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German Pages 342 [344] Year 2016
G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts
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Herausgegeben von Herausgegeben von von Herausgegeben Otfried Höffe Otfried Höffe Höffe Otfried Band 48 36 Band Band 45
Herausgegeben von Otfried Höffe
Band 9
Otfried Höffe ist Leiter der Forschungsstelle Politische Philosophie an Otfried Höffe ist Leiter der Forschungsstelle Politische Philosophie der Universität Tübingen. an der Universität Tübingen. Otfried Höffe ist o. Professor für Philosophie an der Universität Tübingen
G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts Herausgegeben von Ludwig Siep 4., überarbeitete und erweiterte Auflage
ISBN 978-3-11-049516-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-049652-9 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-049394-8 ISSN 2192-4554 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Frank Hermenau, Kassel Titelbild: Wikimedia Commons / gemeinfreies Werk Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Inhalt Zitierweise und Abkürzungen Vorwort XIII Vorwort zur 4. Auflage XV
VII
Ludwig Siep 1 Vernunftrecht und Rechtsgeschichte. Kontext und Konzept der Grundlinien im Blick auf die Vorrede 1 Robert Pippin 2 Hegel, Freedom, The Will. The Philosophy of Right: §§ 1–33
23
Michael Quante 3 „Die Persönlichkeit des Willens“ als Prinzip des abstrakten Rechts. Eine Analyse der begriffslogischen Struktur der §§ 34–40 von Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts 43 Amir Mohseni 4 Eigentum und die soziale Sichtbarkeit der Person (§§ 41–81) Georg Mohr 5 Unrecht und Strafe. (§§ 82–104, 214, 218–220)
61
83
Francesca Menegoni 6 Elemente zu einer Handlungstheorie in der „Moralität“ (§§ 104–128) Allen W. Wood 7 Hegel’s Critique of Morality
131
Adriaan Th. Peperzak 8 Hegels Pflichten- und Tugendlehre. Eine Analyse und Interpretation der Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 142–156 149 Gabriel Amengual 9 Die Familie. §§ 158–181
169
Rolf-Peter Horstmann 10 Hegels Theorie der bürgerlichen Gesellschaft
189
111
VI
Inhalt
Lisa Herzog 11 Hegel als Denker des Marktes
209
Bernard Bourgeois 12 Der Begriff des Staates (§§ 257–271) Walter Jaeschke 13 Staat und Religion (§ 270)
225
247
Herbert Schnädelbach 14 Die Verfassung der Freiheit (§§ 272–340) Henning Ottmann 15 Die Weltgeschichte (§§ 341–360)
261
281
299 Auswahlbibliographie Personenregister 315 Sachregister 318 Hinweise zu den Autorinnen und Autoren
323
Zitierweise und Siglen Hegeltexte werden nach den Gesammelten Werken zitiert. Im Übrigen vgl. das Siglenverzeichnis. Hegel-Zitate werden durch die Angabe der Sigle der einschlägigen Schrift (vgl. das Siglen-Verzeichnis) sowie des Paragraphen bzw. der Seitenzahl nachgewiesen. Bei den Grundlinien der Philosophie des Rechts wird in eindeutigen Kontexten auf die Sigle R verzichtet. Die Bezugnahme auf Anmerkungen Hegels (in den Gesammelten Werken sowie in der Theorie Werkausgabe als eingerückter Text wiedergegeben) wird durch Angabe des zugehörigen Paragraphen sowie ein A nach der Paragraphenziffer kenntlich gemacht, z. B. „R § 218 A“; umfasst die Anmerkung mehrere Seiten, wird auch die Seitenzahl angegeben. Zitate aus den hauptsächlich auf Vorlesungsmanuskripten beruhenden Zusätzen der Freundesvereinsausgabe (in der Theorie Werkausgabe als „Zusatz“ und mittels kleinerem Schrifttyp ausgewiesen) wurden, wenn es möglich war, durch die entsprechenden Stellen aus den nun in den Gesammelten Werken edierten Vorlesungsnachschriften ersetzt und durch die Sigle und Seitenzahl nachgewiesen, z. B. „PR-Hot S. 946“. Ansonsten werden sie durch ein Z nach der Ziffer des dem Zusatz zugehörigen Paragraphen angezeigt, z. B. „E § 381 Z“. Die Bezugnahme auf Randnotizen aus Hegels Handexemplar der Grundlinien (in der Theorie Werkausgabe durch das Symbol „‣“ markiert) wird durch Angabe des von Hegel jeweils kommentierten Paragraphen sowie durch ein R nach der Paragraphenziffer und der Seitenzahl des Bands 14,2 der Gesammelten Werke, wo die Randbemerkungen erschienen sind, dokumentiert, z. B. „R § 35 R S. 387“. Hinweise auf andere Literatur erfolgen durch die Angabe von Autor, Erscheinungsjahr und Seitenzahl. Die vollständige Literaturangabe findet sich am Ende des jeweiligen Beitrags in einem Literaturverzeichnis oder in der Auswahlbibliographie am Ende des Bandes. Abweichend davon werden Kant- und Fichte-Zitate durch Nennung der Schrift sowie der Band- und Seitenzahl der Ausgaben (vgl. das Siglen-Verzeichnis) nachgewiesen.
VIII
Zitierweise und Siglen
Siglen Hegel-Ausgaben: GW JA TJ TW
Gesammelte Werke. Hg. Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Hamburg 1968 ff. Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe in zwanzig Bänden. Hg. H. Glockner. 4. Aufl. Stuttgart-Bad Cannstatt 1957–68. Hegels theologische Jugendschriften. Hg. H. Nohl. Tübingen 1907. Nd. Frankfurt a. M. 1966. Werke in zwanzig Bänden. Auf der Grundlage der Werke von 1832–1845 neu ediert v. E. Moldenhauer/K.-M. Michel. Frankfurt a. M. 1976. [Theorie Werkausgabe]
Hegel-Texte: B D DFS E GCh
GuW
HE IeR JS I
Briefe von und an Hegel. Bd. 1–3. Hg. J. Hoffmeister. 3. Aufl. Hamburg 1969. Dokumente zu Hegels Entwicklung. Hg. J. Hoffmeister. 2. Aufl. Stuttgart 1974. Differenz des Fichte’schen und Schelling’schen Systems der Philosophie (1801) – GW 4, S. 1–92. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (Berlin 1830) – GW 20. Der Geist des Christentums und sein Schicksal (1798–1800) – So der Titel von H. Nohl in TJ und noch in TW 1. In GW 2, S. 111–328, wonach in diesem Band zitiert wird, werden die Fragmente unter Zur christlichen Religion mit dem jeweiligen Incipit geführt. Englische Übersetzung in: Early Theological Writings, transl. by T. M. Knox, Philadelphia 1971. Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjectivität, in der Vollständigkeit ihrer Formen, als Kantische Jacobische, und Fichtesche Philosophie (1802) – GW 4, S. 315–414. Englische Übersetzung: Faith and Knowledge, transl. by W. Cerf and H. S. Harris, Albany 1977. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (Heidelberg 1817) – GW 13. Text 30: In einer Republik… (1795) – GW 1, S. 203. Jenaer Systementwürfe I: Das System der speculativen Philosophie. Fragmente aus Vorlesungsmanuskripten zur Philosophie der Natur und des Geistes (1803/04) – GW 6.
JS II
Zitierweise und Siglen
IX
Jenaer Systementwürfe II: Logik, Metaphysik, Naturphilosophie. Fragmente einer Reinschrift (1804/05) – GW 7. Jenaer Systementwürfe III: Naturphilosophie und Philosophie des JS III Geistes. Vorlesungsmanuskript zur Realphilosophie (1805/06) – GW 8. L I,1 Wissenschaft der Logik. 1. Teil, 1. Buch: Die Lehre vom Seyn (1832) – GW 21. L I,2 Wissenschaft der Logik. 1. Teil, 2. Buch: Die Lehre vom Wesen (1813) – GW 11. L II Wissenschaft der Logik. 2. Teil: Die Lehre vom Begriff (1816) – GW 12. LJ Text 31: [Das Leben Jesu] (1795) – GW 1, S. 207–278. NR Ueber die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, seine Stelle in der praktischen Philosophie, und sein Verhältniß zu den positiven Rechtswissenschaften. (1802/03) – GW 4, S. 417–485. Englische Übersetzung: Natural Law, transl. by T. M. Knox, Philadelphia 1975. PG Phänomenologie des Geistes (1807) – GW 9. Englische Übersetzung: Phenomenology of Spirit, transl. by A. K. Miller, Oxford 1977. PR Philosophie des Rechts. Die Vorlesung von 1819/20 in einer Nachschrift. Hg. D. Henrich. Frankfurt a. M. 1983. PR-anonym Vorlesung über die Philosophie des Rechts. Wintersemester 1821/22. Nachschrift Anonymus (Kiel). Fragment – GW 26,2, S. 593–765. Vorlesung über die Philosophie des Rechts. Wintersemester 1824/25. PR-Grie Nachschrift Karl Gustav Julius von Griesheim – GW 26,3, S. 1047– 1486. Vorlesung über die Philosophie des Rechts. Nachschrift Carl Gustav PR-Hom Homeyer – GW 26,1, S. 227–330. Vorlesung über die Philosophie des Rechts. Wintersemester 1822/23. PR-Hot Nachschrift Heinrich Gustav Hotho – GW 26,2, S. 767–1043. PR-Rin Vorlesungen über die Philosophie des Rechts. Wintersemester 1819/20. Nachschrift Johann Rudolf Ringier mit Varianten aus der Nachschrift Anonymus (Bloomington) und Nachschrift Anonymus (Bloomington) mit Varianten aus der Nachschrift Johann Rudolf Ringier – GW 26,1, S. 331–590. PR-Wa Vorlesungen über die Philosophie des Rechts. Wintersemester 1817/18. Nachschrift Peter Wannenmann – GW 26,1, S. 1–225. PchR Die Positivität der christlichen Religion (1795/96) – So der Titel von Nohl in TJ und noch in TW 1. In GW 1, S. 279–378, wonach in diesem Band zitiert wird, werden die Fragmente unter Studien 1795–1796 mit dem jeweiligen Incipit geführt.
X PsG
Zitierweise und Siglen
Fragment zur Philosophie des subjektiven Geistes (um 1822/23) – GW 15, S. 207–249. R Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse. (1820) – GW 14,1. Englische Übersetzungen: Philosophy of Right, transl. by T. M. Knox. New York 1967; Elements of the Philosophy of Right, transl. by H. B. Nisbet. Ed. A. Wood. Cambridge 1991. R (nachgestellt) Randbemerkungen. Jetzt als „Notizen zu den Paragraphen 1 bis 180 der Grundlinien der Philosophie des Rechts“, in: Grundlinien der Philosophie des Rechts. Beilagen – GW 14,2, S. 293–773. RH Lectures on the Philosophy of World History. Introduction: Reason in History. transl. from the German edition of J. Hoffmeister by H.B. Nisbet, Cambridge 1975. RPRL Unterklasse Rechts-, Pflichten- und Religionslehre aus den Schuljahren 1809/10 bis 1815/16 – GW 10,1, S. 367–420. RzA Rede zum Antritt des philosophischen Lehramtes an der Universität Berlin. (1818) – GW 18, S. 11 ff. SdS System der Sittlichkeit (1802/03) – GW 5, S. 277–361. SF Systemfragment von 1800 – So der Titel von H. Nohl in TJ und noch in TW 1. In GW 2, S. 341–348, wonach in diesem Band zitiert wird, werden die Fragmente Über Religion. Zwei Fragmente mit dem jeweiligen Incipit geführt. SP Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus (1796 oder 1797) – Der Text wird zitiert nach GW 2, S. 615-618, wo er unter dem Incipit „… eine Ethik“ geführt wird. VD Die Verfassung Deutschlands (1800–1802) – GW 5, 1–219. VGP I Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Teil 1 – TW 18. VGP II Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Teil 2 – TW 19. VGP III Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Teil 3 – TW 20. VPR I Vorlesungen über die Philosophie des Rechts. Nachschriften zu den Kollegien der Jahre 1817/18, 1818/19 und 1819/20. – GW 26,1. VPR II Vorlesungen über die Philosophie des Rechts. Nachschriften zu den Kollegien der Jahre 1821/22 und 1822/23. – GW 26,2. VPR III Vorlesungen über die Philosophie des Rechts. Nachschriften zu den Kollegien der Jahre 1824/25 und 1831. – GW 26,3. VPR IV Vorlesungen über die Philosophie des Rechts. Anhang: Editorischer Bericht u. Anmerkungen. – GW 26,4.
Zitierweise und Siglen
XI
Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 1. Einleitung. Der Begriff der Religion. Hg. v. W. Jaeschke. In: G. W. F. Hegel. Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte. Band 3. Hamburg 1983. VPSG I Vorlesungen über die Philosophie des subjektiven Geistes I. Kollegien 1822 und 1825. Nachschrift Griesheim – GW 25,1. Vorlesungen über die Philosophie des subjektiven Geistes II. WinterVPSG II semester 1827/28. Nachschrift Stolzenberg – GW 25,2. VPWG Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Wintersemester 1822/23. Nachschrift Hotho – GW 27,1. VPWG-Hof Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte [1822 u. 1828, 1830]. Band 1: Die Vernunft in der Geschichte. Hg. v. J. Hoffmeister, Hamburg 1955. VuCh Fragmente über Volksreligion und Christentum (1793–94) – So der Titel von Nohl in TJ und noch in TW 1. In GW 1, S. 80, 83–113, 115–164 u. S. 195f., wonach in diesem Band zitiert wird, werden die Fragmente in anderer Reihenfolge unter Studien 1792/93–1794 und Studien 1795 mit dem jeweiligen Incipit geführt. VVL Verhandlungen in der Versammlung der Landstände [sog. Landständeschrift] – GW 15, S. 30–125. WiR Text 12: wiefern ist Religion…(1795) – GW 1, S. 75–77.
VPRel
Kant und Fichte: AA GA SW
Kant, I.: Gesammelte Schriften. Hg. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Berlin 1900 ff. Fichte, J.G.: Gesamtausgabe. Hg. Bayerische Akademie der Wissenschaften. 42 Bände. Stuttgart 1962-2012. Fichte, J. G.: Sämtliche Werke. Hg. I. H. Fichte. 8 Bände. Berlin 1845/46. Nd. Berlin 1971.
Vorwort Hegels „Rechtsphilosophie“, wie die Grundlinien der Philosophie des Rechts. Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundriß gewöhnlich abgekürzt genannt werden, ist sicher eines der wirkungsreichsten Bücher in der Geschichte der politischen Philosophie. Es ragt aus der Reihe der klassischen Werke der Staatsphilosophie heraus wie Platons „Staat“ (Politeia), die „Politik“ des Aristoteles und Hobbes’ „Leviathan“. Vom Erscheinen im Jahre 1820 (zur Druckgeschichte vgl. GW 14, 3, S. 844–861) bis heute haben alle wichtigen Strömungen der politischen Philosophie sich – positiv oder kritisch – mit diesem Werk auseinandergesetzt (vgl. den Beitrag von Ottmann in diesem Band). Liberale von Rudolf Haym bis Karl Popper haben den Hegel der Rechtsphilosophie als einen ihrer wichtigsten Antipoden begriffen. Zugleich wurde Hegel aber auch von liberalen Rechtsphilosophen der Gegenwart (Weil, Ritter, Ilting, Avineri) für eine Tradition in Anspruch genommen, für die der Staat vor allem dem Schutz der Rechte der Individuen verpflichtet ist und eine willkürfreie, an Gesetze gebundene Herrschaft ausübt. Auf der anderen Seite des Spektrums ist Karl Marx’ politische Philosophie durch seine frühe Beschäftigung mit der Kritik der Hegelschen Staatsphilosophie auf den Weg gekommen. Marx’ Kritik hatte mit dem Liberalismus gemein, daß er gegen die vermeintliche Hypostasierung des Staates und der übrigen Institutionen die Wirklichkeit des einzelnen Individuums und seiner Bedürfnisse zur Geltung brachte. Allerdings hat Marx – mit verhängnisvollen Folgen für die marxistische Tradition – die individuellen Freiheitsrechte und ihren Schutz nicht als zentrale Staatsaufgabe begriffen. Marx unterscheidet vom „Etatismus“ der Hegelschen Staatsphilosophie die dialektische Methode, die er selber als Instrument der Gesellschafts- und Ökonomiekritik benutzt. Diese Trennung zwischen der „revolutionären“ Methode der Dialektik und den „reaktionären“ Gehalten der Hegelschen Staatsphilosophie blieb in der marxistischen Tradition erhalten. Auch für den Nationalismus des 19. und 20. Jahrhunderts ist Hegel in Anspruch genommen worden (Rosenkranz, Heller). Und der Neuhegelianismus, der sich nach dem ersten Weltkrieg entwickelte (Haering, Binder, Larenz), hat bis an die Schwelle des Faschismus geführt. Entsprechend heftig waren die Nachkriegsdiskussionen über die Bedeutung des Hegelschen Denkens für die Irrwege des deutschen Geistes. Es ist bemerkenswert, daß unter den Verteidigern Hegels gegen den Vorwurf der faschistischen Erblinie herausragende Gelehrte der deutsch-jüdischen Emigration waren (Avineri, Kaufmann). Politisch ist Hegels Rechtsphilosophie in anderen Ländern bedeutender gewesen als in Deutschland. Das gilt vor allem für Italien. Schon im Prozeß der
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Vorwort
staatlichen Einigung hat vor allem der Hegelianismus der Schule von Neapel (Spaventa) eine bedeutende Rolle gespielt. In den großen ideologischen Auseinandersetzungen der Zwischenkriegszeit dieses Jahrhunderts haben sich die Antipoden Croce und Gentile beide auf Hegel gestützt – wiederum auf den „liberalen“ der erstere und den „etatistischen“ der letztere. Neu aufgeflammt ist der Streit um den Standpunkt Hegels in der Geschichte der politischen Philosophie in den letzten Jahrzehnten durch die Veröffentlichung von Vorlesungsnachschriften aus den Jahren vor und nach der Publikation der Grundlinien. Im Blick auf die politische Situation des Preußen der Karlsbader Beschlüsse und der „Demagogenverfolgung“ konnte das publizierte Buch nun als Produkt der Anpassung eines heimlichen Liberalen und Frühkonstitutionalisten erscheinen (Ilting). Hegel hat schon während seiner Jenaer Dozentenzeit (1801–1807) regelmäßig Vorlesungen über „Naturrecht“ gehalten (vgl. GW 14,3, S. 837–844). Er nimmt sie seit seiner Berufung nach Heidelberg (1816) wieder auf und hält sie auch regelmäßig während der ersten Berliner Jahre (1818–1825). Später läßt er sich durch seinen („liberalen“) Schüler Eduard Gans vertreten. Erst kurz vor seinem Tode 1831 beginnt er noch einmal mit einer Rechtsphilosophie-Vorlesung. Von den Heidelberger und Berliner Vorlesungen existieren Nachschriften, die separat erst in den letzten Jahren ediert wurden. Auszüge wurden zuerst von Eduard Gans in den Zusätzen seiner Ausgabe von 1833 publiziert. Mit der Heidelberger Enzyklopädie der Philosophischen Wissenschaften (1817) beginnt Hegels Gewohnheit, zu seinen Vorlesungen „Kompendien“ herauszugeben, die in Paragraphen (Hegel pflegte sie in seinen Vorlesungen zu diktieren) und dazu gehörige Anmerkungen eingeteilt sind. Auch die Grundlinien sind ja nach dem Titelblatt „Zum Gebrauch für seine Vorlesungen“ bestimmt. Die Vorlesungsnachschriften enthalten zeitbezogene Modifikationen und können natürlich auch vom Interesse und der Sichtweise der mitschreibenden Studenten bestimmt sein. Die Grundlinien bleiben der authentische, von Hegel selbst publizierte Text, zu dem sich die Nachschriften wie Kommentare verhalten. Die weit divergierenden, oft geradezu entgegengesetzen Auslegungen, die der Hegelschen Rechtsphilosophie zuteil geworden sind, belegen zur Genüge, daß die Grundlinien dringend der Kommentierung bedürfen. Vor allem einer solchen aus den unterschiedlichen Perspektiven und Traditionen, aus denen der Text gesehen werden kann. Kommentare sind immer in der Gefahr, einseitig die Sicht ihres Autors in den Text zu projizieren. Ein „kooperativer Kommentar“ ist ein Gegenmittel gegen solche Einseitigkeit. Er liegt besonders bei den Grundlinien nahe. Die Vielfalt der Perspektiven und systematischen Interessen soll in dem vorliegenden Band gerade nicht im Dienst einer strengen „Zeilenkommentierung“ unterdrückt werden. Der Text will der Lektüre helfen, nicht nur den Forschern,
Vorwort
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sondern auch den Studierenden und anderen interessierten Lesern. Er will Einführung, Kommentierung und Spiegel der internationalen Hegel-Forschung gleichzeitig sein. Jeder Autor hat bei dieser Synthese Abstriche an einem der Ziele machen müssen. Aber auch diese Abstriche halten sich (hoffentlich) die Waage. Bis auf den Text von Peperzak besteht der vorliegende Band aus Originalbeiträgen. Peperzaks Text erschien zuerst in den Hegel-Studien (Band 17, 1982). Für Ihre Hilfe bei der Herstellung des Textes danke ich Michael Quante, Gabriele Santel, Andreas Vieth, Stephanie v. Beverfoerde und Ute Heßling. Münster, im März 1997
Ludwig Siep
Vorwort zur 4. Auflage Die vorliegende vierte Auflage ist eine Überarbeitung und Erweiterung der früheren Auflagen. Drei neue Texte zu wichtigen Abschnitte des Werkes sind hinzugekommen, ein Text wurde durch einen neuen Text ersetzt. Die neuen Kommentierungen betreffen die Abschnitte über die Familie (§§ 158–181) durch Gabriel Amengual, die ökonomische Theorie im Abschnitt über die bürgerliche Gesellschaft (§§ 182–208) durch Lisa Herzog und zum Verhältnis von Staat und Religion in § 270 (Walter Jaeschke). Sie vertiefen und präzisieren die früheren Beiträge, die umfassendere Abschnitte zum Gegenstand hatten. Dabei haben es alle drei mit Themen zu tun, die in der gegenwärtigen Hegel-Rezeption eine besondere Rolle spielen. Ausgetauscht wurde der Text zu Hegels Eigentumsrecht. Joachim Ritters Beitrag ist inzwischen oft nachgedruckt worden und so leicht zugänglich, dass es sich nahelegte, ihn durch den Originalbeitrag eines jüngeren Forschers zu ersetzen. Amir Mohseni hat diese Aufgabe übernommen. An der Wertschätzung für Ritters klassischen Beitrag und seine großen Verdienste für die Aneignung der Hegelschen Rechtsphilosophie ändert das nichts. Die übrigen Beiträge sind teils von den Autoren selber aktualisiert worden, teils sind die Bibliographien vom Herausgeber und seinen Mitarbeitern überarbeitet. Aktualisiert sind auch das Gesamtliteraturverzeichnis und die Autorenhinweise. Für Hilfe dabei sei Carolyn Iselt, Alexander Lückener und Frieder Bögner gedankt. Wie bisher, handelt es sich bei der angegebenen Literatur um einen kleinen Ausschnitt aus dem breiten Strom der Forschung zu Hegels Rechtsphilosophie. Wie schon im Vorwort zur 3. Auflage hervorgehoben, liegt seit 2011 eine verlässliche Ausgabe des Textes der Grundlinien in den Gesammelten Werke vor, die von der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften in Verbindung
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Vorwort
mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft herausgegeben wird. Sie ist in drei Teilbänden (14,1–3) mit insgesamt 1300 S. erschienen (hrsg. v. Klaus Grotsch und Elisabeth Weisser-Lohmann). Der dritte Band enthält einen von Klaus Grotsch verfassten Zeilenkommentar. In den Jahren 2013–2015 sind in dieser Werkausgabe auch ausgewählte Nachschriften der Vorlesungen Hegels zur Rechtsphilosophie aus den Jahren 1817 bis 1831 mit kritischem Apparat publiziert worden (GW 26,1 von Dirk Felgenhauer, GW 26,2 und 3 von Klaus Grotsch). Damit hat die Forschung zu Hegels Rechtsphilosophie ein neues Corpus umfangreicher und verlässlich edierter Texte zur Verfügung. Das Interesse an diesem vielleicht letzten philosophischen System, das alle Sphären des Rechts, der Moral, der Gesellschaft und des Staates umfasst, ist ungebrochen. Es regt weiter zu Versuchen an, auch unsere Gegenwart „in Gedanken zu fassen“. Diese sollten aber auf der festen Basis einer gründlichen Kommentierung des ursprünglichen Textes im Rahmen – zumindest in Umrissen – seines historischen Kontextes stehen. Münster, im April 2016
Ludwig Siep
Ludwig Siep
1 Vernunftrecht und Rechtsgeschichte
Kontext und Konzept der Grundlinien im Blick auf die Vorrede Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts, das einzige von ihm selbst veröffentlichte Buch zur praktischen Philosophie, ist ein – so kann man mit wenig Übertreibung sagen – zum falschen Zeitpunkt in der falschen politischen Absicht publiziertes und mit einer streckenweise peinlichen Vorrede versehenes Buch.1 Mit dieser zeitbezogenen Polemik hat Hegel seiner Rechtsphilosophie einen „Bärendienst“ erwiesen. Der Erfolg war durchschlagend: Bis heute gilt der Hegel der Grundlinien in weiten Kreisen als einer der führenden Ideologen der preußischen Restauration und als einer der Väter der für die deutsche Geschichte so verhängnisvollen politischen Romantik (vgl. zur Rezeptionsgeschichte Riedel 1982; Stewart 1996). Wer indessen das Buch als Ganzes studiert und in den Zusammenhang der Hegelschen Schriften einordnet, erkennt schnell das Oberflächliche und Verzerrende einer solchen Rezeption. Das heißt freilich nicht, dass hinter der Polemik eine ganz andere Absicht verborgen läge. Der liberale und demokratische Hegel, der in den Vorlesungen von 1817 bis 1820 sichtbar würde, sich dann aber in den Grundlinien vor der Demagogenverfolgung und der Zensur verborgen hielte, ist eine Wunschvorstellung moderner Interpreten.2 In einigen Punkten der Gewaltenteilungslehre steht der Heidelberger Hegel zwar liberaleren Verfassungen der Zeit näher,3 in den Grundlagen stimmen Hegels Rechtsphilosophie-Vorlesungen (PR-Rin), seine 1817 publizierte Abhandlung über die württembergische Verfassungsdiskussion (Land-
1 Die Grundlinien tragen zwar auf dem Titelblatt die Jahreszahl 1821, sind aber schon im Herbst 1820 ausgeliefert worden. Vgl. zur Druckgeschichte Lucas/Rameil 1980, S. 63–93; bes. S. 91 sowie GW 14,3, 844–861 – Ein ähnliches Urteil über die Peinlichkeiten („faux pas“) der Vorrede bei Pinkard 2000, S. 458. 2 Diese These ist vor allem von K.-H. Ilting verteidigt worden – vgl. sein Vorwort und seine Ein leitung in Ilting 1974, S. 7–27; 1973, S. 23–126. Zur „Ilting-These“ vgl. auch Lucas/Rameil 1980; Horstmann 1974, S. 209–240; Lucas 1985, S. 291–302 sowie GW 14,3, S. 846–854 3 Vgl. Siep 1985, S. 283–291 sowie Siep 1992b, vor allem S. 251–256. Zu den Änderungen der Kon zeption der Rechtsphilosophie zwischen 1817 und 1820 vgl. ferner E. Weisser-Lohmann 2000 „,Dass das Allgemeine zur Tat komme‘. ‚Sittlichkeit‘ und ‚Verfassung‘ bei Hegel“. In: E. WeisserLohmann/D. Köhler (Hg.), Verfassung und Revolution. Hamburg 2000, S. 137–166, sowie die übri gen Beiträge dieses Sammelbandes. DOI:10.1515/9783110496529-004
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Ludwig Siep
ständeschrift; vgl. VVL) und das Buch von 1820 aber überein.4 Es bedarf keiner doppelten Lektüre des Textes, wie dies bei staats- und religionsphilosophischen Schriften des 17. und 18. Jahrhunderts nötig sein kann – „persecution and the art of writing“ (Leo Strauss) ist nicht der Schlüssel zum Verständnis der Hegelschen Grundlinien. Hegel ist zwar kein preußischer Staatsphilosoph, aber er beansprucht, mit seiner Rechtsphilosophie eine Funktion zu erfüllen, die für den Staat – nicht nur für den preußischen – von größter Wichtigkeit ist. Wenn Preußen sich, wie Hegel glaubte, einer Reform des Staates aus vernünftigen Prinzipien verschrieben hatte – wie sie in Frankreich durch Revolution und Restauration der Monarchie als konstitutioneller erfolgreich war5 –, dann musste es seinerseits der Philosophie des Rechtes einen herausragenden Platz einräumen.6 Diesen Platz konnte für Hegel nur eine strenge, aber zugleich historisch und „soziologisch“ konkrete Vernunftwissenschaft des Rechts ausfüllen. Eine solche Philosophie war in jedem Staat notwendig, der Rechtfertigung vor der Vernunft seiner Bürger beanspruchte. Als Hegel im Jahre 1818 – vier Jahre nach dem Tod Fichtes – dem Ruf Altensteins, eines Mitgliedes der Reformer des Hardenberg-Kreises, nach Berlin folgt, ist der Rang und Einfluss der Philosophie an der dortigen Universität gering. Einfluss haben dagegen Theologen wie Schleiermacher und Juristen wie Savigny.7 In der theologischen Fakultät lehrt zudem mit de Wette ein Schüler seines ewigen Kontrahenten Fries, der Philosophie und Theologie in den Ruf einer die Grund-
4 Zu Kontinuität und Modifikationen der Hegelschen Rechtsphilosophie insgesamt (auch in der späteren Berliner Zeit) vgl. die Einleitungen von D. Henrich in ders. 1983 und O. Pöggeler in PR-Wa sowie Lucas/Pöggeler 1986. 5 In der Nachschrift von Hegels Heidelberger Rechtsphilosophie-Vorlesung (1817/18) wird Lud wig XVIII. das Verdienst zugesprochen, in seine „unverletzliche Verfassung“ von 1815 „alle li beralen Ideen die der Volksgeist entwickelt hatte seit der Revolution“, aufgenommen zu haben (PR-Wa § 134 A, S. 163). Zu Hegel und der Französischen Revolution vgl. Ritter 2003a. 6 In seiner Berliner Antrittsvorlesung hat Hegel zum Ausdruck gebracht, dass in den modernen Staaten „daß was gelten soll, vor der Einsicht und dem Gedanken sich rechtfertigen muß“. Preußen im Besonderen sei ein Staat, der sein politisches Gewicht der Bedeutung der Wissenschaften „im Staatsleben“ verdanke. Die Philosophie aber sei der „Mittelpunkt aller Geistesbildung“ (RzA S. 12 f.). Zu Hegel und Preußen vgl. Pöggeler 1986, S. 311–352. 7 Die Protagonisten der beiden von Hegel kritisierten Richtungen standen seit Beginn des Jahr hunderts in teils persönlichem, teils wissenschaftlichem Kontakt. Fries lobte 1803 Hugos Rechts philosophie als die konsequentere Fortsetzung Kants (Fries 1803, S. 319). Savigny setzte sich 1805 für Fries’ Berufung nach Heidelberg ein. Schleiermacher hatte sich bei der Berufung Hegels nach Berlin freilich für diesen und gegen Fries ausgesprochen (vgl. Hoffmeisters Anmerkung in B II, S. 449). Zu den Vorgängen um Hegels Berufung vgl. auch Jaeschke (2010, S. 42–45), sowie zum zeit- und universitätsgeschichtlichen Hintergrund insgesamt Pinkard 2000, Kap. 9 und 10.
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lagen des Staates zersetzenden volkstümelnden Ideologie gebracht hatte, die die nationale Begeisterung der Studenten unterstützte – bis hin zur Verteidigung des politischen Mordes.8 Wenn Hegel – neben Haller – in den polemischen Passagen des Werkes vor allem Fries und Hugo attackiert, dann zielt er damit aller Wahrscheinlichkeit nach auch auf deren bedeutendere und einflussreichere Berliner Kollegen Schleiermacher und Savigny. Beide repräsentieren für Hegel „Ausläufer“ der Kantischen Philosophie, die er seit seinen ersten Veröffentlichungen9 kritisiert hat: Schleiermacher vertritt für ihn in der Nachfolge Fichtes die „Subjektivierung“ der Kantischen Philosophie, d. h. die Begründung von Moral und Religion auf Gewissen und Gefühl. Auf der anderen Seite steht die Hinwendung der kritischen Philosophie zum Empirischen und Historischen, verkörpert durch Gustav Hugo in Göttingen und Friedrich von Savigny in Berlin. Beide wenden sich zudem in der Sicht Hegels gegen den Fortschritt der Rechtsvernunft in der Geschichte und neigen zu einem Klassizismus der Rezeption des römischen Rechts.10 Hegels politische und wissenschaftspolitische Intention in den Grundlinien war es, die Philosophie gegen ihre Verderber und Verächter zu verteidigen – und zwar als eine Begriffswissenschaft des Rechts und der gesellschaftlichen Institutionen. Eine Begriffswissenschaft allerdings, die nicht aus ersten Prinzipien deduziert, sondern die historisch gewachsene europäische Rechtskultur auf ihre gedanklichen Voraussetzungen hin durchsichtig macht. In dieser Hinsicht kommt Hegel der historischen Schule sehr nahe. Er hält aber an den Ansprüchen des Vernunftrechtes in entscheidenden Punkten fest. Und er verteidigt die Konzeption des Naturrechts als Vernunftrecht auch gegen das empirisch-vergleichende Naturrecht, wie es C. L. von Haller in seiner Restauration der Staatswissenschaft vorgelegt hatte (vgl. R § 258 A S. 403 ff.). Für Haller ergibt der Vergleich
8 Der Brief de Wettes an die Mutter des Kotzebue-Mörders Sand war einer der wichtigsten Vor wände für die Säuberung der Universitäten in der Demagogenverfolgung. Vgl. dazu Peperzak 1987, S. 16 ff.; Ritter 2003a, S. 248; Ottmann 1979. Zu den historischen Vorgänge vgl. auch Nipper dey 1983, S. 280 ff. 9 In seinen Jenaer Journalaufsätzen über Glauben und Wissen (Subjektivismus-Kritik; vgl. GuW) und Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts (Empirismus-Kritik, vgl. NR). 10 Obwohl Hegels Konzeption des abstrakten Rechts ebenfalls stark vom römischen Recht be einflusst ist (vgl. Ritter 2003b, S. 259 ff.), greift er die vorgebliche „Vernünftigkeit“ des histori schen römischen Rechts mit Bezug auf Hugo mehrfach scharf an (vgl. R § 3 A). Für Hugo ist es vor allem der intern systematische und der für die europäische Rechtsgeschichte paradigmatische Charakter, der das römische Recht zu „unserem Naturrecht“ macht. Vgl. dazu Eichengrün 1935, S. 78 ff. Zur Bedeutung des römischen Rechts für Savigny vgl. Wieacker 1967, S. 363 ff. Zu Hegels Hugo-Kritik und seinem Verhältnis zu Savigny vgl. auch Ritter 2003b, S. 262, Anm. 6.
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der vorgeblich in allen Kulturen anzutreffenden natürlich-sittlichen Verhältnisse in der Tat eine Restauration der „natürlichen“ Autorität der Stärkeren, des Paternalismus und sogar des Gottesgnadentums.11 Auf eine Abkehr vom Vernunftrecht der Aufklärung läuft für Hegel aber auch die historische Schule der Rechtswissenschaft hinaus, wenn sie moderne, auf den Menschenrechten basierende Kodifizierungen (wie den Code Napoléon oder das Allgemeine Preußische Landrecht) ablehnt bzw. kritisiert. Die Brücke, die Hegel mit seiner Rechtsphilosophie zwischen vernunftrechtlicher und historischer Behandlung des Rechts errichten will, hat gewissermaßen zwei Pfeiler: Einmal den einer eigenen logisch-wissenschaftlichen Methode, die es gestattet, Rechtskulturen und ihre Entwicklung als Konkretisierung der Ideen von Freiheit und Gerechtigkeit zu „rekonstruieren“; und zum anderen den einer Geschichtsphilosophie, die hinter dem unbewussten Wirken von Volksgeistern einen universalen Rechtsfortschritt im Sinne der Kantischen Geschichtsphilosophie am Werke sieht. Der Anspruch dieser Geschichtserkenntnis wird freilich durch ein ganz anderes Verständnis von „Idee“ über die Kantischen Beschränkungen hinausgehoben. Auf diesen Anspruch einer wissenschaftlichen Wirklichkeitserkenntnis gründet Hegel dann wiederum den politischen Anspruch seiner Philosophie. Die wissenschaftliche Verteidigung einer solchen Konzeption von Rechtsphilosophie ist sicher legitim. Dass es Hegel in seinem Buch in erster Linie darum ging, hat er schon in der Vorrede klar, wenngleich ebenfalls mit polemischer Spitze, herausgestellt: „Soll philosophisch von einem Inhalte gesprochen werden, so verträgt er nur eine wissenschaftliche, objective Behandlung, wie denn auch dem Verfasser Widerrede anderer Art als eine wissenschaftliche Abhandlung der Sache […] gleichgültig seyn muß“ (R S. 17). Anders steht es mit seiner tagespolitischen Intention, den Kräften der Wissenschaft, die in seinen Augen den Zeitgeist dominierten und für Philosophie und vernünftiges Recht gefährlich waren, auch rhetorisch einen entscheidenden Schlag zu versetzen. In einem Brief an Daub vom 9. Mai 1821 (vgl. Peperzak 1987, S. 27) rühmt er sich, mit der Vorrede und den entsprechenden Anmerkungen des Textes diesen Schlag gegen eine Gruppe geführt zu haben, die niemandem den Mut dazu zugetraut hätte (vgl. B II S. 263; Jaeschke 2010, S. 277). Hegel hat damit aber kaum die Starken in die Schranken gewiesen, sondern die Schwachen, auf die soeben die Schläge der Demagogen-
11 Vgl. Haller 1816, S. 342 ff., 469; ders. 1817, S. 64 f. Zu Hegels Auseinandersetzung mit Haller, dem in der Folgezeit wichtigsten Theoretiker der preußischen Restauration, vgl. Jaeschke 1986, S. 221–256, bes. S. 227 ff.
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verfolgung niedergingen.12 Dass er diese staatlichen Repressionen prinzipiell begrüßte und rechtfertigte, auch wenn er sich in einzelnen – vor allem seine Studenten betreffenden – Fällen dagegen wandte, machen Textstellen sowohl in der Vorrede wie auch im Haupttext peinlich.13 Von seinem Begriff einer wissenschaftlichen Rechts- und Staatsphilosophie aus war diese Rechtfertigung aber nicht ohne Konsequenz. Zweifelhaft ist nicht nur Hegels Einschätzung seiner politischen Gegner. Auch seine Abgrenzung gegenüber der historischen Rechtsschule ist kaum adäquat. Hugo, erst recht aber Savigny und seine Schule, haben selber eine Synthese historischer und naturrechtlich-systematischer Zugangsweisen zum Recht angestrebt.14 Trotzdem ist Hegels Rechtsphilosophie sicher der philosophisch ausgeklügeltste, systematisch durchdachteste Versuch einer Vermittlung von Vernunftrecht und historisch-positiver Rechtslehre. Diesen Versuch zu verstehen und zu erörtern ist auch dann noch der Mühe wert, wenn die dafür von Hegel entwickelte Systematik und Methode letztlich auf zu starken Annahmen beruhen sollten. Im Folgenden soll zunächst die wissenschaftliche Methode dieses Versuches umrissweise skizziert werden, um Hegels Kritik des Subjektivismus verständlich zu machen (I). Im zweiten Teil geht es um Hegels These der vernünftigen Wirklichkeit auf dem Hintergrund seines Verständnisses von Idee und seiner Geschichtsphilosophie (II); der dritte Teil kommt auf die staatliche Funktion der Rechtsphilosophie zurück, die sich aus einer solchen Konzeption ergibt (III).
12 Zu den Folgen der Demagogenverfolgung für die preußische Reform vgl. Koselleck 1975, S. 324 f., 402 ff. Eingehend zur zeitgenössischen Reaktion auf die Grundlinien vgl. auch M. Riedels Einleitung in ders. 1975. 13 Hegel rechtfertigt nicht nur in der Vorrede ausdrücklich die Amtsenthebung von Professoren, die „die allgemeinen Grundsätze“ verderben (S. 12), er begründet in § 319 u. A auch weitgehende Zensurmaßnahmen und bezeichnet in § 281 A jede nicht „speculative“ (also im Sinne des eigenen Systems „wissenschaftliche“) Erörterung der Erbmonarchie als crimen laesae majestatis („hebt an und für sich die Natur der Majestät auf“). Vgl. dagegen Fries’ Forderung in seiner Ver fassungsschrift von 1816: „Gebt dem Deutschen endlich seine Habeas-Corpus-Acte und gebt nie einer Polizeybehörde die Befugnis, in Sachen der Sprechfreyheit, Preßfreyheit und Freyheit des Verkehrs willkührlich einzugreifen!“ (Fries 1971, S. 429) 14 Zu Hugo vgl. Eichengrün 1935, S. 82–90. Auch für Eichengrün ist aber Hugos Rechtsphilosophie „lediglich eine logisch-systematische Bearbeitung des Rechtsstoffes, nie eine irgendwie geartete Rechtfertigung der Rechtslehre“ (S. 91). Zu Savigny vgl. Grawert 1987, S. 442 ff.; Wieacker 1959, S. 137 ff.; Böckenförde 1976, S. 13 ff.; Marini 1965.
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1.1 Subjektivität und Begriffswissenschaft des Rechts Hegels Philosophie im Allgemeinen und die Rechtsphilosophie im Besonderen hält an zwei Thesen des Kantischen Philosophieverständnisses fest: Erstens, Philosophie hat es mit der Analyse und Deduktion, d. h. Rechtfertigung, von Kategorien und Ideen zu tun, die für Erkenntnisbereiche und Handlungsnormen kon stitutiv sind. Zweitens, Philosophie ist Theorie der Formen und Leistungen einer bewusstseinsfähigen, als Subjektivität zu begreifenden Vernunft. Die methodische und systematische Anwendung dieser Grundsätze in der Philosophie, vor allem der praktischen, leidet aber bei Kant und erst recht bei seinen Nachfolgern in den Augen Hegels unter einer verhängnisvollen Trennung der Subjektivität von ihren Inhalten, eben den Verstandes- und Vernunftbegriffen des Erkennens und Handelns. „Deduktion“ wird zu einer Rückführung oder Vergleichung der Begriffe mit unmittelbaren Gewissheiten oder intellektuellen Selbstanschauungen der Subjektivität. Schon Kants Inanspruchnahme des Pflicht- und Freiheitsbewusstseins als unerklärbares Zeugnis für die praktische Vernunft ist ein Schritt in diese Richtung. Auch ist Kant nach Hegel weder in den Deduktionen der theoretischen noch der praktischen Philosophie wirklich der Nachweis gelungen, dass Vernunft nur in genau diesen Kategorien ihrer selbst bewusst werden kann. Das Auseinanderfallen von Subjektivität und vernünftigem Begriffsinhalt verschärft sich bei Fichte und beim frühen Schelling. Beide wollen die Wissenschaftlichkeit der Philosophie wieder in cartesischer Weise auf die unbezweifelbare Gewissheit einer unmittelbaren Selbstbeziehung des Subjekts begründen: Fichte auf die Gewissheit der spontanen Ich-Tätigkeit, Schelling auf die intellektuelle Anschauung einer absoluten, vorreflexiven Subjekt-Objekt-Einheit in allem Bewusstsein. Die erste auf dem Boden des Kantianismus ausgearbeitete Rechtsphilosophie, Fichtes Grundlage des Naturrechts von 1796/97 (vgl. GA I,3–4), zeigt für Hegel die Auswirkung dieser Trennung einer unmittelbaren Selbstgewissheit von den Inhalten der Vernunft. Fichte versucht, diese Inhalte als Bedingungen der Selbsterfahrung eines – sich allein durch rechtliches Handeln individuierenden – Subjekts nachzuweisen. Das Resultat ist aber das Gegenteil seines Prinzips: Zur Sicherung der Selbsterfahrung im autonomen Handeln „deduziert“ bzw. „konstruiert“ Fichte in den Augen Hegels ein perfektes System der Kontrolle und Überwachung – vom Passzwang bis zur Planwirtschaft (vgl. R S. 14 f.; DFS S. 54 ff.). Die „Subjektivierung“ der Kantischen Philosophie im Sinne der Trennung unmittelbarer Selbsterfahrung von den begrifflichen Inhalten der Vernunft zeigt sich für Hegel noch deutlicher in Fichtes Ethik. Hegel versteht sie als konse-
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quente Gewissensethik, obgleich Fichte das Gewissen eigentlich nur als letzte Auslegungsinstanz des Sittengesetzes in der Handlungssituation, nicht als ratio cognoscendi der Tugendpflichten auffasst. Seit seinen Jenaer Zeiten hat Hegel nachzuweisen versucht – und er wird das im Moralitätskapitel der Grundlinien verschärfen –, dass hinsichtlich dieser Subjektivierung die Vollender der Aufklärung und ihre Kritiker in den Bewegungen, die wir heute Sturm und Drang, Empfindsamkeit oder Frühromantik nennen, im Grunde übereinstimmen. Die Gefühls- und Geniemoral eines Jacobi, die Gefühlstheologie des frühen Schleiermacher, Novalis’ Verabsolutierung des schöpferischen Gewissens oder Schlegels Konzeption der Ironie sind nur weitere Schritte der Trennung von subjektiver Unmittelbarkeit und vernünftigen Rechts- und Sittenordnungen.15 Diese Entwicklung liegt der politischen Romantik zugrunde, die sich für Hegel bei den geistigen Vätern der „Burschenschaften“ zeigt. Sie zerstört die Wissenschaftlichkeit der Philosophie und relativiert die Rechtsordnung des nachrevolutionären europäischen Staates. Hegels Attacke gegen Fries ist allerdings nicht nur politisch fragwürdig.16 Aber auch die Kritik am Vernunftrecht in der historischen Rechtsschule beruht für Hegel auf einer Trennung zwischen der Subjektivität und dem begrifflichen Inhalt von Recht und Moral, die auf Kant selber zurückgeht. Hegel teilt die Kritik Hugos und Savignys, dass bei Kant zwischen der Rechtsbegründung und den Inhalten des privaten und öffentlichen Rechts kein systematisch zwingender Zusammenhang bestehe.17 Die Hinwendung zu den historisch konkreten Systemen des Rechts ist von daher konsequent. Statt einer Kritik am Vernunftrecht bei gleichzeitiger Berufung auf die Grundsätze von Kants Rechtsphilosophie, wie sie sich bei Hugo und Savigny findet, kommt es aber für Hegel darauf an, die Idee
15 Hegel greift am Ende des Moralitätskapitels (§ 140 A) auf seine Kritik der Romantik in der Phänomenologie des Geistes (vgl. PG S. 340 ff.) zurück. Vgl. dazu Pöggeler 1999; Siep 2000, S. 208–216. 16 Fries war im Zusammenhang der Vorgänge um das Wartburgfest von 1817 bereits 1818 aus seinem Amt entlassen worden. Hegel kann sich zwar zu Recht auf den religiös-nationalen En thusiasmus der Rede zum Wartburgfest berufen (vgl. dazu Fries 1818), hat sich aber die Aus einandersetzung mit Fries’ systematisch ausgearbeiteter Rechtsphilosophie von 1803 und seiner Verfassungstheorie von 1816 erspart (vgl. Fries 1971). Zu Hegel und Fries vgl. Dooren 1970, S. 217– 226. Zu berücksichtigen ist auch, dass Hegel über seinen Schüler Carové Einfluss auf die Bur schenschaften (vor allem gegen ihren Antisemitismus) auszuüben versucht. Vgl. Avineri(1963, S. 145–151; Pinkard 2000, 437–444; Jaeschke 2010, S. 44. sowie in diesem Band Ottmann S. 284. Zur Würdigung der burschenschaftlichen Bewegung in der neueren historischen Forschung vgl. Nipperdey 1983, S. 280 ff.; Hardtwig 1986, S. 591–627. 17 Vgl. Eichengrün 1935, S. 104 f.; sowie den dort zitierten Brief Savignys an Fries aus dem Jahre 1802 (Zitat bei Eichengrün 1935, S. 105, Anm. 1).
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des Rechts und ihre historischen Konkretionen in einen systematischen Begründungszusammenhang zu bringen. Die bloß historischen Studien von Rechtssystemen und -entwicklungen können die Forderungen nach wissenschaftlicher Prüfung der Gerechtigkeit oder des Unrechts von Gesetzen, Verfassungen und Urteilen nicht außer Kraft setzen. Diese Forderung ist Resultat der mit der Idee von Vernunft und Wissenschaft, ja mit dem menschlichen Streben nach Vergewisserung und „Objektivierung“ selbst verknüpften Struktur von Selbstbewusstsein, wie Hegel schon in der Phänomenologie des Geistes nachweisen wollte. Dieser Struktur ist sich die Menschheit in der historischen Entwicklung zunehmend bewusst geworden. Mit dem Christentum wird das um sein Heil besorgte Individuum aus der Naivität seiner sozialen Existenz, dem Aufgehen im Leben der Polis, freigesetzt. Im Protestantismus wird die Forderung nach Rechtfertigung aller Wahrheiten vor dem prüfenden Subjekt Grundlage von Religion, Moral und Recht. Die Rechtfertigung „durch den Gedanken“ ist nach der Vorrede der Grundlinien „das Charakteristische der neuern Zeit, ohnehin das eigenthümliche Princip des Protestantismus“ (R S. 16). Wenn diese Rechtfertigungsforderung nicht erfüllt werden kann, dann werden sich subjektive Gesinnungsmoral und prinzipienlose Rechtspolitik der Mächtigen unversöhnbar gegenüberstehen. Hegel glaubt, in seiner Rezeption des Kantischen Ansatzes – vor allem in der Wissenschaft der Logik (vgl. L I–II) – eine Methode entwickelt zu haben, mit der dieser Forderung Rechnung getragen werden kann. Aufgrund dieser Methode kann die Rechtsphilosophie Wissenschaft werden, ohne in geschichtsloses Konstruieren zu verfallen, wie die historische Schule es dem Vernunftrecht der Aufklärung vorwarf. Hegel hatte das im Grundriss schon in der Heidelberger Enzyklopädie von 1817 entwickelt (vgl. HE §§ 400–452). Die Grundlinien von 1820 treten den Beweis erneut an. Dass die Methode der Entwicklung der Rechtsinhalte, wie Hegel immer wieder betont, aus der Logik übernommen wird, heißt aber nicht, dass einfach Kategorien der materialen und ontologischen Logik Hegels angewandt werden.18 Vielmehr wird umgekehrt gezeigt, dass in den Begriffen und systematischen Zusammenhängen des Privatrechts, des öffentlichen Rechts, der Moral und der Sozialordnung logische – freilich nicht formallogische, sondern „sachlogische“ – Begriffe und Relationen enthalten sind. Die Logik Hegels ist zugleich Kategorienanalyse und Subjektivitätstheorie. Als Kategorienanalyse will sie nachweisen, dass zwischen den Bedeutungen der für unsere Wissens- und Handlungsgebiete konstitutiven Begriffe Verhältnisse
18 Zur Interpretation der Rechtsphilosophie vor dem Hintergrund der Wissenschaft der Logik vgl. die Beiträge von D. Henrich u. H. Ottmann in Henrich/Horstmann 1982, sowie Vieweg 2012.
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der Implikation und der Explikation, des Enthaltenseins und der Entwicklungsmöglichkeit bestehen. Analysiert man die Bedeutung dieser Grundbegriffe, so lassen sie sich gewissermaßen alle auseinander „differenzieren“. Dabei sind logische Beziehungen der Opposition und der Ausschließung nachweisbar, die zugleich zu höheren, bedeutungsreicheren Einheitsbegriffen führen. Die Methode und das Resultat dieser Kategorienanalyse begreift Hegel zugleich in einem bestimmten Sinne als Subjektivität. Subjektivität ist nämlich nicht unmittelbare Selbstanschauung oder das Bewusstsein der Identität des Ich in seinen Vorstellungen, sondern die Struktur der Selbstunterscheidung und der Erkenntnis eines in gegensätzlichen Momenten artikulierten Ganzen. Dies hatte Fichte bereits in seiner Theorie der Entgegensetzung und Synthese von Aktivität und Hemmung im Bewusstsein antizipiert, es aber „subjektivistisch“ als eine Struktur von Bewusstseinsakten statt von Begriffsverhältnissen verstanden. Das Ganze der Vernunftbegriffe, das sich gemäß dieser Struktur ausdifferenziert, erweist sich am Ende der Logik als Selbsterkenntnis (bzw. -explikation) und Selbstaffirmation in jedem seiner Momente. Dieses Muster bestimmt nach Hegel auch die praktische Vernunft bzw. den allgemeinen Willen, der sich in der freien Konkurrenz (Marktgesellschaft) und der institutionellen Kooperation (Familie, Berufsstand, Staat) der Einzel- und Gruppenwillen selber bejaht bzw. will. In der Rechtsphilosophie lässt sich das Verfahren der Logik durchführen, indem man alle Grundbegriffe des Rechts als Ausdifferenzierungen und Anreicherungen des Begriffes des freien, allgemeinen Willens darstellt. Dadurch ist nicht nur der Rechtfertigungsforderung des vernünftigen Subjekts Rechnung getragen, sondern das Wesen des handelnden Individuums, die Subjektivität, auch als das Prinzip der Rechts- und Staatsordnung erwiesen. Gezeigt werden muss allerdings auch, dass dies nicht bloß eine „Strukturanalogie“ ist, wie sie etwa zwischen Seele und Staat in der platonischen Politik besteht. Vielmehr muss der Staat als die Bedingung der Freiheit und Selbstverwirklichung des Individuums nachgewiesen und gerechtfertigt werden. Das gilt zwar, wie oft betont wurde, bei Hegel nicht für jeden beliebigen Staat, sondern für die Grundlagen des rechtsdurchsetzenden und gewaltenteiligen Staates. Aber die Systematik eines Vernunftrechts, das vernünftige Subjektivität nicht nur als individuelle, sondern als in der „Rechtslogik“ eines freiheitsverbürgenden Staates „objektivierte“ versteht, muss anwendbar sein auf historisch entwickelte Rechtskulturen. Und sie muss auch in Grundfragen der Rechtsentwicklung einer Zeit Auskunft geben können. Sonst trifft die Kritik der historischen Rechtsschule an den realitätsfremden Abstraktionen des Vernunftrechts auch Hegel.
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1.2 Idee und Geschichte des Rechts Hegels Grundlinien erscheinen zu einem Zeitpunkt, in dem der preußische Verfassungsstreit in seine entscheidende Phase getreten ist. 1819 beginnt der letzte, erfolglose Versuch Hardenbergs, in Preußen eine Repräsentationsverfassung einzuführen.19 Hegel nimmt auch zu dieser Auseinandersetzung Stellung. Er plädiert eindeutig für eine kodifizierte Rechtsordnung des Staates, aber ebenso eindeutig gegen eine aus dem allgemeinen Wahlrecht hervorgehende Nationalrepräsentation westeuropäischer Prägung – und er bleibt sehr zurückhaltend in Fragen der Verfassungsgebung. Eine erneuerte Verfassung ist Resultat historischer Prozesse – auch des Prozesses der „normalen“ Gesetzgebung –, eine vorzeitige „künstliche“ Verfassungsgebung kann, wie die französischen Experimente gezeigt haben, den Fortschritt gerade hemmen (Grawert 1986, S. 289 ff.; Lucas 1986; Siep 1992c, S. 288 f.). Hegel legitimiert de facto den Vorrang der Verwaltungsreform und der Gesetzgebung vor der Verfassungsgebung in Preußen.20 Auch damit kommt er der historischen Schule näher als den liberalen Reformern. Savigny hatte 1814 in seiner Schrift Vom Berufe unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft über das „Bedürfnis nach Gesetzbüchern“ geschrieben: „Der Staat soll seinen gesamten Rechtsvorrat untersuchen und schriftlich aufzeichnen lassen […]. Zuvörderst läßt sich fragen, woher diesem Gesetzbuch der Inhalt kommen solle. Nach einer […] Ansicht ist von vielen behauptet worden, das allgemeine Vernunftrecht, ohne Rücksicht auf etwas Bestehendes, solle diesen Inhalt bestimmen. Die aber mit der Ausführung zu tun hatten, oder das Recht praktisch kannten, haben sich dieser großsprechenden, völlig hohlen Ansicht leicht enthalten“ (hier zitiert nach Stern 1914, S. 81). Savigny bezweifelt aus zwei Gründen, dass seine Zeit den „Beruf“ für eine völlig neue Gesetzgebung, vor allem im bürgerlichen Recht,21 hat: Zum einen, weil das Recht „erst durch Sitte und Volksglaube (entsteht), dann durch Jurisprudenz erzeugt wird, überall
19 Hardenberg hat bekanntlich seine Unterstützung für die Karlsbader Beschlüsse und das Zen suredikt an die Bedingung geknüpft, dass der König „zugleich in der Verfassungsfrage einen Beschluß fasse“. Am 17.1.1820 konnte er ihm „eine Wiederholung des Verfassungsversprechens abnötigen“ (Jaeschke 2010, S. 42). Zur politischen Gesamtsituation und zum Verfassungsstreit vgl. Koselleck 1975, S. 304; Grawert 1986, S. 266. 20 Vgl. Koselleck 1975, S. 217 ff.; zu Hegel S. 263. Nähe und Distanz Hegels zu den Reformern, vor allem in der Verfassungsfrage, erläutert G. Lübbe-Wolff 1981. 21 Darum ging es ja in dem durch Thibauts Schrift „Über die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland“ (Stern 1914, S. 35–68) ausgelösten Streit. Für die „Über tragbarkeit der zivilistischen Argumentation auf das Gebiet des Verfassungsrechts“ – vor dem Hintergrund der Savigny beeinflussenden Geschichtsmetaphysik Schellings – plädiert überzeu
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also durch innere stillwirkende Kräfte, nicht durch die Willkür eines Gesetzgebers“ (zitiert nach Stern 1914, S. 79). Es kann allenfalls Korrekturen und Ergänzungen des historisch gewordenen Rechtes geben. Um diese sinnvoll zu konzipieren, muss man aber zum anderen den Sinn und die innere Systematik des bestehenden Rechts erfasst haben. Man muss die „leitenden Grundsätze“ eines Rechtssystems erkennen und „von ihnen ausgehend den inneren Zusammenhang und die Art der Verwandtschaft aller juristischen Begriffe und Sätze“ verstehen (ebd. S. 84). Diese Fähigkeit vermisst Savigny bei den Rechtswissenschaftlern seiner Zeit. Hegel hat Savignys Auffassung in der Anmerkung des § 211 der Grundlinien scharf zurückgewiesen: „Einer gebildeten Nation oder dem juristischen Stande in derselben, die Fähigkeit abzusprechen, ein Gesetzbuch zu machen, […] wäre einer der größten Schimpfe, der einer Nation oder jenem Stande angethan werden könnte“22 (§ 211 A S. 177). Trotzdem könnte er die zitierten Sätze Savignys, bis auf die Polemik gegen das Vernunftrecht,23 unterschreiben. Seiner eigenen Konzeption von Vernunftrecht schreibt er gerade zu, den systematischen Zusammenhang des gewordenen Rechts zu begreifen, ihn zugleich aber als vernünftig zu rechtfertigen. Das Ergebnis, wie in den Grundlinien durchgeführt, ist ebenfalls eher eine mäßige Korrektur und Ergänzung als eine Neuschöpfung. Aber Hegel beansprucht, zeigen zu können, dass dieses Rechtssystem als Verwirklichung der Vernunftidee des Rechts verstanden werden kann, wie sie die modernen Vernunftrechtler von Rousseau bis Fichte erkannt, aber noch unvollkommen konzeptualisiert haben. Rechtsgleichheit und gleiche Teilnahme an der Gesetzgebung ist nach Rousseaus Contrat Social die Bedingung dafür, wie ein zur Freiheit des Willens bestimmtes Wesen in einer Gesellschaft der notwendigen arbeitsteiligen Kooperation und des Netzes wechselseitiger Verhaltenserwartungen frei bleiben kann (vgl. Rousseau 1986, Buch 1, Kap. 6). In Kants und Fichtes Begriffen ist das Vernunftrecht die Idee einer Ordnung, in der von allen gemeinsam gegebene Gesetze die gleichen Freiheitsspielräume aller im äußeren Handeln ermöglichen und schützen. Für Hegel ist diese Idee richtig, aber zu abstrakt, um den „inneren Zusammenhang“ der historisch entstandenen europäischen Rechtssysteme beurteilen zu können.
gend Jaeschke 1986, S. 248 f. Eine Relativierung der Opposition Savignys gegen Gesetzgebung bei Wieacker 1959, 124 ff. 22 Hegel nennt auch an dieser Stelle Savigny nicht, dafür aber kurz zuvor den Namen Hugos. 23 Savigny meint freilich mit dem Vernunftrecht das vorkantische; er versteht sich hingegen selber in der Nachfolge Kants. Für Hegel führt indessen gerade auch die Kantische praktische Philosophie zu abstrakten, geschichtsfremden Forderungen.
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Die von Hegel konstatierte Realitätsfremdheit des bisherigen Vernunftrechts lag nicht zuletzt am Begriff der „Idee“ selber. Ideen bedeuten bei Kant (nach Hegels Lesart) unbedingte Vernunftforderungen, deren Erfüllung sich das menschliche Wollen annähern soll, ohne sie je ganz erreichen zu können. So, wie reine Moralität im menschlichen Handeln nie als erreicht gedacht werden kann, weil wir nie sicher sein können, das Sittengesetz rein um seiner selbst willen zu erfüllen, so ist auch die Idee des Rechtsstaates nie ganz realisierbar, schon weil sie eine Rechtsfriedensordnung aller Staaten voraussetzt – eine zumindest für den späten Kant „unausführbare Idee“ (Kant, Metaphysik der Sitten, AA VI, S. 350). Aber auch die Deduktionsmethode der Rechtsphilosophie Kants enthält für Hegel dieses utopische Moment der Idee, insofern jedes Rechtsinstitut an der Idee der notwendigen Willensübereinstimmung aller Rechtsgenossen gemessen werden muss (vgl. ebd., S. 264). „Idee“ im Sinne Hegels darf dagegen nicht verstanden werden als das, was nie vollständig verwirklicht werden kann, obgleich es unbedingt gefordert ist, sondern als die notwendige Verwirklichung des Begriffs.24 Dabei muss man eine systematische und eine historische Dimension dieser Verwirklichung unterscheiden. Die Entfaltung eines Gedankens in ein System von Begriffen, Normen oder Institutionen ist die eine systematische Bedeutung von „Verwirklichung“ oder „Wirklichkeit“ bei Hegel – entsprechend der Kategorie „Wirklichkeit“ in der Logik (L II, 369 ff.). Dabei heißt „Entfaltung“ nur, dass das System auf einen solchen Grundgedanken zurückführbar sein muss – so wie bei Savigny ein historisches Rechtssystem auf seine „leitenden Grundsätze“. Wie nach der historischen Schule sich ein Rechtssystem in einem Volk „organisch“ entwickelt, so muss es sich nach Hegel als organische, d. h. in sich notwendige (konsequente und zweckmäßige) Entwicklung des Gedankens des Rechts und damit als Verbindung von Freiheit und Gerechtigkeit verstehen lassen. Aber das heißt nicht, dass man alle Rechtsbegriffe und Institutionen aus einer zeitlosen Vernunft ableiten und dann durch ebenso zeitlose Gesetzgebung verwirklichen könnte. Auch für Hegel ist es eine jahrtausendlange25 weitgehend „ungeplante“ Entwicklung, in der die Völker die Institutionen, Verfahren und Regeln „finden“, die das bestimmen und konkretisieren, was Recht und Freiheit bedeutet. Das ist die andere historische Dimension von „Verwirklichung“. Erst am Ende solcher Entwicklungen kann man die Idee des Rechts, die sich in diesen Versuchen herauskristallisiert, verstehen. Dann aber muss man sie auch am
24 Zur Differenz des Verständnisses von „Idee“ bei Kant und Hegel vgl. Nuzzo 1995, S. 61–80. 25 Vgl. Hegels Bemerkung zur Anerkennung der Eigentumsfreiheit in R § 62 A.
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Leitfaden von Vernunftprinzipien rekonstruieren können.26 Die Philosophie, als Eule der Minerva, überblickt nicht nur, was „alt geworden“ ist, sondern sie kann ihre Zeit auch als vorläufiges Ende einer vernünftigen Entwicklung in Gedanken fassen. Der Vergleich der Inhalte der Grundlinien mit den Rechtssystemen der Zeit macht klar, dass diese Gedanken zumindest die kritische Potenz besitzen, Überlebtes von „Ausgereiftem“ zu unterscheiden und „unvernünftige“ Entwicklungen zu identifizieren. Die Annahme, dass die Rechtsentwicklung der Völker insgesamt als Fortschritt im Begreifen und Realisieren des vernünftigen Rechts zu verstehen ist, teilt Hegel mit Kant und anderen Positionen der Aufklärung. Für Kant war eine solche Betrachtung der Geschichte als Fortschrittsgeschichte sowohl eine moralisch-rechtliche Forderung, als auch ein zur Vollendung des Systems der Wissenschaften notwendiger Versuch. Ohne die Geschichte der Kultur auf den Endzweck des Rechtszustandes auszurichten, ist nicht einmal das Verständnis der Natur als eines zweckmäßigen Systems möglich (vgl. Siep 1995, S. 358 f.). Hegel verstärkt diese These, weil er mit Schelling davon ausgeht, dass die Natur systematisch nur erkannt werden kann als eine Stufenfolge zunehmender Selbstorganisation, Selbstindividuierung und Selbstreflexion. Die Natur ist nicht nur durch ihre Erkennbarkeit auf den Geist hin angelegt, wie schon die griechische Logos-Philosophie zu zeigen suchte, sondern sie ist auch eine Skala von Vorformen des Geistes, die auf seine Selbsterkenntnis zielt. Diese setzt sich in den geschichtlichen Kulturformen fort, in denen der menschliche Geist sich zunächst in unbewussten kollektiven Produktionen zu erfassen sucht. Dabei lässt sich auch die Rechtsentwicklung der Völker nicht nur als in sich organisches Wachstum begreifen, wie bei Savigny.27 Denn das würde sie „naturalisieren“, und die Volksgeister selber auf Zufallserscheinungen reduzieren. Vielmehr leisten die Volksgeister selber ihren Beitrag zu einer universalen, fortschrittlichen Rechtsentwicklung, deren Subjekt man allenfalls den „Weltgeist“ nennen kann.28 Er bildet sich freilich nicht bloß in Juristen- und Philoso-
26 Wenn Savigny „der Mann“ ist, „welcher in der positiven Rechtswissenschaft selbst die Mög lichkeit verwirklichter […] Gerechtigkeit aus dem Logos aufgewiesen hat“ (Wieacker 1959, S. 134), steht Hegel ihm methodisch wesentlich näher, als seine Kritik an der historischen Schule glau ben macht. 27 Vgl. Savigny, Vom Berufe unserer Zeit (zitiert nach Stern 1914, S. 78): „Das Recht wächst also mit dem Volke fort, bildet sich mit diesem, und stirbt endlich ab, so wie das Volk seine Eigen tümlichkeit verliert.“ 28 Hegel hat den Begriff des „Weltgeistes“, der „in jedem Volke, unter jedem Ganzen von Sitten und Gesetzen“ sein „dumpferes oder entwickelteres aber absolutes Selbstgefühl“ hat, bereits 1802/03 in seinem Jenaer Aufsatz Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts
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phenschulen, sondern auch in Machtpolitik und Kriegen, insofern sie zu einem Rechtsfortschritt geführt haben. Auch die imperiale Verbreitung eines fortschrittlichen Rechtssystems zählt dazu – Rom ist ein prominentes Beispiel für Hegel, aber auch das revolutionäre und postrevolutionäre Frankreich. Hegel hält, anders als Savigny, den Code Napoléon für einen Fortschritt nicht nur der Systematisierung des Rechts, sondern auch der Grundsätze des Rechts. Das römische Recht hat die universale Rechtsfähigkeit jedes Menschen nicht anerkannt – und das Familienrecht Kants und der zeitgenössischen Romanisten zeigt davon nach Hegel noch Spuren. Die Begrenzung des Rechts auf ein Statusrecht wird erst durch die Prinzipien der Rechtsgleichheit und der Menschenrechte ganz überwunden.29 Hegel sieht die französische Verfassungsgeschichte seit Beginn der Revolution, vor allem in der konstitutionellen Monarchie seit 1815, als entscheidende Phase der Durchsetzung. Anders als Fichte und seit den späten 1820er Jahren auch die süddeutschen Frühkonstitutionalisten (Rotteck, Welcker, Mohl etc.) hat Hegel in den Befreiungskriegen und den daraus hervorgegangenen Ideen der Einschränkung der Staatsgewalt keinen positiven Schritt der Verwirklichung bürgerlicher Freiheiten erkennen können.30 Hegel geht in seiner historischen Betrachtungsweise über den Realismus der historischen Schule noch hinaus. Er fasst bereits den Begriff „Recht“ weiter als diese, und weiter auch als der Gegenpart, das Vernunftrecht. Und zwar in doppelter Hinsicht: Zum einen gehören zum Recht auch die moralischen und sozia len Ansprüche, die sich nicht als strikte Rechte formulieren lassen. Das sind die moralischen Ansprüche auf Wohlwollen und Wohlergehen sowie die sozialen Forderungen nach Anerkennung der Existenz, des Könnens und der sozialen Leistungen von Individuen der verschiedenen Stände und Schichten. Zum anderen gehören zur Verwirklichung auch strenger, gesetzlich oder gewohnheitsrechtlich fixierter Rechte die ökonomischen Bedingungen ihrer Inanspruchnahme und die sozialen ihrer Akzeptanz. Wenn nämlich zur Idee ihre Verwirklichung gehört, dann gehören zum Recht nicht nur die prozedura-
eingeführt (vgl. NR S. 479). In § 342 der Grundlinien ist daraus die Weltgeschichte als „nothwen dige Entwickelung der Momente der Vernunft“, als „Auslegung und Verwirklichung des allgemei nen Geistes“ geworden. 29 Zur Bedeutung der Grund- und Menschenrechte in der Rechtsphilosophie Hegels vgl. G. Lübbe-Wolff 1986, S. 421–446. 30 Rotteck und Welcker polemisieren im Vorwort der zweiten Auflage des Staatslexikons (1856) gegen „Bannspruch und Zauberformel der Hegel’schen und historischen Schulen, jene angeb liche Vernünftigkeit und die (alles freie Sollen und Reformiren ausschließende) Notwendigkeit alles Dessen, was ist, oder was historisch wurde“ (XVI).
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len (Rechtspflege, Gerichtswesen), sondern auch die ökonomischen und sozialen Bedingungen seiner „stabilen“ Wirksamkeit. Beide Arten von Rechtsverwirklichung sind Gegenstände der Kapitel „Moralität“, vor allem aber „Sittlichkeit“ in Hegels Grundlinien. Sie enthalten Überlegungen über die institutionelle Sicherung der Wohlfahrt in – gesinnungs- und tugendunabhängigen – sozialstaatlichen Einrichtungen (vgl. Siep 1992a, S. 232). Sie interpretieren die Entwicklung von ständischen Selbstorganisationen wie Genossenschaften und Kammern als Bildung der ökonomischen und organisatorischen Basis für die katastrophenunabhängige Ausübung subjektiver Rechte (vgl. §§ 230, 242 u. A, 251 ff.). Und sie erörtern die soziologischen Voraussetzungen der Akzeptanz von Rechten und der Anerkennung von Rechtssubjekten – gerade im Hinblick auf ihre Gefährdung durch Klassenkonflikte und den Verfall der Rechtsgesinnung durch Verelendung oder die Arroganz des Reichtums (vgl. § 244).31 Auch dabei hält Hegel sich freilich von theoretischen Forderungen fern. Das Problem der sozialen Sicherung bei Erhaltung der Selbständigkeit und Arbeitswilligkeit ist eines von vielen, bei denen Hegel Tendenzen und Aufgaben erkennt, ohne Lösungen zu „deduzieren“. Er deutet die Spuren gesellschaftlicher Entwicklung hin zu einem sozial verwirklichten konkreten Recht ebenso wie die Tendenzen, die diese Entwicklung gefährden (vgl. den Beitrag von Herzog in diesem Band). Eine Rechtsphilosophie, die auch noch die psychologischen und soziologischen Voraussetzungen stabiler Rechtsverwirklichung umfasst und sie in ihren systematisch-begrifflichen Gesamtaufbau einbezieht, braucht sich Realitätsferne ebenso wenig vorwerfen zu lassen wie Prinzipienlosigkeit. Sie ist damit aber nicht einfach von praktischem Nutzen für eine zwischen Aufklärung und nachrevolutionärem Stabilitätsverlangen schwankende Gesellschaft. Sie löst nach Hegel auch die Versprechen der europäischen Philosophie aus ihrer griechischen und christlichen Tradition ein. Wenn sich die Geschichte als systematische Ausgestaltung und zunehmende Erkenntnis der Idee des Rechts verstehen lässt, eben als deren „Verwirklichung“, dann braucht das Vernunftrecht ihr nicht mehr mit gehaltlosen oder utopischen Forderungen gegenüberzutreten. Man kann sich darauf verlassen, dass sich die Idee – wenn auch über Umwege, Rückfälle und „kranke“ Staaten (vgl. § 258 Z, PR-Grie S. 1405 f.) – in der Geschichte und in den langfristig sich durchsetzenden Institutionen verwirklicht. Der soziale „Stoff“ ist auf die vernünftige „Formung“
31 In der Vorlesungsnachschrift von 1819/20 betrachtet Hegel das Bewusstsein der Käuflichkeit des Rechts bei den Reichen als Pendant zum Verlust der Rechtsloyalität der Armen (PR-Rin S. 500). Auch hinsichtlich der ökonomischen „Krisentheorie“ finden sich verwandte Überlegungen bei Fries in seiner Verfassungsschrift von 1816 (vgl. Fries 1971, S. 316 ff.).
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hin angelegt wie bei Aristoteles die Materie. Ob Hegel formuliert, die Wirklichkeit sei vernünftig, oder sie werde (notwendig) vernünftig, ist geschichtsphilosophisch keine grundsätzliche Differenz.32 Dass sich die Vernünftigkeit allerdings im raumzeitlichen „hier“ erkennen lässt, wie Hegels Äsop-Zitat des „Hic Rhodus, hic saltus“ zum Ausdruck bringt, wirft, wie schon zeitgenössische Rezensenten sahen, erhebliche Probleme des Eurozentrismus auf.33 Welche Institutionen und Rechte Hegel als Resultate einer vernünftigen Entwicklung ansah, entwickelt die Rechtsphilosophie en détail. Worauf es ihm seit der Überwindung seiner frühen Qualen über das Abgleiten der Französischen Revolution in den Terror und den Zusammenbruch des alten deutschen Reiches ankam,34 war der Nachweis, dass zwischen der wissenschaftlichen Erkenntnis und der historischen Realität kein Abgrund klafft. Wenn die Geschichte – wie für die Stoa der Kosmos – auf Erkennbarkeit angelegt ist und sich im Kern als zweckmäßiges System begreifen lässt, dann stimmen subjektives Erkennen und objektive Vernunft überein. Dann ist das Individuum von seinen ständig schwankenden Meinungen (der platonischen doxa) befreit und mit der vernünftigen Substanz der Wirklichkeit (dem logos) „versöhnt“. Diese „Erlösung“ von der bloßen Subjektivität und dem blinden, vielleicht sinnlosen Schicksal in der wissenschaftlichen Theorie ist für Hegel das, was die Griechen göttlich nannten und das Christentum als „Erlösung“ intendierte. Die Versöhnung mit dem Schicksal durch Theorie erschöpft sich freilich nicht in der Rechtsphilosophie, sondern erst in einem System, das auch noch die wahren Gehalte der Kunst und der Religion – in der Philosophie des absoluten Geistes – auf den Begriff bringt.
32 In der Vorlesungsnachschrift von 1819/20 findet sich die Formulierung „Was vernünftig ist wird wirklich, und das Wirkliche wird vernünftig“ (PR-Rin S. 338). Von Heinrich Heine ist die Wendung überliefert „Alles, was vernünftig ist, muß sein“ (vgl. Nicolin 1970, Dokument 363). Zur Bedeutung der Differenz dieser Formeln vgl. Henrich 1983, S. 13–17, zur „Identitätsthese“ insgesamt auch Lucas 1993. 33 Vgl. die Rezension von Paulus in den Heidelberger Jahrbüchern für Literatur von 1821 (wiederabgedruckt in Riedel 1975, S. 53–66, hier S. 63 f.) sowie heute R. Bernasconi, „With What Must the Philosophy of World History begin? On the racial basis of Hegel’s Eurocentrism.“ In: Nineteenth Century Contexts (2000), vol. 22, S. 171–201. 34 Die sich in den Fragmenten zur Verfassung Deutschlands von 1799–1802 (vgl. VD) und in der Phänomenologie des Geistes (PG S. 316–323) verarbeitet finden.
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1.3 Die staatliche Funktion der Philosophie Hegel glaubte, in den gewaltigen begrifflichen Anstrengungen seiner Logik die Mittel für eine solche zugleich historische und systematische, begriffsanalytische und „soziologische“ Theorie des Rechts bereitgestellt zu haben. Dieser Rechtsphilosophie, die den Grundlagen des Staates ihre „letzte“ wissenschaftliche Rechtfertigung gab (vgl. E § 552 u. A) und dem Individuum in seinen „protestantischen“ und cartesisch-skeptischen Rechtfertigungsforderungen Befriedigung verschaffte, musste in einem Staat, der sich wie der preußische – zumindest seit Friedrich dem Großen – auf Vernunft berief und auf Wissenschaft stützte, ein hervorragender Platz zukommen. Hegels Anspruch für die Philosophie im Staat liegt gewissermaßen zwischen Platons Konzeption der Philosophenkönige und Kants Palladium der Volksrechte in der kritischen Feder des Philosophen.35 Hegel hat die platonische Politeia nie als Utopie begriffen, sondern ebenfalls verstanden als „ihre Zeit in Gedanken gefaßt“ – nämlich als Theorie der athenischen Polis. Er hat sich schon in der Jenaer Zeit insofern an ihr orientiert, als er für einen ständisch gegliederten Staat optierte. Stände sind aber für Hegel Berufsstände, zu denen jeder durch Qualifikationsnachweise freien Zugang hat. Nur in einem solchen Staat ist für Hegel soziale Anerkennung aufgrund beruflicher Kompetenz möglich, und nur in einem solchen kann sich politischer Wille aufgrund von Sachkompetenz bilden. Die Dynamik der auf Gewerbefreiheit und Marktprozessen beruhenden bürgerlichen Gesellschaft ist ebenfalls nur durch ständische Organisationen zu regulieren. Die Rückkehr zu ständischen Verfassungen in der napoleonischen Zeit war für Hegel das Resultat der historischen Erfahrungen mit dem Gleichheitsterror der Revolution (vgl. PG S. 320–322; Rosenzweig 1920, S. 193 f.). Innerhalb der Ständeordnung gibt es für Hegel auch ein Äquivalent zum platonischen Wächterstand: der „allgemeine“ Stand des wissenschaftlich gebildeten Staatsdienstes, in dem nach der frühen Jenaer Konzeption auch Militär und Philosophie eine herausgehobene Rolle spielen (vgl. NR S. 455). Anders als Platon hat Hegel den Philosophen aber niemals eine staatsleitende Funktion zugedacht. Auch die Rousseausche Ambition des großen Verfassungsarchitekten (législateur; vgl. Rousseau 1986, II, 7) lag Hegel fern. Die Idee ist für ihre Verwirklichung nicht auf die philosophische Umsetzung durch Staatskonstruktion und Philosophenherrschaft angewiesen. Sie setzt sich in dem „stillen Wirken“ des Volksgeistes ohnehin durch. Die eigentliche Funktion der Philosophie ist eine kritische im
35 Zu diesem Anspruch Hegels für seine Rechtsphilosophie vgl. auch Fulda 1968.
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Sinne der Prüfung der Verfassungsentwicklung am Maßstab ihrer Rekonstruierbarkeit nach Vernunftprinzipien des Rechts und der Freiheit. In dieser Funktion stimmt Hegel mit Kant überein. Auch darin, diese Aufgabe nicht der Jurisprudenz zu überlassen, die sie, gerade im Zeitalter der Wendung zur Rechtsgeschichte, gleichsam durch Gelehrsamkeit „erstickt“. Gegen Hugo gewandt schreibt Hegel in einer Randnotiz zu § 3 der Grundlinien: „Gelehrter, heißt es, versteht die Sache […] Als ob hiemit alle Bürger, welche keine juristischen Collegia gehört, vom Rechte nichts verstünden; – solche Juristen sehen die übrigen Menschen als ihre Rechtsleibeigenen an […] Diß Recht zu vernünftigem Begreiffen läßt sich kein Volk nehmen – Keine Layen – hier noch weniger als in der Religion […] – und es ist die Zeit gekommen, daß man nach der Vernunft der Sache fragt.“ (§ 3 R, S. 305) Nach der Vernunft der Sache fragen die Philosophen als Sachwalter des Volkes. Sie sind das aber nur, wenn sie sich auf die Objektivität und Wissenschaftlichkeit ihres Denkens berufen können. Denn die unwissenschaftliche „Befriedigung jenes prickelnden Triebes, seine Meynung zu sagen“ kann zwar in einem stabilen Staat in Grenzen (§ 319) toleriert werden; aber eine Kontroll-, Kritik- oder Rechtfertigungsfunktion kommt ihr nicht zu. Hegels Anspruch für die Philosophie, die Rechtfertigungsfragen des Individuums bzw. des Volkes stellvertretend zu übernehmen, geht allerdings nicht so weit wie bei Kant. Für diesen verteidigt ja vor allem die philosophische „Feder“ die Volksrechte, indem sie die Gesetze an der Idee misst, ob das Volk sie über sich beschlossen haben könnte bzw. ob sie Inhalt des „ursprünglichen Kontrakts“ sein könnten (vgl. Kant, Über den Gemeinspruch etc., AA VIII, S. 304, und Zum ewigen Frieden AA VIII, S. 368). Für Hegel kann die Rechtfertigungsfrage dagegen nur an die Rechtskultur eines Volkes im Ganzen und an ihre wesentlichen Prinzipien und Institutionen gestellt werden. Den Staatsvertrag zur Grundlage der Gesetzesprüfung zu machen, jedes Gesetz als eine Art Wiederholung des Staatsvertrags anzusehen wie Rousseau und Kant, bedeutet für Hegel, die Privatinteressen der Bürger zum Maßstab ihrer Rechtsloyalität zu machen. Dieser Kritik kann man angesichts der moralischen Bedeutung des Vertrages bei Rousseau und der kategorischen Verpflichtung zum Rechtszustand bei Kant nicht zustimmen. Auch für Hegel gehört im Übrigen die langfristige Nützlichkeit des Staates für die privaten („besondere[n]“) Interessen zu den legitimen Gründen des „Patriotismus“ (R § 268). Unbescheidener als Kant will Hegel allerdings zeigen, dass der für diesen noch zukünftige Verfassungsstaat sich zwischen 1789 und 1815 in den Grundzügen ausgebildet hat. Und dass ein solcher Staat in der Lage ist, nicht nur das Recht, sondern auch das Wohl und eine „objektive“, trotz Gewissensfreiheit von bloßer Meinung auch unabhängige „Moral“ zu gewährleisten. Dauerhafte Erfüllung der Wohltätigkeitspflichten gegen andere setzt korporative und staatliche
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Sozialeinrichtungen voraus. Die „eigene Vollkommenheit“ – neben dem Wohl der anderen die zweite der beiden Tugendpflichten bei Kant – ist aber erst in der „Sittlichkeit“ einer öffentlich-politischen Existenz im Sinne des Aristoteles erreicht. Der Staat ist mehr als ein Verband zum Schutz der subjektiven Rechte. Er ist ein Raum des öffentlichen Lebens, in dem der Einzelne in der Tätigkeit für das Gemeinwohl seine Beschränkung aufs Private überschreiten und sich durch die Mitgliedschaft in einer zeitüberdauernden Institution „verewigen“ kann. Dieser, auch dem neuzeitlichen Vernunftrecht – vielleicht mit Ausnahme Rousseaus – entgegenstehende Selbstzweckcharakter des Staates wird von Hegel schon im Untertitel der Grundlinien: „Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse“, betont. Die philosophische Theorie, die zu einem solchen Staatsverständnis fähig ist, beansprucht keine politische Macht, aber ihre theoretische „Erlösung“ zeigt, wie das neuzeitliche Subjekt in einem seinen Rechtfertigungsforderungen entsprechenden Gemeinwesen seine politische Existenz – im Sinne der griechischen Polisphilosophie – erfüllen kann. Diese Erfüllung liegt in der durch Kompetenz und soziale Funktion vermittelten Teilnahme an der Festlegung und Durchführung des Gerechten und Nützlichen für eine gesetzlich geordnete Gemeinschaft freier Bürger (vgl. Aristoteles, Pol. 1253a 8–17, 37 ff.; 1275a 23). Im „intérêt commun“ (Rousseau) des Gemeinwesens ist auch das „besondere“ Interesse der einzelnen auf die Dauer gewährleistet – was Konflikte zwischen beiden bis zum Opfer des Lebens nicht ausschließt. Auch ein solches Opfer aber ist als Bestätigung der Bürgerschaft im unbedingt notwendigen Staat des Rechts noch „substantielles“ Interesse (§ 268) des Bürgers. Der philosophische Nachweis dafür ist ein Gut, das zur Stabilität des Staates und zu Recht und Glück der Individuen notwendig ist – also vom Staat ermöglicht und garantiert werden muss. Im Hinblick auf die Kantische Postulatenlehre charakterisiert, ist ein solcher Staat durch Recht, Akzeptanz und Machtmonopol in der Lage, im großen Ganzen und auf die Dauer das „höchste Gut“ der Übereinstimmung von Gerechtigkeit und Glücksverlangen zu gewährleisten. Staatlichkeit, wie sie in Staaten einer Rechtsordnung der Freiheit und des Wohls verkörpert ist, hat für Hegel daher sowohl Kantische wie Aristotelische (§ 258: „absoluter unbewegter Selbstzweck“) Prädikate des Göttlichen (vgl. Siep 2015). Solche Staatlichkeit darf durch keinen religiösen Fundamentalismus infrage gestellt werden (vgl. § 270 A). Der autonome Staat steht aber einem aufgeklärten Christentum auch nicht unverträglich gegenüber, wie die Rousseausche Republik (vgl. Rousseau 1986, Buch IV, Kap. 8), sondern findet in ihm ihre für den religiösen Wahrheitssucher wichtigste Bestätigung, wie die Hegelsche Deutung des Christentums zu zeigen sucht (vgl. E § 552).
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Hegel sieht seine auf der Wissenschaft der Logik beruhende Rechtsphilosophie als die einzige an, die über eine Methode der vernünftigen und realistischen Staatstheorie verfügt. Sein Begriff von wissenschaftlicher Objektivität geht so weit, alle anderen Behandlungen etwa der Monarchie als „Aufhebung“ der Majestät, also als ein Verbrechen, zu qualifizieren (vgl. R § 281 A). Einen Pluralismus wissenschaftlicher Methoden konnte Hegel sich so wenig denken wie die meisten seiner Vorgänger und Zeitgenossen.36 Nur die systematische, alternativlose Erkenntnis konnte einer Wirklichkeit gerecht werden, die in sich logisch, d. h. zweckmäßig und begrifflich-notwendig strukturiert sein musste, wenn Vernunftwesen nicht einem blinden, unerkennbaren Schicksal ausgeliefert sein sollten. Dass dem Zufall in der Natur, der Geschichte und in Maßen auch im sozialen Leben eine befreiende Funktion zukommen könnte, dass er uns von Determiniertheit, Systemzwang, Vergewaltigung individueller und sozialer Spontaneität „erlösen“ könnte, ist Hegel so wenig in den Sinn gekommen wie vielen modernen „Sinnsuchern“. Die gewaltigen Ansprüche Hegels, die seiner Polemik gegen die in seinen Augen unwissenschaftliche Philosophie von Fries, Hugo, Haller und anderen zugrunde liegen, sind soweit intern verständlich zu machen. Die historisch-teleologischen Annahmen sind aber wohl ebenso wenig haltbar wie die einer „logischen“ Notwendigkeit innerhalb des Begriffssystems des Rechts, ja aller Wissenschaften und langfristigen Kulturgebilde (Kunst und Religion). Eine Begriffs- und Prinzipienanalyse der historischen Rechtskulturen ist aber nach wie vor notwendig. Sie wird – wie gesagt – dem Zufall, den kulturellen Varianten, auch den gleichwertigen Problemlösungen mehr Raum lassen müssen als Hegel. Kulturen des Gewohnheitsrechts können mit denen der kodifizierten Verfassungen und Gesetzbücher koexistieren, sich vielleicht – wie im europäischen Rechtsraum – auch überschneiden und ergänzen. Aber die Rechtsphilosophie wird heute auch verstärkt nach einer Art von gemeinsamer Substanz (oder Konvergenz) verschiedener Rechtskulturen suchen müssen. Ob sie allein im Begriff des autonomen Subjekts, der freien und gleichen Rechtsperson und ihrer „Menschenrechte“ liegt oder auch im Schutz von Gemeinschaftswerten wie Solidarität und Respekt vor kulturellen Identitäten – am Ende sogar in konvergenten Vorstellungen einer gerechten Ordnung der Natur (vgl. Siep 2004) – haben die zukünftige Rechtsphilosophie und Ethik zu klären.
36 Ausnahmen sind Schleiermacher (vgl. Scholtz 1994) und der junge Görres, der 1803 im Vor wort seiner Aphorismen über die Organonomie einen republikanischen Pluralismus gegen die Endgültigkeitsansprüche der Genies und der Schulen forderte (Görres 1932, S. 171 f.). Zuletzt wurde eine solche Forderung verschärft von Rorty 1988, S. 82–125.
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2 Hegel, Freedom, The Will The Philosophy of Right: §§ 1–33
2.1 Hegel claimed to have developed a speculative philosophy that could accomplish what no other theoretical position in philosophy had succeeded in doing. This systematic philosophy, “introduced” and “deduced” by his Jena Phänomenologie des Geistes (cf. PG), most comprehensively formulated in the Wissenschaft der Logik (cf. L I,1 ff.), and most exhaustively developed and explored in the various versions of the Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (cf. E; HE), was finally to have made possible a way of rendering intelligible the actual world in all its “concreteness.” However, like many other radically revisionist philoso phers (such as Kierkegaard, Nietzsche, Wittgenstein or Heidegger), Hegel claimed thereby not to be solving traditional philosophical problems but to be dissolving or undermining many conventional formulations of the problems at issue and this by, for the first time, correctly formulating the terms of the problems. A new way of thought, or new language, or even new “logic,” was necessary for this.1 The heart of this account is a theory of determinacy or a way of understand ing the possibility of judging this rightly to be this and not that. This theory was to enable us to give a proper account of the actual world, Wirklichkeit, in all its manifoldness, contingency and change and in its unity and sameness and stabil ity. The great problems of determinacy especially at issue again in modern nomi nalism and individualism, the problems of the One and the Many, of sameness and difference, of universal and individual, could be “overcome” (aufgehoben) if properly or logically posed, and if the reasons for the insufficiencies of prior formulations were properly understood. This aspiration to a unified and system
1 The idea that so much can be said to follow from the alleged characteristics of ways of think ing, and not from the characteristically different ways things happen to be, is the single most complex and controversial claim in Hegel’s idealism. Understanding why he believes this re quires, I have argued elsewhere, a proper appreciation of his relation to Kant, not to mention a proper appreciation of Kant himself (cf. Pippin 1989). In this context the central issue that must be left undiscussed: the shift in the Encyclopedia away from a physicalist account of natural matter, and towards living and self-directing beings. The argument there is paradigmatic of just what Hegel thinks follows from special ways of thinking, rather than, directly, ways of the world, and why he thinks that. DOI:10.1515/9783110496529-005
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atic account of the very possibility of determinacy and of the compatibility of determinacy with a systematic totality was not, however, based on traditional rationalist or monistic expectations: i. e., that what we encountered as the infi nitely inexhaustible diversity of the world was a mere illusion, to be seen through and understood as a manifestation of some real world beyond this one, or of some Ur-eine source. Neither was such manifold particularity to be accepted as a brute, simply irreducible starting point, permitting as a unified account only ever more abstract (and so untrue) empirical or reflective generalities, or the mere useful ness of names. Whatever the immense complications of the conceptual and ontological claims involved in such an account of the nature of the concreteness of the con crete individual and in the elaborate anti-dualist and anti-reductionist theses thereby advanced, the importance of such aspirations for the version of Hegel’s Vorlesungen über Rechtsphilosophie given in 1819–1820, and published in 1820 as the Grundlinien der Philosophie des Rechts, is everywhere apparent in the work’s “Introduction” (§§ 1–33). Hegel calls our attention to it in numerous ways. In the first place, the language used to introduce the Grundlinien immediately forces into prominence the speculative claims. Philosophical sciences have to do with “ideas,” not mere “concepts” and unless we understand this properly, we will not understand the claims which follow. The “idea of right” will account for both its concept and its “Verwirklichung”;2 understanding the distinct “interpen etration” (Durchdringung) of determinate existence and concept, not their mere “harmony,” is what distinguishes a philosophical account like this one. (In fact, on a philosophical understanding, a concept is even said to “give itself” actual ity; and we can even ultimately claim that “nothing lives which is not in some way Idea.” (§ 1 Z, PR-Hot p. 776: “Nichts was nicht auf irgend eine Weise Idee ist, lebt.”) And then, to add to the complexity, in § 3, Hegel immediately and carefully notes that this speculative claim about “actuality” has nothing to do with any deduction of the “positive” forms of right, nor is it at all relevant to the question of actual legislation or to particular events in political and legal history as such.3
2 The standard English translation for this term is “actualization.” For reasons I defend else where, I would suggest something like the “becoming effective” of a concept, although for ease of reference I will use below “actuality” and its cognates. (cf. Pippin 1995). 3 See especially the qualification in the Anmerkung: “Dieser Unterschied, der sehr wichtig und wohl festzuhalten ist, ist zugleich sehr einleuchtend; eine Rechtsbestimmung kann sich aus den Umständen und vorhandenen Rechts-Institutionen als vollkommen gegründet und consequent zeigen lassen und doch an und für sich unrechtlich und unvernünftig seyn, wie eine Menge der Bestimmungen des römischen Privatrechts, die aus solchen Institutionen, als die römische väterliche Gewalt, der römische Ehestand, ganz consequent flossen” (§ 3 A).
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Moreover, the very concept of right itself, the possibility of conduct con strained by norms, and our presumptions in using it at all, are “presupposed” in these lectures, and taken as “given.” Most importantly and more explicitly, everything claimed henceforth about the true realization of the norm, Recht, will depend on understanding the “basis” (Boden) of that norm, spirit (Geist), par ticularly as manifest in a “free will,” and so verwirklicht only in the “system of right.” Indeed, that speculative claim about real or concrete freedom – that a free will can only “actually” be free, within, as a co-participant in, specified ethical institutions – is the basic argument of the Grundlinien, and, already, the specu lative implications (and great ambiguities) of the criterion at issue in this argu ment – “actualizability” – are manifest. (The summary claim toward the end of the “Introduction” in § 29: “Dieß, daß ein Daseyn überhaupt, Daseyn des freyen Willens ist, ist das Recht. – Es ist somit überhaupt die Freyheit, als Idee.”) The overall intention of the “Introduction” as a whole is just to contrast a traditional philosophical treatment of the concept of a free will with a speculative treatment of a real or actual free will, and the extraordinary difficulties in following this latter treatment are fully on view in the central summary of Hegel’s position in § 7. “Der Wille ist die Einheit dieser beyden Momente; – die in sich reflectirte und dadurch zur Allgemeinheit zurückgeführte Besonderheit, – Einzelnheit; die Selbstbestimmung des Ich, in Einem, sich als das Negative seiner selbst, nämlich als bestimmt, beschränkt zu setzen und bey sich, d. i. in seiner Identität mit sich und Allgemeinheit zu bleiben, und in der Bestimmung sich nur mit sich selbst zusam men zu schließen. – Ich bestimmt sich, insofern es die Beziehung der Negativität auf sich selbst ist” (§ 7).4 However, in the Anmerkungen to these early paragraphs, Hegel does not hesi tate to concede that all such presuppositions – about the nature of Ideas, the relation between idea, concept and actuality, the nature of spirit, the relation between spirit and intelligence and freedom, even the right way to understand the logic of the claim that spirit is freedom – are all explained and defended not in the pages that follow, but only in the Enzyklopädie. This admission, together with the fact that Hegel’s terminology is designed to be untraditional and only inter
4 As is often the case with Hegel, this last phrase captures, with massive compression, what he is after. The I is self-determining in so far as it is “the relation of the negative to itself.” Freedom does not require the abstraction from contingent inclinations or inheritances, what from the pure point of view might seem the “negative” of me, what is not me or not self-determined, nor does it require, as in existentialism, that I somehow assume my “real” responsibility for what might appear not me, denying its “negativity”. The negative remains negative but is a self-relating nega tivity; or at this point: neither the one nor the other.
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nally explicable, makes the introduction of all these crucial notions very hard to understand, to say the least. The speculative language within which the fundamental claims of the Grund linien are introduced has prompted a number of understandable strategies. The most understandable is the most prominent in Anglophone commentaries: to ignore such speculative dimensions. After all, the terms used both in the “Intro duction” and in the three main parts of the work are not all technical terms of systematic art. Whatever the ultimate goal, along the way Hegel is clearly making recognizable philosophical claims about justice, the nature of law and respon sibility and punishment, the new social relations now characteristic of modern Western societies (civil society), the character of a modern state, the nature of sovereignty and so forth. Some of the most influential and powerful claims in the Grundlinien, it would certainly seem, can be economically discussed as matters of political theory alone, claims like: the modern state cannot be understood as an administrative extension of civil society but presupposes a distinct ethical bond among citizens; that instrumentalist and contractarian versions of that bond cannot succeed; that this unique bond must be realized in an actual subject (a constitutional monarch); or even such very sweeping claims as: the greater suf ficiency of a social ethics when compared with the post-Christian moral point of view. Those philosophers suspicious of the systematic flourishes with which Hegel begins the Grundlinien, but interested in writing about Hegel philosophically, not just historically, have produced a wide range of helpful commentaries. A general comment on such an approach will have to suffice here. The most interesting results thereby produced have, I think, been critical or negative. Hegel, read fairly austerely as a traditional political theorist, can indeed raise a number of compelling objections about the sufficiency of the liberal and moral conception of modern ethical life, and can provide a “penetrating analysis of the human pre dicament in modern society” (Wood 1991, p. xxvii). (For example, together with Rousseau, he helped identify the complex problem of alienation and explained why it was a problem for liberal theory.) More theoretically, Hegel showed to the satisfaction of many commentators that no rational-egoist or moral-individualist starting point will ever get us any justification of the social and political culture indispensable for any sort of individually righteous, fulfilling, and secure life. But these results, I would suggest, must remain wholly negative without some appreciation of the radicality with which Hegel is attempting to trans form the categories of political life itself; the way, fundamentally, we must think about ourselves as agents and about our collective lives. Without some attempt to understand what I am calling this speculative reformulation of the basic issues in ethical and presupposed in political life, his full case against liberal individual
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ism, and conscience and duty based moralism (as opposed to interesting ad hoc arguments against particular claims) cannot be defended, and, especially, the implications of that critique for the possibility of a just, modern, secular, free society and constitutional regime cannot be drawn.5 (It is otherwise always open to a liberal theorist to concede many of the weaknesses and uncertainties pointed out by the Hegelian, but simply to insist that a claim to rights protection and a general, egoistically motivated welfarism, however flimsy, are all we moderns can rationally rely on in making claims on each other. We’ll just have to learn to live with the uncertainties and insufficiencies of “negative liberty,” etc.) These latter Hegelian implications, on the contrary, depend on being able to understand and defend Hegel’s claims about spirit, freedom, and the actualization of indi vidual free spirit within (and only within) a distinct modern totality or whole, all in the distinct speculative way he understands such a spiritual totality, or ethical life (Sittlichkeit). However, as we reach a familiar dilemma, keeping faith with these specu lative aspirations apparent throughout the “Introduction” would seem capable of producing, at best, only an internally consistent or historically accurate but not a philosophically interesting result. If we really need a full understanding of Hegel’s speculative theory of the concept and conceptual determination (and thereby his theory of the syllogism) to understand, say, how individual freedom can be realized in the universal order of the state rather than sacrificed to it, or to understand the freedom of the will itself as “the self-reference of negativity,” we appear headed into a dangerous and mysterious forest, from which few have returned speaking a language anyone else can understand (cf. Ottmann 1982; Henrich 1982, esp. p. 444). A more modest attempt is possible, however, if we concentrate first only on what we appear to need to understand in order to under stand several of the foundational claims about Geist and freedom made in the “Introduction”. Or so I hope to demonstrate in what follows.
2.2 The basic claim in the “Introduction” concerns the nature of freedom. Hegel suggests that the Grundlinien will establish that, once we understand freedom concretely, in its actuality (and not merely negatively, as a capacity to resist inc
5 For an example of how much can be said about Hegel’s ethics, even on the assumption that I am disputing here (that his speculative project is a failure and largely irrelevant), see Wood 1990. Cf. my review (Pippin 1993).
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linations and desires, to withdraw from and stand above sensible impulses: the “infinite” freedom not to act) we shall understand why only an ethical being (sittliches Wesen), a rights bearing, morally responsible member of modern ethical life and the modern state, can be free. Hegel, as he concludes the discussion in § 33, proposes to show how and why “the development of the Idea of the will which is free in and of itself,” must be understood “in stages,” the stages that correspond to the sphere of abstract or formal right, of morality and, most com prehensively, of ethical life. This goal returns us to the original claims of § 4, and to the reliance of the Grundlinien on Hegel’s account of Geist and, thereby, on the claim that Geist must be understood as “free will.” We thus need first to recall the systematic status of Hegel’s Grundlinien within his theory of Geist and the status of that realm within the system as a whole. This is important for two reasons. First, Hegel reminds us that he has here simply presupposed that the full actualization of Geist is freedom. This means that he must show somewhere that a “spiritual being” cannot be what it is except as a free agent. Thus, what is involved in conceiving of a being as geistig is clearly prior. However this argument is supposed to work, it is clearly important for his ultimate claim about the absolute value of human freedom. And this is the basis for Hegel’s famous departure from those forms of liberalism which sharply dif ferentiate the “right” from “the good,” or assume such an incommensurable plurality of possible human goods, that the freedom to pursue a life plan of one’s own is understood only “negatively,” as a consequence of the lack of any supreme authority for a collective good. This view, he argues, is not only based on a confused logic, but cannot “actually” generate the allegiance and the social, ethical bond necessary for the sustainability and reproduction of an ethical order. Freedom, on his view, is both a substantive and social good, and his case for that is deeply tied to what he thinks Geist is. Secondly, it is only by recalling Hegel’s systematic understanding of Geist, and especially his account of the relation between what he calls subjective and objective Geist, that his account of the nature of free will can be understood. This account, it will turn out, is not at all the voluntarist, libertarian or incompatibil ist theory sometimes suggested by the invocation of free will, and understanding this position will help make clearer the foundational claims made in § 4–7, the basis for the whole argument that only as an ethical being can a spiritual being be free.6
6 By “voluntarist” I mean to refer very generally to the philosophical notions associated earliest with Augustine and Aquinas and important in Kant (though prominent already in the writings
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As every student of Hegel knows, his encyclopedic world is divided into three parts, a Wissenschaft der Logik, a Philosophie der Natur and a Philosophie des Geistes (vgl. E). For the moment, the immediately important issues suggested by such systematic aspirations arise in his philosophy of spirit, further subdivided into a “Philosophy of Subjective Spirit,” “Philosophy of Objective Spirit,” and “Philosophy of Absolute Spirit.” Although there are important and interesting differences between the Encyclopedic formulation of the “Philosophy of Objec tive Spirit” and the published Grundlinien, on the issues of relevance to us, the presentation is roughly the same in both.7 Hegel’s political and ethical theory, his account of abstract right, morality, and ethical life (Sittlichkeit), is to be under stood as a “philosophy of objective spirit.” This means that, as Hegel repeatedly says, just as with the Enzyklopädie account of objective spirit, the Grundlinien can only be understood within the account of spirit as a whole and its determinate moments. What is that theory? Not surprisingly the whole theory of spirit does not permit easy summary. But several points in the Enzyklopädie presentation must be kept in mind, especially the relation between subjective and objective spirit, and what the presentation as a whole reveals about the category of Geist itself. Any careful reading of Hegel’s remarks on the latter issue will produce some surprises for readers used to a Hegel committed to an immaterialist or mental ist metaphysics. In the “Introduction” to the Philosophy of Spirit, in section § 381
of St. Paul), wherein some intellectual apprehension of an objective good, or what is believed to be a happiness producing situation is differentiated from the realm of desires, felt inclinations and aversions largely resulting from experiences of pleasures and pains or imagined pleasures and pains and inclining us to act independently of (though not necessarily contrary to) rational beliefs. Within this differentiation desires might be said to be trained by reason, but, it is argued, such beliefs and desires alone cannot fully account for human action; we also need to invoke a dis tinct faculty, the will. Otherwise, as in Paul’s famous self-reproach (“I do the very thing I hate”), we could not account for the situation where I recognize what would be good for me, desire what is good for me, but do not act (or recognize what is bad for me, a sin say, hate it deeply, but “choose” to do it anyway). I must presumably “will” to do what I believe I ought and desire to. I must have what Aquinas called a “rational desire”. Even in cases where I choose the bad, I am not overcome by passions or simply mistaken. (The question of whether Aquinas himself really has the notion of a will needed by Christian apologetics, and especially by Augustine’s theodicy, or whether he remains too intellectualist and Greek, is a complex one, explored at length in a very helpful article by Irwin 1992. 7 Since I am trying to offer a comprehensive picture of Hegel’s theory of Geist and freedom, in so far as I understand it, I am making free use of materials and lecture notes written after the Grundlinien proper, but which helpfully reflect on and illuminate its core position.
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(“Begriff des Geistes”), Hegel sounds the odd theme that sets his position off from traditional materialist or immaterialist accounts of mentality. “Der Geist hat für uns die Natur zu seiner Voraussetzung, deren Wahrheit, und damit deren absolut Erstes er ist. In dieser Wahrheit ist die Natur verschwunden, und der Geist hat sich als die zu ihrem Fürsichseyn gelangte Idee ergeben, deren Object eben sowohl als das Subject der Begriff ist” (E § 381). Whatever else this passage means, it is clear from the unusual expression, the “truth of nature,” that Hegel does not want to introduce us to Geist as the “other” of nature, as non-natural or supernatural.8 Now, the very structure of the Enzyklopädie had already suggested some sort of compatibilist position, a way of understanding both the unavoidability and the necessity of explanations limited to the properties of extended matter moving in space, as well as a way of under standing the “internal” limitations of such an account, and so the determinate necessity of “geistigen” categories.9 (Typical of Hegel’s procedure, these insuffi ciencies are taken to be apparent under the assumption that such a wholly “natu ralist” account could putatively be taken to be “absolute,” or all the account given there could be.)10 As one might expect with a famously reconciliationist, holist or systematic philosopher like Hegel, the desideratum for the system must be a posi tion on human mentality and agency which is anti-dualist, while not being reduc
8 The implication, that material nature itself is “untrue” obviously does not imply that there really is no such material nature, but that, to use an Aristotelian formulation which Hegel would endorse: the material properties of the thing cannot tell us “the truth” of that thing, what it is to be “that” thing. What functions in Aristotle’s hylomorphism though (eidos) in giving such an ac count, is replaced in Hegel by the theory of the concept, and therein lies a long story about Kant. For a more extended and very illuminating discussion of the issues surrounding Enzyklopädie, § 389, see Wolff 1992. 9 By “compatibilist” here I mean only that Hegel argues that some form (presumably the prop erly understood form) of freedom, of being the true subject or agent of my deeds, is not philo sophically inconsistent with some form (presumably the properly understood form) of causal determinism. As we shall see, he does not frame the issue though in terms of the traditional “free, absolutely, at all times, to do otherwise than I did” criterion. Thus, like many compatibil ists (Leibniz, Hume, Spinoza, recently Dennett) the issue starts and often ends with the question of what is to count as freedom. Parkinson 1985, frames Hegel’s problem of freedom in terms of the compatibilism issue, and generally defends some sort of dual aspect view as relevant to the Grundlinien. But his reliance on the “self-determination of the world mind,” (ibid. p. 166), despite the helpful gloss on Eckhart on p. 168, seriously limits this interpretation and leaves much of the basis of Hegel’s case unexplored. See also Schacht 1976, pp. 310 ff., for a Spinozist (suitably “subjectivized”) reading. 10 Such a reductio, in which antinomic implications are shown to follow from some such sup posedly absolute premise, is the most recognizable aspect of Hegel’s famous “dialectical” pro cedure.
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tionist (in either the materialist or immaterialist sense). This claim about “the truth of nature” introduces more explicitly the terms of Hegel’s compatibilism, the foundational claim about Geist upon which the account of freedom will be built. Within the context of post-Kantian philosophy as a whole, the question of the possibility of such a position (which Hegel clearly thinks is still best represented by Aristotle’s hylomorphism) turns on the question of the nature of the claimed insufficiency of a thoroughgoing mechanism or physicalism. Hegel’s remarks in § 381 of the Enzyklopädie indicate that he has clearly rejected the Kantian solu tion (that the intelligibility of our practical lives requires the assumption of a dis continuous or non-natural, noumenal realm of Geist), and has announced his own proposal in a distinctly “logical,” and not a metaphysical, substantialist manner: Geist is the “truth” of nature, not at all “other” than nature, even if the notion of spirit is not itself fundamentally a natural category.11 If, as he summa rizes the position in the Zusatz to the same paragraph, we consider the catego ries that are necessary to account for “externalized” or matter-in-motion nature, we find (supposedly) those categories internally incapable of accounting for the organization and reproduction of certain kinds of natural beings, living beings.12 Modern natural science, as Hegel understands it, operates under distinct and, in the proper domain of explicanda, completely adequate metaphysical assump tions, the chief of which he calls the Auseinandersein, being external to itself, or nature, roughly, as moving and colliding parts. Thus the claim: “Die Philosophie hat also gewissermaßen nur zuzusehen, wie die Natur selbst ihre Äußerlichkeit aufhebt, das Sichselbstäußerliche in das Zentrum der Idee zurücknimmt13 oder dies Zentrum im Äußerlichen hervortreten läßt, den in
11 I realize that the passages I am discussing and will continue to cite can be read a very dif ferent way; as if Hegel is claiming that it is a necessary truth that, if there are natural beings, there must be geistige beings. It would be metaphysically necessary that there could not be only natural beings because what there absolutely is (let us say, on this reading) is Geist externalizing itself and returning to itself, and so the proper comprehension of nature requires understanding its necessary relation to this self-unfolding and its necessary development. I see very little evi dence that this is Hegel’s position, but concede that much more discussion would be necessary to adjudicate the two readings. 12 I mean to refer here to the issues developed in the account of “Der thierische Organismus” (E §§ 350–367). The structure of Hegel’s case is such that, were we to understand just why the category, “living kind,” cannot be accounted for by reference to physical properties alone, we would also understand, for the same sorts of “logical” reasons, why Seele and Geist are inexplicable by reference to material or immaterial substantial properties. 13 This unusual phrase obviously requires more of a gloss than can be given here. The idea that the notion of nature should be regarded as the “self-externalization of the Idea” introduces here the claim that all of the dimensions of natural explanations must be understood within the
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ihr verborgenen Begriff von der Decke der Äußerlichkeit befreit und damit die äußerliche Notwendigkeit überwindet” (E § 381 Z / VPSG II S. 933). It is this sort of demonstration of the insufficiency of accounts wedded to such assumptions of “self-externality” to explain, render properly intelligible, the doings and sufferings of beings still indisputably composed of such particles and motions that Hegel calls the “becoming” or the “Hervorgehen” of Geist and even the right way to understand “Dieser Übergang von der Notwendigkeit zur Freiheit” (E § 381 Z / VPSG II S. 933).14 This all (however still obscure) only briefly indicates what the category of Geist is not supposed to be (not supernatural, but the “truth of nature,” a way of understanding self-maintaining and ultimately self-determining natural beings not explicable in philosophy-of-nature terms), and we do not yet know how it, and not more properly natural accounts, is required to account for the full truth of what natural beings are capable of.15 But the distinctness of the category as such
overall teleology of spirit’s attempt to understand itself and “its own” notions. It refers, in other words, to the basic issue in Hegel’s idealism. 14 Here is the most explicit statement of Hegel’s compatabilism: “[…] das Hervorgehen des Geistes aus der Natur nicht so gefaßt werden darf, als ob die Natur das absolut Unmittelbare, Erste, ursprünglich Setzende, der Geist dagegen nur ein von ihr Gesetztes wäre; vielmehr ist die Natur vom Geiste gesetzt und dieser das absolut Erste” (E § 381 Z, S. 24). Again, the claim that Geist is das absolut Erste refers, I have argued elsewhere, to the claim that the categories of nature are normative principles and laws that must be ultimately understood as the self-limitations of mind itself, as a priori constraints. The absoluteness in question refers to the absolute irreducibility of this normative dimension in mentality and action, but that is a different and very controversial story. See Pippin 1989, pp. 175–200. This way of formulating Hegel’s position obviously shifts one’s interpretive focus in reading the Enzyklopädie to the question of explanatory adequacy and proposes to read the work as an extended essay on the criteria of explanatory adequacy. I think the evidence is persuasive that this is how Hegel wants the work to be read, that he is out to clarify the assumptions under which certain explanatory strategies are appropriate and when not, and so is out to show that just as it was inappropriate (in “premodern accounts,” say) to treat the inanimate world as if animate and intentional, there are also good reasons (against modern mechanism) for not treating the animate world as inanimate, reasons related to the kind of explanation we will get if we do and to its inappropriateness. 15 One way of thinking about the logic of this claim is through the contemporary notion of “su pervenience,” as DeVries 1988 has argued. The language of supervenience and emergent proper ties is useful up to a point, but the question that interests Hegel is not merely how it might be logically possible to use both geistig and natural categories, but why the former should be neces sary or unavoidable. To account for this, DeVries resorts to a traditional and quite implausible notion of Geist unfolding itself in time which does not, I think, reflect Hegel’s considered view of his systematic project and his answer to that question cf. id., pp. 41–52; Pippin 1991.
