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German Pages 179 Year 2022
Sandra Ibrom
Ganzheitliche Projektabwicklung Konsequent partnerschaftlich – integrativ – kollaborativ
Ganzheitliche Projektabwicklung
Sandra Ibrom
Ganzheitliche Projektabwicklung Konsequent partnerschaftlich – integrativ – kollaborativ
Prof. Dr. Sandra Ibrom Fakultät 05, Munich University of Applied Sciences München, Deutschland
ISBN 978-3-658-38326-8 ISBN 978-3-658-38327-5 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-38327-5 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Karina Danulat Springer Vieweg ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Liebe Leser:innen
Die friedliche und konstruktive Abwicklung von Bau- und Immobilienprojekten beschäftigt mich seit vielen Jahren. Als Juristin und Mediatorin werde ich zu Baukonflikten gerufen. Es sind immer wieder die gleichen schwerwiegenden Konfliktlagen zu beobachten. Juristische oder auch alternative Streitbeilegungen sind oft systemimmanent und arbeiten auf der Ebene der Symptombekämpfung. Die Konfliktursachen sind häufig in der Art und Weise der Projektabwicklungen speziell im Bau- und Immobilienbereich zu finden. Wird nun die Projektabwicklung grundlegend neu und vor allem wirklich partnerschaftlich, integrativ und kollaborativ gelebt, kommt es weitaus weniger oft unproduktiven und unwirtschaftlichen Konflikten. Ich bin den verschiedenen systembedingten Ursachen der Konfliktneigung des Bauens und Planes auf den Grund gegangen und stelle in diesem Buch einen Ansatz vor, wie durch eine grundlegend neue und ganzheitliche Projektabwicklung viele Konfliktursachen vermieden werden, weil sich die Projektbeteiligten fair und verantwortlich begegnen. Dieser neue Weg der ganzheitlichen Projektabwicklung führt zu einem freundlicheren und damit produktiveren Klima der Zusammenarbeit, zu besseren Ergebnissen, zu mehr Zufriedenheit sowie zu echter nachhaltiger Entwicklung. Meinen teilweise radikalen Ansatz habe ich ganzheitliche Projektabwicklung genannt. Er ist sowohl System als auch Philosophie. Ausgehend von partnerschaftlichen und kollaborativen Ansätzen liegen meine grundsätzlichsten Innovationen in den Bereichen Führung, Kommunikation, Verhandlung, in der radikalen Veränderung des rechtlichen Rahmens und im Informations- sowie Nachhaltigkeitsmanagement. Damit betrifft ganzheitliche Projektabwicklung sowohl Menschen als auch Prozesse.
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Liebe Leser:innen
Acht Kernelemente bilden des Wesen der ganzheitlichen Projektabwicklung. Sie können in Projekten jeder Größe eingesetzt werden und sind daher jederzeit einsetzbar und skalierbar. Wesentlich ist, dass sie konsequent angewendet werden und kein Element fehlen darf. Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung werden ausführlich im 6. Kapitel behandelt. Probleme, Themen und Hintergründe der herkömmlichen Projektabwicklung können Sie in den Kap. 1–5 nachvollziehen. Wie Sie die Umsetzung gut schaffen steht in Kap. 7. Die ganzheitliche Projektabwicklung führt zu einem Kulturwandel, der selbst ein umfassender Lern- und Anpassungsprozess ist. Daher bin ich sehr an einem lebendigen Austausch mit Wissenschaft und Praxis interessiert und freue ich mich über Ihre Fragen, Feedback und Anregungen. Sie erreichen mich unter sandra. [email protected] Nun wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Lesen und Mut für eine ganzheitliche Projektabwicklung! Prof. Dr. Sandra Ibrom Wirtschaftsmediatorin
Inhaltsverzeichnis
1 Projektabwicklung am Limit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Die Hauptursachen für das Versagen der herkömmlichen Projektabwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 1.2 Unklare bzw. unrealistische Projektziele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 1.3 Fragmentierte Organisation statt Einbeziehung. . . . . . . . . . . . . . . . 4 1.4 Preiskampf und Qualitätsverlust aufgrund von Leistungsverträgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.5 Unrealistische Terminvorgaben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.6 Fehlende Kommunikation auf Augenhöhe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.7 Angst und destruktive Verhandlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.8 Ungenügendes Fehler-, Risiko- und Konfliktmanagement . . . . . . . 10 1.9 Unfaires Informationsmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.10 Keine (gute) Führung der Projektpartner. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 2 Projektabwicklung in Bewegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.1 Veränderungsdruck in der Branche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.2 Ansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.2.1 Charakteristika der integrativen Projektabwicklungsmodelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2.2.2 Mehrparteienverträge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2.2.3 Bewertung IPA und Mehrparteienvertrag . . . . . . . . . . . . . 23 2.3 Der Weg zu einer konsequent integrativen, kollaborativen und partnerschaftlichen Projektabwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2.3.1 Werteorientierte Führung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2.3.2 Nachhaltige Wertschöpfung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2.3.3 Faire und klare Vertragsgestaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 VII
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2.3.4
Integrative und kooperative Verhandlungs- und Entscheidungsprozesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2.3.5 Projektinterne Mediatoren von Anfang an. . . . . . . . . . . . . 28 2.3.6 Transparentes Echtzeitinformationsmanagement . . . . . . . 28 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3 Psychologische und soziale Hintergründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3.1 Denken ist meist unterbewusst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3.2 Soziale Verbundenheit als Schlüssel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3.3 Angst, die es zu überwinden gilt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 3.3.1 Funktionen der Angst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3.3.2 Körperliche Reaktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3.3.3 Kultur der Angst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3.3.4 Lernprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3.4 Umgang mit Emotionen und Stress. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3.4.1 Emotionen regulieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 3.4.2 Der Umgang mit Stress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3.4.3 Empathie durch gewaltfreie Kommunikation . . . . . . . . . . 42 3.5 Die Zusammenarbeit neu gestalten – Konsequent integrativ, kollaborativ und partnerschaftlich. . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3.5.1 Risiken aus den personen- und prozessbezogenen Bereichen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 3.5.2 Kollaborative Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3.5.3 Wer Angst hat, braucht Sicherheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3.5.4 Transformation der Projektabwicklung in ein wertschätzendes Ökosystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 4 Nachhaltige Wertschöpfung als Ideal einer neuen Projektabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 4.1 Werte führen zu Wertschöpfung und Qualität. . . . . . . . . . . . . . . . . 52 4.2 Wie führen Werte zu einer Wertschöpfung?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 4.3 Nachhaltige Wertschöpfung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 4.4 Qualität erfordert, aus Fehlern lernen zu dürfen . . . . . . . . . . . . . . . 57 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 5 Den Wandel begleiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 5.1 Führungsaufgabe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 5.2 Projektinterne Mediatoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 5.2.1 Was ist Mediation?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
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IX
5.2.2 Was ist Deal-Mediation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 5.2.3 Was bedeutet projektinterne Mediation?. . . . . . . . . . . . . . 64 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung. . . . . . 67 6.1 Ganzheitliche Planungs- und Bauprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 6.1.1 Ganzheitliche Projektführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 6.1.2 Die Prinzipien ganzheitlicher Führung im Einzelnen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 6.1.3 Mediative Einbeziehung aller wesentlichen Interessen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 6.1.4 Dynamische Phasen ganzheitlicher Planungs- und Bauabwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 6.2 Lebendige und konstruktive Kommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . 81 6.2.1 Was ist Kommunikation?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 6.2.2 Warum ist Kommunikation in Projekten oft angstbesetzt?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 6.2.3 Exkurs: Die wichtigsten unbewussten störenden Denkrahmen – Vielleicht erkennen Sie sich wieder?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 6.2.4 Durchgängig konstruktive Kommunikation. . . . . . . . . . . . 91 6.2.5 Mediativ unterstützte Kommunikation als Lernprozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 6.2.6 Positiver Humor für Lernprozesse und lebendige Kommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 6.3 Kurze, faire und lebendige Verträge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 6.3.1 Rechtlicher Rahmen für die Projektabwicklung in Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 6.3.2 Architekten- und Ingenieurverträge. . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 6.3.3 Die VOB/B ist ungeeignet für partnerschaftliche Zusammenarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 6.3.4 Die Rechtsbeziehungen zwischen allen Projektpartnern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 6.3.5 Die Lösung: Kurze, faire und verhandlungsfreundliche Verträge – agil und mitwachsend! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 6.4 Vertrauensvolle und wertschöpfende Zusammenarbeit. . . . . . . . . . 114 6.4.1 Mehr als Lean. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 6.4.2 Lean Methoden für die erfolgreiche Kollaboration. . . . . . 117
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6.4.3 Das System des letzten Planers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 6.4.4 Taktplanung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 6.4.5 Umsetzung der Lean Methoden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 6.4.6 Projektabwicklung als (Wert-)Schöpfungsprozess – Fehler sind notwendig. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 6.4.7 Die Bedeutung der mediativen Begleitung für die Kollaboration. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 6.5 Integrative Verhandlungen und verantwortliche Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 6.5.1 Der Harvard Verhandlungsansatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 6.5.2 Weshalb das Integrieren der Partner für das interessengerechte Verhandeln so wichtig ist. . . . . . . . . . . 125 6.5.3 Die Weiterentwicklung des Vertrages durch Verhandlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 6.5.4 Warum bedürfen integrative Verhandlungen mediativer Unterstützung?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 6.5.5 Der Ablauf integrativer interessengerechter Verhandlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 6.6 Kooperatives Risiko-, Fehler- und Konfliktmanagement. . . . . . . . . 132 6.6.1 Kooperatives Risikomanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 6.6.2 Fehlermanagement in der ganzheitlichen Projektabwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 6.6.3 Kooperatives Konfliktmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 6.7 Transparentes und verantwortliches Informationswesen. . . . . . . . . 143 6.7.1 Information ist nur ein Teil der Kommunikation. . . . . . . . 146 6.7.2 Ganzheitliches Informationsmanagement. . . . . . . . . . . . . 147 6.7.3 Verantwortliches und lebendiges Informationsmanagement als Führungsaufgabe . . . . . . . . 150 6.8 Gemeinsamer Lern- und Entwicklungsprozess. . . . . . . . . . . . . . . . 152 6.8.1 Gemeinsam Lernen macht Spaß und trainiert kollaborative Zusammenarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 6.8.2 Die Rolle der Projektführung in den Lernprozessen. . . . . 154 6.8.3 Der mediative Schlüssel zum Lernerfolg. . . . . . . . . . . . . . 155 6.9 Zusammenfassung Kap. 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 7 Ganzheitliche Projektabwicklung – Mit mehr Freude nachhaltig wirtschaften und für alle Projektgrößen geeignet! . . . . . . . . . . . . . . . . 159 7.1 Veränderungsprozesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
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Wie wird aus den acht Kernelementen eine ganzheitliche Projektabwicklung?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 7.3 Widerstand gegen die Veränderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 7.3.1 Wie kann zum Mitmachen motiviert werden?. . . . . . . . . . 163 7.3.2 Bewusstmachung der Wohlfühlveränderung. . . . . . . . . . . 164 7.3.3 Einladung zur persönlichen Weiterentwicklung . . . . . . . . 164 7.4 Vorteile der ganzheitlichen Projektabwicklung für den Bauherrn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 7.5 Vorteile der ganzheitlichen Projektabwicklung für die Auftragnehmer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
Über die Autorin
Prof. Dr. Sandra Ibrom war etwa 20 Jahre als Rechtsanwältin und Mediatorin tätig bevor sie zur Professorin für Baurecht und Betriebswirtschaft von der Hochschule München berufen wurde. Schwerpunkt ihrer Forschung ist die ganzheitliche Verbesserung der Projektabwicklung. Als Mediatorin und Konfliktcoach in Bausachen sowie als projektinterne Mediatorin im Rahmen der Projektabwicklung steht sie allen Akteuren in der Bau- und Immobilienbranche zur Seite, die Unterstützung bei kooperativer Konfliktbearbeitung oder partnerschaftlicher Projektabwicklung suchen.
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Abkürzungsverzeichnis
a. A. andere Ansicht a. a. O. am angegebenen Ort Abs. Absatz AG Auftraggeber AGB Allgemeine Geschäftsbedingungen AHO Ausschuss der Ingenieurverbände und Ingenieurkammern für die Honorarordnung e. V. AN Auftragnehmer ARGE Arbeitsgemeinschaft Aufl. Auflage AVB Allgemeine Vertragsbedingungen für Architekten- und Ingenieurleistungen BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGH Bundesgerichtshof BIM Building Information Modeling BVerfG Bundesverfassungsgericht bzgl. Bezüglich bzw. beziehungsweise ders. derselbe d. h. das heißt DVA Deutscher Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen EneV Energieeinsparverordnung EuGH Europäischer Gerichtshof etc. et cetera ff. fortfolgende GFK Gewaltfreie Kommunikation
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Abkürzungsverzeichnis
ggf. gegebenenfalls grds. grundsätzlich GU Generalunternehmer HOAI Honorarordnung für Architekten und Ingenieure i. d. R. in der Regel inkl. inklusive insbes. Insbesondere IPA Integrierte Projektabwicklung IPD Integrated Project Delivery KG Kammergericht LG Landgericht LPh Leistungsphase LV Leistungsverzeichnis m. w. N. mit weiteren Nachweisen n. F. neue Fassung NJW Neue Juristische Wochenschrift NZBau Neue Zeitschrift für Baurecht OLG Oberlandesgericht s. siehe S. Seite sog. so genannte u. und u. a. unter anderem usw. und so weiter v. a. vor allem vgl. vergleiche VOB/B Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B Vorb. Vorbemerkung z. B. zum Beispiel zit. zitiert ZPO Zivilprozessordnung
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Projektabwicklung am Limit Es bedarf einer grundlegend neuen Form der Projektabwicklung, – damit Planen und Bauen (wieder) Freude macht!
Bauprojekte werden in Deutschland häufig unwirtschaftlich abgewickelt und entsprechen nicht den Anforderungen an eine verantwortliche nachhaltige Entwicklung. In den letzten Jahrzehnten waren unnötige Baukostensteigerungen, Fristüberschreitungen, Qualitätsverluste und enorme Konflikte im Rahmen von Bauprojekten zu verzeichnen. Dies sind alles die Symptome einer dysfunktionalen und destruktiven Vorgehensweise bei der Projektabwicklung. Die naturgemäß bestehenden Interessenkonflikte der unterschiedlichen Beteiligten werden in der herkömmlichen Projektabwicklung grundsätzlich konfrontativ bearbeitet. So entstehen aus eigentlich sachlich lösbaren Themen massive Konflikte und führen neben Qualitäts- und Zeitverlusten auch zu teils sehr hohen Konfliktkosten.1 Die in der herkömmlichen Projektabwicklung latent und akut bestehenden Konflikte verursachen Dauerstress, unüberlegte Entscheidungen, wirtschaftliche Schäden wie auch Schäden in Bezug auf die zur Verfügung stehenden Ressourcen und nicht zuletzt gesundheitliche Probleme bei den Projektbeteiligten. Die Rahmenbedingungen der herkömmlichen Projektabwicklung lassen mithin auf vielfältige Weise Nachteile entstehen, tragen aber ganz klar, nicht dazu bei, dass Projekte besser abgewickelt werden. Im Gegenteil, die herkömmliche Projektabwicklung schadet sowohl der Wirtschaft als auch den Menschen. Sie versagt als Organisationsinstrument.
1 Jelitte,
Innovative Ansätze: BIM, Lean Construction, Partnering, in Sindermann/Sonntag (Hrsg.): Anti-Claim-Management, Baubetrieblich und baurechtlich optimierte Projektrealisierung, 2020, S. 120–137.
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Ibrom, Ganzheitliche Projektabwicklung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-38327-5_1
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1 Projektabwicklung am Limit
Aufgrund der Konfliktgeneigtheit der Projektabwicklung bestehen erhebliche Nachwuchsprobleme. Menschen möchten einen sinnvollen Beitrag leisten. Dies ist im Rahmen der herkömmlichen Projektentwicklung aktuell nur sehr eingeschränkt möglich. Daneben brauchen die Megathemen wie nachhaltige Entwicklung und Digitalisierung einen konstruktiven Arbeitsrahmen, um ihre Wirkungen zu entfalten. Die Voraussetzungen für eine sinnvolle Projektabwicklung sind derzeit nicht gegeben.
1.1 Die Hauptursachen für das Versagen der herkömmlichen Projektabwicklung Unter Projektabwicklung wird grundsätzlich „die Durchführung aller Aufgaben, die im Projektverlauf anfallen und zum Projekterfolg beitragen können“ verstanden. Projektabwicklung betrifft also alle Aufgaben der Planung und Baudurchführung.2 Die Hauptursachen für das Versagen der herkömmlichen Projektabwicklung sind: • • • • • • • • •
Unklare bzw. unrealistische Projektziele Fragmentierte Organisation statt Einbeziehung Preiskampf und Qualitätsverlust aufgrund von Leistungsverträgen Unrealistische Terminvorgaben Fehlende Kommunikation auf Augenhöhe Angst und destruktive Verhandlungen Ungenügendes Fehler-, Risiko- und Konfliktmanagement Unfaires Informationsmanagement Keine (gute) Führung der Projektpartner
1.2 Unklare bzw. unrealistische Projektziele Oft werden Bauprojekte viel zu früh gestartet. Bauherren haben oft nur eine grobe Vorstellung vom Projektziel und ihrem Budget, wenn sie ein Bauprojekt beginnen, dennoch schließen sie bereits in diesem Stadium Verträge 2 Hagsheno/Budau/Lippl;
Ursachen für die zurückhaltende Anwendung alternativer Projektabwicklungsmodelle in der deutschen Bauwirtschaft, 2019, S. 129.
1.2 Unklare bzw. unrealistische Projektziele
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mit Auftragnehmern. Fragen nach dem Sinn und Zweck des Bauwerks, seiner künftigen Nutzer, der erforderlichen Qualität auch im Hinblick auf Nachhaltigkeitsaspekte werden in der herkömmlichen Projektabwicklung erst mit fortschreitender Zeit und nicht zu Beginn des Projekts gestellt. Statt eine genaue Bedarfsanalyse etwa nach der DIN 18205 zu beauftragen, müssen die Planer oft mit den eher dürftigen Angaben der Bauherren das Projekt starten. Dies nehmen sie hin, oft, um einfach den Auftrag zu sichern. Der Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) hat mit § 650 p II BGB diesem voreiligen Vorgehen einen Riegel vorschieben wollen, indem er Architekten und Ingenieure dazu verpflichtet, im Falle von unklaren Planungs- und Überwachungszielen zunächst eben solche zu ermitteln. In der Praxis findet diese neue Vorschrift aus dem Jahr 2018 leider noch zu wenig Beachtung. Wenn das Planungs- bzw. das Projektziel unklar ist, dann gibt es auch keine belastbare Berechnungsgrundlage zum erforderlichen Budget. Dennoch schreiben Bauherren gerne bereits bei dem verfrühten Vertragsschluss Kostenobergrenzen fest. Ein Projekt, das mit unbekanntem Ziel aber klarem Kostenobergrenzen startet, ist von vornherein preisgetrieben. Dies geht häufig zu Lasten der Qualität, denn dieser fehlerhafte Start wirkt sich auf alle folgenden Projektphasen aus. Leistungsverzeichnisse werden bei verfrühtem Projektstart bewusst mit Blindpositionen versehen und standardmäßig ausgeschrieben, oft, weil das Projektziel noch diffus ist. Dennoch wird genau dieses unzulängliche Leistungsverzeichnis Grundlage der Ausschreibung und des Vertrages. Spätere Änderungen und damit Mehrkosten bzw. Nachträge sind die logische Konsequenz. Damit sind meist auch bereits Konflikte vorprogrammiert und zwar als fester Bestandteil der Nachtragsverhandlungen. Juristisches Nachtragsmanagement ist aktuell die „Waffe“ der Auftragnehmer gegen Auftraggeber, die sich zu Beginn des Projekts zu wenig Gedanken gemacht haben, aber unbedingt einen günstigen Preis fixieren wollen. Die einklagbaren Nachträge bewegen sich seit Jahrzehnten immer zwischen 20 und 30 % der ursprünglichen Auftragssumme und zwar in über 80 % der Bauprojekte. Die Auftraggeberseite hat daher nach Anti-Nachtragsmanagement-Methoden gesucht und partnerschaftliche Projektabwicklungsmethoden als mögliche Lösung identifiziert.3 Partnerschaftliche Projektabwicklungsmodelle werden also teilweise den Bauherren empfohlen, um Nachtragsansprüchen der Auftragnehmer auszuweichen. Das klingt einerseits
3 Sindermann/Sonntag
(Hrsg.): Anti-Claim-Management, Baubetrieblich und baurechtlich optimierte Projektrealisierung, Hürth, 2020.
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1 Projektabwicklung am Limit
absurd, wenn P artnerschaftlichkeit nur als List eingesetzt werden soll, denn das kann nicht funktionieren. Ist andererseits die Partnerschaft von Auftraggeberseite mit allen Konsequenzen ernst gemeint, dann liegt hierin aber eine echte Chance zur Verbesserung der Projektabwicklung, zur Konfliktvermeidung und auch zur Vermeidung von unnötigen und teuren Nachträgen. Ein wohl überlegter wirklich partnerschaftlicher Projektstart ist die einzige Chance das Projekt auf Erfolgskurs zu bringen. Eine grundlegend neue und verbesserte Projektabwicklung muss daher auf echter Partnerschaft und klaren Projektzielen, die am besten gemeinsam entwickelt werden, basieren.
1.3 Fragmentierte Organisation statt Einbeziehung Die herkömmliche Projektabwicklung sieht seit Jahrzehnten eine Fragmentierung der Projektprozesse in die drei großen Bereiche Planen, Bauen und Nutzen vor.4 Diese Bereiche sind derzeit gedanklich, personell, wirtschaftlich und auch vertragsrechtlich getrennt. Rechtlich wird diese Fragmentierung durch Spezialvorschriften wie die HOAI für die Planung und die VOB/B5 für die Ausführung vollzogen. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) als gesetzlicher Rahmen sieht eine solche Fragmentierung nicht vor. Zudem sorgen selbst geschaffene oder vorgegebene rechtliche Rahmenbedingungen, die oft für die Auftragnehmerseite unfaire Risikoverteilungen mit sich bringen, für enormes Konfliktpotenzial. Maßgebliche Ursache sind die in Deutschland seit fast 100 Jahren branchenweit in der Bauausführung geltenden AGBs, gemeint ist die VOB/B.6 Darüber hinaus haben sich im Bereich der Projektpartner immer mehr Spezialisten herausgebildet; sei es bei der Planung, Ausführung oder auch im vorfertigenden Bereich. Dies führt zu einer immer kleinteiligeren Fragmentierung des Projektabwicklungsprozesses und damit unweigerlich zu vielen Schnittstellen, die letztlich zu erheblichen Informationsverlusten und zu den typischen Schnittstellenkonflikten führen. Diese wirken sich meist unmittelbar negativ auf
4 Eschenbruch,
Projektmanagement und Projektsteuerung für die Immobilien- und Bauwirtschaft, 2015, S. 57 ff. Girmscheid, Projektabwicklung in der Bauwirtschaft – prozessorientiert, 2016, S. 467. 5 Vergabe- und Vertragsordnung Bau. 6 Siehe näher dazu sogleich und unten Abschn. 6.3.
1.4 Preiskampf und Qualitätsverlust aufgrund von Leistungsverträgen
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die wirtschaftlich wesentlichen Faktoren wie Qualität, Zeit und Kosten aus. Hier ist Führung und faires Echtzeitinformationsmanagement erforderlich, um die Projektpartner optimal einzubinden. Durch die rechtliche und tatsächliche Fragmentierung und das damit verbundene „Silodenken“ wird eine partnerschaftliche Zusammenarbeit in der Praxis nahezu verhindert7, denn es führt zur Konkurrenz unter den Projektpartnern bis hin zur Kultivierung von stereotypen Feindbildern zwischen Bauherren, Projektsteuern, Architekten, Planern und ausführenden Unternehmen. Wenn es dann zu (Verantwortungs-)Lücken und Fehlern kommt, wird sofort danach gefragt, wie der jeweils andere dafür haftbar gemacht werden kann. Diese grundsätzliche Kampf- bzw. Konfliktbereitschaft entspricht einer systembedingten latenten Dauerkonflikteskalation auf Stufe drei von neun nach dem Modell von Glasl8. Dieses ständig schwebende Damoklesschwert führt in der Praxis dazu, dass jegliche Fehler in Bezug auf Zeit, Kosten und Qualität als massives Risiko eingeschätzt werden und mit Angst vor finanziellen wie auch Image-Verlusten einhergehen. Statt eines adäquaten Risikomanagements regiert oft die Emotion und ruft Konflikte hervor wo Probleme auch sachlich gelöst werden könnten. Dies schadet nicht nur der Wirtschaftlichkeit und Qualität, sondern auch den Menschen und wirkt sich als Teufelskreis schlechter Zusammenarbeit aus. Statt Abteilungsdenken ist vielmehr vernetzt im Sinne von „Nahtstellen“ zu denken. Dies erfordert einen ganzheitlichen Ansatz für ein komplexitätsgerechtes verantwortliches Denken und Handeln9 aller Projektpartner durch faire Einbeziehung der relevanten Interessen. Hierfür gibt es aber in der herkömmlichen Projektabwicklung keinen Raum.
1.4 Preiskampf und Qualitätsverlust aufgrund von Leistungsverträgen Die meisten Bauverträge werden auf der Grundlage der VOB/B als sogenannte Leistungsverträge abgeschlossen, da dies der Standardvertragstyp der VOB/B ist. Dort heißt es in § 2 Abs. 1 „durch die vereinbarten Preise sind alle Leistungen
7 Girmscheid,
G., Projektabwicklung in der Bauwirtschaft – prozessorientiert, 2016, S. 467–497. 8 Vgl. Glasl, F., Konfliktmanagement, 12.Aufl., S. 2020, S. 260 ff. sowie unten Abschn. 6.6. 9 Scharmer, O., Essentials der Theorie U, Grundprinzipien und Anwendungen, 2019, S. 23.
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1 Projektabwicklung am Limit
abgegolten, die nach der Leistungsbeschreibung (…) zur vertraglichen Leistung gehören“. Das bedeutet eine relative Preissicherheit für den Auftraggeber sei es beim üblichen Einheitspreisvertrag oder dem Detailpauschalvertrag und auch beim Globalpauschalvertrag, die allesamt zu der Kategorie der Leistungsverträge gehören. Der Gedanke der Abgeltung der Leistung zu dem vereinbarten Preis liegt all diesen Vertragsarten zugrunde. Was bedeutet dies in der Praxis? Durch den Leistungsvertrag erst ist der Preiswettbewerb möglich. Gleiche Leistungen werden ausgeschrieben und bepreist. Dies soll der öffentlichen Hand bei der Ermittlung des günstigsten Angebots helfen. Der Preisdruck und auch der Preiskampf werden dadurch angeheizt. Leider nicht immer zum Wohle des Auftraggebers. Denn der Einheitspreisvertrag führt häufig zu einem Roulette, bei dem der beste Anbieter derjenige ist, der im Voraus weiß, welche Leistungen voraussichtlich deutlich unterhalb der ausgeschriebenen Menge abgerufen werden. Diese können besonders günstig angeboten werden und machen das Gesamtangebot besonders attraktiv für den Auftraggeber, der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses diesen Zusammenhang nicht erkennt. Kommen später aber die teuer angebotenen Leistungen übermäßig zur Ausführung, erhält der Auftragnehmer überproportional mehr Vergütung, Hier nutzt der Auftragnehmer Informationsvorsprünge für sich aus, um im Preiskampf zu überleben. Selbstverständlich geht diese intransparente Taktik auch nicht immer auf und der Auftragnehmer muss die durch zu günstige Preise selbst verursachten Verluste auf andere Weise kompensieren. Dieses Spiel würde nicht funktionieren, wenn die Beteiligten schon bei Vertragsschluss eine faire und transparente Vertragsart wählen würden, die nicht so sehr einem Pokerspiel ähnelt, sondere klare Leistungen zu fairen und marktgerechten Preisen zum Gegenstand hätte. Seit es auf dem Materialmarkt zu erheblichen und geradezu unkalkulierbaren Materialpreissteigerungen gekommen ist, mag dieser Preiskampf für das eine oder andere Unternehmen sogar ruinös sein. Der Leistungsvertrag soll dem Auftraggeber zwar eine gewisse Preissicherheit und Vergleichbarkeit der Angebote ermöglichen, führt aber infolge des Preiskampfes auch zu hoher Kostenunsicherheit. Qualitätsverluste sind die nächste Folge, weil nachträglich geänderte Leistungen oft nicht optimal zu den bisherigen Leistungen passen. So entsteht ein Stückwerk, das zu weiteren Problemen führt. Der Mechanismus der Leistungsverträge befeuert den Preiskampf auch in Bezug auf Qualität, die ggf. durch einen Zertifizierungsstandard ausgeschrieben ist und dadurch in einem Leistungsverzeichnis mittelbar bepreist werden muss. Das eine Unternehmen kalkuliert die Qualität zu fairen Marktpreisen ein, das andere spielt ggf. Mängelroulette. Zu erkennen ist es ggf. am Preis. Die Illusion,
1.4 Preiskampf und Qualitätsverlust aufgrund von Leistungsverträgen
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dass Qualität einfach vorgeschrieben werden kann und dann auch geliefert wird, entsteht. So einfach geht es aber nicht. Unternehmen kalkulieren und arbeiten unterschiedlich. Werden sie einem Preiskampf ausgesetzt, muss die Qualität leiden. Dann beginnt das Spiel mit der Gewährleistung. Einerseits haftet zwar jedes Unternehmen für Mängel, aber erst keine entstehen zu lassen und eine umfassende Qualität auch im Hinblick auf Nachhaltigkeitsaspekte zu liefern, ist etwas völlig anderes. Bei dem einen Anbieter wird ein Minimalversprechen bezogen auf eine bestimmte Qualität abgegeben und abgewartet, ob dieses später vom Bauherrn eingeklagt wird (Mängelroulette). Bei dem anderen Anbieter ist die Qualität ebenfalls vertraglich vereinbart, die Arbeitsphilosophie aber eine völlig andere: In jedem Handgriff, in jeder Aussage die getroffen wird ist Qualität zu erleben. Hier wird Qualität nicht nur vertraglich festgelegt, sondern gelebt. Im Grunde muss der öffentliche Auftraggeber dem wirtschaftlichsten Angebot den Zuschlag geben. Dies ist sicher nicht das günstigste Angebot. Dem Ärger und dem Zeitaufwand, der mit jeder Mängelreklamation einhergeht, wird bei den herkömmlichen Angebotsbewertungen im Rahmen von Leistungsverträgen kaum Rechnung getragen. Daher wird im Grunde immer die schlechteste Qualität zum günstigsten Preis die Ausschreibung gewinnen. Dies ist höchst unwirtschaftlich und programmiert Konflikte vor. Tatsächlich tobt der Preiskampf und dies liegt wie gezeigt systembedingt unter anderem am Leistungsvertrag, wie er auch in § 2 Abs. 1 VOB/B als Standardvertrag definiert ist. Dieser konfliktträchtige Vertragstyp muss aber nicht verwendet werden. Es gibt eine faire Alternative, nämlich den in § 2 Abs. 2 VOB/B ebenfalls erwähnten Selbstkostenerstattungsvertrag, der den beschriebenen undurchsichtigen Preiswettbewerb verhindert, weil die erforderlichen Selbstkosten garantiert erstattet werden und der Unternehmer einen vertraglich vereinbarten Wagnis- und Gewinnzuschlag erhält. In den Selbstkosten sind die Einzelkosten der Teilleistung (EKT) wie Materialpreise, Löhne etc., die allgemeinen Geschäftskosten (AGK), die Baustellengemeinkosten (BGK) enthalten und werden dem Auftraggeber gegenüber ggf. im Wege eines sog. „Open Book“ System transparent gemacht. Allein der Wagnis und Gewinnzuschlag unterliegt dann noch dem Wettbewerb. Dies ist eine transparente und klar nachvollziehbare Vorgehensweise, bei der sich die Auftraggeber nicht durch mögliche „Mogelpositionen“ getäuscht fühlen müssen, sondern klar wissen was Sie zu welchem Preis bekommen. Umgekehrt bekommt das Unternehmen die Qualität marktgerecht bezahlt. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass auch die versprochene Qualität von Anfang an verbaut wird. Dies reduziert den Mängelbeseitigungsaufwand und die damit verbundenen Transaktionskosten. Diese Art der Vergütungsberechnung kennt das BGB auch in § 650 c Abs. 1.
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1 Projektabwicklung am Limit
Die grundsätzliche Herangehensweise der Selbstkostenerstattung statt Leistungsvertrag sollte in Zukunft der Standardvertragstyp für Bauleistungen sein, da hierdurch der Preiskampf im Detail vermeiden wird und gelichzeitig die Qualität der Bauleistungen steigt sowie Konflikte und unnötige Transaktionskosten vermieden werden.
1.5 Unrealistische Terminvorgaben Projekte beginnen oft nicht nur mit unklaren Projektzielen, sondern auch mit unrealistischen Terminvorgaben. Wenn schon nicht klar ist, wohin die Reise genau gehen soll, dann ist es nur konsequent, dass man auch nicht weiß, wann man dort ankommt. Dennoch werden in herkömmlichen Projektabwicklungen frühzeitig Verträge geschlossen, die bereits klare Vertragstermine und Fristen vorschreiben. Damit wird eine Risikoverteilung meist zulasten der Auftragnehmerseite vorgenommen. Ein Kampf um die Ressource Zeit beginnt, der ausgetragen wird durch die taktische Abwehr von möglichen Verzugssituationen. Es geht um Bauzeitverlängerungsansprüche und Bauzeitnachträge und deren Abwehr. Dieses Spiel beginnt nahezu sofort nach Vertragsschluss. Bei jeder vom Auftraggeber gewünschten Änderung geht es weiter. Es entsteht automatisch enormer Zeitstress bei den Partnern, der wiederum klares und für das Projekt förderliches Denken und Handeln negativ beeinflusst. Die unter Zugzwang gesetzten Auftragnehmer suchen fast reflexartig zur Abwehr möglicher Verzugssituationen nach Gründen für schriftliche Bedenken- und Behinderungsanzeigen. Damit wird bei herkömmlichen Projekten quasi systemimmanent ein enormer Stress geschaffen, bei dem sich die Parteien konfrontativ gegenüberstehen und nur danach suchen, das Terminrisiko jeweils auf die andere Seite abzuwälzen. So werden im Handumdrehen aus Vertragspartnern Gegner, die zur Verfügung stehende Zeit wird durch Konflikte zusätzlich verknappt statt sie sinnvoll und konzentriert für den Projekterfolg zu nutzen. Eine konsequent neu gedachte Projektabwicklung muss verantwortungsvoll mit der Ressource Zeit umgehen, denn in der Ruhe liegt die Kraft, die für einen nachhaltigen Projekterfolg notwendig ist.
1.6 Fehlende Kommunikation auf Augenhöhe Die Rolle des Bauherrn ist in der herkömmlichen Projektabwicklung machtvoll. Nach dem Motto „wer bezahlt, schafft an“, wurde etwa in § 1 Abs. 3 VOB/B die übermächtige Rolle des Bauherrn sogar manifestiert. Dort heißt es:
1.7 Angst und destruktive Verhandlungen
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„Änderungen des Bauentwurfs vorzunehmen, bleibt dem Auftraggeber vorbehalten“. Dieser Passus ist auf den ersten Blick nachvollziehbar, da der Bauherr letztlich mit dem Bauwerk leben muss und ggf. Änderungen für ihn sehr bedeutsam sind. Geht man aber von einer Situation aus, bei der der Leistungsvertrag bereits abgeschlossen ist, bedeutet dieser Passus, nichts anderes als dass der Auftraggeber einseitig Vertragsänderungen vornehmen kann in Bezug auf die Leistung, ohne dass sich am Kostengefüge etwas Wesentliches ändert, vgl. § 2 Abs. 5 und Abs. 6 VOB/B. Umgekehrt ist es aber etwa den Auftragnehmern nicht möglich bei einem Leistungsvertrag Materialpreiserhöhungen bei Positionen, die sie bereits im Leistungsverzeichnis bepreist hatten, an den Auftraggeber weiterzureichen bzw. einseitig durchzusetzen. Hier gilt kein Änderungsrecht. Dieser unfaire rechtliche Rahmen schränkt die Kooperationsmöglichkeiten der Parteien erheblich ein. Das einseitige Anordnungsrecht des Bauherrn hat über die Jahrzehnte zu einem autoritären und hierarchischen Rollenselbstverständnis der Bauherren beigetragen und damit eine Top-Down-Kommunikation manifestiert. So begegnen sich die Vertragspartner nicht auf Augenhöhe, obwohl dies der Grundgedanke im Privatrecht ist. Der Blick auf das Ganze ist nur durch eine Kommunikation auf Augenhöhe und Einbeziehung des Wissens aller Projektpartner zu erreichen. Genau dies ist aber in der herkömmlichen hierarchischen Projektabwicklung und der ebensolchen Kommunikation nicht vorgesehen. Damit sind nicht nur die Beziehungen der Vertragspartner gestört, sondern es leidet auch die Qualität und der Erfolg des Projekts. Ein grundlegend neu gedachtes Projektabwicklungsmodell muss durchgängig Kommunikation auf Augenhöhe ermöglichen und die rechtlichen Voraussetzungen hierfür schaffen bzw. bereits vorhandene nutzen.
1.7 Angst und destruktive Verhandlungen In meinen Gesprächen mit den unterschiedlichsten Beteiligten in der Projektabwicklung habe ich sehr häufig gehört, dass die Angst umgeht in der herkömmlichen Projektabwicklung. Angst in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen. Angst vor Risiken und Haftung, vor dem Dauerstress, vor Existenzverlust, Konflikten, Überforderung und davor, über den Tisch gezogen zu werden. Es kommt zwangsläufig zu verbalen Angriffen und Verteidigungen, Machtspielchen, destruktiven (Ver-)Handlungen, ein vielfältiges Konfliktpotenzial und sehr viel Misstrauen. Dies ist der geistige Boden auf dem die Bauvorhaben errichtet werden. Die Qualität kann dabei nur Schaden nehmen. In vielen Fällen ist die Angst und der damit zusammenhängende Stress selbstgemacht, weil es an einer
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1 Projektabwicklung am Limit
passenden Umgangsweise mit Emotionen, die in der harten Bauwelt nahezu tabu sind, fehlt. Zudem sind die Beteiligten oft nicht in der Lage, den erlebten Stress sinnvoll zu regulieren. Stattdessen wird oft ein endloser Stress aufgebaut. Die herkömmliche Projektabwicklung sieht kein Instrument für den angemessenen Umgang mit den Emotionen und dem Stress der Beteiligten in Verhandlungen vor. Sie überlässt die beteiligten Personen dem freien Kampf und versagt insofern als Organisationsinstrument. Die Kräfte der Beteiligten werden also nicht nur zum Wohle des Projekts gebündelt, sondern oft geradezu pulverisiert und in Nebenkriegsschauplätzen verschwendet. Dies wiederum hat nicht nur negative Auswirkungen auf das Gelingen der Projektabwicklung, sondern eben auch auf die Beteiligten und deren Nervensystem. Hier beginnt ein Teufelskreislauf der sich immer weiter steigenden Anspannung, die, je nach Konstitution der beteiligten Menschen, zu einem sogenannten Ausgieren der Gefühle oder gar zu einem körperlich verankerten Verlangen nach immer mehr höheren Reizen auf der Verhandlungsbühne der Projektabwicklung führen kann. Nicht selten kommen auch Suchtthemen dazu, die diese Abwärtsspirale noch weiter befeuern, bis hin zu Zusammenbruch, Sinnfrage und Burnout. Faire und kooperative Zusammenarbeit ist dagegen ausbalanciert und die beteiligten Projektpartner sind im Flow und arbeiten mit entspannter Aufmerksamkeit. Ist dieser ausgewogene und gesunde Zustand erreicht, dann erst ist es möglich, dass sich die Beteiligten wirklich mit der gebotenen Weitsicht über das Projekt austauschen. Dies wiederum ist Voraussetzung für ein kluges und konstruktives Verhandeln. Eine grundlegend neu gedachte Projektabwicklung muss einen Rahmen dafür bereithalten, dass die Beteiligten Menschen auf achtsame und gelassene Weise verhandeln können.
1.8 Ungenügendes Fehler-, Risiko- und Konfliktmanagement Die herkömmlichen Projektabwicklungsmodelle sehen zwar Fehler-, Risikound teils auch Konfliktmanagementansätze vor. Diese werden jedoch meist von jedem Projektpartner auf sich selbst bezogen betrachtet, um Eigennutzinteressen zu stärken. Der Erfolg des Gesamtprojekts wird dabei nicht von allen Projektbeteiligten gleichermaßen priorisiert. Es geht in diesem Bereich vor allem um das Vermeiden von eigenen Problemen und nur sehr selten um gemeinsame Wertschöpfung. Daher werden Fehler sehr schnell rechtlich betrachtet. Es gilt,
1.8 Ungenügendes Fehler-, Risiko- und Konfliktmanagement
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Ansprüche zu behaupten oder eben abzuwehren. Ein konstruktiver Umgang mit Fehlern, die bei einem schöpferischen iterativen Prozess nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind, wird hierdurch verhindert. Dieser verantwortungslose Umgang mit Fehlern mindert die Qualität des Bauwerks und schürt Angst. Im Grunde verhält es sich ähnlich mit dem Thema Risiken. Risikoverteilungen werden bereits in Verträgen getroffen und benachteiligen meist die Vertragspartei mit der geringeren Verhandlungsmacht. So trägt etwa der Auftragnehmer das Risiko von Materialpreissteigerungen in den Leistungsverträgen, denn mit den dort vereinbarten Preisen sind alle Leistungen abgegolten, vgl. § 2 Abs. 1 VOB/B. Zwischen Vertragsschluss und Ausführung liegt oft ein größerer Zeitraum, in dem es automatisch zu Materialpreissteigerungen kommt. Für dieses Wagnis darf der Auftragnehmer zwar den Wagniszuschlag kalkulieren, wenn aber immer der billigste den Zuschlag bekommt und Materialpreise – wie im Augenblick – nicht mehr kalkulierbar sind, ist diese Regelung offensichtlich unfair für die Auftragnehmer, denn sie haben bereits knapp kalkuliert. Das Risiko, sich wirtschaftlich durch einen größeren Auftrag zu ruinieren steigt. Ähnlich verhält es sich mit der Honorarberechnung für Architekten und Ingenieure nach der HOAI. Die am Ende der Leistungsphase 3 ermittelte Kostenberechnung ist Grundlage für die Berechnung aller Leistungen der Architekten und Ingenieure. Damit partizipieren die Honorare nicht an Kostensteigerungen. Diese einschneidende Regelung gilt übrigens erst seit der HOAI 2009. Hier ist die Risikoverschiebung für Materialpreissteigerungen auf die Auftragnehmer am deutlichsten, denn oft wird Leistungsphase 8 erst Jahre nach der Kostenberechnung durchgeführt. Die Bezugsgröße für die Honorarermittlung ist dann also automatisch im Verhältnis zu gering. Wer als Auftraggeber unfaire Risikoverteilungen vornimmt, muss damit rechnen, dass sein Vertragspartner versuchen wird, dieses Risiko wieder loszuwerden. Die Projektpartner sind daher permanent mit der Abwehr von Risiken beschäftigt. Das bringt automatisch Konflikte mit sich. Zugleich fehlen die Zeit und die Motivation für eine wirklich gute Leistung. Hieran kann kein Auftraggeber ernsthaft interessiert sein. Konfliktbearbeitung im Umfeld der herkömmlichen Projektabwicklung bedeutet, dass sehr schnell konfrontativ verhandelt wird und Rechtsanwälte hinzugezogen werden. Weil Konflikte aufgrund der genannten unfairen Rahmenbedingungen latent sind und dann sehr schnell eskalieren können, ist der Gang zu Gericht der bevorzugte Weg der Konfliktlösung in der herkömmlichen Projektabwicklung. Dieser Weg dauert oft lang, ist teuer und kann im Grunde nur eine rechtliche Lösung für Fragen aus der Vergangenheit ergeben. Da gerichtliche Auseinandersetzungen bei größeren Projekten nahezu obligatorisch geworden
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1 Projektabwicklung am Limit
sind, sind es bei herkömmlichen Projektabwicklungen auch schriftliche Dokumentationen während der Vertragserfüllung geworden. Nahezu alle Projektpartner versuchen ihr Handeln so „gerichtsfest“ wie möglich zu dokumentieren. So werden während der Projektabwicklung schon systematisch Beweise für den späteren Gerichtsprozess gesammelt. Dieses Vorgehen der Projektpartner dient der eigenen Absicherung und ist durchaus sinnvoll, führt aber auch dazu, dass das für eine Kooperation erforderliche Vertrauen schwindet. Seit über 20 Jahren werden auch alternative und kooperative Konfliktbearbeitungsmethoden angeboten. Zu nennen sind hier vor allem die Mediation, Schlichtung sowie die Adjudikation.10 Mediation ist außergerichtliches ein kooperatives Verhandlungsverfahren, bei dem die Parteien durch neutrale und allparteiliche Dritte dabei unterstützt werden, ihren Konflikt selbst zu lösen. Mediatoren haben keine Entscheidungsmacht und verstehen sich lediglich als Vermittler zwischen den Konfliktparteien. Mediation ist im Mediationsgesetz, welches aufgrund einer Europäischen Richtlinie erlassen wurde, geregelt. Mediation wird in der Projektabwicklung oft erst eingesetzt, wenn die Konflikte bereits sehr stark eskaliert sind. Dennoch kann von einer ca. 80 %igen Erfolgsquote ausgegangen werden. Ziel ist es hier eine WinWin-Lösung für alle Parteien zu verhandeln. Bei der Schlichtung, die meist auch eine kooperativ geführt wird, empfiehlt der Schlichter am Ende eine Lösung. Die Parteien haben die Wahl, ob sie diesen Schlichterspruch akzeptieren oder sich weiterstreiten, etwa vor Gericht. Daneben gibt es die Adjudikation, die den Konflikt nicht löst, sondern für schnelle Lösungen während der Bauzeit sorgt. Die im Vertrag von Anfang an vorgesehenen Adjudikatoren, die aus technischen und juristischen Herkunftsberufen stammen, sprechen baubegleitend verbindliche Konfliktlösungen aus, an die sich die Parteien halten müssen. Diese Vorabentscheidungen können dann nach Abschluss des Bauprojekts gerichtlich überprüft werden. Häufig kommen die alternativen Streitbeilegungsmethoden aber in herkömmlichen Projektabwicklungen nicht oder viel zu spät zum Einsatz, nämlich als letzte Rettung vor einem Gerichtsstreit. Frühzeitig oder projektbegleitend werden mediative Verhandlungsunterstützungen kaum eingesetzt. Argument sind immer die angeblich hohen Kosten für die Mediationsdienstleistung. Das ist jedoch sehr kurzfristig gedacht, denn Konflikte können enorme Kosten, Baustillstand
10 Siehe
ausführlich: AHO Schriftenreihe Nr. 37, Konfliktmanagement in der Bau- und Immobilienwirtschaft, Bundesanzeigerverlag, Stand März 2018.
1.9 Unfaires Informationsmanagement
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und Qualitätsverluste hervorrufen, die durch ein systematisches und begleitendes Konfliktmanagement verhindert werden können. Konflikte sind in der Projektabwicklung alltäglich, teils auch notwendig, um auf Probleme hinzuweisen. Nur wenn Konflikte konstruktiv ausgetragen werden, können sie Chancen für das Projekt eröffnen, ansonsten richten sie nur Schaden an. In alternativen Projektabwicklungsformen wird bereits heute die frühzeitige planungs- und baubegleitende Mediation mit Erfolg eingesetzt. Eine konsequent partnerschaftliche, integrative und kollaborative Projektabwicklung muss grundlegend neue Denk- und Vorgehensweisen im Bereich des Fehler-, Risiko-, und Konfliktmanagements enthalten.
1.9 Unfaires Informationsmanagement Wissen ist Macht. Nach diesem Motto gehen viele Projektbeteiligte vor. Transparenz und Offenheit sind in der herkömmlichen Projektabwicklung nahezu Fremdworte, weil oft die Angst besteht, dadurch angreifbar zu werden. Die fehlende Informiertheit zieht sich durch alle Phasen der herkömmlichen Projektabwicklung. Jeder erwartet jeweils von anderen informiert zu werden. Das beginnt bereits bei der Projektentwicklung und endet eigentlich nie. Projektpartner scheinen davor Angst zu haben, dass sie mehr Risiken eingehen, wenn sie mehr Fragen stellen und Informationen oder Wissen weitergeben. Diese Geheimnistuerei bringt Misstrauen und schlechte Qualität mit sich, da Wissensressourcen ungenutzt bleiben und eine produktive Zusammenarbeit gestört wird. Dieses enorme Defizit wird auch nicht durch digitale Lösungen behoben, denn die digitale Welt ist immer nur so gut wie diejenigen die mit ihr arbeiten. Wer Informationen nicht offen teilen will, der tut dies auch nicht, wenn er verpflichtet ist, sich bei BIM – Projekten zu beteiligen. Die Praxis zeigt, dass auch dort wo transparente Kooperation für das Gelingen eines Projekts notwendig wäre, sich die Beteiligten schwertun, ihr Wissen in das Projekt einzubringen. Dies wiederum schadet der Qualität des Projekts, denn Vernetzungschancen und damit einhergehend Wissensressourcen bleiben ungenutzt. Eine grundlegend neu gedachte Projektabwicklung muss dafür sorgen, dass Informationen und Wissen geteilt werden und dem Projekt zugutekommen, ohne dass aber die Beteiligten wirtschaftliche oder rechtliche Nachteile für die Zukunft befürchten müssen.
