Friedensbild und Friedensbildung: Kindliche Friedensvorstellungen als Ausgangspunkt religionspädagogischen Handelns [1 ed.] 9783737015813, 9783847115816


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Friedensbild und Friedensbildung: Kindliche Friedensvorstellungen als Ausgangspunkt religionspädagogischen Handelns [1 ed.]
 9783737015813, 9783847115816

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Werte-Bildung interdisziplinär

Band 9

Herausgegeben von Martina Blasberg-Kuhnke, Eva Gläser, Reinhold Mokrosch, Susanne Müller-Using und Elisabeth Naurath

Die Bände dieser Reihe sind peer-reviewed.

Jasmin Kriesten

Friedensbild und Friedensbildung Kindliche Friedensvorstellungen als Ausgangspunkt religionspädagogischen Handelns

Mit 73 Abbildungen

V&R unipress Universitätsverlag Osnabrück

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. Veröffentlichungen des Universitätsverlags Osnabrück erscheinen bei V&R unipress. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Barbara-Schadeberg-Stiftung, der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Union Evangelischer Kirchen in der EKD (UEK). Hierfür herzlichen Dank. © 2023 Brill | V&R unipress, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Zeichnung von einem Leben in einer friedlichen / unfriedlichen Welt (Emil, 10 Jahre alt). Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2198-1523 ISBN 978-3-7370-1581-3

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Ein Bild von Frieden – Einleitung 1. Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Relevanz von Friedensbildung im religionspädagogischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Zielsetzung der Arbeit: Zur Sicht von Kindern auf Frieden 1.3 Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Die Gestaltung eines Hintergrunds – theoretische Grundlagen zum Begriff ›Frieden‹ aus religionspädagogischer Sicht 2. Friedensbildung in der Grundschule – mehr als Erziehung . . 2.1 Einführung: Friedenspädagogik in Deutschland . . . . . 2.1.1 Skizzierung: Geschichte der Friedenspädagogik in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Friedenspädagogik im gegenwärtigen Diskurs . . . 2.2 Kontextualisierung: Friedensbildung und -erziehung . . . 2.3 Erste Folgerungen für eine schulische Friedensbildung . .

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3. Ein unbeschriebenes Blatt? – Zur Relevanz der Betrachtung von Frieden aus Kindersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Wo Frieden die heutige Kindheit im Grundschulalter berührt 3.1.1 Die Lebensphase der mittleren Kindheit . . . . . . . . 3.1.2 Zentrale friedensrelevante Themen der mittleren Kindheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.1 Sorgen und Ängste . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.2 Wünsche und Zukunftsvorstellungen . . . . . .

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Inhalt

3.2 Wie Kinder im Grundschulalter Frieden lernen können . . . . 3.2.1 Forschungsstand: Was verstehen Kinder unter Frieden? 3.2.2 (Dis-)Kontinuitäten der Entwicklung von Friedensfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Desiderate und Folgerungen für religionspädagogische Bemühungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Charakterisierungs- und Definitionsversuche des Begriffs ›Frieden‹ 4.1 Die Mehrdimensionalität des Friedensbegriffs . . . . . . . . . 4.2 Ambiguität der Betrachtungsweise von Frieden – der Versuch einer Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Ein Bild von Frieden – zur Bedeutung eines positiven Friedensbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Ein Bild von Unfrieden – zur Bedeutung eines negativen Friedensbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Ein unfertiges Bild – zur Prozesshaftigkeit von Frieden .

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5. Friedenspädagogische Grundlagen in interdisziplinärer Perspektive – Relevante Zusammenhänge zu Frieden und Unfrieden . . . . . . 5.1 Ohne Gerechtigkeit kein Frieden? . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Definition von Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1.1 Gerechtigkeit in der Bibel . . . . . . . . . . . . . 5.1.1.2 Systematische Entwicklungslinien im Lichte moderner Gerechtigkeitsvorstellungen . . . . . . 5.1.1.3 Das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit . . . . . . 5.1.2 Frieden und Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Religionspädagogische Folgerungen . . . . . . . . . . . 5.2 Frieden als Abwesenheit von Konflikten? . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Definition von Konflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Frieden und Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Religionspädagogische Folgerungen . . . . . . . . . . . 5.3 Frieden als Abwesenheit von Krieg? . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Definition von Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1.1 Formen von Kriegen . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1.2 Ursachen von Kriegen . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1.3 Exkurs: Die Lehre vom gerechten Krieg . . . . . 5.3.2 Frieden und Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3 Religionspädagogische Folgerungen . . . . . . . . . . . 5.4 Frieden als Abwesenheit von Gewalt? . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1 Definition von Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

5.4.1.1 Formen von Gewalt . . . . . . . . . . . 5.4.1.2 Theologischer Exkurs: Zur Maxime der Gewaltlosigkeit . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 Frieden und Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.3 Religionspädagogische Folgerungen . . . . . .

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III. Ein Bild von Frieden zeichnen – Empirische Erhebung zu kindlichen Friedensvorstellungen 6. Die Forschungsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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7. Wahl des Zeichenmaterials – Konzeption der Studie . . . . . . . . . . 7.1 Entscheidung zugunsten qualitativer Sozialforschung . . . . . . 7.2 Kriterien zur Qualitätssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Strategien der Geltungsbegründung . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Kriterien der Kindheitsforschung . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2.1 Erforschung von Kindheit – mithilfe von Kindern . 7.2.2.2 Möglichkeiten von Kindheitsforschung . . . . . . . 7.2.2.3 Grenzen von Kindheitsforschung . . . . . . . . . . 7.2.2.4 Kriterien vorliegender Kindheitsforschung . . . . . 7.3 Erhebungsmethode: Symbolisches Interview nach Burkhard Fuhs – Kombination zweier Forschungsmethoden . . . . . . . . 7.3.1 Was Kinder zeichnen – Kinderzeichnungen als qualitatives Forschungsinstrumentarium . . . . . . . . . 7.3.2 Was Kinder sagen – Episodisches Leitfadeninterview nach Uwe Flick als qualitatives Forschungsinstrumentarium . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Methodische Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.1 Forschungsphasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.2 Pretests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.3 Stichprobenziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.4 Setting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.5 Erhebung der Zeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.6 Interviewleitfaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5 Beschreibung der Auswertungsmethodik . . . . . . . . . . . . . 7.5.1 Transkription und Anonymisierung . . . . . . . . . . . . 7.5.2 Inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse nach Udo Kuckartz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5.3 Besonderheiten der Bildanalyse . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

8. Der Zeichenprozess – Durchführung, Datenaufbereitung und -auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Verlauf der Erhebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Datenvariablen der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Allgemeine Variablen mit Bezug auf das Interview . . . 8.2.2 Variablen zur Erhebung der Kinderzeichnungen . . . . 8.2.3 Zwischenreflexion I: Der Zeichen- und Interviewprozess vor dem Hintergrund der Variablen . . . . . . . . . . . 8.3 Besonderheiten der Codierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.1 Codierung der Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2 Codierung der Kinderzeichnungen . . . . . . . . . . . . 8.3.3 Verknüpfende Codierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.4 Zwischenreflexion II: Der Codierungsprozess . . . . . . 8.4 Systematisieren der Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.1 Die Kategoriendefinitionen . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.2 Verwendete Kategoriensysteme . . . . . . . . . . . . . . 8.4.3 Zwischenreflexion III: Die Kategoriensysteme . . . . . .

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IV. Einrahmen und Aufhängen – Darstellung und Diskussion der Ergebnisse 9. Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie . . . . . . 9.1 Einzelfallbeschreibungen: »Wie stellst du dir eine friedliche Welt vor?« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.1 Aaron: »Dass es schön ruhig ist meistens.« . . . . . . . 9.1.2 Bea: »Also an jedem Menschen ist etwas Besonderes.« . 9.1.3 Clara: »[V]iele grüne Wiesen mit Bäumen, weil wir die ja zum Atmen brauchen.« . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.4 Dennis: »Dass das Geld gerecht verteilt ist.« . . . . . . 9.1.5 Emil: »[Über] Frieden denk ich mehr so nach, wenn es eine schöne Zeit ist und so.« . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.6 Franziska: »Mit Freundschaft und (.) halt nicht mit Hass.« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.7 Georg: »[O]hne, dass man sich streitet.« . . . . . . . . 9.1.8 Henri: »Also wenn sie mich was fragen, ob ich ihnen helfen kann, sag ich immer ja.« . . . . . . . . . . . . . 9.1.9 Jana: »[I]ch will ja (.) auch n Vorbild werden irgendwann.« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.10 Karl: »Dass ich viele helfe.« . . . . . . . . . . . . . . .

Inhalt

9.1.11 Lukas: »[I]ch glaube, des wär gut, dass wir uns alle auf eine Seite einigen […].« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.12 Marius: »Und dass Menschen halt auch nicht die Welt kaputt machen.« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.13 Nina: »Dass man nicht schädlich ist für die Welt.« . . . . 9.1.14 Oliver: »[D]ass die Welt wieder schön wird und das ganze Plastik wegkommt.« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.15 Paula: »[E]s kann zwar Streit geben, aber halt nicht so viel.« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Ergebnisbericht I: Kategorienbasierte Auswertung der Zeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.1 Vergleichende Analyse der Motivwahl . . . . . . . . . . . 9.2.1.1 Naturdarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.1.2 Personendarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.1.3 Gebäude und Fahrzeuge . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.1.4 Weitere Gegenstände und Sonstiges . . . . . . . . 9.2.2 Effekt und Ausdruck der Farben . . . . . . . . . . . . . . 9.2.3 Verwendung von Textelementen . . . . . . . . . . . . . . 9.2.4 Zusammenfassung und Reflexion zu den Zeichnungen . . 9.3 Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.1 Was Frieden ausmacht: Positive Aspekte gelingenden Friedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.1.1 Frieden und Zufriedenheit . . . . . . . . . . . . . . 9.3.1.2 Frieden und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.1.3 Frieden in der Schule . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.1.4 Frieden weltweit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.1.5 Frieden und Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . 9.3.1.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.2 Kindliche Friedensvorstellungen via negationis: Faktoren, die Frieden schaden . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.2.1 Streit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.2.2 Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.2.3 Weitere Faktoren negativen Friedens weltweit . . . 9.3.2.4 Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.2.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.3 Frieden und Religion aus Kindersicht . . . . . . . . . . . 9.3.3.1 Frieden und Religiosität . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.3.2 Erlebensgegenstand Religions- und Ethikunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

9.3.3.3 Religion und Unfrieden . . . 9.3.3.4 Zusammenfassung . . . . . . 9.3.4 Wo Kindern Frieden begegnet . . . 9.3.4.1 Personen, die Frieden stiften 9.3.4.2 Frieden im eigenen Leben . . 9.3.4.3 Zusammenfassung . . . . . .

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10. Reflexion und Diskussion der Ergebnisse im Horizont des Erkenntnisinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Rückblick auf die Forschungsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.1 Abschließende Reflexion der Forschungsmethodik im Hinblick auf die Forschungsfrage . . . . . . . . . . . . . . 10.1.2 Abschließende Reflexion der Ergebnisse im Hinblick auf die Forschungsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Frieden und Unfrieden aus Sicht von Kindern . . . . . . . . . . 10.2.1 Relevanz religiöser Bildung für die kindliche Friedensfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.2 Frieden und Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.3 Bedeutsamkeit der konstruktiven Konfliktbearbeitung . . 10.2.4 Perspektivenübernahme und Empathiefähigkeit auf dem Weg zur Friedensbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Bilder der Zukunft – Subjektorientierte Perspektiven für die religionspädagogische Friedensbildung der Primarstufe 11. Frieden mit und zwischen den Religionen: Chancen (inter-)religiöser Lern- und Bildungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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12. Frieden in einer geschützten Umwelt: Implementierung einer religiösen Bildung für nachhaltige Entwicklung für Frieden . . . . . .

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13. Vom Frieden her denken: Demokratische Bildungsprozesse im Lichte positiven Friedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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14. Frieden als Erlebensgegenstand: Stärkung einer gefühlsorientierten Didaktik für Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI. Fazit und Ausblick

Inhalt

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang 1: Kurzfragebogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang 2: Zeichenauftrag und Interviewleitfaden . . . . . . . . . . .

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Der Onlineanhang ist verfügbar unter: http://www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/kriesten_frieden (unter Downloads) Passwort: Pkz7PhsTzD

Vorwort

Leben in einer friedlichen Welt. Hierzu kann in Gedanken ein festes Bild entstehen. Ein Bild, das friedvolle Momente darstellt. Ein harmonischer Tag im Kreis der Familie, gemeinsam Gottesdienst feiern oder doch ganz allein in Ruhe und zufrieden ein Buch lesen. Ein Bild, in dem Menschen in Frieden zusammenleben und sich mit Respekt und Wertschätzung begegnen – einander fair behandeln. Ein Bild, das frei ist von Krieg und Gewalt, in dem Konflikte friedlich gelöst werden. Ohne Vorurteile oder Waffengewalt. Diese Vorstellung lohnt es sich, auf Papier zu bringen und nicht nur in Gedanken aufleben zu lassen. Doch in einem realen Bild, das nicht nur mental manifestiert wird, muss gefiltert werden. Welche dieser Dinge sind so bedeutsam, dass ich sie auch wirklich abbilden möchte? Was ist mir jetzt und hier so wichtig, dass ich es darstellen und der Außenwelt zeigen will? Gleichzeitig komme ich nicht umhin, mir im gleichen Gedankengang Unfrieden vorzustellen. Wenn mein Friedensbild frei ist von Krieg, wie zeigt sich dieser auf einem Bild von Unfrieden? Konflikte im Alltag, Ungerechtigkeit und Gewalt gehören nicht in das Leben in einer friedlichen Welt. Aber sie sind Teil des Lebensalltags aller Menschen jeden Alters. Und ebenso wie Bilder von Frieden wird auch ein solches Unfriedensbild vermutlich für jede und jeden Zeichnenden anders aussehen, andere Konnotationen beinhalten und ganz subjektive Bedeutungs- und Vorstellungsebenen eröffnen. In meinem Studium zum Grundschullehramt haben mich die angeklungenen Aspekte, die im Nachdenken über Frieden mitschwingen, vor allem aus einer Perspektive fasziniert: Die Sicht von Kindern auf Frieden und Unfrieden bringt ganz eigene Akzentuierungen mit sich. Ihre Friedensbilder sind genauso vielfältig wie die von Erwachsenen und bilden bedeutsame Aspekte kindlicher Lebenswelten, Vorstellungen und Denk- und Handlungsweisen ab.

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Vorwort

Mit diesen Gedanken begann meine Beschäftigung mit Frieden aus Sicht von Grundschülerinnen und Grundschülern, die sich immer weiter vertieft hat und letztlich in vorliegender Dissertationsschrift zu (m)einem Friedensbild zusammenfügt. Große Teile dieser Arbeit sind zur Zeit der Corona-Pandemie entstanden. Gerade die Zeiträume fortwährender Lockdowns haben mir gezeigt, wie wichtig und bereichernd der durchgehende Austausch – besonders zu einem so öffentlichkeitswirksamen Thema wie Frieden – ist. Eine solche Arbeit kann nicht im stillen Kämmerlein und ohne durchgehenden kreativen, konstruktiven und auch kritischen Input von außen entstehen. Mir wurden solche Gespräche und für mich so wichtige Diskussionen von verschiedenen Seiten durch viele Menschen ermöglicht. Frau Prof. Dr. Elisabeth Naurath möchte ich für ihre Bereitschaft danken, mein Dissertationsprojekt zu betreuen und mich dabei in einem Maße zu unterstützen, das ich mir nicht besser hätte wünschen können. Ich danke ihr für die immer konstruktive, stärkende und bereichernde Zusammenarbeit, durch die mir so viele neue Einblicke, Erfahrungen und vor allem persönliche Weiterentwicklung ermöglicht wurden. Zudem möchte ich Herrn Prof. Dr. Georg Langenhorst, der mich ebenfalls bei meinen Herzensthemen stets unterstützt und mir Gelegenheiten zu spannenden Projekten eröffnet hat, dafür danken, das Zweitgutachten zu übernehmen. Eine solche Arbeit zeichnet sich in ihrem Prozess durch Höhen und Tiefen aus. Ich schätze mich sehr glücklich darüber, dass meine Familie mir in allen Phasen beiseite stand und dabei durch interessierte Nachfragen neue Perspektiven aufkommen konnten, die ich als bereichernd für mein Projekt empfinde. Deshalb gilt meinen Eltern, Wolfram Kriesten und Karoline Wiese-Kriesten, sowie meinen Geschwistern Hannah, Franz und Isabelle großer Dank für alle Gespräche und die hilfreichen Korrekturen. Für den konstruktiven Austausch möchte ich außerdem allen Beteiligten des Forschungskolloquiums des Lehrstuhls für Evangelische Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts der Universität Augsburg danken. Zu guter Letzt sei den 15 Schülerinnen und Schülern für ihre Bereitschaft, an der Studie teilzunehmen, gedankt. Die Perspektive dieser Kinder ist eine Bereicherung für die schulische Friedensbildung und sie haben auch mich sowohl durch ihre Zeichnungen als auch mit ihren Aussagen immer wieder überrascht und das ein oder andere Mal über den Tellerrand hinausblicken lassen.

I. Ein Bild von Frieden – Einleitung

1.

Hinführung

Das Streben nach Frieden bestimmt alle Dimensionen menschlichen Lebens. Der Wunsch jedes und jeder Einzelnen zu einem Leben in Harmonie und dem Gefühl der inneren Zufriedenheit zeichnet sich in den Entscheidungen und Vorstellungen von Menschen ab. In Situationen sozialer Interaktion wird versucht, Sachverhalte friedlich zu lösen, die Meinungen anderer zu verstehen und in gegenseitiger Wertschätzung zusammenzuleben. Wenn es heißt »[d]ass sich Menschen geschützt, geborgen, in Sicherheit fühlen, [sei] das grundlegende Wesensmerkmal des Friedens«1: Weshalb ist der Weg dorthin dann nicht schon längst geebnet? Inwiefern lassen sich immer wieder aufkommende Konflikte im interpersonalen Miteinander und nicht zuletzt die immens hohe Anzahl an kriegerischen Auseinandersetzungen2, die jeglichem Streben nach Frieden entgegenstehen, mit diesem Wesensmerkmal vereinbaren? Im Zuge der Bachelorarbeit der Verfasserin, auf deren Idee diese Dissertation basiert, wurde in diesem Zusammenhang von einem Schüler der Satz »Das kann man doch auch friedlich klären!« ausgerufen. Ihm liegt tiefes Unverständnis gegenüber dem Ausbruch von destruktiven Konflikten und herrschendem Unfrieden im Nahraum und weltweit zugrunde. Warum muss ein Konflikt eskalieren? Es sollte doch möglich sein, eine friedliche Lösung und Klärung zu finden! Heranwachsende sehen sich Unfrieden ausgeliefert, sind geängstigt vor einer Zukunft, die sie vor unlösbare Probleme im Zusammenhang vorhandener Friedensgefährdungen stellt. Gleichzeitig drückt der Satz des Schülers seinen Wunsch nach friedlicher Klärung aus; er teilt mit, dass die konstruktive Lösung von Konflikten doch möglich und erreichbar sein muss – und dadurch auch Frieden erlebbar werden kann. Hiermit trifft er den Kern der Friedenspädagogik, deren Ziel in erster Linie das planvolle, 1 Ziegler, T.: Motive und Alternativentwürfe christlicher Pazifisten. Die vorrangige Option der Gewaltfreiheit im Religionsunterricht der Kursstufe, Göttingen 2018, 25. 2 Die Statistik des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung stellt im Jahr 2021 die Anzahl vom 204 gewaltsamen Krisen (»violent crisis«) weltweit fest. vgl. hierzu Heidelberg Institute for International Conflict Research: Conflict Barometer 2021 (Bd. 30), Heidelberg 2022, 15.

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Hinführung

didaktische Handeln zur konstruktiven Konfliktbearbeitung ist.3 In der Grundschule begegnen Kinder Auseinandersetzungen, Meinungsverschiedenheiten und sie sehen sich mit direkter und struktureller Gewalt konfrontiert. Sie erfahren bereits durch Gespräche und mediale Berichterstattungen von schwelenden Konfliktherden und offen ausgetragenen Auseinandersetzungen, von Terroranschlägen und Kriegen. Aber auch vor dem Schulhof macht direkte Gewalt, in Form von Schlägereien oder Beleidigungen, sowie strukturelle Gewalt, zum Beispiel in Form von vermehrtem Antisemitismus4 und der Zunahme von Islamfeindlichkeit5, nicht Halt. Aufkommende Ohnmachtsgefühle zeigen sich nicht zuletzt im Angesicht der globalen Klimakrise, die alle Menschen – und im Besonderen die zukünftigen Generationen – in einem Maße beeinflusst, das die Notwendigkeit entsprechender friedenspädagogischer Handlungsperspektiven unabdingbar macht. Gerade in Anbetracht der Zukunft, die den jungen Schülerinnen und Schülern bevorsteht, sollten diese den Problemen, Herausforderungen und Friedensgefährdungen nicht unvorbereitet ausgesetzt werden. Vielmehr gilt es, bereits in der Grundschule, Möglichkeiten und Perspektiven zu bieten, Friedensfähigkeit auszubilden. Der religiösen Bildung kann in diesem Zusammenhang großes Potenzial zugesprochen werden. In besonderem Maße kann hier eine Verknüpfung stattfinden zwischen dem Lernen über Frieden, aber auch dem Erleben von Frieden sowie Handeln für den Frieden, in einem Sinne, der kognitive und affektive Bildungsdimensionen zusammendenkt. Hinweis zur konfessionellen Ausrichtung Diese Arbeit ist aus evangelischer, religionspädagogischer Perspektive verfasst. Deshalb ist ein Ziel der Ausführungen, die Chancen von religiöser Friedensbildung herauszustellen. Es wird nicht davon ausgegangen, dass es bezüglich der Friedensbemühungen gravierende (christlich-)konfessionelle Unterschiede gibt.6 Beispielsweise haben sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die Deutsche Bischofskonferenz gleichermaßen auf das Leitbild des gerechten

3 Vgl. z. B. Frieters-Reermann, N.: Art. Friedenspädagogik, in: Lang-Wojtasik G./Klemm U. (Hrsg.): Handlexikon Globales Lernen, Ulm 32021, 94–98, 94; vgl. hierzu auch Kapitel 2.1.2 in dieser Arbeit. 4 Vgl. z. B. Wetzel, J.: Antisemitismus als Herausforderung für die schulische und außerschulische Bildung, in: Theoweb 18/1 (2019), 35–49, 35f. 5 Vgl. z. B. Naurath, E.: Friedenspädagogik und interreligiöse Bildung, in: Klöcker M./Tworuschka U. (Hrsg.): Handbuch der Religionen, Hohenwarsleben 2022b, XIV – 5.1.2.4, 1–14, 8f. 6 Vgl. Mokrosch, R./Spiegel, E. (2018): Art. Friedenspädagogik. In: Wissenschaftlich-Religionspädagogisches Lexikon (WiReLex). Abrufbar unter: https://www.bibelwissenschaft.de/sti chwort/200366/ (aufgerufen am: 28. 2. 2023), 1.

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Friedens festgelegt.7 Es wird also innerhalb der Ausführungen nur an wenigen, geeigneten Stellen auf konfessionelle Unterschiede innerhalb des Christentums hingewiesen. An dieser Studie nahmen Schülerinnen und Schüler beider Konfessionen, sowie muslimische und bekenntnislose Heranwachsende teil. Dies ist als Heterogenitätsmerkmal der Stichprobe festgelegt8 und als Chance der Untersuchung zu vermerken, einen mehrperspektivischen Blick auf die Meinungen und Sichtweisen von Kindern im Grundschulalter zu erlangen. Hinweis zur aktuellen weltpolitischen Lage Innerhalb des Erstellungszeitraumes dieser Arbeit sind zwei für die Friedensforschung und -pädagogik äußerst relevante – weil immens friedensgefährdend wirkende – Aspekte aufgekommen. Zum einen die Pandemie des Covid-19Virus, die im Februar 2020 weltweit ausgebrochen ist. Sie ist deshalb als friedensgefährdend einzustufen, da sowohl weltpolitisch als auch innerhalb Deutschlands covid-begründete Konflikte aufkamen, die weitgreifende Folgen haben. Das betrifft sowohl die intrapersonale (z. B. Aufkommen psychischer Probleme aufgrund der sozialen Isolation und individueller Ängste), als auch die interpersonale (z. B. Streitsituationen aufgrund unterschiedlicher Betrachtung des Gefährdungspotenzials der Pandemie), gesamtgesellschaftliche (z. B. Gewaltausschreitungen vonseiten sogenannter ›Querdenker‹ bei Demonstrationen) und globale (z. B. Konflikte aufgrund der Ungleichverteilung von Covid-19Impfstoffen) Ebene. Zum anderen brach am 24. 02. 2022 in Europa ein Krieg aus, indem der russische Präsident Wladimir Putin befahl, die Ukraine von verschiedenen Seiten anzugreifen.9 Innereuropäisch kann dies als immense Friedensgefährdung, sowie als außerordentlich großer Bruch des Friedens seit Ende des Zweiten Weltkrieges angesehen werden. Der Ausbruch eines Angriffskrieges mit atomarer Bedrohung negiert vielfältige Chancen und Hoffnungen, die aufgrund des über 75 Jahre anhaltenden Friedens in Deutschland sicher erschienen. Darüber hinaus zeigt er die außerordentliche Relevanz des Sprechens über Frieden und Solidarität sowie des Vermeidens von Krieg – insbesondere im Angesicht der Bedrohung und des Gewaltausbruchs. Diesbezüglich erscheint die bereits im Zuge der Ausschreitungen in der Ukraine 2014 formulierte Aussage des Friedenspädagogen Uli Jäger heute aktueller denn je: 7 Vgl. z. B. Evangelische Kirche Deutschland: Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 22007.; sowie Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.): Gerechter Friede. 27. September 2000 (Die Deutschen Bischöfe Bd. 66), 42013. 8 Vgl. Kapitel 7.4.3. 9 Stand der Informationen: 01. 03. 2023.

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»Die offensichtliche Mitverantwortung der Europäischen Union, die aufkommenden Ängste vor einer regionalen Ausweitung und vor einem neuen Kalten Krieg sowie die immer mehr Irritationen auslösenden Verstöße gegen geltendes Völkerrecht machen deutlich: Alle Versuche des Wegschauens, wenn irgendwo auf der Welt wieder Krieg ausbricht, sind nicht mehr nur unter ethischen, sondern auch unter friedens- und sicherheitspolitischen Aspekten inakzeptabel.«10

Diese Aspekte werden innerhalb der (religionspädagogischen) Friedens- und Konfliktforschung und im Zuge dessen auch für die (religiöse) Friedenspädagogik weitreichende Konsequenzen haben. Aus aktueller Sicht ist ein Paradigmenwechsel nötig, der vergessen geglaubte Friedensgefährdungen mitbedenkt und sich ausgehend von diesen für Frieden einsetzt. Vorliegende Arbeit wurde im Sinne dieser Ausrichtung verfasst, kann allerdings nicht an allen Stellen die aktuellen Geschehnisse mit aufgreifen, da sie im Zeitraum vor und während des Aufkommens der Pandemie und des Krieges erstellt wurde. So wurde beispielsweise die Erhebung der Kinderzeichnungen und Interviews im Sommer 2019 durchgeführt, in der beide genannten Phänomene noch in der Zukunft lagen. Es wird dennoch versucht, die aktuellen Friedensgefährdungen und Entwicklungen nicht außen vor zu lassen und an geeigneten Stellen mit zu bedenken. Zudem zeigt sich, dass es gerade angesichts des (drohenden) Unfriedens als außerordentlich relevant erscheint, den Jüngsten eine Stimme zu geben. Nicht nur die Pandemie und der aktiv geführte bewaffnete Konflikt, sondern darüber hinaus beispielsweise auch die fünf-nach-zwölf-Situation in Anbetracht der globalen Klimakrise, zeigen die Brisanz des Sprechens über Frieden und des dringenden Einbezugs der Friedensbildung in die Überlegungen zur Zukunft. Es sind die Heranwachsenden, die unverschuldet die größte Verantwortung für die Trümmer, die Destruktion und Krisen dieser Zeit mittragen müssen. Umso mehr ist ein Sprechen über Frieden und das Finden von Strategien und Handlungsweisen – für, mit und von Schülerinnen und Schülern – unabdingbar innerhalb subjektorientierter Lern- und Friedensbildungsprozesse, die positive Auswirkungen auf den gesellschaftlichen und globalen Frieden haben können. Vorliegende Arbeit zeigt in ihren empirisch validierten Erkenntnissen zu kindlichen Friedensvorstellungen konstruktive Ansatzpunkte für eine zukunftsweisende Friedenspädagogik im Horizont religiöser Bildung auf.

10 Jäger, U.: Friedenspädagogik in der Schule und Erwachsenenbildung. Neue Herausforderungen für eine Erziehung zum Frieden, in: Politik unterrichten 1 (2014), 49–54, 49.

Relevanz von Friedensbildung im religionspädagogischen Kontext

1.1

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Relevanz von Friedensbildung im religionspädagogischen Kontext

»Dem Ende des Kalten Krieges folgte ein friedensethischer Paradigmenwechsel. Protestantische und katholische Friedensethik forderte vor allem in Europa immer lauter, an die Stelle der Lehre vom gerechten Krieg ein Konzept des ›gerechten Friedens‹ zu stellen. Als ethische Richtschnur galt zunehmend die vorrangige Option der Gewaltfreiheit.«11

Dieser kurze Ausschnitt eines Zeitschriftenartikels, der sich mit der Notwendigkeit einer friedensethischen Weiterentwicklung im Lichte des ausgebrochenen Ukraine-Konfliktes beschäftigt, ist nur ein Beispiel der aufkommenden Diskussionen um Veränderung, Umdenken und der Entwicklung neuer Handlungsstrategien im Horizont gegenwärtig herrschenden Unfriedens. Die Aussage offenbart einen wichtigen Aspekt im Nachdenken über Frieden: Friedensbezogene Paradigmenwechsel entstehen dann, wenn Unfrieden vor der Tür steht oder diese längst eingerissen ist. Die institutionalisierte Friedens- und Konfliktforschung ist im Zuge des Kalten Krieges aufgekommen. Um die Jahrtausendwende herum wuchs das Bedürfnis nach der Abkehr von der Lehre des gerechten Krieges im Horizont neuartiger Kriegsformen der modernen Welt. Auf kirchlicher Ebene wurde dies in der Denkschrift der EKD 200712 in der Lehre des gerechten Friedens manifestiert. Für diesen Paradigmenwechsel ist konstitutiv, alles menschliche Handeln auf Frieden hin auszurichten. Und dennoch: Das Nachdenken über friedliche Denkund Verhaltensweisen geschieht häufig über die Charakterisierung von Unfrieden. Frieden als Abwesenheit von Krieg und Gewalt beschreibt via negationis, was eben nicht zu gelingendem Zusammenleben gehört. Die vornehmliche Konzentration auf Unfriedensthemen liegt zum einen darin begründet, dass das Erleben von Frieden als höchst subjektives, fast unbeschreibliches Lebensgefühl begreifbar gemacht werden müsste. Zum anderen kann unfriedlichen Phänomenen nach wie vor ein »Thrill-Effekt«13 zugesprochen werden. Jedoch: Das tatsächliche Erleben von Unfrieden im Nahraum oder das Aufkommen von gewaltvollen Ausschreitungen, wie zum Beispiel Terroranschlägen, schockiert 11 Palaver, W.: Wie widerstehen? Christliche Friedensethik und der Ukraine-Krieg, in: Herder Korrespondenz 76/4 (2022), 21, 21. 12 Vgl. Evangelische Kirche Deutschland: Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 2 2007. Von katholischer Seite liegt hierzu eine Schrift der Deutschen Bischöfe vor: vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.): Gerechter Friede. 27. September 2000 (Die Deutschen Bischöfe Bd. 66), 42013. 13 Lämmermann, G.: Religionsdidaktik. Bildungstheologische Grundlegung und konstruktivkritische Elementarisierung, Stuttgart 2005, 258.

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und lässt auch begeisterte Fans von Krimis, True-Crime-Podcasts14 oder Horrorfilmen fassungslos zurück.15 In diesem Sinne muss für eine Thematisierung von Frieden plädiert werden. Auch Grundschülerinnen und -schüler interessieren sich für den ›Thrill‹, spielen kämpferische Computerspiele und finden es spannend, »auch mal der Böse zu sein«16. In der Schule kann dieser Aspekt aufgegriffen werden. Gleichzeitig wird postuliert, dass die Schülerinnen und Schüler den oben angesprochenen Wunsch nach Frieden, Sicherheit und Geborgenheit17 verspüren und ein Bedürfnis nach friedlicher Klärung von unfriedlichen Konflikten haben. Wie können demnach diese verschiedenen Aspekte des Friedens und Unfriedens in ihren Facetten in der schulischen Bildung adäquat aufgenommen werden? Die Beschäftigung mit friedensrelevanten Aspekten durchzieht alle Schularten und -fächer – allein schon deshalb, da sich alle Akteurinnen und Akteure der Schulgemeinschaft um ein friedliches Zusammenarbeiten und -leben bemühen sollten. Häufig finden sich Friedensbemühungen bereits im Schulprofil, wie zum Beispiel bei den »Schulen gegen Rassismus – Schulen mit Courage«.18 In den weiterführenden Schularten werden dann spätestens in der festverankerten Thematisierung verschiedener Kriege und Konfliktherde Aspekte in den unterschiedlichen Fächern aufgegriffen, die als Teil demokratischer Lernund Bildungsprozesse zur Friedensfähigkeit von Jugendlichen beitragen können. Und auch konkret auf den evangelischen und katholischen Religionsunterricht bezogen kann gesagt werden, dass die Fragen nach Frieden und Unfrieden die Curricula aller Schularten durchziehen.19 Allerdings fällt auf, dass Frieden vornehmlich implizit in den Lehrplänen genannt ist20, weshalb sich Elisabeth Naurath angeschlossen werden kann, die berechtigterweise fragt: 14 Hierbei handelt es sich um ein auditives Medienformat, in dem eine oder mehrere Personen wahre Verbrechen ausführlich besprechen, diskutieren und meist detailreich beschreiben. 15 Vgl. Naurath, E.: Frieden und Krieg / Terrorismus, in: Simojoki H./Rothgangel M./Körtner U. H. (Hrsg.): Ethische Kernthemen. Lebensweltlich – theologisch-ethisch – didaktisch (Theologie für Lehrerinnen und Lehrer), Göttingen 2022a, 143–154, 143. 16 Ausschnitt aus einem der Interviews im Rahmen der vorliegenden Studie: vgl. DENNIS_Im10k1, Pos. 86. 17 Vgl. Ziegler 2018, 25. 18 Vgl. Aktion Courage e.V. : Wer wir sind, was wir machen. In: Aktion Courage e.V. Abrufbar unter: https://www.schule-ohne-rassismus.org/ (aufgerufen am: 28. 2. 2023). 19 Vgl. Lämmermann, G.: »…Und wenn dort ein Kind des Friedens ist«. Religionsdidaktische Perspektiven und Thesen zur Friedensfrage, in: Sedlmeier F./Hausmanninger T. (Hrsg.): Inquire pacem. Beiträge zu einer Theologie des Friedens. Festschrift für Bischof Dr. Viktor Josef Dammertz OSB zum 75. Geburtstag, Augsburg 2004, 350–370, 352. 20 Ein Beispiel: Im bayerischen LehrplanPlus der Grundschule im Lernbereich 10 des evangelischen Religionsunterrichts der 3./4. Jahrgangsstufe mit dem Namen »Sich Herausforderungen im Zusammenleben stellen« wird ›Frieden‹ lediglich an einer Stelle in seiner Negation als ›Unfrieden‹ expliziert. Vom Kompetenzziel »Die Schülerinnen und Schüler […] beschreiben, wie sowohl Menschen im Nahraum als auch weltweit unter Unfrieden und Un-

Relevanz von Friedensbildung im religionspädagogischen Kontext

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»Kann man Frieden lernen? Und wenn dies möglich ist, warum steht das Fach ›Frieden‹ dann nicht ganz oben auf dem Stundenplan, sondern findet sich eher implizit und marginalisiert auf der Agenda formaler und nonformaler Bildung?«21

Antworten auf die Fragen, ob und wie Frieden (in der Schule) lernbar ist und inwiefern eine diesbezügliche Explikation Potenzial hat, sind möglicherweise in der Chance religiöser Bildungsprozesse zu finden. Der Religionsunterricht stelle, vor allem in Bezug auf die Wertebildung, seit jeher ein bevorzugtes Forum dar.22 Es wird postuliert, dass gerade religiöse Bildungs- und Lernprozesse in friedensbildender und -erzieherischer Hinsicht einen erheblichen Beitrag leisten können. Dies liegt zum einen darin begründet, dass die christliche Religionspädagogik auf den Grundsätzen friedenstheologischer Prinzipien beruht, die in Kultur und Geschichte fest verankert sind. Das Ersehnen eines eschatologischen Friedens im Reich Gottes ist Ursprung der abendländischen Friedenskonzeptionen sowie aller christlichen Bemühungen zur Friedenstiftung. Die Entwicklungslinien der Moderne fassen zwar nicht mehr in erster Linie die Überlegungen zu einem eschatologischen Frieden ins Auge, dennoch kann aus diesem heraus die klare Intention der Religionspädagogik »sui generis [zu] Friedenserziehung bzw. Friedensbildung«23 abgeleitet werden. Zum anderen sehen sich Grundschülerinnen und -schüler, wie beschrieben, in ihrer Lebenswelt und im Unterricht mit dem Thema Frieden konfrontiert. Der Religionsunterricht kann den Raum dazu eröffnen, die Fragen, Vorstellungen und Perspektiven der Heranwachsenden explizit aufzugreifen. Dabei liegt die Chance religiöser Friedensbildung darin, dass Gefühle und Sorgen zur Sprache kommen können, für die in anderen Fächern möglicherweise kein Platz ist. Frieden und Unfrieden betreffen vielfältige Bereiche der kindlichen Lebensrealität, sodass eine Zusammenschau aller dieser Ebenen beispielsweise im Geschichtsunterricht der Sekundarstufe oder im Sachunterricht der Grundschule nicht möglich sein kann. Letzterer kann zwar politisch-demokratische Bildungsprozesse, die einer Friedensbildung und -erziehung (auch) zugrunde lie-

gerechtigkeit leiden, und entwickeln gemeinsam Visionen von einer besseren Welt« lassen sich die Lerninhalte »Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung« ableiten. Vgl. Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung : LehrplanPlus. Abrufbar unter: https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/grundschule/3/evangelische-religio nslehre (aufgerufen am: 28. 2. 2023). 21 Naurath 2022b, 2. 22 Vgl. Regenbogen, A.: Werte leben lernen: Gerechtigkeit – Frieden – Glück. Einleitung, in: Graf U., et al. (Hrsg.): Werte leben lernen. Gerechtigkeit – Frieden – Glück (Werte-Bildung interdisziplinär Bd. 5), Göttingen, Niedersachs 2017, 13–20, 16. 23 Naurath 2022a, 143.

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gen, mit aufnehmen, wird aber möglicherweise nicht den Fragen des Erlebens von Frieden (im Nahraum) genügen können.24 Im aktuellen Diskurs zeigt sich eine steigende Relevanz der politischen Bildung innerhalb religiöser Bildungsprozesse. Friedenspädagogische Bemühungen bilden hierfür ein geeignetes Beispiel ab.25 Ausgehend von den Aspekten, die Frieden und Unfrieden berühren, kann einerseits dafür argumentiert werden, dass eine Bildung für Frieden im Angesicht globaler und weltpolitischer Entwicklungen immer eine demokratische Positionierung – eben auch in der religiösen Bildung – innehaben muss. Andererseits kann speziell ausgehend von der Religionspädagogik eine politische Dimension konstatiert werden. Dabei sind aktuelle friedensschädigende Krisen, wie zum Beispiel die Klimakatastrophe zu bedenken, die sich nicht unabhängig von weltpolitischen Geschehnissen und Entscheidungen thematisieren lassen. Gefordert sind diesbezüglich Bildungsprozesse, die den Auftrag der Religionen »zur Verantwortung für die Schöpfung und ihre Mitgeschöpfe«26 einbeziehen. Auch im Zusammenhang mit genuin religiösen Themen, kann herausgestellt werden, dass friedensbildende Bemühungen angesichts der Bedrohung durch »wachsende Vorurteile und Feindbilder[n] gegenüber religiösen Minderheiten«27 einen festen Platz in der Religionspädagogik einnehmen. Die Ausrichtung auf und das Potenzial der interreligiösen Bildungsprozesse, welche die Pluralitätsfähigkeit28 der Lernenden und Möglichkeiten zum Dialog in den Blick nehmen, sind diesbezüglich zu betonen. Interreligiöse Bildung ist demnach klarer Bestandteil friedenspädagogischen Handelns in Schule und (Religions-)Unterricht. Anhand dieser Begründungsstrategien kann davon ausgegangen werden, dass der religiösen Bildung ein großes Potenzial zugrunde liegt, in Schule und Unterricht – vor allem bereits bei den Jüngeren – wegweisend für gelingende Friedensprozesse zu sein.

24 Nina Kallweit konstatiert diesbezüglich, dass innerhalb der Sachunterrichtsdidaktik Untersuchungen zum kindlichen Erleben von ›Frieden‹ und davon ausgehende fachdidaktische Konsequenzen noch vertieft werden sollten. vgl. Kallweit, N.: Kindliches Erleben von Krieg und Frieden. Eine phänomenografische Untersuchung im politischen Lernen des Sachunterrichts, Wiesbaden 2019, 426. 25 Vgl. Naurath, E.: Darf religiöse Bildung politisch sein?, in: rpi-Impulse 3 (2019), 6–9, 8f. 26 Ebd., 8. 27 Ebd., 9. 28 Vgl. Evangelische Kirche Deutschland: Religiöse Orientierung gewinnen. Evangelischer Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Gütersloh 2014, 12.

Zielsetzung der Arbeit: Zur Sicht von Kindern auf Frieden

1.2

25

Zielsetzung der Arbeit: Zur Sicht von Kindern auf Frieden

Es zeigt sich, dass aufgrund der Komplexität von denjenigen Aspekten, die mit Frieden in Verbindung stehen, ein zu weit gefasster und nicht differenzierter Friedensbegriff eine große Herausforderung für religionspädagogische Bemühungen sein kann. Wird allerdings Frieden stets ›nur‹ als Abwesenheit von Krieg gesehen und zum Beispiel die durchaus konstruktive Wirkung von Konflikten außer Acht gelassen, wird Friedensbildung zu kurz gefasst. Lämmermann beschreibt Frieden als synkategorematischen Begriff. Hierbei handelt es sich um Phänomene, die nur durch den Einbezug weiterer Termini charakterisiert werden können.29 Angestrebt wird deshalb ein Weg, der sich systematisch einem Friedensbegriff annähert, indem Relationsbegriffe beziehungsweise -phänomene untersucht werden. Mithilfe des subjektorientierten Blickes auf die Sicht von Grundschülerinnen und -schülern auf Frieden und Unfrieden lassen sich weiterhin diejenigen Aspekte untersuchen, die für Kinder in ihrer gegenwärtigen Lebenswelt von Bedeutung sind. Kern dieser Arbeit ist eine Studie im Feld der Kindheitsforschung, mit der empirisch validierte Aussagen bezüglich der Vorstellungen von Grundschülerinnen und -schülern zu Frieden und Unfrieden getroffen werden können. Ausgehend von dieser subjektorientierten Sichtweise auf das komplexe Thema können wegweisende Perspektiven für eine subjektorientierte Friedensbildung im Religionsunterricht der Primarstufe entworfen werden. Das zentrale Ziel dieser Herangehensweise liegt also darin, die Kinder als Akteurinnen und Akteure in der Schule in den Blick zu nehmen und zu Wort kommen zu lassen. Sie sind es, die die Gesellschaft der Zukunft maßgeblich mitbestimmen und den Weg zu einer Welt in Maximierung von Gerechtigkeit und Toleranz bei gleichzeitiger Minimierung von Gewalt und Krieg beschreiten können.30 Hierzu wird das kindgemäße Untersuchungsdesign des Symbolischen Interviews nach Burkhard Fuhs31 gewählt, indem die nonverbale Erhebungsmethode der Kinderzeichnungen mit einem leitfadengestützten episodischen Interview32 verknüpft wird. Mithilfe dieser Herangehensweise können qualitative Aspekte, welche die Vorstellungen und das Erleben der Kinder von Frieden beschreiben und beeinflussen, ausgemacht und vorgestellt werden. Ausgehend von einem konstruktivistischen Bildungsbegriff, der anhand 29 Vgl. Lämmermann 2005, 260. 30 Vgl. Kapitel 2.3. 31 Vgl. Fuhs, B.: Kinder im qualitativen Interview. Zur Erforschung subjektiver kindlicher Lebenswelten, in: Heinzel F. (Hrsg.): Methoden der Kindheitsforschung. Ein Überblick über Forschungszugänge zur kindlichen Perspektive (Kindheiten), Weinheim, Bergstr 22012, 80– 103, 98. 32 Vgl. Flick, U.: Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung, Reinbek bei Hamburg 92019b, 238–244.

26

Hinführung

der Präkonzepte und Vorannahmen der Schülerinnen und Schüler didaktischmethodische Konzeptionen eröffnet, können aus den Ergebnissen einer solchen Studie Impulse für die pädagogische Praxis der Friedensbildung im Kontext der Religion entworfen werden. Somit versteht sich diese Dissertation als religionspädagogische Forschungsarbeit, die sich dem Begriff ›Frieden‹ interdisziplinär nähern und mit Einbezug der Relationsbegriffe Gerechtigkeit, Konflikt, Krieg und Gewalt mehrdimensional an den Forschungsgegenstand herangehen möchte. Auf der Grundlage des starken Lebensweltbezugs all dieser mit Frieden zusammenhängenden Phänomene werden die kindlichen Vorstellungen von Frieden und Unfrieden evaluiert.

1.3

Aufbau der Arbeit

Der Aufbau dieser Arbeit bedient sich der bereits im Titel Friedensbild und Friedensbildung ersichtlichen Metapher der Anfertigung eines Bildes. Eine der Aufgabenstellungen an die befragten Kinder innerhalb der Studie lautete, eine Zeichnung von einem Leben in einer friedlichen Welt anzufertigen. Schritte, die bei Überlegungen und der Gestaltung eines solchen Friedensbildes angedacht werden können, durchziehen also auch die Gliederung der vorliegenden Arbeit. Abschnitt II fragt demnach metaphorisch nach der Gestaltung des Hintergrunds eines Friedensbildes: Der theoretische Hintergrund bezieht sich zunächst auf die Aspekte, die der Friedenspädagogik sowie, davon ausgehend, der Friedensbildung und -erziehung in der Grundschule aus religionspädagogischer und -didaktischer Sicht zugrunde liegen (Kapitel 2). Im Anschluss daran werden die Schülerinnen und Schüler als Akteurinnen und Akteure in schulischen Friedensbildungsprozessen in den Blick genommen, indem zentrale Studien zu deren Vorstellungen und Wahrnehmungen von Frieden und Unfrieden erläutert, diskutiert und davon ausgehend aktuelle Forschungsdesiderate herausgestellt werden (Kapitel 3). Es wird angenommen, dass Friedensbildung in religionspädagogischen Lernprozessen auch Aspekte politischer Bildung mit aufgreifen sollte. Demnach wird aus interdisziplinärer, das heißt theologischer sowie politisch-soziologischer Perspektive, der Begriff ›Frieden‹ in den Blick genommen. Ausgehend von verschiedenen Dimensionen und unter regelmäßigem Einbezug religionspädagogischer Konsequenzen, werden demnach die verschiedenen Relationsbegriffe, die nach der Konkretisierung von ›Frieden‹ und ›Unfrieden‹ herausgearbeitet sind (Kapitel 4), beleuchtet. Hierbei ist das Ziel, die aus friedenstheologischer, sowie -ethischer und -forschender Sichtweise relevanten Phänomene von Frieden (im Zusammenhang mit Gerechtigkeit) und Unfrieden (im Zusammenhang mit

Aufbau der Arbeit

27

Konflikten, Krieg und Gewalt) zu einem stimmigen, theoriegeleiteten Gesamthintergrund zusammenzufügen (Kapitel 5). Abschnitt III beschreibt die empirische Untersuchung, in der die Kinder Ein Bild von Frieden zeichnen. Zunächst wird ausgehend von der Forschungsfrage (Kapitel 6), die sich aus den festgestellten Desideraten und den theoretischen Grundlagen ergibt, das Konzept der Studie vorgestellt (Kapitel 7). Die Methoden der Datenerhebung und -auswertung verorten sich in der qualitativen Sozialforschung und basieren demnach auf vorher festgelegten Qualitätskriterien, die sich speziell aus dem Zweig der Kindheitsforschung ergeben. Die Durchführung der Erhebungen und daraus resultierenden Schritte der Datenaufbereitung und -auswertung beschreibt das Kapitel Der Zeichenprozess. Entsprechend wird der Prozess Datenerhebung und Auswertung systematisch dargestellt, begründet und reflektiert (Kapitel 8). Abschnitt IV zeigt die Resultate der Studie und diskutiert sie – es folgt also das Einrahmen und Aufhängen des Friedensbildes. Nach kurzen Einblicken in die Einzelinterviews werden hierzu nacheinander die zentralen Ergebnisse der Kinderzeichnungen und Interviews dargestellt und miteinander in Beziehung gesetzt (Kapitel 9). Hiervon ausgehend können die Ergebnisse unter Rückbezug auf den theoriebasierten Hintergrund dieser Arbeit reflektiert und diskutiert werden (Kapitel 10) und somit eine geeignete Basis für das resümierende Kapitel bieten: Abschnitt V führt die Erkenntnisse in Bildern der Zukunft für die religionspädagogische Friedensbildung zusammen. Hierzu werden aus den Untersuchungsresultaten Perspektiven für die Friedensbildung des Religionsunterrichts der Primarstufe entwickelt, vorgestellt und durch methodisch-didaktische Impulse ergänzt (Kapitel 11 bis 14). Die Arbeit schließt in Abschnitt VI mit einem Fazit und gibt Ausblick auf mögliche weitere Forschungsvorhaben im friedenspädagogischen Feld.

II. Die Gestaltung eines Hintergrunds – theoretische Grundlagen zum Begriff ›Frieden‹ aus religionspädagogischer Sicht

2.

Friedensbildung in der Grundschule – mehr als Erziehung

Innerhalb dieser Arbeit werden die Thematisierung von Frieden und damit die Stärkung der kindlichen Friedensfähigkeit auf allen Ebenen in der Schule als Aspekte angesehen, die sich durch den Bildungsbegriff auszeichnen. Sicherlich: auch die Erziehung hin zu friedensfähigem Handeln spielt innerhalb der Pädagogik, die sich mit Frieden und Unfrieden auseinandersetzt, eine erhebliche Rolle, die sich über die Jahrzehnte hinweg gestärkt und weiterentwickelt hat. Jedoch kann davon ausgegangen werden, dass, bezogen auf einen mehrdimensionalen, interdisziplinären und aktuellen Bildungsbegriff, Friedenspädagogik immer beides – Friedensbildung und -erziehung – beinhalten sollte. Hierbei ist für die theoriegeleitete Grundlegung vor allem die Differenzierung der Termini von außerordentlicher Bedeutung, da diese jeweils unterschiedliche Ausrichtungen, wortgeschichtliche Besonderheiten und Schwerpunktsetzungen innehaben. Eine synonyme Verwendung der Begriffe ›Friedensbildung‹ und ›Friedenserziehung‹ wird deshalb im Folgenden abgelehnt. Vor allem ist aber die deckungsgleiche Verwendung von Erziehung – statt Bildung – nicht mehr zeitgemäß. Inwiefern sich (nicht nur die Begriffe der) friedenspädagogische(n) Bemühungen seit ihren Anfängen entwickelt haben, wird im Folgenden, ausgehend von einem religionspädagogischen Standpunkt, kurz dargestellt. Warum angenommen werden kann, dass Friedensbildung und -erziehung als Teildisziplinen der Friedenspädagogik unterschiedliche Ausrichtungen erfahren, wird anschließend diskutiert. Diese Charakterisierungen und Feinschliffe in der Begriffsbetrachtung können als grundlegend für diese Arbeit angesehen werden, da sie das Bild von Frieden in Schule und Unterricht beziehungsweise in Hinblick auf Kinder und Kindheit maßgeblich beeinflussen. So sind beispielsweise Aspekte wie die Subjektorientierung und die Notwendigkeit der Selbst-Bildung konstitutiv für das vorliegende Werk.

32

2.1

Friedensbildung in der Grundschule – mehr als Erziehung

Einführung: Friedenspädagogik in Deutschland

Um die inhaltlichen Schwerpunkte der Friedenspädagogik nachzeichnen zu können, ist es notwendig, die Entwicklungslinien dieser wissenschaftlichen Disziplin nachzuvollziehen. Mithilfe einer Gesamtschau über den aktuellen friedenspädagogischen Diskurs innerhalb Deutschlands, der anhand von Blitzlichtern der Geschichte nachgezeichnet wird, können anschließend Friedensbildung und -erziehung in der Grundschule genauer charakterisiert werden.

2.1.1 Skizzierung: Geschichte der Friedenspädagogik in Deutschland Die Friedenspädagogik hat in der europäischen und deutschen Historie in ihrer modernen Form erst seit einer vergleichsweise kurzen Zeitspanne Aufmerksamkeit erhalten. ›Friedenspädagogik‹, deren Begriff erstmals in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bei Friedrich Wilhelm Foerster Verwendung fand33, ist dennoch keine Erfindung der Moderne; vielmehr erwuchsen bereits ab dem Mittelalter friedenspädagogische Überlegungen aus den jeweiligen gesellschaftlichen, politischen und philosophischen Begebenheiten der jeweiligen Epochen. Im Jahr 2007 veröffentlichte Karl Ernst Nipkow in seinem Werk »Der schwere Weg zum Frieden«34 die erste Übersicht und Genese der Nachzeichnung der (deutschen) Geschichte der Friedenspädagogik, die »einen überraschenden Reichtum an friedenserzieherischen Einsichten«35 innerhalb der Historie offenbarte. Auf Grundlage dieser Forschung werden im Folgenden kurze Einblicke in ausgewählte Zeiträume und Konzeptionen bestimmter Personen gegeben. Zum einen wird dabei die Abhängigkeit der friedenspädagogischen Bemühungen vom jeweiligen sozio-kulturellen sowie zeitgeschichtlichen Umfeld deutlich. Zum anderen sind die Ausrichtung und Zielsetzungen der heutigen Friedenspädagogik aus ihrer Geschichte heraus besser nachvollziehbar. Im Folgenden werden kurze Skizzen von fünf für die Friedenspädagogik relevanten Epochen aufgezeigt. Hiermit wird dargestellt, was vor allem aus religionspädagogischer Perspektive auch heute noch von Bedeutung für friedensbildende und -erzieherische Bemühungen ist.36 33 Vgl. Nipkow, K. E.: Ansätze einer Friedenserziehung in der europäischen Geschichte, in: Haussmann W., et al. (Hrsg.): Handbuch Friedenserziehung. Interreligiös – interkulturell – interkonfessionell, Gütersloh 2006, 9–16, 12. 34 Ders.: Der schwere Weg zum Frieden. Geschichte und Theorie der Friedenspädagogik von Erasmus bis zur Gegenwart, Gütersloh 2007. 35 Ders. 2006, 9. 36 Es versteht sich, dass die friedenspädagogischen Schwerpunkte, die in den einzelnen Epochen von den jeweiligen Personen gesetzt wurden, in deren jeweiligen (theologischen) Werken zu

Einführung: Friedenspädagogik in Deutschland

33

Skizze 1: Martin Luther und die Erziehung zu »Frieden, Recht und Leben« Im auslaufenden Mittelalter riet Martin Luther im Horizont seiner Zwei-Regimenten-Lehre37 zu der Maxime von »Frieden, Recht und Leben«38. Die Bewahrung dieser Trias läge dabei in der Hand des ›weltlichen Regiments‹ und innerhalb der Abhandlung »Eine Predigt, dass man Kinder zur Schulen halten solle«39 erhalten diese drei Prinzipien eine pädagogische Dimension: »Und ist des weltlichen regiments werk und ehre / das es aus wilden thieren / menschen macht / und menschen erhellt / das sie nicht wilde thiere werden.«40

Hieraus kann zwar (noch) keine explizite Friedenspädagogik nach Luther beziehungsweise in reformatorischer Absicht entstehen, jedoch kann gesagt werden, dass mit den aufgestellten Zusammenhängen zwischen Frieden41 und der (friedens-)pädagogischen Rolle, die jede Christin und jeder Christ innerhalb des weltlichen Regiments übernehmen solle, zumindest Grundsteine gelegt sind. Nipkow schreibt den Ansätzen Luthers eine »überzeitliche Bedeutung für eine jede künftige Friedenserziehung […] in der Eröffnung der Diskussion zum grundsätzlichen Verhältnis von Friede und Staat«42 zu. Skizze 2: Johann Amos Comenius’ »Alles fließe von selbst! Gewalt sei ferne den Dingen!« Theologische Begründungsstrategien und die Verknüpfung von friedenspädagogischen Bemühungen mit globalen Themen finden sich bei einem der zentralen Wegbereiter für die Pädagogik wieder: Johann Amos Comenius (1592–1670) hat im

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verorten und kontextualisieren sind. Im Folgenden wird lediglich auf die friedenspädagogischen Konsequenzen genauer eingegangen. Ausführliche Erläuterungen zum grundsätzlichen Friedensverständnis der im Folgenden beschriebenen Epochen beziehungsweise Personen finden sich bei: ders.: Der schwere Weg zum Frieden. Geschichte und Theorie der Friedenspädagogik von Erasmus bis zur Gegenwart, Gütersloh 2007. Vgl. z. B. Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt : Wie weit sich weltliche Obrigkeit erstrecke. In: Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt. Abrufbar unter: https://www.luther2017.de/martin-luther/texte-quellen/lutherschrift-von-weltlicher-obrigke it-wie-weit-man-ihr-gehorsam-schuldig-sei/ (aufgerufen am: 28. 2. 2023). Nipkow 2007, 40.; Hervorhebung im Original. Vgl. WA 30.II, 517–588. WA 30.II, 555, 6–8; zitiert aus: Clemen, O.: Luthers Werke in Auswahl. Schriften von 1529 bis 1545 (Bd. 4), Berlin 51959, 163. Luthers Friedensverständnis baut zum einen auf dem Bewusstsein über die ›innere Zufriedenheit‹ und zum anderen auf der Konnotation von Frieden als Abwesenheit von Krieg auf. Näheres hierzu findet sich bei: Stümke, V.: Krieg und Frieden in der Reformation: Martin Luther, in: Werkner I.-J./Ebeling K. (Hrsg.): Handbuch Friedensethik, Wiesbaden 2017, 265– 275. Nipkow 2007, 52.

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Friedensbildung in der Grundschule – mehr als Erziehung

Kontext des 30-jährigen Krieges in seinem Werk Pampaedia (Allerziehung)43 verschiedene friedenspädagogische Ideen entwickelt, die für heutige Überlegungen zentral sind. Seinen Impulsen liegt ein Friedensbegriff zugrunde, der (ähnlich wie Luthers) von theologischen Gesichtspunkten und dem Einbezug des, damals herrschenden, Staatsprinzips geprägt ist. Demnach berühre Frieden drei gleichzeitig zu reformierende Lebensbereiche.44 Der erste ist die Religion (religio), der zweite die Politik (politica) und der dritte die Wissenschaft (eruditio). In der Pampaedia fordert Comenius, ›Allen alles allumfassend zu lehren.‹ (»Omnes – omnia – omnino«45). Die starke Verbindung der friedenserzieherischen Ideen mit dem christlichen Prinzip der Gewaltlosigkeit zeigt sich zusätzlich in Comenius’ (pädagogischen) Leitsatz »Alles fließe von selbst. Gewalt sei ferne den Dingen!«46 Nipkow postuliert diesbezüglich, dass durch dieses Bewusstsein der Gleichheit der Menschen vor Gott und der Forderung des »Omnes – omnia – omnino« folgendes erreicht wird: »Eine solche mehrfache Einschließung wehrt sich gegen entsprechende Ausschließungen, gegen soziale, nationale rassische, bildungsgemäße, qualitätsbezogene.«47 Die Aktualität und Relevanz des Pädagogen Comenius für die gegenwärtige religionspädagogische Friedensbildung und -erziehung zeigt sich nicht zuletzt in dessen Hervorhebung in der Denkschrift der EKD.48 Hier werden drei zentrale comenianische Kernelemente einer schöpfungstheologisch begründeten Friedenspädagogik herausgestellt: (1) Die Geschöpflichkeit des Menschen, die eine einfühlsame und solidarische Beziehung zu seiner Umwelt bedingt. (2) Die Überwindung von Gewalt als lebensnotwendige Aufgabe des Menschen als verantwortliches Geschöpf. (3) Die Schöpfung des Menschen zum Ebenbild Gottes, die ihn zur Eindämmung der Macht der Sünde und zusätzlich zur »Bildung und Erziehung zum Frieden als einer notwendigen Bedingung der Überwindung von Gewalt«49 hin befähigt.

43 Vgl. Comenius, J. A.: Pampaedia. Alleinerziehung. In deutscher Übersetzung herausgegeben von Klaus Schaller, Sankt Augustin 1991. 44 Vgl. Nipkow 2007, 80. 45 Comenius 1991, 12. Hervorhebung nicht im Original. 46 Vgl. Nipkow 2007, 96. 47 Ebd., 101. 48 Vgl. Evangelische Kirche Deutschland 2007, Ziff. 51, 36f. 49 Ebd., Ziff. 51, 37.

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Skizze 3: Immanuel Kant und der »Ewige Frieden« der Aufklärung In der Epoche der Aufklärung und des aufkommenden Verständnisses vom Menschen als vernunftbegabtem Wesen, wurde auch die Erziehung von Kindern auf die Erlangung der Mündigkeit hin ausgerichtet. Immanuel Kant fordert in seinem Werk Vom ewigen Frieden einen föderativen Staatenbund, in dem alle Menschen zu einem Staatenbund zusammengeschlossen sind.50 Im Sinne dieses Ziels ist es naheliegend, dass die Kinder laut Kant zu Erwachsenen mit »kritische[r] moralische[r] Entscheidungsfähigkeit«51 erzogen werden sollten, die über die geltenden Rechtslehrsätze ihres Staates informiert sind und der »Ungleichheit und Ungerechtigkeit«52 in ihrem Land entgegenwirken können. In friedenspädagogischer Hinsicht kommt in dieser Epoche und in den Ausführungen Kants dem Bewusstsein über die Rechtslehre und demnach der Konzentration auf politische Bildung große Bedeutung zu.53 Skizze 4: Friedenspädagogik zu Beginn des 20. Jahrhunderts Zu Beginn des 20. Jahrhunderts rückte die Notwendigkeit von Kooperation, Versöhnung und Mitgefühl für den Frieden in den Vordergrund. Der für die Etablierung des Begriffs ›Friedenspädagogik‹ verantwortliche Reformpädagoge Friedrich Wilhelm Foerster (1869–1966) legte den Fokus seiner Pädagogik – im Horizont der zwei Weltkriege – auf den Umgang mit dem Phänomen Krieg54 und die Vermeidung dessen durch die »Pflege der Gemeinschaft mit Andersdenkenden«55. Diese Ausrichtung auf internationale Konfliktherde und die Zuspitzung von Gewalt in Form von Krieg als Thema der Friedenserziehung ist typisch für diese Zeit. Ziele, wie die Errichtung eines europäischen Netzwerkes für Lehrende waren zum Beispiel auch in der 1901 gegründeten Gesellschaft der Friedenserziehung verankert.56 Erste Schritte einer (internationalen) Friedensbewegung wurden allerdings durch die zwei Weltkriege gebremst beziehungsweise unterbrochen. Sie fanden

50 Vgl. Brose, K.: Friedensphilosophie und Friedenserziehung. Von Kant bis Adorno (Philosophie in der Blauen Eule Bd. 21), Essen 1996, 16.; vgl. hierzu Kant, I.: Zum ewigen Frieden und Auszüge aus der Rechtslehre. Kommentar von Oliver Eberl und Peter Niesen (SuhrkampStudienbibliothek Bd. 14), Berlin 2011, 25–29. 51 Nipkow 2007, 149.; Hervorhebung im Original. 52 A.a.O.; Hervorhebung im Original. 53 Vgl. ebd., 134. 54 Vgl. ebd., 272. 55 Ders. 2006, 12. 56 Vgl. Frieters-Reermann 2021, 95.

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Friedensbildung in der Grundschule – mehr als Erziehung

erst später, in der Entstehung der Friedensforschung ab den 1980er Jahren, ihren Höhepunkt.57 Skizze 5: Kritische Friedenserziehung im Kontext der Friedens- und Konfliktforschung Im Zuge dessen wurde den Menschen immer mehr bewusst, dass »Kriege im Geiste der Menschen entstehen«58, weshalb die Erziehung zum Frieden, immer größere Beachtung erfuhr.59 Mit dem Aufkommen der kritischen Friedensforschung, die sich an prominenten Friedensbegriffen wie Johan Galtungs60 orientierte, entstand der Zweig der »kritischen Friedenserziehung«61. Der Einbezug der ›strukturellen Gewalt‹ in Friedensüberlegungen eröffnete einen neuen Blickwinkel auf die Schule als systemisch strukturierte Institution und bedingte das Aufkommen einer »Betroffenheitspädagogik«62, die der problemorientierten Didaktik dieser Zeit nicht unähnlich ist. Die Heranwachsenden sollten sich ihrer politischen Zugehörigkeit durch die Friedenserziehung bewusst werden und so lernen, die politischen Strukturen zu reflektieren und an ihnen zu partizipieren.63 Es ist anzumerken, dass das Aufkommen der Kritischen Friedenserziehung vor allem im Zuge der damals herrschenden »organisierten Friedlosigkeit«64 zu verstehen ist, die das Erleben des Kalten Krieges mit sich brachte und somit das Aufkommen neuer Methoden und Strukturen rund um die Friedenserziehung notwendig machte. Demnach erschien es relevant, Friedenserziehung »als politische Bewußtseinsbildung [sic!] und als Vermittlung von Handlungsdispositionen«65 zu verstehen. In diesem Verständnis von Frieden als politische Aufgabe66 wurden auch in der 57 Vgl. Nipkow 2006, 15. 58 Deutsche UNESCO-Kommission (2001): Verfassung der Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO). Neue deutsche Textfassung, erarbeitet von der Deutschen UNESCO-Kommission in Zusammenarbeit mit der Österreichischen und der Nationalen Schweizerischen UNESCO-Kommission. Abrufbar unter: https://www.unesco.de/mediathek /dokumente/verfassung-der-organisation-fuer-bildung-wissenschaft-und-kultur (aufgerufen am: 28. 2. 2023). 59 Vgl. Orth, G.: Art. Friedensbewegung/Friedenserziehung, in: Betz H. D., et al. (Hrsg.): Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft (Bd. 3 F-H), Tübingen 42000, Sp. 366–367, Sp. 367. 60 Näheres zur Begriffsdefinition des Norwegers in den Kapiteln 4.2 und 5.4.3. 61 Vgl. Wulf, C.: Kritische Friedenserziehung, Frankfurt am Main 1973. 62 Nipkow 2006, 14. 63 Vgl. Wulf, C.: Einleitung: Friedenserziehung in der Diskussion, in: ders. (Hrsg.): Friedenserziehung in der Diskussion, München 1973, 11–19, 15. 64 Ebd., 16. 65 Ebd., 15. 66 Vgl. Gugel, G.: Friedenserziehung, in: Gießmann H. J./Rinke B. (Hrsg.): Handbuch Frieden, Wiesbaden 2011, 149–159, 149.

Einführung: Friedenspädagogik in Deutschland

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Grundschule demokratisch-politische Themen immer präsenter. Dennoch gab es aus dem Kreis der Friedens- und Konfliktforschung auch kritische Stimmen, die eine Erziehung zu Frieden als illusionär ansahen. Picht bringt an, dass ein solcher Bewusstseinswandel, der Weltfrieden ermögliche, nicht durch die Pädagogik erreichbar gemacht werden könne.67 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Geschichte der Friedenspädagogik stark geprägt ist von gesellschaftlich relevanten Rahmenbedingungen zu den jeweiligen Zeiten. Friedenspädagogik tritt vor allem dann in den Vordergrund, wenn Friedensgefährdungen das gesellschaftliche, politische und individuelle Leben und Erleben der Menschen bestimmen. Außerdem lässt sich eine Schwerpunktverschiebung von einer durch theologische Argumentationsstrukturen begründeten Friedenserziehung des Individuums hin zu einer Friedenserziehung zu politisch handelnden, mündigen Mitgliedern der Gesamtgesellschaft vermerken. Die Friedenspädagogik im Lichte der Schöpfungstheologie und rechtfertigungstheologischer Grundlagen im lutherischen und comenianischen Sinne ist fester Bestandteil der Geschichte friedenspädagogischer Bemühungen in christlicher Tradition. Eine religiöse Friedenspädagogik kann aber nur im Zusammenspiel mit politisch-demokratischen Bildungs- und Erziehungsprozessen gesellschaftlich wirksam werden.

2.1.2 Friedenspädagogik im gegenwärtigen Diskurs Friedenspädagogik ist, wie sich gezeigt hat, stets im Lichte des aktuellen gesellschaftlichen Kontextes zu betrachten. Die Kritische Friedenserziehung, die sich im Zuge des Ost-West-Konfliktes etabliert hat, wurde mit dessen Ende abgelöst beziehungsweise seitdem weiterentwickelt. Allgemein verstanden wird heute unter Friedenspädagogik die »Gesamtheit theoretischer Fundierungen, konzeptioneller Ansätze und praktischer Umsetzungen friedenspädagogischer Bildungs- und Erziehungsarbeit.«68 Sie kann also als Sammelbegriff für unterschiedliche, auf Frieden(sprozesse) ausgerichtete, Konzeptionen in verschiedenen (institutionellen) Kontexten verstanden werden. Diese können sich durch variable Normierung und Formalität der Bildung auszeichnen, sodass friedenspädagogische Bemühungen zum Beispiel sowohl in der Familie als auch innerhalb institutionalisierter schulischer Bildungsprozesse stattfinden kön-

67 Vgl. Picht, G.: Zum Begriff des Friedens, in: Deutsche Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung (Hrsg.): Forschung für den Frieden. Fünf Jahre Deutsche Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung ; eine Zwischenbilanz (Veröffentlichungen der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung Bd.1), Boppard am Rhein 1975, 45–52, 47. 68 Frieters-Reermann 2021, 95.

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Friedensbildung in der Grundschule – mehr als Erziehung

nen.69 Dieser weite Begriff der Friedenspädagogik bezieht auch die grundsätzliche Unabhängigkeit des Alters der Lernenden mit ein. Entsprechende pädagogische Prozesse können in jeder Lebensphase stattfinden, weshalb in konkreten theoretischen Fundierungen und Konzeptionen eine Zielgruppenanalyse von Bedeutung ist.70 Friedenspädagogische Prozesse betreffen demnach nicht nur die schulische Bildung; bezüglich der Berücksichtigung innerhalb der Schule müssen allerdings entsprechend spezifische (zielgruppenorientierte) Vorüberlegungen angestellt werden. Die benannte Ausrichtung auf Friedensprozesse bedarf zudem einer genaueren Differenzierung, der sich am ehesten durch die verschiedenen Ziele der Friedenspädagogik angenähert werden kann. Frieters-Reermann beschreibt »die Befähigung zur konstruktiven und gewaltfreien Konfliktaustragung«71 als das zentrale Ziel der Friedenspädagogik. Diese Ausrichtung auf konstruktive Konfliktbearbeitung deckt sich mit dem ersten der vier von Jäger aufgestellten Ziele der Friedenserziehung72, in dem Konflikte als förderlich und Chance für Veränderungen wahrgenommen sind. Diese Chance kann innerhalb der Friedenspädagogik aufgegriffen werden (1). Das zweite Ziel betrifft verschiedene Gewaltformen auf individueller, sozialer und politischer Ebene, auf die innerhalb friedenspädagogischer Prozesse Bezug genommen werden kann und sollte (2). Drittens wird die Einhegung internationaler Konflikte, in Form der »Analyse der Ursachen, Auswirkungen und Nachwirkungen von Kriegen«73, in die Intentionen der Friedenspädagogik aufgenommen (3). Letztlich sei es außerdem notwendig, mithilfe von Visionen für ein friedliches Zusammenleben und das dadurch implizierte Handeln Perspektiven für die friedenspädagogische Praxis zu entwickeln (4). Die Darstellung der zentralen Ziele der Friedenspädagogik zeigt, dass sie sich im Kern mit den Herausforderungen des menschlichen Zusammenlebens auseinandersetzt und dabei auf konstruktive Konfliktbearbeitung und die Minimierung von Gewalt und Kriegen ausgerichtet ist – um Friedensvisionen in der Zukunft zu umsetzbar zu machen. Diese Ausrichtung bedingt die Notwendigkeit 69 Vgl. a. a. O. 70 Vgl. ebd., 96.; in Anlehnung an Salomon, G.: The Nature of Peace Education. Not All Programs Are Created Equal, in: Salomon G./Nevo B. (Hrsg.): Peace Education. The Concepts, Principles and Practices around the World, Mahwah/London 2002, 3–14. 71 Frieters-Reermann 2021, 94. 72 Da innerhalb der Ausführungen, auf die hier Bezug genommen wird, keine explizite Differenzierung der Begriffe ›Friedenspädagogik‹ und ›Friedenserziehung‹ vorgenommen ist, werden die Ziele als für die Friedenspädagogik entworfen verstanden; vgl. Jäger, U.: Zum Frieden erziehen: Friedenspädagogik, in: Berghof Foundation (Hrsg.): Berghof Glossar zur Konflikttransformation und Friedensförderung. 20 Essays zu Theorie und Praxis, Berlin 2020, 54–62, 55f. 73 Ebd., 56.

Einführung: Friedenspädagogik in Deutschland

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verschiedener Handlungsaspekte, die innerhalb friedenspädagogischer Bemühungen zu bedenken sind: »Peace Education is primarily an educational process operating within the context of war, threat, violence, and conflict that addresses attitudes, beliefs, attributes, skills, and behaviors.«74

Im Horizont der Thematisierung und Bearbeitung verschiedener Konflikt- und Gewaltformen sind demnach unterschiedliche Facetten menschlichen Zusammenlebens interpersonal, gesellschaftlich und international/global einzubeziehen. Bei Friedenspädagogik handelt es sich also um das komplexe, ineinandergreifende, pädagogische Bemühen, verschiedene friedensförderliche und friedensschädigende Faktoren zu untersuchen und daraus Handlungsformen zu entwickeln. Diese Schwerpunktsetzung wird besonders deutlich in der folgenden, abschließenden Definition der Friedenspädagogik als »Prozess der Aneignung von Werten und Wissen sowie der Entwicklung von Einstellungen, Fertigkeiten und Verhaltensweisen, um in Harmonie mit sich selbst, gemeinsam mit anderen und mit der Natur leben zu können. Es geht um das Ziel, Gewalt zu reduzieren, die Transformation von Konflikten zu unterstützen und die Friedensfähigkeiten von Individuen, Gruppen, Gesellschaften und Institutionen zu fördern.«75

Jäger greift in dieser Definition die beschriebenen Aspekte auf und erweitert die Facetten menschlichen Zusammenlebens um das Zusammenleben mit der Natur und mit sich selbst. Es kommen also zwei Gesichtspunkte auf, die für Frieden zudem von Bedeutung sein können. Unter der Harmonie mit sich selbst wird im Folgenden die affektive Dimension eines intrapersonalen Friedens verstanden, der sich zum Beispiel durch das Gefühl der ›Zufriedenheit‹ ausdrücken und das Handeln nach außen hin beeinflussen kann – sowie wiederum von außen beeinflusst wird. Frieden verstanden als Zusammenleben mit der Natur wird bereits bei Comenius schwerpunktmäßig relevant76 und ist auch vonseiten der Ökumene zum Beispiel im »Konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung«77 als konstitutiv anzusehen. Es zeigt sich demnach, dass die Friedenspädagogik vielfältige Bereiche menschlichen Lebens durchzieht und entsprechende Konzeptionen in mehrdimensionaler und interdisziplinärer 74 Salomon, G./Cairns, E.: Peace Education. Setting the Scene, in: dies. (Hrsg.): Handbook on peace education, New York 2010, 1–7, 5. 75 Jäger 2020, 55. 76 Vgl. Nipkow 2007, 325. 77 Vgl. z. B. Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland/Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.): Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland, Hannover/Bonn 1997, 102.

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Friedensbildung in der Grundschule – mehr als Erziehung

Hinsicht erstellt und durchdacht werden müssen, um den zugrundeliegenden Zielen gerecht zu werden. Zudem wird allerdings deutlich, dass bereits die Abgrenzung der Begrifflichkeiten im bisherigen Diskurs alles andere als einheitlich ist, weshalb im Folgenden eine Differenzierung und Kontextualisierung der ›Friedensbildung‹ und ›Friedenserziehung‹ im Horizont der Friedenspädagogik angestrebt wird.

2.2

Kontextualisierung: Friedensbildung und -erziehung

Im Englischen ist keine Unterscheidung zwischen den Begriffen der (Friedens-) Bildung und (Friedens-)Erziehung notwendig; alle pädagogisch planvollen Aspekte der Beschäftigung und Thematisierung von Frieden in allen Bereichen können mit ›peace education‹ betitelt werden. Auf diese ganzheitliche Betrachtung sollte innerhalb der deutschsprachigen Friedenspädagogik verzichtet werden, da durch die genaue Charakterisierung und Abgrenzung von Friedenspädagogik als Überbegriff und Friedensbildung und -erziehung als deren Teilbereiche bereits inhaltlich relevante und für pädagogische Prozesse hilfreiche Grundannahmen festgelegt werden können. In früheren Texten hat sich der Begriff der ›Friedenserziehung‹ durchgesetzt, wobei hiermit im Grunde »das direkte pädagogische Handeln in Erziehungs- und Bildungssituationen«78 zu verstehen ist. Obwohl postuliert wird, dass der Terminus der ›Friedensbildung‹ im Diskurs noch relativ neu sei79, kann davon ausgegangen werden, dass die zugehörigen Konzeptionen und Hintergründe eine lange Tradition haben. In verschiedenen Werken wird darauf hingewiesen, dass Friedensbildung und Friedenserziehung häufig entweder synonym verstanden oder verwendet werden.80 Zwar finden sich auch Stimmen, die eine Differenzierung vornehmen (wollen), dies geschieht allerdings selten in ausführlicher Form.81 Der Einfachheit halber werden immer wieder die in ihrem Kern höchst unterschiedlichen Ausdrücke gleichgesetzt. Deshalb werden die beiden Termini im Folgenden auf ihren Sinngehalt hin untersucht und daraufhin Unterschiede herausgearbeitet. Besonders aus religionspädagogischer Sicht erscheint es ungeeignet, der synony78 Gugel 2011, 150. 79 Vgl. Jäger, U.: Friedenspädagogik, in: Gießmann H. J./Rinke B. (Hrsg.): Handbuch Frieden, Wiesbaden 22019, 133–146, 134. 80 Vgl. Frieters-Reermann 2021, 95.; In der Vergangenheit wurde zudem insgesamt die fehlende Differenzierung von ›Bildung‹ und ›Erziehung‹ angemahnt: vgl. z. B. Lämmermann 2005, 22. 81 Vgl. z. B. Mokrosch, R.: Friedensbildung, in: Graf U., et al. (Hrsg.): Werte leben lernen. Gerechtigkeit – Frieden – Glück (Werte-Bildung interdisziplinär Bd. 5), Göttingen, Niedersachs 2017, 117–136, 117; Gugel 2011, 150.

Kontextualisierung: Friedensbildung und -erziehung

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men Verwendung der Begrifflichkeiten weiterhin stattzugeben. Dies hat den Grund, dass dem Bildungsbegriff per se eine lange theologische wie pädagogische Tradition und damit Schwerpunktsetzungen zugrunde liegen, die äußerst relevante Folgerungen für die Praxis einer Friedensbildung (und -erziehung) haben können. Erziehung erhält in der Allgemeinen sowie Schul-Pädagogik auf Grundlage verschiedener Wissenschaftstheorien unterschiedliche Definitionen. Wiater definiert Erziehung als »notwendige, absichtsvolle und intergenerative Hilfe bei der Entwicklung des Heranwachsenden zu seiner Mündigkeit.«82 Bei Brezinka lässt sich eine Rückbindung der Erziehung an bestimmte Werteund Normen-Systeme erkennen.83 Er definiert sie wie folgt: »Erziehung umfasst alle Handlungen, durch die Menschen versuchen, das Gefüge der psychischen Dispositionen anderer Menschen in irgendeiner Weise dauerhaft zu verbessern oder seine als wertvoll erachteten Komponenten zu erhalten, oder die Entstehung von Dispositionen, die als schlecht bewertet werden, zu verhüten.«84

Beide Begriffsbestimmungen lassen auf die Eigenheiten der Erziehung schließen: Es bedarf eines oder einer Erziehenden, der/die sich der Aufgabe annimmt, den ›Zögling‹ beziehungsweise Edukanden zu einem mündigen Menschen zu erziehen und ihn/sie bei seiner/ihrer Sozialisation zu unterstützen.85 Inhalt der Erziehung sind, in Anlehnung an Brezinkas prominente Definition, »Lernprozesse, bei denen die Auseinandersetzung mit Verhaltens- und Erlebnisdispositionen im Vordergrund steht«86; somit sollen Regeln eines normativ bestimmten Habitus (an)erzogen werden. Es lässt sich festhalten, dass die Heranwachsenden die Objekte der Erziehung sind.87 Dem allgemeinen Bildungsverständnis liegt zugrunde, dass die Lernenden als Subjekte von Bildung angesehen und verstanden sind. Dies erklärt sich unter anderem auch dadurch, dass die Themen und die Ausrichtung von Bildungsprozessen andere sind als die Verhaltens- und Erlebnisdispositionen der Erzie82 Wiater, W.: Bildung und Erziehung als Aufgabe der Schule, in: Apel H. J./Sacher W. (Hrsg.): Studienbuch Schulpädagogik (UTB Bd. 2949), Bad Heilbrunn 42009, 311–336, 324. 83 Vgl. Mägdefrau, J.: Erziehung in Schule und Unterricht, in: Haag L., et al. (Hrsg.): Studienbuch Schulpädagogik (UTB Bd. 2949), Stuttgart/Bad Heilbrunn 52013, 345–365, 346. 84 Brezinka, W.: Grundbegriffe der Erziehungswissenschaft. Analyse, Kritik, Vorschläge (UniTaschenbücher Bd. 332), München 1974, 98. 85 Vgl. Knoblauch, C. (2017): Art. Erziehung. Abrufbar unter: https://www.bibelwissenschaf t.de/stichwort/100306/ (aufgerufen am: 28. 2. 2023), 2. 86 Wiater 2009, 334. 87 Vgl. Lämmermann, G.: Religionspädagogische Grundbegriffe: Lernen, Sozialisation, Erziehung, Bildung, in: Lämmermann G./Naurath E./Pohl-Patalong U. (Hrsg.): Arbeitsbuch Religionspädagogik. Ein Begleitbuch für Studium und Praxis, Gütersloh 2005, 31–51, 45f; Wiater 2009, 325.

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Friedensbildung in der Grundschule – mehr als Erziehung

hung. Vielmehr umfasse die Bildung Lernprozesse, bei denen die Auseinandersetzung des Menschen mit den Kulturinhalten und der Weltwirklichkeit insgesamt im Vordergrund stehe.88 Die Geschichte und der Diskurs rund um den Bildungsbegriffes gehen bis in die klassische Antike zurück. Zur Zeit des Mittelalters war die Bildung im Licht des Schöpfungsberichtes und vor allem des Verses Gen 1,26 als »Voraussetzung und Ziel der Gottesebenbildlichkeit«89 angesehen. Ihre Bedeutung in Bezug auf pädagogische Prozesse erlangte die Bildung aber erst im Zuge Aufklärung.90 Sie entwickelte sich seitdem immer mehr zu einem pädagogischen Grundbegriff. Heute gibt es keine klare und unstrittige Definition von Bildung, jedoch kann sie durch folgende Kriterien charakterisiert werden. Bildung ist, im Sinne des viel rezipierten kategorialen Bildungsbegriffes nach Klafki, ein Prozess »doppelseitiger Erschließung«91, bei dem das Subjekt für die Welt erschlossen wird und sich zugleich selbst die Welt erschließt. Das heißt, die Person, die sich im Prozess der Bildung befindet, erfasst die Welt um sich herum sinnlich und ›bildet‹ sich eine Meinung. Gleichzeitig lebt diese Person auch in der sie umgebenden Welt, weshalb sie durch ihre Taten und Gedanken das ›Bild‹ dieser Welt wiederum verändern kann. Bildung ist weiterhin ein Prozess, dessen Ziel das Erreichen von Wissen und auch den zugehörigen Verhaltens- und Denkweisen für ein Leben in der jeweiligen Gesellschaft und Kultur ist. Dieses Ziel kann ansatzweise durch die Vermittlung von Wissen durch Außenstehende erreicht werden. Jedoch ›bildet‹ sich der Mensch im Sinne der kategorialen Bildung seine eigene Wirklichkeit, weshalb Bildung meist Selbst-Bildung bedeutet. Mehr noch: Preul postuliert, dass Bildung im Kern Selbst-Bildung sei.92 Da sich die Verhaltens- und Denkweisen in der Welt in ständigem Fluss befinden und sich der Mensch ›seine‹ Welt auch immer wieder neu erschließen kann, kann Bildung nie als abgeschlossen angesehen werden, sondern definiert sich als lebenslanger Prozess.93 Die Unterschiede zwischen Erziehung und Bildung lassen sich nun wie folgt bestimmen: Im Gegensatz zur Bildung ist die Erziehung mit Erreichen eines bestimmten Erziehungsziels abgeschlossen. So können beispielsweise Manieren anerzogen werden, sobald eine Person also die ›Knigge-Regeln‹ beherrscht und sie anwendet, kann dieser Erziehungsprozess als abgeschlossen gesehen werden. Mit der Sozialisation eines mündigen Menschen in die Gesellschaft kann die 88 Vgl. ebd., 335. 89 Ebd., 313. 90 Vgl. Rothgangel, M./Schelander, R. (2015): Art. Bildung. Abrufbar unter: https://www.bi belwissenschaft.de/stichwort/100081/ (aufgerufen am: 28. 2. 2023), 1. 91 Wiater 2009, 315. 92 Vgl. Preul, R.: Evangelische Bildungstheorie, Leipzig 2013, 69. 93 Vgl. Wiater 2009, 334.

Kontextualisierung: Friedensbildung und -erziehung

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Erziehung im Grunde als beendet angesehen werden. Bildung demgegenüber als Selbst-Bildung, bedarf keines/keiner Erziehenden und kann außerdem nicht an einem bestimmten Punkt als abgeschlossen verstanden werden. Innerhalb der folgenden Ausführungen wird angenommen, dass ausgehend von der Differenzierung der Begrifflichkeiten das Thema des ›Friedens‹ ins Blickfeld gerückt werden muss. Zunächst wird demnach konstatiert, dass ›Frieden‹ – und die Bemühung um die Bereitschaft und Fähigkeit, friedlich zu handeln – im Grunde mit dem Bildungsbegriff in Verbindung zu bringen sind.94 In dieser Hinsicht kann auf Frieden als epochaltypisches Schlüsselproblem der Allgemeinbildung verwiesen werden, was den Begriff der Friedensbildung auf bildungstheoretischer Ebene erstarken lässt: »Allgemeinbildung bedeutet in dieser Hinsicht, ein geschichtlich vermitteltes Bewußtsein von zentralen Problemen der Gegenwart und – soweit voraussehbar – der Zukunft zu gewinnen, Einsicht in die Mitverantwortlichkeit aller angesichts solcher Probleme und Bereitschaft, an ihrer Bewältigung mitzuwirken.«95

Frieden ist somit eindeutig ein Thema, das dem Begriff der Bildung bedarf. Allein aufgrund der Komplexität des Friedensbegriffes96 lassen sich hier keine klaren Verhaltensweisen ausmachen, die es zu erziehen gilt. Es gibt Leitlinien, denen ein Mensch folgen sollte, um nicht in Streit zu geraten und somit im sozialen Miteinander Frieden zu bewahren. Zu ihnen gehört beispielsweise, sich gegenseitig nicht zu beleidigen. Jedoch ist der Friedensbegriff weit mehr, er erschließt sich zum Beispiel in den Fakten um Krieg und friedenstiftende Tätigkeiten von Menschen (materiale Bildung97). Gleichzeitig hat aber auch jeder Mensch Auswirkungen auf die ihn umgebene Wirklichkeit. Der oder die Einzelne beeinflusst die Welt mit seinen oder ihren Handlungen, kann also Konflikte hervorrufen, mit ihnen umgehen oder ihr Ende initiieren (formale Bildung98). Im Sinne der SelbstBildung ist es am einzelnen Subjekt, sich immer wieder den Frieden bewusst zu machen, seine Voraussetzungen zu eruieren und sich einen eigenen Begriff zu schaffen. Der einzelne Mensch entwickelt in der (Friedens-)Bildung ein Selbstkonzept, -bewusstsein und -kritik. Es handelt sich nicht um eine »von außen auferlegte gesellschaftsorientierte ›Friedenserziehung‹«99 und ist von einer solchen dringend abzugrenzen. Friedenserziehung wird im Folgenden als relevanter Teilaspekt einer umfassenden Friedensbildung gesehen; sie ist nötig, um die

94 Vgl. Lämmermann 2004, 355. 95 Klafki, W.: Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik, Weinheim/Basel 62007, 56. 96 Vgl. Kapitel 4. 97 Vgl. Wiater 2009, 315. 98 Vgl. a. a. O. 99 Mokrosch 2017, 117.

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Friedensbildung in der Grundschule – mehr als Erziehung

moralischen Werte, die die jeweilige Gesellschaft ausmachen, zu erlernen und sich diesen entsprechend verhalten zu können. Die Friedensbildung als ganzheitlicher lebenslanger Prozess des Subjektes zu einem friedensfähigen Menschen ist somit aber viel mehr.

2.3

Erste Folgerungen für eine schulische Friedensbildung

Friedensbildung wird beschrieben als »[d]ie umfassende Praxis […] welche begrifflich vor allem den schulischen Bereich umfasst«100. Im zuvor dargestellten Bildungsverständnis, das sich als lebenslanger Prozess auszeichnet, ist eine Determinierung auf den Lernort Schule nicht angedacht. Jedoch sieht sich diese Arbeit als Beitrag für ebendiese spezifische, schulische Friedensbildung, weshalb im Folgenden diesbezügliche Überlegungen und Vorannahmen konkretisiert zusammengefasst werden: – Verschränkung von Friedensbildung und -erziehung: Auch, wenn gegen eine synonyme Verwendung der Begriffe argumentiert wurde, ist dem friedenserzieherischen Handeln in Schule und (Religions-)Unterricht dennoch durchaus relevanter Raum zuzusprechen. – Friedensbildung als lebenslanger Prozess: Es wird angenommen, dass Friedensbildung bereits in frühester Kindheit beginnen und auch in der Grundschule bereits pädagogisch begleitet werden kann. – Subjekte der Friedensbildung: Die Schülerinnen und Schüler werden in der Schule als Subjekte der Friedensbildung angesehen, deren Vorstellungen, Präkonzepte sowie lebensweltlichen Fragen und Themen die pädagogisch geplanten Lernprozesse maßgeblich mitbestimmen. – Friedensbildung im Religionsunterricht ist – Wertebildung: Sie betrifft also die Ebene der Zwischenmenschlichkeit in sozialen Beziehungen sowie emotionale Bildungsprozesse im Nahraum und intrapersonal. – Demokratische Bildung: Sie betrifft also als epochaltypisches Schlüsselproblem die globalen und gesellschaftlichen Fragen nach Krieg und struktureller Gewalt. Für die folgenden Ausführungen ist außerdem die folgende Definition konstitutiv, die ausgehend vom Friedensbegriff Johan Galtungs101, Friedensbildung beschreibt als: 100 Groppe, A./Hussak, M.: Friedenspädagogik in Transformation. Potentiale eines vielfältigen Felds, in: Wissenschaft und Frieden 39/3 (2021), 6–9, 6. 101 Vgl. Kapitel 4.2.

Erste Folgerungen für eine schulische Friedensbildung

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»das Bemühen, Kinder, Jugendliche und Erwachsene […] zum Friedenstiften anzuleiten, indem man sie lehrt […] kontinuierlich Gewalt zu minimieren und […] gleichzeitig Gerechtigkeit und Toleranz zu maximieren.«102

Unter diesen Voraussetzungen ist es im nächsten Schritt unabdingbar, die Subjekte der Friedensbildung in den Blick zu nehmen. Auch in Anbetracht der, von Frieters-Reermann angesprochenen, relevanten Zielgruppenanalyse103 und vor allem angesichts der Notwendigkeit, die Akteurinnen und Akteuren der (schulischen) Bildungsprozesse in pädagogische Überlegungen einzubringen, werden im Folgenden zentrale friedensrelevante Aspekte der Lebenswelt der Grundschülerinnen und -schüler betrachtet.

102 Mokrosch 2017, 121. 103 Vgl. Frieters-Reermann 2021, 95., sowie Kapitel 2.1.2 in dieser Arbeit.

3.

Ein unbeschriebenes Blatt? – Zur Relevanz der Betrachtung von Frieden aus Kindersicht

Innerhalb der vorliegenden Ausführungen wird Frieden als mehrdimensionale Begrifflichkeit wahrgenommen, die verschiedene Wissenschaftsdisziplinen gleichermaßen tangiert.104 Mit dem Ziel, Frieden herzustellen und zu bewahren, beschäftigt sich beispielsweise die Friedens- und Konfliktforschung als Teildisziplin der Soziologie mit Kongruenzen zwischen Krieg und Frieden, der Aufstellung eines (weiten) Gewaltbegriffs zur Eindämmung unfriedlicher Begebenheiten sowie mit den Bedingungen zu gelingendem Frieden. Zudem gibt es in der Politikwissenschaft zahlreiche Konzeptionen und Modelle zur Schaffung und Erhaltung friedlichen Lebens zwischen Staaten oder Gesellschaften, während weiterhin die christliche Theologie aus dem religiösen Selbstverständnis heraus den Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit und Frieden betont und sich demnach das Ziel der Friedenstiftung setzt.105 Im pädagogischen Bereich lässt sich klar die Relevanz friedensbildender Maßnahmen in Schule und Unterricht dadurch begründen, dass die Schülerinnen und Schüler zu mündigen und gesellschaftsfähigen Menschen heranwachsen können und dabei unterstützt werden.106 Schulische Lern- und Bildungsprozesse müssen sich also den aktuellen Grundlagen der wissenschaftlichen Friedenstheorien annehmen und so versuchen, Kinder und Jugendliche in friedenspädagogischer Hinsicht zu unterrichten beziehungsweise begleiten. Diesbezüglich sollten aber ebendiese Akteurinnen und Akteure in den Blick geraten, an die schulische Bildungsprozesse adressiert sind: die Schülerinnen und Schüler. Nicht nur die theoriebasierte Grundlage ist von Bedeutung für die adäquate Herangehensweise an eine schulische Friedensbildung, sondern auch die Lebenswelt der Kinder. In vielfacher Weise sind Heranwachsende implizit wie explizit von Unfrieden betroffen. In Form von Streit und Konflikten im sozialen Nahraum erfahren sie die Notwendigkeit von Konfliktlösungs-, Resilienz- und Gewaltvermeidungs104 Vgl. Kapitel 5. 105 Vgl. Evangelische Kirche Deutschland 2007, 80, Ziff. 124. 106 Vgl. Kapitel 2.2.

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strategien. Dieses Erfordernis lässt sich auch auf die – zumeist aus Gesprächen und Medien erfahrenen – globalen Krisen, die ebenfalls auch für die Jüngeren der Gesellschaft Problem und Herausforderung sind, anwenden. Gewaltausschreitungen und internationale Konfliktherde gehen nicht an den Kindern vorbei.107 Ebenso spielen auch strukturelle Unfriedensphänomene wie beispielsweise ansteigender Antisemitismus – auch innerhalb der Lebenswelt von (Grund-) Schülerinnen und Schülern – eine Rolle, die dringender Aufmerksamkeit bedarf.108 In den vorliegenden Ausführungen wird demnach davon ausgegangen, dass Frieden – und damit zusammenhängend Unfrieden – Themen sind, die für Heranwachsende nicht erst im steigenden Alter an Bedeutung gewinnen. Im Gegenteil: je früher Friedensbildung beginnt und altersadäquat schulische Lernprozesse durchzieht, desto wirksamer kann den Schlüsselthemen und -problemen heutiger Kindheit begegnet werden.109

3.1

Wo Frieden die heutige Kindheit im Grundschulalter berührt

Unter diesen Voraussetzungen soll zunächst geklärt werden, inwiefern verschiedene Dimensionen von Frieden die Heranwachsenden beschäftigen, um daraus später ableiten zu können, welche Folgerungen für die (Friedens-)Pädagogik gezogen werden sollten. Wird also davon ausgegangen, dass Friedensbildung vor allem in Lernprozessen rund um die Verminderung von Krieg und Gewalt, einen adäquaten Umgang mit Konflikten und in der Maximierung von Gerechtigkeit gesehen wird110, müssen diese Aspekte auch im Lebensumfeld der jungen Schülerinnen und Schüler betrachtet werden. In dieser Arbeit tritt vor allem die mittlere Kindheit, also die Zeit der (ausgehenden) Primarstufe, ins Zentrum der Forschung. Im Folgenden wird das Augenmerk, nach einer kurzen Einordnung der Lebensphase der Kindheit, auf einschlägige empirische Studien 107 Die folgende Studie belegt zum Beispiel, dass über die Hälfte der Dritt- und Viertklässler (64 Prozent) darüber Bescheid wissen, dass der Zweite Weltkrieg stattgefunden hat und Deutschland daran beteiligt war: vgl. Götz, M.: Was Kinder vom Zweiten Weltkrieg wissen, in: TelevIZIon 31/2 (2018), 47–49, 47. 108 Vgl. hierzu beispielsweise Spaenle, L.: Für Präventionsarbeit ist es nie zu früh – Zur Bedeutung von Antisemitismus-Prävention in der Grundschule, in: Mokrosch R./Naurath E./ Wenger M. (Hrsg.): Antisemitismusprävention in der Grundschule – durch religiöse Bildung (Werte-Bildung interdisziplinär Bd. 4), Osnabrück 2020, 73–78, 73; Kriesten, J.: Antisemitismus-Prävention als Aufgabe der Lehramtsaus- und fortbildung – auch für Grundschullehrkräfte, in: Mokrosch R./Naurath E./Wenger M. (Hrsg.): Antisemitismusprävention in der Grundschule – durch religiöse Bildung (Werte-Bildung interdisziplinär Bd. 4), Osnabrück 2020, 337–352, 337. 109 Vgl. die Kapitel 2.2 und 2.3. 110 Vgl. Kapitel 2.3.

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zur Kindheit in Deutschland gerichtet. Vor allem hinsichtlich der Ängste und Sorgen sowie Wünschen und Zukunftsvorstellungen wird sich zeigen, dass die Thematik des Friedens in ihren verschiedenen Dimensionen für Heranwachsende im Grundschulalter außerordentliche lebensweltliche Relevanz besitzt.

3.1.1 Die Lebensphase der mittleren Kindheit Zur Untersuchung des Friedensverständnisses von Kindern im Grundschulalter werden die Aspekte, welche ›die‹ Kindheit heute ausmachen, geklärt. Als Teil der Gesellschaft haben die Heranwachsenden einerseits einen großen Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen und werden andererseits in ihrem Aufwachsen stets durch die Begebenheiten des aktuellen Umfeldes (mit) beeinflusst. Die mittlere Kindheit lässt sich aus verschiedenen Disziplinen und Perspektiven unterschiedlich einteilen. Die klassische Einteilung der Kindheitspsychologie spricht von der frühen Kindheit im Alter von vier bis sechs Jahren; darauf folgt die mittlere Kindheit im Alter vom beginnenden siebten bis zum zehnten Lebensjahr. Vor der Adoleszenz ab dem 15. Lebensjahr wird die späte Kindheit verortet.111 Diese grobe Aufgliederung der Altersstufen ist hilfreich, um auch in der Forschung rund um Kinder gewisse Grenzen ausmachen zu können.112 Sie darf aber nicht als feststehend verstanden werden, da Entwicklungsprozesse sowohl fließend ineinander übergehen als auch als äußerst individuell anzusehen sind. Als grobe Richtschnur kann und wird im Folgenden bei der Betrachtung von Schülerinnen und Schülern der dritten und vierten Klasse der Primarstufe von der mittleren Kindheit gesprochen. Besonders interessant erscheint hierbei ein Blick auf die sogenannten »Lückekinder«113 im Alter von acht bis zwölf Jahren, da sich diese in zweifacher Hinsicht in einer Übergangsphase befinden. Zum einen machen den Übergang der frühen Kindheit zur späten Kindheit beziehungsweise die Schwelle zur Adoleszenz verschiedene entwicklungstypische Merkmale aus. Zum anderen befinden sie sich auf schulischer Ebene im Alter des Übertritts von der Primarstufe zur Sekundarstufe der weiterführenden Schu-

111 Vgl. Stangl, W. (2019): Kindheit. In: Lexikon für Psychologie und Pädagogik. Abrufbar unter: https://lexikon.stangl.eu/11307/kindheit/ (aufgerufen am: 28. 2. 2023). 112 Es ist anzumerken, dass aktuell verschiedene Definitionen von Kindheit diskutiert werden, welche sich durch historische, kulturelle und soziologische Faktoren voneinander unterscheiden. So ist beispielsweise in Deutschland bis in die frühe Moderne die Begrifflichkeit ›Kind‹ für Menschen bis zum 25. Lebensjahr angewandt worden. Vgl. hierzu: Schweizer, H.: Soziologie der Kindheit. Verletzlicher Eigen-Sinn, Wiesbaden 2007, 80f. 113 Ebd., 80.

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len.114 Beide Aspekte zeichnen sich durch verschiedene Einflussfaktoren aus. Insgesamt lässt sich allerdings ›die‹ Kindheit nicht nur auf diese Faktoren festlegen. Vielmehr ist zu bedenken, dass der gesellschaftliche Wandel, historische Begebenheiten und generationale Veränderung stets auch Einfluss auf die Sicht- und Lebensweise der Kinder beziehungsweise auf die heutige Kindheit haben.115 Dabei ist zu bedenken, dass Kindheit »[ihre] Bedeutung und Struktur, also [ihre] serielle Reproduzierbarkeit im Rahmen gesamtgesellschaftlicher, immer reflexiver Rahmenbedingungen von Institutionen, konkreten Organisationen, Gruppen, Interaktionsordnungen, Interaktionsdynamiken und letztlich auch im Leben des einzelnen Menschen [verändert].«116 Im Folgenden wird unter diesen Voraussetzungen ein kurzer, ausgewählter Überblick über die relevanten Aspekte der Zeit der mittleren Kindheit gegeben. Feststellen lässt sich zunächst die starke Bindung von Heranwachsenden an die Familie. Letztere zeichnet sich heute durch immer größere Pluralität aus.117 Die Familie stellt für die Kinder eine relevante Sozialisationsinstanz dar und bestimmt maßgeblich die Basis ihrer persönlichen Beziehungen. Durch die Variabilität der heutigen Familienkonstellationen, die sich beispielsweise durch Patch-Work-Familien, alleinerziehende Elternteile und weitere Familienformen auszeichnet118, zeigt sich, dass ein differenzierender Blick auf das Familienbild geworfen werden muss. Die Beziehungen, die Kinder aufbauen, und das Erleben von Schutz, Rückhalt und Sicherheit können nicht vereinheitlicht werden und bedürfen der eingehenden Reflexion vonseiten jeglicher Forschung zu und mit Kindern. Eine zweite zentrale Sozialisationsinstanz ergibt sich mit dem Eingang in die Primarstufe, die nach dem Kindergarten den Beginn des Schullebens und damit die Weiterführung grundlegender institutionalisierter Bildungsprozesse eröffnet. Die Schule, Beziehungen innerhalb der Institution – zu Mitschülerinnen und -schülern und Lehrkräften – machen einen großen Anteil der kindlichen Entwicklung aus. Dabei rückt immer weiter in den Vordergrund, dass Schule und Familie »gemeinsam die moderne Kindheit […] definieren«119 und erstere somit 114 Vgl. z. B. Helsper, W.: Die Bedeutung von Übergängen im Bildungsverlauf. Einleitender Beitrag, in: Siebholz S., et al. (Hrsg.): Prozesse Sozialer Ungleichheit. Bildung Im Diskurs, Wiesbaden 2013, 21–28. 115 Vgl. Dreke, C./Hungerland, B./Stölting, E.: Einleitung: Kindheitsmuster und die Erfahrung gesellschaftlicher Umbrüche, in: Dreke C./Hungerland B. (Hrsg.): Kindheit in gesellschaftlichen Umbrüchen (Kindheiten), Weinheim 2022, 9–40, 9f. 116 Schweizer 2007, 53. 117 Vgl. Andresen, S., et al. (2018): Zusammenfassung der 4. World Vision Kinderstudie. Abrufbar unter: https://www.worldvision.de/sites/worldvision.de/files/pdf/World-VisionZusammenfassung-vierte-Kinderstudie.pdf (aufgerufen am: 28. 2. 2023), 1. 118 Vgl. ebd., 1f. 119 Schweizer 2007, 97.