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is quite important to keep in mind for the Rechtsphilosophie and worth lingering over somewhat longer. For example, consider this claim from the Fragment zur Philosophie des subjektiven Geistes, written just after the Grundlinien were published (1822–5). “Die Philosophie des Geistes kann weder empirisch noch metaphysisch seyn, sondern hat den Begriff des Geistes in seiner immanenten, nothwendigen Ent wicklung aus sich selbst zu einem Systeme seiner Thätigkeit zu betrachten” (PsG, S. 217). Geist must not, especially for our purposes, be considered metaphysically, but only with respect to the “system of its activity.” (The claim that the human subject must be understood as a kind of doing, an active project rather than a being or substance, undoubtedly evinces the influence of Fichte.) The passage goes on, in a way directly relevant to the use of concept and actuality in the Grundlinien, to clarify why a metaphysical treatment is inappropriate: “[…] die metaphysische Betrachtungsweise will es nur mit dem Begriffe zu thun haben, ohne seine Erscheinung; der Begriff wird so nur ein Abstractum, und die Bestimmungen desselben ein todter Begriff. Dem Geist ist diß wesentlich, thätig zu seyn, das heißt, sich und zwar nur seinen Begriff zur Erscheinung zu bringen, ihn zu offenbaren” (PsG, S. 218; my emphasis)16 Likewise in two of the most important paragraphs in the “Philosophy of Sub jective Spirit”, Hegel again invokes his unusual compatibilism (“Der Geist ist als die Wahrheit der Natur geworden.”) and glosses this as in the “Introduction”, presenting now the most “immediate” manifestation of Geist, the category or form of self-understanding wherein natural and intentional accounts overlap and are inseparable.17 “Der gewordene Geist hat daher den Sinn, daß die Natur an ihr selbst als das Unwahre sich aufhebt, und der Geist so sich als diese nicht mehr in leiblicher
16 See also the extremely important and oddly neglected qualifications in the Zusatz to § 381 of the Enzyklopädie, where Hegel insists that “… der Geist geht nicht auf natürliche Weise aus der Natur hervor,” and that the Hervorgehen of Geist from Natur is not a “natürliches Hervorgehen,” but must be understood “als eine Entwicklung des Begriffs.” (VPSG II S. 933f.) 17 These are the assumptions of “Anthropologie” to which Hegel is trying to do justice; justice that is to the appropriateness of geography, pre-intentional and habitual conventions, moods, feelings, character, dispositions, etc. in accounting for activities. These pre-volitional disposi tions are not fully intentional, not relied on as reasons, but neither can they be treated as biologi cal species characteristics. I’m not sure Hegel himself has identified any interesting such traits (he tries out such things as: Italian ladies often die of grief over love; Spaniards fight over honor; the French unite both traits, and so forth), but the point is a compelling one nonetheless. See also the remarks from the Nachschrift Griesheim (VPSG I S. 174f.).
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Einzelnheit außer-sich-seyende, sondern in ihrer Concretion und Totalität einfache Allgemeinheit voraussetzt, in welcher er Seele, noch nicht Geist ist” (E § 388). Hegel can thus, as he sees it, dismiss the whole “problem of the immateriality of the soul,” resting as it does on assumptions he unequivocally rejects. “Die Frage um die Immaterialität der Seele kann nur dann noch ein Interesse haben, wenn die Materie als ein Wahres einerseits, und der Geist als ein Ding andererseits vorgestellt wird” (E § 389 A).
2.3 This brief summary at least begins to indicate Hegel’s unique aspirations for a phi losophy of Geist and perhaps why (as in the Anmerkungen to § 4 in the “Introduc tion”) this Enzyklopädie account is referred to so insistently in these paragraphs. It does not, of course, even to begin to address the philosophical controversies suggested by such claims. Clearly, there are two key issues; one concerns the assumptions about account-giving, or let us say, the theory of explanation which Hegel, mostly implicitly, until the final sections of the work, is trying to justify throughout; and the other, quite dependent on the first, turns on the issue of some putative inadequacy in a wholly mechanistic or broadly physicalist version of such accounts. Like Kant, those inadequacies begin to surface in questions about explanations of the activities and properties of living, or organic beings, but that clearly is a much longer story. Obviously, a good deal of this sounds similar in spirit to many post-Kantian attempts to account for human mentality in non-dualist and non-reduction ist, non-eliminativist ways; dual aspect theories, functionalisms, anomalous monisms, emergent properties and supervenience theories and so forth. However the kind of justification Hegel provides for his approach to the irreducibility of the category of mentality is quite distinct and rests on a sweeping claim about idealism. Absent a full picture of that position, and some accessible restatement of its implications for the Natur/Geist relation, the philosophical significance of Hegel’s position cannot be evaluated. (This is particularly relevant to the Grundlinien, since the reasons behind Hegel’s claims about how we must understand Geist and freedom, especially his insistence that freedom is the ultimate or fully realized human good, are based on these systematic aspirations.) For the moment, the summary should also indicate how those aspirations will shape his ethical and political discussion and his account of freedom. This is so because it should already be apparent that Hegel does not accept a wide range of traditional formulations of the problem itself. Most notably, the great theoretical problem of Christian and post-Christian moral psychology is, it would
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appear, bypassed. There, given the importance of individual moral responsibility and individual guilt (necessary conditions for the doctrines of individual salva tion or damnation) the problem was to develop a voluntarist, could-have-alwayschosen-otherwise, individualist conception of action. That meant a metaphysics which in some way defended the claim that there were (or could be) self-causing substances, distinct from all material substances. The whole evaluative point of view seemed to rest on a claim that certain sorts of events which occurred in time, like deliberatings, decidings and even thinkings, were metaphysically distinct sorts of mental events, attributes of distinct immaterial substances, with special causal properties18. What differences will it then make if Hegel is treating the foundational problem of Geist in a way that does not treat Geist as a thing at all, either material or immaterial, but as a category required within any full account of the mind’s capacity to give accounts at all? It ought to make a great difference for what can be identified as the four basic issues introduced in these paragraphs in the Grundlinien. These are (a) the assertions about the relation between theoretical and practical Geist, especially as these illuminate Hegel’s account of the “will”; (b) the claim about the two moments of the will and their relation in § 5–7; (c) the summary definition of freedom in § 23 (freedom as “being with self”); and (d) the implications of this account for the whole argument of the book. We can note immediately that, given the passages already introduced, the question of the freedom of the will for Hegel does not concern any special sort of causation; it is not a question of causation at all. Thus neither the usual com patibilist issues (freedom from constraint, or knowledge of necessity) nor the incompatibilist problems of uncaused causes are relevant.19 As we have seen, throughout the Enzyklopädie, Hegel treats the problem of Geist as the problem of properly accounting for a realm of activities of (still natural) beings not (presum ably) explicable by reference to their natural properties. When his account turns to fully self-determining and not just self-maintain ing and internally purposive beings, or the realm of Geist proper, the most generic name for such a realm could simply be “the normative,” a class of activities char acterized by purposive attempts to “get it right” (activities defined as what they
18 This is not to say that Hegel does not try to do justice to the notion of individual responsibility within his larger account. This amounts to his “Handlungstheorie,” discussed as a problem for the “moral” point of view, treated in §§ 104–113 of the Grundlinien. See the contemporary recon struction by Quante 1993. 19 This aspect of Hegel’s position (the irrelevance of causal questions) is well treated by Wood 1991.
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are and explained by the nature of these attempts, by, one could say, the form and ends of the practice and not by the constituents of the practitioners) and which can fail just by failing to get it right, and so which must be explained by refer ence to such end or, ultimately, intentions. In other words, some organic beings are self-maintaining and self-directing (and so outside the realm appropriate for a philosophy of nature) not only by being a kind of organic whole or by requir ing purposive explanations, but because those purposes provide reasons for such beings and they provide such reasons by being believed to be right. Some of these self-determined (or normatively self-constrained) activities are barely or only potentially self-determined, functions of habits and conventions, and national or ethnic characteristics, almost instinctual (properties of Seele, treated by Anthropologie); some are based on representations plagued by possible skepti cal doubts about their objects or other subjects (Bewußtsein, treated by the Phänomenologie); some are attempts to get it right in a wholly self-conscious and, as we might say, a priori, or in Hegel’s terms, ultimately “infinitely” self-determining way (Geist proper, treated by Psychologie). The question of freedom in each such discussion thus can be said to turn on a certain mode of self-representation and self-understanding, and it is this mode and its characteristics in actions, and not the question of whether such representations cause anything, that is of interest to Hegel.20 Thus, when Hegel is trying to explain in the Zusatz to § 4 of the Grundlinien, why animals do not act freely he does not mention any question about soul or metaphysical status, or voluntary action. “Das Thier handelt nach Instinkt, wird durch ein Inneres getrieben, ist so auch praktisch, aber es hat keinen Willen, weil es sich das nicht vorstellt, was es begehrt” (§ 4 Z, PR-Grie S. 1071; my emphasis). It is in this sense that Hegel argues against any categorial distinction between “theoretical” and practical” Geist or mentality. “[E]s ist wohl ein Unterschied zwischen dem Denken als solchen, dem theo retischen Verhalten und dem Willen dem praktischen Verhalten, aber es ist nicht zweierlei Vermögen, sondern der Willen ist eine besondere Weise des Denkens: er
20 I realize that this gloss introduces a number of controversial claims not defended here. I have tried to defend the place of this notion of normativity in German philosophy in the Fichte paper cited below, hope to say more about it in a book on Hegel’s practical philosophy, and want here only to suggest a reading of the issues, a way of giving some content to the otherwise empty no tion of self-determination.
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ist das Denken als sich übersetzend ins Dasein, als Trieb sich Dasein zu geben” (§ 4 Z, PR-Grie S. 1067; my emphasis).21 The direction suggested by these remarks appears to be an intellectualist notion of freedom, as one might find in Socrates, or, in a very different way in Spinoza, where for both freedom is also understood as a kind of knowledge or self-consciousness; what I understand myself to be doing and why is the key issue in whether I am free. The truly free man in the Socratic account is simply he who knows the good; you are free if you do know it, you are not free if you do not; the worst form of slavery is ignorance, etc. The problem of possible action under such a condition (whether such considerations could count as reasons to act) is irrel evant, since all persons unavoidably desire the good or their own happiness; the unfree are those who are ignorant about the objective human good. Those who do know it cannot but act to satisfy their (and the universal) desire for happiness. But Hegel explicitly excludes such a conception of freedom in § 482 of the Enzyklopädie, and in a somewhat confusing way, also extolls the Christian under standing of freedom, or at least his version of what is important about the Chris tian view (which has nothing, oddly, to do with the Augustinean problem, or with the will, as it is understood in voluntarism). “[…] die Griechen und Römer, Plato und Aristoteles, auch die Stoiker haben sie [the idea of an actually free will] nicht gehabt; sie wußten im Gegentheil nur, daß der Mensch durch Geburt (als atheniensischer, spartanischer u. s. f. Bürger) oder Charakterstärke, Bildung, durch Philosophie (der Weise ist auch als Sklave und in Ketten frey) wirklich frey sey. Diese Idee ist durch das Christenthum in die Welt gekommen, nach welchem das Individuum als solches einen unendlichen Werth hat, indem es Gegenstand und Zweck der Liebe Gottes, dazu bestimmt ist, zu Gott als Geist sein absolutes Verhältniß, diesen Geist in sich wohnen zu haben, d.i. daß der Mensch an sich zur höchsten Freiheit bestimmt ist” (E § 482 A). One is not free, so this account implies, just by being in the right relation to the good or by the possession of the knowledge of the good. Action is a matter of my being moved to act, and this requires, not that I be moved like everyone else by a general desire for the human good, but that whatever reason for action some cognition might provide, it must be a reason for me, not generally “for anyone.” This might seem like quite a tilt towards an anti-intellectualist or even Humean position, where the irreducible singularity of desires, the uniqueness of the good-for-me, would consign reason to being the slave of the passions, and all action would be ultimately motivated by pre-reflective or reflectively inaccessible
21 The crucial passage in the Enzyklopädie linking Intelligenz and Wille is § 468. See the helpful commentaries by Peperzak 1987, pp. 45 ff.; id. 1991.
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motivations, perhaps particular anticipations of pleasure or aversions to pain. But true to form, Hegel rejects such a fixed dualism by stressing that these catego ries of theoretical and practical Geist are far too provisional and flexible to allow such a strong opposition. The picture of being assailed by unmotivated desires and seeking, theoreti cally, only to satisfy them, is as false as the picture of the contemplator-of-thegood, necessarily moved to act by such contemplation alone. The latter is dis torted because, as the above passage stresses, it is unjust to my individuality as a seeker of the good, and so to the necessary relation of some perceived good to me and to my particular life plan. (Without this connection, Hegel implies in several places, the motivational power of such considerations would be inexplicable.) The former is distorted because the intellectualist is partly right: I am not simply a complex of contingent desires seeking satisfaction. I can stand above them and evaluate them, pick and choose which ones are worth satisfying. This evaluation, however strong though, does not return us to an intellectualist position (ranking desires by reference to an objective scale for everyone) because the evaluation cannot be objectivist and impersonal in the classical sense, if it is to be motivating for me, and it must do justice to how and why any perceived objective good would be a good for and chosen by me. This latter thought is connected to Hegel’s insistence throughout the “Intro duction” of the Grundlinien on how the goal of a free life should be understood as a wholly self-sufficient life, one in which nothing from outside, nothing not-me, determines my actions. This can sound like he means that this is a question of self-causation rather than outside causation (something like Spinoza’s position), but again, he is not treating the question of Geist and freedom as a question of causation. He explicitly explains that something becomes part of me by virtue of the way it is taken up and understood, and even internally causal factors motivat ing my behavior are not part of me just because internal, if they cannot be fit into to an overall understanding of who I am (see the claim in R § 23, cited below.)22 Thus I can be said to be freely writing this article, its production would be really mine, even if I am in various ways responding to external contingencies and influences not of my own making, if the sense or significance of those influ ences is a feature of general institutional and social practices which are them selves “mine,” understood by me as practices and institutions without which I could not be me. Hegel insists that this is so (and so I act freely) if those prac tices are and are understood to be, “rational,” if I effectively count myself as “one
22 The same sort of mistake about how to understand what is “I” and “not I” is often made in interpreting Fichte (see Pippin 2000).
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among many” as well as a distinct one among many. The form of this understand ing need not of course be fully theoretical or even propositional, any more than various views I hold about myself and my society must be always and everywhere theoretical and propositional. In § 5 Hegel characterizes the independence of the subject in relation to its desires as, “[…] das Element der reinen Unbestimmtheit oder der reinen Reflexion des Ich in sich, in welcher jeder Beschränkung, jeder durch die Natur, die Bedürfnisse, Begierden und Triebe unmittelbar vorhandener, oder wodurch es sey, gegebener und bestimmter Inhalt aufgelöst ist; die schrankenlose Unendlichkeit der absoluten Abstraction oder Allgemeinheit, das reine Denken seiner selbst.” But he immediately cautions that this picture of an abstractly free will as something like the strength of some independent faculty to exempt oneself from the influences of inclinations presents, if isolated, a distorted picture of action. Such attempted exemption never itself occurs unmotivated, as some isolated act of pure will, and if such an intention were executed, we would get only an abstract, negative, even all-destroying insistence on freedom, the freedom of the Terror, or the Furie des Zerstörens. There would be nothing to do but to struggle “not to be determined” by anything. The idea, then, is not to act in some way exempt from inclinations, in the service of some view of the good, my own perfectibility or the moral law. The idea of freedom is to be understood in terms of the way I take up and attempt to execute my inclinations. “Durch dies Setzen seiner selbst als eines bestimmten tritt Ich in ihr Daseyn überhaupt; – das absolute Moment der Endlichkeit oder Besonderung des Ich” (§ 6). This “way of taking up and satisfying” is not, given the importance of the first moment, merely strategically rational; it is some sort of a reflection about inclinations and desires themselves (which sort of reflection being the central question in Hegel’s Grundlinien). In the sort of reflection that leads to a concrete self-determination, Hegel claims that “die Triebe, Begierden, Neigungen, durch die sich der Wille von Natur bestimmt findet” (§ 11) must all be given the form of “rationality,” (rather than “given up” in the name of rationality) and that so giving them this form makes them finally “mine,” and this process of rationaliza tion is said, in the Zusatz to § 15 (vgl. PR-Hotho S. 786 ff.), to involve acting “in accordance with the concepts of ethics in general.” (This is important to stress: giving the content of my motivational inclinations a rational form, and so becom ing the true subject of such a set, does not mean, for the issues involved in “objec tive spirit,” holding any such possible end or intention up to some objective stan dard of intrinsic virtue, but reflecting on the form or structure of satisfaction such
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that the manner of satisfaction will be rational. And that means: will have taken others into account in the proper way. Hence, “in accordance with the concepts of ethics in general.”) These are the desiderata of the theory that are summarized in the claim in § 23. “Nur in dieser Freyheit ist der Wille schlechthin bey sich, weil er sich auf nichts, als auf sich selbst bezieht, so wie damit alles Verhältnis der Abhängigkeit von etwas anderem hinwegfällt. – Er ist wahr oder vielmehr, die Wahrheit selbst, weil sein Bestimmen darin besteht, in seinem Daseyn, d. i. als sich gegenüberste hendes zu seyn, was sein Begriff ist, oder der reine Begriff die Anschauung seiner selbst zu seinem Zwecke und Realität hat.” Here again we have the echo of the “Introduction’s” speculative initial lan guage; an agent capable of taking up his determinate, actual inclinations and putting them in rational form is concretely free, exists as subject in “its opposite,” in its Dasein, and so is verwirklicht. (He pursues his intentions in a manner that avoids the “unreal” idealism of a reflective or pure, detached sense of free will, as well as the mere particularity of a desire-satisfying engine. He is a concrete “individual” subject.) So, Hegel’s position can be characterized as neither voluntarist, nor intel lectualist, nor anti-intellectualist on freedom. Where does that leave us? Given the way Hegel understands a geistiges being, an action counts as a free action if undertaken in a certain way, executed in the light of certain kinds of consider ations, certain motivating reasons. These considerations are also referred to as a giving of rational form to otherwise immediately given and conflicting inclina tions. This standing above, and evaluating of any contingent inclination or inter est or desire in a course of action is not strictly objectivist, nor merely a matter of strategic satisfaction. It is a matter of somehow being able to identify with myself, with the determinate, individual course chosen, my (even, he says, “puri fied” (gereinigt)) inclinations, and so acted on in a way that has made them mine, and wherein I thereby become truly or actually the subject of those deeds. (That such a result would count as a rational form for my particular, subjective inclina tions, rather than their suppression or sacrifice, is what is supposed to count as a picture of an “actual” will, both individually motivating and ethically coherent.) But what sorts of considerations could fulfill such a condition? Partly the answer to this question constitutes the argument of the Grundlinien. Giving such inclinations a rational form in order then to pursue them in a truly free way involves both the importance and limitations of understanding the satisfaction of interests as an abstract right, asserted against, and in the light of the equal claims of, others as rights-bearers; the importance and limitations of the notion of taking moral responsibility for such choices and pursuing them only in morally permis
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sible terms; and the final importance of conceiving of myself and the satisfac tion and formation of my desires within some common ethical community, that I undertake such satisfactions not merely as an isolated individual, but always must do so within the realization of love in the family, or within the demands of work and property within civil society, and within and with regard to the claims of citizenship. It is in this sense that Hegel’s theory of freedom is a theory of Geist and of its possible Verwirklichung.
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3 „Die Persönlichkeit des Willens“ als Prinzip des abstrakten Rechts
Eine Analyse der begriffslogischen Struktur der §§ 34–40 von Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts Gegenstand dieses Beitrags sind die Bestimmungen1 Persönlichkeit und Person, die in den Grundlinien eine zentrale Funktion übernehmen, bezeichnet Hegel zufolge doch Persönlichkeit das Moment des Selbstbewusstseins der Freiheit: „Die Persönlichkeit des Willens“ (§ 39 ) stellt somit eine notwendige Bedingung für „jede Art von Rechten“ (§ 40 A) dar; Rechte kommen „nur einer Person zu“ (ebd.).2 Hegel unterscheidet zwischen einem engeren Rechtsbegriff („abstraktes Recht“) und moralischen sowie sittlichen Rechten bzw. Ansprüchen. Er deutet das Moment der Persönlichkeit als hinreichende Bedingung dafür, einem Individuum Rechte im Sinne des abstrakten Rechts zuzusprechen (das Recht auf den Erwerb von Eigentum, das Recht, Verträge zu schließen oder auch die Zuteilbarkeit von Strafe im Falle unrechtmäßiger Handlungen und Verbrechen). Darüber hinaus erhebt Hegel den Anspruch, im Moment der Persönlichkeit mittels einer logischen3 Bestimmung das Selbstbewusstsein als Bewusstsein der Freiheit analysiert zu haben (vgl. Yeomans 2012). In der Tradition Kants und Fichtes stehend, unternimmt Hegel also den Versuch, mit dem Begriff der Persönlichkeit die Grundlage berechtigter Ansprüche überhaupt philosophisch zu explizieren (vgl. Moyar 2014). Im Folgenden werden die logischen Bestimmungen des Prinzips Persönlichkeit und die darin enthaltene Analyse des Selbstbewusstseins der Freiheit interpretiert. Die im engeren Sinne rechtsphilosophischen Aspekte der §§ 34–40 werden dabei nur am Rande behandelt, da diese einleitenden Paragraphen nur
1 Auf die Verwendung von Anführungszeichen zur Kennzeichnung der in diesem Beitrag zu analysierenden Bestimmungen ist aus zwei Gründen verzichtet worden. Zum einen gilt in Hegels spekulativer Logik die strikte Trennung von Objekt- und Metasprache nicht, so dass die Verwen dung von Anführungszeichen eine interpretatorische Vorentscheidung darstellte; zum anderen würde die Lesbarkeit des Textes stark beinträchtigt. 2 Alle Hervorhebungen in den Zitaten stammen von mir, Hervorhebungen des Originals werden nicht übernommen. 3 „Logisch“ ist hier und im Folgenden stets in Hegels spekulativer Bedeutung gebraucht (vgl. Düsing 1984). DOI:10.1515/9783110496529-006
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„die Grundbestimmungen“ (§ 40 R S. 393) des abstrakten Rechts enthalten. Die „Fruchtbarkeit“ (ebd.) der philosophischen Analyse der Persönlichkeit muss sich, wie Hegel selbst sagt, „im Folgenden“ (ebd.), d. h. im weiteren Gang der Rechtsphilosophie, erweisen. Im einleitenden Teil (I.) wird die Doppelfunktion der Bestimmungen Persönlichkeit und Person in den Grundlinien als Universalund als Teilprinzip dargestellt. Im Hauptteil des Beitrags (II.) erfolgt eine Analyse der §§ 34–40.
3.1 Die Doppelfunktion der Bestimmungen Persönlichkeit und Person Den Bestimmungen Persönlichkeit und Person kommt in den Grundlinien eine doppelte Funktion zu: (i) Sie sind erstens das Universalprinzip der gesamten Hegelschen Rechtsphilosophie in dem Sinne, dass Persönlichkeit die notwendige Bedingung für jede Art von berechtigten Ansprüchen ist. Die begriffliche Entwicklung in den Grundlinien lässt sich daher verstehen als Entfaltung dieses Begriffs, angefangen vom Personbegriff des abstrakten Rechts bis hin zum Monarchen (§ 279) in der Sittlichkeit. ,Motor‘ dieser Entwicklung ist die Teleologie der Willensformen, die das organisierende Prinzip der Hegelschen Rechtsphilosophie ist. Diese Willensteleologie beruht ihrerseits auf den Ergebnissen der spekulativen Logik Hegels, die als letztinstanzliche Rechtfertigung der begrifflichen Fortbestimmung und Systematizität der Rechtsformen und -ansprüche angesehen werden muss. Neben dieser systemimmanenten ,Begründungsressource‘ muss auch die Plausibilität der Hegelschen Analyse und Darstellung der zu explizierenden Phänomene als gleichermaßen zentrale ,Bewährungsinstanz‘ berücksichtigt werden. Die Persönlichkeit des Willens ist in dem Sinne das Universalprinzip der Rechtsphilosophie, dass sie auf keiner der reichhaltigeren Entwicklungsstufen verloren gehen darf. Als das Moment der „Allgemeinheit“ (§ 35) ist sie einerseits unverzichtbarer Bestandteil jeder Stufe des an und für sich freien Willens; andererseits wird dieses Moment der Allgemeinheit selbst im Laufe der Willensteleologie auch ,konkreter‘, so dass die Bestimmung der Persönlichkeit selbst einen Differenzierungs- und Anreicherungsprozess durchläuft. Während die Allgemeinheit auf der Stufe des abstrakten Rechts als das Selbstbewusstsein der Freiheit und als „in sich einzelner Wille eines Subjects“ (§ 34) verstanden wird, entwickelt sich dieses Freiheitsbewusstsein auf der Stufe der Moralität zu einer in sich reflektierten Allgemeinheit, in der ein Subjekt sich selbst als Einheit von
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allgemeiner Regelhaftigkeit des Wollens (Anspruch der Moral) und konkretem einzelnen Wollen weiß (vgl. Quante 1993, S. 51–55), um dann auf der Stufe der Sittlichkeit zur konkreten Allgemeinheit (vgl. Siep 1989, S. 97) zu werden, in der die Besonderungen des Willens als Realisierungen dieses sich selbst bestimmenden Allgemeinen erkannt und anerkannt werden (vgl. § 142). (ii) Die Bestimmungen Persönlichkeit und Person haben zweitens die Funktion eines Teilprinzips (vgl. Siep 1992b, S. 100). Als solches sind sie hinreichend für die vollständige Entfaltung einer Sphäre der Rechtsphilosophie: des abstrakten Rechts. Hegel erhebt den Anspruch, mit diesen Bestimmungen das strukturierende Prinzip und die Rechtfertigungsbasis für die Formen und Inhalte des abstrakten Rechts erfasst zu haben. Deutlich wird dies schon daran, dass die §§ 34–40 die Einleitung4 zum ersten Teil der Grundlinien bilden. Diese einleitenden Abschnitte, deren letzter Paragraph jeweils die begriffliche Systematik und Gliederung des anschließenden Teils enthält, erfüllen zwei Aufgaben: Die für den jeweiligen Teil der Rechtsphilosophie hinreichenden Teilprinzipien werden terminologisch eingeführt (i) und anhand der begrifflichen Struktur des Willens, die der Wille auf der jeweiligen Entwicklungsstufe angenommen hat, expliziert (ii). Für das abstrakte Recht sind dies die Bestimmungen Persönlichkeit und Person, die als Momente des an und für sich freien Willens in einem bestimmten Entwicklungsstadium (vgl. § 34) gedeutet werden. Im Gegensatz zur Funktion als Universalprinzip bleibt das Teilprinzip Persönlichkeit daher an eine bestimmte Konstellation der Willensmomente Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit gebunden und steht anderen Teilprinzipien (z. B. dem „Subjekt“ in der Moralität) gegenüber. Im Unterschied zum Universalprinzip ist ein Teilprinzip hinreichend für die begriffliche Entfaltung der entsprechenden Sphäre. Hinzu kommt, dass das Universalprinzip der Persönlichkeit selbst – als notwendige Bedingung aller Formen von Rechten – in den anderen Teilprinzipien ,aufgehoben‘ sein muss. Da diese Entwicklungsformen im Kontext des abstrakten Rechts keine Rolle spielen, sei hier nur darauf hingewiesen, dass es das Moment des Selbstbewusstseins der Freiheit ist, welches im Entwicklungsgang der Grundlinien bewahrt, zugleich aber in den Gestaltungen der Moral und der Sittlichkeit inhaltlich angereichert und damit in Hegels Sinne ,konkreter‘ wird. Im Folgenden dagegen werden die Bestimmungen Persönlichkeit und Person in jener begriffslogischen Konstellation analysiert, in der sie dem freien Willen, „wie er in seinem abstracten Begriffe ist“ (§ 34), zukommen.
4 Vgl. Siep 1989, S. 97 f. Eine solche Einleitung ist allen drei Teilen der Grundlinien vorangestellt (§§ 105–114 für die Moralität, §§ 142–157 für die Sittlichkeit).
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3.2 Analyse der §§ 34–40 3.2.1 Der Aufbau der Einleitung in das abstrakte Recht Die §§ 34–40 haben als Einleitung in den ersten Teil der Grundlinien eine dreifache Funktion. Sie geben erstens die logische Struktur des abstrakten Rechts als Stufe in „der Entwicklung der Idee des an und für sich freyen Willens“ (§ 33) an. In § 34 wird somit die logische Stellung des ersten Teils im Rahmen der gesamten Rechtsphilosophie bestimmt. Anschließend werden die Momente dieser Entwicklungsstufe expliziert, das dem abstrakten Recht zugrundeliegende Teilprinzip angegeben und die wichtigsten rechtsphilosophischen Bezüge benannt. In den §§ 35–39 versucht Hegel, durch die Explikation der Momente Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit sowohl eine logische Systematisierung als auch eine inhaltliche Entfaltung des abstrakten Rechts aus den Bestimmungen Persönlichkeit und Person zu geben. Drittens wird die logische Entwicklung innerhalb der Sphäre des abstrakten Rechts mit den darin enthaltenen „Gestaltungen“ (§ 32) vorgezeichnet. Dies geschieht in § 40. Da Hegel den Anspruch erhebt, aus dem Teilprinzip Persönlichkeit sowohl die logische Systematisierung als auch eine grundlegende inhaltliche Bestimmung des abstrakten Rechts entwickeln zu können, und da er zudem die logische Bestimmung mittels dreier Momente vornimmt, ist der Aufbau der gedanklichen Entwicklung in den §§ 35–39 vorgegeben: Wie zu erwarten ist, folgen drei Abschnitte, in denen jeweils eine logische und eine inhaltliche Bestimmung erfolgt. Nachdem er in § 34 die drei Momente in Relation zur Entwicklungsstufe des Willens angegeben hat, deutet er in den Randnotizen an, dass es „im folgenden“ (§ 34 R S. 383) um eine Explikation dieser „Momente“ (ebd.) geht. Und so werden denn auch die Momente Allgemeinheit (in §§ 35 und 35 A), Besonderheit (in § 37) und Einzelheit (in § 39) behandelt, wobei Hegel durch seine gesonderte Zählung auf diesen Aufbau hinweist (diesen allerdings erst mit dem § 36 beginnt). Die zusätzlichen §§ 36 und 38 dienen der inhaltlichen Bestimmung des abstrakten Rechts, die sich Hegel zufolge aus der logischen Struktur der Persönlichkeit des Willens ableiten lässt. Dieser Blick auf den generellen Aufbau der §§ 34–40 wird sich im Folgenden als hilfreich für die Analyse erweisen. Eines der Interpretationsprobleme ist nämlich, dass Hegel die logische Bestimmung auf zwei Ebenen durchführt. So werden die Bestimmungen Persönlichkeit und Person als das allgemeine Moment des Willens gedeutet (§ 35), dem aufgrund seiner Begriffsstruktur auch die Momente der Besonderheit und Einzelheit zukommen (§ 34). Die Explikation dieser Momente selbst erfolgt dann aber aus der ,Perspektive‘ des allgemeinen Moments der Persönlichkeit bzw. der Person. Die Beziehung zwischen den drei
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Momenten leitet Hegel aus der Bestimmtheit des Willens ab, „in seinem abstrakten Begriffe“ (ebd.) zu sein. Dadurch sind die drei Momente „[n]och bestimmungslos, gegensatzlos – in sich selbst“ (§ 34 R S. 383): In das Moment der Allgemeinheit ist auf dieser Stufe der Bezug auf die Momente Besonderheit und Einzelheit noch nicht integriert. Diese Integration, die in den Teilen Moralität und Sittlichkeit vollzogen wird, stellt die Entwicklung der Persönlichkeit als des Universalprinzips der Rechtsphilosophie dar und findet auf der Stufe des abstrakten Rechts nicht statt. Daher kann Hegel sagen, dass im abstrakten Recht die „Totalität“ (§ 37 R S. 389) der Bestimmungen Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit zwar „vorhanden“ (ebd.), in diese Momente selbst aber „noch nicht aufgenommen“ (ebd.) worden ist. Einzelheit und Besonderheit kommen, aus der Perspektive der Persönlichkeit gesehen, von außen hinzu, obwohl sie zur Gesamtstruktur des Willens dazugehören. Als Teilprinzip bleibt diese Bestimmung deshalb in der Form „der abstracten Persönlichkeit“ (§ 37). Hegel stellt also einerseits die drei Bestimmungen als Momente des Willens dar, andererseits betont er, dass sich aus der Persönlichkeit als der Allgemeinheit selbst, ,von innen heraus‘, kein Bezug zu den anderen beiden Bestimmungen ergibt. Aufgrund der Zugehörigkeit zum Willen ist die Allgemeinheit der Persönlichkeit damit zwar mit den anderen beiden Bestimmungen „vermittelt“ (§ 37 R S. 389), diese Vermittlung bleibt aber wegen der internen Bezugslosigkeit „abstract“ (ebd.). Dies ergibt sich nach Hegel aus der Entwicklungsstufe des Willens, der zu Beginn seiner teleologischen Entfaltung „in seinem abstracten Begriffe ist“ (§ 34). „[D]iß Abstracte ist die Bestimmtheit dieses Standpunkts“ (§ 34 R S. 383), und aus ihr leitet Hegel, wie sich im weiteren Verlauf zeigen wird, die inhaltlichen Merkmale des abstrakten Rechts ab. Um diese ,Ableitung‘ nachvollziehen zu können, muss man den umfassenden Sinn von „Subjektivität“ vor Augen haben, der Hegels Ausführungen zugrunde liegt. Subjektivität versteht er generell als Individualisierung und Verwirklichung eines Allgemeinen in einem Einzelnen. Dieses Moment des reinen Begriffs nennt Hegel in der Wissenschaft der Logik mit Bezug auf das „Ich“ der transzendentalen Apperzeption „Persönlichkeit“, eine inhaltliche Bestimmung, die auch in den Grundlinien wieder aufgenommen wird. So heißt es zu Beginn der Begriffslogik: „Ich aber ist diese erstlich reine, sich auf sich beziehende Einheit, und diß nicht unmittelbar, sondern indem es von aller Bestimmtheit und Inhalt abstrahirt, und in die Freyheit der schrankenlosen Gleichheit mit sich selbst zurückgeht. So ist es Allgemeinheit; Einheit, welche nur durch jenes negative Verhalten, welches als das Abstrahiren erscheint, Einheit mit sich ist, und dadurch alles Bestimmtseyn in sich aufgelöst enthält. Zweytens ist Ich ebenso unmittelbar als die sich auf sich selbst beziehende Negativität, Einzelnheit, absolutes
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Bestimmtseyn, welches sich anderem gegenüberstellt, und es ausschließt; individuelle Persönlichkeit“ (L II S. 17). Nach Hegel ist dies im Kontext der Wissenschaft der Logik der Nachweis dafür, dass der reine Begriff die Struktur des Selbstbewusstseins und das Absolute damit Persönlichkeit hat. Diese Aussagen lassen sich für die Analyse der Bestimmungen Persönlichkeit und Person im Kontext der Rechtsphilosophie nutzbar machen. Die erste Bestimmung des Ich, die als Allgemeinheit gekennzeichnet wird, hat die Struktur, sich durch eine Abstraktion (Selbstdistanzierung) von etwas anderem (allen Bestimmtheiten) als Einheit mit sich zu setzen. Die darin enthaltene Freiheit der schrankenlosen Gleichheit mit sich selbst (reines Selbstbewusstsein) bleibt deshalb abstrakt, und die negierten Bestimmungen sind „aufgelöst“ in dieser Freiheit enthalten. Mit dem zweiten Moment des Ich ist nicht, wie man zuerst meinen könnte, die Bestimmung der Einzelheit gemeint. Vielmehr verwendet Hegel den Terminus Einzelheit, der so auch in den §§ 34–40 der Grundlinien vorkommt, häufig zur Kennzeichnung eines raum-zeitlich individuierten Einzeldings, das sich durch seinen Charakter als konkretes Einzelding „anderem gegenüberstellt“ und es „ausschließt“. Die beiden Momente des Ich, abstraktes Selbstbewusstsein (Allgemeinheit) und Einzelheit als „absolutes Bestimmtseyn“, fasst Hegel in der Bestimmung „individuelle Persönlichkeit“ zusammen. Im Kontext des abstrakten Rechts dagegen unterscheidet Hegel diese beiden Momente mit den Bestimmungen der Persönlichkeit und der Person. Er versucht dabei, aus der Abstraktheit des Begriffsmomentes der Allgemeinheit (Persönlichkeit) auf der Stufe des abstrakten Rechts ein spekulatives Argument für die Notwendigkeit der raum-zeitlichen, d. h. körperlichen Individuiertheit der Person zu gewinnen (vgl. Quante 2011, Kap. 7). Individuum sein und Persönlichkeit haben machen die beiden Momente der Bestimmung der Allgemeinheit aus, die ihrerseits Moment des Begriffs ist. Diesem selbst kommen, wie oben ausgeführt, auch die Begriffsmomente Besonderheit und Einzelheit zu. Auf der abstrakten und unmittelbaren Ebene aber sind diese dem Ich als der Allgemeinheit des Begriffs, und damit der Persönlichkeit, noch äußerlich. In der Rechtsphilosophie ist es der an und für sich freie Wille, der die Struktur des Begriffs als solchem hat und dem die drei Bestimmungen Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit zukommen. Die Persönlichkeit des Willens bezeichnet in den Grundlinien, wie im Folgenden gezeigt werden soll, nur das Begriffsmoment der Allgemeinheit und enthält dort ebenfalls die beiden Momente, die Hegel bereits in der Wissenschaft der Logik unterschieden hat.
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3.2.2 Die logische Struktur der Einleitung in das abstrakte Recht 3.2.2.1 Die Entwicklungsstufe des Willens im abstrakten Recht (§ 34) „Der an und für sich freye Wille, wie er in seinem abstracten Begriffe ist, ist in der Bestimmtheit der Unmittelbarkeit“ (§ 34). So beginnt Hegel das abstrakte Recht, indem er die logische Struktur des Willens, der in der Rechtsphilosophie generell als an und für sich frei vorausgesetzt wird, entfaltet. An und für sich frei ist der Wille in der Rechtsphilosophie als selbstbewusste Zwecktätigkeit; in dieser Bestimmung durchläuft der Wille eine zweite Entwicklung durch die Modi an sich (abstraktes Recht), für sich (Moralität) und an und für sich (Sittlichkeit). Die Aussage, dass der an und für sich freie Wille hier in seinem abstrakten Begriffe ist, bedeutet, dass dieser Wille zu Beginn nur an sich an-und-für-sich freier Wille ist und ihm diese Bestimmtheit, an und für sich frei zu sein, in unmittelbarer Form zukommt. Dieser Zustand, nur „in seinem abstrakten Begriffe“ zu sein und deshalb die „Bestimmtheit der Unmittelbarkeit“ aufzuweisen, hat nach Hegel zwei Konsequenzen. (i) Die drei Momente Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit sind noch nicht intern miteinander vermittelt, sondern nur abstrakt, aufgrund der Begriffsnatur des Willens überhaupt, aufeinander bezogen. Die Allgemeinheit, die Hegel hier nicht explizit erwähnt, wird als die Bestimmung, die „gegen die Realität negative, nur sich abstract auf sich beziehende Wirklichkeit“ (ebd.) des Willens zu sein, gedeutet. Qua diese Allgemeinheit verhält sich der Wille, der als „in sich einzelner Wille eines Subjects“ (ebd.) existiert, gegen die Realität der vorhandenen Dinge und Bestimmungen „negativ“. Sie werden als dem freien Subjekt äußerliche, nicht aus ihm selbst entwickelte Bestimmungen aufgefasst, die deshalb auch nicht zum Gehalt der selbstbewussten Freiheit des wollenden Individuums gehören können. Diese selbstbewusste Freiheit ist zum einen „Wirklichkeit“ in dem Sinne, dass zwischen dem Ich als dem Grund von Selbstbewusstsein und der unmittelbaren Existenz eines selbstbewussten Wollens eine Einheit im einzelnen selbstbewussten Wollen besteht (vgl. L I,2 S. 369 ff.). Zum anderen ist diese selbstbewusste, sich damit auf sich beziehende Allgemeinheit in diesem Selbstbezug „abstract“, da sie das Moment der Besonderheit aus ihrem Selbstbezug gerade „negativ“ ausgegrenzt und sich so als „ausschließende Einzelnheit“ (§ 34) eines einzelnen Subjekts bestimmt hat, die den „weitern Inhalt bestimmter Zwecke“ (ebd.), die in jedem einzelnen Wollen enthalten sind, ,von außen‘ aufnehmen muss. Dieses Aufnehmen ,von außen‘ zeigt sich nach Hegel darin, dass in der Wollenseinstellung eines Individuums, welches sich in seinem Wollen in diesem abstrakten Sinne als frei weiß, teils subjektive Triebfedern wie „Bedürfniße“ (§ 34 R S. 383), teils Zustände der äußeren „Welt“ (ebd.) als Inhalte aufgenommen werden müssen. Dieses Selbstbewusstsein der Freiheit, wie es
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sich in der abstrakten Freiheit des Ich als Wirklichkeit „manifestirt“ (L I,2 S. 381), impliziert „eine äußere, unmittelbar vorgefundene Welt“ (§ 34), die das wollende Subjekt „vor sich“ (ebd.) findet und zu der auch seine eigene körperliche Natur gehört. Dieses „Finden“ der dem Selbstbewusstsein äußeren Welt ist nicht als kausaler Erzeugungsprozess gedacht. Vielmehr will Hegel zeigen, dass in diesem im Ichbewusstsein enthaltenen Selbstbewusstsein der abstrakten Allgemeinheit des Willens notwendig ein Inhalt impliziert ist, der nur von außerhalb des Selbstbewusstseins kommen kann. Denn dieses Selbstbewusstsein der Freiheit hat „noch gar keinen eigenen Inhalt, der aus sich bestimmt wäre“ (§ 34 R S. 383). Ein solches Freiheitsbewusstsein der abstrakten Allgemeinheit unterstellt damit die Existenz einer äußeren, unmittelbar vorgefundenen Welt. (ii) Die zweite Konsequenz, die Hegel aus der Bestimmtheit der Allgemeinheit des Willens ableitet, unmittelbar und nur abstraktes Selbstbewusstsein zu sein, ist, dass dieser Wille in der Form eines konkreten Wollens eines menschlichen Individuums existiert, somit nicht nur als für sich individuiertes Selbstbewusstsein, sondern auch als raum-zeitlich individuiertes Sein (vgl. § 43). Die Unmittelbarkeit des Selbstbezugs im Freiheitsbewusstsein des Ich ist in Hegels spekulativer Logik zugleich der Grund dafür, dass diese Gestalt des Willens als das bestimmte Wollen eines Individuums existiert. Diesem Individuum kommt, so wird die Analyse im Folgenden zeigen, aufgrund der Allgemeinheit seines Selbstbewusstseins der Freiheit der Status der Persönlichkeit zu. Zugleich ist es auch aufgrund der Abstraktheit und Unmittelbarkeit dieser Allgemeinheit der selbstbewussten Freiheit ein konkretes Individuum: eine Person. Für den weiteren Gang der Analyse bleibt festzuhalten, dass Hegel mit dem Moment der Allgemeinheit des Willens das Selbstbewusstsein bezeichnet, welches (i) notwendig und hinreichend für Freiheit sowie (ii) denkender und wollender Selbstbezug ist. Zugleich muss beachtet werden, dass die Allgemeinheit nur ein Moment der Gesamtstruktur des Willens ist. Auf der Ebene des abstrakten Rechts übernimmt dieses Moment aufgrund der Unmittelbarkeit des Willens gerade in der Abstraktheit und Isoliertheit von den anderen Momenten die Funktion des ,Teilprinzips‘. Damit ist bereits klar, dass die darin sich offenbarende Freiheit nicht die gesamte Sphäre des sich selbst wollenden freien Willens erschöpfen kann.
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3.2.2.2 Die einzelnen Momente des freien Willens und ihre rechtsphilosophische Bedeutung 3.2.2.2.1 Die Allgemeinheit und ihre rechtsphilosophische Bedeutung (§§ 35 f.) Der Ordnung seiner spekulativen Logik folgend, beginnt Hegel damit, die „Allgemeinheit dieses für sich freyen Willens“ (§ 35) näher zu spezifizieren. Dass Hegel den an und für sich freien Willen in der Bestimmtheit der Unmittelbarkeit (vgl. § 34) nun als „für sich freyen“ (§ 35) charakterisiert, bedeutet nicht, dass der Wille seine zugrundeliegende logische Bestimmung bereits geändert hätte. Hegel betont mit dieser Wendung vielmehr, dass diesem Willen selbstbewusste Freiheit zukommt und dass es im Folgenden auch gerade um die nähere Analyse dieses Freiheitsbewusstseins geht. Dieses Selbstbewusstsein der Freiheit, identifiziert mit dem Moment der Allgemeinheit des Willens, ist nach Hegel „die formelle, die selbstbewußte, sonst inhaltslose einfache Beziehung auf sich in seiner Einzelnheit“ (ebd.). Das Individuum, welches einen Willen in dieser Form hat, „ist in so fern Person“ (ebd.).5 Die Bestimmung Person, die Hegel hier einführt, kennzeichnet einen bestimmten Status eines Individuums, der ihm genau dann zukommt, wenn es zu Selbstbewusstsein fähig ist. Zugleich fängt Hegel mit dieser Bestimmung ein, dass der Ausdruck „Person“ nicht nur als Sortalbegriff (Person-sein) verwendet wird, sondern auch das Individuum als solches, in seiner raum-zeitlichen Einzelheit, bezeichnet (vgl. Quante 2012, Kap. 1 und 2). Wir sagen nicht nur von einem Individuum, dass es zur Menge der Personen (sortale Verwendung) gehört, sondern auch, dass diese Person (Referenz auf ein Individuum) bestimmte andere Eigenschaften hat (z. B. „Diese Person befindet sich zur Zeit nicht in diesem Zimmer“). Den Status, eine Person zu sein, hat ein Individuum, „in so fern“ (§ 35) es ein Selbstbewusstsein hat, welches nach Hegel als formelle und inhaltslose einfache Beziehung auf sich bestimmt werden kann. Diese Bestimmungen werden von der direkten Referenz des Ich erfüllt, welche nach Hegel in jedem „Ich will, dass etwas der Fall sei“ notwendig enthalten sein muss. „Einfach“ ist die in der
5 An dieser Stelle muss eine Zweideutigkeit ausgeräumt werden. Hegel benutzt hier, analog zur oben interpretierten Passage aus der Wissenschaft der Logik, „Subjekt“ und „Einzelnheit“ in einem nicht terminologischen Sinne: Mit „Subjekt“ ist an dieser Stelle nicht das Teilprinzip der Moralität gemeint, sondern das raum-zeitliche „Individuum“ (§ 35 R S. 383) als solches. Entspre chend hat auch „Einzelnheit“ hier nicht die begriffslogische emphatische Bedeutung, sondern meint nur die Individuiertheit als „Selbstständige Einzelnheit“ (ebd.). Obwohl dies im Haupt text und den Randnotizen nicht strikt durchgehalten wird, versucht Hegel diese Zweideutigkeit dadurch zu vermeiden, dass er die im Sinne seiner Logik terminologisch gebrauchten Begriffe (durch Kursivdruck) hervorhebt.
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Referenz mit Ich vorliegende Selbstbeziehung, da sie nicht über irgendwelche Gegebenheitsweisen vollzogen werden muss: Bei der Referenz mit Ich sind keine Kennzeichnungen nötig, um die Referenz zustandezubringen (vgl. dazu Rohs 1994, ders. 1996; Jäger 1999 und Quante 2002, Kap. 2). Diese besondere Selbstbezüglichkeit, die nach Hegel Grundform aller Freiheit ist, wird auch als „das reine Denken seiner selbst“ (§ 5) und als „Element […] der reinen Reflexion des Ich in sich“ (ebd.) bestimmt. „Formell“ ist dieses Selbstbewusstsein, da es von jeder inhaltlichen Bestimmung abstrahiert und somit „inhaltslos“ ist. Die Distanzierungsbewegung von dem „Etwas“, das ich will, lässt das Ich in seinem Freiheitsbewusstsein zu einem „vollkommen abstracte[n] Ich“ (§ 35 A) werden, „in welchem alle concrete Beschränktheit und Gültigkeit negirt und ungültig ist“ (ebd.). Diese Distanzierungsfähigkeit, die die Möglichkeit des reinen Selbstbezugs voraussetzt, ist es, wodurch ein Individuum zur Menge der Personen gehört. Hegel nennt sie Persönlichkeit und unterscheidet an ihr zwei Aspekte: „In der Persönlichkeit liegt, daß ich als Dieser vollkommen nach allen Seiten (in innerlicher Willkühr, Trieb und Begierde, so wie nach unmittelbarem äußerlichen Dasein) bestimmte und endliche, doch schlechthin reine Beziehung auf mich bin und in der Endlichkeit mich so als das Unendliche, Allgemeine und Freye weiß“ (§ 35). Dieser Doppelcharakter des Selbstbewusstseins enthält somit zum einen die bereits beschriebene Möglichkeit der Distanzierung und Abstraktion von allen konkreten Bestimmtheiten und Eigenschaften, die mir als raum-zeitlich individuiertem „Dieser“ zukommen. Zugleich bestimmt Hegel dieses Selbstbewusstsein als Wissen um die eigene Identität, deren unmittelbare Form es ist, als ein „nach unmittelbarem äußeren Daseyn“ (ebd.) bestimmtes Individuum zu existieren. In dem reinen Bezug auf mich beziehe ich mich nicht auf mich qua körperliches Wesen, deshalb gehören auch die natürlichen Bestimmungen aus der Perspektive des Ich zur äußeren Welt (vgl. für eine zeitgenössische ähnliche Analyse Nagel 1983). Indem Hegel dieses Selbstbewusstsein „Persönlichkeit“ nennt, stellt er sich in eine Denktradition, die von Locke über Kant zu Fichte reicht (vgl. Siep 1992b, S. 81–115). Anders als Locke interessiert Hegel sich nicht für die Bedingungen der diachronen Identität von Personen, und im Gegensatz zu Kant akzeptiert er auch nicht die Trennung des formalen Aspekts von Selbstbewusstsein (dem „Ich denke“ der transzendentalen Apperzeption) vom Personbegriff als einer praktischen Kategorie (zu diesen Zusammenhängen im Kontext gegenwärtiger Debatten vgl. Quante 2012). Vielmehr kann man nach Hegel gerade aus dem „Selbstbewußtseyn von sich als vollkommen abstractem Ich“ (§ 35 A) die Grundlage der Rechtsphilosophie inhaltlich ableiten. Die Eigenschaft eines Individuums, Persönlichkeit zu haben, „enthält“ Hegel zufolge erstens „überhaupt die Rechtsfähigkeit“ (§ 36) und „macht“ zweitens
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„den Begriff und die selbst abstracte Grundlage des abstracten und daher formellen Rechtes aus“ (ebd.). Die erste (vgl. auch unten 2.2.2) inhaltliche Deutung der Bestimmung der Persönlichkeit benennt nochmals Hegels These, dass das Selbstbewusstsein der Freiheit eine notwendige und hinreichende Bedingung dafür ist, dass konkrete Inhalte des Wollens einen rechtmäßigen, berechtigten Anspruch darstellen können. Hegel versteht dabei „Recht“ überhaupt als die Sphäre der Realisation von Freiheit in dem Sinne, dass ich einen Anspruch darauf erheben kann, dass mein Wollen von anderen respektiert wird. Damit dies geschehen kann, müssen die Beteiligten sich erstens von ihrem konkreten Wollen gegebenenfalls auch distanzieren können, sonst kann im Konfliktfall keine rechtmäßige Lösung durch eine akzeptierte, vernünftige Aufgabe eines Anspruchs erfolgen. Der Inhalt des Wollens muss zweitens eine verstehbare, vernünftige und damit allgemeine Form haben, um überhaupt Gegenstand eines intersubjektiven Ausgleichs werden zu können. Und drittens, so wird die Entwicklung des abstrakten Rechts zeigen, erstreckt sich die Rechtmäßigkeit dieses Wollens so weit, wie der gewollte Inhalt mit dem Status der Persönlichkeit und der Rechtsfähigkeit anderer Individuen nicht kollidiert. Die Startbedingung für die Existenz von Recht als „Dasein der Freiheit“ ist deshalb in Hegels Augen die Allgemeinheit des Willens: Er sieht in ihr „die absolute Berechtigung, wovon Alles andere abhängt“ (§ 35 R S. 387). Das „Rechtsgebot“ (§ 36) im Sinne einer konstitutiven Bedingung „ist daher: sey eine Person und respectire die andern als Personen“ (ebd.). Ein Rechtsgebot ist dies auch, da es in der Teleologie des Willens selbst liegt, sich eine eigene Sphäre für seine Freiheit, ein eigenes Dasein zu schaffen. Dies kann nur in Form der Existenz einer rechtlichen Institution geschehen. Darüber hinaus liegt es in der Logik des Personbegriffs, dass man selbst nur dann eine solche ist, wenn man dazu in der Lage ist, die vernünftigen Ansprüche anderer Subjekte zu respektieren. Nach Hegel bedeutet dies zwangsläufig, dass man sie als Personen anerkennt. Die von Fichte stammende These, dass Personalität generell die Fähigkeit impliziert, andere als Personen anzuerkennen, ist im Rahmen der rechtsphilosophischen Diskussion zwingend, da sich die Erhebung eines Rechtsanspruchs ohne die implizite Unterstellung anderer Personen als Adressaten dieses Anspruchs gar nicht konsistent formulieren lässt.6
6 Zu dem ähnlich gelagerten Problem im Kontext des Handlungsbegriffs vgl. Quante 1993, S. 111– 124 sowie Yeomans 2015. – Auch unabhängig von rechtsphilosophischen Fragen ist die Annahme überaus plausibel, dass das Selbstverständnis als Person und die Fähigkeit zu selbstbewusstem Wollen nur im Rahmen einer sozialen Lebensform entwickelt werden können, in der Individuen sich wechselseitig intentionale Einstellungen zuschreiben (vgl. Quante 2007, 2012 und 2013 sowie Siep 2014, S. 281 ff.).
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3.2.2.2.2 Die Besonderheit und ihre rechtsphilosophische Bedeutung (§§ 37 f.) Bei der Bestimmung des Moments der Besonderheit zeigt sich die bereits erwähnte Doppelperspektive, die Hegel in diesem Teil der Grundlinien einnimmt: „Die Besonderheit des Willens ist wohl Moment des ganzen Bewußtseyns des Willens (§. 34), aber in der abstracten Persönlichkeit, als solcher noch nicht enthalten. Sie ist daher zwar vorhanden, aber als von der Persönlichkeit, der Bestimmung der Freyheit, noch verschieden, Begierde, Bedürfniß, Triebe, zufälliges Belieben u.s.f.“ (§ 37). Die Rede vom Bewusstsein des Willens ist dabei so zu verstehen, dass die Besonderungen Objekte für das Ich (das allgemeine Moment des Willens) sind, die zugleich auch zur Struktur des Willens als solchem gehören. Bewusstsein ist genau ein solcher vom Ich unterschiedener Inhalt, sofern er vom Selbstbewusstsein ,begleitet‘ wird. Zieht der selbstbewusst wollende, persönliche Wille sich auf sein Freiheitsbewusstsein zurück, treten dieser „abstracten Persönlichkeit“ (ebd.) alle Inhalte als von ihrem Selbst „verschiedene“, von außen aufzunehmende, faktisch bloß vorgefundene und „vorhandene“ besondere Bestimmungen des Willens gegenüber: Ich finde mich als jemand, der etwas Bestimmtes essen will, der einen bestimmten Berufswunsch hat, etc. Diese der Unmittelbarkeit des an und für sich freien Willens geschuldete Abstraktheit führt dazu, dass das Recht ebenfalls nur formell und inhaltsleer sein kann. Weil das Selbstbewusstsein der abstrakten Persönlichkeit zwar die Grundlage des gesamten Rechts darstellt, die Individuen sich aber hinsichtlich dieser inhaltsleeren Bestimmung nicht weiter unterscheiden, erstreckt sich die Berechtigung des Wollens im „formellen“ (§ 37) Recht „nicht auf das besondere Interesse“ (ebd.) und auch nicht „auf den besondern Bestimmungsgrund“ (ebd.) des jeweiligen inhaltlich bestimmten Willens. Da alle Inhalte aus dem Teilprinzip der Persönlichkeit ausgeschlossen sind, kann sich dessen rechtsstiftender Charakter auch nicht auf die Inhalte erstrecken. Stattdessen verleiht die bloße formale Bestimmtheit des Selbstbewusstseins diesem Recht einen formalen Charakter. Hegel schließt hier, um auch die zweite inhaltliche Deutung des Prinzips der Persönlichkeit anzuführen, von der formellen, reinen Beziehung auf sich darauf, dass nur die Rechtsförmigkeit und Möglichkeit der widerspruchsfreien Koexistenz dieser Willen mit der Persönlichkeit anderer Individuen überhaupt der Inhalt des abstrakten Rechts sein kann. Diese inhaltliche Deutung des formellen, inhaltsleeren Charakters der abstrakten Persönlichkeit als Prinzip des abstrakten Rechts führt Hegel im folgenden (§ 38) weiter aus, indem er sie den ,konkreteren‘ und inhaltlich reichhaltigeren Prinzipien der Moralität und Sittlichkeit gegenüberstellt. Das bestimmte Wollen eines freien Willens äußert sich in Handlungen, die in Hegels Sinne „concrete“ (§ 38) Ereignisse mit einer Fülle von Bestimmungen sind, die alle außerhalb des Bereichs des Prinzips Persönlichkeit liegen. „Moralische und sittliche Verhält-
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nisse“ (ebd.), in denen sich Handlungen stets abspielen, bilden den adäquaten Kontext für diese weitergehenden Bestimmungen des freien Willens. Gegenüber diesen Bestimmungen – dem „weitern Inhalt“ (ebd.) konkreter Handlungen (zum Handlungsbegriff vgl. Quante 1993) sowie moralischer und sittlicher Einstellungen – verhält sich das aus dem Prinzip der Persönlichkeit gewonnene „abstracte Recht nur [als, M. Q.] eine Möglichkeit“ (ebd.). Diese ontologische Kategorie besagt bei Hegel, dass das abstrakte Recht aus sich heraus keine Inhalte generieren kann, sondern lediglich limitierende, einschränkende Kriterien für die Rechtmäßigkeit bestimmter Handlungen und Willensbestimmungen liefert: Aus dem abstrakten Recht heraus kann nicht abgeleitet werden, dass ein Individuum etwas Bestimmtes zu wollen hat – „die rechtliche Bestimmung [ist, M. Q.] daher nur eine Erlaubniß oder Befugniß“ (§ 38). Während im Rahmen der Sittlichkeit bestimmte „Einsichten und Absichten“ (§ 37) eines wollenden Ich geboten sein können, beschränkt sich „die Nothwendigkeit“ (§ 38) des abstrakten Rechts „auf das Negative, die Persönlichkeit und das daraus Folgende nicht zu verletzen“ (ebd.). Diese inhaltliche Beschränkung leitet Hegel aus der „Abstraction“ (ebd.) ab, die dem Prinzip der Persönlichkeit auf der Stufe des an und für sich freien Willens in der Bestimmung der Unmittelbarkeit eigen ist. Im abstrakten Recht gibt es „daher nur Rechtsverbote und die positive Form von Rechtsgeboten hat ihrem letzten Inhalte nach das Verbot zu Grunde liegen“ (ebd.). Ein abstraktes Recht, welches der Form nach eine positive Aussage enthält (z. B. „das Eigentum einer Person ist zu respektieren“), beruht letztlich auf einem Verbot (in diesem Falle das Verbot, den Anderen in seinem Personsein zu missachten). In den Randnotizen erläutert Hegel, weshalb das abstrakte Recht lediglich Verbote auf der einen bzw. Erlaubnis oder Befugnis auf der anderen Seite zu entwickeln erlaubt. Die Bestimmtheit, von der die selbstbewusste Freiheit (die abstrakte Allgemeinheit) sich distanzieren kann, ist aus der Perspektive des Ich selbst „eine aüsserliche Sache“ (§ 38 R S. 389). Das Recht darauf, überhaupt Eigentum erwerben zu können, zwingt mich nicht dazu, etwas Bestimmtes erwerben zu wollen – es erlaubt dies nur (vgl. Mohseni 2014). Daher sagt Hegel, dass die Erlaubnis zu diesem bestimmten Wollen „nicht identisch“ (§ 38 R S. 389) mit dem Anspruch auf Recht überhaupt sein kann. Für den einzelnen freien Willen bleibt jeder konkrete Inhalt eine bloße Möglichkeit, zu der er eine „Befugniß“ (§ 38) hat, wenn sie mit der Persönlichkeit anderer freier Willen zusammenpasst. Nur die „Rechtsfähigkeit“ (§ 36) überhaupt muss der sich selbst denkende und wollende freie Wille zu seinem Inhalte haben. Hegel hält an dieser Stelle eine Asymmetrie zwischen dem internen Willensverhältnis (allgemeines Moment des Selbstbewusstseins versus besondere Inhalte) auf der einen Seite und der Perspektive eines außenstehenden anderen freien Willens auf der anderen Seite fest. Während ein Ich sich jederzeit aus einer
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Sache, einer inhaltlichen Bestimmung seines freien Willens, zurückziehen kann, ist mein Rechtsanspruch auf eine Sache „keine blosse Möglichkeit“ (§ 38 R S. 389) aus der Perspektive eines anderen freien Willens: „Für den andern bin ich da in der Sache“ (ebd.). Diese Asymmetrie, die jede Theorie, die Rechte aus dem Selbstbewusstsein der Freiheit ableitet, herausstellen muss, hat zur Konsequenz, dass aus dem Wesen des Willens, seiner Freiheit in Form von Rechten ein Dasein zu geben, abgeleitet werden kann, dass dieser Wille sich äußert und manifestiert: Solch ein „positives Thun ist Hervorbringen einer Gegenständlichkeit und eines Inhalts“ (ebd.). Ich muss nicht nur überhaupt wollen, sondern etwas wollen. Und ich kann mir nicht nur im Selbstbewusstsein einen bestimmten Inhalt geben, sondern muss diesen Inhalt auch in eine gegenständliche, intersubjektiv zugängliche Form bringen. Diese interne ,ontologische Nötigung‘ des Willens, sich ein äußeres Dasein und damit „Realität“ (§ 39) zu geben, leitet Hegel im Rahmen seines Systems aus der teleologischen Verfasstheit des Willens ab, sich ein „Dasein der Freiheit“ zu schaffen. Aufgrund der Privatheit der Distanzierungsmöglichkeit des Ich von jedem konkreten Inhalt seines Willens und der daraus folgenden Divergenz zwischen der möglichen Distanzierung im einzelnen Willen und der realen Präsenz in einer Sache für einen anderen Willen kann Hegel ein auch außerhalb seines Systemzusammenhangs plausibles Argument dafür aufbieten, dass der freie Wille sich eine intersubjektive Sphäre seiner Freiheit schaffen muss.
3.2.2.2.3 Die Einzelheit und ihre rechtsphilosophische Bedeutung (§ 39) Die Einheit von Allgemeinheit und Besonderheit, wie sie auf der Stufe des an und für sich freien Willens in seinem „abstracten Begriffe“ (§ 34) entwickelt ist, trägt selbst Momente dieser Unmittelbarkeit und Abstraktheit. Daher hat Hegel das Moment der Einzelheit dieses Willens auch als „ausschließende[s]“ (ebd.) charakterisiert, worunter er einerseits die Überzeugung des Subjekts versteht, sich von einer äußeren, unmittelbar vorgefundenen Welt zu unterscheiden, und woraus er andererseits den Sachverhalt begründet, dass dieser Wille als Person, d. h. als raum-zeitliches Individuum existiert. In der Darstellung des dritten Moments des Willens (§ 39) greift Hegel auf diese Ausführung zurück: „Die beschließende und unmittelbare Einzelheit der Person verhält sich zu einer vorgefundenen Natur“ (§ 39). Auch an dieser Stelle ist die bereits bemerkte terminologische Doppeldeutigkeit dem Verständnis hinderlich, meint doch „unmittelbare Einzelheit der Person“ hier gerade nicht die Bestimmung der Einzelheit im spekulativen Sinne. Trotzdem ist – und nach Hegel aufgrund der Begriffsnatur des Willens notwendigerweise – das Moment der Einzelheit in zweifachem Sinne präsent. Zum einen stellt – aus der Perspektive „des ganzen Bewußtseyns des Willens“
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(§ 37) gesehen – die Konstellation „Einzelheit der Person“ versus „vorgefundene Natur“ insgesamt die Einzelheit in ihrer unmittelbaren Form oder ihrem abstrakten Begriffe dar. Zum anderen enthält – aus der Perspektive des Moments der Persönlichkeit (Allgemeinheit) – die Bestimmung der Person, „beschließende“ (§ 39) zu sein, ebenfalls die Struktur der Einzelheit.7 Im Beschluss als der frei gewählten Bestimmung eines Individuums liegt eine, wenn auch noch defizitäre Form der Einheit von Allgemeinheit qua Freiheit und Besonderheit qua besonderer Inhalt vor. Das Defizit dieser Einheit hat gleichsam zwei Gesichter: Auf der Ebene des Willens liegt das Defizit in der Opposition zwischen seiner Form, als (selbstbewusster) Begriff subjekt-objekt-übergreifende Identität zu sein, und der inhaltlichen Bestimmtheit durch eine ihm unvermittelt gegenüberstehende „vorgefundene Natur“ (ebd.). Auf der Ebene der Persönlichkeit zeigt sich dieses Defizit darin, dass die Inhalte nicht aus dem Selbstbewusstsein heraus erzeugt, sondern von außen aufgenommen werden müssen. Der Wille hat daher weder intern noch extern eine ihm adäquate Realisierung seiner Begriffsnatur erreicht. Dieses Defizit des Willens manifestiert sich darin, dass dieser „vorgefundenen Natur […] hiermit die Persönlichkeit des Willens als ein Subjectives gegenübersteht“ (ebd.). Dies aber ist der Begriffsnatur des Willens, die eine strukturelle Entsprechung von Form und Inhalt verlangt, unangemessen: Dem für sich freien Willen „ist die Beschränkung, nur subjectiv zu seyn, widersprechend und nichtig“ (ebd.). Aus dieser Unangemessenheit leitet Hegel unter Rückgriff auf Ergebnisse seiner Reflexionslogik die Bestimmung des Willens ab, tätig zu sein (vgl. L II S. 286 ff.). Der Beschluss des freien Willens führt dazu, einen bestimmten Inhalt zu realisieren – der Wille hebt damit die Beschränkung auf, nur subjektiv zu sein, er versucht, „sich Realität zu geben“ (§ 39). Damit aber, so Hegel, versucht der freie Wille, die vorgefundene Natur als das Seinige „zu setzen“ (ebd.) – sie zu seinem Eigentum zu machen. Aus der begriffslogischen Analyse des Willens, dem doppelten Defizit des Willens in seinem abstrakten Begriff sowie der Asymmetrie zwischen der Perspektive des Selbstbewusstseins einerseits und anderer freier Willen andererseits leitet Hegel die willentliche Aneignung der „vorgefundenen Natur“ (§ 39) in Form von Besitznahme und Eigentum ab. Da die äußere Natur in dieser Analyse ebenfalls „Moment des ganzen Bewußtseyns des Willens“ (§ 37) ist, hat sie dieser teleologischen Selbstrealisierung keinen Widerstand entgegenzusetzen: Der freie Wille ist „Herr über Alles in der Natur“ (§ 39 R S. 391), diese hat „nur durch ihn Daseyn als der Freyheit“ (ebd.) zugehörig. Die dem Willen äußere Natur „hat keine Seele für sich, ist nicht Selbstzweck – […] selbst Lebendige Natur
7 Eine Interpretation dieses Zusammenhangs, die auf den Rückgriff auf Hegels spekulative Be griffsbestimmungen verzichtet, findet sich in Siep 1982 (vgl. vor allem S. 261 ff.).
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nicht“ (ebd.). Mit „Wille“ meint Hegel hier nicht den einzelnen Willen eines einzelnen Individuums, sondern die allgemeine Struktur des Willens, die in jedem freien Wesen instantiiert ist: Die Grenze der Freiheit einer Person im abstrakten Recht ist daher die Persönlichkeit und der freie Wille einer anderen Person. Dies folgt aus der Prämisse, dass Selbstbewusstsein die notwendige und hinreichende Bedingung für „jede Art von Rechten“ (§ 40 A) ist. Dass zu dieser vorgefundenen äußeren Natur auch „mein Körper, mein Leben“ (ebd.) gehört, ist eine weitere Konsequenz aus dem Ansatz beim Selbstbewusstsein der Freiheit und stellt in Hegels Augen zugleich ein weiteres Zeichen der Herrschaft des Geistes über die Natur dar, in der sich seine Höherwertigkeit manifestiert.
3.2.2.3 Die begriffliche Entfaltung der abstrakten Persönlichkeit im abstrakten Recht Mit den Ausführungen in den §§ 35–39 ist die inhaltliche Bestimmung der Persönlichkeit des Willens in der Bestimmtheit der Unmittelbarkeit abgeschlossen. Hegel entwickelt nun noch die begriffliche Struktur des ersten Teils der Grundlinien aus der immanenten Entwicklung dieses Teilprinzips. Die erste Form, in der der Wille sich ein Dasein gibt, besteht darin, etwas als „Sache“ (§ 40 A) zu betrachten. Die Institution des Eigentums ist das Dasein der Freiheit dieses „abstracten Willens“ (§ 40). Dieses Verhältnis, in dem ein freier Wille eine Sache als ,sein‘ Eigentum betrachtet, stellt ein Dasein seiner Freiheit dar, das von „einer einzelnen, sich nur zu sich verhaltenden Person“ (ebd.) realisiert wird. Indem ein Objekt der vorgefundenen Natur als ,mein‘ Eigentum angesehen wird, erhält dieses Objekt eine ,vernünftige‘ Form. Ich will es nicht nur um seiner Eigenschaften willen besitzen, sondern ich beanspruche es als Manifestation meines Willens (vgl. Mohseni 2014). Dies zeigt sich daran, dass Eigentum einen Rechtsanspruch beinhaltet, der andere freie Willen in ihrem Aneignungsrecht bindet. Dieser Stufe kommt nach Hegels Logik das Merkmal des Seins und der Unmittelbarkeit zu – die Bestimmungen der Allgemeinheit und der Besonderheit fallen ungeschieden ineinander. Die zweite Stufe, in der das Prinzip der Persönlichkeit ein Dasein der Freiheit erzeugt, setzt Intersubjektivität voraus. „Die Person“ – als Prinzip – „sich von sich unterscheidend“ – als mehrere Personen instantiiert, die voneinander als bestimmte unterschieden sind – „verhält sich zu einer andern Person“ (§ 40). Auf der Ebene des abstrakten Rechts „haben beide nur als Eigenthümer für einander Daseyn“ (ebd.). Die Institution, in der diese Reflexion des Prinzips Persönlichkeit in sich (das Vorhandensein mehrerer verschiedener Personen) ein Dasein der Freiheit erhält, ist nach Hegel der Vertrag. In Verträgen entäußern Personen eine Sache auf rechtmäßige Weise, so dass diese in der Transaktion zu keinem
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Zeitpunkt aufhört, Eigentum zu sein. Sie wechselt hier nur den Besitzer, ohne aus dem Bereich des Rechts herauszufallen, ,herrenlos‘ zu werden. Die Abstraktheit und inhaltsleere Formalität der Persönlichkeit erzeugt auf dieser reflexionslogischen Stufe eine Gemeinsamkeit des Willens (beide Personen wollen den Erhalt der Institution des Eigentums) und die „Erhaltung ihres Rechts“ (ebd.). Die Bestimmungen der Allgemeinheit und Besonderheit werden reflexionslogisch als zwei Momente voneinander unterschieden (besonderer Inhalt des Willens beim Vertrag und rechtmäßige Form als allgemeines Moment) und isoliert von einander gehalten. Die Rechtmäßigkeit des Vertrags erstreckt sich hier nur auf das formale Moment der Rechtsförmigkeit. Auf der dritten Stufe wird die – auf der zweiten Stufe reflexionslogisch stillgestellte – interne Widersprüchlichkeit des Willens explizit. In den rechtlichen Institutionen des Unrechts und Verbrechens wird innerhalb des Willens einer Person der Unterschied zwischen rechtmäßiger allgemeiner Form des Willens und zufälligem besonderem Inhalt über den Gegensatz (im Unrecht) bis zum Widerspruch (im Verbrechen) verschärft. Damit werden die Momente der Allgemeinheit und der Besonderheit des freien Willens zur Einzelheit vermittelt, die aber – aufgrund der Abstraktheit des Willens auf der vorliegenden Entwicklungsstufe – nur zur Aufhebung der Unmittelbarkeit der Persönlichkeit des Willens in die reflexionslogische Vermitteltheit des subjektiven Willens führen kann (vgl. dazu Quante 1993, S. 51 ff.). Mit dieser begriffslogischen Systematik beansprucht Hegel, sämtliche „Gestaltungen“ (§ 32) des abstrakten Rechts aus der „Reihe der sich ergebenden Begriffe“ (ebd.) mittels eines „immanente[n] Fortschreiten[s]“ (§ 31) des Begriffs des Willens in ihrer Vernünftigkeit dargestellt zu haben. Die inhaltliche Plausibilität dieser philosophischen Darstellung muss die Diskussion der fraglichen Abschnitte mit Bezug auf die dort behandelten Phänomene erweisen. Die systematische Rechtfertigung dieser begriffslogischen Entwicklung „ist hier“ – wie durchgehend in Hegels System – „aus der Logik vorausgesetzt“ (§ 31). Die Kritik an Kants Unterscheidungen in der Rechtsphilosophie, die Hegel in der Anmerkung unternimmt, moniert die fehlende interne Systematik dieser Unterteilung, die „die Menge des vorliegenden unorganischen Stoffs in eine äußerliche Ordnung zu bringen“ (§ 40 A) versucht, es aber nicht vermag, diesen Stoff unter Rückgriff auf das ihn organisierende Teilprinzip in seiner ‚vernünftigen‘ Form zur Darstellung zu bringen. Neben dieser methodologischen Kritik läuft Hegels Einwand inhaltlich auf den Punkt hinaus, dass die Unterteilung in Personen- und Sachenrecht eine oberflächliche Einteilung ist: „Das Schiefe und Begrifflose“ (ebd.) dieser Einteilung zeigt sich daran, dass Personen- und Sachenrecht beide aus dem Prinzip der Persönlichkeit hergeleitet und entfaltet werden müssen, was Hegel in der oben analysierten Einleitung in das abstrakte Recht geleistet zu haben glaubt.
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4 Eigentum und die soziale Sichtbarkeit der Person (§§ 41–81) Hegels Überlegungen zum Eigentumsrecht sind gut nachvollziehbar, wenn man sich ihnen zunächst auf der Grundlage seiner allgemeineren Einsichten bezüglich des Verhältnisses von Mensch und Natur nähert. Nach Hegel steht der in Gesellschaft lebende Mensch sowohl in Distanzierungs- als auch in Identifikationsrelation zur Natur. Grundsätzlich setzt für Hegel die kulturgeschichtliche Entwicklung von Rechtsverhältnissen voraus, dass der Mensch sich vom unmittelbaren Naturzusammenhang befreit. Indem er die Natur durch Bearbeitung und Aneignung seinen Zwecken unterwirft (§ 44), hält der Mensch als leiblich-fragiles Wesen ihre Zumutungen auf Distanz. Mit dieser kooperativ etablierten Distanz zur äußeren Natur geht auf individueller Ebene eine Distanzierung von unmittelbar waltenden Bedürfnissen und Trieben als der inneren Natur der Subjekte einher. Ohne dass die Subjekte wenigstens prinzipiell dazu in der Lage sind, sich von diesen Bedürfnissen und Trieben zu distanzieren, und sich somit von ihren eigenen Ansprüchen zu lösen, um den Standpunkt anderer Subjekte zu reflektieren, ist für Hegel kein Rechtsverhältnis möglich (vgl. §§ 5 u. 35). Auf der anderen Seite versteht Hegel die sittliche Wirklichkeit nicht als Resultat der restlosen Reinigung von „Triebe(n), Begierden, Neigungen“ (§ 11).1 Im Unterschied zu Kant hält Hegel freies Handeln für durchaus vereinbar mit bedürfnisorientiertem Handeln bzw. mit einem Handeln, dessen Motiv faktisch aus einem Trieb resultiert – so lange Trieb und triebreduzierendes Handeln nicht unmittelbar walten, sondern mittelbar als vernünftig eingesehen und durch das Denken geformt werden können. Wir sind „selbst ein natürliches“ (§ 57) und unser Körper „ist das Daseyn der Freyheit“ (§ 48 A). Darum ist jedes Anerkennungsverhältnis zwischen Rechtssubjekten auf Vorkommnisse unseres inkorporierten Handelns bezogen. Denn auf unsere jeweiligen Ansprüche können wir überhaupt nur dann eingehen, wenn sie öffentlich zugänglich, d. h. auf bestimmte Art objektiviert sind. Vor diesem Hintergrund vertritt Hegel – ähnlich wie Locke – eine Eigentumstheorie, für die die Vergegenständlichung des Rechtssubjekts zentral ist: Raumzeitliche Einzeldinge erhalten durch eine essentielle Beziehung zu einer Person
1 Aus dem Original übernehme ich keine Hervorhebungen, sämtliche Hervorhebungen sind von mir. DOI:10.1515/9783110496529-007
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einen besonderen Status. Anders als bei Locke geht es Hegel dabei allerdings nicht primär um die Verknüpfung von Subjekt und Objekt durch Arbeit, überhaupt um keinerlei Energietransfer, sondern um einen durch geschichtliche Entwicklung etablierten Geltungsanspruch der Subjekte. Wenn wir unseren Willen ‚in Sachen legen‘ (vgl. § 44), also Gegenstände ergreifen und uns mit ihnen auseinandersetzen, dann erwarten wir Respekt für diese Auseinandersetzung – und das gilt vor allem für das Verhältnis zu unserem eigenen Körper (§ 48). Wie Hegel in diesem Zusammenhang das Recht auf Privateigentum als „das erste Daseyn“ (§ 45) der Freiheit entwickelt, wird im Folgenden entlang der Paragraphen des Abstrakten Rechts im Detail nachgezeichnet. Im ersten Teil ist dabei das Verhältnis zwischen Person und Sache zentral (I). Dem Verhältnis von Person und Körper widmet sich der kürzere, zweite Teil (II). Die Leistungsstärke seiner Konzeption diskutiere ich skizzenhaft im abschließenden Teil (III). In allen Abschnitten gehe ich punktuell auch auf die generelle Verfahrensweise ein, die Hegel bei der Abhandlung des Eigentumsrechts zur Geltung gebracht hat.2
4.1 Zum Verhältnis von Person und Sache Hegel beginnt das Abstrakte Recht mit der Entwicklung der Relation zwischen Personen und raum-zeitlichen Einzeldingen. Unter einer Person versteht Hegel ein menschliches Subjekt, das dazu in der Lage ist, sich von den verschiedensten Bestimmungen, durch die es faktisch ausgezeichnet ist (z. B. Bedürfnisse, Triebe, Körpergröße, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, usw.), frei zu denken. Personen sind dazu fähig, „nicht bloß ein Selbstbewußtseyn überhaupt von sich […] als concretem, auf irgend eine Weise bestimmtem, sondern vielmehr ein Selbstbewußtseyn von sich als vollkommen abstractem Ich“ (§ 35 A) zu entwickeln. Mit dem Hinweis auf die Distanzierungsfähigkeit der Rechtssubjekte ist allerdings aus der Perspektive des Projekts einer Rechtsphilosophie, die sich die Freilegung der vernünftigen Institutionen der sozialen Wirklichkeit zur Aufgabe gesetzt hat, noch nichts Materiales erreicht. Dass die Subjekte die Fähigkeit haben müssen, von ihrem Wollen Abstand nehmen zu können, damit Rechtsverhältnisse überhaupt denkbar sind, sagt noch nichts über die inhaltliche Bestimmung der Rechtsverhältnisse selbst. Und Personen können nicht schon deshalb als freie Subjekte bezeichnet werden, weil sie zu einem abstrakten Selbstbild in der Lage sind. Sie müssen ihrem Wollen Ausdruck verleihen, „sich eine äußere Sphäre ihrer Freyheit“ geben (§ 41). Damit meint Hegel nicht, dass die Freiheit der
2 Eine ausführlichere Analyse der folgenden Paragraphen habe ich in Mohseni 2015 entwickelt.
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Personen einen inneren Kern hat, der von einer äußeren ‚Hülle‘ zu umschichten ist, sondern dass der freie Wille der Subjekte auf irgendeine Art vergegenständlicht sein, sich äußern muss. Bei der philosophischen Explikation dieser Äußerungen des Willens geht Hegel nicht sofort zur Auseinandersetzung zwischen Subjekten über: Es geht ihm weder um ein Aufeinanderprallen der Individuen in der Natur noch um die reziproke Aufforderung zur Selbstbeschränkung. Hegel konzipiert keinen fiktiven Zustand, sondern abstrahiert von der Komplexität der eigenen sozialen Wirklichkeit, um diese selbst methodisch kontrolliert und nachvollziehbar als Wirklichkeit des Prinzips des freien Willens offenzulegen. Deswegen spricht er davon, dass die Idee des an und für sich freien Willens zunächst in der „Bestimmtheit der Unmittelbarkeit“ (§ 34) zu betrachten ist.3 Durch diesen abstrahierenden Blick sind die Subjekte als Personen bestimmt – und noch nicht als Ehefrauen oder Beamte oder Mitglieder der Bürgerlichen Gesellschaft. Darum will Hegel auch die Äußerungen der Freiheit der Personen frei von Vermittlung bestimmen: „Weil die Person der an und für sich seyende unendliche Wille in dieser ersten noch ganz abstracten Bestimmung ist, so ist dieß von ihm Unterschiedene, was die Sphäre seiner Freyheit ausmachen kann, gleichfalls als das von ihm unmittelbar Verschiedene und Trennbare bestimmt.“ (§ 41) Hier ist schön zu sehen, wie Hegel auf der Grundlage seiner rationalistischen und essentialistischen Wirklichkeitsauffassung das durch den Philosophen „Unterschiedene“ sofort zum ontologisch „Verschiedene(n) und Trennbare(n)“ macht.4 Die begriffliche Bestimmung dieses „Verschiedenen“ meint Hegel dadurch fassen zu können, dass er ihm den zentralen semantischen Gehalt des Begriffs des freien Willens qua Person abspricht – sonst wäre es nicht als ‚verschieden‘ zu bezeichnen. In der Heidelberger Enzyklopädie nennt Hegel diese äußere Sphäre darum auch „Negation“ (HE § 403) des abstrakten Selbstbewusstseins. Vor diesem Hintergrund mag die Fortsetzung der philosophischen Explikation des Prinzips des freien Willens durch den anschließenden Paragraphen 42 in der Tat so erscheinen, als bräuchte man nur „zuzusehen“ (§ 2): „Das von dem freyen Geiste unmittelbar Verschiedene ist für ihn und an sich das Aeußerliche überhaupt, – eine Sache, ein unfreyes, unpersönliches und rechtloses.“ Dieses vom Geist – denn die Person ist eine Gestalt des Geistes – unmittelbar Verschie-
3 Vgl. hierzu den Beitrag von Quante in diesem Band. 4 Bei der Analyse des Geistes gilt, „daß seine Bestimmungen eben so sehr gegenständlich, Be stimmungen des Wesens der Dinge, als seine eigenen Gedanken sind“ (E § 439); vgl. hierzu auch die Anmerkung zu § 42: „Was für den freyen Geist, der vom blossen Bewußtseyn wohl unterschie den werden muß, das Aeusserliche ist, ist es an und für sich […].“
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dene ist für Hegel die Natur.5 Damit ist klar, dass Hegel bereits mit der Rede vom „Trennbaren“ nicht bloß die vorgestellte Loslösung, die Abstraktion von Eigenschaften im Sinn hatte, sondern auch Entitäten, von denen man sich im handgreiflichen Sinn trennen, lösen kann.6 Dass Hegel hier von der Natur als dem Unfreien und Rechtlosen spricht, hat zwei Implikationen: Auf der einen Seite reiht er sich damit in die Tradition der Verfechter des dominium terrae ein, für die der „Mensch Herr über Alles in der Natur“ (§ 39 R S. 391; vgl. außerdem § 44) ist.7 Auf der anderen Seite ist offensichtlich, dass Hegel auf dieser Grundlage die Sklaverei nicht akzeptieren kann, weil andere Menschen nicht mit Sachen gleichzusetzen sind (vgl. §§ 57 A u. 209 A). Was die nähere Bestimmung der „Sachen“ betrifft, so kann Hegel auch hier nicht einfach über jede Gegebenheitsweise der Natur, die ja auf „vielfache Weise“ (§ 42 R S. 401) Gegenstand der Reflexion werden kann, begrifflich disponieren. Die Spezifikation der Sachen muss unter dem Blickwinkel der Bestimmtheit der Unmittelbarkeit geschehen: „Nur von diesen Sachen, als die es unmittelbar, nicht von Bestimmungen, die es durch die Vermittlung des Willens zu werden fähig sind, ist hier […] die Rede.“ (§ 43) Wenn Hegel hier von ‚unmittelbaren Sachen‘ spricht, dann hat er keine bestimmte Art von Entitäten vor Augen, sondern eher das, was Husserl später durch den Lebensweltbegriff als „die raum-zeitliche Welt der Dinge, so wie wir sie in unserem vor- und außerwissenschaftlichen Leben erfahren“ (Husserl 2012, S. 150), gefasst hat. Dabei möchte Hegel zunächst die komplexeren Fälle, in denen Personen ‚ihren Willen in Sachen‘ legen, ausklammern: Denn wer ein Konzert besucht, eignet sich für einen bestimmten Zeitraum das Produkt des Talents und der Geschicklichkeit anderer Subjekte an – und somit wäre auch hier die Rede von „Sachen“ prinzipiell zulässig (vgl. § 43 A);8 da Hegels Explikationsschritte aber nach wie vor im Rahmen der „Bestimmtheit der Unmittelbarkeit“ erfolgen müssen, kann eine derart vermittelte Relation zwischen Person und Sache noch nicht thematisch sein. Konsequenterweise formuliert Hegel stattdessen folgendes: „Die Person hat als der unmittelbare Begriff
5 Vgl. hierzu den „Begriff der Natur“ in der Einleitung zur Naturphilosophie (E §§ 247 u. 251). 6 Hegel denkt hier auch an die Fähigkeit des Menschen zum Freitod. Darin sieht er einen wesent lichen Unterschied zwischen Mensch und Tier: „(D)as Thier kann sich nicht selbst verstümmeln oder umbringen, aber der Mensch.“ (§ 47 A) Rechtmäßig ist diese Wahl allerdings Hegel zufolge in der Regel nicht (vgl. § 70). 7 Siep (z. B. 1992, S. 326) hat diese „rechtsphilosophische und rechtliche Reduzierung aller nicht-menschlichen Natur zur Sache, die personalem und institutionellem Willen grenzenlos zur Disposition steht“, immer wieder kritisiert. 8 Darauf komme ich im dritten Abschnitt noch einmal zurück.
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und damit auch wesentlich Einzelne eine natürliche Existenz, theils an ihr selbst, theils als eine solche, zu der sie als einer Außenwelt sich verhält.“ (§ 43) Mit dieser Eingrenzung der Extension des Begriffs der „Sache“ hat Hegel gleichzeitig die unmittelbare Art und Weise der Beziehung von Person und Sache eingefangen. Unsere natürliche Existenz – der Körper, den wir vorfinden, und die Außenwelt, mit der wir uns auseinandersetzen – wird hier von Hegel selbst als das „Material“ (E § 483) der Freiheit, als eine Menge von Sachen betrachtet. Hegel blendet anschließend die besondere Beziehung der Personen zu ihrem eigenen Körper für einen Moment aus und formuliert in § 45 die sittliche Relevanz der Beziehung zwischen Person und Sache. Da wir es hier mit dem wichtigsten Paragraphen des Hegelschen Eigentumsrechts zu tun haben, widme ich ihm eine ausführliche Analyse.
§ 45: Die Vergegenständlichung des freien Willens Wenn wir einen Gegenstand ergreifen, dann lassen sich an diesem Ereignis nach Hegel zwei unterschiedliche Aspekte festhalten: „Daß Ich etwas in meiner selbst äußern Gewalt habe, macht den Besitz aus, so wie die besondere Seite, daß Ich etwas aus natürlichem Bedürfnisse, Triebe und der Willkühr zu dem Meinigen mache, das besondere Interesse des Besitzes ist. Die Seite aber, daß Ich als freyer Wille mir im Besitze gegenständlich und hiemit auch erst wirklicher Wille bin, macht das Wahrhafte und Rechtliche darin, die Bestimmung des Eigenthums aus.“ (§ 45)
Dass Hegel hier die Bedürfnisbefriedigung offensichtlich nicht ins Zentrum des Eigentumsrechts stellt, sollte nach dem bisher Gesagten nicht überraschen. Der Kern des Hegelschen Personbegriffs ist schließlich die Fähigkeit zur Abstraktion von allen Willensinhalten. Die Überlegungen zur „äußere(n) Sphäre“ der Freiheit der Person haben zum Begriff der „Sache“ geführt, da mit jener Abstraktionsfähigkeit allein noch keine gesellschaftliche Wirklichkeit des Rechts, keine Institution expliziert worden ist. Der weiteste Ausdruck dafür, dass eine Person ihren Willen in eine Sache legt, d. h. sie besetzt, heißt jetzt einfach Besitz. Auffällig ist, dass sich Hegel dabei zunächst nicht für die Motivation des Subjekts interessiert – warum die Person einen bestimmten Gegenstand, z. B. eine Orange, ergreift, bleibt ausgeblendet. Damit ist ebenfalls ausgeblendet, um welche Art von Prozess es sich bei der Zueignung handelt; für Lockes Eigentumstheorie ist es bekanntlich von zentraler Bedeutung, dass der Aneignungsprozess ein Arbeitsprozess ist.9 Das, woran Hegel hier „zwey Seiten“ (§ 45 R S. 407) ausfindig macht, ist ohnehin
9 Vgl. Locke 1976, § 27.
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nicht der Aneignungsprozess selbst, sondern sein Resultat: Die Person hat etwas in ihrer „äußern Gewalt“. Worauf es nun für das Eigentumsrecht ankommt, ist der Umstand, dass der freie Wille sich auf diese Weise „gegenständlich“ ist. Was heißt es aber, sich im Besitz „gegenständlich“ zu sein? Was ist an diesem Sachverhalt „das Wahrhafte und Rechtliche“? Blicken wir zum Vergleich auf die Tierwelt: Warum ist das von den Hyänen gerissene Zebra, das anschließend vor den Raubtieren liegt, nur das Resultat tierischen Verhaltens, während eine Orange auf meinem Schreibtisch als Vergegenständlichung von Freiheit gilt? Eine kleine Verständnishilfe bietet Hegel selbst an: Die Person ergreift die Orange und ist „hiemit auch erst wirklicher Wille“. Sich in der Orange gegenständlich zu sein, kann somit nicht einfach nur bedeuten, sich überhaupt intentional auf sich zu beziehen; die Selbstreferenz muss durchaus via raum-zeitliches Objekt hergestellt sein. Der Ausdruck ‚sich gegenständlich sein‘ ließe sich somit – das wird Hegel im Folgenden (vgl. §§ 46, 56, 58 R S. 439, 62) tatsächlich tun – synonym zu ‚sich objektiv sein‘ gebrauchen. In der Einleitung (§§ 1–33) hat Hegel mit Bezug auf den Willen drei Bedeutungen von „objectiv“ (§ 26) unterschieden: Der Wille ist objektiv, wenn er „seinem Begriffe gemäß und wahrhaftig ist“ (i); wenn er, zum abstrakten Selbstbewusstsein nicht fähig, völlig in einen Inhalt versunken ist, wie etwa „der kindliche“ Wille (ii); wenn er einen unausgeführten Zweck in die „äußerliche Existenz“ (ebd.) übersetzt (iii). Die zweite Bedeutung scheidet klarerweise aus. In jedem Fall haben wir es hier mit der dritten Verwendungsweise zu tun: Durch den Besitz der Orange verleiht die Person ihrem Willen „äußerliche Existenz“. Allein gerade an dem Umstand, dass die Person die Orange in ihre Gewalt gebracht und somit ihren Willen hat objektiv werden lassen, unterscheidet Hegel eben jene zwei Aspekte: die des Interesses und die der Objektivierung des „Ich“. Dass die Person zur Befriedigung ihres Bedürfnisses einen unausgeführten Zweck zu einem ausgeführten und somit ihren Willen zu einem objektiven Willen macht, genau diesen Punkt unterscheidet Hegel von der „Bestimmung des Eigenthums“. Gleichzeitig kann damit aber nicht gemeint sein, dass die äußerliche Existenz des Willens irrelevant wäre. Dass der Wille objektiv im Sinne raum-zeitlicher Äußerlichkeit wird, ist durchaus notwendig für die Bestimmung des Eigentums. Irrelevant an dieser Objektivierung des Willens ist das besondere Interesse, das darin verfolgt wird. Entscheidend ist aber offenbar, dass die Person sich „gegenständlich“ auch im ersten Sinn von objektiv wird: Ihr Wille hat „sich selbst zu seiner Bestimmung“ und ist „so seinem Begriffe gemäß und wahrhaftig“ (§ 26). Darum spricht Hegel auch hier im 45. Paragraphen über „das Wahrhafte“ an der Tatsache, dass „Ich“ etwas in meiner äußeren Gewalt habe. Was aber ist damit gemeint? Festhalten lässt sich an dieser Stelle jedenfalls, dass wir es mit zweierlei Objektivierung zu tun haben: Erstens, mein innerlicher Zweck wird ausgeführt, die
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Orange gepflückt und auf den Tisch gelegt, so dass mein Wille jetzt objektiv (iii.) ist. Diese Perspektive der Bedürfnisbefriedigung unterscheidet Hegel, zweitens, von der Objektivierung des „Ich“, das „als freyer Wille“ seinem Begriff „gemäß und wahrhaftig“ (i.) bzw. „wirklicher Wille“ (§ 45) wird. Außerdem setzt Hegel diese Objektivierungen in bestimmte Relation zueinander: Die Bedürfnisbefriedigung als Objektivierung eines Zwecks ist das Medium der „wahrhaften“ Objektivierung des „Ich“, das sich „darin“, d. i. „im Besitze“ erst diese Objektivierung verschafft. Damit ist aber kaum eine Unklarheit beseitigt. Denn was ist das für eine Objektivierung, die sich in der Übersetzung von Zwecken in die Außenwelt manifestiert, gleichzeitig aber von der Intention dieser Übersetzung abstrahiert, um auf dieser Grundlage das „Wahrhafte und Rechtliche“ zu sein? Wie soll ein Subjekt sowohl einen Zweck verfolgen, ihn in die raum-zeitliche Realität übersetzen (Besitz) und gleichzeitig von diesem Zweck abstrahieren, und auch dadurch eine Objektivierung (Eigentum) betreiben? Was ist eine Objektivierung in Abstraktion von der Absicht des Subjekts? Eine Möglichkeit besteht darin, dass ein Subjekt A in der Auseinandersetzung mit einem Gegenstand einen Sachverhalt p hervorbringen möchte, dies auch gelingt (Besitz), und darüber hinaus die hervorgebrachte Tatsache p einen Aspekt aufweist, dessen Hervorbringung nicht Teil der Absicht des Subjekts gewesen ist. Zum Beispiel: Ich schmiere mir ein Honigbrot und ziehe damit – ungewollt – Braunbären an. Die Anziehung der Braunbären ist dann keine Objektivierung eines vorher von einem Subjekt beabsichtigten Zwecks. Mit Bezug auf die „Bestimmung des Eigenthums“ fordert Hegel aber deutlicherweise, dass die Person sich in der Tatsache p objektiv wird: Es kommt darauf an, „daß Ich als freyer Wille mir im Besitze gegenständlich bin“. Damit ist zumindest gefordert, dass Tatsache p einen Aspekt aufweist, der in irgendeiner Weise von A selbst als Objektivierung wahrgenommen wird. Die Objektivierung hat folglich eine irreduzible intentionale Struktur. Folglich sind die Unklarheiten weiterhin nicht beseitigt: Wenn ein Subjekt A einen Zweck durch die Hervorbringung eines Sachverhalts p objektiviert, und die „Bestimmung des Eigenthums“ von dieser Objektivierung zwar unterschieden, aber dennoch eine Objektivierung für A sein soll, dann fragt sich: Objektivierung wovon? Ein weiterer Lösungsversuch besteht in der Annahme, dass die Objektivierungen auf zwei verschiedene Subjekte zurückgehen. Man denke an folgendes Beispiel: Subjekt A legt hinterlistig Subjekt B den Honig auf den Tisch, damit sich B ein Brot schmiert und dadurch – ohne Absicht – Bären anzieht.10 Folgendes
10 „Daß der Zweck sich aber in die mittelbare Beziehung mit dem Object setzt, und zwischen sich und dasselbe ein anderes Object einschiebt, kann als die List der Vernunft angesehen wer
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wäre dann der Fall: B hat den von ihm beabsichtigten Sachverhalt p (geschmiertes Honigbrot) hervorgebracht und dadurch auch den von A beabsichtigten Sachverhalt q (Bären werden angezogen) hervorgebracht. Ein und dieselbe Tat (B hat durch das geschmierte Honigbrot Bären angezogen) könnte dann als doppelte Objektivierung bezeichnet werden, wobei die Objektivierung des Zwecks von B als Mittel der Objektivierung des Zwecks von A zu betrachten wäre. Aus der Einleitung (§§ 1–33) geht bereits hervor, dass Hegel den vernünftigen Staat durch das Prinzip des freien Willens organisiert sieht, der seiner Bedeutung nach nicht ausschließlich der Wille einzelner Individuen ist, sondern eine überindividuelle Entität. Betrachtet man das Prinzip des freien Willens in seiner Relation zum einzelnen empirischen Subjekt, dann könnte man bei der Unterscheidung von Besitz und Eigentum folgendes Bild zeichnen: Das empirische Subjekt, das über jene Abstraktionsfähigkeit verfügt, die Personen auszeichnet, objektiviert seinen Zweck und ergreift eine Sache – das nennt Hegel Besitz. Durch diese Objektivierung wird aber auch die – hier selbst als Subjekt aufgefasste – überindividuelle Entität freier Wille, die bislang nur als Loslösungsfähigkeit des einzelnen Subjekts zum Zuge gekommen war, wirklich im Sinne raum-zeitlicher Realität. Für die einzelne Person selbst wäre dann an der Tatsache des Besitzes immer und nur die Bedürfnisbefriedigung relevant. Auch das Eigentumsrecht würde die Person immer und nur aus der Perspektive der Bedürfnisbefriedigung betrachten.11 Aus der Perspektive der überindividuellen Entität ist die besondere Bedürfnisbefriedigung irrelevant; es kommt nur darauf an, dass sie, die überindividuelle Entität, nicht bloß als Vermögen der einzelnen Subjekte verharrt, sondern auch in der unmittelbaren Realität sichtbar wird – und das ist ihre Objektivierung. Man könnte sie Objektivation nennen, weil der Gehalt dieser Vergegenständlichung nicht in der Absicht einer handelnden Person auffindbar ist. Die Objektivierung (Besitz) der einzelnen Person ist nach dieser Lesart folglich auch Objektivation (Eigentum) des freien Willens qua überindividueller Entität. In der Anmerkung zum 45. Paragraphen scheint Hegel dieses Bild zu bestätigen: „Eigenthum zu haben, erscheint in Rücksicht auf das Bedürfniß, indem dieses zum Ersten gemacht wird, als Mittel; die wahrhafte Stellung aber ist, daß
den.“ (L II, S. 166) Hegel gebraucht die Rede von der „List der Vernunft“ in der Regel nur bei der philosophischen Analyse der Struktur zweckmäßigen Handelns (vor allem des Arbeitens). Zentral ist dabei die Rekonstruktion der Bedeutung des „Werkzeugs“ (ebd.). In der Enzyklopädie (E § 551) und in der Rechtsphilosophie (§ 344) bezeichnet Hegel allerdings auch die Handlungen der einzelnen Individuen als „Werkzeuge“ des Weltgeistes. 11 Vgl. zu einer solchen Lesart H.-C. Schmidt am Busch 2007, S. 114. Ungeklärt bleibt dann allerdings, wer sich denn „als freyer Wille im Besitze gegenständlich“ (§ 45) ist, – und wie dieses Gegenständlich-Sein genau zu begreifen ist.
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vom Standpunkte der Freyheit aus das Eigenthum, als das erste Daseyn derselben, wesentlicher Zweck für sich ist.“ Für diese Deutung könnte auch der Umstand sprechen, dass Hegel den Willen der einzelnen Subjekte in der Enzyklopädie als „Element der Bethätigung“ (E § 485) jener überindividuellen Entität bezeichnet. Aus der höheren Perspektive des Weltgeistes ist sogar die Rede davon, dass die Individuen „bewußtlose Werkzeuge und Glieder“ (§ 344; vgl. auch E § 551) der überindividuellen Entität sind. Unbeantwortet bliebe im Rahmen dieser Lesart allerdings, auf welche Weise bzw. durch welche Subjekte sich das Prinzip des freien Willens selbst „gegenständlich“ wird. Wie wird hier die überindividuelle Entität freier Wille ihrer Objektivation gewahr? Das Problem, das hier offenkundig wird, liegt letztlich darin begründet, dass die Vorstellung von der überindividuellen Entität als eines handelnden Subjekts nicht wasserdicht ist. Ich prüfe darum im Folgenden noch einmal die Möglichkeit, dass beide Vergegenständlichungen auf ein und dasselbe Subjekt zurückgehen – und auch von diesem selbst einmal als Bedürfnisbefriedigung und einmal als Vergegenständlichung von Freiheit wahrgenommen werden. Der Rahmen für eine Lesart, die von einem Subjekt ausgeht, stellt sich wie folgt dar: Die Person befriedigt ein beliebiges Interesse und objektiviert dadurch ihren Zweck. Davon unterschieden objektiviert dasselbe Subjekt sich selbst „als freyer Wille“. Die Unterscheidung von Besitz und Eigentum wäre somit auf zwei verschiedene Weisen zurückzuführen, in denen die Person sich selbst betrachten kann: Sie ist sowohl ein bedürftiges Lebewesen, das sich mit der Natur auseinandersetzt und sie sich aneignet (Besitz). Gleichzeitig ist die Person aber, anders als die Hyäne, auch ein geistiges Lebewesen, das sich von dieser und jeder Bedürfnisbefriedigung auch loslösen kann – und genau diese seine geistige Natur ist ihm in seinem Besitz ebenfalls präsent. Die Person objektiviert auf dieser geistigen Ebene keinen besonderen Zweck, sondern wird sich über den Gegenstand des Besitzes selbst als freies, denkendes Subjekt thematisch. Die zweifache Vergegenständlichung wäre somit einmal die Objektivierung eines Zwecks und, hierüber, auch das Selbstgewahrwerden des Subjekts qua Person. Das ist alles, was der Person hier gewahr wird. Gibt sie diesem ihrem Verhältnis zur Sache den richtigen Titel, dann spricht sie von Eigentum. Der Philosoph jedenfalls – und nur er – fasst diese Relation von der Person zur Sache terminologisch korrekt: Sie ist das erste Dasein der Freiheit – die Idee des an und für sich freien Willens, die sich in der Bestimmtheit der Unmittelbarkeit eine erste „Gestaltung“ (§ 1 A) gibt. Ob eine solche Lesart überzeugend ist, hängt wesentlich davon ab, welche Deutung sie jenem herausfordernden Satzteil zuschreibt: „daß Ich als freyer Wille mir im Besitze gegenständlich […] bin“.
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Das ist der Prüfstein jeder diesbezüglichen Analyse. Zur Unterfütterung der soeben skizzierten Ein-Subjekt-Lesart können zunächst zwei Punkte festgehalten werden: Erstens bezeichnet das „Ich“ hier dasselbe Subjekt, das auf der Ebene des Besitzes und der Bedürfnisbefriedigung einen materiellen Gegenstand in seiner Gewalt hat. Zweitens macht es einen Unterschied aus, ob man sagt, dass x gegenständlich ist, oder ob man, wie Hegel hier, sagt, dass x sich gegenständlich ist. Durch das Reflexivpronomen ist der Sachverhalt markiert, dass das Gegenständlich-Sein mit Bezug auf das Subjekt in einem bestimmten Gegebenheitsmodus steht. Nun kann es hier nicht darum gehen, dass sich die Person lediglich selbst reflektiert und sich auf diese Weise thematisch ist, denn sie wird ihrer selbst durchaus über das raum-zeitliche Objekt, die Sache gewahr. Zur weiteren Klärung dieses Satzteils ist es sinnvoll, zwei Fragen, die im Rahmen der Zwei-SubjekteLesart nicht überzeugend beantwortet werden konnten, heranzuziehen. Erstens: Was ist hier genau unter dem „Gegenstand“ zu verstehen, der thematisch wird? Und zweitens: Für wen wird dieser „Gegenstand“ thematisch? Strukturell geht es somit um die Frage nach dem Objekt und dem erkennenden Subjekt der Vergegenständlichung. Da die Relation des ‚Sich-Gegenständlich-Seins‘ eine reflexive Struktur hat, lassen sich Subjekt und Objekt nach dieser Lesart beide durch das Satzglied „Ich als freyer Wille“ greifen. Mit welcher Intentionalität wir es beim Sich-Gegenständlich-Sein des Subjekts zu tun haben, lässt sich am einfachsten ex negativo herausarbeiten. Blicken wir auf die Person, die etwas in ihrer Gewalt hat: Sie bezweckt nur ihre Bedürfnisbefriedigung. Sie beabsichtigt, Sachverhalt p herbeizuführen – das ist ihr bewusster Zweck. Mit der gepflückten Orange ist dieser Zweck erreicht und das Subjekt hat somit die Tatsache p hervorgebracht. Von Objektivierung sollte nur dann die Rede sein, wenn der zu verwirklichende Sachverhalt von dem Subjekt selbst vor der Handlung gewusst, dessen Hervorbringung während der Handlung als leitend betrachtet und nach der Handlung als gewolltes Resultat erkannt wird. Davon kann mit Bezug auf das „Ich als freye(m) Wille(n)“ keine Rede sein: Wir pflücken in der Regel keine Orange, weil wir unserer selbst qua freiem Willen gewahr sein wollen, sondern weil wir Orangen essen möchten. Dass wir im Zuge der Befriedigung unserer Bedürfnisse generell auch den bewussten Zweck verfolgen, uns qua freier Subjekte gewahr zu sein, halte ich für wenig überzeugend. Es ist – das sagt auch Hegel an keiner Stelle des Abstrakten Rechts – nicht die Absicht des Subjektes, sich in diesem Sinne gegenständlich zu sein. Gleichzeitig ist das Sich-Gegenständlich-Sein der Person auch kein Gefühl, das sich etwa im Ergebnis der Bedürfnisbefriedigung einstellt – auch dafür bietet der Text keine Grundlage. Im Gegenteil, die gesuchte Art der Selbstbezugnahme muss sich von der Ebene der besonderen Absicht und des individuellen Gefühls
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unterscheiden, um das „Wahrhafte und Rechtliche“ ausmachen zu können. Außerdem kann das Sich-Gegenständlich-Sein auch nicht über andere sinnliche Wahrnehmung erreicht sein: Wir sehen uns nicht selbst als freie Subjekte; wir sehen die Orange. Man denke aber für einen Augenblick an die Möglichkeit, dass mein Zweck nicht verwirklicht ist. Und man nehme zusätzlich an, dass die Ursache des Scheiterns auf das Verhältnis zwischen mir und anderen Subjekten zurückzuführen ist (etwa: Person B hindert mich daran, die Orange zu pflücken). Wird in solchen Fällen das Vorhandensein eines Phänomens verhindert, das im Falle der ungehinderten Zweckverwirklichung präsent ist? Hegel ist folgendermaßen gedeutet worden:12 Wenn wir bei dem Versuch, Gegenstände in unsere Gewalt zu bringen bzw. uns mit ihnen nach eigenen Maßstäben auseinanderzusetzen, scheitern, dann fehlt uns die Grundlage dafür, unsere freie Wirksamkeit zu erfahren. Wir lernen somit niemals, dass wir Subjekte sind, die in die Außenwelt eingreifen und Veränderungen nach eigenen Vorstellungen hervorbringen können. Nur durch die ungestörte Bearbeitung der Gegenstände – daher die Notwendigkeit der Institution des Privateigentums – kann ich meinen individuellen Einfluss im doppelten Sinne wahrnehmen: ihn ausüben und betrachten. Das ist allerdings nicht Hegels Position. Freiheit als Bewusstsein der Wirksamkeit in der Außenwelt ist kein in der Rechtsphilosophie zu entwickelnder Gegenstand, sondern im Rahmen der Philosophie des Objektiven Geistes vorausgesetzt. Die Entwicklung der Idee des an und für sich freien Willens beginnt beim Abstrakten Recht mit einem Subjekt, das zum „reine(n) Denken seiner selbst“ (§ 5) fähig ist. Der zugrundegelegte Freiheitsbegriff geht somit längst über ein bloßes „Bewußtseyn von sich“ (§ 35 A) in seiner Wirkung auf die Außenwelt hinaus. Indem es sich selbst „als abstractes und zwar freyes Ich zum Gegenstande und Zwecke hat und so Person ist“ (ebd.), ist das Subjekt des Abstrakten Rechts nicht nur seiner Fähigkeit, Zwecke zu setzen gewahr – das gilt bei Hegel für jedes Handeln –, sondern auch des Umstands, dass es sich von jeder Zwecksetzung wieder loslösen kann. Beim Eigentum als dem ersten „Daseyn“ der Freiheit wird darum zunächst nur diese Bedeutung von Freiheit philosophisch rekonstruiert. Nicht das Bewusstsein der eigenen Wirksamkeit ist daher „im Besitze“ gegenständlich, sondern das Bewusstsein von sich als einem Subjekt, das Zwecke frei wählen und sie wieder fallen lassen kann. Es bleibt somit nach wie vor zu klären, wann und wie genau ein solches Bewusstsein für das besitzende Subjekt präsent ist. Man nehme nun noch einmal an, dass Person B Person A zunächst an der Besitzergreifung der Orange hindert;
12 Vgl. Waldron 1988, S. 351–366 und Patten 1999, S. 150–163.
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und anschließend aber, aus einer Laune heraus, Person A gar dazu zwingt, die Orange doch noch in ihre Gewalt zu bringen. In solchen Situationen wäre zwar unser Bedürfnis nach der Orange befriedigt; dennoch würden wir uns in einem Anspruch verletzt fühlen: „Mein Wille soll also Objectivität haben, aüßere Wirklichkeit einerseits, daß ich diese Sache in Besitz nehme und daß andere Menschen mir diese 2; gelten lassen.“ (PR-anonym S. 615) Wir wollen selbst entscheiden, welche Zwecke wir verfolgen; und wir wollen uns an keinen dieser Zwecke durch den Willen anderer gebunden fühlen. Ein solcher Anspruch wird für das Subjekt erst durch seine Verletzung explizit, ist aber als jede besondere Zwecksetzung implizit begleitend zu denken. Vor diesem Hintergrund ist Hegels Redeweise von den „zwey Seiten“ (§ 45 R S. 407) folgendermaßen zu begreifen: Auf der einen Seite bringt die Person ein „etwas“ in ihre Gewalt und befriedigt dadurch ein Bedürfnis, verfolgt eine ihr bewusste, konkrete Absicht und objektiviert im Resultat einen Zweck. Das ist die Seite des Besitzes. Auf der anderen Seite ist der Bezug der Person zur Sache auch die Objektivation ihrer Freiheit. Ich nenne sie Objektivation, weil die Person diese Freiheit nicht als Absicht verfolgt. Über die Befriedigung von Bedürfnissen hinaus, kann die Person die Tatsache, dass ein Gegenstand in ihrer Gewalt ist, als Manifestation ihrer Freiheit, autonom Zwecke zu verfolgen, betrachten. Das ist ein Anspruch, der durch den Besitz Realität gewinnt, aber dem Subjekt in der Regel nur dann bewusst wird, wenn er verletzt wird. Der Mensch, der zum reinen Selbstbewusstsein fähig ist und sich von jeder Zwecksetzung unabhängig denken kann, ist nicht der Mensch des alten Griechenlands oder alten Roms, sondern nur der Mensch der (europäischen) Gegenwart Hegels. Die Selbstverständlichkeit des Anspruchs, Zwecke zu setzen und nicht fremdbestimmt oder versklavt zu werden, ist für Hegel eine historisch errungene Selbstverständlichkeit. Selbstverständlich insofern, als dieser Anspruch in der Regel nicht mehr eigens als Zweck intendiert wird, sondern als Habitus jede Interaktion begleitet. Als zur Gewohnheit gewordene Einstellung prägt dieses Selbstbild der Subjekte den Zeitgeist einer Gesellschaft. Diese Einstellung gehört für Hegel zur Natur jedes einzelnen Subjekts, weil er in Fleisch und Blut übergegangene Geschichte ist – aber eben nicht zur biologischen Natur, sondern zur kulturellen, historisch-spezifischen, geistigen oder, mit Hegels Worten, „zweyten Natur“ (§ 4).13
13 In der Enzyklopädie bestätigt Hegel diese Deutung durch eine Passage, die die Philosophie des Objektiven Geistes einleitet: „(D)ie Freiheit ist […] die Wirklichkeit der Menschen, nicht die sie darum haben, sondern sie sind. […] (W)enn sie zu Sclaven gemacht, wenn die Entscheidung über ihr Eigenthum in das Belieben, nicht in Gesetze und Gerichte gelegt würde, so fänden sie
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4.2 Zum Verhältnis von Person und Körper „Person“ auf der einen und „Sache“ auf der anderen Seite – das sind die Entitäten, deren Beziehung Hegel im Zuge der Begriffsentwicklung nach und nach spezifiziert hat. Auch das Verhältnis zu unserem eigenen Körper fällt für Hegel darunter. Für den Körper wie für die übrigen Sachen gilt, dass sie dem von jeder Bestimmung losgelösten Selbstbezug des Subjekts äußerlich sind. Sie gelten den Subjekten als Vorgefundene, sind somit als Dinge unabhängig davon existent, ob wir unseren Willen in sie ‚hineinlegen‘ oder nicht; gleichzeitig gilt, dass sie zu meiner Sache nur werden, „in so fern es mein Wille ist.“ (§ 47) Dass diese Gleichsetzung unseres Körpers mit den übrigen raum-zeitlichen Einzeldingen ihre Grenzen hat, weiß auch Hegel. Die Grundlage der Unterschiede zwischen dem Verhältnis zu einer Orange und dem Verhältnis zum eigenen Körper ist klar: „Ich bin lebendig in diesem organischen Körper.“ (ebd.) Somit gilt nur mit Bezug auf den Körper: „ich finde mich im Besize“ (§ 47 R S. 413) oder, wie Hegel an anderer Stelle notiert: „Mein Körper unmittelbar mein – Dinge nicht“ (§ 51 R S. 419). Nichtsdestoweniger fällt der Körper in jene Kategorie des „Trennbaren“ (§ 41), selbst wenn er – anders als die Orange – niemals als Getrenntes betrachtet werden kann. Daher bleibt auch er „nur eine Möglichkeit“ (§ 38). Hier kommt es für Hegel allerdings auf die Perspektive an: „Für den andern bin ich da in der Sache; also keine blosse Möglichkeit für ihn“ (§ 38 R S. 389). Um diesen Unterschied zwischen der erstpersönlichen und der drittpersönlichen Perspektive auf den Körper zu erhellen, ist es sinnvoll, zunächst das Besondere des erstpersönlichen Zugangs offenzulegen. Für letzteren ist die Möglichkeit charakteristisch, zwischen zwei Umgangsweisen zu wählen. Ich kann meinen Willen in meiner Hand manifestiert sehen und sie dadurch als „beseeltes Mittel“ (§ 48) betrachten; oder ich betrachte meine Hand als bloße Äußerlichkeit, die ich nicht zu meiner Identität zähle: ich kann mich weigern, sie als Teil meiner Vorstellung von mir zu akzeptieren, und mich sogar praktisch von ihr trennen, sie zum bloßen Naturding degradieren.14
die Substanz ihres Daseyns verletzt. Es ist diß Wollen der Freiheit nicht mehr ein Trieb, der seine Befriedigung fodert, sondern der Charakter, – das zum trieblosen Seyn gewordene geistige Be wußtseyn.“ (E § 482 A) Dass die Menschen einen solchen Geltungsanspruch entwickeln, durch setzen, und somit die Freiheit zu ihrer Wirklichkeit machen, ist für Hegel insgesamt natürlich kein Zufall; vgl. zu seiner essentialistisch-teleologischen Geschichtsauffassung exemplarisch die Anmerkung des 343. Paragraphen der Grundlinien. 14 Vgl. hierzu auch die Studie von A. Stirn et al. 2009 zum Phänomen der Body Integrity Identity Disorder.
