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German Pages [112] Year 1962
PETER VON HASELBERG - FUNKTIONALISMUS UND IRRATIONALITÄT
FRANKFURTER
BEITRAGE
ZUR
SOZIOLOGIE
Im Auftrag des Instituts für Sozialforschung herausgegeben von Theodor W. Adorno und Walter Dirks Band 12
PETER
VON
FUNKTIONALISMUS STUDIEN »IHEORY
ÜBER OF
HASELBERG
UND
IRRATIONALITÄT
THORSTEIN THE
EUROPÄISCHE
LEISURE
VEBLENS CLASS«
VERLAGSANSTALT
D 30 © 1962 BY EUROPAISCHE DRUCK:
VERLAGSANSTALT, AZ-DRUCK,
PRINTED
FRANKFURT
MANNHEIM
IN GERMANY
A. M.
VORREDE
Die im wissenschaftlichen Fortschritt unvermeidliche und vielfach produktive Arbeitsteilung zwischen den Disziplinen hat, wie in den Jletzten Dezennien bis zum Überdruß hervorgehoben wurde, auch ihre negativen Aspekte. Diese bestehen nicht nur in der Gefahr, daß der Sache nach
Zusammengehöriges
durch
die voneinander
getrennten
Methoden
auseinandergerissen wird. Sondern der Wahrheitsgehalt der Einzelwissenschaften in sich wird durch die Trennung gemindert. Unverkennbar ist das ım Verhältnis von Soziologie und Okonomie. Seit den Zeiten, da die Soziologie als besondere Wissenschaft sich einzurichten begann, pocht sie apologetisch auf ihre Eigenständigkeit, will sich als »rein« beweisen und aus sich ausscheiden, womit andere, in der Universitas litterarum ältere Diszi-
plinen sich beschäftigen. Dadurch hat sie eine bis heute fortwirkende Neigung entwickelt, am gesellschaftlich Entscheidenden, dem Lebensprozeß der
Gesellschaft selbst, der Bewegung iıhrer produktiven Kräfte und Produktionsverhältnisse, sıch zu desinteressieren und sie der Okonomie zuzuspielen. Sie konzentriert sich auf jene >zwischenmenschlichen Beziehungen«,
die sekundär über jenen tragenden Strukturen sich erheben. Tendenziell wird solche Soziologie auf Sozialpsychologie reduziert. Die Volkswirtschaftslehre jedoch hat in ihrer jüngsten Phase die Analyse der tragenden
gesellschaftlichen Verhältnisse ebenfalls als ein ihrem Begriff Fremdes abgewehrt. Sie beschied sich zunehmend bei dem Studium ökonomischer Pro-
zesse innerhalb der bereits voll entwickelten Tauschgesellschaft, ohne deren Grundkategorien selbst, und ihre Verflechtung mit Gesellschaft und Geschichte, noch thematisch zu machen. Kaum
ist es übertrieben, daß beide
Disziplinen, indem sie durch solche Resignation für Anforderungen der unmittelbaren Praxis disponibel sich machen, ihr eigentliches Interesse versäumen. Die Zone, die beide im akademischen Betrieb nur höchst ungern betreten, ıst die gleiche, in der in Wahrheit die ökonomischen wie die sozio-
logischen Entscheidungen fallen. Die Arbeit von Peter von Haselberg tastet sich in jene Zone. Sie ıst 5
stets zugleich auch gefährdet durch Züge des outsiderhaft Improvisatorischen, welche ihr von der Situation wissenschaftlicher Arbeitsteilung aufgeprägt werden. Der gewählte Gegenstand aber paßt in diese nicht hinein. Veblen, der von der Okonomie herkam, hat die im engeren Sinn ökono-
mische Analyse in eine institutionell-soziologische umgebildet. Die ökonomische
Kategorie
des Eigentums
erscheint ihm
wesentlich unter dem
Aspekt gesellschaftlicher Macht. Vergeudung und ostentatives Nicht-Arbeiten gelten ihm gleichsam als neurotische Symptome einer Gesellschaft, die unter der traumatischen Erfahrung von Gewalt steht. Sein Versuch, einen Indifferenzpunkt zu erreichen, auf dem Wirtschaft und Gesellschaft noch nicht gegeneinander verselbständigt erscheinen, entspringt einem sozialkritischen Impuls. Ihm entspricht sein sardonischer Darstellungsstil. Während die Arbeit Haselbergs, der entscheidend an der Übertragung von Veblens Hauptwerk, der »Theory of the Leisure Class«, mitgewirkt hat, zu den ersten rechnet, welche die in Amerika höchst folgenreiche Kon-
zeption Veblens — die gesamte Technokratie basiert auf ihr — in Deutschland zugänglich macht, bescheidet sie sich nicht dabei, sondern ist selbst kritisch: sucht Veblen, durch Reflexion seiner eigenen Motive, über sich
hinauszutreiben. Veblen zufolge, der freilich den Beweis seiner ethnologisch fragwürdigen These schuldig blieb, ist Besitz aus der Gewalttrophäe
entstanden und
bewahrt als Institution Züge dieses Ursprungs. Demgegenüber entwickelt Haselberg, daß Gewalt nicht im Zweck der Aneignung endet, sondern daß sie als ein »Schadenstiften« gerade auch den Besitz als verselbständigten Wert bedroht; sei es als Vergeudung, sei es als ritueller oder privater Exzeß, sei es als asketischer Verzicht, sei es schließlich als Verschleiß von
Konsumgütern. Die Untersuchung trachtet, Veblens Begriff der ostentativen Faulheit, die jener lediglich als Manier oder Marotte auffaßt, in Zu-
sammenhang mit der Theorie der Gewalt zu bringen. Die Attitüde des Schadenstiftens schlägt auf den Besitzer selbst zurück, dem irrationale Verhaltensweisen bis zur Selbstbeschädigung sozial auferlegt werden. Es eröffnet damit sich die Perspektive einer ebenso politisch-ökonomischen wie psychoanalytischen »Urgeschichte« der Destruktionstendenzen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft. Veblen habe das Verhältnis von Gewalt und Besitz nicht konsequent durchdacht;
sie weisen
bei
ihm
unverbunden
auseinander.
Haselberg
möchte die von der Gewalt herstammende Irrationalität bis in scheinbar rationale Verfahrensweisen der modernen Gesellschaft hinein verfolgen. Auch sie sollen von ritualen Elementen, und keineswegs bloß subjektiv 6
psychologisch bedingten, durchsetzt sein. Als ihr Modell wird der Kultus des Lebensstandards
behandelt. Die technokratische Zuversicht Veblens,
institutionalisierte Vergeudung wäre ohne weiteres durch eine vernünftigere Okonomie zu ersetzen, wird von Haselberg nicht geteilt. Sein Zweifel stammt aus tiefenpsychologischen Erwägungen, wie sie Freud im »Unbehagen in der Kultur« angestellt hat. Verwandte Intentionen zeichnen sich in der gegenwärtigen amerikanischen cultural anthropology ab. Weiter behandelt Haselberg das bei Veblen sehr belastete Problem der Funktion der Kunst. Für Veblen wird Asthetik, analog den Parolen der neuen Sachlichkeit, zu einer Art von Wegweiser aus der von ihm kriti-
sierten ostentativen Gesellschaft. Sein Vorbild fürs Richtige ist das natürlich und zweckmäßig Schöne. Dies dogmatisch unterstellte Prinzip der Schönheit wird jedoch bereits bei der Analyse von Gebrauchsdingen deren immanenten ästhetischen Normen nicht gerecht. Gelegentlich fällt Veblens Begriff natürlicher Schönheit ins archaisierend Romantische zurück. Seine Lehre von der »ökonomischen Schönheit« ist nach Haselberg untauglich in einer Welt, in der anstelle des Werkzeugs Maschine und Apparatur getreten sind. Sie haben als neues Stilisierungsprinzip den technischen Standard ideologisch fixiert. Die Endabsicht der Haselbergschen Arbeit richtet sich gegen den heute vorherrschenden Begriff des »Funktionierens«. Er spricht ihm die Rationalität ab: in ihm überlebe Aggression. Diese sei in der Technik keineswegs, wie Veblen noch annimmt, durch Gewöhnung an kausales Denken überwunden worden. Technik selber produziere Gewalttätigkeit als notwendige Haltung gegenüber dem Objekt und vollends gegenüber allen dessen Funktionieren störenden Faktoren. Die Idee der Nützlichkeit für die Menschen, das Regulativ von Veblens Angriff auf die Kultur, sei heute nicht mehr, wie noch um 1900, an der Behebung des existierenden Mangels in der Welt zu orientieren. Im Zeitalter der Überproduktion sei vielmehr der Begriff des Nützlichen selbst zur Ideologie geworden. Die kritische Entfaltung der angedeuteten Gedanken an dem reichen und zugleich problematischen Material, das der bedeutende amerikanische Soziologe bietet, rührt an Denkgewohnheiten, die in einer zunehmend
am Begriff des Funktionierens ausgerichteten Soziologie sich eingeschliffen haben. Das allein schon genügte, die Publikation der Haselbergschen Arbeit in einer soziologischen Schriftenreihe zu rechtfertigen. Frankfurt am Main, Sommer 1962 Theodor W. Adorno
EINLEITUNG
Thorstein Veblens Einfluß auf das amerikanische Denken ist im Laufe eines halben Jahrhunderts von gründlicher Mißachtung in den Zirkeln der Sozialwissenschaftler zu einer schon wieder fast anonymen Suggestion
seiner Gedanken angewachsen. Seine gleichsam offizielle Anerkennung geschah vor allem
durch
David
Riesman
und
John
Kenneth
Galbraith,
deren verbreitetste Werke, »The Lonely Crowd« und »The Affluent Society«, sich ausdrücklich auf »den größten amerikanischen Soziologen« beziehen, um aus seinen Thesen Forderungen für eine Reform der heutigen amerikanischen Gesellschaft zu entwickeln. Beide Autoren unterstellen die Tatsache einer näherrückenden Konsumsättigung, die für die bestehende Wirtschaftsordnung zur Existenzgefahr werden müßte, wenn sie nicht von
einer anwachsenden
Konsumpropaganda
immer
wieder
auf-
geschoben wird. Dabei ist augenfällig, daß diese Werbung den Mangel suggerieren muß und dadurch das subjektiv produzierte Bewußtsein des
Bedürfens überdeckt. Veblen suchte diese Subjektivität — sie heißt bei ihm »materielle Bedürfnisse« — zu verteidigen. Beeinträchtigt sind diese Bedürfnisse von einem Diktat der Gesellschaftsordnung, dem zu opponieren
einem universalen Protest gegen alle Ausdrucksformen dieser Gesellschaft gleichkommt. Das Individuum, das seine Bedürfnisse selbst bestimmen will, tritt ihr als Zyniker gegenüber. Gleich den antiken Philosophen der
kynischen Schule hat Veblen gegen eine wissenschaftliche Anerkennung seiner Theory of the Leisure Class — und ausschließlich von diesem seinem Werk soll im folgenden die Rede sein — die Barrieren errichtet. Die Quellen seiner Belege für die Richtigkeit der Theorie hält er unter Verschluß — durch den Kunstgriff, daß er einen Leser von extremer Gelehrsamkeit voraussetzt. »Die Voraussetzungen und bekräftigenden Beispiele aus entle-
generen Quellen, desgleichen die Theoreme und sonstigen Hinweise auf die Ethnologie sind ebenfalls einigermaßen bekannt und zugänglich, so daß ihre Herkunft zu erraten dem genügend Belesenen möglich sein sollte. 9
Wir sind deshalb dem Brauch des Zitierens von Quellen und Autoritäten nicht gefolgt. Auch der Ursprung der wenigen Zitate, die hauptsächlich zur Verdeutlichung des Gemeinten verwandt wurden, ıst leicht ohne genaueren Hinweis erkennbar.«1) Keineswegs trifft dies zu, vielmehr ist zu vermuten, daß einzelne Hinweise zumindest ungenau, wenn nicht sogar
erfunden sind. Ist also der Weg nur schwer zugänglich, so verfällt überdies, wer ihn betritt, dem Hohn
dessen, der ihn weist. Die historischen und
philologischen Disziplinen, deren Kenntnis zu Verständnis und Kritik dieses Buches verlangt ist, werden nämlich unter die Wissenschaften gerechnet, »die den Konsum vergrößern und die gesellschaftliche Produktivität verringern helfen und einen Charaktertypus im Sinne der Statusgesellschaft züchten«. Sie weichen, und sollen allmählich weichen »den Wissens-