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in der Lebenswelt der Heranwachsenden einen sehr hohen Stellenwert einnimmt. Somit kann davon ausgegangen werden, dass sie unter anderem maßgeblich die Vorstellungen und Erfahrungen, die Kinder mit der Thematik Frieden machen, mitbestimmen. Dabei unterscheidet sich die institutionalisierte Bildung der Schule im Gegensatz zur Familie durch planvolle Handlungen, didaktisch und pädagogisch überlegte Strukturen und den prozesshaften Aufbau von Kompetenzen.120 Dazu kommt das subjektive Empfinden und Wohlbefinden der jungen Schülerinnen und Schüler, das Einfluss auf den Erfolg sozialer Bildungsprozesse haben kann. Darüber hinaus ist das Zusammenspiel der primären und sekundären Sozialisationsinstanzen von enormer Bedeutung für das Aufwachsen von Kindern: »Unter günstigen Bedingungen kann auch heute noch die Familie schulische Misserfolge auffangen oder Schule familiales Versagen bis zu einem gewissen Grad neutralisieren.«121 Zudem ist auch die Betrachtung des religiösen Lebensbereiches bedeutsam für die vorliegende Arbeit in religionspädagogischer Ausrichtung. Diesbezüglich kann innerhalb der Kindheit auf die ansteigende Pluralität hingewiesen werden, die im Zusammenhang mit zunehmender Interkulturalität in Deutschland steht.122 Für die Betrachtung der Kindheit bedeutet dies, dass möglicherweise unterschiedliche Vorstellungsweisen von friedensrelevanten Themen vorkommen, die sich in verschiedener Art durch religiöse Erklärungsstrategien auszeichnen. Überlegungen in pädagogischen Belangen müssen sich also differenziert mit diesen Aspekten der Kindheit auseinandersetzen und dabei die Pluralität des Aufwachsens in Deutschland aufgreifen. Auch bezüglich der Vorstellungen von Kindern zu Frieden und Unfrieden können die drei beschriebenen Aspekte – Familie, Schule und Religiosität – durchaus Einfluss nehmen.

3.1.2 Zentrale friedensrelevante Themen der mittleren Kindheit In den Ausführungen zum Forschungsstand123 wird sich zeigen, dass Kinder im Grundschulalter bereits differenzierte Vorstellungen von Frieden und Unfrieden haben können. Ausgehend von den beschriebenen Aspekten, die ›die‹ Kindheit gegenwärtig ausmachen, können diese Vorstellungen durch die Außenwelt beeinflusst sein. In diesem Kapitel wird ein weiterer Blickwinkel eröffnet, indem 120 121 122 123

Vgl. ebd., 435. Ebd., 144. Vgl. z. B. Evangelische Kirche Deutschland 2014, 15f. Vgl. Kapitel 3.2.2.

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ausgewählte Themen und Interessensgebiete, die Kinder im Grundschulalter haben, auf Frieden und Unfrieden hin untersucht werden. Dabei wird sich zeigen, dass – im Zusammenhang mit Unfrieden – die Sorgen und Ängste von Kindern eine große Rolle spielen können. In Bezug auf Friedensbemühungen kommen aber auch die Wünsche und Zukunftsvorstellungen der Heranwachsenden zum Tragen. Durch die Untersuchung und Darstellung zentraler Faktoren dieser Themen, die im Zusammenhang mit Frieden und Unfrieden stehen können, wird die Relevanz der Auseinandersetzung mit diesbezüglichen Phänomenen in der Grundschule verdeutlicht. 3.1.2.1 Sorgen und Ängste Empirische Untersuchungen, die sich mit Ängsten und Sorgen der jungen Heranwachsenden auseinandersetzen, verdeutlichen die Notwendigkeit der Verortung der Thematik Frieden in der Bildung(sforschung). So zeigt das zuletzt 2014 durchgeführte Forschungsprojekt GEOlino-UNICEF-Kinderwertemonitor, dass existentielle Sorgen für die Kinder im Alter von sechs bis 14 Jahren im Vordergrund stehen (38 % der Befragten).124 Die Aussage eines Zwölfjährigen bezüglich möglicher Befürchtungen stärkt den Eindruck, dass vor allem die Angst vor Gewalt und Krieg durchaus ausgeprägt ist: »Krank zu sein, was man nicht heilen kann. Krieg. Weltuntergang.«125 In der Betrachtung der Zukunftsängste der Kinder in gesellschaftlicher Hinsicht, fürchten sich laut der World Vision Studie von 2018 die Hälfte der Befragten vor dem Ausbruch eines Krieges.126 Und auch auf individueller Ebene war die »Angst vor einer persönlichen Bedrohung« mit 40 % im Jahr 2010 recht hoch vertreten.127 Mit dem subjektorientierten Zugang über Schülerinnen- und Schülerfragen an den Religionsunterricht bestätigt auch Kristin König diese Tendenz bezüglich religiöser Bildungsprozesse. Innerhalb der vierten Klasse werden Fragen wie »Wieso gibt es Krieg?« und »Machen Religionen Krieg?«128 an den Religionsunterricht gestellt. Es zeigt sich also, dass die Sorgen und Ängste der Heranwachsenden Aspekte betreffen, die repräsentativ für Unfrieden stehen. In Teilen betreffen die Ängste 124 Vgl. Unicef (2014): GEOlino-UNICEF-Kinderwertemonitor 2014. Abrufbar unter: https:// www.unicef.de/blob/56990/a121cfd7c7acbdc2f4b97cbcdf0cc716/geolino-unicef-kinderwer temonitor-2014-data.pdf (aufgerufen am: 20. 7. 2022), 13. 125 Ebd., 12. 126 Vgl. Andresen, S., et al. (2018), 11. 127 Vgl. Stein, M./Stummbaum, M.: Kindheit und Jugend im Fokus aktueller Studien, Bad Heilbrunn 2011, 118. 128 Vgl. König, K.: Was Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht gerne fragen würden, in: Lindner H./Zimmermann M. (Hrsg.): Schülerfragen im (Religions- )Unterricht. Ein notwendiger Bildungsauftrag heute?! (Neukirchener Theologie), Neukirchen-Vluyn 2011, 183–194, 187.

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zwar auch das persönliche Befinden, sichtbar in Verlustängsten oder Furcht vor Tieren. Allerdings sind klare Tendenzen sichtbar, dass die Kinder durchaus das Bewusstsein mitbringen, »sich schon früh mit Sorgen zu tragen, die sich nicht nur um das eigene persönliche Wohlergehen drehen, sondern diez.B. [sic!] gesellschaftliche Vorgänge betreffen, die außerhalb ihrer eigenen kindlichen Welt liegen.«129 Ausgehend von den Sorgen, Ängsten und Fragen, die innerhalb der Kindheit heute aufkommen, wird deutlich, dass viele Aspekte, die Frieden betreffen, für die Heranwachsenden in Deutschland von Bedeutung im alltäglichen Leben sind. Es erklärt sich, dass Friedenspädagogik als notwendiger Bestandteil institutionalisierter Bildung gilt.130 Vor allem in Hinblick auf die Ängste der Kinder wird deutlich, dass die Furcht vor dem Ausbruch eines Krieges sehr hoch ist: »[D]as Thema Krieg ist […] in den Köpfen der Kinder höchst gegenwärtig. Zugleich ist der Krieg aber auch eines der größten Tabuthemen unserer Zeit; Erwachsene, die sich selbst der Dauerhaftigkeit des gegenwärtigen Friedens nicht so sicher sind, scheuen sich in der Regel, mit ihren Kindern über Krieg zu sprechen. Diese fatale Mischung aus Omnipräsenz und Schweigen hat zur Folge, dass heutige SchülerInnen eine erhöhte Angst vor Krieg haben, obwohl realistisch gesehen die Gefahr für sie selbst geringer geworden ist.«131

Es muss geprüft werden, woher diese Ängste kommen und auf welche Weise die schulische und explizit die religionspädagogische Bildung einen Beitrag dazu leisten kann, den Sorgen und auch Zukunftswünschen der Heranwachsenden gerecht zu werden. Gerade hier ist es von außerordentlicher Wichtigkeit, auch die Ängste ernst zu nehmen und mögliche Wege hin zu einem friedlichen Leben in Aussicht zu stellen. 3.1.2.2 Wünsche und Zukunftsvorstellungen Das LBS-Kinderbarometer, eine seit 2007 durchgeführte, breit angelegte Querschnittstudie von neun bis 14-jährigen Schülerinnen und Schülern, untersucht die »Stimmungen, Meinungen und Trends von Kindern.«132 Besonders im Jahr 2009 stand die Betrachtung der für Kinder relevanten politischen Themen 129 Bethke, E.: Die Welt der Kinder – ihre Werte, Ängste und Rechte, in: Bertram H. (Hrsg.): Zukunft mit Kindern, Zukunft für Kinder. Der UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland im europäischen Kontext, Opladen 2017, 21–32, 30. 130 Vgl. die Kapitel 1.1 und 2. 131 Lämmermann 2005, 259. 132 LBS-Initiative Junge Familie (2007): LBS-Kinderbarometer 2007. Stimmungen, Meinungen, Trends von Kindern in sieben Bundesländern. Ergebnisse des Erhebungsjahres 2006/07. Abrufbar unter: https://www.lbs.de/media/unternehmen/west_6/kibaro/Kibaro_2 007.pdf (aufgerufen am: 28. 2. 2023), 1.

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mit auf der Agenda. Hier konnte aufgezeigt werden, dass ›Frieden‹ für die Befragten mit 9 % im oberen Mittelfeld der wichtigsten Politikfelder mit dem größten Änderungsbedarf stand.133 Darüber hinaus kann aber vor allem ausgehend von einem Friedensbegriff, der im Zusammenhang mit Gerechtigkeit steht134, auch die Relevanz der Veränderung von »Armut und Obdachlosigkeit in Deutschland«135 hervorgehoben werden (10 % der Befragten). Und auch explizit zeigt sich, dass das Bedürfnis nach Gerechtigkeit und Gleichberechtigung vonseiten der Kinder ansteigt. Im Jahr 2014 nennen 5 % der Befragten diese Aspekte als Politikthemen mit größtem Änderungsbedarf.136 Zudem lässt sich sagen, dass auch in der Werteforschung mit und zu Kindern deutlich wird, dass der Wunsch und das Bedürfnis nach einem friedvollen Leben in allen seinen Facetten für die Heranwachsenden von großer Bedeutung sind. Der Geolino-UNICEF-Kinderwertemonitor 2014 stellt heraus, dass Gerechtigkeit (45 % der Befragten) und Geborgenheit (59 % der Befragten) für die Kinder »total wichtig«137 sind. Im Vergleich zu früheren GEOlino-Kinderwertemonitor-Studien (2008 und 2010) sind besonders deutlich das »Verantwortungsbewusstsein« und die »Toleranz« als Werte in ihrer Relevanz für die Kinder angestiegen.138 Werte, wie Toleranz und auch Gerechtigkeit, die mit Friedensbemühungen im Zusammenhang stehen, werden also wichtiger und passen sich damit auch »veränderten gesellschaftlichen Strukturen und Erwartungen«139 an. Zudem zeigt sich im Anstieg der Relevanz des Verantwortungsbewusstseins eine Tendenz, die auch weitere Studien immer wieder herausstellen140 und die möglicherweise auch mit dem gesteigerten Interesse an (welt-)politischen Geschehnissen zusammenhängt.141 Die Kinder bringen vermehrt den Wunsch mit, zu partizipieren und sich an politischen Diskursen und Entscheidungen aktiv zu beteiligen. Dies zeigt sich nicht zuletzt 133 Vgl. Beisenkamp, A., et al. (2009): Wir sagen euch mal was. LBS-Kinderbarometer Deutschland 2009. Stimmungen, Trends und Meinungen von Kindern in Deutschland. Ergebnisse des Erhebungsjahres 2008/09. Abrufbar unter: https://www.lbs.de/media/unterneh men/west_6/kibaro/Kibaro_2009.pdf (aufgerufen am: 28. 2. 2023), 225ff. 134 Näheres zu dieser Begriffsbestimmung wird in Kapitel 4 konkretisiert. 135 Ebd., 226. 136 Vgl. Müthing, K./Riedel, S./Todeskino, V. (2014): Jetzt reden wir. LBS-Kinderbarometer Deutschland 2014. Stimmungen, Meinungen, Trends von Kindern und Jugendlichen. Ergebnisse des Erhebungsjahres 2013. Abrufbar unter: https://www.lbs.de/media/unterneh men/west_6/kibaro/LBS_Kinderbarometer_D_2014.pdf (aufgerufen am: 28. 2. 2023), 169. 137 Unicef (2014), 5. 138 Vgl. Bethke 2017, 24. 139 A.a.O. 140 Vgl. z. B. Müthing, K./Razakowski, J./Gottschling, M. (2018): LBS-Kinderbarometer Deutschland 2018. Stimmungen, Trends und Meinungen von Kindern aus Deutschland. Abrufbar unter: https://www.lbs.de/media/unternehmen/west_6/kibaro/LBS-Kinderbarom eter_Deutschland_2018.pdf (aufgerufen am: 28. 2. 2023), 27f. 141 Vgl. z. B. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest: KIM-Studie 2020. Kindheit, Internet, Medien, Stuttgart 2020, 6ff.

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deutlich in der Fridays-for-Future-Bewegung, in der eine Vielzahl an jungen Heranwachsenden ihre Meinung in die politische Landschaft einbringen will. Die sogenannte Panoramastudie Jugend.Leben, die zuletzt 2012 durchgeführt wurde, hat das Ziel, »ein möglichst umfassendes Bild des Alltagslebens von Heranwachsenden zu beschreiben.«142 Die mit n≈6000 breit angelegte Fragebogen-Untersuchung konzentriert sich dabei auf möglichst vielfältige Aspekte des Lebens von Kindern und Jugendlichen im Alter von zehn bis 18 Jahren. Einer dieser Aspekte bezieht sich auf die Zukunftsvorstellungen der Befragten. Diesbezüglich zeigte sich, dass die jüngeren Kinder im Alter von zehn bis zwölf Jahren tendenziell ein pessimistischeres Bild der Zukunft haben als die älteren Jugendlichen.143 Der entsprechende Erklärungsansatz für dieses Ergebnis schließt die Annahme ein, dass »Fragen zur Zukunft des eigenen Lebens in jungen Jahren stärker verunsichern«144. Es wird also angenommen, dass die Kinder sich bereits den Herausforderungen, die ihre eigene Zukunft mit sich bringen kann, bewusst sind – Problemlöse- und Handlungsstrategien allerdings noch nicht gänzlich ausgeprägt sind. Umgekehrt ist es in den Fragen nach der gesellschaftlichen Zukunft, die unter anderem auch »Fragen von Krieg und Frieden«145 betrifft. Mit zwei Dritteln geht ein Großteil der Befragten Kinder und Jugendlichen davon aus, dass das Leben in der Zukunft durch gewalttätige Konflikte verunsichert wird und diese zunehmen. Dieser pessimistische Blick spitzt sich im zunehmenden Jugendalter zu. Es kann also insgesamt gesagt werden, dass Kinder sich bereits der Konflikte gewahr sind, die in der Zukunft ausbrechen könnten und hier auch schon Befürchtungen äußern, wobei viele »den positiven Glauben daran [äußern], dass Probleme gelöst werden und das Zusammenleben friedlich sein wird.«146 Besonders bewusst nehmen die Jüngeren allerdings ihre eigene Zukunft wahr, im Vergleich zu Älteren aber weniger die gesellschaftlichen Zukunftsaussichten.

142 Maschke, S., et al.: Appsolutely smart! Ergebnisse der Studie Jugend.Leben, Bielefeld 2013, 272. 143 Vgl. ebd., 206. 144 A.a.O. 145 Ebd., 208. 146 Fraij, A.: Zukunftsvorstellungen von Kindern und Jugendlichen, in: Loccumer Pelikan 2 (2015), 58–62, 62.

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3.2

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Das vorangegangene Kapitel hat gezeigt, dass Frieden verschiedene Bereiche der heutigen Kindheit (zumindest implizit) tangiert. Diese Tatsache begründet die Notwendigkeit, gut überlegte Strategien der Friedensbildung gegenwartsbezogen in schulische Lernprozesse einzubinden. Bevor dies allerdings theoriebasiert gelingen kann, muss zunächst geklärt werden, inwiefern überhaupt von einem Friedenslernen gesprochen werden kann und ob sich innerhalb der Kindheit bereits Friedensfähigkeit erkennbar macht. Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, werden im Folgenden zentrale Studien dargestellt, die einen Überblick über den Forschungsstand der Vorstellungen von Kindern über Frieden geben. Davon ausgehend werden zusammenfassend und mit Bezug auf die genannte Friedensfähigkeit mögliche Entwicklungsstufen und Einflussfaktoren beschrieben. Ausgehend von diesen Aspekten kann dann im Zusammenhang mit den bisherigen Ausführungen ein Ausblick auf zentrale Forschungsdesiderate gegeben werden.

3.2.1 Forschungsstand: Was verstehen Kinder unter Frieden? Mit den 1960er Jahren kann ein Boom an internationalen Studien zu den Vorstellungen von Kindern zu Frieden und Krieg festgestellt werden. Dieser hat vermutlich mehrerlei Gründe: Im Besonderen seit der Kehrtwende in der Betrachtung der Kindheit und der daraus erwachsenen ›Neuen Kindheitsforschung‹147 in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert finden sich vielfältige Studien, welche die Vorstellungen von Heranwachsenden evaluieren. Bezogen auf das ›neue‹ Forschungsinteresse kann parallel die Erstarkung einer internationalen und nationalen Friedens- und Konfliktforschung festgestellt werden, die sich beispielsweise in der Gründung der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung im Jahr 1970 zeigt.148 Diese Entwicklungen verwundern nicht weiter, da sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu dieser Zeit im Angesicht der nuklearen Bedrohung des Kalten Krieges um neue Erklärungen und Forschungsrichtungen bemühen mussten. Ziel war es, das Weltgeschehen auch evaluativ verstehbar zu machen, um davon ausgehend Auswege aus der 147 Vgl. hierzu beispielsweise Zeiher, H.: Die Entdeckung der Kindheit in der Soziologie, in: Clausen L. (Hrsg.): Gesellschaften im Umbruch. Verhandlungen des 27. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Halle an der Saale 1995 (Bd. 27), Frankfurt am Main 1996, 795–805 ; sowie Kapitel 7.2.2 in dieser Arbeit. 148 Vgl. Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung : Geschichte der HSFK. Abrufbar unter: https://www.hsfk.de/ueber-uns/geschichte-der-hsfk/ (aufgerufen am: 28. 2. 2023).

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Kriegsgefahr zu finden. Somit liegen vielfältige internationale Studien vor, welche die Sichtweise der Heranwachsenden untersuchen; meist wird hierbei die entwicklungspsychologische, weniger die fachdidaktische, Erkenntnis in den Vordergrund gestellt. Die Intention der Untersuchungen war es meist, im Lichte der ebenfalls im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts aufkommenden Entwicklungsmodelle, Bezugspunkte und Handlungsweisen zu eruieren, die bei Kindern (und Jugendlichen) im Zusammenhang mit Krieg und Frieden festzustellen sind. Im Folgenden wird der Blick auf einzelne Studien dieser Zeit und des Weiteren forschungspraktischen Verlaufs gelenkt. Die Auswahl der hier aufgeführten Untersuchungen basiert auf deren Relevanz für das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit, wobei vor allem europäische und zudem solche Forschungsarbeiten mit der Methode der Kinderzeichnungen aufgegriffen werden.149 Peter Cooper: Entwicklung der Vorstellungen zu Krieg und Frieden Vorreiterin und viel rezipiert im Horizont der Untersuchung von Kindervorstellungen zu Krieg und Frieden ist die Studie von Peter Cooper (1965). Mit entwicklungspsychologischer Ausrichtung wurde hier quantitativ und vergleichend untersucht, welche Vorstellungen englische und japanische Kinder von Frieden und Krieg haben und wie sich diese im Laufe des Aufwachsens verändern. Dazu wurden insgesamt 334 (nEngland=221; nJapan=113) Kinder im Alter von sieben bis 16 Jahren schriftlich befragt. Ziel war es, zu überprüfen, inwiefern die Kultur innerhalb der Friedens- und Kriegsvorstellungen von Heranwachsenden eine Rolle spielt und ob die politisch-moralische Entwicklung einem bestimmten festlegbaren Schema folgt.150 Zentrale Ergebnisse bei der Frage nach den Vorstellungen von Krieg sind die Bezugnahmen auf historische Ereignisse und vergangene Kriegen, die sich in den Antworten der Heranwachsenden manifestieren. Besonders die jüngeren Kinder erläutern ihre Vorstellungen von Krieg mit konkreten Aspekten, die kriegerische Auseinandersetzungen ausmachen. So werden beispielsweise Waffen, Flugzeuge, Panzer oder Kriegsschiffe erwähnt, weniger allerdings die konkreten Akteurinnen und Akteure, also Soldatinnen und Soldaten oder Staaten/Länder. Mit ansteigendem Alter häufen sich die Erklärungen von Krieg durch eine Annäherung über Konsequenzen sowie davon ausgehend eine negative Bewertung kriegerischer Ereignisse. Die Äußerungen negativer Emotionen, die mit Krieg einher-

149 Eine ausführliche Aufschlüsselung internationaler Studien zu kindlichen Friedens- und Kriegsvorstellungen sortiert in drei Phasen findet sich bei: Kallweit 2019, 75–116. 150 Vgl. Cooper, P.: The Development of the Concept of War, in: Journal of Peace Research 1 (1965), 1–17, 2.

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gehen sind zwar in jedem Alter vorhanden, steigen aber signifikant an, was folgendermaßen zusammengefasst wird: »In other words the child loses his preoccupation with the physical facts of War, and particular events and people, and concentrates more and more on fighting, killing and dying; these he evaluates as disagreeable.«151

Insgesamt lassen sich aus der Studie vier allgemeine Kategorien entnehmen, mithilfe derer Krieg von Kindern beschrieben und charakterisiert wird: (1) Kriegswaffen, deren Erwähnung mit dem ansteigenden Alter abnimmt, (2) (beteiligte) Menschen und Länder, deren Erwähnung mit zunehmendem Alter zunächst stark ansteigt und dann wieder abnimmt, (3) Kämpfe, Morde/Töten und Sterben, was als Erklärungsversuch mit der Adoleszenz häufiger genannt wird und (4) die Äußerung negativer Emotionen, die bei Jüngeren kaum eine Rolle spielt und mit ansteigendem Alter immer bedeutsamer wird.152 Bedeutsam für die Friedens- und Unfriedensvorstellungen von Kindern – vor allem im Horizont der Beschäftigung mit kriegerischen Auseinandersetzungen – sind die Erklärungsansätze der Heranwachsenden für den Ursprung von (internationalen) Konflikten. Mit dieser Betrachtung lassen sich Rückschlüsse auf die (kindliche) Rechtfertigung von Kriegen ziehen, weshalb diese Untersuchungskategorie bei Cooper unter »Causes and justifications for conflict«153 gefasst wird. Die Kriegsursachen wurden hierbei eingeteilt in (1) Verteidigung eines Landes, (2) Freundschaft und Ehre sowie (3) aggressiver Angriff.154 Letzterer Erklärungsversuch tritt erst ab einem Alter von elf Jahren auf, wobei Angriffskriege in keinem Alter als Rechtfertigung internationaler Konflikte angesehen werden. Insgesamt sehen Jüngere bezüglich des aggressiven Angriffs meist keine Rechtfertigung eines Krieges (70 Prozent der Achtjährigen sehen für Krieg keine Legitimation), während der Großteil der Jugendlichen beispielsweise die Bestrafung eines Aggressors als gerechtfertigt wahrnehmen. Erstere Gründe, also die Verteidigung eines Landes und Freundschaft im Sinne der Verteidigung befreundeter Länder legitimieren aus Sicht der Kinder teilweise den Ausbruch kriegerischer Auseinandersetzungen. Innerhalb der Betrachtung dieser Ergebnisse zeigt sich allerdings die Notwendigkeit des Einbezugs geografischer beziehungsweise kultureller Faktoren. Dies zeigt die Untersuchung deutlich, wenn 151 Ebd., 4. 152 Vgl. a. a. O. Benennung der Kategorien im Original: (1) War weapons; (2) People and Countries; (3) Fighting, Killing and Dying; (4) Negative Emotions. 153 Ebd., 5. 154 Vgl. a. a. O. Benennung der Kategorien im Original: (1) Defence of country, (2) Friendship and Honour, (3) Aggressive attack.

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die japanischen Kinder beispielsweise auch Nationalstolz als Begründungsstrategie zur Ursache von Kriegen nennen, während der Großteil der englischen Kinder Krieg nur im Verteidigungsfall akzeptieren.155 Bezüglich der Frage nach Friedensvorstellungen von Kindern stellt Cooper fest, dass, verglichen mit der Frage nach Krieg, quantitativ weniger Antworten hervorgebracht wurden.156 Entsprechend läge die Entwicklung der Ausdrucksfähigkeit zum Thema Frieden hinter der zu kriegerischen Auseinandersetzungen.157 Analog zur Beschreibung der Kriegsvorstellungen der Kinder werden auch zu Frieden vier Kategorien differenziert, mithilfe derer die Wahrnehmung und Charakterisierung von Frieden am häufigsten ausgedrückt wird. Diese sind (1) Inaktivität im Sinne von Freiheit von Einflüssen, Ruhe, Entspannung und Stille, (2) das Ende feindlicher Auseinandersetzungen/Aktivitäten, also ein Zustand des Nicht-Kämpfens und die Abwesenheit von Krieg, (3) soziale Aktivitäten, Freundschaft usw. sowie (4) die Versöhnung nach beziehungsweise von einem Krieg, Kriegsvermeidungsstrategien und das Aufrechterhalten dieser auf internationaler Ebene.158 Bezüglich der Entwicklung dieser Erklärungskategorien zeigt sich, dass mit steigendem Alter die Charakterisierung von Frieden als Inaktivität und der Freiheit von Einflüssen vermehrt vorkommt, während die Vorstellung von Frieden als Ende feindlicher Aktivitäten und Abwesenheit von Krieg zwar in allen Altersstufen sichtbar ist, aber mit der Adoleszenz abnimmt. Parallel dazu nimmt die Wahrnehmung von Frieden als Versöhnung nach dem Krieg mit dem Jugendalter zu. Frieden als soziale Aktivität und Freundschaft ist in jedem Alter vergleichsweise stark in der Vorstellung der Kinder vertreten, wobei hier im Alter von zwölf Jahren ein Pik festzustellen ist, nach dem dieser Erklärungsansatz wieder abnimmt. Bemerkenswert ist in diesem Horizont, dass innerhalb der Antworten der Schülerinnen und Schüler Frieden (im Verständnis als Inaktivität, Ruhe) teils als »langweilig« oder »uninteressant«159 konnotiert wird. Abschlie155 Vgl. a. a. O. 156 Gemeint sind Antworten auf folgende Aufgabe innerhalb des Fragebogens: »I am going to say some words, and you must write down as many things as possible which each word makes you think of. […] (d) The fourth word is ›WAR‹; (e) The fifth word is ›PEACE‹«; ebd., 13. 157 Vgl. ebd., 4. Aussage im Original: »›Peace‹ promts fewer responses than ›War‹. Ideas about it, as measured by facility of expression, lag behind War in development.« 158 Vgl. a. a. O. Benennung der Kategorien im Original: (1) Inactivity, freedom from stimuli, tranquility, relaxation, silence etc., (2) Respite and an end to hostile activity, a state of non fighting, no War, (3) Sociable activity, friendship, etc., (4) Reconciliation from War, the means of avoiding War and sustaining international goodwill. 159 Ebd., 5.

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ßend zu den Betrachtungen der Vorstellungen von Frieden der englischen Kinder und Jugendlichen stellt Cooper fest, dass das Streben nach internationaler Zusammenarbeit zwar bedeutsam ist, im Vergleich zum eigenen Befinden – dem »inneren Frieden«160 – aber eine untergeordnete Rolle spielt. Eigen ist der Studie, dass sie, neben kulturellen Verschiedenheiten, aufgreift, inwiefern Frieden unterschiedliche Ebenen des menschlichen Zusammenlebens betrifft. Somit wird sowohl die (inter-)personale Mikro-, als auch die gesellschaftliche Meso- bis hin zur internationalen Makroebene einbezogen und betrachtet. Innerhalb der Überlegungen zu einem politisch-moralischen Entwicklungsmodell stellte Cooper diesbezüglich folgende Hypothese auf: »Reasoning about Personal, Social and International conflict ist linked together into a coherent whole under certain conditions and with a common structure. There is an interchange between ideas about them; this organization of ideas is termed the ›schema of conflict‹.«161

Er stellt aus seinen Ergebnissen heraus also fest, dass die Vorstellungen der Kinder nicht nur einen dieser sozialen Bereiche betreffen, sondern aus unterschiedlichen Quelllagen und Einflussrichtungen ein gesamtes (kohärentes) Bild geschaffen wird. Das Zusammenspiel aus diesen Einflüssen, Situationen und Lernprozessen auf allen Ebenen wird als ›schema of conflict‹ bezeichnet. Ausgehend von den Hypothesen, die 1965 von Cooper aufgestellt wurden, ergeben sich Konsequenzen für eine Friedenserziehung (im damaligen Sinne), die teils auch heute noch von Bedeutung beziehungsweise in der Praxis wirksam sind. Eine Konsequenz bezüglich der Schule wird beispielsweise aus dem Effekt des Geschichts- und Geografieunterrichts gezogen, in dem bereits Grundschülerinnen und -schüler mit vergangenen Kriegen und herrschenden Vorurteilen konfrontiert sind. Es wird nicht empfohlen, diese Fakten zu verschweigen oder gar darüber zu lügen; vielmehr plädiert Cooper dafür, derartige Aspekte als »›condemned‹ examples«162 aufzugreifen. Anita Falk / Herbert Selg: Assoziationen und Vorstellungen zu Krieg und Frieden Innerhalb Süddeutschlands stellt die Fragebogen- und Interviewstudie von Anita Falk und Herbert Selg (1982) verschiedene bedeutsame Aspekte bezüglich der Vorstellungen von Kindern und Jugendlichen zu den Begriffen ›Krieg‹ und ›Frieden‹ heraus.163 Im Zuge dessen wurden von insgesamt 370 160 161 162 163

A.a.O. Ebd., 10f. Ebd., 13. Vgl. Falk, A./Selg, H.: Die Begriffe »Krieg« und »Frieden« in der Vorstellung von Kindern und Jugendlichen, in: Psychologie in Erziehung und Unterricht 29/1 (1982), 353–358.

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Schülerinnen und Schüler im Alter von sieben bis 16 Jahren (spontane) Assoziationen sowie Definitionen zu den beiden Termini erhoben und in Bezug zu zuvor veröffentlichten Studien (wie beispielsweise Cooper 1965) gesetzt. Zu dem Begriff Krieg stimmen die Kategorien in vielen Aspekten mit denen Coopers überein. So sind beispielsweise ebenfalls »Kriegsmaterial«164 oder auch die Benennung der jeweiligen beteiligten Personen oder Staaten von Bedeutung. Zu den Assoziationen zählen zudem die Benennung der eigenen negativen Gefühle bezüglich kriegerischer Auseinandersetzungen und die damit verbundene emotionale Betroffenheit der Kinder und Jugendlichen. Bei der Frage an die Kinder, Krieg zu erklären beziehungsweise zu definieren, nimmt diese Kategorie einen höheren Stellenwert ein; es werden also häufiger negative Emotionen genannt als bei der spontanen Assoziation. Die Ergebnisse zum Thema Frieden heben zum einen die Abwesenheit von Krieg (bezeichnet als »negativer Friedensbegriff«165), sowie dessen Beendigung hervor. Zum anderen werden Aspekte wie »Gemeinschaft, Liebe, Freundschaft, Glück, Gerechtigkeit usw.«166 unter den positiven Friedensbegriff gefasst. Zu erwähnen ist hierbei die Beobachtung der Forschenden, dass die Assoziation beziehungsweise Definition im Sinne des positiven Friedens mit ansteigendem Alter zunimmt – Frieden also in höheren Jahrgangsstufen nicht mehr lediglich als ›Abwesenheit von Krieg‹ charakterisiert wird. In den friedenspädagogischen Diskurs bringen die Forschenden den Vorschlag ein, ausgehend von den Ergebnissen den positiven Friedensbegriff in erzieherischen Situationen mehr hervorzuheben und Frieden eben nicht lediglich als Abwesenheit von Krieg zu vermitteln.167 Robin Hall: Kindliches Denken und Fühlen zu Krieg und Frieden Mithilfe von Fragebögen und Interviews bei 608 australischen Kindern und Jugendlichen setzte sich die Studie von Hall (1993) mit dem Denken und Fühlen von Kindern über Krieg und Frieden auseinander.168 Ausgehend von den soziologischen Variablen Alter, Geschlecht, Schulart und Sicherheitsgefühl untersuchte der Pädagoge die Einflussfaktoren auf und die Entwicklung des Friedensund Kriegsverständnisses von Kinder(n) und Jugendliche(n) im Alter von vier bis 16 Jahren. Dabei wurden Bezüge zu vorherigen Studien, wie beispielsweise der von Cooper hergestellt und Thesen wie ›Das Wissen über Krieg und Frieden steigt 164 165 166 167 168

Ebd., 354. Ebd., 355.; vgl. Kapitel 4.2.3. A.a.O. Vgl. ebd., 358. Vgl. Hall, R.: How Children Think and Feel about War and Peace. An Australian Study, in: Journal of Peace Research 30/2 (1993), 181–196.

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mit zunehmendem Alter an‹ wurden bestätigt.169 Im Vergleich der verschiedenen Altersstufen neu erschien der Aspekt des Wissens beziehungsweise der Vorstellungen der Kinder über das Ende von Kriegen. Hier zeigte sich, dass beispielsweise Zehnjährige ein klareres Verständnis über die Beendigung haben als Kindergartenkinder. Nur fünf Prozent der Zehnjährigen geben an, nicht zu wissen, wie Krieg ende; vergleichend dazu sind es 21 Prozent der Vierjährigen.170 Bei den älteren Kindern und Jugendlichen wird am häufigsten die Verhandlung als Konfliktlösung genannt, während die Jüngeren eher Faktoren wie Erschöpfung oder Kapitulation in den Vordergrund stellen.171 Insgesamt wurden innerhalb der Studie geschlechtsspezifische Unterschiede in der Wahrnehmung und den Vorstellungen von Krieg und Frieden herausgestellt, die in vorherigen Untersuchungen teils nicht derart klar belegt werden konnten.172 Doch auch die weiteren untersuchten Einflussfaktoren wie die Schulart und das Sicherheitsgefühl sind neben dem Alter und Geschlecht bedeutsam für die Vorstellungen der Kinder und Jugendlichen. Im Zuge dessen empfiehlt Hall beispielswiese, den »school ethos«173 einzubeziehen und entsprechend friedenspädagogische Bemühungen in den gesamten Schulalltag einfließen zu lassen. Zudem wird ausgehend von den Ergebnissen zu Informationsquellen der Kinder über Krieg das Fernsehen als entscheidender Faktor herausgestellt.174 Knapp 30 Jahre nach dieser Studie kann vermutlich davon ausgegangen werden, dass das Internet mindestens eine vergleichbare – wenn nicht herausragendere – Rolle als Informationsquelle eingenommen hat. Grundsätzlich lässt sich aber feststellen, dass die Medien, mit welchen sich Kinder und Jugendliche zu verschiedenen Themen auseinandersetzen, nicht unerheblich für deren Vorstellungen von Krieg (und Frieden) sind.

169 Vgl. ebd., 183. 170 Vgl. ebd., 187. 171 Vgl. a. a. O.; Benennung der Aspekte im Original: »Negotiation« (hier übersetzt als ›Verhandlung‹); »Exhaustion« und »Surrender« (hier übersetzt als ›Erschöpfung‹ und ›Kapitulation‹). 172 Vgl. ebd., 193. 173 Ebd., 195. 174 Vgl. a. a. O.

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Michael Müller / Heinz Schernikau: Kindliches Bewusstsein und Urteil zu Krieg und Frieden »›Krieg‹ und ›Frieden‹ im Bewusstsein und Urteil von Grundschülern«175 wurden im Zuge einer Untersuchung mit 89 Hamburger Schülerinnen und Schülern der ersten bis vierten Klasse von Michael Müller und Heinz Schernikau (2000) evaluiert. Ziel dieser Erhebung war es, ebenfalls mit Bezugnahme auf die Studie Coopers (1965), »Aufschlüsse über Wissen, Urteile und Einstellungen«176 von Schülerinnen und Schülern hinsichtlich der Phänomene ›Krieg‹ und ›Frieden‹ zu erhalten. Im Zentrum stand dabei die Frage, ob eine Thematisierung derart komplexer, und im Falle von kriegerischen Auseinandersetzungen gewaltvoller, Sachverhalte in der Grundschule angemessen sei oder ob dem »Vorwurf der Verfrühung«177 nachgegeben werden sollte. Letzteren sehen die Forscher als nicht bestätigt an, da bis auf wenige Ausnahmen in der ersten Jahrgangsstufe die Vorstellungen von Frieden und Krieg bereits evident sind. Zudem wird sich dem Konzept des »schema of conflict«178 angeschlossen, da die Studie ergibt, dass die Vorstellungen der Kinder »auf späteren Klassenstufen zwar modifiziert oder transformiert, nicht aber durch ein völlig neues Schema ersetzt«179 werden. Bezüglich der kindlichen Vorstellungen von Krieg wurden mithilfe der Frage »Stell Dir vor, du hast einen Freund (eine Freundin), der (die) nicht weiß, was Krieg ist? Was, [sic!] würdest Du ihm erzählen?«180 folgende Begriffskonnotationen eruiert: Die jüngeren Grundschülerinnen und -schüler benennen zur Beschreibung von Krieg typische Einzelaspekte wie Soldaten, Gefangenschaft oder Atombomben.181 Als weitere Kategorie wird die »Beschreibung kriegstypischer Dinge und Vorgänge im Zusammenhang«182 genannt, wobei hiermit beispielsweise Handlungen/Folgen innerhalb des Krieges wie das Fahren von Panzern oder Sterben von Menschen gemeint sind. Neben der (im Laufe des zunehmenden Alters abnehmenden) Unfähigkeit, Krieg zu definieren, sind dies die Kategorien, die auch in den weiteren Grundschulklassen festgestellt werden konnten. Entsprechend wurde zur Begriffsklärung von Krieg folgender »faktenbezogener Vorstellungszusammenhang vor[gelegt]: Anfang des Krieges = Streit; Verlauf = schießen, kämpfen und ähnliches; Folgen = Menschen sterben, 175 Müller, M./Schernikau, H.: »Krieg« und »Frieden« im Bewusstsein und Urteil von Grundschülern. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung – Ermutigung und Inspiration für die friedenspädagogische Arbeit, in: Unterrichten, erziehen 19/2 (2000), 89–92. 176 Ebd., 89. 177 A.a.O. 178 Cooper 1965, 16. 179 Müller/Schernikau 2000, 91. 180 Ebd., 89. 181 Vgl. a. a. O. 182 A.a.O.

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Häuser werden zerstört.«183 Hervorzuheben ist zudem, dass mit zunehmendem Alter der Befragten auch die Äußerungen der Ablehnung kriegerischer Ereignisse häufiger vermerkt werden und außerdem vermehrt Bezug auf konkrete internationale Konflikte und Akteurinnen/Akteure genommen wird. Genannt werden diesbezüglich beispielsweise der Zweite Weltkrieg, im Zuge dessen die Person Adolf Hitler, und die zum Zeitpunkt der Jahrtausendwende höchstaktuelle und medial präsente Konfliktlage im Iran und Irak.184 Im weiteren Verlauf der Erhebungen wurden zudem kindliche Erklärungsmuster für die Gründe von Krieg (»Weißt du, warum die Menschen Krieg machen?«185) sowie Vermeidungs-/Konfliktlösungsvorstellungen (»Was kann man tun, damit es keinen Krieg gibt?«186) untersucht. Der Ursprung für Kriege bewegt sich dabei im Großteil im von den Kindern selbst erlebten und erfahrenen Erklärungsbereich des Streitens. Gründe für den Ausbruch (internationaler) Konflikte sind entsprechend beispielsweise das gewaltsame Streben danach, mehr als andere zu haben oder die eigene Stärke zu beweisen. Außerdem werden konkrete Personen, Staaten/Länder oder öffentliche Ämter/Rollen (wie zum Beispiel »Bürgermeister« oder »König«187) als Kriegsursprung genannt. Auch an dieser Stelle zeigt sich das Erklärungsmuster durch vergangene, konkrete kriegerische Konflikte wie beispielsweise dem Zweiten Weltkrieg. Der Bezug zu Streit (als Erklärung aus dem persönlichen Erfahrungsschatz heraus) zeigt sich auch in den von den Kindern benannten Konfliktlösungsstrategien, zum Beispiel, sich zu entschuldigen.188 Diese Erklärung der Beendigung beziehungsweise Vermeidung eines Krieges nimmt allerdings in den höheren Jahrgangsstufen ab, währenddessen gleichzeitig Vorschläge wie »kriegsverhindernde politische Aktivitäten und Aktionen«189 Eingang in die Vorstellungen der Kinder finden. Analog zu den Vorstellungen zu Krieg wurden die Erklärungsmuster der Kinder zum Thema Frieden erhoben. Hierbei stellen Müller und Schernikau vor allem bei den jüngeren Kindern fest, dass Frieden häufig als »Nicht-Krieg«190 definiert wird. Zudem wird Frieden von den Erstklässlern in Verbindung mit dem personalen Umfeld und der eigenen Erfahrung und Erleben charakterisiert als »Streit/sich wieder vertragen«191. Im Zuge dessen und auch ausgehend von den Antworten der Schülerinnen und Schüler der zweiten bis vierten Jahr183 184 185 186 187 188 189 190 191

A.a.O. Vgl. ebd., 89f. Ebd., 90. A.a.O. A.a.O. Vgl. a. a. O. A.a.O. A.a.O. A.a.O.

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gangsstufe werden folgende Kategorien zur Bestimmung von Friedensbedingungen aufgestellt: »Ruhe und Ordnung«, »Gerechtigkeit«, »demokratische Regelungen«, »ohne Druck leben«, sowie »keine Angst haben«.192 In Folge dieser Ergebnisse bezüglich der kindlichen Vorstellungen von Krieg und Frieden wird klar für die Thematisierung der Phänomene in pädagogischen Kontexten (in der Grundschule) plädiert. Friedenserzieherische Bemühungen sollten dabei der Vermittlung eines »positiven Lebensgefühls«193 Sorge tragen, gleichzeitig aber nicht davor scheuen, über die Ursachen und Folgen von kriegerischen Auseinandersetzungen aufzuklären.194 Frances McLernon / Ed Cairns: Kinderzeichnungen zu Krieg und Frieden Verschiedene Studien seit den 1960er Jahren bedienen sich dem Forschungsinstrumentarium der Kinderzeichnung. Entsprechend sind auch bezüglich der Forschungsinteressen Frieden und Krieg (internationale) Untersuchungen dieser Art zu vermerken. Diese beziehen sich teils auf die Vorstellungen der Kinder von bewaffneten Konflikten195, den Auswirkungen von (politischer) Gewalt196 oder Frieden und Krieg.197 Insgesamt werden dieser Methodik Vorteile zugesprochen, da davon ausgegangen wird, dass Zeichnungen eine Übersicht beziehungsweise Aufschluss über die aktuelle Kindheit geben können, wie bereits Ende der 1970er Jahre von Jacqueline Goodnow festgestellt wurde, die sagt: »Drawings can tell us something not only about children but also about the nature of thought and problem-solving among both children and adults.«198 Frances McLernon und Ed Cairns haben in ihrer 2001 veröffentlichten Studie Zeichnungen von insgesamt 181 Kindern im Alter von sechs bis sieben Jahren aus England und Nordirland erhoben, untersucht und miteinander verglichen. Mit dieser Herangehensweise sollte vor allem das Erkenntnisinteresse des Einflusses unterschiedlicher (gewaltvoller oder friedlicher) Lebensumstände auf die Vorstellungen von Kindern zu Frieden und Krieg evaluiert werden. Vor dem Hintergrund zuvor durchgeführter Studien konnten so bisherige Ergeb192 193 194 195

Ebd., 91. Ebd., 92. Vgl. ebd., 91f. Vgl. Götz, M.: »Wir sind dagegen!«. Kinder in Deutschland und ihre Wahrnehmung vom Krieg im Irak, in: TelevIZIon 16/3 (2003), 27–36, 32ff. 196 Vgl. beispielsweise Rudenberg, S. L./Jansen, P./Fridjhon, P.: The effect of exposure during an ongoing climate of violence on children’s self-perceptions, as reflected in drawings, in: South African Journal of Psychology 28 (1998), 107–115. 197 Vgl. McLernon, F./Cairns, E.: Impact of Political Violence on Images of War and Peace in the Drawings of Primary School Children, in: Peace and conflict: Journal of peace psychology 7/1 (2001), 45–57. 198 Goodnow, J.: Children Drawing (The Developing Child), London 1977, 2.

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nisse, wie sie oben beschrieben sind, auch von McLernon und Cairns bestätigt werden.199 So ist beispielsweise ein zentraler Bestandteil der kindlichen Definition von Frieden auch innerhalb dieser Studie die Abwesenheit von Krieg. Zusätzlich wurde, konträr zu einer früheren Untersuchung von Howard Tolley (1975)200 belegt, dass Jungen insgesamt mehr Wissen über Krieg haben als Mädchen201; Mädchen hingegen früher fähig sind, Frieden zu definieren als Jungen.202 Bezüglich der Kinderzeichnungen wurden verschiedene Kategorien aufgestellt, die die beschriebenen Ergebnisse bedingen und bestätigen. Besonders häufige Motive beziehungsweise Kategorien innerhalb der Zeichnungen mit dem Titel Frieden waren Bilder, die Negationen von Krieg darstellen (z. B. Motive, die Ruhe ausdrücken; Zerstörung von Waffen). Des Weiteren wurden besonders häufig Naturdarstellungen (z. B. Bäume, Blumen) und Zeichnungen von religiösen Symbolen (z. B. Engel, Kreuze) festgestellt. Die Kinderzeichnungen mit dem Titel Krieg hingegen verdeutlichten besonders häufig Darstellungen von Waffen und Soldaten oder, als zweithäufigste Kategorie, die negativen Konsequenzen, die Krieg mit sich bringt (z. B. Tod; Verletzungen). Innerhalb der Zeichnungen hat sich zudem herausgestellt, dass die Umgebung, in der die Kinder aufwachsen, möglicherweise Einfluss auf deren Darstellungen und Vorstellungen von Frieden und Krieg nimmt. Maya Götz: Kinderzeichnungen und Erzählungen zum Irak-Krieg Eine weitere Studie, in der Kinderzeichnungen erhoben wurden, ist die internationale Untersuchung »Kinder erzählen und malen vom Krieg«203, die innerhalb Deutschlands vonseiten des Internationalen Zentralinstituts für das Jugendund Bildungsfernsehen (IZI) verantwortet und von Maya Götz (2003) veröffentlicht wurde. Im Zentrum standen hierbei, wie der Titel bereits vermuten lässt, weniger die Wahrnehmungen von Frieden, sondern vielmehr die kindlichen 199 Vgl. McLernon/Cairns 2001, 55. Konkret Bezug genommen wird v. a. auf Einzelaspekte folgender Studien: Cooper 1965, 1–16.; Hall 1993, 181–196.; Alvik, T.: The development of views on conflict, war and peace among school children, in: Journal of Peace Research 5/2 (1968), 171–195.; Rodd, J.: Pre-school children’s understanding of war, in: Early Child Development and Care 22/2 (1985), 109–121. 200 McLernon und Cairns geben zwar an, dass Tolley ebenfalls bestätigt sieht, dass klare Geschlechterunterschiede zu erkennen sind (vgl. McLernon/Cairns 2001, 46.); Tolley allerdings schreibt in seinem Werk bezüglich der kindlichen Sicht auf Krieg: »[B]oys and girls expressed similar opinions about war; sex differences, in attitudes are not as expected.« Tolley, H.: Children and War. Political Socialization to International Conflict, New York 1973, 125. 201 Vgl. McLernon/Cairns 2001, 53. 202 Vgl. ebd., 55. 203 Götz 2003, 27–36.

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Vorstellungen von internationalen Konflikten – im Zusammenhang mit dem kurz zuvor ausgebrochenen Irak-Krieg – mit besonderer Konzentration auf die Rolle der medialen Berichterstattung. Im Zuge dessen wurden bundesweit insgesamt 87 Kinder im Alter von sechs bis elf Jahren zunächst befragt und anschließend um Zeichnungen gebeten, die abbilden, »was ihnen als Erstes zum Krieg einfällt«204, sowie, was sie im Fernsehen gern dazu sehen würden. Im Folgenden werden die zentralen Ergebnisse der Kinderzeichnungen und Wahrnehmungen von kriegerischen Auseinandersetzungen genauer beleuchtet. Durch die qualitative Erhebung sollten zudem auch die Emotionen und Wünsche der Heranwachsenden Raum einnehmen, entsprechend werden auch diesbezüglich die Befunde kurz erläutert.205 Als Informationsquellen zum Irak-Krieg dienten den Kindern Anfang der 2000er-Jahre vor allem das Fernsehen, aber auch das Radio und die Zeitung. Bemerkenswert ist zudem, dass das brisante Thema auch innerhalb der Familien und in Gesprächen der Heranwachsenden mit den Eltern Raum einnahm. Weitere Ansprechpersonen waren Lehrkräfte und die Peer-Group. In der Schule wurde der Kriegssituation mit verschiedenen Aktionen begegnet, wie beispielsweise Besuche von Demonstrationen oder auch gemeinsames Beten.206 Das konkrete Wissen der Kinder zum Irak-Krieg – ausgehend von den genannten Informationsquellen – wies eine vergleichsweise hohe Heterogenität auf; die Heranwachsenden hatten teilweise »hohes Detailwissen zur aktuellen Lage und argumentierten mit einer hohen Komplexität«207, andere wiederum schienen nur Einzelinformationen aus den Medien und verschiedenen Gesprächen aufgeschnappt zu haben. Bezüglich der konkreten kindlichen Wahrnehmungen und Vorstellungen von Krieg wurden, wie gesagt, Kinderzeichnungen erhoben. Hierbei zeigen sich vor allem zwei verschiedene Schwerpunkte innerhalb der Darstellungen: zum einen die Konzentration auf (kriegerische) Kampfhandlungen und zum anderen die Abbildung des Leidens von Menschen. Die Darstellungen von Kampfszenen weisen verschiedene Motive auf wie beispielsweise Waffen, die Zerstörung von Häusern oder sich im Nahkampf befindliche Personen.208 Bei letzteren Abbildungen handelt es sich um »Vorstellungen eines Nahkampfes, bei denen Men204 Ebd., 32. 205 Die Ausrichtung auf das konkrete Ereignis des Irak-Krieges sowie der Einbezug der medialen Berichterstattung werden in Anbetracht des Forschungsinteresses dieser Arbeit nur am Rande mit in die Erläuterungen aufgenommen. 206 Ebd., 28f. 207 Ebd., 29. 208 Vgl. ebd., 33.; Götz beschreibt diese Situationen als »Mann gegen Mann oder auch Gruppe gegen Gruppe« (S. 33); es wird nicht näher erläutert, ob ausschließlich Männer in Kampfsituationen dargestellt werden.

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schen mit gezückter Pistole aufeinander schießen.«209 Götz führt diese Motivwahl darauf zurück, dass möglicherweise fiktionaler Fernsehstoff mit den medial präsenten Kriegsgeschehnissen vermischt wird.210 Es werden zudem auch menschenleere Szenerien dargestellt, es sind also nicht immer die tatsächlichen Akteurinnen und Akteure der kriegerischen Auseinandersetzung abgebildet. In solchen Zeichnungen finden sich stattdessen beispielsweise Bomben, oder – im Kontext der Ereignisse des 11. Septembers 2001 – Flugzeuge, die in Hochhäuser fliegen. Der zweite aufgekommene Aspekt, bei dem Kinder das Leiden von Menschen darstellten, enthält Bildmotive wie »Menschen, die sterben oder schon gestorben sind, trauende Hinterbliebene und Menschen in Angst.«211 Es wird angenommen, dass die Zeichnungen der Kinder durch unterschiedliche Quellen beeinflusst sind. So werden fiktionale Inhalte mit dem, was sie in den Medien gesehen oder gehört haben, verknüpft; und auch die Fantasie der Heranwachsenden, also innere Bilder, finden Eingang in die Kinderzeichnungen. Ausgehend von dieser Erkenntnis formuliert Götz die Empfehlung an pädagogische Ansätze, das Wissen um die Entstehung und Auswirkungen kriegerischer und militärischer Auseinandersetzungen zu erweitern.212 Die befragten Kinder formulierten im Angesicht des ausgebrochenen Krieges verschiedene Emotionen. Diese reichen von Befürchtungen um einen Dritten Weltkrieg und somit die Angst, selbst von kriegerischen Konflikten betroffen zu sein, über Unverständnis und deutlich ausgedrückte Ablehnung bis hin zu empathischen Aussagen. Letztere beziehen beispielsweise einen Perspektivenwechsel mit ein, indem sich die Befragten die Lage und das Leiden der Kinder im Irak vor Augen führten. Insgesamt wird Krieg als sehr präsentes Thema beschrieben: »Viele Kinder erzählten, sie machten sich häufig Gedanken über das Thema Krieg; selbst die, die es eigentlich vermeiden wollten, ›mussten einfach‹ darüber nachdenken. In ihren Gedanken standen Schicksal und Leiden der Menschen im Irak im Mittelpunkt.«213

Eine zentrale Erkenntnis der Studie ist zudem, dass die Positionierung der Kinder beobachtbar in Abhängigkeit von Gesprächen und der Wahrnehmung der Meinung von Erwachsenen entsteht. Aus der Verurteilung bestimmter Kriegsparteien (innerhalb des Irak-Krieges beispielsweise die Verurteilung George Bushs) vonseiten der Erwachsenen kann diesbezüglich auf kindlicher Seite 209 210 211 212 213

A.a.O. Vgl. a. a. O. A.a.O. Vgl. a. a. O. Ebd., 29.

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ein Gut-Böse-Denkschema aufkommen. Zudem erscheint es, dass die Heranwachsenden Zusammenhänge und Details imaginieren, »[w]o sie kein konkretes Wissen haben […]. Dabei folgen sie den dominanten Diskursen. Es entstehen Deutungsmuster und Fantasien.«214 Nina Kallweit: Kindervorstellungen von Krieg und Frieden als Perspektive für das politische Lernen im Sachunterricht Die bisher aufgeführten Studien sind vor allem (entwicklungs-)psychologisch und soziologisch ausgerichtet. Zwar werden teils Hinweise auf friedensbildende oder -erzieherische Konsequenzen gegeben, diese wurden aber nicht in erster Linie für einen entsprechenden pädagogischen und fachdidaktischen Sinn verfasst, sondern sind im allgemeinen Bildungskontext zu verorten. Dass derartige fachdidaktische Untersuchungen im Horizont der Primarstufe erforderlich und aussagekräftig sind, zeigt die Dissertation von Nina Kallweit (2019), die im Zuge der Forschung zum Sachunterricht das Erleben von Kindern bezüglich Frieden und Krieg betrachtet und aus ihrer phänomenografischen Studie didaktische Impulse für die grundschulpädagogische Praxis gefunden hat.215 Hierzu befragte sie insgesamt 46 Berliner Kinder im Alter von acht bis elf Jahren216 mithilfe problemorientierter Interviews.217 Sie zeigt auf, inwiefern die Phänomene Krieg und Frieden und die Vorstellungen von jungen Schülerinnen und Schülern mithilfe des sogenannten »Conceptual Chance«218 bedeutsam für die Entwicklung der pädagogischen Leitlinien sind. Der Fokus der Arbeit liegt vor allem auf dem politischen Lernen des Faches Sachunterricht und den Auswirkungen der Vorstellungen von Schülerinnen und Schülern auf didaktisch-methodische Herangehensweisen politischer Friedensbildung und -erziehung. Innerhalb dieser Untersuchung wurde, analog zu älteren (internationalen) Studien, festgestellt, dass hinsichtlich der Phänomene Krieg und Frieden vielfältige Vorstellungs- und Erlebensvarianten vonseiten der Grundschülerinnen und -schüler vorliegen.219 Diese erscheinen in Bezug auf das Thema Frieden heterogener im Vergleich zu Krieg220, wobei ebenfalls die Vorstellungen von Krieg in verschiedene Kategorien eingeteilt werden können. Kallweit entwickelt aus ihrer

214 215 216 217 218 219 220

Ebd., 36. Vgl. Kallweit 2019, 397–406. Vgl. ebd., 184f. Vgl. ebd., 167f. Vgl. ebd., 66f. Vgl. ebd., 385. Vgl. ebd., 388.

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Datenlage heraus vier Kategorien.221 Zentrale Charakterisierungen dieser Differenzierung werden im Folgenden kurz dargestellt. (1) Krieg als einseitig bedingter Angriff mit kollektiver Waffengewalt: Die Kinder verbinden Krieg mit dem Einsatz bestimmter Geräte (zum Beispiel Panzer) und entsprechenden Handlungen (zum Beispiel töten). Aus bestimmten Gründen greift eine Partei die andere gewaltsam an, um dieser Gruppe Schaden zuzufügen. (2) Krieg als gegenstandsgebundener Einsatz kollektiver Waffengewalt: Zwei Parteien unterliegen einer konträren Interessenslage, weshalb oben benannte kollektive Waffengewalt ausgeführt wird. Zentral sind also gegenständliche Ziele, wie zum Beispiel die Eroberung von Land oder das Streben nach Macht. (3) Krieg als (negativ bewerteter) kollektiv waffengewaltsam ausgetragener Streit: Krieg wird explizit vonseiten der Kinder als negativ konnotiert wahrgenommen und mit dem Phänomen des Streitens in Verbindung gebracht. Letzteres als »Form von Auseinandersetzung meint, dass in der Regel zwischen zwei Akteuren eine Unstimmigkeit oder Uneinigkeit herrscht.«222 (4) Krieg als kollektiv waffengewaltsame Fortführung eines Konflikts: Krieg wird hier von den Kindern als Konflikt verstanden, der auf der »Auseinandersetzung von mindestens zwei Akteuren, die auf einer divergierenden Interessenslage zu einer gemeinsamen Angelegenheit basiert.«223 Innerhalb dieser Kategorie wird dem Konflikt zugesprochen, dass er auch nicht-gewaltsam hätte ausgetragen werden können. Kallweit versteht diese Wahrnehmung von Krieg als am weitesten entwickelt im Vergleich zu den zuvor beschriebenen Kategorien. Des Weiteren und auch im Zusammenhang mit der allgemeinen Wahrnehmung des Phänomens, wurden zudem die kindlichen Erklärungen für die Ursachen von Krieg beziehungsweise den Gegenstand der Auseinandersetzung erfragt.224 Neben einer Kategorie zu Heranwachsenden, die keine Gründe für Krieg nennen konnten, wurden drei Ursachenkategorien erstellt. Zu diesen gehören negative Gefühle, die Menschen zueinander haben, wenn sie sich beispielsweise nicht leiden können. Aus dieser Charakterisierung der zwischenmenschlichen Beziehung heraus kann aus kindlicher Sicht heraus eine (kriegerische) Auseinandersetzung entstehen. Die zweite festgestellte Ursache sind »konfligierende Besitzinteressen«225 der Konfliktparteien. Als dritte Kategorie wird das Interesse für das 221 222 223 224 225

Vgl. ebd., 206–221. Ebd., 212. Ebd., 218. Vgl. ebd., 226ff. Ebd., 230.Hervorhebung im Original.

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Gemeinwohl (zum Beispiel Krieg aufgrund eines Kampfes um überlebenswichtige Ressourcen) oder Herrschaft einzelner Personen(-gruppen) aus den Interviews herausgelesen. Die kindlichen Vorstellungen zu Frieden wurden ebenfalls in verschiedene Kategorien eingeteilt.226 Neben den Heranwachsenden, die Frieden nicht beschreiben (können), stellt Kallweit folgende »Erlebensvarianten«227 heraus: (1) Frieden als Wohlbefinden (Mikroebene): Das Erleben von Frieden bezieht sich hier auf das Wohlbefinden von Menschen; dieses wird in Verbindung gesetzt mit den Begriffen ›Glück‹, ›lächeln‹ und ›Zufriedenheit‹.228 (2) Frieden als Ende eines Streits (Mikroebene): Frieden betrifft »Momente bzw. Phasen einzelner menschlicher Beziehungen«229 und in erster Linie den konkreten Moment, in dem ein Streit beendet wird. (3) Frieden als freundschaftliches Miteinander (Mikroebene): Auch in dieser Kategorie steht die menschliche Beziehung im Vordergrund, wobei hier das Augenmerk der Kinder auf den Umgang miteinander gelegt wird. (4) Frieden als Abwesenheit kollektiver Waffengewalt (Makroebene): Das Erleben von Frieden als Abwesenheit von Krieg fällt zum Beispiel unter diese Kategorie. Zentral ist hierbei, dass nicht auf Basis zwischenmenschlicher Beziehungen argumentiert wird, sondern »Akteure[…] wie Länder[…], Völker[…] oder auch Deutschland«230 als relevant wahrgenommen werden. (5) Frieden als Leben ohne Gewalt und kollektive Waffengewalt (Mikro-/Makroebene): Innerhalb dieser Kategorie ist das Phänomen der Gewalt von Bedeutung, das sowohl auf Mikroebene (zum Beispiel in Form von Beleidigungen) und Makroebene (zum Beispiel kollektive Waffengewalt) vorkommt. Entsprechend wird Frieden als die Abwesenheit jeglicher Gewalt wahrgenommen und erlebt. (6) Frieden als Zusammenleben mit Aushandlung von Konflikten (Makroebene): Diese Kategorie gilt als »die elaborierteste Variante des Erlebens von ›Frieden‹«231. Zentral ist hierbei, dass Konflikte stattfinden können und dürfen, ein gemeinsames Aushandeln aber konstitutiv für gelingenden Frieden ist.

226 Vgl. ebd., 283–294.; die jeweiligen Zuordnungen der Kategorien zu Mikro- oder Makroebene stammen aus: ebd., 293f. 227 Ebd., 283. 228 Vgl. ebd., 284f. 229 Ebd., 286.; Hervorhebung im Original. 230 Ebd., 289. 231 Ebd., 292.

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Aus diesen Ergebnissen heraus folgert Kallweit für fachdidaktische, friedenspädagogische Prozesse, die »Abwesenheit kollektiver und physischer Gewalt«232 weiter in den Vordergrund zu rücken. Damit sei ein Blick über die Mikroebene (z. B. individuelles Wohlbefinden; Freundschaften) hinaus auf politische (Lern-) Dimensionen zu lenken.233 Hierbei muss allerdings die politikdidaktische Ausrichtung der Arbeit Kallweits betont werden, die eine derartige Fokussierung begründet. Ob diese Folgerungen für die religionspädagogische Friedensbildung ebenfalls konstitutiv sind, wird die vorliegende Studie klären. Reinhold Mokrosch: Vorstellungen von Kindern und Jugendlichen zu Frieden und Gewalt Im Zuge einer, nach eigener Aussage nichtrepräsentativen234, Befragung von Kindern und Jugendlichen im Alter von acht/neun sowie 15/16 Jahren hat Reinhold Mokrosch (2000)235 verschiedene Aspekte zum Friedens- und Gewaltverständnis erfragt. Diese kleine Untersuchung reiht sich zwar nicht in die offiziellen und repräsentativen Studien mit ein, ist allerdings aufgrund ihrer zentralen Ergebnisse, der religionspädagogischen Ausrichtung und ihrem Ziel, Folgerungen für die schulische Friedensbildung zu entwerfen, an dieser Stelle genauer zu betrachten. Innerhalb der Erhebung haben die beiden Altersgruppen vergleichbare Fragen zu Frieden und Gewalt erhalten. Mithilfe der Nennung verschiedener Szenarien, wie beispielsweise »Herrscht Friede, wenn […] in einer Schule jahrelang keine Schlägerei vorkommt?« oder »Liegt Gewalt vor, wenn […] eine Lehrkraft mit Sitzenbleiben droht, damit die Schülerinnen und Schüler besser werden?«236, konnten bedeutsame Tendenzen aufgezeigt werden. Zunächst fällt auf, dass diese Befragung Frieden nicht – wie in einschlägigen zuvor beschriebenen Studien – Krieg entgegenstellt, sondern in Bezug mit Gewalt setzt. Untersucht werden entsprechend auch die Sichtweisen der Kinder und Jugendlichen bezüglich personaler oder struktureller Gewalt. Hierbei vermutet Mokrosch, dass die jüngeren Befragten mit Gewalt eher personale, also in erster Linie physische Verletzung verbinden, während die Jugendlichen bereits Bezüge zu struktureller Gewalt237 herstellen können, wie sie beispielsweise in der obengenannten Frage zur drohenden Lehrkraft sichtbar wird. Ähnlich verhält es sich beim Verständnis der Kinder und Jugendlichen zu Frieden. Ausgehend von den 232 233 234 235

Ebd., 296. Vgl. ebd., 296f. Vgl. Mokrosch, R.: Friedenserziehung in der Schule, in: Loccumer Pelikan 1 (2010), 11–15, 14. Vgl. ders.: Gewalt. Ethik-, Religions- und Philosophieunterricht (Arbeitshefte Ethik Sekundarstufe II Bd. 1), Donauwörth 2000, 6–13. 236 Ders. 2010, 13. 237 Näheres zur strukturellen Gewalt wird in Kapitel 5.4 konkretisiert.

Wie Kinder im Grundschulalter Frieden lernen können

73

Antworten der Grundschülerinnen und -schüler, welche die Fragen, ob angesichts verschiedener Szenarien Frieden herrsche, meist bejahten, wird davon ausgegangen, dass »die meisten Kinder personell und nicht strukturell denken und empfinden. Wenn alles friedlich verläuft, so folgern die meisten, verstehen sich auch die Menschen gut und es herrscht Friede.«238 Versuche, Differenzierungen anzustreben239 und Konnexe zwischen Frieden und strukturellen Aspekten wie Gerechtigkeit, Toleranz oder (internationale) Beziehungen herzustellen, zeigten sich entsprechend auch gehäuft im Jugendalter. Ausgehend von diesen Ergebnissen folgert Mokrosch für eine »Friedenserziehung«240, dass gegenläufig die jeweiligen Ansichten der Jüngeren beziehungsweise Älteren gestärkt werden sollten. Das heißt, Grundschülerinnen und -schüler sollten bezüglich struktureller Aspekte von Frieden und Gewalt sensibilisiert, ihre Vorstellungen, die den personalen Nahraum betreffen, aber dennoch nicht negiert werden. Älteren Schülerinnen und Schülern können entsprechend auch die »Chancen personaler Friedenstiftung«241 aufgezeigt, ihre Wahrnehmung der Bedeutung von Strukturen sollte gleichzeitig gestärkt werden.

3.2.2 (Dis-)Kontinuitäten der Entwicklung von Friedensfähigkeit Wie bereits angedeutet, bewegen sich die meisten der im vorherigen Kapitel genannten Studien im Kontext der Entwicklungspsychologie. Die Fragen, die sich im Zuge dessen stellen lassen, sind also – ›Gibt es eine (kontinuierliche) Entwicklung der kindlichen Vorstellungen von Frieden und Unfrieden?‹ und davon ausgehend – ›Folgt die Entwicklung der kindlichen Friedensfähigkeit einem bestimmten Schema?‹. In der Beschreibung der Einzelstudien zeigt sich, dass es auf diese Fragen keine eindeutigen Antworten gibt. Frühere Untersuchungen, wie die von Cooper (1965), beziehen sich auf das bis heute viel diskutierte Stufenmodell der kognitiven Entwicklung nach Jean Piaget. Dieses gibt an, dass die Kognition des Individuums sich in verschiedenen Stufen entwickelt, die altersabhängig sind und

238 A.a.O.; Hervorhebung im Original. 239 Das Anliegen der Jugendlichen, zu differenzieren, wird anhand folgender Aussage angenommen: »Die Mehrheit der 15-Jährigen reagierte auf die Friedensfrage gleich mit ›Kommt drauf an!‹«; ebd., 14.; Hervorhebung im Original. 240 Ebd., 15. 241 Ebd., 14.

74

Zur Relevanz der Betrachtung von Frieden aus Kindersicht

in ihrer Reihenfolge feststehen.242 Piaget postuliert zum Beispiel, dass Kinder noch nicht in der Weise fähig sind, einen Perspektivenwechsel einzunehmen, wie das bei Erwachsenen der Fall ist, und Heranwachsende demnach egozentrischer denken.243 Die Stufen, die Piaget beschreibt, sind in erster Linie allerdings eben auf die kognitive Entwicklung ausgelegt und entsprechend mit Intelligenztests erhoben. Dies könnte ein Grund dafür sein, dass auch in Coopers Studie keine festlegbaren Entwicklungsstufen der kindlichen Vorstellungen zu Frieden und Krieg evaluiert werden konnten. Falk und Selg stellen innerhalb ihrer Untersuchung große Unterschiede zwischen den verschiedenen Städten und Schularten fest, weshalb sie vermuten, dass ihre »Ergebnisse den Theorien widersprechen, die für die moralische Entwicklung eine vorbestimmte Abfolge von Phasen und Stufen postulieren.«244 Wenn auch vorsichtig, negiert diese These entwicklungspsychologische Stufenmodelle wie sie von Piaget aufgestellt und Cooper rezipiert und weiterentwickelt sind. Stattdessen wird angenommen, dass die Vorstellungen der Kinder und Jugendlichen von Krieg und Frieden von bestimmten Einflussfaktoren wie dem Alter oder Geschlecht, sowie der konkreten Lebens- und Umwelt der Heranwachsenden, abhängen. Dennoch kann gesagt werden, dass durchaus Unterschiede zwischen den verschiedenen untersuchten Altersstufen festgestellt wurden. Seine vergleichende Befragung hat Mokrosch hinsichtlich der Fragestellung zur Kontinuität der Entwicklung von Friedensfähigkeit interpretiert.245 Da er »keine klaren Kohorten-Antworten«246 feststellen konnte, geht er nicht davon aus, dass es eine kontinuierliche Entwicklung zur Friedensfähigkeit gibt. Es gäbe zwar durchaus eine Entwicklung, diese sei aber eben nicht auf konkrete Stufen oder feststehende Entwicklungsphasen festlegbar.247 Da es sich bei den Vorstellungen von Frieden und Unfrieden um Phänomene handelt, die mit sozialer Interaktion zusammenhängen, können möglicherweise eher Modelle der Moralentwicklung zu Rate gezogen werden. So postulieren Ilse Hakvoort und Louis Oppenheimer: »However, peace and war are social phenomena, the understanding of which is thought to emerge directly from social experiences. Social experience involves dynamic inter-

242 Vgl. Piaget, J.: Probleme der Entwicklungspsychologie. Kleine Schriften, Frankfurt am Main 1976, 50–55. 243 Vgl. Büttner, G./Dieterich, V.-J.: Entwicklungspsychologie in der Religionspädagogik (UTB Bd. 3851), Stuttgart/Göttingen 22016, 14f. 244 Falk/Selg 1982, 355. 245 Vgl. Mokrosch, R./Spiegel, E. (2018), 4f. 246 Ebd., 4. 247 Vgl. ebd., 4f.

Wie Kinder im Grundschulalter Frieden lernen können

75

active processes between developing conceptions about peace and war and aspects of the social environment.«248

Entsprechend beschreiben die beiden Forschenden den Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Vorstellungen mit dem Modell der Entwicklung des sozialen Verstehens nach Robert Selman.249 Dieser legt unter anderem ein entwicklungspsychologisches Konzept zur Konfliktlösung im Bereich der Freundschaft vor250, das mithilfe von Befragungen zu Dilemmata entwickelt wurde. Ausgehend von verschiedenen Stufen, die Selman für die Perspektivenübernahmefähigkeit von Kindern aufgestellt hat, und unter Einbezug ihrer dänischen Studie beschreiben Hakvoort und Oppenheimer251 folgende Stufen des Verstehens von Frieden und Krieg: Stufenbezeichnung nach Hakvoort und Oppenheimer252 Stufe 0: Egocentric viewpoint

Fähigkeit zur Perspektivenübernahme nach Selman253 Undifferenzierte und egozentrische Perspektivenübernahme (ungefähr 3– 8 Jahre)

Stufe 1: Social-informational role-taking

Differenzierte und subjektive Perspektivenübernahme (ungefähr 5–9 Jahre)

Stufe 2: Self-reflection

Selbstreflexive/Zweite Person- und reziproke Perspektivenübernahme (ungefähr 7–12 Jahre)

Auswirkungen auf das Verstehen von Frieden und Krieg Frieden und Krieg als statische, situationsbezogene Ereignisse → Bezug auf sichtbare, konkrete, materielle Elemente beider Phänomene Frieden als Freundschaft und Krieg als Konflikt/ Streit mit Freundinnen und Freunden Frieden als funktionierende Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Gruppen und Krieg entsprechend als bilateraler Konflikt → Verschiebung von sichtbaren, konkreten, materiellen Elementen hin zu abstrakteren, wertorientierten Friedensvorstellungen

248 Hakvoort, I./Oppenheimer, L.: Understanding Peace and War. A Review of Development Psychology Research, in: Developmental Review 18/3 (1998), 353–389, 361. 249 Vgl. Selman, R. L.: Die Entwicklung des sozialen Verstehens. Entwicklungspsychologische und klinische Untersuchungen, Frankfurt a.M. 1984. 250 Vgl. ebd., 116f. 251 Vgl. Hakvoort/Oppenheimer 1998, 361f. 252 Vgl. a. a. O.; die Begriffe wurden an dieser Stelle nicht übersetzt, um deren Bedeutungsgehalt nicht zu verfälschen. 253 Vgl. Selman 1984, 50–54.

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Zur Relevanz der Betrachtung von Frieden aus Kindersicht

(Fortsetzung) Stufenbezeichnung nach Hakvoort und Oppenheimer Stufe 3: Mutual role-taking

Fähigkeit zur Perspektivenübernahme nach Selman Dritte Person- und gegenseitige Perspektivenübernahme (ungefähr 10– 15 Jahre)

Stufe 4: Interdependent role- Tiefenpsychologische und taking gesellschaftlich-symbolische Perspektivenübernahme (ungefähr 12 Jahre bis Erwachsenenalter)

Auswirkungen auf das Verstehen von Frieden und Krieg Verständnis von Frieden als Beziehungen zwischen Menschen und Nationen → Einbezug normbezogener Argumentation (zum Beispiel Notwendigkeit von Toleranz und Akzeptanz für gelingenden Frieden) Erkenntnis, dass es kein vollständiges Verstehen von Frieden und Krieg gibt → soziale Strukturen sind durchzogen von Kompromissen, die auf demokratischen Prozessen beruhen

Tabelle 1: Entwicklung des Verstehens von Krieg und Frieden im Zusammenhang mit der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme

In Anbetracht der im Fokus dieser Arbeit stehenden Altersstufe der mittleren Kindheit, bedürfen die Stufen 1 und 2 besonderer Aufmerksamkeit. Der Forschungsstand belegt das Vorkommen der Verknüpfung von kriegerischen Auseinandersetzungen mit Streit. Und auch die für Stufe 2 typische Verbindung von Frieden mit funktionierenden Beziehungen von Menschen, aber auch Staaten/ Nationen, ist beispielsweise in der Untersuchung von Müller/Schernikau sichtbar. Jedoch verdeutlicht Coopers Studie, dass Elemente des Verständnisses von Stufe 0 (zum Beispiel das Verknüpfen von Krieg mit konkreten kriegerischen Elementen wie Soldaten) zwar tatsächlich vornehmlich bei jüngeren Befragten zu finden sind, mit dem Alter von acht Jahren aber nicht aus den Vorstellungswelten der Kinder verschwunden sind. Vereinzelt lassen sich derlei Elemente auch bei 16-jährigen Studienteilnehmenden belegen. Es zeigt sich also, dass diese Übersicht eine Tendenz beschreibt, die aber nicht verallgemeinernd und undifferenziert hingenommen werden sollte. Bezüglich der Frage nach der Entwicklung von Friedensfähigkeit und wie mit dieser innerhalb von Erziehungs- und Bildungsprozessen umgegangen werden kann, sollte auch das Modell der moralischen Entwicklung nach Lawrence Kohlberg nicht unerwähnt bleiben. In Anlehnung an Piaget hat der amerikanische Psychologe die Moralität genauer untersucht und auch deren (Weiter-)Entwicklung innerhalb des Erwachsenenalters in den Blick genommen. Das von ihm entwickelte Stufenmodell umfasst drei Perspektiven – die präkonventionelle, konventionelle und postkonventionelle Sicht –, die jeweils zwei Stufen enthalten.

Wie Kinder im Grundschulalter Frieden lernen können

77

Ähnlich wie Selman nach ihm, geht Kohlberg von einem Zusammenhang zwischen moralischer Entwicklung und der Zunahme der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme aus.254 Sowohl Selman als auch Kohlberg können allerdings keinen gesicherten Aufschluss darüber geben, ob eine gesteigerte Perspektivenübernahme, und im Zuge dessen das immer komplexere Verständnis von Frieden und Krieg und die Entwicklung der Moralvorstellungen, wirklich zu einer erhöhten Friedensfähigkeit führen. Die Entwicklung des Verstehens derlei Phänomene lässt noch keine Konsequenzen auf ein davon ausgehendes Handeln zu. Vielmehr sind die sozial-kognitiven Elemente des Verstehens im Vordergrund des Interesses der Stufentheorien. Ob es also eine Entwicklung zur Friedensfähigkeit gibt, die einem Schema folgt, kann nicht mit aller Klarheit gesagt werden. Es scheint, dass sich hier zwei Meinungen gegenüberstehen, denn »[d]ie Anhänger von Kohlbergs Moralentwicklungstheorie bejahen, ihre Kritiker bestreiten das.«255 Ausgehend vom dargelegten Forschungsstand wird innerhalb der folgenden Ausführungen davon ausgegangen, dass die Vorstellungen der Kinder von verschiedenen Einflussfaktoren abhängen. Zu diesen gehört auch das Alter. Es kann festgestellt werden, dass in bestimmten Altersgruppen bestimmte Vorstellungen vorherrschend sein können. Dennoch sind auch weitere Aspekte, wie zum Beispiel das Geschlecht, relevant. Was den Einfluss dessen angeht, besteht insgesamt allerdings ebenfalls keine Einigkeit. Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass in den Vorstellungen von Krieg und Frieden keine konstanten, genderspezifischen Unterschiede zu vermerken sind. Je nach Studienlage, Erhebungsort und -zeitraum sowie -methodik wurden Differenzen entweder bestätigt256 oder negiert257, weshalb McLernon und Cairns feststellen: »[I]t seems that current evidence concerning the existence of gender differences in children‹s concepts of peace and war is inconclusive.«258 Entsprechend werden die bisherige Studienlage, Überlegungen zur Entwicklungspsychologie und die Relevanz verschiedener Einflussfaktoren als Basis für die weiteren Erwägungen dieser Arbeit dienen. Für für die vorliegende Studie sind weniger die Untersuchungen der Einflüsse, als vielmehr die qualitativen Aspekte, in denen sich die Vorstellungen der Kinder manifestieren, von Bedeutung. Zusammenfassend zeigt Abbildung 1 den Forschungsstand dieser qualitativen Aspekte mit den jeweiligen exemplarischen Studien. Auch, wenn also nicht von einer kontinuierlichen Entwicklung der Friedensfähigkeit von Kindern gesprochen werden kann, können die oben darge254 Vgl. Kohlberg, L.: Die Psychologie der Moralentwicklung (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft Bd. 1232), Frankfurt am Main 1995, 126–133. 255 Mokrosch, R./Spiegel, E. (2018). 256 Vgl. z. B. McLernon/Cairns 2001, 55.; Cooper 1965, 8. 257 Vgl. z. B. Tolley 1973, 125. 258 McLernon/Cairns 2001, 46.

78

Zur Relevanz der Betrachtung von Frieden aus Kindersicht Untersuchte, mögliche Einflussfaktoren und Variablen Alter Cooper 1965;

Geschlecht McLernon/Cairns 2001; Tolley 1973

Kulturelle Einflüsse McLernon/Cairns 2001

Vorstellungen von Krieg

Informationsquellen Hall 1993; Götz 2003

Schulart Hall 1993; Falk/Selg 1982

Vorstellungen von Frieden

Kriegsgegenstände, wie z.B. Panzer, Waffen

Ruhe, Stille

Falk/Selg 1982; Cooper 1965; Müller/Schernikau 2000

McLernon/Cairns 2001; Cooper 1965

Beteiligte, wie z.B. Soldatinnen/Soldaten, Staaten,

Abwesenheit und Beendigung von Krieg

Präsidentinnen/Präsidenten Müller/Schernikau 2000; Cooper 1965

Cooper 1965; McLernon/Cairns 2001

Nennung konkreter kriegerischer Auseinandersetzungen

Soziale Aktivitäten, Freundschaft

Cooper 1965; Müller/Schernikau 2000

Cooper 1965; Falk/Selg 1982

Erklärung über eigenen Erfahrungsbereich, z.B. über Streit

Positive Gefühle, wie z.B. Liebe

Müller/Schernikau 2000; Kallweit 2019

Falk/Selg 1982

Beschreibung der Folgen kriegerischer Auseinandersetzungen

Gerechtigkeit

McLernon/Cairns 2001

Müller/Schernikau 2000; Mokrosch 2000

Negative Emotionen und Bewertung

Religiös-spirituelle Elemente

Götz 2003; Cooper 1965; Falk/Selg 1982

McLernon/Cairns 2001

Abbildung 1: Forschungsstand: Kindliche Vorstellungen von Krieg und Frieden

stellten Aspekte aufgegriffen und in friedenspädagogische Bemühungen aufgenommen werden. Inwiefern dies in der Vergangenheit geschehen ist und welche religionspädagogischen Desiderate sich heute aus den bisher gewonnenen Erkenntnissen ergeben, wird im Folgenden geklärt.

3.2.3 Desiderate und Folgerungen für religionspädagogische Bemühungen Wie aufgezeigt wurde, ist die Furcht vor Krieg und militärischer Gewalt bei Heranwachsenden in Deutschland ausgeprägt, während auch auf individueller Ebene der Wunsch nach Geborgenheit vorhanden ist.259 Dabei ist vor allem die empirische Forschung auf Seiten der politischen oder demokratischen Bildung reich an Ergebnissen. Evaluierte Projekte friedenspädagogischer Programme, wie beispielsweise der UNESCO oder UNICEF, liefern vor allem Erkenntnisse in von Notlagen betroffenen Gebieten wie zum Beispiel Flüchtlingslagern.260 Dennoch wird auch in dieser Hinsicht von »unzureichende[r] Evaluierung und wissenschaftliche[r] Begleitung«261 gesprochen. Im religionspädagogischen Feld, in dem sich diese Forschungsarbeit verortet, ist die Studienlage äußerst dünn. Vonseiten der Jugendforschung sind für die Friedenspädagogik in den Sekundarstufen bereits Ergebnisse vorhanden. So hat zum Beispiel Theodor Ziegler in 259 Vgl. Kapitel 3.1. 260 Vgl. Frieters-Reermann, N.: Frieden lernen. Friedenspädagogik aus systemisch-konstruktiver Perspektive, Köln 2009, 67. 261 A.a.O.

Wie Kinder im Grundschulalter Frieden lernen können

79

seiner Forschungsarbeit auf Grundlage von Experteninterviews Hypothesen für die Friedenspädagogik und den Religionsunterricht der Oberstufe entworfen.262 Für die Primarstufe liegt eine derartige Konzeptualisierung der religionspädagogischen Friedensbildung und -erziehung auf Basis einer repräsentativen Evaluation noch nicht vor. Auch erscheint die Untersuchung der Kindersicht auf Frieden und Unfrieden in den letzten Jahrzehnten in den Hintergrund geraten zu sein. Es fällt auf, dass die in den vorherigen Kapiteln beleuchteten Studien fast ausschließlich mindestens 20 Jahre alt sind. Wie bereits anfangs erwähnt, ließ sich der erste Boom an Kindheitsforschung zu Krieg und Frieden mit konkreten Friedensgefährdungen der 1960er und 70er-Jahre begründen. Und auch um die Jahrtausendwende beziehen sich die Untersuchungen auf Aspekte drohenden beziehungsweise ausbrechenden Unfriedens. Internationale Konflikte wie der Irak-Krieg oder der Israel-Palästina-Konflikt durchzogen zu Beginn des 21. Jahrhunderts das alltägliche Leben der Menschen und die Medien, was eine genaue Zusammenschau der kindlichen Wahrnehmung dieser Phänomene dringend notwendig machte. Es ist also festzuhalten, dass sich die Studien zu kindlichen Vorstellungen von Frieden meist – begründetermaßen – auf tagesaktuelle Geschehnisse beziehen oder diese zumindest zum Thema machen. Mit Kallweit wird das Desiderat gefüllt, die Vorstellung und das Erleben von Krieg und Frieden aus Sicht von Kindern im Lichte der politischen Bildung zu betrachten. Ein weiterer Aspekt ist allerdings die in vergangenen Studien – und auch bei Kallweit – vorherrschende Konzentration auf negative Friedensprozesse. Dies zeigt sich allein schon semantisch in der Erstnennung der Begrifflichkeit ›Krieg‹ im Gros der beschriebenen Studien. Es wird nicht davon ausgegangen, dass sich die Vorstellung von Frieden ohne Bezüge zu Aspekten wie Krieg, Konflikten und Gewalt untersuchen lässt.263 Jedoch hat die vorliegende Arbeit die Intention, Frieden an die erste Stelle zu setzen und ausgehend von diesem die jeweiligen Bezugsbegriffe zu klären. Ziel ist es demnach, den positiven Friedensbegriff a priori mit in den Diskurs einzubringen und genauer zu beleuchten. Zudem sind hinsichtlich des Erlebens von Frieden innerhalb der Forschung Desiderate festzustellen.264 Vielmehr liegt der Fokus innerhalb der vorhandenen Studien, wie gesagt, auf dem Phänomen Krieg beziehungsweise auf Konflikten aller Art. Es wird in vorliegender Arbeit davon ausgegangen, dass dieser Zugang durchaus mitbedacht werden muss, da sich mehrperspektivisch über die Negative von Frieden auch an dieses Phänomen angenähert werden kann. Dennoch sollen das Erleben von Frieden und somit die Aspekte, die einen

262 Vgl. Ziegler 2018, 414–418. 263 Näheres hierzu wird in Kapitel 5 konkretisiert. 264 Vgl. z. B. Kallweit 2019, 395.

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Zur Relevanz der Betrachtung von Frieden aus Kindersicht

positiven Friedensbegriff ausmachen, angemessenen Raum einnehmen.265 Bisher findet sich zudem im deutschsprachigen Raum keine Studie, die explizit die kindliche Wahrnehmung des Zusammenhangs von Frieden und Religion thematisiert. Dass religiöse Aspekte innerhalb der Vorstellungen der Kinder eine Rolle spielen können, zeigte sich zum Beispiel in den Kinderzeichnungen, die McLernon und Cairns (2001)266 erhoben haben. Auch aus Sicht der Friedensforschung und -pädagogik nimmt der Zusammenhang von Frieden und Religion einen hohen Stellenwert ein. Fragen, die das Friedenspotenzial von Religionen betreffen, aber auch Bemühungen, Frieden zwischen den Religionen zu forcieren, durchziehen nicht nur die theologischen Fachdisziplinen.267 Zudem sind in diesem Kontext auch mögliche Zusammenhänge von Religion und Unfrieden höchst brisante Themen. Aus den Nachbardisziplinen wie der Grundschulpädagogik sowie der politischen Bildung sind also bereits Konzepte und Untersuchungen vorhanden, die auch für religionspädagogische Friedensbildungsprozesse von Bedeutung sein können. Jedoch fehlt es an einer dezidierten religionspädagogischen Sichtung der Vorstellungen von Kindern auf Frieden und Unfrieden – mit Ausarbeitung der entsprechenden Konsequenzen für schulische, religiöse Bildung.268 Zusammenfassend kann demnach festgestellt werden: Das Selbstverständnis der Religionspädagogik mit ihren ethischen und auch friedenstiftenden Elementen, deren Weiterentwicklung und das Bildungsverständnis der Kirchen erfordern evaluative Begleitung. Die EKD setzt in ihrer Friedensdenkschrift die Erziehung und Bildung zum Frieden als zentrales Ziel christlicher Friedensbemühungen.269 Und auch in Anbetracht eines konstruktivistischen Bildungsbegriffes, in dem die Lebenswelt und die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler in den Vordergrund treten sollen270, müssen aus religionspädagogischer Perspektive neue Forschungen mit Kindern der Primarstufe zu deren Friedensvor265 Vgl. die entsprechenden Studien in Kapitel 3.2.2. 266 Vgl. McLernon/Cairns 2001, 50. 267 Vgl. bspw. Biess, C./Nolden, D.: Peace Education meets Religion. Manual for Multipliers, Berlin 2021, 12. 268 Dass derartige Akzentuierungen innerhalb des nationalen Diskurses aktuell bedeutsam sind, zeigen verschiedene in jüngerer Vergangenheit erschienene Publikationen, wie zum Beispiel: Naurath 2022a, 143f.; Dies. 2022b, 2f.; Freitag-Parey, M./Müller, J.: Wir müssen reden! Die Themen »Krieg, Frieden, Heimat und Flucht« in der Grundschule, in: Loccumer Pelikan 4 (2018), 39–43.; Mokrosch, R./Spiegel, E. (2018); sowie auch das folgende, laufende Habilitationsprojekt: Caspary, C. : Frieden als Thema der Religionspädagogik. Abrufbar unter: https://gwr.education/2021/09/23/frieden-als-thema-der-religions paedagogik-2/ (aufgerufen am: 28. 2. 2023). 269 Vgl. Evangelische Kirche Deutschland 2007, 36f. 270 Vgl. Hallitzky, M./Seibert, N.: Didaktische Konzepte und Modelle, in: Apel H. J./Sacher W. (Hrsg.): Studienbuch Schulpädagogik (UTB Bd. 2949), Bad Heilbrunn 42009, 211–240, 225f.

Wie Kinder im Grundschulalter Frieden lernen können

81

stellungen auf den Plan treten. Diese Aspekte zusammengenommen, fehlt es also an einer subjektorientierten Zusammenschau kindlicher Vorstellungen von Frieden und Unfrieden in religionspädagogischer Perspektive. Aus diesem Desiderat heraus entwickelt sich das Forschungsanliegen der vorliegenden Arbeit, die unter Rückgriff auf einen theoriebasierten Friedensbegriff Impulse für eine schülerinnen- und schüleradäquate Friedensbildung entwickeln möchte.

4.

Charakterisierungs- und Definitionsversuche des Begriffs ›Frieden‹

In den vergangenen Kapiteln hat ›Frieden‹ in verschiedenen Facetten bereits großen Raum eingenommen. Mit der Beschreibung vergangener und gegenwärtiger friedenspädagogischer Zielsetzungen271 sind bereits Aspekte wie die konstruktive Konfliktbearbeitung und Vermeidung von Gewalt als Voraussetzung für gelingenden Frieden herausgestellt worden. Und auch die Faktoren, die Kinder laut verschiedener Studien mit Frieden in Verbindung bringen272, geben einen Rahmen vor, der zur Orientierung innerhalb theoriebasierter Konzeptionen dienen kann. Unter den bisherigen Vorannahmen wird nun der Begriff ›Frieden‹ in den Vordergrund gestellt. Hierzu wird zunächst – ausgehend von einer etymologischen Herleitung – für eine mehrdimensionale Betrachtungsweise des Begriffes argumentiert. Anschließend werden die verschiedenen Dimensionen des positiven und negativen Friedens in Augenschein genommen und Begründungen für die Prozesshaftigkeit des Phänomens dargelegt. Im Zuge dieser Ausführungen werden die Aspekte herausgestellt, die den Friedensbegriff dieser Arbeit maßgeblich bestimmen und für die anschließende Betrachtung der Bezugsbegriffe in Kapitel 5 von Bedeutung sind.

4.1

Die Mehrdimensionalität des Friedensbegriffs

In den Überlegungen verschiedener Disziplinen finden sich erste Möglichkeiten, Bedeutungsfacetten zu Frieden zu eröffnen. Ziel ist es, durch zentrale Annahmen zur Begriffsherkunft zu verdeutlichen, welche Dimensionen bei einer Annäherung an diese Thematik zu bedenken sind. Es wird sich zeigen, dass eine einheitliche Definition von Frieden nicht existiert und stets zu bedenken ist, von welcher Disziplin ausgegangen wird und welche Zielsetzungen einer Beschäftigung mit Frieden zugrunde liegen. So tangiert die Frage nach Frieden bei271 Vgl. Kapitel 2. 272 Vgl. Kapitel 3.2.2.

84

Charakterisierungs- und Definitionsversuche des Begriffs ›Frieden‹

spielsweise den politischen-öffentlichen Diskurs, indem Theorien und Konzepte zur Konfliktprävention und -begegnung geschaffen werden. Auf theologischer Grundlage liegen vermehrt friedensethische Prinzipien und moralische Folgerungen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Demnach ist Frieden von verschiedenen Gesichtspunkten aus zu betrachten, bezogen auf unterschiedliche Bezugsbegriffe zu beleuchten und definitorisch stets nur annähernd zu erfassen. Um sich den verschiedenen Dimensionen, die Frieden betreffen, anzunähern, kann der Bedeutungshorizont des Begriffs auf etymologischer Basis untersucht, sowie ein Blick in die Termini verschiedener Sprachen gerichtet werden. Die mittelhochdeutsche Herkunft des deutschen Begriffes ›Frieden‹ lässt sich auf vride zurückführen, was in seiner Verwendung mit Ruhe, Waffenstillstand, Sicherheit und Schutz einherging.273 Demnach erklärt sich bereits die Mehrdimensionalität von Frieden im Sinne eines subjektiven Gefühls der Ruhe und Sicherheit auf der einen Seite – zu Waffenstillstand und Schutz, welche Situationen der damaligen Sippen274 einbeziehen, auf der anderen. Dies zeigt zunächst, dass Frieden nicht als rein gesellschaftliche Angelegenheit gesehen werden wird. Vielmehr sollten personale, individuelle und affektive Faktoren des menschlichen Lebens mit einbezogen werden, um einen breiten, mehrperspektivischen Begriff von Frieden fassen zu können. Diese Gegebenheit wird umso deutlicher in der Auseinandersetzung mit den lateinischen, hebräischen und griechischen Pendants zu vride/Frieden. Wird beispielsweise die lateinische Pax des abendländischen römischen Imperiums betrachtet, ergibt sich in ihrem Zusammenhang ebenfalls die Bedeutungsfacette der Sicherheit oder ›securitas‹.275 Hierbei ist besonders deutlich, dass securitas »[…] seit ihrem nachweisbaren Auftreten die Existenz der Institution Staat voraus[setzt]«276, womit die Sicherheit in Bezug zu politischem wie militärischen Frieden gesetzt werden kann. Im Gegensatz dazu lässt sich der hebräische Begriff Schalom (‫ ) ָשׁלוֹם‬auf eher affektive und subjektive menschliche Faktoren beziehen. Huber und Reuter fassen den hebräischen Begriff unter »Frieden als Lebensform«277 und grenzen ihn demnach von »Frieden als Herrschaftsordnung«278, die sich durch Pax aus-

273 Vgl. Lexer, M.: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. VZ-Z. Nachträge (Bd. 3), Stuttgart 1979, Sp. 508. 274 Vgl. Kluge, F./Seebold, E.: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin/ Boston 252011, 318. 275 Vgl. z. B. Grimm, J./Grimm, W.: Deutsches Wörterbuch. (Bd. 4 Forschel – Gefolgsmann), Leipzig 1878, Sp. 182. 276 Dietrich, W.: Variationen über die vielen Frieden. (Bd. 1: Deutungen) (Schriften des UNESCO Chair for Peace Studies der Universität Innsbruck), Wiesbaden 2008, 153. 277 Huber, W./Reuter, H.-R.: Friedensethik, Stuttgart 1990, 35. 278 Ebd., 31.

Die Mehrdimensionalität des Friedensbegriffs

85

drückt, ab.279 Schalom drücke also ein »den ganzen Menschen, seinen Leib, seine Seele, die Gemeinschaft, die Gruppe, die natürliche Mitwelt, ja alle Beziehungen, in denen er lebt, umgreifendes Heilsein und Wohlergehen«280 aus. Zu dem Einbezug des leiblichen und seelischen Wohlergehens umfasst der hebräische Terminus darüber hinaus in seiner alttestamentlichen Verwendung den Aspekt der Gerechtigkeit. Lässt sich im deutschen Sprachgebrauch noch kein direkter Zusammenhang zwischen dem theologisch aufgeladenen Begriff 281 der Gerechtigkeit mit Frieden erkennen, liegen diese beiden Bedeutungsfacetten im Schalom »eng beisammen«282, mehr noch: Huber und Reuter postulieren, Frieden und Gerechtigkeit griffen fast ununterscheidbar ineinander.283 Der griechische Friedensbegriff eirene (ει᾿ρήνη) beinhaltet diesen Zusammenhang in seiner ursprünglichen Bedeutung nicht. Vielmehr wurde dieses Wort im Horizont des Krieges verwendet und definierte die Zeitspanne des Nicht-Krieges, verstanden als »Ruhe nach und vor dem Sturm«284 und ohne größeren Stellenwert in einer von Krieg(stugenden) geprägten antiken, griechischen Gesellschaft.285 Ein Paradigmenwechsel der Bedeutung des Begriffs eirene vollzog sich mit dessen Verwendung im Neuen Testament, wodurch sich Frieden als »wirksamer Zuspruch des leibhaftigen Heils«286 etablierte und somit eine christlich-theologisch geprägte Zuspitzung erfuhr. Es ist nun von Bedeutung, diese verschiedenen Facetten, die aus den Wortbedeutungen und -ursprüngen von Frieden erwachsen, in Einklang zu bringen. Eine Möglichkeit des Zugangs zu einem systematisierten Friedensbegriff ist die viel rezipierte Einteilung Johan Galtungs in positiven und negativen Frieden. Dabei wird negativer Frieden primär als die Abwesenheit von personaler Gewalt definiert, welche ein friedvolles Leben verhindert, während der positive Frieden auch die Aspekte der strukturellen Gewalt aufgreift.287 Es wurde herausgestellt, dass Frieden/vride/eirene in einem politischen und militärischen Zusammenhang mit Krieg gebracht werden kann. Somit wäre ein negativer Friedensbegriff, wie er auch »in seiner ursprünglichen und primären Bedeutung«288 verstanden wird, die Abwesenheit von Krieg. Ausgehend vom securitas-/Sicherheits- und 279 280 281 282 283 284 285 286 287

Vgl. ebd., 31–35. Ebd., 35. Näheres hierzu wird in Kapitel 5.1.2.1 konkretisiert. Dietrich 2008, 117. Vgl. Huber/Reuter 1990, 35. Ebd., 28. Vgl. Dietrich 2008, 140. Huber/Reuter 1990, 41. Vgl. Galtung, J.: Strukturelle Gewalt. Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung, Reinbek 1975, 32.; sowie Kapitel 5.4 in dieser Arbeit. 288 Lexikonredaktion des Verlags F.A. Brockhaus: Der Brockhaus Politik. Ideen, Systeme und Prozesse, Mannheim 2008, 174.

86

Charakterisierungs- und Definitionsversuche des Begriffs ›Frieden‹

Schutzaspekt, der durch vride/pax zum Ausdruck kommen, wäre zu überlegen, inwieweit auch die Abwesenheit von weiteren (direkten) Gewaltformen und Konflikt in politischer wie aber auch individuell menschlicher Beziehung als Dimension von Frieden auf den Plan treten kann. In Bezug auf den positiven Friedensbegriff ist die Frage zu stellen, inwiefern Gerechtigkeit als Voraussetzung für gelingenden Frieden – im Sinne von Schalom – genauer zu betrachten ist. Dabei ist auch die theologische, genuin die christlich-neutestamentliche, Akzentuierung des eirene-Begriffs mit einzubeziehen. Diese Herleitungen verdeutlichen die Mehrdimensionalität von Frieden und die Notwendigkeit, den Begriff von verschiedenen Seiten her zu betrachten.

4.2

Ambiguität der Betrachtungsweise von Frieden – der Versuch einer Definition

Für den Friedensbegriff der vorliegenden Arbeit wird dessen Betrachtung auf mehrere Ebenen erweitert. Bedeutsam ist hierbei zunächst die Begriffsklärung, wie sie nach Galtung vorliegt. Der Friedens- und Konfliktforscher definiert Frieden ausgehend von Gewalt und stellt eine weite Definition auf, die auf seinen Ausführungen zur strukturellen Gewalt basiert: »Ein erweiterter Begriff von Gewalt führt zu einem erweiterten Begriff von Frieden: Frieden definiert als Abwesenheit von personaler Gewalt und Abwesenheit struktureller Gewalt. Wir bezeichnen diese beiden Formen als negativen Frieden bzw. positiven Frieden.«289

Auch, wenn diese Definition nicht kritikfrei bleibt290, zeigt sie die Notwendigkeit einer weiten Betrachtung von Frieden – im Zusammenhang mit Gewalt. Hierbei kann die Gefahr entstehen, dass eine griffige Unterscheidung und Beschreibung des Phänomens ›Frieden‹ nicht mehr möglich sind. Deshalb wird vonseiten der Friedens- und Konfliktforschung die Trennung von Friedensbegriff und Friedensursachen als relevant herausgestellt.291 Es kann allerdings postuliert werden, dass »Friede […] sich nicht in der Abwesenheit von Gewalt [erschöpft], sondern […] ein Zusammenleben in Gerechtigkeit zum Ziel«292 hat. Innerhalb des Forschungsstandes hat sich ebenfalls bereits gezeigt, dass vonseiten der Heran289 Galtung 1975, 32. 290 Sowohl für den positiven als auch für den negativen Friedensbegriff finden sich verschiedene Kritikerinnen und Kritiker: vgl. hierzu Werkner, I.-J.: Zum Friedensbegriff in der Friedensforschung, in: Werkner I.-J./Ebeling K. (Hrsg.): Handbuch Friedensethik, Wiesbaden 2017, 19–32, 24. 291 Vgl. a. a. O. 292 Evangelische Kirche Deutschland 2007, 54, Ziff. 80.

Ambiguität der Betrachtungsweise von Frieden – der Versuch einer Definition

87

wachsenden verschiedene Herangehensweisen und Vorstellungen bezüglich Frieden vorliegen.293 Es braucht, um diese in Gänze betrachten zu können, einen weiten Begriff, der Frieden mehrdimensional denkt. Personale Gewalt meint zum Beispiel kriegerische Auseinandersetzungen. Die Abwesenheit struktureller Gewalt wird demgegenüber in erster Linie durch das Vorhandensein von (sozialer) Gerechtigkeit beschrieben. Ausgehend von diesen Einzelfaktoren lassen sich demnach wiederum verschiedene Ebenen eröffnen, die mit den im vorherigen Kapitel beschriebenen Bezugsbegriffen in Verbindung stehen und in den Folgekapiteln genauer betrachtet werden. Zudem wird vorausgesetzt, dass Frieden sowohl im Nahraum als auch gesellschaftlich und global/international von Bedeutung ist und auch auf diesen verschiedenen Ebenen eingeordnet werden sollte. Das bedingt einen zusätzlichen Einbezug der Kategorien Mikro-, Mesound Makroebene. Abbildung 2 zeigt die Struktur, die hier zugrunde gelegt wird:

Gesellschaftliche Dimension Bspw. ökologische Gerechtigkeit innerhalb eines Staates

Internationale Dimension

Internationale Dimension

Bspw. international gültige Menschenrechte

Bspw. Abwesenheit von Krieg

Positiver Frieden Vorhandensein friedensförderlicher Faktoren

Negativer Frieden Abwesenheit friedensschädigender Faktoren

Interpersonale Dimension

Interpersonale Dimension

Bspw. Freundschaften, Familie

Bspw. Abwesenheit von Streit

Gesellschaftliche Dimension Bspw. Abwesenheit struktureller Gewalt

Abbildung 2: Mehrdimensionalität von positivem und negativem Frieden

Die Grafik verdeutlicht den Orientierungsrahmen, der angesichts der verschiedenen Ebenen eines mehrdimensionalen und interdisziplinären Friedensbegriffs notwendig erscheint. Positiver Frieden wird dabei, angelehnt an die Ausführungen Galtungs, als Abwesenheit struktureller Gewalt definiert, während demgegenüber negativer Frieden jegliche Formen personaler Gewalt negiert. Es wird davon ausgegangen, dass das Bemühen um negativen und positiven Frieden gleichermaßen notwendig ist, um Friedensprozesse in Gang zu bringen, die nachhaltig wirksam sind. Allein von der Negation des Friedens als Abwesenheit von Krieg auszugehen, würde einen Friedensbegriff zu eng fassen, wie es beispielsweise in »der Zeit der Ost-West-Konfrontation, in der Krieg durch nukleare

293 Vgl. Kapitel 3.2.2.

88

Charakterisierungs- und Definitionsversuche des Begriffs ›Frieden‹

Abschreckung vermieden werden sollte«294 sichtbar wurde. Nicht Krieg war hier die Auswirkung des Unfriedens, sondern »organisierte[…] Friedlosigkeit«295. Zu diesem Nebeneinander des positiven und negativen Friedens wird zusätzlich angestrebt, die Dimensionen ›Oben‹ und ›Unten‹ mit in die Überlegungen hineinzunehmen. Gemeint ist hiermit, die unterschiedlichen Friedensdimensionen auf ihre Bedeutung hin jeweils im Nahraum (personal296), gesellschaftlich und global zu betrachten. Somit kann ein weiterer Orientierungsrahmen geschaffen werden, indem beispielsweise Kriege der globalen beziehungsweise internationalen Dimension zugeordnet werden können. Demgegenüber stehen zum Beispiel interpersonale Konflikte (Streit), die sich nicht zwischen Staaten/staatlichen Strukturen, sondern Einzelpersonen manifestieren und somit anderer Konnotation beziehungsweise Auslegung bedürfen. Eine solche Einteilung kann niemals endgültig erfolgen, da sich nicht alle Phänomene, die Frieden und Unfrieden betreffen, in ein solches Raster einteilen lassen. Zudem sind noch weitere Faktoren in der Betrachtung hilfreich, wenn nicht gar erforderlich, wie beispielsweise der von Galtung betonte Aspekt der Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit von Gewalt.297 Ausgehend von einer fachdidaktischen Ausrichtung, der diese Arbeit folgt, ist es hilfreich, den oben dargestellten Orientierungsrahmen zu bieten, um sich der Mehrdimensionalität von Frieden, der sich innerhalb der (religiösen) Friedensbildung und -erziehung gestellt werden muss, zunächst begrifflich anzunähern. Dabei wird allerdings nicht davon ausgegangen, dass positiver und negativer Frieden, ebenso wenig wie die Mikro-, Meso- und Makroebene, klar voneinander trennbar sind. Im Gegenteil: Sich Frieden anzunähern, bedeutet, stets alle diese Ebenen mit in den Blick zu nehmen.