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Auf der Ebene des Abstrakten Rechts ist mit Freiheit die Fähigkeit des Subjekts gemeint, seine einzelne bestimmte Handlung für sich lediglich als Möglichkeit zu betrachten; und gleichzeitig dabei den Anspruch zu erheben, dass andere Subjekte die Handlung als Handlung eben eines solchen freien, ungebundenen Subjekts anerkennen. Ein solches Anerkennungsverhältnis impliziert allerdings in jedem Fall die Beziehung zweier Subjekte zu einander. Allein das „vollkommen abstracte Ich“ (§ 35 A) ist überhaupt kein Relatum, das für sich Teil eines intersubjektiven Verhältnisses sein könnte. Damit eine Person A von einer Person B als freies Subjekt behandelt werden kann, muss sich B auf eine empirisch wahrnehmbare Entität beziehen können, die B als Zeichen dafür nimmt, dass A „ein Freyes“ (§ 48) ist.15 Person A, die sich zwar als unbestimmtes Ich zu erfassen in der Lage ist, muss dennoch ihren bestimmten Willen artikulieren, so dass dieser das Medium der Referenz von B werden kann. Ein und dieselbe in die intersubjektiv zugängliche Form gebrachte Willensäußerung von Person A ist für sie selbst nur eine Möglichkeit; für das anerkennende Subjekt B dagegen eine Notwendigkeit dieses Anerkennens. Darum können die Subjekte einander nicht in ihrer Unbestimmtheit anerkennen, sondern nehmen die ihnen zugängliche, bestimmte Erscheinung des Anderen als Ausdruck von dessen Selbstbestimmung. Der Körper der Person A ist für Hegel eine solche raum-zeitliche Entität, die Person B als Zeichen der Selbstbestimmung von Person A nehmen kann: „frey für den andern bin ich nur als frey im Daseyn […].“ (§ 48 A) Bemerkenswert ist, dass nach Hegel der Körper des anerkannten Subjekts für das anerkennende Subjekt bereits „unmittelbar“ (§ 48) als Erscheinung seiner Freiheit gilt. Dabei ist eigentlich klar, dass nicht jeder menschliche Körper der Körper einer Person ist. Es gilt für das Anerkennen der Personen überhaupt, dass wir ihre „Persönlichkeit“ (§ 35) nicht an ‚Haut und Haaren‘ beobachten können.16 Es gibt aus drittpersönlicher Perspektive keinen Königsweg, der unmittelbar zur Persönlichkeit der Subjekte führt. Vielmehr gilt der Körper eines jeden erwachsenen Menschen von vornherein als Körper einer Person – wir setzen das voraus. Das ist die Ausgangsposition, die wir (bzw. die Zeitgenossen Hegels) gegenüber einander einnehmen. Es geht daher nicht um eine implizite epistemische Schlussfolgerung, sondern um ein soziales Geltungsverhältnis, das Hegel als geschichtliche Errungenschaft versteht. Die Voraussetzung, andere menschliche Körper als die soziale Sichtbarkeit der Personen aufzunehmen, versteht Hegel als Grundhaltung, die wir erst dann aufgeben, wenn wir Anlass zur Skepsis haben.
15 Vgl. hierzu Siep 1982, S. 263. 16 Vgl. hierzu Hegels Abschnitt zur „Beobachtenden Vernunft“ aus seiner Phänomenologie des Geistes; eine Interpretation desselben findet sich bei Quante 2008.
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Indem wir den Körper als Körper einer Person anerkennen, schreiben wir dem Subjekt die Fähigkeit und das Recht zur Kontrolle über seinen Körper zu. Dabei ist diese Voraussetzung ursprünglich nichts anderes als unsere Setzung: Aus historischer Perspektive hat sich die Tatsache, dass wir den Körper eines jeden erwachsenen Menschen von vornherein als dessen „beseeltes Mittel“ (§ 48) begreifen und respektieren, erst durch soziale Kämpfe etablieren, durchsetzen müssen.17 Darum ist aus der erstpersönlichen Perspektive der Anspruch darauf, dass unser eigener Körper als Mittel unserer Freiheit respektiert wird, heute nur als jedes inkorporierte Handeln implizit begleitend zu verstehen. Explizit artikuliert wird der Anspruch, wenn er als verletzt erfahren wird. Eigentum bezeichnet vor diesem Hintergrund das rechtlich zu schützende Verhältnis eines Subjekts zu einer Sache: Das Subjekt befriedigt dabei ein Interesse und erhebt implizit den Anspruch auf Respektierung seines Willens. Ein solcher Wille ist einfach darum ein „persönlicher“ (§ 46) Wille, weil Subjekte, die zu einem abstrakten Selbstbezug fähig sind, Personen heißen: Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich von ihren vorgefundenen Bestimmungen, zu denen neben ihren individuellen Interessen, Bedürfnissen etc. wesentlich auch ihr Körper gehört, unabhängig denken können. Zu diesem ihrem Körper – eine „besondre Art des Eigenthums“ (§ 48 R S. 415) – verhält sich nach Hegel jede Person insofern als zu ihrem Privateigentum, als auch er lediglich ein mögliches Objekt der Zwecksetzung, abhängig vom eigenen Willen ist. Die in der eigentumsrechtlichen Debatte häufig aufkommende Frage nach der Notwendigkeit der Übereinkunft mit anderen Subjekten, ist für Hegel keine Voraussetzung für dieses Verhältnis. Eigentum beruht nicht auf Vertrag, sondern auf dem Anspruch der Person, gerade über den eigenen Körper unabhängig von der vorherigen Absprache mit anderen Personen als allein ihre Sache willkürlich (§ 46) zu verfügen. Dieser Anspruch ist für die Person nicht verhandelbar. Dass es in diesem Zusammenhang zwischen dem Privateigentum an meinem Körper und dem Privateigentum an den übrigen Dingen Unterschiede gibt, leugnet Hegel nicht; sie sind aber für die Begründung seiner These, dass Eigentum als Privateigentum verstanden werden muss, nicht weiter ausschlaggebend. Begründete Grenzen dieser „abstracten Freyheit“ (§§ 149, 336) können nur durch den Staat formuliert und durchgesetzt werden (vgl. § 46 A).18
17 Heute beziehen sich solche Auseinandersetzungen beispielsweise auf das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. 18 Siep spricht in diesem Zusammenhang von einer „Übermacht des Staates“ Siep 1992, S. 305 f.; vgl. hierzu auch Siep 1982, S. 274 und Siep 2014, S. 44.
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4.3 Grenzen des Hegelschen Eigentumsrechts Es ist kein leichtes Unterfangen, die Leistungsstärke der Hegelschen Konzeption von Privateigentum zu bestimmen. Das liegt zunächst einmal daran, dass auf der Folie der gegenwärtigen Eigentumsdebatte noch nicht einmal klar ist, wie die Institution des Privateigentums jenseits von Legitimationsfragen begrifflich zu bestimmen ist. Die Unterschiede in der Auffassung darüber, welche Bestimmungen zu den wesentlichen Zügen des Rechts auf Privateigentum gehören, sind nach Jeremy Waldron so fundamental, dass man den Begriff des Privateigentums in die Rubrik der „essentially contested concepts“ (Waldron 1988, S. 51) einzuordnen habe.19 Für das Projekt einer begrifflichen Bestimmung der Institution des Privateigentums, die gegenüber der Bewertung dieser Institution moralisch weitestgehend neutral ist,20 ist Hegels Konzeption denkbar schlecht geeignet. Für Hegel ist die philosophische Rekonstruktion der institutionellen Wirklichkeit, d. h. unserer zentralen normativen Praxen der Zuschreibung von Verantwortung sowie der Erhebung und Anerkennung von Geltungsansprüchen, identisch mit ihrer Legitimation (vgl. § 148 A). Legitimiert sind die Institutionen insofern sie als soziale Manifestation des freien Willens ausgewiesen werden können. Wenn es gelingt zu zeigen, dass das Eigentumsrecht neben anderen Institutionen einen notwendigen Platz im Gefüge der freiheitsverbürgenden Institutionen hat, dann ist das Eigentumsrecht dadurch auch gerechtfertigt. Darstellung und Evaluation des Eigentumsrechts sind bei Hegel daher ein und derselbe Akt.21 Vor diesem Hintergrund wäre es auch unpassend, Hegels These von der Notwendigkeit des Privateigentums für die Freiheit der Person mit einem alternativen Konzept von Privateigentum und Freiheit zu bewerten – achselzuckend würde Hegel das seiner Auffassung nach irrige Verständnis von Freiheit beiseite schieben. Wenn wir ernst nehmen, dass die Institution des Privateigentums für Hegel das erste „Daseyn der Freyheit“ (§ 48 A) ist, und wenn wir dabei berücksichtigen, dass für ihn „Freiheit als Konstituens des ganzen Systems zu erfassen“ (Angehrn 1977, S. 153) ist, dann lässt sich sein Eigentumsbegriff von seiner Philosophie des Geistes nicht lösen. Angesichts dieser Sachlage weise ich im Folgenden auf einzelne Einsichten hin, die Hegel im Zuge seines Eigentumsrechts entwickelt und die ich überzeu-
19 Zur Bestimmung der „essentially contested concepts“ vgl. den gleichnamigen Aufsatz von W. B. Gallie 1956, S. 167–188. 20 Vgl. zu einem solchen Versuch Mohseni 2016. 21 Honneth 2011 hat dieses Verfahren der Hegelschen Rechtsphilosophie, das er „normative Re konstruktion“ nennt, auch zur Grundlage seiner eigenen Sozialphilosophie gemacht.
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gend finde. Die philosophische Art und Weise, wie Hegel zu diesen Einsichten kommt und welche Bedeutung er ihnen im Rahmen seines Systems verleiht, lasse ich unbewertet. Der essentialistisch-teleologische Monismus, der jeden Schritt seines holistischen Werks begleitet, bleibt daher in evaluativer Hinsicht unkommentiert. Außerdem werde ich bestimmte Einwände gegen Hegels Eigentumsrecht formulieren, die jene inhaltlichen und methodologischen Grundüberzeugungen weder attackieren noch verteidigen, sondern als gut begründet voraussetzen. Der stärkste Aspekt des Hegelschen Eigentumsrechts ist sicherlich das Vergegenständlichungsmodell, dessen Kern darin besteht, dass Subjekte sich auf raum-zeitliche Gegenstände beziehen und selbige als Manifestation ihrer Entscheidungsfreiheit bewerten und bewertet wissen wollen. Dabei hat Hegel keinerlei Energietransfer von Subjekt auf Objekt (etwa durch Arbeit) im Sinn;22 die Verfügung über einen raum-zeitlichen Gegenstand gilt vielmehr im Rahmen eines intersubjektiven Verhältnisses als berechtigter Anspruch einer Person. Gerade dadurch aber ist Hegels Konzept gut dazu geeignet, moderne Wirtschaftsverhältnisse adäquat in den Blick zu nehmen. Hegel kann auf dieser Grundlage die These vertreten, dass Personen den Gebrauch auch ihrer Tätigkeiten veräußern können, weil diese Tätigkeiten überhaupt nur insofern Realität gewinnen, als die Subjekte sie willentlich ausführen (vgl. § 67). Da die Subjekte der gegenwärtigen Gesellschaft freie Personen sind, können sie beispielsweise nicht zur Tätigkeit des Busfahrens gezwungen werden. Das Busfahren-Können wird zu ihrem Eigentum, das sie zeitlich begrenzt veräußern können. Eine Verletzung dieses Eigentumsrechts wäre dann gegeben, wenn ein bestimmtes Geltungsverhältnis verletzt wird; für Hegel hieße das zum Beispiel, dass die Tätigkeit des Busfahrens gegen adäquate Bezahlung erfolgen muss, damit das Eigentumsrecht des Arbeitenden nicht verletzt ist (vgl. § 77). Die Attraktivität einer solchen, auf soziale Geltung abzielenden Rekonstruktion von Privateigentum besteht somit darin, dass auch die abstraktesten Entitäten als mögliche Gegenstände von Eigentums- und Tauschverhältnissen eingefangen werden können: A kann sich für sein Gitarren-Spiel bezahlen lassen und B verkauft die Gitarre selbst. Ob es dabei um die Veräußerung eines Produkts oder um die „Veräußerung meines Produzierens oder Dienstleistens“ (§ 80) geht, stellt keinen entscheidenden Unterschied dar. Die zentrale Voraussetzung für einen
22 Ein solches Vergegenständlichungsmodell vertritt Locke durch seine These von der Vermi schung des Objekts mit menschlicher Arbeit. Waldron 1988, S. 184–191 hat diesem Lockeschen Konzept gravierende Schwierigkeiten nachgewiesen; zu einer alternativen Locke-Interpretation vgl. Siep 2013, S. 236 f.
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solchen Ansatz ist natürlich die These, dass der Körper des Subjekts als Körper einer Person behandelt werden muss. Dieser Standpunkt markiert den wesentlichen Unterschied zu denjenigen Gesellschaftsformen, in denen die Subjekte nicht Eigentümer ihres Körpers, keine Personen sind. „Dieß ist der Unterschied von einem Sclaven und gewöhnlichen Diener der heutigen Zeit, oder einem Tagelöhner. Der Sclave von Athen hat vielleicht leichtere Verrichtung, geistigere Arbeit gehabt, aber er war Sclave, weil der ganze Umfang seiner Thätigkeit dem Herrn veräußert war.“ (PR-Hot S. 833)23 Gleichwohl ist es für die genannten Punkte fraglich, ob es Hegel gelungen ist, das Person-Körper-Verhältnis mit Notwendigkeit als Eigentumsverhältnis auszuweisen. Was Hegel für die philosophische Rekonstruktion unserer Geltungsansprüche zunächst braucht, ist ein Recht, das den ausschließenden Zugriff und willkürlichen Gebrauch des eigenen Körpers schützt. Man kann dies als Recht auf Privateigentum am eigenen Körper fassen; man muss es aber nicht. Hegel hätte auch von einem Recht auf körperliche Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit, d. h. von der Unverletzlichkeit der Freiheit der Person sprechen können. Ein diesbezüglicher Umgang miteinander ist bereits für Hegels Zeitgenossen selbstverständlich gewesen. Man ist nicht einfach über einander hergefallen, sondern hat den Körper des anderen Subjekts in der Regel als Körper einer Person respektiert: „Geht Jemand zur Nacht sicher auf der Straße fällt es ihm nicht ein, daß dieß anders sein könne […] und man denkt nicht nach, wie dieß Wirkung besonderer Institutionen sei.“ (PR-Hot S. 1002) Das ist richtig; es muss aber nicht notwendigerweise die Institution des Privateigentums sein. Allerdings möchte Hegel mit dem Eigentum am eigenen Körper ja nicht bloß den Schutz des einzelnen vor Privatpersonen und Gruppen einfangen, sondern ihnen auch das genannte Recht auf Veräußerung ihrer „besondern, körperlichen und geistigen Geschicklichkeiten und Möglichkeiten der Thätigkeit“ (§ 67) einräumen. Es ist aber auch hier nicht einzusehen, wieso aus dem berechtigten Anspruch auf Anerkennung der Körper als Körper von Personen notwendigerweise ein Recht auf Lohnarbeit folgen soll. Vom Anspruch darauf, mit meinem Körper im Rahmen gegenseitigen Respekts ungestört machen zu können, was ich möchte, ist es noch ein weiter Weg zu Kaufverträgen bzw. zur (zeitlich begrenzten) Veräußerung von körperlichen Fähigkeiten. Die Veräußerung selbst ist zwar eine Voraussetzung für die Existenz bestimmter Anerkennungsverhältnisse, die Hegel im Zuge der Analyse der Bürgerlichen Gesellschaft ausführlich rekonstruiert.24 Die Notwendigkeit dieser Praxen der Bürgerlichen Gesellschaft kann Hegel
23 Vgl. hierzu ausführlich Ritter 2003. 24 Vgl. hierzu den Beitrag von Lisa Herzog in diesem Band.
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allerdings methodisch nicht bereits im Abstrakten Recht als vorausgesetzt behandeln. Es bleibt darum unbegründet, warum allein der Verkauf von Gegenständen und des Gebrauchs von Fähigkeiten den Vorgaben des Begriffs der Persönlichkeit entsprechen soll. Die Möglichkeit, meine Fähigkeiten und Talente im arbeitsteiligen Zusammenhang der Bürgerlichen Gesellschaft geltend zu machen, ist sicherlich eine Weise, in der ich als Person respektiert werden kann. Denn wer als Sklave zum Einsatz seiner Fähigkeiten und Talente gezwungen wird, erfährt keinen solchen Respekt. Warum aber sollte die durch den Markt vermittelte Anerkennung von körperlichen und geistigen Fähigkeiten als alternativlose soziale Gestalt der Begriffsbestimmung der Persönlichkeit gelten? Rechtlich geschützt muss der Raum des Ausübens von körperlichen und geistigen Fähigkeiten werden. Dieser Raum wäre mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit und der Bewegungsfreiheit der Person im Wesentlichen bereits eingefangen. Ob es für das Ausüben bestimmter Fähigkeiten nun eine monetäre Vergütung oder nur Applaus gibt, das liegt auf einer anderen Ebene. Damit ich mit meinem Körper ungestört tun und lassen kann, was mir beliebt, brauche ich kein Recht auf den Verkauf bzw. Verleih meiner Fähigkeiten bzw. Arbeitskraft. Mit Bezug auf den Körper und die mit ihm verbundenen Fertigkeiten irrt sich Hegel darum, wenn er meint, dass es „durch die Vernunft eben so nothwendig [ist], daß die Menschen in Vertrags-Verhältnisse eingehen, – schenken, tauschen, handeln u.s.f. als daß sie Eigenthum besitzen.“ (§ 71 A) Weder das eine noch das andere ist mit Blick auf den eigenen Körper notwendig. Ein weiteres Problemfeld betrifft die Hegelsche Abhandlung des Eigentumsrechts vor dem Hintergrund der »sozialen Frage«. Aus Hegels hier dargestellter Position ergibt sich nicht bloß ein Recht auf die Möglichkeit der Aneignung von Objekten, sondern auch das Recht auf den tatsächlichen Besitz von Privateigentum: „Im Verhältnisse zu äußerlichen Dingen ist das Vernünftige, daß Ich Eigenthum besitze […].“ (§ 49) Hegel meint dabei keineswegs bloß das Eigentum am eigenen Körper; von Anfang an ist klar, dass es um Eigentum am eigenen Körper und an äußeren Gegenständen geht. Angesichts der Tatsache, dass viele Zeitgenossen Hegels in größter Armut leben, stellt sich die Frage, warum Hegel im Rahmen seines Eigentumsrechts kein Prinzip für Verteilungsgerechtigkeit entwickelt hat. Betrachtet man dabei die methodologischen Bedingungen seiner philosophischen Auseinandersetzung mit dem Eigentumsrecht, dann zeigt sich allerdings, dass Hegel hier zunächst konsequent gehandelt hat. Auf der Ebene der Begriffsbestimmung hat es das Abstrakte Recht nur mit der Entfaltung von denjenigen Bedeutungsmomenten des freien Willens zu tun, die ihn „in seinem abstracten Begriffe“ (§ 34) zeigen. Deshalb hat Hegel darauf hingewiesen, dass die Würdigung der Fähigkeit zur Abstraktion von jedem bestimmten Willensinhalt ihre Kehrseite hat: Was die Person will, warum sie etwas will, ob ihr beson-
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derer Wille mit dem allgemeinen Guten in Übereinstimmung steht, das steht auf einem anderen Blatt. Gleichwohl gilt nach Hegel: Ohne jedes Eigentum, namentlich ohne Eigentum am eigenen Körper, bin ich für andere Subjekte gar nicht als Adressat von Respekt (vgl. § 36) vorhanden. Im Rahmen seiner Theorie der Bürgerlichen Gesellschaft lässt Hegel bekanntlich keinen Zweifel daran, dass er die massenhafte Verelendung der Menschen als ein schwerwiegendes Problem seiner Zeit erkannt hat (§§ 242–249). Es ist allerdings nicht klar, ob er diese systematische Verelendung auch als Herausforderung für sein Eigentumsrecht begriffen hat. Die Bürgerliche Gesellschaft, in der die Menschen ihre Subsistenz nicht mehr dem Feudalherren oder der Familie verdanken, „reißt […] das Individuum aus diesem Bande heraus“ (§ 238, vgl. auch § 241); die Subjekte werden somit „als selbstständige Personen“ (ebd.) anerkannt. Diese Anerkennung sollte allerdings nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass der freiheitliche Sinn des Unterschieds zwischen dem Sklaven und der Person zynisch zu werden droht, wenn die Person struktureller Armut und Arbeitslosigkeit (§ 245) ausgesetzt ist. Um Hegels diesbezügliche Position zu erhellen, ist zu berücksichtigen, dass er bei seiner Auseinandersetzung mit der Bürgerlichen Gesellschaft die Begriffsentwicklung des freien Willens bereits deutlich vorangetrieben hat. Das Bild der sozialen Wirklichkeit, das er hier zum Gegenstand hat, ist weitaus differenzierter, umfassender als noch beim Willen, der „in der Bestimmtheit der Unmittelbarkeit“ (§ 34) betrachtet worden ist. Gegenüber dem Standpunkt des Abstrakten Rechts geht es dort nicht mehr bloß um die abstrakte Freiheit der Person, sondern um die konkreter bestimmten Ansprüche von Subjekten, die Mitglied einer arbeitsteiligen Gesellschaft sind und sich auch als solche Mitglieder wahrnehmen. Einem solchen Subjekt geht es darum, „sich und zwar aus eigener Bestimmung, durch seine Thätigkeit, Fleiß und Geschicklichkeit zum Gliede eines der Momente der bürgerlichen Gesellschaft zu machen und als solches zu erhalten, und nur durch diese Vermittelung mit dem Allgemeinen für sich zu sorgen, so wie dadurch in seiner Vorstellung und der Vorstellung Anderer anerkannt zu seyn.“ (§ 207) Diese „selbstständigen Personen“ (§ 238) der Bürgerlichen Gesellschaft sind nach wie vor Personen, d. h. sie brauchen Eigentum, um ihrem Willen sozial anerkannte Wirklichkeit zu verleihen. Aber sie brauchen dieses Eigentum nicht mehr als „nur sich abstract auf sich beziehende“ (§ 34) Individuen, sondern als Subjekte einer „Realität, die weiter bestimmt ist“ (§ 38 R S. 391).25 Sie sind jetzt Bürger zwischen Bürgern, deren Bild von sich abhängig ist von dem Bild, das andere von ihnen
25 Vgl. hierzu Hegels explizite Erwähnung der Entwicklung von Person zu Bürger in der Anmer kung zum 190. Paragraphen der Grundlinien.
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haben. Schenkte man ihnen Eigentum, dann würde „gegen das Princip der bürgerlichen Gesellschaft und des Gefühls ihrer Individuen von ihrer Selbstständigkeit und Ehre“ (§ 245) verstoßen. Denn Eigentum will hier „durch eigene Thätigkeit und Arbeit“ (§ 244) erworben sein. Während Hegel daher im Abstrakten Recht noch fordert, „daß die Menschen […] Eigenthum besitzen“ (§ 71), ist in der Bürgerlichen Gesellschaft nur noch vom „Schutz des Eigenthums“ (§ 208) und einem Recht auf die „Möglichkeit der Theilnahme“ (§ 200) an Tauschpraxen die Rede. Es geht somit nur um die Sicherung vorhandener Eigentumsverhältnisse, nicht um staatlich organisierte (Neu-)Verteilung. Wer daher ohne Eigentum ist, hat nicht das Recht auf Eigentum, sondern das Recht auf die Möglichkeit, Eigentum zu erwerben. Man muss daher wie folgt zusammenfassen: Für Hegel sind die Subjekte unserer modernen Gesellschaften Bürger, die Eigentum brauchen, um ihrem Willen, ihren Interessen einen intersubjektiv abgesicherten privaten Entfaltungsraum zu verleihen. Da sie sich aber als selbständige Subjekte begreifen, wollen sie nicht einfach mit Eigentum ausgestattet werden, sondern dafür arbeiten – und nur über dieses durch eigene Leistung erworbene Eigentum sehen sie ihr Bedürfnis nach Anerkennung durch Ihresgleichen befriedigt. Gleichzeitig ist aber Eigentum durch Arbeit, sogar bloße Subsistenz durch Arbeit notwendigerweise für eine Vielzahl der Bürger nicht möglich (vgl. §§ 200, 237, 241–246). Das ist Hegels letztes Wort in Sachen Eigentum. An keiner Stelle seiner weiteren Überlegungen erhebt er ernsthaft den Anspruch, institutionelle Maßnahmen gegen systematische Verelendung formuliert zu haben.26 Er hat offenbar gedacht, dass die Armut einer „großen Masse“ (§ 244) jedenfalls kein Problem für seine Eigentumstheorie und seine Auffassung von der allgemeinen Vernünftigkeit der Wirklichkeit darstellt.27
Literatur Angehrn, E. 1977: Freiheit und System bei Hegel, Berlin/New York. Gallie, W. B. 1956: Essentially Contested Concepts, in: Proceedings of the Aristotelian Society, 56, S. 167–188. Honneth, A. 2011: Das Recht der Freiheit, Frankfurt a. M. Husserl, E. 2012: Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie [1936], Hamburg.
26 Vgl. hierzu den Beitrag von Horstmann in diesem Band. 27 Für zahlreiche Verbesserungsvorschläge danke ich Alexander Lückener, Thomas Meyer und Ludwig Siep.
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Locke, J. 1976: The Second Treatise of Government and A Letter Concerning Toleration [1689], Oxford. Mohseni, A. 2015: Abstrakte Freiheit: Zum Begriff des Eigentums bei Hegel, Hamburg. Mohseni, A. 2016: Wahlverwandtschaft statt Familienähnlichkeit: Zur Definition von Privateigentum. In: Zeitschrift für philosophische Forschung, 2016 (Heft 1), Frankfurt a. M. Patten, A. 1999: Hegel’s Idea of Freedom, New York. Quante, M. 2008: Reason…apprehended irrationally: Hegel’s critique of Observing Reason. In: Hegel’s Phenomenology of Spirit. A Critical Guide, hrsg. v. D. Moyar u. M. Quante, New York, S. 91–112. Ritter, J. 2003: Person und Eigentum. Zu Hegels „Grundlinien der Philosophie des Rechts“ §§ 34–81. In: Metaphysik und Politik, Frankfurt a. M., S. 256–280. Schmidt am Busch, H. C. 2007: Religiöse Hingabe oder soziale Freiheit. Die saint-simonistische Theorie und die Hegelsche Sozialphilosophie, Hamburg. Siep, L. 1982: Intersubjektivität, Recht und Staat in Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts. In: Hegels Philosophie des Rechts. Die Theorie der Rechtsformen und ihre Logik, hrsg. v. D. Henrich, Stuttgart, S. 255–277. Siep, L. 1992: Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus, Frankfurt a. M. Siep, L. 2013: John Locke, Zweite Abhandlung über die Regierung, hrsg. v. ders., Überarbeitung des Textes und Kommentar, Frankfurt a. M. Siep, L. 2014: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie. Untersuchungen zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes [1979], Hamburg. Stirn, A. et al. 2009: Body Integrity Identity Disorder: Psychological, Neurobiological, Ethical and Legal Aspects, Lengerich. Teichgraeber, R. 1977: Hegel on Property and Poverty. In: Journal of the History of Ideas, vol. 38, No. 1, pp. 47–64. Waldron, J. 1988: The Right to Private Property, New York.
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5 Unrecht und Strafe (§§ 82–104, 214, 218–220)
Hegels Straftheorie ist einer derjenigen Systemteile der Hegelschen Philosophie, die relativ unabhängig von ihrer Stelle und Funktion im spekulativ-metaphysischen System eigenständig auf die Rechtsphilosophie des 19. und 20. Jahrhunderts gewirkt haben. Auch für die Rechtswissenschaft gilt Hegels Theorie nach wie vor als eine der Maßstab setzenden Varianten der Begründung staatlichen Strafens. Sie liefert eine damals neuartige Begründung für die bis dahin argumentativ eher schlichte Vergeltungstheorie und stellt bis in die gegenwärtige Diskussion die sachliche Ergiebigkeit und Aktualisierbarkeit ihrer begrifflichen Ressourcen immer wieder unter Beweis. Der Rechtswissenschaft seiner Zeit wirft Hegel vor: „Die Theorie der Strafe ist eine der Materien, die [in ihr] am schlechtesten weggekommen sind“ (R § 99 A). Er beansprucht demgegenüber, den Begriff der Strafe philosophisch zu entfalten, indem er ihn in die logische Systematik seiner Willensmetaphysik einbindet und aus dem an diese anschließenden Rechtsbegriff selber entwickelt. Die für Hegels Straftheorie zentrale These besagt, dass die Strafe eine Wiederherstellung des Rechts sei, indem sie die Negation des Rechts, die das Verbrechen darstelle, wiederum negiere (vgl. §§ 82, 99). Aufsehen hat vor allem Hegels Forderung erregt, dass die Strafe vor dem Verbrecher als in seiner Tat von ihm selbst gesetzt und anerkannt zu rechtfertigen sei, und dass der Verbrecher durch die Strafe „als Vernünftiges geehrt“ werde (§ 100 A). In dem im Folgenden erläuterten Abschnitt „Das Unrecht“ (§§ 82–104), dem dritten Abschnitt des „abstrakten Rechts“, wird nicht die gesamte Straftheorie, sondern lediglich der Begriff der Strafe sowie eine im Grundsätzlichen verbleibende Begründung der Gerechtigkeit des Strafens entwickelt. Ergänzende Ausführungen zum Handlungsbegriff, zur Zurechnung der Tat, zu den Strafzwecken und zum Strafmaß bringt Hegel an anderen Stellen der Grundlinien (vgl. §§ 113–120 incl. A und 132 A, dazu Quante 1993; §§ 214, 218–220, dazu unten. Auf das „Begnadigungsrecht“ in § 282 wird hier nicht eingegangen). Den Abschnitt „Das Unrecht“ untergliedert Hegel in drei Kapitel: A. Unbefangenes Unrecht (§§ 84–86), B. Betrug (§§ 87–89) und C. Zwang und Verbrechen (§§ 90–103). Die eröffnenden Paragraphen 82–83 leiten vom Vertragsrecht, das Gegenstand des zweiten Abschnitts ist, über zum Unrechtsbegriff. Der „Uebergang vom Recht in Moralität“ in § 104 führt den für den Zweiten Teil der Grundlinien, „Die Moralität“, grundlegenden Begriff der Subjektivität des Willens ein. DOI:10.1515/9783110496529-008
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In der Abschnitts-Untergliederung folgt Hegel seiner Unterscheidung zwischen drei Formen von Unrecht, die er „unbefangenes oder bürgerliches Unrecht“, „Betrug“ und „Verbrechen“ nennt (vgl. § 83). Der Einführung dieser Unterscheidung geht in § 82 die Bestimmung des in § 81 eingeführten Oberbegriffs des Unrechts voraus.
5.1 Unrecht Vertrag, Unrecht (§§ 81–82). Den Begriff des Unrechts entwickelt Hegel im Ausgang vom Vertragsbegriff (vgl. §§ 71–81). Ein Vertrag ist ein Rechtsgeschäft, bei dem mindestens zwei Personen einander freiwillig inhaltlich übereinstimmende Willenserklärungen abgeben und sich damit wechselseitig Rechte einräumen. Hegel definiert in diesem Sinne den Vertrag als beiderseitige freie Einwilligung des Tausches über eine Sache (vgl. § 88). Zu Beginn des „abstrakten Rechts“ wird der Vertrag im Hinblick auf die Eigentumstheorie dementsprechend bestimmt als das „Uebergehen des Eigenthums des einen in das des andern mit gemeinsamen Willen und Erhaltung ihres Rechts, – im Vertrag“ (§ 40). Die Parteien setzen mit dem Ziel, ihre besonderen Interessen zu verwirklichen, selbst fest, wie die rechtlichen Beziehungen (die Rechtsansprüche) zwischen ihnen geregelt sein sollen. Ein Vertrag ist insofern gesetztes Recht, das inhaltlich von den besonderen Willen der Vertragschließenden bestimmt ist. Das Übereinkommen der besonderen Willen in einer gemeinsamen vertraglichen Rechtsetzung ist aber nur „zufällig“, da es von den besonderen Interessen individueller Willenssubjekte und deren inhaltlicher Vereinbarkeit abhängt. Es geht um eine besondere Sache, die meine Begierde betrifft. Der zufällige Wille und die Willkür eines Anderen (meines Vertragspartners) interessieren mich nur insofern, als er mir die Sache überlassen und damit meine Begierde befriedigen will (vgl. § 81 R und § 82). Über die Erklärung der besonderen Willen hinaus bedarf es der tatsächlichen Erbringung (Stipulierung) der im Vertrag vereinbarten Leistungen. Damit kommt ein weiteres Moment der Zufälligkeit ins Spiel. Die Leistung als vereinbarte ist zwar eine vertraglich „nothwendige Folge“, bleibt „aber von der Willkhür ebenso abhängig“ (§ 81 R S. 507). Durch das (einseitige) Versagen der vereinbarten Leistung kann, bei aller Rechtskonformität des Vertragsschlusses, dem vertraglich gesetzten Recht doch zuwidergehandelt werden (vgl. § 81 Z, PR-Hot S. 844). Die „Verletzung eines Vertrages durch Nichtleistung des Stipulirten“ ist eine Rechtsverletzung (§ 93 A). Durch die beiden Zufälligkeitsmomente bleibt der Vertrag „dem Unrechte preisgegeben“ (§ 81 Z, vgl. PR-Hot S. 844). Unrecht liegt nach Hegel immer dann
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vor, wenn ein besonderer Wille „in Willkür und Zufälligkeit der Einsicht und des Wollens gegen das auf[tritt], was an sich Recht ist“ (§ 81). Während ein Vertrag als solcher „Erscheinung des Rechts“ ist, ist das Unrecht, das durch das Nichterbringen der vertraglich festgelegten Leistung geschieht, Schein. Diese Bestimmung ist im terminologischen Sinne der Hegelschen Logik zu verstehen. Die Scheinhaftigkeit besteht darin, dass „die Momente des Begriffs, hier das Recht an sich, oder der Wille als allgemeiner, und das Recht in seiner Existenz, welche eben die Besonderheit des Willens ist, als für sich verschieden gesetzt seyen, was zur abstracten Realität des Begriffs gehört“ (§ 81 A) Bloß abstrakte Realität hat etwas, dessen begriffliche Bedingungen nicht erfüllt sind. Es ist somit bloßer Schein und gemessen an seinem Begriff nichts. Die „Wahrheit dieses Scheins aber ist, daß er nichtig ist“ (§ 82). Die Bestimmung der Nichtigkeit des Scheins ist – wieder nach Maßgabe von Hegels logischer Terminologie – in einem doppelten Sinn zu nehmen. Das Unrecht als Schein ist zum einen nichts, denn es hat keine (rechtliche) Geltung. Zum anderen negiert es, denn es verneint (rechtliche) Geltung. Das durch Unrecht negierte Recht stellt sich „durch das Negiren dieser seiner Negation“ (§ 82) wieder her. Hegel wendet damit seine Grundoperation der doppelten Negation auf den Rechtsbegriff an. Das Recht „bekräftigt“ (vgl. § 82 Z, vgl. PR-Hot S. 844) sich durch den „Proceß seiner Vermittlung, aus seiner Negation zu sich zurück zu kehren, […] als Wirkliches und Geltendes“ (§ 82). In der Wiederherstellung seiner selbst qua Negation seiner Negation „verwirklicht“ sich das Recht. Diese Hegelsche Konzeption vom Unrecht als Schein und seiner Nichtigkeit ist für das Folgende grundlegend. Unbefangenes Unrecht, Betrug, Verbrechen (§§ 83–90). Die Unterscheidung zwischen den drei Arten von Unrecht entwickelt Hegel in § 83 anhand der Unterscheidung von drei Stufen des Scheins: Das unbefangene Unrecht bestimmt Hegel als Schein „an sich“ oder „unmittelbar[en]“ Schein, Betrug und Verbrechen hingegen als „durch das Subject“ gesetzten Schein. Beim Betrug wiederum wird das Recht „als Schein“ gesetzt, beim Verbrechen „schlechthin als nichtig“. Was ist damit gemeint? Bin ich im Unrecht im Hegelschen Sinne des unbefangenen Unrechts, so erkenne ich grundsätzlich das Recht an, halte aber (subjektiv) etwas für Recht, was (objektiv) Unrecht ist (vgl. § 83 R S. 515). Ich urteile zwar in der subjektiven Überzeugung, die „Rechtsgründe“ anderer Personen anzuerkennen (§ 84), unterliege objektiv jedoch einem Rechtsirrtum. Da es sich nun aber um einen Irrtum handelt, ist mein Unrecht ein „unbefangenes“: „gilt mir das Unrecht für Recht, so ist dasselbe hier unbefangen“ (§ 83 Z, vgl. PR-Hot S. 845, „Das erste Unrecht ist das unbefangene, […] wo mir also das Unrecht für Recht gilt“).
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Divergierende Meinungen über das geltende Recht führen zu „Rechts-Colli sionen“ (§ 84), die in einem „bürgerlichen Rechtsstreit“ (§ 85) ausgetragen werden. Die streitenden Parteien stimmen bei ihrem Anliegen, die Rechtsansprüche zu prüfen, in der „Anerkennung des Rechts als des Allgemeinen und Entscheidenden“ überein. „Das Recht an sich wird in bürgerlichen Rechtsstreiten nicht verletzt, sondern gefordert“ (PR S. 84). Die Sache wird „aus einem Rechtsgrunde angesprochen“, der Streit „betrifft nur die Subsumtion der Sache unter das Eigen thum des einen oder des andern“ (R § 85). Hegel bezeichnet dies als „schlechtweg negatives Urtheil“ (vgl. L II S. 67 f.; HE § 115; E § 172). Ein negatives Urteil – wie „die Rose ist nicht roth“ – negiert die Besonderheit (das Prädikat „rot“), erkennt aber die Allgemeinheit (die Farbe) an. Im zivilrechtlichen Prozess wird das Recht von beiden Kontrahenten anerkannt als normative Grundlage der Konfliktlösung (Allgemeinheit), und es erwartet jeder der Kontrahenten, dass ihm im Sinne des (anerkannten) geltenden Rechts eine Sache als seine zugesprochen wird, indem sie dem anderen als nicht seine abgesprochen wird (Besonderheit). Im Unterschied zum unbefangenen Unrecht ist der Betrug dadurch gekennzeichnet, dass ich weiß, dass ich Unrecht tue, meinem Tun gegenüber dem Anderen aber in täuschender Absicht den Anschein des Rechts gebe. Nur in der Form meines Tuns liegt eine Anerkennung des Rechts und des Anderen als Rechtsperson (vgl. R § 83 Z, vgl. PR-Hot S. 845). Ich gebrauche den Schein des Rechts aber lediglich, um aus dem – wie ich weiß, irrigen – Glauben des Anderen an die Rechtmäßigkeit meines Vorgehens Vorteile zu ziehen, die gemessen am objektiven Sinn der Rechtsinstitution unrechtmäßig sind. Im Betrug wendet sich ein besonderer, willkürlicher Wille gegen das Recht als das Allgemeine, indem es dieses zu einem bloßen, falschen Schein herabsetzt (§§ 88, 89). Logisch hat der Betrug nach Hegel die Form des unendlichen Urteils „nach seinem positiven Ausdrucke oder identischen Bedeutung“ (§ 88; vgl. PR S. 84): „Ein Löwe ist ein Löwe“ (E § 173; vgl. auch HE § 121). Das Einzelne wird lediglich als dieses Einzelne angesprochen, jede Allgemeinheit wird ihm entzogen (Der Beispielsatz müsste demnach lauten: „Dieser Löwe ist dieser Löwe“. Vgl. Hösle 1987, S. 88). Die Übereinkunft wird vom Betrüger nur als dieser einzelne Akt inszeniert, der allgemeine (rechtliche) Sinn einer Übereinkunft als einer symmetrisch informierten freiwilligen aber wird unterschlagen. Das Verbrechen schließlich ist durch das Fehlen jeglicher Anerkennung des Rechts und den Verzicht auf den Schein des Rechts charakterisiert. Der Verbrecher will „weder das Recht an sich […] noch auch den Schein“ (PR S. 84), er will Unrecht. Das Verbrechen ist das „eigentliche Unrecht“ (R § 90 Z, PR-Hot S. 848). Während im unbefangenen Unrecht das Allgemeine (das Recht) respektiert und lediglich der subjektive Wille des Anderen verletzt wird, und während im Betrug zwar das Allgemeine (Recht) verletzt, der besondere Wille aber respektiert wird,
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wird im Verbrechen „[W]eder besonderer noch allgemeiner Wille respectirt“ (§ 90 R S. 519). Allgemeinheit und Besonderheit werden negiert. Es handelt sich hier um ein „negativ unendliches Urtheil“, das durch eine „völlige Unangemessenheit des Subjects und Prädicats“ gekennzeichnet ist (E § 173; vgl. E § 499). Hier ist sogar die „Form des Urteils aufgehoben“, es ist ein „widersinniges Urteil“, z. B. „die Rose ist kein Elephant“ (L II S. 70). Das Verbrechen ist das „unendliche Urtheil, welches nicht nur das besondere Recht, sondern die allgemeine Sphäre zugleich negirt, das Recht als Recht negirt“ (ebd.; vgl. E § 499, E § 173 Z: „Als ein objektives Beispiel des negativ-unendlichen Urteils kann das Verbrechen betrachtet werden“). Unbefangenes Unrecht und Betrug sind nur „theilweise Negationen“, das Verbrechen hingegen ist eine „Negation α) des subjectiven Willens des Andern [und] β) des objectiven des an sich seyenden Willens. Daher Angriff, Zwang“ (R § 90 R S. 519). Das Wesentliche des Verbrechens ist demnach, dass in ihm als einer Negation des besonderen und des allgemeinen Willens Zwang liegt. Den Verbrechensbegriff erörtert Hegel daher, indem er zunächst den Begriff des Zwangs begriffslogisch bestimmt. Die Definition des Verbrechens in § 95 verwendet den in §§ 90–94 analysierten Zwangsbegriff explizit als Definiens. Auch der Begriff der Strafe wird von hier aus entwickelt.1 Zwang – Verbrechen – Strafe (§§ 90–92). Den Begriff des Zwangs führt Hegel unter Rückgriff auf den Grundbegriff seiner Rechtsphilosophie, den Begriff des freien Willens, ein. Der „Boden des Rechts“ ist der „Wille, welcher frey ist“ (§ 4). Inwiefern kann auf einen freien Willen Zwang ausgeübt werden? Zur Klärung dieser Frage verweist Hegel in § 91 explizit auf die dialektischen Grundbestimmungen des Willens, die in §§ 5–7 entwickelt werden. In Bezug auf das erste Moment des Willens, die „reine Unbestimmtheit“, und die damit gegebene Möglichkeit, sich von jedem Inhalt zu lösen, kann der „freye Wille […] an und für sich nicht gezwungen werden (§. 5)“ (§ 91). Anders verhält es sich beim zweiten Moment des Willens. Es ist das Moment der „Unterscheidung, Bestimmen und Setzen einer Bestimmtheit als eines Inhalts und Gegenstands“ (§ 6), die „Richtung des Willens
1 In §§ 90 R S. 519, 90 Z und 95 scheint es so, als ließe Hegel nur das Verbrechen, nicht auch den Betrug in das Strafrecht fallen, was den vorher getroffenen Festsetzungen widerspräche. In § 89 Z, PR-Hot S. 847 heißt es dazu: „Auf bürgerliches Unrecht ist keine Strafe gesetzt, denn ich habe nichts gegen das Recht gewollt. Beim Betrug hingegen treten Strafen ein, denn da handelts sich um das Recht an sich, das verletzt ist.“ Allerdings bietet sich in Hegels Darlegungen der Zwangscharakter des Verbrechens besser als Begründung des Zwangscharakters der Strafe an. Das mag erklären, warum Hegel laut § 90 Z, PR-Hot S. 848 das Verbrechen als das „eigentliche Unrecht“ bezeichnet.
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auf Etwas“ (§ 6 R S. 321), d. h. die Intentionalität praktischer Einstellungen. Diese manifestiert sich beim vertragsrechtlichen Verfahren des Eigentumserwerbs im Interesse an einer äußerlichen Sache, die meine Begierde befriedigt und die ich um dieser Befriedigung willen haben will. In einer solchen äußerlichen Sache hat meine Freiheit ein „Daseyn“ (vgl. § 94). An diesem zweiten Moment setzt nun die Möglichkeit an, dem Willen Zwang anzutun. Zwang definiert Hegel als „Gewalt gegen ein natürliches Daseyn, worin ein Wille gelegt ist“ (§ 92 R S. 521). Das Pronomen „worin“ bezieht sich sowohl auf „Gewalt“ als auch auf „natürliches Daseyn“. Zum einen wird die Gewalt willentlich ausgeübt, sie ist „Äußerung eines Willens“, zum anderen wird sie auf eine Person, die etwas will, ausgeübt, sie wendet sich gegen das Dasein eines Willens. Wichtig für das Folgende ist vor allem der zweite Aspekt. Dadurch, dass ein Wille „im Eigenthum sich in eine äußerliche Sache legt“, kann er „an ihr ergriffen“ werden und es kann ihm „Zwang angethan werden“ (§ 90). Als „Lebendiges“ ist der Mensch durch unmittelbar vorhandene Bedürfnisse, Begierden und Triebe bestimmt (vgl. § 5) und kann „wohl bezwungen d. h. seine physische und sonst äußerliche Seite unter die Gewalt Anderer gebracht […] werden“ (§ 91). Das dritte Moment des Begriffs eines freien Willens als eines vernünftigen ist die „Selbstbestimmung des Ich“ (§ 7). Das Intendieren bestimmter Inhalte versteht das Ich als das „seinige und ideelle, als eine bloße Möglichkeit, durch die es nicht gebunden ist, sondern in der es nur ist, weil es sich in derselben setzt“. Diese „Beziehung auf sich“ ist die „Freyheit des Willens“ (§ 7). Daher gilt: „Es kann nur der zu etwas gezwungen werden, der sich zwingen lassen will.“ (§ 91). Den Begriff der Strafe führt Hegel nun über die Idee der Selbstzerstörung der Gewalt ein: „Gewalt oder Zwang [zerstört] in ihrem Begriffe sich unmittelbar selbst“ (§ 92). Zwang ist dabei zu verstehen „als Aeußerung eines Willens, welche die Aeußerung oder Daseyn eines Willens aufhebt“ (ebd.). Damit wird jedoch keine empirische Behauptung über Kausalwirkungen von Zwangsausübungen aufgestellt, sondern vielmehr eine begriffliche Feststellung getroffen – begrifflich allerdings wiederum im Sinne der spezifisch Hegelschen spekulativen Logik, die mit den kategorialen Ableitungen in eins auch sachhaltige, ontologische Bestimmungen der Wirklichkeit entwickeln will. Ebenso verhält es sich mit Hegels Folgerung („daher“), dass Zwang „abstract genommen, unrechtlich“ sei. Sie bezieht sich weder auf eine konkrete Rechtsordnung noch auf naturrechtliche Normen. Zwang ist Hegels begrifflichen Grundbestimmungen zufolge unrechtlich, weil der freie Wille der „Boden des Rechts“ (§ 4) und das Recht das „Daseyn des freyen Willens“ (§ 29) ist. Eine Aufhebung des Daseins des Willens hebt somit das Recht selbst auf.
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5.2 Die Begründung des Zwangsrechts Zweiter Zwang (§§ 93–94). Der entscheidende, zur Straftheorie überleitende Schritt in Hegels Argumentation besteht nun in der Einführung des Begriffs vom zweiten Zwang als „Aufheben eines ersten Zwanges“ (§ 93). Die Aufhebung eines (ersten) Zwangs wird von Hegel erneut nicht moralisch oder naturrechtlich gefordert, sondern als „reelle Darstellung“ der begrifflichen Selbstzerstörung des Zwangs bestimmt. Die Aufhebung des Zwangs durch Zwang ist nach Hegel die „Manifestation“ des „Widerspruchs seiner selbst“ (§ 97 und PR S. 85) und als solche „nicht nur bedingt rechtlich, sondern nothwendig“ (R § 93). Aufgrund dieser Notwendigkeit ist das abstrakte Recht „Zwangsrecht“ (§ 94). Unrecht ist „Gewalt gegen das Daseyn meiner Freyheit“ (ebd.). Das Dasein meiner Freiheit liegt in einer äußerlichen Sache, in die ich als rechtsfähige Person meinen Willen lege und auf die ich einen Rechtsanspruch erhebe. Sie ist insofern ein Rechtsgut, das Unrecht ist eine Rechtsgutverletzung (vgl. Klesczewski 1991, S. 59). Als eine solche Rechtsgutverletzung ist das Unrecht erster Zwang. Das Zwangsrecht bestimmt sich nun als eine rechtliche Reaktion des Rechts auf die Rechtsgutverletzung. Als die „Erhaltung dieses Daseyns gegen die Gewalt“ ist die Antwort des Rechts auf Unrecht eine „jene erste aufhebende Gewalt“ und als solche zweiter Zwang (§ 94). Als Begründung dafür, dass das abstrakte Recht als Zwangsrecht auftreten kann, ist wesentlich, dass das Unrecht Gewalt gegen meine „Freyheit in einer äußerlichen Sache“ (ebd.) ist und dass das Recht seinerseits als äußerliche Handlung greifen kann. Daraus, dass der zweite Zwang notwendig und insofern das abstrakte Recht Zwangsrecht ist, folgt nach Hegel aber nicht, dass es als ein Recht, „zu dem man zwingen dürfe“, zu definieren sei. Die Zwangsbefugnis ist nicht analytisch im Rechtsbegriff enthalten. Nur als Antwort auf ein Unrecht und damit als Aufhebung einer Gewalt gegen das Dasein meiner Freiheit manifestiert sich das abstrakte Recht als Zwangsrecht. Die Zwangsbefugnis ist eine Folge, kein Definiens von Recht.2
2 Hegels Ausführungen zum Verhältnis von Recht und Zwang lesen sich wie eine Kritik an Kants These, die Zwangsbefugnis des Rechts sei analytisch im Rechtsbegriff enthalten (vgl. Kant, Me taphysik der Sitten (1797), Einleitung in die Rechtslehre, §§ D, E; AA VI, S. 231–233). In der ersten Fassung des vorliegenden Beitrags (1997) hatte ich selbst dies tatsächlich angenommen. Meine eigenen sachlichen Bedenken gegen die Analytizitätsthese stützten sich auf die Beobachtung, dass Kant in der Begründung für diese These mindestens vier Prämissen in Anspruch nimmt, die die Analytizität fraglich erscheinen lassen: (1) Unrecht ist „Hindernis der Freiheit“, (2) Rechts zwang ist „Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit“, (3) Freiheitshindernisse sollen (und dürfen) verhindert werden, (4) Zwang als Mittel der Verhinderung von Freiheitshindernissen ist
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Verbrechen als erster Zwang und die „Sphäre des peinlichen Rechts“ (§ 95). Die bisherigen Überlegungen fasst Hegel in einer Definition des Verbrechensbegriffs zusammen, mit der die „Sphäre des peinlichen Rechts“ betreten wird: Verbrechen ist erster Zwang, der als Äußerung eines freien Willens das Dasein der Freiheit und damit das Recht als Recht verletzt. Urteilstheoretisch im Sinne der spekulativen Logik bezieht Hegel das Verbrechen auf das „negativ-unendliche Urteil“. In der Wissenschaft der Logik lautet ein Beispiel für ein solches Urtheil: „[D]er Verstand ist kein Tisch“3 (L II S. 70). Zwei Merkmale dieses Urteilstyps sind hier relevant. Zum einen wird weder eine konkrete Bestimmtheit angegeben, denn das Prädikat wird negiert; zum anderen wird aber auch die allgemeine kategoriale Sphäre des Subjektbegriffs nicht positiv bestimmt. Dem entspricht Hegels Analyse des Verbrechens als eines unendlichen Urteils, „welches nicht nur das besondere Recht, sondern die allgemeine Sphäre zugleich negirt“ (L II S. 70). In diesem Sinne wird durch das Verbrechen das Recht als Recht verletzt. Diese Analyse lässt sich auf den juristischen Begriff des Erfolgsunwerts (Sachverhaltsunwert; vgl. Jakobs 1991, S. 167) beziehen. Der Erfolgsunwert des Verbrechens als einer Rechtsgutverletzung besteht nach Hegel darin, dass es sowohl das Besondere, d. h. den besonderen Willen einer anderen Rechtsperson (des Opfers), als auch das Allgemeine, d. h. das Recht als allgemeinen Willen in seinem Geltungsanspruch, in seinem Dasein verletzt (vgl. Klesczewski 1991, S. 72). Das Verbrechen negiert damit die Rechtsfähigkeit insgesamt – der verletzten Person und seiner selbst. Dies sind nach Hegel die Merkmale des Verbrechens, aufgrund derer es in die „Sphäre des peinlichen Rechts“ gehört.
erlaubt. Unklar ist aber, ob die Analytizitätsthese, wie Kant sie versteht, gleichbedeutend ist mit der von Hegel kritisierten These, das Recht sei definiert als Zwangsbefugnis (im Folgenden: Definitionsthese). Dafür sprechen immerhin solche Formulierungen Kants wie: „man kann den Begriff des Rechts in der Möglichkeit der Verknüpfung des allgemeinen wechselseitigen Zwanges mit jedermanns Freiheit unmittelbar setzen“ (Kant, AA VI, S. 232), und: „Recht und Befugniß zu zwingen bedeuten also einerlei“ (ebd.). Marcus Willaschek hat kritisch auf meine damalige Lesart Bezug nehmend gezeigt, dass Kant selbst jedoch diese letztere These kritisiert. In Vorlesungsmitschriften („Naturrecht Feyerabend“ von 1784 und „Metaphysik der Sitten Vigi lantius“ von 1793–94) moniert Kant an den für die deutsche Rechtsphilosophie des 18. Jahrhun derts maßgeblichen Autoren (Thomasius, Pütter, Achenwall, Baumgarten), dass sie das „Recht, andre zur Befolgung des Rechts zu zwingen [...] nicht zu erklären gewußt [haben]. Sie brachten das schon in die Definition; aber es folgt erst daraus“ (Kant, AA IXX, S. 1335; vgl. auch Bd. XXVII, S. 526). Aus dem Kontext, in dem Hegel die Definitionsthese kritisiert (§ 94), schließt Willaschek, dass Hegel auf P. J. A. Feuerbach abzielt, der an die zitierte Tradition anknüpfend die Definitions these in seiner Kritik des natürlichen Rechts von 1796 vertritt (vgl. Willaschek 2004). 3 Für diese Stellenangaben danke ich Alexander Lückener und Carolyn Iselt.
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Die objektive Seite des Verbrechens und die Zumessung der Strafe (§ 96). Ein Wille kann nach §§ 90–91 (unter Rückbezug auf §§ 5–7) nur über seine „physische und sonst äußerliche Seite“, die er will, und damit über sein „Dasein“ gezwungen werden. Aufgrund dessen ist auch das Zwangsrecht als eine „äußerliche Handlung“ bestimmt (§ 94). Als Verletzung eines „daseyende[n] Wille[ns]“ ist das Verbrechen quantitativ und qualitativ bestimmt. Es ist nach seiner „objective[n] Seite“ unterscheidbar. Im Grundsätzlichen ist immer festzustellen, „ob solches Daseyn und dessen Bestimmtheit überhaupt in ihrem ganzen Umfang, […] oder nur nach einem Theile, […] verletzt ist“ (§ 96). Die Strafe ist zweiter Zwang, der nur als Aufhebung eines ersten Zwangs begründbar ist. Sie muss den durch den ersten Zwang verletzten freien Willen, die verletzte Persönlichkeit „in ihrem concreten und bestimmten Daseyn, das sie als Idee haben muß, nehmen“ (§ 96 A). Im Begriff der Strafe liegt nach Hegel demnach die Notwendigkeit ihrer konkreten Anmessung. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der (in § 96 erfolgenden) Begründung, dass Strafe als zweiter Zwang notwendig ein Maß hat, das am Umfang der durch das Verbrechen geschehenen Verletzung zu messen ist, einerseits, und der Ermittlung von Kriterien, nach denen im einzelnen Fall in einer konkreten gesellschaftlichen Situation bestimmt werden soll, welche Strafe (welche Strafart, welches Strafmaß) zu verhängen ist, andererseits. Letzteres ist nach Hegel nicht mehr Aufgabe der im „abstrakten Recht“ entwickelten Begründung der Gerechtigkeit der Strafe, sondern erfordert die Berücksichtigung der konkreten gesellschaftlichen Verhältnisse, nach deren Maßgabe die „Gefährlichkeit für die öffentliche Sicherheit“ jeweils unterschiedlich zu bewerten ist (§ 96 A). Bei der Bestimmung von Rechtsfolgen für Straftaten in einem gesetzlichen Regelwerk müssen rechtspolitische, kriminologische, sozialwissenschaftliche und kulturgeschichtliche Gesichtspunkte herangezogen werden. Hierauf kommt Hegel dann in § 218 im Abschnitt „Die bürgerliche Gesellschaft“ zu sprechen. Im Zusammenhang des abstrakten Rechts hingegen kann lediglich unter Zugrundelegung der Begriffe von Recht und Unrecht und anhand der Bestimmung des Begriffs der Strafe gezeigt werden, dass es Strafe als Institution des Rechts überhaupt geben soll. Ihre generelle Legitimation gründet nach Hegel darin, dass durch sie das Recht sich gegen Unrecht in seiner Geltung bestätigt und sich so als Dasein der Freiheit verwirklicht.
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5.3 Die Nichtigkeit des Verbrechens und die Wiederherstellung des Rechts Die Nichtigkeit des Verbrechens und seine Vernichtung (§§ 97–98). In § 82 hat Hegel das Unrecht als „Schein“ und diesen als „nichtig“ bestimmt. In § 97 nun wird diese Grundbestimmung des Unrechts in Bezug auf das Verbrechen straftheoretisch weiterentwickelt. Das Verbrechen als eine Verletzung des Rechts als Recht konkretisiert sich zwar in einem bestimmten Geschehen und hat insofern „positive, äußerliche Existenz“. Dazu gehört auch und vor allem die (unrechtmäßige) Schädigung einer Person an einer äußerlichen Sache (im weitesten Sinne), auf die diese Person einen Rechtsanspruch hat. Die Rechtsverletzung aber ist „in sich nichtig“. Mit dieser Bestimmung knüpft Hegel an § 92 an, wonach der Zwang, den das Verbrechen ausübt, zu verstehen ist als „Aeußerung eines Willens, welche die Aeußerung oder Daseyn eines Willens aufhebt“. Das Verbrechen als Willensäußerung ist daher ein „Widerspruch seiner selbst“ (PR S. 85), es zerstört sich seinem Begriff nach selbst. Als Antwort auf das Verbrechen (als „ersten Zwang“) ist die Strafe (als „zweiter Zwang“) die „Manifestation“ der Nichtigkeit der Rechtsverletzung, indem sie diese „vernichtet“. So wie die Rechtsverletzung immer auch als konkretes Geschehen unrechtmäßiger Schädigung „existiert“, so „existiert“ die Nichtigkeit der Rechtsverletzung als deren Vernichtung. Das Recht bewährt sich durch das Negieren seiner Negation als wirkliches und geltendes Recht (vgl. R § 82). Die Strafe ist die „Feststellung, daß der Täter mit seiner Tat Unmaßgebliches behauptet hat“ (Jakobs 1993, S. 27; vgl. auch Jakobs 1991, S. 9). Obwohl die Rede von einer „Vernichtung“ des Verbrechens durch die Strafe dies nahezulegen scheint, meint Hegel damit keineswegs so etwas wie die Heilung eines Delikttatbestandes, was Flechtheim 1975, S. 92, unterstellt. Eine solche Heilung kann bestenfalls im zivilrechtlichen Schadensersatz erfolgen: „die Aufhebung der Verletzung als einer Beschädigung ist die civile Genugthuung als Ersatz, insofern ein solcher überhaupt Statt finden kann“ (§ 98). Hegel weist aber auch schon hier darauf hin, dass selbst beim zivilrechtlichen Schadensersatz, vor allem in Fällen der Zerstörung einer Sache, die unwiederherstellbar ist, nicht die Sache selbst restituiert werden kann. Es müsse stattdessen die „allgemeine Beschaffenheit derselben, als Werth“, der Bemessung der „civilen Genugthuung als Ersatz“ zugrundegelegt werden. Für das Strafrecht, vor allem bei Körperverletzungs- und Tötungsdelikten, kommt eine Genugtuung durch Ersatz überhaupt nicht in Frage. Dadurch, dass dem Schädiger derselbe Schaden zugefügt wird, den er dem Geschädigten zugefügt hat, mag der Geschädigte oder ein potentiell Geschädigter subjektiv eine Genugtuung im psychologischen Sinne verspüren, es wird aber der Schaden dadurch nicht aufgehoben. Auf diesen Sachverhalt bezieht sich das klassische Argument der präventiven Straftheorien: Da wegen der Unwi-
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derruflichkeit der Vergangenheit eine Handlung nicht ungeschehen, ein bereits verursachter Schaden daher nicht mehr im strengen Sinne rückgängig gemacht werden kann, könne die Strafe lediglich die Aufgabe haben, künftigen Schadensverursachungen vorzubeugen – „Revocari enim praeterita non possunt, futura prohibentur“.4 Dies entspricht auch heutiger rechtswissenschaftlicher Auffassung. „Ein Normbruch ist nicht seiner äußerlichen Folgen wegen ein strafrechtlich relevanter Konflikt; denn das Strafrecht kann die äußerlichen Folgen nicht heilen. Strafe bewirkt keinen Schadensersatz“ (Jakobs 1991, S. 9). Aber nicht nur, dass das Strafrecht einen Schadensausgleich nicht leisten kann, ist hier von Bedeutung, sondern es ist in solchen Fällen zu Eingriffen auch gar nicht legitimiert. Nach dem Grundsatz, dass Strafe nur als ultima ratio staatlicher Eingriffsmöglichkeiten eingesetzt werden darf, ist die Anwendung strafrechtlicher Maßnahmen solange nicht autorisiert, wie der rechtliche Konflikt mit anderen, weniger einschneidenden (zivilrechtlichen) Mitteln behoben werden kann (Subsidiaritätsprinzip).5 Die Vernichtung richtet sich nach Hegel auf die Verletzung des Rechts. Nur in dieser Ausrichtung erfüllt die Strafe den Sinn, den sie aufgrund der im Rechtsbegriff begründeten Notwendigkeit der Selbstbehauptung des Rechts als geltenden allein haben kann. Die Strafe demonstriert, dass die „Norm nach wie vor maßgeblich ist“ (Jakobs 1991, S. 9). Während die zivilrechtliche Bemessung des „Werts“ des Schadens sich noch weitgehend an Vergleichbarkeitsmaßstäben orientieren kann, muss die Bemessung des Werts eines strafrechtlich geschützten Rechtsguts und dementsprechend der Schwere des dieses Rechtsgut verletzenden Verbrechens an grundsätzlicheren rechtsphilosophischen Bestimmungen festgemacht werden. Dies führt Hegel in § 99 weiter aus (zum Wertbegriff siehe auch § 101). Das Verbrechen als Anerkennungsverletzung – Anknüpfend an Johann Gottlieb Fichte (1762–1814) bestimmt Hegel das Recht seit den frühen Schriften als Anerkennungsbeziehung.6 Demzufolge ist die Wechselseitigkeit der Anerkennung freier Willen (freier Personen) wesentlich für die Gleichheit der Rechtsbeziehung (der Personen als gleicher). Diese Rechtsauffassung vertritt Hegel der Sache nach auch noch in den Grundlinien (vgl. z. B. § 57). Sie lässt sich jedoch nicht ohne
4 Seneca, De Ira, I, xix, 7; vgl. bei Hegel auch GCh S. 126 f., 185 f. 5 Nach heutiger Auffassung folgt das Subsidiaritätsprinzip dem allgemeinen verfassungsrecht lichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Band 39, 1975, S. 1 ff., 44 ff.). 6 Vgl. Fichte, Grundlagen des Naturrechts (1796/97), § 4 (GA I,3, insbes. S. 351, 352, 357 f.). Zum anerkennungstheoretischen Rechtsbegriff bei Fichte und Hegel vgl. Siep 2014, Wildt 1982.
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weiteres aus § 23 ableiten, wie Seelmann meint (vgl. Seelmann 1995, S. 14). Hegel bestimmt dort den freien Willen – im Singular – als „sich gegenüberstehendes“, weil er „bey sich“ und unabhängig von anderem ist. Es ist nicht von einer Beziehung freier Willen aufeinander – im Plural, im Sinne mehrerer Personen – die Rede. Dennoch lässt sich Hegels anerkennungstheoretische Rechtsauffassung straftheo retisch anwenden.7 In der Jenaer Realphilosophie (1805/06) schreibt Hegel noch explizit, Strafe sei „Verkehrung; des verletzten allgemeinen Anerkanntseyns“.8 Hegels Charakterisierung des Verbrechens als einer „Verletzung des Rechts als Rechts“ in § 97 der Grundlinien kann auch als die These verstanden werden, das Verbrechen zerstöre die Anerkennungsbeziehung insgesamt. Indem der Verbrecher eine andere Person (ihren besonderen Willen) verletzt, verletzt er das Recht an sich (den allgemeinen Willen), denn jeder besondere Wille ist individualisierter allgemeiner Wille. Er entzieht auch sich selbst die Anerkennung, verletzt auch sich selbst als Person, denn eine Anerkennungsbeziehung besteht nur als wechselseitige. Die Rechtsverletzung des Verbrechers ist zugleich ein Selbstentzug der Anerkennung und eine Selbstverletzung seiner eigenen Person.9 Es ist jedoch, gemessen an Hegels logischem Aufwand in den Grundlinien, zu kurz gegriffen, wenn man die „Nichtigkeit“ des Verbrechens mit der Anerkennungsverletzung identifiziert. Die Nichtigkeit umfasst bei Hegel zwei weitere Momente. Nach § 92 besteht sie zunächst in der Selbstwidersprüchlichkeit des Verbrechens aufgrund der begrifflichen Selbstzerstörung des verbrecherischen Zwangs als der „Äußerung eines Willens, welche die Äußerung oder Dasein eines Willens aufhebt“. Schließlich besteht die Nichtigkeit auch darin, dass das Recht als Recht nicht aufgehoben werden kann, weil das Recht an sich „als Absolutes […] unaufhebbar“ ist, wie es im Zusatz zu § 97 (PR-Hot S. 854) heißt. Dieses dritte Moment wird in § 99 aufgegriffen. Strafe als Aufhebung des Verbrechens und Wiederherstellung des Rechts (§ 99). § 98 und § 99 stehen sich inhaltlich gegenüber als Thematisierung der Verletzung am äußerlichen Dasein oder Besitz, die ein Übel, Schaden ist (§ 98), und der Verletzung des an sich seienden Willens (des Verletzers, des Verletzten und aller), die keine positive Existenz hat, da das Recht an sich das „nicht äußerlich existirende und insofern das Unverletzbare“ ist (§ 99). Für die Strafbegründungstheorie ist das Entscheidende der Straftat nach Hegel nicht, dass sie ein Übel im
7 Vgl. Seelmann 1995, S. 11 ff., 63 ff., 118 ff. 8 JS III S. 235. Siehe dazu Siep 2016. 9 Vgl. dazu Seelmann 1995, S. 19, 21, 66 f. Ein weiteres in Hegels Strafbegründung zentrales Argument dafür, dass der Verbrecher den allgemeinen Willen verletzt, wird in § 100 vorgetragen.
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Sinne eines Schadens „an irgend einer Weise des Eigenthums oder Vermögens“ verursacht (ob dies nun lediglich an materiellen Werten, oder auch Leib, Leben und Freiheit; vgl. §§ 98, 118 R S. 593: „wie Unrecht, noch Straffe, nicht blosse Übel sind“). Entscheidend ist der sich in der Tat des Verbrechens äußernde besondere Wille des Verbrechers. Es geht um den „Willen der That, als Willen derselben“ (§ 99 R S. 535). In ihm allein hat die Verletzung des Rechts eine „positive Existenz“. Durch den äußerlichen Schaden kann das Recht als das „nicht äußerlich Existierende“ nicht verletzt werden. Insofern hat die Verletzung gerade keine positive Existenz. Und „für den besondern Willen des Verletzten und der Uebrigen [ist sie] nur etwas Negatives“ (§ 99). Daher kann Strafe nicht als Schadensersatz fungieren, wie er im zivilen Rechtsstreit geregelt wird. Im Begriff der Strafe liegt nicht die Behebung des (äußerlichen) Schadens, sondern das „Aufheben des Verbrechens“ durch eine Verletzung des besonderen Willens des Verbrechers „als eines daseyenden Willens“ (ebd., vgl. auch § 99 R S. 537). Die Rechtsverletzung wird durch eine Verletzung des Verbrecherwillens vernichtet. Das Verbrechen muss aufgehoben werden, da es „sonst gelten würde“.10 Indem die Strafe manifestiert, dass das Verbrechen nicht gilt (vgl. § 96 R S. 531: es „ist ausdrüklich zu zeigen, dass es nicht gilt“), ist sie die „Wiederherstellung des Rechts“.11 In der Strafe bekräftigt das Recht seine Geltung, in ihr bewährt sich die Normgeltung. „Wiederherstellung des Rechts“ heißt demnach, um eine heute gängige Formulierung aufzugreifen, soviel wie „Normbestätigung“. In der heutigen Straftheorie wird die Theorie der Normbestätigung als eine Reformulierung der Theorie der positiven Generalprävention verstanden. So vertritt etwa Günther Jakobs die These: Der Normverletzung, deren ‚Erscheinungsform‘ die äußerliche Rechtsverletzung ist, widerspricht die staatliche Strafe als „die Erscheinungsform, in der eine Normstabilisierung stattfindet“; Strafe hat die Aufgabe, „die desavouierte Normgeltung wiederherzustellen“.12 Die Tat ist ‚bedeutungshaltig‘, sie hat „expressiven Gehalt“, und dementsprechend gilt für die Strafe: Sie „bedeutet etwas, scil. dass die Bedeutung des normbrechenden Verhaltens unmaßgeblich und die Norm nach wie vor maßgeblich ist“; Strafe ist „Demonstration von Normgeltung“ und damit „Stabilisierung der verletzten Norm“.13 Man
10 § 100 bringt Erläuterungen zu der hier impliziten These, ein einzelnes Verbrechen könne all gemein gelten. 11 Die Metapher der Wiederherstellung übernimmt Hegel von Fichte – vgl. Fichte, Grundlage des Naturrechts, §§ 13–15, § 20 (GA I,3 S. 423-432, I,4 S. 59 ff.). Bei Hegel vgl. JS III S. 234 f.; RPRL § 20. – Zu Fichtes Strafrechtsphilosophie und Hegels Fichte-Kritik vgl. Mohr 2004. 12 Jakobs 1991, S. VII. 13 Ebd., S. 9 und 6.
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kann daher auch sagen, in der Strafe bringe das Recht seine Geltung zum Ausdruck, und damit ihren expressiven Charakter kennzeichnen.14 Hegels Straftheorie liest sich wie eine Vorwegnahme einer solchen expressivistischen Reformulierung der Theorie der positiven Generalprävention. Die negative Generalprävention hingegen, die die Mitglieder der Rechtsgemeinschaft über den Abschreckungseffekt der Strafandrohung zu normkonformem Verhalten motivieren will, lehnt Hegel zumindest als Begründung der Strafgerechtigkeit dezidiert ab.15 In der Anmerkung zu § 99 führt Hegel die straftheoretischen Konsequenzen dieser zentralen These von der Wiederherstellung des Rechts aus. Im Mittelpunkt steht dabei die Abgrenzung von Theorien, die das Verbrechen als ein Übel bestimmen und die Strafe als Zufügung eines Übels rechtfertigen, die auf das begangene Übel reagiert. Eine solche Auffassung findet sich etwa bei Hugo Grotius (1583–1645) in De iure belli ac pacis (1625): „Die Strafe ist in ihrer allgemeinen Bedeutung ein Leidensübel, das wegen eines Handlungsübels zugefügt wird“.16 Sie ist nach Hegel „oberflächlich“, denn warum sollte man ein Übel bloß deswegen wollen, weil schon ein anderes Übel vorhanden ist? Diese Frage stellt, nach Hegel zu Recht, der Strafrechtler Ernst Ferdinand Klein (1743–1810)17, zieht aber aus dem darin anklingenden Bedenken nicht die Konsequenz, diese Auffassung aufzugeben. Auch die Antwort auf diese Frage, die das durch die Strafe zugefügte Übel dadurch rechtfertigen will, dass das, was „dagegen herauskommen soll“, ein „Gutes“ sei, ist nach Hegel „oberflächlich“. Wesentlich ist hingegen, dass das Verbrechen ein Unrecht ist. Der „erste und substantielle Gesichtspunkt bey dem Verbrechen“ ist die „Gerechtigkeit“ (§ 99 A). Es stehen sich nicht zwei Übel gegenüber, sondern Unrecht und Gerechtigkeit. Tat und Strafe sind als „Sinnzusammenhang und nicht als unvernünftige Sequenz zweier Übel“ zu begreifen (Jakobs 1993, S. 27, mit explizitem Bezug auf Hegel). Hegels Kritik präventionstheoretischer Strafbegründungen. Hegel wendet sich damit gegen die schon in der Antike, mehr noch aber von Zeitgenossen Hegels vertretenen Präventionstheorien („Verhütungs- Abschreckungs- AndrohungsBesserungs- u.s.w. Theorie“; § 99 A). Danach ist Strafe durch den im Sinne der
14 Zu einigen gegenwärtigen expressiv(istisch)en Straftheorien vgl. Hörnle 2011, Kap. IV. Vgl. seither Zürcher 2014, der allerdings in seiner „expressiv-kommunikativen Straftheorie“ die Straf praxis als eine „moralische Praxis“ versteht, die einer „moralischen Rechtfertigung“ bedürfe. 15 Vgl. dazu den folgenden Abschnitt. Anders verhält es sich allerdings, wenn es um die Straf zumessung geht. Siehe dazu unten 5.5. 16 Liber II, caput XX: De poenis, I; zitiert nach Vormbaum 1993, S. 13. 17 Vgl. Klein 1796, § 9; Klein, Über die Natur und den Zweck der Strafe (1799), nach Vormbaum 1993, S. 267 und 277.
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Rechtskonformität verhaltensregulierenden Effekt begründet, den sie erzielen soll. Durch eine Androhung von Strafe, die auch die tatsächliche Ahndung der Straftat und Vollstreckung der Strafe erwarten lässt, sollen potentielle Täter von Straftaten abgeschreckt (negative Generalprävention) und straffällig gewordene Täter durch den Vollzug der Strafe gebessert und so vor Rückfallskriminalität bewahrt werden (positive und negative Spezialprävention).18 Präventionstheorien sind Zwecktheorien, da sie die Aufgabe der Strafe und ihre Berechtigung darin sehen, dass mit ihr als Mittel bestimmte gesellschaftlich sanktionierte Zwecke verfolgt werden können (und müssen). Strafe wird also legitimiert als Mittel relativ zu einem vorgegebenen Zweck („relative Theorien“). Sie sind konsequentialistisch, da es um die Folgen des Strafens geht: das Ausbleiben von Straftaten durch Motivation zur Normtreue. „Punitur, ne peccetur“ – Es wird gestraft, damit kein Unrecht begangen wird.19 Den „relativen“ oder „Präventionstheorien“ stehen sogenannte „absolute“ oder „Retributionstheorien“ („Vergeltungstheorien“) gegenüber. Sie rechtfertigen Strafe nicht relativ auf vorgegebene Zwecke, sondern aus dem in der Strafe selbst liegenden Wert als Beantwortung von Unrecht. „Punitur, quia peccatum est“ – Es wird gestraft, weil Unrecht begangen worden ist.20 Hegels Begriff und Legitimierung der Strafe ist grundsätzlich diesem letzteren Typ der retributivistischen Straftheorie zuzurechnen. Nach dem Zeugnis des Zusatzes zu § 99 (vgl. auch die Vorlesungsmitschriften: PR-Wa § 46, S. 48 f.; PR S. 87) hat Hegel vor allem gegen den Strafrechtler Paul Johann Anselm Feuerbach (1775–1833) energisch polemisiert. Feuerbach vertritt einen psychologischen Determinismus, wonach jedes Verbrechen einem sinnlichen Begehren folgt. Damit es unterbleibt, müsse ihm ein stärkeres Gegenmotiv gegenübergestellt werden. Als ein solches Gegenmotiv soll die Androhung einer Strafe dienen, die auf jedes künftige Verbrechen folgen werde. Die „Theorie des psychologischen Zwangs“ arbeitet mit der „Einwirkung auf die Vorstellung“.21
18 Mit Ilting 1983 ist allerdings darauf hinzuweisen, dass Hegel, wie Feuerbach, unter „Besse rung“ nicht die Spezialprävention, sondern die moralische Besserung des Täters versteht. 19 Die klassische, von Protagoras vertretene Version der Präventionstheorie des Strafens ist bei Platon nachzulesen (Prot. 324a). Vgl. auch Seneca , De Ira, liber I, cap. XIX, 7. Die für den modernen Utilitarismus einflussreichste Straftheorie des 18. Jahrhunderts, von Jeremy Bentham (1748–1832), hat Hegel nicht rezipiert (vgl. Bentham 1970). 20 Die Vergeltungstheorie ist nach Hans Kelsen die älteste Straftheorie. Vergeltendes Strafen habe schon früh als Sinnbild der Gerechtigkeit gegolten (vgl. Kelsen 1941, S. XXXV). 21 Vgl. Feuerbach 1799, S. 48–56; Feuerbach 1847, §§ 17–23, S. 15–20. Zu Feuerbach vgl. Naucke 1962; Holzhauer 1970, S. 47–58. Auch nach Fichte wird mit der Strafe die Absicht verfolgt, „daß durch die Androhung derselben das Vergehen verhütet werde“, denn sie sei keineswegs abso luter Zweck, sondern Mittel für die öffentliche Sicherheit (Fichte, a. a. O., GA I,4 S. 60). Fichte
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Gegen die Feuerbachsche Zwangstheorie wendet Hegel ein: „Bei der Drohung wendet man sich an die Freiheit nicht, sondern an die Unfreiheit, wie wenn man gegen einen Hund den Stock erhebt. Da ist also der Mensch wie ein Hund behandelt, nicht nach seiner Ehre, seiner Freiheit.“ (PR-Hot S. 856; vgl. § 99 Z). Die Drohung kann sich nur an die Unfreiheit der animalischen, psychologisch determinierbaren Seite des Menschen wenden. Dies aber geht an dem, was den Menschen wesentlich auszeichnet, am freien Willen („der Mensch […] nach seiner ersten, substantiellen Natur als Freier“; PR S. 86), völlig vorbei. Die Drohung müsse den Menschen sogar empören und ihn geradezu provozieren, gegen sie seine Freiheit zu beweisen. In der Feuerbachschen Theorie „wird der Mensch zum Mittel gemacht“ (ebd.).22 Darüber hinaus macht Hegel ein begründungssystematisches Argument geltend: Die rechtsphilosophisch entscheidende Frage der Gerechtigkeit des Strafens (der „Begründung des Rechts der Bestrafung“; PR S. 87) werde durch die Androhungstheorie überhaupt nicht beantwortet. Selbst wenn sich empirisch (statistisch) eine gewisse verhaltensbeeinflussende Effizienz von Strafdrohungen belegen ließe, so stelle sich nach wie vor die Frage: „Wie steht es aber mit der Rechtlichkeit des Drohens“? Der Staat darf nicht „etwas drohen, was nicht an und für sich recht ist“ (ebd.). Die Gerechtigkeit des Strafens muss also auf Gründe ganz anderer Art rekurrieren, die nach Hegel nur aus der „Natur des Verbrechens“ und damit letztlich aus dem Begriff des freien Willens zu entwickeln sind. Nur wenn sich Strafe davon ausgehend als an sich gerecht aufweisen lässt, kann ein Recht der Bestrafung begründetermaßen in Anspruch genommen werden. Hegel scheint allerdings zu übersehen, dass Feuerbach über ein differenziertes Begründungsmodell verfügt, das die Abschreckungstheorie durch einen am retributiven Gerechtigkeitsargument orientierten Strafbegriff begrenzt: Strafe darf auch nach Feuerbach nur verhängt werden, weil verbrochen worden ist.23
vertritt damit explizit das „Prinzip des Gegengewichts“ (ebd., S. 62). Siehe dazu Mohr 2004, ins bes. S. 259–261. 22 Vgl. auch PR-Wa S. 71. Auch hier ist Kants Einfluss augenfällig, bei dem es 1797 heißt: „Rich terliche Strafe (poena forensis) […] kann niemals bloß als Mittel, ein anderes Gute zu befördern, für den Verbrecher selbst, oder für die bürgerliche Gesellschaft, sondern muß jederzeit nur darum wider ihn verhängt werden, weil er verbrochen hat; denn der Mensch kann nie bloß als Mittel zu den Absichten eines anderen gehandhabt und unter die Gegenstände des Sachenrechts gemengt werden, wowider ihn seine angeborne Persönlichkeit schützt“ (Kant, AA VI, S. 453). Zu Kants Strafrechtsphilosophie vgl. Mohr 2009. 23 Vgl. Feuerbach 1799, S. 38; dazu Naucke 1962, S. 44, Holzhauer 1970, S. 53; Ilting 1983, S. 301 f., Anm. 113: „Angesichts der sorgfältigen Problemanalyse Feuerbachs wirkt Hegels Kritik hilf- und ziellos“.
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Gemeinsam ist den klassischen Präventionstheorien, dass sie die Institution der Strafe mit dem probabilistischen Hinweis darauf rechtfertigen wollen, dass diese durch eine psychologisch wirksame Beeinflussung der Verhaltensdisposition der Bürger (voraussichtlich) zur Stabilisierung eines als wünschenswert erachteten gesellschaftlichen Zustands beitragen könne und als solche erforderlich sei. Dass derartige Gesichtspunkte überhaupt straftheoretisch relevant sind, will Hegel nicht bestreiten; für die Bestimmung der „Modalität der Strafe“ sollten sie herangezogen werden. Er kommt darauf in den Erörterungen zur „Rechtspflege“ im Abschnitt über „Die bürgerliche Gesellschaft“ zurück (vgl. unten 5.5). Aber sie sind nicht ausschlaggebend für die Rechtfertigung der Gerechtigkeit des Strafens. „Mitleiden, Besserung, Staatszweck; besondere Zwecke der Gesellschaft – erbleichen gegen die Frage: was erfordert die Gerechtigkeit? […] Es ist um Gerechtigkeit zu thun, d. i. um Vernunft – d. i. dass die Freyheit ihr Daseyn erhalte“ (R § 99 R S. 539). Diese Begründung, dass das Strafen „an und für sich gerecht sei“, setzen die gängigen Präventionstheorien laut Hegel bereits voraus. Sie erbringen daher keine Rechtfertigung der Strafe. Darauf aber komme es gerade an, dass „das Verbrechen und zwar nicht als die Hervorbringung eines Uebels, sondern als Verletzung des Rechts als Rechts aufzuheben ist, und dann welches die Existenz ist, die das Verbrechen hat und die aufzuheben ist; sie ist das wahrhafte Uebel, das wegzuräumen ist, und worin sie liege, der wesentliche Punkt“ (§ 99 A).
5.4 Die Tat als Selbstsubsumtion und die Strafe als Wiedervergeltung Die Tat als Gesetz und Selbstsubsumtion; die Strafe als Recht an den Verbrecher (§ 100). Dass Strafe an und für sich gerecht sei, sollte mit den vorangegangenen Paragraphen insoweit begründet sein, als sie aus dem Begriff des Rechts als Dasein des freien Willens, dem Begriff des Verbrechens als einer Verletzung des Rechts als Rechts und der Notwendigkeit der Geltungsbehauptung des Rechts durch die Aufhebung des Verbrechens und Wiederherstellung des Rechts entwickelt wurde. Dabei lag der Angelpunkt der Argumentation in der Feststellung, dass der verbrecherische Zwang als Willensäußerung selbstwidersprüchlich und daher nichtig sei und dass diese Nichtigkeit einer adäquaten reellen Darstellung, einer Manifestation bedürfe. Diese Manifestation sei die Strafe. Zu Beginn von § 100 fasst Hegel das bis dahin erreichte Zwischenergebnis in die These: Die Verletzung des Täterwillens ist „an sich gerecht“, da sie „sein an sich seyender Wille, ein Daseyn seiner Freyheit, sein Recht“ ist (§ 100).
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Bis zu diesem Zwischenergebnis sind die objektiven Momente der Strafbegründung dargelegt. Im nun folgenden Text von § 100 geht es um die subjektiven, handlungstheoretischen Momente. Sie betreffen diejenigen Momente, aufgrund derer die Strafe vor dem Verbrecher selbst (1) aus der Eigenschaft des Täters als vernünftigen Wesens und (2) aus der Bestimmung seiner eigenen Tat als Handlung gerechtfertigt werden kann. Die zentrale These der subjektiven Rechtfertigung der Strafe in § 100 besagt, dass die Strafe ein „Recht an den Verbrecher selbst“ ist.24 Wie begründet Hegel diese These? Nach Hegel ist für eine angemessene Straftheorie wesentlich – wie seine Polemik gegen Feuerbachs Präventionstheorie zeigt –, dass auch der Verbrecher nicht als „Hund“, sondern als Mensch, d. h. als freier Wille und seiner Grundverfassung nach als „Vernünftiger“ angesehen wird. Als Vernünftiger handeln heißt, etwas nach einer allgemeinen Vorstellung von der Handlung zu wollen. Er hat einen „Begriff der Sache“ (§ 100 R S. 541). Im Wollen der Sache liegt nach Hegel nun, dass die diesem Handeln zugrundeliegende allgemeine Vorstellung, die Maxime der Handlung, als „etwas allgemeines“, als ein „Gesetz“ anerkannt wird. Dies ist die „formelle Vernünftigkeit“ jeder Handlung. Das mit der Tat aufgestellte Gesetz wird durch den Verbrecher als „sein Recht“ gesetzt. Daher rechtfertigt der Täter durch seine Tat, dass ihm zugerechnet wird, „er halte das Verhalten für die maßgebliche Weltgestaltung“ (vgl. § 100).25 Daher, so Hegel, darf er auch selbst unter das Gesetz seiner Tat „als unter sein Recht subsumirt werden“. Die Strafe ist – nach der subjektiven Rechtfertigung – ein „Recht an den Verbrecher selbst“, denn er hat die Strafe „in seinem daseyenden Willen, in seiner Handlung gesetzt“ und sie somit als sein Recht anerkannt; er subsumiert sich selbst durch seine Tat unter das Gesetz derselben (ebd.). Die Strafe ist daher nichts anderes als das durch den Verbrecher in seiner Tat gesetzte und anerkannte Recht auf ihn selbst angewandt.26
24 Die terminologische Unterscheidung zwischen „objektiver“ und „subjektiver“ Rechtferti gung stützt sich auf § 220 der Grundlinien. Dort bezeichnet „objektiv“ die Seite des sich in der Strafe verwirklichenden Gesetzes, „subjektiv“ die Seite des Verbrechers, der in der Strafe die Be friedigung der Gerechtigkeit seiner Tat erfährt. – Vgl. dazu Flechtheim 1963, S. 17–18; Flechtheim 1975, S. 95–102; Primoratz 1986, S. 39–54. Vgl. auch die Unterscheidung zwischen subjektivem und objektivem Willen in der Einleitung, §§ 25 ff. 25 So lautet die auf Hegel passende (und von ihm auch inspirierte) Formulierung bei Jakobs 1991, S. 9. Hier liegt wieder Hegels Handlungs- und Absichtsbegriff zugrunde. Klesczewski 1991, S. 72 ff., interpretiert die „Geltungsbehauptung der Unrechtsmaxime“ als den „Handlungsunwert“. 26 Mit diesem Argumenttyp arbeitet Hegel bereits seit 1798. Vgl. GCh S. 126 f., S. 180–184; RPRL § 20, S. 244. Anknüpfungspunkte bei Kant finden sich AA VI S. 332, VI S. 333, VI S. 335, V S. 37,
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In der Anmerkung zu § 100 stellt Hegel heraus, dass nur eine solche subjektive Rechtfertigung der Strafe imstande ist, die Tat als Ausdruck formell vernünftigen Wollens und den Verbrecher nicht als ein „schädliches Thier“ zu betrachten, „das unschädlich zu machen sey“ (§ 100 A), sondern als Menschen zu achten, dem „seiner Ehre, seiner Freiheit“ zukommt (PR-Hot S. 856; vgl. § 99 Z). Dies meint Hegels oft als zynisch beargwöhnte These: Dass die Strafe in der Tat des Verbrechers selbst „als sein eignes Recht enthaltend, angesehen wird, darin wird der Verbrecher als Vernünftiges geehrt. – Diese Ehre wird ihm nicht zu Theil, wenn aus seiner That selbst nicht der Begriff und der Maßstab seiner Strafe genommen wird“ (§ 100 A). Hegels Kritik vertragstheoretischer Strafbegründungen. Die Selbstsubsumtionsthese grenzt Hegel in der Anmerkung zu § 100 explizit gegen vertragstheoretische Strafbegründungen ab. Die Vertragstheorie wird in diesem Zusammenhang als staatsphilosophisches Begründungsmodell insgesamt zurückgewiesen. Hegel bezieht sich an dieser Stelle auf Cesare Beccaria (1738–1794), der in seiner viel rezipierten Schrift Dei delitti e delle pene von 1764 mit einem kontraktualistischen Argument die Todesstrafe für illegitim erklärt: Da nicht angenommen werden könne, dass ein Mensch im Gesellschaftsvertrag in seine eigene Tötung einwilligt, sei der Staat zur Verhängung der Todesstrafe nicht autorisiert.27 Hegel stimmt Beccaria zwar rechtspolitisch tendenziell soweit zu, als auch er für ein Zurückgehen der Todesstrafe plädiert; sie solle nur selten und auch nur dann zur Anwendung kommen, wenn man einen Begriff davon hat, „was todeswürdige Verbrechen seien und was nicht“ (§ 100 Z, vgl. PR-Grie S. 1190). Aber die von Beccaria herangezogene kontraktualistische Begründung lehnt Hegel ab, da mit ihr „Bestimmungen des Privateigenthums in eine Sphäre übergetragen [werden], die von ganz anderer und höherer Natur ist“ (§ 75 A). Nach Hegel ist der Staat „überhaupt nicht ein Vertrag“ (§ 100 A), denn er ist kein „blos Gemeinsames des Willens und aus der Willkühr der in einen Staat Vereinigten hervorgegangenes“ (§ 75 A). Die Einwilligung des Verbrechers in seine Bestrafung liegt nicht in einem staatsbegründenden Gesellschaftsvertrag, sondern in der Tat selbst als Ausdruck formell vernünftigen Wollens, „als eines Vernünftigen Handlung“ (§ 100). Strafe als Wiedervergeltung (§ 101). Die Bestimmung der Strafe als Aufheben des Verbrechens durch „Verletzung der Verletzung“ bringt Hegel auf den Begriff der
XXVII S. 555; vgl. Seelmann 1995, S. 123–137. Seelmann sieht in Hegels These auch einen Vorläufer der transzendentalpragmatischen Theorie vom performativen Selbstwiderspruch. 27 Vgl. Beccaria 1764, § 16; zur vertragstheoretischen Strafbegründung im 18. Jh. vgl. Seelmann 1991.
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„Wiedervergeltung“. Dafür führt Hegel hier zwei Gründe an. Zum einen besteht zwischen Strafe und Verbrechen insofern Identität, als sich in der Strafe lediglich die Tat selbst gegen den Täter wendet und deren Nichtigkeit manifestiert. Strafe ist Wiedervergeltung, weil sie ihrem Begriff nach Verletzung der Verletzung ist. Zum anderen hat, wie bereits im Wesentlichen in § 96 ausgeführt, das Verbrechen dem Dasein nach einen bestimmten, qualitativen und quantitativen Umfang. In § 101 wird nun explizit diese qualitativ-quantitative Bestimmtheit des Verbrechens auf den inzwischen entwickelten Begriff der Strafe und ihre Begründung bezogen. Da die Strafe lediglich die Rückwirkung der Tat ist, das Gesetz dieser Tat mit der Strafe auf den Verbrecherwillen angewandt wird, muss auch sie als Dasein, d. h. in ihrer konkreten Erscheinungsform als verhängte Rechtsfolge, nach Art und Maß einen solchen Umfang haben. Aus der Bestimmung der Strafe als Wiedervergeltung folgt nach Hegel aber nicht schon das Talionsprinzip (ius talionis) als Bemessungsgrundsatz für die Strafverhängung. Dieses fordert die Gleichheit der spezifischen Strafsanktion mit der spezifischen Tat: „Aug um Aug, Zahn um Zahn“. Es ist untauglich, da es in Absurditäten führt: „wobey man sich vollends den Thäter als einäugig oder zahnlos vorstellen kann“ (§ 101 A).28 Eine spezifische Festlegung, welche Strafe für welches Vergehen gerecht ist, ergibt sich aus dem allgemeinen Begriff der Strafe als Wiedervergeltung nicht. Dennoch muss dem Begriff der Wiedervergeltung entsprechend eine „Gleichheit“ (§ 101) von Tat und Strafe bestehen. Die Strafe darf keine „nur willkührliche Verbindung eines Uebels mit einer unerlaubten Handlung“ sein. Tat und Strafe müssen „nach dem Werthe“, „ihrer allgemeinen Eigenschaft, Verletzungen zu seyn“, vergleichbar sein. „Gleichheit“ meint hier Verhältnismäßigkeit als „Grundregel für das Wesentliche, was der Verbrecher verdient hat, aber nicht für die äußere specifische Gestalt dieses Lohns“ (§ 101 A).
5.5 Die Gerechtigkeit der Strafzumessung Die quantitative und qualitative Bestimmung von Verbrechen und Strafe (§ 214). In Kapitel B., „Die Rechtspflege“, des Abschnitts „Die bürgerliche Gesellschaft“ wendet Hegel sich der Gerechtigkeit der Zumessung (Angemessenheit) von Straf-
28 Auf Mord steht nach Hegel laut § 101 Z allerdings „notwendig die Todesstrafe“. „Denn da das Leben der ganze Umfang des Daseins ist, so kann die Strafe nicht in einem Werte, den es dafür nicht gibt, sondern wiederum nur in der Entziehung des Lebens bestehen“. Vgl. PR-Hot S. 859: „Das Leben ist ein Anderes, denn es ist der Ganze Umfang des Daseins, in Betreff auf dieses also muß die Wiedervergeltung genau abgemessen werden. Auf Mord ist Todesstrafe gesetzt.“
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art und Strafmaß für bestimmte Straftaten zu und zieht in diesem Zusammenhang auch präventionstheoretische und gesellschaftstheoretische Argumente heran. Mit reinen Begriffsbestimmungen, wie sie im „abstrakten Recht“ im Vordergrund stehen, sei das „Quantitative einer Strafe“ (§ 214 Z, vgl. PR-Hot S. 975) nicht adäquat festzulegen. Dass Verbrechen und Strafe quantitativ und qualitativ bestimmt sind, konnte zwar bereits begrifflich ermittelt werden (vgl. §§ 96; 101). Wie nun im einzelnen Fall Quantität und Qualität von Verbrechen und Strafe zu ermitteln und aufeinander zu beziehen seien, diese Frage gehört nach Hegel in die Erörterung der Rechtspflege in der bürgerlichen Gesellschaft. Für die Rechtspflege stellt sich als eine der ersten und wichtigsten Fragen die der Anwendung von allgemeinen Gesetzen auf den einzelnen Fall. Dies gilt für das Strafrecht genauso wie für das Verwaltungsrecht und das Vertragsrecht. Welche Art von Strafe und in welcher Höhe (Härte) für ein Vergehen gerecht ist, ist, auch wenn der Gesetzgeber für jeden Straftatbestand um eine möglichst genaue Festlegung des Strafrahmens bemüht ist, in jedem einzelnen Fall wieder gesondert und unter Berücksichtigung der relevanten Randbedingungen der Tat wie auch der Gesinnungsmomente des Täters bei ihrer Ausführung zu beurteilen. Hier ist viel Spielraum für Fehlentscheidungen. Strenggenommen ist schon „Ein Tag Gefängniß zuviel oder zuwenig, eine Ungerechtigkeit“ (§ 214 A). Rein „vernünftig“ lässt sich hier nichts mit Bestimmtheit und ohne Fehlerrisiko ausmachen. Es kommt Zufälligkeit ins Spiel der Rechtsanwendung. Aber weder ist eine vollkommene Gesetzgebung möglich noch ist es möglich, ungerechte Abweichungen von der objektiv angemessenen Strafzumessung garantiert zu vermeiden. Die Zufälligkeit ist „selbst notwendig“ (§ 214 Z; vgl. PR-Hot S. 975 f.; ähnlich § 101 A). Der Strafkodex und der Zustand der bürgerlichen Gesellschaft (§ 218). Ein weiterer für die Strafzumessung relevanter, von Hegel erst in der Theorie der bürgerlichen Gesellschaft nachgetragener Gesichtspunkt betrifft den „Zustand der bürgerlichen Gesellschaft“. Wesentlich für die bürgerliche Gesellschaft ist, dass in ihr die „allgemeine[ ]Sache“ der gesetzlichen Anerkennung von Eigentum und Persönlichkeit eine „in sich feste und starke Existenz“ hat. Dadurch ist das Verbrechen nicht mehr, wie im abstrakten Recht, lediglich die Verletzung eines Willens (des besonderen Willens einer verletzten Person und des allgemeinen Willens des verletzten abstrakten Rechts), sondern stellt die Stabilität und letztlich den Bestand der Gesellschaft zur Disposition. „Es tritt damit der Gesichtspunkt der Gefährlichkeit der Handlung für die Gesellschaft ein“ (§ 218). Als diese Gefährdung bekommt das Verbrechen einerseits zusätzliches Gewicht, andererseits kann eine „ihrer selbst sicher gewordene Macht der Gesellschaft“ es sich leisten, die „äußerliche Wichtigkeit der Verletzung herunter“ (ebd.) zu setzen, und je nach Maßgabe ihrer eigenen Stabilität Milde walten lassen. Wie mit einem Verbrechen zu verfahren
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ist, ist somit „nach dem Zustande der bürgerlichen Gesellschaft veränderlich“ (§ 218 A). Bei der Bemessung von Strafen sind demnach kriminalitätsgeschichtliche und sozialdiagnostische Kriterien anzulegen, die zu präzisieren erlauben, welche Strafen in dieser bestimmten Gesellschaft zu dieser bestimmten Zeit im Interesse der Festigkeit der Gesellschaft erforderlich und angemessen sind. „Ein Strafcodex gehört darum vornämlich seiner Zeit und dem Zustand der bürgerlichen Gesellschaft in ihr an“ (ebd.). Über diesen Weg können und müssen nach Hegel auch Argumente der General- und Spezialprävention in Betracht kommen. Sie betreffen die von der Strafandrohung und -verhängung auf das Verhalten der Normadressaten zu erwartende Wirkung als Maßgabe für die Festlegung der Härte der Strafe und die Strenge der Ahndung. Gegen die Theorie der Generalprävention wird häufig eingewandt, sie legitimiere eine Strafpraxis, die sich nicht (hinreichend) an der Schwere des Verbrechens orientiere, sondern zum Zwecke der Abschreckung auch zu ungerecht übermäßigen Strafen bereit sei. Ein weiterer Einwand besagt, die generalpräventiv legitimierten härteren Strafen führten in der Regel sogar zu einem Anstieg von Kriminalität, statt sie wirksam zu bekämpfen. Hegel räumt zwar in der Vorlesung von 1819/20 im Zusammenhang seiner Kritik an den Abschreckungstheorien selbst als „in der Sache begründet“ ein, dass „schreckliche Strafen das Gemüt nur erbittern und, anstatt von Verbrechen abzuschrecken, nur zu einem Verbrechen auffordern“ (PR S. 86). Er glaubt jedoch beobachten zu können, dass der Gesichtspunkt der Gefährlichkeit von Verbrechen für die bürgerliche Gesellschaft „ihre Ahndung vermindert hat“. Legt man alle relevanten Stellen aus den Grundlinien der Interpretation von Hegels Straftheorie zugrunde, so ergibt sich das differenzierte Bild einer „Vereinigungstheorie“, die zwischen der nur vergeltungstheoretisch zu begründenden Gerechtigkeit der Strafe als Institution und der präventionstheoretisch zu spezifizierenden Gerechtigkeit des Strafmaßes unterscheidet (siehe dazu unten 5.6). Hegels Kriterium der Gefährlichkeit einer Handlung für die Gesellschaft ist der heute vorherrschenden Meinung vergleichbar, das Strafrecht sei nur als ultima ratio zum Zwecke der Stabilisierung der Rechtsordnung und eines gedeihlichen Zusammenlebens einzusetzen.29 Strafe durch öffentliche Gerichtsbarkeit (§§ 102–103; § 220). Die die Straftheorie abschließenden §§ 102 und 103 (§ 104 ist der Sache nach bereits eine Überleitung zum Zweiten Teil, „Die Moralität“) führen die Unterscheidung zwischen „rächen-
29 Vgl. dagegen die kritischen Vorbehalte gegen Hegels Vereinigungstheorie bei Piontkowski 1960, S. 317 f.
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der“ und „strafender Gerechtigkeit“ ein und zeigen, warum nur letztere eine Wiederherstellung des Rechts als Recht leistet. Wiedervergeltung, wie sie in § 101 als begriffliche Bestimmung der Strafe eingeführt worden ist, kann als „dem Inhalte nach gerecht[e]“ Aufhebung des Verbrechens auch schon durch die Rache erfolgen. Diese ist aber, „der Form nach“, „Handlung eines subjectiven Willens“, eines besonderen Willens gegen einen anderen (§ 102). Deren Gerechtigkeit, als Verletzung der geschehenen Verletzung, ist zufällig, da der Verletzte allein sein subjektives Unrechtsempfinden und Interesse zum Maßstab seiner Handlung macht. Als „positive Handlung eines besondern Willens“ ist die Rache somit lediglich eine „neue Verletzung“, die ihrerseits eine erneute Rache provoziert und so nur einen „Progreß ins Unendliche“ erzeugt (§ 102). Grund hierfür ist, dass die Rache als „Art und Weise des Aufhebens des Unrechts“ ein Widerspruch von Form und Inhalt ist.30 Dieser kann nur dadurch aufgelöst werden, dass die Wiedervergeltung durch einen Willen bestimmt wird, „der als besonderer subjectiver Wille das Allgemeine als solches wolle“ (§ 103). Erst durch einen solchen Willen könne der Forderung nach strafender Gerechtigkeit entsprochen werden. Es ist damit die Einsetzung einer unabhängigen öffentlichen Gerichtsbarkeit gefordert. Die Funktionsbestimmung des Gerichts als Institution der bürgerlichen Gesellschaft führt Hegel in §§ 219–220 weiter aus. Wesentliches Merkmal eines Gerichts ist, dass es „ohne die subjective Empfindung des besondern Interesses“ das Recht erkennt und verwirklicht (§ 219). Das Gericht vertritt das durch die Verletzung eines besonderen Willens verletzte Allgemeine: das Recht. Dadurch wird die „nur subjective und zufällige Wiedervergeltung“, die Rache, in die „wahrhafte Versöhnung des Rechts mit sich selbst, in Strafe verwandelt“ (§ 220). Vom abstrakten Recht zur Moralität (§ 104). Der Begriff der Strafe, der strafenden im Unterschied zur rächenden Gerechtigkeit, ist der Ausgangspunkt des Übergangs zur Moralität, zum „moralischen Standpunkt“, in § 104. Das Gericht als die Instanz, die vom Standpunkt des Allgemeinen aus urteilt und straft, als eines Willens, der als besonderer Wille das Allgemeine will (vgl. § 103), verkörpert eine „Übereinstimmung des besonderen Willens mit dem allgemeinen Willen, die für den besonderen Willen selbst gegeben ist“ (Quante 1993, S. 37). Dies aber, dass ein besonderer Wille mit dem allgemeinen übereinstimmt, weil er das Allgemeine
30 Auch dieser Deutung liegt eine logische Konstruktion zugrunde. Quante 1993, S. 33 f., erläutert dies mit Bezug auf L I, S. 124 ff.: „Anstatt eine Negation der Negation zu erlangen, droht hier die Figur der ,schlechten Unendlichkeit‘, bei der jede Negation nur eine einfache Negation bleibt, so daß sich der Gegensatz von Unendlichkeit als Negation der Negation und Endlichkeit als einfacher Negation stets wieder neu erzeugt“.
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als solches will, ist das Charakteristikum des moralischen Standpunkts, der Moralität. Daher erlaubt die (implizite) Einführung des Gerichts anhand seiner begrifflichen Bestimmung den Übergang vom Strafrecht zur Moralität.31
5.6 Der Theorietyp der Hegelschen Strafbegründung im Spektrum der Alternativen und seine Aktualität Negative Generalprävention (Abschreckung der Allgemeinheit) kann nach Hegel nicht primär legitimierender Strafzweck sein. Abschreckung ist kein legitimer Strafzweck, er verfehlt den Menschen als Vernunftwesen. Hegel formuliert einen Begriff von Strafe und eine Begründung ihrer Gerechtigkeit, die zunächst und primär der retributivistischen Straftheorie zuzuordnen sind, diese aber in differenzierter Weise mit verschiedenen präventionstheoretischen Elementen verbinden. Diese Verbindung lässt sich auf zwei Ebenen identifizieren. Zum einen verbindet Hegel eine grundlegend retributivistische Rechtfertigung der Institution der Rechtsstrafe (ihrer ‚Gerechtigkeit‘) mit negativ-präventionstheoretischen Argumenten zur Strafzumessung. Zum anderen stellt sich Hegels Retributivismus seinerseits als ein Konzept dar, das einen bestimmten Sinn von expressivistisch reformulierter positiver Generalprävention (Normbestätigung) mit einschließt. Hegel entwickelt so eine Vereinigungstheorie, die nicht einfach konkurrierende Modelle harmonisiert, sondern sich von den klassischen Konzeptionen, und zwar sowohl von klassischen Theorien der Vergeltung wie auch der positiven Generalprävention, signifikant abgrenzt. ‚Retributive‘ Strafe ist für Hegel auch ‚positive Generalprävention‘ im Sinne expressivistischer Straftheorien, nach denen die Strafe ein kommunikativer Akt der Normbestätigung ist. Sie ‚manifestiert‘ und kommuniziert den Widerspruch des Rechts gegen den durch die Rechtsverletzung ausgedrückten Widerspruch gegen das Recht und bestätigt so die Geltung des Rechts. Das ist nicht mehr Prävention im Sinne des ‚Vorbeugens‘ oder ‚Verhütens‘, das sich durch eine prognostizierte Wirkung auf konditionierbare Adressaten legitimiert, sondern Ausdruck eines rechtsnormativen Geltungsanspruchs an ‚Vernünftige‘. Strafe im Hegelschen Verständnis wendet sich an Interpreten von rechtsnormativen Geltungsansprüchen und nur als Folge davon an Ausführungs-
31 Für eine ausführliche Interpretation von § 104, der zur Straftheorie nichts mehr beiträgt, vgl. Quante 1993, Kap. I.1., insbes. S. 35 ff.
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agenturen des Gebotenen.32 Insofern leistet Hegels Theorie weit mehr als eine ‚Vereinigung‘, sie macht vielmehr erst verständlich, worin die normative Signifikanz und Legitimität auch von präventiven Gesichtspunkten bestehen könnte. Hegels Straftheorie hat gewichtige Vorzüge, die sich bis in die gegenwärtige Diskussion zur Geltung bringen.33 Vor allem gegenüber der Kantischen Vergeltungstheorie ist die Straftheorie Hegels die argumentativ besser ausgeführte Fundierung dieses Theorietyps. In der Kontroverse mit utilitaristischen Strafbegründungen ist sie differenzierter und schlüssiger. Darüber hinaus bietet Hegel mit seiner Unterscheidung zwischen Argumenten, die das Strafen als an und für sich gerecht begründen, einerseits, und sozialhistorisch gestützten Gründen für die in einer bestimmten Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit jeweils zu konkretisierenden Richtlinien der Strafzumessung, andererseits, ein theoretisches Instrumentarium, das den heutigen Ansprüchen an eine Vereinigungstheorie gewinnbringend zuarbeitet. Ulrich Klugs 1968 sowohl gegen Kant als auch gegen Hegel erhobener Vorwurf, dass deren These, der Sinn der Strafe sei die Wieder-
32 In seiner Untersuchung zu den Strafrechtsphilosophien des deutschen Idealismus und ihrer Kritik bei Nietzsche vertritt Merle hingegen die These, dass bei Kant, Fichte und Hegel „der Re tributivismus nicht wiederzufinden ist“ (Merle 2007, S. 129). Zurecht weist er daraufhin, dass Hegels Theorie der „‚Wiedervergeltung‘ als ‚Verletzung der Verletzung‘ [...] nicht mit der Wieder vergeltung des klassischen Retributivismus zu verwechseln“ sei (ebd., S. 111), macht aber nicht deutlich, worin der Unterschied besteht. Außerdem kritisiert er Interpretationen, die diesen Autoren „Mischtheorien“ bzw. „Doppelrechtfertigungen der Strafe“ (also: Vereinigungstheorien) zuschreiben, und nimmt dabei auch explizit auf meinen vorliegenden Beitrag Bezug. Stattdessen sei die Strafrechtsphilosophie der deutschen Idealisten geradezu als eine „Kritik des Retributi vismus“ und eine Favorisierung der Resozialisierung (positiven Spezialprävention) zu verste hen. Er verkennt dabei, dass Hegel – wie Kant – der dezidierten Auffassung ist, die Gerechtigkeit müsse ‚erst gesichert‘ sein, ‚bevor‘ andere Gesichtspunkte wie Nützlichkeit, Besserung etc. Be rücksichtigung finden dürfen. – Kritik an Merle in Pawlik 2008. 33 Vgl. etwa Schild 1979; Jakobs 1991; Seelmann 1995; Wohlers/Went 2011, die allerdings an einer Stelle ein fragwürdiges Verständnis von „Aktualisierung“ haben. So halten sie Hegels For mulierung vom „Verbrechen als [...] Verletzung des Rechts als Rechts“ in §§ 97 und 99 A für einen „offensichtliche[n] Grammatikfehler“; es müsse „Verletzung des Rechts als Recht“ heißen (S. 175 Fn). Dass der ‚Fehler‘ „von zahllosen Autoren – in ihren Paraphrasen – unberichtigt übernom men wird“, sei „[s]ymptomatisch für die sprachliche Verwirrung, die Hegels Rechtsphilosophie stiftet“. Nun kann man in der Tat der Auffassung sein, dass Hegel nicht selten ‚sprachliche Ver wirrung stiftet‘, aber die von Wolters/Went monierte Formulierung ist dafür gerade kein Beispiel. Sie ist umgekehrt ein Beispiel für sprachliche Genauigkeit. In der ‚korrigierten‘ Version von Wol ters/Went wäre das „Recht“, was nach dem „als“ folgt, ein Prädikat. Der Ausdruck besagte dann: „Verletzung des Rechts ist Recht“. Hegels Formulierung hingegen besagt: „Verletzung des Rechts als solchen“, d.h. nicht nur einer Rechtsnorm, sondern des Rechts insgesamt. Es geht um die normative Tragweite des Verbrechens im Unterschied zu anderen Normverstößen. „Symptoma tisch für sprachliche Verwirrung“ ist die vermeintliche ‚Korrektur‘.