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1 Projektabwicklung am Limit
1.10 Keine (gute) Führung der Projektpartner Die Projektpartner sind zumeist eigenständige Unternehmen und haben ihre eigene Organisation, Management und Führung. In der herkömmlichen Projektabwicklung werden zwar Projektleiter, Projektmanager sowie auch Projektsteurer eingesetzt, diese sind aber vor allem mit Managementaufgaben bezogen auf Einzelaspekte des Projekts oder einzelne Prozessschritte betraut. Es geht hier vor allem um Koordinationsaufgaben, angefangen bei den Objekt- und Fachplanen bis hin zu der Koordination auf der Baustelle. Hier werden Ziele besprochen, Terminpläne erstellt und überwacht, Lean-Methoden eingesetzt, um die Arbeit effizienter zu machen, Schnittstellenprobleme einer Klärung zugeführt und sicher auch Risiko- Fehler-, Qualitäts- und teilweise auch Konfliktmanagement betrieben. Dies alles sind klassische Managementaufgaben. Leider fehlt hier meist ist der Blick für das Gesamtprojekt. Management befasst sich grob gesagt damit, die Dinge richtig zu tun. Es gibt Werkzeuge und auch Software, die dieses unterstützt. Diese Managementaufgaben sind für jede Art der Projektabwicklung sehr wichtig. Management ist aber in der Praxis nicht immer auch gleichzeitig Führung. Unter Führung versteht man einen Prozess, der im Grunde das Ziel verfolgt, die richtigen Dinge zu tun. Führung wendet sich daher an den Geist, das Denken, während Management eher angesiedelt ist auf der Ebene der Umsetzung, und mit dem Körper, dem Tun zu vergleichen ist. In der herkömmlichen Projektabwicklung gibt es vor allem Menschen in leitender Position, die sich mit Management in diesem Sinne befassen, sie beachten Regeln, verfolgen Prozesse, optimieren Prozesse, planen und kontrollieren. Dabei werden häufig leider auch einsame Entscheidungen in einem kleinen Kreis von Entscheidungsträgern getroffen, bei denen die Beteiligten nicht oder viel zu spät einbezogen werden. Dies stößt vor den Kopf und demotiviert. Eine Übernahme von Verantwortung kann nicht erwartet werden, wenn über die Köpfe hinweg Entscheidungen getroffen werden. Fehlende Einbeziehung fördert auch die Haltung, Bedenken, Beschwerden etc. zu äußern und verhindert zudem, sich aus eigenem Antrieb zu informieren und das Projekt zu unterstützen. Demotivation ist schlimmer als fehlende Motivation durch extrinsische Anreize.11
11 Reineck/
144.
Sambeth/ Winkelhofer, Handbuch Führungskompetenzen trainieren, S. 139–
1.10 Keine (gute) Führung der Projektpartner
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So manches Projektmanagement betreibt umfassende Demotivation auf ganzer Linie. Fehler werden an den Pranger gestellt, Lagerbildung wird begünstigt, denn aus Sicht so manchen Projektmanagers ist es besser, die Partner erleben sich als Konkurrenten oder Gegner statt sich einig zu sein und am Schluss noch gegen das Management oder den Bauherrn eine Allianz zu bilden. Genau in diese Situation des Gegeneinanders haben solche Manager Projektpartner schon zu oft geführt. Es ist zu einer Kultur des gegenseitigen Misstrauens und der fehlenden Kollegialität im Rahmen der Projektabwicklung gekommen. Führung ist auch ein Managementaspekt, richtet sich aber nicht an Prozesse, sondern direkt an die Menschen, die geführt werden sollen. Es geht darum, eine gute und vertrauensvolle Beziehung aufzubauen und die Partner so zu dem gemeinsamen Projektziel zu führen. Führung hat sowohl diese Lokomotionsfunktion (zum Ziel führen) als auch die Funktion, ein Team zu bilden und zu fördern, sodass ein starkes Wir-Gefühl unter den Projektpartnern entsteht. Diese Funktion der Führung wird wiederum Kohäsionsfunktion genannt. Gute Teamführung bringt die Partner dazu, sich gegenseitig zu unterstützen und zu motivieren. Ohne Führung in diesem Sinne, verlieren die Beteiligten der Projektabwicklung das Ziel aus den Augen und arbeiten gegeneinander oder behindern sich gegenseitig, Konflikte laufen unkoordiniert ab, Störungen im Bauablauf sind nicht die einzige Folge. Die herkömmlichen Projektabwicklungen legen bezogen auf das Gesamtprojekt oft keinen Wert auf Führung und erleben daher, dass Planen und Bauen schwerfällt, die Motivation der Beteiligten sich in Grenzen hält und jeder sein Süppchen kocht. Gleichzeitig wundert sich die Branche, weshalb es einen erheblichen Fachkräftemangel gibt und sich immer weniger junge Menschen für einen Beruf im Rahmen der Immobilen- und Bauwirtschaft interessieren. Eine grundlegend neu gedachte Projektabwicklung muss daher ausdrücklich auf gute Projektführung setzen, damit das Projektziel während der gesamten Zeit im Blick behalten wird und die Partner zu einem Team zusammenwachsen, das sich gegenseitig unterstützt und im besten Fall sogar Höchstleistungen erbringt. In jedem Unternehmen ist die Bedeutung guter Führung bekannt, nur in der Abwicklung von Bau- und Immobilienprojekten gibt es hierfür keine ausdrückliche Rollenverantwortung. Führung wird irgendwie mitgemacht, mal vom Bauherrn, dann auch gerne von dem Management und ggf. auch durch externe Berater in besonderen Workshops. Das reicht aber nicht aus, denn Führung muss den Projektalltag begleiten und präsent sein. Gute Führung ist Vorbild, Kommunikator, Konfliktlöser, Ansprechpartner, emotional dabei, gibt Alles zum Erreichen des Projektziels und unter-
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stützt die Teammitglieder dabei, ihre Aufgaben bestens und mit Freude zu erledigen. Wichtig dabei ist der Führungsstil. Dieser kann in der Projektabwicklung nur auf Augenhöhe, demokratisch und kommunikativ sein, denn die Partner sind eigenständige Unternehmen, die nur im Rahmen dieses Projekts zusammenarbeiten. Es geht um sehr gute Teamführung auf allen Ebenen. Die Führung in der Projektabwicklung trifft in dieser Rolle also keine Entscheidungen, sondern gibt Impulse in Richtung Ziel und Wir-Gefühl. Entscheidungen können dann andere übernehmen. So wie es in flachen Hierarchien typisch ist, dass die Menschen, die mit der Sache selbst beschäftigt sind, die Verantwortung übernehmen. Die Projektführung kann auch als Coach gedacht sein, der das Team maximal dabei unterstützt, Höchstleistungen zu erbringen. Die Art der Führung, die eine grundlegend neu gedachte Projektabwicklung braucht, kann durchaus auch von bestehenden Positionen übernommen werden, wenn diese bereit sind, ihre Rolle anders und neu zu leben. So geht es um den Stil der Führung, der aber immer authentisch gelebt sein muss. Wenn Projektmanager oder Projektleiter bisher überwiegend autoritär geführt haben, so passt dies nicht zu einer Führung im hier erforderlichen Sinn. Die Managementaufgaben müssen sich nämlich künftig der Führung auf Augenhöhe unterordnen und sind als unterstützende Werkzeuge wertvoll. Nicht umgekehrt.
Literatur AHO Schriftenreihe Nr. 37, Konfliktmanagement in der Bau- und Immobilienwirtschaft, Stand März 2018, Bundesanzeiger Verlag, 2018 Eschenbruch, K., Projektmanagement und Projektsteuerung für die Immobilien- und Bauwirtschaft, 5. Aufl., Hürth, 2019 Girmscheid, G., Projektabwicklung in der Bauwirtschaft – prozessorientiert, Wiesbaden, 2014 Glasl, F., Konfliktmanagement, 12. Aufl., Stuttgart. 2020 Hagsheno/Budau/Lippl; Ursachen für die zurückhaltende Anwendung alternativer Projektabwicklungsmodelle in der deutschen Bauwirtschaft, 2019 Hübler, M., Die Führungskraft als Mediator, Wiesbaden 2020 Ibrom, S., Die Rolle der Mediation in demokratischen Entscheidungsprozessen, BadenBaden 2015 Jung/Renken (Hrsg.), Mediation am Bau, Stuttgart, 2021 Lange, J., (Hrsg.) Werteorientierte Führung in Theorie und Praxis, Wiesbaden, 2021 Montana, L. & Kals, E., Mediation – Lehrbuch für Psychologen und Juristen, Weinheim 2013
Literatur
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Reineck/Sambeth/Winkelhofer, Handbuch Führungskompetenzen trainieren, 2. Aufl. Weinheim, 2011 Scharmer, O., Essentials der Theorie U, Grundprinzipien und Anwendungen, Heidelberg, 2019 Schirmer/&Woydt, Mitarbeiterführung, 3. Aufl., Wiesbaden 2016 Sindermann/Sonntag (Hrsg.): Anti-Claim-Management, Baubetrieblich und baurechtlich optimierte Projektrealisierung, Hürth, 2020
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Projektabwicklung in Bewegung Seit vielen Jahren werden partnerschaftliche Projektabwicklungsformen diskutiert. Die konsequente Umsetzung ist bisher nicht gelungen
2.1 Veränderungsdruck in der Branche Die gestiegenen Unsicherheiten in der Baubranche, insbesondere die enormen Materialpreissteigerungen und Lieferengpässe, die Aufträge und Fristen nahezu unkalkulierbar machen, erfordern veränderte Vorgehensweisen in der Projektabwicklung. Sie zwingen geradezu den Bauherrn dazu, vor der Ausschreibung das Planungsziel genau zu definieren und auch Ausschreibungen möglichst detailliert und konkret zu formulieren, denn die Lieferzeiten der Materialien sind mittlerweile so lang, dass nachträgliche Änderungen nunmehr zwangsläufig zu enormen Verzögerungen des Bauablaufs und damit zu Bauzeitverlängerungen und entsprechenden Nachträgen führen. Nun heißt es aus der Not eine Tugend zu machen und die Situation als Chance ggf. für eine grundlegende Verbesserung der Projektabwicklung auf breiter Linie zu begreifen. Veränderungsdruck ist zudem wahrnehmbar bei den Arbeitgebern, denn diese sind mit enormen Nachwuchsproblemen konfrontiert. So können bereits aktuell Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsziele nicht mehr angegangen werden, weil die Fachkräfte fehlen. Diese bleiben u. a. aus, weil die Baubranche hierzulande sehr stark konfliktbehaftet und damit unattraktiv ist. Nur wenige mutige junge Menschen sind bereit, unter diesen mitunter auch gesundheitsgefährdenden Stress- und Konfliktbedingungen zu arbeiten. Fachkräfte fehlen bereits jetzt und müssen aus dem Ausland angeheuert werden. Die Lücke lässt sich hierdurch nicht schließen. Es fehlen Fachkräfte, die erst dann zu erwarten sind, wenn die Projekte beständig sinnvoller, nachhaltiger und menschlicher abgewickelt werden und die Arbeit wieder Freude macht. Veränderungsdruck kommt auch aus den Megathemenkreisen Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Die herkömmliche Projektabwicklung hat diese großen © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Ibrom, Ganzheitliche Projektabwicklung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-38327-5_2
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Themen unserer Zeit noch nicht ausreichend sinnvoll umgesetzt, auch wenn zuweilen schon mit BIM geplant wird und sich viel auf dem Gebiet der Energieeinsparung getan hat. Will man verantwortlich im Sinne auch des Lebenszyklus eines Bauwerks handeln, muss ganzheitlich und damit verantwortlich gedacht und gehandelt werden. Hier geht es um die Vernetzung von digitalen Möglichkeiten und nachhaltiger Entwicklung bezogen auf das konkrete Bauprojekt. Es werden immer mehr digitale und technische Lösungen auf dem Markt angeboten. Neben digitaler Planungsunterstützung durch BIM, gibt es eine Reihe von Monitoring Tools, die der Abnahme und auch der Gewährleistung dienen, sowie die Möglichkeit für das Bauwerk einen digitalen Zwilling zu erstellen und den Baufortschritt genau zu kontrollieren sowie auch Zahlungen und Kosten im Wege des Open Book Verfahrens darzustellen oder verarbeitetes Material und Technik zu verwalten. Letzteres erleichtert dann sowohl die Wartung als auch den späteren Rückbau des Gebäudes. Gerade auch im Hinblick auf die Gebäudetechnik ist dies ein wichtiger Punkt, da Anlagen meist eine kürzere Lebensdauer haben als das Gebäude selbst und der Rückbau und Austausch digital unterstützt deutlich besser funktioniert als herkömmlich. Für den Bereich des Rückbaus ist die digitale Unterstützung wesentlich, wenn es etwa um die Vernetzung der auszubauenden Rohstoffe im Wege von Cradle-to-Cradle-Lösungen geht. Aktuell werden die technischen Möglichkeiten der Digitalisierung nicht ausgeschöpft, weil die Beteiligten der herkömmlichen Projektabwicklung dies oft aus unterschiedlichen Gründen bewusst oder auch unbewusst verhindern. Informationen bleiben in der in der Projektabwicklung nämlich häufig geheim und werden nicht rechtzeitig oder nicht vollständig ausgetauscht. Mit der fehlenden Transparenz und Offenheit lassen sich aber weder Informationstechnologien sinnvoll einsetzen noch ernsthaft nachhaltige Entwicklung betreiben, die ganzheitlich gedacht ist. Oft scheuen Bauherren die Investitionen in die weitere Zukunft zugunsten kurzfristiger Einsparungen. Gerade Bauprojekte müssen unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit aber enkelgerecht und verantwortlich betrieben werden, existieren Bauwerke doch eine geraume Zeit und beeinflussen sie in ihrer Herstellung, Nutzung und im Rückbau in erheblichen Maße die in der Umwelt vorhandenen Ressourcen. Angesichts der enormen Ressourcenbindung einerseits und der aktuellen Lieferengpässe andererseits wird der Druck auf die Baubranche noch mehr steigen, sich den Möglichkeiten der Digitalisierung und des nachhaltigen Wirtschaftens anzuschließen. Das preisorientierte Wachstum muss mittel- und langfristig einem verantwortungsvollen Bauen weichen. Tragfähige Konzepte zu einer tatsächlich unabhängigen aber auch CO2 neutralen Energieversorgung werden immer dringender gebraucht.
2.2 Ansätze
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Daher sind die Interessen der nachhaltigen Entwicklung in die Projektabwicklung zu integrieren. Dies erfordert einen ganzheitlichen Ansatz. Diesen kann die herkömmliche fragmentierte Projektabwicklung nicht bieten. Für ein nachhaltiges Wirtschaften müssen die Interessen aller Projektbeteiligter sowie aktueller und künftiger Nutzer, Betroffener, die der Umwelt sowie künftiger Generationen angemessen berücksichtigt werden. Dies macht ganzheitliches Denken und Verhandeln in den strategischen Entscheidungsrunden des Projektes ebenso wie im Projektalltag notwendig. Obwohl der Bedarf erkannt ist, wird aktuell noch nicht danach gehandelt.
2.2 Ansätze Im angloamerikanischen und skandinavischen Raum werden seit etwa 20 Jahren diverse Ansätze alternativer partnerschaftlicher Projektabwicklung erfolgreich eingesetzt. Zu nennen sind insbesondere das „Project Partnering“ aus Großbritannien, „Project Alliancing“ aus Australien, „Integrated Project Delivery“ (IPD) aus den USA1 sowie ein hybrides Alliancing und IPD Modell in Finnland.2 Der Einsatz dieser Projektabwicklungsmodelle führte nachweislich teils zu beachtlichen Kosten-, Termin- und Qualitätsvorteilen. Oft berichten die Projektbeteiligten von einer guten Zusammenarbeit, die viel Freude bereitet.3 Allen Ansätzen ist gemeinsam, dass sich die Beteiligten partnerschaftlich verhalten. Dabei gibt es unterschiedlich enge Formen der partnerschaftlichen Zusammenarbeit.4
1 Vgl.
Hagsheno/Budau/Lippl; Ursachen für die zurückhaltende Anwendung alternativer Projektabwicklungsmodelle in der deutschen Bauwirtschaft, a.a.O. 2019, S. 129. 2 Merikallio, Alliancing in Finland, in: Fiedler, Martin (Hrsg.) Lean Construction – Das Managementhandbuch, Springer, 2018, S. 293–308. 3 Mosey, D., Collaborative Construction Procurement and Improved Value, Wily, 2019, und mit Fallstudien auf S. 285–386. Für Finnland: Merikallio, a.a.O. 2018, S. 293–308. Sowie überblickweise: vgl. Eschenbruch, Projektmanagement und Projektsteuerung für die Immobilien- und Bauwirtschaft, 4. Aufl. 2015, S. 13–37; Girmscheid, Projektabwicklung in der Bauwirtschaft – prozessorientiert, 2016, S. 463–497. 4 Siehe auch Überblick bei Leupertz, Die Vertragsabwicklung mit BIM-Mehrparteienvertrag, 2019. S. 409 ff.
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2 Projektabwicklung in Bewegung
2.2.1 Charakteristika der integrativen Projektabwicklungsmodelle Die größte Stufe der Integration, also die engste Form der Zusammenarbeit, wird beim IPD erreicht.5 Die Grundsätze und Prinzipien des IPD lassen sich wie folgt skizzieren: • • • • • • • •
Frühe Einbindung aller Hauptakteure, gemeinsame Projektziele, geteilte Risiken und Gewinne, Vertragsbindung der Hauptakteure durch einen gemeinsamen Vertrag, teilweiser Haftungsausschluss unter den Hauptakteuren, gemeinschaftliche Entscheidungsfindung und Kontrolle, Anwendung von Lean Management-Methoden sowie respekt- und vertrauensvoller Umgang zwischen allen Projektbeteiligten.6
2.2.2 Mehrparteienverträge In Deutschland sind bereits Pilotprojekte mit dem IPD bzw. IPA Ansatz angelaufen. Die Spielregeln und rechtlichen Rahmenbedingungen werden zumeist in Form eines sog. Mehrparteienvertrages geregelt. Dabei steht im Vordergrund die Konzentration der Projektpartner auf ein gemeinsames Projektziel sowie die Herstellung der gleichen Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit der Partner. Ein Projekt wird dann so gestartet, dass es zu einem Vertragsschluss zwischen dem Bauherrn, Architekten und Generalunternehmer kommt und dieser Vertrag offen ist für den späteren Beitritt weiterer Partner im Laufe des Projekts durch sog. Joining-Agreement oder Tradepartner-Agreement. Während es im angloamerikanischen Raum für diese Art von Verträgen Musterverträge gibt, ist der Mehrparteienvertrag in Deutschland eine individuelle Seltenheit und von seiner Rechtsqualität derzeit noch umstritten. Manche
5 Vgl.
Warda, J., Die Realisierung von Allianzverträgen im deutschen Vertragsrecht, 2020, S. 157 ff. 6 Hagsheno/Budau/Lippl, Ursachen für die zurückhaltende Anwendung alternativer Projektabwicklungsmodelle in der deutschen Bauwirtschaft. 2019, S. 134; Weiterführend siehe: Forbes/Ahmed, Lean Project Delivery And Integrated Practices In Modern Construction, Routledge, 2. Aufl., 2020.
2.2 Ansätze
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erkennen in diesem Vertrag einen Gesellschaftsvertrag, der im BGB geregelt ist, andere wiederum meinen, er sei ein Vertrag sui generis, also eigener Art, für den es keinen entsprechenden Vertragstyp im BGB gäbe.7 Letzteres hätte die Konsequenz, dass es für den Vertrag keine gesetzlichen vertragstypischen Pflichten gäbe und die Parteien daher eine weitreichende Regelungsfreiheit besitzen würden. In Deutschland werden Mehrparteienverträge bislang nur individuell ausgehandelt, oder es wird auf bestehende Allianz- oder Partnerverträge nach internationalem Vorbild zurückgegriffen. Folgende Regelungen sind für Mehrparteienverträge typisch: • Frühzeitige Einbindung der ausführenden Unternehmen • Bildung von Organisations- und Entscheidungsteams • Vergütung im Wege des Kostenerstattungsprinzips plus ein Bonus-MalusSystem • Beteiligung der Vertragspartner an Projektrisiken • Haftungsbeschränkung der Projektbeteiligten • Nutzung von Lean Construction Methoden • Projektinterne Konfliktlösungen. Der Mehrparteienvertrag ist deshalb möglicherweise ein solch besonderer Vertrag sui generis, weil der Bauherr als Auftraggeber mit allen Auftragnehmern in einem Boot sitzt. So sollen alle Projektpartner auf Augenhöhe Beteiligte des Projekts sein. Die Planer und bauausführenden Partner erhalten vom Bauherrn Kostenerstattung plus Wagnis und Gewinn-Zuschlag für ihre Leistungen. Gleichzeitig sind sie aber auch durch ein Bonus- Malus-System an den Projektrisiken beteiligt, haften aber auch nicht wie im Werkvertrag für den Werkerfolg. Die Qualität des Projekts wird gemeinsam definiert.
2.2.3 Bewertung IPA und Mehrparteienvertrag • Pluspunkte Dieser Ansatz einer klar partnerschaftlichen Projektabwicklung arbeitet integrativ und durch den Einsatz von Lean Construction Methoden kollaborativ. 7 Warda,
S. 157 ff.
J., Die Realisierung von Allianzverträgen im deutschen Vertragsrecht, Nomos,
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2 Projektabwicklung in Bewegung
Die herkömmliche Fragmentierung der Projektabwicklung wird aufgebrochen, indem die wesentlichen Projektbeteiligten bereits sehr frühzeitig in die Projektentwicklung einbezogen werden. Die Auswahl des richtigen Teams, also der Menschen, die das Projekt tatsächlich umsetzen werden, erfolgt sorgfältig und im Rahmen von Workshops. Damit sind die richtigen Weichen für eine gelingende Zusammenarbeit gestellt. Der Preiskampf wird vermieden durch eine realistische Festlegung des Budgets, welches im Rahmen von Workshops gemeinsam ermittelt wird, nachdem die Bedarfsanalyse erfolgt ist und das Projektziel klar formuliert ist. Das Vergütungssystem ist gerecht und nicht preisgetrieben, sondern basiert auf Kostenerstattung plus Gewinnzulage. Risiken werden gemeinsam getragen und Haftungen beschränkt. Von Anfang an, werden diese Projekte mit einem klaren Konfliktmanagementsystem ausgestattet, welches es den Partnern erlaubt, Konflikte möglichst frühzeitig und kooperativ zu lösen. Durch den bewussten Einsatz der Lean Philosophie und von Lean Construction Werkzeugen ist eine wirtschaftlichere und verbesserte Zusammenarbeit möglich, die Raum für Innovationen und Qualitätsverbesserungen wie auch einen verantwortlichen und konstruktiven Umgang mit Fehlern bietet. Insgesamt ist diese Form der Projektabwicklung partnerschaftlich und kollaborativ aufgesetzt. Durch vorgesehene Workshops und Coachings werden alle Projektbeteiligten in dieser besonderen Form der Projektabwicklung geschult und unterstützt. • Bestehende Probleme In der IPA werden diverse Core Teams, Manager Teams und Leadership Teams gebildet, bei denen auch der Bauherr als gleichberechtigter Partner integriert ist. Fraglich ist, ob sich der Bauherr mit dieser Rolle identifizieren kann, muss er als einziger Partner am Ende das Werk doch bezahlen und es wie auch immer nutzen bzw. verwerten. Der teilweise Haftungsausschluss erscheint sinnvoll in besonders komplexen Aufgabenstellungen wie etwa bei Sonderbauten. In Bereichen der kleinen und mittleren Projekte haben wir es zwar auch mit Prototypen zu tun, aber die Auftraggeberseite darf hier durchaus einen bestimmten Werkerfolg erwarten. Die planenden und ausführenden Projektpartner nun im Rahmen eines Mehrparteienvertrages teilweise aus der Haftung zu entlassen, erscheint angesichts der klaren gesetzlichen Erfolgshaftung8 im Werkvertragsrecht unpassend. Kleine und 8 §
631 BGB schreibt die Erfolgshaftung vor, die Marktteilnehmer dürfen daher damit rechnen.
2.3 Der Weg zu einer konsequent integrativen, kollaborativen …
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mittlere Bauherrn müssen soweit möglich, zuverlässig kalkulieren und benötigen zumindest die Gewähr dafür, dass Standardleistungen von guter Qualität sind und dafür muss auch die Gewährleistung gelten. Darüber hinaus ist fraglich wie die ausführenden Unternehmen die Risikobeteiligung annehmen werden, müssen sie doch ggf. für Gewerke und Unternehmen mithaften, auf die sie selbst ggf. keinen Einfluss haben. • Resümee Aus meiner Sicht ist die IPA im Modell des Mehrparteienvertrages aufgrund der relativ komplexen Organisationsstrukturen und des damit verbundenen Aufwands vor allem für besonders große, komplizierte und technisch anspruchsvolle Projekte geeignet. Bei mittleren und kleinen Bauvorhaben, die eine Bauaufgabe besitzen, die zwar komplex aber nicht kompliziert ist, darf der Besteller und Nutzer aufgrund unseres gesetzlichen Werkvertragsrahmens einen Werkerfolg und eine bestimmte Qualität erwarten, wofür die planenden und ausführenden Projektpartner geradestehen müssen. Darüber hinaus bezieht sich der IPA- bzw. Mehrparteienansatz aktuell nicht auf ein klar nachhaltiges Wirtschaften, sondern es geht bei der Ermittlung des Projektziels und des Budgets doch meist wieder um den Preis. Mir ist es aber im Sinne eines gelungenen Umkehrprozesses wichtig hier eine Form der Projektabwicklung zu definieren, die auch ganz klar nachhaltiges Wirtschaften zum Ziel hat. Der Lean-Construction-Ansatz, der in IPA Projekten meist verfolgt wird, ist zwar per se ein Ansatz für besseres Wirtschaften und mehr Effizienz, er verfolgt aber nicht ausdrücklich auch Ziele der nachhaltigen Entwicklung. Bei einer neuen Form der Projektabwicklung sollten jedoch aufgrund der wirtschaftlichen Notwendigkeiten Nachhaltigkeits- und Qualitätsansprüche ebenfalls im Focus stehen.
2.3 Der Weg zu einer konsequent integrativen, kollaborativen und partnerschaftlichen Projektabwicklung Ich beschäftige mich damit, wie – inspiriert von den oben genannten partnerschaftlichen Ansätzen – eine erfolgreiche Projektabwicklung auch für kleine und mittlere private Bauvorhaben aussehen muss, um sowohl mehr Qualität als auch mehr Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung in die Projektabwicklung zu bekommen. Denn die erforderliche Kehrtwende hin zu einer neuen
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2 Projektabwicklung in Bewegung
rojektabwicklungskultur kann nur gelingen, wenn nicht nur wenige einzelne P Großprojekte ggf. partnerschaftlich abgewickelt werden, sondern wenn eine kritische Masse konsequent partnerschaftlich, integrativ und kollaborativ arbeitet. Dies zu ermöglichen, bedarf es einer grundlegend neu gedachten Projektabwicklung. Die Basis bildet die in IPA und Lean Projekten sowie Partneringprojekten angedachte gute Zusammenarbeit, die durch Lean Methoden und verbesserte Kommunikation erreicht wird. Aus meiner Sicht kann partnerschaftliche Projektabwicklung nur wirklich gut gelingen, wenn auch die folgenden weiteren Rahmenbedingungen erfüllt sind: • • • • • •
Werteorientierte Führung Nachhaltige Wertschöpfung Faire und klare Vertragsgestaltung Integrative und kooperative Verhandlungs- und Entscheidungsprozesse Projektinterne Mediatoren von Anfang an Transparentes Echtzeitinformationsmanagement
2.3.1 Werteorientierte Führung Auch in den partnerschaftlichen Projektabwicklungsmodellen wird vor allem Projektmanagement, Projektleitung oder Projektsteuerung eingesetzt. Dies sind alles Managementaufgaben. Sie betreffen den Einsatz von Methoden zur besseren Organisation der Arbeit und zur Erreichung einer verbesserten Qualität. Eine projektübergreifende Führung der Projektpartner ist dabei oft nicht vorgesehen. Um aber ein gutes Klima der Zusammenarbeit zu schaffen, gegenseitiges Vertrauen entstehen und wachsen zu lassen, ist eine kontinuierliche werteorientierte Führung erforderlich, die die Partner ermutigt, motiviert und die Werte des Projekts lebendig werden lässt. Dies kann in einzelnen Projektworkshops, die im Rahmen von partnerschaftlichen Projektabwicklungen stattfinden, nicht erreicht werden. Denn die Aufgaben in psychologischer und kommunikativer Hinsicht sind zu vielfältig und bedürfen der permanenten Präsenz einer GesamtProjektführung der Menschen im Projekt auf Augenhöhe, deren Grundlage demokratische Einbeziehung, Kommunikation, Vertrauen und Ermutigung ist.
2.3 Der Weg zu einer konsequent integrativen, kollaborativen …
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2.3.2 Nachhaltige Wertschöpfung Nicht nur die wirtschaftliche Effizienz durch Vermeidung von Verschwendung ist für den Projekterfolg wichtig, sondern eine grundsätzliche Umstellung auf ein wertschöpfendes Wirtschaften. In Zukunft wird sich Wirtschaften nicht mehr nur darin auszeichnen, den besten Preis zu bekommen und dafür möglichst viele Ressourcen auszubeuten, sondern bei immer knapper werdenden Ressourcen muss ein achtsamer Umgang mit den Ressourcen zu einer gerechten und wertschöpfenden Verteilung derselben führen. Daher sind alle Prozesse auf nachhaltige Wertschöpfung durch interessengerechtes und verantwortliches Denken und Handeln auszurichten.
2.3.3 Faire und klare Vertragsgestaltung Die Mehrparteienverträge zeigen bereits, dass es an der Zeit ist, die bisher branchenweit üblichen Vertragsgestaltungen zu verändern. Eine Abrechnung nach dem Kostenerstattungsprinzip zzgl. Wagnis- und Gewinnzuschlag ist der richtige Weg. Ebenso wie insgesamt auf die Vereinbarung der VOB/B verzichtet werden, denn sie ist unfair und daher konfliktträchtig. Dieses Klauselwerk ist durch eine grundlegend andere Vorgehensweise zu ersetzen, die zu einer klaren, fairen und lebendigen Vertragsgestaltung führt.
2.3.4 Integrative und kooperative Verhandlungs- und Entscheidungsprozesse Die Prozesse einer gelingenden Projektabwicklung sind auf gut funktionierende Verhandlungs- und Entscheidungsprozesse angewiesen, denn diese sind ihr Motor. Wie bereits gezeigt, laufen in der herkömmlichen Projektabwicklung diese Prozesse oft nicht rund, vor allem, weil Verhandlungen kompetitiv geführt und dabei einseitige Informationsvorteile zur Befriedigung von Eigennutzinteressen führen. Zudem wird nicht werteorientiert oder sachgerecht verhandelt, sondern preis- und angstgetrieben. Mit dieser Verhandlungsstrategie lässt sich aber weder aktiv Wertschöpfung noch nachhaltige Ressourcenverteilung und Vertrauen generieren. Diese herkömmlichen Strategien demotivieren und führen zu schlechter Qualität, hohen Preisen und meist auch zu Konflikten. Daher ist die Verhandlungsform grundlegend zu ändern und durch integratives und kooperatives Verhandeln und ebensolcher Entscheidungsprozesse zu ersetzen.
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2 Projektabwicklung in Bewegung
2.3.5 Projektinterne Mediatoren von Anfang an Neben einer Projektführung, die klar auf Augenhöhe mit dem Projektpartner agiert und das Wohl des Projekts als Ganzes verkörpert und unterstützt, bedarf es noch eines ausgleichenden Elements. Das sind die projektinternen Mediatoren. Diese werden gebraucht, damit individuelle und gruppendynamische Lernprozesse im Sinne einer konstruktiven Kommunikation gelingen können ebenso wie für die professionelle Integration aller wesentlichen Interessen in Verhandlungs- und Entscheidungsprozesse. Nur wenn hier mediativ vorgegangen wird, besteht die Chance der fairen Einbeziehung. Daneben sind Projektabwicklungen stets geprägt von Situationen, in denen Interessenkonflikte zwischen den Partnern bestehen. Hier werden die projektinternen Mediatoren sofort vermittelnd tätig, damit es nicht zu einer Ausweitung von Konflikten kommt. Dem wird allerdings schon durch viele obligatorische Verhandlungssituationen vorgebeugt, denn hier ist ein systemimmanenter Ort geschaffen, an dem Interessenkonflikte bearbeitet werden. Da hier ebenfalls die projektinternen Mediatoren eingesetzt werden, ist davon auszugehen, dass Konflikteskalationen bereits präventiv begegnet wird.
2.3.6 Transparentes Echtzeitinformationsmanagement Wissen ist Macht. Partnerschaftlichkeit findet nur auf Augenhöhe statt. Daher sind Machtungleichgewichte soweit es geht in der Projektabwicklung zu vermeiden. Ein wesentlicher Hebel hierfür ist die Informationspolitik eines Projekts. Werden Informationen nicht in Echtzeit geteilt, dann werden Partner abgehängt und ausgeschlossen. Dies führt zu Verunsicherung, Misstrauen und Demotivation. Dies wiederum gefährdet den Projekterfolg. Daher sind Informationen zum Projekt allen Partnern in Echtzeit zugänglich zu machen und diese sind auch mit verantwortlich zu dafür zu machen, wesentliche Informationen einzuholen und ebenfalls zu teilen. Hinweis Weshalb es dieser eben genannten Stellschrauben bedarf, damit partnerschaftliche, kollaborative und integrative Projektabwicklung wirklich gelingen kann, wird klar, wenn wir uns mit den in den Kap. 3–6 dargestellten Hintergründen näher befassen. Auf dem ersten Blick zu erkennen ist bereits, dass es sich um Themen handelt, die der Fairness und damit auch der Stressreduktion dienen.
Literatur
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Denn unfaire Bedingungen, die nicht zu beeinflussen sind, werden als Stress erlebt und setzen einen Teufelskreislauf des Versagens in Gang. Dem kann durch deutliche Verbesserung der Rahmenbedingungen entgegengewirkt werden.
Literatur Eschenbruch, K., Projektmanagement und Projektsteuerung für die Immobilien- und Bauwirtschaft, 5. Aufl., Hürth 2021 Forbes/Ahmed, Lean Project Delivery And Integrated Practices In Modern Construction, Routledge, 2. Aufl., 2020 Fiedler, M., (Hrsg.) Lean Construction – Das Managementhandbuch, Wiesbaden, 2018 Girmscheid, G., Projektabwicklung in der Bauwirtschaft – prozessorientiert, Wiesbaden, 5. Aufl. 2016 Hagsheno/Budau/Lippl, Ursachen für die zurückhaltende Anwendung alternativer Projektabwicklungsmodelle in der deutschen Bauwirtschaft, 2019 Hübler, M., Die Führungskraft als Mediator, Wiesbaden, 2020 Lange, J. (Hrsg.) Werteorientierte Führung in Theorie und Praxis, Wiesbaden 2021 Leupertz, S., Die Vertragsabwicklung mit BIM-Mehrparteienvertrag, a.a.O. 2019 Montada, L. & Kals, E., Mediation – Lehrbuch für Psychologen und Juristen, Weinheim, 2013 Mosey, Collaborative Construction Procurement and Improved Value, Wily, 2019 Scharmer, O., Essentials der Theorie U, Grundprinzipien und Anwendungen, Heidelberg, 2019 Schirmer, U. &Woydt, S., Mitarbeiterführung, 3. Aufl. Wiesbaden, 2016 Warda, Die Realisierung von Allianzverträgen im deutschen Vertragsrecht, Baden-Baden, 2020
3
Psychologische und soziale Hintergründe
Der Mensch ist ein Wesen, das denkt, fühlt und handelt. Die ganzheitliche Betrachtung des Menschen ist ein wesentlicher Transformationshebel für die Projektabwicklung Im Rahmen meiner Forschung habe ich unter anderem qualitative Experteninterviews mit Persönlichkeiten aus allen Bereichen der Projektabwicklungspraxis durchgeführt. Darunter waren Bauherren, Architekten, Fachplaner, Projektsteurer, Juristen, Lean Management Experten, IPA-Experten, Baubetriebler sowie Vertreter der Bauindustrie. Dabei konnte ich feststellen, dass der Leidensdruck der Projektbeteiligten – insbesondere auf der Auftragnehmerseite – immens ist. Alle wünschen sich nichts sehnlicher als eine sinnvolle, faire und auskömmliche Form der Projektabwicklung. Weshalb es hierzu in erster Linie menschlicher Veränderungsprozesse bedarf, wird nachfolgend skizziert.
3.1 Denken ist meist unterbewusst Der Mensch denkt, fühlt und handelt. Denken ruft Emotionen hervor und diese beeinflussen wiederum das Denken und Handeln. Mit dem hier angesprochenen Denkvorgang ist das schnelle schematische und bewertende Wahrnehmen, Denken und Fühlen gemeint, nicht ein bewusstes Nachdenken, welches ein langsamer und energieaufwändigerer Vorgang ist. In den meisten Situationen denken wir nicht bewusst nach, bevor wir handeln, sondern unser Gehirn und die wesentlichen Nervenbahnen, die den Körper durchziehen, greifen auf abgespeicherte Muster und Denkrahmen zurück, die der schnellen Bewertung einer Situation dienen. Diese Schablonen sind mit unterschiedlichen Kriterien gefüllt: Erfahrungen, Traditionen, Erlerntes, eigene und fremde Glaubenssätze © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Ibrom, Ganzheitliche Projektabwicklung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-38327-5_3
31
32
3 Psychologische und soziale Hintergründe
und vieles mehr. Manches haben wir in der Kindheit erlebt und gespeichert und ziehen es auch im Erwachsenenalter noch immer unterbewusst als Bewertungsund Handlungsmaßstab heran. Dieses unterbewusste Gedächtnis ist immens und über seinen Speicherinhalt haben wir kaum Kontrolle. Die Themen, denen wir Aufmerksamkeit schenken, egal ob positive oder negative, werden gespeichert und beachtet. Jede Beachtung führt zur Verstärkung. So werden wir individuell geprägt. Denkmuster werden körperlich verankert und führen zu einer Verfestigung derselben. Dadurch kann es bei einer ähnlich gelagerten Situation zu einer viel schnelleren Reaktion kommen. Dies rettet in Gefahrensituationen ggf. Leben. Unser Körper ist ein äußerst leistungsfähiger informationsverarbeitender Organismus, der mit seinen Millionen Nervenzellen mehr als 10 hoch 7 Bit pro Minute Informationen aufnimmt, bewertet und verarbeitet. Hiervon kommen nur ca. 100/bit pro Minute im Bewusstsein.1 Er ist ein sich selbst organisierendes und selbststeuerndes System, das nur deshalb so gut funktioniert, weil es der unterbewussten Steuerung unterliegt. Würden wir jedes Mal darüber nachdenken, bevor unsere Organe, Muskeln und Nerven arbeiten, würden wir nicht lange am Leben sein. Schematisches Vorgehen und Selbstregulierung sind also wesentliche Vorteile, können dann aber nachteilig sein, wenn die Voreinstellungen nicht (mehr) passen. Die Erkenntnisse zum schematischen Denken und seiner körperlichen Verankerung werden letztlich auch in der manipulativen Werbung ausgenutzt. Hier geht es darum, durch stetige Wiederholung bestimmte Denkrahmen zu erzeugen, die dann dazu führen sollen, dass die beworbenen Produkte gekauft werden, weil aus einer Bewusstseinsveränderung allmählich und subtil eine Einstellungsveränderung und daraus eine Handlungsveränderung wird. Ebenso ist es in der Politik. Mit Denkkonzepten, die Emotionen auslösen werden Gefühle vermittelt, diese verstärken die Denkansätze usw. Künftig geht es etwa darum, die im Laufe der Zeit entstandenen gegenseitigen Vorurteile zu verändern und auch die Partner tatsächlich die für eine partnerschaftliche Projektabwicklung wesentlichen Werte und Handlungsweisen bewusst zu machen. Dabei ist es selbstverständlich in einem komplexen und lebendigen System nicht möglich, Überzeugungen, Einstellungsänderungen und Handlungsänderungen bei Menschen mit einem ganz genauen Output entstehen zu lassen. Das wäre manipulativ und moralisch nicht vertretbar. Aber es
1 Vgl.
Kreggenfeld, U., Erfolgreich Systemisch verhandeln, 2021, S. 180 f.
3.2 Soziale Verbundenheit als Schlüssel
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ist möglich, eine Umgebung zu schaffen, in der Menschen sich frei und wertschätzend begegnen können. Damit ist ein wesentlicher Schritt getan, um bewusst zu denken und schlechte Angewohnheiten durch gute zu ersetzen. Denn die schlechten Angewohnheiten im Zusammenhang mit der Projektabwicklung, seien es destruktive Kommunikation oder auch „satanische Verhandlungskunst“, stören die Kollaboration, die Partnerschaft wie auch das Integrieren aller wesentlichen Interessen. In einem vitalen Ökosystem der wertschätzenden Zusammenarbeit haben diese alten Angewohnheiten keinen Platz und werden verschwinden. In der heutigen Post-Corona-Arbeitswelt ist eine auf Wertschätzung und Diversität basierende Zusammenarbeit und Führung die einzige Möglichkeit, die guten Fachkräfte zu binden.2 Daher ist es notwendig, im Rahmen der Projektabwicklung Angebote zur Selbstentfaltung zu geben, diese beginnen mit der Hinterfragung alter destruktiver Denkmuster und ebensolcher Rhetorik und dem Kennenlernen konstruktiver Denk- Handlungs- und Kommunikationsgrundsätze. Wenn diese bewusst bevorzugt werden, können sie zur Gewohnheit und damit zum Schema werden. Dies ist für die Zukunft einer nachhaltigen und partnerschaftlichen Projektentwicklung außerordentlich wichtig, denn es gibt so viele Denkfallen3, denen wir ständig aufsitzen, wenn wir uns nicht bewusst machen, wie unser Gehirn arbeitet. Gleichzeitig kann klares, kreatives Denken erlernt werden.4
3.2 Soziale Verbundenheit als Schlüssel Selbsterziehung bzw. Selbstbeeinflussung der Denk- Emotions- und Handlungsrahmen ist erst möglich, wenn wir uns bewusst mit uns und unserem Denken, Fühlen und Handeln auseinandersetzen. Zugang zu dem lebendigen Denken erlangen wir in einem Zustand der Balance. Die von Steven Porges entwickelte Polyvagaltheorie belegt ausgehend vom Vagusnerv, weshalb diese Balance der entscheidende Ausgangspunkt zu einer selbstbestimmten Weiterentwicklung des
2 Heinemann,
M., Schöne neue Arbeitswelt, in: in/pact, Arbeitswelt der Zukunft, Mai 2022, S. 3 f. 3 Dobelli, R., Die Kunst des klaren Denkens, München, 2011. 4 De Bono, E., De Bonos neue Denkschule, München, 2002.
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3 Psychologische und soziale Hintergründe
Menschen ist. Der Vagusnerv ist der wichtigste Nerv des Autonomen Nervensystems (ANS) und entscheidend beteiligt bei den komplexen Vorgängen der Selbstentwicklung. Der Vagusnerv verfügt über sensorische und motorische Bahnen, die vom Stammhirn ausgehen und von dort alle Organe des menschlichen Körpers erreicht. So nimmt er Zustände der Organe wahr und reguliert sie, ist für Mimik, Stimme, Hören mitzuständig, ebenso wie er Wahrnehmungen mitinterpretiert. Das ANS ist Bezugspunkt unserer Befindlichkeit und der emotionalen Gestimmtheit. Es hat sich im Laufe der Evolution von einfachen zu immer komplexeren Strukturen und Systemen entwickelt. Das älteste dieser neuronalen Systeme ist aktiv, wenn sich Menschen in ausweglos lebensbedrohlichen Situationen befinden. Es führt dann zur Starre. Muskeln, Herzschlag Atmung werden gedrosselt, der Mensch kann sogar kollabieren. Diese Schreckstarre ist Teil eines uralten Überlebensprogrammes und entspricht in der Tierwelt dem Totstell-Reflex zur Irreleitung eines Fressfeindes. Das zweitälteste System ist aktiv, wenn sich Menschen in einer nicht auswegloslosen Gefahrensituation wähnen. Dann wird der Ausweg mit aller Kraft gesucht. Dazu wird der Körper in höchsten Alarmzustand versetzt. Herzschlag und Atmung werden beschleunigt, Muskeln werden hyperton, die Sinneswahrnehmung wird selektiv. Verdauungsvorgänge werden augenblicklich eingestellt. Dies ist die Vorbereitung auf eine kraftvolle Reaktion. Es geht um Kampf- oder Flucht. Dieses System dient dem Schutz des Lebens. Tiere haben dieses System auch und können nachdem die Situation vorbei ist leicht wieder in den Normalzustand zurückkehren. Menschen dagegen können sogar in diesen Reaktionen stecken bleiben. So kann es zu Dauerstress und Burnout kommen, auch wenn die lebensbedrohlichen Situationen längst vorbei sind. Das jüngste neuronale System wird von Porges als „System für soziale Verbundenheit“ bezeichnet. Es dient dazu, dass sich Menschen „menschlich“ verhalten. Die hier zuständigen Neuronen sind bei der Geburt noch nicht ausgereift. Der Reifeprozess findet im Erleben der frühen Bindungen statt. Die Aktivierung des jüngsten neuronalen Systems bildet die Voraussetzung dafür, dass ein Mensch klar und planvoll denken, sich einfühlsam, fürsorglich und liebevoll verhalten kann und zu spiritueller Reifung motiviert ist. Diese menschlichen Fähigkeiten werden in der Projektabwicklung benötigt, soll sie partnerschaftlich und kollaborativ ablaufen. Eine Selbstentwicklung der einzelnen Partner in diesem Sinne ist also nicht nur für diese persönlich, sondern gerade auch für das Gelingen der partnerschaftlichen Projektabwicklung von entscheidender Bedeutung.
3.3 Angst, die es zu überwinden gilt
35
Die drei beschriebenen Systeme sind im Menschen ständig aktiv. Sie nehmen Signale von außen und von innen wahr, entscheiden, ob eine Situation sicher, gefährlich oder lebensbedrohlich ist. Danach kommt es zur Aktivierung der entsprechenden neuronalen Schaltkreise. Neben angeborenen Automatismen spielen dabei lebensgeschichtliche Prägungen eine entscheidende Rolle. Ob eine Gefahr objektiv vorliegt, ist dabei unerheblich. Ein Mensch, der bei leisester Kritik etwa empört und aggressiv reagiert, erlebt sie als Bedrohung. Möglicherweise wurde er in seiner Kindheit häufig gemaßregelt, wenn er etwas falsch gemacht hat. Solche Prägungen können dann lebenslang als Grundmuster in die körperliche Konstitution eingeschrieben bleiben, wenn sie nicht bemerkt und bearbeitet werden, und verhindern so Entwicklungsmöglichkeiten. Für die Selbstentwicklung bedeutet dies, dass wir intensiver mit unserer Körperlichkeit und den Emotionen in Einklang kommen müssen, um die gesunde und Sicherheit vermittelnde Verbundenheit mit der Welt zu erlangen. Im Zustand der sozialen Verbundenheit haben wir erst Zugang zu unserem ganzen Potenzial, das uns als Menschen auszeichnet. Werteorientierte ganzheitliche Führung und projektinterne Mediatoren haben daher in der Ganzheitlichen Projektabwicklung die Aufgabe, diesen Raum bei allen Kommunikationsprozessen zur Verfügung zu stellen und die die Partner dabei zu unterstützen, in der Projektabwicklung echte soziale Verbundenheit zu erleben. Die so gestärkten Projektpartner sind dadurch in der Lage, ihre Aufgaben mit Gelassenheit in der notwendigen Konzentration und mit Freude zu erfüllen. Diese Art des Miteinanders ist dann als angstfrei zu bezeichnen, denn dort wo es eine soziale Verbundenheit gibt, herrscht Vertrauen und Angst hat keinen Platz.
3.3 Angst, die es zu überwinden gilt Im Rahmen vieler Experteninterviews habe ich festgestellt, dass die meisten Projektbeteiligten herkömmlicher Projektabwicklungen vor allem davon gesprochen haben, wie angstbesetzt ihr Projektalltag ist. Diese Angst entsteht, weil sich die Menschen in der Projektabwicklung einigen Gefahren ausgesetzt sehen, die sie wohl als bedrohlich empfinden. Folgende Ängste wurden in den Experteninterviews aus ihren unterschiedlichen Perspektiven auf der Auftragnehmerseite genannt: Größte Angst in der Projektabwicklung: Termine/Kosten/Qualität nicht einhalten zu können.