4.2.1 Ein Bild von Frieden – zur Bedeutung eines positiven Friedensbegriffs (Positiver) Frieden gilt als »theologischer Fundamentalbegriff«298. Demnach wird auch der Friedensbegriff Augustins, der einer eschatologischen Ausrichtung folgt, als Vorläufer des positiven Friedens beschrieben.299 Augustinus formuliert 294 Werkner 2017, 24. 295 Vgl. Senghaas, D.: Abschreckung und Frieden. Studien zur Kritik organisierter Friedlosigkeit, Frankfurt am Main 31981, 29f. 296 Personal meint dabei sowohl intrapersonale wie interpersonale Begebenheiten und Prozesse. Dabei besitzen interpersonale Prozesse in den folgenden Ausführungen insgesamt einen höheren Stellenwert, da sich diese im bisherigen Forschungsstand als relevant zeigen. Aspekte, die den ›inneren Frieden‹ in einem intrapersonalen Verständnis betreffen, werden nur am Rande thematisiert. 297 Vgl. Galtung, J.: Frieden mit friedlichen Mitteln. Friede und Konflikt, Entwicklung und Kultur, Münster 22007, 348. 298 Lämmermann 2005, 260.

Ambiguität der Betrachtungsweise von Frieden – der Versuch einer Definition

89

in seinem Werk »Vom Gottesstaat« die biblisch begründete Hoffnung nach dem Reich Gottes, in dem ewiger und letztgültiger Frieden einkehren wird: »So könnten wir denn sagen, unser höchstes Gut oder […] das ewige Leben sei der Friede […]. Doch da man von Frieden häufig auch im Bereich des vergänglichen Daseins spricht, wo es doch kein ewiges Leben gibt, wollten wir […] lieber das ewige Leben als Frieden nennen. […] Denn solch großes Gut ist der Friede, daß [sic!] man auch im Bereich der irdischen und vergänglichen Dinge nichts Lieberes hören, nichts Erwünschteres begehren, endlich auch nichts Besseres finden kann.«300

Im Diesseits sieht er »den Frieden gleichsam als Ergebnis der Hinwendung zu Gott.«301 Dennoch kann letztlicher, endgültiger und wahrer Friede im Leben auf Erden als Utopie beschrieben werden, da er nur durch Gottes Gerechtigkeit und Wirken am Ende aller Zeiten möglich sei. Mit Kant erfährt diese Ausrichtung auf den ewigen, eschatologischen Frieden eine starke Verweltlichung. Der Philosoph bringt Frieden mit der Demokratie von Staaten in einem föderativen System in Verbindung und bindet »die Garantie des Friedens an das Gewaltmonopol des Staates«302. Somit gerät die göttliche Gerechtigkeit als Voraussetzung positiven Friedens zugunsten der sozialen Gerechtigkeit in den Hintergrund. Dennoch kann festgehalten werden: »Der utopische Charakter des eschatologischen Friedensbegriffes, der den Frieden in Verwirklichung einer wahren und gerechten Ordnung ansieht, lebt in allen pazifistischen Strömungen und auch im Begriff des positiven Friedens fort.«303

Im gegenwärtigen Diskurs wird diesbezüglich positiver Frieden als Abwesenheit struktureller Gewalt wahrgenommen. Durch deren Komplexität304 ist positiver Frieden verbunden mit Faktoren, die für die Kontrolle der Gewalt ausschlaggebend sind. Galtung bezeichnet »die Abwesenheit struktureller Gewalt […] als soziale Gerechtigkeit.«305 Er setzt hier einige Aspekte fest, wonach ›positiv‹ nicht wertend aufgefasst werden soll, sondern das ›dringende Vorhandensein‹ von Zuständen beschreibt, die für Frieden nötig sind – in erster Linie die Zustände, die soziale Gerechtigkeit bedingen. Dadurch, dass strukturelle Gewalt nicht immer in direkter Gewalt gipfelt, also nicht unbedingt im Krieg oder in aktiver körperlicher Gewaltanwendung ersichtlich ist, ist die Entgegensetzung des po-

299 Vgl. Bonacker, T./Imbusch, P.: Zentrale Begriffe der Friedens- und Konfliktforschung: Konflikt, Gewalt, Krieg, Frieden, in: Imbusch P./Zoll R. (Hrsg.): Friedens- und Konfliktforschung. Eine Einführung, Wiesbaden 42006, 67–142, 127. 300 Augustinus, A.: Vom Gottesstaat. Buch 11–22 (Bd. 2), Zürich/München 21978, 546f. 301 Bonacker/Imbusch 2006, 127. 302 Ebd., 128. 303 A.a.O. 304 Näheres hierzu wird in Kapitel 5.4 konkretisiert. 305 Galtung 1975, 32.

90

Charakterisierungs- und Definitionsversuche des Begriffs ›Frieden‹

sitiven Friedens eher »Unfrieden«306. Daraus folgt das Ziel, die möglichen Ursachen für Unfrieden zu beseitigen.307 Ausgehend von diesen Ausführungen kann positiver Frieden also angelehnt an Galtung zusammenfassend als die Abwesenheit struktureller Gewalt verstanden werden. Diese Betrachtung schließt aber eben jene Faktoren mit ein, die dringend vorhanden sein müssen, um diese Abwesenheit zu gewährleisten. Es wurde bereits herausgestellt, dass (soziale) Gerechtigkeit als einer dieser Faktoren verstanden werden kann. Um strukturelle Gewalt zu minimieren sind zudem weitere Aspekte von Bedeutung, weshalb positiver Frieden »durch ein ganzes Bündel anderer Begriffe umschrieben werden [kann]: Toleranz, Vorurteilsfreiheit, Wahrheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit, Gerechtigkeit im engeren Sinn, Liebe, Versöhnung, Güte«308 und viele weitere. Positiver Frieden wird deshalb innerhalb dieser Arbeit als Abwesenheit struktureller Gewalt verstanden, die das dringende Vorhandensein friedensfördernder Aspekte bedingt.

4.2.2 Ein Bild von Unfrieden – zur Bedeutung eines negativen Friedensbegriffs Negativer Frieden beschreibt die »Abwesenheit von [personaler] Gewalt«309. ›Negativ‹ beschreibt hier ebenfalls nicht etwa eine Wertung, ist also im Vergleich zum positiven Frieden nicht ›schlechter‹ konnotiert, sondern meint die ›Negation‹, also das ›nicht-Vorhandensein‹ dieser Gewalt. Ziel des Erreichens eines solchen Friedens ist die Minimierung beziehungsweise letztendlich die Auflösung und Einhegung der direkten Gewalt. Die Auffassung des negativen Friedens wird auch, in Abgrenzung vom positiven Pendant, als »enge[r] Friedensbegriff«310 bezeichnet. Kritikerinnen und Kritiker des positiven Friedensbegriffes geben an, dass dieser zu weit greifen würde, gerade angesichts der Bedrohungen und des Ausbruchs direkter Gewaltformen.311 Demnach sei es ratsam, zunächst die Bedingungen des negativen Friedens zu eruieren, ein positiver Friedensbegriff sei angesichts dieser Lage in gewisser Weise anachronistisch.312 Letztlich kann sich allerdings denjenigen Positionen angeschlossen werden, die beides – negativen und positiven Frieden – gleichermaßen bedenken. Diesbezüglich kann auf das Argument der Komplexität des Phänomens Friedens verwiesen 306 307 308 309 310 311 312

Werkner 2017, 22. Vgl. Bonacker/Imbusch 2006, 131. Lämmermann 2004, 355. Galtung 1975, 32. Bonacker/Imbusch 2006, 132. Vgl. a. a. O. Vgl. a. a. O.

Ambiguität der Betrachtungsweise von Frieden – der Versuch einer Definition

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werden, die eine mehrperspektivische und eben komplexe Herangehensweise bedingt.313 Negativer Frieden ist dabei die grundlegende und in ihrer ursprünglichen Form vorliegende Vorstellung von Frieden. Sie beinhaltet, wie gesagt, die Abwesenheit der direkten/personalen – verstanden als physische – Gewalt. Dieser enge Friedensbegriff kann als bedeutend für die fachdidaktische Ausrichtung dieser Arbeit gesehen werden, da, wie bereits innerhalb des Forschungsstandes deutlich wurde, die Charakterisierung von Frieden häufig via negationis erfolgt. Frieden zu beschreiben als ›Abwesenheit von Krieg‹, ›Abwesenheit direkter Gewalt‹ und ›Abwesenheit von Gefühlen wie Angst und Sorge‹ ist meist der erste Zugang zu einem derart komplexen Begriff. Verkürzt, aber angelehnt an den erweiterten Friedensbegriff nach Galtung, wird also im Folgenden negativer Frieden als bedingt durch die Abwesenheit friedenschädigender, weil gewaltvoller, Faktoren aufgefasst.

4.2.3 Ein unfertiges Bild – zur Prozesshaftigkeit von Frieden Über das Zusammenspiel von negativem und positivem Frieden hinaus, wird außerdem davon ausgegangen, dass Frieden »kein Zustand, sondern ein gesellschaftlicher Prozess«314 ist. Dieses Postulat der Prozesshaftigkeit setzt voraus, dass verschiedene Aspekte herauszustellen sind, die den Weg des Friedens begünstigen. Die EKD hat in ihrer Denkschrift vier solcher Aspekte friedensfördernder Prozesse definiert. Die Friedensforschenden Dieter Senghaas und Eva Senghaas-Knobloch stellten ebenfalls vier solcher Erfordernisse für den Frieden heraus, die als »Dimensionen des Friedens«315 bezeichnet wurden und sich inhaltlich weitestgehend mit den Aspekten der EKD decken. Schutz vor Gewalt Folgt man der Definition Galtungs, der Frieden ausgehend von einem erweiterten Gewaltbegriff definiert, wird dieser Aspekt als Bedingung für Frieden zuerst in den Vordergrund geraten. Frieden als Zustand, in dem keine personale, strukturelle oder kulturelle Gewalt herrscht, setzt voraus, dass es eine Instanz gibt, die vor Gewalt schützt. Diese ist innerstaatlich in einem Gewaltmonopol realisiert.316 313 Vgl. ebd., 133. 314 Evangelische Kirche Deutschland 2007, 54, Ziff. 80. 315 Vgl. Senghaas, D./Senghaas-Knobloch, E.: Dimensionen des Friedens, in: Werkner I.-J./ Ebeling K. (Hrsg.): Handbuch Friedensethik, Wiesbaden 2017, 33–42. 316 Vgl. Evangelische Kirche Deutschland 2007, 54, Ziff. 81.; Senghaas/SenghaasKnobloch 2017, 35.; An dieser Stelle zeigt sich die enge Verknüpfung der vier Dimensionen

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Charakterisierungs- und Definitionsversuche des Begriffs ›Frieden‹

Die Prozesshaftigkeit zeigt sich hierbei dadurch, dass ein solches Gewaltmonopol immer wieder neu überprüft werden muss und auch selbst den Friedensprozess stets weiter ankurbeln sollte.317 Förderung der Freiheit Eine weitere Voraussetzung für gelingende Friedensprozesse ist die kontinuierliche Förderung der menschlichen Freiheit.318 Die christliche Kirche favorisiere dabei ein positives Verständnis der Freiheit zur Kommunikation und Kooperation.319 Dies begründet auch die Chance, die einem Frieden in Freiheit zugesprochen wird, da somit ein geschütztes Zusammenleben ohne Gewalt angestrebt werden kann. Allerdings kann, anders als bei der alleinigen Betonung des ›Schutzes‹320 der Freiheit, das prozesshafte und dauerhafte Bemühen um eine Maximierung der Freiheit herausgestellt werden. Abbau von Not Der Abbau von Not – bei Senghaas der »Schutz vor Not«321 – zeigt die starke Relevanz des Einbezugs der sozialen Gerechtigkeit in die Überlegungen. Somit wird die ungleiche Verteilung von Ressourcen offenkundig eng mit Unfrieden verbunden. In Bezug auf den Friedensprozess bedeutet somit der kontinuierliche Abbau von Not Folgendes: »Zum einen setzt er die Bewahrung der für menschliches Leben natürlichen Ressourcen voraus; zum anderen müssen Ungerechtigkeiten in der Verteilung materieller Güter und des Zugangs zu ihnen verringert werden.«322

317 318 319 320 321 322

des Friedens mit dem sogenannten Zivilisatorischen Hexagon nach Senghaas, in dem in den sechs folgenden Punkten Bedingungen für gelingenden Frieden formuliert sind: (1) Gewaltmonopol, (2) Interdependenzen und Affektkontrolle, (3) Verteilungsgerechtigkeit, (4) Kultur konstruktiver Konfliktbearbeitung, (5) politische Teilhabe, (6) Rechtsstaatlichkeit. vgl. Senghaas, D.: Zum irdischen Frieden. Erkenntnisse und Vermutungen (Edition Suhrkamp Bd. 2384), Frankfurt am Main 2004, 33ff. Vgl. Senghaas/Senghaas-Knobloch 2017, 35. Vgl. Evangelische Kirche Deutschland 2007, 55, Ziff. 82. Vgl. a. a. O. Vgl. Senghaas/Senghaas-Knobloch 2017, 35f. Ebd., 36.; Hervorhebung im Original. Evangelische Kirche Deutschland 2007, 55; Ziff. 83.

Ambiguität der Betrachtungsweise von Frieden – der Versuch einer Definition

93

Anerkennung kultureller Verschiedenheit Dieser Aspekt beschäftigt sich als einziger der genannten auch mit zwischenmenschlichen, interpersonalen Beziehungen eines Individuums mit einem anderen – eine Voraussetzung, die eine »friedensförderliche Alltagskultur«323 bedingt. Die restlichen Aspekte betreffen vor allem die gesellschaftlichen und globalen Meso- und Makroebenen. Als zentrale Werte können diesbezüglich »Toleranz, Kompromissbereitschaft, Sensibilität für Spielregeln und insbesondere […] Empathie«324 herausgestellt werden. Die EKD argumentiert mit der »gleichen personalen Würde aller Menschen«325, die innerhalb der gesellschaftlich, weltanschaulich und kulturell pluralen Weltgesellschaft eine »gleichberechtigte Koexistenz«326 begründen sollte. Durch die Anerkennung der Würde aller Mitmenschen wird somit dem Individuum die Ausbildung eines in sich ruhenden Selbstwertgefühls ermöglicht.327 In Verbindung mit einer »konstruktiven Konfliktkultur«328 kann die kontinuierliche Anerkennung kultureller Verschiedenheit einen weiteren Schritt auf dem Weg zu Frieden bedeuten. Ausgehend von diesen Annäherungsversuchen an einen mehrdimensionalen Friedensbegriff, die dessen Ambiguität klar verdeutlichen, wird folgende Zusammenfassung als grundlegend für diese Arbeit konstatiert: Frieden wird als mehrdimensionales Phänomen verstanden, das die interpersonale, gesellschaftliche und internationale Ebene menschlichen Zusammenlebens gleichermaßen betrifft und durchzieht. Friedensprozesse zeichnen sich durch die Minimierung von personaler, struktureller und kultureller Gewalt in Mikro-, Meso- und Makrodimension und somit durch das Bemühen um Abwesenheit von Krieg und gewaltsam ausgetragenen Konflikten aus. Gleichzeitig wird innerhalb dieser Prozesse eine Maximierung der Gerechtigkeit auf allen Ebenen angestrebt, die beispielsweise die konstruktive Konfliktbearbeitung, aber auch individuelle sowie interpersonale Friedensförderungsprozesse beinhalten kann.

323 324 325 326 327 328

Senghaas/Senghaas-Knobloch 2017, 37. A.a.O. Evangelische Kirche Deutschland 2007, 56, Ziff. 84. A.a.O. Vgl. a. a. O. A.a.O.

5.

Friedenspädagogische Grundlagen in interdisziplinärer Perspektive – Relevante Zusammenhänge zu Frieden und Unfrieden

Ausgehend von der Charakterisierung von Frieden als mehrdimensionalem Phänomen, das verschiedene Ebenen menschlichen Zusammenlebens tangiert, sind verschiedene Bezugs- und Relationsbegriffe vermehrt zum Tragen gekommen. Im Verständnis eines positiven Friedens tritt der Begriff der Gerechtigkeit in den Vordergrund. Es hat sich bereits gezeigt, dass diese innerhalb der biblischen Überlieferungen in engem Zusammenhang mit Schalom steht. Die Korrelation von sozialer Gerechtigkeit in politisch-demokratischen Bildungsprozesse, wie sie beispielsweise die Friedens- und Konfliktforschung sowie auch die EKD329 betonen, verdeutlicht zweierlei: Zum einen benötigt es einen interdisziplinären Zugang, um Frieden in all seinem Dimensionen, und im Spezialfall in seiner Verbindung mit Gerechtigkeit, zu durchdringen. Zum anderen muss, wenn Frieden stets im Zusammenhang mit Gerechtigkeit zu verstehen ist, ebendiese auch einer Begriffsklärung unterzogen werden. Ähnlich verhält es sich mit den Termini, die innerhalb des negativen Friedens in Augenschein genommen werden. Negativer Frieden als Abwesenheit direkter Gewalt lässt die Notwendigkeit der Betrachtung von Kriegen aufkommen. Zudem ist zu fragen, inwieweit die Abwesenheit von Konflikten, die in ihrer Zuspitzung in kriegerischen Auseinandersetzungen gipfeln können, Voraussetzung negativen Friedens sein kann. Da Friedensprozesse unter anderem den Schutz vor Gewalt330 beinhalten, wird auch diese genauer auf ihren Sinngehalt hin untersucht und durchdrungen. Demnach widmen sich die folgenden Ausführungen den vier Bezugsbegriffen von Frieden: Mit einer interdisziplinären Herangehensweise wird erläutert, was unter (1) Gerechtigkeit, (2) Konflikten, (3) Kriegen und (4) Gewalt zu verstehen ist, um davon ausgehend deren Korrelation mit Frieden zu eruieren. Mit jeweils anschließenden Explikationen religionspädagogischer Konsequenzen kann au-

329 Vgl. ebd., 54, Ziff. 80. 330 Vgl. Kapitel 4.2.4.

96

Friedenspädagogische Grundlagen in interdisziplinärer Perspektive

ßerdem die Tragkraft dieser mehrdimensionalen Herangehensweise innerhalb religiöser, friedensbildender Lernprozesse herausgestellt werden.

5.1

Ohne Gerechtigkeit kein Frieden?

Der Gerechtigkeit als Wert menschlichen Zusammenlebens liegt zugrunde, dass sie im Wesentlichen als unstrittig gesehen werden kann, »denn: Alle sprechen sich dafür aus.«331 Weiterhin ist allerdings zu bedenken, dass die Fragen um die Realisierung von Gerechtigkeit auf verschiedenen Ebenen keiner derart klaren Linie folgen. Grundsätzlich ist zu betonen, dass sie innerhalb verschiedener Fachdisziplinen einen hohen Stellenwert einnimmt. So ist Gerechtigkeit im politischen beziehungsweise gesellschaftlichen Diskurs eine leitende Instanz, »wenn nicht der zentrale normative Begriff der Politik.«332 Gleichzeitig gilt sie in ihrer Begriffsgeschichte ebenfalls als philosophischer und theologischer Leitbegriff; Günter Dux stellt diesbezüglich fest, dass das Postulat der Gerechtigkeit die Aura des Sakralen mit sich führe.333 Ausgehend von den verschiedenen (interdisziplinären) Facetten des Begriffs Gerechtigkeit, der keine einheitliche, beziehungsweise abschließende Definition besitzt334, muss vor allem geklärt werden, welche relevanten Zusammenhänge und Kongruenzen mit der Friedensthematik gezogen werden können. Bereits seit der Antike beschäftigt die Frage nach Gerechtigkeit das gesellschaftliche (und religiöse) Bewusstsein und Handeln der Menschen und ist »im abendländischen Denken ein zentrales moralisches Kriterium der Beurteilung sozialer und ökonomischer Verhältnisse […].«335 In dieser Hinsicht verwundert es nicht, dass Gerechtigkeit fest im deutschen Grundgesetz verankert ist und ein zentrales Kriterium der Achtbarkeit und Würde des Menschen darstellt. (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. (Art. 1 GG)

331 Ebach, J.: Weil das, was ist, nicht alles ist! (Theologische Reden Bd. 4), Bochum 1998, 146. 332 Lexikonredaktion des Verlags F.A. Brockhaus 2008, 174. 333 Vgl. Dux, G.: Historisch-genetische Theorie der Gesellschaft. Macht, Herrschaft, Gerechtigkeit, Wiesbaden 2019, 297. 334 Vgl. Lexikonredaktion des Verlags F.A. Brockhaus 2008, 174. 335 Kern, L.: Art. Gerechtigkeit, in: Lippert E./Wachtler G. (Hrsg.): Frieden. Ein Handwörterbuch (Studienbücher zur Sozialwissenschaft Bd. 47), Opladen 1988, 141–149, 141.

Ohne Gerechtigkeit kein Frieden?

97

Der erste Grundgesetzartikel bestätigt die Vermutung des Zusammenhangs von Frieden und Gerechtigkeit und bringt diesen in Verbindung mit der unantastbaren Würde und den daraus resultierenden unverletzlichen Menschenrechten. Diese rechtlich festgeschriebene Verpflichtung aller staatlichen Bemühungen für Frieden und Gerechtigkeit zeigt die notwendige Zusammengehörigkeit beider Phänomene.

5.1.1 Definition von Gerechtigkeit Über den Weg der positiven Definition von Frieden336 findet sich ebenfalls der klare Zusammenhang zur Gerechtigkeit, deren Werk der Friede sei.337 Der Blick in die Geschichte der Bemühungen um die adäquate Füllung des Begriffs ›Frieden‹ zeigt deutlich die variablen, interdisziplinären Darstellungen und Überlegungen zum Terminus ›Gerechtigkeit‹ über die Jahrhunderte hinweg. Auch die aktuelle Konzeption des sogenannten Gerechten Friedens338 – in Anlehnung an die Lehre vom gerechten Krieg – verdeutlicht: Christlich-abendländische Gerechtigkeitskonzeptionen haben bis heute Bedeutsamkeit und das gegenwärtige Verständnis des Begriffes gründet auf diesen. Deshalb wird im Folgenden verschiedenen derartigen Konzeptionen auf den Grund gegangen, indem zunächst das biblische – für den theologischen Gerechtigkeitsbegriff konstitutive – Gerechtigkeitsverständnis eruiert und daraufhin die zentralen Strukturierungs- und Definitionsversuche der sozialen Gerechtigkeit betrachtet werden. Auf Basis dieser Ausführungen kann für den Zusammenhang von Frieden und Gerechtigkeit, besonders innerhalb des Leitmotivs des gerechten Friedens plädiert werden, woraus sich konkrete Folgerungen für die Religionspädagogik ergeben. 5.1.1.1 Gerechtigkeit in der Bibel »Gerechtigkeit ist ein Schlüsselbegriff der biblischen Überlieferung, der alles umschließt, was eine heile Existenz des Menschen ausmacht. Er steht in der Bibel in Verbindung mit Frieden, Freiheit, Erlösung, Gnade, Heil.«339

336 Vgl. Kapitel 4.2.2. 337 Vgl. Czempiel, E.-O.: Der Friede – sein Begriff, seine Strategien, in: Koppe K. (Hrsg.): Der vergessene Frieden. Friedensvorstellungen von der Antike bis zur Gegenwart, Opladen 2001, 296–307, 296. 338 Näheres hierzu wird in Kapitel 5.1.3 konkretisiert. Die Lehre vom gerechten Krieg ist in Kapitel 5.3.2.3 erläutert. 339 Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland/Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 1997, 46.

98

Friedenspädagogische Grundlagen in interdisziplinärer Perspektive

Die zentrale Rolle von Gerechtigkeit (und Recht) im Ersten und Neuen Testament zeigt sich bereits in der häufigen Verwendung der hebräischen und griechischen Termini in den jeweiligen Originaltexten. Etymologisch lässt sich der hebräische Begriff ‫ – ְצ ָדָקה‬səda¯qa¯h des Ersten Testaments (sowie begrifflich verwandte ˙ Wörter340) mit Recht, Gemeinschaftstreue »in Relation zu einem Gegenüber«341 und vor allem mit der Gerechtigkeit Jahwes in Verbindung bringen. Die Herkunft des Begriffs weist auch auf die erste Eigenschaft hin, die einem alttestamentlichen Gerechtigkeitsverständnis zugrunde liegt. səda¯qa¯h besitzt in ihrer ursprüngli˙ chen Bedeutung eine Prozesshaftigkeit, die sich von feststehenden Normierungen unterscheidet und eben durch ihren variablen und wechselhaften Charakter einer ebenso dynamischen Beziehung zu einem oder mehreren Gegenübern begründet ist. »Gerechtigkeit kann wachsen und abnehmen, sie kann zugeschrieben und abgesprochen werden und bleibt damit letztlich unverfügbar.«342 Gerade diese Unverfügbarkeit ist im gesamtbiblischen Gerechtigkeitsverständnis ein zentrales Moment, das darin begründet liegt, dass alle Verfügung über Recht und Gerechtigkeit in erster Linie bei Gott liegt. Dass Gerechtigkeit und Gott in enger Korrelation zueinanderstehen, zeigt beispielsweise Ps 89,15, der bildhaft Gerechtigkeit und Gericht als »deines [Anm. JK: Gottes] Thrones Stütze«343 beschreibt. Zudem zeichnet sich in dieser Perikope exemplarisch der biblische Zusammenhang von Gericht bzw. Recht mit Gerechtigkeit ab, die vergleichbar auch im mesopotamischen und ägyptischen Umfeld zueinander in Relation stehen.344 Der Bedeutungskern von Gerechtigkeit, durchgesetzt durch und in Verbindung mit Recht/Gericht, manifestiert sich in einem Tun beziehungsweise Handeln, das in Unordnung Geratenes in Ordnung bringt.345 Hier zeigt sich in besonderer Weise die Korrelation mit dem alttestamentlichen Schalom-Begriff, der eben diesen »heilvollen Zustand«346 – ohne Unordnung – beschreibt.347 Witte 340 Vgl. Fischer, S. (2015): Art. Gerechtigkeit / Gerechter / gerecht (AT). In: Wissenschaftliches Bibellexikon (WiBiLex). Abrufbar unter: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/19316/ (aufgerufen am: 28.2.2023), 2f. 341 Ebd., 4. 342 Witte, M.: Von der Gerechtigkeit Gottes und des Menschen im Alten Testament, in: ders. (Hrsg.): Gerechtigkeit (UTB Bd. 3662), Tübingen 2012, 37–67, 39. 343 »Gerechtigkeit und Recht sind deines Thrones Stütze, Gnade und Treue treten vor dein Angesicht« (Ps 89,15). Für alle Bibelstellen innerhalb dieser Arbeit wurde folgende Bibelübersetzung herangezogen: Deutsche Bibelgesellschaft: Die Bibel. Nach Martin Luthers Übersetzung. Lutherbibel. Revidiert 2017. Mit Apokryphen, Stuttgart 2016. 344 Vgl. Witte 2012, 38. 345 Vgl. Mette, N. (2016): Art. Gerechtigkeit. In: Wissenschaftlich-Religionspädagogisches Lexikon (WiReLex). Abrufbar unter: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100209/ (aufgerufen am: 28. 2. 2023), 7. 346 Witte 2012, 39. 347 Vgl. Oberdorfer, B.: »Gerechter Frieden« – mehr als ein weißer Schimmel? Überlegungen zu einem Leitbegriff der neueren theologischen Friedensethik, in: Jäger S./Scheffler H.

Ohne Gerechtigkeit kein Frieden?

99

stellt darüber hinaus fest, dass sich innerhalb der alttestamentlichen Schriften vor allem zwei Relationen des Gerechtigkeitsbegriffs zeigen. Zum einen der bereits angesprochene Zusammenhang der Gerechtigkeit Gottes (vgl. beispielsweise Ps 71,2; Dtn 33,21348), die dessen Beziehung zur Welt, den Menschen und der Gesellschaft beschreibt349 und zudem als »Grundlage der zwischenmenschlichen Gerechtigkeit«350 gilt. Die Gerechtigkeit Gottes ist dabei charakterisiert als Teil seines Wesens, auf den vertraut werden kann und der ewiglich währt.351 Zum anderen Gerechtigkeit, die mit den Menschen in Verbindung steht, sich also wiederum auf deren Verhältnis zu Gott, anderen Mitmenschen und der Gesellschaft, in der sie leben, bezieht.352 In der Gottesebenbildlichkeit (Gen 1,26) des Menschen und dessen daraus resultierenden Freiheit ergibt sich das gerechte Handeln nach Jahwes Vorbild. Ebenso zeigt sich, dass innerhalb der bundestheologischen Argumentation, die auf Vertrauen gegenüber Jahwe fußt und dessen Gerechtigkeit in der Solidarisierung mit dem Volk Israels erkennt, göttliche Gerechtigkeit starke ethische Konsequenzen für die Menschen besitzt. »[…] Gott, der sich als vorrangig für die Unterdrückten und Schwachen Partei ergreifend offenbart hat«353 und dies auch innerhalb der Geschichte immer wieder tut, ermöglicht somit den Menschen, innerhalb ihrer Freiheit und Ebenbildlichkeit, ebenfalls für Andere – speziell Schwächere – einzutreten. Diese Gerechtigkeitsvorstellung korreliert mit der aus den synoptischen Erzählungen um Jesus Christus im Neuen Testament und weitet sich vor allem im Matthäusevangelium und zudem in den paulinischen Schriften um weitere Schwerpunktsetzungen aus. Dass Gerechtigkeit (in der Septuaginta: δικαιοσύνη – dikaiosyne¯)354 auch im Neuen Testament ein zentrales Motiv darstellt, zeigt bereits die Wortstatistik355, die darauf hinweist, dass es sich um einen »Leitbegriff

348

349 350 351 352 353 354 355

(Hrsg.): Frieden und Gerechtigkeit in der Bibel und in kirchlichen Traditionen (Politischethische Herausforderungen Bd. 1), Wiesbaden 12018, 13–30, 13; sowie Kapitel 4.1 in dieser Arbeit. »Errette mich durch deine Gerechtigkeit und hilf mir heraus, neige deine Ohren zu mir und hilf mir!« (Ps 71,2); »Und er ersah sich ein Erstlingserbe; denn daselbst war für ihn eines Anführers Teil. Und es versammelten sich die Häupter des Volks, und er vollstrecke die Gerechtigkeit des HERRN und seine Gerichte zusammen mit Israel.« (Dtn 33,21). Vgl. Witte 2012, 39. Fischer, S. (2015), 5. Vgl. a. a. O. Vgl. Witte 2012, 39. Mette, N. (2016), 8. Fischer, S. (2015), 13. Vgl. Bormann, L.: Gerechtigkeitskonzeptionen im Neuen Testament, in: Witte M. (Hrsg.): Gerechtigkeit (UTB Bd. 3662), Tübingen 2012, 69–97, 73f; vgl. auch Kertelge, K.: Art. δικαιοσύνη, in: Balz H./Schneider G. (Hrsg.): Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testa¯ phelimos, ment. Teil I: Aaro¯n – Heno¯ch, Teil II: Ex – Opso¯nion, Teil III: Pagideuo¯ – O Stuttgart 32011, Sp. 784–796.

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ersten Ranges«356 handelt. Auch bei näherer Untersuchung ist die Weiterführung der Relevanz und inhaltlichen Akzentuierung der alttestamentlichen Gerechtigkeitsbegrifflichkeit nicht zu übersehen. Gerechtigkeit ist demnach auch neutestamentlich stark theozentrisch geprägt und steht in enger Verbindung mit den Beziehungen zwischen Mensch und Gott beziehungsweise Mensch und Mensch.357 Anknüpfend an diese Vorstellung werden zwei zentrale Aspekte in den matthäischen und paulinischen Schriften deutlich, deren Gerechtigkeitsverständnis sich in die neutestamentliche Soteriologie und Christologie einfügt. Das Matthäusevangelium belegt den Zusammenhang der Verkündigung358 und des Lebens Jesu Christi mit Handlungsanweisungen zur Lebensführung für die Menschen. Hier setzen ethische Folgerungen an, die sich aus den neutestamentlichen Texten lesen lassen und auch relevante Zuspitzungen hinsichtlich friedvoller Lebensführung haben. In seinem Handeln in einer Zeit und Umwelt, die von einem starken Kontrast zwischen Arm und Reich – und somit von Ungerechtigkeit – geprägt ist359, setzt sich Jesus stets für die Schwächeren ein. Zusätzlich verbindet er diesen Einsatz und die konkrete gerechte Handlung beispielsweise im Gleichnis vom ›Weltgericht‹ (Mt 25, 31–46) mit der eschatologischen Erwartung des Heils.360 Damit ist die Botschaft, die sich aus der bundes- und schöpfungstheologischen Begründung des Ersten Testaments entwickelt hat, in Jesus personifiziert. In seiner Ankündigung des Reiches Gottes ist ebenfalls der Prozess hin zu einem Leben in Gerechtigkeit enthalten.361 Dieser Prozess ist stets »von unten her«362 – nicht durch das Eingreifen von oben – anzutreten. Jesus bietet hierfür ein Vorbild und stellt beispielsweise in der Bergpredigt363, aber auch in seiner konkreten Lebenspraxis ein Exempel auf. Er sieht dabei über Rangunterschiede hinweg, predigt und lebt die Wertschätzung und Gleichberechtigung gegenüber Minderheiten, Kindern und Frauen. Mit dieser Botschaft kann er als Vorreiter gerechten Verhaltens bezeichnet werden, und eröffnet den Menschen die »leitenden Maximen für das Zusammenleben«364: gegenseitiger Dienst und Solidarität. 356 Ebd., Sp. 785. 357 Vgl. Bormann 2012, 93. 358 Vgl. Rose, C. (2011): Art. Gerechtigkeit Gottes (NT). In: Wissenschaftliches Bibellexikon (WiBiLex). Abrufbar unter: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/59496/ (aufgerufen am: 28. 2. 2023), 13. 359 Vgl. Mette, N. (2016), 10. 360 Vgl. Ebach 1998, 193. 361 Vgl. »Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen« (Mt 6,33). 362 Mette, N. (2016), 10. 363 Vgl. »Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.« (Mt 5,6); sowie »Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich« (Mt 5, 10). 364 A.a.O.

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Soteriologische Begründungslinien zeichnen sich im Gerechtigkeitsverständnis der paulinischen Schriften – besonders im Römerbrief – ab.365 Es geht um die Gerechtmachung der Menschen vor Gott in der Präsenz der Sündhaftigkeit als Charakteristikum des Menschseins. Problematisch ist, dass die Sünde an sich »im kontradiktorischen Widerspruch zu der Gerechtigkeit Gottes«366 steht, womit Paulus’ Überlegungen zur Gerechtigkeit in die Rechtfertigung vor Gott übergehen. Die Macht der Sünde ließe sich, so seine Argumentation, durch den Kreuzestod und die Auferstehung Jesu zugunsten der Menschen auflösen. Durch das Opfer Jesu Christi wird allen Menschen die Gnade und Gerechtigkeit Gottes zuteil, wodurch eine Selbstrechtfertigung nicht mehr nötig sei: »Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie vor Gott haben sollen, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Jesus Christus geschehen ist.« (Röm 3,23f)

An dieser Stelle zeigt sich auch der biblische Zusammenhang von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit als Gott zuzuschreibende Eigenschaften, die voneinander abhängig sind. Auch, wenn »die biblische Tradition letzte Gerechtigkeit nur Gott zutraut«367, wird eines deutlich: Durch die Gerechtmachung, die den Menschen durch den barmherzigen Gott zuteilwird und sie vom Druck der Sünde befreit, ist eine Rechtfertigung allein durch den Glauben möglich. Daraus erwachsen wiederum Handlungsanweisungen, gerade, wenn die biblische Botschaft im Ganzen erfasst wird: Der gläubige Mensch handelt gemäß seiner Gottesebenbildlichkeit und seines jesuanischen Vorbilds gerecht, nimmt sich den Schwachen an und lebt sein Leben in Solidarität gegenüber anderen. Hintergrund ist das Vertrauen in die Gerechtigkeit Gottes, in die Rechtfertigung vor Gott und in das kommende Reich Gottes, das zu erreichen zwar »menschliches Vermögen«368 übersteigt, jedoch in der gerechten Lebenspraxis Anklang findet. 5.1.1.2 Systematische Entwicklungslinien im Lichte moderner Gerechtigkeitsvorstellungen Die biblischen Akzentuierungen bieten die Grundlage christlichen Gerechtigkeitsverständnisses und zeigen in besonderer Weise an, dass die theozentrische Ausrichtung der Gerechtigkeit einen besonderen Anstrich verleiht. Vor allem, 365 Vgl. Bormann 2012, 74. 366 Mette, N. (2016), 12. 367 Blasberg-Kuhnke, M.: Bildung zur Gerechtigkeit. Herausforderungen an das Gerechtigkeitslernen in Schule und Religionsunterricht, in: Graf U., et al. (Hrsg.): Werte leben lernen. Gerechtigkeit – Frieden – Glück (Werte-Bildung interdisziplinär Bd. 5), Göttingen, Niedersachs 2017, 221–232, 224; Hervorhebung im Original. 368 Mette, N. (2016), 11.

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um den modernen gesellschaftlichen Gerechtigkeitsbegriff zu verstehen, sind ebenfalls die praktisch-philosophischen und ethischen Konsequenzen antiker Vorstellungen von enormer Bedeutung. Sie beeinflussen darüber hinaus maßgeblich die moderne kirchliche Akzentuierung von Gerechtigkeit, die sich nicht ausschließlich auf die menschliche Beziehung zu Gott und dessen Gerechtigkeit bezieht, sondern vielmehr auch von Zielsetzungen hinsichtlich sozialer Gerechtigkeit innerhalb der Gesellschaft geprägt ist.369 Erste Überlegungen bieten in der griechischen Antike Aristoteles und Platon, die Gerechtigkeit als höchste aller Tugenden ansehen.370 Sie diene dazu »die Kardinaltugenden Klugheit, Tapferkeit und Besonnenheit […] ins richtige Verhältnis zu setzen.«371 Jeweils mit eigenen Zielsetzungen – Platon mit Sicht auf Gerechtigkeit im Menschen selbst und Aristoteles mit Blick auf die Unterscheidung zwischen individueller und gesellschaftlicher Gerechtigkeit372 – entwickelt sich aus deren Überlegungen eine je eigene Differenzierung von Gerechtigkeit. Grundlegend ist die Wurzel des Grundsatzes suum cuique (Jedem/Jeder das Seine/Ihre), begründet in der menschlichen »Freiheit des Handelns«373 und zu bewerten als ethischer Grundsatz. Für eine Ausdifferenzierung gemäß den individuellen und gesellschaftlichen Strukturen bietet sich innerhalb des praktisch-philosophischen Diskurses die Einteilung in iustitia commutativa (ausgleichende Gerechtigkeit) und iustitia distributiva/correctiva (austeilende Gerechtigkeit) an: »Die erste […] bezieht sich auf die Regulierung von Beziehungen zwischen Personen, die in freier Vereinbarung etwas miteinander tauschen […]. Bei der zweiten […] geht es um die Verteilung von (Rechts-)Gütern in einem Gemeinwesen, dabei nicht zuletzt darum, dass den Benachteiligten ein Ausgleich zugebilligt wird.«374

Über die Jahrhunderte hinweg hatten die Grundsätze des suum cuique und die aristotelischen Gerechtigkeitsformen einen hohen Stellenwert für weitere Überlegungen und Konzeptionierungen. Gemeinsam mit der christlichen Auslegung im Kontext metaphysischer Ordnungsprinzipien wurde Gerechtigkeit in individueller und gesellschaftlicher Hinsicht ethisch und moralisch gefüllt. 369 Vgl. Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland/Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 1997, 47. 370 Aristoteles schreibt diesbezüglich: »Die Gerechtigkeit ist eine Tugend, durch die jeder das erhält, was ihm zusteht und wie es dem Gesetz entspricht […] Ungerechtigkeit hingegen eine, durch die man fremdes Gut nicht mit dem Gesetz gemäß erlangt.« (Rhetorik I, 1366b, 7), zitiert aus: Aristoteles: Rhetorik. Übersetzt und herausgegeben von Gernot Krapinger, Stuttgart 2007, 42f. 371 Gräb-Schmidt, E.: Gerechtigkeit systematisch-theologisch, in: Witte M. (Hrsg.): Gerechtigkeit (UTB Bd. 3662), Tübingen 2012, 125–155, 128. 372 Vgl. Mette, N. (2016), 2. 373 Gräb-Schmidt 2012, 129. 374 Mette, N. (2016), 2; Hervorhebung nicht im Original.

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In der Epoche der Aufklärung, die damit einherging, dass nicht mehr die »göttliche Ordnung«375 zur Erklärung ethischer Prinzipien herangezogen wurde, sondern stattdessen eine »natürliche Ordnung«376 auf den Weg gebracht werden sollte, entwickelte Kant Prinzipien zur Durchsetzung und Definition von Gerechtigkeit, die von Religion unabhängig sind. Er argumentiert in erster Linie mit der Freiheit und den individuellen Rechten der Menschen, die vernunftgemäß allen zur Verfügung stehen sollten. Nur so ist die einzelne Person dazu fähig, der eudamonia (Glückseligkeit) nachzustreben.377 Zentral für die Neuzeit ist das Aufkommen des Begriffs der sozialen Gerechtigkeit, der im politischen Bereich und in gesellschaftlichen Phänomenen Anklang und Verwendung findet. Hier zeigt sich auch ein Paradigmenwechsel von der Fokussierung individueller Gerechtigkeitsnormen (sichtbar beispielsweise im suum cuique auf philosophischer und der Rechtfertigung des Menschen auf theologischer Seite) hin zur Relevanz der »Frage nach der (politischen und rechtlichen) Ordnung des Gemeinwesens […].«378 Seit dieser Entwicklung gibt es innerhalb politischer, aber auch theologischer sowie religionspädagogischer, Überlegungen zum Gerechtigkeitsbegriff viele paradigmatische Postulate, Theorien und Konzeptionen, die sich damit auseinandersetzen, inwiefern soziale Gerechtigkeit überhaupt bestehen und wie sie erreicht werden kann. Es besteht Einigkeit darüber, dass der sozialen Gerechtigkeit in friedenstiftender Hinsicht ein hoher Stellenwert verliehen werden kann. In der ökumenischen Schrift »Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit« (1997) setzen sich die EKD und die Deutsche Bischofskonferenz mit sozialer Gerechtigkeit auseinander und beschreiben sie als »übergeordnetes Leitbild […].«379 5.1.1.3 Das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit Im geschichtlichen Verlauf hängt die Entwicklung des Gerechtigkeitsbegriffs eng mit der Historie der Kirche zusammen, indem beispielsweise im christlich geprägten Abendland vor allem machthabende Personen, wie »Päpste, Bischöfe, Kaiser und Könige«380 die Herrschaft über die Rechtsprechung, Umstände in Bezug auf die soziale Gerechtigkeit oder die Entscheidungen der Kriegsführung besaßen. In der Zeit, in der die Säkularisierung immer weiter fortschreitet und 375 376 377 378 379

Ebd., 4. A.a.O. Vgl. ebd., 5; vgl. auch Kant 2011, 72f. Mette, N. (2016), 4. Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland/Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 1997, 47. 380 Koppe, K. (Hrsg.): Der vergessene Frieden. Friedensvorstellungen von der Antike bis zur Gegenwart, Opladen 2001, 48.

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die Relevanz eines von Gott abhängigen Gerechtigkeitsbegriffes ebenso wie das einseitige ›gerechte Verhalten‹ vonseiten einzelner Machthaber abflacht, wird der Fokus heute auf einen Gerechtigkeitsbegriff im Zusammenhang mit dem Staat gesetzt. »Deshalb hat der Begriff der sozialen Gerechtigkeit als übergeordnetes Leitbild Eingang in die Sozialethik der Kirchen gefunden. Er besagt: Angesichts real unterschiedlicher Ausgangsvoraussetzungen ist es ein Gebot der Gerechtigkeit, bestehende Diskriminierungen aufgrund von Ungleichheiten abzubauen und allen Gliedern der Gesellschaft gleiche Chancen und gleichwertige Lebensbedingungen zu ermöglichen.«381

Es zeigt sich allerdings, dass Uneinigkeit darüber besteht, wie dieser Abbau von Ungerechtigkeit adäquat umgesetzt werden kann. Prinzipien wie die Verteilung von Gütern oder Rechten ausgehend von Leistung der Einzelnen, aber auch die Überlegungen der grundsätzlichen Gleichverteilung unabhängig von weiteren Umständen sind stark diskutiert. Begrifflichkeiten und Konzeptionen rund um die soziale Gerechtigkeit lassen deren Komplexität nur erahnen. Aus diesem Grund bestehen verschiedene Erklärungs- und Strukturierungsversuche der Gesellschaftswissenschaften, mit denen versucht wird, den Gerechtigkeitsbegriff zu systematisieren. Stefan Liebig und Meike May382 fassen unter dem Begriff der sozialen Gerechtigkeit vier Prinzipien der Verteilung von Gütern durch Institutionen:383 (1) Das Gleichheitsprinzip (Egalitäre Gerechtigkeit384) basiert auf der Grundlage, dass allen die gleichen Rechte und der gleiche Anteil an Gütern zugutekommt. Unabhängig von Gütern kann hier auf die Chancengerechtigkeit385

381 Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland/Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 1997, 47. 382 Vgl. Liebig, S./May, M.: Dimensionen sozialer Gerechtigkeit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 47 (2009), 3–8, 5. 383 Die 3. World Vision Studie 2013 hat die Gerechtigkeitsvorstellungen von Kindern im Alter von 6–11 Jahren untersucht. Die Auswahl der hier dargestellten Formen und Prinzipien von Gerechtigkeit basieren auf den dort evaluierten Erkenntnissen. In Hinblick auf die Studie innerhalb dieser Arbeit werden also diejenigen Aspekte sozialer Gerechtigkeit dargestellt, die nachweislich auch in den Vorstellungen von Grundschülerinnen und -schüler eine Rolle spielen; vgl. Schneekloth, U./Andresen, S.: Was fair und das unfair ist: die verschiedenen Gesichter von Ungerechtigkeit, in: Andresen S./Hurrelmann K./TNS Infratest Sozialforschung (Hrsg.): »Wie gerecht ist unsere Welt?«. Kinder in Deutschland 2013. 3. World Vision Kinderstudie, Weinheim/Basel 2013, 48–78, 56–67. 384 Vgl. Hradil, S.: Einige Anmerkungen aus soziologischer Sicht zu den Fragen: »Was verstehen Sie unter dem Begriff Gerechtigkeit?« und »Wie glauben Sie, dass Gerechtigkeit zustande kommt?«, in: Roman Herzog Institut (Hrsg.): Was ist Gerechtigkeit – und wie lässt sie sich verwirklichen? Antworten eines interdisziplinären Diskurses (RHI-Diskussion Nr. 11), München 2009, 20–22, 20. 385 Vgl. hierzu auch a. a. O.

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verwiesen werden, die auf die Gewährung der gleichen Chancen – unabhängig von Faktoren wie Herkunft oder Ähnlichem – abzielt. (2) Im Leistungsprinzip hängt die Menge der zu erhaltenen Güter von den individuellen Leistungen und Anstrengungen ab. (3) Das Anrechtsprinzip koppelt das Erhalten von Gütern und Rechten »an Status- und Positionsmerkmale […], die in der Vergangenheit erworben wurden oder aufgrund der Tradition und den darin wirksamen Normen zugeschrieben werden.«386 (4) Das Bedarfsprinzip orientiert sich an den Grundbedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger. Welches dieser Prinzipien zum Tragen kommt, ist von politischen Entscheidungsprozessen abhängig. So kann zum beispielsweise festgestellt werden, dass innerhalb des deutschen Sozialsystems momentan das Anrechtsprinzip Verwendung findet.387 Im Diskurs um die Gerechtigkeit ist ein Begriff – vor allem im Hinblick auf interpersonale Begegnungen und Beziehungen – konstitutiv: Die Fairness beschreibt laut der prominenten »Theorie der Gerechtigkeit«388 nach Rawls die »faire […] Kooperation zwischen freien und gleichen Partnerinnen und Partnern.«389 Rawls beschreibt die Fairness als einer der »Grundsätze für Einzelmenschen«390, die auf bestimmten Verpflichtungen basieren: »Der Grundgedanke ist: Wenn sich mehrere Menschen nach Regeln zu gegenseitig nutzbringender Zusammenarbeit vereinigen und damit ihre Freiheit zum Vorteil aller beschränken müssen, dann haben diejenigen, die sich diesen Beschränkungen unterwerfen, ein Recht darauf, daß [sic!] das auch die anderen tun, die Vorteil davon haben.«391

Im Konstrukt der sozialen Gerechtigkeit ist neben der Verteilung von Gütern, Ressourcen und Rechten also auch der individuellen Bewertung der Gerechtigkeit interpersonal Bedeutung zuzusprechen. Hierzu werden hier vor allem zwei Formen »[i]ndividuelle[r] Gerechtigkeitsvorstellungen«392 herausgestellt.393 Die Interaktionsgerechtigkeit setzt das personale Miteinander ins Zentrum, indem eine grundsätzliche faire Behandlung des Gegenübers forciert wird. Sie 386 387 388 389 390 391 392 393

Liebig/May 2009, 5. Vgl. a. a. O. Vgl. Rawls, J.: Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt am Main 1975. Mette, N. (2016), 6. Rawls 1975, 133. A.a.O. Liebig/May 2009, 5. Die Auswahl der hier dargestellten Formen basiert ebenfalls auf den Ergebnissen aus: Schneekloth/Andresen 2013, 59.

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besteht zum Beispiel, wenn eine Person anderen Menschen, ungeachtet derer Religion, Herkunft oder sonstigen Faktoren, offen begegnet. Die Verfahrensgerechtigkeit schließt Fairness in dem Sinne mit ein, dass in Prozessen gemeinsamer Entscheidungen Regeln eingehalten werden. Diese verschiedenen Prinzipien und Formen der Gerechtigkeit können in vielfältiger Weise durch weitere Aspekte ergänzt werden. Jedoch sind sie vor allem im Hinblick auf die vorliegende Studie als grundlegend anzusehen. Nachdem also die biblischen und theologischen Akzentuierungen der Gerechtigkeit mit zusätzlichem Fokus auf die Konzepte der sozialen Gerechtigkeit dargelegt wurden, wird im Folgenden zusammenfassend die Korrelation dieser Grundsätze mit Frieden abgebildet.

5.1.2 Frieden und Gerechtigkeit Vor allem bezüglich der Definition von positivem Frieden kristallisiert sich der Zusammenhang mit Gerechtigkeit heraus. Positiver Frieden, wie er von Johan Galtung im Kontext seiner Theorie von struktureller Gewalt beschrieben wird, orientiert sich vor allem »an den Begriffen der Gerechtigkeit, der Menschenrechte, der Demokratie und des Völkerrechts, insbesondere der Charta der Vereinten Nationen […].«394 In den vergangenen Kapiteln wurde herausgestellt, dass Frieden und Gerechtigkeit in unauflösbarer Korrelation zueinanderstehen. Besonders deutlich wird diese Verbindung im Konzept des gerechten Friedens, das seit Anfang des 21. Jahrhunderts diskutiert395 und mit der EKD-Denkschrift »Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen«396 als Leitbild innerhalb der evangelischen Kirche manifestiert wurde. »Der Ausdruck gerechter Frieden wird dabei als inhaltlich gefüllter, operationalisierbarer, das heißt handlungsleitender ethischer Begriff verstanden«397 und entspringt der langen Tradition des ›bellum iustum‹ – der Lehre des gerechten Krieges –, mit der in früherer Zeit Kriege legitimiert wurden.398 Mit der Kritik an diesem Prinzip begann ein Paradigmenwechsel, der in besonderer Weise die Kohärenz von Gerechtigkeit und Frieden verdeutlichen kann. Si vis pacem para bellum (›Wenn du Frieden willst, musst du den Krieg 394 Koppe 2001, 23. 395 Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.): Gerechter Friede. 27. September 2000 (Die Deutschen Bischöfe Bd. 66), 42013. 396 Evangelische Kirche Deutschland: Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 2 2007. 397 Oberdorfer 2018, 13. 398 Näheres hierzu wird in Kapitel 5.3.2.3 konkretisiert.

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vorbereiten‹) sollte nicht weiter der Grundgedanke christlicher Friedensbemühungen sein. Gegenwärtige weltpolitische Entwicklungen und die zunehmende Globalisierung machten eine Einhaltung der »Grenzen legitimier Gewaltanwendung«399 unmöglich. Dieser Aspekt und das Aufkommen neuer Kriegsformen wie der Gefährdung des Friedens durch Terror, führten zu der ökumenischen sowie interdisziplinären400 Einigung: Si vis pacem para pacem (›Wenn du Frieden willst, musst du Frieden vorbereiten‹) sollte der neue Leitgedanke des gerechten Friedens werden. Die angesprochene EKD-Denkschrift, die dieses Konzept ausführlich beschreibt, macht zunächst auf die Friedensgefährdungen der aktuellen Zeit aufmerksam, welche beispielsweise in den »Bedrohungen durch Waffengewalt«401 (und die daraus resultierende ansteigende Zahl innerstaatlicher Kriege) oder in kulturellen und religiösen Gefährdungsfaktoren402 liegen. Daraufhin wird der Beitrag erläutert, den Christinnen und Christen sowie zu gerechtem Frieden leisten können. Dieser ist theologisch und vor allem eschatologisch aufgeladen, indem auf die Lehren des Ersten und des Neuen Testaments verwiesen wird. Der Friedensbeitrag der Christinnen und Christen liegt unter anderem in der Notwendigkeit des interreligiösen Dialogs, in einer Erziehung und Bildung zum Frieden, aber auch in der Versöhnung auf zwischenmenschlicher Ebene.403 Die Denkschrift beschreibt im Zusammenhang mit der Leitidee des gerechten Friedens den unbestreitbaren Bezug zwischen Frieden und Gerechtigkeit. Dieser wird biblisch begründet und somit als »Gegenstand göttlicher Verheißung«404 angesehen. Aus dieser Beziehung ergibt sich die Folgerung, dass das Ziel des gerechten Friedens auf der Welt das »Zusammenleben in Gerechtigkeit«405 sei. Diese Intention kann durch zwei Dimensionen erreicht werden. Die erste ist die »menschliche Existenzerhaltung und -entfaltung«406. Begründet ist diese für Christinnen und Christen in der Gottesebenbildlichkeit und Gemeinschaft der Menschen mit Gott. Gerechter Friede bedeutet in erster Linie also das Leben vor dem Hintergrund und im Licht der Würde eines jeden Menschen.407 Die zweite 399 Hoppe, T./Werkner, I.-J.: Der gerechte Frieden: Positionen in der katholischen und evangelischen Kirche in Deutschland, in: Werkner I.-J./Ebeling K. (Hrsg.): Handbuch Friedensethik, Wiesbaden 2017, 343–359, 347. 400 Dass das Konzept des gerechten Friedens nicht nur innerhalb der Friedensethik seit längerem diskutiert wird, zeigt sich beispielsweise in folgendem Aufsatz: Senghaas, D./ Senghaas-Knobloch, E.: Si vis pacem, para pacem. Überlegungen zu einem zeitgemäßen Friedenskonzept, in: Leviathan 2 1992, 230–251. 401 Evangelische Kirche Deutschland 2007, 19ff; Ziff. 21–29. 402 Vgl. ebd., 24f; Ziff. 30–31. 403 Vgl. ebd., 28ff; Ziff. 36–72. 404 Vgl. ebd., 50f; Ziff. 74. 405 Ebd., 54; Ziff. 80. 406 Vgl. ebd., 53; Ziff. 79f. 407 Vgl. ebd., 60; Ziff. 89.

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Dimension des gerechten Friedens besteht im Prozesscharakter des Friedens.408 Frieden sei kein Zustand, »sondern ein gesellschaftlicher Prozess abnehmender Gewalt und zunehmender Gerechtigkeit«409. Hier kommt auch die oben beschriebene soziale Gerechtigkeit zum Tragen und wird in Zusammenhang mit Frieden gestellt. Demnach ist die Maximierung der Gerechtigkeit in ihrer politischen, sozialen Dimension gemeint, die betrifft »das normative[…] Prinzip gesellschaftlicher Institutionen.«410 Um gerechten Frieden in der Welt zu verwirklichen, bedarf es, laut der EKD, des Rechts. Statt Aspekte für gerechten Krieg aufzustellen, benennt die Denkschrift Kriterien, die eine rechtserhaltende Gewalt ausmachen. (Gegen-)Gewalt ist nur dann legitimiert, wenn sie Recht und Gerechtigkeit wiederherstellt. Die aufgestellten »allgemeinen Kriterien einer Ethik rechterhaltender Gewalt«411 sind: ein Erlaubnisgrund (gewaltsame Übergriffe, die menschliches Leben und Recht gefährden), die Autorisierung (durch das Recht) und die richtige Absicht (Ziel ist die Wiederherstellung des gerechten Zusammenlebens). Gewalt ist nur als äußerstes Mittel (alle anderen Mittel müssen zunächst erfolglos versucht worden sein) legitimiert. Des Weiteren sind die Verhältnismäßigkeit der Folgen (es darf durch die Gegengewalt kein größeres Übel hervorgerufen werden) sowie der Mittel (Leid und Schaden gehören auf das Mindestmaß beschränkt) vorauszusetzen. Zuletzt gilt das Unterscheidungsprinzip (schließt die Ausübung von direkter Gewalt gegenüber Unbeteiligten aus).412 Hierzu muss erwähnt werden, dass das Leitbild des gerechten Friedens zuletzt von theologischer Seite unter Kritik stand.413 Auch ist gegenwärtig ein reger Diskurs darüber entbrannt, inwiefern das Konzept mit der Kriegssituation in der Ukraine zu vereinbaren ist. Die christliche Maxime der Gewaltfreiheit wird durch die Forderungen nach Waffenexporten aus Deutschland zur Verteidigungshilfe diskutabel. Zuletzt414 hat sich Bischof Heinrich Bedford-Strohm für Waffenlieferungen in die ukrainischen Kriegsgebiete ausgesprochen und postuliert, dass diese das Leitbild nicht gefährden würden, sondern in einer derartigen Situation zur Wiederherstellung des Friedens dringend notwendig seien. Er begründet dies unter anderem folgendermaßen: »Wenn es keine moralische Pflicht gibt, eine militärische Aggression ohne wirksame Gegenwehr hinzunehmen und damit unter der Besatzung des Aggressors zu leben – und 408 409 410 411 412 413

Vgl. Kapitel 4.2.4. Ebd., 54; Ziff. 80. A.a.O. Ebd., 68; Ziff. 102.; Hervorhebung im Original. Vgl. ebd., 69; Ziff. 102. Vgl. Feiler, T.: Gerechtigkeit, Gewalt und Krieg – zur Ethik für »die nicht so Sanftmütigen«, in: Verkündigung und Forschung 66/1 (2021), 47–55, 55. 414 Stand der Informationen: 25. 05. 2022.

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eine solche moralische Pflicht fordert, soweit ich sehen kann, niemand –, dann ist es moralisch legitim, sich mit Waffen zu verteidigen.«415

Demgegenüber hat sich im März 2022 die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus noch gegen eine solche Lieferung ausgesprochen, da diese die Gefahr der Gewaltausübung fördern würde.416 Das Konzept des gerechten Friedens muss also im Lichte derartiger internationaler Friedensgefährdungen neu debattiert werden. Die weiteren Entwicklungen werden zeigen, inwiefern hier Veränderungen und Neuakzentuierungen relevant erscheinen. Zusammenfassend kann allerdings festgestellt werden, dass aus der interdisziplinären Herangehensweise an die unterschiedlichen Konzeptionen der Gerechtigkeit deren Kohärenz zu Frieden dargelegt und beleuchtet werden konnte. Für die religionspädagogischen Folgerungen sind dabei die vielfältigen Dimensionen dieses Zusammenhangs gleichermaßen als Chance, aber auch als Herausforderung zu betrachten. Herausfordernd sind sie deshalb, da die Anwendung der Konzeptionen innerhalb friedensbildender Prozesse in der Schule gut differenziert sein muss.

5.1.3 Religionspädagogische Folgerungen Die Gerechtigkeitsbildung im Religionsunterricht ist innerhalb ethischer Bildungsprozesse zu verorten.417 Aus den Definitions- und Klassifizierungsversuchen der Gerechtigkeit werden im Folgenden kurze Impulse für die Religionspädagogik abgeleitet. Diese betreffen nicht nur die Gerechtigkeitsbildung im Allgemeinen, sondern spezifisch die didaktischen Herangehensweisen zur Gerechtigkeit im Horizont der religiösen Friedensbildung und -erziehung. Dabei ist zu postulieren, dass »die Kommunikation und Vermittlung von Gerechtigkeit zu kurz griffe, würde sie die religiöse Seite der Gerechtigkeit, die theologisch zu begründen ist, nicht ausdrücklich aufnehmen.«418 Elisabeth Naurath empfiehlt diesbezüglich den Einbezug fächerübergreifender Unterrichtsprojekte, da somit der Komplexität und den Verstrickungen innerhalb aller die Gerechtigkeit betreffenden Prozesse friedensdidaktisch begegnet werden könne.419 Dabei ist dem Religionsunterricht die Chance anzuerkennen, die religiöse Schwerpunktsetzung auf den Begriff der Gerechtigkeit in Verbindung mit Frieden einzuspeisen. Die 415 Bedford-Strohm, H.: Gerechter Friede und militärische Gewalt, in: Herder Korrespondenz 5 (2022), 13–16, 15. 416 Vgl. Leven, B.: Gerechter Krieg, in: Herder Korrespondenz 3 (2022), 1–3, 1. 417 Vgl. Blasberg-Kuhnke 2017, 221. 418 Ebd., 223. 419 Vgl. Naurath 2022a, 153.

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Berichte des Ersten und Neuen Testaments über Gottes gerechtes Handeln und den Einsatz Jesu für Arme können als Rückhalt und Vorbild innerhalb erlebter Ungerechtigkeit dienen. Das Lernen am Vorbild hat in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts an Einfluss verloren.420 Nachahmendes Lernen wurde abgelöst von ›Modelllernen‹, das sich dadurch auszeichnet, dass die Lernenden das Modell beobachten und sich dadurch einzelne Verhaltensweisen aneignen, oder eben genau die Verhaltensweisen, die das Gegenüber zeigt, nicht aneignen.421 Dieses didaktische Handeln ist demnach durch Subjektorientierung charakterisiert. In den 1990erJahren wurde in der Religionspädagogik der Begriff des ›Biografischen Lernens‹ etabliert. Mittlerweile wird der Begriff des ›Vorbilds‹ wieder präferiert.422 Das Biografische Lernen eignet sich allein aufgrund des Interesses der Kinder (wie Erwachsenen) an den Biografien anderer Menschen. Dies ist bedingt durch die »Faszination des Hineingenommenwerdens in die Gedankenwelt und Entscheidungsprozesse eines fremden Individuums.«423 Ferner bieten Lebensgeschichten anderer Menschen eine Orientierung in der von pluralen Lebensentwürfen gekennzeichneten Welt.424 Das Biografische Lernen kann zudem in der Bibeldidaktik beheimatet sein, wenn einzelne Bibelfiguren in Blick auf ihren Lebenslauf genauer beleuchtet und Verhaltensweisen und Reaktionen auf bestimmte Geschehen betrachtet werden.425 Es handelt sich demnach um eine hilfreiche Methode innerhalb ethischer Lernprozesse und explizit für die Friedensbildung. Für die Kinder besteht in einer solchen Herangehensweise die Möglichkeit zur »Auseinandersetzung mit Wertvorstellungen […], die sowohl von Schülerinnen und Schülern als auch von Gesellschaft und Kirche vertreten werden.«426 Die Kinder können somit Menschen kennenlernen, die für andere im Sinne des Friedens gerecht gehandelt haben oder in problematischen Situationen auf Gewalt verzichtet haben. Auch der Umgang mit Konflikten kann anhand von Biografien anderer Menschen betrachtet und reflektiert werden.427 Friedensbildung im Sinne des Biografischen Lernens kann dabei am Vorbild berühmter Friedensstifterinnen und Friedensstifter umgesetzt werden. Personen wie Martin 420 Vgl. Sajak, C. P./Eiff, M. S. von (2017): Art. Biografisches Lernen. Abrufbar unter: https:// www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100230/ (aufgerufen am: 28. 2. 2023), 1f. 421 Vgl. Mendl, H.: Vorbilder, in: Haussmann W., et al. (Hrsg.): Handbuch Friedenserziehung. Interreligiös – interkulturell – interkonfessionell, Gütersloh 2006, 198–203, 198f. 422 Vgl. Sajak, C. P./Eiff, M. S. von (2017), 2. 423 Ebd., 4. 424 Vgl. a. a. O. 425 Vgl. ebd., 5f. 426 Ebd., 6. 427 Vgl. Mendl 2006, 200.; Hierbei zeigt sich, dass sich das Lernen an friedenstiftenden Vorbildern nicht nur für die Gerechtigkeitsbildung eignet, sondern insgesamt friedenspädagogische Impulse gesetzt werden können.

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Luther King oder Mahatma Gandhi, die für Frieden und Gerechtigkeit eingestanden sind und deren Biografie sich durch den Friedensgedanken kennzeichnet, können hier thematisiert werden. Die genannten Friedensstifter lassen sich nach Hans Mendl als »große Vorbilder«428 bezeichnen. Er stellt neben diesen auch »mittlere Vorbilder«429 heraus, nämlich solche Personen, die im direkten Umfeld der Schülerinnen und Schüler stehen. Es handelt sich dabei um Menschen aus dem privaten Umfeld und aus der unmittelbaren Umgebung.430 Friedensstiftendes und gerechtes Verhalten im Sinne christlicher Werte kann also durch das Biografische Lernen in religionspädagogischen Friedensbildungsprozessen aufgezeigt, methodisch aufgearbeitet und reflektiert werden. Darüber hinaus kann (auch mit den genannten fächerübergreifenden Unterrichtsprojekten) die politische Dimension der sozialen Gerechtigkeit als Voraussetzung gelingender Friedensprozesse thematisiert werden. Diese »spiegelt sich […] im Erleben von Kindern und Jugendlichen, die schon früh ein Gespür für erlebte und erlittene Ungerechtigkeit zeigen.«431 Aus diesem Grund sollten bereits in der Grundschule Faktoren wie Armut, die Klimakrise (als Konsequenz ökologischer Ungerechtigkeit), Ressourcenverteilung und Fluchtbewegungen thematisiert werden.432 Davon ausgehend und in Hinblick auf friedensfördernde Maßnahmen können die Schülerinnen und Schüler für verschiedene Formen der Gerechtigkeit (wie auch Ungerechtigkeit) sensibilisiert werden.433 Die Chance, die sich aus der Thematisierung von Gerechtigkeit innerhalb friedensbildender Prozesse im (Religions-)Unterricht ergeben kann, zeigt sich zudem in der Förderung ethischer Reflexionsprozesse.434 Wie bereits herausgestellt wurde, kann das Verstehen von Frieden (und entsprechende Handlungsweisen) im Zusammenhang mit der Fähigkeit zum sozialen Perspektivwechsel stehen.435 Bereits junge Kinder empfinden gegenüber ihren Mitmenschen Mitgefühl436, zudem kann durch die Reflexion der Empörung und Betroffenheit angesichts herrschender Ungerechtigkeit die Stärkung des eigenen

428 Ders.: Das religionspädagogische Potenzial der Begegnung mit Vorbildern des Alltags. Beispiele außerordentlichen Handelns im Alltag, in: Englert R., et al. (Hrsg.): Sehnsucht nach Orientierung. Vorbilder im Religionsunterricht (Jahrbuch der Religionspädagogik Bd. 24), Neukirchen-Vluyn 2008, 89–99, 90. 429 Ebd., 91. 430 Vgl. ebd., 91f. 431 Blasberg-Kuhnke 2017, 226. 432 In Kapitel 3.1 wurde herausgestellt, dass diese Themen bereits jungen Kindern bewusst sind. 433 Vgl. Mette, N. (2016), 21. 434 Vgl. Rommel, H.: Art. Gerechtigkeit, in: Lang-Wojtasik G./Klemm U. (Hrsg.): Handlexikon Globales Lernen, Ulm 32021, 101–105, 104. 435 Vgl. auch a. a. O.; sowie Kapitel 3.2.3 in dieser Arbeit. 436 Vgl. Naurath, E.: Mit Gefühl gegen Gewalt. Mitgefühl als Schlüssel ethischer Bildung in der Religionspädagogik, Neukirchen-Vluyn 32010, 124f.

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Friedenspädagogische Grundlagen in interdisziplinärer Perspektive

Gerechtigkeitsempfindens »durch emotionale und auch pragmatische Lernangebote«437 in Kombination mit kognitiven Lerndimensionen angestrebt werden. Innerhalb friedenspädagogischer Bemühungen kann diesbezüglich auf vier Kernkompetenzen der Friedensfähigkeit verwiesen werden, die von Baumann in Anlehnung an Nipkow aufgestellt wurden.438 Die Aufnahme von Gerechtigkeit innerhalb friedensbildender Lernprozesse im Unterricht kann als förderlich für die erste Kernkompetenz festgelegt werden: »die Fähigkeit zur Empathie und Perspektivenübernahme«439.

5.2

Frieden als Abwesenheit von Konflikten?

Es wurde herausgestellt, dass das Ziel der Friedenspädagogik in der konstruktiven Konfliktbearbeitung liegt.440 Auch im allgemeinen Diskurs handelt es sich bei ›Konflikt‹ um einen der zentralen Begriffe, die mit Frieden in Verbindung gebracht werden können. Dies ist damit zu begründen, dass Krieg als Form, Gewalt als Mittel und fehlende Gerechtigkeit als Ursprung von Konflikten gelten können. Demnach sind Konflikte die Verbindungsstücke der zentralen Korrelationen und Negationen zu Frieden. Entsprechend muss geprüft werden, inwieweit Frieden und Konflikte zusammenhängen und welche Voraussetzungen geschaffen werden müssen, um über die Minimierung beziehungsweise den Umgang mit konfliktbehafteten Ereignissen eine Maximierung friedvollen Lebens zu erreichen. Im Folgenden werden deshalb verschiedene Definitionsversuche geklärt, um daraufhin ausgehend von Konfliktformen und -funktionen den Zusammenhang von Frieden und Konflikten zu erläutern. Dabei kommen auch die Korrelationen, die zwischen Gerechtigkeit, Gewalt und Kriegen mit Konflikten bestehen, zum Tragen.

5.2.1 Definition von Konflikten Konflikte zeichnen sich durch Mehrdeutigkeit und Vielseitigkeit in der begrifflichen Auffassung aus.441 Je nachdem, ob auf Meso-/Makro-, also gesellschaftlicher und internationaler, oder auf Mikroebene, welche die individuelle und 437 Dies. 2022a, 153. 438 Vgl. Baumann, U.: Frieden lernen. Religionspädagogische Perspektiven zu aktuellen Herausforderungen, in: rpi-Impulse 2 (2017), 6–10, 9. 439 A.a.O. 440 Vgl. Kapitel 2.1.2. 441 Vgl. Aubert, V.: Competition and Dissensus. Two Types of Conflict and of Conflict Resolution, in: Journal of Conflict Resolution 7/1 (1963), 26–42, 26.

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interpersonale Dimensionen in den Blick nimmt, argumentiert und analysiert wird, lassen sich verschiedene Funktionen, Auswirkungen und Formen von Konflikten bestimmen. Zunächst muss zwischen Konflikten im zwischenmenschlichen beziehungsweise gesellschaftlichen Zusammenhang und Konflikten auf psychologischer Ebene – also intrapersonale bzw. Konflikte des Individuums442 – unterschieden werden. Auf theologischer Basis können für letztere auch die existenziellen Konflikte benannt werden, die sich ebenfalls auf individuelle und innerhalb der Psyche des (gläubigen) Menschen ablaufende konfliktbehaftete Denk- und Handlungsweisen bezieht.443 Für die Untersuchung friedensrelevanter Theorien und gesellschaftlicher sowie (religions-)pädagogischer Thematiken wird im Folgenden der Fokus auf soziale Konflikte, also Dispute unter Beteiligung von mindestens zwei Personen, gelegt. Im allgemeinen Sprachgebrauch und in erster wissenschaftlicher Betrachtung ist ›Konflikt‹ zunächst meist negativ konnotiert und wird häufig ausgehend von seinen potenziell gewaltvollen Konsequenzen her definiert und gefüllt.444 Wer an Konflikte denkt, zieht somit nicht selten den Gedankenschluss hin zu tätlichen Auseinandersetzungen, zu unangenehmen Streitigkeiten, zu unlösbaren Meinungsverschiedenheiten oder letztlich zu kriegerischen, brutalen Ereignissen. Dennoch kann der Terminus allgemein das »Aufeinanderprallen einander widersprechender Interessen und/oder Wertvorstellungen«445 ausdrücken, was zunächst keine Rückschlüsse auf etwaige Folgen ziehen lässt. Im Gegenteil: Je nachdem, aus welcher Perspektive Konflikte betrachtet werden, können auch positive Aspekte und Facetten herausgestellt werden. So können sie beispielsweise als »Förderer des sozialen Wandels«446 gelten, indem die Komponenten und Möglichkeiten des freiheitlichen Handelns innerhalb konfliktbehafteter Situationen in den Vordergrund gestellt werden. Dennoch muss der Begriff an sich zur adäquaten Einordnung in seinem jeweiligen Kontext betrachtet werden, damit die Definition nicht mit diesem vermischt wird.447 Eine Differenzierung ist also angemessen; zudem muss eine gewisse Unvoreingenommenheit in der Betrachtung des Phänomens in den Diskurs eingebracht werden. Aus diesem Grund wird ›Konflikt‹ im Folgenden ausgehend von der Definition von Thorsten Bonacker und Peter Imbusch her untersucht, die das »Aufeinanderprallen« und die »wider442 Vgl. Regnet, E. (2000): Art. Konflikt. In: Lexikon der Psychologie. Abrufbar unter: https:// www.spektrum.de/lexikon/psychologie/konflikt/8035 (aufgerufen am: 28. 2. 2023). 443 Vgl. Heesch, M.: Art. Konflikt/Konfliktforschung, in: Betz H. D., et al. (Hrsg.): Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft (Bd. 4 I-K), Tübingen 42001, Sp. 1562–1564, Sp. 1562. 444 Vgl. Bonacker/Imbusch 2006, 67. 445 Pelinka, A.: Konfliktforschung, in: Diendorfer G., et al. (Hrsg.): Friedensforschung, Konfliktforschung, Demokratieforschung. Ein Handbuch, Köln/Weimar u. a. 2016, 17–34, 17. 446 Bonacker/Imbusch 2006, 77. 447 Vgl. ebd., 67.

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Friedenspädagogische Grundlagen in interdisziplinärer Perspektive

sprechenden Interessen«448, die sich in der oben genannten Begriffsklärung wiederfinden, nicht wertend aufnimmt. Konflikte sind demnach »soziale Tatbestände, an denen mindestens zwei Parteien […] beteiligt sind, die auf Unterschieden in der sozialen Lage und/oder auf Unterschieden in der Interessenskonstellation der Konfliktparteien beruhen.«449

Ausgehend von dieser grundlegenden Annäherung können im nächsten Schritt Differenzierungsversuche unternommen werden, um (soziale) Konflikte in ihrem jeweiligen Kontext einordnen, analysieren und bearbeiten zu können. Hierzu bietet sich ebenfalls die Einteilung nach Bonacker und Imbusch an, die zwischen interpersonalen, innergesellschaftlichen und internationalen Konflikten unterscheiden. Differenziert werden kann allgemein zwischen den zahlenmäßig variablen Akteurinnen und Akteuren der jeweiligen Konflikte, also den Konfliktparteien und den »Erscheinungs- und Austragungsformen«450. Interpersonale und innergesellschaftliche Konflikte zeichnen sich dadurch aus, dass die Konfliktparteien Einzelpersonen oder -gruppen sein können, während in internationalen Konflikten Systeme, Staaten und Regierungen Beteiligte der Auseinandersetzung sind. Prägnante Beispiele hierfür sind (1) der Streit zwischen zwei Menschen auf interpersonaler, (2) Bürgeraufstände auf innergesellschaftlicher und (3) Staatenkriege auf internationaler Ebene. Die Ausführungen zeigen die Allgegenwart von Konflikten in allen Dimensionen menschlichen und gesellschaftlichen Zusammenlebens und die Notwendigkeit der kontextbezogenen Bewertung möglicher Konfliktherde und -verläufe auf dem Weg zur Korrelationsbestimmung mit Frieden. Zur genaueren Differenzierung von Konflikten werden im Folgenden deren Erscheinungsformen und Arten genauer beleuchtet, die jeweils Bezug auf beteiligte Parteien, mögliche Ursachen und Ausgänge von Auseinandersetzungen nehmen. Konflikte lassen sich auf vielfältige Weisen differenzieren, die jeweils von der Intention und dem Blick auf Einzelaspekte von Auseinandersetzungen abzielen. Eine Möglichkeit wurde in der Unterscheidung zwischen interpersonalen, innergesellschaftlichen und internationalen Konflikten bereits getätigt, wobei jede dieser Formen je eigene Aspekte aufweisen kann, die es zu betrachten gilt. An dieser Stelle ist im Zuge des (pädagogischen) Schwerpunktes dieser Arbeit zunächst eine besondere Art des Konflikts herauszustellen. Besonders im interpersonalen Kontext, aber zum Beispiel im Umfeld von politischen Parteien auch

448 Pelinka 2016, 17. 449 Bonacker/Imbusch 2006, 69. 450 A.a.O.

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innergesellschaftlich zu finden, ist Streit als eine häufig vorkommende Dimension von konfliktbehafteten Auseinandersetzungen zwischen Menschen oder Gruppen. Begrifflich lassen sich Konflikte und Streit nur schwer voneinander trennen und werden demnach häufig parallel zueinander verwendet.451 Tendenziell lassen sich auch viele Überschneidungen finden, wie beispielsweise deren Definition als Auseinandersetzung aufgrund eines bestimmten Gegenstandes, über den die Streit- beziehungsweise Konfliktparteien »unterschiedlicher Auffassung sind oder hinsichtlich [dessen] sie entgegengesetzte Interessen vertreten.«452 Eine mögliche Unterscheidung ist über die Gründe versus die Ausdrucksformen einer Auseinandersetzung zu tätigen. Demnach definiere sich ein Streit vor allem über die konkreten Ausdrucksformen, die er annehmen kann. Die Gründe sind eher nebensächlich, ein Streit kann auch ohne tieferen Sinn ausbrechen – beispielsweise durch reine (unbegründete) Antipathie der Kontrahenten. Im menschlichen Miteinander, vor allem auf interpersonaler Ebene, wird der Fokus dabei auf die Intensität, die Auswirkungen und die Form des Streits gelegt. So lässt sich fragen, wer miteinander streitet, wie Streitgespräche abgelaufen sind, ob es weitere Ausschreitungen gibt und inwiefern eine (friedliche) Einigung erreicht werden kann.453 Konflikte hingegen rufen Gedanken an »Strukturen und Ursachen einer sachlich fundierten Auseinandersetzung«454 hervor. Besonders deutlich wird dies hinsichtlich der Friedens- und Konfliktforschung, welche im Speziellen Fokus auf die Untersuchung von Konfliktursachen legt, um letztlich Konsequenzen für Konfliktmanagement und friedliche Problemlösungen auf (meist) internationaler Ebene zu finden. Im nächsten Schritt ist es zwar ebenso möglich, die Ausdrucksformen von Konflikten zu untersuchen und differenzieren – wie dies beispielsweise in der Unterscheidung von legitimen und nicht-legitimen Konflikten vorgenommen wird455 –, allerdings stehen Konfliktstrukturen und -gründe im Vordergrund. Um nun weitere verschiedene Konfliktarten und -formen voneinander differenzieren zu können, liegen verschiedene Möglichkeiten vor, die sich jeweils auf Einzelaspekte konfliktbehafteter Auseinandersetzungen stützen. Sie beziehen dabei beispielsweise (1) die Stärke der jeweiligen Konfliktparteien (symmetrisch versus asymmetrisch), (2) die Ziele, Konsequenzen und Ergebnisse (konstruktiv versus destruktiv), (3) den Konfliktausgang (antagonistisch versus nicht-antagonistisch), (4) die Gründe des Konflikts (objektiv versus subjektiv) sowie (5) die Erkennbarkeit dessen (manifest versus latent) ein. 451 Vgl. Detjen, J.: Streitkultur. Konfliktursachen, Konfliktarten und Konfliktbewältigung in der Demokratie, Schwalbach/Ts. 2012, 14. 452 Ebd., 13f. 453 Auf diese Aspekte wird sich die vorliegende Studie vordergründig beziehen. 454 Ebd., 14. 455 Vgl. Bonacker/Imbusch 2006, 72f.

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Diese Unterscheidungen sind exemplarisch gewählt und sollen die variablen Betrachtungsweisen des Phänomens Konflikt aufzeigen. Im Hinblick auf friedvolle Lösung von Konflikten sind alle Arten von Bedeutung, wobei bezüglich der pädagogischen Durchdringung der Fokus auf der Unterscheidung zwischen interpersonalen und internationalen Konflikten (im Speziellen Streit und Krieg) stehen soll. Mögliche Erscheinungsformen derartiger Konflikte werden im Folgenden genauer betrachtet. Symmetrie von Konflikten Die Symmetrie beziehungsweise Asymmetrie von Konflikten wird im Besonderen bei der Betrachtung von (aktuellen) Kriegsformen eine große Rolle spielen.456 Die Differenzierung bezieht sich auf die »Stärke und/oder Gleichberechtigung der Konfliktparteien«457 und kann großen Einfluss auf den Konfliktverlauf nehmen. Ob ein Konflikt symmetrisch ist, hängt dabei von den Mitteln und Ressourcen, aber auch von eventuellen Beziehungen zu weiteren Parteien ab (beispielsweise Verbündete). Ob ein hoher Grad an Asymmetrie einen unfriedlichen Ausgang des Konflikts bedingt, kann nicht gesagt werden.458 Im Fokus steht lediglich der Kontext der Konfliktparteien.459 Beispielsweise kann sich ein interpersonaler Konflikt im schulischen Umfeld im Mobbing manifestieren, wenn eine Gruppe älterer Schülerinnen und Schüler einen einzelnen Mitschüler über längere Zeit drangsaliert und degradiert. Die Asymmetrie bestünde hier in der körperlichen und zahlenmäßigen Überlegenheit der Älteren. Im internationalen Kontext ist die Asymmetrie eines Konflikts beispielsweise dann gegeben, wenn ein Krieg zwischen einem militärisch starken und einem militärisch sehr schwachen Staat ausbricht. Konstruktive und dekonstruktive Konflikte Der Ausgang beziehungsweise das Ergebnis eines Konflikts kann sich laut Morton Deutsch entweder konstruktiv oder dekonstruktiv460 zeigen. Demnach ist ein Konflikt dann als konstruktiv zu bezeichnen, wenn die Beteiligten mit dessen Ausgang zufrieden sind und sie das Gefühl haben, im Ergebnis der Auseinandersetzung etwas erreicht zu haben. Demgegenüber steht der destruktive Kon456 Näheres hierzu wird in Kapitel 5.3 konkretisiert. 457 Ebd., 72. 458 Vgl. Mitchell, C. R.: Classifying Conflicts. Asymmetry and Resolution, in: Annals of the American Academy of Political and Social Science 518/1 (1991), 23–38, 34. 459 Vgl. Bonacker/Imbusch 2006, 72. 460 Vgl. Deutsch, M.: Conflicts. Productive and Destruktiv, in: Journal of Social Issues 25/1 (1969), 7–41, 7.

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flikt, der den Beteiligten nach Abschluss ein Gefühl der Unzufriedenheit und des Verlustes auferlegt.461 Aus dem Blickwinkel des Zweckes und der Konsequenzen von Konflikten lässt sich eine utilitaristische Sichtweise herausstellen, die einen Einfluss auf die Bewertung und den Umgang mit den jeweiligen Auseinandersetzungen haben kann. Mit dem ethischen Grundsatz ›größtes Wohlergehen für die größte Anzahl an Menschen‹462 würden demnach einige (destruktive) Konflikte gar nicht erst ausbrechen. Antagonistische und nicht-antagonistische Konflikte Zusammenhängend mit dem Ergebnis eines Konflikts lassen sich auch dessen Ausgang und damit die Konsequenzen, die für die Konfliktparteien entstehen, betrachten. So sind in einem antagonistischen Konflikt keinerlei Kompromisse zu finden und die Beteiligten können den Gegenstand ihrer Auseinandersetzung nicht aus der Welt schaffen. Die letztlich einzigen möglichen Lösungen liegen in der Auflösung des Konfliktgegenstandes oder im »Verschwinden der einen Konfliktpartei«463. Ein solcher Ausgang kann dazu führen, dass es zu einem Zerwürfnis der Beteiligten kommt und solche Konflikte in letzter Konsequenz auch mit unfriedlichen Mitteln ausgetragen werden.464 Objektive und subjektive Konflikte Die Gründe für den Ausbruch von Konflikten können unterschiedlicher Natur sein. Sie lassen sich allgemein nach Reinhard Meyers in objektive und subjektive Konfliktgründe einteilen.465 Objektive Ursachen für Auseinandersetzungen begründen sich auf die »Verteilung knapper Werte und Güter in einer Gesellschaft«466. Hier lässt sich ein enger Zusammenhang mit sozialer Ungerechtigkeit vermerken, die häufiger Grund für innergesellschaftliche Konflikte und auch Kriege sein kann. Demgegenüber stehen subjektive Ursachen, die vermehrt mit (persönlichen) Dispositionen und unterschiedlichen Einstellungen der Konfliktparteien in Verbindung stehen.467

461 462 463 464 465

Vgl. ebd., 10. Vgl. a. a. O. Bonacker/Imbusch 2006, 72. Vgl. Detjen 2012, 14. Vgl. Meyers, R.: Begriff und Probleme des Friedens (Grundwissen Politik Bd. 11), Wiesbaden 1994, 31. 466 A.a.O. 467 Vgl. a. a. O.

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Friedenspädagogische Grundlagen in interdisziplinärer Perspektive

Manifeste und latente Konflikte Ralf Dahrendorf untersuchte aus soziologischer Perspektive die Funktionen von Konflikten und schloss sich grundsätzlich an die Theorie an, die ausgehend von deren Erkennbarkeit zwischen manifesten und latenten Konflikten unterscheidet.468 Ausgehend von Konflikten, die unter der Oberfläche schwelen und nicht unmittelbar nach außen erkennbar sind (latent) und Konflikten, die offen artikuliert werden oder »durch die Konfliktparteien als solche[…] erkennbar [sind]«469 (manifest) unterschied Dahrendorf zusätzlich umgelenkte/umgeleitete Konflikte. Damit werden (äußere) Umstände beschrieben, die dazu führen können, dass sich ein Konflikt als latent charakterisiert, womit keine unmittelbare Chance zur Austragung besteht, beziehungsweise die Auseinandersetzung an einen anderen Austragungsort verschoben wird.470

5.2.2 Frieden und Konflikte Der Zusammenhang von Frieden und Konflikten kann als ambivalent bezeichnet werden. Es ist zu vermerken, dass aufgrund der vielfältigen Erscheinungsformen von Konflikten nicht abschließend gesagt werden kann, dass diese als Negativum zu Frieden fungieren. So klar die Aussage getroffen werden kann, dass Frieden sich unter anderem als Abwesenheit von Krieg auszeichnet, muss innerhalb der Betrachtung von Konflikten differenziert werden. Bereits die beschriebenen konstruktiven Konflikte verdeutlichen, dass auch ein positiver, friedensfördernder Beitrag aus Disputen hervorgerufen werden kann. Die konstruktive Konfliktbearbeitung mit der gemeinsamen Intention beider Konfliktparteien, Frieden wieder herzustellen, kann als Beitrag innerhalb von Friedensprozessen gesehen werden.471 Die EKD bringt diese Argumentation in direkte Verbindung mit der Anerkennung kultureller Verschiedenheit.472 Hierbei zeigt sich ein möglicher Konfliktherd, der auf gesellschaftlicher Ebene als friedensschädigend wahrgenommen werden kann. Die Präsenz von Vorurteilen und Diskriminierung innerhalb der pluralen Gesellschaft bedingt präventive Konfliktlösungsmechanismen. Dabei ist »unsere Wahrnehmung der Unterschiede, ihrer vermeintlichen Ausschließlichkeit, unser Umgang mit den Differenzen und wie wir die damit

468 Vgl. Dahrendorf, R.: Gesellschaft und Freiheit. Zur soziologischen Analyse der Gegenwart, München 1961, 112–125. 469 Bonacker/Imbusch 2006, 71. 470 Vgl. ebd., 71f. 471 Vgl. Evangelische Kirche Deutschland 2007, 56, Ziff. 84.; sowie Kapitel 4.2.4 in dieser Arbeit. 472 Vgl. a. a. O.

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einhergehenden sozialen Konflikte bearbeiten«473 entscheidend. Zudem sollte zwischen den verschiedenen Ebenen unterschieden werden, auf denen sich Konflikte manifestieren können. Entsprechend kann sich Frieden in konstruktiver Konfliktbearbeitung in allen sozialen Interaktionsprozessen zeigen474, sei es in der Auflösung von Streit zwischen zwei Freundinnen oder in der Beendigung eines internationalen, militärischen Konfliktes. Insgesamt kann festgestellt werden, dass Konflikte nicht als »Gegenpol des Friedens«475 gelten sollten. Christoph Weller spricht sich allerdings dagegen aus, Frieden lediglich ausgehend von der Abwesenheit personaler und struktureller Gewalt zu definieren und anzustreben. Die Differenzierung und entsprechende Bearbeitung von Konflikten in konstruktivem Sinne weitet den Friedensbegriff in einer Weise aus, in der alle Menschen auf allen Ebenen friedensfördernd tätig werden können. Somit manifestiert sich die konstruktive Konfliktbearbeitung ebenfalls als Kernziel der Friedenspädagogik476, was der Friedensbildung ebenfalls eine entsprechende Richtung weist.

5.2.3 Religionspädagogische Folgerungen Religionspädagogische Herangehensweisen an konstruktive Konfliktbearbeitung in friedensbildender Hinsicht lassen sich zunächst durch die vielfältigen Konfliktursachen bestimmen. Innerhalb der globalisierten Gesellschaft ist, wie gesagt, eine starke und ansteigende Pluralität an Meinungen, Weltanschauungen und Kulturen festzustellen. Diese manifestiert sich auch in der Schule, in der eine große kulturelle, religiöse und weltanschauliche Vielfalt477 festzustellen ist, die auch differente Sichtweisen hervorrufen kann. Herbert Schweizer stellt diesbezüglich fest, dass die moderne Pluralisierung von Werten, Meinungen, Gruppen und Lebensformen dauernd Zündstoff und vielfältige Reibungspunkte schaffen würden.478 Handelt es sich bei den Konfliktursachen um solche, die auf Differenzen und dem ›Anderssein‹ basieren, sollten verschiedene Aspekte beachtet werden. 473 Weller, C.: Konfliktbearbeitung ist der Klebstoff der Demokratie, in: Bundeszentrale für Politische Bildung (Hrsg.): Kurzdossier: Zuwanderung, Flucht und Asyl. Aktuelle Themen – Zugehörigkeit und Zusammenhalt in der Migrationsgesellschaft, Bonn 2021, 1–5, 2. 474 Vgl. ders.: Frieden ist keine Lösung. Ein bescheidener Friedensbegriff für eine praxisorientierte Konfliktforschung, in: Wissenschaft und Frieden 38/2 (2020), 15–18, 15. 475 Ebd., 16. 476 Vgl. Kapitel 2.1.2. 477 Vgl. z. B. Evangelische Kirche Deutschland: Religiöse Orientierung gewinnen. Evangelischer Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Gütersloh 2014. 478 Vgl. Schweizer 2007, 486.

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Friedenspädagogische Grundlagen in interdisziplinärer Perspektive

Bezüglich der Konflikte, die sich durch Differenzen aufgrund religiöser Pluralität begründen, können die interreligiöse Bildung und der interreligiöse Dialog als konstruktive Konfliktbearbeitungsinstrumenarien herausgestellt werden. Innerhalb religionspädagogischer Bildungsprozesse wird diesbezüglich die Pluralitätsfähigkeit479 als Kompetenz betont, die auch präventiv verschiedenen Konflikten begegnen kann. Es ist in diesem Horizont ebenfalls festzustellen, dass »[a]uf den sozialen Status bezogene Abwertungen, rassistische Vorurteile, islamophobe oder antisemitische Einstellungen und entsprechendes Verhalten […] zum Alltag in Schule und Lebenswelt [gehören].«480 Interreligiöse (und interkulturelle) Bildungs- und Lernprozesse können diesbezüglich präventiv gegen derartige Phänomene wirken, müssen jedoch pädagogisch angereichert und thematisiert werden.481 Werden Konflikte im Allgemeinen, und auf interpersonaler Ebene im Speziellen, betrachtet, ist es notwendig, diese – aus den im vorherigen Kapitel genannten Gründen – nicht per se als destruktiv anzusehen, sondern »differente Sichtweisen«482 zuzulassen. Vielmehr kann die »Chance für positive Veränderung«483 herausgestellt werden, was allerdings die grundsätzliche Fähigkeit und die Bereitschaft zur gemeinsamen, konstruktiven Konfliktbearbeitung im friedlichen Sinne voraussetzt. Ein Zusammenhang mit friedensbildenden Maßnahmen, welche die ethische Dimension der Gerechtigkeit einbeziehen, lässt sich in der Fähigkeit zum Perspektivenwechsel ausmachen.484 Diesbezüglich kann festgehalten werden: »So, wie Frieden ›im Kleinen‹ als Voraussetzung für Frieden ›im Großen‹ zu sehen ist, geht es um grundsätzliche Strukturen der Einfühlung, des Mitgefühls, des Perspektivenwechsels und der mediatorischen Konfliktbewältigung.«485 Es wurde bereits klar herausgestellt, dass die konstruktive Konfliktbearbeitung als Ziel der Friedenspädagogik gilt486; entsprechend kann auf die zweite der vier Kernkompetenzen nach Baumann verwiesen werden, die zentral sind für die

479 Vgl. Evangelische Kirche Deutschland 2014, 64. 480 Knauth, T.: Konflikt und Konsens / Zusammenleben, in: Simojoki H./Rothgangel M./ Körtner U. H. (Hrsg.): Ethische Kernthemen. Lebensweltlich – theologisch-ethisch – didaktisch (Theologie für Lehrerinnen und Lehrer), Göttingen 2022, 254–263, 255. 481 Entsprechende didaktische Herangehensweisen stellen zum Beispiel Naurath und Knauth vor: vgl. Naurath 2022b, 8f.; Knauth 2022, 261f. 482 Naurath 2022b, 8. 483 Jäger 2014, 50. 484 Vgl. Kapitel 3.2.3. 485 Naurath 2022b, 10.; vgl. auch dies.: Friedenspädagogik als Übersetzungsaufgabe religiöser Bildung, in: Haußmann W., et al. (Hrsg.): EinFach Übersetzen. Theologie und Religionspädagogik in der Öffentlichkeit und für die Öffentlichkeit (Religionspädagogik innovativ Bd. 33), Stuttgart 2019, 177–184, 179. 486 Vgl. Kapitel 2.1.2.

Frieden als Abwesenheit von Krieg?

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gelingende Friedensfähigkeit: »die Fähigkeit zur Klärung von Konfliktursachen sowie zur Konstruktion und Anwendung von Konfliktlösungen«487.

5.3

Frieden als Abwesenheit von Krieg?

Die ersten Assoziationen bei Überlegungen zum (negativen) Frieden hängen wohl mit der Abwesenheit von Krieg zusammen. Der Versuch, Frieden simpel als Abwesenheit eines Staatenkrieges, bei dem es sich beispielsweise um das Einnehmen von Gebieten dreht, zu definieren, scheitert allerdings. Diese Annahme erscheint mit dem Wandel kriegerischer Auseinandersetzungen, die sich heute eben nicht (mehr) ausschließlich durch den »Einsatz staatlich organisierter Armeen«488 charakterisieren lassen, zu undifferenziert. Vielmehr müssen Aspekte der Vielschichtigkeit von Kriegsformen und darüber hinaus -ursachen ergründet werden, damit nicht nur eine Abgrenzung von Frieden zu Krieg erreicht wird, sondern außerdem Wegweisungen und Möglichkeiten zur Einhegung kriegerischer Zeiten und gleichzeitigen Maximierung von Frieden und Gerechtigkeit erlangt werden können. Erste Einblicke in den interdisziplinären Diskurs zeigen die Einigkeit darin, dass Krieg – ebenso wie Frieden – ein schwer fassbarer Begriff ist, der sich durch Zeitkontingenz489, Kontextbezogenheit und Facettenreichtum auszeichnet. Aus menschenrechtsbezogener Sicht lässt sich festhalten, dass Krieg und die Verwendung jeglicher Gewalt zu vermeiden sei, wonach dieses Verbot auch in der UN-Charta und im deutschen Grundgesetz verankert ist: UN-Charta Art. 2 Ziff. 4: »Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.«490

487 Baumann 2017, 10.; Hervorhebung im Original. 488 Bonacker/Imbusch 2006, 107. 489 Vgl. Rotte, R.: Das Phänomen Krieg. Eine sozialwissenschaftliche Bestandsaufnahme, Wiesbaden 2019, 10. 490 Vereinte Nationen: Charta der Vereinten Nationen und Status des Internationalen Gerichtshofs, 1945, 4.

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Grundgesetz Art. 26 »(1) Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen. (3) Zur Kriegführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.« (GG Art. 26)

5.3.1 Definition von Krieg Die im vorherigen Kapitel dargestellten Verfassungen verdeutlichen den Zusammenhang von Krieg und Gewalt, der beispielsweise auch die prominente Begriffsbestimmung Carls von Clausewitz folgt. Er beschreibt Krieg als »ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen.«491 Mit dieser weiten Definition ist es möglich, gewaltvolle Zusammenstöße sowohl von Staaten als auch von einzelnen Gruppierungen einschließen zu können. Er vergleicht diesen Akt mit einem Zweikampf 492, wodurch die Konnotation mit physischer Gewalt nahegelegt wird, die »damit ein konstitutives Element der Clausewitzschen Definition dar[stellt.]«493 Gleichzeitig bringt er diese Gewaltanwendung in ausschließliche Verbindung mit dem Politischen, wonach Krieg »nichts Selbstständiges«494 sondern stets ein Mittel zur Durchsetzung politischer Belange oder eines Ziels sei. Diese funktionalistische Betrachtungsweise495 versteht Krieg als Folge des »Versagens der Politik«496 und setzt die gewaltvolle Auseinandersetzung als letztliche Konsequenz zur Erreichung von Zielen ein. Diese Perspektive ermöglicht die feste Einordnung von Krieg im Bereich politischer Entscheidungsmacht und trägt gleichzeitig die Erweiterung durch Konflikte auf nicht-staatlicher Ebene – wie sie beispielsweise in Bürgerkriegen zu finden sind – zum Diskurs bei. Die Stärke dieser Begriffsbestimmung liegt in der Herausstellung der Vielschichtigkeit von Krieg – seines von Clausewitz konstatierten chamäleonartigen Charakters497 –, was eine Einordnung und Erfassung gewaltsamer

491 Clausewitz, C. v.: Vom Kriege. Vollständige Ausgabe im Urtext, drei Teile in einem Band, Troisdorf 191980, 191f. 492 Vgl. ebd., 191. 493 Kallweit 2019, 192. 494 Clausewitz 1980, 990. 495 Vgl. Bonacker/Imbusch 2006, 108. 496 A.a.O. 497 Vgl. Clausewitz 1980, 212.

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Konflikte innerhalb gesellschaftlicher und zwischenstaatlicher Gefüge unter Einbezug deren ständigen Veränderung erleichtert.498 Eine weitere Möglichkeit zur Begriffsbestimmung bietet die empirische Wissenschaft, die einerseits auf qualitativer und andererseits auf quantitativer Ebene versucht, kriegerische Konflikte einzuordnen und konstituierende Merkmale aufzustellen. Einer qualitativen Annäherung widmet sich die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) der Universität Hamburg, die Krieg, angelehnt an die Ausführungen des Friedensforschers István Kende499, als einen »gewaltsamen Massenkonflikt«500 definiert. Dieser zeichnet sich durch (1) die Beteiligung von zwei oder mehr bewaffneten Streitkräften, die mindestens von einer Seite durch die jeweilige Regierung gestellt sind, (2) die Organisation gewaltvoller Akte in einem bestimmten Mindestmaß und (3) die Kontinuität der kriegerischen Auseinandersetzungen nach einer »planmäßigen Strategie«501 – im Gegensatz zu »spontanen, sporadischen Zusammenstößen«502 – aus. Diese Merkmale eignen sich zur empirischen Einordnung kriegerischer Vorkommnisse innerhalb des jeweiligen Zeitgeschehens. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf die aktuelle Zeit übertragbar sind und stets Veränderungen innerhalb gesellschaftlicher und zwischenstaatlicher Gefüge mit aufnehmen können und somit – durch empirische Evaluation im sozialwissenschaftlichen Rahmen – an das jeweilige Weltgeschehen angepasst werden können. Den Weg der quantitativen Durchdringung und Definition von Krieg nimmt beispielsweise der Ansatz des US-amerikanischen »Correlates of War«-Projektes (COW) wahr, das mithilfe statistischer Analysen Merkmale zur Begriffsklärung erstellt. Ausgehend von dieser Herangehensweise definieren die Forschenden dieses Projektes (Staats-)Kriege zunächst als »sustained combat between/among military contingents involving substantial casualities«503. Ebenso wie in den Er498 Vgl. Münkler, H.: Clausewitz und die neuen Kriege. Über Terrorismus, Partisanenkrieg und die Ökonomie der Gewalt, in: Soeffner H.-G. (Hrsg.): Gewalt. Entwicklungen, Strukturen, Analyseprobleme (Edition Suhrkamp Bd. 2246), Frankfurt am Main 2004, 362–380, 364f. 499 Vgl. Kende, I.: Twenty-five years of local wars, in: Journal of Peace Research 8/1 (1971), 5– 22, 6. 500 Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (2016): Kriegsdefinition und Kriegstypologie. Abrufbar unter: https://www.wiso.uni-hamburg.de/fachbereich-sowi/professuren/ja kobeit/forschung/akuf/kriegsdefinition.html (aufgerufen am: 28.2.2023). 501 A.a.O. 502 Kende, I.: Über die Kriege seit 1945. Mit einer Zusammenstellung der Kriege von 1945 bis 1982 (DGFK-Hefte Bd. 16), Bonn 1982, 7. 503 Sarkees, M. R./Schafer, P.: The correlates of war data on war. An update to 1997, in: Conflict Management and Peace Science 18/1 (2000), 123–144, 124.

