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German Pages 144 [146] Year 2010
Anton Holzer Ganz Wien in 7 Tagen
Anton Holzer
Ganz Wien in 7 Tagen Ein Zeitreisefu¨hrer in die k. u. k. Monarchie
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Dank an Edith Wildmann, Johannes Hofmayr, Sndor Bksi und Heinz Schurz
]
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet Åber http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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c 2010 by Primus Verlag, Darmstadt Gedruckt auf surefreiem und alterungsbestndigem Papier Einbandgestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt a. M. Einbandabbildung: Wien, Straßenszene vor der Hofoper (kolorierte Radierung, um 1880,Wien Museum) Foto: akg-images / Erich Lessing Vorsatzkarte und Ausschnittkarten: Peter Palm, Berlin Abbildungen im Buch aus: Reinhard Petermann: Wien im Zeitalter Franz Josephs I., Wien 1908, Martin Gerlach: Wien – eine Auswahl von Stadtbildern,Wien 1908, Neuestes Monumental-Album von Wien,Wien o. J. (um 1910); Wien seit 60 Jahren. Ein Album fÅr die Jugend,Wien 1908 sowie aus Privatsammlungen. Layout: Petra Bachmann,Weinheim Gestaltung und Satz: Hagedorn Kommunikation,Viernheim Printed in Germany
www.primusverlag.de ISBN 978-3-89678-806-1
Inhalt Zu diesem Buch
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Wien – Metropole an der Donau
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13 Spazierga ¨ nge fu¨r sieben Tage
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Der I. Tag
Das noble Wien – Zwischen Stephansplatz und Hofburg Die Ringstraße – Flanieren auf Wiens pra¨chtigstem Boulevard
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Der II. Tag
Am Puls der neuen Stadt – Rund um Karlsplatz und Naschmarkt In Kaisers Garten – Ein Ausflug nach Scho¨nbrunn
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Der III. Tag
Die Welt der Alten Meister – Zu Besuch in Wiens Museen Vergnu¨gen und Erholung – Im und um den Prater
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Der IV. Tag
An der scho¨nen blauen Donau – Ein Ausflug ans Wasser
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Der V. Tag
Die Stadt der Toten – Zu Besuch auf dem Zentralfriedhof Wien bei Nacht – Oper, Theater und Variete´s
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Der VI. Tag
Stadt der Kranken – Die Heil- und Pflegeanstalt Steinhof Eine Melange bitte! – Spaziergang durch Wiens Kaffeeha¨user
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Der VII. Tag
Einkaufsbummel – In der Ka¨rntner- und der Mariahilferstraße Wien von oben – Mit der Zahnradbahn auf den Kahlenberg
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Zu diesem Buch
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ieser Fu¨hrer la¨dt Sie zu einer Zeitreise ins Wien der Jahrhundertwende ein. Er entfu¨hrt Sie in die Hauptstadt der k. u. k. Monarchie, eine Zwei-Millionen-Metropole, die um 1900 zu den gro¨ßten Sta¨dten der Welt za¨hlte. Bereits damals war die Stadt an der Donau eine u¨beraus attraktive Stadt, die fu¨r Touristen viel zu bieten hatte: die Pracht der Ringstraße, Schlo¨sser, Pala¨ste und Ga¨rten der Habsburger, den Charme der Wiener Altstadt. Wien war schon damals beru¨hmt fu¨r sein reiches kulturelles Leben, die Musik, die Oper, die Theater und Museen, aber auch fu¨r seine Kaffeeha¨user und sein Nachtleben. Zu all diesen Sehenswu¨rdigkeiten begleitet Sie dieser Zeitreisefu¨hrer. Er stellt aber auch weniger bekannte Orte abseits des Zentrums vor: die großen Einkaufsstraßen und die popula¨ren Vergnu¨gungsmeilen (etwa den Prater), das Wien der Arbeiter und der Fabriken, die Donauschifffahrt und den riesigen Zentralfriedhof. Und natu¨rlich kommen die „Heurigenlokale“ vor, die beliebten Weingastha¨user am Rande der Stadt. Diese Reise in die k. u. k. Hauptstadt ist eine Fiktion. Sie findet in der Zeit um 1900 statt, oder, um genau zu sein, im Jahr 1911. Denn auch nach der Jahrhundertwende wurde in Wien eifrig gebaut und umgestaltet. Einige wichtige Wiener Bauwerke, die vorgestellt werden, entstanden im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts. Bei der Auswahl der Sehenswu¨rdigkeiten haben wir stets zwei Brillen aufgesetzt, neben der historischen auch die der Gegenwart, um Sie hauptsa¨chlich an Sta¨tten zu fu¨hren, die heute noch zu sehen sind. Es wird Ihnen nicht schwerfallen, im heutigen Wien die Spuren der Jahrhundertwende zu finden. Denn fast das gesamte habsburgische Wien ist erhalten. In kaum einer anderen europa¨ischen Stadt ist die Vergangenheit so pra¨sent wie in der ehemaligen Hauptstadt des Kaiserreichs. Gewiss, manche Bezeichnungen und Straßennamen haben sich gea¨ndert, etliche Geba¨ude haben ihre Besitzer gewechselt und werden anders genutzt als um 1900, einige wurden auch abgetragen oder sind im Zuge spa¨terer Verbauung verschwunden. Aber mithilfe der Orientierungskarten, die jedem Stadtspaziergang beigegeben sind, werden Sie sich gut im Wien der Jahrhundertwende zurechtfinden. In den Karten sind jene Sehenswu¨rdigkeiten eingetragen, die Sie auf keinen Fall versa¨u-
Zu diesem Buch
men sollten und die in den meisten Fa¨llen a¨ußerlich ziemlich unvera¨ndert erhalten sind. Vielleicht vermissen Sie die eine oder andere als „historisch“ geltende Sehenswu¨rdigkeit. Nehmen wir als Beispiel das legenda¨re Kaffeehaus Hawelka. Es wurde erst in der Zwischenkriegszeit ero¨ffnet und fehlt daher im Kapitel u¨ber die bekannten Wiener Kaffeeha¨user der Jahrhundertwende. Apropos Zeitmarke 1911: Natu¨rlich beziehen sich alle Angaben ebenso wie die praktischen Hinweise, einschließlich der Straßennamen, Preise, ffnungszeiten etc., auf dieses Jahr. Sie lernen also in diesem Fu¨hrer Wien durch die Brille des Jahres 1911 kennen. In insgesamt 13 Stadtspazierga¨ngen tauchen Sie atmospha¨risch in das sta¨dtische Leben zu Beginn des letzten Jahrhunderts ein. Und erfahren en passant kulturund sozialgeschichtlich Interessantes u¨ber den Alltag in Wien um 1900.
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Wien – Metropole an der Donau
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ien gilt – neben Paris – als die Kulturstadt Europas. Sie ist die Stadt der Musik und des Theaters, der Museen und der prunkvollen Architektur. Sie ist die Stadt der Kaffeeha¨user und des Vergnu¨gens. Die Hauptstadt der k. u. k. Monarchie bietet aber, Sie werden es erleben, noch weit mehr. Lassen Sie sich von Wien u¨berraschen! Wenn Sie vor der Jahrhundertwende schon einmal zu Besuch waren und die Stadt zu kennen glauben, werden Sie u¨berrascht sein. Sie werden aber auch u¨berrascht sein, wenn Sie noch nie in Wien waren. In den letzten Jahrzehnten hat die Stadt ihr Gesicht grundlegend vera¨ndert. Aus der großen, etwas gemu¨tlichen Stadt an der Donau ist um 1900 eine beeindruckende europa¨ische Metropole geworden, eine pulsierende, oft hektische, immer lebendige Großstadt. Die kaiserliche Haupt- und Residenzstadt Wien, wie sie mit vollem Namen heißt, ist in den letzten Jahren rasant gewachsen. Wo vor einigen Jahren noch Gru¨nland, Weinberge oder Brachland waren, erstrecken sich nun neu erbaute Straßenzu¨ge. Ganze Viertel wurden innerhalb weniger Jahre aus dem Boden gestampft, das Verkehrsnetz von Grund auf erneuert. Nicht nur an der Peripherie hat sich Wien gea¨ndert, auch im Zentrum sind die Folgen des gewaltigen Baubooms und des Aufschwungs spu¨rbar: Allerorten stehen neue Wohnha¨user, Pala¨ste, Museen und Warenha¨user. Wien ist nicht nur gro¨ßer, sondern auch scho¨ner und moderner geworden. Wer in Wien unterwegs ist, spu¨rt es auf Schritt und Tritt: Die Stadt ist das selbstbewusste politische und gesellschaftliche Zentrum der k. u. k. Monarchie, eines 54-Millionen-Reichs, das zu den europa¨ischen Großma¨chten geho¨rt und sich u¨ber weite Teile Mittel- und Su¨dosteuropas erstreckt, vom Bodensee im Westen bis nach Galizien und an die russische Grenze im Osten, von Bo¨hmen im Norden bis nach Dalmatien und Dubrovnik im Su¨den. Der Bevo¨lkerung nach rangiert Wien unter den gro¨ßten Sta¨dten der Welt. Bei der Volksza¨hlung im Jahr 1910 wurden in Wien 2 083 630 Einwohner geza¨hlt. Damit liegt die Stadt nach London (1910 mit 4,6 Millionen Einwohnern), New York, Paris, Berlin und Chicago weltweit an sechs-
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ter Stelle und europaweit an vierter. Kleiner als Wien sind etwa Tokio, St. Petersburg, Philadelphia, Kalkutta, Moskau und Konstantinopel. Im Jahr 1850 hatte Wien 431 000 Bewohner, 1898 lebten in Wien bereits u¨ber 1,5 Millionen Menschen, 1910 ist die Zwei-Millionen-Grenze schließlich u¨berschritten worden. Ab der Mitte des Jahrhunderts hat also die Bevo¨lkerung von Jahrzehnt zu Jahrzehnt sprunghaft zugenommen. Im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs, der sich auch in einem Bauboom bemerkbar machte, wanderten Tausende von Menschen aus den Provinzen der Monarchie, aber auch aus dem Ausland zu. Man muss nur Lehmann’s Allgemeinen Wohnungs-Anzeiger zur Hand nehmen, der in allen gro¨ßeren Kaffeeha¨usern aufliegt, um sich das enorme Wachstum und die Entwicklung dieser Stadt plastisch vor Augen zu fu¨hren. Die Ausgabe von 1908 umfasst zwei Ba¨nde und hat 2785 Seiten, 1858, als der „Lehmann“ zum ersten Mal erschien, hatten die Wiener Adressen noch in einem bescheidenen Band Platz gefunden. Die Anzahl der „Telefonabonnenten“ hatte 1884 noch 686 betragen, 1908 sind 24 960 Nummern aufgefu¨hrt, die Anzahl der Firmen stieg zwischen 1858 und 1908 von 4137 auf 10 973. Aber nicht nur die Bevo¨lkerungszahlen sind explodiert, auch die Fla¨che der Stadt hat sich in diesen Jahren verdreifacht. Sie stieg, als Folge von Eingemeindungen, von 55 auf 178 Quadratkilometer. Dieses rasante Wachstum steht der Stadt architektonisch deutlich ins Gesicht geschrieben: Ein Großteil der Bauten aus dem Jahr 1910 stand fu¨nf Jahrzehnte zuvor noch gar nicht. Ganze Straßenzu¨ge und Viertel sind neu angelegt, zahlreiche neue Bru¨cken sind errichtet worden. Die Donau selbst erhielt zwischen 1870 und 1875 ein neues Flussbett – es war dies die gro¨ßte Flussbaustelle Europas. Der Reisende bemerkt schnell, dass er sich außerhalb des historischen Zentrums großteils in einer „neuen“ Stadt bewegt. Auch die beru¨hmte Ringstraße, die die Innenstadt kreisfo¨rmig umgibt, ist Teil dieses „neuen Wien“. Sie wurde auf den Gru¨nden der ehemaligen Stadtbefestigung in den Jahren 1858 bis 1865 errichtet. Fast alle Bauten am Ring entstanden nach dieser Zeit, das Parlament, das Rathaus, die Universita¨t, das Hofburgtheater, die Hofoper, zwei große Museen, die Bo¨rse, aber auch luxurio¨se Wohnha¨user des o¨sterreichischen Geldadels. Gewiss: In der Inneren Stadt – so wird Wiens Altstadt, der I. Bezirk, genannt – blieb fast alles beim Alten. Die engen, verwinkelten, zum Teil aus dem Mittelalter stammenden Gassen verstro¨men noch immer den Charme der Vergangenheit. Stundenlang kann man hier flanieren und sich treiben lassen, wunderbare kleine Gescha¨fte entdecken, alteingeses-
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Einleitung
sene Gastha¨user und Lokale besuchen, dazwischen kann man immer wieder noble Adelspala¨ste und alte Kirchen bestaunen. Kaum aber verla¨sst man das Zentrum, werden die Straßen breiter und moderner; sie sind hier meist rechtwinkelig angelegt. Nun kann der Blick u¨ber die prunkvollen Fassaden der Wohnha¨user und Pala¨ste, der Museen und Theaterbauten schweifen, die in den letzten Jahrzehnten errichtet wurden. Und die Wiener, die Wienerinnen? Wie haben sie den rasanten Wandel erlebt? Wer sind sie u¨berhaupt, die Wiener? Sprechen Sie einen Wiener, eine Wienerin auf der Straße an! Schon nach wenigen Fragen und Antworten – woher sie kommen, ob sie hier aufgewachsen sind, wie sie heißen, wo sie wohnen, wo sie arbeiten – scha¨lt sich ein Bild heraus, das auf den ersten Blick u¨berraschend sein mag. Sehr viele „Wiener“ sind zugewandert. Entweder sie selbst oder ihre Eltern stammen aus anderen Gegenden der Monarchie, aus Bo¨hmen oder Ma¨hren, aus Ungarn, aus einem der slawischen oder italienischen Gebiete, aus Galizien oder aus Schlesien. Sie werden daher in Wiens Straßen und auf den Gescha¨ftsschildern auf fast ebenso viele Polatscheks, Kolariks und Suschitzkys treffen wie auf Maiers und Bauers. Der starke Zuzug hat Wien ebenso sehr vera¨ndert wie der Bauboom. Die Bewohner der Stadt sind zum Spiegel der Vielvo¨lkermonarchie geworden. Aus Bo¨hmen und Ma¨hren kamen seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ganze Generationen von Arbeitern und Handwerkern nach Wien, sie arbeiten in den Ziegelfabriken im Su¨den der Stadt, im Baugewerbe, aber auch im Schneider-, Schuster- und Tischlergewerbe. Legenda¨r sind auch die bo¨hmischen Ko¨chinnen und Dienstma¨dchen, die in fast keinem Wiener rzte- und Kaufmannshaus fehlen und nebenbei ein Stu¨ck bo¨hmische Ku¨chenkultur nach Wien gebracht haben. Italiener arbeiten als Erd-, Bau- und Steinarbeiter, als Rauchfangkehrer oder als Eisverka¨ufer, Barbiere stammen meist aus Ungarn. Gemu¨seha¨ndler sind oft Slowaken, Hausierer und fliegende Su¨ßwarenha¨ndler Zuwanderer aus Krain oder Bosniaken. Der Ansturm an arbeitswilligen Fremden ist nach wie vor ungebrochen: Und dennoch, manche Gewerbezweige bleiben bis heute fest in einheimischer Hand: etwa das Lohnfuhrwerk, die beru¨hmten „Fiaker“, das Wirts- und das Fleischergewerbe. Auch in der Verwaltung ko¨nnen sich die Neuanko¨mmlinge erst nach und nach durchsetzen. In den freien Berufen ist der gesellschaftliche Aufstieg leichter. Um nur ein Beispiel zu nennen: Heute (1911) gibt es in Wien elf tschechische Banken, in denen nicht nur die niedrigen, sondern auch die leitenden Funktionen von tschechischen Wienern besetzt sind.
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Wenn man in den inneren Bezirken unterwegs ist, ko¨nnte der Eindruck entstehen, dass Wien hauptsa¨chlich eine Stadt des Kaiserhofs, des Klerus und der Aristokratie ist. Aber dieser Eindruck tru¨gt. Zwar pra¨gen der Hof und die „altehrwu¨rdigen“ Sta¨nde die Architektur der Inneren Stadt, aber den wirtschaftlichen Elan verdankt Wien anderen gesellschaftlichen Gruppen: Es sind Bank- und Warenha¨user, die auch im Zentrum expandieren, aufstrebende Bu¨rger, die gescha¨ftlich in den Bezirken rund um das Zentrum angesiedelt sind, die freien Berufe, aber auch die Arbeiter in den Vorsta¨dten. Der alte Adel und sehr wohlhabende Wiener wohnen immer noch in der Inneren Stadt oder am Ring, in den letzten Jahren zog das ho¨here und mittlere Bu¨rgertum aber immer o¨fter ins Gru¨ne. Auf diese Weise entstanden ganze Villenkolonien in den gru¨nen Außenbezirken am Westund Nordwestrand der Stadt, etwa in Wa¨hring, Do¨bling oder Hietzing. Freiberufler und hohe Beamte wohnen vorzugsweise in den vornehmeren Vierteln außerhalb des Rings, oft in der Umgebung der Museen, im Umkreis der Universita¨t sowie im 9. Bezirk, wo zahlreiche wissenschaftliche Einrichtungen konzentriert sind. Die großen Radialstraßen, die vom Ring hinausfu¨hren, allen voran die Mariahilferstraße, sind inzwischen zu noblen Gescha¨ftsstraßen geworden. Zwischen alteingesessenen Handwerksbetrieben und Manufakturen hat sich der Mittelstand angesiedelt. Die Großindustrie suchte sich als Standorte billigen Baugrund weit außerhalb des Zentrums, vor allem im Su¨den und Westen der Stadt (in den Bezirken Favoriten, Simmering, Meidling, Ottakring). Im Umkreis dieser Betriebe sind in den letzen Jahren ausgedehnte Arbeitersiedlungen entstanden. Spa¨ter als andere Großsta¨dte, etwa Berlin, ist Wien zur Industriestadt geworden. Um die Jahrhundertwende gab es erst 10 Industriebetriebe mit mehr als 1000 Bescha¨ftigten, ein Jahrzehnt spa¨ter ist die Anzahl auf 29 angestiegen. Die Großindustrie kennzeichnet zwar nicht das Wiener Stadtbild. Aber dennoch ist Wien eine Arbeiterstadt. Bei der Volksza¨hlung im Jahr 1900 gaben zwei Drittel der Wiener Bevo¨lkerung an, dem Arbeiterstand anzugeho¨ren. Viele von ihnen sind in kleinen und mittleren Betrieben ta¨tig. Um einen Eindruck von Wien zu bekommen, sollten Sie die „Insel“ Innere Stadt unbedingt verlassen. Besuchen Sie auch die a¨ußeren Bezirke und die Vorsta¨dte! Gutes Schuhwerk ist fu¨r solche Ausflu¨ge unabdingbar. Denn Wien ist abseits des prachtvoll hergerichteten Zentrums und der inneren Bezirke eine staubige, mancherorts auch schmutzige Stadt. Die meisten der peripheren Straßenzu¨ge sind noch nicht gepflastert oder asphaltiert. Asphalt, der moderne, saubere und vergleichsweise leise Stra-
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Einleitung
Wer in Wien wo wohnt Die einzelnen Bezirke Wiens haben in mannigfacher Beziehung gewisse charakteristische Merkmale in Bezug auf ihre Bewohner und deren Bescha¨ftigung. So ist der erste Bezirk der Sitz der Aristokratie und Plutokratie, der hohen mter und Wu¨rdentra¨ger, der Brennpunkt des Gescha¨fts- und Fremdenverkehrs. Er vereinigt in sich die gro¨ßten Gescha¨ftsniederlagen und Industriepala¨ste. Der zweite ist neben dem ersten das Zentrum des Handels, namentlich des Produktenhandels, der dritte und vierte gro¨ßtenteils Wohnort des Adels und der Bureaukratie, der fu¨nfte Hauptsitz des Kleingewerbes, der sechste und siebente Zentrum der Fabrikindustrie, der neunte Sitz medizinischer und anderer wissenschaftlicher Anstalten. Die neuen Bezirke sind die Heimsta¨tten der großen Fabriken und daher auch Wohnorte der Arbeiterklasse, teils aber auch, und zwar vornehmlich an der Grenze des Weichbildes, der Sitz der Villenbewohner, mithin Sommerfrischen mit la¨ndlichem Charakter. Franz Ho¨llrigl: Wiener Cicerone. Illustrierter Fremdenfu¨hrer durch Wien und Umgebung, Wien 1910.
ßenbelag, ist in Wien noch ein Fremdwort. 1909 lag er erst auf einem Zwanzigstel der Wiener Straßen – weit weniger als etwa in London, Paris oder auch in Berlin. In den Vorsta¨dten liegt auch die Sa¨uberung der Straßen zum Teil noch im Argen. Pferdemist, Mu¨ll und vor allem Staub machen den Passanten zu schaffen. Auch allerlei Ausdu¨nstungen schlagen einem hier entgegen. Dennoch: vieles hat sich auch in dieser Hinsicht in den letzten Jahren zum Besseren gewandelt. Inzwischen ist die Gemeindeverwaltung fu¨r die Reinigung der Straßen und fu¨r die Maßnahmen gegen die Staubentwicklung zusta¨ndig. Gegenwa¨rtig bescha¨ftigt die Stadt allein 2600 Arbeiter fu¨r die Mu¨llentsorgung, daru¨ber hinaus kommen fu¨r die Mu¨llentsorgung 571 Pferde, 113 Kehrmaschinen, 77 Sprengwagen, 171 Kehrichtwagen und 127 Spezialwagen zum Einsatz. Sie werden also bei Ihren Streifzu¨gen immer wieder auf die sta¨dtischen Mu¨llwagen, aber auch auf sogenannte „Fasswagen“ treffen, Pferdefuhrwerke, die die geschotterten Straßen mit Wasser besprengen. Die Kehricht- oder Deckelwagen, die den Hausmu¨ll entsorgen, sind in der Inneren Stadt ta¨glich von sechs bis neun Uhr morgens unterwegs. Diese Straßenzu¨ge sind entsprechend sauber und gepflegt,
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Der Kehrichtwagen sammelt in der Vorstadt den Mu¨ll ein.
in den u¨brigen Bezirken wird der Mu¨ll nur zweimal wo¨chentlich, oft sogar nur einmal pro Woche entsorgt. Entsprechend schmutziger sind hier die Straßen. Die reicheren Bewohner des Zentrums lassen den Mu¨ll gegen Entgelt aus der Wohnung holen, in den Außenbezirken bringen ihn die Parteien zur Straße, wenn der Kehrichtwagen klingelt. Schon nach wenigen Touren quer durch die Stadt werden Sie bemerken, dass Wien eine Stadt der Kontraste ist. Der prachtvollen Innenstadt und dem noblen Ring stehen a¨rmliche Vorstadtgegenden gegenu¨ber. Besonders deutlich werden diese sozialen Gegensa¨tze am Abend: Wa¨hrend die Innenstadt durch zahlreiche Straßenlaternen hell erleuchtet ist und hier die Gescha¨ftsauslagen oft schon elektrisch erhellt werden, ist es in der Vorstadt abends fast dunkel. Die Gaswerke sind seit wenigen Jahren in o¨ffentlichem Besitz. Das billige Gas ist immer noch das bevorzugte Beleuchtungsmittel. Insgesamt waren 1908 immerhin noch 36 377 o¨ffentliche Gasflammen in Betrieb, die teurere elektrische Beleuchtung ist aber deutlich im Kommen. Auf o¨ffentlichen Pla¨tzen finden sich bereits 1154 Bogenund 945 Glu¨hlampen. In den Ha¨usern hat das elektrische Licht das Gas schon fast eingeholt: Rund 1,5 Millionen Gasflammen stehen 1,1 Millionen elektrische Glu¨hlampen gegenu¨ber. In Ihrem Hotel finden Sie mit Sicherheit bereits elektrische Beleuchtung vor. Mo¨glicherweise bietet Ihnen Ihre Unterkunft auch einen elektrisch betriebenen Aufzug. Wenn Sie mit der Bahn anreisen, nutzen Sie die Gelegenheit, die Stadt bereits vor Ihrer Ankunft im Querschnitt zu betrachten. Das ist ganz einfach: Werfen Sie, wenn Sie die ersten Vororte erreicht haben, einen Blick aus dem Coupe´fenster! Die letzte halbe Zugstunde vermittelt Ihnen
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In Wien ankommen Am bequemsten und raschesten wird der Ankommende seinen Bestimmungsort in Wien erreichen, wenn er sich eines der Lohnfuhrwerke bedient, die auf den Bahnho¨fen bereit stehen. Namentlich wenn alle Localkenntnis mangelt oder Reisegepa¨ck unterzubringen ist, erscheint die Benu¨tzung der Tramway oder Omnibus ausgeschlossen. Karl Eduard Schimmer: Wien in Wort und Bild. Illustrierter Fu¨hrer durch Wien, Wien 1900.
einen guten Einblick in die Struktur der Stadt. Im Westen passieren Sie, falls Sie mit der Westbahn anreisen, zuna¨chst die Villen am Stadtrand, dann treffen Sie auf die Fabrik- und Industriegebiete, Sie durchkreuzen die riesigen Arbeiterwohngebiete mit ihren endlosen Mietkasernen und kommen schließlich in die bu¨rgerlichen Wohnbezirke. Wien hat mehrere große Bahnho¨fe: den Su¨dbahnhof fu¨r Verbindungen in den Su¨den, den Staatsbahnhof fu¨r Fahrten nach Su¨dosten, den Nordbahnhof, der Wien mit Galizien und Russland verbindet, den Nordwestbahnhof und den Franz-Josefs-Bahnhof, die die Reisenden nach Bo¨hmen und in die norddeutschen Gebiete fu¨hren, und schließlich den Westbahnhof, an dem Reisende aus Su¨ddeutschland und den westlichen La¨ndern ankommen. Am Bahnsteig bieten Ihnen „Dienstma¨nner“ ihre Hilfe an. Sie erkennen den Dienstmann an seiner Uniform und seiner roten oder blauen Kappe. Auf dieser tra¨gt er, gut sichtbar, ein Blechschild mit einer Nummer, die Sie sich, sollten Sie Beanstandungen haben, merken sollten. Er bringt Ihnen Ihr Gepa¨ck gegen ein geringes Entgelt (20 bis 40 Heller) zu einem Lohnfuhrwerk, einem Fiaker oder Einspa¨nner, die vor dem Bahnhof bereitstehen. Fu¨r Ihre erste Fahrt zum Hotel sollten Sie ein solches Fahrzeug unbedingt der Tramway oder dem pferdegezogenen Omnibus vorziehen. Ihr Kutscher ist ortskundig, Sie mu¨ssen nicht umsteigen und ko¨nnen ohne gro¨ßere Mu¨he Ihr gesamtes, auch schwereres Gepa¨ck befo¨rdern. Im Wagen untergebrachtes Gepa¨ck ist frei, wird dieses am Kutschbock oder hinten im Wagen verladen, so verlangt der Fiaker zusa¨tzlich 80, der Einspa¨nner 60 Heller. Die Tarife fu¨r Lohnfuhrwerke berechnen sich aus einer Mischung aus Strecken- und Zeittaxe. In der Nacht erho¨ht sich die allgemeine Taxe um die Ha¨lfte. Das Preissystem der Wiener Lohnfuhrwerker ist nicht ganz leicht zu durchschauen, und immer wieder
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Obwohl die Wiener Straßenbahnen gut ausgebaut sind, ist das traditionelle Wiener „Taxi“ noch immer weit verbreitet: der Fiaker.
kommt es zu kleinen Betru¨gereien. Notieren Sie sich bei Verdacht die Nummer Ihres Wagens und lassen Sie sich den Fahrpreis genau vorrechnen. Apropos Fiaker und Einspa¨nner. Der Unterschied ist ganz einfach: Erstere sind zweispa¨nnig und haben gute Pferde, scho¨ne Wagen und verstehen sich als Luxusfuhrwerke, sie sind daher auch etwas teurer als Letztere, die einspa¨nnig sind und einfachere Wagen haben. Beide aber sind durch eine sta¨dtische Verordnung angehalten, flott unterwegs zu sein: „Fiaker und Einspa¨nner haben mit Fahrga¨sten in frischem Trab, d. h. mit einer Normalgeschwindigkeit von mindestens 1 Kilometer je 6 Minuten oder 165 Meter in jeder Minute zu fahren.“ Wollen Sie noch schneller vorankommen, stehen Ihnen seit Kurzem einige wenige moderne, aber teurere Automobil-Omnibusse und Automobil-Taxis zur Verfu¨gung. Sind Sie erst einmal im Hotel angekommen und haben Ihr Gepa¨ck in Ihrem Zimmer verstaut, steht Ihnen fu¨r Ihre weiteren Unternehmungen in Wien ein ausgedehntes o¨ffentliches Verkehrsnetz zur Verfu¨gung. In den engen Gassen der Innenstadt werden Sie vor allem zu Fuß unterwegs sein, am Ring beginnt bereits das ausgedehnte Straßenbahnnetz, das ganz vorzu¨glich funktioniert und Sie schnell und sicher an Ihr Ziel bringt. Die Ringlinie wird zweigleisig gefu¨hrt, Sie ko¨nnen also die Innenstadt in beliebiger Richtung umrunden. Von hier aus zweigen zahlreiche Linien strahlenfo¨rmig ab und fu¨hren in die a¨ußeren Bezirke. An vielen Haltestellen sind Warteha¨uschen aufgestellt, in der Nacht sind die Haltestellen
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Ein neues Verkehrsmittel: der Automobilbus.
durch anliegende Straßenlaternen mit blauem Licht gekennzeichnet. Die ersten Linien verkehren zwischen fu¨nf und sechs Uhr fru¨h, die letzten zwischen halb eins und halb zwei Uhr nachts. Die Tickets kosten je nach Fahrt 20 bis 40 Heller. An Sonn- und Feiertagen, wenn das einfache Volk unterwegs ist, werden einheitlich 20 Heller verlangt. Neben den pferdegezogenen Omnibussen (auch Stellwagen genannt), die vor allem die Außenbezirke und entlegenere Viertel ansteuern, ist die elektrische Tram fu¨r Einheimische wie fu¨r Ga¨ste das wichtigste Verkehrsmittel in Wien. Seit 1902 ist die Straßenbahn im Besitz der Stadt und wird Jahr fu¨r Jahr zu¨gig ausgebaut. Das ab 1868 eingerichtete Pferdebahnnetz ist inzwischen fast vollsta¨ndig durch elektrifizierte und modernisierte Linien ersetzt worden. Auch die Omnibusse bzw. Stellwagen werden, ebenso wie die wenigen Dampftramways, die noch verkehren, sukzessive durch elektrische Straßenbahnen und teilweise auch durch Autobusse mit Benzin- oder Elektrobetrieb ersetzt. 1870 gab es in Wien erst 22 Straßenbahnkilometer, auf dieser Strecke wurden ja¨hrlich 12,5 Millionen Fahrga¨ste befo¨rdert. Bis 1910 ist die Strecke auf u¨ber 240 Kilometer angewachsen und ja¨hrlich kommen neue Strecken hinzu. Beeindruckend ist die ja¨hrliche Anzahl der Fahrga¨ste, die 1910 bereits 270 Millionen im Jahr betra¨gt. Wenn Sie die Stadt schnell durchqueren wollen, bietet sich seit der Jahrhundertwende die dampfbetriebene Stadtbahn an, eine schnelle sta¨dtische Zugstrecke, die in zwei
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Trassen teils u¨ber-, teils unterirdisch gefu¨hrt wird und moderne Haltestellen und Bahnho¨fe aufweist. Sie hat nur einen Nachteil: Wenn Sie mit schwerem Gepa¨ck unterwegs sind, ko¨nnen die Bahnsteige, die u¨ber lange Treppen erreichbar sind, zum Hindernis werden. Wiens Straßen sind – vor allem an den Verkehrsknotenpunkten im Zentrum – hektisch und laut. Sie ho¨ren auf Schritt und Tritt die ankommenden und abfahrenden Straßenbahnwagen quietschen und klingeln. Und dennoch stammt das dominierende Gera¨usch in der Stadt nicht von Maschinen, sondern von Tieren, genauer: von Pferden. Im Jahr 1900 gab es in Wien 41 000 Pferde (im Vergleich dazu gab es „nur“ 38 000 Hunde). Sie verleihen der Stadt ihr typisches Gepra¨ge, und das Geklapper der Fiaker und Einspa¨nner, der Pferde-Tramways (allein die Wiener Tramway hatte 3800 Pferde im Dienst), Lastfuhrwerke und der Reiter ist weithin ho¨rbar. Zwischen Fußga¨ngern und Pferden, zwischen Straßenbahnen und Omnibussen nimmt sich – zumindest vom La¨rm her – das ju¨ngste Verkehrsmittel in Wien geradezu bescheiden aus: das Automobil. 1907 gab es bereits 800 dieser neuen Fahrzeuge, die, wenn sie auf Wiens Straßen auftauchen, dennoch fu¨r Aufsehen sorgen, weit mehr jedenfalls als die wenigen „Byciclisten“, die aus sportlichen Gru¨nden die staubigen Straßen entlangkeuchen. Wien ist eine u¨beraus beliebte Fremdenverkehrsstadt. Jahr fu¨r Jahr kommen mehr Touristen in die Stadt. Zwischen 1882 und 1903 stieg die Anzahl der Besucher von 181 088 im Jahr auf 443 713. In den 1870er-Jahren steckte der Tourismus noch in den Anfa¨ngen. Bis dahin hatte Wien nur wenige attraktive Hotels. Die Wende brachte die Weltausstellung 1873: Sie zog – trotz Bo¨rsenkrach und Choleraepidemie – acht Millionen Besucher an. Fu¨r dieses Großereignis wurden zahlreiche Hotels, Pensionen und Appartements fu¨r Besucher eingerichtet. 1873 gab es bereits 64 Hotels und Gastho¨fe, seither stieg die Zahl Jahr fu¨r Jahr kontinuierlich an. Die Qualita¨t der Unterku¨nfte hat sich ebenfalls verbessert. Mittlerweile gibt es Unterku¨nfte fu¨r alle Geschmacksrichtungen und Portemonnaies: vom einfachen Zimmer im Vorortgasthaus u¨ber gediegene Pensionen – viele davon befinden sich im 9. Bezirk – bis hin zu noblen Zimmern oder Suiten in den großen Innenstadt- und Ringstraßenhotels, wie dem Hotel Sacher gegenu¨ber dem Opernhaus, dem Hotel Imperial und dem Grand Hotel am Ka¨rtnerring oder den Ha¨usern Meissl & Schaden und Krantz am Neuen Markt. Auswahl an Unterku¨nften gibt es inzwischen also genug. Dennoch ko¨nnen die Zimmer zu manchen Zeiten, etwa wa¨hrend großer Kongresse,
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Auf der Wiener Ringstraße herrscht stets reger Verkehr. Hier ein Blick von der Ringstraße auf den Schwarzenbergplatz, auf dem die Tramway, Fiaker und Fußga ¨ nger unterwegs sind.
knapp werden. Ein Ratschlag daher: Reservieren Sie Ihre Unterkunft unbedingt rechtzeitig! Zum Abschluss dieser Anna¨herung an Wien du¨rfen ein paar praktische Hinweise und Winke nicht fehlen.
