etwa 50 Juden zu Ausbesserungsarbeiten an einer Brücke eingesetzt worden. Nach verrichteter Arbeit trieb ein Wachtmeister der Feldpolizei zusammen mit dem Sturmmann Ernst, einem Angehörigen des SSArtillerieregiments der Verfügungstruppe, die Juden in die örtliche Synagoge, wo beide die ihnen Anvertrauten umgehend ermordeten. 93 In dem durch eine antisemitisch und rassistisch normierte Besatzungspolitik bereits völlig entgrenzten Klima der Gewalt bot sich den SS-Männern ständig die Gelegenheit, ihren Judenhaß mit zusätzlichen Tatmotiven zu ergänzen. Habgier etwa, der Wunsch nach persönlicher Bereicherung, läßt sich bei zahlreichen Übergriffen gegen Juden als ergänzender Beweggrund feststellen. So raubten zwei Soldaten der Waffen-SS im Dezember 1939 eine Anzahl von Pelzwesten und -jacken aus der Wohnung des jüdischen Kürschners Chaim Niewiadowicz.

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Der Vorfall entwickelte sich nur deshalb zu einem gewissen Skandal, weil diesem die Bekleidungsstücke von einer Wehrmachtsdienststelle zur Bearbeitung übergeben worden waren und der Handwerker den SS-Männern eine entsprechende Bescheinigung vorzeigen konnte, die allerdings bei den Räubern keine Verhaltensänderung bewirkte. 94 Verbunden mit der Drohung, in Kürze „ausgesiedelt“ zu werden, erpreßten zwei SS-Reiter an einem Abend im März 1941 auf offener Straße Geldbeträge und eine Armbanduhr von Krakauer Juden. 95 Auch drei Angehörige des Kradmeldezuges des 2. SS-Totenkopf-Reiterregiments zogen an einem dienstfreien Nachmittag Anfang November 1940 in einem regelrechten Raubzug durch das jüdische Viertel Krakaus. In mehreren Geschäften provozierten die Männer Streit, beschimpften die Verkäufer und stahlen ganz offen verschiedenste Artikel des persönlichen Bedarfs. 96 Nach der gleichen Logik verfuhren ganze SS-Einheiten. Die in Kamienna (Skarz˙ysko-Kamienna) im Distrikt Radom stationierte 10. (Schwere) Schwadron der 1. SS-Totenkopf-Reiterstandarte ‚beschlagnahmte‘ die für die eigene Ausrüstung benötigte größere Menge an Leder im Mai 1940 einfach vor Ort bei einem jüdischen Handwerker. 97 Entsprechend handelte der Maschinengewehr-Zug der 1. Schwadron zwei Monate später. Weil „der Zug zu etwas Geld kommen wolle“, plante die SS-Einheit am 8. Juli einen als „Aktion“ deklarierten Raubzug gegen die jüdische Gemeinde von Latowicz. 98 Neben den in den Quellen eindeutig dominierenden Exzessen gegen die jüdische Bevölkerung hatten Soldaten der Waffen-SS natürlich auch rassistische Ressentiments gegen Polen verinnerlicht. Ungezählte Übergriffe gegen polnische Zivilisten waren die Folge. Auch bei solchen Taten spielte die Habgier der Deutschen oft eine mitentscheidende Rolle. Beispielsweise drangen zwei SS-Soldaten am 8. Januar in Radom in die Wohnung einer polnischen Beamtin ein und raubten Wäschestücke, Haushaltswaren und zwei Sparbücher. Zwei Wochen später stahlen vier SS-Männer aus einer Wein- und Delikateßhandlung in Warschau Waren im Wert von 5000 Reichsmark und mißhandelten den Enkel des Ladeninhabers. 99 Radikaler Judenhaß und der rassistische Blick auf die polnische Gesellschaft waren die zentralen Motive solcher alltäglichen Exzeßtaten. Deren geistige Grundlage war die nationalsozialistische Weltanschauung, die besonders die Juden, spätestens seit Kriegsbeginn aber auch die Polen als gefährliche Feinde des deutschen Volkes halluzinierte. Als überzeugte Anhänger dieser Ideologie empfanden sich die Soldaten der Waffen-SS als Kämpfer in einem Krieg, der nicht nur gegen einen militärischen Gegner, sondern gegen die große Mehrheit der polnischen Gesellschaft und gegen den eigentlichen Todfeind, das Judentum, als entsprechend konstruiertem Rassenzusammenhang, geführt wurde. Die in diesem entgrenzten Krieg eingesetzten Mittel erwiesen sich schnell ebenfalls als schrankenlos, und Befehle zu deren Gebrauch waren, besonders für die „Politischen Soldaten“ der Waffen-SS, oft gar nicht erforderlich.

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Synthese, Bewertung und Ausblick Der Blick auf die Rolle der Waffen-SS während der ersten Jahre deutscher Besatzung in Polen blieb in der historischen Forschung bislang unbehandelt. Dabei führt ein Gesamturteil über deren Tätigkeit in jener Phase deutscher Besatzungspolitik zu beachtlichen Implikationen: – Zwischen 1939 und 1941 waren Einheiten der Waffen-SS in sämtlichen Bereichen an der Durchsetzung der verbrecherischen deutschen Besatzungspolitik in Polen beteiligt. Auf Stationierungsorte im gesamten besetzten Land verteilt, war die Waffen-SS in einer Gesamtstärke von bis zu 12 000 Mann zusammen mit der Sicherheitspolizei und den Bataillonen der Ordnungspolizei das entscheidende Machtmittel der Deutschen zur Durchsetzung ihrer vorrangig nach antisemitischen und rassistischen Kategorien definierten besatzungspolitischen Ziele. – Im besetzten Polen wurde eine Politik in Gang gesetzt, die in ihrer völkischen Radikalität bis dahin beispiellos war und mit zivilisatorischen Standards in nicht gekannten Umfang brach. Der unter maßgeblicher Beteiligung der Waffen-SS organisierte Mord an der sogenannten Intelligenz, an Zehntausenden von christlichen und jüdischen Polen war ein eindeutiger Genozid. Es war der erste planvolle Versuch der Deutschen zur Vernichtung von Menschengruppen aufgrund der den Opfern von ihren Mördern zugeschriebenen „rassischen“ und sozialen Eigenschaften. – Die Männer der Waffen-SS, die sich in Polen an der Umsetzung der Massenverbrechen beteiligten, waren keine bloßen Befehlsempfänger. In der Regel als Freiwillige in die Waffen-SS eingetreten und oft bereits in anderen nationalsozialistischen Organisationen sozialisiert, verstanden sich die Männer als weltanschauliche Elite. Ihr Denken bewies sich in zahlreichen Exzeßtaten gegen jüdische und christliche Polen, die keiner Logik von Befehl und Gehorsam mehr folgten, sondern auf reine Eigeninitiative hin begangen wurden. Entsprechend zu der beispielsweise im weltanschaulichen Unterricht verbreiteten Ideologie sahen die Soldaten der Waffen-SS ihre zentrale Mission in der erbarmungslosen Bekämpfung der mit unglaublicher Primitivität projizierten Feinde der deutschen „Volksgemeinschaft“. An erster Stelle zählten dazu die Juden. Es folgten „rassisch Minderwertige“ wie die Polen, politische Gegner jeglicher Couleur und psychisch Kranke. – Die Erfahrungen aus 22 Monaten Besatzungspolitik in Polen waren eine entscheidende Vorbedingung für das spätere Vorgehen in der Sowjetunion und im gesamten besetzten Europa. In Bezug auf die Waffen-SS kennzeichnete dieser Zusammenhang eindeutige personelle Kontinuitäten. Mittlerweile zu SS-Regimentern umgegliedert, wurden die ehemalige 8. und 10. SS-Totenkopfstandarte sowie beide Reiterstandarten im Juni 1941 dem Kommandostab Reichsführer-SS unterstellt. Seit ihrem Einsatzbeginn Ende Juli 1941 ermordeten die SS-Regimenter im Rahmen der ihnen aufgetragenen „politischen Befriedung“ innerhalb weniger Wochen mehrere zehntausend jüdische Männer, Frauen und Kinder in den

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deutsch besetzten Gebieten Weißrußlands und der Ukraine. Mit dieser fürchterlichen Bilanz leisteten die in der Praxis der Besatzungspolitik in Polen geschulten SS-Regimenter einen wichtigen Beitrag zur Ingangsetzung der Shoah in der Sowjetunion. 100 – Die Summe der vorhergehenden Punkte eröffnet eine neue Wertung der deutschen Politik in Osteuropa. Die in den letzten Jahren unter anderem durch die beiden Wehrmachtsaustellungen vertretene und allgemein akzeptierte Interpretation, daß der deutsche Vernichtungskrieg erst mit dem Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 begonnen habe, ist nicht länger haltbar. Zu richtungsweisend waren dafür die Eckpunkte der vorausgegangenen deutschen Besatzungspolitik in Polen. Die während der ersten Monate deutscher Präsenz exerzierte „Intelligenzaktion“ war die frühe, nicht minder mörderische Variante der im Sommer 1941 in der Sowjetunion begonnenen Vernichtung der „jüdisch-bolschewistischen Intelligenz“. Jüdische Zwangsarbeit in Polen hatte in den Jahren 1939 bis 1941 häufig genug schon den Charakter der späteren „Vernichtung durch Arbeit“. Schließlich war der Beginn der Shoah in der Sowjetunion und in der Folge in ganz Europa beiliebe kein Ausdruck einer plötzlichen Eingebung Hitlers oder eine seiner Paladine. Vielmehr gründete sich die Vernichtung der Juden auf die zwischen 1939 und 1941 gewonnenen Erfahrungen vorausgegangener deutscher „Endlösungskonzepte“, wie den diversen Nah- und Fernplänen oder dem Madagaskarplan. Die Phase deutscher Besatzungspolitik in Polen zwischen September 1939 und Juni 1941 war somit nicht Vorbereitung oder bloßes Testfeld, sondern erstes und richtungsweisendes Kapitel des deutschen Vernichtungskrieges in Osteuropa. Anmerkungen * Mein Dank gilt der Gerda Henkel Stiftung in Düsseldorf, die mir durch die Bewilligung eines Stipendiums die Arbeit an diesen Aufsatz ermöglicht hat. 1 Tatbericht SS-Gerichtsoffizier 2. SS-T-RR v. 18. 11. 1940, BA-MA, RS 4/984; Vern. August Hennemann v. 18. 11. 1940, ebd; Stellungnahme SS-Gerichtsoffizier SS-KR 1, 2. Halbrgt. v. 14. 12. 1940, BAB, NS 7/1147, Bl. 90; vom SS- und Polizeigericht VI/Krakau wurde Hennemann im April 1941 wegen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang, militärischen Ungehorsams und Amtsanmaßung zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt, wobei die Untersuchungshaft von fünf Monaten auf die Haftzeit angerechnet wurde, vgl. ebd., Bl. 79. 2 Vgl. Befehl RFSS zur Einteilung der SS v. 14. 12. 1934, BAB, Research O. 425. 3 George H. Stein: Geschichte der Waffen-SS, Düsseldorf 1967, S. 8–13. 4 Charles W. Sydnor Jr.: Soldaten des Todes. Die 3. SS-Division „Totenkopf“ 1933– 1945, Paderborn u. a. 2002, S. 9–28. 5 Bernd Wegner: Hitlers Politische Soldaten: Die Waffen-SS 1933–1945, Paderborn 6 1999, S. 84–95, S. 112 f. 6 Führererlaß v. 17. 8. 1938, BAB, NS 19/1652. 7 Dto. v. 19. 8. 1939, BAB, NS 19/3999; Anschreiben OKW v. 21. 8. 1939, ebd. 8 Stein (Anm. 3), S. 25 f.

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9 Heinz Höhne: Der Orden unter dem Totenkopf. Die Geschichte der SS, Gütersloh 1967, S. 419. 10 Hans Umbreit: Deutsche Militärverwaltungen 1938/39. Die militärische Besetzung der Tschechoslowakei und Polens, Stuttgart 1977, S. 163. 11 Sydnor (Anm. 4), S. 32 ff. 12 Kurt-G. Klietmann: Die Waffen-SS. Eine Dokumentation, Osnabrück 1965, S. 419 f. 13 Bericht HSSPF Danzig-Westpreußen über Aufstellung und Einsatz SS-Wachsturmbann „Eimann“ (undat./Anfang Januar 1940), BAB, NS 19/1642; dto. an RFSS v. 9. 1. 1940, ebd. 14 Vgl. Anklage Staw Hannover v. 3. 11. 1966, BAL, SA 263. 15 Schreiben Generalinspekteur der verstärkten SS-T-St. betr. Unterstellung SSHauptreitschule v. 14. 9. 1939, BAB, NS 19/1167; Marschbefehl Kdr. Berittene Abt. für 3. und 4. Schwadron v. 21. 9. 1939, BA-MA, RS 4/418; zu Fegelein vgl. Volker Rieß: Hermann Fegelein. Parvenü ohne Skrupel, in: Ronald Smelser/Enrico Syring (Hrsg.): Die SS: Elite unter dem Totenkopf. 30 Lebensläufe, Paderborn u. a. 2000, S. 160–172. 16 Vgl. Tät.Ber. 1. Schwadron 2. SS-T-RR v. 15. 9. 1939–1. 6. 1940, BA-MA, RS 4/873; KTB 2. Schwadron SS-T-RS, Einträge v. 17.–27. 9. 1939, ebd., RS 4/791. 17 OB Ost an OBdH v. 7. 12. 1939, BAL, Dok.Slg. Verschiedenes 301 Bt (O. 153). 18 Chef RuSHA an RFSS v. 30. 9. 1939, BAB, R 19/334. 19 Bericht Nr. 16 der 4. Schwadron SS-T-RS v. 24. 10. 1939, BA-MA, RS 4/723. 20 Klietmann (Anm. 12), S. 87 f. 21 Sydnor (Anm. 4), S. 39 f.; vgl. Wegner (Anm. 5), S. 126 f. 22 Bericht Chef SS-HA über 9. SS-T-St. und SS-Sturmbann „Eimann“ v. 6. 1. 1940, BAB, NS 19/1919; vgl. Stärkemeldung Inspektion der SS-T-St. v. 28. 7. 1940, BAB, NS 19/3505. 23 Befehl RFSS zur Unterstellung der SS-T-RS v. 15. 12. 1939, VUA, 8. SS-KD, Karton 1, Akte 6. 24 Standartenbefehl Nr. 1 Kdr. 1. SS-T-RS v. 20. 11. 1939, BA-MA, RS 4/308. 25 Befehl Kdr. SS-KR 1 v. 28. 3. 1941, VUA, 8. SS-KD, Karton 1, Akte 4. 26 Dto. Gruppenkdo. der SS-T-St. zur Einberufung der Verstärkung der SS-T-St. v. 30. 8. 1939, BAB, Research O. 437/I; Stärkemeldung Inspektion der SS-T-St. v. 15. 5. 1940, BAB, NS 19/3505. 27 Verzeichnis Generalinspekteur der verstärkten SS-T-St., Stand 18. 2. 1940, ebd.; Stärkemeldung dess. v. 9. 4. 1940, ebd.; dto. über Standorte und Führerbesetzung, Stand v. 5. 5. 1940, ebd. 28 Stärkemeldung dess. v. 25. 3. 1940 (inkl. der in Danzig-Langfuhr stationierten 9. SST-St.), BAB, NS 19/1668; dto. Inspektion der SS-T-St. v. 28. 7. 1940, BAB, NS 19/3505. 29 Zum Begriff der Waffen-SS vgl. Wegner (Anm. 5), S. 127 ff. 30 Befehl RFSS zur Errichtung des SS-FHA v. 15. 8. 1940, BAB, NS 33/228. 31 Dto. Chef des Stabes SS-FHA v. 25. 2. 1941, BAB, NS 33/230. 32 Tom Segev: Die Soldaten des Bösen. Zur Geschichte der KZ-Kommandanten, Reinbek 1992, S. 127. 33 Aussage Robert Brill v. 5. 8. 1946, in: IMG, Bd. 20, Nürnberg 1948, S. 372 ff. 34 Befehl Generalinspekteur der verstärkten SS-T-St. zur Erfassung volksdeutscher SS-Bewerber v. 6. 2. 1940, BA-MA, RS 4/196. 35 Meldung Kdr. SS-T-RS v. 28. 3. 1940, ebd..

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36 Vgl. Tät.Ber. 5. Schwadron 2. SS-T-RR v. 27. 10. 1940, ebd., RS 4/66; Befehl Generalinspekteur der verstärkten SS-T-St. v. 29.1. 1940, ebd., RS 4/196. 37 Vgl. Tät.Ber. verschiedener SS-Schwadronen 1939–1941, ebd., RS 4/66, 494, 495, 538, 539, 540, 723. 38 Vgl. Jürgen Matthäus/Konrad Kwiet/Jürgen Förster/Richard Breitman: Ausbildungsziel Judenmord? „Weltanschauliche Erziehung“ von SS, Polizei und Waffen-SS im Rahmen der ‚Endlösung‘, Frankfurt/M. 2003. 39 Textbeilage des RuSHA zum Lichtbildervortrag „Das Judentum, seine blutsgebundene Wesensart in Vergangenheit und Gegenwart“, (undat./Anfang 1936), abgedr. in: ebd., S. 152–161; Auszug aus dem SS-Leitheft 3 zur „Judenfrage“, Jahrgang 1936/37 v. 22. 4. 1936, ebd., S. 162–170. 40 Ausbildungsplan für Rekruten der SS-Kav. für das letzte Vierteljahr 1940 (undat./ Herbst 1940), BA-MA, RS 4/548. 41 Dto. für einen 4-wöchentlichen Lehrgang für Führerbewerber (undat./Mitte 1940), ebd., RS 3–8/24. 42 Anweisung RFSS v. 30. 9. 1940, ebd., RS 4/453. 43 Monatsbericht 1. Halbrgt. SS-T-KR 1 über weltanschauliche Erziehung im Dezember 1940 (undat./Ende 1940), ebd., RS 4/437. 44 Tät.Ber. Kdr. SS-T-St. „Brandenburg“ v. 28. 9. 1939, BAB, BdC, SSO Paul Nostitz. 45 Vgl. Arno Lustiger (Hrsg.): The Black Book of Polish Jewry. An Account of the Martydom of Polish Jewry under the Nazi Occupation, Bodenheim 1995, S. 10 ff. 46 Ebd.; Schreiben Korück 581 v. 25. 9. 1939, BAL, Dok. Slg. USA 15. 47 Bericht Nr. 12 der 4. Schwadron SS-T-RS v. 15. 10. 1939, BA-MA, RS 4/309. 48 Denkschrift RP/Kalisch v. 10. 12. 1939, VUA, 8. SS-KD, Karton 1, Akte 6; Tät.Ber. E.-Schwadron 1. SS-T-RR v. 30. 11. 1940, BA-MA, RS 4/66; zur Errichtung des Ghettos vgl. Leni Yahil: Die Shoah. Überlebenskampf und Vernichtung der europäischen Juden, München 1998, S. 239 ff. 49 Vern. Franz H. v. 28. 6. 1968, BAL, 202 AR-Z 1212/60, Bd. 16, Bl. 2718 f. 50 Dto. Peter N. v. 5. 5. 1971, ebd., Bd. 25, Bl. 5433. 51 Vgl. Christopher Browning: Die Entfesselung der „Endlösung“. Nationalsozialistische Judenpolitik 1939–1942. Mit einem Beitrag von Jürgen Matthäus, München 2003, S. 214; zur jüdischen Zwangsarbeit in Polen ebd., S. 215–228. 52 Tät.Ber. 5. Schwadron 2. SS-T-RR v. 26. 8. 1940, BA-MA, RS 4/66; KTB 5. Schwadron 2. SS-T-RR v. 21. 8. und 5. 9. 1940, ebd., RS 4/271; Tät.Ber. 4. Schwadron 2. SST-RR v. 29. 11. 1940, ebd., RS 4/66; vgl. Yahil (Anm. 48), S. 237. 53 Tät.Ber. Reitende Batterie SS-T-RS v. 30. 11. 1939, BA-MA, RS 4/498; Forderung 1. SS-T-RS an Jüdische Gemeinde Warschau v. 28. 5. 1940, ebd., RS 4/840. 54 Vgl. die Arbeitsbescheinigungen versch. Schwadronen des 1. SS-T-RR für jüdische Zwangsarbeiter, ausgestellt zwischen Januar und August 1940, ebd., RS 4/213. 55 Yahil (Anm. 48), S. 232 ff.; Michael Wildt: Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2002, S. 458–472, 486 ff.; den Begriff „Reichsghetto“ benutzte Reinhard Heydrich in einer Amtschefbesprechung am 29. 9. 1939, Protokoll v. 2. 10. 1939, BAB, R 58/825. 56 Bericht Chef 5. Schwadron v. 1. 12. 1939, BA-MA, RS 4/540. 57 Dto. 5. Schwadron v. 2. 12. 1939, ebd., RS 4/60; vgl. Yahil (Anm. 48), S. 225; Yehoshua Hertz: Der Toytnmarsh, in: Meylekh Bakalczuk-Felin (Hrsg.): Yizker-bukh Chelm, Johannesburg 1954, Sp. 523–532; Ben-Zion Bruker: Der Toytnmarsh, in: ebd.,

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Sp. 513–522; für den Hinweis auf diese beiden Überlebendenberichte danke ich Andrea Löw (Bochum). 58 Tät.Ber. 5. Schwadron v. 6. 12. 1939, BA-MA, RS 4/540. 59 Einsatzbericht dto. v. 14. 1. 1940, ebd., RS 4/60. 60 Protokoll der Ansprache Hitlers v. 22. 8. 1939, in: IMG, Bd. 26, Nürnberg 1947, S. 523. 61 Dto. SD-Stabskanzlei I 11 v. 9. 9. 1939, BAB, R 58/825. 62 Helmut Krausnick: Hitlers Einsatzgruppen. Die Truppe des Weltanschauungskrieges 1938–1942, Frankfurt/M. 1985, S. 51–59. 63 Protokoll Amtschef- und Einsatzgruppenleiterbesprechung v. 27. 9. 1939, BAB, R 58/825; zur Haltung der Wehrmacht und zu den Verhandlungen mit der SS vgl. Browning (Anm. 51), S. 36–43; Wildt (Anm. 55), S. 450–455. 64 Martin Broszat: Nationalsozialistische Polenpolitik 1939–1945, Stuttgart 1961, S. 48. 65 Sydnor (Anm. 3), S. 35 f. 66 Vern. Walter L. v. 12. 9. 1966, BAL, 415 AR 1310/63/E 16; Władysław Bartoszewski: Der Todesring um Warschau 1939–1944, Krakau 1969, S. 38–75; vgl. Krausnick (Anm. 62), S. 77. 67 Tät.Ber. 1. SS-T-RR v. 10. 10. 1940, BA-MA, RS 4/309. 68 Dto. 1. und 4. Schwadron 20. 9.–3. 11. 39, ebd., RS 4/60; Einstellungsverfügung Staw Stuttgart v. 19. 11. 1979, BAL, 203 AR-Z 33/69, Bd. 3, Bl. 787. 69 Vgl. die sich ergänzenden und in wesentlichen Punkten übereinstimmenden Aussagen der polnischen Zeugen Stanisława K. v. 12. 2. 1968, BAL, 203 AR-Z 33/69, Bd. 1, Bl. 62 f.; Roman K. v. 13. 2. 1968, ebd., Bl. 64 ff.; Stanisław M. v. 11. 9. 1967, ebd., Bl. 83 f.; Jan J. v. 11. 9. 1967, ebd., Bl. 86 ff.; Ignacy M v. 23.10. 1967, ebd., Bl. 101 ff.; Józef P. v. 29. 1. 1968, ebd., Bl. 114 f.; Władysław A. v. 30. 1. 1968, ebd., Bl. 119–122; außerdem die Vern. der ehemaligen Schwadronsangehörigen Karl H. v. 19. 6. 1974, ebd., Bd. 3, Bl. 553; Erwin K. v. 30. 5. 1974, ebd., Bl. 564 f.; Hans W. v. 30. 10. 1974, ebd., Bl. 625 ff.; Rudolf L. v. 17. 3. 1975, ebd., Bl. 643 ff. 70 Vern. Heinz F. v. 24. 6. 1963, StAM, Staw 21894, Bd. 16, Bl. 5 f. 71 Broszat (Anm. 64), S. 97 f.; zu den Deportationen ins GG vgl. Wildt (Anm. 55), S. 490–498. 72 Bericht HSSPF Danzig-Westpreußen über Aufstellung und Einsatz SS-Wachsturmbann „Eimann“ (undat./Anfang Januar 1940), BAB, NS 19/1642. 73 Tät.Ber. Nachrichtenzug 1. SS-T-RR v. 28. 2. 1940, BA-MA, RS 4/497; Bericht über die Einsätze der 1. SS-T-RS, Eintrag zum 15.–19. 5. 1940, ebd., RS 4/60; Tät.Ber. E.-Schwadron v. 30. 11. 1940, ebd., RS 4/66; Lagebericht 1. u. 2. SS-T-RR v. 7. 12. 1940, ebd., RS 4/309; dto. 1. SS-T-KR v. 10. 1. 1941, ebd., RS 4/309. 74 Umbreit (Anm. 10), S. 148 ff.; Broszat (Anm. 64), S. 162 ff. 75 Vgl. OB Ost an OBdH v. 9. 4. 1940, BA-MA, RH 1/v. 58. 76 Einsatzbericht Kdr. 8. SS-T-St. v. 18. 5. 1940, BAB, NS 19/3505. 77 Gefechtsbericht Kdr. 1. SS-T-RS v. 10. 4. 40, VUA, 8. SS-KD, Karton 3, Akte 22; zum Ablauf der Aktion vgl. Zwischenbericht LKA Bayern v. 2. 6. 1969, BAL, 206 AR-Z 70/66, Bd. 4, Bl. 641–647. 78 Gefechtsbericht Kdr. 1. SS-T-RS v. 10. 4. 40 (Anm. 77). 79 Vgl. Volker Rieß: Die Anfänge der Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ in den Reichsgauen Danzig-Westpreußen und Wartheland 1939/40, Frankfurt/M. u. a. 1995;

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Ernst Klee: „Euthanasie“ im NS-Staat. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, Frankfurt/M. 1985, S. 95–98; Verfügung Staw Hannover v. 9. 1. 1963, BAL, 203 AR 1101/62, Bd. 1, Bl. 54–109. 80 Anklage Staw Hannover v. 3. 11. 1966, BAL, SA 263. 81 Verfügung Staw Hannover (Anm. 79), Bl. 94 f. 82 Vern. Kurt Eimann v. 29. 5. 1962, BAL, 203 AR 1101/62, Bd. 1, Bl. 5 f.; Urteil LG Hannover v. 20. 12. 1968, BAL, SA 263. 83 Bericht HSSPF Danzig-Westpreußen über Tätigkeit SS-Wachsturmbann „Eimann“ (undat./Januar 1940), BAB, NS 19/1642; vgl. Vern. Eberhard D. v. 6. 4. 1967, BAL, 203 AR 1101/62, Bd. 1, Bl. 184 ff. 84 Sydnor (Anm. 4), S. 37; vgl. Rieß (Anm. 79), S. 248–256. 85 Vgl. Götz Aly: „Endlösung“. Völkerverschiebung und der Mord an den europäischen Juden, Frankfurt/M. 1998, S. 116; die Aussage eines polnischen Zeugen deutet überdies eine Beteiligung der SS-Schwadron bei der Ermordung von insgesamt 540 Patienten des psychiatrischen Krankenhauses von Kochanówka bei Łódz´ im März 1940 an, vgl. Aussage Bronislaw D. v. 8. 2. 1969, BAL, 203 AR-Z 33/69, Bd. 1, Bl. 54; tatsächlich waren offenbar jedoch die Männer des Sonderkommandos Lange für die Ermordung der Patienten aus Kochanówka verantwortlich, vgl. Beitrag von Volker Rieß in diesem Band; damit ist die genannte Aussage möglicherweise ein Hinweis auf die zur gleichen Zeit stattfindende Ermordung der Patienten des jüdischen Pflegeheims von Litzmannstadt. 86 Vgl. Klaus-Michael Mallmann/Volker Rieß/Wolfram Pyta (Hrsg.): Deutscher Osten 1939–1945. Der Weltanschauungskrieg in Photos und Texten, Darmstadt 2003, S. 18 ff. 87 Meldung SS-Reiter Georg Dach v. 22. 7. 1940, BA-MA, RS 4/334. 88 Dto. Schutzpolizei/Kielce v. 22. 9. 1940, ebd., RS 4/172. 89 Vgl. Kommandanturbefehl Nr. 20 OK Zamosc v. 4. 3. 1940, ebd., RS 4/188; dto. Nr. 27 v. 14. 3. 1940, ebd. 90 Sonderbefehl SSPF Radom v. 28. 10. 1940, ebd., RS 4/172. 91 Tagesbefehl Nr. 4 Bfh. Ost der W-SS v. 9. 12. 1940, ebd., RS 4/121. 92 Bericht Kdr. WK XXI/Posen v. 23. 11. 1939, in: IMG, Bd. 35, Nürnberg 1949, S. 88 ff. 93 Schreiben Oberkriegsgerichtsrat 3. Armee v. 14. 9. 1939, ebd., S. 92 f.; vgl. Generaloberst Halder. Kriegstagebuch, bearb. v. Hans-Adolf Jacobsen, Bd. 1, Stuttgart 1962, S. 67. 94 Vortragsnotizen OB Ost v. 6. 2. 1940, BA-MA, RH 53–23/23. 95 Feldurteil SS- und Polizeigericht VI/Krakau v. 27. 3. 1941, BAB, NS 7/1147. 96 Dto. v. 16. 11. 1940, BA-MA, RS 4/913. 97 Meldung 10. Schwadron v. 6. 6. 1940, ebd., RS 4/192. 98 Anweisung Chef 1. Schwadron 1. SS-T-RS v. 8. 7. 1940, ebd., RS 4/232; zum Hintergrund der Aktion vgl. Meldung sMG-Zug v. 9. 7. 1940, ebd., RS 4/683. 99 Vgl. Vortragsnotizen OB Ost v. 6. 2. 1940 (Anm. 94). 100 Vgl. Yehoshua Büchler: Kommandostab Reichsführer-SS: Himmler’s Personal Murder Brigades in 1941, in: HGS 1(1986), S. 11–25; Martin Cüppers: Gustav Lombard – ein engagierter Judenmörder aus der Waffen-SS, in: Klaus-Michael Mallmann/Gerhard Paul (Hrsg.): Karrieren der Gewalt. Nationalsozialistische Täterbiographien, Darmstadt 2004, S. 145–155; außerdem die betreffenden Kapitel der 2005 erscheinenden Monographie des Verfassers zum Kommandostab Reichsführer-SS.

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„Exerzierplatz des Nationalsozialismus“ Der Reichsgau Wartheland 1939–1941 Der am 26. Oktober 1939 proklamierte Reichsgau Wartheland – bis Januar 1940 Reichsgau Posen – war das mit Abstand wichtigste und flächenmäßig auch größte Experimentierfeld nationalsozialistischer Rassenpolitik in Polen. 1 Viele der späteren Mitorganisatoren der „Endlösung“ nahmen 1939 bis 1941 im Rahmen dieser Politik an den Umsiedlungen von Polen und Juden in das Generalgouvernement (GG) teil. Andere wurden ab 1941 Mitglieder des für das Vernichtungslager Kulmhof zuständigen SS-Sonderkommandos, wenn sie nicht schon zuvor mit einem Vorläufer dieser Einheit an der Ermordung von Geisteskranken beteiligt gewesen waren. Auch Formationen wie etwa das berühmt gewordene Reserve- Polizeibataillon 101 machten ihre ersten Erfahrungen mit „Fremdvölkischen“ im Warthegau, sei es bei den Deportationen von Hunderttausenden Menschen oder bei der Bewachung des Ghettos von Litzmannstadt (Łódz´). Schon der bisher in der westlichen Literatur häufig vernachlässigte oder nur kursorisch behandelte Feldzug gegen Polen 2 kündigte eine neue Dimension und Eskalation der bis dato bekannten Kriegsführung und Besatzungspolitik an. Bereits in den ersten Stunden des Krieges starben Tausende von Zivilisten im Bombenhagel der deutschen Luftwaffe, allein über 1000 in Wielun´, einer polnischen Kleinstadt im Süden des späteren Warthegaus, die keinerlei strategische Bedeutung besaß und keine Truppenansammlungen beherbergte. 3 Nicht nur die Rückeroberung der nach dem Ersten Weltkrieg verlorenen Gebiete – so auch der ehemaligen preußischen Provinz Posen – und darüber hinaus die kurz nach Kriegsbeginn beschlossene Annexion weiterer, niemals zum Deutschen Reich gehöriger Gebiete war das Ziel. Es sollte zudem eine Germanisierung durch Vernichtung, Deportation und Inhaftierung der „Fremdvölkischen“ sowie „unnützer Esser“ wie der Geisteskranken und anderer Behinderter stattfinden. Hitler machte mehr als einmal deutlich, daß er die Eindeutschung des Warthegaus nicht mit „herkömmlichen Mitteln hegemonialer Machtausweitung und nationaler Assimilationspolitik“ 4 betreiben wolle, sondern diese vielmehr mit der Umsetzung seiner völkisch-rassischen Ideologie verband. Das bedeutete, „die Struktur einer historisch gewachsenen Nation von innen heraus zu zerstören“. 5 „Noch einmal müsse der Führer betonen, daß es für die Polen nur einen Herren geben dürfe, und das sei der Deutsche“, hielt etwa Martin Bormann am 2. Oktober 1940 fest; „daher seien alle Vertreter der polnischen Intelligenz umzubringen. Dies klinge hart, aber es sei nun einmal das Lebensgesetz.“ 6 Wie viele Opfer dieser Ausrot-

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tungsfeldzug auf dem Territorium des Warthegaus kostete, ist nicht mehr exakt zu bestimmen. Der polnische Historiker Czesław Łuczak schätzt die Anzahl der dort während der Militärverwaltung ermordeten Menschen auf etwa 10 000. 7 Neben den geplanten, politisch motivierten Tötungen wurden Polen und Juden in den ersten Wochen der Besatzung häufig auch Opfer spontaner Lynchaktionen und Erschießungen durch einheimische Volksdeutsche, die zum Teil im Volksdeutschen Selbstschutz organisiert waren. Zahlreiche Mordaktionen standen lediglich in einem losen Zusammenhang mit Vergeltung. Hier wirkte sich die jahrelange Beeinflussung durch die nationalsozialistische Propaganda aus, die besonders in den Sommermonaten 1939 angebliche Greueltaten der Polen gegenüber der deutschen Minderheit herausgestellt hatte. 8 Vielfach wurden Zivilisten auch als angebliche Heckenschützen liquidiert oder „im Kampf erschossen“, wie etwa in dem Städtchen Złoczew, wo keinerlei Kampfhandlungen stattgefunden hatten, aber etwa 200 Personen, vor allem Flüchtlinge, ermordet wurden.9 Eine genaue Zuweisung dieser Morde, an denen vielfach auch Soldaten beteiligt waren, läßt sich nicht immer zweifelsfrei vornehmen. Schätzungen zufolge waren Wehrmachtseinheiten an etwa der Hälfte der Exekutionen von Zivilisten und Kriegsgefangenen beteiligt. 10 Zwar richtete sich das Hauptaugenmerk der deutschen Führung in den ersten Wochen nach dem Überfall noch nicht auf die jüdische Bevölkerung des Landes, aber gleichwohl war sie schon aus ideologischen Gründen ein bevorzugtes Angriffsobjekt der Einsatzgruppen und teilweise auch von Wehrmachtsangehörigen und Volksdeutschen. 11 Den Morden an Juden fehlte allerdings noch – im Gegensatz zu den Ereignissen zwei Jahre später in der Sowjetunion – das „Element der Koordinierung“. 12 Nach polnischen Forschungen wurden in Großpolen, Kujawien und dem Łódz´er Raum im September 1939 durch Wehrmachtsangehörige über 120 Juden außerhalb der Kampfhandlungen erschossen. Bis Jahresende ermordeten die SS- und Polizeieinheiten dort insgesamt einige hundert Juden, vor allem solche, die vor dem Krieg exponierte Stellungen im Gesellschaftsleben eingenommen hatten. Hierbei wurden bereits viele der kleinen jüdischen Gemeinden im westlichen Großpolen vollständig ausgelöscht. 13 Die Monate September und Oktober 1939 sind für den weiteren Verlauf der deutschen Besatzung in Polen nicht hoch genug einzuschätzen. 14 Antipolnische und antijüdische Ressentiments entluden sich geradezu explosionsartig in einem bis dato nicht gekannten Ausmaß an Gewalt. Wechselseitige Vergeltungsaktionen wie etwa der „Bromberger Blutsonntag“ ließen – zusätzlich durch die deutsche Propaganda aufgeheizt – die gewalttätige Stimmung eskalieren. Typisch für solche mörderischen Exzesse war ein Vorfall, der sich Ende Oktober in Hohensalza abspielte. Dort betrat der betrunkene Landrat von Hirschfeld mit zwei Begleitern das Gerichtsgefängnis, schlug der Frau des Hauswarts mit einer Pistole in das Gesicht, trat einem über 80-jährigen Mann in den Leib und erteilte den dort stationierten Polizeibeamten die Anweisung, 55 Polen zu erschießen. Hirschfeld

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selbst beteiligte sich an den Morden. Typisch war auch die Reaktion des Gauleiters, der darum bat, diese Angelegenheit „im Sinne der Beamtendisziplin zu regeln, ohne einem befähigten jungen Draufgänger sein Leben zu verderben“. Ein Beamter des Innenministeriums, der sich mit dem Fall befaßte, monierte lediglich, daß von Hirschfeld sich persönlich an den Erschießungen und Mißhandlungen in angetrunkenem Zustand beteiligt habe, während die „Erschießung der Polen an sich nicht zu beanstanden sei“. Die Bestrafung bestand schließlich darin, daß sich von Hirschfeld „freiwillig“ zur Ableistung des aktiven Wehrdienstes melden mußte. 15

Laboratorium nationalsozialistischer Rassenpolitik Mit der Nominierung bewährter Nationalsozialisten an der Spitze der Zivilverwaltungen demonstrierte Hitler, daß er eine harte Herrschaftsausübung in den annektierten polnischen Gebieten forderte. 16 Hitlers Vorgabe an seine Satrapen im Warthegau, an der Spitze Gauleiter und Reichsstatthalter Arthur Greiser, war die Eindeutschung dieses Gaues innerhalb von zehn Jahren. Greiser, 1897 in der damaligen Provinz Posen geboren, geprägt vom Volkstumskampf und ein Polenund Judenhasser par excellence, ging sofort daran, in enger Zusammenarbeit mit Himmler seinen Gau mit missionarischem Eifer und größter Rücksichtslosigkeit zu germanisieren, um die Vorgaben Hitlers so schnell wie möglich zu erfüllen. 17 Sätze wie „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns, und wer gegen uns ist, wird im Reichsgau Wartheland vernichtet“, durften als Drohung durchaus wörtlich verstanden werden. 18 Mit der demographischen Transformation wollte Greiser den Umbau der Region nach nationalsozialistischen Maßstäben in idealtypischer Form vollziehen: der Mustergau Wartheland als Vorbild für das Deutsche Reich nach dem Krieg. 19 Es sollte kein rein regionales Experiment werden, sondern ein Modell für das künftige Deutschland, gewissermaßen ein „Exerzierplatz des Nationalsozialismus“. 20 NS-Vorstellungen sollten auf allen Ebenen durchgesetzt werden. 21 Goebbels brachte es auf den Punkt, als er anläßlich der Eröffnung des Reichsgautheaters in Posen im Frühjahr 1941 im Hinblick auf die neuen Ostprovinzen des Deutschen Reiches verkündete: „Es sind radikalere Lösungen möglich geworden. Wir brauchen uns nicht mehr mit Halbheiten und Kompromissen zufriedenzugeben.“ 22 Oder wie es der Litzmannstädter Regierungspräsident Friedrich Uebelhoer formulierte: Seit September 1939 sei die „Volkstumsneuordnung […] mit einem Tempo und einer Gründlichkeit durchgeführt worden, wie das in früheren Zeiten niemals möglich gewesen wäre“. 23 Erster Schritt auf diesem Weg der Eindeutschung war die bereits erwähnte Inhaftierung und Ermordung aller auffindbaren Funktionäre der nationalpolnischen Parteien und Gruppierungen, eines Großteils ihrer Mitglieder und der Intelligenz. Zwar mußte dieses Vorgehen nach zahlreichen Protesten der Wehrmacht einige Wochen später abgeschwächt werden, doch nach dem Ende der

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Militärverwaltung griffen SS und Polizei diese Praktiken erneut auf. Wie der Befehlshaber im Wehrkreis XXI, Petzel, im November feststellen mußte, fanden in „allen größeren Orten durch die erwähnten Organisationen öffentliche Erschießungen statt. Die Auswahl war dabei völlig verschieden und oft unverständlich, die Ausführung vielfach unwürdig.“ 24 Seit Beginn des Jahres 1940 wurden die Erschießungen an weniger zugänglichen Orten, wie etwa in Wäldern, durchgeführt. Zugleich gab es nun verstärkte Einweisungen in Konzentrationslager. Die meisten überlebten den Krieg nicht. Viele Angehörige der Intelligenz wurden zudem im Dezember 1939 im Rahmen des 1. Nahplans in das GG deportiert. Dort wurden die meisten vermutlich im Frühsommer 1940 im Rahmen der sogenannten AB-Aktion ermordet. 25 Charakteristisches Kennzeichen der Besatzungsherrschaft im Warthegau war die permanente Ausweitung des Terrors. Reichsgesetze wurden dort aufgrund eines Sonderstatus nicht vollständig, nur eingeschränkt oder abgewandelt übernommen. Daneben gab es spezielle, meist schärfere Vorschriften, die nur in den annektierten Gebieten bzw. im Warthegau Gültigkeit hatten. 26 Polen wurden für kleinste Vergehen in Gefängnisse, Konzentrations- und Straflager eingeliefert, wo viele von ihnen starben. Lager wie das Fort VII in Posen oder die frühere Textilfabrik M. Glazer in Radogoszcz, einem Vorort von Litzmannstadt, 27 fungierten als Haft- und Hinrichtungsstätte. Damit dienten sie der indirekten und direkten Vernichtung. Denn natürlich bedeuteten auch die Haftbedingungen in den Lagern häufig einen schleichenden Tod durch Mißhandlungen, Krankheiten und Folter. Überproportional oft wurde die Todesstrafe ausgesprochen, konnte damit doch, so der Generalstaatsanwalt in Posen, Drendel, „die unerwünschte und gefährliche Anfüllung der östlichen Strafanstalten mit der Masse vielfach und schwerstens vorbestrafter polnischer Verbrecher“ vermieden werden. 28 Tägliche Exekutionen waren gang und gäbe. So notierte etwa der Professor für Anatomie an der Universität Posen, Dr. Hermann Voß, am 2. Juni 1941 in sein Tagebuch: „Ich glaube, man muß diese Polenfrage ganz ohne Gefühl betrachten, rein biologisch. Wir müssen sie vernichten, denn sonst vernichten sie uns. Und deshalb bin ich froh über jeden Polen, der nicht mehr lebt.“ Zwei Wochen später, am 15. Juni, hielt er fest: „Die Polen sind augenblicklich wieder sehr frech, und infolgedessen hat unser Ofen viel zu tun. Wie schön wäre es, wenn man die ganze Gesellschaft durch solche Öfen jagen könnte! Dann gäbe es endlich einmal Ruhe im Osten für das deutsche Volk.“ 29 Greiser ließ es sich nicht nehmen, zahlreiche Todesurteile persönlich anzuordnen, so etwa im Mai 1941 für die Tötung eines Gendarmen in Wiskitno, als nicht nur die öffentliche Hinrichtung des Täters, sondern auch die weiterer zwölf Geiseln durchgeführt wurde. 30 Für den Volkstumskampf impften die Parteidienststellen den Deutschen Haß, Kampfgeist und Überlegenheitsgefühl ein. Das Gauschulungsamt in Posen gab ausführliche Instruktionen heraus, wie die deutsche Bevölkerung sich gegenüber Polen zu verhalten habe. Greiser versuchte alles, um die Kluft zwischen Polen

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und Deutschen zu vergrößern. So errichtete er eigens ein „Gauamt für Volkstumspolitik“. Im September 1940 veröffentlichte er ein Rundschreiben, in dem er den Deutschen strengste Strafen androhte, wenn diese kameradschaftliche Beziehungen zur polnischen Bevölkerung pflegten. Kurz zuvor hatte Greiser eine Säuberungsaktion gegenüber jenen angekündigt, die sich zu tolerant zeigten und nicht genügend Härte und Rücksichtslosigkeit aufkommen ließen. Auch Deutsche sollten mit Einweisung in ein Konzentrationslager bestraft werden, wenn sie „in der Öffentlichkeit oder im persönlichem Umgang mit Polen angetroffen werden“. 31 Die jüdische Bevölkerung traf die NS-Gesetzgebung noch weitaus härter als die christliche polnische Bevölkerung, stand sie doch auf der untersten Ebene der nationalsozialistischen Rassenhierarchie. Die Umsetzung der speziell gegen Juden gerichteten Maßnahmen, die im Deutschen Reich, in der Ostmark und im Protektorat Böhmen und Mähren einige Jahre gedauert hatte, wurde in Polen nicht nur innerhalb kürzester Zeit erreicht, sondern von Beginn an – zum Teil mit neuartigen Methoden – wesentlich umfassender durchgeführt. Mit Ausnahme der Ghettoisierung war die Entrechtung, Beraubung und Isolierung der Juden im Warthegau in ihren Grundzügen bereits im Frühjahr 1940 abgeschlossen. War den Polen vorläufig noch die Rolle eines Sklaven für den deutschen Herrn zugedacht, so war für die Juden überhaupt keine Rolle mehr vorgesehen. Nach den Worten von Uebelhoer galt es, „das polnische Volkstum zunächst in die dienende Rolle zu verweisen mit dem Endziel der gänzlichen Entfernung aus diesem Raum“; dagegen sei „die Judenpest auszurotten“. 32

Deportationen Neben der Ermordung und Inhaftierung der polnischen Intelligenz war die zweite Säule der Germanisierung des Warthegaus die Vertreibung der polnischen und jüdischen Bevölkerung in das GG. Wie sie vonstatten gehen sollte, machte Hitler kurz vor Ablösung der Militärverwaltung einigen Spitzenvertretern des Regimes deutlich. Die Durchführung der volkstumspolitischen Maßnahmen im besetzten Polen gestatte, so stellte er am 17. Oktober 1939 fest, „keine gesetzliche Bindungen“. Das GG sollte als Auffangplatz dienen, um das alte und neue Reichsgebiet „zu reinigen von Juden und Polaken“. 33 Gab es zunächst die eigenständige Strategie einer forcierten Vertreibung aller „Fremdvölkischen“, so richteten sich die Planungen für die zukünftigen Deportationen ab Oktober nach den Bedürfnissen der anzusiedelnden Volksdeutschen. Es genügte nun nicht mehr, Polen und Juden irgendwie zu vertreiben, sondern es mußten ganze Dörfer, Wohnviertel, Bauernhöfe, Landgüter, Betriebe und Arbeitsplätze geräumt werden. Benötigt wurden zudem Hausrat und Bargeld. Die Aussiedlungen richteten sich somit nach den zu beschlagnahmenden Objekten und nicht primär nach rassischen Gesichtspunkten. 34 Juden waren vor allem im Rahmen des 1. Nahplans von den Umsiedlungen betroffen, als Wohnungen, Geschäfte und Werkstätten für die Baltendeutschen

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in den Städten benötigt wurden.35 Damit gelang es den Nationalsozialisten gleichsam als erwünschter Nebeneffekt, bereits den Regierungsbezirk Posen ganz, den Regierungsbezirk Hohensalza bis auf die vier östlichen Kreise sowie die zwei westlichen Kreise des Regierungsbezirks Litzmannstadt „judenfrei“ zu machen. Das waren genau die Gebiete, die bis 1918 zum Deutschen Reich gehört hatten. Dies war insofern kein Zufall, da auch Heydrich in seinem Schnellbrief vom 21. September forderte, die neuen Reichsgebiete von West nach Ost von Juden „zu leeren“. 36 Neben den Exekutionen und dem alltäglichen Terror zeigten auch die Praktiken bei der Durchführung der Deportationen bereits das mörderische Potential der deutschen Besatzer. In der Regel wurden die Opfer ohne Ankündigung nachts oder in den frühen Morgenstunden aus ihren Betten geholt. Damit sollte ihnen die Möglichkeit genommen werden, bewegliches Inventar zu verkaufen oder zu verstecken und natürlich sollte damit auch einer Flucht vorgebeugt werden. Meist blieb den aus dem Schlaf gerissenen und völlig verängstigten Menschen, die sich wild schreienden Angehörigen von SS, Schutzpolizei oder Gendarmerie mit Schäferhunden und erhobenen Gewehrläufen gegenüber sahen, nur zehn bis zwanzig Minuten Zeit, das Nötigste zu packen und ihr Gehöft, ihr Haus oder ihre Wohnung zu verlassen. Schläge, Stöße und Tritte der Exekutivorgane waren ständige Begleiterscheinungen. Bei (vermeintlichem) Widerstand oder Sabotage wurde von der Schußwaffe Gebrauch gemacht. Ohne Rücksicht auf Alter, Geschlecht und Gesundheitszustand wurden die Menschen vertrieben: Alte und Gebrechliche, Kleinkinder und Babys, Frauen kurz vor oder nach der Entbindung – sie alle mußten ihre Heimat verlassen. Alles, was für die deutschen Umsiedler notwendig war, hatten die Vertriebenen zurückzulassen: Kleidung, Wäsche, Geschirr, Werkzeuge, Wertsachen ohnehin. Die Anwendung der nationalsozialistischen Rassenkategorien zeigte sich auch hier: War für Polen die Mitnahme von 200 Złoty erlaubt, galt für Juden die Obergrenze von 50 Złoty. 37 Häufig saßen Polen und Juden vor der eigentlichen Deportation noch tage-, mitunter wochenlang in Durchgangslagern mit unzureichender Ernährung. Vielfach herrschten dort katastrophale hygienische und sanitäre Bedingungen, fehlte es an ärztlicher Hilfe und Medikamenten. Nicht selten drohte so der Ausbruch von Seuchen. Einige Lagerführer waren zudem für ihre besondere Grausamkeit gefürchtet. Die Sterblichkeit in diesen Lagern war entsprechend hoch. 38 Auch der Transport war eine einzige Tortur: Im Winter 1939/40 mußten die Menschen vielfach in ungeheizten Viehwaggons fahren. Es gab nichts zu essen und zu trinken. Viele erlitten schwere Erfrierungen oder starben an den Folgen dieser Umstände. „Es wird“, so stellte der für die Organisation der Dezembertransporte aus Litzmannstadt zuständige SS-Sturmbannführer Richter fest, „infolge mangelnder Fürsorge an Stroh und Lebensmitteln damit gerechnet werden müssen, daß nicht alle transportierten Personen, insbesondere die Säuglinge, den Zielbahnhof lebend erreichen.“ 39 Generalgouverneur Hans Frank erinnerte seine Unterge-

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benen aus der Retrospektive im Dezember 1942 an dieses Verbrechen: „Sie entsinnen sich dieser Schreckensmonate, in denen Tag für Tag Güterzüge ins Generalgouvernement hineinrollten, voll beladen mit Menschen, manche Waggons waren bis obenhin mit Leichen gefüllt.“ 40 Der Plan, Hunderttausende von Menschen völlig mittellos im GG auszusetzen, beinhaltete bereits eine eindeutig genozidale Komponente. Die Funktionäre kümmerte das Schicksal der Ausgesiedelten wenig. Im Gegenteil: eine Dezimierung war durchaus erwünscht. Der SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin, Odilo Globocnik, brachte es auf den Punkt, als er im Februar 1940 in einer Sitzung der Distriktregierung vorschlug, die „evakuierten Juden und Polen sollten sich selbst ernähren und von ihren Landsleuten unterstützen lassen, da diese genug hätten. […] Falls dies nicht gelänge, sollte man sie verhungern lassen.“ 41 Führende Funktionäre im Warthegau wollten es nicht bei solchen Hungerszenarien belassen, sondern drängten schon auf einen aktiven Massenmord an transportunfähigen Personen. Rolf-Heinz Höppner, Chef des Posener SD-Leitabschnitts und der für die Aussiedlungen zuständigen Umwandererzentralstelle Posen, beschwerte sich im Oktober 1940 darüber, daß im Rahmen der Umsiedlungen Alte und Kranke im Warthegau zurückblieben, die den Fürsorgebehörden zur Last fallen würden. Als Lösung schlug er vor, „andere Maßnahmen“ gegen Transportunfähige zu ergreifen und berichtete nach Berlin, der Höhere SS- und Polizeiführer habe bereits Sondermaßnahmen bei Himmler beantragt. Es ist nicht schwer zu erraten, welche Maßnahmen das sein sollten. 42 Drei Monate später, im Januar 1941, wollte Höppner an Tuberkulose erkrankte Polen nicht in das GG deportieren, sondern an Ort und Stelle ermorden lassen. 43 Die Einstellung, die den Tod von Zehntausenden von Menschen billigend in Kauf nahm, war also schon zu Beginn des Krieges weit verbreitet und wurde durch die Bestätigung alter antipolnischer und antisemitischer Klischees vor Ort verstärkt. Bezeichnend waren hierfür die Eindrücke, die Goebbels bei einem Besuch in Litzmannstadt und einem Rundgang durch das dortige Ghetto gewonnen hatte: „Wir steigen aus und besichtigen alles eingehend. Es ist unbeschreiblich. Das sind keine Menschen mehr, das sind Tiere. Das ist deshalb auch keine humanitäre, sondern eine chirurgische Aufgabe. Man muß hier Schnitte tuen, und zwar ganz radikale. Sonst geht Europa an der jüdischen Krankheit zugrunde.“ 44 Noch waren jedoch Hemmungen vorhanden, das hier und da schon offen propagierte und angedachte Massensterben in die Tat umzusetzen. Aber der Weg dorthin war schon durch die Ereignisse in den ersten Monaten der Besatzung gebahnt. Der nächste Schritt, der sich speziell gegen die jüdische Bevölkerung richtete, nämlich deren Ghettoisierung, die lediglich als Übergangsmaßnahme gedacht war, sich dann aber als dauerhafte Erscheinung entpuppte, sollte die Hemmschwelle noch weiter senken. In den Ghettos sollte ein Fünftel aller Holocaustopfer sterben.

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Ghettoisierung Die Errichtung der Ghettos stellte eines der wirkungsvollsten Mittel dar, um die jüdische Bevölkerung einer totalen Kontrolle und Ausbeutung zu unterwerfen. Beim Beginn der Massenmorde waren sie zudem riesige Gefängnisse, aus denen die Nationalsozialisten ihre Insassen in die Vernichtungslager schicken konnten. Die Initiative für die Ghettoisierungen im Warthegau kam von den unteren und mittleren Verwaltungsfunktionären; es gab keine zentrale Anweisung aus Posen. Sie war vielmehr eine Folge der schleppenden und im März 1941 endgültig gescheiterten Deportation der Juden aus dem Warthegau. Die Ziele waren uneinheitlich, aber meist standen Wohnraumbeschaffung, die Verbannung der Juden aus dem Stadtbild, Abwehr von angeblichen Seuchengefahren und die Ausschaltung aus dem Wirtschaftsleben im Vordergrund. 45 Die Ghettos waren ein Meilenstein auf dem Weg zum Genozid, gewöhnten sie doch viele Mitglieder der Zivilund Polizeiverwaltung an den schleichenden Tod der ihnen ausgelieferten Menschen. „Ordinary men“ wie der Litzmannstädter Ghettoleiter Hans Biebow, bis 1940 Kaffeegroßhändler in Bremen, entwickelten sich in solch einer Umgebung zu Menschenschindern, die nicht nur ohne Skrupel Beraubung, Zwangsarbeit und Hungerrationen verwalteten, sondern ab 1941 auch das aktive Massenmorden im Vernichtungslager Kulmhof. 1942 waren seine Hemmungen schon so weit zurückentwickelt, daß er sich aktiv an Selektionen beteiligte und dabei auch vor Mord nicht mehr zurückschreckte. 46 Die hygienischen Verhältnisse spotteten in vielen Fällen der Beschreibung. So mußten in Litzmannstadt auf 4,13 km2 eines Elendsviertels mit einer katastrophalen Infrastruktur – größtenteils ohne Wasseranschluß und Toiletten – anfangs knapp 164 000 Menschen leben. Die Bevölkerungsdichte, die 1931 in Łódz´ 10 248 Einwohner pro km2 betragen hatte, lag im Ghettogebiet um das Sechsfache höher, das heißt knapp 60 000 Einwohner pro km2 . Ohne das 1,5 km2 große, unbebaute und unbewohnte Brachland, das zum Ghetto gehörte, war die Bevölkerungsdichte allerdings noch höher. 47 Auch in den kleineren Ghettos waren die Zustände nicht immer besser. So mußten etwa in der im Nordosten des Warthegaus gelegenen Kleinstadt Gostynin zehn Personen in einem Raum leben, für 2500 Menschen existierten nur zwei Brunnen. Außerhalb von Litzmannstadt herrschten die schlimmsten Verhältnisse vermutlich in der Kreisstadt Kutno, wo die Juden auf dem Gelände einer verfallenen Zuckerfabrik hausen mußten, teilweise ohne Dach über dem Kopf oder Fenstern in den Wänden. 6500 Menschen mußten sich einen einzigen Brunnen und drei Toiletten teilen. So war es nur eine logische Folge, daß dort im November 1940 Fleckfieber ausbrach, welches auch Todesopfer forderte. 48 Für die Etablierung solcher Verhältnisse brüstete sich Uebelhoer: „Wir haben die wirksamste, aber auch die radikalste Maßnahme getroffen.“ Und auch in den Landkreisen seien die Juden „in jeder Beziehung ausgeschaltet und fristen ein Dasein, wie es eben notorischen Volksschädlingen zukommt“. 49

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Die Angehörigen der Zivilverwaltung agierten durchaus unterschiedlich gegenüber den Juden: Einige beließen es bei den aus Posen bis Frühjahr 1940 vorgegebenen Einschränkungen. Andere praktizierten ein brutales Herrenmenschentum. Aus manchen Orten sind hingegen keine Übergriffe bekannt. Insgesamt stellte Terror, der von Schikanen über brutale Mißhandlungen mit Todesfolge bis hin zu standrechtlichen Exekutionen ging, aber eher die Regel als die Ausnahme dar. 50 In Bełchatów (Kreis Lask) etwa spielte sich der dortige Amtskommissar Josef Tralmer als Herr über Leben und Tod auf. Er entschied willkürlich darüber, ob ein Jude in das Gefängnis kam, in ein Zwangsarbeitslager verschickt, zum Tode verurteilt oder direkt getötet wurde. Auch ständige Mißhandlungen durch ihn wurden von Augenzeugen immer wieder erwähnt. 51 Ebenso berüchtigt für sein brutales Verhalten gegenüber der jüdischen Bevölkerung ˙ ychlin), Karl Hempel. Er ließ für den Bau war der Amtskommissar in Zichlin (Z seiner Villa etwa 400 Juden rekrutieren, die er auf sadistische Weise quälte. So zwang er beispielsweise wiederholt einzelne von ihnen unabhängig von der Jahreszeit in den direkt am Haus gelegenen Teich zu springen und schoß auf sie, wenn sie nicht tief genug tauchten. Überlebten die Opfer, mußten sie in ihren nassen Kleidern weiterarbeiten, was im Winter einem Todesurteil gleichkam. Es ist nicht bekannt, daß diese Männer je durch die NS-Justiz oder ihre Vorgesetzten belangt wurden. 52 Besonders drastisch wirkte sich die deutsche Hungerpolitik im Ghetto von Litzmannstadt aus. Obwohl es bis Mitte 1941 bereits zu einer wichtigen Produktionsstätte für die Wehrmacht geworden war, kam es dort zu ständigen Auseinandersetzungen zwischen der Ghettoleitung, welche die Produktion langfristig sichern wollte und den für die Ernährung zuständigen Stellen. Da letztere bestrebt waren, möglichst wenig an Lebensmitteln zu liefern, bewegte sich die Kalorienmenge von vornherein an der untersten Grenze des menschlichen Bedarfs. 53 Mitglieder des Jüdischen Unterstützungskomitees stellten fest: „Hunger und Elend dezimieren die Bevölkerung. Es gibt Tage, an denen man 50 Sterbefälle unter den Erwachsenen notiert. Unter den Kindern und den Säuglingen herrscht die Sterblichkeit in erschreckendem Ausmaß. Der Mangel an Fett und besonders Milch tötet unbarmherzig diese unschuldigen Geschöpfe (die Sterblichkeit unter den Kindern reicht bis zu 80 %).“ 54 Neben der Unterernährung bereiteten mangelnde Hygiene und die Überbelegung der Wohnräume den Boden für den Ausbruch von Seuchen und Krankheiten. Als im Sommer 1940 in der Stadt eine Ruhrepidemie ausbrach, war die geschwächte Ghettobevölkerung davon am stärksten betroffen. Von 9769 erfaßten Krankheitsfällen entfielen allein 8799 auf den jüdischen Wohnbezirk. Mit 794 von 894 Verstorbenen forderte die Epidemie dort auch die meisten Todesopfer. Das war eine 28fach höhere Todesrate als im übrigen Stadtgebiet. Das Gesundheitsamt interessierte sich wenig dafür; es wollte lediglich die Verschleppung der Seuche in die Stadt verhindern.55 Am schlimmsten waren die Verhältnisse in den Zwangsarbeitslagern für Juden,

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die seit Winter 1940/41 zunächst im westlichen Teil des Warthegaus für den Reichsautobahnbau von Frankfurt/Oder nach Posen und in Posen selbst errichtet wurden. Dort waren die Ernährungssätze von Beginn an unzureichend und lagen in der Regel noch unter denen im Ghetto Litzmannstadt. 56 Der Alltag war ebenfalls von Willkür, Mißhandlungen und vorsätzlichen Tötungen geprägt. Zahlreiche Lagerführer, darunter Parteileute, SS-Männer, ältere Volksdeutsche, aber auch Polen entpuppten sich als grausame Sadisten. Viele jüdische Zwangsarbeiter bezahlten das rücksichtslose Verhalten ihrer Bewacher mit dem Leben. 57 Nicht selten mußten Juden sieben Tage in der Woche arbeiten. Sie hatten oft lange Fußmärsche zu den Arbeitsstätten, waren unzureichend gekleidet, was zur Entkräftung und einer hohen Zahl an Kranken führte. In den Lagern gab es so gut wie keine Behandlungsmöglichkeiten, herrschten katastrophale Hygieneverhältnisse. Die Folge war eine extrem hohe Ausfallquote, sei es durch Verletzungen, sei es durch Tod. 58 Trotz des immer akuter werdenden Arbeitskräftemangels starben bis Mitte 1941 in den wartheländischen Ghettos und Zwangsarbeitslagern für Juden infolge von Unterernährung, mangelnder medizinischer Versorgung, Erschöpfung, Exekutionen für angebliche Straftaten, Erschießungen bei Fluchtversuchen oder durch die Folgen rücksichtsloser Behandlung durch die Bewacher schätzungsweise über 15 000 Juden, allein in Litzmannstadt etwa 13 000. 59 In den jüdischen Gemeinden und in den Zwangsarbeitslagern für Juden begann das Massensterben also schon vor der eigentlichen Vernichtung durch Gas im Dezember 1941. Der Tod durch Unterernährung und Krankheit war ein integraler Bestandteil der nationalsozialistischen Genozidpolitik am wartheländischen Judentum – auch und gerade bevor der systematische Massenmord begann. Bis dorthin war es bei einem derart latenten Vernichtungswillen gedanklich kein weiter Weg mehr. Verstärkt wurde diese Entwicklung dadurch, daß das massenhafte Töten mit Giftgas Mitte 1941 bereits ein erprobtes Mittel der wartheländischen Instanzen war, um Menschen, die als „nicht lebenswert“ erachtet wurden, zu beseitigen.