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läuterungen der AKUF finden sich also die militärischen Streitkräfte sowie der Charakter von Krieg als längere Zeit andauerndes Phänomen wieder. Darüber hinaus bieten auf statistisch-analytischer Seite die Zahlen der Opfer einen Anhaltspunkt zur Einordnung bewaffneter Konflikte. Die beiden Forscher Melvin Small und David J. Singer haben hierzu die kriegerischen Auseinandersetzungen seit 1816 untersucht und kategorisieren davon ausgehend gewaltsame Konflikte dann als Kriege, wenn sie pro Jahr mindestens 1.000 »battle deaths« bzw. »fatalities« zur Folge haben.504 Über die empirischen und qualitativen Beschreibungen zur Begrifflichkeit Krieg hinaus, lassen sich rechtliche Definitionen finden. Besonders in Anbetracht des oben erwähnten zweiten Artikels der UN-Charta ist die völkerrechtliche Betrachtung von Krieg von Bedeutung, um eine einseitige (rein empirische) Klärung zu vermeiden. Die rechtliche Wahrnehmung von Krieg zeigt deutlich die Relevanz einer stetigen Weiterentwicklung der Frage nach gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen und innerhalb von Staaten. Ursprünglich und traditionell war ausgehend vom humanitären Völkerrecht Krieg mit einer klassischen Kriegserklärung und entsprechender Wiederherstellung des Friedens durch ein festgelegtes Kriegsende (Friedensschluss) beschrieben.505 Allerdings kann in Anbetracht der neuzeitlichen Entwicklungen, die eine zusätzliche Komplexität kriegerischer Auseinandersetzung bedingen (wie beispielsweise der Anstieg innerstaatlicher oder asymmetrischer Kriege), nicht mehr davon ausgegangen werden, dass »Staaten als ›natürliche Personen‹ im Völkerrecht«506 angesehen werden. Durch diese Veränderung ist im Zuge der Genfer Abkommen 1949 nun explizit von ›bewaffneten Konflikten‹ die Rede, was ein weitgefasster und damals auch nicht näher definierter Begriff ist.507 Gleichzeitig wird zwischen internationalen und nicht-internationalen Konflikten unterschieden. Erst im Zuge der Weiterentwicklung der rechtlichen Grundlagen und im Angesicht der Notwendigkeit der genaueren Fassung des Terminus liegt mittlerweile eine »nicht völlig eindeutige oder wenig konkrete Definition«508 bewaffneter Konflikte und Kriege vor:

504 Small, M./Singer, J. D.: Resort to arms. International and Civil Wars, 1816–1980, Beverly Hills 1982, 57f.; vgl. auch Rotte 2019, 17. 505 Vgl. Reuter, H.-R.: Art. Krieg. I. Sozialwissenschaftlich, in: Betz H. D., et al. (Hrsg.): Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft (Bd. 4 I-K), Tübingen 42001, Sp. 1765–1767, Sp. 1766. 506 Rotte 2019, 12. 507 Vgl. a. a. O. 508 A.a.O.

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»Ein bewaffneter Konflikt liegt […] dann vor, wenn eine Konfliktpartei Waffengewalt gegen den völkerrechtlich geschützten Bereich des Konfliktgegners einsetzt und dieser Waffeneinsatz ihr als Völkerrechtssubjekt zurechenbar ist.«509

Was diese Definition aufzeigt, ist die starke Korrelation zwischen den Begrifflichkeiten ›Krieg‹ und ›Konflikt‹, die seit dem Zweiten Weltkrieg mitunter nicht nur den rechtlich-humanitären Rahmen von Kriegs- und Friedensüberlegungen ausmacht.510 Allerdings besteht je nach Zielsetzung der Definitionsrahmen keine Einigkeit über die Verwendung der Termini. So grenzt beispielsweise die AKUF ›bewaffnete Konflikte‹ von Kriegen ab, indem sie sagt, erstere seien gewaltsame Auseinandersetzungen, bei denen die Kriterien der Kriegsdefinition nicht in vollem Umfang erfüllt sind.511 Aus den verschiedenen Annäherungen an die Begrifflichkeit geht also deren Ambivalenz hervor, die es bei jeglicher Überlegung zu entsprechenden Friedensdefinitionen und -bemühungen zu bedenken gibt. Um den Charakter des ›Chamäleons‹ zu erkennen, müssen noch weitere Schritte folgen, die Erscheinungsformen sowie Ursachen von Kriegen und gewaltsamen Auseinandersetzungen ans Licht bringen. 5.3.1.1 Formen von Kriegen Die Typisierung kriegerischer Auseinandersetzung lässt sich auf unterschiedliche Art und Weise vornehmen. Klassisch lassen sich internationale – also zwischenstaatliche – und intrastaatliche Kriege/Bürgerkriege unterscheiden. Allerdings ist in Anbetracht der Entwicklung neuerer Waffen, wie beispielsweise der Atombombe, oder auch des Aufkommens aktueller Kriegsführungsstrategien eine weitergreifende Formenbeschreibung von Kriegen nötig. So wurden im Zuge der Bedrohungen des Kalten Krieges im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts vermehrt neue Typisierungsversuche vorgenommen. Solche Versuche sind auf verschiedene Weisen möglich, indem beispielsweise nach dem Medium der Gewaltanwendung unterschieden wird und Begrifflichkeiten wie Land- oder Seekrieg Anwendung finden.512 Weitere Möglichkeiten sind Differenzierungen nach den Auswirkungen auf die Gesellschaft und der politischen Funktion, die Kriege inne haben können (beispielsweise in der Betrachtung des ›totalen

509 Ipsen, K.: Bewaffneter Konflikt und Neutralität, in: ders. (Hrsg.): Völkerrecht (Juristische Kurz-Lehrbücher), München 62014, 1175–1242, 1200; §59, Rz. 7; Hervorhebung im Original. vgl. auch Rotte 2019, 12. 510 Vgl. Heintschel von Heinegg, W.: Recht des bewaffneten Konflikts, in: Epping V./ Heintschel von Heinegg W. (Hrsg.): Völkerrecht. Ein Studienbuch (Juristische Kurz-Lehrbücher), München 72018, 1276–1364, 1284; §60, Rz. 20. 511 Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (2016). 512 Vgl. Bonacker/Imbusch 2006, 110.

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Kriegs‹)513, oder auch die Unterscheidung nach der jeweiligen Legitimationsweise gewaltsamer Auseinandersetzung, wie sie in der Geschichte durch das Konzept des gerechten Krieges vonstattengegangen ist.514 Um das Phänomen im Ganzen betrachten zu können wird im Folgenden die Einteilung nach Irene Etzersdorfer genauer in Augenschein genommen. Sie unterscheidet im Wesentlichen die drei verschiedenen Kriegsformen Staatskrieg, Bürgerkrieg und Neue Kriege, die jeweils verschiedene Ursachen, Erscheinungs- und Organisationsformen aufweisen.515 Dabei ist die Typisierung nach dem Prinzip der »Unterscheidung von Zweck, Ziel und Mittel des Krieges«516 vorgenommen worden. Zunächst seien die Formen des Staatenkrieges genannt, der sich durch Symmetrie auszeichnet.517 Krieg stelle demnach innerhalb eines »souveränen Staatenprinzips […] ein Rechtsverhältnis zwischen grundsätzlich gleichwertigen Staaten und Gegnern dar.«518 Diese, in der Geschichte häufig zu findende, Form der gewaltvollen Auseinandersetzung bezieht sich also auf die staatliche Führung, die klassisch zum Beispiel in Eroberungskriegen zu finden ist. Das Postulat der Symmetrie dieser Kriegstypik erklärt sich allerdings nicht etwa durch einen Kampf ›auf Augenhöhe‹ mit der gleichen Kraft beider Kombattanten, sondern beschreibt die »Gegenseitigkeit und Äquivalenz«519, die sich zeigt, wenn zwei staatlich organisierte (militärische) Truppen aufeinandertreffen. Neuere Vorkommnisse bedingen die Unterkategorien Totaler Krieg und Kriege im Atomzeitalter. Dabei ist der Totale Krieg im Grundsatz ebenfalls ein Staatenkrieg und zeichnet sich zusätzlich allerdings durch den immensen Einfluss auf die jeweilige Gesellschaft aus: »Alles dreht sich um den Krieg und alle Sozialbeziehungen sind mit ihm verbunden«520, sodass im Falle solcher Auseinandersetzungen alle verfügbaren Ressourcen der Gesellschaft, Industrie und Regierung für die Kriegsführung aufgewandt werden. Kriege im Atomzeitalter charakterisieren sich vor allem durch die Androhung des Einsatzes atomarer Waffen. Durch die immense Zerstörungsmacht der Atombombe ist in dieser Kriegsform kein klassischer Staatenkrieg möglich, der sich durch das Zusammentreffen zweier (militärischer) Mächte auszeichnet. Vielmehr besteht die Gefahr in der Bedrohung, wie dies beispielsweise im Kalten Krieg des vergangenen Jahrhunderts der Fall war.

513 Vgl. ebd., 111. 514 Vgl. Etzersdorfer, I.: Krieg. Eine Einführung in die Theorien bewaffneter Konflikte (UTB Bd. 2875), Wien 2007, 137.; Näheres zur Lehre vom gerechten Krieg wird in Kapitel 5.3.2.3 konkretisiert. 515 Vgl. ebd., 53–136. 516 Bonacker/Imbusch 2006, 111. 517 Vgl. Kapitel 5.2.2. 518 Etzersdorfer 2007, 53. 519 A.a.O. 520 Bonacker/Imbusch 2006, 111.

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Die zweite prominente Kriegsform ist der Bürgerkrieg, der innerhalb einer Gesellschaft beziehungsweise eines Staates ausbrechen kann. Wie der Begriff vermuten lässt, handelt es sich bei diesem Typus um einen »Konflikt innerhalb des Gemeinwesens«521, bei dem die dort lebenden Bürgerinnen und Bürger betroffen sind. Gründe für solche Auseinandersetzungen können religiöser, aber auch ökonomischer oder ethnischer Natur sein und treffen vorwiegend Staaten, die sich als schwach betiteln lassen oder von einem Zusammenbruch bedroht sind.522 In der statistischen Erhebung aktueller Kriegsformen werden zusätzlich Bürgerkriege mit Eingriff durch externe(n) Staat(en) genannt. Insgesamt lässt sich allerdings sagen, dass Bürgerkriege mittlerweile die wohl häufigste Kriegsform sind, wobei Krisen mit Intervention durch externe Staaten wiederum vermehrt auftreten.523 Eine Form des Bürgerkrieges ist der von Etzersdorfer sogenannte Kleine Krieg, der im allgemeinen Sprachgebrauch am ehesten durch den spanischen Begriff ›Guerilla‹ bekannt ist und als Gegensatz zu den großen Staatenkriegen gelten kann.524 Kleinkriege sind in ihrer Form von Staatenkriegen zu unterscheiden, jedoch sind sie als bewaffnete Konflikte nicht etwa weniger grausam oder gewaltvoll. Als dritte Form werden die Neuen Kriege genannt, die innerhalb des Diskurses seit einiger Zeit mehr in den Fokus gerückt sind.525 Krieg ist grundsätzlich ein Phänomen, das innerhalb seiner Historie variabel ist und sich stets ausgehend von der (Welt-)Gesellschaft definiert. Deshalb sind aus verschiedenen Gründen Konfliktformen auf den Plan getreten, die sich nicht mehr einfach dem Staatenbeziehungsweise Bürgerkrieg zuordnen lassen. Im Gegensatz zur Symmetrie, die sich in einem Staatenkrieg zeigt, sind die neuen Kriegsformen durch starke Asymmetrie gekennzeichnet. Ein prominentes Beispiel hierfür sind die sogenannten Warlords, »die von der Kriegsökonomie leben und aus diesem Grund Friedensverhandlungen boykottieren.«526 Ein prägnantes Merkmal dieser aktuellen Kriegsform ist die Privatisierung der Gewalt, wenn eben Einzelpersonen in zerfallen(d)en Staaten gewaltvolle Kleinkriege führen. Das exemplarische Ziel

521 Etzersdorfer 2007, 81. 522 Vgl. ebd., 82. 523 Roser, M. (2016): War and Peace. Abrufbar unter: https://ourworldindata.org/war-and-pe ace#all-charts-preview (aufgerufen am: 28. 2. 2023). 524 Vgl. Etzersdorfer 2007, 105. 525 Vgl. z. B. Münkler, H.: Clausewitz und die neuen Kriege. Über Terrorismus, Partisanenkrieg und die Ökonomie der Gewalt, in: Soeffner H.-G. (Hrsg.): Gewalt. Entwicklungen, Strukturen, Analyseprobleme (Edition Suhrkamp Bd. 2246), Frankfurt am Main 2004, 362– 380.; Haspel, M.: Einführung in die Friedensethik, in: Imbusch P./Zoll R. (Hrsg.): Friedensund Konfliktforschung. Eine Einführung, Wiesbaden 42006, 513–536, Sp. 898. 526 Etzersdorfer 2007, 115.

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können auch »[e]thnische oder religiöse Säuberungen«527 sein, wie sich vor allem in der Problematik des steigenden Terrorismus im 21. Jahrhundert zeigt. Diese neuen Entwicklungen stellen die Gesellschaft und die Regierungen vor besondere Herausforderungen, da aktuelle Kriegsformen nicht mehr ohne Weiteres voneinander abzugrenzen sind, sich durch große Varianz auszeichnen und häufig auch Zivilistinnen und Zivilisten zum Ziel beziehungsweise zu Akteurinnen und Akteuren werden. In modernen Überlegungen zu Friedensbemühungen müssen diese neuen Formen – ergänzend zu den weiterhin herausfordernden Bürger- und Staatenkriegen – dringend bedacht werden und somit gilt es auch, die jeweiligen Ursachen und Gründe zu durchdringen. 5.3.1.2 Ursachen von Kriegen Die Ursachen von Krieg sind so vielfältig wie seine Erscheinungsformen. Vor allem seit den zwei Weltkriegen ist eine »lange ideengesch[ichtliche] Tradition«528 zur Untersuchung und davon ausgehend auf die Prävention von Kriegsursachen erwachsen. Grundlegend können drei Richtungen ausgemacht werden, die auf anthropologischer, politischer und staatenstruktureller Ebene versuchen, die Ursprünge bewaffneter Konflikte zu evaluieren. Dennoch lassen sich diese Einzelfaktoren nicht als genuin alleinstehende Gründe ausmachen. Vielmehr ist ein Zusammenspiel verschiedener Aspekte kriegsfördernd und in dieser Hinsicht besteht ein breites Spektrum an empirischen Untersuchungen, die versuchen, sich den Ursachen anzunehmen. Dadurch, dass aber sowohl der jeweilige Staat Einfluss auf die dort lebenden Menschen und auch das internationale System hat, während auch die Menschen einer Gesellschaft immer zum Staatenkonstrukt und somit zur Weltlage beitragen, können die Ebenen nur in der Gesamtschau betrachtet werden. Menschliche Aggression als Ursache von kriegerischen Auseinandersetzungen Der personal-situationistische Ansatz begründet Krieg mit »anthropologische[n] Faktoren wie Selbstsucht und Selbstbehauptungsdrang«529. Das Problem dieser Herangehensweise liegt allerdings zum einen darin, dass in der anthropologischen Festlegung, also des unvermittelten Drangs zur kriegerischen Auseinandersetzung, eine Lösung schwierig erscheint. Zum anderen sollte ausgehend von den unterschiedlichen Kriegsarten auch der konkrete Krieg in den Blick geraten, 527 Mokrosch, R. (2016): Art. Krieg und Frieden. In: Wissenschaftlich-Religionspädagogisches Lexikon (WiReLex). Abrufbar unter: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100169/ (aufgerufen am: 28. 2. 2023), 1. 528 Reuter 2001, Sp. 1766. 529 A.a.O.

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indem »zwischen unmittelbarem Anlass und tieferliegenden Ursachen des Krieges«530 unterschieden wird. Allerdings ist innerhalb der Kriegsursachenforschung auch der individuelle Zweig des Ursprungs von und Umgangs mit menschlicher Aggressivität von Bedeutung, da im Grunde nur mit dem Einbezug der Mikroebene Rückschlüsse auf Begebenheiten innerhalb staatlicher, von Menschen geschaffenen, Strukturen möglich ist. Tendenziell lassen sich innerhalb der Aggressions- und Gewaltforschung drei Grundrichtungen des Ursprungs von destruktivem Verhalten auf individueller Ebene ausmachen. Auf psychoanalytischer Ebene wird dieses als im Menschen verankerter und angeborener Todestrieb angesehen, der allerdings stark von der jeweiligen Sozialisation jedes/jeder Einzelnen abhängt. Umweltfaktoren haben Einfluss darauf, ob eben jener Todestrieb oder der ebenfalls angeborene Überlebenstrieb eine stärkere Ausprägung im Individuum besitzen.531 Die Verhaltensforschung/Ethologie beschreibt Aggressivität und daraus resultierende gewaltvolle Ausschreitungen im Zuge von Kriegen als »Grundkonstante menschlichen Seins«532. Diese ist situationsabhängig, deren Auslösung kontext- und umweltgebunden, jedoch tief im menschlichen Dasein festgeschrieben.533 Lernpsychologische Theorien, wie beispielsweise die Theorie des sozialen Lernens nach Bandura534, erklären destruktives Verhalten nicht als angeboren. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass Aggressivität und im äußersten Falle kriegerische Auseinandersetzungen durch Imitation und Identifikationslernen von Vorbildern ins Leben gerufen werden.535 Damit wären entsprechende Verhaltensweisen im Menschen wiederum stark von deren Umfeld- beziehungsweise Umwelteinflüssen abhängig. Alle drei Theorien sind innerhalb der Aggressions- und davon ausgehend innerhalb der Kriegsursachenforschung weit verbreitet, wobei gesagt werden kann, dass »Banduras sozial-kognitiver Ansatz […] dem heutigen Forschungsstand am weitestgehenden entspricht und am ehesten Auswege bietet.«536

530 A.a.O. 531 Vgl. Wasmuht, U. C.: Art. Kriegsursachen, in: Lippert E./Wachtler G. (Hrsg.): Frieden. Ein Handwörterbuch (Studienbücher zur Sozialwissenschaft Bd. 47), Opladen 1988, 242–250, 246. 532 A.a.O. 533 Vgl. Fraas, H.-J.: Art. Aggression, in: Betz H. D., et al. (Hrsg.): Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft (Bd. 1 A-B), Tübingen 41998, Sp. 183f, Sp. 183. 534 Vgl. Bandura, A.: Aggression. Eine sozial-lerntheoretische Analyse, Stuttgart 1979, 55–69. 535 Vgl. Fraas 1998, Sp. 184. 536 A.a.O.

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Staatliche Strukturen als Ursache von Kriegen In der älteren Literatur wird bezüglich der Staatenstrukturen versucht, Rückschlüsse auf mögliche Kriegsursachen zu ziehen. Zentral sind in dieser Hinsicht zunächst Imperialismustheorien, die versuchen, einen Zusammenhang zwischen kapitalistischen Staatenstrukturen, der notwendigen Expansion und dem ökonomischen Stand mit dem Ausbrechen von Konflikten herzustellen.537 Ebenso die einzelnen (machthabenden) Personen können in den Mittelpunkt gerückt werden, wenn innerhalb eines Staates die Elitentheorie greift, die sich die Frage stellt, ob es einen Einfluss auf wachsende Kriegsgefahr hat, »dass Eliten an die Spitze kommen, die zu aggressivem außenpolitischen Handeln neigen«538. Auch die Faktoren des Militärs und des Nationalismus werden bezüglich des Blickes auf die Staatsstruktur untersucht. Derartige Herangehensweisen eignen sich, da somit staatenspezifische Konfliktursachen betrachtet werden können, wo eine reine Untersuchung der Makrosysteme scheitert.539 Aus diesem Grund hat sich auch in den letzten Jahren eine immer breitere empirische Untersuchung der staatlichen Faktoren, die sich begünstigend auf inner- und zwischenstaatliche Kriege auswirken können, entwickelt. Um eine breitere Datengrundlage zu erhalten, wird innerhalb der Empirie mithilfe des dyadischen Prinzips zur Untersuchung der Verhältnisse von Staaten untereinander (exogene Variable) und der Betrachtung eines konkreten militärischen Konflikts in einem bestimmten Zeitraums, der meist ein Jahr beträgt (endogene Variable), mehrperspektivisch gearbeitet.540 Zentrale empirisch gesicherte Kriegsursachen im aktuellen Weltgeschehen lassen sich wiederum in solche, die innerstaatliche Konflikte wie Bürgerkriege beeinflussen, und solche, die zwischenstaatliche beziehungsweise internationale Kriege begünstigen, einteilen. Bezüglich internationaler Kriege tragen vor allem undemokratische politische Systeme beider Kontrahenten und die Beteiligung einer Großmacht am Konflikt zu gewaltsamen Austragungen bei.541 Demgegenüber ist die wirtschaftliche Entwicklung, also die »ökonomische Wohlfahrt«542, förderlich für die Friedfertigkeit zwischen Staaten. Auf innerstaatlicher Ebene sind die Ursachen für konfliktbehaftete Auseinandersetzungen wie Bürgerkriege meist innerhalb der Staatsstruktur zu finden. So sind als negative, also Krieg hervorrufende, Faktoren, eine hohe Bevölkerungsdichte, ethnische Diversität und Heterogenität, wirtschaftliche Aspekte wie Armut innerhalb des Staates oder auch die jeweilige Regierungsform zu nen537 538 539 540 541 542

Vgl. Wasmuht 1988, 246. Ebd., 247. Vgl. Rotte 2019, 57. Vgl. a. a. O. Vgl. ebd., 61f. Ebd., 62.

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nen.543 Darüber hinaus sind ökonomische und geografische Einflüsse, wie beispielsweise das Vorkommen von Kriegen in Nachbarländern, ebenfalls Bestimmungsfaktoren von innerstaatlichen bewaffneten Konflikten.544 Auch die Konfliktgeschichte des Staates kann Einfluss auf einen signifikanten Anstieg der Gefahr von Kriegsausbrüchen nehmen. So wurde beispielsweise ein Zusammenhang zwischen der Erfahrung bereits ausgefochtener Bürgerkriege und daraus resultierender Möglichkeit eines erneuten Ausbruchs festgestellt.545 Einfluss des internationalen Systems auf kriegerische Auseinandersetzungen Natürlich können auch internationale Begebenheiten Einfluss auf konfliktbehaftete gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen und innerhalb von Staaten nehmen. Die Heterogenität des internationalen Systems begünstigt Kriege und Konflikte, die sich durch das Fehlen einer »internationale[n] Instanz, die den Krieg durch eine den Staaten übergeordnete Kontrolle sanktioniert und damit verhindert«546, begründet. Neben den staatenspezifischen und innerhalb der Einzelnationen vorhandenen Phänomenen, die als Kriegsursachen fungieren, zeigen beispielsweise auf empirischer Ebene die bereits genannten geografischen Einflüsse, dass das Makrosystem in der Untersuchung und Prävention von Kriegen nicht außer Acht gelassen werden sollte. So stellt Ralph Rotte fest, dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen der geografischen Nähe und häufiger Kriege ermittelt werden konnte.547 Das bedeutet, vor allem im historischen Rückblick an Eroberungskriegen ersichtlich, dass bewaffnete Konflikte vermehrt zwischen Nachbarländern auftreten. Gegen diese Wirkgröße können Bündnisse (zum Beispiel die NATO) eine relevante Gegenmaßnahme sein, da diese in der Tendenz die Wahrscheinlichkeit internationaler Kriege vermindern.548 Dabei ist zu bedenken, dass »sich die Allianzbindung nicht mit erhöhter Rüstung auf beiden Seiten verbindet«549, weil dadurch wiederum die Gefahr einer Austragung von Interessenskonflikten mit militärischen Mitteln ansteigen würde.

543 544 545 546 547 548 549

Vgl. ebd., 63f. Vgl. ebd., 63. Vgl. ebd., 64. Wasmuht 1988, 247. Vgl. Rotte 2019, 61. Vgl. ebd., 62. A.a.O.

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Exkurs: Religiöse und kulturelle Divergenzen als Kriegsursache? Als relevanter Einflussfaktor, der sowohl staatliche als auch internationale Konfliktherde betrifft, werden häufig auch kulturelle und religiöse Differenzen beziehungsweise Divergenzen genannt und untersucht. Dabei zeigen einschlägige Studien, »dass kulturelle und zumeist auch religiöse Unterschiede keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit internationaler bewaffneter Konflikte haben.«550 Eine deutliche Problematik zeigt sich allerdings in dieser Hinsicht dadurch, dass meist keine genauere Definition beziehungsweise Eingrenzung kultureller Faktoren angestrebt wird; vielmehr wird beispielsweise Religion als relevanter kultureller Einfluss gesehen und somit auf die gleiche Stufe wie zum Beispiel sprachliche Unterschiede gestellt. Diese Kritik trifft auch die prominente These Samuel P. Huntingtons, der in den frühen 1990er-Jahren Konflikte zwischen »the countries of the West and countries of the Muslim World«551 untersuchte. Dabei wird deutlich, dass die Sicht auf sogenannte westliche Kulturkreise und die religiös geprägte ›muslimische Welt‹ stark vermischt werden, was heutiger religiöser Pluralität – auch innerhalb der westlichen Welt – und der nötigen Differenzierung nicht (mehr) gerecht wird. Ausgehend von einer historischen Variabilität von Kriegsursachen, wurde die These aufgestellt, dass bewaffnete Konflikte nach dem Kalten Krieg am wahrscheinlichsten durch einen Kampf der Kulturen begründet seien. Eine Einteilung der Entwicklung legen Sean Bolks und Richard Stoll552 vor, die bis zum 17. Jahrhundert Monarchenkriege zur Erweiterung des jeweiligen Macht- und Wirkungsbereiches verorten. Von der Französischen Revolution bis zum Ende des Ersten Weltkrieges seien Konflikte durch Einzelpersonen und aufkommenden Nationalismus, was Abgrenzung und Verteidigungshandlungen nach sich zog, begründet gewesen. Ursache für kriegerische Auseinandersetzungen nach dem Ersten Weltkrieg sei die unterschiedliche Ideologie der Kontrahenten, was besonders an den Beispielen des Zweiten Weltkrieges und des Kalten Krieges deutlich wird. Die Frage, wie sich die Situation in der Neuzeit geändert hat, beantwortet Huntington folgendermaßen: »It is my hypothesis that the fundamental source of conflict in this new world will not be primarily ideological or primarily economic. The great divisions among humankind and the dominating source of conflict will be cultural. […] Conflict between civilizations will be the latest phase in the evolution of conflict in the modern world.«553

550 A.a.O. 551 Bolks, S./Stoll, R.: Examining conflict escalation within the civilizations context, in: Conflict Management and Peace Science 20/1 (2003), 85–109, 86. 552 Vgl. ebd., 86f. 553 Huntington, S. P.: The Clash of Civilizations?, in: Foreign Affairs 72/3 (1993), 22–49, 22.

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Diese These, dass in aktueller Zeit die Ursache von Kriegen in der Unterschiedlichkeit der Zivilisationen und somit in kultureller Differenzierung liegt, konnte in verschiedenen Studien nicht nachgewiesen werden. So kritisiert beispielsweise Jonathan Fox, dass trotz der Überlappungen von Kultur und Religion zwischen beiden Phänomenen unterschieden werden sollte und evaluierte in seiner Studie zudem, dass weder kulturelle noch religiöse Unterschiede die primäre Ursache für aktuelle Kriege seien.554 Auch weitere Studien konnten den Zusammenhang von kulturellen Unterschieden und daraus resultierenden zwischenstaatlichen Kriegen nicht empirisch signifikant herstellen beziehungsweise beweisen; es gäbe sogar Hinweise darauf, »dass zwischenstaatliche Kriege vornehmlich zwischen Ländern des gleichen Kulturraums stattfinden.«555 Demgegenüber steht allerdings die Studie von Vincent Bove und Gunes Gokmen, die Kultur nicht nur durch religiöse und sprachliche Unterschiede charakterisieren, sondern die Faktoren der sprachlichen Barrieren (linguistic barrier) und kulturellen Verschiedenheiten (cultural differences) breit differenzieren. Dabei kommen sie zu dem Ergebnis, dass (internationale) Konflikte durchaus wahrscheinlicher zwischen kulturell verschiedenen Parteien ausbrechen.556 Auf innerstaatlicher Ebene finden sich ebenfalls ambivalente Betrachtungsweisen zur Frage nach kulturellen beziehungsweise religiösen Unterschieden als Kriegsursachen. Gerade vor dem Hintergrund der Krise, welche die westliche Gesellschaft durch islamistischen Terror im 21. Jahrhundert maßgeblich beeinflusst, sind Untersuchungen notwendig geworden, die sich mit religiöser Abgrenzung, der Bereitschaft zur Gewalt religiöser Gruppierungen und dem innerstaatlichen Konfliktpotenzial ethnisch und religiös begründeter Ursachen beschäftigen. Einschlägige Studien hierzu zeigen, dass sich innerhalb staatlicher Gefüge gewaltvolle Konflikte häufiger dann zeigen, wenn intrareligiöse Auseinandersetzungen ausgetragen werden.557 Zudem kann, wiederum in Abgrenzung von der These Huntingtons, davon ausgegangen werden, dass religiös begründete Auseinandersetzungen Bürgerkriege zwar befeuern können, sie letztlich aber nicht als Grundursache gelten.558 Im Gegenteil: vor dem Hintergrund des Selbstverständnisses und der Zielsetzung der Friedenstiftung religiöser Institutionen und Gemeinschaften, die sich auch in den Weltreligionen Christentum, 554 Vgl. Fox, J.: Clash of civilizations or clash of religions. Which is a more important determinant of ethnic con¯ict?, in: Ethnicities 1/3 (2001), 295–320, 295. 555 Rotte 2019, 62.; vgl. beispielsweise Fox 2001, 312f. 556 Vgl. Bove, V./Gokmen, G.: Cultural distance and interstate conflicts, in: British Journal of Political Science 47/2017 (2017), 939–949, 948. 557 Vgl. Fox, J.: Are some religions more conflict-prone than others?, in: Jewish Political Studies Review 16/1–2 (2004), 81–100, 81. 558 Vgl. Isaacs, M.: Sacred violence or strategic faith? Disentangling the relationship between religion and violence in armed conflict, in: Journal of Peace Research 53/2 (2016), 211–225, 218.

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Islam und Judentum manifestieren, kann durchaus festgestellt werden, dass diese »einen friedensfördernden Einfluss auf innerstaatliche Konflikte haben können.«559 Insgesamt zeigt der Diskurs, dass es notwendig ist, zwischen Religion und Kultur zu unterscheiden und für adäquate Ergebnisse eine klare Differenzierung des Kulturgedankens herzustellen. Ob im 21. Jahrhundert wirklich der Clash of Civilizations ausgebrochen ist, kann in diesem Zusammenhang stark bezweifelt werden, wobei nicht außer Acht gelassen werden darf, dass sowohl ethnische Unterschiede als auch religiöse Differenzen inner- und zwischenstaatlich ein hohes Konfliktpotenzial aufweisen können. Dies zeigt sich im Aufkommen asymmetrischer Kriegsformen, die auch – aber eben nicht ausschließlich – durch kulturelle und religiöse Verschiedenheiten ausgelöst sein können. Eine spezifische Klarstellung von expliziten Kriegsursachen wäre mit Sicherheit förderlich für entsprechende Maßnahmen zur Herstellung von Frieden, wobei die Komplexität der Gründe deutlich macht, welche Schwierigkeiten und Herausforderungen jeglichen Friedensbemühungen entgegenstehen. 5.3.1.3 Exkurs: Die Lehre vom gerechten Krieg Bezüglich theologischer Entwicklungslinien im Kontext von Krieg machte besonders die sogenannte Lehre vom gerechten Krieg (›bellum iustum‹) einen zentralen Wirkfaktor aus. Der ursprüngliche Begriff und die Theorie gehen auf ältere Traditionen, dabei vor allem auf Cicero560, zurück; im theologischen Umfeld wurde die Lehre vor allem auf den Ausführungen Augustins aufgebaut. Die Relevanz der Rechtfertigung von Krieg zeigt sich im Kontext von Frieden im aktuellen Zeitalter vor allem durch die Weiterentwicklung und den Paradigmenwechsel hin zur Lehre vom gerechten Frieden.561 Um diese friedensethische Denkrichtung durchdringen zu können sowie weitere kriegsrelevante Aspekte aufzugreifen, werden im Folgenden wichtige Elemente des ›bellum iustum‹ in den Blick genommen. In den ersten Jahrhunderten nach dem Tod Jesu Christi wurden seine friedvollen Lehren weitergeführt und -gelebt. Diejenigen, die in seiner Nachfolge lebten und sich zu ihm bekannten, hatten vor allem die Anweisungen der Bergpredigt verinnerlicht und konzentrierten sich auf ein gewaltfreies Leben. Dieser »urchristliche Pazifismus«562 wurde beispielsweise in dem Verbot von Waffen für Christen in der Synode von Elvira 306 n. Chr. manifestiert563 und trug 559 560 561 562 563

Rotte 2019, 65. Vgl. Haspel 2006, 520. Vgl. Kapitel 5.1.3. Mokrosch, R. (2016), 3. Vgl. a. a. O.

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Früchte in der Pax Romana, der langen Friedenszeit in Folge der Herrschaft des Kaisers Augustus, die ab 27 v. Chr. circa 200 Jahre andauerte.564 Doch mit dem Wachstum des christlichen Glaubens und der zunehmenden Größe des römischen Reiches, die »Kriege schlimmerer Art entfesselt[e]«565, wurde die pazifistische Lebensweise der Gläubigen auf die Probe gestellt. Spätestens mit der Konstantinischen Wende 313 n. Chr., die zur Folge hatte, dass das Christentum zur Staatsreligion wurde, erhob sich eine Diskussion um den Militärdienst und die Beteiligung der christlichen Mitbürger am Krieg.566 Der Friedensethik Jesu folgend wurde Christen der Wehrdienst zunächst frei zur Wahl gestellt. Mit Augustinus begann allerdings »die Suche nach Regeln zur Unterscheidung zwischen legitimer und illegitimer Gewalt«567, die in antiker Zeit vor allem mit kriegerischen Auseinandersetzung in Verbindung stand. Der Gerechte Krieg nach Augustinus Der Kirchenvater stellte in Anbetracht der Problematik seiner Zeit, unter Rückgriff auf das biblische Wort und den Vorannahmen Ciceros folgend die Lehre vom gerechten Krieg (bellum iustum) auf. Diese Lehre versuchte, eine »politische Ethik«568 zu schaffen, mit der fromme Christinnen und Christen die »unhintergehbare Distanz zwischen Jenseitsorientierung […] und Diesseitsorientierung irdischer Staatlichkeit«569 überwinden können. Um die Legitimität von Kriegen innerhalb der Civitas terrena570 abzuprüfen, entwickelte Augustinus konkrete Voraussetzungen für einen gerechten Krieg. Diese liegen zunächst in der causa iusta, dem ›gerechten Grund‹ zur Kriegsführung. Ohne einen Grund, der es zweifellos legitimiert, einen Krieg zu führen, sei dieser nicht rechtens. Die zweite Voraussetzung ist die legitima potestas, also 564 Vgl. Gottlieb, G.: Art. Pax Romana, in: Betz H. D., et al. (Hrsg.): Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft (Bd. 6 N-Q), Tübingen 42003, Sp. 1074, Sp. 1074. 565 Augustinus 1978, 541. 566 Vgl. Schneider, P./Bunge, K./Sebastian, H./Hiéramente/Brzoska, M./Neuneck, G.: Frieden in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen, in: Werkner I.-J./Ebeling K. (Hrsg.): Handbuch Friedensethik, Wiesbaden 2017, 55–75, 60f. 567 Ebd., 61. 568 Leonhardt, R.: Grundinformation Dogmatik. Ein Lehr- und Arbeitsbuch für das Studium der Theologie (UTB Bd. 2214), Göttingen 42009, 30.; Hervorhebung im Original. 569 A.a.O. 570 In seiner Schrift »Civitas Dei – Vom Gottesstaat« stellt Augustinus das Postulat zweier Reiche auf: der Civitas Dei und der Civitas terrena. Erstere drückt die eschatologische Hoffnung auf das kommende Reich Gottes aus, in dem sich der ewige Frieden manifestiert. Der Mensch sei zudem Mitglied des irdischen Staates (civitas terrena), der sich durch militärische und kriegerische Auseinandersetzungen, Gewalt und Leid auszeichnet. vgl. hierzu Augustinus 1978, 546f.

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eine Obrigkeit, die fähig und legitimiert dazu ist, den Krieg zu führen. Dieser sei es aber lediglich erlaubt, einen Krieg zu führen, wenn er mit einer recta intentio (der rechten Intention) begonnen wird. Nach den Lehren Augustins solle jeder und jede durch Kriegsführung Frieden erstreben.571 Letztendliches Ziel eines Krieges sei also immer die Wiederherstellung eines friedlichen Zusammenlebens, womit ausgeschlossen ist, dass gewaltvolle Auseinandersetzungen aus Selbstzweck geführt werden. Dieser Aspekt schließt demnach beispielsweise einen Kampf aus Rache oder Habgier strikt aus.572 Mittelalterliche Scholastik und die Lehre vom Gerechten Krieg Vor dem Hintergrund des Werkes Augustins und im Horizont der scholastischen Theologie im Mittelalter entwickelte Thomas von Aquin die Lehre des gerechten Krieges weiter.573 In seinem Werk Summa Theologica legt er in dialogischem Aufbau Aspekte des Friedens574 und später Handlungsanweisungen einer politischen Theologie des Krieges575 dar. Aufgrund des vielfachen Vorkommens von Krieg auf der Erde, beruft er sich auf die Rechtfertigung und Legitimation von Kriegen: »Zu einem gerechten Krieg sind drei Dinge erforderlich: Erstens die Vollmacht des Fürsten, auf dessen Befehl hin der Krieg zu führen ist. Denn es ist nicht Sache der Privatperson, einen Krieg zu veranlassen. […] Zweitens ist ein gerechter Grund verlangt. Es müssen nämlich diejenigen, die mit Krieg überzogen werden, dies einer Schuld wegen verdienen. […] Drittens wird verlangt, daß [sic!] die Kriegführenden die rechte Absicht haben, nämlich entweder das Gute zu mehren oder das Böse zu meiden.«576

Das erste Kriterium, die auctoritas principis, also die Autorität des Fürsten, ist vergleichbar mit Augustins aufgestelltem Aspekt der legitimierten Obrigkeit und schließt die Kriegsführung von Privatpersonen aus. Die causa iusta, den gerechten Grund, begründet Thomas mit den Worten Augustins. Er folgt also auch hier der Tradition des Kirchenvaters. Ein gerechter Grund liege demnach vor, wenn Unrecht vermieden wird und die Schuld des Krieges bei den Gegnern liege.577 Auch Thomas bringt als Kriterium die rechte Intention – recta intentio – 571 572 573 574

Vgl. ebd., 547. Vgl. Mokrosch, R. (2016), 3. Vgl. Haspel 2006, 520. ST 2, II, q.29.; vgl. hierzu Aquin, T. von: Summa Theologica. Übersetzt und kommentiert von Dominikanern und Benediktinern Deutschlands und Österreichs (17A), Heidelberg/Graz u. a. 1959, 209–221. 575 ST 2, II, q.40; vgl. hierzu ders.: Summa Theologica. Übersetzt und kommentiert von Dominikanern und Benediktinern Deutschlands und Österreichs (17B), Heidelberg/Graz u. a. 1966, 82–96. 576 ST 2, II, q.40,1; zitiert aus: ebd., 83–85. 577 ST 2, II, q.40,1; vgl. a. a. O.

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zur Sprache. Er drückt hier klar aus, dass eine solche Absicht nur darin bestehen könne, das Gute mehren zu wollen oder aber das Böse zu meiden.578 Das letztendliche Ziel jeglicher Überlegungen ist also, dem Grundverständnis christlicher Lebensführung und biblischer Überlieferung folgend, Frieden zu stiften beziehungsweise erhalten. Präzisierung der Lehre durch Martin Luther Die Lehren Augustins und von Aquins hatten großen Einfluss auf die Überlegungen Martin Luthers. Der Reformator beschäftigte sich im auslaufenden Mittelalter ebenfalls mit Krieg und Frieden. Er behandelte diese Themen vor dem Hintergrund der Rechtfertigungs- und Zwei-Regimenten-Lehre. Dabei beruft er sich im Sinne des Grundsatzes Sola scriptura auf die biblischen Worte und beschäftigt sich in ausnehmendem Maße mit der Frage der Angriffskriege. Während die Lehre Augustins noch nicht ausschloss, Angriffskriege zu führen und sich der ›gerechte Krieg‹ auch bei Thomas von Aquin nicht klar von Präventivgewalt abgrenzte, wird diese Art der kriegerischen Auseinandersetzung bei Martin Luther kategorisch abgelehnt. Er beruft sich ebenfalls auf den ›gerechten Grund‹ für einen Krieg, diesen »[…] kann es [für einen Angriffskrieg] für Luther nicht geben, denn die Rache ist gemäß Röm 12,19f. allein Gott vorbehalten.«579 In seiner Zwei-Regimenten-Lehre geht Luther, ähnlich wie Augustinus vor ihm, von einem weltlichen und einem göttlichen Reich aus. Der gläubige Christ und die gläubige Christin sind dabei Angehörige beider Reiche. Der Mensch begegnet allerdings als Mitglied des weltlichen Reiches dem Krieg, der unabwendbar Teil des Diesseits ist. Der Grundsatz, den Luther im Zuge seiner Lehre aufstellte, ist, dass Krieg lediglich zur Wiederherstellung von Frieden eingesetzt werden dürfe und dies kann nur durch einen Verteidigungskrieg geschehen. Er schreibt hierzu: »Wer krieg anfehet, der ist unrecht. […] Denn weltliche oeberkeit ist nicht eingesetzt von Gott, das sie solle friede brechen und kriege anfahen, sondern dazu, das sie den fride handhabe und den kriegern were […].«580

Er verdeutlicht damit, dass die Aufgabe der staatlichen Oberhäupter sei, ihre Untertanen vor jeglicher Gewalt zu schützen und mit aller Kraft zu versuchen, Frieden herzustellen. Vor diesem Hintergrund ist es eine Möglichkeit, im Sinne

578 Vgl. Fuchs, M. J.: Die Lehre vom gerechten Krieg im Mittelalter: Thomas von Aquin, in: Werkner I.-J./Ebeling K. (Hrsg.): Handbuch Friedensethik, Wiesbaden 2017, 239–249, 246. 579 Stümke 2017, 272. 580 WA 19, 645, 9–15. Zitiert aus: Herman Böhlaus Nachfolger: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Bd. 19), Graz 1897.; vgl. auch Haspel 2006, 521.

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der Nächstenliebe einen »Notkrieg«581 anzufangen. Obwohl Luther die Vorstellung einer Notwehr aufgrund des Aufrufs der Bergpredigt zum Gewaltverzicht ablehnt, befürwortet er eine »Nothilfe« als »Akt der Nächstenliebe«582. Er gibt darüber hinaus auch Handlungsanweisungen für jeden Christen und jede Christin und erläutert explizit, wie sich diese im Falle einer Machtausnutzung der Obrigkeit zu verhalten hätten. Um den Staat im Schutz der Menschen und des eigenen Volkes zu helfen, sei die Wehrpflicht in einem Verteidigungskrieg der Meinung des Reformators nach notwendig.583 Grundsätzlich vertrat er die Position, dass ein »Krieg aber nur im Sinne der mittelalterlichen Stände-Pyramide«584 geführt werden dürfe. Ein Untergebener dürfe also nicht gegen das Oberhaupt aufbegehren und sie bekämpfen. Lediglich im Falle dessen, dass der Herrschende einen ungerechten Krieg, beispielsweise einen Eroberungskrieg, führt, darf »passiver Widerstand oder ziviler Ungehorsam«585 geleistet werden. Luther beruft sich also auf die gleichen Grundsätze wie schon Augustinus und Thomas von Aquin vor ihm: Krieg müsse aus einem gerechten Grund (nach Lutherischer Auffassung also der Verteidigung des/der Nächsten) geschehen. Er müsse durch eine Obrigkeit legitimiert sein und dürfe nur letztmögliche Maßnahme sein, um Frieden zu wahren und gegebenenfalls wiederherzustellen.586

5.3.2 Frieden und Krieg So ambivalent der Zusammenhang von Frieden und Konflikten im Allgemeinen erscheint587, so klar ist die Gegensätzlichkeit von Frieden und kriegerischen Auseinandersetzungen auf internationaler Ebene. Ursprünglich als Abwesenheit von Krieg verstanden, negiert gelingender Frieden im Grunde alles Vorkommen militärischer Waffengewalt, das Kämpfen von Staaten gegen Staaten und das gewaltsame Aufeinanderprallen von Armeen. Dieser pazifistischen Auffassung und grundsätzlichen Ausrichtung allen Friedenstrebens auf Gewaltlosigkeit kann auch nach dem Leitbild des gerechten Friedens weiterhin gefolgt werden. Somit ist nicht im Sinne des gerechten Krieges zu fragen, in welchen Fällen Krieg legitimiert werden kann. Stattdessen sind das grundsätzliche Bewusstsein und jede Entscheidung zur Gewalt nur aufgrund des Zieles der (Wieder-)Herstellung des Friedens zu betonen, denn: »Zu deutlich ist die Einsicht, dass Gewalt nie 581 582 583 584 585 586 587

Ebd., 522. Stümke 2017, 273. Vgl. Haspel 2006, 522. Mokrosch, R. (2016), 3. Ebd., 4. Vgl. Stümke 2017, 272. Vgl. Kapitel 5.2.3.

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Frieden schafft, sondern bestenfalls Räume dafür wieder öffnen kann, dass er sich entwickeln kann.«588 Der Friedensdefinition nach Galtung folgend, wird Krieg der direkten, personalen Gewalt zugeordnet. Die Abwesenheit internationaler, gewaltsam ausgetragener Konflikte ist demnach Teil des negativen Friedens.589 Entsprechend handelt es sich bei Krieg um die Zuspitzung von Konflikten, die in diesem Fall dann eben doch als »Gegenpol des Friedens«590 gelten können, weshalb Friedenshandeln (auch) auf die Prävention und Einhegung kriegerischer Auseinandersetzungen ausgerichtet sein sollte. Statt Überlegungen zur Legitimation (wie zum bellum iustum) stellt die EKD deshalb »allgemeine Kriterien einer Ethik rechtserhaltender Gewalt«591 auf: – Bedrohung von Leben als Erlaubnisgrund; – Autorisierung unter der Herrschaft des Rechts; – Abwehr eines evidenten, gegenwärtigen Angriffs als richtige Absicht; – Gewaltgebrauch als äußerstes Mittel, – Verhältnismäßigkeit der Folgen, – Verhältnismäßigkeit der Mittel in Umfang, Dauer und Intensität, – Unterscheidungsprinzip, also Schutz aller Unbeteiligten. Mit der Einhaltung aller Kriterien kann Gegengewalt legitim werden, hierbei sei auch die Form des jeweiligen Kriegsaktes gleichgültig.592 Das Ziel dieser rechtserhaltenden Gewalt müsse allerdings stets die Wiederherstellung des gerechten Friedens sein. Abschließend sei auf die ökologischen Folgen verwiesen, die Kriege nach sich ziehen können und die Alexander Lurz mit dem Begriff »Zerstörung von Lebensgrundlagen«593 treffend zusammenfasst. Zusätzlich zur gewaltvollen Auseinandersetzung und den gravierenden Folgen an den am Krieg beteiligten und in den jeweiligen Ländern lebenden Menschen, ist demnach die Gefahr für »notwendige[…] Lebensressourcen«594 zu vermerken. Durch Krieg hervorgerufener Ressourcenmangel – der auch das Aufrechterhalten sozialer Gerechtigkeitsprinzipien erschwert595 – gefährdet somit das Leben in Frieden für gegenwärtige und zukünftige Generationen. 588 Bedford-Strohm 2022, 14. 589 Vgl. z. B. Sönsken, S./Kruck, A./El Zahel, Z.: Nachhaltig wirken: Friedensentwicklung und -erhalt, in: Berghof Foundation (Hrsg.): Berghof Glossar zur Konflikttransformation und Friedensförderung. 20 Essays zu Theorie und Praxis, Berlin 2020, 37–45, 37. 590 Weller 2020, 16.; vgl. hierzu auch Kapitel 5.2.3 in dieser Arbeit. 591 Evangelische Kirche Deutschland 2007, 68f, Ziff. 102. 592 Vgl. ebd., 70, Ziff. 103. 593 Lurz, A.: Umwelt und Frieden. Eine unauflösliche Beziehung, in: Wissenschaft und Frieden 38/4 (2020), 20–22, 20. 594 A.a.O. 595 Vgl. Kapitel 5.1.2.3.

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5.3.3 Religionspädagogische Folgerungen Was Krieg in religionspädagogischen Lernprozessen in der Grundschule angeht, muss zunächst die Frage gestellt werden, ob die Schülerinnen und Schüler überhaupt bereits mit einer solchen Thematik konfrontiert werden sollten. Anders als bei Konflikten im Nahraum sind bei kriegerischen Auseinandersetzungen die destruktiven, bedrohlichen und gewaltvollen Konsequenzen deutlich und sichtbar. Es lässt sich allerdings feststellen, dass ein Ausschluss des Phänomens ›Krieg‹ aus der Schule nicht wegweisend ist, da »im Lebenskontext der Schülerinnen und Schüler […] die mediale Relevanz von Kriegsszenen einen kontinuierlichen Einfluss hat.«596 Demgegenüber ist dennoch klar zu postulieren, dass gerade durch die mediale Präsenz von kriegerischen Themen oder auch Terrornachrichten Ängste und Ohnmachtsgefühle bei Heranwachsenden aufkommen und ansteigen können.597 Umso wichtiger erscheint eine planvolle, pädagogische Begleitung und Thematisierung des Phänomens im Kontext schulischer Bildungsprozesse, um diese Gefahr einzudämmen.598 Das Thema ›Krieg‹ innerhalb der (religionspädagogischen) Friedensbildung ist im politischen und demokratischen Lernen zu verorten. Dies begründet sich dadurch, dass es sich bei Kriegen um internationale oder zumindest innergesellschaftliche Konflikte handelt, die auf gesellschafts- oder globalpolitischen Entscheidungsprozessen und Strukturen basieren. Diesbezüglich ist klar zu postulieren, dass auch politische Bildungsprozesse innerhalb der Religionspädagogik Raum einnehmen. Die große Chance der Aufnahme der politischen Lerndimension im Zusammenspiel mit religiöser Bildung wird anhand der Friedenspädagogik besonders deutlich: Wäre lediglich die theologische Perspektive auf Kriege von Bedeutung für die Friedensbildung, würden essentielle Aspekte der sozialen Gerechtigkeit und Faktoren aktueller Friedensgefährdungen außer Acht gelassen werden. Mit der Hinzunahme politisch bildender Impulse kann sich die theologische Ausrichtung, die zum Beispiel die christliche Maximierung der Gewaltlosigkeit mit aufgreift599, zusätzlich entfalten und alltags- und gegenwartsnah werden. Es geht demnach um die Gesamtheit der religiösen und politischen Dimensionen, die ein mehrperspektivisches Bild von

596 Naurath 2022a, 144. 597 Vgl. a. a. O. 598 Für die Thematisierung von Krieg in der Grundschule plädieren auch Michael Freitag-Parey und Jutta Müller, die methodisch-didaktische Herangehensweisen an die Unterrichtsinhalte »Krieg, Frieden, Heimat und Flucht« vorlegen: vgl. Freitag-Parey, M./Müller, J.: Wir müssen reden! Die Themen »Krieg, Frieden, Heimat und Flucht« in der Grundschule, in: Loccumer Pelikan 4 2018, 39–43. 599 Näheres hierzu wird in Kapitel 5.4.2.2 konkretisiert.

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Krieg – und davon ausgehend auf Frieden richten kann. Elisabeth Naurath stellt in diesem Zusammenhang fest: »Religiöser Bildung wohnt eine politische Dimension inne, die sich dem allgemeinen Bildungsauftrag verpflichtet weiß und daher dem Gemeinwohl im Sinne der Wahrung und Förderung des sozialen Friedens dient.«600

Krieg wird demnach als Teil des politischen und demokratischen Lernens innerhalb religiöser Friedensbildung wahrgenommen. Zusammenfassend ist zum einen auf die Faszination, die das Phänomen für Kinder und Jugendliche auslösen kann, aber zum anderen vor allem auf Ängste und Sorgen diesbezüglich zu verweisen.601 Dies bedarf der notwendigen Sensibilität innerhalb pädagogischer Planungsprozesse, sowie der Thematisierung von und Ausrichtung auf friedensfördernde Maßnahmen. Innerhalb der schulischen Friedensbildung kann somit auf eine weitere Kernkompetenz zur Friedensfähigkeit verwiesen werden: »die Fähigkeit zum konstruktiven globalen Lernen«602.

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»Unabhängig davon, ob ›Frieden‹ als Ziel, Zustand oder Prozess aufgefasst wird, ist er durch die Abwesenheit oder zumindest Verringerung bestimmter Formen von Gewalt gekennzeichnet.«603 Gewaltlosigkeit gilt allgemeinhin als prägnanteste Voraussetzung für Frieden, sei dies auf theologischer Ebene, in der sie als Maxime christlicher Lebensführung angestrebt wird, oder auch auf politischsoziologischer Ebene, in der es um die Aufstellung von Konzepten und Theorien zur Gewaltminimierung geht. Erste Überlegungen hinsichtlich des Begriffes führen vermutlich zu physischer Gewalt, die eine Person gegen eine andere ausführt. Allerdings enthält der Begriff ›Gewalt‹ (in der deutschen Sprache) zunächst keine Wertung, vielmehr müssen und können auch relevante, wenn nicht gar unabdingbare, Aspekte von Gewalt herausgestellt werden. Dies zeigt beispielsweise das deutsche Grundgesetz, das Gewaltminimierung mit einem Friedensbestreben in Verbindung bringt, gleichzeitig aber die Notwendigkeit von staatlicher Gewalt – im Sinne von Kraft/ Macht – in seiner verfassungsgebenden Kraft betont. 600 601 602 603

Naurath 2019, 8. Vgl. Dies. 2022a, 143f.; sowie Kapitel 3.1.3.1 in dieser Arbeit. Baumann 2017, 10. Weller, C.: Gewalt – politischer Begriff und friedenswissenschaftliche Konzepte. Eine Kritik an der Gewaltfreiheit des Friedens, in: Calließ J./Weller C. (Hrsg.): Friedenstheorie. Fragen – Ansätze – Möglichkeiten, Rehburg-Loccum 2003, 481–508, 483.

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Präambel: »Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben. (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt« (GG Art. 1)

Bereits der erste Artikel belegt, dass der Begriff der staatlichen Gewalt große Bedeutung besitzt und demnach einer Abgrenzung von (inter-)personaler Gewalt bedarf.

5.4.1 Definition von Gewalt Es wird deutlich, dass sich der Begriff der Gewalt vor allem im deutschen Sprachgebrauch durch höchste Ambivalenz auszeichnet. Das Bedeutungsspektrum von Termini wie ›Naturgewalt‹, ›Staatsgewalt‹, ›Gottesgewalt‹ oder ›häuslicher Gewalt‹ reicht von personalen beziehungsweise individuellen Gewalterfahrungen, über gesellschaftliche Organisationsgebilde bis hin zu einer transzendent-theologischen Dimension. Dieser Bandbreite begrifflicher Füllmöglichkeiten entgehen romanische Sprachen zum Teil, die den Gewaltbegriff in zwei eigene Termini differenzieren und sich dabei auf die »lateinische Wurzel vis/violentia und potentia/potestas«604 stützen (ebenfalls ersichtlich wird dies in der englischen Differenzierung zwischen ›power‹ und ›violence‹). Wobei auch durch diese Unterscheidung der Ambivalenz des Begriffs nicht final Genüge getan werden kann. Zum einen, da sich Gewalt sowohl körperlich sichtbar als auch unsichtbar zeigen kann; sie wird individuell empfunden und beinhaltet einen hohen Grad an moralischer Bewertungssystematik. Zum anderen hängt Gewalt im internationalen und innergesellschaftlichen Bereich eng mit Machtgefügen zusammen, die in sich eine komplexe Struktur aufweisen und somit inhaltlich durchdrungen werden müssen. Eine Möglichkeit der weitgefassten Definition von Gewalt bietet Johan Galtung im Zuge seiner Ausführungen zur strukturellen Gewalt. Er definiert Gewalt als die Kluft zwischen dem »Aktuellen« und dem »Potenziellen« der Menschen, indem er sagt: »[…] violence is present when human beings are being influenced so that their acutual somatic and mental realizations are below their potential realizations.«605 Ist es also möglich, eine Person vor für sie schädlichen

604 Bonacker/Imbusch 2006, 82. 605 Galtung, J.: Violence, Peace, and Peace Research, in: Journal of Peace Research 61969, 167– 191, 168.; Hervorhebung im Original.

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Handlungen zu bewahren, sollte dies geschehen. Alles andere ist per definitionem Gewalt. Im Kontext der Friedens- und Konfliktforschung besteht in dieser Hinsicht ein reger Diskurs, der sich mit der engen beziehungsweise weiten Fassbarkeit des Gewaltbegriffs beschäftigt. Die Frage, die sich hierbei stellt, ist, ob in der Auseinandersetzung mit den Ursprüngen, Differenzierungsversuchen und Bearbeitungsmodellen von Gewalt der weite Begriff der strukturellen Gewalt aufgenommen werden sollte. Dieser hängt eng mit dem Konstrukt der Macht606 zusammen und zeigt sich meist in Zwängen, die den Bürgerinnen und Bürgern von gesellschaftlichen oder eben staatlichen Strukturen auferlegt werden. Auf der einen Seite wird einem zu weiten Gewaltbegriff vorgeworfen, dass er aufgrund seiner Bandbreite gar nichts mehr fasse.607 Andererseits ist Gewalt im Sinne der ›potestas‹ in einem sozialen Gefüge (vor allem in Hinblick auf Friedensmaßnahmen) zu beachten, da die Grenzen zwischen personaler und struktureller Gewalt auch verschwimmen können. Der enge Gewaltbegriff, am ehesten mit ›violentia‹ in Verbindung zu bringen, hingegen, bezieht sich vor allem auf physische Gewalt und fragt nach Täterinnen und Tätern, konkreten Abläufen der Gewalttat, der Art und Weise der Ausübung von Gewalt, den allgemeinen Ursachen, Motiven beziehungsweise Zielen und Legitimationsstrategien.608 Festzuhalten ist also, dass Gewalt sowohl ordnungszerstörend, was einem engen Gewaltbegriff entsprechen würde, als auch ordnungsbegründend (weiter Begriff), aufgefasst werden kann.609 Diese Ambiguität macht eine Bewertung und den Umgang von und mit Gewalt besonders herausfordernd und bedarf der genauen Differenzierung im zeitlichen, gesellschaftlichen und auch moralischen Kontext. Gewalt zeichnet sich darüber hinaus auch durch den historischen Wandel aus; einige Gewaltformen entwickeln sich aus anderen, kommen in bestimmten Zeiten häufiger vor und andere sind in der Vergangenheit »im Zuge von Zivilisierungsprozessen«610 auch ganz aus der sozialen Wirklichkeit verschwunden. Angelehnt an einen weiteren Gewaltbegriff, der strukturelle Formen mit einbezieht, werden im Folgenden Differenzierungsmöglichkeiten ausgebreitet.

606 Vgl. Narr, W.-D.: Art. Gewalt, in: Lippert E./Wachtler G. (Hrsg.): Frieden. Ein Handwörterbuch (Studienbücher zur Sozialwissenschaft Bd. 47), Opladen 1988, 158–175, 160. 607 Vgl. ebd., 159. 608 Vgl. Endreß, M./Rampp, B.: Die friedensethische Bedeutung der Kategorie Gewalt, in: Werkner I.-J./Ebeling K. (Hrsg.): Handbuch Friedensethik, Wiesbaden 2017, 163–173, 164; Bonacker/Imbusch 2006, 83ff. 609 Vgl. ebd., 81. 610 Ebd., 96.

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5.4.1.1 Formen von Gewalt Die Formen des Gewaltbegriffs sind vielfältig und häufig diskutiert. Je nach Disziplin und Zielsetzung lassen sich unterschiedliche Akzentuierungen ausmachen. So ist beispielsweise in der Betrachtung von ökonomischen Verhältnissen und vor dem Hintergrund herrschender Arbeitslosigkeit die Auseinandersetzung mit ökonomischer Gewalt genauer zu untersuchen. In Hinblick auf Familienforschung wird mit Sicherheit der Aspekt personaler Gewalt, beispielsweise bezüglich der Problematik häuslicher Gewalt in Augenschein genommen werden. Herausragende Bedeutung in der Differenzierung und Definition hat die Begriffsklärung nach Johan Galtung. Auch diese ist nicht kritikfrei, jedoch viel rezipiert und vor allem wegweisend für die Frage nach (gelingendem) Frieden. Der Friedensforscher differenziert zunächst die Gewalt in personale/ direkte und strukturelle/indirekte Gewalt. Ende der 1990er-Jahre erweiterte er diesen »Doppelaspekt«611 der Gewalt um die kulturelle Gewalt. Personale / Direkte Gewalt Unter personaler Gewalt wird diejenige verstanden, die »unmittelbar auf die Schädigung, Verletzung und in extremster Form auf die Tötung von Personen«612 aus ist. Diese Definition deckt sich mit der der physischen Gewaltform, die im »Zentrum der Gewaltproblematik«613 steht. An dieser Stelle wird direkte Gewalt noch einmal differenziert, da sie sich wiederum in verschiedenen Formen zeigen kann: Physische Gewalt Die physische Gewalt ist wohl die, an die an erster Stelle gedacht wird und die in der Regel die offensichtlichste Wirkung erzielt. Sie zeichnet sich durch (meist) intendierte Schädigung eines Gegenübers durch einen oder mehrere Akteurinnen und Akteure aus und kann in unterschiedlicher Intensität auftreten. Beispiele für physische Gewalt sind Schlägereien, Vergewaltigungen oder im äußersten Fall auch Morde.

611 Galtung 1975, 32. 612 Werkner 2017, 21. 613 Bonacker/Imbusch 2006, 86.

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Psychische Gewalt Im Gegensatz dazu zielt die psychische Gewalt »auf die Seele, den Geist, die Psyche eines Menschen«614 ab. Demnach ist die Sichtbarkeit dieser Gewaltform nicht gegeben und somit ist sie auch schwieriger feststellbar – aber nicht minder gefährlich. Im Gegenteil: Durch Einschüchterung und Verbreitung von Angst können nachhaltige, nicht heilbare psychische Wunden entstehen, die auf ersten Blick nicht erkennbar und vor allem in ihrer Wirkung nicht vorhersehbar sind. Hier kann exemplarisch das Mobbing herangezogen werden, das häufig nicht nur körperliche Folgen hat, sondern schwere Traumata nach sich ziehen kann – als Konsequenz psychischer Gewalt. Strukturelle / Indirekte Gewalt Mit der Beschreibung von struktureller Gewalt ist diejenige gemeint, die aus gesellschaftlichen Strukturen entsteht und dem Menschen durch Probleme wie Unfreiheit, Ausbeutung oder Diskriminierung (durch den Staat) schadet. Strukturelle, also indirekt ausgeführte, Gewalt beinhaltet die Formen der Gewalt an Einzelpersonen oder Gruppen, »die aus systemischen Gruppen resultieren und sich in den vielfältigen Formen anonymer Massenverelendung und weltweiten Massensterbens aufgrund ungleicher Lebenschancen niederschlagen.«615 Sie setze, laut Galtung, den realen Grad der Bedürfnisbefriedigung der Menschen unter das herab, was potentiell möglich sei.616 Von der personalen Gewalt unterscheidet sie sich vor allem dadurch, dass es kein handelndes Subjekt gibt, das seinem Gegenüber Schaden zufügt. Dennoch kann auch indirekte Gewalt schlussendlich physische Folgen bei der betroffenen Person haben.617 Es ist dem Menschen bei Anwesenheit der strukturellen Gewalt nicht möglich, sich komplett frei zu entfalten und die gleichen Chancen auf ein erfülltes und friedliches Leben zu haben wie andere. Mittelpunkt der Ursachen derjenigen Gewaltformen, die unter strukturelle Gewalt fallen, ist die ungleiche Verteilung der vorhandenen Ressourcen innerhalb einer staatlich-geführten Gesellschaft. Daraus resultiert, dass die häufigsten Formen beziehungsweise Konsequenzen struktureller Gewalt Ausbeutung und Repression von Menschen(gruppen) sind.618 Die zuvor vorgestellten unterschiedlichen Herangehensweisen, Gerechtigkeit zu fassen619 und Ungerechtigkeit zu vermindern, machen deutlich, dass der Begriff der struktu614 615 616 617 618 619

Ebd., 87. Ebd., 88. Vgl. Galtung 1975, 9. Vgl. a. a. O. Vgl. Werkner 2017, 21. Vgl. Kapitel 5.1.

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rellen Gewalt – im Angesicht sozialer Ungerechtigkeit – ebenfalls nicht leicht erklärbar ist. Kritische Stimmen bezeugen »dessen Unbestimmtheit bzw. sogar Unbestimmbarkeit«620, aus welcher vor allem ein Entgegenwirken, die Ursachenforschung und Minimierung struktureller Gewalt auf dem Weg zum Frieden schwierig erscheinen. Jedoch ist es notwendig, diese Form der Gewaltanwendung explizit herauszustellen, da sie im Grunde anders funktioniert als das direkte Pendant, weshalb auch variable Konzepte entwickelt werden müssen, um struktureller Gewalt entgegenzuwirken. An dieser Stelle greifen beispielsweise traditionelle Konsequenzen personaler Gewalt, wie Bestrafung durch das Rechtssystem, nicht. Stattdessen müssen die strukturellen Ursachen in den Blick genommen und im Kern (präventiv) bearbeitet werden. Kulturelle Gewalt Die zudem entwickelte Differenzierung der kulturellen Gewalt beschreibt diejenigen Aspekte, die in einer Kultur entstehen können und durch gesellschaftliche Entwicklungslinien gewisse Arten der Gewalt als legitim erscheinen lassen. Als Weiterführung des Konzepts der strukturellen Gewalt können kulturelle Gewaltformen dazu führen, dass sich von Grund auf illegitime Handlungen als gerechtfertigt entwickeln.621 Galtung nennt hierfür die sechs exemplarischen Kulturbereiche Religion, Ideologie, Sprache, Kunst, empirische Wissenschaft sowie formale Wissenschaft622, die in der Tendenz »dazu benutzt werden können, direkte oder strukturelle Gewalt zu rechtfertigen oder zu legitimieren.«623 Jeder einzelne Bereich hat das Potenzial, Gewalt zu verursachen und Frieden zu verhindern. Ein Beispiel für kulturelle Gewalt ist im Kontext der Entwicklung pädagogischer Maßnahmen zu finden. So war es noch im vergangenen Jahrhundert ein legitimes Mittel in der häuslichen und schulischen Erziehung, Kinder körperlich zu bestrafen. Diese Tatsache zeigt erstens deutlich, dass kulturelle Gewalt auch physische (und nicht selten sicherlich auch psychische) Folgen haben kann und zweitens im Laufe der Zeit stets der Veränderung unterliegt. Aus den aufgestellten drei Gewaltaspekten entwickelte Johan Galtung das Gewaltendreieck624, das die Beziehungen der einzelnen Begriffe und deren Sichtbarkeit nach außen klarstellt. Galtung stellt seine Gewalttheorie als eine Art Eisberg dar625, bei dem sich der sichtbare Aspekt, nämlich die direkte Gewalt, an der Oberfläche befindet. Je620 621 622 623 624 625

Bonacker/Imbusch 2006, 88. Vgl. ebd., 89. Vgl. Galtung 2007, 352. Ebd., 341. Vgl. ebd., 348. Vgl. Werkner 2017, 23.

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mand, der von direkter Gewalt betroffen ist, kann physische oder psychische Schäden davontragen, wie dies beispielweise bei kriegerischen Akten oder auch häuslicher Gewalt der Fall sein kann. Außenstehende sehen diese Art der Gewalt, sobald sie aktiv durchgeführt wird – sie ist somit beobachtbar und sichtbar. Anders ist dies bei kultureller und struktureller Gewalt. Beide können ebenfalls (bleibende) Schäden bei den Betroffenen hervorrufen, dennoch ist der Akt der Gewalt an sich nicht sichtbar. Sichtbar sind hier lediglich die Folgen, die aus extremen Ansichten, kultureller Unterdrückung oder systematischen Zwängen resultieren und letztendlich nicht selten in direkter Gewalt ihren Ausdruck finden. Betrachtet man die strukturelle Gewalt einer Diktatur, die sich durch Unfreiheit des Volkes ausdrückt, ist sie zunächst nicht sichtbar. Sie entsteht durch die Befehle und Gesetze des Staates und wird erst in dem Moment sichtbar, in dem diese Gesetze gewaltsam durchgesetzt werden – durch personale Gewalt. Galtung liefert mit dieser Gewalttheorie eine weite Differenzierung des komplexen und ambivalenten Phänomens. Einzelaspekte und Gewaltformen sind mannigfaltig und lassen sich nicht immer konkret in eine Gruppierung (direkt, indirekt oder kulturell) einteilen; vielmehr bestehen viele verschiedene ›Unterarten‹, die im Einzelfall betrachtet werden müssen. Eine weitere hilfreiche Einteilung zur Bestimmung gewaltvoller Vorkommnisse ist durch ihre Erscheinungsformen von Bonacker und Imbusch vorgelegt.626 Diese sind ebenso vielfältig und die Autoren konstatieren auch ihrer Differenzierung eine gewisse Willkürlichkeit.627 Sie eignet sich allerdings, um Friedensgefährdungen wie Kriege und organisierte Gewaltformen von individuellen und sozialen Konfliktformen wie (gewaltvollen) Streits zu unterscheiden. Diese Einteilung soll Galtungs Einordnung nicht negieren, sondern vielmehr weitere Ebenen betrachten, in welchen Gewalt vorkommen kann. Individuelle Gewalt »[A]uf Straßen, Plätzen oder in öffentlichen Institutionen«628 spielt sich individuelle Gewalt ab, wenn beispielsweise einzelne Täterinnen oder Täter gegen andere Personen gewaltvoll handeln. Eine soziale Beziehung kann, muss aber nicht vorausgesetzt sein und auch die Ausübung von Gewalt durch private Gruppen gegen andere kann als individuell gelten. Klassische Beispiele sind Raubüberfälle oder auch die Sachbeschädigung (es braucht also nicht unbedingt ein personales Gegenüber). Eine Sonderform findet sich in der privaten Gewalt,

626 Vgl. Bonacker/Imbusch 2006, 91–96. 627 Vgl. ebd., 91. 628 A.a.O.

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die im familiären, beruflichen oder freundschaftlichen Kontext zu finden ist und somit Teil des sozialen Nahbereichs ist. Kollektive Gewalt Von individueller Gewalt abzugrenzen ist die kollektive Form, die sich im Gegensatz zum sozialen Nahraum in der Öffentlichkeit abspielt. Im Zuge struktureller Gewalt kann kollektive Gewalt in Erscheinung treten, wenn aufgrund von Unzufriedenheit mit der Regierung ein (gewaltsamer) Massenprotest ausbricht oder auch – im äußersten Fall – ein Bürgerkrieg.629 Speziell bei solchen Vorkommnissen kann von politischer Gewalt gesprochen werden, die sich durch das Ziel auszeichnet, »welches mit dem Einsatz von Gewalt erreicht werden soll, nämlich politische Macht zu erringen oder etablierte Herrschaftsverhältnisse zu ändern.«630 Heterogene Formen der staatlichen Gewalt Darüber hinaus gibt es spezielle heterogene Formen von Gewalt, die im politischen Zusammenhang mit dem Staat in Verbindung gebracht werden können. Hierbei zeigt sich die bereits genannte Machtstruktur, die auch durch legitime Gewaltanwendung im Sinne der ordnungsbegründenden Aufgabe von Regierungen zum Tragen kommt. Jedoch kann sich beispielsweise in Diktaturen die staatliche Macht auch äußerst negativ auf die Bevölkerung auswirken und strukturell zu Repression führen.631 Die Vielfältigkeit ist hier wiederum herauszustellen und muss bei Überlegungen zu Friedenskonzepten jeweils mitbedacht werden. 5.4.1.2 Theologischer Exkurs: Zur Maxime der Gewaltlosigkeit »Wenn die christlichen Kirchen fordern, Gewalt zu überwinden, dann wenden sie sich nicht gegen Gewalt im Sinne von power (Macht allgemein), force (durchsetzungsfähige, auch bewaffnete Macht) oder authority (legitime Autorität). Die Kirchen wenden sich vielmehr gegen Gewalt als violence. Das heißt, sie wollen verletzende, zerstörerische, lebensbedrohliche und von ihrem Charakter her zur Eskalation neigende Formen gewalttätigen Handelns überwinden oder zumindest wirksam begrenzen.«632

629 630 631 632

Vgl. Kapitel 5.3.2.1. Ebd., 93. Vgl. a. a. O. Evangelische Kirche Deutschland 2007, 39, Ziff. 54. (Hervorhebung im Original); Hervorhebung im Original.

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Die EKD geht ebenfalls von unterschiedlichen Formen von Gewalt aus und folgt demnach einer weiten Definition dieses Phänomens. Ziel ist, gemäß dem obigen Zitat, die Überwindung von Gewalt, die sich destruktiv auswirkt und nicht legitimiert ist. Diese Intention hat im Christentum eine starke theologische Bindung und begründet sich einerseits aus der biblischen Überlieferung und andererseits aus der systematischen Auslegung und theologischen Entwicklung über die Jahrhunderte hinweg. Die Beziehung des Christentums zu Gewalt und Gewaltlosigkeit erscheint dabei in einem ersten historischen Überblick ambivalent. Die Aufforderungen zur Nächsten- und Feindesliebe633 oder auch zum ›Hinhalten der anderen Wange‹634 stehen in direktem Gegensatz zu Gewaltberichten der Bibel und religiös begründeten, gewaltvollen Ausschreitungen im Zuge der Missionen im Mittelalter. Wie lassen sich diese paradoxen Gegenseiten zusammenbringen? Wie kann angesichts der gewaltvollen Seite des Christentums von einem friedenstiftenden Selbstverständnis ausgegangen werden? Diesen Fragen kann sich mithilfe der Entwicklungslinien der biblischen Überlieferung und deren Auslegungen anhand relevanter Knotenpunkte innerhalb der christlichen Geschichte gestellt werden. Dabei ist der Fokus in theologischer Ausrichtung vor allem auf die Untersuchung des Gewaltpotenzials der Religionen gelenkt. Dies wird angestrebt, indem einerseits versucht wird, religiöse Begründungen für Gewalt zu finden, deren Legitimation im Sinne der Gewaltlosigkeit allerdings einzuschränken, und andererseits die ethische Maxime aufzustellen, inwiefern für Christinnen und Christen ein gewaltfreies Leben möglich sein kann.635 Aus theologischer Perspektive wird im Folgenden untersucht, inwiefern die grundlegenden Texte und Lehren der Gewaltlosigkeit entgegenstehen, warum speziell das Christentum in der abendländischen Historie auf einen langen Weg religiös legitimierter Gewalt zurückblicken kann und wie sich die heutige Tradition zur Gewaltminimierung angesichts dieser Entwicklungen herauskristallisiert hat. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Gewaltlosigkeit im Ersten Testament bereits einen hohen Stellenwert besitzt. Trotz der Darstellung von direkter Gewalt 633 »Ihr habt gehört, dass gesagt ist: ›Du sollst deinen Nächsten lieben‹ […] und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen.« (Mt 5,43f). 634 Vgl. z. B.: »Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Bösen, sondern: Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.« (Mt 5,39). 635 Zentral für die Untersuchung des Gewaltpotenzials von Religionen ist die prominente These Jan Assmanns, der den monotheistischen Religionen grundsätzlich Gewaltbereitschaft zuschreibt. Diese ist darin begründet, dass durch Abgrenzung monotheistischer Glaubensrichtungen von anderen das Potenzial besteht, den eigenen Glauben gewaltvoll durchzusetzen. Diese Argumentation steht im immensen Widerspruch zu jeglichem Bestreben der Religionen, für Friedenstiftung und Gewaltfreiheit zu plädieren. vgl. hierzu Assmann, J.: Monotheismus und die Sprache der Gewalt. Vortrag im Alten Rathaus am 17. November 2004 (Wiener Vorlesungen im Rathaus Bd. 116), Wien 62013.

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innerhalb der antiken Gesellschaft und auch vonseiten Jahwes, der strafend wirkt636 und Kriege führt637, beinhalten die Texte das Streben um die Unversehrtheit des Gegenübers. Sichtbar wird dies beispielsweise bei Jer 22,3: »So spricht der HERR: Schafft Recht und Gerechtigkeit und errettet den Beraubten von des Frevlers Hand und bedrängt nicht die Fremdlinge, Waisen und Witwen und tut niemand Gewalt an und vergießt kein unschuldiges Blut an dieser Stätte.«

Frank Crüsemann stellt diesbezüglich die These auf, dass die Gewalttexte der Hebräischen Bibel vor allem die möglichen Formen der Überwindung von Gewalt darstellen und beschreiben sollen.638 Gewalt ist zunächst in den Anfängen der Welt kein Bestandteil der guten Schöpfung, sie tritt erst im »mythischen Anfang des Lebens außerhalb des unmittelbaren Schutzraumes Gottes«639 auf den Plan, nämlich in der Ermordung Abels durch Kain (Gen 4,1–6). Die ›sehr gute‹ Schöpfung wird durch die Anfänge der Gewalt gestört, sie besitze keine Mittel gegen deren Eindringen.640 Der Gewalt, die ab da an das menschliche Leben durchströmt und damit omnipräsent wird, zieht den Zorn Gottes nach sich, der sich in letzter Konsequenz in der Sintflut niederschlägt.641 Dass sich aber Gewalt nicht mit Gewalt bekämpfen und entschärfen lässt, wird bereits an in der Sintflutgeschichte deutlich.642 Gefolgt ist dieses Ereignis schließlich von Gottes Bund mit Noah, der sich einerseits durch das Versprechen auszeichnet, eine solche gewaltvolle Tat nicht zu wiederholen, andererseits allerdings die Erlaubnis für die Menschen beinhaltet, Tiere zu verzehren (Gen 8,21–9,17). Es zeigt sich also eine gewisse Ambivalenz innerhalb der Texte und auch innerhalb der Erzählungen des Gottes Israel, die Torsten Meireis mit der Auffassung Jahwes als »veränderlich und lernfähig«643 erklärt. Dass sich eschatologisch eine gewaltfreie Grundrichtung erkennen lässt, zeigt sich in der prophetischen Ankündigung des Reiches Gottes, die das »Ende von Krieg und Gewalt«644 vorhersagt (vgl. Jes 2,4645). Al636 Vgl. z. B. der Untergang von Sodom und Gomorra (Gen 19). 637 Vgl. z. B. »Der HERR ist der rechte Kriegsmann, HERR ist sein Name.« (Ex 15,3) 638 Vgl. Crüsemann, F.: Maßstab: Tora. Israels Weisung und christliche Ethik, Gütersloh 22004, 91. 639 Meireis, T.: Liebe und Gewalt. Hermeneutische Erwägungen zur Rekonstruktion eines theologischen Gewaltdiskurses, in: Jäger S./Werkner I.-J. (Hrsg.): Gewalt in der Bibel und in kirchlichen Traditionen. Fragen zur Gewalt (Gerechter Frieden Bd. 1), Wiesbaden 2018, 35– 52, 39 ; Hervorhebung im Original. 640 Vgl. Crüsemann 2004, 90. 641 Vgl. Meireis 2018, 39. 642 Vgl. Crüsemann 2004, 90. 643 Meireis 2018, 39. 644 Schrey, H.-H.: Art. Gewalt/Gewaltlosigkeit I, in: Müller G. (Hrsg.): Theologische Realenzyklopädie (TRE), Berlin u. a. 1984, 168–178, 169. 645 »Und er wird richten unter den Nationen und zurechtweisen alle Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.«

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lerdings ist im Diesseits die vollkommene Abkehr von Gewalt nicht möglich, da sie allein schon zur Durchsetzung des Rechts und im Zusammenhang mit gerichtlichen Entscheidungen zusammenspielt. Demnach kann in dieser Hinsicht von legitimer Gewalt gesprochen werden, »sobald die Rechtsgemeinschaft sie zur Ahndung von Gesetzesübertretungen einsetzt«646 (vgl. hierzu Dtn 13,5647). Die Entscheidung über die Legitimität liegt in letzter Konsequenz allerdings in der Hand Gottes.648 Hinsichtlich des (physischen) Gewaltverzichts in der Hebräischen Bibel ist der Dekalog, speziell das Tötungsverbot, zu nennen. Hierbei liegt der Fokus auf der personalen Gewalt gegen ein bestimmtes Gegenüber. Die Begründung liegt im Schöpfungshandeln Jahwes und/oder der Bundestheologie, nach der Jahwe das Volk Israel errettet hat. Ethische Konsequenzen ergeben sich in theozentrischer Begründung, denn »[w]as bei Eigentums- und Körperverletzungen menschlichem Recht möglich ist, hängt in anderen Fällen an Gott.«649 Auch das Talionsrecht (ius talionis; Ex 21,24f) kann einerseits die aus heutiger Sicht besondere Gewalttätigkeit des Ersten Testaments begründen. Häufig wird dahinter ein Rachegedanke verstanden und in moderner Gesellschaft ist eine solche Ahndung von Straftaten in vielen Teilen der Welt überholt. Dennoch kann in diesem Gesetz auch eine »Tendenz zur Gewaltbegrenzung und -einhegung«650 erkannt werden, die ausschweifenderen Gewalttaten vorgreift. Auch ein neutestamentlicher Blick vermag nicht zu verdecken, dass Gewalt ein Phänomen im antiken Kontext ist. Auch in Bezug auf Jesus ist aktuell umstritten, ob er grundsätzlich (legitimierte) Gewalt befürwortet hat oder, wie in der Bergpredigt belegt, für konsequenten Gewaltverzicht, in der Spitze gar für Feindesliebe, plädierte.651 Gerd Theißen stellt in dieser Hinsicht vier Motivgruppen auf, die sich durch die synoptische Überlieferung ziehen und Feindesliebe und Gewaltverzicht begründen.652 Das Imitationsmotiv (imitatio dei) ist vor allem bei Matthäus vertreten und beschreibt die Feindesliebe als »souveränes Verhalten, das den Menschen Gott gleich macht.«653 Demnach verhalten sich Christinnen und Christen aufgrund dieses Imitationsverhaltens gewaltfrei. Als zweites ist das Abhebungsmotiv zu nennen, das von der Beziehung zu Gott absieht, stattdessen die Beziehung der Menschen untereinander in den Blick

646 A.a.O. 647 »Dem HERRN, eurem Gott, sollt ihr folgen und ihn fürchten und seine Gebote halten und seiner Stimme gehorchen und ihm dienen und ihm anhangen.« 648 Vgl. Meireis 2018, 40. 649 Crüsemann 2004, 60. 650 Meireis 2018, 40. 651 Vgl. Schrey 1984, 169. 652 Vgl. Theißen, G.: Studien zur Soziologie des Urchristentums (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Bd. 19), Tübingen 31989, 161–174. 653 Ebd., 161.

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nimmt. Im Vergleich und in der »Abhebung von anderen Gruppen«654 ist es also angemessen, ein Leben durchzogen von Feindesliebe und Gewaltverzicht zu führen. Davon zu unterscheiden ist das Gegenseitigkeitsmotiv, das vor allem bei Lukas zu finden ist und die Begegnung der Menschen untereinander ins gleiche Verhältnis setzt. Ein zentrales Beispiel für eine solche Motivik ist die Goldene Regel (Lk 6,31).655 Ebenfalls in Verbindung mit dem Gegenseitigkeitsmotiv, aber in anderer Auslegung, ist das eschatologische Lohnmotiv zu verorten. Feindesliebe und Gewaltverzicht begründen sich demnach durch die »Vorstellung vom himmlischen Lohn«656 in der imitatio dei im diesseitigen Leben (vgl. Lk 6,36ff). Aus dieser Ambivalenz heraus sind im Urchristentum und in mittelalterlichen Auslegungen unterschiedliche Differenzierungen von Gewalt entstanden. Im Urchristentum ist vor allem das eschatologische Moment des Gewaltverzichts in den Fokus des Umgangs mit Unfriedlichkeit geraten, wie es beispielsweise in der paulinischen Tradition vertreten wurde: »Danach das Ende, wenn er das Reich Gott, dem Vater, übergeben wird, nachdem er vernichtet hat alle Herrschaft und alle Macht und Gewalt.« (1 Kor 15,24)

Aus dieser grundlegenden Denkrichtung erwuchs auch die Lehre Augustins, der Gewaltanwendung per se als ›Übel‹ wahrnahm, infolgedessen aber wiederum Überlegungen hinsichtlich (notwendiger) Legalität von Gewalt angestellt wurden.657 Unter bestimmten Umständen sei Gewaltanwendung – und auch kriegerische Auseinandersetzungen – legitim und auch notwendig, beispielsweise wenn es um die Verteidigung des eigenen Reiches oder um die Ahndung einer Straftat (Todesstrafe) geht. Bei Martin Luther und im Sinne seines Sola-scripturaLeitmotivs bezeugt die Offenbarung des Evangeliums die christliche Liebe und damit den Gewaltverzicht der Christinnen und Christen vor dem Kontext des Glaubens an das kommende Reich Gottes. In der diesseitigen Welt ist allerdings das Gesetz, das durch die von Gott eingesetzten regelnden Organe vertreten wird, durchaus dazu befähigt, notwendige Belange mit Gewalt durchzusetzen. Im heutigen Diskurs ist zum einen die biblische Grundlage weiter von Bedeutung, zum anderen ist die Frage, inwiefern von dieser ausgehend Lösungen für moderne Gewaltproblematiken gefunden werden können. Überlegungen zum Umgang, zur Einhegung und Minimierung von Gewalt hängen im aktuellen Kontext häufig mit sozialer Ungleichheit und deren Folgen zusammen. Nicht zuletzt aus diesem Grund manifestierte sich in den letzten Jahren auf kirchlicher Seite das Postulat ›si vis pacem para pacem‹.658 Dennoch wird aufgrund der 654 655 656 657 658

Ebd., 164. Vgl. ebd., 166. Ebd., 169. Vgl. Kapitel 5.3.2.3. Vgl. Kapitel 5.1.3.

Frieden als Abwesenheit von Gewalt?

153

Vielseitigkeit der Begrifflichkeit meist nicht von einem drastischen Gewaltverzicht ausgegangen, vielmehr wird in Bezug auf das staatliche Gewaltmonopol im Horizont politischer Weltverantwortung der Christinnen und Christen auch auf theologischer Seite Gewalt weiterhin legitimiert. An dieser Stelle besteht allerdings eine starke Beschränkung auf solche Gewaltformen, die sich dadurch auszeichnen, die Gesellschaft zusammenzuhalten, rechtliche Grundsätze zu vertreten und letztendlich für die Maximierung von Frieden beizutragen.

5.4.2 Frieden und Gewalt Innerhalb der Friedensforschung stellt Gewalt, wie bereits aufgezeigt, eine zentrale Kategorie dar. Dabei sind sich Vertreterinnen und Vertreter der Überlegungen zu weiten und engen Gewaltbegriffen in der Sache einig, dass Gewalt in bestimmter Form stets eine ›Negativ-Folie‹ für Frieden abgibt. Doch die Auseinandersetzung mit diesem Zusammenhang muss weiterreichen, als lediglich die ›Abwesenheit von Gewalt‹ als ›Frieden‹ zu bezeichnen.659 So komplex der Begriff der Gewalt erscheint, so komplex sind auch die Aspekte, die Unfrieden mit Gewalt verbinden. In einem engen Gewaltverständnis wäre Frieden wohl dann eingetreten, wenn personale Gewaltformen wie Mord, sexuelle Gewalt oder Schlägereien innerhalb der Gesellschaft nicht vorhanden sind. Betrachtet man allerdings die weitere Differenzierung, die auch die EKD aufgreift, wenn sie zwischen Macht (power), durchsetzungsfähiger Gewalt (force), legitimer Autorität (authority) und personaler Gewalt (violence) unterscheidet, kann zwar das Ziel sein, sich nur gegen violence zu wenden.660 Allerdings ist zu überlegen, ob tatsächlich von Frieden zu sprechen sein kann, wenn Menschen unter Autoritäten leiden müssen, wenn Macht ausgenutzt wird und Menschen durch strukturelle Gewalt in ihrer Freiheit eingeschränkt werden. Dabei ist zu diskutieren, wie eng oder weit ein Gewaltbegriff ausfallen muss, um davon ausgehend Friedensformen herauszuarbeiten und Möglichkeiten der Arbeit für Frieden herzustellen. Sicher ist die erste Konzentration auf »verletzende, zerstörerische, lebensbedrohliche«661 Handlungsweisen ein relevanter Schritt in der Überwindung und Einhegung von Gewalt. Dennoch muss aktuell auch die ›unter der Oberfläche schwelende Gewalt‹ innerhalb gesellschaftlicher und staatlicher Strukturen betrachtet werden, weshalb sich der weite Gewaltbegriff Johan Galtungs anbietet, um davon zu einem »erweiterten Begriff von Frieden«662 zu kommen. 659 660 661 662

Vgl. z. B. Weller 2020, 15. Vgl. Evangelische Kirche Deutschland 2007, 39., Ziff.54. A.a.O., Ziff.54. Galtung 1975, 32.; Hervorhebung im Original.

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Mit einer Gleichung beschreibt der Friedensforscher 2007 Frieden folgendermaßen: »Friede = direkter Friede + struktureller Friede + kultureller Friede«663, wobei jeweils die Abwesenheit der entsprechenden Gewaltaspekte gemeint ist. Die Gleichung kann in einer wandelbaren Gesellschaft und in veränderbaren Staatenstrukturen nicht zum Tragen kommen, da sie zu statisch ist.664 Aus diesem Grund postuliert Galtung weiterhin, Friede sei dann, »wenn eine kreative Konflikttransformation ohne den Einsatz von Gewalt stattfindet.«665 Diese Definition besitzt die Stärke, dass sie innerhalb des weiten Paradigmas von Gewalt auch weite Möglichkeiten gibt, je nach Konzeption und Vorhaben die Faktoren der Kreativität und Transformation von Konflikten mit Inhalt zu füllen.666 Im Grunde basiert also die Charakterisierung von Frieden, wie sie dieser Arbeit zugrunde liegt, auf dem Begriff der Gewalt. Die verschiedenen Formen, in denen Gewalt vorkommen kann, und die Frieden im Nahraum wie auch global schädigen können, sollten allerdings differenziert wahrgenommen werden. Entsprechend müssen für gelingenden Frieden somit alle Ebenen und Formen der Gewalt betrachtet, analysiert und jeweils konstruktiv bearbeitet beziehungsweise minimiert werden. Global gesehen bedeutet dies die Abwesenheit direkter Gewalt in Form von kriegerischen Auseinandersetzungen, während gesellschaftlich und interpersonal ebenfalls personale Gewalt, aber darüber hinaus strukturelle Gewaltformen beseitigt werden müssen. Hierbei zeigt sich erneut klar die enge Verknüpfung, die zwischen Frieden und den Bezugsbegriffen Gerechtigkeit sowie Konflikten, Krieg und Gewalt besteht: Ist in einer Gesellschaft strukturelle Gewalt vorherrschend, kann ein Leben in Gerechtigkeit nicht möglich werden. Brechen Konflikte aus, die sich durch personale Gewalt auszeichnen, können sie sich im äußersten Falle in kriegerische Auseinandersetzungen zuspitzen. Diesen Formen der destruktiven Gewalt sollte demnach systematisch entgegengewirkt werden, um den Prozess des Friedens voranzutreiben.

5.4.3 Religionspädagogische Folgerungen Innerhalb des Forschungsstandes wurde herausgestellt, dass bei Kindern die Tendenz besteht, sich Gewalt (sowie Frieden und Konfliktlösungen) eher personell vorzustellen.667 Das Vorkommen struktureller Gewalt wird dabei eher weniger von jüngeren Heranwachsenden wahrgenommen als von älteren. Dies 663 664 665 666 667

Ders. 2007, 458.; Hervorhebung im Original. Vgl. a. a. O. A.a.O. Vgl. Kapitel 5.2. Vgl. Mokrosch 2017, 123.; sowie Kapitel 3.2.2 in dieser Arbeit.

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muss innerhalb pädagogischer Prozesse mitbedacht werden, indem beispielsweise Werte wie Gerechtigkeit im Sinne der Minimierung struktureller Gewalt herausgestellt werden.668 Infolge dieser Differenzierung zeigt sich, dass Gewalt – ebenso wie Konflikte – die Mikro-, Meso- und Makroebene menschlicher Interaktion gleichermaßen betrifft. Auf der interpersonalen Mikroebene sind vor allem die Faktoren der personalen Gewalt bedeutsam, während gesamtgesellschaftlich und global (Meso-/Makroebene) eher strukturelle Gewaltformen vorherrschend sind. Grundsätzlich ist hierbei allerdings darauf hinzuweisen, dass »die Grenzen pädagogischer Bemühungen realistisch zu bedenken«669 sind. Demnach kann es der Religionsunterricht, ebenso wenig wie andere Unterrichtsfächer, lediglich durch die Vermittlung von Wissen über Gewaltformen, schaffen, diese zu beheben und minimieren. Martin Rothgangel verweist auf die Notwendigkeit, »Mitgefühl als genderorientierte Prävention von Gewalt«670 in schulische Lernprozesse einzubinden. Für die Unterrichtspraxis kann in diesem Sinne zum Beispiel das fachdidaktische, subjektorientierte Konzept der Kindertheologie empfohlen werden.671 Nach Friedrich Schweitzer672 charakterisiert sich diese über drei Aspekte: (1) Die Theologie der Kinder/von Kindern, die kindliche Äußerungen zu theologischen Themen ernstnimmt und ihnen theologisches Reflexionsvermögen zuspricht. (2) Die Theologie mit Kindern als »theologisches Denken und ein Theologietreiben, das sich gemeinsam mit den Kindern vollzieht«673. (3) Die Theologie für Kinder, die unter der Voraussetzung der Sicht von Kindern, das heißt nicht-deduktiv, theologische Themen aufbereitet. Bezüglich der Prävention von Gewalt durch die Förderung von Mitgefühl kann dieses Konzept in Verbindung mit biblischen Texten zum Tragen kommen. Der Einbezug emotionaler Faktoren und subjektorientierter Sichtweisen der Lernenden bietet sich an, denn »[i]nsbesondere bei Texten, die explizit die Mitge668 An dieser Stelle kann auch noch einmal auf die Wahrnehmung friedenspädagogischer Maßnahmen (in der Schule) als ›Friedensbildung‹ statt ›Friedenserziehung‹ verwiesen werden (vgl. Kapitel 2.2). Lämmermann postuliert diesbezüglich, dass der Begriff der Erziehung »ein asymmetrisches Verhältnis zwischen ErzieherIn und Zögling ausdrückt, das strukturelle Gewalt beinhaltet.«; Lämmermann 2004, 362. 669 Rothgangel, M.: Gewalt / Aggression, in: Simojoki H./Rothgangel M./Körtner U. H. (Hrsg.): Ethische Kernthemen. Lebensweltlich – theologisch-ethisch – didaktisch (Theologie für Lehrerinnen und Lehrer), Göttingen 2022, 200–210, 206. 670 Naurath 2010, 226.; vgl. auch Rothgangel 2022, 206. 671 Vgl. Naurath 2010, 273. 672 Vgl. Schweitzer, F.: Was ist und wozu Kindertheologie?, in: Bucher A. A., et al. (Hrsg.): »Im Himmelreich ist keiner sauer«. Kinder als Exegeten (Jahrbuch für Kindertheologie Bd. 2), Stuttgart 2003, 9–18, 11–16. 673 Ebd., 13.

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Friedenspädagogische Grundlagen in interdisziplinärer Perspektive

fühlsthematik ansprechen, lässt sich ethische Bildung nur auf diesem Weg erreichen.«674 Ein weiterer Aspekt ergibt sich aus dem diskutablen Zusammenhang von Religion(en) und Gewalt beziehungsweise Religion(en) und Gewaltlosigkeit. Wie bereits in Kapitel 5.4.2.2 beschrieben, beinhalten die biblischen Texte sowohl Schilderungen von Gewalt675, aber auch die Maxime der Feindesliebe und Gewaltlosigkeit. Grundsätzlich ist zu betonen, dass der Zusammenhang von Religion und Gewalt – und eben auch die gewaltvollen Auswirkungen, die Religion(en) haben können – thematisiert werden sollten, »um pauschale Zuschreibungen, dass es besser sei, nichtreligiös zu sein, offen zu diskutieren.«676 Davon ausgehend können friedensbildende Maßnahmen zur kontinuierlichen Gewaltminimierung auch bedeuten677, neben der strukturellen, auch die kulturelle Gewalt zu minimieren.678 Deshalb sei an dieser Stelle auf die vierte Kernkompetenz zur Friedensfähigkeit nach Baumann verwiesen: »die Fähigkeit zum Verständnis kultureller und religiöser Unterschiede sowie zu interkultureller und interreligiöser Verständigung«679.

674 Naurath 2010, 279. 675 Ob solche Texte überhaupt in der Grundschule Verwendung finden sollten, wird innerhalb der Religionspädagogik ebenfalls diskutiert, wobei grundsätzlich – mit entsprechenden Vorüberlegungen – für eine Thematisierung gesprochen werden kann. vgl. z. B. Fricke, M.: Ein gewalttätiger, dunkler, zorniger Gott? Zum Umgang mit schwierigen Texten der Bibel, in: Grundschule Religion 40 2012, 4–7. 676 Naurath 2022a, 152. 677 Verschiedene Methoden der Friedensbildung mit dem Fokus auf konstruktiver Konfliktbearbeitung und Möglichkeiten der Gewaltminimierung (z. B. das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation) stellt Mokrosch vor: vgl. hierzu Mokrosch 2017, 131ff.; mehr zur Gewaltfreien Kommunikation: vgl. z. B. Hofmann-Driesch, N.: Wenn Wolf und Giraffe miteinander ins Gespräch kommen. Einüben von Empathie und Perspektivenübernahme anhand der Gewaltfreien Kommunikation in der Grundschule, in: rpi-Impulse 3 2019, 10–12. 678 Vgl. Mokrosch 2017, 121. 679 Baumann 2017, 9.; Hervorhebung im Original.

III. Ein Bild von Frieden zeichnen – Empirische Erhebung zu kindlichen Friedensvorstellungen

6.

Die Forschungsfrage

Nach eingehender Betrachtung des bisherigen Forschungsstandes wurden die in Kapitel 3.2.4 beschriebenen Forschungsdesiderate herausgestellt. Die empirisch angelegte Studie, die Kern dieser Forschungsarbeit ist, wird außerdem unter Einbezug der theoretischen Hintergründe zu einem mehrdimensionalen, interdisziplinär beschriebenen Friedensbegriff konzipiert. Es hat sich gezeigt, dass aus spezifisch religionspädagogischer Perspektive noch keine Studie vorliegt, welche die Vorstellungen von Kindern zu Frieden evaluiert. Im Sinne der Subjektorientierung, welche die Schülerinnen und Schüler als Akteurinnen und Akteure schulischer Bildungsprozesse wahrnimmt, ist hier ein klares Forschungsdefizit feststellbar. Es eröffnet sich die Frage, wie ausgeprägt, reflektiert und mehrperspektivisch die kindlichen Vorstellungen zu einem Begriff wie ›Frieden‹ sind. Zudem hat sich gezeigt, dass bei Heranwachsenden eine Annäherung an dieses Phänomen häufig via negationis erfolgt, sodass zentrale Aspekte von Unfrieden ebenfalls ins Zentrum rücken sollten. Somit ergibt sich die übergeordnete Forschungsfrage, der die folgenden entspringen: (1)

Was stellen sich Kinder der Primarstufe unter Frieden und Unfrieden vor?

Frieden und Unfrieden tangieren zudem alle Ebenen menschlichen Zusammenlebens, weshalb im Besonderen zwischen Frieden im Nahraum sowie Friedens weltweit unterschieden werden sollte, um ein ganzheitliches, aber differenziertes Bild schaffen zu können. Dies begründet sich auch aus dem Forschungsstand, der belegt, dass verschiedene Faktoren von Frieden und Unfrieden häufig eher aus einer nahräumlichen Perspektive erfasst werden.680 Inwiefern dennoch Frieden und dessen Bezugsbegriffe auch in einer weltweiten Dimension von Kindern erkannt und manifestiert werden, ist ebenfalls untersuchungswürdig. Hierbei werden im Sinne der religionspädagogischen Ausrichtung und zur Klärung der Chancen religiöser Bildung innerhalb der Friedensbildung und 680 Vgl. Kapitel 3.2.2.

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Die Forschungsfrage

-erziehung auch Aspekte wie Religion und Religionsunterricht Raum einnehmen. Entsprechend ergibt sich für die Untersuchung diese zweite Frage: (2)

(Wie) unterscheiden die Grundschülerinnen und -schüler ausgewählte Aspekte von Frieden im Nahraum und Frieden weltweit?

Aus der Zusammenschau der Vorstellungen von Kindern vor dem Hintergrund des theoriebasierten interdisziplinären Friedensbegriffes können sich Konsequenzen für eine schulische Friedensbildung ergeben. Mithilfe der Klärungen bezüglich religionspädagogischer Spezifikationen innerhalb der Friedensbildung681 ist diesbezüglich die Chance religiöser Bildungsprozesse herauszustellen. Demnach ist im Anschluss, und unter Einzug der Beantwortung oben genannter Fragen, Folgendes zu eruieren: (3)

Welche theoretisch und empirisch begründeten Folgerungen ergeben sich für eine subjektorientierte Friedensbildung im Sinne religionspädagogischen Handelns?

Es versteht sich, dass das im Folgenden beschriebene Forschungsdesign auf diese Forschungsfragen ausgerichtet ist. Demnach ergibt sich ein Studiendesign, das in Folge der Genese eines mehrdimensionalen Friedensbegriffes und unter Einbezug subjektorientierter Schülerinnen- und Schülerperspektiven Folgerungen für die schulische Praxis der Friedensbildung entwerfen will.

681 Vgl. die Kapitel 2 sowie 5.1.4, 5.2.4, 5.3.4 und 5.4.4.

7.

Wahl des Zeichenmaterials – Konzeption der Studie

Ausgehend von einem mehrdimensionalen Friedensbegriff, dem diese Arbeit folgt und im Bewusstsein der bisherigen Erkenntnisse zu kindlichen Friedens- und Unfriedensvorstellungen682, entsteht das im Folgenden skizzierte Forschungsdesign. Diesem liegt die bildungsempirische Annahme zugrunde, dass durch einen subjektorientierten Zugang zur Kindheit Perspektiven für fachdidaktische Lernprozesse eruiert werden können. Das Forschungsdesign folgt dem Postulat der Transparenz683 und entsprechend ist die Forschungsmethodik aus der zuvor dargestellten Forschungsfrage entstanden. Das besondere Augenmerk dieser Studie liegt in der Evaluation der Standpunkte junger Menschen. Hierzu muss die Herangehensweise der aktuellen Kindheitsforschung angemessen sein. In der Planung und Durchführung wurde deshalb eine für Kinder der Primarstufe geeignete Forschungsmethodik entwickelt, die auf sozialwissenschaftlichen Qualitätskriterien und Konzepten fußt.

7.1

Entscheidung zugunsten qualitativer Sozialforschung

Innerhalb der Sozialforschung besteht ein reger Diskurs über die Wahl zwischen quantitativer und qualitativer Studienkonzeption. Erstere, ursprünglich beheimatet in den Naturwissenschaften684, zeichnet sich durch einen sequenziell ablaufenden Forschungsvorgang aus, sodass mithilfe von großen Stichproben eine vorher festgelegte Hypothese entweder falsifiziert oder signifikant bestätigt werden kann.685 Die qualitative Sozialforschung verhält sich in der Hinsicht vielschichtiger, dass sich in diesem Feld eine breite Auswahl an Methoden und Auswertungsverfahren entwickelt hat. Durch die grundsätzlich zirkulär ablau682 683 684 685

Vgl. Kapitel 3. Näheres hierzu wird in Kapitel 7.2.1 konkretisiert. Vgl. Lamnek, S./Krell, C.: Qualitative Sozialforschung, Weinheim/Basel 62016, 16. Vgl. Döring, N./Bortz, J.: Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften, Berlin/Heidelberg 52016, 53.