zweigen, welche die Leistungsfähigkeit (und zwar letzten Endes die produktive Leistungsfähigkeit) vergrößern«?). Doch beschränkt sich der Zweifel am gesellschaftlichen Nutzwert dieser Wissenschaften nicht auf ihre Thematik; ihm geht ein offener Angriff auf die persönlichen Qualitäten ihrer Vertreter voraus. Die Hauptargumente gegen deren Zuverlässigkeit sind der Vorwurf der Dunkelmännerei, die Anklage wegen Mummenschanz und das Indiz des akademischen Sportbetriebs als Hinweis auf versteckte Gewalttätigkeit. »Das Element des Geheimnisvollen, das dem Wissen von jeher und bis heute anhaftet, ist höchst suggestiv. Es eignet sich vorzüglich dafür, den Ungebildeten Eindruck zu machen und sich über sie zu erheben.« »Ich glaube, daß es unter den Personen mit einem entwickelten Gefühl für die Würde der Gelehrsamkeit kaum eine geben wird, die das rituelle Zubehör der Wissenschaften für belanglos hält... Heute noch stehen bei der Gemeinschaft der Wissenschaftler Dinge wie Barett und Talar,
Immatrikulations-,
Initiations- und
Promotionszeremonielle,
die
Verleihung akademischer Grade und Würden sowie Privilegien im Gebrauch, die allesamt eine Art von Apostolischer Nachfolge der Gelehrten andeuten... Ihrem Ursprung und ihrer psychologischen Bedeutung nach gehören solche Gebräuche und Vorstellungen, die ihnen zugrunde liegen, einer Kulturepoche an, die nicht jünger ist als die des Angekok und des
Regenmachers.« »Der Sportbetrieb, der bei den angesehenen Hochschulen so sehr beliebt ist,... dieser Ausdruck eines barbarischen Charakters, ist
mehr eine Sache der Studenten als eine Folge der allgemeinen Einstellung der Hochschulen selbst, soweit nicht diese oder ihre beamteten Vertreter,
wie es zuweilen geschieht, diesen Betrieb aktiv begünstigen und fördern.«3) Die Absicht der Beleidigung ist unverkennbar, und sie wird keineswegs behoben durch das Reservat der Narrenfreiheit, das Veblen häufig 10
genug für sich in Anspruch nimmt — etwa mit der Erklärung, nach fünfzehn Seiten solcher Verdächtigungen, daß »alle diese Merkmale. .. zum gro-
ßen Teil nur zufällige Erscheinungen sind«*). Der schrullige Angriff auf die Wissenschaft hat sein Gegenstück in der
Diktion des Werks. Die Theorie, die an die Urteilsfähigkeit des common sense appelliert, versagt vor ihrer eigenen Forderung, »Ideen unserer Zeit
dadurch wirksam zu machen, daß man sie in der heutigen Umgangssprache ausdrückt«5). Nur zu einem Teil läßt sich Veblens hemmungsloser Gebrauch der verfemten »schwülstigen und verschollenen Redewendungen« herleiten aus der Lebensgeschichte des Farmersohns, der als Kind noch norwegisch sprach und auf dem College ein akademisch stilisiertes Englisch erlernte, ohne je mit dem eigentlichen >»slang« vertraut zu werden®). Cha-
rakteristisch für den Stil Veblens ist die eigentümliche Verbindung von Pedanterie und vehementer Aggressivität, von bisweilen quälender Wiederholung des gleichen Gedankens und unerwarteten, trocken witzigen Konklusionen. Das Wort von der »Barbarenkultur«, das unvermittelt und
schroff im Eingangssatz des Werkes steht, verliert nie seine Doppeldeutigkeit. Scheinbar meint es einen historisch-soziologischen Tatbestand, der ohne Bewertung zu beschreiben ist: das Vorstadium des entfalteten Feudalismus. Wenn aber auch die eigene Gegenwart als Barbarenkultur bezeichnet wird, so fällt es schwer, dem Anspruch der wissenschaftlichen
Neutralität zu glauben. Ebenso fatal ist die häufige Beteuerung, ästhetische oder religiöse Beurteilungen seien neben der ökonomischen, die das Thema des Buches bildet, durchaus berechtigt. Neben den radikalen Analysen Veblens haben sie keinen Sinn mehr, der nicht relativiert wäre. Wenn
der
Autor trotzdem die Beliebigkeit seines und die Gleichberechtigung anderer Standpunkte betont, fällt von der liberalen Attitüde ein Schatten auf die Verbindlichkeit der Theorie. Sie ist dadurch wider Willen politisch defi-
niert, und zwar als ohnmächtig. Ihr Autor hält die fatale Mitte zwischen dem Subversiven und dem Querulantentum. Das ist nicht verwunderlich bei einem Schriftsteller, der so fest davon überzeugt ist, daß auch bei den Wissenschaftlern
nur ein begrenztes
Interesse an der Erörterung
unbe-
quemer Wahrheiten zu finden sei. Aber wenn die Angstlichkeit, die sich im halben Zurücknehmen schroffer Behauptungen oder in allzu umständlichen Formulierungen zuweilen verrät, die klare Konzeption der Theorie verdirbt, so spielt sie doch als mimetische Reflexion auf ihr Objekt eine
wichtige Rolle. Sie gehört als Geste zu dem Verhältnis zwischen dem Kritiker und seinem Gegenstand. Das Ohnmachtsgefühl des Vereinzelten bewirkt, daß die Kritik in Satire umschlägt. 11
So wenig wie die eigene Position wird die des Gegners, der leisure class, genau umrissen. Zwar wird sie lokalisiert: »weniger innerhalb als vielmehr von der arbeitenden Gesellschaft«7) lebend, sind die Aktivitäten dieser Klasse auf einen Besitz bezogen, der nach großen Maßstäben zu bemessen ist8). Zugleich weist Veblen aber nach, daß das Verhalten, das er der leisure class zuschreibt, die gesamte Gesellschaft gleichsam zwangshaft beherrscht. Sind die beinahe mythisch zu nennenden Figuren jener Klasse kaum zu identifizieren, so läßt sich ihr Dasein bestens an den zahlreichen »Institutionen« beobachten, für die niemand verantwortlich ist. Die leisure class ist zwar die herrschende, aber sie ist kein lenkendes Subjekt, und noch
weniger sind ihre Mitglieder handelnde Wesen — sehr im Gegensatz zu Veblens prinzipieller Definition, daß »der Mensch ein handelndes Wesen« sei: die Attitüde der leisure verhindert jene, zum Subjekt ihres Verhaltens zu werden.
Den
Umständlichkeiten,
zu denen die entfaltete leisure die
Angehörigen der Klasse, und in ihrer Nachahmung die ganze Gesellschaft zwingt, folgt Veblens Stil mimetisch. Er befolgt, was Novalis von den »Geschäftsarbeiten« gesagt hatte, die iın Veblens Werk grob eindeutig als »pecunjary employments«
wiederkehren:
»Eine gewisse Altertümlichkeit
des Stils, eine richtige Stellung und Ordnung der Massen, eine leise Hindeutung auf Allegorie, eine gewisse Seltsamkeit, Andacht und Verwunderung, die durch die Schreibart durchschimmert — dies sind einige wesent-
liche Züge dieser Kunst.«®) Allegorisch ist das Verfahren,
aus den nichtigsten Beispielen — der
weiblichen Handarbeit, dem Spazierstock, der Antilope im Park, dem Betschemel, der Jagdpartie und dem Rennwetten — das Bild der Unproduk-
tivität zu rekonstruieren und aus dessen Transparenz die Idee der Gewalttätigkeit zu lesen. Mit negativer Andacht verweilt die Theorie bei der Beschreibung des Kavaliers der alten Schule, der göttlichen Sicherheit im Auftreten des großen Herrn, der Zärtlichkeit, die Schoßhunden gespendet wird, oder der Andeutung des Schrecklichen in der christlichen Gottesidee. Die richtige Stellung und Ordnung der Massen aber ist bei Veblen nicht, wie Novalis es meinte, poetisch bedacht, sondern politisch. Die Anhäufungen disparater Beispiele versammeln sich nicht zur Allegorie einer höheren
Einheit, sondern unterm Zeichen der Fälligkeit ihres Untergangs als der Trümmerhaufen einer nicht aufgeräumten Vergangenheit: Urväterhausrat, der die Menschheit am freien Leben hindert. Sie entsprechen in genauer Umkehrung der Perspektive, die Jean Paul in der Hochzeitsrede Adams
an Eva vom Anfang der Weltgeschichte her entworfen hat und und die »nichts als Blutkleckse und bunte Narrenquodlibets« zeigt!°). 12
Die Transformation der Allegorie in ein Element der Satire, die Jean Paul vollzog, dürfte Veblen von dessen Epigonen Carlyle überkommen sein. Unmittelbares
allegorisch-satirisches Modell
zu Veblens
der irregelaufenen Weltgeschichte und zu seinen Analysen als Mittel fürs Prestige ist »der große Muttergedanke: die Zustande der Nacktheit... Sollte irgendein Skeptiker noch ob in einer Welt ohne Kleider noch die geringste Politik Polizei bestehen könnte?... Sind wir Beutelthiere? Haben
Gedanken
der Kleidung Gesellschaft im Zweifel hegen, oder auch nur wir natürliche
Beutel wie das Känguruh? Oder wie könnten wir ohne Kleider das Hauptorgan, den Seelensitz und die ächte Zirbeldrüse des socialen Körpers, ich meine eine Tasche besitzen?«1!1) Veblens Satire ist freilich verhohlener. Ihm
ist auch der quasi adamitische Nonkonformismus Carlyles versperrt: »Ein Konsument, der gleich Diogenes darauf bestehen wollte, alles, was nach Renommee oder Vergeudung aussieht, aus seinem Gebrauch zu verbannen,
könnte auf dem modernen Markt auch nicht die geringsten Bedürfnisse befriedigt finden. Sogar wenn er sie aus eigener Leistung decken wollte, wäre es ihm schwer, wenn nicht unmöglich, die geläufigen Vorstellungen darüber aufzugeben.«1?) Nur einen Schritt weit, auf satirische Distanz, vermag die Theorie sich von diesen Vorstellungen zu entfernen. Schon der
nächste mißlingt; der Versuch einer Konstruktion des richtigen Handelns, eines Kanons der richtigen oder ökonomischen Schönheit und der Beziehung auf kausale Abläufe als Maßstab der Erkenntnis wird von Veblen selbst skeptisch beurteilt. Der Umgangssprache,
die er propagiert,
ver-
traut er seine Gedanken nicht an. Die Altertümlichkeit des Stils ist ein wirksames Mittel, um das Archaische in der Gegenwart zu beschwören. Aber die satirische Imitation beschränkt sich nicht auf die Sprachatti-
tüde allein. Als Methode wird sie deutlich vor allem in dem Anspruch der Theorie, als ein Beitrag zur Nationalökonomie zu gelten, nämlich als Untersuchung über den Standort und Wert der leisure class als ökonomischen Faktors in der modernen Welt. Das Verfahren ist in seltsamer Weise taktvoll gegen seinen Gegenstand und rücksichtslos gegen die Wissenschaft, der es angeblich dient. Der Markt wird so gut wie niemals, Geld und Ka-
pital lediglich als Ergebnis der Akkumulation erwähnt, aber ihre ökonomische Funktion als die Basis einer modernen leisure class übergangen. Diese Diskretion ist nicht Veblens private Marotte; sie imitiert, sei’s auch ironisch, eine strenge Konvention der angelsächsischen leisure class, die es verbietet, in Gesellschaft von Geschäften zu reden. Die wahren Vertreter dieser Klasse findet Veblen dort, wo das Verbot am schärfsten ausgeprägt ist: bei den Frauen der Wohlhabenden, bei der Geistlichkeit, in der Sphäre 13
des sogenannten kulturellen Lebens und in der Staatspolitik. Die >»Okonomie« dieser Bereiche besteht darin, nicht ökonomisch zu handeln. Veblen
hätte sich auf den Grundsatz der kameralistischen Rechnung berufen können, daß der Staat nicht die Höhe seiner Ausgaben nach seinen Einnahmen, sondern die Einnahmen nach dem Maß seiner Ausgaben festsetzt und mit dieser Methode
eine Anzahl ökonomisch, nämlich als rentabel,
schwer zu rechtfertigender Ausgaben zumal für kulturelle Zwecke priviJlegiert. Für die moderne, wirtschaftende leisure class werden Markt, Kapital und Geld in merkwürdigen Verzerrungen relevant; das Geld als eine
besondere Form des Konsumverzichts oder der Vergeudung; die Stelle des Privatkapitals kann durch persönliche Kultur als eine Art von Garantie für Kreditfähigkeit vertreten werden. Für die leisure class ist der Aus-
tausch von wechselseitig benötigten Gütern sekundär. Sie interessiert daran nur der Gewinn, die Besitzvermehrung, und auch diese nur als Mittel für
den Zweck der erhöhten gesellschaftlichen Geltung. Der Markt wäre demnach unter der Perspektive der leisure class nur ein Teilgebiet der Offentlichkeit als des großen Schauplatzes für den Wettbewerb um die soziale Position. Das Ziel des Wettbewerbs ist Macht, freilich in den friedlichen
Umständen einer Marktgesellschaft nicht mehr als die unmittelbare Herrschaft über Personen sondern quantitativ, im Besitz konsolidiert. Sie wird sichtbar daran, daß andere weniger besitzen und den Reicheren beneiden.