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Reisezeit: Wenn Sie fragen, welches das beste Reisewetter fu¨r Wien ist, lautet die Antwort: immer, nur nicht im Winter (November bis Februar), wenn der kalte pannonische Wind durch die Gassen pfeift und oft tagelang Hochnebel u¨ber der Stadt liegt. Durchschnittlich hat Wien 54 Nebeltage,
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die meisten davon im Winter. Gute, angenehme Reisezeiten sind Fru¨hjahr und Herbst. Der Hochsommer (Juli, August) kann in Wien recht heiß sein, was aber kein Problem sein muss. Die Stadt bietet viele Mo¨glichkeiten der Abku¨hlung. Neben den zahlreichen schattigen Gastga¨rten za¨hlen dazu ku¨hle Parks und Bademo¨glichkeiten entlang der Donau. Wa¨hrung: Seit dem 1. August 1892 hat die o¨sterreichisch-ungarische Monarchie die Kronenwa¨hrung (eine Krone entspricht 100 Heller) eingefu¨hrt, die den alten Gulden abgelo¨st hat. Gelegentlich werden Sie noch auf a¨ltere Wa¨hrungsbezeichnungen stoßen, im gewo¨hnlichen Alltagsverkehr wird oft noch in Gulden und Kreuzern gerechnet. Die Umrechnung ist nicht allzu schwierig: zwei Kronen entsprechen einem Gulden, zwei Heller einem Kreuzer. Zur Orientierung: Drei Kilogramm Brot kosten ungefa¨hr eine Krone, fu¨r einen Herrenanzug muss man etwa 45 Kronen bereithalten. Der Wechselkurs zwischen Krone und Mark betra¨gt im Jahr 1911: 100 Mark = 117 Kronen 80 Heller. Ausku¨nfte: Wenn Sie Ausku¨nfte und Informationen, etwa u¨ber Unterku¨nfte, Zugverbindungen und anderes brauchen, wenden Sie sich an den Wiener Verein fu¨r Stadtinformation und Fremdenverkehr in der Jasomirgottstraße 2, der sein Bu¨ro in unmittelbarer Na¨he des Stephansdoms hat. Touristische Ausku¨nfte erteilt auch der Landesverband fu¨r Fremdenverkehr in Niedero¨sterreich in der Ka¨rntnerstraße 34. Post, Tabak, Ansichtskarten: Rauchwaren,Tabak und Zigaretten unterliegen in sterreich-Ungarn dem Staatsmonopol. Sie erhalten diese Waren in Tabakla¨den (Trafiken). Dort erhalten Sie auch Briefmarken, Postkarten, Ansichtskarten, Briefmarken und Fahrpla¨ne. Ansichtskarten werden auch in den innersta¨dtischen Buchhandlungen verkauft, die gro¨ßte Auswahl bietet das Unternehmen der Bru¨der Kohn mit zwei Standorten im Zentrum: Teinfaltstraße 3 und Ka¨rntnerstraße 29. Briefmarken sind in allen Posta¨mtern erha¨ltlich. Gelb gekennzeichnete Briefka¨sten finden Sie an jeder Ecke, insgesamt sind es in ganz Wien 1375 Stu¨ck. Das Porto fu¨r Korrespondenzkarten innerhalb sterreich-Ungarns und nach Deutschland betra¨gt fu¨nf Heller, fu¨r die Gebiete des Weltpostvereins zehn Heller. K. u. k. (k. k.): Immer wieder werden Sie in Wien auf diese Ku¨rzel stoßen. Man ko¨nnte lange, gelehrte Abhandlungen u¨ber die Bedeutung dieser „kakanischen“ Zeichenwelt schreiben. Fu¨r unseren Zusammenhang genu¨gt eine einfache Entschlu¨sselung. Die o¨sterreichisch-ungarische Monarchie besteht aus zwei Staaten (Reichsha¨lften): dem Kaisertum sterreich und dem Ko¨nigreich Ungarn, die sowohl gemeinsame als auch getrennte staatliche Einrichtungen aufweisen. K. u. k. bezeichnet
Wien – Metropole an der Donau
alle gemeinsamen Einrichtungen der ungarischen und o¨sterreichischen Reichsha¨lfte, insbesondere die gemeinsame Armee. K. k. hingegen bezeichnet nur die Beho¨rden und staatlichen Einrichtungen der westlichen Reichsha¨lfte der Monarchie, also sterreichs. Lassen Sie sich aber nicht beirren, wenn im Alltag der Stadt diese beiden Bezeichnungen oft durcheinandergeraten und auch fu¨r Einrichtungen weit abseits ehrwu¨rdiger staatlicher Institutionen auftauchen. Die Titel k. u. k. sind auch im Gescha¨ftsleben als Nobelpra¨dikate sehr begehrt (etwa k. u. k. Hofba¨ckerei). Sie sind, bei entsprechend za¨hen Vorsprachen am kaiserlichen Hof (in Wien nennt man das „Antichambrieren“) auch nicht allzu schwer zu bekommen. Hausnummern: Sie suchen eine Adresse in Wien? Ganz einfach: Jede Straße ist fu¨r sich nummeriert, und zwar liegen die ungeraden Nummern vom Zentrum der Stadt aus gesehen links, die geraden rechts. Bei Quergassen ist die Seite, die der Stadtperipherie na¨her liegt, mit ungeraden Nummern versehen, die dem Zentrum zugewandten Straßen mit geraden. Eine zusa¨tzliche Orientierungshilfe bietet die Form der Gassentafeln: Entlang der Radialstraßen, die aus der Stadt hinausfu¨hren, sind sie na¨mlich rechteckig. Hingegen haben die Tafeln entlang der Tangentialstraßen, die um die Stadt herumfu¨hren, eine ovale Form.
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13 Spazierga¨nge
fu¨r sieben Tage
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in Rundgang, der mit einem Aufstieg in lichte Ho¨hen beginnt und mit einem Abstieg in die Unterwelt endet. Unser Spaziergang fu¨hrt vom Stephansturm zur kaiserlichen Hofburg. Zum Abschluss steigen wir hinab in die Kapuzinergruft. Er ist das Wahrzeichen der Stadt: Der Stephansdom bzw. Stephansturm (von den Wienern oft liebevoll „Steffl“ genannt) erhebt sich ziemlich genau in der Mitte der Wiener Altstadt aus einem dichten Gewirr von Da¨chern 1 . Der Bau, der in Teilen auf das fru¨he 13. Jahrhundert zuru¨ckgeht, ist nicht nur das geografische Zentrum der Stadt, sondern auch sein symbolischer Mittelpunkt, eine Art architektonisches National-
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Der Stephansturm. Von der Tu¨rmerstube aus bietet sich ein atemberaubender Blick auf die Stadt.
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heiligtum der Stadt und des Staates. Keine Kirche in der Monarchie darf ho¨her sein als der 136 Meter hohe Stephansturm. Der Su¨dturm, 1522 erbaut, ist der ho¨chste von vier Tu¨rmen, er ist der einzige, der weithin sichtbar ist – die anderen drei Tu¨rme sind niedriger bzw. wurden nicht fertig gebaut. Hier also wollen wir unseren ersten Rundgang beginnen und, von der Aussichtsplattform des Turms aus, einen ersten Rundblick u¨ber die Stadt werfen. Der Platz rund um die Kirche ist ein Knotenpunkt des Verkehrs, hier geht es laut und gescha¨ftig zu. Die großen Gescha¨ftsstraßen der Inneren Stadt stoßen hier aneinander, man trifft sich fu¨r Verabredungen, steigt von einem Pferdeomnibus in einen anderen um. Vormittags rattern die Pferdewagen mit den Waren fu¨r die nahe liegenden Gescha¨fte, Warenha¨user und Ma¨rkte vorbei, eilige Fußga¨nger und Reiter ziehen voru¨ber. Vor den Kaffeeha¨usern sitzen Ga¨ste, sie trinken Kaffee, lassen ihren Blick schweifen und werden gern gesehen. Kaum haben wir die Treppe, die zum Turm hinauffu¨hrt, betreten, ist es still. Die dicken Mauern des Doms halten die Gera¨usche der gescha¨ftigen Welt fern. Werktags von acht Uhr fru¨h bis fu¨nf Uhr nachmittags ist der Turm fu¨r Besucher geo¨ffnet, der Eintritt betra¨gt 40 Heller. Und nun geht es steil bergan: 343 Steinstufen, bis hinauf zur Tu¨rmerstube, von der aus sich ein herrlicher Ausblick auf die Stadt bietet. Generationen von Schaulustigen haben diese Plattform erklommen und das Panorama zu ihren Fu¨ßen bewundert. „Wir sehen sie [die Stadt, A. H.] wie eine Scheibe um unseren Thurm herumliegen“, schreibt etwa Adalbert Stifter 1842, „ein Gewimmel und Geschiebe von Da¨chern, Giebeln, Schornsteinen, Thu¨rmen, ein Durcheinander von Prismen, Wu¨rfeln, Piramiden […] – In der That, von dieser Ho¨he der Vogelperspektive angesehen, hat selbst fu¨r den Eingeborenen die Stadt etwas Fremdes und Abentheuerliches, so daß er sich fu¨r den Augenblick nicht zu finden weiß.“
Weit u¨ber der Stadt Von der Ho¨he des Thurmes kann man mit Hilfe eines Planes ganz deutlich die großen Verkehrsadern verfolgen, die sich vom Centrum der Stadt ziemlich genau nach den vier Weltgegenden erstrecken. Karl Eduard Schimmer: Wien in Wort und Bild. Illustrierter Fu¨hrer durch Wien, Wien 1900.
Das noble Wien – Zwischen Stephansplatz und Hofburg
Das Auge braucht eine Weile, bis es sich einen berblick verschafft u¨ber die verwinkelten Straßenzu¨ge und die zahlreichen Kirchen, die Ga¨rten und Pala¨ste, den Lauf der Donau und die Lage der Vororte. Allma¨hlich aber treten einzelne Geba¨ude ins Blickfeld, die na¨here Umgebung erschließt sich. Noch einmal Stifter: „Dort, nur durch eine du¨nne Ha¨userschicht von uns getrennt, steht die scho¨ne schwarze Kuppel St. Peters, von dieser Ho¨he erst sichtbar, wie weit sie die Ha¨usermasse u¨berragt – hinter ihr der freundliche Thurm der Schottenbastei, links das schlanke Stift St. Michaels, dann die Augustiner, die Kapuziner, und zwischen ihnen allen – (selber eine kleine Stadt) die ehrwu¨rdigen Geba¨ude der kaiserlichen Hofburg.“ Endlos ko¨nnten wir unser Auge u¨ber die nahen und fernen Da¨cher schweifen lassen, immer neue Einzelheiten ko¨nnten wir entdecken. Auch Stifter, der den Blick vom Stephansturm fru¨h am Morgen beschreibt, kommt auf das zunehmende Gedra¨nge, den anschwellenden Verkehr und den einsetzenden La¨rm in den Gassen tief unter ihm zu sprechen. Winzig klein erscheinen ihm die Menschen und Wagen: „[…] da gehen die Ma¨gde mit ihren reinlichen Einkaufsko¨rbchen, und tauchen hinein in das wogende Gesurre – siehe auch schon eine Karosse, die u¨ber den Platz rollt – und all die Gescha¨ftsleute erscheinen, und die Beamten, die in ihr Bureau gehen – und es mehrt sich Rauch und Staub u¨ber der Stadt; der Wagen und Kutschen werden immer mehr, so daß ein unausgesetztes Donnern geda¨mpft heraufschla¨gt zu unserer luftigen Einsamkeit.“ Zuru¨ck auf der Straße, zuru¨ck ins Treiben und in den La¨rm der Stadt. Wir flanieren u¨ber den Graben 2 , vorbei an noblen Gescha¨ften, an Banken, Wechselstuben, Versicherungen, an Restaurants, Cafe´s und Buchhandlungen. Der Graben ist vieles in einem: Promeniermeile (wenn auch viel zu kurz, um Meile genannt zu werden) und Treffpunkt der vornehmen Gesellschaft und der Schickeria, in Wien gern als „Adabeis“ (auch dabei) tituliert. Wer hier auftritt, mo¨chte sehen und gesehen werden. Hier wird von den reichen Damen der oberen Klassen die neueste Mode aus- und vorgefu¨hrt, hier treffen sich bessere Gescha¨ftsleute fu¨r ihre Unterredungen, hier sitzt man abends lange in den Gastga¨rten der vornehmen Lokale, plauscht, trinkt und vertreibt sich die Zeit. Graben heißt dieser kurze Straßenabschnitt, weil er im Mittelalter Festungsgraben war und unmittelbar vor der Stadtmauer gelegen. Zwei Stadttore fu¨hrten von hier ins Innere der Festung. Davon ist aber schon lange nichts mehr zu sehen. Seit die Mauer abgetragen und die Tore entfernt wurden, ist der Graben zur beliebten Gescha¨fts- und Marktstraße, spa¨ter
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Auf dem Graben, einer noblen Wiener Gescha ¨ ftsstraße, herrscht immer reges Treiben.
zum Corso der besseren Gesellschaft geworden. Seit dem 16. Jahrhundert ist diese erweiterte Straße zudem Bu¨hne fu¨r Hof und Aristokratie. Hier finden an hohen Feiertagen die festlichen Einzu¨ge des Hofes statt, die in der Stephanskirche enden. An diesen Tagen scheinen die bu¨rgerlichen Anrainer verschwunden zu sein, der Graben ist ganz im Besitz der Aristokratie und des Hoftrosses, endlose Reihen feinst gekleideter Adeliger ziehen vorbei, in ihrer Mitte der Kaiser. An gewo¨hnlichen Werktagen merkt der Besucher nichts von diesen festlichen Defilees. Der Graben ist dann gescha¨ftiges Zentrum, wir finden rund um den Stephansplatz einige der besten Wiener Buchhandlungen. Am Graben etwa Braumu¨ller (Graben 21) und Lechner (Graben 31), am angrenzenden Kohlmarkt die traditionsreiche, seit 1771 existierende Kunstbuchhandlung Artaria (Kohlmarkt 9) und die Buchhandlung Manz (Kohlmarkt 16). Der Graben geht u¨ber in den Kohlmarkt, eine ebenfalls feine Gescha¨ftsstraße, die in den Michaelerplatz und damit in den Bezirk der Hofburg mu¨ndet. Auch am Kohlmarkt schweift unser Auge von einer feinen Gescha¨ftsauslage zu na¨chsten. Auch hier begegnen wir der vornehmen Wiener Gesellschaft. Wenn Sie vom Aufstieg auf den Stephansturm bereits etwas erscho¨pft sind, bietet sich am Kohlmarkt Nr. 18 die Konditorei
Das noble Wien – Zwischen Stephansplatz und Hofburg
Demel 3 fu¨r eine kleine Sta¨rkung an. Ein Blick in die Kuchenvitrine verra¨t, dass feine Mehlspeisen zu den wichtigsten Bestandteilen der Wiener Ku¨che geho¨ren. Sie sollten sich diese Facette der kulinarischen Kultur auf keinen Fall entgehen lassen. Im Demel finden Sie eine beeindruckende Auswahl dieser Ko¨stlichkeiten: alle Arten von Strudeln, Schokolade-, Nuss- und Mandeltorten, Gugelhupf, Nussbeugel, Linzerschnitten, Pariser Kipferl, Topfengolatschen, diverse Striezel und vieles Su¨ße mehr. Die Konditorei geht auf den aus Wu¨rttemberg stammenden Zuckerba¨cker Richard Dehne zuru¨ck, der Ende des 18. Jahrhunderts ganz in der Na¨he eine Konditorei ero¨ffnete. 1857 u¨bernahm ein gewisser Christoph Demel, der als Gehilfe bei Dehne begonnen hatte, das Gescha¨ft, seit 1888 hat es seinen Standort am Kohlmarkt. Beim Demel treffen sich, wie es sich fu¨r diese vornehme Gegend geho¨rt, betuchte Ga¨ste, am Vormittag vornehmlich die ho¨here Wiener Damenwelt. Auch Ga¨ste aus der nahe gelegenen Hofburg gehen im Demel ein und aus, und es ist kein Wunder, dass dieser Betrieb, der stets die Na¨he zum Kaiserhaus und zur Aristokratie suchte, seit 1874 den Titel „Hoflieferant“ fu¨hren darf. Der Michaelerplatz (benannt nach der Kirche St. Michael) ist ein kleiner, fast kreisrunder Platz, der den gescha¨ftigen Kohlmarkt von der Hofburg trennt. Dieser Platz ist nicht groß, Sie umrunden ihn in weniger als einer Minute. Und dennoch kommt auf diesem Platz die Spannung zwischen dem alten und dem neuen Wien besser zum Ausdruck als an jeder anderen Stelle der Stadt. Auf der einen Seite der monda¨ne Kohlmarkt und der Graben, pra¨chtige bu¨rgerliche Gescha¨ftsstraßen, auf der anderen Seite das ausgedehnte Palais des Kaisers, die Hofburg, deren Eingangstor durch barocke Skulpturen eingefasst ist. Zwar ist die Zeit vorbei, da diese Gegend zwischen Burg und Graben fest in adeligen Ha¨nden war. Und dennoch: Wenn Sie ein paar Schritte in die schmalen Seitengassen des Grabens machen und etwa durch die Habsburgergasse, die Bra¨unerstraße, Dorotheergasse, Spiegelgasse oder die Seilergasse spazieren, fallen Ihnen noch immer einige dieser prunkvollen Adelspala¨ste ins Auge. Heute pra¨gt freilich nicht mehr der Adel diese Straßen nahe der Hofburg, sondern das reiche Bu¨rgertum. Dieses hat die Auslagen in Besitz genommen, dieses regiert in den Waren- und Kaffeeha¨usern, in den Banken und Buchhandlungen. Und auch am Michaelerplatz selbst zeigen sich die Spuren dieses neuen bu¨rgerlichen Selbstbewusstseins: Das am Platz gelegene Cafe´ Griensteidl 4 , 1847 vom Apotheker Heinrich Griensteidl ero ¨ ffnet, wurde bald zum bekannten Literaten- und Ku¨nstlercafe´. Wa¨hrend der Wirren der 1848er-
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Michaelerplatz: Blick von der Herrengasse zur Hofburg.
Revolution war es kurzzeitig in „National-Cafe´“ umbenannt worden. In ju¨ngerer Zeit ist es zum Stammlokal junger Wiener Schriftsteller wie Hermann Bahr, Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler und Karl Kraus geworden. 1897 wurde es geschlossen, und die Literaten- und Ku¨nstlerszene ist ins nahe Cafe´ Central in der Herrrengasse 14 5 weitergezogen. Nur wenn man sich diesen Einbruch des Bu¨rgertums in den ehemaligen Adelsbezirk vor Augen ha¨lt, versteht man, wieso sich gerade hier, am Michaelerplatz, vor Kurzem einer der heftigsten Kulturskandale der Stadt abgespielt hat. Stein des Anstoßes ist der Neubau eines Gescha¨ftshauses der Firma Goldmann & Salatsch am Michaelerplatz 3, unmittelbar gegenu¨ber dem Portal der Hofburg. Der Bau wurde 1909 vom Gescha¨ftsmann Leopold Goldmann, einem Textilha¨ndler, in Auftrag gegeben, Architekt war Adolf Loos. Er entwarf ein schlichtes, aber hochmodernes Geba¨ude in Eisenbeton, das als Textilwarenhaus Verwendung findet. Daneben sind Wohnungen, Werksta¨tten, Bu¨gelra¨ume, Umkleidekabinen und eine Sportabteilung im Souterrain vorgesehen. Die Innenraumgestaltung ist teuer und vornehm, aber klassisch einfach. Marmor und Sa¨ulen inszenieren einen klaren, offenen Verkaufsraum. Die Fassade ist bis zur Ho¨he der Gescha¨ftsra¨ume mit Marmor verkleidet, daru¨ber hat Loos eine nu¨chterne
Das noble Wien – Zwischen Stephansplatz und Hofburg
Putzfassade anbringen lassen, ohne Fensterschmuck, Gesimse, ohne Stuck und Ornamente. Und auch das einfache, mit Blech gedeckte Dach weist, im Unterschied zu den umliegenden Bauten, keine weitere Zierde auf. Kaum war das Geba¨ude fertiggestellt, kam es zum Skandal. Ein solcher Bau, in unmittelbarer Na¨he zur Hofburg, sei, so die konservativen Kritiker, unmo¨glich. Sie machten sich in der Presse monatelang wortgewaltig Luft, der Stadtmagistrat schritt ein. Das Haus wurde zum Politikum, der Architekt aufs belste angegriffen, bald kannte fast jeder Wiener das Geba¨ude. Es wurde in Karikaturen abgebildet, Schaulustige versammelten sich vor dem Rohbau, ein Baustopp wurde erwirkt, spa¨ter aber wieder aufgehoben. Loos hatte nicht nur Kritiker, sondern auch zahlreiche Unterstu¨tzer und Befu¨rworter. Die Situation schien verfahren und der Konflikt wurde erst entscha¨rft, als sich der Architekt zu einem Kompromiss bereit erkla¨rte und der Bauherr an den Fenstern eine dezente Verzierung anbringen ließ. Ein Loos-Befu¨rworter schreibt am 11. April 1912 in der Wiener Wochenzeitung Das interessante Blatt: „Endlich hat der langwierige Streit, den der Architekt Loos und die Bauherren, Firma Goldmann & Salatsch, mit dem Magistrate von Wien um die Fassade des Hauses am Michaelerplatz fu¨hren, eine befriedigende Lo¨sung gefunden. Die Fassade, die ein barbarischer Kunstgeschmack mit Gipsornamenten zu verzieren gedroht hat, bleibt in ihrer schlichten Einfachheit erhalten und erlangt nun einen diskreten Schmuck durch bronzene Blumenko¨rbe vor den Fenstern.“ Und weiter heißt es in dem Blatt: „Die entru¨steten Schreier, die eine Fassade nur nach den darauf geklebten Stuck-, Terrakotta- und Gipsornamenten zu beurteilen wußten, mußten mit der Zeit selbst einsehen, daß Architekt Loos die Aufgabe, ein modernes Gescha¨ftshaus zu bauen, das schon a¨ußerlich den Eindruck vornehmer Gediegenheit machte, gla¨nzend gelo¨st hat. Der prunkvolle Unterbau aus edelstem Baumaterial harmoniert mit der schlichten feinen Eisenbetonkonstruktion und zeigt, daß auch die moderne Baukunst volle Berechtigung hat.“ Der Kontrast zwischen dem nu¨chternen Kaufhaus Goldmann & Salatsch und dem imperialen Komplex der Hofburg ko¨nnte nicht gro¨ßer sein. Hie Einfachheit, Modernita¨t, klare, nu¨chterne Linen, dort ma¨chtige, ausufernde Barockarchitektur. Hie Einkaufswelt fu¨r das Bu¨rgertum, dort kaiserliche Repra¨sentation. Die Hofburg ist eigentlich keine Burg, sondern, wie das Adalbert Stifter treffend genannt hatte, „eine kleine Stadt“. Sie ist die Residenz des Kaisers und der kaiserlichen Familie, die diese Ra¨ume vor allem in den Wintermonaten bewohnt. Im Sommer zieht der Kaiser mit seinem Hofstaat nach Scho¨nbrunn, in sein Sommerschloss
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Dienstanweisung aus der kaiserlichen Schatzkammer Das Dienstpersonal darf bei Strafe der Entlassung ein Geschenk weder begehren noch annehmen. […] Schirme, Sto¨cke etc. sind in der Garderobe abzugeben und hierfu¨r eine Taxe von 20 Heller per Person zu entrichten, welche nicht u¨berschritten werden wolle. […] Kindern ist der Eintritt nur in Begleitung von Erwachsenen gestattet. Fu¨hrer durch die Schatzkammer des Allerho¨chsten Kaiserhauses, Wien 1910.
vor den Toren der Stadt. Die Hofburg besteht aus zahlreichen, verwirrend ineinander verschachtelten Bauteilen, insgesamt sind in dem Areal 2600 Ra¨ume untergebracht. Die a¨ltesten Teile der Hofburg gehen auf das 13. Jahrhundert zuru¨ck, die ju¨ngsten, etwa der neue Hofburgflu¨gel (die „Neue Burg“) am ußeren Burgplatz, wurden 1881 begonnen und erst im ersten Jahrzehnt nach der Jahrhundertwende fertiggestellt (teilweise sind die Einrichtungsarbeiten noch im Gange). In dem Gewirr an Ho¨fen, Einga¨ngen, Stiegen und Fassaden verliert man schnell den berblick. Aber da die Hofburg, bis auf die kaiserliche Schatzkammer und den Inneren Burghof, ohnehin fu¨r Besucher nicht zuga¨nglich ist, soll uns dieses imperiale Labyrinth nicht allzu sehr verwirren. Vom Michaelerplatz aus betreten wir durch eine großzu¨gige Einfahrt die Hofburg. Schon nach wenigen Metern o¨ffnet sich eine pra¨chtige Rotunde, hier finden wir linker Hand den Eingang zur „Schatzkammer des Allerho¨chsten Kaiserhauses“ 6 . Insgesamt vier Ra¨ume sind fu¨r das Publikum zuga¨nglich gemacht. „Die Schatzkammer“, so heißt es in einem Fu¨hrer des k. u. k. Oberka¨mmerer-Amtes, das das kleine Museum verwaltet, „ist jeden Dienstag und Samstag unentgeltlich von 10 bis 1 Uhr und jeden Donnerstag gegen Eintrittsgebu¨hr im Betrage von einer Krone per Person von 11 bis 2 Uhr zur Besichtigung geo¨ffnet. Die fu¨r den Besuch der Schatzkammer an Dienstagen und Samstagen erforderlichen Eintrittskarten werden auf schriftliches Ansuchen tagsvorher von 10 bis 12 Uhr im Bureau der Schatzkammer (k. k. Hofburg, Zugang in der großen Rotunde am Michaelerplatz) in einer den Raumverha¨ltnissen entsprechend beschra¨nkten Anzahl unentgeltlich ausgegeben.“
Das noble Wien – Zwischen Stephansplatz und Hofburg
An den Wa¨nden ha¨ngen zahlreiche lgema¨lde, die Kro¨nungszeremonien darstellen. Insgesamt sind 18 Schauka¨sten aufgestellt. Sie enthalten Kleinodien aus kaiserlichem Besitz, Insignien seit der ro¨mischen Zeit, Reliquien, Attribute, Kro¨nungs- und Lehensschwerter, Kro¨nungsinsignien, kaiserliches Taufzeug, Privatschmuck des Allerho¨chsten Kaiserhauses, historische Gegensta¨nde, Heroldsgewa¨nder und, darauf wird eigens verwiesen, Sargschlu¨ssel verstorbener Mitglieder des Allerho¨chsten Kaiserhauses, wenn dieselben in der kaiserlichen Gruft bei den Kapuzinern in Wien beigesetzt sind. Die Besichtigung der kaiserlichen Ra¨ume nimmt nicht allzu viel Zeit in Anspruch. Wenn Sie es so einrichten, dass Sie um 11 Uhr morgens wieder im Freien sind, ko¨nnen Sie, ein paar Schritte weiter, im Inneren Burghof (auch Franzensplatz genannt) 7 , jeden Tag – ausgenommen sonn- und feiertags – ein kleines kostenloses musikalisches Spektakel erleben. Die Burgmusik, eine Milita¨rkapelle, auch „Banda“ genannt, gibt zur Wachablo¨se ein kleines Konzert, das fu¨r sich genommen ho¨renswert ist. Noch interessanter aber ist das Publikum. Hier finden sich Tag fu¨r Tag Vertreter aus dem einfachen Volk ein, sie kommen aus den Vorsta¨dten herbei, um fu¨r eine knappe halbe Stunde im Glanz des kaiserlichen Hofes zu stehen
Die ta ¨ gliche Wachablo ¨se am Inneren Burgplatz in der Hofburg. Links im Zentrum ist die Burgmusik, auch „Banda“ genannt, zu sehen.
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und der Musik zu lauschen. Dabei stoßen zwei Welten aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein ko¨nnten: Die einfach gekleideten Leute und die gla¨nzenden Uniformen des Kaisers. Im Sommer wie im Winter ist der Burghof voll, wenn die Kapelle ihre ersten Takte spielt. Und wenn wir unseren Blick u¨ber die gewaltigen Dachfla¨chen der Burg schweifen lassen, wird dieser soziale Kontrast noch deutlicher: Unza¨hlige Schornsteine zeugen davon, dass in der Hofburg in allen Ra¨umen großzu¨gig geheizt wird. Dutzende Ku¨chen sind u¨ber das ausgedehnte Areal verteilt, Hunderte von fen sorgen hier, im Zentrum der kaiserlich-ko¨niglichen Macht, fu¨r wohlige Wa¨rme. Bedient werden sie von einem Heer von Dienern und Dienstma¨dchen, die den Hofstaat umsorgen. Bevor wir uns, vom Michaelerplatz aus, auf der schmalen Augustinerstraße Richtung Oper bewegen, werfen wir noch einen Blick auf den a¨ußeren Burgplatz. Hier, wir sehen es sofort, endet die mittelalterliche, verwinkelte Stadt. Ein ausgedehnter, freier Platz, der von zwei Reiterstandbildern beherrscht wird, fu¨hrt zur Ringstraße, jener großen Prachtstraße, die die Innere Stadt kreisfo¨rmig umgibt. Mit einem Male ist die Stimmung eine andere: Der Blick weitet sich, das Labyrinth der Hofburg geht u¨ber in einen offenen, klar gegliederten Stadtraum. Hier außen bestimmt nicht mehr der Hof allein, sondern auch das Bu¨rgertum den Gang der Dinge. Seiner Initiative ist es zu verdanken, dass in den letzten Jahren zahlreiche Palais, das Rathaus, die Universita¨t und eine Reihe andere Geba¨ude entstanden. Gleich nebenan, im Volksgarten 8 , einem wunderbar ruhigen Gartenidyll inmitten der Stadt, ruhen wir uns ein wenig aus. Zur Einkehr empfiehlt sich ein großes Gartenrestaurant, das sogenannte Cortische Kaffeehaus, 1822/23 errichtet, das um die 4000 Ga¨ste fasst. An den Wochenenden finden hier Konzerte statt, ein Teil des Gartens vor dem Musikpavillon ist u¨berdacht, sodass auch bei Schlechtwetter Vorfu¨hrungen stattfinden ko¨nnen. Johann Strauß hat hier o¨fter vor der feinen Wiener Gesellschaft dirigiert. Wir kehren nun zuru¨ck in die Innere Stadt, wo wir im Umkreis der Hofburg noch zwei Geba¨ude besuchen wollen, die Hofbibliothek 9 am Josephsplatz und die Kunstsammlung Albertina 10 . Das Herzstu¨ck der Bibliothek, die noch zur Hofburg geho¨rt, ist ein barocker Bu¨chersaal, 78 Meter lang, 14 Meter hoch, 1722 bis 1726 errichtet. Sie ist das letzte Werk des Architekten Johann Bernhard Fischer von Erlach. Mehr als 500 000 Ba¨nde beherbergt die Bibliothek, darunter 12 000 Inkunabeln, das sind Wiegendrucke aus der Zeit vor 1500, sowie 20 000 Manuskripte. Weiter eine 300 000 Stu¨ck umfassende Kunstbla¨ttersammlung und eine
Das noble Wien – Zwischen Stephansplatz und Hofburg
Die Hofbibliothek ist die gro ¨ßte der Wiener Bibliotheken. Der barocke Bu¨chersaal wurde vom Architekten Johann Bernhard Fischer von Erlach entworfen.
Musikaliensammlung. Und dies alles bei freiem Eintritt! Die Albertina hingegen, deren Eingang ein paar Schritte weiter, am monda¨nen Albrechtsplatz, direkt hinter dem Hofopernhaus liegt, hat eingeschra¨nktere ffnungszeiten. Sie ist nur montags und donnerstags von 9 bis 14 Uhr fu¨r Publikum geo¨ffnet, außerhalb dieser Zeiten ist eine Anmeldung erforderlich. Hier finden Sie eine der weltweit gro¨ßten und bedeutendsten Sammlungen von Handzeichnungen (19 000 Stu¨ck), u. a. Du¨rers „Feld-
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hasen“ aus dem Jahr 1502, weiter 220 000 Radierungen und Stiche. Eine Kunstbibliothek mit 6000 Ba¨nden sowie ein Kartenkabinett mit alten Pla¨nen erga¨nzen die Sammlung. Kleine, wechselnde Ausstellungen stellen die Scha¨tze einem breiteren Publikum vor. Mu¨de? Erscho¨pft? Das wa¨re kein Wunder nach dem Fußmarsch dieses Morgens. Dann kehren Sie zuru¨ck zum Hotel, nehmen ein leichtes Mahl zu sich und ruhen Sie sich ein wenig aus. Wenn Sie noch bei Kra¨ften sind und die Neugier des ersten Tages noch geweckt ist, schlendern Sie noch ein paar Schritte weiter. Vorbei am beru¨hmten Hotel Sacher 11 , das direkt hinter der Oper liegt, steuern wir in Richtung Neuer Markt. An einer Ecke dieses la¨nglichen, sehr vornehmen Platzes befindet sich, in der Tegethoffstraße 2, die beru¨hmte Kapuzinergruft 12 . An heißen Sommertagen ist es hier unten angenehm ku¨hl, im Winter ist es wa¨rmer als draußen. Geo¨ffnet ist diese beeindruckende Familiengrabsta¨tte der Habsburger an Werktagen von 10 bis 12 Uhr. Ein Kapuzinerpater ermpfa¨ngt Sie am Eingang, er fu¨hrt Sie durch die Ra¨ume – und erwartet ein Trinkgeld. 1618 wurde die Gruft eingerichtet, seither fanden weit u¨ber hundert Sa¨rge hier Platz: große und kleine, prachtvolle aus der Zeit Maria Theresias, aber auch nu¨chterne und schmucklose Exemplare aus der Zeit Josephs II. Vor der feierlichen Beerdigung wurden die Ko¨rper der Habsburger einbalsamiert, Eingeweide und Herz der Verstorbenen wurden nach alter Tradition getrennt bestattet: die Herzen in der Augustinerkirche, die Eingeweide in den Katakomben des Stephansdoms – womit wir wieder am Ausgangspunkt des Rundgangs angelangt wa¨ren.