Einübung in den Genozid Neben der indirekten Vernichtung der Juden durch systematische Unterernährung war der Mord an polnischen und jüdischen Geisteskranken ein wichtiges Bindeglied zwischen den Massenexekutionen von Zivilisten in den ersten Monaten der Besatzungszeit und dem Beginn der Massenvernichtung der wartheländischen Juden ab Spätherbst 1941. Nirgendwo ist die Verbindungslinie zwischen den „Euthanasie“-Morden und dem Genozid an den europäischen Juden deutlicher sichtbar als im Warthegau, war doch dort für die Tötungen „lebensunwerten Lebens“ wie auch für die Ermordung der Juden dasselbe Mordkommando verantwortlich. Der Beginn der Krankenmorde ist in etwa mit dem Beginn der Zivilverwaltung Ende Oktober 1939 gleichzusetzen. Bereits damals fanden die vermutlich ersten beiden Probevergasungen in der Geschichte der Menschheit

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im Fort VII, einem Teil des alten preußischen Festungswerkes von Posen, statt. Über die Opfer ist nichts Näheres bekannt. 60 Experimentell war auch die Art der Tötung durch Gaswagen seit Januar 1940, die ein speziell aufgestelltes Sonderkommando unter dem SS-Untersturmführer und Kriminalkommissar Herbert Lange durchführte. 61 Diese Morde wurden aber nicht nur durch ein dem regionalen Höheren SS- und Polizeiführer unterstelltes Kommando vorgenommen, sondern durch die Behörden im Warthegau auch eigenständig organisiert und verwaltet. Sie agierten damit völlig unabhängig von der T 4-Zentrale in Berlin. Diese Mordaktionen hatten ihre Ursachen nicht nur im rassistischen und sozialdarwinistischen Denken der Nationalsozialisten. Mit ihnen verbanden sich auch Nützlichkeitserwägungen, denn eines der Ziele war das Freimachen von Räumlichkeiten für SS, Wehrmacht, Umsiedler, Behörden und Krankenhäuser. 62 Im Warthegau wurden bis Mitte 1941 mindestens 10 800 geistig und körperlich Behinderte, Krüppel, Alte und sonstige Kranke ermordet, darunter 2800 Patienten aus Pommern, die dorthin transportiert wurden. Mindestens weitere 400 geistig Behinderte aus dem Baltikum, die im Rahmen der Umsiedlung in den Warthegau gelangt waren, starben infolge systematischer Unterernährung. 63 Die „Euthanasie“-Morde mit Gaswagen waren ein Meilenstein in der Entwicklung neuer Tötungstechniken und bewirkten neben der indirekten Vernichtung in den Ghettos und Lagern eine schleichende Gewöhnung an den Massenmord, nicht zuletzt für die daran beteiligten Bürokraten. Als die Tötung der Behinderten im Warthegau im Sommer 1941 endete und im Spätherbst beinahe nahtlos in die Vernichtung der Juden überging, verfügte das SS-Sonderkommando Lange schon über eine fast zweijährige Erfahrung mit der Ermordung von Menschen durch Gas. Und während es im Altreich große Probleme mit der Geheimhaltung gab und die „Euthanasie“-Aktion im August 1941 nach Protesten aus der Bevölkerung offiziell sogar beendet werden mußte, verlief das Morden wehrloser Anstaltsinsassen im Warthegau nahezu reibungslos. Der Beginn der Vernichtung der Juden hing eng mit den gescheiterten Deportationen und den Schwierigkeiten bei der Ansiedlung der Volksdeutschen zusammen. Die Pläne zur demographischen Umformung des Warthegaus mittels gigantischer Bevölkerungsverschiebungen waren schon Ende 1940 an der Realität gescheitert. Konnte der 1. Nahplan sogar noch übererfüllt werden, so mußte für die Ansiedlung der übrigen Baltendeutschen bereits ein neuer Zwischenplan herhalten. Alle folgenden Umsiedlungspläne endeten dagegen in einem Desaster. Weder gelang die Deportation einer ausreichenden Anzahl an Juden und Polen, noch gelang umgekehrt die Ansiedlung aller Volksdeutschen, die in den Warthegau hineinströmten. Insgesamt konnten die Umsiedlungsexperten dort zwar 293 794 Menschen deportieren, die mit Abstand höchste Zahl an Ausgesiedelten in den annektierten Gebieten. 64 Im Sommer 1941 machten aber von den 4,5 Millionen Einwohnern des Warthegaus Polen immer noch 80 % und Juden 6 % aus. Dagegen betrug der Anteil der Volksdeutschen lediglich 14 %. Von einer nen-

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nenswerten Eindeutschung konnte also keine Rede sein, zumal noch immer über 250 000 Volksdeutsche in Lagern verharren mußten und auf ihre Ansiedlung warteten. 65 Um Platz zu schaffen, begannen die Behörden ab Mai 1941 damit, Polen innerhalb der Kreise zusammenzudrängen. 66 Während die Volksdeutschen zunehmend demoralisiert wurden und sich der Gesundheitszustand der Polen zusehends verschlechterte, wurden die Juden von den Verantwortlichen vor Ort bei ihren Vorgesetzten in Posen, Hohensalza und Litzmannstadt vor dem Hintergrund der blockierten Ansiedlung zunehmend zu einem Problem hochstilisiert. Dessen Lösung gewann höchste Priorität, um Platz für die zu verdrängenden Polen zu schaffen, angebliche Seuchengefahren zu bannen und „unnütze Esser“, vor allem die „arbeitsunfähigen“ Juden, welche die Gemeindekassen belasteten, zu entfernen. 67 Auch Greiser muß diesen Druck gespürt haben, begann er doch just zu diesem Zeitpunkt eine ausgedehnte Besichtigungsfahrt durch alle Teile seines Gaues. 68 Pläne, die „arbeitsfähigen“ Juden im Ghetto Litzmannstadt zu konzentrieren oder sogar alle Juden des Warthegaus dort einzusperren, scheiterten aber am Widerstand der dortigen Behörden.69 In welche radikale, mörderische Richtung die Verantwortlichen nun bei der Suche nach einer „Lösung der Judenfrage“ drängten, läßt sich deutlich an einem Schreiben Höppners an Adolf Eichmann vom 16. Juli 1941 festmachen. Er faßte darin die Diskussionen zwischen führenden Funktionären der Polizei- und Zivilverwaltung des Warthegaus in den Wochen zuvor zusammen: „Es besteht in diesem Winter die Gefahr, daß die Juden nicht mehr sämtlich ernährt werden können. Es ist ernsthaft zu erwägen, ob es nicht die humanste Lösung ist, die Juden, soweit sie nicht arbeitseinsatzfähig sind, durch irgendein schnellwirkendes Mittel zu erledigen. Auf jeden Fall wäre das angenehmer, als sie verhungern zu lassen.“ Die Dinge klängen teilweise „phantastisch“, bemerkte Höppner in seinem Begleitschreiben, „wären aber meiner Ansicht nach durchaus durchzuführen“. 70 Tatsächlich begann die Umsetzung dieser Pläne bereits zweieinhalb Monate später. Damit kulminierte eine mörderische Entwicklung, die seit September 1939 ihren Lauf genommen hatte. Die staatlich gesteuerten oder sanktionierten Terroraktionen gegen die Zivilbevölkerung erreichten in Polen eine neue Dimension. Sie verfolgten nicht nur den Zweck, jeglichen Widerstand oder zivilen Ungehorsam bereits im Keim zu ersticken, sondern sie waren auch der Beginn der Vernichtung bestimmter Gruppen: der Intelligenz, der geistig Behinderten und der Juden in den westlichen Gebieten Polens. Der Wegfall jeglicher Hemmungsmechanismen für eine Lösung mittels Massenmord, wie er seit 1941 in der Sowjetunion und in Polen zu beobachten sein sollte, war in den Ereignissen von September 1939 bis Mitte 1941 bereits latent angelegt: Steigerung des Terrors, Massenerschießungen, allgemeine Verrohung im Umgang mit Menschenleben ebneten einer gefährlichen Enthemmung den Weg und besaßen bereits alle Merkmale des Vernichtungskrieges. Die Ghettoisierungswelle senkte die Hemmschwelle weiter. Polen und insbesondere

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der Warthegau stellten somit den ersten Schritt auf dem Weg zu einem gewaltsam eroberten, deutsch beherrschten Imperium in Ostmittel- und Osteuropa dar. Dort wurden volkstumspolitische Experimente gemäß der „Lebensraum“-Ideologie eingeleitet, Mord und Terror quasi wie in einem Laboratorium getestet. Anmerkungen 1 Der Gau war mit 44 000 km2 etwas kleiner als das heutige Bundesland Niedersachsen und etwas größer als die Schweiz; es bestand aus zwei historisch völlig unterschiedlich gewachsenen Teilen: Der westliche Teil gehörte bis 1918 zum Deutschen Reich, der östliche Teil bis 1915 zu Rußland; 1939 lebten dort knapp fünf Millionen Menschen. 2 Dies sieht in Polen allerdings ganz anders aus; dort sind die 55 Tage des Krieges gegen Polen bzw. der Militärverwaltung eines der zentralen Themen der Historiographie; erstmals mit einer genauen Analyse aus westlicher Sicht: Alexander B. Rossino: Hitler strikes Poland. Blitzkrieg, Ideology, and Atrocity, Kansas City 2003. 3 Barbara Bojarska: Zniszczenie miasta Wielunia w dniu l wrzes´nia 1939 r., in: PZ 18(1962), S. 305–317. 4 Martin Broszat: Nationalsozialistische Polenpolitik 1939–1945, Stuttgart 1961, S. 118. 5 Wolfgang Jacobmeyer: Der Überfall auf Polen und der neue Charakter des Krieges, in: Christoph Kleßmann (Hrsg.): September 1939. Krieg, Besatzung, Widerstand in Polen, Göttingen 1989, S. 28. 6 IMG, Bd. 39, Nürnberg 1949, S. 428. 7 Czesław Łuczak: Pod niemieckim jarzmem (Kraj Warty 1939–1945), Poznan´ 1996, S. 16, 18; Edward Serwan´ski: Wielkopolska w cieniu swastyki, Warszawa 1970, S. 28–31, 36. 8 Szymon Datner: Crimes committed by the Wehrmacht during the September Campaign and the period of the military government (1. Sept. 1939–25. Oct. 1939), in: PWA 3(1962), S. 312. 9 Barbara Bojarska: Zbrodnkie Wehrmachtu w Złoczewie, in: PZ 18(1962), S. 107 ff. 10 Dieter Pohl: Von der „Judenpolitik“ zum Judenmord. Der Distrikt Lublin des Generalgouvernements 1939–1944, Frankfurt/M. u. a. 1993, S. 24, weist auf die fast diametral entgegengesetzten Forschungsergebnisse der deutschen und polnischen Historiker in dieser Frage hin; während die polnischen Historiker den großen Anteil von Wehrmachtseinheiten an den Erschießungen von Polen und Juden betonen, sehen die deutschen Historiker hier in der Regel nur Einzelfälle; eine Aufzählung der Exekutionen und Mordaktionen auf dem Gebiet im Warthegau bei Edward Serwan´ski: Materiały do sprawy eksterminacji w tzw. Kraju Warty, in: PZ 11(1955), S. 298–334, 616–621. 11 Vgl. etwa zu Bełchatów AAN, DR, Sign. 202/III-29, Bl. 6. 12 Gerald Reitlinger: Die Endlösung. Hitlers Versuch der Ausrottung der Juden Europas 1939–1945, Berlin 19 927 , S. 37. 13 Łuczak (Anm. 7), S. 43. 14 Das bis heute wichtigste Buch dazu Hans Umbreit: Deutsche Militärverwaltungen 1938/39. Die militärische Besetzung der Tschechoslowakei und Polens, Stuttgart

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1977, der jedoch die zahlreichen deutschen Quellen in polnischen Archiven sowie die umfangreiche polnische Literatur zum Thema nicht verwertet hat. 15 Vermerk der Reichskanzlei v. 8. 1. 1940, abgedr. in: Czesław Łuczak (Hrsg.): Połoz˙enie ludnos´ci polskiej w tzw. Kraju Warty w okresie hitlerowskiej okupacji. Wybór z´ródeł i opracowanie, Poznan´ 1990, S. 12 f. 16 Broszat (Anm. 4), S. 26. 17 Zu seiner Biographie Czesław Łuczak: Arthur Greiser. Hitlerowska władca w Wolnym Mies´cie Gdan´sku i w Kraju Warty, Pozan´ 1997; Ian Kershaw: Arthur Greiser – Ein Motor der „Endlösung“, in: Ronald Smelser/Enrico Syring/Rainer Zitelmann (Hrsg.): Die braune Elite, Bd. 2, Darmstadt 1993, S. 116–127. 18 Reden zum Tag der Freiheit im Reichsgau Wartheland 1940, o. O. o. J. (Posen 1940), S. 25. 19 Vgl. Schmelztiegel Warthegau, in: Das Reich v. 20. 10. 1940. 20 Aufbau im Warthegau, in: Der Schulungsbrief 8(1941), S. 72. 21 So unter anderem auch mit der Reichsuniversität Posen, die als Musterbeispiel einer nationalsozialistischen Kaderuniversität dienen sollte, vgl. Die Großdeutsche Aufgabe im Wartheland, in: Nationalsozialistische Monatshefte 12(1941), S. 49. 22 Joseph Goebbels: Der kulturelle Aufbau im Osten wird vom Gesamtreich getragen. Ansprache zur Eröffnung des Reichsgautheaters, gehalten im Großen Haus am 18. März 1941, in: Wartheland 1(1941), H. 4, S. 2. 23 Friedrich Uebelhoer: Der Aufbau im Regierungsbezirk Litzmannstadt, in: Der Osten des Warthelandes, o. O. o. J. (Litzmannstadt 1940), S. 255. 24 Lagebericht WK-Kdo. XXI v. 23. 11. 1939, BA-MA, N 104/3. 25 Czesław Łuczak: Polityka ludnos´ciowa władz hitlerowskich w tzw. Kraju Warty (1939–1945), in: Zbrodnie hitlerowskie na ziemi kaliskiej w latach 1939–1945. Praca zbiorowa pod redakcja˛ Antoniego Czubin´skiego wydana w zwia˛zku z 40-rocznica˛ napas´ci Niemiec hitlerowskich na Polske˛, Kalisz 1979, S. 37; Karol Marian Pospieszalski: Nazi Terror in Poland, in: PWA 5(1964), S. 74; Czesław Madajczyk: Die Okkupationspolitik Nazideutschlands in Polen 1939–1945, Berlin (DDR) 1987, S. 187 f. 26 Karol Jonca: Nationalsozialistisches Recht im besetzten Polen (1939–1945), in: Polnische Weststudien 3(1964), S. 239–262. 27 Główna Komisja Badania Zbrodni Niemieckich w Polsce (Hrsg.): Proces Artura Greisera przed Najwyz˙szym Trybunałem Narodowym, Warszawa 1946, S. 117. 28 Drendel: Praxis der Strafverfolgung, in: Deutsches Recht 11(1941), S. 2472. 29 Zit. in: Madajczyk (Anm. 25), S. 628 f. 30 Ebd., S. 197. 31 Reichsstatthalter Posen: Umgang der deutschen Bevölkerung des Reichsgaues Wartheland mit Polen v. 25. 9. 1940, BAL, Dok.Slg. Polen 365 q; Karl Albert Coulon: Nationalsozialistische Volkstumspolitik, in: Deutsches Recht 11(1941), S. 2471. 32 Vgl. Reden zum Tag der Freiheit (Anm. 18), S. 104. 33 Chef OKW an Wagner v. 17. 10. 1939, in: IMG, Bd. 26, Nürnberg 1947, S. 382. 34 Götz Aly: „Endlösung“. Völkerverschiebung und der Mord an den europäischen Juden, Frankfurt/M. 1995, S. 46. 35 CdS an HSSPF und BdS bzw. IdS Krakau, Breslau, Posen, Danzig und Königsberg v. 28. 11. 1939, BAK, All.Proz. 6/1459 und 1460; HSSPF Posen an HSSPF Ost v. 1. 12. 1939, BAB, R 49/2701; Michael Alberti: Die Verfolgung und Vernichtung der Juden im Reichsgau Wartheland 1939–1945, Wiesbaden 2004 (im Erscheinen).

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BAB, R 58/954. Merkblatt HSSPF Posen v. 22. 11. 1939, BAB, R 70 Polen/198. 38 Madajczyk (Anm. 25), S. 410 f. 39 Bericht über die in Lodsch v. 12.–16. 12. durchgeführte Evakuierung von Polen und Juden v. 16. 12. 1939, AIPN, UWZ Posen 218, Bl. 27–35. 40 Zit. in: Madajczyk (Anm. 25), S. 408. 41 Zit. in: Pohl (Anm. 10), S. 52. 42 SD-Hauptaußenstelle Posen an SD-LA Posen v. 19. 10. 1940, AIPN, UWZ Posen 195, Bl. 4. 43 Höppner an RSHA III B v. 30. 1. 1941, ebd., Sa˛d Okre˛gowy w Łodzi 292, Bl. 119. 44 Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Bd. 7, hrsg. v. Elke Fröhlich, München 1998, S. 177 (Eintrag v. 2. 11. 1939). 45 Zu Motiven und Umständen bei der Errichtung von Ghettos vgl. Alberti (Anm. 35). 46 Aussage Dow L. v. 15. 7. 1963, BAL, 203 AR-Z 161/67, Bd. 6, Bl. 116 ff. 47 GVL an RP v. 24. 9. 1941, BAB, NS 19/2655; Aufstellung statistischer Angaben des Judenrates, APŁ, Ältester der Juden in Litzmannstadt-Getto 863, Bl. 34. 48 RP/Hohensalza an Reichsstatthalter Posen v. 11. 10. 1940, APP, Reichstatthalter ˙ ydzi w Kutnie 1939–1942, in: Rocznik Łódzki Posen 2111, Bl. 1 ff.; Janusz Wróbel: Z ˙ IH, 39(1989), S. 282 ff.; Jüdischer Ältestenrat Kutno an AJJDC v. 6. 12. 1940, AZ AJJDC 106, Bl. 88; dto. Komitee Włocławek in Kutno v. 22. 12. 1940, ebd., Bl. 99. 49 Uebelhoer (Anm. 23), S. 241, 244. 50 Vgl. Alberti (Anm. 35); möglicherweise liegt das aber daran, daß die wenigen Überlebenden aus anderen Ghettos derartige Übergriffe nicht mehr bezeugen konnten bzw. starben, bevor das passieren konnte. 51 Vern. Olga Kühler v. 19. 7. 1971, BAL, 203 AR-Z 161/67, Bd. 11, Bl. 106; zu den Mißhandlungen vgl. ebd., Bd. 6, Bl. 134 ff., 140 f., 154 f., 165 ff., 173 ff., 183 ff. 52 Archiwum Okre˛gowej Komisji Badania Zbrodni przeciwko Narodowi Polskiemu w Łodzi, DS 151/67; Roman Buzak: Wojna obronna Polski 1939 r. i lata okupacji hitlerowskiej, in: Ryszard Rosin (Red.): Kutno. Dzieje miasta, Warszawa/Łódz´ 1984, S. 251. 53 Rundschreiben Reichsnährstand-Kreisbauernschaft Litzmannstadt v. 13. 7. 1940, APŁ, GVL 20, Bl. 179; Tät.Ber. GVL für Oktober 1940, APŁ, Stadtverwaltung Litzmannstadt/Allgemeine Verwaltung 33, Bl. 183 f.; Lagebericht BM/Litzmannstadt für August 1940, ebd., Bl. 66. 54 Bericht Jüdisches Unterstützungskomitee/Warschau über die Lage im Ghetto ˙ IH, 347/208, Bl. 4. Łódz´ (undat./Mitte 1940), AZ 55 Lagebericht BM/Litzmannstadt für Juni 1940, APŁ, RP Litzmannstadt 428, Bl. 24; RP/Litzmannstadt an RMI v. 17. 7. 1940, BAB, R 1501/1772, Bl. 33 f.; Jahresbericht dess. für 1940, APP, Miscellania 206a; Notiz GVL v. 30. 10. 1940, APŁ, GVL 116, Bl. 174; Oberbürgermeister/Litzmannstadt an RP v. 24. 9. 1941, BAB, NS 19/2655. 56 Bericht Ältester der Juden/Litzmannstadt v. 30. 8. 1941, APŁ, GVL 115, Bl. 419. 57 Isaiah Trunk: Labor Camps in Wartheland, in: American OSE Review 5(1948), Nr. 3/4, S. 12; Przemysław Mnichowski: Hitlerowskie obozy pracy przymusowej dla ˙ ydów z getta łódzkiego na S´rodkowym Nadodrzu w latach 1940–44, in: Okre˛gowa Z Komisja Badania Zbrodni Hitlerowskich w Łódzi (Hrsg.): Getto w Łódzi 1940–1944. Materiały z sesji naukowej–9. VIII. 1984 r., Łódz´ 1988, S. 113. 37

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58 Trunk (Anm. 54), S. 12; Firma Heinrich Köhler an GVL v. 23. 5. 1941, APŁ, GVL 131, Bl. 292. 59 Zahlen für Łódz´: Ältester der Juden/Litzmannstadt: Aufstellung über die Geburten und Sterbefälle im Getto 1. 5. 1940–28. 2. 1941, APŁ, GVL 22, Bl. 239; ders.: Bevölkerungsbewegung in Litzmannstadt-Getto 1941, APŁ, Ältester der Juden in Litzmannstadt-Getto 863, Bl. 46; die restlichen 2000 Opfer sind von mir geschätzt. 60 Volker Rieß: Die Anfänge der Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ in den Reichsgauen Danzig-Westpreußen und Wartheland 1939/40, Frankfurt/M. u. a. 1995, S. 297–304; Marian Olszewski: Zbrodnie hitlerowskie na ziemii kaliskiej, in: Zbrodnie hitlerowskie na ziemi kaliskiej w latach 1939–1945. Praca zbiorowa pod redakcja˛ Antoniego Czubin´skiego wydana w zwia˛zku z 40-rocznica˛ napas´ci Niemiec hitlerowskich na Polske˛, Kalisz 1979, S. 82 f. 61 Siehe Beitrag von Volker Rieß in diesem Band; vgl. Christopher R. Browning: The Development and Production of the Nazi Gas Van, in: ders.: Fateful Months. Essays on the Emergence of the Final Solution, New York-London 1991, S. 57–67. 62 Gauselbstverwaltung Posen an Reichsstatthalter Posen v. 27. 3. 1940, APP, Reichsstatthalter Posen 2141; Rieß (Anm. 60), S. 104 ff., 256, 261 f., 270, 324, 334, 345 ff.; Aly (Anm. 34), S. 117; Marian Jaska: Dziekan´ka (Tiegenhof). Wojewodschafts-Anstalt für Psychiatrie, in: Zdisław Jaroszewski (Red.): Die Ermordung der Geisteskranken in Polen 1939–1945, S. 91; Heike Bernhardt: „Euthanasie“ und Kriegsbeginn. Die frühen Morde an Patienten aus Pommern, in: ZfG 44(1996), S. 775, 784. 63 Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden, Bd. 2, Frankfurt/M. 1990, S. 957; Aly (Anm. 34), S. 121 f., 188; Alberti (Anm. 35). 64 Vermerk RSHA IV B 4 v. 3. 4. 1941, AIPN, CA MSW 838/2, Bl. 4; Aufstellung RKFDV v. 18. 6. 1941: Übersiedlung der Polen und Juden, BAB, R 49/2791. 65 Aly (Anm. 34), S. 229. 66 Erlaß Reichsstatthalter Posen v. 10. 5. 1941, APP, UWZ Posen 2, Bl. 36. 67 Vgl. Alberti (Anm. 35); Tät.Ber. GVL für Mai 1941, abgedr. in: Artur Eisenbach (Hrsg.): Dokumenty i materiały do dziejów okupacji niemieckiej w polsce, Bd. 3: Getto łódzkie, Warszawa-Łódz´-Kraków 1946, S. 184, wo das Drängen der Landräte und Amtskommissare auf „judenfreie“ Gebiete erwähnt wird. 68 Litzmannstädter Zeitung v. 9./10. 5. 1941. 69 ˙ IH, 205/38. Vermerk BM/Litzmannstadt v. 6. 5. 1941, AZ 70 BAB, R 58/954.

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Zentrale und dezentrale Radikalisierung Die Tötungen „unwerten Lebens“ in den annektierten west- und nordpolnischen Gebieten 1939–1941 Nach Ende des Krieges gegen Polen unterschrieb Hitler Mitte/Ende Oktober 1939 ein auf den 1. September rückdatiertes Schriftstück – das einzige, in dem er höchstpersönlich und im eigentlichen Sinne für eine Massenmordaktion, das NSEuthanasieprogramm, verantwortlich zeichnete. Der Text auf seinem persönlichen Briefpapier besteht aus einem maschinenschriftlichen Satz: „Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, daß nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann.“ 1 Dieser Auftrag wurde nach längeren Diskussionen im Amt II der von Reichsleiter Philipp Bouhler geleiteten Kanzlei des Führers zusammen mit Ministerialrat Dr. Herbert Linden, verantwortlich für das Anstaltswesen in der Gesundheitsabteilung im Reichsministerium des Innern, formuliert und von Bouhler Hitler zur Unterschrift vorgelegt. Original und einige Photokopien wurden anschließend durch Viktor Brack, den Chef des Amtes II der Kanzlei des Führers, weggeschlossen.2 Obschon Hitler bereits vor Kriegsbeginn einen mündlichen Auftrag erteilt hatte 3, machte die Rückdatierung auf den Kriegsbeginn Sinn. Zum einen sollte dies einen Paradigmenwechsel symbolisieren, zum anderen wurden damit auch die bereits laufenden bzw. anlaufenden Krankentötungen im besetzten Polen zusätzlich zentral legitimiert. 4

Die Euthanasie-Aktion in Danzig-Westpreußen Albert Forster erfreute sich seit der ‚Kampfzeit‘ der besonderen Gunst Hitlers. Er stieg vom fanatischen Propagandaredner in der fränkischen Provinz zum Gauleiter der Freien Stadt Danzig auf und erzielte bei den Wahlen im Mai 1933 die absolute Mehrheit für die NSDAP. 5 Unter Forsters Ägide nahm die Innenpolitik einen strukturell ähnlichen Verlauf wie im Reich, zum Teil vorauseilend, zum Teil nachhinkend. Am 7./8. und 11. August 1939 hielt sich Forster bei Hitler zu außenpolitischen Konsultationen auf. 6 Am 8. August führten Bouhler und Bormann Hitler und einem größeren Personenkreis einen Film vor, der auf die Einstimmung auf das Euthanasieprogramm abzielte. Ob auch Forster anwesend war, ist nicht überliefert. Ungeachtet dessen muß er von den immer konkreter werdenden Absichten, „Unwerte“ zu töten, gewußt haben.7

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Bei Kriegsbeginn war Forster einer der mächtigsten NS-Funktionäre. Ihm unterstanden eine komplette Staatsverwaltung einschließlich Polizei, die Gliederungen der NSDAP sowie bewaffnete Verbände, darunter der SS-Wachsturmbann Eimann, eine aus der Danziger SS Anfang Juli 1939 für den Krieg gegen Polen gebildete paramilitärische Einheit. Mit Kriegsbeginn wurde er von Hitler zum Chef der Zivilverwaltung des Armeeoberkommandos 4 für Westpreußen ernannt, nach Ende der Militärverwaltung zum Gauleiter und Reichsstatthalter des neugebildeten Gaues Danzig-Westpreußen. 8 Forster wollte offenbar möglichst rasch eine eigene Euthanasie-Kampagne beginnen und die im Anlaufen begriffene reichsweite Aktion nicht abwarten.9 Er wartete nicht einmal auf die Installierung von Richard Hildebrandt als Höherer SS- und Polizeiführer DanzigWestpreußen, der nach seiner offiziellen Ernennung am 22. September praktisch erst Anfang Oktober 1939 tätig wurde, 10 sondern wandte sich aller Wahrscheinlichkeit nach an Hitler persönlich. Am 19. September trafen Forster und Hitler in Danzig zusammen und traten öffentlich auf. Hitler hatte für einige Tage sein Hauptquartier nach Zoppot bei Danzig ins dortige Casino-Hotel verlegt. Am 19. September beförderte Himmler dort höchstpersönlich im Beisein Forsters dessen obersten Gesundheitsfunktionär Prof. Dr. Erich Großmann zum SSOberführer. Hitler muß Forster grünes Licht zur Krankentötung gegeben haben. Und Forster und Himmler besprachen zusammen mit Großmann nähere Details. 11 Hatte Forster in Hitler ein Idol und einen politischen Mentor gefunden, mit dem er sich ideologisch im Einklang befand, so stellte der gleichaltrige Senator Großmann einen idealen Kompagnon vor Ort dar, der auch im neuen Reichsgau Danzig-Westpreußen sein oberster Gesundheitsfunktionär blieb. Nach dem Machtantritt Forsters war der Facharzt für Inneres Ende 1931 der NSDAP und SS beigetreten. Er avancierte zum Senator für das Gesundheitswesen, war Rektor der Medizinischen Akademie in Danzig, Landesführer des Deutschen Roten Kreuzes und Gaugesundheitsführer. Mit der Zeit erhielt er die verschiedensten SS-Auszeichnungen. Er war Gauobmann des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebunds, Mitglied des Lebensborn sowie Direktor des Instituts für Erb- und Rasseforschung. 12 Großmann vereinigte „das ganze SS-mäßige, staatliche und parteiliche Gesundheitswesen in Danzig in seiner Hand“. 13 Er war offenbar ein konsequenter Verfechter der Vernichtung unheilbarer Kranker, ohne rassistische Kautelen. Er verkündete, daß deutsche und polnische Kranke gleich zu behandeln seien. Hauptselektionskriterium bildete die Arbeitsfähigkeit. Großmann und Forster blieben bis Kriegsende eng verbunden. Sie flüchteten gemeinsam nach Westen und wurden von den Briten gefangengenommen. Forster wurde zum Prozeß nach Polen ausgeliefert. Großmann verübte in britischer Internierung Selbstmord. 14 Am 4. September 1939 besetzten Angehörige des SS-Wachsturmbanns Eimann die Heilanstalt Kocborowo (Conradstein) bei Preußisch-Stargard (Starogard)

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und blieben dort präsent. Schon bald wurde ein Danziger Arzt für die Anstalt zuständig. Am 22. September ließ er Patienten zur Verlegung vorbereiten. Es kam noch am selben Tag zur ersten nationalsozialistischen Massentötung von psychisch kranken Menschen überhaupt. 87 Patienten wurden im Wald von Szpegawski durch Angehörige des Wachsturmbanns Eimann erschossen. Am 9. Januar 1940 bilanzierte der Höhere SS- und Polizeiführer Danzig-Westpreußen die „Beseitigung von ca. 2000 unheilbar Geisteskranken der Irrenanstalt Konradstein“ durch den Wachsturmbann. 15 Zwischen Ende September und Mitte Oktober 1939 wurden nach Selektion durch anstaltsfremde Ärzte auch etwa 500–700 „unheilbare“ Patienten der Anstalt Schwetz (Swiecie) erschossen. Die schwarzen SS-Uniformen der Exekutionskommandos weisen hier ebenfalls auf eine Täterschaft des Wachsturmbanns Eimann hin. Selbstschutzangehörige aus Schwetz begleiteten die Transporte. Busse nebst Fahrern wurden von der Wehrmacht zur Verfügung gestellt. Mitte Oktober bis mindestens Ende November dienten Teile der Anstalt dann als Gefängnis des Selbstschutzes. Am 3. November wurden 700 „geisteskranke Polen“ nach Conradstein verlegt. Im Austausch kamen 700 gebrechliche Baltendeutsche nach Schwetz. Es entstand ein Altersheim für eingesiedelte Volksdeutsche aus dem Baltikum. 16 Zwischen Ende Oktober und Mitte November 1939 erschossen Selbstschutzangehörige über 200 psychisch Kranke der Besserungsanstalt Konitz (Chojnice). Da zur Tatzeit der Selbstschutz praktisch nur noch auf Anweisung der Gestapo exekutierte, kommt das Teilkommando Tuchel des Einsatzkommandos 16 der Sicherheitspolizei als Befehlsgeber in Frage. Da die Anstalt längst von Danzig aus kontrolliert und verwaltet wurde, dürften die Tötungen zur gauweiten Aktion Forsters und Großmanns gehören. Man bediente sich nur anderer Exekutoren. Und kaum daß der vormalige Regierungsbezirk Westpreußen der Provinz Ostpreußen zur Gebietsabrundung an den Reichsgau Danzig-Westpreußen gefallen war, wurde im November 1939 der Großteil der Patienten der dort gelegenen Anstalt in Riesenburg (Prabuty) nach Conradstein verlegt. Ein Teil der Kranken fiel den dortigen Erschießungen zum Opfer. Die medizinisch-erzieherische Anstalt in Mewe (Gniew) wurde im Herbst 1939 aufgelöst. Die Kinder kamen nach Conradstein, ebenso die Kinder der Gau-Fürsorge- und Pflegeanstalt Silberhammer in Danzig-Langfuhr. Viele dürften der hohen Mortalität in Conradstein zum Opfer gefallen sein. Zudem gab es dort bald schon eine Tötungsstation für Kinder. Silberhammer blieb zunächst als Erwachsenenanstalt bestehen und wurde wie Conradstein später von der reichsweiten Euthanasie-Aktion erfaßt. Patienten aus beiden Anstalten wurden im Sommer 1941 zur Vernichtung in die Tötungsanstalt Sonnenstein bei Pirna deportiert. 17 Danzig-Westpreußen war also von zwei Euthanasie-Aktionen betroffen. Ein direkter Zusammenhang der Tötungskampagne von 1939 in Danzig-Westpreußen mit der in der Planung befindlichen Tötungsaktion im Altreich ist schon

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aus chronologischen Gründen auszuschließen. Besonders die Ereignisse um Schwetz lenken den Blick auf einen möglichen Zusammenhang mit der Einsiedlung der Baltendeutschen. Dagegen spricht die relativ früh erfolgte Selektion und Erschießung sowie der Zusammenhang mit den noch früher einsetzenden Morden bei Conradstein, bevor die Aussiedlung der Baltendeutschen überhaupt feststand.

Organisierte Tötungen von „Asozialen“ in Danzig-Westpreußen Die psychiatrische Einrichtung in Neustadt (Wejherowo) beherbergte 1939 neben Geisteskranken auch schwer erziehbare Jugendliche. In der zweiten Septemberhälfte wurde sie bis auf einige Fürsorgezöglinge geräumt. Zwischen Ende Oktober und Anfang Dezember 1939 wurden auch die Zöglinge zur Erschießung in Waldungen bei Piasnitz nördlich Neustadts gebracht. Die Exekutionen wurden vom Teilkommando Gotenhafen (Gdynia) des Einsatzkommandos 16 organisiert. Selbstschutzangehörige schossen, kommandiert und überwacht durch mehrere Kriminalkommissare. Gendarmerie unterstützte die Aktion. Die Ermordung der als geisteskrank definierten Insassen fügt sich noch wie die Morde von Konitz in den Rahmen der gauweiten Krankenaktion. Die Beseitigung der schwer erziehbaren, ‚asozialen‘ Fürsorgezöglinge hingegen stellte eine andere Qualität dar. Ebenfalls bei Neustadt wurden Ende Oktober 1939 etwa 90 junge Frauen sowie eine gebrechliche alte Frau und ein gelähmter Mann aus dem Seuchenkrankenhaus im Hexengrund (Babia Dolina) bei Gotenhafen umgebracht. Verantwortlich zeichnete wiederum das Teilkommando Gotenhafen des Einsatzkommandos 16. Bei den jungen Frauen, die an Geschlechtskrankheiten litten, soll es sich zumindest zum Teil um Prostituierte gehandelt haben. Es kam zu keiner Selektion; Deutsche wurden trotz Protests miteinbezogen. Auch in Bromberg (Bydgoszcz) wurden Dirnen gezielt festgenommen und interniert. Die Erschießung von 38 Prostituierten, „zum größten Teil geschlechtskrank“, ist durch einen SD-Lagebericht vom 7. Oktober 1939 belegt. Nach Lage der Dinge kann dies nur das Teilkommando Bromberg des Einsatzkommandos 16 veranlaßt haben.18 Die Angehörigen des Einsatzkommandos 16 rekrutierten sich hauptsächlich aus der Kripo des Freistaats Danzig, die schon lange zuvor nach NS-Vorbild geführt wurde. Fürsorgezöglinge und Prostituierte, noch dazu geschlechtskranke, waren ihnen sicher als Zielgruppe der „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ geläufig. 19 Ob sie unter dem Eindruck der laufenden Exekutionen von Angehörigen der polnischen Intelligenz und der allgemeinen Diskussion der Beseitigung „biologisch Minderwertiger“ ohne weiteres einfach mitbeseitigt wurden, ist unklar. Diese Vorgehensweise widersprach jedenfalls den Richtlinien hinsichtlich der Behandlung der Prostitution im Reich, die ausdrücklich auch für die Einsatzgruppen in Polen galten. 20 Ihnen entsprechend ging man andernorts in den besetzten Gebieten, wie etwa in Lodsch (Łódz´), vor. Dort wurden die an Geschlechts-

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krankheiten erkrankten Prostituierten interniert und zwangsbehandelt, jüdische Dirnen in Schutzhaft genommen. 21 Bei den Fürsorgezöglingen aus Neustadt könnten reine Nützlichkeitserwägungen von Funktionären der Einwandererzentralstelle Gotenhafen zur Exekution geführt haben; wollte man doch zur „Versorgung der kranken und gebrechlichen Baltendeutschen“ am 29. Oktober 1939 versuchen, „die ehemalige Fürsorgeanstalt Neustadt freizubekommen“. 22 Im Oktober 1939 registrierten angeblich SS-Männer die Arbeitsunfähigen im Armenhaus in Skurz (Skórcz). Im November wurden sie per PKW zum Gendarmerie-Posten transportiert. Zuvor hatte man weitere Personen aus anderen Orten dorthin verbracht, darunter eine Geisteskranke und eine volksdeutsche Lehrersfrau. Von dort wurden mindestens 13, wahrscheinlich aber erheblich mehr Menschen in einen nicht weit entfernten Wald geschafft und erschossen. Die polnischen Zeugenaussagen dazu sind verständlicherweise hinsichtlich der Einheitszugehörigkeit ungenau. Vermutlich wurde die Erfassung durch GestapoAngehörige in SS-Felduniformen durchgeführt, der Transport durch Selbstschutzangehörige und Gendarmerie. Die Gesamtleitung einschließlich Exekution dürfte die Gestapo gehabt haben.23 Vermutlich geschah auch dies auf Veranlassung Forsters oder Großmanns. Eine systematische Aktion allerdings, wie sie vergleichbar für den ostpreußischen Bezirk Zichenau überliefert ist, läßt sich nicht belegen.

Spontane Tötungshandlungen gegen „Unwerte“ in Danzig-Westpreußen Die Kreisleitung der NSDAP für Preußisch-Stargard berichtete 1940 rückschauend von der Einteilung der Bevölkerung in vier Gruppen. Die vierte habe nur aus Juden und Verbrechern bestanden, von denen „der Kreis jedoch sehr schnell frei“ gewesen sei. Dies bezieht sich wohl auch auf eine Erschießung am 13. September, der 10–14 polnische Bewohner einer Barackensiedlung, die als „asozial“ galten, zum Opfer fielen. Das Einsatzkommando 16 existierte zu dieser Zeit noch nicht. Ein Dolmetscher des Wachsturmbanns Eimann berichtete, ohne die Erschießung zu erwähnen, daß in Stargard in erster Linie die polnische Intelligenz und danach die „Asozialen“ verhaftet wurden. Ein anderer volksdeutscher Zeuge machte die Stargarder SS für die Erschießung verantwortlich, womit nur der von SS-Funktionären durchorganisierte Selbstschutz gemeint sein kann. Es handelte sich sehr wahrscheinlich um eine lokale Initiative im Einklang mit Ludolph von Alvensleben, dem Leiter des Selbstschutzes in Westpreußen, und war zumindest abgestimmt mit dem von Forster zum Aufbau von Zivilverwaltung und Parteiorganisation entsandten Landrat und Kreisleiter Erwin Johst.24 Bereits als Landrat im Danziger Kreis Großes Werder hatte Johst nichts dabei gefunden, als am Morgen des 1. September 1939 SA-Leute in Simonsdorf begannen, polnische Zollangehörige zu massakrieren. Erst eine Wehrmachtseinheit stoppte dies. Eine von Johst noch am selben Tage angeordnete Untersuchung verlief im Sande. 25 Ende Oktober/Anfang November 1939 billigte er in Preu-

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ßisch-Stargard nach einem Zechgelage, bei dem das „allgemein erörterte Problem der Beseitigung ‚biologisch Minderwertiger‘ erörtert“ wurde, eine sich anbahnende Bluttat gegen angeblich geschlechtskranke Frauen. Haupttäter waren ein Wehrmachtsoffizier, am Ende von Hitler höchstpersönlich begnadigt, und der SS-Verwalter der Heilanstalt Conradstein. Auch Johst kam zeitweilig in GestapoHaft. Gauleiter Forster jedoch hielt „angesichts der Geringfügigkeit des Objekts“ seine schützende Hand über ihn; der Kronzeuge wurde dazu gebracht, alles Johst Belastende zu verschweigen. 26 Sein Kollege Günther Modrow im Kreis Berent (Kos´cierzyna) war Gutsbesitzer bei Schöneck (Skarszewy). Seit Anfang der dreißiger Jahre als Deutschtumskämpfer hervorgetreten, hatte er sich der radikalen Jungdeutschen Partei angeschlossen und war deren erster Kreisleiter in Berent und Preußisch-Stargard. Nach Kriegsbeginn nur kurz von den Polen als Geisel interniert, übernahm er aus eigenen Stücken die Macht. Er organisierte von Berent aus mit Hilfe der Jungdeutschen Partei einen Selbstschutz und setzte kommissarische Bürgermeister ein. Ein Ende September/Anfang Oktober wohl vom Reichsinnenministerium entsandter Landrat konnte sich gegen Modrow nicht durchsetzen. Nachdem Forster ihn bereits Mitte September als Chef der Zivilverwaltung bestätigt hatte, ernannte er den „Henker von Berent“ auch zum kommissarischen Landrat. Ab Oktober 1939 entschied Modrow anhand der von den Bürgermeistern übersandten Verhaftungslisten von Selbstschutz und Gendarmerie persönlich über Leben und Tod. Etwa Mitte Oktober erschossen dann auf dem Judenfriedhof von Schöneck Gendarmeriebeamte unter Mitwirkung von Selbstschutzleuten etwa 12 Zigeuner, darunter Frauen und einen etwa fünfzehnjährigen Jungen. Ob Modrow die Opfer ausdrücklich festnehmen ließ, ist nicht bekannt. Dies war vermutlich auch gar nicht nötig, wurden doch zu jener Zeit neben den ortsbekannten Angehörigen der polnischen Intelligenz auch andere ‚Verdächtige‘ festgesetzt. Die Entscheidung zur Ermordung der Zigeuner aber – eine offenbar singuläre Tat – kann nur durch den fanatischen und auf seine Weise tatkräftigen Modrow getroffen worden sein. Sein Vernichtungswille beschränkte sich indes nicht auf Zigeuner und polnische Intelligenz. Ein Erinnerungsbericht schreibt ihm als erste Untat die Erschießung von 7 „Sittendirnen“ in Karthaus (Kartuzy) zu. 27

Die Euthanasie-Aktion in Pommern Im September 1939 amtierte in Pommern Franz Schwede-Coburg in Personalunion als Gauleiter, Oberpräsident und Reichsverteidigungskommissar. Er war seit 1922 ein treuer und zuverlässiger Anhänger Hitlers. Unter seiner Ägide wurde Coburg 1929 zur ersten nationalsozialistisch regierten Stadt in Deutschland. 1931 wurde Schwede dort Oberbürgermeister. Hitler verlieh ihm deshalb später den Namenszusatz Schwede-Coburg. Nach den Säuberungen des sogenannten Röhmputsches ernannte ihn Hitler 1934 zum Gauleiter und Oberpräsidenten in Pommern. 28 In letzterer Funktion unterstanden Schwede die staatlichen Heil-

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und Pflegeanstalten Pommerns. Bei einem Besuch der Anstalt Treptow an der Rega bezeichnete er die Schwerkranken als unnützen und zu beseitigenden Ballast. Von einem Frontbesuch in Polen zurückgekehrt, berichtete er seinem Weltkriegskameraden Emil Mazuw, SS-Abschnittsführer und Höherer SS- und Polizeiführer Ostsee sowie ab Ende September/Anfang Oktober 1939 zusätzlich Landeshauptmann von Pommern und Schwedes Stellvertreter als Gauleiter, von schönen polnischen Geisteskrankenanstalten. Diese könne man freimachen, womit er, so Mazuw, Tötung meinte. Die frei werdenden Anstalten könne man mit pommerschen Kranken auffüllen. Auch hinsichtlich dieser habe Schwede unausgesprochen bereits an Tötung gedacht. Kurze Zeit später bot Schwede bei einer Besprechung mit Himmler in Berlin die Anstalt Stralsund als Kaserne für SS-Ersatzeinheiten an. Der begeisterte Himmler wollte daraufhin die Zustimmung von Innenminister Frick und Hitler einholen. Mazuw seinerseits bestand auf einer Weisung Himmlers, bevor er Personal für die Anstaltsräumungen zur Verfügung stellte. Bei einem erneuten Gespräch erklärte ihm Schwede, es sei fraglich, ob überhaupt etwas Schriftliches ergehen würde. Er nehme dies vorläufig auf seine Kappe. Eine bald darauf erfolgte Billigung Hitlers steht außer Frage. Es folgten Verhandlungen Schwedes bzw. Mazuws mit dem Höheren SS- und Polizeiführer Danzig-Westpreußen unter Einschaltung von Großmann mit dem Ziel, Kranke mit Hilfe pommerscher SS-Leute nach Danzig-Westpreußen zu deportieren. Die Selektionskriterien gab Schwede seiner Provinzialverwaltung selbst vor: „Suchen Sie die übelsten Kranken aus“. Es folgte Ende November 1939 eine Welle von Transporten innerhalb Pommerns. Die am östlichsten gelegene Anstalt Lauenburg, unweit der alten Reichsgrenze zu Danzig, diente als Zwischenstation für die zur Tötung bestimmten Patienten. Von ihr gingen per Eisenbahn eine Anzahl Vernichtungstransporte nach Neustadt. Mit Kraftfahrzeugen wurden die Opfer dann weitertransportiert in den Wald von Piasnitz. Dort erschoß der Wachsturmbann Eimann bis Anfang Dezember mindestens 1200, höchstwahrscheinlich aber rund 1400 pommersche Geisteskranke. Die verwaltungsmäßige Abwicklung der Morde, einschließlich gefälschter Todesbeurkundungen und Benachrichtigungen, lag zunächst bei einer eigens errichteten zentralen Krankenverlegungsstelle, später dann in Stettin bei der Provinzialverwaltung selbst. Die Vernichtungstransporte nach Danzig-Westpreußen endeten abrupt. Forster, so vage Hinweise, habe sie nicht mehr gewollt. Nur kurze Zeit später gingen dann pommersche Vernichtungstransporte in den Reichsgau Wartheland, um dort durch die gaueigene Tötungsschwadron vergast zu werden. In Pommern wurden im Dezember 1939 die Anstalt Stralsund und im Februar 1940 die von Lauenburg der SS zur Verfügung gestellt. Der ideologisch initiierte Mord hatte seine Rationalisierung gefunden. 29 Schwede indes gab keine Ruhe. Nachdem er die Patienten seiner staatlichen Anstalten hatte dezimieren lassen, nahm er die Kückenmühler Anstalten der

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Inneren Mission bei Stettin mit etwa 1500 Pfleglingen ins Visier. Ende Mai 1940 ließ er diese mit Rückendeckung von Frick beschlagnahmen. Der Vorstand wurde abgesetzt. Nach 14 Tagen waren bereits 750 Patienten weggeschafft, Anfang Juli 1300 verlegt. Bald danach war Kückenmühle völlig geräumt und die WaffenSS übernahm größtenteils die Liegenschaften. Ein Teil der Patienten gelangte in die staatlichen Anstalten von Treptow und Meseritz. Die übrigen wurden höchstwahrscheinlich in der Gaskammer von Brandenburg, der zweiten neben Grafeneck zu der Zeit bereits existierenden Euthanasie-Station, ermordet. Angetrieben von Schwede-Coburg hatte sich die Reichsaktion entsprechend ihren Fähigkeiten auf Pommern ausgedehnt. 30

Regionale Euthanasie-Aktion und Experimente im Warthegau Auch in den Raum Posen (Poznan´) entsandte Hitler einen radikalen Nationalsozialisten als Verantwortlichen. Der in seiner Jugend bereits als Volkstumskämpfer hervorgetretene Arthur Greiser nahm Mitte September 1939 dort seine Geschäfte als Chef der Zivilverwaltung auf. Kurz vor Auflösung der Militärverwaltung wurde er zum Gauleiter und Reichsstatthalter des neu zu bildenden Reichsgaus Wartheland ernannt. Als ehemaliger Stellvertreter Forsters als Gauleiter und Senatspräsident in Danzig dürfte er schon sehr bald von dessen Aktion erfahren haben. Auch um die anlaufende Aktion in Pommern muß er gewußt haben, spätestens als Mitarbeiter des Apparats von Schwede-Coburg zum Aufbau der deutschen Verwaltung ins Wartheland abgeordnet wurden. Darunter befand sich Dr. Johannes Banse, der Direktor der pommerschen Heilanstalt Ückermünde. Er begann die Greiser unterstehenden Anstalten zu visitieren. 31 Noch in der ersten Oktoberhälfte besuchte Banse die Anstalt Treskau/Owinsk (Owin´ska). Anfang November erschienen einige „SD-Beamte“ angeblich mit dem Auftrag, alle Insassen in das Generalgouvernement abzutransportieren und forderten ein Verzeichnis. Dieses wurde nie abgeholt, bald darauf aber gruppenweise die Kranken durch ein kleines Kommando in feldgrauer SSUniform. Es war getrennt von den Soldaten der bereits in der Anstalt befindlichen SS-Einheit, der 12. SS-Totenkopfstandarte, untergebracht. Ob und inwieweit diese – bald die alleinige Nutzerin von Owinsk – an den Deportationen zur Vernichtung beteiligt war, erscheint deshalb unsicher. Die Planer und Organisatoren jedenfalls sind in Posen zu lokalisieren. Nur deutschstämmige Patienten überlebten zumindest vorläufig. Sie wurden regulär in die Anstalt Tiegenhof (Dziekanka) bei Gnesen verlegt. Alle anderen Patienten, zwischen 900 und 1000 Personen, aus Treskau wurden bis Ende November 1939 ermordet. Es fand offenbar außer dem Sortieren nach Nationalität bzw. Rasse keine wie auch immer geartete weitere Selektion, wie etwa nach Arbeitsfähigkeit, statt. Pole oder Jude und zugleich Anstaltsinsasse zu sein, kam einem absoluten Todesurteil gleich. Ein Teil der Opfer wurde in den Wäldern der Umgebung erschossen. Zumindest die letzten Transporte aber gingen nach

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Posen ins Fort VII, um dort umgebracht zu werden. Sie wurden in einer Gaskammer durch Kohlenmonoxyd aus Druckflaschen getötet. Bis zum Jahresende ereilte mindestens 595 polnische Patienten der Anstalt Tiegenhof dasselbe Schicksal. Einer der Vergasungen in Fort VII wohnte Himmler mit ausgewählten Gästen bei. Es sollte der schmerzlose Gnadentod demonstriert werden.32 Im Fort VII war Anfang Oktober 1939 ein Lager mit der Bezeichnung „Sicherheitspolizei, Chef der Einsatzgruppe VI, Konzentrationslager Posen“ eingerichtet worden. Kriminalkommissar und SS-Untersturmführer Herbert Lange, von der Stapo-Stelle Aachen zum Poleneinsatz in der Einsatzgruppe VI abgeordnet, war bis Mitte Oktober der erste Lagerkommandant. In diese Zeit fielen Vergasungsversuche mit Kohlenmonoxyd und Zyklon B in einer Kasematte des Forts durch Dr. August Becker, einen Chemiker des Kriminaltechnischen Instituts des Reichskriminalpolizeiamts, nunmehr Amt V des Reichssicherheitshauptamts. Sie dienten vermutlich der Entscheidungsfindung über das Tötungsmittel für die Euthanasie-Aktion im Reich. Lange bzw. die Einsatzgruppe VI waren an den Versuchen notwendigerweise beteiligt, insbesondere auch durch Bereitstellung von Opfern. 33 Als Dr. Alfred Trenker Anfang Mai 1940 sein Amt als stellvertretender Chef der Stapo-Leitstelle Posen antrat, traf er auf Herbert Lange. Dieser erklärte, daß er außer seinem Sachgebiet mit der Aufstellung eines Sonderkommandos befaßt sei. Er habe „Vergasungen von Juden, Zigeunern, staatsfeindlichen Polen u. ä. durchzuführen“. Er sei öfters in Berlin bei der Fahrbereitschaft des Reichssicherheitshauptamts zu Besprechungen über den „geeigneten Typ von Vergasungswagen“. Langes Kommando habe dem Chef der Sicherheitspolizei mit Befehlsund Berichtsweg über das Reichssicherheitshauptamt unterstanden.34 Es ging aber nicht um eine Neuaufstellung. Lange bezog sich vermutlich auf den anstehenden Einsatz seiner Tötungsschwadron in Ostpreußen. Die Geburtsstunde seines Sonderkommandos dürfte vielmehr schon bald nach den Vergasungsversuchen Beckers in Posen geschlagen haben, als Lange vermutlich einen ersten Auftrag zur Tötung wartheländischer Psychiatriepatienten erhielt. Lange war durch die Vergasungsversuche schon mit der Materie vertraut. Und er mußte als zuverlässig gelten. Er hatte sich schon vor der Machtergreifung für die NS-Bewegung eingesetzt und 1934 sein Jura-Studium nach acht Semestern abgebrochen, um bei der Gestapo einzutreten. Ob Langes potentielle erbbiologische Belastung – Selbstmord des Vaters und eine an Krampfanfällen leidende Schwester – eine Rolle bei seiner Auswahl oder bei seinem Engagement spielte, ist unbekannt.35 Möglicherweise hat Lange bereits die Transporte aus Owinsk organisiert. Weshalb die Gaskammer in Posen nur relativ kurze Zeit betrieben wurde und von einer mobilen Gaskammer, dem Gaswagen, abgelöst wurde, in dem die Menschen ebenfalls durch Kohlenmonoxyd aus Druckflaschen getötet wurden, ist unklar. Geheimhaltungsgründe könnten wegen der Lage innerhalb eines Gefangenenlagers, das wiederum an der Peripherie einer Großstadt situiert war, eine

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Rolle gespielt haben. Zudem dürfte der Gaswagen, so schrecklich das klingt, aus transportökonomischen Gründen praktischer bzw. rationeller als eine zentrale Tötungsstation gewesen sein. Doch die Details der Bereitstellung und Weiterentwicklung dieser Tötungstechnik sind bislang nicht befriedigend geklärt. 36 Fest steht, daß ab Januar 1940 im Warthegau ein aller Wahrscheinlichkeit nach von Lange geführtes Kommando mit Gaswagen Kranke und Behinderte ermordete. Es traf zunächst die restlichen nichtdeutschen Patienten von Tiegenhof. 37 Dann wurde Kosten (Koscian) noch im Januar 1940 leergemordet. Die Anstalt diente danach zunächst als Sammelpunkt für zu tötende Pfleglinge aus den wartheländischen Heimen Schrimm (Srem) und Storchnest (Osieczna). Nachdem auch diese umgebracht worden waren, fielen die nach Kosten deportierten pommerschen Patienten, über 900 an der Zahl, dem Sonderkommando Lange zum Opfer. 38 Die Anstalt wurde aufgelöst und diente dann einem Infanterie-Ersatzbataillon der Wehrmacht als Kaserne. 39 Es folgten weitere Patiententötungen im Reichsgau Wartheland unter Lange bis ins Frühjahr hinein. Noch im Februar 1940 quartierte sich ein Gaswagenkommando im Psychiatrischen Krankenhaus Kochanowka bei Lodsch/Litzmannstadt ein. Es tötete Bewohner aus zwei Altersheimen in Litzmannstadt sowie Insassen der Heil- und Pflegeanstalten Helenowek und Pabianice. Vom 13. bis 15. März 1940 vergaste es etwa 600 Patienten des Krankenhauses Kochanowka.40 Am 3., 4. und 5. April wurden dann 499 Patienten der Heilanstalt Warta vom Kommando Lange ebenfalls mit einem Gaswagen mit der Aufschrift „Kaisers-Kaffee-Geschäft“ ermordet. Nach einem Trinkgelage fuhr das Kommando am 7. April in Richtung Turek ab. Dabei war von einer „Säuberung“ des dortigen Kreiskrankenhauses die Rede. Auch wurden in diesem Zusammenhang die Orte Konin und Woclawek erwähnt. 41 Die Opfer wurden jeweils in Waldungen der Umgegend durch polnische Häftlinge in Massengräbern mehr verscharrt als begraben. Nach seinem noch zu behandelnden Aufenthalt in Ostpreußen im Mai/Juni tauchte das Kommando Lange im Sommer/Herbst 1940 wiederum in Tiegenhof auf. Lange erschien mit einer Vollmacht des Landeshauptmanns in Posen, und anhand einer mitgebrachten Liste wurden etwa 150 Kranke ausgesondert, abtransportiert und getötet. Den vom deutschen Anstaltsdirektor herbeigerufenen SD-Außenstellenleiter von Gnesen im Range eines SS-Hauptsturmführers, der um Auskunft über das Treiben und den herumstehenden Gaswagen ersuchte, fertigte Lange brüsk ab. Das ginge ihn nichts an, er solle verschwinden.42 Spätestens im Sommer 1941, unmittelbar vor dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion, wurde das Sonderkommando Lange wieder aktiv. Am 9. Juni 1941 wurden nach Schrimm, wo das Kommando bereits ein Jahr zuvor ‚tätig‘ gewesen war, etwa 70 Personen aus Gasten (Gostynin), also offenbar aus dem Bezirk Zichenau, gebracht. Sie wurden wie 56 Behinderte und Gebrechliche aus Schrimm selbst vom 10. bis 12. Juni per Gaswagen ermordet. 43 Etwa Mitte des Monats wurden alte und gebrechliche Menschen aus der St. Josefsanstalt in Posen für