Veblen hat das Schlagwort vom Neid der besitzlosen Klassen umgedeutet: von diesem Neid leben die Reichen, um seinetwillen wird Besitz erworben,
Neid der Besitzenden aufeinander ist die soziale Hauptbeziehung in einer Gesellschaft, die unter dem Gesetz der leisure class steht. Dieser Neid be-
zieht sich zugleich auf Personen und Sachen. Er ist weniger ein irrationaler Affekt als vielmehr eine Wertordnung, die an den Besitzquantitäten meßbar ist und den Personen ihren gesellschaftlichen Wert zuweist, sowohl das Maß ihrer Selbsteinschätzung wie den moralischen und ästhetischen Wert, der ihnen zuerkannt wird. Der »Markt der Eitelkeit« ist für Veblen der eigentliche Markt, an dem alle erscheinen müssen, weil der Besitz oder
das Streben nach Besitz sie dazu zwingt. Was Thackeray in seinem berühmten Roman als das Laster der Besitzenden beschrieb, ist Veblen eine Eigenschaft, die in einer Welt des Privateigentums jedermanns Charakter
bestimmt. Denn Besitz haben heißt nicht nur, über Gebrauchsgegenstände sinnvoll verfügen; es definiert zugleich den individuellen Status in der Gesellschaft. Und da dieser Status nicht anders bestimmt werden kann als durch Gebrauch des Besitzes, der die Offentlichkeit zum Zeugen hat, gibt es auch mehr und minder wirksame Arten der Ostentation von Besitz. 14
Als die beiden wirksamsten beschreibt Veblen das Nichtarbeiten — die Demonstration eines Besitzes, der von der Notwendigkeit des Arbeitens befreit — und die Vergeudung — die Demonstration des Überflusses. Alle Geschichte der Kultur und der Sitten wird unter dem Aspekt der Okonomie zu einer immerwährenden Abwandlung und Differenzierung dieser beiden aus seinen Entstehungszeiten stammenden Demonstrationsformen des Besitzes. Doch ist der Müßiggang unbequem, und die Vergeudung läßt den wirklichen Genuß verfehlen, weil beide nicht aus dem Verhältnis der
Person zu ihrer Habe sondern aus dem Zwang erwachsen, vor einer strengen Offentlichkeit Überfluß und Freiheit vom Existenzkampf zu demonstrieren. Aus dem Sprichwörterschatz der Armen scheinen die Maximen entlehnt, nach denen Veblen seine leisure class agieren läßt. Müßiggang ist aller Laster Anfang; Hoffart muß Zwang leiden; Überfluß schafft Verdruß —
aber Laster, Zwang und das Überflüssige werden diesem UOkonomen, der nichts umkommen lassen und in der Arbeit das Mittel zum Besserleben sehen möchte, zu Symptomen eines uralten Konstruktionsfehlers der Gesellschaft. Veblens Rechthaberei ist ständig veraltet — weil die Unsitten, die er beschreibt, Mode waren und aus der Mode kamen; sie leugnet gleichwohl, daß sie verjährt seien — weil sie nur ein Stück des fortgesetzten Unrechts sind, das keine Anderung der Kultur- und Sittengesetze je beseitigt hätte, sondern immer von neuem abwandelt, ja zu dessen eigenem Sinn sein anachronistischer Charakter gehört. Das Unrecht, das Veblen
kritisiert, ist jedoch nicht die Behandlung der Armen, der Arbeitenden oder Bedürftigen durch die leisure class, sondern das Leben, das sie selbst führen
muß,
und
nach
ihrem Vorbild
ein immer
wachsender
Teil der
gesamten Gesellschaft. Weil in diesem Prozeß kein Schuldiger verklagt werden kann und alle geschädigt sind, muß die Rechthaberei zur Diagnose werden, die gleichwohl keine Therapie anzuraten weiß; das Unrecht wird zu einem Leiden, das sich in sozialen Institutionen organisch verfestigt —
und da alle Institutionen im Grunde nichts anderes sind als Bewußtseinsformen, Denkgewohnheiten — zur gesamtgesellschaftlichen Neurose. Veblen hat den Begriff der Neurose noch nicht gekannt, als er die Theory of the Leisure Class schrieb. Aber seine ökonomische Analyse verfährt gleich der psychologischen Freuds in der Erforschung der Gründe für einen Zustand,
den dieser als Unbehagen
in der Kultur benannte.
Er nimmt
Freuds Methode vorweg, wenn die Annahme des frühen, gewissermaßen vortraumatischen Stadiums einer friedlichen Primitivkultur »sich besser aus der Psychologie als aus der Ethnologie ableiten läßt«13), wenn überhaupt die Entwicklungshemmung der menschlichen Gesellschaft zurück15
geführt wird auf eine nicht überwundene aggressive Phase ihrer Frühgeschichte mit sadomasochistischen Zügen sowohl bei der arbeitenden wie der müßigen Klasse. Zum Vergleich mit der Psychoanalyse stimmt sowohl die Rücksichtslosigkeit, mit der die Tabus der Konvention ergriffen und als Symptome einer verheimlichten Störung requiriert werden, wie die Faszination, die von der Methode ausgeht; sie entspringt nicht so sehr der schrecklichen oder grandiosen Vereinfachung, mit der alle Zwischenphasen der Geschichte auf das Niveau von Variationen eines und desselben Irrtums niedergebracht werden, als vielmehr aus dem Triumph, den Urmenschen
unter der zerschlissenen Hülle der Kultur leibhaftig in der eigenen Vätergeneration zu entdecken und vielleicht in sich selbst zur Vernunft zu bringen. Nicht zufällig zielen aber auch die Warnungen, die Veblen gegen übertriebene Erwartungen auf einen wirklichen Fortschritt ausspricht, in die gleiche Richtung wie die psychoanalytischen Bedenken vor der Möglichkeit einer substanziellen Veränderung des Charakters oder der Gesellschaft. Wenn Freud im »Unbehagen in der Kultur« vom psychologischen Elend der Masse spricht und erklärt: »Das Programm, welches uns das Lustprinzip aufdrängt, glücklich zu werden, ist nicht zu erfüllen«!*), so meint Veblen, das radikal ehrgeizlose Individuum, das in einer vom Wettbewerb und von der Ostentation bestimmten Umwelt das Leben eines Diogenes zu führen versuchte, würde bald wieder auf seine frühere, neurotisch
angepaßte Lebensweise zurückgezwungen werden; oder aber, ım Idealfall einer zum wahrhaft ökonomischen Verhalten gediehenen Gesellschaft blieben nur prosaische Eigenschaften erhalten, alles Schöne, moralische Größe,
Würde und ähnliche beflügelnde Ideale müßten sich verflüchtigen. Bei Veblen wie bei Freud bewirkt der Gebrauch des Wortes »konomisch« mehr als Ernüchterung vor dem poetischen Schwindel, der die Vorstellungen von Seele oder Kultur umgab. Deren Reduktion auf die Kategorie des — guten oder mangelhaften — ökonomischen Funktionierens geschieht aus dem unausgesprochenen Vertrauen, daß die vorgefundenen Energieformen, heißen sie nun Destruktionstriebe oder treten sie bei Veblen als Konglo-
merat der von sozialem Neid bestimmten Abhängigkeiten auf, auch dann noch weiterwirken werden, wenn sie als »Reaktionsbildungen«, letztlich als Fiktionen oder als Barbarei erkannt sind. Was ihnen an spontaner Suggestionskraft entzogen wird, konzentriert sich neu in der Faszination
vor dem universalen schaft sich darbieten. Grundkategorie, dem so rettungslos bleibt 16
Kräftespiel, als das nur die Psyche oder die GesellSo satirisch Veblen mit seiner anthropologischen Instinkt zum zweckmäßigen Handeln, umspringt, er darin der existierenden Gesellschaft als einem
unwandelbaren Mißgeschick des Menschen verbunden, wenn er den gleichen Instinkt in dem Trieb zum Triumphieren im pekuniären Wettbewerb wiederfindet und anerkennen muß, zu welcher Entfaltung der Instinkt es gerade unter diesem Motiv gebracht hat. Die als Mittel für den pekuniären Kredit denunzierte Kultur ist für den ersten Augenblick dieser Entdeckung
ein abscheuliches
Faktum.
Wenn
aber
die Assoziation,
die
sich auf die kürzeste Formel bringen ließe, daß »viel Geld dahinterstecken muß-«, einmal selbstverständlich geworden ist, dann wird es zweckmäßiger, diese Beziehung aufs Pekuniäre anzuerkennen, als jeglicher Rückzug auf die Ohnmacht des Geistes. Die ökonomische Wahrheit, daß Kultur nur mit
großer Mühe als ein produktiver Konsum, sehr einleuchtend dagegen als Vergeudung definiert werden kann, ist ihr bester good will in einer Gesellschaft, deren Produktion wesentlich davon abzuhängen begonnen hat,
daß die Produkte nicht ökonomisch konsumiert werden. Anpassung an die ökonomischen Gegebenheiten ist das Grundgesetz der sozialen Entwicklung nach der Theorie Veblens. Er unterscheidet zwei
Gruppen solcher Gegebenheiten: auf der einen Seite den sozusagen auf Schleichwegen in die Gesellschaft eindringenden steten Fortschritt der Arbeitstechnik — er bewirkt den langsamen Verfall, das Veralten einzelner Gewohnheiten, Konventionen und ganzer Institutionen; auf der anderen
Seite das nie ausgerottete Gesetz des sozialen Wertvergleichs, das sich ausdrückt im Streben nach Prestige oder Anerkennung, dessen Hauptmittel das Vergeuden ist, und dem Aggressions- oder »Räubertrieb«, den die Oberklasse konserviert. Von einem Fortschritt der Menschheit zu reden, ist dann unsinnig, wenn auch der technische Fortschritt immer dem Dienst an einer stets mehr ausgeweiteten und differenzierten Vergeudung unterworfen bleibt, und zwar um so mehr, je größer der Kreis derer wird, die
über dem Niveau des Existenzminimums leben und sich dem sozialen Geltungsprinzip unterordnen. Nur scheinbar sind auch die Situationen neu, an die Individuen und neue Generationen sich anpassen müssen. In der Veblenschen Transparenz werden alle neuen Situationen reduziert auf unsinnige Moden, die eine immer gleiche irrationale, archaische Struktur reproduzieren. In gewisser Weise macht diese Theorie sich die Tendenz
zur Geschichtslosigkeit zu eigen, die einer Gesellschaft mit technischem Selbstbewußtsein entspricht. Zugleich aber entwertet sie den Glauben an das »mobile perpetuum« einer vollkommenen Industriegesellschaft mit der Behauptung, daß die unaufhörliche expansive Bewegung nur die Folge eines archaischen Konstruktionsfehlers sei, oder vielmehr eines Unrechts,
durch das die Gesellschaft zum zweckblinden Mechanismus ward. Von 2
17
dem Glauben an den Fortschritt als reinliche Beseitigung von Irrtümern vorangegangener Generationen bleibt danach übrig nur die Verachtung einer jeden Vätergeneration, ihrer offenen oder versteckten Gewalttaten oder bestenfalls Modetorheiten. Die einzige Hoffnung, aus dieser historischen Kette von Mißgriffen und Missetaten sich jemals zu lösen, liegt in der Hypothese, daß sie ihren Anfang von einem Sündenfall der Gewalt genommen habe. Aber die Hoffnung, ihn wieder gutzumachen, ist in Veblens wie in Freuds urgeschichtlicher Hypothese verschwindend klein.