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3 Psychologische und soziale Hintergründe
Weitere Ängste: • • • • • • • • • •
Angst vor Veränderung Angst Entscheidungen zu treffen Angst vor Haftung Angst vor Komplexität Angst vor Kommunikation Angst, Informationen Preis zu geben Angst vor Korruption Angst, niedergemacht zu werden Angst, über den Tisch gezogen zu werden Angst, verantwortlich zu sein
Angst kommt in verschiedenen Dimensionen bei der Projektabwicklung vor, weil die herkömmliche Projektabwicklung tatsächlich teils auch wegen unfairer Verträge bedrohliche Situationen schafft, die mit enormen Unsicherheiten einhergehen. Die Ängste der Projektpartner sind also nicht etwa krankhaft, sondern oft sogar die adäquate Antwort auf die oft kriegerische Wirklichkeit im Projektalltag. Angst ist ein Grundgefühl, das sich in bedrohlich empfundenen Situationen als Besorgnis äußert. Auslöser können dabei erwartete Bedrohungen sein.5 Angst wird in der Alltagssprache auch häufig mit anderen Gefühlsregungen verwechselt oder vermischt, etwa mit der Scham, etwa weil etwas nicht gelungen ist, mit dem Misstrauen6 oder mit einer hohen psychischen Anspannung bei der Bewältigung einer gefahrenträchtigen Situation.
3.3.1 Funktionen der Angst Evolutionsgeschichtlich hat die Angst eine wichtige Funktion als ein die Sinne schärfender und Körperkraft aktivierender Schutz- und Überlebensmechanismus, der in tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Gefahrensituationen ein angemessenes Verhalten (Kampf- oder Flucht) einleitet.7 Diese Aufgabe kann sie nur erfüllen, wenn weder zu viel Angst das Handeln blockiert noch zu wenig Angst reale Gefahren und Risiken ausblendet. Eine Balance in der Vorein-
5 Wikipedia,
abgerufen am 03.11.2021 unter https://de.wikipedia.org/wiki/Angst. auch Hörlin, S., Figuren des Misstrauens, Konstanz, 2015. 7 Siehe Abschn. 3.2. 6 Siehe
3.3 Angst, die es zu überwinden gilt
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stellung der Menschen, deren Grundlage eine ausbalancierte soziale Verbundenheit ist, führt zu einem gesunden Einsatz der Angst. Angst bei realen Gefahren zu empfinden ist funktional und sinnvoll. Permanente Alarmbereitschaft in der Projektabwicklung ist dagegen dysfunktional und führt zu latent vorhandenen Dauerkonflikten, in denen die aufgestaute Energie entladen wird. Suchen wir aber stets nach Gefahren, oder begeben wir uns in Situationen, die wir nicht beherrschen können, die sich wie ein Krieg anfühlen und sehen wir uns das Ganze nicht bewusst an, dann übernimmt die Angst mitunter das Regiment, Angstbesetzte Denkmuster machen sich breit. Was sich noch ganz sinnvoll anhört, wie etwa das Thema Risikomanagement, bei dem es darum geht, Gefahren zu identifizieren, kann sich oft unbemerkt zu einem sich selbst erschaffenden angstgesteuerten System entwickeln. In einem solchen Fall ist die Angst Ursache der Gefahr und damit dysfunktional. Gleiches gilt, wenn der Angst auf der Grundlage dauerhaften Misstrauens und Konflikten eine übermäßige Bedeutung im Rahmen der Projektabwicklung zukommt und negative Auswirkungen auf die beteiligten Menschen hat.
3.3.2 Körperliche Reaktionen Die körperlichen Symptome der Angst sind normale (also nicht krankhafte) physische Reaktionen, die bei (einer realen oder phantasierten) Gefahr die körperliche oder seelische Unversehrtheit, im Extremfall also das Überleben, sichern sollen. Sie sollen ein Lebewesen auf eine Kampf- oder Flucht-Situation vorbereiten: • Erhöhte Aufmerksamkeit, Pupillen weiten sich, Seh- und Hörnerven werden empfindlicher • Ein größerer Teil der weißen Haut des Augapfels wird sichtbar • Erhöhte Muskelanspannung, erhöhte Reaktionsgeschwindigkeit • Erhöhte Herzfrequenz, erhöhter Blutdruck • Flachere und schnellere Atmung • Energiebereitstellung in Muskeln • Körperliche Reaktionen wie zum Beispiel Schwitzen, Zittern und Schwindelgefühl • Hitze- oder Kälteschauer • Blasen-, Darm- und Magentätigkeit werden während des Zustands der Angst gehemmt • Übelkeit und Atemnot treten in manchen Fällen ebenfalls auf • Absonderung von Molekülen im Schweiß, die andere Menschen Angst riechen lassen und bei diesen unterbewusst Alarmbereitschaft auslösen.
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3 Psychologische und soziale Hintergründe
3.3.3 Kultur der Angst Zu den sozialen Bedingungen von Angst zählen sowohl sozialstrukturelle als auch kulturelle Einflüsse. Die Emotionssoziologie gibt einige Hinweise auf solche Faktoren. Nach sozialstrukturellen Ansätzen sind insbesondere Machtdefizite für die Entstehung von Angst verantwortlich. Betrachtet man das Machtgefälle zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer in herkömmlichen Projektabwicklungen, so ist eine latent vorhandene Angst bei den Auftragnehmern nachvollziehbar. Kulturelle Theorien heben dagegen die Bedeutung von Emotionsnormen, d. h. soziale Regeln des Ausdrucks und Empfindens von Emotionen, hervor. Letzteres bedeutet, dass manche Kulturen eher zur Angst neigen und diese kultivieren als andere. Während beispielsweise in schweizerischen Projektabwicklungen eher Gelassenheit vorherrscht, haben wir es in Deutschland eher mit einer Kultur der Angst zu tun. Erklärt werden könnte dieses Phänomen mit Max Dehne, der die sozialen Bedingungen der Angst untersucht hat und auf sogenannte Einschätzungsdimensionen bezieht. Hiernach entsteht Angst, wenn eine Situation in einer bestimmten Weise – insbesondere entlang der Dimensionen betroffenes Identifikationsobjekt, Ungewissheit/Wahrscheinlichkeit und Kontrollierbarkeit – eingeschätzt wird. Sehen wir also, dass etwa die Realisierung des Projekts oder die der beauftragten Leistung aufgrund von zu frühem Projektstart, zu früher Ausschreibung, unfairen Risikoverteilungen in den Verträgen und einem vorherrschenden Gegeneinander der Projektbeteiligten im Grunde ein überaus ungewisses und unkontrollierbares Unterfangen wird, so ist es nahezu konsequent, dass sich Angst bei den betroffenen Projektbeteiligten einstellt. Ändern wir die sozialen Bedingungen in der Projektabwicklung, so kann auch hier aus Angst eine Kultur der Gelassenheit werden.
3.3.4 Lernprozesse Die Projektpartner müssen sich der Angst entledigen. Dies gelingt nur, wenn eine soziale Verbundenheit hergestellt und gelebt werden kann. Hierzu können äußere Maßnahmen getroffen werden, die Sicherheit geben, Zusammenarbeit muss neu gedacht und organisiert werden und Prozesse wie auch rechtliche Rahmenbedingungen sind fair und transparent zu gestalten, sodass diese eine sichere und tragfähige Grundlage der Zusammenarbeit bieten. Jeder Mensch bringt eine für ihn typische Angstdisposition mit, die sich aber schon ab dem Kleinkindalter und noch lebenslang durch entsprechende
3.4 Umgang mit Emotionen und Stress
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ernprozesse erheblich verändern lässt. Jede Art von Angst kann gelernt, aber L auch verlernt werden. Gefahrensignale im Gedächtnis vorzuhalten, hat offensichtlich Selektionsvorteile. Angst ist die gelernte Verbindung von spezifischen Hinweisreizen in Ereignissen und deren schädlichen Konsequenzen. Ängste können auf verschiedene Weisen gelernt werden, etwa durch eigene Erfahrungen und Konditionierung, durch Beobachtung fremden Verhaltens und damit durch Lernen am Modell oder durch Instruktion wie etwa durch Warnhinweise. Für die Projektabwicklung bedeutet dies, dass Lernräume eröffnet werden müssen, die ein Verlernen übermäßiger Angst ermöglichen und gleichzeitig dafür geeignet sind, gute Gewohnheiten wie konstruktive Kommunikation, Verlässlichkeit, Aufrichtigkeit und Gelassenheit entstehen und wachsen zulassen.
3.4 Umgang mit Emotionen und Stress Emotionen beeinflussen die Bewertung der Situation, in der sie auftreten und damit auch das Erkennen der eigenen Interessen und Handlungsoptionen.8 Intensive negative Gefühle wie Angst, Scham, Wut, Neid, Ärger, Wut und Hass, treten in der Projektabwicklung auf und führen, wenn sie nicht bearbeitet werden zu Dauerstress und Versagen. Angst kann wie im Abschn. (3.3) ausführlich gezeigt, entstehen, durch eigene Sorgen, Befürchtungen auch durch Bedrohungen von außen, wenn also in Verhandlungen etwa Drohstrategien gefahren werden. Scham kann durch kritische Selbstbewertung oder durch die Beschämung anderer entstehen, etwa wenn die Leistung eines Partners vor versammeltem Team schlechtgemacht wird. Neid entsteht dagegen, wenn bezogen auf einen andere Personen die eigene Perspektive verliert. Ärger, Wut und Hass, sind dagegen Abwehrreaktionen auf eigenes Fehlverhalten oder auch durch feindselige, ungeduldige, arrogante, empörte Reaktionen und Äußerungen von anderen hervorgerufen. Angst und Scham beziehen sich dabei vor allem auf die eigene Person, während sich Ärger, Wut und Hass gegen andere Personen und deren Verhalten richten. All diese Gefühle und Emotionen kommen in der Projektabwicklung vor. In der herkömmlichen Projektabwicklung werden sie aber nicht adäquat bearbeitet und können so zu einem ernstzunehmenden Störfaktor für das Projekt werden.
8 Montada,
2013.
L. & Kals, E., Mediation – Lehrbuch für Psychologen und Juristen, Weinheim
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3 Psychologische und soziale Hintergründe
3.4.1 Emotionen regulieren Gefühle bestimmen unsere Motivation, Kooperationsbereitschaft, Kommunikati onsfähigkeit, Denkfähigkeit, Handlungsfähigkeit sowie unser Vertrauen. Sie werden im heutigen psychologischen Verständnis als ein komplexes Muster körperlicher und mentaler Veränderung verstanden. Das können physiologische Erregung, positive oder negative Empfindungen, kognitive Denkprozesse sowie Reaktionen im Verhalten als Antwort auf eine Situation sein, die als bedeutsam wahrgenommen wird. Im Vergleich zur Stimmung sind Emotionen spezifische Reaktionen auf spezifische Situationen, die von kurzer Dauer und intensiv sind. Die Emotionsregulation besteht darin, zu erkennen, ab wann bestimmte Gefühle zu intensiv auftreten, zu lange andauern oder zu nicht mehr situationsadäquaten Reaktionen führen. Funktionale Strategien im Umgang mit Gefühlen sind etwa die Akzeptanz, die Neubewertung und das Problemlösen, während dysfunktionale Strategien etwa die Unterdrückung von Emotionen, das Grübeln oder die Vermeidung durch Gefühllosigkeit sind. Gerade in der harten Welt der Projektabwicklung, bei der vor allem Menschen aus dem technischen und juristischen Bereich die Kultur bestimmen, wird sehr häufig im dysfunktionalen Bereich mit Gefühlen umgegangen. Sie werden schnell als unsachlich und unerheblich dargestellt und tabuisiert. Damit bleibt oft als Ventil für die Menschen, die ja nun einmal die Emotionen haben, der Weg entweder in den Konflikt oder die Krankheit. In jedem Fall aber wird dadurch auch die eigentlich gewünschte sachliche Bearbeitung von anstehenden Themen beeinträchtigt. Projektabwicklung muss im Rahmen der Verhandlungen Räume eröffnen, in denen Emotionen klar angesprochen werden dürfen und damit erst einmal akzeptiert werden. Emotionen sind einfach da. In einem zweiten Schritt muss es dann darum gehen, ob diese umgedeutet werden können. Dies kann im Wege einer Versöhnung, Vergebung oder auch der Problemlösung geschehen. Gute Projektführung versteht sich an dieser Stelle als Coach und kümmert sich um die Gefühle der Projektbeteiligten, um eine funktionale Emotionsbearbeitung zu ermöglichen. Dies ist wichtig, weil Emotionen die ersten Vorboten von Problemen sind. Ihre Warnfunktion sollte der Projektführung überaus wichtig und wertvoll sein. Denn sind Probleme und Konflikte frühzeitig erkannt, können sie auch schnell gelöst werden, bevor sie eine Gefahr für die Projektabwicklung werden. Die herkömmliche Projektabwicklung sieht leider meist keinen Platz für Emotionen vor, sodass diese unbearbeitet sehr schnell für das Projekt dysfunktional werden können.
3.4 Umgang mit Emotionen und Stress
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3.4.2 Der Umgang mit Stress Stress (Druck, Anspannung) ist eine psychisch und physisch hervorgerufene Reaktion, die durch einen spezifischen äußeren oder inneren Reiz entsteht. Der Reiz beinhaltet oftmals eine subjektive Bedrohung, die dazu führt, dass unser Körper in den Flucht- oder Angriff-Modus wechselt. Das bedeutet, der Körper fährt alle hierzu erforderlichen Systeme hoch und vernachlässigt alle anderen. Hierdurch wird er energiegeladen. Stress ist die körperliche Anpassung, die wir benötigen, um einer bedrohlichen Situation Widerstand zu leisten. In der Projektabwicklung geht es, nicht um eine tatsächliche Bedrohung des Menschen in seiner physischen Existenz. Aber es geht in vielen Fällen um den Selbstwert der betroffenen Menschen. Etwas erscheint existenziell wichtig und wird durch eine Situation bedroht. Es geht um die soziale Existenzgefährdung. Die Angst vor dem sozialen oder wirtschaftlichen Tod, der Isolation oder Diskriminierung im gesellschaftlichen Nahfeld der Projektabwicklung. Oft ist dieser Stress auch das Ergebnis selbst veranlasster Konditionierung, die ihn als Statussymbol feiert oder aber auch von schlechten Angewohnheiten sowie überambitionierten Fehleinschätzungen im Zusammenhang mit Zusagen und Terminen. Meist ist es so, dass nicht andere für den eigenen Stress verantwortlich sind, sondern jeder selbst. Denn die Situation wird im Rahmen der Projektabwicklung nur bedrohlich, wenn keine geeigneten Gegenmaßnahmen ergriffen werden. So könnten Zusagen mit Augenmaß getroffen und rechtzeitig nachgesteuert werden. Dies ist allerdings oft aufgrund der herkömmlichen Vertragsgestaltung in Planen und Bauen nicht möglich, sodass der Stress durchaus auch von außen bzw. systembedingt vorliegt. Hier gilt es, die vertraglichen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass weniger Stress aufkommt, etwa durch Weglassen verpflichtender unrealistischer Vertragstermine oder ebensolcher Budgetvorgaben. Ein solches Vorgehen ist der herkömmlichen Projektabwicklung fremd. Der meiste Stress ist aufgrund ungünstiger Strategien mit dem Umgang von Stress auch selbst gemacht. Je weniger Angst und Bedrohung jemand fühlt, desto weniger Stress empfindet er. Hierzu ist es erforderlich, eine psychische Flexibilität und Resilienz zu besitzen, mit der man das Gefühl hat, auf alle Erlebnisse im Zusammenhang mit den Erlebnissen in der Projektabwicklung reagieren zu können und auch schwierigste Situationen in den Griff bekommen zu können. Hierzu ist innere Sicherheit erforderlich, die im Zusammenhang mit einer erlebten sozialen Verbundenheit im Arbeitsalltag gefördert werden kann, aber nur bei jedem Partner selbst entstehen kann durch die Denkbeweglichkeit, Gelassenheit, Selbstliebe und ein sinnvolles bewusstes Stressmanagement.
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3 Psychologische und soziale Hintergründe
Es gilt zwei unterschiedliche Arten des Stresses zu unterscheiden. Der Eustress, ist ein Stress, der durch positive Situationen hervorgerufen wird. Er höht die Aufmerksamkeit und Leistungsfähigkeit des Körpers, ohne Schaden anzurichten, denn am Ende steht Erfolg und Freude. Von Distress spricht man dagegen, wenn Stress von negativ empfundenen Situationen ausgelöst wird. Dieser Stress hat dann auch negative körperliche Auswirkungen, vor allem, wenn er dauerhaft und häufig empfunden wird und nicht kompensiert wird. Dazu kommt es, weil sich der Körper des gestressten Menschen dauerhaft in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Die dabei aufgebaute Energie bleibt oft körperlich ungenutzt, es kommt in der Projektabwicklung ja weder zu einem echten Kampf noch zur Flucht. Diese angestaute Energie führt zur Übersäuerung des Körpers und kann diverse Erkrankungen hervorrufen, angefangen von Entzündungen, Schmerzen bis hin zu psychischen Erkrankungen. In diesem Zustand des Distress ist dann konzentriertes Arbeiten, Denken und Handeln nicht mehr möglich. In der Projektabwicklung ist es daher essentiell, dass dem Faktor Stress ausreichend Beachtung geschenkt wird und Möglichkeiten zum sinnvollen Umgang mit Stress und dem Abbau von angestauter Energie angeboten werden.
3.4.3 Empathie durch gewaltfreie Kommunikation Negativen Emotionen und Stress bei den Projektpartnern können durch eine empathische und wertschätzende Gesprächskultur vorgebeugt werden. Das Parademodell der wertschätzenden und empathischen Kommunikation ist die gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg.9 Hintergrund dieser Kommunikationsstrategie ist eine umfassend wertschätzende Haltung, den Menschen gegenüber, ohne die Empathie nicht möglich ist. Es geht um Empathie andern gegenüber wie aber auch um Selbstempathie. In der Projektabwicklung ist das Modell geeignet, sich wertschätzend und respektvoll den Projektpartnern gegenüber zu verhalten und zu äußern. Die gewaltfreie Kommunikation muss allerdings gelernt, geübt und gelebt werden, damit sie ihre volle Wirkung entfalten kann.
9 Rosenberg,
Aufl. 2016.
M., Gewaltfreie Kommunikation, Eine Sprache des Lebens, Paderborn, 12.
3.5 Die Zusammenarbeit neu gestalten – Konsequent ...
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Grob skizziert funktioniert gewaltfreie Kommunikation so: Mit der wertschätzenden und gewaltfreien Haltung, wird zunächst das Wahrgenommene angesprochen, also der Auslöser für eine Emotion möglichst wertfrei aus der Beobachterperspektive dargestellt. In einem nächsten Schritt wird ggf. gemeinsam mit dem Gesprächspartner herausgefunden, welche Emotionen hier eine Rolle spielen. Diese Emotionen werden als vorhanden akzeptiert und nicht etwa argumentativ wegdiskutiert. In einem weiteren Schritt ist nun herauszufinden, aufgrund welcher fehlender Bedürfnisse sie entstanden sind. Negative Emotionen sind nämlich stets der Ausdruck unerfüllter Bedürfnisse. Wendet man sich den Bedürfnissen zu, die hinter den Emotionen stecken, so ist es möglich, Lösungen zu finden, die die Interessen und Bedürfnisse der Menschen integrieren. Dies wäre dann auch der letzte Schritt. Mit Lösungen, die eine Möglichkeit darstellen, auch die Bedürfnisse der Personen zu erfüllen, sind dann auch die negativen Emotionen bearbeitet und umgewandelt in positive. Der Ansatz der gewaltfreien Kommunikation kann entweder im Dialog oder auch im Wege der Selbstreflexion oder in der Coaching-Situation umgesetzt werden. Bei der Gewaltfreien Kommunikation geht es stets darum, empathisch zu sein und einfühlsam zu kommunizieren. Dies ist eine probate Möglichkeit, des Umgangs mit Emotionen und führt zu einer positiven, weil wertschätzenden Kommunikation in der Projektkultur. Damit wird umfassend Stress reduziert, da durch eine emphatische Kommunikation frühzeitig dysfunktionaler Stress und negative Emotionen vermieden werden können. In einer grundlegend neu gedachten Projektabwicklung sollte daher die Gewaltfreien Kommunikation eingesetzt und gelebt werden.
3.5 Die Zusammenarbeit neu gestalten – Konsequent integrativ, kollaborativ und partnerschaftlich Die Neugestaltung der Zusammenarbeit muss sowohl die Risiken aus den personen- und prozessbezogenen Bereichen verringern als auch die in der herkömmlichen Projektabwicklung bestehenden Ängste vermindern. Wenn die Partner Sicherheit und Vertrauen erleben, weil die Prozesse dem entsprechend gestaltet sind, wird es möglich, die Zusammenarbeit grundlegend zu verbessern.
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3 Psychologische und soziale Hintergründe
Bausteine einer grundsätzlich kooperativen Projektabwicklung Personenbezogene Kooperationsfaktoren Kooperationseigenschaften: • Kooperationsbereitschaft • Kooperationsfähigkeit Kooperationsbeziehung: • Vertrauen • Kommunikation • Faires Miteinander Prozessbezogene Kooperationsfaktoren Projektkooperation • Planungs- und Ausführungsqualität • Planungs- und Bauzeit • Kostendruck reduzieren Kooperationsgestaltung • Lösungsorientierung • Entscheidungskompetenz • Konfliktbearbeitung • Sinnstiftung
Diese überblicksweise Zusammenstellung der wichtigsten Kooperationsfaktoren ist der Studie Kooperation BH-BA aus dem Jahr 2014 entnommen.10
10 Kooperation
BH-BA, Österreichisches Forschungsprojekt: FFG-Programm/Instrument: F&E-Projekt Basisprogramm V. 8-2013 ENDBERICHT FFG Projektnummer 839985 eCall Antragsnummer 3587642 Kurztitel Kooperation BH-BA FörderungsnehmerIn ÖBV GmbH Bericht Nr. 2 Berichtszeitraum 01.04.2013- 31.03.2014 Bericht erstellt von Bettina Bogner.
3.5 Die Zusammenarbeit neu gestalten – Konsequent ...
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3.5.1 Risiken aus den personen- und prozessbezogenen Bereichen Die vielfach angesprochene Angst lähmt und sabotiert die kooperative Zusammenarbeit. Oft sind die genannten Ängste zurückzuführen auf reale Ängste vor bestehenden Risiken, die sowohl aus den Bereichen der personenbezogenen als auch aus den prozessbezogenen Kooperationsfaktoren resultieren.
Risiken herkömmlicher Projektabwicklungen Personenbezogene Risiken • Stockende und schlechte Zusammenarbeit aufgrund Misstrauens • Wirtschaftliches Risiko wehen unzuverlässiger Projektpartner mit Eingennutzinteresse • Gesundheitsrisiko aufgrund Drucks und mangelnden gegenseitigen Respekts • Fehlerrisiko aufgrund Zuhaltens von Informationen • Haftungsrisiko aufgrund wechselseitigen Zuschiebens von Verantwortung für Fehler • Manipulationsrisiko, wenn Kommunikation vor allem der eigenen Machtentfaltung dient • Verlust der Verhandlungsmacht, wenn Augenhöhe von Auftraggeber nicht gewünscht ist Prozessbezogene Risiken • Fehlerrisiko durch zu viele Schnittstellen im Planungs- und Bauprozess • Wirtschaftliche Risiken durch unfaire Preise, unrealistische Kosten und unklare Qualitäten • Qualitätsrisiko durch mehrfach fragmentierte Planungs- und Bauprozesse, Innovationschancen bleiben ungenutzt, Nachhaltigkeitsaspekte werden vernachlässigt • Manipulationsrisiko durch Ausnutzen von Informationsasymmetrien und intransparentem Informationsmanagement • Verlust der Verhandlungsmacht durch unfaire Verträge
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3 Psychologische und soziale Hintergründe
• Konfliktkostenrisiko durch mangelhaftes Konfliktmanagement und bewusstem Einsatz von Konflikten zur Durchsetzung einseitiger Forderungen • Benachteiligungs-, Kündigungs- und Schadensersatzrisiko durch unfaire, komplizierte und unverständliche Verträge
Diese realen Gefahren führen völlig nachvollziehbar zu Ängsten bei den Projektpartnern.
3.5.2 Kollaborative Zusammenarbeit Für die menschliche und kulturelle Transformation der Projektabwicklung kann sehr viel Positives getan werden, wenn die Art und Weise der Zusammenarbeit als grundlegend sichere, faire und wertschöpfende Situation von den Projektbeteiligten wahrgenommen wird. Ein wesentlicher Grundsatz für eine tatsächlich partnerschaftliche Projektabwicklung ist die Kollaboration. Unter Kollaboration wird das Handeln einzelner Teammitglieder im Sinne und zum Wohle der Gemeinschaft sowie des Projekts verstanden. Kollaboration ist als kommunikativ weiterentwickelte Kooperation zu verstehen. Durch die Kollaboration aller Projektbeteiligten soll das Projektziel erreicht werden, wie in Abb. 3.1. dargestellt. Zentral dabei ist, dass ein Gefühl für die gemeinsame Verpflichtung aller Projektbeteiligter gegenüber der Erreichung des Projekterfolges erzeugt wird. Zudem wird anhand des kollektiven Zieles für das Projekt eine gemeinschaftliche Projektkultur geschaffen. Damit ist also Kollaboration eine intensivere und ganzheitlichere Form der Kooperation. Diese soll für die Beteiligten einen sicheren und fairen Arbeitsrahmen gewährleisten, sodass der bisherigen Kultur der Angst der Nährboden entzogen ist. Einfach einen Schalter umlegen und von oben befehlen, dass ab sofort, keine Angst mehr herrschen soll, geht leider nicht. Menschen müssen erleben und erfahren, dass sich etwas geändert hat in der Art und Weise der Projektabwicklung. Daher ist zwar der kollaborative Ansatz auf jeden Fall sehr gut, es braucht aber mehr als diesen Ansatz zu Beginn des Projekts vorzustellen. Die Kultur der Kollaboration und des Miteinanders, muss getragen sein von einem Gemeinschaftssinn, den jeder Partner ausbilden kann bzw. muss, damit die Kollaboration tatsächlich funktioniert.
3.5 Die Zusammenarbeit neu gestalten – Konsequent ...
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Abb. 3.1 Voraussetzungen für eine gelungene Kollaboration
In Abb. 3.1. sind alle wesentlichen Bereiche dargestellt, die es im Sinne guter Kollaboration zu entwickeln und zu kultivieren gilt.
3.5.3 Wer Angst hat, braucht Sicherheit Ganz im Sinne einer mediativen Herangehensweise, ist danach zu fragen, was die am Projekt beteiligten Menschen brauchen, um gut zusammenzuarbeiten. Wer Angst hat, braucht Sicherheit. Eine Lösung für die Frage, wie also Projektabwicklung in Deutschland gelingen kann, muss beinhalten, dass Risikobereiche nachhaltig entschärft werden, indem dort in Sicherheit investiert wird. Dies betrifft die Bereiche faire Vertragsgestaltung, faires, nachhaltiges Wirtschaften, ebenso wie Vertrauen. Projektpartner brauchen Sicherheit auf allen relevanten Kooperationsebenen.
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3 Psychologische und soziale Hintergründe
Die Sicherheitsbedürfnisse der Projektpartner können erfüllt werden durch: • Personenbezogene Kooperationsbeziehung, z. B. durch vertrauensvolle Zusammenarbeit, angstfreie Kommunikation Personenbezogenen • Kooperationseigenschaften, z. B. durch zuverlässige und hilfsbereite Partner • Prozessbezogener Projektkooperation, z. B. durch klare und faire Verträge sowie transparentes Informationsmanagement • Kooperationsgestaltung, z. B. durch verantwortliche Entscheidungen, interessenausgleichende Verhandlungen und Konfliktbearbeitung
Schon bei der Auswahl der Partner muss am besten darauf geachtet werden, dass diese sich voraussichtlich respektieren und unterstützen werden, mithin grundsätzlich kooperationsbereit und –fähig zu sein. Dies gibt Sicherheit. Menschen, die sich aufeinander verlassen können zu engagieren, ist besser als aus einen zusammen gewürfelten Haufen zu einem Team zu machen. Aber auch das ist möglich und dann auch nötig. Weiterhin Sind die Prozesse so zu gestalten, dass sie für alle Beteiligten nachvollziehbar sind und die Möglichkeit des Gehörtwerdens jederzeit gewährleistet ist.
3.5.4 Transformation der Projektabwicklung in ein wertschätzendes Ökosystem Eine Lösung für die Projektabwicklung der Zukunft muss nach alledem vor allem auf menschlicher Ebene ansetzen. Es geht um die Art und Weise des Umgangs, die Kommunikation und die Kultur, die in den Prozessen lebendig wird. Technisch und auch im Bereich der Digitalisierung sind beste Voraussetzungen vorhanden, um erfolgreich Bauprojekte umzusetzen. Allerdings ist auf der Ebene der Zusammenarbeit, der Kommunikation und auch im Bereich der Nachhaltigkeit sehr viel Veränderungsbedarf im Sinne einer Umkehr zu einem fairen Miteinander und einer Abkehr von einem angstbesetzten Gegeneinander in der Projektabwicklung zu erkennen. Mein Vorschlag heißt ganzheitliche Projektabwicklung, weil nur ein ganzheitlicher Ansatz zu einer gelingenden Umkehr führen kann, wie in diesem Kapitel aufgezeigt wurde. Dieser Ansatz ist abhängig davon, dass ein Ökosystem der nachhaltigen Wertschätzung im Projekt ent-
Literatur
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steht und lebendig werden kann. Dieses ist abhängig von einer Führung, die auf Wertschätzung und Vielfalt basiert sowie davon, dass in den Kommunikations-, Verhandlungs- und Entscheidungsprozessen, Denkfallen umgangen werden, die bei Individuen und auch in konsensualen Gruppenentscheidungen auftreten. So ist etwa der Group-Think Effekt bekannt, der dazu führt, dass Gruppenentscheidungen oft mehr dem Erhalt der Gruppe dienen, als etwa dem übergeordnetem Sinn und Zweck des Projekts.11 Um diese Gefahr zu vermeiden, ist es erforderlich, dass kommunikative Gruppenprozesse und -entscheidungen mediativ begleitet werden, denn die neutralen Dritten sind nicht Teil der Gruppe und daher in der Lage, die Partner immer wieder auf das eigentliche Ziel des Projekts zu konzentrieren und durch Fragen dahin zu führen, ihre Entscheidungen so zu treffen, dass echte nachhaltige Einbeziehung und kritische Hinterfragung der Lösungsoptionen in einem kollaborativen Rahmen geschehen kann.12 Nachhaltigkeit in einer komplexen Umgebung bedeutet, dass alle Beteiligten auf Augenhöhe agieren können und sich gegenseitig respektieren, es gilt eine Balance herzustellen. Dies gelingt nur durch mediative Begleitung der wesentlichen Prozesse des Projekts.
Literatur De Bono, E., De Bonos neue Denkschule, München, 2002 Dehne, M., Soziologie der Angst: Konzeptuelle Grundlagen, soziale Bedingungen und empirische Analysen. Wiesbaden Dobelli, R., Die Kunst des klaren Denkens, München, 2011 Forschungsbericht, F&E-Projekt Basisprogramm V. 8-2013 ENDBERICHT FFG Projektnummer 839985 egal Antragsnummer 3587642 Kurztitel Kooperation BH-BA FörderungsnehmerIn ÖBV GmbH Bericht Nr. 2 Berichtszeitraum 01.04.201331.03.2014 Bericht erstellt von Bettina Bogner Frankl, V., Kreuzer, F., Im Anfang war der Sinn. Von der Psychoanalyse zur Logotherapie. Ein Gespräch. Göttingen, 1991 Gomez/Probst, Die Praxis des ganzheitlichen Problemlösens, Stuttgart, 2007 Heinemann, M., Schöne neue Arbeitswelt, in/pact, Arbeitswelt der Zukunft, Mai 2022, S. 3–4 Hörlin, S., Figuren des Misstrauens, Konstanz, 2016
11 Dobelli,
R., Die Kunst des klaren Denkens, 2011, S. 101 ff. S., Die Rolle der Mediation in demokratischen Entscheidungsprozessen, BadenBaden, 2015.
12 Ibrom,
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3 Psychologische und soziale Hintergründe
Ibrom, S., Die Rolle der Mediation in demokratischen Entscheidungsprozessen, BadenBaden, 2015 Kreggenfeld, U, Erfolgreich systemisch verhandeln, Springer, Gabler, 2. Aufl. 2021 Luhmann, N., Vertrauen, Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, Stuttgart, 2014 Montana, L. & Kals, E., Mediation – Lehrbuch für Psychologen und Juristen, Weinheim, 2013 Porges, S., Die Polyvagaltheorie und die Suche nach Sicherheit, Lichtenau, 2017 Porges, S. Klinische Anwendungen der Polyvagaltherapie, Lichtenau, 2019 Rosenberg, M., Gewaltfreie Kommunikation, Eine Sprache des Lebens, Paderborn, 12. Aufl. 2016 Warwitz, S., Sinnsuche im Wagnis. Leben in wachsenden Ringen. 2., er. Aufl., Baltmannsweiler, 2016
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Nachhaltige Wertschöpfung als Ideal einer neuen Projektabwicklung
Klassisch wird der Projekterfolg im „magischen Dreieck“ aus Kosten, Zeit und Qualität beschrieben, wobei in der Praxis der herkömmlichen Projektabwicklung die Qualität eine eher untergeordnete Rolle spielt, indem ihr Vorhandensein durch vertragliche Definition vorausgesetzt wird. Alles dreht sich um Zeit und Kosten. Optimierungen dieser Größen lassen sich meist nur durch Ausbeutung -oft der letzten (Nach-)Unternehmer oder von natürlichen Ressourcen erreichen. Diese Art des wirtschaftlichen Wachstums, ist eine grundlegende Fehlentwicklung. Bereits vor 50 Jahren hat dies der Club of Rome festgestellt und für die Wirtschaft einen neuen Weg gefordert. Seither wird über nachhaltige Entwicklung und den Stopp des grenzenlosen Wachstums geredet. In Bezug auf Bauprojekte wurden zwar interessante technische Lösungen etwa zum Thema Energiesparen entwickelt. Nachhaltiges Bauen ist unter dem Aspekt der CO2-Bilanzierung, von Scope 1–3 sowie auch aufgrund der neuen Taxonomieverordnung in den Focus gerückt. Die erforderliche neue Haltung zu einem ganzheitlich nachhaltigen Wirtschaften statt einer sich ins schier Endlose steigernden Wachstumsphilosophie hat jedoch noch nicht Fuß gefasst. Das Bewusstsein ist ggf. vorhanden, es fehlt aber an einer Einstellungsänderung, die Voraussetzung für nachhaltiges Handeln ist. Damit dreht sich trotz besseren Wissens alles um den Preis als scheinbar wichtigsten Hebel des Wirtschaftens. Diese Haltung und Herangehensweise an das einseitig gewinnorientierte und teils rücksichtslose Wirtschaften ist in der herkömmlichen Projektabwicklung noch immer wirksam. Jeder ist sich selbst der Nächste. Ausbeutung und Ausnutzen von Machtpositionen in der herkömmlichen Projektabwicklung führen zu Konflikten statt zu tatsächlichen ökonomischen Erfolgen der Projektbeteiligten. Aus Nachhaltigkeitsgründen und weil die Ressourcen immer knapper werden, wird in Zukunft ein wirtschaftliches Angebot vor allem daran gemessen werden müssen, wie gerecht und verantwortungsvoll mit knappen Ressourcen © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Ibrom, Ganzheitliche Projektabwicklung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-38327-5_4
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4 Nachhaltige Wertschöpfung als Ideal einer neuen Projektabwicklung
umgegangen wird. Das System des ausbeuterischen Wirtschaftens hat insofern ausgedient.
4.1 Werte führen zu Wertschöpfung und Qualität Wirtschaften im Rahmen der Projektabwicklung und die Haltung dahinter muss ohne Wenn und Aber grundlegend neu gedacht werden, wollen wir verantwortlich und enkelgerecht handeln. Eine in diesem Sinne konsequent ganzheitliche Projektabwicklung stellt daher die Anforderungen der nachhaltigen Entwicklung in den Fokus. Nachhaltige Entwicklung liegt dann vor, wenn es ausgewogene Wechselbeziehungen zwischen den drei großen Bereichen des Wirtschaftens ökologisch – sozial und ökonomisch durch die beteiligten Menschen und in den zu steuernden Prozessen gelebt werden.1 Der sinnvoll vernetzte Dreiklang aller Nachhaltigkeitsaspekte ist wesentlich für einen gelungenen Umkehrprozess. Dies wurde bereits im März 1972 von den führenden Experten des Club of Rome so formuliert: „…dass der Mensch sich selbst und seine Ziele und Wertvorstellungen ebenso erforschen muss wie die Welt, die er zu verändern sucht. Beides erfordert nicht endende Hingabe und Anstrengung.“2 Hieraus folgt bezogen auf die Projektabwicklung ein stetiges werteorientiertes verantwortliches und vernetztes Denken3, Verinnerlichen und Handeln im Sinne eines nachhaltigen Wirtschaftens der beteiligten Projektpartner. Der Wert des menschlichen Umgangs miteinander, die Ethik und auch der Wert der nachhaltigen Entwicklung müssen konsequent zum Leitbild und dann zu einer neuen Baukultur werden. Bezogen auf die Projektabwicklung bedeutet dies, dass Aspekte der Qualität des Bauvorhabens neben technischen Anforderungen auch durch soziale, ökonomische und ökologische Anforderungen definiert sind, sodass statt Ausbeutung durch nachhaltige Zusammenarbeit Wertschöpfung für alle Beteiligten und Betroffenen entstehen kann.
4.2 Wie führen Werte zu einer Wertschöpfung? Jede Projektabwicklung erschafft grundsätzlich ein eigenes Wertesystem, welches aus systemischer Sicht für die wesentlichen Steuerungsimpulse verantwortlich ist.4 1 Siehe
auch http://www.deutscher-nachhaltigkeitskodex.de. nach Heuser, Uwe Jan, „Dürfen wir weiter wachsen?“, die Zeit 02.03.2022. 3 Siehe auch Vester, F., Die Kunst, vernetzt zu denken, 2019. 2 Zitiert
4 Luhmann,
N., Soziale Systeme, Grundriss einer allgemeinen Theorie, 7. Aufl. 1999.
4.2 Wie führen Werte zu einer Wertschöpfung?
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Dies passiert bewusst und auch unbewusst. Machen sich die Beteiligten keine oder nur wenigen Gedanken über die sie steuernden Werte, dann können schnell Angst, Eigennutz, Macht und Chaos regieren. In komplexen Systemen der Zusammenarbeit ist es nämlich nicht nur eine Person, die relevante Steuerungsimpulse aussendet, sondern, in einem komplexen System sind es vor allem die Werte, der Sinn5, aber auch die damit zusammenhängenden Gefühle die die Menschen steuern.6 Werden die Projektbeteiligten dabei unterstützt, eine Reihe von Werten gemeinsam festzulegen, die für sie im Rahmen der Projektabwicklung gelten sollen, ist dies eine gute Grundlage für eine wertebasierte Wertschöpfung aller Beteiligten. In diesem Sinne werden Werte zu konkreten Impulsgebern wie auch zu Messkriterien für das gemeinsame Tun. In komplexen Steuerungssystemen wird also mit sinngebenden gemeinsam gelebten Rahmenwerten gearbeitet. Lassen sich Werte so beschreiben, dass sie für alle Beteiligten einen tieferen Sinn ergeben, etwa gesellschaftliche Verantwortung, Frieden, Ressourcenschonung, faires Miteinander, faire Vergütung, nachhaltiges Wirtschaften, marktgerechter Preis, hohe technische Qualität, Einhaltung von Zusagen, Verantwortung durch Entscheidungen etc. und sieht sich jeder Projektpartner durch diese Werte mehr oder weniger repräsentiert, dann ist eine wesentliche Grundlage für eine tatsächlich sinngesteuerte gemeinsame Wertschöpfung gelegt. Voraussetzung für das Gelingen einer Steuerung durch Werte und Sinn7 ist aber immer, dass alle Werte von allen Beteiligten tatsächlich anerkannt und gelebt werden. Wichtig ist hierbei, dass ein Grundkonsens zu den Werten entsteht, der für alle verbindlich ist und von allen akzeptiert und mitgetragen werden. Dies bedarf der werteorientierten Führung und ggf. auch der projektinternen Mediation. Auf diese Weise kann jeder gewinnen was ihm wichtig ist. So sind dauerhaft Win-Win-Lösungen und damit für Wertschöpfung im und durch das Projekt möglich. Um diesen überaus sinnvollen wie wirtschaftlichen Handlungs- und Steuerungsrahmen bereitzuhalten, ist es erforderlich, dass aus dem Wertegrund-
5 Siehe
zu der überragenden Bedeutung des Sinns, auch: Frankl, V.,, Kreuzer, F., Im Anfang war der Sinn, 1991. 6 Luhmann, N., Organisation und Entscheidung, 2006. 7 Pircher-Friedrich, Mit Sinn zum nachhaltigen Erfolg, 2019.
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4 Nachhaltige Wertschöpfung als Ideal einer neuen Projektabwicklung
konsens ein Leitbild und daraus gelebte Projektkultur wird. Dies ist eine wesentliche Führungs- und Coachingaufgabe.8
4.3 Nachhaltige Wertschöpfung Der Hebel zur Umkehr und Abkehr vom Wachstumswettlauf ist die wirtschaftliche Strategie der bewussten und nachhaltigen Wertschöpfung. Nachhaltiger Erfolg erfordert ein Umdenken und bedarf eines ganzheitlichen Ansatzes. Durch die Projektabwicklung soll grundsätzlich etwas Neues entstehen. Projektabwicklung beschreibt mithin einen schöpferischen Prozess. Das Werk soll aber nicht nur neu sein, sondern auch einen Wert besitzen, sowohl für den Bauherrn, die späteren Nutzer, wie auch für sämtliche Projektbeteiligte entsprechend ihres Beitrags zum Gelingen des Projekts. Jeder weiß, dass Qualität ihren Preis hat und manches eben nur nicht bepreist ist, wie etwa die Umwelt. Teilweise wird bereits versucht, dieses Missverständnis, dass etwa die Natur geschenkt sei und keinen Preis habe, durch Vergleichspreise aufzudecken. Auf diese Weise sichtbar genmachte Werte führen zum Erkennen der Wertschöpfung. Seit 2018 müssen alle Unternehmen, die an der Börse notiert sind und mehr als 500 Beschäftigte haben, einen Nachhaltigkeitsbericht vorlegen und damit über nicht-finanzielle Aspekte ihrer Tätigkeit Rechenschaft ablegen. Hier wird Wertschöpfung durch Nachhaltigkeit ebenfalls bereits sichtbar. Ebenso liegen soziale Aspekte der Nachhaltigkeit dem neuen Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz zugrunde und führen zu einer nachvollziehbaren Qualität der Produkte im Sinne der Nachhaltigkeit.
Die nachhaltige Wertschöpfung ist eng verbunden mit der Qualität des Prozesses der Projektabwicklung sowie mit der Qualität der Projektführung, Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Projektpartnern und macht die Qualität des späteren Bauwerks aus.
Der Erfolg eines Projekts hängt grundlegend davon ab, ob durch die Projektabwicklung tatsächlich Wertschöpfung betrieben wird. Das ist dann der Fall,
8 Hübler,
M., Die Führungskraft als Mediator, Mit mediativen Kompetenzen führen und Veränderungen begleiten, Wiesebaden, 2020.
4.3 Nachhaltige Wertschöpfung
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wenn eine Balance besteht zwischen Zeit, Kosten und Qualität, die für alle Projektbeteiligten fair und akzeptabel ist. Nachhaltige Wertschöpfung erfordert klare Rahmenbedingungen wie Verträge, Pläne, Terminpläne und Prozesse, die auch Aspekte des nachhaltigen Wirtschaftens ebenso einzubeziehen wie die scheinbar weichen Faktoren wie eine gute Kultur der Kommunikation und Zusammenarbeit. Wert- Schöpfung heißt nämlich in Bezug auf die Projektabwicklung, dass hier zunächst in der Bedarfsermittlung wie auch in der Planung und Einbeziehung aller Projektbeteiligten ein kreativer, also ein schöpferischer Prozess stattfindet. Dieser Prozess ist kommunikativ und bedarf eines entsprechenden kreativitätsfördernden Umfelds, um möglichst hohe Qualität ggf. auch Innovationen zu erreichen. In jedem Schöpfungsprozess muss zu Beginn ein Verstehen, Beobachten, Synthetisieren, stattfinden, bevor Lösungen mehrfach iterativ erdacht werden. Integriert dieser Prozess auch technische, ethische und nachhaltige Aspekte und Werte, so ist er intensiv und voraussichtlich teuer. Dies muss sich im Wert des Bauwerks später ebenfalls niederschlagen. Bei jedem dieser Schritte ist gute Kommunikation ein wesentlicher Erfolgsfaktor, denn es geht um menschliche Zusammenarbeit mit dem Ziel ein Bauwerk von hoher technischer und nachhaltiger Qualität zu errichten. Ein so entwickeltes Bauprojekt hat eine messbar höhere Qualität als allein das verbaute Material an dem Standort repräsentieren könnte. Diese auf den ersten Blick nicht sichtbare – weil in die Zukunft gedachte – Qualität muss einen Preis bekommen, damit sich an ihr auch der Projekterfolg messen lässt. Im Sinne eines vernünftigen und sachgerechten Wirtschaftens ist die Qualität der Leistung als wichtigstes Erfolgsmerkmal eines Projekts zu verstehen, während die Merkmale Kosten und Zeit hierzu in einem sinnvollen Verhältnis stehen müssen. Daraus ergibt sich folgende Formel für nachhaltiges Wirtschaften:
Projekterfolg = Qualitätswert – Kosten: Zeit
Anmerkung: Der Qualitätswert versteht sich als Gesamtwert des fertigen Bauwerks, zusammengesetzt aus technischem, ethischen und nachhaltigen Werten. Nachhaltiges Wirtschaften setzt also voraus, dass auch alle bisher unbepreisten nachhaltigen Werte und Qualitäten, die in die Gesamtqualität des Bauwerks einfließen und mit einem Preis versehen zum Wirtschaftsgut werden. In der Gemeinwohlwirtschaft hat sich hierzu ein Punktesystem herausgebildet, das den Wert der einzelnen Handlungen mit ethischen Punkten bepreist und somit
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4 Nachhaltige Wertschöpfung als Ideal einer neuen Projektabwicklung
den Wert der Qualität von Transaktionen oder Werken sichtbar macht.9 Da wir in einer preisgetriebenen Wirtschaft leben, ist es sinnvoll, den Werten und Qualitäten Preise zuzumessen und damit die tatsächliche Wertschöpfung, die durch eine ganzheitliche Projektabwicklung geschaffen wird, marktfähig zu machen.10 In einem nächsten Schritt könnte dann hierzu auch die individuelle umfassende digitale Dokumentation der wertebasierten Qualität zu einem entsprechend höheren und nachhaltigen Marktwert des Bauwerks führen. Ebenso sind Zertifizierungen hinsichtlich der ganzheitlichen und werteorientierten Planung und Herstellung eines Bauwerks Möglichkeiten, den im Bauwerk befindlichen ganzheitlich nachhaltigen Wert zu dokumentieren und damit ebenfalls zu einer Wertsteigerung und -schöpfung beizutragen.11 Von Zertifizierern wie etwa der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) werden zwar bereits vom Thema her nachhaltige Kriterien für das Bauen aufgestellt, die sich differenziert mit Qualitäten befassen wie der ökologischen, ökonomischen, soziokulturellen, funktionalen, technischen Qualität bis hin zur Standortqualität und auch der Prozessqualität.12 Dies ist bereits ein großer Schritt in die richtige Richtung. Werte, die im Bauwerk stecken transparent zu machen und damit zur Wertschöpfung beizutragen. Die Kriterien sind in sich schlüssig, allein es fehlt ihnen noch ein ganzheitlicher Blick auf die Prozessqualitäten in Bezug auf Kommunikation, Einbeziehung und Partnerschaftlichkeit. Auf diese Weise kann -getrieben durch die Qualitätsvorgaben – ein umfassender nachhaltiger Wertschöpfungsprozess auch für alle Projektbeteiligten entstehen. Nachhaltiges Bauen geht nicht, indem man sich ein Zertifikat kauft, sondern nur wenn die dahinterstehenden Werte tatsächlich gelebt und erfüllt werden. Damit ist von den Projektbeteiligten und vor allem vom Bauherrn wirtschaftlicher und nachhaltiger Weitblick gefordert. Auf diese Weise können aus einem werteorientierten und ethischen Verhalten mittel- und langfristig Werte geschöpft und erhalten werden. Zertifizierte Gebäude sind mehr wert. Um allerdings AlibiZertifizierungen zu vermeiden, bedarf es ggf. auch der Veränderung der Unternehmensorganisation des Bauherrn insgesamt, denn auch dessen interne Prozesse müssen nachhaltig sein. Am besten gelingt dies, wenn dort eine Transformation vom Leitbild zur werteorientierten Unternehmensführung, einer werteorientierten
9 Felber,
Ch., Gemeinwohlökonomie, 3. Aufl. 2018, S. 36 f. Nachhaltigkeitsökonomie, BWV, 2014, 156 ff. 11 ebenda, S. 161. 12 Siehe beispielhaft: https://www.dgnb-system.de/de/gebaeude/neubau/kriterien/index.php. 10 Clement/Kim/Torlauf,
4.4 Qualität erfordert, aus Fehlern lernen zu dürfen
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Compliance und konsequent wertgesteuerten Führung13 vollzogen wird. Diese wie auch die Führungsprozesse in der Projektabwicklung sind maßgebliche weitere Qualitätskriterien, die ihm Rahmen neuer Zertifizierungskriterien aufgenommen werden sollten.