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vergeltung, „nicht bewiesen, sondern schlicht verkündet“, dass „keine Erkenntnis vorgetragen, sondern ein Bekenntnis bekannt gegeben“ werde (Klug 1968, S. 39), kann heute als überholt gelten. Wer bei Hegel entsprechende Argumentationshilfen sucht, wird aber letztlich immer wieder auf die spekulativ-logischen Grundlagen seiner Willensmetaphysik verwiesen. Man ist daher auch bei der Aneignung der Hegelschen Straftheorie stets mit zwei methodischen Problemen konfrontiert. Zum einen stellt sich die Frage, ob man aus Begriffsverhältnissen, zumal solchen in einer spekulativdialektischen Kategorienlogik entwickelten, normativ fundierte Richtlinien für soziale, insbesondere rechtliche Institutionen und deren philosophische und politische Legitimierung gewinnen kann. Vermag der Nachweis „logischer Notwendigkeiten“ die Rechtfertigung solcher Institutionen samt der Prinzipien ihrer Ausgestaltung zu tragen? Diese Frage kann nur positiv beantwortet werden, wenn der Grundgedanke Hegels von der kategorialen Selbstentfaltung der Vernunft verstanden und in seinen systematischen Implikationen und Konsequenzen auf den Rechtsbegriff so bezogen werden kann, dass dadurch die Entfaltung des Begriffs vom Recht sich auch in den einzelnen Argumentationsschritten als normativ einträgliche Methode der Rechtfertigung der Institutionen des Rechts ausweisen lässt. Anhänger der Hegelschen Logik mögen geneigt sein, die Überzeugungskraft der begrifflich-argumentativen Entwicklung der Straftheorie als ein Indiz für die Stärke der Hegelschen Systematik und ihrer Methode zu nehmen. Rechtsphilosophen, die sich heute an Hegel nicht nur historisch bilden wollen, sondern sich auch aus sachlichem Interesse an guten Argumenten der Interpretation klassischer strafrechtsphilosophischer Konzeptionen widmen, werden sich Hegel nur zuwenden, wenn sie nicht auf die weitreichenden Voraussetzungen der zudem nur schwer durchschaubaren spekulativen Logik Hegels verpflichtet werden. Hält man eine spekulativ-logisch fundierte Rechtfertigungsmethode für normativ fragwürdig, dann stellt sich zum anderen die Frage, inwieweit die Argumente und Ergebnisse der Hegelschen Straftheorie von der spekulativen Begriffssystematik abgelöst und allein aufgrund ihrer internen Schlüssigkeit vertreten werden können. Darüber gibt die Geschichte ihrer Rezeption in den rechtsphilosophischen und rechtswissenschaftlichen Diskussionen des 19. und 20. Jahrhunderts einigen Aufschluss. Die Tatsache, dass diese Rezeption in den letzten Jahren gerade bei Strafrechtlern einen erneuten deutlichen Aufschwung genommen hat, ist ein Indiz dafür, dass Hegel auch für die heutige Straftheorie Maßstäbe setzt.34
34 Bärbel Frischmann, Michael Quante und Ludwig Siep danke ich für Verbesserungsvorschläge, den beiden letztgenannten außerdem für Unterstützung bei Fragen der Hegel-Interpretation.
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Francesca Menegoni
6 Elemente zu einer Handlungstheorie in der „Moralität“ (§§ 104–128)
6.1 In den Grundlinien der Philosophie des Rechts ist das Thema des menschlichen Handelns unter verschiedenen Aspekten Gegenstand der Überlegung und Bewer tung. Während nämlich das „abstrakte Recht“ das Subjekt, die Bedingungen der Möglichkeit und die Gültigkeit der rechtlichen actio1 behandelt, geht es in der „Sittlichkeit“ darum, was der Mensch im Kreis einer Gemeinschaft tun soll, als Mitglied einer Familie, in der Ausübung einer Arbeit oder eines Berufs, als direk ter oder indirekter Teilnehmer am öffentlichen Leben. Die Moralität ihrerseits bestimmt das Wesen der Handlung nach ihrer Unterscheidung von dem, was man allgemeiner Ereignis oder Tat nennt (§ 96 A), sowie nach ihren Merkmalen, die mit dem Problem der Verantwortung des Handelnden verbunden sind. Diese Bestimmung der Handlung findet sich ab § 113, der die Handlung als „Aeußerung des Willens als subjectiven oder moralischen“ definiert. Das, was die Handlung in sich und in ihren Konsequenzen ist, nach ihrer Beschreibung und nach dem Urteil über ihren Wert, rührt also aus dem Verständnis dessen, was ein
1 Auch die Rechtshandlungen sind Ausdruck des individuellen Willens; dennoch werden sie im „abstrakten Recht“ nicht gemäß ihrem konkreten Gehalt behandelt oder nach den Zwecken, die der Wille sich vorstellt und nach den erzielten Wirkungen, sondern lediglich bezüglich ihrer formalen Möglichkeitsbedingungen. Die erste dieser Bedingungen ist ihr Erlaubtsein. Vgl. hierzu § 38: „In Beziehung auf die concrete Handlung und moralische und sittliche Verhältnisse, ist gegen deren weitern Inhalt das abstracte Recht nur eine Möglichkeit, die rechtliche Bestimmung daher nur eine Erlaubniß oder Befugniß“. Auch der Zusatz zu § 106 unterstreicht, dass das Pro blem der Selbstbestimmung des Willens sowie seiner Beweggründe und Vorsätze, das in der Sphäre des abstrakten Rechts nicht besteht, sich erst unter dem moralischen Gesichtspunkt er gibt: „Erst die Aeußerung des moralischen Willens ist Handlung“, heißt es in § 113 A. Das Verhält nis des besonderen Willens zu einem noch zu realisierenden Prinzip (sei es das Gesetz in einer deontologischen Perspektive oder das Gute in einer axiologischen) und zum Willen anderer Sub jekte wird in der Moralität berücksichtigt: Deshalb enthält die „gerichtliche Handlung [...] nur einige Momente der moralischen eigentlichen Handlung und zwar in äußerlicher Weise“ (ebd.). DOI:10.1515/9783110496529-009
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subjektiver oder moralischer Willen sei.2 Aber genau an diesem Punkt begegnet man ernsten Schwierigkeiten, denn die Hegelschen Begriffe des Subjektiven und des Moralischen, bezogen auf den Willen, sind alles andere als eindeutig, und die Komplexität dieser Begriffe spiegelt sich notwendigerweise in der Bestim mung der Handlung wider. Was sich auf den ersten Blick wie ein Glücksfall dar stellt, Hegels präzise Definition des Begriffs „Handlung“, zwingt also eigentlich zu beträchtlichen Mühen, denn die Begriffe der Handlung und des moralischen Willens dienen schließlich zur gegenseitigen Erhellung nur in dem Maß, in dem jeder die Komplexität des anderen widerspiegelt. Es handelt sich um eine Komplexität, die den gesamten Teil durchzieht, der der Moralität gewidmet ist. Bei der Lektüre dieses Teils ist man gezwungen, zwei sehr verschiedene Absichten anzuerkennen. Auf der einen Seite dominiert hierbei eine kritisch-negative Tendenz. Paradoxerweise wird die Moralität – sowohl in den Grundlinien als auch in den verschiedenen Fassungen der Enzyklopädie – angeführt, „nur um kritisiert zu werden“ (so Cesa 1995, S. 302). Der Grund dafür ist, dass Hegel in diesem Teil keineswegs seine Morallehre darstellt (die höchs tens in kleinsten Andeutungen hier und da durchscheint), sondern im Wesentli chen die Kritik der den bedeutendsten Morallehren seiner Zeit impliziten Risiken: von den romantischen Morallehren (Jacobi, Novalis; vgl. hierzu Siep 1995) bis hin zu denen Kants und Fichtes. Auf der anderen Seite enthält die Moralität jedoch – trotz dieser so kritischen Note – Elemente, die für den Verstehensprozess und die Selbstverwirklichung sowohl des Einzelnen als auch der Menschheit von großer Bedeutung sind. Das Gleiche gilt für den Begriff des subjektiven oder moralischen Willens. In Bezug auf den Willen bedeutet der Begriff „Subjectivität“ das, was sich dem entgegensetzt, was objektiv gilt, und daher drückt der Begriff aus: a) die reine, von der Wahrheit verschiedene Gewissheit des Bewusstseins; b) die Besonderheit der Willkür; c) die Einseitigkeit, aufgrund derer etwas nur in der Innerlichkeit des Bewusstseins existiert, aber nicht in einem verwirklichten Zweck (§ 25). Bevor er jedoch mit diesen negativen Bedeutungen erfüllt wird, drückt der Begriff der Sub jektivität den positiven Gesichtspunkt des Selbstbewusstseins und der Selbst bestimmung des individuellen Willens aus. Dieser ist „das sich selbst absolut
2 Dies ist Gegenstand der sorgfältigen Analyse der §§ 105–125 bei Quante 1993. Die Abhand lung enthält auch eine interessante Gegenüberstellung der komplexen Analyse der Handlung bei Hegel und der Diskussion von Problemen der Beschreibung und Begründung menschlichen Handelns in der analytischen praktischen Philosophie. Zum Thema der Handlung siehe auch Derbolav 1965; Riedel 1965; Schneider 1965; Wiehl 1971; Di Tommaso 1980; Inwood 1982; PlantyBonjour 1983; Giusti 1987; Chiereghin 1992; Menegoni 1993.
Elemente zu einer Handlungstheorie in der „Moralität“
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Wissen der Einzelnheit“ (JS III S. 263). Das ist, gegenüber dem Altertum, „das höhere Princip der neuern Zeit“ (ebd.), Grundlage einer neuen Form der Welt3, Ausdruck jener Freiheit des Denkens und der Handlung, die die eigentliche Sub stanz des Willens bildet, ebenso „wie die Schwere die Substantialität des Körpers“ (§ 7; zum Begriff der Subjektivität vgl. Düsing 1976; Horstmann 1979). Analoge Überlegungen gelten für den Begriff des Moralischen. Das Recht des moralischen Willens drückt das grundsätzliche Recht jedes Einzelnen auf Schutz und Verwirklichung der eigenen Freiheit aus. Dieses bedeutet die Bestäti gung des Ausgangs des Menschen aus der Unmündigkeit; es bedeutet außerdem Bewusstsein seiner selbst, die Weigerung, sich von einer äußeren Autorität leiten und bestimmen zu lassen, freie Wahl der eigenen Zwecke und der Mittel, die zu ihrer Realisierung geeignet sind; alles in allem bedeutet es also, um es mit zwei eher Kantischen als Hegelschen Kategorien auszudrücken: Fähigkeit zur Autono mie und zur Selbstbestimmung. Auf der anderen Seite bedeutet die Behauptung dieses grundlegenden Rechts keinesfalls auch seine Verwirklichung, im Gegen teil, wie schwierig diese Verwirklichung ist, wird eben genau von der Moralität gezeigt. Wenn man den Begriff der Handlung analysiert, der in den Grundlinien als Äußerung des subjektiven oder moralischen Willens vorgestellt wird, dann dringt man damit in die gesamte Komplexität der Moralität ein und beleuchtet deren Struktur und Grundelemente, wobei sowohl die positiven Aspekte als auch die inneren Widersprüche erfasst werden. Diese Widersprüche gehen nicht aus der einfachen Behauptung des Rechts des Willens hervor, und auch nicht aus der Betrachtung von Vorsätzen und Absichten oder aus der Bestimmung des Hand lungszwecks, sei dieser das Wohl des Einzelnen oder aber vieler. Die Widersprü che werden sichtbar, wenn alle diese Elemente sich verbinden, um zur konkreten, empirischen und einzelnen Handlung zu führen. Dieser unumkehrbare Prozess tritt mit seinen Konsequenzen in die Welt ein, eine Tat, die den Einzelnen dazu zwingt, aus der Isolierung seines Bewusstseins herauszutreten, in dessen Innern er die Handlung geplant und gewollt hat, worauf er in ein Beziehungsnetz ein
3 Das Recht der subjektiven Freiheit „macht den Wende- und Mittelpunkt in dem Unterschiede des Alterthums und der modernen Zeit. Dieß Recht in seiner Unendlichkeit ist im Christenthum ausgesprochen und zum allgemeinen wirklichen Princip einer neuen Form der Welt gemacht worden. Zu dessen nähern Gestaltungen gehören die Liebe, das Romantische, der Zweck der ewi gen Seligkeit des Individuums u. s. f., – alsdann die Moralität und das Gewissen, ferner die an dern Formen, die theils im Folgenden als Princip der bürgerlichen Gesellschaft und als Momente der politischen Verfassung sich hervorthun werden, theils aber überhaupt in der Geschichte, insbesondere in der Geschichte der Kunst, der Wissenschaften und der Philosophie auftreten“ (§ 124 A).
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tritt, das ihn einer bereits vorher existenten und nicht gewollten Situation gegen überstellt, in die andere besondere Subjekte verwickelt sind. Wir werden versuchen zu klären, mit welchem Ergebnis es gelingt, gleich zeitig das Recht des moralischen Willens und die Erklärung seiner Grenzen zu behaupten, wie dies in der „Moralität“ geschieht. Wir werden nacheinander den Zusammenhang analysieren, in dem Hegel dieses Thema darlegt (1.), uns dann mit den Bestimmungen beschäftigen, die in den ersten beiden Abschnitten dieses Teils getroffen werden (§§ 104–128), da diese direkter mit dem Problem der Hand lung zu tun haben (2.), um zu erläutern, welcher spezifische Beitrag von dieser Abhandlung für die Individuation der allgemeinen Merkmale einer Handlungs theorie geleistet wird (3.).
6.1.1 In den der Moralität gewidmeten Paragraphen erscheint mit besonderer Ein dringlichkeit der Ausdruck „Standpunkt“.4 Diese Eindringlichkeit kann zu ver stehen helfen, was die besondere Perspektive ist, von der ab der moralische Gehalt innerhalb der Grundlinien auftaucht. Die Moralität behandelt das, was in der Innerlichkeit des Willens enthalten ist (also vor allem Vorsatz und Absicht), in Beziehung auf das, was sowohl moralisch als auch unmoralisch ist (§ 108 A). Die Grenze ist hier, dass nur das „formelle“ Gewissen, unterschieden vom „wahr haften“ Gewissen, zum Thema gemacht wird (vgl. § 137; vgl. Bartuschat 1989, S. 100). Diese beiden Bestimmungen – Innerlichkeit und Formalismus – drücken gemeinsam das aus, was das „proprium“ der „Moralität“ ist: Sie legt eben nicht den Moralbegriff Hegels dar, sondern nur die Kritik jedes „Standpunktes“, der, um die Entfernung zwischen der formellen Allgemeinheit eines Prinzips und dem bestimmten Inhalt der einzelnen Handlungen zu überbrücken, den Grund des Wertes wieder einzig in die Innerlichkeit des Subjekts verlegt. Deutliche Zielscheibe der Polemik dieser Kritik ist die moralische Lehre Kants und Fichtes. Insbesondere das Kantische Denken hat zwar das Verdienst, sich auf den Begriff der Selbstbestimmung des Willens zu stützen, aber es macht auch den Fehler, diese für den modernen Freiheitsbegriff grundlegende Errun
4 Der Ausdruck „der moralische Standpunkt“ erscheint etwa zehnmal in den §§ 104–112 und den entsprechenden Anmerkungen. Der Ausdruck findet sich auch in den abschließenden Paragraphen des Kapitels, in denen die Widersprüche aufgezeigt werden, in die der moralische Formalismus und die Moral der Innerlichkeit verfallen (vgl. § 135 A), dort, wo der moralische Standpunkt dem sittlichen Standpunkt gegenübergestellt wird (§§ 137, 137 A).
Elemente zu einer Handlungstheorie in der „Moralität“
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genschaft „zu einem leeren Formalismus“ (§ 135 A) herabzusetzen. Für Hegel trennt in der Kantischen Ethik ein unüberwindbarer Abgrund die Allgemeinheit des moralischen Gesetzes – als des Ausdrucks der Rationalität und der Freiheit des Subjektes – von der Besonderheit der konkreten Handlungen und der bestim menden Pflichten. Das gesamte Kapitel „Moralität“ ist die kritische Darstellung der Bestimmungen eines Willens, der sich an sich selbst misst, der Vorsätze und Absichten bewertet (das heißt, den inneren Aspekt der Handlung) und der sich selbst zum Maß des Guten und des Bösen macht; es wird so das verabsolutiert, was Kant in der Kritik der praktischen Vernunft bezüglich der Vernunft schreibt, die, wenn es um das moralische Gesetz geht, „nur fragt, ob die Begebenheit mir als That angehöre“.5 Auf diese Aspekte verweist bereits der Paragraph, der den Übergang zwi schen dem ersten und dem zweiten Teil der Grundlinien bildet (§ 104). Hier erklärt Hegel, dass „das Princip des moralischen Standpunkts“ die „für sich unendliche Subjectivität der Freyheit“ ist, eine Subjektivität also, die vor allem in Beziehung zu sich selbst gesetzt ist und nicht abstrakt, sondern individuell ihres freien Wesens bewusst ist. Dies ist eine Subjektivität, die, weil sie „für sich“ ist, gleich zeitig in Beziehung zu Anderem gesetzt wird und damit in ihrer Besonderheit begrenzt ist, und zwar durch die Trennung von einem Allgemeinen, sei dieses All gemeine die zu befolgende Norm oder der zu verwirklichende Zweck. Aber es sind die folgenden §§ 105–114, die die allgemeinen Merkmale und die formale Struktur dieses Kapitels ausführen sowie die der Handlung, die diese Merkmale enthält.
6.1.2 Der Begriff der Moralität entsteht aus der Notwendigkeit, die Gerechtigkeit davon zu befreien, einer zufälligen Macht zu unterstehen, wenn „die Foderung eines Willens“ in Aussicht gestellt wird, „der als besonderer subjectiver Wille das All gemeine als solches wolle“ (§ 103). Das Spezifische in diesem Moment ist, im Ver gleich zu vorher, dass die Aufmerksamkeit auf einen besonderen Willen gerichtet
5 Kant, Kritik der praktischen Vernunft (AA V, S. 99). Bei der Betrachtung des Handelns vollzieht Hegel eine bewußte Umkehrung im Gebrauch Kantischer Begriffe. Während beispielsweise Kant als „Tat“ diejenige Handlung bezeichnet, die gekennzeichnet und zuschreibbar ist, bezeichnet Hegel mit dem Begriff „Handlung“ dasjenige Tun, welches das Subjekt bewußt will und für das es die Verantwortung übernimmt. Entsprechend schreibt Hegel also „nach was soll ich handeln?“, wenn er in der Heidelberger Enzyklopädie die zweite von Kants Fragestellungen („Was soll ich tun?“) erwähnt (HE § 3 A). Für eine Bestimmung des Handlungsbegriffs bei Kant vgl. Kaulbach 1978; Gerhardt 1986.
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ist, auf ein Individuum also, und außerdem, dass das Verhältnis zwischen diesem Individuum und allgemeinen Prinzipien (die Pflicht, das Gesetz, das Gute, der Zweck des Einzelnen oder der gesamten Menschheit etc.) geprüft wird. Die Betonung liegt aber nicht auf dem „Objekt“ des Wollens, sondern auf dem wollenden und handelnden „Subjekt“. Die Fragen, die der Moralität zugrunde liegen, untersuchen in der Tat nicht, was das moralische Gesetz oder das Gute sei, sondern wie das einzelne Individuum sich zu diesen Inhalten in seinem Wollen verhält; also nicht „Was ist das Gute?“, sondern „Was soll ich hier und jetzt tun (oder unterlassen)?“; „Welche Folgen wird meine Handlung haben?“; „Bis zu welchem Punkt bin ich gehalten, mein Tun zu verantworten?“; „Was soll ich tun, wenn die Befriedigung meiner Bedürfnisse den Rechten anderer auf die gleiche Befriedigung entgegensteht?“. Der individuelle Wille ist durch das Beschließen gekennzeichnet, wobei er sich vom Anderen löst und sich ihm gegenüberstellt, als das Besondere gegen das Allgemeine oder gegen ein anderes Besonderes: Er ist also Wille eines bestimmten „sich hinaus gegen Anderes unterscheiden den“ Individuums (vgl. § 13). Dieser individuelle Wille und nichts anderes ist das Subjekt der Moralität und der Handlung, „da die Handlung die Thätigkeit des Subjects ist und die Einzelnheit zum Princip hat“ (HE § 423).6 Das Prinzip, das dem moralischen Standpunkt zugrunde liegt, ist das Recht der Besonderheit des Willens7 oder, einfacher gesagt, das vom Einzelnen ver langte Recht auf das Wissen und Wollen, das Recht auf seine Selbstbestimmung (§ 107). Von hier leiten sich sowohl der positive Gehalt als auch die Widersprüche ab, von denen der moralische Standpunkt beeinträchtigt wird. Einerseits bedeu tet nämlich der Begriff der Selbstbestimmung die volle und bewusste Autono mie des Subjekts, die Fähigkeit, Ursache der eigenen Handlungen zu sein. Ande rerseits aber wird das Subjekt gerade von seinen Handlungen unveränderlich bestimmt, da es nichts anderes ist als „die Reihe seiner Handlungen“ (§ 124); es ist also ein besonderes und endliches Wesen, in ständigem Streben nach dem, was
6 Dieser Aspekt ist übrigens in der Tatsache enthalten, dass in der Moralität der Standpunkt in Frage gestellt wird, der den Willen des Subjekts „als des für sich seyenden Einzelnen“ betrifft (§ 106). In der Wissenschaft der Logik enthält das „Fürsichseyn“ das Bestimmtsein, das Eins und die vielen Eins und impliziert dadurch den Begriff der Individualität. Durch die Behauptung des Zusammenhangs zwischen dem für sich seienden Willen und der Handlung unterstreicht Hegel, dass das Handeln immer Individuen angehört, als Einzelnen, als Völkern oder als Staaten. 7 Das Recht des Einzelwillens wird seit den einführenden Paragraphen der Grundlinien im Zu sammenhang mit dem Problem der Handlung dargestellt. In § 8 liest man, dass die Besonderheit des Willens „der Proceß ist, den subjectiven Zweck durch die Vermittlung der Thätigkeit und eines Mittels in die Objekcivität zu übersetzen“, in anderen Worten: „Handlung“.
Elemente zu einer Handlungstheorie in der „Moralität“
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es zu verwirklichen sucht.8 Wenn dieses Subjekt seine grundlegende Endlichkeit vergisst und das eigene, legitime Recht auf Wissen und auf Wollen zum einzigen Kriterium dessen macht, was allgemein gilt, dann reduziert es Recht und Pflicht auf ihren bloßen Schein, so dass „Recht und Pflicht ebensowohl ist, als nicht ist“ (HE § 426; E § 511).9 Das führt dazu, dass es am Ende beliebig mit selbstgeschaffe nen Trugbildern spielt.
6.1.3 Um die Doppelseitigkeit zu verstehen, die den moralischen Standpunkt kenn zeichnet, ist der § 108 von grundsätzlicher Bedeutung. Er legt die formale Struk tur des subjektiven, besonderen, für sich seienden Willens dar. Dass dieser Wille „abstract, beschränkt und formell“ ist, weil das allgemeine Prinzip für ihn immer etwas Jenseitiges bleibt, folgt daraus, dass der moralische Standpunkt „der Standpunkt des Verhältnisses und des Sollens oder der Foderung“ ist. Hier finden wir außerdem auch den „Standpunkt des Bewußtseyns“ sowie den „Standpunkt der Differenz, Endlichkeit und Erscheinung des Willens“. Der moralische Standpunkt wird deshalb durch Bestimmungen gekennzeich net, die dem irreversibel gespaltenen Bewusstsein eigen sind. Dies begründet die Reihe von Dualismen, die die Moralität kennzeichnen und die dafür sorgen, dass auch die in ihr beschriebenen Handlungen nicht logisch auf die Figur des Syllo gismus zurückführbar sind, wie es die klassische Ethik lehrt, sondern sie sind vielmehr Ausdruck des trennenden Urteils.10 Die Begriffe der Subjektivität und
8 In der Anmerkung zu § 58 der Nachschrift Homeyer ist zu lesen: „Die Moralität ist auch ein Standpunkt der Endlichkeit, indem der Wille als ein subjektives ist, der noch in seiner Subjekti vität sich geltend macht“ (PR-Hom S. 276). Die Anmerkung zum darauffolgenden § 59 bekräftigt: „Der moralische Standpunkt enthält den subjektiven besondern, endlichen Willen, das Allge meine ist ein Andres für ihn, ein Sollen für ihn“ (ebd. S. 277). 9 Es gibt vielfache Rechtfertigungen, die von einem Bewusstsein angeführt werden, das – in der Sicherheit, das zu sein, was wählt und entscheidet – den Unterschied zwischen Gut und Böse vergisst, den Unterschied zwischen dem, was man tun und dem, was man unterlassen soll. Die lange Anmerkung zu § 140 skizziert eine Phänomenologie des individuellen Bewusstseins, das sich selbst verabsolutiert: vom allgemeinen Handeln mit schlechtem Gewissen bis zur Heuchelei und zur Ironie; diese letztere bildet „die noch höhere Spitze der sich als das Absolute behaupten den Subjectivität“ (R § 140). 10 Ein Verweis auf die syllogistische Struktur der Handlung findet sich in § 418 der Heidelberger Enzyklopädie, in der der moralische Standpunkt als „das Reflexions-Urtheil der Freiheit“ defi niert wird (HE § 417). Charakteristisch für das „Reflexionsurtheil“ ist, dass sein Prädikat das All gemeine ist: „[E]s macht daher das zu Grunde liegende aus, an welchem das Subject zu messen,
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der Objektivität treffen sich im moralischen Standpunkt „nur zum Widerspru che“, und dieser bildet „das Erscheinende oder die Endlichkeit“ der Moralität; auf diese Weise ist „die Entwicklung dieses Standpunkts […] die Entwicklung dieser Widersprüche und deren Auflösungen, die aber innerhalb desselben nur relativ seyn können“ (§ 112 A).
6.1.4 Die Struktur des moralischen Standpunkts ist für die Merkmale der in ihm beschriebenen Handlungen verantwortlich (§§ 109–113). Sie wird bereits in § 109 dargelegt, wo die Kontraposition von Subjektivem und Objektivem unterstri chen wird; zu diesem Gegensatz führt unvermeidlich der Prozess der Selbstbe stimmung des Einzelwillens; dieser gibt sich einen Inhalt, der etwas von ihm Gesetztes oder ein Subjektives ist; er versucht, diesen subjektiven Inhalt in die Objektivität zu übertragen; er muss berücksichtigen, dass der Inhalt, der Zweck, unabhängig von ihm besteht. Gerade weil der Inhalt dem Einzelwillen als etwas von ihm Verschiedenes erscheint, verstärkt er seine Anstrengungen, um über ihn zu herrschen, aber dieses sind Anstrengungen, bei denen die Konkretheit der Handlung ihr teilweises oder völliges Versagen bekundet, denn das, was der Einzelwille will, ist immer von dem verschieden, was aus seiner Handlung folgt. Die §§ 110–112 führen schematisch die Hauptaspekte dieser grundlegenden Verschiedenheit aus. Einerseits wird nachdrücklich das Recht des Einzelwillens bekräftigt, den Inhalt als den „Seinigen“ anzuerkennen, und dies nicht nur, weil es der Inhalt ist, den der Wille sich zum Zweck setzt, sondern auch, weil dieser Inhalt, wenn er erst einmal realisiert ist, in sich weiter das Zeichen der Subjektivi tät als Vorsatz und Absicht trägt; der Wille hält sich für moralisch verantwortlich nur insofern, als er in ihnen (Vorsatz und Absicht) enthalten ist (§ 110). Darüber hinaus besteht noch ein zweiter Aspekt: der Wille hat als Beweggrund einen Inhalt, der sowohl allgemein als auch besonders sein kann, sowohl eine subjek tive Maxime als auch ein objektives Prinzip, mein Wohl oder etwas absolut Gutes (§ 111). Der dritte Aspekt unterstreicht schließlich das, was in heute üblicher Aus drucksweise als „intersubjektive Dimension“ der Handlung bezeichnet wird, d. h.
und ihm entsprechend zu bestimmen ist“ (L II S. 72). Das Reflexionsurteil, analog zur Kantischen bestimmenden Urteilskraft, subsumiert das besondere Subjekt unter ein allgemeines Prädikat und bringt die unvermeidbaren Anpassungsprobleme mit sich, die jeglichem Subsumptionsoder Anwendungsprozess eigen sind.
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die Tatsache, dass der Inhalt des einzelnen Willens die Beziehung zum Willen anderer Einzelsubjekte impliziert (§ 112). Es ist schließlich der § 113, der alle diese Elemente zusammenfasst, wobei er der Handlung die folgenden Bestimmungen zuschreibt: „α) von mir in ihrer Aeußerlichkeit als die Meinige gewußt zu werden; β) die wesentliche Beziehung auf den Begriff als ein Sollen und γ) auf den Willen Anderer zu seyn“ (§ 113). Damit eine Handlung sei, ist es also notwendig, sich auf das Gebiet der subjektiven Indi vidualität zu begeben und auf das Gebiet der Existenz der Freiheit in einem ein zelnen Subjekt, das sich dessen bewusst sein muss, was es tut.11 Deshalb ist jede Handlung Äußerung des subjektiven oder moralischen Willens und ihre Eigen schaften sind, dass sie erstens vom handelnden Subjekt als sein eigen betrachtet wird, und zweitens, dass sie in Verbindung mit einem allgemeinen Prinzip oder allgemeinen Zweck und mit dem Willen Anderer steht. In der „Moralität“ werden diese Aspekte in Verbindung mit einem Subjekt gesehen, das sein legitimes Recht auf Wissen und Wollen verabsolutiert. In den drei Abschnitten „der Vorsatz und die Schuld“, „die Absicht und das Wohl“, „das Gute und das Gewissen“ steht die Kritik dieser möglichen Verabsolutierung im Vordergrund; eine Kritik, die aber nicht die positive Bedeutung jenes Rechts auf Wissen und Wollen vergessen lassen soll. Die drei Momente drücken aus: a) die abstrakte und formelle Seite der Hand lung, begrenzt auf den Vorsatz des Handelnden und auf die Verantwortung, die er für sein Tun übernimmt: dies ist der Wissensaspekt des Handelnden; b) den besonderen Gesichtspunkt der Handlung bezüglich ihres Wertes für den Han delnden (d. h. dessen, was seine Absicht ist) und des Zweckes, den der Einzel wille sich vornimmt (das Wohl): dies ist der absichtliche Aspekt der Handlung; c) die Erhebung des Einzelwillens zum Allgemeinen – eine Erhebung, die sich jedoch noch „in der Sphäre der Reflexion“ (§ 114) vollzieht und den für die indi viduelle Handlung grundlegenden Gegensatz zwischen Subjektivität und Objek tivität mit sich bringt. Die Handlung besteht nämlich in der Übertragung der Zwecke des Subjektes in die Objektivität der Wirklichkeit und ergibt sich aus der Verbindung von vielfa chen Elementen in der vollendeten Tat. Diese kann von dem, was im Plan des Han delnden enthalten war, sehr verschieden sein. Wie Hegel schon seine Gymnasial schüler lehrte, besteht die Handlung in einem „Uebergehen von einer innerlichen
11 Wenn Hegel im Folgenden die rechtliche Handlung diskutiert, bekräftigt er, mit ausdrück lichem Verweis auf die in der „Moralität“ erwähnten Bestimmungen, dass „[i]nsofern für die Qualification der Handlung das subjective Moment der Einsicht und Absicht des Handelnden (s. II. Th.) wesentlich ist“(§ 227).
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Bestimmung zur Aeußerlichkeit“, auf der Grundlage eines Entschlusses, eines Vorsatzes oder einer Leitung (RPRL S. 378), ausgehend von einem Trieb; dieser ist „etwas Innerliches, etwas, das eine Bewegung von sich selbst anfängt oder eine Veränderung aus sich hervorbringt“, und „geht von sich aus“ (ebd. S. 218). Aufgrund dieser seiner Eigenschaften ist der Trieb Ausdruck von Spontaneität, einer Fähigkeit, von sich aus etwas Beliebiges zu beginnen und Beginn einer Bewegung oder einer Veränderung zu sein. Im selben Text betont Hegel, dass die Reflexion auf dieses natürliche Element des Triebes eingehen muss. Diese Reflexion untersucht, ob die Mittel der gewünschten Befriedigung angemessen sind, sie vergleicht die Triebe miteinander und in Beziehung auf jenen Zweck, den sich jeder Mensch zu erreichen vornimmt, das heißt den der Glückseligkeit, und so nimmt der Mensch eine Berechnung vor, wobei die größere Befriedigung der geringeren vorgezogen wird (vgl. ebd. S. 205, 219). Das handelnde Subjekt ist also „kein gleichgültiges Doppelwesen“ (ebd. S. 257), gespalten zwischen Trieben und Neigungen einerseits und reiner Vernunft andererseits, sondern es ist vom Verstand gestützter Wille.12 Das zerbrechliche Gleichgewicht, das den Übergang von der Innerlichkeit zur Äußerlichkeit kennzeichnet, sowie das Sich-Vereinen von Subjektivität und Objektivität wird unvermeidlich beeinträchtigt und erweist sich als Quelle unend licher Widersprüche, wenn man sich nur in den Standpunkt eines der beiden Ele mente versetzt und es als dominierend ansieht. Dies ist genau der Punkt, der im Moralitätskapitel beschrieben wird. Bezüglich aller dieser Elemente konzentriert die Hegelsche Analyse ihre Aufmerksamkeit im Wesentlichen auf das Problem des Einzelsubjektes, das handeln muss, sowie auf sein Wissen und Wollen, auf seine Zurechenbarkeit.
6.2 6.2.1 Die ersten beiden Abschnitte der „Moralität“ behandeln verschiedene Aspekte der Zurechenbarkeit der Handlung, die unter dem Gesichtspunkt des individu ellen Bewusstseins, „pro foro interno“ betrachtet wird (so Peperzak 1991, S. 194).
12 Die individuelle und konkrete Handlung ist immer Ergebnis der Synthese zwischen den be gehrenden Energien des Subjektes einerseits und seiner Rationalität andererseits. Das Recht bei der und ihr notwendiges Zusammentreffen in der Handlung wird im Abschnitt „Psychologie“ der Enzyklopädie behandelt.
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Natürlich ist die Handlung eine komplexe Realität, die sich weder ausschließ lich auf die besonderen Beweggründe des Handelnden beschränkt, noch auf das Bewusstsein dessen, was er von dem hat, was er tut oder zu tun beabsichtigt, noch auf die Verantwortung, die er für das übernimmt, was er tut. Hegel versäumt es nicht, auf diese Komplexität hinzuweisen, wobei er auch in diesem Teil Beob achtungen zu rechtlichen und ethisch-institutionellen Bewertungen bezüglich der Verantwortung des Handelnden einfügt. Exkurs: Dies geschieht beispielsweise in § 116, wo auf die von Dingen erzeugten Schäden verwiesen wird, die „mehr oder weniger“ der Verantwortung ihres Besit zers zugeschrieben werden. Vor allem im zweiten Abschnitt wird das Thema ver tieft, wo die Zuschreibung der Handlung nicht nur auf meinen Vorsatz begrenzt wird, sondern unter einem erweiterten Gesichtspunkt betrachtet wird, und zwar nach dem Wert, den die Handlung insgesamt für mich und für die anderen hat, sowie nach dem beabsichtigten Ziel. In diesem Zusammenhang finden wir einen Hinweis auf den „dolus indirectus“ (§ 119 A) als Beispiel dafür, dass die juristi sche Perspektive derjenigen der Moral der Innerlichkeit zur Seite gestellt wird. Dies geschieht für den Fall, in dem Vorsatz und Absicht des Handelnden nicht völlig übereinstimmen (dazu siehe auch die verschiedenen, in der Anmerkung zu § 61 zitierten Beispiele der Mitschrift Wannenmann; PR-Wa S. 63 f.). Ein anderes Beispiel mag sein, dass Hegel auf der Grundlage des in § 130 der Grundlinien angeführten Prinzips („das Wohl ist nicht ein Gutes ohne das Recht“) verneint, dass die auf das Wohl Eines oder Vieler gerichtete Absicht eine unrechtmäßige Handlung darstellen könne (vgl. § 126; der Zusatz zu diesem Abschnitt erwähnt die bekannte Anekdote von Sankt Crispin, einem barmherzigen Manne, der Leder stahl, um den Armen Schuhe zu machen). Ein weiterer Fall ist im Verweis auf das Notrecht und das „beneficium competentiae“ gegeben. Das erste rührt aus der Definition des Lebens als Gesamtheit der „Besonderheit der Interessen des natür lichen Willens“ (§ 127). Das Leben hat eine höhere Berechtigung als das Recht, welches das Besitztum schützt. Deshalb gilt, „daß einem Schuldner Handwerks zeuge, Ackergeräthe, Kleider, überhaupt von seinem Vermögen, d. i. vom Eigen thum der Gläubiger, so viel gelassen wird, als zur Möglichkeit seiner – sogar stan desmäßigen Ernährung dienend, angesehen wird“ (§ 127 A). Das Recht auf Leben und Freiheit steht über jeglichem anderen Recht, und seine Verteidigung recht fertigt auch gewisse Formen des Unerlaubten (z. B. einen Diebstahl). In diesem Fall gilt genau jene Rechtfertigung, die der moralischen Absicht abgesprochen wird: Wenn man für das Ganze des Lebens Partei ergreift, werden nicht nur die besonderen Rechte zweitrangig, sondern auch die moralische Bewertung. „Die Noth“, so geht es im darauffolgenden § 128 weiter, „offenbart sowohl die Endlich keit und damit die Zufälligkeit des Rechts als [auch] des Wohls – des abstracten
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Daseyns der Freyheit, ohne daß es als Existenz der besondern Person ist, und der Sphäre des besondern Willens ohne die Allgemeinheit des Rechts“ (Zum Thema des Notrechts vgl. Schild 1989). Ausgangspunkt der ersten beiden Abschnitte des Moralitätskapitels ist in jedem Fall der Standpunkt des individuellen Bewusstseins. Diese Tatsache führt dazu, zwischen dem weiteren Begriff des ‚an etwas schuld sein‘ und dem Begriff des ‚an etwas Schuld haben‘ (vgl. § 115 A) zu unterscheiden. ‚Schuld an etwas sein‘ hängt davon ab, dass die vollendete Tat in der konkreten Situation eine Ver änderung verursacht; der Handelnde ist für die verursachte Modifikation verant wortlich. In dieser objektiven Betrachtung, die die Tat nach ihren Einzelheiten beschreibt, nach ihrer Wirklichkeit und ihren Konsequenzen, erkennt das indi viduelle Bewusstsein die Verantwortung nur unter der Bedingung an, dass die verursachte Veränderung in seinem Vorsatz enthalten war.13 Es handelt sich um ein Grundprinzip, das von der modernen Reflexion über die Moral ins Bewusstsein gerückt worden ist, wenn es auch bereits in den Aristotelischen Analysen zur Freiwilligkeit und Zuschreibbarkeit der Handlung vorliegt.14 Dieses Prinzip wird als „das Recht des Wissens“ (§ 117) des einzelnen Willens bezeichnet, der die Schuld für eine Tat nur anerkennt, wenn sie das betrifft, was in seinem Vorsatz enthalten war.15 Dieses Recht gilt sowohl in Bezug auf die Umstände, die zu einem bestimmten Ereignis beitragen, als auch auf grund seiner vielfältigen Konsequenzen. Sobald die Handlung sich vom Vorsatz trennt, der sie ausgelöst hat, kann sie Auswirkungen haben, die der Handelnde nicht gewollt oder einfach nicht vorausgesehen hatte. Handeln bedeutet, diese Tatsache anzuerkennen, sich dem Gesetz der Endlichkeit zu überlassen, das im Umschlagen der Notwendigkeit in Zufälligkeit und umgekehrt besteht (§ 118 A).
13 Stellen wir uns den folgenden Fall vor: Auf ein Auto fährt ein zweites Auto auf. Der erste Auto fahrer fährt nun aus Gründen, die nicht von seinem Willen abhängen, auf ein drittes Auto auf, das vor ihm fährt. Er ist nun objektiv schuld an diesem Unfall, aber subjektiv, vor seinem Gewis sen, hat er keine Schuld daran. Diese Tatsache schließt allerdings nicht seine Verantwortlichkeit unter anderen Aspekten aus, beispielsweise unter zivilrechtlichem oder strafrechtlichem As pekt, wenn er den Sicherheitsabstand oder die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht beachtet hat. 14 Anders liegt es beim Verhalten des „heroischen Selbstbewußtseyn[s]“, das ein zentraler Be griff in den großen tragischen Werken der Antike war. Dieses Selbstbewusstsein macht in der Tat keinen Unterschied zwischen „That“ und „Handlung“, zwischen dem Ereignis und dessen Folgen und dem individuellen Vorsatz, sondern „übernimmt die Schuld im ganzen Umfange der That“ (§ 118 A). 15 „Das Recht des Willens aber ist, in seiner That nur dieß als seine Handlung anzuerkennen, und nur an dem Schuld zu haben, was er von ihren Voraussetzungen in seinem Zwecke weiß, was davon in seinem Vorsatze lag. – Die That kann nur als Schuld des Willens zugerechnet werden; – das Recht des Wissens“ (§ 117).
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Und dennoch, gerade im Zusammenhang mit diesen Umständen und Folgen bekräftigt das individuelle Bewusstsein das Recht darauf, nur für das zur Verant wortung gezogen zu werden, was es bewusst gewollt hat. Die Handlung ist Ausdruck des Rechts auf Wissen. Dieses Wissen ist eine grundlegende Bewusstheit seiner selbst, ist Schutz der eigenen Ansicht der Wirk lichkeit, der eigenen Wahlmöglichkeiten und Entscheidungen, es ist Abgrenzung der Zurechnung der Handlung. Mittels dieses Wissens ist sich das Subjekt seiner selbst bewusst und trägt die Verantwortung für alles, was seinem Bewusstsein angehört. Die Stärke des Bewusstseins ist jedoch gleichzeitig Zeichen seiner Zer brechlichkeit und Endlichkeit, einer Endlichkeit, die als Gegenpart die Unkon trollierbarkeit der Handlung hat, sobald diese aus dem Innern des Vorsatzes her austritt und sich als vollzogene Tat in die Wirklichkeit und unter die Menschen begibt.
6.2.2 Während der erste Abschnitt der „Moralität“ die Zurechenbarkeit der Handlung von ihrem inneren Aspekt aus behandelt, betrachtet der zweite Abschnitt dieses gleiche Problem in Bezug auf die äußere Existenz der Handlung (§ 119). Das Urteil geht nun von der Betrachtung der Form auf die des Handlungsinhalts über und bewertet ein zweifaches Recht: das Recht der Absicht (§§ 119–120) und das Recht auf das Wohl (§§ 121–128); beide sind Ausdruck des allgemeineren Rechts auf Wissen, das vom einzelnen handelnden Bewusstsein geltend gemacht wird.16 Die Absicht betrachtet die Qualität der Handlung nicht in der Gesamtheit ihrer Aspekte, sondern nur gemäß dem Wert, den der Handelnde ihr zuschreibt, indem er festsetzt, ob sie bezüglich des bewusst gefassten Vorsatzes beispiels weise nur ein Schlag oder ein Totschlag, eine Brandstiftung oder ein Mord ist.17
16 Die Handlung ist immer eine solche, wenn sie von einem „Denkenden“ gewusst und gewollt wird (§ 120): Dieses Recht bringt mit sich „die gänzliche oder geringere Zurechnungsunfähigkeit der Kinder, Blödsinnigen, Verrückten u.s.f.“; in all diesen Situationen ist der Handelnde jedoch in einem Zustand der Unmündigkeit und wird nicht „nach der Ehre, ein Denkendes und ein Wille zu seyn“, behandelt (§ 120 A). 17 Von einem strukturellen Standpunkt aus kann man zweierlei bemerken: Das erste Moment der Moralität enthält zwei Bestimmungen zur Form der Handlung, die sich zueinander verhalten wie das abstrakte Allgemeine (der Vorsatz) sich zum konkreten Besonderen verhält (die Verant wortlichkeit des besonderen Willens für die einzelne Tat). Ebenso betrachtet das zweite Moment den Inhalt der Handlung unter dem Aspekt der formalen Allgemeinheit (die Absicht) und des konkreten Besonderen (das Wohl).
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Das Wort „Absicht“, so bemerkt Hegel, enthält auch etymologisch den Aspekt der Abstraktion. Diese zeigt sich als Isolierung eines einzelnen Aspektes im Zusam menhang von Elementen, die gemeinsam die Handlung bestimmen.18 Das bedeu tet, dass – in einer Handlung, die in sich und ihren Konsequenzen komplex ist, wie beispielsweise der Brand eines Gebäudes, in dem dann Personen zu Tode kommen – derjenige Aspekt isoliert wird, der das absichtliche Anstecken eines einzelnen Holzstückes betrifft. Ein solches Teilurteil über eine Handlung ist Ergebnis einerseits der subjektiven Reflexion, „die sich in die Zersplitterung in Einzelnheiten und Folgen einläßt, andererseits ist es die Natur der endlichen That selbst“ (§ 119 A), von der sich das Teilurteil herleitet, d. h. von der Endlich keit und Zufälligkeit, die sowohl das Handeln als auch das Subjekt der Handlung kennzeichnen. Eben diese Duplizität wird auch anlässlich des zweiten betrachte ten Elements, des Wohls, bekräftigt. Wenn Hegel versichert, dass der besondere Gehalt des Willens oder der Zweck, welchen er sich zu erreichen vornimmt, „die bestimmende Seele der Handlung“ ist, und wenn er „das Recht des Subjects, in der Handlung seine Befriedigung zu finden“, verteidigt (§ 121), distanziert er sich erneut von der Kantischen Moral lehre und nähert sich, wie bei nicht wenigen anderen Gelegenheiten, Bestim mungen der Aristotelischen praktischen Philosophie.19 Indem er das Recht des Subjekts bestätigt, in der Handlung seine Befriedigung zu finden, richtet Hegel die Aufmerksamkeit auf einen der Aspekte, die von der Kantischen Auffassung am meisten vernachlässigt werden. Es handelt sich um jenen der konkreten Handlung und der vielfachen besonderen Zwecke, die der Mensch in seinem tag täglichen Handeln verfolgt und die die Beweggründe seiner Handlungen bilden. Während bei Kant das moralische Interesse das Interesse der Vernunft ist und mit
18 „Absicht enthält etymologisch die Abstraction, theils die Form der Allgemeinheit, theils das Herausnehmen einer besondern Seite der concreten Sache. Das Bemühen der Rechtfertigung durch die Absicht ist das Isoliren einer einzelnen Seite überhaupt, die als das subjective Wesen der Handlung behauptet wird“ (§ 119 A). 19 Die Hegelsche Behauptung, dass der Zweck der Handlung ihr Inhalt sei und dass dieser In halt bestimmende Seele der Handlung sei, nimmt den Aristotelischen Begriff wieder auf, der den Antrieb der Handlung nicht der Vernunft zuschreibt, sondern dem Streben (orexis), dem eben die Bestimmung des Zwecks zukommt. In De anima heißt es: Die praktische Vernunft „unterscheidet sich von der theoretischen durch den Zweck“, und es ist das Streben, das den „Ausgangspunkt der praktischen Vernunft“ bildet, „und deswegen bewegt das Denken, weil sein Ausgangspunkt das Erstrebte ist“ (De an. III, 10; 433a 14–19). Die Einheit von Streben und Vernunft führt zur Wahl (prohairesis), die das wahre Prinzip der Handlung bildet, und es ist ein Prinzip, das den Men schen selbst definiert: „So ist die Willensentscheidung entweder strebende Vernunft (orektikos nous) oder rationelles Streben (orexis dianoêtikê), und das entsprechende Prinzip ist der Mensch (kai hê toiautê archê anthrôpos)“ (EN VI, 2; 1139b 4–5).
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der Achtung für das praktische Gesetz zusammenfällt, unterstreicht Hegel statt dessen die Notwendigkeit, dass die Handlung für den Handelnden von Interesse sei, dass sie von „Bedürfnissen, Neigungen, Leidenschaften, Meynungen, Einfäl len u.s.f.“ angetrieben werde (§ 123). Dieser Inhalt aber – und hier tritt der andere Aspekt des Rechts auf das Wohl hervor, nämlich jener kritisch-negative – ist ein bestimmter und endlicher Zweck; er kann in jedem Augenblick zugunsten eines anderen Zweckes geopfert werden (§ 122), in einer nie endenden Suche nach dem Wohl oder der Glückseligkeit.20 Auch bezüglich dieses Rechts auf Befriedigung gilt in der Tat die grundle gende Duplizität, die bereits anlässlich des allgemeineren Rechts des besonderen Willens hervorgehoben wurde. Einerseits gilt: Dieses Recht „macht den Wendeund Mittelpunkt in dem Unterschiede des Alterthums und der modernen Zeit“ (§ 124 A) aus und fällt, im Hinblick auf die Gesamtheit der Interessen oder der Zwecke des besonderen Willens, mit dem Leben selbst zusammen. Fixiert von der abstrakten Reflexion führt eben dieses Recht aber einerseits zu der Auffassung, dass die Moralität „nur als feindseliger Kampf gegen die eigene Befriedigung per ennire“, andererseits zur Anschauung „der psychologischen Kammerdiener, für welche es keine Helden giebt, nicht, weil diese keine Helden, sondern, weil jene nur die Kammerdiener sind“ (§ 124 A). Beide Standpunkte sind einseitig; der eine unterdrückt das Recht des Einzelnen im Namen der Pflicht, dem anderen gelingt es nicht, den allgemeinen Wert dessen zu sehen, was das Individuum tut. Daher ist es am Ende völlig zufällig, ob das Recht des Einzelnen auf das Wohl mit dem Recht der Anderen, vieler Anderer oder Aller auf das Wohl zusammentrifft (§ 125). Dieser Gedanke bestimmt den notwendigen Übergang zum folgenden Moment, und zwar dem Guten und dem Gewissen (§ 126). Die Darstellung dieser Aufhebung (vgl. hierzu Siep 1992, S. 217–239) findet aber tatsächlich nicht im dritten Abschnitt der „Moralität“ statt, denn hier, weit entfernt davon, gelöst zu werden, werden die bereits in den zwei vorangegangenen Abschnitten aufgetauchten Widersprü che zur höchsten Entfaltung gebracht. Das Gewissen drückt den Höhepunkt eines Willens aus, der in seinem Innern „eben so alle Bestimmtheit des Rechts, der Pflicht und des Daseyns in sich“ verflüchtigt, da er selbst festlegt, was gut und was richtig ist (§ 138).
20 Mit diesen negativen Aspekten des Rechts auf Befriedigung beschäftigen sich die §§ 395–398 der Heidelberger Enzyklopädie, die die Glückseligkeit als „die verworrene Vorstellung der Befrie digung aller Triebe, deren einer dem andern aber ganz oder zum Theil aufgeopfert, vorgezogen und vorgesetzt werden soll“, definieren (HE § 396); der Wille, da willkürlich, findet sich so vor dem Zwang, „zwischen Neigungen zu wählen zu haben“ (HE § 397), in einem „ins Unendliche“ gehenden Prozess (HE § 398).
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6.3 Nunmehr steht die Aufgabe an, die bisher hervorgehobenen Hinweise zu sammeln, um zu bewerten, inwieweit die im Moralitätskapitel der Grundlinien vorgenom mene Analyse zu einer weiteren Bestimmung des Handlungsbegriffs bei Hegel beiträgt. Da die Handlung Aktivität des Subjekts ist und als Prinzip die Einzelheit hat, tritt die Handlung in ihren strukturellen Merkmalen genau dort hervor, wo der Standpunkt des besonderen Willens dargestellt wird, des Individuums, das beschließt und sich entschließt (§ 12 A). Die drei Abschnitte der „Moralität“ führen einerseits dieses Prinzip aus, als Ausdruck der individuellen Freiheit, andererseits aber auch die Widersprüche und die Verdrehungen, zu denen die Dialektik des formellen moralischen Gewissens Anlass gibt. Das Gewissen ist dazu bestimmt, Übereinstimmungen der Subjektivität und der Objektivität zu finden, in denen das erste Element immer das zweite unterdrückt. Als geplante oder vollendete Tat ist die Handlung immer Objekt nicht nur der Ausführung, sondern auch der Beschreibung und Bewertung von irgendeiner Seite, sei es die Auffassung des handelnden Einzelsubjekts oder eine Gruppenmei nung, ein Richterspruch oder das Urteil eines Historikers. Daher kann die beson dere Perspektive, unter der Hegel in der „Moralität“ der Grundlinien die Handlung betrachtet, auf die Handlung im Allgemeinen ausgedehnt werden. Als Ausdruck der Intelligenz und des individuellen Willens hat die Handlung im Allgemeinen die Merkmale, die Hegel ihr in der „Moralität“ zuschreibt. Diese Tatsache impli ziert jedoch nicht gleichzeitig ihre „moralische Qualität“ (vgl. dazu Quante 1993, S. 211–232), ihr Gut- oder Böse-Sein, sondern nur die Behauptung des Rechts der Besonderheit des subjektiven Willens. Das ist der Grund, weshalb in der systema tischen Darstellung des Hegelschen Denkens das Moment der Moralität, die Hegel vorwiegend kritisiert, eine grundlegende und unersetzliche Funktion ausübt: Sie bewahrt in der Tat das Recht des Individuums auf sein Wissen und Wollen. Auf der anderen Seite spiegelt sich in der Handlung die grundsätzliche Duplizität wider, die die ganze „Moralität“ durchzieht. Es ist dem menschli chen Handeln eigen, sich in einer grundlegenden Dualität festzulegen, die dann zu unterschiedlichen Arten des Gegensatzes oder des Zwiespaltes Anlass gibt. Dieser Konflikt liegt im Handelnden selbst, der zwischen unterschiedlichen und oft entgegengesetzten Beweggründen wählen und entscheiden muss; es besteht ein Konflikt zwischen seinem Denken und seinem Wollen, zwischen seinem Plan und dem Urteil, das er oder andere über die vollendete Tat fällen. Das menschli che Handeln legt sich in einer ursprünglichen Spaltung fest, wenn es auch, inso fern es die Vereinigung von Innerem und Äußerem, Subjektivem und Objektivem ist, das Bedürfnis ausdrückt, diese Spaltung zu überwinden.
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Im Licht dieser Betrachtungen geht es nun darum, noch einmal die Bedeu tung der Definition zu erwägen, die Hegel für die Handlung als „Äußerung des Willens als subjektiven oder moralischen“ vorschlägt. Hierbei muss die Tatsa che vergegenwärtigt werden, dass diese Äußerung sich nicht nur in der Mora lität vollziehen kann, sondern jeden Ausdruck der Kreativität im menschlichen Geist durchziehen muss.21 Wenn es also wahr ist, dass das Subjekt „die Reihe seiner Handlungen“ ist, dann ist auch wahr, dass diese Behauptung – wie Hegel sich zu bemerken beeilt – zu zweierlei Interpretationen einlädt. „Sind diese eine Reihe werthloser Productionen, so ist die Subjectivität des Wollens ebenso eine werthlose; ist dagegen die Reihe seiner Thaten substantieller Natur, so ist es auch der innere Wille des Individuums“ (§ 124). Da das Subjekt einer Handlung immer ein Individuum ist, kann es seine grundlegende Freiheit in verschiedenen Formen erfahren und sie mittels seines Handelns verwirklichen. Hegel beschreibt den Höhepunkt dieser Freiheit, die eben deshalb absolut ist, weil sie von jeder Bedingtheit frei ist, als ein „im Anderen bei sich selbst sein“ und ein „Sich-Wie dererkennen im Anderen“, denn nur so ist es möglich, dass „alles Verhältniß der Abhängigkeit von etwas Anderem hinwegfällt“ (§ 23; zu dieser Bestimmung der Freiheit vgl. Wood 1990, S. 36–52). Das Recht auf Wissen und Selbstbestimmung verschwindet auf dieser seltenen, aber keineswegs unvorstellbaren Erfahrungs ebene nicht; vielmehr ist es genau dies, was in der Handlung des Einzelnen das „Substantielle“ ausmacht; hier gibt es den Fall eines Subjekts, das eine Freiheit und ein Wissen lebt, die zwar individueller Art, aber nicht auf eine besondere Perspektive beschränkt sind (für Ausführungen zu dieser These vgl. Mene goni 1982). Als Äußerung des subjektiven und besonderen Willens bestimmt die Hand lung, wer der Mensch ist. Seine objektiv moralische Qualität (also nicht nur vom Standpunkt der Moral der Innerlichkeit aus betrachtet) wird nicht von einer einzi gen Tat bestimmt (eine einzige mutige Handlung genügt nicht, um von jemandem
21 Um eine vollständige Darstellung der Züge der Hegelschen Handlungstheorie zu geben, muss man deshalb über die Grundlinien hinausgehen. Man muss die Beschreibung von einzelnen und kollektiven Taten, Tätigkeiten und Handlungen berücksichtigen, die gemeinsam mit der Indivi duation der Merkmale, die das handelnde Subjekt definieren, in den verschiedenen Teilen der Enzyklopädie vorgestellt werden. Dabei darf man nicht die eindringlichen Seiten der Phänome nologie übergehen, welche die Aspekte des Unterschieds, der Verschiedenheit und der Spaltung erfassen, die Schlüsselbegriffe des menschlichen Handelns sind (vgl. die Abschnitte VB, VCa, VICc; PG S. 263–291, 294–311, 464–494). Schließlich darf man auch nicht die Analysen vergessen, die in den Vorlesungen über die Ästhetik (TW 13–15) vorgenommen werden und den Ursprung der Handlung in das Zusammentreffen von Umständen, Beweggründen und individuellen Merkma len verlegen.
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zu sagen, er sei mutig; ebenso genügt nicht eine einzige wohltätige Handlung, um jemanden als großzügig erscheinen zu lassen). Das, was das Subjekt ist, ist es in der Gesamtheit seiner Handlungen. In ihnen bestätigt sich immer und grundsätz lich seine Besonderheit, eine Besonderheit aber, die sich verabsolutieren oder sich in seinem Anderen suchen und erkennen kann. Es geht nicht um das Wesen der Handlung, sondern um ihre moralische Qualität und damit um die morali sche Qualität dessen, der die Handlung vollzieht. (Aus dem Italienischen von Sigrid Peitz)
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7 Hegel’s Critique of Morality The best known aspect of Hegel’s ethical thought is probably his famous distinction between “morality” (Moralität) and “ethical life” (Sittlichkeit). Both refer to moral norms and duties, but the “moral” standpoint regards these individualistically, from the standpoint of the moral subject reasoning about what to do on the basis of individual reflection, whereas the “ethical” standpoint regards them as expressive of a social order, and roots their claim on the individual in the individual’s nature as a social being. Hegel is usually taken to be a critic of morality and a defender of ethical life. Common interpretations of Hegel’s position usually start from the fact that in ordinary German, the term Sittlichkeit means something like “customary morality” or even “customariness”. Taking off from this fact, Hegel is often interpreted as rejecting moral attitudes such as rationalism and individualism, and to be advocating an uncritical acceptance of social custom and tradition as the sole standard by which people should regulate their lives. They are also usually based on the fact that Hegel often associates the term “morality” with the moral theory of Kant. Thus Hegel’s attitude toward “morality” is associated with his famous (or infamous) criticisms of Kant’s moral theory. In both respects, the common interpretations are serious distortions of Hegel’s position, which reflect nearly two centuries of philosophical prejudice which treats the Kantian and Hegelian positions in philosophy as mutually hostile rather than seeing them as what they are – two versions of an ethics of rational autonomy supporting a distinctively modern, Enlightenment vision of a free society.
7.1 Development of Hegel’s distinction between “morality” and “ethical life” An examination of Hegel’s earliest thinking on moral topics, however, might seem to confirm the common interpretation. For Hegel began to criticize “morality” even before he even had a name for what he was criticizing. His earliest reflections in the Tübingen and Bern manuscripts (1793–1796) have a historicaltheological setting. They praise the “folk religion” of ancient Greece for its spirit of naive self-harmony, in which there is no opposition between the natural and the divine or between good of the individual and that of society. DOI:10.1515/9783110496529-010
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Greek religious culture is sharply contrasted with Hebrew religion, seen as a “positive” religion of self-alienation and servile devotion to statutes legislated by an arbitrary divine tyrant hostile both to nature and the human world. In this context, Hegel interprets the religious reform of Jesus as a universal moral religion, in the spirit of Kant’s recently published Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (cf. AA VI). Hegel sees this moral religion as the attempt to affirm rational selfhood against the self-alienation of Judaism, but in a context which has never known any free or harmonious social order such as the Greek (cf. VuCh; PchR). The treatment of the Christian-Kantian moral religion is positive in contrast to Jewish positivity, but Hegel’s ideal is plainly the beautiful simplicity of Greek paganism. When Hegel moved from Bern to Frankfurt in 1796, his thinking took a new and even more antinomian turn, as he began to include Kantian morality along with positive religion among the objects of his attack. Moral religion is still seen as overcoming the “positivity” of a merely statutory religion, but only because it internalizes the division between the tyrannical lawgiving and servile obedience. Kantian morality remains unfree because the natural or particular aspect of the self (the aspect belonging to empirical desire and inclination) is alienated from the lawgiving function of reason. The true spirit of Christianity, Hegel now maintains, is a spirit of love, which is a fulfillment (pleroma) of the moral law through its abolition of the form of law and the idea of duty (GCh pp. 113–178). True religion requires “a spirit elevated above morality” (ibid. p. 324). Hegel’s criticism of Kantian morality at this stage brings against it four interrelated charges: (1) It alienates reason from sensible inclination (cf. ibid. p. 152– 153). (2) Because it is hostile to sensible motives, and because action requires sensible as well as rational motives, morality is consequently impotent to accomplish the good it intends; hence it remains a mere “ought”, devoid of actuality (SP p. 615; GCh pp. 117–118, 153–155). (3) Because it is devoid of sensuous inclination, it never loves the good, and never gets farther than empty intentions or the introverted preoccupation with its own virtuous motives. For this reason, morality is also inherently hypocritical or “pharisaical” (GCh pp. 171–173). Hegel grounds all these faults in a social analysis – in the fact that Kantian morality is merely the expression of an alienated social order. Morality is divorced from healthy human relations and social forms within which the good is done spontaneously and habitually through love rather than through inner coercion through the thought of duty (GCh p. 152–153). A true moral-religious sensibility will require a new social order, free and harmonious, for which Hegel’s model is still the lost grandeur of ancient Greece. The early writings, however, still do not contain what will probably become the best known of Hegel’s charges against Kantian ethics and the standpoint of
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“morality”: (4) that its principles are empty of content, unable to supply an adequate doctrine of duties or even to distinguish right actions from wrong ones. This first appears in Hegel’s earliest published writing, Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie (1801; cf. DFS). It was not until a year later that Hegel began explicitly to employ the distinction between Moralität and Sittlichkeit, in the essays Glauben und Wissen (cf. GuW) and Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts (which contains the lengthiest single presentation of the “emptiness charge” to be found anywhere in Hegel’s writings (NR pp. 434–441)). In Hegel’s Phänomenologie des Geistes, both the emptiness charge and other criticisms of morality are given an important place in Chapters V and VI (PG 419–437, 596–631).1 During the early Jena period, Hegel also began to state his position in terms of the opposition between Moralität and Sittlichkeit. This terminology may have been suggested by Schelling’s manuscript Neue Deduktion des Naturrechts (1796), which distinguishes “morals,” as a “law addressed only to the individual,” from “ethics” (Ethik), which sets up “a commandment which presupposes a realm of moral beings and secures the selfhood of all individuals” (Schelling 1927, p. 176). Here “ethics” refers to a set of laws or principles distinct from the external laws of right, which are social in contrast to a purely personal moral code. In Hegel’s Phänomenologie, “ethical life” is equated with the “immediate” or “substantial” stage of “spirit,” identified with the noble simplicity and harmony of ancient Greek society. “Morality”, by contrast, represents the reflective or subjective spi ritual consciousness which has gone through the trauma of the French Revolution and has internalized the demands for absolute freedom it represents. This means that there is something paradoxical in Hegel’s treatment of the distinction in the Phänomenologie. He regards “morality” as a historical development out of ethical life, hence a higher, freer, more progressive development of it; yet he also continues to regard ethical life as the “absolute standpoint,” and to criticize morality as a one-sided, excessively subjective view of ethical reality. One lesson we should learn from this is not to take too simplistic a view of the significance of “developmental stages” in Hegel’s systematic treatment of a subject matter. One main point of Hegel’s dialectic is to reject the conception that oppositions must be fixed, and that between opposites it is necessary to choose unambiguously for one over the other. It follows that in a Hegelian dialectical process, “later” does not always mean “better,” or at least not unambiguously so. Specifically, in Hegel’s distinction between “morality” and “ethical life” we are bound
1 Anm. d. Red.: Die Zahlen verweisen auf die Nummer des Absatzes, die in der engl. Ausgabe der Phänomenologie des Geistes durchnummeriert sind.
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to go wrong if we see the two sides as mutually exclusive, and Hegel as simply embracing one and opposing the other. In Hegel’s early writings, and even into the Jena period, he appears to regard Greek society as a kind of “golden age” from which modernity represents, in certain important respects, a decline. When the Vorrede to the Phänomenologie calls the present “a birth time and a period of transition to a new era” (PG 11), he apparently thinks that the coming age will overcome the limitations of the age characterized by the standpoint of morality, and achieve a new, higher harmony, an “ethical life” in some way modelled on the lost greatness of ancient Greece, but capturing its spiritual harmony not at the level of immediacy but on a higher, more reflective, more conceptual plane. During the Jena period, however, he had no clear conception of how this higher synthesis was to be achieved; in particular, he had no clear view of the positive role individual subjectivity, characteristic of the moral standpoint, would play in it. By 1816, when Hegel became professor at Heidelberg (ending an eight year hiatus in his university career), he had arrived at a solution to this problem which enabled him to conceive modern society itself as the higher form of ethical life sought for during the Bern, Frankfurt and Jena periods. As part of this positive conception of modernity, Hegel now resolves his ambivalence toward morality, and is finally able to articulate his positive conception of it. The key to this solution was his recognition of “civil society” as a social realm, distinct from the political state, in which individuals may actualize their subjective freedom. Civil society thus gives ethical reality to the standpoint of morality itself, and at the same time, by displaying modern society as a higher and freer social order than any previous one, situates the moral standpoint historically and shows how an ethical life which includes this standpoint is higher and freer than all earlier forms of ethical life. It is true that in his later writings Hegel continues to criticize the moral standpoint and to display its limitations in relation to the standpoint of ethical life. But he now has a deeper conception of ethical life into which morality has been positively integrated as one of its essential elements. When we are discussing Hegel’s mature thought, therefore, we describe things one-sidedly if we speak only of Hegel’s “critique” of morality, unless we also emphasize the determinate and affirmative role he assigns to the moral sphere. Hegel’s last (and in that sense, definitive) treatment of morality is to be found in Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821). His discussion of the limitation of the moral standpoint is to be found in §§ 129–141. After saying a bit more about what “morality” and “ethical life” themselves are, we will examine Hegel’s mature critique of morality through a brief and selective commentary on those paragraphs.
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7.2 Ethical life Above “morality” and “ethical life” were characterized provisionally as moral norms and duties, approached respectively from the “individualistic” and “social” standpoints. But such characterizations are vague, and very likely misleading. They might suggest, for example, that the “moral” approach is one which values individuality (individual rights, individual freedom) above such collective goods as solidarity and adherence to social traditions, while the “ethical” approach expresses opposed priorities and a willingness to sacrifice or suppress individuality for the sake of the collective (its cohesiveness, opinions, customs, usages). This is the way things are usually understood when Hegel is interpreted simplis tically as a proponent of ethical life and an enemy of morality. But it seriously distorts Hegel’s conception of the ethical as “the identity of universal and particular” (GuW p. 409). For Hegel, the ethical is not the negation or suppression of individuality but rather its immediately harmonious or unalienated relation to the universal or social: “Ethical self-consciousness is immediately one with its essential being through the universality of its self” (PG 436). There can be no harmony between universal and individual, however, unless both principles are present. Ethical life, therefore, just as much as morality, involves the affirmation of individuality, albeit in a distinctive way. The ethical is, to be sure, the social or collective, regarded as the “essence” or “unmoved mover” residing in individual consciousness (§ 142). But it equally requires individual self-consciousness of this “unmoved mover” as the basis of one’s individuality. For truly ethical existence to be possible, “the subject must have developed to a condition of free individuality in which it is fully conscious of the eternally unmoved mover, and each individual must be free and independent in its own right” (RH p. 77). Thus according to Hegel, a society such as ancient Persia was not an ethical order because there individuality is submerged in universality and the distinction between them remains wholly unarticulated (cf. R § 355). The Greeks represent the first truly ethical order precisely because it is there that the principle of individuality first emerged (cf. § 356). Such practices as ancient slavery (even in Greece) and (under Roman law) the ownership of children by their fathers are condemned by Hegel as “unethical” because they involve the suppression of the rights of individuality (cf. §§ 2 R p. 295 u. 297, 57 A, 175 R p. 761, 180 A). For similar reasons, Hegel insists that modern social life is “more ethical” (or a higher stage of the ethical) than the ethical life of ancient Greece, because only in modern society has the principle of individuality become fully liberated (VPWG-Hof p. 249–250; R § 150 R p. 717). But this liberation of the principle of individuality is found precisely in the moral sphere. Hence modern ethical life is the highest form of the ethical not by excluding morality but on
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the contrary, only because it includes morality as an independent and essential moment. Hegel’s view is that wherever individual self-consciousness is found, its content is ethical in nature – in other words, that the needs, desires, values and so on with which individuals identify themselves are always to be understood as expressions of the culture in which they have been socialized. This is no less true of selves in cultures which affirm the value of individual freedom and subjectivity than in those which fail to recognize this value. The standpoint of morality differs from that of ethical life not by the fact that it values individuality more than ethical life does, but rather by the fact that it sees the relationship between individual self-consciousness and its content abstractly, from the standpoint of individual self-consciousness, treating this as something that might be viewed as entirely independent of the “unmoved mover” which provides the self with its social substance.
7.3 The moral standpoint In the Naturrechtsaufsatz, Hegel defines “morality” as “the formal positing, in mutual indifference, of the specific terms of the relation” (NR p. 468). That is, the moral point of view treats individual agency as something which is only accidentally related to the social forms within which it exists, and which (in Hegel’s view) provide it with whatever content it has. Morality must likewise treat these social forms as accidental in relation to individuals, for example, as nothing but the cumulative causal results of individual acts of choice (as is done by those social theorists who insist on reducing all social formations and relationships to “microfoundations”). It is in this sense only that morality “makes being for itself and individuality into a principle” (NR p. 467). The ethical standpoint, by contrast, is one which includes “the relation of the individual’s ethical life to real absolute ethical life” (ibid.). The superiority of ethical life over morality is not a difference between value priorities, but a difference between abstract and concrete ways of viewing the same reality. As a substantive value, individual freedom is affirmed every bit as much by ethical life as it is by morality. In fact, even the affirmation of it found in the moral standpoint is, in Hegel’s view, simply an expression of the (modern, fully developed) ethical life within which the moral standpoint itself has achieved its development. In Hegel’s view, the ethical standpoint is superior to the moral solely because it has a more adequate (more comprehensive and concrete) comprehension of human agency and the social reality in which it is embedded. Subjectively regarded, the ethical attitude for Hegel is one of immediate identity with one’s social self. Ethically disposed individuals do what they should
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immediately, unreflectively, simply because it is their nature as social individuals to fulfill their ethical vocation (cf. R § 146). This Hegelian point is sometimes twisted by misinterpretation into the idea that Hegel recommends unthinking adherence to custom and is suspicious of all forms of critical reflection (especially critical reflection on existing social reality). But we have seen that for Hegel, the ethical is an objective standard of social rationality, hence a kind of rational reflection on society, and not at all a prohibition on such reflection. Hegel sometimes does refer to the ethical attitude as an unreflective one, but when he does so, the term suddenly (and perhaps surprisingly) takes on negative connotations. Regarded as a “totally objective will, lacking the infinite form of self-consciousness” the “ethical” will is categorized as an unfree will, along with the will of the slave or the superstitious person (§ 26). More commonly, Hegel regards the ethical attitude of identity with one’s social situation as the foundation for more reflective attitudes, first the reflective attitudes of faith and trust in the social order, then of insight grounded on various reasons, and finally of rational philosophical comprehension (cf. § 147 A; cf. Siep 1983). In fact, it is precisely Hegel’s avowed aim in the Grundlinien to provide ethical institutions with this reflective comprehension of their rationality.2 But Hegel’s critics may object here that Hegel at least assumes that the result of reflection, reasoning and science is to confirm the rightness of the surrounding ethical life. They may point out that according to Hegel himself it is only from the moral point of view, which Hegel rejects, that can fundamentally challenge the rationality of the existing social order. But a closer look shows that Hegel does not reject radical moral criticism of an ethical order “in epochs when what is recognized as right and good in actuality and custom (Sitte) is unable to satisfy the better will” (§ 138 and A). lt is true that he is convinced that the modern ethical order is fundamentally rational, but even so he distinguishes (as we have seen) the “actuality” of the ethical order (regarded as a norm or ideal toward which reason tends) from the mere “existence” of the social order, “which is a sphere of arbitrariness, contingency and error, and bad behavior may disfigure it in many ways” (§ 258 R, cf. PR-Grie p. 1406, cf. R (ed. Wood) pp. 15 f.). He regards it as obvious that in the sphere of contingency “anyone may see a great deal around him that is not as it ought to be” (E § 6 A). Hegel is therefore claiming at most that the modern state is fundamentally rational (rational to the
2 “The truth concerning right, ethics, and the state,” he says, “inasmuch as the thinking mind [Geist] is not content to possess it in a proximate manner,” needs to be “comprehended as well, so that the content which is already rational in itself may also gain a rational form and thereby appear justified to free thinking” (R (ed. Wood) p. 11).
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extent that it is actual), not that it is immune to rational criticism or exempt from practical reform.
7.4 Psychological issues: duty vs. inclination Hegel defines the moral standpoint as “the formal positing, in mutual indifference, of the specific terms of the relation” between the universal and particular in ethical life (NR p. 468). As is often the case in Hegel, this formula has more than one application, and is intended to indicate a connection between phenomena which might superficially seem to have little or no relation to one another. For Hegel, when the moral standpoint becomes a view abstracted from and opposed to that of ethical life, the two turn into contrasting views of the world and even two different experiences of the life of a free agent. This contrast shows itself in a variety of ways. One relation between universal and particular which constitutes ethical life is a psychological relation within the individual between a rational conception of what ought to be and the immediate or sensuous desires from which individuals spontaneously act. When the two are in proper ethical harmony, they achieve a condition which Hegel, following Aristotle, calls ethical ‘virtue’ (§ 150 A). The universal or rational capacity of the individual then expresses itself spontaneously through particular desires which are in harmony with the universal (PG 622). Virtues are intelligent dispositions, inclinations to do as one ought, to be pleased by doing ethically right actions, pained by wrong ones. “We call it virtue when the passions (inclinations) are so related to reason that they do what reason commands” (VGP II p. 223). The moral standpoint, however, posits the two sides of this relation in mutual indifference from one another. It identifies reason with the abstract identity of the understanding – the self which stands over against the sensuous desires through which this self relates to otherness (cf. E § 54 and A; R § 135 A ). In consequence of this, it regards empirical desires or inclinations in general as something opposed to reason, hence as something which must be resisted or constrained, just as it represents the rational self as merely the source of this constraining command or “ought”, directed at a sensuous nature alien to it. We have already seen how in his early writings Hegel had already used this analysis to infer the impotence and hypocrisy of morality. In later writings these charges are raised again, usually in connection with the emptiness charge (which we will be examining presently). They are especially raised via the stage of moral reflection which Hegel calls “conscience” (PG 632–671, R §§ 139–140). The argument is basically that genuine and effective action must engage our nature on all
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levels, passion and sensuous desire as much as reason, so that by treating reason and inclination as indifferent or even hostile to one another, morality reduces itself to an empty ‘ought’ which is unable to make itself actual, or even to give itself content on the level of action. Morality thus condemns itself to hypocrisy insofar as its standpoint must always remain that of issuing commandments it cannot follow, and standing by with hands folded, judging and condemning any action that does occur on account of the empirical motivation which is indispensable to it (PG 664–666).
7.5 Social issues: moral action and the rational society The relation of universal to particular also has a social meaning, which is equally intended in Hegel’s critique of morality. Here the universal refers to a set of rational social institutions and practices and the collective good which is to be achieved by following them; the particular is the good of the individual, the subjective freedom and subjective satisfaction which the subject aims at in every action (even the most selfless). From the ethical standpoint, these are merely two sides of any action, but because it regards action solely from the standpoint of the individual subject, morality treats them as separate and indifferent to one another (cf. R §§ 105–114, 129–131). Institutions and collective forms of action are viewed merely as external conditions of deliberation, or else as the cumulative results of many individual actions. In the Phänomenologie, Hegel argues that the collective actions of spirit cannot be comprehended in any such way (cf. PG 397–418). By contrast, the ethical standpoint regards individual agents as accidents of a spiritual substance, and in the ends and motives of individuals it sees the substantial collective or ethical powers which lie behind them (PG 432–443, §§ 142–145). Individual goods (subjective freedom, satisfaction self-interest) are never independent and self-supporting and should not be taken as the starting point for understanding the collective action of institutions and social forms. On the contrary, individual ends must always be seen as the appearance of a larger spiritual good, which achieves actuality only through the action of particular individuals and their subjectivity (cf. R §§ 146–147). It might seem as if what I have just called the “psychological” and “social” meanings of the universal-particular relation are quite distinct, so that Hegel’s talk about the relation itself is in this respect simply ambiguous or homonymous. But this is not the way Hegel regards the matter. He sees the two meanings of the distinction as closely connected to each other, in fact as simply two aspects or
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moments of one and the same relation. The identity (or connection) he has in mind may perhaps be best brought out by considering the thesis that morality’s division between reason and inclination does sometimes in fact exist, but only as a result of an ethical defect, that is, a disharmony in the system of social relations within which individuals live and act. Hegel says that it is the “right” of individuals to belong to a social order in which their individuality is actual, and that this happens only when their “essence” achieves “truth” in an objective ethical order (§ 153). What this means is that individuals achieve a genuinely ethical harmony of universal and parti cular (or reason and inclination) only within a social order of a certain kind. In such a society, individuals have social roles available to them which involve a substantial harmony between their fulfillment as individual subjects and their achievement of the larger collective good of the society. By fulfilling ethical duties (the duties determined by the situation and relationship in which they find themselves), individuals also liberate and fulfill themselves as individuals (cf. §§ 149– 150). On the other hand, in an ethically unhealthy society, where individual activity takes the form of private self-seeking which systematically diverges from the good of the social whole, individuals are alienated from their ethical destiny; a real division opens up between the subjective and the ethical good, which is theoretically represented from a moral standpoint as the mutual hostility between duty and inclination. This points to an important respect in which “ethical life” for Hegel is always an idea or a rational standard, and never refers simply to a social order as it contingently exists. As Hegel often emphasizes, ethical life is the “actuality” of a social order, which is supposed to be embodied (albeit imperfectly) in any existing social order (cf. § 258 A, p. 201 ff.; cf. E § 6). Thus “ethical life” never refers simply to existing customs and folkways, and Hegel never claims that these are unqualifiedly rational or as they ought to be. It is this fundamental misunderstanding which lies behind the common error which regards Hegel’s philosophy as “quietistic,” or an unconditional apology for the status quo. Kantian morality demands that our actions should embody freedom or autonomous rationality, but, conditioned by the moral standpoint, it assumes that whether this happens is always up to each individual. From the standpoint of ethical life, we can see that the possibility of free and rational action has social conditions as well. One can act freely or autonomously only as a member of a rational social order, which involves the interpenetration of universal and particular in which rationality itself consists (cf. § 258 A). For Hegel, therefore, moral, freedom is not, as in Kant, a metaphysical postulate, but a spiritual requirement which is fulfilled only in a certain kind of society, characterized by institutions and attitudes which make moral freedom into an actuality (cf. Pippin 1995).
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7.6 Moral faith Hegel’s critique of the moral standpoint also includes a critique of the “moral view of the world,” as represented by the Kantian doctrine of moral religious faith. This theme is especially prominent in the Phänomenologie des Geistes (cf. PG 599–631). Here the separateness and mutual indifference of the universal and particular assumes yet a third form: the opposition between morality and nature. Morality makes demands with universal validity, but must actualize them in a nature about which there is no antecedent guarantee that it is susceptible to them. The issue here is in part whether the course of nature will conform to what is morally good (whether happiness will be proportioned to worthiness to be happy). This leads the moral standpoint to adopt a belief in God as providential ruler of nature but also whether the natural constitution of moral agents themselves can be brought into conformity with the demands of morality (the issue of moral progress). For Kant this leads to the postulate of immortality of the soul, which Hegel describes as the postulate that “[m]orality itself thus exists in another being than the actual consciousness” (PG 626). It is in Hegel’s view a mark of the alienation characterizing the moral standpoint that it should regard morality itself as unactual in the moral subject, but present only in a future life, or in an endless progression that will never reach its goal (compare Kant Kritik der praktischen Vernunft, AA V, pp. 121–124). Hegel’s criticism of the moral world view is that morality must, on the one hand, view its ends, including its conception of society and the order of nature generally, as objects of individual volition and striving; but viewed in this way, the individual cannot hope to effect them. So, on the other hand, it must also view these ends as objects of an otherworldly (supernatural or divine) agency, which fashions nature so that it conforms to morality. But to view morality’s ends in the latter way is to view them as already achieved independently of individual agency and thus to render the agent’s own efforts superfluous – although from the first standpoint they were regarded as the essential thing (and it was to save them that moral faith was introduced to begin with). Hegel thus sees the moral standpoint as condemned to a “duplicity” (Verstellung) in its fundamental view of the world, as it shifts back and forth between the viewpoint of the individual agent and that of divine providence. The suggestion, once again, is that the moral standpoint is involved in hypocrisy: for in regard to the larger ends of morality, it is in danger of not taking individual agency seriously at all, while at the same time proclaiming this as the only thing that matters. The way out of these problems, once again, is to advance to the ethical standpoint, which comprehends individual agency as integrated into a rational social order, which is the good made alive or self-moving and self-actualizing (cf.
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R § 142). From this standpoint, God is not an otherworldly agency merely believed in; providence is the immanent rationality of the ethical order itself, which individuals know immediately as the universal aspect of their own work for the common good. The paradoxes of morality arise only because individual agency has been abstracted from the social reality which gives it its power as well as its content, and treated as something absolute in its own right. Once the abstraction has been overcome, the need for moral faith in a transcendent God, and a “moral world” distinct from actuality, will disappear. For Hegel, the divine is not merely an object of faith, but is revealed to reason in the order of nature, the rational progression of history, and especially in the social world, the ethical life of the modern state (cf. § 258 A).
7.7 Emptiness: §§ 129–141 The “emptiness” charge is often understood as chiefly a criticism of Kant’s moral theory, or even of a single Kantian formula, the formula of universal law (for a discussion of these aspects of the charge, see Wood 1990, Chapter 9, esp. §§ 2–10). But Hegel intends it as a criticism of the moral standpoint generally, and it is in this light that we will view it here (through a brief consideration of the relevant paragraphs in Hegel’s Grundlinien.) Moreover, we will see that essential elements of the charge in this general form depend on Hegel’s agreement with Kant on certain fundamentals both of ethical theory and about the moral standpoint. According to § 129, the moral point of view is fundamentally characterized by its comprehensive end, the good. Hegel’s conception of the good, like Kant’s conception of the summum bonum includes two elements, related conditionally. For Hegel these elements are right and welfare (§ 130).3 The subjective will acts as it ought when its insight and intention accord with the good (§ 131). Further, Hegel insists that the subjective will has a “right of insight into the good” (§ 132 R), that is, the right that it should be held responsible for its actions according to its insight into the good and its cognizance of the good (§ 132 and R p. 647). From the moral standpoint, the good as an essential determination of the will constitutes duty (§ 133). Because the subjective will is to be judged by its intention, and intention is the universal description of the deed for whose sake it is
3 See Kant Kritik der praktischen Vernunft (AA V, pp. 110–113). Hegel’s reasons differing with Kant on the unconditioned component of the good are discussed at Wood 1990, pp. 148–153.
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done (§§ 119–120), Hegel concludes, in agreement with Kant, that the subjective will ought not only to do its duty, but also do it for duty’s sake (§ 133).4 In Hegel’s formula for the good, “right” refers to “abstract right,” the rights of persons over an external sphere of arbitrary freedom, beginning with their own bodies and extending to all their property (§§ 41–45). “Welfare” refers to the satisfaction of empirical drives or desires, as organized by the will into an idea of happiness (cf. §§ 17–20, 121–125). Therefore, the good consists in the satisfaction of the desires of subjects, on the condition that it involves no violation of people’s rights. The good will is one which has a correct understanding of what actions are required to produce the good (so that its “insight”) accords with the good, and then does those actions because it regards the production of the good as desirable (so that its “intention” accords with the good). In the Grundlinien, Hegel’s emptiness charge primarily takes the form of arguing that the good, as formulated above from the moral standpoint, is not sufficient to provide moral duty with a determinate content (§ 134). Hegel finds indeterminacy in both elements of the good. First, Hegel regards abstract right in as general as indeterminate regarding its precise scope and extent (cf. § 49). It becomes determinate only through a specific code of legislation, which belongs to the ethical life of a community – specifically, to a particular civil society (cf. §§ 210, 213–214, 216–218). Further, even the unconditioned status of right in relation to welfare may be called into question when “welfare” refers to the entirety of a person’s well-being, that is, to life or livelihood itself. One person’s right of property should not take precedence over another’s life: for example, a bankrupt debtor must not be deprived of the tools of his trade and stealing a loaf of bread to prevent starvation is not to be treated as a normal case of theft (cf. § 127 A and PR-Hot p. 888). This “right of necessity,” in fact, had just been emphasized prior to the introduction of the idea of the good, as an illustration of the thesis that the sphere of morality as a whole has a “higher right” than that of abstract right (§§ 127–128). The priority of right over welfare in the good, therefore, means only that we must not seek anyone’s welfare by means of a wrong, that is, a violation of a valid right. But this principle leaves it indeterminate when something counts as a valid right, and even allows welfare itself, in certain cases, to override what would normally count as a valid right. Welfare is the conditioned component of the good, but since welfare is the proper object of the subjective will, it actually constitutes the chief content of the good (cf. § 123). But this content is also indeterminate in several ways. First,
4 But he does not maintain that the will must act only for duty’s sake. On this see Wood 1990, pp. 148–153.
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as included in the good, it is present only as universal welfare (cf. §§ 130, 134). This means that it is indeterminate whose welfare is in question, and the universal welfare contains no principles enabling us to prefer one person’s welfare over another’s. As for the utilitarian principle that welfare should be maximized, Hegel follows Kant in denying that the idea of welfare or happiness is determinate enough to enable such judgments to be made. Even the components of an individual’s happiness are merely a plurality of different drives, containing no “yardstick” in themselves by which they might be compared with one another (§§ 17, 20–21; compare Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, pp. 417–419). Therefore, following Kant, Hegel maintains that happiness, as the “greatest sum of satisfaction” is not something that can be read off of one’s desires but is an idea actively made by an individual with the aim of setting principles and priorities among different desires (cf. § 20); the framing of such an idea is therefore part of the rational self-government of an individual according to principles, and this is why for Hegel the truth of that idea is freedom (or autonomy) as the self-determination of the rational will (cf. § 21). By the same token, judgments about the greatest collective welfare are never merely a matter of empirical observation, but rather follow from ethical principles which are bound up with the rational practices of a community. Specifically, Hegel thinks, they belong to the satisfaction of needs in the institutions of civil society (cf. §§ 184–185). From the moral standpoint, then, the good itself cannot serve as a determinant of the content of duty; this must be determined by the rational subject itself. But there is in the concept of this subject also no objective determinant of duty, since the subjective ‘I’ is nothing but “abstract universality” or “identity without content” (§ 135). This is the point at which Hegel alludes to Kant’s formula of universal law, claiming that it provides no moral criterion except absence of formal contradiction (cf. § 135 A and Z, TW 7 S. 254). It is common for Kantians to object at this point that Hegel has misunderstood Kant’s formula, but they usually do not see that even if they are right, Hegel’s main point remains untouched. For his thesis is that the autonomous legislating self – as it must be conceived by the moral standpoint, in abstraction from an ethical context – can be nothing else but abstract self-identity (cf. E § 52), and therefore that morality has no other criterion available to it. (A careful reading of § 135 will show that this is also Hegel’s charge against Kant; cf. also E § 54; and see Wood 1990, pp. 161–163).
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7.8 Conscience Hegel acknowledges, however, that moral subjectivity does make judgments about the content of its duties. Its name in this judging function is conscience (cf. R § 136). Hegel regards conscience as not only a legitimate part of morality, but even as its highest stage (§§ 136–138; cf. PG 632–654). At this point, Hegel’s account of morality remains very close to that of Fichte’s System der Sittenlehre. There Fichte characterizes putatively contentful principles (such as Kant’s formula of universal law) as merely heuristic in value, and insists that the ultimate criterion of duty must be the purely formal one: “Act according to your conscience” (see Fichte, System der Sittenlehre GA I,5 pp. 145–146). Hegel diverges from Fichte only in insisting that conscience cannot derive its objective content from the I regarded as an abstract moral subject, but can find this content only in the rational institutions of ethical life (cf. R § 141). Essential to Hegel’s argument at this point are two theses: First, contrary to Fichte, he maintains that subjective moral conviction, however zealously and sincerely it is arrived at, can be objectively erroneous (cf. Fichte, System der Sittenlehre, GA I,5 pp. 156–161). And second, he insists (contrary to J. F. Fries’ so-called “ethics of conviction”) that a person who acts sincerely on an objectively wrong moral belief has committed evil, and is not to be praised or exculpated merely on account of the sincerity of his conviction (cf. § 140 A).5 It follows that conscience cannot by itself distinguish good from evil, at least insofar as it is regarded entirely from the moral standpoint, to which objective principles are still unavailable. And this makes conscience profoundly ambiguous. On the one hand, it represents the highest ground of appeal for the moral subject, the supreme sanctuary of the good (§§ 137–138). Yet because it makes particular opinion, cut off from the universal, into the highest principle of action, it is also akin to a kind of religious self-worship, and therefore passes over into hypocrisy and evil (§§ 139–140; cf. PG 655–663). Hegel’s claim here is not that every appeal to conscience is bogus, hypocritical and a pretext for evil. It is rather that the distinction between true conscience and a merely formal conscience, which can be hypocritical and evil, is one which is both vital to the moral standpoint and yet cannot be objectively drawn from within that standpoint. This in turn points to the limitations on the moral standpoint as a whole, and the need for a higher standpoint which must be adopted if the content of morality itself is to be rescued from the dialectical contradictions which are unavoidable within it.
5 These views of Fries, and Hegel’s criticism of them, are discussed in Wood 1990, pp. 78–192.
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* * * The relation between Hegel’s conceptions of morality and ethical life is a complex one. Hegel regards morality positively as well as negatively, since morality itself for him is only an aspect of modern ethical life. Even as he criticizes the moral standpoint as abstract and one-sided – normatively empty and inadequate, expressive of an self-alienated and anti-natural moral psychology, a view of society which is alienated and symptomatic of social relationships which are themselves imperfect or immature, Hegel regards the possibility of such a standpoint in the modern world as something not only unavoidable, but as part of what makes modern culture higher and freer than any the world has ever known. Although Hegel does mount some trenchant criticisms of Kantian ethical thought, it is myopic to regard Hegel’s position as a whole as fundamentally anti-Kantian. On the contrary, Hegel is attempting, as Kant did before him, to articulate an ethics founded on the autonomy of reason, and to relate the ethical values he shares with Kant to the social and historical realities from which they arose and to which they are to be applied.
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Adriaan Th. Peperzak
8 Hegels Pflichten- und Tugendlehre Eine Analyse und Interpretation der Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 142–156
Die Hegelsche Philosophie des subjektiven Geistes gipfelt in der Bestimmung des Menschen als eines freien Wesens, das seine Freiheit weiß und will. Der freie Geist ist die Einheit des (subjektiven) theoretischen und des (subjektiven) praktischen Geistes. Es handelt sich also zugleich um eine philosophische Anthropologie (in dem heutigen Sinne dieses Ausdrucks) und eine Fundamentalethik (vgl. HE § 400; E § 481; R §§ 21–28).1 In der Einleitung seiner Grundlinien entwickelt Hegel den Begriff des freien Willens im Hinblick auf die Definition des Rechts. Indem er aufzeigt, dass das Recht das „Daseyn des freyen Willens“ ist (§ 29), hat er in einer noch abstrakten Weise zugleich den Inhalt des wirklich freien Willens angegeben. Weil der wirklich freie Wille aber die Vollendung des Menschseins ist, ist sein Inhalt identisch mit dem Inhalt des wahrhaften Sollens oder der Moral. Die Moralphilosophie ist also auch inhaltlich die begriffliche Entfaltung derjenigen Momente des Rechts, die einen direkten Bezug auf das menschliche Wollen haben. – Was hier in wenigen Sätzen zusammengefasst wird, lässt sich verdeutlichen durch eine Analyse der Paragraphen, mittels deren Hegel den dritten Teil seines Buches über die Rechtsphilosophie einleitet (§§ 142–156).
8.1 Der Rahmen Die Idee der objektiven Freiheit, welche Hegel in §§ 4–29 als Wesen und Wirklichkeit des Rechts dargestellt hat, realisiert sich am adäquatesten in der Sittlichkeit (§ 142). Das Recht, als das die Freiheit da ist (§ 29), ist eine zweite Natur: „der zur vorhandenen Welt […] gewordene Begriff der Freyheit“ (§ 142). Mit einer Anspielung auf die Platonische idea tou agathou und in polemischer Absetzung von Kants Begriff des summum bonum, in dem Hegel nur ein abstraktes moralisches Ideal sieht (§§ 129–135), nennt Hegel die höchste Wirklichkeit der Freiheit „das
1 Zur Einheit der Hegelschen Psychologie und seiner Fundamentalethik vgl. Peperzak 1982, S. 103–131. Vgl. auch ders. 1983, S. 349–365, und ders. 1991, S. 99–106. DOI:10.1515/9783110496529-011
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lebendige Gute“. Mit dem Adjektiv „lebendig“ integriert er zugleich die Aristotelische Kennzeichnung der höchsten Wirklichkeit, die sowohl die „an und für sich seyende Grundlage“ als auch der endgültige und alles „bewegende Zweck“ ist. Als archê und telos zugleich wird das Bewegende (das in § 152 auch „das unbewegte“ genannt wird) gleichgesetzt mit dem Aristotelischen kinoun akinêton und der reinen energeia, die sich nach Hegel mit Notwendigkeit realisiert.2 In den Paragraphen, die dieser Definition der Sittlichkeit (§ 142) folgen, will Hegel zeigen, dass die höchste Gestalt der Freiheit die höchste Befreiung des einzelnen Individuums darstellt. In dem vorangegangenen Abschnitt über die Moralität ist das (relative) Recht der einzelnen Willenssubjekte besprochen; jetzt muss deutlich werden, dass die Subjektivität nur als Moment eines höheren Rechts zu ihrem Recht kommen kann. Diese Absicht Hegels zeigt sich noch deutlicher, wenn man sieht, dass § 146 ursprünglich unmittelbar auf § 142 folgte. Die in § 146 gebrauchte Wendung „in diesem ihrem wirklichen Selbstbewußtseyn“ (kursiv von mir) schließt nämlich nicht bei § 145 an, aber wohl bei den letzten Worten von § 142 (der „zur Natur des Selbstbewußtseyns gewordene Begriff der Freyheit“). Die Paragraphen 146–154 sind vom Standpunkt des individuellen Subjekts geschrieben, das sich fragt, was die Sittlichkeit für es bedeutet; sie bilden – nach dem Wendepunkt von § 142 – eine Fortsetzung des in den Paragraphen 121–141 erörterten Gedankengangs auf höherer Ebene. Wahrscheinlich hat Hegel nachher das Bedürfnis gehabt, „die sittliche Substanz“ (§§ 146 ff.), der das einzelne Subjekt gegenübersteht, zu verdeutlichen, obwohl die in § 144 genannten „Gesetze und Einrichtungen“ und „die sittlichen Mächte“ (§ 145) auch in § 146 schon als „Gesetze und Gewalten“ mit „Autorität und Macht“ auftreten. Indem die objektive Seite der Sittlichkeit in §§ 144–145 auch für sich thematisiert wurde, war es nützlich, noch einen Paragraphen (143) hinzuzufügen, der den Unterschied zwischen dem objektiven und dem subjektiven Moment des Willens ausdrücklich als einen ideellen ausspricht, aber sonst den Inhalt des ersten Satzes von § 146 wiederholt. Das ursprüngliche Schema der §§ 142–155 scheint mir folgendes zu sein:
2 Vgl. HE § 302 (Der Geist ist Wirklichkeit); § 303 (Der Geist ist Offenbaren und Erschaffen der Welt „als seines Seyns, in welchem er die Positivität und Wahrheit seiner Freyheit hat“).
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Begriff der Sittlichkeit Die sittliche Substanz weiß sich im Selbstbewusstsein des (sittlichen) Individuums als (146): (1) selbständiges Sein und Macht für das Subjekt (148– 151). (147): (2) eigenes Wesen des Subjekts (→ 153–154). Hieraus folgen für das Subjekt: 148–151 (1) Pflichten des Individuums 148: Pflichten 149: Pflicht ist Befreiung 150: Pflichterfüllung ist Tugend und Rechtschaffenheit 151: Sitte 152 (Übergang): Das Recht der sittlichen Substanz gegenüber dem Individuum 153–154 (2) Rechte des Individuums 155 Die Sittlichkeit ist die Identität von Rechten und Pflichten. Das Schema lässt sich auch so darstellen: 146 (148–151) 142 152 155 147 (153–154) Durch die Hinzufügung der Paragraphen 143–145 hat dieses Schema sich aber folgendermaßen gestaltet: objektiv (144–145) 142 143 146 (148–151) subjektiv 152 147 (153–154)
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Analyse und Kommentar Die Idee der Freiheit (§§ 4–33) hat sich in dem zweiten Teil der Grundlinien als die Idee des Guten manifestiert, d. h. als die Einheit des Begriffs des allgemeinen Willens und des besonderen Willens des einzelnen moralischen Subjekts (§ 129). Das Gute verwirklicht sich als freie Sittlichkeit (§ 142). In dieser Gestalt ist es nicht mehr eine abstrakte Idee, die als ein Kantisches oder Fichtesches Ideal
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den einzelnen Willen verpflichtet und dem Selbstbewusstsein des Subjekts als ein niemals zu realisierendes Sollen erscheint. Das Gute konkretisiert sich, indem es das Selbstbewusstsein des Individuums zu einem Moment seiner unaufhaltsamen Selbstverwirklichung macht. Das Subjekt steht dem Guten nicht als ein bloß subjektives Gewissen gegenüber (§§ 136–138); es weiß und will das Wirklichsein des Guten als der archê und der Vollendung, durch die es seine eigene Freiheit und Vortrefflichkeit (seine aretê) erreicht.3 Die Kluft zwischen dem bloßen Sollen (§§ 129–134) und dem Sein ist überbrückt, indem das handelnde Individuum das Gute (die Idee der Freiheit, die sich selbst will) als seinen eigenen Zweck will und realisiert. Dadurch ist der Begriff der Freiheit vorhanden in der Form einer (zweiten) Natur. Die sittliche Welt ist das Haus, in dem das Selbstbewusstsein sich bei sich weiß (§ 147). Der „besondere Wille“ des einzelnen Subjekts (§ 143) ist das Dasein des Geistes, der sich, als höchste Form der Aktivität, unwiderstehlich verwirklicht. Insofern Wollen nicht möglich ist ohne Wissen, weiß der sittliche Geist, was er will und ist. Sein Wissen und Wollen ist da im Wissen und Wollen der Einzelnen, die ihr besonderes Interesse verfolgen (§§ 121–122), indem sie die Idee der Freiheit zum Zweck ihres Handelns machen. Das sittliche Wissen des Geistes im sittlichen Individuum (vgl. §§ 257, 270) ist aber noch nicht die adäquate Selbsterkenntnis, die der Geist nur als absoluter Geist, in Religion und Philosophie, erreicht. Im Wissen des Geistes sind der Begriff des wollenden Geistes und das Dasein dieses Begriffs im besonderen Willen der einzelnen Subjekte zugleich voneinander unterschieden und miteinander identisch (§ 143). Der gute Mensch weiß, dass Grundlage und Inhalt seiner Freiheit nicht außerhalb der konkreten Objektivität des Systems der Gesetze und Einrichtungen (§§ 144–145) zu finden ist. Die Freiheit ist weder eine Utopie noch ein immer zurückweichendes Ideal, sondern die nächste Gegenwart des Lebens in und mit den bestehenden Institutionen (§ 153 A). Dies gilt aber nur, wenn diese Institutionen in der Tat die adäquate Objek tivierung des Geistes und also wahrhaft vernünftig sind. Die Hinzufügung dieses hypothetischen Satzes ist notwendig, obwohl Hegel ihn niemals explizit formuliert. Die Idee des Guten und der Geist überhaupt sind stark genug, um die Welt in Übereinstimmung mit ihren Forderungen zu gestalten, aber es lässt sich weder deduzieren noch voraussagen, wann die Zeit, welche der Geist für seine Selbstverwirklichung braucht, erfüllt ist. Unten werde ich auf die angegebene Voraussetzung und das Verhältnis von Wirklichkeit, Faktizität und Vernünftigkeit zurückkommen.
3 Vgl. Aristoteles, EE 1227b 32–33; EN 1112b 23–24. Vgl. auch, was Aristoteles in EN 1097a 15 ff. über die Einheit von eudaimonia und aretê sagt.
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Das sittliche Wissen ist weder triebhaft befangenes Sehnen nach Freiheit noch orientierungslose Willkür. Es ist auch nicht die moralische Besorgnis um ein reines Gewissen, sondern vielmehr eine höhere Art Natur (§ 142). Der Kampf im Innern und die moralischen Bemühungen, sich durch einen unendlichen Progress dem Guten zu nähern, werden durch die Selbstverständlichkeit der Befolgung allgemein akzeptierter Sitten ersetzt (§ 151). Die wirkliche Freiheit ist die durch eine erste Negation der Natur hindurchgegangene, gewusste und gewollte, durch Handeln und Gewohnheiten vergeistigte Natur. Für das individuelle Bewusstsein bedeutet dies, dass die sittlichen Einrichtungen (§ 144) ihm einerseits als Mächte erscheinen, denen es nicht widerstehen kann (§ 146), aber andererseits als das Element, worin es sich selbst wiedererkennt (§ 147). Das Subjekt, das seine Freiheit zu realisieren sucht, weiß, dass seine Unterwerfung unter die Autorität der sittlichen Gewalten und seine Teilnahme am sittlichen Leben identisch sind mit dem, was es am tiefsten verlangt. Es weiß vom Unterschied der beiden Momente, aus denen die Totalität der konkretisierten Freiheitsidee besteht, aber es ist auch davon überzeugt, dass das sittliche Ganze keine anderen Interessen hat als die wesentlichen Interessen des Individuums. Das sittliche Ganze seinerseits weiß, dass es sein eigenes Selbstbewusstsein und Wissen nur in den einzelnen Individuen besitzt und dass es nichts anderes will als die besonderen Willen der Individuen, insofern diese vernünftig sind. Die Idee des sittlichen Ganzen – das Hegel öfters, aber zu Unrecht (§ 30 A) mit dem Staat identifiziert (vgl. §§ 258, 260 mit § 30 A) – und die Idee des vernünftigen (also guten und wahrhaft sittlichen) Individuums schließen einander ein. Die Norm des praktischen Guten ist die Identität beider, und diese kann ebensowohl vom „Staat“ wie vom Individuum her definiert werden (§ 146). Wie schon bemerkt, beruhen alle Aussagen Hegels in den Paragraphen 142–155 auf der Voraussetzung, dass sowohl das sittliche Ganze als das Individuum sich vernünftig, d. h. der (wahren) Idee gemäß, verhalten. Die Grundlinien entfalten die Idee des Rechts, die im Vergleich mit allen faktisch bestehenden Rechtssystemen ein Ideal ist. Dass Hegel auf der Wirklichkeit dieses Ideals insistiert, schließt nicht aus, dass er sehr gut weiß, dass kein einziger Staat seiner Zeit im Einzelnen mit dem von ihm gezeichneten Bild des (wahrhaften) Staates übereinstimmt.4 Er hat sogar die Notwendigkeit des Bösen als ein Moment jeder praktischen Wirklichkeit deduziert (§ 139 A).
4 Darauf haben schon Gans in seinem Vorwort zur zweiten Ausgabe der Grundlinien (1833) und Rosenkranz in seiner Apologie Hegels gegen R. Haym (1852) hingewiesen (vgl. Riedel 1975, S. 245 und 401). Für die Interpretation scheinbar reaktionärer Aussagen Hegels, vgl. Peperzak 1987, S. 53–70, 93–103.
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Unter der Voraussetzung, dass sowohl das Individuum als auch das sittliche Ganze wirklich vernünftig sind – in der Hypothese eines idealen Zustandes also – kann Hegel sagen, dass das einzelne Subjekt die sittliche Substanz nicht als ein Fremdes, sondern als sein eigenes Wesen erfährt, so dass es darin „sein Selbstgefühl hat“ und zu ihm in einem Verhältnis steht, „das unmittelbar noch identischer, als selbst Glaube und Zutrauen ist“ (§ 147). Was Hegel nicht sagt, aber was aus der diesem Vertrauensverhältnis zugrundeliegenden Identität mit gleicher Stringenz zu folgen scheint, ist die Feststellung, dass das sittliche Ganze sich (unter der genannten Voraussetzung der Vernünftigkeit auf beiden Seiten) der Gesamtheit der Individuen anvertrauen kann und muss und sich in Übereinstimmung mit ihren Gedanken über das, was ein Staat ist (und sein soll!), einrichten soll. In seiner Abneigung gegen den Subjektivismus betont Hegel allzu sehr das Recht des Ganzen gegenüber den Rechten des Individuums. In der Hothoschen Nachschrift der Vorlesung von 1822–1823 lesen wir sogar: „Weil die sittlichen Bestimmungen den Begriff der Freiheit ausmachen, sind sie die Substantialität des Individuums, das allgemeine Wesen desselben; das Individuum verhält sich zu ihnen als ein Accidentelles, aber das Individuum ist, gilt dem Objectiven gleich, es ist das Bleibende, es ist die Macht, durch welche das sittliche Leben des Individuums regiert wird, es ist das schlechthin Wesentliche des Individuums, das von ihm abgezogen nichts als die eitle Form der Subjectivität übrig ließ“ (PR-Hot S. 919). Mit einigem guten Willen lässt der Text sich als eine überspitzte Hervorhebung der Bedeutung des substantiellen Inhalts verteidigen, ohne welchen die Subjektivität eine leere Form bleibt. Aber insofern hier verdeckt wird, dass die sittliche Substanz überhaupt nicht da ist und selbst undenkbar ist ohne das Bestehen, das Wissen, Wollen und Handeln seiner „Akzidenzen“, sind die zitierten Aussagen nicht nur einseitig, sondern – auch vom Hegelschen Standpunkt aus – falsch. Von den Individuen und ihrem Wissen und Wollen „abgezogen“, ist das Objektive ebenfalls überhaupt nichts; nicht einmal ein abstraktes Ideal, da dieses ja wenigstens imaginäre Individuen einschließt. Wenn das Individuum vom Objektiven abgezogen wird, ist es kein Individuum mehr. Indem Hegel sich zur Polemik gegen den Individualismus verführen lässt, entkommt er kaum der entgegengesetzten Übertreibung. Was er aber vorführen will, ist eine gelungene Synthesis der kollektiven (oder „objektiven“) und der individuellen („subjektiven“) Rechte. In dieser Absicht verschmelzt er die Aristotelische These, nach der die politische Gemeinschaft „prior natura“ ist sowohl mit Bezug auf die besonderen Gemeinschaften, wie Familie und Dorf, als auch auf die Individuen, aus denen diese zusammengesetzt sind, mit der Spinozistischen These bezüglich der Beziehungen zwischen der einen und einzigen Sub-
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stanz und ihren Modi: „Die Substanz geht, ihrer Natur nach, ihren Affektionen vorher.“5 Ähnliches geschieht in der Griesheimschen Nachschrift der Vorlesung von 1824–1825: „Ehe, Pietät, Staat sind diese sittlichen Mächte, […] die gleichgültig sind, gegen die Individualität, das Individuum als besonderes gegen sie ist nur Accidens. Diese sittlichen Mächte haben durch die Individuen ihre Vorstellung, diese sind die Exemplare dieser Mächte“ (PR-Grie S. 1260 f.; ebenfalls zu R § 145). Als besondere sind die Individuen nur Akzidenzen (§ 145); nach ihrem Begriff sind sie aber identisch mit der Substanz. Insofern ihr Wille selbst nicht nur ein besonderer Wille, sondern auch allgemein ist, sind sie Exemplare der sittlichen Mächte. Der Wert der individuellen Besonderheit besteht auf dem Niveau des höchsten praktischen Guten nur in der realisierenden Exemplifikation, dem Beispiel im Hier und Jetzt der an und für sich seienden Idee. In den Paragraphen 148–155 der Grundlinien werden die Konsequenzen der sittlichen Identität für das Individuum herausgestellt. Die Autorität der sittlichen Substanz (§ 146) entfaltet sich als ein System von Pflichten (§ 148–149), durch deren Befolgung die Individuen Tugenden (§ 150) und Sitten (§ 151) realisieren. Die individuelle Autonomie (§ 147) dagegen drückt sich in den fundamentalen Rechten des Individuums aus (§§ 153–154). Der Übergang wird gemacht, indem § 152 das geltende Recht der sittlichen Substantialität erneut identifiziert mit der Substanz und so den Anfang (§ 142) mit dem Ende der Erörterung (§ 155) zusammenschließt (vgl. das Schema auf der Seite 151). Durch den Aufbau der Paragraphen 142–155 fasst Hegel die ganze praktische Philosophie vom Standpunkt des Individuums zusammen. Die Idee der Sittlichkeit steht am Anfang (§ 146) und am Ende (§§ 155, 156). In der Beschreibung ihrer Eigenart (§§ 144–147) zeigt sie sich als die Einheit einer Pflichten- oder Tugendlehre (§§ 148–151) und einer Lehre von den Rechten des Individuums (§§ 153–154). Sie hat selbst das höhere Recht gegenüber den Individuen (§ 152) und verwirklicht sich als Volk und rechtliche Verfassung (§§ 156–157). Zusammen mit einigen Paragraphen des Abschnitts „Moralität“ enthalten die Paragraphen 148–151 die Grundlinien der Hegelschen Moralphilosophie, insofern diese innerhalb einer Philosophie des Rechts auftreten kann, während die Paragraphen 153–154 an
5 Vgl. Aristoteles, Pol. 1253a 19, und Spinoza, Ethica, pars prima, propositio 1. In einem wertvol len Aufsatz scheint Karl-Heinz Ilting anzudeuten, dass der Spinozistische Charakter der frühen politischen Philosophie Hegels nach 1802 immer mehr durch Aristotelische Motive bestimmt wurde (vgl. Ilting 1963/64, bes. S. 54–55), aber wie könnte die göttliche „Substanz“, die auch in der späteren Rechtsphilosophie Hegels fundamental bleibt, aus der Politik von Aristoteles her geleitet werden?