Der Begriff der Anpassung ist gerade darum von so tiefer Melancholie, weil er die Erkenntnis ausspricht, daß sich dank ständiger kleiner Korrekturen auch in der grundverkehrten Gesellschaftsordnung leben läßt, und daß selbst die Erkenntnis des Kardinalfehlers zu einem Akt der Anpassung werden kann. Die Unterwerfung unter die Übermacht der gegebenen Umstände und die Autonomie ihrer Bewegung ist gleichbedeutend mit dem positivistischen Verzicht auf die Idee eines Subjekts der Geschichte. Ihm schwört Veblen ab, als animistischem Restbestand oder Anthropomorphismus, ohne zu bemerken, wie an seine Stelle im System der andere Animismus des unsterblichen Räubercharakters, des Wettbewerbs- und Vergeudungstriebs tritt. Er beherrscht wie ein böser Geist die leisure class,
die, weit entfernt, die Gesellschaft planmäßig zu dirigieren, ein quasi priesterliches Amt verwaltet, aber durchaus in keinem anderen Sinne als dem einer säkularen Liturgie, die Bluff auf Bluff zelebriert, ohne daß sie
sich selber davon Rechenschaft zu geben vermöchte. Die dieser Klasse hörige Gesellschaft hat keine Zukunft, die aus der archaischen Gegenwart herausführen würde; Prophezeiungen wie die vom Aussterben der Gat-
tung der Industriekapitäne oder einer Ausbreitung friedfertiger, nicht auf ‚Wettbewerb gezüchteter Charaktereigenschaften sind aufgewogen von anderen, die den Fortbestand der Gesellschaft von der Nachzucht räube-
rischer Charaktertypen abhängig machen und eine Verfeinerung oder Vergeistigung der vom Neid bestimmten Distinktionen, eine Überführung der leisure class-Lebensformen ins bürgerliche Milieu ankündigen. Noch weniger wird der arbeitenden Gesellschaft die Chance einer künftigen Übernahme der Verwaltung in eigene Regie zugestanden; fixiert auf ihr Interesse an der Technik der Arbeit, bestenfalls solidarisch oder altruistisch
handelnd, entläßt sie aus ihrer Mitte Führer, die schon durch ihre aggressive Mentalität zur leisure class hinüber tendieren. Veblens Theorie ist von Grund auf unpolitisch. Allenfalls wäre sie anarchistischer Tendenzen
zu bezichtigen — der gleichen, die bei liberalen Denkern in dem Abscheu vor der Unproduktivität und dem Schmarotzertum des Staatsapparats 18
zu Tage treten; bei Veblen haben diese Tendenzen sich später zu der Prophezeiung eines bevorstehenden technokratischen Zeitalters verfestigt. Die Entwicklung zur ökonomischen Nüchternheit, die Veblen für stetig
ansah, ist seit der Abfassung seines Werks nicht geradlinig fortgeschritten. Sie hat sich schon deshalb verwischt, weil die zu seiner Zeit noch deutliche
Scheidung von protzenhaftem Reichtum und Kargheit des proletarischen Lebens, sei es verschwunden, sei es nicht mehr öffentlich wahrnehmbar ist. Das Argument, Vergeudung laufe dem Interesse der Menschheit zuwider,
hat sich rasch verflüchtigt vor der Notwendigkeit, einer wachsenden Produktion Absatz zu schaffen. Es ist nicht nur in den Hintergrund getreten, sondern in sein Gegenteil verkehrt worden als die Pflicht des Konsumenten,
den Rhythmus der Wirtschaft nicht zu stören oder zu verlangsamen. Diese Wendung hat Veblens Satire ihrer Kraft beraubt. Sie beruhte auf einer Selbstverständlichkeit, die keine mehr ist, seit der technische Instinkt des
zweckmäßigen Handelns entdeckt hat, wieviel Spielraum er durch die planmäßige Vergeudung seiner Produkte und durch die Herstellung von Produkten, die zum Vergeuden bestimmt sind, gewinnen kann. Veblens pathetische Verurteilung der leeren Existenz — Widerpart
der »Lebens-
fülle« — hat ihren Sinn verloren, seitdem die leere Existenz zur optimalen ökonomischen Chance für jene Fülle gemacht worden ist; beide Vorstellungen sind zur begrifflosen Wirklichkeit geworden. »Der Gestus des begriffslosen So ist es ist genau der, den die Welt einem jeglichen ihrer Opfer zukehrt, und das transzendentale Einverständnis, das der Ironie innewohnt, wird lächerlich vor dem realen derer, die sie zu attackieren hätte.« 15) Das reale Einverständnis ist das der Konsumenten; es triumphiert als Widerpart des unaktuell gewordenen Gegensatzes zwischen den
Gruppen der produzierenden Gesellschaft. Die historische Bedeutung der Analysen Veblens liegt aber gerade darın beschlossen, daß er rechtzeitig auf den Trug aufmerksam wurde, der jenem Einverständnis zugrunde liegt. Nun, da seine Satire keine Wirkungen mehr erhoffen darf, weil die Osten-
tation Gemeingut geworden, die Vergeudung selbst zum ökonomischen Prinzip avanciert ist, wäre sie auf ihren Gehalt an theoretischer Einsicht
zu prüfen. Dabei kann es sich weniger darum handeln, die historische Zuverlässigkeit der Beispiele zu kontrollieren, als vielmehr um die Konstruktion der Idee einer leisure class und ihrer Abschattierungen in der existierenden Gesellschaft. Die vorliegende Studie versucht dies unter zwei Aspekten. Einmal wird die Institution des Eigentums oder Besitzes auf ihren mutmaßlichen Ursprung als Gewalttrophäe hin betrachtet und in diesem Zusammenhang die Genealogie der Gewalt und ihrer Ostentation 2*
19
entworfen. Das zweite Kapitel beschäftigt siıch mit den Ritualen des Konsums, vornehmlich im Hinblick auf eine aktuelle Entwicklung, in der die Probleme des Konsums vordringlicher geworden scheinen als die der materiellen Produktion. Die Ausweglosigkeit des Veblenschen Entwurfs nimmt die Ratlosigkeit vorweg, zu der eine an der ständigen Ausweitung
von Konsum orientierte Gesellschaft tendieren muß.
20
II. BESITZ UND
TROPHAE
Die Geschichte der menschlichen Gesellschaft ist für Veblen die Geschichte ihrer Institutionen: »eine natürliche Zuchtwahl der jeweils brauchbarsten Denkgewohnheiten und ein Prozeß zwangsläufiger Anpassung der einzelnen Menschen an eine Umwelt, die sich mit dem Anwachsen der schaft und mit dem Wandel der Institutionen, in denen die Menschen fortschreitend verändert hat«1). Wenn hier die Institutionen als das Primäre und Vorgegebene definiert sind, so werden sie alsbald
Geselllebten, jeweils als ein
gesellschaftlicher Schein charakterisiert, nämlich als Mißerfolge
in der
Anpassung des Denkens an die jeweils aktuelle Wirklichkeit: »Gesellschaftliche Lebens- und Bewußtseinsformen sind das Produkt der vorangegan-
genen Entwicklung; sie sind einem früheren Milieu angepaßt und stimmen deshalb nie völlig mit den Erfordernissen der Gegenwart überein. Es liegt in der Natur der Sache, daß dieser Prozeß selektiver Anpassung die unablässig sich ändernde Situation, in der sıch die Gruppe zu jedem gegebenen Zeitpunkt befindet, nie ganz einholen kann, denn die Umwelt, die Situa-
tion, die Erfordernisse des Lebens, welche die Anpassung erzwingen und die Selektion treffen, ändern sich von Tag zu Tag, und jede neue Situation der Gruppe ist, sobald sie sich hergestellt hat, schon im Begriff, überholt zu werden.«?) Mit dieser schematischen Reduzierung aller Institutionen auf die ihnen korrespondierenden Formen des Bewußtseins und deren
genereller Charakterisierung als notwendig falsch begibt sıch Veblen jeglichen Kriteriums für die verschiedenen Grade von Stabilität und sozialer Bedeutung der einzelnen Institutionen. So wird am Anfang des Werks die Institution des Eigentums als archaisch gewissermaßen denunziert und
kurz darauf die erfolgreiche Anpassung solcher archaischen Denkgewohnheit an die Institutionen einer befriedeten Umwelt beschrieben. Als perma-
nent erscheinen nicht so sehr die Rechtsformen und die von der Institution des Privateigentums ausgehenden Wirkungen auf die Struktur der Gesell-
schaft als vielmehr zwei polar entgegengesetzte Charakterstrukturen, die 21
Veblen nachträglich zur Begründung des ständigen Konflikts von Arbeit
und Vergeudung einführt. Ungewollt ergibt jedoch gerade diese Beschränkung aufs Archaische, auf die Unangemessenheit der Bewußtseinsformen an die Realität einer auf Arbeit gegründeten Gesellschaft eine höchst fruchtbare Perspektive. Nach Veblens Theorie kann die Produktionssphäre nicht der konstituierende Faktor einer nur konsumierenden, nicht produktiven Klasse sein. Für diese Klasse spielt also das Eigentum in seiner aktuellen
Funktion
als Produktionsmittel
oder
Produktionsverhältnis
nur
eine
sekundäre Rolle; es ist primär Gegenstand des Konsums, und zwar eines
Konsums, der im Hinblick auf die Steigerung oder Erhaltung des gesellschaftlichen Prestiges stattfindet. Akkumulation treibt die leisure class nicht, um die gesellschaftliche Produktivität zu steigern, sondern weil ein
Mehr an Eigentum ihre Geltung innerhalb der Gesellschaft konsolidiert. Mit dem ständigen Hinweis auf dieses anti-ökonomische Moment in der Institution des Eigentums hat Veblen den Blick auf einen Widerspruch zu dessen vordergründiger Rationalität eröffnet, der von den Wirtschaftstheoretikern meist außer acht gelassen oder, wie zum Beispiel von Keynes in seinen Beobachtungen über die unproduktive Verwendung von Geld, lediglich als eine Unebenheit der Theorie wahrgenommen ist. Veblen hat nicht nur den Widerspruch entdeckt. In ıhm hat er zugleich das Fortwirken einer anti-ökonomischen archaischen Macht geahnt.
EIGENTUM
ALS BEUTE
Zwei Bedingungen sind als Voraussetzung für die Entstehung des Eigentums genannt: »Eine Beutekultur ist ın der Frühzeit erst möglich, wenn die Waffen weit genug entwickelt sind, um aus dem Menschen ein furchterregendes Tier zu machen.«3) Weiter muß »die Produktivität der Arbeit so weit entwickelt sein, daß über die Erhaltung der am Lebenserwerb Beteiligten hinaus ein Bereich entstanden ist, um den zu kämpfen lohnt« %). In diesem Bereich oberhalb des Existenzbedarfs entsteht das Eigentum. Es ist nicht das Angeeignete schlechthin, zumal nicht in irgendeiner Be-
ziehung auf seinen Gebrauch oder Verbrauch. »Aneignung und Verbrauch einfacher persönlicher Besitztümer findet statt, ohne daß dabei die Frage
nach ihrem Eigentümer im Sinne eines anerkannten, rechtlichen Anspruchs auf eine Sache entstünde.«5) Nur scheinbar entsteht hier der Unterschied zwischen der unmittelbar nützlichen Sache und dem Eigentumsanspruch aus einer »Gewohnheit des Denkens«. Vielmehr entsteht im Sinne der 22
Theorie Eigentum erst da, wo die Sache auch jenseits ihres Nutzwerts als Eigentum reklamiert wird, und zwar zunächst nicht an beliebigen, sondern gerade an solchen Sachen, deren materieller Nutzen gering ist oder mißachtet wird, wohingegen ihr sozialer Symbolwert hervorsticht: Eigentum ist wesentlich eine Trophäe. Im Anfang ist nach Veblens Darstellung diese
Trophäe der Gegenstand der Parforceleistung selbst: Gefangene, vor allem Frauen, und zwar nicht als die Beute, die für die Bestreitung des Lebens oder für eine Produktion nützlich werden soll, sondern ausschließlich als
das Beweisstück der vollbrachten Waffentat, an dem sich die überlegene Gewalt auch weiterhin demonstriert®). Erst in einer späteren Phase wird die Arbeitssklaverei von Gefangenen zum Inhalt des Eigentums, das dann auch
die Produkte
von
deren Arbeit,
also den Hausstand
umschließt.