4.4 Qualität erfordert, aus Fehlern lernen zu dürfen Bauwerke sind meist einzigartige Prototypen. Daher ist es offensichtlich, dass im Rahmen der Projektabwicklung iterativ vorgegangen wird. Das betrifft sowohl den Bauherren, als auch alle anderen Projektbeteiligten. Mancher Denk-, Planung-, Ausführungsfehler stellt sich systembedingt erst im Laufe des Projekts heraus. Daher bedeutet ein wertschöpfender Prozess einen vorausschauenden Rahmen für Fehler zu eröffnen, um Verbesserungen und Weiterentwicklungen möglich zu machen. • Der rechtliche Rahmen für ein Bauprojekt muss einen konstruktiven Umgang mit Fehlern so ermöglichen, dass die Innovationsfreude erhalten bleibt und gleichzeitig aber auch der Kosten- und Zeitfaktor angemessen berücksichtigt wird. • Kosten sind nie isoliert zu betrachten, sondern sie stehen in einem Verhältnis zur Qualität und zur Zeit. • Das Bauwerk muss ein Gewinn für den Bauherrn wie auch für alle Beteiligten sein. • Wertschöpfung für alle bedeutet daher konsequent eine durchgehende WinWin-Strategie zu verfolgen. Wert zu schöpfen motiviert alle Beteiligten, Bauherren wie Auftragnehmer gleichermaßen. Das ist nur möglich, wenn alle fair und mit Blick auf die beste Qualität an die Projektabwicklung herangehen. Dort wo andernorts partnerschaftliche Projektabwicklung erfolgreich ist, wird vielfach auf Verträge gesetzt, die dem Selbstkostenerstattungsprinzip folgen. Dies entspricht sowohl dem partnerschaftlichen Gedanken als auch der Qualität, da hier lediglich die Gewinnmargen dem Preiswettbewerb ausgesetzt sind. Transparente Kosten führen zu Vertrauen und transparente Lieferbedingungen im Hinblick auf Material zu gemeinsamen sinnvollen Anpassungen auch der Fristen. Das
13 Siehe
zur Umsetzung: Lange, Jessica, (Hrsg.), Werteorientierte Führung in Theorie und Praxis, Springer, 2021.
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4 Nachhaltige Wertschöpfung als Ideal einer neuen Projektabwicklung
Prinzip der Selbstkostenerstattung sollte daher zwar grundsätzlich für ein ganzheitliches Konzept der Projektabwicklung genutzt werden, da es konsequent auf Transparenz setzt und schon deshalb zur Konfliktreduktion beiträgt. Allerdings muss in Bezug auf die Fehlerkosten noch ein sinnvolles Regulativ eingebaut werden. Dies haben IPA-Projekte im Wege des sog. Risikotopfes etabliert, dessen Wirkungen nicht unumstritten sind. Daher ist hier projektindividuell ein passendes Fehlerregulativ gemeinsam mit allen Projektbeteiligten zu erarbeiten.
Literatur Clement/Kim/Terlau, Nachhaltigkeitsökonomie, BWV, 2014 Felber, Chr., Gemeinwohlökonomie, 3. Aufl, München 2018 Frankl, Viktor, E.; Kreuzer, Franz, Im Anfang war der Sinn. Von der Psychoanalyse zur Logotherapie. Ein Gespräch, München 1991 Günther/Rutzer (Hrsg.) Grundsätze nachhaltiger Unternehmensführung, 2. Aufl., ESV, 2015 Gomez/Probst, Die Praxis des ganzheitlichen Problemlösens, Stuttgart, 2007 Heuser, Uwe Jan, „Dürfen wir weiter wachsen?“, die Zeit 2.3.2022. Hübler, M., Die Führungskraft als Mediator, Mit mediativen Kompetenzen führen und Veränderungen begleiten, Springer, 2020 Luhmann, N., Soziale Systeme, Grundriss einer allgemeinen Theorie, 7. Aufl. Frankfurt am Main, 1999 Luhmann, N., Organisation und Entscheidung, 2. Aufl. Wiesbaden, 2006 Pircher-Friedrich, Mit Sinn zum nachhaltigen Erfolg, Berlin, 2019 Scharmer, O., Essentials der Theorie U, Heidelberg, 2019 Spiegel, P., Eine bessere Welt unternehmen, München, 2011 Vester, F., Die Kuns, vernetzt zu denken, München, 2019 http://www.deutscher-nachhaltigkeitskodex.de https://www.dgnb-system.de/de/gebaeude/neubau/kriterien/index.php
5
Den Wandel begleiten
Für das Gelingen des Projekts im nachhaltig wertschöpfenden Sinne ist es erforderlich, dass alle Projektpartner einen optimalen Arbeitsrahmenrahmen haben und auf Augenhöhe miteinander fair und auf ein gemeinsames Ziel orientiert kollaborieren. Von selbst gelingt dies den Projektbeteiligten nur sehr schwer, auch wenn sie sich dies anfänglich vorgenommen hatten. Erste Schwierigkeiten führen schnell zu Rückfällen in alte Verhaltensmuster. Aufgrund aktueller Krisen und Herausforderungen verlassen Menschen sehr schnell Vorsätze, die zu vorgenommenen mittel- oder langfristigen Zielen führen sollen. Um von dem einmal eingeschlagenen Umkehrprozess nicht abzukommen, ist sowohl eine weitsichtige Führung als auch für die Zeit des Wandels eine zusätzliche Prozessunterstützung erforderlich, die eine ganzheitliche Denk-, Kommunikations-, und Verhandlungsweise der beteiligten Menschen unterstützt und trainiert, sodass diese zu neuen guten Gewohnheiten werden.
5.1 Führungsaufgabe Der Erfolg jeder Projektabwicklung ist immer auch ein Führungserfolg. Damit Projektabwicklung im ganzheitlichen Sinne gelingt, sind Führungspersönlichkeiten gefordert, sich den ganzheitlichen Ansatz zu eigen zu machen und dafür zu brennen. Nur so können Sie Vorbild und Beispiel für alle Projektbeteiligten sein. Je nach Projektorganisation sind in einem Projekt auf verschiedenen Ebenen und bei vielen Projektpartnern Führungspersonen tätig. Sie alle übernehmen Führungsaufgaben. Das Gelingen ihrer Kollaboration hängt davon ab, dass alle Beteiligten ein gemeinsames Verständnis vom Sinn, den Werten und der Qualität
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Ibrom, Ganzheitliche Projektabwicklung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-38327-5_5
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5 Den Wandel begleiten
des Gesamt-Projekts bzw. der Bauaufgabe sowie der Zusammenarbeit haben und zur projektfördernden Mitwirkung motiviert sind. Die besondere Herausforderung heute ist, dass es eines grundlegenden Wandels in der Kultur der Projektabwicklung bedarf und dieser Change-Prozess durchgehend während der gesamten Dauer der einzelnen Projektabwicklung gezielt aufrechtzuerhalten ist, da die alte konfliktträchtige Kultur noch in den beteiligten Menschen als alte Gewohnheit lebendig ist. Der hier notwendige Veränderungsprozess bedarf der Unterstützung durch Führungspersönlichkeiten. Es geht um nichts weniger als um einen stetigen Lernprozess, bei dem die Beteiligten alte Denk- und Handlungsmuster loslassen mit dem Ziel, eine nachhaltige und authentische Veränderung der individuellen Denkund Verhandlungsmuster bei allen Beteiligten zu erreichen. Die Aufgabe der Projektführung ist in der herkömmlichen Projektabwicklung nicht besetzt. Dort wird der rechtliche Rahmen oft als Steuerungsinstrument für die Zusammenarbeit gesehen. Teils wird sogar davon ausgegangen, es reiche aus, wenn der Vertrag bestimmte Kooperations- oder Kommunikationspflichten vorschreibt, um die Projektpartner zur Kollaboration zu bewegen. Das ist selbstverständlich ein Irrglaube. Wenn Menschen, die aus verschiedenen Organisationen kommen gemeinsam ein Projekt erfolgreich abwickeln sollen, müssen sie auch auf zwischenmenschlicher Ebene dorthin geführt werden. Es bedarf einer Führung auf Augenhöhe, die die technischen und wirtschaftlichen wie auch die rechtlichen Verantwortlichkeiten bei den Partnern belässt, sich aber um alle weichen Faktoren in den Prozessen kümmert und die grundsätzliche Aufgabe hat, die Zusammenarbeit zu fördern, indem sie auch die einzelnen Partner ermutigt, ihr Bestes zu geben.
5.2 Projektinterne Mediatoren Der größte Hebel der Veränderung ist die neue kooperationsfreundliche und konstruktive Denk- und Handlungsweise, insbesondere im Bereich der Kommunikation im Rahmen der Zusammenarbeit wie aber auch bei Verhandlungen. Führungskräfte wie auch alle anderen Beteiligten werden im Zuge eines mittelfristig angelegten Veränderungsprozesses immer wieder Impulse für ihr Denken und Handeln benötigen, um tatsächlich integrativ, kollaborativ und partnerschaftlich Projektabwicklung betreiben zu können und bei Rückfällen in
5.2 Projektinterne Mediatoren
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alte Handlungs- und Kommunikationsmuster sich damit auseinanderzusetzen, um wieder zum neuen Weg zurückzufinden. Integratives und interessenbasiertes Verhandeln ist ein Wesensmerkmal echter Kollaboration. Umgesetzt werden kann der Ansatz der nachhaltigen Wertschätzung nur, wenn Projektentscheidungen das Bauwerk und die damit verbundenen Aufgaben von Anfang an ganzheitlich betrachten. Dies wiederum ist erst dann erfolgreich möglich, wenn die Verhandlungen durch projektinterne Mediatoren im Rahmen sog. „Deal-Mediation“ unterstützt werden. Auf diese Weise wird nämlich der notwendige Raum für eine konstruktive und dem Projekt dienliche Diskussion mit Perspektivwechsel und Einbeziehung wesentlicher Interessen, Willensbildung und Entscheidung eröffnet.1
5.2.1 Was ist Mediation? Grundsätzlich ist Mediation eine alternative Streitbeilegungsmethode, die auf dem Prinzip des interessengerechten Verhandelns basiert und das Ziel verfolgt, die Parteien dabei zu unterstützen, selbst eine tragfähige und wertschöpfende Konfliktlösung zu erarbeiten. Mediation ist eine kommunikative Methode, bei der neutrale und unabhängige Dritte, die Parteien auf ihrem Weg zur Konfliktlösung unterstützen. Das Besondere ist, dass die Mediatoren, selbst keine Entscheidungsmacht besitzen und deshalb tatsächlich neutral sind. Dafür strukturieren sie die Gespräche und achten darauf, dass die Parteien einen fairen und kooperationsfreundlichen Rahmen einhalten und diese Bedingungen während der gesamten Mediation aufrecht erhalten bleiben.
5.2.1.1 Die Prinzipien der Mediation Prinzipien der Mediation
• Freiwilligkeit • Allparteilichkeit und Neutralität der Mediatoren • Vertraulichkeit
1 Ibrom,
Die Rolle der Mediation in demokratischen Entscheidungsprozessen, a.a.O., 2015, S. 288–294.
62
5 Den Wandel begleiten
• Transparenz und Offenheit • Informiertheit • Ergebnisoffenheit • Autonomie der Parteien
Zur Kooperation kann niemand gezwungen werden. Daher ist die Teilnahme an einem Mediationsverfahren nur freiwillig möglich. Allerdings ist es so, dass der die Prinzipien der Mediation nicht immer zu 100 % erfüllt vorliegen müssen. Im Falle der Freiwilligkeit ist es ausreichend, wenn die Parteien zu der ersten Teilnahme mehr oder minder etwa durch Vertragsklauseln gezwungen wurden. Nachdem sich die so in die Mediation gelangten Parteien über das Mediationsangebot informiert haben, können und müssen sie sich entscheiden, ob sie weiterhin teilnehmen oder aussteigen. Diese Entscheidung ist dann freiwillig und im Falle des Verbleibens besteht dann ebenfalls Freiwilligkeit der Teilnahme und bei der späteren Konfliktlösung. Mediatoren sind neutral und allparteilich, sie sind allen Partnern gegenüber wertschätzend und möchten grundsätzlich wertfrei alle Perspektiven kennen und verstehen lernen. Ihr Anliegen ist es, dass gegenseitiges Verstehen und konstruktive verstehende Kommunikation unter den Parteien möglich wird. Dabei achten sie darauf, dass die Parteien ihre Denkmuster, Emotionen und Bedürfnisse erkennen und ihre Interessen formulieren können sowie die Perspektiven der jeweils anderen Beteiligten verstehen können. Auf diese Weise unterstützen sie den Konfliktlösungsprozess und Kooperation zwischen den Parteien wird wieder möglich. Vertraulichkeit bedeutet, dass über die in der Mediation angesprochenen Themen geschwiegen wird. Sie sind keinem Gerichtsverfahren zugänglich. Die Schweigepflicht betrifft normalerweise sowohl die Mediatoren als auch die Parteien und alle anderen Personen, die in einem Mediationsverfahren involviert sind. Auf diese Weise kann das für die Kooperation erforderliche Vertrauen entstehen, auch einmal uneigennützige Inhalte zu teilen oder Fehler zuzugeben. Durch die Vertraulichkeit wird die für die Kooperation so wichtige Transparenz und Offenheit möglich. Wenn die Parteien sich nur hinter Schutzbehauptungen und Bluffs verstecken würden, könnten sie nicht die relevanten Hintergründe der Konflikte aufdecken. Daher ist dieser Punkt für jede Art der Problemlösung essentiell. In Konflikten fehlt den Parteien meist das hierzu notwendige Vertrauen.
5.2 Projektinterne Mediatoren
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Deshalb ist das Verfahren vertraulich und falls dieses Versprechen nicht ausreicht, besteht die Möglichkeit, Einzelgespräche mit den Mediatoren zu führen, die stets zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. In der Mediation sollen die Parteien schließlich wissensbasierte Entscheidungen treffen. Das bedeutet, dass hierzu auch externe Informationsquellen zu Sachthemen und auch Rechtsthemen in Anspruch genommen werden müssen. Auf das Erfordernis der Informiertheit müssen die Mediatoren die Parteien hinweisen und dieses auch einfordern. Auf diese Weise wird verhindert, dass eine Partei, die mehr Verhandlungsmacht besitzt, die andere einfach über den Tisch zieht. Grundsätzlich findet die Mediation als kooperatives Verfahren unter der Maßgabe der Ergebnisoffenheit statt. Bei Verhandlungen deren Ergebnis bereits feststeht, wird weder Kooperation noch Mediation gebraucht. Allerdings kann der Rahmen der Ergebnisoffenheit eingeschränkt sein, das heißt, die Parteien, wissen z. B. schon, dass Kündigung für sie nicht in Frage kommt, sie wollen aber über alternative Konfliktlösungen zu Themen wie Nachträge oder Schadensersatz sprechen. Das letzte wesentliche kooperative Prinzip der Mediation ist die Autonomie der Parteien. Sie werden alle Entscheidungen selbst treffen und diese nicht an Dritte wie etwa die Gerichte delegieren. Nur die selbst getroffene Entscheidung führt zu hoher Akzeptanz. Auf diese Weise sind dann Konflikte tatsächlich beigelegt, wohingegen Entscheidungen die von Dritten unter Zwang getroffen werden auf emotionaler und auch moralischer Ebene nicht beilegen können.
5.2.1.2 Die Phasen der Mediation Die Mediation verläuft in Phasen.2 Die erste besteht darin, den kooperativen Rahmen herzustellen und die Parteien auf das Verfahren einzustimmen. Die grundsätzlichen Ziele, die Beteiligten und auch die Mediatoren werden einstimmig identifiziert und bestätigt. Die zweite Phase betrifft die Ermittlung der Themen sowie Zahlen, Daten und Fakten, gefolgt von der das Wesen der Mediation ausmachenden dritten Phase, nämlich der Beleuchtung von Hintergründen, Interessen und Bedürfnissen. Dieser Weg beschreibt einen tieferen Verstehensprozess, der von den Parteien – unterstützt durch die Mediatoren – vollzogen wird. Erst wenn gegenseitiges Verstehen vorliegt und die Emotionen bearbeitet sind, können die Parteien in der nächsten Phase nach Lösungen für
2 Es
gibt unterschiedliche Phasenmodelle für den Ablauf einer Mediation. Hier wird das gängigste 5-Phasen-Modell skizziert.
64
5 Den Wandel begleiten
ihren Konflikt suchen. Dies geschieht zunächst so, dass erst eine Vielzahl von Lösungsoptionen gesucht wird und diese dann nach der besten Alternative für alle Parteien untersucht werden. Diese beste Alternative für alle wird schließlich in der abschließenden Entscheidungsphase als Einigung der Parteien verabschiedet. Die Phasen sind dynamisch, sodass bei etwaigen Rückfällen in streitigere Punkte in die entsprechende Phase zurückgesprungen wird.
5.2.2 Was ist Deal-Mediation? Sollen Verhandlungen mit dem Ziel geführt werden, dass nachhaltige Wertschöpfung für alle Beteiligten möglich wird, so verläuft die Verhandlung nach der eben genannten Struktur der Mediation, es gibt nur aktuell keinen eskalierten Konflikt. Durch den Einsatz der Mediatoren als Verhandlungsunterstützer, ist dafür gesorgt, dass die Verhandlungsparteien den kooperativen Verhandlungsrahmen beibehalten und werteorientiert und interessenbasiert verhandeln. Sollten hierbei alte Muster, irritierende Emotionen, Machtspielchen etc., auftreten, dann achten die Mediatoren darauf, dass die Parteien wieder zum Weg der guten Kommunikation und des fairen Kooperierens zurückfinden.
5.2.3 Was bedeutet projektinterne Mediation? Projektinterne Mediatoren arbeiten als Mediatoren im klassischen Sinne wie auch als Deal Mediatoren. Sie unterstützen die Projektpartner bei allen Verhandlungen, um schnell auf kooperativen Weg zu fairen, tragfähigen und wertschöpfenden Entscheidungen zu kommen. Projektinterne Mediatoren nehmen an allen Verhandlungen obligatorisch teil, um sofort unterstützen zu können, wenn gemeinsame Werte oder kooperative Verhandlungsmuster verlassen werden. Sie sind ebenfalls zur Stelle, wenn es um hocheskalierte Konflikte mit starken Emotionen geht, die auch außerhalb der obligatorischen Verhandlungsprozesse entstehen. Die Projektinternen Mediatoren gehören zum Projekt und sogen für einen konfliktärmeren Verlauf, bzw. dafür, dass die in Konflikten liegenden Veränderungschancen genutzt werden können. Indem sich die wesentlichen Projektbeteiligten von Anfang an ausführlich mit dem Sinn des Gebäudes und seinen möglichen Nutzungsarten vernetzt beschäftigen, lernen und arbeiten sie gemeinsam. Dieser Umstand ist enorm sinnstiftend und damit neben wirtschaftlichen Aspekten ein erheblicher Motivationsfaktor für die beteiligten Personen. Denn Frieden allein motiviert
Literatur
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nicht. Sinn zu stiften, statt sich zu streiten dagegen immens. Wenn alle Projektbeteiligten mit ihrem Know-how sinnstiftend und verantwortlich auch im Sinne ihrer Rollenverantwortung integriert sind, wird das Projekt zu dem ihrem. Dann entstehen Engagement und Freude an der Projektabwicklung.3 Dies gelingt für die Dauer des Projekts nur durch dauerhaftes Training, Reflexion und gutes Beispiel. Dies zu leisten ist die Aufgabe der projektinternen Mediatoren. Nur so können nämlich die unterschiedlichen Interessen zum Nutzen aller Beteiligter optimal in die Entscheidungen integriert werden.4 Daher ist für eine konsequent partnerschaftliche, integrative und kollaborative Projektabwicklung die projektbegleitende mediative Unterstützung wesentliche Grundvoraussetzung. In der herkömmlichen Projektabwicklung wird sie leider kaum genutzt.
Literatur Arnold, R., Wie man führt, ohne zu dominieren, 2. Aufl., Carl-Auer, 2013 Eschenbruch, K., Projektmanagement und Projektsteuerung für die Immobilien- und Bauwirtschaft, 5. Aufl., Werner Verlag, 2021 Glasl, F., Konfliktmanagement, 12. Aufl. Haupt, 2020 Hammacher/Erzigkeit/Sage, So funktioniert Mediation im Planen + Bauen, 3. Aufl., Springer 2014 Hübler, M., Die Führungskraft als Mediator, Springer, 2020 Hünerberg/Mann (Hrsg.) Ganzheitliche Unternehmensführung in dynamischen Märkten, Gabler, 2009 Ibrom, S., Die Rolle der Mediation in demokratischen Entscheidungsprozessen, Nomos, 2015 Kreggenfeld, U., Erfolgreich systemisch verhandeln, 2. Aufl. Springer, 2021 Lange (Hrsg.), Werteorientierte Führung in Theorie und Praxis, Springer, 2021 Meiler, M., Emotionales Change Management, Springer, 2020 Schirmer/Woydt, Mitarbeiterführung, 3. Aufl., Springer, 2016 Proksch, S., Mediation. Die Kunst der professionellen Konfliktlösung, Springer 2018
3 Lange,
J., (Hrsg.) Werteorientierte Führung in Theorie und Praxis, 2021, S. 7 ff. U., Erfolgreich systemisch verhandeln, 2. Aufl. 2014, S. 100 ff.
4 Kreggenfeld,
6
Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
Das Modell der ganzheitlichen Projektabwicklung basiert auf der Grundlage alternativer Projektabwicklungsmodelle, die partnerschaftliche, integrative und kollaborative Ansätze verfolgen.
Besonderheiten der ganzheitlichen Projektabwicklung Die ganzheitliche Projektabwicklung unterscheidet sich aber von den bisherigen Modellen alternativer Projektentwicklung grundlegend in den Bereichen • Führung, • Kommunikation, • Recht, • Verhandlung, • Mediation, • Informationsmanagement • und nachhaltiges Wirtschaften.
Die in diesen Bereichen vorgenommenen Änderungen sind essentiell dafür, dass Projekte konsequent partnerschaftlich, integrativ und kollaborativ abgewickelt werden können.
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Ibrom, Ganzheitliche Projektabwicklung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-38327-5_6
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
Der Ansatz der ganzheitlichen Projektabwicklung basiert auf acht Kernelementen, die nachfolgend vorgestellt werden. Diese Kernelemente der der ganzheitlichen Projektabwicklung lassen sich in Projekten jeder Größe integrieren. Konsequent angewandt führen sie ganzheitlich zu echter Partnerschaft, Kollaboration und Integration. Damit sind die Voraussetzungen für eine nachhaltige Wertschöpfung für das und durch das Projekt gegeben.
6.1 Ganzheitliche Planungs- und Bauprozesse Die Fragmentierung des Planungs- und Bauprozesses führt, wie in Kap. 1 dargestellt, zu unüberschaubaren Schnittstellen. Damit einher gehen nahezu automatisch Informationsasymmetrien, eigennutzmotiviertes Verhalten, Informationsverluste, Qualitätsverluste, Kommunikationsstörungen, destruktive Zusammenarbeit sowie entsprechende wirtschaftliche Verluste, Ressourcenverschwendung und mangelnde Nachhaltigkeit des Gesamtprojekts, da nicht in Lebenszyklen gedacht wird. Die Personen und die Prozesse müssen sinnvoll vernetzt sein und in einen positiven Flow ausbalancierter Aufgabenbearbeitung gebracht werden. Dies ist die zentrale Aufgabe der Projektführung. In den herkömmlichen Projekten fehlt es an einer solchen zentralen Position, die von Anfang an alle Beteiligten führt. (s. Abb. 6.1). Es geht hier gerade nicht um Projektleitung, Projektmanagement oder Projektsteuerung im herkömmlichen Sinne, denn diese Aufgaben richten sich in der Regel nicht übergreifend an alle Projektbeteiligten und die Aufgabenrichtung ist eher eine Managementaufgabe, die sich mit der Frage befasst, wie die Dinge richtig getan werden. Dabei wird der Aspekt der geistigen Führung der im Projekt arbeitenden Menschen oft vernachlässigt, deshalb kommt es zu den in Kap. 2–4 beschriebenen Problemen der Zusammenarbeit. Projektführung wird gebraucht, um die richtigen Dinge zu tun, den Menschen, den richtigen Steuerungsimpuls zur Kollaboration, Integration und Partnerschaft zu geben, sodass die vernetzte Zusammenarbeit gelingt und das Ziel des Projekts erreicht werden kann. Selbstverständlich sind dann auch die klassischen Management- und Steuerungsaufgaben zu erfüllen. Im Mittelpunkt steht jedoch die Führung der am Projekt beteiligten Menschen, um sie in die Lage zu bringen, die anstehenden Aufgaben optimal mit Freude zu erledigen und so motiviert stets mitdenkend zu handeln.
6.1 Ganzheitliche Planungs- und Bauprozesse
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Abb. 6.1 Kernelement: Ganzheitliche Planungs- und Bauprozesse
6.1.1 Ganzheitliche Projektführung Damit das Projekt für alle Projektpartner zum persönlichen und wirtschaftlichen Erfolg wird, ist es erforderlich, dass alle beteiligten Interessen mehrdimensional und vernetzt1 mit Blick auf die Optimierung des Projekts berücksichtigt werden.
1 Siehe
Gomez/Probst, Die Praxis des ganzheitlichen Problemlösens, 1999.
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
Der Planungs- und Bauprozess ist aufgrund gehobener Komplexität des Projekts, Fragmentierung und der vielen Spezialisierungen ein Prozess, der gesteuert werden muss. Häufig übernehmen bei komplexen Projekten Projektmanager bzw. Projektsteuerer und in weniger komplexen Projekten Architekten die Koordinationsaufgabe. Diese Aufgaben sind häufig Managementaufgaben. Hier geht es darum, die Dinge, die anstehen, richtig zu tun. Die richtigen Prozesse aufzusetzen, die etwa auch im Qualitätsmanagement verlangt werden etc. Übernehmen diese Prozessmanager aber auch im Projekt die Aufgabe, die Partner zu führen? Oft sind die Partner doch eigenständige Unternehmer, mit denen gut Vereinbarungen getroffen werden können wie Meilensteine, Ziele, Aufgaben, Fristen etc. Diese Partner werden bisher nicht von einer Projektführung dabei unterstützt im Projektalltag die richtigen Dinge zu tun. Sie werden nur gemanagt, nicht aber auch geführt. Führung ist die Fähigkeit, eine Richtung vorzugeben, andere im Sinne eines gemeinsamen Ziels zu beeinflussen, sie zu motivieren und zum Handeln zu bringen und sie für ihre Leistung in die Verantwortung zu nehmen. Dieses verbindende Element ist in der Projektabwicklung enorm wichtig, damit alle Projektpartner eigentlich selbständig sind und daher eigene Ziele verfolgen. Daher müssen sie immer wieder auf das Projektziel hin konzentriert werden. In kleinen Projekten übernehmen teilweise Bauherren oder Architekten diese Führungsaufgabe. In größeren Projekten aber fehlt diese entscheidende Funktion und dort wird meist nur gemanagt. Aus den Führungswissenschaften ist aber bekannt, dass gerade die gute Führung von Menschen dafür verantwortlich ist, dass diese erfolgreich zusammenarbeiten. Im Rahmen der ganzheitlichen Projektführung kommt im Grunde nur ein demokratischer und kommunikativer Führungsstil infrage, denn die Partner sind auf Augenhöhe. Es gibt hier keine Hierarchie zwischen Partnern und Projektführung. Werteorientierte und mediative Führung ist hier gefragt, um alle Projektpartner wertschätzend zu motivieren und sie zur erfolgreichen Umsetzung des Projekts zu führen. Dies bedarf eines Führungskonzept, welches vom Auftraggeber und den Auftragnehmern ausdrücklich unterstützt wird. Ganzheitliche Handlungsansätze identifizieren vor allem die in Abb. 6.2 aufgezeigten Prinzipien: Die nachfolgend näher erläuterten Prinzipien ganzheitlicher Führung müssen in das Bewusstsein der Projektpartner aufgenommen werden und dort bis zum Projektende präsent sein. Hierzu kommt es nicht zufällig und auch nicht
6.1 Ganzheitliche Planungs- und Bauprozesse
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Abb. 6.2 Prinzipien der ganzheitlichen Führung
dadurch, dass sich die Partner zu Projektbeginn eine Charta für gute Zusammenarbeit geben. Dies sind zwar grundsätzlich gute Vorsätze, sie bedürfen aber der konsequenten Umsetzung, um tatsächlich zur guten Gewohnheit zu werden. Daher müssen die Projektbeteiligten während der gesamten Projektdauer ganzheitlich geführt werden. Dies ist im Grunde die primäre Aufgabe des Bauherrn. Dieser will oft selbst Führen und nicht etwa geführt werden. Übernimmt er diese Aufgabe, das Projekt ganzheitlich zu führen und einen umfassenden Interessenausgleich zu moderieren, nicht selbst, was zudem extrem schwierig ist, weil er doch seine Interessen durchsetzen möchte, so ist es erforderlich, diese wichtige Aufgabe auf eine ganzheitlich arbeitende Projektführung zu übertragen. Der ganzheitliche Ansatz führt zum Erfolg, vorausgesetzt alle Partner unterstellen ihr Handeln dieser Philosophien und lassen sich führen. Dies setzt Vertrauen voraus, das von der Projektführung erworben werden muss. Gelingt dies, dann ist eine gute Basis für eine kollaborative Zusammenarbeit gegeben, die im Grunde eine zutiefst menschliche Sehnsucht ist und enormes zu leisten vermag. Dorthin zu kommen, ist Aufgabe der ganzheitlichen Projektführung.
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
6.1.2 Die Prinzipien ganzheitlicher Führung im Einzelnen Die Projektführung kann selbst nur Vorbild und Impulsgeber sein und für einen guten Rahmen der Zusammenarbeit sorgen. Dieser ist gekennzeichnet durch die nachfolgenden Prinzipien. • Das Projekt als lebendigen Organismus verstehen Ganzheitlich betrachtet ist jedes Projekt ein individueller lebendiger Organismus, der einem natürlichen Lebenszyklus unterworfen ist. Die Projektabwicklung ist vergleichbar mit einem Körper, bei dem alle auch noch so kleinsten Zellen und Bestandteile stets zum Wohl des Ganzen beitragen. Der Organismus ist lebendig und gesund, wenn alle Bestandteile ihren Platz einnehmen und vernetzt zum Wohle des Gesamtorganismus arbeiten. Im menschlichen Körper gibt es etwa Strukturen, die für die richtige Bewegung der Beine zuständig sind. Sind diese ursprünglichen Strukturen verletzt, übernehmen andere Strukturen diese Aufgaben, damit die lebensnotwendige Fortbewegung dennoch gelingt. Hier wird nicht etwa Behinderung angemeldet, sondern automatisch nach Lösungen gesucht. Genau dieses lebendige Prinzip ist in einer erfolgreichen Projektabwicklung konsequent zu verfolgen. Dass sich die Projektpartner gegenseitig unterstützen, ist eine wesentliche Maxime. Jeder Projektpartner sollte seinen Platz in diesem Organismus einnehmen und damit das gemeinsame Projektziel umfassend unterstützen und zwar von Anfang an. Hierzu bedarf es einer ganzheitlichen Führung, die diesen Denkrahmen etabliert und entsprechende Kommunikationsräume und Handlungsprozesse unterstützt. Der Lebenszyklus beginnt mit den ersten Überlegungen des Bauherrn zur Projektentwicklung. In der Startphase, die die wichtigste Phase des Projekts ist, weil hier die entscheidenden Weichen gestellt werden, sollten alle wesentlichen Projektbeteiligten möglichst frühzeitig mit ihrem jeweiligen Spezialwissen interessengerecht einbezogen werden. Das Projekt bekommt dadurch seine eigene individuelle Persönlichkeit, seinen Sinn und Zweck. Auch Nachhaltigkeitsziele bezogen auf den Lebenszyklus sind hier im Kreis der Projektpartner zu definieren und mit Leben zu füllen. So aktualisiert die Projektführung etwa folgen Fragestellungen: Weshalb soll gerade dieses Bauwerk an diesem Ort errichtet werden? Welchen Nutzen wird es stiften? Dieses Wissen um den Sinn des Projekts ist für alle Projektpartner wichtig, um ihr jeweiliges Handeln auf den maximalen Nutzen für das Projekt auszurichten. Damit dient eine positive Projektpersönlichkeit unmittelbar der
6.1 Ganzheitliche Planungs- und Bauprozesse
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Motivation der Projektbeteiligten, denn nahezu jeder Mensch stiftet gerne Nutzen und beteiligt sich an sinnvollen Projekten. So entsteht und wächst eine gemeinsame Perspektive, die die Kooperationsbereitschaft der Partner deutlich erhöht. Das Projekt wird sich wie ein lebendiger Organismus entwickeln und durch die jeweiligen Beiträge der Projektpartner immer mehr Gestalt annehmen. Das Planen und Bauen ist als lebendiger Prozess zu verstehen, bei dem Änderungen ebenso wie Fehler üblich sind, um Verbesserungs- und Innovationschancen zu nutzen. Wie ein lebendiger Organismus muss das Projekt gepflegt und gehegt werden. Es entwickelt sich. Hierzu gehören Fortschritte wie auch Herausforderungen, die gemeinsam gemeistert werden wollen. In diesem Sinne braucht das Projekt das Wohlwollen und den Glauben aller Beteiligter, um zu wachsen und zu dem Bauwerk zu werden, das es einmal sein soll. Hier geht es um folgende Werte und tiefere Prinzipien: Werte: Wertschätzung, Verstehen, Sinn Prinzipien: Interessenorientierung, gegenseitige Unterstützung, gute Zusammenarbeit • Auftraggeberorientierung Damit das Projekt wirklich ganzheitlich ein Erfolg wird, müssen alle Kräfte dahin gehend gebündelt werden, dass die Wünsche des Auftraggebers möglichst optimal umgesetzt werden. Der Auftraggeber ist zwar Vertragspartner, aber auch die künftigen Nutzer, deren Interessen und Bedürfnisse sind in den Planungs- und Bauprozess möglichst strukturiert und optimal einzubeziehen.2 Die Zufriedenheit der Nutzer und der Bauherren sind das oberste Ziel und der Sinn des Projekts. Daher sind bei allen anstehenden Fragen die Interessen der Beteiligten mit Focus „Best for Project“ auszubalancieren. Dieser Prozess bedarf der ausgleichenden und ganzheitlichen Führung. Der Bauherr als Auftraggeber muss hier durch gute ganzheitliche Führung Sicherheit und Zuversicht bekommen, dass sein Projekt wirtschaftlich, sinnvoll und nachhaltig umgesetzt wird, auch und gerade wenn Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt werden. Wie in Unternehmen auch, ist es hier erforderlich, Menschen zu ermutigen und situativ zu führen.
2 Vgl. Vester,
F., Die Kunst vernetzt zu denken, 2. Aufl. 2019, S. 281 ff.
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
Auch wenn es um die Auftraggeberorientierung geht, ist dieser nicht in der Lage zu diktieren. Vielmehr achtet die ganzheitliche Führung auf angemessene Einbeziehung seiner Wünsche und Vorstellungen in die bestehenden Prozesse, um auf kollaborative Weise zu sinnvollen und wertschöpfenden Entscheidungen zu kommen. Insofern schließt sich der Auftraggeber dem Führungsprozess vertrauensvoll an. Das ist notwendig, denn anders als im Orchester, welches bereits bekannte Werke einstudiert, geht es bei der Projektabwicklung immer darum das Werk selbst zu erarbeiten. Hierfür braucht es aufgrund der Komplexität mittlerer und großer Bauvorhaben mehr als nur eines Dirigenten, es bedarf ganzheitlicher Führung, um alle Ressourcen sinnvoll zu nutzen. So entstehen Netzwerke und es wird kollaborativ miteinander gedacht, gelacht und gearbeitet. So lassen sich Innovationschancen zur Erreichung der Auftraggeberwünsche erkennen und im Sinne guter kollaborativer Zusammenarbeit ganzheitlich nutzen. Hier geht es um folgende Werte und tiefere Prinzipien: Werte: Fairness, Vertrauen, Wirtschaftlichkeit Prinzipien: Transparenz, Offenheit, Informiertheit, Respekt und Rollenklarheit • Auftragnehmerorientierung Das wichtigste Kapital des Projekts sind die Planer und ausführenden Unternehmen, mithin die Auftragnehmer. Ohne die Projektpartner und ihr spezifisches Know-how, ihr Engagement und ihre Entschlossenheit, für das Projekt Leistungsreserven zu mobilisieren, würde die Qualität wie auch seine Wirtschaftlichkeit sehr stark leiden. Daher ist es erforderlich, dass die Projektpartner mit ihren spezifischen Bedürfnissen und Interessen gesehen und berücksichtigt sowie ihre Leistungen wertgeschätzt werden. Zudem brauchen die unterschiedlichen Projektpartner verlässliche und faire Prozesse der Einbeziehung sowie der Problem- und Konfliktlösung. Durch die ganzheitliche Führung des Projekts wird sichergestellt, dass diese wichtigen Bedürfnisse der Projektpartner erfüllt werden und sie so zu Höchstleistungen motiviert werden. Hier geht es um folgende Werte und tiefere Prinzipien: Werte: Kollaboration, Vertrauen, Respekt, Wertschöpfung Prinzipien: Informiertheit, Fairness, Offenheit und Transparenz, Freiwilligkeit
6.1 Ganzheitliche Planungs- und Bauprozesse
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• Stetige Verbesserungen und Innovationen Oft stellen sich Annahmen, die dem Projekt zugrunde gelegt wurden, im Laufe der Projektabwicklung als fehlerhaft heraus, Rahmenbedingungen wie Rohstoffpreise, Gesetze, aber auch Nutzerinteressen ändern sich während des Planungs- und Bauprozesses. In diesen Fällen sollten das Projektziel und seine Details den neuen geänderten Anforderungen angepasst werden. Dies fordert häufig die Projektpartner heraus, unter den gegebenen Umständen innovative Lösungen zu finden. Zudem ist es aus dem Gesichtspunkt des ganzheitlichen Wirtschaftens erforderlich, dass Planungen und Ausführungen sowie bestehende Prozesse unter dem stetigen Fokus der Verbesserung stehen. Optimieren wird so nicht nur zu einem ausdrücklich erwünschten Verhalten der Projektbeteiligten, sondern die stetige Verbesserung beschreibt einen Lernprozess, dem sich alle Beteiligten von vornherein bewusst unterwerfen. Dieser gemeinsame Lernprozess fördert darüber hinaus die Zusammenarbeit auf Augenhöhe, weil jeder etwas dazulernen kann. So werden althergebrachte Hierarchien aufgebrochen. Dies ist nur möglich, wenn den Projektbeteiligten Räume für gemeinsames Lernen und Wachsen eröffnet werden. Dies ist wiederum Aufgabe der ganzheitlichen Führung. Hier geht es um folgende Werte und tiefere Prinzipien: Werte: Hohe Qualität, Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit Prinzipien: Offenheit, Informiertheit, Transparenz • Erfolgsorientierung, Vermeidung von Verschwendung Alles Handeln im Projekt soll dem Erfolg des Projekts dienen. Der Erfolg wird dabei ganzheitlich und gemeinsam definiert. Es geht um eine nachhaltige Wertschöpfung für und durch das Projekt. Dies erfordert eine enorme Konzentration der Projektpartner in ihrem Denken und Handeln. Zudem soll ein wesentlicher Hebel der Kostenvermeidung zur Geltung kommen, nämlich Verschwendung zu vermeiden. Aus dem Lean Management ist bekannt, dass es mindestens acht Verschwendungsarten gibt, die es zu vermeiden gilt, will man erfolgreich wirtschaften. Diese sind: Überproduktion, übermäßige Bestände, Fehler (Nacharbeit, Ausschuss), Wartezeiten, (unnötiger) Transport, (unnötige) Bewegungen, Überbearbeitung sowie nicht genutzte Kreativität der Mitarbeiter.
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
Aufgabe der ganzheitlichen Projektführung ist es, die Projektpartner immer wieder darauf zu orientieren, alles für den gemeinsam definierten Erfolg des Projekts zu tun, also stets im Sinne „Best for Project“ zu handeln und dabei Verschwendungen zu vermeiden. So ist der Grundstein dafür gelegt, dass die Partner auch für sich und das Projekt stets wirtschaftlich handeln.
Hier geht es um folgende Werte und tiefere Prinzipien: Werte: Ergebnisorientierung, Ressourcenschonung Prinzipien: Prozesse optimieren, Fehlerkultur, Optimismus, Wertschöpfung • Verlässliche Kooperationen Um ein komplexes Planungs- und Bauprojekt abzuwickeln, bedarf es oft einer Vielzahl von Projektpartnern. Je besser das Zusammenspiel der Partner gelingt, desto wahrscheinlicher ist der Projekterfolg. Verlässliche Kooperationen sind daher ein wesentlicher Erfolgsfaktor für ganzheitliche Projektabwicklung. Gerade wenn nicht ein eingespieltes Team den Auftrag erhält, sondern viele unterschiedliche Unternehmer an der Projektabwicklung beteiligt sind, muss ein besonderes Augenmerk auf das Gelingen von Kooperationen gelegt werden. Ziel ist es dabei, die Qualitäten gelingender Kollaboration wie Vertrauen und gegenseitige Unterstützung wie auch gute Stimmung und motivierender Arbeitstakt bewusst zu etablieren und durchgängig zu fördern. Dies ist Voraussetzung für eine gelingende Projektabwicklung, denn nur wenn sich die Partner aufeinander verlassen können und für sie die Prozesse sicher und vorhersehbar sind, entsteht die notwendige soziale Verbundenheit, die Menschen benötigen, um ihre Aufgaben mit Gelassenheit und Weitblick, in der notwendigen Konzentration sowie mit Freude zu erfüllen, vgl. Abschn. 3.2. Verlässliche projektinterne Kooperationen zu fördern und aufrechtzuerhalten sind daher ein wesentliches Anliegen der ganzheitlichen Führung. Die Kooperationen halten die Projektabwicklung als System aufrecht und erfüllen es mit Leben. Sie sind die Orte an denen die Projektbeteiligten soziale Verbundenheit erfahren und damit Sicherheit und Vertrauen im Alltag der Projektabwicklung finden können. Hier gilt es mit Fingerspitzengefühl dienend zu führen. Die Projektführung bezieht sich auf die Unterstützung der Zusammenarbeit, nicht auf Managemententscheidungen. Diese verbleiben beim Projektmanagement bzw. der Projektleitung oder gar Steuerung.
6.1 Ganzheitliche Planungs- und Bauprozesse
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Hier geht es um folgende Werte und tiefere Prinzipien: Werte: Wertschätzung, Respekt, Vertrauen, Fairness Prinzipien: Offenheit, Transparenz, Informiertheit, Ehrlichkeit • Gesellschaftliche Verantwortung und Nachhaltigkeit Das Projekt kann konfliktarm und nachhaltig geplant und gebaut werden, wenn es die Unterstützung von seinem gesellschaftlichen Umfeld erhält. Um das Risiko von Widerständen und Blockaden zu minimieren, ist es erforderlich, die Interessen der Betroffenen und interessierten Gesellschaft in die Projektziele und seine Umsetzung zu integrieren. Die frühzeitige interessengerechte Einbeziehung dieser Bedürfnisse dient letztlich der Vermeidung von Störungen des Projekts durch äußere Kräfte. Darüber hinaus führt eine positive Wahrnehmung des Projekts zu einer positiven PR und dies wiederum zu einer positiven Stimmung und einem ebensolchen Selbstverständnis bei den Projektpartnern, die hierdurch wichtige Motivationsanreize bekommen. Hier geht es um folgende Werte und tiefere Prinzipien: Werte: Verantwortung, nachhaltige Entwicklung, Teilhabe, Wertschätzung, Prinzipien: Einbeziehung, Informiertheit, Transparenz, Offenheit
6.1.3 Mediative Einbeziehung aller wesentlichen Interessen Projektsteuerer, Projektmanager und auch Architekten übernehmen typischerweise Managementsaufgaben im Projekt. Damit sind sie als Interessenvertreter des Bauherrn grundsätzlich parteiisch. Verhandlungen, bei denen es um die Einbeziehung aller Interessen geht, können sie daher aufgrund der Interessenkollision nicht übernehmen. Um dennoch von der Startphase an alle wesentlichen Interessen zum Wohle des Projekts fair einzubeziehen, ist es aus Gründen der Ganzheitlichkeit erforderlich, dass derartige Entscheidungs- und Verhandlungsrunden neutral und mediativ moderiert werden, mithin eine Deal Mediation stattfindet. Eine Perspektivenerweiterung und ein besseres Verständnis entstehen, wenn den Akteuren hierfür Raum zur Entfaltung des Denkens in verschiedenen
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
Richtungen gegeben wird. Ein Verhandlungsleiter, der selbst Interessen vertritt, wird aber diesen Raum nicht eröffnen können, weil er den Blick auf seine Interessen richtet und die Perspektiven der anderen möglicherweise nicht wahrnehmen oder vollständig nachvollziehen kann. Hierzu müsste er eine enorm hohe Ambiguitätstoleranz besitzen und sich und die von ihm vertretenen Interessen durchgehend beobachten können, während er andere Interessen gelichwertig danebenstehen lässt. Dies ist eigentlich unmöglich. Mediativ moderierte Verhandlungs- und Entscheidungsrunden erlauben allen Beteiligten auch der Projektführung selbst, ihre Interessen sachgerecht in die Verhandlungs- und Entscheidungsprozesse einfließen zu lassen. Ohne die projektinternen Mediatoren würde das für die ganzheitliche Projektabwicklung erforderliche ausgleichende Moment fehlen. Während die Projektführung die Verantwortung für die kollaborative, integrative und partnerschaftliche Zusammenarbeit als permanente Ansprechpartner im Projektalltag übernimmt, sind die projektinternen Mediatoren nur punktuell eingebunden etwa bei Workshops, Verhandlungen, Entscheidungsprozessen und Konfliktbearbeitungen. Sie wirken vielfältig unterstützend und ausgleichend und stehen der Projektabwicklung bei Bedarf jederzeit zur Verfügung.