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Wahl des Zeichenmaterials – Konzeption der Studie

fenden und flexiblen Forschungsprozesse686, die eine Hypothesengenerierung nicht an den Anfang stellen, sondern zum Ergebnis qualitativer Studien machen, gibt es zahlreiche Herangehensweisen und Möglichkeiten der Umsetzung. Aufgrund dieser Vielfältigkeit und teilweise fast schon Unübersichtlichkeit steht die qualitative Sozialforschung zwar unter Kritik, etablierte sich aber weitestgehend in den meisten sozialwissenschaftlichen Forschungsfeldern.687 Die zentralen Prinzipien, die der qualitativen Sozialforschung zugrunde liegen, sind im Wesentlichen (1) Offenheit gegenüber dem untersuchten Forschungsgegenstand, der Methodik sowie den Ergebnissen, (2) der Prozesscharakter, welcher der Forschung und dessen Gegenstand zugrunde liegt, (3) die Reflexivität, um welche sich die Forschenden bemühen müssen, sowie (4) die Flexibilität, die durch die zirkuläre Struktur des qualitativen Paradigmas erreicht wird.688 Diese Prinzipien erweisen sich gleichzeitig als Stärke gegenüber der quantitativen Herangehensweise, da beispielsweise durch den offenen und reflexiven Charakter »Zweifel an Möglichkeit und Nutzen wissenschaftlicher Objektivität«689 aus dem Weg geräumt werden können. Dies geschieht, indem von Vornherein Wert auf die Transparenz des Forschungshergangs gelegt wird, soziale Strukturen durch kommunikative Handlungen zwischen Forschenden und Beforschten690 aufgedeckt werden und auf diese Weise subjektive Perspektiven ihren berechtigten Weg in den Forschungsdiskurs finden. Darüber hinaus zeichnet sich das qualitative Paradigma, wie bereits angedeutet, dadurch aus, dass sie anhand hermeneutischer Vorgehensweisen zu Hypothesen kommt und diese nicht an den Anfang des Forschungsprozesses stellt. Für Phänomene, die beobachtbaren und festlegbaren Gesetzmäßigkeiten folgen (wie es beispielsweise in den Naturwissenschaften zielführend sein kann), eignet sich eine solche Herangehensweise weniger, da hier die Prüfung einer zuvor aufgestellten Hypothese angemessen wäre. Jedoch zeigen sich in sozialen Gefügen und gesellschaftlichen Vorgängen häufig eben solche Gesetzmäßigkeiten nur bedingt.691 In Anbetracht des Untersuchungsgegenstandes und der Forschungsfrage, die dieser Arbeit zugrunde liegen, ist aufgrund der Offenheit und der Flexibilität der Forschung die Wahl auf ein qualitatives Forschungsparadigma gefallen. Die sozialen Bezugspunkte, die (unter anderem) hinter einer Betrachtung des Forschungsthemas ›Frieden‹ stecken, lassen sich nur äußerst schwierig durch vorher festgelegte Prinzipien und 686 Vgl. ebd., 67. 687 Vgl. Flick, U./Kardoff, E. von/Steinke, I.: Was ist qualitative Forschung? Einleitung und Überblick, in: Flick U./Kardorff E. v./Steinke I. (Hrsg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch (Rororo Rowohlts Enzyklopädie Bd. 55628), Reinbek bei Hamburg 122017, 13–29, 13. 688 Lamnek/Krell 2016, 33ff. 689 Döring/Bortz 2016, 59. 690 Lamnek/Krell 2016, 34f. 691 Vgl. Döring/Bortz 2016, 58.

Kriterien zur Qualitätssicherung

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Hypothesen beschreiben und untersuchen. Viel zu groß wäre auf der einen Seite die Gefahr, der Komplexität des Phänomens nicht gerecht zu werden, indem a priori der Weg bereits vorgegeben wird. Zudem ist aus fachdidaktischer Perspektive die Offenheit für (neue) Erkenntnisse im Sinne der Forschungsfrage vorauszusetzen, da durch reine Bestätigung oder Falsifizierung von Hypothesen nur bedingt subjektorientierte Perspektiven für Bildungsprozesse generiert werden können. Durch die angestrebte Subjektorientierung wird eben auch der Einbezug und das Wahrnehmen der Einzelstimme und -meinung angestrebt. Besonders geeignet in Anbetracht des Untersuchungsgegenstandes erscheint demnach die Betrachtung der »eher subjektiven Bedeutungen und individuellen Sinnzuschreibungen«692, die sich in der Friedensthematik bei Kindern manifestieren und von besonderer aktueller Relevanz in Hinblick auf die Bildungsforschung sind. Dementsprechend versteht sich das vorliegende Forschungsdesign als phänomenologische Lebensweltanalyse693; das bedeutet, die Lebenswelt wird in den Vordergrund gestellt und auch hier erscheint die selbstständige Formulierung von Antworten vonseiten der Subjekte der Forschung – also der Befragten – angemessen. So werden keine Möglichkeiten einer Beantwortung durch die Forschende vorgegeben, neue Phänomene erhalten ihre Berechtigung und können in ihrem Sinn durchdrungen werden. Ziel ist es also, das individuelle Verstehen, Erleben und Erklären des Forschungsthemas durch eine adäquate Methodik zu untersuchen, dabei soziale Konstruktionen aufzudecken und offen, flexibel sowie reflektiert neue Phänomene zu erkennen und in ein soziologisch passbares Bild zu zeichnen.

7.2

Kriterien zur Qualitätssicherung

Ausgehend von den Grundprinzipien qualitativer Forschung, muss eine Entscheidung bezüglich verschiedener Möglichkeiten der Qualitätssicherung getroffen werden. Klassisch werden hierzu Gütekriterien herangezogen, die der Erhebung und Auswertung die größtmögliche Legitimation verleihen. In der sozialwissenschaftlichen Forschung sind in dieser Hinsicht verschiedene Richtungen und Meinungen vertreten. So postuliert eine (vergleichsweise kleine) Seite, dass sich aus den Vorgaben der quantitativen Sozialforschung die drei Gütekriterien Reliabilität, Validität und Objektivität auf die qualitative Evaluation in gewisser Weise übertragen ließen, wobei diese Herangehensweise vonseiten der qualitativen Sozialforschung vielmals aus verschiedenen Gründen

692 Flick/Kardoff/Steinke 2017, 18. 693 Vgl. Döring/Bortz 2016, 64f.

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abgelehnt wird.694 Die klassischen Gütekriterien lassen sich letztlich nicht ohne Weiteres auf qualitativ ausgerichtete Verfahren anwenden, da sich diese häufig durch ein persönliches Gespräch und individuelle Akzentsetzungen auszeichnen (so wie beispielsweise im leitfadengestützten Interview), was eine objektive und transferierbare Darlegung der Ergebnisse nicht unterstützt – und dies auch gar nicht erreichen will. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Kataloge von Gütekriterien, die von Forscherinnen und Forschern aufgestellt werden und direkt auf die qualitative Sozialforschung ausgerichtet sind.695 Im aktuellen Diskurs zur qualitativen Forschung wird eine Alternative der Qualitätssicherung von Studien eingebracht, die als »Strategien der Geltungsbegründung«696 bezeichnet werden. Diese Strategien beziehen sich auf den gesamten Forschungsprozess und bestimmen diesen maßgeblich mit. Zudem sollte betont werden, dass für die Forschung mit Kindern weitere Aspekte zu beachten sind. Aus verschiedenen, nachfolgend dargestellten, Gründen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Kindheitsforschung (ausschließlich) die gleichen qualitativen Merkmale berücksichtigen muss wie Untersuchungsdesigns mit Erwachsenen. Vielmehr gilt es, verschiedene Aspekte zusätzlich in die Planung des Forschungsdesigns einzubeziehen, damit einerseits dessen Qualität gesichert und andererseits die Altersadäquatheit der Methoden gewährleistet ist.

7.2.1 Strategien der Geltungsbegründung Von verschiedenen Strategien der Geltungsbegründung werden im Folgenden besonders zwei hervorgehoben, erläutert und für die vorliegende Forschungsarbeit als konstitutiv betrachtet. Zum einen wird die Strategie verfolgt, mithilfe der Erhebung und -auswertung Gemeinsamkeiten und Widersprüche innerhalb der Daten aufzudecken. Zum anderen wird die Relevanz einer transparenten Begründung der Vorgehensweisen hervorgehoben. Diese beiden Aspekte wurden der vorliegenden Studie in den methodischen Überlegungen als Grundpfeiler gesetzt, weshalb sie in der Dokumentation des Forschungsprozesses, -designs sowie -ergebnisses immer wieder zum Tragen kommen werden.

694 Vgl. Steinke, I.: Gütekriterien qualitativer Forschung, in: Flick U./Kardorff E. v./Steinke I. (Hrsg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch (Rororo Rowohlts Enzyklopädie Bd. 55628), Reinbek bei Hamburg 122017, 319–331. 695 Vgl. z. B. Mayring, P.: Einführung in die qualitative Sozialforschung. Eine Anleitung zu qualitativem Denken, Weinheim/Basel 62016, 144–148.; Steinke 2017, 319–331. 696 Flick, U.: Gütekriterien qualitativer Sozialforschung, in: Baur N./Blasius J. (Hrsg.): Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung, Wiesbaden 22019a, 473–488, 480.

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Gemeinsamkeiten und Widersprüche thematisieren Eine geeignete Methode, das Erforschte auf eine angemessene qualitative Ebene zu heben, ist die Triangulation. Diese ermöglicht es, den Gemeinsamkeiten, aber auch Widersprüchen, die Daten aufweisen können, auf den Grund zu gehen. Unter Triangulation wird die Kombination verschiedener Forschungsmethoden, -daten oder -theorien sowie der Einbezug verschiedener Forscherinnen und Forscher verstanden, was eine vielseitige und mehrschichtige Herangehensweise an die Evaluation ermöglichen soll. Zielführend sind die Ergebnissicherung aus verschiedenen Perspektiven sowie die wechselseitige Überprüfung der Erhebungsdaten. Dementsprechend ergeben sich verschiedene Möglichkeiten der Triangulation. Ausgehend von Denzin697 soll in Anbetracht der vorliegenden Forschungsarbeit vor allem die methodische Triangulation thematisiert werden. Unterschieden werden kann zwischen der »between-method«698, die den Einsatz verschiedener Methoden zur Erfassung eines Untersuchungsgegenstandes bezeichnet, und der »within-method«699, die innerhalb einer Forschungsmethodik zwei oder mehr Elemente der Untersuchung einbezieht. Die Stärke der Triangulation besteht darin, dass die zu erforschenden Sachverhalte nicht von einer Seite aus betrachtet werden, sondern durch den Einsatz verschiedener Methoden ein ganzheitlicher Blick auf den Untersuchungsgegenstand geworfen wird, der das letztendliche Ergebnis sichern kann. Durch die Thematisierung und genaue Betrachtung von Widersprüchen, die sich aus den verschiedenen Methoden ergeben, lassen sich Fehler vermeiden und zusätzlich die Gültigkeit der Beobachtungen steigern. Transparenz Flick stellt darüber hinaus das Kriterium der Transparenz heraus, das dem Rezipienten und der Rezipientin den Forschungshergang nachvollziehbar macht und damit ebenso Fehlern vorbeugt. Durch die genaue Dokumentation der Forschung, also der Erhebung sowie Datenanalyse, kann detailliert dargestellt werden, weshalb »welche methodischen Entscheidungen getroffen wurden und wie diese die Ergebnisse beeinflusst haben.«700 Diesbezüglich kann auch die Verwendung von geeigneten Computerprogrammen, wie beispielsweise MAXQDA, hilfreich sein, da diese häufig so konzipiert sind, dass der Forschungshergang transparent

697 Vgl. Denzin, N. K.: The Research Act. A Theoretical Introduction to Sociological Methods, New Brunswick/London 1989, 237–241. 698 Flick 2019b, 520.; Hervorhebung nicht im Original. 699 Ebd., 519.; Hervorhebung nicht im Original. 700 Flick 2019a, 483.

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nachvollziehbar ist.701 Zudem ist es erforderlich, neben der ausführlichen Beschreibung auch die Begründung forschungsmethodologischer Entscheidungen zu dokumentieren.

7.2.2 Kriterien der Kindheitsforschung Die vorliegende Studie hat ausgehend von der zugrundeliegenden Forschungsfrage eine subjektorientierte Ausrichtung. Entsprechend werden Kinder direkt mit in die Forschung einbezogen und somit baut auch das Forschungsdesign auf den gängigen Erkenntnissen und Grundlagen der Kindheitsforschung auf. Ziel ist es, eine den jungen Forschungspartnerinnen und -partnern angemessene Methodik vorzustellen. Im Folgenden werden demnach Kategorien präsentiert, die Kindheitsforschung im aktuellen Diskurs charakterisieren sowie die Begründungszugänge zur gewählten Methodik offenlegen.702 7.2.2.1 Erforschung von Kindheit – mithilfe von Kindern In der Auseinandersetzung mit Kindheitsforschung stoßen Forschende häufig zunächst auf Herausforderungen und Besonderheiten, die eine gut überlegte Konzeptionierung der methodischen Schritte erfordern. Dennoch ist in den letzten Jahrzehnten eine Vielzahl von Studien erschienen, die ein reges Interesse an der Sichtweise von Kindern und Jugendlichen wie auch der Erforschung von Kindheit an sich verdeutlicht. Grundsätzlich gibt es verschiedene Gründe, die dafürsprechen, Kinder innerhalb der Forschung selbst zu Wort kommen zu lassen und sie aktiv mit einzubeziehen. So argumentiert Nicholas Zill: – Das Kind selbst ist am besten darüber informiert, was seine eigenen Empfindungen, Vorstellungen und Gedanken betrifft und kann somit selbst auch am besten darüber Auskunft geben. – Die Eltern wissen nicht alles über die eigenen Erfahrungen und Handlungen ihrer Kinder, beispielsweise wenn die Kinder etwas verheimlichen. Dementsprechend reicht es nicht aus, die Erwachsenen zu befragen. – Dazu besteht nicht immer eine vollkommen vertrauensvolle und ehrliche Beziehung zwischen Eltern und Kind, womit sich wiederum das Kind als besserer Informant herausstellt.

701 Vgl. Flick 2019b, 469. 702 Durch die Darstellung der Überlegungen wird das zuvor aufgestellte Kriterium der Transparenz realisiert. Vgl. hierzu Kapitel 7.2.1.

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– Das Kind weiß besser darüber Bescheid, was seine Freunde, Einflüsse der PeerGroup und Gleichaltrige betrifft.703 Aus diesen Gründen wurde die Grundvoraussetzung gestellt, dass die Kinder selbst zu Wort kommen sollen, um von ihren persönlichen Sichtweisen und Erlebnissen berichten zu können. Die Vorgehensweise, Kinder selbst zu ihrer eigenen Lebenswelt zu befragen und dadurch Perspektiven für die empirische (Bildungs-)Forschung zu generieren, ist vergleichsweise jung. Noch Ende des vergangenen Jahrhunderts lag der Fokus darin, Erhebungen mit Erwachsenen durchzuführen, um aus erzieherischen, institutionellen und elterlichen Perspektiven Rückschlüsse auf Kinder und Jugendliche zu ziehen und daraus pädagogische Handlungskonsequenzen zu eruieren. Jedoch gab es in dieser Hinsicht in den letzten 20 Jahren einen Wandel, der die Sozialforschung und Methodologie in gewisser Weise reformierte. Mit Verabschiedung und in Kraft treten der UN-Kinderrechtskonvention704 in Deutschland 1989/1990 wurde deutlich, dass die Jüngeren der Gesellschaft nicht lediglich von außen beeinflussbare Zöglinge der Erwachsenen sind, sondern ihnen eigene Rechte zustehen. Der allgemeine Konsens bestätigt die Rolle der Kinder als Akteurinnen und Akteure705 mit eigenen Meinungen und Wünschen. Eng damit verbunden ist in der qualitativen wie quantitativen Sozialforschung ein steigendes Interesse an Methoden zur Kindheitsforschung, welche die Kinder als selbst handelnde und ernstzunehmende Forschungspartnerinnen und -partner miteinschließen und sie zur Sprache kommen lassen.706 Aus diesem Wandel ergeben sich allerdings auch verschiedene Aspekte, die in der neuen Kindheitsforschung zu beachten sind und Sensibilität vonseiten der Forschenden erfordern. Werden Kinder bei Erhebungen beteiligt, sollten die ›typischen‹ methodischen Herangehensweisen der qualitativen Sozialforschung mit Erwachsenen nicht einfach eins zu eins übertragen werden. Kinder haben eigene Bedürfnisse, individuelle Kompetenzen, Interessen und von Älteren zu unterscheidende Sichtweisen.707 Deshalb sind sich die Vertreterinnen und Vertreter der ›neuen Kindheitsforschung‹ darüber einig, dass es neben den üblichen 703 Vgl. Zill, N.: Advantages and limitations of using children and adolescents as survey respondents, in: Cynamon M./Kulka R. A. (Hrsg.): Seventh Conference on Health Survey Research Methods (DHHS publication no. (PHS) 01–1013), Hyattsville, Maryland 2001, 47– 50, 48. 704 Vgl. Unicef (1989): Konvention über die Rechte des Kindes. Abrufbar unter: https://www. unicef.de/informieren/ueber-uns/fuer-kinderrechte/un-kinderrechtskonvention (aufgerufen am: 28. 2. 2023). 705 Vgl. Honig, M.-S.: Normative Implikationen der Kindheitsforschung, in: Zeitschrift für Sozialforschung und Erziehungssoziologie 16/1 (1996), 9–25, 15. 706 Vgl. Fuhs 2012, 81. 707 Vgl. ebd., 83.

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methodologischen Überlegungen auch der Begründung und Argumentation für bestimmte Forschungsvorgehen bedürfe.708 7.2.2.2 Möglichkeiten von Kindheitsforschung Es kann also festgestellt werden, dass die Erforschung der Kindheit mithilfe von Kindern für phänomenologische Lebensweltanalysen im Speziellen und für die (qualitative) Sozialforschung im Allgemeinen durchaus Vorteile mit sich bringt. Welche Chancen daraus für die vorliegende Studie zu vermerken sind, wird im Folgenden ausgeführt. Die Welt aus Kinderaugen Die Perspektivenverschiebung der Kindheitsforschung in den 1980er Jahren hat, wie bereits thematisiert, eine direkte Auseinandersetzung mit und Erforschung von kindlichen Sichtweisen begünstigt. Dabei wird nicht mehr nur über Kinder geforscht, sondern mit ihnen, indem Erfahrungen, Erlebnisse, Präkonzepte und Wissensstrukturen erfragt und evaluiert werden. Es wird vorausgesetzt, dass Kinder eine ganz subjektive Sicht auf ihr eigenes Leben und die Welt der Erwachsenen besitzen. Dies macht einen direkten Einbezug der Heranwachsenden in den Forschungsprozess zu einer »forschungstheoretische[n] Notwendigkeit«709. Sozialwissenschaftlich anerkannt ist also die Möglichkeit, die frühen Lebensphasen, welche sich von denen der Erwachsenen unterscheiden, zu erforschen, indem das »Handeln und Perspektivität der Kinder selbst in den Vordergrund«710 gerückt werden. Aus dieser Herangehensweise ergibt sich die Chance, die sozialen Gefüge, die Denk- und Handlungsweisen der Kinder mit all ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu denen der Erwachsenen sowie affektive, kognitive und ästhetische Besonderheiten des Konstrukts ›Kindheit‹ subjektorientiert und direkt aus der Perspektive von Kindern zu betrachten.

708 Vgl. z. B. Heinzel, F.: Qualitative Methoden in der Kindheitsforschung. Ein Überblick, in: dies. (Hrsg.): Methoden der Kindheitsforschung. Ein Überblick über Forschungszugänge zur kindlichen Perspektive (Kindheiten), Weinheim, Bergstr 22012, 22–35, 23. 709 Fuhs 2012, 82. 710 Honig 1996, 15.

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Eine ›fremde Kultur‹ erforschen In Bezug auf Kindheit den von Mey aufgestellten Begriff der »fremden Kultur«711 zu verwenden, erscheint zunächst äußerst paradox. So waren auch erwachsene Forscherinnen und Forscher selbst einmal Kinder, könnten sich dementsprechend selbst an Denkstrukturen und Handlungsweisen aus ihrer eigenen Kindheit und Jugend erinnern und sich so auch in die heutigen Heranwachsenden hineinversetzen. Jedoch unterliegt die Kindheit einer historischen und gesellschaftlichen Variabilität; heute sind für Kinder ganz andere lebensweltliche Aspekte bedeutsam als noch vor 20 Jahren.712 Das zeigt augenscheinlich zum Beispiel die hohe Anzahl der Heranwachsenden, die ein eigenes Smartphone besitzt und sich als ›digital natives‹ täglich im Internet bewegen. Hinzu kommt, dass auch die Erinnerungen der Erwachsenen an ihre eigene Schulzeit von subjektiven Erfahrungen und Erlebnissen geprägt sind und sich durch diese Brille betrachtet schlecht allgemeingültige Aussagen über Kinder heute treffen lassen. Demnach ist der Blick der Forscherinnen und Forscher auf die aktuelle Kindheit tatsächlich mit der Auseinandersetzung mit einer Kultur, die nicht die eigene ist, zu vergleichen. Dies sollte Auswirkungen auf die Überlegungen und Herangehensweise zum Forschungsprozess nach sich ziehen. Daraus ergibt sich zwar die Schwierigkeit, Kinderaussagen angemessen zu interpretieren und mit der jetzigen Umwelt von Kindheit in Bezug zu setzen – von der die Forschenden kein Teil (mehr) sind. Um sich den Aussagen über Kindheit anzunähern, wurde allerdings, wie bereits thematisiert, die Perspektive der Heranwachsenden in den letzten Jahrzehnten immer mehr betont.713 Mithilfe dieser Vorgehensweise kann die »›andere‹ […] (weitgehend) fremde ›Kultur‹«714 gewinnbringend erschlossen werden und einen bereichernden Beitrag zum qualitativen Forschungsdiskurs bringen. Ziel ist es, Themen der Kindheit, die sich als Subkultur durch eigene Werte und Codes auszeichnet715, durch direkte Gespräche, Interviews, Fragebogen – kurz: durch (kind-)angemessene Methoden – zu erforschen und die Chance des direkten Einbezugs der Kinder zu ergreifen, um somit auch Zugänge

711 Vgl. Mey, G.: Zugänge zur kindlichen Perspektive. Methoden der Kindheitsforschung, Berlin 2003, 153. 712 Vgl. Heinzel, F.: Zugänge zur kindlichen Perspektive – Methoden der Kindheitsforschung, in: Friebertshäuser B./Langer A./Prengel A. (Hrsg.): Handbuch qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft, Weinheim 32010, 707–721, 710. 713 Vgl. zum Beispiel: Valtin, R.: Mit den Augen der Kinder. Freundschaft, Geheimnisse, Lügen, Streit und Strafe, Reinbek bei Hamburg 1991, 7–11.; oder auch: Heinzel 2010, 707. 714 Mey, G.: Forschung mit Kindern. Zur Relativität von kindangemessenen Methoden, in: ders. (Hrsg.): Handbuch qualitative Entwicklungspsychologie, Köln 2005, 151–184, 153. 715 Vgl. Richter, R.: Qualitative Methoden in der Kindheitsforschung, in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie 22/4 (1997b), 74–98, 74.

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und Zusammenhänge aufdecken zu können, die Erwachsene nicht (mehr) direkt nachvollziehen können. 7.2.2.3 Grenzen von Kindheitsforschung »Erwachsene können Kinder nicht umfassend verstehen, weil sie eben keine Kinder mehr sind und sie sich nicht wirklich in ihre Wahrnehmungs-, Verarbeitungs- und Handlungsmuster hineindenken können.«716

Diese Aussage mag bezüglich der Ziele aktueller Kindheitsforschung zunächst resignativ anmuten und greift den Gedanken der »fremden Kultur«717 auf. Wissenschaftliche Evaluation von Daten, die Erwachsene mithilfe und von Kindern erheben, scheint demnach von äußerster Schwierigkeit, wenn nicht sogar in ihrem Wirklichkeitsgehalt enorm eingeschränkt. Die Forschenden gehören einer anderen Generation an, haben ihre Kindheit subjektiv anders erlebt als die Kinder und Jugendlichen, deren Lebenswelt sie genauer betrachten möchten. Kindheit befindet sich weiterhin im steten Wandel und wird durch historische Begebenheiten, soziokulturelle wie auch ökonomische Faktoren beeinflusst. Und nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob Grundschülerinnen und Grundschüler überhaupt die metakognitiven Fähigkeiten besitzen, sich einer Interviewsituation zu stellen.718 Daraus ergibt sich die dringende Notwendigkeit, den Forschungsprozess und das empirische Handeln immer wieder zu reflektieren und sich angesichts der qualitativen Forschung darüber bewusst zu sein, dass auch eigene Erfahrungen und Zugänge zur Kindheit Einfluss auf die Erhebungen nehmen können. Neben der Relevanz, sich über die eigene Sichtweise auf ›die‹ Kindheit bewusst zu sein, ergeben sich aus der allein schon altersbedingten Distanz zwischen Heranwachsenden und Forschenden noch weitere Schwierigkeiten, die Vorüberlegungen bedürfen.

716 Deckert-Peaceman, H./Dietrich, C./Stenger, U.: Einführung in die Kindheitsforschung, Darmstadt 2010, 65.; vgl. dazu auch Hülst, D.: Das wissenschaftliche Verstehen von Kindern, in: Heinzel F. (Hrsg.): Methoden der Kindheitsforschung. Ein Überblick über Forschungszugänge zur kindlichen Perspektive (Kindheiten), Weinheim, Bergstr 22012, 52– 77, 57. 717 Mey 2003, 153. 718 Vgl. Leven, E.-M. (2019): Art. Leitfadeninterviews. In: Wissenschaftlich-Religionspädagogisches Lexikon (WiReLex). Abrufbar unter: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwor t/200617/ (aufgerufen am: 28. 2. 2023), 10.

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Kommunikation zwischen ungleichen Partnern Es ist zu beachten, dass sich zwischen Kindern und Erwachsenen einige Kompetenzunterschiede feststellen lassen, die sie zu »ungleichen Partnern«719 machen. Zum einen sind »die sprachlichen und schriftlichen Äußerungen von Kindern […] vom Stand ihrer kognitiven Entwicklung und von ihrer Sprach-, Lese- und Schreibfähigkeit abhängig«720, was voraussetzt, dass der Forscher oder die Forscherin sich a priori von dem jeweiligen Entwicklungsstand der am Forschungsprozess beteiligten Schülerinnen und Schüler in Kenntnis setzt und dieses Wissen aktiv in die Vorüberlegungen mit einbringt. Nur so kann die Methodik, deren Sprache und konkrete Umsetzung den Kindern einen Rahmen bieten, in dem diese sich gemäß ihren Kompetenzen äußern können – und wollen. Des Weiteren sind die Zugänge von Kindern zu bestimmten Themen von denen der Erwachsenen zu unterscheiden. So stellt Friederike Heinzel heraus, dass Heranwachsende Äußerungen häufig eher von einer »präsentativen, sinnlich-symbolischen Ebene«721 her tätigen als von einer rein diskursiven. Auch dies hat Konsequenzen für den Forschungsprozess in der Hinsicht, dass für eine kindgemäße Methodik der symbolischen Äußerungskraft von Kindern eine Chance und Möglichkeit gegeben werden sollte, indem beispielsweise von einer ausschließlich schriftlichen oder mündlichen Befragung Abstand genommen wird und diese durch weitere Kommunikationsmittel unterstützt und erweitert werden. Wie bereits angeklungen, stellt Dirk Hülst fest, dass in der Kommunikation zwischen Kindern und Erwachsenen – respektive Forschenden und Beforschten – unterschiedliche Kompetenzen zum Tragen kommen und postuliert, dass Kinder Erwachsenen gegenüber in mehrfacher Hinsicht benachteiligt seien.722 Dies ist darin begründet, dass Heranwachsende noch nicht auf einen so reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen können wie Ältere. Des Weiteren stehen Kinder in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Erwachsenen. Sie leben zusammen mit ihren Eltern und sind vor ihrem 18. Lebensjahr nicht befugt, alle Entscheidungen allein zu treffen. »Ihr Leben ist durchzogen mit Erziehungserfahrungen«723, was ebenso auf die Forschungssituation zu beziehen ist, da die Kinder auch dort versuchen, objektiv wie subjektiv ›falsche‹ Aussagen zu vermeiden, um ihrer Erziehung gerecht zu werden – selbst, wenn sie in bestimmten Situationen doch anders handeln würden. Es ist also festzustellen, dass in der Forschung mit Kindern nicht von vornherein von einer Kommunikation auf Augenhöhe ausgegangen 719 720 721 722 723

Hülst 2012, 55. Heinzel 2010, 710. A.a.O. Vgl. Hülst 2012, 55. Heinzel 2010, 710.

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werden kann; diese muss erst aufgebaut werden, indem hierarchische Strukturen, wie sie durch die Forschung von Erwachsenen entstehen können, aufgebrochen werden. Wie die Heranwachsenden mit dieser Hierarchie umgehen, ist dabei abhängig von ihrer jeweiligen Lebenserfahrung, die sie in ihren bisherigen Beziehungen mit Erwachsenen gesammelt haben.724 Doppelte Asymmetrie der Forschungssituation Die angesprochene hierarchische Struktur beeinflusst ebenso die konkrete Forschungssituation, welche sich – einerseits dadurch auszeichnet, dass eine erwachsene forschende Person den Prozess und die Methoden von vornherein auswählt und nicht mit den Kindern gemeinsam entwickelt. – Andererseits besteht eine »gesellschaftliche Asymmetrie zwischen Kind und Erwachsenem«725, die sich durch die oben genannten Gründe, also der »unterschiedlichen sozialen Positionierung und der relativen Distanz der beiden Personen zueinander«726 auszeichnet. Diese doppelte Asymmetrie muss nicht per se zu einem Problem in der Forschungssituation werden, besitzt aber das Potenzial, dass sich Kinder wiederum nicht frei zu bestimmten Thematiken äußern wollen und können, keinen Zugang zu den gewählten Methoden finden oder Skrupel haben, sich der erwachsenen Person überhaupt zu öffnen. Symbolische Gewalt Ebenfalls als problematisch kann sich herausstellen, wenn die Kinder das Gefühl haben, durch Erwachsene instrumentalisiert zu werden.727 Haben die Heranwachsenden keine Möglichkeit mehr, sich der Forschungssituation zu entziehen oder ist die Kommunikation durch fehlende Wertschätzung und Respekt gekennzeichnet, ist die Untersuchung für beide Seiten nicht vorteilhaft – und auch nicht gerechtfertigt. Es gilt, »gekünstelte und deplatzierte Fragen […] zu vermeiden«728 und die Forschungssituation so zu gestalten, dass die Kinder auch keine »Gefälligkeiten«729 gegenüber dem Forscher oder der Forscherin erweisen.

724 725 726 727 728 729

Vgl. ebd., 710f. Hülst 2012, 69. A.a.O. Vgl. a. a. O. A.a.O. Ebd., 70.

Kriterien zur Qualitätssicherung

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Letzteres ist der Fall, wenn den Beforschten offengelegt ist, was genau die Forschung erreichen soll. 7.2.2.4 Kriterien vorliegender Kindheitsforschung Aus den bisherigen Überlegungen und Ausführungen zu den Chancen und Grenzen der Forschung mit Kindern ergeben sich für den geplanten Forschungsprozess Kriterien, die in die Vorüberlegungen und Konzeptionierung mit eingeflossen sind. Sie werden die Entscheidungen zur methodischen Konzeption der Studie an den jeweiligen Stellen mitbegründen. Eignung der Forschungsmethodik für die jeweilige Altersstufe Von herausragender Relevanz für das vorliegende Forschungsdesign ist es, eine Methode zu finden, die der Altersstufe und kognitiven wie sprachlichen Entwicklung der teilnehmenden Kinder entspricht. Um die Perspektive der Kinder, die mit der Forschungsfrage ein Ziel der Studie ist, in den Blick nehmen zu können und dabei dem aktuellen wissenschaftlichen Diskurs zu folgen, müssen verschiedene Aspekte zur Eignung betrachtet werden: zum einen sollte die Forschung einer kindgemäßen Sprache folgen, die auf die Entwicklung der jeweiligen Altersstufe abgestimmt ist. Erreicht werden kann dies durch den Einbezug der oben genannten »präsentativen, sinnlich-symbolischen Ebene«730 in die Forschungsmethodik, die es den Kindern erleichtert, sich zu äußern und ihre persönliche Sicht darzulegen. Hierfür werden unter anderem »non-reaktive qualitative Verfahren«731, beziehungsweise nonverbale Methoden732, empfohlen. Ein besonderer Fall ist die Verknüpfung verbaler und nonverbaler Datenerhebungen, die in der vorliegenden Studie zum Einsatz gekommen ist. Vertrauen aufbauen Um der doppelten Asymmetrie der Forschungssituation entgegenzuwirken und von einer Kommunikation ungleicher Partnerinnen und Partner Abstand zu nehmen, empfiehlt es sich, zu den Kindern, die sich im Mittelpunkt des Forschungsinteresses befinden, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Auf diese Weise sind ein Gespräch und eine Befragung auf Augenhöhe möglich und den Kindern kann die Gelegenheit eingeräumt werden, den Forschungsprozess selbst mitzubestimmen. Auch, wenn das Forschungsthema und -design von der For730 Heinzel 2010, 710. 731 Vgl. ebd., 712.; Mey 2003, 17f. 732 Vgl. Fuhs 2012, 98.

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Wahl des Zeichenmaterials – Konzeption der Studie

schenden gewählt sind, obliegt den Heranwachsenden so, die Forschungssituation mitzulenken und eigene Akzente zu setzen. Dies kann allerdings nur dann geschehen, wenn sie der forschenden Person ein Stück weit vertrauen. Dieses Vertrauen sollte beidseitig bestehen, sodass auch die forschende Person dem Kind die nötige Wertschätzung entgegenbringt.733 Offenheit und Wertschätzung im gesamten Forschungsprozess Qualitative Forschung zeichnet sich durch Offenheit gegenüber dem Forschungsverlauf und -ergebnis aus.734 Darüber hinaus will das vorliegende Forschungsdesign ein vertrauensvolles, offenes und wertschätzendes Klima zwischen den zu erforschenden Kindern und der Forscherin erreichen. Es liegt auf der Hand, dass sich durch verständnisvolles, sensibles und empathisches Verhalten gegenüber den Heranwachsenden die symbolische Gewalt reduzieren kann.735 Durch den Aufbau und die Konzeption der Studie soll »eine mittlere Position zwischen dem unkontrollierten Laissez-faire eines nicht-direktiven Verfahrens und dem Dirigismus eines weitgehend standardisierten Erhebungsinstruments«736 gefunden werden. Reflexion des eigenen Forschungsprozesses Ebenfalls von großer Relevanz ist die Reflexion des eigenen Forschungsprozesses. Dies kann als allgemeines Gütekriterium qualitativer Forschung gesehen werden737, ist aber vor allem bezüglich der Forschung mit Kindern dann von enormer Bedeutung, wenn die subjektiven »Bilder der Forscher/-innen über Kinder und Kindheit«738 zum Tragen kommen. Wie herausgestellt wurde, ist Kindheit für Erwachsene, aufgrund ihrer Variabilität im Laufe der Generationen, nicht so leicht zu erschließen, wie es zunächst scheint. Die Erinnerungen an das eigene Aufwachsen und persönliche Erfahrungen in der Kindheit können den Blick auf die Antworten der Kinder verschleiern. Deshalb wird das Kriterium aufgestellt, den Forschungsprozess persönlich sowie im Gespräch und Diskurs mit anderen immer wieder zu reflektieren und so »Gegenübertragungs- und Übertragungsreaktionen«739 ausgehend von der Rolle der Forschenden zu ver-

733 734 735 736 737 738 739

Vgl. Hülst 2012, 70. Vgl. Döring/Bortz 2016, 66f.; sowie Kapitel 7.1 in dieser Arbeit. Vgl. Hülst 2012, 69. A.a.O. Vgl. Döring/Bortz 2016, 111. Heinzel 2010, 710. A.a.O.

Erhebungsmethode: Symbolisches Interview nach Burkhard Fuhs

175

meiden. Aus diesem Grund wird es im Folgenden an geeigneten Stellen (Zwischen-)Reflexionen geben, die den Forschungsprozess begleitet haben.740

7.3

Erhebungsmethode: Symbolisches Interview nach Burkhard Fuhs – Kombination zweier Forschungsmethoden

Die Perspektive der Kinder in den Blick zu nehmen ist, wie bereits dargestellt, eine Stärke und ein Ziel der Forschung mit Kindern. In besonderer Weise wird eine Studie diesem Anliegen gerecht, indem sie Kinder direkt mithilfe verbaler oder nonverbaler Verfahren mit einbezieht. Die Forschungsfrage setzt das Ziel, verschiedene Aspekte der Thematik ›Frieden‹ durch Antworten der Kinder zu beleuchten.741 Um dies zu erreichen, ist zunächst die Wahl auf eine Interviewform gefallen. Mittlerweile wird innerhalb der Sozialforschung die Kombination verschiedener Methoden begrüßt. Auch innerhalb des qualitativen Forschungsdiskurses wird das Zusammenspiel verschiedener nonverbaler und verbaler Verfahren, das laut Richter noch vor 20 Jahren dem Selbstverständnis des qualitativen Forschungsparadigmas nahezu widersprach742, als geeignet eingestuft und die Triangulation gilt dank der Betrachtung einer Thematik aus verschiedenen Perspektiven als Qualitätskriterium.743 Das Grundgerüst dieser Studie ist aus diesen Gründen die von Burkhard Fuhs beschriebene Symbolische Interviewform.744 Begründet ist diese Entscheidung ausgehend von verschiedenen Vorteilen, die sich auch aus den Kriterien der Kindheitsforschung ergeben745 und die sich auch innerhalb verschiedener Studien bereits bewährt haben.746 Um die Forschungs740 741 742 743 744 745 746

Vgl. hierzu die Kapitel 8.2.3, 8.3.4, 8.4.3 sowie das resümierende Reflexionskapitel 10.1. Vgl. Kapitel 6. Vgl. Richter 1997b, 75. Vgl. Kapitel 7.2.1. Vgl. Fuhs 2012, 98. Vgl. Kapitel 7.2.2.4. Innerhalb der Sportdidaktik hat es sich zum Beispiel in der Studie von Peter Kuhn bewährt, Kinderzeichnungen mit dem episodischen Interview zu verknüpfen: vgl. hierzu Kuhn, P. (2003): Thematische Zeichnung und fokussiertes, episodisches Interview am Bild. Ein qualitatives Verfahren zur Annäherung an die Kindersicht auf Bewegung, Spiel und Sport in der Schule. Abrufbar unter: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0114-fqs030187 (aufgerufen am: 28. 2. 2023); auch innerhalb religionspädagogischer, empirischer Arbeiten finden sich vermehrt forschungsmethodische Zugänge über Kinderzeichnungen in Kombination mit Interviews. Häufig thematisieren diese kindliche Gottesbilder, wie beispielsweise innerhalb folgender Untersuchungen: Klein, S.: Gottesbilder von Mädchen als Zugang zu ihrer religiösen Vorstellungswelt. Methodische Überlegungen zum Erheben und Verstehen von Kinderbildern, in: Fischer D./Schöll A. (Hrsg.): Religiöse Vorstellungen bilden. Erkundungen zur Religion von Kindern über Bilder, Münster 2000, 91–122 Grillhösl-

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methodik der Altersstufe der Heranwachsenden anzupassen und diese somit weder zu unter- noch zu überfordern, eignet es sich, Kinderzeichnungen zu erheben. Zum einen bietet diese Möglichkeit den Kindern einen geeigneten Zugang in die ihnen fremde Interviewsituation, indem die ihnen bekannte Aufgabe der Zeichnung gestellt wird. Des Weiteren kann die Kombination aus Zeichnung und halbstrukturiertem Interview den Einstieg in die Interviews erleichtern, sowie eventuelle Schwierigkeiten in narrativer Hinsicht aushebeln beziehungsweise verringern. Für die Forscherin ergibt sich der Vorteil, nicht nur eine Perspektive auf die Forschungsthematik einzunehmen, sondern sowohl die Aussagen der Kinder als auch die Darstellungen in die Datenerhebung mit einfließen zu lassen. Dies erscheint vor allem in Anbetracht der oben beschriebenen Tatsache, dass Erwachsene nicht (mehr) direkten Einblick und Bezug in die Lebenswelt der heutigen Heranwachsenden besitzen und somit ihre subjektive Sichtweise immer mit einbeziehen, geeignet.747 Aus der Kombination zweier Forschungsmethoden ergibt sich der Vorteil, sich aus verschiedenen Teilen einem passbaren Gesamtbild annähern zu können.

Narrativ Narrati iivv episodisches pisodische Wissen

Abbildung 3: ›Between-method‹ und ›within-method‹ der Triangulation von Kinderzeichnungen und episodischem Interview

Die Abbildung 3 zeigt die Kombination der im Symbolischen Interview dieser Studie gewählten Forschungsmethoden. Die Kinderzeichnungen werden durch Schrenk, C.: Gott aus Fleisch und Blut? Dimensionen der Menschlichkeit in der Gottesvorstellung von Kinder und Jugendlichen (Religionsdidaktik Konkret Bd. 10), Berlin/ Münster 2018, 149.; oder auch die Vorstellungen der Kinder von Religionen: Orth, G.: Kindergespräche über Bilder – Umgang mit religiöser Differenz, in: Fischer D./Schöll A. (Hrsg.): Religiöse Vorstellungen bilden. Erkundungen zur Religion von Kindern über Bilder, Münster 2000, 166–180. 747 Vgl. Kapitel 7.2.2.3.

Erhebungsmethode: Symbolisches Interview nach Burkhard Fuhs

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die Verknüpfung mit der episodischen Interviewform zu einem Symbolischen Interview. Dem episodischen Interview ist zu eigen, dass nicht nur einseitig semantisches Wissen abgefragt, sondern gezielt auch narrativ-episodisches Wissen einbezogen wird. Dementsprechend ist die Forschungsmethodik durch zweierlei Herangehensweisen der Triangulation definiert. Einerseits findet sich in der Kombination der zwei Methoden die »between-method-Triangulation« wieder, die »within-method« ergibt sich aus dem Zusammenspiel der zwei Herangehensweisen innerhalb des episodischen Interviews.748 Die genauen Überlegungen und Darstellungen zu den jeweiligen Forschungsinstrumentarien finden sich in den folgenden Kapiteln.

7.3.1 Was Kinder zeichnen – Kinderzeichnungen als qualitatives Forschungsinstrumentarium Die Beschäftigung mit Kinderzeichnungen ist seit einigen Jahrzehnten in pädagogischer, psychologischer und empirischer Hinsicht eine viel rezipierte und angewandte Herangehensweise. Vor allem vor diagnostischen Hintergründen der Kinderpsychologie werden die zeichnerischen Produkte der Heranwachsenden immer wieder herangezogen, um Rückschlüsse auf deren sozio-emotionale sowie Persönlichkeitsentwicklung ziehen zu können.749 Aber auch interdisziplinär können Kinderzeichnungen als »wichtige entwicklungs-, kinderund kulturpsychologische Dokumente«750 gesehen werden, aus denen Rückschlüsse zur aktuellen Kindheit(skultur) gezogen werden können. Demnach sind Bildanalysen im Allgemeinen und Kinderzeichnungen im Speziellen auch in der empirischen Bildungsforschung mittlerweile viel genutzte qualitative Forschungsinstrumentarien. Gerade in der Kindheitsforschung eignet sich die Beschäftigung mit Zeichnungen der Heranwachsenden als nonreaktives beziehungsweise nonverbales Verfahren aus den bereits dargestellten Gründen.751 Zudem werden für die vorliegende Studie von den Funktionen, die WiegelmannBals752, in Anlehnung an Neuß753, aufstellt, vor allem folgende als relevant herausgestellt: 748 Vgl. Flick 2019b, 245.; sowie Kapitel 7.2.1 in dieser Arbeit. 749 Vgl. Seidel, C.: Leitlinien zur Interpretation der Kinderzeichnung. Praxisbezogene Anwendung in Diagnostik, Beratung, Förderung und Therapie., Lienz 2007, 24. 750 Billmann-Mahecha, E.: Die Interpretation von Kinderzeichnungen, in: Mey G. (Hrsg.): Handbuch qualitative Entwicklungspsychologie, Köln 2005, 435–454, 436.; Hervorhebung im Original. 751 Vgl. Kapitel 7.2.2. 752 Vgl. Wiegelmann-Bals, A.: Kinderzeichnungen im Kontext qualitativer Forschung, in: Ströter-Bender J./Wiegelmann-Bals A. (Hrsg.): Historische und aktuelle Kinderzeichnun-

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Wahl des Zeichenmaterials – Konzeption der Studie

– Adressatinnen- und Adressatenorientierung: Durch die Methode der Kinderzeichnungen wird angestrebt, den zuvor angesprochenen Grenzen der Kindheitsforschung wie der Asymmetrie der Forschung oder der symbolischen Gewalt adäquat zu begegnen.754 – Objektivierung: Im Zeichenprozess wird die subjektive Wahrnehmung des oder der Zeichnenden von außen sichtbar und somit objektiviert, womit der »Bewusstseinsinhalt kommunizierbar, analysierbar und interpretierbar«755 wird. – Akzentuierung und Strukturierung: Innerhalb des Zeichenprozesses werden von den Zeichnenden Entscheidungen getroffen, die vor allem in Hinblick auf die Forschungsfrage als relevant wahrgenommen werden. Hierbei kann untersucht werden, was das Kind gezeichnet hat; aber eben auch, was es nicht gezeichnet hat. – Erzählstimulus: Wie in der qualitativen Forschung üblich, wird auch in der vorliegenden Studie die Zeichnung als Erzählstimulus für das nachfolgende Interview eingesetzt. Grundsätzlich gilt es zu bedenken, dass in (Kinder-)Zeichnungen stets »[z]eitgeschichtliche, kulturelle, soziale und situationale Einflüsse«756 zu beachten sind. Ein Ignorieren solcher Wirkungsweisen kann zu enormen Fehlinterpretationen führen757, deshalb werden diese im vorliegenden Forschungsprozess mitbedacht. Das bedeutet, dass auch die soziale Beeinflussung miteinbezogen und durch genaue Vorüberlegungen zum Setting situative Einflussfaktoren thematisiert werden.758 Von einer Betrachtungsweise, die kulturelle Unterschiede in den Kinderzeichnungen forciert, wird abgesehen, da dies nicht im Erkenntnisinteresse dieser Arbeit liegt und alle zeichnenden Kinder dieser Studie in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Bei der Erhebung von Kinderzeichnungen sind allerdings mögliche entwicklungsspezifische Unterschiede im Zeichenprozess und in den Darstellungen zu beachten. Es gibt zahlreiche Stufentheorien, die Kinderzeichnungen entwicklungspsychologisch einordnen wollen und bestimmten Abschnitten der Kindheit verschiedene Phasen zuordnen. Der Einbezug solcher Modelle kann hilfreich

753 754 755 756 757 758

gen. Eine Forschungswerkstatt (Kontext Kunst – Vermittlung – kulturelle Bildung Band 15), Marburg 2017b, 195–197, 196. Vgl. Neuß, N.: Medienbezogene Kinderzeichnung als Instrument der qualitativen Rezeptionsforschung, in: Paus-Haase I./Schorb B. (Hrsg.): Qualitative Kinder- und Jugendmedienforschung. Theorie und Methoden: ein Arbeitsbuch, München 2000, 131–154, 134f. Vgl. Kapitel 7.2.2.4. Wiegelmann-Bals 2017b, 196. Billmann-Mahecha 2005, 438. Vgl. ebd., 439ff. Näheres hierzu wird in Kapitel 7.4.4 konkretisiert.

Erhebungsmethode: Symbolisches Interview nach Burkhard Fuhs

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sein, um eine erste Annäherung an die Zeichnungen zu schaffen und nachvollziehen zu können, welche inhaltlichen und darstellerischen Besonderheiten möglicherweise auf das Alter der Kinder zurückzuführen sind. Aus verschiedenen Stufentheorien wird Hans-Günther Richters herangezogen, der die Entwicklung des zeichnerischen Verhaltens von Kindern grob in die Kritzelphase, die Schemaphase und »die Auflösung des Schemabildes am Beginn des Jugendalters«759 einteilt, wobei er stets auch die jeweiligen Übergänge zwischen den Stufen thematisiert und ausführt.760 Von besonderem Interesse sind für das vorliegende Forschungsdesign die zwei Schemaphasen, die sich von der mittleren über die späte Kindheit ziehen und demnach die Altersspanne von Grundschulkindern (fünf bis zwölf Jahre) inkludieren. Unter Schema wird »die Eigenart des Kindes, inneren Vorstellungsbildern folgend und nicht orientiert an Wahrnehmungen der äußeren Realität zu zeichnen«761 verstanden. Diese Eigenart zeichne sich unter anderem auch dadurch aus, dass vor allem in der frühen Schemaphase die bildnerische Darstellung und die begriffliche Sprache relativ unabhängig voneinander zu betrachten seien.762 Je älter die Kinder sind, desto eher lässt sich ein Zusammenhang aus den Erklärungen in begrifflicher Sprache und den gezeichneten Elementen herstellen. Dieser Aspekt muss für eine Analyse der Zeichnungen im Zusammenhang mit Äußerungen bedacht werden. Es kann im Allgemeinen davon ausgegangen werden, dass die Kinder im Grundschulalter bereits über die Fähigkeit verfügen, ihre Vorstellungen zeichnerisch festzuhalten. Hierzu gehören auch besonders typische Schemadarstellungen, die innerhalb der Bildanalyse beachtet werden müssen. Vor allem die in dieser Phase erreichten Werkreife763 erleichtert die Interpretation der Zeichnungen, da die Kinder ihre Vorstellungswelten bereits darstellen und sich dabei auf ein »stabilisiertes, im Kern ausgebildetes System von Motiven und Motivrelationen«764 stützen können.

759 Vgl. Richter, H.-G.: Die Kinderzeichnung. Entwicklung, Interpretation, Ästhetik, Berlin 1997a, 67. 760 Bei derartigen Stufenmodellen muss stets beachtet werden, dass diese nicht kritikfrei sind und die Entwicklung der Zeichnungsfähigkeit zusätzlich von weiteren Faktoren als lediglich dem Alter abhängig ist. Faktoren wie die kulturelle Zugehörigkeit werden in diesem Zusammenhang ebenfalls untersucht (vgl. z. B. Wiegelmann-Bals, A.: Ausgewähltes Grundlagenwissen zur Entwicklung des Zeichnens, in: Ströter-Bender J./Wiegelmann-Bals A. (Hrsg.): Historische und aktuelle Kinderzeichnungen. Eine Forschungswerkstatt (Kontext Kunst – Vermittlung – kulturelle Bildung Band 15), Marburg 2017a, 13–18, 15.) Die grobe Einteilung in verschiedene Stufen dient an dieser Stelle dazu, die grundsätzliche Eignung des Forschungsinstrumentariums für die untersuchte Altersstufe zu prüfen. 761 Seidel 2007, 84. 762 Vgl. Wiegelmann-Bals 2017a, 14. 763 Vgl. Richter 1997a, 47f. 764 Ebd., 45.

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Wahl des Zeichenmaterials – Konzeption der Studie

7.3.2 Was Kinder sagen – Episodisches Leitfadeninterview nach Uwe Flick als qualitatives Forschungsinstrumentarium In Kombination mit den Kinderzeichnungen wird als zweites Forschungsinstrumentarium des Symbolischen Interviews das sogenannte episodische Interview herangezogen. Diese Herangehensweise wird teilweise als Variante des problemzentrierten Interviews765 eingestuft766, wobei anzumerken ist, dass Uwe Flick die Interviewform in seinen Ausführungen von Witzels abgrenzt.767 Dennoch wird im vorliegenden Forschungsdesign die Phase des Kurzfragebogens mit aufgenommen. Dieser dient der besseren Vergleichbarkeit, indem »soziodemografische und biografische Fakten dokumentiert«768 werden. Somit lassen sich beispielsweise die Klassenstufe oder die religiöse Zugehörigkeit der Kinder abfragen, ohne dabei den Interviewverlauf zu stören. Die Besonderheit der episodischen Interviewform liegt allerdings eher im Ablauf des konkreten leitfadengestützten Gesprächs, das ausgehend von der Forschungsfrage konzipiert wird und als Datengrundlage fungiert. Das Interview folgt der Herangehensweise, dass die Erfahrungen und Sichtweisen von Subjekten einen bestimmten Forschungsbereich betreffend durch zwei verschiedene Wissensformen abzufragen sind: zum einen das narrativ-episodische Wissen, das sich durch Erfahrungsnähe auszeichnet und meist auf »konkrete Situationen und Umstände«769 bezogen werden kann. Zum anderen das semantische Wissen, das sich eher durch »abstrahierte, verallgemeinerte Aussagen und Zusammenhänge«770 offenbart. Flick konstatiert, dass in einem qualitativen Interview, das sich durch reine Fragen und Antworten auszeichnet, nicht die komplexe Erfahrungswelt des oder der Befragten ans Licht gebracht werden kann, während demgegenüber beispielsweise in einem narrativen, sehr offenen Interview kein Platz für Nachfragen und Konkretisierungen eingeräumt werden kann. Um das narrativ-episodische Wissen zu aktivieren und zugänglich zu machen, werden also im Interview immer wieder Aufforderungen gestellt, etwas zu einer bestimmten Situation oder Erfahrung zu erzählen.771 Es wird eine gewisse Erzählkompetenz vorausgesetzt, wobei auch hier im Unterschied zu rein narrativen Interviewformen kein ›Zug765 Für weitere Informationen zu dieser Interviewform siehe: Witzel, A.: Das problemzentrierte Interview, in: Jüttemann G. (Hrsg.): Qualitative Forschung in der Psychologie. Grundfragen, Verfahrensweisen, Anwendungsfelder, Heidelberg 21989, 227–256.; ders.: Das problemzentrierte Interview, in: Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research 1/1 2000, 1–9. 766 Vgl. Döring/Bortz 2016, 377. 767 Vgl. Flick 2019b, 210f; 238f. 768 Döring/Bortz 2016, 377. 769 Flick 2019b, 238. 770 Ebd., 238f. 771 Diese Fragen sind im Leitfaden als ›Narrativ ausgerichtete Fragen‹ betitelt; vgl. Anhang 2.

Erhebungsmethode: Symbolisches Interview nach Burkhard Fuhs

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zwang‹ besteht, da Nachfragen772 und Hilfestellungen möglich sind und zudem nach mehreren kürzeren Erzählungen gebeten wird. Erweitert und unterstützt werden diese Erzählfragen durch klassische Leitfragen773, die vorher festgelegt werden und »Orientierung über die thematischen Bereiche«774 bieten. Diese zielen also spezifisch auf das semantische Wissen der Befragten ab und ermöglichen der Forschenden den genaueren Einblick in konkrete Denk- und Handlungsstrukturen und Beziehungen zwischen unterschiedlichen Begrifflichkeiten. Die von Flick entwickelte Interviewform hebelt durch ihren Aufbau verschiedene Probleme der klassischen Interviewführung aus, beinhaltet einige Stärken und eignet sich in besonderer Weise zur Forschung mit Kindern: Grundschülerinnen und -schüler besitzen noch nicht die gleichen Erzählkompetenzen, wie sie Jugendliche oder Erwachsene vorweisen können. Deshalb wird in weiten Teilen von einer rein offenen Interviewform in der Kindheitsforschung abgeraten.775 Die episodische Herangehensweise bietet den Vorteil, dass mögliche Schwierigkeiten im Erzählen dadurch vermieden werden können, dass nach verschiedenen kleinen Berichten gefragt wird. Im Gegenzug wird aber geschlossenen Fragen beziehungsweise Antworten vorgebeugt, dennoch kann durch konkretes Nachfragen vermieden werden, »dass Situationen (in denen bestimmte Erfahrungen gemacht wurden) lediglich benannt und nicht wirklich erzählt werden«776. Dadurch, dass dem Interview nicht eine komplett offene Gestaltung durch die Befragten zugrunde liegt, bietet sich der Forschenden die Möglichkeit, die Forschungsfrage im Hintergrund zu behalten und an verschiedenen Stellen einzuhaken. Durch die Erzählaufforderungen werden den Interviewpartnerinnen und -partnern aber dennoch Freiheiten eingeräumt, das Gespräch in eine ihr oder ihm gesinnte Richtung zu lenken. Dadurch können Phänomene in einer größeren Breite betrachtet und Einschränkungen durch einen Leitfaden mit rein zielgerichteten Fragen vermieden werden. Im Forschungsprozess mit Kindern ist diese Herangehensweise demnach förderlich, da sie sich im Idealfall nicht durch schwierige Fragen unter Druck gesetzt fühlen müssen, sondern ihre persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse in eigenen Worten wiedergeben können.777 Zudem besitzt die episodische Interviewform den Vorteil der »within-method«-Triangulation, die als Qualitätskriterium des vorliegenden Forschungsprozesses aufgestellt wurde.778 Demnach sind die zwei Elemente des offenen, narrativen und 772 Innerhalb des Leitfadens werden hierzu sogenannte ›Steuerungsfragen‹ zuvor festgelegt.; vgl. Anhang 2. 773 Im Leitfaden ›Zielgerichtete Fragen‹ genannt; vgl. Anhang 2. 774 Ebd., 240. 775 Vgl. Fuhs 2012, 88. 776 Flick 2019b, 244. 777 Vgl. Kapitel 7.2.2. 778 Vgl. Kapitel 7.2.1.

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Wahl des Zeichenmaterials – Konzeption der Studie

des leitfadengestützten Interviews miteinander verknüpft und bieten so durch Datenerhebung und -auswertung den Zugang zu allgemeingültigeren Aussagen, die verschiedene Perspektiven beleuchten. Auch in Bezug auf die symbolische Interviewform, die im vorliegenden Fall die Kinderzeichnungen mit dem episodischen Interview verbindet, eignet sich die episodische Herangehensweise. So wird, wie sich im Leitfaden zeigt779, als Eingangsfrage um eine Erzählung gebeten, die das Bild betrifft und somit ein fließender Übergang zwischen der Zeichnung und dem Interviewgespräch geschaffen. Flick stellt verschiedene grundlegende Aspekte fest, die bei der Planung und Durchführung eines episodischen Interviews dringend zu beachten sind: – Leitfadenerstellung: Dem Interview liegt trotz seiner offenen Elemente ein Leitfaden zugrunde, der sorgfältig erstellt werden muss und sowohl die Fragen zu narrativ-episodischem (offene Fragen) als auch zu semantischem Wissen (teilstrukturierte Fragen) enthält.780 – Erläuterung des Grundprinzips des episodischen Interviews: Im Vornherein muss der oder die Befragte über die Spezifität des Interviews informiert werden und erfahren, dass ein Wechsel aus Erzählfragen und konkreten Fragestellungen erfolgen wird.781 – Kompetenz der forschenden Person: Der Umgang mit dem Leitfaden sowie die Kompetenz, zu den Erzählungen und Berichten gewinnbringend, das heißt im Sinne der Forschungsfrage, nachzufragen und einzuhaken, muss von der forschenden Person im Vornherein eingeübt und gefestigt werden.782 Zu letzterer Voraussetzung sind im konkreten Forschungsprozess Pretests durchgeführt worden783 Die Vorgehensweise der Leitfadenerstellung sowie die Kommunikation des Interviewgeschehens mit den befragten Kindern wird im Folgenden dargestellt.

7.4

Methodische Vorgehensweise

Die zuvor beschriebenen Vorüberlegungen dienen dem Forschungsdesign als Grundgerüst, auf dem alle weiteren Abwägungen basieren. Entsprechend werden ausgehend vom qualitativen Forschungsparadigma mit den gewählten Forschungsinstrumentarien zirkulär ablaufende Forschungsphasen festgelegt, die

779 780 781 782 783

Vgl. Anhang 2. Vgl. ebd., 240. Vgl. ebd., 240f. Vgl. ebd., 244. Näheres hierzu wird in Kapitel 7.4.2 konkretisiert.

Methodische Vorgehensweise

183

jeweils eigener Entscheidungen bedürfen. Im Folgenden werden diese Phasen vorgestellt und erläutert.

7.4.1 Forschungsphasen Qualitative Forschungsprozesse zeichnen sich durch eine zirkulär ablaufende Struktur aus.784 Ziel ist es, »neue Theorien über soziale Phänomene in alltäglichen Lebenswelten«785 zu generieren, weshalb sich eine auf flexible Forschungsphasen ausgerichtete methodische Vorgehensweise bewährt hat. Im ersten Schritt wird auf der Basis der theoriebasierten Vorkenntnisse und Erwartungen der Forscherin eine Annäherung an die Forschungsthematik und schließlich auch Forschungsfrage erreicht. Auf der Grundlage dieses Vorwissens wird unter der Berücksichtigung der Kriterien qualitativer (Kindheits-)Forschung786 die Entscheidung zu einem Symbolischen Interview gefällt. In einem zweiten Schritt kann, wiederum im festgelegten Rahmen der Forschungsfrage und unter Rückgriff auf die einschlägigen Forschungserkenntnisse, ein Interviewleitfaden787 entwickelt werden, der sich im Laufe des Planungsprozesses immer wieder verändert und vor allem mithilfe der Pretests788 zu seiner endgültigen Gestalt kommt. Die Erhebung beinhaltet außerdem Vorüberlegungen zu Sampling und Setting, die in den Kapiteln 7.4.3 sowie 7.4.4 ausgeführt werden und sich im Reflexionsprozess stetig weiterentwickeln. Die Zirkularität des vorliegenden Forschungsprozesses zeigt sich vor allem in der Datenauswertung789, die sich unter anderem dadurch auszeichnet, dass die Analyse der Daten der Kinderzeichnungen und Interviews in einem ständigen Wechselspiel stattfindet. Von außerordentlicher Relevanz ist im gesamten Forschungsprozess die Selbstreflexion der Forscherin, durch die die einzelnen Phasen immer wieder modifiziert werden können.790

784 785 786 787 788 789 790

Vgl. Kapitel 7.1. Döring/Bortz 2016, 67. Vgl. Kapitel 7.2.2.4. Näheres hierzu wird in Kapitel 7.4.6 konkretisiert. Näheres hierzu wird in Kapitel 7.4.2 konkretisiert. Näheres hierzu wird in Kapitel 8 konkretisiert. Zudem fanden zu verschiedenen Zeitpunkten des Prozesses Reflexionen innerhalb eines Forschungskolloquiums statt, sodass auch weitere Personen mit in den Forschungsprozess einbezogen wurden.

184

Wahl des Zeichenmaterials – Konzeption der Studie

7.4.2 Pretests Pretests werden in der Sozialforschung mit dem Ziel durchgeführt, »die Datenerhebung ex ante, d. h. vor ihrem eigentlichen Beginn zu optimieren«791. Mit dieser Intention wurden sie in den vorliegenden Forschungsplan mit einbezogen. Im Juli 2017 wurden im Zuge der Bachelorarbeit der Forscherin zum Thema ›Frieden‹ bereits drei Schulkinder im Alter von neun Jahren befragt. Diese dienten der vorliegenden Arbeit als Pretests, woraufhin nach ausführlicher Reflexion des Leitfadens und der Interviewführung Verbesserungen und methodische Veränderungen vorgenommen wurden. Mit dem erneuerten und auf die Forschungsfrage angepassten Leitfaden sowie der Erweiterung des Forschungsdesigns durch die Erhebung von Kinderzeichnungen wurden fünf weitere Pretests durchgeführt und aufgezeichnet. Da vor allem auf das Feedback bezüglich der Verständlichkeit der Aufgabenstellung zu den Zeichnungen, wie auch der Fragen des Leitfadens, Wert gelegt wurde, wurden Personen im Erwachsenenalter (23–29 Jahre) befragt. Diese verfügen alle über pädagogisches Vorwissen und konnten demnach Vorschläge und Rückmeldung zur Interviewführung und methodischen Herangehensweise geben – was besonders in Anbetracht der episodischen Interviewform gefordert ist.792 Außerdem ermöglichten die Pretests, die Dauer der Interviews abzuschätzen und erhebliche Verbesserungen an Leitfaden und Herangehensweise vorzunehmen.

7.4.3 Stichprobenziehung Das Sampling innerhalb empirischer Forschung beinhaltet verschiedene Auswahlprozesse vor der Datenerhebung. Dazu gehört zunächst die Auswahl der Stichprobe, bevor in späteren Forschungsphasen Entscheidungen zur Auswahl des Datenmaterials sowie der Präsentation getroffen werden.793 Es gibt hinsichtlich der Stichprobenziehung in der qualitativen Forschung verschiedene Vorüberlegungen. Dazu gehören beispielsweise forschungsökonomische Aspekte wie der zeitliche, finanzielle und personelle Rahmen, aber auch Entscheidungen vor dem Hintergrund des Forschungsinteresses. Im vorliegenden Fall wurde zu Beginn des Auswahlprozesses festgelegt, dass Kinder der dritten und vierten Jahrgangsstufe zur Beteiligung an der Studie gefunden werden sollten. Für das geplante methodische Vorgehen besitzen Heranwachsende in 791 Weichbold, M.: Pretest, in: Baur N./Blasius J. (Hrsg.): Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung, Wiesbaden 22019, 349–356, 349. 792 Vgl. Kapitel 7.3.2. 793 Vgl. Flick 2019b, 154f.

Methodische Vorgehensweise

185

diesem Alter die kognitiven Voraussetzungen.794 Außerdem ist es in Anbetracht der Lebenswelt, schulischen Bildung und der Interessen der Kinder innerhalb der diesen Jahrgangsstufen entsprechenden Altersspanne zu erwarten, dass sie bereits Vorwissen und eigene Urteile zur Beantwortung der Forschungsfrage beitragen können. Dennoch umfasst dieser Aspekt eine Altersspanne von zwei bis drei Jahren, wodurch auch Entwicklungen sowie Vergleiche darstellbar gemacht werden können. Darüber hinaus wurden Heterogenitätsmerkmale in der Vorauswahl aufgestellt. Es sollten Kinder unterschiedlichen Geschlechts sowie verschiedener Konfessionen und im besten Falle verschiedener Religionszugehörigkeit befragt werden, um auch diese Variablen in den Auswertungs- und Interpretationsprozessen berücksichtigen und vergleichen zu können. Auf diese Weise wurde eine »gezielte Auswahl bestimmter Arten von Fällen«795 getroffen, wobei die endgültige Stichprobe durch einen einzigen »Rekrutierungsweg«796 ausgewählt beziehungsweise gefunden wurde. Die Rekrutierung fand über einen Aushang sowie einen Elternbrief in einem bayerischen Zentralhort statt. In dieser Hinsicht kann auch von einer »Gelegenheitsstichprobe«797 gesprochen werden, da die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich selbst aktiv auf die Anfrage hin zur Partizipation bereiterklärt haben. Dabei wurde die Information zur Studie an 30 Schülerinnen und Schüler der dritten und vierten Jahrgangsstufe verteilt. Die Rückantworten mussten aufgrund der Minderjährigkeit der Heranwachsenden von den Erziehungsberechtigten ausgestellt werden. Die Problematik hinter einem solchen Vorgehen kann sein, dass sich auf diese Anfragen vor allem Personen bereit erklären, die von Vornherein dem Forschungsthema gegenüber aufgeschlossen sind und somit ein Sample recht homogen ausfallen kann.798 Jedoch wird diese Gefahr in der vorliegenden Kindheitsforschung nicht allzu groß wahrgenommen, da die Eltern in diesem Fall lediglich eine Mittlerposition einnehmen und durch die Auswahlkriterien eine Stichprobe von n=15 erreicht werden konnte. Aufgrund der in dieser Studie geplanten vergleichsweise geringen Stichprobe wird die Offenheit gegenüber der Forschungsthematik und die Bereitschaft zur Studienteilnahme also als Bereicherung, weniger als Einschränkung, gesehen. Von einem schrittweisen Auswahlverfahren wie dem theoretischen Sampling wurde aus forschungsökonomischen Gründen und vor allem aufgrund des Fehlens von Teilnehmerinnen und Teilnehmern in einem zugänglichen Umfeld abgesehen. Weiterhin sind innerhalb der Stichprobe ver794 795 796 797

Vgl. Kapitel 7.3.2. Döring/Bortz 2016, 304. A.a.O. Ilg, W./Rutkowski, M. (2021): Art. Stichprobe/Sampling. In: Wissenschaftliches Bibellexikon (WiBiLex). Abrufbar unter: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/200848/ (aufgerufen am: 28. 2. 2023), 7. 798 Vgl. ebd., 7f.

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Wahl des Zeichenmaterials – Konzeption der Studie

schiedene Fälle vorhanden, welche einen möglichst breiten Zugang zu unterschiedlichen Daten bereits ermöglichen.

7.4.4 Setting Das Setting, unter dem die Erhebungen stattfinden, bedarf einiger wichtiger Vorüberlegungen. Zum einen gilt es, den Kriterien der Kindheitsforschung gerecht zu werden, um Verfälschungen oder eine den Kindern unangemessene Durchführung zu vermeiden. Zum anderen sollte die Forschungssituation auch den gängigen forschungsethischen Grundlagen Folge leisten799, indem das Setting im Vornherein strukturiert geplant, reflektiert und somit legitimiert wird. Des Weiteren dienen die Überlegungen zum Setting der Wissenschaftlichkeit dadurch, dass sich die Daten mithilfe der Festlegung bestimmter Faktoren durch Vergleichbarkeit auszeichnen. Umgebung Die Entscheidungen bezüglich der Forschungsumgebung stützen sich auf verschiedene Aspekte, die einerseits forschungsökonomischer Natur und andererseits den jungen Teilnehmenden der Studie angemessen sind. Grundsätzlich empfiehlt es sich, aufgrund der lebensweltlichen Bedeutung der vorliegenden Interviews eine »natürliche Umgebung«800 für die Erhebung zu wählen. In Bezug auf die Erhebung von Zeichnungen wird teilweise davon abgeraten, im schulischen Kontext, also beispielsweise im Zuge des (Kunst-)Unterrichts Aufgaben zu stellen. Hiervon wird abgesehen, da dies dazu führen kann, dass sich das Kind durch schulische Erwartungen determiniert fühlt.801 Zugleich postuliert Vogl für die Erhebung mit Kindern eine Umgebung, die sich durch »Privatheit und Vertraulichkeit«802 auszeichnet.

799 Vgl. Döring/Bortz 2016, 86. 800 Lamnek/Krell 2016, 374. 801 Vgl.Peez, G.: Überblick und Ausblick – Forschungsmethoden zur Kinderzeichnung und zum jugendkulturellen Ausdruck in der Kunstpädagogik, in: Kirchner C./Kirschenmann J./ Miller M. (Hrsg.): Kinderzeichnung und jugendkultureller Ausdruck. Forschungsstand – Forschungsperspektiven (Kontext Kunstpädagogik Bd. 23), München 2010, 521–546, 527. 802 Vogl, S.: Interviews mit Kindern führen. Eine praxisorientierte Einführung (Grundlagentexte Methoden), Weinheim 2015, 95.

Methodische Vorgehensweise

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Zeichensituation Um den Schülerinnen und Schülern den Einstieg in die meist ungewohnte Interviewsituation zu erleichtern, wird entschieden, die Zeichnungen zuerst und in Kleingruppen von jeweils drei Kindern zu erheben. Um dennoch Ablenkungen und gegenseitige Beeinflussung zu vermeiden, sollte gewährleistet werden, dass sich die Teilnehmenden gegenseitig nicht sehen können. Zur Förderung der Motivation und zur Schaffung einer angenehmen Atmosphäre, in der sich die Kinder gern an der Erhebung beteiligen, können nach Empfehlung von Andersen, dicke Buntstifte aus unlackiertem Holz verwendet werden, da diese ein gutes Zeichenergebnis liefern können. Aus Gründen der Vergleichbarkeit ist es zudem relevant, dass allen Teilnehmenden die gleichen Zeichenmaterialien zur Verfügung stehen. Interviewsituation Vor allem in der Interviewsituation sollte versucht werden, eine vertrauensvolle Atmosphäre und ein natürliches Setting zu schaffen. Eine adäquate Interviewsituation wie sie in vorliegender Studie geplant ist, setzt voraus, dass die Kinder einzeln befragt werden. Durch die vorher angefertigte Zeichnung kann der Zugang zum Forschungsprozess für die Probandinnen und Probanden erleichtert werden. Zudem ist es von Relevanz, das Interview aufzuzeichnen, wozu ein Diktiergerät verwendet werden kann. Dieses sollte »keine auditiven oder visuellen Reize«803 aufweisen, welche die Beteiligten ablenken können. Außerdem soll den Kindern vor dem Interview die Notwendigkeit der Aufzeichnung erklärt werden, was laut Vogl den Effekt habe, dass sich das Interesse an den Geräten sehr schnell wieder lege.804 Auf diese Weise kann ein Interview ohne gravierende Störungen in einer vertrauten Umgebung und angenehmen Atmosphäre durchgeführt werden. Gerade aufgrund der bei Interviews mit Kindern vorherrschenden Asymmetrie zwischen Befragten und Forschenden werden diese Faktoren in den Vorüberlegungen in den Vordergrund gestellt.805 Dauer Es wird zunächst entschieden, dass für die Erhebungen der Zeichnungen kein Zeitlimit gesetzt werden soll. Dies ist darin begründet, dass den Kindern die Freiheit gewährt werden sollte, sich voll und ganz auf den Zeichenprozess konzentrieren zu können, ohne durch Zeitdruck eingeschränkt zu werden. Die Dauer 803 A.a.O. 804 Vgl. a. a. O. 805 Vgl. Kapitel 7.2.2.

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Wahl des Zeichenmaterials – Konzeption der Studie

der Interviews wurde vorher durch den Leitfaden auf einen ungefähren Zeitraum eingegrenzt. Die Anzahl der Fragen legt somit eine mögliche Dauer der Interviews auf durchschnittlich circa 20 Minuten fest, die durch die Pretests bestätigt werden konnten.806 Die Begrenzung der Interviewdauer ist deshalb von Nöten, da Kinder im Grundschulalter häufig eine »geringere Aufmerksamkeitsspanne«807 besitzen als Erwachsene und eine mögliche Überforderung durch überlange Interviews vermieden werden soll. Die Methode des episodischen Interviews ermöglicht es den Kindern darüber hinaus, in gewisser Weise selbst die Dauer des Gesprächs zu bestimmen, da ihnen die Ausführlichkeit der Beantwortung der offeneren Fragen freigestellt ist.

7.4.5 Erhebung der Zeichnungen Zur Erhebung der Zeichnungen wurden, wie bereits dargelegt, jeweils drei Kinder gemeinsam in den vorbereiteten Raum geführt. Die Besonderheit der Zeichnungen liegt darin, dass eine vergleichende Analyse dadurch ermöglicht werden soll, dass das Bild in zwei Teile aufgeteilt wird. Hierzu wurden Din A4-Blätter vorbereitend in der Mitte durch einen Strich geteilt. Analog zur Forschungsfrage, die sich sowohl mit den Vorstellungen der Kinder zu Frieden als auch zu Unfrieden beschäftigt, lautet die Zielsetzung der Zeichnungen wie folgt: Es sollen zwei Bilder gezeichnet werden. Auf die eine Seite werden die Vorstellungen der Kinder über ein Leben in einer friedlichen Welt festgehalten. Die zweite Seite beinhaltet ihre Vorstellungen eines Lebens in einer unfriedlichen Welt.

Den Zeichnerinnen und Zeichnern ist dabei freigestellt, mit welcher Seite sie beginnen, auf welcher Seite sie die friedliche oder unfriedliche Komponente bearbeiten und ob das Blatt waagrecht oder senkrecht gelegt wird. Diese Freiheiten werden deshalb gewährt, da sie bestenfalls in der Analyse der Zeichnungen zum Tragen kommen werden und die individuellen Entscheidungen mit in die Interpretation einfließen. Jeder Gruppe wird zu Beginn des Zeichenprozesses die Aufgabenstellung808 mitgeteilt, die im Vornherein festgelegt wurde, um somit die Vergleichbarkeit der einzelnen Zeichnerinnen und Zeichner sowie Gruppen zu gewährleisten. Den Probandinnen und Probanden ist zu Beginn der Erhebungsphase lediglich be806 Vgl. Kapitel 7.4.2. 807 Ebd., 97. 808 Die Aufgabenstellung im Wortlaut findet sich im Anhang 2.

Methodische Vorgehensweise

189

kannt, dass sie Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines Interviews über Frieden sind. Es wurde darauf geachtet, in der Aufgabenstellung eine kindgemäße Sprache zu finden, die klar und deutlich das Vorhaben darstellt. Dabei sollte eine wertschätzende Atmosphäre hergestellt werden, welche die Kinder als Expertinnen und Experten des Interessengebietes herausstellt.809 Ebenso von Bedeutung ist es, den Heranwachsenden zu signalisieren, dass es nicht um »Gefälligkeits-Antworten«810 geht, sondern um ihre persönlichen Vorstellungen und ihren bildnerischen Ausdruck. Dies ist zum einen unabdingbar, um wirklich adäquate Ergebnisse für die spätere Analyse und Interpretation zu erhalten, zum anderen wirkt die Wertschätzung und das Interesse an den Werken der Kinder dem der Forschungssituation geschuldeten Autoritätsgefälle zwischen Teilnehmenden und Forscherin entgegen.811 Die angesprochenen während des Zeichenprozesses angefertigten Notizen beinhalten die Dauer des jeweiligen Bildteiles, die Wahl des Beginns (friedlicher oder unfriedlicher Bildteil), gestellte Fragen der Kinder sowie Besonderheiten, die in der Beobachtung der Zeichnung aufgefallen sind. Solche Notizen, wie sie auch im Anschluss an das Interview angefertigt werden, »helfen bei der Reflektion und sind ein erster Schritt zur Auswertung«812.

7.4.6 Interviewleitfaden Der Interviewleitfaden basiert auf Vorüberlegungen aus unterschiedlichen Perspektiven. Diese sind zum einen inhaltlicher und zum anderen struktureller Natur.813 Neben der bereits bezüglich der Aufgabenstellung zu den Zeichnungen thematisierten kindgemäßen Sprache nahmen bei der Konzeption des Leitfadens inhaltlich vor allem der Bezug auf die Forschungsfrage einen hohen Stellenwert ein: Besinnung auf die Forschungsfrage Die Forschungsfrage entstand ausgehend von theoriebasierten Grundlagen, die im ersten Teil dieser Arbeit aus der Religionspädagogik mit interdisziplinärer Perspektive zum Thema Frieden untersucht wurden. Zudem fließt der Forschungsstand sowie daraus hervorgehende Forschungsdesiderate in das Er809 810 811 812 813

Vgl. ebd., 99. Ebd., 100. Vgl. Kapitel 7.2.2.3. Ebd., 94. Vgl. Leven, E.-M. (2019), 7.

190

Wahl des Zeichenmaterials – Konzeption der Studie

kenntnisinteresse der Studie und somit in den Interviewleitfaden mit ein.814 Wie in Kapitel 4.2 herausgestellt wurde, wird ausgehend von einem weiten Friedensbegriff sowohl positiver als auch negativer Frieden in den Blick genommen. Unter Rückgriff auf die in Kapitel 5 beschriebenen Bezugsbegriffe Gerechtigkeit (positiver Frieden), Konflikte, Krieg und Gewalt (negativer Frieden) kann somit Frieden und Unfrieden gleichermaßen mit aufgenommen werden. Innerhalb der Forschungsfrage ist die Wahrnehmung von Frieden und Unfrieden im Nahraum beziehungsweise weltweit von Bedeutung. Konflikte im Nahraum werden somit zum Beispiel durch das Erleben von Streit thematisiert. Aus den Überlegungen der Forschungsfrage und unter Rückbezug auf die theoretischen Grundlagen ergaben sich vier Frageblöcke: (1) Positiver Frieden, (2) Negativer Frieden, (3) Frieden und Religion sowie (4) Frieden im eigenen Leben. Bezüglich der Struktur des Leitfadens sind die Vorgaben des episodischen Interviews sowie die Triangulation von Zeichnung und Interview wegweisend: Besonderheiten der episodischen Interviewform Wie in Kapitel 7.3.2 dargelegt, sind bei einem episodischen Interview sowohl narrativ ausgelegte Fragen als auch solche, die das semantische Wissen thematisieren, mit einzubeziehen. Demnach wurden innerhalb des Leitfadens in Abhängigkeit von den jeweiligen Frageblöcken und lebensweltlichen Zugängen zu verschiedenen Themen entsprechende narrativ ausgelegte Fragen (zum Beispiel »Erzähle mir von einem Streit, den du erlebt hast.«) entworfen. Diese werden bei Themen, die semantisches Wissen voraussetzen beziehungsweise eruieren wollen, durch zielgerichtete Fragen ergänzt (z. B. »Was verstehst du unter Gerechtigkeit?«). Im Voraus wurden zudem verschiedene Steuerungsfragen zu den jeweiligen Leitfadenthemen entwickelt. Diese dienen dazu, weiterführende Perspektiven im Interviewgespräch zu eröffnen. Konzeption im Zusammenhang mit den Zeichnungen Für die Erstellung des Interviewleitfadens konstitutiv ist das Vorhandensein der Kinderzeichnungen, die vorher erhoben werden. Demnach baut das gesamte Interviewgespräch auf Basis der dann vorliegenden Zeichnungen auf. Die Frage nach der Inhaltsbeschreibung des Bildes bietet also den Einstieg, womit die Kinder eigene Akzentuierungen setzen können und das Gespräch in eine für sie relevante Richtung lenken können. Mithilfe dieser Vorgehensweise kann dem vorher aufgestellten Prinzip der Offenheit und Wertschätzung Rechnung getra-

814 Vgl. Kapitel 3.

Beschreibung der Auswertungsmethodik

191

gen werden.815 Dies verlangt allerdings große Spontaneität innerhalb der Interviewführung, was zudem Fragen innerhalb des Gesprächs aufwerfen kann, die nicht vorher im Leitfaden festgelegt sind.

7.5

Beschreibung der Auswertungsmethodik

Der Erhebung von Zeichnungen und Interviews folgt im nächsten Schritt die Aufbereitung und Auswertung der dadurch gewonnenen Datensätze. Von Bedeutung sind zunächst die Transkription und Anonymisierung der Interviewrohdaten (Erstellung und Anonymisierung der Datensätze816) mithilfe eines geeigneten Programms und unter Einhaltung vorher festgelegter Regeln. So wird das Transkript, da hier vor allem Wert auf die inhaltlichen Komponenten und weniger auf sprachliche Unterscheidungen gelegt wird, wörtlich, aber ohne Dialekt, angelegt (Datenbereinigung817). Durchgeführt wird die Verschriftlichung mithilfe der Software MAXQDA. Dies bietet sich an, da somit alle Datensätze bereits in dem Programm eingespeist sind, das später für die Auswertung verwendet wird. Als weiterer Schritt der Exploration der Daten ist nach Döring und Bortz außerdem die Kommentierung der Datensätze818 zu vollziehen: Ebenfalls in der Software MAXQDA werden zusätzliche quantitative und qualitative Informationen, wie das Datum der Interviews, Alter und Geschlecht der Befragten und deren Schulklasse, mithilfe von Memos819 und Datenvariablen eingepflegt. Durch die schrittweise und planvolle Datenaufbereitung in einem Computerprogramm wird erreicht, dass alle relevanten Informationen und Datensätze zur Auswertung idealerweise fehlerfrei und der Forschungsethik entsprechend an einem Ort verzeichnet sind. Durch die Datenaufbereitung kann außerdem eine erste Übersicht der gesammelten Informationen geschaffen werden, um daraufhin in die konkrete Auswertung einsteigen zu können.

7.5.1 Transkription und Anonymisierung Die Interviews wurden mithilfe eines Diktiergeräts aufgezeichnet und zeitnah im Datenauswertungsprogramm MAXQDA transkribiert. Die Verschriftlichung der gesprochenen Worte ist unerlässlich, um letztlich Textdaten zur Verfügung zu 815 816 817 818 819

Vgl. die Kapitel 7.1 sowie 7.2.2.4. Vgl. Döring/Bortz 2016, 580. Vgl. a. a. O. Vgl. a. a. O. Vgl. Rädiker, S./Kuckartz, U.: Analyse qualitativer Daten mit MAXQDA. Text, Audio und Video, Wiesbaden 2019, 54.

192

Wahl des Zeichenmaterials – Konzeption der Studie

haben, die analysiert werden können. Hierfür werden Transkriptionsregeln festgelegt, die der Einheitlichkeit der Interviewtexte Rechnung tragen. Dabei wurde das Ziel der Studie, die Aussagen der befragten Kinder zu analysieren und dabei auf den Inhalt des Gesagten Bezug zu nehmen, stets im Blick behalten, sodass die angewandten Regeln relativ einfach gehalten sind.820 Als Grundlage dient das von Stefan Rädiker und Udo Kuckartz aufgestellte Transkriptionssystem821, das aufgrund der Praktikabilität für die vorliegende Studie leicht abgeändert wurde: – Setzen von Zeitmarken: Das Programm MAXQDA bietet die Möglichkeit, bei jedem Sprecherinnen- und Sprecherwechsel eine Zeitmarke zu setzen. Dies erleichtert das nochmalige Anhören des Originaltextes, die spätere Codierung und die Dokumentation der Textquellen. – Kürzel der sprechenden Personen: Aussagen der interviewenden Person werden mit ›I:‹ eingeleitet; die der befragten Personen mit dem Anfangsbuchstaben des Pseudonyms. – Wörtliche Transkription: Das Gesprochene wird nicht lautsprachlich oder zusammenfassend transkribiert, sondern wörtlich. So werden dialektische Aussagen, sofern sie keine inhaltliche Bedeutung haben, geglättet822 und die Interpunktion der Schriftsprache angeglichen. – Sprechpausen: Pausen werden in einfachen Klammern vermerkt. »Entsprechend der Länge der Pause in Sekunden werden ein, zwei oder drei Punkte gesetzt, bei längeren Pausen wird eine Zahl entsprechend der Dauer in Sekunden angegeben«823: beispielsweise (4sek). – Satzabbrüche und Unterbrechungen: Wird der Redefluss durch die sprechende Person oder das Gegenüber unterbrochen, wird dies mit / gekennzeichnet. – Körpersprachliche, unverständliche oder allgemeine Lautäußerungen: Nichtsprachliche Äußerungen wie Lachen oder Räuspern, Unverständliches sowie körpersprachliche Äußerungen wie Nicken werden in eckigen Klammern verschriftlicht: z. B. [lacht]. – Zustimmende Äußerungen im Redefluss: Bestätigungen vonseiten der Interviewerin wie ›mhm‹, ›aha‹ oder Ähnliches werden nicht mit transkribiert, »sofern sie den Redefluss der befragten Person nicht unterbrechen«824.

820 Vgl. ebd., 44. 821 Vgl. ebd., 44f. 822 Innerhalb des Transkriptionsprozesses zeigte sich, dass keines der Kinder einen einschlägigen Dialekt sprach. Jedoch wurde an allen Stellen die Abkürzung von »ein/eine« durch »nen/n/ne« durch die jeweiligen Artikel ersetzt. 823 Ebd., 44. 824 Ebd., 45.

Beschreibung der Auswertungsmethodik

193

– Betonende Elemente: Wird im Gesprochenen ein Wort/Satzteil besonders betont oder in einer anderen Tonlage gesprochen (z. B. geflüstert), wird dies in eckigen Klammern vermerkt: z. B. [flüstert]. Alle befragten Kinder, erwähnte Orte und Personen, die Rückschlüsse auf das Umfeld und die Befragten geben können, werden folgendermaßen pseudonymisiert: – Die Befragten: Jedem interviewten Kind wird ein Buchstabe des Alphabets zugewiesen, der als Anfangsbuchstabe des zufällig gewählten Pseudonyms fungiert. Dementsprechend ergeben sich Namen wie ›Aaron‹, ›Bea‹, ›Clara‹ usw. – Orte: Rückschlüsse auf die Lebensumwelt der Kinder bei Nennung des Heimatortes oder Ähnlichem werden umgangen, indem Stadtnamen durch ›Groß-/Kleinstadt‹ ersetzt werden. – Erwähnte Personen: Bei allen zusätzlich im Gespräch erwähnten Personen, die nicht Teil der Studie sind, wird ein zufällig gewähltes Pseudonym verwendet, das keine Rückschlüsse auf die konkrete Person zulässt. Zudem wird jedem interviewten Kind eine Codierung zugeteilt, aus der relevante Daten wie das Alter, Geschlecht sowie die religiöse Zugehörigkeit zu entnehmen sind. Dies erleichtert die Erstellung von Analysen und Datensammlungen in der Auswertung. Unterschieden wird hierbei zwischen ›I‹ für Interview und ›Z‹ für Zeichnung, die dem jeweiligen Kind zugehörig sind. Folgendermaßen setzt sich die Codierung zusammen: Geschlecht (m/w) + Alter (ganze Zahl) + Religionszugehörigkeit (katholisch; evangelisch; bekenntnislos; muslimisch). Dementsprechend wird das Interview eines neunjährigen, evangelischen Jungen beispielsweise wie folgt codiert: Im9ev.

Mit dem gewählten Transkriptions- und Anonymisierungs- beziehungsweise Pseudonymisierungssystem wird sichergestellt, dass so wenige relevante Daten wie möglich durch die Verschriftlichung verlorengehen. Darüber hinaus ermöglicht die Befolgung der Regeln die bessere Vergleichbarkeit der Datensätze in der späteren Auswertung sowie eine adäquate Darstellung des gesprochenen Wortes, ohne dabei die schützenswerten Persönlichkeitsrechte aller Beteiligten zu gefährden.

194

Wahl des Zeichenmaterials – Konzeption der Studie

7.5.2 Inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse nach Udo Kuckartz Die sogenannte Qualitative Inhaltsanalyse ist eine häufig genutzte Auswertungsmethode, wenn es um die Analyse qualitativ erhobener Datensätze geht. Sie eignet sich zur systematischen Beschreibung der Inhalte von Textmaterial mithilfe von Kategorien- beziehungsweise Codierungssystemen.825 Die inhaltlichstruktierende Inhaltsanalyse als Form der Qualitativen Inhaltsanalyse zeichnet sich durch die Möglichkeit in der Datensichtung und Auswertung aus, ein induktiv-deduktives Vorgehen anzuwenden. »Kern der inhaltlich-strukturierenden Vorgehensweise ist es, am Material ausgewählte inhaltliche Aspekte zu identifizieren, zu konzeptualisieren und das Material im Hinblick auf solche Aspekte systematisch zu beschreiben – beispielsweise im Hinblick darauf, was zu bestimmten Themen im Rahmen einer Interviewstudie ausgesagt wird. Diese Aspekte bilden zugleich die Struktur des Kategoriensystems; die verschiedenen Themen werden als Kategorien des Kategoriensystems expliziert.«826

Das Zitat beschreibt die Stärke des inhaltlich-strukturierenden Verfahrens durch die Kategorienbildung am Material selbst (induktives Vorgehen). Vielfach ist aber innerhalb der Inhaltsanalyse ein rein induktives Vorgehen vor allem bei leitfadengebundenen Interviews erstens kaum möglich und zweitens nicht wünschenswert. Durch das Vorwissen, das der oder die Forschende mitbringt und relevante theoretische Hintergrundinformationen, die auch den Leitfaden maßgeblich mitbestimmen, können auch deduktive Kategorien von Bedeutung für die inhaltliche Analyse des Textmaterials sein, um daraus mehrperspektivische Interpretationen und Folgerungen ziehen zu können. Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Textanalyse auf ein induktiv-deduktives Wechselspiel gesetzt, indem einerseits a priori Kategorien aus der Forschungsfrage und der zugehörigen theoretischen Grundlegung erstellt und andererseits Kategorien und inhaltliche Besonderheiten direkt aus dem Datenmaterial herausgestellt werden. Eine Kategorie827 beschreibt dabei das Ergebnis des Vorgangs der Betrachtung und Klassifizierung von Daten und teilt die Datensätze in einzelne

825 Vgl. Schreier, M.: Qualitative content analysis in practice, London 2012, 1. 826 Dies.: Varianten qualitativer Inhaltsanalyse. Ein Wegweiser im Dickicht der Begrifflichkeiten, in: Forum: Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research 15/1 (2014), 1–27, 5. 827 Es ist darauf hinzuweisen, dass die Begrifflichkeiten ›Kategorie‹ und ›Code‹ häufig deckungsgleich bzw. synonym verwendet werden. Abstufungen bzw. Differenzierungen sind in vielen Fällen kaum zu treffen. Aus diesem Grund wird im Folgenden vor allem auf den Kategorienbegriff zurückgegriffen, wobei im Programm MAXQDA ausschließlich der Terminus ›Code‹ genutzt wird und somit im Zuge der Beschreibung der computergestützten Auswertung ebenfalls Verwendung finden kann. vgl. hierzu: Rädiker/Kuckartz 2019, 68f.

Beschreibung der Auswertungsmethodik

195

Einheiten ein.828 Dabei kann es sich um »Personen, Ideen, Institutionen, Prozesse, Aussagen, Diskurse, Gegenstände, Argumente und vieles andere mehr handeln«829. Im Zuge der folgenden Ausführungen werden unter ›Kategorie‹ Einzeleinheiten gefasst, die sich durch inhaltliche Zusammenhänge in Argumentation und Themengebiet auszeichnen. In diesem Fall kann auch von inhaltlichen oder thematischen Kategorien/Codes gesprochen werden.830 Sie sind demnach wie eine Überschrift über einem bestimmten Gedankengang zu verstehen und erleichtern dadurch die Einteilung und Datenstrukturierung innerhalb der Inhaltsanalyse. Die notwendigen und durchgeführten Schritte der inhaltlich-strukturierenden Inhaltsanalyse werden im Folgenden vorgestellt: 1) Initiierende Textarbeit Dieser Schritt der Datenexploration wird mithilfe von sogenannten Dokumentenvariablen, in welchen die zusätzlich erhobenen quantitativen Daten (Alter, Geschlecht etc.) erfasst werden, vollzogen. Ein erster Schritt der initiierenden Textarbeit ist die genaue Sichtung – das heißt ein Lesen und Betrachten ›mit forschendem Blick‹ – der transkribierten Texte bzw. Materialien. Mithilfe von Memos können außerdem Auffälligkeiten bei der ersten Durchsicht des Textund Bildmaterials festgehalten werden. Darüber hinaus bietet MAXQDA die Möglichkeit, durch farbige Markierungen und kleine Symbole (Emoticons)831 Aspekte zu kennzeichnen, die für den weiteren Auswertungsprozess von Bedeutung sein können. Das Computerprogramm bietet außerdem noch weitere Anwendungen an, die innerhalb der initiierenden Textarbeit hilfreich sein können (beispielsweise die lexikalische Wörtersuche oder Wortwolken832). Aus den vielfältigen Möglichkeiten sind diejenigen auszuwählen, die sich in Bezug auf die Forschungsfrage und unter Rückgriff auf das konkrete Material am besten eignen, um einen ersten Überblick über die Daten gewinnen zu können. 2) Entwickeln von thematischen Hauptkategorien Das Hauptkategoriensystem entsteht deduktiv aus dem Interviewleitfaden, welcher wiederum aus der Forschungsfrage und der theoretischen Grundlegung der Forschungsthematik erwachsen ist. Hieraus lässt sich strukturiert ein Kategorienkatalog anlegen. Konkrete Beispiele im Zusammenhang dieser Arbeit können ›Frieden und Krieg‹ oder auch ›Frieden und Gerechtigkeit‹ sein. 828 Vgl. Kuckartz, U.: Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung, Weinheim/Basel 42018, 97. 829 A.a.O. 830 Vgl. Rädiker/Kuckartz 2019, 68. 831 Vgl. ebd., 75. 832 Vgl. ebd., 57–61.

196

Wahl des Zeichenmaterials – Konzeption der Studie

3) Codieren des gesamten Materials mit den Hauptkategorien Im nächsten Schritt wird das Datenmaterial mithilfe der MAXQDA-Funktion codiert und nach den aufgestellten Hauptkategorien eingeteilt und systematisiert. 4) Zusammenstellen aller mit der gleichen Hauptkategorie codierten Textstellen Die Software MAXQDA bietet die Möglichkeit, die codierten Datensätze nebeneinander zu stellen, sodass neben der Häufigkeit des Auftretens der Codes innerhalb eines und zwischen verschiedenen Textmaterialien (Quantifizierung) auch die konkreten Inhalte der einzelnen Kategorien erfasst, verglichen und dokumentiert werden können. 5) Induktives Bestimmen von Subkategorien am Material Daraufhin werden Subkategorien aus dem Material herausgebildet, indem die Texte sequenziell bearbeitet werden und ähnlich der Bildung der Hauptkategorien – aber nun eben direkt aus dem Textmaterial heraus – Unterkategorien vergeben werden. Das Ergebnis ist ein ausdifferenziertes und überarbeitetes Kategoriensystem, welches sich inhaltlich aus der theoretischen Grundlegung und den konkreten Datensätzen zusammensetzt. 6)

Codieren des kompletten Materials mit dem ausdifferenzierten Kategoriensystem Hierauf folgt die Codierung nach jenem System, welche wiederum eine vergleichbare und inhaltlich strukturierte Übersicht auf das Datenmaterial ermöglicht. 7) Einfache und komplexe Analysen Zur Annäherung an das Forschungsergebnis können, wiederum mithilfe der Software, Analysen oder Visualisierungen des codierten Textmaterials vorgenommen werden. Dabei ist zusätzlich anzumerken, dass sich die Kategorienbildung und anschließende Codierung im Forschungsprozess stets verändern und einzelne Schritte häufiger durchlaufen werden können. Zudem bietet es sich an, vor allem unter der Voraussetzung, dass qualitative Forschung auch durch die Subjektivität einzelner Forscherinnen und Forscher charakterisiert ist, bei der Kategorienbildung weitere Personen mit einzubeziehen833 sowie das gesamte Forschungsvorhaben stets kritisch zu reflektieren.834

833 Vgl. ebd., 103. 834 Diesem Erfordernis wird in den Kapiteln 8.2.3, 8.3.4, 8.4.3 sowie 10.1 Rechnung getragen.

Beschreibung der Auswertungsmethodik

197

7.5.3 Besonderheiten der Bildanalyse Aus der Eigenart, die Kinderzeichnungen mitbringen, können sich Herausforderungen für die Datenauswertung ergeben. Zur Analyse in der Sozialforschung werden im Allgemeinen textbasierte Daten herangezogen, das heißt eben Interviews oder Fragebögen, die einen diskursiven Charakter aufweisen. Es besteht Uneinigkeit darüber, ob bildbasierte Daten als ›Texte‹ aufgefasst werden dürfen und somit auch wie solche erhoben und ausgewertet werden können. Zudem werden die relevanten Datenteile in einer Zeichnung nicht nacheinander dargelegt, sondern sie liegen dem oder der Betrachtenden gleichzeitig vor; auf einen Blick ist das Gesamtwerk erkennbar. Trotz dieser Unterschiede in der Datenform wird angenommen, dass die inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse geeignet ist, um den Kern der Zeichnungen zu eruieren und evaluieren. Hierfür werden allerdings zusätzliche Voraussetzungen aufgestellt: – Induktive Kategorienbildung: Da die Zeichnung bei der Auswertung im Gesamten vorliegt und im Vornherein keine Kategorien aufgestellt werden können, da das Bild in seiner letztlichen Form während der Erhebung entsteht, werden der Bildanalyse keine deduktiven Kategorien vorausgesetzt. Anders als beim Hauptkategoriensystem der Interviews entstehen alle Haupt- und Subkategorien zu den Zeichnungen rein induktiv aus dem Datenmaterial heraus. – Kommunikation des Gezeichneten: Es wird davon ausgegangen, dass »[d]ie Konstitutionsprozesse eines Bildes […] in komplexen Zusammenhängen mit der Kommunikationssituation, in der das Bild produziert wird«835, stehen. Demnach werden sowohl die Beobachtungen im Zeichenprozess als auch die Äußerungen über das Gezeichnete berücksichtigt. – Verknüpfung von Zeichnung und Interview: Dem Symbolischen Interview zu eigen ist die Verknüpfung nonverbaler und verbaler Methodik. Die Äußerungen von Befragten zu ihren Zeichnungen nehmen dabei einen erheblichen Stellenwert ein.836 Es wird also angestrebt, diese beiden Methoden auch korrelierend zueinander auszuwerten. Entsprechend sind alle Äußerungen zur Zeichnung innerhalb des Interviews sowohl den Daten der Zeichnung als auch den Daten der Interviews zuzuordnen.

835 Klein 2000, 97. 836 Vgl. ebd., 102.

8.

Der Zeichenprozess – Durchführung, Datenaufbereitung und -auswertung

Ein Kriterium der Qualitätssicherung dieser Studie ist die Transparenz und durchgehende Reflexion des Forschungsprozesses. Auf Grundlage der beschriebenen Vorüberlegungen dienen die folgenden Ausführungen der Darstellung der Erhebungen sowie Datenaufbereitung. Entsprechend wird anhand einer eingehenden Schilderung der Stichprobe (im Zuge der Betrachtung der Datenvariablen der Studie) sowie des Ablaufs der Zeichenprozesse und Interviews zunächst der Erhebungsverlauf reflektiert. Diesbezüglich stehen zudem die Kriterien der Kindheitsforschung, die dieser Studie zugrunde liegen, im Vordergrund und werden auf ihre Einhaltung hin geprüft. In qualitativen Untersuchungen lassen sich »die subjektiven Sicht- und Verhaltensweisen der Forschenden nicht durch Standardisierung des Vorgehens neutralisier[en]«837. Um dieser Problematik entgegenzuwirken, werden auch die Auswertungsprozesse transparent und reflexiv dargelegt. Konkret werden hierzu die Besonderheiten der Codierung von Interviews und Zeichnungen betrachtet und anschließend die vorliegenden Kategoriensysteme vorgestellt.

8.1

Verlauf der Erhebungen

Die Erhebung fand im Juni 2019 in einem Zentralhort am Rande einer bayerischen Großstadt statt. Einen Zentralhort macht aus, dass Kinder aus unterschiedlichen Schulen und Sprengeln dort nachmittags betreut werden, zu Mittag essen, die Hausaufgaben erledigen und auch die Möglichkeit zu verschiedenen Freizeitaktivitäten haben. Die Einrichtung befindet sich unter städtischer Trägerschaft, schließt direkt an eine Grundschule an und wurde zur Zeit der Erhebungen von 75 Kindern der ersten bis vierten Jahrgangsstufe besucht. Diese stammen aus drei verschiedenen Stadtteilen, die sich durch einen hohen Anteil an jungen Familien und aufgrund der Lage am Stadtrand auch durch eine 837 Döring/Bortz 2016, 111.

200

Der Zeichenprozess – Durchführung, Datenaufbereitung und -auswertung

ländliche Umgebung auszeichnen. Der Anteil an Einwandererfamilien ist mit knapp über 20 Prozent im Stadtteil des Horts geringer als der fast 50-prozentige Anteil der Gesamtbevölkerung der Stadt. Die tagesbetreuende Einrichtung wurde als geeignet für die Erhebung eingestuft, da die Kinder in einer ihnen bekannten Umgebung befragt werden konnten838 und genug Zeit zur Verfügung stand, um die Gespräche ohne äußeren Druck, Raumbelegung oder Ähnliches zu führen. Die Forscherin hatte in der Woche vor den Erhebungen bereits an fünf Tagen die Möglichkeit, als zusätzliche Betreuerin im Hort mitzuhelfen. Dadurch konnten, ebenfalls ohne Zeitdruck, Elterngespräche geführt und Vertrauen zu den Schülerinnen und Schülern aufgebaut werden. Es kann innerhalb der Interviews für junge Probandinnen und Probanden eine Herausforderung sein, sich einer fremden forschenden Person zu öffnen; gerade auch, da es sich um eine außergewöhnliche (Forschungs-) Situation handelt. Entsprechend wurde mithilfe des vorherigen Kennenlernens die Basis von Vertrauen und Offenheit bereits geschaffen, sodass die Forscherin keine Fremde mehr für die Heranwachsenden war. In dieser kurzen Hospitationszeit wurde außerdem der Raum der Erhebungen gewählt. Bei diesem handelte es sich um ein Werk-Zimmer der Einrichtung, der durch seine Lage im weitläufigen Haus von Störungen durch den Hortalltag weitgehend unberührt blieb. Durch vorherige Planung und Gestaltung der im Raum vorhandenen Tische und Sitzmöglichkeiten wurden ablenkende Faktoren vermieden und eine möglichst vertraute Umgebung geschaffen839, in der die Kinder sich wohlfühlen und der neuen Situation des Interviews öffnen konnten. Sowohl die Erhebung der Zeichnungen als auch die Interviews fanden in dem beschriebenen Raum statt. Die Datenerhebung fand durchweg auf freiwilliger Basis statt. Zum einen wurde vorausgesetzt, dass die Erziehungsberechtigten der Kinder ihr Einverständnis geben. Dies wurde gewährleistet, indem zwei Wochen vor den Erhebungen ein Elternbrief an die Erziehungsberechtigten der circa 30 Dritt- und Viertklässler im Hort verteilt wurde. Der Aspekt der Freiwilligkeit wurde außerdem eingehalten, indem die einzelnen Kinder am Tag der Erhebung jeweils noch einmal explizit gefragt wurden, ob sie teilnehmen möchten.840 Ebenso wurde zu Beginn der Interviews ein letztes Mal darauf hingewiesen. Bei der Erhebung der Zeichnungen waren die Kinder jeweils zu dritt, waren jedoch im Zimmer so verteilt, dass sie sich gegenseitig nicht störten und die 838 Vgl. Kapitel 7.2.2.4. 839 Vgl. Vogl 2015, 96. 840 Dieses Vorgehen hat sich als äußerst relevant herausgestellt, da die Eltern in einem Fall ihr Einverständnis gegeben haben, das Kind jedoch am Tag der Erhebung seine Zustimmung zur Teilnahme nicht gab. Dieser Wunsch darf auf keinen Fall außen vor gelassen werden. Alle weiteren 15 Kinder willigten explizit in die Beteiligung ein.

Datenvariablen der Studie

201

Zeichnungen der anderen nicht sehen konnten. Für eventuelle Fragen und zur Aufsicht war die Forscherin durchgehend mit im Raum. Auch die Interviews wurden von der Verfasserin dieser Arbeit durchgeführt, wobei sich hierbei diese und das jeweilige interviewte Kind allein im Raum befanden. Es hat sich gezeigt, dass vor allem durch die Zeichensituation, in der die Probandinnen und Probanden nicht allein mit der Forscherin im Raum waren, eine gewisse und erwünschte Vertrautheit entstehen konnte, die ihre Basis in den Gesprächen der Tage zuvor bereits gefunden hatte. Direkt im Anschluss an die Erhebung der Zeichnungen fanden nacheinander die Einzelinterviews statt, sodass pro Tag drei Zeichnungen und drei Interviews erhoben wurden. In manchen ähnlichen Studien lassen die Forschenden einen gewissen Zeitraum zwischen zwei Erhebungsmethoden verstreichen.841 In der vorliegenden Studie wurde davon abgesehen, da dies dazu führen kann, dass die spontane Intention der Motivwahl an einem anderen Tag nicht mehr erinnert wird. Obwohl eine solche Erhebung für die meisten Kinder eine neue Situation war, schienen alle aufgeschlossen, neugierig und motiviert. Ähnliches zeigte sich vor allem auch in den Zeiten zwischen den Interviews, in denen die Forscherin von einigen Schülerinnen und Schülern auf die Erhebungen angesprochen wurde. Teilweise haben sich aber auch Unsicherheiten und Aufregung innerhalb der Interviewsituation ergeben, wobei in diesen Fällen immer wieder darauf verwiesen wurde, dass alle Antworten richtig und allein die Vorstellungen der Kinder von Bedeutung und bereichernd seien.