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uf einer fast 60 Meter breiten Straße einmal rund um das Zentrum Wiens. Die Wiener Ringstraße gilt als eine der scho¨nsten Palaststraßen Europas. Wir spazieren vorbei am Hofburgtheater und an der Hofoper, an Museen, der Universita¨t, Hotels, Kaffeeha¨usern und privaten Pala¨sten. Dazwischen kehren wir im ruhigen Stadtpark ein. Sie ko¨nnten – falls Sie es eilig haben – fu¨r die Besichtigung der Wiener Ringstraße eine gute halbe Stunde veranschlagen. So lange braucht na¨mlich die Straßenbahn, um die 4,4 Kilometer lange Straße, die um die Wiener Altstadt herumfu¨hrt, zu bewa¨ltigen. Etwas la¨nger brauchen
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Sie, wenn Sie ein Fiakergespann nehmen. Und eine gute Stunde dauert die Umrundung der Altstadt zu Fuß. Doch Sie sollten sich mehr Zeit nehmen. Auch wenn Sie auf Ihrem Rundgang keines der Museen entlang dieser Prachtstraße besuchen, keines der o¨ffentlichen Geba¨ude von innen besichtigen und keinen Blick ins Innere der privaten Ha¨user und Pala¨ste machen: entlang der Ringstraße gibt es viel zu sehen. Sie sollten flanieren und Ihren Blick schweifen lassen. Von Haus zu Haus, von Fassade zu Fassade. Immer wieder werden Sie, wenn Sie die a¨ußere Gestaltung der Bauten aufmerksam betrachten, u¨berraschende Details sichten. Wenn Sie etwa Ihren Blick deutlich u¨ber das Straßenniveau erheben, stoßen Sie an den Fassaden zahlreicher Ha¨user auf die steinernen Fassadenfiguren, die Karyiatiden, die die Wa¨nde vieler Neubauten zieren. Die allermeisten dieser Figuren sind buchsta¨blich Lastentra¨ger. Sie stu¨tzen schwere Sa¨ulen, stemmen Erker und Vorbauten. Manche von ihnen sind eingespannt zwischen zwei Sa¨ulen oder Decken, andere entwachsen elegant der Fassade, scha¨len sich aus einem beila¨ufig gefalteten Tuch, um mit ihrem Oberko¨rper der Schwerkraft des Geba¨udes Einhalt zu gebieten. Wieder andere winden sich kunstvoll aus den Blu¨tenranken eines Kapitells. Sie dru¨cken sich verscha¨mt in eine Nische oder treten selbstbewusst an einer Mauerecke hervor. Ihre „Arbeit“ verrichten sie mit allen Ko¨rperteilen. Der Kopf tra¨gt Sa¨ulen und Halbsa¨ulen, auf ihren Schultern ruhen schwere Aufbauten, ihre Fu¨ße stehen auf So¨ckelchen und Stufen. Und auch die Arme sind, wenn sie nicht la¨ssig in die Hu¨fte gelegt oder angewinkelt u¨ber dem Kopf verschra¨nkt sind, eingespannt in den Kampf mit der Schwerkraft. Sie stemmen sich kraftvoll gegen den bloßen Stein. Derart unter Druck gesetzt, beugen sich die Ru¨cken der ma¨nnlichen Gestalten, nicht selten gehen sie in die Knie. Wa¨hrend die ma¨nnlichen Muskeln hervortreten, stehen die Frauen meist aufrecht, sie lassen sich ihre Mu¨he nicht anmerken. Diese anmutigen Fassadenfiguren erza¨hlen mehr u¨ber die Wiener Ringstraße als die trockene Baugeschichte einzelner Ha¨user. Sie berichten vom Spannungsfeld zwischen dem ho¨fischen und dem bu¨rgerlichen Wien, sie geben Einblick in die gesellschaftliche Atmospha¨re, in der die Ringstraße errichtet wurde. An keiner anderen Wiener Straße hat sich das aufstrebende Bu¨rgertum so selbstbewusst ein Denkmal gesetzt wie auf der Ringstraße. Diese bu¨rgerliche Selbstbehauptung in der Architektur stellt sich dar als ein Streben in zwei Richtungen, nach innen gegen die alten Anspru¨che des ho¨fisch dominierten Bezirks im Zentrum der Stadt und nach außen gegen die Welt der Zinsha¨user (Mietsha¨user) an der Periphe-
Die Ringstraße – Flanieren auf Wiens pra ¨ chtigstem Boulevard
rie. Der Prunk der Ringstraße ist also nicht nur der Rivalita¨t zwischen Adel und Bu¨rgertum geschuldet, sondern auch der Distanz zwischen Bu¨rgertum und den unteren Klassen. Um sich ein Bild davon machen zu ko¨nnen, wie elend und gedra¨ngt die Arbeiter und Handwerker der Wiener Vorstadt leben: 1911 haben nur sieben Prozent der Mietsha¨user Bad und Toilette, die Miete macht rund ein Viertel eines Arbeiterlohns aus. Zwar versuchen auch die Fassaden der Zinskasernen, die in der Vorstadt errichtet werden, in Ornamenten und Zierrat den Ringstraßenstil zu imitieren. Hinter diesen Fassaden verbirgt sich aber Not und Armut. Die Wiener Ringstraße ist der architektonische Prototyp der bu¨rgerlichen Abgrenzung zwischen der Inneren und der ußeren Stadt. Die Ringstraßenarchitektur setzt sowohl auf moderne Bauweise als auch auf den Zierrat der Fassade. Auf nu¨chterne Grundrisse und auf straßenseitiges Blendwerk. Die Fassaden der Ringstraße sind das Produkt dieses Spagats zwischen architektonischem Außen- und Innenleben. Bei aller Kunstfertigkeit, die sie zur Schau stellen, huldigen sie letztlich nicht dem Ku¨nstlergenie, sondern dem bu¨rgerlichen Gescha¨ftsgedanken. Ihre ku¨nstlerischen Anleihen stammen nicht von der Kirche, auch nicht vom Hof. Oft sind sie dem Barock entlehnt, manchmal wurden sie aus der Antike oder einer exotischen Fantasiewelt herbeigeholt. Die Fassadenfiguren treten auf die Bu¨hne der Straße als namenlose Go¨ttinnen oder sa¨kularisierte Go¨tter, als gute Wilde oder als unschuldige Kinder. Sie sind eingefu¨gt als gefa¨lliges Dekor, das je nach Anspruch und Geldbeutel etwas mehr „hermacht“ oder etwas weniger. Sie geben vor zu tragen und kaschieren das wahre Geru¨st der Geba¨ude, das – oft verscha¨mt in ihrem Ru¨cken – aus Ziegelwa¨nden und la¨ngst auch schon aus Stahl besteht. In der zweiten Ha¨lfte des 19. Jahrhunderts und um die Jahrhundertwende wuchs die Stadt rasant, in den ehemals kleinsta¨dtisch bis do¨rflich gepra¨gten Vierteln außerhalb des Rings wurden nach und nach großsta¨dtische Wohn- und Gescha¨ftsha¨user errichtet. In dieser Atmospha¨re der Stadterweiterung und des Stadtumbaus wurde der Plan zum Bau der Ringstraße gefasst. Sie sollte an die Stelle der alten Festungsmauern und des breiten Gru¨ngu¨rtels, des Glacis, treten, die den Mauern vorgelagert waren und die Altstadt umschlossen. Zwischen 1858 und 1864 wurden die Befestigungsanlagen geschleift und damit ausgedehnte Baugru¨nde geschaffen. Es war dies ein einschneidendes Ereignis, das in der Stadt fu¨r große Aufregung sorgte – Johann Strauß verfasste sogar eine „DemoliererPolka“. Bereits 1860 entstanden die ersten Neubauten, am 1. Mai 1867 wurde die Ringstraße feierlich von Kaiser Franz Joseph ero¨ffnet. Die Bau-
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Blick u¨ber die Ringstraße: links der Reichsrat (das Parlament), dahinter, etwas zuru¨ckgesetzt, das Rathaus. Rechts ist, angeschnitten, der Volksgarten zu sehen, dahinter das Hofburgtheater. Ganz im Hintergrund ist die Votivkirche zu erkennen.
kosten betrugen bis zur Ero¨ffnung stolze 1 294 000 Gulden, allein fu¨r Ga¨rtnerarbeiten und Bepflanzung wurden 80 000 Gulden aufgewendet. Viele Bauten, darunter die o¨ffentlichen Prachtbauten, wie Reichsrat, Universita¨t, Hofburgtheater, Regierungsgeba¨ude, wurden aber erst in den nachfolgen-
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den Jahren errichtet, teilweise – Sie werden es sehen – wird an der Ringstraße noch immer gebaut. Um beim Bau der zahlreichen o¨ffentlichen Geba¨ude Geld zu sparen, kam man auf die Idee, die o¨ffentlichen Geba¨ude nicht vom Staat finanzie-
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Kaiser Franz Joseph dekretiert Es ist mein Wille, daß die Erweiterung der Inneren Stadt mit Ru¨cksicht auf eine entsprechende Verbindung derselben mit den Vorsta¨dten ehemo¨glichst in Angriff genommen wird und zugleich auch auf die Verscho¨nerung Meiner Residenz- und Reichshauptstadt Bedacht genommen wird. Zu diesem Ende bewillige ich die Auflassung der Umwallung der Inneren Stadt sowie der Gra¨ben um dieselben. Kaiser Franz Joseph I., Wien 1857.
ren zu lassen, sondern die Gelder durch den Verkauf von Grundstu¨cken fu¨r private Bautra¨ger aufzubringen. Reiche Bankiers, Industrielle und Großha¨ndler, Adelige, betuchte Bu¨rger, aber auch gro¨ßere Firmen mussten sich ihre ku¨nftige Pra¨senz am scho¨nsten Boulevard der Stadt teuer erkaufen. Der Ziegelfabrikant Heinrich von Drasche-Wartinberg etwa erwarb direkt gegenu¨ber dem Hofopernhaus mehrere Grundstu¨cke und ließ dort ein gewaltiges, im Renaissancestil gehaltenes Palais errichten, den sogenannten Heinrichshof. Dieser Bau findet als pra¨chtiges Wohnhaus Verwendung, von manchen Zeitgenossen wird er als das scho¨nste Mietshaus der ganzen Stadt bezeichnet. Gelockt wurden die privaten Investoren durch eine großzu¨gige, 30 Jahre wa¨hrende Steuerbefreiung, hie und da hat sogar ein Adelstitel gelockt. Rund 80 Architekten, die aus u¨ber 400 Bewerbern ausgewa¨hlt wurden, erhielten in diesen Jahren lukrative Großauftra¨ge. Sie griffen, ganz im Stil der Zeit, in der Gestaltung der Fassaden auf historisierende Zitate zuru¨ck, einmal wurden neugriechische oder neuro¨mische, einmal neugotische Elemente oder solche der Neurenaissance eingesetzt. Hinter diesen Fassaden aber verbirgt sich sehr oft nu¨chterne, moderne und funktionelle Bauweise. Zu den bekanntesten Architekten der Ringstraße za¨hlt Heinrich von Ferstel, er plante am Ring u. a. die Votivkirche, das Museum fu¨r Kunst und Industrie, die Kunstgewerbeschule und die Universita¨t. Theophil von Hansen war fu¨r den Heinrichshof, das Geba¨ude des Musikvereins, die Akademie der Bildenden Ku¨nste, das Reichsratsgeba¨ude (Parlament) und zahlreiche private Palais verantwortlich. Eduard van der Nu¨ll plante zusammen mit August Sicard von Siccardsburg die Hofoper, Carl von Hasenauer entwarf – teils zusammen mit Gottfried Semper – das Kunst-
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historische und das Naturhistorische Museum, das Hofburgtheater und die Neue Hofburg. Und Friedrich von Schmidt ist der Architekt des Rathauses. Beginnen wir unseren Rundgang bei der Hofoper 1 , einem pra¨chtigen Geba¨ude, das zwischen 1861 und 1869 errichtet wurde, und folgen wir der Ringstraße im Uhrzeigersinn. Das Straßenstu¨ck vor dem Opernhaus ist eines der verkehrsreichsten der ganzen Stadt. Straßenbahnen und Fiaker kreuzen hier ihre Wege, Omnibusse und immer o¨fter auch Automobile. An dieser Stelle ist die Ringstraße, die hier Opernring heißt, ein Verkehrsknotenpunkt und zugleich auch eine Art Paradeplatz der feinen Gesellschaft. Mittags und abends verwandeln sich die Ringstraße und die Trottoirs vor den eleganten Cafe´s und Hotels in einen Salon der Selbstdarstellung. Damen in der neuesten Mode, Herren in feinstem Tuch, Reiter und Offiziere, sie alle finden sich hier ein, um zu sehen, vor allem aber, um gesehen zu werden. berhaupt ist die Ringstraße stets belebt. Aber keine Angst: auf der durchschnittlich 57 Meter breiten Straße ist nicht nur fu¨r Tramway, Omnibus, Einspa¨nner, Fiaker und Equipagen Platz; auch eine eigene Reitbahn ist eingerichtet und zwischen den Alleen sind scho¨ne Gehsteige und Gehwege angelegt, auf denen immer viel Fußvolk unterwegs ist.
Blick von der Ringstraße zum Hofopernhaus. Rechts davon beginnt die Ka ¨ rtnerstraße.
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Lob der Wiener Ringstraße Die Wiener Ringstraße genießt schon seit geraumer Zeit den Ruf, eine der scho¨nsten Palaststraßen Europas zu sein, ja viele behaupten sogar, nirgendwo anders seien erlesene Architekturscho¨pfungen verschiedenster Stilart, scho¨ne Anlagen, Stadtaspekte und Veduten auf Fluß und Gebirge zu einem so ausgedehnten, harmonisch abgestimmten Ganzen vereint, welches den Kern von Altwien einschließt. Eugen Guglia: Wien, ein Fu¨hrer durch Stadt und Umgebung, 1908.
Zwischen den beiden Hofmuseen (dem Kunst- und dem Naturhistorischen Museum) bleiben wir einen Augenblick vor dem großen Standbild Maria Theresias stehen 2 . Hier hat man der kaiserlichen Mutterfigur der Habsburger einen Ehrenplatz am Ring eingera¨umt. Die beiden musealen Einrichtungen beherbergen zwar die kaiserlichen Sammlungen, ko¨nnen aber eigentlich mehr der bu¨rgerlichen als der imperialen Stadt zugeordnet werden. Die Ringstraße ist also beides: Prachtstraße, in der das kaiserliche Wien zur Geltung kommt. In ihr hat sich aber, noch viel deutlicher, das bu¨rgerliche Wien Pra¨senz verschafft: etwa in Gestalt des Parlaments, des Rathauses, der Universita¨t usw. Die Statue Maria Theresias wurde zwischen 1874 und 1887 vom Bildhauer Kaspar von Zumbusch in dreizehnja¨hriger Arbeit errichtet. Die Figur sitzt auf einem Thronsessel und ist von ihren Feldherren umgeben, aber auch von großen aufkla¨rerischen Gestalten ihres Reiches, von Diplomaten, Rechtsgelehrten und Ku¨nstlern (u. a. sind Gluck, Haydn und Mozart zu sehen). Weitere 40 Denkma¨ler wurden entlang der Ringstraße errichtet, monarchistische Denkma¨ler der Heerfu¨hrer vor allem im Hofbezirk, die Gelehrten sind in der Universita¨t zu bewundern, die Musiker im Stadtpark, die Techniker rund um die Technische Hochschule usw. Die große freie Fla¨che, die sich zwischen der Ringstraße und der Hofburg auftut, heißt ußerer Burgplatz oder auch Heldenplatz. An den Platz grenzt der Volksgarten an, eine erholsame, gut gepflegte kleine Parkanlage. Wa¨hrend dieser Park fu¨r das Publikum frei zuga¨nglich ist, ist der nahe gelegene Hofgarten, der zur Hofburg geho¨rt, fu¨r die ffentlichkeit gesperrt. Sie ko¨nnen aber, wenn Sie auf der Ringstraße stehen,
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Maria Theresia an der Ringstraße. Die „Mutter“ der Habsburger thront an prominenter Stelle: zwischen dem Kunsthistorischen und dem Naturhistorischen Museum.
den pra¨chtigen Garten von außen betrachten und auch einen Blick auf das Palmenhaus am hinteren Ende der Anlagew werfen. Doch zuru¨ck zur Ringstraße. Wenn Sie genau hinsehen, merken Sie, dass die Straßenbahnlinien, die in unmittelbarer Na¨he des kaiserlichen Arbeitsdomizils vorbeirattern, nicht u¨ber Oberleitungen mit Strom versorgt werden, sondern u¨ber eine unterhalb der Fahrbahn angeordnete Stromschiene. Das Kaiserhaus ho¨chstperso¨nlich hat fu¨r diese technische Lo¨sung
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pla¨diert, damit die Wiener Prachtstraße, die vor der Hofburg liegt, nicht allzu sehr „verschandelt“ wird. Auch in der nahe gelegenen Mariahilferstraße, einer vom Ring abzweigenden Einkaufsstraße, die zugleich Verbindungsstraße zwischen dem kaiserlichen Wohnort Schloss Scho¨nbrunn und der Hofburg, dem Arbeitsplatz des Monarchen, ist, wurden auf ho¨chsten Wunsch die Stromleitungen der Straßenbahn unter die Erde verlegt. Der Kaiser, der diesen Weg oft zuru¨cklegt, will von den „ha¨sslichen“ Dra¨hten nicht gesto¨rt werden. Auch wenn der Kaiser seinen Platz in der Hofburg hat, also etwas abseits der Prachtstraße, und die Ringstraße de facto dem Bu¨rgertum geho¨rt, hat das Kaiserhaus dafu¨r gesorgt, dass seine Insignien auch auf den bu¨rgerlichen Neubauten pra¨sent sind. Das Parlament 3 , das nicht weit von den beiden Hofmuseen entfernt ist, steht zwar schra¨g gegenu¨ber der Hofburg auf einem leicht erho¨hten Bauplatz, aber im Dreiecksgiebel u¨ber dem Portikus ist eine konstitutionelle, keine parlamentarische Szene zu sehen: Kaiser Franz Joseph verleiht in ro¨mischer Toga freiwillig die Verfassung an die o¨sterreichischen Kronla¨nder. brigens: die Giebelinschrift beim Hofopernhaus ist ebenfalls Kaiser Franz Joseph gewidmet. Wir spazieren weiter und sehen linker Hand das im Vergleich zum Parlament noch imposantere Rathaus 4 , dann die Universita¨t 5 , schließlich die in neugotischem Stil errichtete Votivkirche. Geplant wurde sie nach dem Attentatsversuch auf den jungen Kaiser Franz Joseph am 18. Februar 1853 vom Architekten Heinrich Ferstel. ber 300 000 Spender folgten dem Spendenaufruf „zum Dank fu¨r die Errettung Seiner Majesta¨t“. Die Kirche wurde 1879 eingeweiht. Auf der rechten Seite der Ringstraße steht das Hofburgtheater, das wir, zusammen mit anderen Wiener Theatern, noch am Abend besuchen werden. Die Universita¨t, ein monumentaler, 161 mal 133 Meter großer Bau, den der Architekt Heinrich von Ferstel entwarf und der 1884 im Beisein des Kaisers ero¨ffnet wurde, sollte urspru¨nglich allen Fakulta¨ten Platz bieten. Bald aber wurde dieses Geba¨ude zu klein, universita¨re Einrichtungen wurden ausgelagert, und so entstand im Umkreis der Universita¨t ein ganzes wissenschaftliches Viertel. Viele der 350 Professoren haben sich in dieser Gegend niedergelassen, sodass dieser Abschnitt der Ringstraße und der angrenzende 9. Bezirk zu einer Art „Wissenschaftsbezirk“ geworden ist. Sehenswert ist die im Universita¨tsgeba¨ude untergebrachte Bibliothek, die zurzeit u¨ber 700 000 Ba¨nde umfasst. Sie ist an Werktagen zwischen 9 und 20 Uhr zuga¨nglich. Von der Universita¨t aus fu¨hrt die Ringstraße leicht abwa¨rts und vorbei an Banken und der Bo¨rse 6 Richtung Donaukanal. Dieser schmale Seiten-
Die Ringstraße – Flanieren auf Wiens pra ¨ chtigstem Boulevard
Blick auf den Franz-Josefs-Kai, eine elegante Uferanlage zwischen Innenstadt und Donaukanal.
arm der Donau, der nahe an die Wiener Altstadt heranfu¨hrt, wurde nach der großen Donauregulierung der Jahre 1870 bis 1875 ausgebaut. Er ist durchschnittlich 70 Meter breit, drei bis vier Meter tief. Und er ist eine beliebte Schifffahrtsstrecke fu¨r kleinere und mittlere Boote. Am Wasser entlang wurde eine scho¨ne Uferpromenade, der Franz-Josefs-Kai, errichtet. Diese Promenade bildet ein ebenbu¨rtiges Verbindungsstu¨ck zur Ringstraße, die ja nicht ganz kreisrund ist. Vom Ufer aus ko¨nnen wir einen Blick auf den regen Schiffsverkehr werfen. Zahlreiche kleinere Boote (Zillen und Pla¨tten) bringen Obst, Holz, Fisch etc. in die Stadt. Ausflugsdampfer ziehen voru¨ber. Etwas flussabwa¨rts, unterhalb der Aspernbru¨cke, sind die Anlegestation und das repra¨sentative Verwaltungsgeba¨ude der Donaudampfschifffahrtsgesellschaft zu sehen. Lange Zeit war der Donaukanal sehr verschmutzt, die Abwa¨sser der Stadt wurden ungekla¨rt in diesen Seitenarm der Donau geleitet. Seit 1904 werden die Abwa¨sser in einem neuen Hauptsammelkanal entsorgt. Damit ist der Donaukanal – oder einfach Kanal, wie ihn die Wiener auch nennen – wieder sauber. Mittlerweile sind zwei Stromba¨der errichtet worden, die sich im Sommer großer Beliebtheit erfreuen. Wir erreichen auf der Ho¨he der Aspernbru¨cke wieder den Ring und passieren zuna¨chst einen direkt am Donaukanal liegenden, im Jahr 1910 fertiggestellten Neubau: das Volksbildungshaus Urania 7 . Das vom Archi-
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tekten Max Fabiani im modernen Stil errichtete Veranstaltungsgeba¨ude ist bestens ausgestattet. Es beherbergt Vortragsra¨ume, die mit Dia- und Filmprojektoren ausgestattet sind, auf dem Dach ist eine Sternwarte untergebracht. Gleich anschließend kommen wir zu einem weiteren Neubau oder genauer, zu einer Baustelle. Hier wird gerade das neue k. u. k. Kriegsministerium 8 errichtet, ein monumentaler Bau, der der Ringstraße an dieser Stelle eine martialische Facette verleihen wird. Auf der gegenu¨berliegenden inneren Seite des Rings werfen wir noch einen Blick auf das neue Geba¨ude der Postsparkasse 9 , das 1904 bis 1906 von Otto Wagner errichtet wurde. Es liegt, etwas zuru¨ckgesetzt, an der Biberstraße. In diesem eindrucksvollen Bau hat der Architekt, dem wir noch etliche Male begegnen werden, seine Grundsa¨tze einer modernen Architektur verwirklicht. Der Bau ist, so schreibt die Zeitung Das interessante Blatt 1906 nach seiner Vollendung, „ma¨chtig, groß, teuer und scho¨n, wie es sich fu¨r eine Residenz des Geldes schickt“. Außen ist das Geba¨ude mit schlichten weißen Marmorplatten verkleidet, die mit 17 000 mit Blei und Aluminium u¨berzogenen Na¨geln befestigt sind. Soweit der Blick reicht, ist Metall das herrschende Material, genauer das leichte Aluminium: von den Dachfiguren bis hin zu den 800 Tu¨rklinken, die vollkommen rostfrei sind und daher – eine Novita¨t in Wien – auch nicht geputzt werden mu¨ssen. Wir spazieren weiter am Ring und gelangen, nun wieder auf der linken Seite, zum Museum fu¨r Kunst und Industrie. Diese Institution ist typisch fu¨r die wirtschaftliche Aufbruchstimmung Wiens wa¨hrend der letzten Jahrzehnte. Die stu¨rmische Entwicklung der Stadt und des Landes sollte durch wissenschaftliche und museale Einrichtungen begleitet werden, die den Stand von Industrie, Handwerk und Wissenschaft widerspiegeln und fo¨rdern. Erbaut und eingerichtet nach dem Vorbild des englischen Victoria & Albert Museum in London (1852 gegru¨ndet), versteht sich das Museum fu¨r Kunst und Industrie als Vorbildersammlung fu¨r Ku¨nstler, Industrielle, aber auch fu¨r ein breiteres Publikum. Das Museum wurde 1864 ero¨ffnet, 1871 erhielt es seinen Neubau am Ring, und 1867 wurde es um eine Kunstgewerbeschule erga¨nzt, fu¨r die ein Zubau errichtet wurde. Fast haben wir die Ringstraße umrundet. Bevor wir wieder zur Oper zuru¨ckkehren, machen wir noch einen kleinen Abstecher in den wunderbar ruhigen Stadtpark, der sich direkt an das Museum fu¨r Kunst und Industrie anschließt. 1862 ero¨ffnet, ist dieser Park ein direktes Ergebnis des Ringstraßenbaus. Der Ring ist hier etwas schmaler, um der gru¨nen Oase inmitten der Stadt Platz zu machen. Wir steuern am Ende der Parkanlage geradewegs auf den Kursalon zu (Johannesgasse 33) 10 zu. Der prunkvoll
Die Ringstraße – Flanieren auf Wiens pra ¨ chtigstem Boulevard
Der Kursalon im Stadtpark ist ein Treffpunkt der noblen Wiener Gesellschaft.
gestaltete Kurpavillon ist ein beliebtes Kaffeehaus, Tanz- und Konzertlokal. Am 15. Oktober 1868, wenige Jahre nach der Ero¨ffnung des Geba¨udes, dirigierte hier Johann Strauß ein erstes Konzert, dem viele folgen sollten. Von der weitla¨ufigen Terrasse aus haben wir einen scho¨nen Blick auf die gepflegten Gartenanlagen. Wenige Schritte weiter kommt man zur kunstvollen Treppen- und Promenadenanlage, die nach den Pla¨nen der beiden Architekten Josef Ohmann und Friedrich Hackhofer am Rande des Stadtparks zum Wienfluss hin errichtet wurde. Gesta¨rkt und ausgeruht schlendern wir zuru¨ck zur la¨rmenden Ringstraße. Wir passieren den Schwarzenbergplatz, der ein Zentrum der reichen und vornehmen Wiener Gesellschaft ist. Dies ku¨ndigt sich bereits architektonisch an. Hier stehen prachtvolle Palais des o¨sterreichischen Adels, der Großindustriellen und der Kultur. Wenige Schritte voneinander entfernt, in der Bo¨sendorferstraße 12, ist das Haus des Wiener Musikvereins zu sehen. Nebenan, am Schwarzenbergplatz 4, steht das 1911 fertiggestellte, pra¨chtig geschmu¨ckte, mit Sandstein verkleidete Haus der Industrie 11 , und einige Schritte weiter, am Ka¨rntnerring 16, das Hotel Imperial 12 , das nobelste und prominenteste Hotel der Stadt. An der Innenseite des Rings, am Ka¨rntner Ring 17, liegt eines der traditionsreichsten und vornehmsten Kaffeeha¨user der Stadt, das Cafe´ Schwarzen-
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Das vornehmste Hotel der Stadt: das Hotel Imperial an der Ringstraße.
berg 13 . Wenn wir am Schwarzenbergplatz die Ringstraße kurz verlassen und in den angrenzenden 3. Bezirk u¨berwechseln, setzt sich diese Pracht fort. Hier liegt das Botschaftsviertel der Stadt, viele reiche Bu¨rger haben sich hier ihre Ha¨user gebaut. Doch zuru¨ck zum Hotel Imperial, der letzten Station unseres Rundgangs: Das Geba¨ude wurde 1863 bis 1865 als Palais Wu¨rttemberg erbaut, am 28. April 1873, also im Jahr der Wiener Weltausstellung, wurde es zum Hotel umfunktioniert. Es besitzt 150 Zimmer, elegante Aufenthaltsra¨ume und verfu¨gt u¨ber eine vorzu¨gliche Ku¨che und ein Kaffeehaus. Der Pa¨chter, Johann Frohner, annoncierte 1901 im Hotel- und Ga¨steadressbuch: „Frohners Hotel Imperial, und elegantester Teil der Stadt. In der Na¨he der k. k. Hofoper, mit ho¨chster Eleganz und großem Komfort ausgestattet. Cafe´ und sehr feines Restaurant beim Hause, Aufzug in allen Stockwerken. Omnibus. Ba¨der im Hause.“ Hier steigt das Who is who der Weltgeschichte ab: von Kaiser Wilhelm I. bis Kanzler Bismarck. Richard Wagner bewohnte 1875 bei der Premiere seines „Tannha¨user“ im Imperial eine Flucht von sieben Zimmern. Prominente und reiche Reisende wa¨hlen diesen Teil der Ringstraße fu¨r ihre Unterkunft. Gleich mehrere Luxushotels reihen sich hier aneinander. Wenige Meter nach dem Hotel Imperial folgen auf der gegenu¨berliegenden Straßenseite, am Ka¨rntner Ring 9, das ebenfalls teure Grand Hotel, ein 1871 erbauter Bau, der 300 Zimmer aufweist und seinen Ga¨sten
Die Ringstraße – Flanieren auf Wiens pra ¨ chtigstem Boulevard
einen 200 Quadratmeter großen Speisesaal bietet. Am Ka¨rntner Ring 1–7 folgt das Hotel Bristol, 1894 gegru¨ndet, ebenfalls vornehm, aber nicht ganz so teuer. An der Oper angelangt, biegen wir noch ein paar Schritte in die Operngasse ein. Dort, in der Friedrichstraße 6, Ecke Operngasse, setzen wir uns in das Cafe´ Museum 14 . Es ist 1899 ero¨ffnet worden und hebt sich dank seiner nu¨chternen, modernen Inneneinrichtung, die der Architekt Adolf Loos entworfen hat, deutlich vom Prunk der Ringstraße ab. Hier lassen wir die Hektik und den La¨rm der Ringstraße an uns voru¨berziehen. Vor uns liegen der Karlsplatz und der Naschmarkt, unser Ziel fu¨r den morgigen Tag.
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Am Puls der neuen Stadt – Rund um Karlsplatz und Naschmarkt P l a tz
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in Spaziergang rund um den Wiener Karlsplatz fu¨hrt durch das alte und das neue Wien. Hier stoßen zwei Welten aufeinander: die barocke Karlskirche und der pulsierende Großstadtverkehr, das volkstu¨mliche Leben am Naschmarkt und die neue Architektur der Secession. Geografisch gesehen, ist dieser Rundgang kurz und u¨berschaubar, dafu¨r aber umso abwechslungsreicher. Er fu¨hrt vom Karlsplatz u¨ber den Naschmarkt und anschließend ein Stu¨ck die Wienzeile stadtauswa¨rts. Beginnen wir unseren Rundgang am Karlsplatz. Dieser unweit der Ringstraße gelegene Stadtbereich hat sich in den letzten Jahren deutlich vera¨ndert. Beherrscht wird er von der barocken Karlskirche 1 . Dieses imposante Bauwerk lag lange Zeit weitab vom alten Stadtkern, getrennt durch
200 m
Rund um Karlsplatz und Naschmarkt
Der Karlsplatz: Im Hintergrund ist die barocke Karlskirche zu sehen, im Vordergrund die Tramway und die von Otto Wagner geplanten Haltestellenpavillons der Stadtbahn.
die Stadtmauern und den Einschnitt des Wienflusses. Inzwischen hat sich das gea¨ndert. Die Befestigungsanlagen der Stadt wurden abgerissen, dann kam der Bau der Ringstraße und schließlich, in den Jahren 1895 bis 1899, die Regulierung des Wienflusses, eines kleinen Zuflusses der Donau. Der Karlsplatz ist auf diese Weise an die Stadt herangeru¨ckt und eigentlich erst jetzt zum Platz geworden. Inzwischen ist er auch eine wichtige Verkehrsdrehscheibe. Unterirdisch verkehrt hier die neue Stadtbahn, die sich ihre Trasse mit dem regulierten Wienfluss teilt, oberirdisch sind mehrere Straßenbahnlinien unterwegs. Wa¨hrend auf der Ringstraße das vornehme Leben zirkuliert, prallen auf dem Karlsplatz die Gegensa¨tze aufeinander. Hier hasten Passanten vorbei, die mit der Stadtbahn aus den Vororten kommen, in Straßenbahnen umsteigen oder unterwegs zum Naschmarkt sind. Alle sozialen Schichten, alle Bevo¨lkerungsgruppen finden sich hier ein: vornehme Damen ebenso wie einfache Marktfrauen, Ku¨nstler ebenso wie Studenten auf dem Weg zur Technischen Hochschule. Der Karlsplatz ist ein Brennpunkt der Stadt, der das Zentrum mit den Außenbezirken verbindet, ein Umsteigeort, ein Treffpunkt von Menschen unterschiedlichster Herkunft. Gleichzeitig gruppieren sich um diesen Platz wichtige Kultur- und Bildungseinrichtungen, etwa das Ku¨nstlerhaus und die Technische Hochschule 2 .
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II. Tag I. Tour
Am Karlsplatz springen die Haltestellenpavillons der neu errichteten Stadtbahn 3 ins Auge. Ihre Grundkonstruktion ist einfach und funktional. Der Stahlskelettbau ist ganz auf seinen Zweck, Reisende zu den tiefer liegenden Bahnsteigen zu fu¨hren, ausgerichtet. Dazu dienen offene, u¨berdachte Vorhallen, WC-Anlagen, Ra¨ume fu¨r die Fahrkartenkontrolle und Stiegen. Otto Wagner, der Architekt, hat die Geba¨ude zwar in ihrer Substanz schlicht gehalten, auffallend ist aber die prunkvolle Ausschmu¨ckung im Dachbereich: Hier u¨berziehen feine, in Gru¨n und Gold gehaltene Ornamente die Dachkonstruktion. Es ist, wenn wir uns die Ringstraßenarchitektur vor Augen halten, ein Bau neuen Typs. Die Stationspavillons am Karlsplatz sind Teil des sta¨dtebaulichen Monumentalwerks, das Wien in den letzten Jahren grundlegend vera¨ndert hat: Die Stadtbahn durchquert in mehreren Linien die Stadt. Aber nicht nur die Architektur der Haltestellen hat hier Spuren des Neuen hinterlassen. Weit folgenreicher sind die mit dem Bau dieser Bahnlinie verbundenen Eingriffe der Stadtplanung in das Stadtgefu¨ge. Neue Pla¨tze und Straßenzu¨ge sind entstanden. Beispiele sind die Kaianlagen am Donaukanal, der neu gestaltete Karlsplatz oder der Anfang der Wienzeile, einer stadtauswa¨rts fu¨hrenden Straße, die vom Karlsplatz ihren Ausgang nimmt. Der Architekt, der hinter dem Stadtbahnprojekt und damit einem wesentlichen Teil der sta¨dtebaulichen Umgestaltung der Stadt steht, ist Otto Wagner. Er ist ein Allrounder, der bereits viel gebaut hat: Villen ebenso wie Flussbauwerke, aber auch große o¨ffentliche Geba¨ude, etwa
Der Architekt, der Wien vera¨nderte Geboren am 13. Juli 1841, studiert Otto Wagner in Berlin und Wien und erlernt in jungen Jahren auch das Maurerhandwerk. 1864 beginnt er als selbststa¨ndiger Architekt zu arbeiten, er plant und finanziert zuna¨chst Villen und Mietsha¨user. 1894 wird er zum ordentlichen Professor und zum Leiter einer Spezialschule fu¨r Architektur an der Akademie der bildenden Ku¨nste in Wien berufen, 1896 erscheint sein Werk Moderne Architektur in erster Auflage. Ab den 1890er-Jahren ist er einer der fu¨hrenden Stadtplaner Wiens, er plant zahlreiche oft unrealisierte Projekte, verwirklicht aber auch zukunftsweisende Bauten, darunter die Wiener Stadtbahn, das Geba¨ude der Postsparkasse und die Kirche am Steinhof.
Rund um Karlsplatz und Naschmarkt
die Postsparkasse am Ring, sowie Synagogen und Kirchen wie die Kirche am Steinhof (s. S. 117). Doch zuru¨ck zur Wiener Stadtbahn. Sie wurde zwischen 1898 und 1901 errichtet und hatte ihre Vorbilder in Metropolen wie London oder Berlin, wo es zu dieser Zeit bereits a¨hnliche Massenverkehrsmittel gab. Auch die nordamerikanischen Metrobahnen nahm man sich in Wien zum Vorbild. Merkwu¨rdig ist, dass man zwar in Anlage und Streckenfu¨hrung den Vorbildern folgte, aber nicht im Betrieb. Wa¨hrend die Berliner und Londoner Stadtbahnen bereits elektrisch fahren, setzt man in Wien noch auf dampfgetriebene Wagen, und dies, obwohl die Straßenbahn schon seit Anfang 1897 nach und nach auf Strom umgestellt wurde! Wir u¨berqueren den ausgedehnten Karlsplatz und stoßen nach wenigen Schritten stadtauswa¨rts zwischen der Verla¨ngerung der Wiedner Hauptstraße und der Wienzeile auf den Naschmarkt 4 . Welch ein Leben uns hier begegnet! Wir tauchen ein in ein Gewirr von Stimmen und Menschen. Marktfrauen bieten schreiend und feilschend ihre Waren feil. Zu kaufen gibt es hier fast alles, was essbar ist: Obst und Gemu¨se aller Sorten, Fisch und Fleisch, Milch und Brot, Su¨ßigkeiten und Blumen, aber auch Produkte, die von weit her kommen, sind zu haben, wie Pfeffer und Safran,
Der Naschmarkt ist der bunteste und faszinierendste Markt Wiens. Hier kauft vor allem die einfache Bevo¨lkerung ein.