6.1.4 Dynamische Phasen ganzheitlicher Planungs- und Bauabwicklung Die ganzheitliche Projektabwicklung ist dynamisch. Der Ablauf kann grob in 5 Phasen unterteilt werden. Bei Veränderungen wesentlicher Projektabwicklungsmerkmale, wie etwa Hinzukommen neuer Partner, akuten Problemen oder Störungen des Projektablaufs wird jeweils in passende Phasen zurückgesprungen. Dieses Vorgehen ist angelehnt an typische mediative Prozesse zur Erreichung wertschöpfender Lösungen. Überblick: Die fünf Phasen der ganzheitlichen Projektabwicklung Phase 1: Gemeinsamer Start Gemeinsam zu starten ist Ausdruck eines gelebten Miteinanders. Ganzheitlich geführt und ggf. mediativ dabei unterstützt sollten in der ersten Phase alle Partner des Projekts sich einbringen können und gemeinsam die wesentlichen Rahmenbedingungen transparent festlegen. Zu den nachfolgenden Themen sollten Vereinbarungen getroffen werden:
6.1 Ganzheitliche Planungs- und Bauprozesse
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1. Personen und Handlungsrahmen festlegen, Vernetzung aller mit allen starten. 2. Partner treffen gemeinsam Vereinbarungen über die Zusammenarbeit. 3. Vereinbarung zu Verantwortlichkeiten – Rollenklarheit. 4. Vereinbarungen zu wiederkehrenden Entscheidungsprozessen, Lernprozessen und Meetings. 5. Vereinbarung zu Transparenz, Informationsmanagement, Datenschutz und Vertraulichkeit. 6. Vereinbarung zur wertschätzenden Kommunikation. 7. Vereinbarung des rechtlichen Rahmens für die Zusammenarbeit. Phase 2: Thema/Projekt/Planungs- und Bauaufgabe In Phase 2 werden von den wesentlichen Projektpartnern gemeinsam die Abläufe und Strukturen für das Projekt festgelegt. Sie werden dabei ganzheitlich geführt und bei Bedarf mediativ unterstützt. Zu den folgenden Themen sollten Vereinbarungen getroffen werden. 1. Gemeinsame Definition des Planungsziels. 2. Planung der Planung, z. B. mit BIM offen und flexibel. 3. Informationsverarbeitung und –zugang. 4. Festlegung der Grundsätze und der Werkzeuge der Zusammenarbeit. 5. Planung der Planung. 6. Lernprozess: Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit fortschreiben. Phase 3: Bewusstes Hinterfragen der Planung als Qualitätssicherung und Merkmal der ganzheitlichen Projektabwicklung Folgende Fragen werden kontinuierlich wiederkehrend während der gesamten Projektdauer sowohl obligatorisch als auch anlassbezogen gestellt, damit Leistungen auf Kurs sind und um ggf. Innovationschancen zu erkennen und zu nutzen. Dies steigert die Qualität des Bauwerks ebenso wie die Motivation Mitzudenken bei den Projektpartnern. Das Bewusstsein für eigene und die Bedürfnisse des Projekts wird bei jedem Projektpartner gestärkt. Folgende Fragen können immer wieder gestellt werden: 1. Ist der Sinn des Projekts mit der Planung erreicht? – ggf. weshalb nicht? 2. Welche Probleme sind bisher ungelöst und was steckt dahinter? 3. Findet tatsächlich ein ganzheitlicher Umgang mit Fehlern, Mängeln, Fristen und Kosten etc. durch gemeinsame Verhandlungen auf Augen-
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höhe unter Herausarbeitung aller Interessen statt? Falls nicht: Weshalb und was ist nötig? 4. Was bedeuten auftretende Konflikte und Risiken konkret für die Projektabwicklung? Weshalb treten Sie auf? 5. Sind die Ziele der nachhaltigen Wertschöpfung und Entwicklung im Projekt verwirklicht? Wo bedarf es besserer Integration und Kollaboration? 6. Lernprozess: Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit fortschreiben. Phase 4: Lösungen für Änderungen, Ergänzungen, Verbesserungen und Innovationen Die in Phase 3 aufgeworfenen Fragen und ermittelten Interessen wie Bedürfnisse bedürfen einer Lösung. In Phase 4 erarbeiten die Partner hierfür gemeinsam Lösungen. Folgendes Vorgehen ist exemplarisch: 1. Gemeinsames Erarbeiten von vielen Lösungsoptionen für die in Phase 3 identifizierten noch offenen Interessen und Bedürfnisse. 2. Gemeinsame Bewertung der Lösungsoptionen. 3. Nachträge werden grundsätzlich nur ausgeführt, wenn sich die Parteien über alle Konditionen einig geworden sind. 4. Verschwendungsarme Integration und Umsetzung der Lösungen. 5. Nachhaltige, faire und verbindliche Entscheidungen. Phase 5: Abnahme/Ingebrauchnahme/Ende des Gewährleistungszeitraums Die Projektpartner haben gemeinsam etwas Einmaliges erschaffen. Diese Leistung bedarf der ausdrücklichen Wertschätzung. Zudem sind alle Schritte des sukzessiven Abschlusses ebenfalls ganzheitlich geführt zu vollziehen und zu einem guten Abschluss zu führen. Hierzu folgende Anregungen: 1. Ingebrauchnahme gemeinsam und wertschätzend begleiten. 2. Wertschätzende Abnahme der erbrachten Leistungen. 3. Projektfeier für alle Beteiligten. 4. Nachhaltigkeit beim Betrieb des Gebäudes. 5. Wertschätzender Abschluss nach dem Ende des Gewährleistungszeitraums.
6.2 Lebendige und konstruktive Kommunikation
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6.2 Lebendige und konstruktive Kommunikation Ganzheitliche Projektabwicklung ist ein kommunikativer und lebendiger Prozess. Das Handeln folgt dem Denken, so auch die Kommunikation. Kommunikation ist das Bindeglied zwischen Menschen, die miteinander in einer Beziehung stehen. Ohne Kommunikation findet keine Zusammenarbeit statt. Gute Kommunikation ist daher für die Projektabwicklung essentiell. Je besser die Kommunikation gelingt, desto erfolgreicher wird das Projekt sein, wie Abb. 6.3 verdeutlicht.
Abb. 6.3 Kernelement: Lebendige und konstruktive Kommunikation
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
6.2.1 Was ist Kommunikation? Das lateinische Wort „communicare“ als Wortursprung bedeutet teilen, sich jemanden mitteilen, etwas besprechen. Kommunikation ist der Grundstoff der Zusammenarbeit in der Projektabwicklung. Alle Projektpartner teilen sich mit. Sie ersinnen gemeinsam das Projektziel, besprechen Pläne oder sprechen sich auf der Baustelle ab. Was, wann und weshalb mitgeteilt wird, ist stets von den handelnden Personen und ihrem „Mindset“ abhängig. Im bekannten Sender-Empfänger-Modell hat Friedemann Schutz-von-Thun jeder Botschaft mindestens vier Bedeutungsebenen zugeschrieben. Jede Botschaft enthält mindestens je eine Sach-, Appell-, Beziehungs-, und Selbstoffenbarungsebene, und zwar aus der Perspektive des Senders, der aus seinem persönlichen „Mindset“ heraus spricht. Warum etwas angesprochen wird, weshalb ein Appell formuliert wird, sich der Sender bei seiner Botschaft etwa belehrend über den Empfänger stellt oder was er dabei von sich offenbart, nämlich etwa Ängste, Sorgen oder Panik, das entsteht lange bevor es ausgesprochen ist, im Kopf des Senders. Er hält seine Botschaft für notwendig, wenn nicht sogar überlebenswichtig. Auf den zuvor genannten vier Ebenen versucht dann der Empfänger die Botschaften des Senders, soweit er sie gehört hat, mit seinem individuellen „Mindset“ zu entschlüsseln und anhand der eigenen Erfahrung zu interpretieren. Was nicht verstanden wird, ersetzt das Gehirn des Empfängers – jedenfalls nach der konstruktivistischen Wahrnehmungspsychologie – damit dann alles für ihn konsistent ist, also irgendwie Sinn macht. Diese klassische Form menschlicher Kommunikation ist offensichtlich extrem störanfällig. Missverständnisse sind vorprogrammiert, wenn der Sender keinen Einfluss auf die Interpretation des Gesagten hat. Daher ist es essentiell, dass die Kommunikation im Projekt einen lebendigen Austausch im Sinne von rekursiven Verstehensprozessen zwischen den Beteiligten ermöglicht.
6.2.2 Warum ist Kommunikation in Projekten oft angstbesetzt? Das hohe Missverständnispotenzial allein führt nicht zur angstbesetzten Kommunikation. Es sind vielmehr die individuellen Glaubenssätze der beteiligten Menschen, die zu einem gestörten „Mindset“ führen, aus dem heraus die angstbesetzte Kommunikation entsteht. Neben individuellen und rationalen Gründen, liegt die Hauptursache für die angstbesetzte Kommunikation in der Projektabwicklung oft in unterbewusst
6.2 Lebendige und konstruktive Kommunikation
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wirkenden Denkrahmen. Ein Denkrahmen ist die Einschätzung einer Situation z. B. als riskant und er enthält auch Reaktionen als Maßnahmen der Risikominimierung bereit. Dies ist ein unterbewusster Vorgang des Gehirns, der eine automatisierte Reaktion ermöglicht und damit schnell und energiesparend abläuft. Meist denken wir unterbewusst bzw. schematisch innerhalb der erlernten oder aufgrund von Erfahrungen gebildeten Denkrahmen. In Stresssituationen wirken häufig Denkrahmen, denen die Annahme zugrunde liegt, der Sinn unseres Lebens läge allein darin zu überleben. In Stresssituationen handeln wir daher schematisch im Grunde wie Steinzeitmenschen in großen Gefahrsituationen. Wir wollen überleben. Leider ist es so, dass wir in diesem Modus nicht mehr bewusst denken und handeln und deshalb auch nicht mehr bewusst kommunizieren können.3 In der ganzheitlichen Projektabwicklung ist dagegen das volle Potenzial des Denkens gefragt. Ändern wir den Denkrahmen, bzw. das Setting, so ändern wir auch automatisch unsere Art zu kommunizieren. Beispiel:
Angenommen ihr Projektpartner weißt sie auf einen Fehler hin. Was denkt in ihnen und was sagen Sie? a) Denkrahmen: Überlebenskampf. Bei Ihnen meldet sich zu allererst der Überlebens-Denkrahmen: Gefahr! Der will mich zum Sündenbock machen! Alarm! Dann reagieren Sie wie in einer Gefahrensituation, bei der es ums Überleben geht. Sie mobilisieren den Gegenangriff. Sie sagen: „Nee, Du bist schuld!“ b) Wertschätzender Denkrahmen: Die gleiche Situation könnten Sie aber auch in einen wertschätzenden und konstruktiven Denkrahmen stecken: Mein lieber Projektpartner hat mich auf einen Fehler aufmerksam gemacht. Nun habe ich die Möglichkeit, den Fehler schnell zu beheben. Damit kommt es kaum zu Folgeproblemen. Sie sagen: „Vielen Dank, dass Du mich auf den Fehler hingewiesen hast! Ich werde den Fehler beheben und es in Zukunft besser machen.“ Reden wir uns ein, es ginge ums Überleben, ist angstvolle Kommunikation nur die logische Folge. Der dauerhafte und gewohnheitsmäßige Einsatz von Überlebens-Denkrahmen ist beziehungsfeindlich sind. Im Überlebensmodus geht es immer um den Kampf ums Überleben. Kreativität und Verständnis
3 Siehe
auch Abschn. 3.1.
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
für die andere Perspektive sind im Überlebenskampf nicht vorgesehen. Daher stört der Überlebens-Denkrahmen, wenn er unterbewusst und automatisch das Denken und Handeln steuert, die Entfaltung menschlichen Potenzials und damit die projektdienliche Kommunikation als Grundlage einer erfolgreichen Zusammenarbeit. Der unbewusste Denkrahmen hat enormen Einfluss auf unsere Kommunikation. Daher: Glauben Sie nicht alles, was Sie denken! – Denken Sie lieber bewusst und gewöhnen Sie sich konstruktive Denkrahmen an! Wenn das gelingt, wird es zur guten Gewohnheit und schließlich zum energiesparenden positiven Denkrahmen. ◄
6.2.3 Exkurs: Die wichtigsten unbewussten störenden Denkrahmen – Vielleicht erkennen Sie sich wieder? Durch die Bewusstmachung der unterbewusst ablaufenden Denkprozesse können wir entscheiden, wie wir wirklich kommunizieren wollen. Da die schlechte Kommunikation eines der wesentlichen Versagenspunkte der herkömmlichen Projektabwicklung ist, möchte ich hier auf einige wichtige Punkte im Detail eingehen. Überlegen Sie bitte auch, welche der nachfolgenden störenden Denkrahmen Ihnen bekannt vorkommen. Die Denkrahmen lehne ich an die insofern exzellenten Ausführungen von Petra Bock, Der entstörte Mensch4 an, beziehe diese nachfolgend auf die Projektabwicklung und zeige anschließend auf, wie eine Veränderung des Denkrahmens sich auf die Kommunikation auswirken kann: • Katastrophendenken Denkrahmen: Aus Sicht der Auftragnehmer bedeuteten unfaire vertragliche Rahmenbedingungen zum Beispiel Gefahr. Zur Risikovermeidung werden automatisch alle Veränderungen des Projekts auf Gefahren hin untersucht. Beispiel: „Oh je! Wir können die Frist nicht halten! Gefahr! Haftung! Katastrophe!“ Haben wir in der Projektabwicklung die Haltung, alles Neue immer erst unter dem Gesichtspunkt der größtmöglichen Gefahr zu untersuchen, dann mag dies als Vernunft verkauft werden, ist aber eine „mentale Strategie, die selbst Gefahren
4 Bock,
Petra, Der entstörte Mensch, 2020.
6.2 Lebendige und konstruktive Kommunikation
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mit sich bringt. Wir machen dann nämlich aus jeder Mücke einen Elefanten, lähmen uns mit Horrorszenarien.“5 Katastrophendenken verhindert, nach vorne zu schauen und Chancen zu sehen, Risiken realistisch einzuschätzen und damit verantwortliche Entscheidungen zu treffen. Vom Katastrophendenken getragene unbewusste Kommunikation stört daher die Projektabwicklung, weil sie Innovationen und Lebendigkeit unterdrückt. Z.B. Indem Behinderungsanzeigen geschrieben und abgeheftet werden. Empfohlene Vorgehensweise Konstruktiver Denkrahmen: Leben ist Veränderung, wir können uns gelassen darauf einlassen, weil wir in der ganzheitlichen Projektabwicklung faire Rahmenbedingungen haben. Konstruktive Kommunikation: „Wir können die Frist nicht halten. Lass uns mal mit den anderen darüber reden und gemeinsam nach Lösungen suchen, die dem Projekt in seiner Ganzheit zugutekommen.“ • Bewertungsdenken: Denkrahmen: Alles Wahrgenommene wird automatisch bewertet und in eine zweier Hierarchie gestellt, um zu überleben. Beispiel: „Der arrogante Architekt hat doch gar keine Ahnung von Gebäudetechnik. Seine Detailplanung schicken wir ihm schön zurück. Dem zeigen wir es.“ Sinnvoll ist Bewertungsdenken, wenn man in der Wildnis einem Krieger begegnet und schnell einschätzen muss, ob er Freund oder Feind ist. In der Projektabwicklung bewerten wir nach diesem Schema oft unbewusst Menschen. Da spielt es eine Rolle, ob eine Aussage von einem Mann oder einer Frau, einem ausländischen Leiharbeitnehmer oder einem diversen Polier getätigt wurde. Eine Hierarchie ist im Kopf. Wir bewerten unsere Projektpartner. Vielleicht wird gelästert, offen geschimpft, ein Gruppenvorurteil verstärkt, etwa Fachplaner vs. Architekten oder Planung vs. Ausführung. In der Projektabwicklung zerstört die Bewertung von Menschen den sicheren Raum, den sie für ein gutes Miteinander benötigen. Konflikte eskalieren.
5 Bock,
Petra, Der entstörte Mensch, 2020, S. 110.
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
Empfohlene Vorgehensweise Konstruktiver Denkrahmen: In der Projektabwicklung bringt uns die Vielfalt weiter. Jeder hat seinen Platz und ist wichtig für das Projekt. Konstruktive Kommunikation: „Der Architekt hat wirklich eine außergewöhnliche Idee. Nun müssen wir mit ihm gemeinsam überlegen wie die Gebäudetechnik hierin Platz finden kann.“
• Druck Denkrahmen: Druck ist die mentale Strategie, gezielt Stress zu erzeugen, um alle inneren und äußeren Ressourcen auf ein Ziel hin zu aktivieren.6 Beispiel: „Wenn wir jetzt nicht das Dach decken, dann regnet es uns den ganzen Winter über rein.“ Wir setzen uns unter Druck, indem wir uns ein Wenn-Dann-Szenario ausmalen, welche furchtbaren Folgen eintreten werden, wenn wir nicht schaffen, was wir uns vorgenommen haben und was angeblich sein muss. Druck ist eine wichtige Überlebensstrategie für den Fall, dass wir uns durch eine reale Bedrohung – etwa durch einen Löwen – wirklich in Lebensgefahr befinden. Durch den Druck: Wenn ich jetzt nicht auf den Baum klettere, dann frisst mich das Raubtier, komme ich womöglich wie durch ein Wunder den Baum hinauf. Ich habe letzte Leistungsreserven mobilisiert. Meist wird der Druck aber in der herkömmlichen Projektabwicklung gezielt eingesetzt, um Menschen anzutreiben oder auch auszubeuten. Zu denken ist insbesondere an Termin,- Kosten- und Qualitätsdruck. Dieser Druck wird oft schon zu Beginn der konventionellen Projektabwicklung aufgebaut und von Vertragspartnern zu ihren Zwecken missbraucht. Dabei stört Druck die Produktivität von Menschen. Er macht uns krank. Antreiben ist nicht nötig, wenn Menschen motiviert sind, weil sie sich sicher fühlen und genügend Zeit und Raum zur Erholung und Entfaltung zur Verfügung steht. Unter Druck funktionieren Menschen wie Maschinen. Dies passt ggf. für Akkordarbeiter auf der Baustelle. Nicht aber für einen verantwortungsvollen ganzheitlichen Prozess der Projektabwicklung. Projektabläufe sowie Kosten und Termine müssen daher verantwortlich und vernünftig festgelegt werden, sodass die Projektpartner in einen produktiven Flow gelangen, der die Balance zwischen Über- und Unterforderung beschreibt. Dann ist die Kommunikation automatisch gelassener, freundlicher und wertschätzender, während in Drucksituationen die allseits bekannten „Ansagen“ 6 Bock,
Petra, Der entstörte Mensch, 2020, S. 114.
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das Mittel der Kommunikation sind und die Projektpartner davon platt gemacht werden und ihrerseits mit aggressiver Kommunikation ums Überleben kämpfen. Empfohlene Vorgehensweise Konstruktiver Denkrahmen: Wir haben hier ein Risiko, das wir gemeinsam managen können. Konstruktive Kommunikation: „Lasst uns überlegen, wie wir mit dem Risiko, des im Winter nicht gedeckten Daches zum Wohle des gesamten Projekts, umgehen wollen.“
• Selbstverleugnung Denkrahmen: Die Selbstverleugnung ist ein Denkmuster bei dem wir uns selbst vergessen und unterordnen, um zu überleben. Beispiel: „Wenn Sie nun wirklich keine Drainage wollen, dann halte ich das fest, ich übernehme keine Haftung.“ Dies hat nichts mit Rücksichtnahme zu tun. Gemeint ist die Kehrseite der Dominanz. Wir zeigen in Gefahrensituationen Unterwürfigkeit und wollen damit Verschonung erreichen. Selbstverleugnung ist selbstzerstörerisch, wenn die Unterordnung unter Menschen oder Strategien erfolgen sollen, die selbst lebensfeindlich, aggressiv und destruktiv sind. Wenn etwa der Bauherr in einer konventionell aufgesetzten Projektabwicklung beim ersten Gespräch bereits mit zwei Anwälten auftaucht und diese den Planer über eine Stunde hinweg kleinzumachen versuchen, wollen sie ihn dominieren und seine Selbstverleugnung bewirken. Welchen wertvollen Beitrag soll ein kleingemachter Planer zu dem Projekt leisten? Dieses Dominanzgehabe passt nicht in die ganzheitliche Projektabwicklung, bei der sich Menschen auf Augenhöhe begegnen und miteinander Großartiges erschaffen wollen. Hier gilt es vielmehr, sich im genannten Beispiel bleibend als Planer nicht klein machen zu lassen, sondern ruhig und gelassen für sich und seine Interessen einzustehen, sodass diese im gemeinsam auszuhandelnden Interessenausgleich angemessen berücksichtigt werden. Die Dominanz führt nur dann zur Selbstverleugnung, wenn der Empfänger die Situation als Überlebenskampf einordnet und diesen Denkrahmen als bestmögliche Überlebensstrategie einschätzt. Um diese Fehleinschätzung zu vermeiden und auch um unangebrachtes Dominanzverhalten zu vermeiden, muss eine verantwortungsvolle, partnerschaftliche Kommunikationskultur erschaffen und aufrechterhalten werden, die diese unbewussten Denkmuster aufdeckt und in eine konstruktive Kommunikation überführt.
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Empfohlene Vorgehensweise Konstruktiver Denkrahmen: Es geht um meinen verantwortlichen Beitrag zum Funktionieren des Werkerfolges. Konstruktive Kommunikation: „Ich stehe hier gerade für die ordnungsgemäße Entfeuchtung. Dies funktioniert nur mit der Drainage. Darf ich Ihnen die Zusammenhänge bitte genauer erklären?“
• Misstrauen Denkrahmen: Wenn das Leben in der Projektabwicklung als Überlebenskampf aufgefasst wird, dann ist es vernünftig, misstrauisch zu sein. Beispiel: „Der Handwerker pfuscht doch absichtlich, weil er sich über den schlechten Preis ärgert.“ In konventionellen Projekten findet sich ein hohes Maß an Misstrauen. Dieses Störungsmuster wird häufig mit Vernunft verwechselt. Es hat aber nichts mit Vernunft zu tun, wenn wir anderen Menschen oder Ideen sofort und von vornherein unterstellen, sie seien böse oder hätten unlautere Absichten. „Wer anderen misstraut, traut sich meistens selbst nichts oder nur das Schlimmste zu. Das bedeutet, dass wir uns selbst täuschen, weil wir etwas als sicher konstruieren, was wir gar nicht sicher wissen können.“7 Im Modus des Misstrauens werden Vorurteile gepflegt, wir verschanzen uns, machen zu und wappnen uns gegen mögliche Verletzungen. Dies ist Gift für jede Beziehung, weil Misstrauen als Denkrahmen jedes Miteinander von innen heraus aushöhlt. Vertrauen als Basis menschlichen Zusammenwirkens wird untergraben und zerstört. Durch den unbewussten Denkrahmen Misstrauen sowie ggf. tatsächlich gefährliche Elemente wie unfaire Vertragsgestaltungen, ist in der herkömmlichen Projektabwicklung eine Misstrauenskultur entstanden, die dazu führt, dass jeder Beteiligte tatsächlich meint oder sogar davon überzeugt ist, es lauere überall lebensbedrohliche Gefahr. Durch Misstrauen werden die Projektbeteiligten davon abgehalten, zu kooperieren und auf andere zuzugehen. Die Kommunikation versiegt und wird oft durch schriftliche oder digitale Dokumentationen des Versagens der Anderen ersetzt. Dies ist Ausdruck absolut angstbesetzter Kommunikation, bei der aus Angst vor wirtschaftlichen Nachteilen Dokumentiert und geschrieben wird.
7 Bock,
Petra, Der entstörte Mensch, 2020, S. 118 f.
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Für eine erfolgreiche Projektabwicklung brauchen wir Vertrauen und viele Gespräche auf Augenhöhe. Überleben und vor allem erfolgreich sein im Projekt werden diejenigen, die gelassen, wertschätzend und offen miteinander auf Augenhöhe sprechen. So erzeugen sie Vertrauen, das unverzichtbare Grundlage der kollaborativen Zusammenarbeit in der Projektabwicklung ist. Empfohlene Vorgehensweise Konstruktiver Denkrahmen: Ich vertraue zunächst allen Partnern der Projektabwicklung. Konstruktive Kommunikation: „Vielen Dank, dass ich mich auf Sie verlassen kann.“
Durch eine konsequente Anwendung des konstruktiven Denkrahmens wird Gelassenheit im zwischenmenschlichen Umgang zur guten Gewohnheit. Damit ist eine wesentliche Grundlage für eine sachgerechtere Kommunikation mit Fokus auf das Best mögliche Gelingen des Projekts geschaffen. Gelassenheit als Kultur ist das Gegenteil von Stress, beugt damit Krankheiten vor und stärkt die Gemeinschaft. Gelassenheit ist aber auch die Basis für in der ganzheitlichen Projektführung notwendige Vertrauen in die Leistungskraft der Partner und deren Ermutigung sich stets weiter zu verbessern. Nur wem etwas zugetraut wird, der fühlt sich sicher und kann über sich hinauswachsen. • Starre Regeln Denkrahmen: Man kennt Regeln und beurteilt die Welt danach, dadurch ist das Überleben in der Projektabwicklung gesichert. Beispiel: „Wenn wir die VOB/B nicht verwenden, dann wissen wir nicht, wie wir uns verhalten sollen.“ Diese Wenn-dann-Konstruktion ist ein Denkrahmen, der in der Projektabwicklung zu der bestehenden Fehler- Un-Kultur geführt hat. Es geht hier darum, anderen Fehler vorzuwerfen und sie als Schuldige zu identifizieren. Wie etwa: Wenn jemand unpünktlich ist, respektiert er mich nicht. Die starren Regeln in der Projektabwicklung sind auch teilweise die Regelungen der VOB/B. Was muss wer tun? Kann mir der andere etwas anhaben? Kenne ich mich hier besser aus als der andere?
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
Sind starre Regeln als unbewusster Denkrahmen Urheber der Kommunikation, dann geht es darum, das Überleben im Projekt zu sichern und nicht darum, das Beste für das Projekt zu tun. Die Folge sind eine Kettenreaktion aus Fehlervorwürfen, Schuldzuweisungen und eine Unmenge unmenschlicher Kommunikation, teilweise auch unter der Gürtellinie. Auch beliebt in diesem unbewussten Denkrahmen ist der Glaubenssatz „Das haben wir schon immer so gemacht“. Diese Regelfixierung bewirkt eine verengte Sicht auf die Dinge. Kreativität und Vielfalt wie auch Innovationen sind hier nicht willkommen. Genau diese agilen Denkrichtungen sind aber für die Abwicklung komplexer Projekte enorm wichtig. Wer unbewusst in starren Regeln denkt, der nimmt Regeln zum Anlass seiner Kommunikation und teilt seine hierzu bestehenden Auffassungen. Automatisch erfasst er weder das Projekt wie es ist, noch seine Projektpartner wie sie sind, sondern immer nur den Aspekt, der im Zusammenhang mit den für ihn bedeutsamen Regeln steht. Dadurch kann Feindschaft entstehen, die dann mitunter auch kommuniziert wird. Dies ist für die Zusammenarbeit im Projekt überaus schädlich. Empfohlene Vorgehensweise Konstruktiver Denkrahmen: Alles, was dem Projekt in seiner Ganzheitlichkeit dient, darf und soll sein. Wir lernen gerne dazu. Konstruktive Kommunikation: „Lassen Sie uns doch einfach einmal ausprobieren, wie die Abwicklung eines komplexen Projekts ohne VOB/B und lange Verträge funktioniert.“
Zwischenfazit: In der Projektabwicklung und den damit zusammenhängenden komplexen Aufgaben, gibt es tatsächlich diverse Gefahrensituationen, die aufmerksam und adäquat wahrgenommen werden müssen. Allein die Tatsache, dass es diese Gefahren gibt, führt in der herkömmlichen Projektabwicklung häufig aufgrund unfairer Vertragsrahmen zu einem erhöhten Verlust- oder Imagerisiko und geht daher mit einem Katastrophendenkrahmen einher, welcher Ursache für noch mehr Gefahren, wie etwa gesteigertem Konfliktpotenzial oder Qualitätsverlusten ist. Entsteht dagegen eine Kultur der aufmerksamen Gelassenheit, dann ist es möglich, den Gefahren genau ins Auge zu sehen, ohne sogleich von der Angst bestimmt zu werden. Dann ist auch die Kommunikation konstruktiv und kreative Problemlösungen möglich.
6.2 Lebendige und konstruktive Kommunikation
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Der aktuelle stressauslösende Denkrahmen in der Projektabwicklung muss verlassen werden, hierzu bedarf es unter anderem auch fairer vertragsrechtlicher Rahmenbedingungen, die Grundlage für das Vertrauen der Projektpartner sind, denn diese Rahmenbedingungen/Spielregeln bestimmen auch unseren Denkrahmen und damit unsere Kommunikation.
6.2.4 Durchgängig konstruktive Kommunikation Wir sagen das, was unserem Denkrahmen entspricht. Die meisten Menschen haben einen Cocktail aus unterschiedlichen unterbewusst ablaufenden Denkrahmen in ihrem individuell angelegten „Mindset“ und können zunächst gar nicht anders als entsprechend unbewusst zu kommunizieren. Laufen störende unterbewusste Denkrahmen bei den Projektpartnern ab, dann können diese nicht in der erforderlichen Weise kommunizieren, auch wenn sie sich in einer Charta am Anfang des Projekts ggf. dazu mit bestem Willen verpflichtet haben. Ihr unbewusst schematisches Denken verhindert eine ermutigende, kreative, verantwortliche und wohlwollende Kommunikation. Dies ist keine böse Absicht, sondern es liegt an automatischen Vorgängen in unserem auf Überleben trainierten Denken. Um in der ganzheitlichen Projektabwicklung optimal zu kommunizieren, ist es erforderlich, dass sich die Partner bewusst sind, dass es generell diese störenden Denkrahmen gibt und jeder solche im Kopf hat. Keiner ist dabei besser als der andere. Daher müssen sich die Projektpartner gemeinsam der Aufgabe unserer Zeit stellen und bewusst kommunizieren. Das ist enorm anstrengend, weil die Kommunikation nicht mehr automatisch, sondern bewusst ist und damit zunächst die ganze Aufmerksamkeit braucht. Eine durchgängig konstruktive Kommunikation kann nicht verschrieben werden, sondern muss erlebt und erlernt werden. Die Projektführung kann den Rahmen dafür bereithalten, tatsächlich konstruktiv zu denken und zu kommunizieren, ist eine freiwillige Entscheidung der Partner. Sind die kommunikativen Prozesse der Projektabwicklung von vornherein als gemeinsamer Lernprozess in bewusster Kommunikation aufgesetzt, so fällt es den Partnern sicher leichter, ihre Kommunikationsgewohnheiten zu ändern und zu konstruktive Kommunikation zur guten Gewohnheit werden zu lassen. Bewusste Kommunikation beginnt mit dem bewussten und aktiven Zuhören. Findet dieses mit echtem Interesse statt, kann ein Prozess des Verstehens in Gang gesetzt werden, der wiederum zu dem Verständnis der gemeinsamen Projektrealität beiträgt. Grundlage hierfür ist gegenseitige Wertschätzung und Verstehen auch der eigenen wie auch der anderen Interessen und Bedürfnisse. Die ist das Feld der
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
Gewaltfreien Kommunikation8, die als Haltung und Sprache des Lebens wesentlicher Teil des Kommunikationskonzepts in der ganzheitlichen Projektabwicklung ist.
6.2.5 Mediativ unterstützte Kommunikation als Lernprozess Gedacht ist nicht gesagt. Gesagt ist nicht gehört, gehört ist nicht verstanden, verstanden ist nicht einverstanden. (Konrad Lorenz) Bewusste Kommunikation heißt, sich die unterbewusst ablaufenden Mechanismen menschlicher Kommunikation anzusehen. Das betrifft in der Projektabwicklung alle Ebenen und alle Partner. Bewusste Kommunikation ist das Ergebnis bewussten Denkens. Sie ist darauf ausgerichtet, im Rahmen eines neugierigen und rekursiven Verstehensprozesses zu ermitteln, was der Sender tatsächlich gemeint hat und was der Empfänger braucht, um es zu verstehen. In einem interaktiven Verstehensprozess erschaffen die an der Kommunikation Beteiligten ihre gemeinsame Realität. Das bedeutet konstruktiv zu kommunizieren. In der ganzheitlichen Projektabwicklung wird der Denkrahmen bewusst ausgerichtet auf die Frage, was das Beste für das Projekt ist. In diesem Zusammenhang bedeutet konstruktive Kommunikation, dass sich die Partner genau gezielt in diesem Sinne austauschen. Dies macht dann die Kommunikation automatisch konstruktiv. Das Bauwerk ist das Ergebnis erfolgreicher Kommunikation und gekonnter Umsetzung. Die bewusste Kommunikation lohnt sich, weil mehr Verständnis und dadurch mehr Sicherheit in der Beziehung entsteht. Dies reduziert die Angst und ermöglicht Potenzialentfaltung aller Beteiligter, die für eine erfolgreiche Projektabwicklung unerlässlich ist. Diese bewusste Kommunikation ist den Projektpartnern allein nicht durchgängig möglich, weil sie ihre unterbewussten Denkrahmen nicht einfach ausschalten können, auch wenn sie dies möchten. Daher ist bewusstes Kommunizieren in einen Lernprozess einzubetten, der sowohl von der ganzheitlich arbeitenden Projektführung als auch von darauf geschulten Mediatoren unterstützt wird.
8 Siehe
auch Abschn. 3.4.3. sowie Rosenberg, M., Gewaltfreie Kommunikation, Eine Sprache des Lebens, Paderborn, 12. Aufl. 2016
6.2 Lebendige und konstruktive Kommunikation
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Übersicht • In der ganzheitlichen Projektabwicklung ist die bewusste Kommunikation von vornherein zu etablieren. • Dieser Lernprozess wird aktiv von der ganzheitlichen Führung unterstützt, um ein Bewusstsein für das Unterbewusste zu schaffen und damit den Grundstein für eine verantwortliche Kommunikation zu setzen. • Zusätzlich werden Gespräche wie auch der Lernprozess mediativ unterstützt.
Lernen die Projektpartner bewusst zu kommunizieren, dann kann sich ihr Denken entwickeln. Wie in jedem persönlichen Lernprozess wird es hier immer individuelle Wege geben. Je mehr positive Erfahrungen in der bewussten Kommunikation gemacht werden, desto früher stellen sich auch die Denkrahmen und Gewohnheiten partnerschaftlicher, kollaborativer und integrativer Zusammenarbeit ein. Bewusste Kommunikation ist entscheidend für den Projekterfolg. In der ganzheitlichen Projektabwicklung wird die bewusste Kommunikation durch mediative Unterstützung der Gespräche und einen bewussten gemeinsamen Lernprozess möglich.
6.2.6 Positiver Humor für Lernprozesse und lebendige Kommunikation Humor ist angstminimierend und wirkt den störenden Denkrahmen entgegen, wenn nicht auf Kosten anderer Witze gemacht werden. Durch positiven Humor verlassen wir die gewohnten Denkrahmen, denn er funktioniert genauso: Die plötzliche Wendung in einem Witz ist nur dann wirklich lustig, weil etwas Unvorhergesehenes, etwas Überraschendes passiert. Dieses Element entstammt immer einem anderen Denkrahmen. Beispiel: „Warum sollte man nie Cola und Bier zusammen trinken? – Weil man sonst colabiert.“ Diese Erkenntnis, dass Lachen uns aus dem alten Denkrahmen befreit und uns offen für neues macht, nutzen ganzheitlich arbeitende Führungspersönlichkeiten wie auch die projektinternen Mediatoren. So bringen sie Leichtigkeit und frischen Wind in die Projektabwicklung und schaffen die Voraussetzung für Kreativität
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
und konstruktives Kommunizieren. Positiver Humor macht die Kommunikation angstfrei, denn wir befreien uns im Moment des Lachens von der Angst. Daher ist bewusst humorvolle Kommunikation eine lebendige Kommunikation. Durch das Lachen schütteln wir alte Muster und auch Emotionen ab, sind kreativ und offen für Neues. „Humor ist die einzige Form der Kommunikation, bei der ein Reiz auf einer hohen Stufe der Komplexität eine stereotype, vorhersehbare Reaktion auf der Stufe der physiologischen Reflexe auslöst.“ (Vera Birkenbihl).9 Mit Humor aktivieren wir unsere Kreativitätspotenziale. Genau dies ist für die erfolgreiche ganzheitliche Projektabwicklung erforderlich. Hierdurch wird auch lebendige und konstruktive Kommunikation gefördert.
6.3 Kurze, faire und lebendige Verträge Unfaire voluminöse und preisgetriebene Vertragswerke sind einer der Hauptgründe, weshalb es zu den alltäglichen und massiven Konflikten in der Projektabwicklung kommt, die häufig die Gerichte beschäftigen und ein Bauprojekt im Grunde für alle Seiten unwirtschaftlich werden lassen. Verträge müssen nicht lang und unfair sein, sie können auch kurz sein und einen fairen Rahmen für eine konstruktive Zusammenarbeit und nachhaltigen Wertschöpfung bilden. Sie sind neben Führung und Kommunikation eine wesentliche Grundbedingung mithin ein Kernelement für eine gelingende ganzheitliche Projektabwicklung (s. Abb. 6.4).
6.3.1 Rechtlicher Rahmen für die Projektabwicklung in Deutschland Verträge bieten den Projektpartnern die Möglichkeit, sich selbst rechtsverbindliche Spielregeln für die Zusammenarbeit zu geben. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) gibt einen fairen gesetzlichen Rechtsrahmen für alle relevanten Vertragsarten vor, innerhalb dessen Verträge im Wege der sogenannten Privatautonomie gestaltet werden können. Die Vertragspartner sind grundsätzlich frei, zu regeln, was sie möchten. Ein Bauvertrag kann 300 Seiten, aber auch nur 5 Seiten
9 Siehe
hierzu: Birkenbihl, Vera F., Humor, An ihrem Lachen soll man Sie erkennen, München, 9. Aufl. 2018, S. 53 ff.
6.3 Kurze, faire und lebendige Verträge
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Abb. 6.4 Kernelement: Kurze, faire und lebendige Verträge
umfassen. In beiden Fällen gibt es für alle Rechtsfragen Antworten. Einmal stehen sie im kurzen Vertrag, ergänzt durch die gesetzlichen Regelungen im BGB und einmal im umfangreichen Vertragswerk nebst AGBs. Einmal haben sich die Parteien einen umfangreichen eigenen Rahmen geschaffen und einmal lassen sie sich auf den knappen und auf Kooperation ausgelegten gesetzlichen Rahmen ein, der transparent und fair ist, weil er klar verständlich ist und keine unfaire Risikoverteilungen enthält. In angloamerikanischen wie auch teilweise in skandinavischen Ländern sind statt Gesetzgebung flexible branchenspezifische Standardverträge im Bereich Vertragsrechts üblich. Da genau in diesen Ländern partnerschaftliche Projekt-
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
abwicklung bereits seit Jahren erfolgreich betrieben wird, haben sich hier komplexe Standardverträge wie IPD-, Allianz- oder Mehrparteienverträge etabliert. In Deutschland ist man weder auf komplexe Vertragswerke noch auf komplizierte Standardverträge angewiesen, weil es einen gesetzlichen Rahmen im BGB für alle planungs- und baurelevanten Verträge gibt. Relevant für die Projektabwicklung in Deutschland sind einerseits die rechtlichen Beziehungen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer und andererseits diejenigen der Projektbeteiligten untereinander. Für die Projektabwicklung sind die Vertragstypen des BGB von Bedeutung, insbesondere der Werkvertrag, gem. § 631 BGB, in den speziellen Ausprägungen als Bauvertrag gem. § 650 a BGB oder als Architekten- und Ingenieurvertrag gem. § 650 p BGB. Im Kern verpflichtet der Werkvertrag den Unternehmer dazu, den versprochenen Werkerfolg herzustellen. Das Werk muss darüber hinaus auch ohne ausdrückliche oder zusätzliche Vereinbarung zweckentsprechend funktionieren. Wer beispielsweise als Unternehmer eine Heizungsanlage schuldet, haftet also nicht nur dafür, dass sie richtig eingebaut ist, sondern auch dafür, dass sie im kalten Winter für Behaglichkeit sorgt, also auch richtig dimensioniert ist für das zu beheizende Gebäude. Diese unbedingte werkvertragliche Erfolgshaftung für den Erfolg und das Funktionieren des Werkes betrifft grundsätzlich alle Bereiche der Projektabwicklung, sei es beim Planen oder beim Bauen. Der Auftraggeber darf mithin umfassend auf den Gesamterfolg des Werkes vertrauen. Die Vertragsgestaltungen sind stark beeinflusst von den Standardklauseln der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) und der VOB/B. Diese modifizieren seit einigen Jahrzehnten branchenweit die Vertragsbeziehungen zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern und beeinflussen damit ihr Denken und Handeln maßgeblich. Leider haben sie – als unbeabsichtigter Effekt – zu Misstrauen und zu der konfliktreichen Baukultur beigetragen, wie wir sie heute beklagen. Die Zusammenhänge werden sogleich erläutert.
6.3.2 Architekten- und Ingenieurverträge § 650 p BGB kodifiziert den Architekten- und Ingenieurvertrag. Es handelt sich um einen besonderen Typ des Werkvertrages. Das bedeutet, dass grundsätzlich das gesetzliche Werkvertragsrecht zur Anwendung kommt und einige Besonderheiten speziell nur für Architektur- und Ingenieurleistungen gelten. §§ 650p-q BGB wurden im Jahr 2018 im Zuge der erstmaligen Regelung des Baurechts in das BGB eingefügt. Damit ist ein fairer Rechtsrahmen bezogen auf den Kernbereich der Architekten- und Ingenieurverträge geschaffen.
6.3 Kurze, faire und lebendige Verträge
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6.3.2.1 Die neue HOAI 2021 – Chancen für sinnvolle Vertragsgestaltungen 1971 wurde mit Einführung der HOAI für Architekten- und Ingenieurverträge ein zwingendes Preisrecht im Sinne von Mindest- und Höchstsätzen etabliert wie es in anderen Branchen, die ebenfalls auf Werkvertragsrecht basieren, unbekannt ist. Diesen Eingriff in die Privatautonomie rechtfertigte die Politik damit, dass Architekten- und Ingenieurleistungen einer gewissen Qualität entsprechen sollten. Allerdings führte diese Preisregulierung in der Praxis nicht zu mehr Qualität, sondern oft dazu, dass zunächst günstige Pauschalangebote von Planungsbüros als Eintrittskarte in das Projekt genutzt wurden, um später bei der Schlussrechnung das Ass „zwingend einzuhaltender Mindestsatz“ aus dem Ärmel zu ziehen. Es kam zu unzähligen sog. Honoraraufstockungsklagen. Dieses Spiel mit doppeltem Boden führte in der Praxis dazu, dass Bauherrn schlechte Erfahrungen machten und für sich resümierten, dass auf die vertragliche Einigung hinsichtlich des Preises aber auch auf den Vertragspartner kein Verlass war. Als unbeabsichtigter Nebeneffekt der HOAI kam es so zu sehr großem Misstrauen in der Projektabwicklung. Darüber hinaus hat der EUGH in seiner Entscheidung vom 04.07.2019 – C-377/17 festgestellt, dass das zwingende Preisrecht der HOAI gegen die europäische Dienstleistungsrichtlinie verstößt und daher nicht mehr angewendet werden darf. Die HOAI wurde entsprechend überarbeitet und spricht nun in ihrer Version aus dem Jahr 2021 von Basishonorar und höheren Honorarzonen, die gem. § 2 a HOAI 2021 nunmehr jeweils als Orientierungswerte zu verstehen sind. Die Vertragsparteien sind nicht mehr gezwungen, nach der HOAI abzurechnen. Hierin liegen große Chancen für die projektindividuelle Vergütungsvereinbarung.
6.3.2.2 Die HOAI 2021 passt nicht für moderne und nachhaltige Planungs- und Überwachungsleistungen Die Inhalte der Leistungspflichten, die in der HOAI seit Jahrzehnten im Rahmen von insgesamt 9 Leistungsphasen beschrieben werden und jeweils Bezugspunkt für die Abrechnung erbrachter Leistungen sind, wurden von der HOAI 2021 nahezu unverändert übernommen, obwohl es auch hier einen erheblichen Änderungsbedarf gibt, weil die Regelungen aus den 1970er Jahren zur Projektabwicklung von heute nicht mehr passen: • Unterbewertung der Startphase Die HOAI 2021 behält die von Anfang an in der HOAI bestehende Geringschätzung der ersten beiden Leistungsphasen bei, obwohl in der Branche und
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
auch nach dem Paretoprinzip bekannt ist, dass gerade eine sehr gut durchgeführte Startphase mit einer überlegten Bedarfsermittlung etwa nach DIN 18205 entscheidend für den Erfolg des gesamten Projekts ist: Es kommt zu weniger Änderungen. Lebenszyklus- wie auch Nachhaltigkeitsinteressen können von vornherein verantwortlich in die Planung integriert werden. Solange aber Architekten und Ingenieure nach der HOAI 2021 für die Leistungsphase 1 nur 2 % und für die Leistungsphase 2 nur 9 % bekommen, entspricht dies nicht dem enormen Aufwand, den eine gründlich und ganzheitlich bearbeitete Startphase erfordert. Zwar kann die Bedarfsermittlung selbstverständlich als besondere Leistung beauftragt werden, aber sie ist eben nicht Standard und daher nicht im Bewusstsein der Bauherrn verankert. Eine grundsätzliche Neu- und Andersbewertung der Startphase ist dringend erforderlich und kann ab sofort von den Vertragsparteien selbst vorgenommen werden, indem sie ganzheitliche Leistungspflichten der Planer für die Startphase vereinbaren. • Nicht mehr zeitgemäße Bewertung der Leistungsphasen 3 und 5 Die in der HOAI 2021 vorgesehene Bewertung der Vergütung in Leistungsphasen 3 und 5 ist nicht mehr zeitgemäß. Für Leistungsphase 3 sind 17 % und für Leistungsphase 5 sogar 22 % der Gesamtvergütung vorgesehen. Während in den 1970er Jahren Architekten und Ingenieure noch mit der Hand gezeichnet haben und die Inhalte sowie die Bewertungen der Leistungsphasen 3 und 5 dem tatsächlich immensen Aufwand entsprachen, ist es heute, im Zeitalter der Digitalisierung völlig anders. Die Leistungsphasen und ihre angemessene Bewertung müssen neu definiert werden, besonders dann, wenn mit BIM geplant wird. Dann wird nämlich bereits in Leistungsphase 3 der HOAI jedes Detail mit seinen Eigenschaften definiert, was eigentlich erst in Leistungsphase 5 der HOAI vorgesehen ist. Damit werden Leistungen deutlich vorgezogen. Dem muss mit einer neuen Beschreibung der zu erbringenden Leistungen und der zugehörigen prozentualen Gewichtung des Honoraranteils Rechnung getragen werden. Die Vertragspartner können dies unabhängig von einer HOAI Reform bereits jetzt so vereinbaren. • Fehlende Leistungsbereiche Darüber hinaus berücksichtigt die HOAI in den von ihr aufgestellten Leistungsphasen weder die Inbetriebnahme und Nachsteuerung von Anlagen noch Aufgaben im Zusammenhang mit Ressourcenschonung, wie etwa den lebenszyklusgerechten Rückbau und Recycling. Dies ist aber im Sinne einer verantwortlichen und ganzheitlichen Herangehensweise erforderlich.
6.3 Kurze, faire und lebendige Verträge
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• Zeitunabhängiges Honorar Ein weiterer Punkt, der zu einem sehr starken Ungleichgewicht und einem erheblichen wirtschaftlichen Risiko für Unternehmer führt, ist das grundsätzlich zeitunabhängige Vergütungssystem der HOAI. In der Objekt- bzw. Bauüberwachung hat der Auftragnehmer pauschal einen Anspruch auf 35 % des Gesamthonorars, unabhängig von der aufgewandten Zeit. Verzögert sich aber die Bauzeit erheblich, was bei Großbaustellen oft der Fall ist, dann ist das HOAI-Pauschalhonorar möglicherweise schnell nicht mehr auskömmlich. Ein Ungleichgewicht zu Lasten des Unternehmers entsteht. Die Parteien eines Architekten- und Ingenieurvertrages können nun eigene Wege gehen. Diese Möglichkeit sollte zur fairen Rechtsgestaltung ganzheitlich ausgeschöpft werden, indem projektindividuelle Leistungsbeschreibungen und Vergütungen verhandelt werden.
6.3.2.3 Die Crux mit den Stufenverträgen im Planerbereich Die Vergabehandbücher der öffentlichen Hand sehen zur Vereinheitlichung der Vertragsabwicklungen unter anderem sog. Stufenverträge vor. Dabei umfasst eine Beauftragungsstufe immer bestimmte Leistungsphasen nach der HOAI. Der Vertrag beginnt mit Stufe 1. Nur dann, wenn Stufe 2 abgerufen wird, ist diese auch beauftragt. Der Unternehmer hat also von Beginn an keinen Vollauftrag, sondern nur einen fragmentierten Auftrag, bezogen auf bestimmte Leistungen. Ganzheitliches Denken und Handeln im Sinne des Projekts wird durch Stufenverträge geradezu verhindert, denn der Unternehmer kann nur das Beauftragte abrechnen. Denkt er weiter oder erbringt er Leistungen aus späteren und noch nicht beauftragten Leistungsphasen, wäre dies wirtschaftlich unsinnig für ihn. Mit diesen Stufenaufträgen wollte sich die öffentliche Hand offenbar Kosten im Fall von sonst sehr teuren freien Kündigungen gem. § 648 BGB ersparen. Denn bei einer freien Kündigung gem. § 648 BGB eines Architekten- oder Ingenieurvertrages besteht die Gefahr, dass auch die noch nicht erbrachten, aber beauftragten Leistungen mit einem in der Praxis zumeist nur sehr geringen Abschlag vollständig vergütet werden müssen. Um dieses mitunter immense Kostenrisiko für den Fall der freien Kündigung zu reduzieren, wurden Stufenverträge erfunden. Dass damit aber das Mitdenken und das Engagement der Planer deutlich eingeschränkt wird, nehmen ihre Verwender in Kauf. Hier siegt vermutlich die Angst vor Kostenrisiken über dem Interesse an ihrer Komplexität entsprechend ganzheitlich abgewickelten Projekten. Dieser Zusammenhang wird selten so klar gesehen. Dort wo sich Projektpartner frei entscheiden können, also meist bei privaten Bauvorhaben, sollten sie sich für die gesamte Projektdauer binden, um eine mög-
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lichst hohe Verbindlichkeit, Verantwortlichkeit und Motivation, im ganzheitlichen Sinne für das Projekt zu erreichen. Wer Angst vor dem Kostenrisiko einer freien Kündigung hat, sollte diese vermeiden, indem er ganzheitliche Projektabwicklung betreibt und damit in eine faire und konstruktive Umgangsweise und Einigungskultur zu seinen Vertragspartnern investiert.
6.3.3 Die VOB/B ist ungeeignet für partnerschaftliche Zusammenarbeit Die VOB/B ist ein vom Deutschen Vergabe- und Vertragsausschuss (DVA) entwickeltes und fortgeschriebenes Klauselwerk, das als Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) für Verträge über Bauleistungen von der öffentlichen Hand anzuwenden ist. Sie wird seit 1926 als DIN 1961 herausgegeben. Auch heute, nahezu 100 Jahre später, sind Teile der VOB/B 1926 in der aktuellen Fassung in wesentlichen Teilen weitgehend gleichlautend enthalten.