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eine Nacht nach Tiegenhof gebracht, um am folgenden Tag vergast zu werden.44 Auch Warta war nochmals betroffen. Am 16. Juni 1941 wurden 81 Geisteskranke in das Arbeitshaus Bojanowo verlegt, von wo sie aller Wahrscheinlichkeit nach zur Vernichtung weggebracht wurden.45 Darüber hinaus fielen am 3./4. Juni und vom 3. bis 5. Juli in Tiegenhof nochmals insgesamt 158 Patienten dem Kommando Lange zum Opfer. 46 Anfang Oktober 1941 schließlich sollten Lange und einige Mitarbeiter auf Befehl Himmlers ins sowjetische Nowgorod entsandt werden, um dort die Insassen von drei Pflegeanstalten zu ermorden. Ob es dazu kam, ist unsicher. 47 Denn inzwischen stand der Aufbau der Gaswagenstation in Kulmhof (Chełmno) durch Lange mit einem neuen, größeren Kommando zur Vernichtung der wartheländischen Juden an. 48

Tötungen von „Minderwertigen“ in Ost- und Südostpreußen 1939 unterstand Gauleiter Erich Koch, ebenfalls seit 1922 ein ‚alter Kämpfer‘ und radikaler Nationalsozialist, als Oberpräsident von Ostpreußen auch das Anstaltswesen. 49 Im Zuge der Bildung der Gaue Danzig-Westpreußen und Wartheland kamen auch zu seiner Provinz umfangreiche Gebiete hinzu. Ein 12 000 km2 großer Landstrich, sich bis dicht vor Warschau erstreckend, bildete den neuen Regierungsbezirk Zichenau (Ciechanów) mit kaum 15 000 Deutschen neben 800 000 Polen und 80 000 polnischen Juden. Der 1919 an Polen abgetretene Soldauer Gebietsstreifen kam zum Kreis Neidenburg zurück. Der Regierungsbezirk Gumbinnen wurde um die polnischen Kreise Suwałki (Sudauen) und Augustów erweitert. Koch stand damit dem flächenmäßig größten Gau mit einem zu etwa 25 % polnischen Bevölkerungsanteil vor. 50 Anfang Februar 1940 wurden auf Anordnung des Landrats im Kreis Zichenau von den Gendarmerieposten „Verbrecher und Geisteskranke erfaßt“. Am 25. Februar 1940 berichtete die Gendarmerie-Abteilung III, daß die festgestellten Geisteskranken am 19. Februar nach Os´zislowo überführt und dem Selbstschutz übergeben worden seien. Die Abteilung II meldete, daß sie die „Ermittlungen nach Geisteskranken, geistig minderwertigen Krüppeln und Verbrechern“ fortgesetzt habe. Die „benannten Personen“ seien „am 19. 2. 1940 nach Oscislowo transportiert“ und nach vorheriger Untersuchung durch den Kreis-Medizinalrat „dem Selbstschutz übergeben“ worden. In einem Wald nahe Os´cisłowo wurden die „Krüppel und Kranken“ von Selbstschutz und Gendarmerie erschossen.51 Ähnliches geschah auch in anderen Kreisen des Regierungsbezirks Zichenau, so zwischen dem 7. und 12. Januar mit etwa 80 „Unwerten“ aus dem Kreis Płon´sk und am 21./22. des Monats mit cirka 500 aus dem Kreis Makeim/Makow (Maków). Anfang Februar wurden von einem Gestapo-Kommando aus Plozk (Płock) 18 Patienten aus dem psychiatrischen Krankenhaus Gasten (Gostynin) abgeholt und nicht weit davon im Wald mit Maschinenwaffen ermordet. Nach und nach ließen weitere Stadtverwaltungen ihre öffentlichen Pfleglinge aus Gasten mit un-

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bekanntem Ziel abholen. Zwischen März und September wurden mindestens 100 weitere als „unwert“ erfaßte Menschen aus Schirps (Sierpc) umgebracht. 52 Spätestens als im Bezirk Zichenau die radikale Säuberung von „unnützen“ Personen einsetzte, müssen Koch und der Höhere SS- und Polizeiführer Ostpreußen, Wilhelm Redieß, eine Tötungsaktion an Anstaltspfleglingen im altostpreußischen Gebiet abgesprochen haben. Ein Ziel dabei war, daß die Provinzialverwaltung für die „Evakuierung“ von Kranken die Anstalt Allenberg bei Wehlau der Waffen-SS „gewissermaßen als Gegenleistung“ als Kaserne zur Verfügung stellen sollte. Nachdem er bei Himmler eine Genehmigung eingeholt hatte, bat Redieß anläßlich eines Informationsbesuches bei Wilhelm Koppe, seinem Amtskollegen in Posen, um „Zurverfügungstellung des Kommandos Lange“. Koppe stimmte dem nach Absprache mit dem Reichssicherheitshauptamt zu. Sein Inspekteur der Sicherheitspolizei, Ernst Damzog, vereinbarte mit seinem Gegenüber in Königsberg, Dr. Dr. Otto Rasch, eine zu zahlende Unkostenpauschale von 10 Reichsmark pro Patient. Koch erklärte sich bereit, sämtliche Unkosten zu übernehmen. Schließlich wurde vom 21. Mai bis 8. Juni 1940 das Kommando Lange nach Ostpreußen quasi ausgeliehen. Es „evakuierte“ dort aus dem für andere Zwecke bereits existierenden Durchgangslager in Soldau (Działdowo) 1558 Geisteskranke und 250–300 polnische ‚Irre‘ aus dem Bezirk Zichenau. Letztere waren wohl im Zusammenhang mit der schon erwähnten Säuberungsaktion erfaßt worden, und Koch ließ sie bequemerweise einfach mitumbringen. Von allen vier ostpreußischen Provinzialanstalten erfolgten Vernichtungstransporte mit der Eisenbahn nach Soldau. Begleitet wurden sie von Angehörigen der ostpreußischen Ordnungspolizei. Die Anstalten Allenberg und Carlshof wurden schließlich komplett geräumt. Allenberg erhielt wie geplant die SS. Nach Carlshof kamen sowohl SS als auch Wehrmacht. Nur teilweise geräumt wurden Kortau und Tapiau. Den freien Platz nahmen Wehrmachtslazarette ein. Aus Tapiau gingen schließlich angeblich normale Transporte nach Pfaffenrode und Uchtspringe in Sachsen ab. 53 Ob auch hier wie in Danzig-Westpreußen im Anschluß daran ostpreußische Patienten dem reichsweiten Tötungsprogramm zum Opfer fielen, wäre noch zu untersuchen. 54 Die Details der Vorbereitung, einschließlich der Selektionskriterien, sind bislang unbekannt. Die verwaltungsmäßige Abwicklung und Tarnung der Morde klappten jedenfalls nicht richtig. Vermutlich ließ der radikale Vernichtungswille Kochs keine Zeit für entsprechende Planungen. So teilte Anfang November 1940 ein Sachbearbeiter des Landeshauptmanns dem Landgerichtspräsidenten in Königsberg vertraulich mit, daß der Aufenthaltsort von verlegten Pflegebefohlenen nicht bekannt sei. Anfragen des Amtsgerichts seien weisungsgemäß ohne Abgabenachricht an andere Stellen weitergegeben worden. Die Rentenzahlungen für die Pfleglinge seien eingestellt worden. „Es sei damit zu rechnen, daß die Angelegenheit durch Übersendung der Sterbeurkunden der in Frage kommenden Personen demnächst ihre Erledigung finden würde.“ Auch am 5. März 1941 war die

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„Angelegenheit“ bürokratisch immer noch nicht geklärt. Die Justiz wurde nun beim Landeshauptmann vorstellig. Der erklärte, er sei bemüht, „von einer Zentralstelle in Berlin Weisung zu erhalten, wie die Anfragen beschieden werden sollen“. Was dabei entschieden bzw. wie dann verfahren wurde, ist nicht bekannt. Abzulesen ist aber daran, daß zumindest bis zu jener Zeit Organe des reichsweiten Vergasungsprogramms für Kranke in Ostpreußen praktisch keine Rolle spielten. 55 Die treibende Kraft war eindeutig Erich Koch. Und er bekannte sich gegenüber den Tätern ganz offen dazu. Lange zeigte in Posen später ein Bernsteinkästchen mit einer persönlichen Widmung Kochs vor, das er für seine Tätigkeit in Ostpreußen von diesem erhalten hatte. Auch Mitglieder seines Kommandos empfingen über Redieß offenbar derartige Geschenke. 56

Rassenideologische Radikalität und Katalysator Krieg Im Gegensatz zu anderen Opfern der Nationalsozialisten waren Geisteskranke und Behinderte, mehrheitlich konzentriert und ghettoähnlich in Heil- und Pflegeanstalten lebend, schon sehr früh zur Tötung ausersehen. Ideologisch motivierter Vorsatz suchte nur eine günstige Gelegenheit – den Krieg. Konkrete Nützlichkeitserwägungen waren als Begründung immanent und rational. Prägend war jedoch für die 1940/41 durchgeführte Vergasungsaktion im Reich die biologistisch-rassistische Utopie einer gesunden, von allem Schwachen befreiten Gesellschaft. 57 Dies gilt ebenso für die entsprechenden Tötungen im besetzten Osten. Der Krieg, der besonders im Danziger Raum fast von Anfang an ohnehin Ansätze zur rassenpolitischen Flurbereinigung in sich trug, öffnete ein Ventil und war Katalysator für die Reinigung von allem „Unwerten“. In Danzig-Westpreußen spielte zunächst weder Kasernenbedarf noch Einsiedlung der Baltendeutschen eine Rolle. Nicht nur deshalb vermag die Interpretation, letztlich alle Krankenmorde 1939/40 im besetzten Osten als Problemlösung für den Platzbedarf bei der Einsiedlung von Baltendeutschen anzusehen, nicht zu überzeugen. 58 Im Gegensatz zu Pommern und Danzig-Westpreußen war der Warthegau nicht im nachhinein und auch nicht verwaltungsmäßig in die reichsweite EuthanasieAktion gegen Erwachsene einbezogen. Dies schloß eine Einbeziehung in die Kinder-Euthanasie oder die Weiterempfehlung des Lange-Kommandos durch Dr. Werner Hefelmann, einen Mitarbeiter von Amt II der Kanzlei des Führers, nach Rußland nicht aus. 59 Ansonsten blieb der Warthegau bei den Tötungen von „Lebensunwerten“ weitgehend autark und zeigte sich zugleich als besonders radikal. Dies entsprach den Verhältnissen eines hauptsächlich polnisch geprägten Gebietes, in dem die Hemmschwelle gegenüber „unwerten“ Menschen für die NS-Führung aus ihren rassistischen Überzeugungen heraus niedriger liegen mußte. Treskau bildet dafür das erschütterndste Beispiel. Man verfügte im Warthegau nicht nur über eine gaueigene Tötungsschwadron unter dem effektiven Herbert Lange. Bei der Gauselbstverwaltung – ein Neologismus für die Funktionen einer preußischen Provinzialverwaltung – saß zudem

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quasi eine kleine Euthanasie-Organisation unter Otto Fischer. Als hauptamtlicher SD-Führer hatte er nach Dienst bei der Einsatzgruppe IV im Polenkrieg Ende Januar 1940 seine Tätigkeit für das Reichssicherheitshauptamt aufgegeben, um in Posen bei der Gauselbstverwaltung zu arbeiten. 60 Er betrieb ein eigenes Sonderstandesamt zur Beurkundung der Morde und eine zentrale Krankenverlegungsstelle. Wenn es offenbar besonders schnell gehen sollte, wie in Schrimm 1941, erschien er auch persönlich. Um die Täuschung perfekt zu machen, wurden unter Fischers Ägide sogar fiktive Grabstellen angelegt. Diese konnte man gegen Gebühr angeblich pflegen lassen. 61 Die radikalen Politikansätze Greisers ergänzten sich in der Praxis gerade im Fall der Euthanasie fast ideal mit den radikalen Bestrebungen in Berlin. Zugleich befand Greiser sich in dieser Frage im Einklang mit seinen benachbarten Kollegen. Mit Schwede-Coburg und Koch kooperierte er diesbezüglich. Koch hinkte zeitlich zunächst etwas hinterher. Seine Zivilverwaltung begann erst 1940, aber dann offenbar ziemlich systematisch, in dem neu hinzugekommenen Bezirk Zichenau mit der Erfassung und Vernichtung von wohl fast ausschließlich polnischen Geisteskranken, Krüppeln und ‚Verbrechern‘. Fast parallel rückten aber auch die deutschen Psychiatriepatienten seines „Altgaus“ ins Blickfeld. In einer kombinierten Großaktion, die gerade einmal gut zwei Wochen dauerte, hat Koch sie dann dezimieren lassen. Es wurde ein geschicktes Timing gewählt. Die Aktion begann kurz nach dem Beginn des Feldzuges gegen Frankreich, und sie endete noch vor der Eroberung von Paris. Der Krieg, wenn auch weit entfernt, lenkte die Aufmerksamkeit ab. Noch deutlicher werden hinter den Tötungen von Patienten aus Danzig-Westpreußen und aus Pommern in Danzig-Westpreußen und im Warthegau als Initiatoren und Antreiber in Wechselwirkung untereinander und mit zentralen Institutionen die Gauleiter Forster und Schwede-Coburg sichtbar. Entsprechend radikalisiert waren also offenbar nicht nur Hitler, Bormann oder Bouhler, sondern eben gerade auch die Gauleiter im neuen ‚Deutschen Osten‘. Sie organisierten quasi ihre eigenen Vernichtungsaktionen. Verübt wurden die Morde sämtlich in Landstrichen, die bis dahin zu Polen gehört hatten. Um diese Räume hatten die Gauleiter sich selbst bemüht. Als es Ende September/Anfang Oktober 1939 um die Frage der Annexion von größeren polnischen Gebieten ging, vertraten sie offensiv eigene Machtinteressen. Im Einklang mit Hitler führte dies bald darauf zur Aufteilung Polens mit Bildung der beiden neuen Reichsgaue und einem relativ kleinen Restpolen, dem Generalgouvernement. 62 Nicht nur Hitler wußte sehr wohl, wen er da im besetzten Osten und seinen deutschen Randgebieten eingesetzt hatte und was er von ihnen erwarten konnte. Der schon erwähnte Funktionär Dr. Hefelmann von der Kanzlei des Führers erinnerte sich nach dem Krieg an ein Gespräch mit dem Pressereferenten des Reichsärzteführers, in dem dieser neben dem Willen Hitlers einen zusätzlichen Grund für die Euthanasie angab: Es „bestünde die begründete Befürchtung, daß verschiedene radikale Gauleiter in

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ihrem Machtbereich das Problem der Heil- und Pflegeanstalten radikal und ohne ärztliche Befragung anpacken würden, wie es dann ja auch tatsächlich sofort nach Kriegsbeginn eintrat“. 63 Auch andere nachgeordnete NS-Funktionsträger in Partei und Staat sowie beim Selbstschutz waren offenbar entsprechend radikalisiert. Die Freisetzung der Gewalt des Krieges konnte bei manchen die Hemmschwelle senken. Dies ist hauptsächlich in Danzig-Westpreußen feststellbar. Die eigenmächtigen Erschießungen der ‚Asozialen‘ bei Preußisch-Stargard durch Angehörige des Selbstschutzes, die spontane Ermordung der Prostituierten nach einem Zechgelage von örtlichen Funktionären in Preußisch-Stargard und insbesondere die Erschießungen von Zigeunern und Prostituierten unter der Regie des Landrats Modrow zeigen dies in aller Deutlichkeit. Aggressive biologistische Radikalität, die sich im Einklang mit der politischen Führung fühlte, konnte durch den Krieg – Machtmittel und wehrlose Opfer vorrausgesetzt – entgrenzt werden, in reale und tödliche Gewalt übergehen. Ausdrückliche Befehle oder Weisungen waren obsolet oder fehlten tatsächlich. Inwieweit dies auch für die Erschießungen der Prostituierten und Fürsorgezöglinge durch das Einsatzkommando 16 zutrifft, kann nur vermutet werden. Eine zentrale diesbezügliche Weisung aus Berlin ist jedenfalls auszuschließen. In den anderen Fällen begünstigte das radikale ideologische Umfeld mit seiner starken Dynamik ganz sicher das rasche und reibungslose Ablaufen von Tötungsaktionen. Dies zeigte sich z. B. deutlich an der offenbar problemlosen Zurverfügungstellung von Bussen mit Fahrern durch die Wehrmacht bei der Tötung von Anstaltspatienten aus Schwetz oder aber am Einsatz des Selbstschutzes bei der Räumung der Anstalt von Konitz. Ideologisch begründeter Vernichtungswille schaffte sich Vorrang und die nötigen Mittel. Das Wie und Wo war letztlich egal. Anmerkungen 1

Brief Hitlers v. 1. 9. 1939, Photokopie mit handschriftlichem Vermerk RMJ Dr. Gürtner über Erhalt von Bouhler am 28. 8. 1940, BAB, R 22/4209; zentral dazu Ernst Klee: „Euthanasie“ im NS-Staat. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, Frankfurt/M. 1983; Henry Friedlander: Der Weg zum NS-Genozid. Von der Euthanasie zur Endlösung, Darmstadt 1997. 2 Vern. Ilse L. v. 12. 9. 1961, BAL, Aussagenslg. Euthanasie; dto. v. 30. 10. 1967, GStaw Frankfurt/M. Ks 1/69, Bd. 15, Bl. 207; L. war während der Diskussion anwesend, bekam den Text diktiert und fertigte die Urschrift; vgl. Anklage GStaw Frankfurt/M. v. 22. 5. 1962, BAL, ASA 50. 3 Anklage (Anm. 2); vgl. Hans-Walter Schmuhl: Philipp Bouhler – Ein Vorreiter des Massenmordes, in: Ronald Smelser/Enrico Syring/Rainer Zitelmann (Hrsg.): Die braune Elite II. 21 weitere biographische Skizzen, Darmstadt 1993, S. 46. 4 Zdzisław Jaroszewski (Hrsg.): Zagłada chorych psychicznie w Polsce 1939–1945. Die Ermordung der Geisteskranken in Polen, Warszawa 1993; Heike Bernhard: An-

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staltspsychiatrie und „Euthanasie“ in Pommern 1933 bis 1945. Die Krankenmorde an Kindern und Erwachsenen am Beispiel der Landesheilanstalt Ueckermünde, Frankfurt/M. 1994; Volker Rieß: Die Anfänge der Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ in den Reichsgauen Danzig-Westpreußen und Wartheland 1939/40, Frankfurt/M. u. a. 1995; Friedlander (Anm. 1), S. 228–235. 5 Vgl. Dieter Schenk: Hitlers Mann in Danzig. Albert Forster und die NS-Verbrechen in Danzig-Westpreußen, Bonn 2000. 6 Ebd. S. 84 ff., 98 ff., 117 f.; vgl. Max Domarus: Hitler. Reden und Proklamationen 1932–1945, Bd. II/1, Wiesbaden 1973, S. 1221. 7 Hildegard von Kotze (Hrsg.): Heeresadjutant bei Hitler 1939–1943. Aufzeichnungen des Majors Engel, Stuttgart 1974, S. 56 f. 8 HSSPF Danzig-Westpreußen an RFSS v. 9. 1. 1940, BAB, NS 19/1642; Schenk (Anm. 5), S. 138–143. 9 Dr. Werner Hefelmann, Mitarbeiter der Abt. II der KdF, erinnerte sich, daß der Gauleiter von Danzig 1939 eine Tötungsaktion begonnen hatte, Vermerk Staw Hannover v. 9. 1. 1963, BAL, 203 AR 1101/62, Bd. 1, Bl. 96. 10 HSSPF Danzig-Westpreußen an RFSS v. 9. 1. 1940, BAB, NS 19/1642; Rieß (Anm. 4), S. 39. 11 Domarus (Anm. 6), S. 1353, 1366 f.; Schenk (Anm. 5), S. 135 f.; Großmann an SSOA Weichsel v. 3. 3. 1941, BAB, BDC, SSO Dr. Erich Großmann. 12 BAB, BDC, SSO Dr. Erich Großmann. 13 Großmann an SS-OA Weichsel v. 6. 10. 1943, ebd. 14 SS-OA-Führer Ostsee, George Ebrecht, nach Vermerk (Anm. 9); Rieß (Anm. 4), S. 26 f.; Schenk (Anm. 5), S. 263 f.; LKPA Schleswig-Holstein an ZSL v. 31. 3. 1967, BAL, 439 AR 382/65, Bl. 32. 15 Krystyna Szwentnerowa: Zbrodnia na Via Mercatorum, Gdynia 1968, S. 36 ff.; Inhaltsangabe dess., BAL, LO Handakten Euthanasie, Bl. 3 ff.; HSSPF Danzig-Westpreußen an RFSS v. 9. 1. 1940, BAB, NS 19/1642. 16 Rieß (Anm. 4), S. 119–131; Götz Aly: „Endlösung“. Völkerverschiebung und der Mord an den europäischen Juden, Frankfurt/M. 1995, S. 123 f. 17 Inhaltsangabe (Anm. 15), Bl. 7 ff.; Rieß (Anm. 4), S. 132–157. 18 Rieß (Anm. 4), S. 167–189; SD-EK 16 an IdS und SD-Führer Nordost v. 7. 10. 1939, in: Tadeusz Esman/ Włodzimierz Jastrze˛bski (Hrsg.): Pierwsze miesia˛ce okupacji hitlerowskiej w Bydgoszczy, Bydgoszcz 1967, S. 49. 19 Czesław Biernat: Staatsarchiv Danzig, München 2000, S. 224; vgl. Wolfgang Ayaß: „Asoziale“ im Nationalsozialismus, Stuttgart 1995. 20 Runderlaß RKPA v. 21. 9. 1939, in: „Gemeinschaftsfremde“. Quellen zur Verfolgung von „Asozialen“ 1933–1945, bearb. v. Wolfgang Ayaß, Koblenz 1998, S. 237 ff. 21 EG III an AOK 8/O.Qu. v. 29. 9. 1939, BAL, Dok. Slg. USA 15; CdS: Tagesbericht „Unternehmen Tannenberg“ v. 2. 10. 1939, BAB, R 58/1082. 22 Aly (Anm. 16), S. 118. 23 Rieß (Anm. 4), S. 204–208. 24 Tät.Ber. NSDAP-Kreisleitung/Preußisch-Stargard für 5. 9. 1939–1. 9. 1940, BAL, Dok. Slg. Polen 197; Rieß (Anm. 4), S. 208–211. 25 BAL, 203 AR-Z 321/59. 26 Stellv. Kdr. General XX. A.K. an OBdH v. 18. 11. 1939, BAL, Dok. Slg. USA 15; Rieß (Anm. 4), S. 222–241; Schenk (Anm. 5), S. 152 ff.

Zentrale und dezentrale Radikalisierung

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27 Urteil LG Gießen v. 27. 4. 1959, BAL, SA 72; Anklage Staw Gießen v. 28. 2. 58, ebd.; Eitelfried May: Berent kehrt für 66 Monate ins Reich zurück, BAL, 203 AR-Z 164/73, Bd. 2, Bl. 425 f. 28 Bernhard (Anm. 4), S. 35 ff. 29 Anklage Staw Hannover v. 3. 11. 1966, BAL, SA 263; Urteil LG Hannover v. 20. 12. 1968, ebd.; Bernhard (Anm. 4), S. 37–48; zur verwaltungsmäßigen Abwicklung Vern. Erika S. v. 2. 6. 1964, BAL, Aussagenslg. Euthanasie; Rieß (Anm. 4), S. 345 f. 30 Rieß (Anm. 4), S. 111–117. 31 Ebd., S. 243 ff.; Bericht Banse/Kosten v. 4. 10. 1939, BAL, 439 AR 1261/68, Bd. 4, Bl. 658–663; dto./ Dziekanka v. 25. 10. 1939, ebd., SB 94. 32 Bericht Zdzislaw Jaroszewski v. 30. 10. 1945, BAL, 439 AR-Z 69/74, SB 4, Bl. 18– 28; Vern. Kazimierz Alfons F. v. 24. 10. 1969, ebd., Nebenbd. 1, Bl. 132 ff.; Jaroszewski (Anm. 4), S. 81–85; Rieß (Anm. 4), S. 247–268, 305–316. 33 Marian Olszewski: Fort VII w Poznaniu, Poznan´ 1971; Übersetzung in BAL, 203 AR-Z 26/72, Bd. 3; BAB, BDC, SSO Herbert Lange; Rieß (Anm. 4), S. 290 f., 297–304. 34 Vern. Dr. Alfred Trenker v. 16. 5. 1961, BAL, 203 AR-Z 69/59, Bd. 5, Bl. 678–684. 35 BAB, BDC, SSO und RuSHA Herbert Lange. 36 Vgl. Mathias Beer: Die Entwicklung der Gaswagen beim Mord an den Juden, in: VfZ 35 (1987), S. 403–417. 37 Rieß (Anm. 4), S. 321–324. 38 Ebd., S. 333–340; die Zahl ergibt sich aus Differenz zwischen den von der pommerschen Verwaltung festgestellten über 2300 außerhalb der Provinz untergebrachten Geisteskranken und den 1400 Opfern im Bericht Hildebrandts; Bernhard (Anm. 4), S. 48; HSSPF Danzig-Westpreußen an RFSS v. 9. 1. 1940, BAB, NS 19/1642; vgl. Hans Fenske: Die Verwaltung Pommerns, Köln u. a. 1993, S. 147. 39 Vermerk betr. Übergabe der Landesheilanstalt Kosten durch die Wehrmacht v. 24. 1. 1940, BAL, 439 AR-Z 69/74, SB 3, Bl. 78 f. 40 Inhaltsangabe zu Bericht zum Stand der Untersuchungen Kochanowek (undat.), BAL, Handakten Euthanasie, LO Dokumente II; Aussage Wacław B. v. 26. 11. 1945, BAL, Dok. Slg. Polen 358; Czesław Łuczak: Dzien´ po dniu w okupowanej wielkopolsce i na ziemi Łódzkiej (Kraj Warty). Kalendarium wydarzen´ 1939–1945, Poznán 1993, S. 122. 41 Übersetzung von Gwidon Lukaszewski: Deutsche Verbrechen an den Geisteskranken in der Landesheilanstalt in Warta (1945), BAL, 439 AR-Z 69/74, SB 1, Bl. 101–105; Vern. Dr. Hans-Hermann R. v. 30. 4. 1975, ebd., Bd. 1, Bl. 141 ff. 42 Anklage Staw Bonn v. 10. 9. 1964, BAL, ASA 6; Vern. Georg U. v. 19. 6. 1962, BAL, Aussagenslg. Euthanasie. 43 Vern. Antoni H. (undat.), BAL, 439 AR-Z 69/74, SB 2, Bl. 13–17; vgl. Anna Kulikowska: Erinnerungen an das psychiatrische Krankenhaus in Gostynin während der Okkupationszeit, in: Götz Aly (Hrsg.): Aktion T 4 1939–1945. Die „Euthanasie“-Zentrale in der Tiergartenstr. 4, Berlin 1987, S. 45 f. 44 Aussage Jadwiga G. v. 23. 5. 1972, BAL, 439 AR 1261/68, Bd. 4, Bl. 614 ff.; dto. Kazimiera S. v. 24. 5. 1972, ebd., Bd. 4, Bl. 638 ff.; dto. Jozef C. v. 3. 4. 1946, ebd., Bd. 2, Bl. 224 f. 45 Lukaszewski (Anm. 41), Bl. 110. 46 Bericht Jan Gallus: Dziekanka in den Jahren 1939–45, BAL, Dok. Slg. Verschiedenes 17; Vern. Alwin G. v. 6. 11. 1963, BAL, Aussagenslg. Euthanasie.

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47 Richard Breitman: Staatsgeheimnisse. Die Verbrechen der Nazis – von den Alliierten toleriert, München 1999, S. 134, wonach Lange tatsächlich nach Nowgorod geschickt wurde; Der Dienstkalender Heinrich Himmlers 1941/42, bearb. v. Peter Witte u. a., Hamburg 1999, S. 225, läßt dies unter Benutzung derselben Quellengrundlage offen. 48 Vern. Walter B. v. 24. 1. 1961, BAL, 203 AR-Z 69/59, Bd. 4, Bl. 626. 49 Christian Tilitzki: Alltag in Ostpreußen 1940–1945. Die geheimen Lageberichte der Königsberger Justiz 1940–1945, Leer 1991, S. 13–21, 48–51. 50 Ebd., S. 43. 51 Berichte Gendarmerie-Kreis/Zichenau v. 11. 2. 1940, Gendarmerie-Abt. III /Zichenau v. 25. 2. 1940, Gendarmerie-Abt. II/ Zichenau v. 25. 2. 1940, BAL, 117 AR-Z 38/ 81, Bd. 1/2, Bl. 131–140; Vern. Ludwig Z. v. 12. 3. 1974, ebd., Bl. 198 ff.; dto. Antoni S. v. 13. 3. 1974, ebd., Bl. 203 ff. 52 BAL, 117 AR-Z 38/61; zu Gasten Kulikowska (Anm. 43), S. 45; Jaroszewski (Anm. 4), S. 134 f. 53 HSSPF Norwegen an Persönlicher Stab RFSS v. 7. 11. 1940; dto. HSSPF Warthegau v. 22. 2. 1941, beide BAB, NS 19/2576; Anklage Staw Bonn v. 10. 9. 1964, BAL, ASA 6; zu Kortau BAL, 439 AR 1420/69; Hermann Dembowski: Übersicht über die Geschichte der Carlshöfer Anstalten 1933–1945, in: Manfred Koschorke (Hrsg.): Geschichte der Bekennenden Kirche in Ostpreußen, Göttingen 1976, S. 492 f. 54 Hunderte von Krankenakten ostpreußischer Patienten befinden sich in der teilweise erhaltenen Slg. von Akten Ermordeter der KdF bzw. ihrer Tarnorganisationen im Bestand R 179 des BAB und harren der genaueren Prüfung, Auskunft BAB v. 27. 8. 2003. 55 Tilitzki (Anm. 49), S. 131 f., 138 f. 56 Vern. Trenker (Anm. 34), Bl. 679; SS-Oscha. Seith an HSSPF Norwegen v. 18. 9. 1940, BAB, NS 19/2576. 57 Vgl. zuletzt Winfried Süß: Der „Volkskörper“ im Krieg. Gesundheitspolitik, Gesundheitsverhältnisse und Krankenmord im nationalsozialistischen Deutschland 1939–1945, München 2003, S. 366. 58 Aly (Anm. 16), S. 114 f. 59 Udo Benzenhöfer: NS-„Kindereuthanasie“: „Ohne jede moralische Skrupel“, in: Deutsches Ärzteblatt 97 (2000), S. A 2766–2772; Dienstkalender (Anm. 47), S. 225. 60 Lebenslauf (undat.), BAB, BDC, RuSHA Otto Fischer. 61 Gallus (Anm. 46), Bl. 292–307; Vern. Antoni H. (Anm. 43), Bl. 13 ff. 62 Martin Broszat: Nationalsozialistische Polenpolitik 1939–1945, Frankfurt/M., S. 36–41. 63 Vern. Dr. Werner Hefelmann v. 31. 8/1. 9. 1960, BAL, Aussagenslg. Euthanasie, LO Hefelmann, Bl. 6 f.

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Die zerrissene Nation Die polnische Gesellschaft unter deutscher und sowjetischer Herrschaft 1939–1941 1 Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 überraschte nicht nur die einfache Bevölkerung in Polen, sondern auch die politischen Eliten des Landes. Das schnelle Vordringen der deutschen Truppen ins Landesinnere führte zum Zusammenbruch aller Staatsstrukturen, der in der übereilten Evakuierung der Regierungsmitglieder in der Nacht vom 17. auf den 18. September gipfelte, nachdem der unerwartete Todesstoß durch den Einmarsch der Roten Armee in Ostpolen erfolgt war. 2 „Nach einem schnellen Schlag gegen Polen, zuerst vom deutschen Heer und dann von der Roten Armee, blieb von diesem häßlichen Ergebnis des Versailler Vertrages nichts mehr übrig“, erklärte Außenminister Molotow am 31. Oktober in seiner Siegesrede vor dem Obersten Sowjet der UdSSR. 3

Reaktionen auf die nationalsozialistische Polenpolitik Die vor allem gegen die Zivilbevölkerung gerichteten Bombardements der Städte 4, die Massenexekutionen an vermeintlichen Freischärlern und das Niederbrennen von Häusern, Stadtvierteln oder ganzen Ortschaften versetzten die Bevölkerung in Angst und Schrecken. Übertriebene Greuelnachrichten breiteten sich bald wie ein Lauffeuer aus und verursachten vielerorts eine Fluchtwelle, die bald alle Wege in Richtung Osten verstopfte. Dies machte vielen Soldaten und Offizieren, die sich abseits ihrer Einheiten befanden, die Rückkehr in die eigenen Reihen unmöglich. Aus demselben Grund scheiterte die zu spät ausgerufene Mobilmachung: Keiner der Reservisten wußte, wie er in einem solchen Durcheinander die angegebenen Sammelpunkte erreichen sollte. Die herrschende Panik wurde noch durch die Piloten der Luftwaffe verstärkt, die zivile Flüchtlinge nicht schonten, sie aus ihren Bordwaffen beschossen oder mit Bomben bewarfen. Es ist schwer einzuschätzen, wie viele Menschen sich in den ersten Kriegstagen in Bewegung setzten. Es dürften aber mehrere Hunderttausende, wenn nicht Millionen gewesen sein. Laut NKWD-Angaben flüchteten im Herbst ca. 600 000 Personen, mehrheitlich aus Oberschlesien, alleine nach Lemberg. 5 Zeitgleich mit dem Einmarsch der Deutschen brachen alle Staatsstrukturen zusammen. Die Regierung verließ Warschau und überschritt die Grenze nach Rumänien. Die Staatsinstitutionen und -ämter blieben geschlossen. Verschiedene Organisationen, Vereine und Verbände lösten sich entweder auf oder wurden

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durch die Einsatzgruppen zerschlagen. Binnen kürzester Zeit führte dies zur Atomisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse und Unterbrechung jedweder Bindung unter den Landesbewohnern. Aufgrund der Mobilmachung und der einsetzenden Fluchtwelle zerbrachen auch viele Familien. Auf diese Weise wurden die meisten Menschen jeglichen Rückhalts beraubt und das ausgerechnet im Moment ihrer größten Not. Die bisher unvorstellbare Tatsache, daß der deutsch-polnische Krieg sich so rasch in den von der NS-Propaganda gefeierten ‚Feldzug der 18 Tage‘ verwandeln konnte, versetzte die Bevölkerung in einen dauerhaften Schockzustand. 6 Niemand konnte und wollte sich damit abfinden, daß der stolze polnische Staat, der noch vor kurzem auf dem internationalen diplomatischen Parkett mit seinen Muskeln gespielt hatte, binnen weniger Wochen besiegt werden konnte. Dies frustrierte viele und führte zu einem übertriebenen Kritizismus gegenüber den verantwortlichen politischen Eliten. 7 Der berühmte ‚Kurier aus Warschau‘, Jan Nowak-Jezioran´ski, notierte in seinen Erinnerungen: „Am schlimmsten waren die überall zu vernehmenden endlosen Flüche, die nicht nur gegen die Schuldigen der Niederlage, sondern auch gegen das gesamte Volk gerichtet waren. Die Menschen wurden von einer masochistischen Manie befallen, die eigene Gesellschaft mit Dreck zu bewerfen.“ 8 Die Kriegshandlungen leiteten einen Prozeß der ‚ethnischen Dekomposition‘ ein, den Zerfall des polnischen Vielvölkerstaates in seine nationalen Bestandteile, die seit dem Ausbruch der Kriegshandlungen einzeln und oftmals in Konkurrenz zueinander den partikulären Kampf um eigene Interessen zu führen begannen. Diese Entwicklung erfolgte nur zum Teil durch eine natürliche Annäherung der Angehörigen der jeweiligen Ethnien im Moment der Bedrohung. Sie wurde zusätzlich durch die beiden Aggressoren beschleunigt, die die einsetzende Auflösung durch eine gezielte Politik zu intensivieren suchten. Am Ende dieses Prozesses standen die einzelnen Bevölkerungsgruppen – wie Polen, Juden, Volksdeutsche, Ukrainer usw. – allein den beiden Besatzern gegenüber, mit allen ihren verdeckten Animositäten, Ängsten und Vorurteilen, die auf unterschiedliche Weise im Sinne der Devise ‚Divide et impera‘ mißbraucht werden konnten. Im Generalgouvernement (GG) standen die Anfänge der deutschen Besatzung ganz im Zeichen einer großen Verunsicherung der polnischen Bevölkerung. Die Ausschaltung der Eliten, die allgegenwärtige Angst um sich selbst und seine Nächsten, die Konfrontation mit der ungewohnten Brutalität des deutschen Auftretens leiteten eine schleichende Erosion des herrschenden Wertesystems ein, die sich allmählich im Alltagsleben bemerkbar machte: „Die Bürger von Warschau wurden gewissermaßen dazu gebracht, die Gefühle von gehetzten wilden Tieren nachzuempfinden, die eingekesselt und in ausweglosen Fallen in die Enge getrieben wurden. Angesichts ihrer entsetzlichen Lage zogen sie sich in sich zurück. Selbst das Hinausgehen auf die Straße, zur Arbeit, um Einkäufe zu tätigen oder um Geschäfte abzuwickeln, wurde plötzlich zur Gefahr“, beschrieb Halina Krahelska die ersten Besatzungsmonate in der Hauptstadt.9

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Neben dem politischen und sozialen Zerfall machte sich auch der wirtschaftliche Niedergang der städtischen Bevölkerung bemerkbar. Aufgrund der Kriegshandlungen blieben Ämter, Fabriken, Werkstätten und die meisten Läden geschlossen, wodurch kaum jemand seiner regulären Arbeit nachgehen konnte. Um zu überleben, mußten viele Menschen ihre Geldreserven ausschöpfen oder vom Verkauf von Wertsachen und Wohnungseinrichtungen leben. 10 Die Notsituation in den Städten kam vielen Berufsspekulanten11 und manchen Dorfbewohnern zugute. Besonders in den ersten Monaten, noch bevor die deutsche Zivilverwaltung die Wirtschaft zu reglementieren begann, machten viele Bauern gute Geschäfte in den Städten und wurden dadurch zu kurzfristigen Nutznießern der allgemeinen Notlage 12 : „Das Dorf fing an, das Geld aus der Stadt abzuschöpfen und massiv alles ohne Ausnahme aufzukaufen, was es nur zu kaufen gab. Die neue Lage, in der sich plötzlich der vermögendere Bauer wiederfand, führte in manchen Gegenden (besonders in Stadtnähe) zu einer Verminderung der Angst vor dem Okkupanten oder sogar zur Herausbildung einer ‚Quasi-Affinität‘ für die neue Lage und deren Urheber“, hieß es in einer Meldung des polnischen Untergrunds. 13 Erst nachdem die Nationalsozialisten die Zwangsabnahme der Kontingente eingeleitet hatten, der Agrarmarkt zusammengebrochen war und dessen Produkte rationiert wurden, kam das böse Erwachen. Bereits im Dezember 1940 berichtete der Kreishauptmann von Puławy über die Mißstimmung unter der ländlichen Bevölkerung: „Der Bauer ist im großen und ganzen unzufriedener als der Städter. Das liegt daran, daß der Bauer im Gegensatz zu den früheren Jahren sein Getreide im Herbst abliefern mußte und daß er für dringliche Aufgaben der Wehrmacht und der Verwaltung verhältnismäßig große Fuhrleistungen auszuführen hatte.“ 14 Dies bestätigte auch Kazimierz Wyka: „Im Dorf klärte man sich politisch auf, konsolidierte sich national und mißtraute dem Okkupanten genauso stark wie der Arbeiter. […] Das Dorf wurde zum eigentlichen Keim der politischen Partisanenbewegung, und keinerlei […] Repressionen vermochten, dies zu unterbinden.“ 15 Die Auswirkungen der wirtschaftlichen Desorganisation im GG trafen zu Beginn am schlimmsten die Intelligenz, die dadurch aller ihrer Lebensgrundlagen beraubt wurde. Viele ihrer Angehörigen fanden sich plötzlich in niederen Berufen wieder und waren oft dazu gezwungen, ihren Lebensunterhalt unter höchsten körperlichen Anstrengungen zu bestreiten. 16 Die sowieso schon dramatische wirtschaftliche Situation verschlimmerte noch zusätzlich der Ansturm von zahllosen Flüchtlingen und Zwangsdeportierten aus den eingegliederten Gebieten und aus den durch die Sowjets besetzten Ostmarken des polnischen Staates, den Kresy, die seit Anfang 1940 das GG zu überfluten begannen. 17 Alle diese in der Regel völlig mittellosen Menschen mußten aufgenommen und verpflegt werden, auch dann wenn sie weder Familien noch Bekannte vor Ort hatten. Dies verschärfte noch zusätzlich die ohnehin schon schwierige Lage in den betroffenen Städten und Gemeinden.

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Die Lage der polnischen Bevölkerung in den eingegliederten Gebieten war noch dramatischer als die im GG. Bereits in den ersten Monaten begann dort eine großangelegte ‚ethnische Flurbereinigung‘, die in der Festnahme und Ermordung der einheimischen Führungseliten bestand. Die unerwartet erfolgende Verschleppung, Verhaftung und Exekution von Angehörigen der polnischen Intelligenz, des Adels, der Geistlichkeit und der Juden, die in die Tausende ging, verunsicherten die Bevölkerung und beraubten sie ihrer natürlichen Anführer. 18 Die gezielt angewandte Terrorpolitik zerrüttete die bestehenden Bindungen und förderte negative Erscheinungen wie Bereitschaft zur Kollaboration, Denunziantentum und manchenorts sogar einen offenen Drang zur freiwilligen Entpolonisierung. Viele versprachen sich auf diese Weise, den Repressionen zu entgehen und Platz für sich in der neuen Realität zu finden. So berichtete das Einsatzkommando Bromberg der Sicherheitspolizei am 24. Oktober 1939: „Es hat den Anschein, als ob sich nunmehr der größte Teil der Polen mit der Tatsache, daß Polen restlos zerschlagen ist, abgefunden hat und versucht, sich mit den deutschen Behörden und sonstigen deutschen Stellen gut zu stellen.“ 19 Nach dem anfänglichen Terror folgte eine systematisch betriebene Germanisierungspolitik, die vor allem in Massendeportationen in das GG und wilden Vertreibungen innerhalb der einverleibten Gebiete zum Ausdruck kam. 20 Diese Maßnahmen führten in politischer, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht zur allmählichen Degradierung aller Schichten der polnischen Gesellschaft zugunsten der volksdeutschen Minderheit. Die betroffene Bevölkerung schloß sich vielfach zusammen und versuchte gemeinsam, den Repressalien zu entgehen. Die Bewohner der Gemeinden, die zur Aussiedlung bestimmt wurden, verkauften das mobile Inventar und versteckten sich mit ihrem tragbaren Hab und Gut in den benachbarten Dörfern, Wäldern oder im Getreide. 21 Die dabei herrschende Verzweiflung spiegelt der Brief einer jungen Polin wider, der von der Stapo-Stelle Litzmannstadt als ein „besonders aufschlußreicher“ Beleg zitiert wurde: „Wir sind aus Angst ausgetrocknet, daß wir schon nicht mehr gehen können. Wir halten uns in den Wäldern auf, weil man hier aus der Umgebung alle Polen aussiedelt. Was werde ich Arme mit meinen Kindern machen, die Kinder werden von den Eltern getrennt und verschleppt. Man weiß nicht, ob der Tod kommen wird.“ 22 In manchen Zeitperioden versteckten sich auf diese Weise zwischen 10 000 und 35 000 Personen alleine im Warthegau. Bei einigen Deportationen erreichte der Anteil der Flüchtlinge fast 64 %. 23 Viele leisteten einen hoffnungslosen Widerstand: „In der Posener Region kam es in zahlreichen Dörfern zu aktiven Auseinandersetzungen und Kämpfen zwischen der Bevölkerung und den Okkupanten. Die Bauerngemeinden traten zum Kampf bewaffnet mit Äxten, Sensen, Heugabeln und Schaufeln an. Dies zog natürlich starke Repressionen nach sich“, berichtete der polnische Untergrund Anfang 1940. 24 Diejenigen, die Familien oder Bekannte im GG hatten, warteten nicht auf die Aussiedlung, sondern verkauften alles Wertvolle und zogen freiwillig ab, sobald

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sie erste Gerüchte über die anstehende Deportation erreichten. Beispielsweise schafften es die Deutschen während der großen Aktion in Gdynia am 26. Oktober 1939 12 271 Personen in das GG zu verfrachten, während in der gleichen Zeit 38 000 freiwillig abzogen. 25 Viele der Ausgesiedelten weigerten sich, ihr Schicksal zu akzeptieren und kehrten über die ‚grüne Grenze‘ in ihre Heimat zurück. Die Tatsache, daß sie dadurch zu ‚Illegalen‘ wurden, berührte sie kaum. Sie versteckten sich bei Bekannten oder Familienangehörigen oder verstärkten die Reihen des aktiven Untergrundes. Wie der Inspekteur der Sicherheitspolizei in Posen feststellte, konnten Aktionen gegen Widerstandskämpfer „nur nachts vorgenommen werden, da die Polen sich am Tage selten in der Wohnung aufhalten. Erschwert werden sie dadurch, daß fast alle männlichen Polen illegal wohnen.“ 26

Offene Kollaboration und notgedrungene Zusammenarbeit Terror, Angst und die unaufhörliche Pauperisierung der Bevölkerung warfen einen langen Schatten auf die zwischenmenschlichen Beziehungen und brachten bei vielen die niedrigsten Instinkte zum Vorschein. Doch die deutsche Okkupation schuf auch die Gelegenheit, alte Rechnungen zu begleichen, lang versteckte Rachegelüste in die Tat umzusetzen oder die Not anderer Menschen einfach auszunutzen. Denunziantentum wurde bald zur Landplage: „Die deutschen Polizeiund Gendarmerieposten werden mit Klagen, Denunziationen und anonymen Anzeigen überhäuft. Die kleinsten Probleme werden den Deutschen zur Beurteilung überlassen. Bei jeglichen Streitfragen und Zwistigkeiten sucht man nach der Intervention des Okkupanten. Auch Antrags- und Übersetzungsbüros werden mit Tausenden von solchen Angelegenheiten überhäuft. Archive dieser Büros werden irgendwann in der Zukunft ein trauriges Spiegelbild der kleinlichen polnischen Seele wiedergeben“, berichtete die Untergrundpresse bereits im Frühling 1940. 27 Aber nicht nur Einzelpersonen neigten zur Kollaboration. Die dramatischen Ereignisse des ‚polnischen September‘ zersplitterten auch die politische Szene im GG und führten dazu, daß manche sich um eine ‚konstruktive‘ Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten bemühten. Während die überwiegende Mehrheit aller gesellschaftlichen Gruppierungen in die Illegalität abtauchte und sich an der Schaffung des Polnischen Untergrundstaates aktiv beteiligte, suchten die Vertreter der beiden extremen Flügel des politischen Spektrums, das Radikalnationale Lager (Obóz Narodowo-Radykalny-ONR) und die Kommunisten, nach einer Annäherung an die Besatzer. In Warschau versuchten einige rechte Aktivisten, unter deutscher Obhut eine Polnische Nationalsozialistische Partei zu gründen. Die Initiative scheiterte jedoch aufgrund des fehlenden Interesses der deutschen Seite. Die illegale Presse informierte erleichtert über das Ende dieser Versuche: „Bereits einige Monate nach der Besetzung Warschaus durch die Deutschen zeigten sich Versuche seitens unzurechnungsfähiger Personen aus den Kreisen der polnischen Gesellschaft, Kontakt mit dem Okkupanten auf-

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zunehmen. […] Wir wurden Zeuge programmatischer antisemitischer Ausschreitungen, der Verteilung von Flugblättern usw. Seit etwa zwei Monaten kam dies zum Erliegen. Es gab einige Verhaftungen unter den Leitern der Radikalnationalen Partei. Wie es scheint, waren beide Seiten voneinander enttäuscht.“ 28 Anders sah die prosowjetische Initiative der polnischen Kommunisten aus. Angesichts der Tatsache, daß die Zusammenarbeit zwischen Hitler und Stalin ziemlich unverhüllt auf allen Ebenen betrieben wurde, hatten sie besonders zu Beginn der Besatzung große Probleme mit der Präzisierung ihrer Haltung zum Kriegsgeschehen. Anfänglich schwiegen sie desorientiert oder versuchten, Stalin als Befreier der polnischen, ukrainischen und weißrussischen Arbeiter und Bauern vom Joch der polnischen Herren, der Pany, zu verklären. Etwa seit Mitte 1940 begannen sie, eine aktivere Agitation zu betreiben, in der sie sich auf die geläufigen Formeln der Sowjetpropaganda stützten, indem sie die Schuld am Ausbruch des Krieges dem „englischen Imperialismus“ in die Schuhe schoben.29 Erst Anfang 1941, als die Vorbereitungen auf den deutsch-sowjetischen Krieg auf beiden Seiten der Grenze 30 unübersehbar wurden, konnten sie unverhüllt ihre prosowjetische Einstellung in Flugblättern äußern. Trotz dieses Engagements blieb die kommunistische Bewegung in den ersten Jahren der Besatzung eher ein Randphänomen, das nur durch wenige Aktivisten repräsentiert wurde und auf keinerlei Unterstützung von Seiten der Sowjets zählen konnte. Erst der deutsche Überfall 1941 sollte Stalin dazu animieren, von ihrer Kollaborationsbereitschaft Gebrauch zu machen. Obwohl die Polen im GG mit großer Mehrheit eine Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten strikt ablehnten, wurden sie durch die Besatzungspolitik dennoch dazu gebracht, mit ihnen wohl oder übel zusammenarbeiten zu müssen. Denn das GG wurde zwar durch die Deutschen regiert, aber alle Institutionen, Ämter oder wirtschaftlichen Einrichtungen konnten nur mit Hilfe polnischen Personals betrieben werden. Während polnische Polizisten zum Dienst unter strengsten Sanktionen zwangsrekrutiert werden mußten 31 , kamen viele Post-, Bahn- oder Fabrikarbeiter freiwillig zur Arbeit, weil sie einfach sich selbst und ihre Familien ernähren mußten. Solche Entscheidungen wurden anfangs auch dadurch erleichtert, daß es nach dem Zusammenbruch der polnischen Staatsstrukturen an Richtlinien fehlte, welche die akzeptablen Grenzen zwischen notgedrungener Zusammenarbeit und Kollaboration zogen. Ganz anders entwickelte sich das gegenseitige Verhältnis zwischen den Nationalsozialisten und der polnischen Bevölkerung in den eingegliederten Gebieten, die nach den NS-Plänen binnen absehbarer Zeit völlig germanisiert werden sollten. Der Terror der ersten Monate erstickte jeglichen Gedanken an eine institutionelle Zusammenarbeit im Keim und verhinderte weitgehend individuelle Alleingänge in dieser Richtung. Die ständigen Verfolgungen und Demütigungen, die Überwachung seitens der orts- und sprachkundigen volksdeutschen Aktivisten, die bis vor kurzem als gewöhnliche Nachbarn in nächster Umgebung gelebt

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hatten, schweißten die polnische Bevölkerung zusammen und führten zur Herausbildung eines starken Gemeinschaftsgefühls. Besonders im Warthegau und in Danzig-Westpreußen bildete sich eine fast einheitliche polnische Front gegen die Nationalsozialisten und ihre Helfershelfer. So erklärte sich nur ein kleiner Teil der Polen bei den statistischen Erhebungen des Gauleiters Forster im Dezember 1939 zu Volksdeutschen. Bemerkenswert war auch die Einstellung der Kaschuben, von denen 100 000 eine polnische Volkszugehörigkeit angaben, während nur 81000 sich als ‚Kaschuben‘ bezeichneten. Deswegen wurden sie bei der nächsten Erhebung pauschal als Polen betrachtet. 32 Eine große Ausnahme innerhalb der eingegliederten Gebiete bildete die Einstellung der Bevölkerung jener Teile der ehemaligen Woiwodschaften Kattowitz und Krakau, die Schlesien eingegliedert wurden. Anders als in den übrigen Regionen erklärten dort 1939/40 fast 97 % der Menschen ihre deutsche Volkszugehörigkeit. Die Ursache dafür konnte die ‚Strategie des Untertauchens‘ in der deutschen Mehrheit sein, die als ein wirksamer Schutz vor Repressionen nicht nur durch überwiegend österreichische Ordnungspolizisten, sondern auch durch den zuständigen Bischof Adamski – angeblich in Absprache mit der polnischen Regierung im Exil – propagiert wurde. 33

Der Polnische Untergrundstaat und sein Einfluß auf das Verhalten Der Zusammenbruch des polnischen Staates und der allgegenwärtige Terror entmutigten nicht alle Polen. Schon in den ersten Tagen nach der Besetzung fanden sich zahlreiche Menschen, die sich völlig spontan in kleinen Gruppen zusammenschlossen und mit konspirativer Arbeit begannen. Zu den ersten Aufgaben, die sich solche Organisationen als Ziel setzten, gehörten vor allem die Information der Bevölkerung über Kriegs- und Alltagsangelegenheiten und die Einflußnahme auf die allgemeine und individuelle Einstellung zu den Besatzern. Die Entstehung der Untergrundorganisationen erfolgte auf dreifachem Wege: Außer Spontangründungen, die besonders in größeren Städten ein Massenphänomen waren, bildeten sich bewaffnete Partisanengruppen aus versprengten Militäreinheiten 34 und konspirative Organisationen, die durch verbliebene Autoritätspersonen aus Militär- und Politikkreisen ins Leben gerufen wurden35 . Solche Gründungen erfolgten überall im Lande, im deutschen wie im sowjetischen Herrschaftsbereich, und sie waren erstaunlich zahlreich, trotz der intensiven Gegenmaßnahmen seitens der Besatzer. 36 Am 27. September 1939 gründete Brigadegeneral Michał Karaszewicz-Tokarzewski in Warschau die Organisation Słuz˙ba Zwycie˛stwu Polski-SZP (Dienst zur Befreiung Polens), eine Keimzelle des künftigen Polnischen Untergrundstaates, die später in Zwia˛zek Walki Zbrojnej-ZWZ (Bund für den bewaffneten Kampf) und letztlich in die Armia Krajowa-AK (Heimatarmee) umgewandelt wurde. 37 In der Konzeption der offiziellen Regierungskreise sollte diese Organisation die politische und militärische Fortsetzung des polnischen Staates in der Illegalität darstellen. Die polnische Regierung im Exil rief alle anderen Widerstandsgruppen

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im Land dazu auf, sich der ZWZ/AK in der nächstmöglichen Zeit unterzuordnen. Die Heimatarmee wurde kurzfristig mit der Leitung aller Sabotage- und zivilen Widerstandsaktionen betraut sowie mit der Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch gezielte Stellungnahmen in der illegalen Presse, in Flugblättern und durch die Mundpropaganda. In langfristiger Perspektive sollte sie die Kader für die Institutionen des künftigen polnischen Staates rekrutieren und die Vorbereitungen für den das ganze Land umfassenden Aufstand treffen, der im entscheidenden Moment die Befreiung Polens vom deutsch-sowjetischen Joch herbeiführen sollte. 38 Die Entwicklung des Untergrundes in den eingegliederten Gebieten ähnelte der im GG, obwohl aufgrund der Grenzen alle Kontakte mit den Kerngruppen in Zentralpolen erschwert wurden. Auch dort entstanden spontan zahlreiche vor allem national ausgerichtete Gruppen39 , die in erster Linie das entstandene Informationsvakuum zu beseitigen und die Haltung der einfachen Menschen zu den Okkupanten zu beeinflussen suchten 40 . Obwohl die Verbindungen zur ZWZ/AK sehr langsam aufgenommen wurden, sickerten die Direktiven der polnischen Regierungsstellen durch und wurden von vielen autonomen Organisationen weiterverbreitet und befolgt. Bereits Mitte 1940 vermerkte die Stapo-Stelle Litzmannstadt: „Ihre Tätigkeit ist sehr rege, in regelmäßigen Zeitabständen erscheinen illegale Zeitschriften, auch die Mitgliederwerbung wird intensiv betrieben. Es muß damit gerechnet werden, daß fast jeder jüngere Pole zu irgendeiner Organisation Verbindung hat oder aber von dem Vorhandensein illegaler Verbände weiß.“ 41 Die lang- und kurzfristigen Ziele und Handlungsdirektiven für die Konspiration in Polen wurden von Anfang an durch die Vertreter der polnischen Regierung im Exil bestimmt und nach Warschau durch Kuriere übermittelt. Bereits in der ersten Weisung vom 15. November 1939 wurden bewaffnete Aktionen unterbunden, denn „das Ergebnis wäre denkbar blaß angesichts der Repressionen, die solche Aktion über das Land zwangsläufig nach sich ziehen würden“, hieß es in der Begründung. 42 Die Direktive legte allgemeine Richtlinien für das Verhalten der Bevölkerung unter deutscher und sowjetischer Besatzung fest. Sie forderte die Menschen zum gesellschaftlichen und politischen Boykott der Okkupanten in allen erdenklichen Belangen des Alltags auf. Gleichzeitig ließ sie die Betätigung von polnischen Bürgern in der Kommunal- oder Selbstverwaltung des besetzen Landes ebenso wie im Handel, der Industrie, in der Landwirtschaft usw. nur unter der Voraussetzung zu, daß sie keinerlei politische Verpflichtungen nach sich ziehen werde. Sie erlaubte auch die Mitwirkung in karitativen Organisationen, allerdings nur im Interesse der notleidenden Bevölkerung. Die Anordnungen der Regierung wurden in Polen mit Hilfe der Untergrundpresse und mittels Mundpropaganda unter das Volk gebracht. Trotz der durch die Grenzposten erschwerten Verbindung mit den Organisationen in den eingegliederten Gebieten erreichten diese Anordnungen auch die dortige Bevölkerung: „In Aus-

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wirkung der Boykottbestrebungen wurden am 4. 12. 1940 von der illegalen ‚Stronnictwo Narodowe‘ in Posen mehrere Tausend Flugblätter hergestellt, in welchen zum allgemeinen Boykott aufgefordert wird. Die Flugschriften wurden in die Briefkästen geworfen, durch Türspalten gesteckt, in den Treppenhäusern niedergelegt, auf der Straße an den Bäumen befestigt oder auf andere Weise den Polen zugänglich gemacht“, berichtete die regionale Sicherheitspolizei Ende 1940. 43 Die Mehrheit der polnischen Bevölkerung im GG reagierte auf individuelle und institutionelle Versuche der Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht mit Mißbilligung und Abscheu. Auch wenn nur einige bereit waren, ihr Leben zu riskieren und aktiv im Widerstand mitzuwirken, begannen viele, sich nach den allgemeinen Anordnungen aus dem Untergrund zu richten. Die Aufrufe zum Boykott, zur ‚stillen Sabotage‘ 44 oder zur Teilnahme an polnischen Feiern zeigten besonders in den größeren Städten immer mehr Wirkung: „Offenbar als Erfolg der Flüsterpropaganda ist ein verstärkter Widerstand gegen die Verschickung der Landarbeiter nach Deutschland festzustellen. Auch sonst zeigt sich eine größere Widerspenstigkeit der polnischen Bevölkerung, als dies bisher der Fall war. So werden z. B. Gespanndienste für die Holzabfuhr verweigert oder es wird die Zahlung von Steuern und Leistungen von Scharwerksarbeiten abgelehnt“, berichtete beispielsweise der Kreishauptmann von Busko im Distrikt Radom in seinem Lagebericht für Mai 1940. 45 Auch in den eingegliederten Gebieten trug die Boykottaktion bald Früchte: „Es hat sich gezeigt, daß das Benehmen der Polen und hier besonders der städtischen Bevölkerung beinahe von Woche zu Woche an Frechheit augenfällig zugenommen hat. Die ständig zunehmende Versteifung der polnischen Haltung ist nicht so sehr auf äußere Einflüsse zurückzuführen, als vielmehr auf die durch zielbewußte Lenkung und Schürung der instinktiven ethnischen Gegnerschaft durch die polnischen organisierten Widerstandskreise“, urteilte der Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD im Warthegau Ende 1940. 46 Fast alle antipolnischen Verordnungen wurden auf jede erdenkliche Art umgangen oder unterlaufen. Immer wieder gab es Fälle, daß in polnischen Geschäften die deutsche oder volksdeutsche Kundschaft so lange warten mußte, bis alle Polen bedient waren, daß die Verkäufer sich weigerten, deutsch zu sprechen 47 oder daß sich die Grußpflichtvorschriften nicht einmal mit polizeilichen Mitteln erzwingen ließen 48 . Auch die Zwangsarbeitsmaßnahmen wurden auf verschiedene Weise sabotiert oder verlangsamt. Im Gnesener Bezirk wurde z. B. beobachtet, „daß Frauen, die zur Kartoffelernte eingesetzt waren, zu dieser Arbeit in Stöckelschuhen und mit Handschuhen und geschminkten Lippen erschienen und auch bei der Arbeit ostentativ die Handschuhe anbehielten“. 49 Neben der Veröffentlichung von Aufrufen und Appellen an die Bevölkerung versuchte die illegale Presse auch die Haltung der Einzelnen zu beeinflussen. Aufgrund der fehlenden Möglichkeit, konkrete Strafaktionen vornehmen zu

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können, begannen viele Untergrundzeitschriften bereits 1940 mit regelrechten Diffamierungskampagnen gegen die eifrigsten Kollaborateure. So informierte das „Biuletyn Informacyjny“ unter der Überschrift „Kanaillen und Dummköpfe“: „Beginnend mit der heutigen Ausgabe werden wir die krassesten Fälle von Niedertracht und Dummheit veröffentlichen, die in dieser Atmosphäre der Versklavung zu keimen beginnen.“ 50 Die ‚Schandanzeigen‘, in denen neben dem Vergehen alle persönlichen Angaben mit vollem Namen, Wohnadresse und Arbeitsstelle angegeben wurden51 , zeigten schon bald Wirkung: „Mit Genugtuung verzeichnen wir den Beginn einer gesellschaftlichen Reaktion gegenüber solchen Subjekten, die ihre Kontakte zum Okkupanten zu übereifrig gestalteten. Eine Vielzahl von solchen Personen bekam bösartige Briefe zugeschickt, an den Türen ihrer Wohnungen und an den Mauern ihrer Häuser wurden gehässige Flugblätter angebracht“, hieß es schon Ende 1940 im „Biuletyn“. 52 Die auf diese Weise gelenkte Mißgunst der Mehrheitsbevölkerung konnte verschiedene Formen annehmen und mit unterschiedlicher Intensität auf die Betroffenen zurückfallen. Um beispielsweise die Mißachtung für polnische Frauen, die sich öffentlich in deutscher Begleitung zeigten, zum Ausdruck zu bringen, wurden in Warschau bereits im Dezember 1939 Klebzettel angebracht mit der Beschriftung: „Frauen, die mit Deutschen gesellschaftlich verkehren, werden darüber in Kenntnis gesetzt, daß es in Bordellen noch freie Plätze gibt.“ 53 Als dies nicht ausreichte, ging man zu unterschiedlichen Schikanen und zum gesellschaftlichen Boykott über. In späterer Zeit wurden ihnen sogar die Köpfe kahl geschoren. Auch sogenannte stille Demonstrationen, die ohne gravierende Verletzungen der erlassenen Vorschriften abgehalten wurden und trotzdem einen allgemein erkennbaren Akt polnischer Unbeugsamkeit darstellten, wurden besonders in den Städten regelmäßig durchgeführt. Die Untergrundorganisationen riefen zu solchen Kundgebungen während aller polnischen Feiertage auf, z. B. am 3. Mai, um die Verabschiedung der ersten polnischen Verfassung 1791 zu würdigen, am 15. August, dem Tag des polnischen Soldaten, oder am 11. November zum Gedenken an die Unabhängigkeit 1918. So informierte der Sicherheitsdienst zur Feier des 15. August 1940: „Warschau berichtet hierzu, daß […] die Polen äußerst herausfordernd aufgetreten sind. Neben stark besuchten Gottesdiensten – man hatte den ‚Tag des polnischen Soldaten‘ mit ‚Maria Himmelsfahrt‘ gekoppelt –, fanden Demonstrationen an verschiedenen Denkmälern der Stadt Warschau statt (Grab des Unbekannten Soldaten, Fliegerdenkmal, Pionierdenkmal, POWDenkmal usw.). Es kam zur Niederlegung von Blumen, zum Singen der polnischen Nationalhymne und sogar zum Versuch, propagandistische Hetzreden an die versammelte Menge zu richten.“ 54 Auch der Abriß des Denkmals des ‚Unbekannten Soldaten‘ in Łódz˙ gab die Gelegenheit zur öffentlichen Demonstration patriotischer Gesinnung: „Die Ansammlung von knieenden Betern am Tage ‚Aller Heiligen‘ (1. 11. 40) in Litzmannstadt ist zweifellos gleichzeitig als Protest aufzufassen, zumal die Stelle des abgerissenen Denkmals des ‚Unbekannten Sol-

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daten‘ mit Blumen förmlich übersät worden war“, hieß es dazu im Polizeibericht. 55 Neben den Boykottaufrufen und der Diffamierungskampagne in der Presse bereiteten die konspirativen Organisationen die Schaffung einer geheimen Judikative im Untergrund vor, die nach klar definierten Rechtsauflagen eventuelle polnische Verräter, Kollaborateure und besonders grausame deutsche Gewalttäter verurteilen und zur Liquidierung bestimmen sollte. Erste Überlegungen in diese Richtung wurden vom Vorgänger der Heimatarmee, der SZP, bereits Ende 1939 angestellt. 56 Der Begründer der Organisation, General Karaszewicz-Tokarzewski, wandte sich damals an einige verdiente Juristen mit der Bitte um Hilfe bei der Organisation der polnischen Rechtsprechung im Untergrund.57 Aufgrund dieser Initiative entstand das Oberste Gericht der SZP-ZWZ, das noch vor der Jahreswende erste Todesurteile verhängte. 58 Diese Initiative von ‚unten‘ wurde durch die polnische Regierung im Exil akzeptiert, die am 16. April 1940 den „Beschluß über Femegerichte [sa˛dy kapturowe] im Lande“ veröffentlichte. Demnach waren nur ZWZ-Kommandanten der Besatzungszonen und Kreise zur Verhängung der Todesstrafe für Vergehen innerhalb der Militärorganisation ermächtigt. Die Zuständigkeit für Verbrechen von Personen, die außerhalb von ihr standen oder im Besatzungsapparat dienten, war den Bezirks- und Hauptdelegaten der Regierung vorbehalten. Nach der Anerkennung der Urteile durch den zuständigen Delegaten der Regierung sollte die Untergrundorganisation die dort verhängten Todesstrafen selbst vollstrecken. 59 Es gibt keine genauen Angaben über die Zahl der gefällten und vollstreckten Todesurteile in den ersten Jahren der Besatzung. Doch alleine die Kenntnis von der Existenz von Femegerichten im Untergrund beeinflußte schon das Verhalten der Bevölkerung und stellte für viele Kollaborateure eine klare Warnung dar, die ihren Eifer bremste. Zugleich mokierte man sich über den moralischen Verfall der Besatzer. Bereits im Herbst 1939 kursierte in Warschau der Witz, das polnische Reisebüro „Orbis“ veranstalte Berlin-Reisen unter dem Motto „Erkenne deine Möbel wieder“. Kurz darauf machte das geflügelte Wort die Runde: „Wenn einzelne klauen, dann sind das Kleptomanen. Wenn ein ganzes Volk klaut, dann sind das Germanen.“ 60 Auch geflüsterte Worte trugen zum Fundament des Polnischen Untergrundstaates bei.