8.2

Datenvariablen der Studie

Wie in Kapitel 7.3.2 beschrieben, wurde jeweils vor den Interviews ein Kurzfragebogen842 mit relevanten allgemeinen Informationen zu den Befragten ausgefüllt. Mithilfe der Postskripte, die diese noch durch weitere Daten wie beispielsweise der Dauer der Interviews oder des Zeichenprozesses erweiterten, ließen sich sogenannte Datenvariablen zusammenstellen. Variablen beschreiben in der vorliegenden Studie relevante Merkmale oder Attribute der einzelnen Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer wie zum Beispiel das Alter oder Geschlecht. Diese ergänzen die qualitative Ergebnissicherung durch quantitative Zusatzdaten und bieten mehrere Möglichkeiten innerhalb der Datenexploration und -auswertung. In der vorliegenden Studie wurden diese Daten vor allem im Hinblick des Vergleichs verschiedener Gruppen und der »Kontrastierung von

841 Vgl. bspw. Kuhn, P. (2003). 842 Vgl. Anhang 1.

202

Der Zeichenprozess – Durchführung, Datenaufbereitung und -auswertung

Fällen«843 erhoben. Zudem lässt sich durch die Darstellung der quantitativen Daten ein guter Überblick über die Stichprobe, deren Heterogenitätsmerkmale und gegebenenfalls auch schon über Einzelfälle gewinnen, weshalb die Variablen im Folgenden dargestellt und genauer beschrieben werden.844

8.2.1 Allgemeine Variablen mit Bezug auf das Interview Unter allgemeine Variablen werden diejenigen gefasst, die soziodemografische Daten beinhalten. Wie im Kurzfragebogen845 dargestellt, sind kurz vor dem leitfadengestützten Interview und nach der Erhebung der Zeichnungen das Alter846, Geschlecht und die Jahrgangsstufe der Probandinnen und Probanden erfragt worden. Zudem wurden sowohl die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft beziehungsweise Konfession als auch die besuchte Religions-/Ethikklasse erfasst. Konkret auf die Interviews bezogen ist die Variable der Dauer der Interviewsituation zu beachten, die im Anschluss an die Interviews erfasst wurde. Eine Übersicht über die quantitativ erfassbaren Datenvariablen bietet Tabelle 2: Alter Jahrgangsstufe Geschlecht Religions zugehörigkeit / Konfession Religions-/ Ethikunterricht

8 Jahre alt 1

9 Jahre alt 9

10 Jahre alt 5

Dritte Klasse 8 Männlich 9

Vierte Klasse 7 Weiblich 6

Evangelisch

Katholisch

Konfessionslos

Muslimisch

4

6

3

2

Ev. Religionsunterricht

Kath. Religionsunterricht

Ethikunterricht

5

8

2

Tabelle 2: Quantitativ erfassbare Datenvariablen bei N=15

843 Rädiker/Kuckartz 2019, 130. 844 Durch die Darstellung der Überlegungen wird das in Kapitel 7.2.1 aufgestellte Kriterium der Transparenz realisiert. 845 Vgl. Anhang 1. 846 Das Alter wird aus dem Geburtsdatum des Kindes errechnet, wobei stets vom Alter zum Erhebungszeitpunkt (Juli 2019) ausgegangen wird.

Datenvariablen der Studie

203

Die Dauer der Interviews847 kann für die spätere Auswertung von geringerer Bedeutung sein als die bisher genannten Variablen, jedoch gibt sie einen Überblick über die Durchführung der Interviewgespräche und bieten so eine mögliche Grundlage zur Reflexion des Forschungsprozesses. Gemäß den Vorgaben der Kindheitsforschung wurde die Dauer der Interviews (mithilfe des Leitfadens) im Vornherein eingegrenzt.848 Die Interviewdauer hat sich in einer Spanne von knapp zwölf Minuten bis knapp 35 Minuten abgespielt. Der Leitfaden wurde so gestaltet, dass die Interviews im Schnitt circa 20 Minuten dauern sollten.849 Der Mittelwert der Interviews liegt bei 18:27 Minuten, womit diese Vorgabe eingehalten wurde.

8.2.2 Variablen zur Erhebung der Kinderzeichnungen Zudem werden Variablen mit aufgenommen, die sich auf die Zeichnungen beziehen. Dabei werden zur Veranschaulichung des Zeichenprozesses zum einen dessen Dauer – auch im Vergleich von friedlicher zu unfriedlicher Seite – und darüber hinaus die Zeichenreihenfolge beachtet. Diese Daten wurden neben den individuellen Notizen zu jeder Zeichnerin und jedem Zeichner in einem Postskript vermerkt. Zudem wurden die Motive der jeweiligen Zeichnungen betrachtet und daraufhin abgeprüft, ob auf beiden Seiten die gleiche Szenerie abgebildet ist. Dauer der gesamten Zeichnung Es wurde im Gegensatz zu den Interviews nicht von Vornherein ein Zeitrahmen festgelegt, da den Probandinnen und Probanden für ihre Zeichnungen so viel Zeit wie nötig gelassen werden sollte. In der Durchführung hat sich ein Mittelwert von 19:27 Minuten ergeben, wobei die kürzeste Zeichendauer bei sechs und die längste bei 31 Minuten lag. Dauer der einzelnen Bildseiten Da die Heranwachsenden zwei Bilder gezeichnet haben, wurde verglichen, wie sich die durchschnittliche Dauer der jeweiligen Bildseiten aufgeteilt hat: Hierbei zeigte sich, dass für die friedliche Seite der Zeichnung im Schnitt fast 2,5 Minuten 847 Unter Dauer der Interviews wird der Zeitraum vom Anschalten der Tonbandaufnahme mit Beginn der ersten Frage bis hin zum Abstellen des Diktiergerätes gefasst. Die Zeit, die zum Ausfüllen des Kurzfragebogens aufgewandt wurde, zählt nicht hinein. 848 Vgl. Kapitel 7.4.6. 849 Vgl. die Kapitel 7.4.4 und 7.4.6.

204

Der Zeichenprozess – Durchführung, Datenaufbereitung und -auswertung

länger gezeichnet wurde und auch der Median ist mit sechs Minuten auf der unfriedlichen Seite um einiges geringer als die elf Minuten der friedlichen Bildseite. Auch das Minimum ist mit drei Minuten zu zwei Minuten höher, wobei die längste Zeichendauer bei beiden Bildseiten bei 18 Minuten lag. Die Zahlen unterscheiden sich insgesamt nicht sehr stark voneinander, dennoch ist die kürzere Zeichenzeit auf der unfriedlichen Bildseite möglicherweise damit zu erklären, dass weniger Kinder mit dieser Seite begonnen haben und somit mehr Zeit mit der zuerst gezeichneten Seite verbracht haben. Reihenfolge der Zeichnung In der Aufgabenstellung zur Zeichnung850 wurde das ›Leben in einer friedlichen Welt‹ zuerst genannt. Aus diesem Grund verwundert es nicht, dass mit zehn Kindern der Großteil zunächst die friedliche Seite gezeichnet hat. Dennoch kann es für die Betrachtung der Einzelbilder relevant sein, welche Probandinnen und Probanden zuerst das ›Leben in einer unfriedlichen Welt‹ abgebildet haben. In drei Fällen haben die Zeichnenden zwischen den jeweiligen Bildseiten gewechselt und nicht erst eine finalisiert. Motiv friedlich entspricht Motiv unfriedlich In der Betrachtung der Zeichnungen hat sich ein relevanter Aspekt herausgestellt: Es zeigt sich, dass sechs Probandinnen und Probanden in ihrer friedlichen Welt eine ähnliche Szenerie, ähnliche Personen und Gegenstande oder Gebäude abgebildet haben wie auf der unfriedlichen Seite. Andere sechs Kinder wiederum haben zwei sehr unterschiedliche Motive gewählt. Dieser Faktor wurde ebenfalls innerhalb der Variablen aufgenommen und wird innerhalb der Bildanalyse eine Rolle spielen.

8.2.3 Zwischenreflexion I: Der Zeichen- und Interviewprozess vor dem Hintergrund der Variablen Mithilfe der Variablen beziehungsweise der Erhebung der jeweiligen dazu benötigten Daten haben sich vor allem bezüglich des Samples und Settings der Studie Anhaltspunkte ergeben, die eine erste Zwischenreflexion ermöglichen. Aus Gründen der Transparenz und der ausführlichen Beschreibung des Forschungsprozesses zur Einhaltung der aufgestellten Kriterien zur Qualitätssicherung innerhalb dieser Arbeit, werden im Folgenden verschiedene Aspekte aufgegriffen, die 850 Vgl. Kapitel 7.4.5.

Datenvariablen der Studie

205

sich als positiv herausstellen; aber auch solche, die Schwierigkeiten und Herausforderungen hervorrufen und somit ebenfalls Erwähnung finden sollen. Die allgemeinen Variablen und erhobenen Daten zu den Kindern zeigt, dass trotz der vergleichsweisen geringen Stichprobe von 15 Probandinnen und Probanden eine relativ hohe Heterogenität eingehalten werden kann. So sind, wie zuvor festgelegt851, Heranwachsende der dritten und vierten Jahrgangsstufe im Alter von acht bis zehn Jahren befragt worden. Hier ist vor allem die Verteilung auf die Schulklassen gleichmäßig. Anders verhält sich dies in der Verteilung der Geschlechter, da mehr Jungen als Mädchen befragt wurden. Das begründet sich durch den zufälligen Rekrutierungsweg und kann innerhalb der Auswertung die Vergleichbarkeit beider Gruppen beeinflussen. Jedoch wird davon ausgegangen, dass die Anzahl von sechs befragten Mädchen durchaus ausreichen kann, um adäquate, qualitative Ergebnisse aus den Daten ziehen zu können. Ebenfalls heterogen zeigt sich die Stichprobe in Hinblick auf die Zugehörigkeit zu einer Religion beziehungsweise Konfession, da hier vier verschiedene Gruppen verglichen werden können (evangelisch, katholisch, muslimisch, konfessionslos). Die Verteilung ist nicht ausgeglichen, wobei dies für die Beantwortung der Forschungsfrage auch nicht vorgesehen ist. In Bezug auf den Besuch eines Religions- oder Ethikunterrichts sind Teilnehmende des evangelischen und katholischen Religionsunterrichts und des Ethikunterrichts befragt worden, was vor allem in Hinsicht auf die schulischen Inhalte, die die Probandinnen und Probanden bereits erlebt haben, eine gute Basis der Vergleichbarkeit bietet. Zuletzt sind bezüglich der allgemeinen Variablen die Anzahl und das Alter von Geschwistern erhoben worden. Es zeigte sich, dass nur ein befragtes Mädchen keine Geschwister hat, während in der restlichen Stichprobe sowohl ältere, jüngere als auch Zwillingsgeschwister vorhanden sind. Es kann also auch hier von einer relativ breiten Verteilung und somit von unterschiedlichen Erfahrungen ausgegangen werden, die eine breite Betrachtung der kindlichen Vorstellungen ermöglichen können. Ein Ziel zur Einhaltung der Kriterien einer geeigneten Kindheitsforschung der vorliegenden Studie ist darüber hinaus, eine Methode zu finden, die der Altersgruppe der Befragten angemessen ist. Dabei ist die Dauer der Interviews ein ausschlaggebender Aspekt. Mithilfe des festgelegten episodischen Leitfadens, der den Heranwachsenden durch offene Fragen auch die Möglichkeit eröffnete, die Dauer der Erzählungen selbst zu bestimmen, ist dieses Ziel eingehalten worden. Das zeigt sich in der breiten Streuung der Interviewdauer von 11:50 Minuten bis hin zu 34:29 Minuten. Ähnliches zeigt sich in Bezug auf die Zeichnungen, für die ebenfalls kein Zeitlimit festgelegt war. Durch das Setting und die Aufgabenstellung sind einerseits sehr gut vergleichbare Zeichnungen entstanden – sichtbar beispielsweise anhand der Verteilung der gleichen Motive auf der friedlichen und 851 Vgl. Kapitel 7.4.3.

206

Der Zeichenprozess – Durchführung, Datenaufbereitung und -auswertung

unfriedlichen Bildseite. Zudem wird deutlich, dass vermutlich der friedlichen Seite der Zeichnungen tendenziell mehr Aufmerksamkeit beziehungsweise zumindest mehr Zeit gewidmet wurde. Das lässt sich allerdings auch dadurch erklären, dass die meisten Probanden und Probandinnen mit dieser Seite begonnen haben und gerade auch in den ersten Minuten häufig Nachfragen getätigt wurden, die möglicherweise den Zeichenprozess verzögert haben. Insgesamt ist nach der Durchsicht der erhobenen Variablen zusammenfassend zu sagen, dass das Forschungsdesign zur Durchführung den vorher festgelegten Ansprüchen der Kindheitsforschung genügt. Die Stichprobe wurde mit N=15 zwar relativ niedrig gewählt, dennoch sind unterschiedliche Einzelfälle zu finden.

8.3

Besonderheiten der Codierung

Durch die Verknüpfung von zwei Erhebungsmethoden innerhalb des Symbolischen Interviews sind verschiedene Aspekte im Codierungsprozess zu beachten. Auch, wenn sowohl für die leitfadengestützten Interviews als auch für die Auswertung der Kinderzeichnungen die inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse gewählt wurde, wurden für beide Forschungsinstrumente jeweils spezielle Schwerpunkte gesetzt. Beispielsweise wurde für die Transkripte der Interviews ein besonderer Fokus auf die initiierende Textarbeit gesetzt.852 Diese hat in der Analyse der Zeichnungen einen geringeren Stellenwert eingenommen. Das allgemeine Vorgehen der Codierung und die einzelnen Schwerpunkte, die sich innerhalb der Arbeit mit dem Datenmaterial ergeben haben, werden im Folgenden kurz dargestellt.

8.3.1 Codierung der Interviews Die Beschäftigung mit der Interview-Codierung begann bereits im Prozess der Transkription. Durch das genaue und mehrmalige Anhören der Aufnahmen sind bereits einige Aspekte aufgefallen, die für den späteren Codierungsprozess von Bedeutung sein können. Wie innerhalb der qualitativen Inhaltsanalyse vorgesehen, begann der Auswertungsprozess beziehungsweise die Datenexploration mithilfe der initiierenden Textarbeit. Daraufhin wurden ausgehend von den vorher aufgestellten Kategorien aus dem Leitfaden853 erste Codierungen anhand der Hauptthemen Negativer Friedensbegriff, Positiver Friedensbegriff, Frieden und Religion sowie Frieden im eigenen Leben vorgenommen. Um diesen Prozess 852 Vgl. Kapitel 7.5.2. 853 Vgl. Kapitel 7.4.6.

Besonderheiten der Codierung

207

später reflektieren zu können, werden hier kurz die relevanten Auffälligkeiten und Vorgehensweisen erläutert. Innerhalb der initiierenden Textarbeit wurden im Besonderen zwei Aspekte beachtet, die auch in allen Interview-Transkripten untersucht und codiert wurden. Unter den Punkt formale und inhaltliche Auffälligkeiten wurde all das gefasst, was der Forscherin beim Lesen der Datensätze aufgefallen ist. Durch Markieren und Vergleichen konnten bereits hier fünf verschiedene Codes erstellt werden, die die Auffälligkeiten systematisierten. Formale und inhaltliche Auffälligkeiten

Erläuterung

Inhaltlich auffällige Aussage

Aussagen, die der Forscherin als auffällig erscheinen, beispielsweise auch vor dem Hintergrund der Forschungsfrage.

Wörter/Aussagen, die innerhalb eines Interviews (aus Sicht der Forscherin) besonders häufig gefallen sind. Nonverbale Kommunikationsformen wie Seufzen oder Äußerliche Auffälligkeiten auch Aufstehen innerhalb der Interviewsituation. Auffällige Worthäufung

Bezug auf andere Personen Frage nicht verstanden

Nennen von Namen anderer Personen innerhalb des Gesprächs. Nachfrage vonseiten der Probandin/des Probanden.

Tabelle 3: Formale und inhaltliche Auffälligkeiten innerhalb der initiierenden Textarbeit

Die weitere Codierung orientierte sich an dem Kategoriensystem der Interviews, das im Laufe des Prozesses immer wieder überarbeitet wurde.854

8.3.2 Codierung der Kinderzeichnungen Die Datenexploration der Kinderzeichnungen begann bereits direkt im Anschluss an deren Erhebungen. So wurden in einem kurzen Postskript Auffälligkeiten notiert, die in den späteren Interviews noch einmal zur Sprache kommen sollten. Auch die Notizen zum Zeichnungsprozess hatten innerhalb der Auswertung einen nicht unerheblichen Einfluss auf erste Erkenntnisse. Aus diesem Grund wurde die initiierende Textarbeit durch unsystematisches Markieren von Auffälligkeiten ersetzt. Eine systematischere Vorgehensweise wurde innerhalb des weiteren Codierungsprozesses gewählt. Zunächst konnten induktive Kategorien gebildet und codiert werden. Als weitere Methode zur Auswertung wurden parallel zu diesem Arbeitsschritt sogenannte Summarys gewählt. Die genaue Vorgehensweise und Funktionalität der einzelnen Codierungsschritte zeigen folgende Erläuterungen auf. 854 Näheres hierzu wird in Kapitel 8.4.2 konkretisiert.

208

Der Zeichenprozess – Durchführung, Datenaufbereitung und -auswertung

Induktive Codierung der Kinderzeichnungen Wie bereits innerhalb der Planung des Auswertungsprozesses beschrieben, fiel die Entscheidung, für die Zeichnungen keine deduktiven Kategorien zu erstellen.855 Einzig die Einteilung in ›friedliche Seite der Zeichnung‹ und ›unfriedliche Seite der Zeichnung‹856 wurde a priori festgelegt. Nach den ersten Betrachtungen der Bilder fiel auf, dass einige Kinder Text in verschiedener Form (als Bildtitel, zur Darstellung von Dialog etc.) eingearbeitet haben. Demnach wurde zunächst grob zwischen Motiv und Text unterschieden. Motiv Als Motiv gelten alle Bildelemente, bei denen es sich nicht um Text handelt. Bei der Fülle der Motive wurde zunächst überlegt, die Codierung anhand der Farbigkeit und Einteilung in Hinter- und Vordergrund vorzunehmen. Dieser Weg wurde jedoch nach der Probe anhand zweier Stichproben wieder verworfen, da mit einer solchen Kategorisierung relevante Bildstrukturen, die inhaltlich besondere Aussagekraft haben, nicht hätten erfasst, beziehungsweise systematisiert werden können. Nach erneuter Überarbeitung und Betrachtung der Zeichnungen fiel vor allem die Darstellung von Naturelementen ins Auge. Diese betrafen in vielen Fällen auch den Hintergrund, wenn beispielsweise Regen über die gesamte Bildseite gezeichnet wurde. Gerade, da sowohl auf der friedlichen als auch auf der unfriedlichen Bildseite verschiedene Naturphänomene vergleichbar erschienen (z. B. Sonne auf der friedlichen gegenüber Regen auf der unfriedlichen Seite) entstand die induktive Kategorie Natur für beide Bildseiten. Ähnlich vorgegangen wurde hinsichtlich dargestellter Personen. Zur weiteren Einordnung restlicher Bildelemente entwickelten sich im Laufe des Prozesses die Kategorien Gegenstände, Gebäude und Fahrzeuge heraus. Diese Kategorien wurden jeweils sowohl für die unfriedliche als auch die friedliche Seite der Zeichnungen aufgestellt, auch wenn beispielsweise Fahrzeuge selten auf der friedlichen Bildseite auftauchten (nur einmal codiert). Dieses Vorgehen erwies sich für die Codierung aller Zeichnungen als sehr geeignet. Durch eine Motivkategorie Sonstiges Motiv konnten die wenigen Spezialfälle ebenfalls systematisch codiert werden. Dabei blieb auch die Forschungsfrage im Blick, da das Augenmerk vor allem auf die (bildlich dargestellten) Vorstellungen der Kinder gelegt wurde. Durch dieses Vorgehen wurden die Bildinhalte so kategorisiert, dass der Weg für die Vergleichbarkeit beider Bildseiten und die weiteren interpretativen Schritte eröffnet wurde. Auf der friedlichen Bildseite wurden auf diese Weise 71 und auf der

855 Vgl. Kapitel 7.5.3. 856 Nach den jeweiligen Aufgabenstellungen: ›Leben in einer friedlichen Welt‹ und ›Leben in einer unfriedlichen Welt‹. Vgl. hierzu Kapitel 7.4.5.

Besonderheiten der Codierung

209

unfriedlichen 99 Motive codiert, sodass gesagt werden kann, dass auf den 15 Zeichnungen insgesamt verschiedene 170 Motive dargestellt wurden. Eine Übersicht über die Codierungen wird durch sogenannte MAXMaps erreicht, die es ermöglichen, »in den Daten bestehende[…] Verknüpfungen sichtbar zu machen«857. Durch diese Übersicht können die einzelnen Bildelemente auf einen Blick dargestellt und gegenübergestellt werden. Eine derartige Differenzierung aus der kompletten Zeichnung heraus erscheint sinnvoll, da durch die Einbettung in die Gesamtzeichnung Einzelheiten verloren gehen können. Auf diese Weise hat die Forscherin die Möglichkeit, jedes Motiv im Einzelnen zu untersuchen. Dabei wird allerdings auch die Beziehung der einzelnen Bildelemente zueinander nicht außer Acht gelassen. Diese werden aber erst im nächsten Codierungsschritt durch die Summarys erfasst und verglichen. Text Die Codierung des Textes wurde zunächst ohne weitere Unterkategorien getätigt, weshalb sich dieser Schritt als unproblematisch herausstellte. Allerdings sind im weiteren Verlauf der Auswertung und Codierung zwei Aspekte aufgekommen, die sich auf die Funktion beziehen, die der Text innerhalb des Bildes einnimmt: Zum einen sollte den von den Kindern gewählten Bildtiteln mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden, da in diesen »[d]ie Kinder benennen, was auf dem Bild zu sehen ist«858. Zum anderen erschien in manchen Fällen der Text die Funktion der Darstellung von Kommunikation zu übernehmen. Ein klassisches Beispiel für diese Verwendung von Text ist die Sprechblase. Aus diesem Grund wurde die Kategorie ›Text‹ weiter unterteilt in seine dialogische Funktion und in die Funktion als Bildtitel. Auch hier bietet eine Kategorie Sonstige Funktion die Möglichkeit, keine relevanten Aspekte außen vor zu lassen. Am Ende des Codierungsprozesses wurden insgesamt 57 Textelemente innerhalb der Zeichnungen gefunden, 27 davon auf der friedlichen und 30 auf der unfriedlichen Seite der Bilder. Summarys Kuckartz schlägt in Bezug auf die Exploration und Auswertung von Datensätzen vor, Fallzusammenfassungen (»Case Summarys«)859 zu verfassen. Es gibt dazu innerhalb des Programms MAXQDA ein Tool, das die Vergleiche und Zuordnung von verschiedenen Phänomenen innerhalb der Daten zueinander erleichtert. Dieses wurde bezüglich der Zeichnungen nicht genutzt, um die einzelnen Fälle zusammenzufassen, sondern um die Motive zu paraphrasieren. Auf diese Weise 857 Ebd., 251. 858 Peez 2010, 525. 859 Vgl. Kuckartz 2018, 58.

210

Der Zeichenprozess – Durchführung, Datenaufbereitung und -auswertung

können die Stärken der Fallzusammenfassungen für die Exploration der Bilddaten genutzt werden. Statt einem »Überblick über ein Interview«860 kann auf diese Weise ein Überblick über die einzelnen Bildelemente geschaffen werden. Im Laufe der Auswertung können zu diesen außerdem Übersichten in tabellarischer Form erstellt werden861, um so den »analytischen Blick für die Unterschiedlichkeit der einzelnen Fälle zu schärfen«862. Als größte Stärke der Nutzung dieses Tools erwies sich allerdings die Möglichkeit, nicht eine ausführliche Zusammenfassung einer kompletten Zeichnung oder Bildseite zu verfassen. Stattdessen wurde jedes einzelne Bildelement in den Blick genommen und beschrieben. Hierbei konnte systematisch vorgegangen werden, um in diesem Schritt noch so wenig Interpretation wie möglich in die Beschreibungen der Bilder einfließen zu lassen. Konkret vorgegangen wurde, indem jedes einzelne Bildelement nach dem ersten Durchgang der Codierung ein eigenes Summary erhielt. Hierbei sind folgende Aspekte beachtet worden: Elemente der Beschreibung Genaue Beschreibung des einzelnen Motivs ohne InterpreMotiv tation.

Farbgebung

Verhältnis zu anderen Bildelementen

Genaue Beschreibung der verwendeten Farbe, wobei unterschieden wird zwischen – Nennung der Farbe: lediglich die Umrandung – Nennung der Farbe + »schraffiert«/»ausgemalt«: komplettes beschriebenes Bildelement ist in dieser Farbe ausgemalt Beschreibung des Standortes des Bildelements im Bildteil mit möglichem Bezug zu anderen Motiven (beispielsweise »Person A und Person B halten sich an den Händen«)

Benennung von klischeehaften Darstellungen (beispielsweise: lächelnde Sonne in der Ecke), da diese von weiteren, diesbezüglichen Interpretationen ausgenommen werden. Tabelle 4: Elemente der Bildbeschreibung innerhalb der Summarys Schematische Darstellungen

Innerhalb der Summarys wurden, wie die obere Tabelle zeigt, auch schematische Darstellungen thematisiert beziehungsweise als solche kategorisiert. Damit sind einzelne Bildmotive gemeint, die innerhalb der Kinderzeichnungsforschung eine Bedeutung haben. Den Ausführungen zur altersspezifischen Entwicklung der Kinderzeichnung nach Richter folgend, sind tatsächlich einige Bildmotive zu finden, die klassisch der Schemaphase zuzuordnen sind.863 Es kann kulturell und altersspezifisch begründet sein, dass teilweise klischeehafte Darstellungen be860 861 862 863

Ebd., 62. Vgl. a. a. O. A.a.O. Vgl. Kapitel 7.5.3.

211

Besonderheiten der Codierung

stimmter Zeichnungselemente abgebildet werden. Exemplarisch ist hier eine ›Sonne mit Gesicht‹ zu nennen, die sich häufig in Kinderzeichnungen von Grundschülerinnen und -schülern wiederfindet.864 Auch sogenannte Himmelsund Grundlinien865 zur Darstellung von Himmel und Boden oder Wiese werden in vielen Fällen gezeichnet. Diese Zeichenelemente in den Bildern der Kinder werden deshalb auch innerhalb der Summarys erwähnt, da diese zwar grundsätzlich eine inhaltliche Bedeutung für die Auswertung haben können. Dennoch werden entwicklungs- oder auch kulturell-spezifische Aspekte in der vorliegenden Studie nicht untersucht, weshalb beispielsweise eine Interpretation der Unterschiedlichkeit von Himmels- und Grundlinie nicht angestrebt wird.

8.3.3 Verknüpfende Codierung Die verknüpfende Codierung von Kinderzeichnungen und Interviews stellt einen relevanten Aspekt in Datenexploration dar. Denn es wurde von Beginn an angestrebt, die Bilder nicht ohne Erklärungen des Zeichners beziehungsweise der Zeichnerin zu analysieren und interpretieren. Nach der Forschungsfrage sollen die Vorstellungen der Kinder erfasst werden, weshalb die Erläuterungen zu den Zeichnungen als besonders bereichernd und aussagekräftig erachtet werden. Auf diese Weise werden die bildnerisch dargestellten Motive durch Narrative ergänzt und bieten somit einen tieferen Einblick in die Vorstellungen der Probandinnen und Probanden, als dies die einzelnen Ergebnisse für sich genommen erreichen könnten. Innerhalb des Forschungsprozesses ergaben sich hierbei verschiedene Möglichkeiten. Letztlich fiel die Entscheidung auf eine verknüpfende Codierung, die die Zeichnungen und Interviews miteinander verbinden kann. Durch sogenannte ›Interne Links‹ konnten Verlinkungen zwischen Interviewaussagen und Zeichenelementen hergestellt werden, sodass die Zuordnung von Gesprochenem besonders innerhalb der Erklärungen verdeutlicht werden konnten. Folgende Tabelle zeigt diesbezüglich zwei Beispiele: Dokument Emil_Im10k2\ Emil_Zm10k2

Ankerpunkt Zeichnung

Zielpunkt Interview »Hier ist der Blitz eingeschlagen.«

Zeitmarke 0:01:30,0

864 Vgl. Andersen, E.: Was Kinderzeichnungen uns sagen können, Berlin 1998, 17–20. 865 Vgl. Richter 1997a, 82f.

212

Der Zeichenprozess – Durchführung, Datenaufbereitung und -auswertung

(Fortsetzung) Dokument Franziska_Iw10b1\ Franziska_Zw10b1

Ankerpunkt Zeichnung

Zielpunkt Interview »ein Haus, zweistöckiges mit Terrasse«

Zeitmarke 0:00:11,1

Tabelle 5: Beispiele für die Verwendung interner Links zur Zuordnung von Erklärungen zu den Zeichenelementen

8.3.4 Zwischenreflexion II: Der Codierungsprozess Insgesamt kann gesagt werden, dass der Codierungsprozess zu den Zeichnungen und Interviews verschiedene Phasen beinhaltete und dabei zirkulär verlief. Ausgehend von der theoretischen Grundlage der inhaltlich-strukturierenden Inhaltsanalyse erwies sich das Vorgehen vor allem für die Zeichnungen als äußerst geeignet. Die Codierung von Einzelaspekten innerhalb der Bilder und gleichzeitige Einbettung in einen Gesamtkontext durch interne Verlinkungen ermöglichten bereits erste Auswertungsprozesse. Innerhalb der Interviews hat sich gezeigt, dass die Codierung immer wieder Überarbeitung benötigte und die Kategorien, wie sie im nächsten Kapitel beschrieben werden, in ihrer letztlichen Form erst gegen Ende der Datenanalyse feststanden. Dies kann als Stärke des Vorgehens erwähnt werden, da somit ein ausführliches Kennenlernen der Datensätze und eine tiefgehende Durchdringung der Interviewaussagen und Zeichnungen ermöglicht wurde. Zudem wird das Auswertungsverfahren insofern den Grundlagen qualitativer Forschung gerecht, als dass es sich durch Flexibilität und Zirkularität auszeichnet. Es muss an dieser Stelle allerdings darauf hingewiesen werden, dass durch das Vorgehen keine durchgehende Objektivität gewährleistet werden konnte. Der gesamte Codierungsprozess basiert auf Einschätzungen der Forscherin, die auch immer von subjektiven Erfahrungen abhängig sein können.

Systematisieren der Kategorien

8.4

213

Systematisieren der Kategorien

Essenziell für die Auswertung und spätere Betrachtung der Untersuchungsergebnisse ist die Entwicklung eines geeigneten Kategoriensystems. Da innerhalb des Symbolischen Interviews zwei verschiedene Verfahren angewandt werden und mit den Interviewtranskripten und Kinderzeichnungen zwei unterschiedliche Datensätze entstehen, sind entsprechend auch zwei Kategoriensysteme entwickelt worden. Dem Grundsatz der Zirkularität beziehungsweise Flexibilität qualitativer Forschung folgend, hat sich das Kategoriensystem, wie beschrieben, im Zuge des Codierungsprozesses und innerhalb der Auswertung verändert und neue Erkenntnisse wurden mit eingearbeitet.

8.4.1 Die Kategoriendefinitionen Zentral in Hinblick auf ein geeignetes Kategoriensystem innerhalb der Interviews ist die adäquate Definition der einzelnen Haupt- und Subkategorien. Durch diese Definitionen werden die »grundlegenden Elemente der Inhaltsanalyse«866 dokumentiert. Sie bilden demnach eine Basis für die Interpretation und Darstellung der Ergebnisse. Die einzelnen Kategorien lassen sich so besser miteinander in Beziehung setzen, außerdem werden die von der Forscherin vorgenommenen Unterscheidungen und Begriffsklärungen nachvollziehbar; zudem zeigt sich die Einbindung in die theoretischen Grundlagen, die den Kategorien induktiv zugrunde liegen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten des Aufbaus einer solchen Definition. In der vorliegenden Konzeption sind alle Haupt- und Subkategorien nach dem folgenden Schema definiert:867 – Inhaltliche Beschreibung: Definition und Begriffsklärung der jeweiligen Kategorie mit Begründung der jeweiligen Aufnahme in das Kategoriensystem. – Anwendung der Kategorie: Beschreibung der Art und Weise der Anwendung, sowie möglicher relevanter (Zweifels-)Fälle. – Frage im Leitfaden: nur bei deduktiv entstandenen Kategorien, die sich durch eine jeweilige Frage im Leitfaden ergeben. – Abgrenzung zu anderen Kategorien: Abklärung, wann die Kategorie keine Anwendung findet, vor allem bei Ähnlichkeiten zu anderen Kategorien. – Ankerbeispiele: prägnante Aussagen aus den Interviews, die die Nachvollziehbarkeit der Kategorie erhöhen. 866 Kuckartz 2018, 40. 867 Vgl. ebd., 39f.

214

Der Zeichenprozess – Durchführung, Datenaufbereitung und -auswertung

8.4.2 Verwendete Kategoriensysteme Das Kategoriensystem wurde für die vorliegenden Interviewdaten nach den für die inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse vorgesehenen Schritten868 angefertigt und unter Rückgriff auf die Forschungsfragen und dem daraus resultierenden Interviewleitfaden erstellt. Die Kategorienbildung der Zeichnungen folgte der »Guideline […] am Material« nach Kuckartz.869 Kategoriensystem zu den Interviews Wie in Kapitel 7.4.6 beschrieben, sind innerhalb der Interviewauswertung Kategorien bereits a priori in Anlehnung an den Leitfaden entstanden. Diese wurden im Kodierungsprozess durch induktive Subkategorien ergänzt. Zunächst sind die vier Hauptkategorien – Positiver Friedensbegriff – Negativer Friedensbegriff – Frieden und Religion – Frieden begegnen vor dem Hintergrund der theoretischen Grundlagen der Forschungsthematik und den daraus resultierenden Forschungsfragen erstellt worden. Jeder dieser Hauptkategorien kommen zwei bis vier Unterkategorien zu, die ebenfalls aus den Fragen des Leitfadens erwachsen sind. Den Schritten der Guideline nach Kuckartz870 folgend sind innerhalb eines längeren Forschungsprozesses die entsprechenden induktiven Subkategorien entstanden, die aus den konkreten Äußerungen – also durch die Arbeit am Material – gezogen wurden. Mit den Zielsetzungen der Beantwortung der Forschungsfragen, großer Nachvollziehbarkeit sowie der guten Vergleichbarkeit der Daten und Darstellung der Ergebnisse, wurde das Kategoriensystem immer wieder angepasst. Daraufhin wurde es an einem Teil der Daten getestet871 und im Zuge dessen erneut reflektiert und überarbeitet. Mit dieser Vorgehensweise wurde gewährleistet, dass das Kategoriensystem »in enger Verbindung zu den Fragestellungen und Zielen des Projektes gebildet«872 ist.

868 869 870 871 872

Vgl. Kapitel 7.5.2. Vgl. ebd., 83–86. Vgl. a. a. O. Vgl. ebd., 103. A.a.O.

215

Systematisieren der Kategorien

I. Positiver Friedensbegriff – Weltweit – Natur – Restkategorie – weltweiter Frieden – Nahraum – Frieden und Familie – Unterstützung/Hilfe erfahren – Besondere Ereignisse/Ausflüge – Restkategorie – Frieden und Familie – Frieden und Schule – Unterrichtsfächer – Unterrichtsinhalte – Zufriedenheit – Besondere Ereignisse – Persönliche Erfolge – Restkategorie – Zufriedenheit – Frieden und Gerechtigkeit – Zusammenhang mit Frieden – Ja – Nein – Unsicher – Formen von Gerechtigkeit – Gerechte Behandlung/Gleiche Rechte – Gerechte Verteilung von Gütern/ Geld

II. Negativer Friedensbegriff – Weltweit – Begriff Krieg – Konkrete Kriege – Kriegsursachen – Streit als Grund/nicht einigen können – Eroberungskriege – Unverständnis für Gründe – Restkategorie – Kriegsursachen – Lösung von Krieg – Umweltverschmutzung – Militär und Waffen – Restkategorie – negativer Frieden weltweit – Nahraum – Streit – Beteiligte am Streit – Streitursachen – Ablauf des Streits – Konfliktlösung – Gewalt – Unterschied zu Krieg – Ja – Nein – Unsicher – Formen von Gewalt

III. Frieden und Religion

IV. Frieden begegnen

– Zusammenhang zu Frieden – Ja – Nein – Unsicher

– Personen, die Frieden stiften – Personen – Bekannte Persönlichkeiten/Rollen – Menschen aus dem persönlichen Umfeld – Unfriedenstiftende – Niemand bekannt – Eigenschaften/Handlungen

– Persönliche Religiosität – Religion und Unfrieden

– Frieden im eigenen Leben – Vermeiden von Gewalt – Helfen/Sich für andere einsetzen – Einsetzen für die Umwelt – Keine Veränderungswünsche – Sonstiges Tabelle 6: Kategoriensystem zu den Interviews mit vier Hauptkategorien und Subkategorien

216

Der Zeichenprozess – Durchführung, Datenaufbereitung und -auswertung

Kategoriensystem zu den Zeichnungen Das Kategoriensystem zu den Zeichnungen ist, wie beschrieben, rein induktiv entstanden. Dabei war das Vorgehen ähnlich wie zur Erschließung der induktiven Kategorien der Interviews. Lediglich die Hauptkategorien, welche die Untersuchung der friedlichen Seite von der unfriedlichen Seite der Zeichnungen trennen, wurden von Vornherein festgelegt. Es hat sich gezeigt, dass beide Bildseiten gut miteinander vergleichbar sind, weshalb weitestgehend jeweils die gleichen Subkategorien aufgestellt wurden. Nur auf der unfriedlichen Seite ist aufgrund der vielfachen Darstellung die zusätzliche Kategorie ›Waffen‹ unter ›Gegenstände‹ gefasst worden. Friedliche Seite der Zeichnung Motive – Natur – Tiere – Wetter – Pflanzen – Personen – Gegenstände – Gebäude – Fahrzeuge – Sonstiges Motiv Text – Text als Bildtitel – Text als dialogisches Element – Sonstige Funktion

Unfriedliche Seite der Zeichnung Motive – Natur – Tiere – Wetter – Pflanzen – Personen – Gegenstände – Waffen – Gebäude – Fahrzeuge – Sonstiges Motiv Text – Text als Bildtitel – Text als dialogisches Element – Sonstige Funktion

Erklärungen – Begründung der Motivwahl – Qualitative Faktoren friedlichen Lebens – Farbgebung – Sonstige Aussagen zur friedlichen Bildseite

Erklärungen – Begründung der Motivwahl – Qualitative Faktoren unfriedlichen Lebens – Farbgebung – Sonstige Aussagen zur unfriedlichen Bildseite Tabelle 7: Kategoriensystem der Zeichnungen

8.4.3 Zwischenreflexion III: Die Kategoriensysteme Dem klassischen zirkulären Verlauf eines qualitativen Forschungsprozesses entsprechend sind die Kategoriensysteme in enger Verbindung mit dem Codierungsprozess entstanden. Sie wurden bis zu ihrem hier abgebildeten finalen Stand mehrmals überarbeitet und an neue Erkenntnisse angepasst. Als wichtiger Schritt hat sich die initiierende Textarbeit herausgestellt, durch die die Daten

Systematisieren der Kategorien

217

vertraut wurden und so bereits Verknüpfungen, Vergleiche und Analysen in Notizen und Memos erstellt werden konnten. Nach der Bildung der ersten deduktiven Kategorien und möglicher Subkategorien wurde das unfertige Kategoriensystem der Interviews innerhalb eines Forschungskolloquiums der Universität Augsburg vorgestellt. Durch das Feedback anderer Forscherinnen und Forscher konnte das Kategoriensystem maßgeblich weiterentwickelt werden. So entstand beispielsweise die Einteilung in ›weltweite‹ und ›nahräumliche‹ Friedensaspekte erst nach dieser Vorstellung. Bezüglich der Zeichnungen hat sich das Kategoriensystem recht schnell ergeben. Dies ist einerseits dadurch begründet, dass innerhalb eines Bildes zwar viele verschiedene Motive zu finden sind, diese werden aber parallel zueinander dargestellt, sodass auf einen Blick alles erkennbar wird. Das erleichtert die Erstellung von induktiven Kategorien – vor allem auch, weil diese innerhalb des Kategoriensystems recht allgemein gehalten sind. Insgesamt war die Entwicklung der Kategoriensysteme inklusive zugehöriger Definitionen und Codierung des gesamten Materials sehr komplex. Hierauf lag aber auch eine hohe Priorität der Forscherin, da ebendiese Schritte die Grundlage der Analysen und der Betrachtung der Ergebnisse darstellen. Die fertigen Kategoriensysteme wurden so gut wie möglich an das bestehende Datenmaterial angepasst. Es ist ersichtlich, dass das Kategoriensystem zu den Interviews sehr komplex und vielfältig ist, wobei hier versucht wurde, nach der von Kuckartz aufgestellten Regel vorzugehen: nach dieser sollte das Kategoriensystem »nicht zu feingliedrig und nicht zu umfangreich sein«873. Durch die Verwendung von Farbcodes und den Aufbau wurde dafür Sorge getragen, dass Übersichtlichkeit gewährleistet ist. Die Komplexität ist dabei vor allem den Forschungsfragen beziehungsweise dem daraus resultierenden Leitfaden zuzuschreiben, die bereits Einteilungen in ›positiven‹, ›negativen‹, ›weltweiten‹ und ›nahräumlichen‹ Frieden vornehmen. Hier handelt es sich aber um Phänomene, deren Untersuchungsrelevanz hinreichend begründet wurde.874 Demnach sind die Kategoriensysteme zwar umfangreich, zeigten sich im Allgemeinen aber als zur Untersuchung der Daten geeignet. Besonders durch die umfangreichen Kategoriendefinitionen und der wiederholten Überarbeitung der Hierarchie beziehungsweise der einzelnen Kategorien an sich, wurde der Weg für die genaue Analyse und Betrachtung der gesammelten und strukturierten Daten eröffnet.

873 A.a.O. 874 Vgl. Kapitel 4.2.

IV. Einrahmen und Aufhängen – Darstellung und Diskussion der Ergebnisse

9.

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

Im Anschluss an die eingehende Reflexion des Forschungsprozesses an sich, werden im Folgenden die zentralen Ergebnisse der Studie vorgestellt. Im Sinne des vorrangigen Ziels, die Perspektive der (einzelnen) Kinder subjektorientiert aufzunehmen, werden zunächst die Zeichnungen und ausgewählte Interviewinhalte der Studienteilnehmenden in Einzelfallbeschreibungen dargestellt. Es schließt sich eine Betrachtung der Ergebnisse der Bildanalysen an, die daraufhin mit den zentralen Resultaten der kategorienbasierten Auswertung der Interviews gebündelt erläutert und jeweils zusammengefasst werden.

9.1

Einzelfallbeschreibungen: »Wie stellst du dir eine friedliche Welt vor?«

Den Kindern eine eigene Stimme zu verleihen, die gehört und wertgeschätzt wird, ist ein Ziel dieser subjektorientierten Arbeit. Exemplarisch zeigt sich die Tragkraft dieser Stimmen in den Antworten auf die Frage ›Wie stellst du dir eine friedliche Welt vor?‹, wie die folgenden Einzelfallbeschreibungen zeigen. Bevor also die zentralen Themen und Kategorien analytisch betrachtet werden, rücken die Zeichnungen und Interviews der einzelnen Heranwachsenden in den Vordergrund. Innerhalb der qualitativen Inhaltsanalyse wird dabei mit Fallzusammenfassungen gearbeitet, die nur vereinzelt durch vertiefende Einzelfallinterpretationen ergänzt werden.875 Mithilfe der Erstellung von Themenmatrizen zu den einzelnen Probandinnen und Probanden konnten die folgenden Einzelfallbeschreibungen erstellt werden.876 Allerdings sind diese umfangreicher als die Fallzusammenfassungen gestaltet, die Kuckartz vorsieht877, sind aber gleichzeitig 875 Vgl. ebd., 117. 876 Innerhalb des Programms MAXQDA wurde hierzu, ähnlich wie bei den Zeichnungen, mit sogenannten Summarys gearbeitet (vgl. Kapitel 8.3.2). 877 Vgl. ebd., 115f.

222

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

auch nicht als ausführliche Einzelfallinterpretationen zu verstehen. Die relativ geringe Stichprobe macht es möglich, jedem Kind genug Raum zu geben und im Einzelnen relevante Perspektiven auf- und einzunehmen, die für eine spätere thematische Analyse von Bedeutung sein können. Hierzu wurde zu den jeweiligen Befragten eine Fallbeschreibung verfasst, die einerseits relevante Beobachtungen während des Zeichenprozesses und andererseits während der Interviewsituation aufgreift. Auch Auffälligkeiten und erste Eindrücke aus Sicht der Interviewerin werden in diesen kurzen Zusammenfassungen dargestellt; diese Beobachtungen dienen der Reflexion der Erhebungs- und Interviewsituation und können somit auch Aufschluss darüber geben, ob die zuvor festgelegten Kriterien der Qualitätssicherung eingehalten wurden. So wird beispielsweise die Offenheit der Kinder für das Forschungsvorhaben und ihr (subjektiv von der Forscherin wahrgenommenes) Auftreten innerhalb der Interviewsituation als maßgeblich für das Einhalten der vorher festgelegten Kriterien der Kindheitsforschung angenommen. In der Untersuchung der einzelnen Interviews und Zeichnungen können somit bereits einige relevante Aspekte für die Analyse, Interpretation und Reflexion herausgearbeitet werden.

9.1.1 Aaron: »Dass es schön ruhig ist meistens.« Aaron (m9m) ist zum Zeitpunkt des Interviews neun Jahre alt und besucht die dritte Klasse. Er stammt aus einem muslimischen Elternhaus, ist aber nach eigenen Angaben nicht gläubig. Gemeinsam mit seiner Zwillingsschwester Bea besucht er den Ethikunterricht an seiner Schule. In Bezug auf das Interview und die Zeichnung ist zu erwähnen, dass sein Vater vor Aarons Geburt aus der Republik Kosovo geflohen ist. Im Zuge des sogenannten Kosovokonflikts sind viele Bewohnerinnen und Bewohner des bekriegten Landes getötet worden, wovon die Eltern Aaron und seiner Schwester auch erzählt haben. Diese Information erklärt auch eine erste Auffälligkeit innerhalb des Interviews, in dem der Junge von Serbien spricht und die Erklärung für Krieg in Schulden sieht, die das Land machen musste. Er verbindet diesen Auslöser aber auch direkt mit dem Sterben beziehungsweise Töten von Menschen: »Zum Beispiel weil jetzt die Serben aus Versehen (.) beim Deutschen Menschen umgebracht haben und jetzt möchten Deutsche von ihnen Geld verlangen und die Serben geben den Deutschen kein Geld, also gibt es glaube ich dann Krieg.« (AARON_Im9m, Pos. 22).

Das Phänomen des Sterbens findet sich ebenfalls in Aarons Unterscheidung von Krieg und Gewalt wieder. Gewalt sei demnach beispielsweise »Ausdrücke« sagen oder »sich [zu] schlagen« (AARON_Im9m, Pos. 46), wohingegen bei kriegeri-

Einzelfallbeschreibungen: »Wie stellst du dir eine friedliche Welt vor?«

223

schen Auseinandersetzungen »richtig viele Leute [sterben]« (AARON_Im9m, Pos. 42). Hier spielen möglicherweise die Erlebnisse und Erzählungen des Vaters eine Rolle, aber auch das individuelle Vorwissen zur Thematik des Unfriedens. Konträr zu den Äußerungen bezüglich negativer Friedensfaktoren zeigt sich die Zeichnung, in der Aaron keinerlei Menschen abgebildet hat.

Abbildung 4: Aaron – Zm9m: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt

Er drückt seine Vorstellungen einer friedlichen und unfriedlichen Welt durch Naturdarstellungen aus. So steht der friedlichen Welt mit einem großen Baum auf grüner, beblumter Wiese unter strahlendem Sonnenschein eine karg wirkende, unfriedliche Welt mit einem Gewitter, Blitzen und Regenschauern entgegen. Die Erläuterungen zur Zeichnung zeigen, dass Aaron Frieden vor allem mit Ruhe in Verbindung bringt.878 Einem subjektiv erlebbaren Gefühl, das sich auch in den Äußerungen zu den Erlebnissen mit der Familie oder mit Freunden widerspiegelt. So ist der Nachmittag mit den Eltern und der Schwester im Schwimmbad nur so lange friedlich, bis die Jungen auf der Wiese laute Musik hören: 878 Vgl.: »Dass es schön ruhig ist meistens. Dann, dass die Sonne scheint (..) ja.« (AARON_Im9m, Pos. 10).

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Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

»Ja, also wir waren gestern im Schwimmbad und da gab/ da war die Wiese nicht so hoch/ also der Gras. Und da haben wir uns hingelegt. Ja, und das war schön friedlich. […] War letztes/ wo vor ein paar Jahren, gabs Jungs, die neben uns waren, die haben richtig laute Musik gehört.« (AARON_Im9m, Pos. 52–54)

9.1.2 Bea: »Also an jedem Menschen ist etwas Besonderes.« Bea (w9m) besucht zum Zeitpunkt der Erhebungen ebenfalls die dritte Klasse und ist, wie ihr Zwillingsbruder Aaron, neun Jahre alt. Sie gibt ebenso wie er an, sie sei nicht gläubig, kommt aber aus einem muslimisch geprägten Elternhaus. An ihrer Schule gibt es (zum Zeitpunkt der Erhebung) keinen Islamischen Unterricht, sie besucht also den Ethikunterricht. Eine erste Auffälligkeit innerhalb der Erhebungen ergibt sich aus der prägnanten Ähnlichkeit zwischen Aarons und Beas Bildern.

Abbildung 5: Bea – Zw9m: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt

Obwohl beide nachweislich nicht sehen konnten, was der/die jeweils andere aufs Papier bringt, ähneln sich die Motive. Auch Bea verbindet mit einer friedlichen Welt Darstellungen der Natur und zeichnet demnach einen großen Baum auf einer grünen Wiese unter Sonnenschein. Dem entgegen steht die unfriedliche Welt mit einem kleinen, verdorrten Baum und Regenwetter. Ergänzt werden die

Einzelfallbeschreibungen: »Wie stellst du dir eine friedliche Welt vor?«

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Zeichnungen durch jeweils zwei Personen, die sich die Hände schütteln (friedliche Bildseite) beziehungsweise einander gewalttätig begegnen: »Und hier ist ein Junge, der einen anderen schlägt.« (BEA_Iw9m, Pos. 11 – unfriedliche Bildseite). Bea erschien der Interviewsituation sehr offen zu begegnen und äußerte sich ausführlich zu den unterschiedlichen Themen und Fragen. Dabei fiel vor allem auf, dass sie viele Gesten verwendete, um ihre Aussagen zu bekräftigen. Beispielsweise um zu verdeutlichen, wie sie ihren Bruder verteidigt: »Zum Beispiel, wenn ein/ einer meinen Bruder schlägt, dann raste ich sehr aus. (..) Und am/ im schlimmsten Fall, wenn sie nicht aufhören, schlag ich sie nur einmal. (…) Ein/ Nur so, siehst du, nur so. [schlägt leicht auf den Arm der Interviewführerin]« (BEA_Iw9m, Pos. 147).

Insgesamt entsteht innerhalb des Interviews der Eindruck, dass Bea eine sehr enge Beziehung zu ihrer Familie pflegt und diese auch klar ihr Bild von Frieden und Unfrieden beeinflusst. Vor allem in Bezug auf die Themen der Gerechtigkeit und die interpersonalen Berührungspunkte mit Frieden spricht Bea immer wieder die Relevanz ihrer Familie an. So bezieht sie ihre Eltern mit ein, wenn sie mit ihren Freundinnen streitet (vgl. beispielsweise: »[…] hat sie mir einfach das Ballazeichen gezeigt und ich habs meinen Eltern gesagt« (BEA_Iw9m, Pos. 27)). Oder betont das gerechte Handeln ihrer Eltern in Bezug auf die Frage nach Zusammenhängen von Frieden und Gerechtigkeit: »Aber, wenn man beide Kinder lieb hat, wie unsere Eltern, dann sagt man: ›Hier, ein Stück vo/ von der Torte, die Hälfte von der Torte für dich, Lila, und die andere (…) St/ Stück (.)/ Hälfte für dich, Laura.‹« (BEA_Iw9m, Pos. 59). Im Laufe des Gesprächs betont Bea außerdem, dass sich Frieden durch Abwesenheit von Gewalt und Krieg auszeichnet. Sie nennt darüber hinaus aber auch die Besonderheit jedes Menschen (»Also an jedem Menschen ist etwas Besonderes.« (BEA_Iw9m, Pos. 163)) und bekräftigt, dass jeder und jede so sein dürfe, wie er/sie ist – ohne sich Beleidigungen aussetzen zu müssen.879 Diese Akzentuierung eröffnet eine für die spätere Analyse relevante Denkrichtung und erweitert die positiven Friedensaspekte um die ›Wertschätzung gegenüber anderen‹.

879 Vgl. »Ich finde, eine friedliche Welt braucht kein Krieg, keine Gewalt, kein/ und dass sich die Menschen vertragen und damit nicht jemand jemanden anderen beleidigt: »Du siehst so fett aus. Du hast so dicke Schwabbelbeine.« Und so. (…) Jeder so, wie er ist.« (BEA_Iw9m, Pos. 153).

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Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

9.1.3 Clara: »[V]iele grüne Wiesen mit Bäumen, weil wir die ja zum Atmen brauchen.« Die neunjährige Clara (w9k1) schien der Zeichnungs- und Interviewsituation ebenfalls offen gegenüber zu stehen. Das katholisch getaufte Mädchen besuchte zum Zeitpunkt der Erhebungen die dritte Klasse und wächst mit ihren zwei jüngeren Brüdern (sechs und drei Jahre alt) bei ihren Eltern auf. Besonders bei der Zeichnung hat sie sich augenscheinlich viel Mühe gegeben und daran auch längere Zeit (insgesamt über 30 Minuten) gearbeitet.

Abbildung 6: Clara – Zw9k1: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt

Demnach beinhaltet die fertige Zeichnung auch viele verschiedene Motive. Besonders auffällig ist, dass in der Zeichnung der friedlichen Welt keine Menschen abgebildet sind und stattdessen Naturmotive wie ein Baum und ein Vogel gewählt wurden. Auf der unfriedlichen Seite dagegen findet sich zwar auch ein

Einzelfallbeschreibungen: »Wie stellst du dir eine friedliche Welt vor?«

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Haus wieder, jedoch ist eine gewaltvolle Szene gezeichnet worden, an der drei Menschen beteiligt sind. Einer davon schießt auf das Haus. Insgesamt wirkt die unfriedliche Seite dunkler, was in Hinblick auf die Untersuchung der Farbgebung der unterschiedlichen Zeichnungen später nochmals betrachtet wird.880 Das Motiv der grünen Wiese mit Baum findet sich auch im Interview wieder, in dem sie betont, dass »wir die [Anm. JK:: Bäume] ja zum Atmen brauchen.« (CLARA_Iw9k1, Pos. 114). Sie spricht hier einen Zusammenhang von Frieden und einer gesunden Umwelt und Natur an, die für die Menschen lebensnotwendig ist. Diese Verknüpfung erwähnt sie auch in Bezug auf die Thematisierung von Frieden und Religionsunterricht. Sie erzählt, dass ihre Religionslehrerin gesagt habe, »dass es zurzeit ziemlich viel Krieg und Verschmutzung auf unserer Erde gibt. Und (..) das findet sie halt schade.« (CLARA_Iw9k1, Pos. 32). Ein weiterer zentraler Aspekt stellt sich im Interview bei den Fragen nach Unfrieden heraus. Nach eigener Aussage habe Clara in ihrer Zeichnung Krieg dargestellt (»Und beim Krieg wird ja nicht geschlagen, sondern eher mit Bomben und Pistolen wie ich’s hier gemalt hab [zeigt auf das Bild].« (CLARA_Iw9k1, Pos. 46)) und sie spricht auch explizit vom zweiten Weltkrieg (CLARA_Iw9k1, Pos. 88–93). Auffällig ist an dieser Stelle, dass die Neunjährige die Shoa erwähnt und aus ihrem Wissen darüber den Schluss zieht, dass jeder und jede seine/ihre eigene Religion hat (CLARA_Iw9k1, Pos. 94). Aus diesem Grund betont sie: »(.) Also, der [Anm. JK: Adolf Hitler] sollte halt alle Menschen so sein lassen, wie sie halt sind.« (CLARA_Iw9k1, Pos. 90).

9.1.4 Dennis: »Dass das Geld gerecht verteilt ist.« Der zehnjährige Dennis (m10k1) besucht zum Zeitpunkt der Erhebungen die vierte Klasse und den katholischen Religionsunterricht. Seine siebenjährige Schwester besucht ebenfalls den Hort und sein jüngerer Bruder Lukas hat auch an der Erhebung teilgenommen. Dennis erscheint sehr aufgeschlossen, hat bereits vor den Zeichnungen von dem Thema der Studie erfahren und äußerste auch deutliches Interesse. Emil und Franziska, die ebenfalls an der Studie teilnehmen, besuchen die gleiche Klasse wie er und alle drei sind gut miteinander befreundet. Das zeigt sich auch in den gegenseitigen Erwähnungen innerhalb der Interviews. Beispielsweise erzählt Dennis von einem Streit mit Franziska (DENNIS_Im10k1, Pos. 144–158). An den unterschiedlichen Themen des Interviews hat er scheinbar großes Interesse und antwortet ausführlich. Dabei fällt auf, dass seine Antworten an manchen Stellen auf Unfrieden bezogen werden, obwohl explizit nach friedlichen Er880 Näheres hierzu wird in Kapitel 9.2.2 konkretisiert.

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Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

eignissen/Aspekten gefragt wird. So bezieht er sich beispielsweise bei der Frage nach Religion und Frieden auf die unfriedliche Zeit des Nationalsozialismus (DENNIS_Im10k1, Pos. 180–188) bevor er auf Nachfrage auf friedliche Aspekte von Religion zu sprechen kommt (DENNIS_Im10k1, Pos. 203–208). Diese Tendenz eröffnete sich auch im Zeichenprozess. Dennis konnte sich nicht entscheiden, welche Motive er auf der unfriedlichen Seite der Zeichnung darstellen möchte, weshalb er diese noch einmal teilte: »Hm, weil es/ ich mich nicht entscheiden konnte zwischen Boden- oder Wasserkrieg.« (DENNIS_Im10k1, Pos. 42)

Abbildung 7: Dennis – Zm10k1: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt

Seine friedliche Welt stellt wiederum einen Baum auf einer Wiese unter Sonnenschein dar. Es sind keine Menschen abgebildet, stattdessen ein Vogel. Demgegenüber stehen auf der oberen unfriedlichen Welt (»Bodenkrieg«) Personen; in einer gewaltvollen Szene schießt eine auf die andere. Die untere Zeichnung zeigt, wie Dennis selbst sagt einen »Wasserkrieg«, dargestellt durch ein schwarz ausgemaltes Schiff, welches auf ein schwarzes Haus schießt. Die Farbgebung wird hier sehr dunkel und die Gegenstände auf diesem Teil der Zeichnung sind tiefschwarz schraffiert. Der Schüler sagt auch im Laufe der Befragung, er interessiere sich für kriegerische Auseinandersetzungen und spreche auch mit seinem Freund Emil darüber (DENNIS_Im10k1, Pos. 82). Auf Nachfrage, ob ihm das Nachdenken, beziehungsweise Sprechen, über Unfrieden besonders leichtfalle, tätigt Dennis folgende Aussage:

Einzelfallbeschreibungen: »Wie stellst du dir eine friedliche Welt vor?«

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»Eigentlich find’ ich ja Frieden toll, aber es ist auch bei Computerspielen so, es ist halt irgendwie/ in manchen Computerspielen (.) ist es auch mal schön, nicht immer der Gute zu sein, sondern auch mal der Böse zu sein.« (DENNIS_Im10k1, Pos. 86).

Im Laufe des Interviews zeigt sich dieses Interesse an Computerspielen auch in seinen Erläuterungen, in denen er friedliche von unfriedlichen Spielen unterscheidet. Allgemein bringt Dennis viele seiner persönlichen Interessen in das Gespräch mit ein und es scheint, als hätte er sich mit den verschiedenen Themen bereits häufiger beschäftigt. So sagt er auch in Bezug auf eine friedliche Welt, er habe eine Idee entwickelt, mit der mehr Frieden erreicht werden könnte: »Dass das Geld gerecht verteilt ist. (..) Dass es unserem Planeten gut geht (.) und dass/ (…) was ich auch toll fänd, eine meiner Ideen, wo ich mir Welten vorstell, dass es anstatt Geld gar kein Geld mehr geben sollte, sondern dass alle/ dass halt jeder des macht, was ihm halt Spaß macht als Beruf und dafür geben dir halt alle alles umsonst. Zum Beispiel der Schuhmacher gibt dem Bäcker Schuhe, wenn er Schuhe braucht und der Bäcker gibt dem Schuhmacher Schuhe/ ähm, dem/ nein, der Bäcker gibt dem Schuhmacher Brot, wenn er Hunger hat. (..)« (DENNIS_Im10k1, Pos. 294).

9.1.5 Emil: »[Über] Frieden denk ich mehr so nach, wenn es eine schöne Zeit ist und so.« Emil ist zum Zeitpunkt des Interviews zehn Jahre alt und besucht die vierte Klasse seiner Grundschule. Er hat einen 16-jährigen Bruder und ist gut befreundet mit Franziska und Dennis, die mit ihm in eine Klasse gehen. Der katholische Junge wusste ebenso wie Dennis bereits vor der Erhebung über das Thema Frieden, wobei dies keinen nachweisbaren Einfluss auf den Interviewoder Zeichenverlauf hatte. Zur Beobachtung während des Zeichnens lässt sich sagen, dass sich Emil seinem Bild recht konzentriert gewidmet hat. Dabei hat er mit dem Leben in einer friedlichen Welt begonnen, aber zwischendurch auch immer wieder Anpassungen und Veränderungen auf beiden Seiten des Bildes vorgenommen. Eine Besonderheit zeigt sich in seiner Zeichnung dadurch, dass Emil im Gegensatz zu den oben beschriebenen Kindern das gleiche Motiv auf der friedlichen wie auf der unfriedlichen Bildseite gewählt hat. Es ist ersichtlich, dass auf der friedlichen Bildseite (links) eine Szenerie mit Häusern und Menschen auf einem grünen Hügel dargestellt wurde. Die unfriedliche Seite zeigt ebendiese Szenerie – jedoch zerstört durch Panzer und Brände. Zudem hat sich das Wetter von Sonnenschein zu schwarzen Gewitterwolken gewandelt, aus denen Regen und Blitze auf die Erde niedergehen. Letztere bezeichnet der Zeichner selbst als »nicht gerade einfaches Wetter« (EMIL_Im10k2, Pos. 20). Eine Erklärung dafür, was wohl eine derartige Veränderung vom Frieden zum Unfrieden verursachen konnte, findet Emil allerdings nicht (»Darüber hab ich/ hab

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Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

Abbildung 8: Emil – Zm10k2: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt

ich gar nicht nachgedacht [lachend].« (EMIL_Im10k2, Pos. 22)). Zu Beginn der Interviewsituation wirkt er insgesamt etwas unsicher aufgrund der für ihn neuen Situation und formuliert seine Antworten teilweise eher als Rückfragen, wie beispielsweise folgender Ausschnitt zeigt: I: »[…]was könnten denn Gründe eben dafür sein, dass so, äh, Krieg oder Gewalt passieren?« E: »Durch Streit?« I: »Okay. Oder, also, was fällt dir denn da so ein. Also ich/ wie gesagt, erzähl einfach, was du findest, was, äh, was es sein könnte. Wer/ Warum streiten sich Menschen oder warum gibt’s Krieg durch Streit?« E: »Weil sie sich nicht einigen können?« (EMIL_Im10k2, Pos. 23–26)

Im Laufe des Interviews legt sich dieser Eindruck aber und der Junge äußert sich immer offener zu den einzelnen Themen. Er kommt darauf zu sprechen, dass er sich sehr gut mit Kriegen auskenne und sich dafür auch interessiere (was bereits Dennis in seinem Interview artikuliert hat881). Für Emil scheinen also verschiedene Kriege und Waffen (z. B. Atombomben882) eine große Faszination auszu881 »Der eine Freund, den/ der nach mit interviewt wird [Anm. JK: gemeint ist Emil], (.) der ist auch absoluter Panzerfan.« (DENNIS_Im10k1, Pos. 82). 882 Vgl. »Das hat mich halt mal so interessiert, hab auch mal ein ganzes Buch über Atombomben durchgelesen.« (EMIL_Im10k2, Pos. 42).

Einzelfallbeschreibungen: »Wie stellst du dir eine friedliche Welt vor?«

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strahlen, sodass er auch Bücher darüber liest oder sich in den Medien selbst darüber informiert.883 So erzählt er einiges über den Verlauf und die Beteiligten des Zweiten Weltkrieges (EMIL_Im10k2, Pos. 62). Demgegenüber fällt es ihm aber schwerer, sich an Konflikte zu erinnern, die er selbst hatte (oder möchte sich dazu nicht äußern). Vielmehr gibt er an, er würde sich selten oder gar nicht mit seinen Freunden streiten: »Hm, wenn wir streiten, dann vergess ich’s dann. Und das ist auch mega selten.« (EMIL_Im10k2, Pos. 106). Emil verbindet Frieden nicht mit Religion, da Letztere für ihn vor allem mit Gott, Beten und dem »öden«884 Kommunionsunterricht zusammenhängt (vgl. EMIL_Im10k2, Pos. 126–134). Demgegenüber merkt er dennoch an, dass eine friedenstiftende Person »positiv eingestellt, (.) so wie Jesus« (EMIL_Im10k2, Pos. 142) sein solle.885 Insgesamt kann festgestellt werden, dass sich Emil allgemein für unfriedliche Vorkommnisse interessiert. So sagt er selbst über sich: »[Über] Frieden denk ich mehr so nach, wenn es eine schöne Zeit ist und so.« (EMIL_Im10k2, Pos. 44).

9.1.6 Franziska: »Mit Freundschaft und (.) halt nicht mit Hass.« Franziska (w10b1) besucht die gleiche vierte Klasse wie Emil und Dennis und ist auch mit beiden befreundet. Die Zehnjährige ist nicht getauft, nimmt aber am katholischen Religionsunterricht ihrer Schule teil. Sie hat einen sechsjährigen Bruder, mit dem sie bei ihren Eltern aufwächst. Innerhalb des Zeichenprozesses stellte sie die Frage, ob sie ihr Bild auch aus der Vogelperspektive zeichnen dürfe. Auffällig in ihrer Zeichnung ist, dass lediglich die obere Darstellung vom Leben in einer friedlichen Welt aus der Vogelperspektive gezeichnet wurde. Franziska begründet dies damit, dass sie für die Darstellung von allen Bildelementen (Haus, Meer, Bäume, See) mehr Platz benötigt habe (vgl. FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 12). In der Darstellung des Lebens in einer unfriedlichen Welt verzichtet die Schülerin auf die Ansicht von oben, sondern zeichnet die Szenerie in der Seitenansicht. Im Gegensatz zum oberen Bild befinden sich auf der unteren zwei Personen. Die friedliche Welt ist frei von Menschen und lediglich das Haus und die Blumenbeete lassen auf Zivilisation schließen. Diese Darstellung passt zu

883 Vgl. I: »Wie kommt das, dass du dich so gut auskennst mit den Kriegen?« E: »Ähm, auf Youtube schau ich immer solche Sachen an.« (EMIL_Im10k2, Pos. 39–40). 884 »Das war in der dritten Klasse. Das hab ich gehasst, das Kommunionstreffen. Ich hab mich so gefreut, als es vorbei war. Das war so öde. Wenigstens war Dennis noch dabei.« (EMIL_ Im10k2, Pos. 134). 885 An dieser Stelle muss allerdings auch darauf hingewiesen werden, dass die Frage nach den friedenstiftenden Personen im Anschluss an die Religionsthematik gestellt wurde. Demnach wollte Emil möglicherweise beide Themen miteinander verknüpfen.

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Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

Abbildung 9: Franziska – Zw10b1: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt

Franziskas Erläuterung, dass eine friedliche Welt für sie mit ›Ruhe‹ in Verbindung stehe: »Weil irgendwie (.) ich finde, wenn es ruhig ist, ist es friedlich und am Meer und so ist es immer so ruhig und dann/ also an manchen Teilen, nicht an Stränden, aber da ist es schon ziemlich ruhig. Auch in Wäldern, an Seen. Deswegen hab ich mir das ausgesucht.« (FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 6)

Und auch in ihrer späteren Zusammenfassung kommt sie noch einmal auf das Motiv der Ruhe zu sprechen, wenn sie sagt: I: »Ähm, magst du mir nochmal ganz genau erzählen, wie du dir eine friedliche Welt so im Allgemeinen vorstellst?« F: »(.) Also (.) ruhig […]« (FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 147–148)

Einzelfallbeschreibungen: »Wie stellst du dir eine friedliche Welt vor?«

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Demgegenüber steht ein differenziertes Verständnis von der Thematik des Unfriedens respektive Krieg. Franziska nennt drei verschiedene Ursachen für bewaffnete Konflikte, nämlich die (1) fehlende Einigung zwischen Ämtern/Ländern, (2) Machtkriege und (3) Eroberungen.886 Im Zuge dessen findet sie auch für alle drei Ursachen mögliche Konfliktlösungen: »[atmet hörbar ein] Ich würde erstmal auf jeden Fall mit demjenigen sprechen, der, ähm, (.) also wenn sich zwei streiten, dann würd ich erstmal sagen: »Okay, wir, ähm, machens jetzt so«, äh, (.) also wenn’s jetzt um Länder geht, um Länder erobern, um größer zu sein, »dann kriegst du das und das und das Land, aber mehr nicht.« (.) Und dann, ähm, gibtst du auch Ruhe und (.) halt einfach irgendwie regeln.« (FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 66)

Sie kommt ebenfalls wie Dennis darauf zu sprechen, dass ihr gemeinsamer Freund Emil sich sehr gut mit kriegerischen Auseinandersetzungen auskenne, weshalb auch sie in dieser Hinsicht gewisses Vorwissen habe.887 Dieses zeigt sich auch in der Thematisierung eines Zusammenhangs von Frieden und Religion, wenn sie einerseits dafür plädiert, dass Religion(en) Frieden erreichen wollen (FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 100), andererseits aber im Zweiten Weltkrieg »manche Religionen dafür eingesperrt [wurden], dass sie den Frieden wollen oder sowas?« (FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 100). Wobei sie sich hier nicht sicher war. Beispielsweise in der Erwähnung ihres Freundes Emil zeigt sich die Relevanz von Freundschaft für Franziska und sie erzählt auch von einem Streit mit Dennis, den sie wieder lösen konnten (FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 70–82). So überrascht es nicht, dass ihre zusammenfassende Erläuterung zu Frieden ebenfalls diesen positiven Aspekt beinhaltet: I: »[…] magst du mir nochmal ganz genau erzählen, wie du dir eine friedliche Welt so im Allgemeinen vorstellst?« F: »[…] (.) Mit Freundschaft und (.) halt nicht mit Hass.« (FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 147–148).

9.1.7 Georg: »[O]hne, dass man sich streitet.« Der neunjährige Georg (m9ev1) besucht zum Zeitpunkt der Erhebung die dritte Klasse seiner Grundschule. Er ist evangelisch getauft und nimmt entsprechend am konfessionellen evangelischen Religionsunterricht teil. Mit seinem jüngeren 886 »Hm, nicht einigen von verschiedenen, hm (.), Ämtern oder so. Und (.) verschiedenen Ländern. (..) Oder, ähm, wenn größere Länder mehr Macht haben. Machtkriege. (.) Oder (.) um ein Land, halt Kriege erobern, äh, Länder erobern. Da muss man ja auch Krieg führen. (..) Ja, sonst weiß ich nicht mehr.« (FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 64). 887 »Emil war doch auch gerade da. (.) Er erzählt auch immer davon, weil er sich gut mit Ländern auskennt. Wie großen Ländern wie USA oder Russland.« (FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 138).

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Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

Bruder (sechs Jahre alt) wächst er bei seinen Eltern auf. Er erschien, sowohl der Zeichnung als auch dem Interview sehr offen gegenüber und berichtete ohne Schwierigkeiten zu den verschiedenen Themen. Ein zentraler Aspekt innerhalb Georgs Vorstellungen zeigt sich bereits in oben dargestellter Aussage, die er auf die Frage nach einer zusammenfassenden Definition von Frieden tätigte: »[O]hne, dass man sich streitet« (GEORG_Im9ev1, Pos. 116). Georg bezieht sich innerhalb des Interviews häufig auf die Kriterien von Frieden, welche die interpersonale Ebene berühren. In erster Linie ist dies hier ausgedrückt durch die Negation von Streit, aber er versteht auch unter Gewalt und Krieg das Aufkommen von Streit.888 Den Umgang mit Gewalt bezieht er gleichzeitig auch auf die Schule (vgl. GEORG_Im9ev1, Pos. 48) und würde Frieden im Unterricht mit folgenden Inhalten lehren: »Und da könnte man zum Beispiel mal über Frieden lernen, [räuspert sich] wo (..) hm, (.) es (.)/ wo man sich die Hände schüttelt, dass man sich die Hände schüttelt beim Frieden, sich umarmt, sich entschuldigt (.) und keine Ausdrücke sagt und sich nicht mehr streitet« (GEORG_Im9ev1, Pos. 66).

Ein dazu passendes Motiv wählt Georg für seine Zeichnung, in der die friedliche die unfriedliche Seite kontrastiert. Der Drittklässler wählt zweimal die gleichen Motive und zeichnet die gleichen Personen. Diese »haben sich halt an einem Tag mal getroffen (.) und da lief ’s halt nicht so gut und [räuspert sich] dann haben sie sich halt richtig gestritten« (GEORG_Im9ev1, Pos. 34), was die linke Bildseite zeigt. Aus diesem Grund beleidigen sich die beiden Personen. Georg erzählt innerhalb des Interviews eine Geschichte, die hinter seinem Bild steckt und berichtet von den verschiedenen Räumen, die sich im gezeichneten Haus befinden.889 Weiterhin ist zu bemerken, dass er sich klar zur Farbwahl äußert und bewusst auf der Zeichnung der unfriedlichen Welt dunklere Farben verwendet habe als auf der friedlichen Seite: »Und dann dachte ich mir, naja, bei der friedlichen Welt könnte ich ja des dunkelgrün, die Wiese und hellgrün machen und den Himmel halt so hellblau und dunkelblau mit zwei Wolken und hier hab ich mir gedacht, hier ist die unfriedliche Seite und hier dachte ich mir, mach ich eine ganz dunkle Wiese hin und hier einen ganz dunklen Himmel.« (GEORG_Im9ev1, Pos. 32) 888 Vgl. GEORG_Im9ev1, Pos. 56: »Hm. (..) Also, [räuspert sich] bei Krieg (.) würde ich sagen, da/ die streiten sich halt richtig oder (.) wie früher da, die sind halt mit einem Panzer gekommen. Gibt’s jetzt halt in anderen Läns/ Ländern auch noch. Und dann wird, ähm, ausgerastet und bei Gewalt wird nur gestritten oder so. D/ ähm, also bei uns war’s so und dann haben wir uns halt geschlagen und so.« 889 Vgl. GEORG_Im9ev1, Pos. 6: »[…] beim Hochhaus, des/ da/ da ist/ sind hier Einkaufs- ähm – geschäfte, die wohnen hier unten. (..) Der hier hier und der hier. Und hier (.) ist ein Autoparkplatz. (.) Und hier (.) sind (.) naja, hier ist eine Schule und hier weiß ich noch nicht.«

Einzelfallbeschreibungen: »Wie stellst du dir eine friedliche Welt vor?«

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Abbildung 10: Georg – Zm9ev1: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt

9.1.8 Henri: »Also wenn sie mich was fragen, ob ich ihnen helfen kann, sag ich immer ja.« Der neunjährige Henri (m9k1) besucht die vierte Klasse und den katholischen Religionsunterricht. Er ist der Zeichen- und Interviewsituation gegenüber augenscheinlich offen und gibt sich auch beim Anfertigen seines Bildes beobachtbar Mühe. Seine Eltern leben getrennt und Henri wächst gemeinsam mit seinem älteren Halbbruder (16 Jahre alt) und seiner älteren Stiefschwester (elf Jahre alt) bei seiner Mutter und ihrem Lebensgefährten auf. Beim gemeinsamen Ausfüllen des Kurzfragebogens berichtet Henri, er habe zwei ›Brüder im Geiste‹, also besonders gute Freunde, die auch innerhalb seiner Erzählungen eine Rolle spielen. Das erste zentrale Moment innerhalb des Interviews mit Henri ist die Relevanz seiner Familie. Er betont sie in Bezug auf die Zeichnung das erste Mal, als er sagt: »Und ich mal eigentlich nie Bilder ohne meine Familie (.)« (HENRI_Im9k1, Pos. 20). Auf seinen Zeichnungen von einem Leben in einer friedlichen beziehungsweise unfriedlichen Welt stellt Henri dann auch jeweils das gleiche Bildmotiv dar, nämlich verschiedene Wohnhäuser.

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Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

Abbildung 11: Henri – Zm9k1: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt

Henri erzählt ebenso wie Georg eine Geschichte zu seinem Bild und vor allem zur friedlichen Seite. Er hat sich beispielsweise selbst gezeichnet890 und erzählt, wer in den Häusern lebt, die er dargestellt hat: »(.) Also, ich/ hier hab ich mal des Haus vom Nikolaus gemalt. (.) Des ist des Haus, wo wir drin wohnen. Des ist des Haus, wo mein Bruder drin wohnt, also sozusagen mein/ meine Brüder. Also die wohnen jetzt zusammen, obwohl sie nicht zusammen leben, also zusammen wohnen.« (HENRI_Im9k1, Pos. 2)

Hier zeigt sich die klare soziale Erfahrung, die Henri in seine Zeichnung einfließen lässt und die seine Vorstellung von Frieden und Unfrieden maßgeblich zu beeinflussen scheint. Hiervon ist beispielsweise auch sein Gerechtigkeitsempfinden geprägt: »(.) Also, wenn (..) mein Bruder, den ich jedes Wochenende seh, wenn der was kriegt, was ich auch haben mag. Dann find ich’s ungerecht. […] Aber wenn ich dann das auch krieg, dann find ich’s gerecht.« (HENRI_Im9k1, Pos. 112–114)

Auf die Frage hin, wie er (zusammenfassend) Frieden definieren würde, sagt er nur »Ja, so wie auf dem Bild hier.« (HENRI_Im9k1, Pos. 134), wobei vor allem auch an dieser Stelle wieder die Verbundenheit zu seiner Familie in den Vordergrund tritt. In dem von ihm abgebildeten friedlichen Leben lebt seine Familie 890 »Das bin jetzt ich, wie ich zu meiner Oma laufe.« (HENRI_Im9k1, Pos. 8).

Einzelfallbeschreibungen: »Wie stellst du dir eine friedliche Welt vor?«

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gemeinsam und er sagt, dass die Dinge, die er für sein eigenes Leben in Frieden tue, vor allem mit Helfen zu tun habe: »Ich helf halt immer meiner Mutter und meinem Vater aufräumen. (.) Also wenn sie mich was fragen, ob ich ihnen helfen kann, sag ich immer ja.« (HENRI_Im9k1, Pos. 132).

9.1.9 Jana: »[I]ch will ja (.) auch n Vorbild werden irgendwann.« Die neunjährige Jana (w9b2) besucht die dritte Klasse und den evangelischen Religionsunterricht. Hierfür hat sie sich freiwillig entschieden, getauft ist sie nicht. Sie lebt gemeinsam mit ihrer 19-jährigen Halbschwester bei ihrer Mutter und deren Lebensgefährten. In ihrer friedlichen Zeichnung bildet Jana eine Situation ab, die sie nach eigenem Bericht selbst erlebt hat.

Abbildung 12: Jana – Zw9b2: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt

Es sind zwei Kinder zu sehen, die sich kennenlernen und miteinander spielen möchten. Auch wenn Jana sich nicht selbst gezeichnet hat, erzählt sie von einem solchen Erlebnis: »am Anfang bei mir war’s so halt an der Schule, dass ich (.) eigentlich fast niemanden gekannt habe, aber der Max, der Max [Nachname], der war, ähm, in meinem Kinder-

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Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

garten und, ähm, dann hat halt der Georg sich dazugetan und dann (.) haben wir halt auch a/ erstmal damit angefangen zu spielen.« (JANA_Iw9b, Pos. 6)

Auch die unfriedliche Seite der Zeichnung, auf der sie zwei streitende Kinder dargestellt hat, verbindet sie mit Selbsterlebtem – mit einem Streit mit ihren Freunden. Interessant ist, dass die Schülerin diese Szene mit ›Krieg‹ betitelt. Auf Nachfrage zeigt sich auch ein enger Zusammenhang von Janas Vorstellungen von Krieg und Streit. Sie bezeichnet die interpersonalen Konflikte, die sie beispielsweise mit ihren Freunden manchmal austragen muss, als »Kinderkrieg« (JANA_Iw9b, Pos. 46) im Gegensatz zu »echtem Krieg«: »Naja, der etwas echtere ist halt mit Waffen und sowas/« […] »und der nicht so richtig echte Krieg ist wenn man/ ist dann mehr so mit, naja, so Ausdrücke sagen oder sowas.« (JANA_Iw9b, Pos. 38–40)

Auf ebendiese Weise ist Janas Verständnis der Unterscheidung von Gewalt und Krieg aufgebaut, indem sie Gewalt als ein Phänomen erlebt, das sie auch selbst ausführen beziehungsweise erleiden kann. Krieg stehe demgegenüber stets mit Waffen in Verbindung und sei deshalb Erwachsenen vorbehalten: »einen Krieg mit Pistolen, des machen ja eigentlich nur, ähm, Erwachsene.« (JANA_Iw9b, Pos. 50). Das Motiv der Kinder, die sich kennenlernen, welches Jana in ihrer Zeichnung einer friedlichen Welt darstellt, zeigt sich erneut in ihrer Beschreibung von Möglichkeiten, wie sie selbst friedenstiftend tätig werden könnte. Sie plädiert darauf, anderen helfen zu wollen und wolle dies tun, um selbst ein Vorbild werden zu können.

9.1.10 Karl: »Dass ich viele helfe.« Karl (m8ev) ist acht Jahre alt und damit der jüngste Teilnehmer der Studie. Er ist direkt von der ersten in die dritte Klasse gekommen, die er zum Zeitpunkt der Erhebung besucht. Der Junge hat eine 13-jährige Schwester und besucht den evangelischen Religionsunterricht. Auch er scheint nicht eingeschüchtert von der Interviewsituation zu sein, hat aber teilweise Schwierigkeiten, die Begriffe und auch Fragen zu verstehen. Das zeigt sich, als er bei der Frage nach möglichen Unterschieden zwischen Gewalt und Krieg von Unterschieden allgemein berichtet: »Also, es gibt viele Unterschiede wie Biene – Wespe und Heulen – Weinen oder Selfie und Foto. (..)« (KARL_Im8ev, Pos. 70) und nicht weiter auf die Frage eingeht. Allerdings erklärt Karl an dieser Stelle, dass er den Unterschied zwischen verschiedenen Phänomenen erst lernen müsse. Interessanterweise sieht er das also als formales Wissen an, das man sich erst aneignen müsse. Diese Tendenz zeigt sich ebenfalls bei der Frage nach Möglichkeiten zur Thematisierung von

Einzelfallbeschreibungen: »Wie stellst du dir eine friedliche Welt vor?«

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Frieden in der Schule. Hier wird betont, dass Karls persönliche Meinung von Bedeutung sei. Er antwortet folgendermaßen: »Ja, also in/ (.) wir hatten mal Religionsunterricht und der ist mal ausgefallen. Dann bin ich in Ethik gegangen und da hab’ ich gesehen, was ka/ (.) Was ist Frieden und so. (..) Hab ich ein bisschen gelernt. Jetzt weiß ich nicht mehr alle Wörter. […] Paar auch nicht. Keins eigentlich. (..) Aber ich weiß auch, wie wir des gemacht haben.« (KARL_Im8ev, Pos. 94–96)

Wieder erläutert er nicht seine eigene Meinung, sondern berichtet von einem bestimmten Erlebnis, das er im Ethik-Unterricht gemacht hat. Da er die Inhalte aber vergessen habe, nennt er auch keine weiteren zum Thema. Anders verhält es sich mit seiner freien Zeichnung, die gänzlich auf Karls persönlicher Vorstellung von Frieden und Unfrieden basiert.

Abbildung 13: Karl – Zm8ev: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt

Dabei bildet er auf der linken, unfriedlichen Seite einen Grabstein und einen Totenkopf ab. Gegensätzlich bilden die Möwen auf der friedlichen Bildseite ein Herz und das Friedliche daran beschreibt Karl in einem Wort: »Liebe.« (KARL_Im8ev, Pos. 18) – ein Begriff, der innerhalb der vorherigen Interviews nie explizit gefallen ist. Weiterhin interessant ist Karls Vorstellung des Begriffs Krieg. So antwortet er auf die Frage nach diesem Phänomen:

240

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

»Was Schlimmes. (…) Weil ich hab’ einmal, also bin ich Trampolin gesprungen in unserem Garten und (.) äh, hab’ ich mal einen Hubschrauber mit zwei Propellern gesehen und dann/ und des sieht fast wie ein Kriegswagen aus. Da steht auch diese Afrikaflagge. (…) Und des hat mich auch (.) echt Angst gemacht und dann bin ich schnell hochgegangen ins Haus.« (KARL_Im8ev, Pos. 48)

Er definiert Krieg für sich nicht von dem Wissen her, das er möglicherweise aus der Schule oder den Medien erfahren hat, sondern berichtet von einem ganz persönlichen Erlebnis, das ihn selbst emotional tangiert und geängstigt hat. Dieser Zugang ist also von einer starken Subjektivität geprägt, die sich auch in Karls abschließender Zusammenfassung von Frieden widerspiegelt. Eine friedliche Welt zeichne sich dadurch aus, dass er »viel helfe« (KARL_Im8ev, Pos. 158). Eine Definition, die klar auf seinen Nahraum und sein soziales Umfeld ausgerichtet ist.

9.1.11 Lukas: »[I]ch glaube, des wär gut, dass wir uns alle auf eine Seite einigen […].« Der neunjährige Lukas (m9k2) besucht die dritte Klasse und den katholischen Religionsunterricht. Sein älterer Bruder ist Dennis und beide haben noch eine siebenjährige Schwester. Der Junge wirkt aufgeweckt und zeitweise auch aufgeregt aufgrund der Interviewsituation. Auf alle Fragen antwortet er sehr aufgeschlossen und scheint sich gerne zur Thematik äußern zu wollen. Während des Zeichenprozesses zur friedlichen Bildseite, die er zuerst bearbeitet hat, äußert er Folgendes: »Ein friedlicher Mensch. Der darf seine Persönlichkeit frei äußern.«891 Auf der rechten, friedlichen Bildseite ist diese Person auch abgebildet. Passend dazu formuliert Lukas gleich zu Beginn des Interviews: »Und ich find auch, dass jeder seine, ähm, persönliche/ [unverständlich] Persönlichkeit […] Persönlichkeit frei äußern kann, damit er zum Beispiel lila Hosen anzieht, wenn er ein Junge ist.« (LUKAS_Im9k2, Pos. 2–4)

Ebenfalls bemerkenswert ist Lukas’ Erklärung zur unfriedlichen Bildseite. Diese verschränkt zwei zentrale Aspekte seiner Vorstellung miteinander. Zum einen die rote Sonne, die er damit begründet, dass es heiß wird, wenn alle Bäume abgeholzt werden – Bäume, die laut dem Jungen als »Filter für die Umwelt« (LUKAS_Im9k2, Pos. 22) fungieren. Zum anderen hat er mit dem Panzer nach eigener Angabe Krieg dargestellt, in dessen Ursache er einerseits die zerstörte Umwelt, andererseits aber auch Eroberungen sieht: »Ich mein, weil wenn so v/ die Autos einfach weiterfahren und die Bäume weiter abgeholzt werden, dann wirds so heiß, dann ist wahrscheinlich alles verschwommen und die 891 Diese Aussage wurde im Beobachtungsprotokoll festgehalten.

Einzelfallbeschreibungen: »Wie stellst du dir eine friedliche Welt vor?«

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Abbildung 14: Lukas – Zm9k2: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt

Sonne ist rot. (.) Und, ähm, dann gibts nur noch Krieg, weil die dann alle, damit ein Land quasi die Welt erobert, das wollen die dann alle sicher. Damit die dann eben im Besitz der Erde sterben.« (LUKAS_Im9k2, Pos. 28)

Auch als, abgesehen von der Zeichnung, Krieg innerhalb des Interviews zur Sprache kommt, argumentiert Lukas mit Eroberungen als Kriegsursache. Für die Lösung solcher Konflikte hat er daraufhin eine pragmatische Lösung: »Zum Beispiel, dass jeder ein Viertel der Welt kriegt. [lacht]« (LUKAS_Im9k2, Pos. 50). Er selbst hat in einem berichteten Streit mit einem Schulkameraden zur Lösung eine Lehrerin zu Rate gezogen, erzählt aber, dass er sehr selten mit jemandem streiten würde.892 Auf weltweite Begebenheiten bezogen ist Lukas der Meinung, es sei relevant, »dass wir uns alle auf eine Seite einigen« (LUKAS_Im9k2, Pos. 160) und definiert in diesem Sinne Frieden abschließend ausgehend von seinen persönlichen Erfahrungen: »(..) Ich stell mir eine friedliche Welt so vor im Prinzip glaub ich, dass, ähm, (..) halt alles friedlich ist, weißt du? Dass es in der Früh zum Beispiel, wenn, ähm, welche noch schlafen wollen, aber die anderen voll die Frühaufsteher sind, dass dann die Frühaufsteher leise sind, dass es keine Konflikte gibt, dass die noch schlafen wollen.« (LUKAS_Im9k2, Pos. 162) 892 »Ein bestimmter Streit [flüsternd]. (..) Ich hab nicht so oft gestritten. Da gibts glaub ich nur drei Stück, aber davon ist keiner wirklich besonders schlimm.« (LUKAS_Im9k2, Pos. 78).

242

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

9.1.12 Marius: »Und dass Menschen halt auch nicht die Welt kaputt machen.« Marius (m10ev) ist Viertklässler und nimmt am evangelischen Religionsunterricht teil. Der Zehnjährige hat eine ältere Stiefschwester (18 Jahre alt) und einen Halbbruder (19 Jahre alt). Er lebt bei seiner Mutter. Zu Beginn der Erhebung der Zeichnungen wirkt er direkt aufgeweckt und muss ermahnt werden. Im Laufe des Zeichenprozesses wird er allerdings immer konzentrierter und scheint sich der Aufgabe mit größter Mühe zu widmen.

Abbildung 15: Marius – Zm10ev: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt

Er hat mit der unteren, ursprünglich unfriedlichen Bildseite begonnen und im Laufe des Zeichenprozesses laut gesagt: »Ich glaube, das ist doch meine liebe Welt.« Er hat sich also während des Zeichnens umentschieden, was genau er aufs Papier bringen möchte und erklärt dazu: »Weil ich halt gemacht hab, dass, ähm, (.) dann ich traurig bin, weil ich der einzige Mensch auf der Welt bin. Und, ähm,

Einzelfallbeschreibungen: »Wie stellst du dir eine friedliche Welt vor?«

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dann aber, weil die, äh, lieb waren, hab ich mir gedacht, hab ich mich dann doch umgesch/ umentschieden.« (MARIUS_Im10ev, Pos. 18). Er hat sich auf der (letztlich) friedlichen Bildseite also selbst gezeichnet. Er selbst spricht davon, dass sich seine Zeichnung durch »ein bisschen Fantasie« (MARIUS_Im10ev, Pos. 2) auszeichnet893, bezieht die Darstellung aber auch auf sich und sagt, dass er selbst die unfriedliche Welt mit Krieg nicht haben wolle.894 Seine fantasievolle Zeichnung habe er so angefertigt, weil es ja langweilig sei, immer nur Menschen zu malen (MARIUS_Im10ev, Pos. 24). Marius berichtet im Laufe des Interviews von einem Streit, den er aufgrund von Angeberei eines anderen Jungen im Hort hatte. Er sagt dazu, dass sie sich nicht richtig vertragen hätten, aber mittlerweile Freunde geworden seien, sodass Marius auch einschreitet und seinen neuen Freund verteidigt: »Weil einmal, äh, waren (.) auch andere drei Kinder, die haben ihn halt geärgert und dann hab ich ihm gesagt, äh, hab ich ihnen gesagt, dass sie aufhören sollen, ihn zu ärgern.« (MARIUS_Im10ev, Pos. 40) Bei anschließenden Nachfragen, was er für mehr Frieden in seinem Leben leisten könne, nennt der Viertklässler passend dazu folgenden Aspekt: »Und wenn Streit ist oder wenn ich einen sehe, nicht gleich dazwischen gehen, sondern vielleicht eine Lehrerin holen oder so. Oder wenn mich jemand schlägt oder so, nicht einfach draufschlagen, sondern zur Lehrerin gehen oder so, zur Horterzieherin.« (MARIUS_Im10ev, Pos. 138).

Und auch friedenstiftendes Handeln erkennt Marius dann, wenn sich Menschen füreinander einsetzen, und nennt das Beispiel von berühmten Personen (Sängern), die für andere spenden (vgl. MARIUS_Im10ev, Pos. 130). Aber auch der Aspekt des Umweltschutzes spielt in Marius Vorstellung von Frieden eine große Rolle. So thematisiert er sie in Bezug auf Frieden im Unterricht (vgl. MARIUS_Im10ev, Pos. 98–102), aber auch in seiner abschließenden Friedensdefinition: »Und dass Menschen halt auch nicht die Welt kaputt machen, wie (.) ähm, Plastik überall hinwerfen oder (.) dass Flugzeuge jeden Tag oder so fliegen, weil es ja beim Klima auch sehr, ja.« (MARIUS_Im10ev, Pos. 152).

893 Es ist zu erwähnen, dass Marius nach dem Interview auf Nachfrage erzählt hat, weshalb er Pommes Frites gezeichnet hat. Dies geht auf ein zur Zeit der Interviews sehr bekannte Videos der Plattform YouTube zurück, in denen von einem jungen Mann mit Tourette-Syndrom lautstark ›Pommes‹ gerufen wird. Dieses Rufen hat Marius bereits vor der Erhebung häufig imitiert. Vgl. hierzu: »Gewitter im Kopf – Leben mit Tourette«. https://www.youtube.com /channel/UCh2Nc3OwjSwuXrUdFNXqFbQ (aufgerufen am 31. 03. 2021). 894 »Äh. Also, des ist die Welt, die ich nicht haben will, dass man Krieg hat.« (MARIUS_Im10ev, Pos. 20).

244

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

9.1.13 Nina: »Dass man nicht schädlich ist für die Welt.« Nina (w9k2) besucht die vierte Klasse und den katholischen Religionsunterricht. Die Neunjährige hat eine zehnjährige Halbschwester und eine vier Jahre alte Schwester, mit denen sie bei ihrer Mutter lebt. Im Zeichenprozess fällt auf, dass sie sich mit großer Mühe und Sorgfalt ihrem Bild widmet. Nach circa zwei Minuten dreht sie das Blatt um und beginnt auf der Rückseite eine neue Zeichnung. Letztendlich entsteht folgende motivreiche Abbildung von Ninas Vorstellungen einer friedlichen bzw. unfriedlichen Welt.

Abbildung 16: Nina – Zw9k2: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt

Im Interview erklärt Nina auch ausführlich die Bedeutung ihrer Zeichnung, in der sie vor allem auf die Faktoren der Umweltverschmutzung durch die Menschen895 und gewaltvolle Auseinandersetzungen896 darstellt. Sie selbst macht auch an einigen Stellen deutlich, dass sie gegen derartige Faktoren wirken möchte – so wie das Mädchen auf der linken Bildseite, das einer armen Person etwas zu essen 895 Vgl. z. B. »Hm. Hier hab ich als, weil ich mag nicht, wenn Rauchen, weil ich hab auch erklärt, dass da sehr viele Stücke sind. Man konnte sie, wenn man schon raucht, dann tut man sie bitte in den Mülleimer.« (NINA_Iw9k2, Pos. 28). 896 Vgl. z. B. »Und ich hab schon an die Kinder da gedacht, mehr und mehr Menschen werden dann getötet und ich mags nicht, wenn man Menschen tötet. Ich glaub, die möchten noch sein Lebensende leben.« (NINA_Iw9k2, Pos. 32).

Einzelfallbeschreibungen: »Wie stellst du dir eine friedliche Welt vor?«

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gibt. Das Mädchen berichtet aber auch davon, dass Gleichaltrige ihren Einsatz nicht unterstützen möchten: »Die ganze Zeit sprech ich/ die ganze/ die ganze Zeit an, sage: »Hey, was soll das denn?« Die so: »Egal. Des ist doch kein Ding.« »Nichts, des ist doch da und da.« Ich sage: »Schmeiß es doch in die Müll.« Und dann rennt er einfach weg und dann hab ich einfach aufgegeben, weil manchmal tun mich auch sagen: »Müllsammlerin, Müllsammlerin«, obwohl ich eigentlich/ [….] Hab ich gesagt: ›Jetzt reichts!‹« (NINA_Iw9k2, Pos. 42–44)

Ihren Wunsch und ihre Bereitschaft, sich gegen Ungerechtigkeiten einzusetzen, zeigt Nina ebenfalls, als sie von einer Kindersitzung spricht, in der auch Kinder mitsprechen dürfen.897 Sie berichtet hier von Missständen (vgl. NINA_Iw9k2, Pos. 86) und plädiert dafür, diese zu beseitigen. Hierfür nennt sie auch einen deutlichen Grund: »Wir brauchen Frieden.« (NINA_Iw9k2, Pos. 86). Im Gegensatz zu Ninas Äußerungen zu weltweiten Friedens- und Unfriedensphänomenen, äußert sich die Viertklässlerin zu Frieden in ihrem persönlichen Umfeld recht wenig. So erzählt sie beispielsweise weder von Erlebnissen in ihrer Familie noch von einem Gefühl der Zufriedenheit.898 Stattdessen berichtet sie von der Zeit, als ihr Hund verstorben ist (vgl. NINA_Iw9k2, Pos. 108–110). Dennoch hat Nina auch Erfahrungen mit Frieden im eigenen Umfeld. So berichtet sie sofort in Hinblick auf Personen, die Frieden stiften, von ihrer Freundin Paula, die so nett sei und immer »[p]robiert auch des Beste zu machen.« (NINA_Iw9k2, Pos. 184). Und für Nina ist wohl genau dieses Verhalten förderlich für ein friedliches Leben, das sie folgendermaßen zusammenfasst: »Hm [lacht]. Dass man nicht schädlich ist für die Welt.« (NINA_Iw9k2, Pos. 198).

9.1.14 Oliver: »[D]ass die Welt wieder schön wird und das ganze Plastik wegkommt.« Oliver (m9ev2) ist neun Jahre alt und besucht die dritte Klasse. Er ist evangelisch getauft und nimmt am entsprechenden Religionsunterricht teil. Er hat einen zweijährigen Bruder, von dem er auch im Interview erzählt. Insgesamt wirkt er der Situation gegenüber aufgeschlossen und scheint wenig aufgeregt. Der Zeichnung widmet er sich mit Sorgfalt. Olivers friedliche Bildseite zeigt ihn selbst

897 »Weil wir/ gäbs so eine Kindersitzung, hätte ich mich richtig bef/ bin ich dahin gerannt, hätte ich gesagt [spricht sehr schnell]: »So geht des nicht weiter. Wir müssen echt jetzt dringend die Welt verändern.« [spricht mit erhobener Stimme] [lacht]« (NINA_Iw9k2, Pos. 80). 898 I: »Gibts vielleicht so eine Gelegenheit jetzt auch in der letzten Woche/« N: »Nö.« I: »Oder so, wo du besonders zufrieden warst/« N: »Nö.« I: »Mit dir s/ äh, wo a/ wo du alleine warst?« N: »Nö. [lacht]« (NINA_Iw9k2, Pos. 131–136).

246

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

(»Da bin ich auf der Schaukel. [lacht]« (OLIVER_Im9ev2, Pos. 12)) auf einer roten Schaukel, mit blauem Himmel und einer grünen Wiese. Demgegenüber steht auf der unfriedlichen Bildseite ein Panzer in grauer Farbe. Auf der gesamten Bildseite wurde nur diese Farbe verwendet, was bei der Betrachtung – gerade im Vergleich – auffallend ist.

Abbildung 17: Oliver – Zm9ev2: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt

Der Panzer sei »blöd« (OLIVER_Im9ev2, Pos. 6), weshalb er auch klar auf »[d]ie dumme. Die blöde /« (OLIVER_Im9ev2, Pos. 8) Seite gehöre. Er verbindet den Panzer mit Krieg und äußert Unverständnis gegenüber möglichen Kriegsgründen. Der Neunjährige vergleicht dabei kriegerische Auseinandersetzungen mit dem ihm bekannten Phänomen des Streitens: I: »kannst du dir vorstellen, warum so ein / warum so Menschen irgendwie Krieg machen?« […] O: »Macht ja gar keinen Sinn. [laut]« I: »Wieso nicht? /« O: »Finde ich. Hm. [.] Hm. [..] Äh, weil / weil Kinder, die streiten sich ja nur und nach einem Tag ist es wieder vorbei. Hm.« (OLIVER_Im9ev2, Pos. 21–26)

Von sich selbst erzählt er, dass er lediglich mit seinem kleinen Bruder streiten würde, eine solche Auseinandersetzung aber nicht lang anhalte, denn sie »[g]eht halt einfach wieder weg.« (OLIVER_Im9ev2, Pos. 114). Bezüglich eines Zusammenhangs von Frieden und Religion äußert sich Oliver zunächst, dass die Reli-

Einzelfallbeschreibungen: »Wie stellst du dir eine friedliche Welt vor?«

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gionen sich streiten würden.899 Er nimmt diese Aussage aber wieder zurück und negiert einen Zusammenhang.900 Dennoch nennt er als friedenstiftende Person Jesus, ist sich aber auch hier nicht sicher: I: »Und, ähm, [.] kennst du denn vielleicht Menschen, die was/ äh, die deiner Meinung nach was gemacht haben, äh, was mehr Frieden in die Welt gebracht hat?« O: »Jesus.« I: »Jesus? Was hat der denn gemacht?/« O: »Oder ich weiß nicht. Nein, doch nicht. Keine Ahnung.« (OLIVER_Im9ev2, Pos. 181–184)

Auch Oliver stellt den Aspekt des Umweltschutzes zu Ende des Interviews in besonderer Weise heraus. Zunächst nennt er in einer zusammenfassenden Klärung seiner Vorstellung von Frieden »Kein Krieg« (OLIVER_Im9ev2, Pos. 262) als Voraussetzung. Daran anschließend erklärt er die Relevanz der Verminderung von Plastik und erklärt diese mit den sonstigen tödlichen Folgen für Tiere: O: »[..] Ja, und stimmt, äh, da/ dass es/ dass die Welt wieder schön wird und das ganze Plastik wegkommt.« I: »Hm. Warum ist dir das wichtig?« O: »Weil sonst die Tiere aussterben im Meer.« I: »Hm.« O: »Hm. Und wenn der/ wenn der Meeresspiegel steigt, dann auf afrikanischen Inseln oder pazifischen oder, keine Ahnung, da sind ja auch ganz viele Tiere.« (OLIVER_Im9ev2, Pos. 266–270).

9.1.15 Paula: »[E]s kann zwar Streit geben, aber halt nicht so viel.« Die zehnjährige Paula (w10b2) besucht gemeinsam mit Nina die vierte Klasse und freiwillig den katholischen Religionsunterricht, getauft ist sie nicht. Sie hat keine Geschwister und lebt bei ihren Eltern. Während der Zeichensituation wirkt sie zunächst sehr konzentriert, im Interview entsteht aber der Eindruck, dass sie aufgeregt und unsicher ist. Trotz Bemühungen, die Situation aufzulockern und ihr die Unsicherheit zu nehmen, antwortet sie häufig, dass sie keine Antwort wisse. Auch auf die Betonung der Tatsache, dass es keine falschen Antworten gäbe, ändert sich dies nicht. Dennoch berichtet sie von einigen relevanten Aspekten, die in der allgemeinen Betrachtung der Vorstellungen der Kinder eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Es scheint, als gäbe es manche Frage – vor allem

899 »Weil sich die Religionen streiten halt.« (OLIVER_Im9ev2, Pos. 148). 900 »Nein, ich meinte/ ich hab gedacht, äh, zwei Länder, die sich halt streiten.« (OLIVER_ Im9ev2, Pos. 154).