6.3.3.1 Weshalb bestimmt die VOB/B die meisten Verträge in der Ausführung? Die VOB/B ist also kein Gesetz und doch hat sie branchenweite Wirkung. Dies liegt daran, dass in der Weimarer Republik der Gesetzentwurf über das „Verdingungswesen“, also die vertraglichen Ausgestaltungen für Bauleistungen, mit großer Mehrheit abgelehnt wurde. Um nun dennoch branchenweit einheitliche Vertragsregelungen zu haben, wurde vom Reichsfinanzministerium der Reichsverdingungsausschuss (RVA) eingesetzt und damit beauftragt, eine eigenständige Verdingungsordnung, mithin die VOB/B zu erschaffen. Dieser Ausschuss war paritätisch mit Vertretern der Auftraggeber- und der Auftragnehmerseite besetzt. 1947 wurde er zum Deutschen Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA). Die VOB/B wurde über mehrere Jahrzehnte hinweg zum marktbeherrschenden Regelwerk, nicht zuletzt, weil die öffentliche Hand die VOB/B bei öffentlichen Aufträgen über Bauleistungen zu verwenden hat. Damit wirkt sie im Grunde wie ein Gesetz jedenfalls im Bereich der öffentlichen Bauvorhaben. Private Auftraggeber waren noch nie dazu verpflichtet, die VOB/B zu verwenden, dennoch wird sie auch hier üblicherweise zum wesentlichen Vertragsinhalt.
6.3.3.2 Die VOB/B ist dem Auftragnehmer gegenüber unfair Ist die VOB/B als Ganzes in den Bauvertrag einbezogen, so genießt sie eine vom Richterrecht bestätigte Privilegierung, sodass ihre Klauseln keiner gerichtlichen Kontrolle unterzogen werden dürfen. Vereinbaren aber die Vertragsparteien kleinste Abweichungen, dann sind alle Klauseln der VOB/B isoliert nach dem
6.3 Kurze, faire und lebendige Verträge
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Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, insbesondere nach § 307 Abs. 2 BGB, gerichtlich überprüfbar. Diverse gerichtliche AGB-Kontrollen einzelner VOB/B Klauseln zeigten auf, dass diese unfair sind und die Auftragnehmerseite unangemessen benachteiligen. Zudem verschiebt die VOB/B ganz bewusst die Verhandlungsmacht der Parteien zugunsten der Auftraggeberseite, wenn sie dem Auftraggeber in § 1 Abs. 3 VOB/B ein einseitiges Anordnungsrecht zugesteht, dem der Auftragnehmer nachkommen muss. Dies widerspricht der gesetzlichen Wertung, denn § 650 b BGB sieht vor, dass sich die Vertragsparteien zunächst über Änderungswunsch und Anpassung der Vergütung einigen sollen. Nur wenn dies nicht binnen 30 Tagen gelingt, kann der Auftraggeber Änderungen anordnen. In der gesetzlichen Wertung wird den Verhandlungen der Parteien ausreichend Raum gelassen und dem Auftraggeber die spätere Möglichkeit der einseitigen Anordnung von Änderungen, nebst gerichtlicher Durchsetzung eröffnet. Die VOB/B geht dagegen von dem Bild eines „königlichen Auftraggebers“ aus, der einseitige Anordnungen treffen kann, wie es ihm gefällt. Dieser Grundsatz wird auch in der aktuell angekündigten neuesten Fassung der VOB/B voraussichtlich zwar abgemildert aber im Grunde doch beibehalten. Die Benachteiligung der Auftragnehmerseite liegt hier darin, dass Änderungen des Vertrages jederzeit einseitig vom Auftraggeber vorgenommen werden dürfen. Dies ist ein Eingriff in das Gleichgewicht des Vertrages und die Privatautonomie. Isoliert betrachtet ist daher § 1 Abs. 3 VOB/B eine rechtlich zumindest bedenkliche Vertragsklausel. Ein anderer Punkt der Benachteiligung ist etwa auch, dass der Auftragnehmer gem. § 6 Abs. VOB/B keinen Anspruch auf Berücksichtigung von baubehindernden Umständen hat, wenn er diese nicht unverzüglich dem Auftraggeber schriftlich mitteilt. Spricht er mit dem Auftraggeber nur darüber, dann begibt er sich in die Verzugsgefahr und verliert Bauzeitverlängerungsansprüche und entsprechende Nachtragsansprüche, allein weil er dem Schriftlichkeitserfordernis nicht nachgekommen ist. Isoliert betrachtet ist § 2 Abs. 6 VOB/B daher eine unfaire Vertragsklausel. Ebenso verhält e sich mit Prüf- und Hinweispflichten gem. §§ 4 Abs. 3 und § 13 Abs. 3 VOB/B. Hier wirken die Bedenkenhinweise nur dann enthaftend, wenn sie schriftlich mitgeteilt wurden. Auch dies ist zumindest zweifelhaft, weil die Frage des Haftungsrisikos nicht daran fest gemacht wird, ob es einen inhaltlichen Bedenkenhinweis gab oder nicht, sondern nur daran, ob dieser Hinweis schriftlich erfolgt war. Die Risikoverteilungen der VOB/B sind im Verhältnis zu dem im BGB vorgesehenen rechtlichen Rahmen deutlich zulasten des Auftragnehmers vorgenommen, denn im BGB können die Behinderungsanzeigen und Bedenkenhinweise auch mündlich erfolgen, um wirksam, zu sein.
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
6.3.3.3 Fazit zur Tauglichkeit der VOB/B für ganzheitliche Projektabwicklung • In Bauverträgen, die die VOB/B als Allgemeine Geschäftsbedingung einbezogen haben, begegnen sich Auftraggeber und Auftragnehmer nicht auf Augenhöhe. • Die VOB/B benachteiligt Auftragnehmer, da sie wesentlich mehr Pflichten des Auftragnehmers als solche des Auftraggebers vorgibt, obwohl es beim Bauen und Planen auch entscheidend auf dessen Mitwirkung ankommt. • Zudem nimmt die VOB/B an diversen Stellen eine Risikoverschiebung im Vergleich zu der BGB-Wertung zum Nachteil der Auftragnehmer vor, etwa im Fall von Baubehinderungen und seinen Folgen. Die VOB/B gibt demnach dem Auftragnehmer einen unfairen Regelungsrahmen vor. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die VOB/B vom DVA also auch von Vertretern der Branche mitausgehandelt wurde, denn allein durch die paritätische Besetzung des DVA kann das objektiv vorliegende Ungleichgewicht nicht ausgeglichen werden. Auftragnehmer werden im Falle einer öffentlichen Ausschreibung dazu gezwungen, entweder einen unfairen Vertrag abzuschließen oder den Auftrag nicht zu erhalten. Unter diesen Umständen haben viele Auftragnehmer über Jahrzehnte gelernt, mit diesen unfairen Vertragskonditionen umzugehen und betreiben seit Jahren proaktives Claim-Management, um den vielen Anforderungen der VOB/B gerecht zu werden und die knapp kalkulierten Preise durch Bedenken-Fristen-Nachtragsspielchen aufzubessern. Dem müssen nun die Auftraggeber Anti-Claim-Management-Strategien entgegensetzten.10 In keiner anderen Branche wird so viel gestritten wie am Bau. In keiner anderen Branche gibt es branchenweit einheitliche und zwingend anzuwendende unfaire AGBs. Mit der VOB/B und dem Zwang diese nun seit fast 100 Jahren zu verwenden hat eine ganze Branche gelernt, sich zu misstrauen und zu streiten statt miteinander zu reden. Verträge müssen fair und ausgewogen sein, wenn ganzheitlich und verantwortlich gehandelt werden soll. Wie gezeigt, bewirkt die VOB/B das Gegenteil. Es gilt Vertragsgestaltungen zu entwickeln, die in der Lage sind, den Erfolg des Gesamtprojekts im Blick zu haben, die Zusammenarbeit zu
10 Siehe
hierzu Sindermann/Sonntag, Anti-Claim-Management, Baubetrieblich und baurechtlich optimierte Projektrealisierung, Hürth, 2020,
6.3 Kurze, faire und lebendige Verträge
103
fördern, sich den Veränderungen, die sich Laufe eines jeden Projekts ergeben, anzupassen und dabei noch fair und klar verständlich zu sein.
6.3.4 Die Rechtsbeziehungen zwischen allen Projektpartnern Grundsätzlich werden Werkverträge, Bauverträge und auch Architekten- und Ingenieurverträge jeweils in der Zweierbeziehung Auftraggeber – Auftragnehmer abgewickelt. Eine vertragliche Verbindung zwischen den unterschiedlichen Unternehmern auf Augenhöhe ist in der herkömmlichen Projektabwicklung unbekannt. Dadurch bleiben Kooperationschancen ungenutzt und nachhaltige Wertschöpfung wird erschwert.
6.3.4.1 Die Einzelvergabe Die in der Projektabwicklung durchaus übliche Projektorganisationsform Einzelvergabe bzw. Los-Vergabe, bei der der Auftraggeber mit jedem Auftragnehmer einzeln durch einen Werkvertrag verbunden ist, führt zur Fragmentierung des Projektabwicklungsprozesses. Jeder Unternehmer betrachtet aufgrund seines Einzelvertrages vor allem sein Vertragsverhältnis und möchte hier den besten Gewinn bei minimaler Haftung erzielen. Das Gesamtwerk wird durch diese Vertragsstruktur automatisch aus dem Blick verloren. Allein die Vereinbarung einer „Charta der guten Zusammenarbeit“ reicht nicht aus, um die vielen Vertragspartner zur gelingenden Zusammenarbeit zu bewegen.
6.3.4.2 Die GU-Vergabe Pauschalverträge über ganze Bauwerke geht der Bauherr mit einem Vertragspartner, in der Regel mit einem Generalunternehmer, ein, während Einheitspreisverträge mit einer Mehrzahl von Auftragnehmern, die jeweils für bestimmte Lose beauftragt werden, abgeschlossen werden. Aufgrund der vergaberechtlich geforderten Mittelstandsförderung werden Einheitspreisverträge mit einer Vielzahl von Auftragnehmern, die ggf. in Losen zusammengefasst sind, von der öffentlichen Hand bevorzugt. All diese Verträge sind Leistungsverträge, die zu einem Preiswettbewerb führen und dabei Qualitätsaspekte vernachlässigen. Damit sind diese Vertragsgestaltungen ebenfalls kooperationsunfreundlich.
6.3.4.3 Die innovative ARGE Wer dennoch die Zusammenarbeit der Unternehmen untereinander ganzheitlich regeln will, kann dies durch eine sogenannte innovative ARGE tun. Erfolgt
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
die Ausschreibung so, dass sich Planungs- und Bauunternehmen als ARGE um den Auftrag bewerben dürfen, dann schließen sich Unternehmen, die sich kennen und vertrauen für die Abwicklung eines Bauprojekts zusammen. Bei der innovativen ARGE werden die Unternehmen Geschäftspartner auf Zeit und stehen – anders als beim Mehrparteienvertrag – aber als Vertragspartner dem Auftraggeber gegenüber. Es gilt im Verhältnis zum Auftraggeber das Werkvertragsrecht und innerhalb der ARGE, die selbst eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist, das Gesellschaftsrecht. Damit haben die ARGE-Partner untereinander klare Rechte und Pflichten. Im Außenverhältnis haften sie gemeinsam für den Gesamterfolg des Projekts und im Innenverhältnis regeln sie ggf. eine Beschränkung der Haftung auf die jeweils eigenen Beiträge der einzelnen Partner. Alle Auftragnehmer sind automatisch am Gewinn und Risiko beteiligt. Die ARGE hat sich über die Jahre in der Baubranche bewährt. Die innovative ARGE regelt darüber hinaus das partnerschaftliche Zusammenwirken der ARGE-Partner beim Planen und Bauen.11 Dies ist auch im Sinne einer ganzheitlichen Projektabwicklung, weil die beteiligten Unternehmen als „ARGE Planen und Bauen“ automatisch das gesamte Bauwerk im Blick haben. Zu diesem Ergebnis ist auch die Studie „Innovative ARGE“ gekommen.12
6.3.4.4 Der Mehrparteienvertrag Für komplexe Bauprojekte, die im Wege der Integrierten Projektabwicklung (IPA) organisiert werden, wurden Mehrparteienverträge konzipiert, die als eigene und noch nicht im BGB vorkommende Vertragsart verstanden sein wollen.13 Sie regeln die Rechtsbeziehungen aller Beteiligter in einem Vertragswerk. Hier sitzt der Auftraggeber mit im Boot und ist nicht das Gegenüber. Zudem enthalten diese Verträge gemeinsame Ermittlungen der Kosten, rechnen auf Kostenerstattungsbasis ab und beinhalten als besondere Motivation der Zusammenarbeit einen Gewinn- und Risikotopf an dem alle beteiligt sind. Da die Mehrparteienverträge eine besonders komplexe Rechtsgestaltung darstellen, eignen sie sich vermutlich tatsächlich nur für die sehr seltenen und äußerst komplexen Bauprojekte, für die sie konzipiert wurden.14
11 Vgl.
Studie Innovative ARGE, S. 56 ff. Studie Die Innovative ARGE, S. 52 ff. 13 Warda, J., Die Realisierung von Allianzverträgen im deutschen Vertragsrecht, BadenBaden, 2020, S. 157 ff. sowie Fazit. 14 Vgl. Studie Alternative Vertragsmodelle. 12 Vgl.
6.3 Kurze, faire und lebendige Verträge
105
6.3.5 Die Lösung: Kurze, faire und verhandlungsfreundliche Verträge – agil und mitwachsend! Ob innovative ARGE, GU oder klassische Einzelvergabe, wichtig ist für eine ganzheitliche Projektabwicklung, dass alle Vertragspartner, auch etwaige Subunternehmer, untereinander und im Verhältnis zum Auftraggeber die gleichen vertraglichen Rahmenbedingungen haben. So kommt es unter den Auftragnehmern weniger zu Neid und Misstrauen und die Form der ganzheitlichen Zusammenarbeit ist Vertragspflicht aller Vertragsparteien.
6.3.5.1 Ein kurzer, fairer und lebendiger Vertrag für alle Ein kurzer, fairer und lebendiger Vertrag, ist die Lösung für nachhaltige Wertschöpfung und mehr Freude in der Projektabwicklung (Abb. 6.5). Gibt der Vertrag einen fairen Rahmen vor, kann Vertrauen zwischen den Partnern entstehen und wachsen. Ist der Vertrag kurz und klar formuliert, kann ihn jeder Partner gut verstehen und ist in der Lage, die eigenen und die Vertragspflichten der anderen Seite zu erkennen. Ein lebendiger Vertrag ist einer, bei dem die Partner im guten Gespräch sind als Ausdruck ihrer Kollaboration. Er muss genug inhaltlichen Raum lassen, damit sich die Partner über alle Themen, die für sie wichtig sind, noch austauschen können. Bei sehr umfangreichen Verträgen, die scheinbar schon alle Eventualitäten geregelt haben, besteht kein Gesprächsbedarf mehr. Hier ist schon alles gesagt und Eventualitäten vorausgedacht, die Risikoverschiebungen unsichtbar gemacht.
Abb. 6.5 Überblick zu den kurzen, fairen und verhandlungsfreundlichen Verträgen
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
Diese oft undurchschaubaren Verträge führen dann bei Problemen sehr schnell zu rechtlichen Argumentationen, weil man sich ja auf den Vertrag und die darin enthaltenen Wertungen bezieht. Rechtliche Konsequenzen folgen. Diese Schieflage gilt es bewusst zu vermeiden. Ein Vertrag ist für die Projektabwicklung nur dann gut, wenn er alles wesentliche regelt, anpassungsfähig ist und Konflikte vermeidet. Deshalb reicht es aus, wenn der Vertrag kurz und knapp nur die wesentlichen Punkte der Leistung und der Zusammenarbeit klar und verständlich regelt und nicht übersäht ist mit unfairen Risikoverschiebungen und Fallstricken, die die Partner so gar nicht wollen, oder nicht erkennen. Da das BGB einen gesetzlichen Vertragsrahmen bereithält, können Verträge auch tatsächlich ganz kurz sein und sich nur auf die wesentlichen Kernbestandteile des Geschäfts konzentrieren, denn für alle anderen Fragen, etwa Verzug, Gewährleistung, Schadensersatz, Änderungen, Kündigung, Rücktritt, etc. gibt es gesetzliche Regelungen, die, falls die Parteien zu keiner Einigung kommen, immer noch einen faireren rechtlichen Rahmen bieten als so mancher Standardvertrag, der einseitig vorgegeben wird. In der Einigung der Parteien steckt die höchste Qualität der Fairness, denn zur Einigung haben beide ja gesagt.15 Darüber hinaus sind in den Regelungen des BGB eine Vielzahl von Wertungen enthalten, die ebenfalls einen hohen Gerechtigkeitsanspruch besitzen und zudem offen zugänglich, vielfach interpretiert und gelebt sind, sodass diese für jeden Partner klar sind. Bei einem Vertrag mit Gesprächsoption können sich die Partner wieder freuen, denn sie bleiben im Gespräch und das ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für Vertrauen. In ihren Gesprächen, Verhandlungen und Entscheidungen werden sie zusätzlich durch die Projektführung und die Mediatoren dabei unterstützt, konstruktiv und wertschöpfend zu agieren. So wie das Projekt selbst, so wächst auch der Vertrag und dies im positiven Sinne durch eine Vielzahl von Einigungen, die die Parteien gemeinsam treffen werden. Es wird nicht um Änderungen gefeilscht und gezerrt, sondern es geht um Konkretisierungen, um das, was mit Blick auf eine nachhaltige Wertschöpfung im und durch das Projekt am besten machbar ist.
15 Hier
wird der Rechtsgrundsatz verwirklicht, wonach dem Wollenden kein Unrecht geschieht.
6.3 Kurze, faire und lebendige Verträge
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Steckbrief Der Kurze, faire und lebendige Vertrag Was steckt dahinter? Kurz ist der Vertrag am Anfang und er wächst ganz absichtlich mit dem Projekt mit. Der Vertrag ist lebendig wie das Projekt selbst. Wie geht das? Der Vertrag ist nur ein Rahmen mit wesentlichen Eckpfeilern hinsichtlich der Leistung und gegenseitigen Pflichten im Hinblick auf die Kommunikation, Zusammenarbeit, die gemeinsamen Kosten, die Führung, Mediation und Informationsmanagement und Datenschutz. Die Abrechnung erfolgt nach dem Selbstkostenprinzip plus einem zuvor ausgehandelten festen Wagnis- und Gewinnzuschlag oder auf der Basis der Stundenabrechnung. Ein Maximalbudget wird vom Auftraggeber für den konkreten Vertrag festgelegt. Ein Regulativ für Schlechtleistung ist festzulegen ebenso wie eine Deckelung im Falle der Stundenabrechnung vorzunehmen ist. Alles andere, wie etwa die konkreten Leistungen, der Umgang mit Fristen, Budget und der Gewährleistung wird im Wege der obligatorisch stattfindenden Verhandlungen und Entscheidungsprozesse konsensual festgelegt. Weshalb braucht es keine langen und undurchsichtigen Verträge mit AGBs? In Deutschland haben wir durch das BGB einen fairen gesetzlichen Rahmen für alle Vertragsarten, die in der Projektabwicklung vorkommen. Wir brauchen hierzulande wirklich nur das Wesentliche zu regeln. Wenn etwas schieflaufen sollte, gibt das Gesetz faire Reglungen vor. Die VOB/B wird nicht benötigt. Was gilt, wenn die Leistung nicht konkretisiert wird und die Verhandlungen ins Stocken geraten? Es besteht die Pflicht zu Verhandeln. Die Partner werden dabei umfassend unterstützt. Sollte einmal keine Einigung hinsichtlich einer Konkretisierung einer Vertragsleistung stattfinden, dann würde die Konkretisierung als Änderung gewertet werden. Kommt innerhalb von 30 Tagen nach dem Änderungsbegehren keine Einigung zustande, dann hat der Auftraggeber
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gem. § 650 b Abs. 2 BGB das Recht, diese Änderung anzuordnen. Die Bezahlung der Leistung erfolgt dann gem. § 650 c BGB wiederum nach dem Kostenerstattungsprinzip. Was gilt, wenn sich die Parteien über Themen wie Gewährleistung, Verzug, Schadensersatz etc. streiten? Der kurze, faire und lebendige Vertrag ist darauf. Verantwortung wird da übernommen wo sie hingehört. Wenn also jemand etwa einen Schaden zu vertreten hat, dann wird in den obligatorischen Verhandlungs- und Entscheidungsrunden darüber gesprochen. Finden die Parteien zu keiner Einigung, obwohl sie hier durch die projektinternen Mediatoren unterstützt wurden, dann wird sofort aktiv Konfliktmanagement betrieben, um die Angelegenheit für alle Seiten verständlich zu machen und wertschöpfend konstruktiv zu lösen. Hierzu werden die Parteien zunächst von den projektinternen Mediatoren unterstützt, sollte dies nicht zu einer zufriedenstellenden Lösung führen, dann werden in einem nächsten Schritt externe Mediatoren eingeschaltet. Können die kurzen, fairen und lebendigen Verträge in jeder Projektabwicklung eingesetzt werden? Ja, im Grunde schon. Aber der öffentliche Auftraggeber hat die VOB/B in die Verträge einzubeziehen und so lange dies so ist, wird es leider nur bei privaten Projektabwicklungen die Möglichkeit der kurzen, fairen und lebendigen Verträge geben.
6.3.5.2 Der Vertragsinhalt konkret Für Verträge mit Einzelunternehmern oder auch mit Generalunternehmern, empfiehlt es sich, einen einfachen und sehr kurzen BGB-Werkvertrag in seiner Ausgestaltung als Bauvertrag bzw. Architekten- oder Ingenieurvertrag zu vereinbaren, in dem hauptsächlich nur „essentialia negotii“, also die Kernelemente des Vertrags16 geregelt sind. Die Kernelemente des Werkvertrages sind die Leistung und deren Abrechnung auf Basis der Kostenerstattung. Die Leistung kann zunächst funktional bzw. pauschal ausgeschrieben sein und es wird bereits im Vertrag vermerkt, dass Details noch im Verhandlungsweg konkretisiert oder geändert werden können. 16 Kernelemente
des Vertrages, also Leistung und Vergütung.
6.3 Kurze, faire und lebendige Verträge
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Da die Vergütung auf der Basis der Kostenerstattung erfolgt, ist es für den Unternehmer wirtschaftlich kein Nachteil, wenn Änderungen angeordnet werden, denn er erhält seine Kosten erstattet. Umgekehrt kann er aber nicht von Kündigung einzelner Posten sprechen, wenn der Rahmen bestehen bleibt, aber angedachte Details weggelassen werden sollen. Nachhaltigkeit und andere Qualitätsmerkmale der Leistung sowie der Zeitrahmen können ebenfalls zunächst generell vorgegeben werden und sind dann im Detail noch von den Parteien zu definieren. Wichtig ist es hierbei von Anfang an Werte und ein generelles Projektziel festzulegen. Darüber hinaus ist ein wesentlicher Regelungspunkt die kollaborativen Zusammenarbeit, die Werte und Prinzipien der Zusammenarbeit, die Anerkennung der Projektführung und die der projektinternen Mediatoren. Hier sind dann auch Handlungspflichten wie die Teilnahme an den Verhandlungs- und Entscheidungsprozessen zu vereinbaren sowie die Pflicht, das Projekt und auch alle Partner stets zu unterstützen. Ergeben sich im Laufe der Vertragserfüllung Themen, die aus Sicht einer Partei regelungsbedürftig sind, dann sind die Parteien des Vertrages dazu verpflichtet, darüber zu verhandeln und sich auf eine interessengerechte Lösung zu einigen. Auf diese Weise erhalten sich die Vertragspartner die maximale Autonomie. Auf standardisierte Vertragsklauseln, insbesondere AGBs, HOAI und VOB/B muss verzichtet werden, haben sie doch meist den Sinn, dass Risiken vom Verwender der Klauseln hin zum Vertragspartner verschoben werden. Dies fördert schon von Anfang an das Misstrauen der Vertragspartner, demotiviert bei der Zusammenarbeit und führt zu Konflikten. Es ist also aus ganzheitlicher Sicht und zur Förderung einer guten Zusammenarbeit sowie einer konstruktiven Kommunikationskultur empfehlenswert, sich von Vornherein das Weiterverhandeln des Vertrages vorzunehmen, statt umfangreiche Vertragswerke zu entwerfen, die die Parteien geradezu davon abhalten, konstruktiv miteinander zu sprechen. Dieser Vertrag lebt, er ist agil und passt sich automatisch durch kontinuierliche Einigungen den sich verändernden Rahmenbedingungen des Projektes an. Es ist ein Vertrag der mitwächst. Die Vorstellung ist, dass nicht unzulängliche Leistungen ständig verändert werden und sich darum gestritten wird, was wie abgerechnet wird, sondern, dass tatsächlich eine dem Stand des Projekts entsprechende Vertragssituation entsteht und Leistungsbeschreibungen festgelegt werden, wenn sich die Parteien über deren Inhalt wirklich sicher sind. So entsteht das allseitige Verständnis, dass der Vertrag zu Beginn unvollständig ist und weiterverhandelt wird und auf diese Weise durch eine Vielzahl von verhandelten Einigungen wächst.
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
Diese Verträge sind fair, weil sie offen und transparent verhandelt werden. Die Fairness steckt in den vielen Einigungen. Findet keine Einigung statt, kann notfalls noch auf § 650 b Abs. 2 und § 650 c BGB zurückgegriffen werden.
6.3.5.3 Beispiel: Inhalt des lebendigen Vertragsrahmens Nachfolgend ist der mögliche Inhalt des lebendigen Vertrages, der durch die Weiterverhandlungen stetig wächst und sich den Anforderungen des Projekts anpasst, dargestellt. Der Vertrag benötigt einen klaren Rahmen, der Sicherheit gibt und er benötigt Teile, die anpassungsfähig sind. Damit entsteht eine neue Qualität von Bau- und Werkverträgen, die man auch als agile Verträge bezeichnen kann. Möglicher Vertragsinhalt I. Projektziel: Sinn und Zweck des Projekts II. Pflichten der Partner (Auftraggeber und Auftragnehmer gleich ermaßen) Kooperationspflicht: Pflicht, konstruktiv und kooperativ an allen Prozessen der ganzheitlichen Projektabwicklung aktiv und verantwortlich teilzunehmen, Akzeptanz der Projektführung und der projektinternen Mediatoren Werte der Zusammenarbeit: Transparenz, Informiertheit, Verantwortung, Nachhaltigkeit, gemeinsame Wertschöpfung • Budget: Maximalbudget festlegen • Leistung: Pauschal/funktional beschreiben (Details werden im Rahmen obligatorischen Verhandlungen konkretisiert) • Kosten: Regelungen zu der Zusammensetzung der erforderlichen Kosten, insbesondere Einkaufsstrategien, Umgang mit Materialengpässen und Materialpreissteigerungen, sowie Regelungen zu Lohnkosten und deren Steigerungen und Vereinbarung eines Wagnis- und Gewinnzuschlags.
6.3 Kurze, faire und lebendige Verträge
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• Qualität: Nachhaltige Prozesse und Produkte, Ganzheitliche Projektabwicklung, Qualitätsstandards • Termine: Grober Terminplan, der ebenfalls fortgeschrieben wird. Keine Vertragstermine • Innovationen: Belohnung von Innovationen und Verbesserungen • Informiertheit: Pflicht zu Offenlegung aller projektrelevanter Informationen in Echtzeit, Pflicht sich selbst zu informieren, Datenschutz und Geheimhaltung bzw. Vertraulichkeit III. Kooperative Verhandlungen Durch die vertraglich vorgesehenen Verhandlungen und deren Vereinbarungen wächst der kurze Vertrag mit dem Projekt mit. IV. Dokumentation der Vereinbarungen • Gemeinsame Konkretisierungen zuvor pauschal formulierter Leistungen und Termine. • Gemeinsame Änderungen der Leistung statt Nachtragsstreit oder Kündigungen. • Ggf. einvernehmliche teilweise Reduzierung des Leistungsumfangs. • Innovationen statt Baustillstand oder Mängel. • Gemeinsame Vereinbarungen zu Mängelbehebungen und deren Folgen. • Gemeinsame Vereinbarungen zu Schadensersatzthemen sowie deren Kompensation. • Gemeinsame Vereinbarungen zu Vorschuss, Abrechnung und Sicherheitsleistungen. • etc.…
Es ist zu erkennen, wie die einzelnen Bereiche ineinandergreifen und wie offen der Vertrag ist für Weiterverhandlungen. Daher ist der Vertrag das Zentrum der Agilität und der Transparenz in der Projektabwicklung. Hier laufen alle notwenigen Daten, Fakten und Zahlen ganz automatisch zusammen und dadurch dass diese
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gemeinsam durch die Partner im Wege des sog. Joint- Fact-Finding-Verfahrens17 zusammengestellt werden, ist hier das Konfliktrisiko deutlich minimiert. Die Parteien wissen stets worüber sie reden und wo das Projekt gerade steht. Sie können wissensbasierte Entscheidungen treffen und fortschreiben. Damit handelt es sich um einen agilen Vertrag, der sich integrativ, partnerschaftlich und kollaborativ an den Projektfortschritt und die Bedürfnisse des Projekts, der Partner sowie der vom Projekt Betroffenen anpasst.
6.3.5.4 Mediative Verhandlungsunterstützung Die kurzen, fairen und lebendigen vertraglichen Regelungen reichen völlig aus, denn der ganze Rest ergibt sich aus dem BGB selbst und vor allem anlassbezogen aus den Verhandlungen und Einigungen der Parteien. Im BGB ist alles Wesentliche zum Werkvertragsrecht, Bauvertrags- sowie zum Architekten- und Ingenieurvertrag geregelt.18 Das BGB enthält insofern einen fairen Rechtsrahmen, der keine überraschenden Klauseln enthält, weil er jedem jederzeit zugänglich ist. Es bedarf also keiner Umschulung auf etwaig neue oder überraschende Vertragsklauseln, sondern die Zusammenarbeit erfolgt tatsächlich einheitlich nach dem BGB. Der dem § 650 b BGB zugrunde liegende Einigungsgedanke wurde bei diesem Vertragsmodell institutionalisiert, damit sichergestellt ist, dass die Einigungen mit hoher Wahrscheinlichkeit zustande kommen. Um den Vertrag auf eine ganzheitliche Ebene zu transformieren, ist es erforderlich, das Zusammenwirken im Sinne einer integrativen und kollaborativen Zusammenarbeit zur Vertragspflicht zu machen. Für alle Änderungen, Fristenprobleme, Baubehinderungen, Bedenken und Mängel etc. ist vorzusehen, dass die Vertragsparteien jederzeit unverzüglich im Wege der interessenbasierten und sachgerecht kooperativen Verhandlung Lösungen für auftretende Probleme verhandeln und sich dazu einigen. Dies alles schaffen die Parteien und die ganzheitliche Projektführung, wenn auch der Vertrag und seine Abwicklung als lebendiger Prozess im Sinne eines Lernprozesses begriffen wird. Nur dann trägt er ein adäquates und agiles Zukunftselement in sich. Um den erforderlichen Verhandlungsrahmen zu gewährleisten, muss dem Projekt eine mediative Verhandlungsunterstützung obligatorisch zur Verfügung stehen. Auf diese Weise „wird der Vertrag lebendig von den Parteien weiter gestaltet und wächst im Laufe der Zeit ggf. zu einem dicken „Aktenordner“ 17 weiterführend: 18 Vgl.
https://www.pon.harvard.edu/tag/joint-fact-finding/.
Leupertz/Preussner/Sienz, Bauvertragsrecht, Kommentar, 2. Aufl., 2021, S. S. 27–779. Leinemann/Kues, BGB-Bauvertragsrecht, Kommentar 2. Aufl. 2021, S. 57–746.
6.3 Kurze, faire und lebendige Verträge
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an. Dies ist dann aber ein Ordner voller Einigungen und nicht etwa die „Dokumentation des Versagens“, wie es bei der konventionellen Projektabwicklung der Fall ist. Um durch Verhandlungen möglicherweise entstehende Klüngeleien zu vermeiden, transparent geführt und dokumentiert. So hilft die neutrale, mediativ arbeitende Verhandlungsunterstützung auch der Korruptionsprävention. Darüber hinaus fördern neutrale projektinterne Mediatoren in der Verhandlung die Qualität der Verhandlung und die der Kommunikation. Hier wird Mediation in ihrer Eigenschaft als sog. Deal-Mediation genutzt. Also nicht als Konfliktlösungsinstrument, sondern zur Verhandlungsunterstützung. Oft fällt es den handelnden Personen in Verhandlungs- bzw. Problemsituationen schwer, konstruktiv und wertschätzend zu kommunizieren, weil sie unter Stress geraten. Dann bahnen sich steinzeitliche Denkrahmen und alte Handlungsmuster wieder ihren Weg. Menschen, die sich angegriffen fühlen und vermeintlich ums Überleben kämpfen müssen, kennen nur Angriff, Flucht oder Starre.19 All dies kann nicht zu einer konstruktiven Verhandlung beitragen. Mit einer mediativen Verhandlungsunterstützung jedoch wird der wertschöpfende Handlungsrahmen eröffnet und muss von Anfang an bereitstehen, um den ganzheitlichen Weg der Projektabwicklung voll auszuschöpfen, weil hier im Sinne der Gewaltfreien Kommunikation vorgegangen wird.20 Der mediative Verhandlungsrahmen macht den fairen Interessenausgleich möglich. Stetiges sachgerechtes und wertschätzendes Weiterverhandeln ist ein Lernprozess, der mediativ begleitet werden muss. Der Prozess des Planens und Bauens ist einmalig. Die auftretenden Fragestellungen sind es ebenso. Sie bedürfen Antworten, die von den Vertragsparteien gemeinsam und verantwortlich gefunden werden müssen. Nicht umfangreiche Vertragswerke im Vorfeld der Projektabwicklung und der Leistungserbringung sind erforderlich, sondern das stetige gemeinsame Wachsen mit den Aufgaben und das faire und agile Nachsteuern. Nach dem Rechtgrundsatz „volenti non fit iniuriam“21 liegt in jeder Einigung eine individuelle Fairness, ausgehandelt im Wege des Interessausgleichs durch die verantwortlich handelnden Parteien. Dies ist konstruktive ganzheitliche Konfliktbearbeitung, bei der Zeit, Energie und Kosten gespart werden und die das Projekt voran sowie die Vertragsparteien in ihre Kraft bringt. Daher sind auch die Rechtsbeziehungen der Projektpartner untereinander und zu den Mediatoren im Vertrag unter dem Punkt Ganzheitliche Zusammenarbeit zu regeln. 19 Siehe
oben Thema Kommunikation Abschn. 6.2.
20 Rosenberg,
M., Gewaltfreie Kommunikation, Eine Sprache des Lebens, Paderborn, 12. Aufl. 2016. 21 Zu Deutsch: Dem Wollenden geschieht kein Unrecht.
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
6.4 Vertrauensvolle und wertschöpfende Zusammenarbeit Wenn das bewusste und konstruktive Denken zu einer ebensolchen Kommunikation führt, dann ist die wichtigste Grundlage für eine vertrauensvolle und wertschöpfende Zusammenarbeit gegeben. Sie ist Kernelement der Ganzheitlichen Projektabwicklung (s. Abb. 6.6.) Die Zusammenarbeit der Projektpartner kann so organisiert werden, dass ein kollaborationsfreundlicher Rahmen von der ganzheitlichen Projektführung
Abb. 6.6 Kernelement: Vertrauensvolle und wertschöpfende Zusammenarbeit
6.4 Vertrauensvolle und wertschöpfende Zusammenarbeit
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geschaffen wird. Gleichzeitig ist darauf zu achten, dass der von den Partnern zu vollbringende (Wert-)Schöpfungsprozess erkannt und ermöglicht wird. Es gehört sehr viel Mut dazu, dass Projektpartner die gewohnten Wege des Gegeneinanders in der Projektabwicklung verlassen und vertrauensvoll sowie wertschöpfendend zusammenarbeiten. Gerade in Situationen bei denen die Projektpartner nicht freiwillig kooperieren, sondern eine Kooperationspflicht erfüllt werden muss, ist zu hinterfragen, wie weit die vertrauensvolle und wertschöpfende Zusammenarbeit überhaupt gelingen kann. Hier geht es vor allem um Aufträge der öffentlichen Hand, die im Wege der öffentlichen Vergabe zu nicht ganz freiwilligen Kooperationen führen. Die Zuschlagskriterien können zwar neuerdings sehr viel differenzierter formuliert werden und es muss nicht ausschließlich das günstigste Angebot genommen werden. Wer aber den Zuschlag erhält, ist Vertragspartner. Hier ist möglicherweise aufgrund dieser rein formellen und wettbewerblichen Vertragsanbahnung Vertrauen zwischen den Parteien zunächst nicht vorhanden. Ähnlich verhält es sich ggf. bei Akteurem ggf. aus dem, privaten Sektor, die jahrelang kompetitiv gearbeitet haben. Der Leitfaden Großprojekte, der Leitfaden IPA für Führungskräfte sowie auch das Ergebnis der Reformkommission Bau von Großprojekten, zeigen aber auf, wie wichtig gute Zusammenarbeit für das Ergebnis der Projektabwicklung ist und empfehlen die partnerschaftliche Zusammenarbeit ausdrücklich aus für komplizierte Großprojekte. Um die erforderliche vertrauensvolle Zusammenarbeit zu ermöglichen, ist der Mut einer ganzen Branche erforderlich. Dieser kann nicht vorgeschrieben werden. Allerdings kann ein Weg und ein Handlungsrahmen aufgezeigt werden, wie diese neue Form der Zusammenarbeit gelingen kann.
6.4.1 Mehr als Lean Die Zusammenarbeit in der ganzheitlichen Projektabwicklung stützt sich wie zu Beginn dieses Kapitels dargestellt, auf die Grundsätze der ganzheitlichen Führung.22 Lean Management Methoden werden häufig zur Verbesserung der Zusammenarbeit eingesetzt, um die Effizienz zu steigern.
22 Siehe
Kap. 3 Unterpunkt 1: Ganzheitliche Projektführung.
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6.4.1.1 Der Kern des Lean Ansatzes besteht im Streben nach Perfektion bei gleichzeitiger Vermeidung jeglicher Verschwendung Die Grundsätze der Zusammenarbeit nach Lean können wie folgt dargestellt werden: • Ganzheitliches Verständnis für die Aufgabe • Vertrauen • Kommunikation • Transparenz • Kollaboration In der ganzheitlichen Projektabwicklung sind diese Grundsätze ebenfalls vital. Das grundsätzliche Ziel der ganzheitlichen Projektabwicklung geht über den Lean Gedanken weit hinaus, denn es will den größtmöglichen Nutzen für alle Beteiligten hervorbringen und nicht nur für das Projekt, bzw. den Bauherrn. Der ganzheitliche Ansatz verfolgt ausdrücklich auch die Absicht der nachhaltigen Wertschöpfung für und durch das Projekt, wie es in Kap. 5 näher beschrieben ist. Es geht darum, achtsam und einbeziehend zu wirtschaften. Dabei ist Effizienz ein wesentlicher Punkt. Ein weiterer ist aber die stetige Konzentration auf den Sinn des Projekts und seine Auswirkungen und hierfür auch gesellschaftlich verantwortliche Entscheidungen zu treffen. Denn die Projektpartner sollen im Rahmen flacher Hierarchien ebenfalls erhebliche Entscheidungsspielräume bekommen, die sie im Rahmen nachhaltig wertschöpfend und vor allem verantwortungsvoll ausfüllen.
6.4.1.2 Bei der ganzheitlichen Projektabwicklung geht es zusätzlich um Bildung von Vertrauen Vertrauen wird im Rahmen aller acht Kernelemente ganzheitlicher Projektabwicklung gebildet. Dies ist die Basis erfolgreicher ganzheitlicher Projektabwicklung. In obligatorischen Workshops zur Zusammenarbeit, die vor und während der Projektabwicklung stattfinden, werden die Projektbeteiligten auf ihr Zusammenwirken eingestimmt und können sich von Beginn an in den Prozess integrieren. Unterstützt werden sie dabei von den projektinternen Mediatoren. Im Projektalltag gibt die Projektführung hier immer wieder Impulse im Hinblick auf die Erreichung des Projektziels und fördert das Wir-Gefühl aller Projektpartner, sodass diese optimal kollaborieren können. Die unterschiedlichen Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung greifen gerade bei dem Punkt der Zusammenarbeit optimal ineinander, denn sowohl die lebendige und konstruktive
6.4 Vertrauensvolle und wertschöpfende Zusammenarbeit
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Kommunikation als auch der faire Vertragsrahmen, sowie die nachfolgend noch näher beschriebenen Kernelemente ermöglichen. Übersicht Optimale Kollaboration durch • • • • • • • •
Wertorientierte ganzheitliche Führung Lebendige und konstruktive Kommunikation Faire Verträge Verhandlungen, die integrieren und so zur Wertschöpfung führen Kooperatives Fehler-, Risiko-, und Konfliktmanagement Transparentes Echtzeit-Informationsmanagement Gemeinsames Lernen Nachhaltige Wertschöpfung
6.4.2 Lean Methoden für die erfolgreiche Kollaboration Das Lean Management hat Methoden der vertrauensvollen und kollaborativen Zusammenarbeit entwickelt.23 Diese werden im Bauwesen als Lean Construction Methoden bezeichnet. Sie sind nicht nur für die extrem komplexen IPA Projekte vorteilhaft24, sondern sie sind nahezu universell anwendbar und lassen sich der Projektgröße anpassen. Sie sind auch für den Einsatz in der ganzheitlichen Projektabwicklung als sehr wirksame und bewährte Instrumente der Kollaboration sinnvoll und werden ganzheitlich durch die Projektführung eingebunden, die Lean Construction Kompetenzen besitzt. Die Lean Construction Prinzipien schaffen neue operative Regeln für die tägliche Zusammenarbeit. Es geht um eine Ausrichtung auf die Zuverlässigkeit und Effizienz der Projektpartner. Die Begriffe und Vorgehensweisen werden etwa auf www.glci.de sehr gut präsentiert. Hinter dem Lean Construction stehen zunächst die Prinzipien des Lean Thinking. Diese sind: 1. Kunden-Wert/Bauherren-Wert. 2. Wertstrom. 23 Siehe
Begriffe des Lean Construction in German Lean Construction Institute – GLCI e. V. (2019, S. 39 ff.) 24 Siehe Einleitung, Kap. 1.
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
3. Fluss-Prinzip. 4. Pull-Prinzip. 5. Streben nach Verbesserung • Der Bauherren-Wert Im ersten Schritt, der noch vor oder während der Startphase erfolgen sollte, werden vor allem die Anforderungen des Bauherrn an das Projekt genau bestimmt. So werden Änderungen und Anpassungen der Leistung im weiteren Projektverlauf von Anfang an deutlich reduziert. In der ganzheitlichen Projektabwicklung kann und muss der BauherrenWert aber auch im Laufe der Projektabwicklung immer wieder dem lebendigen Prozess des Planens und Bauens angepasst werden. Es gibt in komplexen Bauvorhaben so viele unvorhergesehene Einflussfaktoren, dass auch die Nutzerinteressen sich im Laufe der Projektabwicklung verändern können. Immer wenn dies geschieht, wird in der ganzheitlichen Projektabwicklung der Nutzerwert erneut konkretisierend definiert. Hierauf müssen und dürfen sich die Projektpartner von vornherein einstellen und werden dabei von der Projektführung unterstützt. • Der Wertstrom Auf der Grundlage des Bauherren-Wertes wird der sog. Wertstrom ermittelt. Hierbei werden alle Prozesse zur Herstellung des Bauprojektes antizipiert und auf etwaige redundante Arbeitsschritte bei Planern oder ausführenden Unternehmen hin untersucht, um diese zu vermeiden. Zudem sollen auch Wartezeiten zwischen den Planungsphasen entfallen. Der Wertstrom definiert alle notwendigen Aktivitäten, die ausgehend vom fertigen Endprodukt (Bauherren-Wert) geplant werden müssen. Auf der Grundlage des genau definierten Wertstromes wird dann eine ausführliche und detaillierte Terminplanung erstellt. • Das Fluss-Prinzip Das Fluss-Prinzip verfolgt den Grundsatz, dass alle Arbeitsabläufe möglichst in einem Fluss erfolgen. Abläufe sind also kontinuierlich und ohne Wartezeiten, um Verschwendung an den Schnittstellen zu vermeiden. Hierdurch wird die Effizienz im Projekt erhöht.
6.4 Vertrauensvolle und wertschöpfende Zusammenarbeit
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• Das Pull-Prinzip Das Pull-Prinzip sagt aus, dass die Leistungserbringung gestartet wird, sobald der Bedarf vorhanden ist. Ziel ist es, hier Transporte, Lagerkosten und Wartezeiten zu vermeiden. Dies mit den heutigen Engpässen auf dem Rohstoffmarkt in Einklang zu bringen und dennoch taktgenau die Baustoffe auf der Baustelle zu haben, erfordert eine besonders gute, konzentrierte und in Abstimmung mit dem FlussPrinzip flexible Planung der einzelnen Leistungen. • Streben nach Perfektion/Verbesserung Das Streben nach Perfektion bzw. die kontinuierliche Verbesserung betrifft ein vorausschauendes Qualitätsmanagement der täglichen Arbeit, um zu erreichen, dass im Grunde jeder Handgriff perfektioniert wird und damit Fehler vermieden werden bevor sie entstehen. Es geht um eine Haltung besonderer Aufmerksamkeit, die in den Arbeitsalltag implementiert wird und zu einer neuen Arbeitsphilosophie führt. Hierzu werden alle Fehler und Probleme bei der Projektabwicklung analysiert und die jeweiligen Ursachen gesucht. Es geht darum, Verantwortung für Fehler zu übernehmen, indem daraus gelernt wird. Ziel ist es, hier ein hohes Niveau an Fehlerkultur zu etablieren, um eine kontinuierliche Verbesserung zu erreichen. Haben die Parteien Angst davor, Fehler zuzugeben, besteht keine Chance, dass daraus gelernt wird.
6.4.3 Das System des letzten Planers Im Zusammenhang mit Lean Construction hat Glenn Ballard das sog. Last Planner® System entwickelt. Die Bezeichnung Last Planner® leitet sich daraus ab, dass die letzten Planer bzw. Unternehmen schon in die frühen Phasen des Projektes miteingebunden werden. Das letzte Unternehmen auf der Baustelle ist meist durch einen Polier vertreten. Das Last Planner® System plant grundsätzlich nach dem Pull-Prinzip, jedoch werden die Handlungsschritte mit zunehmendem Projektfortschritt detaillierter geplant. Der Ablauf des Systems ist wie folgt unterteilt: • Rahmenterminplan • Kooperierender Phasenterminplan • Vorschauplanung • Detailplanung • Auswerten, Lernen und Verbessern
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
Beginnend mit dem Rahmenterminplan werden zunächst die Meilensteine des Projekts gemeinsam grob festgelegt, um sie dann im Phasenterminplan gemeinsam detaillierter betrachten und alle notwendigen Aufgaben für die Erreichung der Meilensteine festzulegen. Der Phasenterminplan wird in kollaborativer Zusammenarbeit aller Beteiligten erstellt, damit Unstimmigkeiten und Redundanzen erkannt und beseitigt werden können. Als Ergebnis der Ebene bzw. Phase zwei liegt ein abgestimmter Ablaufplan vor. In der Vorschauplanung werden alle notwendigen Arbeitsabläufe und die bestehenden Abhängigkeiten in Listenform erarbeitet. Dies schafft einen besseren Überblick zur vorausschauenden Planung und lässt Abweichungen frühzeitig sichtbar werden. Anschließend folgt die Detailplanung, in der alle Aufgaben an die Beteiligten des Projektes in Form einer klaren Zusage übernommen werden. Das Last Planner®System ist dann erfolgreich, wenn die Projektbeteiligten ihre Aufgaben zuverlässig abarbeiten und ihre Zusagen halten. Diese Verlässlichkeit stärkt das Vertrauen im Team und die Qualität der Projektabwicklung.
6.4.4 Taktplanung Die Taktplanung und -steuerung dient als weitere Lean Management Methode der Planung und Steuerung der Leistungserbringung von Beginn der Planung bis hin zur Fertigstellung eines Bauprojektes. Bereits im alten Ägypten beim Bau der Pyramiden war bekannt, dass Rhythmus und Takt wesentlich zur Produktivität beitragen. Die Taktplanung versucht also wiederkehrende Arbeiten in der gleichen Abfolge, die sich durch ein Bauprojekt hindurchziehen zu identifizieren und dann im Rahmen eines Termin- bzw. Taktplans zusammenzufassen. Damit wird der sog. Einarbeitungseffekt, den eingespielte Teams aufweisen, wertschöpfend genutzt.25
6.4.5 Umsetzung der Lean Methoden Die Informationen und Visualisierungen der genannten Lean Methoden sollen allen Beteiligten immer öffentlich zur Verfügung stehen, um sich stets zu informieren und auch interaktiv erledigte Aufgaben ggf. direkt auf den Terminplänen sichtbar zu machen. Damit gewinnt die Zusammenarbeit an Lebendigkeit. 25 Lean
Construction – Begriffe und Methoden, German Lean Construction Institute – GLCI e. V. (2019, S. 39 ff.)