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II. Tag I. Tour
Datteln und Zimt. Lassen Sie sich Zeit, flanieren Sie zwischen den Verkaufssta¨nden. Hier erhaschen Sie einen Ausschnitt des volkstu¨mlichen Wiener Lebens. Am Naschmarkt wird ein anderes Wienerisch gesprochen als an der Ringstraße. Der Naschmarkt geht in das spa¨te 18. Jahrhundert zuru¨ck, 1774 wurde hier erstmals ein kleiner Markt fu¨r Milch eingerichtet. Damals hieß der Markt noch Aschenmarkt (von Asch, d. h. Milcheimer). Erst in den letzten Jahren ist der Naschmarkt deutlich gewachsen. Inzwischen wird hier fast alles verkauft, auch Obst und Gemu¨se, die zuvor vorwiegend auf anderen Wiener Ma¨rkten, v. a. in der Na¨he des Donaukanals, verkauft wurden. Denn sie wurden mit Schiffen u¨ber das Wasser angeliefert. Der Name Naschmarkt als offizielle Bezeichnung fu¨r diesen Marktplatz ist ju¨ngeren Ursprungs. Noch vor nicht allzu langer Zeit hieß dieser Markt amtlich Ka¨rntnertormarkt. Seit das Ka¨rntnertor, ein Tor der alten Befestigungsanlagen, Ende der 1850er-Jahre abgetragen wurde, ist auch der Name verschwunden. Der inoffizielle Name, den jeder Wiener kennt, ist seither zum offiziellen Namen geworden, und der Naschmarkt wurde zum Naschmarkt. Direkt am Naschmarkt beginnt die Wienzeile. Rechte und linke Wienzeile bezeichnen, von der Fließrichtung des Wienflusses aus gesehen, die beiden Straßenseiten. Wenn wir stadtauswa¨rts spazieren, liegt also die linke Wienzeile rechter Hand. Apropos „Zeile“. Das ist ein alter Ausdruck fu¨r Straße, der auch in anderen Gegenden Wiens noch hie und da in Verwendung ist. Unmittelbar nach der Wienflussregulierung ging man daran, beide Bo¨schungen des Wienflusses zu bebauen. Hier soll eine in Richtung des kaiserlichen Schlosses Scho¨nbrunn fu¨hrende Prachtstraße entstehen. Otto Wagner ist mit einigen Bauten an diesem Projekt beteiligt. Allerdings ist von dieser Prachtstraße noch nicht viel zu sehen. Nur am Beginn des Straßenzuges wurde das Projekt bisher ansatzweise verwirklicht. Je weiter wir der Wienzeile stadtauswa¨rts folgen, desto „lo¨chriger“ erscheint das Vorhaben. Neben prunkvollen Neubauten stehen auch schnell hochgezogene, billige Mietsha¨user. Noch bevor der Straßenzug der Wienzeile beginnt, fa¨llt uns ein neues, freistehendes, in seiner a¨ußeren Gestaltung unkoventionelles Geba¨ude auf: die Secession 5 . Mit dem 1898 erbauten Ausstellungsgeba¨ude spalteten sich die jungen, progressiven Ku¨nstler wie Gustav Klimt, Josef Hoffmann, Koloman Moser und andere o¨ffentlichkeitswirksam und sichtbar vom traditionsreichen, konservativen und weitaus gro¨ßeren Ku¨nstlerhaus an der Ringstraße ab (daher der Name „Secession“). Das im November 1898
Rund um Karlsplatz und Naschmarkt
Das Zentrum der progressiven Kunst: Die Secession wurde 1898 ero ¨ffnet.
ero¨ffnete Geba¨ude geht auf einen Entwurf von Joseph Maria Olbrich zuru¨ck. Die Baukosten von 120 000 Kronen wurden aus Beitra¨gen der Mitglieder der jungen, gleichnamigen Ku¨nstlervereinigung finanziert. Es ist in seinen Grundzu¨gen ein programmatischer Bau. Das Ziel dieser ku¨nstlerischen Richtung ist es, zeit-, zweck- und stoffgema¨ß zu bauen: Weißer, einfacher Verputz ohne aufgesetzte Fassadengliederung ließ einen leichten Bau entstehen, der sich von der Palastarchitektur der Ringstraße deutlich abhebt. Wie bei Otto Wagners Stadtbahnstation ist lediglich die Dachkonstruktion geschmu¨ckt: Es ist eine Kuppel, die aus vergoldeten Bla¨ttern und Ranken besteht. Wenige Schritte von diesem Neubau entfernt, am Anfang der linken Wienzeile (Wienzeile 6), steht ein traditionsreiches Haus: das Theater an der Wien 6 . Es geho¨rt zu den bekanntesten Bu¨hnen der Stadt und wurde 1801 von Emanuel Schikaneder erbaut. Schikaneder, der Librettist von Mozarts Zauberflo¨te, war durch den gewaltigen Erfolg der MozartOper zu so viel Geld gelangt, dass er sich sein privat finanziertes Theater vor den Toren der Stadt leisten konnte. Er ließ in seinem Theater zahlreiche Bu¨hnenwerke urauffu¨hren, daneben schrieb er insgesamt 55 Theaterstu¨cke und 44 Bu¨cher fu¨r Opern und Singspiele. Etwas weiter stadtauswa¨rts stoßen wir auf der linken Wienzeile wieder auf die Spuren Otto Wagners. Er baute hier 1898/99 drei Wohnha¨user 7 ,
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Wenn die Secession zur Mode wird Secession auf allen Gassen, an allen Ecken, Secession zum Sehen, Ho¨ren und Riechen, zum Essen und zum Trinken, man redet ja schon von secessionistischen Saucen, von Schna¨psen, die secessionistisch schmecken – Alles, alles muß auf einmal secessionistisch sein, es ist wie ein großer Rausch. Hermann Bahr: Die falsche Secession, Wien 1900.
die sich gut in den „secessionistischen“ Geist der neuen Zeit einfu¨gen. Die drei Bauten in der linken Wienzeile 38, 40 und Ko¨stlergasse 3, Ecke linke Wienzeile 38, weisen einfache, zweckma¨ßige Fassaden auf. Sie sind nicht, wie das noch vor wenigen Jahren u¨blich war, mit u¨berbordendem Stuck u¨berzogen. Vielmehr ist ihr Schmuck einfach und elegant, es sind Blumenornamente, die die weiße Fassade dezent zieren. Eines der Geba¨ude, in der Wienzeile 40, ist mit glasierten Majolikafliesen verta¨felt. In dieser Verbindung von Einfachheit, Moderne und Eleganz kommt fu¨r Otto Wagner die Architektur der Moderne zum Ausdruck. Er pla¨diert fu¨r eine Bauweise, die die Funktion vor das Repra¨sentationsbedu¨rfnis stellt. Die „Secession“ ist inzwischen bereits zur Modeerscheinung geworden, alles was neu und chic sein will, reklamiert fu¨r sich diesen Begriff. Die secessionistische Mode in der Architektur muss man sich leisten ko¨nnen. Es sind in erster Linie liberale, den Ideen des Neuen gegenu¨ber aufgeschlossene Gescha¨ftsleute, die sich fu¨r diese Architektur begeistern. Aber die Absetzbewegung von der teuren, prunkvollen Welt der Ringstraße nimmt in diesen Jahren auch ganz andere Zu¨ge an. Die Sozialdemokratische Bewegung, die in den letzten Jahren rasant angewachsen ist und seit den Wahlen im Jahr 1911 die sta¨rkste Partei im o¨sterreichischen Reichsrat ist, attackiert den Protz der Ringstraße von einem anderen, klassenka¨mpferischen Standpunkt aus. Auf der gegenu¨berliegenden Straßenseite, an der rechten Wienzeile 97, befindet sich das Parteigeba¨ude der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP). Auch dieses Geba¨ude – es wurde zwischen 1907 und 1909 von den beiden Bru¨dern (und Wagner-Schu¨lern) Franz und Hubert Gessner geplant – atmet den Geist der neuen Zeit: Die Fassade ist selbstbewusst und zugleich schlicht gehalten, nur eine große Uhr, Symbol dafu¨r, dass neue Zeiten angebrochen sind, ziert den Giebel. Links und rechts davon
Rund um Karlsplatz und Naschmarkt
sitzen stolz und u¨berlebensgroß zwei Steinfiguren am Dachsims: ein Arbeiter und eine Arbeiterin. Aber genug der Architekturschau! Wir schlendern zuru¨ck zum Karlsplatz, wenden uns noch einmal dem Beginn der linken Wienzeile zu und steuern am Ende unseres Rundgangs ein Kaffeehaus an. Zur Auswahl steht an der Ecke zum Getreidemarkt (Getreidemarkt 1) das Cafe´ Dobner oder, einen Straßenzug weiter, in der Gumpendorferstraße 11, das Cafe´ Sperl 8 . Beides sind Ku¨nstlercafe´s. Sie treffen hier auf die Stars der Wiener Operette. In diesen Kaffeeha¨usern versammeln sich aber auch Schriftsteller, Komponisten, Maler und Architekten und allerlei andere Intellektuelle und Bohemiengestalten. Vielleicht ist es kein Zufall, dass hier, vor den ehemaligen Toren der Stadt, ganz nah am volkstu¨mlichen Naschmarkt, die Ideen der Revolte und der ku¨nstlerischen „Secession“ so gut gedeihen.
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II. Tour
In Kaisers Garten – Ein Ausflug nach SchÇnbrunn
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In Kaisers Garten – Ein Ausflug nach Scho¨nbrunn
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as Schloss Scho¨nbrunn, eine große, prunkvolle Anlage vor den Toren Wiens, ist die Sommerresidenz der kaiserlichen Familie. 1441 Gema¨cher und 139 Ku¨chen nennt sie ihr Eigen. Doch Scho¨nbrunn hat mehr zu bieten als die prunkvollen Ra¨ume der Habsburger. Wir besuchen den wunderbaren, o¨ffentlich zuga¨nglichen Schlosspark, schlendern durch den Tiergarten, den botanischen Garten und das Palmenhaus – und genießen von der Aussichtsterrasse der kaiserlichen Gloriette den Weitblick u¨ber Wien. Fu¨nf Kilometer ist das kaiserliche Schloss Scho¨nbrunn vom Stadtzentrum entfernt. Diesen Weg legt Kaiser Franz Joseph oft zuru¨ck, morgens begibt er sich in seiner Kutsche in die Hofburg, an seinen Arbeitsplatz, abends rollt er zuru¨ck ins Schloss. Er ko¨nnte, seit die Stadtbahn das Stadtzentrum mit den westlichen Vorsta¨dten verbindet, eigentlich mit dem neuen Verkehrsmittel fahren, aber in der Stadtbahn wurde der Kaiser nicht oft gesichtet. Dennoch hat Otto Wagner, der die Stadtbahn architektonisch gestaltete, unweit vom Schloss die prunkvollste Stadtbahnstation geplant: den „Pavillon des k. u. k. Allerho¨chsten Hofes“ in Hietzing 1 . Der Wartesalon des Kaisers ist mit einer angenehmen Sitzgarnitur und sogar mit einem Schreibtisch ausgestattet. Von hier aus kann man, wenn notwendig, auch Depeschen versenden. Dieser Pavillon ist der Endpunkt unserer kurzen Fahrt. Wir steigen am Karlsplatz oder an einer der zahlreichen anderen Stationen in die Stadtbahn ein und erreichen nach etwa zwanzig Minuten Fahrzeit das kaiserliche Schloss Scho¨nbrunn. Genaugenommen gibt es in der Na¨he des Schlosses zwei Stationen, an denen wir aussteigen ko¨nnen: entweder in „Scho¨nbrunn“ oder, etwas weiter stadtauswa¨rts, in „Hietzing“. Auch eine Straßenbahnlinie fu¨hrt hierher. In Scho¨nbrunn lassen wir La¨rm, Staub und den dichten Verkehr weit hinter uns. Die Wege und Alleen sind fein sa¨uberlich gereinigt. Hier herrscht gediegene Pracht, so weit das Auge reicht – wie es sich fu¨r die Anlage im Besitz des Kaiserhauses eben geho¨rt. Wir ko¨nnen getrost einen ausgedehnten Nachmittag fu¨r unser Besuchsprogramm veranschlagen. Auch wenn Sie das kaiserliche Schloss selbst nicht besichtigen, bietet Scho¨nbrunn doch allerlei andere Sehenswu¨rdigkeiten, und allein schon der wunderbare Schlossgarten ist zu jeder Jahreszeit einen Besuch wert. Der Schlosspark in Scho¨nbrunn ist nicht der einzige kaiserliche Park in Wien, der fu¨r die ffentlichkeit zuga¨nglich ist. Auf der anderen Seite der Stadt, nicht weit vom Donaukanal entfernt, liegt der von der Oberen Augartenstraße aus zuga¨ngliche Augarten. Dieser Garten war von 1649 bis
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II. Tag II. Tour
Schloss Scho ¨nbrunn: die Sommerresidenz der kaiserlichen Familie.
1650 angelegt worden und diente teilweise als Sommerdomizil fu¨r die kaiserliche Familie. Bereits 1775 gab Kaiser Joseph II. dieses Areal fu¨r das Publikum frei und ließ u¨ber dem Haupteingang folgenden Spruch anbringen: „Allen Menschen gewidmeter Erlustigungsort von Ihrem Scha¨tzer“. Auch der Prater war, bevor er 1776 fu¨r das Publikum geo¨ffnet wurde, kaiserlicher Tierpark und Hofjagdgrund. Doch zuru¨ck zu Scho¨nbrunn. Als das kaiserliche Lustschloss 2 im Jahr 1700 unter Kaiser Joseph I. nach Pla¨nen des Architekten Johann Bernhard Fischer von Erlach fertiggestellt wurde, lag die Anlage noch weit außerhalb der Stadt, mitten im Gru¨nen. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts erlebte das Schloss unter der Kaiserin Maria Theresia seine Blu¨tezeit. Es wurde laufend erweitert, ausgebaut und ausgeschmu¨ckt. Das Geba¨ude ist eine imposante Anlage: Es hat 1441 Gema¨cher. Insgesamt 139 Ku¨chen sorgen fu¨r Speise und Trank der kaiserlichen Familie und des gewaltigen Trosses, der diese umsorgt. Das Schloss, das die kaiserliche Familie vor allem im Sommer bewohnt, bietet ho¨chsten Komfort: pra¨chtig ausgeschmu¨ckte Wohn- und Versammlungsra¨ume – allein der beru¨hmte Spiegelsaal fasst 1000 Personen. Hier sind aber auch die kaiserlichen Sammlungen untergebracht, Magazine und Vorratsra¨ume, Ga¨rtnerra¨ume, Gema¨cher fu¨r die Dienerschaft und vieles andere mehr. Wir passieren das Schlosstor und finden uns vor einer ausgedehnten Schlossanlage. Dahinter erstreckt sich ein großer Park. Wenn Sie das
In Kaisers Garten – Ein Ausflug nach Scho¨nbrunn
Wo der Kaiser fru¨hstu¨ckt. Die Gloriette steht am ho¨chsten Punkt des Schlossgartens von Scho ¨nbrunn. Von hier aus genießen die Besucher eine wunderbare Aussicht.
Schloss besuchen wollen, wenden Sie sich an einen der fu¨r die Fu¨hrungen zusta¨ndigen Diener. Er wird Sie durch einige der prunkvollsten Zimmer des Schlosses geleiten, etwa die Kleine Galerie, das Chinesische Rundkabinett, die Große Galerie, das Karussellzimmer, den Zeremoniensaal, den Blauen Salon und eine Reihe weiterer Ra¨ume. Die westlichen Teile der Anlage werden von der kaiserlichen Familie bewohnt und sind fu¨r die ffentlichkeit nicht zuga¨nglich. In diesen Ra¨umen wurde 1830 Kaiser Franz Joseph I. geboren. Er bestieg seinen Thron 1848, inmitten der Revolutionswirren, als sein Onkel Ferdinand I. abgedankt hatte. Mit 18 wurde Franz Joseph Kaiser von sterreich, mit 24 heiratete er seine Cousine Elisabeth von Bayern, Sisi genannt. Als Kaiser ist Franz Joseph, der schon Jahrzehnte im Amt ist, u¨beraus beliebt. Als Ehemann und Vater ist er freilich von Schicksalsschla¨gen verfolgt. Eine seiner beiden To¨chter, Gisela, starb mit zwei Jahren. Sein einziger Sohn, Kronprinz Rudolf, der als sein Thronfolger gegolten hat, starb 1889. Er beging zusammen mit seiner Geliebten Mary Vetsera in Mayerling Selbstmord. Zehn Jahre spa¨ter starb auch Franz Josephs Frau, Kaiserin Sisi. Sie wurde 1898 in Genf von einem italienischen Anarchisten ermordet.
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II. Tag II. Tour
Wir kehren zuru¨ck ins Freie und wenden uns nun der ausgedehnten, nach hinten leicht ansteigenden Parkanlage zu, die fu¨r Besucher frei zuga¨nglich ist. Dieser Schlossgarten ist tatsa¨chlich eine touristische Attraktion: die schnurgerade angelegten Kieswege sind von aufwendig gepflegten „Baumwa¨nden“ gesa¨umt. Rund um das Schloss liegen prachtvoll angelegte Blumenbeete, dahinter o¨ffnen sich wunderbare Linden-, Ahorn- und Kastanienalleen, dazwischen finden sich weiße Marmorstatuen und immer wieder Ba¨nke, die zum Verweilen einladen. Langsam steigen wir bis zum ho¨chsten Punkt des Gartens hinauf. Hier steht die Gloriette 3 , ein Kolonnadenbau, der 1775 als architektonischer Abschluss der Gartenanlage errichtet wurde. Er ist eine Art von Belvedere, der einen ausgezeichneten Blick auf den Schlossgarten und das tieferliegende Schloss, aber auch auf die Wiener Vorstadt bietet. Weit im Hintergrund liegen die gru¨nen Ha¨nge und Hu¨gel des Wienerwaldes, eines Waldgu¨rtels, der sich im Westen an die Stadt anschließt. Eigentlich geho¨rt der Festhallenbau der Gloriette zum kaiserlichen Schloss und wird, so heißt es, vom Kaiser ho¨chstselbst o¨fter als Fru¨hstu¨cksraum genutzt. Es ist aber gar nicht schwierig, hier Einlass zu bekommen. Fragen Sie einfach den Schlossdiener, der Ihnen gern o¨ffnet und den Weg zur Aussichtsterrasse weist, von der aus Sie einen ausgezeichneten Weitblick genießen ko¨nnen. Von der Gloriette abwa¨rts gehend linker Hand stoßen wir nach kurzer Zeit auf die kaiserliche Menagerie 4 . Dieser Tiergarten wurde nach der Fertigstellung des Schlosses eingerichtet. Die ersten Tiere kamen aus der Sammlung des Prinzen Eugen im Schloss Belvedere. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts hat sich der Bestand rasch vergro¨ßert. 1850 waren hier 547 Tiere untergebracht, 1911 sind es bereits 3160, darunter viele Tiere aus anderen Erdteilen. Die Menagerie ist ein großer Rundbau, der aus 13 radial angelegten Zwingern besteht. Besonders sehenswert ist das reichhaltige Affenhaus. Erst im Jahr 1906 hat man die Anlage erneuert und neue Tierha¨user errichtet. Die Geba¨ude sind elektrisch beleuchtet, auf diese Weise sind die Tiere auch in ihren Winterquartieren zu besichtigen. Karten sind am Schalter der Menagerieinspektion erha¨ltlich, sie kosten 40 Heller. Die Menagerie ist an Wochentagen von 10 Uhr bis zur Da¨mmerung fu¨r Besucher geo¨ffnet. Unweit der Menagerie befindet sich das imposante Palmenhaus 5 . Der 113 Meter lange, 28 Meter breite und 25 Meter hohe Bau ist das gro¨ßte Glashaus auf dem Kontinent. Franz Xaver Segenschmid, der es plante, war im kaiserlichen Obersthofmeisteramt bescha¨ftigt, ku¨mmerte sich um die Renovierung und Instandhaltung der kaiserlichen Schlo¨sser und war
In Kaisers Garten – Ein Ausflug nach Scho¨nbrunn
Das Palmenhaus in Scho ¨nbrunn. 1882 wurde das gro ¨ßte Glashaus auf dem Kontinent ero ¨ffnet.
eine Art Hofarchitekt. Die Planungen nahmen Jahre in Anspruch, Segenschmid reiste nach Belgien und Bru¨ssel, um sich bei gelungenen Beispielen der Glasarchitektur Anregungen zu holen. 1882 wurde der Eisen-Glas-Bau ero¨ffnet. Er weist mehrere Temperaturabteilungen auf, die durch verschiebbare Glaswa¨nde getrennt sind. Im mittleren Palmenhaus sinken die Temperaturen im Winter nicht unter 15 bis 17 Grad. In diesem Klima gedeihen zahlreiche tropische Pflanzen, besonders eindrucksvoll sind etwa die ostindischen Nusspalmen. Das Palmenhaus ist an Wochentagen (außer am Freitag) zwischen 14 und 17 Uhr zu besichtigen (vom 1. Oktober bis 31. Ma¨rz zwischen 13 und 16 Uhr). Der Eintritt kostet 40 Heller, sonntags eine Krone. Wenn Sie noch mehr Pflanzen sehen wollen, wenden Sie sich dem Botanischen Garten 6 zu, der ganz in der Na¨he, entlang der a¨ußeren Begrenzung des Schlossparks, untergebracht ist. Hier ko¨nnen Sie inmitten der Rasenanlagen und Blumenrabatte spazieren oder einfach nur verweilen. 1753 unter Kaiser Franz I. durch den aus dem holla¨ndischen Leiden stammenden Hofga¨rtner Adrian von Steckhoven angelegt, ist der Botanische Garten spa¨ter mehrmals umgebaut und vergro¨ßert worden. Steckhoven ist auch der Architekt des Scho¨nbrunner Schlossgartens, von ihm stammt das Konzept eines ganz im franzo¨sischen Stil angelegten Gartens,
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II. Tag II. Tour
wie es damals in Mode war. Er hat die erste Fa¨cherpalme nach Wien gebracht und auf ihn gehen die ersten Bemu¨hungen fu¨r den Aufbau einer Sammlung exotischer Pflanzen zuru¨ck, die ein Jahrhundert spa¨ter, mit der Ero¨ffnung des Palmenhauses, ihren Abschluss fanden. Wa¨hrend wir zur Stadtbahnstation zuru¨ckschlendern, werfen wir noch einen Blick auf die vornehmen Geba¨ude und Villen, die in den letzten Jahren rund um den Schlosspark errichtet wurden. Urspru¨nglich stand das kaiserliche Schloss mitten im Gru¨nen. Inzwischen ist hier westwa¨rts der locker bebaute Stadtteil Hietzing entstanden. Freistehende teure Villen, prunkvolle Straßenzu¨ge, man merkt, dass hier Wiens Mittel- und Oberschicht wohnt. Oft waren diese Villen zuna¨chst als Sommerfrischeha¨user entstanden, Zweitdomizile also, in denen die betuchten Bu¨rger die Sommermonate verbrachten. Inzwischen ist diese Villengegend neben jener im Nordwesten der Stadt (Do¨bling) fu¨r viele zum begehrten Hauptwohnsitz geworden, der nun na¨her an das Stadtzentrum herangeru¨ckt ist. Denn die neue Stadtbahn verbindet diesen Vorort mit dem Zentrum. Wir steigen ein und rattern in gemu¨tlicher Fahrt zuru¨ck in die Stadt.
III. Tag
Die Welt der Alten Meister – Zu Besuch in Wiens Museen W äh rin g
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traße der Museen, so ko¨nnte man die Ringstraße auch nennen. Zahlreiche Sammlungen sind hier untergebracht. Wir verbringen einen Vormittag in Wiens Museen, besuchen die großen musealen Prachtbauten am Ring, etwa das Kunsthistorische und das Naturhistorische Museum, wenden uns aber auch weniger bekannten Museen zu. Ein Rundgang durch die Wiener Museen wu¨rde Tage dauern, wenn man bei A wie dem Anatomisch-pathologischen Pra¨paratenkabinett bega¨nne und etwa bei Z wie der zoologischen Sammlung endete. Ein solcher Museenrundgang wu¨rde zudem kreuz und quer durch die Stadt fu¨hren.
I. Tour
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III. Tag I. Tour
Das Rathaus ist mit seinen 1575 Ra ¨ umen und seinem 104 Meter hohen Turm ein imposantes Geba ¨ ude am Ring.
Wien hat viele Museen, einige wurden schon sehr fru¨h angelegt, viele aber wurden erst in den letzten Jahren ero¨ffnet. Sehenswert sind etwa das Technologische Gewerbemuseum (Wa¨hringer Straße 59), das k. u. k. Heeresmuseum, untergebracht im Arsenal unweit des Su¨dbahnhofs, die Gema¨ldegalerie des Belvedere am Rennweg, das Postmuseum im Prater, weiter zahlreiche fu¨rstliche Privatgalerien (Czernin, Harrach, Liechtenstein, Scho¨nborn, Figdor usw.). Einen Besuch wert sind auch zahlreiche Universita¨tssammlungen und historische Bibliotheken. Wir wenden uns heute nur einigen wenigen Sammlungen zu, die allesamt entlang der Ringstraße untergebracht sind: dem Historischen Museum der Stadt Wien, dem Kunsthistorischen und dem Naturhistorischen Museum, der Gema¨ldegalerie der Akademie fu¨r Bildende Ku¨nste, dem Museum fu¨r Kunst und Industrie und dem Volkskundemuseum. Ein Rat vorweg: Kaufen Sie sich am Eingang jedes Hauses einen Katalog und verschaffen Sie sich zuerst einmal einen berblick, bevor Sie mit der Besichtigung beginnen. Denn in der Gesamtheit sind die großen Museen kaum zu schaffen.
Die Welt der Alten Meister – Zu Besuch in Wiens Museen
Wir beginnen unseren Rundgang im Rathaus, das sich gegenu¨ber dem Hofburgtheater befindet. Oder genauer, in jenem Teil des Rathauses, in dem das Historische Museum der Stadt Wien untergebracht ist 1 . Es bietet einen guten berblick u¨ber die Wiener Stadtgeschichte. Das Rathaus ist ein imposantes, im Stil der Gotik errichtetes und 1883 fertiggestelltes Geba¨ude: berragt wird es von einem 104 Meter hoch aufragenden Turm. Im Innern ist es ein ausgedehntes Labyrinth von Bu¨rora¨umen, Stiegen und Ho¨fen. Damit Sie sich in den 1575 Ra¨umen nicht verirren, fragen Sie am besten beim Portier am Eingang (Felderstraße 1) nach dem sta¨dtischen Museum. Er wird Sie u¨ber die Feststiege 2, einen breiten Aufgang, ins Mezzanin weisen (dort bitte la¨uten!). Geo¨ffnet ist das Museum Dienstag bis Samstag zwischen 9 und 14 Uhr nachmittags, an Wochenenden zwischen 9 und 13 Uhr. Dienstags, donnerstags und sonntags ist der Eintritt frei. Das Museum ist auf zwei Stockwerke verteilt. Sie finden hier archa¨ologische Fundstu¨cke aus ro¨mischer Zeit ebenso wie fru¨he Karten der Stadt, Bilder aus dem Wiener Volksleben, Informationen zu bekannten Wiener Perso¨nlichkeiten, etwa zu Dichtern und Musikern, aber auch Waffen, Medaillen und Mu¨nzen. Gleich nebenan, im ersten Stock des rechten Seitentraktes, ist die Bibliothek der Stadt Wien untergebracht, die ebenfalls ansehnlich bestu¨ckt ist. Sie umfasst 95 915 Ba¨nde, 11 300 Autographen, 1102 Drucke und 2032 Handschriften. Geo¨ffnet ist sie ta¨glich von 9 bis 12 Uhr, im Winter auch nachmittags von 17 bis 19 Uhr. Nachdem wir das Rathaus verlassen haben, spazieren wir am Ring entlang, diesmal gegen den Uhrzeigersinn, am Parlament vorbei und erreichen den großen Platz zwischen den beiden neu erbauten Hofmuseen: Auf der einen Seite steht das Kunsthistorische 2 , auf der anderen das Naturhistorische Museum 3 . Bevor Sie in eines der beiden Ha¨user eintreten, sollten Sie noch einen Blick auf die Außenfronten der beiden Geba¨ude werfen, die einander fast spiegelgleich gegenu¨berstehen. Allein die Maße sind beeindruckend: 168 Meter lang, 74 Meter breit, es sind dies zwei große Bauten, deren Pla¨ne aus einem Wettbewerb hervorgegangen sind. Carl von Hasenauer gewann ihn und baute die Museen, zusammen mit Gottfried Semper, zwischen 1872 und 1881. Die beiden Ha¨user sind Museen der Superlative. Weder außen noch innen wurde bei Schmuck und Einrichtung gespart. Die Geba¨ude sind zwar inmitten des bu¨rgerlichen Bezirks der Ringstraße gelegen, aber ihre Sammlungen sind kaiserlicher Herkunft. Die beiden Ha¨user demonstrieren die Gro¨ße und die Pracht der Monarchie ebenso wie den Stand von Wissenschaft und Forschung. Es ist unmo¨glich, hier einen berblick
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III. Tag I. Tour
Zwei Museen stehen sich am Ring fast spiegelgleich gegenu¨ber: das Naturhistorische und das Kunsthistorische Museum (im Bild).
u¨ber die einzelnen Sammlungen zu geben. Allein im Kunsthistorischen Museum legen die Besucher, die alle 89 Ra¨ume durchschreiten, einen Weg von 2,9 Kilometern zuru¨ck, mehr als die Ha¨lfte der gesamten Ringstraße. Im Kunsthistorischen Museum finden Sie alles, was wertvoll und teuer ist, natu¨rlich Kunstgegensta¨nde und Gema¨lde, von der a¨gyptischen Epoche bis in die Gegenwart, aber auch Mu¨nzen und Medaillen, Waffen, Aquarelle und Handzeichnungen. Der Katalog „bersicht der kunsthistorischen Sammlungen des Allerho¨chsten Kaiserhauses“ kostet eine Krone, 20 Heller, daneben gibt es noch Spezialkataloge zu einzelnen Sammlungen. Fast ebenso viele Sa¨le wie das Kunsthistorische Museum weist das Naturhistorische auf. In Hunderten von verglasten Schra¨nken wird ein großer berblick u¨ber die Naturgeschichte geliefert: von den Mineralien u¨ber die Fauna und Flora bis hin zur Geschichte des Menschen. Besonders eindruckvoll ist die ethnologische Sammlung, die zahlreiche Artefakte und pra¨parierte Tiere aus bersee zeigt. Wenn Sie sich fu¨r spezielle Themenbereiche interessieren, ko¨nnen Sie mit Erlaubnis der Kustoden auch Einblick in nicht ausgestellte Sammlungen nehmen, etwa das herausragende Herbarium bewundern, das in 10 000 Faszikeln u¨ber eine Million gepresste Bla¨tter entha¨lt und damit einen halbwegs repra¨sentativen berblick u¨ber die Pflanzen dieser Welt bietet. Auch hier ist es ratsam, am Eingang
Die Welt der Alten Meister – Zu Besuch in Wiens Museen
einen Katalog zu erstehen, um in der Fu¨lle der ausgestellten Gegensta¨nde den berblick zu behalten und jene Schausa¨le anzusteuern, die Ihren Interessen am meisten entgegenkommen. Genug der Alten Meister, genug der Terrakotten, Bronzen und Mu¨nzen? Genug der Fossilien, Gra¨ber und Masken, der Wu¨rmer, Insekten und Fische? Noch ein Kunstmuseum wa¨re nun zu viel, daher wollen wir uns hier mit einem kurzen Hinweis auf die Gema¨ldegalerie der Akademie der Bildenden Ku¨nste 4 begnu¨gen, die, vielleicht an einem anderen Tag, durchaus noch einen Besuch lohnt. Das Geba¨ude, unweit der Oper, am Schillerplatz Nummer 3, zwischen 1872 und 1876 vom Architekten Theophil von Hansen entworfen, ist eigentlich nicht als Museum geplant worden. Daher ist die Gema¨ldegalerie in recht ungu¨nstigen Ra¨umen in den Obergeschoßen des Geba¨udes untergebracht. Um Ha¨ngefla¨chen zu gewinnen, hat man sich sogar entschlossen, 14 Fenster zu vermauern. Doch diese a¨ußere Ausstattung der Ra¨ume ist kein Hinweis auf die Qualita¨t der Sammlung, im Gegenteil. Hier werden Scha¨tze der europa¨ischen Malkunst gezeigt, vor allem hervorragende italienische, niederla¨ndische, franzo¨sische, deutsche und spanische Meister, u. a. Tintoretto, Tizian, van Dyck, Rembrandt, Rubens, Bosch, Cranach und viele andere mehr. Viele dieser Bilder sind durch Schenkungen an die traditionsreiche Kunstlehranstalt gelangt, die seit dem Ende des 18. Jahrhunderts unter diesem Namen existiert. Urspru¨nglich waren die Gema¨lde Teil der umfang-
Das Museum fu¨r Kunst und Industrie. Hier wird Kunstgewerbe aus der gesamten Monarchie gezeigt.
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III. Tag I. Tour
reichen Lehrmittelsammlung. Daneben verfu¨gt die Anstalt, ebenfalls zu Lehrzwecken, u¨ber eine herausragende Kupferstichsammlung, einen anatomischen Saal und eine gut ausgestattete Bibliothek. Die Gema¨ldegalerie ist ta¨glich außer montags von 10 bis 13 Uhr zuga¨nglich, der Eintritt ist frei, Anmeldung beim Kustos genu¨gt, der fu¨r 2 Kronen auch einen Katalog der Sammlung bereitha¨lt. Einige hundert Meter weiter, am Stubenring 5, steht der Ziegelrohbau des „sterreichischen Museums fu¨r Kunst und Industrie“ 5 . Schon in seiner a¨ußeren Anmutung hebt sich dieser Museumsbau von den bisher besuchten Geba¨uden ab. Hier ist nicht die Kunst der Alten Meister oder die Naturgeschichte zu Hause, sondern, wie der Name der Einrichtung sagt, Kunst und Industrie. Das Museum war urspru¨nglich in der Hofburg untergebracht. 1871 wurde ein Neubau am Ring ero¨ffnet. Das Museum ist unmittelbar dem Ministerium fu¨r Kultus und Unterricht unterstellt, denn es versteht sich als museale Lehranstalt. Durch die Hilfsmittel der Kunst und der Industrie soll die Leistungsfa¨higkeit des Kunstgewerbes gehoben und der Geschmack der Kunstgewerbetreibenden und des breiten Publikums geweckt und verfeinert werden. Entsprechend breit ist auch sein Sammlungsgebiet. Die gezeigten Beispiele reichen von antiken Vasen und Terrakotten u¨ber Metalle, Textilien, Porzellan, Gla¨ser, Mo¨bel, Skulpturen bis hin zu ganzen Interieurs. Gegenwa¨rtig befinden sich u¨ber 60 000 Objekte im Besitz des Museums, erga¨nzt wird diese Sammlung durch eine reichhaltige Fachbibliothek. Das Museum ist ta¨glich außer montags von 9 bis 16 Uhr zu besichtigen, an Sonn- und Feiertagen von 9 bis 13 Uhr. Dienstags und mittwochs betra¨gt der Eintritt 60 Heller, an den u¨brigen Tagen ist er frei. Noch ein letzter Tipp: Zum Abschluss besuchen wir noch ein kleines, recht versteckt untergebrachtes Museum, eine Sammlung, die weder Kunst noch Kunsthandwerk, weder ausgestopfte Tiere noch Waffen zeigt: das Volkskundemuseum 6 . Es wurde erst vor Kurzem, im Jahr 1895, eingerichtet. Es befindet sich dem Stubenring genau gegenu¨ber, auf der anderen Seite der Ringstraße, am Schottenring, in den Ra¨umen der Bo¨rse. Nehmen Sie, wenn Sie den la¨ngeren Weg durch die Stadt scheuen, die Straßenbahn. Wenn Sie aber noch bei Kra¨ften und neugierig auf einen Abstecher in die Innere Stadt sind, ko¨nnen Sie auch zu Fuß gehen. Sie nehmen zu Fuß die direkte Verbindung quer durch die Altstadt: zuerst u¨ber die Wollzeile zum Stephansplatz und von dort durch die Wipplingerstraße zur Bo¨rse. Es ist ein Fußweg von etwa zwanzig Minuten. In der Wollzeile ko¨nnen Sie in den zahlreichen Buchhandlungen sto¨bern, die hier ihre Waren
Die Welt der Alten Meister – Zu Besuch in Wiens Museen
feilbieten. In der Wipplingerstraße passieren Sie das alte Rathaus. Kurz bevor Sie die Bo¨rse erreichen, spazieren Sie noch am 1873 erbauten Zentraltelegraphenamt vorbei, in dem in einem riesigen Saal mehrere hundert Telegraphistinnen ta¨tig sind. Das Bo¨rsengeba¨ude am Schottenring ist ein herrschaftliches Haus mit acht Einga¨ngen, die sich zwischen Fliederbu¨schen und pra¨chtigen Platanen o¨ffnen. Die Wiener Bo¨rse, die seit 1770 besteht, hat hier zwischen 1875 und 1877 ein neues Geba¨ude bekommen. In zwei großen Sa¨len und zwei Nebenra¨umen werden die Sammlungen des Vereins fu¨r o¨sterreichische Volkskunde pra¨sentiert. Hier ko¨nnen Sie einen Eindruck vom o¨sterreichischen Vielvo¨lkerstaat gewinnen. In sterreich-Ungarn leben elf Bevo¨lkerungsgruppen, die neun verschiedene Sprachen sprechen. Ihre Traditionen und Eigenheiten werden anhand von zahlreichen Objekten beleuchtet. Gezeigt werden Trachten und Hausrat, Werkzeuge und Brauchtum, Spielzeug und Weihnachtskrippen, Musikinstrumente und Stickereien. Insgesamt 20 000 Exponate umfasst die Sammlung dieses Museums, ausgestellt ist nur ein kleiner Teil davon. Geo¨ffnet ist das Museum an Wochentagen von 9 bis 16 Uhr, an Sonn- und Feiertagen von 9 bis 12. Eintritt: 1 Krone, an Sonn- und Feiertagen: 10 Heller. Und nun, nach so viel Gelehrsamkeit, hinaus auf die Ringstraße, zuru¨ck ins la¨rmende Alltagsleben der Großstadt! Ruhen Sie in einem der Gartenlokale aus. Und freuen Sie sich auf den na¨chsten Rundgang: Er fu¨hrt in den Prater, das bekannteste Wiener Vergnu¨gungsviertel.