Aber dieser Fortschritt hebt das erste Stadium nicht vollständig auf. In der Trophäe war die momentane Aktion der brutalen Gewalt oder List verdinglicht. Der Wert des Eigentums besteht darum in der Erinnerung an die Tat und späterhin erst iın einem Zweck, der ihm eine neue Bedeutung geben kann. Aus Veblens Darstellung geht hervor, daß er den ur-
sprünglichen Sinn des Eigentums nicht nur neutral gegen eine mögliche Zweckbestimmung, sondern in ausdrücklicher Opposition zu ihr erblickte. Die Trophäe ist das Symbol des Schadens, den nicht allein das erlegte Wild oder der besiegte Feind, sondern weiterhin auch die erleiden, die von der Beute nichts abbekamen und statt dessen dem Beweis der Stärke huldigen müssen. »Die Männer müssen gewohnt sein, Schaden zu tun«, wird als
eine Hauptvoraussetzung für das Entstehen einer leisure class genannt?). Als das betont nicht Nützliche hat die Trophäe aber die Funktion einer
sozialen Unterscheidung und zugleich moralischen Rang (invidious distinction) 8). Denn »in der frühen Barbarenkultur ist die Tätigkeit der Männer für das Leben der Gruppe so wenig entbehrlich wie die Arbeit der Frauen... Der »produktive« Charakter dieser männlichen Beiträge zum Leben ist so augenfällig, daß das Weidwerk in der gängigen national-
ökonomischen Literatur als der Typus wirtschaftlicher Arbeit unter primitiven Bedingungen schlechthin gilt. Aber das entspräche keinesfalls der Auffassung des Barbaren... Alle barbarischen Gesellschaftsordnungen durchzieht ein tiefes Gefühl für die Unvergleichbarkeit männlicher und weiblicher Tätigkeit.«®) Institutionellen Charakter gewinnt die Trophäe aber erst dadurch, daß sie vom Anlaß der einen besonderen Tat abgetrennt als Symbol der beständigen Übermacht aufbewahrt wird. »Institution ist ein Verhalten, das einer vergangenen Situation entspricht« 1°) — der Satz
besagt nicht so ausschließlich, wie Veblen es wollte, daß dieses Verhalten 23
nicht »auf der Höhe der Zeit« ist und ihren Erfordernissen nicht mehr ganz gerecht wird. Die Attitüde der Fähigkeit zum jederzeitigen Wiederholen des Gewaltakts — und zu ihr verpflichtet die Trophäe — kann auch
gegenwärtige und künftige Situationen determinieren. Umgekehrt können auch vollkommen rationell scheinende Institutionen auf vergangenen, dem Bewußtsein nicht mehr fragwürdigen Situationen beruhen. Eine Ahnung
von der wirklichen Vorgeschichte der modernen regelmäßigen Arbeit blinkt auf in der Feststellung, daß »die Sklavenarbeit, die zwangsläufig eine Produktion über das Existenzminimum hinaus entwickelte, weniger aus dem Motiv der Konkurrenz im Besitzrenommee als aus brutaler Unter-
drückung entstanden ist« !!). Wenn aber die Institution des Eigentums aus der Gewalt abgeleitet wird, dann läßt sich in dieser Genealogie mit gleichem Recht eine noch Phase konstruieren, in der der Gewaltakt selbst noch über sein dominiert. Veblen führt hierzu ein charakteristisches Beispiel an. darin freilich nur einen Beleg für seine Theorie der ostentativen
frühere Symbol Er hat Vergeu-
dung gesehen, ohne den Zusammenhang zu bemerken, der hier zwischen ursprünglichem Eigentum und der Schadenszeremonie zutage tritt. Der potlatch der Kwakiutl-Indianer an der Nordwestküste der Vereinigten Staaten!?) ist nicht nur der Wettstreit ın Aufwand und überreichlichen Geschenken gewesen, als den Veblen ihn darstellt. Die rivalisierenden Stämme überboten einander in einer Reihe von Festen mit dem Verschenken ihrer gesamten Habe, die der beschenkte Stamm alsbald zu Ehren des Gastgebers zerstören mußte. Die Festesreihe endete damit, daß die
von allen Mitteln entblößten Stämme sich wieder dem Abenteuer ihrer Fischzüge zuwandten!3). Einen Rest solcher Gebräuche mag man noch im Polterabend vor der Hochzeit, im Liebesmahl der Offiziere und in der
Verschwendungskonkurrenz finden, der sich der russische Landadel quasi nach dem Gebot eines Ehrenkodex im neunzehnten Jahrhundert hingab. Gleichviel nun, ob diese Sitten motiviert werden mit einem Opfer, welches
Gottheiten oder das Schicksal gnädig stimmen soll, mit dem Beseitigen von Schätzen, die im Kampf hinderlich werden, oder als Demonstration der Freundschaft, die sich im Verschenken allen Hab und Guts an den Stamm,
mit dem Friede geschlossen oder Verbrüderung gefeiert wird, äußern soll: was motiviert wird, ist stets ein Schaden, die Zerstörung von brauchbarem
oder geschätztem Sacheigentum. Die Gewalt macht aus Eigentum, das allzusehr friedlicher Besitz werden könnte, eine Trophäe, indem sie es zerstört und so die Verpflichtung wieder aufhebt, die der heile Besitz auferlegt. Wenn nach Veblens Verweisung auf die Erzählungen der Ilias nur 24
Frauen als Siegestrophäen einbehalten, die männlichen Gefangenen dagegen
niedergemacht
werden,
obwohl
sie als Sklaven
nützliche Arbeit
leisten könnten, so ist darin neben der alten Geringschätzung von Nützlichkeit die Ostentation von Besitzvernichtung deutlich, und nicht minder in der Kriegspraxis, das feindliche Land zu verheeren und damit die Aus-
sicht auf Tribut zu vermindern. Daß Plündern strenger als jede andere kriegerische Ausschreitung bestraft wird, mag auf dieselbe Moral des Kampfes zurückgehen, der nicht, oder wenigstens nicht offen um materieller Vorteile willen geführt werden soll. Wie sehr der Sinn für Nützlichkeit auf einem erlernten Tabu begründet ist, dem die zerstörerische Lust des
>»Zueigenmachens« lange voraus geht, läßt sich beobachten an dem aggressiven Zugriff von Kindern auf die Gebrauchsgegenstände der Erwachsenen. Ihr Interesse erschöpft sich entweder in der Bemächtigung als einer Art von Akkumulation durch Raub oder im Zerlegen und Umbauen zu Trophäen ihres eigenmächtigen Spiels; der Gedanke ans Behalten ist ihnen
fremd. An solchen Einsichten war Veblen durch seine starre und dogmatische Theorie vom Instinkt des zweckmäßigen Handelns und dem Widerwillen
gegen das Unnütze als dessen negativer Außerungsform verhindert. Gewalttätigkeit bemerkt er nur in den Formen einer Aggressivität gegen Personen. Deshalb entgeht ihm auch das hervorragende Zeugnis einer archaischen Gewalttätigkeit gegen den Besitz, das er selbst aus der Apokalypse zitiert: »Meine Augen haben den Ruhm der Ankunft des Herrn erblickt. Er zerstampft den Weinberg, darınnen die Früchte des Zorns hängen.«14) Die Paradoxie der Trümmer als Trophäe wird in der Tat
nirgends so deutlich wie ın den Bereichen der Glaubensgeschichte. Die Kraft des Außerordentlichen wird in Reliquien, als zerstörten Teilen des Leibes, oder in den Ruinen vermutet, unter denen die Renaissance die Krippe Jesu malt. Gemeinsam ist den verschiedenen Außerungen solcher Besitzfeindschaft, in ihrem Verfolg dann auch der Askese und der Bejahung des Martyriums als Zerstörung der Physis, die als ein extremer Rest
irdischer Habe gedacht wird, die Opposition zu dem kulturellen Standard der umgebenden, nach Veblens Sprache »quasi befriedeten« Welt. Die bloße Absage an die Schätze, welche die Motten und der Rost fressen, oder das Gelübde der Besitzlosigkeit des Gottesstreiters sind jedoch bereits ein auf die private Sphäre eingeengtes, exemplarisches Verhalten, das spontaneren Ausdruck in der Zerstörung von Besitz findet — dem Umstürzen der Tische von Wechslern und Taubenkrämern im Tempel von Jerusalem
oder der Bilderstürmerei. Je nach dem Grad der Verfestigung weltlicher 25
Besitzordnungen werden solche Aktionen zu einem Reservat des »linken« Flügels religiöser Institutionen, der Bettelorden des Christentums oder des Buddhismus, der Derwische im Islam oder der Jüngerscharen des Zoroaster. Schwinden die Aussichten auf eine wirkliche Revolution der weltlichen und geistlichen Herrschaftssysteme, so bleibt das Recht der zerstörenden Gewalt eingeschränkt noch lange erhalten, sei es für befristete Zeiten — Saturnalien und Karneval —, sei es für bestimmte Personengruppen. Die Konzession, die hier gewährt wird, nimmt freilich der Gewalt zugleich den Rang. Nur als unernst, als Posse und um den Preis der eigenen Lächerlichkeit ist sie noch zugelassen. Wandernde Asketen übernehmen das Zerstörungs- und Prügelprivileg des Narren, des Mimus, des Juglaren oder des Harlekin; nur als »ioculatores domini« durften Franziskus und
seine Anhänger es wagen, die institutionell sanktionierte Würde der Kirche in Frage zu stellen !5).
Veblens universales Hohngelächter über alle und jede Außerungsform der leisure class läßt verkennen,
daß
eine aktive wie passive,
nämlich
freiwillig provozierte oder stoisch ertragene Lächerlichkeit in den verschiedensten Abstufungen
von der kaum
merklichen
Zweideutigkeit bis zur
vollendeten Absurdität nur für bestimmte Teile dieser Klasse charakteristisch ist, deren Macht in einer zweckrationalen Umwelt nicht mehr anerkannt wird. Komisch wird erst für eine Welt des produktiv organisierten
Besitzes jene donquijoteske Existenz der »zweiten, sozusagen unechten leisure class in ıhrer schändlichen Armut und bedenklich entbehrungsreichen trostlosen Lebensweise« 19), also der verarmten Vornehmen, welche
ihre Unfähigkeit, das Verbot einer »unwürdigen« bürgerlichen Erwerbsarbeit zu überwinden, zu Märtyrern oder Elendszeugen gegen die neue Besitzordnung macht. Aber dem wäre aus neueren Geschichtserfahrungen wie der langjährigen »Bonus«-Kampagne 1%) der American Legion nach dem ersten Weltkrieg oder, deutlicher noch, der Nachgeschichte der Freikorps in der Weimarer Republik die Beobachtung nachzutragen, daß die Komik der feudalen oder militärischen Bohe&me auch in eine Renaissance ihrer destruktiven Potenz umschlagen kann. Zweideutig zwischen Komik und Schrecken schwankt auch die Absurdität, die für den Bürger in der Existenz der — laut Veblens Zuordnung — »unteren leisure class« des Verbrechertums und seiner Abenteuer inmitten einer rechtlich universalen Arbeits- und Besitzwelt liegt. Es lassen sich neben den Verwüstungen des Krieges
wenig
Beispiele von
ökonomisch
so widersinniger
Destruktion
finden wie die kriminelle Praxis des Zerschlagens oder Einschmelzens von metallenen Gegenständen ohne Rücksicht auf ihren, im Verhältnis zum 26
Materialpreis meist ungleich höheren Gebrauchs-
oder Kunstwert.
Im
Hinblick auf die Geldwerte, die er selber zerstört, bleibt der Hehler, der damit die Spur des Verbrechens zu verwischen sucht, der ökonomisch hoff-
nungslose Dumme, nicht anders als der Einbrecher, dessen Beute kaum je in einem >»vernünftigen« Verhältnis zum Risiko der Strafe steht. Natür-
lich würde der Besitz des Geraubten als heile Trophäe oder seine Verwertung zum Marktpreis leichter noch die auf Gewaltrtätigkeit und das Abenteuer des Unrechts gegründete Existenz beenden. Unter diesem Aspekt
enthalten aber die geraubten Gegenstände für den Rechtsbrecher eine eigene, für ihn bedrohliche Macht, die sie zu ihrem Ursprungsort zurückstreben läßt. Dieser Macht, die in der Wiedererkennbarkeit der Gegenstände, also ihrer Kommunikation mit der Welt des rechtlich sanktionier-
ten Eigentums liegt, ist nur durch Zerstörung der Form des Besitzes zu begegnen. Auf die Höhe eines ökonomisch rationalen Verhaltens gelangt — und entzieht sich damit auch der Transparenz jeder Komik — das Tabu, das zur Zerstörung von Sachbesitz zwingt, ın neuester Zeit mit der ständig
weitere Kreise ergreifenden Tendenz, zu jeder Zeit up-to-date gekleidet oder eingerichtet zu sein. Nur zu einem Teil läßt sie sich als Ostentation der kostspieligen Neuheit deuten. Zu ihr gehört ebensosehr die entschlos-
sene Mißachtung des älteren Besitzes, der den Neuanschaffungen weichen muß. Wie fragwürdig die Kategorie der Brauchbarkeit als Argument für einen Besitzwert zumal in Fragen der Kleidung ist, hat Veblen ausführlich beschrieben. Jedoch besteht Mode nicht allein in der »Vortäuschung eines Gebrauchszwecks, deren tatsächliche Absurdität sich unserer Wahrnehmung alsbald aufdrängt«17). Mit der Gewöhnung an Eigenheiten der Kleidung als Gebrauchsgegenstand entsteht eine persönliche Besitzbeziehung, die aufzulösen die Demonstration neuer Gebrauchsformen allein nicht aus-
reichen würde. Der Zwang zur ostentativen Vergeudung, den Veblen für das entscheidende Motiv hält, wird nach außen hin sichtbar nur in dem Glanz der Neuanschaffung. Hinzu tritt jedoch jetzt iın Opposition zu dem traditionellen Stil des reichlichen, dauerhaften Besitzes aus Erbschaft oder Aussteuer eine dem »omnia mea mecum porto« sich angleichende
Liquidität des Besitzstandes18). Der fast kultische Züge annehmende Konformismus mit dem jeweils Neusten widerstreitet jener persönlichen Beziehung zum Gebrauchseigentum und führt zu seiner fortgesetzten Beseitigung, zum Verkauf als Trödelware oder zur direkten Vernichtung, welche gelegentlich bereits als ein eigener Lustgewinn suggeriert wird. Die Her-
stellung von Gebrauchsgütern von einer Kurzlebigkeit und Billigkeit, die den letzteren Weg zum üblichen werden läßt, hat die Zerstörung brauch27
barer Gegenstände zum integrierenden Bestandteil des Besitzverhältnisses selbst gemacht. Das »verschwindende Werk«!®) war für die produktive Individualität das Ergebnis ihres Tuns; der Individualität des modernen Konsumenten ist es dagegen zu einer Voraussetzung ihres Wesens geworden.