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Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

am Anfang des Interviews – mit der sie sich unwohl gefühlt hat. Exemplarisch ist dies aufzuzeigen an folgendem Ausschnitt im Kontext ihrer Zeichnung: I: »Würdest du / also was verbindest du denn mit so einem Picknick? Hast du das schonmal gemacht, oder?« P: »[..] Hm. […] Ähm. […]« I: »Oder was hast du so für Gefühle, wenn du an so ein Picknick auf so einer Wiese denkst?« P: »[.] Also es ist schön.« I: »Hm.« P: »[..] Ja.« I: »[lacht]« P: »Halt.« (PAULA_Iw10b2, Pos. 7–14)

Paulas Zeichnung zeigt zwei Situationen in der gleichen Bildszene.

Abbildung 18: Paula – Zw10b2: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt

Verschiedene Personen picknicken gemeinsam, auf der unfriedlichen, rechten Bildseite entsteht ein Streit, weshalb auch Gewalt angewandt wird (Bildtext: »Es prügeln 2 und streiten sich.«). Letztlich betitelt sie diese Situation mit dem Wort »Krieg«. Über Kriegsursachen oder Lösungsmöglichkeiten ist sich die Viertklässlerin nicht im Klaren und sagt dazu selbst: »Also ich hab das ja noch nie erlebt.« (PAULA_Iw10b2, Pos. 32). Von einem selbst erlebten Streit mit einer Klassenkameradin berichtet Paula, dessen Resultat die aufkommende Freund-

Ergebnisbericht I: Kategorienbasierte Auswertung der Zeichnungen

249

schaft und gegenseitige Besuche waren: »Also. Wir waren da halt noch nicht Freundinnen und da bin ich entweder zu ihr oder sie zu mir. Und dann, ja.« (PAULA_Iw10b2, Pos. 62). Ebenfalls zusammenhängend mit interpersonalen Konflikten ist Paulas abschließende Zusammenfassung ihrer Vorstellung von Frieden, in der sie Streit aber eine gewisse Legitimität zuspricht: »[.] Also, dass sich alle gut verstehen. Nett sind. [.] Und, es kann zwar Streit geben, aber halt nicht so viel. [..] Ja.« (PAULA_Iw10b2, Pos. 116).

9.2

Ergebnisbericht I: Kategorienbasierte Auswertung der Zeichnungen

Im Auswertungsprozess war die Entscheidung zu fällen, wie mit den zwei unterschiedlichen Methoden – nonverbal und verbal – umgegangen werden kann. Triangulation bietet sich, wie bereits ausführlich beschrieben, an, um zu erforschende Sachverhalte von verschiedenen Seiten aus zu betrachten.901 Jedoch sollte eine gute Verschränkung innerhalb der Analyse der unterschiedlichen Datensätze angestrebt werden. Dies wurde zum einen durch die Thematisierung des Gezeichneten in den Interviews erreicht.902 Zudem geschieht auch die kategorienbasierte Betrachtung der Zeichnungen unter Rückgriff auf die Äußerungen und Erläuterungen der Bildmotive. Es wird demnach angestrebt, dem interpretativen Zeichnungsanalyseprozess durch den Einbezug und die Auswertung zugehöriger Interviewsequenzen zusätzliche Transparenz zu verleihen.

9.2.1 Vergleichende Analyse der Motivwahl Wie drücken die Kinder ihre Vorstellungen von Frieden und Unfrieden zeichnerisch aus? Wie beschreiben und begründen sie ihre Motivwahl? Diesen Fragen widmet sich die Codierung der Kinderzeichnungen und der zugehörigen Erklärungen innerhalb der Interviews. Mehrperspektivisch werden die Vorstellungen der Kinder – nicht nur ausgehend vom gesprochenen Wort – sondern eben auch ausgehend von der ästhetischen Ausdrucksdimension innerhalb der Zeichnungen betrachtet und analysiert. Die Auswertung der Kin901 Vgl. Kapitel 7.2.1. 902 Die Zeichnungen dienen in den Interviews als Erzählstimulus (vgl. Kapitel 7.3.1). Innerhalb der Auswertung der Interviews können demnach die Äußerungen zum Gezeichneten Raum einnehmen.

250

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

derzeichnungen erfolgte mithilfe des Kategoriensystems903, anhand dessen in den 15 Zeichnungen insgesamt 388 Codierungen getätigt werden konnten.904 Die Bilder der Kinder, die ein ›Leben in einer friedlichen Welt‹ darstellen, weisen insgesamt 71 Codierungen auf. Die Bilder der Kinder, die ein ›Leben in einer unfriedlichen Welt‹ darstellen, weisen insgesamt 99 Codierungen auf. Die folgende Tabelle zeigt die Häufigkeiten der Codierungen der Hauptkategorien im Zusammenhang mit der Anzahl der Dokumente, in denen die Bildelemente vorzufinden sind. Dementsprechend sind beispielsweise 19 Personen in zehn Zeichnungen von einer friedlichen Welt abgebildet:

Insgesamt

Leben in einer friedlichen Welt Anzahl der Codierungen / Anzahl der Dokumente (n=15) 71 / 15

Leben in einer unfriedlichen Welt Anzahl der Codierungen / Anzahl der Dokumente (n=15) 99 / 15

Naturdarstellungen Personendarstellungen

36 / 12 19 / 10

23 / 11 26 / 10

Gebäude Fahrzeuge

11 / 5 1/1

14 / 6 10 / 8

Weitere Gegenstände Sonstiges

4/4 5/4

21 / 10 9/5

Tabelle 8: Bildmotive: Häufigkeiten der Codierungen im Zusammenhang mit der Anzahl der Dokumente

Eine erste Tendenz zeigt sich in dieser quantitativen Betrachtung bereits, wenn zum Beispiel sichtbar wird, dass auf den unfriedlichen Bildseiten mehr Personen (26 in 10 Zeichnungen) dargestellt sind als auf den friedlichen (19 in 10 Zeichnungen). Besonders deutlich wird der Unterschied in der Häufigkeit der Darstellung von Gegenständen, zu denen auf der unfriedlichen Bildseite auch Waffen gehören. Eine genauere qualitative Untersuchung ist möglich, indem die Kategorien im Einzelnen beschrieben und analysiert werden. Im Folgenden werden dementsprechend die Hauptkategorien der Zeichnungen beschreibend dargelegt und miteinander in Beziehung gesetzt. Ein solcher Vergleich lässt auf relevante Aspekte hinsichtlich der Motivwahl und -darstellung schließen, die durch die Aussagen der Studienteilnehmenden innerhalb der Interviews ergänzt, konkretisiert und in Hinblick auf die Forschungsfragen strukturiert analysiert werden können.

903 Vgl. Kapitel 8.4.2. 904 Codierungen innerhalb der Bildmotive, ausgenommen der Äußerungen innerhalb der Interviews.

Ergebnisbericht I: Kategorienbasierte Auswertung der Zeichnungen

251

9.2.1.1 Naturdarstellungen Auffällig in den Zeichnungen zum Leben in einer friedlichen Welt ist zunächst die Häufigkeit der Naturdarstellungen, die wiederum in Tiere, Wetter und Pflanzen eingeteilt wurden. Die insgesamt 36 codierten Motive finden sich in zwölf der 15 Kinderzeichnungen wieder. In die Unterkategorie Tiere fallen fünf, zum Wetter elf und zu den Pflanzen 20 Codierungen. Am häufigsten gezeichnet wurden also Pflanzendarstellungen, die von den Kindern in unterschiedlicher Weise abgebildet wurden. Meist finden sich diese Motive in Form einer grünen Grasfläche auf der Bodenlinie/-fläche der Zeichnungen. In manchen Fällen wird die Wiese noch durch Blumen ergänzt (beispielsweise in den Zeichnungen von Aaron, Bea und Clara). Derartige Abbildungen lassen sich als klassisch für Zeichnungen im mittleren Kindesalter betrachten905, sind aber vor allem im Vergleich mit der unfriedlichen Bildseite von Bedeutung. Hier gibt es nur acht Codierungen, die Pflanzen betreffen, von denen fünf eine Bodenlinie abbilden. Auffällig ist, dass diese Bildelemente in manchen Fällen dunkelgrün schraffiert wurden, während für die Grasflächen auf der friedlichen Bildseite in hellem Grün gezeichnet sind.906 Neben Blumen wurden innerhalb dieser Kategorie Bäume dargestellt. Deutlich wird die Relevanz dieser Motivwahl besonders im Vergleich. Beispielsweise Bea zeichnete auf die friedliche Bildseite einen großen Baum mit einem Vogelnest, den sie auf der unfriedlichen Bildseite zwar ebenfalls darstellt – dort aber viel kleiner und zur Seite geneigt:

905 Vgl. Kapitel 7.3.1. 906 Näheres hierzu wird in Kapitel 9.2.2 konkretisiert.

252

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

Leben in einer friedlichen Welt Baumdarstellung mit Tieren über die gesamte Bildseite (ca. 15 cm groß)

Leben in einer unfriedlichen Welt Baumdarstellung (geknickt und ohne Tiere) am unteren Bildrand (ca. 2 cm groß)

Tabelle 9: Vergleich der Baumdarstellungen von Bea (Zw9m)

Diese Abbildung zeigt, dass auf der unfriedlichen Bildseite Gefahr für die Pflanzen besteht. Beas Baum ist klein und gebeugt, in Ninas (Zw9k2) Zeichnung ist ein Baum dargestellt, der gefällt wird. Prägnant in diesem Zusammenhang ist das Motiv, das Franziska (Zw10b1) gewählt hat. Dort findet sich eine kleine hellgrüne Pflanze unter einem Glas, die sie im Interview als »letzte überlebende Pflanze« (FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 34) bezeichnet. Interessanterweise haben alle fünf Kinder, die Tiere im Leben in einer friedlichen Welt gezeichnet haben, Vögel dargestellt. Diese wurden entweder ausgestaltet (wie im Fall von Bea, Clara und Dennis) oder in der typischen Wellenform abstrahiert (Henri und Karl). Im Gegensatz dazu findet sich in den unfriedlichen Bildseiten keine Vogeldarstellung. Lediglich zwei Kinder haben Tiere in das Leben in einer unfriedlichen Welt eingebaut. Franziska (Zw10b1) stellte einen liegenden Hasen dar, der durch eine Bombe bedroht wird. Nina (Zw9k2) zeichnete ebenfalls ein hasenähnliches Tier, zu dem sie den Schriftzug »+ Gewehr = Tot« hinzugefügt hat. Die Tierdarstellungen der unfriedlichen Bildseiten werden also – ähnlich wie die Pflanzendarstellungen – bedroht, was den Kontrast zu den freien Vögeln der friedlichen Bildseiten unterstreicht. Bezüglich der Wetterdarstellungen wurden alle Bildelemente codiert, die sich im gezeichneten Himmel wiederfinden. Das betrifft innerhalb der elf Codierungen im Leben in einer friedlichen Welt sowohl die Zeichnung von Sonnen als auch blaue Schraffierungen, die den Himmel abbilden. Eine (kind-)typische

Ergebnisbericht I: Kategorienbasierte Auswertung der Zeichnungen

253

Darstellung einer gelben Sonne (teilweise mit anthropomorphen Elementen) findet sich in neun Zeichnungen wieder. Ergänzt wird diese in manchen Fällen durch eine (blaue) Himmelsfläche oder -linie, teilweise durchzogen von weißen oder blauen Wolken. Die zwölf Wetterdarstellungen der unfriedlichen Bildseite, die in neun Zeichnungen codiert wurden, zeigen einen starken Gegensatz zum Sonnenschein der friedlichen Bilder. Zum einen finden sich abgebildete Gewitterszenarien mit Blitzen und dunklen, grauen Wolken. Zum anderen lassen sich auch in dieser Kategorie Unterschiede in der Farbwahl feststellen. Während im Friedensbild teilweise helle Blautöne verwendet wurden, sind die Himmelslinien/-flächen im Unfrieden in dunklem Blau, grau oder auch schwarz gezeichnet worden.907 Leben in einer friedlichen Welt Wetterdarstellungen

Leben in einer unfriedlichen Welt Wetterdarstellungen

Blau-violetter Himmel mit einer Sonne (Henri, Zm9k1)

Dunkelgrüner Himmel mit Gewitter (Henri, Zm9k1)

907 Näheres hierzu wird in Kapitel 9.2.2 konkretisiert.

254

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

(Fortsetzung) Leben in einer friedlichen Welt Wetterdarstellungen

Leben in einer unfriedlichen Welt Wetterdarstellungen

Blaue Wolken und eine Sonne (Bea, Zw9m)

Blaue Wolken mit anthropomorphen Elementen (Bea, Zw9m)

Blau schraffierte Himmelsfläche mit weißen Wolken (Georg, Zm9ev1)

Dunkelblaue Himmelsfläche (Georg, Zm9ev1) Tabelle 10: Vergleich unterschiedlicher Wetterdarstellungen

Hier bietet sich zudem ein exemplarischer Vergleich der Sonnendarstellungen an. In Paulas Zeichnung lächelt auf der friedlichen Bildseite eine gelbe Sonne auf die Szenerie hinunter, während die unfriedliche Bildseite durch eine ›traurig blickende‹ Sonne charakterisiert wird: Leben in einer friedlichen Welt Sonnendarstellung

Leben in einer unfriedlichen Welt Sonnendarstellung

Tabelle 11: Vergleich der Sonnendarstellungen von Paula (Zw10b2)

255

Ergebnisbericht I: Kategorienbasierte Auswertung der Zeichnungen

9.2.1.2 Personendarstellungen In zehn der 15 Zeichnungen vom Leben in einer friedlichen Welt wurden insgesamt 22 Personen, beziehungsweise figürliche Darstellungen908, codiert. Bei diesen Bildelementen bietet sich eine Betrachtung der Situation an, in der sich die Personen befinden. Diese lassen sich grob einteilen in (1) Beziehung zu weiteren Personen, (2) Selbstdarstellung und (3) sonstige Handlungen. (1) Beziehung zu weiteren Personen

(2) Selbstdarstellung

(3) Sonstige Handlungen

Zeichnung von sich selbst Eine lächelnde Person Zwei Personen reichen sich die (Marius, Zm10ev) (Lukas, Zm9k2) Hände (Emil, Zm10k2) Tabelle 12: Beispiele für unterschiedliche Personendarstellung im Leben in einer friedlichen Welt

Zu (1) Beziehung zu weiteren Personen Einige Probandinnen und Probanden haben Figuren gezeichnet, die sich an den Händen halten. Auch finden sich die Personen in der gleichen Handlungssituation wieder, wenn sie beispielsweise gemeinsam auf einer Picknickdecke sitzen (Paula Zw10b2). Drei der Zeichnungen zeigen einen Dialog zwischen den abgebildeten Figuren.909 So hat Georg die freundliche Kommunikation seiner zwei Akteure durch Sprechblasen dargestellt (»Hey, was machst du denn?« – »Ich gehe einkaufen und gehe heute schwimmen.«). In Janas Zeichnung stellen sich 908 Einen Spezialfall stellt diesbezüglich die Zeichnung von Marius (Zm10ev) dar. Die anthropomorph dargestellten Pommes Frites und die Pizza wurden ebenfalls als ›Personen‹ codiert. 909 Näheres hierzu wird in Kapitel 9.2.3 konkretisiert.

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Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

zwei Kinder einander vor und vereinbaren ein gemeinsames Spiel (»Hallo, ich bin Finn.« – »Hallo, ich bin Nele« – »Wollen wir Fußball spielen?« – »Ja.«). Nina hingegen hat ebenfalls durch eine Sprechblase eine Situation abgebildet, in der eine Person eine andere um Essen bittet. Zu (2) Selbstdarstellung Einige Kinder haben sich auf der friedlichen Bildseite selbst gezeichnet und dies im Interview erklärt. Henri (Zm9k1) malte sich bei einem Spaziergang zu seinem Freund und Oliver (Zm9ev2) hat sich selbst auf einer Schaukel sitzend gezeichnet. Marius (Zm10ev) hat sich selbst mit einem Smartphone in der Hand abgebildet. Im Gegensatz dazu findet sich in den Bildern des Lebens in einer unfriedlichen Welt keine Darstellung der Kinder selbst wieder. Zu (3) Sonstige Handlungen Unter sonstige Handlungen werden Personendarstellungen gefasst, in denen sich die Figuren in keiner konkreten Aktion und keiner Beziehung zu anderen Abbildungen befinden. Zum Beispiel stehen in der Zeichnung von Emil (Zm10k2) zwei Personen zwischen Häusern, in der von Lukas (Zm9k2) befindet sich eine lächelnde Figur neben einem Baum. Die Zeichnungen vom Leben in einer unfriedlichen Welt weisen mehr Codierungen von figürlichen Darstellungen auf. Insgesamt sind in zehn Bildern 27 Personen dargestellt, die sich in unterschiedlichen (Handlungs-)Situationen befinden. Es zeigt sich, wie gesagt, dass die obige Kategorie der Selbstdarstellung in keiner der unfriedlichen Bildseite angewandt werden konnte. Auch stehen die gezeichneten Personen nie in einer positiven Beziehung zueinander. Vielmehr konnte die Einteilung der Personenmotive um Handlungen gegen andere Figuren erweitert werden. Vermehrt lassen sich gewaltvolle Handlungen wie der Einsatz von Waffen erkennen, die von den Kindern gezeichnet wurden. Zudem sind in einigen Fällen verletzte oder durch gewaltvolle Handlungen verstorbene Personen gezeichnet worden. Beispiele bietet Tabelle 13:

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Ergebnisbericht I: Kategorienbasierte Auswertung der Zeichnungen

Handlungen gegen Erleiden von Gewalt weitere Figuren

Sonstige Handlungen

Eine Person richtet Eine Person liegt (verletzt/verstorben) auf dem Eine fliegende eine Waffe gegen Boden (Clara, Zw9k1) Person (Franziseine andere ka, Zw10b1) (Emil, Zm10k2) Tabelle 13: Beispiele für unterschiedliche Personendarstellungen im Leben in einer unfriedlichen Welt

Zu (1) Handlungen gegen weitere Figuren Innerhalb der Zeichnungen werden unterschiedliche Handlungen gegen weitere Figuren abgebildet. Einerseits weisen diese Motive auf, die wie in Emils Zeichnung sichtbar, Waffen gegen weitere Personen richten. Andererseits stellten einige Probandinnen und Probanden Streit- beziehungsweise Konfliktsituationen dar, in denen die abgebildeten Personen in einem Dialog miteinander stehen (vgl. z. B. die Zeichnung von Jana, Zw9b). Demgegenüber stehen weitere Streitabbildungen, die im Bild nicht als solche zu erkennen sind, von den Kindern im Interview aber als solche betitelt werden.910 Die gezeichneten Konflikte sind nicht auf den ersten Blick als Handlungen gegen weitere Personen ersichtlich, allerdings lassen sich in den gezeichneten Dialogen Beleidigungen und Diffamierungen ausmachen.911 Zu (2) Erleiden von Gewalt Aus der Darstellung von gewaltvollen Handlungen ergibt sich auch die zugehörige Darstellung von Personen, die diese Gewalt erleiden. Die Probandinnen und Probanden haben sich unterschiedlicher Möglichkeiten bedient, dies abzubilden. Beispielsweise zeigt sich innerhalb der gezeichneten Dialoge, dass dort dem Erleiden von Beleidigungen mit weiteren Herabwürdigungen begegnet wird. Ersichtlich wird dies innerhalb Georgs Zeichnung (Zm9ev1), in der zwei Menschen sich gegenseitig beleidigen.

910 Vgl. die Zeichnung von Paula, Zw10b2: »Also. Die wollten auch picknicken, aber [.] äh, warte. [..] Äh. [..] Und dann haben sie halt einen Streit angefangen. So.« (PAULA_Iw10b2, Pos. 16). 911 Vgl. die Zeichnung von Georg – Zm9ev1 mit dem dort abgebildeten Text: »Du bist dumm.«

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Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

Wie Tabelle 14 zeigt, haben die Kinder aber auch Folgen physischer Gewalt abgebildet. Sichtbar ist dies beispielsweise in Dennis’ Zeichnung einer angeschossenen Person (Zm10k1). Verdeutlicht haben die Zeichnerinnen und Zeichner das Erleiden von Gewalt teilweise durch verschiedene Gesichtsausdrücke der Personen. Klassisch lässt sich hier die Abbildung von heruntergezogenen Mundwinkeln beobachten, wie die folgenden zwei Beispiele zeigen: Leben in einer unfriedlichen Welt Erleiden von Gewalt (Personendarstellungen)

Eine Person erleidet körperliche Gewalt (Dennis, Zm10k1)

Eine Person befindet sich im Streit (Paula, Zw10b2)

Tabelle 14: Beispiele für die Darstellung von Personen, die Gewalt erleiden

Zu (3) Sonstige Handlungen Innerhalb der Personendarstellungen auf der unfriedlichen Bildseite lassen sich insgesamt nur wenige Figuren feststellen, die nicht in oben genannte Kategorien fallen. Viele der gezeichneten Personen sind entweder Ausführende oder Opfer von Gewalt oder Beteiligte an einem Konflikt. Lediglich zwei sonstige Handlungen lassen sich in den Zeichnungen von Franziska (Zw10b1) und Clara (Zw9k1) ausmachen. Erstere hat (unter anderem) eine Figur gezeichnet, die »versucht, die Bombe aufzuhalten, weil sie auf den Hasen fliegt.« (FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 42). In Claras Zeichnung befindet sich im Haus eine Person, die aus dem Fenster hinaus auf die gewaltvolle Situation blickt912, in der ein Mensch auf einen anderen 912 »Und der guckt so entsetzt aus dem Fenster raus.« (CLARA_Iw9k1, Pos. 52).

Ergebnisbericht I: Kategorienbasierte Auswertung der Zeichnungen

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schießt. Einerseits findet sich also in Franziskas Bild eine Person, die einem Tier zu Hilfe eilen möchte. Andererseits wird von Clara eine Beobachterperson dargestellt, die »entsetzt« (CLARA_Iw9k1, Pos. 52) ist von dem, was vor sich geht. Teils lässt sich feststellen, dass die Studienteilnehmenden, die bereits auf der friedlichen Bildseite Personen in bestimmten Situationen abgebildet haben, ähnliche Figuren auf die unfriedliche Bildseite gezeichnet haben. Eine Auffälligkeit findet sich diesbezüglich in zwei Zeichnungen: Leben in einer friedlichen Welt Personendarstellungen

Leben in einer unfriedlichen Welt Personendarstellungen

Zwei Schwestern reichen sich die Hände (Bea, Zw9m)

Eine Person erhebt die Hand gegen eine andere (Bea, Zw9m)

Zwei Kinder (Nele und Finn) stellen sich einander vor (Jana, Zw9b)

Zwei Kinder, die sich streiten (Jana, Zw9b)

Tabelle 15: Vergleich der Personendarstellungen von Bea (Zw9m) und Jana (Zw9b)

Die vergleichende Tabelle zeigt, dass Bea und Jana beide auf der friedlichen Bildseite jeweils mindestens ein Mädchen abgebildet haben, während sich augenscheinlich auf der unfriedlichen Seite Jungen miteinander im Streit befinden. Die Erklärungen im Interview bestätigen diese Beobachtung allerdings nicht: Bea spricht von zwei Schwestern913 auf der friedlichen und »Leuten«914 auf der un913 »Das hier ist die kleine Schwester mit dem blauen Hemd und, ähm, orangenen Hosen und die (.) große hier, die ist die große Schwester […]« (BEA_Iw9m, Pos. 5). 914 »Unfriedlich hab ich halt Leute gemalt, die sich schlagen […]« (BEA_Iw9m, Pos. 7).

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Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

friedlichen Seite. Diesen Leuten schreibt sie kein spezifisches Geschlecht zu. Auch Jana spricht bezüglich ihrer Darstellung eines Lebens in einer unfriedlichen Welt allgemein von Kindern915, während demgegenüber ein Mädchen und ein Junge in ihrer friedlichen Welt abgebildet sind. Im Zuge dessen fällt auf, dass von den insgesamt 15 Probandinnen und Probanden einzig Paula (Zw10b2) auf der unfriedlichen Bildseite deutlich erkennbar auch weibliche Personen abgebildet hat. An dieser Stelle gilt es allerdings zu betonen, dass in vielen Fällen vor allem Strichmännchen gezeichnet wurden, die sich keinem Geschlecht zuordnen lassen. Ob eine von den Kindern gewollte ›rein männliche‹ Konnotation der unfriedlichen Welt angestrebt wurde, ist demnach nicht erkennbar. Insgesamt lässt sich feststellen, dass auf den Bildern der friedlichen Welten sechs weibliche Personen (in vier verschiedenen Zeichnungen) abgebildet wurden, auf der unfriedlichen Seite drei (in einer Zeichnung). 9.2.1.3 Gebäude und Fahrzeuge Fünf Kinder bildeten Gebäude im Leben in einer friedlichen Welt ab, dabei sind insgesamt elf Codierungen getätigt worden. Bei den Gebäuden handelt es sich in fast allen Fällen um eine klassische (Wohn-)Hausdarstellung bestehend aus einem viereckigen Korpus und einem dreieckigen Dach. Aus den Interviews geht hervor, dass die Kinder den Gebäuden teilweise eine Funktion verleihen916 oder ihnen bekannte Häuser917 abbilden wollten. Vier der fünf Studienteilnehmenden, die auf der friedlichen Bildseite Gebäude abgebildet haben, wählten eine ähnliche Szenerie für die unfriedliche Bildseite. Von der friedlichen zur unfriedlichen Situation hat eine Veränderung stattgefunden, so zeichneten die Kinder beispielsweise die gleichen Häuser auf beiden Seiten – auf der unfriedlichen Seite aber zerstört.

915 »Also, ja, dass sich da zwei Kinder streiten […]« (JANA_Iw9b, Pos. 18). 916 Vgl. z. B.: »[…] beim Hochhaus, des/ da/ da ist/ sind hier Einkaufs- ähm – geschäfte […].« (GEORG_Im9ev1, Pos. 6). 917 Vgl. z. B.: »Des ist des Haus, wo wir drin wohnen« (HENRI_Im9k1, Pos. 2).

Ergebnisbericht I: Kategorienbasierte Auswertung der Zeichnungen

Leben in einer friedlichen Welt Hausdarstellung

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Leben in einer unfriedlichen Welt Hausdarstellung (destruiert)

Tabelle 16: Vergleich der Hausdarstellungen von Emil (Zm10k2)

Insgesamt lassen sich auf sechs unfriedlichen Bildseiten mit 14 Codierungen auch mehr Gebäude ausmachen als auf den friedlichen. Neben den parallelen Darstellungen der gleichen Häuser in unbeschadetem und demgegenüber destruiertem Zustand, sind in manchen Fällen auch dort Gebäude abgebildet, wo auf der friedlichen Seite keine Häuser oder Ähnliches gezeichnet wurden. So bildeten zwei Kinder Atomkraftwerke in ihrer Zeichnung vom Leben in einer unfriedlichen Welt ab (vgl. Franziska, Zw10b1 und Nina, Zw9k2). Auf den Zeichnungen, die Dennis (Zm10k1) von einem Leben in einer unfriedlichen Welt angefertigt hat, befinden sich zwei unterschiedliche Gebäude. Das obere Bild zeigt ein brennendes Hochhaus, während das untere Bild ein schwarz schraffiertes Gebäude am Rand eines Gewässers918 darstellt. Ein Sonderfall lässt sich im Bild von Georg (Zm9ev1) ausmachen. Der Neunjährige hat auf der friedlichen Bildseite ein Hochhaus gezeichnet, das sich auf der unfriedlichen Seite nicht

918 »Ich hab mir so gedacht, dass da irgendein Kriegsschiff (..) gegen/ also in die Nähe eines Hauses fährt und dann einfach feuert auf das Haus. Weil das/ das hab ich gemalt, weil ich mir dachte, es ist ja nicht friedlich, vom Wasser aus auf Häuser zu schießen, die am Wasser stehen.« (DENNIS_Im10k1, Pos. 46).

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Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

wiederfindet. Er konnotiert das Gebäude in der friedlichen Welt mit verschiedenen gemeinschaftlichen Aktivitäten, wenn er sagt: »[…] beim Hochhaus, des/ da/ da ist/ sind hier Einkaufs- ähm – geschäfte, die wohnen hier unten. (..) Der hier hier und der hier. Und hier (.) ist ein Autoparkplatz. (.) Und hier (.) sind (.) naja, hier ist eine Schule und hier weiß ich noch nicht.« (GEORG_Im9ev1, Pos. 6)

Auch in seiner Erklärung zur unfriedlichen Bildseite deutet sich der Gedanke der Destruktion von Gebäuden an, auch wenn er kein zerstörtes Haus gezeichnet hat: »Die haben das Haus gesprengt, weil (.) die jetzt sehr sauer aufeinander sind.« (GEORG_Im9ev1, Pos. 20). Innerhalb der 15 Zeichnungen findet sich auf der friedlichen Bildseite lediglich eine Darstellung eines Fahrzeuges, nämlich ein Fahrrad (bei Nina Zw9k2). Besonders auffällig ist im Vergleich, dass auf der unfriedlichen Bildseite insgesamt zehn Fahrzeuge in acht Zeichnungen vorzufinden sind. Dabei handelt es sich um ein Flugzeug (vgl. Henri Zm9k1), ein Schiff (vgl. Dennis Zm10k1), ein Auto (vgl. Nina Zw9k2) und sieben Panzerfahrzeuge. Letztere sind meist in gewaltvollen Situationen abgebildet, in denen sie auf andere Bildelemente schießen. Ähnlich verhält es sich bei dem Schiff, das Geschosse auf ein Haus an Land richtet, sowie bei dem Flugzeug, das mit »Militär« beschriftet wurde und auf ein, am Boden stehendes, Gebäude zufliegt. Panzerfahrzeuge

Ein schießender Panzer (Franziska, Zw10b1)

Ein brennender, schießender Panzer (Emil, Zm10k2)

Ergebnisbericht I: Kategorienbasierte Auswertung der Zeichnungen

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Flugzeug

Flugzeugdarstellung (Henri, Zm9k1) Schiff

Darstellung eines Kriegsschiffes (Dennis, Zm10k1) Tabelle 17: Beispiele der Fahrzeugdarstellung im Leben in einer unfriedlichen Welt

Es lässt sich also feststellen, dass vor allem militärisch genutzte Fahr- und Flugzeuge in den Darstellungen einer unfriedlichen Welt eine erhebliche Rolle spielen. Im Vergleich zur friedlichen Welt, in der solche Abbildungen nicht zu finden sind, ist dieser Faktor hervorzuheben. Diese Beobachtung deckt sich mit der Analyse der Personen, die auch auf der unfriedlichen Bildseite häufig in militärischen beziehungsweise bewaffneten Zustand gezeichnet wurden. Die Waffen werden innerhalb der folgenden Kategorie ›Gegenstände‹ noch genauer betrachtet. 9.2.1.4 Weitere Gegenstände und Sonstiges Zusätzlich zu den bisher beschriebenen Kategorien lassen sich zuletzt noch weitere Gegenstände und sonstige Darstellungen betrachten. Unter Gegenstände fallen dabei alle materiellen Abbildungen, wie auf den friedlichen Bildseiten beispielsweise ein Fußball (Jana Zw9b) oder ein Smartphone (Marius Zm10ev). Alle vier im Leben in einer friedlichen Welt derart codierten Bildelemente sind in Beziehung mit abgebildeten Personen zu stellen. So spielen in Janas Bild (Zw9b)

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Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

Kinder Fußball, die Person in Marius’ Bild (Zm10ev) hält das Smartphone in der Hand. In den Zeichnungen vom Leben in einer unfriedlichen Welt wurden innerhalb von zehn Zeichnungen insgesamt 21 Gegenstände codiert. Aufgrund der hohen Anzahl von 14 Waffen werden diese gesondert betrachtet. Die allgemeinen Gegenstände, die sich in den Bildern wiederfinden, stehen anders als auf der friedlichen Bildseite nicht im Kontext oder in Benutzung einer dargestellten Person. Vielmehr entwickeln die Gegenstände eine eigene Dynamik, indem durch sie individuelle Akzentsetzungen innerhalb der Zeichnungen erreicht werden. Vier Codierungen, die unter ›Gegenstände‹ gefasst wurden, finden sich auf Ninas Zeichnung (Zw9k2) und zeigen verschiedene Elemente, die mit Umweltverschmutzung sowie der Zerstörung von Natur in Verbindung gebracht werden können: Mülldarstellung »Das gefällt mir dann nicht. (.) Und mehr Müll wie beim Länder haben wir auch sehr viel Müll und die ganze Zeit/ die Hälfte des Welt/ nicht so die Hälfte, also ein Viertel, also kleine Teile, tun mehr Müll aufsammeln. Aber trotzdem gehts nicht in Mülleimer. (.)« (NINA_Iw9k2, Pos. 40)

Plastikdarstellung »Ich möchte, dass kein Plastik mehr auf de/ ich möchte nicht, dass mehr Plastik ist, weil Plastik tut dann immer in den Müll und dann werd die ganze Müll tut dann in ein anderes Land landen.« (NINA_Iw9k2Pos. 40)

Ergebnisbericht I: Kategorienbasierte Auswertung der Zeichnungen

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Zigarette »Hm. Hier hab ich als, weil ich mag nicht, wenn Rauchen, weil ich hab auch erklärt, dass da sehr viele Stücke sind. Man konnte sie, wenn man schon raucht, dann tut man sie bitte in den Mülleimer.« (NINA_Iw9k2, Pos. 28)

Säge: Fällen eines Baumes »Weil immer mehr/ weil mit B/ mit den Bäumen l/ leben wir, aber wenn mehr (.) mehr Bäume abgefällt werden, haben wir immer wie ein Stück Leben weg von uns.« (NINA_Iw9k2, Pos. 38)

Tabelle 18: Gegenstände im Leben in einer unfriedlichen Welt bei Nina (Zw9k2) mit zugehörigen Aussagen

Weitere Gegenstände in den Zeichnungen anderer Probandinnen und Probanden sind als Elemente innerhalb der Szenerie zu verstehen. So ist beispielsweise eine Picknickdecke in Paulas Zeichnung (Zw10b2) ein Teil der Situation, in der sich die Personen streiten. Der Grabstein im Bild von Karl (Zm8ev) spiegelt eine weitere Facette innerhalb der Vorstellung der Kinder wider: Die Verbindung von Unfrieden mit Sterben beziehungsweise dem Tod. Damit zusammenhängend können die Waffendarstellungen der Studienteilnehmenden genauer betrachtet werden. In den meisten Fällen wurden Schusswaffen gezeichnet, wobei auch Zeichnungen von Waffen der oben beschriebenen Panzer in diese Kategorie fallen. Es finden sich verschiedene Abbildungen, die zeigen, wie eine Person mit einer Waffe auf eine andere Person oder einen Panzer schießt. Aber auch solche, in denen kein Ziel der Waffengewalt gezeichnet wurde (z. B. im Bild von Oliver, Zm9ev2). Bei Dennis (Zm10k1) ist das Ziel des schießenden Kriegsschiffes ein Haus am Uferrand. In den zwei Zeichnungen von Franziska (Zw10b1) und Marius (Zm10ev) wurden die Figuren, die unter Beschuss stehen, mit einer Möglichkeit der Rettung dargestellt. Letzterer zeichnete

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Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

eine Pizza, die von einem Panzer angegriffen wird, dem Geschoss aber noch ausweichen kann. In Franziskas Bild ist ein Hase das Ziel eines Panzers. Eine weitere Person eilt diesem Hasen aber zu Hilfe. Einseitig durchgeführte Waffengewalt

Eine Person liegt niedergeschossen auf dem Boden (Clara, Zw9k1) Gegenseitiger Beschuss

Zwei Panzer beschießen sich gegenseitig (Emil, Zm10k2) Möglichkeit der Rettung in Situation der Waffengewalt »[…] und dieser versucht, die Bombe aufzuhalten, weil sie auf den Hasen fliegt.« (FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 42)

Eine Bombe droht, einen Hasen zu treffen; eine Person eilt zu Hilfe (Franziska, Zw10b1) Tabelle 19: Beispiele für die unterschiedliche Darstellung von Waffen im Leben in einer unfriedlichen Welt

Insgesamt lässt sich feststellen, dass im Leben in einer unfriedlichen Welt Waffen und Panzer häufig dargestellt wurden. Dabei finden sich sowohl Bildelemente/ Figuren, die der Waffengewalt gewissermaßen schutzlos ausgeliefert sind, als auch solche, die sich in einer Situation der möglichen Rettung befinden. Zudem sind einige Figuren so dargestellt, dass sie sich in gegenseitigem Beschuss befinden (z. B. bei Emil, Zm10k2). In die Restkategorie Sonstiges fallen Motive, die keiner anderen Kategorie zugeordnet werden konnten. Insgesamt wurden im Leben in einer friedlichen Welt vier Codierungen getätigt, von denen drei auch unter die Naturdarstel-

Ergebnisbericht I: Kategorienbasierte Auswertung der Zeichnungen

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lungen fallen könnten919 (ein See und das Meer bei Franziska, Zw10b1 und der Berg bei Georg, Zm9ev1) und die letzte ein Herz-Symbol bei Karl (Zm8ev). In fünf Zeichnungen der unfriedlichen Welt wurden neun sonstige Motive codiert. Die meisten dieser Codierungen zeigen Feuer- oder Rauchabbildungen, die sich vor allem in Emils Zeichnung (Zm10k2) häufen. Diese Darstellungen verdeutlichen den destruktiven Ausdruck, der sich durch die Betrachtung der unfriedlichen Bildseiten ergibt und können als Konsequenz der dargestellten (Waffen-) Gewalt gesehen werden. Besonders deutlich wird dies in Ninas Bild (Zw9k2), die ein Feuer als zehntes Element ihrer unfriedlichen Welt gezeichnet hat, welches laut ihrer Aussage die Folge all der vorherig dargestellten umweltschädlichen Handlungen sei: »Und hier: »Alles wird irgendwann tot« (.) weil die ganze Zeit tun sie diese Feuersachen in den Wäldern, damit des Wald verbrennt und die/ und manche sind auch (..) so damit [macht eine Geste] und tun einfach den Wald verbrennen und das ist auch schädlich für alle.« (NINA_Iw9k2, Pos. 40).

9.2.2 Effekt und Ausdruck der Farben Der Analyse der Farben innerhalb der Kinderzeichnungen sind Überlegungen zum Farbkonzept innerhalb der Schemaphase in der mittleren Kindheit vorauszusetzen.920 Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass sich dieses »zunehmend an der Lokal- oder Gegenstandsfarbe, d. h. an dem Farbton, welcher dem Motivelement zugeordnet wird bzw. als Merkmal dessen gespeichert worden ist«921, orientiert. Diese Einschätzung ist notwendig, da somit erklärbar wird, dass innerhalb der Zeichnungen zum Beispiel die Bäume klassischerweise mit grünem Blätterdach und braunem Stamm abgebildet sind. Solchen Auffälligkeiten wird demnach innerhalb der Analyse und Interpretation der Bilder keine außerordentliche Bedeutung zugemessen. Es wird im Folgenden also vor allem auf beobachtbare Elemente eingegangen, die das Farbkonzept der Zeichnungen ausmachen und mit den Bildmotiven im Zusammenhang stehen. Zudem werden diese Interpretationen durch vereinzelte Äußerungen der Schülerinnen und Schüler ergänzt, welche diese zu ihrer Farbwahl getätigt haben.

919 Diese wurden dennoch in der Restkategorie codiert, da sie keiner Subkategorie der Naturdarstellungen (Tiere, Wetter, Pflanzen) zuzuordnen sind. 920 Vgl. Kapitel 7.3.1. 921 Wiegelmann-Bals 2017a, 17.; vgl. Richter 1997a, 90.

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Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

Beobachtbare Elemente Den Kindern standen für die Zeichnungen verschiedenfarbige Buntstifte zur Verfügung.922 Entsprechend ist der erste Eindruck in der Betrachtung der fertigen Bilder auch von vielen verschiedenen Farben geprägt. Verwendung monochromer Darstellungen auf der unfriedlichen Bildseite

Leben in einer friedlichen Welt bei Oliver Leben in einer unfriedlichen Welt bei Oliver (Zm9ev2) – monochrom gezeichneter Pan(Zm9ev2) – farbige Zeichnung zer Hell-Dunkel-Gegensatz

Hellgrüne Bodenfläche im Leben in einer Dunkelgrüne Bodenfläche im Leben in einer friedlichen Welt (Georg, Zm9ev1) unfriedlichen Welt (Georg, Zm9ev1) Tabelle 20: Vergleich der Verwendung unterschiedlicher Farben

Es findet sich lediglich eine monochrome Darstellung. Oliver (Zm9ev2) bildet auf seiner Zeichnung einer unfriedlichen Welt einen Panzer ab, der in grauer Farbe gemalt ist. Im Gegensatz dazu hat der Neunjährige auf der friedlichen Bildseite verschiedene Farben verwendet. Dass auf der unfriedlichen Bildseite tendenziell weniger Farben Verwendung finden, zeigt auch Lukas’ Zeichnung (Zm9k2). Während im Leben in einer friedlichen Welt eine Person mit bunter Kleidung, ein 922 Vgl. Kapitel 7.4.4.

Ergebnisbericht I: Kategorienbasierte Auswertung der Zeichnungen

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grün-brauner Baum und eine gelbe Sonne abgebildet sind, zeigt die unfriedliche Welt einen schwarz-umrandeten Panzer unter einer roten Sonne. Auffällig ist die Farbigkeit der Sonnendarstellungen auch bei Paula (Zw10b2): Auf der friedlichen Bildseite ist eine gelbe, lächelnde Sonne und auf der unfriedlichen Bildseite eine schwarze, ›traurige‹ Sonne gezeichnet. Tendenziell zeigt sich also, dass auf der unfriedlichen Bildseite häufiger dunkle, gedeckte Farben wie grau oder schwarz verwendet wurden, während die friedliche Bildseite mehr Farben enthält. Zudem ist beobachtbar, dass das Farbkonzept in den Zeichnungen vom Leben in einer friedlichen Welt heller ist. Besonders deutlich wird das in den Zeichnungen von Franziska (Zw10b1) und Dennis (Zm10k1), die beide auf ihren unfriedlichen Bildseiten schwarze Flächen zeichnen. Auch Claras (Zw9k1) unfriedliche Zeichnung weist einen dunkelblau schraffierten Hintergrund auf, während die friedliche Bildseite nur leicht und in hellblauer Farbe schraffiert wurde. Innerhalb der Interviews wurden diese Hell-Dunkel-Gegensätze auch von den Befragten angesprochen, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass diese von den Zeichnenden bewusst gewählt sind. Erklärungen zur Farbgebung innerhalb der Interviews Zur friedlichen Bildseite wurden sechs Äußerungen zur Farbgebung in drei Zeichnungen codiert. Innerhalb der unfriedlichen Bildseite sind neun Codierungen in vier Zeichnungen getätigt worden. Insgesamt wurden von den Kindern also vergleichsweise wenige Angaben zur Farbwahl innerhalb der Interviews gemacht, wobei anzumerken ist, dass diese Thematik im Interviewleitfaden nicht angedacht ist923; die Farbgebung nimmt also nur deduktiv Raum ein. Wie bereits beschrieben, kamen innerhalb der Äußerungen der Kinder zur Farbigkeit ihrer Zeichnungen besonders die Hell-Dunkel-Gegensätze zur Sprache. Dabei wird die Helligkeit mit der friedlichen Welt in Verbindung gebracht. Henri verknüpft die friedliche Bildseite mit Fröhlichkeit, demgegenüber steht die unfriedliche und damit dunkle Bildseite: »(..) Weil hier ist es halt fröhlich und hier nicht, deswegen. Bei nicht-fröhlichen kommt ja immer dunkel. […] Und bei (..) fröhlichen kommt ja immer schön.« (HENRI_Im9k1, Pos. 67–70).

Clara erwähnt die Fröhlichkeit in Verbindung mit der Wahl der Farben auf ihrer friedlichen Bildseite. Sie beschreibt, dass es für sie etwas Fröhliches sei, wenn es grün ist (CLARA_Iw9k1, Pos. 2). In den Beschreibungen der Befragten zeigt sich, was ebenfalls innerhalb weiterer Forschungen zu Kinderzeichnungen deutlich 923 Vgl. Anhang 2.

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Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

wurde: Die Heranwachsenden orientieren sich bei ihren Darstellungen an »Lokal- oder Gegenstandsfarben«924, die als typisch für bestimmte Merkmale angesehen werden. Demnach folgert Georg, dass er seinen Himmel und seine Wiese dort dunkler malt, wo Unfrieden herrscht – während auf der friedlichen Bildseite hellgrün und hellblau verwendet werden.925 Bea zeichnet sowohl bezüglich eines Lebens in einer friedlichen als auch in einer unfriedlichen Welt, jeweils eine Wiese (Zw9m). Innerhalb ihrer Erläuterungen wird deutlich, dass sie den Bedeutungsgehalt ihrer Zeichnung und der gewählten Farbigkeit direkt miteinander verknüpft, indem sie sagt: »Ja, auf der friedlichen Welt habe ich die Farben dunkler gemacht. Sie konnten das Gras noch etwas mit Wasser, ähm, besprühen. Dann konnte es auch so grün wie bei friedlich sein.« (BEA_Iw9m, Pos. 11)

9.2.3 Verwendung von Textelementen

Insgesamt Text als Bildtitel Text als dialogisches Element Sonstige Funktionen

Leben in einer friedlichen Welt Anzahl der Codierungen / Anzahl der Dokumente (n=15) 27 / 12 6/6

Leben in einer unfriedlichen Welt Anzahl der Codierungen / Anzahl der Dokumente (n=15) 30 / 12 6/6

14 / 6

6/3

7/3

18 / 6

Tabelle 21: Häufigkeit der Codierung der Textelemente innerhalb der Zeichnungen

Ein zusätzliches, wichtiges Element innerhalb der Auswertung von Zeichnungen ist die Betrachtung von handschriftlichem Text. Es wird angenommen, dass dieser als Schnittstelle zwischen den Zeichnungen und den Äußerungen im Interview gelten kann, da die Kinder mit Schriftelementen teilweise bereits beschreiben, was sie darstellen wollen. In der späten Kindheit nimmt »der Einsatz von Sprachelementen innerhalb der Zeichnung zu«926, was auch innerhalb der 924 Wiegelmann-Bals 2017a, 17. 925 Vgl. Zm9ev1, sowie: I: »Warum hast du des hier dunkler gemalt oder warum hast du des hier heller gemalt?« G: »Also, hier ist ja die friedliche Seite und hier ist ja die unfriedliche Seite. Und dann dachte ich mir, naja, bei der friedlichen Welt könnte ich ja des dunkelgrün, die Wiese und hellgrün machen und den Himmel so hellblau und dunkelblau mit zwei Wolken und hier hab ich mir gedacht, hier ist die unfriedliche Seite und hier dachte ich mir, mach ich eine ganz dunkle Wiese hin und hier einen ganz dunklen Himmel.« (GEORG_Im9ev1, Pos. 31–32). 926 Ebd., 15.

Ergebnisbericht I: Kategorienbasierte Auswertung der Zeichnungen

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vorliegenden Studie deutlich wird. Nur wenige fertige Bilder weisen keinerlei Text auf. Deshalb werden handschriftliche Bildelemente im Folgenden gesondert betrachtet, da hieraus eine zusätzliche Perspektive auf das Gezeichnete und davon ausgehend auf die Interviews eingenommen werden kann. Das zeigt sich vor allem in der ersten diesbezüglich aufgestellten Kategorie, in der Text als Bildtitel fungiert. Innerhalb der Textdarstellung als kommunikativer Faktor, beziehungsweise als dialogisches Element, wird weniger das beschriftet, was gezeichnet wird, sondern die Bilder erhalten eine ihnen zugrundeliegende Dynamik. Neben Zeichnungen, die keinerlei Textelemente enthielten, wurden diese beiden Kategorien innerhalb verschiedener Bilder festgestellt. Zusätzlich thematisiert eine Restkategorie die Textelemente mit sonstiger Funktion. Text als Bildtitel In sechs Bildern wurden insgesamt zwölf Bildtitel (sechs auf der friedlichen, sechs auf der unfriedlichen Bildseite) codiert. Zur Betrachtung dieser Titel ist es notwendig, die Aufgabenstellung zur Zeichnung einzubeziehen.927 Diese lautete, eine Zeichnung vom Leben in einer friedlichen Welt und eine Zeichnung vom Leben in einer unfriedlichen Welt anzufertigen. Acht der zwölf Bildtitel greifen genau diese Formulierung auf; Georg zum Beispiel beschriftet seine Bildseiten mit »Friedliche Welt« und »Umfriedliche [sic!] Welt« (Zm9ev1). Zudem finden sich noch die Formulierungen »Friedlich/friedlich« (Aaron, Zm9m; Bea, Zw9m; Clara, Zw9k1), »nicht friedlich« (Aaron, Zm9m) und »unfriedlich« (Bea, Zw9m; Clara, Zw9k1). Auffällig sind die zwei verbleibenden Zeichnungen, in denen Text als Bildtitel verwendet wird. Dabei handelt es sich um die Bilder von Jana (Zw9b) und Henri (Zm9k1). Diese betiteln ihre Bildseiten jeweils mit »Frieden« und »Krieg«. Hier erscheint eine Interpretation naheliegend, die davon ausgeht, dass die zwei Heranwachsenden das Leben in einer friedlichen Welt mit Frieden und ein Leben in einer unfriedlichen Welt demgegenüber mit Krieg konnotieren. Es ist unklar, ob allein dieser Beobachtung ein derart tiefer Sinn zugesprochen werden sollte. Weitere Klärungen diesbezüglich werden sich innerhalb der Interviewanalyse ergeben. Beschreibungswürdig ist allerdings, was die Kinder jeweils unter ihren titelgebenden Texten zeichnen. Henris ›Friedensbild‹ stellt eine Landschaft mit Häusern und Vögeln dar, demgegenüber sind auf der ›Kriegsseite‹ ebendiese Häuser zerstört mit/von einem Militärflugzeug abgebildet. Jana hingegen stellt unter gleichem Titel eine vollkommen andere Szenerie dar. Sie zeichnet zwei Kinder, die sich auf der friedlichen Bildseite in einem freundlichen Dialog befinden. Auf der unfriedlichen Bildseite (»Krieg«) streiten beziehungsweise beleidigen sich zwei Kinder. Die Motive der zwei Zeichnenden stehen zwar 927 Vgl. Kapitel 7.4.5.

272

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

unter den gleichen titelgebenden Texten, jedoch lassen sich gänzlich unterschiedliche Bildmotive feststellen.928 Es zeigt sich, dass die Bildtitel stark von der Aufgabenstellung abhängig sind, weshalb diese innerhalb des Forschungsprozesses gut durchdacht gewählt werden sollte. Zudem erscheint eine Betrachtung der kindlichen Konnotationen von Krieg in Vergleich zu Frieden erforderlich. Hierzu sind die Befragungen innerhalb der Interviews geeignet. Leben in einer friedlichen Welt

Leben in einer unfriedlichen Welt

Bildtitel »Friedliche Welt« (Georg, Zm9ev1) Bildtitel »Umfriedliche Welt« (Georg, Zm9ev1)

Bildtitel »Frieden« (Jana, Zw9b)

Bildtitel »Krieg« (Jana, Zw9b)

Tabelle 22: Beispiele für den Einsatz von Text als Bildtitel

Text als dialogisches Element Auf den friedlichen Bildseiten wurden insgesamt acht Elemente in drei Zeichnungen codiert, die Text als dialogisches Element abbilden. Auf den unfriedlichen Bildseiten sind es vier Codierungen in zwei Zeichnungen. Alle diese Texte wurden in Sprech- oder Denkblasen abgebildet und sind Personen zuzuordnen, die sich in einer Beziehung zu einer oder mehreren weiteren Personen befinden. Auf den friedlichen Bildseiten handelt es sich bei den dialogischen Elementen um Teile freundlicher Konversationen. Georg (Zm9ev1) und Jana (Zw9k2) zeichnen jeweils Kinder, die sich in einem Gespräch befinden, sich einander 928 Grundsätzlich ist allerdings auch darauf hinzuweisen, dass der Texteinsatz auch losgelöst vom weiteren Zeichenprozess ablaufen kann. So ist es durchaus möglich, dass Jana ihr Bild mit ›Krieg‹ betitelt, sich daraufhin aber entscheidet, doch keine Kriegssituation zu zeichnen.

Ergebnisbericht I: Kategorienbasierte Auswertung der Zeichnungen

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vorstellen und/oder von ihren Vorhaben erzählen. In Ninas Zeichnung (Zw9k2) ist eine Situation abgebildet, in der eine Person eine andere um Essen bittet (»Bitte bitte Essen«) und ihr geholfen wird (»Hier ist dein Essen«). Somit zeigen sich zwei verschiedene Verwendungsweisen von Texten als dialogisches Element. Zum einen die Darstellung einer Konversation, die im friedlichen Erleben als freundlich, und auf der unfriedlichen Bildseite als unfreundlich – oder auch streitend und beleidigend – beschrieben werden kann. Zum anderen wird der Text verwendet, um eine Situation abzubilden, die ein qualitatives Merkmal des Lebens in einer friedlichen Welt ausmacht: das einander Helfen. Leben in einer friedlichen Welt

Leben in einer unfriedlichen Welt

Dialogisches Element »Hallo. Ich bin Nele.«, Dialogisches Element »Du bist Dumm!«, abgebildet in einer Sprechblase (Jana, Zw9b) abgebildet in einer Sprechblase (Jana, Zw9b)

Dialogisches Element »Bitte bitte Essen« – »Hier ist dein Essen«, abgebildet in Denkblasen (Nina, Zw9k2) Tabelle 23: Beispiele für den Einsatz von Text als dialogisches Element

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Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

Sonstige Funktionen Unter ›Sonstige Funktionen‹ wurden insgesamt 22 Textelemente codiert, davon sechs in den Zeichnungen vom Leben in einer friedlichen Welt. Diese lassen sich wiederum in zwei unterschiedliche Verwendungsweisen einteilen. Zum einen wird Text zur Beschreibung einer bestimmten Situation eingesetzt. Ähnlich wie in der mündlichen Erklärung zum Gezeichneten werden die qualitativen Merkmale der Bildmotive erläutert. Somit ergänzt das Geschriebene die Zeichnung um weitere Informationen. Paula (Zw10b2) zum Beispiel zeichnet eine Picknickdecke und zwei Personen, die neben dieser Decke sitzen. Als Situationsbeschreibung ergänzt sie handschriftlich: »Es picknicken 2 mit Kuchen und haben Spaß.« Dadurch beschreibt sie dem oder der Betrachtenden direkt, was abgebildet ist und schreibt dieser Situation gleichzeitig ein qualitatives Merkmal zu, indem sie den Spaß erwähnt. Eine weitere Verwendungsweise des Textes zeigt sich bei Nina (Zw9k2), bei der Text eine Abbildung ersetzt. Sie beschreibt schriftlich eine Situation als Sitzung (»In der Sitzung«), zeichnet diese Sitzung aber nicht, sondern stellt sie mithilfe von weiteren Textelementen ebenfalls schriftlich dar. Letztere sind grundsätzlich auch als dialogische Texte zu deuten, senden jedoch eine klare Botschaft an die Betrachtenden. Nina schreibt »So get [sic!] das nicht weiter« und »Wir machen unsere Welt kaputt«, was vor allem in Kombination mit ihren Erklärungen zum Bild als Meinungsäußerung verstehbar ist: »Ja, ich meinte so, dass man immer, immer jeden Tag ha/ seh ich Rauchstücke, sogar im Pausenhof. Und ich seh auch sehr viel Müll und es wird auch sehr viel, ähm, (.) sehr viel Sachen getan, was man eigentlich nicht tun sollte. (.) Und mehr und mehr werden Sachen (.) produziert, obwohl man sie nicht produzieren sollte. Man sollte mehr Sachen (.) tun, die gut für die Welt ist.« (NINA_Iw9k2, Pos. 6).

Innerhalb der Zeichnungen vom Leben in einer unfriedlichen Welt wurden 16 Textelemente in fünf verschiedenen Kinderzeichnungen codiert. Der meiste Text findet sich in Ninas Zeichnung (Zw9k2), die diesen auf dieser Bildseite einsetzt, um Botschaften an die Betrachtenden zu senden. Besonders deutlich wird dies in dem Text am unteren Bildrand, der gewissermaßen wie ein Fazit aus den »10 Sachen«, die ihr nicht auf der Welt gefallen, verstehbar ist und in dem sie schreibt: »Alles wir[d] irgendwann tot«. Des Weiteren ist auf dieser Bildseite der Einsatz von Text zur Beschreibung von Situationen zu vermerken. Analog zu ihrem Leben in einer friedlichen Welt hat zum Beispiel Paula (Zw10b2) auch auf der unfriedlichen Bildseite beschrieben, was in der Zeichnung passiert (siehe Tabelle 24). Zudem ist auf der unfriedlichen Bildseite eine weitere Textsorte zu vermerken, die am ehesten als Eigenschaftszuschreibung zu interpretieren ist; hier beschriften die Kinder Motive, die sie gezeichnet haben und geben ihnen somit ein qualitatives Merkmal. Beispielsweise in der

Ergebnisbericht I: Kategorienbasierte Auswertung der Zeichnungen

275

Zeichnung von Henri (Zm9k1) ist dieser Einsatz von handschriftlichem Text zu finden, wenn er das abgebildete Flugzeug mit »Militär« benennt. Leben in einer friedlichen Welt

Leben in einer unfriedlichen Welt

Situationsbeschreibung: »Es picknicken 2 mit Kuchen und haben Spaß« (Paula, Zw10b2)

Situationsbeschreibung: »Es prügeln 2 und streiten sich. Es gibt Krieg und 2 töten 2. Sie wollten picknicken. Sie haben sich gestritten und geprügelt. Krieg.« (Paula, Zw10b2)

Botschaft: »So geht das nicht weiter« (Nina, Zw9k2)

Botschaft: »Es gibt 10 Sachen, die mir nicht so auf der Welt gefallen« (Nina, Zw9k2)

Eigenschaftszuschreibung: »Lebender Hase« (Franziska, Zw10b1) Tabelle 24: Beispiele für sonstige Textelemente929

929 Für die bessere Verständlichkeit wurden an dieser Stelle die Bildunterschriften orthografisch bereinigt aufgeführt.

276

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

Die genaue Betrachtung des Einsatzes von Textelementen hat Verschiedenes aufgezeigt. Die handschriftlichen Notizen, welche die Kinder in manchen Fällen ergänzend in ihren Zeichnungen hinzufügen, können unterschiedliche Funktionen aufweisen und begründen sich somit vermutlich auch auf unterschiedliche Intentionen. So kann es beispielsweise sein, dass ein Kind schriftlich erläutern möchte, was es gezeichnet hat, da es die Bedeutung des Bildes festhalten möchte, um andere Interpretationen durch Betrachterinnen und Betrachter zu vermeiden; oder auch, weil es die Darstellungsweise durch Text der Zeichnung vorzieht. Durch den Einbezug der Textelemente in die Bildanalyse konnten somit unterschiedliche Einzelaspekte herausgehoben werden, die sich in das Gesamtbild der Vorstellungen der Kinder zu Frieden und Unfrieden einbinden lassen.

9.2.4 Zusammenfassung und Reflexion zu den Zeichnungen Die Zeichnungen lassen bereits klare Erkenntnisse in Bezug auf die Vorstellungen der Kinder zu Frieden und Unfrieden zu. Vor allem durch den Vergleich beider Bildseiten werden die qualitativen Merkmale, die die jungen Studienteilnehmenden einem friedlichen beziehungsweise unfriedlichen Leben zuordnen, deutlich. In den Zeichnungen vom Leben in einer friedlichen Welt konnte die Bedeutsamkeit von Naturdarstellungen hervorgehoben werden. Tiere und vor allem Vögel, sowie Blumen und Bäume sind häufiges Motiv auf der friedlichen Bildseite. Demgegenüber stehen zerstörte und bedrohte Naturmotive in den Zeichnungen vom Leben in einer unfriedlichen Welt. Insgesamt kann diesbezüglich die Destruktion von Natur und Gebäuden zusammenfassend festgestellt werden. Die Darstellung von Zerstörung in Verbindung mit Unfrieden zeigt sich besonders deutlich in den Zeichnungen von Häusern. Während auf der friedlichen Bildseite Wohnhäuser abgebildet sind, die teils auch das Zuhause der Heranwachsenden zeigen sollen, sind diese auf der unfriedlichen Bildseite zerstört – durch militärische Gewalt, Brände oder Gewitterstürme. Im Unfrieden finden sich zudem mehr Personendarstellungen, die sich durch gewaltvolle oder gewalterleidende Situationen auszeichnen. Demgegenüber sind auf der friedlichen Bildseite Freundlichkeit, kommunikative Situationen und positive Beziehungen zueinander bedeutsame Motive. Bezüglich der Verwendung der Farben wurde demonstriert, dass Unfrieden mit gedeckterer und dunklerer Kolorierung konnotiert wird und insgesamt weniger Farben eingesetzt werden. Die Betrachtung der Textelemente hat gezeigt, dass ebenso in handschriftlichen Notizen und Zuschreibungen Botschaften, Wünsche und Vorstellungen erkennbar werden.

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

277

Setzt man die zentralen Ergebnisse, die sich aus der Analyse der Zeichnungen ergeben, in Bezug zu den Interviews zeigen sich Zusammenhänge zu folgenden Einzelkategorien930: – Leben in einer friedlichen Welt / Positiver Friedensbegriff: Natur; Zufriedenheit – Leben in einer unfriedlichen Welt / Negativer Friedensbegriff: Krieg; Militär und Waffen; Umweltverschmutzung; Gewalt; Streit Insgesamt ist festzuhalten, dass durch die Zeichnungen ein erster, adäquater Zugang zu den Vorstellungen der Kinder zu Frieden und Unfrieden geschaffen werden konnte. Es hat sich bereits gezeigt, dass die Erklärungen der Zeichnenden vor allem für die Interpretation bestimmter Bildmotive von großer Bedeutung sind. Es bietet sich demnach an, diesen Ergebnisbericht I durch die Analyseergebnisse der Interviews im Folgenden zu ergänzen, da die Zeichnungen vor allem in der Einbettung in die mündlichen Aussagen der Heranwachsenden ihre qualitative Tragkraft entfalten können.

9.3

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

Nachdem die Zeichnungen kategorienbasiert ausgewertet wurden, werden nun die Interviews analysiert und auf die Forschungsfragen hin untersucht. Dabei werden zum einen relevante und auffallende Aspekte im quantitativen Rahmen betrachtet, wie die Häufung bestimmter Codierungen und Nennung verschiedener Faktoren im Vergleich. Zum anderen wird aber die qualitative Durchdringung der einzelnen Themengebiete vordergründig beleuchtet, indem genauer untersucht wird, was die Kinder zu den einzelnen Kategorien geäußert haben. Die inhaltlichen Ergebnisse werden somit systematisiert betrachtet und mit weiteren (Sub-)Kategorien verglichen. Darüber hinaus werden Vergleiche mit den Erkenntnissen aus den Kinderzeichnungen angestrebt. An relevanten Stellen werden auch die Dokumentenvariablen (wie beispielsweise das Alter oder Geschlecht der Probandinnen und Probanden) zum Tragen kommen. Die Äußerungen der Kinder zu ihren Zeichnungen wurden bereits innerhalb der Bildmotivanalyse aufgegriffen. Sie nehmen auch innerhalb der Interviewauswertung Raum ein, womit eine Verschränkung der Analyse der nonverbalen und verbalen Daten erreicht wird.

930 Vgl. das Kategoriensystem in Kapitel 8.4.2.

278

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

Der Aufbau dieses Ergebnisberichtes lehnt sich grob an das Kategoriensystem931 an, indem die vier Hauptkategorien, (1) Positiver Frieden, (2) Negativer Frieden, (3) Frieden und Religion und (4) Frieden begegnen, im Vordergrund stehen.932 Dabei werden allerdings innerhalb der Einzelbetrachtungen sinnvolle Akzentuierungen gesetzt, die von der Reihenfolge innerhalb des Kategoriensystems abweichen können und relevante Schwerpunktsetzungen der Befragten aufgreifen sollen. Das Ziel der folgenden genauen Analyse und Auswertung ist es, die relevanten qualitativen Aspekte der jeweiligen Kategorien herauszuarbeiten, indem sich vor allem mit folgenden Fragen auseinandergesetzt wird: Was haben die Kinder zu den jeweiligen Themen geäußert? Aber auch: Was haben sie nicht gesagt, was möglicherweise innerhalb der theoretischen Basis einen hohen Stellenwert einnimmt? Gleichzeitig werden auch relevante Zusammenhänge zwischen den Haupt- und Subkategorien untersucht, wenn bestimmte Äußerungen in mehreren Kontexten getätigt wurden und beobachtbar beziehungsweise nachweisbar miteinander zusammenhängen. Belegt werden die Ergebnisse jeweils mit Ankerbeispielen aus den Interviews. Diese Herangehensweise ermöglicht eine systematisierte Auswertung in Hinblick auf die Beantwortung der Forschungsfragen.

9.3.1 Was Frieden ausmacht: Positive Aspekte gelingenden Friedens Kategorie Positiver Friedensbegriff gesamt Frieden weltweit Frieden im Nahraum Davon in Restkategorie »Frieden im Nahraum« Frieden und Gerechtigkeit

Anzahl der Codierungen / Anzahl der Dokumente bei N=15 255 / 15 20 / 10 180 / 15 12 / 7 55 / 15

Tabelle 25: Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie ›Positiver Frieden‹ mit Subkategorien

Zunächst werden alle Kategorien in den Blick genommen, die sich mit positiven Friedensaspekten beschäftigen und diese qualitativ bestimmen. Eingeteilt wurde die Hauptkategorie Positiver Friedensbegriff in Frieden weltweit, im Nahraum und Gerechtigkeit. Sowohl aus den Erläuterungen zu den Zeichnungen als auch innerhalb des leitfadengestützten episodischen Interviews sind verschiedene 931 Vgl. Kapitel 8.4.2. 932 Entsprechend sind auch die Fragen innerhalb des Leitfadens (vgl. Anhang 2) zu Beginn der Kategorienanalyse jeweils mit angegeben.

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

279

Einzelaspekte aufgekommen, die in diese Beschreibungen aufgenommen wurden. 9.3.1.1 Frieden und Zufriedenheit Gibt es eine Gelegenheit, in der du komplett zufrieden bist/warst? Kategorie Zufriedenheit

Anzahl der Codierungen / Anzahl der Dokumente bei N=15 32 / 14

Besondere Ereignisse Persönliche Erfolge

14 / 9 10 / 5

Restkategorie ›Zufriedenheit‹ 8 / 15 Tabelle 26: Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie ›Zufriedenheit‹ mit Subkategorien

Es ist zu erwähnen, dass die narrativ ausgerichtete Frage zur Zufriedenheit der Kinder in den meisten Fällen eine vergleichsweise ausführliche Erzählung zur Antwort hatte. Besonders zwei zentrale Aspekte beinhalteten die Erzählungen der Heranwachsenden: außergewöhnliche Ereignisse und persönlich erzielte Erfolge. In den Antworten, die sich auf besondere Ereignisse beziehen, finden sich teilweise Parallelen zur Kategorie ›Frieden und Familie‹, wenn zum Beispiel von Ausflügen mit den Eltern oder Besuche im Schwimmbad und Ähnliches erzählt wird. Die persönlichen Erfolge beziehen sich auf gute Noten und Lob im schulischen Umfeld, aber auch das Gefühl der Zufriedenheit, dass durch Ereignisse ausgelöst wird, welche die Kinder zum ersten Mal erleben. Dabei sind zum Beispiel das Kaufen eines Eises im Schwimmbad oder das Absolvieren einer besonders schweren Kletterrunde im Hochseilgarten zu nennen. Da die Frage nach Zufriedenheit innerhalb der Interviews nicht mit Frieden in direkte Verbindung gebracht wurde, ist an dieser Stelle die Verknüpfung dieser beiden Phänomene nicht im Detail herstellbar. Diesbezüglich wäre eine Ergänzung der Frage um die Verbindung von Zufriedenheit und Frieden aus Sicht der Kinder denkbar gewesen, was allerdings erst im Zuge der Auswertungsschritte deutlich wurde. Im Vergleich zu weiteren Kategorien wie ›Frieden und Familie‹ wird allerdings sichtbar, dass die Erzählungen zur persönlichen Zufriedenheit stets von positiven Kriterien durchzogen sind. Anders als in den Berichten von der Familie, in denen die Probandinnen und Probanden teils via negationis beschreiben, was für sie Zufriedenheit eben nicht ausmacht, fällt in dieser Kategorie auf, dass Gefühle und Emotionen zur Sprache kommen, welche die Ereignisse besonders auszeichnen. Lediglich Lukas erwähnt, er sei immer zufrieden, könne also nur derartige Dinge benennen, die ihn unzufrieden machen würden.

280

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

L: »(..) Alles. Bloß ein paar Sachen, die ich nicht mag, machen mich unzufrieden. (…)« […] L: »Mich macht unzufrieden, wenn mich andere ärgern. (.) So, und dauernd ansprechen im Unterricht und dann krieg ich den Ärger, weil ich a/ ähm, antworte.« (LUKAS_Im9k2, Pos. 68–70) Besondere Ereignisse

»(..) Äh. (…) Also am Kindertag. […] (.) Da (..) also (.) sind wir Eis gegessen und (..) haben was gemacht.« (KARL_Im8ev, Pos. 24–26) »Naja, äh, pfoah, naja, bei Ausflügen mit dem Hort find ich’s halt schon cool. Naja, allgemein eigentlich nicht. Außer halt wenn ich jetzt/ ich nur bei Max bin oder dann ich halt nur bei Georg und manchmal die auch zusammen. Aber eigentlich zu dritt waren wir noch niemals gleich zuhause.« (JANA_Iw9b, Pos. 12)

Persönliche Erfolge

»(.) Ja. Und dann (.) wollte ich einmal Pomm-Frites und ich musste sie mir selber kaufen. Das war auch etwas tolles, dass ich zum ersten Mal Pommes allein gekauft habe.« (EMIL_Im10k2, Pos. 72) »Hm. In der Schule, wo wir mal Kunst hatten, hab ich n Bild gemalt und da hat mein Lehrer gesagt: ›Das ist aber richtig schön.‹ Und da war ich auch richtig zufrieden.« (GEORG_Im9ev1, Pos. 70)

Tabelle 27: Ankerbeispiele für die Kategorie ›Zufriedenheit‹

9.3.1.2 Frieden und Familie Erzähle mir von einer bestimmten Situation, in der du dich mit deiner Familie besonders friedlich/zufrieden gefühlt hast. Was hat diese Situation/dieses Erlebnis so besonders gemacht? Kategorie Frieden und Familie gesamt

Anzahl der Codierungen / Anzahl der Dokumente bei N=15 55 / 15

Besondere Ereignisse/Ausflüge Unterstützung/Hilfe erfahren

26 / 12 8/3

Restkategorie ›Frieden und Familie‹ 21 / 10 Tabelle 28: Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie »Frieden und Familie« mit Subkategorien

Mit teils narrativ ausgelegten, teils Steuerungs-Fragen, konnten die Daten für die Kategorie ›Frieden und Familie‹ erhoben und systematisiert werden. Es zeigte

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

281

sich bereits, wie die Einzelfallbeschreibungen darlegen933, dass auch innerhalb der Kinderzeichnungen und den zugehörigen Erläuterungen das Motiv ›Familie‹ einen erheblichen Stellenwert besitzt. Die oben genannten Fragen, die vor allem auf das subjektive Gefühl der Zufriedenheit ausgerichtet sind, werden in dieser Kategorie nochmals in Hinblick auf die Familie konkretisiert. Dies liegt darin begründet, dass die Sozialisationsinstanz Familie den Aspekt des Friedens im Nahraum betrifft.934 Im sozialen Umfeld haben die emotionalen Bezüge, die von den Heranwachsenden hergestellt werden, einen starken Zusammenhang mit dem subjektiven Erleben von Frieden – das in diesem Fall mit dem Begriff der ›Zufriedenheit‹ verbunden und konnotiert wird. Zunächst fällt auf, dass in Bezug auf das Gefühl der Zufriedenheit vor allem besondere Ereignisse, Ausflüge oder andere Freizeitaktivitäten mit den Eltern oder anderen Verwandten im Vordergrund stehen. Hierzu gehören alltägliche Ausflüge ins Schwimmbad oder ein Restaurant, aber auch weitere, als besonders erlebte, Ereignisse wie die Kommunion oder der eigene Geburtstag. Dazu kommen Situationen, in denen die Befragten Hilfe und Unterstützung von ihren Eltern erfahren haben und ihnen Zeit geschenkt wurde. Bemerkenswert ist zudem, dass in zwei Fällen (Nina und Oliver) keine Situation genannt wurde, die friedlich ist, sondern stattdessen Gelegenheiten zur Sprache kamen, die genau dieses Gefühl destruktiv beeinflusst haben. So erzählt Nina von dem Erlebnis, ihr Haustier zu verlieren, welches sie unzufrieden machte; Oliver berichtet von einem Tag, an dem sein Vater keine Zeit für einen gemeinsamen Ausflug hatte. Andere Kinder begründen implizit den Zusammenhang zwischen Frieden im Nahraum und dem Gefühl der Zufriedenheit, indem sie ihre eigenen Eltern mit anderen vergleichen. Die Faktoren der Hilfsbereitschaft der Familie und gemeinsamer Zeit werden damit verbunden, dass keine Ungerechtigkeit innerhalb der Beziehung herrsche, in einem Fall (Clara) auch damit, dass innerhalb der Familie bisher keine Trennungen/ Scheidungen stattgefunden haben. Bezüglich des Zusammenhangs mit anderen Kategorien ist auffällig, dass zwei Faktoren positiven Friedens zu finden sind: Ruhe und Gerechtigkeit. So berichtet zum Beispiel Aaron von einem Besuch im Schwimmbad, der sich durch Ruhe auszeichnete, während laute Musik die Friedlichkeit der Situation zerstöre.935 Seine Schwester Bea (Iw9m, Pos. 59–71) berichtet von der Hilfsbereitschaft und der Fürsorglichkeit ihrer Eltern, die sie mit Gerechtigkeit – und diese wiederum mit Frieden – verbindet.

933 Vgl. Kapitel 9.1. 934 Vgl. Kapitel 3.1.2. 935 »War letztes/ wo vor ein paar Jahren, gabs Jungs, die neben uns waren, die haben richtig laute Musik gehört.« (AARON_Im9m, Pos. 54).

282

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

Auch in den Zeichnungen vom Leben in einer friedlichen Welt ist die Familie in einigen Fällen relevant. Es ist zwar in keiner der Zeichnungen die Familie direkt dargestellt, allerdings wird innerhalb der Interviews deutlich, dass teilweise Gebäude das eigene Wohnhaus darstellen. So erläutert zum Beispiel Henri: »Des ist des Haus, wo wir drin wohnen. Des ist des Haus, wo mein Bruder drin wohnt, also sozusagen mein/ meine Brüder. Also die wohnen jetzt zusammen, obwohl sie nicht zusammen leben, also zusammen wohnen. Ähm./« (HENRI_Im9k1, Pos. 2). Besondere Ereignisse

»Ja, also wir waren gestern im Schwimmbad und da gab/ da war die Wiese nicht so hoch/ also der Gras. Und da haben wir uns hingelegt. Ja, und das war schön friedlich.« (AARON_Im9m, Pos. 52) »Ich hab mich zufrieden gefühlt an meiner Kommunion. (…) Alle sind gekommen. Die haben sich auch gefreut, dass sie eingeladen waren. (.)« (CLARA_Iw9k1, Pos. 18)

Hilfe/Unterstützung erfahren

»(.) Hm. (6sek) Am (..) wir waren mal in Holland, da sind wir an ein Meer gefahren. (.) Da bin ich ins Wasser gegangen und am Strand hab ich eine riesen Sandburg gebaut. Da war ich aber noch sechs. (.) Und (4sek) hm (.) und dann hab ich zu meinen Eltern gesagt, wo wir wieder gegangen sind: ›Das war ein tolles/ ähm, das war heut ein toller Tag.‹« (GEORG_Im9ev1, Pos. 68) »Ja. Ich fühle mich zufrieden, wenn mich/ wenn mein Vater sich Zeit gibt, obwohl er keine Zeit hat für mich. Dass er trotzdem zu uns hingeht und sagt: ›So, Bea, jetzt üben wir für die Probe.‹« (BEA_Iw9m, Pos. 39) »Ja, also, weil (.) meine Familie unterstützt mich auch sehr bei jeder Sache und (.) naja, des fand ich halt schön, wo, ähm, (.) zum Beispiel als meine Mama (.) so fast keine Zeit hatte, aber ich dann halt gefragt hab, ob wir Fahrrad fahren können und da hat meine Mama »Ja« gesagt.« (JANA_Iw9b, Pos. 58)

Begründungen eines Friedensgefühls in der Familie

»(.) Weil meine Familie mir sehr wichtig ist.« (HENRI_Im9k1, Pos. 18) »weil keiner aus meiner Familie hat sich schon je getrennt und wir sind auch eine sehr friedliche Familie bei uns.« (CLARA_Iw9b, Pos. 8)

»Wir sind nicht so ungerecht wie andere Leute.« (BEA_Iw9m, Pos. 71) Tabelle 29: Ankerbeispiele für die Kategorie ›Frieden und Familie‹

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

283

9.3.1.3 Frieden in der Schule Bist du der Meinung, dass man in der Schule über Frieden etwas lernen kann und wenn ja/nein, warum? In welchen Fächern? Was habt ihr im Unterricht dazu besprochen? Kategorie Frieden und Schule gesamt Allgemeine Aussagen zu ›Frieden und Schule‹ Unterrichtsfächer Unterrichtsinhalte

Anzahl der Codierungen / Anzahl der Dokumente bei N=15 81 / 15 22 / 12 26 / 14 33 / 12

Tabelle 30: Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie ›Frieden und Schule‹ mit Subkategorien

Bezüglich der Thematisierung von Frieden im Unterricht plädieren die meisten Schülerinnen und Schüler dafür, dass in der Schule etwas über Frieden gelernt werden kann. Sie verorten das Thema vor allem im Religions- oder Ethikunterricht, aber auch im Deutsch- oder Sachunterricht (oder auch in der weiterführenden Schule im Geschichtsunterricht). Dabei ist bemerkenswert, dass einige der Befragten von ihren eigenen, persönlichen Erfahrungen in der Schule ausgehen und beschreiben, was sie dort bereits über Frieden gelernt haben. Es kommen konkrete Unterrichtsstunden zur Sprache, welche die Kinder selbst erlebt haben und deren Thema ›Frieden‹ war. Andere wiederum sprechen über ihre Vorstellungen, wie sie selbst das Thema gern im Unterricht sehen würden – oder warum es ihrer Meinung nach eben nicht in die Schule gehört. Nina (Iw9k2, Pos. 154) erläutert diesbezüglich, dass Frieden etwas sei, dass »die Älteren« besprechen würden, sie also keine Friedensstunde bräuchte; Emil (Im10k2, Pos. 118) verbindet die Schule mit Unterrichtsinhalten, die man später zum Arbeiten brauche. Beide begründen nicht, weshalb Frieden nicht in diese Kategorien fallen würde, wobei Nina im Anschluss an ihre Aussage bestätigt, dass innerhalb einer von ihr erlebten Religionsstunde Frieden schon thematisiert worden sei. Die Kinder, die selbst bereits eine solche Unterrichtsstunde beziehungsweise -einheit erlebt haben, berichten von ihren Erfahrungen. In einigen Fällen wurden – und diese didaktische Vorgehensweise verbinden sie mit der Erhebungsmethode – Zeichenaufträge von den Lehrkräften getätigt, nach denen die Kinder Frieden abbilden sollten. Die Unterrichtsinhalte, welche die Kinder schildern, betreffen sowohl Frieden im Nahraum als auch Frieden weltweit. In einigen Fällen berichten die Befragten von ihren Lehrerinnen, die sich gegen Krieg und Umweltverschmutzung aussprachen. Andere wollen Frieden in der

284

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

Schule thematisiert sehen, indem Regeln im Zusammenleben, Streitschlichtung und der Einsatz für Frieden im sozialen Umfeld besprochen werden. Besonders deutlich wird dies im Beispiel von Dennis (Im10k1, Pos. 162–168), der in der Schulpause eine Chance zum Friedenlernen sieht, wenn Kinder davon abgehalten werden, einander Gewalt anzutun – Frieden könne man schließlich lernen, indem man sich am Ende auch wieder verträgt. Thematisierung von Frieden im Unterricht

Gegen die Thematisierung von Frieden im Unterricht

»Ja. Zum Beispiel in Ethik ha/ lernen wir auch keine Weltverschmutzung zu machen und dass Gewalt keine Lösung ist.« (BEA_Iw9m, Pos. 169) »(…) Hm. (…) Man lernt halt sehr viel über Frieden in Religion. (..) Einen anderen Grund gibt’s für mich eigentlich nicht.« (HENRI_Im9k1, Pos. 104) I: »Und, äh, bist du denn der Meinung, dass man in der Schule was über Frieden lernen kann?« N: »Nö. (.) Nö, kann man nicht.« I: »Warum nicht?« N: »(..) Weil die Älteren interessieren sich mehr, weil wenn wir schon Reli haben. Weil wir haben schon Reli und da sprechen wir schon über Frieden. Wir brauchen keine Friedensstunde [erhebt die Stimme].« (NINA_Iw9k2, Pos. 151–154) »Nö, glaub nicht. Da lernt man nur die Sachen, damit man arbeiten kann.« (EMIL_Im10k2, Pos. 118)

Erlebte Unterrichtsinhalte

»Und da hab ich des mal gelesen und da haben sie über Frieden gesprochen, halt dass es nicht so viel Krieg geben soll und so. […] Ja, ähm, (…) ich glaub da stand noch drauf: »Wir müssen alle helfen, dass Frieden zur Erde kommt« oder so. (..) Und ich glaub, wirklich mehr stand da nicht.« (LUKAS_Im9k2, Pos. 102–104) »Also da haben wir mal ein Bild gemacht, wo eine Straße drauf sein musste und Blumen und Bäume. Und das haben wir dann eine Stunde lang, also eine Schulstunde lang gemalt.« (AARON_Im9m, Pos. 78)

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

Erwünschte Unterrichtsinhalte

285

D: »Hm. (.) In der Pause, weil da halt eigentlich ist der Pausenhof bei uns an der Schule ein Schlachthof. (.) Oder ein Schlachtfeld.« […] I: »Und da kann man dann was über Frieden lernen?« D: »Ja, weil sich dann halt alle am Ende wieder vertragen.« (DENNIS_Im10k1, Pos. 162–168)

I: »[W]enn du jetzt Lehrer wärst, wo würdest du das denn am liebsten machen oder was würdest du denn den Kindern da beibringen wollen?« O: »[.] Äh, dass die, wenn die groß sind keinen Krieg selber machen.« (OLIVER_Im9ev2, Pos. 95–96) Tabelle 31: Ankerbeispiele für die Kategorie ›Frieden und Schule‹

9.3.1.4 Frieden weltweit Erzähle mir, wie du dir eine friedliche Welt vorstellst. Bezüglich der Zeichnungen vom Leben in einer friedlichen Welt: Erzähle mir doch bitte, was genau du gezeichnet hast und warum du genau das gewählt hast. Kategorie Frieden weltweit insgesamt Natur

Anzahl der Codierungen / Anzahl der Dokumente bei N=15 20 / 10 8/5

Restkategorie ›Frieden weltweit‹ 12 / 8 Tabelle 32: Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie ›Frieden weltweit‹ mit Subkategorien

Nachdem das Augenmerk zunächst auf die Dimensionen, die sich für die Kinder angesichts Friedens im Nahraum eröffnet haben, gerichtet wurde, werden nun zentrale Aspekte von positivem Frieden weltweit betrachtet. Dabei ist der Begriff der ›friedlichen Welt‹ im Vordergrund, wobei auch hier gesagt werden kann, dass die Kinder teilweise auf die diesbezügliche Frage mit Szenen aus ihrem sozialen Umfeld – also nahräumlich – argumentiert und geantwortet haben. Was internationale Geschehnisse betrifft, die im Sinne positiven Friedens vorhanden sein sollten, um sich Frieden anzunähern, nennen die Kinder im Wesentlichen folgende Punkte: Zunächst wurden von einigen Befragten die Natur und der damit einhergehende Umweltschutz genannt. Ihre Ideen, Ziele und Wünsche, um Frieden innerhalb eines gesunden Planeten zu erreichen sind dabei einerseits auf erneuerbare Energien (wie z. B. Elektro-Autos oder die Verwendung von Wasserstoff als Treibstoff) gerichtet. Andererseits wird auch eine adäquate (Plastik-)Müll-

286

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

verarbeitung angesprochen, die für die Umwelt hilfreich sei. Zuletzt wird auch das Vorkommen einer gesunden Flora genannt, wenn Clara (Iw9k1, Pos. 114) sagt: »Also ich stell’ mir eine friedliche Welt vor, halt wo’s keinen Krieg gibt, halt viele grüne Wiesen mit Bäumen, weil wir die ja zum Atmen brauchen.« Dabei verdeutlicht sie, dass sie das Wohlbefinden der Natur auch in Beziehung mit dem Wohlbefinden der Menschen stellt. Im Umkehrschluss: wenn die Erde zerstört wird, hat der Mensch keine Möglichkeit mehr, zu atmen – und somit kann er nicht weiterleben. Vor allem in der Kategorie der Natur zeigt sich die Verbundenheit der Motive der Kinderzeichnungen mit den Aussagen im Interview. Während in den Abbildungen der friedlichen Welt häufig grüne Wiesen, große Bäume und bunte Blumen dargestellt wurden, stehen demgegenüber auf der unfriedlichen Bildseite karge Landschaften und verkümmerte Pflanzen. In Franziskas Zeichnung beispielsweise ist die »letzte überlebende Pflanze« (FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 34) klein und schutzbedürftig unter einem Glas gezeichnet.936 Neben der Natur sind außerdem die Beziehung und gegenseitige Behandlung der Menschen mit- und zueinander für die Kinder von Bedeutung zur Erklärung friedlichen Lebens. Ausgehend von der Einzigartigkeit und ›Un-Austauschbarkeit‹ jeder Person, wie sie beispielsweise Bea betont, lässt sich auf ein Verständnis der Würde jedes einzelnen Menschen schließen. Sie spricht allen Personen eine bestimmte Besonderheit beziehungsweise Einzigartigkeit zu, die in ihrer Vorstellung dazu führt, dass jedes Individuum so angenommen werden sollte, wie er oder sie ist. Dieser Argumentation folgt auch Lukas (Im9k2, Pos. 10), der davon ausgehend jedem Menschen Handlungsfreiheit zuspricht: »[…] dass jeder sein darf wie er will, weißt du? (…) [atmet hörbar aus] Dass man halt sein darf, wie man will. Dass man macht, wie man will. Wie mans halt am besten findet.« Eine weitere Dimension, die eröffnet wird, ist bei Dennis die der sozialen Gerechtigkeit. Auf die Frage nach seiner Vorstellung von einer friedlichen Welt berichtet er von einer Idee, die am ehesten als egalitäre Gerechtigkeit937 bezeichnet werden kann. Für ihn bedeute ein gegenseitiges Geben und Nehmen in gerechtem Rahmen das Erreichen von mehr Frieden in der Welt. Ähnliches findet sich auch in einem anderen Interview, in dem der Befragte Aaron das Spenden für Ärmere als für den Frieden förderlich herausstellt.938

936 Vgl. Kapitel 9.2.1.1. 937 Vgl. Kapitel 9.3.1.4. 938 Genauere Analysen zur Gerechtigkeit finden sich in der folgenden Kategorienbeschreibung.

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

Natur(-schutz) für Frieden

287

»Also, dass es lieber elektrische Autos gibt.« (..) (AARON_Im9m, Pos. 122) »halt viele grüne Wiesen mit Bäumen, weil wir die ja zum Atmen brauchen.« (CLARA_Iw9k1, Pos. 114) »Äh, zum Beispiel der Müll oder (.) so, dass man irgendeine Lösung findet halt, dass man den Müll irgendwie zu was Pflanzlichen oder sowas (.) machen kann. (..)« (FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 148) »Dass es unserem Planeten gut geht.« (DENNIS_Im10k1, Pos. 294)

Menschenrechte/ Wertschätzung gegenüber anderen

»Dass f/ (..) für Kinder, die arm sind, gespendet wird. (4sek) Äh. (..) Ja. (4sek)« (AARON_Im9m, Pos. 122) »Jeder so, wie er ist.« (BEA_Iw9m, Pos. 153) »Man/ Man kann das/ den Menschen nie austauschen. Weil er ganz anders ist. Er hat einen ganz anderen Fingerabdruck (.) und so. Also an jedem Menschen ist etwas Besonderes.« (BEA_Iw9m, Pos. 163) »(.) und dass/ (…) was ich auch toll fänd, eine meiner Ideen, wo ich mir Welten vorstell, dass es anstatt Geld gar kein Geld mehr geben sollte, sondern dass alle/ dass halt jeder des macht, was ihm halt Spaß macht als Beruf und dafür geben dir halt alle alles umsonst. Zum Beispiel der Schuhmacher gibt dem Bäcker Schuhe, wenn er Schuhe braucht und der Bäcker gibt dem Schuhmacher Schuhe/ ähm, dem/ nein, der Bäcker gibt dem Schuhmacher Brot, wenn er Hunger hat. (..)« (DENNIS_Im10k1, Pos. 294)

Tabelle 33: Ankerbeispiele für die Kategorie Frieden weltweit

9.3.1.5 Frieden und Gerechtigkeit Was verstehst du unter Gerechtigkeit? Findest du, dass Gerechtigkeit etwas mit Frieden zu tun haben kann? Kategorie Frieden und Gerechtigkeit insgesamt Zusammenhang mit Frieden Ja Nein Unsicher

Anzahl der Codierungen / Anzahl der Dokumente bei N=15 55 / 15 30 / 15 18 / 10 2/2 10 / 7

288

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

(Fortsetzung) Kategorie Formen von Gerechtigkeit Gerechte Behandlung/Gleiche Rechte

Anzahl der Codierungen / Anzahl der Dokumente bei N=15 25 / 13 11 / 6

Gerechte Verteilung von Gütern/Geld 14 / 11 Tabelle 34: Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie ›Frieden und Gerechtigkeit‹ mit Subkategorien

Eine weitere Kategorie, die sich aus der Forschungsfrage bezüglich der Vorstellungen von Kindern der Primarstufe zu Frieden ergibt, ist die Gerechtigkeit. Wie bereits herausgestellt wurde, ist im Nachdenken über Frieden sowohl im Nahraum als auch auf weltweiter Ebene der Prozess der zunehmenden Gerechtigkeit nicht außen vor zu lassen.939 Dabei wird angenommen, dass Gerechtigkeit – im Speziellen die soziale Gerechtigkeit und Fairness im unmittelbaren Umfeld – eine Voraussetzung für gelingende Friedensprozesse darstellt, weshalb hier von einem positiven Friedensaspekt gesprochen werden kann. Innerhalb der Interviews wurde diese Kategorie auf zwei unterschiedliche Arten abgefragt und beforscht. Zum einen ist herauszustellen, ob für die Probandinnen und Probanden im Allgemeinen überhaupt ein Zusammenhang zwischen Frieden und Gerechtigkeit besteht und in welcher Weise sie diesen begründen oder negieren. Zudem hat sich gezeigt, dass die Kinder unterschiedliche Vorstellungen und konkrete Beispiele äußern und verwenden, um das Phänomen der Gerechtigkeit zu beschreiben. Diese werden im Folgenden analysiert. Formen von Gerechtigkeit Es kann festgehalten werden, dass die genannten und beschrieben Formen von Gerechtigkeit zwei verschiedene soziale Faktoren und Bereiche betreffen. Die erste wurde innerhalb der Kategorien als gerechte Behandlung / gleiche Rechte betitelt, die zweite als gerechte Verteilung von Gütern / Geld. Innerhalb ersterer Kategorie wird Gerechtigkeit mit einem funktionierenden sozialen Miteinander verknüpft, in dem Menschen gleich beziehungsweise gerecht behandelt werden. Diese Vorstellung deckt sich mit den Ausführungen zur Fairness im Bereich des Zwischenmenschlichen.940 Es fällt auf, dass alle Aussagen, die innerhalb der Kategorie ›gerechte Behandlung/gleiche Rechte‹ codiert wurden, Berichte und Beispiele aus der Lebenswelt der Kinder enthalten. Dies ist erwartbar, da sie vor allem nach ihren eigenen Erlebnissen und Erfahrungen gefragt wurden, aller939 Vgl. Kapitel 4. 940 Vgl. Kapitel 5.1.2.3.

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

289

dings ist es dennoch bemerkenswert, dass keinerlei Verknüpfungen zu sozialer Gerechtigkeit innerhalb eines Gesellschafts- oder internationalen Systems hergestellt werden – wie es in der Kategorie der ›gerechten Verteilung von Gütern/ Geld‹ sehr wohl geschieht. Insgesamt lassen sich bezüglich ›gerechter Behandlung und Rechte‹ vonseiten der Kinder Beispiele finden, die mit der Beziehung zu anderen Personen (zu Freunden, Lehrkräften oder Eltern) oder schulischer Leistung im Zusammenhang stehen. Bea (Iw9m, Pos. 55–59) stellt heraus, dass für sie Gerechtigkeit dann herrscht, wenn ein Vater kein »Lieblingskind« hat, sondern seine Kinder alle gleich behandelt und »lieb hat«. Ebenfalls wichtig erscheint die gleiche beziehungsweise gerechte Behandlung bei erreichten Leistungen. Hier steht für die Befragten im Vordergrund, dass Leistung so bewertet und wertgeschätzt werden soll, dass sie der Mühe des Prüflings entspricht. Dennis begründet dies folgendermaßen: »[…] jeder wird gleich behandelt, das ist auch gerecht. Oder niemand ist besser als der Andere oder schöner oder schneller. (.) Kann in der Hinsicht schon stimmen, dass jemand wirklich schneller ist als einer, aber (…) man sollte dann den Anderen, der dann langsamer ist, nicht deshalb runtermachen. (.) Man sollte einfach beide loben, dass sie’s gut gemacht haben.« (DENNIS_Im10k1, Pos. 234)

Bezüglich der Beziehung zu Freunden ist es ebenfalls von Relevanz, dass im Spiel Fairness herrscht. Jana (Iw9b, Pos. 88) betont beispielsweise, dass alle bei einem Spiel mitmachen dürfen, wenn sie das möchten. Demgegenüber steht, wie bereits gesagt, die gerechte Verteilung von Gütern oder Geld, mit der andere Kinder Gerechtigkeit verbinden. Teilweise lassen sich auch Verbindungen zwischen der gerechten Behandlung und gerechter Verteilung finden, wenn der von Bea beschriebene Vater, der kein »Lieblingskind« hat, eine Torte gerecht zwischen seinen Kindern aufteilt. Das Motiv der gerecht verteilten Süßigkeit taucht auch in weiteren Interviews auf.941 Eine ähnliche Argumentation findet sich in der gerechten Verteilung von Geld, das eine Großmutter ihren Enkelinnen und Enkeln schenkt (CLARA_Iw9k1, Pos. 78) oder wenn ein Junge, der das technische Gerät seines Freundes kaputt gemacht hat, ihm dies ersetzt (AARON_Im9m, Pos. 90). Teilweise finden sich aber auch Aussagen, die eben nicht das soziale direkte Umfeld betreffen (oder dieses als Beispiel nennen), sondern das Phänomen der Gerechtigkeit auf internationaler Ebene beschreiben. Zentral ist in diesem Zusammenhang die Verteilung von Geld, die vor allem in Anbetracht von Armut für die Kinder von Bedeutung zu sein scheint. Einzelne Menschen sollen also auch armen Menschen etwas von ihrem Geld abgeben oder auch Länder andere Staaten unterstützen.

941 Vgl. z. B. GEORG_Im9ev1, Pos. 86; LUKAS_Im9k2, Pos. 134.

290

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

Zusammenhang von Gerechtigkeit und Frieden Inwiefern diese Vorstellungen von Gerechtigkeit für die Kinder im Zusammenhang mit Frieden stehen, wird nun geklärt. Anhand der in Tabelle 34 dargestellten quantitativen Zahlen wird bereits deutlich, dass für zwei Drittel der Befragten ein solcher Zusammenhang besteht, wobei sich auch einige (zunächst) unsicher waren. Lediglich zwei Kinder sehen keine Verbindung zwischen beiden Phänomenen. Relevant ist neben der Deutlichkeit des gezogenen Zusammenhangs die Begründung dessen, die auf vielfältige Weise getätigt wurde. Ein Aspekt ist die Verknüpfung von gelingender Gerechtigkeit mit Gefühlen und Denkweisen, die Frieden begünstigen. Durch Gerechtigkeit (hervorgerufen durch gerechte Behandlung) können schlechte Gefühle vermieden werden (LUKAS_Im9k2, Pos. 136), durch sie kann »Ruhe« (FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 120) einkehren. Zudem wird sichtbar, dass Gerechtigkeit auch friedensschädigenden Faktoren präventiv begegnen kann. Sie wird als Phänomen betrachtet, das Aspekten negativen Friedens, wie Streit oder Krieg, entgegen- oder vor-wirken kann. So kann Gerechtigkeit entweder Streit lösen oder dafür sorgen, dass dieser gar nicht erst ausbricht. Via negationis formuliert Marius Ungerechtigkeit als Auslöser für internationale Konflikte: »Hm. (.) Ja, weil es halt dann auch ungerecht ist, wenn die einen zum Beispiel, des ist (..) Weil bei den einen ist Krieg und bei uns nix und des ist für die dann auch sozusagen ungerecht und des ist dann auch für uns ungerecht, weil die kommen ja dann alle zu uns. Also viele. Und ja.« (MARIUS_Im10ev, Pos. 122)

Es zeigt sich also, dass für einige Kinder, die Gerechtigkeit als faire Behandlung von Menschen verstehen, diese auch als Voraussetzung für gelingenden Frieden gilt. Mehr noch: bei Dennis (Im10k1, Pos. 232) und Bea (Iw9m, Pos. 53) wird deutlich, dass ohne Gerechtigkeit Frieden nicht möglich sein kann. Einschränkungen der Verbindung finden sich nur bei zwei Kindern. Aaron (Im9m, Pos. 94) begründet seine Verneinung allerdings nicht. Franziska (Iw10b1, Pos. 120–122) betont, dass auch bei herrschender Gerechtigkeit Menschen nach noch mehr verlangen könnten, wobei sie im Anschluss dennoch einen Zusammenhang herstellt und Gerechtigkeit mit Ruhe verbindet – eine Verknüpfung von Frieden und Gerechtigkeit sei also nur ›manchmal‹ möglich.

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

Gerechtigkeit als gerechte Behandlung / gleiche Rechte

291

»Damit zum Beispiel (..) nicht so wie ein Vater, der ein Kind mehr mag als das andere, (.) sagt zum Lieblingskind: ›Hier.‹« (BEA_Iw9m, Pos. 55) »Hm, weil Gerechtigkeit einfach, jeder soll gerecht behandelt werden. (.) Jeder hat ein Recht darauf, halt das zu machen, was ihm Spaß macht und jeder hat ein Recht darauf, seine Meinung zu sagen.« (DENNIS_Im10k1, Pos. 232)

Gerechtigkeit als gerechte Verteilung von Gütern / Geld

»Also, was ich darüber verstehe, (..) zum Beispiel, dass, ähm, (.) naja, (..) Gerechtigkeit ist eigentlich (.) jetzt so gesagt mal beim Spiel, da ist es zum Beispiel dann unfair, dass zum Beispiel ein Kind jetzt nicht mitspielen darf, aber das andere doch.« (JANA_Iw9b, Pos. 88) »Aber, wenn man beide Kinder lieb hat, wie unsere Eltern, dann sagt man: ›Hier, ein Stück vo/ von der Torte, die Hälfte von der Torte für dich, Lila, und die andere (…) St/ Stück (.)/ Hälfte für dich, Laura.‹« (BEA_Iw9m, Pos. 57) »[.] Naja, was ich zum Beispiel, äh, gerecht finde, [.] ähm, bei Europa oder so, äh, manche Länder haben viel Geld, äh äh, hm, äh, ähm, also ein Land hat ganz viel Geld, richtig viel. Ähm, und das andere ganz wenig. Dass das eine Land, äh, auch an das andere Land Geld abgibt. Da gibt es ja irgendso eine Kasse oder so.« (OLIVER_Im9ev2, Pos. 170) »(.) Hm. (.) Also wenn man jetzt zum Beispiel, ähm, (.) man hat fünf Gummibärchen dabei (.) und der andere hat nur/ (.) die anderen haben/ der andere hat null dabei, kann man die fünf in eine Hälfte teilen, alle fünf. Dann hat man zehn Hä/ zehn Hälften. Und dann kriegt jeder fünf Hälften.« (GEORG_Im9ev1, Pos. 86)

Gerechtigkeit als Voraussetzung für gelingenden Frieden

»(..) Weil (.) jeder hat dann etwas gerechtes, wenn/ wenn es Frieden herrscht/ herrschen muss, (..) dann muss es auch (…) ähm, alles gerecht sein, (…) und/« (BEA_Iw9m, Pos. 53) »Hm, weil Gerechtigkeit einfach, jeder soll gerecht behandelt werden. (.) Jeder hat ein Recht darauf, halt das zu machen, was ihm Spaß macht und jeder hat ein Recht darauf, seine Meinung zu sagen. Deshalb hat Gerechtigkeit in der/ in dem Sinn hat für mich Gerechtigkeit sehr viel mit Frieden zu tun, weil wenn’s keine Gerechtigkeit gäbe, gäbe es keinen Frieden. (..)« (DENNIS_Im10k1, Pos. 232)

292 Gerechtigkeit zur Prävention von friedensschädigenden Faktoren

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

»(..) Ja, dann streiten die sich nicht auch, dann sind sie auch friedlich.« (EMIL_Im10k2, Pos. 136)

»Ja, weil wir uns sonst streiten (lacht).« (CLARA_Iw9k1, Pos. 80) Tabelle 35: Ankerbeispiele für die Kategorie ›Gerechtigkeit‹

9.3.1.6 Zusammenfassung Zusammenfassend können bezüglich der bisher untersuchten Kategorien folgende Aspekte herausgestellt werden: Die Gefühle, welche die Kinder mit Zufriedenheit in Verbindung bringen, sind für sie mit Außergewöhnlichkeit, mit dem ›Besonderen‹ verknüpft. Sie empfinden Glück und Geborgenheit in Verbindung damit, dass ihre Eltern und Freundinnen / Freunde Zeit für sie haben. In Teilen wird auch das Gefühl der inneren Ruhe mit Zufriedenheit konnotiert – wenn niemand stört und wenn sie ihren eigenen Interessen nachgehen können. Aus subjektorientierter Perspektive kann die Zufriedenheit mit all den damit verbundenen Gefühlen und Ereignissen einen Bestandteil des Strebens zum Frieden (im Nahraum) darstellen. Ein expliziter Zusammenhang zwischen Frieden und Zufriedenheit im Nahraum wird von den Kindern allerdings nicht hergestellt. So wird beispielsweise nicht davon ausgegangen, dass die gemeinsamen Ausflüge mit den Eltern oder Freundinnen und Freunden eventuellen Konflikten vorbeugen könnten. Vielmehr verbinden die Heranwachsenden das Gefühl der Zufriedenheit mit Erlebnissen, die sie selbst betreffen und die für sie ›besonders‹ sind, wie beispielsweise der eigene Geburtstag. In Hinblick auf die Thematisierung von Frieden in der Schule sind besonders zwei Aspekte von Bedeutung. Zum einen das Erlebte und die Unterrichtsinhalte, an die sich die Schülerinnen und Schüler erinnern können. Denn obwohl direkt nach ihrem eigenen, persönlichen Wunsch (einer zukünftigen Thematisierung) gefragt wurde, nennen die Probandinnen und Probanden häufig ihre Erfahrungen und beziehen sich auf das, was bereits Thema im Unterricht war. Zum anderen scheinen in diesem Zusammenhang die Rolle und der Standpunkt der Lehrkraft nicht unerheblich zu sein. Die Kinder, denen das Thema ›Frieden‹ im Unterricht bereits begegnet ist, erinnern sich gut an das, was die Lehrerin oder der Lehrer angesprochen haben und nehmen diese Aussagen häufig als gegeben an. Zuletzt ist auch die Bedeutung des Religionsunterrichts innerhalb dieser Kategorie zum Tragen gekommen – genauer wird dieser innerhalb von Frieden und Religion betrachtet. Bezüglich des positiven Friedens weltweit wurden vor allem die Natur und das wertschätzende Verhalten von Menschen zueinander herausgestellt. In dieser

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

293

Hinsicht lassen sich im Vergleich zum negativen Friedensbegriff bereits jetzt einige Aspekte erfassen, die eine ähnliche Argumentationsstruktur vonseiten der Probandinnen und Probanden aufweisen. So wird die Kategorie der Umweltverschmutzung als Negativum von Frieden im Folgenden noch von Bedeutung werden.942 Es zeigt sich zudem, dass in der Betrachtung der Interviewkategorie zum positiven Frieden eine Parallele zu dem Gezeichneten und zu den diesbezüglichen Erklärungen der Kinder gezogen werden kann. Die Natur und das Wohlbefinden der Menschen (im Nahraum und weltweit) sind auch innerhalb der Zeichnungen ein zentrales Motiv.943 Das Gerechtigkeitsverständnis der Kinder kann als differenziert bezeichnet werden. Mehrere Formen gerechten Verhaltens oder gerechter Verteilung wurden genannt und erläutert. Dabei stellte der Großteil der Befragten (zehn von 15) auch einen Zusammenhang zwischen Frieden und Gerechtigkeit her, der auf unterschiedliche Weise begründet wurde. Insgesamt lässt sich die starke Lebensweltgebundenheit der Vorstellungen eines positiven Friedensbegriffs feststellen, die alle der entsprechenden Subkategorien durchzieht.