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III. Tag
II. Tour
VergnÅgen und Erholung – Im und um den Prater
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uch das ist Wien: Spiel und Unterhaltung, ausgelassene Musik und Tanz, Essen und Trinken,Vergnu¨gen bis tief in die Nacht. All das ko¨nnen Sie im Volksprater erleben, dem popula¨rsten Vergnu¨gungsviertel der Stadt. Doch der Prater ist auch ein Treffpunkt der feinen Gesellschaft. Weit hinten im ausgedehnten Park trifft sich das elita¨re Publikum der Stadt zum Stelldichein im ehemaligen kaiserlichen Lusthaus oder beim Pferderennen. Was wa¨re Wien ohne den Prater? Er ist der vielleicht popula¨rste Ort der Stadt, der Prater ist das heimliche Zentrum Wiens. Weitab vom eigentlichen Zentrum, vom Stephansdom und der Ringstraße gelegen, liegt der Prater am Rande und doch mitten in der Stadt. Der Prater ist ein Treffpunkt fu¨r alle Bevo¨lkerungsschichten, fu¨r Alt und Jung, fu¨r arme und reiche Wiener, fu¨r Einheimische und fu¨r Fremde. Er ist im Sommer
Vergnu¨gen und Erholung – Im und um den Prater
wie im Winter gut besucht. Zwischen dem Donaukanal und der regulierten Donau gelegen, ist der Prater ein ausgedehntes Gru¨ngebiet, das teilweise von bewohnten Vierteln umgeben ist. Er umfasst, um genau zu sein, 1712 Hektar Fla¨che. Mehr als die Ha¨lfte dieses Areals besteht noch immer aus Auwald und Wiesen, allerdings wurden die Gru¨nde inzwischen durch Parkstraßen und neu angelegte Wege erschlossen. Der Prater ist kaum besiedelt, teilweise ist er ein wohl gepflegter Park, der sich zwischen scho¨nen Laubba¨umen erstreckt. Teilweise besteht er aus Wald und Wiesen und hat ein durchaus la¨ndliches Gepra¨ge. Der Prater geho¨rte urspru¨nglich zum Besitz des kaiserlichen Hauses, einst war er Tierpark und Hofjagdgrund. 1776 hat Kaiser Joseph II. dieses ausgedehnte Gela¨nde fu¨r das Publikum geo¨ffnet. Zuvor war nur das Fahren und Reiten auf der Hauptallee, einer schnurgeraden Straße, die den Prater der La¨nge nach durchzieht, erlaubt. Der Prater als Park- und Erholungsgebiet ist freilich nicht der ganze Prater. Prater nennen die Wiener auch den sogenannten Volks- oder Wurstelprater, der nur einen kleinen Teil des Areals einnimmt. Dieser am Eingang des Parks gelegene Teil ist ein beliebtes Vergnu¨gungsviertel, in dem es stets laut und vergnu¨gt zugeht. Hier trifft man auf ein Gewirr an Buden, Ha¨uschen und Hu¨tten, die alle nur einen Zweck haben: das Publikum zu unterhalten. Da reihen sich Schaubuden und Vergnu¨gungslokale aneinander, Ringelspiele und Lustspieltheater, Schießsta¨nde und Gartenlokale. Wurstelprater heißt dieser Teil des Paters deshalb, weil hier der „Wurstel“, eine popula¨re Figur im Wiener Marionettentheater, den Ton angibt. Wir na¨hern uns dem Park, indem wir u¨ber die Praterstraße stadtauswa¨rts schlendern. Der Weg von der Ringstraße bis zum Eingang des Praters ist nicht weit, es sind etwa 20 Minuten Fußweg. Natu¨rlich ko¨nnen Sie die Praterstraße auch mit der Straßenbahn befahren oder einen Fiaker nehmen. Steigen Sie in diesem Falle beim Praterstern aus, einem kreisrunden Platz, hinter dem der Prater beginnt. Die Praterstraße ist eine eigentu¨mliche Straße. Sie beginnt als Prachtstraße im Stadtzentrum, und zwar bei der Ferdinandsbru¨cke, die u¨ber den Donaukanal fu¨hrt. Je weiter sie stadtauswa¨rts fu¨hrt, desto kontrastreicher wird das Bild, das wir entlang dieser Straße gewinnen. Auf unserem kurzen Gang begegnen wir sowohl dem Prunk als auch der Armut, wir sehen herrliche Fassaden und elende Zinsha¨user dicht nebeneinander, soziale Gegensa¨tze, wie sie krasser kaum sein ko¨nnten. Die Praterstraße war die erste Hauptstraße der Vorstadt, in der pra¨chtige, große Mietsha¨user entstanden. Noch im Vorma¨rz galt sie als
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Die Bo¨rse fu¨r landwirtschaftliche Produkte in der Taborstraße, kurz „Produktenbo ¨rse“ genannt.
die scho¨nste Straße Wiens. Inzwischen hat sie ihren Charakter gea¨ndert. Immer noch ist diese Straße verkehrsreich, monda¨n und weltla¨ufig. Sie ist durch zahlreiche Hotels und Kaffeeha¨user gepra¨gt, sogar ein wichtiges Wiener Theater, das Carltheater, hat hier seinen Standort. Aber an manchen Stellen ist sie auch heruntergekommen, vernachla¨ssigt, eher eine stark frequentierte Vorortstraße als ein Prachtboulevard. Wenn Sie Zeit haben, tauchen Sie entlang der Praterstraße in die anliegenden Gassen ein. Sie merken bald, dass dies eine Gegend sozialer Widerspru¨che ist. In der Leopoldstadt, so heißt dieser Bezirk offiziell, ist
Vergnu¨gen und Erholung – Im und um den Prater
der Anteil der ju¨dischen Bevo¨lkerung ho¨her als in anderen Gegenden. Viele Juden, die hier leben, sind im Handel und im Gewerbe ta¨tig. Nicht zufa¨llig wurde daher hier, im Zentrum dieses Handelsviertels, in der Taborstraße 10, die „Produktenbo¨rse“ 1 eingerichtet, eine Bo¨rse fu¨r landwirtschaftliche Produkte, die unter dem Namen „Frucht- und Mehlbo¨rse“ bekannt wurde. Das Geba¨ude hebt sich deutlich von den angrenzenden Fassaden ab. Es ist ein prunkvoller Bau im Stil der Neurenaissance, der 1890 ero¨ffnet wurde. Auf der Fassade ist der Leitspruch der Bo¨rse angebracht: „Den Kaufleuten aller Vo¨lker und jeder Sprache gewidmet“. Als im Jahr 1867 den Juden in sterreich-Ungarn die Ansiedlungsfreiheit zugestanden wurde, nahm die ju¨dische Bevo¨lkerung in der Stadt schnell zu. 1857 gab es 6217 Juden in Wien, im Jahr 1900 war die Anzahl bereits auf 146 926 angestiegen, das entspricht 8,8 Prozent der gesamten Bevo¨lkerung. Besonders viele Zuwanderer ließen sich in der Leopoldstadt, im zweiten Bezirk, nieder. Allerdings ta¨uscht das Bild, wenn wir die „Produktenbo¨rse“ in der Taborstraße, also mitten im ju¨dischen Viertel Wiens, als stellvertretend fu¨r die ju¨dische Berufsstruktur ansehen. Der zahlenma¨ßig bei Weitem gro¨ßte Teil der Wiener Juden sind keine Ha¨ndler, auch keine Freiberufler, sondern einfache Handwerker, Angestellte und Arbeiter. Auch sie leben in der Leopoldstadt, meist a¨rmlich in Mietsha¨usern. Auf der Straße begegnen wir immer wieder traditionell gekleideten orthodoxen Juden, hier in der Leopoldstadt finden wir die meisten ju¨dischen Tempel und Betha¨user Wiens. In der Zirkusgasse 22 etwa steht die prachtvoll ausgestattete Synagoge der sephardischen Juden. In der Tempelgasse 3 liegt eine weitere große Synagoge 2 , die 2000 Sitzpla¨tze bietet. Sie wurde in den 1850er-Jahren von Ludwig Fo¨rster geplant. In der Ferdinandstraße 23 findet sich die Bibliothek der israelitischen Kultusgemeinde. Sie ist am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag von 16.30 bis 19 Uhr zuga¨nglich, freitags von 11 bis 13 Uhr und sonntags von 10 bis 12 Uhr. Wir lassen die engen Gassen hinter uns und kehren auf die prachtvolle Praterstraße zuru¨ck. In der Praterstraße 21 passieren wir das Carltheater. Dieses 1847 gegru¨ndete und nach seinem ersten Direktor benannte Haus ist auf Operette und Volksstu¨cke spezialisiert. Es ist ein ansehnliches Theater, das 1100 Besuchern Platz bietet. Zwischen 1854 und 1860 wurde das Haus von Johann Nestroy geleitet, einem der bekanntesten Wiener Dramatiker und Schauspieler. Einige Schritte weiter bleiben wir noch kurz bei der Nr. 54 stehen. In diesem Haus hat zwischen 1863 und 1870 Johann Strauß gewohnt, hier entstand sein beru¨hmter Donauwalzer.
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III. Tag II. Tour
Die Synagoge in der Tempelgasse 2 ist eine der gro ¨ßten der Stadt. Sie verfu¨gt u¨ber 2000 Sitzpla ¨ tze.
Vergnu¨gen und Erholung – Im und um den Prater
Auf in den Prater Die Dienstma¨dchen schieben ihre Kinderwagen und zu ihnen gesellen sich die Soldaten; die Mu¨ßigga¨nger schlendern, die Dirnen eilen; im langen Zug wandert der kleine Mann mit Weib und Kind und Kegel; ta¨nzelt der Kommis, stampft der Student; zwischendurch schlu¨pfen die kleinen Buben, welche die Schule schwa¨nzen, um zu den Buden zu laufen, und u¨ber den Fahrweg rasseln die Wagen […]. Allen entgegen dringt der La¨rm des Wurstelpraters; und u¨ber dem Gewu¨hl der Menge schlagen seine Wellen zusammen. Das Schreien der Ausrufer, gellendes Glockenklingeln, dro¨hnende Paukenschla¨ge. Felix Salten: Wurstelprater, Wien, Leipzig 1911.
In der Praterstraße 70 machen wir im Cafe´ Dogenhof 3 halt. Wir trinken einen Kaffee und beobachten den dichten Verkehr, der sich hier auf der Praterstraße dahinwa¨lzt. Und wa¨hrend wir im Freien vor unserer Melange sitzen, lassen wir den Blick u¨ber die Fassade schweifen. Ein Markuslo¨we ziert den Eingang ins Kaffeehaus. Ein Markuslo¨we? Der Dogenhof ist tatsa¨chlich ein venezianisches Geba¨ude, allerdings kein echtes, sondern eine Nachbildung. Als 1895 im Prater unter dem Titel „Venedig in Wien“ ein neues Vergnu¨gungsviertel aus dem Boden gestampft wurde, mit nachgebauten Palazzi, Pla¨tzen und Bru¨cken, mit befahrbaren Kana¨len und Gondelfahrten, war das eine Attraktion der Superlative. Allein im ersten Jahr besuchten zwei Millionen Besucher die Lagunenstadtimitation. Ein findiger Gescha¨ftsmann nutzte die Venedig-Euphorie und baute ganz in der Na¨he, in der Praterstraße, ein venezianisch anmutendes Geba¨ude. Der Dogenhof imitiert freilich nicht den originalen Dogenpalast in Venedig, sondern den Palazzo „Ca d’Oro“ am Canal Grande. Aber so genau nahmen es die Besucher dann doch nicht. Der Praterstern, ein großer Platz am Ende der Praterstraße, ist der Eingang des Volkspraters 4 . Hier to¨nen uns schon von Weitem Musik und Geschrei entgegen. Hoch u¨ber das Areal erhebt sich das Wiener Riesenrad, eine der ju¨ngsten Attraktionen des Praters. Die von den englischen Ingenieuren Walter B. Basset und Harry Hitchins entworfene Konstruktion wurde 1897 ero¨ffnet. Sie hat eine Million Kronen gekostet, spielte die Ausgaben aber rasch wieder ein. Der Andrang ist gewaltig. Wer will schließlich nicht fu¨r 60 Heller sechs Minuten lang den Erdboden verlassen? hnlich
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Der Eingang zum Prater, dem beliebtesten Vergnu¨gungsort der Stadt. Im Hintergrund ist das Riesenrad zu sehen.
wie bei seinen Vorla¨ufern in Chicago, London und Paris heben die 30 Gondeln die zahlreichen Besucher in die Lu¨fte. Ein atemberaubender Blick bietet sich hier u¨ber das Pratergela¨nde und die Stadt. Zu Fu¨ßen des Riesenrads haben wir die Qual der Wahl: ber 70 gro¨ßere und kleinere Buden, Wirtsha¨user und Lokale stehen zur Auswahl. Die Gassen des Volkspraters sind immer voller Menschen, besonders an warmen Sonn- und Feiertagen ist hier die Ho¨lle los. Da versammelt sich eine Gruppe junger Kraftprotze vor dem „Watschenmann“, einer Kautschukfigur, die ihre Wange den Kraftmeiern zum Ohrfeigen darbietet. Ha¨rter, immer ha¨rter wird geboxt, bis ein Klingeln dem Helden der
Vergnu¨gen und Erholung – Im und um den Prater
Faust applaudiert. Weiter hinten ist das kinematografische Theater zu finden, in dem bewegte Lichtbilder vorgefu¨hrt werden. Vorbei an diversen Karussells, Schießbuden und Schaukeln bleiben wir beim Gartenrestaurant Tivoli stehen, in dem gerade ein Konzert gegeben wird. Und nun? Zum Marionettentheater oder zum Hippodrom, zum anatomischen Museum oder zum Zirkus Busch? Hier kommt jeder auf seine Kosten: die einfachen Leute aus der Vorstadt, die an ihrem freien Tag mehr schauen als konsumieren. Aber auch das vornehmere Publikum, das gegen Abend im Prater auftaucht und fu¨r einige Stunden das strenge bu¨rgerliche Verhaltenskorsett an den Nagel ha¨ngt, um sich zu vergnu¨gen.
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Gartenweinscha¨nken und Restaurationen sind im Prater bis weit in die Nacht hinein offen. Noch zu spa¨ter Stunde tauchen die Nachtschwa¨rmer und Herren wie Damen aus der Wiener Halbwelt hier auf, um noch ein letztes Achterl zu bestellen. Der Prater ist ein altes Wiener Vergnu¨gungsviertel. Bald nachdem das ko¨nigliche Areal fu¨r Besucher geo¨ffnet wurde, entstanden die ersten Praterhu¨tten. Anfang des 19. Jahrhunderts gab es im Prater bereits 38 Ausschankhu¨tten, acht Ringelspiele und sieben Schaukeln. Bald kamen Marionettenbuden, Wachsfigurenkabinette, Buden mit ausgestopften Tieren, Schießsta¨tten, Kaffeeha¨user und Restaurants hinzu. Beru¨hmt wurde Georg Stuwer, der hier seit 1777 Feuerwerke vorfu¨hrte. Er nannte sich „Lust-, Kunst- und Feuerwerker“ und zeigte mehrmals ja¨hrlich seine Darbietungen. Inzwischen ist aus der Ansammlung von Buden und Hu¨tten eine kleine Vergnu¨gungsstadt geworden. Die kleinen Ringelspiele und Schaubuden gibt es noch immer. Aber an die Stelle einfacher Bauten sind inzwischen große Etablissements getreten, Zirkuszelte und Operettenbu¨hnen, an die Stelle kleiner Imbisshu¨tten weitla¨ufige Gartenrestaurationen. Apropos Essen: Einige gute Gaststa¨tten bieten sich an, bleiben wir bei den alteingesessenen Ha¨usern, der „Goldenen Rose“, dem „Wieninger“, dem „Eisvogel“ oder der Restauration „Zur Czarda“. In letzterem Lokal werden ungarische Speisen und ungarischer Wein serviert, dazu gibt es feurige Zigeunermusik. Oder das „Schweizerhaus“, eine große Gartenrestauration, in der einfache, aber ko¨stliche Wiener Ku¨che und ku¨hles Bier angeboten werden. Das Schweizerhaus, so will es die Legende, gibt es schon seit 1766, als es noch „Schweizer Hu¨tte“ hieß. Woher der Name Schweizer kommt, ob von einem Namen oder doch von der Eidgenossenschaft, daru¨ber gehen die Meinungen auseinander. Wenn die Schweinsstelze mit Kno¨deln und Sauerkraut mitsamt einem ku¨hlen Getra¨nk auf dem Tisch steht, ist diese Frage freilich zweitrangig. Nach dem Essen bietet sich ein Verdauungsspaziergang an. Wenden wir uns dem ruhigen, gru¨nen Prater zu. Ob Sie Seiten- und Nebenwege quer durch Wiesen und Baumfla¨chen einschlagen oder den direkten Weg durch den Park nehmen, na¨mlich entlang der Hauptallee, bleibt Ihnen u¨berlassen. Nehmen Sie die Hauptallee, besteht keine Gefahr, dass Sie sich im Gela¨nde verirren. Zudem ko¨nnen Sie hier an warmen Sonntagen ein farbenfrohes Bild beobachten: Elegante Reiter ziehen vorbei, daneben sehen wir flotte Equipagen und zahlreiche Fußga¨nger und Spazierga¨nger, die im Schatten der Ba¨ume unterwegs sind. Im Unterschied zum Volksprater ist
Vergnu¨gen und Erholung – Im und um den Prater
Das Lusthaus ist ein beliebtes Ausflugsziel im „gru¨nen Prater“, einer ausgedehnten Parkanlage.
der gru¨ne Prater eher den vornehmeren Sta¨nden vorbehalten. Manche flanieren nicht weit, sie gehen direkt zu einem der noblen Kaffeeha¨user oder Restaurants am Beginn der Hauptallee. Andere steuern Sehenswu¨rdigkeiten im Innern des Parks an, etwa die Rotunde, eine gewaltige Veranstaltungshalle, die wa¨hrend der Weltausstellung 1873 errichtet wurde, oder die Trabrennbahn gleich dahinter. Wir aber schreiten zu¨gig aus und legen die viereinhalb Kilometer lange Strecke zum Lusthaus 5 in etwa einer Stunde zuru¨ck. Natu¨rlich ko¨nnen Sie beim Volksprater auch in einen Fiaker steigen und bequem die Hauptallee entlangrollen. Am Ende dieser langen Straße liegt herrlich mitten im Gru¨nen das ehemalige kaiserliche Jagdhaus. Es ist schon seit Langem Cafe´ und Restaurant und wird gerne von aristokratischen und gutbu¨rgerlichen Kreisen besucht. Hinter dem Lusthaus beginnt ein großes Areal, auf dem unser Spaziergang endet. Hier liegt die Freudenau 6 , die gro¨ßte und bekannteste Pferderennbahn nicht nur Wiens, sondern der gesamten Monarchie. Sie ist in jeder Hinsicht das aristokratische Gegenstu¨ck zum Volksprater. Sie ist seit alters her ein Treffpunkt des Adels und der reichen Gesellschaft, eine Vergnu¨gungssta¨tte, die mit den lauten, oft derben Spa¨ßen des Wurstelpraters
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III. Tag II. Tour
Beim Pferderennen in der Freudenau: Hier trifft sich Wiens upper class.
nicht das Geringste zu tun haben will. Hier bleibt die „bessere Gesellschaft“ ganz unter sich. Die Wettka¨mpfe werden hier „Derby“ genannt. Sie finden im April, Mai, Juni, September und Oktober statt. Meist findet an einem Sonntagnachmittag eine ganze Reihe von Rennen statt, gewo¨hnliche Rennen mit zwei- oder dreija¨hrigen Pferden, Armeewettrennen, Springrennen und vieles andere mehr. Als 1868 der Pferderennsport in Wien mit der Gru¨ndung des Jockeyclubs begann, war die Freudenau ein elita¨res Stelldichein fu¨r den Adel. Allma¨hlich wurde die Anlage ausgebaut und erweitert, zusa¨tzliche Tribu¨nen wurden errichtet, die Zuschauerzahlen wuchsen und wuchsen. Aber immer noch blieb, wie die Illustrirte Sportzeitung 1899 schrieb, das Publikum weitgehend unter sich. „Auf den scho¨nen gera¨umigen Pla¨tzen des herrlich gelegenen Rennplatzes versammelt sich an scho¨nen Renntagen die eleganteste und vornehmste Gesellschaft der o¨sterreichischen Hauptstadt. An solchen Tagen bietet die Freudenau ein großsta¨dtisches Bild von unvergleichlichem Reiz.“ Zwei Jahre spa¨ter charakterisierte die Wiener Illustrierte Das interessante Blatt die Stimmung in der Freudenau: „Tout Vienne war auf dem gru¨nen Rasen und auf den Tribu¨nen des Rennplatzes zu sehen und die bewegte Menge glich einem wogenden Meere. Die Damenwelt prangte
Vergnu¨gen und Erholung – Im und um den Prater
Finish in der Freudenau Die Kenner verfolgen unentwegt die ,Arbeit‘ der Jockeis und der Pferde, die Laien die Jagd der Pferde, denen schon, ehe sie die Ha¨lfte der 2,4 Kilometer langen Bahn durchmessen haben, der Schweiß hervortritt. […] Nun na¨hern sie sich dem Ziele, die vordersten in einem Kna¨uel, ein Pferd selten den anderen um mehr als eine Pferdela¨nge voraus – die Spannung erreicht den ho¨chsten Grad und lo¨st sich in dem Moment auf, da der Erste durch das Ziel schießt. Reinhard Petermann: Wien im Zeitalter Kaiser Franz Josephs I., Wien 1908.
in hellen, luftigen Sommertoiletten, die Herren trugen zum Abschluß der Saison zum letzten Male den Cylinder und die Waffenro¨cke der Offiziere brachten u¨berdies noch mehr Leben in das bunte Bild. Der Derbytag zeigte wieder einmal den Glanz der Wiener Gesellschaft.“ Wenn die Wettka¨mpfe vorbei sind, stro¨mt alles zum Ausgang des Rennplatzes. Hunderte Fiaker warten hier auf Auftra¨ge. Auch wir winken ein Gespann herbei, steigen ein und traben quer durch den Prater zuru¨ck in die Innenstadt.
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IV. Tag
Tagestour
An der schÇnen blauen Donau – Ein Ausflug ans Wasser N
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ien liegt an der Donau – oder wie es im beru¨hmten Strauß-Walzer heißt – an der „scho¨nen blauen Donau“. Dorthin fu¨hrt unser Tagesausflug. Wir bestaunen das technische Wunderwerk der Donauregulierung, besichtigen die neuen Stadtteile am Wasser und spazieren durch das Hafenviertel der Donau-Dampfschifffahrts-Gesellschaft. Abschließend gehen wir selbst an Bord und machen eine kleine Vergnu¨gungsfahrt. Bisher haben wir vom Fluss nur wenig gesehen. Nur den Donaukanal, einen schmalen Seitenarm der großen Donau, der am Stadtzentrum vorbeifließt, haben wir besichtigt. Fahren wir also endlich an die „richtige“ Donau! Dazu brauchen wir etwas Zeit, denn sie fließt weit vom Stadtzentrum entfernt durch ehemalige Augebiete und neu erschlossene Viertel. Sie fließt nicht durch Wiens Zentrum, sondern eigentlich daran vorbei. Etwa eine halbe Stunde dauerte noch vor wenigen Jahren die Anreise
An der scho¨nen blauen Donau – Ein Ausflug ans Wasser
Im Zuge der Flussregulierung wurden fu¨nf neue Bru¨cken u¨ber die Donau errichtet. Eine davon ist die 1876 ero ¨ffnete Kronprinz-Rudolf-Bru¨cke.
vom Stadtzentrum aus im Fuhrwerk. Inzwischen ko¨nnen wir am Ring eine Straßenbahn besteigen und uns schnell und bequem ans Wasser bringen lassen. Wir fahren die Praterstraße stadtauswa¨rts und passieren den Praterstern. Dann geht es quer durch ausgedehnte Industriegebiete auf der Kronprinz-Rudolf-Straße schnurstracks in Richtung Donau. Schon von Weitem sind die gewaltigen, hoch aufragenden Bru¨ckenpfeiler der ma¨chtigen Kronprinz-Rudolf-Bru¨cke 1 zu sehen, die hier das Donaubett u¨berspannt. Es ist eine imposante, mehrere hundert Meter lange Konstruktion aus Fachwerktra¨gern, die auf steinernen Pfeilern steht. Wie ein langes, gerades Band ist das Flussbett hier in die Landschaft geschnitten. Die Uferbo¨schungen ziehen sich scheinbar endlos bis zum Horizont hin. Der Fluss mu¨sste hier eigentlich die „neue Donau“ heißen. Denn noch vor wenigen Jahrzehnten gab es hier nur unzuga¨ngliches, dicht bewachsenes Auland. Die zahlreichen Donauarme bahnten sich ihre Wege quer durch dieses Dickicht, immer wieder kam es zu gefa¨hrlichen berschwemmungen. Um die Stadt vor diesen Gefahren zu schu¨tzen, um den Fluss besser als Wasserweg nutzen zu ko¨nnen und um neues Bauland fu¨r die Stadterweiterung zu gewinnen, wurde zwischen 1870 und 1875 die Donau in ein neu erbautes Flussbett eingeleitet. Sie erhielt ihren jetzigen Lauf. Die Erdarbeiten waren enorm: Ein großer Teil der bisher weit verzweigten Donauarme musste zugeschu¨ttet werden, ein neues Bett ausgehoben und verbaut werden. Von nun an durchquerte der Fluss den Rand der Stadt in einer schnurgeraden Rinne. Der Spatenstich fu¨r die „neue Donau“ erfolgte am 14. Mai 1870 in Anwesenheit von Kaiser Franz Joseph. Noch nie war ein Fluss dieser Gro¨ße
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IV. Tag Tagestour
auf einer Strecke von 13 Kilometern zur Ga¨nze in ein neues Bett umgeleitet worden. Dazu waren enorme technische Anstrengungen no¨tig. Vier dampfgetriebene, hochmoderne Trockenbagger, fu¨nf Schiffsbaggermaschinen, elf Lokomotiven und u¨ber 120 Transportschiffe kamen zum Einsatz. An Land wurden insgesamt 44 Kilometer Eisenbahnanlagen errichtet, auf denen die gewaltige Menge des Aushubmaterials mit 18 Lokomotiven und 300 Eisenbahnwaggons abtransportiert wurde. An der Baustelle wurden auch Maschinen- und Lokomotivwerksta¨tten sowie Wohnbaracken errichtet. Etwa 1000 Arbeiter waren fu¨nf Jahre lang an der Donaubaustelle im Einsatz. Sie hatten insgesamt 12,3 Millionen Kubikmeter Erdreich auszuheben und mit Waggons, Wagen und Karren auf die neu ausgewiesenen Baugru¨nde entlang des begradigten Donauufers zu verfrachten und dort zu planieren. Fu¨nf Jahre nach dem Beginn der Bauarbeiten stand das neue Flussbett bereit. Am 14. April 1875 wurden die Absperrda¨mme geo¨ffnet und das Donauwasser wurde in den knapp 300 Meter breiten Kanal eingeleitet. Zwei Wochen spa¨ter, am 30. April, fand die feierliche Ero¨ffnung der neuen Donau statt. Auch diesmal war der Kaiser zugegen. Dem Anlass entsprechend reiste er nun per Dampfschiff an. Auf der kaiserlichen „Ariane“ durchfuhr er als Erster das neue Flussbett stromaufwa¨rts – und hinter ihm eine Gefolgschaft von 15 weiteren Dampfern. Die neuen, geradlinigen Donauufer wurden zu Anlegestellen fu¨r Waren- und Reiseschiffe umfunktioniert. Immer mehr Gu¨ter wurden nun mit dem Schiff angeliefert. Hinter den Kaimauern wurden Lagerha¨user errichtet. Dahinter entstanden, v. a. am rechten, teilweise aber auch am linken Donauufer neue Baugru¨nde. Zwischen dem Handelsquai und der Dresdnerstraße entstand ein schachbrettartig angelegtes neues Stadtviertel. Die kilometerlangen La¨ngsstraßen wurden wie am Reißbrett parallel zur Donau gezogen. Einzelne Baugesellschaften erwarben in diesem Areal gro¨ßere Grundstu¨cke, um darauf profittra¨chtige Zinsha¨user zu errichten. Daneben entstand auch eine Reihe von Fabriken, etwa die Erste Wiener Walzmu¨hle, die Gasanstalt, die Lederfabrik Gerhardus & Co. und andere. Vor dieser großen Donauregulierung gab es neben der Nordbahnbru¨cke nur eine feste Bru¨cke u¨ber die Donau, und zwar die Taborbru¨cke bei Floridsdorf. Sie wurde pro Jahr von bis zu einer Million „Landfuhren“ u¨berquert. Immer wieder wurde sie durch Hochwasser bescha¨digt oder weggerissen, im Winter setzte ihr das Eis zu. Auch dieses Problem sollte im Zuge der Regulierungsarbeiten beseitigt werden. In den 1870er-Jahren wurden mehrere moderne Bru¨cken u¨ber den Fluss geschlagen. Am 21.
An der scho¨nen blauen Donau – Ein Ausflug ans Wasser
August 1876 wurde die fu¨nfte Bru¨cke u¨ber die Donau feierlich ero¨ffnet, die „mit allerho¨chster Genehmigung Sr. Majesta¨t des Kaisers“ den Namen Kronprinz-Rudolf-Bru¨cke erhielt. Die Bru¨cken u¨berquerten nicht nur den Fluss, sondern auch das neu geschaffene, breite berschwemmungsgebiet, das linker Hand parallel zum Flusslauf angelegt worden war. An der stadteinwa¨rts gelegenen Seite der Kronprinz-Rudolf-Bru¨cke ziehen sich kilometerlange Anlegestellen hin, die La¨nde genannt werden. Hier geht es laut und hektisch zu. Schiffe liegen vor Anker, werden beund entladen. Lagerhallen reihen sich aneinander, zwischen denen reger Verkehr herrscht. Wenn man von den Kaimauern aus einen Blick auf die neu errichteten Straßenzu¨ge entlang des Donauufers wirft, sieht man, welch gewaltige Umgestaltung hier in den letzten Jahren im Gange war. Um nur ein Beispiel zu nennen: Von den 306 Wiener Neubauten, die im Jahr 1884 entstanden, wurden 141, also knapp die Ha¨lfte, hier, auf diesen neuen Baugru¨nden errichtet, die durch die Donauregulierung entstanden waren. Und noch immer sind Baustellen und halbfertige Geba¨ude zu sehen. Hier entlang der Donau boomt die Stadt, es entstehen immer neue Lagerha¨user und Fabriken, aber auch zahlreiche Wohnha¨user. Wien ist in den letzten Jahren immer na¨her an die Donau herangeru¨ckt. Die Donauregulierung, das bislang gro¨ßte Wasserbauprojekt entlang der Donau, gab nicht nur dem Fluss eine neue Richtung, sondern auch der Entwicklung der Stadt. Von der Kronprinz-Rudolf-Bru¨cke spazieren wir ein kleines Stu¨ck flussabwa¨rts. Hier stoßen wir auf den Landungsplatz der „Donau-Dampfschiffahrts-Gesellschaft“ 2 , kurz DDSG genannt. Entlang der Anlegestellen herrscht gescha¨ftiges Treiben. Zahlreiche Schiffe liegen hier vor Anker, alle mo¨glichen Waren werden aus- und eingeladen: Holz, Kalk und Zement in großen Mengen, aber auch Wein und Obst, Stoffe und Bekleidung, Mo¨bel, Korbwaren und vieles mehr. Aus Ungarn kommt Getreide, aus Bayern und Obero¨sterreich werden Baumaterialien und Steine angeliefert. Im Jahr 1911 hat das Gu¨teraufkommen der DDSG ein Volumen von 2,55 Millionen Tonnen erreicht. Aber nicht nur Waren, auch Menschen werden auf der Donau in großer Zahl befo¨rdert. Im Jahr 1835 hatte Adolf Schmidl in seinem Reisehandbuch fu¨r Ungarn noch geklagt: „Die Schiffahrt ist nur fu¨r Warentransporte berechnet, Reisende sind Nebensache.“ Mit dem Beginn der Dampfschifffahrt zeichnete sich allerdings Besserung ab. „Die Schiffe sind nach Maßgabe ihrer Gro¨ße mit Kaju¨ten, Speisezimmern etc. versehen und jedes hat einen eigenen Restaurateur an Bord.“ Die modernen
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IV. Tag Tagestour
Anlegestelle und Lagerha ¨ user der Donau-Dampfschifffahrts-Gesellschaft (DDSG).
Dampfschiffe beschleunigten die Reise in die Donaula¨nder. Solange die Straßen schlecht und gefa¨hrlich waren und die Eisenbahn noch keine Konkurrenz fu¨r die Schiffe darstellte, war das Schiff fu¨r lange Strecken das schnellste und bequemste Verkehrsmittel. Mit der umfassenden Regulierung der Donau im unteren Flusslauf, etwa am Eisernen Tor zwischen Ruma¨nien und Serbien, ist die Donau das ganze Jahr u¨ber durchga¨ngig bis zur Mu¨ndung per Schiff passierbar geworden. Durch den Einsatz der Eil- bzw. Expressschiffe verku¨rzt sich die Reisezeit enorm. Und schließlich wird die ehemals beschwerliche Donaureise an Bord der luxurio¨s ausgestatteten Dampfer zur Vergnu¨gungsreise. Die Zeit der beengten Verha¨ltnisse an Bord geho¨rt damit endgu¨ltig der Vergangenheit an. Zu Beginn der Dampfschifffahrt, in den 1830er-Jahren, hatten die Passagiere noch die Anweisung erhalten, „von ihren Effekten nur kleine Gegensta¨nde, als Regenschirme, Hutschachteln, Ma¨ntel, Schatullen etc., mit in die Kaju¨te [zu] nehmen, und in eine Ecke, wo diese Effekten nicht hindern, nieder [zu] stellen.“ Die neuen Schiffe bieten viel Platz und jeden Komfort, elegante Kabinen, Rauchsalon, Damensalon, Speisesa¨le erster und zweiter Klasse und natu¨rlich umfassenden Service. Die Anzahl der Donaureisenden hat aufgrund all dieser Neuerungen in den letzten Jahren rasant zugenommen. 1890 erreichte die Passagierzahl einen Stand von gut dreieinhalb Millionen im Jahr. Hunderte Meter lang ist die Anlegestelle der DDSG, Dutzende Schiffe aus allen Destinationen liegen hier vor Anker. Und dennoch gewinnen wir
An der scho¨nen blauen Donau – Ein Ausflug ans Wasser
nur ein unzureichendes Bild von der Gro¨ße und der Macht dieser 1829 gegru¨ndeten Schifffahrtsgesellschaft. Um 1880 war die DDSG nicht nur eines der gro¨ßten Unternehmen der Monarchie, sondern die gro¨ßte Binnenreederei der Welt. Ihre befahrenen Linien erstreckten sich auf u¨ber 5250 Kilometer. Die Gesellschaft hat 1880 nicht weniger als 201 Dampfer, 770 Gu¨terka¨hne, Hunderte Spezialfahrzeuge sowie 13 Lokomotiven besessen. Sie unterha¨lt entlang der Donau mehrere Werften, 268 Schiffsstationen sowie zahlreiche Lagerha¨user und Magazine. DDSG-Frachtbu¨ros gibt es nicht nur an 150 Orten entlang der Donau, sondern auch in Hamburg, Mainz, Mannheim, Pilsen, Bukarest und Sofia. Sie betreibt einen eigenen Fahrkartenverkauf in London, Paris, Berlin und Karlsbad. Die DDSG hatte um die Jahrhundertwende rund 11 000 Angestellte. Wenn Sie den Eindruck gewonnen haben, dass die Donau ein reines Industrie- und Hafenareal ist, mu¨ssen wir widersprechen. Nein, auch zum Vergnu¨gen kann man sich an die Donau begeben. Und wenn Sie an einem heißen Wochenende im Hochsommer hier unterwegs sind, begegnen Ihnen zahlreiche Sonnenhungrige, die die Schwimmstellen an und um die Donau aufsuchen. Bademo¨glichkeiten gibt es genug. Am Hauptstrom der Donau wurden in den letzten Jahren mehrere Stromba¨der errichtet. Das sind modernst ausgestattete, schwimmende Holzkonstruktionen, die mit Badebecken, Umkleidekabinen und sogar mit elektrischem Licht ausgestattet sind. Am Donauufer gibt es weitere Badeanlagen. Wenn Sie ein etwas ruhigeres Ambiente zum Baden suchen, finden Sie dieses auf der gegenu¨berliegenden Seite der Donau, auf einer bewaldeten Sandinsel, die an einem Altarm der Donau durch die Donauregulierung entstanden ist. Die weitla¨ufige Anlage, die allen Komfort bietet, ist als Ga¨nseha¨ufel 3 bekannt. Sie wurde 1907 ero¨ffnet. Dieses Strandbad ist im Besitz der Gemeinde Wien und im Sommer ein beliebtes Ausflugsziel bei Alt und Jung. Haben Sie noch Lust auf eine Ausflugsfahrt? An der Anlegestelle der DDSG stehen nicht nur die großen Ferndampfer bereit, die flussaufwa¨rts nach Linz und Passau fahren und flussabwa¨rts nach Pressburg, Budapest, Belgrad, Orsova und Sulina. Fast immer liegen auch kleinere Ausflugsdampfer vor Anker, die Sie in zwei bis drei Stunden wieder zum Ausgangspunkt zuru¨ckbringen. Wenn Sie flussaufwa¨rts fahren, sehen Sie am Horizont die Hu¨gelkette außerhalb der Stadt, den Kahlenberg und den Leopoldsberg. Ihren Ru¨ckweg in die Stadt ko¨nnen Sie auch abku¨rzen, indem Sie sich nicht an der Donau, sondern am Donaukanal absetzen lassen. Hier, ganz in
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IV. Tag Tagestour
An der scho¨nen blauen Donau Donau so blau, Durch Tal und Au Wogst ruhig du dahin, Dich gru¨ßt unser Wien, Dein silbernes Band Knu¨pft Land an Land, Und fro¨hliche Herzen schlagen An deinem scho¨nen Strand. Erste Strophe des Donauwalzers, Melodie von Johann Strauß (1867), Text von Franz von Gerneth (1890)
der Na¨he der Aspernbru¨cke, unterha¨lt die DDSG ihr Verwaltungsgeba¨ude und gleich daneben eine stadtnahe Anlegestelle. Der lokale Verbindungsverkehr zwischen Donau und Kanal kostet 60 Heller. Vielleicht kommen Ihnen, wenn Sie gemu¨tlich auf dem Schiff sitzen, die beru¨hmten Zeilen des Donauwalzers in den Sinn: „Donau so blau …“. Mit diesen Worten beginnen die Verse, die der Strauß’schen Melodie aus dem Jahr 1867 unterlegt sind. Sie stammen von Franz von Gerneth, einem Wiener k. k. Gerichtsrat, der den Text 1890 verfasste. Werfen Sie einen Blick ins Wasser. Sie werden sehen: Die Donau in Wien ist nicht blau. Auch nicht gru¨nblau. Woher kommt dann die blaue Donau? Sie entstammt wohl einem Sehnsuchtsbild, das sich gerade in jenen Jahren herausbildete, als die alte Donau einem modernen, industrialisierten Fluss weichen musste. Im Bild der scho¨nen blauen Donau legt sich ein Schleier der Verkla¨rung u¨ber den Fluss. Dass die Donau selten blau ist, hat inzwischen auch die Wissenschaft besta¨tigt. In den letzten Jahren ging die Forschung der Sache mit Beharrlichkeit auf den Grund. Der Wiener Anton Bruszkay, ein Gerichtsrat und zugleich der Naturwissenschaft verfallener Amateur, hoffte auf Kla¨rung mit den Mitteln der Anschauung. Oberhalb Wiens, in der kleinen Ortschaft Mautern, blickte er jeden Morgen zwischen sieben und acht ins Donauwasser. Seine Beobachtungen zeichnete er Tag fu¨r Tag und Jahr fu¨r Jahr auf und leitete sie an das Hydrographische Central-Bureau nach Wien weiter. Dort wurden die ernu¨chternden Befunde ab 1903 publiziert.