BESITZUNFÄHIGKEIT
UND
NARBE
Obwohl Veblen Besitzzerstörung nur als Vergeudung gedeutet wissen will, findet sich in seinen Ausführungen über den Anthropomorphismus ein wichtiger Hinweis auf die Genese dieses Verhaltens. Auch wo der
Barbar Besitzgegenstände zerstört, »handelt es sich um Phänomene, die für die animistische Vorstellung des Wilden oder Barbaren mächtig sind, das heißt vermutlich oder in Wirklichkeit ein Geschehen auslösen können... Phänomene dieser Art — insonderheit solche, die ihm ein Verhalten zeigen, das ihn schreckt oder verwirrt oder seine Pläne zunichte macht — wollen in anderem Geist und mit einer anderen Art von Geschick angegangen sein, als es gegenüber trägen, unbelebten Gegenständen nötig ist. Gegen solche Phänomene erfolgreich zu bestehen, ist eine kühne Tat und wäre als Arbeit nicht zu bewältigen. Es ist ein Beweis für Kampffähigkeit, nicht für die Tüchtigkeit eines Arbeiters.« 2°) Als ein
Verhältnis dieser Art zu Dingen ließe sich die Zerstörungswut des Ikonoklasten anführen, der in den Bildern den Sitz böser Gedanken oder Dä-
monen vermutet. Weniger Entsagung als >»Weltflucht« im wörtlichen Sinne treibt auch den Asketen dazu, sich der weltlichen Habe zu entledigen. Indessen läßt sich das animistische Verhalten nicht immer rein von einem technisch begründeten scheiden, dem ein Zuviel an Besitz zum Ballast wird.
Schon die Zerstörungsaktionen des Kriminellen ließen eine Vermischung der beiden Motive erkennen. Für den philosophischen oder religiösen Asketen ist subjektiv der Besitz gleichermaßen nur eine Bürde; aber im Verhältnis zur umgebenden Welt ist seine Besitzlosigkeit ein Rangabzei-
chen in der sozialen Ordnung, das ihm entweder als Mitglied einer charismatischen Aristokratie — nach Veblens Terminologie also einer leisure class — die Versorgung sichert oder, wie im Falle der christlichen Mönchsorden, eine privilegierte, der Verachtung enthobene Position der Arbeit2!).
Diese Arbeit ist gegen das Tabu, das auf den bearbeiteten Dingen liegt, dadurch gesichert, daß sie nicht zum Besitz werden. Aber ein solcher Deutungsversuch stößt auf die Schwierigkeit, daß die Existenz der Besitzlosen — der Asketen oder der arbeitenden Mönche — selbst bereits den 28
Ausnahmefall inmitten einer bestehenden Eigentumsordnung darstellt. Verstreute Hinweise Veblens lassen hier auf eine noch ältere Schicht des Verhältnisses zum Besitz schließen. Eine, wenngleich sehr vermittelte Erklärung des Affekts, der zur Entäußerung von eigener oder erbeuteter Habe oder zu ihrer Zerstörung drängt, liefert seine Bemerkung über die
»zeremonielle Unreinheit«, die in der Vorstellung des Gebildeten den niederen, zumal den häuslichen Dienstleistungen anhaftet ??). Selbst wenn diese Ausdrucksweise nur ironisch die Gespreiztheit der Standesunterschiede reflektieren wollte, so bliebe noch zu erklären, weshalb der Schmutz überdies als ansteckend gilt — für den Charakter des Arbeitenden und alle,
die sich nicht von ihm distanziert halten. Veblen kehrt die Motivfrage um. Schmutzig ist die Arbeit der Untergebenen, ehemals der Unterworfenen,
weil sie keine kämpferischen Tugenden zu ihrer Bewältigung erfordert, sondern an inaktiven, trägen, also unbeseelten Dingen verrichtet wird?3). Nicht der wirkliche Schmutz wäre als ansteckend zu fürchten, sondern die schmutzige Gesinnung des »erniedrigten Fleisches«24), des von der Arbeit
deformierten Leibes. Doch wäre es ein Kurzschluß im Gedankenzug Veblens, wollte
man
die Beschäftigung
mit
der persönlichen
Habe,
deren
emotioneller Wert noch ein Ausdruck ihrer Trophäennatur ist, als Arbeit an unbeseelten Dingen bezeichnen. Daß sie dies nicht schlechthin ist, hat
Veblen an der Hierarchie der stellvertretenden leisure-Beschäftigung gezeigt, die gerade dann, wenn sie der Pflege des unmittelbaren Besitzes gelten, an der Ehre des Herrn teilnehmen. »Ein niedriger Dienst, der für eine
Person von hohem Rang geleistet wird, kann zu einem sehr ehrenvollen Amt werden.«2) Die Unreinheit des Besitzes besteht in diesem Fall also nur für den Herrn selbst; und gegen Veblen steht hier die Vermutung, daß sie mehr ist als der Reflex des Gegensatzes zwischen leisure und gemeiner Tätigkeit — daß vielmehr die Furcht vor der »zeremoniellen Unreinheit«
selber ein fortwirkendes Teil animistischen Denkens ist. So wie in der Zerstörung oder der Enthaltung von Besitz wirkt auch in dem Widerwillen gegen die zeremonielle Unreinheit, die seiner Pflege oder Bearbeitung anhaftet, die Furcht vor der beseelten Macht, vor dem latenten Widerstand des »Erworbenen«, der in der Aneignung nur zeitweilig gebrochen war.
Berührungsangst — das deElire de toucher — liegt, wie Freud?®) und andere vor ihm gezeigt haben, den zeremoniellen frühen Besitzverhältnissen zugrunde: eine Angst, die in der Gewalttat überkompensiert wurde. Der »Furcht des Herrn«, in der der Knecht lebt, korrespondiert eine Furcht
des Herrn vor seinem eigenen Besitz. Sie zu überwinden, bedarf er des Knechtes: »er kann durch sein Negieren nicht bis zur Vernichtung mit ihm 29
(sc. dem Ding) fertig werden, oder er bearbeitet es nur«; aber »das fremde Wesen, vor dem es (sc. das dienende Bewußtsein) gezittert hat«, wird ihm »dadurch zum Gegenstande, daß es die entgegengesetzte seiende Form aufhebt« 27), 28). Veblen nahm an, daß sich die leisure class die Verbote, die ihr die so-
genannten niederen Arbeiten verwehren, selber zur Unterscheidung gegen die Dienenden auferlegt hat. Man könnte versucht sein, jene Verbote als kampftechnische Vorsichtsmaßnahme zu erklären: solange der Trophäenbesitz aus geraubten oder gefangenen Menschen bestand, war die Ostentation der Macht unmittelbar identisch mit der Wachsamkeit der tatsächlich Gefährdeten; und dies aktuelle Verhältnis von Herrschaft und Unterwer-
fung mag sich zur Statusgesellschaft verfestigt wohl denken lassen. Aber diese rationalistische Deutung läßt sich nicht, wie es Veblen versucht hat, unmittelbar auf die Entstehung der Hilflosigkeit übertragen, die gewisse Tabus zur Folge haben. Er zitiert das Tabu, das polynesischen Häuptlingen verbietet, ihre Nahrung mit eigener Hand zu berühren; die Vorschrift ist so strikt, daß sie es vorziehen, Hungers zu sterben, wenn sie von ihren
Stammesangehörigen nicht gefüttert werden?®). Dieses zweckfeindliche Verhalten zu den Gütern des unmittelbaren Konsums wirkt als eine Ostentation von Macht, die sich in zahlreichen Fällen zu einem System der Le-
gitimität entwickelt hat. Aber wenn ein derartiges System auch auf dem Schema oder Kanon der Unwürdigkeit und moralischen Unzulässigkeit des Arbeitens für ein Mitglied der leisure class aufbaut, so doch um den Preis einer Selbstentmachtung — und sie läßt Veblen unerklärt. Strenge
Tabus wirken sich nicht nur als Rangerhöhung des Tabuierten aus, sondern ebenso sehr gelten sie als eine Sicherung des Stammes gegen die magischen Kräfte des Häuptlings, der alles was er berührt, zur tödlichen Trophäe seiner Macht sich anverwandeln würde. Er ergreift Besitz durch Beseelung, und diese Beseelung äußert sich in der Schädlichkeit aller Dinge, die seine Hand berührt hat. Die höchste Machtkonzentration erweist sich damit als vollständig unfähig zum Besitzen; Besitzergreifung und -zerstörung fallen bei ihr in eins zusammen. Das Wesen der Trophäe schlägt hier nach innen um: als der institutionelle Schaden, den sich Angehörige der leisure class selbst zufügen, da die Tabus, die ihre Macht befestigen, sie zugleich die physische Selbsterhaltung verlernen lassen. Selbstbeschädigung, die Veblen nur als einen Teil des Ehrenkanons der leisure class verhöhnt, ist ein wesentliches Attribut der Herrschaft. Provo-
kantestes Beispiel für diesen institutionell begründeten, gegen die eigene Person gewendeten Schaden ist Veblens — vermutlich frei erfundene, aus 30
Quellen nicht zu belegende — Anekdote über den Tod, den ein König von Frankreich durch die Gesetze der Etikette erlitten haben soll. »Da der Höfling, dessen Amt das Verrücken des Sessels seiner Majestät war, sich nicht im Saale aufhielt, blieb der König vor dem Kaminfeuer sitzen, ohne ein Wort der Klage laut werden zu lassen, und erduldete das Rösten seiner
königlichen Person, solange ausharrend, bis eine Heilung seiner Brandwunden unmöglich geworden war. Aber indem er so handelte, rettete er
seine Allerchristlichste Majestät vor der Befleckung durchs Gemeine.«3) Die Entrüstung des Lesers über eine so groteske Erdichtung dürfte didaktisch beabsichtigt sein: sie wird an späterer Stelle durch Beispiele ergänzt, die sich schwerer ablehnen lassen. Die physischen Verstümmelungen durch die Mode des Korsetts oder der chinesischen Frauenschuhe mögen noch als Leiden interpretiert werden, die den Frauen als Stellvertreterinnen der männlichen leisure auferlegt werden. Als Beschädigung der eigenen Person darf man aber wohl die »vornehmen« oder ehedem sogenannten Kavalierskrankheiten bezeichnen, deren Rang nach Veblens Interpretation aus dem Privileg des Genusses von Stimulantien oder aus Lastern zu erklären
ist, die eın Vorrecht der Oberklasse bilden 31), 3). Ihre Vornehmheit bemißt sich nach einem strengen Kanon, dessen Begründungen Außenstehenden
kaum durchsichtig werden können. So frappierend aber Veblens Begründung dieser seltsamen Vorrechte aus der Konvention sein mag, die der Oberklasse ein nützliches Tun verbieten und ihr Vergeudung erlauben oder verschreiben — sie reicht nicht hinaus über die allgemeine Feststellung, daß die Herrenklasse nicht auf die Okonomie einer Reproduktion ihrer Arbeitskraft verpflichtet ist, und besagt kaum
etwas über die Motive
des
Zwangs zur Selbstzerstörung noch über den Kanon seiner Mittel. Seine Voraussetzung ist, nicht anders als in der Tabuordnung des polynesischen Stammes, daß bestimmte, kultivierte Formen der physischen Schwäche die suggestive Macht einer Trophäe auf die Untergebenen ausüben können 33).