Reaktionen auf die Sowjetisierung Ostpolens Der unerwartete Einmarsch der Roten Armee verunsicherte den Großteil der polnischen Bevölkerung. Die meisten Menschen stuften den sowjetischen Überfall als Dolchstoß in den Rücken des mit den Nationalsozialisten kämpfenden Staates ein, der jegliche Chance auf sein Überdauern endgültig begrub. Andere wiederum, die an eine Kampfgemeinschaft des Stalinismus mit dem Nationalsozialismus nicht glauben wollten, verklärten die Anwesenheit der Roten Armee als Hilfeleistung für die polnischen Streitkräfte und begrüßten freundlich die ein-

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marschierenden sowjetischen Soldaten. Die polnische Regierung vergrößerte noch die herrschende Verwirrung, da sie sich im Zuge der übereilten Evakuierung zu keinerlei offizieller Stellungnahme fähig zeigte, während der Oberbefehlshaber der polnischen Streitkräfte, Marschall Edward S´migły-Rydz, den unterstellten Einheiten den direkten Kampf mit der Roten Armee verbot und ihnen den „Rückzug“ aus dem Lande empfahl. 61 Dieser Befehl paralysierte den Kampfgeist von vielen Offizieren und führte dazu, daß einige von ihnen auf jegliche Kampfhandlungen verzichteten. 62 Genauso wie die Nationalsozialisten einige Tage zuvor profitierten auch die Sowjets vom Chaos auf polnischer Seite und gaben sich vielerorts vor der desorientierten Bevölkerung als ‚Kampfgenossen‘ im Krieg gegen Hitler aus, um auf diese Weise kampflos ins Landesinnere vordringen zu können.63 Die Angehörigen der Minderheiten, die in der Zweiten Polnischen Republik in vielerlei Hinsicht benachteiligt gewesen waren, begrüßten den Niedergang Polens, träumten von der Unabhängigkeit oder zumindest Autonomie unter sowjetischer Obhut – so die Ukrainer und Weißrussen – oder hofften auf die wirtschaftliche und vor allem politische Gleichberechtigung, wie etwa die Juden: „Die Bevölkerung West-Weißrußlands, insbesondere die Weißrussen und Juden, begrüßte enthusiastisch die Einheiten der Roten Armee und zeigte sich sehr interessiert an den Lebensbedingungen in der UdSSR. Die Bevölkerung half der Roten Armee mit allen Mitteln bei der Erfüllung ihrer Kampfaufgaben: Alle Brücken wurden in der Regel für die Armee gesichert, es wurden die Stellen aufgedeckt, an denen die Polen ihre Ausrüstung und Waffen vergraben hatten, kleinere [polnische] Banden wurden verraten oder [eigenhändig] gefangen genommen. […] Die offenherzige Einstellung der Bevölkerung zur Roten Armee bewirkte, daß sich das Banditentum dort nicht ausbreiten konnte und somit die Gebiete West-Weißrußlands schnell von den Resten der klassenfeindlichen Elemente gesäubert werden konnten“, berichtete Major Agarkov über die Lage vor der Front der 10. Armee. 64 Auch in Ostgalizien stellten die Rotarmisten den Ausbruch heftiger antipolnischer Ressentiments fest: „Angesichts der gewaltigen nationalen Unterdrückung durch die Polen war bei den Ukrainern die Schmerzgrenze erreicht, und es kam in einigen Fällen zu Ausschreitungen zwischen Polen und Ukrainern, verbunden mit Drohungen, alle Polen abzuschlachten“, berichtete am 21. September der Armeeoberbefehlshaber Kulik aus Stanisławów (Stanislau). 65 Vielerorts bildeten sich Bürgermilizen, die auf eigene Faust den ‚Klassenkampf‘ gegen polnische Staatsbeamte, Polizisten, Großgrundbesitzer und sogar vereinzelte Militäreinheiten begannen. Es kam zu bewaffneten Ausschreitungen in Dutzenden von Ortschaften im Süden und im Norden Ostpolens, die sich gezielt gegen Überbleibsel des polnischen Staates richteten. Nach neuesten Schätzungen sollen in Ostgalizien und Wolhynien (Wołyn´) zwischen 12 000 und 14 000 polnische Soldaten, Polizisten, aber auch einfache Einwohner ihr Leben verloren haben. Dazu kamen noch mehrere Hundert polnische Opfer in West-Weißruß-

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land. 66 Erst die Etablierung der sowjetischen Machtsstrukturen beendete diese Mordwelle. Die spontanen Racheaktionen und Gewalttaten seitens der verfeindeten ethnischen Gruppen wichen nunmehr den regulären ‚Entpolonisierungsmaßnahmen‘, die in der Praxis Massenexekutionen, Verhaftungen, Deportationen, Beraubung des Privateigentums, Entrechtung und Zwangssowjetisierung bedeuteten. Besonders in den ersten Monaten der Besatzung, als die Sowjets bemüht waren, die Überbleibsel des polnischen Staates zu beseitigen und eine soziale und politische Umstrukturierung des Landes vorzunehmen, wurden Polen zum ‚natürlichen‘ Opfer dieser Veränderungen. Trotz der propagandistischen Versicherung, daß das Sowjetsystem keine nationalen oder ethnischen Unterschiede machen werde, stilisierte die neue Administration pauschal alle Polen zum Ebenbild des ‚Klassenfeindes‘ und des ‚ewigen Konterrevolutionärs‘ und bekämpfte sie mit allen Mitteln. 67 Der bereits während des polnisch-sowjetischen Krieges 1920 in der Sowjetpropaganda benutzte Begriff der „polskie pany“ (polnische Herren) verband die beiden Schlagworte „nationale Befreiung“ und „Klassenemanzipation“, mit denen man das eigene Vorgehen legitimierte. So gab man vor, die ethnischen Minderheiten in einem Kunststück gleichzeitiger Klassenemanzipation und nationaler Befreiung von der polnischen Vorherrschaft zu erlösen. Dieser Gegensatz wurde noch dadurch verstärkt, daß anstelle der bisherigen Beamten nunmehr die Vertreter der bis dahin politisch benachteiligten Minderheiten, wie Juden, Weißrussen oder Ukrainer, mit all ihren angesammelten Frustrationen, Rachegelüsten und dem daraus resultierenden Übereifer in den Staatsapparat einrückten. Der Drang zur Bekämpfung des Polentums deckte sich vollständig mit der Haltung der aus der Sowjetunion eingetroffenen Aktivisten, die die dünne Personaldecke in der neugebildeten Administration verstärken sollten. Diese sogenannten Wostotschniki waren häufig schon in den 1930er Jahren mit antipolnischen Maßnahmen betraut gewesen, und schon damals verwendeten sie den Begriff ‚Klassenfeind‘ synonym mit dem eines ‚Polen‘. 68 Diese Entwicklung wirkte sich sehr destruktiv auf die polnische Bevölkerung in den Kresy aus. Auf einen Schlag wurde sie jeglichen Halts beraubt. Noch bevor sie sich vom Schockzustand der Septembertage erholen konnte, wurde sie zu einer benachteiligten und verfolgten Minderheit auf – wie man bis dahin geglaubt hatte – ‚eigenem‘ Territorium. Das enorme Ausmaß der Repressalien, das sich gegen fast alle Schichten der polnischen Gesellschaft gleichzeitig richtete, erschreckte und paralysierte die meisten Polen. Die feste Überzeugung davon, daß jeder Pole früher oder später ergriffen, mißhandelt und entweder ermordet oder deportiert werden würde, kennzeichnete deren Alltag in Ostpolen unter sowjetischer Besatzung. Ein Schlosser aus Lwów (Lemberg) brachte es auf den Punkt: „Ich wußte, daß dies mir nicht erspart bleiben würde, weil ich nicht schlechter als die anderen bin und mich als einen Polen ansehe, also früher oder später verhaftet werden mußte“. Allgemeingültigkeit kann auch die folgende

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Feststellung beanspruchen: „Man wartete in ständiger Anspannung und war – was merkwürdig klingen mag – zufrieden, wenn man endlich verhaftet wurde. Ich empfand eine große Erleichterung, als ich endlich ins Gefängnis kam.“ 69 Als besonders traumatisierend erwiesen sich die Deportationen, als in vier großen Wellen Hunderttausende von Menschen in weit entfernte Orte verfrachtet und ihrem Schicksal überlassen wurden. 70 Die neue Wirklichkeit war für manche Polen auch deswegen schwierig zu akzeptieren, da alle Veränderungen übereilt und mit Hilfe ungeschulten Personals vorgenommen wurden, ohne dabei die Reibungsverluste zu berücksichtigen, die aufgrund deren Inkompetenz entstehen mußten. „Zeitgleich mit der großangelegten Arbeit, die die Parteiorganisationen zur Säuberung des [Verwaltungs-] Apparats durchführten, gibt es zahlreiche Fälle einer völlig grundlosen Entlassung von Polen aus ihrer Arbeit und ihrer gesellschaftlichen Tätigkeit, die sie in den unteren Ebenen der sowjetischen Machtorgane, in Betrieben und Behörden verrichteten. So wurden z. B. in zahlreichen Rayons in der Oblast Bialystok viele gut arbeitende Agronomen, Polen, gegen Neuankömmlinge aus den östlichen Gebieten ersetzt“, bemängelte die Kommunistische Partei Weißrußlands später den Übereifer ihrer Aktivisten. 71 Diese Vorgehensweisen kräftigten die Vorurteile gegenüber den Sowjets innerhalb der betroffenen Bevölkerung. Zum Bild des verarmten Rotarmisten, der alle Waren aus den polnischen und jüdischen Geschäften aufkaufte 72, gesellte sich bald die Erfahrung der bolschewistischen Unfähigkeit und Desorganisation in Behörden und Institutionen. Dazu kam noch der Eindruck völliger Willkür bei den Repressivmaßnahmen, die nach dem allgemeinen Empfinden ohne ein erkennbares Muster erfolgten. Das Bild von den ‚asiatischen Barbaren‘, die nur Zerstörung und Zersetzung mit sich brachten, war damit komplett: „Es herrscht die allgemeine Überzeugung, daß eine solch einfältige und unbeholfene Vorstellung, wie sie die Bolschewiken und ihre Machthaber geben, nicht von langer Dauer sein kann […]. Die Tatsache, daß von Zeit zu Zeit jemand aus dem Bekanntenkreis verhaftet wird und hinter Gefängnismauern verschwindet, erschreckt niemanden. Die Verhaftungen scheinen willkürlich zu sein“, erinnerte sich Klemens Rudnicki an das damalige Lemberg. 73 Die Verachtung und das zuweilen bis zum Chauvinismus gesteigerte Gefühl der intellektuellen und moralischen Überlegenheit gegenüber den Bolschewisten und ihren Helfershelfern, die vielen Polen eigen waren, verbündete sich bald mit der Überzeugung, durch die Minderheiten verraten und dem sowjetischen Joch alleine ausgeliefert zu sein. Ungeachtet der früheren Animositäten und ethnischen Spannungen, die das Leben in den östlichen Gebieten der Zweiten Polnischen Republik in der Vergangenheit geprägt hatten, glaubten die Polen im Moment des Kriegsausbruchs, daß die Minderheiten sich mit ihnen in der Not solidarisieren würden. 74 Als der Prozeß der ethnischen Dekomposition einsetzte, waren jedoch viele Polen überrascht, daß die Minderheiten sich kaum um die

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Aufrechterhaltung ihres Staates bemühten und ihre eigenen Interessen verfolgten.

Ethnische Dekomposition und gesellschaftliche Zerklüftung Dabei kam es zu einer folgenträchtigen Verzerrung in der Rezeption der Wirklichkeit: Während Ukrainer und Weißrußen, deren Anteil in den sowjetischen Machtapparaten beträchtlich war, gleichzeitig auch als Opfer des neuen Systems wahrgenommen wurden, die man ebenso verfolgte, deportierte und dezimierte, wurden die Juden en masse als eine homogene Gruppe wahrgenommen und allen Tatsachen zum Trotz pauschal als die neuen Träger der Sowjetordnung beurteilt. 75 Besonders übel nahm ihnen die polnische, aber gleichermaßen auch die ukrainische, litauische und weißrussische Bevölkerung das Engagement im gesellschaftlichen Umbau während der Anfangsperiode der sowjetischen Besatzung. Den Juden wurde vor allem ihre aus dem Fachpersonalmangel resultierende Überrepräsentation in den Machtstrukturen der mittleren und unteren Ebene, die zu Beginn der Besatzung in manchen Gebieten Ostpolens feststellbar war, vorgeworfen.76 Anlaß des Anstoßes wurde auch deren Einbindung in den sowjetischen Repressionsapparat durch orts- und personenkundige Mitarbeit in den Milizen und im NKWD 77 sowie der gezielte Machtmißbrauch durch einige jüdische Aktivisten, die unter der Obhut des Sowjetstaates Rache für frühere Demütigungen an den christlichen Nachbarn nahmen. 78 Dieser Mißdeutung der jüdischen Rolle im Prozeß der Sowjetisierung konnten weder Verhaftungen und Deportationen von jüdischen ‚Klassenfeinden‘ 79 , noch die direkte Zusammenarbeit polnischer und jüdischer Untergrundorganisationen abhelfen80 . Jan Karski, der später als erster die westliche Welt über die jüdische Tragödie im besetzten Polen unterrichtete, schrieb im Februar 1940: „Das Verhältnis der Juden zu den Bolschewiken wird durch die polnische Gesellschaft als sehr positiv empfunden. Es herrscht die allgemeine Überzeugung darüber, daß die Juden den polnischen Staat und [alle] Polen verrieten, daß sie eigentlich Kommunisten seien, und daß sie die Bolschewiken mit wehenden Fahnen empfingen.“ Trotz der Tatsache, daß Karski die Polarisierung der jüdischen Bevölkerung angesichts der Sowjetisierung nicht entging, kam er zu dem bestürzenden Fazit: „Letztlich haben die Juden in ihrer Masse die Situation geschaffen, in der sie von den Polen für die Handlanger der Bolschewiken gehalten werden. Und die Polen – was man ruhig zugeben kann – warten nur auf den Augenblick, in dem sie einfach ihre Rache an den Juden nehmen können. Im Prinzip sind alle Polen verbittert und enttäuscht über die Juden. Die überwältigende Mehrheit (vor allem die Jugend) wartet auf die Gelegenheit zur ‚blutigen Heimzahlung‘.“ 81 Die Heftigkeit der antisemitischen Ressentiments resultierte aus der Verschmelzung traditioneller Vorurteile religiöser, ökonomischer und kultureller Art mit dem neuen Vorwurf der jüdischen Kollaboration mit den Sowjets auf Kosten der örtlichen Bevölkerung. Mit der Belebung des Stereotyps der ‚Judeo-

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kommune‘ machte man alle Juden zu einem universellen ‚Sündenbock‘, auf den die örtlichen Gesellschaften alle Schuld des Sowjetsystems samt der eigenen Vergehen abladen konnten. Aber auch das Verhältnis zu den anderen Ethnien verschlechterte sich während der Sowjetisierung: Die polnische Bevölkerung nahm es ihnen übel, daß sie zunächst mit der sowjetischen Herrschaft Hoffnungen verknüpft hatten und nach der Enttäuschung der ersten Monate eigene nationale Ziele zu verfolgen wagten und immer mehr in Richtung NS-Deutschland schauten, besonders als die bevorstehende deutsch-sowjetische Auseinandersetzung unvermeidlich schien. 82 Die Zersetzung der gesellschaftlichen Bindungen in Ostpolen bestand jedoch nicht nur in der ethnischen Dekomposition. Auch die sozialen Beziehungen innerhalb der einzelnen Nationalitäten wurden maßgeblich beeinträchtigt. Die Repressionsmaßnahmen zerstörten gutnachbarliche Beziehungen, zerrissen familiäre Bindungen, schufen eine unerträgliche Atmosphäre voller Angst und gegenseitiger Verdächtigungen. Der NKWD war viel effektiver als die Gestapo bei der Einschleusung von Informanten, weil er besser die regionale Mentalität verstand und dadurch auch die bestehenden nationalen, kulturellen, politischen und sozialen Animositäten zwischen den einzelnen dort wohnenden Völkern zu instrumentalisieren wußte. Schon nach kurzer Zeit spionierten sich nicht nur Vertreter der rivalisierenden Ethnien gegenseitig aus, sondern sogar engste Familienangehörige. In den kommunistischen Schulen wurden sogar Kinder dazu angestiftet, ihre Eltern zu überwachen: „Die Lehrer empfahlen uns, über alle ‚Vergehen‘, die uns zu Hause auffallen würden, zu ‚berichten‘. Ich war so erregt, daß ich heute kaum Zweifel daran habe, daß ich dazu imstande gewesen wäre, dieser Empfehlung Folge zu leisten“, erinnerte sich ein damals zwölfjähriger jüdische Junge an seine Schulzeit. 83 Es ist also kaum verwunderlich, daß die Meldungen des Untergrundes bereits anfangs 1940 das Zeugnis einer Zersetzung der polnischen Gesellschaft in den Kresy abgaben: „Die Bolschewiken setzen massiv Vertrauensleute ein; man muß zugestehen, daß sehr viele Menschen sich auf diese niedrige Betätigung eingelassen haben. Deswegen ist ein ungezwungenes Gespräch in den bolschewistischen Gebieten ausgeschlossen […]. Neben bezahlten Agenten gibt es noch viele freiwillige Zuträger, die alte Rechnungen begleichen, indem sie ‚Anzeigen‘ schreiben; leider häufen sich solche Fälle immer mehr.“ 84 Der ständige Druck auf die polnische Bevölkerung, die zumindest bis Mitte 1940 als der Hauptfeind der kommunistischen Revolution in diesen Gebieten galt, führte zu deren Aufspaltung. Obwohl die enge Verbundenheit mit den nationalen Werten gerade in den Kresy besonders ausgeprägt war, kam es dort nur sehr langsam zur Etablierung einer Untergrundbewegung. Dies lag vor allem an den Fahndungserfolgen des NKWD, der anfangs fast seine gesamte Kraft auf die Unterwanderung des polnischen Widerstandes konzentrierte. 85 Trotz der Repressionen widersetzten sich auch Polen der stalinistischen Neu-

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ordnung und begannen, illegal gegen sie zu arbeiten. Noch im September 1939 bildeten sich aus zersprengten Militäreinheiten Partisanenverbände, die den ungleichen Kampf mit den Sowjets aufnahmen. Sie beeinflußten das Verhalten der lokalen Bevölkerung, indem sie Konfidenten, Milizionäre und NKWD-Angehörige liquidierten, die Kollektivierung erschwerten und die sowjetischen Sicherheitskräfte zur ständigen Wachsamkeit zwangen. 86 Das Ausmaß dieser Bewegung können am deutlichsten die Fahndungserfolge des NKWD belegen: Zwischen September 1939 und Mai 1941 wurden auf dem gesamten von den Sowjets okkupierten Gebiet 568 Organisationen und ‚konterrevolutionäre Gruppen‘ zerschlagen und 16 758 Mitglieder des polnischen Untergrundes verhaftet. 87 Auch wenn die Zahl der konspirativ verbundenen Personen, die nicht gefaßt wurden, sogar um einiges höher gewesen sein dürfte, gehörten sie angesichts der 5 281000 Polen, die 1939 die Kresy bewohnten88 , gleichwohl zu einer kleinen Minderheit. Die überwiegende Mehrheit der Polen war gezwungen, sich irgendwie mit der neuen Wirklichkeit zu arrangieren. Aufgrund der fast vollständigen Zerstörung ihrer ursprünglichen Lebensgrundlagen suchten sie nach Beschäftigung in verstaatlichten Kooperativen, Geschäften, Betrieben und Institutionen. Dies hatte jedoch seinen Preis. Sie wurden dort in vielfacher Weise dem Einfluß der sowjetischen Ideologie ausgesetzt. Zu diesem Zweck dienten öffentliche Zusammenkünfte, Märsche und Kundgebungen, bei denen die Teilnehmer ihre Systemkonformität u. a. durch eine antipolnische Einstellung demonstrieren sollten. Verweigerer wurden sorgsam registriert und dem Repressionsapparat zur ‚Umerziehung‘ ausgeliefert. Die verheerenden Auswirkungen dieser Vorgehensweise, welche die durch die wirtschaftliche Misere und den Kriegsalltag gebrochenen Menschen einem andauernden Gewissenskonflikt auslieferte, waren auf die Formung des ‚neuen Menschen‘ angelegt – eines Menschen, der ungeachtet seiner sozialen Wurzeln und früheren Überzeugungen absolut treu ‚seinem‘ stalinistischen Vaterland dienen würde. Daß dabei moralischer Relativismus eingepflanzt, die Förderung der schlechtesten Charaktereigenschaften und die Zersetzung der gesellschaftlichen und familiären Bindungen eingefordert werden würden, war von vornherein nicht nur klar, sondern beabsichtigt. 89 Genauso wie in der deutschen Besatzungszone gab es auch im annektierten Ostpolen keine institutionelle polnische Kollaboration. Und genauso wie im NSBereich ging dieser Umstand nicht auf irgendeine besonders tugendhafte Haltung der polnischen Bevölkerung zurück, sondern einzig und allein auf das fehlende Interesse seitens der sowjetischen Entscheidungsträger. 90 Viele polnische Kommunisten waren jedoch jederzeit bereit, ihrer ‚neuen Heimat‘ einen Dienst zu erweisen. Dies zeigt etwa das Beispiel von Jan A. Turlejski, der sich noch 1939 auf der 5. Sitzung des Obersten Rates der UdSSR bereit zeigte, Polen für die Zwecke der sowjetischen Propaganda zu diskreditierten: „Jetzt hörte der polnische Staat auf, zu existieren. Er zerfiel buchstäblich binnen weniger Tage. Und das ist völlig verständlich: In Polen gab es unter den Arbeitern niemanden, der

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für ihn kämpfen würde, weil der polnische Staat für sie wie ein Gefängnis war, weil Polen für sie nicht die Mutter, sondern die Stiefmutter war.“ 91 Die sowjetische Schreckensherrschaft in den okkupierten Ostgebieten Polens brachte der örtlichen polnischen Bevölkerung eine allmähliche wirtschaftliche, soziale und vor allem politische Degradierung. Aus der bisher privilegierten Stellung im eigenen Staat wurden sie plötzlich zu der am meisten benachteiligten und verfolgten Minderheit in den weißrussischen und ukrainischen Sowjetrepubliken. Nach den Verhaftungen, Deportationen und Umsiedlungen mit zig Tausenden von Toten, nach der planmäßigen Eliminierung der polnischen Eliten wurde der übriggebliebene Rest einer kommunistischen ‚Umerziehung‘ an ihren Wohnorten und Arbeitsstellen unterzogen. Man liquidierte die polnische Presse, Schulen, Bibliotheken usw. und setzte die eingeschüchterte Bevölkerung der Wirkung der sowjetischen Propaganda aus. Trotzdem schafften es die bolschewistischen Entscheidungsträger nicht, den polnischen Patriotismus gänzlich auszumerzen. Trotz der Denunziationen, Verfolgungen und Repressionen fanden sich viele, die sich mit dieser Wirklichkeit nicht abfinden konnten und Widerstand leisteten.

Orientierungskrise und beginnende nationale Sammlung In allen Besatzungszonen wirkte sich die Politik der Aggressoren sehr destruktiv auf die bestehenden sozialen und politischen Strukturen aus. Infolgedessen stand den Okkupanten eine atomisierte Gesellschaft gegenüber, die aufgrund des Zusammenbruchs aller staatlichen Institutionen, der Flucht der Regierung und der Dezimierung der polnischen Eliten in einer tiefen Orientierungskrise steckte. Keiner im Lande wußte genau, wie man angesichts der deutsch-sowjetischen Übermacht handeln sollte. Die Lage wurde noch beträchtlich durch die rasch fortschreitende ethnische Dekomposition erschwert, die bisherige Staatsbürger in Angehörige rivalisierender Nationalitäten verwandelte, von Ethnien, die alle eigene, unterschiedliche und in der Regel gegensätzliche Ziele verfolgten und sich oft durch die Besatzer zu deren Zwecken mißbrauchen ließen. Die polnische Gesellschaft erlebte eine weitgehende Spaltung, und sie verlor alle politischen, kulturellen und sozialen Autoritätsinstanzen, die in dieser ungewohnten und lebensgefährlichen Situation den Kurs hätten bestimmen können. In einer solchen Atmosphäre, die durch Angst, Zukunftssorgen und eine fortschreitende politische, kulturelle und wirtschaftliche Depravation gekennzeichnet war, gab es keine Chance für die Herausbildung einer einheitlichen Einstellung gegenüber den Besatzern. In keiner der Besatzungszonen gab es eine fortgeschrittene institutionelle Kollaboration, da sie sich ohne die Unterstützung seitens der mißtrauischen Nationalsozialisten und Sowjets nicht herausbilden konnte. Einzelne Personen schrieben jedoch Anzeigen, wurden zu Zuträgern der Polizei oder versuchten, ihre Sprach- und Ortskenntnisse den Besatzungsinstitutionen zur Verfügung zu stellen. Es gab auch manche, die in den Besatzungskreisen verkehrten und versuchten, aus solchen Bekanntschaften Nutzen zu ziehen. Die überwiegende

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Mehrheit der Bevölkerung war dazu genötigt, für ihren Lebensunterhalt in den von den Besatzern geführten Unternehmen und Institutionen zu arbeiten. Obwohl die Angehörigen dieser Gruppe oft innerlich die Fremdherrschaft ablehnten, hatten sie nur wenig Möglichkeiten, ihre wahre Einstellung zum Ausdruck zu bringen. Erst nach der Herausbildung und Konsolidierung der Widerstandsbewegung, die sich als eines der Hauptziele die Formung der persönlichen Haltung der Polen setzte, erhielten sie Richtlinien für den gesellschaftlichen Boykott, für Sabotage oder stille Demonstrationen, die allmählich durch immer mehr Menschen befolgt wurden. Die unbeugsamste Einstellung zeigten die Angehörigen der Untergrundbewegung, die ungeachtet der großen Gefahr für Leib und Leben Informationen über die Entwicklung der politischen Lage verbreiteten und Aktionen zur Beeinflussung der Bevölkerung unternahmen, Hoffnung verbreiteten und Hilfe leisteten. Anmerkungen 1 * Die Fertigstellung dieses Aufsatzes wäre ohne die großzügige Hilfe von Dorota Siepracka, Klaus-Michael Mallmann und Bogdan Musial in dieser Form nicht möglich gewesen; ihnen allen will ich an dieser Stelle herzlich danken. 2 Grundlegend Zbigniew Błaz˙yn´ski (Hrsg.): Materiały do dziejów uchodz´stwa, Bd. 1: Władze RP na obczyz´nie podczas II wojny s´wiatowej, London 1994; Władysław Pobóg-Malinowski: Najnowsza historia polityczna Polski, Bd. 3: Okres 1939–1945, Opole 1990. 3 GSHI (Hrsg.): Documents on Polish Soviet Relations, Bd. 1, London 1961, S. 65. 4 Laut Czesław Łuczak: Polityka ludnos´ciowa i ekonomiczna hitlerowskich Niemiec w okupowanej Polsce, Poznan´ 1979, S. 115, wurden im September 1939 ca. 160 Städte und Ortschaften bombardiert mit mehreren Tausend Opfern unter der Zivilbevölkerung; allein in Warschau starben während der Belagerung aufgrund von Flächenbombardements und Artilleriebeschuß ca. 20 000 Menschen, Hans-Jürgen Bömelburg/Bogdan Musial: Die deutsche Besatzungspolitik in Polen 1939–1945, in: Włodzimierz Borodziej/Klaus Ziemer (Hrsg.): Deutsch-polnische Beziehungen 1939–1945–1949. Eine Einführung, Osnabrück 2000, S. 99. 5 Jerzy We˛gierski: Lwów pod okupacja˛ sowiecke˛ 1939–1941, Warszawa 1991, S. 40 f. 6 ˙ ycie na niby. Szkice z lat 1939–1945, Warszawa 1985, Vgl. Kazimierz Wyka: Z S. 90 f. 7 Vgl. Pobóg-Malinowski (Anm. 1), S. 61 f.; Tomasz Szarota: Okupowanej Warszawy dzien´ powszedni. Studium historyczne, Warszawa 1978, S. 531 f.; Polskie Siły Zbrojne w drugiej wojnie s´wiatowej, Bd. 3: Armia Krajowa, London 1950, S. 42. 8 Jan Nowak (Zdzisław Jezioran´ski): Kurier z Warszawy, London 1978, S. 29. 9 Halina Krahelska: Postawa społeczen´stwa polskiego pod okupacja˛ niemiecka˛, AAN, Sign. 383/II-4, Bl. 12; Krahelska, die im Büro der Propaganda und Information der AK arbeitete, schrieb diese Abhandlung 1944 anhand ihres Ereignistagebuches. 10 Ludwik Landau: Kronika lat wojny i okupacji, Bd. 1: wrzesien´ 1939–listopad 1940, Warszawa 1962, S. 39 (Eintrag v. 19. 10.–26. 10. 1939).

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11 „Ausflüge in die Provinz für Lebensmittel, deren Einführung und Verkauf zu überhöhten Preisen werden zum begehrten Ziel, das die ehemaligen Beamten oder Arbeiter vor Augen haben und das sie sogar zuweilen ihre gewöhnliche Arbeit vergessen läßt“, ebd. 12 Vgl. Krahelska (Anm. 8), Bl. 7; Czesław Madajczyk: Polityka III Rzeszy w okupowanej Polsce, Bd. 2, Warszawa 1970, S. 89–96. 13 ZWZ-Lagebericht v. 22. 2. 1940, in: Armia Krajowa w dokumentach 1939–1945, hrsg. v. Halina Czarnocka/ Józef Garlin´ski/ Kazimierz Iranek-Osmecki/ Włodzimierz Otocki/ Tadeusz Pełczyn´ski, Bd. 1: wrzesien´ 1939–czerwiec 1941, Wrocław u. a. 1990, S. 110. 14 Lagebericht für November 1940 v. 7. 12. 1940, AIZ, Dok. I-151, Bd. 20, Bl. 24. 15 Wyka (Anm. 5), S. 163. 16 Vgl. Landau (Anm. 9), S. 153. 17 Vgl. Łuczak (Anm. 3), S. 117–130; Bömelburg/Musial (Anm. 3), S. 91 ff. 18 In Hunderten von Massenexekutionen ermordeten die Nationalsozialisten bereits bis Ende 1939 allein in Danzig-Westpreußen über 50 000 Menschen, im Warthegau ca. 10 000 und in Ostoberschlesien 1500 Menschen; in der gleichen Zeit wurden im GG ‚nur‘ 5000 Menschen erschossen, vgl. Bömelburg/Musial (Anm. 3), S. 56 f., 93 f.; Łuczak (Anm. 3), S. 74 ff. mit etwas abweichenden Zahlen für die eingegliederten Gebiete. 19 BAB, R 70 Polen/83. 20 Vgl. Włodzimierz Jastrze˛bski: Hitlerowskie wysiedlenia z ziem polskich wcielonych do Rzeszy 1939–1945, Poznan´ 1968; Madajczyk (Anm. 11), Bd. 1, S. 306–321; Łuczak (Anm. 3), S. 136–172; Bömelburg/Musial (Anm. 3), S. 61 ff. 21 Vgl. Maria Rutowska: Wysiedlenia ludos´ci polskiej z Kraju Warty do Generalnego Gubernatorstwa 1939–1941, Poznan´ 2003, S. 82 f. 22 Stapo-Stelle/Litzmannstadt an RSHA v. 13. 9. 1940, AIPNŁ, Sign. 1/278, Bl. 50. 23 Vgl. Tadeusz Janicki: Wies´ w Kraju Warty (1939–1945), Poznan´ 1996, S. 74; Rutowska (Anm. 20), S. 83. 24 ZWZ-Lagebericht v. Februar 1940, in: Armia Krajowa (Anm. 12), S. 105. 25 Vgl. Jastrze˛bski (Anm. 19), S. 51. 26 IdS/Posen an CdS v. 2. 7. 1940, AIPNŁ, Sign. 1/278, Bl. 9. 27 Biuletyn Informacyjny, Teil 1: Przedruk roczników 1940–1941, in: Przegla˛d Historyczno-Wojskowy 190, 2001, S. 131 (Ausgabe v. 26. 4. 1940); laut: Krahelska (Anm. 8), Bl. 7, bekamen solche ‚nachbarlichen‘ Denunziationen in Krakau sogar den Namen ‚polnische Rache‘; vgl. den Beitrag von Barbara Engelking in diesem Band. 28 Biuletyn Informacyjny (Anm. 26), S. 177 (Ausgabe v. 21. 6. 1940); vgl. Tomasz Szarota: U progu zagłady. Zajs´cia antyz˙ydowskie i pogromy w okupowanej Europie. Warszawa, Paryz˙, Amsterdam, Antwerpia, Kowno, Warszawa 2000, S. 38–59; vgl. Allgemeiner politisch-wirtschaftlicher Bericht von General Tokarzewski an General Sosnkowski v. 9. 1. 1940, in: Armia Krajowa (Anm. 12), S. 62. 29 Vgl. Tomasz Strzembosz: Rzeczpospolita podziemna. Społeczen´stwo polskie a pan´stwo podziemne 1939–1945, Warszawa 2000, S. 52 f.; Kazimierz Gorzkowski: Kronika ‚Andrzeja‘, AAN, Sign. 231/VII-1, Bl. 16; in der kommunistischen Untergrundbroschüre „Vom Untergang Polens“ hieß es: „Die eigentlichen Aggressoren von Weltrang waren und sind England und Frankreich […]. Die polnischen Volksmassen wußten nicht, daß sie lediglich im Interesse der englischen und französischen Finanzmagnaten einer hundertfachen Übermacht Hitlers die Stirn zu bieten hatten. […] Die

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Sowjetunion konnte nicht an diesem räuberischen Kreuzzug gegen Deutschland teilnehmen; sie durfte sich nicht aus einer Bastion der internationalen proletarischen Solidarität zu einem Werkzeug des englischen Imperialismus umwandeln lassen.“ 30 Krahelska (Anm. 8), Bl. 12; demnach berichteten schon damals viele Flüchtlinge aus der Sowjetunion, „daß die sowjetische Propaganda [in der UdSSR] ohne jegliche Zurückhaltung gegen die Nazis und die Deutschen arbeitet, obwohl dem offiziell widersprochen wird, und daß man dort bei jeder Gelegenheit über den Krieg mit Deutschland redet“. 31 Adam Hempel: Pogrobowcy kle˛ski. Rzecz o policji „granatowej“ w Generalnym Gubernatorstwie 1939–1945, Warszawa 1990, S. 38. 32 Madajczyk (Anm. 11), Bd. 1, S. 398. 33 Ebd., S. 428 f.; daß diese Deklarationen nur einen Schutzcharakter haben sollten, zeigte auch die spätere Haltung der Schlesier angesichts der Zwangmusterungen zur Wehrmacht: Nicht nur, daß sie sich nach Kräften widersetzten, eingezogen zu werden, sie bedienten sich nach der Musterung öffentlich der polnischen Sprache, sangen polnische Lieder, lehnten es ab, den Eid abzulegen, und wenn sie es taten, versuchten viele von ihnen überzulaufen, ebd., S. 430 f. 34 Die berühmteste Einheit war die Gruppierung von Major Henryk Dobrzan´ski („Hubal“) in der Region um Kielce, die erst zwischen dem 31. 3. und dem 11. 4. 1940 zerschlagen werden konnte; außer ihr gab es noch Dutzende weniger bekannter Einheiten in anderen Regionen, selbst in der sowjetischen Besatzungszone, die oft bis zum Frühjahr 1940 durchhielten und dann entweder zerschlagen wurden oder sich in die örtlichen Untergrundgruppen integrierten, vgl. Strzembosz (Anm. 28), S. 19–25. 35 Diese Initiative von ‚oben‘ stammte vor allem aus den Kreisen der früheren Opposition und erfolgte auf Anordnung der sogenannten Geheimen Militärorganisation (Tajna Organizacja Wojskowa), die in der II. Abteilung des Generalstabes für den Fall der möglichen Niederlage noch vor dem September 1939 gebildet worden war, vgl. ebd., S. 25–28. 36 Laut ebd., S. 32, entstanden mehrere Hundert lokale Untergrundgruppen in den ersten Monaten auf Initiative von ‚unten‘. 37 Zur Entstehung des SZP-ZWZ-AK vgl. Wolfgang Jacobmeyer: Heimat und Exil. Die Anfänge der polnischen Untergrundbewegung im Zweiten Weltkrieg, Hamburg 1973; Grzegorz Mazur: Der „Bund für den bewaffneten Kampf-Heimatarmee“ und seine Gliederung, in: Bernhard Chiari (Hrsg.): Die polnische Heimatarmee. Geschichte und Mythos der Armia Krajowa seit dem Zweiten Weltkrieg, München 2003, S. 111– 149. 38 Vgl. Marek Ney-Krwawicz: Koncepcje walki Armii Krajowej, in: Błaz˙yn´ski (Anm. 1), S. 525; ders.: Die Führung der Republik Polen im Exil, in: Chiari (Anm. 36), S. 151–156; Strzembosz (Anm. 28), S. 56. 39 „Stronnictwo Narodowe“ war außer in Posen noch in 14 weiteren Städten des Warthegaus vertreten, IdS/Posen an RSHA v. 30. 8. 1940, AIPNŁ, Sign. 1/278, Bl. 42. 40 Vgl. Dorota Siepracka/Janusz Wróbel: Działalnos´c´ informacyjno-propagandowa konspiracji w Łódzkiem w latach 1939–1945, in: Waldemar Grabowski (Hrsg.): Działalnos´c´ informacyjna Polskiego Pan´stwa Podziemnego, Warszawa 2003, S. 61. 41 Stapo-Stelle/Litzmannstadt an CdS v. 2. 7. 1940, AIPNŁ, Sign. 1/278, Bl. 9. 42 Erste Direktiven des Ministerialkomitees für Heimatangelegenheiten, in: Armia Krajowa (Anm. 12), S. 6.

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IdS Posen an RSHA v. 13. 12. 1940, AIPNŁ, Sign. 1/278, Bl. 119. Die ‚stille Sabotage‘ bestand darin, die jeweilige Aufgabe bewußt falsch, ungenau oder langsam zu erfüllen, so daß das dadurch erzielte Arbeitsergebnis für die Besatzer kaum von Wert sein konnte und trotzdem keine Grundlage für Repressionen lieferte. 45 AIPN, NTN 272, Bl. 137 f. 46 IdS Posen an RSHA v. 14. 11. 1940, AIPNŁ, Sign. 1/278, Bl. 91. 47 Dto. v. 14. 10. 1940, ebd., Bl. 72 f.; dto. v. 27. 2. 1941, ebd., Sign. 1/279, Bl. 43. 48 Dto. v. 30. 11. 1940, ebd., Bl. 108. 49 Dto. v. 14. 11. 1940, ebd., Sign. 1/278, Bl. 92. 50 Abgedr. In: Biuletyn Informacyjny (Anm. 26), S. 177 (Ausgabe v. 21. 6. 1940). 51 Ebd., S. 281 (Ausgabe v. 4. 10. 1940). 52 Ebd., S. 322 (Ausgabe v. 21. 11. 1940). 53 Landau (Anm. 9), S. 128 (Eintrag v. 11. 12. 1939); zu der überwiegend materiellen Begründung für solche Verbindungen vgl. Krahelska (Anm. 8), Bl. 15 f. 54 BdS GG: SD-Lagebericht v. 16.–22. 8. 1940, AIZ, Dok. I - 17, Bl. 5 f. 55 IdS Posen an RSHA v. 14. 11. 1940, AIPNŁ, Sign. 1/278, Bl. 92. 56 Vgl. Leszek Gondek: Polska karza˛ca 1939–1945. Polski podziemny wymiar sprawiedliwos´ci w okresie okupacji niemieckiej, Warszawa 1988, S. 33 f. 57 Laut Paweł Maria Lisiewicz: W imieniu Polski podziemnej. Z dziejów wojskowego sa˛downictwa specjalnego Armii Krajowej, Warszawa 1988, S. 13 f., waren es Oberst Dr. Konrad Zielin´ski, der Vorsitzende des Appellationsgerichts in Lwów, Władysław Sieroszewski, ein Staatsanwalt am Obersten Gericht und Antoni Olbromski, ein Richter am Appellationsgericht in Warschau. 58 Vgl. ebd., S. 14; Gondek (Anm. 55), S. 35 f.; Andrzej K. Kunert: Wojskowe sa˛downictwo specjalne ZWZ-AK 1940–1944, in: Wie˛z´, 274, 1981, S. 111. 59 Abgedr. in: Armia Krajowa (Anm. 12), S. 220. 60 Tomasz Szarota: Polen unter deutscher Besatzung, 1939–1941: Vergleichende Betrachtungen, in: Bernd Wegner (Hrsg.): Zwei Wege nach Moskau. Vom Hitler-StalinPakt zum „Unternehmen Barbarossa“, München-Zürich 1991, S. 47. 61 In der Handlungsdirektive v. 17. 9. 1939 schrieb S´migły-Rydz: „Die Sowjets sind einmarschiert. Ich befehle, auf kürzestem Wege den allgemeinen Rückzug nach Rumänien und Ungarn zu unternehmen. Mit den Bolschewiki nicht kämpfen, es sei denn, sie greifen unsere Einheiten an oder versuchen, sie zu entwaffnen. […] Die Städte, auf die die Bolschewiki zumarschieren, sollten mit ihnen hinsichtlich einer Evakuierung der Garnisonen nach Ungarn oder Rumänien verhandeln“, in: Eugeniusz Kozłowski (Hrsg.): Agresja sowiecka na Polske˛ w s´wietle dokumentów. 17 wrzes´nia 1939, Bd. 1, Warszawa 1994, S. 170; Jerzy Łojek (Leopold Jerzewski): Agresja 17 wrzes´nia 1939. Studium aspektów politycznych, Warszawa 1990, S. 86–110. 62 Als exemplarisch dafür kann die Gefangennahme des Befehlshabers der Kampfgruppe ‚Chełm‘ durch die Sowjets gelten: „Ein sowjetischer Major taxiert Oberst Płonka […], deutet auf das Kreuz Virtuti Militari auf seiner Brust und fragt, was das sei. – Es ist ein [Verdienst-] Kreuz für den Krieg 1920 gegen euch – antwortet Płonka. – Richtig – sagt daraufhin der Major – Da wir euch aus dem Jahr 1920 gut in Erinnerung behalten haben, erwarteten wir kaum einhunderttausend Kriegsgefangene an einem Tag“, zit. in: Zbigniew S. Siemaszko: W sowieckim osaczeniu. 1939–1943, London 1991, S. 30. 63 Vgl. Łojek (Anm. 60), S. 85; Jan Tomasz Gross: „Und wehe, du hoffst …“ Die 44

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Sowjetisierung Ostpolens nach dem Hitler-Stalin-Pakt 1939–1941, Freiburg/B. 1988, S. 33 ff.; Siemaszko (Anm. 61), S. 27. 64 Lageeinschätzung September/Oktober 1939, in: Czesław Grzelak: Agresja sowiecka na Polske˛ w s´wietle dokumentów. 17 wrzes´nia 1939. Bd. 3, Warszawa 1995, S. 162. 65 Abgedr. in: Stanisław Jaczyn´ski: Agresja sowiecka na Polske˛ w s´wietle dokumentów. 17 wrzes´nia 1939. Bd. 2, Warszawa 1996, S. 104. 66 ˙ ydzi w zaborze sowieckim. Stosunki polskoVgl. Marek Wierzbicki: Polacy i Z z˙ydowskie na ziemiach północno-wschodnich II RP pod okupacja˛ sowiecka˛ (1939– 1941), Warszawa 2001, S. 59; Grzegorz Motyka: Tak było w Bieszczadach. Walki polsko-ukrain´skie 1943–1948, Warszawa 1999, S. 68 f.; Henryk Kieres´ u. a. (Hrsg.): Encyklopedia „białych plam“, Bd. 1, Radom 2000, S. 169. 67 Diese Entwicklung entging nicht dem polnischen Untergrund: „Die sowjetischen Machthaber unterstrichen ständig, daß sie die kulturellen Rechte der Polen respektierten, und tatsächlich: ihre Politik war theoretisch nicht antipolnisch, obwohl sie in der Praxis immer gegen Polen zielte, weil die politisch verdächtigen Klassen überwiegend aus Polen bestanden“, hieß es im Untergrundbericht über das Polesie v. 19. 12. 1942, in: Wierzbicki (Anm. 65), S. 260. 68 Vgl. Bogdan Musiał: „Rozstrzelac´ elementy kontrewolucyjne“. Brutalizacja wojny niemiecko-sowieckiej latem 1941, Warszawa 2001, S. 49 f.; Mikołaj Iwanow: Pierwszy naród ukarany. Polacy w Zwia˛zku Radzieckim 1921–1939, WarszawaWrocław 1991, S. 324–378. 69 Zit. in: Jan Tomasz Gross: Wste˛p, in: ders./Irena Grudzin´ska-Gross (Hrsg.): „W czterdziestym nas Matko na Sybir zesłali“. Polska a Rosja 1939–42, Warszawa 1990, S. 43. 70 Vgl. Albin Głowacki: Sowieci wobec Polaków na zimiach wschodnich II Rzeczypospolitej 1939–1941, Łódz´ 1998, S. 320–402; Wasilij Christoforow u. a. (Hrsg.): Deportacje obywateli polskich z Zachodniej Ukrainy i Zachodniej Białorusi w 1940 roku, Warszawa-Moskwa 2003; Stanisław Ciesielski/Grzegorz Hryciuk/Aleksander Srebrakowski: Masowe deportacje ludnos´ci w Zwia˛zku Radzieckim, Torun´ 2004, S. 206–261. 71 Bericht des ZK der KP(B)B „Über Fehlschläge in den Parteiorganen und sowjetischen Institutionen in den westlichen Bezirken Weißrußlands“ v. November 1940, zit. in: Marek Wierzbicki: Stosunki polsko-białoruskie w okresie okupacji sowieckiej ziem północno-wschodnich II Rzeczypospolitej (1939–1941), in: Tomasz Strzembosz (Hrsg.): Studia z dziejów okupacji sowieckiej (1939–1941). Obywatele polscy na kresach północno-wschodnich pod okupacja˛ sowiecka˛ w latach 1939–1941, Warszawa 1997, S. 12. 72 So schrieb Politkommissar Koszczejew in seinem Bericht über die Lage an der Ukrainischen Front am 24. 9. 1939: „Es wurde festgestellt, daß Soldaten und Befehlshaber von Einheiten in Geschäften Industriewaren (Uhren, Fahrräder, Schuhe u. a.) aufkauften, was zu einem Preisanstieg führte und Unzufriedenheit seitens der örtlichen Bevölkerung verursachte. Die Staatsanwaltschaft nahm entsprechende Schritte vor, mit dem Ziel, alle unwürdigen Verhaltensweisen auszumerzen“, in: Jaczyn´ski (Anm. 64), S. 142; vgl. ebd., S. 144, 255. 73 Zit. in: Piotr Kołakowski: NKWD i GRU na ziemiach polskich 1939–1945, Warszawa 2002, S. 79 f. 74 Vgl. Krzysztof Jasiewicz: Pierwsi po diable. Elity sowieckie w okupowanej Polsce

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1939–1941 (Białostocczyzna, Nowogródczyzna, Polesie, Wilen´szczyzna), Warszawa 2001, S. 70. 75 Vgl. Marek Wierzbicki: Stosunki polsko-z˙ydowskie na Zachodniej Białorusi w latach 1939–1941, in: Paweł Machcewicz/Krzysztof Persak (Hrsg.): Wokół Jedwabnego, Bd. 1, Warszawa 2002, S. 146 ff.; ders. (Anm. 65), S. 164–191; Bogdan Musial: „Konterrevolutionäre Elemente sind zu erschießen“. Die Brutalisierung des deutsch-sowjetischen Krieges im Sommer 1941, Berlin-München 2000, S. 71–81; problematisch dagegen Jan Tomasz Gross: Nachbarn. Der Mord an den Juden von Jedwabne, München 2001, wegen der Ausblendung des historischen Kontexts, des manipulativen Quellenumgangs und vor allem unseriöser methodologischer Voraussetzungen; vgl. Bogdan Musial: Thesen zum Pogrom in Jedwabne. Kritische Anmerkungen zu der Darstellung „Nachbarn“ von Jan Tomasz Gross, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 50(2002), S. 381–411; Thomas Urban: Zur historiographischen Kritik an Jan T. Gross in Polen. Korrekturen an seinem Buch über Jedwabne, in: Osteuropa, 51(2001), S. 1480–1487. 76 Beispiele jüdischer Überrepräsentation bei Musial (Anm. 67), S. 51; Jevgenij Rozenblat: Jewrei w sistemie mieschnationalnych otnoschenii w zapadnich oblastiach Bielorusi 1939–1941 gg., in: Białoruskie Zeszyty Histroyczne 13, 2000, S. 89–104; Wierzbicki (Anm. 65), S. 83–131, 176–180; Ben-Cion Pinchuk: Shtetl Jews under Soviet Rule. Eastern Poland on the Eve of the Holocaust, Oxford 1990, S. 42 ff. 77 Vgl. Musial (Anm. 74), S. 58 f., 65–69; ders.: Indigener Judenhaß und die deutsche Kriegsmaschine. Der Nordosten Polens im Sommer 1941, in: Osteuropa 53(2003), S. 1835 ff.; Dov Levin: The Lesser of Two Evils. Eastern Eurpean Jewry Under Soviet Rule, 1939–1941, Philadelphia-Jerusalem 1995, S. 63; Pinchuk (Anm. 75), S. 27, 35; Ma˙ ydzi i Polacy. 1918–1955. Współistnienie-Zagłada-Komunizm, rek Jan Chodakiewicz: Z Warszawa 2000, S. 128–136. 78 Vgl. Gross (Anm. 68), S. 29; Musial (Anm. 74), S. 68 f. 79 Innerhalb der jüdischen Bevölkerung wurden vor allem Unternehmer als „Kapitalisten“, Zionisten und Bundisten als „Nationalisten“ und Flüchtlinge aus Zentralpolen als „potentielle Spione“ zu den „konterrevolutionären Elementen“ gerechnet und massiv verfolgt, vgl. Musial (Anm. 74), S. 61 f.; ders. (Anm. 76), S. 1833; Chodakie˙ ydzi polscy ws´ród ofiar zbrodwicz (Anm. 76), S. 137–142; laut Sławomir Kalbarczyk: Z ni sowieckich w latach 1939–1941. Zarys problematyki, in: BGK 39,1996, S. 16–21, wurden ca. 120 000 polnische Juden verhaftet und deportiert, davon kamen 2300–2900 um. 80 Obwohl der jüdische antisowjetische Untergrund bislang weitgehend unerforscht blieb, gibt es durchaus Belege für seine Existenz: „Die jüdischen bürgerlichen Nationalisten, die mit den polnischen konterrevolutionären Elementen zusammenarbeiteten und antisowjetische Ziele verfolgten, fingen gerade an, nationalistische Gruppen nach dem Vorbild der ‚Organisation Jüdischer Kaufleute‘ zu bilden, indem sie Vertreter der ehemaligen jüdischen Bourgeoisie [in ihre Tätigkeit] verwickeln“, schrieb der Volkskommissar der weißrussischen Staatssicherheit, Canava, an Ponomarenko am 12. 4. 1941, in: Jasiewicz (Anm. 73), S. 1226; vgl. Chodakiewicz (Anm. 76), S. 142; Levin (Anm. 76), S. 235–256. 81 Abgedr. in: Machcewicz/Persak (Anm. 74), Bd. 2, Warszawa 2002, S. 127 f. 82 Vgl. Wierzbicki (Anm. 70), S. 34; Grzegorz Motyka: Białorusini a Ukrain´cy wobec władzy komunistycznej na Kresach Wschodnich II RP w latach 1939–1941, in: Strzembosz (Anm. 70), S. 54–59.