An der scho¨nen blauen Donau – Ein Ausflug ans Wasser
Blau ist demnach die Donau fast nie. „Dass der Donaustrom“, so resu¨mierte Hugo Gravelius 1911 in der Zeitschrift fu¨r Gewa¨sserkunde, „bisweilen auch einen bla¨ulichen Stich besitzt, kommt gelegentlich, aber sehr selten vor und wenn die o¨ffentliche Meinung den Ausdruck ,scho¨ne blaue Donau‘ gepra¨gt hat, so ist diese Bezeichnung nur insofern berechtigt, als das gru¨ne Wasser bei klarem Himmel und in der Perspektive einen blauen Ton anzunehmen scheint.“ Lassen Sie sich von diesen Erkenntnissen der Wissenschaft nicht allzu sehr beunruhigen. Dem Walzer nach bleibt die Donau blau.
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V. Tag
I. Tour
Die Stadt der Toten – Zu Besuch auf dem Zentralfriedhof Gruften Haltestellen Friedhofsmauer Orientierungstafeln
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ier sind Mozart, Beethoven, Gluck, Schubert und Johann Strauß bestattet und viele weitere große Namen. Aber auch 700 000 einfache Wiener ruhen auf dem Wiener Zentralfriedhof, einem der gro¨ßten Friedho¨fe Europas. Auf dem Weg zu diesem großen Bestattungspark passieren wir Wiens industrielle Peripherie: Viehmarkt, Schlachthof und die Wienerberger Ziegelfabrik. Am Schwarzenbergplatz steigen wir in die Straßenbahn Nummer 71 ein. Machen Sie es sich bequem, denn die Fahrt dauert eine Dreiviertelstunde. Sie fu¨hrt quer durch die Stadt, weit hinaus in die Vorstadt. Diesmal geht es Richtung Su¨den, Ziel ist der Zentralfriedhof. Ein Friedhof als Sehenswu¨rdigkeit, noch dazu am Ende der Stadt, weit draußen im Niemandsland? Der Zentralfriedhof ist mehr als eine Begra¨bnissta¨tte, er ist ein riesiger Park, eine gru¨ne Insel am Rande der Wiener Metropole, eine Art Schattenreich der Lebendigen, das sehr viel u¨ber Wien erza¨hlt. Dieser Friedhof geho¨rt zur Stadt, er bildet seine Kehrseite. Noch vor wenigen Jahren dauerte die Fahrt zum Zentralfriedhof um einiges la¨nger. Erst 1901 wurde die alte Pferdebahn von der elektrischen
Die Stadt der Toten – Zu Besuch auf dem Zentralfriedhof
Mitten in der Stadt und doch eine Welt fu¨r sich: Schloss Belvedere mit Schlosspark.
Tramway abgelo¨st. Wa¨hrend unser Wagen den Rennweg entlangrattert, werfen wir einen Blick aus dem Fester: Wir passieren am Rennweg das Schloss Belvedere, das einen eigenen Besuch lohnt. Hinter den Mauern verbirgt sich ein pra¨chtiger, ausgedehnter Garten. Hier, im noblen dritten Bezirk, sind die Ha¨user scho¨n, die Fassaden aufwendig gestaltet. Bald aber tauchen wir in ein anderes Ambiente ein. Spa¨testens am Gu¨rtel, einer breiten Umgehungsstraße, die die Vororte von der Innenstadt trennt, ist der Charme der Innenstadt zu Ende. Hier beginnt ein anderes, raueres Wien. Links liegen die riesigen Hallen des Zentralviehmarkts und des Schlachthofs. Das ist der Bauch der Stadt. Tausende von Tiere werden hier Tag fu¨r Tag angeliefert, geschlachtet und weiterverarbeitet. Weiter hinten sind die sogenannten Gasometer, die kreisrunden Speicher der sta¨dtischen Gaswerke, und das sta¨dtische Elektrizita¨tswerk zu sehen. Rechter Hand auf der Anho¨he liegt das k. u. k. Arsenal, ein gewaltiger, aus Backstein errichteter Kasernenkomplex, der in den Jahren 1849 bis 1856, nach der Niederschlagung der 1848er-Revolution, zur Bewachung der Stadt gebaut wurde. Seit 1891 ist in einem der zahlreichen Geba¨ude das k. u. k. Heeresmuseum untergebracht. Wir biegen in die Simmeringer Hauptstraße ein, eine schnurgerade, endlos lange Vorstadtstraße, die den gleichnamigen Bezirk durchquert. Hier begegnen uns keine fu¨nf- oder sechssto¨ckigen vornehmen Ha¨user mehr wie in der Innenstadt, sondern billige Massenquartiere fu¨r die Arbeiter. Simmering ist – genauso wie die angrenzenden Bezirke Favoriten und Meidling – eine Arbeitergegend, in die sich kein Wiener Bu¨rger verirrt, es
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V. Tag I. Tour
Die sta ¨ dtischen Elektrizita ¨ tswerke.
sei denn am Ende seines Lebens, wenn er seinen letzten Weg antritt: zum Zentralfriedhof. Hier draußen wird heftig gebaut. Noch sind gro¨ßere Teile links und rechts der Straße unbebaut, Ga¨rten und Landwirtschaftsfla¨chen schieben sich zwischen die Neubauten. Aber es ist leicht zu erkennen, dass diese Gru¨nfla¨chen in einigen Jahren zur Ga¨nze verbaut sein werden, dass die endlose Reihen von Arbeitersiedlungen und billigen Mietsha¨usern bald geschlossen sein wird. Rechts, fast schon am Horizont, zeichnen sich an den leicht ansteigenden Ha¨ngen des Laaerberges, die Ausla¨ufer eines gewaltigen Industriekomplexes ab. Es handelt sich um die Ziegelwerke am Wienerberg. Die „Wienerberger Ziegelfabrik“ wurde 1819 gegru¨ndet. Zur Zeit des Ringstraßenbaus befand sie sich im Besitz von Heinrich von Drasche-Wartinberg, der gegenu¨ber der Oper ein großes Palais, den „Heinrichshof“, errichtete. Er profitierte mit seiner Ziegelfabrik vom Bauboom der Zeit, expandierte immer mehr und steigerte die Belegschaft noch vor der Jahrhundertwende auf 10 000 Arbeiter. Damit war die Fabrik der gro¨ßte Betrieb in ganz Wien. Die Arbeitsverha¨ltnisse in den Ziegelgruben waren vor der Jahrhundertwende katastrophal. Teilweise sind sie es noch immer. Die meist aus Bo¨hmen oder Ma¨hren zugewanderten Lohnarbeiter, die deshalb „Ziegelbo¨hm“ genannt wurden, mussten noch vor wenigen Jahren durch-
Die Stadt der Toten – Zu Besuch auf dem Zentralfriedhof
schnittlich 15 Stunden am Tag in den Gruben und Ziegelo¨fen arbeiten, sieben Tage die Woche. Freizeit an den Wochenenden wurde ihnen nicht gewa¨hrt. Sie waren vom Betrieb abha¨ngig, der Lohn wurde ihnen oft nicht in Geld, sondern in Blechmarken ausgezahlt, die sie nur in den Gescha¨ften und Lokalen innerhalb der Fabrik ausgeben konnten. Am schlimmsten wurden die ledigen Arbeiter, die Brenner und die Heizer ausgebeutet. Sie wurden wie Sklaven gehalten. Als sich der Wiener Sozialdemokrat Victor Adler 1888, als Arbeiter verkleidet, in die Ziegelwerke einschlich, traf er auf katastrophale soziale Verha¨ltnisse. „Seit einigen Jahren“, schreibt er in einer Reportage u¨ber den Wienerberg, „,wohnen‘ die Ledigen in eigenen Schlafra¨umen. Ein nicht mehr benutzter Ringofen, eine alte Baracke, wird dazu benu¨tzt. Da liegen in einem einzigen Raum 40, 50, oft bis zu 70 Personen. Holzpritschen, elendes altes Stroh, darauf liegen sie Ko¨rper an Ko¨rper hingeschichtet. In einem solchen Raum, der etwa 10 Meter lang, 8 Meter breit und ho¨chstens 2,20 Meter hoch ist, liegen u¨ber 40 Personen, fu¨r deren jede also kaum 4 Kubikmeter Luft bleiben, wo 15 Kubikmeter ein bei der schlechten Lu¨ftung des Raumes kaum genu¨gendes Minimum wa¨re. Aber freilich, dann du¨rften in dieser Schlafho¨hle nur 10 Personen schlafen; und das kann sich die arme Wienerberger Gesellschaft nicht leisten. – Da liegen sie dann, diese armen Menschen, ohne Betttuch, ohne Decke. Alte Fetzen bilden die Unterlage, ihre schmutzigen Kleider dienen zum Zudecken. Manche ziehen ihr einziges Hemd aus, um es zu schonen, und liegen nackt da. Daß Wanzen und La¨use Bettbegleiter sind, ist natu¨rlich. Von Waschen, von Reinigung der Kleider kann ja keine Rede sein.“ Soweit Victor Adler. Wer u¨ber die Ringstraße flaniert, ahnt nichts von dieser Kehrseite, von den sozialen Bedingungen, unter denen all die scho¨nen, neuen Geba¨ude errichtet wurden. Fu¨r Adler hat diese Ausbeutung System: „Die Ziegelarbeiter der Wienerberger Gesellschaft werden doppelt ausgebeutet. Als Produzenten durch die erba¨rmliche Niedrigkeit des Lohnes; als Konsumenten durch die Wohnungsbeistellung und durch das Blechwesen.“ Richten wir unseren Blick zuru¨ck auf die Simmeringer Hauptstraße. Immer noch ruckelt die Straßenbahn auf der Ausfahrtsstraße dahin. Links fa¨llt unser Blick auf ein mit Tu¨rmen versehenes altes Geba¨ude, das sogenannte Neugeba¨ude. Hier, weit außerhalb der Stadt, ließ Kaiser Maximilian II. um die Mitte des 16. Jahrhunderts ein Lustschloss, einen ausgedehnten Garten und eine Menagerie errichten. Obwohl das Geba¨ude seit 1744 als Munitions- und Pulverlager genutzt wird, ist der urspru¨ngliche Prunk der Anlage noch zu erkennen.
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V. Tag I. Tour
Der Haupteingang zum Zentralfriedhof, der wie am Reißbrett vor den Toren der Stadt errichtet wurde.
Wir lassen diese merkwu¨rdige ehemalige Schlossanlage, die inzwischen inmitten eines recht trostlosen Industrieareals liegt, hinter uns und na¨hern uns endlich dem Zentralfriedhof. Die Anlage ist beeindruckend. Eineinhalb Kilometer zieht sich die Friedhofsmauer an der Simmeringer Hauptstraße hin. Vier Tore fu¨hren in den Friedhof. Das zweite Tor hat die Adresse „Simmeringer Hauptstraße 234“. Hier befindet sich der pra¨chtig gestaltete Haupteingang 1 . Er wird von zwei hoch aufragenden Obelisken eingerahmt. Dahinter o¨ffnet sich ein gewaltiges, knapp zwei Hektar großes Areal. Eigentlich ist es eine kleine Stadt, mit Straßen, Wegen und Alleen, Kreuzungen und zahlreichen Geba¨uden. Der Zentralfriedhof wurde buchsta¨blich auf dem Reißbrett entworfen. Da die Stadt unaufho¨rlich wuchs und die zahlreichen kleinen Friedho¨fe innerhalb der Stadt zu klein geworden waren, entschloss sich die Gemeinde Wien zu einem Neubau weit außerhalb der Stadt. 1869 wurde in Simmering eine Fla¨che von 1,7 Quadratkilometern fu¨r 540 000 Gulden angekauft und ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben. Unter den 23 Bewerbern ging das Projekt des deutsch-schweizerischen Architektenduos Karl Jonas Mylius und Alfred Friedrich Bluntschli als Sieger hervor. Sie entwarfen eine aufwendig gestaltete Gartenanlage: Von einem runden Platz im Zentrum ausgehend fu¨hren radial angelegte Straßen an die Peripherie, die ihrerseits wieder durch ein Gitternetz von Quer- und La¨ngsstraßen gegliedert sind. Der Friedhof wurde 1874 ero¨ffnet und musste, da er bald zu klein war, bereits fu¨nfmal erweitert werden. Im Zentrum der Anlage steht,
Die Stadt der Toten – Zu Besuch auf dem Zentralfriedhof
Ehrengra ¨ ber auf dem Zentralfriedhof. Hier sind Mozart, Beethoven, Schubert, Johann Strauß und viele weitere Prominente bestattet.
1911 fertiggestellt, eine neue Friedhofskirche 2 . Es ist ein im modernen Stil gehaltener, fast 60 Meter hoher Zentralkuppelbau. Bevor Sie Ihren Rundgang beginnen, sollten Sie beim Portier am Eingang unbedingt einen Lageplan kaufen. Er erleichtert Ihnen die bersicht in der gewaltigen Anlage, er weist Ihnen den Weg zu den Ehrengra¨bern, etwa von Mozart, Beethoven, Gluck, Schubert und Johann Strauß, um nur einige wenige zu nennen. Und er fu¨hrt Sie, ohne dass Sie sich verirren, wieder zum Ausgang zuru¨ck. Der Großteil der Bestattungen auf dem Zentralfriedhof erfolgt nach dem katholischen Ritus. Aber es gibt auch Bereiche, die von anderen Konfessionen betreut werden. Wenn Sie den Friedhof u¨ber den Haupteingang betreten, liegt rechter Hand der ju¨dische Friedhof. Das Areal wurde 1877 von der Israelitischen Kultusgemeinde erworben und zu einem Friedhof ausgebaut. Dieser wurde 1879 ero¨ffnet. Die israelitische Abteilung hat eine eigene Leichenhalle und zahlreiche scho¨ne Grabmonumente. Auch die russisch-orthodoxe Kirche verfu¨gt u¨ber eigene Grabanlagen und eine eigene Friedhofskirche. Linker Hand, unmittelbar außerhalb der Friedhofsmauer, liegt der protestantische Friedhof. Er wurde im Jahr 1904 ero¨ffnet. Der Zentralfriedhof ist ein ruhiger Ort am Rande der Stadt. Nur einmal im Jahr, am 2. November zu Allerseelen, wenn u¨ber 200 000 Wiener hier-
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her stro¨men, um ihrer Toten zu gedenken, macht sich Hektik und La¨rm bemerkbar. Kaum ist dieser Massenansturm vorbei, kehrt wieder Ruhe ein. Aber es ist keine absolute Ruhe. Denn hier herrscht immer eine gewisse Betriebsamkeit. Leichenwagen fahren vor, Aufbahrungen und Beerdigungen finden statt, die Wege zwischen den Grabanlagen sind stets gut besucht. Zwei Drittel aller Wiener werden auf dem Zentralfriedhof bestattet. Bis zum Jahr 1907 haben 710 000 Beerdigungen stattgefunden, zuletzt durchschnittlich 30 000 bis 35 000 im Jahr. Der Zentralfriedhof ist nicht nur ein Ort des Gedenkens und der besinnlichen Ruhe. Er ist auch ein Wirtschaftsfaktor. Rund um die Anlage haben sich neue Wirtschaftsbetriebe angesiedelt, Gastha¨user und Fuhrwerksunternehmen, Steinmetze ebenso wie Ga¨rtnereien. Allein die Stadt Wien bescha¨ftigt in der mitten im Zentralfriedhof gelegenen Ga¨rtnerei 3 40 bis 50 Ga ¨rtner. Sie unterha¨lt hier eine sechs Hektar große Friedhofsga¨rtnerei und ein 58 Meter langes Gewa¨chshaus. Dieser Glasbau ist der zweitgro¨ßte in Wien und ermo¨glicht es, ganzja¨hrig Pflanzen anzubauen. Der Ausstoß ist beeindruckend. Verkauft werden ja¨hrlich eineinhalb Millionen Schmuckpflanzen, eine Viertelmillion Sto¨cke Chrysanthemen, ebenso viele Pelargonien und zahlreiche andere Pflanzen. Doch genug der Statistik zum Reich der Toten! Wir gehen zuru¨ck zum Ausgang und besteigen die Straßenbahn Nr. 71, die uns ins Stadtzentrum fu¨hrt.
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Wien bei Nacht – Oper, Theater, Musik und Variets N
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heater, Oper, Konzerte – Wien ist beru¨hmt fu¨r sein vielfa¨ltiges Kulturprogramm. Wir beginnen unsere Abendtour im Hofburgtheater, im Hofopernhaus oder bei einem Konzert im Wiener Musikverein und widmen uns dann, in einem der popula¨ren Etablissements, der leichten Muse: Variete´, Tanz, Revue und Lichtspieltheater. Die Nacht endet beschwingt im Prater. Sie haben die Qual der Wahl: neun große Theater- und Opernha¨user besitzt Wien und zahlreiche kleinere Bu¨hnen. Daru¨ber hinaus gibt es große und kleine Konzertha¨user und zahlreiche Variete´s. Das Angebot reicht von anspruchsvoller Unterhaltung bis zum leichten Vergnu¨gen, von der großen Opernauffu¨hrung bis zur Vorfu¨hrung im billigen Etablis-
II. Tour
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V. Tag II. Tour
Das Hofburgtheater an der Ringstraße ist die bekannteste Wiener Bu¨hne.
sement. Sie finden hier alles, was auf der Bu¨hne dargeboten wird: ernste und leichte Stu¨cke, Konzerte und Tanz, Jongleure und Clowns, große Opern und frivole Revuen. Tauchen Sie ein in das Wiener Nachtleben! Sie wollen wissen, was die einzelnen Bu¨hnen spielen? Dann suchen Sie am besten eines der sta¨dtischen Kartenbu¨ros auf. Hier bekommen Sie Spielpla¨ne der einzelnen Spielsta¨tten, der Theater, aber auch der Musikveranstaltungen,Variete´s, Ba¨lle und Zirkusveranstaltungen. Sie ko¨nnen natu¨rlich auch Karten kaufen und reservieren. Wenn Sie selbst nicht hingehen ko¨nnen, beauftragen Sie Ihren Hotelportier, er wird Ihnen gegen ein kleines Trinkgeld gern die gewu¨nschten Billette besorgen. Wenn Sie sich fu¨r das Theater bzw. das Musiktheater interessieren, werden Sie zuna¨chst nach den Programmen der beiden fu¨hrenden Ha¨user, des Hofburgtheaters 1 und der Hofoper 2 fragen. Beide sind in großen, repra¨sentativen Bauten am Ring untergebracht. Sie sind der Stolz der Wiener Bu¨hnenliebhaber. An der Hofoper, die in den letzten Jahren unter dem Direktor Gustav Mahler einen großen Aufschwung genommen hat, singen internationale Stars von Irene Abendroth bis Edyth Walker. Aber auch
Wien bei Nacht – Oper, Theater, Musik und Variete´s
Die Schauspielerin und Sa ¨ ngerin Mizzi Gu¨nther, ein Publikumsliebling der Wiener Bu¨hnen.
das Hofburgtheater, das Deutsche Volkstheater und das Carltheater leben vom Ruhm ihrer großen Schauspieler. Auf den Wiener Bu¨hnen waren und sind internationale Stars zu Hause. Hier trat etwa Eleonora Duse auf, die seit den 1890er-Jahren das Wiener Publikum begeisterte, oder Charlotte Wolter, die mit ihrer kra¨ftigen Mezzosopran-Stimme, dem sogenannten Wolter-Schrei, am Hofburgtheater Erfolge gefeiert hatte. Im Theater an der Wien ist die Sa¨ngerin Mizzi
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V. Tag II. Tour
Gustav Mahler: ein Neuerer am Hofopernhaus Gustav Mahlers Zeit am Hofopernhaus wa¨hrte nur zehn Jahre, von 1997 bis 1907. Wa¨hrend dieser Dekade aber zog die neue Zeit in Wiens fu¨hrendem Musiktheater ein. 1860 in Bo¨hmen geboren, studierte Mahler in Wien und kehrte nach mehreren Stationen im Ausland nach Wien zuru¨ck. 1897 wurde er „Artistischer Direktor“ des Hofopernhauses. Er modernisierte das Repertoire und brachte, zusammen mit dem Bu¨hnenbildner Alfred Roller, wegweisende Inszenierungen auf die Bu¨hne. Daneben komponierte er auch selbst. Als die Anfeindungen der Presse gegen ihn zunahmen, ging er 1908 an die Metropolitan Opera New York. Aufgrund einer schweren Erkrankung kehrte er schon bald nach Wien zuru¨ck. Mahler starb 1911.
Gu¨nther der Publikumsliebling. Hunderte Male ist sie bereits in der „lustigen Witwe“ von Franz Leha´r aufgetreten. Das Hofburgtheater bietet 1477 Zuschauern Platz, bei gedra¨ngter Fu¨llung sogar 1700 Personen. Noch etwas gro¨ßer ist die Hofoper. Dennoch sind beide Ha¨user fast sta¨ndig ausverkauft, meist ist es schwer, an der Abendkasse Karten zu bekommen. Der Eintritt ist in diesen beiden Ha¨usern deutlich teurer als in den Bu¨hnen der Vorstadt. Ein Ratschlag: Nehmen Sie im Hofburgtheater und in der Hofoper nicht die allerbilligsten Pla¨tze, die bereits ab einer Krone erha¨ltlich sind. Umgekehrt mu¨ssen Sie auch nicht die teuersten Sitze nehmen, Logenpla¨tze im Parterre oder im Ersten Rang, die bis zu 50 Kronen kosten ko¨nnen. Gute Parkettsitze in der zweiten bis fu¨nften Reihe bieten Ihnen eine gute Sicht auf die Bu¨hne und kosten zwischen 10 und 20 Kronen. Wenn Sie im Hofburgtheater und in der Hofoper keine Karten mehr bekommen, gibt es genu¨gend andere Bu¨hnen, die ebenfalls ein gutes Programm anbieten. Etwa das Raimundtheater, das Carltheater, das Wiener Bu¨rgertheater, das Theater in der Josefstadt, das Johann-Strauß-Theater, das Theater an der Wien oder das Deutsche Volkstheater 3 . Letzteres ist an der Außenseite der Ringstraße gelegen, fast in Sichtweite zum Hofburgtheater. Das Deutsche Volkstheater ist als eine Art bu¨rgerliches Gegenstu¨ck zum kaiserlichen Burgtheater gegru¨ndet worden. In punkto Gro¨ße u¨bertrifft es das noble Haus am Ring sogar. Es bietet 1900 Zuschauern Platz. Sein
Wien bei Nacht – Oper, Theater, Musik und Variete´s
Das Deutsche Volkstheater ist das bu¨rgerliche Gegenstu¨ck zum Hofburgtheater.
Repertoire ist breiter und popula¨rer als das des Hofburgtheaters, es reicht vom Volkstu¨ck bis zum klassischen Drama. Das Deutsche Volkstheater wurde von den Wiener Architekten Fellner & Helmer geplant und 1889 ero¨ffnet. Es ist einer von vielen Theaterbauten, die Ferdinand Fellner und Hermann Helmer geplant haben. Die beiden Theaterarchitekten bauten im gesamten Gebiet der k. u. k. Monarchie, aber auch im Ausland. Sie haben Dutzende von Theaterbauten entworfen, in Hamburg etwa das Deutsche Schauspielhaus, in Berlin die Komische Oper, in Zu¨rich das Opernhaus, in Budapest das Volkstheater, in Czernowitz das Stadttheater, in Prag das Neue Deutsche Theater und in Odessa das Opernhaus. Daneben hat dieses Duo aber auch zahlreiche Kaufha¨user, Banken, Hotels, Palais, Landha¨user und Villen gebaut. An die 20 Mitarbeiter sind sta¨ndig in ihrem Bu¨ro bescha¨ftigt. Man ko¨nnte allein in Wien die Theaterbauten des Bu¨ros Fellner & Helmer zu einem abwechslungsreichen Rundgang reihen. Dieser Weg fu¨hrte vom Deutschen Volkstheater u¨ber das Stadttheater, das 1884 abbrannte, das Theater an der Wien, das Etablissement Ronacher bis hin zum Akademietheater in der Na¨he des Schwarzenbergplatzes, das gerade im Bau ist. Alle diese Ha¨u-
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Ku¨nstlerhaus (links) und Musikverein, vom Karlsplatz aus gesehen. Ersteres ist das fu¨hrende Ausstellungshaus fu¨r bildende Kunst, Letzteres das Wiener Konzerthaus.
ser sind in modernem Stil errichtet, innen bestens ausgestattet, etwa durchweg elektrisch beleuchtet. Und auch die Sicherheitsvorkehrungen sind auf dem letzten Stand. An der Lothringerstraße zwischen dem Schwarzenbergplatz und dem Stadtpark, also in Ringna¨he, entsteht gerade ein anderer Kulturneubau: das Konzerthaus. Auch dieses Geba¨ude wurde vom Bu¨ro Fellner & Helmer entworfen. Das Viertel rund um den Schwarzenbergplatz ist in den letzten Jahren zum Treffpunkt der Wiener Musikszene geworden. Wenn Sie den Abend lieber bei einem Konzert verbringen wollen, sollten Sie hierher kommen. In der Dumbagasse 12, einer kurzen Seitenstraße des Ka¨rntnerrings, steht das pra¨chtige Geba¨ude des Wiener Musikvereins 4 . Es wurde 1870 ero ¨ ffnet und entha¨lt einen großen und einen kleinen Konzertsaal. Der große Musikvereinssaal ist fu¨r Orchesterkonzerte gedacht und bietet 2063 Besuchern Platz, der kleine Saal fu¨r Kammermusikvorstellungen, er fasst 462 Zuho¨rer. Auch hier gilt: Sichern Sie sich Ihre Karten rechtzeitig! Bekommen Sie keine Karten, gibt es genug attraktive Ausweichmo¨glichkeiten. Fast jeden Tag werden irgendwo in der Stadt Milita¨r-,
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Platz- und Promenadenkonzerte gegeben, in der scho¨nen Jahreszeit an Sonn- und Feiertagen im Kursalon des Stadtparks, im Restaurant „Cortisches Kaffeehaus“ im Volksgarten oder in den Blumensa¨len der Wiener Gartenbaugesellschaft. Wer die leichte Muse liebt, etwa Variete´, Tanz, Revuen oder das Lichtspieltheater, ist gewiss nicht schlechter gestellt als der Opern-, Theateroder Musikfreund. Beginnen wir unseren Rundgang durch das Wiener Abend- und Nachtleben im Etablissement Colosseum 5 in der Nussdorferstraße 4. Diese Gegend im 9. Bezirk ist nicht nur ein beliebter Wiener Hotelbezirk, sondern, neben der Pratergegend, dem Spittelberg im 7. Bezirk und Hernals im 17. Bezirk, auch ein Treffpunkt der Wiener Nachtschwa¨rmer. Entlang der Wa¨hringerstraße, einer breiten Straße, die von der Ringstraße in no¨rdliche Richtung stadtauswa¨rts fu¨hrt, hat sich eine Reihe von popula¨ren Etablissements angesiedelt. Zu nennen ist etwa das Orpheum in der Wasagasse 33, das inzwischen allerdings zur Sprechbu¨hne geworden ist, oder die 1898 ero¨ffnete Volksoper in der Wa¨hringerstraße 78, Ecke Wa¨hringer Gu¨rtel. Doch zuru¨ck zum Colosseum. Hier, in diesem fu¨hrenden Wiener Variete´, das 1899 ero¨ffnet wurde, ko¨nnen Sie sich einen Abend und eine Nacht lang pra¨chtig amu¨sieren. Bei scho¨nem Wetter sitzen Sie zuna¨chst draußen im großen Gastgarten, spa¨ter, zu vorgeru¨ckter Stunde, ko¨nnen Sie ins gera¨umige Innere wechseln. Hier finden Sie ein Kaffeerestaurant, einen Tanzsaal, einen Bu¨hnensaal und diverse andere Nebenra¨ume. Im Zuschauerraum gibt es freistehende Tische und Stu¨hle, hier gibt es keine Sitzreihen wie im altehrwu¨rdigen Theater. Wa¨hrend der Vorstellungen darf gegessen, getrunken und geraucht werden. Jeden Abend gibt es hier ein abwechslungsreiches Programm: leichte Konzerte, Opern, Operetten und Revuen. Stars und Sternchen treten auf, Artisten und Ta¨nzerinnen, Zauberer, Clowns und Wunderku¨nstler, Musiker und Pantomimen. Bekannt ist das Colosseum auch wegen seiner freizu¨gigen Revuen. In kurzen, durch Musik begleiteten Nummern, werden sogenannte ku¨nstlerische Tableau vivants gezeigt. In Wahrheit handelt es sich um Nacktauftritte nur notdu¨rftig verhu¨llter Ta¨nzerinnen. Diese Vorfu¨hrungen, die in einigen europa¨ischen La¨ndern, etwa in Frankreich, verboten sind, ziehen jede Menge – vor allem ma¨nnliches Publikum – an. hnliche Programme wie im Colosseum werden auch in anderen Etablissements geboten, etwa im Ronacher 6 , einem der a¨ltesten Wiener Variete´theater, das in der Innenstadt, Seilergasse 9, untergebracht ist. Oder im Metropol Theater 7 in der Hernalser Hauptstraße 55, das in der west-
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Wo immer die beru¨hmte franzo ¨sische Nacktta ¨ nzerin Adore´e Villany auftritt, kommt es zum Skandal. In Wien steht sie im Zirkus Busch im Prater auf der Bu¨hne.
lichen Vorstadt liegt. Und schließlich im Apollotheater 8 in der Gumpendorferstraße 63. Wenn Sie billigere und noch popula¨rere Vergnu¨gungen suchen, finden Sie diese in der Pratergegend. Hier gibt es eine Reihe von Lichtspieltheatern, die Skioptikonbilder, also Diaprojektionen, und kurze, unterhaltsame Filme zeigen. Die Pratergegend ist auch Treffpunkt
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fu¨r die Freunde des Zirkus. Der Zirkus Renz etwa unterha¨lt sein Etablissement in der Zirkusgasse 44, der Zirkus Busch in der Ausstellungsstraße 145. Neben klassischen Zirkusprogrammen werden hier auch einfache Lustspielabende gegeben mit Sketchen, Vaudevilles und komischen Einaktern. Wenn diese Spielsta¨tten spa¨t in der Nacht schließen, geht das Wiener Nachtleben noch munter weiter. In mancher Gaststa¨tte der Vorstadt finden Sie – trotz Sperrstunde – noch nach Mitternacht Einlass. Sie ko¨nnen da ein letztes Achterl Wein konsumieren, dort ein na¨chstes, um dann im Morgengrauen an einer großen Kreuzung ein Fuhrwerk heranzuwinken.
Das Apollotheater in der Gumpendorferstraße (im Bild) geho ¨rt neben dem Ronacher, dem Colosseum und dem Metropoltheater zu den fu¨hrenden Variete´bu¨hnen der Stadt.