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die zwei Momente des Rechts der Subjektivität erinnern, die in den zwei ersten Abschnitten (§§ 34–141) herausgestellt sind. Die Pflichten des Individuums sind nichts anderes als die notwendigen Bestimmungen, in denen die Freiheit oder die Idee des Guten sich konkretisiert. Sie erscheinen dem individuellen Selbstbewusstsein nicht mehr – wie in einer dualistischen Auffassung (vgl. §§ 133–140) – als fremde, von oben oder von außen kommende Forderungen, unter die das moralische Individuum sich mühsam unterwerfen soll, sondern als Aspekte eines wohlgeordneten Zusammenlebens, in das das sittliche Subjekt sich zwanglos einfügt (§ 148). Ohne die objektive Besonderung der Substanz wäre das Individuum entweder zur völligen Unbestimmtheit verurteilt (also nur formell, nicht inhaltlich oder wirklich frei) oder seiner eigenen zufälligen Besonderheit, den natürlichen Trieben und willkürlichen Interessen, ausgeliefert (und dann nicht wirklich frei). Diese Alternative folgt aus der in den Paragraphen 4–33 vollzogenen Analyse des Freiheitsbegriffs und ist in dem Abschnitt über die Moralität ausgearbeitet. Besonders das erste Glied der Alternative wurde dort anhand einer Kritik des Kantischen Formalismus beleuchtet, für den es unmöglich sei, die Autonomie des individuellen Willens zu konkretisieren, so dass diese notwendigerweise in den Subjektivismus eines verabsolutierten – und damit bösen – Gewissens entarten muss (§§ 136–141). Eine konkrete Bestimmung des Willens, die ihn frei lässt und frei macht, ist nur als Selbstbestimmung des allgemeinen Willens möglich, da dieser keine fremde Macht, sondern das innerste und eigenste Wesen des Individuums ist. Als unterwerfende Macht erscheinen die Pflichten nur demjenigen, der die Besonderheit seines Willens – d. h. die natürlichen Neigungen, deren Maßlosigkeit ihn zum friedlosen Kampfplatz macht – gegen die allgemeine Freiheit kehrt. Für den Kern des Menschen sind die Pflichten die wahre Befreiung. In § 149 wird dieser Gedanke in folgender Weise spezifiziert. Indem die Pflicht den einzelnen Willen an die Bestimmungen des allgemeinen Willens bindet, beschränkt sie (a) die Subjektivität, insoweit diese noch eine abstrakte, unbestimmte Freiheit ist, und (b) die besonderen Triebe, die das Individuum als ein natürliches und insofern unfreies Wesen bestimmen. Indem die Pflicht die Willkür an ein bestimmtes Verhalten in Übereinstimmung mit den sittlichen Gesetzen und Einrichtungen bindet, beschränkt sie auch (c) den Spielraum der Willkür, die sonst „frey“ wäre, aus sich selber zu bestimmen, was gut sei. Weil eine solche Freiheit der subjektiven „Willkühr“ ohne objektives Maß ist, ist sie den Trieben ausgeliefert. Der moralische Wille, der sich von den Neigungen distanziert, aber nicht zum Inhalt der konkreten Freiheit vordringen kann, verfällt einem Formalismus, der gegenüber den natürlichen Trieben und dem Subjektivismus des Bösen wehrlos ist (§§ 141–142). Die Beschränkung durch die Pflicht ist also die notwendige Negation, durch welche die Freiheit sich konkretisiert und
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mit sich selbst vermittelt. Durch Pflichterfüllung befreit das individuelle Subjekt sich a) von der Unwirklichkeit der unbestimmten Subjektivität, b) von der natürlichen Abhängigkeit von den Trieben und c) von den moralischen Reflexionen eines Formalismus, der nicht zu einer befriedigenden Antwort auf die Frage, was zu tun sei, kommen kann. Die spekulativen Kategorien, in denen Hegel hier die Grundfragen der Ethik fasst, sollen uns nicht über die psychologischen und existentiellen Elemente täuschen, die er derart auf den Begriff bringt. Das phänomenologische Verhältnis, in dem die beschriebene Struktur erscheint (vgl. §§ 8–9), bleibt auch in der Sittlichkeit erhalten. Das Wort „Gedrücktheit“, mit dem Hegel den Moralismus des reflektierenden Subjekts bezeichnet, evoziert die Unglückseligkeit des moralischen Grübelns, an dem er früher selber gelitten hat.6 Die „Gedrücktheit“, in der das Individuum „als subjective Besonderheit in den moralischen Reflexionen des Sollens und Mögens ist“ (§ 149), das Hin-und-her-Schwanken der Willkür zwischen dem Sollen unbestimmter Pflichten (vgl. §§ 134–135) und Neigungen des Individuums, wird in der Hothoschen Nachschrift folgendermaßen beschrieben: „Denn der in sich reflectirte Mensch geht ewig mit sich zu Rathe, grübelt in sich, ohne kräftiges Selbstgefühl, ohne Gesundheit des Geistes. Aus dieser Krankheit, aus diesem Grübeln also befreit die einfache Pflicht. Denn in der Pflicht handelt der Mensch auf allgemein gültige Weise, hat aufgegeben seine Besonderheit. Die Krankheit der Reflexion ist, ein Besonderes zu sein. Dieß ist die moralische Ungesundheit, theils der Gedrücktheit, theils der Selbstgefälligkeit, in der er nicht wirklich ist als in Disharmoniee mit dem Objectiven“ (PR-Hot S. 921). Auch die dritte Form von Moralpraxis und Moralphilosophie, die in § 149 der Grundlinien angedeutet wird, hat Hegel selbst durchgespielt. Das moralische Subjekt, das seine abstrakte Freiheit gegen das objektive Dasein verteidigt, aber dadurch unwirklich bleibt (ebd.), fürchtet sich vor der Wirklichkeit des Besonderen. „Krankhaft und schwächlich“ tritt es vor der wirklichen Sittlichkeit zurück (PR-Hot S. 921). Es „ist die sogenannte schöne Seele, die nicht übergehen will zum Handeln in bestimmte Verhältnisse, um sich in ihrer Schoenheit als solcher, in ihrer Unbestimmtheit zu erhalten“ (PR-Grie S. 1263). Der Standpunkt der unbestimmten Subjektivität ist Furcht, Ängstlichkeit und Empfindlichkeit, aber wenn er sich äußert – und er muss sich äußern – manifestiert er sich als „politische Schwärmerei, Fanatismus, wie er auftrat zur Zeit der Reformation, der französischen Revolution“ (PR-Hot S. 921).
6 Vgl. Peperzak 1960, S. 12 f., 35 f., 144–161, 231–239. Ich würde jetzt stärker betonen, dass die Berner Zeit viel mehr als die Frankfurter Jahre eine Periode der „Hypochondrie“ waren. Ein moralisches oder selbst kasuistisches Grübeln könnte man für die frühe Tübinger Zeit annehmen.
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Indem der einzelne Wille sich mit dem Willen des Ganzen vereinigt und die wesentliche Einheit beider Willen weiß, hat er die innere Dualität des Gewissens und des Guten, durch welche die moralistische Praxis und Theorie gekennzeichnet sind, überwunden. Indem sein Handeln sich den objektiven Verhältnissen des (vernünftigen) Ganzen fügt, ist es gut. Gut-sein ist in diesen Umständen weder ein Abenteuer noch mühseliger Kampf um Selbstunterjochung. „Die einfache Angemessenheit“ an die Forderungen einer gerechten Ordnung macht das Individuum rechtschaffen. Insofern aber die einzelnen Subjekte sich durch individuelle Züge und durch einen natürlich bestimmten Charakter voneinander unterscheiden, trägt ihre Rechtschaffenheit auch individuelle Züge. Insofern kann man sagen, dass jeder gute Mensch seine eigene, individuelle Tugend hat (R § 150). Hegel übernimmt hier die Lösung Platons: Die Frage nach der moralischen Gerechtigkeit kann nicht von der Frage nach der gerechten Polis getrennt werden. Um die „kleinere“ dikaiosynê aufzudecken, muss man zuerst die dikaiosynê großschreiben und an der Gestalt des Staats studieren (Pol. 368c ff.). Die Tugendlehre ist ein Teil der Politik. Damit ist die von Hegel in § 153 A zitierte Antwort gegeben: Die beste sittliche Erziehung besteht darin, dass man jemanden „zum Bürger eines Staats von guten Gesetzen“ macht. Obwohl das moderne Prinzip der Subjektivität noch nicht von Platon integriert werden konnte, bleibt die Platonische Politeia das größte Vorbild der Hegelschen Rechtsphilosophie. Hegel versucht, die Rechte des Individuums mit den Rechten der sittlichen Totalität zu versöhnen, aber immer wieder betont er, dass die Totalität das höhere Recht hat, dem die Rechte des Einzelnen „untergeordnet und geopfert“ werden sollen. Der umgreifende Rahmen bleibt der Platonische oder griechische überhaupt: In der Kollision hat die Totalität Priorität vor dem Individuum. Dieses ist insofern „nur Accidens“. Das rechtschaffene Individuum ist aber zugleich das subjektive Moment, durch das die sittliche Substanz wirklich ist; es ist also Subjektives und Objektives, Einzelnes und allgemeiner Geist in eins. Dieses (sittliche) Subjekt ist dem sittlichen Ganzen nicht mehr entgegengesetzt; auch theoretisch kann es weder gegen es ausgespielt noch ihm aufgeopfert werden. Das wahre Subjekt ist die (einzig mögliche) Wirklichkeit der Substanz: die konkrete Vereinzelung des sonst abstrakten und unwirklichen Allgemeinen. Damit ist auch der wahre Begriff der Tugend definiert. Sie ist eine besondere Bestimmung der Rechtschaffenheit, die ihrerseits das subjektive Moment des wahren Staats ist (§ 150). Ein tugendhafter Mensch ist nur insofern etwas Besonderes, als jedes Individuum natürlicherweise, nach seiner im Hegelschen Sinne „anthropologischen“ Seite, von jedem anderen verschieden ist. Auf der Ebene des praktischen Geistes sind alle Gerechten identisch; ihr Unterschied reduziert sich auf den Ort und die Zeit, die sie einnehmen, den Leib und den empirischen Charakter, wodurch sie individualisiert sind.
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„Tugend“ hat aber noch eine andere Bedeutung. Wenn man von „der Tugend“ spricht (§ 150 A), bezeichnet man damit „eine eigenthümliche geniale Natur“ besonderer Individuen oder eine „eigenthümliche Genialität“ (ebd.), die nicht in einfacher Pflichterfüllung aufgeht, sondern etwas Spezielles ist und insoweit subjektivistische Züge trägt. Mit der oben besprochenen Tugend hat diese „eigentliche“ Tugend gemein, dass beide Arten der Tugend dem Individuum eigen und in dem Sinne ein „Eigenthum“ des Individuums sind, aber die erstgenannte Tugend vereinigt die Individuen, indem sie ihre Besonderheit in den Schatten stellt, während „die eigentliche Tugend“ den Nachdruck auf die Besonderheit der Individuen legt (ebd.). Beispiele des Redens von „der Tugend“ sind die Reden Robespierres und Saint Justs, die Hegel im Tübinger Stift gelesen hat und in der Phänomenologie des Geistes interpretiert (vgl. PG S. 316–323), aber auch Hegels eigene frühere Lobreden auf die griechisch-römische Tugend7 ebenso wie die Reden von Fries und den Burschenschaftlern, deren Subjektivismus der reife Hegel immer wieder bekämpft (vgl. Peperzak 1987, S. 16–31, 72–78). Wenn die sittlichen Verhältnisse vollständig entwickelt sind – also im Zustand eines wohlgeordneten und sicheren Staats –, ist die besondere Art Tugend, die Hegel hier „die eigentliche Tugend“ nennt, fast überflüssig. Nur in außerordentlichen Umständen – man könnte z. B. an eine große Epidemie oder an den Ausbruch eines Krieges denken – ist mehr als die einfache, alltägliche Rechtschaffenheit erforderlich. Auch bei Kollisionen zwischen verschiedenen Teilen des sittlichen Ganzen ist „die Tugend“ wichtig, aber solche Kollisionen sind ein Zeichen dafür, dass die sittliche Organisation noch nicht oder nicht mehr perfekt ist. In einem „ungebildeten“ Zustand ist der Heroismus der eigentlichen Tugend unentbehrlich, und zwar um eine gerechte Verfassung, gute Sitten, Rechtschaffenheit und alltägliche Tugendpraxis erst zu ermöglichen. Im vorstaatlichen, unsittlichen status naturae, dessen Kampf und Elend Hobbes in eindrucksvoller Weise beschrieben hat, hängt die Verwirklichung des Sittlichen von Heroen wie Herkules ab. Im Chaos kann die Stiftung einer politischen und rechtlichen Ordnung nur Sache individueller Initiativen sein. Der Mangel an Sittlichkeit fordert das Auftreten der „eigentlichen Tugend“. „Unter einem vorhandenen sittlichen Zustande, dessen Verhältnisse vollständig
7 Vgl. Peperzak 1960, S. 21–28, 91–101. Der Einfluss von Montesquieu und Robespierre auf Hegels Gedanken über „die Tugend“ (la Vertu) ist unverkennbar. In einer seiner sogenannten Theologi schen Jugendschriften (TJ) weist Hegel selber auf Montesquieu hin (vgl. PchR S. 369). Was Hegel in einer Studie aus dieser Zeit schreibt (vgl. IeR S. 203), ist höchstwahrscheinlich durch Robes pierres Rede vor der Convention Nationale vom 7. 2. 1794 inspiriert. Eine Einzeluntersuchung über die Einflüsse von Montesquieu, Rousseau, Robespierre und den „französischen Papieren“ auf den jungen Hegel steht leider noch aus. (Vgl. aber Fulda/Horstmann 1991 – Anm. d. Hrsg.)
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entwickelt und verwirklicht sind, hat die eigentliche Tugend nur in außerordentlichen Umständen und Collisionen jener Verhältnisse ihre Stelle und Wirklichkeit“ (§ 150 A). Hegel scheint diesen „vorhandenen“ Zustand nicht als ein schönes Ideal für die Zukunft zu sehen, sondern als eine Realität seiner eigenen Zeit. Nur so kann man verstehen, dass er „die eigentliche Tugend“, die in seinen Jugendschriften noch so wichtig war,8 auf ein Phänomen der Vorzeit oder auf eine Ausnahme reduziert (wobei er nicht auf die Frage eingeht, ob das Wesen des menschlichen Zusammenlebens vielleicht am besten an den Ausnahmen und Grenzfällen studiert werden kann). Wenn der sittliche Zustand der Gegenwart tatsächlich befriedigend ist, muss das moralische Gerede von „der Tugend“ Argwohn erwecken. Diejenigen, die mit Vernachlässigung der Rechtschaffenheit immer wieder von speziellen Tugenden sprechen oder scheinbare Konfliktfälle konstruieren, um mehr Platz für das tugendhafte Handeln zu bekommen, scheinen höchst motiviert zu sein, sie sind aber keine guten Beispiele für die Ethik. Ihre „moralische Reflexion“ ist darauf gerichtet, „sich das Bewußtseyn von etwas Besonderem und von gebrachten Opfern“ zu „geben“ (ebd.). Weil sie mehr fordern als die allgemeine Rechtschaffenheit des sittlichen Gemeinwesens, scheinen ihre Motive edel; Hegel demaskiert ihren „moralischen Standpunkt“ (ebd.) aber als eine Heuchelei, weil ihre Vorliebe für die Tugend die Kehrseite einer Verachtung für die Prosa der selbstverständlichen Rechtschaffenheit ist. Ihre Norm ist nicht die Allgemeinheit der geistigen Wirklichkeit, sondern die Besonderheit und das subjektive Belieben der individuellen Willkür. Die Verabsolutierung der subjektiven Partikularität ist aber das Böse selbst (§ 140 A). Der sich über die Sittlichkeit erhebende Moralismus ist also eine Gestalt des Bösen.9 Gegen die Subjektivierung der Tugend, die den reifen Hegel zu großer Sparsamkeit im Gebrauch des Wortes „Tugend“ veranlasst, definiert er die wahrhafte Tugend als die Aristotelische êthikê aretê, die sowohl auf den Charakter zielt als auch eine sittliche Seite hat. Die Einheit von Sitte und Charakter, die im Wort êthos angedeutet wird,10 versteht Hegel als das „Sittliche insofern es sich an dem individuellen durch die Natur bestimmten Charakter als solchem reflektirt“
8 Vgl. WiR, S. 77; VuCh S. 90 f., 94 f., 99, 101 ff., 144 f., 163 f.; LJ S. 212; IeR, S. 203; PchR S. 281. Vgl. auch die Äußerungen Kants in der Kritik der praktischen Vernunft (AA V, S. 155, 157 ff.) über die „edlen“ oder „überverdienstlichen“ Handlungen; ebenso E §§ 450–451. 9 Vgl. auch die Analyse der Heuchelei des abstrakten Gewissens in § 140 A. 10 Vgl. Hegels Randbemerkung: „Sitte – êthos – […] Gewohnheit, Gebrauch […] Sitte – […] Ge wohnheit, Charakter“ (§ 151 R).
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(§ 150). Indem die Rechtschaffenheit nichts anderes ist als „die einfache Angemessenheit des [handelnden] Individuums an die Pflichten“ (ebd.), zu denen die sittliche Substanz sich bestimmt, ist sie als (empirisch-)allgemeine Handlungsweise und Gewohnheit dasselbe wie die Sitte (§ 151). Ethik und Politik sind identisch, weil die wahre Tugend die sittliche oder „ethische“ Tugend ist und diese nur als Praktizierung der bestehenden Sitten einer vernünftigen Welt möglich ist. Nicht „moralische Reflexion“ (§ 150 A) oder utopische Kritik, sondern Teilnahme am Leben einer geistigen Natur kann das Individuum von seiner Unwirklichkeit und Heuchelei befreien (§ 151). Der Nachdruck auf der Natürlichkeit, welche die Tugend als einfache Angemessenheit an die vorhandenen sittlichen Verhältnisse kennzeichnet, stimmt mit der Aristotelischen Beschreibung des wahrhaft Tugendhaften überein. Dieser unterscheidet sich ja vom „Beherrschten“ oder „Sichbeherrschenden“, indem sein gutes Handeln sich durch eine Art Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit auszeichnet (vgl. EN 1145a 15 ff.). Der in innere Kämpfe Verstrickte wäre für Hegel das Vorbild des moralischen Menschen, der sich noch nicht von seinem Subjektivismus befreit hat. Seine Reflexion „bringt so eine Ansicht der Moralität hervor, daß diese nur als feindseliger Kampf gegen die eigene Befriedigung perennire, – die Foderung ,mit Abscheu zu thun was die Pflicht gebeut‘“ (§ 124 A). Mit Schiller verweist Hegel gegen den modernen Dualismus auf die Natürlichkeit der griechischen kalokagathia. In der Nachschrift Griesheim heißt es zu § 150: „Bei den Griechen sehen wir vornehmlich Tugenden, da ist das Sittliche zugleich besondere Charaktersache. Die Tugend hat dann den Schein, daß diese Einheit des Sittlichen mit dem Individuellen eine Natürliche ist“ (PR-Grie S. 1264).11 Indem die Tugend eine geistige Transformation des natürlichen Charakters ist, durch den die sittlichen Individuen sich voneinander unterscheiden, wäre eine Tugendlehre möglich, die nicht bloß die allgemeinen Pflichten, sondern auch die empirische Verschiedenheit der tugendhaften Handlungen und Gewohnheiten herausstellen würde. Eine derartige Tugendlehre wäre eine Beschreibung der (zweiten) Natur der verschiedenen Handlungstypen, in denen die Sittlichkeit sich konkret darstellt, eine Art Typologie der ethischen Fauna oder eine histoire naturelle der Arten und Gattungen, in denen der praktische Geist sich manifestiert. Eine
11 Der Text fährt fort: „Die eine Seite ist das Sittliche, die andere ist die besondere Persönlich keit, die Triebe, Begierden pp. Bei den Griechen erscheint die Tugend in der Weise eines Na türlichen, eines Kunstwerks, wie dieß die Idee in einem natürlichen Dinge, Elemente darstellt, so daß sie gebunden erscheint an natürliche Äusserlichkeit. […] So ist die Tugend zwar eine Bildung, Uebung des Gemüths der Individualität, wodurch aber ein Produkt herauskommt, was ganz in der natürlichen Weise erscheint“. – Den Hinweis auf PR-Grie S. 1264 sowie die Hinweise in Anm. 8 verdanke ich den Herren U. Rameil und H. Ch. Lucas vom Hegel-Archiv in Bochum.
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solche „geistige Naturgeschichte“ (§ 150 A) hat Aristoteles „in seinen moralischen Werken“ geschrieben (PR-Grie S. 1265). Obwohl Hegels Theorie der Tugend den Einfluss von Aristoteles zeigt, spielen die Aristotelischen Werke über Ethik und Politik in der praktischen Philosophie Hegels eine untergeordnete Rolle. Die Platonische Auffassung der Ethik überwiegt. Auch die Aristotelische Analyse der Tugend als einer „Mitte zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig“ erhält bei Hegel eine sehr untergeordnete Rolle, wenn er sie dem Problem der Anwendung des Sittlichen auf die Besonderheit der individuellen Subjekte zuordnet (§ 150 A). Die konkrete Bestimmung jeder besonderen Tugend ist ein bloßer Ausdruck des ethischen Grundbegriffs im Element des Quantitativen: Die radikale Identität der Rechtschaffenheit mit der sittlichen Substanz (oder die Einheit der individuellen und der politischen dikaio synê) muss in der natürlichen Äußerlichkeit dargestellt werden. Die Bestimmungen, welche aus dieser „Anwendung“ folgen, sind zufällig und oberflächlich. Im Gegensatz zum Begriff der Einheit von Tugend und Staatsleben ist die Rolle der phronêsis, die das richtige Gleichgewicht bestimmt, eine unwesentliche: „Weil die Tugend als solche der Besonderheit des Individuums zu kommt, so ist die Zufälligkeit in ihr enthalten, die Tugenden haben kein Maaß in sich selbst, ihre Bestimmung ist nicht wesentliche Begriffsbestimmung und deswegen schildert sie Aristoteles als eine Mitte gegen das Zuviel und Zuwenig. Man hat ihn hierüber angelassen und ihm vorgeworfen, daß dieß nur eine äusserliche unwesentliche Bestimmung sei, aber es giebt in dem Felde in dem die Tugenden stehen keine andere Bestimmung als diese“ (PR-Grie S. 1265). Sehr unaristotelisch heißt es in diesem Text, dass die Tugenden „kein Maaß in sich selbst haben“. Das Maß, das Hegel in § 17 der Grundlinien fordert, um die Dialektik der Triebe zu beenden, besteht also nicht, wie das Aristotelische, in dem Gleichgewicht, in das der orthos logos die Affekte bringt, sondern in der platonisierenden Einheit der Freiheit des Einzelnen mit der Freiheit des sittlichen Ganzen. Die Triebe und Neigungen werden in diesem Zusammenhang nicht einmal mehr erwähnt, und die Aristotelische Problematik der Mitte wird als eine empirische Frage abgetan. Auch in dem großen Kapitel, das die Logik dem Maß widmet, kommt die Aristotelische Bestimmung der Tugend übrigens kaum zur Sprache (vgl. L I,1 S. 369; vgl. Aristoteles, EN 1104a 18, a 26). Einflussreich für Hegels Rechtsphilosophie ist der Aristotelische Gedanke einer durch den Geist gebildeten „zweiten Natur“, den Hegel nicht nur auf die individuelle Tugend, sondern auch auf das gesittete Zusammenleben anwendet und mittels dessen er die Einheit beider denkt (vgl. Peperzak 1995). Die Einheit der wahrhaften Tugend mit den Sitten eines gut verfassten Staates ist der aristotelisierende Ausdruck für die platonisierende Identität der individuellen und der sozialen Gerechtigkeit.
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Hegel hat die Philosophie von Platon und Aristoteles als charakteristische Äußerungen des griechischen Geistes angesehen. Obwohl das Prinzip der Subjektivität, von dem Sokrates schon ein erstes Wissen hatte, die griechische Sittlichkeit zerstört hat, bleibt die Idee der politischen Totalität in den Hegelschen Grundlinien vorherrschend. Der ganze Passus §§ 142–151 kann als eine Wiederholung der griechischen Polis-Idee betrachtet werden, wie schon durch die vielen Bemerkungen über „die Alten“ und „die Griechen“ nahegelegt wird, die Hegel in seinen Vorlesungen zu den Paragraphen 147–148 und 150–152 gemacht hat (vgl. §§ 147 R, 151 R; PR-Hot S. 920, 923; PR-Grie S. 1263, 1264, 1267f.). Die Rechte des Individuums, die in den Paragraphen 153–154 bejaht und in den Ausführungen über die Familie, die bürgerliche Gesellschaft und den Staat konkretisiert werden, sprengen den in den Paragraphen 142–151 umrissenen Rahmen nicht. Die Individuen sind nur relative „Absoluta“: bloße Momente der höheren Totalität. In einer Randbemerkung zu § 147 A verweist Hegel ausdrücklich auf die Griechen als Menschen, die das Moment des subjektiven Gewissens und der Moralität überhaupt noch nicht kannten. Die distanzlose Einheit des Subjekts mit der sittlichen Substanz, die in § 147 als Wahrheit ihres Verhältnisses formuliert wird, d. h. die Identität des Gewissens mit den guten Sitten, wird illustriert mit einem Jacobi entnommenen Herodot-Zitat (§ 147 R S. 711).12 In seinem durch Hothos Nachschrift überlieferten Kommentar (PR-Hot S. 919f.; vgl. PR-Grie S. 1262) stellt Hegel die in dem Zitat ausgedrückte „einfache natürliche Sittlichkeit“, „die sich nicht auf Gründe einläßt“, dem reflektierenden Verstand entgegen. Während der letztere eine Art Gericht veranstaltet, indem er die Gründe erforscht, durch welche die sittliche Realität sich legitimieren soll, beruft die unmittelbare Sittlichkeit sich „auf die ganze Erfahrung“, das Gefühl des Lebens und der „Einheit der Gesetze und der individuellen Natur“. Früher oder später muss die Verstandesreflexion sich entwickeln: „der Mensch muß in dieß Gericht gehen, nach Gründen forschen“. Der Form nach steht die Reflexion auf einer höheren Stufe als das Gefühl. „Der Verstand glaubt sich“ daher „ein hochweiser“ gegenüber der Naivität des unreflektierten Glaubens und Zutrauens. Dem Gehalte nach steht das unmittelbare Selbstgefühl aber über der griechischen Sittlichkeit, weil diese den Zwiespalt der kritischen Reflexion nicht kennt. Gegenüber dem unmittelbaren Zeugnis des Geistes, das der griechische Bürger von der Sittlichkeit seiner Polis
12 Es handelt sich um Herodot, Historiae VII, 135, und Jacobi 1819, S. 232 f. Hegel zitiert diese „Neue vermehrte Ausgabe“ (so auch schon Nicolin/Pöggeler in den Quellennachweisen ihrer Edition der Enzyklopädie, Hamburg 1991, S. 474 u. ö.) und nicht eine der von Ilting (Hg.) 1974, S. 555 angeführten Ausgaben. Vgl. jetzt die Anmerkung von Klaus Grotsch in GW 14,3 S. 1296f.
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abgab, stehen die moralischen Reflexionen derjenigen, die – wie Sokrates – mit dem politischen Zustand ihrer Zeit nicht mehr zufrieden sein können, weil sie die faktische Realität mit der seinsollenden Idee vergleichen. Ihr Problem lässt sich aber nicht durch den Verstand lösen, weil dieser nicht weiter kommt als bis zur Aufdeckung eines perennierenden Sollens, dessen Befolgung sich in einem unendlichen Prozess der Annäherung verläuft. Die einzig mögliche Überwindung des Zwiespaltes besteht in einer zweiten Unmittelbarkeit oder Natürlichkeit: im Mitmachen einer sittlichen Wirklichkeit, deren Vernünftigkeit von den mitmachenden Individuen gewusst und anerkannt wird. Für das Bewusstsein der naiven oder unbefangenen Sittlichkeit bestehen keine Pflichten, weil das Subjekt keine Distanz zu den geltenden Sitten und Gesetzen hat. Insofern hat es „kein Gewissen“ (R § 147 R). Wenn die unreflektierte Selbstverständlichkeit aber in kritische Reflexion übergeht, entstehen die positiven und negativen Folgen der Entzweiung. Das Subjekt, das die Pflichten anerkennt, weiß, dass der Inhalt des Sittlichen die Freiheit selbst und nichts Natürliches ist, aber es ist in der Gefahr, sich über den sittlichen Menschen erhoben zu wähnen, ohne dass er in seiner „Selbstgefälligkeit“ je einen Inhalt für seine Moralität finden könnte (PR-Hot S. 920). Das in den Paragraphen 148–151 der Grundlinien Ausgeführte mündet in die Zusammenfassung von § 152: „Die sittliche Substantialität“, die als „die Sittlichkeit“, „das Sittliche“ oder „die (sittliche) Substanz“ das Subjekt der ganzen Begriffsentwicklung war (in §§ 142, 144, 146, 150, 151 erscheint es auch als grammatisches Subjekt), ist – als daseiender, Welt gewordener Geist – geltendes Recht. Der Dualismus des abstrakten Gewissens gegenüber dem Begriff des Guten, das Moment der Moralität, ist aufgehoben, aber der einzelne, moralische Wille behält sein (relatives) Recht: Die Subjektivität ist die notwendige und in dem Sinne absolute Form, dank deren die sittliche Substanz wirklich ist. Es ist das Verdienst des Kantischen Formalismus, dass er diese Einsicht ermöglicht hat. Der ganze Inhalt des guten Willens – und dies hat Kant nicht klar erkannt – besteht aber nur in den Bestimmungen der allgemeinen Substanz. Vernünftiges Handeln ist nur möglich, insofern es durch den überindividuellen, „unbewegten“ Selbstzweck „bewegt“ wird. In seinem Verschwinden als selbständige und abgetrennte Instanz verliert das Gewissen jeden eigentümlichen Inhalt. „Dem Subjekt bleibt nichts übrig als die reine Form zu sein, in der die Sittlichkeit wirkt, die Subjektivität als solche ist nur die Form der Manifestation der Sittlichkeit, und das Subjekt ist nur sittlich, insofern es nichts Besonderes hat gegen das Sittliche, gegen die Substanz, aber es ist ganz darin bei sich, indem es sich darin zum Gegenstand hat“ (PR-Grie S. 1268).
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8.2 Konsequenzen für Moral und Ethik Der moralische Wille und die moralische Reflexion, das Gewissen, die persönliche Würde und die besonderen Bedürfnisse des Individuums gehen in der Wirklichkeit des Sittlichen nicht unter. Dass sie darin gerade zu ihrem Recht kommen, folgt aus der Identität der wesentlichen Freiheit des Einzelnen mit der Freiheit des Ganzen und wird in den Paragraphen 153–154 der Grundlinien ausdrücklich behauptet. Seiner formalen Struktur nach und als etwas, das dem Begriff des Guten noch gegenübersteht, wird das Recht des einzelnen Subjekts in den Paragraphen 105–141 erörtert. Die Momente seiner konkreten Erfüllung werden innerhalb der Sittlichkeit vor allem in der bürgerlichen Gesellschaft herausgestellt. Das ändert aber nichts an dem umfassenden Rahmen, der in den Paragraphen 142–152 vorgezeichnet ist. Die Grundlinien und der Inhalt einer konkreten Moral sind durch die Einleitung zur „Sittlichkeit“ festgelegt; nicht durch die bloß formale Problematik des Abschnitts „Moralität“. Das erklärt, warum die einzige Stelle, an der Hegel explizit über eine inhaltlich bestimmte Pflichtenlehre spricht, nicht dort, sondern in den grundlegenden Paragraphen des dritten Abschnitts zu finden ist. Die Anmerkung zu § 148 identifiziert die „objective“ Pflichtenlehre mit der Sittenlehre oder Lehre des „Kreises der sittlichen Nothwendigkeit“. „Objectiv“ bedeutet hier: deren Inhalt nicht durch die Subjektivität der Willkür bestimmt ist. Die objektive Bestimmung steht hier dem formalen Prinzip der Moralität gegenüber. Wie Kant gezeigt hat, ist der Pflichtbegriff im Verhältnis des moralischen Subjektes zum Prinzip des Guten enthalten (§ 133). Damit ist aber nur eine formale Bestimmung, kein Inhalt für die Pflicht angegeben. Das notwendige, aber leere Prinzip der moralischen Subjektivität kann den Inhalt der Pflicht nicht „objectiv“ bestimmen. Nur auf dem Niveau des Sittlichen oder Ethischen ist eine objektive Pflichtenlehre möglich. Selbstverständlich setzt diese aber einen Begriff und eine Analyse der formalen oder „moralischen“ Aspekte der Pflicht voraus (§§ 133 ff.). Der moralische Gesichtspunkt ist das formelle und leere, aber notwendige Moment der Ethik. Die konkreten Pflichten des Individuums sind also einfach von den sittlichen Notwendigkeiten und Forderungen abzulesen. Von jeder sittlichen Bestimmung, die im dritten, einzig konkreten Abschnitt der Grundlinien aufgedeckt wird, kann und muss man sagen: Diese Bestimmung ist für den Menschen eine Pflicht (§ 148 A). Deshalb kann Hegel in § 150 A (stets unter der Voraussetzung, dass der bestehende sittliche Zustand wirklich vernünftig ist) auch behaupten: „Was der Mensch thun müsse, welches die Pflichten sind, die er zu erfüllen hat, um tugendhaft zu seyn, ist in einem sittlichen Gemeinwesen leicht zu sagen, – es ist nichts anderes von ihm zu thun, als was ihm in seinen Verhältnissen vorgezeichnet, ausgesprochen und bekannt ist.“ Die konkrete Moral (im Sinne einer Pflichten-
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lehre oder einer damit identischen Tugendlehre) ist nichts anderes als die dem einzelnen Subjekt zugekehrte Seite des „sittlichen Gemeinwesens“ (ebd.). „Eine immanente und consequente Pflichtenlehre kann aber nichts anders seyn, als die Entwickelung der Verhältnisse, die durch die Idee der Freyheit nothwendig, und daher wirklich in ihrem ganzen Umfange, im Staat sind“ (§ 148 A). Die Identifizierung des sittlichen Ganzen mit dem Staat, die Hegel auch hier wieder durchführt, steht im Widerspruch zu § 30 A. Aber auch wenn die Wirklichkeit des Sittlichen als Menschheit oder als Universalgeschichte aufgefasst wird, ändert das nichts an der prinzipiellen Aussage, dass eine inhaltliche Moral nur als Ethik und dass diese nur als Lehre des sich in Politik und Geschichte objektivierenden Geistes möglich ist. Der mit „Moralität“ überschriebene zweite Abschnitt der Grundlinien enthält also keineswegs Hegels Moralphilosophie. Er ist nicht einmal ein Teil der Hegelschen Ethik oder Moralphilosophie, sondern derjenige Teil einer Rechtslehre, in der über eine Anzahl formeller Bestimmungen von Moral und Recht reflektiert wird. Das Wort „moralisch“ wird von Hegel durchwegs als Bezeichnung einer abstrakten oder formellen und insofern einseitigen und verstandesmäßigen Betrachtung gebraucht. Im Moralischen herrscht die Dualität und damit ein noch unüberwundenes Sollen vor. Die Moral hat darum niemals das letzte Wort, auch nicht hinsichtlich der Pflichten des Individuums und schon gar nicht mit Bezug auf den Staat und die Weltgeschichte. Ein deutliches Beispiel des Hegelschen Sprachgebrauchs, das zugleich das Gesagte zusammenfasst, ist der folgende Passus: „In den moralischen Standpunkt, wie er in dieser Abhandlung von dem sittlichen unterschieden wird, fällt nur das formelle Gewissen, das wahrhafte ist nur erwähnt worden, um seinen Unterschied anzugeben und das mögliche Mißverständniß zu beseitigen, als ob hier, wo nur das formelle Gewissen betrachtet wird, von dem wahrhaften die Rede wäre, welches in der, in der Folge erst vorkommenden sittlichen Gesinnung enthalten ist“ (§ 137 A).
8.3 Hegels konkrete Moral Die Anwendung des in § 150 A formulierten Prinzips auf die Hegelsche Lehre von der Sittlichkeit würde in einer Pflichtenlehre resultieren, welche die folgenden Hauptarten umfasst: I. Der Mensch soll heiraten (§ 162 A); innerhalb einer monogamen Ehe (§ 167) seinen Ehepartner lieben (§§ 161–162), seinen natürlichen Sexualtrieb vergeistigen (§§ 163–166), ein Familienvermögen erwerben und gut verwalten (§§ 170–172), seine Kinder lieben (§ 173) und erziehen (§ 174). Das Kind soll seine Eltern lieben und ihnen gehorchen (§§ 174, 175).
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II. Das Individuum soll als Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft (§ 187) durch Arbeit seine Bedürfnisse und die Bedürfnisse anderer befriedigen (§§ 187, 196 ff.), sich bilden (§§ 187, 197), einem Stand angehören (§ 206) und den spezifischen Pflichten und Rechten seines Standes nachkommen (§ 207), die Rechte jeder Person respektieren (§§ 34–102, 134, 209 ff.), die Gesetze befolgen (§§ 211 ff.), sich beim Rechtsstreit dem Gerichte und den Regeln der Rechtspflege unterwerfen (§§ 219 ff.) das allgemeine Wohl und das Wohl jedes Einzelnen fördern (§§ 125, 130, 134, 230 ff.), an der Erziehung der Bürger mitwirken (§ 239), einer Korporation beitreten und die dort geltenden Pflichten erfüllen (§§ 250 ff.). III. Als Staatsbürger hat der Mensch die ganze private Sphäre (einschließlich des Privatrechts und Privatwohls seiner selbst, seiner Familie, seiner Korporation, seines Standes und der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt) dem politischen Endzweck zu unterwerfen (§ 261) und mit patriotischer Gesinnung den Gesetzen zu gehorchen (§ 268). Er soll sich in loyaler Weise am politischen Leben beteiligen, die Pflichten der ihm zufallenden politischen Rolle auf sich nehmen und erfüllen (§§ 257–319, 337) und sich, wenn es nötig ist, für den Staat aufopfern (§§ 324–328). Zu den Pflichten, die der Staat seinen Bürgern auferlegt, gehört auch die Pflicht, einer Religion anzugehören, die den Grundlagen des Staates nicht widerspricht (§ 270 u. A); denn ein Mensch ohne Religion hat kein Bewusstsein der geistigen Grundlagen des Staates; ihm fehlt deshalb die richtige politische Gesinnung. Inwieweit die Religion selber aus inneren religiösen Gründen Pflichten auferlegt, bleibt, wenigstens in den Grundlinien, unklar, ebenso wie die Frage, ob Kunst und Wissenschaft uns verpflichten. Auch unklar ist, ob und welche Pflichten aus der überstaatlichen Sittlichkeit der Weltgeschichte folgen. Bei konsequenter Anwendung des in § 150 A angegebenen Prinzips scheint man sagen zu müssen, dass die Individuen das Vaterland nicht als höchsten und absoluten Zweck verehren dürfen, sondern bewusst am Gang der Weltgeschichte teilnehmen sollen. Obwohl die Geschichte eine Aufeinanderfolge von Gewalttätigkeiten ist, manifestiert sich in ihr der Geist der Vernunft (§ 342). Auch die härtesten Schicksale sind Ausdruck Gottes. Amor fati ist deshalb wirklicher Gottesdienst. Der sittliche Mensch unterwirft sich dem höchsten Gericht (§ 341). Einige welthistorische Individuen haben darüber hinaus spezielle Aufgaben (mit speziellen Rechten und Pflichten), weil die geistige Substanz sie für ihre Erneuerungen benötigt (§§ 348, 350). Diese Liste kann aufgrund desselben Prinzips spezifiziert und, wo nötig, komplettiert werden. Hegel hat keine explizite Moralphilosophie geschrieben, wahrscheinlich weil die Arbeit der Anwendung ihm überflüssig und zu wenig philosophisch schien. Was er bekämpft, ist nicht die Moral als solche, sondern eine Moralphilosophie, die sich auf ihre subjektivistischen Vorstellungen und Ideale beruft, um die objektiven Forderungen des „ethischen“ Lebens zu kritisie-
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ren. Wenn die bestehende Sittlichkeit Kritik verdient – und die bisherige Sittlichkeit hat immer Kritik verdient, wie Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte (vgl. VPWG) zeigen –, dann kann das Kriterium nicht in einem rein subjektiven Ideal bestehen, sondern nur in einer besseren, notwendigen und vernünftigen Gestalt der Sittlichkeit (welche dann auch eine bessere Moral enthält). Eine Moralphilosophie, welche die sittlichen, familiären, wirtschaftlichen und politischen Probleme vernachlässigt, wird seines Erachtens unvermeidlich ein Spielball der Willkür und dadurch auch der maßlosen, einander bekämpfenden und gewalttätigen Triebe. Die Bemerkung, mit der § 150 A schließt, erinnert uns an das in § 19 Gesagte: Die Inhalte der Triebe rechtfertigen sich erst, wenn sie sich in sittliche Zwecke verwandeln. Indem der wollende Geist die natürlichen Zwecke in sich aufnimmt, bekommen diese eine vernünftige Form. Durch Vergeistigung wird der natürliche Inhalt Recht und Pflicht.
Literatur Ilting, K.-H. 1963/64: Hegels Auseinandersetzung mit der aristotelischen Politik. In: Philosophisches Jahrbuch, Band 71, S. 38–58. Jacobi, F. H. 1819: Über die Lehre des Spinoza in Briefen an Herrn Moses Mendelssohn [2. Aufl. Breslau 1793]. In: F. H. Jacobi, Werke, Band 4, Leipzig. Nd.: Darmstadt 1968. Peperzak, A. Th. 1960: Le jeune Hegel et la vision morale du monde, La Haye. Peperzak, A. Th. 1982: Zur Hegelschen Ethik. In: Hegels Philosophie des Rechts, hrsg. v. D. Henrich und R.-P. Horstmann, Stuttgart, S. 103–131. Peperzak, A. Th. 1983: The Foundations of Ethics according to Hegel. In: International Philosophical Quarterly, Band 23, S. 349–365. Peperzak, A. Th. 1987: Philosophy and Politics. A Commentary on the Preface to Hegel’s Philosophy of Right, Den Haag. Peperzak, A. Th. 1991: Hegels praktische Philosophie. Ein Kommentar zur enzyklopädischen Darstellung der menschlichen Freiheit und ihrer objektiven Verwirklichung, Stuttgart-Bad Cannstatt, S. 99–106. Peperzak, A. Th. 1995: ,Second Nature‘: Place and Significance of the Objective Spirit in Hegel’s Encyclopedia. In: The Owl of Minerva, Band 27, S. 51–66. Riedel, M. (Hg.) 1975: Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie. Band 1, Frankfurt a. M. Wood, A. 1990: Hegel’s Ethical Thought, Cambridge.
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9 Die Familie §§ 158–181
Die Familie ist die erste der drei Sphären der Sittlichkeit, der die bürgerliche Gesellschaft und der Staat nachfolgen. Gegenüber den anderen Sphären zeichnet sich die Familie durch Natürlichkeit und Unmittelbarkeit aus, denn was sie verbindet, ist das Gefühl der Liebe. Die Familie, wie Hegel sie in der Rechtsphilosophie beschreibt, passt genau zur modernen Kernfamilie, die in der Intimität gründet. Um die Grundzüge der hegelschen Familie anzugeben, ist zuerst ihr Ort im System zu betrachten, der seinerseits ihren Ort in der Geschichte widerspiegelt. Danach geht es um die Bestimmungen des Begriffs sowie um die Grundzüge und Funktionen, die der Familie eigen sind.
9.1 Der systematische Ort der Familie Die Familie ist die erste der drei Institutionen, die die Sittlichkeit entwickeln. Der Bereich, den dieser Begriff umfasst, ist durch das eingegrenzt, was ihre Darstellung voraussetzt und ihr vorhergeht, sowie auch durch das, was ihr nachfolgt. Erstens setzt die Familie das Abstrakte Recht und die Moralität voraus, d. h., das rechtliche Dasein der Person (mit ihrem Recht auf Eigentum und dem Recht, mit anderen Personen Verträge über Sachen zu schließen) sowie das moralische Subjekt, das handlungsfähig und verantwortlich für seine Handlungen ist auf der Suche nach dem Wohl und dem Guten. Die Autonomie der Subjekte ist die Voraussetzung für die Bildung einer Familie und daher Kennzeichen der modernen Familie. In der Tat gründet die Familie, so wie Hegel sie beschreibt, auf der Empfindung (das bedeutet, dass sie emotional akzeptiert und wertgeschätzt wird), aber auch auf einem expliziten Willensakt, auf der „freye[n] Einwilligung der Personen und zwar dazu, Eine Person auszumachen“ (§ 162). Ist ihre natürliche Grundlage „die besondere Neigung der beyden Personen“, die den „subjective[n] Ausgangspunkt der Ehe“ ausmacht, so ist „der objective Ausgangspunkt“ die genannte „freye Einwilligung“ (§ 162). Dieser Ansatz zeigt offenkundig, dass Hegel an die bürgerliche Familie denkt, die in der bürgerlichen Gesellschaft ihren Ort hat. Bei dieser ist die charakteristische Handlungsart der vormodernen (vorbürgerlichen) Familie nicht mehr möglich, in der „die Eltern über die Ehe nach ihrer Willkür [verfügen], ohne die Individuen zu fragen, und diese lassen es sich gefallen, da die Besonderheit der Empfindung noch keine Prätention macht“ (§ 162 Z; vgl. DOI:10.1515/9783110496529-012
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PR-Hot S. 929 f.). Der Begriff der Familie, die Hegel darstellt, setzt die Entstehung des Individuums und der Subjektivität voraus, die mit der personalen Entscheidung gegenwärtig wird. In diesem Zusammenhang tritt die Reproduktionsfunktion der Familie zurück, die zum Intimbereich wird. Zweitens wird die Familie im Hinblick auf das, was ihr nachfolgt, auf die Kernfamilie reduziert, da sie den ganzen Wirtschaftsbereich verloren hat, d. h., das Produktionssystem und die Arbeitsverhältnisse, die mit der industriellen Revolution auf die bürgerliche Gesellschaft übertragen wurden, während sie früher der Familie so sehr zu eigen waren, dass sie von ihr den Namen bekamen (oikos, Oekonomie). Mit der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft wird der ganze Bereich des menschlichen Handelns umgewandelt, und besonders die zwei Sphären, die neben ihr die Sittlichkeit ausmachen, nämlich die Familie und der Staat.1 Deswegen ist die Familie, die Hegel im Sinn hat, nicht die traditionelle Wirt schaftsgroßfamilie, die Aristoteles in seiner Politik vor Augen hat, wenn er vom Oikos spricht. Diese wird vom Hausvater regiert und ihr gehören die Frau und die Kinder an sowie auch die Sklaven oder in neueren Zeiten die rechtlich selbstän digeren Arbeiter. Diese Familie gründet hauptsächlich auf dem Ackerbau und auf jeden Fall auf einer wenig differenzierten Arbeits- und Bedürfnisstruktur (Weber 1986, S. 10–35; Despotopoulus 1988). Die Wirtschaftsgroßfamilie ist kein sittli ches System, sondern ein Produktionssystem, das auf einen Zweck gerichtet ist; sie war eine Produktionseinheit und als solche handelte sie mit einer gewissen Autarkie. Die Familie ist nach Hegel auch nicht die Verwandtschaftsgroßfami lie (Blasche 1975, S. 318), eine auf dem Blut begründete Gemeinschaft, die dem Zweck dient, die Kontinuität des Familienstamms zu gewährleisten.2 In Bezug auf die Familie ist die bürgerliche Gesellschaft in einem doppelten Sinn negativ bestimmt: Erstens gewinnt der Begriff, der in der Familie seine Verwirklichung findet, seine Bestimmung im Kontrast zur bürgerlichen Gesellschaft (Einheit, Intimität, Selbstzweck; vgl. den Übergang von der Familie zur bürgerlichen Gesellschaft, § 181). Zweitens wird die bürgerliche Gesellschaft auch im Kontrast zur Familie negativ als eine entsittlichte Lebensform bezeichnet.3 Im einen wie im anderen Fall kommt der Kontrast daher, dass die Familie
1 So wichtig ist die bürgerliche Gesellschaft, dass Blasche (1975) meint, dass dasjenige Verständ nis von Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie der bürgerlichen Gesellschaft wiedergewon nen werden sollte, das vor dem Zweiten Weltkrieg üblich war. 2 Über diese Familienformen vgl. Ariès 1973, Lebrun 1993. Über die Geschichte der Familie nach Hegel vgl. Bockenheimer 2013, S. 37–62. 3 Blasche 1975, S. 314 f. Allerdings ist der „Verlust der Sittlichkeit“ (§ 181) besonders offen am An fang der Darstellung der bürgerlichen Gesellschaft, nämlich beim „System der Bedürfnisse“, aber nicht bei allen Institutionen, denn die Korporation wird als eine „zweite Familie“ (§ 252)
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Selbstzweck ist, während die bürgerliche Gesellschaft eine Institution ist, die im Dienst anderer Zwecke steht. Diese enge Beziehung der Familie zur bürgerlichen Gesellschaft lässt erkennen, dass Hegel nicht einfach die Institution Familie behandelt, sondern die bürgerliche Familie, diejenige nämlich, die der bürgerlichen Gesellschaft entspricht. In der „kleinen“ bürgerlichen Familie wird erst die Institution Familie auf ihren Begriff gebracht, in dem sie ihre vollkommene Gestalt erfährt. Danach erreicht die Familie ihre sittliche Vollkommenheit, indem sie den Verlust der wirtschaftlichen Funktionen erfährt, die auf die bürgerliche Gesellschaft übergegangen sind. Der intime familiäre Bereich, dem Hegel die sittliche Vollkommenheit zuspricht, entsteht, wenn die traditionelle Familie bestimmte Funktionen verloren hat, die sie zu einer Instanz machten, die selbst ihre eigene Subsistenz produzierte. Durch diesen Verlust wird die Familie Selbstzweck und hört auf, Mittel für äußere Zwecke zu sein. Die Familie, als sittlicher intimer Bereich, ist nur dann möglich, wenn die Befriedigung der Bedürfnisse einem eigenen System zukommt, nämlich dem „System der Bedürfnisse“ und überhaupt der bürgerlichen Gesellschaft. Neue Aufgaben werden auf sie zukommen, so dass sie als Bereich der Intimität gesellschaftliche Aufgaben übernimmt und zur sozialen Institution wird (Blasche 1975, S. 316). Trennen sich das familiäre Leben und das berufliche, sind die Individuen gezwungen, ihren Ort im beruflichen Leben zu suchen, so dass die Familie ihre Funktion in der Produktion verloren hat, ihre Funktion für die Produktion aber noch weiter besteht und der Arbeitslohn ihrer Mitglieder zum Gut der Familie wird.4 Es ist nicht zu übersehen, dass die bürgerliche Gesellschaft einen breiten und differenzierten Bereich umfasst, der unter anderem die Korporation einschließt,5 die „unter der Aufsicht der öffentlichen Macht, das Recht [hat], ihre eigenen innerhalb ihrer eingeschlossenen Interessen zu besorgen, Mitglieder nach der objectiven Eigenschaft ihrer Geschicklichkeit und Rechtschaffenheit […] anzunehmen und für die ihr Angehörigen die Sorge gegen die besondern Zufälligkeiten […] zu tragen – überhaupt für sie als zweite Familie einzutreten“ (§ 252). Auf diesem Umweg wird ein Zusammenhang zwischen der Familie und der wirtschaftlichen Welt wiederhergestellt, da die Familie in „der Corporation […] nicht nur ihren festen Boden [hat] als die durch Befähigung bedingte Sicherung der Subsistenz, ein festes Vermögen (§. 170.), sondern beydes ist auch anerkannt“ (§ 253). Die Affinität der Familie zur Korporation kommt daher, dass beide Selbstzweck
bezeichnet, mit einem starken sittlichen Charakter, so dass sie (zusammen mit der Familie) „die zweyte […] sittliche Wurzel des Staats“ (§ 255) genannt wird. 4 Blasche 1975, S. 321 gibt fünf Funktionen an, die der Familie in ‚allen Gesellschaften‘ zukommen. 5 Über die Bedeutung dieser Institution vgl. Heiman 1971.
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sind, keinem anderen Zweck dienen als der Sorge um ihre Mitglieder, die damit ein Ganzes bilden, in dem alle integriert sind. Daher machen beide Institutionen die zwei „sittliche[n] Wurzel[n] des Staats aus“ (§ 255). So ist leicht einzusehen, dass der systematische Ort der Familie denjenigen Ort widerspiegelt, den sie in der Geschichte der gesellschaftlichen Evolution nach den europäischen industriellen und politischen Revolutionen erreicht hat. Hegel weiß, dass er einen geschichtlich bestimmten Familientyp beschreibt. Es wäre zu fragen, ob dieser Familientyp die Verwirklichung des Begriffs der Familie ist, so dass er wirklich aus dem Begriff des freien Willens abzuleiten wäre. Auf jeden Fall ist der Übergang von der Familie zur bürgerlichen Gesellschaft längst nicht selbstverständlich, vor allem, wenn der sowohl begriffliche als auch geschichtliche Primat der Familie und des Staates in Betracht kommt. In Bezug auf die Geschichte vermerkt Hegel mehrmals, dass die ersten Staaten „als Formen der Allgemeinheit“ aus der Familie, als patriarchalisch organisierter Institution, gestiftet worden sind (§ 203 A, § 256 A). Begrifflich kommt der modernen Familie und dem Staat der Primat zu, weil sie Institutionen sind, die den freien Willen verwirklichen. In ihnen wird der Endzweck des Willens, die Freiheit, verwirklicht. Deswegen unterscheiden sie sich von den anderen Institutionen, die einem ihnen äußerlichen Zweck dienen. Damit wurde schon auf die Beziehungen zwischen der Familie und dem Staat hingewiesen. Beide sind von sich aus sittliche Institutionen, die ihren Zweck in sich haben. Die personale Beschaffenheit, die der Familie eigen ist, hat auch im Staat ihre Ausprägung erfahren, dessen Souveränität in der fürstlichen Gewalt liegt, die auch personalen Charakter hat (§ 278). Sie repräsentiert den Staat nicht als eine unpersönliche Instanz, sondern als seine Subjektivität (§ 279; vgl. Bour geois 1986). Beide Institutionen entwickeln sich aber in einer Spannung zuein ander, weil die Familie in der Empfindung, in der Liebe begründet ist, der Staat dagegen in der Vernunft und in der Freiheit. Beide aber, sowohl die Familie als auch der Staat, integrieren Individuen in eine Gemeinschaft, die ein Wir ist und als Bedingung für die Ausbildung des Ichs, der Identität und der Freiheit ihrer Mit glieder fungiert (Westphal 1984, S. 79 f., 87; Peperzak 2001, S. 412). Darum bemerkt Hegel, dass Familie und Staat „die einzigen grossen Sittlichen Ganze“ sind (§ 142 R S. 705), obwohl sie zwei Größen sind, die schon im ersten Paragraphen unterschie den und einander gegenüberstellt werden (§ 158): Im Staat ist das Wesentliche das Wissen, in der Familie dagegen die Empfindung, die Liebe. Für beide gilt diejenige Denkfigur, die leicht missverstanden werden kann: Die Individuen sind wie Akzi denzen einer Substanz (der Familie, des Staates) (§§ 145, 163 A; E § 514).6
6 Über das Substanz-Akzidens-Verhältnis vgl. Brauer 2007, S. 221–228.
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9.2 Der Begriff der Familie (§§ 158–160) Das erste, schon bei der Ortsbestimmung des Themas erwähnte und später ausführlich dargestellte Charakteristikum der Familie ist, dass sie trotz ihrer Verwurzelung im Natürlichen zunächst eine sittliche Institution ist. Die Sittlichkeit wird vom Begriff des freien Willens abgeleitet als dessen geschichtliche Realisierung. Sie ist die verwirklichte Freiheit. Was vom Staat behauptet wird, gilt auch für die Familie: „Die Vereinigung als solche ist selbst der wahrhafte Inhalt und Zweck, und die Bestimmung der Individuen ist ein allgemeines Leben zu führen“ (§ 258 A S. 201). Der Unterschied zwischen der Allgemeinheit der Familie und der des Staates ist nur graduell; die Familie ist ein Interaktionsbereich zwischen einigen Individuen, die durch bestimmte Bindungen vereinigt sind. Was die Familie vom Staat unterscheidet, ist nicht so sehr der Allgemeinheitsgrad als vielmehr die Beschaffenheit der Bindungen. In der Tat ist das Bezeichnende der Familie, dass ihre Vereinigung auf einer „empfindende[n] Einheit, d[er] Liebe“ gründet,7 einer Einheit, in der der Geist sich empfindet (§ 158); im Unterschied zum Staat, der „die Wirklichkeit des substantiellen Willens“ ist, „das an und für sich Vernünftige“ (§ 258), das auf expliziten Willensakten beruht. Der sinnlichen Beschaffenheit der Bindung der Familie zum Trotz ist sie eine Bindung, die die Individuen so vereinigt, dass sie „in dieser Einheit [...] nicht als eine Person für sich, sondern als Mitglied“ sind (§ 158); das bedeutet, dass man an der Familie nicht als unabhängige Person teilnimmt, sondern als Mitglied der Gemeinschaft, nämlich als Vater, Mutter usw. Wegen der sinnlichen und affektiven Beschaffenheit der Bindung hat die Sittlichkeit der Familie einen natürlichen Charakter, so dass sie eine natürliche Sittlichkeit, „der unmittelbare oder natürliche sittliche Geist“ ist (§ 157). Das, was diesen familiären Interaktionsbereich sittlich werden lässt, ist, dass die Befriedigung der natürlichen Bedürfnisse in der Form der gegenseitigen Liebe zustande kommt. „Die Liebe ist aber Empfindung, das heißt die Sittlichkeit in Form des Natürlichen“; aber Liebe heißt auch „das Bewußtsein meiner Einheit mit einem anderen, so daß ich für mich nicht isoliert bin, sondern mein Selbstbewußtsein nur als Aufgebung meines Fürsichseins gewinne und durch das Mich-Wissen, als der Einheit meiner mit dem anderen und des anderen mit mir“ (§ 158 Z; vgl. PR-Hot S. 927). Das Bewusstsein der Unersetzlichkeit des anderen bringt ein Verhalten mit sich, das sich als „gegenseitige[] Liebe und Beyhülfe“ erweist (§ 164; Honneth 2001, S. 102–107).
7 Über die Liebe vgl. Peperzak 2001, S. 410–414; Siebert 1980, S. 178–179, 181–183, 185–188, 202–204.
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In dieser positiven Kennzeichnung der Empfindung und der Liebe kann man eine Deutung der Familie als intimen sozialen Bereichs erkennen, der aus den Affekten entstanden ist, der aber Willensakte nicht ausschließt, sondern vielmehr einschließt. Entfernt von gegenwärtigen Auffassungen und von ihnen aus zu weitgehend erscheint dagegen die ‚Entpersonalisierung‘ der Familienmitglieder, da auch in der Familie jedes Mitglied als selbstständige Person handelt, besonders nach dem beträchtlichen Individualisierungszuwachs und der Emanzipation der Frau in den letzten Jahrzehnten. Das ist sicherlich einer der auffallenden Faktoren, der die heutige Familiengestaltung entscheidend von der hegelschen unterscheidet. Auf jeden Fall spricht Hegel von ‚Entpersonalisierung‘ in dem Sinn, dass das Individuum, das der Familie beitritt, nicht mehr Person für sich ist, sondern Mitglied wird. Es handelt sich um eine beschränkte ‚Entpersonalisierung‘, die nur bezüglich der eigenen Familie gilt, denn eben diese bildet ihre Individuen, und zwar die Kinder, zu Personen aus, damit sie fähig sind, als solche in der bürgerlichen Gesellschaft zu handeln (§§ 177, 181).8 Es ist eine ‚Entpersonalisierung‘ der abstrakten und natürlichen Persönlichkeit, um die im familiären Bereich ausgebildete Persönlichkeit zu erreichen. Die Familie erreicht ihren Begriff und darum ihre Begründung im Natürlichen nur dann, wenn die bürgerliche Gesellschaft schon existiert, und folglich die Familie ihre Funktion, die Bedürfnisse zu befriedigen, der bürgerlichen Gesellschaft, nämlich dem „System der Bedürfnisse“ übertragen hat. Nur unter dieser Bedingung konzentriert sich die Familie auf ihren Kern, nämlich auf die natürliche Beziehung zwischen zwei sexuell verschiedenen Individuen. Erst dann wird die Ehe zur zentralen Institution (Blasche 1975, S. 317). Die Familie hat „die Liebe, zu ihrer Bestimmung, so daß die Gesinnung ist, das Selbstbewußtseyn seiner Individualität in dieser Einheit“ zu haben, „um in ihr nicht als eine Person für sich, sondern als Mitglied zu seyn“ (§ 158). Angesichts dieser Definition der Familie stellt sich die Frage, was für ein Recht eine solche Gemeinschaft regieren kann. Die Antwort gibt der nächste Paragraph (§ 159). In die Familie tritt das Recht als formales Recht nur dann ein, wenn „die Familie in die Auflösung übergeht“, weil diejenigen, die ihre Mitglieder waren, „in ihrer
8 Hier findet nach Theunissen (1982, S. 336) der Verlust der Intersubjektivität durch die Substan zialisierung oder Subjektivierung des Ganzen statt, dem gegenüber die Individuen Akzidenzen sind. Somit werden weder die Familie noch der Staat als Produkt des realen Verhältnisses zwi schen den Individuen gedacht, sondern primär als etwas Substanzielles, als Verwirklichung einer supraindividualistischen Substanz, und letztlich als die Konkretion der absoluten Subjek tivität.
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Gesinnung und Wirklichkeit, als selbstständige Personen werden“ (ebd.). Wenn die Erziehung der Kinder behandelt wird, werden gleichwohl Rechte formuliert, die im familiären Leben gelten sollen (§§ 174–175), so dass die erste Aussage mit dieser auszubalancieren ist. Die Darstellung hat mit dieser einführenden allgemeinen Beschreibung der Familie (§ 158) und ihrer rechtlichen Dimension (§ 159) begonnen, um aus diesen Grundzügen die Einteilung der Abschnitte vorzustellen, indem die „drei Seiten“, in denen die Familie sich „vollendet“, unterschieden werden (§ 160): die Ehe (§§ 161–169), das Vermögen der Familie (§§ 170–172), und endlich die Erziehung der Kinder und die Auflösung der Familie (§§ 173–180). Der Zusammenhang dieser drei Seiten ist einfach: die Ehe ist die Familie „in der Gestalt ihres unmittelbaren Begriffes“; das Vermögen dagegen „in dem äußerlichen Daseyn“; und die Erziehung der Kinder zielt schon auf die Auflösung der Familie (§ 160).
9.3 Die Ehe (§§ 161–169) Die Darstellung der Ehe ist der umfangreichste Teil, in dem die erwähnten Grundzüge entwickelt werden. Der Knotenpunkt der Ehe, wie überhaupt der Familie, ist die Zusammenfügung der natürlichen und der sittlichen Dimension, da sie selbstverständlich sittliche Institutionen sind, aber mit einer starken Verwurzelung im Natürlichen. In der Tat kann die Familie überhaupt als der Prüfstand solcher Zusammenfügung verstanden werden, die Hegel auch anderswo vertritt, besonders bei der Darstellung des Begriffs des Geistes (E § 381, vgl. Peperzak 1987, S. 17–28).
9.3.1 Natürliche Sittlichkeit (§§ 161–163) Die Definition der Ehe schließt ein Moment der Natürlichkeit und gleichzeitig ihren sittlichen Charakter ein (§ 161). Der Begriff besteht gerade darin, die gegensätzlichen Bestimmungen zur Einheit zu bringen, nämlich den natürlichen und den sittlichen oder geistigen, den unmittelbaren und den vernünftigen Charakter, die Empfindung oder die natürliche Lebendigkeit und die gewollte Einheit, die besondere Neigung und die freie Einwilligung der Personen, die Äußerlichkeit des Natürlichen und die Innerlichkeit des Selbstbewusstseins. Die erste Grundbestimmung der Ehe besteht einerseits darin, dass sie „das Moment der natürlichen Lebendigkeit […], die Lebendigkeit in ihrer Totalität, nämlich als Wirklichkeit der Gattung und deren Prozeß“ enthält, aber andererseits „im Selbstbewußtseyn […] die nur innerliche oder an sich seyende und eben
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damit in ihrer Existenz nur äußerliche Einheit der natürlichen Geschlechter, in eine Geistige, in selbstbewußte Liebe“ umwandelt (§ 161). Die Ehe hat eine natürliche Basis, aber sie ist „wesentlich ein rechtlich sittliches Verhältnis“ (PR-Grie). Das Natürliche erlangt einen geistigen und sittlichen Charakter. Aus dieser Umwandlung des Natürlichen zur sittlichen und geistigen Bestimmung glaubt Hegel, „die sittliche Pflicht“, „in den Stand der Ehe zu treten“ (§ 162 A), ableiten zu können. Diese Pflicht ist eine Befreiung (§ 162), die die Überwindung der nur natürlichen und besonderen Ebene verlangt. In der Tat, wenn man in der Ebene der reinen Neigung verharrt, die in ein Verhalten übergehen könnte, das nur die Befriedigung sucht, etwa durch häufigen Partnerwechsel (bei gleich bleibendem hedonistischen Grundcharakter der Beziehungen), würde eine Form der Willkür und Heteronomie und darum Freiheitslosigkeit am Werk sein. Dasselbe gilt umgekehrt für die so genannte platonische Liebe (§ 163 A; Jermann 1987, S. 148 f.). Das Natürliche wird wie bei Kant als etwas Besonderes, Sinnliches und (bloß) Subjektives verstanden, und darum ins Sittliche, Vernünftige, Willentliche, Geistige erhoben. Trotz dieser Anforderung, und im Gegensatz zu Kant, wird die bleibende Geltung des Natürlichen behauptet. Im Anspruch auf die gegenseitige Erwählung der Liebenden, bei der sowohl die besondere Neigung wie auch die sittliche Gesinnung am Werk sind, die dann als die freie Einwilligung sich zeigen werden, besteht die Eigentümlichkeit der neuen Zeit, von der man nicht mehr absehen darf (Tomba 1994, S. 60). In der natürlichen Dimension der Ehe sind zwei Aspekte zu unterscheiden. Der eine ist „das Moment der natürlichen Lebendigkeit, und zwar […] in ihrer Totalität, nämlich als Wirklichkeit der Gattung und deren Prozeß“ (§ 161). Hegel selbst verweist auf die Enzyklopädie (1830) §§ 220 ff. und 366 ff. Der Gattungsprozess durchläuft die Schritte der Arten- und der Geschlechterdifferenzierung, der Krankheit, der Gewohnheit (auch als körperlicher Erstarrung), und des Todes. Der Tod verweist auf den Geist, da er der Tod des Individuums ist, aber auch der des Natürlichen, so dass durch ihn die Natur „in ihre Wahrheit übergegangen [ist], in die Subjectivität des Begriffs“, in den „Geist“. (E § 376) Der Gattungsprozess ist, wie sein Name sagt, der Prozess der Erzeugung der Gattung Mensch, der zugleich der Prozess der Geisteserzeugung ist, da der Mensch von seiner Gattung her Bewusstsein hat. Auf diese Weise manifestiert sich die Allgemeinheit der Gattung in ihm, und zwar in der Besonderheit des Individuums, und so wird die Einheit der Allgemeinheit und der Besonderheit, und das heißt die Einzelheit des Menschen, Wirklichkeit. Nun ist aber die Gattung keine ontologische Entität, die neben oder oberhalb der Individuen existierte, sondern sie ist die „concrete Substanz“ (E § 367) der Subjekte, die die Subjekte wesentlich bestimmt. Obwohl diese Aussage platonische Anklänge hat, trennt Hegel sie vom Platonismus, indem er
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verlangt, dass der Mensch, um zu sein, was er ist, Bewusstsein von dem haben soll, was er ist. Dank dieses subjektiven Verständnisses ist die Gattung nicht bloß die Reihe der toten und lebendigen Individuen, sondern etwas Innerliches der Gattungsmitglieder, das jeder auf seine jeweilige Art und Weise hat, weiß und verwirklicht. Damit verweist selbst die biologische natürliche Grundlage auf das Bewusstsein, auf den Geist und, bei der Ehe, auf das Sittliche (Brauer 2007, S. 90–99; Peperzak 2001, S. 414–417). Dieselbe Begriffsentwicklung, die aus dem Ende der Naturphilosophie entnommen ist und die den Übergang zur Geistesphilosophie auszeichnet (E § 376), findet sich im § 161, der die Umwandlung „der natürlichen Lebendigkeit“ in eine „Geistige“ darstellt. Diese Umwandlung besteht darin, dass die „äußerliche Einheit der natürlichen Geschlechter, in eine Geistige, in selbstbewußte Liebe“ (§ 161) umgewandelt wird. Die natürliche Basis wird nicht negiert und bleibt für die Ehe bestehen, aber sie wird transzendiert und gehoben, indem sie in das Bewusstsein und in die Liebe aufgenommen wird. Gewiss ist die Ehe nach Hegel nicht auf die Reproduktionsfunktion reduziert, sondern sie ist allererst dazu bestimmt, ein emotionaler Nahbereich zu sein, aber die Liebe und die Intimität sind durch den Unterschied der Geschlechter bestimmt (Brauer 2007, S. 124–127). Damit kommen wir zum zweiten Aspekt der natürlichen Dimension der Ehe: die affektive, die natürliche „besondere Neigung“ (§ 162). Diese bildet den „subjective[n] Ausgangspunkt der Ehe“, der die Individuen dazu führt, in ein Eheverhältnis einzutreten. Obwohl Hegel die gegenseitige „Neigung“ als den eigentlichen „subjective[n] Ausgangspunkt der Ehe“ betrachtet, schließt er nicht aus, dass der Ausgangspunkt von der „Vorsorge und Veranstaltung der Eltern“ (§ 162) ausgeht. Beide Ausgangspunkte sind zufällige „Extreme“. Die Vermittlung „kann selbst als der sittlichere Weg angesehen werden“, aber der Beginn mit der wechselseitigen Neigung entspricht „dem subjectiven Princip der modernen Welt“9 (§ 162 A). Dieses Prinzip der modernen Welt ist das „Recht der Besonderheit des Subjects“, das „den Wende- und Mittelpunkt in dem Unterschiede des Alterthums und der modernen Zeit“ macht (§ 124 A). Der subjektive Ausgangspunkt wird vom objektiven überhöht, der in der „freye[n] Einwilligung der Personen und zwar dazu, Eine Person auszumachen“, die Familie (§ 162), besteht. Für die Konstitution der Familie als einer Person wird
9 Hier verweist Hegel auf § 124 A. In diesem Kontext erwähnt er die modernen Dramen und ande re Kunstdarstellungen, „wo die Geschlechterliebe das Grundinteresse ausmacht“ (§ 162 A). Darin kann man eine Andeutung auf J. W. Goethes Die Wahlverwandtschaften (1809) und Fr. Schlegels Lucinde (1799) sehen. Vgl. § 162 A. Lucinde wird explizit und kritisch in § 164 Z bzw. PR-Grie S. 1284 erwähnt. Darüber Brauer 2007, S. 112–114.
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ein Negations- und Erhöhungsprozess, eine Aufhebung nötig. In der Tat müssen die Individuen damit anfangen, „ihre natürliche und einzelne Persönlichkeit in jener Einheit aufzugeben“; das ist das Moment der „Selbstbeschränkung“, der Selbstnegation. Dieser Verzicht führt zur Schaffung einer neuen personalen Einheit, der Familie, so dass die Persönlichkeit, die eingangs natürlich war, damit ihr „substantielles Selbstbewußtseyn“ gewinnt; die Einheit, die zuerst die Negation und die Selbstbeschränkung verlangte, erweist sich am Ende als „ihre Befreyung“ (§ 162; Tomba 1994). Mit dieser Einheit wird das „Sittliche der Ehe“ (§ 163) erreicht. Die „geistige Einheit“ (vgl. § 161) ist in der Ehe so fundamental, dass diese einfach in ihr besteht, nämlich „in dem Bewußtseyn dieser Einheit“, und diese selber ihren „substantiellen Zweck[]“ ausmacht (§ 163). Diese Einheit zeigt, dass die Ehe „in der Liebe, dem Zutrauen und der Gemeinsamkeit der ganzen individuellen Existenz“ besteht (§ 163). Die geistige Einheit offenbart den sittlichen Charakter der Ehe. Der natürliche Aspekt verschwindet nicht, aber wird „herabgesetzt“ „zur Modalität eines Naturmoments, das eben in seiner Befriedigung zu erlöschen bestimmt ist“ (§ 163).
9.3.2 Unauflöslichkeit (§§ 163, 176) und Monogamie (§§ 167–168) Aus der geistigen Beschaffenheit der Ehe-Einheit leitet Hegel deren Unauflöslichkeit ab. Als geistige Einheit ist sie das „über die Zufälligkeit der Leidenschaften und des zeitlichen besondern Beliebens erhabene“ und schafft ein „geistige[s] Band“, das an der Ehe das „an sich unauflösliche“ (§ 163) ist. Die Unauflöslichkeit der Ehe macht das Band zum substantiellen, und dessen Mitglieder zu Akzidenzen (§ 163 A). Das Band bewirkt eine „Identificirung der Persönlichkeiten, wodurch die Familie Eine Person ist, und die Glieder derselben Accidenzen“ (§ 163 A). Dieselbe Aussage, ohne die Hypothek des Substanz-Akzidenz-Verhältnisses, erscheint schon im ersten Paragraph, wo behauptet wird, dass die Familie eine Person ist, deren integrierende Individuen die Mitglieder sind, die in ihr ihre Wesentlichkeit haben, das ist, in ihrer Einheit (§ 158; Jermann 1987, S. 150). Dass die Ehe „ihre objective Wirklichkeit in der Innigkeit der subjectiven Gesinnung und Empfindung hat“, bringt allerdings gleichzeitig „die erste Zufälligkeit ihrer Existenz“ mit sich (§ 176). So wie für die Ehe-Schließung „eine dritte sittliche Autorität gefodert“ wird, „welche das Recht der Ehe […] gegen die bloße Meynung […] und gegen die Zufälligkeit bloß temporärer Stimmung u. s. f. festhält“, kann daher diese Autorität ebenso „die Ehe scheiden“ (§ 176). Soll die Ehe-Schließung von der Gemeinschaft anerkannt werden, so auch ihre
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Auflösung (Brauer, S. 2007, S. 175–180). Diese Autorität schafft die notwendige Objektivität der Einheit in der Liebe, vor der die gegenseitigen Pflichten „gegen die Zufälligkeit bloß temporärer Stimmung“ verbindende Kraft gewinnen (§ 176). Der einzige Grund, die Ehe zu scheiden, liegt darin, dass das subjektive, affektive Element der Liebe verschwunden ist sowie auch das entsprechende Verhalten; kann dieses Verschwinden festgestellt werden, darf die rechtliche Form von der Gemeinschaftsautorität aufgelöst werden. Dass die Ehegatten zu Mitgliedern einer Person, der Familie, werden, nimmt ihrer personalen Würde nichts. Der Beweis dafür ist die Argumentation für den monogamischen Charakter der Ehe, die darin gründet, dass „die unmittelbare ausschließende Einzelnheit“ „sich in dieß Verhältniß legt und hingibt“, so dass es eine „gegenseitige[] ungetheilte[] Hingebung dieser Persönlichkeit“ ist (§ 167). Wenn die Auflöslichkeit der Ehe ihre zeitliche Unbegrenztheit manifestiert, so hebt die Monogamie die Ungeteiltheit der Hingebung hervor. Die personale Hingebung löscht die Person nicht nur nicht aus, sondern bringt sie zur Verwirklichung, weil durch sie die Person „zu ihrem Rechte“ kommt, „im Andern ihrer selbst bewußt zu seyn, nur insofern das Andre als Person, d. i. als atome Einzelnheit in dieser Identität ist.“ (§ 167) Hier ist ein Anerkennungsprozess am Werk, der in der Modalität der Liebe vorgeht (Siep 2014, S. 97–104; Bockenheimer 2013, S. 154–166). Durch diese gegenseitige Anerkennung als Personen wird die Ehe zu einem „der absoluten Principien, worauf die Sittlichkeit eines Gemeinwesens beruht; die Stiftung der Ehe wird daher als eines der Momente der göttlichen oder heroischen Gründung der Staaten aufgeführt.“ (§ 167 A; Jermann 1987, S. 151). Um das Verbot der Ehe unter Blutsverwandten zu erklären und zu begründen (§ 168), gebraucht Hegel dasselbe Argument der Monogamie, d. h. die ungeteilte Hingebung, die die Personalität nicht negiert, sondern verwirklicht. Hier wird geltend gemacht, dass dort kein freies Sichgeben und -vereinen möglich ist, wo nie eine Trennung war; um zu vereinen, müssen verschiedene Seiten da sein; die Vereinigung setzt Entzweiung voraus; wo die Einheit der Blutsverwandtschaft ist, kann nach Hegel die Ehe-Einheit nicht geschaffen werden. Das Argument spielt sich offensichtlich auf der geistigen und sittlichen Ebene ab, die den zwischenmenschlichen Beziehungen nach der Logik des Geistes eigen ist (Jermann 1987, S. 155).
9.3.3 Die Rollen der Geschlechter (§§ 165–166) Die Frage nach der Symmetrie zwischen den Ehegatten und den Rollen eines jeden aufgrund des Geschlechterunterschieds ist einer der Punkte, der die zeitliche Distanz zu der Hegelschen Darstellung kräftiger heraushebt und aus der heutigen Sichtweise mehr Kritik hervorruft. Die Darstellung fängt mit der
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Behauptung der „Vernünftigkeit“ der „natürliche[n] Bestimmtheit der beyden Geschlechter“ an (§ 165; Brauer 2007, S. 123–141).10 Aus dieser Vernünftigkeit wird das allgemeine Prinzip abgeleitet, nach dem das Natürliche in der Ehe auf die Ebene des Geistigen und Sittlichen erhoben wird; für die Ehe heißt das, dass die „natürliche Bestimmtheit […] intellectuelle und sittliche Bedeutung“ erhält (§ 165). Es ist ein allgemeines Prinzip der hegelschen Philosophie, dass das Natürliche an sich vernünftig ist, so dass man bei ihm einen Gegensatz zwischen Natur und Geist bzw. Freiheit, der für Kant so charakteristisch ist, vergebens suchen würde. Hegel selber erklärt später „die intellectuelle und sittliche Bedeutung“. Die Vernünftigkeit jenes Unterschiedes gründet darauf, dass die Ehe, als geistigsittliche Einheit, aus den beiden Momenten des Geistes bestehen soll, d. h. aus der substantiellen Einheit und aus der Entzweiung (§ 166). Dies ist der Grund der notwendigen Heterosexualität der Ehe, dass sie Einheit der Verschiedenen sein soll. Die Ehe ist die „concrete Einheit“ (§ 165) der verschiedenen Geschlechter. Die Verschiedenheit besteht in der Verteilung eines der Momente des Geistes auf eines der Geschlechter. Dem Männlichen entspricht die Entzweiung, da es „das sich entzweiende in die für sich seyende persönliche Selbstständigkeit und in das Wissen und Wollen der freyen Allgemeinheit, [in] das Selbstbewußtseyn des begreifenden Gedankens und [in das] Wollen des objectiven Entzwecks“ ist (§ 166); es ist die selbstbewusste Persönlichkeit, die objektiv aktiv und mächtig nach außen ist. Dem Weiblichen entspricht „das in der Einigkeit sich erhaltende Geistige als Wissen und Wollen des Substantiellen in Form der concreten Einzelnheit und der Empfindung“ (§ 166); es ist „das Passive und Subjective“ (§ 166). Ausgehend von dieser begrifflichen Konstruktion, die genau die des Geistes widerspiegelt, der sich entzweit und versöhnt, aus sich herausgeht und zu sich zurückkommt, wird die Aufteilung der Rollen der verschiedenen Geschlechter festgestellt oder die in seiner Zeit geltende aufgenommen: Der Mann widmet sich der Politik und der Wissenschaft und sonst dem „Kampfe und der Arbeit mit der Außenwelt und mit sich selbst“ (§ 166), weshalb er das Moment der Entzweiung vertritt; aber ihm steht auch zu, die Versöhnung zu suchen, die er in der Familie erfährt. Die Frau dagegen hat in der Familie ihre substantielle Bestimmung und als sittliche Gesinnung die als die eigentlich häusliche Tugend verstandene Pietät (§ 166).11
10 Wegen der sexuellen Prägung der Ehe ist sie der Ort geworden, wo die Geschlechtertheorie Hegels zur Debatte steht. Vgl. Brauer 2007, Bockenheimer 2013. 11 Zur Kritik an der „Versittlichung“ der natürlichen Unterschiede in Hegels Freiheitsbegriff vgl. auch Siep 2013.
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Die Ehe kann geschlossen werden, wenn solche Unterschiede da sind und in die Einheit aufgehoben werden. Dass diese Unterschiede heterosexuell sein sollen, kann man aus der Reproduktionsfunktion der Familie oder auch aus der traditionellen Sicht der Familie ableiten, aber es können dazu kaum spekulative Gründe beigebracht werden, besonders wenn man schon angegeben hat, dass sich die Familie als ein intimer sozialer Bereich konstituiert. Nach Hegel wird dieser Bereich entscheidend durch den heterosexuellen Unterschied bestimmt, da dieser die spezifische Liebesart begründet, die die familiäre und die Ehe-Einheit schafft. Es ist derselbe Grund, der sowohl die Unauflöslichkeit als auch die Monogamie begründet. Diesem Grund ist hier noch hinzugefügt, dass die eigentlich sexuelle Beziehung in der Ehe heterosexuell ist; sonst (d. h., wenn man die Ehe nur durch die intersubjektive Beziehungen definiert) würde man den Unterschied zwischen der Ehe und einer engen Lebensgemeinschaft von Freunden verwischen. Eine ganz andere Frage ist die der Rollenverteilung der verschiedenen Geschlechter; vor allem, wenn einem Geschlecht die Aktivität nach außen zugesprochen wird und dem anderen die Passivität und die Sorge für die Familie, mit der Folge, dass die Frau zu Hause eingeschlossen ist. Es ist schwer, dieser Rollenverteilung eine vernünftige Grundlage zuzuweisen; es scheint eher eine bloße Rationalisierung des Etablierten zu sein. Versucht man eine biologische Grundlage zu suchen, kann man immer antworten, dass die familiäre und die Ehe-Einheit nicht das Werk der Natur, sondern des Geistes ist.12
9.3.4 Die Familie und das Recht (§§ 159, 161 Z, 163, 164, 176) Schon am Anfang hat Hegel auf den besonderen Status des Rechts in der Familie hingewiesen (§ 159). Da die Familie die Liebe als Bestimmung hat, die eine Einheit ausbaut, in der man aufhört, „eine Person für sich“ zu sein, und „Mitglied“ wird (§ 158), hat das Recht eine schwache, zerbrechliche Existenz; es ist wie ein Notausgang. Jedenfalls ist danach zu fragen, was das für ein Recht ist und welche Rechtsgestalt die Familie bildet. Es ist das abstrakte Recht, das als Träger die einzelnen Personen hat, und deshalb kommt es insofern zur Geltung „als die Familie in die Auflösung übergeht“ (§ 159), sei es durch den Tod oder die Scheidung der Ehe oder die Emanzipation der Kinder, d. h., wenn die Glieder (wieder) selbstständige Personen geworden sind. In diesem Moment treten die Rechte und
12 Die feministische Kritik zielt darauf, dass Hegel die gesellschaftliche und individuelle Aneig nung der natürlichen Gattungshaftigkeit nicht befriedigend leistet. Bockenheimer 2013, S. 63, 227–240; Annerl 1992; Mills 1996; Stafford 1997.
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die Pflichten ein, die sie als Personen innehaben, sowohl Rechte und Pflichten, die aus der Ehe entstammen, wie diejenigen, die auf „Vermögen, Alimentation, Kosten der Erziehung u. dergl.“ bezogen sind (§ 159). Eine Grundfrage betrifft das Recht, das die Ehe selbst festlegt und ihre Rechtsgestalt definiert. Wie gesehen, hat die Ehe „als subjective[n] Ausgangspunkt“ „die besondere Neigung“ und als „objective[n] Ausgangspunkt“ „die freye Einwilligung der Personen“ (§ 162). Diese „freye Einwilligung“ hat nach Hegel mit einem Vertrag überhaupt nichts zu tun.13 Damit distanziert er sich entschieden von Kant (Metaphysik der Sitten, AA VI, 277; Weber 1986, S. 35–50; Tomba 1994, S. 62–70). Das Verständnis der Ehe als Vertrag ist nach Hegel beschämend, da die Ehe damit „herabgewürdigt wird“, indem sie als ein einfaches Sexualverhältnis angesehen wird, das nur die „physische Seite“ ansieht, über deren gegenseitigen Gebrauch vertragsmäßig vereinbart wird (§ 161 Z; vgl. PR-Grie S. 1277). Wie schon vorher erklärt wurde, ist der Vertrag für die Ehe (so wie auch für den Staat) ungeeignet erstens, weil er „von der Willkühr“ ausgeht, d. h. vom besonderen Willen; zweitens, weil er Beziehungen zwischen Besonderen verknüpft, die nur einen gemeinsamen, aber nicht allgemeinen Willen schaffen; die Willen sind nicht in der Lage, über ihre Besonderheit hinauszugehen; und drittens ist „der Gegenstand des Vertrags […] eine einzelne äußerliche Sache“ (§ 75; Westphal 1984, S. 78; Landau 1975, S. 180). Ein näherer Grund, das Verständnis der Ehe als Vertrag abzulehnen, ist, dass die Ehe „gerade dies [ist], vom Vertrags-Standpunkte, der in ihrer Einzelnheit selbstständigen Persönlichkeit, auszugehen, um ihn aufzuheben“ (§ 163 A). Dieser Grund hat darin seine Basis, dass das Individuum, wenn es die Ehe schließt, nicht mehr „eine Person für sich“ ist und ein „Mitglied“ der Familie wird (§ 158); in diesem Sinn hört es auf, abstrakte Person zu sein, und wird konkrete Person als Mitglied der Familie, die „Eine Person ist, und die Glieder derselben Accidenzen“ (§ 163 A). Die Person, die Mitglied geworden ist, hat nur ihre Abstraktion verloren; sie hat die „Aeußerlichkeit“ „abgestreift“, die der abstrakten Person eigen ist, und den „sittliche[n] Geist“ erreicht, der „als eine Gestalt für die Vorstellung herausgehoben, als die Penaten u. s. f. verehrt worden ist, und überhaupt das ausmacht, worin der religiöse Charakter der Ehe und Familie, die Pietät, liegt“ (§ 163 A). Ist die vertragliche Sicht eine Abstraktion der Ehe gegenüber, da sie bei der abstrakten Person stehen bleibt, so ist es „eine weitere Abstraction, wenn das Göttliche, Substantielle von seinem Daseyn getrennt“ wird, weil damit „die
13 PR-Wa S. 38: „Die Ehe ist kein eigentlicher, kein bürgerlicher Vertrag“; PR-Hom, S. 299: „Die Ehe ist kein beliebiges übereinkommen sondern etwas sittlich nothwendiges“.
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Empfindung und das Bewußtseyn der geistigen Einheit als fälschlich sogenannte platonische Liebe fixirt worden ist“ (§ 163 A). Gleichwohl kommt eine erste Affinität zwischen der Ehe und dem Vertrag darin zur Erscheinung, dass die Ehe „die freye Einwilligung“ verlangt (§ 162). Aber Hegel verzeichnet noch eine zweite, die sich auf die Form und den formalen Ausdruck bezieht: „Wie die Stipulation des Vertrags schon für sich den wahrhaften Uebergang des Eigenthums enthält, (§. 79.) so macht die feierliche Erklärung der Einwilligung zum sittlichen Bande der Ehe und die entsprechende Anerkennung und Bestätigung desselben durch die Familie und Gemeinde […] die förmliche Schließung und Wirklichkeit der Ehe aus“ (§ 164). Dieses Argument weist darauf hin, dass die Ehe nicht als ein Vertrag zwischen besonderen Willen, die nur privat ihre gegenseitige Liebe bekunden, angesehen werden kann, sondern eine förmliche Schließung erfordert. Wenn früher abgewiesen worden ist, dass die Ehe bloß ein Vertrag ist, so wird jetzt abgewiesen, dass die Ehe bloß eine Empfindung zwischen Besonderen ist, so dass „das Schließen der Ehe als solches, die Feyerlichkeit, wodurch das Wesen dieser Verbindung als ein über das Zufällige der Empfindung und besonderer Neigung erhabenes Sittliches ausgesprochen und constatirt wird, für eine äußerliche Formalität und ein sogenanntes bloß bürgerliches Gebot genommen wird“ (§ 164 A; Brauer 2007, S. 175–180).
9.4 Das Vermögen der Familie (§§ 170–172) Bei der Behandlung der Vermögensfrage folgt Hegel demselben Schema der Person. In der Tat ist, wie schon von Anfang an bemerkt worden ist, die Familie wie eine Person (§ 162); also hat sie als solche das Recht auf Eigentum (§§ 40–41); diese Parallelität wird im § 169 explizit. Darum wird die Ehe nicht als eine äußerliche Beziehung zwischen zwei Personen betrachtet, sondern als ihre wesentliche Einheit, so dass die Ehegatten rechtlich als eine neue Person erscheinen. Gemäß dem Begriff der Person, die ein äußerliches Dasein in der Sache, im Eigentum, hat (§§ 41–44), hat auch die Familie „ihre äußerliche Realität“, bzw. „das Daseyn ihrer substantiellen Persönlichkeit“ gegenständlich „in einem Eigenthum […] als in einem Vermögen“ (§ 169). Der Unterschied zwischen der Person und der Familie besteht darin, dass es bei der Familie ein Vermögen ist, nicht nur ein Eigentum; der Grund dafür ist, dass die Familie eine „allgemeine und fortdauernde Person“ ist, der „die Bestimmung eines bleibenden und sichern Besitzes, eines Vermögens“ zugehört (§ 170). Dass es die Familie ist, die das Recht auf Eigentum hat, in diesem Fall auf Vermögen, hat einige Folgen. Die erste ist die, dass das Eigentum der Familie gemeinsam ist (§ 170). In dieser Vermögensgemeinschaft sieht Hegel in dem
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Sinn eine sittliche Dimension, dass das, was an Willkürlichem oder Zufälligem oder Egoistischem beim Privateigentum da sein mag, dank der „Sorge und de[s] Erwerb[s] für ein Gemeinsames“ zum Sittlichen wird (§ 170). Die zweite Folge ist, dass die Familie als Gemeinschaft, als kollektive Person, jemanden braucht, der sie vertreten kann. Das ist kein anderer als „der Mann als ihr Haupt“ (§ 171). Da „kein Glied der Familie ein besonderes Eigenthum“ hat, „jedes aber sein Recht an das Gemeinsame hat“, kann dieses Recht mit der „dem Haupte der Familie zustehende[n] Disposition“ in Kollision treten (§ 171). Es ist ein Problem, das Hegel bloß anspricht, ohne auf Auswege zu verweisen. Eine dritte Folge ist, dass die neue Familie, die durch die Ehe konstituiert worden ist, gegenüber den Familien, aus denen die Ehegatten stammen, selbstständig ist; die Verbindung mit dieser ist die natürliche Blutsverwandtschaft; die der neuen dagegen ist „die sittliche Liebe“; darum steht auch das Eigentum eines Individuums „in wesentlichem Zusammenhang mit seinem Eheverhältniß, und nur in entfernterem mit seinem Stamme oder Hause“ (§ 172). Auch hier zeigt sich ein klarer Primat der bürgerlichen Familie.
9.5 Die Erziehung der Kinder und die Auflösung der Familie (§§ 173–181) Das Erwachsenwerden der Kinder ist die Hauptursache der Auflösung der Familie. Daher werden beide Fragen zusammen behandelt. Damit ist aber gar nicht gemeint, dass die Erziehung eine nebensächliche Aufgabe der Familie ist; sie ist vielmehr ihre dritte Seite, in der die Familie sich vollendet (§ 160). Die Erziehung wurzelt im Wesen der Liebe zwischen den Eltern.
9.5.1 Die Erziehung der Kinder (§§ 173–175) Hegel schreibt den Kindern bei der Konstituierung der Familie eine doppelte Rolle zu. Zunächst erreicht die Ehe in den Kindern „als Einheit selbst eine für sich seyende Existenz und Gegenstand, den sie als ihre Liebe, als ihr substantielles Daseyn, lieben“ (§ 173) . Damit ist die substantielle Einheit, die der Ehe eigen ist, aus dem Kreis der Intimität hinausgegangen und hat ein äußerliches Dasein erreicht, sowie eine existenzielle Einheit, die die beiden Subjekte umfasst (§ 173). Die Kinder verleihen der Empfindung der Liebe, die die Ehegatten gemeinsam haben, Objektivität. Die zweite Rolle der Kinder besteht darin, dass das, was früher Voraussetzung war, jetzt Resultat ist: Die Eltern sind wirklich Eltern, und
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so schaffen sie den „Fortgang, der sich in den unendlichen Progreß der sich erzeugenden und voraussetzenden Geschlechter verläuft“ (§ 173), womit die Generationen entstehen. Da mit den Kindern das äußerliche Dasein aufgetaucht ist, kommt auch das Recht zum Vorschein, noch vor der Auflösung der Familie. In der Tat haben die Kinder „das Recht, aus dem gemeinsamen Familienvermögen ernährt und erzogen zu werden“ (§ 174). Somit erkennt Hegel Rechte für die Kinder an, was in seiner Zeit nicht selbstverständlich war.14 Im Unterschied zu Fichte, der vertritt, dass die Kinder noch nicht frei sind und deswegen keine Rechtssubjekte, Rechtspersonen sind, erkennt Hegel ihnen Rechte zu, und zuallererst, dass die Kinder „an sich Freye“ sind (§ 175) und deswegen Rechtsträger. Im Gegensatz zum römischen Recht und seinem Sklavenstatus für Kinder, gehören die Kinder „weder Anderen, noch den Eltern als Sachen an“ (§ 175). Die Erziehung, von der Hegel spricht, ist die menschliche Bildung, die im familiären Leben selbst gegeben wird, womit „die Sittlichkeit in ihnen [d. h., den Kindern] zur unmittelbaren, noch Gegensatzlosen Empfindung gebracht [wird], und das Gemüth darin als dem Grunde des sittlichen Lebens, in Liebe, Zutrauen und Gehorsam sein erstes Leben“ lebt. Die Erziehung formt hauptsächlich das Gemüt der Kinder mit dem Ziel, dass aus ihnen selbstbewusste, freie und verantwortliche Bürger werden. Dafür sollen sich „die Kinder aus der natürlichen Unmittelbarkeit, in der sie sich ursprünglich befinden, zur Selbstständigkeit und freyen Persönlichkeit und damit zur Fähigkeit, aus der natürlichen Einheit der Familie zu treten“, erheben (§ 175). So sollen sie fähig gemacht werden, in die bürgerliche Gesellschaft und den Staat überzugehen.15
9.5.2 Die Auflösung der Familie (§§ 176–181) Hat die Familie sich mit den Kindern vollendet, dann geht sie auch zu ihrer Auflösung über. In Wirklichkeit kann man in der Darstellung Hegels drei Arten oder Modi der Auflösung unterscheiden. Die erste findet statt, wenn die „Innigkeit der subjectiven Gesinnung und Empfindung“ nicht mehr der „objective[n] Wirklichkeit“ entspricht. Es ist das Moment, in dem „eine dritte sittliche Autorität […] die Ehe scheiden“ kann (§ 176).
14 Jermann 1987, S. 157 f. vergleicht die Auffassung Hegels mit derjenigen Fichtes. 15 De Vos begreift die Erziehung als die „wesentliche Kernfunktion der Familie“ (De Vos 2006, S. 92 Fußnote 4), weil mit ihr „wirklich die Ebene der vollständigen Wirklichkeit der minimalen (unmittelbaren) Sittlichkeit erreicht“ ist (S. 106).
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Die zweite, die durch die Kinder zustande kommt, ist „die sittliche Auflösung“, die darin besteht, „daß die Kinder zur freyen Persönlichkeit erzogen, in der Volljährigkeit anerkannt werden, als rechtliche Personen und fähig zu seyn, theils eigenes freyes Eigenthum zu haben, theils eigene Familien zu stiften“ (§ 177). Es ist die Auflösung der Ursprungsfamilie und die Stiftung einer neuen. Hegel erkennt keine familiäre Kontinuität durch die Generationen an, oder sieht in ihr nur „das Abstractum des Stammes“, das kein Recht hat (§ 177). Dies ist ein neuer Beweis des modernen Bildes der Familie, das Hegel vorstellt, bei dem die Stammeserhaltung als Funktion der Familie durch die der Intimität und der Ausbildung eines affektiven Bereichs ersetzt wird. Die dritte Art der Familienauflösung ist die natürliche, die „durch den Tod der Eltern“ geschieht (§ 178). Diese Auflösung hat die Erbschaft zur Folge, worin das Recht eine besondere Rolle spielt. Diese Auflösung trägt der Selbstständigkeit der Personen und der Familien in der bürgerlichen Gesellschaft Rechnung (§ 178).
9.6 Schluss Es wird gesagt, „daß der Abschnitt über die Familie zu den besten in Hegels Rechtsphilosophie gehört“, mit einer Gliederung, die „einfach und einleuchtend“ ist (Jermann 1987, S. 147). Auf jeden Fall ist darin leicht die topische Darstellung der modernen Familie zuerkennen, die in ihren Grundzügen bis vor einigen Jahrzehnten volle Gültigkeit hatte. Die Kritiken mögen innerlichen oder äußerlichen Diskrepanzen entspringen, da die Institution in neuester Zeit einem erheblichen Wandel ausgesetzt ist. Der Grundbegriff ist die natürliche Sittlichkeit, an dem das ganze Verständnis der Ehe und der Familie hängt. Das bedeutet die natürliche Einwurzelung der Institution und die Funktionen, die ihnen zuteil geworden sind, besonders die der Reproduktion. Trotzdem hat Hegel eher die Funktion des intimen sozialen Raums im Visier, ohne die Reproduktionsfunktion zu negieren. Der sittliche Aspekt liegt darin, dass die Einheit, die die Ehe schafft und nachher auf die Kinder ausdehnt, „eine Geistige“ ist (§ 161) und so „Eine Person“ bildet (§ 162). Diese Einheit wurzelt zunächst in der „besondere[n] Neigung“ (§ 162), die natürlich ist. Sie wird aber auf ein höheres Niveau gehoben, weil sie durch einen freien Akt, die „freye Einwilligung“ (§ 162), gebildet wurde. Die Familie ist die erste Institution oder Sphäre der Sittlichkeit. Die erste in der Darstellungsordnung, aber auch die erste in der Seinsordnung. Solche Priorität kommt ihr aus den grundlegenden Funktionen zu, die sie ausübt. Der grundlegende Charakter kommt mit den Bestimmungen der Unmittelbarkeit und der Natürlichkeit zum Vorschein. Aber auch durch das, was sie zu den anderen
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Sphären der Sittlichkeit beiträgt, denn sie erzeugt und bildet die Personen, die dann als bourgeois in der bürgerlichen Gesellschaft und als citoyens im Staat tätig sein werden. Aber zugleich wird die Familie auch durch diese anderen Sphären bestimmt, besonders durch die bürgerliche Gesellschaft.
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10 Hegels Theorie der bürgerlichen Gesellschaft Hegels Theorie der bürgerlichen Gesellschaft bildet nicht nur die Mitte seiner sogenannten eigentlichen politischen Philosophie, nämlich der Lehre von der Sittlichkeit, sie hat auch stets im Zentrum der Diskussionen gestanden, die über den Ort seiner politischen Philosophie im breiten Spektrum politischer Bewertungen geführt worden sind und immer noch geführt werden. Waren und sind viele der Meinung, dass die Theorie der bürgerlichen Gesellschaft eindrucksvolles Indiz für die grundsätzlich progressive Verfassung der politischen Philosophie Hegels ist (vgl. Lukács 1954; Ritter 2003), das es erlaubt, in Hegel einen Vorläufer liberalen Gedankenguts zu sehen (vgl. Ilting 1973), so hatten und haben andere die feste Überzeugung, dass Hegels Theorie der bürgerlichen Gesellschaft eher einem trojanischen Pferd oder – in der Sprache des Schachs – einem vergifteten Bauern gleicht, erfunden und benutzt, um – wie R. Haym es schon in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts treffend ausdrückt – in dem „Scheine der Anerkennung“ fortschrittlicher politischer Positionen ein Mittel zu haben, „die Freisinnigkeit dieser Bestimmungen [der bürgerlichen Gesellschaft, R.-P. H.] […] abgestumpft oder unschädlich“ zu machen (Haym 1857, S. 380). Diesen Zweck habe Hegel dadurch erreicht, dass er die Theorie der bürgerlichen Gesellschaft einbettet in eine Staatstheorie, deren reaktionäre Grundzüge unübersehbar sind, weil sie die preußische Staatsmacht verherrlicht und deren totalitäre und restaurative Ausrichtung philosophisch zu legitimieren versucht. Zwischen diesen vollständig konträren Bewertungen des sogenannten politischen Gehalts der Hegelschen Rechts- und Staatslehre haben sich im Laufe der Zeit eine ganze Reihe eher auf Vermittlung der extremen Bewertungen bedachter Interpretationen angesiedelt, die Hegels Position in die Nähe entweder eines konservativ getrübten Liberalismus (vgl. Avineri 1972, S. 115 ff.; Taylor 1979, S. 69 ff.; Wood 1990, S. 257 ff.) oder eines liberalistisch angehauchten Totalitarismus rücken (vgl. Riedel 1988; Berlin 1990). Viele dieser Interpretationen (vgl. Ottmann 1977) sind dadurch zustande gekommen, dass ihre Verfechter die Frage vernachlässigt haben, worauf denn die Bedeutung der Theorie der bürgerlichen Gesellschaft für Hegels Staatsphilosophie beruht. Ein angemessenes Verständnis der Theorie der bürgerlichen Gesellschaft ist aber nur dann zu gewinnen, wenn man sich der Gründe und Probleme vergewissert, die Hegel bewogen haben, diese Theorie in seine politische Philosophie zu integrieren. Eine solche Vergewisserung ist nun am besten dadurch zu bewerkstelligen, dass man sich kurz die Entstehung der Theorie der bürgerlichen Gesellschaft im Rahmen der Entwicklung seiner politischen Philosophie vergeDOI:10.1515/9783110496529-013
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genwärtigt. Diese entwicklungsgeschichtliche Analyse soll den ersten Teil der folgenden Ausführungen ausmachen. Ein zweiter Teil wird Aufbau und Ausführung der Theorie der bürgerlichen Gesellschaft, wie sie in den Grundlinien von 1821 dargelegt ist, zum Gegenstand haben. Der abschließende dritte Teil wird sich der Betrachtung der ,politischen‘ Funktion der Theorie der bürgerlichen Gesellschaft widmen.1
10.1 Die Entstehung der Theorie der bürgerlichen Gesellschaft Hegels frühe politische Philosophie, d. h. seine zunächst in den Jenaer Schriften2 formulierten Ansätze, kann als der Versuch der Einlösung eines Programms verstanden werden, dem es zuerst darum zu tun gewesen ist, den klassischen, und d. h. antiken Begriff der Sittlichkeit gegenüber den individualistischen Ansätzen des neuzeitlichen Naturrechts zu retten. Dieses antike Konzept von Sittlichkeit soll sich, Hegel zufolge, dadurch ausgezeichnet haben, dass es die Sitten und Gebräuche einer Gemeinschaft zur Grundlage allen gesellschaftlichen und politischen Lebens gemacht hat und sowohl die Erklärung als auch die Rechtfertigung der Normen, die dieses Leben auszeichnet, an diese Grundlage gebunden hat. Die Sittlichkeit als das Prinzip der klassischen Lehre von der Politik soll aber gegenüber den Konsequenzen des neuzeitlichen Naturrechts für die politische Theorie nicht einseitig hypostasiert werden. Das antike Konzept soll vielmehr so umformuliert werden, dass es in der Lage ist, die politische und gesellschaftliche Wirklichkeit der Neuzeit zu fassen, ohne dass hinter die durch das neuzeitliche Naturrecht bereitgestellten Möglichkeiten der Deutung und Begründung der sozialen und politischen Verfassung der Moderne zurückgefallen wird. Das Programm selbst ist für Hegel durch zweierlei bestimmt: einmal durch die Überzeugung von der Überlegenheit des antiken Staatsideals gegenüber dem der Neuzeit und zum anderen durch die Einsicht in die Unmöglichkeit der Restitution des antiken Ideals wegen der spezifischen Bedingungen, unter denen sich die gesellschaftliche und politische Wirklichkeit der Neuzeit präsentiert. Diese Bedingungen finden ihren Ausdruck einerseits in dem Prinzip der Autonomie des
1 Teile der hier vorgelegten Abhandlung gehen zurück auf Horstmann 1974. 2 Neben dem im Folgenden diskutierten Naturrechtsaufsatz (vgl. NR) sind hier vor allem das System der Sittlichkeit (1802/03; vgl. SdS) sowie die Jenaer Systementwürfe I (1803/04; vgl. JS I) und III (1805/06; vgl. JS III) von Bedeutung. – Vgl. dazu vor allem Siep 1992, Kap. 6–9.
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Individuums, das als einzelnes auch Grundlage aller es übergreifenden Strukturen sein soll. Dieses Prinzip beschreibt Hegel später in den Grundlinien als das Prinzip des Gewissens, das als Prinzip der Moderne durch das Christentum eingeführt worden ist und den für die Neuzeit typischen Standpunkt der Moralität legitimiert. Auf der anderen Seite äußern sich die spezifisch neuzeitlichen Bedingungen in dem Phänomen einer vom Staat getrennten Sphäre, die bestimmt ist durch die Aktivitäten der einzelnen Individuen in der Verfolgung ihrer je individuellen besonderen Zwecke, ohne dass diese Aktivitäten durch so etwas wie einen allgemeinen Zweck miteinander in ein Verhältnis gesetzt werden können. Diese Sphäre nennt Hegel dann in den Grundlinien die bürgerliche Gesellschaft. Die Einlösung dieses Programms ist also, vorläufig gesagt, für Hegel primär ein Problem der Vermittlung des durch die Tradition der Antike bezeichneten politischen Ideals mit den Tatsachen der Moderne. Dieses Programm entwickelt sich aus Gedanken, die schon auf Hegels Berner und Frankfurter Zeit zurückgehen. Sie haben zu ihrem Ausgangspunkt einerseits die Kritik der Kantischen praktischen Philosophie sowie Überlegungen zum Eigentumsprinzip und andererseits die Aneignung Hölderlinscher Anregungen in Bezug auf die Einschätzung der Antike. Als erster größerer Versuch Hegels, dieses Programm der Verbindung von Antike und Moderne nun auch systematisch zu realisieren, ist wohl seine frühe Jenaer Schrift Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts (1802) anzusehen. In ihr entwickelt er im Zusammenhang der kritischen Diskussion des neuzeitlichen Naturrechts, dessen empirische (Hobbes) wie auch formelle (Kant, Fichte) Variante dem Verdikt verfällt, aufgrund ihrer individualistischen Deduktionsbasis (NR S. 467) nicht in der Lage zu sein, die „wissenschaftliche Totalität“ (NR S. 423) als Einheit entgegengesetzter Bestimmungen auszuweisen, ein Konzept von Sittlichkeit, das es allererst ermöglichen soll, den Begriff des Naturrechts angemessen zu fassen. In die Ausführung dieser Vorstellung der Sittlichkeit, die von Hegel in ihrer Totalität als Volk verstanden wird und die ihre platonisch-aristotelischen Ursprünge in aller Deutlichkeit darstellt,3 versucht Hegel nun zum ersten Mal einen Bereich einzubeziehen, von dem er sagt, dass seine Inhalte „das System der sogenannten politischen Oekonomie bilden“ (NR S. 450). Die Inhalte selbst umschreibt er als den Zusammenhang der „physische[n] Bedürfnisse und Genüsse, die für sich wieder in der Totalität gesetzt, in ihren unendlichen Verwicklungen Einer Nothwendigkeit gehorchen, und das System der allgemeinen
3 Dass diese Konzeption von Sittlichkeit im Grunde auf eine Verknüpfung von Aristotelischen mit Spinozistischen Vorstellungen zurückzuführen ist, hat überzeugend K.-H. Ilting gezeigt (vgl. Ilting 1963/64).
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gegenseitigen Abhängigkeit in Ansehung der physischen Bedürfnisse, und der Arbeit und Anhäuffung für dieselbe“ (ebd.; vgl. S. 455) ausmachen. Dass diese Inhalte es sind, die später in den Grundlinien den Bereich der bürgerlichen Gesellschaft bestimmen, bedarf keines besonderen Hinweises, wenn sie auch hier noch, in dieser frühen Schrift, unter den für den Hegelschen Sprachgebrauch jener Zeit so depravierenden Titeln eines „System[s] der Realität“ (NR S. 453 u. ö.) bzw. eines „System[s] von Eigenthum und Recht“ (NR S. 457) zum Gegenstand der Analyse gemacht werden. Hegel betrachtet diese Sphäre der Bedürfnisse und der Arbeit unter drei Gesichtspunkten: (1) als bestimmte Form der allgemeinen Sittlichkeit, die (2) als eigenständiger Bereich innerhalb des sittlichen Kosmos in einem zu bestimmenden Verhältnis zur absoluten Sittlichkeit stehen muss, und (3) als bestimmten Stand unter anderen Ständen. Diese drei Gesichtspunkte sind vor allem deshalb kurz zu entwickeln, weil sie deutlich werden lassen, was als Basis und Problem der politischen Philosophie Hegels anzusehen ist. (Zu 1) Innerhalb der sittlichen Totalität, die von Hegel als die Gesamtheit aller sozialen, ökonomischen, politischen und kulturellen Institutionen einer Volksgemeinschaft bestimmt und formal als Indifferenz aller sonst bloß in Verhältnissen fixierten Bestimmungen verstanden wird (vgl. NR S. 432, 478 u. ö.),4 tritt die Sphäre der Bedürfnisse und der Arbeit als das reale Negative (NR S. 449 ff.) auf. Mit dieser sehr seiner Terminologie verpflichteten Charakteristik will Hegel zunächst auf den Umstand aufmerksam machen, dass es sich bei dieser Sphäre um einen Bereich handelt, der zwar als Moment der sittlichen Totalität akzeptiert werden muss, der aber zugleich als das Moment zu verstehen ist, das sich in der Einheit des als lebendigen Organismus vorgestellten sittlichen Kosmos als das „Bestehen des Gegensatzes“ (NR S. 450) bestimmt. Die Formel vom „Bestehen des Gegensatzes“ drückt nun den Sinn sehr genau aus, der in der Kennzeichnung der Sphäre der Bedürfnisse und der Arbeit als des realen Negativen angelegt ist. Gegenüber der organischen Lebendigkeit der reinen Sittlichkeit hat nämlich alles das die Bestimmung des Negativen, das seiner Struktur nach durch ein Prinzip ausgezeichnet ist, welches sich als unauflösliches, starres und damit schlechthin unlebendiges erweist. Ein solches Prinzip, das den Bereich, für den es konstitutiv ist, als einen, der „in der Negativität“ (ebd.) ist, festhält, macht aber erst dann diesen Bereich zu einem der realen Negativität, wenn es sich als ein solches erweist, das seinen Mangel, eben nicht Ausdruck der lebendigen Einheit der Sittlichkeit zu sein, gleichsam als ein Positivum erscheinen lässt, sich also, wie Hegel es nennen könnte, als Negatives fixiert oder als Gegensatz besteht. Und
4 Zur formalen Struktur des Hegelschen Begriffs von Sittlichkeit vgl. Horstmann 1972, S. 95 ff.
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wenn Hegel die Summe der möglichen Bestimmungen der Sphäre der Bedürfnisse und der Arbeit als „System der Realität“ bezeichnet, so weniger um damit resignativ den bestehenden Verhältnissen der modernen Wirklichkeit Rechnung zu tragen, als vielmehr um in aller Schärfe auf die doppelte Einseitigkeit dieser Sphäre hinzuweisen, deren Prinzip sich nicht nur in der Differenz zur wahren Einheit der Sittlichkeit befindet, sondern als diese Differenz sozusagen existiert und insofern das reale Negative ist. (Zu 2) Aus dieser wenn auch zunächst nur formalen Bestimmung des Bereichs der Bedürfnisse und der Arbeit im Ganzen möglicher sittlicher Verhältnisse bestimmt sich auch die Beziehung dieses Bereichs zu dem, was ihm gegenüber als absolute Sittlichkeit festgehalten wird. Ist nämlich der Bereich der Bedürfnisse der des realen Negativen, so wird zweierlei zum Problem: Einmal stellt sich die Frage, wie dieser Bereich, der ja trotz aller Differenz zur lebendigen Einheit der Sittlichkeit dennoch als Element des sittlichen Kosmos anerkannt werden muss, sich in die Strukturen der absoluten Sittlichkeit integrieren lässt, ohne diese selbst zu vernichten. Zum anderen ist zu klären, wie die sittliche Totalität in der Form des dem Negativen entgegengesetzten Positiven, und d. h. als Staat (NR S. 450 f.), sich zu diesem Negativen verhält. Die Mittel zur Beantwortung der ersten Frage findet Hegel in dem interessanten Theorem von der „unorganische[n] Natur des sittlichen“ (NR S. 454, vgl. 458), der die reine Sittlichkeit „ein Theil ihrer selbst überläßt und opfert“ (NR S. 458), um sich rein und lebendig zu erhalten und um zugleich damit sich mit ihrer unorganischen Natur zu versöhnen. In diesen Überlegungen zeigt sich wohl am deutlichsten die Konzeption, in deren Dienst Hegel seine frühe politische Philosophie gestellt hat: Um die Konzeption der reinen lebendigen Sittlichkeit als des konkreten Allgemeinen durchhalten zu können gegenüber einer Wirklichkeit, die sich immer mehr nach Prinzipien organisiert, die für Hegel den Status der abstrakten Einseitigkeit haben, eben darum geht es nicht an, einfach die Aufhebung der Geltung dieser Prinzipien zu fordern, denn dies hätte nur die Etablierung anderer Einseitigkeiten zur Folge. Und deshalb ist ein Modell zu entwickeln, das zwar den absoluten Anspruch der lebendigen Sittlichkeit als allein gültiger bewahrt, zugleich aber in der Lage ist, das ihr Negative, Unorganische, also den Bereich der Bedürfnisse und der Arbeit, selbst noch als eine der „Zonen des sittlichen“ (NR S. 461) zu integrieren. Diese doppelte Forderung ist es, die Hegel einzulösen versucht mit seiner Opfertheorie,5 deren Leis-
5 Eine erste Formulierung dieser Theorie, die im Opfer die Möglichkeit der Integration von Be stimmungen der Wirklichkeit in einen lebendigen (sittlichen und religiösen) Kontext sieht, wenn deren schlichte Aufhebung bzw. Abschaffung nicht möglich ist, findet sich bereits im sogenann ten Systemfragment von 1800 (SF S. 345 f.).