6.4 Vertrauensvolle und wertschöpfende Zusammenarbeit
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Für die Visualisierungen und die Interaktionen werden gemeinsame Begegnungsflächen benötigt. Oft sind dies sog. Big Rooms oder Co-Locations. Dies entspricht einem Großraumbüro oder einer Coworking-Location, die allen Beteiligten des Projektes eine gemeinsame Fläche zum Arbeiten, Besprechen und Abstimmen bietet. Der Big Room wird außerdem für alle Besprechungen mit dem Bauherren und den Beteiligten genutzt. Durch das gemeinsame Arbeiten in einem Raum werden sowohl die Teamkultur gestärkt als auch die Wege für Abstimmungen und Besprechungen verkürzt. Außerdem wird der Grundsatz der Transparenz verwirklicht und die Kollaboration der Beteiligten gefördert. Die „Teeküchenmethode“ ist also im Lean Construction institutionalisiert, basiert aber darauf, dass Menschen ungezwungen zwischen Tür und Angel am besten miteinander in Kontakt kommen.
6.4.6 Projektabwicklung als (Wert-)Schöpfungsprozess – Fehler sind notwendig Die Lean Management Methoden haben einen Produktionsansatz, da sie ursprünglich aus der Automobilindustrie kommen. Dort werden Sachen nach einem vorgegebenen Plan produziert. Verbesserungsmöglichkeiten in der Zusammenarbeit wurden auf die Projektabwicklung übertragen. Allerdings ist Planen und Bauen immer auch ein Schöpfungsprozess. Hier spielt also nicht das Orchester ein bereits komponiertes Stück, sondern die Projektpartner komponieren und produzieren es. Beim Schöpfungsvorgang ist es geradezu unvermeidlich, dass etwas nicht so funktioniert wie sich die Beteiligten es vorher vorgestellt hatten. Derartige Fehler sind so gesehen vorprogrammiert. Daher ist das Bewusstsein, dass es sich bei der Projektabwicklung um einen Schöpfungsprozess handelt essentiell und bedarf ganz besonderer Aufmerksamkeit. Hierzu gibt es in der ganzheitlichen Projektabwicklung ein besonderes Kernelement, nämlich das kooperative Risiko- und Fehlermanagement sowie das kooperative Konfliktmanagement. Damit dieses Kernelement zur Geltung kommen kann, wird es in die Zusammenarbeit eingebettet, indem dort das Bewusstsein für den gemeinsamen Wert-Schöpfungsprozess, idealerweise von der ganzheitlichen Führung, geschaffen wird. Dies geschieht, indem die Bereitschaft alte Wege zu verlassen und neue auszuprobieren aktiv gefördert wird. Nur so sind Verbesserungen überhaupt vom Denkrahmen26 her möglich. Froher Mut und heller Sinn, derartige
26 Siehe
auch Abschn. 3.2.
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
Maxime sollten bei jedem Projektbeteiligten gefördert und unterstützt werden. Sinnvoll ist es auch hier, humorvoll zu moderieren, und zwar so, dass Humor auf Augenhöhe eingesetzt wird. Dann macht er den Blick frei und gibt Raum für Kreativität, die erforderlich ist, um Verbesserungen zu entdecken. Keiner weiß es besser, sondern alle gemeinsam suchen nach der besten Lösung im WertSchöpfungsprozess.
6.4.7 Die Bedeutung der mediativen Begleitung für die Kollaboration Die neue Form der Zusammenarbeit bedeutet auf ganzer Linie eine dramatische Veränderung des Denkens und Handelns der Projektpartner. Diesen Prozess können sie normalerweise allein nicht bewältigen. Hier bedarf es einer geduldigen ganzheitlichen Projektführung sowie eines bereitstehenden Mediatorenteams, um etwaige Rückschritte in alte Verhaltensweisen und Denkmuster frühzeitig zu erkennen und gemeinsam zu bearbeiten. Dies ist aktives und vorausschauendes Changemanagement. Durch diese Maßnahme wird das Risiko verringert, dass durch Rückfälle in alte Handlungsmuster Schaden für die Projektdynamik entsteht. So ist das Risiko des Versagens und des Schadens gering und der Mut der Parteien bezieht sich nur auf individuell zu vollziehende Wandlung im Denk- und Handlungsrahmen, wobei die Möglichkeit der Existenz von Fehlern oder Abweichungen, von Anfang an einkalkuliert ist und im Rahmen eines fairen Prozesses gemeinsam bearbeitet wird. Durch die mediative Begleitung können die im Rahmen der Zusammenarbeit auftretenden ggf. negativen Emotionen der Partner kooperativ, interessengerecht und professionell angesprochen und bearbeitet werden.
6.5 Integrative Verhandlungen und verantwortliche Entscheidungen Ein weiteres Kernelement der ganzheitlichen Projektabwicklung sind Integrative Verhandlungen und verantwortliche Entscheidungen (siehe Abb. 6.7.). Die Zusammenarbeit der Projektpartner besteht zum größten Teil aus Abstimmungen, Verhandlungen und Entscheidungen. Diese Prozesse verlaufen in herkömmlichen Projektabwicklungen meist kompetitiv, versehen mit diversen Strategien und Verhandlungstricks, die dazu dienen, die eigenen Interessen durchzusetzen. So entsteht durch kompetitive Verhandlungsstile und der zugehörigen
6.5 Integrative Verhandlungen und verantwortliche Entscheidungen
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Abb. 6.7 Kernelement: Integrative Verhandlungen und verantwortliche Entscheidungen
aggressiven Kommunikation ein stetiger Kampf um Ressourcen. Macht regiert die Verhandlung. Wo Macht in Verhandlungen eine Rolle spielt, da gibt es auch diverse negative Emotionen, wie Wut, Angst, etc. Zwar werden in kompetitiven Verhandlungen oft auch Kompromisse geschlossen. Diese sind oft aber nicht die beste Lösung für das Projekt oder die Partner. Vielmehr sind diese Kompromisse vergleichbar mit einer Lösung, die heißt, man zieht einen blauen Bergschuh und einen grünen Tanzschuh an. Diese Lösungen passen einfach nicht. Aber jeder hat die Hälfte seiner Forderung bekommen.
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
Daher ist es gerade in der Projektabwicklung unsinnig, Kompromisse erzielen zu wollen, wenn sie das Ergebnis von kompetitiven Verhandlungsstrategien sein sollen.27 Werden also nur Positionen verhandelt, wie etwa, ich will x und der andere will y, ohne auch die Hintergründe hierzu zu kennen, dann ist dieser Verhandlungsstil ein reines Feilschen. So kann aber offensichtlich kein qualitativ hochwertiges Bauwerk entstehen, wesentliche Interessen, wie diejenigen des Projekts selbst, werden hierbei systembedingt übersehen. Reine Machtentscheidungen, etwa aus einer Hierarchie heraus, verpassen meist die Chance, wirklich alle Beteiligten gedanklich und emotional mitzunehmen. Auch wenn sie ggf. in der Sache richtig wären, so erzeugen sie doch enormen Widerstand und dieser ist Gift für jede Zusammenarbeit.
6.5.1 Der Harvard Verhandlungsansatz Seit vielen Jahren bekannt und bewährt ist daher ein kooperativer Verhandlungsansatz, der auch unter dem Namen Harvard Verhandlungskonzept bekannt ist.28 Dieser Verhandlungsansatz hat das Ziel, statt kompetitiv interessengerecht zu verhandeln und auf diese kooperative und sachgerechte Weise sog. Win–WinLösungen zu erzielen. Interessengerecht zu verhandeln bedeutet dabei, dass die von den Verhandlungsparteien verfolgten Positionen und Forderungen hinterfragt werden in Bezug auf die dahinterliegenden Interessen und Bedürfnisse. So wird gegenseitiges Verständnis erzeugt und die Basis für wertschöpfende Lösungen geschaffen. Was ist interessengerechtes Verhandeln? Wie kommt es zu einer Win– Win-Lösung? Beispiel:
Der Auftraggeber hat den Wunsch, statt des Wintergartens nun eine Terrasse zu haben. Dann sind dies zunächst Positionen. Der Auftragnehmer mag hier enttäuscht sein, weil er an der Terrasse weniger verdient und wird sagen, das ist doch keine Änderung, das ist eine Teilkündigung und schon sind wir mitten in einem Konflikt. 27 Siehe
auch Vester, F., Die Kunst vernetzt zu denken, 2. Aufl. 2019, S. 124 ff. Das Harvard-Konzept, Die unschlagbare Methode für beste Verhandlungsergebnisse-erw. und neu übersetzt, 5. Aufl., München, 2021.
28 Fischer/Ury/Patton:
6.5 Integrative Verhandlungen und verantwortliche Entscheidungen
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Wird aber gefragt, weshalb nun der Auftraggeber den Wintergarten nicht mehr möchte und sich etwa herausstellt, dass er nicht in einem solchen Glashaus sitzen möchte und er dadurch ein schlechtes Wohnraumklima befürchtet. An diesem Punkt kann das Interesse erkannt werden, dass es dem Auftraggeber um ein gutes Wohnraumklima geht. Dieses Interesse kann dann der Ausgangspunkt für weitere gemeinsame Gespräche sein. So könnte es sein, dass der Wintergarten im Südwesten tatsächlich eine Gefahr für das Wohnraumklima wäre, während er an der Ostfassade das Wohnraumklima ggf. sehr positiv beeinflussen würde. Gemeinsam können nun die Partner überlegen, ob es möglich ist, den Standort des Wintergartens zu optimieren oder innovative Beschattungslösungen für heiße Sommertage zu finden und damit für beide Partner und das Projekt die beste Lösung zu finden. Dadurch, dass die Partner im Gespräch bleiben und gemeinsam die Forderungen hinterfragen und durch Integration der beiderseitigen Interessen – etwa die des Auftragnehmers auf Ausführung des Wintergartens und die des Auftraggebers hinsichtlich des Raumklimas, ist im Wege kooperativer und unterstützender Gespräche eine gemeinsame und interessengerechte Lösung möglich. ◄
6.5.2 Weshalb das Integrieren der Partner für das interessengerechte Verhandeln so wichtig ist Menschen haben Grundbedürfnisse. Dies wurde unter anderem von Abraham Maslow erforscht, der mit seiner Bedürfnispyramide bekannt wurde. Der Begründer der Gewaltfreien Kommunikation Marshall B. Rosenberg hat den Satz geprägt, dass negative Emotionen der traurige Ausdruck unerfüllter Bedürfnisse sind. Für die gute Zusammenarbeit ist es wichtig, dass ein Wir-Gefühl bei den Partnern entsteht und aufrecht erhalten bleibt. Dies kann durch gemeinsame Werte, Verbundenheit vor allem positive Gefühle geweckt und bestärkt werden. Gute Gefühle entstehen, wenn Bedürfnisse erfüllt werden. Das wichtigste Bedürfnis von Menschen in Verhandlungen ist die Autonomie gefolgt von der Wertschätzung und dem Respekt. Wie kann dem Bedürfnis nach Autonomie in kooperativen Verhandlungen nachgekommen werden? Nun, die Antwort ist faire Einbeziehung der Interessen der beteiligten Partner, durch Freiwilligkeit, Informiertheit, Ergebnisoffenheit, Transparenz und Offenheit. Durch diese Prinzipien erleben die Parteien, dass sie eine Wahl haben und autonom entscheiden können. Eine gute Zusammenarbeit kann nicht erzwungen werden. Das bedeutet auch, dass Machteinsatz hier fehl am Platz ist, sei es Informationsmacht, Stress
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
aller Art, unterschiedliche Verhandlungsmacht etc. Alle dies stört eine interessengerechte Verhandlung. Verantwortliches Wirken und Wirtschaften ist ebenfalls nur im Wege integrativer Prozesse möglich, bei denen sich die Beteiligten nicht als Gegner, sondern als Partner betrachten, denn für einen klaren Kopf ist soziale Verbundenheit wichtig. Daher braucht es eines fairen und verlässlichen Verhandlungsrahmens, wenn eigene und projektspezifisch gemeinsame Interessen aus- und angesprochen werden sollen. Es bedarf des Zuhörens und des echten gegenseitigen Interesses immer Blick auf das Wohl des Gesamtprojekts gerichtet. Wertschätzung und Respekt sind weitere wesentliche Zutaten für eine gelingende Integration der Interessen, denn diese beginnt mit deren Preisgabe. Wer sich zugehörig und gewertschätzt fühlen darf, der wird eher über seine Interessen sprechen, als derjenige, der durch Verhandlungstricks und Machspielchen abgeschreckt wird, auch nur die leistete Kleinigkeit preiszugeben. Um also interessengerecht zu verhandeln bedarf es der Integration der Partner auf Augenhöhe.
6.5.3 Die Weiterentwicklung des Vertrages durch Verhandlungen Aus der Kommunikation der Projektbeteiligten wird ein Bauwerk. Die Projektabwicklung ist ein Schöpfungsprozess. Damit dieses Bauwerk im ganzheitlichen Sinne erfolgreich ist, müssen grundsätzlich alle Verhandlungen sachlich, kooperativ und integrativ geführt werden. Zudem sind aufgrund der kurzen und lebendigen Verträge29 stets gemeinsam Entscheidungen zu treffen. Der Vertrag ist bei Projektbeginn im Detail noch unfertig wie das Projekt selbst. Durch kontinuierliche Verhandlungen werden die Leistungspflichten der Parteien ergänzt und der Vertrag fortgeschrieben. Von Beginn der Projektabwicklung an verhandeln die Projektpartner daher in obligatorischen Verhandlungs- und Entscheidungsrunden und finden hier mittels Interessenausgleich tragfähige Einigungen. In der ganzheitlichen Projektabwicklung geht es darum, optimal integrativ zu verhandeln zum Wohle des Projekts, der Beteiligten und in Verantwortung der Gesellschaft im Sinne der nachhaltigen Entwicklung. Das BGB legt für das Baurecht das Einigungsprinzip fest. Die Qualität der Einigung jedoch kann unterschiedlich sein. In der ganzheitlichen Projektent-
29 Siehe
oben Abschn. 6.3.
6.5 Integrative Verhandlungen und verantwortliche Entscheidungen
127
wicklung sollen durchgängig optimale Einigungen erzielt werden. Dies gelingt auf der Basis von kooperativen und interessengerechten Verhandlungen im Stil des Harvard-Verhandlungs-Modells. Es geht also nicht darum, im Rahmen einer Verhandlung zu feilschen oder einen Kompromiss anzustreben. Ein Kompromiss ist immer eine halbe Sache. Bei der interessengerechten Verhandlung wird etwas viel Besseres gefunden, nämlich eine Lösung, die dem ganzheitlichen Anspruch gerecht wird. Der ganzheitliche Ansatz muss vor allem auch in den Verhandlungen präsent sein, sodass das Ergebnis der Verhandlungen nicht nur den verhandelnden Parteien zu Gute kommt, sondern eben alle ganzheitlichen Aspekte berücksichtigt werden. Dieser Ansatz geht weit über die Einigungsdualität des § 650 b BGB hinaus. So können Entscheidungen im Sinne des Wohls des Projekts, aller Partner und auch des Gemeinwohls getroffen werden. Die Aspekte der Ganzheitlichkeit werden durch ganzheitlich und integrativ handelnde Mediatoren in die Verhandlungen eingeführt, sodass die anhand der bestehenden Interessen sichtbar werdende Komplexität des Projekts bearbeitbar wird und so verantwortlichen Entscheidungen zugeführt werden kann. Zudem sorgen die Mediatoren dafür, dass die Verhandlungen kooperativ und auf Augenhöhe ablaufen. Anders als in typischen Verhandlungssituationen sollen nicht. Damit ist auch ein wichtiger Beitrag für die gute Zusammenarbeit auf strategischer Ebene erreicht und es werden unnötige Konflikte vermieden.
6.5.4 Warum bedürfen integrative Verhandlungen mediativer Unterstützung? Kaum eine Branche hat so viel Erfahrung in Verhandlungen wie die Baubranche. Das Buch „Satanische Verhandlungskunst“ wurde von einem Bauleiter geschrieben. Wir können also davon ausgehen, dass wir es in der Baubranche mit Verhandlungsprofis zu tun haben, die „mit allen Wassern gewaschen sind“. Zu glauben, dass allein mit einer „Charta des guten Verhandelns“ es den so vorgeprägten Projektbeteiligten gelingen wird, ohne Unterstützung von außen, plötzlich fair und integrativ zu verhandeln, ist naiv. Das integrative Verhandeln erfordert eine gute Beziehung der Verhandlungspartner, bewusste Kommunikation, Vertrauen, Offenheit für Neues und transparente Informationsweitergabe. All das ist den „satanischen Verhandlern“ ein Greul, nutzen sie doch Informations- und Machtungleichgewichte bewusst zu ihren Gunsten aus. Bei Verhandlungen der alten Schule geht es meist um das Ausnutzen von momentanen Machtpositionen, das Spielen mit Emotionen, feindliche
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
oder listige Kommunikation, dramatische Abbruchszenarien einer Geschäftsbeziehung, etc. nur um für sich in der Verhandlung das Beste herauszuholen. Hier wird Verhandlung oft als Wettkampf aufgefasst, bei dem derjenige gewinnt, der die andere Seite am meisten über den Tisch gezogen hat. Mit dieser Verhandlungsart ist es unmöglich verantwortliche und nachhaltige Entscheidungen zum Wohle des Projekts, aller Beteiligten und des Gemeinwohls zu treffen. Auch Partner, die sich nicht so diabolisch verhalten, können nicht ohne Unterstützung durch Dritte kooperativ und interessengerecht Verhandeln, selbst wenn sie so starten, wäre die Gefahr, wieder in alte Verhaltensweisen zurückzufallen sehr groß. Da das kooperative und interessengerechte Verhandeln ein zentraler Aspekt der ganzheitlichen Projektabwicklung ist, weil er mit dem Vertrag verbunden ist und Auswirkungen auf die Zusammenart der Parteien hat, ist es für den Erfolg der ganzheitlichen Projektabwicklung wesentlich, dass Verhandlungen durchgehend interessengerecht, integrativ und kooperativ geführt werden. Um dies sicherzustellen, sind die Verhandlungen obligatorisch von den projektinternen Mediatoren im Wege der Deal Mediation zu begleiten. Die neutralen und auf integratives und interessengerechtes Verhandeln spezialisierten Mediatoren eröffnen die erforderlichen Räume, um Rückfälle in kompetitive Verhandlungsmuster bei den Partnern zu vermeiden und neues integratives Verhandeln zu erlernen. Für die meisten Projektpartner ist dies ein intensiver Lernprozess. Die mediativen Verhandlungsunterstützer gewährleisten den für die gelingende Projektabwicklung erforderlichen kooperativen, ganzheitlichen und integrativen Verhandlungsrahmen. Die Methode der Mediation kann nämlich nicht nur für den Konfliktfall eingesetzt werden, sondern bereits vorausschauend zur Unterstützung von Verhandlungs- und Entscheidungsprozessen. In diesem Sinne wird die Methode der Mediation in der ganzheitlichen Projektabwicklung durchgehend eingesetzt.
6.5.5 Der Ablauf integrativer interessengerechter Verhandlungen Bei der integrativen Verhandlung geht es um das Ziel, möglichst Win–WinLösungen zu erreichen. Daher müssen alle Partner kooperieren und zwar zum Wohle des Projekts, jedes Beteiligten und des Gemeinwohls. Hier ist es zunächst erforderlich, sich auf diese Art der Verhandlung immer wieder einzustimmen. Es sind bestimmte Prinzipien erforderlich, die den fairen sachlich-kooperativen Rahmen bilden, der für verantwortliche Entscheidungen die Basis ist.
6.5 Integrative Verhandlungen und verantwortliche Entscheidungen
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Diese Prinzipien sind auch die der Mediation zugrunde liegenden wie die Allparteilichkeit und Neutralität der Mediatoren, die Vertraulichkeit der Verhandlung, die Transparenz und Offenheit sowie die Freiwilligkeit, Informiertheit und Ergebnisoffenheit. Die Phasen der integrativen Verhandlung Phase 1 K ooperativer Verhandlungsrahmen. Phase 2 Themensammlung. Phase 3 Interessen bewusstmachen und gegenseitiges Verständnis. Phase 4 Gemeinsame Lösungssuche. Phase 5 Entscheidungen und Vereinbarungen. Die Phasen verlaufen jedoch nicht linear, sondern dynamisch und agil. Sollte an einer Stelle bemerkt werden, dass die Parteien Themen vergessen haben oder sich etwas Konflikte in der Lösungsphase entzünden, dann leiten die Mediatoren das Gespräch im Einvernehmen mit den Partnern wieder zurück in eine frühere Phase. Phase 1: Kooperativer Verhandlungsrahmen Die Erkenntnisse aus der Hirnforschung und der Psychologie, die zeigen, dass Menschen zunächst unterbewusst schematisch denken, fühlen, kommunizieren und handeln werden hier praktisch umgesetzt, indem zu Beginn der Verhandlung bewusst ein positiver, wertschätzender und kooperativer Rahmen gesetzt wird. So werden Sicherheit und Vertrauen in die Verhandlungssituation vermittelt, sodass die Verhandlungspartner gelassen und konzentriert kommunizieren können. Dabei werden sie auch an die Projektziele und Werte erinnert, sodass ihre Verhandlungen in diesem Rahmen ablaufen können und nicht von Eigennutzinteressen getrieben sind. Dieser Rahmen wird bei jeder Verhandlung gesetzt und aktualisiert. Mit diesem „Mindset“ werden die Verhandlungspartner auf ihre bevorstehende Aufgabe im Rahmen der Verhandlung optimal vorbereitet. Die konstruktive Kommunikation und interessengerechte Verhandlung ist durch die projektinternen Mediatoren professionell abgesichert, sodass einerseits ein Rahmen für Emotionen vorhanden ist und andererseits die Konflikteskalation vermieden werden sowie die frühzeitige sach- und interessengerechte Verhandlung zu optimalen Verhandlungsergebnissen für die Parteien führen
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
kann. Damit ist der erforderliche Rahmen für eine sach- und interessengerechte Bearbeitung der Verhandlungsthemen gegeben, bei dem die Verhandlungs- und Entscheidungsmacht aber stets bei den Projektpartnern verbleibt. Phase 2: Themensammlung Die Verhandlungsparteien legen gemeinsam die Agenda der Verhandlung fest. Alle anstehenden Themen wie etwa Termine, Leistungen, Änderungen bzw. Konkretisierungen etc. kommen auf eine gemeinsame Liste. Die Parteien bestimmen in welcher Reihenfolge die Themen bearbeitet werden. Durch die gemeinsame Bestimmung der Agenda wird vermieden, dass für Partner wichtige Themen untergehen oder zu wenig Zeit für die Themen ist. Bei herkömmlichen Verhandlungen wird die Agenda häufig durch eine Person vorbereitet, die dadurch die größte auch inhaltliche Macht hat über die zu bearbeitenden Themen. Dies kann als unfair erlebt werden und ist zu vermeiden. Selbstverständlich kann die Agenda bereits im Vorfeld der Verhandlung vorbereitet werden und wird in der Verhandlung dann nur noch bestätigt oder gemeinsam geändert. Grundsätzlich sollten aktuelle Themen immer zuerst bearbeitet werden, um die damit verbundenen oft starken Emotionen sogleich bearbeiten zu können. Interessenkonflikte, die im der Projektabwicklung aufgrund der Vielzahl der unterschiedlichen Beteiligten als Normalität zu betrachten sind, werden sichtbar und bekommen frühzeitig Gehör, ebenso wie Querschnittsthemen, die im Vorfeld bei der singulären Betrachtung noch unentdeckt geblieben sind, auf die Agenda kommen. Phase 3: Interessen bewusstmachen und gegenseitiges Verständnis Hinter jedem Thema steht ein Interesse. Wenn alle Verhandlungsparteien, die Interessen, Hintergründe von Interessenkonflikten kennen, dann entsteht gegenseitiges Verstehen und die Komplexität der Fragestellung wird sichtbar. Erst wenn allen Projektpartnern die auf dem Spiel stehenden Interessen bewusst sind, kann gemeinsam nach einer Lösung bzw. Einigung gesucht werden. Hier geht es um Verstehen und Verstandensein, den Perspektivwechsel, der für jede kooperative und interessengerechte Verhandlung erforderlich ist, um die zu verhandelnden Fragen in ihrer Komplexität und Mehrdimensionalität zu verstehen. Nur durch das gegenseitige Zuhören und Verstehen, ist auch die gute Einbeziehung möglich. Erst wenn hier eine gute Basis des Verstehens geschaffen ist, können die Projektpartner im Rahmen der Verhandlung den nächsten Schritt in Richtung Lösung gehen. Nun kennen sie die Eckdaten und Voraussetzungen einer möglichen Wertschöpfung.
6.5 Integrative Verhandlungen und verantwortliche Entscheidungen
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Phase 4: Gemeinsame Lösungssuche Die Partner stellen vor der Lösungssuche gemeinsam fest, anhand welcher Kriterien sie später eine Lösungsoption bewerten möchten. Die mediativen Verhandlungsunterstützer moderieren die Festlegung der Kriterien und achten darauf, dass hier zum einen die in Phase 3 erkannten Interessen und auch die ganzheitlich auf dem Spiel stehenden Interessen ggf. im Hinblick auf Gesellschaft und Nachhaltigkeit einen Platz im Kriterienkatalog finden. Im nächsten Schritt geht es kreativ zu, hierfür geben die Mediatoren den erforderlichen Raum, indem sie etwa humorvoll Kreativitätstechniken anbieten und hierzu anleiten. Nachdem möglichst viele Lösungsoptionen gefunden sind, werden diese anhand der zuvor vereinbarten Kriterien bewertet. So kristallisiert sich ein Einigungsergebnis heraus. Die Mediatoren moderieren dieses und nehmen bewusste Rückbezüge zu den zuvor vereinbarten Kriterien vor. So entsteht eine verantwortliche Entscheidung für eine Lösungsoption. Dabei werden auch die für die einzelnen Projektpartner möglichen Alternativen in die gemeinsame Bewertung von Lösungsoptionen einbezogen. In dieser Phase kann auch die Methode Choosing by Advantages (CBA) angewandt werden. Sie ist ein Werkzeug aus dem Bereich des Lean Construction. Das Besondere hier ist, dass sie ein Verfahren speziell zur Entscheidungsfindung ist, das sich insbesondere auf die Unterschiede in bewerteten Vorteilen verschiedener Entscheidungsalternativen stützt. Es kann Personen und Gruppen dabei helfen die Qualität von Entscheidungen zu verbessern. Die einbeziehende Gestaltung von Entscheidungsprozessen mit dem Ziel, bewusst anhand von Vorteilen Entscheidungen zu treffen, trägt auch zur Qualität der Entscheidungen im Rahmen ganzheitliche Projektabwicklung bei. Phase 5: Entscheidungen und Vereinbarungen Die Parteien finden zu einer gemeinsam formulierten Einigung, die dann als Anhang zum lebendigen Vertrag hinzugenommen wird und die gegenseitigen Vertragspflichten fortschreibt. Die projektinternen Mediatoren achten beim Formulierungsprozess darauf, dass sich hier nicht Formulierungen einschleichen, die die Parteien zuvor nicht besprochen haben oder ggf. unfair formuliert sind. Dokumentation der Einigungen Die Einigungen sind zu dokumentieren, da sie den Vertrag verbindlich fortschreiben als.
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
• Gemeinsame Konkretisierungen zuvor pauschal formulierter Leistungen und Termine. • Gemeinsame Änderungen der Leistung statt Nachtragsstreit oder Kündigungen. • Ggf. einvernehmliche teilweise Reduzierung des Leistungsumfangs. • Innovationen statt Baustillstand oder Mängel. • Gemeinsame Vereinbarungen zu Mängelbehebungen und deren Folgen. • Gemeinsame Vereinbarungen zu Schadensersatzthemen sowie deren Kompensation. • Gemeinsame Vereinbarungen zu Vorschuss, Abrechnung und Sicherheitsleistungen. • Sonstiges … Die Vereinbarungen sollen so gefasst sein, dass sie mit den Werten und Zielen des Projekts im Einklang sind. Sie sollen vorausschauend gefasst sein und nicht nur die nächsten Schritte betreffen.
Wichtig ist außerdem, dass die Vereinbarungen nach dem im Projektmanagement üblichen smart- Prinzip formuliert sind, sodass wirklich genau klar ist, was vereinbart ist und die Einhaltung der Vereinbarung kontrolliert werden kann. Smart meint in diesem Zusammenhang. S- s pezifisch M- m essbar A- akzeptiert R- realistisch T- terminiert
6.6 Kooperatives Risiko-, Fehler- und Konfliktmanagement Das nächste Kernelement der ganzheitlichen Projektabwicklung ist das kooperative Risiko-, Fehler- und Konfliktmanagement (siehe Abb. 6.8.). Der kluge Umgang mit Risiken, Fehlern und Konflikten ist in erster Linie Aufgabe der ganzheitlichen Projektführung. Einerseits sollten diese Punkte nicht tabuisiert werden und andererseits aber auch weder zu streng noch zu nachlässig verfolgt werden. In allen drei
6.6 Kooperatives Risiko-, Fehler- und Konfliktmanagement
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Abb. 6.8 Kernelement: Kooperatives Risiko-, Fehler-, und Konfliktmanagement
Punkten geht es stets darum sie als alltäglich zu akzeptieren, mit dem Ziel sie durch diesen Denkansatz bearbeitbar zu machen, mithin sie zu managen. Ziel des RisikoFehler- und Konfliktmanagements muss es jeweils sein, verantwortliche Lösungen gemeinsam zu finden.
6.6.1 Kooperatives Risikomanagement Risiken gibt es bei jeder Projektabwicklung. Landläufig werden gerne Gefahren mit Risiken gleichgesetzt. Dem ist aber nicht so.
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
Risiken werden üblicherweise durch folgende Faustformel eingeschätzt: (G-M) x (K-M) = R Also (Gefahr minus Maßnahme) multipliziert mit (Konsequenz minus Maßnahme) ist das Risiko. Für die Einschätzung der jeweiligen Variablen sind Daten, Sachverstand und sehr gute Kenntnisse hinsichtlich der tatsächlichen Ausgangswerte und der Maßnahmenwerte erforderlich, um Risiken verantwortlich, also sachlich und nicht emotional oder schematisch abzuschätzen. Beispiel: Der fehlende Detailplan. Gefahr: Baustopp. Konsequenz: Alle Gewerke stehen still. Risiko: Hoher wirtschaftlicher Schaden, wegen der Bauzeitverlängerung und wegen Verzugs.
Empfohlene Vorgehensweise: Beispiel Risikomanagement: Gemeinsam sind wir besser: Gefahr minus Maßnahme: Frühe Einbeziehung von Fachplanern und den ausführenden Unternehmen. Konsequenz minus Maßnahme: Gewerke können umdisponieren und haben ggf. innovative Lösungen, auch zum Detailplan. Risiko: Geringes wirtschaftliches Restrisiko.
6.6.1.1 Risikomanagementsystem in der Projektabwicklung In Bauprojekten wird oft auch neben einem Qualitätsmanagement die Einführung eines Risikomanagementsystems empfohlen.30 Der wichtigste Aspekt des Risikomanagements ist dabei, die Gefahr zu erkennen. Also eine Sensibilität dafür zu entwickeln, wann eine Abweichung von Plänen oder auch QM-Maßnahmen eine Gefahr für Qualität, Zeit und Kosten darstellt. Nur wer eine Gefahr erkennt, ist überhaupt in der Lage, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Im Rahmen eines Risikomanagementsystems werden einerseits die Gefahren im Rahmen der Aufbau- und Ablauforganisation, den Schnittstellen sowie
30 Diederichs
S. 193 f.
in Diederichs/Malkwitz (Hrsg.) Bauwirtschaft und Baubetrieb 3. Aufl. 2020,
6.6 Kooperatives Risiko-, Fehler- und Konfliktmanagement
135
bezüglich der Informations- und Kommunikationssystems betrachtet. Risikomanagement beginnt daher bereits bei der Angebotsauswahl und findet dann stetig und rückkoppelnd vernetzt bei der Angebotsbearbeitung, der Vertragsprüfung, dem Vertragsabschluss, der Arbeitsvorbereitung, der Bauausführung, dem Bauende und schließlich bei der Gewährleistung statt. Wesentlich ist, dass das Risikomanagement ganzheitlich in die Projektabwicklung eingebunden wird, sodass es zu einer gemeinsamen Mission wird. Daher sind die Stakeholder zunächst zu identifizieren, auf Gefahren, Interessen und Möglichkeiten hin zu analysieren und eine gemeinsame Strategie festzulegen, deren Umsetzung zu überwachen ist, um mit den Resultaten des Monitorings rollierend die Risikostrategie gemeinsam mit den Stakeholdern anzupassen und weiterzuentwickeln.31 Mit der projektbezogenen Definition einer individuellen Risikostrategie wird festgelegt, wie erkannte Gefahren bewertet werden und wie mit dem Risiko umgegangen werden soll. Die Strategie kann dabei darauf abzielen, dass die beteiligten Stakeholder einzelfallbezogen eine gemeinsame Strategie festlegen. Dies ist grundsätzlich ein lebendiger Prozess und hängt von dem aktuellen Stadium des Projekts ab. In einem ganzheitlichen Risikomanagementsystem erhalten die Projektbeteiligten durch die gemeinsame Festlegung einer Risikostrategie Sicherheit, denn Gefahren werden erkannt, bewertet und durch gemeinsam festgelegte Maßnahmen gebannt. Funktioniert dieser Weg fair und integrativ, dann wird hierdurch eine wesentliche Grundlage für ein funktionierendes Kollaborieren geschaffen.
6.6.1.2 Kooperatives Risikomanagement in der Projektabwicklungspraxis Diese grundsätzliche Vorgehensweise zur Risikoabschätzung ist einleuchtend und meist auch Standard in Projekten. Allerdings ist es so, dass die Beteiligten einer konventionellen Projektabwicklung teils Risiken falsch einschätzen, weil sie im Katastrophen-Denkrahmen32 feststecken. Gerade beim Risikomanagement geht es ja darum, hinter jedem Vorgang die Gefahr zu entdecken. Hier hat der Katastrophendenkrahmen ggf. auch seine Berechtigung. Im Risikomanagement muss ganz bewusst die mögliche Gefahr erkannt werden.
31 Baumgärnter
in Diederichs/Malkwitz (Hrsg.) Bauwirtschaft und Baubetrieb 3. Aufl. 2020, S. 301 f. 32 Siehe oben 6.2.3. und 6.2.4.
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
Allerdings ist es für den Projekterfolg von wesentlicher Bedeutung, dass die Projektbeteiligten einen gemeinsamen Umgang mit der Gefahr beschließen, sonst passiert das, was oft in Projekten passiert, es wird neurotisch. Jede kleinste Gefahr gibt dann Anlass zu Angst und Schrecken. Dort wo ganzheitliches Risikomanagement nicht konsequent gelebt wird, bleibt es in der permanenten Suche nach möglichen Gefahren stecken und lässt auf diese Weise eine Angstkultur entstehen. Dann entsteht ggf. Panik und Druck hinsichtlich der einen Gefahr, beziehungsweise des Risikos, die dann wiederum eine weitere eigene Gefahr darstellt.
6.6.1.3 Die sich selbst ansteckende Gefahr, die in Projekten umgehet Bewusste und sachgerechte Kommunikation verwandelt sich in solchen Situationen schnell in eine destruktive. Es entsteht eine angespannte bis konfliktreiche Stimmung, in der bald jeder Beteiligte überlegt, wie er nun andere für die Situation verantwortlich machen kann. Vor diesem Hintergrund ist dann kooperatives Risikomanagement nicht mehr ohne weiteres möglich. Gerade an dem Punkt des Risikomanagements zeigt sich, wie ernst es die Parteien mit der ganzheitlichen und kollaborativen Zusammenarbeit meinen. Gerade hier gibt es viel zu verlieren und zu gewinnen. Alte Handlungsmuster sind bekannt: Gefahren entweder übertrieben großmachen oder herabspielen, je nachdem, wem was nützt. Dies wäre der Beginn eines unerwünschten Kreislaufes, der zu Positionen und Forderungen sowie zu Misstrauen und Schutzbehauptungen führt. Ein solcher Vorgang muss erkannt und vermieden werden, denn er stellt für sich gesehen ein Risiko für die kollaborative Zusammenarbeit dar. Daher ist es wichtig, dass die ganzheitliche Projektführung die Risikoanalysen kooperativ moderiert und sicherstellt, dass eine wertschätzende und kooperative Kommunikation mit dem Denkrahmen „Best for Project“ von allen Beteiligten eingenommen werden kann. Die Angst vor Risiken wird in dem Maße sinken, in dem die Beteiligten erleben, dass die Risiken gemeinsam beherrschbar sind und damit die weiterfressenden Gefahren für jeden einzelnen Beteiligten gering bleiben. Zudem ist die mediative Unterstützung nötig, um die unterschiedlichen Interessen der Stakeholder in die Risikostrategie sinnvoll einbeziehen zu können. Keiner möchte sich bei der Projektabwicklung unnötiger Gefahren aussetzen. Es sind aber die Chancen die das Projekt weiterbringen. Diese sind teils in den Risiken verborgen und müssen gehoben werden wie ein Schatz.
6.6 Kooperatives Risiko-, Fehler- und Konfliktmanagement
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Da Risikomanagement in alle laufende Prozesse integriert werden muss, ist es erforderlich, hierüber transparent mit allen zu kommunizieren und eventuelle Ängste und Sorgen der Beteiligten bezogen auf die entdeckten Gefahren aktiv und konsequent anzusprechen und gemeinsam zu lösen. Mit der gemeinsamen Problemlösung werden dann zunächst berechtigte Ängste in Bezug auf die Gefahren beseitigt. Dies beginnt bereits bei der Vertragsgestaltung. Hier sollten die Parteien evtl. Gefahren und Ängste besonders ernst nehmen, denn wird der Vertrag als besonders gefährlich eingeschätzt, dann werden sich die betroffenen Parteien von Anfang an bei der Erfüllung des Vertrages zu schützen versuchen. Dies wiederum lässt eine Kultur des Misstrauens entstehen und die absichernde Dokumentation in den Vordergrund treten. Dies stört eine innovationsfreundliche Kultur der kollaborativen Zusammenarbeit. Der erste Schritt des ganzheitlichen Risikomanagements sind daher fairen und lebendige Verträge.33
6.6.2 Fehlermanagement in der ganzheitlichen Projektabwicklung In der ganzheitlichen Projektabwicklung ist es essentiell, dass sich grundsätzlich alle Beteiligten darüber im Klaren sind, dass Fehler passieren werden. Dies liegt daran, dass wir uns hier in einem einmaligen Schöpfungsprozess befinden und hier immer mit unbekannten Faktoren zu rechnen ist, die zu Fehlern führen können. Allerdings müssen Fehler möglichst schnell und verantwortlich korrigiert werden, damit das Gesamtprojekt optimal unterstützt wird. Das bedeutet, dass Fehler in ihrer Komplexität erfasst werden und ihre Auswirkungen bezogen auf das Gesamtprojekt analysiert und in der Komplexität – also gemeinsam – bearbeitet werden. Es geht darum, dass Verantwortung für Fehler übernommen wird und zwar dort wo sie hingehört. Keiner soll sich verstecken müssen und Fehler anderen zuschieben, um selbst aus der „Schusslinie“ zu sein. Nur wenn die ganzheitliche Projektführung von all den Dingen erfährt, die anders laufen als geplant und die ggf. Fehler sein könnten, sind diese Punkte in der gebotenen Art und Weise, schnell und verantwortlich, zu lösen.
33 Siehe
oben 6.3.
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
Die ganzheitliche Projektführung wird dieses Verständnis über Fehler und deren Management immer wieder aufrechterhalten und in obligatorischen Besprechungen bearbeiten. Dies verlangt von den Partnern Kritikfähigkeit und Verantwortung für Fehler zu übernehmen. Damit aus Fehlern keine weiteren Risiken entstehen ist es auch erforderlich, dass sich die Projektbeteiligten obligatorisch mit Fehlern auseinandersetzen, um Verbesserungen im Schöpfungs- oder auch im Herstellungsprozess vorzunehmen.
6.6.2.1 Einsatz der Lean Methode „A3-Denken“ Das A3-Denken oder auch A3-Report ist ein Werkzeug aus dem Lean Construction. Das A3 bezieht sich hierbei auf das DIN A3 Format eines Blattes. Auf diesem Blatt wird der Prozess eines Problems, die Lösung dafür und der Handlungsablauf dargestellt. Die Veranschaulichung der Lösung des Problems findet mit allen Projektbeteiligten gemeinsam statt. Weiterhin ist auch die Ursache für das Problem zu untersuchen, damit geeignete Maßnahmen ergriffen werden können. Beim A3-Denken wird nach dem Plan-Do-Check-Act-Zyklus vorgegangen, um eine kontinuierliche Verbesserung der Prozesse zu bewirken. Der Prozess beginnt mit der Planung, geht über in die Umsetzung, um sich schließlich einer Überprüfung zu stellen. Für den Fall, dass bei der Überprüfung ein Erfolg sichtbar wird, wird der Prozess als Standard festgelegt.
6.6.2.2 Einsatz der Lean Methode „5-Warum“ Zur Analyse von Problemen und deren Ursachen hält das Lean Construction Wissen die 5-Warum-Methode bereit. Hierbei wird fünfmal nach dem „Warum“ für die Ursache z. B. einer Zielabweichung gefragt. Dadurch soll der Hauptgrund für die Ursache des Fehlers gefunden und entsprechende Lösungen zur Behebung definiert werden. Der Grund für eine Abweichung kann oftmals auch vor dem fünften „Warum“ gefunden werden. Indem geeignete Maßnahmen für die Ursachen der Fehler gefunden werden, wird langfristig dazu beigetragen, dass diese in Zukunft vermieden werden.
6.6.3 Kooperatives Konfliktmanagement In herkömmlichen Projekten werden Konflikte vor allem konfrontativ ausgetragen. Dies führt häufig automatisch zu juristischen bzw. gerichtlichen Konfliktbearbeitungen. Diese Art des Konfliktmanagements wird oft als gegeben und üblich hingenommen, statt dieses Thema als Führungs- und Querschnittsaufgabe zu begreifen. Daher existieren in herkömmlichen Projekten kaum
6.6 Kooperatives Risiko-, Fehler- und Konfliktmanagement
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Konfliktmanagementsysteme, obwohl seit vielen Jahren nachgewiesen ist, dass diese zu einer deutlichen Reduktion von Konflikten und deren Kosten beitragen. Die Projektpartner werden in vielen herkömmlichen Projektabwicklungsformen mit ihren Konflikten allein gelassen, auch wenn dort alternative Konfliktlösungswege vorgesehen sein sollten, denn Adjudikation und Schlichtung führen nicht zu einer interessengerechten Verhandlung im Wege des gegenseitigen Verstehens. Sie arbeiten also nicht integrativ, sondern symptombezogen. So verhelfen sie allenfalls einen Stillstand zu vermeiden, unterstützen aber nicht die Suche nach einer wertschöpfenden Lösung. Die ganzheitliche Projektabwicklung basiert auf umfassenden ganzheitlichen Ansätzen. Konfliktbearbeitung ist eine zentrale Querschnittsaufgabe, die in den einzelnen Kernelementen sei es im Verhandlungswege, in der Kommunikation, in der Zusammenarbeit oder auch im transparenten Informationswesen alltäglich stattfindet. Ganzheitliche Projektabwicklung basiert auf projektdienlicher Kommunikations- und Einigungskultur. Da diese Prozesse im Grunde bereits vorsorglich und umfassend von Mediatoren begleitet werden, ist möglichen Konflikteskalationen ganzheitlich vorgebeugt. Damit ist in ganzheitlichen Projektabwicklungen nur für Notfälle ein Konfliktmanagementsystem zu etablieren.
6.6.3.1 Konflikteskalationsstufen nach Glasl: Glasl hat im Grunde drei wesentliche Konflikteskalationsstufen beobachtet und in jeweils 3 weiteren Unterkategorien eingeteilt. Die Stufen beschreiben jeweils einen Abstieg der betroffenen Personen in immer niedere moralische Bereiche, begleitet von einer ebenso steigenden Gewalteskalation.34 Die neun Eskalationsstufen nach Glasl WIN-WIN- Bereich Stufe 1 V erhärtung. Stufe 2 D ebatte und Polemik. Stufe 3 Taten statt Worte.
34 Glasl,
F., Konfliktmanagement, 12. Aufl, 2020, S. 243 ff.
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
WIN-LOSE-Bereich Stufe 4 Stufe 5 Stufe 6
I mages und Koalitionen. Gesichtsverlust. Drohstrategie und Erpressung.
LOSE-LOSE-Bereich Stufe 7 Stufe 8 Stufe 9
egrenzte Vernichtungsschläge. B Zersplitterung, totale Zerstörung. Gemeinsam in den Abgrund.
Die von Glasl aufgezeigten Stufen sind ein Abstieg der beteiligten Personen in immer kriegerische und feindseligere Ebenen ihrer Persönlichkeit.35 Der größte Abstieg besteht zwischen Stufe I und II. Hier findet eine soziale Ausweitung des Konflikts statt, d. h. andere werden in den Konflikt zwischen zwei Personen mit hineingezogen. Diese Gefahr droht in der herkömmlichen und damit fragmentierten Projektabwicklung sehr schnell, weil es dort immer Lager gibt. Die erste Stufe, in der noch Win–Win Lösungen stets möglich sind, wird durch die bereits aufgezeigten vorbeugenden Maßnahmen im Rahmen der ganzheitlichen Projektabwicklung weitestgehend projektintern bearbeitet. Dennoch kann es auch hier vorkommen, dass Konflikte entstehen, die im Rahmen der projektbegleitenden systemimmanenten mediativen Unterstützung ggf. nicht gelöst werden können. Konflikte sind immer Risiko und Chance zugleich. Sie zeugen ggf. von Veränderungs- oder Verbesserungsbedarf. Zudem sind es die Beteiligten aus der herkömmlichen Projektabwicklungskultur gewohnt, Konflikte auch zu ihren Gunsten zu nutzen und streiten daher ggf. mit einer bestimmten Absicht. In der ganzheitlichen Projektabwicklung ist es sinnvoll, von Anfang an ein Konfliktmanagementsystem zu etablieren, also festzulegen, welche Konfliktmanagement-System-Komponenten wann und wie zum Einsatz kommen sollen. Der Aufbau des Konfliktmanagement-Systems ist in Abb. 6.9. dargestellt.
35 Glasl,
F., Konfliktmanagement, 12. Aufl, 2020, S. 243 ff.
6.6 Kooperatives Risiko-, Fehler- und Konfliktmanagement
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Abb. 6.9 Elemente eines Konfliktmanagement-Systems im Überblick
6.6.3.2 Konfliktmanagementmethoden Mögliche Komponenten neben den durch die ganzheitliche Projektabwicklung bestehenden vorbeugenden Maßnahmen können sein: • Kooperationsbarometer Je früher ein Konflikt gesehen und bearbeitet wird, desto weniger wird er eskalieren. Dies zwingt auch das Konflikteskalationsmodell nach Glasl. In der ersten Stufe sind kooperative Lösungen noch sehr wahrscheinlich. Um projektintern Konflikte frühzeitig zu erkennen, ist es sinnvoll zwischen den Projektbeteiligten regelmäßig Umfragen im Sinne eines Konfliktbarometers durchzuführen. Diese Aufgabe kommt der Projektführung zu. • Konfliktanlaufstelle Konfliktmanagement ist Aufgabe der Projektführung. Grundsätzlich sollten die Konflikte durch die Projektbeteiligten selbst gelöst werden können, sei es mit
142
6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
oder ohne Hilfe der projektinternen mediativen Begleiter. Ist dies nicht mehr möglich, so ist es vorteilhaft, den Projektpartnern ein niederschwelliges Angebot zu machen, sich Hilfe im Konflikt zu holen. Eine Anlaufstelle für Konflikte, ist wie ein stets offenes Ohr der Projektführung zu verstehen. Diese Anlaufstelle koordiniert die weitere Behandlung der Konflikte. • Projektinterne Mediation Das projektinterne Mediationsteam wird in erster Linie für die Begleitung von Kommunikations-, Verhandlungs-und Entscheidungsprozessen eingesetzt. Hier geht es vor allem um die partnerschaftliche, integrative und kollaborative Erarbeitung interessengerechter Lösungen für obligatorische Fragestellungen im Projekt. Das Mediatorenteam kann aber auch unabhängig von den kontinuierlich vorgesehenen Einsätzen projektinterne Mediationsverfahren durchführen, um aufkommende Konflikte, egal welcher Art sie sind, frühzeitig und unkompliziert zu bearbeiten. Damit sind die projektbegleitenden bzw. projektinternen Mediatoren die beste Maßnahme gegen die Gefahren, die von unkontrolliert ablaufenden Konflikten für das Projekt ausgehen. Sie sind damit Teil eines ganzheitlichen Risikomanagements bezogen auf das Konfliktrisiko. • Mediation mit externen Mediatoren Für die ganzheitliche Projektabwicklung steht das kollaborative Moment im Vordergrund. Daher werden ausschließlich kooperative Konfliktlösungsmethoden eingesetzt, da nur diese zum ganzheitlichen Ansatz passen. Alles andere wäre inkonsequent. Sollte eine Partei das System sprengen wollen, müsste sie einfach etwa eine Schlichtung oder ein Schiedsverfahren oder gar eine Adjudikation beantragen und schon wären die Parteien aus ihrer Verantwortung für die Lösungsfindung sowohl hinsichtlich des Prozesses als auch des Inhalts entbunden. Dritte für sich entscheiden zu lassen, bedeutet, sich hinter Argumenten zu verstecken, statt sich auf Interessen zu konzentrieren. Mediation ist ein sehr effektives und auch schnelles Verfahren der kooperativen Konfliktlösung. Es ist daher im Falle des Scheiterns einer projektinternen Mediation oder nach Empfehlung der Konfliktanlaufstelle als letzte projektbezogene Konfliktbearbeitungsebene die Mediation durch externe Mediatoren durchzuführen. Hierzu sollten die Parteien durch entsprechende Mediationsklauseln in Verträgen verpflichtet sein. Hierbei kann auch geregelt werden, dass das Mediationserfordernis auch die Anrufung des Gerichts gem. § 650 d BGB im Falle einer Anordnung gem. § 650 b Abs. 2 BGB betrifft. Allerdings sollte hier bereits die
6.7 Transparentes und verantwortliches Informationswesen
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projektinterne und jederzeit verfügbare Mediation ausreichen. Im Falle ihres Scheiterns sollte dann die Anordnung gem. § 650 d BGB beantragt werden können, um den Projektfortschritt zu gewährleisten. In der ganzheitlichen Projektabwicklung wird von Anfang bis zum Ende auf Interessenausgleich und Einigung gesetzt.