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Stadt der Kranken – Die Heilund Pflegeanstalt Steinhof N
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ie modernste und gro¨ßte psychiatrische Einrichtung Europas ist in einer großen Parkanlage am Rande Wiens untergebracht. Auf dem Weg dorthin durchqueren wir den Arbeiter- und Industriebezirk Ottakring – und machen in der Ottakringer Bierbrauerei und in der Schokoladenfabrik Manner Halt. Unser heutiger Ausflug fu¨hrt uns an den westlichen Rand der Wiener Metropole, in die gru¨ne, noch weitgehend unverbaute hu¨gelige Landschaft am Rand des Wienerwalds. Hier draußen ist, geradezu auf dem Reißbrett, eine imposante Architektur- und Parkanlage entstanden, die ihresgleichen sucht. Es handelt sich um die „Niedero¨sterreichische Landes-, Heil- und Pflegeanstalt fu¨r Geistes- und Nervenkranke Am Steinhof“. Die Anlage wurde zwischen 1905 und 1907 in Rekordzeit errichtet. Ihr Architekt ist Otto Wagner, jener Planer, dem wir auf unseren Rundga¨ngen schon mehrfach begegnet sind. Er hat wie kein anderer Architekt das Aussehen Wiens um die Jahrhundertwende vera¨ndert. Sein Stadtbahnprojekt haben wir bereits kennengelernt. Hier, weit außerhalb des Stadtzentrums, hat er ein ganz anderes Bauwerk verwirklicht: die gro¨ßte und modernste psychiatrische Einrichtung Europas. Hier hat Wagner, wohl mehr als bei irgendeinem anderen seiner
Stadt der Kranken – Die Heil- und Pflegeanstalt Steinhof
Bauten, seine gesellschaftlichen und sta¨dtebaulichen Ideen umfassend und ohne Kompromisse umsetzen ko¨nnen. Der „Steinhof“, so wird das Gela¨nde kurz genannt, ist mit o¨ffentlichen Verkehrsmitteln schwer zu erreichen. Daher raten wir, fu¨r die knapp einstu¨ndige Fahrt ein bequemes Lohnfuhrwerk im Zentrum der Stadt zu nehmen. Sie ersparen sich dadurch umsta¨ndliches Umsteigen und sind die Mu¨he los, sich im Gewirr der Vorortstraßen orientieren zu mu¨ssen. Zudem ko¨nnen Sie am Weg noch bequem den einen oder anderen Abstecher machen. Wenn Sie den direkten Weg von der Innenstadt nehmen, passieren Sie auf der Lerchenfelderstraße, die hinter dem Reichsrat am Ring ihren Ausgang nimmt, zuna¨chst den 7. Bezirk. Dann, nach der berquerung des Gu¨rtels, einer breiten Umgehungsstraße, die die inneren Bezirke der Stadt umschließt, biegen Sie in die weiter stadtauswa¨rts fu¨hrende Thaliastraße ein. Den Namen hat diese Straße erst 1894 erhalten. Er erinnert an das gleichnamige Theater, das am Beginn dieser Straße existierte. Es wurde 1856 von den beiden Architekten Fellner & Helmer – wir sind ihnen bereits begegnet – entworfen. 1870 wurde es, weil es bankrott war, abgerissen. Hier, am Gu¨rtel, beginnt der 16. Bezirk, auch Ottakring genannt, ein dicht besiedelter, armer Arbeiterbezirk, der auf den ersten Blick wenig Aufregendes und Sehenswertes bietet. Und dennoch nutzen wir unseren Ausflug, um zwei, drei kurze Zwischenstopps einzulegen. Denn dieser Bezirk wirft ein ganz eigenes Licht auf Wien, er zeigt die Kehrseite der Ringstraßenpracht. Und er zeigt, unter welchen Bedingungen der Großteil der Wiener Bevo¨lkerung in den Außenbezirken lebt. Immerhin waren der Volksza¨hlung von 1900 zufolge mehr als zwei Drittel der Wiener Arbeiter. Ottakring ist in den letzten Jahren enorm gewachsen. Im Jahr 1900 lebten 148 652 Menschen in diesem Bezirk, damit war Ottakring der gro¨ßte und am dichtesten besiedelte aller Wiener Bezirke. Hier reiht sich ein billig aufgezogenes Mietshaus an das na¨chste. Das typische Ottakringer Mietshaus ist auf den ersten Blick nicht als Massenquartier fu¨r die arme Bevo¨lkerung zu erkennen. Die Fassade ist meist attraktiv, wenn auch einfacher gehalten als bei den Innenstadtbauten. Im Innern aber herrscht Not. Von langen, hofseitigen Ga¨ngen fu¨hren Tu¨ren in die meist winzigen Wohnungen, das Wasser mu¨ssen die Mieter vom Gang holen, bei der sogenannten Bassena, einem kleinen Brunnen. Ein Wasserhahn pro Stockwerk ist die Regel, Duschen oder Ba¨der in der Wohnung sind die Ausnahme. Bei der Volksza¨hlung im Jahr 1890
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wurde erhoben, dass ein Viertel aller Zimmer-Ku¨che-Wohnungen in Ottakring mit mehr als sechs Personen belegt sind. Ein Teil dieser Bewohner sind sogenannte Bettgeher, das sind verarmte, meist alleinstehende Arbeiter, die sich keine eigene Wohnung und kein eigenes Zimmer leisten ko¨nnen. Sie erkaufen sich gegen ein geringes Entgelt, etwa 20 bis 40 Heller, die bernachtung in fremden Wohnungen. Zum Vergleich: Ein Hilfsarbeiter verdient 2 Kronen, 80 Heller am Tag. Bettpla¨tze werden durch Zettel an Haustoren angeboten. Von den etwa 80 000 „Bettgehern“, die 1910 in Wien leben, haust ein Gutteil in Ottakring. Wo arbeitet dieses sta¨dtische Proletariat? In den kleineren und gro¨ßeren Fabriken, die hier in den letzten Jahren aus dem Boden gestampft wurden. Meist sind die Arbeitsbedingungen schlecht, der Verdienst gering, ein 12-Stunden-Arbeitstag ist vielerorts die Regel. Nur langsam beginnen sich die Verha¨ltnisse zu bessern. Allma¨hlich organisieren sich die Arbeiter in Gewerkschaften und politischen Parteien. Ottakring ist ein roter Bezirk, hier hat die Sozialdemokratie politisch das Sagen. Die Kirche hingegen, in gesellschaftspolitischen Fragen oft Gegenspieler der Arbeiterbewegung, ist hier machtlos. Im ausgedehnten Bezirk gab es bis zum Jahr 1900 nur zwei Kirchen. Sichtbares Zeichen der sozialdemokratischen Sta¨rke ist das „Arbeiterheim Ottakring“. Es ist ein modernes Veranstaltungs- und Versammlungszentrum der sozialdemokratischen Partei, das in einer Seitenstraße der Thaliastraße, der Kreitnergasse 29–33, steht. Es wurde zwischen 1905 und 1907 errichtet und ist mit einem großen Versammlungs- und Theatersaal fu¨r 1500 Personen ausgestattet, weiter gibt es hier eine Einkaufsgenossenschaft, eine Gaststa¨tte und diverse Bu¨rora¨umlichkeiten. Merkwu¨rdig ist die Finanzierung dieses Baus: Sie wurde mithilfe eines gro¨ßeren Kredits der Ottakringer Brauerei bewerkstelligt, einer großen Bierfabrik ganz in der Na¨he. Ihr Besitzer, Moriz von Kuffner, ein philantropisch orientierter Mann, sah, anders als andere Kapitaleigentu¨mer, in der Arbeiterbewegung kein teuflisches Gegenu¨ber. Er war, im eigenen Interesse, um das Wohlergehen der Arbeiter bemu¨ht. Im Gegenzug fu¨r seinen Kredit sicherte sich die Brauerei das Monopol fu¨r die Belieferung des Arbeiterheimbuffets mit Bier. Die Ottakringer Brauerei 1 in der Ottakringer Straße 91–93 ist eine fu¨r dieses Viertel typische Fabrikgru¨ndung. 1837 gegru¨ndet, erlebte sie im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts einen rasanten wirtschaftlichen Aufstieg. 1905 wurde das Unternehmen, zu dem weitere Fabriken in Ma¨hren und Ungarn geho¨ren, in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und ging an
Stadt der Kranken – Die Heil- und Pflegeanstalt Steinhof
Fuhrpark der Ottakringer Brauerei. Im Vordergrund, hoch zu Ross, ist der Platzmeister zu sehen.
die Bo¨rse. Das Aktienkapital umfasste knapp zehn Millionen Kronen. Seit 1850 ist die Fabrik im Besitz der ju¨dischen Familie Kuffner. Insbesondere Ignaz Kuffner wurde bald zum Ma¨zen und Fo¨rderer fu¨r den Bezirk. Als Bu¨rgermeister Ottakrings, das damals noch nicht eingemeindet war, regte er die Gru¨ndung eines Gymnasiums und von Schu¨lerbibliotheken an, er unterstu¨tzte die Armen des Bezirks. Weiter stellte er der ju¨dischen Gemeinde kostenlos ein Grundstu¨ck zur Verfu¨gung, auf dem eine Synagoge errichtet wurde. Den Arbeitern in der Brauerei stellte er eine warme Mahlzeit am Tag zur Verfu¨gung und billigte ihnen – das war damals außergewo¨hnlich – Urlaub und Sonderzulagen zu. 1882 u¨bernahm Moriz von Kuffner die Brauerei. Er war nicht nur Inhaber eines Großbetriebs, sondern auch Philosoph, Kunstliebhaber und Hobbyastronom. In der Na¨he seiner Fabrik, auf einem kleinen Hu¨gel, ließ er sich um teures Geld zwischen 1884 und 1886 eine hervorragend ausgestattete Privatsternwarte, die Kuffner’sche Sternwarte 2 errichten. Die teuersten Instrumente wurden angeschafft, ein Direktor und mehrere Assistenten eingestellt. Jahr fu¨r Jahr wird ein umfangreiches astronomisches Forschungsprogramm absolviert.
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Die Kuffner-Sternwarte, 1884 bis 1886 erbaut. Die private Anlage wurde von Moriz von Kuffner, dem Besitzer der Ottakringer Brauerei, finanziert.
Sie werden es merken: Die Fabrik- und Arbeiterstadt Ottakring riecht anders als Wiens saubergefegtes Zentrum. Hier geht es schon auf den Straßen rauer und schmutziger zu als in der Innenstadt. Aber es werden Ihnen noch andere Du¨fte und Geru¨che in die Nase steigen, etwa jene der Brauerei, der su¨ßlich-herbe Geruch des Hopfens und der Hefe. Und dann gibt es da noch einen ganz anderen Duft: Er ist schwer und ebenfalls su¨ßlich und stammt von einer weiteren Fabrik. Wenige Straßenzu¨ge von der Ottakringer Brauerei entfernt, in der Kulmgasse 20, befindet sich die „Chocoladenfabrik Josef Manner“ 3 . Sie werden, wenn Sie auch hier einen kurzen Zwischenstopp einlegen, das Fabrikgeba¨ude gar nicht verfehlen ko¨nnen. Denn die Manner-Fabrik hat gewaltige Ausmaße, sie umfasst ganze Straßenzu¨ge, immer wieder wurde der Komplex vergro¨ßert. Auch diese Fabrik hat einen erstaunlichen Aufstieg hinter sich. 1890 von Josef Manner gegru¨ndet, hatte die Firma 1897 bereits 100 Angestellte, um 1911 sind es u¨ber 2000. Manner ist innerhalb von zwei Jahrzehnten zu einem der gro¨ßten Su¨ßwarenfabrikanten der k. u. k. Monarchie geworden. Um die beru¨hmten Manner-Waffeln verkosten zu ko¨nnen, die als Markenzeichen ein Bild des Stephansdoms tragen, mu¨ssen Sie sich aber nicht durch die Fabriktore bemu¨hen. Manner hat am Stephansplatz ein Su¨ßwarengescha¨ft, in dem es alles gibt, was ko¨stlich und su¨ß ist. Nun steuern wir unser Ziel, die psychiatrische Einrichtung am Steinhof an. Die Einrichtung liegt auf einem Hu¨gel im Westen der Stadt 4 . Durch das große Tor betreten wir das ausgedehnte, leicht ansteigende Areal der
Stadt der Kranken – Die Heil- und Pflegeanstalt Steinhof
Heil- und Pflegeanstalt. Bereits hier am Eingang la¨sst sich die gewaltige Dimension dieser Anlage ermessen. Auf großzu¨gigen, mit Ba¨umen bepflanzten Gru¨nfla¨chen und Parks reihen sich zahlreiche, modern gehaltene, helle Pavillons aneinander. Das gesamte Areal ist frei zuga¨nglich. Wir spazieren die Kieswege entlang, steigen die Treppen hinauf, an den vielen zwei- und dreisto¨ckigen Geba¨uden vorbei. Insgesamt wurden hier in einer Rekordbauzeit von zwei Jahren 66 Geba¨ude fu¨r insgesamt 3760 Kranke und 600 Bedienstete errichtet – eine richtiggehende kleine Stadt ist auf diese Weise am Su¨dosthang der Steinhofgru¨nde entstanden. Man wa¨hnt sich in einer eleganten Parkanlage, stieße man nicht, ganz am Ende des großen Areals, auf eine durchgehende, etwas u¨ber zwei Meter hohe Mauer, die das Gela¨nde umgibt. Die Anlage am Steinhof ist ein Bauwerk der Superlative. Geplant, um die veralteten und u¨berfu¨llten sta¨dtischen Irrenanstalten zu entlasten, entstand hier innerhalb weniger Monate eine gigantische Stadt der Kranken. 1902 beschloss der Niedero¨sterreichische Landtag in der Hauptstadt Wien, die ja Teil von Niedero¨sterreich ist, in „gesunder und heilsamer“ Lage eine neue Heil- und Pflegeanstalt zu bauen. Es wurden 145 Hektar Land angekauft und Otto Wagner mit den Planungen der Parks und der Baulichkeiten beauftragt. Am 27. September 1904 erfolgte der Spatenstich, am 8. Oktober 1907 wurde das letzte Geba¨ude, die Kirche, die das Areal u¨berblickt, eingeweiht. Teilweise waren bis zu 5000 Arbeiter gleichzeitig auf der Baustelle bescha¨ftigt. Um die Baumaterialien zu befo¨rdern, wurde eine eigene
Blick auf die „Niedero ¨sterreichische Landes-, Heil- und Pflegeanstalt fu¨r Geistes- und Nervenkranke Am Steinhof“, errichtet zwischen 1905 und 1907.
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Bahnlinie von Ottakring bis zur Baustelle eingerichtet. Nach und nach entstanden zwei Dutzend Kranken- und Pflegepavillons, ein Verwaltungsgeba¨ude, ein Gesellschaftshaus, Werksta¨tten, eine Fleischerei, ein Schweineund Pferdestall, ein Materialgeba¨ude, ein Verbrennofen, mehrere Ku¨chen, Stallungen, ein Kesselhaus, eine Wa¨scherei, ein Gewa¨chshaus, ein Theatersaal, ein Ballsaal und die Kirche. Ma¨nner- und Frauenabteilungen sind ra¨umlich getrennt. „Ruhige“ Patienten werden im zentral gelegenen mittleren Bereich untergebracht, „unruhige“ weiter außen, „gefa¨hrliche“ in geschlossenen Abteilungen an den Ra¨ndern. Im Vergleich zu herko¨mmlichen Irrenha¨usern ist die Anlage offen, frei und großzu¨gig angelegt. Wenn wir durch die Parks spazieren, treffen wir auf zahlreiche Patienten, die sich in den Gru¨nanlagen erholen. Die Zimmer sind gera¨umig, jeder Pavillon verfu¨gt u¨ber Terrassen und Veranden. Viele Patienten sind allein in einem Zimmer untergebracht, maximal drei Patienten teilen sich ein Zimmer. Am a¨ußersten linken Rand der Heil- und Pflegeanstalt wurde, etwas abgesetzt, ein getrennt gefu¨hrtes, nobles Sanatorium errichtet. Hier sind vornehme Patienten untergebracht, die ihren Aufenthalt selbst bezahlen. Diese Anlage umfasst zehn Pavillons und ist bestens ausgestattet. Sie beherbergt zahlreiche Einrichtungen fu¨r physikalische Therapien, aber auch luxurio¨se Freizeiteinrichtungen: Winterga¨rten und Terrassen, Kegelbahnen, ein u¨berdachtes Schwimmbad, eine Schlittschuhbahn, einen Tennisplatz, ein Theater sowie mehrere Billard-, Rauch- und Musiksalons. Das Sanatorium gleicht einer angenehmen Kuranstalt, fast nichts erinnert an eine geschlossene psychiatrische Anstalt alten Typs, wie sie anderswo noch gang und ga¨be ist. Kuriert werden alle Formen von Nerven- und Gemu¨tskrankheiten: Neurasthenie, Hysterie, Hypochondrie, Morphinismus, Kokainismus, aber auch Alkoholismus und alle Formen nervo¨ser Zusta¨nde. Otto Wagner setzte bei seinen Planungen auf eine moderne, einfache und vor allem zweckma¨ßige Bauweise. Die Decken sind gro¨ßtenteils in Eisenbeton ausgefu¨hrt. Fu¨r die Beleuchtung der Gartenanlagen sorgen 213 Gaslampen, innen sind alle Geba¨ude bereits elektrisch beleuchtet, insgesamt wurden 8000 Glu¨hlampen angebracht. Alle Stockwerke und viele Ra¨ume verfu¨gen u¨ber fließendes warmes und kaltes Wasser, 9000 Meter Wasserleitungen wurden verlegt. Die Anlage ist an die Wiener Hochquellwasserleitung angeschlossen. Auch die Inneneinrichtung ist modern und zweckma¨ßig gehalten. Ein zeitgeno¨ssischer Beobachter schreibt: „Große, luftige und luftdurchflutete Ra¨ume, unverwu¨stlicher Bodenbelag und
Stadt der Kranken – Die Heil- und Pflegeanstalt Steinhof
Wandverkleidung der Nutzra¨ume mit Tonplatten, reichlich Ba¨deranlagen und Waschgelegenheiten erbringen den Beweis, wie sehr die Scho¨pfer dieser Anstalten darauf bedacht waren, den Forderungen der Hygiene Rechnung zu tragen, die a¨ußerste Ausnu¨tzung des Belegraumes zu ermo¨glichen und die Erhaltungsausgaben fu¨r die Zukunft auf das geringste Maß herabzudru¨cken.“ Wir haben den ho¨chsten Punkt der Anlage erreicht. Weit unter uns liegt das Wiental. Eine großartige Aussicht tut sich auf. Von hier aus kann man den Blick fast u¨ber die gesamte Stadt schweifen lassen. Mehr noch als die Stadt zu unseren Fu¨ßen fesselt aber das abschließende Bauwerk am Steinhof, die Kirche, die Otto Wagner hier in modernem Stil der Secession errichten ließ 5 . Die Anstaltskirche, die dem heiligen Leopold geweiht ist, ist
Die von Otto Wagner im modernen Stil entworfene Kirche am Steinhof.
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ein schlichter, aber eleganter viereckiger Bau. Die Ziegelwa¨nde sind außen mit weißen Marmorplatten verkleidet, die mit Kupferna¨geln befestigt sind. Daru¨ber erhebt sich eine imposante Kuppel, die mit vergoldeten Kupferplatten gedeckt ist und weithin leuchtet. Der gera¨umige Kirchenraum ist 20 Meter hoch und hat eine ausgezeichnete Akustik. Auch hier hat Wagner auf einfachen, modernen Schmuck geachtet und zweckma¨ßig geplant, bis zum letzten Detail: Die Bankreihen sind bewusst kurz gehalten, um den Kranken im Falle einer plo¨tzlichen belkeit das schnelle Verlassen der Kirche zu ermo¨glichen. Der Weihwasserspender ist mit fließendem, also keimfreiem Wasser ausgestattet. Wundern Sie sich nicht, wenn Sie nicht der einzige Tourist sind, der diese Anlage besichtigt. Der „Steinhof“ ist international bereits derart bekannt, dass ta¨glich Besucher aus dem In- und Ausland kommen, die diese wegweisende Einrichtung kennenlernen mo¨chten. Zwar ist fu¨r die Betreuung und Verpflegung der Patienten vorzu¨glich vorgesorgt, leider aber noch nicht fu¨r die der Besucher. Es gibt am Steinhof kein gemu¨tliches Gasthaus, das zur Einkehr einla¨dt. Daher werfen wir, vom Vorplatz der Kirche aus, noch einen letzten Blick u¨ber die Stadt, spazieren zuru¨ck zum Haupteingang und steigen in unser Fuhrwerk.
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n Wiens Kaffeeha¨usern ko¨nnen Sie viele Stunden verbringen – oder ganze Tage. Allein, zu zweit, in der Gruppe. Hunderte Kaffeeha¨user bietet die Stadt, elegante und einfache. Es gibt Ku¨nstlercafe´s, Literatencafe´s und Politikercafe´s. Sie sind das erweiterte Wohnzimmer der Wiener. Hier trifft man Freunde oder liest Zeitung, spielt Billard oder schließt Gescha¨fte ab. Und natu¨rlich trinkt man hier Kaffee, einen großen Braunen, einen kleinen Schwarzen oder eine Melange. Lassen Sie sich im Wiener Kaffeehaus von der Kaffeekarte nicht verwirren: großer Schwarzer und kleiner Brauner, Verla¨ngerter, Melange und
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Franziskaner, großer Brauner und Schale Gold, die Zubereitungsarten des Kaffees kennen in Wien keine Grenzen. In der Theorie. In der Praxis kommen Sie problemlos mit einigen wenigen Sorten aus: großer und kleiner Brauner, großer und kleiner Schwarzer oder Melange. Ein Brauner etwa ist ein schwarzer Kaffee mit einem Schuss Sahne (die in Wien Obers heißt). Eine Melange ist ein Kaffee mit heißer Milch. Ein starker schwarzer Kaffee ohne Milch ist ein Mokka. Der Rest ist Spezialwissen, das Sie sich nach und nach aneignen ko¨nnen. Unterschieden wird der Wiener Kaffee nach allen mo¨glichen Kriterien: nach der Gro¨ße der Tasse, nach dem Anteil der Milch, nach dem Anteil des Wassers, nach der Art des Aufgusses, nach den verwendeten Bohnen, nach den Zusa¨tzen, etwa Cognac oder Rum etc. etc. Sie sehen: Kaffee ist in Wien nicht gleich Kaffee, es gibt von Haus zu Haus, von Kaffeeku¨che zu Kaffeeku¨che große Unterschiede in der Zubereitung. Das Wiener Kaffeehaus ist eine legenda¨re Institution. Hier kehrt man nicht ein, um bloß im Vorbeigehen einen Kaffee zu trinken, hier kann man Stunden verbringen oder gar sein halbes Leben. Das Kaffeehaus ist eine Sta¨tte der Unterhaltung und der Zerstreuung. Man besucht es allein, etwa um die Zeitungen zu lesen, oder in Gruppen, wenn man sich mit Freunden treffen will. Im Kaffeehaus treffen sich Gescha¨ftsfreunde, hier werden aber auch in zwangloser Art neue Bekanntschaften geschlossen,
Das beru¨hmte Wiener Kaffeehaus Das Kaffeehaus ist von Wien aus als „Wiener Cafe´“ in die Welt gegangen. Es ist fu¨r die Wiener nicht bloß Erfrischungs- oder Speiseraum – man bekommt daselbst auch Schinken, Eier, Kuchen –, sondern auch Salon fu¨r gesellige Unterhaltung und Spiele: Karten, Billard, Schach; es ist fu¨r viele auch Lesekabinett und Gescha¨ftsstelle. Man findet daher im Kaffeehaus auch eine stattliche Menge Zeitungen, Monatsschriften, Broschu¨ren, Hilfsbu¨cher: Adressbu¨cher, Kalender, Fahrordnungen, Nachschlagebu¨cher, insbesondere Konversationslexika. Auch eigene Schreibtische stehen zuweilen bereit und die letzten Kurszettel der Bo¨rse sind ausgeha¨ngt. Es gibt Kaffeeha¨user in Wien, die Tausende von Kronen fu¨r Zeitungsbezug aufwenden. Auch das kleinste Kaffeehaus muß Zeitungen bereithalten. Franz Ho¨llrigl: Wiener Cicerone. Illustrierter Fremdenfu¨hrer durch Wien und Umgebung, Wien 1910.
Eine Melange bitte! – Spaziergang durch Wiens Kaffeeha ¨ user
es wird gespielt, etwa Billard, Karten und Schach, aber auch gegessen und getrunken. Fu¨r den Kaffeehausbesuch sollten Sie sich Zeit nehmen,viel Zeit. Wir beginnen unseren Kaffeehausrundgang am Stephansplatz Nr. 8a, im noblen, vornehm ausgestatteten Cafe´ de l’Europe 1 . Es ist gera¨umig, besitzt allein fu¨r das Publikum einen Vordersaal, einen Lesesaal mit Zeitungen und Journalen, einen vorderen und einen ru¨ckwa¨rtigen Spielsaal sowie einen Billardsaal. Dazu kommen noch diverse Nebenzimmer und die Ku¨che. Es ist, so urteilt sterreichs illustrierte Zeitung im Jahr 1902, „das Wiener Cafe´haus par excellence“. Und weiter heißt es: „Dieses elegante und doch so gemu¨tliche Etablissement ist fu¨r Wien ein Wahrzeichen, das jeder, der einmal die scho¨ne Stadt an der Donau besucht hat, gewiss schon kennt. Gegenu¨ber dem herrlichen St. Stephansdome gelegen, mitten in dem ewig pulsierenden Leben der Großstadt, war es zu dieser Rolle, die es heute in dem geselligen Leben Wiens spielt, schon pra¨destiniert. Doch nicht nur die ausgezeichnete Lage allein hat das Cafe´ de l’Europe zum Sammelplatze so vieler Einheimischer und Fremder gemacht; in dem blendenden Rahmen fu¨hrt auch ein Mann das Szepter, der all die no¨tigen Vorzu¨ge, die ein echter Wiener Cafetier haben muß, in seiner Person vereinigt. So bekannt wie das Cafe´ selbst ist auch sein Eigentu¨mer, Herr Ludwig Riedl, den man mit gutem Recht einen der popula¨rsten Ma¨nner Wiens nennen kann. Hat doch Herr Ludwig Riedl, der nie Ermu¨dende, stets sein Scherflein dazu beigetragen, wenn es galt, eine Aktion zur Verscho¨nerung oder Verherrlichung unseres Wien zu inauguieren.“
Das Cafe´ de l’Europe am Stephansplatz: Es geho ¨rt zu den vornehmsten und bekanntesten Kaffeeha ¨ usern der Stadt.
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„Gleich beim Eintritt“, heißt es in dem Bericht weiter, „bietet sich dem Besucher ein interessantes Bild. An den vielen Tischen des langen, mit zwei Seitengema¨chern vereinten Hauptsaales sieht man die Cre´me der Gesellschaft versammelt. So mancher Denkerkopf, dessen Zu¨ge dem sterreicher bekannt sind, sei es durch sein Wirken in der Politik oder in der Wissenschaft, fa¨llt dem Besucher auf. Die Uniformen der Offiziere und die bunten Toiletten der Damen vervollsta¨ndigen dann dieses hu¨bsche Bild. Ein Schmuckkasten im wahren Sinne des Wortes ist der Billardsaal, an dessen Breitwand eine gemu¨tliche und reizend ausgestattete Nische fu¨r kleinere Gesellschaften angebracht ist. Außerordentlich lustig und angenehm sind die beiden Spielsa¨le, die abgesondert von dem regen Treiben der anderen Ra¨ume des Kaffeehauses all die Bedingungen erfu¨llen, die der Spieler an ein Cafe´ stellen kann. Doch nicht nur der Spieler, sondern auch der Kunstfreund findet in diesen wahrhaft ku¨nstlerisch ausgestatteten Ra¨umen Befriedigung. An den pra¨chtig ausgefu¨hrten Wa¨nden zieht sich eine Reihe wertvoller Gema¨lde und Stiche hin, die einen Wert von vielen tausend Gulden repra¨sentieren. Scho¨ne, hohe Marmorsa¨ulen stu¨tzen die feingearbeitete Decke dieser Ra¨ume, deren Meublement im scho¨nsten Einklang mit der ganzen Ausstattung ist.“ Und weiter: „Entsprechend dem Ansehen und der Beliebtheit des Kaffeehauses ist auch die Bedienung eine tadellose. In ho¨flicher und zuvorkommender Manier bedient ein Heer tu¨chtig geschulter Marqueure die große Zahl der Ga¨ste, die stets die Riesenra¨ume fu¨llt. Auch an Zeitungslektu¨re gebricht es nicht. Was das Inland und Ausland an besseren Zeitungen bieten, kann man im Cafe´ de l’Europe erhalten. Fu¨gt man zu diesen Vorzu¨gen noch die ausgezeichnete Qualita¨t aller in diesem Etablissement gereichten Speisen und Getra¨nke hinzu, so hat man das Bild eines der besten und vornehmsten Wiener Kaffeeha¨user. Und das will viel heißen.“ brigens: der „Marqueur“ ist in Wien der Kellner, auch „Herr Ober“ genannt. Ein Ratschlag: Stellen Sie sich gut mit ihm, wenn Sie o¨fter kommen. Er reserviert Ihnen einen guten Sitzplatz, kann freundlich oder weniger freundlich sein und hilft Ihnen, wenn er Sie scha¨tzt und Sie seine Dienste mit einem Trinkgeld belohnen, mit allerlei Ausku¨nften weiter. Praktisch in jedem Viertel gibt es Kaffeeha¨user. Im Zentrum sind sie nobler als in den Vororten. Und es gibt Straßen, die zu regelrechten Kaffeehausstraßen geworden sind, etwa die Ringstraße oder die Ka¨rntnerstraße, aber auch an den großen Radialstraßen, wie der Praterstraße, der Mariahilferstraße oder der Wa¨hringerstraße, gibt es zahlreiche Cafe´s. Die Zahl der Kaffeeha¨user ist in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen.
Eine Melange bitte! – Spaziergang durch Wiens Kaffeeha ¨ user
1804 gab es 89 Kaffeeha¨user, 1879 war die Zahl bereits auf 605 gestiegen, inzwischen sind es deutlich mehr! Im Vergleich dazu gab es zur selben Zeit 2484 Gastha¨user, Weinstuben und Weinkeller, 114 Bierschenken sowie 1749 Branntweinschenken. Viele Kaffeeha¨user haben ihr Stammpublikum. Die Literaten verkehren gern im Griensteidl 2 bzw., seit dieses geschlossen ist, im Cafe´ Central. Ku¨nstler wie Schauspieler, Sa¨nger und Musiker gehen ins Dobner oder ins Sperl. Agenten und Ha¨ndler ins Hugelmann, Gescha¨ftsleute verabreden sich oft im Cafe´ Siller, dort, in Sillers Damensalon, trifft man auch die Damen der feinen Gesellschaft. Im Cafe´ Daum am Kohlmarkt und in der Goldenen Kugel treffen sich die Milita¨rs. Im traditionsreichen, bereits 1840 gegru¨ndeten Cafe´ Eiles 3 , das in der Josefsta¨dterstraße 2, gleich hinter Reichsrat und Rathaus, liegt, kehren Politiker, aber auch Ku¨nstler und Offiziere ein. In den Kaffeeha¨usern wird heftig geraucht, wer die Rauschschwaden scheut und eine etwas ruhigere Atmospha¨re vorzieht, sollte in eine der Konditoreien ausweichen. In diesen Lokalen wird nicht geraucht, dafu¨r gibt es weniger Zeitungen und Zeitschriften. Wettgemacht wird das aber allemal durch die ko¨stlichen Mehlspeisen, die hier gereicht werden. Zu den guten Konditoreien, die gern von der vornehmen Damenwelt aufgesucht werden, geho¨ren etwa Demel am Kohlmarkt 18, Gerstner in der Ka¨rntnerstraße 6, Heiner in der Wollzeile 9 und Sluka 4 in der Reichsratsstraße 13. Typische Kaffeeha¨user an der Ringstraße sind etwa das Cafe´ Landtmann neben dem Burgtheater 5 und das Cafe´ Pru¨ckel am Stubenring 14 6 . Das Cafe´ Landtmann wurde im Jahr der Wiener Weltausstellung 1873 ero¨ffnet, es war damals das gro¨ßte und eleganteste Kaffeehaus der Stadt, das Cafe´ Pru¨ckel im Jahr 1903. Der jetzige Besitzer des Pru¨ckel erhielt viel Beifall, als er vor Kurzem die Inneneinrichtung erneuerte und das Cafe´ vornehmer ausstattete. Die auflagenstarke Wochenzeitung Das interessante Blatt schreibt 1911: „Der Weltruf des Wiener Kaffeehauses wurde neuerlich gefestigt durch die Adaptierung eines weit bekannten Etablissements. Der Besitzer eines der gro¨ßten und scho¨nsten Kaffeeha¨user in Wien, des Cafe´ Pru¨ckel, Herr Anton Stern, hat unter Aufwendung hoher Kosten seine Prunkra¨ume in einer Art neu eingerichtet, wie es nicht nur in Wien, sondern in ganz Europa seinesgleichen sucht. Vornehme Kunst hat ein Meisterwerk der Innenarchitektur geschaffen, welches die Intimita¨t des Kaffeehauses bei gro¨ßter Eleganz und Pracht nicht sto¨rt.“
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Das Cafe´ Pru¨ckel am Stubenring. Es wurde 1873, im Jahr der Weltausstellung, ero ¨ffnet und galt damals als eines der scho ¨nsten Wiener Cafe´ha ¨ user.
Fu¨hrend in puncto Lesestoff ist das Cafe´ Central 7 in der Herrengasse 14. Das 1868 gegru¨ndete und in einem prachtvollen Palais in der Herrengasse untergebrachte Kaffeehaus gilt als das Zeitungscafe´ Wiens. Hier finden die Ga¨ste alle Tageszeitungen der Monarchie, daru¨ber hinaus zahlreiche Bla¨tter in deutscher und tschechischer, polnischer, ruthenischer, ungarischer, kroatischer, slowenischer und italienischer Sprache. Dazu die wichtigen ausla¨ndischen Zeitungen aus dem Deutschen Reich, der Schweiz, Holland, Da¨nemark, Schweden, Norwegen, England, Frankreich, Belgien, Spanien, Italien, Serbien, Bulgarien, Ruma¨nien, Russland und den USA. Insgesamt, so ru¨hmt sich das Central, liegen hier sage und schreibe 251 Bla¨tter auf! Das Kaffeehaus als Zeitungseldorado ist eine Entwicklung der letzten Jahrzehnte. Es hat viel mit der politischen Entwicklung in der k. u. k. Monarchie zu tun. Bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts war es u¨blich, dass Zeitungen nicht beim Verleger, sondern bei den staatlichen Posta¨mtern abonniert wurden. Dadurch war es dem Staat mo¨glich, unliebsame Publikationen zu u¨berwachen. Die Zeitungslektu¨re im Kaffeehaus war eine Mo¨glichkeit, regelma¨ßig mehrere Zeitungen zu lesen, ohne sie perso¨nlich abonnieren zu mu¨ssen. Als im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts das
Eine Melange bitte! – Spaziergang durch Wiens Kaffeeha ¨ user
Pressewesen nach und nach liberalisiert wurde und ab den 1870er-Jahren der Zeitungsmarkt aufblu¨hte, blieb das Kaffeehaus Ort der Zeitungslektu¨re. Inzwischen beherrschen große Zeitungskonzerne den o¨sterreichischen Markt. Die wichtigsten beiden sind der 1873 gegru¨ndete Elbemu¨hl-Konzern, der 17 Papierfabriken und eine Reihe von Zeitungen besitzt, etwa das Fremdenblatt, die Wiener Allgemeine Zeitung, die Wiener Mittagszeitung und das Illustrierte Wiener Extrablatt. Sein Gegenspieler ist der Konzern Steyrermu¨hl, 1872 gegru¨ndet, der ebenfalls u¨ber mehrere Papierfabriken und Zeitungen verfu¨gt, darunter das Neue Wiener Tagblatt und die Konstitutionelle Vorstadtzeitung. Sie werden sich vermutlich kaum fu¨r einzelne Provinzbla¨tter aus den unterschiedlichsten Teilen der Monarchie interessieren, aber Sie sollten vielleicht u¨ber die politische Ausrichtung der großen, fu¨hrenden u¨berregionalen Zeitungen sterreichs Bescheid wissen. Die Wiener Zeitung ist das offizielle Organ der Regierung, auch das Fremdenblatt und die Wiener Abendpost stehen der Regierung recht nahe. Das fu¨hrende Blatt der deutschliberalen Intelligenz ist die Neue Freie Presse, liberal ist das Neue Wiener Tagblatt, linksliberal die Zeit, deutschnational die Deutsche Zeitung, christlichsozial das Deutsche Volksblatt, konservativ sind das Vaterland und die Reichspost, sozialdemokratisch die Arbeiter-Zeitung. Politisch schwer zu verorten sind die neuen, billig gedruckten, auf ein breites Publikum zielenden Massenbla¨tter wie das Illustrierte Wiener Extrablatt oder das Neue Wiener Journal, das 1893 von Jacob Lippowitz gegru¨ndet wurde. Neben den politischen Bla¨ttern finden Sie im Kaffeehaus natu¨rlich auch Sportzeitungen wie die Allgemeine Sportzeitung, illustrierte Wochenzeitungen wie Das interessante Blatt oder die Wiener Bilder, Fachzeitungen und schließlich Witz- und Karikaturbla¨tter wie Figaro, Kikeriki, Wiener Karikaturen oder Floh. Das Wiener Kaffeehaus bietet auch in kulinarischer Hinsicht mehr als das Mindestmaß. Sie bekommen hier nicht nur Kaffee, sondern auch andere Getra¨nke, etwa Schokolade und Tee, Punsch, Limonade oder Mandelmilch. Auch Wein gibt es im Kaffeehaus, Bier seltener. Zum Kaffee wird immer ein Glas Wasser serviert. Wenn Sie fru¨hstu¨cken wollen, werden Ihnen zum Kaffee Kaisersemmeln serviert, wahlweise auch Kipferln, Salzstangerl, Mohnstriezel oder Weckerln. Tagsu¨ber erhalten Sie kleine Speisen, etwa Wu¨rstel, Eier im Glas, Eierspeise oder ein Gulasch. Auch eine kleine Auswahl von „trockenen“ Mehlspeisen wird angeboten, etwa Linzerschnitten und Linzeraugen, Kolatschen, Buchteln, Krapfen, Beugel, Gugelhupf usw.
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Wenn Sie ausgiebig speisen wollen, sollten Sie vom Kaffeehaus ins Gasthaus oder Restaurant wechseln. Die Wiener Ku¨che ist angereichert durch Speisen und Rezepte aus Bo¨hmen, Ungarn und Italien. Sie spiegelt den Vielvo¨lkerstaat wider. Unbedingt mu¨ssen Sie Rindfleisch probieren: Dafu¨r ist die Wiener Ku¨che bekannt, es wird in allen denkbaren Varianten angeboten. Beru¨hmt ist der Tafelspitz, gesottenes Rindfleisch, zu dem oft Kartoffeln, Sauce und Apfelkren (Apfelmeerrettich) serviert werden. Ko¨stlich vom Rind ist aber auch das Beinfleisch, das Hieferlschwanzl, das Schulterschwanzl, das Schulterscherzl, das magere und das fette Meisel, Zwerchried, Bro¨selfleisch oder das Brustfleisch. Lassen Sie sich vom Kellner beraten! Gern gegessen wird in Wien auch Schweinefleisch, etwa Rostbraten, Zwiebelrostbraten, Schweinsbraten mit Kno¨deln, weiter Rindsund Kalbsgulasch. Vollkommen zu Recht erfreuen sich die Wiener Mehlspeisen großer Beru¨hmtheit: Grießauflauf, Apfel-, Nuss-, Mohn- und Milchrahmstrudel, diverse Torten, gefu¨llte Palatschinken und natu¨rlich der „Schmarrn“, das ist ein in der heißen Pfanne zerbro¨ckelter Teig, der mit Marmelade oder Kompott serviert wird. Zum Essen wird in Wien viel Bier getrunken. Beliebt sind leichte, helle Lagerbiere, aus der Wiener Produktion etwa das Ottakringer, Schwechater, Liesinger, St. Marxer, das Hu¨tteldorfer Bier oder jenes des k. k. Hofbrauhauses Nussdorf. Aber auch ko¨stliche bo¨hmische oder bayerische Biere werden serviert wie das Pilsener, das Budweiser oder das Mu¨nchener Spatenbier. Wenn Sie ein kleines Bier, also ein Drittel Liter bestellen, heißt das in Wien Seidel, ein großes Glas, ein halber Liter also, heißt Kru¨gel. Trinken Sie Wein, stehen gute niedero¨sterreichische Weine, etwa ein Gumpoldskirchner, Vo¨slauer, Wachauer oder Retzer Wein zur Auswahl, aber natu¨rlich auch importierte Flaschen. Kosten sollten Sie zum Abschluss Ihres Mahls auch die beru¨hmten polnischen Schna¨pse und die breite Auswahl der Dalmatiner Liko¨re. Sie wollen zahlen? Im Kaffeehaus ist der „Herr Ober“ Ihr Ansprechpartner, der Oberkellner. Er fu¨hrt die Kassa, ihm gebu¨hrt das Trinkgeld. Achten Sie darauf, dass auch der „Piccolo“, der Jungkellner, der stets dafu¨r zu sorgen hat, dass die Tische scho¨n aufgestellt und Wasser auf dem Tisch steht, ein kleines Trinkgeld bekommt. Im guten Restaurant ist der Service noch arbeitsteiliger organisiert: Die Speisen bringt der „Speisentra¨ger“, die Getra¨nke der Piccolo, die Rechnung macht der Zahlkellner. Als Trinkgeld bekommt Letzterer rund fu¨nf Prozent der Zeche, nicht aber unter 20 Heller. Dem Speisentra¨ger sollten Sie daru¨ber hinaus sechs bis zehn Heller, dem Piccolo vier bis sechs Heller u¨berreichen.