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tung darin besteht, das Andere der absoluten Sittlichkeit als den Bereich der Notwendigkeit und des Schicksals sowohl abzutrennen von der Zone der lebendigen Sittlichkeit als es auch, eben als Schicksal der lebendigen Sittlichkeit, in einer Beziehung zu dem zu erhalten, dessen Anderes es ist. Was nun die zweite Frage, nämlich die nach dem Verhältnis der absoluten Sittlichkeit als des Positiven gegenüber dem realen Negativen der Sphäre des Besitzes und der Arbeit betrifft, so votiert Hegel in aller Bündigkeit für eine die Aktivitäten innerhalb des Bereichs des Negativen einschränkende Funktion der positiven Sittlichkeit des Staates. „Da dieses System der Realität ganz in der Negativität und in der Unendlichkeit ist, so folgt für sein Verhältniß zu der positiven Totalität, daß es von derselben ganz negativ behandelt werden, und seiner Herrschaft unterworfen bleiben muß“; denn: „was seiner Natur nach negativ ist, muß negativ bleiben, und darf nicht etwas festes werden“ (NR S. 450). Die absolute Sittlichkeit nimmt infolgedessen in ihrer durch die Absonderung des Bereichs des Negativen selbst zur festen Gestalt geronnenen Funktion als Staat die Aufgabe wahr, den Bereich der Bedürfnisse und der Arbeit so einzuschränken, dass durch diesen Bereich nicht die Unabhängigkeit der „positive[n] Sittlichkeit des Staats“ (NR S. 451) gefährdet, und d. h., dass sie durch die Dominanz der Einseitigkeiten dieses Bereiches nicht in ihrem Anspruch korrumpiert wird, zwar auch einseitiger, da Gestalt, aber der positive Ausdruck der lebendigen Sittlichkeit zu sein. Diesen Zweck, den Bereich der Bedürfnisse und der Arbeit „in dem Gefühl seiner innern Nichtigkeit“ zu erhalten „und sein Emporschießen in Beziehung auf die Quantität, und die Bildung zu immer größerer Differenz und Ungleichheit“ (ebd.) zu hindern, erreicht der Staat, wie Hegel sagt, „mehr bewußtlos“ durch die eigentümlichen Mittel, über die er verfügt, nämlich durch „steigende Auflagen und also Verminderung des Besitzes und Erschwerung des Erwerbens, am meisten durch den Krieg, der was dahin geht in mannichfaltige Verwirrung bringt, so wie durch Eifersucht anderer Stände, und Bedrückung des Handels“ (ebd.). Die Aufgabe des Staates, verstanden als positiver Ausdruck der absoluten Sittlichkeit, ist also nicht etwa, den Bereich der Bedürfnisse und der Arbeit durch die Überwindung der in ihm herrschenden und ihn konstituierenden Prinzipien zu destruieren, seine Aufgabe ist vielmehr, diesen Bereich als die Sphäre der Realität zu akzeptieren, deren Berechtigung im Hegelschen Begriff der Sittlichkeit durch das Zugeständnis ihrer Notwendigkeit selbst angelegt ist. (Zu 3) Diese zunächst nur formelle Ordnung der verschiedenen Verhältnisse, in denen sich das sittliche Ganze organisiert, konkretisiert Hegel erst durch seine Lehre von den Ständen als den realen Gestalten, in denen jene Verhältnisse sich präsentieren. Gemäß seiner generellen Einteilung der sittlichen Totalität in die Formen, die als unverzerrter Ausdruck seiner Idee der lebendigen Sittlichkeit anzusehen sind, und in diejenigen, in denen das Prinzip der Sittlichkeit nur in
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höchst verstellter Weise auftritt, unterscheidet er in der Hauptsache zwei Stände, den Stand der Freien und den der nicht Freien. In der Bestimmung des Standes der absoluten Sittlichkeit als des der Freien, deren Geschäft das ist, „wofür die Griechen den Nahmen politevein hatten“, was für Hegel die Bedeutung der „Erhaltung des Ganzen der sittlichen Organisation“ (NR S. 455) auch durch den Einsatz des Lebens hat, kommt wieder ganz deutlich die Orientierung an der platonischaristotelischen Staatslehre zur Geltung. In den Bestimmungen des Standes der nicht Freien6 zeigt sich, was die inhaltlichen Gründe dafür sind, dass Hegel den Bereich der Bedürfnisse und der Arbeit nicht als Ausdruck der wahren Struktur der Sittlichkeit akzeptiert, sondern ihn nur als Folge einer fundamentalen Verfälschung ihrer Prinzipien verstehen kann. Dieser Bereich nämlich ist nach Hegel bestimmt durch die alleinige Gültigkeit des Eigentums- und Rechtsprinzips (NR S. 451, 455 f.). Eigentum aber, verstanden als rechtlich gesicherter Besitz, und Recht, verstanden als bloß formale Legitimationsbasis des Eigentums, sind für den Hegel dieser frühen Jenaer Zeit nichts weiter als Besonderheiten, d. h. abstrakte Bestimmungen, die nicht, wie es die wahrhaft sittlichen Bestimmungen erfordern, ihren Anspruch auf Allgemeinheit (im Sinne von allgemeiner Gültigkeit) mit der jeweils konkreten Einzelheit (des Falles, der Situation, der jeweiligen Lage von Individuen) in organischer Weise vermittelt und dadurch als berechtigt ausweisen können, sondern die unter ihre Allgemeinheit das jeweils Einzelne als Fall subsumieren.7 Wenn also Hegel die Prinzipien des Rechts und des Eigentums als Besonderheiten bezeichnet, so will er damit auf ihren Charakter, abstrakt allgemeine zu sein, aufmerksam machen, um sie von dem Bereich des konkret Allgemeinen der wahren Sittlichkeit strukturell unterscheiden zu können.8 Die Bestimmung nun der Funktion des Standes der nicht Freien, also des Standes, der als die Gestalt zu gelten hat, in der sich auch der Bereich der Bedürfnisse und der Arbeit in der Wirklichkeit darstellt, ist jedoch nicht durch den Nachweis der Besonderheit ihrer Prinzipien geleistet. Der Punkt vielmehr, der diese Bestimmung erlaubt, ist der Umstand, dass die Besonderheiten Eigentum
6 Der Stand der nicht Freien umfasst selbst wieder zwei Stände: den Bauernstand und den des Besitzes und Erwerbs (vgl. NR S. 455 f.). 7 In dieser kritischen Bestimmung der sittlichen Funktion des Eigentums kommt übrigens sehr deutlich zum Vorschein, wie sehr Hegel sich auf bereits in Frankfurt, also auf vor 1801 erarbeitete Positionen bezieht. Denn gerade die Einsicht in die trotz ihrer sittlich negativen Rolle unaufheb bare Notwendigkeit von Eigentum unter den gegebenen Bedingungen der Wirklichkeit ist eine der Frankfurter Errungenschaften Hegels (s. GCh, S. 173 f.; SF S. 345 f.), die den von ihm noch in Bern vertretenen, eher skeptischen Standpunkt gegenüber Eigentumsbestimmungen ablöst (vgl. Rosenkranz 1844, S. 525). 8 Zur Bestimmung dessen, was hier „konkret Allgemeines“ genannt wird, vgl. NR S. 462.
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und Recht in der Sphäre, die durch ihre Herrschaft gekennzeichnet ist, zugleich als ein Allgemeines auftreten. Sie usurpieren insofern nicht nur einen Status, der ihnen als Prinzipien einer einseitigen Gestalt der Sittlichkeit nicht zukommt, sondern sie bestimmen dadurch auch den Rahmen, innerhalb dessen der Bereich der Bedürfnisse und der Arbeit eingeschlossen ist. Sind nämlich Eigentumsund Rechtsprinzipien die alleinigen Kriterien, unter denen dieser Bereich sich als sittlicher verstehen kann, so sind damit auch die Grenzen seiner möglichen Funktion innerhalb des sittlichen Ganzen bestimmt. Denn die Prinzipien des Eigentums und Rechts stellen dann eben das dar, was für die Mitglieder dieses Bereichs allein Relevanz hat für die Bestimmung ihrer Position und ihrer Existenz im Verhältnis zu anderen Mitgliedern der Gesellschaft. Für Hegel gilt daher: „Es bestimmt sich hienach die Potenz dieses [zweiten] Standes so, daß er in dem Besitz überhaupt und in der Gerechtigkeit, die hierin über Besitz möglich ist, sich befindet, daß er zugleich ein zusammenhängendes System constituire, und […] jeder einzelne, da er an sich eines Besitzes fähig ist, gegen Alle, als allgemeines, oder als Bürger, in dem Sinne als bourgeois, sich verhält; für die politische Nullität, nach der die Mitglieder dieses Standes Privatleute sind, den Ersatz in den Früchten des Friedens und des Erwerbes, und in der vollkommenen Sicherheit des Genusses derselben findet, sowohl insofern sie aufs einzelne als auf das Ganze desselben geht“ (NR S. 458). Eben weil die Mitglieder des Standes, der durch die alleinige Gültigkeit der Prinzipien des Rechts und des Eigentums ausgezeichnet ist, nicht in der Weise, wie die Mitglieder des ersten Standes, die Sorge um die Erhaltung des sittlichen Ganzen auf sich nehmen können, deshalb ist ihr Wirken ein wesentlich unpolitisches und insofern im Zusammenhang einer Konzeption, wie der von Hegel vorgetragenen, als ein dem wahrhaft sittlichen Handeln gegenüber negatives anzusehen. Diese frühe Lehre von der Sphäre der Bedürfnisse und der Arbeit im Zusammenhang der Entfaltung der Vorstellung einer lebendigen sittlichen Totalität bringt die Grundannahme Hegels sehr genau zum Ausdruck, die seine politische Philosophie auch fernerhin bestimmen wird, nämlich die von der Überlegenheit des Allgemeinen gegenüber Besonderheiten. Sie zeigt des Weiteren deutlich, dass das Problem der Integration von Bereichen, die durch jeweils einseitige und daher abstrakte Prinzipien bestimmt sind, in das Allgemeine, das Problem also der Integration von typisch modernen Formen gesellschaftlicher Verhältnisse, die in den modernen Arbeits- und Produktionsgegebenheiten ihren Grund haben, in die Konzeption einer lebendigen Sittlichkeit sich als die zentrale Aufgabe für die Etablierung der an antiken Modellen orientierten politischen Theorie Hegels darstellt. In den fast zwanzig Jahren, die zwischen dem Erscheinen der gerade in ihren Grundzügen umrissenen Arbeit über das Naturrecht und der Veröffentlichung der
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Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821) liegen, hat Hegel mehrere Versuche unternommen, die genannte Aufgabe in einer ihn befriedigenden Weise zu lösen. Es lässt sich zeigen, dass Hegel der Sache nach bereits zum Ende seiner Jenaer Zeit (1806) die systematischen Mittel gefunden zu haben meint, die eine seinen Intentionen angemessene Bewältigung dieser Aufgabe gewährleisten. Der Text der Jenaer Systementwürfe III (1805/06) ist hier das entscheidende Dokument. Wichtige Teile der in diesem Vorlesungsmanuskript ausgearbeiteten Lösung der Aufgabe stellen (1) die Abkehr von der Auffassung von Sittlichkeit dar, die sich primär an der antiken Vorstellung sittlichen Lebens ausrichtet, und (2) die Einführung eines neuen logisch-metaphysischen Rahmens, demzufolge das sittliche Ganze als „Einheit der Individualität und des Allgemeinen“ (JS III S. 261) aufzufassen ist, welche Einheit wirklich nur und erst dann ist, wenn sie sich in der Vollständigkeit ihrer Momente präsent geworden ist. Obwohl Hegel diese späte Jenaer Auffassung von Sittlichkeit und von den Bedingungen ihrer philosophischen Rechtfertigung nie mehr preisgegeben hat, ist sie von ihm in unterschiedlichen Formen formuliert worden, deren am besten ausgearbeitete die Grundlinien von 1821 sind. Sie haben daher zur Grundlage der Darstellung der Hauptpunkte der Theorie der bürgerlichen Gesellschaft zu dienen.
10.2 Die bürgerliche Gesellschaft in den Grundlinien der Philosophie des Rechts Die bürgerliche Gesellschaft ist einer von drei Bereichen, die für Hegel notwendig zu dem Begriff einer politisch organisierten Gemeinschaft gehören, für die gilt, dass sie aus in Rechtsverhältnissen lebenden Personen besteht, die sich zugleich als moralisch agierende Subjekte verstehen können. Die Gesamtheit dieser Bereiche nennt Hegel „sittliche[r] Geist“ bzw. „Sittlichkeit“, deren konstitutive Elemente er wie folgt charakterisiert: „Er [der sittliche Geist, R.-P. H.] ist daher: A) der unmittelbare oder natürliche sittliche Geist; – die Familie. Diese Substantialität geht in den Verlust ihrer Einheit, in die Entzweyung und in den Standpunkt des Relativen über und ist so B) bürgerliche Gesellschaft eine Verbindung der Glieder als selbstständiger Einzelner in einer somit formellen Allgemeinheit, durch ihre Bedürfnisse und durch die Rechtsverfassung als Mittel der Sicherheit der Personen und des Eigenthums und durch eine äußerliche Ordnung für ihre besondern und gemeinsamen Interessen, welcher äußerliche Staat sich C) in den Zweck und die Wirklichkeit des substantiellen Allgemeinen, und des demselben gewidmeten öffentlichen Lebens, – in die Staatsverfassung zurück und zusammen nimmt“ (R § 157).
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Diese Charakterisierung kann auf den ersten Blick den Eindruck erwecken, als wolle Hegel einer genetischen Konstituierung des politischen Gemeinwesens das Wort reden und darauf hinweisen, dass man den vernünftig verfassten Staat (vgl. § 272) als das Ergebnis einer historischen Entwicklung vorzustellen habe, die ihren Ausgangspunkt vom Familienverband nimmt und über die Etablierung von weitgehend ökonomisch motivierten Verhältnissen gegenseitiger Abhängigkeit zwischen Familien zu staatlich geregelten Weisen des Miteinanderlebens führt. Ein näherer Blick macht aber sehr schnell deutlich, dass Hegel einem solchen genetischen Modell der Staatskonstitution nichts abgewinnen kann. Für ihn sind Familie, bürgerliche Gesellschaft und verfasster Staat Ausdifferenzierungen dessen, was in dem Begriff eines sittlichen Ganzen bereits als Element enthalten ist (§ 256 A; vgl. § 182 Z, PR-Hot S. 946 f.). Sein Einteilungsgrund ist daher nicht durch den Rekurs auf historische Entwicklungen gewonnen, sondern reflektiert vielmehr die spezifische Weise, in der nach Hegel sich ein Sachverhalt darstellt, wenn er einen Anspruch darauf erheben kann, (Teil der) Wirklichkeit zu sein. Ein Sachverhalt ist nämlich für Hegel nur dann wirklich, wenn die seinen Begriff konstituierenden Elemente sich selbst als wirklich ausweisen lassen. Bedingung dafür ist, dass sie in geordneter Form auftreten, wobei die Ordnungsregeln von Vorgaben abhängen, die Hegel in seiner Wissenschaft der Logik meint ausgewiesen zu haben. Auf den Fall der Sittlichkeit übertragen bedeutet dies, dass ihre Elemente Familie, bürgerliche Gesellschaft und Staat einerseits tatsächlich zusammen das Ganze der Sittlichkeit bzw. die Gesamtheit möglicher sittlicher Verhältnisse darstellen und dass tatsächlich eine Voraussetzungsbeziehung zwischen Familie, bürgerlicher Gesellschaft und Staat besteht. Diese Voraussetzungsbeziehung ist aber konzeptueller oder, wie Hegel es nennt, logischer, und d. h. nicht genetischer Natur, so dass diese Elemente andererseits sittliche Verhältnisse nur aufgrund ihrer Funktion sind, Elemente des Begriffs der Sittlichkeit zu sein, was insofern die sozusagen primordiale Rolle von Sittlichkeit für die Möglichkeit dieser Elemente impliziert. Mit einer der Kantischen praktischen Philosophie entnommenen Unterscheidung könnte man unter Missachtung wichtiger Differenzen sagen, dass das, was Hegel Sittlichkeit nennt und was die Gesamtheit familiärer, gesellschaftlicher und politischer Verhältnisse in sich begreift, die Rolle des Seinsgrundes (der Kantischen ratio essendi) für jedes dieser Verhältnisse darstellt, während diese Verhältnisse selbst den Erkenntnisgrund (ratio cognoscendi) für die Sittlichkeit abgeben. Hinzu kommt, dass für Hegel das jeweils dritte Element des Begriffs eines Sachverhalts eine privilegierte Stellung in der Gesamtdarstellung eines Sachverhalts hat, insofern es allein das wahre Wesen des jeweiligen Sachverhalts adäquat ausdrückt. Im sittlichen Kontext ist es daher der Staat, dem die Rolle zukommt, sogenannter eigentlicher Ausdruck der Sittlichkeit zu sein
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und als solcher die Basis für andere Formen der Sittlichkeit. Wie dem auch sei, festzuhalten ist, dass Hegel mit der Unterscheidung zwischen Familie, bürgerlicher Gesellschaft und Staat konzeptuellen Erfordernissen hat Rechnung tragen wollen und nicht beabsichtigt hat, diese Unterscheidung irgendwie historisch zu interpretieren. Was nun die bürgerliche Gesellschaft selbst betrifft, so teilt uns Hegel über die Prinzipien, die sie als einen besonderen Bereich des sittlichen Kosmos definieren, Folgendes mit: „Die concrete Person, welche sich als Besondere Zweck ist, als ein Ganzes von Bedürfnissen und eine Vermischung von Naturnothwendigkeit und Willkühr, ist das eine Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft, – aber die besondere Person als wesentlich in Beziehung auf andere solche Besonderheit, so daß jede durch die andere und zugleich schlechthin nur als durch die Form der Allgemeinheit, das andere Prinzip, vermittelt sich geltend macht und befriedigt“ (§ 182). In die Formulierung dieser beiden Prinzipien, von denen Hegel hier spricht, gehen einerseits formale Charakteristika ein, nämlich Besonderheit und Allgemeinheit, deren jeweils unterschiedlich bestimmtes Verhältnis alle Gestalten der Sittlichkeit auszeichnet und die für Hegel ihre philosophische Interpretation im Rahmen der Wissenschaft der Logik gefunden haben. Andererseits bezeichnen die beiden Prinzipien eine Ausgangssituation, die zum einen die Weise festlegt, in der in dieser Gestalt sittlichen Lebens, nämlich der bürgerlichen Gesellschaft, Allgemeinheit und Besonderheit aufeinander bezogen sind, und zum anderen die Rolle spezifiziert, in der die Mitglieder einer sittlichen Gemeinschaft gegeneinander und gegenüber dem sittlichen Gesamtzusammenhang auftreten. Was die Weise des Zusammenhangs von Allgemeinheit und Besonderheit betrifft, der für die Ausgangssituation charakteristisch sein soll, die die bürgerliche Gesellschaft auszeichnet, so deutet sie Hegel als selbstständiges Bestehen: Allgemeinheit und Besonderheit bestehen selbstständig dann, wenn zwischen ihnen ein Bedingungsverhältnis derart besteht, dass sie sich gegenseitig voraussetzen, ohne sich wechselseitig integrieren zu können. Was die Rolle betrifft, die durch die Ausgangssituation den Partizipanten der bürgerlichen Gesellschaft zugeschrieben wird, so ist sie dadurch definiert, dass die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft sich als Personen verhalten, die ihren individuellen und insofern jeweils besonderen Bedürfnissen Rechnung tragen und allgemeine Interessen nur insoweit zulassen, wie sie der Realisierung der eigenen Interessen zuträglich sind. Aufgrund dieser Festlegungen kann Hegel die entwickelte bürgerliche Gesellschaft als eine Form der Sittlichkeit beschreiben, die durch drei wesentliche Merkmale – Hegel nennt sie „Momente“ – bestimmt ist: „Die bürgerliche Gesellschaft enthält die drey Momente: A) Die Vermittlung des Bedürfnisses und die Befriedigung des Einzelnen durch seine Arbeit und durch die Arbeit und Befriedigung der
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Bedürfnisse Aller Uebrigen, – das System der Bedürfnisse. B) Die Wirklichkeit des darin enthaltenen Allgemeinen der Freyheit, der Schutz des Eigenthums durch die Rechtspflege. C) Die Vorsorge gegen die in jenen Systemen zurückbleibende Zufälligkeit und die Besorgung des besonderen Interesses als eines Gemeinsamen, durch die Polizey und Corporation“ (§ 188). Unter dem ersten Gesichtspunkt – dem der Befriedigung der Bedürfnisse durch Arbeit – betrachtet, stellen sich die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft, die Bürger, als Produzenten von Bedürfnissen und den Mitteln zu ihrer Befriedigung dar. Diese Bedürfnisse – sie mögen natürliche oder erzeugte, unmittelbare oder mittelbare sein – werden nach Hegel arbeitsteilig befriedigt, d. h. jeder Bürger spezialisiert sich anfänglich auf die Bereitstellung dessen, was zur Befriedigung bestimmter, aber nicht aller Bedürfnisse erforderlich ist. Diese Spezialisierung kann beliebig weit gehen und zu beliebig einfachen und insofern abstrakten Tätigkeiten führen, welche bei fortgeschrittener Technik so weit mechanisiert werden können, dass sie von Maschinen ausgeführt werden (vgl. § 198). Hegel folgt in der Analyse dieser Prozesse der Bedürfniserzeugung und Bedürfnisbefriedigung den Ergebnissen der modernen „Staats-Oekonomie“, die für ihn durch die Werke von Adam Smith, J.-B. Say und D. Ricardo repräsentiert ist.9 Von der Staatsökonomie sagt Hegel: „Es ist dieß eine der Wissenschaften, die in neuerer Zeit als ihrem Boden entstanden ist. Ihre Entwickelung zeigt das Interessante, wie der Gedanke […] aus der unendlichen Menge von Einzelnheiten, die zunächst vor ihm liegen, die einfachen Prinzipien der Sache, den in ihr wirksamen und sie regierenden Verstand herausfindet“ (§ 189 A). Diese durch mannigfaltige Bedürfnisse und ihre Befriedigung ausgezeichnete bürgerliche Lebensform führt nun nach Hegel zu einer Organisation der Gesamtheit der Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft in Stände (vgl. §§ 202 ff.). Stände sind für Hegel definiert durch Tätigkeitsarten, die selbst wieder durch ihre jeweilige Beziehung auf Natur unterschieden werden. Für Hegel gibt es genau drei Stände: (1) der sogenannte substantielle Stand, dessen Erwerbsquelle die Bearbeitung des Bodens zum Zwecke der Erzeugung von Naturprodukten darstellt. Das von Hegel für repräsentativ gehaltene Mitglied dieses Standes ist der grundbesitzende Bauer. (2) Der zweite Stand ist der „Stand des Gewerbs“ (§ 204).
9 Vgl. Smith 1976; Say 1803; Ricardo 1951. – Hegels Interesse an der von ihm als „Staats-Oekono mie“ bezeichneten Disziplin geht bereits auf seine frühe, Vor-Jenaer Zeit zurück. Wie wir durch Rosenkranz 1844, S. 86, wissen, hat er sich bereits in seiner Berner Zeit intensiv mit J. Steuarts An Inquiry into the Principles of Political Economy (vgl. Steuart 1767) beschäftigt. Auch Adam Smith wird bereits in den Jenaer Schriften erwähnt.
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Dessen Mitglieder bearbeiten die Natur nicht mehr direkt, sondern ihre Tätigkeit besteht in der Verarbeitung von Naturprodukten. Innerhalb dieses Standes unterscheidet Hegel zwischen dem Handwerksstand, dem Fabrikantenstand und dem Handelsstand. (3) Der dritte Stand wird von Hegel als der „allgemeine Stand“ charakterisiert, der „die allgemeinen Interessen des gesellschaftlichen Zustandes zu seinem Geschäfte“ (§ 205) hat. Die Tätigkeit der Mitglieder dieses Standes hat gar kein Verhältnis mehr zu der Natur und ihren Produkten, sondern sichert die Möglichkeit des Funktionierens der bürgerlichen Gesellschaft, indem sie auf die Erhaltung und den Schutz der bürgerlichen Verhältnisse gerichtet ist. Die Mitglieder der Zivilverwaltung, der Polizei und des Militärs gehören diesem Stande an. Die bürgerliche Gesellschaft ist zwar eine nur durch die besonderen Interessen ihrer Mitglieder konstituierte Gemeinschaft, deren Grundlage Bedürfnisse und deren Befriedigung bilden. Dennoch aber ist sie kein ungeordnetes Ganzes. Indem in ihr das Recht auf Eigentum anerkannt wird, bedarf sie auch des Schutzes dieses Rechts. Der Betrachtung dieses Rechtsaspekts ist der zweite Abschnitt der Theorie der bürgerlichen Gesellschaft gewidmet. Da, wie Hegel bereits in der Einleitung und in dem ersten Teil der Grundlinien dargelegt hat, das Recht bzw. die Rechte wesentlich das sind, was mit dem Faktum der Existenz des freien Willens gegeben ist bzw. aus dessen Existenz folgt, so geht es Hegel hier nicht um eine Aufzählung bzw. Herleitung bestimmter Rechte, sondern um die Festlegung derjenigen Bedingungen, die im Kontext der bürgerlichen Gesellschaft Rechtssicherheit ermöglichen. Hegel kennt drei dieser Bedingungen: (1) die Gesetzesförmigkeit des Rechts, (2) die angemessene Kodifizierung des Rechts und (3) die Rechtsprechung durch Gerichte. Was die Gesetzesförmigkeit des Rechts betrifft, so hält Hegel dafür, dass nur das als Recht verbindlich ist, was die Form des Gesetzes hat (§ 212), weil nur so die Allgemeingültigkeit der jeweiligen Rechtsnorm gewährleistet ist. Ungeschriebene Gesetze ebenso wie Gewohnheitsrechte sind daher Hegel zutiefst suspekt. Bezüglich der Kodifizierung des Rechts besteht Hegel darauf, dass die Gesetze in einem allgemein zugänglichen, öffentlichen Gesetzbuch niedergelegt sein müssen, dessen Grundsätze einfach und verständlich sind und das Grundlage eindeutiger Entscheidungen sein kann. Die Forderung, dass die Rechtsprechung durch Gerichte zu erfolgen habe, begründet Hegel damit, dass nur so dem Interesse an einer unparteiischen Entscheidung Rechnung getragen werden kann (§ 219). Die Gerichtsverhandlungen müssen selbst rechtsförmig und öffentlich sein, es muss möglich sein, Rechtsmittel gegen für unrechtmäßig gehaltene oder nicht rechtsförmig zustande gekommene Entscheidungen einzulegen. Außerdem darf das Gericht nur aufgrund von erweisbaren Tatbeständen urteilen. Insgesamt gesehen wird man sagen können, dass Hegels Theorie der Rechtspflege durchaus
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den Vorgaben spätaufklärerischer Rechtstheorie verbunden ist, wenn sie auch deren individualistischen Ansatz verwirft. Der dritte Gesichtspunkt, unter dem Hegel in einem dritten Abschnitt die bürgerliche Gesellschaft betrachtet, thematisiert die Grenzen der Freiheit der Mitglieder dieser Gesellschaft, ihre besonderen Interessen egoistisch zu verfolgen. Grenzen der egoistischen Interessenverfolgung muss es nach Hegel deshalb geben, weil sonst nicht gewährleistet wäre, dass jedes Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft wenigstens im Prinzip sein besonderes Wohl verwirklichen kann. Die Durchsetzung dieser Grenzen überträgt Hegel den Institutionen der Polizei und der Korporation. Der Polizei weist Hegel ein weites und inhomogenes Aufgabenfeld zu. Zu ihren wichtigsten Aufgaben gehören die Sicherung der öffentlichen Ordnung, die Gewerbeaufsicht, Industrieplanung, die Vorsorge für infrastrukturelle Maßnahmen – Hegel erwähnt Straßenbeleuchtung und Brückenbau –, die Gewährleistung der Zugänglichkeit von lebensnotwendigen Waren durch Verteilungs- und Steuervorschriften sowie die Bereitstellung von Einrichtungen zur Gesundheitspflege, zur Erziehung der Kinder und von Armenhäusern. Korporationen sind Berufsgenossenschaften. Sie spielen nach Hegel keine Rolle beim ackerbauenden „substantiellen“ Stand und beim allgemeinen Stand, sondern sind ein Spezifikum des Standes des Gewerbes. Korporationen agieren „unter der Aufsicht der öffentlichen Macht“ (§ 252) relativ selbstständig. Sie haben eigene Rechtsordnungen, sind nicht jedem zugänglich, haben das Ausbildungsmonopol für die durch sie repräsentierten Berufsbereiche und übernehmen Fürsorgefunktionen für ihre Mitglieder. So wohlgeordnet Hegels bürgerliche Gesellschaft im Ganzen auch ist, so ist ihm dennoch nicht entgangen, dass eine ihren eigenen Prinzipien überlassene bürgerliche Gesellschaft sich auf lange Sicht selbst destabilisieren bzw. letztlich destruieren muss. Es ist diese Einsicht gewesen, die schon Marx an Hegel rühmt und die ihn für viele zum Vorläufer der Kapitalismuskritik hat werden lassen. Hegels Überlegungen sind allerdings der Sache nach nicht originell. Sie lassen sich alle in den volkswirtschaftlichen Diskussionen seiner Zeit finden. Der Hauptpunkt, den Hegel in diesem Kontext geltend macht, besteht darin, dass es in einer nach den Prinzipien der bürgerlichen Gesellschaft organisierten Gemeinschaft notwendig zu einer Verelendung großer Massen ihrer Mitglieder kommt und zu einer Anhäufung des Reichtums in den Händen einiger weniger Personen. Nach einem berühmten Diktum Hegels kommt hierin „zum Vorschein, daß bey dem Uebermaße des Reichthums, die bürgerliche Gesellschaft nicht reich genug ist, d. h. an dem ihr eigenthümlichen Vermögen nicht genug besitzt, dem Uebermaße der Armuth und der Erzeugung des Pöbels zu steuern“ (§ 245). Dies deshalb, weil sich für Hegel einfach zeigen lässt, dass von einem gewissen Punkt massenhafter Verarmung an einerseits Überproduktionskrisen unvermeidbar sind, die zu verstärk-
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ten Exporten in andere Länder führen, was deren Binnenwirtschaft gefährdet, andererseits Auswanderung und Bildung von Kolonien geboten ist, was jedoch aufgrund der beschränkten Erdoberfläche irgendwann auch wieder zum Überproduktionsproblem führt. Dieses die bürgerliche Gesellschaft letztlich destruierende Dilemma wird interessanterweise von Hegel nicht aufgelöst, sondern nur konstatiert.
10.3 Die politische Funktion der Theorie der bürgerlichen Gesellschaft Man würde einen wichtigen Aspekt von Hegels Theorie der bürgerlichen Gesellschaft unerwähnt lassen, wenn man nur ihre systematische Rolle in Hegels Philosophie der Sittlichkeit und die methodischen und inhaltlichen Hauptzüge ihres Aufbaus betrachtet. Diese Theorie ist nämlich nicht nur philosophische Auseinandersetzung mit Phänomenen des modernen gesellschaftlichen Lebens, sondern sie stellt – in der Form, in der sie in den Grundlinien von 1821 von Hegel vorgetragen worden ist – auch eine Stellungnahme zu einer Diskussion dar, die Hegel den Vorwurf eingetragen hatte, den restaurativen Tendenzen nachnapoleonischer Zeit das Wort zu reden. Diese Diskussion ist veranlasst worden durch Hegels 1817 veröffentlichte politische Kampfschrift Verhandlungen in der Versammlung der Landstände des Königreichs Würtemberg, im Jahr 1815 und 1816, die sogenannte Landständeschrift (vgl. VVL). In ihr nimmt Hegel kritisch Stellung zu dem Verhalten der württembergischen Ständeversammlung bei der Beratung des von König Friedrich II. vorgelegten Verfassungsentwurfs für das Königreich Württemberg und zu einzelnen Punkten dieses Verfassungsentwurfs selbst. Im Kern verteidigt Hegel in dieser Schrift seine Vorstellung von Sittlichkeit, wenn er einerseits den Landständen vorwirft, dass sie und ihre Kritik am Verfassungsentwurf durch ihr starres Beharren auf ihren hergebrachten Rechten und Privilegien im Grunde die Einsicht in den Begriff und die Natur des Staates bzw. der Sittlichkeit überhaupt vermissen lassen, was ihre Forderungen in seinen Augen schlichtweg reaktionär macht, andererseits aber auch den königlichen Verfassungsentwurf in einigen Punkten ablehnt, die seiner Meinung nach aus einer falschen, weil von individualistisch-naturrechtlichen Voraussetzungen ausgehenden Interpretation der Allgemeinheit des Staates entspringen. Die Schrift wurde jedoch von vielen als grob einseitige Parteinahme für die Interessen der Monarchie und gegen die der Landstände (des sogenannten Volkes) verstanden (vgl. Haym 1857, S. 352 f.). Eine Folge ist gewesen, dass man meinte, Hegel für einen Vertreter von restaurativen Standpunkten in politischen Dingen halten zu können, dessen Ansichten in der Nähe von Positionen angesiedelt sind, die zu
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der Zeit ihren wirksamsten Ausdruck in C. L. v. Hallers Restauration der Staatswissenschaft10 gefunden hatten. Hegel selbst musste diese Einschätzung abwegig erscheinen, und zwar aus Gründen, die er dann in der langen Fußnote zur Anmerkung von § 258 der Grundlinien sehr deutlich macht. Zugleich konnte er nicht umhin anzuerkennen, dass die Möglichkeit dieser abwegigen Einschätzung als Folge der unzureichenden Explikation der Grundlagen seiner politischen Philosophie anzusehen ist.11 Diesen Mangel nun versuchte Hegel dadurch zu beheben, dass er die systematische Entfaltung der spezifischen Differenz zwischen Staat und Gesellschaft zum Angelpunkt der Demonstration seiner politischen Theorie machte. Es ist sicher kein Zufall, dass Hegel diese Differenz, zum ersten Mal auch terminologisch voll entwickelt, bei seiner ersten Vorlesung über die Rechtsphilosophie in den Vordergrund stellt, die er nach seiner Auseinandersetzung mit den württembergischen Landständen und nach dem Erscheinen der ersten Reaktionen auf sie in seinem ersten Berliner Semester gehalten hat, nämlich bei der Vorlesung über Natur- und Staatsrecht zum Wintersemester 1818/19 (vgl. PR-Hom). Die explizite Ausarbeitung der Differenz von Staat und bürgerlicher Gesellschaft erlaubt es nämlich zum einen, seine Position von restaurativen Positionen, wie z. B. der von v. Haller, abzusetzen, und zum anderen ist ihm dadurch die Möglichkeit gegeben, sein monarchistisches Staatsideal theoretisch abzusichern gegen den Vorwurf des rein am Bestehenden orientierten Legitimationstheorems. Was zunächst die Abgrenzung gegen restaurative Positionen betrifft, so liegt sie in dem von Hegel aufgrund seiner Prämissen geführten Nachweis der verschiedenen Prinzipien von Staat und bürgerlicher Gesellschaft, die die relative Vernünftigkeit der bürgerlichen Gesellschaft als der Sphäre des besonderen Interesses (R § 184) bzw. die absolute des Staates (§ 258 u. A) als des existierenden Allgemeinen ausweisen sollen. Denn die von restaurativer Seite vertretene Ansicht, dass alle Formen von Gesellschaft, zu denen auch der Staat gerechnet wird, nach dem Modell von Familienverhältnissen aufgebaut sind, wird durch diesen Nachweis insofern kritisiert, als gerade die Bestimmung der Differenz in den Prinzipien der jeweiligen Form der Organisation des sittlichen Ganzen Bedingung dafür ist, dass der Begriff des
10 Vgl. Haller 1820. – Der erste und grundlegende Band dieses sechsbändigen Werkes erschien erstmals 1816, er wurde also genau zu der Zeit öffentlich wirksam, zu der auch Hegel sich in der politischen Diskussion engagierte. Vgl. dazu Rosenzweig 1920, S. 190. 11 Man muss sich vergegenwärtigen, dass neben dem Naturrechtsaufsatz von 1802/03 nur die neun Druckseiten des Kapitels über die Sittlichkeit in der ersten Auflage der Enzyklopädie Hegels politische Philosophie dokumentierten.
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Staates überhaupt erst angemessen explikabel ist.12 Und diese Kritik impliziert mehr als die bloße Richtigstellung eines vermeidbaren Irrtums. Sie zeigt, dass der Versuch der Einebnung von Differenzen, die – wenigstens nach Hegel – für ein sittliches Ganzes konstitutiv sind, zu der fatalen Konsequenz führt, dass man sich der Mittel begibt, überhaupt einen Begriff vom Staat als einem eigenständigen Ausdruck der Sittlichkeit zu bekommen. Was nun die Absicherung seines Staatsideals aufgrund der Entwicklung der Differenz der Staat und bürgerliche Gesellschaft konstituierenden Prinzipien betrifft, so besteht dessen Legitimation in der durch die Entfaltung dieser Differenz ermöglichten Bestimmung des Sinnes, der der Lehre von der Dominanz der Allgemeinheit des Staates als der existierenden Vernünftigkeit gegenüber der Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft zukommt. Für Hegel nämlich ist dieser höhere Geltungsanspruch der Staatsallgemeinheit als des allgemeinen Zwecks nicht nur eine Annahme, deren Voraussetzung Bedingung wäre für die Bestimmung der anderen Sphären des sittlichen Ganzen als relativ vernünftiger, und d. h. konkret als solcher, die aus der sittlichen Wirklichkeit der Neuzeit einfach nicht hinweg zu diskutieren sind, sondern notwendige Bestandteile dieser Wirklichkeit bilden. Der Primat des Staates bei Hegel hat seinen Grund vielmehr in der These, dass nur das sich in Institutionen fixierende wahre Allgemeine, also das Allgemeine, das immer schon als die bestimmte Einheit auftritt, die alle möglichen Momente der Besonderung des sittlichen Ganzen überwunden und in sich aufgehoben hat, in der Lage ist, aporetische Konsequenzen vermeidbar zu machen, die in der sich durch das Prinzip der Besonderheit definierenden Sphäre der Sittlichkeit, d. h. der bürgerlichen Gesellschaft, angelegt sind. Diese These hat, wie aus dem bisher Dargelegten ersichtlich, selbst einen doppelten Grund: Einmal ist sie Folge der alten Überlegung Hegels, dass das wahrhaft Allgemeine des Staates nicht identisch sein kann mit der Summe der ein sittliches Ganzes konstituierenden besonderen Formationen (Individuen, Familien, Stände), und zum anderen ist sie das Ergebnis der gerade in der Auseinandersetzung mit den Ansprüchen der württembergischen Landstände aktualisierten Argumentation, dass die Dominanz der durch die Kategorie der Besonderheit ausgezeichneten Formen der Sittlichkeit nicht nur zu einer Einschränkung des Primats der Allgemeinheit, sondern auch zu der Möglichkeit der Vernichtung der als Besonderes auftretenden Formen selbst führt.13
12 So sagt Hegel eindeutig gegen Positionen wie die durch v. Haller vertretene: „Man hat das patriarchalische Verhältniß, das zwischen Eltern und Kindern als das wesentliche des Staats angesehen; […] ein einfaches Prinzip“ (PR-Hom S. 287). 13 So ist z. B. Hegels Abneigung gegen die durch den württembergischen Verfassungsentwurf vorgesehene Regelung der Steuerbewilligung als Ausdruck einer derartigen Befürchtung zu ver
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Die Entwicklung der Differenz zwischen Staat und bürgerlicher Gesellschaft ist daher eine notwendige Bedingung für die Begründung des Primats des Allgemeinen, also des Staates. Und indem Hegel nachweist, dass das Prinzip der Besonderheit der durch ihre Einzelinteressen und deren Verschränkung bestimmten bürgerlichen Gesellschaft als auszeichnende Bestimmung zukommt und dass eben die Gültigkeit dieses Prinzips für diesen Bereich dazu führt, dass er der Allgemeinheit als notwendiger Form der Besonderheit (§ 184), und d. h. der die besonderen Interessen einschränkenden Macht bedarf, um nicht an seinem eigenen Prinzip zugrunde zu gehen – indem Hegel dies in Bezug auf die bürgerliche Gesellschaft nachweist, so kann er erstens die Notwendigkeit des Staates als des existierenden allgemeinen Zwecks und zweitens dessen Primat gegenüber anderen Formen der sittlichen Organisation behaupten. Die Fundierung also seiner politischen Philosophie in ihrer reifen Form in der systematischen Explikation der Differenz zwischen Staat und bürgerlicher Gesellschaft kann auf jeden Fall genau das leisten, worauf es Hegel gerade im Zusammenhang mit den möglichen Konsequenzen der falschen Einschätzung des theoretischen Hintergrundes der Diskussion über die württembergischen Landstände ankommen musste, nämlich gewisse politische Missverständnisse der Grundlagen und der Implikationen seiner Theorie vermeidbar zu machen. Das Ziel also auch der reifen politischen Philosophie Hegels besteht in dem Versuch des Nachweises der Notwendigkeit des über alles bloß Besondere Macht habenden Allgemeinen, und d. h. des Staats. Die Lehre von dem durch das Prinzip der Besonderheit ausgezeichneten Bereich der bürgerlichen Gesellschaft hat innerhalb der Hegelschen Theorie die systematische Funktion, diesen Nachweis zu ermöglichen. Sie ist insofern nur Mittel zum Zweck, keineswegs selbst der Zweck seiner politischen Philosophie. Dies zu sehen darf jedoch nicht daran hindern anzuerkennen, dass die damit vollzogene Überwindung der traditionellen Gleichsetzung von Staat und bürgerlicher Gesellschaft als Beitrag zur angemessenen Theoretisierung der modernen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu gelten hat. Dass aber die Überwindung der Gleichsetzung von Staat und bürgerlicher Gesellschaft nicht unbedingt die Lösung des Problems ihres Verhältnisses bedeutet, dies ist gleichermaßen an Hegels politischer Phi-
stehen. Müssen nämlich die Stände die Steuern bewilligen, so könnten sie z. B. im Falle der Notwendigkeit eines Krieges aus schlecht verstandenen Sonderinteressen die dazu nötigen Auf lagen nicht bewilligen, so dass nicht nur das sittliche Ganze im Allgemeinen die Folgen eines wegen der nicht bewilligten Steuern verlorenen Krieges zu spüren bekommt, sondern die Stände ihre eigene Position und Verfassung verlieren können, sie sich gleichsam durch die Erfüllung ihrer eigenen Bestimmung, nämlich Besonderheit zu sein, zugrunde richten.
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losophie zu sehen. Denn Hegels Vorschlag zur Lösung dieses Problems kann als Folge eines Fehlschlusses betrachtet werden: Er meint, das zur konstitutionellen Monarchie geronnene Ideal der allgemeinen Sittlichkeit gerade deshalb als existierende Vernunft ausgeben zu können, weil er die potentielle Unvernunft der bürgerlichen Gesellschaft tatsächlich ausgewiesen hat. Doch daraus, dass etwas für unvernünftig erklärt wird, folgt nicht, dass deshalb etwas anderes vernünftig sein muss – selbst dann nicht, wenn man den Hegelschen Sprachgebrauch von „Vernunft“ in Anspruch nimmt. Für Hegel allerdings wäre eine derartige Überlegung „abstrakt“. Denn darüber, was als vernünftig zu gelten hat, entscheidet im Rahmen der Hegelschen Philosophie nicht das, was man gemeinhin als Wirklichkeit bezeichnet, sondern die Logik als die für Hegel typische Form der Metaphysik. Deren Verhältnis zur Wirklichkeit ist jedoch eine Beziehung geblieben, die trotz gegenteiliger Versicherungen Hegels noch weitgehend ungeklärt ist.
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Say, J.-B. 1803: Traité d’économie politique, Paris. Siep, L. 1992: Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus, Frankfurt a. M. Smith, A. 1976: Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nation [1. Aufl. 1776 u. ö.]. In: A. Smith, The Glasgow Edition of the Works and Correspondence. Band 2,1 u. 2, Oxford. Steuart, J. 1767: An Inquiry into the Principles of Political Economy, London. Taylor, Ch. 1979: Hegel and Modern Society, Cambridge.
Lisa Herzog
11 Hegel als Denker des Marktes Hegel als Denker des Marktes zu lesen, ist kein neuer Ansatz, doch hat er im Feld der Hegel-Gelehrsamkeit lange eine eher untergeordnete Rolle gespielt.1 Dabei bieten Hegels knappe, doch sehr dichte Überlegungen zur Rolle der Marktwirtschaft in modernen Gesellschaften die Gelegenheit, einige Fragen zum Charakter seiner politischen Philosophie in der Durchführung am Material zu studieren. Denn der große Metaphysiker und Staatsdenker Hegel wird hier sehr konkret: Er beschäftigt sich mit Fragen, die vom menschlichen Bedürfnis nach modischer Kleidung über die Mentalität von Arbeitslosen bis hin zur Verantwortlichkeit für den Straßenbau reichen. Auch diejenigen, die die Grundlinien der Philosophie des Rechts als zu stark von metaphysischen Gehalten durchzogen empfinden, um ihnen heutige Relevanz zuzuschreiben, finden hier Argumente, die interessante Fragen zur Natur von Märkten und ihrem Ort in der Gesellschaft aufwerfen. Die Ökonomie als Wissenschaft entwickelte sich, auf Vorläufern in Antike und Mittelalter aufbauend, im 18. Jahrhundert zunächst vor allem in Großbritannien und Frankreich. Als ihre Geburtsurkunde gilt gemeinhin Adam Smiths (1723–1790) 1776 veröffentlichtes Meisterwerk Der Wohlstand der Nationen. Smith stellte darin wesentliche Argumente vor, die bis heute das Denken von Ökonomen prägen, u. a. zur Funktionsweise des Preismechanismus, zur Rolle von Investitionen und zur Überwindung des europäischen Feudalismus durch Handel und Gewerbe. Dass er sein Werk als Teil eines größeren Systems sah, das auf seiner Moralphilosophie aus der Theorie der ethischen Gefühle (1759/1790) aufbaut, wurde von seinen Nachfolgern weitgehend ignoriert, wozu auch die mit David Ricardo (1772–1823) einsetzende Mathematisierung der Ökonomie eine wichtige Rolle gespielt haben dürfte. Hegel bezieht sich in den Grundlinien auf diese junge Wissenschaft: „Die Staats-Oekonomie ist die Wissenschaft, die […] das Verhältniß und die Bewegung der Massen in ihrer qualitativen und quantitativen Bestimmtheit und Verwickelung darzulegen hat“ (§ 189 A). Er bescheinigt ihr, das „Scheinen der Vernünftigkeit“, also gewisse allgemeine „Prinzipien der Sache“, im Bereich der Bedürfnisse und deren Befriedigung durch Arbeit zu erkennen (ebd.). Allerdings gibt es verschiedene Anzeichen dafür, dass er die Werke Smiths, Ricardos, und Says, auf die
1 Wichtige Kommentare sind u. a. Lukács 1948, Chamley 1963, ders. 1965, Riedel 1969, die Essays in Maker (Hg.) 1987, Priddat 1990, Schmidt am Busch 2002 und 2009, Rózsa 2007, S. 182 ff., Neschen 2008 und neuerdings die Essays in Buchwalter (Hg.) 2015 und Rózsa i. E. Zum Zusam menhang mit der ökonomischen Tradition siehe insbesondere Waszek 1988. Im Folgenden führe ich Überlegungen aus, die sich in ähnlicher Form auch in Herzog 2013 und Herzog 2015 finden. DOI:10.1515/9783110496529-014
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er sich ausdrücklich bezieht, nur oberflächlich rezipiert hat.2 Er scheint vor allem die berühmten ersten Kapitel des Wohlstands der Nationen gelesen zu haben, in denen die Produktivitätssteigerung durch Arbeitsteilung anhand einer Stecknadelfabrik beschrieben wird und die Funktion von Eigeninteresse im Markt mit dem berühmten Zitat vom Metzger, Brauer, und Bäcker, denen wir unser Abendessen verdanken, verdeutlicht wird.3 Die Details zum Preismechanismus oder zur Rolle von Investitionen, die Smith später in seinem Werk abhandelt, finden bei Hegel ebenso wenig Niederschlag wie Ricardos Überlegungen zur Arbeitswertlehre und zur optimalen Besteuerung oder Says berühmtes „Gesetz“, demzufolge Angebot seine eigene Nachfrage schaffe. Vermutlich las er diese Autoren nicht im Original, sondern lernte ihr Denken aus Zeitschriften oder Buchbesprechungen kennen.4 Von Bedeutung für die historische und ideengeschichtliche Einordnung ist außerdem, dass er im Gegensatz zu Smith, der das volle Einsetzen der industriellen Revolution noch nicht erlebte, deren soziale Folgen, insbesondere in Großbritannien, aus Zeitungsberichten kannte. Auch die pessimistische Perspektive eines Malthus, der zufolge jegliches Wirtschaftswachstum durch Bevölkerungswachstum eingeholt werde und die Armut von daher nie überwunden werden könne, dürfte ihm bekannt gewesen sein.5 Ich werde im Folgenden Hegels Befürwortung einer Marktwirtschaft aufgrund ihrer Rolle in der Verwirklichung moderner Formen von Freiheit darstellen. Anschließend diskutiere ich die Defizite des Marktes, die Hegel sehr klar sieht und die seine Perspektive von der optimistischeren Perspektive Adam Smiths abgrenzen. Sie führen zu Hegels Überlegungen zur Einbettung des Marktes durch die Polizei und die Korporation, und letztendlich durch den Staat. Wie ich betonen werde, betrachtet Hegel den Markt nicht nur aus einer ökonomischen, sondern auch aus einer proto-soziologischen Perspektive in dem Sinne, dass er den Einfluss des Marktes auf das Individuum, seine psychologische Konstituierung und seine sozialen Beziehungen berücksichtigt. Darin zeigt sich die Aktualität seines Ansatzes, auch in Zeiten, in denen der nationalstaatlichen Einbettung angesichts einer globalisierten Wirtschaft enge Grenzen gesetzt sind.6
2 Ausführlicher hierzu siehe Herzog 2015, S. 149 f. 3 Siehe Waszek 1985 zu einem Überblick von Hegels Verwendung des Stecknadelbeispiels in sei nen Vorlesungen. Siehe auch Waszek 1988, insbesondere Kap. IV zu den Ähnlichkeiten zwischen Smiths und Hegels Beschreibung der Arbeitsteilung. 4 Siehe auch Waszek 1988, S. 116. 5 Priddat 1990, S. 68 ff. folgt Chamley (1963, Kap. III) in Überlegungen zum möglichen Einfluss von Malthus auf Hegel; direkte Nachweise eines Einflusses gibt es jedoch nicht. 6 Ich beziehe mich im Folgenden auf die Grundlinien, ohne auf Hegels Ausführungen zur Ökono mie in früheren Schriften oder Vorlesungen und die Entwicklung seines ökonomischen Denkens
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11.1 Formen der Freiheit im Markt Hegel gibt als Intention der Grundlinien vor, „die Idee des Rechts, den Begriff des Rechts und dessen Verwirklichung“ zu entfalten (§ 1). Da der „Boden des Rechts“ der freie Wille ist, muss es darum gehen, ein Rechtssystem zu beschreiben, das als „Reich der verwirklichten Freyheit“ verstanden werden kann (§ 4).7 Folgt man diesen Hinweisen, so wird klar, dass Hegel auch das Wirtschaftssystem als eine Form der Verwirklichung von Freiheit interpretiert, und zwar als eine spezifisch moderne. Familie und Staat, die beiden anderen Säulen der Hegelschen Sittlichkeit, sind auch in vormodernen Gesellschaften vorhanden. Zwischen sie schiebt sich in der Moderne das Reich der „bürgerlichen Gesellschaft“, ein Moment der „Entzweyung“, das Hegel ein „System der in ihre Extreme verlornen Sittlichkeit“ nennt (§ 184).8 Die Individuen stehen hier als „Privatpersonen“ oder „bourgeois“ in instrumentellen Beziehungen zueinander, denen ein hohes Maß an Kontingenz innewohnt (§§ 187, 190). In diesem System aber kommt das Recht der „Besonderheit“ des Einzelnen zum Tragen, das die antike Polis, deren Prinzipien in Platons Staat beschrieben wurden, noch unterdrücken musste, während die moderne Gesellschaft ihm Raum geben kann (§ 185). Dieses Recht gibt allen – oder, wie wir noch sehen werden, den meisten – Individuen die Freiheit, „sich nach allen Seiten zu entwickeln und zu ergehen“ (§ 184). Sie dürfen sowohl ihre natürlichen Bedürfnisse als auch darüber hinausgehende Bedürfnisse, die aus „Willkühr“ entstehen (§ 182), zu befriedigen versuchen, indem sie in den Austausch mit anderen treten. So entsteht ein Markt, dem Hegel, wie schon erwähnt, ein „Scheinen der Vernünftigkeit“ (§ 189) zugesteht: Die Einzelnen befriedigen ihre Bedürfnisse, indem sie anderen Marktteilnehmern Güter oder Dienstleistungen anbieten, die wiederum deren Bedürfnisse erfüllen. Menschliche Bedürfnisse sind dabei grundsätzlich anders geprägt als die Bedürfnisse von Tieren: Sie können sich „ins unendliche“ vervielfältigen und differenzieren (§ 191). Auch die Formen der Arbeit, die zu ihrer Befriedigung dienen, werden damit entsprechend vervielfältigt: Es entwickelt sich eine hochgradig differenzierte Arbeitsteilung (§ 196). Menschliche Bedürfnisse und die Tätigkeiten, die sie befriedigen, werden nicht rein von natürlichen Faktoren, sondern von
einzugehen. Dazu ziehe z. B. Dickey 1987, Sayama 2004 oder Neschen 2008, Kap. I–III sowie in diesem Band Horstmann, S. 189–208. 7 Vgl. zu dieser Lesart der Grundlinien z. B. auch Patten 2001 oder Neuhouser 2000; speziell zur bürgerlichen Gesellschaft siehe Stillman 1980. 8 Zum Markt als einem Ort des „Verlusts der Sittlichkeit“ siehe auch Vieweg 2012, S. 269 ff., der auch die Parallele zu Hegels Logik zieht.
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sozialen Faktoren wie Mode oder dem Wunsch nach einer bestimmten gesellschaftlichen Position geprägt (§§ 192–194). Hegel grenzt sich damit explizit von der Vorstellung eines Naturzustandes ab, in dem die Menschen unabhängig und frei gelebt hätten, weil sie keine gesellschaftlich generierten Bedürfnisse gehabt hätten und keinen gesellschaftlichen Zwängen unterlegen wären. Er hält diese Position, die vor allem in Jean-Jacques Rousseaus Zweitem Diskurs verteidigt wird, für „eine unwahre Meynung“ (§ 194) – die Freiheit, die sich in der Bedürfnisbefriedigung in der bürgerlichen Gesellschaft ausdrückt, ist gerade die Befreiung von der „strenge[n] Naturnothwendigkeit“ (§ 194, siehe auch § 187). Die Grundlage dieses Systems sind die formalen Rechte der Einzelnen, insbesondere ihre Eigentumsrechte. Wie Hegel schon in den Abschnitten über das „abstracte Recht“ geschildert hatte, dienen Eigentumsrechte dazu, Personen eine „äußere Sphäre ihrer Freyheit“ zu geben (§ 41).9 In der bürgerlichen Gesellschaft, zu der auch die „Rechtspflege“ (§§ 209–229) gehört, kommen diese Eigentumsrechte zum Tragen. Das bedeutet auch, dass die Individuen dort nicht als Mitglieder bestimmter Gruppen agieren: „Der Mensch gilt so, weil er Mensch ist, nicht weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener, u. s. f. ist“ (§ 209 A). Im Markt treffen sich Individuen als Inhaber gleicher formaler Rechte, die sich gegenseitig als solche anerkennen (§ 192) So entsteht ein System, in dem allerdings die Einzelnen gerade in der Ausübung ihrer Rechte und dem Ausleben ihrer Freiheiten wieder zusammengeschweißt werden: Sie werden voneinander abhängig als „Gliede[r] der Kette dieses Zusammenhanges“ (§ 187). Durch die „dialektische Bewegung“, dass „die subjective Selbstsucht in den Beytrag zur Befriedigung der Bedürfnisse Aller andern“ umschlägt (§ 199) – Smiths „unsichtbarer Hand“10 – zeigt sich auch in der bürgerlichen Gesellschaft eine Form von „Allgemeinheit“. Allerdings funktioniert diese „dialektische Bewegung“ keineswegs so reibungslos, dass diese Sphäre sich selbst überlassen bleiben könnte; wie noch auszuführen sein wird, müssen auch die Rechtspflege sowie die „Polizey“ und die „Corporation“ dafür eine Rolle spielen. Gemeinsam formen all diese Elemente den „äußeren Staat“, den „Nothund Verstandes-Staat“ (§ 183). Neben der Freiheit, die den Einzelnen das Ausleben ihrer „Besonderheit“ erlaubt, hat eine weitere Form von Freiheit ihren Ort in der Hegelschen Vorstellung der „bürgerlichen Gesellschaft“ und des sich in ihr entwickelnden Wirtschaftssystems. Dies ist die Freiheit, die der Einzelne dadurch erlebt, dass er
9 Vgl. hierzu insbesondere Ritter 1975. 10 Für eine vergleichende Diskussion siehe z. B. Henderson und Davis 1991 oder Avineri 1972, S. 146 f.
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sich bildet und diese Bildung in Arbeit umsetzt.11 Für Hegel ist ein wesentlicher Aspekt der Erziehung von Kindern in der Familie, dass sie lernen, ihre natürlichen Triebe zu beherrschen und dadurch von ihnen frei zu werden (§§ 174, 175). Dieser Prozess setzt sich in der Bildung, die im Wirtschaftsleben stattfindet, fort: Die Individuen kommen durch sie von der „unmittelbaren, natürlichen“ zu einer „geistigen, ebenso zur Gestalt der Allgemeinheit erhobenen unendlich subjectiven Substantialität der Sittlichkeit“ (§ 187 A). Das (männliche) Individuum, als „Sohn der bürgerlichen Gesellschaft“ (§ 238), erlernt einen bestimmten Beruf, durch das es sich in die arbeitsteilige Wirtschaft einfügt. Dass die Individuen ihren Beruf frei wählen können, ist ein weiterer Aspekt des „Rechts der Besonderheit“, das moderne Gesellschaften von vormodernen unterscheidet (§§ 124, 206, 236). Zwar bilden sich auch in ihnen unterschiedliche Stände – Hegel unterscheidet den „substantiellen“, landwirtschaftlichen Stand, den „Stand des Gewerbs“ und den „allgemeinen Stand“ derjenigen, die direkt für das Gemeinwohl arbeiten (§§ 203–205)12 – doch die Individuen können sich ihnen frei zuordnen, so dass das „was […] durch die Vernunft nothwendig ist, zugleich durch die Willkühr vermittelt geschehe“, was „in der allgemeinen Vorstellung Freyheit“ heiße (§ 206 A). Außerdem beinhaltet der Prozess der Bildung in der bürgerlichen Gesellschaft das Erlernen einer „Gewohnheit objectiver Thätigkeit und allgemeingültiger Geschicklichkeiten“ (§ 197): Die Individuen können nicht einfach ihren eigenen Interessen folgen, sondern müssen sich einbringen in Prozesse, in denen die Bedürfnisse anderer ihnen vorgeben, woran sie zu arbeiten haben (§ 198). Wie Neuhouser betont, wohnt damit moderner Arbeit eine Ausrichtung auf den Willen anderer inne, die vormoderner Arbeit fehlte.13 Die Individuen erlernen in diesem Sinne allgemeingültige Normen der Arbeit, wobei Hegel die für seine Zeit kühne Prognose trifft, dass eine zunehmende Standardisierung der Arbeit dazu führen werde, dass menschliche Arbeitskraft durch Maschinen ersetzt werden könne (§ 198). Trotzdem fällt Hegels positive Haltung gegenüber menschlicher Arbeit ins Auge; hierfür dürften seine Quellen weniger
11 Vgl. auch Stillman 1980 sowie Rózsa i. E., zur Rolle von „Bildung“ in der bürgerlichen Ge sellschaft. 12 Während Adam Smith verschiedene Klassen analytisch nach Art des Einkommens unter scheidet, folgt Hegel hier relativ traditionellen Mustern, wie sie auch im Preußen seiner Zeit ge läufig waren (siehe auch Waszek 1988, S. 171 ff. sowie allgemein zu Hegels Theorie der Stände Neschen 2008, S. 193 ff.). Streng genommen sieht Hegel „Corporationen“ nur für den zweiten Stand vor; im ersten und dritten Stand werden die entsprechenden Aufgaben offenbar direkt vom Stand übernommen. Weiter unten (S. 216 ff.) spreche ich aus Gründen der Einfachheit durchgehend von „Korporationen“. 13 Neuhouser 2000, S. 161.
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antike Denker als vielmehr das Arbeits- und Berufsverständnis eines Luther oder Calvin gewesen sein.14 Diese Formen von Freiheit sind wesentliche Elemente von Hegels Konzeption der modernen Sittlichkeit. Berücksichtigt man sie, ist es wesentlich schwerer, ihm ein illiberales oder gar totalitäres Staatsverständnis vorzuwerfen, wie das unter anderem Rudolf Haym und Karl Popper getan hatten. Der Gefahr einer „Auflösung“ des Individuums im Staat werden die Freiheitsrechte, die es in der bürgerlichen Gesellschaft hat, entgegengesetzt. Der Hegel der Grundlinien lehnt sowohl Fantasien von der Rückkehr zu einem freieren Naturzustand als auch die Glorifizierung der griechischen Polis ab mit dem Argument, dass sie spezifischen Formen der Freiheit keinen Raum bieten. Eine Aufgabe der bürgerlichen Gesellschaft wäre somit, welthistorisch gesehen, ein Rückfall in eine Phase, in der die Freiheit noch weniger entwickelt war. Allerdings ist es gerade dieses „Recht der Besonderheit“, das auch einen starken Staat erfordert, denn es bringt verschiedene Formen der sozialen Divergenz mit sich, die ohne eine konvergente Gegenkraft leicht zum Auseinanderbrechen der Gesellschaft führen könnten.
11.2 Die Defizite des Marktes In Hegels Vorstellung ist der Markt kein natürliches, selbststabilisierendes System, das unabhängig von anderen Institutionen existieren könnte. Um überhaupt als Marktteilnehmer auftreten zu können, müssen Individuen eine gewisse Reife erreicht haben, und es ist die Aufgabe der Familie, sie bis zu diesem Punkt zu versorgen und zu erziehen. Darüber hinaus muss der Markt jedoch auch um Institutionen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft selbst und um den Staat ergänzt werden. Um Hegels Argumente hierfür zu verstehen, muss man sich zunächst vor Augen führen, welche systematischen Folgen die Freisetzung des Prinzips der „Besonderheit“ hat. Obwohl dem Markt durch die „dialektische Bewegung“ der gegenseitigen Bedürfnisbefriedigung eine gewisse Allgemeinheit innewohnt, bleibt er eine Sphäre der Zufälligkeiten und des Konflikts. Hegel beschreibt die bürgerliche Gesellschaft, an Hobbes gemahnend, als „Rest des Naturzustandes“ und als „Kampfplatz des individuellen Privatinteresses Aller gegen Alle“ (§§ 200 A, 289 A). Die Dynamik der Marktkräfte führt dazu, dass in selbstverstärkenden Prozessen Ungleichheit und Armut entstehen: „Die bürgerliche Gesellschaft bietet in diesen Gegensätzen und ihrer Verwickelung das Schauspiel eben so der Aus-
14 Siehe hierzu auch Ferrarin 2001, S. 350 ff.
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schweifung, des Elends und des beyden gemeinschaftlichen physischen und sittlichen Verderbens dar“ (§ 185, vgl. auch § 244). Zwar ist das Recht der Einzelnen auf Eigentum formal gesichert, aber ob sie tatsächlich über Eigentum verfügen, ist damit nicht gesagt (§ 49). Während manche Markteilnehmer immer größere Vermögen anhäufen, sinken andere unter das „Maaß einer gewissen Subsistenzweise“, womit auch der „Verlust[] des Gefühls des Rechts, der Rechtlichkeit und der Ehre, durch eigene Thätigkeit und Arbeit zu bestehen“ einhergehen kann – es entsteht ein „Pöbel[ ]“ (§ 244).15 Die Gesellschaft versagt somit einigen ihrer Mitglieder genau das, was ihre Vorteile sind: die freie Entfaltung der eigenen Besonderheit und die „geistigen Vortheile der bürgerlichen Gesellschaft“, wie sie vor allem die Ausübung eines geistig anspruchsvollen Berufs bietet (§§ 241, 243). Das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft scheint damit einseitig verletzt worden zu sein. Hegel geht zwar offenbar nicht davon aus, dass Armut notwendigerweise zu der Mentalität des Pöbels führt – was ein gewisses Moment der Freiwilligkeit suggeriert –, aber er scheint diejenigen, die sie annehmen, nicht moralisch zu verurteilen.16 Während in vormodernen Zeiten die Familie die Subsistenz der Einzelnen sicherte, befreit das „Prinzip der Besonderheit“ die Einzelnen aus den Banden der (Groß-)Familie. Dies impliziert, dass die Gesellschaft die Verantwortung hat, Ansprüche und Rechte der Einzelnen zu sichern (§ 238). Hegel ist allerdings pessimistisch, was die Möglichkeiten einer effektiven Bekämpfung von Armut und ihren psychologischen und moralischen Folgen angeht. Formen von Unterstützung, die nicht auf der Schaffung von Arbeitsplätzen beruhen, verletzten das „Princip der bürgerlichen Gesellschaft und des Gefühls ihrer Individuen von ihrer Selbstständigkeit und Ehre“, während die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze das Problem der Überproduktion verschärfe (§ 245).17 Außenhandel und Koloni-
15 Hegel war bei dieser Diagnose wohl vor allem von den Verhältnissen in London, die ihm aus Zeitschriften wie dem Morning Chronicle geläufig waren, ausgegangen (vgl. § 245). Siehe Waszek 1988, S. 215 ff. zu den Zeitungen und Zeitschriften, die Hegel las. Wie Petry 1984 argumentiert, zeichnete der Morning Chronicle ein drastisches Bild, um die Notwendigkeit von Reformen auf zuzeigen, was Hegels Sicht beeinflusst haben könnte. 16 Henrich hingegen geht m. E. zu weit, wenn er vorschlägt, dass Hegel für den Pöbel ein Recht auf Widerstand gegen die Staatsgewalt vorsieht (1983, S. 20), denn es ist unklar, ob Hegel eine Überwindung der bürgerlichen Gesellschaft hin zu einer Situation ohne Armut – und hin zu einer besseren Verwirklichung der Freiheit für alle Mitglieder der Gesellschaft – überhaupt für möglich hielt; hätte er hier den Ansatzpunkt für eine Theorie der Revolution gesehen, wäre un verständlich, wieso er dem Thema keine größere Aufmerksamkeit gewidmet hat (siehe auch Vieweg 2012, S. 330 f. und Siep 2015, S. 69 ff. für Diskussionen mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung). 17 Hieran zeigt sich, dass Hegel Says berühmtes Gesetz, demzufolge Angebot seine eigene Nach frage schaffe, nicht kannte oder nicht für plausibel hielt. Die Vorstellung, dass durch die Einfüh
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sation könnten eine Erleichterung des Problems bringen (§§ 246–247), können aber naturgemäß nicht von allen Gesellschaften genutzt werden, und sie zeigen, dass eine Lösung innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft gerade nicht möglich ist.18 Hegel stellt denn auch lapidar fest, dass „bey dem Uebermaße des Reichthums, die bürgerliche Gesellschaft nicht reich genug ist, d. h. an dem ihr eigen thümlichen Vermögen nicht genug besitzt, dem Uebermaße der Armuth und der Erzeugung des Pöbels zu steuern“ (§ 245). Die Maßnahmen der Armenvorsorge, die Hegel in diesem Zusammenhang diskutiert, gehören zum Aufgabenbereich der „Polizey“ im Sinne einer öffentlichen Autorität innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft (§§ 231–249).19 Hegel beschreibt sie als eine „äußere Ordnung“ (§ 231), die neben der Armenvorsorge auch die Aufgaben hat, gegenseitige Schädigungen der Markteilnehmer zu verhindern (§§ 232–234), für die Gesellschaft insgesamt nützliche Güter bereitzustellen (§ 235), Märkte zu regulieren und die Qualität angebotener Waren zu sichern (§ 236). Dadurch sollen die größten „Zuckungen“ im Spiel der Marktkräfte verhindert und Ausgleichsprozesse beschleunigt werden, insbesondere bei großen Industriezweigen, die stark von Vorgängen im Ausland abhängen, die sie selbst nicht kontrollieren können (§ 236) – man kann Hegels Ansatz als entfernten Vorläufer der Idee „makroprudentieller Regulierung“ lesen. Es zeigt sich auch, dass er trotz seiner grundsätzlichen Rechtfertigung des Privateigentums dieses keineswegs so absolut setzen würde, dass Eingriffe im Sinne von staatlicher Regulierung des Marktes ein Problem wären. Die zweite Institution, die laut Hegel innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft für eine Abfederung der Marktkräfte und Absicherung der Einzelnen sorgt, sind die Korporationen, in denen insbesondere diejenigen organisiert sind, die in Handwerk, Gewerbe und Handel arbeiten (§§ 250–256). Hegel beschreibt sie am Ende der Diskussion der bürgerlichen Gesellschaft, unmittelbar vor dem Übergang zum Staat. Dies ist kein Zufall, sind doch die Korporationen soziale Gruppen, in die die Einzelnen eingebettet werden und damit Teil einer größeren Einheit werden, wenn auch diese noch „beschränkt“ und „endlich“ ist (§ 256).
rung von Geld Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage möglich werden, könnte er von Steuart übernommen haben (siehe Chamley 1963, S. 254). 18 Vergleiche hierzu ausführlich auch Ruda 2011, der hierin ein grundsätzliches Versagen von Hegels philosophischem Projekt sieht. Diskussionen finden sich auch bei Avineri 1992, S. 151 f., oder Fatton 1986. 19 Zur Geschichte des Polizeibegriffs im deutschsprachigen Raum siehe z. B. Neocleous 1998 und Schmidt am Busch 2011, S. 228 ff.; für Diskussionen siehe auch Priddat 1990, S. 88 ff. oder Waszek 1988, S. 198 ff.
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Hegel nennt sie die „zweite Familie“ (§ 252) der Individuen, in der sie als Mitglieder anerkannt werden und in ihrem „Stand“ ihre „Ehre“ haben (§ 253). Hegels Diskussion bleibt vage, was die konkrete Ausgestaltung dieser Institutionen angeht.20 Wichtiger ist ihm ihre Funktion: die Anerkennung der Einzelnen als Ausübende eines bestimmten Berufs, und eine gewisse Form der sozialen Absicherung durch gegenseitige Fürsorge. Im Gegensatz zu Hilfeleistungen durch reichere Bürger, mit denen ein Empfänger in keinem sozialen Zusammenhang steht, ist die Hilfe in den Korporationen nicht zufällig, und sie verliert ihren demütigenden Charakter (§ 253). Damit stellt sich die Frage, ob die Korporationen – die schließlich „zweite Familien“ sind – das Problem der Armut in der bürgerlichen Gesellschaft lösen können. Hegel erwähnt, dass das „Aufheben der Corporationen“ eine der Ursachen für die Entstehung des Pöbels in England gewesen sei (§ 245 A). Allerdings scheint er davon auszugehen, dass nicht alle Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft einer Korporation angehören: Er unterscheidet den „Gewerbsmann“ vom „Tagelöhner“, der die Pflichten und Privilegien der Korporationsmitgliedschaft nicht besitzt (§ 252 A). Dass ein „Pöbel“, ist er einmal entstanden – und dies liegt bei Hegel in der Natur der bürgerlichen Gesellschaft –, von den Korporationen aufgefangen werden könnte, scheint somit unwahrscheinlich. Ein weiteres Problem in Hegels Darstellung ist der systematische Zusammenhang von Korporationen und freiem Markt. Unklar ist, ob Hegel überhaupt einen „Arbeitsmarkt“ im heutigen Sinne vorsieht: Die Individuen sind zwar frei, ihren Stand zu wählen, doch scheinen sie ihm ein Leben lang anzugehören. Dies legt nicht nur die Art und Weise nahe, wie Hegel den Beruf als Teil der menschlichen Identität sieht,21 sondern auch die Tatsache, dass er davon auszugehen scheint, dass diejenigen, die arbeitslos werden, weil das eigene Gewerbe der Dynamik der Marktkräfte zum Opfer fällt, offenbar nicht einfach durch Umschulung in ein anderes Gewerbe einsteigen können (vgl. PR-Hot S. 961, 992). Auch dies dürfte einer der Gründe dafür sein, warum er die Regulierung von Märkten gegen größere Schwankungen als wichtig betrachtet. Wie Schmidt am Busch argumentiert, wollte Hegel nur die Zirkulation und Allokation von Gütern durch Märkte regeln, während er bei deren Produktion auf das Prinzip der Korporationen setzt22 – zumindest insofern, als sie den Zugang zu bestimmten Berufsgruppen
20 Vgl. auch Schmidt am Busch 2002, S. 229 f., der darauf hinweist, dass Hegel in anderen Texten unterschiedliche Terminologien verwendet. Heiman 1971 sieht ihre Ursprünge im römischen Recht; Lee 2008 im mittelalterlichen Konstitutionalismus. 21 Vgl. hierzu auch Herzog 2013, Kap. IV. 22 Schmidt am Busch 2002, S. 139 ff.
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regulieren und ihre Interessen gemeinschaftlich regeln (§§ 251, 252). Allerdings ist nicht klar, ob ein derartiges gemischtes System langfristig stabil wäre. Die Produktion von Gütern müsste entweder vollständig durch Korporationen geregelt werden – was jedoch starke Abstriche bezüglich des marktwirtschaftlichen Charakters und damit möglicherweise Probleme bezüglich Freiheitsentfaltung23 und auch Effizienz mit sich brächte, wenn z. B. für die Produkte bestimmter Korporationen keine Nachfrage mehr bestünde – oder es müssten auch andere Anbieter zugelassen werden, wie es der „Freyheit des Gewerbes“ (§ 236 A) entspricht – was jedoch die Korporationen unter Druck setzen und langfristig ihre Existenz untergraben könnte. Wie Hegel diese Spannung auflösen will, wird aus dem Text nicht ersichtlich.24 Letztlich sind die internen Spannungen der bürgerlichen Gesellschaft einer der wesentlichen Gründe dafür, wieso der „äußere Staat“ mit seinen auf Zwang basierenden Maßnahmen (§ 183) nicht alleine in der Lage sein kann, diese unter Kontrolle zu halten. Dafür ist der eigentliche Staat, die „Wirklichkeit der sittlichen Idee“ (§ 257) nötig, der mehr ist als eine Interessensvereinigung der Individuen.25 Nur dieser Staat kann die bürgerliche Gesellschaft überhaupt zulassen, ohne von ihren zentrifugalen Kräften zerrissen zu werden: „Das Prinzip der modernen Staaten hat diese ungeheure Stärke und Tiefe, das Prinzip der Subjectivität sich zum selbstständigen Extreme der persönlichen Besonderheit vollenden zu lassen, und zugleich es in die substantielle Einheit zurückzuführen und so in ihm selbst diese zu erhalten“ (§ 260). Konkret müssen auch die Polizei und die Korporationen unter der Aufsicht der „Regierungsgewalt“ (§§ 287–297) stehen. Vermutlich nahm Hegel an, dass auch diejenigen, die aus Sicht der bürgerlichen Gesellschaft zum „Pöbel“ gehören, das Gefühl des „Patriotismus“ teilen und sich dem Staat zugehörig fühlen (§ 268) und im Kriegsfall bereit wären, ihn unter Einsatz ihres Lebens zu verteidigen (§ 324). Allerdings bleibt ihnen das „ständische Element“ in der Gesetzgebung, die Vertretung durch die Korporationen, versagt (§§ 300– 313). Hegel erwähnt in diesem Zusammenhang kurz, dass der „Pöbel“ der Regie-
23 Vgl. zum Problem der Assoziationsfreiheit bei Hegel auch Müller 1965, S. 168 ff., der zu dem Ergebnis kommt, dass Mitgliedschaft in einer Korporation bei Hegel nicht erzwungen werden kann, aber sittlich geboten ist (S. 173). 24 Für Diskussionen siehe auch Schmidt am Busch 2002, S. 139 ff. und Priddat 1990, S. 189 ff. Vieweg 2012, S. 337 ff. betont, dass für Hegel auch die lokale Kommune eine Korporation ist, die die Absicherung von Mitgliedern übernehmen kann, wenn diese arbeitslos werden. Allerdings ist dies nur möglich, wenn weiterhin genügend Bürger einer Kommune in Arbeit stehen; bei starken Wirtschaftseinbrüchen, die ganze Branchen treffen, ist dies nicht unbedingt der Fall. 25 Zu Hegels Ablehnung von Vertragstheorien des Staates siehe insbesondere § 258, für eine Diskussion siehe z. B. Patten 1999, Kap. IV.
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rung „einen bösen oder weniger guten Willen“ unterstellt (§ 301 A S. 250) – ohne jedoch die Frage zu beantworten, ob die Ausgrenzung des Pöbels aus politischer Teilhabe mit der „Vernünftigkeit“ seines Staatsmodells vereinbar ist.26 Insgesamt also ist der Hegelsche Markt nicht der selbststabilisierende, harmonische Mechanismus, den ein Adam Smith gepriesen hatte, freilich ohne dabei die Notwendigkeit staatlicher Eingriffe zu leugnen. Das Verhältnis von freiem Markt und Regulierung, das sich aus den Elementen der Hegelschen „bürgerlichen Gesellschaft“ ergibt, ist ein völlig anderes als das, das Smith und zahlreichen wirtschaftsliberalen Denkern nach ihm vorschwebte. Zugespitzt gesagt: Der Markt schafft bei Hegel ebenso viele Probleme, wie er löst, und es ist fraglich, ob er damit alleine über seine effizienzsteigernden Folgen gerechtfertigt werden könnte.27 Dennoch ist er als derjenige Ort, an dem die „Besonderheit“ der Einzelnen ihren Raum hat, unverzichtbarer Bestandteil moderner Gesellschaften. Der Preis, der für ihn zu zahlen ist, mag hoch sein – und die Schilderung des „Pöbels“ wirft drängende Fragen danach auf, wer diesen Preis zu zahlen hat, da er offenbar nicht gleichmäßig auf alle Schultern verteilt werden kann –, doch aus Hegels Sicht ist es unverzichtbar, ihn zu zahlen. Seine fatalistische Haltung gegenüber dem Problem des „Pöbels“ allerdings befriedigt aus der Sicht einer heutigen Theorie der sozialen Gerechtigkeit nicht. Die Suche nach Institutionen und kulturellen Praktiken, die dieses Problem lösen oder zumindest verringern, darf gerade deswegen nicht aufgegeben werden, weil es um Fragen nicht nur der materiellen Versorgung, sondern der Freiheit geht.
11.3 Hegels soziologischer Blick auf die Marktwirtschaft Hegels Diskussion der Marktwirtschaft ist nicht nur wegen der grundsätzlichen Rechtfertigung des Marktes über die Formen der ihm innewohnenden Freiheit interessant. Interessant ist auch, dass er eine protosoziologische Perspektive entwickelt, die nach den Auswirkungen von Märkten auf die menschliche Psychologie und auf soziale Beziehungen fragt. Damit geht er wegweisend über die Smith-
26 Zum Hegelschen Staatsverständnis siehe auch Bourgeois und Schnädelbach (in diesem Band) sowie kürzlich Siep 2015, besonders S. 46 ff., 90 ff., 126 ff. 27 Zur Notwendigkeit staatlicher Regulierung im Anschluss an Hegel siehe auch Vieweg 2012, S. 286 ff.
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sche Perspektive und die sich nach Smith entwickelnde Art und Weise, Märkte zu theoretisieren, hinaus. Hegel folgt zunächst mit den Institutionen von „Rechtspflege“ und „Polizey“ einer Vorstellung vom Verhältnis von Markt und Staat, das trotz sachlichen Unterschieden in der Methode dem der klassischen Ökonomie entspricht. Demnach ist das Verhältnis von Markt und Staat ein Dreischritt: Der Staat stellt Eigentumsrechte und die rechtliche Infrastruktur zu deren Durchsetzung bereit; darauf setzt der Markt mit dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage auf; zuletzt greift die staatliche Macht korrigierend ein, wo dieses Spiel zu sozial unerwünschten Folgen führt. Diese Art, den Markt zu verstehen, gleicht physikalischen Modellen, und das Verhalten der Marktteilnehmer wird analog zu dem von physikalischen Gegenständen, z. B. zwei sich abstoßenden Partikeln, verstanden. Die Frage danach, woher diese menschlichen Verhaltensweisen kommen und was sie prägt, wird nicht gestellt; stattdessen wird ein abstraktes „Eigeninteresse“ angenommen, das durch Institutionen in die richtigen Bahnen gelenkt werden muss. Bis heute arbeiten viele ökonomische Modelle nach diesem Schema; sie unterscheiden sich v. a. darin, wie viele Eingriffe des Staates auf der dritten Ebene, zur Korrektur von durch den Markt verursachten Problemen, sie befürworten. Hegel spricht von der „Staats-Oekonomie“ als Wissenschaft, die genau dies tut: Sie untersucht „das Verhältniß und die Bewegung der Massen in ihrer qualitativen und quantitativen Bestimmtheit und Verwickelung“ (§ 189 A). Er spricht auch von der „Abstraction“ der Bedürfnisse und der Mittel zu deren Befriedigung (§ 192). Darüber hinaus aber fragt er danach, wie diese Bedürfnisse zu „concreten als gesellschaftlichen Bedürfnissen, Mitteln und Weisen der Befriedigung“ werden (ebd.). Damit rückt die Prägung der Individuen durch Märkte und die Frage danach, worin ihr Eigeninteresse konkret besteht, in den Blick. Hegel beantwortet sie, indem er auf die soziale Natur des Menschen und seinen Hang zur Nachahmung verweist, wobei er auch betont, dass dabei „Vorstellung“ und sogar „Willkühr“ eine wichtige Rolle spielen (§§ 193–194). Dadurch entstehen auch soziale Konventionen, zum Beispiel in Bezug auf Kleidungsstile, denen sich die Einzelnen in der Regel unterordnen, weil Abweichungen nicht die Mühe wert sind (§ 192 Z; PR-Hot S. 956). Ein qualitativ unbestimmtes, schrankenloses Streben nach mehr sieht Hegel nur bei denjenigen Individuen, die nicht Mitglieder einer Korporation sind, und deshalb ihr Bedürfnis nach Anerkennung durch den Erwerb ständig neuer Güter befriedigen wollen.28 Denjenigen, die Anerkennung als Mitglieder ihrer Korporation erhalten, ist diese Form endlosen, und letztlich fruchtlosen, Strebens fremd:
28 Vgl. hierzu insbesondere Schmidt am Busch 2002, Kap. 5 sowie Muller 2002, S. 158 f.
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Sie haben ihre „Ehre“ und „Rechtschaffenheit“ als Träger eines Berufs, der ein Teil ihrer Identität ist. Auch deshalb sind sie bereit, eigene materielle Interessen zugunsten der Solidarität innerhalb der Korporation aufzugeben. Damit bildet Hegels Beschreibung der Formung von Bedürfnissen und der Anerkennung in den Korporationen den Nukleus einer Theorie darüber, wie menschliche Bedürfnisse sowohl materieller als auch immaterieller Art in modernen Gesellschaften entstehen – einer Frage, die die ökonomische Theorie in der Regel gar nicht stellt. Von Hegel führt damit eine Linie zur sogenannten „historischen“ Schule der Nationalökonomie und zur Soziologie, wie sie im späten 19. Jahrhundert entstanden.29 In ihnen wurde die soziale Einbettung des Menschen und damit auch die soziale Prägung bei der Entstehung von Identitäten und Präferenzen in den Mittelpunkt der Analyse gestellt. Diese soziologische Perspektive auf den Markt ist vor allem aus zwei Gründen interessant. Zum einen ermöglicht sie ein erweitertes Verständnis dessen, was Armut in einer Marktgesellschaft bedeutet: Es geht nicht nur um materielle Nachteile, sondern auch um Zugehörigkeit zu sozial geprägten Verhaltensmustern und zu Gruppen, innerhalb derer soziale Anerkennung möglich ist. Hegel bleibt Antworten auf das Problem des „Pöbels“ schuldig, doch er stellt die Fragen, anhand derer auch heute nach Antworten gesucht werden muss. Zum zweiten ist an Hegels Perspektive interessant, dass sie Formen der Ordnungsstiftung in Märkten beschreibt, die nicht dem Muster von Institutionen und fixen Präferenzen folgen, sondern nach der Entstehung von Präferenzen fragen. In den Korporationen findet eine „Ethisierung“ der Präferenzen der Individuen insofern statt, als die Solidarität mit anderen Mitgliedern dort Selbstverständlichkeit ist, und die Individuen kollektiven statt rein individuellen Interessen folgen. Natürlich bleibt diese Solidarität begrenzt, und entspricht noch nicht den Formen tiefer Solidarität und Zugehörigkeit, die den Hegelschen Staat ausmachen. Doch die Korporationen sind für Hegel das Scharnier, das die bürgerliche Gesellschaft mit diesem Staat verbindet.
11.4 Die Aktualität von Hegels Marktdenken Hegels Bild des Marktes ist keines, das ihn als eine natürliche, grundsätzlich positive Ordnungskraft sehen würde. Er ist sich der Schwächen und Defizite des Marktes voll und ganz bewusst, wenn auch historisch bedingt in seiner Schil-
29 Zu den Bezügen von Hegel zu Schmoller siehe Priddat 1990, S. 175 ff., zu den strukturellen Ähnlichkeiten zu Durkheim siehe z. B. Wood 1990, S. 241 und Goos 2006.
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derung noch manche Elemente fehlen, die heute große moralische Fragen aufwerfen, zum Beispiel die Existenz von großen Konzernen mit erheblicher Marktmacht, in denen Arbeitnehmer zum sprichwörtlichen „Rädchen im System“ werden. Dass Hegel den Markt dennoch für unverzichtbar für moderne Gesellschaften hält, hat nicht mit dessen Effizienzvorteilen zu tun, sondern in erster Linie mit den Formen der menschlichen Freiheit, die im Markt verwirklicht werden. Aber weil der Markt gleichzeitig auch freiheitsgefährdend wirken kann, und seine divergente Dynamik eine Gesellschaft auseinanderzureißen droht, ist ein Staat nötig, der diesen Markt einbetten kann. In der heutigen Situation hat sich das Verhältnis von Markt und Staat grundsätzlich verschoben: Viele Märkte sind global geworden, während die Regulierungsinstanzen weiterhin größtenteils auf der nationalen Ebene angesiedelt sind. Damit stellt sich die Frage, inwiefern das Modell eines den Markt einbettenden Staates überhaupt noch funktionieren kann.30 Man könnte argumentieren, dass das Hegelsche Modell damit historisch überholt ist, doch ein ähnliches Problem stellt sich auch für zahlreiche andere Modelle, die auf die eine oder andere Weise ein Wechselverhältnis von Markt und Staat annehmen. Angesichts der relativen Schwäche staatlicher Regulierungsinstanzen ist aus dem Hegelschen Modell insbesondere die soziologische Perspektive interessant: Wie entstehen Präferenzen im Markt, und welche Möglichkeiten einer „Ethisierung“ dieser Präferenzen in sozialen Gruppen gibt es? Dabei stellen sich Fragen nach sozialen Konventio nen und Formen des Konsums, die aus der Suche nach Anerkennung entstehen, ebenso wie Fragen nach den sozialen Zusammenhängen, in die Menschen durch ihre Arbeit eingebettet werden, und die Arten der Solidarität, die sich dort ergeben. Vielleicht könnten das moderne Pendant zu den Hegelschen Korporationen Organisationen sein, in denen Individuen Formen von Solidarität einüben, die zwar noch begrenzt sind, doch über das Eigeninteresse im Sinne einer strikt egoistischen Orientierung hinausgehen und ein Ethos verantwortlichen Bürgertums oder Weltbürgertums nicht unterminieren, sondern stützen.
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30 Siehe dazu auch Herzog 2016.
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12 Der Begriff des Staates (§§ 257–271)
Der Begriff des Staates wird zuerst als Begriff des Staates überhaupt (§§ 257–259), dann als Begriff des Staates qua Begriff (§§ 260–271) dargestellt. I. Der Begriff des Staates überhaupt. Hegel begreift den Staat als die „sittliche Idee“ (bzw. Totalität), die „wirklich“ geworden ist, d. h. eine ihrem inneren Wesen vollends angemessene äußerliche Existenz erhalten hat (vgl. L I,2 S. 368 ff.). Die Totalität, welche als solche zugleich mit sich identisch und in sich unterschie den, also die Identität ihrer Identität oder Allgemeinheit und ihres Unterschiedes oder Partikularität ist, kommt nicht mehr so zur Äußerung, dass sie noch gänz lich dem Gesetz des Außersichseins oder der Differenzierung unterstände; sie realisiert sich vielmehr als konkrete Identität, als Totalität. Der auf diese Weise ontologisch aufgefasste Staat unterscheidet sich dadurch von der abstrakten, einseitigen, entzweiten – streng genommen: unwirklichen – Realisierung der sittlichen Totalität. Als eine solche unangemessene Realisierung trat zuvor die Sittlichkeit auf, zuerst als die das Ganze und das Individuum miteinander ver schmelzende unterschiedslose Identität der Familie, anschließend umgekehrt als deren unvereinigtes, im Gegensatz verbleibendes Verhältnis, das die „bürgerliche Gesellschaft“ charakterisiert. II. Der Begriff des Staates qua Begriff. Die Verwirklichung der sittlichen Idee selbst muss dem allgemeinen Gesetz der Idee oder Totalität folgen: Daher ist sie selbst eine totale Verwirklichung der Totalität. Also kommt das wirkliche sittliche Ganze nach dem dreifachen in der Totalität liegenden Erfordernis als Staat ins Dasein: Es realisiert sich zuerst nach seiner Identität mit sich, dann nach seinem Unterschiede in sich und endlich nach seiner Identifizierung dieses Unterschie des und jener Identität. In der ersten, einigenden Verwirklichung der staatlichen Totalität erscheint diese als ein in innerer Einheit fortbestehendes Staatswesen, so tätig es auch nach außen sein mag. Der Staat, in einer solchen inneren Einheit eingeschlossen, existiert sozusagen als Begriff. Dieses einheitliche Leben des Staates, dessen Inhalt das „innere Staatsrecht“ ausmacht, ist zwar, als Leben eines konkreten oder totalen Eins, der Prozess seiner Selbstdifferenzierung in verschiedene Tätigkeiten (nach innen und nach außen) und denselben entspre chende Gewalten; zunächst aber, in einer Einleitung zum ersten Hauptteil der Staatstheorie (R §§ 260–271), betrachtet Hegel den bloßen Begriff dieses in seiner Einheit begriffenen staatlichen Lebens.
DOI:10.1515/9783110496529-015
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12.1 Der Begriff des Staates überhaupt Insofern der Staat die sittliche Idee als sich durchdringende Einheit ihrer sub stantiellen, unmittelbaren, naturhaften Identität mit sich und ihrer subjektiven, in sich reflektierten, gebildeten Selbstdifferenzierung vollkommen verwirklicht, muss er zugleich den Anforderungen der massenhaften Einheit der Volksgemein schaft und der sich verselbstständigenden Individuen gerecht werden. Doch ist eine solche Vereinigung entgegengesetzter Forderungen, teils seitens der allge meinen Substanz, teils seitens der einzelnen Subjektivität, keine bloße Neutra lisierung: Die Hegelsche Synthese der Entgegengesetzten ist nämlich jedes Mal die Selbstvereinigung des Einen mit seinem Andern (das Absolute ist subjektive Einheit des Subjekts und des Objekts, göttliche Einheit Gottes und der Menschen usw.). In der objektiven oder substantiellen Gestalt des Geistes – dem „objekti ven Geist“ oder „Recht“ – ist deswegen die Vereinigung der Substanz und der Subjektivität eine substantielle Vereinigung: Im rechtlichen Elemente übergreift also das Moment des Objektiven und Allgemeinen das Moment des Subjekti ven und Einzelnen, es ist der Träger oder das tätige Substrat seiner Einheit mit seinem Andern. Deshalb bestimmt Hegel zunächst den Staat als die subjektive Existenz der Substanz (vgl. § 257), ferner aber als das substantielle Wesen der Subjektivität (vgl. § 258). Weil nun die staatliche Vernunft ihren wahren Inhalt geschichtlich entwickelt – diese geschichtliche Realisierung ist selbst der letzte und höchste Inhalt des Rechts –, gelangt die Befriedigung ihrer beiden Hauptfor derungen selbst geschichtlich ins Dasein. Daher erinnert Hegel an die antike und die moderne Gestaltung des Staatswesens, dessen Forderungen nur einseitig in denselben befriedigt worden sind. Der antike Staat erkennt nicht die wesentliche Freiheit der einzelnen Individuen an und steht der subjektiven Existenz der sittli chen Substanz im Wege: Sokrates wurde zum Tode verurteilt. Im Gegensatz dazu lässt der moderne Staat dies allgemeine Wesen der im Gang der Weltgeschichte befreiten Subjektivität zur Geltung kommen. Hier ist aber zu bemerken, dass Hegel vor allem diese letzte, moderne Einseitigkeit bekämpft, sowohl insofern dieselbe die politische Realität als auch deren ideal-theoretische, ja philosophi sche Reflexion-in-sich betrifft. Zwar wird sich die in dieser bedeutenden Polemik enthaltene Neuerung am ganzen Inhalt der Hegelschen Staatstheorie ausführlich zeigen, doch tritt sie schon in der hier angezeigten allgemeinen Gliederung des Staatsrechts hervor, und insbesondere in der Erklärung der dritten und letzten Stufe desselben, welche als solche den Sinn der beiden früheren Stufen entschei dend bewährt.
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12.1.1 Der Staat als subjektive Existenz der sittlichen Substanz (§ 257) a) Dass der Staat in ontologischer Hinsicht als „die Wirklichkeit der sittlichen Idee“ begriffen wird, d. h. als das angemessene Realisiertsein der sittlichen Einheit der substantiellen Allgemeinheit und der subjektiven Einzelheit des Willens im Selbstbewusstsein, worin der Geist sich Existenz gibt, bestimmt ihn zur sich denkenden Sittlichkeit. Denn das denkende Bewusstsein versöhnt erst in ihm selbst die einzelne Tätigkeit des Subjekts und die allgemeine Notwendigkeit des Objekts, indem es beide zusammen absolut setzt. Einerseits erlebt sich das sich selbst bloß fühlende Subjekt als von einem es begrenzenden oder negieren den Objekte affiziert, das seinerseits als gefühltes von der Subjektivität zugleich bedingt, begrenzt und negiert wird. Andererseits fasst das vorstellende Bewusst sein vom Objekte, als formal von ihm selbst unterschiedenes, einen doch sinn lich bleibenden Inhalt auf, d. h. einen dem besonderen, bedingten Zustand eines dadurch in seinem Dasein streng beschränkten Subjekts entsprechenden Inhalt. Mit dem Denken verhält es sich ganz anders. Denn indem ich denke, bringe ich durch einen absolut freien Akt einen nichtsdestoweniger allgemeinen und notwendigen Sinn hervor: Das synthetische Denken von Subjekt und Objekt setzt jedes für sich mit gleicher Absolutheit. Durch eine solche denkende Selbstset zung bringt also der Staat die zusammenhängende, darum aber nicht vermen gende Einheit des allgemeinen substantiellen oder objektiven Willens und des einzelnen subjektiven Willens vollkommen ins Dasein, deren spezifische Bestim mungen somit bewahrt werden. Die Familie, als in bloßem Gefühl sich erlebendes Dasein der sittlichen Totalität, hält dieselbe in einer vermengenden Einheit fest, worin sie zugleich und gleicherweise den Willen der Individuen und den Willen des Ganzen durcheinander begrenzen lässt: Die Einzelnen können sich nicht in dem Ganzen verselbständigen, das seinerseits ein vereinzeltes, beschränktes, endliches Ganzes bleibt. Die bürgerliche Gesellschaft befreit zwar im unterschei denden Elemente des vorstellenden Lebens die Macht des Individuums und die Macht des Ganzen voneinander; damit aber werden dieselben, trotz ihrer sittli chen, ursprünglich notwendigen Beziehung, feindselig gegeneinander: das eine als selbstsüchtiger Einzelwille, das andere als hartes allgemeines Schicksal. Das soziale Leben ist also das sich selbst entgegengesetzte sittliche Leben, welches durch eine solche innere Gegenständlichkeit sich selbst erscheinen, zur „Erscheinungswelt des Sittlichen“ (§ 181) werden kann. Jenseits aber des bloßen Sich-Erlebens der sittlichen Idee (in der Familie) und des Sich-Erscheinens (in der bürgerli chen Gesellschaft) ist ihre vollendete wirkliche Selbstäußerung ihr im denkenden Staatsleben realisiertes Sich-Offenbaren. Dabei manifestiert sich die sittliche Totalität erschöpfend, weder nur in ihrer abstrakten Identität noch nur in ihrer abstrakten Differenz, sondern in ihrer
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selbstdifferenzierten konkreten Einheit. Die adäquate, vollendete Selbstverwirk lichung der Sittlichkeit besteht also weder in dem fühlenden Leben der Familie noch in dem vorstellenden Leben der Gesellschaft, sondern erst in dem denken den Leben des Staates. Erst im Staat verwirklicht sich die sittliche Idee mit voller Durchsichtigkeit ihres inneren Sinnes: Ihre Objektivierung drückt ihr Subjekt vollends so aus, dass dieses Subjekt in solcher Objektivierung absolut bei sich ist und so dieselbe frei beherrscht. Wenn die Sittlichkeit in der Familie natürlich da ist und sich in der bürgerlichen Gesellschaft produktiv bildet – jedoch in der sich selbst entziehenden dunklen Macht der ökonomischen Produktion –, verwirk licht sie sich in der staatlichen Tätigkeit als sich selbst eigentlich erschaffend; und dies, weil der Staat denkend und das Denken der selbstherrliche Geist ist. Kurz, mit Hegels Worten, ist der Staat „als der offenbare, sich selbst deutliche, substantielle Wille, der sich denkt und weiß, und das was er weiß, und insofern er es weiß, vollführt“ (§ 257). Dieses Selbstdenken des Staates äußert sich im Recht insbesondere als die verallgemeinernde Selbsttätigkeit der Gesetzgebung, zunächst in dem den wahren Staat als konstitutionellen Staat errichtenden Grundgesetz. b) Die Erhebung des substantiellen oder allgemeinen Willens zu derjenigen Subjektivität, wodurch derselbe sich politisch verwirklicht, manifestiert sich auf zweierlei Weise. – Sie geschieht zunächst auf die Art, dass der substantielle allge meine Wille seine massenhafte Einheit in die gleichfalls allgemeine Subjektivität der Sitten überhaupt reflektiert. Diese machen das Gesamtbewusstsein oder den gesamten Gehalt des Bewusstseins aus, welches zwar eigentlich nur im einzel nen Bewusstsein und als ein solches existiert, aber in der Form, dass das ein zelne Bewusstsein als seine Natur diejenige zweite – geistige – Natur voraussetzt, deren gewöhnlichen Inhalt die Sitten entfalten. Solch eine substantielle Subjek tivität der sittlichen Substanz vermittelt deren eigentlich subjektive Subjektivität, welche sich im einzelnen Tun des Selbstbewusstseins Dasein gibt. Im Staat wird nun dieses Tun, das als solches negierend, erneuernd und befreiend ist, durch das unmittelbare sich selbst gleiche Sein der Sitten bedingt und begrenzt; freier wird es in der einzelnen Negativität des Selbstbewusst seins. Wenn die ursprünglich einzelne Freiheit (denn das Selbst ist schlechthin Beziehung-auf-sich) die sittliche Tätigkeit von der hergebrachten Notwendigkeit befreit, wenn der Volksgeist all seine inneren allgemeinen Möglichkeiten ver mittels der eingreifenden Energie eines großen Individuums (vgl. die „welthis torischen Menschen“) verwirklicht, so wird doch erst umgekehrt das freie Tun desselben zu einer wirklichen Tat. Es bringt nur insofern ein in den objektiven Geist eingehendes Werk hervor, als es innigst – wenn auch mitunter negativ – im substantiellen Sein der Volkssitten verankert ist. Es sollen zwar die Sitten ihrer selbst denkend bewusst werden, was dadurch geschieht, dass sie in ein Gesetz
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buch übersetzt werden, denn das gesetzgebende Denken, als echt verallgemei nerndes Tun, geht jederzeit über die originell partikuläre (bloß spezifische) Kon tinuität der Sitten hinaus. Dennoch entgehen die Gesetze nur insofern der den willkürlichen Bestimmungen inhärierenden Vergänglichkeit, als sie bestimmte Sitten denkend ausdrücken. Aus diesem Grunde muss das einzelne Selbstbewusstsein das Leben des jenigen Staates verinnerlichen, dessen vom eigenen Schicksal befreiendes Tun die Sitten voraussetzt. Dies ist Wesen, Zweck und Wirkung seiner dadurch als substantiell geretteten, als Notwendigkeit realisierten Freiheit. Das Individuum muss also, als einen Patriotismus, die substantielle Voraussetzung seiner subjek tiven Betätigung in sich selbst setzen, was es von seiner Subjektivität auf positive, wirksame Weise befreit. Nur dann, wenn auf diese Weise die Substanz selbst sich zum Subjekt macht, ist die subjektiv gewordene substantielle Sittlichkeit wahrer als die Sittlichkeit schlechthin, d. h. die abstrakte oder bloß substantielle Sittlich keit. Hegel will in § 258 auf negierende oder polemisierende Weise dieses Thema ausführlich darlegen, wonach im Feld des eben genannten objektiven Geistes die Subjektivität in die Substantialität, d. h. das Individuum beständig in das staatli che Ganze einzugliedern ist. c) In § 257 A bestimmt Hegel konkreter die sittliche Eigentümlichkeit des Staates als gedachte Sittlichkeit, indem er dessen eigenen göttlichen Wert demjenigen der ersten sittlichen Gestalt, der Familie, entgegensetzt. Es ist nun nicht erstaunlich, dass die bürgerliche Gesellschaft hier von der Vergöttlichung ausgeschlossen bleibt: Wie nämlich nach Hegel die zweiten, unterscheidenden Denkbestimmungen überhaupt nicht das mit sich identische Sein des Absolu ten ausdrücken und damit nicht selbst verabsolutiert werden können, so kann insbesondere diejenige entzweite, erscheinende Sittlichkeit, die das sozial-öko nomische Leben ausmacht, nicht als ein anderes Gotteswesen dem „irdischgött lichen“ Staat entgegengesetzt werden. Dagegen erscheint die Vergleichung der Familie mit dem als göttlich bezeichneten Staat umso verständlicher, als Hegel sie mit dem antiken Beispiel konkretisiert. Denn das antike sittliche Leben, worin die reine wirtschaftliche, weder zur Familie noch zum Staate gehörende Tätigkeit allein den Sklaven (als Halbmenschen) zukommt, ist charakterisiert durch den Hauptgegensatz zwischen der unmittelbaren sittlichen Einheit der Familie – als Natursein – und der vermittelten sittlichen Einheit des Staates – als bewusstes und beabsichtigtes Tun. Weil Hegel aber die in der empfindenden Pietät einge schlossene Sittlichkeit der Familie und die vom wissenden Willen befreite Sitt lichkeit des Staates unterscheidet, indem er dieselben religiös symbolisiert als einerseits die „inneren“ und „unteren“, also unterirdischen Götter (die Penaten), und andererseits als den sonnenklaren Volksgott (die sich selbst wissende und wollende Athene), hebt er an der staatlichen Sittlichkeit selbst bei ihrem antiken
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unmittelbaren Dasein eben das hervor, was sie zur modernen Potenzierung der Subjektivität bestimmt. In § 258 will er dann beides ins Gleichgewicht bringen: die Betonung der not wendigen politischen Subjektivierung der sittlichen Substanz und das ebenso notwendige Einsetzen der Subjektivität in eine immer noch substantielle Politik. Die in der Neuzeit geschichtlich vollendete Problematik der Sittlichkeit besteht aber keineswegs in der gespannten Beziehung der Familie und des Staates, sondern in derjenigen zwischen der bürgerlichen Gesellschaft, worin die ein zelne Subjektivität des Menschen als solchen – konkreter: als Bürger – für sich selbst gefördert wird, und dem Staat, in dessen Dienst der Mensch sich als Staatsbürger über sich selbst erhebt. Diese neuere Spannung spricht eben der Untertitel der Grundlinien der Philosophie des Rechts an: „Naturrecht und Staatswissen schaft im Grundrisse“. Denn erstens realisiert sich das (moderne) Naturrecht als idealer Anspruch auf die Rechte des Menschen wirklich nur in der entwickelten Gesellschaft; und zweitens weist die in der klassischen antiken Lehre entwickelte Staatswissenschaft das Individuum vor allem auf seine vaterländische Haupt pflicht hin.
12.1.2 Der Staat als substantielles Wesen der Subjektivität (§ 258) In § 258 selbst bezeichnet Hegel den Staat als die sittliche Vernunft: Diese als solche synthetisiert in sich selbst die wechselseitige Anerkennung von substan tiellem allgemeinen Willen und einzelnem Willen; der einzelne Wille wird damit rechtsfähig und gegenüber dem Staat verpflichtet, vor allem dazu, sein Mitglied zu sein. In der ausführlichen Anmerkung zieht er dann aus dem vernünftigen Sein des Staates die Folgerungen für die politische Theorie und Praxis; diesen Folgerungen werden weder die fortschrittliche Gesinnung des revolutionären Ver standes noch die rückschrittliche Gefühlsanschauung der Restauration gerecht: Beide nämlich, mögen sie noch so entgegensetzt sein, verkennen gleichermaßen die politische Vernünftigkeit. Hier bekämpft Hegel aber vor allem den rückschritt lichen Irrationalismus, den er zur Zeit der Veröffentlichung seines Werks, der Zeit der siegenden Heiligen Allianz, für die bedrohlichste Gefahr erachtet. a) Die staatsbürgerliche Pflicht. Dass der Staat insofern im substantiellen oder allgemeinen Willen wahrhaft verwirklicht ist, als dieser durch die Erhebung des besonderen Selbstbewusstseins zu ihm, d. h. durch die Selbstnegation dieses somit notwendig vorausgesetzten Bewusstseins vermittelt wird – oder auch: dass in jenem Willen die Subjektivität sich bestätigt –, macht den Staat zum an und für sich Vernünftigen. Dies gilt, weil die Vernunft eben diese Identität des Ansich
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seins mit dem Fürsichsein ist, worin beide ihrem vollen Sinn nach verwirklicht werden. Was an sich ist, d. h. nicht in Anderem, das ist das Allgemeine; aber dieses ist erst es selbst, von keinem Anderssein affiziert, wenn die ihm seinen Sinn gebende Beziehung die Beziehung-auf-sich, mit anderen Worten das ein zelne Fürsichsein ist. Umgekehrt wird erst das, was für sich selbst und dadurch einzeln ist, von einem es auf Anderes beziehenden Sein seiner selbst befreit, wenn seine Reflexion-in-sich diejenige des Allgemeinen ist. Weil aber im Staat als wahrer Gestalt des objektiven Geistes diese sich durchdringende Einheit der Allgemeinheit und der Einzelheit eine objektive, substantielle oder allgemeine ist und die objektive oder substantielle Allgemeinheit auf die subjektive Einzel heit übergreift, darum überwiegt die Identität mit sich, die Ruhe der politischen Vernunft die differenzierende Bewegung derselben. Einesteils sichert die sittli che Substanz dem freien Tun des Individuums eine objektive Wirksamkeit, indem sie ihm einen mit sich identischen, unbewegten, also absoluten Selbstzweck als feste Grundlage für die dadurch selbst erst realisierbaren zufälligen Zwecke der Besonderheit gewährt. Weil nun jene Allgemeinheit des Staatslebens dem einzel nen Subjekt ermöglicht, die weltliche Objektivität zu durchdringen, befördert sie es als freies Subjekt. Denn frei zu sein, heißt nach Hegel so viel wie in der Welt „bei sich zu sein“. Daraus erhellt, dass die Freiheit im Staate „zu ihrem höchsten Recht kommt“. Andernteils aber verwirklicht sich die Freiheit als verallgemei nernde Aufhebung ihrer unmittelbaren Einzelheit in diesem alle anderen Rechte bedingenden Recht. Ein solches Recht ist also zugleich die „höchste Pflicht“, der staatlichen Allgemeinheit zu dienen. Dergestalt, dass nicht der Mensch als solcher den Staat zufällig errichten könne oder auch nicht, sondern vielmehr der notwendig vorausgesetzte Staat allein den Menschen zum Menschen macht. b) Gegen den Irrationalismus in der Politik. Hegel lehnt drei Arten des Irrationalis mus ab, die in der modernen Geschichte nacheinander aufgetreten sind und sich voneinander durch die Weise der Trennung des Staates vom Denken unterschei den. Entweder fehlt das Denken in der Bestimmung des Staats, oder es ist darin bloß partiell enthalten oder sogar daraus vollständig ausgeschlossen. Zuerst hat das politische Denken den Staat nicht als wesentlich Gedankliches gefasst, d. h. als vom denkenden Wesen des Menschen gefordert, sondern als dem natürlichen Sein desselben entsprechend. Der Empirismus des modernen Natur rechts bezieht die staatliche Einheit als bloßes Mittel auf die ihre Sonderinteressen zum Zweck machenden Individuen. In dieser Auffassung reflektiert sich ideell das spezifische Wesen des modernen Staates, in dem die eigensüchtige Individuen versammelnde bürgerliche Gesellschaft sich entwickelt. So aufgefasst wird diese, welche doch nur die neuere geschichtliche Erscheinung des Staates ist, mit dem beständigen Wesen desselben verwechselt. Bei einer solchen Historisierung des
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Inhalts der Staatslehre wird dann, formal betrachtet, an die Stelle des philosophi schen Denkens der Idee des Staates die historische Vorstellung der Bedingungen des Hervorgehens desselben (Selbstentfaltung der Familie zur Nation, Konflikte zwischen den Individuen, Sozialitätstrieb, Vertrag, göttliches Gebot usw.) gesetzt; Bedingungen, die bloß eine zufällige Äußerung des notwendigen inneren Wesens des Staates sind. Solch ein im 18. Jahrhundert gipfelnder Empirismus des Inhalts und der Form der Staatslehre vollendet sich – auch im negativen Sinne dieses Wortes verstanden – zum Denken vom Staate als gedachtem Wesen. Wie bekannt, will Rousseau alle Fakten beiseitelegen und somit eine unge schichtliche Entstehung und Entwicklung des Staates darstellen, dessen Inhalt er überdies auf dem Denken beruhen lässt. Nach ihm nämlich äußert der Staat kei neswegs die natürliche Kraft des Interesses, sondern die denkende – als solche nur auf sich selbst bezogene – Energie eines Willens, der seine Existenz verall gemeinernd mit sich auszusöhnen beschließt. In seinen Vorlesungen, teils über die Philosophie der Weltgeschichte (vgl. VPWG), teils auch über die Geschichte der Philosophie (vgl. VGP), lobt Hegel Rousseau dafür, dass er ein solches freies Wollen zum Absoluten gemacht und den Staat darauf gegründet habe. Dennoch negiert sich bei Rousseau der politische Empirismus empirisch. Einerseits erzählt er das in der Form einer Reihe von realen Bedingungen, was er doch als ein bloß gedachtes Wesen hat betrachten wollen. Andererseits ist es bei ihm vornehmlich die einzelne Willkür, die sich selbst negierend (im Vertrag) sich zum allgemeinen Willen macht, so dass dieser allgemeine Wille darum immer nur ein gemeinsa mer Wille ist, weil er von den in aller Selbstnegation immer noch selbsttätigen einzelnen Willen getragen wird. Der Deutsche Idealismus hält noch bei Fichte an einem solchen empirisch-individualistischen Bedingtsein der politischen Theorie fest. Nun ist aber der Irrtum dieser Theorie durch das Scheitern der von ihr beseelten Praxis tatsächlich manifest geworden. Denn es ist eben der verdäch tigende selbstbewusste Individualismus der sich für Rousseau begeisternden französischen Revolutionäre, welcher zur Zeit der Schreckensherrschaft das so verdächtigte Wollen des Allgemeinen zerstört hat. Die Vernunft ist bloß vorgeb liche Vernunft, solange sie nur die Subjektivität des Individuums und folglich nichts anderes als den bloßen Formalismus eines den besonderen Erfahrungs inhalt bestätigenden Verstandes ausdrückt. Das Denken wird allein dadurch zur Vernunft, dass es nicht bloß einen von außen her aufgenommenen empirischen Inhalt durch seine allgemeine, dem einzelnen Fürsich faktisch innewohnende Form abstrakt und willkürlich fixiert, sondern sich selbst immanenter- oder not wendigerweise zum dabei auch an sich allgemeinen Inhalt entwickelt. Das Hegel sche spekulative Denken geht darauf, den Staat als an sich selbst vernünftig zu denken, indem es ihn in seinem absoluten Sinn als Selbstbestimmung des Abso luten begreift.