Die zerrissene Nation 83

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Samuel Pisar: Z krwi i nadzieji, Białystok 1992, S. 159. Bericht über die Lage im nordöstlichen Polen v. 17. 3. 1940, in: Armia Krajowa (Anm. 12), S. 175; im Bericht v. 19. 4. 1940, stand: „Unglaubliche Anzahl von Konfidenten, leider auch aus der polnischen Bevölkerung.“, in: ebd., S. 249. 85 Zu den Rekrutierungsmethoden und der Arbeitsweise des NKWD, vgl. Kołakowski (Anm. 72), S. 57–125. 86 Vgl. Tomasz Strzembosz: Opór wobec okupacji sowieckiej w Zachodniej Białorusi 1939–1941, in: ders. (Anm. 70), S. 105–219. 87 Vgl. Kołakowski (Anm. 72), S. 113; sie bildeten nur einen Teil der 107140 zwischen September 1939 und Mai 1941 verhafteten polnischen Bürger, von denen in Westweißrußland 42 662 und in der Westukraine 64 478 festgenommen wurden; unter ihnen gab es etwa 60 % Polen, ebd., S. 115; Głowacki (Anm. 69), S. 298. 88 Czesław Łuczak: Polska i Polacy w Drugiej Wojnie S´wiatowej, Poznan´ 1993, S. 511. 89 Vgl. Głowacki (Anm. 69), S. 592–617. 90 Dies bestätigt die Tatsache, daß die erste polnische kollaboratorische Organisation kurz nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion entstand; im Sommer 1941 wurde auf Befehl von Stalin und unter der Obhut von NKWD und Komintern aus polnischen Kommunisten die Polnische Arbeiterpartei (PPR-Polska Partia Robotnicza) gebildet, die im besetzten Polen den Partisanenkampf organisieren sollte; die potentiellen polnischen Opfer im Zuge der deutschen Vergeltungsaktionen wurden bei diesem Auftrag als ein erwünschter ‚Radikalisierungsfaktor‘ durch Stalin einkalkuliert; vgl. Władysław Gomułka: Pamie˛tniki, Bd. 2, Warszawa 1994, S. 115 f.; Georgi Dimitroff: Tagebücher 1933–1943, hrsg. v. Bernhard H. Bayerlein, Berlin 2000, S. 419– 422; bahnbrechend Piotr Gontraczyk: Polska Partia Robotnicza. Droga do władzy 1941–1944, Warszawa 2004. 91 Zit. in: Jasiewicz (Anm. 73), S. 86 f. 84

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„Nicht in Melancholie verfallen“ Reaktionen der jüdischen Minderheit im deutsch besetzten Polen 1939–1941 Es ist kaum möglich, die Erwartungshaltung der jüdischen Bevölkerung zu Beginn des Zweiten Weltkrieges zu beschreiben, da sie alles andere als einheitlich war. Vorherrschende Gefühle waren offensichtlich Panik und Angst vor den Deutschen, was zu chaotischen Fluchtbewegungen in alle Richtungen führte. Gleichzeitig waren viele Menschen überzeugt, daß es ‚so schlimm‘ nicht werden würde, da man es mit einer zivilisierten Kulturnation zu tun habe, die man zudem aus der Besatzung im Ersten Weltkrieg bereits kenne und einschätzen könne. Sophie Machtinger aus Łódz´ etwa erinnerte sich, wie religiöse Juden aus ihren Häusern kamen und die deutschen Soldaten anlächelten, „believing that these Germans were the same as those who had fought in the First World War“. 1 Und eine andere Überlebende beschrieb die Panik aufgrund von Erzählungen über die Reichspogromnacht und andere antijüdische Maßnahmen der Deutschen; doch gleichzeitig erinnerte sie sich: „Im Grunde schenkten wir den meisten dieser Gerüchte keinen Glauben und hielten sie für übertrieben. Wie sollte es möglich sein, so argumentierten wir, daß eine kultivierte Nation wie Deutschland, noch dazu im zwanzigsten Jahrhundert, Menschen nur wegen ihrer Abstammung verfolgte?“ 2 Dies scheint ein typisches Denkmuster gewesen zu sein. Die aktuellen Ängste waren beispielsweise auf den Verlust des Vermögens bezogen. Doch daß am Ende Tod und Vernichtung stehen würden, konnte niemand ahnen. Im folgenden sollen vor allem die Reaktionen der Menschen in Łódz´ und in den Gebieten im Osten des Generalgouvernements (GG) betrachtet werden.

Fliehen oder Bleiben? Es gibt keine Statistiken darüber, wie viele Juden insgesamt in der ersten Kriegsphase aus dem von den Deutschen besetzten Polen in die sowjetische Besatzungszone flohen; Schätzungen zufolge waren es etwa 300 000. 3 Aus den Orten im Osten des besetzten Polen, die aufgrund der Wirren um die endgültige Grenzziehung zwischenzeitlich sowjetisch besetzt gewesen waren und später Teile des Distrikts Lublin wurden, flohen verhältnismäßig viele Juden, vor allem Aktivisten der linken Parteien und allgemein Jugendliche, die vor dem Krieg in jüdischen Vereinigungen tätig gewesen waren. Ein großer Teil der Intelligenz flüchtete Richtung Osten. Ihre Zahl ist nicht eindeutig zu bestimmen, nur aus einzelnen Gemeinden liegt dazu Material vor. Von den 15 000 Juden in Chełm

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waren es etwa 4000, und etwa 2000 der 3000 in Tomaszów Lubelski lebenden Juden schlossen sich den sowjetischen Soldaten an. 4 Der polnische Arzt Zygmunt Klukowski notierte am 2. Oktober 1939 in Szczebrzeszyn in sein Tagebuch: „Am Abend ging das Gerücht herum, daß die russische Armee abzieht und aufs Neue die Deutschen kommen. Diese Nachricht rief unter den Juden schreckliche Panik hervor.“ Und so schlossen sich auch in dieser Stadt viele Juden der Roten Armee an. 5 Sehr hoch war die Zahl der Fliehenden auch in Zamos´c´, wo mit der zurückweichenden sowjetischen Armee am 5. und 6. Oktober etwa 7000 bis 8000 Juden die Stadt verließen. Nur ein Drittel der jüdischen Vorkriegsbevölkerung, etwa 4000 Menschen, waren noch in ihrer Heimatstadt, als die Deutschen diese am 8. Oktober erneut besetzten. 6 In den meisten Gemeinden wurden diese Flüchtlinge zumindest teilweise ‚ersetzt‘ durch Juden, die wiederum aus den westlichen polnischen Gebieten Richtung Osten gekommen waren. Im Dezember 1939 lebten im Distrikt Lublin nach Schätzungen mindestens 10 000 Flüchtlinge. 7 Viele von ihnen stammten aus Łódz´. Bereits vor dem Einmarsch der Wehrmacht am 8. September flohen viele Menschen: In der Nacht vom 5. auf den 6. September verließen die polnischen Behörden sowie die Armee die Stadt Richtung Warschau. Damit begann eine „massenhafte und panikartige Flucht der Bevölkerung“8 , die bis zur Abriegelung des Ghettos am 30. April 1940 andauerte. In den Erinnerungen ist von Massenfluchten die Rede. 9 Vor allem jüngere Männer, die keinerlei familiäre Verpflichtungen hatten, ließen sich in Städten des späteren GG nieder oder gingen in die Sowjetunion. 10 Gleichzeitig fand aber auch eine gegenläufige Bewegung statt; Juden aus kleineren Städten der Region und auch anderen Teilen Polens kamen nach Łódz´, weil sie meinten, in der Großstadt sicherer zu sein. 11 In welcher Größenordnung sich diese Fluchten abspielten, ist nicht genau zu ermitteln. 12 Einige der Geflohenen kamen auch wieder in ihre Heimatstadt zurück. 13 Durch Fluchten, aber vor allem durch organisierte Umsiedlungen lebte im Frühjahr 1940 ein Drittel der jüdischen Vorkriegsbevölkerung – das sind etwa 70 000 Menschen – nicht mehr in Łódz´, das die Nationalsozialisten am 11. April in Litzmannstadt umbenannten. 14

Fürsorge und Selbsthilfe Viele wollten ihre Heimat jedoch nicht verlassen. Sie waren dort geboren, hatten sich ein Leben aufgebaut, wohnten zusammen mit ihren Freunden und Verwandten. Manche hatten beispielsweise ein Geschäft, das sie hätten aufgeben müssen. Eine Flucht in den Osten bedeutete Ungewißheit. Viele hätten nicht einmal gewußt, wohin ihr Weg sie führen sollte; sie kannten niemanden in der Fremde. 15 Sie gerieten in den Strudel der antijüdischen Maßnahmen, des Terrors und der Gewalt. Dies soll hier nicht weiter geschildert werden, den Terror gegen die jüdische Bevölkerung seitens der deutschen Besatzer schildern andere Autoren in diesem Band; vielmehr geht es nun um die Art und Weise, wie Juden unter den neuen Bedingungen versuchten, sich zu organisieren, sich ein Leben aufzubauen.

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Die offizielle Institution zur Organisation jüdischen Lebens waren die Judenräte. Durch sie vereinfachten die Deutschen entscheidend sämtliche Prozesse, die der Vernichtung vorausgingen: die Beschlagnahme von jüdischem Besitz, die Rekrutierung von Zwangsarbeitern, die Konzentrierung der jüdischen Bevölkerung und später die Organisation des Lebens im Ghetto. Ziel war es hierbei, die jüdische Aktivität auf ein einziges, von ihnen eingesetztes und ihnen verantwortliches Organ zu reduzieren. Die Judenräte fungierten als Bindeglied zwischen den deutschen Machthabern und der Ghettobevölkerung; sie waren mit Unterstützung der jüdischen Polizei verantwortlich für die Ausführung deutscher Anordnungen und für die Aufrechterhaltung der Ordnung innerhalb der jüdischen Gesellschaft. 16 Ebenso wie es keine einheitliche Ghettoisierungspolitik gab, waren auch Entstehung und Wirken der Judenräte sehr unterschiedlich. Zwei deutsche Anordnungen vom Herbst 1939 betrafen ihre Bildung und ihren Aufgabenbereich. Darüber hinaus lag es im Ermessen der örtlichen Machthaber, wann und wo sie eingesetzt wurden. Dadurch unterschieden sich die einzelnen Judenräte stark voneinander. 17 Für das innerjüdische Leben war eine ihrer wichtigsten Aufgaben sicherlich die soziale Fürsorge. Durch willkürliche Plünderungen sowie Gesetze zur Ausgrenzung aus dem Wirtschaftsleben fand sich die jüdische Bevölkerung schon nach kurzer Zeit unter deutscher Besatzung in einer Situation wieder, in der ihr das, womit sie vor dem Krieg ihren Lebensunterhalt bestritten hatte, ebenso genommen worden war wie ein großer Teil ihres Besitzes. Juden durften nicht mehr handeln und keine größeren Geldbeträge besitzen. Viele Angehörige der freien Berufe waren inhaftiert worden oder durften ihre Berufe nicht mehr ausüben; sie hatten keine Einnahmequelle mehr. Gleichzeitig waren die Kosten für den Lebensunterhalt kontinuierlich gestiegen. All dies führte zu einer raschen Verelendung bereits in der Anfangsphase deutscher Besatzung. Die katastrophale Lage wurde durch die Umsiedlungen innerhalb der besetzten polnischen Gebiete und durch die Deportation sogenannter Westjuden in das GG noch enorm verschlimmert. Besonders der Distrikt Lublin war von Anfang an das Zentrum massenhaften zwanghaften Zuzugs. 18 Diese Bevölkerungsverschiebungen hatten extreme Auswirkungen auf die Lebensbedingungen und das soziale Gefüge in den jeweiligen Orten. Die Menschen waren tagelang in überfüllten Zügen ohne Nahrung und Getränke unterwegs und kamen erschöpft in den ihnen zugedachten Orten an. Zumeist besaßen sie nur, was sie am Leibe trugen, hatten keine Freunde und Verwandte in ihren neuen Wohnorten. Sie wurden also zu Obdachlosen ohne jeglichen Besitz. Die jüdischen Gemeinden in den Ankunftsorten mußten sich um ihre Unterbringung und Versorgung kümmern. Die Wohnbedingungen verschlimmerten sich extrem, zumal die lokalen Instanzen vielerorts parallel eine Konzentrierung der jüdischen Bevölkerung auf engstem Raum einleiteten. 19 Die Umsiedler wurden meist auf die Wohnungen der Ortsansässigen ‚verteilt‘ oder wohnten zunächst in ehemaligen Schulen oder

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Synagogen. Gerade in kleineren Städten oder Dörfern stellte dies die Bevölkerung vor nahezu unlösbare Schwierigkeiten; die Zahl der Juden verdoppelte sich durch die Umsiedler mitunter. 20 Im Mai 1941 ergab eine Registrierung, daß von 240 000 Juden im gesamten Distrikt Lublin 55 000 Umsiedler waren. 21 Um diese aus der Heimat geflohenen oder vertriebenen Menschen, aber auch die sonstige verarmte Bevölkerung zu unterstützen, gab es im GG neben den Judenräten noch eine weitere Institution: die Jüdische Soziale Selbsthilfe (JSS). Kurz nach Kriegsbeginn schlossen sich jüdische Hilfsorganisationen zu einer Koordinierungskommission zusammen. Diese war wiederum dem am 1. September 1939 in Warschau gegründeten Hauptstädtischen Komitee der Sozialen Selbsthilfe 22 angegliedert. Seit Februar 1940 nannte sich diese Kommission, die allein für die jüdische Fürsorge zuständig war, JSS und wurde im Mai von den deutschen Behörden anerkannt. Vorsitzender war Michał Weichert, Sitz des Präsidiums Krakau. Im September dieses Jahres bestätigte die Regierung des GG das Präsidium der JSS, die dem Haupthilfsausschuß für die besetzten polnischen Gebiete eingegliedert wurde; die anderen beiden Institutionen unter dieser Dachorganisation waren der Polnische und der Ukrainische Hilfsausschuß.23 Die JSS war der Regierung des GG – und dort der Hauptabteilung Innere Verwaltung – für ihre Tätigkeit verantwortlich und mußte regelmäßig Berichte über ihr Tun vorlegen. Es wurde im Präsidium durchaus diskutiert, ob man diese Zusammenarbeit mit den deutschen Besatzern eingehen sollte, aber man sah, wie es in einem 1946 verfaßten Bericht heißt, keine Alternative dazu: „Angesichts der sich immer verschlechternden Lage der jüdischen Bevölkerung wurde einstimmig beschlossen, die sich darbietende Gelegenheit einer legalen Hilfstätigkeit voll auszunutzen.“ 24 In den Kreisstädten gab es Hilfskomitees der JSS und in den meisten Ortschaften wurden Delegaturen gegründet, die vor Ort soziale Hilfe leisteten. 25 Im Juni 1942 unterhielt sie im gesamten GG 56 Hilfskomitees in den Kreis- und kreisfreien Städten sowie 352 Delegaturen in anderen Ortschaften. 26 Für den Distrikt Lublin bestimmte das Präsidium der JSS im November 1940 Marek Alten, den stellvertretenden Judenratsvorsitzenden in Lublin, zum Berater beim Chef des Distriktes. Damit war er der zuständige Koordinator für die dortige Hilfsarbeit. 27 Seine Mitarbeiter reisten beispielsweise in die verschiedenen Ortschaften im Distrikt und kontrollierten die dortigen Bedingungen, um darüber Berichte beim Präsidium in Krakau einzureichen. 28 Finanziert wurde die Fürsorgearbeit durch Zahlungen des American Jewish Joint Distribution Committee über dessen Niederlassung in Warschau 29 , aber auch aus Zuwendungen der deutschen Zivilverwaltung, wenn dies auch keineswegs von Anfang an geplant war. 30 Außerdem erhielt die JSS Spenden und es wurden Beträge vom Präsidium an die lokalen Delegaturen weitergeleitet. Überdies waren die Judenräte verpflichtet, die JSS proportional zur Bevölkerung – monatlich ein Groschen pro Person – zu unterstützen. 31 Das Geld, das den einzelnen Komitees zur Verfügung stand, reichte aber nie aus, um die Masse der Bedürftigen zu versorgen, zumal deren Zahl im-

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mer größer wurde. Wie sich der Vorsitzende Michał Weichert erinnerte, gab es über dieses Problem häufig Diskussionen; man fragte sich, ob die Hilfe Sinn mache, da sie doch nur einen ‚Tropfen auf den heißen Stein‘ darstelle. Aber er betonte, daß die bloße Existenz einer jüdischen Selbsthilfeorganisation eine große moralische Bedeutung hatte. 32 Trotz der zu geringen finanziellen Möglichkeiten versuchten die Mitarbeiter der JSS also, die Menschen – so gut es ging – zu versorgen. Dieses Engagement stand in gewisser Weise in einer Kontinuität zur Vorkriegszeit, war doch die soziale Fürsorge für die Ärmsten immer eine vordringliche Aufgabe der jüdischen Gemeinden gewesen. Nun waren freilich die Vorzeichen, unter denen dies organisiert werden mußte, radikal verändert, und in der Ausübung ihrer Aufgaben unterlagen die Mitarbeiter häufig Beschränkungen. So mußten Sondergenehmigungen beantragt werden, bevor Abgesandte in andere Orte innerhalb des GG reisen durften, Gebäude wurden beschlagnahmt, Lebensmittelrationen gekürzt usw. Auch mußten sämtliche Maßnahmen und Entscheidungen, etwa in Personalfragen, stets von der deutschen Abteilung Bevölkerungswesen und Fürsorge abgesegnet werden. Doch innerhalb dieses von außen abgesteckten Rahmens organisierten die Komitees Hilfe in verschiedenen Bereichen. Zunächst mußte versucht werden, die Umsiedler und lokalen Armen zu ernähren. Zu diesem Zweck wurden sogenannte Volksküchen gegründet, die gegen ein sehr geringes Entgelt oder gänzlich kostenlos Mahlzeiten, vor allem Suppen, ausgaben. Andere Formen der erteilten Hilfe waren die Kinder-, Alters- und Gesundheitsfürsorge, Bekleidungs- und Wohnungshilfe sowie Geldunterstützungen. Allerdings mußten die Verantwortlichen der JSS die Gesuche einzelner Notleidender immer wieder ablehnen, da sie als zentrale Organisation keinerlei individuelle Hilfe leistete. Es existieren zahlreiche Briefe von verarmten Juden, die direkt an das Präsidium in Krakau schrieben und ihre erschütternde Situation darstellten, mit der Bitte, sie finanziell zu unterstützen. Die stereotype Antwort lautete, daß dies nicht möglich sei. Häufig wird in diesen Briefen auch auf die desolate finanzielle Situation der JSS verwiesen. 33 Die JSS richtete auch Aufklärungs- und Weiterbildungsmaßnahmen aus; so organisierte sie Vortragsveranstaltungen über Hygiene und Gesundheit, verteilte dazu Plakate und Flugblätter und ließ eine Broschüre über Seuchenbekämpfung drucken und verteilen. Ein Sonderberater reiste durch das Land und gab zu diesem Thema Hinweise. Medikamente, die entweder aus dem Ausland gespendet oder gekauft worden waren, schickten die JSS-Verantwortlichen in die verschiedenen Orte. Um der Pauperiserung der jüdischen Bevölkerung entgegenzuwirken, boten einige Komitees seit dem Januar 1941 auch Fachkurse für Handwerker an. 34

Schmuggel und kulturelle Aktivitäten Anhand des Ghettos Litzmannstadt sollen nun einige Reaktionsformen dargestellt werden, die entweder außerhalb der erlaubten Organisationen stattfan-

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den oder, obwohl erlaubt, dazu beitrugen, den selbstzerstörerischen Erfahrungen, denen die Menschen tagtäglich ausgesetzt waren, etwas entgegenzusetzen, das mit Humanität und mit dem Leben vor der Ghettoisierung in Verbindung gebracht wurde. Im Unterschied zum eben betrachteten Distrikt Lublin, wo es im Zeitraum 1939–1941 noch kein abgeriegeltes Ghetto gab35, waren die Menschen in Litzmannstadt bereits seit 30. April 1940 in einem jüdischen Wohnbezirk eingeschlossen. Die katastrophalen Lebensbedingungen hatten zur Folge, daß 45 327 Menschen – das sind mehr als 24 % seiner Bevölkerung – dort an Hunger und Krankheiten starben. 36 Eine wichtige Möglichkeit der Ghettobevölkerung, ihre spärlichen Lebensmittelrationen zu verbessern, war der Schmuggel. Zwar war es in Litzmannstadt äußerst schwer, Kontakt zur Außenwelt aufzunehmen. Es gab keine Kanalisation, die dies erleichtert hätte, wie es etwa in Warschau der Fall war. Außerdem war man hauptsächlich umgeben von Deutschen und Volksdeutschen, also einer sehr feindlich eingestellten Umwelt. Auch erschwerte die außerhalb des Ghettos wertlose eigene Währung, die seit Juli 1940 innerhalb dessen Grenzen gültig war, den Warenaustausch ebenso wie die Tatsache, daß keine Arbeitskolonnen das Ghetto verließen, die Kontakt zur Bevölkerung hätten aufnehmen können. Trotzdem ist die häufig in der Literatur vorzufindende Aussage, das Ghetto Litzmannstadt sei vollständig abgeriegelt gewesen und es habe keinen Schmuggel gegeben, nicht zutreffend. In den allermeisten Tagebüchern und Berichten ist davon die Rede, daß besonders in der Anfangsphase in großem Umfang von der „arischen Seite“ ins Ghetto geschmuggelt wurde. So notierte Jakub Poznan´ski 1943 rückblickend in sein Tagebuch: „Tatsächlich gelangten aber 1940, in den ersten Monaten der Existenz des Ghettos, riesige Warenmengen auf dem Weg des Schmuggels zu uns.“ 37 Auch Medikamente erreichten so das Ghetto. 38 Der jüdische Ordnungsdienst war angewiesen, Schmuggler aufzuspüren und der Kripo zu übergeben. Dies führte denn auch zu einem Rückgang dieser Aktivitäten; ganz hörten sie jedoch nicht auf. 39 Große Bedeutung hatte unter den nahezu unerträglichen Lebensbedingungen jegliche kulturelle Aktivität. Arnold Mostowicz, ein Überlebender des Ghettos Litzmannstadt, erläuterte dies: „Zu einem wirkungsvollen Gegenpol gegen das Bestreben der Deutschen, das Leben im Getto auf seine allerprimitivsten, rein vegetativen Formen zu reduzieren, wurden alle Arten geistiger und schöpferischer Tätigkeit sowie des ästhetischen Interesses.“ 40 Zunächst entstand aus einer öffentlichen Initiative heraus im Oktober 1940 unter anderem eine Kulturgesellschaft. Doch der Judenälteste, Mordechai Chaim Rumkowski, wollte das kulturelle Leben im Ghetto Litzmannstadt unter seiner Aufsicht wissen und löste private Gruppen bald wieder auf. Seit Februar 1941 unterstand sämtliche Aktivität auf diesem Gebiet seiner Verwaltung. Alle Künstler ließen sich in der Kultur-Abteilung des Judenältesten registrieren, und bis zum Dezember des Jahres waren 60 Musiker, Sänger und Schauspieler sowie zehn Maler erfaßt. 41

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Am 1. März 1941 spielte zum ersten Mal das Symphonieorchester unter der Leitung von Dawid Bajgelman. Er hatte vor dem Krieg verschiedenen jüdischen Theatergruppen angehört und war ein professioneller Musiker, der mehrere Instrumente spielte. Ein bis zwei Konzerte gab es in der Woche, „symphonische und leichtere Musik mit erstklassigen Solisten“. 42 Der Wiener Schriftsteller Oskar Rosenfeld schrieb über ein Konzert im Kulturhaus: „Zum ersten Mal im Kulturhaus: Ebenerdiges Gebäude ohne jede Fassade, angenehm, wirkt wie früh-griechischer Tempel. Schöne Garderobe, Foyer, Theatersaal. Orchester spielt auf der Bühne. Kapellmeister Ryder vom alten Schlag, Musiker zum Teil in Ressorts manuell schwer arbeitend. Beethoven, V. Symphonie, Violinkonzert … Größter Gegensatz zum Getto, Wunder daher unbegreiflich. Aber Beweis, daß das metaphysische Bedürfnis der Juden im Getto nicht erstickt werden kann.“ 43 Der letzte Punkt erscheint zentral: dem Versuch der Nationalsozialisten, die Menschen eben auch psychisch zu vernichten, wurde hier etwas entgegengesetzt. Bereits im Sommer 1940 rief Moshe Puławer, der vormalige Direktor des Łódz´er Theaters Ararat, die Theatergruppe Awangarda ins Leben, die später unter seiner Leitung und mit Bajgelmann als Musikdirektor zum Revuetheater umgestaltet wurde. Einmal in der Woche fanden Aufführungen im Kulturhaus statt. 44 Über die wöchentlich stattfindenden Revueabende ist in der Getto-Enzyklopädie 45 zu lesen: „Sie trugen den Charakter der Kleinkunst, wie sie vor dem Kriege auf den jüdischen Bühnen des Ostens gepflegt wurde. […] Auf Soloszenen folgten Duos, sketchartige Szenen, inszenierte Lieder, aktuelle Komplets. Im großen ganzen folgten die Autoren dem Stil der jüdischen modernen Operette nach amerikanischem Muster: sentimentale Nummern wechselten mit aktuellen Persiflagen oder historischen Reminiszenzen. Der musikalische Teil setzte sich aus Volksliedern und neu komponierten Liedern zusammen. Texte und Musik stammten zumeist von Autoren, welche auch früher literarisch und musikalisch tätig waren. […] Die aktuellen Revue-Strophen wurden bald populär und gingen als Gassenhauer durch das Getto. Das Publikum setzte sich zumeist aus Arbeiterkreisen zusammen, die im Theater Entspannung suchten und fanden.“ 46 Auch an den Arbeitsplätzen der Menschen und in den öffentlichen Suppenküchen gab es Konzerte und Revuen. 47 Selbst in den Küchen organisierte man literarische Abende und politische Vorträge. In den Fabriken boten die Arbeiter selber Aufführungen dar. Hier konnte man ebenfalls Revuen bestaunen; manchmal zeigten Betriebe auch ein Gastspiel in einer anderen Fabrik.48 Nicht nur Lieder aus den Revuen sangen die Menschen auf den Straßen. Straßensänger gab es bereits vor dem Krieg; wie viele dann im Ghetto Litzmannstadt die Menschen mit ihrem Gesang unterhielten, ist nicht bekannt. Der Schneider Jankel Herszkowicz bestritt seinen Lebensunterhalt bis 1943 einzig und allein durch seinen Gesang. Der kleine Solist stellte sich für seine Darbietungen stets auf einen Stuhl, um besser gesehen zu werden. Herszkowicz war äußerst populär, was sich auch daran zeigte, daß er von dem Geld, das die Menschen ihm auf der Straße hinwar-

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fen, leben konnte. 49 Er sang über den Hunger und über die korrupte jüdische Selbstverwaltung und gab dem Schmerz und Ärger seiner Zuhörer mit Sarkasmus und Humor eine Stimme. Gleichzeitig drückte er in seinen Liedern immer auch Hoffnung aus und befriedigte dadurch umso mehr die Bedürfnisse der Menschen im Ghetto. Er sang seine Verse nach bekannten Melodien, was seine Zuhörer in die Lage versetzte, die Lieder selbst nachsingen zu können. Bereits vor dem Krieg populäre jiddische Volkslieder wurden den Bedingungen entsprechend modifiziert, was zugleich ein bewußtes Anknüpfen an die Tradition, eine Form der Kontinuität bedeutete. 50 Wie wichtig Bücher auch innerhalb des Ghettos waren, verdeutlicht die Existenz von Bibliotheken, in denen die verarmte Bevölkerung, die sich manchmal ihr Essen nicht leisten konnte, Geld dafür ausgab, Bücher ausleihen zu können. Die Bibliothek Sonnenberg in der Hohensteiner Straße beispielsweise existierte an dieser Stelle bereits seit 1931. Ihr Inhaber kaufte seit der Errichtung des Ghettos Bücher von anderen Juden, so daß der Bestand sukzessive wuchs. Um dort Bücher ausleihen zu können, mußte der Leser zwei Mark im Monat bezahlen sowie eine Kaution von fünf Mark hinterlegen. Daneben entstand noch eine zweite größere Bibliothek im Ghetto; außerdem gab es in Privatwohnungen einige kleinere Leihbüchereien. 51 Besitzer von Büchern veranstalteten manchmal im privaten Kreis bei sich zu Hause Leseabende. 52 Für viele Menschen im Ghetto wurde aber nicht nur das Lesen, sondern auch das Schreiben zu einer Überlebenshilfe. Hier sind einerseits die Tagebücher zu nennen, die im Ghetto verfaßt wurden. Arnold Mostowicz nannte dieses Schreiben eine „Form der geistigen Hygiene“. 53 Eine andere Art und Weise, schreibend das Erlebte zu verarbeiten und zu dokumentieren, war das Verfassen von Gedichten und Prosa. Beides fand sich auch in Litzmannstadt. 54 Die Ghettobewohner gierten nach Nachrichten aus der Welt außerhalb, und sie suchten und fanden von Anfang an Wege, um die Abschottung aufzuheben. Trotz strengen Verbots hatten einige Juden ihre Radios behalten. Unter Lebensgefahr hörten sie die Nachrichten und gaben sie vorsichtig weiter. Wie schnell sich die Informationen verbreiteten, zeigt die Tatsache, daß in den erhaltenen Tagebüchern häufig der Kriegsverlauf und andere Meldungen notiert sind. Deutsche Kripo und Gestapo gingen dagegen streng vor; immer wieder kam es zu Inhaftierungen wegen illegalen Radiohörens. 55 Eine andere Art der Informationsbeschaffung waren Zeitungen, die auf illegalem Weg ins Ghetto gelangten. 56 . Gerüchte spielten unter diesen Bedingungen eine große Rolle; Informationen, die freilich nicht überprüft werden konnten, machten überaus schnell die Runde. Doch nicht nur Nachrichten aus der Welt außerhalb kursierten auf diese Weise. Wie der folgende Eintrag in der Getto-Enzyklopädie verdeutlicht, wollten die Menschen auch immer sofort über alles informiert sein, was sich innerhalb der Stacheldrahtzäune abspielte: „Getto-Neues. Ein Begriff, der den Inhalt alles dessen umreißen will, was sich nicht draußen in der Welt, sondern im Rahmen des

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Gettolebens abspielt. ‚Was gibt es Getto-Neues?‘ – war die stereotype Frage, die ein Gettobewohner an den andern bei jeder gewollten oder zufälligen Begegnung richtete. Zu dem Getto-Neuen gehörten nicht nur Tatsachen, die der einzelne aus seinem Bereich zu erzählen hatte, sondern auch – und dies zumeist – Gerüchte, welche mangels authentischer Mitteilungen durch das Getto getragen wurden. Getto-Neues umfaßte größtenteils Dinge, die die Approvisation, die Arbeit u[nd] die Vorfälle in den Ressorts, die Maßnahmen und Projekte des Aeltesten, kleine und große Affären der Chronique scandaleuse, schließlich Begebenheiten und Anordnungen der Behörden, soweit es sich um das Schicksal des Gettos selbst handelte, betrafen. Da viele Gettobewohner den Ehrgeiz hatten, besonders gut und frühzeitig informiert zu sein, verbreiteten sie Neuigkeiten, die öfters beunruhigten und zu schweren Gemütsdepressionen des gesamten Gettos führten. So kam es, daß Getto-Neues, auch wenn es der Wirklichkeit entsprach, skeptisch aufgenommen wurde, während oft Gerüchte, da unkontrollierbar, als Tatsachen galten und später zu großen Enttäuschungen führten. Die Ursache für diese Erscheinung lag in der Institution des Gettos selbst, in der Isolierung von der Welt, von der Wirklichkeit, von der Normalität der Dinge.“ 57

Sabotage, Protest und Schule Eng verbunden mit der illegalen Informationsbeschaffung war die Tätigkeit der verschiedenen Untergrundorganisationen. Sämtliche politischen Gruppierungen, die es vor dem Krieg in Łódz´ gegeben hatte, konstituierten sich nun im Ghetto und setzten ihre Tätigkeit, den neuen Gegebenheiten entsprechend modifiziert, fort. Zwar waren ein großer Teil der Intelligenz und Mitglieder vor allem der linken Parteien bei Kriegsbeginn geflohen, doch lebten immer noch viele Menschen im Ghetto, denen politische Aktivität gerade auch unter den neuen Bedingungen wichtig erschien. Die Neuorganisation der Gruppierungen begann. Zionisten verschiedener Prägungen, Agudat Israel, der Bund und kommunistische Vereinigungen – sie alle gab es im Ghetto Litzmannstadt. 58 Schon im Sommer 1940 entlud sich die Empörung über die Zustände und den Hunger in Massendemonstrationen. Diese waren nicht gegen die deutschen Besatzer gerichtet, sondern gegen die ungerechte Verteilung der Lebensmittel durch die Verwaltung des Judenältesten und die diesbezüglichen Vorteile einiger Weniger zuungunsten der großen Masse der Ghettogesellschaft. Die Aktivisten der verschiedenen politischen Gruppierungen waren in die Entfesselung der Demonstrationen involviert; sie verteilten etwa Flugblätter und hielten Versammlungen ab. 59 Arnold Mostowicz erinnerte sich an diese Zeit: „Im August 1940 begannen die Hungerdemonstrationen. Die Bevölkerung demonstrierte gegen die Verwaltung des Ghettos, forderte Brot, Gerechtigkeit bei der Verteilung dessen, was ins Ghetto gelangte und verlangte endlich Arbeit.“ 60 Rumkowski setzte seinen Ordnungsdienst ein, der brutal gegen die Demonstranten vorging. Als dies noch nicht den erwünschten Erfolg hatte, rief der Ju-

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denälteste die Deutschen zu Hilfe. Erst als deutsche Polizei das Feuer eröffnete und in die Menge schoß, kam der Aufruhr zu einem gewaltsamen Ende. 61 Die Proteste im Sommer waren insofern erfolgreich, als Rumkowski danach ein Unterstützungssystem einführte, das die Lage der hungrigen Arbeitslosen durch monatliche Geldzahlungen verbessern sollte. Doch waren die Urheber der Proteste damit keineswegs zufrieden. Während der gesamten Existenz des Ghettos Litzmannstadt setzten sie ihre Untergrundtätigkeit fort, und immer wieder versuchten sie, die Ghettobewohner von der Unrechtmäßigkeit der Politik des Judenältesten zu überzeugen. Sie verteilten Flugblätter und organisierten Streiks in einzelnen Fabriken. Nach mehreren kleineren Protesten kam es im Januar 1941 wiederum zu Demonstrationen auf den Straßen. Diesmal störten vor allem Frauen und Kinder sowie eine Streikbewegung in mehreren Fabriken die von Rumkowski angestrebte Ruhe und Ordnung. Auch dieses Mal war das Ende vorprogrammiert. Shlomo Frank notierte am 30. Januar: „Die Arbeiter konnten es nicht länger aushalten. Der schlimme Hunger hat sie gezwungen zu kapitulieren. Sie sind in Massen zur Arbeit gekommen. Einige haben vor Hunger stark gezittert.“ 62 Sabotageakte dagegen waren nicht, wie dies bei den Demonstrationen der Fall war, gegen Rumkowskis Politik gerichtet, sondern gegen die deutschen Besatzer selbst. Im Winter 1940/41 lieferten etwa einige Schneider Uniformen mit Löchern und ohne Knöpfe aus; Rumkowski ließ die Verantwortlichen inhaftieren. In derartigen Fällen griff auch die deutsche Verwaltung ein und kürzte Lebensmittelrationen; es kam ebenfalls vor, daß die Gestapo die Hinrichtung Beschuldigter anordnete. 63 Ein Schlagwort des Protests war „PP: Pracuj powoli – arbeite langsam!“. Nach dieser Devise versuchten die Menschen, durch langsameres Arbeiten die Produktion zu stören. Diese Methode wurde besonders seit 1942 häufiger durchgeführt, doch der Beginn dieser Aktivitäten lag bereits im hier untersuchten Zeitraum. Michał Che˛cin´ski beschrieb die Anfänge: „Unsere Hauptaufgabe bestand darin, die Produktion in allen Ghettobetrieben zu sabotieren. Die subversive Tätigkeit war als ökonomischer Kampf getarnt: Den Arbeitern sollte vermittelt werden, daß Streiks und Bummelei unter der Parole PP […] in ihrem eigenen Interesse seien. Nur so würde man ihre Unterstützung gewinnen.“ 64 Che˛cin´ski gehörte einer kommunistischen Jugendorganisation an, die in der hier betrachteten Zeit besonders Bildungsarbeit leistete. Der 17-jährige Dawid Sierakowiak stand dieser Gruppe nahe. In seinem Tagebuch wird deutlich, daß gerade auch diese geistige Tätigkeit in den Jugendgruppen von entscheidender Bedeutung war. Die dort geführten Diskussionen gaben ihm offenbar Lebensmut, lenkten von den Bedingungen im Ghetto ab. So notierte er am 30. April 1941: „Heute hatten wir nach einer langen Zeit der Untätigkeit eine Versammlung des Politbüros, auf der wir über die sofortige Wiederaufnahme der Arbeit in unserem Verband sprachen. Wir beschlossen, schon für Freitag die erste Versammlung der Jungengruppen einzuberufen und scharf gegen Trägheit, Unpünktlichkeit und die passive Haltung zur Arbeit im Verband vorzugehen. In den Win-

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termonaten ruhte zwar die Arbeit bei uns, aber wir sind doch ein bewußter Teil der großen Bewegung innerhalb des Ghettos geworden, und wir beteiligen uns an allen Arbeiten der anderen Jugend- und Erwachsenengruppen, zu denen wir enge Verbindungen aufgenommen haben.“ 65 Sierakowiak wurde in einen Referentenkreis seiner Gruppe gewählt 66 und war auch Mitglied der Selbstverwaltung seiner Schule. In dieser setzte er sich für zusätzliche Verpflegung durch eine Selbsthilfe ein. 67 Innerhalb der Jugendgruppe bildete man Diskussionskreise und studierte marxistische Werke. 68 Eine große Bedeutung hatten für die Kinder und Jugendlichen die Schulen, die bis zum Herbst 1941 bestanden. Im Schuljahr 1940/41 gingen über 17500 Kinder in die 45 Schulen verschiedenen Typs, die es im Ghetto Litzmannstadt gab. 69 Der Eindruck von Normalität, den die Schule in dieser anormalen Welt vermittelte, fand seinen Niederschlag in der Präsenz des Themas im Tagebuch von Dawid Sierakowiak; manchmal verdrängte er gar alles andere. So lautete etwa sein vollständiger Eintrag vom 26. August 1941: „In der Schule spricht man bereits vom Ende des Schuljahres, von den Ferien, der Wahl des Lyzeums usw. Meinen bisherigen Vorsatz, den humanistischen Zug zu wählen, werde ich wohl nicht ändern. Die hiesigen Lehrkräfte sind zwar schlecht, trotzdem werde ich schon alles irgendwie hinter mich bringen. Um den Unterricht in der vierten Gymnasialklasse ist es vorerst sehr schlecht bestellt. Nur in einigen wenigen Fächern schaffen wir leidlich das Ziel. Aber auch nur leidlich. Das Schuljahr soll angeblich Ende September zu Ende sein. Am 4. September sind die Abiturprüfungen in der zweiten Lyzeumsklasse und vom 24. bis 27. September die Aufnahmeprüfungen für die einzelnen Klassen. Aus uns werden Leute!“ 70 So erstaunlich Einträge wie dieser auf den Leser heute wirken, darf man doch nicht vergessen, daß das Erstaunen vor allem im Wissen um das Ende begründet ist, und daß es für viele Menschen im Ghetto sehr wohl wichtig war, sich zu bilden, psychisch nicht zu verkümmern, einen Bezugsrahmen zu schaffen, der das Gefühl von Sicherheit vermittelte. All dies wurde durch die Schulen geleistet. So notierte Dawid Sierakowiak am 26. September 1941: „Heute ist letzter Schultag. Mein letzter Tag am Gymnasium. Das Ende einer Etappe in meinem Leben. Wie seltsam, wenn man sich vor Augen hält, daß man eben noch Schüler des Gymnasiums war und es nun nie mehr sein wird! Wieder ergreift mich die ‚Melancholie‘! Verdammt, so viele Dinge macht die Welt durch, und solch eine Lappalie rührt einen. Und trotzdem, ja, ich bin gerührt, denn es betrifft mich selbst, ein neuer Abschnitt in meinem Leben beginnt.“ 71 Die Schulen waren für die Jugendlichen auch insofern wichtig, als die Ausbildung immer auch einen Ausblick auf ein ‚Später‘ gab, ein Leben nach dem Ghetto. Rachela Grynfeld erinnerte sich, daß sie jeden Tag zur Schule ging, auch nachdem diese umgezogen war und sie daher kilometerweit laufen mußte – egal, bei welchem Wetter, egal, wie geschwächt sie war: „Wir lernten bis zum letzten Moment, bis zur Schließung der Schulen im Ghetto.“ 72 Und Sara Plager-Zyskind

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schrieb in ihren Erinnerungen über die Zeit kurz nach dem Tod ihrer Mutter im Winter 1940/41: „Vater erinnerte mich daran, wie wichtig es sei, daß ich meine Schulausbildung fortsetzte, wie Mutter es gewünscht hätte. Der Krieg würde früher oder später vorbei sein, und ich wäre dann in der Lage, mein Abitur zu machen.“ 73 Als Dawid Sierakowiak erfuhr, daß die Schulen geschlossen bleiben würden, notierte er: „Hauptsache, nicht herumlungern, nicht träge werden und nicht verblöden – und nicht in Melancholie verfallen. Bewegung, Arbeit, Veränderung – das ist das Ziel und der Weg zur Kreativität.“ 74 Dieser Eintrag zeigt, welchen Stellenwert wohl nicht nur er der Schule für seinen geistigen Zustand beigemessen hatte.

Normalität im Chaos Dieser Überblick sollte beispielhaft für den Distrikt Lublin und das Ghetto Litzmannstadt zeigen, wie vielfältig die Reaktionen der jüdischen Minderheit im deutsch besetzten Polen von 1939 bis 1941 waren. Diejenigen Juden, die nicht aus dem deutschen Machtbereich flohen, waren gezwungen, sich unter den neuen Bedingungen irgendwie zurecht zu finden und begannen, ihr Leben zu organisieren. Sie versuchten, innerhalb dieser von Terror und Gewalt, von Chaos und Verwirrung geprägten Umgebung so etwas wie Normalität zu schaffen, einen Bezugs- und Interpretationsrahmen herzustellen. Dies geschah zum einen durch Institutionen, die von den Nationalsozialisten eingesetzt bzw. ausdrücklich gestattet waren: durch die jeweiligen Judenräte, deren Wirken von Ort zu Ort sehr verschieden sein konnte. Im GG war es daneben die JSS, die sich bemühte, die Lebensbedingungen der jüdischen Bevölkerung zumindest ein wenig zu verbessern. Neben diesem institutionell verankerten Wirken gab es verschiedenste Handlungsformen, wie sie hier am Beispiel des Ghettos Litzmannstadt gezeigt wurden, die in der Mehrzahl dazu dienten, den psychischen Folgen der antijüdischen Politik etwas entgegenzusetzen. Gemeinsam ist all diesen Handlungsweisen, daß sie in einem Zusammenhang mit dem Leben vor der deutschen Besatzung standen und gleichzeitig immer auch einen Zukunftsbezug hatten, indem für später, für ein Leben danach beispielsweise gelernt wurde, man sich bildete oder die Menschen versorgte, damit sie das ,Später’ erleben würden. Auch existierten von Anfang an politische Gruppierungen, die Widerstandsakte gegen Ungerechtigkeiten innerhalb der jüdischen Bevölkerung und gegen die deutschen Besatzer organisierten. Die geschilderten Handlungsweisen spielten nach dem Beginn der Ermordung der europäischen Juden in den Vernichtungslagern für die noch zeitweise in den Ghettos lebenden Menschen weiterhin eine große, ja wohl sogar eine noch wichtigere Rolle. Hinzu kam in dieser Phase dann noch in einigen Ghettos der bewaffnete Widerstand gegen die Deutschen angesichts des Massenmordes.

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Anmerkungen 1 Bericht Sophie Machtinger, USHMM, RG-02.012*01, Bl. 3; vgl. Isaiah Trunk: Jewish Responses to Nazi Persecution. Collective and Individual Behavior in Extremis, New York 1979, S. 10; zwar war die deutsche Besatzung im Ersten Weltkrieg auch brutal, wie dies etwa Eva Hoffmann: Im Schtetl. Die Welt der polnischen Juden, Wien 2000, S. 192 f., für das Städtchen Bran´sk im Osten Polens schildert, doch gab es eben keinen Judenmord; für die Interpretation der Situation der Juden beim Einmarsch der Deutschen ist es entscheidend, daß auch im letzten Krieg die deutschen Besatzer ‚einfach‘ wieder abgezogen waren. 2 Sara Plager-Zyskind: Auf immer verlorene Jahre. Ein junges Mädchen überlebt den Holocaust in Polen, München 1993, S. 19; Leon Zelman: Ein Leben nach dem Überleben, aufgezeichnet von Armin Thurnher, Wien 1995, S. 48 f. 3 Israel Gutman: The Jews of Warsaw, 1939–1943: Ghetto, Underground, Revolt, Bloomington 1982, S. 17, 432, beruft sich auf Philip Friedman, sagt aber auch, daß es unmöglich sei, diese Zahl nachzuprüfen. 4 ˙ ydowski ruch oporu na Lubelszczyz´nie, Ms., S. 6; die Zahlen Robert Kuwałek: Z ˙ IH, sind anhand von Statistiken der JSS berechnet; vgl. Bericht Gitla Libhaber, AZ 301/2192, Bl. 2 für Chełm. 5 Zygmunt Klukowski: Dziennik z lat okupacji Zamojszczyzny (1939–1945), hrsg. v. Zygmunt Man´kowski, Lublin 1959, S. 58 (Eintrag v. 2. 10. 1939); alle polnischen und jiddischen Zitate in diesem Aufsatz wurden von der Verfasserin übersetzt. 6 ˙ IH, 302/122, Bl. 1 f.; Adam Kopciowski: Der Bericht Mieczysław Garfinkiel, AZ Judenrat in Zamos´c´, in: Theresienstädter Studien und Dokumente, Prag 2002, S. 222 f. 7 Janina Kiełbon´: Migracje ludnos´ci w dystrykcie lubelskim w latach 1939–1944, Lublin 1995, S. 131; diese Zahl bezieht sich nur auf Flüchtlinge, nicht auf die organisiert in den Distrikt gebrachten „Umsiedler“. 8 Bericht N.N. [1940 innerhalb des Archivs im Ghetto verfaßt], YIVO, RG 241/832, Bl. 12 f. 9 Jakub Poznan´ski: Dziennik z lódzkiego getta, Warszawa 2002, S. 16 (16. 9. 1942); Poznan´ski blickt hier auf die erste Kriegsphase, in der er noch kein Tagebuch verfaßt hat, zurück; Dawid Sierakowiak: The Diary of Dawid Sierakowiak. Five Notebooks from the Łódz´ Ghetto, hrsg. v. Alan Adelson, New York-Oxford 1996, S. 64 f. (21. ˙ IH, 301/32a, Bl. 1; dto. Meyer Wolf und 22. 11. 1939); Bericht Efraim Majerowicz, AZ ˙ IH, 301/4935, Bl. 1; dto. N.N., YIVO, RG 104, series III Lodz 13, Lieberman, AZ Bl. 1. 10 Bericht N.N., YIVO, RG 241/832, Bl. 12 f.; dto. Genia Bryl/Jean Beller, USHMM, RG-02–146, Bl. 49; dto. Rachela Grynfeld, APMO, Os´w. 3156, Bl. 2; dto. Icchak Urbach, ebd., Os´w. 3212, Bl. 1; Israel Tabaksblat: Khurbn Lodz, Buenos Aires 1946, S. 16; ˙ ydzi w Łodzi pod niemiecka˛ okupacja˛ 1939–1945, London 1988, Henryk Rubin: Z S. 145; vor dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht flohen bis zu 60 000 Juden aus den westlichen Grenzgebieten ins polnische Kerngebiet; viele kehrten aber mit dem Ende der Kampfhandlungen zurück, vgl. Frank Golczewski: Polen, in: Wolfgang Benz (Hrsg.): Dimension des Völkermords. Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, München 1991, S. 424 ff. 11 ˙ ydów w Łodzi w pocJanusz Wróbel: Uchodz´stwo, wysiedlenia i ruch naturalny Z ˙ IH 135/136, za˛tkach wojny i okupacji hitlerowskiej (wrzesien´ 1939–maj 1940), in: BZ

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1985, S. 67; Zelman (Anm. 2), S. 43; Bericht Dina Littman, USHMM, Acc.1995.A588, Bl. 1; Sarah Bick Berkowicz: Where are my Brothers?, New York 1965, S. 13 f. 12 Mirosław Cygan´ski: Z dziejów okupacji hitlerowskiej w Łodzi 1939–1945, Łódz´ 1965, S. 18, schätzt, daß im September 60 000 Polen und Juden Łódz´ verlassen haben, aber wie viele davon Juden waren, konnte er nicht ermitteln. 13 ˙ IH, 301/32a, Bl. 1; dto. Rachela Grynfeld, APBericht Efraim Majerowicz, AZ MO, Os´w. 3156, Bl. 2; Tabaksblat (Anm. 10), S. 17. 14 Julian Baranowski: Powstanie i organizacja getta, in: Okre˛gowa Komisja Badania Zbrodni Hitlerowskich w Łódzi (Hrsg.): Getto w Łodzi 1940–1944. Materiały z sesji naukowej – 9. 8. 1984, Łódz´ 1988, S. 12; Danuta Da˛browska: Zagłada Skupisk ˙ ydowskich w „Kraju Warty“ w Okresie Okupacji Hitlerowskiej, in: BZ ˙ IH 13/14, 1955, Z S. 126 ff.; diese Zahlen stammen allerdings aus Statistiken des AJJDC, in denen allgemeine Bevölkerungszahlen genannt werden; in der Zahl sind also auch Verstorbene oder Ermordete enthalten. 15 Thomas T. Blatt: Nur die Schatten bleiben. Der Aufstand im Vernichtungslager Sobibór, Berlin 20022 , S. 22 f.; vgl. Shiye Goldberg: The Undefeated, Tel Aviv 1985, S. 81; Nechama Tec: Dry Tears. The Story of a Lost Childhood, New York 1984, S. 62. 16 Diese Rolle führte dazu, daß die Mitglieder der Judenräte, vor allem ihre Vorsitzenden, in den allermeisten Fällen von den anderen Juden hart kritisiert wurden. 17 Schnellbrief CdS v. 21. 09. 1939, BAB, R 58/954; Isaiah Trunk: Judenrat: The Jewish Councils in Eastern Europe under Nazi Occupation, New York 1996, S. 1–13. 18 Seit Oktober 1939 kamen Deportationszüge in den Distrikt Lublin; insgesamt wurden in den Jahren 1939–1941 mindestens 64 430 Juden dorthin deportiert, vgl. Kiełbon´ (Anm. 7), S. 140. 19 Vgl. zum Prozeß der Ghettoisierung Bogdan Musial: Deutsche Zivilverwaltung und Judenverfolgung im Generalgouvernement. Eine Fallstudie zum Distrikt Lublin 1939–1944, Wiesbaden 1999, S. 123–145; Dieter Pohl: Von der „Judenpolitik“ zum Judenmord. Der Distrikt Lublin des Generalgouvernements 1939–1944, Frankfurt/M. u. a. 1993, S. 62–68. 20 ˙ IH, 301/3683, Bl. 3; Klukowski (Anm. 5), S. 85 Bericht Adam Sztybiel, AZ (19. 12. 1939); vgl. die Berichte und Briefe von Juden aus Stettin und Wien, die in die Städtchen Piaski, Bełz˙yce und Opole im Distrikt Lublin deportiert worden waren, in: Else Behrend-Rosenfeld/Gertrud Luckner (Hrsg.): Lebenszeichen aus Piaski. Briefe Deportierter aus dem Distrikt Lublin 1940–1943, München 1970. 21 JSS-Berater beim Chef des Distrikts Lublin an JSS-Präsidium/Krakau v. ˙ IH, 211/136, Bl. 10. 31. 5. 1941, AZ 22 Stołeczny Komitet Samopomocy Społecznej (S.K.S.S.). 23 ˙ IH, Statut des Haupthilfeausschusses für die besetzten polnischen Gebiete, AZ ˙ IH, 302/25, bes. Teil I, Bl. 1–105; Kurzer 211/1, Bl. 20; Bericht Michał Weichert, AZ Bericht über die Tätigkeit der J.S.S., später J.U.S. 1939–1944, YIVO, RG 532, Box 2. 24 Kurzer Bericht (Anm. 23), Bl. 3; so war die JSS auch nicht unumstritten und wurde besonders, nachdem die Deportationen in die Vernichtungslager bereits begonnen hatten, der Kollaboration bezichtigt; vgl. die Akten des Prozesses vor dem Zentralen ˙ IH, 313/137; der Komitee der Juden in Polen gegen Weichert aus dem Jahre 1949, AZ Prozeß endete am 7. 1. 1946 mit einem Freispruch; vgl. Kurzer Bericht (Anm. 23), Bl. 29; Tatiana Brustin-Berenstein: Jüdische Soziale Selbsthilfe, in: Wolf Gruner (Hrsg.): Arbeitsmarkt und Sondererlaß. Menschenverwertung, Rassenpolitik und Ar-

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beitsamt, Berlin 1990, S. 156–174; David Engel: Who is a Collaborator? The Trials of Michał Weichert, in: Sławomir Kapralski: The Jews of Poland, Bd. 2, Krakau 1999, S. 339–370. 25 ˙ IH, 211/1, Bl. 23 f. Satzung JSS, AZ 26 ˙ IH, JSS 174, Bl. 26. Vermerk JSS-Präsidium/Krakau v. 25. 6. 1942, AZ 27 ˙ IH, 211/132, Bl. 2. JSS-Präsidium/Krakau an Marek Alten v. 4. 11. 1940, AZ 28 ˙ IH, 211/138. Vgl. Berichte, AZ 29 Yehuda Bauer: American Jewry and the Holocaust. The American Jewish Joint Distribution Committee, 1939–1945, Detroit 1981, S. 67–106. 30 Amt des Generalgouverneurs für die besetzten polnischen Gebiete/Der Chef des Amtes: Bericht an den Führer über die Arbeit im GG v. 20. 6. 1940, AIPN, NTN 277; dort heißt es im Unterkapitel „Referat Judenwesen“, Bl. 211: „Finanziell gesehen bekommt die Jüdische Soziale Selbsthilfe keinerlei staatliche Zuschüsse, sondern muß von den Juden selbst bezw. von ausländischen Spenden getragen werden.“; aus verschiedenen Berichten der einzelnen Delegaturen im Distrikt Lublin geht aber hervor, daß diese doch Unterstützungszahlungen der deutschen Behörden erhielten. 31 ˙ IH, JSS 884, Vgl. etwa JSS/Radzyn an Kreishauptmann/Radzyn v. 23. 6. 1941, AZ Bl. 17. 32 ˙ IH, 302/25, Teil I, Bl. 144. Bericht Michał Weichert, AZ 33 ˙ IH, 211/30–211/41. Vgl. Briefwechsel, AZ 34 ˙ IH, 302/25, Kurzer Bericht (Anm. 23), Bl. 6 ff.; Bericht Michał Weichert, AZ Bl. 134–146. 35 Zwar existierten bereits jüdische Wohnbezirke, doch waren diese noch nicht streng abgeriegelt; in Piaski wurde im September 1941 das erste Ghetto im Distrikt Lublin geschlossen. 36 Julian Baranowski: The Łódz´ Ghetto 1940–1944 / Łódzkie Getto 1940–1944. Vademecum, Łódz´ 1999, S. 70–82; vgl. zu den Diskussionen um die Versorgung Christopher R. Browning: Die nationalsozialistische Ghettoisierungspolitik in Polen 1939– 1941, in: ders.: Der Weg zur „Endlösung“: Entscheidungen und Täter, Bonn 1998, S. 37–65. 37 Poznan´ski (Anm. 9), S. 26, (2. 1. 1943); Bericht Jeheschua Hirsch Friedmann, ˙ IH, 301/4984, Bl. 2; dto. N.N. v. 15. 12. 1940, ebd., 302/191, Bl. 9. AZ 38 Bericht Liza Taflowicz, ebd., 302/124, Bl. 10. 39 Dies spiegelt sich in den Tagesmeldungen des Ordnungsdienstes wider, vgl. APŁ, 278/130, 278/146; zu Rumkowskis Kampf gegen den Schmuggel vgl. Bericht Leon Szy˙ IH, 301/699, Bl. 2; Rubin (Anm. 10), S. 212; laut einem Lagebericht der Kripokier, AZ Stelle Litzmannstadt v. 10. 12. 1940 war „der Schleichhandel im Ghetto ständig im Anwachsen begriffen“, zit. nach Michael Alberti: Die Anfänge und die Durchführung der „Endlösung“. Die Verfolgung und Vernichtung der Juden im Reichsgau Wartheland 1939–1945, Diss. Freiburg/B. 2000/2001, S. 149. 40 Arnold Mostowicz: Alltagsleben im Getto. Die Perspektive der Eingeschlossenen, in: Doron Kiesel u. a. (Hrsg): „Wer zum Leben, wer zum Tod …“. Strategien jüdischen Überlebens im Ghetto, Frankfurt/M.-New York 1992, S. 45. 41 Trunk (Anm. 17), S. 224 f. 42 O[skar] S[inger]: Kulturhaus, APŁ, 278/1103, Getto Enzyklopädie, Bl. 138; Be˙ IH, 301/3181, Bl. 5 f.; Bericht Izrael Tabaksblat, AZ ˙ IH, 301/ richt Jakób Ogólnik, AZ 534 II, Bl. 8; Lucjan Dobroszycki (Hrsg.): The Chronicle of the Łódz´ Ghetto 1941–

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1944, New Haven-London 1984; diese offizielle Tageschronik entstand von 1941 bis 1944 im Archiv des Judenältesten. 43 Oskar Rosenfeld: Wozu noch Welt. Aufzeichnungen aus dem Getto Lodz, hrsg. v. Hanno Loewy, Frankfurt/M. 1994, S. 97 (9. 6. 1942); zwar liegt das hier von Rosenfeld beschriebene Konzert bereits außerhalb des untersuchten Zeitraums, doch seine Interpretation von Kultur im Ghetto ist von zentraler Bedeutung. 44 Gila Flam: Das kulturelle Leben im Getto Lodz, in: Kiesel (Anm. 40), S. 80; Be˙ IH, 301/534 II, Bl. 8. richt Izrael Tabaksblat, AZ 45 Die Mitarbeiter des Archivs im Ghetto Litzmannstadt begannen noch im Frühjahr 1944 die Arbeit an einer Enzyklopädie, in der wichtige Personen, Institutionen und Begriffe vorgestellt wurden, vgl. Robert Kogler/Andrea Löw: The Encyclopedia ˙ ydów/Jewish History Quarterly 206, 2003, of the Lodz Ghetto, in: Kwartalnik Historii Z S. 195–208. 46 O[skar] R[osenfeld]: Revue, APŁ, 278/1103, Getto-Enzyklopädie, Bl. 202 f. 47 Vgl. Dobroszycki (Anm. 42), S. 16 (25. 1. 1941); S. 28 ff. (4. 3. 1941). 48 Ebd., S. 57 f. (27.–31. 5. 1941); Flam (Anm. 44), S. 91. 49 ˙ IH, Getto-Enzyklopädie, Bl. 112 f. O[skar] R[osenfeld]: Herszkowicz, Jankel, AZ 50 Gila Flam: The Role of Singing in the Ghettos: Between Entertainment and Witnessing, in: Robert Moses Shapiro: Holocaust Chronicles. Individualizing the Holocaust through Diaries and other contemporaneous Personal Accounts, Hoboken 1999, S. 151. 51 ˙ IH, Getto-Enzyklopädie, Bl. 227 ff.; O[skar] R[osenfeld]: Leihbibliotheken, AZ Isaiah Trunk: Lodzer Geto. A Historishe und sotsiologishe Shtudie mit Dokumentn, Tabeles und Mape, New York 1962, S. 400 f. 52 Flam (Anm. 44), S. 92. 53 Mostowicz (Anm. 40), S. 46. 54 Vgl. Isaiah Spiegel: Ghetto Kingdom. Tales of the Łódz´ Ghetto, Evanston 1998; in dieser Ausgabe sind einige der Kurzgeschichten, die der Verfasser im Ghetto schrieb, zugänglich. 55 Vgl. Das Ghettotagebuch des Dawid Sierakowiak. Aufzeichungen eines Siebzehnjährigen 1941/42, Leipzig 1993, S. 54 (21. 6. 1941). 56 Vor allem in den unmittelbar verfaßten Tagebüchern wird sehr genau notiert, was es jeweils Neues über den Kriegsverlauf gab; vgl. Sierakowiak (Anm. 55); Poznan´ski ˙ IH, 302/124, Bl. 39. (Anm. 9); Bericht Liza Taflowicz, AZ 57 ˙ IH, Getto-Enzyklopädie, Bl. 144 f. O[skar] R[osenfeld]: Getto-Neues, AZ 58 Vgl. Stefan Krakowski: Organizacja antyfaszystowska – Lewica zwia˛zkowa w get˙ IH 52, 1964, S. 49–69. cie Łódzkim, in: BZ 59 Ebd., S. 52 f. 60 ˙ IH Arnold Mostowicz: O demonstracjach ulicznych w getcie wiosna˛ 1940 r., in: BZ 54, 1965, S. 67. 61 ˙ IH, 301/3807, Bl. 2; Józef Rubinsztajn: O demonstracBericht Józef S´mietana, AZ jach w 1940r., działalnos´ci Komisji Mie˛dzyzwia˛zkowej, sabotaz˙u i próbach naz˙wia˛zania ˙ IH 54, 1965, S. 69–72; vgl. zu Streiks in kontaktu z towarzyszami spoza getta, in: BZ verschiedenen Ressorts Krakowski (Anm. 58). 62 Shlomo Frank: Togbukh fun Lodzer Geto, Buenos Aires 1958, S. 19 (11. 1. 1941), S. 23 (19. 1. 1941), S. 24–28 (22.–30. 1. 1941); Josef Zelkowicz: The Carpenter’s Strike, in: ders.: In Those Terrible Days. Notes from the Lodz Ghetto, hrsg. v. Michal Unger, Jerusalem 2002, S. 203–232.