VII. Tag
I. Tour
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uf Wiens Einkaufsstraßen kann man sich stundenlang treiben lassen. Wir spazieren durch die Wiener Einkaufsmeilen Ka¨rntner- und Mariahilferstraße, vorbei an kleinen, alteingesessenen La¨den ebenso wie an imposanten, neu erbauten Warenha¨usern. Einigen von diesen – Herzmansky, Gerngroß und dem Zentralpalast – statten wir einen Besuch ab. Dazwischen flanieren wir durch die schmalen Seitengassen und erholen uns im Kaffeehaus. Die Mariahilferstraße ist der la¨ngste und bekannteste Gescha¨ftsboulevard Wiens. Er beginnt an der Ringstraße und fu¨hrt mehr als fu¨nf Kilometer lang stadtauswa¨rts nach Westen. Links und rechts der leicht ansteigenden Straße reihen sich große und kleine Kaufha¨user aneinander. Pra¨chtige Warenha¨user, die in ju¨ngster Zeit mit großem Aufwand errichtet wurden, stehen neben kleinen La¨den, die schon seit Jahrzehnten Bestand haben. Bis zum Westbahnhof ist die Mariahilferstraße besonders gescha¨ftig und belebt. Danach wird es ruhiger. Auf dieser Straße finden Sie alles, was Ihr Herz begehrt: Schuhe und Schmuck, Kleidung und Kurzwaren, Tabak und Spielwaren, Koffer und Brillen, Wa¨sche, Stru¨mpfe, optische Gera¨te und Geschenkartikel.
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VII. Tag I. Tour
Stunden-, ja tagelang kann man auf dieser Einkaufsmeile flanieren, abschweifen in die kleinen Gassen, die von der Hauptstraße wegfu¨hren. Den letzten Vormittag in Wien werden wir auf dieser Straße verbringen. Viele der großen, vom Ring stadtauswa¨rts fu¨hrenden Straßen sind Gescha¨ftsstraßen. Aber keine ist so bekannt wie die Mariahilferstraße. „Hier sind wir Großstadt“, schrieb 1896 die illustrierte Wochenzeitung Wiener Bilder. In der Mariahilferstraße herrscht stets reger Verkehr, Passanten hasten vorbei, Fuhrwerke bewegen sich in großer Zahl durch die Straße, Omnibusse fahren vorbei und mehrere Straßenbahnlinien fu¨hren durch die Mariahilferstraße. 1910 heißt es in der Wochenzeitung Wiener Bilder u¨ber diese Straße: Sie bildet „unstreitig das Eldorado der Wiener Modewelt und [ist] zugleich die imposanteste Gescha¨ftsavenue Wiens, welche vom neuen Kaiserschlosse am Burgring in einer La¨nge von mehr als fu¨nf Kilometern nach Scho¨nbrunn zieht. Ta¨glich fru¨hmorgens mit seltenen Ausnahmen fa¨hrt der Kaiser von seiner Parkwohnung in Scho¨nbrunn u¨ber die Mariahilferstraße nach der Hofburg, um Audienzen zu erteilen, Staatsgescha¨fte und sonstige Aufgaben seines Herrscherberufes zu erledigen und erst in den spa¨ten Nachmittagsstunden kehrt er denselben Weg wieder zuru¨ck. [...] Hier sind eine Reihe gro¨ßerer Warenha¨user entstanden, und kreuz und quer in die Seitenstraßen ,Mariahilfs‘ breitet sich der riesige Modemarkt der Zweimillionstadt aus, der, beim Etablissements Herzmanskys beginnend, sich bis zum Westbahnhofe erstreckt.“ Wir beginnen unseren Rundgang, der uns stadtauswa¨rts fu¨hrt, bereits in der Ka¨rntnerstraße. Sie ist in Sachen Einkaufen gewissermaßen die Verla¨ngerung der Mariahilferstraße. Die Ka¨rntnerstraße geht unmittelbar am Stephansdom los und fu¨hrt an der Oper vorbei zum Opernring. Alles, was in der Wiener Warenwelt Rang und Namen hat, hat sich hier niedergelassen. Gegenu¨ber dem Stephansdom, am Stock-im Eisen-Platz, steht ein prunkvoller Bau, es war das erste große Warenhaus Wiens. Das Teppichhaus „Philipp Haas & So¨hne“ wurde 1866/67 in moderner Eisenbauweise errichtet. Es ist das erste zeitgeno¨ssische Geba¨ude, das inmitten des mittelalterlichen Stadtzentrums rund um den Dom entstand. Die beiden Architekten August Sicard von Siccardsburg und Eduard van der Nu¨ll, die es entwarfen, sollten wenige Jahre spa¨ter die Pla¨ne fu¨r das Hofopernhaus zeichnen. Nebenan, am Graben Nr. 8, steht ein weiteres renommiertes Textilkaufhaus, E. Braun & Co. Wer sich fu¨r Mode interessiert, wird in der Ka¨rntnerstraße mehr als fu¨ndig. Wa¨hrend in der Mariahilferstraße die großen Kaufha¨user mit
Einkaufsbummel – In der Ka ¨ rntner- und der Mariahilferstraße
Die Ka ¨ rntnerstraße ist – neben Graben und Kohlmarkt – eine der bekanntesten Gescha ¨ ftsstraßen der Innenstadt.
ihrem Massenangebot dominieren, gibt es hier kleinere, exquisitere Gescha¨fte, etwa teure Modesalons, in denen vorwiegend auf Bestellung gearbeitet wird. Hier nur einige wenige Adressen im Vorbeigehen: Das vornehme Modehaus Farnhammer liegt in der Ka¨rntnerstraße 10, ein weiteres elegantes Modehaus, Ludwig Zwieback & Bruder, liegt wenige Schritte weiter, in der Ka¨rntnerstraße 11–15. Dann folgt in der Ka¨rntnerstraße 21 Max Hartwich, ein Spezialhaus fu¨r feine Pelzwaren, und bald darauf, Ka¨rntnerstraße 19, das Kleiderhaus Neumann. Es ist dies das a¨lteste und lange Zeit war es auch das gro¨ßte Kleiderhaus der Monarchie. 1845 gegru¨ndet, expandierte es rasch und unterha¨lt mittlerweile zwanzig Filialen im In- und Ausland, u. a. in Belgrad und Sofia. Das Unternehmen erzeugt und vertreibt vornehme Herren-, Damen- und Kinderkleider, Schuhe, Ma¨ntel und Wintersportausru¨stungen. Vor Kurzem, im Jahr 1900, hat es am alten Standort ein neu errichtetes, von Otto Wagner geplantes Geba¨ude bezogen. Am Ende der Ka¨rntnerstraße steht, bereits an der Ecke zum Ka¨rntnerring, das Kaufhaus Sirk. In diesem vornehmen Kaufhaus, das von August Sirk gegru¨ndet wurde, finden Sie viele Waren, nach denen Touristen Ausschau halten: Metall- und Ledergalanteriewaren, Reise- und Sportartikel
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Am Ende der Ka ¨ rntnerstraße, gegenu¨ber der Oper, steht in bester Lage das Kaufhaus „Zum Touristen“.
und vieles andere mehr. Und zwar alles, so wird betont, „in vorzu¨glicher Ausfu¨hrung, elegant und zu ma¨ßigen Preisen“. Das Kaufhaus, das sich „Zum Touristen“ nennt, wendet sich mit seinem Sortiment ausdru¨cklich an Reisende, schließlich liegen im na¨heren Umkreis einige große Hotels und, nicht zu vergessen, die belebte Ringstraße. „Nicht nur der Einheimische“, so heißt es in sterreichs illustrierter Zeitung im Jahr 1910, „auch der Fremde sucht mit Vorliebe dieses Warenhaus auf, weil der Ruf desselben schon la¨ngst in die entferntesten Gegenden unseres Reiches gedrungen ist. Das Gescha¨ft, welches schon seit einer Reihe von Jahren besteht, verdankt den Aufschwung und sein Renommee der anerkannten Solidita¨t seines Gebahrens und nicht zuletzt der unermu¨dlichen Tha¨tigkeit und Umsicht seines fru¨heren Besitzers, Herrn August Sirk sowie dessen Nachfolgers Josef Pohl.“ Wir u¨berqueren den Ring, gehen ein kleines Stu¨ck am Opernring entlang und fa¨deln uns dann in die Mariahilferstraße, u¨ber die wir stadtauswa¨rts spazieren. Zuna¨chst passieren wir an der Hausnummer 18 das repra¨sentative Warenhaus Esders. Auf der Ho¨he der Stiftgasse und der Stiftkirche leuchtet uns dann von Weitem die pra¨chtige Fassade des Warenhauses Herzmansky 1 entgegen. Es besitzt an der Ecke Mariahilferstraße,
Einkaufsbummel – In der Ka ¨ rntner- und der Mariahilferstraße
Stiftgasse nicht weit voneinander entfernt zwei Niederlassungen. Die Adressen lauten Mariahilferstraße 26–30 und Stiftgasse 1–7. Schon aus dieser Angabe ersehen wir, dass das Geba¨ude sich u¨ber mehrere ehemalige Ha¨user erstreckt, die nach und nach in einem gewaltigen Geba¨udekomplex zusammengefasst wurden. Das Kaufhaus wurde 1863 von August Herzmansky gegru¨ndet. Es expandierte in den letzten Jahren rasch und ist inzwischen eines der gro¨ßten Textilha¨user nicht nur der Stadt, sondern der gesamten Monarchie geworden. 1897/98 entstand ein großer Neubau, geplant vom Architekten Maximilian Katscher. Schon von außen ist das Geba¨ude beeindruckend. Die Fassade ist, ganz im Stil der modernen Zeit, großfla¨chig u¨ber fu¨nf Stockwerke verglast und mit einer Eisenkonstruktion eingefasst. Dahinter liegen die hohen, gera¨umigen Verkaufsra¨ume. Im Innern stapeln sich Textilien und Stoffe so weit das Auge reicht. Da tu¨rmen sich Raum fu¨r Raum, Stockwerk fu¨r Stockwerk Seide und Samt, Tu¨ll, Gaze und Spitzen. Mehrere Aufzu¨ge und eine breite Treppe fu¨hren hinauf in die oberen Verkaufs- und Galeriera¨ume. Und wieder sind da Wollwaren aller Gattungen, Farben und Muster ausgestellt: Futterstoffe, Ba¨nder, Zubeho¨r, aber auch Teppiche, Decken, Vorha¨nge, Mo¨bel, Waschstoffe, Seidenstoffe und vieles andere mehr. Nur einen Straßenzug weiter stadtauswa¨rts, an der Ecke Mariahilferstraße 48, Ecke Kirchengasse, stehen wir erneut vor einem riesigen Kaufhaus. Es heißt Gerngroß 2 . Gerngroß ist, so wie Herzmansky, ein großes Kaufhaus neuen Stils. Wie jenes ist es ein Warenhaus, in dem mo¨glichst
Das Warenhaus Gerngroß in der Mariahilferstraße pra ¨ sentiert sich als „gro ¨ßtes Spezialhaus der Monarchie in Seiden-, Woll- und Waschstoffen“.
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Die Mariahilferstraße ist das Eldorado der Wiener Warenwelt. „Hier sind wir Großstadt“, schrieb die Zeitung Wiener Bilder 1896 u¨ber diese Straße.
alle Produkte gut sichtbar in den Verkaufsra¨umen pra¨sentiert werden. Auch Gerngroß hat sich auf Textilien spezialisiert, gegru¨ndet wurde das Unternehmen sogar von zwei ehemaligen Angestellten bei Herzmansky, Alfred und Hugo Gerngroß. Schon bald ka¨mpften die beiden Unternehmen um die wirtschaftliche Vorherrschaft auf der Mariahilferstraße. In immer neuen Anla¨ufen versuchten beide, ihre Verkaufsfla¨chen und Gescha¨ftsra¨ume attraktiver und aufsehenerregender zu gestalten als der jeweilige Konkurrent. Auch Gerngroß expandierte von Jahr zu Jahr. Seit der Jahrhundertwende scheint das Warenhaus den Konkurrenzkampf gewonnen zu haben. In Anzeigen preist es sich als „gro¨ßtes Spezialhaus der Monarchie in Seiden-, Woll- und Waschstoffen“. So wie Herzmansky setzt auch Gerngroß auf die neueste Bauweise. Zwischen 1902 und 1904 errichtete das bekannte Wiener Architekturatelier Fellner & Helmer einen imposanten Neubau. Die Fassade an der Mariahilferstraße ist teilweise, so wie bei Herzmansky, u¨ber fu¨nf Stockwerke verglast. Innen ist dieses Kaufhaus großzu¨gig und
Einkaufsbummel – In der Ka ¨ rntner- und der Mariahilferstraße
vornehm eingerichtet. Eine breite Haupttreppe, drei Nebentreppen, fu¨nf Aufzu¨ge und eine „rollende Rampe“ – eine absolute Neuheit – geleiten die Kunden in die oberen Stockwerke. Diese finden im Haus alle erdenklichen Annehmlichkeiten: vom Wintergarten bis zur Konditorei. Beru¨hmt ist auch das technische Innenleben dieses Baus. Fellner & Helmer, die bekannt fu¨r die hohen Sicherheitsstandards bei ihren Theaterbauten sind, haben das Haus mit 29 Hydranten und 27 Tasten zur Alarmierung der Hausfeuerwehr ausgestattet. Die Beleuchtung ist praktisch vollsta¨ndig auf elektrisches Licht umgestellt. 2100 Glu¨hlampen sorgen fu¨r angenehme Helligkeit. Sollten Sie abends vorbeikommen, leuchten die Fassaden von Herzmansky und Gerngroß weithin sichtbar. Zuru¨ck auf der Straße, tauchen wir wieder ein in das Geschiebe und Gewimmel der Mariahilferstraße. Wenn wir die Straße u¨berqueren und in die schmalen, links von der Mariahilferstraße abzweigenden Ga¨sschen eintauchen, scheinen wir mit einem Schlag in einer ganz anderen Welt zu sein. Nehmen wir als Beispiel die schmale Passage, die in der Mariahilferstraße 45 3 beginnt. Die kleine, abwa¨rts fu¨hrende Gasse hat keinen eigenen Namen. Sie durchquert fu¨nf Ha¨user und vier Innenho¨fe und endet in der Windmu¨hlgasse. Hier haben sich, in beengten Verha¨ltnissen, kleine Handwerks- und Fabrikbetriebe niedergelassen. Mariahilf, so heißt der gesamte Bezirk, ist seit zwei Jahrhunderten – neben den Stadtgebieten Neubau und Schottenfeld – Zentrum einer kleinteiligen Hausindustrie, aus der manchmal auch gro¨ßere Betriebe oder sogar Fabriken entstanden sind. Wenn Sie die Hinterho¨fe und Seitengassen durchstreifen, stoßen Sie immer wieder auf solche kleinen Unternehmen. Ein Gutteil von ihnen hat sich in dieser Gegend auf das Textilgewerbe spezialisiert. Dazwischen gibt es kleine La¨den, in denen Sie manches von dem bekommen, was auch die Warenha¨user bieten, und manchmal noch viel mehr. Nehmen Sie sich fu¨r diese Parallelwelt der Mariahilferstraße ein wenig Zeit, Sie werden hier ein langsameres, traditionelleres, bunteres Wien erleben als in der Hektik der großen Einkaufsstraße nebenan. Und Sie werden auch ahnen, dass diese kleinteilige Gescha¨ftswelt, die weniger arbeitsteilig organisiert ist und die mehr fu¨r den lokalen Handel als fu¨r den großen Export produziert, dem Untergang geweiht ist. In ein paar Jahren, das zeichnet sich bereits ab, werden die Warenha¨user a´ la Herzmansky und Gerngroß das Gescha¨ftsleben fast zur Ga¨nze beherrschen. Einkaufen ist bekanntlich anstrengend. Wie wa¨r’s mit einem Kaffee? Und einer Mehlspeise? Kaffeeha¨user gibt es in der Mariahilferstraße genug. Zur Auswahl stehen etwa das Cafe´ Mariahilf in der Mariahilferstraße 89a
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oder das Cafe´ Merkur 4 in der Mariahilferstraße 73. Letzteres ist elegant und großzu¨gig angelegt und liegt, etwas zuru¨ckgesetzt, auf einem kleinen Platz. Es wurde 1905 ero¨ffnet. Nun sind wir schon recht weit stadtauswa¨rts vorangekommen. In Sichtweite ist jetzt die Gu¨rtelstraße, die hier eine platzartige Erweiterung quert und den Blick auf den Westbahnhof und die Stadtbahnstation freigibt. An dieser Kreuzung treffen Sie auf zwei weitere Kaffeeha¨user, das Cafe´ Boulevard und das Cafe´ Westend 5 . Wenige Schritte vom Gu¨rtel entfernt, in der Mariahilferstraße 120, Ecke Kaiserstraße, endet unsere heutige Einkaufstour. Noch einmal besichtigen wir ein großes Warenhaus, den sogenannten „Mariahilfer Zentralpalast“, der 1909/10 errichtet wurde 6 . Anders als bei Herzmansky und Gerngroß handelt es sich hier um einen etwas anderen Typ Kaufhaus. Der auffa¨llig gestaltete Rundbau ist eine Art Kollektivkaufhaus, in dem ungefa¨hr hundert Firmen vertreten sind. 1911, kurz nach der Ero¨ffnung, schreibt die Wochenzeitung Das interessante Blatt: „Das gewaltige Geba¨ude ist ein Rundbau, der mit einem Millionenaufwand vom kaiserlichen Rat, Architekten Jakob Wohlschla¨ger, erbaut und organisiert wurde. In den Einrichtungen werden eine Reihe gemeinnu¨tziger Ziele verfolgt. Schon
Das Großkaufhaus Mariahilfer Zentralpalast wurde in den Jahren 1909/10 erbaut.
Einkaufsbummel – In der Ka ¨ rntner- und der Mariahilferstraße
der Name ,Erstes Wiener Warenmuster- und Kollektivkaufhaus‘ deutet an, daß wir es hier nicht mit einem gewo¨hnlichen Warenhaus zu tun haben, dessen Vorteile und Nachteile ja allen bekannt sind. Das Warenhaus gefa¨hrdet viele mittlere und kleine gewerbliche Existenzen und Handelsbetriebe, indem es durch seine großkapitalistische Form jede Konkurrenz niederschla¨gt. Von dieser Tatsache ausgehend, hat nun Wohlschla¨ger in richtiger Erkenntnis, daß nur im Zusammenschluß, in der kollektiven Vereinigung vieler, die im o¨konomischen Wettbewerb einzeln bedroht sind oder gar erdru¨ckt werden, wie dem erwerbenden Mittelstand geholfen werden kann. Eine große Anzahl von Firmen, die ungefa¨hr hundert Gescha¨ftsbranchen repra¨sentieren, sind im ,Mariahilfer Zentralpalast‘ nicht nur ra¨umlich, sondern auch wirtschaftlich zu einer Kollektiveinheit verbunden. Jede Firma bleibt wirtschaftlich selbsta¨ndig, und jede ist fu¨r sich selbsta¨ndiger Steuertra¨ger.“ Der Zentralpalast ist also ein neues Gescha¨ftsmodell, das auf die Krise des Kleingewerbes reagiert. Die beteiligten Firmen teilen sich die Infrastrukturkosten wie Administration, Verrechnung, Sicherheit, Beleuchtung, Heizung, Reinigung, aber auch die Bewerbung und Annoncierung. Um mit den großen Kaufha¨usern mithalten zu ko¨nnen, bietet der Zentralpalast zahlreiche Attraktionen: Ausstellungen, einen Musterkeller, in dem sta¨ndig neue Produkte aus der gesamten Monarchie vorgestellt werden, mehrere Cafe´s und Konditoreien, einen Erfrischungsraum und einen großartigen Panoramaausblick vom Dach. Beginnen wir unseren Rundgang im Tiefparterre. Dort finden Sie ein Restaurant, einen Weinmusterkeller, einen Bierpalast und eine Delikatessenhandlung. Wenn Sie sich fu¨r Textilien interessieren, sind Sie im Parterre richtig. Hier finden Sie Blusen, Schu¨rzen, Wa¨sche und Brautausstattungen, Herrenmode, Leinen, Woll- und Seidenwaren, Stickereien, Schneider- und Modistenzubeho¨r, Pelzwaren und Kappen. Eine Etage ho¨her, im Zwischenstock, werden Teppiche, Vorha¨nge und Decken angeboten, aber auch Damen-, und Kinderkonfektion, Mieder, Kurzwaren, Sport- und Touristenkleider, Gummiwaren und Parfu¨merieartikel. Nun kommen wir ins Mezzanin, so wird in Wien das Zwischenstockwerk zwischen Erdgeschoss und erstem Stock genannt. Hier sind das Cafe´ und die Konditorei untergebracht, eine Kunst- und Rahmenhandlung sowie Gescha¨fte fu¨r Galanteriewaren. Auf diesem Stockwerk finden Sie auch Nippes, Uhren, Gold- und Silberwaren sowie Juwelen. Wir steigen einen Stock ho¨her. Hier, im ersten Stockwerk, gibt es Glas, Porzellan, Majolika, Terrakotten, Haus- und Ku¨chengera¨te, Spielwaren, Lederwaren und Sportartikel. Im zweiten Stock sind ausgestellt: photogra-
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phische Apparate, elektrische Klaviere, Orchestrions, Grammophone und Platten, Luster und Lampen. Noch immer sind wir nicht am Ende. Ganz oben, im dritten Stockwerk, sind das Warenmusterlager und eine Kunstgalerie untergebracht. Wir steigen noch ein paar Treppen ho¨her und erreichen die Panoramaterrasse auf dem Dach. Von hier aus bietet sich ein spektakula¨rer Blick u¨ber die Stadt. Von der runden Plattform aus ko¨nnen Sie einen Teil der Mariahilferstraße gut u¨berblicken und Ihren Blick auch u¨ber die Da¨cher des Viertels schweifen lassen. Genug der Waren und Produkte, genug der Musterstu¨cke und Sonderangebote! Nach so viel Gescha¨ftigkeit und Einkaufshektik ist Erholung und Ruhe angesagt. Sie brauchen nicht weit zu gehen. Suchen Sie am besten das Kaffeehaus Pirus im Zentralpalast auf. Verbringen Sie hier eine Stunde bei Kaffee und Zeitungen. Und nehmen Sie dann, erfrischt und gesta¨rkt, die Straßenbahn zuru¨ck ins Zentrum.
VII. Tag
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Bahnhof Heiligenstadt
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in Ausflug, der weit hinauffu¨hrt. 483 Meter hoch ist der Kahlenberg. Wir erklimmen die Anho¨he mit der dampfgetriebenen Zahnradbahn, machen eine kleine Wanderung in den Wienerwald und genießen das beeindruckende Panorama. Auf dem Ru¨ckweg legen wir einen Zwischenstopp im Weinort Grinzing ein. Hier lassen wir den Abend bei einem „Heurigen“, das heißt bei Wein und Musik, ausklingen. Der Kahlenberg ist der Wiener Hausberg. Er liegt am no¨rdlichen Rand der Stadt, zwischen Weinga¨rten und Wienerwald. Das beliebte Ausflugsziel ist in einer guten Stunde vom Zentrum aus erreichbar. Oft bezeichnen Ortsfremde, die aus gebirgigen Gegenden kommen, den Kahlenberg etwas geringscha¨tzig als Hu¨gel. Ist der Kahlenberg nun ein Berg oder ein Hu¨gel? Welche Frage, werden Ihnen die Wiener antworten. Natu¨rlich ein Berg! Deshalb heißt er ja auch Kahlenberg. Immerhin ist er 483 Meter hoch, er liegt also mehrere hundert Meter u¨ber der Stadt, die, zum Vergleich, 171 Meter u¨ber dem Meer liegt. Steht man erst einmal oben auf dem Kahlenberg, ist die Diskussion Berg oder Hu¨gel schnell vergessen.
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Blick auf den Kahlenberg (links) und den Leopoldsberg (rechts) von der Donau aus. Die beiden Erhebungen am Rande Wiens sind beliebte Ausflugs- und Aussichtsberge.
Ein atemberaubender Ausblick tut sich hier auf. Von kaum einem Aussichtspunkt in der na¨heren Umgebung Wiens – vielleicht ausgenommen dem Leopoldsberg gleich nebenan – la¨sst sich die Metropole besser in ihrer Gesamtheit u¨berblicken. Der Kahlenberg ist kein spitzer Gipfel,
Mit der Zahnradbahn auf den Kahlenberg
sondern Teil einer sanft geschwungenen Hu¨gelkette, die sich weit nach Westen hin ausbreitet. Er wird oft auch als das Tor zum Wienerwald bezeichnet. Von hier aus kann man zu Wandertouren kreuz und quer durch dieses ausgedehnte Waldgebiet aufbrechen. Oder herrliche Spazierga¨nge
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in die na¨here Umgebung unternehmen. Aber auch vor Ort, direkt am Kahlenberg, gibt es genug Attraktionen, etwa eine Aussichtswarte oder ein ausgezeichnetes Restaurant mit Aussichtsterrasse. Die Anfahrt zum Kahlenberg ist einfach. Am Schottenring besteigen wir die Straßenbahn, die uns in etwa einer halben Stunde nach Nussdorf 1 , einem hu¨bsch an der Donau gelegenen Weinort im Norden der Stadt bringt. Zwischen 1885 und 1903 wurde diese Strecke mit einer dampfgetriebenen Straßenbahn befahren, seither fa¨hrt die Elektrische. In Nussdorf steigen wir, wenn wir den Anstieg nicht zu Fuß bewa¨ltigen wollen, in die Zahnradbahn um. Diese schla¨ngelt sich durch eine abwechslungsreiche Landschaft langsam bergan. Geplant wurde die Bahn fu¨r die Wiener Weltausstellung 1873. Allerdings wurde sie erst im folgenden Jahr ero¨ffnet. Sie war damals eine touristische Attraktion fu¨r das Massenpublikum und ist es bis heute geblieben. Eine halbe Stunde dauert die Fahrt auf der 5,5 Kilometer langen Strecke. Die dampfgetriebene Bahn ist mit etwa 12 Kilometern in der Stunde recht gema¨chlich unterwegs und legt einen Ho¨henunterschied von 314 Metern zuru¨ck; die maximale Steigung der Trasse betra¨gt zehn Prozent. Im Sommer sind die Personenwagen der Bahn, die Platz fu¨r 54 Passagiere haben, offen, im Winter werden Fenster eingeha¨ngt. Je ho¨her wir steigen, desto gro¨ßer wird der Ausschnitt der Stadt, der sich im Ru¨ckblick zeigt. Zuna¨chst passieren wir die Nussdorfer und Grinzinger Weinga¨rten und erreichen nach wenigen Minuten den Weinort Grinzing. Wir sollten uns diese Station merken, denn am Ru¨ckweg werden wir hier noch Halt machen, um einige der zahlreichen Weinlokale zu besuchen. Nun geht es etwas steiler bergauf, wir kommen zur 331 Meter hoch gelegenen Station Krapfenwaldl. Dann zieht die Bahn in einem großen Bogen quer durch Laubwa¨lder hinauf zum Kahlenberg 2 . Am Kahlenberg ist immer viel los, vor allem am Wochenende kommen zahlreiche Einheimische und Fremde hierher, um sich in Stadtna¨he und doch in gebu¨hrendem Abstand zur Hektik der Großstadt zu entspannen. Unser erster Weg fu¨hrt u¨ber einen gut ausgebauten Spazierweg zur nahe gelegenen Stephaniewarte. Dieser Aussichtsturm wurde im Jahr 1887 errichtet. Benannt ist er nach der Erzherzogin Stephanie von Belgien, der Frau von Kronprinz Rudolph, dem einzigen Sohn von Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth. 22 Meter hoch ist der Turm, der vom Architektenduo Fellner & Helmer – wir sind den beiden nun schon oft begegnet – geplant wurde. Um den erwarteten Besucheransturm kanalisieren zu ko¨nnen, wurden gleich zwei getrennte Treppenha¨user angelegt. Oben angekommen, bietet sich uns ein großartiger Rundblick. Tief unten in der
Mit der Zahnradbahn auf den Kahlenberg
Die 22 Meter hohe Stephaniewarte auf dem Kahlenberg bietet einen faszinierenden Rundblick. Der Blick schweift u¨ber ganz Wien und den Wienerwald.
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Ebene liegt die Großstadt Wien. Man erkennt die Spitze des Stephansturms und die Votivkirche. Links unter uns zieht sich schnurgerade der Donaustrom dahin, gut lassen sich die fu¨nf neu erbauten Bru¨cken ausmachen, rechts davon hebt sich die große Gru¨nfla¨che des Praters ab, gleich am Beginn dieser Parkanlage ist das Riesenrad zu sehen. Wa¨hrend wir die 125 Stufen absteigen, ko¨nnen wir u¨berlegen, welchen Wanderweg wir einschlagen. Nach Su¨dwesten geht, quer durch scho¨ne Laubwa¨lder, ein gut ausgebauter Steig zum 543 Meter hohen Hermannskogel, der ho¨chsten Erhebung in der na¨heren Umgebung Wiens. Die etwa einstu¨ndige Wanderung fu¨hrt leicht auf und ab durch die Ausla¨ufer des Wienerwalds, vorbei am Cobenzl, einem weiteren scho¨nen Aussichtsberg. Hier steht eine Schlossanlage, die 1887 zum Hotel umgewandelt wurde, das allerdings wenige Jahre spa¨ter in Konkurs ging. Inzwischen geho¨rt die Anlage der Gemeinde Wien, die das Hotel und einen angebauten Cafe´pavillon 1911 wieder ero¨ffnet hat. Auch am Hermannskogel ko¨nnen Sie eine Aussichtsplattform besteigen. Der 27 Meter hohe Turm wurde 1888 zum 40. Regierungsjubila¨um Kaiser Franz Josephs errichtet. Noch ein Wandertipp: Wenn Sie vom Kahlenberg auf dem Ho¨henkamm ostwa¨rts spazieren, erreichen Sie nach etwa 20 Minuten den Leopoldsberg. Benannt ist er nach dem Markgrafen Leopold, der am Beginn des 12. Jahrhunderts an dieser Stelle ein Schloss bauen ließ, das er als Sommerresidenz nutzte. Als die Tu¨rken vor den Toren Wiens standen, wurde die Anlage 1529 gesprengt, um dem Feind keinen Stu¨tzpunkt hoch u¨ber der Stadt zu bieten. Im 17. Jahrhundert wurden eine Kapelle – spa¨ter zur Kirche erweitert – und einige Wohnra¨ume wiederhergestellt, das Schloss selbst wurde aber nicht wieder aufgebaut. In puncto Aussicht kann der Leopoldsberg mit dem Kahlenberg durchaus mithalten. Geradezu spektakula¨r ist der Blick, der sich von hier aus auf die Donau bietet, die tief unten im Tal vorbeizieht. Wenn Sie nun mu¨de und hungrig sind, ko¨nnen Sie gleich auf dem Leopoldsberg einkehren. Sie finden hier ein gutes Gasthaus mit einer scho¨nen Terrasse. Sie ko¨nnen aber auch zum Kahlenberg zuru¨ckkehren und das beru¨hmte Kahlenberghotel besuchen. Dieses Hotel wurde 1871/72, also noch vor der Fertigstellung der Zahnradbahn, von der privaten Union-Baugesellschaft, die auch die Bahnlinie betrieb, errichtet. Es ist u¨beraus vornehm ausgestattet, nach außen hin im sogenannten Schweizerstil gehalten, der in diesen Jahren modern war. Es bietet den Ga¨sten allen Komfort. Sogar die nahe gelegenen Spazierwege sind elektrisch beleuchtet.
Mit der Zahnradbahn auf den Kahlenberg
Wiens Heurige sind eine Institution: In den einfachen Gaststa ¨ tten – meist mit Garten – wird junger Eigenbauwein ausgeschenkt. Dazu gibt es kleine Speisen und oft auch Musik.
Weitum bekannt ist der ausgedehnte Gastgarten, der zum Verweilen, Speisen und Ausruhen einla¨dt und eine wunderbare Aussicht u¨ber Wien bietet. Der Nachmittag ist weit vorgeru¨ckt. Sie ko¨nnten nun wieder zuru¨ck in die Stadt fahren. Dann ha¨tten Sie aber eine Unterhaltung versa¨umt, fu¨r die die Stadt beru¨hmt ist: den sogenannten Heurigen. Es handelt sich dabei um einfache Weinlokale oder Buschenschenken, wie es sie in den Weinbaugebieten rund um Wien zu Hunderten gibt, etwa in Ottakring, Wa¨hring, in Heiligenstadt, Sievering und Grinzing. Zur Straßenseite hin signalisieren gut sichtbar angebrachte Reisigbuschen, dass die Weinschenke geo¨ffnet ist. Die Gaststa¨tten haben meist einen großen Garten mit einfachen Tischen und Ba¨nken. Sie nennen sich „Heurige“, weil sie junge, diesja¨hrige, also heurige Weine ausschenken und dazu oft kleine, kalte Speisen anbieten. Gelegentlich bringen die Ga¨ste auch ihre eigene Jause mit. Besonders an Wochenenden sind diese Lokale bei der Wiener Bevo¨lkerung sehr beliebt. Dann zieht es das einfache Volk aus den Vorsta¨dten, aber
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genauso die bu¨rgerliche Gesellschaft aus der Innenstadt hinaus ins Gru¨ne. Die Heurigen sperren am spa¨ten Nachmittag auf – am Wochenende oft schon zu Mittag. Sie haben bis spa¨t in die Nacht Betrieb. Was macht man beim Heurigen? Man sitzt in kleineren und gro¨ßeren Gruppen ungezwungen an langen Tischen zusammen, man isst, trinkt und plauscht. Nichts ist leichter, als sich beim Heurigen unter die Einheimischen zu mischen. Man kann sich ohne Weiteres an einen halb besetzten Tisch setzen. Kaum steht der Wein am Tisch, lockern sich Haltung und Zunge, man kommt schnell miteinander ins Gespra¨ch. Es ist ein Kennzeichen der Heurigen, dass sich Herkunft und soziale Sta¨nde mischen. Es gibt hier wenig Du¨nkel, keine Privilegien fu¨r vornehmere Ga¨ste. Es scheint, als ob hier die ganze Stadt – ob Reich, ob Arm, ob Ma¨nner, ob Frauen, ob auswa¨rtig oder einheimisch – fu¨r Stunden an einem Tisch zusammenfa¨nde, um dann im Alltag der Woche wieder getrennte Wege zu gehen. Gelegentlich spielen in den Heurigenlokalen Musiker auf, meist spielen sie auf ihren Geigen, Kontragitarren, Klarinetten und der Knopfharmonika sehnsuchtsvolle, melancholische Wiener Lieder, sogenannte Schrammelmusik. Ihren Namen hat diese Wiener Volksmusik, die im letzten Drittel des 19. Jahrhundert popula¨r wurde, vom Bru¨derpaar Johann und Josef Schrammel, deren Musik Ende der 1870er-Jahre Wien eroberte. Die beru¨hmteste Heurigengegend Wiens ist Grinzing 3 . Wenn Sie auf der Ru¨ckfahrt mit der Zahnradbahn in Grinzing aussteigen, mu¨ssen Sie nicht lange suchen, um ein passendes Heurigenlokal zu finden. Fast in jeder Straße werden Ihnen Reisigbuschen ins Auge springen, die die offenen Gastwirtschaften anzeigen. Treten Sie ein, setzen Sie sich und lassen Sie den Abend bei ein paar Gla¨sern Wein und einer Jause ausklingen!
An der schönen blauen Donau Wien n ga alt um die Jah ahrhun nderttwend n e – neben Paris – als die Ku K lturstadt Eu uropa p s. Schon damals wa ar sie die Stadt der Musik und d des Thea Th eate ters, de d r Muse seen und d der pru runk nkvo olllen Archite t kt kturr, ab aber e auch der Ka de K ff ffeehä häus user und dess Ver e gn g üg gen ens. s Die e Hau aupttst s ad adtt de der k. k u. k. k Mona Mo na arc rchi h e wa warr ei ein n be belilieb ebte es Re Reis isez ezie iel. l. Anto An ton n Holz Holzer er nim immt mt den Les eser er mit auf ein ine e Ze Zeit itre reis ise e – in 13 St Stad adttspazierg gän ä gen für 7 Tage führt er Wien-Touri r sten zu den za ahlreichen Se ehenswürdigkeiten der Zwei-Millionen-Metropole um 1900.
Das bietet der Zeitreiseführer: • Vom Prater bis zur Ringstraße – alle Sehenswürdigkeiten Wiens • Zwei Übersichtskarten und Ausschnittkarten zu den einzelnen Spaziergängen • Praktische Hinweise von der besten Reisezeit bis zu Einkaufs- und Ausgehtipps • Mit kleinem Sprachführer Wienerisch
ISBN 978-3-89678-806-1
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