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Die Kritik der verstandesgemäßen Staatstheorie – sei es die des schon den kenden Empirismus bei Rousseau oder des noch empirischen Verstandes bei Kant und Fichte – kann dennoch in anti-rationalistischer Absicht ans Werk gehen, als ob die reale Politik den Rückschritt hinter den Verstand, d. h. die den kende Verallgemeinerung, überhaupt erforderte. Als ein Exempel eines solchen, zur Zeit der Restauration geläufigen politischen Irrationalismus oder Natura lismus greift Hegel das Werk des Berners Carl Ludwig von Haller, Restauration der Staatswissenschaft (erschienen von 1816 ab)1 heftig an. Um den politisch so gefährlichen revolutionären Verstand abzuwenden, verwirft Haller alles Denken, sowohl in der Form als auch im Inhalt der Staatslehre. Daraus folgt, dass er in völ liger Zusammenhanglosigkeit, ja sogar Widersprüchlichkeit des Gedankens, das Staatsleben als ein natürliches Spiel von miteinander streitenden Kräften verste hen will, deren realistische, erfolgreiche Ausnützung und Beherrschung die radi kale Ablehnung des heuchlerischen und ohnmächtigen, nicht wahrhaft befrei enden gesetzes-gesinnten Tuns erfordert. Ist doch die Natur nicht vermittels des Denkens zu retten, dessen Vermittlungen sie vielmehr verderben, indem dadurch ihr unmittelbares göttliches Wesen nicht anerkannt wird. Diesem romantisieren den Naturalismus stellt sich die Hegelsche Darstellung des vernünftigen Staats organismus vor allem entgegen.
12.1.3 Die vernünftige Gliederung des Staatsrechts (§ 259) Da die politische Vernunft das Selbstunterscheiden der wesentlichen Identität des Staates ist, bestimmt sich die Idee desselben nach der folgenden Progression: – zuerst als Unterscheiden in der Identität des Staates mit sich: Dies ist die „Verfassung“ oder das „innere Staatsrecht“; – dann als Unterscheiden dieser in ihr selbst unterschiedenen Identität des Staatswesens von sich selbst: Dabei existiert dieses Staatswesen im „äußeren Staatsrecht“ als das Verhältnis verschiedener Staaten zueinander; – endlich als Selbstunterscheiden in diesem Element der Verschiedenheit der Staaten, in der sich dadurch konkretisierenden mit sich identischen allge meinen staatlichen Idee: Diese manifestiert sich also als politische Welt-Ver nunft oder als der in der „Weltgeschichte“ sich betätigende „Weltgeist“. Diese vernünftige dreiteilige Gliederung des Hegelschen Staatsrechts kann, formal betrachtet, an die Kantische Einrichtung des öffentlichen Rechts erin nern: Staatsrecht, Völkerrecht, Weltbürgerrecht. Der Inhaltsunterschied der zwei
1 Vgl. Haller 1820–1834.
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Lehren voneinander liegt aber in der jeweiligen Wertorientierung des Gliede rungsprozesses. Bei Kant nämlich ist das Staatsrecht völlig zwingend als inneres Staatsrecht, und es verliert von hier aus allmählich seine zwingende Wirkung. Bei Hegel dagegen ist das unwiderstehlichste Staatsrecht das Recht des Weltgeis tes, dessen einzelnes Selbst eben das absolut setzt, was sich notwendig schon als die Hauptgewalt des inneren Staatsrechts, d.i. die fürstliche Gewalt, bestätigt hat. Weil nun für Hegel die Substanz selbst Subjekt ist, zeigt sich das Subjekt als gewalthabend auf allen Stufen des substantiellen und allgemeinen Daseins, besonders im Feld der politischen Vernunft – weit entfernt davon, bloßer Stell vertreter eines zwar substantiellen oder allgemeinen, aber für sich selbst nur ideal oder normativ wirkenden Prinzips zu sein.
12.2 Der Begriff des Staates qua Begriff (als innerer Selbstentwicklung): das innere Staatsrecht Die §§ 260–271 stellen den allgemeinen Sinn oder den Begriff der inneren Selbst differenzierung dar, welche der sittlichen Totalität ihren bestimmten Gehalt gibt. Da nun dieser Totalität als der negierenden Identität desjenigen Unterschieds oder Widerspruchs, der die Familie und die bürgerliche Gesellschaft über sich selbst hinaustrieb und zum Nichtsein verurteilte, ein Sein zukommt, bestimmt Hegel zunächst den Sinn dieser staatlichen Identität der Subjektivität mit der Substantialität im freien Willen (§§ 260–261). Dann deutet er die vorstaatliche, in sich entzweite, widerspruchsvolle und damit der Notwendigkeit preisgegebene Erscheinung des staatlichen Lebens auf höhere Weise, indem er sie in ihrem wahren Wesen begreift, eine Manifestation des Staates selbst zu sein, d. h. als einer mit sich selbst versöhnten, freien Sittlichkeit inhärierend – Differenz als Identität. In den §§ 262–265 wird also die staatliche Freiheit als etwas dargestellt, das sich als Notwendigkeit betätigt und dadurch im Sein verankert ist. Danach (§§ 266–270) führt Hegel die eigentlich staatliche Manifestation des Staates ein, dessen nicht bloß formale abstrakte Identität sich selbst zum eigenen Inhalt diffe renziert; die politische Freiheit macht sich selbst zur rein politischen Notwendig keit – Identität als Differenz; das bedeutet, dass sie nicht mehr davon bestimmt werden kann, was im Prozess des Absoluten über dem Staat liegt (vom absoluten Geiste bzw. von der Religion überhaupt), sondern von dem, was unter ihm liegt. Am Ende gibt Hegel die immanente Selbstgliederung des inneren Staatsrechts an (vgl. § 271).
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12.2.1 Der Staat als wahre Verwirklichung der Freiheit (§§ 260–261) a) Die Freiheit, im Hegelschen Sinne des Wortes, nämlich als Beisichsein des einzelnen Individuums in seiner allgemeinen Umwelt, d. h. als Identität der ver schiedenen Subjektivität und der mit sich identischen Substanz, kurz: als „kon krete Freiheit“ (das Konkrete verstanden als die Identität-mit-sich (cum) dessen, was sich entwickelt (crescere) – ausdehnt, abtrennt, unterscheidet), verwirklicht sich objektiv in der Sittlichkeit überhaupt. Wenn aber der die Familie und die bürgerliche Gesellschaft belebende Wille zugleich auf das Wohl des Individu ums und des Ganzen hinzielt, so geschieht dies doch nur entweder im innigen, aber engen Kreise der Familie oder im allgemeinen, aber unheimischen entäu ßernden Zusammenhang der bürgerlichen Gesellschaft; jedenfalls in einem die Befreiung des Menschen hemmenden sittlichen Verhältnis. Der Staat allein ver wirklicht auf absolute Weise, im Element des objektiven Geistes, die konkrete Freiheit des Menschen. Denn in ihm, als in einer zugleich allgemeinen und hei mischen Umgebung, ist der Mensch bei sich selbst; daraus folgt, dass er eine solche Umgebung zugleich in ihrer ganzen Allgemeinheit und sich selbst in seiner eigenen Einzelheit wollen kann. Allerdings realisiert sich dieses Wesen des Staates nur im modernen Staat vollkommen. Denn der antike Staat befreit das Individuum, dessen Menschheit durch die Staatsbürgerlichkeit bestimmt, also beschränkt ist, nicht vollständig. Der Staat übt unmittelbar seine Macht und Gewalt auf die Einzelnen aus, und dieses reale Versunkensein der Einzelnen im Ganzen reflektiert sich ideell in der politischen Lehre, wie bei Platon und Aris toteles. b) Dagegen befreit die außerpolitische christliche Vergöttlichung des Indi viduums so sehr den Menschen vom Staatsbürger, dass die moderne Staats lehre den Staat für etwas von Individuen Gemachtes hält. Die Individuen als bloße Menschen entschließen sich gemeinsam dazu, den Staat durch einen Vertrag zu errichten, und machen sich damit zugleich zu Staatsbürgern. Weil aber nach Hegel der Staat das „Irdisch-Göttliche“ ist, so ist es immer er selbst, der eben dies bewirkt, dass etwas sich ohne ihn, ja gegen ihn, realisieren kann; sein liberales Sich-Enthalten ist ohne Zweifel sein höchstes und mächtigstes Tun. Diejenige „ungeheuere Stärke“, die er in der Neuzeit erhalten hat, besteht eben darin, dass er den Menschen als solchen von ihm als Staatsbürger befreit und die vollendete Entwicklung der „persönlichen Besonderheit“ des Indivi duums zulässt. So erweist sich der Staat als die politische Konkretisierung des ontologischen Wesens der göttlichen Idee, welche sich auf dem Gipfel der spe kulativen Logik als dieses absolute Tun offenbart, ihr negierendes Moment der Besonderheit „frei aus sich zu entlassen“ (E § 244), und sich damit selbst zur Natur zu entäußern; einer Natur, worin, wie in einem Andern, ihr notwendiger
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Sieg desto glänzender und genießender sein wird. Das Staatsganze kehrt also durch sein Anderes hindurch zu sich zurück – eine Rückkehr, die nach Hegel allein seine Selbstsetzung absolut bewährt. Nach dem antiken Staat, dessen unmittelbare substantielle Macht die Befreiung der Individuen hemmt, und dann nach dem modernen christlichen Staat, dessen individualistisches SichDenken die Macht ontologisch auflöst – davon hatte Hegel in der Verfassung Deutschlands (vgl. VD) ein bedeutendes Beispiel gegeben –, kommt der Staat insofern zu seinem wahren Dasein, als er seiner wesentlichen Totalität gerecht wird, aber ohne Totalitarismus, weil er zugleich für das Individuum und dessen Freiheit sorgt. Die Hegelsche Grundabsicht war es eben, den Substantialismus des klassischen Naturrechts mit dem Subjektivismus des modernen Natur rechts im Feld des substantiellen oder objektiven Geistes zu versöhnen. Diese Synthese beider ist aber – da bei Hegel, wie oben erinnert, die Synthese niemals bloße Neutralisierung ist, sondern das Sich-Vereinigen des übergreifenden Momentes der Antithese mit seinem Andern – vom substantiellen Moment des Staates bewirkt. c) Aus diesem Grunde macht der notwendige Prozess – wodurch fürs erste die Sonderinteressen in der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft gedei hen, dann in der letzteren rechtlich anerkannt und beschützt sind, indem aber ihre Befriedigung zuerst unbewusst ebenso den allgemeinen Zweck befriedigt, welcher zuletzt für sich gewollt ist – die bloße Erscheinung des wesenhaften Prozesses aus, dessen tätiges Subjekt das im Staate vollends verwirklichte All gemeine (R § 241) ist. Es ist genau dieses Übergehen von der Erscheinung zum Wesen der sittlichen Bewegung, was Marx – dessen überliefertes Manuskript Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie (vgl. Marx 1974) eben mit der Erör terung des § 261 beginnt – Hegel als mystifizierende Umkehrung des wahren Verhältnisses der wirklichen Sphären (Familie und bürgerliche Gesellschaft) des sittlichen Lebens zum Staat vorwerfen wird. Hegel erniedrige diese Sphären zu Erscheinungsweisen der idealen Sphäre der Sittlichkeit (des Staates), die er zum wirklichen Wesen erhebe. Der Staat ist für Hegel ja der tätige Träger der Erscheinungsbewegung, worin die vorstaatliche Sittlichkeit sich zur bloßen Erscheinung des Staatswesens auflöst; er begründet das vorstaatliche Leben auf zweifache Weise: erstens auf vorstaatliche, d. h. vordenkende Weise; und zweitens auf staatliche, d. h. denkende Weise. Einesteils betätigt sich der Staat als „äußerliche Nothwendigkeit“ oder „höhere Macht“, welche die Privatver hältnisse dem öffentlichen Recht unterstellt; hier erinnert Hegel an Montes quieu, der im „esprit général“ die Wechselwirkung der verschiedenen Momente des Volkslebens von einem derselben abhängen lässt; dieses überwiegende Moment, das sogenannte „Prinzip der Regierung“, drückt zwar bloß empirisch eine vernünftige Beziehung aus, deren Entdeckung bei Montesquieu Hegel
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aber immer wieder rühmend erwähnt.2 Andernteils wird der Staat, eine eigent lich denkende Sittlichkeit, im Bewusstsein der Mitglieder der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft insofern zum ihnen „immanenten Zweck“, als ein solcher allgemeiner Zweck mit ihren eigenen besonderen Zwecken eng verbun den wird; dabei sind die (besondere) Subjektivität und die (allgemeine) Subs tantialität nicht bloß substantiell durch Notwendigkeit, sondern auch subjektiv durch Freiheit miteinander verknüpft. So erhält der Staat seine absolute Macht, weil sich seine substantielle Allgemeinheit durch das Andere derselben, d. h. durch die subjektive Besonderheit behauptet, welche ihrerseits, durch diese all mächtige allgemeine Substanz gestützt, ihre gesicherte Befriedigung gewinnt. Solche den Staat in seinen Mitgliedern bekräftigende Synthese hat bei ihnen selbst die Identifizierung ihres Rechts und ihrer Pflicht zur Folge. d) Weil nun die Pflicht das besondere Subjekt einem substantiellen Allgemei nen unterwirft, im Recht dagegen dieses für jenes sorgt, so ist es nicht unmittel bar dasselbe Subjekt, das von der Pflicht gezwungen und vom Recht befördert wird: Was dem Einen Pflicht ist, das ist keineswegs sein eigenes Recht, sondern das des Anderen; deshalb ist bei jedermann die Beanspruchung seines Rechts nicht notwendig die Anerkennung seiner Pflicht. Allerdings gilt in dieser Hin sicht Gleichheit unter den Menschen, denn sie haben dieselben Pflichten und dieselben Rechte. Solch eine Gleichheit besteht in der Identität des praktischen allgemeinen Inhalts (d. h. der persönlichen, im Recht überhaupt objektivierten Freiheit), der sowohl in der Moralität als auch im Recht stricto sensu von den besonderen Lebensumständen abstrahiert. Dabei wird gerade von dem abstra hiert, was den einzelnen Willen wirklich anregt und damit die zunächst bloß ideale Identität von Recht und Pflicht zur realen macht. Auf der Stufe der Sittlichkeit, worin das Gerechte und Gute als die prakti sche, das Allgemeine und das Besondere miteinander aussöhnende Totalität bestimmt ist, unterscheidet sich aber ein solcher idealer Inhalt konkret in ihm selbst. Daraus ergibt sich, dass die so manifestierte und erlebte formale Identität des Rechts mit der Pflicht zur realen wird, zur Identität eines doch jedes Mal an ihm selbst durch die bestätigten besonderen Verhältnisse unterschiedenen sittli chen Lebens. Der Inhaltsunterschied von Recht und Pflicht in einem und demsel ben Individuum – z. B. hat in der Familie die Pflicht des Sohnes nicht denselben Inhalt wie sein Recht gegen den Vater – sowie derjenige sowohl der Pflichten als auch der Rechte, je nach Individuen konkretisiert, belebt und bekräftigt so die notwendige Einheit des objektiven Geistes mit sich selbst als sittlichen Geistes: In
2 Vgl. insbesondere schon den Aufsatz von 1802/03: Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts (NR).
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jedem und allem sind Recht und Pflicht absolut eins. Eine solche mit sich selbst konkret vereinigte Sittlichkeit gipfelt im Staat. Denn in diesem ist das Einssein des Allgemeinen mit dem einzelnen Leben nicht nur an sich, bloß gefühlt, wie in der Familie, oder nur für sich, bloß vorgestellt, objektiviert, entäußert, wie in der bürgerlichen Gesellschaft, sondern sowohl an sich wie für sich, insofern es als absolute Einheit des „Ich“ und des „Wir“ gedacht wird. Die Versöhnung des modernen Staates mit dem antiken lässt sich also als die des Rechts mit der Pflicht, des Sonderinteresses mit der Selbstaufopferung aus drücken. Der zu seiner Vollendung gelangte Staat befriedigt auf doppelte Weise seine Mitglieder, nämlich sowohl als Menschen wie als Staatsbürger. Der Mensch, als Privateigentümer, gewissenhaftes Subjekt, Mitglied einer Familie oder Korpo ration, wird notwendig vom vernünftigen Staat gefördert, dessen Allmacht somit das unpolitische Leben auf liberale Weise begünstigt. Ebenso sehr aber gewährt ein solcher Vernunftstaat dem Staatsbürger die Möglichkeit, sein allzu mensch liches Dasein zu überwinden, indem er jenem, wenn nötig, bis zum Tod dient. Der vollendete Staat reduziert sich nicht auf ein bloßes, dem Sonderinteresse dienendes Mittel; er ist vielmehr „die alleinige Bedingung der Erreichung des besonderen Zwecks und Wohls“ (§ 261 Z, PR-Hot S. 1001). Hegel verwirft also glei cherweise die zwei entgegengesetzten, einseitigen Standpunkte des Liberalismus und des Totalitarismus in der Politik.
12.2.2 Die vorstaatliche Äußerung des Staates (§§ 262–265) a) Im letzten Paragraphen des sich auf die bürgerliche Gesellschaft beziehenden Abschnitts (§ 256 A), hat Hegel den logisch-ontologischen Sinn des Beweises vom notwendigen Dasein des Staates hervorgehoben. Nach ihm ist es der bürgerli chen Gesellschaft unmöglich, die Momente der Allgemeinheit – die ein Schicksal bleibt – und der Besonderheit – die eigensüchtig bleibt – in ihr selbst auszusöh nen. Als an sich selbst widersprüchlich, folglich nichtseiend, hat die bürgerli che Gesellschaft – und damit alle (im logisch-ontologischen Sinne) vorstaatliche Sittlichkeit, denn die bürgerliche Gesellschaft enthält als „allgemeine Familie“ (§ 239) die Familie in ihr selbst – ein Sein nur insofern, als sie auf dem Sein des die Allgemeinheit und Besonderheit konkret vereinigenden Staates beruht. Wofern der Mensch seine Befriedigung im Staat erlangt, kann er überhaupt ein Fami lien- und Gesellschaftsleben führen – so mangelhaft dieses für sich auch ist. Dem sittlichen Leben, selbst dem primitivsten, am wenigsten gegliederten, kommt also ein Sein nur insoweit zu, als dasselbe vor allem die verallgemeinernde und zusammenschließende Bestimmung dessen erfüllt, was in der geschichtlichen Entwicklung als der eigentliche, von Familie und bürgerlicher Gesellschaft sich
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streng unterscheidende Staat hervortreten wird. Nur als wesentlich staatliches setzt sich das sittliche Ganze in den gegliederten Bestimmungen der Familie, der bürgerlichen Gesellschaft und des Staates selbst; nach Hegel realisiert sich das Absolute – dessen irdische Äußerung der Staat ist – nur, indem es in seiner kon kreten Identität sich selbst als Absolutem die unterscheidende Beziehung seiner zwei als abstrakt (getrennt) gesetzten Hauptmomente entgegengesetzt. Deshalb existieren Familie und bürgerliche Gesellschaft nur als Bestimmungen der sie begründenden, mit-sich-identischen Totalität oder Idee des Staates: „[E]s ist die Idee des Staates selbst, welche sich in diese beyden Momente dirimirt“ (§ 256 A). Dies ist das in § 262 wieder behandelte Thema. Hier betont Hegel den Inhalts- und Gehaltsunterschied der drei Äußerungen – Familie, bürgerliche Gesellschaft und Staat – des im Grunde wesentlich politi schen Lebens. Der Inhalt der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft, der beide zu widersprüchlichen, daher an sich selbst irrealen oder ideellen Bestimmungen macht, ist ein bloß endlicher. In der ersten erscheint der Staat nach seinem bloßen Momente der Identität des Allgemeinen mit dem Besonderen, einer so unentwi ckelt in sich selbst verbleibenden Identität, dass ihr Ansich- nicht zum Fürsichsein werden kann; in der zweiten dagegen erscheint er nach seinem bloßen Momente des die Distanz eines Für-sich-seins ermöglichenden Unterschiedes des Allgemei nen vom Besonderen: Was dabei für sich wird, ist nicht mehr an sich. Im Gegen satz dazu manifestiert sich der Staat als die negierende Einheit seiner doppelten Endlichkeit, d. h. seines nicht für sich seienden Ansichseins und seines nicht an sich seienden Fürsichseins, als eine somit unendliche, sogar an und für sich unendliche Einheit dieser vorausgesetzten Endlichkeit. Der sittliche Geist verwirk licht sich also in seiner Unendlichkeit nur durch die negative Vereinigung seiner zwei zunächst realisierten endlichen Momente; der Staat kann sich nur vollkom men setzen, wenn er zuvor in ihm selbst Familie und bürgerliche Gesellschaft zu ihrer vollen Entwicklung und Wahrheit hat gedeihen lassen. b) Das vorstaatliche Wirken des Staates zeigt sich schon bei der Entstehung der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft. Da der Staat das einzige reelle Subjekt des sittlichen Lebens ist und es wahrhaft ermöglicht, dass sich etwas (scheinbar) ohne ihn entwickelt, lässt er die Individuen, in ihrer atomisierten Vielheit genommen, als das Andere seiner Einheit, d. h. als bloße Menge, sich jenen Sphären zuteilen; was sie eben nach der zufälligen Besonderheit ihres Zustandes – der „Umstände“ – und ihrer „Willkür“ in den Familien- und Gesell schaftsverhältnissen tun. Die konkrete mit-sich-identische oder freie staatliche Vernunft betätigt sich somit im Gebiete der Familie und der bürgerlichen Gesell schaft – der sittlichen, als Unterschied erscheinenden Identität oder der sittlichen Notwendigkeit – gemäß dem Gesetz der Notwendigkeit selbst, welche den, ihr äußerlich bleibenden Unterschied zusammenhält und daher im Grunde nichts
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anderes ist als die reine Zufälligkeit. Hier ist sozusagen eine List der staatlichen Vernunft am Werke: Eine allgemeine Anordnung bringt sich mittels der mannig faltigen individuell und individualistisch interessierten Tätigkeit der Mitglieder der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft hervor (vgl. § 263). Eine solche List drückt den logisch-ontologischen Sinn dieser beiden aus, insofern an ihrem besonderen Sein ihr allgemeines staatliches Wesen bloß erscheint. Dieses tritt wegen des zunächst erhaltenen Unterschiedes seiner selbst von jenem Sein nur als die „Macht“ in Erscheinung, die von außen her dem natürlichen Gange der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft ihre gesetzliche Einrichtung auferlegt. Der Prozess des Wesens besteht aber (nach der Wissenschaft der Logik; vgl. L I,2) darin, sich selbst mit dem Sein, dessen Wesen es ist, stufenweise zu verei nigen: Es lässt sich in seinem Schein darauf ein, dass es selbst als Sein erscheint, und endet damit, dass es sich in solchem Sein verwirklicht. Deshalb müssen die Individuen, als geistige Mitglieder der Familie oder der bürgerlichen Gesell schaft, nicht nur ihre einzelnen Zwecke, sondern auch zuerst durch dieselben, dann unter und zuletzt in denselben ihr allgemeines Wesen wollen (vgl. § 264). Die Tätigkeit des Staates, die durch vorstaatliche Institutionen (Ehe, ständische Organisation, Rechtspflege, Polizei usw.) das immer noch natürlich-sittliche Leben der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft verallgemeinert, gipfelt in der synthetisierenden, gesellschaftlichen Familie, der Korporation. Hier ist das Wohl des Individuums und das einer Gemeinschaft ein und dasselbe. Damit ist der Prozess der Sittlichkeit an der Schwelle der staatlichen Einheit des Allgemei nen und des Besonderen angekommen, aber eben nur an der Schwelle. Denn die Einheit derselben findet, als gesellschaftliche Einheit, im sondernden oder unter scheidenden Elemente statt: Die Korporation ist zum einen noch eine besondere, inhaltlich beschränkte Gemeinschaft und wird zum anderen noch von den sich versammelnden Individuen selbst getragen. c) Alle diese Familien- und Gesellschaftsinstitutionen können also wohl von Hegel als die „Verfassung […] im Besonderen“ bezeichnet werden. „Verfassung“, d. h. innere Differenzierung (in gegliederte und einander zugeordnete Einrich tungen) der an ihr selbst schon konkreten oder vernünftigen Identität der Iden tität oder der Allgemeinheit mit der Unterschiedenheit oder Besonderheit; „im Besonderen“, d. h. im unterschiedenen, entzweiten, natürlichen Elemente der vorstaatlichen Sittlichkeit. Als vorstaatliche Setzung dessen, was den Staat aus macht, sind die Familie und die bürgerliche Gesellschaft die „feste Basis“ (§ 265) desselben, seine „sittliche Wurzel“ (§ 255); und dies insofern, als solch eine Basis oder Wurzel, auf der Stufe der daseienden, empirischen Voraussetzungen oder Bedingungen des Staates denjenigen wesentlichen vernünftigen Grund der ganzen Sittlichkeit ausdrückt, welcher der Staat ist. Sie sind die „Grundsäulen“ der in dem letzteren verwirklichten „öffentlichen Freyheit“ (§ 265). Wenn aber
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in denselben die besondere Freiheit durch ihre faktische Vereinigung mit dem allgemeinen Willen zur Vernunft erhoben wird, so ist doch diese Vernunft nur an sich zustande gebracht. Als bloßes Prädikat eines durch seine Besonderheit oder Unterschiedenheit bestimmten Subjekts ist eine solche Vernunft diejenige Identität der Identität mit dem Unterschied, welche durch den Unterschied, nicht durch sich selbst gesetzt wird. Dieser Widerspruch des Behaupteten mit dem Behauptenden aber muss – eben weil das Widerspruchsvolle als solches nicht ist – aufgehoben werden. Das wahre Subjekt muss also gesetzt werden als das mit sich identische allgemeine, d. i. politische Subjekt, das „Wir“ der staatlichen Volksgemeinschaft, deren Leben darin besteht, ihre konkrete Identität in eine eigentlich politische Verfassung zu gliedern. Von nun an ist die Freiheit dasselbe für sich, was sie an sich ist.
12.2.3 Die staatliche Manifestation des Staates (§§ 266–270) Die nicht widersprüchliche Verwirklichung der Freiheit besteht eben darin, dass der in allem Realen unmittelbar liegende Unterschied und damit die unmittel bare Identifizierung (als Notwendigkeit) des als solchen daseienden Unterschie des aufgehoben ist, so dass die Notwendigkeit die Freiheit als Freiheit äußert. Wenn also die (im Grunde staatliche) Freiheit in der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft als Notwendigkeit erscheint, so manifestiert sie sich dagegen im Staate als Freiheit. Die staatliche Äußerung – oder Notwendigkeit – der inneren Freiheit des Sittlichen äußert diese nicht mehr als Entäußerung ihrer selbst, sondern als sie selbst: Die Freiheit gestaltet sich als Freiheit. Nun aber ist diese freie Gestalt der Freiheit die Selbstbehauptung der allgemeinen Identität der Sittlichkeit mit sich selbst in besonderen objektiven oder subjektiven Unterschie den derselben, die sich unmittelbar an sich einrichten oder für sich erleben als Momente oder Mitglieder der staatlichen Totalität. Der in der bürgerlichen Gesell schaft sich seiner selbst als Mensch, d. h. als Individuum, bewusste Staatsbürger ist so er selbst primär nur als ein vereinzelter Pulsschlag (als „Ich“) des allge meinen Staatswesens (als „Wir“). Aber dieses Dasein des Allgemeinen im Beson deren als eines solchen ist selbst verdoppelt: Es ist nämlich teils als subjektives Dasein – die „politische Gesinnung“; teils als objektives Dasein – der Organismus der politischen Verfassung (§ 267). Nachdem Hegel daran erinnert hat, dass das tätige, im Patriotismus voll endete Vertrauen der Individuen zum Ganzen die konkrete Einheit des beson deren subjektiven Interesses und des allgemeinen substantiellen Wohls vor aussetzt, hebt er die objektive oder natürliche Stetigkeit dieser zur Gewohnheit gewordenen Gesinnung heraus: Nur aus einer solchen gewöhnlichen Gesinnung
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kann sich „die Aufgelegtheit zu außergewöhnlicher Anstrengung“ begründen (§ 268 A). Nun aber wird dieser Patriotismus nur insofern vor subjektiven Wech selfällen bewahrt, als er das subjektive Reflektiertsein der mit sich identischen, beständigen Objektivität der Staatsverfassung ist. Wie sich von selbst versteht, gründet sich die notwendige Identität des Subjektiven mit dem Objektiven auf der Stufe des objektiven Geistes wesentlich auf ihr objektives Moment. Die Verfas sung allein gewährt also dem Patriotismus eben das, was ihn in seiner Existenz und seinem Wesen an ihm selbst bestimmt und ihn zur wahrhaften Gewissheit oder objektiven Subjektivität macht, kurz: zum objektiven Geist. In seinen Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte (vgl. VPWG) und über die Geschichte der Philosophie (vgl. VGP) hebt Hegel den Fortschritt vom antiken Staat zum modernen Staat hervor, welcher letztere strenger verfasst ist und durch seine damit festere Objektivität in seinen Mitgliedern einen ebenfalls sichereren Patriotismus gedeihen lässt. Indessen hängt diese ursprünglich objek tive Macht des Staates selbst von dem organischen Zusammenhang der verschie denen Verfassungseinrichtungen ab. Denn bei Hegel sind sowohl die natürliche wie die geistige Objektivität nur als organische vollendet. Deshalb verwirklicht diese organische Objektivität der Institutionen das allgemeine Wesen der Staats verfassung. In ihr produziert sich die staatliche Allgemeinheit beständig durch ihre besonderen Gewalten (gesetzgebende, regierende, fürstliche Gewalt); und dies notwendigerweise, weil diese Gewalten nichts anderes sind als die Selbst differenzierung jener mit sich identischen Allgemeinheit und weil die in den Unterschied ihrer Momente gesetzte Identität eben die „Nothwendigkeit“ heißt. Nun aber ist in der Tat eine solche Selbstproduktion des Allgemeinen dessen Reproduktion oder Aufbewahrung selbst, denn die Identität geht ontologisch dem Unterschiede voran. Gegen die später negativ beurteilte Lehre der Teilung der Gewalten (Montesquieu), ja schon des bloßen Verhältnisses derselben zuei nander, sei es als beigeordneter oder als untergeordneter (Kant), betont Hegel die absolut notwendige organische Einheit der Verfassung (vgl. § 269). Den Staat wahrhaft zu denken heißt, den objektiven Syllogismus seiner immanenten Orga nisation vernünftig aufzufassen. Dazu muss man den abstrakten Verstand über winden, welcher der dadurch zerstörten Einheit des Staates nur äußere „Grund sätze“ oder „Prädikate“ auferlegt und damit beurteilt, anstatt zu begreifen.
12.2.4 Das staatliche Leben als denkendes Leben (§ 270) Das Wesen des Staates, als die allgemeine wollende Identität des allgemeinen mit dem besonderen Wohl, kann sich nur verwirklichen, d. h. in Unterschiede entfalten, indem es sich denkt. Während die geistigen Inhalte, als bloß empfun
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dene und noch im inneren Raume der Vorstellung nebeneinandergestellte, sich gegenseitig ausschließen, schließen sie als gedachte dagegen einander darum ein, weil jeder Gedanke immer nur die jeweilige einzelne Selbstdifferenzierung des mit sich identischen allgemeinen Denkens ist. Deswegen kann sich der ver nünftige Inhalt des Staates nur mittels der Form der Bildung verwirklichen. Denn diese Form, die zwar bereits durch den in der bürgerlichen Gesellschaft sich betätigenden Verstand entwickelt ist, vollendet sich erst dadurch, dass sie ihre Allgemeinheit als ihren Inhalt selbst ausdrückt: Dies ist eben das Gesetz. Hegel verbindet also das Denken – einschließlich seiner höchsten Betätigung, der Phi losophie selbst – aufs engste mit dem Staate. Dieser hat Sein nur als sich wissend. Daraus folgt, dass der Staat sein Leben und Wirken keiner Instanz unterwerfen kann noch darf, die nicht allen Anforderungen des Wissens gerecht würde – auch wenn sie geistig noch höher als die Sphäre des objektiven Geistes sein mag. Des wegen befreit Hegel in der ausführlichen Anmerkung zu § 270 den Staat von aller religiösen Herrschaft, und dies gegen eine Haupttendenz der Restaurationszeit. Was die Religion angeht, so kann man sicher sein, dass sie entweder 1) die Gleichgültigkeit gegen die Politik als gegen das bloße Irdische, Faktische, Zufäl lige oder Nebensächliche rechtfertige oder 2) als tröstende für die Ungerechtigkeit und Not der politischen Welt entschädige oder auch 3) das staatliche Leben selbst begründe und bestimme. Darauf aber erwidert Hegel, dass 1) die Religion nicht notwendig die Nichtigkeit der Welt behauptet: Gegen den „Atheismus der sittli chen Welt“ (vgl. R S. 8) ist vielmehr zu sagen, dass der göttliche Geist sich – als geistiger – vornehmlich in dieser geistigen Welt offenbart; dass 2) der religiöse Trost schlechthin zufällig ist – öfter nämlich hat er Knechtschaft und Sklaverei bestätigt oder ein Alibi geliefert, das vom Kampf gegen jene ablenkt; und dass 3) die Behauptung, die Religion mache die Grundbestimmung des Staates aus, das Wesen beider gleichermaßen verkennt. Diesen letzten Punkt expliziert dann die wichtige Anmerkung zu § 270 (vgl. den Beitrag von Jaeschke in diesem Band). Allerdings ist die Religion, als Bewusstsein vom Absoluten, selbst das abso lute Bewusstsein: Als solches leistet sie insbesondere dem Staate die höchste, letzte reale Sicherung. Deswegen darf der vernünftige Staat von all seinen Mit gliedern fordern, dass sie sich an irgendeine Religion binden. Wenn aber die Reli gion auch den Staat begründen kann, so ist es ihr doch unmöglich, den Staat zu bestimmen. Wegen des Inhaltsunterschiedes des Staates von der Religion müsste nämlich diese jenen durch ihre bloß gefühlsmäßige, subjektive Form bestimmen. Nun aber kann der religiöse, alle feste Objektivierung verachtende Subjektivis mus weiter nichts, als den streng bestimmten und gegliederten Organismus des Staates mit Fanatismus zerstören: welch ein geschichtlicher Rückschritt! Denn der ganze Gang der Weltgeschichte hat stetig darauf gezielt, dass das objektive Denken sich immerfort entwickle. Daraus erhellt, dass der Staat sich auf seiner
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eigenen Stufe bestimmen soll. – Mehr noch: Weil er der in seiner Wahrheit ange kommene objektive Geist ist, so kann und soll er auch die objektive Seite aller Äußerungen des Geistes, selbst die des absoluten Geistes, nämlich die der Reli gion, durchdringen. Erstens ist eine Kirche als objektive, im Kultus, im „man nigfaltigen Eigentum“ usw. daseiende Gemeinde den staatlichen Verordnungen untergeordnet. Ferner, wenn die Religion als innere Gemeinschaft dem äußeren Zwang des Staates entgeht, der eine bestimmte Religion weder vorschreiben kann noch darf, so ist dagegen die allgemeine von ihr aufgestellte Lebenslehre – worin der Staat häufig als ein bloßer, zum Behuf der Befriedigung der sinnlichen Bedürfnisse eingerichteter Mechanismus betrachtet wird – der staatlichen Auf sicht unterworfen; mit vollem Recht, denn der Staat trägt die absolute Verant wortung für die Erziehung, weil er auf der Stufe des Denkens steht, während das Element der Religion als solcher die bloße Vorstellung ist. Also darf und soll er die kirchliche Lehre kontrollieren, insoweit diese das Rechtsgebiet angeht. Später, in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte (vgl. VPWG), wird Hegel zwar so weit gehen, zu sagen, dass der wahre Staat sich nicht mit jeder beliebigen Religion verträgt, dabei aber immer noch daran festhalten, dass der Staat selbst nicht eine bestimmte Religion auferlegen kann. Denn der sich in der Weltgeschichte betätigende Weltgeist allein kann das Schicksal des positiven Ver hältnisses von Staat und Religion absolut beherrschen.
12.2.5 Gliederung des inneren Staatsrechts (§ 271) Die Realisierung des Staates als Subjekt seines eigenen Rechts besteht notwen dig darin, dass die staatliche Identität sich im Elemente des Unterschiedes setzt. Erstens als Sich-Unterscheiden im Staate, zweitens als Sich-Unterscheiden vom Staate: innere und äußere Politik. a) Die „politische Verfassung“ organisiert die innere Selbstunterscheidung des Staates in verschiedene Gewalten. Diese sind zwar (der Objektivität des Geistes zufolge) auf bestimmte Funktionen fixiert und ineinander gefügt (gemäß der Objektivität des Geistes), drücken aber zugleich die Identität des Staates mit sich selbst aus. Die so ihrem inneren Unterschiede gerecht werdende politische Verfassung realisiert sich vollkommen im Frieden. b) Der Krieg dagegen ist es, der die Macht zugleich an den Tag bringt und verstärkt, wodurch der mit sich identische Staat seine organische Unterschieden heit beherrscht. Die notwendig negierende – also unterscheidende – Selbsttä tigkeit der staatlichen Einheit bewährt sich nur, insofern sie sich als solche von anderen Staatseinheiten unterscheidet. Eben damit setzt sie ihren inneren beste henden Unterschied zum irrealen oder ideellen herab. Dies ist die „Souveränität
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gegen Aussen“, worin, als der Seite des Außersichseins im „inneren Staatsrechte“ selbst, das zweite Hauptmoment des politischen Lebens vorweggenommen ist, nämlich das „äußere Staatsrecht“, das quasi als Subjekt des Rechts gesetzte Ver hältnis von Staaten zueinander.
Literatur Avineri, Sh. 1976: Hegels Theorie des modernen Staates. Übers. R. u. R. Wiggershaus, Frankfurt a. M. (engl., Cambridge 1972). Haller, C.-L. v. 1820–1834: Restauration der Staatswissenschaft oder Theorie des natürlichgeselligen Zustands, der Chimäre des künstlich-bürgerlichen entgegengesetzt. 6 Bände. 2. Aufl., Winterthur. Nd.: Aalen 1964. Henrich, D. 1982: Logische Form und reale Totalität. Über die Begriffsform von Hegels eigentlichem Staatsbegriff. In: Hegels Philosophie des Rechts. Die Theorie der Rechtsformen und ihre Logik, hrsg. v. D. Henrich und R.-P. Horstmann, Stuttgart, S. 428–450. Maihofer, W. 1975: Hegels Prinzip des modernen Staats. In: Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie, hrsg. v. M. Riedel. Band 2, Frankfurt a. M., S. 361–392. Marx, K. 1974: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie [1843]. In: K. Marx/F. Engels, Werke, hrsg. v. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Band 1, Berlin, S. 201–333. Müller, F. 1971: Der Denkansatz der Staatsphilosophie bei Rousseau und Hegel. In: Der Staat, Band 10, S. 215–227. Weil, E. 1950: Hegel et l’État, Paris.
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13 Staat und Religion (§ 270) 13.1 Im Zuge der Entfaltung der einleitenden Paragraphen zum „Inneren Staatsrecht“, die zum Begriff der politischen Verfassung hinführen, unterbricht Hegel den engen begrifflichen Zusammenhang der §§ 269 und 271 überraschend durch den Einschub des § 270. Im Corpus dieses Paragraphen gibt er jedoch lediglich ein knappes Resümee von zuvor bereits Ausgeführtem – um dann gleich zu Beginn des Corrolariums mit der etwas verräterischen Versicherung, hier sei „der Ort, das Verhältniß des Staats zur Religion zu berühren“, zur Abhandlung dieses Verhältnisses überzuleiten (§ 270 A). Dem Corpus dieses Paragraphen kommt keine eigenständige, gedanklich weiterführende Funktion zu; es dient allein dem Zweck, einen Anknüpfungspunkt für die Thematik ‚Religion und Staat‘ bereitzustellen, da Hegel sich offensichtlich gescheut hat, durch ihre Abhandlung den strengen Gedankengang der Paragraphenfolge zu unterbrechen. In der Architektur der Grundlinien ist das Thema „Staat, Kirche und Religion“ somit in eine Nische verbannt, nahezu versteckt, so dass es auch im Inhaltsverzeichnis nicht aufscheint. Das inhaltliche – philosophische wie auch politische – Gewicht jedoch, das diesem Thema zu seiner Zeit und bis in gegenwärtige Diskussionen zukommt, steht in eklatantem Gegensatz zu dem untergeordneten Rang, den Hegel ihm in der Systematik seiner Darstellung zugewiesen hat. Deshalb hat dieses Thema auch in der Diskussion um Hegels Rechtsphilosophie gleichsam die ihm zugewiesene subalterne Stellung verlassen und in der Reihe der vorrangig diskutierten kardinalen Probleme der Grundlinien seinen angemessenen Ort gefunden. Der Grund für Hegels Herabstufung des systematischen Ranges dieses Themas liegt nicht etwa darin, dass er sich hier auf ein ihm noch nicht vertrautes Gebiet gewagt und es deshalb noch etwas unsicher in den Kontext seiner Rechtsphilosophie eingefügt hätte. Die hier verhandelten Probleme sind ihm vielmehr bereits seit seinen Berner Schriften vertraut, in denen er – insbesondere im Fragment Man mag die widersprechendste Betrachtungen … (PchR S. 313–351) – ausführlich zu Fragen des Staatskirchenrechts Stellung nimmt, hier freilich, noch auf der Grundlage des Vertragsgedankens, vielfach anders akzentuierend. Doch bereits ein Jahrzehnt später, in den Fragmenten seiner Verfassungsschrift (VD S. 22, 46, 96), erarbeitet Hegel sich die Position, die er – modifiziert – in einem zentralen Gesichtspunkt auch noch in den Grundlinien vertritt, und in den Jahren vor der Veröffentlichung der Grundlinien ist das Thema in seinen Heidelberger DOI:10.1515/9783110496529-016
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und Berliner Vorlesungen über Rechtsphilosophie (VPR I S. 77f., 209–211, 286, 516–528) in zunehmender Ausführlichkeit und Zuspitzung präsent. Die Wahl des verdeckten systematischen Ortes, an dem Hegel es in den Grundlinien abhandelt, verdankt sich somit wohl dem Dilemma, dass er zwar selber die Ansicht vertritt, dass dieses Thema nicht im engen Rahmen eines solchen Kompendiums für Vorlesungen, sondern nur „in einer vollständig concreten Abhandlung vom Staate“ seinen angemessenen Ort habe (§ 270 S. 214 Fußnote), dass er aber angesichts der verschärften religionspolitischen Diskussion gerade dieser Jahre nicht schweigen, sondern gezielt in sie eingreifen wollte – wobei sein Vorstoß in den erbitterten Debatten seiner Zeit jedoch allenfalls marginal Gehör gefunden hat. Doch auch wenn Hegel – wie mehrfach in seinem Wirken – hier einen solchen ‚Eingriff in das Leben‘ seiner Zeit beabsichtigt hat: Seine Position erschöpft sich nicht in einer politischen Stellungnahme zu aktuellen Streitfragen, sondern er sucht das Problem erheblich tiefer zu fassen. Der Horizont seiner Deutung des Verhältnisses von Religion und Staat in den Grundlinien wird durch eine Position abgesteckt, die er sich bereits in der Verfassungsschrift erarbeitet hat und die seitdem seine Ausführungen als Grundtenor durchzieht, die jedoch der den damaligen ‚Zeitgeist‘ beherrschenden Tendenz strikt zuwiderläuft: Gegen die romantisch tingierte Sehnsucht nach Wiederherstellung der Einheit von Religion und Staat und sogar von Kirche und Staat, gleichsam in einer idealisierten mittelalterlichen Einheit, sieht Hegel eine solche Rückkehr weder als geschichtlich realisierbar noch gar als erstrebenswert an. Er sieht den Staat – es versteht sich: den neuzeitlichen, für ihn „modernen“ Staat – aus den konfessionellen Bürgerkriegen der frühen Neuzeit hervorgehen – eine Einsicht, mit der er neuere Deutungen dieses Prozesses vorwegnimmt: Eine Einheit von Staat und Religion kann es in der Neuzeit schon deshalb nicht mehr geben, weil die Einheit der Religion durch die Reformation zerrissen ist. Und nicht nur die Einheit der Religion ist zerrissen: Wegen der zu Beginn der Neuzeit zumindest programmatisch noch engen Verschränkung von Staat und Religion hat die Religion ihre eigene Spaltung in den Staat hineingetragen und hierdurch den – traditionellen – Staat zerrissen, und diese Zerreißung ist durch eine zielstrebig-destruktive Politik und mehrfache militärische Interventionen aus dem Ausland auch noch vertieft worden. Daraus ist aber nicht der – romantische – Schluss zu ziehen, dass zunächst die ‚Einheit der Christenheit‘ und als Folge davon auch die Einheit von Kirche und Staat wiederherzustellen sei – im Gegenteil: Die Zerreißung des – traditionellen – Staates hat wider Erwarten nicht die Vernichtung des Staates überhaupt zur Folge gehabt; sie hat vielmehr zu der Einsicht geführt, „daß verschiedener Religionen ungeachtet, ein Staat möglich ist“ (VD S. 22). Deshalb fasst Hegel seine Position in dem knappen Satz zusammen: „Daß nur ein Staat möglich ist, ist die Trennung der Religion und Politik
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nothwendig.“ (VD S. 46) Von dieser Position aus lässt sich auch die Berechtigung des mehrfach belächelten Votums seiner Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte verstehen, dass man vor einer Revolution erst eine Reformation machen müsse – nicht, um die jeweilige Bevölkerung zur protestantischen Konfession zu bekehren, sondern um den für die Staatsbildung konstitutiven Prozess der Trennung von Religion bzw. Kirche und Staat einzuleiten. – Als „Princip der modernen Staaten“ bleibt für Hegel in diesen frühen Jahren der Entwicklung seines Denkens, in denen er noch nicht über den Begriff des objektiven Geistes verfügt, allein ein äußeres Band übrig, eine Verbindung „über äussere Dinge, Kriegführen u.s.w.“ (VD S. 99) – und nur in diesem Aspekt wird er sich später korrigieren (Jaeschke 2016, 65–67, 95f.)
13.2 In den Grundlinien sind diese geschichtlichen Auseinandersetzungen der frühen Neuzeit durchaus noch präsent, doch treten sie nicht in den Text ein, sondern sie bleiben als Reminiszenzen im Hintergrund. Hegel fasst das Verhältnis von Staat und Religion nun nicht mehr primär von der geschichtlichen Entwicklung her; es beruht für ihn letztlich nicht auf der geschichtlich eingetretenen Trennung zweier Institutionen, des Staates und der Religion in ihrer institutionellen Form, als Kirche, sondern darauf, dass Staat und Religion zwar Getrennte sind, aber der Staat, wie die Religion, ein Geistiges ist. Der Staat ist die „Wirklichkeit der sittlichen Idee“, „der offenbare, sich selbst deutliche, substantielle Wille, der sich denkt und weiß und das was er weiß, und insofern er es weiß, vollführt“. (§ 257) Es ist ein geistiger Zusammenhang, in dem Staat und Religion als getrennte stehen und in dem sie beide ihre Wurzel haben: Beide sind Ausformungen des einen Geistes, und deshalb sind auch beide für ihn etwas Göttliches. In seinen Vorlesungen über die Philosophie des Rechts schreckt Hegel sogar nicht davor zurück, zwar nicht die „besondere[n] Staaten“, aber doch die „Idee des Staats“ als den „wirklichen Gott“ zu bezeichnen (PR-Grie S. 1406; Siep 2015, S. 165–188). Diese Göttlichkeit beansprucht Hegel also nicht allein aus taktischen Gründen für den Staat – weil es, wie stets in solchen geschichtlichen Übergangszeiten, aussichtslos gewesen wäre, den Staat ohne ein derartiges traditionelles, ihn aufwertendes Epitheton als die überlegene Gestalt, als Verkörperung der sittlichen Idee, einzuführen –, sondern eben wegen dieser gemeinsamen Verwurzelung von Religion und Staat im Sichwissen der absoluten Idee. Diese Grundbestimmung des Staates als der sich wissenden Geistigkeit aus § 257 nimmt Hegel in § 270 wieder auf, hier mit einem geschichtlichen Index versehen: Der Staat sei der „durch die Form der Bildung hindurch gegangene sich wissende und wol-
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lende Geist“. Das geschichtlich vermittelte Sichwissen und Sichwissen als ein Allgemeines macht seine Substantialität und seine Göttlichkeit aus; primär ist der Staat nicht ein Herrschaftszusammenhang, ein Machtinstrument, aber auch keine Veranstaltung zur Verwirklichung der privaten ‚Glückseligkeit‘, sondern ein substantielles und damit allgemeines, dem Einzelnen vorgelagertes Wissen, Wirken und Handeln: objektiver Geist. Insofern sind Staat und Religion dasselbe: Formen des Sichwissens dieser geistigen Substanz. Dennoch sind sie zwei sehr unterschiedliche Formen: In einer ersten Annäherung scheint die Religion dem Bereich der Innerlichkeit anzugehören, und deshalb ist sie auch in einer ausgezeichneten Weise ein solches Sichwissen des Geistes: absoluter Geist. Der Staat hingegen scheint nur in die Sphäre der Äußerlichkeit zu fallen, und sogar in solcher Ausschließlichkeit, dass das Moment des Sichwissens in dieser Äußerlichkeit zu verschwinden droht. Diese Annahme sieht Hegel nun jedoch als ein Missverständnis dessen an, was ein Staat ist: Wenn man den Staat nur als einen „Noth- und Verstandesstaat“ fasst oder gar als ein bloßes System gleichgültiger Willkür und unrechtlicher Gewalt, so fällt er allerdings in die begriffslose Äußerlichkeit herab – doch ist dieses Verständnis des Staates in Hegels Augen eben ein bloßes Missverständnis, eine Verkennung der geistigen Natur des Staates. Wenn dem Staat die Sphäre der bloßen Äußerlichkeit korrespondierte und der Religion die Sphäre der Innerlichkeit, so ließe sich ihr Verhältnis in wenigen Sätzen fassen, und es wäre auch gar nicht einzusehen, inwiefern beide in Konflikt miteinander geraten könnten. Doch stellt sich dieses Verhältnis weit komplexer dar: Sosehr es zutrifft, dass der Staat in die Sphäre der Äußerlichkeit fällt, so greift er – nämlich der moderne Staat, wie er sich im Durchgang durch die „Form der Bildung“ herausgearbeitet hat – doch weit über die bloße Äußerlichkeit auf das Gebiet des Wissens, der Geistigkeit aus. Andererseits beschränkt sich auch die Religion keineswegs auf den Bereich der bloßen Innerlichkeit. Sie wirkt nicht allein durch ihre Lehre und ihren Kultus in die äußere Wirklichkeit hinein, sondern sie manifestiert sich in der Wirklichkeit als eine rechtlich und hierarchisch organisierte, institutionelle Gestalt; sie ragt somit ähnlich in den Bereich des Staates hinein, wie dieser in ihren angestammten Bereich der Innerlichkeit, und aus diesem wechselseitigen Übergreifen in das Gebiet des anderen erwachsen potentiell Konflikte zwischen ihnen: Beide Gestalten stehen in der äußeren Wirklichkeit, beide beanspruchen aber auch, Formen der Geistigkeit, des Sichwissens des Geistes zu sein. In vielfacher Hinsicht stehen sie in einem Verhältnis der Koordination, ja der wechselseitigen Ergänzung – doch auf ebenso vielen Gebieten stehen sie miteinander in einem Konflikt, der sich nicht durch einen bloßen Hinweis auf ihre Unterschiedlichkeit und die Aufforderung zum Rückzug hinter die festgelegten Grenzen ihrer Gebiete beheben lässt. Dieser Konflikt ist aber
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nichts Ewiges, Ungeschichtliches; seine Wurzel liegt letztlich in der geschichtlich fortschreitenden Ausbildung des modernen Staates zur beherrschenden Gestalt der Sittlichkeit, die von einer kontinuierlichen Verschiebung dieser Grenzen zu Ungunsten der Religion begleitet wird – also in einer Entwicklung, die Hegel als begriffsgerecht ansieht und die sich auch in der Wirklichkeit nicht einfach zum Stillstand bringen oder gar umkehren lässt.
13.3 Wenn zwei – zudem sehr unterschiedliche – Gestalten auftreten, beide mit dem Anspruch, die vollendete, ja die als göttlich ausgezeichnete Geistigkeit zu repräsentieren, zugleich aber auch die Wirklichkeit zu gestalten, so stellt sich unvermeidlich die Frage nach ihrer Über- und Unterordnung. Hegel beginnt deshalb seine Ausführungen mit der Umwertung derjenigen Antwort auf diese Frage, die, wie er sagt, „in neuern Zeiten so oft wiederholt worden“ sei: „daß die Religion die Grundlage des Staates sey“. Diese zeitgenössische Auszeichnung der Religion als der „Grundlage des Staates“ erwächst aus der Absicht, den Staat bleibend als von der Religion abhängig zu erweisen, denn solche „Grundlage“ wird als ratio existendi und ratio essendi gedacht: als „Grundlage“ nicht allein seines Daseins, sondern auch seines Soseins. Doch gegen diese, die Inferiorität des Staates erweisen sollende Formel wendet Hegel sich bereits in den vorausgehenden Vorlesungen, und zwar mit von Kolleg zu Kolleg zunehmender Intensität (PR-Wa S. 77; PR-Rin S. 516–519). Sie macht es ihm – von seinem Gedanken der vorwärts schreitenden Begründung her – sogar leicht, sie in sich zu widerlegen und die in ihr implizierte Absicht zu konterkarieren: Denn das, was hier als „Grundlage“ ausgezeichnet wird, ist – als „Grundlage“ – eben auch nur die „Grundlage“, und von ihr her ist erst zu einer Entwicklung des Verhältnisses und zu einer wahrhaft philosophischen Begründung voranzuschreiten. Doch nimmt Hegel das politische Gewicht dieser Formel nicht so leicht, dass er sich mit ihrer Widerlegung durch diese einfache, von der Konzeption seiner Philosophie her naheliegende, aber nicht allgemein verständliche Umkehrung begnügte. Und er stimmt ihr in gewisser Hinsicht zunächst sogar zu: Sofern mit ihr gesagt sein soll, dass der Staat für das einzelne Subjekt „die letzte und höchste Bestätigung an der Religion“ finde – dass dem einzelnen Subjekt durch das Wort der Religion alle Ausreden und Ausflüchte abgeschnitten seien und deshalb die Religion für den Staat „ein Nothwendiges“ sei (PR-Rin S. 517). Deshalb sieht Hegel sogar die Forderung des Staates als berechtigt an, dass die Bürger sich zu einer Religion halten müssen –„übrigens zu irgend einer, denn auf den Inhalt, insofern er sich auf das Innere der Vorstellung bezieht, kann sich der Staat nicht
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einlassen.“ (§ 270 A S. 216) Und trotz dieser Unbestimmtheit der Religion geht Hegel sogar noch erheblich weiter: Die Religion sei für den Staat nicht nur „ein Nothwendiges“, sondern sie sei „die letzte und höchste Bestätigung“ für den Staat. Doch diese sehr weitgehende Anerkennung der den Staat stabilisierenden Funktion der Religion ist nicht Hegels letztes Wort – im Gegenteil: Seiner Einsicht nach ist nichts mehr als diese Rede von der Religion als der „Grundlage“ geeignet, „die Verwirrung selbst zur Verfassung des Staats, zur Form, welche die Erkenntniß haben solle, zu erheben.“ (§ 270 A S. 213) Denn die Religion sei gänzlich ungeeignet, die Verfassung des Staates und die in ihm wirkliche Erkenntnisform vorzugeben. Und deshalb spricht er der Religion nicht das Recht zu, in Fragen der Staatsgestaltung mitzusprechen oder sich gar über die im Staate verwirklichte Form der Sittlichkeit hinwegzusetzen und seine Stelle zu usurpieren. Allein der Staat ist die „Form der selbstbewußten, objectiven Vernünftigkeit“, und so hat er auch „das Recht, sie geltend zu machen“ (§ 270 A S. 221) und sie im Konfliktfall auch gegen die Religion geltend zu machen – wie es ja auch gegenwärtig in einer Vielfalt von Bereichen geschieht, die traditionell durch religiöse Vorgaben geordnet gewesen sind.
13.4 Hegel vertritt hier eine im Grunde in sich nicht stimmige Position. Indem er mit der Tradition – die auch noch die Rechtslage seiner Gegenwart bestimmt – die Religion schlechthin, ohne weitere Kautelen, als das den Staat „für das Tiefste der Gesinnung integrirende Moment“ (§ 270 A S. 216), als die letzte Legitima tionsinstanz auszeichnet, erhebt er sie unweigerlich zur letzten Instanz auch der Delegitimation des Staates. Doch andererseits ist er sich, wie seine durchaus drastischen Ausführungen zeigen, der hierin liegenden Gefahr für die staatliche Integrität wohl bewusst: Diejenige Instanz, die den Staat am tiefsten integrieren kann, kann ihn im Konfliktfall eben deshalb auch am tiefsten destabilisieren. Um dieses Risiko zu minimieren, greift Hegel zu dem Mittel, die Religion gegenüber dem Staat zu delegitimieren. Der Versicherung auch seiner eigenen höchsten Wertschätzung der Religion lässt er, in einer Art von prophylaktischer Schadensbegrenzung, die schärfste Kritik der Religion folgen – und zwar der Religion überhaupt, und nicht allein derjenigen, die sich eines Missverständnisses ihres Verhältnisses zum Staat schuldig machte und die Superiorität über den Staat als die in der Wirklichkeit stehende Sittlichkeit beanspruchte. Um diese prinzipielle Überlegenheit des Staates gegenüber der Religion geltend zu machen, setzt Hegel ein umfangreiches Arsenal teils von philosophischen Argumenten, teils von geschichtlichen Beobachtungen ein. Zunächst zu
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den philosophischen Argumenten: Auf den ersten Blick kann es ja scheinen, als sei die Religion – als eine der drei Formen des absoluten Geistes – schon vom Systemaufbau her dem Staate als einer Form des objektiven Geistes immer schon übergeordnet. Diese Einschätzung der Religion beruht jedoch auf einem undifferenzierten Verständnis dessen, was Hegel „absoluten Geist“ nennt – als ob alles, was dieser Sphäre angehört, damit über jegliche Kritik erhaben sei. „Absoluter Geist“ ist die Religion, weil sie ein Wissen des Geistes von sich selbst ist, nicht von einem anderen. Doch liegt es unaufhebbar in ihrem Begriff, dass sie dieses Wissen von sich stets verfehlt. Denn als Religion missversteht sie das Sichwissen des Geistes als ein Wissen von einem dem Menschen gegenüberstehenden Gott, und sogar als ein von diesem Gott dem Menschen gegebenes Wissen. Das, was sie an sich ist – ein Wissen des Geistes vom Geist –, missversteht sie als ein Wissen von einem Anderen. Und dieses Selbstmissverständnis ist ihr – als Religion – prinzipiell nicht einsehbar und deshalb auch nicht überwindbar. Wird es erkannt und überwunden, wird mit eben diesem Schritt die Sphäre der Religion verlassen. Die Defizienz der Religion, die es verbietet, ihr eine staatsgestaltende Rolle zuzuweisen, liegt somit in ihrer spezifischen Wissensform begründet. Als Form des absoluten Geistes hat sie zwar das Wahre zu ihrem Inhalt – aber nur „als einen gegebenen“, „nicht durch Denken und Begriffe erkannten“ Inhalt (§ 270 A S. 220). Nun ist es fraglos so, dass eben dieses Moment des Gegebenseins, des Positiven, in dem bewusstseinsgeschichtlichen Umbruch, der sich in diesen Jahrzehnten vollzogen hat, vielen als ein fester Anker erschienen ist, an dem sich die sittliche Ordnung befestigen und gegen das Fortgespültwerden sichern ließ. Hegel hingegen sieht solches – vermeintlich! – Gegebene als ein Hindernis auf dem Wege zur Verwirklichung der Sittlichkeit an – so sehr, dass er sich den Nachweis erspart, in wie vielerlei Rücksicht ein solches Gegebenes nicht als hilfreicher Anker, sondern als störende Blockade wirkt. Stattdessen beschränkt er sich auf den einen entscheidenden, formalen Punkt: Ein Gegebenes ist „in seinen GrundBestimmungen nicht durch Denken und Begriffe erkannt“, sondern durch „Autorität“ – und zwar durch eine durchaus zweifelhafte Autorität! – gesetzt und nur dem Glauben, aber nicht der Einsicht oder „dem bestimmten Gedanken“ zugänglich. Als freie Sittlichkeit aber kann der Staat nicht abhängig sein von einer jenseits seiner gesetzten Autorität und von den ihr vom Glauben zugeschriebenen und nur ihm offenbaren unveränderlichen Weisungen; der Staat ist vielmehr ein vernünftiges Wissen, das sich zu einem systematischen Zusammenhang von Recht und Gesetz und von Institutionen ausformt. Auch wenn Hegels etwas schematische Zuordnung von ‚Glaube und Autorität‘ zur Religion und ‚vernünftigem Wissen‘ zum Staat eine sehr stark von der Aufklärung geprägte und vielleicht verzerrte Sicht sein mag, die zweifellos nicht
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allen geschichtlichen Fällen angemessen ist: Seine philosophie- und weltgeschichtlichen wie auch seine religionsphilosophischen Vorlesungen geben ihm einen nahezu unbegrenzten Fundus von Beispielen an die Hand, die unwidersprechlich belegen, dass gegen „gewisse“ und keineswegs seltene Erscheinungsformen der Religion „eine rettende Macht gefordert ist, die sich der Rechte der Vernunft und des Selbstbewußtseyns annehme“. Und dies gilt nicht nur für die frühen Formen der Religion, in denen sie „die härteste Knechtschaft unter den Fesseln des Aberglaubens und die Degradation des Menschen unter das Thier […] zur Folge hat“ (GW § 270 A S. 213); es gilt auch für die Kreuzzüge des Mittelalters und für nicht wenige Unruhen und Bürgerkriege der Neuzeit, in denen religiöse Faktoren eine bestimmende Rolle gespielt haben, und es gilt ebenso für historisch noch nicht weit zurückliegende Fälle wie das Wirken der Inquisition, das Hegel hier an den für ihn erst rund zwei Jahrhunderte vorausliegenden Beispielen von Giordano Bruno und Galileo Galilei anprangert – wofür er sogar, für die Grundlinien ganz untypisch, den empörten Bericht von Laplace über das Verfahren gegen Galilei in eine ausführliche Fußnote aufnimmt, um das sinnlose und verbrecherische Hineinwirken der Religion in das staatliche Leben vor Augen zu stellen. Angesichts des nicht ohne Absicht an dieser Stelle von Hegel gezogenen Resümees, dass „die Freyheit des Denkens und der Wissenschaft“ vom Staate ausgegangen ist – und dies nicht geschichtlich zufällig, sondern notwendig, weil sein Prinzip die Allgemeinheit ist –, stellt sich jedoch unausweichlich die Frage, was Hegel wohl bewogen hat und was dazu berechtigen mag, die Religion so ganz im Allgemeinen als das den Staat „für das Tiefste der Gesinnung integrirende Moment“ auszuzeichnen – und dies, obschon noch eine weitere von ihm herausgehobene strukturelle Eigentümlichkeit der Religion dagegen spricht. Hegel fasst die Religion als „das Verhältniß zum Absoluten in Form des Gefühls, der Vorstellung, des Glaubens“ und die religiöse Wahrheit als das „in die Subjectivität des Fühlens und Vorstellens sich einhüllende Wahre“ (§ 270 A S. 215). Diese religiöse Konzentration auf die Innerlichkeit bleibt aber nicht ohne praktische Folgen: Alles ist in der Religion in dieses Subjektive, Innerste zusammengefasst – aber „in ihrem Alles enthaltenden Centrum ist Alles nur als ein Accidentelles, auch Verschwindendes“ (ebd.). In dieser Konzentration auf die Innerlichkeit liegt eine unaufhebbare Ambivalenz: Einerseits lässt sich aus dieser Konzentration auf die Innerlichkeit, aus dieser Abwertung des als gleichgültig erklärten Außen, des ‚Weltlichen‘, das therapeutische Potential der Religion herleiten: Die von ihr vollzogene Erhebung über die Endlichkeit versetzt sie in die Lage, dem Leidenden Trost zu spenden, ihn über die Widrigkeiten des Lebens hinwegzuheben, und zwar nicht durch die Beseitigung der widrigen Umstände, sondern durch die Erklärung, dass es sich dabei nur um Nichtigkeiten handle, und letztlich durch
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die Verheißung eines künftigen, von solchen Widrigkeiten befreiten Lebens. Doch in dieser Argumentationsfigur liegt potenziell auch eine Bedrohung des Staates. Wenn nämlich der „zu bestehenden Unterschieden, Gesetzen und Einrichtungen entwickelte Organismus“ des Staates ebenfalls zu dieser im tieferen Sinne unwichtigen, ja störenden Endlichkeit gerechnet wird: „Das Objective und Allgemeine, die Gesetze, anstatt als bestehend und gültig bestimmt zu seyn, erhalten die Bestimmung eines Negativen gegen jene alles Bestimmte einhüllende und eben damit zum Subjectiven werdende Form“ (ebd.). Der Religion ist somit prinzipiell und unaufhebbar eine Tendenz eingeschrieben, die sich negativ gegen diejenige Bewegung verhält, die Hegel als das Innerste der Weltgeschichte diagnostiziert: gegen den „ungeheure[n] Ueberschritt des Innern in das Aeußere, der Einbildung der Vernunft in die Realität“, wodurch „die gebildete Menschheit die Wirklichkeit und das Bewußtseyn des vernünftigen Daseyns, der Staatseinrichtungen und der Gesetze gewonnen hat.“ (Ebd.)
13.5 Diese in der Religion verankerte, gegen die Verwirklichung vernünftiger, nämlich allgemeiner und freier Verhältnisse gerichtete Tendenz muss sich keineswegs militant gegen die Wirklichkeit des Staates richten; sie kann ebenso gut im Aussprechen von Überzeugungen bestehen, die vermeintlich den Staat stützen, sich langfristig jedoch dennoch gegen den Staat richten, weil sie sein Prinzip der vernünftigen Allgemeinheit unterlaufen. Ein Beispiel hierfür bildet die Bindung der Bürgerrechte an die Zugehörigkeit zu einer der drei „christlichen ReligionsParteien“, die gerade in diesen Jahren durch ihre Verankerung in Art. 16 der Akte des Deutschen Bundes bekräftigt wird (Klüber 1818, 159f.). Auch wenn der dort kodifizierte, für die christlichen Konfessionen gleiche „Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte“ fraglos ein erheblicher Fortschritt gegenüber früheren rechtlichen Regelungen und vor allem gegenüber den faktisch praktizierten Verfahren gewesen ist: Die Kehrseite dieser erfreulichen Gleichstellung der drei christlichen Konfessionen besteht eben darin, dass alle anderen Gruppierungen vom Genuss der bürgerlichen Rechte ausgeschlossen sind. Für die Juden werden weitere Beratungen, wie „denselben der Genuß der bürgerlichen Rechte, gegen die Uebernahme aller Bürgerpflichten, […] verschafft und gesichert werden könne“, etwas schwammig angekündigt. Und von anderen Gruppierungen ist gar nicht erst die Rede. Welche Probleme für die Zeitgenossen und welche Folgelasten für die Zukunft aus dieser religiös bedingten Restriktion erwachsen sind, ist bekannt. Durch sie räumen die Staaten dem religiösen Bekenntnis eine konstitutive Bedeutung für das staatliche Leben ein; die Stelle der vernünftigen Allgemeinheit des
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staatlichen Lebens bleibt noch durch die religiöse Besonderheit und Subjektivität besetzt. Über das anlässlich der Verleihung von Bürgerrechten – und nicht etwa nur von allgemeinen Menschenrechten! – an die Juden „erhobene Geschrey“ gießt Hegel seinen bitteren Spott aus: Man habe dabei übersehen, „daß sie zu allererst Menschen sind und […] daß darin liegt, daß durch die zugestandenen bürgerlichen Rechte vielmehr das Selbstgefühl, als rechtliche Personen in der bürgerlichen Gesellschaft zu gelten, und aus dieser unendlichen von Allem andern freyen Wurzel die verlangte Ausgleichung der Denkungsart und Gesinnung zu Stande kommt.“ Die Fortsetzung der Trennung hingegen „wäre dem ausschließenden Staate mit Recht zur Schuld und Vorwurf geworden; denn er hätte damit sein Prinzip, die objective Institution und deren Macht verkannt“. Auch wenn fraglos noch andere Aspekte in diesen Komplex hineinspielen, so liegt doch die entscheidende Blockade für die Verweigerung der rechtlichen Allgemeinheit in der religiösen Rücksicht – wie auch in der noch Jahrzehnte länger vertretenen Annahme, dass nur Mitglieder der drei „christlichen ReligionsParteien“ Eide schwören und deshalb in öffentliche Dienste treten können. Ebenso fraglos ist aber, dass sich das von Hegel wie von keinem anderen bekräftigte Prinzip der vernünftigen Allgemeinheit des Staates allmählich von den damals immer noch starken religiösen Ansprüchen und Einreden befreit und gegen sie durchgesetzt hat.
13.6 Die Jahre vor der Niederschrift der Grundlinien fordern aber auch noch in anderer Hinsicht zu politisch-philosophischen Stellungnahmen heraus. Bereits in seinen rechtsphilosophischen Vorlesungen des Wintersemesters 1819/20 sieht Hegel den Staat konfrontiert mit einer „feindseelig und polemisch“ gegen ihn auftretenden Frömmigkeit, von der er jedoch die „unbefangene einfache Frömmigkeit“ wohl abzuheben weiß. Er schreibt dieses polemische Verhalten keineswegs ‚der Religion‘ schlechthin zu; die Religion sieht er hier vielmehr für politisch irregeleitete Interessen instrumentalisiert: „die Kraftlosigkeit der Zeit“ ist „zu der Frömmigkeit zurückgeflohen“, und „so hat man sich mit seiner Seichtigkeit hinter die Religion gesteckt“ (PR-Rin S. 521). Im Hintergrund dieser Andeutungen stehen die Auseinandersetzungen um die Ermordung des Dichters und angeblich russischen Agenten August von Kotzebue im März 1819 durch den Theologiestudenten Karl Ludwig Sand – eine Tat, geboren aus einem durch den Nationalismus der Burschenschaften aufgeheizten Fremdenhass. Zur Rechtfertigung dieses Mordes bietet Wilhelm Martin Leberecht de Wette, ein enger Freund des in diesen Kreisen aktiven Jakob Friedrich Fries, sekundiert von anderen Kollegen, religiöse Wendungen auf: Er beschönigt den Mord als eine aus der „besten Überzeu-
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gung“ entsprungene und somit nicht nur gute, sondern „beste“ Tat. Mit diesem radikal gesinnungsethischen (und somit für Hegel subjektiven, gegen die wirkliche Sittlichkeit des Staates verstoßenden) Argument rechtfertigt de Wette der Mutter Sands gegenüber den Mord, und er fährt fort: Die durch „diesen reinen frommen Jüngling, mit diesem Glauben, mit dieser Zuversicht“ geschehene Tat sei „ein schönes Zeugnis der Zeit. Ein Jüngling setzt sein Leben daran, einen Menschen auszurotten, den so viele als einen Götzen verehren; sollte dieses ohne alle Wirkung sein?“ (B 2 S. 445) In dieser ‚Rechtfertigung‘ sieht Hegel ein krasses Beispiel für einen „religiöse[n] Fanatismus, der, wie der politische, alle Staatseinrichtung und gesetzliche Ordnung als beengende der innern, der Unendlichkeit des Gemüths unangemessene Schranken […] verbannt“ und die Devise ausgibt: „dem Gerechten ist kein Gesetz gegeben, seyd fromm, so könnt ihr sonst treiben, was ihr wollt“ (§ 270 A S. 215). Mit diesen scharfen Wendungen verwirft Hegel sowohl die Tat als auch ihre Entschuldigungen, freilich ohne im gedruckten Text Namen zu nennen, was damals aber ohnehin nicht erforderlich gewesen ist. Er geht jedoch nicht darauf ein, dass hier zugleich ein erschreckendes Beispiel für die auch von ihm selber akzeptierte Berufung auf die Religion als letzte Legitimationsinstanz eines Handelns vorliegt, das sich kraft dieser Legitimation über die staatlichen Gesetze erhaben glaubt.
13.7 Den überlieferten Zeugnissen zufolge hat Hegel erst mehrere Jahre später, in der Vorlesung, die er 1824/25 auf der Basis der Grundlinien gehalten hat, einen Ausweg aus diesem Dilemma gefunden, dass er die letzte Instanz der Integration und Legitimation des Staates in die Religion verlegt – und damit den Staat einem Prinzip anvertraut, das er nicht allein als subjektiv bezeichnet, sondern auch als potentiell polemisch und staatsgefährdend einstuft. In der Anmerkung zu § 563 der zweiten (bzw. § 552 der dritten) Auflage der Enzyklopädie sowie in den reli gionsphilosophischen Vorlesungen des Jahres 1830 hat er diesen Weg weiter ausgebaut – doch hat dies nicht verhindern können, dass gerade diese elaborierteste Position am häufigsten missverstanden worden ist. Ausschlaggebend hierfür ist wahrscheinlich der doppelte Verdacht: dass Hegel nun doch noch dem – im Zuge des Fortschreitens der Restauration grassierenden – Verlangen nach der Einheit von Religion und Staat huldige und dass er die konfessionelle Neutralität der Grundlinien aufgebe und zum Vorkämpfer der Rekonfessionalisierung der 1820er und 1830er Jahre mutiere. Auf den ersten Blick liegt eine solche Einschätzung allerdings nahe: denn an die Stelle der konfessionell-neutralen Forderung der Grundlinien, die Bürger des Staates sollten sich „zu irgend einer“ Religion halten,
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scheint nun die offene Privilegierung des Protestantismus zu treten – als wolle Hegel nun den Protestantismus als Staatsreligion etablieren und den reformatorischen Glauben zum Hüter der persönlichen Freiheit und der Sittlichkeit des Staates berufen. Doch dies ist gerade nicht der Fall. Hegels Auszeichnung des Protestantismus beruht nicht auf irgendwelchen dogmatischen Prinzipien der Reformation oder auf der engeren Staatsverbundenheit der protestantischen landeskirchlichen Organisation oder gar darauf, dass der Protestantismus dem sittlichen Leben eine spezifisch lutherische Prägung geben solle. Das ‚protestantische Prinzip‘ besteht im Gegenteil darin, dass der Protestantismus in der Form, zu der er sich damals herausgebildet und die Hegel vor Augen gestanden hat, die Sittlichkeit des Staates als in diesem selbst gegründet und als unabhängig von religiös motivierten Forderungen anerkennt. Mit der Etablierung dieses ‚protestantischem Prinzips‘ ist somit einerseits der Forderung nach einer letztgültigen religiösen Vertiefung formal Rechnung getragen, doch sind die sonst aus dieser Vertiefung potentiell entspringenden bedrohlichen Folgen ausgeschlossen, weil dieses Prinzip kein anderes als das des Staates ist: die Freiheit. Das ‚protestantische Prinzip‘ anerkennt das Recht des Staates zur inneren Ausbildung der Sittlichkeit, ohne unter Rekurs auf traditionell-religiöse Überzeugungen zu intervenieren, und es stellt dem Staat auch nicht eine äußere Macht entgegen, die nicht Moment seiner Sittlichkeit ist. In dieser Konstruktion liegt die Auflösung des Dilemmas der Grundlinien. Als letzte Legitimationsinstanz ist nur die protestantische Religion geeignet, weil sie selber kein anderes Prinzip hat als der Staat – die Freiheit: „Es ist ein Begriff der Freiheit in Religion und Staat.“ (Jaeschke 2009) In diesem einen Begriff der Freiheit liegt für Hegel nun die Einheit von Religion und Staat – und nicht etwa in einer institutionellen Einheit von Kirche und Staat, die er stets kompromisslos als Despotismus verworfen hat. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Hegel erst durch die Analyse der politischen Situation seiner Gegenwart – und zwar nicht allein der deutschen, sondern der europäischen Lage – den Anstoß zur Ausbildung dieser systematisch konsistenten Lösung erhalten hat. Insbesondere die Entwicklung im Frankreich der Restauration und ihr Ende in der Juli-Revolution wird ihn auf diesen Weg geführt haben. Sie hat auch eine kaum verhüllte Selbstrevision veranlasst. Nun heißt es: „in neuerer Zeit ist die Einseitigkeit zum Vorschein gekommen, daß einerseits die Konstitution sich selbst tragen soll und Gesinnung, Religion, Gewissen andererseits als gleichgültig auf die Seite gestellt sein sollen, indem es die Staatsverfassung nichts angehe, zu welcher Gesinnung und Religion sich die Individuen bekennen“ (VPRel S. 346). Eben diese „Einseitigkeit“ hat auch Hegel sich in den Grundlinien zu Schulden kommen lassen – mit seiner Behauptung, dass der Staat sich „auf das Innere der Vorstellung […] nicht einlassen“ könne (§ 270 A S. 216). Doch hat ihn der Blick auf die romanischen Staaten und insbesondere auf Frank-
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reich belehrt, dass „das moderne System“, das den Staat allein auf das Formelle der Konstitution stützen zu können vorgibt, nicht ausreichend sei, politische Stabilität zu garantieren, und dass es zur Sicherung des Staates vielmehr einer diesem Formellen korrespondierenden „Gesinnung“ bedarf: „Beide Seiten, die Gesinnung und jene formelle Konstitution, sind unzertrennlich und können sich gegenseitig nicht entbehren“ (VPRel S. 346). Diese Gesinnung kann sich religiös aussprechen, sie muss es aber nicht; doch wenn sie sich religiös ausspricht, dann darf sie kein anderes Prinzip aussprechen als das der freien Sittlichkeit des Staates. Es ist also Hegels – wohl zutreffende – Einsicht, dass nur derjenige Staat stabil ist, in dem zum Formellen der Verfassung eine solche auf die Verwirklichung von Freiheit ausgerichtete Gesinnung hinzutritt – und daraus folgt unausweichlich, dass die vermeintlich gleichgültigen Inhalte der Religionen oder Konfessionen doch wieder relevant werden. Und daraus wiederum folgt unausweichlich Hegels Skeptizismus hinsichtlich des politischen Systems von Staaten, in denen sich die für das Staatsleben unverzichtbare Gesinnung nicht in der von ihm als konstitutiv bezeichneten Form auffinden lässt. Diese – letzte – Position Hegels beruht, wie gesagt, auf seiner politischen Analyse der Tragfähigkeit der Verfassungen vornehmlich in den romanischen Staaten der 1820er Jahre bis hin zur Juli-Revolution in Frankreich 1831, unter besonderer Berücksichtigung der Rolle, die die Religion bei den Verfassungsstreitigkeiten in diesen Ländern spielt. Es geht ihm darum, vornehmlich im Blick auf die europäischen Nachbarstaaten die Mechanismen im Verhältnis von Verfassung und Gesinnung zu durchschauen. Er spricht jedoch nirgends von einem „Recht“ des Staates, „zur Förderung der notwendigen Staatsloyalität bestimmte Religionen zu bevorzugen“, und er leitet aus seiner Analyse auch keinerlei Überlegungen für eine Einschränkung des „Grundrecht[s] der Religionsfreiheit“ ab (anders Siep 2015, 169f.). Vielmehr verbleibt er strikt im Bereich der geschichtlichen Analyse seiner Zeit – und in diesem Bereich ist es nicht leicht, seinen Resultaten zu widersprechen. Es scheint allerdings, als sei Hegel bei seinem Entwurf eines solchen ‚politischen Protestantismus‘ entschieden zu optimistisch gewesen – als habe er hier eine temporäre, wenn nicht ephemere Ausformung des Protestantismus zu seiner Zeit für dessen wahre und bleibende Gestalt gehalten. Dass schon unmittelbar nach seinem Tode von dieser Gestalt nahezu nichts mehr sichtbar gewesen ist, kann allerdings nicht verwundern. Denn wie Hegels auf dem christlichen Prinzip der Freiheit beruhender ‚Protestantismus‘ nichts mit den Konzeptionen der Reformationszeit und insbesondere Luthers zu tun hat, so hat er auch ebenso wenig mit dem nachfolgenden häufig sehr engstirnigen, dogmatischen Protestantismus gemein, und der ‚christliche Staat‘, der bald von Staatstheoretikern beider Kon-
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fessionen zum politischen Leitbild erhoben worden ist – genannt sei insbesondere Friedrich Julius Stahl, der erbitterte Kritiker von Hegels Grundlinien –, ist ein gegen Hegels Konzeption des Staates entworfener chimärischer Atavismus, dem gegenüber die ‚wirkliche Vernunft‘ der damaligen deutschen Staaten glücklicher Weise weitgehend resistent geblieben ist. Die weitere Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Religion ist nicht in die Richtung einer Rückkehr oder Rückholung der Religion, einer erneuten ‚Verchristlichung‘, sondern in die entgegengesetzte Richtung gegangen, in die Richtung einer weitestgehend politischen Depotenzierung der Religion. Dabei hat sie auch noch einen Schritt über Hegel hinaus gemacht: Angesichts der eingetretenen Depotenzierung ist es müßig, von dieser oder jener Konfession die tiefste Integration des Staates erwarten zu wollen. Heutige Staaten werden weder mit dem Hegel der Grundlinien das tiefste Prinzip ihrer Integration in der Religion suchen, noch mit dem Hegel der späten 1820er Jahre den Protestantismus hierfür einsetzen wollen. Die Entwicklung ist längst über das Stadium hinausgegangen, in dem Hegels Lösung als provokativ gelten konnte; man könnte sagen, dass seine Bedenken gegen die politische Eignung der Religion allgemein geworden seien. Zwar zeigen noch die neueren Auseinandersetzungen um die politische Funktion einer ‚Zivilreligion‘, dass dieser Schritt noch nicht überall als ein Schritt in die richtige Richtung angesehen wird. Doch überall dort, wo die politische Neutralisierung der Religion vorangeschritten ist, ist diejenige „Kollision“ von Verfassung und Gesinnung überwunden, von der Hegel gemeint hat, sie sei „noch sehr weit davon, gelöst zu sein“ (VPRel S. 347).
Literatur Jaeschke, W. 2009: Es ist ein Begriff der Freiheit in Religion und Staat. In: Staat und Religion in Hegels Rechtsphilosophie, hrsg. v. A. Arndt, Ch. Iber und G. Kruck. Berlin 2009, S. 9–22. Jaeschke, W. 2016: Hegel-Handbuch. Leben–Werk–Schule. 3. Aufl., Stuttgart 2016. Klüber, J. L. 1818: SchlußActe des wiener Congresses, vom 9. Juni 1815, und BundesActe oder Grundvertrag des teutschen Bundes, vom 8. Juni 1815. Beide […] herausgegeben von D. Johann Ludwig Klüber. Zweite Auflage, durchaus berichtigt und mit vielen neuen Anmerkungen vermehrt, Erlangen, S. 159 f. Siep, L. 2015: Der Staat als irdischer Gott. Genese und Relevanz einer Hegelschen Idee. Tübingen.
Herbert Schnädelbach
14 Die Verfassung der Freiheit (§§ 272–340)
Hegels Staat versteht sich als der Staat der wahren Freiheit, und doch zog er bis heute die Kritik, ja den Zorn des Liberalismus auf sich (vgl. in der Nachfolge von Haym 1857 vor allem Popper 1957 und Topitsch 1986). Der Grund ist Hegels Kritik am liberalen Freiheitsverständnis, das die Grundlinien der Philosophie des Rechts wie ein Leitmotiv durchzieht. Die wahre Freiheit – das ist Hegel zufolge die Idee der Freiheit, und über die „Idee“ belehren uns die Eingangsparagraphen der Grundlinien: Sie ist die Einheit von Begriff und Wirklichkeit – oder in anderer Terminologie: von Idealität und Realität –, wobei diese Wirklichkeit keine andere sein soll als die, die der Begriff „sich […] selbst gibt“ (§ 1 A). Wer dies für magisches Denken hält, wird sogleich über Hegels Begriff des Begriffs belehrt: Er meint das wahre, vernünftige Wesen der Wirklichkeit, von dem die berühmte Sentenz der Vorrede sagt: „Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist ver nünftig“ (R S. 14). Die Wirklichkeit der Freiheit als Resultat der eigenen „Verwirklichung“ des Begriffs der Freiheit – also „die Freyheit, als Idee“ (§ 29) – denkt Hegel in der Figur des Beisichseins-im-Anderssein, die eine der frühesten und beständigsten Motive der Hegelschen praktischen Philosophie repräsentiert;1 in ihr verbinden sich die klassische Freiheitsvorstellung der Autarkie und Autonomie, bezogen auf den politischen Körper als ganzen, mit dem neuzeitlichen Element der Freiheit als Differenz zwischen dem Eigenen und dem Anderen, dem Subjektiven und dem Objektiven, samt dem Eigenrecht des Eigenen und Subjektiven. So wendet sich Hegel gleichermaßen gegen die bloß „substantielle“ Freiheit eines reinen „Beisichseins“ von Staaten, wie er sie in der antiken pólis realisiert sieht – Freiheit existierte hier nur im Außenverhältnis der póleis untereinander – wie gegen die nur negative subjektive Freiheit des neuzeitlichen Liberalismus, der im Staat und seinen Institutionen immer nur das „Anderssein“, das Fremde und prinzipiell Subjektfeindliche zu erblicken vermag. Die so verstandene „konkrete“ Idee der Freiheit ist zunächst das Recht überhaupt (vgl. § 29), dann aber
1 Vgl. NR S. 446; R §§ 7, 22; stets ist das Grundmotiv Hegels, dass von Freiheit nur dann die Rede sein könne, wenn dem Subjektiven ein Objektives gegenübersteht, das es zwar von sich selbst unterscheidet, ohne es aber als etwas Fremdes zu erfahren. Das Grundmodell liefert Hegels „Satz vom Bewußtsein“ wie ihn Konrad Cramer nannte: „Dieses unterscheidet nemlich etwas von sich, worauf es sich zugleich bezieht“. (PG S. 58) So denkt Hegel die Freiheit wie Fichte das ICH, näm lich als Einheit von ICH und Nicht-ICH, durch das ICH selbst gesetzt. DOI:10.1515/9783110496529-017
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Herbert Schnädelbach
die Sittlichkeit (vgl. § 142), die ihre volle Realisierung schließlich im Staat findet, denn der ist nach Hegel „die Wirklichkeit der sittlichen Idee“ (§ 257). So will die Staatslehre Hegels im Lichte seiner großen dialektischen Formeln verstanden werden: Einheit von Begriff und Wirklichkeit, Idealität und Realität, Substantialität und Subjektivität, wobei gegen alle anderslautende Hegelkritik immer darauf zu bestehen ist, dass sich jene Formeln stets auf die Freiheit beziehen. Es ist unzulässig, Hegel nur deswegen als einen Verräter der Freiheit zu brandmarken, weil er das liberale Freiheitsverständnis kritisierte (dies hat schon Herbert Marcuse klargestellt; vgl. Marcuse 1941): Niemals wies er es als Ganzes zurück, sondern nur, sofern es sich als vermeintlich zureichende Grundlage eines wahrhaft freien Gemeinwesens verstand. So steht Hegel am Anfang der langen Reihe der Kritiker des Liberalismus, denen man nicht einfach nachsagen kann, sie seien Feinde der Freiheit.2
14.1 Zum Begriff der Verfassung Hegels Verfassungslehre ist durch zwei Differenzen bestimmt, die ihre innere Gliederung ausmachen: Einmal ist zwischen einem weiteren und einem engeren Verfassungsbegriff zu unterscheiden; zum anderen bezieht sich der engere Begriff sowohl auf die Binnenstrukturen des Staates als auch auf sein Außenverhältnis zu anderen Staaten. Verfassung im weiteren Sinne – das ist die Gesamtheit aller gelebten Institutionen innerhalb eines Staates, in denen die Freiheit der Individuen realisiert und als realisierte gewusst wird (vgl. § 265)3. Gleichwohl bestimmt Hegel dies nur als „die Verfassung […] im Besonderen“ (ebd.), was aber zu verstehen ist als „Verfassung im Bereich des Besonderen“, denn die Einheit der öffentlichen und besonderen Freiheit existiert hier nur als eine jeweils besondere – je nach institutioneller Zugehörigkeit der Individuen. So geht man nicht fehl, wenn man mit „Verfassung“ hier vor allem die Institutionen der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft assoziiert, von denen Hegel lehrt, dass sie zwar nur im Staat möglich seien, den Individuen aber nicht unmittelbar als staatliche Institutionen entgegentreten. Im Übrigen versteht Hegel sie selbst als „Grundsäulen der öffentlichen Freyheit, da in ihnen die besondere Freyheit realisirt und vernünftig, damit in ihnen selbst an sich die Vereinigung der Freyheit und Nothwendigkeit
2 Hier kann an die Kommunitarismus-Debatte der 90er Jahre erinnert werden (vgl. z. B. Honneth 1994). 3 Die Formulierung, die Verfassung sei „die entwickelte und verwirklichte Vernünftigkeit“, greift die berühmte Sentenz aus der Vorrede erneut auf.
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vorhanden ist“ (ebd.). Hatten Kant und Fichte Freiheit und Notwendigkeit als Gegensätze angesehen, weil sie unter Freiheit nur etwas Subjektives zu denken vermochten, dem die Objektivität des Vorhandenen als fremde Notwendigkeit entgegensteht, so glaubt Hegel, philosophisch darüber hinaus zu sein, weil ihm zufolge die Substantialität der Institutionen „an sich“ – d. h. implizit oder in Wahrheit – die der institutionalisierten Freiheit selbst sein soll. Die Formel „Vereinigung von Freiheit und Notwendigkeit“ variiert somit nur die dialektische Grundfigur der Einheit von Subjektivität und Substantialität, Idealität und Realität der Freiheit. Ist somit die „Verfassung […] im Besonderen“ die von den Individuen gelebte Realität der Freiheit, so verweist der engere Verfassungsbegriff Hegels auf ihre Idealität. Idealität bedeutet bei Hegel das Moment der Allgemeinheit in einem konkreten Ganzen, das sich in dem Besonderen dieses Ganzen geltend macht, ihm auch wie eine fremde Macht entgegenzutreten und es in seine Schranken zu weisen vermag. Idealität und Realität verhalten sich Hegel zufolge wie Wesen („Inneres“) und Erscheinung zueinander, wobei Hegel die Idealität der Freiheit mit ihrer Substantialität und die Realität der Freiheit mit ihrer Subjektivität identifiziert. Wichtig ist nun, dass diese Idealität oder Substantialität der Freiheit selbst wieder subjektiv und objektiv auftritt: subjektiv als „politische Gesinnung“ oder Patriotismus und objektiv als „der Organismus des Staats, der eigentlich politische Staat und seine Verfassung“ (§ 267). Somit ist für Hegel die Verfassung im engeren Sinne der Inbegriff der politischen Institutionen eines Staates, die als bloße Strukturen von patriotischen Bürgern (citoyens) zum Leben erweckt und am Leben gehalten werden müssen, um Institutionen der Freiheit zu sein. Die so bestimmte „politische Verfassung“ erfordert dann eine gesonderte Betrachtung je nach der staatlichen „Beziehung auf sich selbst“ bzw. der Außenbeziehungen des Staates (vgl. § 271). Die Abschnitte „I. Innere Verfassung für sich“ (§§ 272–320) und „II. Die Souverainetät gegen Aussen“ (§§ 321–329) enthalten somit Hegels Lehre von der Zivil- und der Militärverfassung des vernünftigen Staates.
14.2 Der Staat als Organismus und die Gewaltenteilung Immer wieder bestimmt Hegel die politische Verfassung als „Organismus“ (z. B. §§ 259, 269); damit rückt Hegel in unseren Augen in bedenkliche Nähe zur politischen Romantik, von der er sich sonst stets deutlich abgrenzte. Im Gegenzug gegen die angeblich rationalistischen Staatstheorien der Aufklärungsphilosophie, die sie als „künstlich“ und „mechanistisch“ kritisierte, bestand das poli-
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tische Denken der deutschen Romantik (Herder, Novalis, Historische Rechtsschule) auf dem historischen Gewordensein der staatlichen Verhältnisse, das sie als „organisch“ verstand. Die Organismus-Metapher diente hier wesentlich der Verteidigung des historisch Gewachsenen gegen das künstlich, d. h. revolutionär Gemachte, das nach 1789 nach Deutschland eindrang; sie war seitdem das Emblem des politischen Konservatismus. Eine problematische Wirkungsgeschichte entfaltete sie durch ihre naturalistische Umdeutung, die erst im 19. Jahrhundert erfolgte, und zwar vor allem unter dem Eindruck des Darwinismus. Nun wurde jene Metapher wörtlich genommen, d. h. die Staaten erschienen nunmehr buchstäblich als durch Rasse, Blut und Boden bestimmte Lebewesen, die untereinander ums „Dasein“ und um den „Platz an der Sonne“ kämpfen. Diese Biologisierung des Politischen hat die politische Romantik zumindest vorbereitet, aber Hegel kann man dafür nicht verantwortlich machen. Zum einen reicht die Geschichte der Organismus-Metapher weit in die Geschichte des antiken politischen Denkens zurück – ihren Ursprung hat sie wohl in der Legende vom Auszug der Plebejer auf den Aventin, der zufolge diese durch den Hinweis auf die gegenseitige Abhängigkeit aller Organe des Körpers zur Rückkehr bewogen wurden (Hegel spielt in den Vorlesungen zur Rechtsphilosophie darauf an: vgl. R § 269 Z, PR-Grie S. 1413) –, und an ihrer spezifisch-romantischen Einfärbung war Hegel nicht beteiligt. „Organismus“ ist bei Hegel eine logische Metapher (vgl. Siep 1992, S. 240 ff.), und in diesem Sinne wird der Organismus-Begriff in der Wissenschaft der Logik abgehandelt (L II S. 183 f.).4 Zugleich gehört das, was Hegel im nichtmetaphorischen Sinne über den Organismus zu sagen hat, in die Naturphilosophie, und dort ist ausdrücklich vom „thierische[n] Organismus“ die Rede (vgl. E §§ 350 ff.); der Staat aber ist objektiver Geist und „zweyte Natur“ (vgl. R § 4). Dem trägt Hegel schließlich dadurch Rechnung, dass er den „individuellen Staat“ als „sich auf sich beziehende[n] Organismus“ (§ 259) bestimmt, wobei diese Selbstbeziehung § 257 zufolge als ein Sich-Denken, Sich-Wissen und Sich-Vollbringen des freien Willens im Staat zu verstehen ist; eine biologischorganizistische Staatslehre ist damit begrifflich ausgeschlossen. Zugleich spricht Hegel auch von der „Organisation des Staates“ (§ 271), und da dies nicht nur im Sinne der Anordnung der Organe in einem lebendigen Körper gemeint sein kann, rückt er damit in die Nähe des anderen Extrems des politischen Denkens, nämlich die Verfassung nur für eine Frage der Organisa-
4 Hegel knüpft hier ausführlich an Kants Philosophie des Organismus in der Kritik der Urteils kraft an, wo es heißt: „Ein organisirtes Product der Natur ist das, in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist“ (§ 66; AA V, S. 376); auch schon bei Kant findet sich die Anwendung dieses teleologischen Organismus-Modells auf den politischen Körper (vgl. § 65 Anm.; ebd. S. 375).
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tion im modernen Sinne des Wortes zu halten, d. h. sie für technisch machbar zu erklären. Davon grenzt sich Hegel eindeutig in § 273 A ab, und zwar so, dass er zwar das nichtnatürliche, sondern historische Gewordensein der Verfassungen einräumt, sie aber zugleich jenseits der Sphäre des Machbaren ansiedeln möchte. Gegen allen historischen Augenschein behauptet Hegel implizit, dass auch die revolutionären Verfassungsschöpfungen in den USA und in Frankreich bloße Verfassungsänderungen gewesen seien, und zwar mit einem wenig überzeugenden Argument (vgl. § 273 A); seine gleichzeitige „Vergöttlichung“ der Verfassung (vgl. ebd.) entspringt aber nicht nur Hegels postrevolutionärer Ängstlichkeit, sondern seiner Lehre von der „Vernunft in der Geschichte“, die der „Weltge schichte, als dem Weltgerichte“ (§ 340) das höchste Recht einräumt: Ihr zufolge gewinnt jede Verfassung ihre Legitimität nicht durch den Willen historisch-kontingenter Gesetzgeber, sondern durch den historischen Entwicklungsstand des „allgemeine[n] Geist[es]“. Darum ist es auch vergeblich, einem Volk eine Verfassung oktroyieren zu wollen, die seinem historischen Niveau nicht entspricht; umgekehrt geht Hegel zufolge jede Verfassung notwendig aus dem jeweiligen Bildungsstand eines Volkes quasi von selbst hervor (vgl. § 274). So lässt Hegel keinen Zweifel daran, dass die Verfassung als die „Staatsorganisation“ (§ 272 A) nicht natürlichen, sondern allein begrifflichen Strukturen folgen muss, soll es sich um eine vernünftige Verfassung handeln; daraus folgt seine Fassung der Lehre von der Gewaltenteilung.5 Mit der neuzeitlich-liberalen Tradition dieser Lehre stimmt Hegel darin überein, dass Gewaltenteilung als die „Garantie der öffentlichen Freyheit“ (§ 272 A) gelten kann; er grenzt sich von ihr ab durch das, was ihm allein als vernünftige Struktur der „Theilung“ gelten kann: Nicht das konkurrierende Nebeneinander selbständiger Instanzen kann gemeint sein, wie es Hegel wohl in den „checks and balances“ der USA-Verfassung vor Augen hatte – dieses Modell hält er nicht nur für die programmierte „Zertrümmerung des Staats“, sondern auch für einen Ausdruck der „Pöbel[ ]“-Gesinnung (vgl. ebd.) –, der Maßstab ist die „Natur des Begriffs“ (§ 272), dessen immanente Selbstbestimmung durch innere Selbstunterscheidung die vernünftigen Strukturen staatlicher Binnendifferenzierung vorzeichnet. Auf diese Weise sollen die drei Gewalten – die gesetzgebende, die Regierungsgewalt und die fürstliche Gewalt
5 „Der Staat ist Organismus d. h. Entwickelung der Idee, des Begriffs zu seinen Unterschieden. Diese unterschiedenen Seiten sind so die verschiedenen Gewalten, und deren Geschäfte und Wirksamkeiten, wodurch das Allgemeine sich fortwährend und zwar indem sie durch die Natur des Begriffes bestimmt sind, auf nothwendige Weise hervorbringt und indem es eben so seiner Produktion vorausgesetzt ist, sich erhält. – Dieser Organismus ist die politische Verfassung.“ (PR-Grie S. 1413, vgl. § 269 Z)
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– den logischen Bestimmungen der Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit genau entsprechen, und zwar so, dass jede dieser Gewalten alle drei Begriffsmomente in je spezifischer Weise in sich enthält (vgl. § 273).
14.3 Die konstitutionelle Monarchie Vor dem Hintergrund von Hegels Lehre der vernünftigen „Staatsorganisation“ wird verständlich, warum er die konstitutionelle Monarchie für die vernünftigste, d. h. welthistorisch fortgeschrittenste Staatsform hält. Er folgt dabei nicht nur der alten Tradition der Lehre, dass wir nur in gemischten Verfassungen frei und menschlich leben können (Aristoteles, Polybios, Cicero), sondern erklärt, dass der antike Geist die drei klassischen Verfassungsformen Monarchie, Aristokratie und Demokratie noch nicht als Elemente einer „innern Unterscheidung (einer entwickelten Organisation in sich)“ (§ 273 A) des Staates zu erfassen vermocht habe; erst in der konstitutionellen Monarchie seien sie „zu Momenten herabgesetzt“ (ebd.). Damit ist für Hegel die vieldiskutierte Frage nach den Vorzügen der einzelnen Verfassungsformen historisch erledigt, und dies gilt ihm zufolge auch für Fichtes These, eigentlich sei es gleichgültig, ob einer, wenige oder viele herrschten, wenn nur „ein Ephorat6 […] vorhanden“ ist: Die Konstruktion einer solchen Instanz verbleibt nach Hegel im Medium des abstrakten Verstandesdenkens von Gewalt und Gegengewalt und damit im Vorfeld des wahrhaft vernünftigen Begreifens des Staates als „sich auf sich beziehender Organismus“. Die einfache Relativierung der einzelnen Verfassungsformen auf das Vorhandensein bestimmter subjektiver Gesinnungen, die allgemein dem von Hegel hochgeschätzten Montesquieu zugeschrieben wird, hält er für ein Missverständnis (vgl. ebd.).
14.4 Die fürstliche Gewalt und die Souveränität Mit seiner Lehre von der fürstlichen Gewalt hat sich Hegel der wohl schärfsten Kritik ausgesetzt, die seine Staatslehre insgesamt auf sich zog. Zunächst beginnt sie mit einem offensichtlichen „Begriffsfehler“ (Hösle 1987a, S. 201), denn die
6 Fichte versteht darunter eine die öffentliche Gewalt beurteilende Gegengewalt ohne exekutive Kompetenz im Einzelnen, wohl aber mit „absolut prohibitive[r]“ Gewalt, d. h. mit der Kompetenz, „allen Rechtsgang von Stund an aufzuheben, die öffentliche Gewalt gänzlich und in allen ihren Teilen zu suspendieren“ (Grundlage des Naturrechts § 16; GA I,3 S. 448 f.). Fichte nennt dies „Staatsinterdikt“ (ebd.).
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logische Bestimmung der Einzelheit, die der Monarch verkörpern soll, könnte nach der Methode der Logik erst nach der Allgemeinheit und der Besonderheit eingeführt werden, was bedeutete, der Erörterung der fürstlichen Gewalt die der gesetzgebenden und der Regierungsgewalt vorauszuschicken. Da Hegel über kein überzeugendes Argument verfügt, das seinen methodologischen Regelverstoß rechtfertigen könnte (vgl. R § 275 u. Z, PR-Hot S. 1013), ist an dieser Stelle der Vorwurf des politischen Opportunismus nur schwer zu unterdrücken, denn der Monarch, in dem „die unterschiedenen Gewalten zur individuellen Einheit zusammengefaßt sind“, mag zwar „die Spitze […] des Ganzen“ sein, ist aber deswegen noch nicht sein „Anfang“ (§ 273). Man kann sich darum des Eindrucks nicht erwehren, dass Hegel unbedingt dem durch den begrifflichen Gang der Dinge nahegelegten Anschein entgegentreten wollte, die fürstliche Gewalt könne ein Resultat der gesetzgebenden und der Regierungsgewalt sein, was z. B. eine Wahlmonarchie oder sogar eine Präsidialverfassung rechtfertigen könnte. Bestärkt wird man in dieser Vermutung, wenn man in Betracht zieht, welche Anstrengungen Hegel unternimmt, die Erblichkeit der Monarchie zu begründen (vgl. § 280); dabei greift er nicht nur auf die „Bestimmung der Natürlichkeit“ zurück, die in der Sphäre der „zweyten Natur“ keinen Platz hat – weswegen der Rückverweis auf den Übergang der Logik in die Naturphilosophie (vgl. § 280 A) hier schlicht fehl am Platze ist –, sondern er bemüht darüber hinaus den ontologischen Gottesbeweis (ebd.), um die Einheit der höchsten Gewalt im Staate mit einer natürlichen Person zu begründen; nicht gezeigt hat er, warum die bloße Geburt eine natürliche Person zum Monarchen qualifiziert (Hösle 1987a, S. 205). Sieht man freilich näher zu, welche Funktionen Hegel der fürstlichen Gewalt tatsächlich zumisst, ist der erste Eindruck der politischen Akkommodation erheblich abzuschwächen; er ist im Wesentlichen auf die Optik der Präsentation einzuschränken. Die konservativen Kritiker Hegels bemerkten bald das Missverhältnis zwischen dem traditionellen Selbstverständnis der preußischen Krone und Hegels Ausführungen über die fürstliche Gewalt (vgl. Avineri 1976, S. 226 und die Nachweise S. 317). Die sind nämlich durchweg bestimmt von einem bemerkenswerten Missverhältnis zwischen einer Rhetorik der Majestät, die Hegel in § 281 A sogar gegen jede andere als die philosophisch-spekulative Erörterung immunisieren möchte, und der Bescheidenheit der politischen Aufgaben, die er dem Monarchen zuweist. In seinen Vorlesungen zur Rechtsphilosophie hatte Hegel gesagt: „Es ist bei einer vollendeten Organisation [des Staates, H. S.] nur um die Spitze formellen Entscheidens zu tun, und man braucht zu einem Monarchen nur einen Menschen, der „“Ja” sagt und den Punkt auf das I setzt, denn die Spitze soll so sein, daß die Besonderheit des Characters nicht das Bedeutende sei.“ (§ 280 Z, PR-Hot S. 1015). Dies wurde dem König in denunziatorischer Absicht hinterbracht, der darauf mit der Frage reagierte: „wenn nun aber der König den
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Punkt nicht setzt[?]“ (Zitiert bei Ilting 1973, S. 26). Den konservativen Kritikern Hegels war die Reduktion des Fürsten auf den letzten Ja-Sager und Notar der politischen Willensbildung ein Dorn im Auge. So stellt sich uns die Frage, was Hegel staatsphilosophisch gegen einen Bundespräsidenten im Sinne des Bonner Grundgesetzes einwenden könnte. Der Schlüssel zu Hegels merkwürdiger Konstruktion der fürstlichen Gewalt ist seine Lehre von der Souveränität. Sie gewinnt Kontur durch eine zweifache Abgrenzung: einmal gegen das Missverständnis der Souveränität als Despotie, zum anderen gegen das gängige Bild der Volkssouveränität. Während die Despotie den „Zustand der Gesetzlosigkeit“ (§ 278 A) schlechthin verkörpert, ist hier von der Souveränität „im gesetzlichen, konstitutionellen Zustande“ (ebd.) die Rede, und dies erklärt, warum die Willkür des Monarchen in Hegels Konstruktion so bemerkenswert starken Einschränkungen unterliegt. Was die Volkssouveränität betrifft, so weist Hegel die revolutionäre Vorstellung einer Souveränität des Volkes im Gegensatz zum Monarchen mit dem Argument zurück, das Volk gewinne erst im Staat seine Souveränität, und zwar am deutlichsten dort, wo eine Person diese Souveränität verkörpere (vgl. § 279 A). Dass dies nicht im Sinne des berühmten „L’État, c’est moi!“ Ludwigs XIV. zu verstehen ist, macht Hegels Hinweis auf die Feudalmonarchie klar, von der er die konstitutionelle Monarchie deutlich unterscheidet (vgl. § 278 A). Die Rufe und Plakate von 1989 „Wir sind das Volk!“ hätte Hegel aber nicht als Ausdruck von Volkssouveränität gedeutet, sondern bestenfalls als Symptome des Zusammenbruchs einer Despotie, nach dem ein Volk seine wahre Souveränität erst wiederfinden muss. Die begriffliche Grundbestimmung von Hegels Souveränitätslehre ist dieselbe, die seine Verfassungstheorie insgesamt kennzeichnet: die der Idealität. „Der Idealismus, der die Souverainetät ausmacht“, wird von ihm wieder anhand der Organismus-Metapher erläutert (vgl. § 278 A); er ist der Grund dafür, dass die „sogenannten Theile“ des Staates „nicht Theile, sondern Glieder, organische Momente“ (ebd.) sind (vgl. die zusammenfassende Formulierung in § 321). So ist die wichtigste Funktion des Souveräns die Integration des Verschiedenen zu einem gegliederten Ganzen – eben zu einem politischen Körper, um nochmals die Organismus-Metapher zu bemühen. Die fürstliche Gewalt vermag dies nach Hegel aber nur dann zu leisten, wenn sie selbst in sich gegliedert ist, und zwar wieder nach denselben logischen Bestimmungen, denen die vernünftige Gewaltenteilung insgesamt zu folgen hat; daraus ergeben sich die drei Hauptaufgaben des Monarchen: Verkörperung und Garantie der „Allgemeinheit der Verfassung und der Gesetze“, „Berathung als Beziehung des Besondern auf das Allgemeine, und das Moment der letzten Entscheidung, als der [individuellen, H. S.] Selbst bestimmung, in welche Alles übrige zurückgeht“ (§ 275), wobei Hegel auch hier ohne Argument die logisch „korrekte“ Reihenfolge einfach umkehrt (vgl. ebd.).
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Die „letzte“ Entscheidungsgewalt des Monarchen sieht Hegel, abgesehen von der formalen Ausfertigung der Gesetze, von denen in den Vorlesungen die Rede war, vor allem im „Begnadigungs-Recht“ (§ 282), und dies ist uns vom Amt des Bundespräsidenten her vertraut. Diese Parallele endet aber sofort, wenn man sich verdeutlicht, was sich hinter dem „Moment der Besonderheit“ verbirgt, das nach Hegel als Zweites in der „Fürstengewalt“ enthalten ist: ein nur der Krone und nicht etwa der gesetzgebenden Gewalt verantwortliches Kabinett und sein Regime (vgl. § 283), wie es in Preußen bis 1916 Bestand hatte. Dass Hegel die Lehre von der Majestät aufbieten muss (vgl. §§ 283, 284) als Rechtfertigung für ein Modell, das schon zu Hegels Lebzeiten verfassungsgeschichtlich überholt war, zeigt an, auf wie schwachen Füßen seine Argumentation an dieser Stelle steht: Wenn es wahr ist, dass ein Volk seine Souveränität im Souverän gewinnt, und wenn nichts dagegen spricht, diesen Souverän durch Wahlen zu bestimmen – was spricht dann philosophisch gegen ein dem gewählten Souverän, z. B. einem Parlament, verantwortliches Kabinett? Könnte nicht in diesem Sinne doch alle Gewalt vom Volke ausgehen, wie es alle modernen Verfassungen formulieren? Das Moment der Allgemeinheit schließlich sieht Hegel objektiv realisiert in der verfassungsmäßigen Ordnung des Staates und subjektiv verkörpert im „Gewissen des Monarchen“ (§ 285); ein Verfassungsgericht, das Verstöße des Souveräns gegen die Verfassung ahnden könnte, bedeutet für Hegel einen Rückfall in abwegige Vorstellungen von Gewaltenteilung. – Auf die fürstliche Gewalt ist zurückzukommen bei Hegels Lehre von der „Souverainetät gegen Außen“ (§§ 321 ff.); dort erst wird sie als „Idealität des Ganzen […] zu ihrem Rechte und Daseyn“ (§ 320) kommen.