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63 ˙ IH, 301/1312, Alberti (Anm. 39), S. 239; vgl. Bericht Chaim Werebejczyk, AZ Bl. 2. 64 Michael Moshe Checinski [Michał Che˛cin´ski]: Die Uhr meines Vaters. Erzähltes Leben, Frankfurt/M. 2001, S. 154 f. 65 Sierakowiak (Anm. 55), S. 26 f. (30. 4. 1941). 66 Ebd., S. 30 (8. 5. 1941). 67 Ebd., S. 33 (14. 5. 1941). 68 Ebd., S. 48 (10. 6. 1941); vgl. ebd., S. 58 f. (28. 6. 1941). 69 E[liasz] Tabaksblat: Dzieje szkolnictwa z˙ydowskiego w Łodzi pod okupacja˛ nie˙ IH, 301/2847, Bl. 9. miecka˛. 8. IX. 1939–1944, AZ 70 Sierakowiak (Anm. 55), S. 83 f. (26. 8. 1941). 71 Ebd., S. 98 (26. 9. 1941). 72 Bericht Rachela Grynfeld, APMO, Os´w. 3156, Bl. 4. 73 Plager-Zyskind (Anm. 2), S. 40 f. 74 Sierakowiak (Anm. 55), S. 103 (4. 10. 1941).

Marek Wierzbicki

Die polnisch-jdischen Beziehungen unter sowjetischer Herrschaft Zur Wahrnehmung gesellschaftlicher Realität im westlichen Weißrußland 1939–1941 In der Zwischenkriegszeit war das westliche Weißrußland 1 von vielen Ethnien bevölkert. Es überwogen Weißrussen und Polen; die Juden stellten die drittgrößte Gruppe; Russen, Litauer und Ukrainer waren weniger zahlreich vertreten. Nach der Volkszählung von 1931 schwankte der jüdische Bevölkerungsanteil in den 1939 der Weißrussischen Sowjetrepublik angegliederten Gebieten zwischen 7,3 und 12,6 %; jener der polnischen Bevölkerung betrug zwischen 14,5 und 87,8 %. 2 Im westlichen Weißrußland lebte die jüdische Bevölkerung – ähnlich wie in den übrigen Teilen Polens – hauptsächlich im urbanen Umfeld. In vielen Kleinstädten machte sie über 50 % der Bevölkerung aus; so gab es in Słonim 3 72 % Juden, in Lida 67 %, in Nowogródek 54 %. 4 Die ländlichen Gegenden trugen dagegen einen polnisch-weißrussischen oder weißrussisch-polnischen Charakter. Die Juden waren vor allem in Handel und Handwerk tätig; relativ viele arbeiteten freiberuflich als Ärzte, Rechtsanwälte oder Journalisten. 5 Die zivilisatorische Verspätung der polnischen Ostgebiete, der Kresy Wschodnie, in der Zwischenkriegszeit – zum Beispiel die schwach entwickelte Industrie – und die Kriegszerstörungen zwischen 1914 und 1920 hatten dazu geführt, daß ein erheblicher Bevölkerungsteil in den Städten, darunter auch die Juden, in bitterer Armut lebte. Die Lage der Juden verschlechterte sich in den 1930er Jahren noch unter dem Einfluß der Wirtschaftskrise. Die ohnehin nicht geringe Arbeitslosigkeit stieg an, die Realeinkommen verringerten sich. Besonders die Jugend hatte keine Aussicht auf eine Verbesserung der Lage. Viele Juden wurden so in ihrer Überzeugung bestärkt, daß es unter polnischer Herrschaft unmöglich sei, die reale Lage der Armen zu verbessern. Ihr Verhältnis zum polnischen Staat wurde auch durch die diskriminierende Politik der Behörden bestimmt, die sich bemühten, den Einfluß der jüdischen Bevölkerung zu reduzieren, indem man Karrieren in der Armee verhinderte und Juden keine Beschäftigung in der Staatsverwaltung fanden. In den Kresy der Zwischenkriegszeit lebten viele russifizierte Juden, denen die polnische Kultur fremd war; ein Teil von ihnen konnte noch nicht einmal Polnisch. Sie hatten somit keinerlei Gefühl der Verbundenheit mit dem polnischen Staat; näher stand ihnen Rußland, selbst in seiner sowjetischen Ausgabe. Der polnische Vorkriegs-

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staat hatte der jüdischen Gemeinschaft zwar eine ausgedehnte Selbstverwaltung zugestanden, tat aber nicht viel, um die Juden stärker an die polnische Republik zu binden. Im Gegenteil: in den 1930er Jahren schob sich in der Nationalitätenpolitik das Schlagwort von der Polonisierung der nationalen Minderheiten in den Vordergrund; die Lösung der ‚Judenfrage‘ sah man in der Emigration. Unter diesen Bedingungen wuchs die Abneigung oder gar Feindschaft gegenüber dem polnischen Staat. Eine recht große Popularität gewannen kommunistische Ideen, wie sie in den nordöstlichen Gebieten Polens von der 1938 aufgelösten Kommunistischen Partei des Westlichen Weißrußlands (KPZB) verkündet wurden. Die genannten sozioökonomischen und kulturellen Bedingungen, die Politik der polnischen Behörden sowie die Tätigkeit kommunistischer Organisationen beeinflußten die Haltung der jüdischen Bevölkerung, als die UdSSR Polen überfiel.

Polen und Juden im Herbst 1939 Die sowjetische Aggression vom 17. September 1939 rief bei den Einwohnern des westlichen Weißrußlands unterschiedliche Reaktionen hervor. Die Beziehung der einzelnen Bevölkerungsgruppen zu den einrückenden Einheiten der Roten Armee wurde – in der Wahrnehmung der Polen – zu einem Test für deren Loyalität gegenüber dem polnischen Staat. Die meisten Polen fühlten sich mit diesem verbunden und nahmen die sowjetische Aggression deshalb feindlich oder mit Reserve auf. 6 Zur radikalsten Ausprägung dieser Haltung wurde der bewaffnete Widerstand, so bei der Verteidigung von Grodno und Wilna oder bei der Schlacht bei Kodziowcy. 7 Ein verhältnismäßig kleiner Teil der polnischen Bevölkerung – Unterschichten, soziale Randgruppen, Kommunisten und ihre Sympathisanten – reagierte mit Freude und akzeptierte den Zerfall des polnischen Staates voll und ganz. Unter der jüdischen Bevölkerung war dagegen die Unterstützung der sowjetischen Aggression viel größer, obgleich man auch dort nur schwerlich von ausschließlich positiven Reaktionen sprechen kann. Dennoch begrüßten nach dem 17. September in praktisch jedem Kreis Nordostpolens Grüppchen, Gruppen, bisweilen aber auch Massen von Juden die sowjetischen Truppen. 8 Dieses Bild grub sich tief in das Gedächtnis der Beobachter, insbesondere der Polen, ein. „Die sow[jetischen] Truppen sind gegen 1 Uhr nachm[ittags] am 17. 9. nach Mołodeczno einmarschiert. Der erste Panzer, der sich zeigte, hielt an der Einmündung einer Straße auf den Marktplatz an und wurde von der jüdischen Bevölkerung (vor allem Jugendliche) und Weißrussen, die bis dahin als loyale polnische Staatsbürger gegolten hatten, mit Freudenschreien begrüßt“, heißt es in einem der polnischen Berichte 9, der ein Bild zeigt, wie es in Hunderten von Zeugnissen aus praktisch allen Kreisen der nordöstlichen Gebiete der Zweiten Polnischen Republik festgehalten ist. 10 Die Begrüßungen wurden meist von den Kommunisten organisiert, von Mitgliedern der KPZB, die weißrussischer oder jüdischer Nationalität waren. Im Gegensatz zu den Vermutungen in einigen polnischen Berichten und Erinnerungen nahm an ihnen aber nicht die gesamte jü-

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dische Bevölkerung teil. Unter den Begrüßenden überwogen Jugendliche, Angehörige der Unterschichten und auch Flüchtlinge aus Zentralpolen. 11 Es waren längst nicht nur Kommunisten jüdischer Herkunft, sondern auch religiöse Juden, die sich vor den Deutschen fürchteten und sich nunmehr für gerettet hielten. Denn wohin die Rote Armee kam, so glaubten sie, dahin kam keine Wehrmacht. Ein gewisser Teil der Juden – allem Anschein nach ein kleinerer – brachte den Sowjets hingegen keine Zuneigung entgegen, war ihnen gegenüber sogar feindlich eingestellt. Eine solche Haltung nahmen die Angehörigen und Sympathisanten jener jüdischen Parteien und Organisationen ein, die den Kommunismus ablehnten, so die Mitglieder der zionistischen Bewegung, der konservativen Parteien, der jüdischen Kultusgemeinden sowie ein Teil der Politiker und Mitglieder der linken Arbeiterpartei Bund. Auch Vertreter wohlhabenderer Schichten – etwa Kaufleute und Fabrikanten –, die sich noch an die bolschewistische Revolution von 1917 erinnerten, standen dem Einmarsch der Roten Armee mit Reserve oder Unruhe gegenüber. Die Vertreter all dieser Gruppen waren sich darüber im klaren, daß es in der sowjetischen Realität für sie keinen Platz gäbe, daß sie die Möglichkeit zu politischer oder wirtschaftlicher Betätigung verlieren würden, daß man ihnen die bürgerlichen Rechte nehmen, sie enteignen und sogar unterdrücken würde. 12 Die anfangs den Sowjets entgegengebrachte Sympathie und zugleich auch die Abneigung und Feindschaft gegenüber der Zweiten Republik zeigten sich nicht nur in der freundlichen Begrüßung der Roten Armee. Die feindliche Haltung eines Teils der ostpolnischen Bevölkerung, insbesondere der weißrussischen und der jüdischen, gegenüber dem polnischen Staat nahm verschiedene Formen an. Unter anderem gab es bewaffnetes Vorgehen gegen Einheiten der polnischen Armee und gegen die polnischen Behörden. Es handelte sich um Aktionen, die aufgrund der deutlich sichtbaren Steuerung durch den sowjetischen Geheimdienst und der sorgfältigen Vorbereitung an die Aktivitäten der deutschen „Fünften Kolonne“ hinter der deutsch-polnischen Front erinnerten. Nach dem 17. September entstanden in so gut wie allen nordöstlichen Kreisen der Zweiten Republik – sofern die Deutschen nicht zuvor schon eingerückt waren – größere oder kleinere Sabotagegruppen, manchmal auch zahlenstarke Partisaneneinheiten, die gegen polnische Truppenteile kämpften. Noch vor dem Eintreffen der Roten Armee wurden eigene Herrschaftsstrukturen geschaffen – sogenannte Revolutionskomitees –, die in dem betreffenden Gebiet die Macht übernahmen, eine Verwaltung einsetzten, bewaffnete Milizen oder Partisanenabteilungen zum Kampf mit Einheiten der polnischen Armee bildeten. Zugleich beseitigten sie die Reste der polnischen Verwaltung, übten Selbstjustiz an Personen, die eng mit dem polnischen Staat zusammengearbeitet hatten, besetzten strategisch wichtige Objekte. An dieser Diversion beteiligten sich vor allem Vertreter zweier nationaler Minderheiten: Weißrussen und Juden, meist Mitglieder der KPZB und ihre aus den ärmsten sozialen Schichten stammenden Sympathisanten – so in

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Polesien sowie den Gebieten um Grodno und Wołkowysk. Einige Revolten waren so gefährlich, daß starke Militärabteilungen ausgeschickt wurden, um sie zu beenden. Zum Beispiel brachten Rebellen das Städtchen Skidel für zwei Tage unter ihre Gewalt. Diese Revolte – von der sowjetischen Historiographie als „Aufstand“ bezeichnet – wurde erst durch eine aus Grodno entsandte Strafexpedition beendet, die am 19. September eine regelrechte Schlacht um die Stadt ausfocht. 13 Außerdem bildeten die lokalen Judenheiten Selbstverteidigungsabteilungen, die angesichts des Machtvakuums nach der Flucht der polnischen Behörden die örtlichen Juden vor Überfällen und Plünderungen zu schützen suchten; zu Exzessen dieser Art kam es unter anderem in Kolno und Grajewo. Selbstverteidigungsgruppen entstanden in vielen Ortschaften, so in Gródek bei Białystok, in Kamien´ Koszyrski und in Wolhynien (Wołyn´). Ein Teil dieser Abteilungen war von Kommunisten unterwandert, stellte sich auf die Seite der Sowjets und trat mit terroristischen Aktivitäten hervor. Es ist deshalb in einigen Fällen schwer, eindeutig zu sagen, welchen Charakter die ad hoc entstehenden bewaffneten Gruppen hatten. 14 Zu den größten Diversionsakten kam es in Grodno. Sie wurden am 18. September von örtlichen Kommunisten und ihren Sympathisanten eingeleitet, die größtenteils der prosowjetisch eingestellten Minderheit unter der jüdischen Bevölkerung entstammten. Anfangs versuchten sie, das Zentrum unter ihre Gewalt zu bekommen, um dadurch die Vorbereitungen zur Verteidigung der Stadt zu stören. Die militärische Führung schickte Einheiten von Armee, Polizei und sogar der Feuerwehr aus, die die bewaffneten Freischärler erst nach verbissenen Kämpfen aufrieben. 15 Die polnische Seite antwortete auf die staatsfeindlichen Umtriebe mit Vergeltung und berief sich dabei auf das Kriegsrecht. Die Behörden reagierten scharf auf sämtliche bewaffneten Vorfälle, so daß jeder Mann, der mit der Waffe in der Hand ergriffen wurde, in der Regel zum Tode verurteilt oder ohne Gerichtsurteil erschossen wurde, vor allem in jenen Städtchen, welche die polnische Armee im Sturm nehmen mußte, zum Beispiel in Ostryn´, Jeziory, Skidel und Dereczyno. Auf diese Weise kamen viele Juden ums Leben, die sich an antipolnischen Revolten beteiligt hatten. 16 Nachdem die Rote Armee die Kresy besetzt hatte, begann unverzüglich die Installierung der sowjetischen Herrschaft. Im westlichen Weißrußland beteiligte sich in den ersten Wochen die jüdische und weißrussische Bevölkerung aktiv daran und trat zahlreich in die provisorische Verwaltung, die Stadt-, Gemeinde- und Bauernkomitees und in die Bürgermiliz ein. 17 Die sowjetischen Behörden rechneten damit, daß die Eingliederung des Gebietes in die UdSSR von Dauer sein würde und waren bestrebt, Spuren von der Gegenwart des Staates Polen ebenso zu entfernen wie dessen Eliten. Sie konnten dabei natürlich nicht auf die Unterstützung der polnischen Bevölkerung bauen. Sie beschlossen also, sich auf die nationalen Minderheiten zu stützen, indem sie ihnen Möglichkeiten zum sozialen Aufstieg und zur Verwirklichung ihrer persönlichen Ambitionen boten. Am

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20. September 1940 erklärte der Leiter der NKWD-Stadtabteilung in Łomz˙a bei einer Beratung in Minsk: „Bei uns hat sich eine solche Praxis ausgebildet: Die Juden unterstützten uns, und nur sie waren ständig zu sehen. Es wurde auch Mode, daß sich jeder Leiter einer Institution oder eines Unternehmens damit rühmte, daß bei ihm kein einziger Pole arbeite. Viele von uns hatten einfach Angst vor den Polen.“ 18 Jener Teil der jüdischen und weißrussischen Bevölkerung, der unter polnischer Herrschaft nicht mit einer Verbesserung seiner persönlichen Situation hatte rechnen können, vor allem also Kommunisten, Angehörige der Unterschichten und Jugendliche, machten von diesem Angebot bereitwillig Gebrauch. Die ausgebauten Strukturen der sowjetischen Administration boten für viele arbeitslose Juden eine Beschäftigungsmöglichkeit, was angesichts des Fehlens von Industrie in den ostpolnischen Städten von nicht geringer Bedeutung war. Um Stellen in der sowjetischen Verwaltung bemühten sich auch zahlreiche Flüchtlinge aus den deutsch besetzten Gebieten, meistens Juden, die dazu gezwungen waren, Mittel für den eigenen Lebensunterhalt und den ihrer Familien zu finden. Die Juden, die viel besser ausgebildet waren als die Weißrussen, wurden Beamte, Lehrer oder übernahmen andere Stellen im Besatzungsapparat. Dies hatte zweifelsohne einen Einfluß auf die polnisch-jüdischen Beziehungen, da sie meistens den Platz polnischer Beamter und Lehrer einnahmen. Im ersten Zeitabschnitt der sowjetischen Herrschaft änderte sich also die Lage für Polen und Juden radikal. Erstere wurden zur nationalen Minderheit in der Weißrussischen Sowjetrepublik degradiert. Die Depolonisierung der Kresy begann. Ende Oktober beschloß die Volksversammlung im westlichen Weißrußland die Beschlagnahmung des Großgrundbesitzes, der vor dem Krieg fast ausnahmslos in den Händen des polnischen Landadels gewesen war. Zwischen September und Dezember wurden viele Polen verhaftet, die vor dem Krieg Offiziere und Polizisten gewesen waren, höhere Positionen in der Staatsverwaltung und den politischen Gremien eingenommen oder sich gesellschaftlich betätigt hatten. Örtliche Juden – Mitglieder der provisorischen Verwaltung oder der Miliz – halfen den sowjetischen Behörden dabei, sie aufzuspüren, festzunehmen und zu töten. Zum Beispiel erschossen Mitglieder der Arbeitergarde Pin´sk unter Anführung des KPZB-Mitglieds Beniamin Dodziuk Polizisten und Offiziere der polnischen Armee, die sie mit der Waffe in der Hand angetroffen hatten, an Ort und Stelle. 19 Es kam vor, daß Vertreter der jüdischen Bevölkerung Polen verhöhnten und die plötzliche Verkehrung des Schicksals beider Ethnien hervorhoben. An der Tagesordnung war die Bemerkung „Ihr wolltet ein Polen ohne Juden, jetzt habt ihr Juden ohne Polen“, die ein Schlagwort aus der Vorkriegszeit umdrehte. 20 In sowjetischen Quellen finden sich Hinweise, die das ebenfalls zu bestätigen scheinen. Zum Beispiel sagte der Erste Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Weißrußlands (Bolschewiki) (KP(B)B), P. K. Ponomarenko, bei

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einer Versammlung in Białystok: „Derzeit belebt sich der jüdische Chauvinismus immer stärker, weil die jüdische Bevölkerung durch die polnische Regierung stark verfolgt wurde. Es ist unbedingt auf eine internationalistische Erziehung der Massen hinzuarbeiten.“ 21 Die Denunziationen gegen Polen häuften sich. 22 Anzumerken ist jedoch, daß die Verhaftungen vom Herbst 1939 auch jene jüdischen Funktionäre betrafen, die von den sowjetischen Stellen als Feinde des kommunistischen Systems angesehen wurden, zum Beispiel aktive Mitglieder der zionistischen Bewegung oder des Bund, aber auch Vertreter des wohlhabenden Bildungs- und Wirtschaftsbürgertums.

Das polnisch-jüdische Verhältnis 1940/41 Polnische Quellen sprechen von der Allgegenwart der Juden in den sowjetischen Behörden, während die sowjetischen Dokumente aus dem westlichen Weißrußland – vor allem von 1940 – in dieser Frage nicht so eindeutig sind. Juden stellten gewöhnlich zwischen 4 und 14 % der Deputierten bei den Regions-, Bezirks- und Republiksräten, was sich jedoch aus der sowjetischen Nationalitätenpolitik ergab, die bei der Auswahl der Kandidaten für wählbare Stellen eine Art ethnischen Schlüssel zugrundelegte. 23 In den Dorfräten – z. B. im Bezirk Wilia – gab es nur 2,4 % Juden, was wegen ihrer spezifischen Siedlungsstruktur verständlich ist. In den städtischen Räten der Bezirke Wilia und Białystok dagegen machten sie eine ansehnliche Gruppe aus: so im Stadtrat von Białystok 20,6 %, in Łomz˙a 24 % und in Grodno 26,5 % aller Deputierten. In den Stadträten des Bezirks Wilia gab es durchschnittlich 31 % jüdische Deputierte und in Pin´sk selbst 26 %. Wenngleich so der Eindruck einer starken Beteiligung von Juden an den sowjetischen Ortsbehörden entsteht, ist jedoch daran zu erinnern, daß in der Zwischenkriegszeit in einigen Städten ihr Anteil an den Abgeordneten viel höher gewesen war und zum Beispiel in Pin´sk rund 70 % betragen hatte. 24 Auf Führungspositionen der Miliz im Bezirk Białystok gab es dagegen nicht sehr viele Juden. So betrug ihr Anteil im März 1940 11 %. Im Bezirk Pin´sk wiederum stellten Juden 11,4 % jener Einwohner, die im Januar 1941 dafür vorgeschlagen wurden. 25 In derselben Zeit betrug der Anteil von Weißrussen in der Białystoker Miliz 62,5 %, der der Russen 20,5 % und der der Polen 4,1 %. 26 Wie ist das zu erklären? Schließlich hatten Juden noch im Januar 1940 – wie aus den Berichten der polnischen Untergrundorganisation Verband für den bewaffneten Kampf (ZWZ) hervorgeht – die Miliz dominiert. Dies bedeutet nicht, daß die ZWZ-Berichte etwa unrichtige Informationen enthalten würden, sondern nur, daß sie eher die Lage in den Kresy einige Wochen nach Beginn der Besatzung widerspiegeln. Wir wissen heute, daß sich das Verhältnis der Sowjets zur örtlichen Bevölkerung – sogar zu jenen Menschen, die mit ihnen sympathisierten – ungefähr seit Dezember 1939 wandelte. Die Zahl der Milizangehörigen jüdischer Nationalität mag also in den ersten Wochen der sowjetischen Herrschaft größer gewesen sein als im folgenden Zeitraum, also 1940 und 1941. Diese Annahme

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wird bestätigt durch die zahlreiche Beteiligung von Juden an der Arbeitergarde in Wilna während der ersten sowjetischen Besatzung vom 19. September bis 28. Oktober 1939. Nach Berechnungen eines Mitgliedes der Wilnaer Arbeitergarde betrug der Anteil von Juden an der Miliz damals 80 %. 27 Wahrscheinlich trat eine relativ große Gruppe in den ersten Monaten der sowjetischen Herrschaft in Verwaltung und Miliz ein, als sich die Sowjets im unterworfenen Land noch nicht sicher fühlten und gerne die Dienste der örtlichen Bevölkerung in Anspruch nahmen. Seit Anfang 1940 wurden jedoch immer mehr Kader aus der UdSSR in das westliche Weißrußland geschickt. Viele örtliche Juden und Weißrussen verloren ihre Leitungspositionen in der Verwaltung oder wurden aus der Miliz entfernt. Es scheint, als seien relativ viele Juden auf niedrigeren Ebenen der Verwaltung, der Sicherheitsorgane und des Bildungswesens verblieben. 28 Dies betraf etwa das Schulwesen. So waren zum Beispiel 1940 von 267 Bewerbern für das neu eröffnete Pädagogische Institut in Białystok 210 Juden und nur 29 Weißrussen. In dieser Situation intervenierte das Bezirkskomitee der KP(B)B in Białystok, das – um die erschütterten Proportionen bei der ethnischen Zusammensetzung der Studenten zu korrigieren – damit einverstanden war, auch alle jene Weißrussen zum Studium anzunehmen, die ihre Fremdsprachenprüfung nicht bestanden hatten. 29 Im dortigen städtischen Exekutivkomitee gab es im Januar 1940 von 328 Beschäftigten 32 Weißrussen, 137 Polen und 138 Juden (42 %). 30 Ein so hoher Anteil von Juden war im Bezirk Białystok nicht die Norm. So wurden z. B. in den Verkehrseinrichtungen zwischen dem 1. September 1939 und dem 1. Februar 1940 2730 (52,45 %) Weißrussen beschäftigt, 1512 (29,05 %) Polen, 732 (14,06 %) Russen und 230 (4,41 %) Juden. 31 Im Bezirk Pin´sk wiederum war die Zahl der in einigen sowjetischen Institutionen arbeitenden Juden sehr hoch: 56,8 % der Führungskräfte in der Industrie, 42 % der Beschäftigten in Institutionen der Versorgung und des Güterankaufs, 41,2 % der von Gerichten und Staatsanwaltschaften, 39,7 % der im Gesundheitswesen, 31,8 % der in Handel und Genossenschaften, 22,9 % der in Kultur und Bildungswesen. In den übrigen Lebensbereichen war der Anteil von Juden niedriger. 32 Ihr Prozentsatz in allen Institutionen des Bezirks Pin´sk belief sich auf 25,16 %, doch auf Bezirksebene stellten sie fast die Hälfte aller Beschäftigten (49,5 %). In der Region Słonim (Bezirk Baranowicze) waren von 1804 Ortsansässigen, die von den sowjetischen Behörden für Leitungspositionen der niedrigeren Ebene vorgeschlagen wurden, 786 (43,5 %) Weißrussen, 782 (43,3 %) Juden, 189 (10,4 %) Polen, 34 (1,8 %) Russen und 13 (0,6 %) Angehörige anderer Nationalitäten. Unter den Ankömmlingen aus dem Osten der UdSSR im Bezirk Pin´sk machten die Juden rund 11,7 % aus. Im Pin´sker städtischen Exekutivkomitee stellten sie 26,4 % aller Beschäftigten. 33 In einigen Berufen, die traditionell von Juden ausgeübt wurden, war ihr Anteil noch größer, zum Beispiel im Bezirk Pin´sk 64,7 % aller Ärzte und 49,2 % der Buchhalter. 34 Im Krankenhaus Baranowicze

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waren die Ärzte ausschließlich Juden; Ärzte mit anderer Nationalität wurden an andere Institutionen in der Stadt oder an Krankenhäuser im Bezirk versetzt. Dies führte bei den Beschäftigten des Gesundheitswesens zu Unzufriedenheit und antijüdischen Stimmungen. 35 Manchmal intervenierten die sowjetischen Behörden, die versuchten, die schiefen Proportionen bei der ethnischen Zusammensetzung des Sowjetapparats zu korrigieren. So verhielt es sich in Grodno, als sich herausstellte, daß im staatlichen Handelsnetz und in den Ankaufstellen von 564 Beschäftigten 405 (72 %) Juden waren. Der NKWD in Grodno alarmierte das Stadtkomitee der KP(B)B und beantragte eine Verringerung des jüdischen Beschäftigtenanteils. 36 Die Zahl der beschäftigten Juden stieg sowohl wegen des wohlwollenden Verhältnisses der sowjetischen Behörden gegenüber den nationalen Minderheiten in den Kresy, wie es in den ersten Besatzungsmonaten existierte, als auch aufgrund der Fähigkeiten der Juden, sich in der neuen Lage zurechtzufinden. Es hat jedoch den Anschein, als seien die Juden später, das heißt 1940 und 1941, nicht mehr besonders favorisiert worden. Aus sowjetischen Dokumenten geht hervor, daß man – hauptsächlich aus Gründen der Propaganda – versuchte, den Anteil der Weißrussen in den Vertretungsorganen der Macht, im Verwaltungsapparat und anderen sowjetischen Institutionen mit administrativen Maßnahmen zu vergrößern.37 Es ist schwer zu sagen, welcher Teil der jüdischen Bevölkerung im ersten Zeitraum der Besatzung die sowjetische Politik gegenüber den Polen und dem polnischen Staat befürwortete. Prosowjetische Einstellungen und Abneigungen gegen Polen waren damals – vor allem für die polnische Bevölkerung – stärker zu spüren als Wohlwollen oder Patriotismus. Doch gab es auch letzteres, denn polnische und jüdische Quellen berichten davon. Zum Beispiel erklärte in den ersten Besatzungstagen der Bund, daß Polen das Vaterland der Juden sei. 38 Es gab viele Beispiele dafür, daß Juden polnischen Großgrundbesitzern zu Hilfe kamen. 39 Schwer zu sagen ist jedoch, wie stark seinerzeit die propolnischen Sympathien in der jüdischen Gemeinschaft des westlichen Weißrußlands waren. Jan Karski schrieb in einem Bericht lediglich, daß es dort in den ersten Monaten der Besatzung oft zu antipolnischen Äußerungen kam. 40 Dem polnischen Staat gegenüber entschieden feindlich waren die Kommunisten und ihre Sympathisanten eingestellt. Das jüdische Kleinbürgertum, dessen Bindungen an das Polen der Vorkriegszeit nicht besonders stark gewesen waren, nahm den Untergang des Staates gleichgültig oder mit Zufriedenheit hin. Von der Aussicht auf deutsche Herrschaft entsetzt, begrüßte es die sowjetische Armee mit Erleichterung und hoffte, daß sich die Lebensbedingungen verbessern würden. Die sowjetische Realität jedoch erwies sich als viel weniger attraktiv, als dies die lärmende Propaganda versprochen hatte. Die Besatzung brachte für die Juden nicht weniger Enttäuschungen und Leiden als allen anderen Ethnien, die dort lebten. Ende 1939 verstaatlichten die Behörden Industrie und Handel und nahmen damit einem großen Teil der jüdischen Bevölkerung ihre Arbeitsstellen weg. Die auf der

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jüdischen Kultusgemeinde basierende religiöse Selbstverwaltung wurde ebenso aufgelöst wie alle Vereine der jüdischen Gemeinschaft, die vor dem Krieg bestanden hatten. 41 In einer besonders schwierigen Lage befanden sich die Flüchtlinge, vor allem jene Juden, die durch den deutschen Terror oder aus Angst vor ihm zur Flucht gezwungen worden waren. Es hat jedoch den Anschein, als könne man das Schicksal und die Einstellungen der jüdischen Bevölkerung unter sowjetischer Herrschaft nicht ausschließlich im Lichte dieser Flüchtlingserfahrungen sehen, da die Erfahrungen der Übrigen nicht immer negativ waren. Somit stellt sich folgende Frage: Wie war in den Jahren 1940 und 1941 das Verhältnis der jüdischen Bevölkerung zum polnischen Staat? Die polnischen und jüdischen Quellen lassen eine Veränderung dieses Verhältnisses erkennen. Einigen polnischen Berichten zufolge begann sich die jüdische Bevölkerung schon nach einigen Monaten sowjetischer Regierung nach der Vorkriegszeit, nach den bürgerlichen Freiheiten und der Möglichkeit ungehinderter wirtschaftlicher Betätigung zu sehnen. 42 Nicht anders war es im westlichen Weißrußland, obwohl es scheint, als sei es eine unbegründete Generalisierung, von einer Einstellungsveränderung der ganzen jüdischen Bevölkerung zu sprechen. Erstens mußten antisowjetische Stimmungen nicht automatisch zu propolnischen Sympathien führen. Die Beziehungen zu Polen und den Polen konnten auch durch persönliche Erfahrungen mit der Lokalverwaltung der Vorkriegszeit oder mit der nächsten polnischen Umgebung, wie Nachbarn oder Schulkameraden, geprägt sein. Wenn dennoch selbst unter den ostpolnischen Juden die Zuneigung zum Staat Polen wuchs, so betraf dies jedoch nicht die gesamte Population. Zweifelsohne wartete ein Teil der Intelligenz – vor allem der polonisierten Intelligenz –, die kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Eliten sowie Vertreter der wohlhabenden Schichten auf eine Rückkehr der polnischen Herrschaft – kurzum: all jene, die durch die Einführung der sowjetischen Herrschaft geschädigt worden waren oder die sich emotional dem polnischen Staat verbunden fühlten. Für all jene, die zwischen dem Vegetieren in Polen, den Repressionen unter sowjetischer Besatzung und dem Terror des Hitler-Regimes wählen konnten, schien die Rückkehr der polnischen Herrschaft die einzige Rettung zu sein, die einzige Chance auf ein würdiges Leben oder zumindest auf das Überleben. 43 Prosowjetische Sympathien behielt dagegen jener Teil der jüdischen Unterschichten, der Jugend und der Intelligenz, denen die Veränderungen in den Kresy nach dem 17. September genutzt hatten. Es handelte sich zum Beispiel um Beschäftigte des sowjetischen Verwaltungsapparates, der Kommunistischen Partei, der Sicherheitsorgane, des Bildungswesens und anderer Institutionen des sowjetischen Staates, aber auch um Personen, die die Möglichkeit zur Beteiligung am politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder kulturellen Leben erhalten hatten. Zu dieser Gruppe gehörten die Angestellten staatlicher Geschäfte und von Genossenschaften sowie Handwerker, die in Genossenschaften Arbeit fanden. Ihre Lage verbesserte sich im großen und ganzen, da die mörderische Kon-

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kurrenz entfiel und die Arbeitsbedingungen besser wurden. Da es nicht viele Facharbeiter gab, machten die sowjetischen Behörden zum Beispiel aus Schneidern oder Schustern „Helden der sozialistischen Arbeit“. Arbeit fanden auch zahlreiche Angehörige der jüdischen Intelligenz: Ärzte, Ingenieure, Techniker, Buchhalter und Lehrer. „Die jüdische Bevölkerung war während der 21 Monate sowjetischer Herrschaft glücklich“; sie fühlten sich als „freie und gleichberechtigte Bürger“, stellte einer der mit der sowjetischen Herrschaft zufriedenen Juden fest. 44 Insgesamt gesehen handelte es sich um eine recht große Gruppe. Es hat den Anschein, als sei es einfacher, für die Zeit der sowjetischen Besetzung Ostpolens und direkt danach die Beziehung der Polen zu den Juden zu rekonstruieren als umgekehrt. Viele polnische Quellen enthalten eine eindeutige Beurteilung der jüdischen Einstellung zwischen 1939 und 1941. Wir erfahren dort, daß in der Überzeugung der meisten Polen die Juden Polen verraten hätten. Sie hätten die Rote Armee in großer Zahl begrüßt, bewaffnete Revolten verursacht, massenhaft Arbeit bei den sowjetischen Behörden gefunden und den Sowjets dabei geholfen, die Polonität in den Kresy durch Denunziationen und Mithilfe bei Deportationen auszurotten.45 Die in den Nordostgebieten lebende polnische Bevölkerung hielt die Juden überwiegend für Handlanger der sowjetischen Besatzer. Den radikalen Umschwung in der Beziehung der Polen zu den Juden hoben auch die im Rahmen des Polnischen Untergrundstaates entstandenen Berichte hervor. General Tokarzewski bemerkte, daß – wegen der Zusammenarbeit der Juden mit den Sowjets – in der polnischen Bevölkerung der Kresy der Antisemitismus deutlich zugenommen habe. Vom Anstieg antijüdischer – aber auch antiweißrussischer und antiukrainischer – Stimmungen unter der polnischen Bevölkerung in Polesien war auch im Bericht eines Abgesandten des Hauptkommandos des ZWZ die Rede, der um die Jahreswende 1941/42 zwei Reisen in die Kreise Brzes´c´ (Brest), Kobryn´ und Drohiczyn Poleski unternahm. Ihm zufolge war der Grund dafür die Haltung der Juden sowie der Weißrussen, Ukrainer und orthodoxen Polesier im September 1939 und unter sowjetischer Besatzung. 46 Die antijüdische Stimmung, die mit der antisowjetischen eng zusammenhing, wurde unter sowjetischer Herrschaft verdrängt, obwohl die Behörden ihre Existenz zum Beispiel bei den Wahlkämpfen feststellten. 47 Nach dem Ausbruch des deutsch-sowjetischen Kriegs am 22. Juni 1941 kam beides ans Tageslicht. Der Krieg unterbrach die vierte große Deportationswelle, die in dieser Gegend am 19. Juni begonnen hatte. Während der Zwangsverschleppung flohen Tausende von Polen im Bezirk Białystok voller Panik in die Sümpfe oder Wälder. Das Einrücken der deutschen Armee hielten sie deshalb für ein Geschenk der Vorsehung. Nun übte man Vergeltung an den Sympathisanten der sowjetischen Herrschaft, ganz unabhängig von ihrer Nationalität, also an Weißrussen, Ukrainern, Polen, Russen, vor allem aber an Juden. Im Falle der Juden wurde die Rache dadurch erleichtert, daß die Deutschen dazu ermunterten, antijüdische Pogrome durch-

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zuführen oder Personen zu denunzieren, die mit den Sowjets zusammengearbeitet hatten. Die im Sommer 1941 angefertigten Berichte einzelner Institutionen des Polnischen Untergrundstaates, wie der Regierungsdelegatur und der Hauptkommandantur des ZWZ, informierten über Pogrome, die von Deutschen angestachelt worden waren – in den Kreisen Łomz˙a, Szczuczyn, Augustów und Białystok und dort wiederum unter anderem in Radziłów, Wa˛sosz, Wizna, Jedwabne und Gac´. Diesen Quellen zufolge beteiligte sich an ihnen die polnische Bevölkerung ebenso wie in Brzes´c´, wo aus dem sowjetischen Gefängnis entlassene Polen ein Pogrom verübt haben sollen. 48 Auch jüdische Quellen enthalten Informationen über eine Welle von Pogromen in den Kresy im Sommer 1941. Nach Schätzungen, die sich auf Berichte aus dem sogenannten Ringelblum-Archiv im Jüdischen Historischen Institut in Warschau stützen, kam es im Juni und Juli in über 60 Dörfern und Städten der polnischen Ostgebiete – so auch im westlichen Weißrußland – zu Judenpogromen, an denen sich die ukrainische, litauische, polnische und weißrussische Bevölkerung beteiligte. Diesen Quellen zufolge waren die Täter vor allem Ukrainer, während der Anteil von Litauern, Polen und Weißrussen geringer gewesen sein soll. Ein wesentliches Motiv für die Überfälle war demnach nicht nur der Wunsch nach Vergeltung an den Juden, sondern auch die Raublust. Wie die Autoren mitteilten, waren die Täter meistens Vertreter der sozialen Randgruppen und der Unterschichten. 49

Pulverfaß Ostpolen Eines der wichtigsten Resultate der sowjetischen Besatzung war die erhebliche Verschlechterung des Verhältnisses zwischen der polnischen und der jüdischen Bevölkerung. Hauptgrund hierfür war die Abneigung oder gar Feindschaft eines Teils der ansässigen Juden gegenüber dem polnischen Staat und den Polen. Direkte Folge war ein Anstieg der Abneigung oder gar ein Judenhaß bei weiten Teilen der polnischen Bevölkerung. Zentral dafür waren die ersten Monate der Besatzungszeit, als die sowjetischen Behörden eine brutale Entpolonisierung der Kresy betrieben, die oft mit der physischen Vernichtung der Eliten einherging. Ein Teil der jüdischen Bevölkerung beteiligte sich daran, indem er bei antipolnischen Revolten, Sabotageakten, beim Vorgehen der Miliz, bei der Tätigkeit der lokalen Verwaltungen oder bei der Begrüßung der Roten Armee mitwirkte – obwohl bei letzterem die Angst vor den Deutschen überwogen haben dürfte. In dieser Zeit gab es eine weit verbreitete Zusammenarbeit polnischer Staatsbürger jüdischer Ethnizität mit den Sowjets. Dies wird durch zahlreiche polnische und jüdische Quellen belegt. Juden arbeiteten in den gesamten Kresy mit den Sowjets zusammen, also nicht nur im westlichen Weißrußland, sondern auch im westlichen Wilnaer Gebiet, das im Oktober 1939 an Litauen angegliedert wurde, später dann an die Litauische Sowjetrepublik, sowie in der Westukraine, also in Ostgalizien und Wolhynien. Diese Zusammenarbeit – von Polen mit einer großen Dosis an Emotion als

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‚Kollaboration‘ bezeichnet – ist nur schwer als Ausdruck des im polnischen Kol˙ ydokolektivbewußtsein vorhandenen Stereotyps vom Judäo-Kommunisten (Z muna) zu werten. 50 Das wird – wie gezeigt – durch die Fakten widerlegt. Noch weniger hält die Behauptung stand, daß die unter den Polen verbreitete Überzeugung von der illoyalen Haltung der Juden ausschließlich aus einem verdrängten Schuldbewußtsein herrührt. Dieses sei nach dem Holocaust dort zum Gemeingut geworden, sei dieser doch durch die Judenpogrome in den Kresy eingeleitet worden, an denen sich vor allem im westlichen Weißrußland Polen beteiligt hätten. 51 Denn die Zusammenarbeit eines Teils der jüdischen Bevölkerung mit den Sowjets – natürlich betraf dies nicht die gesamte Bevölkerungsgruppe – wurde in Hunderten, wenn nicht Tausenden von Berichten und Erinnerungen polnischer Bürger beschrieben, die noch vor Beginn der deutschen Besatzung, der Pogrome und des Holocaust die Kresy aufgrund repressiver Maßnahmen verließen. Ihre Berichte faßten sie überwiegend bereits vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs ab, so daß sie den Verlauf dieser tragischen Ereignisse gar nicht kennen konnten. Natürlich konnten sie auch kein Schuldgefühl wegen der Judenpogrome im Sommer 1941 haben, da sie an ihnen nicht teilgenommen hatten. Von einer Zusammenarbeit relativ vieler Juden mit den sowjetischen Stellen zeugen also viele Quellen, die bereits zwischen 1939 und 1941 entstanden sind, so Jan Karskis Bericht von Februar 1940. Es gibt noch einen anderen Beleg, der die beiden oben genannten Thesen widerlegt. Dies sind die Erinnerungen der Juden selbst, von Bewohnern des sowjetischen Besatzungsgebietes, die 1940/41 geschrieben wurden. Sie gelangten in das von Dr. Emanuel Ringelblum geleitete konspirative Archiv des Warschauer Ghettos (Oneg Schabat), das sogenannte Ringelblum-Archiv. Die Autoren hielten bei der Beschreibung ihrer Lebensumstände unter sowjetischer Herrschaft unter anderem die wachsende Feindschaft der Polen gegenüber den Juden fest. Ihnen zufolge war diese Feindschaft durch die antipolnische Haltung einiger Juden ausgelöst worden, die Polen allerorten aus der Verwaltung verdrängten und mit den sowjetischen Behörden zusammenarbeiteten. 52 So hatte also die zunehmende Feindschaft gegenüber den Juden, die aber auch bei Weißrussen und Ukrainern sichtbar ist, konkrete Gründe und war nicht einfach nur ein Versuch, die Verantwortlichkeit für die Pogromopfer vom Sommer 1941 abzuschieben. Die in polnischen Quellen oft wiederkehrende Überzeugung, die ganze jüdische Bevölkerung habe eine prosowjetische Haltung eingenommen, führte andererseits zu einer bis dahin nicht gekannten Popularität des Stereotyps vom JudäoKommunisten. So entstand der bis heute existente Mythos vom Verrat aller Juden unter sowjetischer Besatzung, der eine weitere ungerechtfertigte Generalisierung darstellt, eine Vereinfachung, die die komplizierten Prozesse, die unter sowjetischer Besatzung vor sich gingen, erklären soll. Wie ist diese vereinfachende Auffassung vom ‚Verrat der Juden‘ entstanden? Es hat den Anschein, als hätten hier mehrere Faktoren eine Rolle gespielt. Er-

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stens manifestierte sich hierin die dem polnischen Staat gegenüber feindliche Einstellung jener Juden, die den Sowjetstaat unterstützten. Zweitens bekundete die jüdische Bevölkerung in den Kresy offen die Verschiedenheit ihrer Eigeninteressen und isolierte sich dadurch so sehr von der christlichen, das heißt polnischen, weißrussischen und russischen Umwelt, daß man sie viel leichter wahrnahm und all ihre Aktivitäten kritischer bewertete, insbesondere jene, die sich gegen die Interessen der Polen richteten. Auf das Verhältnis zu den Juden hatten auch Voreingenommenheiten, antisemitische Phobien einen Einfluß, die vor dem Krieg in manchen polnischen Kreisen verbreitet waren. Man nahm die Untaten der ungeliebten Nachbarn einfach leichter wahr als jene, die die ‚eigenen Leute‘ begingen. Außerdem konnten die in geschlossenen Gruppen lebenden Juden den Eindruck erwecken, allgegenwärtig zu sein, zumal sich in den Städten des westlichen Weißrußlands über hunderttausend jüdische Flüchtlinge aus Zentralpolen aufhielten. Dadurch verdoppelte sich die Zahl der Juden an einigen Orten. 53 Drittens nahmen die Juden, anders als die schlecht ausgebildeten Weißrussen, häufiger Führungspositionen in der Lokalverwaltung und im Sicherheitsapparat ein, weshalb ihnen viel öfter als den Weißrussen zugeschrieben wurde, antipolnische Repressionen initiiert und durchgeführt zu haben. Außerdem paßten sich die relativ gut ausgebildeten Juden leichter an die neuen Lebensbedingungen an, was die dominierende Rolle der Polen in den Kresy ernstlich bedrohte. Da diese eigentümliche Rivalität unter den Bedingungen einer fremden Besatzung entstand und die Aufwertung der jüdischen Bevölkerungsgruppe auf Kosten der diskriminierten Polen erfolgte, wuchsen die Vorbehalte. Die polnische Bevölkerung war, nachdem sie die Auflösung ihres Staates und die brutalen Repressionen erlebt hatte, von einem gewaltigen Gefühl erlittenen Unrechts erfüllt, das Haß auf das sowjetische System und alle seine Mitarbeiter und Sympathisanten auslöste. Unter diesen Bedingungen verstärkte sich der bereits vor dem Krieg vorhandene Antisemitismus der Polen, der sich auf gewisse Kreise beschränkt hatte, beispielsweise auf die Nationaldemokraten, in sehr starkem Maße und dehnte sich auf praktisch alle Schichten der polnischen Gesellschaft in den sowjetisch besetzten Gebieten aus. Man brachte die Juden automatisch mit dem Sowjetsystem in Zusammenhang; der Haß auf die Sowjets wurde mit Haß auf die Juden gleichgesetzt. 54 Es ist hier daran zu erinnern, daß sich die Polen gegenüber den Weißrussen wegen deren prosowjetischen Sympathien ähnlich verhielten. Ein Teil der weißrussischen Bevölkerung unterstützte die sowjetische Aggression und die unter den Sowjets erfolgten Änderungen, zum Beispiel die Beschlagnahme des weitgehend polnischen Großgrundbesitzes, seine teilweise Parzellierung im Rahmen der Bodenreform, die Entfernung der Polen aus Verwaltung und Schulwesen sowie die Repression der polnischen Bevölkerung. In den ländlichen Gegenden, wo rund 92 % der weißrussischen Bevölkerung lebten, besetzten Weißrussen die Stellen der Polen in den Lokalverwaltungen und übernahmen auch einen großen

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Teil des polnischen Vermögens. Auch die prosowjetische Haltung eines Teils der Weißrussen rief feindliche Reaktionen der Polen hervor. Nach dem Einmarsch der Deutschen wurden viele Weißrussen, die mit den Sowjets zusammengearbeitet hatten, aufgrund von Denunziationen durch die polnische Bevölkerung oder durch Selbstjustiz ermordet. 55 Für den Anstieg antijüdischer Stimmungen war die sowjetische Nationalitätenpolitik mitentscheidend, die die Interessenunterschiede der einzelnen Ethnien, ihre gegenseitigen Vorurteile und Ressentiments geschickt ausnutzte. Zu Beginn der Besatzung, während der Depolonisierung der Kresy, wurde die jüdische und die weißrussische Bevölkerung favorisiert, deren Unterstützung damit in hohem Maße gewonnen werden konnte. Die örtlichen Sympathisanten der sowjetischen Herrschaft traten in großer Zahl in Administration und Miliz ein. Den weißrussischen Bauern sagte man nichts von Kolchosen und gab ihnen sogar Land der beschlagnahmten ‚herrschaftlichen‘ Güter. Gegenüber den Juden gab es eine Politik der Toleranz und Gleichberechtigung, so daß sie den Eindruck gewannen, als würden sich ihre nationalen und sozialen Bestrebungen unter sowjetischer Herrschaft erfüllen. Dieser ‚Honigmond‘ dauerte nicht lange, denn je stärker die sowjetische Herrschaft wurde, desto weniger wurde die Hilfe der lokalen Bevölkerung benötigt. Dadurch verringerten sich die Zugeständnisse der neuen Machthaber an die genannten Ethnien. Im Dezember 1939 begann die Nationalisierung des Kleinhandels, der Industrie und Dienstleistungsunternehmen. Im Januar 1940 begann die sowjetische Propaganda, die Vorzüge des Kolchosleben zu preisen, und man ‚ermunterte‘ die Bauern dazu, Kolchosen zu bilden. Weiterhin aber waren die Polen die am stärksten unterdrückte ethnische Gruppe im westlichen Weißrußland. Erst im Sommer 1940, nach der Niederlage Frankreichs, veränderte sich das Verhältnis der Sowjets zu ihnen merklich. Im Herbst dieses Jahres wurde der 85. Todestag von Adam Mickiewicz pompös begangen. Die sowjetischen Zentralstellen ‚bemerkten‘ erst jetzt die Diskriminierung der Polen in den ersten Monaten ihrer Herrschaft. 56 Gleichzeitig führten die Repressionen und die Kollektivierung dazu, daß sich das Verhältnis eines Teils der Weißrussen und Juden zur sowjetischen Herrschaft veränderte. Gerade bei letzteren zeigte sich deutlich, daß ihre Haltung zur sowjetischen Realität – allem Anschein nach aber auch zum polnischen Staat – nicht einheitlich war und merklichen Wechseln unterlag. Die Pogrome im Sommer 1941 aber trafen unterschiedslos alle Juden als Vergeltung für die Kollaboration oder die prosowjetischen Sympathien eines Teils der jüdischen Bevölkerung. 57 Aus dem Polnischen von Peter Oliver Loew

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Anmerkungen 1 Zwischen 1939 und 1941 wurden die nordöstlichen Gebiete der polnischen Zweiten Republik mit den Woiwodschaften Wilna, Nowogródek, Polesie und teilweise die Woiwodschaft Białystok als westliches Weißrußland bezeichnet; am 15. November 1939 wurde dieser Landstrich – mit der Ausnahme Wilnas und des westlichen Wilnagebietes – der Weißrussischen Sozialistischen Sowjetrepublik einverleibt und in fünf Bezirke (oblast’) unterteilt: Baranowicze, Białystok, Brzes´c´ (Brest), Wilia und Pin´sk. 2 Piotr Eberhardt: Polska granica wschodnia 1939–1945, Warszawa 1993, S. 33–37. 3 Alle Ortsnamen werden in ihrer polnischen Version angeführt. 4 ˙ bikowski: Z ˙ ydzi polscy pod okupacja˛ sowiecka˛ 1939–1941, in: Studia z Andrzej Z ˙ ydów w Polsce, Bd. 2, Warszawa 1995, S. 55. dziejów Z 5 ˙ ydów w Polsce w latach 1918–1939, Warszawa Jerzy Tomaszewski: Zarys dziejów Z 1990, S. 22–28; vgl. Szyja Bronstein: Ludnos´c´ z˙ydowska w Polsce w okresie mie˛dzywojennym. Studium statystyczne, Wrocław-Warszawa-Kraków 1963. 6 Vgl. Michał Gnatowski: W radzieckich okowach. Studium o agresji 17 wrzes´nia 1939 r. i radzieckiej polityce w regionie łomz˙yn´skim w latach 1939–1941, Łomz˙a 1997, S. 200. 7 Ryszard Szawłowski (Karol Liszewski): Wojna polsko-sowiecka 1939. Tło polityczne, prawnomie˛dzynarodowe i psychologiczne, Bd. 1, Warszawa 1996; Czesław Grzelak: Kresy w czerwieni, Warszawa 1998, S. 251–271, 331–363. 8 Von einer zustimmenden oder gar enthusiastischen Begrüßung der Roten Armee durch die Juden sprechen hunderte von Berichten, Erinnerungen und Dokumenten, die von polnischen Bürgern stammen, die mit der polnischen Armee im Osten – der sog. Anders-Armee – aus der UdSSR entkommen konnten; diese Schriftstücke werden heute im GSHI sowie in der HI aufbewahrt; ein Teil der Slg. ist im AW, HI in Gestalt von Kreisauszügen zugänglich; auch jüdische Berichte und Erinnerungen (u. a. in Yad ˙ IH) bestätigen, daß ein großer Teil der jüdischen Vashem in Jerusalem sowie im AZ Bevölkerung die Sowjets wohlwollend begrüßte; vgl. „W czterdziestym nas Matko na Sibir zesłali“. Rosja a Polska 1939–1942, bearb. v. Irena Grudzin´ska-Gross/Jan Tomasz ˙ ydzi w zaborze sowieckim. Gross, Warszawa 1989, S. 28 f.; Marek Wierzbicki: Polacy i Z Stosunki polsko-z˙ydowskie na ziemiach północno-wschodnich II RP pod okupacja˛ sowiecka˛ (1939–1941), Warszawa 2001, S. 97–104, 118–128. 9 Walerian We˛glewski-insp[ektor] szkolny powiatu mołodeckiego, GSHI, Slg. 138/ 253, Bericht Nr. 7978. 10 Vgl. Berichte im AW, HI; Offiziersberichte vom Septemberkrieg (Signatur B I) und Berichte der Ba˛kiewicz-Slg. im GSHI. 11 Ben-Cion Pinchuk: Shtetl Jews under Soviet Rule, Cambridge/Mass. 1991, S. 28. 12 ˙ ydów na okupowanych ziemiach polskich na Raport Jana Karskiego o sytuacji Z pocza˛tku 1940 r., AW, HI, V-PAL-02; dieser im Februar 1940 angefertigte Bericht war das erste Dokument des Polnischen Untergrundstaates, das die Judenfrage in den polnischen Gebieten unter fremder Besatzung in seiner Gänze behandelte; Menachem ˙ ydzi polscy pod władza˛ sowiecka˛ (przyczynki do zobrazowania sowieckiej Buchwajc: Z rzeczywistos´ci), GSHI, Slg. 138/254; Pinchuk (Anm. 11), S. 24. 13 Vgl. Wierzbicki (Anm. 8), S. 57–82. 14 ˙ ydzi i Polacy. Współistnienie-Zagłada-Komunizm, Marek Jan Chodakiewicz: Z Warszawa 2000, S. 121 ff.