6.6.3.3 Vertragliche Verankerung des Konfliktmanagements Der Konfliktmanagementrahmen sollte zwischen den Parteien zu Beginn des Projekts definiert werden. Dabei verpflichten sie sich, die vereinbarten Konfliktmanagement Elemente aktiv zu unterstützen und als „ultima ratio“ eine Mediation mit externen Mediatoren in Anspruch zu nehmen. Erst falls diese gescheitert sein sollte, darf gerichtliche Hilfe in Anspruch genommen werden. Dabei ist es interessant zu wissen, dass über 85 % aller Mediationen tatsächlich mit einem Ergebnis enden, während nur ca. 25 % der vor Gericht gebrachten Klageverfahren mit einem Urteil enden. Die Chancen, sich konsequent auf den Einigungsweg zu begeben, sind also auch im Konfliktfall sehr gut!
6.7 Transparentes und verantwortliches Informationswesen Informationen sind in der heutigen digitalisierten Welt grundsätzlich leicht zugänglich zu machen. Dennoch gibt es in herkömmlichen Projektabwicklungen häufig enorme Informationsasymmetrien zwischen den Projektbeteiligten, die automatisch zu Misstrauen führen. Mangelnde Transparenz ist die Hauptursache für Widerstand und dieser für schlechte Zusammenarbeit, unverantwortliche Entscheidungen und Konflikte. Ursache für die Intransparenz ist das in der herkömmlichen Projektabwicklung übliche „Geheimhaltungssyndrom“, dessen Hauptursachen einerseits das „Wissen-ist-MachtMindset“ und anderseits eine „Ich-habe-etwas-zu-verbergen-Situation“ sind.36 Transparenz von Informationen ist Grundvoraussetzung für ein Handeln auf Augenhöhe im Projekt und damit auch für Partnerschaft und Kollaboration. Sie liegen als Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung zugrunde (s. Abb. 6.10).
36 Puckett,
Stefanie, Der Code agiler Organisationen, 2020, S. 67 ff.
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
Abb. 6.10 Kernelement: Transparentes und verantwortliches Informationswesen
Dabei geht es nicht um irgendwelche Informationen, sondern um alle projektrelevanten und zwar in Echtzeit. Genau diese müssen jederzeit zugänglich sein. In herkömmlichen Projektabwicklungen ist dies meist nicht der Fall, Projekt- oder Teamleiter übernehmen dort oft die Aufgabe des Informierens. Auf diese Weise halten sie Informationen zurück. Wer eingeweiht wird, dessen Status steigt und er fühlt sich dem Informanden gegenüber verpflichtet. Bei diesem Vorgang des Informationshandels im Projekt werden zudem oft unbeabsichtigt Informationen interpretiert, verkürzt, verfälscht und so weiter. Sie werden also immer unzuverlässiger. Dies kann den Erfolg des Projekts erheblich gefährden.
6.7 Transparentes und verantwortliches Informationswesen
145
Dennoch lassen es sich in herkömmlichen Projektabwicklungen Projekt- oder Teamleiter oft nicht nehmen, die wesentliche Informationsquelle zu sein. Das stärkt ihre Macht, führt aber auch umgekehrt zu einer „Informier-mich-Kultur“ bei den Projektbeteiligten, die sich zurücklehnen und erwarten, informiert zu werden und sich selbst nicht aktiv nach Informationen fragen. Diese passive Haltung führt dann zu Aussagen wie: „Das hat mir keiner gesagt“ etc. Die herkömmliche Kultur des Informiertwerdens ist oft ursächlich dafür, dass Projektpartner oder Teams selbst keine Verantwortung für ihre Informiertheit übernehmen. Damit wird signalisiert, dass eigenständiges Denken und die Übernahme von Verantwortung für den Erfolg des Gesamtprojekts abgelehnt werden. Damit ist die Kollaboration gestört. In einer kollaborativen und partnerschaftlichen Projektabwicklung müssen daher alle Beteiligten Verantwortung für das Sammeln und Nutzbarmachen von Daten und Informationen übernehmen. Sie müssen daher aktiv Informationen nachfragen und neue Quellen suchen sowie diese mit den anderen Projektbeteiligten austauschen. Dies ist ein völlig neuer Ansatz, der aus dem Kontext von agilen Unternehmen bekannt ist37 und für die ganzheitliche Projektabwicklung nutzbar gemacht wird. Er erfordert eine neue Haltung bei allen Projektbeteiligten und besondere ganzheitliche Führungskompetenz. Hier geht es um Vertrauen. Daher sind auch in diesem Zusammenhang die mediativen Projektbegleiter von wesentlicher Bedeutung, um die Entstehung der erforderlichen guten Gewohnheiten bei den Projektpartnern zu fördern und beizubehalten. Im Idealfall wird die Situation des Projekts in Echtzeit transparent gemacht. Damit sind alle Partner gut orientiert und sie erhalten einen Motivationsimpuls, etwas Wesentliches zum Projekterfolg beizutragen. Denn die eigenen Leistungen werden für alle sichtbar. Es ist Aufgabe der Projektbeteiligten, Fragen zu stellen und zuzuhören und sich selbst zu informieren. Transparenz ist die wichtigste Voraussetzung für Vertrauen. Daher ist ständige Echtzeitinformiertheit für das Gelingen der Zusammenarbeit essentiell. So kann nach der Methode des KANBAN digital jederzeit für alle ersichtlich werden, was zu tun ist, was gerade in Bearbeitung ist und was erledigt ist und dabei auch die Beteiligten, Budget- und Zeitaspekte visualisiert werden.38 Daten sammeln, analysieren und Menschen einbinden, ist eine verantwortliche Strategie des Informationswesens, die zu verantwortlichen, weil wissensbasierten
37 Ebenda, 38 Ebenda,
S. 79 ff. S. 92 ff.
146
6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
Entscheidungen führt. Voraussetzung ist allerdings, dass mit den Daten gleichzeitig sorgsam und sensibel umgegangen wird.
6.7.1 Information ist nur ein Teil der Kommunikation Oft wird in der Alltagssprache der Begriff der Kommunikation mit dem der Information gleichgesetzt. Dies ist jedoch ein grundsätzlicher Irrtum, der immer dann entsteht, wenn Kommunikation simplifiziert wird. Die menschliche Kommunikation ist ein komplexer Vorgang, bei dem der Austausch von Sachinformationen ein Aspekt ist. Kommunikation ist die Grundlage der Zusammenarbeit zwischen Menschen und hat dabei zumindest immer auch die Aufgabe Informationen zur Beziehung dieser Menschen, zur Selbstoffenbarung und zu den Bitten wie dem nach Unterstützung etc. auszutauschen.39 Kommunikation ist die Grundlage der Zusammenarbeit und kann nicht versachlicht oder reduziert werden auf den Austausch von Sachinformationen. Andererseits sind die Kommunikationswege entscheidend für den Zugang zu relevanten Informationen und damit auch über deren ganzheitliches Verständnis.40 Die Art und Weise der Kommunikationsstrukturen bestimmt über den Grad der Informiertheit der Projektpartner und damit über den Grad ihrer Einbeziehung.41 Die ganzheitliche Projektabwicklung erfordert Kommunikationswege, die für jeden Projektpartner einen barrierefreien Zugriff auf alle Projektinformationen ermöglicht. Dies gebietet der Grundsatz der Informiertheit, welcher gleichzeitig ein wesentlicher Fairnessaspekt ist42 und dafür sorgt, dass sich die Projektpartner auf Augenhöhe begegnen können. Im Grunde geht es hier um einen Austausch in der sogenannten Vollstruktur.43 Viele klassischen Projektabwicklungsformen sind aber so organisiert, dass selbst in Zeiten der Digitalisierung die Informationen noch gefiltert werden und damit die Projektleitung entscheidet, wer Zugang zu Informationen bekommt und wer nicht. Damit entstehen automatisch Informationsasymmetrien und als Folge
39 Siehe
Kap. 3, Unterpunkt 2. Otto, Essentials der Theorie U, S. 58 ff. 41 Vgl. Vester, F., Die Kunst vernetzt zu denken, 2. Aufl. 2019, S. 30 ff. sowie S. 154 ff. 40 Scharmer,
42 Siehe
Kap. 3, Unterpunkt 1. hierzu ausführlich: von Rosenstiel, L, Grundlagen der Organisationspsychologie. Basiswissen und Anwendungshinweise. 5. Auflage.2003, S. 287
43 Siehe
6.7 Transparentes und verantwortliches Informationswesen
147
dessen Misstrauen unter den Projektbeteiligten. Dies ist in der ganzheitlichen Projektabwicklung zwingend zu vermeiden. Dieser altertümliche Umgang mit Informationen nach dem Motto „Wissen ist Macht“, findet bei herkömmlichen Projekten selbst bei notwendigen gemeinsamen Planungen auf der Grundlage von BIM noch immer statt. Hier sind einige Partner nicht bereit, ihr ganzes Knowhow preiszugeben. Dass solche Denkrahmen und Handlungsweisen nicht kollaborationsfreundlich sind, wurde bereits ausführlich erläutert. In der ganzheitlichen Projektabwicklung geht es darum, dem Projekt auch durch digitale Unterstützung ganzheitlich zu dienen, indem einerseits alle Informationen für alle Projektbeteiligten offen zugänglich sind und sich andererseits auch alle zur Verschwiegenheit verpflichten. Das Know-how der Projektpartner, wie auch Projektinterna dürfen nicht nach außen dringen. Gemeinsam erarbeitete Pläne gehören ideell allen Partnern gemeinsam, auch hinsichtlich des Urheberrechts. Hier schaffen die Projektpartner ggf. über das Projekt hinaus einen zusätzlichen Wert für sich und die anderen Beteiligten im Hinblick auf die spätere Verwertung des geistigen Eigentums an den Plänen und dem Know-how.
6.7.2 Ganzheitliches Informationsmanagement 6.7.2.1 Vertraulichkeit, Datenschutz und Datensicherheit Abb. 6.11 stellt alle wesentlichen Elemente des ganzheitlichen Informationsmanagements dar. Vertraulichkeit, Datenschutz und Datensicherheit erschafft den notwendigen Handlungsraum, um Informationen zu teilen und Vertrauen wachsen zu lassen. Alle Projektdaten sollen, soweit dies im Einzelfall notwendig und sinnvoll ist, vertraulich sein und dürfen von den Partnern niemanden außerhalb des Projekts zugänglich gemacht werden. Dies ist einerseits durch entsprechende Vereinbarungen sicherzustellen und andererseits auch informationstechnisch umzusetzen und nachvollziehbar zu machen. Für einen hohen Standard an Datensicherheit ist zu sorgen. Alle Partner sollen sich als Eigentümer der Informationen begreifen und entsprechend verantwortlich damit umgehen. Projektführung und die projektbegleitenden Mediatoren etablieren und aktualisieren die hier notwendige Achtsamkeit bei den Projektpartnern.
6.7.2.2 Transparente Echtzeit-Informationsplattform Wie in Abb. 6.11 gezeigt, besteht das nächste Element des ganzheitlichen Informationsmanagements darin, eine transparente Echtzeit-Informationsplattform zu etablieren. Dies beginnt damit, dass die Partner alle für sie wichtigen
148
6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
Abb. 6.11 Überblick: Ganzheitliches Informationsmanagement
Rahmenbedingungen im Hinblick auf das Informationsmanagement, den Umgang mit Daten, die Vertraulichkeit der Daten und das geistige Eigentum festhalten und erarbeiten hierzu ein Anforderungsprofil für die Informationsplattform. Übersicht Folgende Informationen sollten den Parteien in der ganzheitlichen Projektabwicklung jederzeit in Echtzeit und transparent zur Verfügung stehen: • Grundlagen. • Sinn und Qualitäten.
6.7 Transparentes und verantwortliches Informationswesen
• • • • • •
149
Planungen inkl. BIM. alle Verträge und die fortschreibenden Einigungen. alle Konfliktlösungen + Risikoanalysen. Fehler- und Mängelberichte. alle Workshops zur ganzheitlichen Projektabwicklung. Datenschutz und Informationen zum Informationsmanagement.
Es geht um wirklich alles, also um alle Vereinbarungen zur Zusammenarbeit, insbesondere auch die Definition des gemeinsamen Projektziels, der gemeinsame Lernprozess, alle Architektur- und Ingenieurpläne, Gutachten, Genehmigungen, technischen Hintergründe, Terminpläne und deren Fortschreibung, Zusagen und deren Erfüllung, alle Einigungen, die Vertragsinhalt geworden sind und jeweiligen Leistungspflichten betreffen, Kalkulationen, alle Risikoanalysen, Fehler- und Verbesserungsdokumentationen, alle Konflikteinigungen, alle erledigten und noch ausstehenden Zahlungen, alle Informationen zu möglichen Mängeln, alle gemeinsamen Erfolge.
6.7.2.3 Strukturierung und Pflege der Daten und Informationen Ohne Struktur und Ordnung sind eine Fülle an Daten für Menschen eine Überforderung. Sie schalten ab und beginnen sich nicht mehr zu informieren. Dies muss verhindert werden. Daher ist das nächste Element des ganzheitlichen Informationsmanagements wie in Abb. 6.11 gezeigt, die Strukturierung und Pflege der Daten und Informationen. Hierzu werden alle Zahlen, Daten und Fakten in eine sinnvolle und der ganzheitlichen Projektentwicklung entsprechende Struktur gebracht und in dieser für alle zugänglich online vorgehalten in Echtzeit bereitgestellt. Das Informationssystem ist klar strukturiert aufzubauen und gewährt jedem Projektpartner alle Einsichtsrechte und je nach Thema auch Autorenrechte. Die ganzheitliche Projektführung ist direkt für das Informationsmanagement zuständig, welches den Projektpartnern auch die Möglichkeit eines Austauschs zu Themen bezüglich der Projektabwicklung bietet. So kann sich jeder jederzeit über den Stand des Projekts und den der Zusammenarbeit informieren und ist in der Lage auch frühzeitig etwaige Termin-, Kosten-, oder Qualitätsschwierigkeiten zu erkennen, um selbst auch frühzeitig gegensteuern zu können.
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
Darüber hinaus ist die Informationsplattform so aufzubauen, dass es für die Projektbeteiligten möglich ist, die Informationen auch außerhalb der durch die Struktur vorgegebenen Denkrahmen unter anderen Suchkriterien zu finden. Damit ist eine intuitive Suche gemeint, die Voraussetzung für kreative Prozesse ist und niemanden ausschließt, der sich nicht erst mit der vorgegebenen Struktur auseinandersetzen möchte. Die vorgegebene Struktur vermag einen statischen Überblick zu den vorhandenen Daten und Informationen zu gewährleisten, nicht aber alle später relevanten Vernetzungen aufzuzeigen.
6.7.2.4 Kommunikation in der Vollstruktur und Vernetzung der Informationen Passend zu einer barrierefreien und transparenten Zurverfügungstellung von Informationen müssen diese Informationen auch durch alle Projektpartner validiert werden können. Dies geschieht spontan und im Rahmen der Vollstruktur und durch aktive Vernetzung der Information (siehe Abb. 6.11 – nächstes Element). Auf diese Weise sind alle Projektpartner wirklich eingebunden und es entsteht durch die völlig transparente Informationspolitik Vertrauen. Zudem trägt der schnelle Zugang zu allen Projektinformationen dazu bei, dass bei Fehlern, Konflikten und Risiken schnell und gemeinsam innovative Lösungen gefunden werden können. Hierzu ist es erforderlich, dass neue Informationen oder die in einen neuen Rahmen gesetzten Informationen mit den Projektpartnern, für die diese Informationen besonders interessant sind, oder die in diesen Bereichen Expertise haben, besprochen werden. Informationsmanagement in der ganzheitlichen Projektabwicklung bedeutet damit auch, dass Informationen aktiv mit allen geteilt und damit vernetzt werden. Dies ist bedeutsam, weil selbst kleineste Änderungen am Bauprojekt sei es in der Planung oder Ausführung Auswirkungen haben, die alle Betroffenen kennen müssen.
6.7.3 Verantwortliches und lebendiges Informationsmanagement als Führungsaufgabe Wenn alle projektrelevanten Informationen allen Partnern transparent und barrierefrei zur Verfügung stehen, ist dies eine notwendige Voraussetzung für eine gelingende Partnerschaft, weil eine Teilhabe und eigene verantwortliche Entscheidungen für alle Beteiligten möglich sind. Dies bedarf eines lebendigen Umgangs mit den Informationen, die gesammelt, vernetzt, neu gewonnen, neu bewertet und ergänzt werden. Daher ist ein weiteres wesentliches Element des
6.7 Transparentes und verantwortliches Informationswesen
151
ganzheitlichen Informationsmanagements ein verantwortliches und lebendiges Informationsmanagement als Führungsaufgabe (siehe Abb. 6.11). Das Bewusstsein für einen aktiven Austausch von Informationen und den verantwortlichen Umgang damit muss von der Projektführung bei den Projektpartnern geweckt und immer wieder durch Impulse lebendig gehalten werden. Ganzheitliches Informationsmanagement bedeutet, dass die Projektleitung nicht Verwalter der Informationen ist und ihre Macht mit dem Handel von Informationen bestärkt. In herkömmlichen Projektabwicklungen und vielen Führungssituationen gilt das Motto: „Wissen ist Macht“. Mit dem Handel von Informationen entstehen steile Hierarchien. Diejenigen die „eingeweiht“ sind und Handlungsspielräume kennen und die anderen, die „dumm gehalten“ werden. Wer keinen Zugang zu Informationen bekommt, kann auch keine Verantwortung übernehmen. Wer uneingeschränkten Zugang zu den Projektinformationen hat, kann verantwortungsvoll mitgestalten. Die Projektführung ist in der Rolle des Unterstützers dieser transparenten und barrierefreien Echtzeit- Informationsstrategie. Das Gelingen des Projekts hängt entscheidend von der Qualität des Informationsmanagements ab. Für die Projektführung bedeutet dies, dass sie auch dafür sorgt, dass alle Informationen rechtzeitig zur Verfügung stehen und umgekehrt Informationen aktiv einfordert. Dies betrifft alle Informationen zum Projekt, insbesondere Pläne genauso wie zu bestellende Geräte, Lieferketteninformationen bis hin zu sich ändernden öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Die Informationsgewinnung erfolgt dabei dezentral: Jeder Partner, der Informationsbedarf erkennt, ist dafür verantwortlich, dass die erforderlichen Informationen beschafft werden und schließlich auf der Informationsplattform allen Projektpartnern zur Verfügung gestellt werden. Weiterhin unterstützt die Projektführung die Projektpartner durch Impulse und Fragen dabei, alle Informationen, die sie für ihre Aufgaben benötigen, zu bekommen und einen lebendigen Austausch im Sinne einer aktiven und rekursiven Vernetzung zu betreiben. Dabei achtet die Projektführung darauf, dass die Vernetzung und der Austausch stets mit dem Fokus auf das Wohl des Projekts und im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung betrieben wird. Damit ist ein sinnvoller Informationsmanagementprozess gewährleistet, der allen Projektpartnern und vor allem dem Projekt dient. Dazu ist es erforderlich, dass eine Kultur des Teilens und Unterstützens im Projekt gelebt wird. So muss sich nicht etwa der kleine Handwerker im Zusammenhang mit seiner Prüfpflicht um Detailfragen kümmern, die er ggf. nicht selbst überblickt und deshalb vorsichtshalber Bedenken anmeldet. Er
152
6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
wird entlastet von einem verantwortlichen Informationssystem, indem er seinen Bedenkenimpuls an die Projektführung gibt, die diesen Impuls als wertvollen Hinweis auch im Sinne der Qualitätskontrolle erkennt und dann die konkrete Fragstellung im Netzwerk der Projektpartner beantworten lässt. Auf diese Weise geht es nun nicht um die Zuweisung von Schuld, sondern um die Klärung offener Fragen und die Einholung wichtiger Informationen, ganz angstfrei und immer mit Blick auf die bestmögliche Umsetzung des Projekts. Dies geht digital wie auch persönlich auf der Baustelle. Ein verantwortliches und transparentes Echtzeit-Informationswesen ist Grundvoraussetzung für eine partnerschaftliche, integrative und kollaborativer Zusammenarbeit im Projekt.
6.8 Gemeinsamer Lern- und Entwicklungsprozess Die ganzheitliche Projektabwicklung ist ein gemeinsamer Schöpfungsprozess der Projektbeteiligten. Er gelingt umso besser, je mehr sich die Projektbeteiligten darauf einlassen, konstruktiv zu kommunizieren. Hierzu ist ein enormer Umkehrprozess erforderlich, bei dem die Beteiligten Denk- und Handlungsgewohnheiten ändern und sich insofern selbst neu erfinden müssen.44 Dies ist ein stetiger Lernprozess. Daher ist der gemeinsame Lern- und Entwicklungsprozess ebenfalls Kernelement der ganzheitlichen Projektabwicklung (s. Abb. 6.12). Das Bauwerk ist materiegewordene Kommunikation. Je konstruktiver und integrativer, je verantwortlicher im ganzheitlichen Sinne diese gelingt, umso erfolgreicher wird das Projekt für alle Beteiligten sein. Alle Projektbeteiligten lassen sich ganz bewusst auf einen gemeinsamen Lern- und Entwicklungsprozess ein. Es kommt auf jeden einzelnen Partner und seine Lern- und Entwicklungsbereitschaft an, damit aus einer angstbesetzten und kriegerischen eine partnerschaftliche, integrative und kollaborative Kultur der Projektabwicklung wird. Dies ist ein hoher Anspruch.
6.8.1 Gemeinsam Lernen macht Spaß und trainiert kollaborative Zusammenarbeit Allen Beteiligten darf klar sein, dass dieser neue Weg der kollaborativen Zusammenarbeit sowohl von Fort- als auch von Rückschritten gesäumt sein 44 Vgl.
Scharmer, Otto, Essentials der Theorie U, Grundprinzipien und Anwendungen, S. 56 ff.
6.8 Gemeinsamer Lern- und Entwicklungsprozess
153
Abb. 6.12 Kernelement: Gemeinsamer Lern- und Entwicklungsprozess
wird. Dies ist typisch für jeden Lernprozess. Wer aufgibt, hat bereits verloren. Wenn aber jeder verantwortlich im Sinne seiner Rolle und der von ihm vertretenen Interessen kommuniziert, mutig und neugierig darauf, wohin genau die gemeinsame Reise geht, ist dies der erste wichtige Schritt. Wird dieser Schritt in dem Wissen getan, dass auf jeden Fall wertvolle Lernerfahrungen gewonnen und persönliche wie fachliche Entwicklungschancen möglich sind, ist die Motivationsgrundlage für die notwendige menschliche Transformation sowie für eine gelingen Zusammenarbeit gebildet. Alle Projektpartner sind in Bezug auf diesen neuen partnerschaftlichen, integrativen und kollaborativen
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
enkrahmen Lernende und damit auf Augenhöhe. Das gemeinsame Lernen D darf Spaß machen. Fortschritte können gemeinsam gefeiert werden und Rückschritte können in der Lernsituation leichter verziehen werden. So kommt es automatisch zu einem sachgerechteren Umgang mit Fehlern, denn auf einer nicht technischen Ebene wird erfahren, dass in der konkreten Projektabwicklung tatsächlich mit Fehlern konstruktiv umgegangen wird. Diese Erfahrung kann sich dann auf technischer Ebene fortsetzen. Diese konstruktiven Spielregeln klingen utopisch? Schnell kommt ggf. Widerstand auf, obwohl das Vorgehen allen Partnern zu Gute kommt. Daher bedürfen die Lernprozesse der individuellen Unterstützung durch gelassene Impulsgeber aus den Reihen der Projektführung oder der projektinternen Mediatoren.
6.8.2 Die Rolle der Projektführung in den Lernprozessen Wer lernt, der macht auch „Fehler“, er lernt dazu und macht es besser. Innovationen kommen genau auf diesem Wege zustande. Diesen chancenbasierten Denkrahmen können vermutlich nicht alle Projektpartner durchgängig für sich finden oder bei anderen akzeptieren. Daher wird der hier erforderliche kollaborations- und innovationsfreundliche Denkrahmen in allererster Linie von der ganzheitlich arbeitenden Projektführung immer wieder aktualisiert, und zwar in allen Bereichen der Projektabwicklung, unterstützt von den projektinternen Mediatoren. Beide, die ganzheitliche Projektführung wie auch die projektinternen Mediatoren sind in ihrem Denken und Handeln Vorbilder für den neuen partnerschaftlichen, integrativen und kollaborativen Denkrahmen. Sie besitzen die Vorbildrolle und haben die Aufgabe, den Projektbeteiligten situativ oder auch obligatorisch durch geplante Feedback-Gespräche oder Retrospektiven etwaige Verbesserungsmöglichkeiten in ihrem Denken und Handeln bewusst zu machen. Weitere Elemente des Lernens können auch Hintergrundanalysen oder etwa die Technik der 5-W-Fragen sein. Damit der Lernprozess transparent nachvollzogen werden kann, fließen u. a. Erkenntnisse in weiterentwickelte Regeln der Zusammenarbeit ein. Das eben skizzierte Lernen funktioniert nur, wenn der gemeinsame Weg von allen Beteiligten der Projektabwicklung als Lernprozess begriffen wird. Andernfalls würden die eben bezeichneten Maßnahmen als Kontrolle oder Übergriffigkeit verstanden werden. Für die Etablierung und Aufrechterhaltung eines positiven Denkrahmens im Sinne eines lebenslangen
6.9 Zusammenfassung Kap. 6
155
Lernens auch im Bereich der Softskills, sind sowohl die Projektführung als auch die projektinterne Mediatoren Vorbilder und Impulsgeber.
6.8.3 Der mediative Schlüssel zum Lernerfolg Ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg des gemeinsamen Lern- und Entwicklungsprozesses ist die mediative Begleitung. Die projektinternen Mediatoren haben keine Projektverantwortung. Deshalb können sie auf menschlicher Ebene alle Projektbeteiligten gleichermaßen ansprechen. Sie sind neutral und allparteilich und haben das Wohl des Projekts im Blick. Damit können sie immer wieder ein lernförderliches Klima schaffen und etwaige Widerstände mediativ hinterfragen und dadurch nutzbar machen. Retrospektiven und Feedbacks werden empathisch und mit Blick auf das Wohl des Projekts moderiert, sodass sich alle Projektbeteiligten auf Augenhöhe als Lernende begreifen, also auch die Projektführung selbst. Die ganzheitliche Projektabwicklung ist ein Lern- und Entwicklungsprozess. Alle lernen dazu und entwickeln sich weiter, im Sinne des für die nachhaltige Entwicklung notwendigen Umkehrprozesses. Es geht um mehr Bewusstsein für eine konsequent partnerschaftliche, integrative und kollaborative Projektabwicklung.
6.9 Zusammenfassung Kap. 6 Die acht Kernelemente ganzheitlicher Projektentwicklung 1. Ganzheitliche Planungs- und Bauprozesse. 2. Lebendige und konstruktive Kommunikation. 3. Kurze, faire und lebendige Verträge. 4. Vertrauensvolle und wertschöpfende Zusammenarbeit. 5. Integrative Verhandlungen und verantwortliche Entscheidungen. 6. Kooperatives Risiko-, Fehler-, sowie Konfliktmanagement. 7. Transparentes und verantwortliches Informationswesen. 8. Gemeinsamer Lern- und Entwicklungsprozess.
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
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6 Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung
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Ganzheitliche Projektabwicklung – Mit mehr Freude nachhaltig wirtschaften und für alle Projektgrößen geeignet!
Fakultät 0555 % der Unternehmen in der Bau- und Immobilienbranche geben an, dass bereits heute der Fachkräftemangel ein Investitionshemmnis für den Klimaschutz darstellt. Aufgrund der demografischen Entwicklung fehlt es überall an Nachwuchskräften. Um junge Menschen für die Branche zu gewinnen, ist es erforderlich, auf ihre Interessen und Bedürfnisse einzugehen. Niemand entscheidet sich heute gerne für ein Berufsfeld, das dauerhaft konfliktbelastet ist. Die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektentwicklung können in Projekten jeder Größe eingesetzt werden und führen, wenn sie auf breiter Basis gelebt werden, zu einem Kulturwandel in der Bau- und Immobilienbranche. Planen und Bauen kann dann auf breiter Linie wieder Spaß machen. Kommt die Branche dorthin, hat sie gute Aussichten, junge Menschen anzuziehen, die die Fachkräfte von morgen sein werden, denn das Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Klimaschutz bei der jungen Generation präsent. Hier besteht grundsätzlich das Interesse, Klimaschutz etwa durch Gebäudetechnik und nachhaltige Bauweisen aktiv zu unterstützen und so einen eigenen Beitrag zu leisten. Das ist ein sinnhaltiger und positiver Ansatz, der aktuell leider nicht zur Motivation dient, sich im Bau- und Immobilienbereich als Fachkraft ausbilden zu lassen, weil eben die aktuell so konfliktbelastete Branche abschreckt. Die Instrumente der ganzheitlichen Projektabwicklung sind in der Lage, nachhaltig Konfliktpotenziale zu reduzieren und durch eine friedliche und sinngesteuerte Zusammenarbeit aller Beteiligten von Anfang an Kosten, Termine und Qualität zu optimieren und darüber hinaus Innovationschancen zu nutzen. Diese Grundsätze der Ganzheitlichen Projektabwicklung
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Ibrom, Ganzheitliche Projektabwicklung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-38327-5_7
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7 Ganzheitliche Projektabwicklung – Mit mehr Freude nachhaltig …
Abb. 7.1. Säulenmodell der ganzheitlichen Projektabwicklung
wie sie in Abb. 7.1. dargestellt sind, müssen konsequent während der gesamten Projektabwicklung von allen Partnern umgesetzt werden. Hierzu bedarf es der umfassenden Unterstützung durch die Projektführung und die projektinternen Mediatoren. Die Anwendung und Weiterentwicklung dieses Konzepts ist in jedem neu aufzusetzenden Projekt egal wie groß oder klein es sein mag, möglich. Es ist ein universeller Ansatz, der eine möglichst große Nutzerzahl erreichen möchte, denn der notwenige Kulturwandel in der Projektabwicklung ist nur möglich, wenn sich die „kritische Masse“ der Baubranche anders verhält als bisher.
7.1 Veränderungsprozesse
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7.1 Veränderungsprozesse Die Etablierung einer durchgängig integrativen, kollaborativen und partnerschaftlichen Projektkultur ist abhängig von der Akzeptanz der Bau- und Immobilienbranche, insbesondere der Auftraggeber sowie der planenden und ausführenden Unternehmen. Der Veränderungsdruck wie auch der Bedarf einer radikalen Veränderung in der Projektabwicklung hin zu echter Partnerschaft und Kollaboration ohne Tricks, hin zu einem wertschätzenden und fairen Umgang bis hin zu einer gelebten nachhaltigen Entwicklung im Hinblick auf die Bau- und Immobilienprojekte ist immens. Das Modell der ganzheitlichen Projektabwicklung unterstützt auf verschiedenen Ebenen die Projektpartner, fair und wertschöpfend zusammenzuarbeiten und Konflikte konsensual zu lösen. Der Veränderungsprozess kann aus allen Richtungen betrieben werden. So sind es die Unternehmensleitungen, die aus Gründen des Nachwuchsmangels und der Vermeidung von Konfliktkosten die ganzheitliche Projektabwicklung befürworten und vertraglich vereinbaren. Ebenso kann der Wunsch nach ganzheitlicher Projektabwicklung aber auch aus den Reihen von mittleren oder unteren Führungsebenen kommen ebenso wie aus der Mitarbeiterschaft. Alle Führungsebenen sind für ihren Bereich in der Verantwortung, neue ganzheitliche Projektkultur gemeinsam zu definieren, lebendig zu halten und auch in schwierigen Situationen zu verteidigen. Optimal aus wirtschaftlicher Sicht ist die Projektkultur aufgesetzt, wenn sie den Anforderungen der Philosophie des ganzheitlichen und verantwortlichen Denkens und Handelns entspricht.1 Von der richtigen Führung und den damit betrauten Personen hängt das Gelingen des Change prozesses in der Projektabwicklung ab. Hier sind Prozesse und Kommunikationswege wie auch Beziehungen aktiv zu gestalten sowie Rollen neu zu definieren. Der Bauherr ist hier Partner auf Augenhöhe und nicht Dirigent. Soll eine neue und insbesondere partnerschaftliche, kollaborative und integrative Kultur der Projektabwicklung entstehen, so muss dies der Bauherr ausdrücklich mittragen. Die Projektführung muss sich mit den neuen Anforderungen an die Führungsaufgabe und mit ihrer nunmehr eher dienenden Rolle identifizieren. Es geht mithin um eine konsequent werteorientierte Führung.2 Hier besteht eine besondere
1 Hierzu 2 Lange,
ausführlich: Pircher-Friedrich, Mit Sinn zum nachhaltigen Erfolg, 2019. (Hrsg.) Werteorientierte Führung in Theorie und Praxis, 2021, S. 7 ff.
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Herausforderung an alle Projektsteurer und Projektmanager, die ggf. diese Projektführungsaufgaben übernehmen. Alte Wege müssen bewusst verlassen werden. Das Gute ist, dass dies mit jedem neuen Projektstart bereits jetzt möglich ist. Wichtig ist, dass diese neue Haltung echt ist und das Bewusstsein für eine ganzheitliche Führungsstrategie durchgehalten wird bis zum Abschluss des Projekts. Dies ist gerade jetzt in der Zeit des Umbruchs und der Veränderung eine vermutlich besonders herausfordernde Aufgabe. Damit die ganzheitliche Projektkultur etabliert und durchgehalten werden kann, sind sowohl umfassende Schulungen der Projektleitung in ganzheitlicher Führungskompetenz als auch Schulungen aller anderen Führungsebenen erforderlich. Im Grunde ist dies vergleichbar mit der Schulung einer neuen Software, nur, dass die Menschen es selbst sind, die nun eine neue Denk- und Handlungsweise erlernen sollen. Dies macht das Unterfangen weitaus schwieriger, denn der Mensch mag seine Gewohnheiten und ist ungern bereit, sich selbst zu verändern und sich auf unbekannte und neue Wege einzulassen, selbst wenn diese für ihn und alle anderen sehr sinnvoll sind. Wenn die Führungskräfte aber als gute Vorbilder es schaffen, sich selbst im Sinne einer umfassend nachhaltigen und ganzheitlichen Projektabwicklung zu verändern, wird es auch allen anderen Beteiligten gelingen. Diese Schulungen und Workshops sind auch begleitend zu einem Projektstart möglich und empfehlenswert, denn so können die erforderlichen Kompetenzen durch Erfahrungslernen erworben werden.
7.2 Wie wird aus den acht Kernelementen eine ganzheitliche Projektabwicklung? Alle acht Kernelemente greifen sinnvoll ineinander und sind immer Bestandteil ganzheitlicher Projektabwicklung. Es gibt immer eine ganzheitliche Projektführung und ein projektinternes Mediatorenteam. Wie weit die einzelnen Kernelemente ausdifferenziert sind, hängt von der Größe und Komplexität des jeweiligen Projekts ab. Im Rahmen der Begin-of-Life-Phase des Projekts, also noch im Vorfeld der Phase 1 wird die passende ganzheitliche Projektarchitektur festgelegt, indem alle acht ganzheitlichen Kernelemente in ihrem Wesen ähnlich einem Samenkorn fest verankert sind. Auf etwaige diesen Kernelementen abträgliche herkömmliche Vorgehensweisen wird ausdrücklich und bewusst verzichtet. Der Ein- bzw. Umstieg auf eine ganzheitliche Projektabwicklung ist daher einfach. Es werden keine komplexen
7.3 Widerstand gegen die Veränderung
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Vertragswerke etc. benötigt. Mit der Festlegung der acht Kernelemente beginnt das Leben der ganzheitlichen Projektabwicklung. Anschließend werden diese Kernelemente ausdifferenziert und zwar im Diskurs aller Beteiligter unterstützt durch die ganzheitlich arbeitende Projektführung sowie die projektinternen Mediatoren. Damit handelt es sich bei der ganzheitlichen Projektabwicklung um ein lebendiges System, das sich bedarfsgerecht entfaltet, wächst und sich anpassen kann. Es ist daher für jede Projektgröße geeignet.
7.3 Widerstand gegen die Veränderung Bei jeder Veränderung kommt es zu Widerstand der beteiligten Personen. Dies ist ganz unabhängig davon wie gut der vorgeschlagene neue Weg ist. Er wird abgelehnt und kritisch hinterfragt, weil er neu ist und damit vorhandene schematische Denkstrukturen nicht mehr genutzt werden können. Das gefällt dem Autonomen Nervensystem nicht. Gewohnte Wege werden verlassen, das bedeutet immer erst einmal Unsicherheit, vielleicht auch Gefahr und damit auf jeden Fall Stress. Widerstand ist also die natürliche Reaktion darauf, auch wenn eine Veränderung zum Wohle der Betroffenen ist. Sie ist grundlegend. Die bisherigen Denk- und Handlungsmuster passen nicht mehr. Die Welt steht also Kopf. Das schreckt ab und selbst wenn alles noch so überzeugend und gut klingt: Umlernen ist immer mit einem besonders hohen Energieaufwand verbunden, sodass auch hier zunächst Widerstand gegen die neue Form der Projektabwicklung als normale Reaktion zu erwarten ist.
7.3.1 Wie kann zum Mitmachen motiviert werden? Widerstände und Zweifel am neuen Weg sind grundsätzlich zunächst ernst zu nehmen und zu akzeptieren. Sie sind da und können nicht wegdiskutiert werden. In einem nächsten Schritt ist zu fragen, was die Beteiligten brauchen, um sich der ganzheitlichen Projektabwicklung anzuschließen. Hier geht es darum, die individuellen Bedürfnisse abzufragen und ausgehend davon Lösungen zu entwickeln, wie die Beteiligten motiviert werden können, an der ganzheitlichen Projektabwicklung mit Engagement und Freunde zu partizipieren. Vielleicht sind es Informationen, die fehlen, vielleicht fühlen sie sich nicht kompetent genug und haben Lernbedarf. Hier können ganz individuelle Lösungsangebote entwickelt werden, um die Beteiligten umfassend in die ganzheitliche Projektabwicklung
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zu integrieren. Da das achte Kernelement ohnehin das Thema Lernen betrifft, ist dieser Punkt auch bereits vorgesehen, was zur Sicherheit der Partner beitragen kann. Zudem können im Vorfeld des konkreten Einsatzes der ganzheitlichen Projektabwicklung bereits Informationsveranstaltungen durchgeführt werden, die den zukünftig Beteiligten die Möglichkeiten aufzeigen, wie Planen und Bauen wieder mehr Freude macht und zudem nachhaltig wertschöpfend betrieben werden kann. In größeren Unternehmen ist hier – ähnlich wie bei der Einführung neuer Software – an umfassende Schulungen zu den acht Kernelementen der ganzheitlichen Projektabwicklung zu denken, um auf die Veränderungen vorbereitet zu sein.
7.3.2 Bewusstmachung der Wohlfühlveränderung Der große Unterschied zu vielen anderen Veränderungsprozessen, besteht darin, dass es sich hier um eine Wohlfühlveränderung für alle handelt. Dieses Ziel, dass es bei der Einführung der ganzheitlichen Projektabwicklung, darum geht, die Qualität des Zwischenmenschlichen wie auch die der Prozesse deutlich zu verbessern, sodass hier nachhaltige Wertschöpfung betrieben werden kann und sich alle Partner wohler fühlen, weil sie mehr Spaß an der Projektabwicklung haben dürfen, ist ein wesentlicher Motor für die Veränderung und darf als solcher einem etwaigen Widerstand entgegengehalten werden. Gut begleitet durch eine ganzheitlich arbeitende Projektführung und projektinterne Mediatoren, die sich mit der ganzheitlichen Projektabwicklung auskennen, können die Partner auch ihre erste ganzheitliche Projektabwicklung einfach erleben und damit eigene Erfahrungen machen. Ein langes Vorbereiten in der Theorie ist nicht nötig, wenn die Rahmenbedingen stimmen, also die acht Kernelemente der ganzheitlichen Projektabwicklung beachtet werden. Ein gesunde Portion Mut zur Veränderung gehört natürlich schon dazu. Nur wer wagt, der auch gewinnt.
7.3.3 Einladung zur persönlichen Weiterentwicklung Die ganzheitliche Projektentwicklung führt die Partner zur Entwicklung und Kultivierung eines Gemeinschaftssinns, der eine persönliche Weiterentwicklung darstellt. Dieser ist gekennzeichnet durch:
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Kennzeichen des Gemeinschaftssinns Ganzheitlichkeit • An und durch die Prinzipien der ganzheitlichen Projektabwicklung persönlich wachsen • Echtes Interesse an den Prozessen und Partnern entwickeln und aufrechterhalten • Umfassendes integratives Denken alleine und miteinander • Gegenseitige Unterstützung wird zum gemeinsamen Motto Respekt • Respekt vor den Anderen und vor sich selbst • Rollenklarheit entwickeln und wertschätzend leben • Sich als Impulsgeber für den Gemeinschaftssinn akzeptieren Offenheit • Mut, offen zu bleiben für Neuerungen, offen sein für das Andere, sich nicht gänzlich abzugrenzen und nicht einseitig zu definieren. • Mut, offen, respektvoll und wertschätzend zu kommunizieren. • Mut, Sinnbarrieren zu überwinden, die uns einschränken und eingrenzen. Spannungstoleranz • Aushaltenkönnen von Spannungen zwischen Selbstbild, Realbild und Idealbild • Ertragenkönnen der Spannung zwischen der individuellen Persönlichkeit und dem sozialen Umfeld • Wertschätzung für die Prozesse und Partner des Projekts
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Sinn • Mehr Freude und Erfüllung durch eine ganzheitliche Projektabwicklung erleben • Selbst zum Impulsgeber des Gemeinschaftssinns werden und Verantwortung für sich und die Projektpartner übernehmen • Nachhaltige Wertschöpfung durch und in Projektabwicklungen fördern
Die Entwicklung eines Gemeinschaftssinns ist nur in der Interaktion mit einer Gemeinschaft möglich. Daher profitiert jeder Projektpartner von der Partizipation in einer ganzheitlichen Projektabwicklung. Wenn immer mehr Menschen einen solchen Gemeinschaftssinn entwickeln, wachsen sie persönlich und mit ihnen wird sich die Kultur des Bauens und Planens merklich und auf breiter Linie positiv verändern.
7.4 Vorteile der ganzheitlichen Projektabwicklung für den Bauherrn • Bedarfsorientierte Entwicklung der Projektziele • Nutzung der Erfahrungs- und Wissensressourcen aller Partner durch frühzeitige Einbeziehung • Vertrauensvolle Zusammenarbeit und gelingende Geschäftsbeziehungen • Konfliktvermeidung durch kurze, faire und lebendige Verträge und projektinterne Mediation • Reduktion des Kündigungsrisikos durch gute Zusammenarbeit und Einigungen zum etwaigem Wegfall von Leistungen • Reduktion des Nachtragsrisikos durch gemeinsame Konkretisierung des Leistungssolls • Marterialpreissteigerungen und Lieferengpässe werden gemeinsam beobachtet und können zu gemeinsamen vereinbarten Änderungen der Leistungen und innovativen Alternativlösungen führen • Bauzeitennachträge entfallen, weil es keine Vertragstermine gibt und Bauzeitentermine zeitnah gemeinsam konkretisiert und fortgeschrieben werden. • Termingerechtes Bauern durch die gegenseitige Unterstützung auf der Baustelle; etwaige Leerlaufzeiten werden kollaborativ durch anderweitige Bauabläufe tatsächlich optimal genutzt;
7.5 Vorteile der ganzheitlichen Projektabwicklung für die …
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• Verbesserte Terminsicherheit durch optimale Prozesse im Wege des Lean Construction • Verbesserte und nachhaltige Qualität des Bauwerks führt zur Wertschöpfung, weil alle Prozesse auf das Projektziel und dessen Werte hin ausgerichtet sind. • Innovationen dienen dem Projektziel wie auch der Nachhaltigkeit • Das gesamte Projektteam setzt sich gegenseitig unterstützend für das Projekt ein, womit die Qualität und die Bauzeit deutlich verbessert werden kann. Statt Schnittstellen kommt es zu Nahtstellen. • Gesetzliche werkvertragliche Erfolgshaftung für die vereinbarten Leistungen durch die Auftragnehmer. • Wertschöpfung durch das Projekt auch für die Gesellschaft und nachfolgende Generationen
7.5 Vorteile der ganzheitlichen Projektabwicklung für die Auftragnehmer • Partnerschaft auf Augenhöhe durch faire Verträge und umfassende Integration aller Partner von Anfang an. • Freude an der Arbeit, aufgrund eines rundum angenehmen Klimas der vertrauensvollen Zusammenarbeit in der Projektabwicklung • Gemeinsames Ziel und Wir-Gefühl unter den Projektpartnern, aufgrund der ganzheitlichen Projektführung, so wird unkomplizierte gegenseitige Unterstützung selbstverständlich. • Faire Bezahlung, da diese auf dem Prinzip der Kostenerstattung erfolgt. Auf diese Weise können auch Unterstützungsleistungen bei anderen Gewerken oder auch bei der Planung etc. unkompliziert abgerechnet werden. • Deutliche Stressreduktion durch realistisches Terminmanagement durch Lean Construction und Fortschreibung der Termine, die keine Vertragstermine sind. • Wirtschaftlichkeit des Auftrags, da das Materialpreisrisiko gemeinsam getragen wird, da im Rahmen der Kostenerstattung, der Auftraggeber zwar den ggf. gestiegenen Materialpreis zu zahlen hat, aber auch entscheiden kann, dass dann die Ausführung ggf. weggelassen oder anderweitig kompensiert wird. • Weniger Änderungen und daher weniger unnötig bestellte Materialien.
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7 Ganzheitliche Projektabwicklung – Mit mehr Freude nachhaltig …
• Keine Verluste und Haftungsrisiken aufgrund nicht getätigter schriftlicher Bedenken- und Behinderungsmeldungen. • Gewährleistung und Haftung nach den gesetzlichen Vorschriften. Durch mediative Risiko- Fehler- und Konfliktbegleitung sowie durch auskömmliche Bezahlung werden diese Haftungsrisiken minimiert, da im Rahmen der ganzheitlichen Projektabwicklung mit konzentrierter Gelassenheit gearbeitet werden kann und dadurch schon weniger Fehler entstehen. • Freude an einem erfolgreich abgewickelten Projekt, weil der Erfolg gefeiert und Leistung und das Engagement anerkannt sowie gewertschätzt wird, statt im Rahmen unzähliger Konfliktfelder unterzugehen oder im Wege des Feilschens um die Zahlung der Schlussrechnung schlecht geredet zu werden. • Gute PR für nächste Aufträge, da Projektabwicklung reibungslos geklappt hat. • Durch konsequent nachhaltiges Wertschöpfen, gesellschaftliche Verantwortung übernommen, dadurch etwas Sinnhaftes gemacht, das gibt Optimismus und gute PR für weitere Projekte dieser Art • Gemeinsames Lernen führt zur persönlichen Weiterentwicklung • Freude an der Arbeit zieht Fachkräftenachwuchs an.
Weiterführende Literatur Arnold, R., Wie man führt, ohne zu dominieren, 2. Aufl., Stuttgart, 2013 Enkelmann, N., Enkelmann C., Die große Macht der Motivation, Was Spitzenleistungen möglich macht, Linde, 2017 Eschenbruch, K., Projektmanagement und Projektsteuerung für die Immobilien- und Bauwirtschaft, 5. Aufl., Hürth, 2021 Glasl, F., Konfliktmanagement, 12.Aufl., Stuttgart, 2020 Hübler, M., Die Führungskraft als Mediator, Wiesbaden, 2020 Hünerberg/Mann (Hrsg.), Ganzheitliche Unternehmensführung in dynamischen Märkten, Wiesbaden, 2009 Ibrom, S., Die Rolle der Mediation in demokratischen Entscheidungsprozessen, BadenBaden, 2015 Kreggenfeld, U., Erfolgreich systemisch verhandeln, 2.Aufl., Wiesbaden, 2021 Lange (Hrsg.), Werteorientierte Führung in Theorie und Praxis, Wiesbaden, 2021 Meiler, M., Emotionales Change-Management, Wiesbaden, 2020