Das Gesetz der 'Irophäe, die sich in der Physis des Mächtigen oder schlechthin des Angehörigen der leisure class verkörpert, hat Veblen selbst in dem besonderen Fall der mißglückten Anpassung an eine entmagisierte Besitzkultur angedeutet: » Wenn es nicht mehr möglich ist, Reichtum durch das primitive Mittel der Gewalt zu erwerben, so folgt daraus ebenso logisch, daß Besitzlose mit einer entwickelten Selbstachtung daran verhindert sind, einen Besitz durch Arbeit zu erwerben.«3) Gelten kann das nur für eine Zeit, in der der Besitz noch nicht völlig von der traditionellen magischen Beziehung auf die Person des Besitzers abgelöst und zur auto31
nomen Repräsentation geworden ist. Das Elend der »sekundären, gewissermaßen unechten leisure class«, die moralische Unfähigkeit des her-
untergekommenen Gentleman oder Hidalgo sowie der Dame, die einst bessere Tage gesehen hat®), zu einer Arbeit, die ihren sozialen PrestigeStatus verändert, werden verständlich erst, wenn man sie als das konse-
quente Festhalten an einer Idee des Eigentums begreift, das nicht anders denn als Trophäe des Erfolgs aus unproduktivem Tun und als Objekt der Vergeudung Wert haben soll. Die umgewandelte, aber den neuen wirtschaftlichen Bedingungen nicht entsprechend angepaßte Form dieser Trophäe ist das physische Elend selbst — und nicht allein das wirtschaftliche Elend der Entbehrung. Denn auch in der besitzenden Oberklasse kann die Zerstörung der eigenen physischen Substanz wieder zu einem Mittel des
gesellschaftlichen Prestiges werden, wenn der Reichtum nicht mehr den Nimbus einer Beute aus Gewalttat, List oder souveräner geschäftlicher Intelligenz ausstrahlt. Der Mehrbesitz oder der Mehrgewinn verpflichtet dann zu Krankheiten, die als Zeugnis für größere Anstrengungen und an der Konstitution zehrende Leistungen gelten, als sie der Durchschnitt der abhängig Arbeitenden vollbringt. Veblen, dem die Managerkrankheit noch nicht bekannt war, hat eine ähnlich verlaufende Spielart der Legitimation
zum Besitz beschrieben. »Die Möglichkeit, pathologische und andere Eigenschaften durch genaueste Nachahmung (sc. der degenerierten Spätlinge einer feudalen leisure class) und systematischen Drill zu züchten, hat bisweilen recht glückliche Ergebnisse bei der Herstellung einer leisure class gezeitigt. Diese unter der vulgären Bezeichnung Snobismus bekannte Me-
thode«3®) verlegt ebenfalls den Nimbus des Reichtums in die Person zurück. Einschichtig ist freilich Veblens Erklärung, daß der Snob neben diesem systematischen Drill wenig Zeit und Fähigkeiten für eine produktive Arbeit aufbringen könne, und daß dieser Nachweis einer unnützen Zeit-
und Energievergeudung das einzige Motiv für den Snobismus sei. Er deutet selber in der Einleitung zu seiner Beschreibung des kulturell entfalteten Müßiggangs an, daß die Narben der Physis — jene pathologischen Eigen-
heiten — der Versuch zur Legitimierung eines Besitzes sind, der an sich nicht mehr genügend Trophäe ist. »Was sich aus einem Leben des Müßiggangs ergibt...hat viel mit den aus Kämpfen heimgebrachten Trophäen gemein. Aber der Müßiggang im engeren Sinn, die Unproduktivität, die
sich von der Beute erbringenden Tat ebenso wie von einer scheinbar produktiven Betätigung unterscheidet, deren Resultat kein nützlicher Gegen-
stand ist, bringt im allgemeinen überhaupt kein dingliches Produkt zuwege. Der Nachweis einer müßig verbrachten Zeit nimmt deshalb nor32
malerweise die Gestalt immaterieller Güter an«37), und zu diesen immateriellen Gütern zählt Veblen im weiteren Verfolg auch das Resultat der Gewalt, die der Angehörige der leisure class in einer Zeit, da Eigentum
durch gewaltlose Methoden akkumuliert wird, sich selbst antun muß — etwa durch die Züchtung pathologischer Eigenschaften 38). Die bissigen Bemerkungen Veblens über den Snob verlieren ihre Schärfe, wenn sie wörtlich genommen werden und damit den Blick auf das Mo-
dell freilegen, an dem sich die Anstrengungen des Snobs insgeheim orientieren. Sein Versuch, durch eine Imitation oder ein Übertrumpfen der feudalen
Eigenheiten,
die das Erbteil
oder
selbst schon
äußerliche Nach-
ahmung von Gewohnheiten alter Herrschaftspraxis oder von Folgen physisch gewalttätigen Lebens sind, die Aufnahme in die oberen Gesellschaftsklassen zu erlangen, verfolgt nämlich den gleichen Weg, den rituell die mannbar Gewordenen heidnischer Stämme in der Initiationszeremonie beschreiten. Ihre Verwundungen in dieser Zeremonie sind eine rechtsgültige passive Vorausleistung für das Renommee der Trophäen, die sie künftig heimbringen sollen. Ihre Ausheilung und Pflege durch die Stammesgemeinschaft beruht auf einer ähnlichen Achtung für die nunmehr privilegierte Stellung, wie sie dem tabuierten Häuptling gezollt wird, wie sie der heruntergekommene Gentleman beansprucht und der Snob zu erringen sucht. Auch dessen unsicheres Renommee ist also — entgegen Veblens verallgemeinernder Behauptung, daß Besitz seit der »quasi friedfertigen Barbarei« zu etwas an sich Verdienstlichem geworden sei — durch eine archaische Symbolik vermittelt. Diese Symbolik ist nicht mehr den Mitgliedern eines Clans oder einer in sich abgeschlossenen Schicht als ausschließendes Privileg reserviert. Sie ist imitierbar und gibt deshalb dem Snob ständig Hoffnung,
von den Hütern des archaischen Erbes als ihr Parteigänger akzeptiert zu werden. — Die Narbe als Habitus des mannbar Gewordenen ist also diaJektisch als die »Erinnerung« der Trophäe zu begreifen, und entsprechend die pathologische Eigenheit des Snobs als die an der Person erscheinende Ostentation der Verdienstlichkeit von Besitz. Der Habitus wird zu einer Legitimation der Habe, die nicht mehr Trophäe ist und darum einer neuen Legitimation bedarf. Zur Ostentation von Besitz gehört leisure nicht nur
als Verweigerung, sondern geradezu als Unfähigkeit zu schwerer körperlicher Leistung: als Hilflosigkeit. Sie gehört seit alters zum Bild des Edlen%?). Der Bedürftigkeit des polynesischen Häuptlings, der gefüttert werden muß, weil er zu mächtig ist, lassen sich weitere Attribute anreihen,
deren Suggestion noch kaum gebrochen ist. Vorab die Gebrechlichkeit des Alters, die als Herrschaftsgeste eine Rivalität der physischen Überlegen3
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heit von Jüngeren strikt ausschließt. Ein anderes Attribut dieser Art ist der abwesende Weitblick, sein heraldisches Vorbild der Adler mit dem star-
ren Auge, das die nächsten Gegenstände nicht zu erkennen vermag. Als nach innen gewendete Vergeistigung kehrt diese Attitüde wieder im Blick des Melancholikers, des Gelehrten, aber auch des Mannes, der sich bei der Konzentration auf die Geschäfte das Ignorieren der kleinen Umwelt er-
lauben darf. Die Intensivierung der seelischen Sensibilität ist unter diesem Aspekt mehr als die bloße Ostentation des Wohlstandes, der von niederer Arbeit enthebt, Ostentation eines verletzlichen oder traumatischen stands der Person selbst.
GENEALOGIE
Zu-
DER GEWALT
Veblen gelten »pathologische Eigenheiten« wie das Elend der vornehmen Habenichtse, Laster und Snobismus nur als Degenerationsformen des einst so »erfolgreichen, rauflustigen Kerls« der Frühzeit, in der Eigentum noch ursprünglich Trophäe war%). Gerade eine solche Beschränkung auf die Geschichte des Individualcharakters löst aber die Beziehung auf die Institution des Eigentums auf und bleibt die Erklärung schuldig, in welcher Art sich das Grundgesetz der Anpassung nun gerade vor dem fortgesetzten Archaismus, Eigentum wie eine Trophäe zu manipulieren, so ohnmächtig erwiesen haben soll. Zwei Erklärungen finden sich — an verschiedenen Stellen der Theorie und in Form einer schematischen Unabhängigkeit einer Genealogie der Gewalt von der des Eigentums. Vom Sport heißt es: »Die abgebremste geistige Entwicklung äußert sich nicht nur in der direkten Teilnahme Erwachsener an jugendlichen Ausbrüchen von Rohheit, sondern auch indirekt darin, daß sie derartigem Unfug der jüngeren Generation beistehen und ihm Vorschub leisten. Auf diese Weise wird die Bildung
roher Gewohnheiten gefördert, die auch im späteren Leben dieser Generation erhalten bleiben können, und damit verzögert sich wiederum die Entwicklung eines friedlicheren, an der produktiven Leistung orientierten Sozialtypus. Wenn ein Erwachsener zu Parforceleistungen (exploit) neigt
und auf die Gewohnheiten jugendlicher Mitglieder der Gesellschaft Einfluß nehmen kann, so ist er in der Lage, viel zur Erhaltung oder Wiederbelebung des Raufboldtums beizutragen. Darin liegt unter anderem der Sınn der Förderung, die neuerdings viele Geistliche und andere Stützen der Gesellschaft den >Jugendbrigaden« und anderen pseudomilitärischen Organisationen angedeihen lassen.«41) So viel hier bereits vom politischen 34
Nutzen einer >körperlichen Ertüchtigung der Jugend« prophetisch ausgesagt ist, bleibt doch auffällig, wie anachronistisch, also gerade nicht >»an-
gepaßt« der archaische Typus von Gewalt in die Gegenwart hineinragt und in der Künstlichkeit seiner Züchtung dem Snob um nichts nachsteht. Um so seltsamer wirkt daneben die Rationalität, in der sich die Geschichte
des Eigentums fortentwickelt haben soll. Denn der Übergang von der räuberischen zu einer Klasse von Wohlhabenden vollzieht sich bei Veblen als die endgültige und gelungene Auswechslung zweier ökonomischer Sy-
steme: »In dem Maße, in dem die geordnete Arbeit im Alltagsleben der Gruppe und in den Denkgewohnheiten der Menschen die Aktivitäten der
Jäger und Beutemacher Schritt für Schritt zurückdrängt, setzt sich auch das akkumulierte Eigentum an die Stelle der heimgebrachten Trophäe als anerkanntes Abzeichen von Macht und Erfolg durch.«4?) Der neuen, friedfertig gewordenen Klasse »fehlt es nicht an Neigungen zu Fleiß und haushälterischen Tugenden;
deren Wirksamkeit wird aber durch die Gebote
der Besitzkonkurrenz so eingeschränkt, daß praktisch jedes Streben in dieser Richtung lahmgelegt und der Impuls zur Arbeitsamkeit der Ten-
denz nach ohne Ergebnis bleibt«43). Die Genealogie der Gewalt wäre damit an ihr Ende gelangt. Die »sekundären Gebote der Besitzkonkurrenz« — in erster Linie die Enthaltung von produktiver Arbeit, in zweiter Vergeudung — sind Erbstücke: nicht Ostentation im Sinne einer unabdingbaren Erscheinungsform des Besitzes, sondern ihm äußerliche archaische Deko-
ration. In ihrem Verhältnis zum friedlichen und planmäßigen Akkumulieren wäre dann Ostentation nur noch ein sekundäres, akzidentelles Moment, ein Mißbrauch, der mit dem Besitz getrieben wird. Wenn aber die
These gelten soll, daß die oberhalb der materiellen Produktionssphäre beheimatete leisure class bestimmt, »welche Lebensform die Gesellschaft als anständig und reputierlich akzeptiert«44), dann bedeutet es eine Inkonsequenz, den kulturellen >»Überbau« aus den materiellen Produktionsver-
hältnissen, iın diesem Falle der Akkumulation von Eigentum abzuleiten. Daß sie sich als ein Instrument der zunehmenden Produktivität erwiesen haben sollte, steht — ganz abgesehen von der Frage nach der sachlichen Wahrheit dieses Satzes, die Veblen nicht gestellt hat — im offenen Widerspruch zu seiner anderen Hypothese, daß der Besitz die materielle Basıs
einer an der Produktion weitgehend desinteressierten, ja produktionsfeindlichen Oberschicht sei. Konsequent im Sinne von Veblens Methode wäre zu fragen, ob nicht Besitz, mehr denn ein Mittel oder eine Gelegenheit zu Ostentation, so wie anfänglich auch weiterhin wesentlich selbst Ostentation ist, ob also das Privateigentum, 3*
bezogen auf die Gesamtwirtschaft, >ir35
rational« ist, soweit es nicht aus Gegenständen besteht, die durch ihre unmittelbar ersichtliche Zweckbestimmung für ihren Besitzer keinen Ostentationswert haben. Bevor solche Gegenstände durch einen regelmäßigen,
institutionell gewordenen Tauschverkehr zu Aquivalenten der eigentlichen Wertobjekte wurden, bildeten sie zwar die materielle Grundlage des Lebens für den Herrn und seine Untergebenen; aber nicht nach ihnen wurde seine Macht eingeschätzt. Das Privileg, Besitz zu sein, käme danach an-
fänglich nur kostbaren und ausdrücklich nicht nützlichen Gegenständen zu 45).