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Szawłowski (Anm. 7), S. 106 f. Vgl. Tomasz Strzembosz: Saga o „Łupaszce“ ppłk. Jerzym Da˛mbrowskim, Warszawa 1996, S. 181–186; Marek Wierzbicki: Polacy i Białorusini w zaborze sowieckim. Stosunki polsko-białoruskie na ziemiach północno-wschodnich II Rzeczypospolitej pod okupacja˛ sowiecka˛ w latach 1939–1941, Warszawa 2000, S. 132–147. 17 Die zahlreiche Beteiligung von Juden an verschiedenen Institutionen der sowjetischen Verwaltung bestätigen sowohl jüdische als auch polnische Berichte, u. a. im AW, HI; vgl. Agnieszka Bajor: Ludnos´c´ z˙ydowska na Białorusi Zachodniej w latach 1939–1941 (w s´wietle zeznan´ i relacji ze zbiorów Instytutu Hoovera), Magisterarbeit Lublin 1998; Dov Levin: The Lesser of the Two Evils: Eastern European Jewry under Soviet Rule 1939–1941, Philadelphia 1995, S. 42–47, 55–79; Ysrael Gutman/Shmuel Krakowski: Unequal victims. Poles and Jews during World War Two, New York 1986, S. 37 f.; Norman Davies/Anthony Polonsky (Hrsg.): Jews in Eastern Poland and the USSR 1939–1946, London 1991, S. 19 ff.; Pinchuk (Anm. 11), S. 25 f., 50 f.; Paul Korzec/ Jean Claude Szurek: Jews and Poles under Soviet occupation; conflicting interests, in: Polin 4(1989), S. 216; Grudzin´ska-Gross/Gross (Anm. 8), S. 29; ähnliches geschah auch in Wilna und seiner Umgebung während der kurzen sowjetischen Herrschaft (17. 9.–28. 10. 1939) sowie in Ostgalizien, vgl. Dov Levin: The Jews of Vilna under Soviet Rule, 19 September–28 October 1939, in: Polin 9(1996), S. 114 f., 137; Aaron Weiss: Some economic and social problems of the Jews of Eastern Galicia in the period of Soviet rule (1939–1941), in: Davies/Polonsky (Anm. 17), S. 97 f. 18 Zit. in: Gnatowski (Anm. 6), S. 159. 19 Jevgienij Rozenblat/Elena Jelenskaja: Pinskije Jewrei 1939–1944 gg, Brest 1997, S. 44 f. 20 Jan Tomasz Gross: Revolution from Abroad. The Soviet Conquest of Poland’s Western Ukraine and Western Belorussia, Princeton 1988, S. 33. 21 Zit. in: Gnatowski (Anm. 6), S. 211 f.; vgl. Grudzin´ska-Gross/Gross (Anm. 8), S. 29; Pinchuk (Anm. 11), S. 98 f. 22 Zwischen 1939 und 1941 betraf die Erscheinung der Denunziation auch die polnische Bevölkerung und war insbesondere in den rein polnischen Gebieten bemerkbar, z. B. im Westen des Bezirks Białystok; vgl. Marek Wierzbicki: Zjawisko denuncjacji podczas okupacji sowieckiej ziem północno-wschodnich II Rzeczypospolitej (1939– 1941), in: Studia Historyczne 41(1998), S. 223–235. 23 Bogdan Musial: „Konterrevolutionäre Elemente sind zu erschießen“. Die Brutalisierung des deutsch-sowjetischen Krieges im Sommer 1941, Berlin-München 2000, S. 60. 24 Vgl. Statystyki przed wyborami do lokalnych rad delegatów ludu pracuja˛cego obwodu wilejskiego z 15 grudnia 1940 r., in: Tomasz Strzembosz (Hrsg.): Okupacja sowiecka (1939–1941) w s´wietle tajnych dokumentów, Warszawa 1996, S. 194–204, sowie die Statistiken derselben Wahl aus dem Bezirk Białystok, FGAGO, f. 6195, op. 1, d. 12, 261 und NARB, f. 4, op. 27, d. 189. 25 Rozenblat/Jelenskaja (Anm. 19), S. 36. 26 Notiz über die Zusammensetzung der Mitarbeiter von Miliz, Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigungskräften nach Nationalitäten (Frühjahr 1940), FGAGO, f. 6195, op. 1, d. 12, Bl. 106. 27 Levin (Anm. 17), S. 114 f. 28 Vgl. Pinchuk (Anm. 11), S. 48. 16

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Gnatowski (Anm. 6), S. 92 f. Bericht von der Überprüfung der sozialen Abstammung und politischen Einstellung der Beschäftigten des städtischen Exekutivkomitees Białystok (Januar 1940), FGAGO, f. R-292, op. 1, d. 5, Bl. 23–27. 31 FGAGO, f. 6195, op. 1, d. 12, Bl. 161. 32 Rozenblat/Jelenskaja (Anm. 19), S. 36. 33 Ebd., S. 97 f. 34 Ebd., S. 38. 35 Ebd. S. 44. 36 Ebd. S. 98. 37 Auf die Existenz solcher Präferenzen kann man aus verschiedenen sowjetischen Statistiken schließen; einige Dokumente sprechen geradewegs vom „Vorschlag“ von Weißrussen auf Stellen, die für sie zuvor nicht zugänglich gewesen waren, vgl. Über die Auswahl und den Vorschlag von Parteilosen für die Leitungsarbeit in Sowjet-, Verbands- und Wirtschaftsorganen des Bezirks, Centr Chranienija i Izucˇenija Dokumentov Nov’ejšej Istorii Moskau, f. 17, op. 22, d. 233, Bl. 181–184; Das Plenum des Pin´sker Bezirkskomitees der KP(B)B v. 16.–18. 6. 1940, ebd., f. 17, op. 22, d. 342, Bl. 26; Strzembosz (Anm. 24), S. 194–208. 38 ˙ ydów w Polsce w latach 1939–1945, Warszawa Teresa Prekerowa: Zarys dziejów Z 1992, S. 14 f. 39 Krzysztof Jasiewicz: Zagłada polskich Kresów. Ziemian´stwo polskie na Kresach Północno-Wschodnich Rzeczypospolitej pod okupacja˛ sowiecka˛ 1939–1941, Warszawa 1997, S. 186. 40 Raport Jana Karskiego (Anm. 12). 41 Zu den Erfahrungen von Juden unter der sowjetischen Besatzung vgl. Buchwajc (Anm. 12), dessen Arbeit auf Berichten von Juden basiert, die polnische Staatsbürger waren und mit der polnischen Armee aus der UdSSR entkamen; Ben-Cion Pinchuk: Sovietisation and the Jewish response to Nazi policies of mass murder, in: Davies/Polonsky (Anm. 17), S. 125–131; Aleksander Chackiewicz: Aresztowania i deportacje społeczen´stwa zachodnich obwodów Białorusi (1939–1941), in: Małgorzata Giz˙ejewska/Tomasz Strzembosz (Hrsg.): Społeczen´stwo białoruskie, litewskie i polskie na ziemiach północno-wschodnich II Rzeczypospolitej w latach 1939–1941, Warszawa 1995, S. 132; Albin Głowacki: Sowieci wobec Polaków na ziemiach wschodnich II ˙ ydzi polRzeczypospolitej 1939–1941, Łódz´ 1998, S. 362–365; Sławomir Kalbarczyk: Z scy ws´ród ofiar zbrodni sowieckich w latach 1939–1941. Zarys problematyki, in: BGK 40, 1997/98, S. 177 ff.; Bajor (Anm. 17), S. 75 ff., 96–101; Grudzin´ska-Gross/Gross (Anm. 8), S. 32. 42 Zu einer ähnlichen Entwicklung der Meinungen über den polnischen Staat kam es auch in der weißrussischen Bevölkerung. 43 Raport Jana Karskiego (Anm. 12); ein Bericht von General Tokarzewski enthielt Informationen über Verfolgungen von Mitgliedern zionistischer Organisationen und des Bund, die sich mit den verhafteten Polen solidarisierten, Armia Krajowa w dokumentach 1939–1945, hrsg. v. Halina Czarnocka/Józef Garlin´ski/Kazimierz Iranek-Osmecki/Włodzimierz Otocki/Tadeusz Pełczyn´ski, Bd. 1, Wrocław u. a. 1990, S. 68; so heißt es in einer Meldung des Kommandanten des Bezirks Wilna des ZWZ, Oberst Nikodem Sulik, v. 25. 2. 1941, daß im westlichen Weißrußland die reichen Juden propolnisch eingestellt seien, UPST, Sign. 3.3.1./4, Bl. 1. 30

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Pinchuk (Anm. 11), S. 48–56, 77. Eine der vielen Quellen, in denen den Juden die massenhafte Kollaboration mit den Sowjets und eine antipolnische Einstellung vorgeworfen wird, war der Bericht eines Offiziers des ZWZ-Gebietes Lemberg, demzufolge die Juden 75 % der mit dem sowjetischen Sicherheitsapparat bei der Verfolgung und Verhaftung von Polen zusammenarbeitenden Denunzianten stellten, Aleksander Klotz: Bericht über die in die UdSSR ausgesiedelten Polen (Nov./Dez. 1940), UPST, Sign. 7.6.1, Bl. 1 f.; vgl. Jerzy We˛gierski: Lwów pod okupacja˛ sowiecka˛ 1939–1941, Warszawa 1991, S. 368. 46 Raport Jana Karskiego (Anm. 12); Allgemeiner Bericht über Politik und Wirtschaft, in: Armia Krajowa (Anm. 43), Bd. 1, S. 68; Refleksje zza Bugu …, Biblioteka Uniwersytetu Warszawskiego, Dział Re˛kopisów, nr akc. 3311b, poz. 9. 47 Vgl. Strzembosz (Anm. 24), S. 209 f., 214 f., 222, 229, 234, 244; Pinchuk (Anm. 11), S. 98 f.; Rozenblat/ Jelenskaja (Anm. 19), S. 42 f., 46; Bernadetta Gronek/Galina Knatko/Małgorzata Kupiecka (Hrsg.): „Zachodnia Białorus´“ 17 IX 1939–22 VI 1941, Bd. 1, Warszawa 1998, S. 190, 200, 204 f., 215, 270, 273, 285, 310, 323, 367; Michał Gnatowski: Niepokorna Białostocczyzna. Opór społeczny i polskie podziemie niepodległos´ciowe w regionie białostockim w latach 1939–1941 w radzieckich z´ródłach, Białystok 2001, S. 71, 79, 86–88, 91, 100, 133 f., 136, 302 f., 318, 350 f., 399 f. 48 Bericht des Departments für Innere Angelegenheiten der Regierungsdelegatur für Polen für 15. 8.–15. 9. 1941 (Sept. 1941), zit. in: Eugeniusz Mironowicz: Białorusini w Polsce 1944–1949, Warszawa 1993, S. 90; Meldung von General Rowecki v. 9. 7. 1941 über die Lage in den polnischen Gebieten nach dem Angriff Deutschlands auf die ˙ ydzi w Galicji UdSSR, UPST, Sign. 3.1.1.13.5; Grzegorz Motyka/Rafał Wnuk: Z Wschodniej i na Wołyniu w latach 1939–1941, in: Krzysztof Jasiewicz (Hrsg.): Europa nieprowincjonalna, Warszawa 1999, S. 590; Anhang Nr. 12 (1.–15. 7. 1941) zum Bericht des Departments für Information und Presse der Regierungsdelegatur für Polen, AAN, Sign. 202/III-8, Bd. 1, Bl. 39; Wierzbicki (Anm. 8), S. 192–220. 49 ˙ bikowski: Lokalne pogromy Z ˙ ydów w czerwcu i lipcu 1941 roku na Andrzej Z ˙ IH 162/163, 1992, S. 3–18; ders.: Powschodnich rubiez˙ach II Rzeczypospolitej, in: BZ gromy i mordy ludnos´ci z˙ydowskiej w Łomz˙yn´skiem i na Białostocczyz´nie latem 1941 ˙ ydów i dokumentów sa˛dowych, in: Paweł Machceroku w s´wietle relacji ocalałych Z wicz/Krzysztof Persak (Hrsg.): Wokół Jedwabnego, Bd. 1, Warszawa 2002, S. 159–272; Edmund Dmitrów: Oddziały operacyjne niemieckiej Policji Bezpieczen´stwa i Słuz˙by ˙ ydów w Łomz˙yn´skiem i na Białostocczyz´nie laBezpieczen´stwa a pocza˛tek zagłady Z tem 1941 roku, in: ebd., S. 273–352. 50 ˙ ydów, Jan Tomasz Gross: Upiorna dekada. Trzy eseje o stereotypach na temat Z Polaków, Niemców i komunistów 1939–1948, Kraków 1998, S. 76–80. 51 ˙ ydzi polscy pod panowaniem sowieckim w przededniu HoJan Tomasz Gross: Z lokaustu, in: Daniel Grinberg/Paweł Szapiro (Hrsg.): Holocaust z perspektywy półwiecza. Pie˛c´dziesia˛ta rocznica powstania w getcie. (Materiały z konferencji zorga˙ ydowski Instytut Historyczny 29–31 marca 1993), Warszawa 1993, nizowanej przez Z S. 215, rekurrierte auf die Sprache der Psychologie, als er das Bestreben, die Verantwortung für die Pogromopfer im Sommer 1941 von sich zu weisen, als „Projektion“ bezeichnete. 52 Vgl. Archiwum Ringelbluma. Konspiracyjne Archiwum Getta Warszawy, Bd. 3, ˙ bikowski, Warszawa 2002. bearb. v. Andrzej Z 45

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53 So vergrößerte sich die Zahl der Juden in Białystok um das Doppelte, vgl. Gross (Anm. 51), S. 208. 54 Vgl. Musial (Anm. 23), S. 175–191. 55 Wierzbicki (Anm. 16), S. 329 f. 56 Vgl. Brief des ZK der KP(B)B über die Diskriminierung der polnischen Bevölkerung v. 17. 10. 1940, FGAGO, 6195, 1/36, Bl. 1–8. 57 Bogdan Musial: Indigener Judenhaß und die deutsche Kriegsmaschine. Der Nordosten Polens im Sommer 1941, in: Osteuropa 53(2003), S. 1830–1841.

Barbara Engelking

„Sehr geehrter Herr Gestapo“ Denunziationen im deutsch besetzten Polen 1940/41 Das 1998 eingerichtete Institut des Nationalen Gedenkens (Instytut Pamie˛ci Narodowej) hat Archivalien übernommen, die in den vergangenen 50 Jahren von verschiedenen Partei- und Staatsarchiven gesammelt worden sind und unter anderem auch die nationalsozialistische Besatzungszeit betreffen. Dokumente wurden nun zugänglich, die zuvor nicht freigegeben waren. Ich war die erste Wissenschaftlerin, die im vergangenen Jahr eine bislang geheime Mappe las, die Denunziationen aus den Jahren 1940/41 enthält. 1 Darin befinden sich 255 originale, anonyme und meist handgeschriebene Blätter und Briefe in polnischer Sprache, die an die Besatzungsbehörden adressiert sind, überwiegend an die Gestapo. Die meisten dieser Denunziationen stammen aus Warschau und Umgebung (rund 180 Briefe), eine kleinere Zahl kommt aus der Gegend um Radzyn´ Podlaski (rund 20). Diese Sammlung besteht ausschließlich aus Anzeigen, die nicht in deutsche Hände gerieten. Denn alle wurden innerhalb der Post von Mitgliedern des polnischen Untergrunds abgefangen, deren Aufgabe die Gegenspionage war. Unter anderem befaßten sie sich mit der Suche nach solchen Briefen, die es erlaubten, die dort beschuldigten Menschen zu warnen. Es läßt sich nicht feststellen, wie viele Denunziationen in Polen während der Besatzungszeit geschrieben wurden. Doch es müssen recht viele gewesen sein. Denn sie waren, da sich die Gegenspionage dafür interessierte, wohl eine ernsthafte Bedrohung für die konspirative Arbeit. Spitzel wurden in der Untergrundpresse vielfach gebrandmarkt; in einer späteren Phase der Besatzung verhängten Untergrundgerichte sogar Todesurteile gegen sie. Es sei jedoch daran erinnert, daß Denunziationen keine polnische Spezialität gewesen sind; in Frankreich beispielsweise wurden während der deutschen Besatzung schätzungsweise zwischen drei und fünf Millionen derartiger Anzeigen für die Gestapo und die französische Polizei geschrieben. 2 Obwohl es nicht gelang, die Herkunft der hier zu behandelnden Sammlung zweifelsfrei festzustellen, lohnt es sich doch, sie näher zu beleuchten, und sei es auch nur aus dem einen Grund, daß es sich um die ersten derartigen Dokumente in Polen handelt, die aufgefunden wurden. Sie sind eine faszinierende Quelle, um die Einstellung, Ansichten und moralische Verfassung der polnischen Gesellschaft unter der deutschen Besatzung zu erforschen und zu kommentieren. Natürlich kann dies kein statistischer Versuch sein; die Analyse erlaubt auch keine

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weitergehenden Schlüsse über ihre Repräsentativität, und sie erlaubt es ebensowenig, allgemeinere Aussagen zu treffen.

Der Inhalt der Briefe Eine Denunziation ist „eine spontane Information eines einzelnen Bürgers an den Staat (oder eine andere Autorität), in der ein anderer Bürger oder eine Institution eines illegalen oder amoralischen Vergehens beschuldigt wird und die direkt oder indirekt die Bestrafung des Schuldigen verlangt“. 3 Diese Definition läßt sich auch auf die vorliegende Sammlung anwenden. Die Briefe thematisieren – allgemein betrachtet – die Mißachtung deutscher Anordnungen durch Polen. Die Vorschriften der Besatzer regulierten fast alle Lebensbereiche der Zivilbevölkerung. Die Denunziationen spiegelten gewissermaßen dieses neue Recht wider, reflektierten die illegalen Aktivitäten der polnischen Gesellschaft unter der Besatzung. Man könnte sogar behaupten, daß die Anzeigen eine Art Karte des Ungehorsams gegenüber den Besatzern abbilden. Bei solchen Interpretationen gilt es aber vorsichtig zu sein, weil die Denunziationen nicht unbedingt den tatsächlichen Zustand widerspiegeln, sondern Bereiche polnischer Aktivitäten, an denen die Deutschen am meisten interessiert waren oder von denen man glaubte, daß sie sich für sie eigentlich interessieren müßten. Politische Denunziationen im engeren Sinne spiegelten alle Varianten konspirativer Tätigkeit wider. Erstens wurden Menschen angezeigt, die sich aus verschiedenen Gründen vor den Deutschen versteckten. In der behandelten Dokumentensammlung geschah dies in 24 Fällen, und es gibt dort fünf Briefe, in denen Polen genannt werden, die sich vor dem Transport zur Zwangsarbeit ins Reich verbargen. Fünf weitere Denunziationen meldeten sich versteckende einstige Politiker sowie acht Personen, die von den Behörden ohne Angabe von Gründen gesucht wurden. Zweitens wurden Menschen denunziert, die ganz unterschiedliche deutsche Bestimmungen mißachteten. Wie eine Analyse ergibt, gehörte zu den beliebtesten Arten politischer Betätigung (23 anonyme Briefe) eine ‚feindliche Haltung‘ gegenüber den Besatzern, die Verbreitung von Informationen, die Weitergabe von Nachrichten oder von Gerüchten über das kurz bevorstehende Ende des Dritten Reiches. In Brief Nr. 21 heißt es beispielsweise: „Ich melde, daß ´ wil, der zusammen mit mir in der ul. Pan´ska Nr. 107 arbeitet, der Chauffeur Jan C wenn er zur Arbeit kommt, manchmal erzählt, Deutschland werde vollständig bombardiert und sagt, daß in Polen alles vorbereitet sei, um die Deutschen zu ´ wil ist gestern mit dem Auto Kartoffeln entwaffnen und zu vertreiben. […] Jan C ´ wil wohnt in der ul. Piwna holen gefahren, er fährt recht häufig weg. Chauffeur C 39, Altstadt.“ 4 Fast ebenso viele Denunziationen betreffen die Zugehörigkeit zu einer geheimen Organisation (22 Briefe). Häufig mit ihr einhergehend war das Lesen und Verbreiten illegaler Presse (21 Denunziationen). Darüber berichtet etwa Brief 194: „Ich bitte Sie, sich des Czesław Prosin´ski anzunehmen, der Politik macht

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und Zeitungen austrägt [,in denen es heißt, daß] Polen lebt. Dieser Herr macht das: Czesław Prosin´ski, Warszawa, ul. Panin´ska Nr. 3, Wohnung 11. Seien Sie so gütig und nehmen Sie sich dieses Mannes an.“ Beliebt war auch Radiohören (15 Anzeigen). Ein Denunziant schrieb mit Buntstift in Druckbuchstaben: „Ich setze Sie darüber in Kenntnis, daß in der Wohnung des Edmund Piechulski, wohnhaft in Warschau, ul. Madalin´skiego Nr. 42, Wohnung 37, seine Freunde Feliks Da˛browski, Antoni Bartocha und andere zusammenkommen, um Radio zu hören. Das Radio steht im Keller“ (227). Neun anonyme Schreiben informierten über Polen, die Waffen versteckten, so Denunziation Nr. 181: „Bronisław Seidel in der ul. Sienna 24 hat Waffen vergraben, d. h. einen Revolver und einen Karabiner, bei sich im Hof, er hat sie im November letzten Jahres gemeinsam mit seiner Frau vergraben.“ Bei der konspirativen politischen Betätigung waren natürlich verschiedene Verstöße miteinander verbunden: Der illegale Waffenbesitz hing oft mit der Kolportage von Zeitungen (3 Briefe) oder dem Radiohören zusammen (4 Briefe), so etwa im Brief eines Denunzianten – sicherlich eines Nachbarn oder eines Familienmitglieds –, der um seine eigene Sicherheit bangte: „Ich kann das nicht mehr ertragen. Ich schreibe einige Worte an die staatliche deutsche Polizei. Der ehrenwerte Herr Czernikowski hat sich bis jetzt noch nicht an die Verordnung der deutschen Regierung gehalten. Er bewahrt Waffen auf und betätigt sich in Radiopolitik. Czernikowski, Bolesław. Kawe˛czyn´ska Nr. 61“ (92). Auf wirtschaftlichem Gebiet waren die verbreitetsten Verbrechen – geht man von der Analyse der Denunziationen aus – Schmuggel und illegaler Handel. Sie kommen in 22 Briefen vor, darunter in zehn Handel mit Juden. Vielleicht war es weniger der Schmuggel als vielmehr die plötzliche Bereicherung der Händler und deren Unvermögen, dies vor den Nachbarn zu verbergen, was jene zum Abfassen von Denunziationen veranlaßte. So schrieb ein empörter Bürger an den Landrat in Radzyn´ Podlaski: „Herr Landrat, bitte tun Sie etwas gegen den Schmuggel, denn es wird bei uns immer schlimmer, so daß es nichts mehr zu essen gibt, und die Schmuggler trinken, essen, spielen jeden Tag Karten und lachen alle aus“ (33). Sehr interessant ist im Lichte der Denunziationen der Schmuggel ins Ghetto. Wenn man so will, war er ein Beispiel für die in der Besatzungszeit nicht häufig vorkommende positive Zusammenarbeit zwischen christlichen und jüdischen Polen. Einige anonyme Briefe enthalten genaue Beschreibungen der Schmuggeltechnik: „Am 26. Juni 1941 war ich in der ulica Ceglana und stand in einem Haus dieser Straße, Nr. 4 und 6, und bemerkte, wie polnische Polizisten das jüdische Ghetto bewachen, das sich in dieser Straße befindet. Nicht genug damit, daß ganze Gruppen von Menschen den Juden verschiedenerlei Pakete, Bündel, Milchflaschen, Brotlaibe geben, sondern sie treiben sogar größeren Schmuggel mit Säcken. Ein Fahrradanhänger kam, auf dem 6 Säcke Graupen oder Mehl lagen. Am Anhänger waren 4 Männer. Sie fuhren zum Bretterzaun, dort wo das Haus der Firma Ulrich ist. Die Juden stellten sofort einen Tisch auf, und die

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Herren, die diese 6 Säcke hergebracht hatten, gaben sie den Juden über den Zaun ˙ elazna zurück. Einige Minuten später kam ein und fuhren in aller Ruhe zur ul. Z zweiter Wagen, auf dem 5 Säcke mit Ware waren, die auf demselben Weg über den Zaun zu den Juden gingen. Nicht genug, daß es diesen großen Schmuggel gibt, der von Polen angeliefert wird, sondern alle Augenblicke überqueren verdächtige Personen den Zaun“ (84). Von verbotenem Devisen- und Goldhandel ist in zehn Anzeigen die Rede. Neun Briefe informieren darüber, daß Polen Waren und Besitz verstecken. Von Diebstahl ist in sieben Denunziationen die Rede. Drei Anzeigen betreffen Geschäfte mit Juden, wie etwa Brief Nr. 34: „Ich war in einer Wohnung an der ulica Krucza 41. Es entwickelte sich ein Gespräch, daß die Verwaltung des Hauses den Juden entgegenkommt. Wer [von diesen] in diesem Haus gewohnt hat, überschreibt die Wohnungen auf solche [Menschen], die nicht ins Ghetto gehören. Sagen wir, daß der Laden eines Tuchhändlers auf einen Polen läuft, während der Jude im Ghetto sitzt und den Nutzen davon hat. Und er sagt: Sollen mich die Deutschen doch am Arsch lecken.“ Vier Denunziationen wirtschaftlicher Natur betreffen die Schwarzbrennerei. Alle enthalten nur knappe Informationen wie „In Saska Ke˛pa, ul. Saska Nr. 107, wird im Souterrain in der Waschküche Wodka gemacht“ (99) oder „Frau Czapska. Sonnenstraße (früher Belwederska) Nr. 40 stellt Wodka her und handelt mit ihm“ (102). Viele Denunziationen speziell von Juden haben zugleich auch wirtschaftliche Vergehen zum Inhalt. Sechs Anzeigen berichten von Juden, die illegal mit Gold und Devisen handelten. In fünf Briefen ist davon die Rede, daß Juden Waren und Vermögen versteckten. Der Verfasser des Briefes Nr. 28 beschrieb sehr genau, wo eine Ladenbesitzerin aus Praga ihre Waren und ihr Vermögen verbarg: „Ich benachrichtige die verehrten deutschen Behörden, daß Chuna Kossower ein Geschäft an der ulica Jagiellon´ska 12 (Eckladen) hat. In diesem Geschäft gibt es zwei Keller. Einer ist hinter einem Gemüsewagen, der zweite befindet sich in Richtung Wohnungseingang. An diesen verborgenen Plätzen bewahrt Chuna Kossower viele Waren wie Seife, Säcke mit Lebensmitteln, Leder und Spirituosen auf. […] Der geltenden Verordnung der deutschen Behörden über die Aussiedlung der Juden aus Praga zufolge teile ich mit, daß Chuna Kossower ein großes Geldvermögen mit sich nimmt und außerdem den versteckten Warenvorrat, den sie in Warschau in der ul. Pawia 10 (Hinterhaus, direkt hinter der Eingangstür im Erdgeschoß die Tür rechts) unterbringt. Sehr viele Waren sind schon dorthin gebracht worden.“ Das am meisten verbreitete jüdische Vergehen war, seine Herkunft zu verbergen und keine Armbinde zu tragen oder – später – nicht ins Ghetto zu gehen. Man muß sich vor Augen halten, daß die hier behandelte Sammlung von Dokumenten den Zeitraum bis Oktober 1941 abdeckt, also eine Zeit, in der Juden, die sich außerhalb des ihnen zugewiesenen Wohnbezirks aufhielten, noch keine Todesstrafe drohte; diese wurde erst am 10. November verkündet. Es war auch noch

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nicht die Zeit, in der Juden aus dem Ghetto flüchteten, um sich auf der „arischen Seite“ zu verstecken. 5 Damals wurden jene denunziert, die noch nicht ins Ghetto gegangen waren, wie in Brief Nr. 206, dessen Verfasser schrieb: „Hiermit möchte ich die Hauptkommandantur der Gestapo darüber benachrichtigen, daß nicht alle Juden dem Befehl der deutschen Behörden gehorcht und in den jüdischen Wohnbezirk gezogen sind. So hat die jüdische Familie Szymon Keller, seine Frau Sabina Keller, der Sohn Mieczysław Keller und die Tochter Irena Keller bislang in der ul. Bałuckiego 18 gewohnt […], sie wohnen jetzt unangemeldet bei einer polnischen Familie in der ul. Krucza.“ Die Juden suchten verschiedene Auswege, um sich nicht den Nürnberger Rassengesetzen unterwerfen zu müssen. Auf die Spur eines solchen Versuchs führt uns Denunziation Nr. 95, in der zu lesen ist: „Vor dem Krieg war Abraham Wachsmacher ein 100 %-iger Jude. Er prahlte sogar, daß er ein Karäer sei. Die Frechheit dieses Juden überschreitet alle Grenzen. Bei der Begrüßung erhebt er die Hand und tut so, als sei er ein Deutscher. Der Vater dieses Juden liegt auf dem jüdischen Friedhof. Abraham Wachsmacher war nie ein Karäer und gibt sich heute, da man ihm sein Haus an der ul. Nowy S´wiat 3 genommen hat, als solcher aus, was der Wahrheit nicht entspricht. Er betrügt die Regierung unverfroren, was im übrigen überprüfbar ist. Die Adresse dieses räudigen Hundes ist Nowy S´wiat Nr. 3, Wohnung Nr. 8.“ Doch es waren nicht nur Antisemiten, die Juden denunzierten. Es gibt auch Briefe, die Juden anzeigten, aber ganz eindeutig von anderen Juden geschrieben wurden, wie beispielsweise Brief Nr. 205: „Als Schreiber dieses anonymen Briefes möchte ich betonen, daß auch ich Jude bin und mich dessen nicht schäme. Dem Befehl habe ich Folge geleistet, ich bin im jüdischen Wohnbezirk, kann aber nicht ertragen, daß ein anderer Jude die deutschen Behörden verhöhnt und im polnischen Wohnbezirk lebt, ohne dazu das Recht zu haben.“

Denunzianten, Adressaten und Opfer Unter der deutschen Besatzung schrieben 1940/41 in Warschau und Radzyn´ Podlaski Vertreter aller nationalen Gruppen und sozialen Schichten derartige anonyme Briefe. Unter den Verfassern waren Polen, Deutsche, Volksdeutsche, Juden und auch eine Frau, die sich als Ukrainerin ausgab. Natürlich ist die Frage, wer die Autoren der anonymen Briefe waren, nicht zu beantworten. Sie bemühten sich peinlichst, ihren Namen nicht zu nennen und gaben als Hauptgrund dafür die Angst vor der Rache derer an, die sie anzeigten: „Ich gebe meinen Namen nicht an, weil ich mich vor ihm fürchte. Denn wenn man ihn herausgäbe, würden seine Freunde mich umbringen“ (21). „Aus verständlichen Gründen schicke ich diesen Brief anonym. Ich habe keine Angst vor den deutschen Behörden, sondern vor der Rache der Polen“ (147). Obwohl wir die Denunzianten also nicht mit Vor- und Nachnamen identifizieren können, so läßt sich doch manches über sie sagen. Denn etliche gaben – bewußt oder unbewußt – einige Informationen über sich preis.

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Die Sprache der Denunziationen ist voller orthographischer, grammatikalischer und aller nur erdenklichen sonstigen Fehler. Sie legt nahe, daß die meisten Verfasser Menschen ohne Bildung waren, bisweilen gar Menschen, deren Denken und Ausdrucksweise primitiv war. Sie repräsentierten ein niedriges Kulturniveau, besonders was die sprachliche Kompetenz betraf. Die Sprache der Denunziationen ist zudem voller sprachlicher Regionalismen, die für das Gebiet Nordostpolens typisch sind, also für den masowischen Dialekt und für die Warschauer Stadtsprache. Gleichwohl wäre die Behauptung falsch, daß lediglich der Pöbel denunzierte. Denn unter den Denunzianten gab es auch einige, die ein korrektes Polnisch schrieben, gebildete Menschen, die eher in den Mittel- als den Unterschichten zu suchen sind. Im allgemeinen sind die Briefe an die Behörden gerichtet, an Instanzen, von denen man sich erhoffte, daß sie für Gerechtigkeit sorgen, Unrecht beseitigen und das dargestellte Problem lösen können. Um sicher zu gehen, daß der Brief seinen Adressaten erreichte, daß er gelesen und verstanden wurde, schrieben die Denunzianten manchmal mehrere Male, bisweilen an verschiedene Instanzen der Besatzungsbehörden, gelegentlich auch in unterschiedlichen Sprachen. Die meisten Briefe sind mitsamt der Umschläge erhalten, wodurch wir die Adressaten der Anzeigen genau benennen können. Das recht komplizierte deutsche Polizeisystem führte dazu, daß die Bezeichnungen und Aufgabenbereiche seiner einzelnen Sparten leicht verwechselt wurden. Man adressierte die Briefe also einfach an die deutsche Polizei (20 Anzeigen) oder an eine allgemein bekannte Behörde, die eigentlich ein Synonym für die polizeilich-politische Herrschaft der Besatzer war: an die Gestapo. Daß gerade sie als mythologisiert und allmächtig wahrgenommen wurde, zeigte sich unter anderem in der Personifizierung des Amtes; eine der Denunziationen beginnt mit den Worten: „Sehr geehrter Herr Gestapo“ (192). 12 Briefe sind nicht an eine konkrete Instanz adressiert, sondern direkt an den ‚Herrschaftsraum‘: „An die sehr geehrten deutschen Behörden“ (68), „An die höchste deutsche Behörde“ (235) oder einfach „An die deutschen Behörden“ (12). 6 Die Beziehung der Denunzianten zu den Deutschen läßt sich aus den Briefköpfen mittelbar ablesen. Vor allem bringen die Absender den Adressaten Hochachtung entgegen: „Ich teile der sehr geehrten deutschen Staatsmacht mit“ (28) oder „Sehr geehrter Herr“ (84). Sie wandten sich so an die Deutschen, wie man gewöhnlich an höher gestellte Persönlichkeiten schrieb: „An den hochwohlgeborenen Herrn Leiter der Gestapo“ (8) oder „An den hochwohlgeborenen Herrn Kommandanten der Stadt Warschau Leist“ (60). In einigen Briefen geht die Ehrerbietung in Unterwürfigkeit über: „Sehr geehrter Herr, ich schreibe Ihnen ein paar Worte, seien Sie so gütig, meine Bitte anzuhören, die ich Ihnen unterbreite“ (37) oder „Ich bitte die gnädige Staatsmacht, sich für die Personen […] zu interessieren“ (52). Wenn ein Denunziant an die Behörden schreibt, will er sich als kompetent

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darstellen, als Person, die sich auskennt und zugleich hilfreich ist. Also gibt er in den Briefen verschiedenerlei gute Ratschläge, die etwa das Vorgehen gegenüber den Opfern der Denunziation betreffen, zum Beispiel die Art und Weise ihrer Festnahme: „Wir bitten, sie am 22. 9. 40 zu besuchen, da sich die ganze Bande an diesem Tag amüsieren wird, aber nicht später als gegen Mittag“ (43). „Nur, am besten trifft man sie dort von drei bis neun am Abend an“ (14). Eine zweite Sorte guter Ratschläge betrifft die Bestrafung der Schuldigen. Einige forderten: „Es ist Zeit, daß Sie ihnen die Augen auf Ihre Weise wischen“ (156). „Gerbt ihnen ein bißchen das Fell und alles wird [gut sein], etwas Seuche werdet ihr ausrotten“ (164). „Bitte setzen Sie ihm das Messer auf die Brust, da wird er alles sagen, weil der dem großen deutschen Staat sehr schadet“ (60). „Schlagen, und er sagt am meisten“ (50). Einige empfahlen, die Denunzierten zu deportieren: „Diese Herren hätte man schon längst zum Kohleschaufeln nach Westfalen schicken sollen“ (84). Am grausamsten ist die Forderung, die Opfer einer Anzeige nach Auschwitz zu ‚verschuben‘: „Bitte die Angelegenheit vor Ort prüfen und den Schuft nach Auschwitz schicken, damit er nicht die ganze Umgebung demoralisiert“ (158). In den 255 behandelten Briefen werden mindestens 576 konkrete Personen beschuldigt. 429 von ihnen sind christliche Polen, 147 Juden. Viele Opfer von Denunziationen kennen wir mit Vor- und Nachnamen; wir wissen, wo sie wohnten und was sie taten, doch lernen wir sie als Individuen nur in der verstümmelten Perspektive der Denunziation kennen. Eine soziologische Analyse zeigt, daß es unter den Opfern Vertreter aller Berufe und aller sozialen Schichten gibt. Es gibt Mitarbeiter der polnischen Verwaltung auf dem Land und in der Stadt, polnische Militärs und Polizisten, Chauffeure, Straßenbahnfahrer, Hausmeister, Kaufleute. Auch eine Hellseherin, ein Priester und ein Organist beachteten die deutschen Vorschriften nicht. Gegen die Besatzer konspirierten Rechtsanwälte, Ingenieure, Ärzte und Professoren. Zivilen Ungehorsam gegen die Deutschen leisteten unverheiratete Frauen, Witwen, Ehegattinnen, Junggesellen, Väter, ältere Menschen und Jugendliche.

Die Motive Die Glaubwürdigkeit der Informationen, die in den Briefen enthalten sind, läßt sich nicht überprüfen. Wir werden nie erfahren, ob in Warschau in der ul. Saska Nr. 107 „im Souterrain in der Waschküche“ (99) 1940 tatsächlich Schnaps gebrannt wurde oder ob Zygmont Urbanek, ein Lehrer der Erziehungsanstalt in der ul. Puławska 97, wirklich geheime Zeitungen aufbewahrte und Waffen vergraben hatte (220). Interessant ist es aber, über die Gründe nachzudenken, die zur Anzeige führten. Von Belang erscheint die Tatsache, daß die Denunzianten aus eigener Initiative schrieben; niemand hatte dies von ihnen verlangt. Wenn man einen Brief an die Behörden schreibt, so ist das Ausdruck des freien Willens, durch innere Motivation begründet, nicht durch Druck von außen. Wichtig ist auch, daß die anonymen Briefschreiber keinerlei materiellen Nutzen davon hat-

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ten; sie erhielten keinerlei greifbare Belohnung. Sie mußten also auf anderen Gebieten profitieren. Meiner Meinung nach ist das in hohem Maße auf psychischer Ebene der Fall, indem sich so wichtige Bedürfnisse und innere Antriebe befriedigen ließen. Wenn wir zunächst die affektiven Motive betrachten, so ist Neid anscheinend der eindeutigste und grundlegendste Antrieb für eine Denunziation. In einigen Briefen ist er im Grunde gar nicht verborgen, so in Anzeige Nr. 33, deren Verfasser sich beim Landrat in Radzyn´ darüber beklagt, daß „Eligjusz Klimiuk, Michał Jarosz, Andrzej Skarz˙yczki, Franciszek Skarczyczki, Franciszek Goral, Szczepan Goral, Ludwig Janczak hier Schweine kaufen für drei Złoty das Kilo. Es kommt ein Auto aus Warschau. Es kommen nur Deutsche und nehmen die fertigen [unleserlicher Ausdruck] und fahren sie nach Warschau. Da nehmen sie 12 Złoty das Kilo. So verdienen sie, denn sie haben schon Vermögen ergattert. Geld haben sie, sie wissen selbst nicht wieviel.“ Auch der Neid auf den Besitz „jüdischer Sachen“ war Anlaß für einige Denunziationen, so wie jene des Józef Ste˛pien´, der „viele wertvolle jüdische Sachen aufbewahrt, für die er viel Geld nimmt“ (51), oder: „Sawin´ski Kazimierz, ul. Koszykowa 43, Wohnung 5, hat Möbel von Juden gekauft. Er hat auch einen Pelz, ein Klavier und einen Kronleuchter und ein ganzes Zimmer von dem Juden genommen, der [dort] früher gewohnt hat“ (215). Logisch gesehen hatte der Denunziant nichts damit zu tun, daß sein Nachbar jüdisches Eigentum aufbewahrte; es sollte ihn also gar nichts angehen, da er keinerlei Vor- oder Nachteil davon hatte. Er gewann auch nichts, wenn jener die Sachen verlor. Doch für einen neidischen Menschen geht es vor allem darum, daß ein anderer verliert. Das zweite Gefühl, das aus den Briefen spricht, ist die Angst. Die Denunzianten fürchteten sich um sich selbst. Vielleicht schrieben sie, um nicht selbst denunziert zu werden. Sie wollten schneller sein, denn sie brachen selbst die Vorschriften der Besatzer. Außerdem hatten die Deutschen das Prinzip der kollektiven Verantwortlichkeit so effektiv installiert, daß die Angst, für fremde ‚Schuld‘ leiden zu müssen, ein gar nicht unwesentlicher Grund für Anzeigen war. So etwa für eine ungewöhnlich umfangreiche, mehrseitige Denunziation ohne Punkt und Komma: „Wegen einiger dummer polnischer Patrioten braucht nicht die ganze Allgemeinheit zu leiden sie sollen nicht plappern daß England bald gewinnt und daß wenn die Deutschen fliehen werden sie einen Pogrom gegen die Deutschen machen und daß sie selbst hundert Köpfe abschlagen solche Leute wollen wir nicht denn wir haben Angst wegen ihnen leiden zu müssen“ (74). Der Autor der Denunziation Nr. 151, der Bekannte anzeigte, die „nach Warschau fahren werden, um sich einer polnischen Organisation anzuschließen, die sich bilden soll“, fügte als Begründung hinzu: „Sie können viele polnische Menschen ins Verderben stürzen.“ Denunzianten haben nicht nur Angst um sich selbst, sondern auch um ihre Familien und Kinder. Ganz offen schrieb darüber der Verfasser des Briefs Nr. 106: „Ich möchte niemandem etwas Schlechtes antun, doch bin ich

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dazu gezwungen, weil ich um meine Kinder Angst habe, daß sie nicht aufsässig gemacht werden, […] denn ich bin alt, und was würde ich alleine machen, ohne Kinder“. Und eine „hochachtungsvolle loyale Nachbarin“, die die Familie Klincewicz anzeigte, weil sie Radio hörte, schrieb: „Ich habe Angst um meinen Mann und Vater [meiner] Kinder. […] Ich bin aus Pflicht wegen meiner Sicherheit und der meines Mannes dazu gezwungen, dies zu melden, da ich persönlich den deutschen Behörden Respekt entgegenbringe und die Pflicht, dies zu melden“ (202). Instrumentalen Motiven liegt die Absicht zugrunde, einen Konkurrenten, Rivalen, Gegner im beruflichen oder privaten Lebensumfeld loszuwerden. Auch unter den analysierten Briefen gibt es einige, deren Auslöser persönliche Abrechnungen sind. So im Fall von Denunziation Nr. 23: „Ich kann meinen Namen nicht angeben, doch bin ich Deutsche und kann nicht deutsch schreiben, weshalb ich polnisch schreibe. Ich zeige an, was ich weiß. Die Firma Boresztan i Zakrzewski in der ul. Pra˛dzyn´skiego 12 verteilt geheime Zeitungen und Schreiben gegen die deutsche Herrschaft, und der Sohn von Herrn Tadeusz Boresztan und seine Mutter im Gut Dotrzyma hören im Keller Radio, und in Warschau haben sie geheime Versammlungen. Sie bereiten einen Anschlag auf den hochverehrten Herrn Hitler vor. Wenn diese Personen nicht verhaftet werden, wird es schlimm sein, und ich weiß das deshalb, weil ich dort wohne und mein Bruder dort als Arbeiter arbeitet und da sie ihn quälen, beschuldige ich sie. Wenn ich früher davon gewußt hätte, hätte ich sie schon früher angezeigt.“ Unter den Denunziationen gibt es auch einige, in denen sich affektive und instrumentale Motive mischen, ohne daß sich der ursprünglichere Antrieb eindeutig benennen ließe. So spielt der Antisemitismus unter den Einstellungen und Ansichten, die man in den Briefen finden kann, eine gewisse Rolle. Natürlich kann er auch nur eine – gesellschaftlich eher akzeptierte – Maske des Neids sein. Darum kann man bei den Denunziationen von Juden nicht klar bestimmen, in welchen Proportionen dort Neid und Antisemitismus auftreten und in welchem Maße die Verfasser den Antisemitismus als Maske des Neids verwenden. Als Beispiel sei Brief Nr. 85 herausgegriffen, in dem meiner Meinung nach klarer Neid eine antisemitische Fassade benutzt: „Es ist eine wahre Schande, daß solche Musiker wie: Arthur Gold, ul. Chmielna 22, Jakub Kagan, al. Jerozolimskie 7, Rubinstein, seinerzeit Melodie Palast, ul. Rymarska, sich noch registrieren lassen und wahrscheinlich dadurch ihre Arbeitserlaubnis behalten können. Jahrelang walteten die oben genannten Herren und nahmen keinen Arier in ihr Ensemble auf. Und sie versuchten sogar alles Mögliche zu tun, nur um keinem Christen die Arbeit bei sich zu erlauben. Erst zuletzt, kurz vor dem Krieg, als sie sich unsicher fühlten, begannen sie krampfhaft nichtjüdische Musiker zu engagieren. Überhaupt hat der oben als Musiker erwähnte Rubinstein mit einem Musiker nichts gemein. Er war ein gewöhnlicher Schacherer aus Nalewki, die Musik ist für ihn nur ein Mittel zur Erreichung seines Ziels. Die oben genannten Musiker boykottieren regelmäßig jeden deutschen Tanzhit. Ich wünsche jedem, daß er sein eige-

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nes Brot ißt [d. h. seine Arbeit hat], doch diese Musiker sind ganz gewöhnliche Hinterhofmusikanten. Ein arischer Musiker“. Rund 30 % der Briefe betreffen Juden. Nicht von allen kann man jedoch sagen, daß dort der Antrieb zur Denunziation im Antisemitismus zu suchen ist. Einige sind eindeutig von Neid inspiriert; die Abneigung gegen Juden und die antisemitische deutsche Gesetzgebung erleichterten es lediglich, diese Gefühle zu camouflieren. Doch eine gewisse Zahl von Denunziationen von Juden hat einen entschieden antisemitischen Charakter. Der Haß auf sie drückt sich zum Beispiel in verschiedenen Schimpfwörtern und pejorativ konnotierten Bezeichnungen aus, wie „z˙yduwa“ (142) oder „z˙ydowica“ (56, beides in etwa: „Judensau“), „parszywiec“ (95, in etwa: „räudiger Hund“), „opasłe z˙ydzisko“ (96, in etwa: „dickes Judenschwein“), „przekle˛ci z˙ydzi“ (86, „verdammte Juden“), „bezczelny i podste˛pny z˙yd“ (88, „unverschämter und verschlagener Jude“), „szubrawcy z˙ydzi“ (164, „Judenschufte“), „Gudłaj“ (196, beleidigende Bezeichnung eines Juden). Gemäß einigen Briefen verdummen Juden die christlichen Polen, die blöderweise konspirativ tätig sind und damit den Beweis dafür liefern, daß sie „in englisch-jüdischen Diensten“ (30) stehen und „vom Judentum dermaßen verblendet worden sind, daß sie nicht wissen, auf welcher Seite die helle Zukunft und auf welcher der Untergang ist“ (156). Die Untergrundzeitungen sind demnach natürlich „jüdische Arbeit, beziehungsweise mit ihrem Geld [gemacht]“ (20). Selbstverständlich sind die Juden Kommunisten; selbst in Adamów haben sie eine ganze Organisation gegründet: „Ich, Einwohner von Adamów, Kr. Radzyn´, melde Ihnen, daß es in Adamów einen Bund der Kommunisten gibt und diese ganze Arbeit von Juden geleitet wird, nämlich 1) Alfiszer Chanina, 2) Rozenberg Dawid – Präsident des Judenrats in Adamów, 3) sein Sohn Herszek, 4) Elbaum – Sekretär des Judenrats in Adamów, 5) Felcman Szmuel, 6) Rozenberg Pinches, 7) Giermanowicz Jankiel und 8) der junge Połosiecki, Vornamen weiß ich nicht. Sie haben eine rote Standarte, auf der die Worte ‚Grüßt die Bolschewiken‘ genäht sind“ (164). Im Sinne dieser Stereotypen sind die Juden – obschon auf jedem Schritt gedemütigt und erniedrigt und am Ende ins Ghetto eingesperrt – weiterhin gefährlich und Grund für diverse Probleme. Beispielsweise führte der heimliche Transport von Lebensmitteln in den jüdischen Wohnbezirk auf „arischer Seite“ zu einer Teuerung. Darum forderte der Verfasser der Denunziation Nr. 173, der den Schmuggel ins Ghetto in der ul. Freta 37 beschrieb, am Schluß seines Briefes: „Sehr geehrte Herren, seien Sie so gütig und setzen Sie dem ein Ende, denn die einen bereichern sich und die anderen Armen haben kein Geld, um Brot zu kaufen, denn durch diesen Handel mit den Juden entsteht Teuerung.“

Soziale Ursachen des Denunziantentums Eine der offen zu Tage tretenden Voraussetzungen des Denunziantentums war es, sich für die Besatzungsherrschaft auszusprechen, also gewissermaßen eine Spielart des Legalismus. Vielleicht handelt es sich hier einfach um ein Phänomen

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der autoritären Persönlichkeit, wie sie von Erich Fromm definiert und später in den Forschungen Theodor W. Adornos präzisiert wurde: einer Persönlichkeit also, die sich durch ihre unkritische Unterordnung unter Autoritäten auszeichnet, durch ihre Neigung, eine antidemokratische Haltung einzunehmen, durch ihren Konservativismus der Ansichten und Gewohnheiten, durch ihre Intoleranz, ihren unflexiblen Gedankengang, ihren Machtkult und auch durch ihre Tendenz zur Aufteilung der Welt in ‚wir‘ und ‚die anderen‘. Es scheint, als könne die Neigung, solchen Autoritäten zu erliegen, die Hörigkeit gegenüber der Macht als solcher, einer der Gründe für das Denunziantentum sein. „Das Obige teile ich als loyaler Bürger mit, der sich mit dem Zustand abgefunden hat, wie er durch höhere Gewalt eingetreten ist, nicht aber, um einen persönlichen Nutzen daraus zu ziehen. […] Ich mag Ruhe und Ordnung, Umtriebe und Ungehorsam führen den Staat und die Menschen zum Ruin!“, schrieb etwa der Autor von Brief Nr. 20. Eine andere gesellschaftlich bedingte Ursache können mißlungene Sozialisierungen sein. Selbst wenn sich die Denunzianten über die herrschenden moralischen Normen im Klaren waren, so hielten sie sie aus irgendeinem Grund nicht ein. Eine Ursache, sich nicht an die von einer sozialen Gruppe geteilten Regeln zu halten, kann Soziopathie sein, eine mißlungene Sozialisation, also ein gescheiterter Prozeß „der Eingewöhnung eines Individuums in die Lebensweise seiner Gruppe und der breiteren Gesellschaft durch das Erlernen von Regeln und der in der Kultur enthaltenen Ideen“. 7 Quelle dafür können die Persönlichkeit des Individuums und die in ihr vorhandenen Defekte oder sich entwickelnden Pathologien sein. Außerdem kann das Mißlingen dieses Prozesses das Individuum in verschiedenen Phasen seiner Sozialisierung treffen. Viel hängt davon ab, wie die Familie die ethisch-moralischen Normen vermittelt, die sich aus ihnen ergebende Teilung in Gut und Böse, wie sie Menschen, Gegenstände, Erscheinungen, Begriffe oder Ideen hinsichtlich ihrer Wertigkeit klassifiziert. Schließlich kann das Individuum auch in weiteren Phasen der durch unterschiedliche Instanzen beeinflußten Sozialisation Defekte erleiden: durch Gruppen von Gleichaltrigen, Nachbarn, Berufsgruppen, Bildungseinrichtungen oder Massenmedien. Man kann natürlich nicht entscheiden, ob wir es bei einem Denunzianten mit einer pathologischen Persönlichkeit mit einer gescheiterten Anpassung an die kulturellen Normen zu tun haben, oder ob wir eher von einer Gegensozialisierung sprechen sollten, also von einer Aneignung von Normen, die den in der Gesellschaft herrschenden entgegenstehen. Man kann das Denunziantentum darum auch als Beispiel einer gelungenen Sozialisierung an die von den Deutschen propagierten Werte betrachten. Eine weitere Ursache für das Denunziantentum kann eine erfolglose soziale Kontrolle sein. Von einer gelungenen Sozialisierung können wir sprechen, wenn die Menschen die geltenden Normen und Werte einhalten. Sie tun das, wenn sie diese Normen voll und ganz internalisiert haben – aus Pflichtgefühl oder aus Angst vor Sanktionen. In einer Situation von kriegsbedingter Anomalie, Des-

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organisation und Chaos sinkt die Furcht vor Strafe, die soziale Kontrolle wird weniger wirksam. Das Ausmaß des Denunziantentums kann auch ein Indiz für die fehlende Wirksamkeit der vom Polnischen Untergrundstaat verhängten Strafen sein. Vielleicht schienen sie nicht realistisch zu sein, vielleicht wurden sie nicht genügend erfolgreich durchgesetzt. Die dauerhafte und vollständige Anonymität gestattete es dem Denunzianten, den Normen zuwider zu handeln, ohne dadurch Sanktionen durch die eigene Gruppe riskieren zu müssen. Dies erlaubte es ihm, seine Position zu behalten, zerstörte nicht das Fremdbild und bedrohte nicht die von ihm eingenommene gesellschaftliche Rolle. Dadurch, daß die Denunziation geheim bleibt, gerät das widergespiegelte Ich nicht in Gefahr; andere Personen verändern ihre Beziehungen zum Denunzianten nicht. Er ist also nicht der Gefahr ausgesetzt, daß seine Selbsteinschätzung reduziert, seine Position oder sein Status gefährdet wird. Ganz im Gegenteil: sein Gefühl von Satisfaktion und Selbstzufriedenheit steigt. Er erhält eine Belohnung, die sich aus der Beseitigung eines Feindes, aus der Befriedigung psychischer Bedürfnisse oder aus den schönen Seiten der Machtteilhabe erklärt. Die Furcht vor gesellschaftlichen Sanktionen vermindert sich, wenn sie sich als wirkungslos herausstellen. Der Bruch normativer Regeln bleibt die Privatsache des Individuums. Die Anonymität wird zum Garanten der Straffreiheit. Selbstverständlich muß der Bruch der Normen hier nicht heißen, daß sie völlig negiert oder abgelehnt werden, denn der Denunziant setzt deren Gültigkeit nur in Bezug auf sich selbst aus, um daraus großen Nutzen zu erzielen. Das Denunziantentum kann man auch in den Kategorien moralischer Bindekräfte oder vielmehr ihrer Pathologie darstellen. Den Charakter dieser Momente von Kohäsion, die innerhalb einer Gruppe gelten, die Identität des Individuums bestimmen und als ‚wir‘ erfahren werden, machen Vertrauen, Loyalität und Solidarität aus. Die Grenzen der Kategorie ‚wir‘, also auch die Grenzen dieses moralischen Raumes, werden unterschiedlich gesetzt. Die Denunziation von Personen außerhalb dieses Kreises, denen gegenüber keine Loyalitätsprinzipien gelten, fällt darum leichter. Dagegen zeugt die Aufhebung moralischer Regeln gegenüber der eigenen Familie oder nahen Personen, wie sie uns in den zitierten Briefen vielfach begegnen, von einer Pathologie der moralischen Bindekräfte. Für viele führte die Kriegssituation zu einer Stärkung und Erweiterung, einer Inklusivität der sozialen Bindungen, was zu einem Anstieg patriotischer Gefühle führte, zu Aktionen gegen die Besatzer, dazu, das eigene Leben für das Allgemeinwohl zu riskieren, für eine Allgemeinheit, die viel weiter verstanden wurde als zuvor und nunmehr die gesamte Nation umfaßte. Am anderen Extrem fanden sich all jene, für die dieselbe Kriegssituation eine Exklusivität der moralischen Bindekräfte bedeutete: eine Verengung des Raums, innerhalb dessen Vertrauen, Loyalität und Solidarität verpflichtend sind. Dieses Phänomen der Exklusivität, das für historische Zeiten der Unsicherheit und Instabilität charakteristisch ist, läßt sich als amoralischer Familismus begreifen. Das

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gesellschaftliche und politische Leben wird in solchen Zeiten normalerweise räumlich und zeitlich begrenzt. In räumlicher Hinsicht beschränkt es sich auf kleine, geschlossene Gruppen, die oft nur aus Familienmitgliedern und Freunden bestehen, Menschen also, die sich kennen und Vertrauen zueinander haben. Eine solche Gruppe „stellt eine strategische Einheit dar, die einen Kreis von ‚die unseren‘ und ‚die anderen‘ bestimmt und Gebiete definiert, in denen unterschiedliche Normen und Prinzipien gelten“. In zeitlicher Hinsicht beschränkt es sich auf einen kurzen Zeitabschnitt, in dem das grundlegende Prinzip des amoralen Familismus gilt: „Maximiere den sofortigen materiellen Nutzen der Familie und gehe davon aus, daß alle anderen genauso handeln.“ 8 Der soziale Raum verengt sich auf die Interessen der eigenen Gruppe. Außerhalb davon existieren Konkurrenz, Mißtrauen und Feindschaft. „Ein Grenzfall ist die vollständige egoistische Atomisierung und Individualisierung, eine vollständige Destruktion jedweder moralischer Gemeinschaft zugunsten einer rücksichtslosen Affirmation der individuellen Eigeninteressen, deren Realisierung alle anderen als bequeme Instrumente dienen sollen.“ 9 Das Phänomen des amoralen Familismus hängt mit dem ethischen Dualismus zusammen: Für ‚die unsrigen‘ und ‚die anderen‘ gelten jeweils verschiedene moralische Grundsätze. Die Vertiefung einer solchen Denkweise wird von einem Abhängigkeitsgefühl verstärkt, wie es dem Krieg eigen ist: der Vorstellung, die Kontrolle über die Wirklichkeit und das eigene Leben verloren zu haben. Wie es scheint, kann man die sozialen Ursachen des Denunziantentums auch in der Struktur der Kriegssituation selbst entdecken. Es gibt dort gewisse äußere Voraussetzungen, die es den Menschen erleichtern oder sie bisweilen gar dazu ermuntern, ein tief in ihnen verborgenes – und unter anderen Umständen normalerweise verdrängtes – Potential des Bösen ans Tageslicht zu befördern. Bei Revolutionen, Kriegen und radikalen gesellschaftlichen Veränderungen kommt das Denunziantentum der Herrschaft totalitärer Systeme besonders gelegen und ist auch einer der Bestandteile, die den Raum zwischen der unnahbaren Macht und dem gewöhnlichen Bürger ausfüllen. Der Bürger nutzt die Gewalt des Staates, um sie für seine eigenen Ziele zu verwenden. Sie erwiesen nicht nur in NSDeutschland selbst „dem Staat einen Dienst, indem sie ihm Informationen lieferten, und der Staat erwies ihnen einen Dienst, indem er einen Streit regelte oder eine der beteiligten Seiten aus dem Verkehr zog.“ 10 So wird der Denunziant Teil des Terrorsystems, wird zu einem Kettenglied der allgemeinen Bespitzelung und der geheimpolizeilichen Arbeit. Die Verfasser der Briefe an die Behörden treten als freiwillige Agenten des Systems auf, das sie unterstützen, ohne dafür Geld zu nehmen und ohne Verpflichtungserklärungen zu unterschreiben. Der Denunziant nutzt das System und wird dadurch zu seinem Subjekt, Teil seiner Logik und seiner Handlungsweise: er unterstützt die Ausbreitung des Terrors. Die Denunziation ist ein Akt der Kollaboration. Das polizeiliche System nutzt – nicht nur im totalitären Staat – eine ganze

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Reihe von Mitarbeitern, von Berufsspitzeln über bezahlte V-Leute bis hin zu gelegentlichen, spontanen Denunzianten, die den Staat freiwillig über die Verletzung von Vorschriften oder über die Bekundung falscher politischer Ansichten informieren. Dies erleichtert die Durchleuchtung der Gesellschaft, und je mehr freiwillige Spitzel es gibt, desto billiger und effektiver ist das Polizeisystem. Das Spitzeltum bahnt den Weg für eine Ausbreitung des Terrors und die Verallgemeinerung der Angst. Es verstärkt die Überzeugung von der Allgewalt der Polizei und vergrößert das Risiko oppositioneller Betätigung. Die Gewaltmaschine, die vom Staat durch die Ausnutzung der Privatinteressen seiner Bürger geschaffen wird, verwandelt dieses Phänomen in ein öffentliches Übel. Die polnischen Denunzianten der Besatzungszeit wichen von diesem Schema nicht ab. Es scheint derzeit unmöglich, die Ausmaße des Spitzeltums in Polen während der Besatzung abzuschätzen. Damals gab es im Untergrund militärische und zivile Sondergerichte, die Polen verurteilten, die mit den Deutschen zusammenarbeiteten. Ihre Namen wurden in der illegalen Presse angeprangert; dort wurden auch – zur Abschreckung potentieller Nachahmer – Nachrichten über Festnahmen oder über ausgeführte Todesurteile veröffentlicht. Nach Schätzungen wurden während der Besatzungszeit rund 2500 Todesurteile ausgeführt, rund 3500 derartige Urteile gefällt und rund 5000 Verfahren wegen Kollaboration eingeleitet. 11 Natürlich hatten die von den Untergrundgerichten verurteilten Kollaborateure weit größere Verbrechen auf dem Gewissen als das Verfassen eines Briefes an die Deutschen. Doch wer weiß, ob einige von ihnen nicht so angefangen haben. Aus dem Polnischen von Peter Oliver Loew

Anmerkungen 1

AIPN, Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD für den Distrikt Warschau

531. 2 André Halimi: La Délation sous l’Occupation, Paris 1983, S. 9; zusammenfassend zur Denunziation im Nationalsozialismus Gerhard Paul: Private Konfliktregulierung, gesellschaftliche Selbstüberwachung, politische Teilhabe? Neuere Forschungen zur Denunziation im Dritten Reich, in: AfS 42(2002), S. 380–402. 3 Sheila Fitzpatrick/Robert Gellately (Hrsg.): Accusatory Practices. Denunciation in Modern European History 1789–1989, Chicago 1997, S. 1. 4 Die Brieffragmente weisen im Original oft zahlreiche orthographische und stilistische Fehler auf, die sich in der Übersetzung nicht zum Ausdruck bringen lassen; alleine der bisweilen abstruse Satzbau kann ansatzweise wiedergegeben werden [Anm. d. Übers.]. 5 Massenübertritte auf die „arische Seite“ begannen erst, als die Transporte nach Treblinka einsetzten, am 22. Juli 1942; Historiker schätzen, daß rund 25 000 Juden aus dem Warschauer Ghetto Schutz jenseits seiner Mauern suchten.

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6 Das polnische Wort „władza“ (eigentlich: Macht) läßt sich im politischen Sprachgebrauch als „Behörde“, „Herrschaft“, „Macht“, „Staatsmacht“ usw. übersetzen, sperrt sich bisweilen aber auch – wie hier – gegen eine eindeutige Übersetzung [Anm. d. Übers.]. 7 Piotr Sztompka: Socjologia. Analiza społeczna, Kraków 2002, S. 391. 8 Elz´bieta Tarkowska/Jacek Tarkowski: „Amoralny familizm“ czyli o desintegracji społecznej w Polsce lat osiemdziesia˛tych, in: E. Wnuk-Lipin´ski (Hrsg.): Grupy i wie˛zi społeczne w systemie monocentrycznym, Warszawa 1990, S. 43. 9 Sztompka (Anm. 7), S. 189. 10 Robert Gellately: Hingeschaut und Weggesehen. Hitler und sein Volk, StuttgartMünchen 2002, S. 194. 11 Leszek Gondek: Polska karza˛ca 1939–1945. Polski podziemny wymiar sprawiedliwos´ci w okresie okupacji niemieckiej, Warszawa 1988, S. 114.

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Zwischen den Ethnien Die Oberschlesier in den Jahren 1939–1941 Die Haltung der Oberschlesier in der Zeit des Zweiten Weltkrieges ist deshalb von Belang, weil sie eine Gruppe betrifft, die in den Augen der NS-Machthaber eigentlich zum deutschen Volk gehörte, jedoch teilweise in der Zwischenkriegszeit polonisiert worden war. Um ihre Einstellung in der ersten Phase der Besatzung zu bewerten, muß man ihre besondere nationale Situation beachten sowie die Politik der NS-Regierung, für die das wirtschaftliche Potential des oberschlesischen Industriereviers wichtig war. So urteilte ein Mitarbeiter der Delegatura, der Inlandsvertretung der polnischen Regierung im Exil, über sie: „Sie sind ein Grenzvolk, zerissen zwischen zwei Nationen, der polnischen und deutschen. Sie sind mit dem polnischen Volk bluts- und seelenverwandt, in Geschmack und Gebräuchen aber den Deutschen. […] Sie haben sich noch nicht entschieden, wer sie eigentlich sind. Vorerst fühlen sie vor allem ihr Anderssein gegenüber den Polen und erst danach ihre Verbundenheit mit Polen.“ 1 Natürlich wurde Oberschlesien auch von erklärten Polen und dezidierten Deutschen bewohnt. Eine große Gruppe, die ca. 30 % der Gesamtbevölkerung ausmachte, bestand jedoch aus Personen, für die die Nationalitätengrenze fließend und leicht zu überwinden war. Die Nationalsozialisten hofften auf die Germanisierung der Oberschlesier, weil viele von ihnen der deutschen Sprache mächtig waren. Diese Erwartungen wurden durch ihre Haltung während der ersten Phase der Okkupation bestätigt. Die polnische Woiwodschaft Schlesien hatte sich vor dem Krieg aus Gebieten zusammengesetzt, die vorher zu Preußen oder Österreich gehört hatten. Im ehemals österreichischen Teil, dem Teschener Land, war sich die Bevölkerung ihrer Nationalität stärker bewußt und hielt sich für den besseren und wertvolleren Teil der polnisch-ethnischen Gruppe in Schlesien. Sieht man vom Olsa-Gebiet ab, lebten in der schlesischen Woiwodschaft vor Kriegsausbruch 1,4 Millionen Menschen. Die deutsche Minderheit machte mit 160 000 Personen ca. 12,6 % der Gesamtbevölkerung aus.