14.5 Die Regierungsgewalt Hegel versteht darunter die staatliche Exekutive im engeren Sinne, d. h. die „Ausführung und Anwendung“ der politischen Entscheidungen (§ 287), die sie im Unterschied zu unserem Verständnis von Regierung nicht selbst zu fällen hat, sowie die öffentliche Verwaltung, die Hegel noch unter der altertümlichen Version des Begriffs „Polizey“ (vgl. Knemeyer 1978, S. 884 ff.) zusammenfasst (vgl. §§ 231 ff.); so meint Regieren nach Hegel das „Geschäft der Subsumtion“ des Besonderen des gesellschaftlichen und politischen Lebens unter das „allgemeine Interesse“ (§ 287). Die fürstliche Gewalt ist dadurch in der Regierungsgewalt enthalten, dass sie im Namen der Krone durch vom Souverän ernannte „Staats bediente[ ]“ (§ 294 A) handelt; die gesetzgebende Gewalt ist präsent durch die gesetzlichen Vorgaben des Regierungshandelns. Bemerkenswert ist dann, dass
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Hegel auch die „richterlichen […] Gewalten“ der Regierungsgewalt zurechnet, also nicht, wie seit Montesquieu üblich, die Judikative als unabhängige Gewalt anerkennt. Der Grund hierfür ist, dass nach Hegel die „Rechtspflege“ zwar der bürgerlichen Gesellschaft angehört, weil dort das „abstracte[ ]“ Recht „positiv“ wird (vgl. §§ 209 ff.), die Rechtsprechung aber wie die „polizeylichen Gewalten“ für ihn nur als Staatsfunktionen denkbar sind; Wahlrichter oder Sheriffs wie in den USA zieht Hegel nicht in Erwägung, obwohl sie mit der Struktur seiner Theorie vereinbar wären. So kann man die „richterlichen und polizeylichen Gewalten“ (§ 287) bei Hegel als eine Art Servicefunktion des Staates für die bürgerliche Gesellschaft ansehen – angesichts der Probleme, die ausschließlich dort entstehen und die sie Hegel zufolge mit ihren eigenen Möglichkeiten nicht zu bewältigen vermag. Dass Hegel auch ohne eine eigenständige Judikative die Unabhängigkeit der richterlichen Entscheidungen von Regierungsanweisungen als selbstverständlich unterstellt, mag man daran erkennen, dass nach Hegel auch „der Fürst in Privatsachen die Gerichte über sich erkennen“ (§ 221 Z, PR-Hot S. 982) muss –, wobei hier auch an Handlungen zu denken ist, die nicht in politischer Funktion ausgeübt wurden und somit dem Strafrecht unterstehen – und er fügt hinzu: „gewöhnlich gehen in freien Staaten die Prozesse desselben verloren“ (ebd.). Dass Hegel eine Verwaltungsgerichtsbarkeit offensichtlich für überflüssig gehalten hätte, ändert nichts daran, dass sie mit seinem Staatsmodell vereinbar wäre, und so haben Hegelschüler sie ihm auch ohne Widerspruch eingefügt (vgl. Hösles Hinweis auf Adolf Lasson; Hösle 1987b, S. 573). So steht Hegel in der spezifisch deutschen Tradition, die das Politische immer nur als das Staatliche zu denken vermag (vgl. Vollrath 1987). Hegel hält dies an dieser Stelle für unvermeidlich, weil er gegen die ausufernden Privatinteressen der bürgerlichen Gesellschaft eine politische Gegengewalt für notwendig hält, die das Ganze des Staates als das Allgemeine zur Geltung bringt und aufrechterhält; Hegel spricht auch hier als Kritiker des politischen Liberalismus und seiner Ideologie des „Minimalstaates“ (Der Ausdruck stammt von Robert Nozick). Dass der Staat seine Ordnungsfunktion umso effektiver wahrnimmt, je „liberaler“ er ist, d. h. sie so weit als möglich den gesellschaftlichen Selbstverwaltungsorganen überlässt, machen die §§ 288 und 289 deutlich, wobei Hegels Formulierungen das Zynische streifen. Der Abschnitt über die „Regierungsgewalt“ enthält im Übrigen eine bemerkenswerte Theorie des Berufsbeamtentums, mit der Hegel sich einmal mehr als Theoretiker der modernen Gesellschaft und als Mitbegründer der Soziologie erweist. Die durch das „concrete“ „bürgerliche Leben“ erforderten vielfältigen Verwaltungsaufgaben lassen sich nur durch eine arbeitsteilige und gleichzeitig hierarchisch geordnete Bürokratie bewältigen (vgl. § 290). Zugleich existiert keine „natürliche Verknüpfung“ (§ 291) zwischen Amt und Person, d. h. niemand ist
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durch Geburt für ein Staatsamt qualifiziert wie in prämodernen Gesellschaften, sondern diese Verknüpfung ist eine politische Entscheidung des Souveräns, der die Beamten ernennt. Hegel bemüht sich, das Beamtenverhältnis, in dem der Erfüllung öffentlicher Pflichten der Besoldungsanspruch entspricht, deutlich von allen anderen Vertragsverhältnissen abzugrenzen, und zwar mit dem Argument, der Staatsdienst umfasse die ganze Person und lasse für privatrechtliche Verpflichtungen keinen Platz; dadurch seien die „Staatsbedienten“ zugleich gegen die gesellschaftlichen Privatinteressen (z. B. gegen Korruption) geschützt (vgl. § 294 u. A). Wesentlich für das Funktionieren der Regierungsgewalt ist Hegel zufolge die Bildung der Beamten, worunter Hegel nicht nur ihre Ausbildung oder Berufsqualifikation versteht, sondern auch ihre Weiterbildung durch ihre ständige Beschäftigung mit den allgemeinen Angelegenheiten (vgl. § 296). Wie ein moderner Soziologe schätzt Hegel die moderne Beamtenschaft als den Kern des „Mittelstandes“ ein, „in welchen die gebildete Intelligenz und das rechtliche Bewußtseyn der Masse eines Volkes fällt“ (§ 297); zugleich wird deutlich, dass im modernen Staat die Beamtenschaft an die Stelle der klassischen Aristokratie getreten ist (vgl. ebd.).
14.6 Die gesetzgebende Gewalt und die Repräsentation Der Eingangsparagraph dieses Abschnitts bestätigt Hegels Verfassungslehre, der zufolge jede Verfassungsgesetzgebung immer nur als Verfassungsänderung denkbar ist, denn damit sie als Gesetzgebung möglich ist, muss die gesetzgebende Gewalt schon Teil der Verfassung sein – Teil und Voraussetzung der Verfassung zugleich; wegen dieses unausweichlichen Zirkels hält Hegel alle Gesetzgebung – auch die die Verfassung verändernde – für eine bloße „Fortbildung der Gesetze“ (vgl. § 298). Die Steuern und Abgaben, über die die gesetzgebende Gewalt befindet, versteht Hegel als Äquivalent für die staatlichen Leistungen an die Individuen, d. h. „die privatrechtlichen Gesetze überhaupt, die Rechte der Gemeinden und Corporationen und ganz allgemeine Veranstaltungen und indirect (§. 298.) das Ganze der Verfassung“ (§ 299). Bemerkenswert ist, dass Hegel nur dadurch, dass die Leistungen der Individuen an den modernen Staat in abstrakten Geldquantitäten zu erbringen sind, die Prinzipien der „Gerechtigkeit und Gleichheit“ wie der „subjectiven Freyheit“ als gesichert ansieht (vgl. § 299 A). Des Weiteren lehrt Hegel die notwendige Präsenz der fürstlichen und der Regierungsgewalt in der gesetzgebenden Gewalt (vgl. § 300).
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Das Kernstück der Hegelschen Theorie der Legislative aber ist die Ständelehre, die sein politisches Denken seit den Anfängen in den Wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts von 1802 als Konstante durchzieht. Deutlicher als in dieser frühen Schrift unterscheidet Hegel in den Grundlinien zwischen den Ständen in gesellschaftlich-ökonomischer und in politischer Hinsicht, aber dies doch nur, um zwischen beidem zu vermitteln (vgl. § 303 A). Das Grundmotiv von Hegels Ständelehre ist nicht primär nostalgisch-restaurativer Art, sondern es ist in dem Interesse zu sehen, gedanklich über die Entgegensetzung einer abstraktallgemeinen Staatsgewalt und der „formlose[n] Masse“ isolierter Individuen, die man gewöhnlich „Volk“ nennt (vgl. § 303 A), hinauszugelangen. Es ist „[d]iese atomistische, abstracte Ansicht“ (ebd.), von der die bürgerlichen Vertragstheoretiker mindestens seit Hobbes stets ausgingen, gegen die Hegel seine Lehre von den Ständen ins Feld führt; sie sollen garantieren, „daß die Einzelnen nicht zur Darstellung einer Menge und eines Hauffens, zu einem somit unorganischen Meynen und Wollen, und zur bloß massenhaften Gewalt gegen den organischen Staat kommen“ (§ 302 A). Solche Formulierungen zeigen: Die moderne Massendemokratie hätte Hegel in keinem Fall für eine Verfassung der Freiheit gehalten, und in diesem Sinne haben die Neuhegelianer unseres Jahrhunderts und nicht nur sie den modernen Parlamentarismus insgesamt attackiert. Insgesamt weist Hegel den Ständen die politische Aufgabe der Vermittlung der allgemeinen und besonderen Interessen im Staate zu (vgl. § 302). Dies hält er deswegen für möglich, weil die Stände zunächst nichts anderes sind als die Formen, in denen sich die verschiedenen gesellschaftlichen und ökonomischen Interessen organisieren; dabei dürfen wir heute durchaus auch an Verbände und Gewerkschaften denken. Diese so organisierten Privatinteressen aber kommen nach Hegel dadurch, dass den Ständen ein allgemein-politisches Vertretungsrecht eingeräumt ist, auch „in Beziehung auf den Staat zur Existenz“ (§ 301 A). In diesem Sinne repräsentieren die Stände das Gesellschaftliche am Orte des Politischen, aber eben nicht in der Gestalt bloß addierter Wählerstimmen, sondern in schon gesellschaftlich gegliederter Gestalt; nur so existieren die Individuen für den Staat, und nicht als isolierte Privatpersonen oder in ihrer abstrakt-allgemeinen Bestimmung, Staatsbürger zu sein (vgl. § 308 u. A; auch § 310 A). So erwartet Hegel von den Ständen nichts Geringeres als die Versöhnung des citoyen mit dem bourgeois oder die Aufhebung der Doppelexistenz des modernen Individuums als Staatsbürger und Privatperson. Der Preis dafür ist ziemlich hoch, wenn wir die Maßstäbe unseres modernen Demokratieverständnisses anlegen; so hält Hegel Wahlen zwar für zulässig, aber für politisch bedeutungslos (vgl. § 311). Dass Hegel die politisch-ständische Repräsentation nach englischem und preußischem Vorbild als ein Zwei-Kammer-Modell mit einem ländlich-aristokratischen „Herrenhaus“ und einer bürgerlichen zweiten Kammer (vgl. §§ 305–309)
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ins Auge fasst,7 entbehrt jeder tieferen philosophischen Begründung; die Parallelen zwischen der „Natürlichkeit“ der Erbmonarchie und der rustikalen Sittlichkeit der Großgrundbesitzer (vgl. ebd.) wirken reichlich gekünstelt. Wichtiger ist der zweifache Bildungseffekt, den Hegel mit der gesetzgebenden Gewalt verbindet. Einmal führt ihm zufolge die politische Mitwirkung der Bürger zu politischer Bildung und damit zu „obrigkeitlichem Sinn und Sinn des Staats“ (§ 310); die politischen Stände sind somit selbst eine Quelle des recht verstandenen Patriotismus. Zum anderen eröffnet die Öffentlichkeit der Ständeverhandlungen, die aus Hegels Konzept der Repräsentation notwendig folgt, den Raum politischer Öffentlichkeit schlechthin, die trotz aller Ambivalenzen der „öffentlichen Meynung“ (vgl. §§ 315–318) ein „Bildungsmittel“ für die „Menge“ darstellt, „und zwar eines der größten“ (§ 315). Der Abschnitt schließt mit Ausführungen über die Pressefreiheit (§ 319 u. A), denen man den Balanceakt anmerkt, den Hegel hier unter den Bedingungen der Karlsbader Beschlüsse vollführt; manches liest sich wie deren Rechtfertigung, aber zugleich versucht er, ihnen durch den Hinweis auf die Unbestimmtheit des Subjektiven die Spitze zu nehmen und die Pressefreiheit insgesamt doch zu verteidigen. Wichtig ist, dass Hegel die Wissenschaften ausdrücklich von der öffentlichen Meinung ausnimmt und sie damit der Staatszensur zu entwinden trachtet.
14.7 Wie modern ist Hegels Staat?8 Jede Antwort auf diese Frage hängt davon ab, welchem Verständnis von „modern“ man folgt. Nimmt man die politischen Resultate der Französischen Revolution zum Maßstab, so ergibt sich folgendes Bild. Hegels Staat ist Rechtsund Verfassungsstaat,9 und er ist in ausdrücklichem Gegensatz zum ancien régime und zum untergegangenen Heiligen Römischen Reich deutscher Nation
7 Taylor verweist darauf, dass zum Zeitpunkt des Erscheinens der Grundlinien noch keine allge meine Ständevertretung für das Königreich Preußen existierte (vgl. Taylor 1975, S. 593). Im Übrigen war wegen der unglaublichen Verzerrungen des Wahlsystems in England – von 20 Millionen Einwohnern waren nur ca. 600 000 überhaupt wahlberechtigt – das Unterhaus auch nichts an deres als eine ziemlich undemokratische Ständeversammlung. Gleichwohl hat Hegel die engli sche Reformbill von 1831, die die Parlamentsreform von 1832 einleitete, in einer eigenen Schrift sehr kritisch beurteilt (vgl. dazu Avineri 1976, S. 247 ff.). 8 Vgl. dazu Avineri 1976 und die sehr kenntnisreiche und abgewogene Einschätzung von Taylor 1975, S. 589 ff. 9 Hegel mit dem „neuen Mythos von der Horde“ in Zusammenhang zu bringen (Popper 1957, S. 36 ff.) ist eine platte Verleumdung.
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konzipiert – Staatsformen, die Hegel für definitiv untergegangen hält. Mit der politischen Philosophie der Aufklärung besteht er darauf, dass bloßes Herkommen und Tradition keine Legitimation von Recht und Staat zu liefern vermögen, sondern nur die Vernunft; freilich versteht Hegel unter Vernunft etwas anderes als fast alle Aufklärungsphilosophen. Hegels Staat ist moderner Staat, weil er das, was die Französische Revolution an Bleibendem in die Welt gebracht hat, auf Dauer stellt: eine bürgerliche Rechtsordnung, Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, Presse- und Meinungsfreiheit in gesetzlichem Rahmen, das Eigenrecht der bürgerlichen Marktgesellschaft und eine verfassungsmäßige politische Ordnung (vgl. dazu vor allem Ritter 2003). Seit der liberalen Polemik gegen Hegel als preußischen Staats- und Restaurationsphilosophen, die Rudolf Haym 1857 eröffnete, ist lange vergessen geblieben, wie wenig von dem, was Hegel als zugleich vernünftig und wirklich behauptet hatte, im preußischen Staat seiner Zeit tatsächlich realisiert war (Weil 1950). Hegels Staat ist auch nicht deswegen prämodern, weil er die Legitimation des Liberalismus ablehnt, ohne deswegen illiberal zu sein; Liberalismuskritik gehört selbst der staatsphilosophischen Moderne an. Im Übrigen übersehen unsere heutigen Liberalen leicht, wie wenig unsere gegenwärtige Verfassungsordnung der reinen Lehre des Liberalismus entspricht. Dass Hegel sich nicht ausdrücklich zur Frage der geschriebenen Verfassung äußert, mag man ebenfalls seiner politischen Vorsicht zuschreiben. Zu seinen Lebzeiten war das Verfassungsversprechen des preußischen Königs von 1813 immer noch nicht eingelöst, aber deswegen hatte Preußen doch eine Verfassung, wenn auch kein Verfassungsgesetz; nimmt man Hegels Diktum, dass das Recht positiv werden müsse (vgl. § 3 A), hinzu sowie seine Polemik gegen Savigny und dessen Widerstand gegen die Kodifizierung der geltenden Gesetze (§ 311 A), so wird deutlich, dass Hegel die Einlösung des Verfassungsversprechens für philosophisch geboten gehalten hat. Die Grenzen der Modernität Hegels werden sichtbar, wo er sich ohne überzeugende Argumente auf die angebliche Natürlichkeit von Institutionen zurückzieht: so bei der Frage der erblichen Monarchie und der politischen Repräsentation des ländlichen Großgrundbesitzes, die mit seiner Lehre von der Familie (vgl. §§ 158 ff.) schlechthin nicht in Einklang zu bringen ist; die Familie im modernen Staat ist die bürgerliche Familie (vgl. Blasche 1975, S. 312 ff.), und dass sich deren Strukturen und Gesetze auch in Königshäusern und Aristokratenkreisen durchsetzen würden, war zu Hegels Lebzeiten zumindest antizipierbar. Ein Grundzug der politischen Philosophie Hegels ist die ängstliche Sorge um das welthistorisch Erreichte, und er sieht es in doppelter Weise gefährdet: einmal durch den gesetzes- und institutionenfeindlichen Irrationalismus der politischen Romantik, zum anderen durch die entfesselten systemsprengenden Kräfte der
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bürgerlichen Gesellschaft (vgl. vor allem §§ 243 ff.). So versucht Hegel immer wieder, Gegenkräfte gegen das Gefährdende zu mobilisieren, die jenseits der Verfügungsreichweite der durch die Modernisierungen freigesetzten Individuen wirken; dabei wird zuweilen auch das Prämoderne beschworen. Was uns gänzlich von Hegel trennt, ist die Frage der Grundrechte. Die Menschenrechte, wie sie in den USA und in Frankreich deklariert worden waren, hielt Hegel, grob gesprochen, für Ideologie, die in der Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft ihren sozialen Ort hat (vgl. § 190 A)10; wegen ihrer Abstraktheit und Unwirklichkeit sah Hegel sie für politisch bedeutungslos an. Was aber mit ihnen gemeint war, hielt er keineswegs für bedeutungslos; nur glaubte er, dass dies im „Organismus“ des Staates besser gesichert sei als in bloß postulierten Grundrechtskatalogen. Die Folge ist, dass es in Hegels Staat keinerlei Appellationsinstanz der Individuen gegen staatliches Handeln gibt; selbst wenn eine Verwaltungsgerichtsbarkeit eingefügt wäre, könnte die nur nach den jeweils geltenden Gesetzen entscheiden, niemals aber gemäß einem aller Gesetzgebung übergeordneten Grundrecht wie „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ (Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 1). Stattdessen belehrt uns Hegel, dass überall dort, wo ein Individuum seine Würde durch den Staat angetastet sieht, es sich um eine unangebrachte Vermengung moralischer mit politischen Gesichtspunkten handelt (vgl. § 337 A). So ist Hegels Bild des modernen Staates zutiefst ambivalent. Dies ist zurückzuführen auf das seine gesamte praktische Philosophie bestimmende Bedürfnis, die politischen Verhältnisse seiner Zeit als eine sittliche Wirklichkeit begreifen zu können; nur wenn dies möglich ist, vermag die Philosophie die „Versöhnung mit der Wirklichkeit“ zu gewähren, die die Vorrede der Grundlinien verspricht (R S. 16). So soll der moderne Staat die Wiedergeburt der von Hegels Generation nostalgisch verklärten antiken Sittlichkeit verkörpern, ergänzt um das Prinzip der Subjektivität und ihres unendlichen Rechts. Dieses Beweisziel setzt Hegels Staatsphilosophie unter erhebliche Beweiszwänge, erzwingt manche Gewaltsamkeit und nötigt an vielen Stellen zu Harmonisierungen, die sämtlich auf Kosten der Rechte der Individuen gehen. Immer polemisiert Hegel gegen die demokratische Tugend des Misstrauens als Pöbel-Gesinnung; stets bagatellisiert er die Konfliktpotentiale, die in seinen Konstruktionen mit Händen zu greifen sind; vor allem aber beschwört er unablässig das „Organische“ des Staatsganzen als die höhere politische Vernunft, als deren Advokaten er sich selbst sieht, und zwar um der Möglichkeit seines Konzepts politischer Philosophie willen.
10 Vgl. die problematische Ausarbeitung dieses Motivs in der frühen Schrift von Karl Marx (vgl. Marx 1974).
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Dass Hegel es nicht lassen kann, sich immer wieder als Philosoph den Kopf des Staates zu zerbrechen (vgl. z. B. R S. 10 ff.), hat seine liberalen Kritiker stets mit Recht erbittert.
14.8 Die Souveränität gegen Außen Hegel behandelt diesen Aspekt der Souveränität innerhalb des Abschnitts „Das innere Staatsrecht“; es geht also um die Verfassung in dem Fall, in dem es mit der äußeren Souveränität des Staates ernst wird, und dies ist der Kriegsfall. Um dafür gerüstet zu sein, braucht der Staat eine Militärverfassung, die im Ernstfall auch das zivile Leben zu betreffen vermag. Hegel begnügt sich nicht damit, dies bloß pragmatisch zu erörtern, sondern bemüht auch hier seine bekannten Kategorien, um den Ansprüchen einer philosophischen Begründung zu genügen. Der § 320 vollzieht einen geradezu halsbrecherischen Übergang von der Subjektivität im Staate, die den Individuen zukommt, zur Subjektivität des Staates, die die fürstliche Gewalt ausmacht, und Hegel behauptet dann, das konfliktträchtige Außenverhältnis des Staates sei der Bereich, in dem diese Gewalt „als Idealität des Ganzen“ endlich „zu ihrem Rechte und Daseyn“ komme. Diese Idealität ist zunächst nichts anderes als die Individualität des Staates als Staat, und sie ist so zugleich „die erste Freyheit und die höchste Ehre eines Volkes“ (§ 322). Die Rückwirkungen aber dieser Außenbeziehung auf die Binnenverhältnisse im Staat sind erheblich; durch sie werden „das Interesse und das Recht der Einzelnen als ein verschwindendes Moment gesetzt“ (§ 324), d. h. alle Privatinteressen werden dem Überlebensinteresse des Staates untergeordnet. Was uns wiederum nur als eine bloß pragmatische Notwendigkeit erscheinen mag, präsentiert Hegel aber nicht als eine bloße Reaktionsbildung des politischen Körpers auf eine Attacke von außen, sondern als einen autonomen Vorgang mit sittlichem und die Staatsbürger versittlichendem Charakter (vgl. §§ 323, 324). Die Lehre von der Sittlichkeit des Krieges hatte Hegel schon im Naturrechtsaufsatz formuliert, und dies zitiert er in § 324 A; dabei griff er Motive von Kant auf (vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, AA V, S. 260 ff.), der freilich die letztliche Abschaffung des Krieges für eine sittliche Pflicht gehalten hatte. In den Vorlesungen sagte Hegel dazu: „Im Frieden dehnt sich das bürgerliche Leben mehr aus, alle Sphären hausen sich ein, und es ist auf die Länge ein Versumpfen der Menschen; ihre Partikularitäten werden immer fester und verknöchern: Aber zur Gesundheit gehört die Einheit des Körpers, und wenn die Teile in sich hart werden, so ist der Tod da“ (§ 324 Z, vgl. PR-Grie S. 1470 f.). So erscheint der Krieg als der Sturm, der dem versumpfenden Gewässer neuen Sauerstoff zuführt, oder als die Anstrengung des politischen Körpers, die zu seiner Gesundheit immer wieder erforderlich ist. Solche „bellizistischen“ Über-
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zeugungen, die man wohl bis zu Heraklits „Der Krieg ist der Vater aller Dinge“ zurückverfolgen könnte, waren um 1800 ziemlich verbreitet, und auch Kant und Fichte haben ihr Tribut gezollt (vgl. Janssen 1982, S. 592 ff.); neu ist bei Hegel nur deren Umdeutung zu einem sittlichen Vorgang aus Freiheit, wie es in § 324 A heißt, woraus folgt, dass der Pazifismus nicht bloß unrealistisch, sondern auch unsittlich ist. Im Zeitalter der technologisierten Massenvernichtungswaffen ist uns eine solche Kriegs-Metaphysik abhanden gekommen, und selbst wenn man von großen Gemeinschaftsanstrengungen einen Versittlichungseffekt erwartet – warum kann der nicht auch von anderen großen Herausforderungen ausgehen als von Kriegen: z. B. von Naturkatastrophen, Epidemien, Hungersnöten, Wirtschaftskrisen etc.? Für Hegel wären solche Ernstfälle nicht politisch genug; sie blieben im Bereich der bloßen „Naturgewalt“ (ebd.) und ließen sich nicht in Situationen der selbstbestimmten Freiheit umdeuten. Dann müsste freilich als Gegenfrage erlaubt sein, ob sich Kriege tatsächlich als Werke der Freiheit begreifen lassen und ob man hier nicht Kant folgen müsse, der den Krieg als „Geißel des menschlichen Geschlechts“ (Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, AA VI, S. 33) und als „Quell aller Übel und Verderbnis der Sitten“ (Kant, Der Streit der Fakultäten, AA VII, S. 86) ansah. Die institutionelle Außenseite der „Souverainetät gegen Aussen“ ist das „stehende[ ] Heer“ (§ 326 A) – in Preußen die „Linie“ –, das im Verteidigungsfall durch die allgemeine Wehrpflicht verstärkt wird, d. h. den preußischen „Landsturm“ (Nachweis bei Hösle 1987b, S. 581). Das Militär verkörpert zugleich die der „Souverainetät gegen Aussen“ entsprechende subjektive Gesinnung, d. h. die Tugend der Tapferkeit (vgl. § 328), von der Hegel schon im Naturrechtsaufsatz als der höchsten Tugend geschwärmt hatte (vgl. NR S. 455 ff.). Sie ist für ihn „Idealität“ schlechthin, „die Entäußerung selbst aber als Existenz der Freyheit“ (R § 328). Erstaunlich ist, wie Hegel aus dem Strukturwandel der Tapferkeit in der Moderne die Erfindung der Feuerwaffe ableitet, und nicht umgekehrt, wie es naheliegt (vgl. § 328 A). Da die fürstliche Gewalt nach Hegel die Individualität des Staates repräsentiert, liegt bei ihr der Oberbefehl der Streitkräfte und das Monopol der Außenpolitik (vgl. § 329).
14.9 Das äußere Staatsrecht Dieser Abschnitt der Grundlinien vermag unser Interesse vor allem dadurch auf sich zu ziehen, weil er die entschiedene Opposition Hegels gegen Kants Utopie des „ewigen Friedens“ formuliert. Ihre Grundlage ist wieder Hegels Souveränitätslehre, der zufolge die politische Macht nur in individuellen Staaten realisiert sein kann, die jeweils „die absolute Macht auf Erden“ (§ 331) sind; die sich zwar
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untereinander als souverän anerkennen, im übrigen aber keine Macht über sich dulden, die ihre Streitigkeiten zu schlichten und die Schlichtung dann auch durchzusetzen vermöchte (vgl. § 333 u. A). Eine Weltfriedensordnung oder gar ein Weltstaat ist so für Hegel bloß ein pazifistischer Traum, der zudem dem Souveränitätsprinzip insofern zuwiderläuft, als ein Staat nur im Verhältnis zu anderen Staaten souverän sein kann (vgl. § 331 A). So verbleiben nach Hegel alle zwischenstaatlichen Rechtsverhältnisse im Stadium des bloßen „Sollen[s]“ (§ 333), und die Staaten untereinander im Naturzustand des virtuellen bellum omnium contra omnes (Hobbes). Vom Naturzustand hatte Hegel stets betont – und dabei Hobbes zitiert –, vernünftigerweise sei nur das von ihm zu sagen, dass aus ihm herauszugehen sei (vgl. E § 502); erstaunlich ist, dass er auf dem Gipfel seiner Staatsphilosophie wieder zurückkehrt.11 Gleichwohl sieht Hegel das Völkerrecht nicht als bedeutungslos an; auch wenn seine Bestimmungen der Hegung und Friedensorientierung des Krieges ohne staatliche Sanktionsmöglichkeiten bleiben, haben sie ihm zufolge doch eine Grundlage in der allgemeinen Gesittung der modernen Nationen (§§ 338, 339). Wie schwach solche Barrieren gegen die Barbarei sind, haben wir in unserem Jahrhundert schmerzlich erfahren müssen. Zugleich aber haben in der jüngsten Vergangenheit viele Staaten durch internationale Bündnisse und Abkommen faktische Souveränitätsverzichte geleistet, deren Einhaltung auch erzwingbar ist – sei es durch Wirtschaftssanktionen oder durch militärische UNO-Missionen. Dies alles wäre freilich mit Hegels Staatslehre unvereinbar, aber vielleicht ist solche Unvereinbarkeit der Preis für die Chance des Weltfriedens, dessen Alternative heute der Dritte Weltkrieg ist. Wenn die Menschheit sich selbst militärisch auszulöschen vermag, können wir Krieg und Frieden nicht mehr einfach dem Weltgeist, d. h. der „Weltgeschichte, als dem Weltgerichte“ überlassen.
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11 Vgl. dazu die sehr polemischen, aber zutreffenden Bemerkungen von Hösle 1987b, S. 581 ff.; vgl. auch Schnädelbach 1992, S. 185 ff.
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15 Die Weltgeschichte (§§ 341–360)
Hegels Grundlinien enden mit einem Kapitel, das „Die Weltgeschichte“ über schrieben ist. Für eine Rechtsphilosophie, deren Untertitel bei Hegel „Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse“ lautet, ist dies ein eigenartiger Schluss. Ein Recht, nicht der Natur, sondern der Geschichte scheint damit zum letzten Grund allen Rechts zu werden. Die Weltgeschichte wird – wie Hegel, ein Gedicht Schillers zitierend, schreibt – zum „Weltgerichte“ (§ 340). Was Recht ist, wird Sache einer Instanz, die nicht in den Händen der Subjekte liegt, sondern ein Geschehen ist. Es sind mindestens drei große Fragen, die mit diesem Schluss der Rechtsphi losophie verbunden sind. Da ist erstens die Frage, wie weit durch diesen Schluss des Werks die politi schen Philosophien Hegels und Kants unterschieden sind. Während Kant seine Rechtslehre beschließt mit dem Weltbürgerrecht sowie mit den berühmten Forde rungen nach einem „ewigen Frieden“ und einem Staatenbund, verzichtet Hegels Rechtsphilosophie an ihrem Ende auf alles Fordern und Postulieren. Hegel lässt die Welt der Staaten, wie sie ist. Die Rechtsphilosophie geht über die Vielfalt der souveränen Nationalstaaten nicht hinaus, und es ist bis heute fundamental umstritten, inwiefern Hegel an die Stelle des Kantischen Ideals des Friedens ein Lob des Krieges und an die Stelle des Staatenbundes eine Theorie des nationalen Machtstaates setzt. Da ist zweitens die Frage nach dem Charakter der Hegelschen Geschichts philosophie selbst. Ist diese ein Historizismus, der das, was sich geschichtlich durchsetzt, mit den Weihen der Vernunft versieht? Ist sie eine Philosophie vom Recht der Sieger? Ist es Hegels Geschichtsphilosophie, welche Macht vor Recht setzt? Da ist drittens die Frage, was der Schluss des Werkes mit der „Weltgeschichte“ für die Architektonik der Rechtsphilosophie zu bedeuten hat. „Abstractes Recht“ – „Moralität“ – „Sittlichkeit“ – so ist die Gliederung des Werkes. Sie ist orientiert an einem Aufstieg, der von Stufe zu Stufe eine jeweils höhere Form des „objekti ven Geistes“ erreicht. Mit dem „äußeren Staatsrecht“ und der „Weltgeschichte“ scheint die Rechtsphilosophie an ihrem Ende zurückzufallen auf das Niveau des „abstracten Rechts“, das schon am Anfang überwunden worden war. Es ist ein Rätsel, wie dies, wenn dem so ist, zu verstehen ist.
DOI:10.1515/9783110496529-018
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15.1 Völkerrecht und Weltgeschichte Ähnlich wie die Philosophien Kants und Hegels durch ihre Theorien der Morali tät und der Sittlichkeit unterschieden sind, so stellt auch ihre jeweilige Theorie der Staatenwelt eine große Scheidelinie zwischen den philosophischen Lehren beider Denker dar. Schon die Differenzen der Gliederung sind augenfällig. Kant gliedert das Recht nach: – „Staatsrecht“ – „Völkerrecht“ – „Weltbürgerrecht“. Hegel ordnet das Recht durch die Dreiteilung: – „Inneres Staatsrecht“ – „Äußeres Staatsrecht“ – „Weltgeschichte“. Die „Weltgeschichte“ nimmt genau jenen Platz ein, an dem bei Kant das „Weltbür gerrecht“ steht. Ein „Weltbürgerrecht“ erwähnt Hegel am Schluss seines Werkes mit keinem Wort. Es ist allerdings nicht so sehr Hegels Schweigen über das Weltbürgerrecht, das die Differenz der Philosophien Kants und Hegels markiert. Die Bedeutung des ius cosmopoliticum ist bei Kant eine so große nicht. Das „Weltbürgerrecht“ besteht bei Kant nur in einem „Besuchsrecht“, das Ankömmlingen auf fremdem Boden zu gewähren ist.1 Entscheidend für die Differenz der politischen Philoso phien ist, dass Hegel einen Staatenbund nicht fordern will und dass er die Idee eines „ewigen Friedens“ sogar explizit verwirft (§ 333 A). Statt vom Frieden spricht Hegel vom Kriege, der für die „sittliche Gesundheit“ der Völker unverzichtbar sei (§ 324 A; vgl. NR S. 450). Die vielen Einzelstaaten soll bei Hegel kein Staatenbund, sondern allein das Völkerrecht verbinden. Und wenn Kant sogar an einen Inter nationalen Gerichtshof gedacht haben mag,2 so ersetzt Hegel das „Weltgericht“ durch die „Weltgeschichte“, durch eine ganz und gar andere Instanz. Es sind dies jene Differenzen der politischen Philosophien, die für das 19. und 20. Jahrhundert von großer Bedeutung geworden sind. Kantianer wie Vor länder oder Natorp haben im 20. Jahrhundert an Kants Idee vom ewigen Frieden
1 Zum Ewigen Frieden (AA VIII, S. 358). Kants Beschränkung des Weltbürgerrechts auf die „Hos pitalität“ ist gegen den Kolonialismus gerichtet, gegen das „inhospitable Betragen der gesitteten […] Staaten“ (ebd.). 2 Als Vorbild des „Staaten-Kongresses“ nennt Kant die Versammlung der Generalstaaten im Haag, die „als Schiedsrichter“ öffentliche Streitigkeiten geregelt habe (vgl. Metaphysik der Sitten. Rechtslehre, § 61; AA VI, S. 350).
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und vom Staatenbunde angeknüpft (vgl. Vorländer 1919; Natorp 1924; vgl. auch Hoffmeister 1934; Apelt 1948). Rechtshegelianer wie Rößler oder A. Lasson haben in der Bismarckzeit Hegels „realistische“ Lehre vom Staat gegen die Kantischen Postulate ausgespielt (vgl. Rößler 1857; Lasson 1868; Lasson 1871). Für Rößler oder Lasson wurde Hegel zum Begründer des nationalen Machtstaates, und insbesondere Lasson trat mit Berufung auf Hegel als ein Lobredner des Krieges hervor. „Erst im Kriege“, so Lasson, „erlangt der Staat das rechte Bewußtsein von sich selber, erlangt der Bürger das rechte Bewußtsein seiner Zugehörigkeit zum Staat“ (Lasson 1868, S. 15). Diese Wirkungsgeschichte der politischen Philosophie Hegels ist von den Kritikern Hegels oft verwechselt worden mit Hegels Philosophie selbst. Der Jurist Hermann Heller hat Hegel zum Vater des „nationalen Machtstaatsgedankens“ in Deutschland erklärt (Heller 1921). Die Hegelkritik englischsprachiger Länder hat Hegels politische Philosophie wieder und wieder mit der Bismarckzeit verbun den.3 Für Popper und seine Schüler, wie Kiesewetter, sind Hegels „Machtstaats theorie“ und sein Lob des Krieges sogar die Brücke, die von der Zeit von „Blut und Eisen“ bis in das Dritte Reich führt (vgl. Popper 1957; Kiesewetter 1995). Aber Hegels politische Philosophie ist durch nur einen Strang ihrer Wir kungsgeschichte nicht zu fassen. Nicht nur Rechtshegelianer, auch Linkshege lianer wie Marx oder Liberale wie Rosenkranz haben sich im 19. Jahrhundert auf die Philosophie Hegels berufen. Eine Identifizierung Hegels mit seinen rechten Schülern erreicht gar nicht die Ebenen, auf denen die theoretisch bedeutsamen Unterschiede der Lehren Kants und Hegels zu finden sind. So macht es überhaupt keinen Sinn, Hegels Beharren auf der Vielfalt der Staaten mit irgendeiner Form von Nationalismus gleichsetzen zu wollen, so als ob man Kant, den Völkerfreund, und Hegel, den Nationalisten, einander gegen überstellen könnte. Hegels Rechtsphilosophie ist eine Lehre vom „modernen Staat“ überhaupt, nicht von einem einzelnen Staat im Besonderen. Der Begriff des Nationalismus ist Hegels Lehre fremd (vgl. Losurdo 1983). Er ist ihr so fremd, dass man Hegel vorwerfen kann, er habe den Nationalismus, die entscheidende politische Kraft des 19. Jahrhunderts, in seiner Bedeutung gar nicht erkannt (vgl. Avineri 1976, S. 283). Hegel spricht von einem „Patriotismus“, den er als ein „Zutrauen“ definiert und den er ausdrücklich abgrenzt von einem Heroismus „außerordentliche[r] Aufopferungen und Handlungen“ (§ 268 u. A). Gegenüber
3 So Dewey, Hobhouse, Vaughan, Sabine, Hook u. a. Ausschlaggebend war für manche die Er fahrung des Ersten Weltkrieges, die zur Rückprojektion des Beginns der „politischen Reaktion“ in Deutschland auf Hegels Philosophie führte. So etwa bei Hobhouse 1924. Über den vor dem Weltkrieg nicht unbedeutenden Hegelianismus in England vgl. Haldar 1927.
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der nationalen Begeisterung, wie sie in den Freiheitskriegen aufflammte und in den Burschenschaften lebendig war, war Hegel äußerst reserviert (Avineri 1996a, S. 109 ff.). Schon Zeitgenossen verstanden seine Kritik an den Burschenschaften und an deren Mentor Fries als eine „Unterdrückung übertriebener Deutschtüme rei“ (Karl Förster, Tagebuch 24.7.1820; Nicolin 1970, S. 214). Schon das Wort „Nation“ ist bei Hegel äußerst selten zu finden.4 Die Grundlinien enden mit Paragraphen über das „Germanische Reich“ (§§ 358 ff.). Aber auch dieser Schluss hat mit Germanismus, Rassismus oder Nationalismus rein gar nichts zu tun. Das „Germanische Reich“ ist ein Vielvölkerreich. Ja, wenn Hegel an das Ende der Grundlinien einen Abriss seiner Geschichtsphilosophie stellt, eine Rekapitulation der Lehre von den vier „welthistorischen Reichen“, dann könnte ebenso gut von den vier welthistorischen „Epochen“ die Rede sein. Die „welthistorischen Reiche“ (§ 354) – das orientalische, griechische, römische, germanische – werden von Hegel nicht deshalb erwähnt, weil sie Imperien und Machtgebilde gewesen sind. Vielmehr interessiert Hegels Geschichtsphilosophie an diesen „Reichen“, was Hegel an der Geschichte überhaupt interessiert: „der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit“. Von diesem ist in den letzten Paragra phen der Rechtsphilosophie die Rede, wie der Geist der Freiheit über orientali sche Despotie, griechische Sittlichkeit, römisches Recht in der „germanischen“, und das heißt, christlichen Welt, zum allgemeinen Geist der Welt geworden ist. Die Paragraphen, die Hegel mit „Das Germanische Reich“ überschrieben hat, handeln von der Menschwerdung Gottes (§ 358), vom Streit zwischen diesseiti gem und jenseitigem Reich (§ 359) sowie von der Einbildung der mit der Reforma tion erreichten inneren Freiheit in die objektive Wirklichkeit (§ 360). Das Ende der Grundlinien ist eine Weltgeschichte der Freiheit, keine Geschichte der Reiche als Gebilden imperialer Macht. Anstößig ist bis heute geblieben, was Hegel über den Krieg geschrieben hat (vgl. Avineri 1996b; Verene 1996; Walt 1996), und prima facie scheint hier ein deutlicher Gegensatz zwischen Kants Friedenslehre und Hegels Theorie des sitt lichen Krieges zu bestehen. Aber ist dem so? Man hat zur Verteidigung Hegels angeführt, dieser habe den „revolutionären Krieg“ vor Augen gehabt (D’Hondt 1975); auch habe er den Krieg nicht als Instrument der Machterweiterung der Staaten, sondern als „Geltendmachen der Relativität der menschlichen Existenz“ verstanden (vgl. Avineri 1976, S. 235). Das mag so sein. Entscheidender ist, dass
4 Wenn Hegel, wie in seiner Berliner Antrittsvorlesung vom 22. 8. 1818, „die deutsche Nation“ schon einmal erwähnt, dann bezeichnenderweise so, dass dies sofort mit dem Wunsch verbun den wird, „daß in dem Staate neben dem Regiment der wirklichen Welt auch das freye Reich des Gedankens selbstständig emporblühe“ (RzA, S. 12).
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Hegels Theorie des Krieges auf derselben theoretischen Grundlage basiert wie Kants Friedensideal. Es ist bei beiden die klassische Souveränitätsdoktrin, und Kant stellt diese genauso wenig in Frage wie Hegel selbst. Der Staatenbund Kants hebt die Souveränität der Staaten nicht auf. Ein Staatenbund – wie heute übri gens auch die UNO – hat die Souveränität der Staaten zu seiner Voraussetzung. Souveränität aber bedeutet: Gleichheit der Souveräne; Nicht-Einmischung; „par in parem non habet iurisdictionem“; „ius ad bellum“. Hegel kann aus diesem Grunde gegen Kants „ewigen Frieden“ mit gutem Recht einwenden, dieser setze die „Einstimmung der Staaten voraus, welche […] auf besonderen souverainen Willen beruhte, und dadurch mit Zufälligkeit behaftet bliebe“ (§ 333 A). Solange die Souveränität der Staaten nicht aufgegeben wird, ist Hegels Wort, es „giebt keinen Prätor […] zwischen Staaten“ (§ 333 A), nichts als eine Beschreibung dessen, was ist. Hegels Rechtsphilosophie tritt mit dem Anspruch auf, ein Begreifen der geschichtlich schon verwirklichten Vernunft zu sein. Vor allem die Vorrede mit ihrem Motto von der Identität von Vernunft und Wirklichkeit ist geprägt von der Abwehr des Postulierens und des „abstrakten Sollens“. Es ist eine Frage für sich, ob Hegels Werk diesem selbstgestellten Anspruch immer genügt,5 und kein Argu ment Hegels kann stark genug sein, das Nachdenken über einen Staatenbund oder eine andere Organisation der Staatenwelt, als sie existiert, zu verbieten. Nur ist es so, dass auch Hegels Position, auf dem Ist-Zustand beharren zu wollen, gute Argumente für sich hat. Die Alternative zum Pluralismus der Staaten wäre – wenn schon – nicht ein Staatenbund, sondern ein Weltstaat, ein Weltstaat mit monopolisierter Zwangs gewalt, Weltpolizei und einem Weltgerichtshof mit Sanktionsgewalt. Einen solchen Weltstaat, der die einzig wahre Aufhebung des Naturzustandes zwischen den Staaten wäre, wollen aber weder Hegel noch Kant denken.6 Auch ist frag würdig, ob ein solcher Superstaat mit seiner enormen Konzentration von Macht und Gewalt überhaupt zu wünschen wäre. Selbst von einem solchen Weltstaat – ganz zu schweigen vom Staatenbund – wäre zu sagen, dass er ein Garant eines
5 So geht Hegels Rechtsphilosophie des Öfteren über den Status quo der politischen Verhältnisse hinaus. Rosenkranz hat eine Liste jener Institutionen zusammengestellt, die Hegel fordert, die es im Preußen seiner Zeit aber noch gar nicht gibt. „Preußen war damals kein konstitutioneller Staat, er besaß keine Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Rechtspflege, keine Preßefreiheit, keine Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, keinen Anteil des Volkes an der Gesetzgebung und Steuerbewilligung – und alles das lehrte Hegel als philosophische Notwendigkeit.“ (Rosenkranz 1870, S. 152) 6 Nach Kant ist es so, dass die Völker einen Weltstaat „durchaus nicht wollen“, weswegen Kant sich mit dem „Surrogat“ der Föderation begnügt (vgl. Zum Ewigen Frieden; AA VIII, S. 357).
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„ewigen Friedens“ nicht sein könnte. Auch ein Weltstaat könnte im Weltbürger krieg zerfallen. Auch er wäre nur eine Annäherung an die Idee des „ewigen Frie dens“, nicht dessen Epiphanie in dieser Welt. Hegels Lehre vom Krieg verbleibt im Rahmen des klassischen Völkerrechts und seiner Theorie des gehegten Krieges. Ein Bellizist ist Hegel nicht. Er bestimmt den Krieg als etwas „vorübergehensollendes“, das an der „Möglichkeit“ künfti gen Friedens ausgerichtet sein soll (§ 338). Das für viele so skandalöse Lob der „Sittlichkeit“ des Krieges – es findet sich übrigens in genau demselben Ton bei Kant7 – hat bei Hegel keinen Ursprung in einem Bellizismus, sondern in einem antibourgeoisen Affekt. Es ist gesprochen gegen den bourgeois, seinen Priva tismus, seinen Egoismus und sein Streben nach Sekurität; es ist ein Argument dafür, dass der Staat mehr als die Summe der egoistischen und ökonomischen Interessen ist (vgl. § 324 A).8 Hegels Tonfall mag heute befremden. Aber der Streit zwischen Hegel und Kant ist auf der Ebene eines einfachen Gegensatzes – Lob des Krieges hier, Feier des Friedens dort – nicht zu fassen. Auch Hegels Ablehnung eines Staatenbundes und seine Nichterwähnung des Weltbürgerrechts sind keine einfache Antithese zum Universalismus der Aufklärung und der politischen Philosophie Kants. Auch Hegel ist auf seine Weise ein Universalist. Nur verortet er den Universalismus anders als Kant. Für Hegel ist der Universalismus der modernen Welt ein Kind der bürgerli chen Gesellschaft. Es ist die bürgerliche Gesellschaft, die ökonomisch zur Welt gesellschaft wird und die mit den Menschen- und Bürgerrechten auch der Ort des Universalismus des modernen Rechtes ist. Dieser Universalismus ist für Hegel jedoch nur in einem eingeschränkten Sinne politisch. Gegründet auf den Ego ismus und den Privatismus des bourgeois ist die bürgerliche Gesellschaft nur beschränkt politikfähig. Sie legt über die Vielheit der egoistischen Interessen den Mantel eines nur formell allgemeinen Rechts. Für Hegel bedarf diese Gesell schaft selbst der immanenten Versittlichung, durch Korporationen, Bildung u. ä. Und sie bedarf vor allem der eigentlich politischen konkreten Allgemeinheit des Staates, der die Gesellschaft erst trägt.
7 So heißt es von einem „langen Frieden“, er pflege „den bloßen Handelsgeist, mit ihm aber den Eigennutz, Feigheit und Weichlichkeit herrschend zu machen“ (Kritik der Urteilskraft, § 28; AA V, S. 263). 8 Trotz dieser Gemeinsamkeit der Lehre Hegels und der des Carl Schmitt, gegen den Liberalismus an den Ernst des Politischen und die Möglichkeit des Krieges zu erinnern, ist Hegels Lehre vielfach von Schmitts Freund-Feind-Kriterium des Politischen unterschieden (vgl. Ottmann 1995).
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Hegel ist nicht einfach ein Gegner des Kosmopolitismus. Er verortet ihn nur anders als Kant. Auch gerät der Kosmopolitismus bei Hegel – wiederum anders als bei Kant – in Gegensatz zu der konkreten Vielfalt der Volksgeister und Staaten. Zur Freiheit der modernen Welt gehört bei Hegel auch diese, als Deutscher, Ita liener etc. leben zu dürfen, so wie es ein modernes Recht ist, Katholik, Protestant, Jude zu sein. Diese Freiheit ist bei Hegel nicht rechtfertigungspflichtig vor dem Universalismus des modernen Rechts und der modernen Weltökonomie. Viel mehr sind diese selbst daran zu messen, wieviel Anerkennung konkreter Vielfalt der Lebensformen durch sie möglich ist. Hegels Wort über die Menschenrechte und den Kosmopolitismus, das nicht zufällig im Abschnitt „bürgerliche Gesell schaft“ fällt, ist von daher zu verstehen: „Der Mensch gilt so, weil er Mensch ist, nicht weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener u. s. f. ist, – dieß Bewußtseyn […] ist von unendlicher Wichtigkeit, – nur dann mangelhaft, wenn es etwa als Kosmopolitismus sich dazu fixirt, dem concreten Staatsleben gegen über zu stehen“ (§ 209 A).
15.2 Der Charakter der Hegelschen Geschichtsphilosophie Der Schluss der Hegelschen Rechtsphilosophie ist Geschichtsphilosophie. In dieser Geschichtsphilosophie selbst muss eine Antwort auf die Frage gesucht werden, ob Hegel Macht vor Recht setzt und ob er – historizistisch – das, was sich geschichtlich durchsetzt, als vernünftig gepriesen hat. Hegels Geschichtsphilosophie ist wie seine Politik von der Aufklärung nicht einfach zu trennen. Es ist aufklärerische Geschichtsphilosophie, wenn Hegel Geschichte als Fortschrittsgeschichte denkt. Es ist ein Erbe aufklärerischen Denkens, wenn die Geschichte als Universalgeschichte und als eine zielge richtete, auf die Entwicklung von Freiheit, Vernunft und Recht ausgerichtete Geschichte begriffen wird. Hegels Geschichtsphilosophie ist eine direkte Fort setzung der Kantischen (vgl. Horstmann 1982; Siep 1995). Die Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, die Hegel ab 1822/23 alle zwei Jahre vorge tragen hat, setzen fort, was Kant in der Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784) oder im Streit der Fakultäten (1798) entwickelt hat. Gewiss da ist der Unterschied in der Zielbestimmung selbst: Völkerbund versus Pluralismus der Staatenwelt. Aber universalhistorisch wird hier wie dort gedacht; ein Ziel wird hier wie dort genannt, und auch die systematische Grundstruktur wird in beiden Geschichtsphilosophien auf eine ähnliche Weise durch eine Dialektik des Fortschritts bestimmt. Der Fortschritt setzt sich bei
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Kant und bei Hegel mit Hilfe moralisch fragwürdiger Mittel „hinter dem Rücken der Subjekte“ durch. Die Geschichtsphilosophie der Aufklärung wurde in ihrem Fortschrittsop timismus schon in der Mitte des 18. Jahrhunderts verstört. Der Streit um das Erdbeben von Lissabon, wie er von Voltaire (gegen die Theodizee des Leibniz) und von Rousseau (zur Verteidigung der Vorsehung) geführt worden war, war eine Erschütterung des aufklärerischen Optimismus gewesen.9 Die hochgradige Ambivalenz der Französischen Revolution, ein „Geschichtszeichen“ größter Hoff nungen, zugleich aber auch eine Ahnung unerwarteter Schrecken zu sein, kam zu Zeiten Kants und Hegels hinzu.10 Es ist die systematische Schwierigkeit aufklä rerischen Geschichtsdenkens, den Fortschritt verteidigen zu müssen – der Opfer und Katastrophen der Geschichte zum Trotz. Diese Schwierigkeit führt bei Kant wie bei Hegel zu einer Dialektisierung des Fortschritts selbst. Was diesen prima facie zu behindern scheint, wird von Kant und von Hegel zum Mittel des Fort schritts selbst umgedacht. Bei Kant und bei Hegel, die gute Kenner des Adam Smith gewesen sind, wird die „invisible hand“ der Ökonomie zum Modell geschichtsphilosophischen Denkens gemacht. Wie wundersamerweise aus der Freilassung egoistischer Inte ressen allgemeine Wohlfahrt entsteht, obwohl sie von den Subjekten gar nicht direkt intendiert wird, so wird bei Kant und bei Hegel die Geschichte von einer „unsichtbaren Hand“ zu einem guten Ziel geführt. Bei Kant ist es eine List der Natur, welche die Entwicklung aller Naturanlagen der Menschheit vorantreibt. Es ist eine „Absicht“ der Natur, welche durch den „Antagonismus“ der mensch lichen Natur, ihre „ungesellige Geselligkeit“ den Fortschritt bewirkt. Dabei sind es moralisch fragwürdige Mittel wie „Ehrsucht, Herrschsucht oder Habsucht“, Not und Kriege, die der Fortschritt als Mittel seines Fortschreitens benutzt.11 Bei Hegel wiederum ist es die „List der Vernunft“, welche sich der „welthistorischen Individuen“ (wie Caesar oder Alexander) und der „Volksgeister“ bedient, um durch deren Interessen und Leidenschaften hindurch den Fortschritt zu vollzie
9 Zur Bedeutung dieser Kontroverse für Kants Entwicklung von der Leibnizschen Metaphysik und Theodizeelehre zu seiner späteren Geschichtsphilosophie vgl. Cassirer 1945, S. 35 ff. 10 Bei Kant dokumentiert sich die Ambivalenz der Revolutionserfahrung in ihrer Erhebung zum „Geschichtszeichen“, das den Fortschritt zu verbürgen hat, auf der einen, der Ablehnung eines Widerstandsrechts auf der anderen Seite (vgl. Der Streit der Fakultäten; AA VII, S. 84). Bei Hegel geht die Anerkennung der Revolution mit der Verwerfung des Terrors und der „absoluten Freyheit“ Hand in Hand (vgl. PG S. 316 ff.) 11 Vgl. Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (AA VIII, S. 20 ff.). Über die Rolle der Kriege als Mittel des Fortschritts vgl. Zum Ewigen Frieden (AA VIII, S. 363).
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hen.12 Individuen und Völker wissen bei Hegel nicht, was sie tun. Sie kennen das Ziel der Geschichte und des jeweiligen Fortschritts nicht. Vielmehr werden sie durch ihre partikularen Interessen zu dem geführt, was Absicht der „Vernunft“ oder Plan des „Weltgeistes“ ist. Ein Fortschritt, der solchermaßen „auf krummen Zeilen gerade schreibt“, gerät in ein moralisches Zwielicht. Rechtfertigt er nicht die schlechten Mittel durch den guten Zweck? Und kann ein Zweck noch gut genannt werden, der solche Mittel zu seiner Verwirklichung nötig hat? Geschichtsphilosophie, die eine Fortschrittsgeschichte denken soll, gerät in Beweisnot angesichts der Katastrophen der Geschichte. Wenn gleichwohl Fortschritt und Teleologie nicht aufgegeben werden sollen, dann können diese begründet werden durch das, was man – sit venia verbo – den „geschichtsphilo sophischen Syllogismus“ nennen kann. Dieser „Syllogismus“ folgt dem Schema, dass (erste Prämisse) die Subjekte den Fortschritt von Vernunft und Freiheit nicht direkt intendieren (sie machen Geschichte nicht, wie es bei Kant heißt, „wie ver nünftige Weltbürger nach einem verabredeten Plane“; Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, AA VIII, S. 17); dass (zweite Prämisse) jedoch „ein regelmäßiger Gang“ der Geschichte zu erkennen ist. Wenn dieser Gang der Geschichte durch die Subjekte nicht erklärt werden kann, muss er, so die Schlussfolgerung, von woanders her erklärt werden, und so erklärt Kant durch die „Absicht der Natur“, Hegel durch die Absicht des „Geistes“ und die „List der Vernunft“. Geschichte so zu denken, bedeutet eine Anerkennung der Geschichte, die immer auch ein Geschehen ist. Geschichte wird auf diese Weise doppeldeutig erklärt, zum einen durch das, was die Subjekte tun, zum anderen durch das, was in der Geschichte geschieht. Geschichte ist Machen und Geschehen zugleich. Und wenn die Vernunft nicht in den Absichten der Subjekte liegt, dann kann sie – so es Vernunft in der Geschichte gibt – nur im Geschehen selbst verborgen sein. Es ist nicht nur dieser „geschichtsphilosophische Syllogismus“, welcher den Philosophen den Fortschritt in der Geschichte zu verbürgen hat. Bei Kant sind Fortschritt und Zielrichtung der Geschichte ein Postulat, sei es der Rechts
12 Die berühmte Stelle in den Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte: „Man kann es die List der Vernunft nennen, daß sie die Leidenschaften für sich wirken läßt, wobei das, was durch sie sich in Existenz setzt, einbüßt und Schaden leidet. […] Die Idee bezahlt den Tribut des Daseins und der Vergänglichkeit nicht aus sich, sondern durch die Leidenschaften der Individuen“ (VPWG-Hof S. 105). In den Grundlinien sind die §§ 344, 345 und 348 Erläuterungen des Theorems.
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vernunft, sei es der Moralität.13 Bei Hegel ist die Geschichte – theoretischer und metaphysischer – eine „Theodizee“, eine Rechtfertigung Gottes und der Vorse hung, die nach Hegel nirgends eine „größere Aufforderung“ für die Erkenntnis besitzen „als in der Weltgeschichte“ (VPWG-Hof S. 48). Es gilt, die Geschichte als vernünftig zu begreifen, obwohl sie eine „Schlachtbank“ ist, „auf welcher das Glück der Völker, die Weisheit der Staaten und die Tugend der Individuen zum Opfer gebracht worden [sind]“ (ebd. S. 80). Man kann diesen Modellen geschichtsphilosophischen Denkens zwei andere gegenüberstellen: eine Geschichte, die die Subjekte machen (aber wo bliebe dann das Geschehen?), oder aber eine Geschichte, die keine Ordnung und keinen Sinn mehr erkennen lässt (wie wäre dann eine Auszeichnung des Rechts und der modernen Freiheit noch möglich?). Es mag heute schwierig geworden sein, der Geschichte als ganzer noch einen Sinn und einen Zweck zuzuschrei ben (was Teleologie in Einzelbereichen wiederum nicht ausschließen muss). Aber muss man eine teleologische Geschichtsphilosophie des Fortschritts wie die Hegels eine Vergöttlichung der Geschichte nennen? Darf man sie wie Cas sirer unter das Motto stellen: „Deus sive historia“? (Cassirer 1946, S. 430 ff.) Ist die „List der Vernunft“, wie es Meinecke, Litt und andere behaupten, eine „Marionettentheorie“, welche die Subjekte der Geschichte ihres „Eigenrechts“ beraubt und sie zu „bewußtlosen Werkzeugen und Funktionären“ des Weltgeis tes degradiert? (Meinecke 1915, S. 279; Litt 1961, S. 146. Ähnlich Beerling 1957, S. 169) Ist diese Geschichtsphilosophie historizistisch, wie es von zahlreichen Kritikern behauptet worden ist?14 Sowohl am Ende der Grundlinien wie in den Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte hat Hegel in Worten gesprochen, die wie eine direkte Bestä tigung seiner Kritiker klingen. So werden die Völker und die Individuen die „bewußtlose[n] Werkzeuge und Glieder“ des Geistes genannt (R § 344). Die Absicht des „Weltgeistes“ ist ihnen „verborgen“. Sein Recht ist das „Höchste“ (§ 33). Der Fortschritt kann – so scheint es – nur ein Fortschritt auf Kosten der Opfer der Geschichte sein. Dem „welthistorischen“ Volk, welches – je nach Epoche – die Absicht des Weltgeistes „vollstreckt“, stehen die „Geister der andern Völker recht
13 Von einem „Postulat der Rechtsvernunft“ spricht Kersting 1993, S. 87. Die Geschichte würde damit ein Gegenstück zur Postulatenlehre der Kritik der praktischen Vernunft, zum Postulat „rechtsspezifischer Übereinstimmung von Vernunftbestimmtheit und Naturbestimmtheit hin sichtlich des Bereichs der äußeren Freiheit“ (ebd.). In der Kritik der Urteilskraft scheint die Ge schichte eher ein Postulat der Moralität zu sein, die den bedingten Zwecken der Natur erst ihren Endzweck bieten kann (vgl. Kritik der Urteilskraft, § 84 AA V, S. 435–436). 14 Poppers berühmte Historizismuskritik hat eine lange Tradition. Sie gehört zum Grundbe standteil liberaler Hegelkritik bei Vaughan, Sabine, Hook, Carritt und vielen anderen.
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los [gegenüber], und sie, wie die, deren Epoche vorbey ist, zählen nicht mehr in der Weltgeschichte“ (§ 347 u. A). Der bloße Wortsinn scheint zu bestätigen, dass Hegels Geschichtsphiloso phie eine Marionettentheorie und ein Historizismus ist. Allerdings heißt es am Ende der Grundlinien auch: „Die Weltgeschichte ist ferner nicht das bloße Gericht seiner [des Weltgeistes, H. O.] Macht […], sondern weil er an und für sich Vernunft […] ist, ist sie die aus dem Begriffe nur seiner Freyheit nothwendige Entwicke lung der Momente der Vernunft“ (§ 342). Wenn der Geist in seiner Entwicklung zu dem führt, was das vernünftige Interesse der Individuen und Völker ist, dann ist dieser Geist den Individuen und den Völkern nicht fremd. Vielmehr führt er zu Ordnungen, in denen Völker und Individuen ihre eigene Vernunft und ihr eigenes Wesen wiedererkennen können (so das Argument bei Giese 1926). Das Weltgericht der Weltgeschichte wäre dann nicht zu verurteilen, weil es „vernünf tige“ Urteile fällt. Man wird zugestehen müssen, eine teleologische Geschichtsphilosophie hat ihren Preis. Jede Teleologie setzt das Frühere zur bloßen Vorstufe des Späteren herab. Die Vorstufen wiederum werden durch das Ende mediatisiert. Die Frage ist allerdings, was und wieviel vom „Eigenrecht“ der Epochen, der Völker und Individuen der Mediatisierung geopfert wird und was und wieviel von ihr aus genommen bleibt. Bei Hegel ist es – explizit – die Subjektivität, welche in die Vermittlungen der Entwicklung nicht eingeht. Die Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte nehmen „Moralität, Sittlichkeit, Religiosität“ ausdrück lich vom Status des „Mittels“ des Fortschritts aus (VPWG-Hof S. 106; vgl. Heim soeth 1961, S. 40 f.; Trott zu Solz 1967, S. 104). So wie bei Kant die Zwecke der Natur bedingte Zwecke sind, die ihr Ziel erst im Endzweck der Freiheit haben, so können die moralischen, sittlichen, religiösen Subjekte bei Hegel niemals Mittel, sondern immer nur „Selbstzweck“ sein (vgl. VPWG-Hof S. 106 ff., 110). Dass sie das Ziel der Geschichte nicht kennen, bedeutet in diesem Zusammenhang keine Entmündigung. Vielmehr wird dadurch verhindert, dass sich „Geschichtsplan verwalter“ mit dem „Monopolanspruch“ universalhistorischer Legitimität zu Vollstreckern des Geschichtsziels ernennen, Geschichtsphilosophie anfällig für totalitäre Geschichtsvollstreckung wird (Lübbe 1970, S. 120 ff.). Die Grundprobleme der Hegelschen Geschichtsphilosophie münden in die großen Systemfragen. Hat Hegel „absoluten Geist“ und „objektiven Geist“ aus reichend getrennt? Oder hat er sie in Geschichtsphilosophie und Staatslehre zu einer Vergottung von Staat und Geschichte miteinander vermengt? Säkularisiert Hegel die Weltgeschichte zum Weltgericht auf Erden? Oder ist seine Philosophie eine traditionelle Ursprungsphilosophie eines sich von sich entäußernden und zu sich zurückkehrenden Geistes, der zwar in der Welt ist, der aber gleichwohl nicht verweltlicht wird?
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Das sind große Fragen, deren Deutung seit der Spaltung der Hegelschule in eine linke und eine rechte strittig ist. „Die Weltgeschichte ist das Weltgericht“ – diese Zeile, die Hegel aus Schillers Gedicht Resignation zitiert, klingt wie die ent setzliche Fanfare zu den Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Sie klingt wie eine Säkularisierung christlicher Eschatologie, wie eine Verlagerung des Jüngsten Gerichts in das Geschehen dieser Welt. Schon bei Schiller ist zweifelsohne eine Säkularisierungstendenz am Werk.15 Sie führt zur Unterwerfung des Menschen unter das Diktat der Zeit. „Was man von der Minute aus geschlagen“, heißt es bei Schiller, „gibt keine Ewigkeit zurück“. Wenn die Weltgeschichte zur alleini gen Instanz des Rechts wird, dann kann es eine Kompensation für die Opfer der Geschichte nicht geben. Das Verlorene und Vergessene bliebe dann verloren und vergessen. Der Mensch verfiele dem Gericht der Zeit, die jeden Augenblick durch den folgenden richtet und ihn dazu verurteilt, gewesen zu sein. Hegels Philosophie ist objektiv ambivalent (vgl. Löwith 1964, S. 193 ff.). Die Spaltung der Schule in eine linke und rechte ist bei Hegel selbst angelegt. Man kann seine Philosophie deuten als eine das Christentum noch einmal bewahrende Ursprungsphilosophie oder als die bisher unerhörteste Verweltlichung, welche die Weltgeschichte zum Jüngsten Gerichte werden lässt. Ein Pantheist der Geschichte war Hegel allerdings nicht. Er war, wenn schon, Panentheist (vgl. Lobkowicz/Ottmann 1981, S. 106 ff.). Die Vorwürfe der Staats- und Geschichts vergottung werden meist auf einer Ebene vorgebracht, auf der sie gar nicht dis kutierbar sind.16 Joachim Ritter hat gezeigt, wie Hegel das „Göttliche“ der antiken Tradition gegen den „Atheismus der sittlichen Welt“ (vgl. R S. 14 f.) zu behaupten
15 Schillers Gedicht Resignation fragt nach der richtigen Wahl des Lebens. Ein Mensch klagt über die entschwundene Jugend und das entschwundene Glück. Er hatte Glaube und Hoffnung dem Genuss des Lebens geopfert. Auf ein Gericht im Jenseits, das für den entgangenen Genuss des Lebens entschädigt, ist nach der Lehre des Gedichtes nicht zu hoffen. Das Leben steht vor der Wahl, entweder ein Leben des Glaubens oder des Genusses zu sein. „Wer dieser Blumen eine brach, begehre die andere Schwester nicht. Genieße, wer nicht glauben kann, die Lehre ist ewig wie die Welt. Wer glauben kann, entbehre! Die Weltgeschichte ist das Weltgericht.“ Dass Schillers Gedicht „christliche Vorstellungen“ säkularisiert, dazu vgl. Demandt 1978, S. 395. 16 So ist auf der Ebene der Zitate niemals auszumachen, ob Hegel den Staat und die Geschichte vergottet hat. Neben dem Systemproblem selbst sind weitere Grundfragen wie die nach dem „Ende der Geschichte“ oder nach der von den Linkshegelianern stets bemängelten „Vertheoretisierung“ der Praxis mit dem Problem der Staats- und Geschichtsvergottung verbunden. F. Grégoire hatte übrigens gezeigt, dass Hegel nicht nur den Staat, sondern auch die Familie, die Verfassung, die menschliche Natur und die Vernunft „göttlich“ nennt (Grégoire 1958, S. 221 ff.).
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versuchte, die Präsenz des Ewigen in der Zeit ausspielend gegen die romantische Klage über den Verlust des Göttlichen wie gegen die revolutionäre Entgöttlichung der modernen Welt (vgl. Ritter 2003). Der „absolute Geist“, Kunst, Religion, Phi losophie, sind bei Hegel in der Geschichte. Sie können dort aber auch begriffen werden als Präsenz des Ewigen in der Zeit. Erst der „absolute Geist“ jedenfalls wäre die Erinnerung, die nichts verliert, und erst der „absolute Geist“, nicht schon die Weltgeschichte, könnte eine Sühnung der Opfer der Geschichte sein.17
15.3 Die „Weltgeschichte“ in der Architektonik der Hegelschen Rechtsphilosophie Wie auch immer die großen Systemfragen der Hegelschen Philosophie zu deuten sind, rätselhaft ist bis heute, was der Schluss der Grundlinien für die Architekto nik des Werkes zu bedeuten hat. Die Struktur der Grundlinien ist zunächst eindeutig. „Abstractes Recht“ – „Moralität“ – „Sittlichkeit“ – hier findet ein Aufstieg von niederen zu höheren Gestalten des Geistes statt. „Abstractes Recht“ und „Moralität“ sind eine Kritik des neuzeitlichen Naturrechts, seines Individualismus und seiner Vertragsthe orie, sie sind eine Kritik der Kantischen Trennung von Legalität und Moralität. Beide Sphären werden aufgehoben in der „Sittlichkeit“, welche Innerlichkeit und Institutionen, Innen- und Außenwelt miteinander versöhnt. In der Sphäre der „Sittlichkeit“ führt die Bewegung des Begriffs von der „Familie“ über die „bürgerliche Gesellschaft“ zum „Staat“ – von einer konkret sittlichen Institution (Familie) über eine nur formell-rechtliche und abstrakte Sphäre (bürgerliche Gesellschaft) zu einer konkret sittlichen (Staat) zurück. Aber während Hegel den Einbruch in die Sittlichkeit, den die bürgerliche Gesellschaft bedeutet, durch eine Theorie der relativen immanenten Versittlichung dieser Gesellschaft (etwa durch die Korporationen) sowie durch ihre Fundierung in der Sittlichkeit des Staates auffängt, vollzieht sich nach dem Erreichen des Niveaus des sittlichen Staates ein seltsamer Abstieg. Das Völkerrecht ist nur noch eine Sphäre des „Sollens“ (§ 330); Traktate „sollen“ gehalten werden; andere Staaten „sollen“ anerkannt werden. Ja, das Völkerrecht ähnelt sogar der Ebene des „abs tracten Rechts“, mit welcher die Rechtsphilosophie begann. Die „Weltgeschichte“
17 Vgl. Benjamin, der in seinem Aufsatz Über den Begriff der Geschichte die Wiedergutmachung der geschichtlichen Katastrophen an den Jüngsten Tag verweist, der alle Tage wieder präsent werden lässt (Benjamin 1980, S. 694).
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schließlich führt auf das Niveau der Sittlichkeit nicht zurück. Sie endet mit einer Disharmonie von Natur und Freiheit, die auf universalhistorischer Ebene nicht mehr versöhnt werden kann. Der Aufstieg zur „Sittlichkeit“ wird im „äußeren Staatsrecht“ und in der „Weltgeschichte“ zum Abstieg – und das ist zumindest ein architektonisches und kompositorisches Problem der Hegelschen Rechtsphilosophie. Ein geradliniger Weg vom Abstrakten zum Konkreten, vom Niederen zum Höheren ist sie nicht. Das Auf und Ab in der Entwicklung ist in der Gesamtanlage des Werks auch an den unterschiedlichen Bedeutungen des Naturbegriffs zu sehen. Die Natur, die in Hegels „Naturrecht“ progressiv versittlicht wird, tritt am Ende – soll man sagen: „entsittlicht“? – wieder als Natur hervor. „Das abstracte Recht“ versachlicht die äußere Natur zu „Eigentum“ und „Vertrag“. Die „Moralität“ diszipliniert die innere Natur der Triebe und Leidenschaften durch das „Gewissen“. In den sittli chen Lebensformen sind Natur und Freiheit innerlich und äußerlich miteinander vereint. Bis auf den „Rest des Naturzustandes“ (§ 200 A), der aus der bürgerli chen Gesellschaft nicht zu tilgen ist, sind die Lebensordnungen in „Liebe“ und „Patriotismus“ samt den entsprechenden Institutionen vergeistigt. Am Ende aber steht wieder, nicht nur ein „Rest des Naturzustandes“, sondern der Naturzustand selbst. Er bleibt zwischen den Staaten bestehen, die nur formell rechtlich oder durch das „Sollen“ miteinander verbunden sind. Versuche, die Rechtsphilosophie durch die in ihr vorausgesetzte Logik zu entschlüsseln, haben bis heute keine befriedigende Lösung gefunden.18 Aber vielleicht darf das architektonisch eigenartige Ende der Grundlinien ganz anders verstanden werden, als es in den traditionellen Vorwürfen der Geschichtsvergot tung zum Ausdruck kommt. Vielleicht ist dieses Ende der Hegelschen Rechtsphi losophie weit weniger ein Zeichen der vielbeklagten Hybris der Hegelschen Phi losophie als ein Ausdruck philosophischer Bescheidenheit. Statt die Geschichte zu vergotten, hätte Hegel sie als eine Welt unvollkommener Versöhnung gedacht, die Weltgeschichte als eine „histoire mondaine“ (Weil), eine Geschichte dieser Welt, die eine Versöhnung von Natur und Freiheit letztlich doch nicht herbeifüh ren kann. Wie Hegel die bürgerliche Gesellschaft – trotz ihres Einbruchs in die sittliche Welt – als Preis der modernen Freiheit auszuhalten empfiehlt, so könnte er die von
18 Man kann versuchen, Hegels Rechtsphilosophie als begriffslogische Abwandlung der drei Teile der Hegelschen Logik zu lesen: „Abstractes Recht“ (Seinslogik), „Moralität“ (Wesenslogik), „Sittlichkeit“ (subjektive Logik). Das Auf und Ab der Rechtsphilosophie erscheint dann als ein Oszillieren zwischen subjektiver und objektiver Logik, das wiederum keine eindeutige Entwick lung ergibt. Vgl. Dove 1979, S. 89–108; Vos 1981, S. 99–123; Ottmann 1982, S. 382–392.
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ihm nicht mehr geforderte Versittlichung der Staatenwelt und der Weltgeschichte als jenen Preis betrachtet haben, welcher für die Vielfalt sittlicher Lebensformen der Völker zu zahlen ist. Zur Freiheit der modernen Welt gehört demnach auch die Selbstbestimmung der Völker, ihre politische Freiheit und Selbständigkeit, ihr Recht, nach ihrer je eigenen Sittlichkeit leben zu dürfen. Die Anerkennung dieser Vielfalt will Hegel nicht garantieren durch Völkerbund oder Weltstaat. Sie bleibt die Crux einer Geschichte, die auch als Fortschrittsgeschichte eine universale Versöhnung von Natur und Freiheit nicht garantieren kann. Geschichte beginnt bei Hegel im Naturzustand als ein „Kampf um Anerkennung“19, und offenbar bleibt sie für ihn ein „Kampf um Anerkennung“, solange die Möglichkeit besteht, dass Völkern und Staaten ihre Anerkennung versagt bleiben wird. Das mag nach weniger Recht klingen als die Verheißungen des politischen Universalismus. Aber vielleicht ist es auch nur mehr Respekt vor der Vielfalt der Völker und ihren Lebensformen, die es in Zeiten des Universalismus der bürgerlichen Gesellschaft zu bewahren und zu behaupten gilt.
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19 Die Herr-Knecht-Dialektik der Phänomenologie des Geistes, die Hegel in den Enzyklopädien wieder aufgegriffen hat, kann als Hegels Version des Naturzustandstheorems begriffen werden. Der „Kampf um Anerkennung“ ist dementsprechend „der erscheinende Anfang der Staaten, nicht ihr substantielles Prinzip“ (E § 433). Hegel hebt stets mit Hobbes hervor, dass aus diesem Naturzustand „herauszugehen“ sei; jedoch kehrt der Naturzustand wieder auf der Ebene der Staatenwelt, wo sich für Hegel „der Kampf um Anerkennung“ perpetuiert. Vgl. Siep 1974, S. 155– 209.
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Personenregister Alexander 288 Altenstein, K. Frh. v. 2 Annerl, Ch. 181 Apelt, W. 283 Ariès, Ph. 170 Aristoteles XIII, 16, 19, 30, 37, 152, 155, 162f., 170, 235, 266 Avineri, Sh. XIII, 7, 189, 212, 216, 222, 267, 273, 283f. Bartuschat, W. 114 Beccaria, C. 101 Beerling, R. F. 290 Benjamin, W. 293 Bentham, J. 97 Berlin, I. 189 Binder, J. XIII Blasche, S. 170f., 174, 274 Böckenförde, E.-W. 5 Bockenheimer, E. 170, 179ff. Bourgeois, B. 172, 219 Brauer, S. 172, 177, 179f., 183 Buchwalter, A. 209, 222 Caesar 288 Cassirer, E. 288, 290 Cesa, C. 112 Chamley, P. 209f., 216 Chiereghin, F. 112 Cicero 266 Croce, B. XIV D’Hondt, J. 284 Davis, J. B. 212 DeVries, W. 32 De Vos, L. 185 De Wette, W. M. L. 2, 3, 256f. Despotopoulus, C. 70 Derbolav, J. 112 Di Tommaso, G. V. 112 Dickey, L. 211 Dooren, W. van 7 Durkheim, É. 221 Düsing, K. 43, 113
DOI:10.1515/9783110496529-020
Eichengrün, F. 3, 5, 7 Fatton Jr., R. 216 Ferrarin, A. 214 Feuerbach, P. J. A. 90, 97f., 100 Fichte, J. G. 2, 3, 6f., 7, 9, 11, 14, 33, 36, 38, 43, 52f., 93, 95, 97, 107, 112, 114, 145, 151, 185, 191, 232f., 261, 263, 266, 277 Flechtheim, O. K. 92, 100 Förster, K. 284 Fries, J. F. 2, 3, 5, 7, 15, 20, 145, 159, 256, 84 Fulda, H. F. 17, 159 Gallie, W. B. 76 Gans, E. XIV, 153 Gentile, B. XIV Gerhardt, V. 115 Giusti, M. 112 Goethe, J. W. v. 127 Goos, O. 221 Görres, J. 20 Grawert, R. 5, 10 Grégoire, F. 292 Grotius, H. 96 Grotsch, K. XVI, 163 Haering, Th. L. XIII Haller, C. L. v. 3f., 20, 204f., 233 Hardenberg, K. A. Fürst v. 2, 10 Hardtwig, W. 7 Haym, R. XIII, 153, 189, 203, 214, 261, 274 Heidegger, M. 23 Heimsoeth, H. 291 Heine, H. 16 Heller, H. XIII, 283 Henderson, J. P. 212 Henrich, D. 2, 8, 16, 27, 215 Heraklit 277 Herder, J. G. 264 Herodot 163 Herzog, L. XV, 15, 78, 209f., 217, 222 Hobbes, Th. XIII, 159, 191, 214, 272, 278, 295 Hobhouse, L. T. 283 Hoffmeister, J. 2, 283
316
Personenregister
Holzhauer, H. 97f. Honneth, A. 76, 173, 262 Horstmann, R.-P. 1, 8, 81, 113, 159, 190, 192, 211, 287 Hölderlin, F. 191 Hösle, V. 86, 266f., 270, 277f. Hugo, G. 2f., 5, 7, 11, 18, 20 Hume, D. 30, 37 Husserl, E. 64 Ilting, K.-H. XIIIf., 1, 97f., 155, 163, 190f., 268 Inwood, M. 112 Irwin, T. 29 Jacobi, F. H. 7, 112, 163 Jaeschke, W. XV, 2, 4, 7, 10f., 243, 249, 258 Jäger, Ch. 52 Jakobs, G. 90, 92f., 95f., 100, 107 Janssen, W. 277 Jermann, Ch. 176, 178f., 185f. Kant, I. 2ff., 6ff., 11ff., 17ff., 22, 28, 30f., 34, 43, 52, 59, 61, 89f., 98, 100, 107, 112ff., 118, 124, 131f., 140–146, 149, 151, 156, 160, 164f., 176, 180, 182, 191, 198, 233f., 242, 263f., 276f., 281–289, 291, 293 Kaufmann, W. XIII Kaulbach, F. 115 Kelsen, H. 97 Kierkegaard, S. 23 Kiesewetter, H. 283 Klein, E. F. 96 Klesczewski, D. 89f., 100 Klug, U. 107 Klüber, J. L. 255 Knemeyer, F.-L. 269 Koselleck, R. 5, 10 Kotzebue, A. v. 3, 256 Landau, P. 182 Larenz, K. XIII Lasson, A. 270, 283 Lebrun, Fr. 170 Lee, D. 217 Leibniz, G. W. 30, 288 Litt, Th. 290 Lobkowicz, N. 292
Locke, J. 52, 61f., 65, 77 Löwith, K. 292 Losurdo, D. 283 Lübbe, H. 291 Lübbe-Wolff, G. 10, 14 Lucas, H. Ch. 1f., 10, 16, 161 Lukacs, G. 189, 209 Luther, M. 214, 258f. Maker, W. 209 Malthus, T. R. 210 Marini, G. 5 Marx, K. XIII, 202, 236, 275, 283 Meinecke, F. 290 Menegoni, F. 112, 127 Mills, P.J. 181 Mohl 14 Mohseni, A. XV, 55, 58, 62, 76 Montesquieu, Ch. 159, 236, 242, 266, 270 Muller J. 220 Müller, F. 218 Nagel, Th. 52 Natorp, P. 282f. Naucke, W. 97f. Nicolin, F. 163 Neocleous, M. 216 Neschen, A. 209, 211, 213 Neuhouser, F. 211, 213 Nicolin, G. 16, 163, 284 Nietzsche, F. 23, 107 Nipperdey, Th. 3, 7 Novalis 7, 112, 264 Nuzzo, A. 12 Ottmann, H. XIII, 3, 7f., 27, 190, 286, 292, 294 Patten, A. 71, 211, 218 Peperzak, A. Th. XV, 3, 4, 37, 120, 149, 153, 157, 159, 162, 172f., 175, 177 Petry, M. J. 215 Pippin, R. 23, 24, 27, 32, 38, 140 Planty-Bonjour, G. 112 Platon XIII, 9. 16f., 97, 149, 158, 162f., 176, 183, 195, 211, 235 Pöggeler, O. 2, 7, 163
Personenregister Polybios 266 Popper, K. XIII, 214, 261, 273, 283, 290 Priddat, B. 209f., 216, 218, 221 Primoratz, I. 100 Protagoras 97 Quante, M. 35, 45, 48, 51ff., 55, 59, 63, 74, 83, 105f, 112, 126 Rameil, U. 1, 161 Ricardo, D. 200, 209f. Riedel, M. 1, 5, 16, 112, 153, 189, 209 Ritter, J. XII, XV, 2f., 78, 189, 212, 274, 292f. Robespierre, M. de 159 Rohs, P. 52 Rorty, R. 20 Rosenkranz, K. XIII, 153, 195, 200, 283, 285 Rosenzweig, F. 17, 204 Rotteck 14 Rózsa, E. 209, 213 Rößler, C. 283 Rousseau, J.-J. 11, 17ff., 26, 159, 212, 232f., 288 Ruda, F. 216 Saint Just, L. A. de 159 Sand, K. L. 3, 256f. Savigny, F. v. 2f., 5, 7, 10ff., 274 Say, J. B. 200, 209f., 215 Sayama, K. 211 Schacht, R. 30 Schelling, F. W. J. 6, 11, 13, 133 Schild, W. 107, 122 Schiller, J. Ch. F. 161, 281, 291 Schlegel, Fr. 7, 177 Schleiermacher, F. E. D. 2f., 7, 20 Schmidt am Busch H.-C. 68, 209, 216ff. Schmoller, G. F. von 221 Schnädelbach, H. 219, 278 Schneider, W. 112 Scholtz, G. 20 Seelmann, K. 94, 101, 107 Seneca 93, 97 Siebert, R. 173
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Siep, L. 1, 7, 10, 13, 15, 19, 20, 45, 52f., 57, 64, 74f., 77, 93f., 112, 125, 137, 179f., 190, 215, 219, 249, 259, 264, 287, 295 Smith, A. 200, 209f., 212f., 219f., 288 Sokrates 163f., 226 Spaventa, B. XIV Spinoza, B. de 30, 37f., 155 Stafford, A. M. 181 Stahl, F. J. 260 Stern, J. 10f., 13 Steuart, J. 200, 216 Stewart, J. 1 Stillman, P. G. 211, 213 Stirn, A. 73, 259 Strauss, L. 2 Taylor, Ch. 189, 273 Theunissen, M. 174 Thibaut, A. F. Z. 10 Tomba, M. 176, 178, 182 Topitsch, E. 261 Trott zu Solz, A. von 291 Verene, D. P. 284 Vieweg, K. 8, 211, 215, 218f. Vollrath, E. 270 Voltaire, F. M. A. 288 Vorländer, K. 282f. Walt, St. 284 Waldron, J. 71, 76f. Waszek, N. 209f., 213, 215f. Weber, M. 170, 182 Weil, E. XIII, 274, 294 Weisser-Lohmann, E. XVI, 1 Welcker 14 Westphal, M. 172, 182 Wieacker, F. 3, 5, 11, 13 Wiehl, R. 112 Wildt, A. 93 Wittgenstein, L. 23 Wolff, M. 30 Wood, A. 26f., 35, 127, 137, 142ff., 190, 221
Sachregister Absicht 36, 39f., 55, 67f., 70, 72, 86, 97f., 100, 113ff., 118f., 121, 123f., 132, 142, 229, 288ff. Affekt 162, 173f., 177, 179, 186 Anerkennung 14f., 17, 61, 74, 76, 78ff., 86, 93f., 103, 137, 179, 183, 189, 217, 220ff., 230, 252, 287, 295 Antike 96, 122, 131ff., 190f., 196f., 209, 211, 214, 226, 229f., 235f., 238, 242, 261, 264, 266, 275, 292 Arbeit 62, 65, 68, 77f., 80f., 111, 167, 170, 180, 192–196, 199ff., 209f., 211, 213, 214ff., 222 Arbeitsteilung 11, 79f., 210f., 222, 270, 275 Atomismus 239, 272 Aufklärung 4, 7f., 13, 15, 131, 253, 274, 286ff. Autonomie 113, 116, 131, 144, 146, 155f., 169, 190, 261 Bedürfnis XIII, 39, 61f., 65–75, 81, 88, 116, 125f., 165, 167, 170f., 173f., 191–197, 199ff., 209, 211ff., 220f., 244, 275 Besitz 65–72, 79, 94, 121, 183, 194ff. Betrug 83–87 Bildung 2, 37, 161, 185, 194, 213, 243, 249f., 271, 273, 286 Böse, das 115, 117, 153, 156, 160 Bürger (s. a. Gesellschaft) 2, 18f., 26, 37, 80f., 99, 158, 163, 167, 185, 196, 200, 217f., 230, 235, 238, 241, 251, 257, 263, 272ff., 283, 285 Christentum 8, 16, 19, 37, 113, 191, 292 Demokratiekritik (s. Verfassung) Despotismus 258 Egoismus 286 Ehe 24, 155, 166, 169, 174 – 186, 240 Eigentum 12, 41, 43, 55, 57ff., 61–81, 84, 86, 88, 95, 103, 143, 170, 183f., 191, 195f., 201, 212, 215f., 220, 238, 244, 294
DOI:10.1515/9783110496529-021
Einheit 6, 23, 25, 44, 47ff., 56f., 124, 149, 151, 155, 158, 160ff., 170, 173f., 176–181, 183–186, 191, 193, 197, 205, 216, 218, 225–229, 231, 237–244, 248, 257f., 261ff., 267, 276 Entscheidung 72, 77, 103, 123, 170, 201, 268–271 Erbrecht (s. Recht) Erziehung 158, 167, 175, 182, 184f., 202, 213, 244 Ethik (s. a. Moral, Moralität) 6f., 20, 26f., 39f., 115, 117, 131, 133, 137, 145f., 149, 157, 160ff., 165f. Familie 9, 41, 80, 111, 154, 163, 167, 169–187, 197ff., 204f., 211, 213ff., 217, 225, 227ff., 232, 234–241, 262, 274, 292 Französische Revolution 133, 274 Freiheit XIII, 4, 6, 9, 11f., 14, 18f., 25, 28ff., 32, 34, 37ff., 43ff., 48–58, 62f., 65f., 69, 71–80, 88ff., 95, 98, 101, 113ff., 119, 121, 126f., 133ff., 139f., 143f., 149ff., 156ff., 162, 164f., 172f., 176, 180, 202, 210ff., 214f., 218f., 222, 226, 228f., 231, 234ff., 241, 258f., 261ff., 272ff., 277, 284f., 287, 289ff., 294f. Friede 196, 244, 276ff., 281f., 284f. Fürst (fürstliche Gewalt) 172, 234, 242, 265ff., 276f. Gefühl 3, 7, 33, 70, 81, 154, 157, 163, 169, 194, 209, 215, 218, 227, 230, 238, 243, 254, 256 Geld 216, 271 Genossenschaft 15, 202 Gerechtigkeit 4, 8, 12f., 19, 26, 79, 83, 91, 96ff., 102–107, 115, 158, 162, 196, 219, 243, 271 Gericht 15, 72, 93, 105f., 111, 163, 167, 201, 265, 269f., 275, 278, 281f., 285, 291f. Geschichte (s. a. Weltgeschichte) XIIIf., 1, 3, 13ff., 18, 20, 72, 108, 113, 142, 166f., 169f., 172, 216, 226, 231, 233, 243f., 255, 264f., 278, 281–295
Sachregister Gesellschaft 3, 9, 11, 15, 26f., 37, 62, 72, 77f., 81, 91, 99, 103f., 107, 131, 134f., 137, 140f., 190, 196, 198, 202, 204, 209, 211f, 214, 216, 219, 221, 228, 238f., 269, 271f., 286 bürgerliche Gesellschaft 17, 63, 78ff., 91, 98f., 102ff., 113, 134, 143f.,163, 165, 167, 169ff., 185ff., 190–207, 211–221, 226ff., 231, 234–243, 256, 262, 270, 275, 286, 293ff. Gesellschaftsvertrag 101 Gesetz XIII, 8, 10ff., 18ff., 32, 39, 72, 91, 99f., 102f., 111, 115f., 118, 122, 125, 150, 152, 156, 158, 163f., 167, 201, 210, 215, 218, 228, 225, 228f., 233, 239, 243, 253, 255, 257, 267–275, 285 Gesetzgebung 10ff., 103, 132f., 218, 228, 271, 275, 285 Gesinnung 8, 15, 103, 166f., 174ff., 178, 180, 185, 230, 241, 252, 254, 256ff., 263, 265f., 275, 277 Gewalt 14, 24, 65f., 70ff., 88f., 150, 153, 167f., 218, 225, 234f., 242, 244, 250, 263, 265–274, 273, 275f., 285 Gewaltenteilung 17, 263–269 Gewerbefreiheit 17 Gewissen 2, 7, 18, 27, 113f., 117, 119, 122, 125f., 138, 145, 152f., 156, 158f., 163ff., 170, 191, 238, 258, 269, 294 Gewohnheit XIV, 14, 20, 36, 72, 153, 160f., 176, 201, 213, 241 Glaube 3, 11, 86, 133, 154, 163, 253f., 257f., 292 Gleichheit 11, 14, 17, 47f., 93, 102, 194, 214, 237, 271, 274, 285 Glück 19, 250, 290, 292 Glückseligkeit 120, 125, 157, 250 Gott 4, 16, 19, 37, 141f., 155, 167, 179, 182, 226, 229, 232f., 235, 243, 249ff., 253, 265, 267, 284, 290f., 293 Griechenland 72, 132ff. Grundrecht(e) (s. Recht) 259, 275 Gut (höchstes) 19, 96, 98, 121, 155, 171, 211, 216ff. Gute, das 111, 115f., 118f., 125, 150ff., 156, 158, 164f., 169, 237 Handel 209, 215f.
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Handlung 43, 54f., 68, 70, 74, 89, 91, 93, 100ff., 111–128, 160f., 166, 169, 270, 283 Herrschaft XIII, 17, 58, 194, 196, 232, 243, 250 Historische Schule 4, 8 Ich 9, 25, 39, 48–56, 88, 172, 261 Idealismus 107, 153f., 232, 268 Identität 9, 20, 25, 52, 57, 73, 102, 135–144, 151ff., 162ff., 172, 179, 217, 221, 225ff., 231–244, 285 Individuum XIII, 8f., 16ff., 37, 43, 48–58, 80, 113, 116, 125ff., 150–167, 170, 174, 176, 182, 184, 191, 210, 213f., 225, 227–241, 272, 275 Individualismus 154, 232, 293 Individualität 116, 119, 155, 161, 174, 197, 276f. Institution XIII, 3, 9, 12–19, 24f., 38, 53, 58f., 62, 64f., 71, 76, 78, 81, 86, 91, 99, 104ff., 121, 137, 139f., 144f., 152, 169, 171ff., 186, 192, 202, 205, 214–221, 240, 242, 249f., 253, 256, 258, 261f., 274, 277, 285, 293f. Intention (s. Absicht) Interesse 18f., 40, 54, 65f., 69, 75, 81, 84, 88, 104f., 108, 121, 124f., 139, 152f., 156, 171, 177, 197, 199–206, 210, 213f., 218, 220ff., 231f., 236, 238, 241, 256, 269ff., 276f., 286ff. Intersubjektivität 58, 174 Kammer 15, 125, 273 Kind 66, 123, 135, 166, 170, 174f., 181, 184ff., 202, 205, 213 Kirche 244, 247ff., 258 Klasse 15, 213 Konstitution (konstitutionell) 2, 14, 198, 207, 217, 228, 258f., 266, 268, 285 Frühkonstitutionalismus XIV, 14 Konvention (konventionell) 220, 222 Körper 48, 50, 52, 58, 61f., 65, 73ff., 78ff., 92, 113, 261, 264, 268, 276 Korporation 33, 36, 167, 170f., 202, 210, 216ff., 220ff., 238, 240, 286, 293 Krieg 14, 159, 194, 206, 218, 244, 248f., 254, 276ff., 281–289
320
Sachregister
Kultur 4, 13, 20, 192, 219 Kunst 16, 20, 113, 161, 167, 177, 293 Landstände (s. Stand) 203ff. Leben 19, 58, 64, 95, 102, 121, 125, 152ff., 163, 173, 185, 190, 195, 217f., 225, 227ff., 231, 234, 236–245, 254f., 257, 276, 287, 292 Legislative (s. a. Gesetzgebung) 272 Leib 61, 95, 158 Liberalismus XIII, 28, 189, 238, 261f., 270, 274, 286 Liebe 37, 113, 169, 172–185, 294 Macht 14, 19, 75, 103, 115, 142, 150f., 153f., 155f., 171, 180, 189, 202, 206, 220, 222. 227f., 235–244, 250, 254, 256, 258, 263, 277, 281–287, 291 Markt 9, 17, 79, 209–222, 274 Maschine 200, 213 Mensch 14, 18, 37, 61, 64, 72, 74f., 77, 80f., 88, 98, 100f., 106, 111, 113, 120, 123f., 127, 149, 152, 156ff., 161, 163ff., 176f., 212, 220ff., 226–231, 235, 237f., 241, 253ff., 267, 275f., 287, 292 Menschenrechte (s. Recht) Metaphysik 207, 209 Methode XIII, 4f., 8f., 12, 20, 108, 220, 267 Militär 17, 201, 248, 263, 276ff. Monarch (s. Verfassung) Moral XVI, 3, 7f., 13f., 18, 26ff., 34f., 39, 43ff., 54, 76, 89, 96f., 105, 111–128, 131–146, 149, 150–168, 197, 215, 222, 288f. Moralität 7, 12, 28f., 44f., 47, 49, 54, 83, 104ff., 111–128, 131, 133, 150, 155f., 161, 163ff., 169, 191, 237, 281f., 290ff., 131–146 Nation 11, 210, 222, 232, 278, 281, 283f. Natur 13, 20, 30ff., 39, 50, 56f., 61, 63ff., 69, 72f., 88, 131f., 141f., 153, 160f., 169, 173–181, 184ff., 200ff., 233, 235, 264, 267, 281, 288f., 294f. Naturalismus (–, ethischer) 233 Naturrecht (s. Recht) Naturzustand 212, 214, 278, 285, 294f.
Norm 12, 25, 88, 93, 95ff., 104, 106, 115, 131, 135, 137, 153, 160, 190, 213 Notrecht (s. Recht) Objekt, Objektivität 18, 20, 54, 58, 62, 66, 70, 75, 77, 79, 116, 118ff., 126, 152, 179, 184, 226f., 231, 241f., 244, 263 öffentliche Meinung 273 Organismus 31, 255, 263ff., 268, 275 sittlicher 192 sozialer 233, 241f. Patriotismus 18, 218, 229, 241f., 263, 273, 283, 294 Person, Persönlichkeit 37, 43–48, 50–59, 61–80, 84ff., 88f., 91ff., 98, 103, 122, 124, 143ff., 161, 167, 169f., 172ff., 177–187, 197, 199, 202, 212, 256f., 268, 270f. Pflicht, Pflichtethik 6f., 18f., 115ff., 125, 151, 155ff., 161, 164ff., 176, 179, 182, 217, 230f., 237f., 255, 271, 276f., 287 Philosophie 2ff, 6f., 17f., 20, 31, 33, 37, 113, 152, 180, 243, 251, 275, 282f., 290ff. politische XIII, 156, 180, 189f., 192f., 196, 204, 206, 209, 274f., 281ff., 286 praktische 1, 6, 11, 112, 124, 155, 162, 190, 198, 261, 275 polis 8, 17, 158, 163, 211, 214, 261 Politik 161f., 166, 180, 190, 230f., 233, 238, 243f., 248, 287 Polizei 201f., 210, 218, 240, 269, 285 Pressefreiheit 273 Privilegien 203, 217 Rache 104f. Recht XIII, 2ff., 7–20, 24f., 28, 43, 52–59, 61f., 65, 75f., 78f., 83ff., 89–108, 111ff., 116–127, 133, 135, 140, 143, 149f., 153–159, 163, 165ff., 169–179, 181ff., 192, 195ff., 201ff., 211ff., 220, 226, 228, 231, 236ff., 244, 250, 252f., 256, 258f., 261, 265f., 270f., 274f., 278, 281, 286f., 290, 292, 295 Grundrecht(e) 259, 275 Menschenrechte 4, 14, 20, 256, 275, 287
Sachregister
Naturrecht 2f., 5, 88f., 190f., 196, 203, 231, 236, 293f. Notrecht 121f. Rechtspflege 15, 103, 167, 200f., 212, 220, 240, 270 Rechtsstaat 12 Römisches Recht 135, 284 Völkerrecht 233, 278, 282f., 286, 293 Rechtschaffenheit 151, 158ff., 171, 212 Regierung 236, 265, 267, 269f. Reich 16, 273, 284 Reichtum 15, 22 Religion 8, 16, 18, 20, 131f., 152, 167, 234, 243f., 247–260, 293 Repräsentation 10, 272f. Republik 19 Richter 98, 126, 270 Rom 14 Römisches Recht (s. Recht)
Sache 18, 55f., 58f., 62ff., 69, 72f., 75, 84, 86, 88, 92, 100, 103, 124, 169, 182f., 185, 200, 209 Schicksal 16, 20, 167, 194, 227, 229, 238, 244 Schluß 289 Schuld 122, 256 Sicherheit 91, 97, 196f. Sitte 11, 137, 151, 153, 155, 159ff., 190, 228f. Sittengesetz 7, 12 Sittlichkeit 19, 27, 29, 44f., 47, 49, 54f., 112, 131f., 149ff., 155, 157, 159f., 161, 163ff., 170, 173, 175, 179, 185ff., 189f., 191–199, 203, 205, 207, 211, 213, 225, 227ff., 234ff., 240f., 251ff., 257ff., 262, 273, 275f., 282, 284, 286, 294f. Sklaverei 64, 243 Sollen 14, 117, 119, 132, 138f., 149, 152, 157, 164, 166, 278, 285, 293f. Souveränität 172, 244, 266, 268f., 276ff., 285 Sozialstaat 15 Staat XIIIff., 2ff., 7, 9f., 12, 15, 17ff., 68, 75, 98, 101, 116, 153ff., 158f., 162f., 166, 169, 171ff., 179, 182, 185, 187, 190f., 193f., 197ff., 203ff., 210f., 214, 216, 218, 220ff.,
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225–245, 248–260, 261–278, 281, 283ff., 290ff. Stand 9, 11, 14f., 17, 121, 167, 192, 194ff., 200–207, 213, 217f., 271ff. allgemeiner- 17, 201, 273 Bauern- 195 Beamten- 271 Fabrikanten- 201 Gewerbe- 17, 202, 209, 216ff. Handwerks- 201 Handels- 201 Landstände 203ff. Ständeversammlung 203, 273 Steuer 205, 207, 210, 216, 271, 285, 202 Strafe, Strafrecht, Todesstrafe 44, 83–108 Subjekt, Subjektivität 6ff., 13, 16, 19f., 26, 30, 33, 39f., 44f., 47, 49ff., 53, 56, 62ff., 67–78, 80f., 83, 85, 87, 111–120, 123f., 126ff., 131, 134ff., 139ff., 150ff., 156f., 162ff., 169ff, 176f., 184, 197, 218, 226–232, 234–239, 241, 244, 251, 254, 256, 262f., 275f., 281, 288ff. System XVI, 5, 7, 12f., 16, 28, 30, 33, 56, 59, 76f., 83, 140, 152, 155, 169ff., 174, 191ff., 200, 209, 211f., 214, 218, 222, 250, 253, 259 Tapferkeit 277 Tat 1, 30, 40, 68, 83, 92, 95f., 99ff, 111, 113, 115f., 119, 122f., 126f, 142, 256f. Teleologie 32, 44f., 53, 289ff. Todesstrafe (s. Strafe) Trieb 18, 28f., 37ff., 52, 52, 61f., 65, 73, 88, 120, 125, 132, 138f., 143f., 156f., 161f., 168, 213, 294 Tugend, Tugendlehre 39, 138, 151, 155, 158ff., 165f., 180, 275, 277, 290 Übel 94ff., 102, 145, 277 Unendliche, das 39, 105, 113, 125, 194, 239, 257 Unrecht 8, 59, 84ff., 89ff., 95ff., 105, 153 Urteil 8, 86f., 90, 111, 117f., 123, 126, 145 Verantwortung 25f., 35, 40, 76, 111, 115, 119, 121ff., 215, 244
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Sachregister
Verbrechen 20, 43, 58f., 83ff., 89–99, 101ff. Verfassung (s. a. Konstitution) 1f., 8, 10, 14, 17f., 20, 27, 113, 155, 159, 189f., 197, 203, 205, 233, 240f., 242, 244, 247, 252, 258f., 262ff., 271ff., 276, 292 Aristokratie 266, 271 Demokratie 266, 271 Erbmonarchie 5, 273f. Feudalismus 209 Monarch 26, 44, 267ff. Monarchie 2, 14, 20, 203f., 207, 266f Vergeltung 83, 97, 101f., 104ff. Vernunft 2, 5, 8f., 12f., 16ff., 29, 37, 67f., 79, 83, 99ff., 106, 108, 115, 120, 124, 132, 137ff., 142, 146, 152ff., 164, 167, 172f., 180, 204f., 207, 209, 213, 219, 226, 230ff., 239ff., 252, 254f., 260, 265, 274f., 281, 285, 287, 289ff. Vertrag 43, 58f., 75, 78f., 84f., 101, 169, 182f., 232, 235, 294 Gesellschafts- 101 Staats- 18 -stheorie 26, 101, 218, 272, 293 Vertrauen 154, 241 Volk 12f., 18, 116, 137, 155, 191f., 203, 226, 241, 265, 268f., 271f., 276, 282, 285, 289ff., 295 Volksgeist 2, 4, 13, 17, 228, 287 Volkssouveränität 268 Vorsatz 111, 113ff., 118ff. Wahl 40, 64, 113, 136, 248, 269f., 272f., 292
Weltgeist 13, 68f., 233f., 244, 278, 289f. Weltgeschichte 14, 166f., 226, 232f., 243f., 255, 265, 278, 281–295 Wert 28, 37, 92f., 95, 97, 102, 111, 114, 119, 121, 123, 125, 136, 146, 155, 229, 234 Wille, Willensfreiheit 11f., 17, 25, 27f., 35ff., 39f., 43–51, 53ff., 62–77, 79ff., 83–95, 98ff., 105, 111–127, 137, 142f., 149ff., 158, 164f., 169, 172f., 182f., 201, 211, 213, 219, 227ff., 235, 237, 241, 249, 264f., 285 Wirtschaft 6, 77, 170f., 209ff., 218f., 229, 277f. Wissenschaft 2–11, 13f., 17f., 24, 31, 64, 113, 137, 167, 180f., 200, 209, 220, 254, 273 Wohl 18f., 113, 118f., 121, 123f., 143, 167, 169, 202, 213, 235, 238, 240f. Würde 165, 179, 275 Zensur 1, 5, 10, 273 Zufall 13, 20, 84f., 103, 121ff., 162, 171, 178f., 183f., 214, 240, 243, 285 Zurechnung 83, 123 Zutrauen 154, 163, 178, 185, 283 Zwang 87–94, 97, 99, 125, 132, 212, 218, 244, 285 Zweck 36f., 39f., 49, 61, 66ff., 75, 83, 97, 99, 111ff., 118ff, 122, 124f., 139, 141f., 150, 152, 167f., 170ff., 178, 189, 191, 194, 197, 199f., 205f., 229, 231, 236ff., 240, 264, 289ff.
Hinweise zu den Autoren Gabriel Amengual (geb. 1943) ist em. Professor für Philosophie an der Universität der Balearischen Inseln (Palma de Mallorca). Wichtige Veröffentlichungen sind: Crítica de la religión y antropología en Ludwig Feuerbach (1980); (Hrsg.) Estudios sobre la filosofía del derecho de Hegel (1989); La solidaritat segons Jürgen Habermas (1991); Modernidad y crisis del sujeto. Hacia la construcción del sujeto solidario (1998); La moral como derecho. Estudio sobre la moralidad en la Filosofía del Derecho de Hegel (2001); La religión en tiempos de nihilismo (22013); Salvar l’experiència en el moment de la seva desaparició. L’experiència en el pensament de Walter Benjamin (2006); Antropología filosófica (22016); (Hrsg.), Ruptura de la tradición. Estudios sobre Walter Benjamin y Martin Heidegger (2008); Deseo, memoria y experiencia. Itinerarios del hombre a Dios (2011); (Hrsg.), Guía Comares de Hegel (2015); La persona humana. El debate sobre su concepto (2015). Übersetzung ins Spanische von Schriften L. Feuerbachs und Hegels. Bernard Bourgeois (geb. 1929) ist em. Professor an der Université Paris I Panthéon Sorbonne sowie Mitglied der Académie des Sciences Morales et Politiques. Wichtige Veröffentlichungen sind: La pensée politique de Hegel (1969); Le droit naturel de Hegel (1986); Eternité et historicité de l’esprit selon Hegel (1991); Etudes hégéliennes: raison et décision (1992); Le vocabulaire de Hegel (2000); Hegel. Les actes de l’Esprit (2001). Übersetzungen u. a.: Encyclopédie des sciences philosophiques, Phénoménologie de l’Esprit. Lisa Herzog (geb. 1983) ist seit Sommer 2016 Professorin für Politische Philosophie und Theorie an der Hochschule für Politik und der Technischen Universität München. Sie arbeitet an der Schnittstelle von politischer Philosophie und Ökonomie, unter anderem zur politischen Gestaltung von Märkten, zur Rolle von Finanzmärkten, und zu ethischen Herausforderungen in komplexen Organisationen. Veröffentlichungen sind u. a. Inventing the Market. Smith, Hegel, and Political Theory (2013), Freiheit gehört nicht nur den Reichen (2014) sowie, hg. mit Axel Honneth, Der Wert des Marktes (2013). Rolf-Peter Horstmann (geb. 1940) ist em. Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität Berlin. Wichtige Veröffentlichungen sind: Ontologie und Relationen. Hegel, Bradley und Russell über interne und externe Beziehungen (1984); Wahrheit aus dem Begriff. Eine Einführung in Hegel (1990); G. W. F. Hegel. Eine Einführung, zusammen mit D. Emundts (2002); Die Grenzen der Vernunft. Eine Untersuchung zu Zielen und Motiven des Deutschen Idealismus (32004). Walter Jaeschke (geb. 1945) war Professor für Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum und ist seit 1998 Direktor des Hegel-Archivs der Ruhr-Universität Bochum und Leiter der Ausgaben Hegel: Gesammelte Werke sowie Friedrich Heinrich Jacobi: Werke. Gesamtausgabe und Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel. Weitere Publikationen: Die Vernunft in der Religion. Studien zur Grundlegung der Religionsphilosophie Hegels (1986); Hegel-Handbuch. Leben – Werk – Schule DOI:10.1515/9783110496529-022
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Autorenhinweise
(32016); Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant. Systeme der reinen Vernunft und ihre Kritik 1785–1845 (2012, mit Andreas Arndt). Francesca Menegoni (geb. 1950) ist Professorin für Philosophie an der Università degli Studi di Padova. Wichtige Veröffentlichungen sind: Moralità e morale in Hegel (1982); Finalità e destinazione morale nella „Critica del Giudizio“ di Kant (1988); Soggetto e struttura dell’agire in Hegel (1993); La „Critica del Giudizio“ di Kant. Introduzione alla lettura (22008); Le ragioni della speranza (2001); Das Endliche und Unendliche in Hegels Denken, hrsg. zusammen mit L. Illetterati (2004); Fede e religione in Kant (1775–1798) (2005). Georg Mohr (geb. 1956), ist Professor für Philosophie an der Universität Bremen. Wichtige Veröffentlichungen sind: Das sinnliche Ich. Innerer Sinn und Bewußtsein bei Kant (1991); Immanuel Kant. Kritik der reinen Vernunft (Klassiker Auslegen Bd. 19) hrsg. mit Marcus Willaschek (1998); Immanuel Kant. Theoretische Philosophie. Texte und Kommentar, 3 Bde. (2004); German Idealism. An Anthology and Guide, hrsg. u. eingel. mit Brian O’Connor (2006); Menschsein – On Being Human. Deutsche und koreanische Studien, hrsg. mit Hong-Bin Lim (2011); Vom Sinn des Hörens. Beiträge zur Philosophie der Musik, hrsg. mit Johann Kreuzer (2012); Kant-Lexikon, 3 Bde., hrsg. mit Marcus Willaschek, Jürgen Stolzenberg und Stefano Bacin (2015). Amir Mohseni (geb. 1982), Dr. phil., ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Exzellenzcluster „Religion und Politik“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Arbeitsgebiete: Deutscher Idealismus; Analytische Rechtsphilosophie; Philosophie des Todes. Wichtige Veröffentlichungen sind: Abstrakte Freiheit. Zum Begriff des Eigentums bei Hegel (2015); Die Linken Hegelianer. Studien zum Verhältnis von Religion und Politik im Vormärz, hrsg. zusammen mit M. Quante (2015). Henning Ottmann (geb. 1944) ist em. Professor für Politische Theorie und Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Wichtige Veröffentlichungen sind: Das Scheitern einer Einleitung in Hegels Philosophie. Eine Analyse der Phänomenologie des Geistes (1972); Individuum und Gemeinschaft bei Hegel (1977); Philosophie und Politik bei Nietzsche (1987); Politische Philosophie des 20. Jahrhunderts, zusammen mit K.-G. Ballestrem (1990); Geschichte des politischen Denkens von den Anfängen bei den Griechen bis auf unsere Zeit. Neun Bände (2001–2012); Negative Ethik (2005); Platon, Aristoteles und die neoklassische politische Philosophie der Gegenwart (2005); Kants Lehre von Staat und Frieden (2009); Vertragstheorien in der politischen Philosophie der Neuzeit (2013). Adriaan Peperzak (geb. 1929) ist Arthur J. Schmitt Professor of Philosophy an der Loyola University Chicago. Wichtige Veröffentlichungen sind: Le jeune Hegel et la vision morale du monde (21969); Philosophy and Politics. A Commentary on the Preface of Hegel’s Philosophy of Right (1987); Selbsterkenntnis des Absoluten. Grundlinien der Hegelschen Philosophie des Geistes (1987); Hegels praktische Philosophie. Ein Kommentar zur enzyklopädischen Darstellung der menschli-
Autorenhinweise
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chen Freiheit und ihrer objektiven Verwirklichung (1991); Modern Freedom: Hegel’s Legal, Moral and Political Philosophy (2001); Elements of Ethics (2004); Thinking about Thinking (2012). Robert B. Pippin (geb. 1948) ist Evelyn Stefansson Nef Distinguished Service Professor of Social Thought an der University of Chicago. Er ist u. a. Träger des Andrew M. Mellon Foundation’s Distinguished Achievement Award 2001. Wichtige Veröffentlichungen sind: Kant’s Theory of Form. An Essay on the ‚Critique of Pure Reason‘ (1981); Hegel’s Idealism: The Satisfactions of SelfConsciousness (1989); Modernism as a Philosophical Problem: On the Dissatisfactions of European High Culture (1991); Idealism as Modernism: Hegelian Variations (1997); Hegel on Ethics and Politics, hrsg. zusammen mit O. Höffe (2004); Die Verwirklichung der Freiheit (2005); Hegel’s Practical Philosophy. Rational Agency as Ethical Life (2008); Hegel on Self-Consciousness: Desire and Death in the Phenomenology of Spirit (2011). Michael Quante (geb. 1962) ist Professor für Philosophie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Wichtige Veröffentlichungen sind: Hegels Begriff der Handlung (Diss., 1993); Hirntod und Organverpflanzung, hrsg. zusammen mit Johann S. Ach (21999); Personales Leben und menschlicher Tod (2002); Hegels Erbe, hrsg. zusammen mit L. Siep und Ch. Halbig (2004), Menschenwürde und personale Autonomie (2010); Die Wirklichkeit des Geistes. Studien zu Hegel (2011); Person (22012); Einführung in die allgemeine Ethik (52013). Herbert Schnädelbach (geb. 1936) ist em. Professor für Theoretische Philosophie an der Humboldt-Universität Berlin. Wichtige Veröffentlichungen sind: Hegels Theorie der subjektiven Freiheit (Diss., 1966); Erfahrung, Begründung und Reflexion. Versuch über den Positivismus (1971); Geschichtsphilosophie nach Hegel. Die Probleme des Historismus (1974); Reflexion und Diskurs. Fragen einer Logik der Philosophie (1977); Philosophie in Deutschland 1831–1933 (1983); Vernunft und Geschichte (1987); Hegel zur Einführung (1999); Philosophie in der modernen Kultur. Vorträge und Abhandlungen 3 (2000); Analytische und postanalytische Philosophie. Vorträge und Abhandlungen 4 (2004), Religion in der modernen Welt (2009); Was Philosophen wissen und was man von ihnen lernen kann (2012). Ludwig Siep (geb. 1942) ist em. Professor für Philosophie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Wichtige Veröffentlichungen sind: Hegels Fichtekritik und die Wissenschaftslehre von 1804 (1970); Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie. Untersuchungen zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes (1979, veränderte Neuauflage 2014); Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus (1992); Der Weg der Phänomenologie des Geistes. Ein einführender Kommentar zu Hegels „Differenzschrift“ und „Phänomenologie des Geistes“ (²2001); Konkrete Ethik. Grundlagen der Natur- und Kulturethik (2004), Aktualität und Grenzen der praktischen Philosophie Hegels. Aufsätze 1997–2009 (2010); John Locke, Zweite Abhandlung über die Regierung. Überarb. der Übers. und Kommentar (22013); Moral und Gottesbild. Aufsätze zur konkreten Ethik 1996–2012 (2013); Der Staat als irdischer Gott. Genese und Relevanz einer Hegelschen Idee (2015).
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Autorenhinweise
Allen Wood (geb. 1942) ist Ruth Norman Halls Professor für Philosophie an der Indiana University. Wichtige Veröffentlichungen sind: Kant’s Moral Religion (1970); Kant’s Rational Theology (1978); Hegel’s Ethical Thought (1990); Kant’s Ethical Thought (1999); Karl Marx (²2004), Kant (2004); Kantian Ethics (2008); The Free Development of Each: Studies on Freedom, Right and Ethics in Classical German Philosophy (2014). Er hat u. a. Kants Kritik der reinen Vernunft (zusammen mit P. Guyer, 1998) und Die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (2002) ins Englische übersetzt und herausgegeben.