Das älteste Eigentum hat nach Veblen in Menschen bestanden — vorab in Frauen. Dieses Eigentum habe mehreren Bedürfnissen entsprochen: der Herrschsucht, dem Trieb zur Ausübung von Zwang, der Ostentation der Beweisstücke für kämpferische Erfolge und der Ausnutzung der Dienste, die in einer späteren Zeit als Mittel zur Vermehrung des Besitzes wichtig werden %). Offen bleibt bei dieser Annahme, ob sich eine Entwicklung von der Trophäe zum wirtschaftlich definierten Eigentum vollzieht oder ob nicht der wirtschaftliche Nutzen der Sklaven ihren Ostentationswert herabmindert. Das träfe vor allem dann zu, wenn eine Vielzahl von Frauen
zum Wertmaßstab des Vermögens wird%7). Jede einzelne wird um so mehr zum bloßen »Gebrauchsding«, kostbar an ihrer Stelle die Zahl. Aus dem Helden wird ein Sammler,
und wenn
man
annımmt,
daß ihn zunächst
nicht das Bedürfnis, die Zahl der Frauen zu steigern, angetrieben hat, sondern jede neue noch den Wert einer Trophäe darstellte — wenngleich auf Kosten des Werts der bereits eroberten —, dann ergibt sich daraus eine Rangordnung innerhalb des Reichtums; die Hauptfrau nimmt an der Arbeit der übrigen nicht teil und demonstriert auf diese Weise ihre Kostbarkeit. Ihre Unproduktivität ist der ostentative Zweck des akkumulierten
Reichtums und die Rechtfertigung des männlichen Erwerbs in einer Zeit, da Besitz nicht mehr direkte Trophäe der Gewalttätigkeit sein kann. Die Legitimation der Hauptfrau wird dann, nach Veblen, ihr »edles Geblüt«,
das aber wiederum nur »durch seine lange Beziehung zu akkumuliertem Besitz oder ungebrochener Macht geadelt ist«48), 49). Diese Interpretation insistiert noch einmal auf dem Dingcharakter des Frauenbesitzes; das Geblüt, ein Aberglaube, wird auf den Wert des eingebrachten Heiratsgutes und der politisch nützlichen Beziehungen reduziert. Diese Frau als Gegen-
stand stellt die Inkarnation des an sich verdienstlichen Besitzes dar — als ein Zuchtprodukt und zugleich als Gewinst, da mit der Vermählung auch »eine Verbindung zu ihren mächtigen Verwandten begründet wird«®). Ihre Kostbarkeit erweist sich vornehmlich am Vergleich mit den übrigen 36
Frauen, deren Wert als Besitz gerade dadurch gemindert ist, daß sie nützliche Arbeit leisten — selbst wenn dieser Nutzen nur in der Bedienung der Herrin besteht. Veblen hat diese Schlußfolgerungen aus seinen Grundbegriffen nicht ausgeführt. Er läßt ungeklärt, wie der Übergang vom Helden der 'Trophäe zum Sammler von Besitz als zunächst undifferenzierter Quantität zu denken sei. Der Bruch in der gedachten Entwicklung wird offenbar an der Rolle, die er der Hauptfrau zuschreibt. Was an den Gefangenen zu demonstrieren noch möglich war: die physische Überlegenheit und die brutalen Herrschergelüste, versagt sich der Ostentation, wenn die Frau nicht geraubt ist;wenn aus der Trophäe das Unterpfand einer erfolgversprechen-
den Verbindung wird. Auf dieser Stufe bleibt übrig, was an vielen Stellen des Werkes das Konzept der Theorie wieder verdirbt — ein biologischer, soziologisch neutraler Trieb zur Gewalttätigkeit, den ja auch Freud in seinen späten Schriften unterstellt. Veblen übersah, wie unlösbar voneinander Gewalt und die psychische Projektion sind, die er als Animismus bezeich-
net. Der Animismus wird von einer >»politischen« Okonomie nicht abgelöst, er steht an ihrem Anfang und bestimmt diesen. Der »zwischen Männern ausgefochtene Kampf um den Besitz von Gütern«, als welchen Veblen den ökonomischen Prozeß definiert, der vom Privateigentum als verfestigter Institution bestimmt wird%!), ist nach seiner eigenen Theorie die Fortsetzung eines Kampfes, der ursprünglich zwischen Männern und Frauen
ausgetragen wurde. Von der späteren »Amulation«, der Besitzkonkurrenz, wird er nicht abgelöst, sondern nur überdeckt. Herrschsucht und das Bedürfnis, die Frau in Schranken zu halten, wären also Anzeichen dafür, daß
auch diese innere Amulation fortbesteht. Die Gewalt, welche der Trophäe angetan wird, setzt die Gewalt
des Kampfes
fort, in dem sie errungen
ward. Die äußere Amulation stellt Veblen dar als eine agonale Beziehung zwischen Gleichen, den »körperlich fähigen Männern« zunächst, und später
den Männern mit vergleichbaren Macht- oder Besitzverhältnissen. Der UrAgon zwischen Mann und Weib aber, den Veblen an den Anfang der Geschichte von leisure projiziert 52), dürfte, bevor er in die Arbeitsteilung von Abenteuer und Plackerei überführt wurde, vielmehr von der Beziehung einander fremdartig, »nicht geheuer«»femme fatale«»Besitz< des Vaters oder seiner männlichen Erben
war;
als Raub
aus einer solchen Gemeinschaft,
der schon
durch Sühne oder Bußgeld eine Rechtsinstitution geworden ist, oder durch Frauentausch zwischen Sippen, die mit diesen Pfändern eine Brüderschaft 40
begründen. Erst die Macht, die aus solcher Verbindung zuwächst, legiti-
miert den Mann zur produktiven Verwendung der Frau als Eigentum. Es ist eine sanktionierte Gewalttätigkeit, die er demonstriert®!). Aber selbst wenn es zuträfe, daß »die Frau dabei in aller Regel nur als Objekt auftritt« ®), das heißt in der Moral der Männergesellschaft ihr kein höherer Rang zugestanden wird als der eines tauschbaren Besitzes, erhält sich doch in der sexuellen Verbindung das ämulative Innenverhältnis der Geschlech-
ter. Gerade weil Veblen der Erotik keine Erwähnung gönnt — er hält sie offenkundig für einen unbewältigten Rest von Animismus: in einem Atemzuge mit Strenggläubigkeit und Trunksucht wird die »romantische Liebe«
als vererbte Idiosynkrasie bezeichnet ®) —, wird unversehens ihm selbst die Frau zum bloßen Besitzding ın der Geschichte der Männer. Der Ostentationswert weiblichen Eigentums ließe sich also umrechnen in den Preis,
der für den Raub als Bußgeld zu zahlen oder im späteren Ehekauf zu entrichten ist, und weiterhin in das Maß
der Arbeitsleistung im Dienste
der leisure und sonstiger Ostentationen des Eheherrn oder in die Vorteile einer Sippenverbindung. Der besondere Wert des »edlen Geblüts« wäre
von Beginn an eine unglaubwürdige Metapher gewesen für die Realität eines nüchternen politischen Handels in Form der Heiratsverbindung zwischen mächtigen Familien oder für die Garantie, daß die Frau selbst in den Konventionen der leisure erzogen ıst. Gerade das Fascinosum des
edlen Bluts ist aber von älterer Genealogie als dessen »von langer Zeit herrührende Verbindung mit angesammeltem Besitz und ungebrochenen Privilegien« ®); es reicht zurück bis in eine Zeit vor der Degradierung der Frau zum Arbeitstier, das Eigentum des Mannes ist, und hat seinen Ursprung ın der Angst vor dem weiblichen Blut, das bei der Menstruation, der Defloration und bei der Geburt fließt. Edel wird es jedoch erst, wo
weibliche Macht seit langem gebrochen ist und patriarchalische Tradition das Weib zum Kind umgezüchtet hat, dessen Bindung an den Vater und die Vaterfigur des Gatten seinen Charakter bestimmt. Die Ideale der Keuschheit und einer Jungfräulichkeit, die wie Athene bekleidet dem Haupte des Vaters entspringt oder wie Maria unter der Obhut eines Greises vom Heiligen Geist gesegneten Leibes wird, sind Konfigurationen des männlichen Bewußtseins, das in dieser Weise die ursprüngliche sexuelle
Amulation aufzuheben trachtet. Zwar wird die Frau auch dieserart zur Dingheit, zur Trophäe der männlichen Ostentation gemacht; aber sie bewahrt dabei eine »Selbständigkeit in der Dingheit«®), die sie vom Knecht unterscheidet. Deutlicher noch tritt diese Selbständigkeit, die ein vollendetes Besitzverhältnis nicht zuläßt, dort in Erscheinung, wo leibliche Schön41
heit und andere erotische Eigenschaften einer Frau als Inkarnation ihres Geschlechtes sowohl wie als virtueller Herrscherin über alle, die sie be-
gehren, den irrationalen gesellschaftlichen Hintergrund beigeben, der den Akt einer Konstituierung von Sacheigentum an ihr unmöglich macht. »So
bezieht sich das Glück des Liebenden nicht allein auf die Geliebte als menschliches Wesen oder gar nur auf ihre Leiblichkeit, sondern auf den geliebten Menschen in seiner gesellschaftlichen Konkretion und seiner gesellschaftlichen Erscheinung.« ®%) Beides — leibliche Individualität wie
die soziale Erscheinung — ist nur im Begriff, nicht in der Wahrnehmung voneinander getrennt. Veblen hat auf die Einflüsse hingewiesen, die der jeweilige Kanon der leisure auf das weibliche Schönheitsideal, und diese wechselnden Ideale ihrerseits auf die weibliche Physis ausgeübt haben%7). Was der Betrachter für schön hält, richte sich, ihm unbewußt, nach den geltenden Regeln des sozialen Renommees. Daß aber im Bereich der Ero-
tik das Produkt einer physischen Anpassung an die sozial determinierte Asthetik trotz dieser Regeln nicht als ihr geglückter Anwendungsfall, sondern als Natur wahrgenommen wird, ist die Archaik, die Veblens Argwohn entging: beseelte Natur, die wohl Trophäe, aber nicht vollends angeeignet werden kann. Die Schönheit einer Frau kann einem Manne
nie gehören; sie behauptet sich ihm gegenüber als eine Fremdheit, die er gänzlich nicht zu durchbrechen vermag.
ÖOÖSTENTATION UND AKKUMULATION
Fremdheit ist auch das älteste Merkmal des Sachbesitzes: zunächst sichtbar in der Form einer Entfremdung denen gegenüber, die ihn produzieren. »Der Gebrauch von erlesenen Speisen und häufig auch von kostbarem Schmuck wird für Frauen und Kinder tabu; wo es eine niedere (dienende) Klasse von Männern gibt, gilt das gleiche Tabu auch für sie« ®), wenig-
stens in der Freibeuterepoche, in der noch kein akkumulierter Besitz zur Grundlage des Prestiges geworden ist. In dieser Zeit, meint Veblen, sei
das Tabu aus der primitivsten Funktionenteilung entstanden, nach der die Männer konsumieren, was die Frauen produzieren. Besitz wäre somit das
Vorenthaltene schlechthin, und im weiteren Verfolg das Resultat einer Produktion, die den Überschuß über das zum Leben Notwendige nur um der Ostentation des Privilegs der Starken willen hervorbringt. »Ein Leben der Arbeit ist mit Besitz unvereinbar: die arbeitende Klasse soll nur so viel verbrauchen, wie sie zur Erhaltung ihres Lebens nötig hat«®) — ein 42
Prinzip, das erst in einem späteren Stadium der quasi friedfertigen Freibeuterzeit, wenn es bereits Privateigentum an Produktionsmitteln und eine auf Lohnarbeit oder auf selbständige kleine hauswirtschaftliche Produktion gegründete Ordnung gibt, seine einstige Strenge verliert. Zunächst aber wird jede Vermehrung der Produktion von der leisure class aufgefangen, die ihre Konsumsphäre erweitert, sowohl durch eine Steigerung ihres Luxus — »an Essen und Trinken, Rauschmitteln, Wohnung, Diensten, Schmuck und Kleidung, Rüstung und Ausrüstung, Talismanen, Fetischen
und Gottheiten« 7°) — als auch in der Zahl der unproduktiv Konsumierenden — dem Gefolge oder dem Hofstaat. Obwohl Veblen das naheliegende Wortspiel nicht verwendet, reizt es, diesen Übergang
von
einem Besitz an Menschen
zum
Besitz an deren
Sachproduktion als den Fortschritt vom exploit zur exploitation zu interpretieren.7?%) Die Gewalttätigkeit, die sich vorher im Akt des Raubes geäußert hatte, tut es nun teils im Akt der Unterdrückung, teils gegen die Produkte der Unterdrückten. Der Raubbau an deren Kräften behält den Charakter des unökonomischen exploit; durch die Vergeudung, den »schrankenlosen Luxus