Blutiger Herbst 1939 Die Kriegshandlungen dauerten dort nur wenige Tage. Auf den größten Widerstand stieß die Wehrmacht im Gebiet von Nikolai (Mikołów) und Pleß (Pszczyna). Am 4. und 5. September wurde Schlesien als erste Woiwodschaft besetzt. Durch den Vormarsch der Truppen kam es zur Desorganisierung des Lebens und zu Panik, insbesondere in den Familien von Beamten, von Angehörigen der

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Aufständischen-Verbände und des Militärs, die sich am meisten vor der angekündigten Brutalität der Deutschen fürchteten. Ein Teil von ihnen packte eilig ihr Hab und Gut und floh mit der polnischen Armee nach Osten. Der Einmarsch der Wehrmacht bedeutete für viele Einwohner Oberschlesiens jedoch keine Tragödie. Sie eilten auf die Straßen, um die Soldaten auf den Lastwagen und die vorbeifahrenden Panzer zu sehen. Die Angst vor den Kriegswirren mischte sich mit Bewunderung für die technische Ausstattung und gute Organisation der Wehrmacht. Es kam vor, daß Panzersoldaten an die Kinder Bonbons verteilten und sie zur Besichtigung ihrer Tanks einluden. 2 Ähnlich wie die innerhalb Deutschlands lebenden Oberschlesier nahm ein Teil der Bewohner der schlesischen Woiwodschaft den Krieg vor allem als Durchmarsch der Armeen wahr. 3 Die Volksdeutschen zeigten offen ihre Euphorie. In Königshütte (Chorzów) und Kattowitz (Katowice) strömten sie auf die Straßen mit Blumen und Flaggen. Innerhalb kurzer Zeit waren die oberschlesischen Städte mit NS-Fahnen und der Parole „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ übersät. 4 Die Kommandeure der deutschen Einheiten hatten die Direktive erhalten, daß „in Polen in verschiedenen Gebieten neben reinen Polen noch deutsche Minderheiten und andere Volksgruppen mit nichtdeutscher Sprache [leben], die aber mit den Deutschen sympathisieren“. Umso mehr – so die Schlußfolgerung – könne die Wehrmacht mit der Unterstützung der Zivilbevölkerung rechnen. 5 Nachdem die regulären Einheiten der polnischen Armee Oberschlesien verlassen hatten, erwarteten die Deutschen darum keinen Widerstand mehr. Deshalb kamen die Schüsse auf Wehrmachtssoldaten und den Sieg feiernde Volksdeutsche durch Einheiten der polnischen Selbstverteidigung (Samoobrona) für sie völlig überraschend. Dieser Widerstand war der Grund für die umso größere Brutalität, die bei der Suche nach den Angehörigen der Aufständischen-Verbände sowie gegenüber den Funktionären polnischer Organisationen an den Tag gelegt wurde. Am Terror der ersten Kriegstage partizipierten auch Volksdeutsche, die das Umfeld genau kannten. Die Abrechnungen hatten den Charakter von Lynchjustiz und mündeten oft in Erschießungen vor Ort. 6 Die Etablierung der deutschen Zivilverwaltung beendete diese Phase spontanen Terrors, was aber nicht hieß, daß sich die polnischen Oberschlesier nunmehr sicher fühlen konnten. Der erste Monat der Besatzung verging so als eine Zeit der Unterdrückung, während der etwa 2500 Personen umkamen. Dazu ist anzumerken, daß diese Phase der Okkupation in Oberschlesien im Vergleich zur späteren Zeit die meisten Opfer kostete. 7 Die Zahl der Verhaftungen war dort höher als in den benachbarten Woiwodschaften, was gemäß den Einsatzgruppenberichten mit dem größeren alltäglichen Widerstand zu erklären ist. Man begann deshalb mit der rücksichtslosen Liquidierung der „Banden, Partisanen und Saboteure“. 8 Der Kampf gegen die – wie es die NS-Führung formulierte – „Aufstandsplage“ wurde damals mit größter Intensität geführt. Bis Ende 1939 wurden rund 900 Angehörige der Aufständischen-Verbände in Oberschlesien ermordet. 9

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Die Besatzung brachte negative Erscheinungen mit sich, so etwa eine Welle von Diebstählen, Plünderungen 10 und Denunziationen. Die Gründe für diese Anzeigen waren vielfältig und reichten von ideologischen Motiven bis hin zu persönlichen Abrechnungen. Diese Flut von Denunziationen bestürzte beispielsweise Tomasz Reginek, den Pfarrer in Rybnik, der von der Kanzel aus gegen solch ein Verhalten predigte und mit dem Fluch und der Strafe Gottes drohte. 11 Fran˙ yglin), mußte hingegen am 3. September aus ciszek Wycis´lik, Pfarrer in Zyglin (Z der Gemeinde flüchten, nachdem er in der Predigt erwähnt hatte, daß „er in seiner Pfarrei Kanaillen hat, die ihre Nachbarn denunzieren“. 12 Es kamen auch konfessionelle Differenzen ins Spiel, weil sich die Katholiken vor den evangelischen Volksdeutschen fürchteten, da diese wegen ihrer Polnischkenntnisse umso gefährlicher waren.

Septembersyndrom und Seitenwechsel Der Terror allein erklärt jedoch nicht die Zunahme der prodeutschen Haltung vieler Oberschlesier. Ein begünstigender Faktor war sicherlich das Verhalten jenes Bevölkerungsteils, der in der Zwischenkriegszeit zugewandert war. Unmittelbar vor Kriegsbeginn und Anfang September verließen diese Menschen in großer Zahl Oberschlesien. Jene dezidierten Polen, welche nach 1918 mit dem Auftrag hergezogen waren, das Gebiet zu polonisieren und den polnischen Staat zu repräsentieren, ließen also im Augenblick der Bedrohung die Oberschlesier im Stich. Allerdings muß man konzedieren, daß dies in vielen Fällen die Rettung vor der Verfolgung bedeutete. 13 Gleichwohl fühlten sich die Schlesier darum verraten und verlassen. Eine Reaktion auf diese Enttäuschung war es, die deutsche Ordnung zu loben. Es kam damals zu der paradoxen Situation – so der polnische Untergrund –, daß „Menschen, die an den Aufständen teilgenommen hatten und ihr Leben dem polnischen Vaterland verschrieben hatten, sich jetzt als Deutsche ausgaben. Schlimmer noch, sie wurden Deutsche. Sie hißten die Hakenkreuzfahnen, in den Fenstern befestigten sie Portraits des Führers und grüßten sich seitdem mit ‚Heil Hitler‘, die Arme hoch reckend.“ 14 Das Verhalten der ersten Monate wurde als Krise des Polentums, als Eruption des Deutschtums oder als Septembersyndrom bezeichnet. Mit Sicherheit kann man von einer ernsthaften Schwächung der Bindung an das Polentum in dieser Zeit sprechen. Die Nationalsozialisten nutzten diese Stimmung aus, indem sie sich bemühten, das Vertrauen der regionalen Bevölkerung zu erlangen. Eine große Wirkung erzielte die von der Wehrmacht geleistete kostenlose Hilfe für die Bauern, um die Feldarbeit im Herbst schnell zu beenden. Ein Teil der Dorfbewohner verbarg seine Bewunderung für solche Aktionen nicht und betonte, daß die Deutschen für die Landwirtschaft Sorge zu tragen wüßten.15 Die Behörden rechneten damit, daß die Geistlichen auf die Gläubigen einwirken würden, damit diese die neue Ordnung akzeptierten. Sie konnten den Aufruf der Priester des Dekanats Pleß als Erfolg verbuchen, der auf Initiative des dortigen Landrats zustande gekom-

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men war und zur Zusammenarbeit auf wirtschaftlicher Ebene aufforderte. 16 Als wesentliche Aufgabe der Propaganda betrachteten die NS-Behörden den Verweis darauf, wie notwendig es sei, für die Schwierigkeiten der vorübergehenden Kriegssituation Verständnis aufzubringen, sowie die Überzeugung zu festigen, daß die Grenzen im Osten nunmehr dauerhaft seien. Zudem wurden in großem Ausmaß Straßen und Eisenbahnlinien instandgesetzt und neu gebaut, Flüsse reguliert und die Städte gesäubert. 17 Nicht ohne Bedeutung war damals die Freilassung aller gebürtigen Oberschlesier, die während des Septemberfeldzugs in Kriegsgefangenschaft gekommen waren. Bei der Entlassung wurde ihnen ein Zeugnis über ihre Zugehörigkeit zum deutschen Volk ausgestellt. 18 Diese Geste fiel bei den Oberschlesiern auf fruchtbaren Boden, weil man in dieser Zeit so gut wie keinen Kontakt zu Polen besaß und die Bevölkerung auf sich selbst gestellt war. Ihre Isolierung war umso größer, weil in Oberschlesien jetzt die bisherigen Eliten fehlten. Es tauchten sogar Gerüchte auf, daß in Kattowitz nicht einmal mehr Bischof Adamski anwesend sei und auf der Flucht verhaftet oder ins Landesinnere Deutschlands verschleppt worden sei. Dieses Gerücht war in der Stadt derart verbreitet, daß er Rundgänge unternahm, um auf diese Weise seine Anwesenheit zu demonstrieren und die Gläubigen zu ermutigen. 19 Relevant waren auch die im Dezember 1939 während der polizeilichen Volkszählung abgegebenen Erklärungen zur Nationalität. Für den Beobachter von außen mußte es ein unergründliches Rätsel sein, wie man innerhalb einiger Monate aus 1,5 Millionen Menschen, die sich zum Polentum bekannten, Deutsche machen konnte. Denn sogar in den am stärksten polnisch besiedelten Kreisen Rybnik und Pleß erklärten sich 90 % der Einwohner zu Deutschen. Lediglich der Landrat bezeichnete diese Ergebnisse intern als völlig unglaubwürdig. Denn aus Gründen der Propaganda lag den NS-Machthabern an möglichst guten Ergebnissen der Volkszählung, um den deutschen Charakter der angeschlossenen Gebiete nachzuweisen. Deshalb ging man zur Fälschung – sich als Polen deklarierende Personen wurden zum Teil als Deutsche registriert –, zu physischem Zwang und Terror über. Das erklärt jedoch nicht ganz die Ergebnisse der Volkszählung, bei der im einst preußischen Teil der ehemaligen Woiwodschaft Schlesien 95 % der Einwohner ihre deutsche Nationalität erklärten, obwohl nur 78 % deutsch sprachen. 20 Weitere Gründe kamen hinzu wie der Glaube an die Übermacht der Besatzer, der Zusammenbruch des polnischen Staates, die Flucht der Regierung und vor allem die gleichgültige Einstellung vieler Oberschlesier zur Nationalitätenfrage. Wichtig war auch die Haltung des Bischofs Adamski, der den Gläubigen riet, sich „hinter der Maske einer scheinbaren Zustimmung zum Deutschtum zu verstecken“, um Repressionen zu entgehen. Obwohl das Ergebnis der Volkszählung ein Erfolg für die deutsche Seite war, war es doch hinderlich bei der Umsetzung der restriktiven Nationalitätenpolitik, denn es konnte keine klare Einteilung in Polen und Deutsche liefern. Das Re-

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sultat rief keinen Schock in Oberschlesien hervor. Nach einem Bericht der Delegatura hinterließ die Klassifizierung der meisten Oberschlesier als Deutsche – bezeichnet als „Fähnchenwechsel“ – keinen größeren Eindruck in der Bevölkerung. 21 Ein wichtiger Grund dafür war ihr angeborenes Streben nach Legalität und Rechtssicherheit, das in hohem Maße die Anpassung an die Forderungen des NS-Regimes erleichterte. In größerem Umfang hatte auch die Situation an der Front Einfluß auf die Stimmung. Die Siege der Wehrmacht im Westen, besonders die Niederlage Frankreichs, hatten eine große Wirkung auf die Bewohner Oberschlesiens. Sie führten vielen vor Augen, daß die Besatzung nicht vorübergehend sein würde und sogar dauerhaft sein könnte. 22 Die Überzeugung, daß die Deutschen den Krieg gewinnen, bewirkte, daß ein Teil der Gesellschaft die Seite der Sieger wählte. 23

Stimmungslagen Die Einstellung der oberschlesischen Gesellschaft war jedoch keineswegs stabil und einheitlich. Die einen entschieden sich für die endgültige Anpassung an die neuen Verhältnisse um jeden Preis. Andere warteten passiv die Entwicklung der Dinge ab. Ein dritter Teil nahm den aktiven Kampf mit den Besatzern auf. 24 Der Widerstand gegen die deutsche Herrschaft begann spontan, ging jedoch schnell zu organisierten Formen über. Bereits Ende September legte man in Oberschlesien die Grundlage für den zukünftigen Untergrundstaat. Damals wurde die Organisation Weißer Adler (Organizacja Orła Białego) gegründet, eine der ersten militärisch-zivilen Gruppen auf Landesebene. Paradoxerweise war gerade Schlesien die einzige Region des Landes, wo man bereits im Oktober 1939 einen Aufstand gegen die Deutschen vorbereitete, wo zuerst die Partisanentätigkeit einsetzte. 25 Man muß sich dabei vergegenwärtigen, daß das Terrain für eine konspirative Tätigkeit sehr schwierig war, vor allem wegen der großen Anzahl Volksdeutscher, deren Anwesenheit die Gefahr der Aufdeckung in sich barg. General Rowecki berichtete am 21. November 1940 über Oberschlesien: „Konspiration gut. Arbeit besser, als man wegen der ungewöhnlich schweren Bedingungen erwarten kann. Intelligenz verhaftet, pausenloser Terror [gegen] alle Erscheinungen des Polentums. […] Mehrheit der Unabhängigkeitskämpfer in diesem Gebiet versteckt sich hinter der Maske des Volksdeutschen.“ 26 Diese positive Einschätzung änderte sich jedoch bereits wenige Wochen später, als er im Dezember die Zerschlagung des oberschlesischen Untergrundes und die Verhaftung des ganzen Stabes melden mußte. 27 Regelmäßig erschütterten seitdem Verhaftungswellen den Widerstand infolge der Arbeit von Agenten, die die lokalen Gesellschaften ausspähten. „Die große Zahl der Spitzel und Beobachter erweckt in den Menschen gegenseitige Abneigung und Argwohn“, berichtete der polnische Untergrund.28 Mitte April 1940 wurden die Wehrpflichtigen in Oberschlesien registriert und gemustert. Dabei beobachtete man, daß sich viele vor der Erfassung drückten

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und ein Teil das frühere Bekenntnis zum Deutschtum zurückzog. 29 Die Einberufungen nahmen mit jedem Kriegsjahr größere Ausmaße an, und es gab in Schlesien eigentlich keine Familie, in der nicht einer der Angehörigen in der deutschen Wehrmacht diente. Im Herbst 1940 beeinflußten die Ereignisse im südlichen Teil des Regierungsbezirks Kattowitz die Stimmung der Bevölkerung im Teschener Land. Von September bis November siedelten die deutschen Behörden dort im Rahmen der sogenannten Saybusch-Aktion ca. 20 000 Polen aus dem Gebiet um ˙ ywiec) aus. 30 Wie die Berichte des polnischen Untergrundes zeigen, Saybusch (Z „öffnete [diese Aktion] viele Augen im Vorland der Beskiden“ 31 und verstärkte mit Sicherheit die Einschüchterung der Bevölkerung, die ein Übergreifen der Aktion auch auf andere Gegenden befürchtete. Anfang 1941 wurde die deutsche Provinz Oberschlesien gebildet und die Gauleitung der NSDAP in Kattowitz eingerichtet. Das hatte zu Folge, daß die letzten bedeutenden Persönlichkeiten Oberschlesiens, wie die Bischöfe Stanisław Adamski und Juliusz Bieniek, ausgesiedelt wurden. Die deutschen Machthaber argumentierten, es sei ein undenkbarer Zustand, daß in Kattowitz, dem Hauptsitz des Gaus Oberschlesien, ein polnischer Bischof sitze. 32 Seit Beginn der Besatzung war die Situation der schlesischen Bischöfe sehr unsicher. Der Name von Adamski stand im Sonderfahndungsbuch der Sicherheitspolizei. Auch Bieniek, der aufgrund seiner Teilnahme am Volksentscheid und am oberschlesischen Aufstand nach dem Ersten Weltkrieg zu den am meisten gefährdeten Mitarbeitern der Kurie zählte, drohte die Festnahme. Bereits in einer Mitteilung des Ministeriums für Kirchenangelegenheiten vom Dezember 1939 wurde darauf hingewiesen, daß auf die Dauer „das deutsche Volk nicht tolerieren könne, daß deutsche Bürger in kirchlicher Hinsicht einem polnischen Bischof unterstehen“. 33 Letztendlich wurden beide am 28. Februar 1941 ins Generalgouvernement ausgewiesen. Dies erhöhte mit Sicherheit nicht die Beliebtheit der deutschen Machthaber bei der Bevölkerung Oberschlesiens, für die der Glaube eine große Rolle spielte und bei der Bischöfe als Autoritäten galten. Die Verfolgung der Kirche führte zu Mißtrauen gegenüber den Deutschen und zur Abneigung, sich auf Seiten der Gegner des Klerus zu engagieren. Die Angriffe auf die katholische Kirche erregten bei den Eltern, die großen Wert auf die religiöse Erziehung ihrer Kinder legten, Widerwillen gegen Hitlerjugend und Bund Deutscher Mädel. Im Kreis Rybnik beispielsweise schickten die Eltern ihre Kinder deswegen nicht mehr dorthin, weil man diese für antireligiöse Organisationen hielt. 34 Nach der Bildung des Gaues Oberschlesien stellte man sogar in einem Bericht fest: „Aufgrund des Wirkens der Kirche haben wir große Probleme in den Gauen Ober- und Niederschlesien.“ 35 Der Versuch, Druck zum Kirchenaustritt auszuüben, endete in einem Fiasko. In der Diözese Kattowitz traten offiziell während des Krieges etwa 4000 Katholiken aus. 36 Nur ein geringer Anteil der Abtrünnigen entstammte der einheimischen Bevölkerung. Es war unter ihnen jedoch ein beträchtlicher Anteil

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derer, die erst nach dem 1. September 1939 nach Oberschlesien gekommen waren. Interessant ist, daß die höchste Kirchenaustrittsquote 1941 verzeichnet wurde, in der Zeit also, als das Dritte Reich seine größten militärischen Erfolge feierte. 37 Das Hauptelement, das die Stimmung der Menschen beeinflußte, war jedoch die materielle Situation. Dies – so der polnische Untergrund – habe hauptsächlich zur prodeutschen Haltung während der Besatzung geführt. 38 In den ersten Monaten der Okkupation waren alle Waren auf dem freien Markt noch ohne Lebensmittelmarken zu bekommen, doch seit Ende 1940 wurde der Kauf von Grundnahrungsmitteln besonders für die polnische Bevölkerung problematisch. Wie man jedoch in einem Bericht des Untergrundes lesen kann, waren die Polen in Schlesien mit Lebensmitteln immerhin noch besser versorgt als in den anderen westlichen Gebieten. 39 In einer noch komfortableren Situation befanden sich jene Oberschlesier, die als Deutsche eingestuft wurden. 1941 erhielten beispielsweise Bergleute, die unter Tage arbeiteten – außer Polen – eine Extraration Wurst, Konserven und Schokolade. 40 Die verhältnismäßig gute materielle Lage der Volksdeutschen sollte ihr Selbstbewußtsein beeinflussen 41 , und es stärkte sicherlich auch die breite Unterstützung für die neue Ordnung. Obwohl man versicherte, daß die Schwierigkeiten vorübergehend sein würden, wuchsen jedoch die Probleme der Lebensmittelversorgung und die Unzufriedenheit der Bevölkerung. Schon im Mai 1940 reagierte die verarmte Bevölkerung sehr verärgert auf die negative Versorgungslage. 42 Die materielle Situation der Familien verschlechterte sich zudem stetig mit der Einberufung der Väter, Ehemänner und Söhne zur Wehrmacht.

NS-Mitgliedschaften Einer der am wenigsten bekannten Aspekte hinsichtlich der Einstellung der Oberschlesier war ihr engagiertes Mitwirken in deutschen Organisationen. 43 Über dieses Problem schrieb nach dem Krieg ein Richter in einer Urteilsbegründung: „Nach dem Einmarsch der deutschen Armee in Oberschlesien haben sich einige Arbeitslose, die weder politisch gebildet noch sich über ihre nationale Zugehörigkeit im klaren waren, zum Dienst bei den deutschen Machthabern und Institutionen gemeldet, um auf diese Weise leichte Arbeit zu finden. Als man aber voraussetzte, dafür in die entsprechenden Organisationen einzutreten, bekundeten sie überwiegend ihren Beitritt zur SA.“ 44 Ähnlich bewertete auch die „Kattowitzer Zeitung“ 1940 den Antrieb der dort Eingetretenen und schrieb, daß viele von ihnen dachten, diese Zugehörigkeit würde ihnen auf dem schnellsten Wege „Brot und Arbeit“ verschaffen. 45 In der Tat war der berufliche Aufstieg untrennbar mit der Mitgliedschaft in einer NS-Organisation verbunden. Ohne diese war es undenkbar, eine gute Arbeit oder Ausbildung zu finden bzw. den materiellen Status zu verbessern. Einem Einwohner von Pszczyna beispielsweise erschwerten die deutschen Be-

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hörden die Zulassung zur Gesellenprüfung. Man machte zur Bedingung, daß er der SA beitrete. Darum lieh er sich von seinem Kollegen eine SA-Uniform, ließ in dieser von sich Photos machen und zeigte sich in ihr mehrmals bei deutschen Festlichkeiten. 46 Die Bevölkerung Oberschlesiens, die die Gründe für die zahlreichen Eintritte in NS-Organisationen kannte, hielt die Mitgliedschaft beispielsweise in der SA nicht für ein Verbrechen, wie dies etwa in anderen Teilen Polens empfunden wurde. 47 Der Begriff „Renegat“ hatte dort während der Besatzung eine andere Bedeutung als im Generalgouvernement. So gab es unter den Mitgliedern der NS-Organisationen auch ehemalige Teilnehmer der oberschlesischen Aufstände. 48 Das Engagement in derartigen Verbänden war für die deutschen Machthaber auch insofern relevant, weil es ein Kriterium dafür bot, wie weit germanisiert die Schlesier bereits waren. In vielen Betrieben, in denen die Direktion der SA oder NSDAP angehörte, wurde auf die Arbeiter Druck ausgeübt, sich einer Organisation anzuschließen. Ein Beispiel hierfür war die Bierbrauerei in Tichau (Tychy), in der von 300 Mitarbeitern 100 bei der SA als Mitglieder verzeichnet waren. 49 Man machte auf die Untergebenen Druck, indem man ihnen mit Zwangsarbeit, Entlassung oder mit Schwerstarbeit drohte. Die deutschen Behörden, die stets mit der Vergrößerung der NS-Bewegung beschäftigt waren, legten keinen besonderen Wert auf eine genaue Auswahl der Kandidaten. Wie niedrig die Anforderungen für die Mitgliedschaft in der SA waren, beweist eine Einschätzung der Kreisleitung der NSDAP in Rybnik: „Der Kandidat ist Pole und gehörte den drei wichtigeren polnischen Kampforganisationen an. Man kann ihn aber ohne Bedenken aufnehmen, da es an anderen deutschstämmigen Kräften der Volksdeutschen fehlt.“ 50 Derartige Personaldefizite führten dazu, daß die NS-Machthaber bei der Bildung eines Netzes von NSDAP-Zellen die im Reich eingeforderten Rassengesetze und politischen Kriterien kaum beachteten. 51 Es kam auch vor, daß das Verhalten der Funktionäre aus Sicht der Partei getadelt werden mußte. Die Frau eines Ortsgruppenleiters der NSDAP, der wegen des Krieges abwesend war, ließ z. B. ihr Kind feierlich in der Kirche taufen. Ein völlig betrunkener Blockwart aus Studzienitz (Studzienice) forderte während eines Bauerntreffens zum Gesang der polnischen Nationalhymne auf. 52 Fälle von polnisch sprechenden SA-Angehörigen kamen häufig vor. Einer demonstrierte derart ostentativ seine Bindung an die polnische Sprache, daß die örtlichen Deutschen öfters mit Kreide an sein Haus „SA-Pole“ schrieben. 53 Manchmal hatte der Gebrauch der polnischen Sprache einfach auch mit den unzureichenden Deutschkenntnissen mancher Mitglieder der NS-Verbände zu tun. Dies fand seinen Ausdruck in diversen Witzen über jene Führer deutscher Gruppen, die nicht auf deutsch befehlen konnten.54 In den ersten Jahren der Okkupation war der Zulauf von Freiwilligen zu den NS-Organisationen – besonders zur SA – verhältnismäßig groß, doch mit der Zeit gab es immer weniger Beitrittswillige. Darüber, daß viele Personen, die sich bei der SA gemeldet hatten, wenige Wochen später ihre Anträge zurückzogen,

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schrieb die Parteipresse schon Anfang 1940. 55 Es gab auch Beschwerden über Mitglieder, die zwar auf dem Papier existierten, aber nicht aktiv am Parteileben teilnahmen. Oft kam es auch vor, daß man Nachweise einer Mitgliedschaft in der Hitlerjugend oder im Bund Deutscher Mädel vorlegen mußte. 56 Dies betraf besonders ältere Kinder, die eine patriotische Erziehung in polnischen Schulen hinter sich hatten und resistenter gegen die NS-Doktrin waren. Diese Kinder, so kann man den Untergrundberichten entnehmen, mieden deutsche Verbände oder wurden noch öfters ‚Mitglieder auf dem Papier‘. 57 Viel gefährlicher waren dagegen Personen, die aus ideologischen Beweggründen den Organisationen beitraten. Es gab viele Fälle eifrig diensttuender Deutscher, die zu allem bereit waren – selbst zu Kriegsverbrechen. Jene Schlesier, die für die Deutschen optiert hatten, traten den Polen nach den ersten Wochen der Okkupation nicht mehr so feindlich gegenüber. Als die ‚Eifrigsten‘ stellten sich diejenigen heraus, die aus ihren Heimatgebieten, in denen sie vor dem Krieg wohnhaft gewesen waren, in fremde Regionen umgesiedelt wurden. Eine sehr schlechte Reputation hatten z. B. jene Schlesier, die man in das Dombrowa-Revier abkommandierte, um dort als Beamte, Steiger und Meister zu fungieren. 58 Ihre Haltung wurde später auf alle Bewohner Oberschlesiens projiziert. 59

Labile Loyalitäten Die Okkupation hatte zur Folge, daß die meisten Menschen des Grenzgebietes sich der deutschen Regierung – oft allerdings nur scheinbar – unterstellten. Eine große Anzahl der Oberschlesier hatte kein nationales Selbstbewußtsein und hielt den Wechsel der Zugehörigkeit für keine Sünde. 60 Hand in Hand damit ging die brutale Bekämpfung des Polentums in Oberschlesien; bis 1941 wurde es dort aus dem öffentlichen Leben fast völlig verdrängt und wich in den Untergrund aus. 61 Obwohl man schon viel früher eine Erosion der prodeutschen Haltung beobachten konnte, stellte man Mitte 1941 einen Umbruch fest. Das hing nicht nur mit dem Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges zusammen 62 , sondern auch mit den Einberufungen zur Wehrmacht. Die unsichere Lage an der Front veränderte die Gemütslage in eine düstere und eher polnische. Die folgenden Kriegsjahre verstärkten den Unmut über das deutsche Regime. Die Menschen begannen ihre frühere prodeutsche Haltung zu revidieren. Viele bisher ‚eifrige‘ Deutsche wechselten in die Reihen der Volksdeutschen mit propolnischer Einstellung. 63 Die Unzufriedenheit teilten auch die ortsansässigen Deutschen. Nach anfänglicher Euphorie betrachteten diese die Taten des Hitlerregimes mit Skepsis. Das geringe Vertrauen der Reichsdeutschen zu ihnen und der Zweifel an ihrem administrativen Können führte dazu, daß Volksdeutsche bei der Besetzung von wichtigen Ämtern übergangen wurden. Die Verbitterung darüber wuchs mit der schlechter werdenden Situation an der Front. 64 Ein Teil der Oberschlesier verband die Okkupation nicht mit so dramatischen Ereignissen, wie dies die polnische Bevölkerung tat. Zudem bedeutete das Ende des Krieges für viele erst der Anfang der

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Verfolgung. 65 Ganz anders sah die Situation der Bevölkerung aus, die sich völlig zum Polentum bekannte. Für diese wurden die ersten Jahre der Besatzung zum Drama, weil sie oft im Gefängnis oder im Konzentrationslager endeten. 66 Für viele Personen, die die komplizierten Probleme der Okkupation in Oberschlesien mit den Erfahrungen im Generalgouvernement gleichsetzten, war die Situation dagegen einfach: Es herrschte dort die „verfaulte Atmosphäre des Hitlerregimes“ – so der Richter Rudolf Kawczaka –, und die Schlesier erwiesen sich als Abtrünnige. Aus dem Polnischen von Christhardt Henschel und Karoline Wilczek

Anmerkungen S´la˛sk i Polacy. Szkic krytyczny, paz´dziernik 1943, AAN, DR, Sign. 202/III-166, Bl. 50 f. 2 Vgl. Mandel Lucyna: Szczes´niak Katarzyna II wojna s´wiatowa na terenie Boguszowic i Rownia, AIPNK, Biuro Edukacji Publicznej, Sign. 69; die Atmosphäre der ersten Kriegstage geben auch die Erinnerungen von Wilhelm Szewczyk: Wspomnienia, Katowice 2001, S. 67, wieder, der in Czerwionka Bergleute traf, die die deutsche Armee mit „Heil Hitler“ begrüßten und ihn „verfluchter Großpole“ nannten. 3 Zbigniew Kurcz: Koniec wojny i okupacji na Górnym S´la˛sku wedle relacji i pamie˛tników, in: Wojciech Wrzesin´ski (Hrsg.): Górny S´la˛sk i Górnos´la˛zacy w II wojnie s´wiatowej, Bytom 1997, S. 139. 4 Jan Drabina: Historia Chorzowa od 1868 do 1945 roku, Chorzów 1999, S. 231 f.; Władysław Krzyz˙aniak/ Ignacy Sikora/ Seweryn Walkowiak: Katowice w okresie okupacji hitlerowskiej w latach 1939–1945, Katowice 1966, S. 18 f. 5 BA-MA, RH 26–239/4; das Dokument stellte mir Ryszard Kaczmarek zur Verfügung. 6 APK, Sign. 112. 7 Nach Schätzungen von Andrzej Szefer: Próba podsumowania wste˛pnych badan´ nad stratami ludnos´ci cywilnej województwa katowickiego w latach okupacji hitlerowskiej, in: Zaranie S´la˛skie 31(1969), S. 248–254, kamen 1939–1945 auf dem Gebiet der ehemaligen Woiwodschaft Schlesien 6457 Personen um, darunter allein 2841 im Jahr 1939; diese Zahl beinhaltet aber nicht die Verstorbenen in Konzentrations-, Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeitslagern; die Zahl beinhaltet auch nicht die jüdischen Opfer; in der Woiwodschaft Schlesien lebten vor dem Krieg etwa 25 000 Juden, von denen nur wenige die Besatzung überlebt haben. 8 Kazimierz Leszczyn´ski: Działalnos´c´ Einsatzgruppen policji bezpieczen´stwa na ziemiach polskich w 1939 r. w s´wietle dokumentów, in: BGK 22, 1971, S. 222 f. 9 Andrzej Szefer: Losy powstan´ców s´la˛skich w latach okupacji hitlerowskiej, Katowice 1970, S. 12 f.; vgl. ders.: Jak powstawała niemiecka specjalna ksie˛ga gon´cza Sonderfahndungsbuch Polen, in: Zaranie S´la˛skie 46(1983), S. 213–240. 10 Vgl. Ryszard Kaczmarek: Z okupacyjnych dziejów gminy Le˛dziny (1939–1945), Le˛dziny 1994, S. 9; Jerzy Myszor; Wpływ Kos´cioła katolickiego na postawy społec1

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zen´stwa na Górnym S´la˛sku w okresie okupacji hitlerowskiej, in: Wrzesin´ski (Anm. 3), S. 66. 11 ˙ ycie religijno-moralne w powiecie rybnickim w czasie II wojny Adam Dziurok: Z s´wiatowej, in: Janusz Odziemkowski (Hrsg.): Studia i materiały z najnowszej historii Polski, Warszawa 2000, S. 42. 12 Als Folge von Denunziationen durch ihre Gemeindemitglieder kamen Dutzende von Pfarrern in Konzentrationslager, vgl. Myszor (Anm. 10), S. 75. 13 Eine Meldung vom Oktober 1943 berichtete, daß viele Volksdeutsche am 2./ 3. 9. 1939 die „Parade der abziehenden Goroli“, also der nichtschlesischen Polen, beobachteten; Schlesien sei ein besonderer Fall gewesen, da „in allen Gegenden Polens […] vor den Deutschen geflüchtet wurde. Aber nur in Schlesien war es so, daß die Kernbevölkerung vor Ort blieb und die Zugezogenen sich zu 100 % aus dem Staub machten“, AAN, DR, Sign. 202/III-150, Bl. 54 f. 14 Ebd., Bl. 49. 15 Mieczysław Starczewski: Ruch oporu na Górnym S´la˛sku i w Zagłe˛biu Da˛browskim w latach 1939–1945, Katowice 1988, S. 41. 16 Myszor (Anm. 10), S. 67. 17 AAN, DR, Sign. 202/III-167, Bl. 182 f. 18 Wacław Długoborski (Hrsg.): Documenta occupationis, Bd. 11, Poznan´ 1983, S. XV. 19 Jerzy Myszor: Stosunki Kos´ciół–pan´stwo okupacyjne w diecezje katowickiej 1939–1945, Katowice 1992, S. 76. 20 Irena Sroka: Policyjny spis ludnos´ci w rejencji katowickiej (17–23 grudnia 1939 roku), in: Zaranie S´la˛skie 32(1969), S. 368, 374; vgl. Długoborski (Anm. 18), S. LII. 21 AAN, DSW, Sign. 202/II-6, Bl. 91. 22 APK, NSDAP-Gauleitung Oberschlesien, Sign. 209, Bl. 23. 23 AAN, DR, Sign. 202/III-139, Bl. 401. 24 Marian Orzechowski: W sprawie hitlerowskiej polityki narodowos´ciowej na Górnym S´la˛sku w latach 1939–1945, in: Zaranie S´la˛skie 27(1964), S. 516. 25 Mieczysław Starczewski: Polskie Pan´stwo Podziemne na S´la˛sku w latach 1939– 1945, in: Wrzesin´ski (Anm. 3), S. 15, 17. 26 Armia Krajowa w dokumentach 1939–1945, Bd. 1, Wrocław 1990, S. 344. 27 Ebd., S. 489; die Massenverhaftungen im Dezember 1940 betrafen 456 Mitglieder der ZWZ, Mieczysław Starczewski: Ruch oporu na Górnym S´la˛sku i w Zagłe˛biu Da˛browskim w latach 1939–1945, Katowice 1988, S. 96. 28 Armia Krajowa (Anm. 26), Bd. 2, Wrocław 1990, S. 247; wie in einem Bericht des Untergrunds zu lesen ist, konnten die sich polnisch fühlenden Oberschlesier ihr Polentum nicht zeigen „angesichts der Kontrolle und des Denunziantentums seitens der wirklichen und Konjunktur-Volksdeutschen“, AAN, DSW, Sign. 202/II-6, Bl. 102. 29 Im Bezirk Pleß, wo 96 % der Einwohner die deutsche Nationalität angaben, meldeten sich bei der Registrierung zum Wehrdienst jedoch nur 50 % der Einberufenen oder bekannten sich zum Polentum, Irena Sroka: Górnos´la˛zacy w Wehrmachcie, in: Wrzesin´ski (Anm. 3), S. 125; als Reaktion der NS-Behörden kam es zum Abtransport von Jugendlichen zur Arbeit nach Deutschland, AAN, DR, Sign. 202/III-167, Bl. 176. 30 Die Kommission zur Verfolgung von Verbrechen gegen die Polnische Nation im Bereich Kattowitz des IPN führt die Untersuchung in diesem Fall, Akta s´ledztwa w sprawie deportacji, w ramach germanizacji terenów wcielonych do III Rzeszy, 20 000

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˙ ywieckiej w okresie od wrzes´nia do listopada 1940 r., poła˛czonej ze Polaków z Ziemi Z szczególnym udre˛czeniem, AIPNK, Sign. S 5/00/Zn. 31 AAN, DSW, Sign. 202/II-6, Bl. 102. 32 Myszor (Anm. 19), S. 90. 33 Kornelia Banas´/Adam Dziurok (Hrsg.): Represje wobec duchowien´stwa górnos´la˛skiego w latach 1939–1956 w dokumentach, Katowice 2003, S. 60. 34 AAN, DR, Sign. 202/III-146, Bl. 150. 35 Ryszard Kaczmarek: Pod rza˛dami gauleiterów. Elity i instancje władzy w rejencji katowickiej w latach 1939–1945, Katowice 1988, S. 126 f. 36 Myszor (Anm. 19), S. 138; im Kreis Kattowitz war beispielsweise die Aufnahme in die NSDAP abhängig vom Austritt aus der Kirche, APK, NSDAP-Gauleitung Oberschlesien, Sign. 209, Bl. 42. 37 Auf 1940 fallen z. B. 40 % aller Kirchenaustritte im Kreis Rybnik, Dziurok (Anm. 11), S. 27; der Kreisleiter von Teschen schlug drastische Schritte vor, etwa wie im Wartheland, wo die Kirche zum Verein degradiert wurde, APK, NSDAP-Gauleitung Oberschlesien, Sign. 209, Bl. 89. 38 Uwagi dotycza˛ce propagandy na S´la˛sku, AAN, DR, Sign. 202/III-167, Bl. 187 ff. 39 Irena Sroka: Warunki bytowe mieszkan´ców rejencji katowickiej w latach 1939– 1945, in: Studia i materiały z dziejów S´la˛ska 20(1992), S. 224, 228. 40 Ebd., S. 225. 41 AAN, DSW, Sign. 202/II-6, Bl. 102. 42 Wojciech Wrzesin´ski: Dos´wiadczenia wojenne a mys´lenie o przyszłos´ci S´la˛ska, in: ders. (Hrsg.): S´la˛sk wobec wojny polsko-niemieckiej 1939 r., Wrocław-Warszawa 1990, S. 249. 43 Vgl. Adam Dziurok: S´la˛skie rozrachunki. Władze komunistyczne a byli członkowie organizacji nazistowskich na górnym S´la˛sku w latach 1945–1956, Warszawa 2000. 44 AIPN, Sa˛d Okre˛gowy w Bytomiu, Sign. 119, Bl. 49. 45 Kattowitzer Zeitung v. 4. 1. 1940. 46 AIPN, SOK, Sign. 3, Bl. 28, 52. 47 Ebd., Sa˛d Okre˛gowy w Raciborzu, Sign. 74, Bl. 44 f. 48 Es wurde festgestellt, daß von den einigen Hundert Personen, die nach dem Krieg für Aktivitäten in der NS-Bewegung verurteilt wurden, 27 an den oberschlesischen Aufständen teilgenommen hatten; die meisten (22) traten später der SA bei, 2 der SS, 2 der NSDAP; es gab mit Sicherheit mehr solcher Personen, doch kann nur eine genauere Durchsicht der Archive sicherere Zahlen bringen; aber schon aufgrund dieser Daten kann man schließen, daß dies keine Randerscheinung war. 49 AIPN, SOK, Sign. 390, Bl. 86; die Zahl der Mitglieder der NSDAP und der NSOrganisationen hing in hohem Maß vom Druck der Arbeitgeber ab; in der Zeche Zabrze Zachód kamen z. B. auf fast 1000 Mann nur 13 Parteimitglieder, Alojzy Targ: S´la˛sk w okresie okupacji niemieckiej (1939–1945), Poznan´ 1946, S. 13. 50 AIPN, SSKK-Racibórz, Sign. 22, Bl. 40; ein Einwohner von Königshütte wurde nach mehrmonatiger Mitgliedschaft in der SA ausgeschlossen, als sich herausstellte, daß er der Leitung des Sokół, des Bundes der Aufständischen (Zwia˛zek Powstan´ców), angehört hatte; dies behinderte jedoch nicht seine erneute Aufnahme in die SA nach 3 Jahren, AIPN, SSKK-Bytom, Sign. 180, Bl. 8, 34. 51 Ebd., Sa˛d Wojewódzki w Katowicach, Sign. 189, Bl. 187. 52 Tomasz Kruszewski: NSDAP a społeczen´stwo niemieckie na S´la˛sku w okresie

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Trzeciej Rzeszy, in: Studia nad Faszyzmem i Zbrodniami Hitlerowskimi 17(1994), S. 212. 53 AIPN, Sa˛d Okre˛gowy w Gliwicach, Sign. 16, Bl. 19. 54 AAN, DR, Sign. 202/III-139, Bl. 198. 55 ˙ ycie społeczno-polityczne w rejencji katowickiej w Irena Sroka/Andrzej Szefer: Z s´wietle „Kattowitzer Zeitung“ i „Oberschlesische Zeitung“ w latach 1939–1945, in: Studia i materiały z dziejów S´la˛ska 13(1983), S. 310. 56 AAN, DR, Sign. 202/III-146, Bl. 179. 57 Ebd., Bl. 197; die Gerichte stellten oft fest, daß die Schlesier trotz ihrer Zugehörigkeit zu NS-Organisationen ihre Kontakte zum Polentum nicht abbrachen, polnisch sprachen, ihre Kinder im polnischen Geist erzogen, gemeinsam mit anderen ausländische Radiosender hörten und den Polen materiell halfen. 58 Czesław Madajczyk: Polityka III Rzeszy w okupowanej Polsce, Bd. 1, Warszawa 1970, S. 493 ff. 59 Mirosława Błaszczak-Wacławik/Wojciech Błasiak/Tomasz Nawrocki: Górny ´Sla˛sk. Szczególny przypadek kulturowy, Warszawa 1990, S. 58. 60 Laut Zygmunt Izdebski: Niemiecka lista narodowa na Górnym S´la˛sku, Katowice 1946, S. 45, erkannten die Oberschlesier die nationale Philosophie und Moral an. 61 Ignacy Sikora, Gesandter der Regierung der Republik Polen in Oberschlesien, unterstrich: „Wer von den Autochthonen sich als Pole betrachtet, ist ein Verräter und als solcher unterliegt er den Strafen für Verrat“, AAN, DSW, Sign. 202/II-15. 62 Wie die NSDAP-Führung Lublinitz/Loben (Lubliniec) berichtete, „fiel in dieser Zeit die Zahl der Teilnehmer an den Versammlungen, man hörte auf, die DAF-Abzeichen zu tragen und das alles, um unangenehme Folgen zu umgehen, falls sich wirklich etwas ändern sollte“, APK, NSDAP-Gauleitung Oberschlesien, Sign. 209, Bl. 2. 63 AAN, DR, Sign. 202/III-151, Bl. 42; selbst die Deutschen sollten sich Ende 1943 in drei Kategorien einteilen: „1. Parteigenießer – Barbaren, wilde Bestien. Sie kämpfen weiter brutal gegen die Polen. […], 2. Parteigenossen – immer apathischere [Gruppe]. Sie verhalten sich mit menschlichem Gefühl loyal gegenüber den Polen […], 3. Parteigegner – eine immer mutigere [Gruppe], verhalten sich feindselig gegenüber den Parteigenießern, loyal zu den Parteigenossen und zu den Polen wohlwollend“, ebd., Sign. 202/III-146, Bl. 188. 64 Ryszard Kaczmarek: Górnos´la˛scy Niemcy w administracji niemieckiej rejencji katowickiej, in: Wrzesin´ski (Anm. 3), S. 63 f. 65 Kurcz (Anm. 3), S. 138, 145. 66 Gerade sie standen vor der Wahl zwischen „Märtyrertum und Opportunismus“, wie es in einem Bericht des Untergrundes hieß, AAN, DR, Sign. 202/II-6, Bl. 199.

Abkürzungsverzeichnis AA AAN Abgedr. Abt. AfS AIPN AIPNK AIPNŁ AIZ AJJDC AK A.K. Anm. AO AOK APK APŁ APMO APP AR AW ˙ IH AZ BAB BAK BAL BA-MA BA-ZA Bd. BDC BdO BdS Bearb. Betr. Bfh. BfZ BGK

Bl. BM

Auswärtiges Amt Archiwum Akt Nowych Warszawa Abgedruckt Abteilung Archiv für Sozialgeschichte Archiwum Instytutu Pamie˛ci Narodowej Warszawa Archiwum Instytutu Pamie˛ci Narodowej Katowice Archiwum Instytutu Pamie˛ci Narodowej Łódz´ Archiwum Instytutu Zachodniego Poznan´ American Jewish Joint Distribution Committee Armia Krajowa Armeekorps Anmerkung Abwehroffizier Armeeoberkommando Archiwum Pan´stwowe Katowice Archiwum Pan´stwowe Łódz´ Archiwum Pan´stwowego Muzeum Os´wie˛cim Archiwum Pan´stwowe Poznan´ Artillerieregiment Archiwum Wschodnie Warszawa ˙ ydowskiego Instytutu Historycznego Warszawa Archiwum Z Bundesarchiv Berlin Bundesarchiv Koblenz Bundesarchiv-Außenstelle Ludwigsburg Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg/B. Bundesarchiv-Zwischenarchiv Dahlwitz-Hoppegarten Band Berlin Document Center Befehlshaber der Ordnungspolizei Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD Bearbeiter/Bearbeitet Betreff/Betreffend Befehlshaber Bibliothek für Zeitgeschichte Stuttgart Biuletyn Głównej Komisji Badania Zbrodni Hitlerowskich w Polsce bzw. Biuletyn Głównej Komisji Badania Zbrodni przeciwko Narodowi Polskimu Blatt Bürgermeister

Abkürzungsverzeichnis

BStU

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Der Beauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR Berlin ˙ IH ˙ ydowskiego Instytutu Historycznego BZ Biuletyn Z CdO Chef der Ordnungspolizei CdS Chef der Sicherheitspolizei und des SD CEH Central European History Ders. Derselbe Dess. Desselben DHI Deutsches Historisches Institut Dok.Slg. Dokumentensammlung DR Delegatura Rza˛du RP na Kraj DSW Department Spraw Wewne˛trznych Dto. Dito E. Ersatz Ebd. Ebenda EG Einsatzgruppe EK Einsatzkommando FGAGO Filial Gosudarstv’ ennogo Archiva Grodn’enskoj Oblasti Grodno FHA Führungshauptamt FK Feldkommandantur Gen.Kdo. Generalkommando Gen.Qu. Generalquartiermeister GG Generalgouvernement GSHI General Sikorski Historical Institute Archives London GSR German Studies Review GStaw Generalstaatsanwalt GVL Ghettoverwaltung Litzmannstadt H. Heft HA Hauptamt HGr Heeresgruppe HGS Holocaust and Genocide Studies HI Hoover Institution Archives Stanford Hrsg. Herausgeber/Herausgegeben HSSPF Höherer SS- und Polizeiführer Ia Erster Generalstabsoffizier (Taktische Führung) Ic Dritter Generalstabsoffizier (Feindnachrichten/Abwehr) ID Infanteriedivision IdS Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD IfZ Institut für Zeitgeschichte München IMG Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg 14. November 1945–1. Oktober 1946 IPN Instytut Pamie˛ci Narodowej IR Infanterieregiment JSS Jüdische Soziale Selbsthilfe Kav. Kavallerie KD Kavalleriedivison KdF Kanzlei des Führers

236 Kdo. Kdr. KG Komp. Korück KP(B)B KPZB KR KTB LA LG LKA LKPA LO Mot. NARB Nbg.Dok. NKWD N.N. NTN O. OA OB OBdH OFK OK OKH OKW O.Qu. Oscha. OStaw Os´w. PB Pg. Pol. PR PWA PZ Qu. Red. RFSS RGBl. Rgt. RKFDV RKPA RM RMF

Abkürzungsverzeichnis Kommando Kommandeur Kammergericht Kompanie Kommandant des rückwärtigen Armeegebietes Kommunistische Partei Weißrußlands (Bolschewiki) Kommunistische Partei des Westlichen Weißrußlands Kavallerieregiment Kriegstagebuch Leitabschnitt Landgericht Landeskriminalamt Landeskriminalpolizeiamt Leitz-Ordner Motorisiert Nacjonal’nyj Archiv Respubliki Belarus’ Minsk Nürnberger Dokumente Narodnyj Komissariat Wnutrennych Del Non Nomen Najwyz˙sye Trybunał Narodowy Ordner Oberabschnitt Oberbefehlshaber Oberbefehlshaber des Heeres Oberfeldkommandantur Ortskommandantur Oberkommando des Heeres Oberkommando der Wehrmacht Oberquartiermeister Oberscharführer Oberstaatsanwalt Os´wiaczenia Polizeibataillon Parteigenosse Polizei Polizeiregiment Polish Western Affairs Przegla˛d Zachodni Quartiermeister Redaktion Reichsführer-SS Reichsgesetzblatt Regiment Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums Reichskriminalpolizeiamt Reichsmark Reichsministerium der Finanzen

Abkürzungsverzeichnis

RMI RMJ RP RPB RR RSHA RuSHA SB SD SSKK Slg. sMG SOK SSO SSPF StAM Staw Stellv. SZP Tät.Ber. T-RR T-RS T-St. UdSSR Undat. UPST USHMM UWZ Vern. VfZ VUA WK W-SS YIVO YVS z.b.V. ZfG Zit. ZK ZSL ZWZ

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Reichsministerium des Inneren Reichsministerium der Justiz Regierungspräsident Reserve-Polizeibataillon Regierungsrat Reichssicherheitshauptamt Rasse- und Siedlungshauptamtsakte Sonderband Sicherheitsdienst Specjalny Sa˛d Karny w Katowicach Sammlung Schweres Maschinengewehr Sa˛d Okre˛gowy w Katowicach SS-Offiziersakte SS- und Polizeiführer Staatsarchiv München Staatsanwaltschaft Stellvertreter/Stellvertretender Słuz˙ba Zwycie˛stwu Polski Tätigkeitsbericht Totenkopf-Reiterregiment Totenkopf-Reiterstandarte Totenkopf-Standarte Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Undatiert Underground Poland Study Trust London United States Holocaust Memorial Museum Archives Washington D.C. Umwandererzentralstelle Vernehmung Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Vojensky´ Ústrˇední Archiv Praha Wehrkreis Waffen-SS Institute for Jewish Research Archives New York Yad Vashem Studies Zur besonderen Verwendung Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zitat/Zitiert Zentralkomitee Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen Ludwigsburg Zwia˛zek Walki Zbrojnej

Die Autoren Michael Alberti, Dr.phil.des.; geb. 1965; Studium der Geschichte und Politikwissenschaft in Frankfurt/M. und Freiburg/B.; ehem. Stipendiat des DHI Warschau; Projektkoordinator und stellvertretender Sachgebietsleiter Qualitätsmanagement/ Kundenbetreuung in der Kommunikationstechnik des Bayerischen Rundfunks; Veröffentlichung: Die Verfolgung und Vernichtung der Juden im Reichsgau Wartheland 1939–1945, Wiesbaden 2004 (im Erscheinen); lebt in München. Jochen Bhler, M.A.; geb. 1969; Studium der Geschichte, Ethnologie und Volkswirtschaft in Köln; Projektmitarbeiter am DHI Warschau und Doktorand an der Universität Köln; arbeitet derzeit an einer Dissertation über die Wehrmacht im Septemberfeldzug 1939; Veröffentlichung: Vis-a-vis im Herbst – Die deutsche Wehrmacht und die polnische Bevölkerung 1939, in: Interfinitimos 19/20, 2001, S. 57–65; lebt in Warschau. Martin Cppers, M.A.; geb. 1966; Studium der Geschichte und Romanistik in Trier und an der Humboldt-Universität Berlin; Doktorand an der Universität Stuttgart; arbeitet derzeit an einer Dissertation über den Kommandostab Reichsführer-SS und die unterstellten Verbände der Waffen-SS; Veröffentlichung: Gustav Lombard – ein engagierter Judenmörder aus der Waffen-SS, in: Klaus-Michael Mallmann/Gerhard Paul (Hrsg.): Karrieren der Gewalt. Nationalsozialistische Täterbiographien, Darmstadt 2004, S. 145–155; lebt in Berlin. Adam Dziurok, Dr.phil.; geb. 1972; Studium der Geschichte an der Kardinal Stefan Wyszyn´ski-Universität Warschau; Promotion 2000; Abteilungsleiter des Büros für öffentliche Bildung des IPN Katowice; Veröffentlichungen u. a.: S´la˛skie rozrachunki. Władze komunistyczne a byli członkowie organizacji nazistowskich na Górnym S´la˛sku w latach 1945–1956, Warszawa 2000; Obóz Pracy w S´wie˛tochłowicach w 1945 r. Dokumenty, zeznania, relacje, listy, Warszawa 2002 (Hrsg.); Represje wobec duchowien´stwa górnos´la˛skiego w latach 1939–1956 w dokumentach, Katowice 2003 (Hrsg. zusammen mit Kornelia Banas´); lebt in Rybnik. Barbara Engelking-Boni, Dr.phil.habil.; geb. 1962; Studium der Psychologie an der Universität Warschau; Promotion 1994; Habilitation 2002; Professorin am Institut der Philosophie und Soziologie der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau; Veröffentlichungen: Zagłada i pamie˛c´, Warszawa 1994; „Czas przestał dla mnie istniec´“. Analiza dos´wiadczania czasu i sytuacji ostatecznej, Warszawa 1996; Getto warszawskie. Przewodnik po nieistnieja˛cym mies´cie, Warszawa 2002 (zusammen mit Jacek Leonciak); lebt in Warschau. Andrea Lw, M.A.; geb. 1973; Studium der Geschichte, Neueren Literaturwissenschaft sowie der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften in Bochum; ehem. Stipendiatin

Die Autoren

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des DHI Warschau; Doktorandin an der Ruhr-Universität Bochum; arbeitet derzeit an der Dissertation: Juden im Ghetto Litzmannstadt 1939–1944/45. Lebensbedingungen, Selbstwahrnehmung, Verhalten; Veröffentlichungen: „Wozu noch Welt“. Tagebücher aus dem Ghetto Lodz, in: SACHOR. Zeitschrift für Antisemitismusforschung, jüdische Geschichte und Gegenwart 11(2001), S. 111–128; The Encyclopedia of the Lodz ˙ ydów/Jewish History Quarterly 206, 2003, S. 195–208 Ghetto, in: Kwartalnik Historii Z (zusammen mit Robert Kogler); Deutsche – Juden – Polen. Geschichte einer wechselvollen Beziehung im 20. Jahrhundert, Frankfurt/M.-New York 2004 (Hrsg. zusammen mit Kerstin Robusch u. Stefanie Walter); lebt in Bochum. Klaus-Michael Mallmann, Dr.phil.habil.; geb. 1948; Studium der Geschichte, Soziologie, Politikwissenschaft und Germanistik in Mannheim und Saarbrücken; Promotion 1980; Habilitation 1995; Wissenschaftlicher Leiter der Forschungsstelle Ludwigsburg und Professor für Neuere Geschichte an der Universität Stuttgart; Veröffentlichungen u. a.: Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg. ‚Heimatfront‘ und besetztes Europa, Darmstadt 2000 (Hrsg. zusammen mit Gerhard Paul); Deutscher Osten 1939–1945. Der Weltanschauungskrieg in Photos und Texten, Darmstadt 2003 (Hrsg. zusammen mit Volker Rieß u. Wolfram Pyta); Karrieren der Gewalt. Nationalsozialistische Täterbiographien, Darmstadt 2004 (Hrsg. zusammen mit Gerhard Paul); lebt in Ludwigsburg. Jacek Andrzej Młynarczyk, M.A.; geb. 1968; Studium der Geschichte und Philosophie in Katowice und Essen; ehem. Stipendiat des DHI Warschau; Doktorand an der Universität Stuttgart; arbeitet derzeit an einer Dissertation über die Judenverfolgung im Distrikt Radom; Veröffentlichungen: Bestialstwo z urze˛du. Organizacja hitlerowskich akcji deportacyjnych w ramach „Operacji Reinhard“ na przykładzie likwidacji kielek˙ ydów/Jewish History Quarterly 203, 2002, S. 354– kiego getta, in: Kwartalnik Historii Z 379; Hans Gaier – ein Polizeihauptmann im Generalgouvernement, in: Klaus-Michael Mallmann/Gerhard Paul (Hrsg.): Karrieren der Gewalt. Nationalsozialistische Täterbiographien, Darmstadt 2004, S. 86–94; Organisation und Durchführung der „Aktion Reinhard“ im Distrikt Radom, in: Bogdan Musial (Hrsg.): „Aktion Reinhard“. Die Vernichtung der Juden im Generalgouvernement, Wiesbaden 2004 (im Erscheinen); Treblinka – ein Todeslager der „Aktion Reinhard“, in: ebd.; lebt in Warschau. Bogdan Musial, Dr.phil.; geb. 1960; Studium der Geschichte, Soziologie und Politikwissenschaft in Hannover und Manchester; Promotion 1998; 1999–2004 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am DHI Warschau; ab April 2004 Leitung eines internationalen Forschungsprojekts zur Geschichte der sowjetischen Partisanenbewegung in Weißrußland 1941–1944; Lehrbeauftragter an der Universität Hannover; Veröffentlichungen u. a.: Deutsche Zivilverwaltung und Judenverfolgung im Generalgouvernement. Eine Fallstudie zum Distrikt Lublin 1939–1944, Wiesbaden 1999; „Konterrevolutionäre Elemente sind zu erschießen“. Die Brutalisierung des deutsch-sowjetischen Krieges im Sommer 1941, Berlin-München 2000; Sowjetische Partisanen in Weißrußland. Innenansichten aus dem Gebiet Baranowitschi 1941–1944. Eine Dokumentation, München 2004 (Hrsg.); lebt in Alfeld. Volker Rieß, Dr.phil.; geb. 1957; Studium der Geschichte, Germanistik und Politikwissenschaft in Stuttgart; Promotion 1993; Mitarbeiter des kanadischen Justizministeri-

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Die Autoren

ums und der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart; Veröffentlichungen u. a.: „Schöne Zeiten“. Judenmord aus der Sicht der Täter und Gaffer, Frankfurt/ M. 1988 (Hrsg. zusammen mit Ernst Klee und Willi Dreßen); Die Anfänge der Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ in den Reichsgauen Danzig-Westpreußen und Wartheland 1939/40, Frankfurt/M. u. a. 1995; Deutscher Osten 1939–1945. Der Weltanschauungskrieg in Photos und Texten, Darmstadt 2003 (Hrsg. zusammen mit KlausMichael Mallmann u. Wolfram Pyta); lebt in Ludwigsburg. Dorothee Weitbrecht, M.A.; geb. 1966; Studium der Geschichte und Germanistik in Stuttgart; Doktorandin an der Universität Bern; arbeitet derzeit an einer Dissertation über deutsche Studenten der 68er-Bewegung in Argentinien; Veröffentlichungen: Der Exekutionsauftrag der Einsatzgruppen in Polen, Filderstadt 2001; Ruth „Sara“ Lax 5 Jahre alt deportiert nach Riga. Deportation und Vernichtung badischer und württembergischer Juden (Ausstellungskatalog), Ludwigsburg 2002; lebt in Stuttgart. Marek Wierzbicki, Dr.phil.; geb. 1964; Studium der Geschichte an der Katholischen Universität Lublin; Promotion 1997; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut der Politikwissenschaften der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau; Veröffentlichungen: „Pierwsza Kadrowa“ Inspektoratu Radomskiego AK, Radom 1994; Polacy i Białorusini w zaborze sowieckim. Stosunki polsko-białoruskie na ziemiach północno-wschodnich II Rzeczypospolitej pod okupacja˛ sowiecka˛ (1939–1941), Wars˙ ydzi w zaborze sowieckim. Stosunki polsko-z˙ydowskie na ziemizawa 2000; Polacy i Z ach północno-wschodnich II Rzeczypospolitej pod okupacja˛ sowiecka˛ 1939–1941, Warszawa 2001; lebt in Pionki und Warschau.