9.3.2 Kindliche Friedensvorstellungen via negationis: Faktoren, die Frieden schaden Welche Voraussetzungen für gelingenden Frieden von Nöten sind, lässt sich auch via negationis beschreiben. Der Weg dessen, was eben nicht vorhanden sein darf, um im Prozess der Friedensförderung wirksam zu werden, kann qualitative Merkmale der Vorstellungen zu Frieden charakterisieren. Innerhalb der Interviews wird diese Kategorie ebenfalls auf Mikro-, Meso- und Makro-Ebene untersucht. Hierzu werden zunächst Faktoren evaluiert, die das soziale Umfeld betreffen – im Konkreten: Streit (Mikro-Ebene). Die Makro-Ebene wird betrachtet, indem die Vorstellungen der Kinder zu Kriegsursachen und entsprechenden Lösungsstrategien auf weltweiter Ebene untersucht werden. In der Mitte dieser beiden Ebenen steht das Phänomen der Gewalt, das, wie in Kapitel 5.4 beschrieben, sowohl den Nahraum als auch weltweite Konflikte betreffen und durchdringen kann.

942 Näheres hierzu wird in Kapitel 9.3.2.3 konkretisiert. 943 Vgl. Kapitel 9.2.1.1.

294

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

Kategorie Negativer Friedensbegriff insgesamt Negativer Frieden weltweit Davon in Restkategorie ›Negativer Frieden weltweit‹ Negativer Frieden im Nahraum

Anzahl der Codierungen / Anzahl der Dokumente bei N=15 310 / 15 131 / 15 8/5 131 / 15

Gewalt 48 / 13 Tabelle 36: Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie ›Negativer Frieden‹ mit Subkategorien

9.3.2.1 Streit Was gibt es für Gründe, dass du dich manchmal mit deinen Freunden streitest? Gibt es einen Streit, von dem du erzählen möchtest? Wie habt ihr diesen Streit gelöst? Zunächst wird die Kategorie ›Streit‹ in den Blick genommen. Es werden Konflikte im interpersonalen Miteinander untersucht, wie Kinder diese erleben, mit wem sie sich streiten und welche Lösungsmöglichkeiten und -strategien die Grundschülerinnen und -schüler diesbezüglich äußern. Kategorie Streit insgesamt Allgemeine Aussagen zu ›Streit‹

Anzahl der Codierungen / Anzahl der Dokumente bei N=15 130 / 15 25 / 13

Beteiligte am Streit Streitursachen

16 / 13 28 / 14

Ablauf des Streits Konfliktlösung

21 / 12 40 / 15

Tabelle 37: Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie ›Streit‹ mit Subkategorien

Die narrativ, also offen gestellte, Frage nach einem Streit wurde von den meisten Kindern mit der Erzählung eines konkreten Konfliktes beantwortet. Dabei berichteten sie von unterschiedlichen Beteiligten an der Auseinandersetzung. Die meistgenannten sind Freundinnen oder Freunde, aber auch die Schwester oder der Bruder. Dies ist nicht verwunderlich, da explizit nach Konflikten im sozialen Umfeld (mit Gleichaltrigen) gefragt wurde und nicht etwa mit den Eltern. Dabei haben die meisten Befragten über erlebte Auseinandersetzungen gesprochen, nur wenige gaben an, dass sie sich an keinen konkreten Disput erinnern würden

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

295

oder sogar nie streiten würden.944 Allgemein lässt sich sagen, dass innerhalb dieser Kategorie verdeutlicht werden kann, dass die Kinder Streit in Verbindung mit Unfrieden bringen. Das wird zum einen deutlich in einigen Zeichnungen, die angefertigt wurden. Wie die Auswertung der Personendarstellungen in Kapitel 9.2.1.2 aufgezeigt hat, befinden sich manche der abgebildeten Menschen in Streit- und Konfliktsituationen. Ein weiterer Zusammenhang zwischen Streit und Unfrieden wird zum anderen innerhalb der Interviews deutlich, wenn die Kinder Frieden mit der Abwesenheit von Streit konnotieren. Um einen genaueren Einblick in die Vorstellungen und Erlebnisse der Probandinnen und Probanden zu und mit Konflikten im sozialen Nahraum zu erhalten, werden im Folgenden Streitursachen und vom Ablauf der berichteten Auseinandersetzungen ausgehende Konfliktlösungsansätze und -strategien der Kinder genauer betrachtet. Streitursachen Bevor die genannten Streitursachen genauer betrachtet werden, kann eine Aussage über die Situationen, in denen die Konflikte auftreten, getroffen werden. Insgesamt sind zehn der berichteten Streitsituationen in einem Spiel-Szenario der Kinder mit ihren Freundinnen und Freunden oder Geschwistern aufgetreten. Dabei handelt es sich unter anderem um Fußball- oder Computerspiele, aber auch um sonstige Spielsituationen in der Schulpause oder der Freizeit. Dies ist anzumerken, da sich durch die ähnlichen Situationen, von welchen die Kinder berichten, auch ähnliche Auseinandersetzungen feststellen lassen. Die am häufigsten genannte Streitursache ist eine versehentliche Verletzung im Spiel, die durch Schubsen oder Stolpern hervorgerufen wird. Aber auch absichtliche Gewaltanwendung – physisch und psychisch – ist Thema der Erzählungen der Kinder. Dabei handelt es sich teilweise um Beleidigungen, die im Spiel aufkommen (vgl. BEA_Iw9m, Pos. 19), absichtliches Schubsen (vgl. AARON_Im9m, Pos. 68) oder zugespitzt auch Formen der direkten Gewaltanwendung, die die Streitparteien einander zufügen: »Ähm, und dann ist er halt irgendwie ausgeflippt und hat mich getreten und geschlagen und dann hab ich ihn halt auch (.) ja, geschlagen.« (MARIUS_Im10ev, Pos. 36). Eine weitere Streitursache ist Prahlerei der beteiligten Person, die zur Auseinandersetzung führt. So berichten beispielsweise Dennis und Franziska von einem Streit, den sie miteinander ausgetragen haben und bei dem Dennis besser in einem Computerspiel agiert und damit vor Franziska angegeben hat. Weitere genannte Auslöser für Konflikte sind Missverständnisse oder Meinungsverschiedenheiten im Spiel und das 944 Drei Kinder (Henri, Emil, Nina) waren nicht bereit, von einem Streit zu erzählen oder ihnen ist kein Konflikt eingefallen.

296

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

Empfinden von Ungerechtigkeit. Das zeigt sich zum Beispiel in dem von Bea berichteten Streit, in dem sie ihrer Freundin ein Geheimnis anvertraut, diese allerdings im Gegenzug kein Geheimnis von sich preisgibt (vgl. BEA_Iw9m, Pos. 19). In der Betrachtung des Ablaufs der Konflikt-Erzählungen lohnt es sich, einen Vergleich zwischen Jungen und Mädchen sowie der Altersstufe herzustellen. Zunächst ist, wie oben angeklungen, teilweise eine gewaltvolle Austragung der Auseinandersetzung festzustellen. Das zeigt sich in Schubsen oder auch im Schlagen der anderen Person, aber auch in psychischer Gewaltanwendung wie dem Beleidigen. Beide Phänomene lassen sich sowohl bei den Erzählungen der Mädchen als auch der Jungen finden, hier sind keine Geschlechterunterschiede zu erkennen. Dabei ist allerdings zwischen der Gewalt als Auslöser945 und Gewalt als Folge der Auseinandersetzung zu unterscheiden. Lediglich Marius berichtet von einer Schlägerei als Folge des Streits, an dem er und ein weiterer Junge beteiligt waren (vgl. MARIUS_Im10ev, Pos. 36). Im Zuge der Untersuchung ist aufgefallen, dass unterschiedliche Personen als Auslöserinnen oder Auslöser für die Auseinandersetzungen benannt wurden. Von diesen Benennungen kann darauf Bezug genommen werden, wer an dem Streit ›Schuld‹ hatte, also wessen Handeln zum Konflikt geführt hat. Hierbei wird deutlich, dass die acht- und neunjährigen Befragten alle die Schuld am Streit implizit oder explizit den weiteren Beteiligten zusprechen. Die anderen Personen sind in der Hinsicht die Auslöserinnen und Auslöser, da sie zuerst beleidigen, prahlen, versehentlich verletzen oder mit Missverstehen agieren. Die Kinder, die vom Streit in der Retrospektive erzählen, berichten meist von ihrer Reaktion auf das Verhalten der anderen. Eine andere Sichtweise kann – teilweise – bei den zehnjährigen Viertklässlern festgestellt werden. Beim oben genannten Streit zwischen Dennis und Franziska wird von Dennis niemandem die Funktion des Auslösers/der Auslöserin zugesprochen. Es ist vielmehr allgemein das angeberische Verhalten, das zu einem Konflikt führen kann: »Oder (..) Angeberei, dass irgendjemand bei einem Computerspiel weiter ist als der andere und dann einfach nicht sagt: »Ich bin«/ dann sagt/ normalerweise sagt man: »Ich hab des und des gefunden, ich kann dir dabei helfen«. Manche, also ich und auch manchmal Franziska, sagen dann auch schon andere Sachen, zum Beispiel: »Ich bin weiter als du« oder »Haha, ich hab den Waldtempel geschafft« oder so. (.) Irgendwelche Sachen, die den anderen ärgern und dann (..) sind wir nicht immer ganz nett zueinander.« (DENNIS_Im10k1, Pos. 144)

945 Beispielsweise bei Aaron, der von einem Streit mit seiner Schwester Bea erzählt: »Ja. Und dann (.) irgendwie (…) wir mussten uns touchen, aber dann hat sie mich immer weggestoßen. Dann wurde es mir irgendwie immer langweiliger und langweiliger. Und dann hats mich total genervt und dann bin ich rausgegangen und zu meinen Eltern.« (AARON_Im9m, Pos. 68).

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

297

Es fällt auf, dass der Viertklässler auch darüber reflektiert, dass er selbst in manchen Situationen das Verhalten zeigt, welches die Auseinandersetzung auslöst. Inwiefern diese Auffälligkeiten mit dem höheren Alter der Befragten und damit einem höheren Reflexionsvermögen zusammenhängen, lässt sich auf Grundlage der geringen Stichprobe nicht letztendlich feststellen und evaluieren. Jedoch sind die Unterschiede in der Auslöser- oder Schuldfrage für Konflikte bemerkenswert. Konfliktlösungsstrategien der Kinder im Streit Bevor die Konfliktlösungen der Heranwachsenden genauer betrachtet werden, wird zunächst geklärt, was in direktem Anschluss an die Auseinandersetzungen geschieht. In den meisten Fällen (acht von zwölf Befragten, die von einem Streit berichtet haben) erzählen die Kinder davon, dass sie oder die anderen Beteiligten die Situation verlassen oder sich bei Erwachsenen Hilfe suchen. In einigen Befragungen kommt zur Sprache, dass der Streit ›am nächsten Tag‹ oder zumindest nach einiger Zeit wieder gelöst sei, was sich mit dem Verlassen der Konfrontation deckt. Nach dem Entfernen aus der Streitsituation sind innerhalb der Interviews drei Handlungen festzustellen, welche die Kinder vollziehen. Einige suchen, wie gesagt, bei Erwachsenen Unterstützung, andere sprechen (zu einem späteren Zeitpunkt) mit ihrem Konfliktpartner oder ihrer Konfliktpartnerin. Wieder andere berichten davon, dass ein Streit irgendwann einfach vergessen wäre. Die Gruppe der Kinder, die von Konflikten berichten, die nicht weiter besprochen werden, sondern im Laufe der Zeit einfach vorbei seien, ist mit acht Kindern946 die größte. Auch ohne Entschuldigungen oder eine sonstige Aussprache wird entweder die vorherige Spielsituation wieder hergestellt oder am nächsten Tag wieder normal miteinander agiert. Bemerkenswert in dieser Hinsicht ist, dass auf die Frage, wie die Kinder Konflikte anderer lösen würden947, in allen Fällen die gemeinsame Aussprache und das Entschuldigen genannt wurde. Einige wenige der Erzählungen der Probandinnen und Probanden beinhalten auch auf ihre persönlichen Erfahrungen bezogene Gespräche mit ihren Freundinnen oder Freunden. Entweder aus Eigeninitiative oder in Folge der Schlichtung vonseiten der Eltern oder Lehrkräfte, nennen diese Kinder das Entschuldigen oder gemeinsame Suchen nach Lösungen als Ende des Streits. Die Berichte führen dabei nicht weiter aus, was genau gesagt wurde, die Befragten benennen die Entschuldigung lediglich. Folge der Entschuldigung oder des Vergessens ist die Herstellung der Ursprungssituation. Das heißt, die Kinder, die sich im Spiel

946 Vgl. Interviews mit Aaron, Bea, Dennis, Franziska, Karl, Nina, Oliver und Paula. 947 Diese Frage wurde folgenden Kindern gestellt: Emil, Franziska, Georg, Henri und Karl.

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Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

miteinander gestritten haben, spielen auch im Anschluss an den Streit wieder miteinander. Abschließend soll geklärt werden, ob für die Kinder interpersonale Konflikte überhaupt als Negativum von Frieden fungieren. Wie in Kapitel 9.2 dargestellt wurde, sind in den Zeichnungen der unfriedlichen Welt teilweise Streitsituationen abgebildet worden, weshalb diese zunächst eindeutig zu den Faktoren eingeordnet wurden, die Frieden schädigen – zumindest im Nahraum. Jedoch zeigen die oben genannten Aussagen zur Konfliktlösung deutlich, dass auch die Streitigkeiten mit ihren Freunden keine derart destruktiven Auswirkungen haben, dass die Freundschaften immens leiden oder gar aufgelöst werden würden. Einige der Befragten betonen dabei, dass für sie Streit auch dazu gehöre, »mega selten« (EMIL_Im10k2, Pos. 106) sei und dennoch festzuhalten ist: »Aber ich mag meine Freundinnen trotzdem.« (CLARA_Iw9k1, Pos. 74). Demgegenüber stehen allerdings auch Aussagen, die Streit als friedensschädigend wahrnehmbar machen. Neben den Darstellungen in den Zeichnungen wird in der Beschreibung einer friedlichen Welt via negationis auch die Abwesenheit von Streit zugeschrieben. Lukas beschreibt eine friedliche Welt durch die Abwesenheit des Konflikts, der in seiner Familie aufkommen kann folgendermaßen: »(..) Ich stell mir eine friedliche Welt so vor im Prinzip glaub ich, dass, ähm, (..) halt alles friedlich ist, weißt du? Dass es in der Früh zum Beispiel, wenn, ähm, welche noch schlafen wollen, aber die anderen voll die Frühaufsteher sind, dass dann die Frühaufsteher leise sind, dass es keine Konflikte gibt, dass die noch schlafen wollen.« (LUKAS_Im9k2, Pos. 162)

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

Streitursachen in Spielsituationen

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»Oder (..) Angeberei, dass irgendjemand bei einem Computerspiel weiter ist als der andere und dann einfach nicht sagt: ›Ich bin‹/ dann sagt/ normalerweise sagt man: ›Ich hab des und des gefunden, ich kann dir dabei helfen.‹« (DENNIS_Im10k1, Pos. 144) »An meinem Geburtstag, exakt an meinem Geburtstag, wo ich so beim Bowling war, wo ich neun Jahre alt war/ wurde, dort beim Einkaufszentrum [Anm. JK: Originalbegriff aufgrund des Datenschutzes geändert] und/ da waren wir halt und unsere Tante, Onkel und Cousinen wohnen da halt in der Nähe und sind zu unserer Party gekommen und dann haben sie etwas geredet und so und dann, nur weil meine Freundin einen Punkt mehr hatte als ich, beim Bowling, hat sie mir einfach das Ballazeichen gezeigt.« (BEA_Iw9m, Pos. 27) »Also, [räuspert sich] da haben mal ich, der (..) Martin aus meiner Klasse und der Nils und der Marvin aus meiner Klasse gespielt. Und [räuspert sich] dann haben wir halt angehalten, weil jemand vorbeiwollte und dann sind wir alle gegen/ sind die alle gegen mich vorne geknallt und dann gab’s halt/ dann war ich halt n bisschen wütend.« (GEORG_Im9ev1, Pos. 40)

Gewaltanwendung in Streitsituationen

»Ja. Und dann (.) irgendwie (…) wir mussten uns touchen, aber dann hat sie mich immer weggestoßen. Dann wurde es mir irgendwie immer langweiliger und langweiliger.« (AARON_Im9m, Pos. 68) »(.) Ähm, und dann ist er halt irgendwie ausgeflippt und hat mich getreten und geschlagen und dann hab ich ihn halt auch (.) ja, geschlagen.« (MARIUS_Im10ev, Pos. 36)

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Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

Verschiedene Konfliktlösungsstrategien bezüglich Streit

L: »[…] dann hats geklappt und dann kam auch noch eine Lehrerin und dann war des schon okay.« I: »Wie hats dann geklappt, dass ihr euch wieder vertragen habt?« L: »Ähm, wir haben einfach gesagt, wir machens nie wieder. Wir streiten uns nicht mehr. Und dann hats halt geklappt.« (LUKAS_Im9k2, Pos. 88–90) »Also, ähm, wir sind uns aus dem Weg gegangen und irgendwann sind wir halt wieder (..) äh, zusammengelaufen (.) und dann war alles wieder in Ordnung. Irgendwie.« (FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 78) »Äh. (..) Wir haben uns halt entschuldigt und (…) und gesagt: ›Komm, wollen wir wieder zusammen spielen?‹ und ja. (…)« (GEORG_Im9ev1, Pos. 42)

»Hm, wenn wir streiten, dann vergess ich’s dann. Und das ist auch mega selten.« (EMIL_Im10k2, Pos. 106) Tabelle 38: Ankerbeispiele für die Kategorie ›Streit‹

9.3.2.2 Krieg Warum denkst du, gibt es Krieg zwischen den Menschen? Wie würdest du Krieg abschaffen/lösen? Kategorie Krieg insgesamt Allgemeine Aussagen zu ›Krieg‹

Anzahl der Codierungen / Anzahl der Dokumente bei N=15 87 / 15 18 / 10

Konkrete Kriege Kriegsursachen gesamt

11 / 6 35 / 15

Streit als Grund/nicht einigen können Eroberungskriege

15 / 9 8/5

Unverständnis für Kriege Restkategorie »Kriegsursachen«

3/3 9/7

Lösung von Krieg 23 / 12 Tabelle 39: Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie ›Krieg‹ mit Subkategorien

Nachdem Konflikte, die den Nahraum und damit persönliche Beziehungen betreffen, beschrieben und analysiert wurden, werden nun internationale Konflikte in den Blick genommen. Die Kinder wurden nach ihren Vorstellungen von Krieg, möglichen Ursprüngen und parallel zu den Konfliktlösungsstrategien für Streit auch nach ihren Lösungsansätzen für (internationale) Kriege gefragt. Von Aspekten, die Frieden schaden, auf der Mikroebene wird hier also der Blick auf die

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

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weltweite Makroebene gerichtet. Zwei der sechs Kinder, die Text als Bildtitel in ihre Zeichnung mit eingebaut haben, haben die unfriedliche Bildseite mit ›Krieg‹ beschriftet.948 Bereits hier wird deutlich, dass diese Thematik nicht nur innerhalb der leitfadengestützten Interviews relevant ist, sondern auch eine Rolle innerhalb der Zeichnungen spielt. Wie in Kapitel 9.2.1 beschrieben, sind kriegerische Handlungen, militärische Gegenstände wie Panzer oder Handfeuerwaffen und die Zerstörung von Gebäuden sowie die Verletzung von Menschen häufige Motive innerhalb der Zeichnungen einer unfriedlichen Welt. Kann also davon ausgegangen werden, dass die Grundschülerinnen und Grundschüler Frieden als Abwesenheit von Krieg definieren? Und wenn ja, mit welchen Ausnahmen oder Abstufungen? Welche Ursachen, aber auch Lösungsstrategien können sie sich für dieses Phänomen ausmalen? Zunächst gilt es aber zu klären, was sich die Kinder unter Krieg vorstellen, damit diese Fragen adäquat beantwortet werden können. Vorstellungen von Krieg Eine Hinführung hinsichtlich der Vorstellungen, die Kinder von Krieg besitzen, ergibt sich implizit und verknüpfend aus verschiedenen Kategorien heraus. Hierbei kann ein starker Zusammenhang zu den Kriegsursachen ausgemacht werden, die in einigen Fällen verwendet werden, um eine Annäherung an die Begrifflichkeit zu erreichen. Aber auch die Bedeutungsdimension von Krieg als Gegenteil von Frieden und die damit verbundene Beschreibung als Phänomen, das als Negation friedlichen Lebens zu vermeiden ist, ist gegeben und innerhalb der Interviews aufgekommen. Die Erläuterungen der Probandinnen und Probanden sind dabei aus unterschiedlichen Blickwinkeln getätigt und aus ebendiesen zu betrachten. Zum einen wird eben durch die Negation ausgedrückt, was Krieg nicht ist – nämlich (oberflächlich betrachtet) Frieden. Zum anderen lassen sich durch Schilderungen zu konkreten kriegerischen Auseinandersetzungen, dem Einsatz militärischer Gewalt und zuletzt individuellen (Be-)Wertungen von Krieg, Aspekte zusammensetzen, die kriegerische Konflikte auf unterschiedlichen Ebenen bestimmen und für die Kinder greifbar und verständlich machen. Der erste Bestimmungsversuch des Phänomens Krieg wird über dessen Abwesenheit getätigt. Hierbei richtet sich der Blick der Befragten einerseits auf die zeitliche und andererseits auf die örtliche Abwesenheit innerhalb Deutschlands oder Europas. Zeitlich bedeutet in diesem Kontext, dass sich einem Kriegsverständnis über das Wissen über vergangene kriegerische Auseinandersetzungen wie dem 30-jährigen Krieg oder dem Ersten und Zweiten Weltkrieg angenähert wird. Die Kinder 948 Vgl. Kapitel 9.2.3.

302

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

beschreiben Krieg als ein Phänomen, das »früher« (vgl. GEORG_Im9ev1, Pos. 56) bedeutsam war und die Lebenswelt der Menschen betroffen hat. In anderen Fällen wird Krieg allerdings nicht als ausschließlich historisch wirksames Phänomen angesehen, sondern in örtlicher Dimension beschrieben, indem Kriege auf andere Kontinente, in andere Länder und Staaten verortet werden. Konkret genannt wird dabei beispielsweise der schwelende Konflikt in Syrien.949 Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass einige der Probandinnen und Probanden Krieg über konkrete Auseinandersetzungen beschreiben, die an anderen Orten oder zu anderen Zeiten stattgefunden haben, ihre direkte Lebenswelt aber nicht betreffen und somit von der Außenperspektive her betrachtet werden können. Einen anderen Weg wählen die Kinder, die Krieg im Vergleich zu dem stellen, was sie aus ihrem eigenen Leben kennen und bereits erlebt haben – nämlich Streit. Dieser, eng mit der Erklärung von Kriegsursachen zusammenhängende, Aspekt kommt beim Großteil der Kinder auf. Sie postulieren, Krieg sei wie Streit950 und stellen dabei den direkten Vergleich zu Auseinandersetzungen auf interpersonaler Ebene her. Allerdings ist darunter nicht immer eine direkte Gleichsetzung beider Begrifflichkeiten zu verstehen, stattdessen wird der Begriff ›Streit‹ lediglich als Vergleichskriterium gewählt; Krieg wird gleichzeitig dann aber mit weiteren inhaltlichen Aspekten gefüllt. So ist Krieg teils zwar ›wie Streit‹ beschrieben, aber ›schlimmer‹951 konnotiert. Diese Deutung ist teilweise mit dem Vorhandensein von Waffen oder militärischer Gewalt, aber auch mit Beleidigungen oder interpersonaler Gewalt verknüpft. Die prägnanteste Unterscheidung zwischen Streit und Krieg findet sich bei Jana (Iw9b, Pos. 46–54), die Konflikte auf internationaler Ebene mit »echtem Krieg« betitelt und damit von »unechtem Krieg« oder »Kinderkrieg« differenziert. Es wird deutlich, dass Krieg für sie zwar vergleichbar ist mit Streit, aber stets von Erwachsenen geführt wird und eine Zuspitzung von Streit erfährt, die mit Waffen und militärischer Gewalt ausgetragen wird. Das ›Schlimme‹ und ›Erwachsene‹ am Krieg ist dabei vor allem mit der Wertung von Auseinandersetzungen und den damit verbundenen Emotionen verknüpft. Die individuellen Bedeutungszuschreibungen und der subjektive Vorstellungshorizont, der emotional und wertend gefüllt ist, kommt innerhalb der Interviews meist dann zum Vorschein, wenn die Kinder von ihren Vorstellungen berichten, die sie von Krieg haben. So definieren sie (für sich) den Begriff und

949 Vgl. DENNIS_Im10k1, Pos. 136. 950 Vgl. z. B. MARIUS_Im10ev, Pos. 30. 951 Vgl. z. B. JANA_Iw9b, Pos. 34.

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

303

schreiben ihm im nächsten Schritt eine individuelle Wertung zu – wie folgendes Beispiel zeigt: »Des, Krieg bedeutet für mich halt, wenn man irgendwie, ähm, (…) einen Streit hat, ist auch sowas ungefähr. Und ich will halt auch nicht, dass es irgendwie Streit/ also Streite gibt oder. Ja.« (MARIUS_Im10ev, Pos. 30)

Marius beschreibt hier ebenfalls Krieg als ein Phänomen, das mit Streit vergleichbar ist, den er durch seine persönlichen Erfahrungen als negativ und nicht erstrebenswert konnotiert, indem er direkt feststellt, dass er Streit nicht möchte. Das ›Schlimme‹, das einem Streit, der sich zu Krieg zugespitzt hat, anhaftet, löst bei den Kindern verschiedene Gefühle aus. Und somit auch die Aspekte, die für sie in Verbindung mit derlei Phänomenen stehen. Beispielsweise die Sichtung eines Militärhubschraubers, die Karl erlebt hat, erweckte ein Gefühl der Angst (KARL_Im8ev, Pos. 48). Und auch gegenteilig ist die Abwesenheit von Krieg mit Emotionen der Freude oder Erleichterung verbunden. Die Kinder sind froh, dass »zum Glück« (AARON_Im9m, Pos. 26) in Deutschland momentan kein Krieg herrscht. Kriegsursachen Nachdem geklärt wurde, was Krieg in der Vorstellung der Kinder ist und welche Deutung und Wertung diesem von ihnen zugeschrieben wird, soll nun der Blick auf die Erläuterungen der Befragten zu möglichen Kriegsursachen gerichtet werden. Gerade in Anbetracht der Komplexität, der sich innerhalb der theoretischen Hinleitung bereits gewidmet wurde952, ist es bedeutsam, zu untersuchen, welches Vorwissen und welche subjektiven Bedeutungszuschreibungen die Schülerinnen und Schüler zu den Ursachen von internationalen Konflikten mitbringen – um später friedenspädagogische Maßnahmen und Herangehensweisen ableiten zu können. Innerhalb der 15 Interviews haben fünf Kinder die Eroberung von Ländern als primäre Kriegsursache genannt. In vier Fällen wird dabei von den Schülerinnen und Schülern davon ausgegangen, dass Krieg dadurch begründet ist, dass Menschen eines Landes expandieren und sich mehr Land aneignen wollen. Dabei geht zum Beispiel Bea (Iw9m, Pos. 77) davon aus, dass für eine derartige Erweiterung des eigenen Landes das Töten von Personen toleriert, ja gar angestrebt wird, um das eigene Ziel zu erreichen. Dabei sind die Akteurinnen und/oder Akteure, die genannt werden, die Menschen, die in dem jeweiligen Land leben, das sie vergrößern möchten. Sie werden aber nicht weiter präzisiert. Emil (Im10k2, Pos. 62) erläutert als Grund für den Zweiten Weltkrieg ebenfalls die Eroberung von weiteren Ländern, die Adolf Hitler angestrebt hat. Er 952 Vgl. Kapitel 5.3.2.2.

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Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

benennt ihn als ursächlichen Charakter für die kriegerischen Auseinandersetzungen zur Zeit des Nationalsozialismus und schreibt ihm gleichzeitig die Bewertung des ›Größenwahns‹ zu: »Ja. Ich/ Ding/ im zweiten Weltkrieg, denn Deutschland war da größer als jetzt, aber Adolf Hitler fand das zu klein. Hat der halt so viel eingenommen, da war/ ich glaub, er war auch so größenwahnsinnig.« (EMIL_Im10k2, Pos. 62)

Als weiterer Akteur innerhalb internationaler Konflikte, die in der Vorstellung der Kinder Eroberung als Ursache haben, wird von Nina (Iw9k2, Pos. 46) der ehemalige US-Präsident Donald Trump genannt, wobei sie diesen nicht in direkte Beziehung zur Eroberung setzt, sondern ihn als entscheidenden Faktor für den Ausbruch von Krieg beschreibt. Eine differenziertere Perspektive bezüglich der Ursächlichkeiten und Akteurinnen beziehungsweise Akteure innerhalb internationaler Konflikte zeigt sich in der zweiten Kategorie, in der Streit als Ursprung und Auslöser von Krieg wahrgenommen wird. Dieser ausbrechende Streit kann wiederum unterschiedliche Ursprünge beziehungsweise Ursachen haben, die von den Kindern dargestellt werden. Zunächst sei diesbezüglich die fehlende Einigung verschiedener Konfliktparteien genannt. Die Kinder drücken dies teilweise aus, indem sie äußern, dass sich die zuständigen Personen nicht einigen könnten und deshalb einen Streit miteinander beginnen, der eben als Krieg charakterisiert wird. Bei den zuständigen Personen handelt es sich teilweise unkonkret um Menschen, die verschiedene Länder bewohnen, aber auch konkret um Amtspersonen oder Politiker, speziell Präsidenten von Ländern. Explizit genannt wird in verschiedenen Interviews der ehemalige US-Präsident Donald Trump (beispielsweise von DENNIS_Im10k1, Pos. 242 und JANA_Iw9b, Pos. 96). Der Auslöser für kriegerische Geschehen ist in diesen Fällen dann die Handlung der jeweiligen genannten (spezifischen) Personen, die sich im Konflikt mit anderen befinden. Der Streit ist verursacht durch die fehlende Einigung oder Antipathien zwischen den jeweiligen Konfliktpersonen. Aaron (Im9m, Pos. 22) und Georg (Im9ev1, Pos. 44) eröffnen zwei weitere Einzelaspekte, aus denen Streit zwischen Ländern entflammen können. Ersterer beschreibt Kriegsursachen mit einem Beispiel, in dem ein Land bei einem anderen Schulden nicht zurückzahlt und daraufhin aus dieser Uneinigkeit heraus Krieg ausbricht. Diese Schulden begründet er mit dem ›versehentlichen‹ Sterben von Menschen: »Vielleicht weil sie Schulden machen mussten. Zum Beispiel weil jetzt die Serben aus Versehen (.) beim Deutschen Menschen umgebracht haben und jetzt möchten Deutsche von ihnen Geld verlangen und die Serben geben den Deutschen kein Geld, also gibt es glaube ich dann Krieg.« (AARON_Im9m, Pos. 22)

Georg hingegen argumentiert anhand eines Exempels, das ein vieldiskutiertes und medial wirksames Vorkommnis beinhaltet, der Migration. Er begründet den

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

305

Ausbruch von Krieg ebenfalls durch Uneinigkeiten. Diese entspringen aber seiner Vorstellung nach der Fremdheit von Personen, die in ein Land einwandern: »Wenn (..) ich/ wenn jetzt (.) paar Menschen von einem anderen Land in des Land kommen und die hier sind hier und fangen an, sich zu vers/ ähm, sich kennenzulernen und dann gibt’s irgendwann einen Streit und dann kommen die beiden mit so einem riesen Panzer und dann (.) [macht ›Panzergeräusche‹] (.) gibt’s Krieg.« (GEORG_Im9ev1, Pos. 44)

Der Streit, der zwischen den Konfliktparteien ausbricht und so in letzter Konsequenz zu Krieg zwischen Ländern führt, kann also unterschiedliche Ursachen haben. Deutlich wird insgesamt, dass es sich bei den handelnden Personen in beschriebenen Kriegsszenarien ausschließlich um Erwachsene handelt, welche bestimmte Ämter oder Positionen bekleiden, die ihnen die Macht der Entscheidung über das jeweilige Land gibt. Es fällt auf, dass in keinem Fall eine weibliche Person als Konfliktauslöserin genannt wird. Eine weitere Gruppe der Probandinnen und Probanden zeigt deutliches Unverständnis in Bezug auf die Ursachen von Krieg. Diese betonen, dass sie sich nicht vorstellen können, aus welchen Gründen eine internationale Auseinandersetzung ausbrechen würde. Oliver zieht diesbezüglich wiederum den Vergleich mit dem ihm bekannten und erlebten Phänomen des Streitens mit Freunden heran. Er führt aus, dass Streit ja auch schnell wieder vorbei sei, dementsprechend ergäbe für ihn der Ausbruch eines (längerfristigen) Krieges keinen Sinn (vgl. OLIVER_Im9ev2, Pos. 24–26). Konfliktlösungsstrategien in Bezug auf Krieg Innerhalb der Interviews ist die Thematisierung von Konfliktlösungsstrategien bezüglich internationaler Konflikte nicht aus dem konkreten Erfahrungsschatz der Befragten zu untersuchen. Es kann in dieser Hinsicht nur um Möglichkeiten gehen, die der Vorstellungskraft, dem Vorwissen und den Präkonzepten der Heranwachsenden entsprechen und dabei Rückschlüsse auf deren Annahmen zu Krieg und Lösungsstrategien zulassen. Vor allem im Zusammenhang mit den bereits untersuchten Konfliktlösungsstrategien in Streitsituationen953 können die Erkenntnisse ein übersichtlicheres Bild zeichnen, das Mikro- und MakroEbene mit einbezieht. Zunächst werden aber die Ergebnisse bezüglich der Lösung kriegerischer Auseinandersetzungen genauer betrachtet, bevor sie mit der individuellen Konnotation von Streit verglichen werden. Die Kinder wurden innerhalb der Interviews gefragt, wie sie selbst Krieg lösen würden. Die Antworten reichen von Unverständnis beziehungsweise Ideenlosigkeit über eine Lösung bis hin zur Vorstellung, selbst etwas verändern zu 953 Vgl. Kapitel 9.3.2.1.

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Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

können und im Konfliktfall einzugreifen. Ersterer Aspekt zeigt sich unter anderem bei Aaron, der davon ausgeht, dass Krieg dann zu Ende ginge, wenn alle (beteiligten) Menschen gestorben seien und dadurch von selbst aufhöre – in seiner Vorstellung gibt es also keine alternative Lösung (AARON_Im9m, Pos. 32). Diese Argumentation der Alternativlosigkeit zur völligen Destruktion und zum Sterben der am Krieg beteiligten Personen findet sich auch innerhalb weiterer Interviews. So wird auch von der Zerstörung der jeweiligen Länder gesprochen, die im Krieg miteinander stehen (BEA_Iw9m, Pos. 81). Ein weiterer Aspekt, der deutlich wird, hängt mit der Verantwortlichkeit für kriegerische Auseinandersetzungen zusammen, die von einigen Heranwachsenden den Autoritäten der Konfliktparteien zugeschrieben wird. Genannt werden diesbezüglich Bürgermeister, Präsidenten oder Politiker.954 Diese hätten die Aufgabe, die Situation, welche sie teilweise eben auch selbst zu verantworten haben, wieder in Ordnung zu bringen und den Krieg somit zu beenden. Da die Frage so gestellt war, dass die Kinder auch selbst ihre Vorstellung anbringen können, im Kriegsfall in Aktion zu treten und Lösungsstrategien anzubringen955, hat das Gros der Befragten Handlungsweisen aufgezeigt, welche sie selbst als Akteurin oder Akteur beschreiben. Das schließt einerseits die Kommunikation mit ebengenannten Autoritäten eines Landes oder einer Stadt mit ein, wenn zum Beispiel gesagt wird: »Ich würde erstmal auf jeden Fall mit demjenigen sprechen, der, ähm, (.) also wenn sich zwei streiten […]« (FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 66). Andererseits beschreiben die Kinder Situationen, in denen sie selbst eingreifen würden und so die Konfliktparteien zu einer Lösung bringen möchten. In dieser Hinsicht sind deutliche Zusammenhänge zu den Streitlösungsstrategien der Befragten zu vermerken. Das zeigt sich in der Nennung der Entschuldigung beziehungsweise allgemeiner des ›Vertragens‹. Ähnlich wie bei interpersonalen Konflikten wird die Versöhnung als Möglichkeit angebracht, um auch internationale Konflikte zum Erliegen zu bringen. Einige der Befragten sehen sich dabei selbst in der Lage, die Kriegsführenden zu einem solchen Schritt zu bringen, indem sie dafür sorgen wollen, dass diese sich entschuldigen und wieder vertragen. Sichtbar ist das beispielsweise in Henris Aussage »(.) Ich würd mich einfach in die Mitte stellen und sagen: ›Stopp. (.) Vertragt euch wieder.‹« (..) (HENRI_Im9k1, Pos. 66) oder auch bei Georg, wenn er sagt: »Also ich würde erstmal machen, dass sie sich entschuldigen und sich dann umarmen und dann fragen, ob sie sich das nochmal überlegen wollen, ob die, ähm, sich nochmal kennenlernen wollen oder nicht. Und (.) und dann, wenn’s klappt, würde ich dann (.) erst wieder einspringen, wenn’s wieder losgeht.« (GEORG_Im9ev1, Pos. 46) 954 Vgl. AARON_Im9m, Pos. 34; BEA_Iw9m, Pos. 89; LUKAS_Im9k2, Pos. 48. Die Kinder verwendeten hierbei die männliche Bezeichnung der Berufe. 955 Frage im Leitfaden: »Wie würdest du Krieg abschaffen/lösen?«; vgl. Anhang 2.

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

Nennung konkreter Kriege

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»Ja. Ich/ Ding/ im zweiten Weltkrieg, denn Deutschland war da größer als jetzt, aber Adolf Hitler fand das zu klein. Hat der halt so viel eingenommen, da war/ ich glaub, er war auch so größenwahnsinnig. Und er hat nur verloren, weil er (.), ähm, das Nachbarland angegriffen hat, die Sowjetunion. So hat der verloren. Und dann noch Großbritannien und USA dazu geholfen und dann wars einfach, Deutschland zu besiegen.« (EMIL_Im10k2, Pos. 62) »Deshalb bin ich auch froh, dass wir in so einem Land leben wie Deutschland, (..) weil in anderen Ländern so wie Syrien oder (..) was gibt’s noch? Syrien ist zurzeit Krieg.« (DENNIS_Im10k1, Pos. 136)

Streit als Vergleichskriterium

»Des, Krieg bedeutet für mich halt, wenn man irgendwie, ähm, (…) einen Streit hat, ist auch sowas ungefähr.« (MARIUS_Im10ev, Pos. 30). »Naja, äh, (..) Krieg ist sowas für mich eigentlich wie Streiten und naja, aber mit etwas Schlimmeren. Zum Beispiel, dass man sich zum Beispiel, dass man sich dann auch irgendwie tretet oder sowas.« (JANA_Iw9b, Pos. 34). »Des, Krieg bedeutet für mich halt, wenn man irgendwie, ähm, (…) einen Streit hat, ist auch sowas ungefähr. Und ich will halt auch nicht, dass es irgendwie Streit/ also Streite gibt oder. Ja.« (MARIUS_Im10ev, Pos. 30)

308 Kriegsursachen

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

»Krieg, weil zum Beispiel ich weiß wie der Krieg ist. Zum Beispiel ein Land war zum Beispiel nicht so groß wie das andere und das andere Land wollte halt mehr und das kleinere Land wollte auch etwas. So haben sie Krieg gemacht und wollten immer alle Menschen in diesem Dorf töten, damit die diese Hälfte auch bekommen.« (BEA_Iw9m, Pos. 77) »Krieg ist einfach nur, dass sich zwei Länder streiten und halt, dass die Präsidenten sich nicht so mögen.« (DENNIS_Im10k1, Pos. 240) »Vielleicht weil sie Schulden machen mussten. Zum Beispiel weil jetzt die Serben aus Versehen (.) beim Deutschen Menschen umgebracht haben und jetzt möchten Deutsche von ihnen Geld verlangen und die Serben geben den Deutschen kein Geld, also gibt es glaube ich dann Krieg.« (AARON_Im9m, Pos. 22) »Wenn (..) ich/ wenn jetzt (.) paar Menschen von einem anderen Land in des Land kommen und die hier sind hier und fangen an, sich zu vers/ ähm, sich kennenzulernen und dann gibt’s irgendwann einen Streit und dann kommen die beiden mit so einem riesen Panzer und dann (.) [macht ›Panzergeräusche‹] (.) gibt’s Krieg.« (GEORG_Im9ev1, Pos. 44)

Konfliktlösungsstrategien bezüglich Krieg

»(.) äh. (4sek) Also der Krieg hört meistens von selber auf, weil fast alle Menschen gestorben sind und keine Soldaten mehr gäbe. Also keine Ahnung. (.)« (AARON_Im9m, Pos. 32) »(.) Halt, ähm, dass die Politiker eine friedliche Lösung finden und nicht so eine [zeigt auf die unfriedliche Seite der Zeichnung] und dass sie dann halt damit aufhören.« (LUKAS_Im9k2, Pos. 48) »Ich wär einfach dazwischen gegangen.« (NINA_Iw9k2, Pos. 88) »Also ich würde erstmal machen, dass sie sich entschuldigen und sich dann umarmen und dann fragen, ob sie sich das nochmal überlegen wollen, ob die, ähm, sich nochmal kennenlernen wollen oder nicht. Und (.) und dann, wenn’s klappt, würde ich dann (.) erst wieder einspringen, wenn’s wieder losgeht.« (GEORG_Im9ev1, Pos. 46)

Tabelle 40: Ankerbeispiele für die Kategorie ›Krieg‹

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

309

9.3.2.3 Weitere Faktoren negativen Friedens weltweit Bezüglich der Zeichnungen vom Leben in einer unfriedlichen Welt: Erzähle mir doch bitte, was genau du gezeichnet hast und warum du genau das gewählt hast? Erzähle mir, wie du dir eine friedliche Welt vorstellst. → Erklärung via negationis Kategorie Militär und Waffen Umweltverschmutzung

Anzahl der Codierungen / Anzahl der Dokumente bei N=15 21 / 12 15 / 7

Restkategorie ›Negativer Frieden weltweit‹ 8 / 5 Tabelle 41: Häufigkeiten der Codierungen weiterer Kategorien innerhalb der Hauptkategorie ›Negativer Frieden weltweit‹

Militär- und Waffengewalt Die Kategorie ›Militär und Waffen‹ hängt eng mit der Kategorie des Krieges zusammen. An dieser Stelle wird erstere aber gesondert betrachtet, da innerhalb der Auswertung einige Aspekte zum Tragen gekommen sind, die von internationalen Konflikten unabhängige Erkenntnisse zeigen und Rückschlüsse auf negative Friedensaspekte zulassen. Bereits innerhalb der Zeichnungen sind Waffen (gefasst unter der Kategorie ›Gegenstände‹) und (Kriegs-)Fahrzeuge wie Panzer oder Kriegsschiffe ein zentraler Bestandteil der unfriedlichen Bildseiten und somit ein relevanter Faktor bezüglich der Vorstellungen der Kinder von Unfrieden.956 Die Bedeutung und Konnotationen der Befragten von Waffen und Militär sollen im Folgenden – ergänzend zu den Zeichnungen und im Zusammenhang mit den Ergebnissen bezüglich Krieges – untersucht und betrachtet werden. Insgesamt werden innerhalb der Interviews folgende Aspekte genannt, die unter die Kategorie ›Militär und Waffen‹ gefasst werden: Zum einen die Personen, die militärische Gewalt ausüben, speziell Soldaten, Krieger und die Armee. Zum anderen nennen die Befragten die (militärischen) Gegenstände (Atom-)Bomben, Pistolen, Panzer, (Kriegs-)Schiffe, Kanonen, (Militär-)Flugzeuge und Hubschrauber. Mit dem Fehlen dieser Faktoren – also via negationis – wird beispielsweise von Franziska Frieden charakterisiert, wenn sie betont, eine friedliche Welt sei »also halt auch ohne Waffen« (FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 148). Noch deutlicher wird die Zugehörigkeit von Waffengewalt zu negativen Friedensfaktoren in deren Zusammenhang mit kriegerischen Auseinandersetzungen. So bringen die Kinder Krieg in einigen Fällen mit Panzern oder Soldaten in 956 Vgl. die Kapitel 9.2.1.3 und 9.2.1.4.

310

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

Verbindung. Zum Beispiel Jana betitelt den Krieg, der mit Waffen ausgetragen wird, als »echten«957 Krieg (JANA_Iw9b, Pos. 38). Es ist zudem erkennbar, dass von diesen Aspekten eine gewisse Faszination ausgelöst wird. Ersichtlich wird dies in den Interviews mit Dennis und Emil, die beide davon berichten, sich gern in Büchern oder dem Internet über (Atom-)Bomben oder militärische Fahrzeuge zu informieren. Dennis erzählt über seinen Freund Emil: »Der eine Freund, den/ der nach mit interviewt wird [Anm. JK: gemeint ist Emil], (.) der ist auch absoluter Panzerfan. Der hat auch Bücher über Atombomben und die verschiedenen Atombombenarten. (…) Und er hat auch gesagt, warum/ (.) er hat sich auch gefragt, warum die Amerikaner ausgerechnet ihre Atombombe, die auf Hiroshima abgeworfen wurden, ›Little Boy‹ genannt haben. Warum nicht ›Big Boy‹? Weil die war ja groß. (.) Relativ, also mein Freund erzählt schon immer viel von Bomben und Panzern und alles.« (DENNIS_Im10k1, Pos. 82)

Neben dem Interesse, das vonseiten der Jungen zu der Thematik besteht, lässt sich aber auch Unwohlsein und das Gefühl der Angst vor Waffen feststellen. Diese zeigt sich bei Karl, der einen Hubschrauber über seinem Haus und einen »Kriegswagen« (KARL_Im8ev, Pos. 48) gesehen hat, der ihn ängstigte. Es wäre in dieser Hinsicht zu untersuchen, inwiefern die Angst beziehungsweise die Faszination mit den individuellen Erlebnissen zusammenhängen, die die Kinder bereits mit Waffen und Militär gesammelt haben. Damit korrelierend wäre auch von Interesse, ob im Lesen von Büchern und Sammeln von Informationen im Internet gewissermaßen eine Distanz gegenüber der Thematik aufgebaut werden kann, die das Gefühl der Betroffenheit gar nicht erst aufkommen lässt. Diese Aspekte sind allerdings innerhalb der Interviews nicht erkennbar beziehungsweise interpretierbar. Benennung militärischer Waffen

»also Krieg ist ja oft mit Bomben und sowas. Und Gewalt ist es auch, wenn man jemanden schlägt schon. Und beim Krieg wird ja nicht geschlagen, sondern eher mit Bomben und Pistolen wie ich’s hier gemalt hab [zeigt auf das Bild].« (JANA_Iw9k1, Pos. 46) »und dann kommen die beiden mit so einem riesen Panzer und dann (.) [macht ›Panzergeräusche‹] (.) gibt’s Krieg.« (GEORG_Im9ev1, Pos. 44)

957 Im Vergleich zu »unechtem« Krieg, an dem Kinder beteiligt sind (Streit).

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

Frieden durch Abwesenheit von Waffen und Militär Interesse an militärischen Faktoren

311

»also halt auch ohne Waffen« (FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 148) »Hm. Weil ich Autos mag und ein Autohersteller, den ich sehr mag, fertigt Motoren für Panzer und Schiffe. (DENNIS_Im10k1, Pos. 69) «Das hat mich halt mal so interessiert, hab auch mal ein ganzes Buch über Atombomben durchgelesen.« (EMIL_Im10k2, Pos. 42)

Beunruhigung durch das Militär

»Weil ich hab’ einmal, also bin ich Trampolin gesprungen in unserem Garten und (.) äh, hab’ ich mal einen Hubschrauber mit zwei Propellern gesehen und dann/ und des sieht fast wie ein Kriegswagen aus. Da steht auch diese Afrikaflagge. (…) Und das hat mich auch (.) echt Angst gemacht und dann bin ich schnell hochgegangen ins Haus.« (KARL_Im8ev, Pos. 48) Tabelle 42: Ankerbeispiele für die Subkategorie ›Militär und Waffen‹

Umweltverschmutzung Unter diese Kategorie fallen diejenigen Aussagen, die Umweltverschmutzung oder die Zerstörung der Natur als Begründung für Unfrieden oder als Gegenteil von Frieden beschreiben. Dabei stellten sich innerhalb der Erhebung unterschiedliche Formen der Umweltverschmutzung und Schädigung der Natur heraus. Die Befragten nennen zum Beispiel – das Abholzen von Bäumen, – die Verschmutzung der Meere und des Landes durch Abfall und / oder Plastik, – sowie die Belastung der Luft durch Flugzeuge oder die Verwendung von KFZVerbrennungsmotoren. Es fällt auf, dass die Ursachen dieser Phänomene bei den Menschen liegen. Die Befragten stellen die Belastung der Umwelt als etwas heraus, das durch die Menschheit verursacht und auch nur durch diese wieder zu beheben beziehungsweise zu vermeiden ist. Entsprechend finden sich – wie bereits beschrieben – auch in den Vorstellungen von einer friedlichen Welt Begründungen, »nicht schädlich für die Welt« (NINA_Iw9k2, Pos. 198) zu sein oder die Umwelt schützen zu können.958 Zudem wird innerhalb des Gesagten deutlich, dass die Befragten Umweltverschmutzung als friedensschädigend wahrnehmen, da sie unterschiedliche Konsequenzen befürchten oder vermuten. Dennis (Im10k1, Pos. 270) zum Beispiel postuliert Konsequenzen für die Menschen in Deutschland:

958 Vgl. Kapitel 9.3.1.4.

312

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

»[W]enn wir so weitermachen, (.) dann wird Deutschland in hundert Jahren Sahara sein.« Es werden also negative Konsequenzen für die Menschen der kommenden Generationen angenommen. Eine weitere Folge der Umweltzerstörung sieht Oliver (Im9ev2, Pos. 268) im Aussterben von Tieren. Er begründet dies damit, dass durch die Verschmutzung der Erde (aufgrund von Plastikmüll und CO2Belastung) der Meeresspiegel ansteige, Inseln überschwemmt würden und dadurch die dort lebenden Tiere in Gefahr gerieten. Es zeigt sich, dass die Folgen der durch Menschen verursachten Umweltverschmutzung aus Sicht der Kinder sowohl Menschen als auch Tiere bedrohen. Gleichzeitig finden sich innerhalb der Interviews sowohl explizit als auch implizit bereits Lösungen für diese als friedensschädigend wahrgenommenen Aspekte, wie beispielsweise die Verwendung erneuerbarer Energien im Bereich des Personentransportes. Frieden durch Abwesenheit »und dass es halt mit der Umweltverschmutzung, dass es von Umweltverschmutzung keine Verschmutzung mehr gibt.« (JANA_Iw9b, Pos. 118) »Und die Wälder auch nicht abholzen. (..) Und halt auch nicht so große Städte mit riesigen Gebäuden und so weiter machen, (.) weil dafür braucht man halt viel Platz und dann muss man ja auch die ganzen Bäume fällen. Früher war ja glaub ich nur/ fast nur Wiese, Wald und sowas.« (FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 150) »[..] Ja, und stimmt, äh, da/ dass es/ dass die Welt wieder schön wird und das ganze Plastik wegkommt.« (OLIVER_Im9ev2, Pos. 266) Konsequenzen der Umweltverschmutzung

»[W]enn wir so weitermachen, (.) dann wird Deutschland in hundert Jahren Sahara sein.« (DENNIS_Im10k1, Pos. 270) »Weil sonst die Tiere aussterben im Meer. […] Hm. Und wenn der/ wenn der Meeresspiegel steigt, dann auf afrikanischen Inseln oder pazifischen oder, keine Ahnung, da sind ja auch ganz viele Tiere. […] Hm. [.] Und Faultiere können ja nicht wegfliegen. Oder/ oder Pandabären oder sowas halt.« (OLIVER_Im9ev2, Pos. 268–272)

Tabelle 43: Ankerbeispiele für die Subkategorie ›Umweltverschmutzung‹

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

313

9.3.2.4 Gewalt Gibt es für dich einen Unterschied zwischen Krieg und Gewalt? Wie sieht dieser aus? Wie würdest du Gewalt abschaffen/lösen? Kategorie Gewalt insgesamt Unterschied zu Krieg Ja Nein Unsicher Formen von Gewalt

Anzahl der Codierungen / Anzahl der Dokumente bei N=15 48 / 13 21 / 13 9/7 6/4 2/2 18 / 11

Tabelle 44: Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie ›Gewalt‹ mit Subkategorien

Aufgrund der Vorannahmen und daraus hervorgehenden Differenzierungsmaßnahmen des Begriffs ›Gewalt‹ wird nicht a priori davon ausgegangen, dass das Phänomen per se als Negativum zu Frieden angesehen werden kann.959 Dies liegt daran, dass beispielsweise die Gewalt, verstanden im Sinne des lateinischen ›potestas‹, durch ihre ordnende Funktion auch friedensfördernde Maßnahmen mit sich bringen kann. Inwieweit diese Differenzierung des Gewaltbegriffs in den Vorstellungen der Kinder vorhanden ist und welche relevanten weiteren Akzentuierungen die Heranwachsenden treffen, wird innerhalb dieses Kapitels genauer betrachtet. Definition und Formen von Gewalt aus Kindersicht Im Laufe des Kapitels 5.4 wurde geklärt, dass Gewalt in unterschiedlichen Formen auftreten und der Begriff sowohl weit als auch eng gefasst werden kann. Diese Prämisse ging auch der Interviewsituation voraus, wobei den Kindern die Gelegenheit gegeben wurde, den Begriff ›Gewalt‹ aus subjektiver Sicht mit Konnotationen zu füllen. Hierbei wird angestrebt, eine Annäherung an die lebensweltliche Bedeutsamkeit des Phänomens zu erreichen. Allgemein lässt sich sagen, dass von den Heranwachsenden der dritten und vierten Jahrgangsstufe vielfältige Formen von Gewalt genannt und erläutert wurden. Diese werden im Folgenden, angelehnt an die Einteilung Galtungs, in personale, strukturelle und kulturelle Gewalt gegliedert und jeweils genauer gesichtet.

959 Vgl. Kapitel 5.4.

314

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

Unter Formen direkter Gewalt fallen diejenigen, die »unmittelbar auf die Schädigung, Verletzung und in extremster Form auf die Tötung von Personen«960 ausgerichtet sind. Diese lassen sich wiederum aufteilen in physische und psychische Gewaltformen. Im Laufe der Interviews wurden Auswirkungen und Beispiele dieser beiden Gewaltformen genannt, wobei vor allem die physische Gewaltausübung einen großen Raum in den Äußerungen der Kinder einnimmt. Innerhalb sechs der 15 Interviews wurden physische Gewaltformen wie beispielsweise Schlagen, Treten oder Würgen961 genannt, die einen direkten und sichtbaren Einfluss auf das Wohlbefinden des Gegenübers haben können. Ebenfalls unter direkte Gewalteinwirkung fallend, aber nicht direkt der psychischen oder physischen Form zuzuordnen, ist die von Bea genannte Rache.962 Diese lässt sich deshalb schwer zuordnen, da sie sich durch Einschüchterung der betroffenen Person auszeichnet, in letzter Konsequenz allerdings auch dem physischen Wohlbefinden des beziehungsweise der anderen schaden kann. Lukas nennt als Beispiel für das Phänomen Gewalt die Erpressung.963 Die zweite Form, die in den Interviews häufig genannt wurde, ist die der psychischen Gewalt.964 Dabei handelt es sich um diejenigen schädigenden Verhaltensweisen, die meist durch Sprache ausgedrückt werden, um das Gegenüber zu degradieren oder herabzusetzen. Von den Befragten werden diesbezüglich Beleidigungen965 oder das Sagen von Ausdrücken966 genannt. Physische Gewaltformen

»Und Gewalt ist es auch, wenn man jemanden schlägt schon.« (CLARA_Iw9k1, Pos. 46) »Bei Gewalt, da kann man auch mit den Fäusten schlagen und so.« (EMIL_Im10k2, Pos. 30) »(..) Hm, (.) wie schlagen und so. Zum Beispiel.« (KARL_Im8ev, Pos. 72)

960 Werkner 2017, 21. 961 Vgl. z. B.: Interviews mit Aaron (Im9m, Pos. 46), Clara (Iw9k1, Pos. 46), Dennis (Im10k1, Pos. 244), Emil (Im10k2, Pos. 30), Karl (Im8ev, Pos. 72) und Jana (Iw9b, Pos. 44). 962 Vgl. BEA_Iw9m, Pos. 105. 963 Vgl. LUKAS_Im9k2, Pos. 60. 964 Vgl. Kapitel 5.4.2.1. 965 Vgl. z. B.: Aaron_Im9m, Pos. 50. 966 Vgl. z. B.: BEA_Iw9m, Pos. 153.

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Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

Psychische Gewaltformen Weitere Formen

»Gewalt! […] Oder sagt man Ausdrücke (.) ja. (.)« (AARON_Im9m, Pos. 50) »Gewalt ist, wenn man zum Beispiel eine Person erpresst. Des ist Gewalt.« (LUKAS_Im9k2, Pos. 60) »Gewalt ist zum Beispiel, hm, zurück (.) zum Beispiel Rache ist auch Gewalt.« (..) (BEA_Iw9m, Pos. 105)

Tabelle 45: Ankerbeispiele für die Subkategorie ›Formen von Gewalt‹

Gewalt und Krieg Durch die Betrachtung und den Vergleich von Gewalt und Krieg ist es möglich, weitere Bedeutungs- und Vorstellungsfacetten beider Phänomene zu erhalten. Gerade innerhalb dieser Vergleichsdimension sind weitere Aspekte zum Vorschein gekommen, die eine Abgrenzung beider Begrifflichkeiten vonseiten der Kinder verdeutlichen und diese darüber hinaus auch inhaltlich weiter füllen. Insgesamt lässt sich sagen, dass Gewalt als ein Phänomen der direkten und subjektiven Lebenswelt der Kinder wahrgenommen werden kann – bei Krieg ist das nicht (immer) der Fall. Gerade durch die eben beleuchteten Formen der Gewalt(-anwendung) wird deutlich, dass der Begriff durch Erlebnisse und Ereignisse gefüllt wird, die die Kinder selbst erfahren haben. Erwähnen sie beispielsweise das Beleidigen oder Schlagen im Zuge von Gewalt, kann in einigen Interviews das Vorkommen dieser Phänomene im Schulalltag oder Freundeskreis durchaus festgehalten werden. Die Schülerinnen und Schüler begegnen in Streitsituationen den von ihnen genannten Formen der Gewalt, während Krieg ein fernes, fast fremdes Phänomen ist, das sie teilweise nur Erwachsenen zuschreiben.967 Dieser erste Eindruck sollte durch die konkrete Nachfrage innerhalb der Interviews genauer beleuchtet werden. Demnach wurden genauere Unterscheidungen, Abgrenzungen beziehungsweise auch Überschneidungstendenzen von Krieg und Gewalt erfragt. Folgende Ergebnisse lassen sich festhalten: Gewalt Geringere Brutalität

Unterscheidung aufgrund von…

Intensität

967 Vgl. die Kapitel 9.3.2.1 und 9.3.2.2.

Krieg Sterben von Menschen Grausamer, schlimmer als Gewalt

316

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

(Fortsetzung) Gewalt Streit Formen von Gewalt: chlagen; Treten; Würgen Jeder/jede Person (keine direkten Angaben)

Unterscheidung aufgrund von…

Form/Art

Beteiligten

Krieg Ausgearteter Streit Militärische Auseinandersetzung

(Politische) Autoritäten Länder Erwachsene

Tabelle 46: Unterscheidungsfacetten von Krieg und Gewalt innerhalb der Interviews

Die Tabelle 46 kategorisiert die Äußerungen der Kinder, die zwischen Gewalt und Krieg Unterschiede feststellen. Bei der Betrachtung dieser Unterschiede wurde deutlich, dass drei Formen der Differenzierung angewandt werden. Zunächst die Intensität der betrachteten Phänomene. Dabei wird deutlich, dass einige der Befragten Gewalt zunächst durch geringere Brutalität kennzeichnen, als dies bei Krieg der Fall ist. Beispielsweise Emil (Im10k2, Pos. 30) drückt diese Tendenz aus, indem er sagt: »Gewalt muss nicht so schlimm sein wie Krieg«. Dabei spielen auch die Konsequenzen, die kriegerische Auseinandersetzungen haben, eine Rolle. Diese werden meist explizit mit dem Sterben von Menschen in Verbindung gebracht, was demgegenüber bei Gewalt »nicht immer« (AARON_Im9m, Pos. 40) der Fall sein muss. Diese Aussage bezeugt aber schon, dass auch Gewalt so ausarten kann, dass auch eine Verletzung von anderen Menschen möglich ist. Eine weitere Differenzierung, die von den Heranwachsenden herangezogen wird, charakterisiert Krieg und Gewalt in ihren unterschiedlichen Formen und Arten der Ausprägung. Entsprechend werden, kongruierend zu den oben genannten Formen von Gewalt, das Schlagen und/oder Treten968 als Beispiele von gewalttätigen Auseinandersetzungen genannt. Gleichzeitig wird Gewalt mit Streiten in Verbindung gebracht, wobei diese Konnotation in wenigen Interviews Anwendung findet.969 Vielmehr ist, wie bereits in Kapitel 9.3.2.2 deutlich wurde, die Begrifflichkeit des Krieges mit Streit verbunden. Dieser ›kriegerische Streit‹ kann gewissermaßen aufgefasst werden als Zuspitzung des Streits, den die Kinder aus ihren eigenen Erlebnissen und Erfahrungen kennen und beschreiben können. Dabei spielen zwei zentrale Aspekte eine Rolle: zum einen der Einsatz von Waffen

968 Vgl. z. B.: Dennis (Im10k1, Pos. 244); Emil (Im10k2, Pos. 30). 969 Vgl.: GEORG_Im9ev1, Pos. 56.

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

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und Militär, wie beispielsweise Pistolen, Panzer und Bomben.970 Zum anderen die Beteiligten beziehungsweise Akteurinnen und Akteure, die Krieg hervorrufen oder ihn führen. Hierdurch wird eine weitere Differenzierung vonseiten der Befragten eröffnet. Während beispielsweise Dennis (Im10k1, Pos. 244) davon spricht, dass die Präsidenten von bestimmten Ländern Kriege zu verantworten hätten971, da sie miteinander streiten, beschreibt er Gewalt demgegenüber als »allgemein Schlagen, Treten (…)«. Auch in dieser Beschreibung ist wiederum eine Zuspitzung von Gewalt zu Krieg erkennbar, dem Ausarten von Streit, der nun nicht mehr ›im Kleinen‹ stattfindet, sondern größere Brutalität mit sich bringt. Wie bereits verdeutlicht wurde, nehmen einige der Befragten Krieg als ein Phänomen wahr, das von Erwachsenen hervorgerufen wird.972 Allerdings finden sich innerhalb der Interviewdaten demgegenüber keine expliziten Aussagen darüber, welche Akteurinnen und Akteure für Gewalt benennbar sind. Interpretativ kann davon ausgegangen werden, dass gerade die Arten und Formen der Gewaltanwendung (z. B. Schlagen), die von den Kindern genannt wurden, von jeder Person ausgehen könnten. Diesen Unterschieden stehen Gemeinsamkeiten und Überschneidungen zwischen Krieg und Gewalt von den Kindern gegenüber, die beide Begriffe gleichsetzen: Gewalt ist mit Krieg gleichzusetzen aufgrund von… Gewalt als Voraussetzung für kriegerische Auseinandersetzungen Krieg als pure Gewalt Intensität

Verletzung von Menschen

Folgen

Tabelle 47: Zusammenhänge von Krieg und Gewalt

Dabei ist festzuhalten, dass quantitativ betrachtet mehr Befragte davon ausgehen, Krieg sei von Gewalt zu unterscheiden (aus den oben genannten Gründen). Bei den Heranwachsenden, die von einer Überschneidung beider Phänomene ausgehen, findest sich ebenfalls das Argument der Intensität. Dabei wird Krieg 970 Vgl. z. B.: Jana (lw9b, Pos. 50); Clara (Iw9k1, Pos. 46). 971 Vgl. z. B. DENNIS_Im10k1, Pos. 242. 972 Vgl. Jana (lw9b, Pos. 50).

318

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

beispielsweise bei Franziska (Iw10b1, Pos. 68) als »pure Gewalt« klassifiziert, wodurch sie zu dem Schluss kommt, dass es keine Unterschiede gäbe. Nina (Iw9k2, Pos. 96) argumentiert damit, dass es Gewalt brauche, um Krieg zu führen, weshalb beide Begriffe gleichzusetzen wären. Diese Argumentation der beiden Mädchen lässt allerdings weiterhin den Schluss zu, dass sie Gewalt als Voraussetzung und Teil von Krieg wahrnehmen. Jana argumentiert die Überschneidung beider Phänomene ausgehend von deren Konsequenzen/Folgen. Sie begründet folgendermaßen: I: »[…] gibt es für dich denn einen Unterschied zwischen dem Wort »Krieg« und ›Gewalt‹?« J: »(..) Naja, äh, ich glaub’, nicht so richtig, weil wenn man ja jetzt zum Beispiel aufm Menschen mit einer Pistole draufschießt, dann tut man ihn trotzdem verletzen und wenn man tretet, dann auch.« (JANA_lw9b, Pos. 43–44)

In dieser Argumentation wird deutlich, dass sie als Konsequenz beider Phänomene das Verletzen von Menschen sieht. Den Ursprung und die Form der Gewalt- beziehungsweise Kriegsausübung unterscheidet sie zwar, schließt aber aus der Folge der Verletzung, dass es keinen ›richtigen‹ Unterschied gäbe. Zuletzt gibt es eine kleine Gruppe an Befragten, die sich unsicher sind über die Gemeinsamkeiten und/oder Unterschiede von Krieg und Gewalt oder diese nicht benennen konnten.973 Außerdem konnte teilweise eine Änderung der jeweiligen Meinung/Vorstellung festgestellt werden. Innerhalb des Interviews mit Jana wurde zum Beispiel Unsicherheit deutlich, indem sie zunächst dafür argumentierte, dass beide Phänomene nicht voneinander zu unterscheiden seien. In ihrer Begründung änderte sie allerdings diese Meinung und stellte zuletzt doch fest, dass es »richtige Unterschiede« (JANA_lw9b, Pos. 50) gäbe. Unterschiede zwischen Gewalt und Krieg

»Ja, also von Gewalt stirbt man nicht immer, sagen wir mal ganz selten.« (AARON_Im9m, Pos. 40) »[…] und bei Gewalt wird nur gestritten« (GEORG_Im9ev1, Pos. 56) »Krieg und Gewalt? (…) Gewalt muss nicht so schlimm sein wie Krieg, denn bei Krieg, da gibt’s immer Kanonen und so. Bei Gewalt, da kann man auch mit den Fäusten schlagen und so.« (EMIL_Im10k2, Pos. 30) »Äh, puh. (.) Äh. (.) Naja, (..) richtige Unterschiede glaub’ ich, gibt’s schon, weil, ähm, einen Krieg mit Pistolen, des machen ja eigentlich nur, ähm, Erwachsene.« (JANA_lw9b, Pos. 50)

973 Vgl. Oliver (Im9ev2, Pos. 34); Bea (Iw9m, Pos. 109).

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

Keine Differenzierung zwischen Gewalt und Krieg

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»(..) Äh, Gewalt und Krieg. Nein, glaub nicht. (.) Weil Krieg ist pure Gewalt und (.) Gewalt ist sowas wie Krieg, also nein, ich finde, es gibt keinen Unterschied.« (FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 68)

»Nein, ist eigentlich beides des Gleiche. Weil wenn man schon Krieg macht, ist eigentlich des/ genau das Gleiche, weil man möchte schon, wenn man Krieg macht, möchte sich schon vorbereiten mit Gewalt, dass man (.) Ding, dass man alles mit/ also richtige starke Waffen macht. Richtige Kanonen und muss die ganze Armee machen. (.)« (NINA_Iw9k2, Pos. 96) Tabelle 48: Ankerbeispiele für die Subkategorie ›Gewalt – Unterschied zu Krieg‹

9.3.2.5 Zusammenfassung Hinsichtlich der ersten in diesem Kapitel untersuchten Kategorie lässt sich zusammenfassend feststellen, dass Streit für die Kinder ein Erlebensgegenstand ist, der für sie gewissermaßen zum Zusammenleben und miteinander spielen dazugehört. Relevant ist in dieser Hinsicht die Betrachtung möglicher Konfliktlösungsstrategien, die dazu führen, dass der Frieden zwischen den Beteiligten nach dem Konflikt wiederhergestellt werden kann. Missverständnisse und Auseinandersetzungen müssen sich dabei nicht zwingend destruktiv auf die Beziehungen auswirken, stattdessen wird die vorherige (Spiel-)Situation wieder aufgenommen. Dennoch sind Streitsituationen bei den Kindern nicht positiv konnotiert, sie sehen sie als Störfaktor in einer friedlichen Welt – stellen diese auch zeichnerisch dar974 – und verbinden negative Gefühle mit den Situationen. In Hinblick auf spätere pädagogische Herangehensweisen ist diese Betrachtungsweise von großer Bedeutung, da eine entsprechende Differenzierung notwendig ist. Streit lässt sich in Beziehungen verschiedener Menschen auch nicht immer unterbinden, vielmehr ist der Fokus auf die Hilfe zur Lösung, das Finden von Strategien und die Möglichkeiten der Aussprache zu lenken. Bezüglich der Kategorie Krieg kann gesagt werden, dass die Begriffsbestimmung der Kinder von verschiedenen Faktoren abhängt. Diese setzen sich zusammen aus den individuellen Erfahrungen und dem Wissen, das sie zu der Thematik angesammelt haben. Dabei wird aus der Binnenperspektive Krieg von vergleichbaren Phänomenen her definiert, die auf persönlichen Erlebnissen innerhalb von Konflikten (vgl. Streit) herrühren – erfahren dann aber eine Zuspitzung. Diese definiert sich über verschiedene Aspekte, die ein Krieg innehat, ein interpersonaler Streit aber nicht. Genannt sei an dieser Stelle beispielsweise 974 Vgl. die Kapitel 9.2.1.2 und 9.2.3.

320

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

der Einsatz von militärischer Gewalt oder die Austragung durch Konfliktparteien, die ›erwachsen‹ sind. Ein außenperspektivischer Zugang ergibt sich aus der Beschreibung des Phänomens Krieg mithilfe des (Fakten-)Wissens, das aus Medien oder der Schule erworben wurde. Mit dieser Herangehensweise wird Krieg als das beschrieben, was er in früherer Zeit einmal war (und damit anhand von Beispielen wie dem Zweiten Weltkrieg genauer erläutert) oder was er an anderen Orten der Welt auch aktuell ist (wie beispielsweise durch die Nennung des Syrienkonfliktes). Beide Möglichkeiten der Begriffsklärung sind durchzogen von individuellen Wertungen und lassen sich auch innerhalb der Kinderzeichnungen belegen. In keinem Fall sehen sich die Kinder selbst als Akteurinnen oder Akteure innerhalb kriegerischer Auseinandersetzungen.975 Kriegsursachen versuchen die Befragten ausgehend von ihren persönlichen Erfahrungen und mithilfe von Vergleichsdimensionen, die ihre Lebenswelt berühren, zu durchdringen. Herangezogen wird diesbezüglich ebenfalls der interpersonale Konflikt, der als primärer Auslöser von kriegerischen Auseinandersetzungen beschrieben und verstanden wird. Insgesamt wird deutlich, dass die Kommunikation zwischen den Konfliktparteien für die Befragten gewissermaßen den Königsweg der Lösung von Krieg darstellt. Ausgehend von einem Dialog, der eine Einigung bezüglich der Konfliktauslöser zum Ziel hat, kann somit eine »friedliche Lösung« (LUKAS_Im9k2, Pos. 48) gefunden werden. Die Kommunikation wird einerseits durch die verantwortlichen Autoritäten der kriegsführenden Länder oder Staaten durchgeführt, andererseits sehen sich die Befragten teils selbst als Kommunikationspartner und -partnerinnen, die den friedlichen Zustand wieder herstellen möchten. Interessant ist in dieser Hinsicht das geringe Aufkommen der Kommunikation in den Streitsituationen, welche die Kinder selbst miterlebt haben. Die Erlebnisse, die sie selbst mit interpersonalen Konflikten gemacht haben, zeigen, dass der Streit in vielen Fällen ohne weitere Aussprache ein Ende findet. Bezüglich der Ratschläge, die sie anderen zur Konfliktlösung geben würden (sowohl interpersonal als auch im internationalen Rahmen), wird die Kommunikation und darauffolgende Einigung als relevant wahrgenommen. Es kann zu Waffen und militärischer Gewalt festgehalten werden, dass diese in den Zeichnungen wie auch Interviews als Negativum zu Frieden fungieren.976 Aspekte wie die Einhegung von Gewalt in kriegerischen Gebieten durch das Eingreifen des Militärs oder die Verteidigung eines Landes mithilfe von Waffen sind innerhalb der Interviews nicht aufgekommen. Es ist klar herauszustellen, dass die Klimadebatte bei den Zeichnungen und in den Interviews einen großen Raum einnimmt. Verbindend entspricht die Ab975 Vgl. Kapitel 9.2.1.2. 976 Vgl. Kapitel 9.2.1.4.

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

321

wesenheit klimaschädigender Aspekte hierbei negativem Frieden (also: Frieden ist die Abwesenheit der Umweltverschmutzung), während gleichzeitig der Schutz von Umwelt, Tier und Mensch als positiver Frieden zu verstehen ist (also: Frieden gelingt in einer geschützten Umwelt). Gewaltformen, die sich als indirekt beschreiben lassen, haben im Gegensatz zur personalen Gewalt keinen Akteur oder Akteurin, der oder die unmittelbar die Gewalt ausübt. Vielmehr ist dieses Phänomen als strukturell zu bezeichnen, indem beispielsweise Diskriminierung oder Unterdrückung einer bestimmten (Bevölkerungs-)Gruppe zu Schädigung und Unfreiheit führt. Explizit genannt wurden innerhalb der Interviews keine indirekten Gewaltformen. Dies zeigt einerseits die Konzentration der Vorstellungen der Kinder auf direkte Gewalt, andererseits aber auch die Grenzen der Einteilung des weiten Gewaltbegriffs in diese Kategorien. Strukturelle Gewalt kann sich durchaus beispielsweise durch die von Nina genannte Aufrüstung977 zeigen, die in letzter Konsequenz auch Unfreiheit und Einschränkung der Bevölkerung sowie Druckausübung vonseiten der strukturellen Mächte nach sich ziehen kann. Implizit ist also auch in den Vorstellungen und Äußerungen der Kinder indirekte/strukturelle Gewalt zu finden, jedoch bedarf dies der entsprechenden Interpretation. Festzuhalten ist demnach, dass vor allem die personale Gewalt in psychischer und physischer Form lebensweltlich verankert, beziehungsweise explizit geäußert ist. Die Einteilung Galtungs978, auf die hier Bezug genommen wird, ist nicht diskussionsfrei und bedarf gründlicher Reflexion, jedoch kommt sie für die Betrachtung der Interviewergebnisse zum Tragen, da durch dieses systematische Vorgehen und die Gliederung ersichtlich wird, dass indirekte Gewaltformen in den Äußerungen der Kinder kaum expliziert werden. Ähnliches wird in der Betrachtung des Vergleichs von Gewalt- und Kriegsvorstellungen sichtbar. Diesbezüglich hat sich gezeigt, dass es keine klare Tendenz der Kinder gibt, einen Unterschied zwischen Gewalt und Krieg festzulegen. Wenn allerdings Differenzierungen angestellt sind, sind diese vielfältig und meist ausgehend von der Charakterisierung des Krieges als ›schlimmer‹ argumentiert.

977 Vgl. »wenn man Krieg macht, möchte sich schon vorbereiten mit Gewalt, dass man (.) Ding, dass man alles mit/ also richtige starke Waffen macht. Richtige Kanonen und muss die ganze Armee machen.« (NINA_Iw9k2, Pos. 96). 978 Vgl. Kapitel 5.4.2.1.

322

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

9.3.3 Frieden und Religion aus Kindersicht Findest du, dass Frieden auch etwas mit Religion zu tun haben kann? Kategorie Frieden und Religion insgesamt Zusammenhang zu Frieden Ja Nein Unsicher Persönliche Religiosität Religion und Unfrieden

Anzahl der Codierungen / Anzahl der Dokumente bei N=15 74 / 13 37 / 13 27 / 11 5/4 5/2 14 / 5 18 / 5

Tabelle 49: Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie ›Frieden und Religion‹ mit Subkategorien

Verknüpfend mit der Kategorie zu ›Frieden und Schule‹979 wurden ausgehend von den Erfahrungen, die die Befragten mit dem Thema Frieden im Unterricht gesammelt haben, auch deren Konnotation von Frieden und Religion und davon ausgehend deren Wahrnehmung dieses Themas im Religionsunterricht evaluiert. Die Ergebnisse zeigen folgendes Bild: das Gros der Heranwachsenden sieht eine klare Verbindung zwischen Frieden und Religion beziehungsweise Religionen, wobei die Begründungsstrategien sich untereinander teils stark voneinander unterscheiden. In den Aussagen der Kinder sind Assoziationen und Bedeutungsmerkmale von Frieden aufgekommen, die Religiosität und deren Vorstellungen von Religion und auch interreligiöse Perspektiven aufgreifen. Auf diese Weise lassen sich weitere Aspekte eröffnen, die mit subjektorientierter Herangehensweise Annahmen der Vorerfahrungen und Erfahrungsgegenstände der Grundschülerinnen und -schüler bezüglich Frieden und Religion in die Friedensbildung mit einfließen sollten. Es hat sich darüber hinaus gezeigt, dass sich die Aussagen der Kinder angesichts ihrer Religionszugehörigkeit und/oder Konfession nicht derart voneinander unterscheiden, dass hier eine Differenzierung innerhalb der Kategorien möglich beziehungsweise nötig wäre. Allerdings wird an geeigneten Stellen die Variable der Religionszugehörigkeit sowie des Alters Anwendung finden.

979 Vgl. Kapitel 9.3.1.2.

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

323

Zusammenhang von Frieden und Religion(en) Wie bereits angeklungen, wird von den Studienteilnehmenden in den meisten Fällen die Frage nach einem Zusammenhang zwischen Frieden und Religion bejaht. Die vielfältigen Gründe dafür lassen sich grob einteilen und werden im Folgenden bezeichnet als (1) die Religion als Friedenstifterin, (2) Gott als Friedenstifter, (3) Religion als Unfriedenstifterin und (4) (Gemeinschafts-)Erfahrungen in religiösem und schulischem Kontext. Zu (1) Die Religion als Friedenstifterin Eine Argumentation für die Verknüpfung von Religion und Frieden beinhaltet gewissermaßen die Personifizierung der Religion(en) an sich. So sagt beispielsweise Franziska: »(.) Manchmal halt schon, weil die Religion halt n Frieden will, sozusagen. Manchmal aber auch nicht, weil manche Religionen, oder hat das damit was zu tun? Dass manche Religionen dafür eingesperrt sind, dass sie den Frieden wollen oder sowas?« (FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 100)

Sie begründet den Zusammenhang von Frieden und Religion damit, dass letztere beziehungsweise religiöse Bemühungen darauf ausgerichtet sind, Frieden zu wollen oder zu erreichen. Allerdings lässt sich in ihrer Aussage wiederum die Tendenz erkennen, dass Religionen eben auch Unfrieden – oder Unfreiheit im Sinne von Einsperren von Menschen – hervorrufen können. Betrachtet man die christliche Religion lässt sich auch die Begründung des achtjährigen Karl in die Kategorie der Religion als Friedenstifterin einordnen. Er findet den Zusammenhang von Frieden und Religion exemplarisch in der Jahreslosung von 2019.980 Aus diesem Wissen über den Bibelvers heraus leitet er eine enge Verknüpfung beider Thematiken voneinander ab. Religion beziehungsweise die christliche Kirche scheinen sich demnach zu bemühen, Frieden zu erreichen, da sie dies auch in ihrer Jahreslosung festschreiben. Zu (2) Gott als Friedenstifter Eine zweite Begründungsstrategie für die Verknüpfung und den engen Zusammenhang von Frieden und Religion(en) findet sich in der Vorstellung und des Sprechens der Kinder über Gott. In der Aussage des Drittklässlers Lukas deutet sich der Glauben an den Schöpfergott ab. Daraus leitet er ab, dass wenn Gott alles geschaffen habe, dieser auch den Frieden geschaffen habe und somit Frieden und Religion miteinander verknüpft seien:

980 Vgl. Karl (Im8ev, Pos. 114–117). Die Jahreslosung von 2019, auf die er sich bezieht, lautet: »Suche Frieden und jage ihm nach!« (Ps 39,15).

324

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

»(.) Ja. (.) Weil ich mein, ähm, (.) Gott hat die Welt erschaffen (.) ähm, Gott gehört zur Religion, aber Gott, wenn er die Welt erschaffen hat, hat er auch den Frieden erschaffen, deshalb glaub ich, des hängt zusammen.« (LUKAS_Im9k2, Pos. 128)

Ähnlich beschreibt es Clara, die den Glauben an Gott eng mit Religion in Verbindung bringt und davon ausgeht, dass Gott Frieden in der Welt wolle, weshalb Religion und Frieden zusammenhängen würden.981 Explizit kommt diese Begründungsstrategie lediglich in diesen zwei Interviews zum Vorschein. Es lässt sich (teils auch von den älteren Befragten) eine weitere Begründungsstrategie verzeichnen, die via negationis – von den friedensschädigenden Elementen der Religion(en) – ausgeht: Zu (3) Religion als Unfriedenstifterin? Die Aussagen, die negative Auswirkungen von Religion(en) zur Begründung eines Zusammenhangs von (Un-)Frieden und Religion beschreiben, können analog zu ›Religion als Friedenstifterin‹ betrachtet werden. Innerhalb dieser Kategorie wird eine weitere Perspektive eröffnet, indem die Verknüpfung via negationis argumentiert wird: Frieden und Religion(en) hätten demnach etwas miteinander zu tun, weil durch Religion (in der Vergangenheit) auch Unfrieden hervorgerufen werden kann. Dennis (Im10k1, Pos. 180) beschreibt diese Verknüpfung folgendermaßen: »Frieden hat schon was damit zu tun, aber es gab ja auch schreckliche Zeiten mit Religionen (..)«, was auch seine »allererste Idee« (DENNIS_Im10k1, Pos. 188) ist. In der ersten Argumentation geht er davon aus, dass diese »schrecklichen Zeiten«, womit er sich vor allem auf den Nationalsozialismus bezieht, eng mit der (christlichen) Religion verknüpft seien. Er verbindet also in erster Linie Unfrieden mit Religion. Ebenso Oliver und Jana, die die Frage nach einem Zusammenhang von Frieden und Religion zwar bejahen, diesen aber mit dem Streiten von Religionen982 beziehungsweise von Religion und Ethik983 begründen. Inwiefern diese Einzeleindrücke sich auch in weiteren Interviews bestätigt sehen, wird in Kapitel 9.3.3.3 genauer betrachtet. Zu (4) (Gemeinschafts-)Erfahrungen in religiösem und schulischem Kontext Zuletzt eröffnete sich die Kategorie der subjektiven Erfahrungen, durch die ein Zusammenhang von Frieden und Religion für die Kinder festzustellen ist. Die Aspekte, die sich diesbezüglich gezeigt haben, sind vielmehr von den Gefühlen und Erlebnissen der Befragten gekennzeichnet als dies beispielsweise in der Argumentation mit geschichtlichem Wissen geschieht. So wird Religion deshalb mit Frieden verknüpft, da sie als »etwas Schönes« sei und »Spaß« bringt. Die 981 Vgl. Clara (Iw9k1, Pos. 26). 982 Vgl. Oliver (Im9ev2, Pos. 148). 983 Vgl. Jana (lw9b, Pos. 78).

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

325

Erfahrungen, die in diesem Fall Dennis (Im10k1, Pos. 208) in seiner Gemeinde gesammelt hat, tragen zu seiner Vorstellung von Frieden und Religion bei. Die Gemeinschaft innerhalb der religiösen (in diesem Fall christlichen) Gemeinde hat auch für Lukas (Im9k2, Pos. 130) einen klaren Bezug zu diesen Themen. Er schreibt der Gemeinde die Möglichkeit zu, gegen Krieg vorgehen beziehungsweise protestieren zu können. Weitere Erfahrungen beziehen sich auf den schulischen Kontext. Dabei wird deutlich, dass die Kinder in einigen Fällen das Wissen, das sie im Religionsunterricht erfahren und gesammelt haben in ihre Vorstellungen von Frieden und Religion assimiliert haben. Sie folgen dabei der Argumentation, dass diese beiden Begriffe einen Zusammenhang hätten, da eben Frieden auch Thema des Religionsunterrichts sei. Diese Thematisierung bedingt die Schlussfolgerung, dass es eine Verknüpfung der beiden Größen geben müsse. Ein Beispiel für diese Herleitung bietet folgende Aussage: »[…] Also (.) bei mir, wenn, wenn wir das Thema Frieden haben, geht immer ein Licht auf, dass man sich nicht immer streiten muss. Ja. [räuspert sich]« I: »Wo habt ihr des Thema Frieden?« G: »In Reli.« (GEORG_Im9ev1, Pos. 76–78)

Welche Bedeutung der Religionsunterricht und die dortige Thematisierung von Frieden weiterhin haben, wird in Kapitel 9.3.3.2 genauer betrachtet. Innerhalb vier Interviews wird deutlich, dass Frieden für die Befragten nicht immer einen Zusammenhang mit Religion haben muss. Im Interview mit Oliver (Im9ev2, Pos. 150–166) zeigt sich beispielsweise, dass er keine Vorstellung davon hat, was Religion überhaupt sei. Der evangelisch getaufte Schüler nennt den Namen Jesu, bringt diesen aber nicht in Verbindung mit der Frage nach einem Zusammenhang von Religion und Frieden. Hier lässt sich bezüglich der Thematik Unsicherheit erkennen. Deutlicher verneint haben den Zusammenhang von Frieden und Religion(en) Emil und Nina. Beide begründen diese Einschätzung damit, dass Religion (vor allem die christliche Religion) andere Aspekte in den Vordergrund stellen würde. Emil (Im10k2, Pos. 126), der den katholischen Religionsunterricht besucht und auch den Kommunionsunterricht bereits absolviert hat, macht deutlich, dass für ihn Religion lediglich mit Gott, Beten und dem Glauben zu tun habe, nicht aber mit Frieden. Ähnlich argumentiert Nina (Iw9k2, Pos. 172), die allerdings darüber hinaus den Aspekt des Lernens mit einbringt. Sie betont, man lerne nur über Gott, nicht aber über Frieden. Auf die Nachfrage, ob jemand, der einer Religion angehört, friedlich handeln würde, antwortet die Zehnjährige: »(…) Das zu fünfzig Prozent.« (NINA_Iw9k2, Pos. 174).

326 Die Religion als Friedenstifterin

Gott als Friedenstifter

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

»(.) Äh, (..) doch nur weil in 2019 gibt’s immer (.) mal Sachen. Ich weiß nicht mehr, wie die heißen. Und in diesem Jahr gibt es so’n Satz, der heißt, äh: ›Jage den Frieden und/‹ Nein: ›Suche den Frieden und jage ihm nach.‹« (KARL_Im8ev, Pos. 114) »(.) Weil (..) wir glauben ja an Gott und Gott will ja auch, dass die Welt friedlich ist. Deswegen finde ich schon, dass das was miteinander zu tun hat.« (CLARA_Iw9k1, Pos. 26) »(.) Ja. (.) Weil ich mein, ähm, (.) Gott hat die Welt erschaffen (.) ähm, Gott gehört zur Religion, aber Gott, wenn er die Welt erschaffen hat, hat er auch den Frieden erschaffen, deshalb glaub ich, des hängt zusammen.« (LUKAS_Im9k2, Pos. 128)

Religion als Unfriedenstifterin?

(Gemeinschafts-) Erfahrungen in religiösem und schulischem Kontext

»Frieden hat schon was damit zu tun, aber es gab ja auch schreckliche Zeiten mit Religionen (..)« (DENNIS_Im10k1, Pos. 180) I: »[F]indest du denn, [.] dass Frieden auch was mit Religion zu tun haben kann?« O: »Hm [bejahend]. […] Weil sich die Religionen streiten halt.« (OLIVER_Im9ev2, Pos. 148) »Und zum Beispiel (…) ja, Religion ist was schönes, einfach so, an sich. Weil man halt zu einem Teil einer Gemeinde gehört und eine spezielle Aufgabe hat. Diese Aufgabe hat man zu erfüllen und wenn man die nicht erfüllt, dann (..) ist halt/ und in der Religion gibt’s auch total viel Spaß. Man kann mit seinen Freunden irgendwelche Sachen machen in der Religion. Deshalb find ich des schön.« (DENNIS_Im10k1, Pos. 208) »Ähm, wir können da tun, dann sind wir ja quasi eine Gemeinde. Dann können wir quasi als Gemeinde dagegen protestieren, dass, ähm, weniger Kri/ Krieg gemacht wird. Also.« (LUKAS_Im9k2, Pos. 130)

Kein Zusammenhang

»Nö. (.) Hm (verneinend). […] Weil man re/ lernt über den Gott oder über den Herr, nicht über Frieden. (..)« (NINA_Iw9k2, Pos. 169–170)

»(..) Hm. (.) Wenn ich so gerade an katholisch denke, dann denke ich mehr ans Beten, an Gott glauben (.), aber an Frieden. (6sek) Hm. (.) Religion, da hab ich eigentlich noch nie so gedacht/ nachgedacht. (4sek)« (EMIL_Im10k2, Pos. 126) Tabelle 50: Ankerbeispiele für die Subkategorie ›Zusammenhang von Frieden und Religion‹

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

327

9.3.3.1 Frieden und Religiosität Hast du in der Kirche/Moschee/Synagoge/im Religionsunterricht schon einmal etwas erlebt, das mit Frieden zu tun hat? Bezüglich der persönlichen Religiosität und eigenen Erfahrungen zur Religion und dem Religionsunterricht sind in den Zeichnungen und Interviews nur wenige Ergebnisse zutage gekommen. Vielmehr sind die Berichte zur persönlichen Religiosität der Kinder implizit aus deren Erläuterungen zum Zusammenhang zwischen Frieden und Religion(en) erfassbar und interpretierbar, da ebendiese im Fokus der vorliegenden Untersuchung stehen. Allerdings ist an dieser Stelle dennoch ein kurzer Überblick über die Bedeutung der eigenen Religiosität und deren Verknüpfungspunkte mit Frieden anzustellen. Diesbezüglich lässt sich zunächst feststellen, dass die Äußerungen der Kinder zur Thematik Frieden im Kontext von Religion(en) teilweise von ihren (positiven wie negativen) Erfahrungen im religiösen Umfeld herrühren könnten. Dies zeigt zum Beispiel die Aussage von Emil, der betont, er habe seine Kommunionszeit in keiner guten Erinnerung, vielmehr sei er froh gewesen, als diese vorbei war.984 Eine derartige Erfahrung kann begründen, dass er, wie oben angeklungen, keinen Zusammenhang zwischen Frieden und Religion sieht. Letztere sei geprägt von Beten und dem Glauben an Gott. Demgegenüber stehen positive (Gemeinschaft-)Erfahrungen, die andere Kinder in ihrer Kirche oder ihrem religiösen Umfeld gesammelt haben. Dabei wird deutlich, dass vor allem im Horizont von Frieden und Religion(en) die Erlebnisse und Erfahrungen aus dem Religions- beziehungsweise Ethikunterricht in die Äußerungen der Befragten einfließen. 9.3.3.2 Erlebensgegenstand Religions- und Ethikunterricht Bist du der Meinung, dass man in der Schule etwas über Frieden lernen kann? Diese Kategorie hängt eng zusammen mit den, dem positiven Frieden im Nahraum zugeordneten Aspekten von ›Frieden und Schule‹.985 Der Religions- beziehungsweise Ethikunterricht wurde auf die Frage hin, ob Frieden in der Schule bereits thematisiert wurde oder aus der Perspektive der Befragten im Unterricht thematisiert werden solle, am häufigsten genannt. Dabei sind also zwei Prinzipien ausschlaggebend: zum einen wird untersucht, welche Erfahrungen und Unterrichtsinhalte die Schülerinnen und Schüler mit Frieden bereits erlebt haben, welche Kernaussagen sie zu ihren Unterrichtserfahrungen diesbezüglich 984 Vgl. Emil (Im10k2, Pos. 129–130). 985 Vgl. Kapitel 9.3.1.3.

328

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

treffen und inwiefern hier Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Jahrgangsstufen und unterschiedlichen Unterrichtsformen bestehen. Zum anderen wird in Augenschein genommen, welche Wünsche die Heranwachsenden an den Religions- und Ethikunterricht richten und wie sie Frieden als Thema der religiösen Bildung wahrnehmen. Zunächst kann untersucht werden, ob und welche Kinder bereits Erfahrungen innerhalb des Religions- oder Ethikunterrichts mit der Thematisierung von Frieden gemacht haben. Insgesamt handelt es sich hierbei um sieben Heranwachsende, also ca. die Hälfte der Befragten, die in der Vergangenheit Frieden als Unterrichtsinhalt wahrgenommen haben. Bis auf eine Ausnahme (Franziska) besuchen alle diese Schülerinnen und Schüler zum Zeitpunkt des Interviews die dritte Klasse. Aaron und Bea, die beide den Ethikunterricht ihrer Jahrgangsstufe besuchen, berichten von Unterrichtsstunden, in welchen Frieden thematisiert wurden. Auffallend ist, dass sowohl Karl (evangelisch getauft), als auch Lukas (katholisch getauft) davon erzählen, dass sie wüssten, dass Frieden im Ethikunterricht bereits besprochen wurde. Im Religionsunterricht, den sie jeweils besuchen, sei das noch nicht der Fall gewesen.986 Somit berichten lediglich drei Kinder (Franziska, Georg und Henri) davon, dass im konfessionellen Religionsunterricht Frieden explizit Thema einer Unterrichtseinheit gewesen sei. Welche Inhalte und Methoden hierbei Kern der ›Friedensstunden‹ in Ethik- und Religionsunterricht war, wird im Folgenden kurz dargestellt. Abbildung 19 zeigt zusammenfassend, von welchen Themen und Methoden die Schülerinnen und Schüler berichtet haben. Dabei wird zwischen dem katholischen beziehungsweise evangelischen Religionsunterricht und dem Ethikunterricht unterschieden. Das hat den Grund, dass zwar Inhalte aufkamen, die in beiden Unterrichtsformen Raum einnahmen, der Religionsunterricht allerdings durch spezifisch theologische Themen erweitert wird. Bezüglich friedensbezogener Themen und Inhalten wurden von den jeweiligen Lehrkräften vor allem zwei Perspektiven eröffnet. Diese korrelieren mit den in dieser Arbeit aufgestellten Kategorien des negativen Friedens weltweit und des (inter-)personalen Friedens. So berichtet Bea (Iw9m, Pos. 169) davon, dass sie im Ethikunterricht gelernt habe, dass Gewalt keine Lösung sei. Ein weiterer Aspekt, der negativen Frieden weltweit betrifft, ist die Abwesenheit von Krieg. Diese ist im katholischen Religionsunterricht von Clara (Iw9k1, Pos. 32) thematisiert und besprochen worden. Sowohl im Religionsunterricht als auch im Ethikunterricht aufgekom986 Vgl.: »(..) Ja, also in/ (.) wir hatten mal Religionsunterricht und der ist mal ausgefallen. Dann bin ich in Ethik gegangen und da hab’ ich gesehen, was ka/ (.) Was ist Frieden und so. (..) Hab ich ein bisschen gelernt. Jetzt weiß ich nicht mehr alle Wörter.« (KARL_Im8ev, Pos. 94); I: »Und, äh, vielleicht auch in irgendeinem Fach, habt ihr da schonmal über Frieden gesprochen?« L: »(..) Nö, aber die Ethikkinder. Das steht da meistens noch an der Tafel.« (LUKAS_Im9k2, Pos. 101–102).

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Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

Erfahrungen der Kinder im Religionsunterricht (kath./ev.)

Erfahrungen der Kinder im Ethikunterricht

Theologische Themen und Inhalte:

Friedensbezogene Themen und Inhalte:

- Biblische Grundlagen zum Thema Frieden (z.B. Jahreslosung) - Friedenssymbole (z.B. Friedenstaube) - Pfingsten (Wirkung des Heiligen Geistes) - Hoffnung auf Gott (z.B. Umgang mit Trauer)

- Minimierung von Gewalt - Vermeidung von Krieg - Vorgehen gegen Umweltverschmutzung (Negativer) Frieden weltweit - Umgang mit Konflikten (Inter-)personale Ebene

Methoden im Unterricht (Berichte der Schülerinnen und Schüler): -

Zeichnen Zeitungsausschnitte finden Rollenspiele Unterrichtsgespräche

Abbildung 19: Frieden im Religions- und Ethikunterricht: Erlebte Themen und Methoden aus Sicht der Schülerinnen und Schüler

men sei das Thema der Umweltverschmutzung und des adäquaten Umgangs mit diesem Phänomen im Sinne von Natur- und Umweltschutz. Es verwundert dementsprechend nicht, dass diese Problemstellungen auch in den restlichen Kategorien einen vergleichsweise großen Raum einnehmen, da sie auch in der Schule und im Unterricht vielfach thematisiert werden. Was Frieden im Nahraum betrifft, berichtet zum Beispiel Henri (Im9k1, Pos. 90) davon, dass er im Religionsunterricht den Umgang mit Konflikten und Streitsituationen erlernt habe. Es zeigt sich, dass die Lehrkräfte der Schülerinnen und Schüler in ihren Unterricht sowohl die weltweite als auch nahräumliche Dimension von Frieden aufgreifen. Im Religionsunterricht werden darüber hinaus theologische Themen und Inhalte eröffnet, die Frieden im religiösen Kontext betreffen (können). Zunächst sind in dieser Hinsicht die biblischen Grundlagen zu nennen, die exemplarisch Karl (Im8ev, Pos. 120) im Unterricht thematisiert sieht. Wie in Kapitel 9.3.3 beschrieben, erwähnt er den Ps 34,15, der 2019 als Jahreslosung fungiert hat. Außerdem als christlich-religiös aufzufassender Unterrichtsinhalt ist die Beschäftigung mit dem Heiligen Geist und/oder Gott, die von Franziska (Iw10b1, Pos. 88) und Clara (Iw9k1, Pos. 38) mit Frieden in Verbindung gebracht werden. Beide berichten davon, dass Frieden im Religionsunterricht ihrer jeweiligen Jahrgangsstufe im Kontext mit Pfingsten (Franziska) und dem Umgang

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Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

mit Trauer, beziehungsweise mit dem Hoffnungsgedanken durch den Glauben an Gott (Clara) verknüpft wurde. Zudem berichtet Franziska (Iw10b1, Pos. 92) von einer Thematisierung von Friedenssymbolen und spezifisch der Friedenstaube. Zwei Heranwachsende berichten explizit von bestimmten Unterrichtsmethoden, die von ihren Lehrkräften in den Unterricht aufgenommen wurden. Karl beschreibt, er habe im Religionsunterricht in Zeitungen nach Schlagzeilen und Artikeln suchen sollen, die Frieden betreffen (vor dem Hintergrund der Jahreslosung 2019). Henri berichtet von einem Rollenspiel in Bezug auf Streit und Konfliktschlichtung, mit welchem auf interpersonaler Ebene der Umgang mit Konflikten erprobt wurde. Er bezieht dies allerdings auf eine Erfahrung im Sachunterricht, wobei eine solche Methode durchaus auch für den Religionsunterricht denkbar ist. Friedensbezogene Themen und Inhalte

»Ja. Zum Beispiel in Ethik ha/ lernen wir […] dass Gewalt keine Lösung ist.« (BEA_Iw9m, Pos. 169) »Und da haben wir halt auch was über den Frieden gesprochen und unsere Relilehrerin hat gesagt, dass es zurzeit ziemlich viel Krieg […] auf unserer Erde gibt. Und (..) das findet sie halt schade.« (CLARA_Iw9k1, Pos. 32) »Zum Beispiel in Ethik ha/ lernen wir auch keine Weltverschmutzung zu machen […]« (BEA_Iw9m, Pos. 169) »Und da haben wir halt auch was über den Frieden gesprochen und unsere Relilehrerin hat gesagt, dass es zurzeit […] Verschmutzung auf unserer Erde gibt. Und (..) das findet sie halt schade.« (CLARA_Iw9k1, Pos. 32)

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

Theologische Themen und Inhalte

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»(…) Also (.) bei ›Suche den Frieden‹ haben wir so welche Blätter bekommen von Zeitungen und wir mussten viele Sachen um/ äh, umkreisen in der Zeitung, was mit Frieden zu tun hat.« (KARL_Im8ev, Pos. 120) »Also (.) wir haben (..) tatsächlich auch ein Bild von einer friedlichen Landschaft gemalt. […]Und dann hab’ ich so noch, so, so wie als ob das die Erde bedecken würde so’n/ so’n/ so mit einem Kopf hier/ so Gott gemalt. So stell ich mir das vor, über die ganze Welt so.« (CLARA_Iw9k1, Pos. 32–38)

Methoden im Unterricht

»Ähm, wir haben, ähm, (.) eine Friedenstaube ausgemalt (.) äh, gesagt, was uns der Frieden bedeutet und über Frieden geredet. Über den Pfingsten und dass da Frieden war. Über Pfingsten und dann (.) nochmal über den Frieden, was der bedeutet und was heißt, Frieden zu haben. (.) Ja, und das war’s eigentlich schon. Der ist dann nochmal in der Probe drangekommen. (.) Aber sonst nicht mehr.« (FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 88) »(.) Wir haben da so getan, als ob wir uns streiten und einer, der musste dann sagen: »Entschuldigung, dass ich so blöd oder gemein zu dir war.« (HENRI_Im9k1, Pos. 90)

Tabelle 51: Ankerbeispiele für die Subkategorie ›Religions- und Ethikunterricht‹

9.3.3.3 Religion und Unfrieden Induktive Kategorie aus den Fragen: Findest du, dass Frieden auch etwas mit Religion zu tun haben kann? Kennst du Menschen, die etwas gemacht haben, das deiner Meinung nach Frieden bewirkt hat? Wie in Kapitel 9.3.3 – in dem die Frage nach Religion als Unfriedenstifterin gestellt wurde – bereits beschrieben, haben einige der Befragten auch friedensschädigende Aspekte in Religion wahrgenommen. Diese gilt es gesondert zu betrachten, da hieraus das Verständnis der Schülerinnen und Schüler von Frieden um einige relevante Facetten erweitert werden kann, die auch auf die religiöse Friedensbildung in der Primarschule maßgeblich Einfluss nehmen können. Als erster Aspekt sei das Bewusstsein über die Vergangenheit der Religionen und die (deutsche) Geschichte zu nennen. Wie bereits mehrfach angemerkt haben einige der Befragten im Laufe der Interviews die Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges als relevant erachtet; vor allem in Bezug auf die Frage nach einem Zusammenhang zwischen Frieden und Religion kamen diese Themen vermehrt auf. Dabei wurde vor allem während zwei Interviews (Clara und Dennis) das Bewusstsein über den Antisemitismus und die Juden-

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Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

verfolgungen innerhalb des Nationalsozialismus deutlich. Auch Franziska (Iw10b1, Pos. 107–112) deutet dieses Wissen an, indem sie erläutert, dass Religionen dafür eingesperrt werden würden, dass sie Frieden wollten – während der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Es ist zu bemerken, dass sich die Dritt- und Viertklässler bereits über antisemitische Vorfälle bewusst sind und sie Wissen über dieses Phänomen mitbringen. Auch sind den Kindern die Spuren des Zweiten Weltkrieges – teilweise verbunden mit der Person Adolf Hitlers – nicht fremd, wie folgendes Zitat zeigt: »[unverständlich] ich, hm. (.) Autofahrer, was die Lieblingsmarke von diesem Mann [Anm. JK: Adolf Hitler] war (.), weil ich in der Lieblingsstadt dieses Mannes wohne, (..) weil in dieser Stadt ein riesiges Bauwerk von diesem Mann steht. Also ich denk oft an diesen Mann […]« (DENNIS_Im10k1, Pos. 190)

Neben diesen Faktoren nennen Oliver und Jana außerdem insgesamt den Streit zwischen Religionen beziehungsweise zwischen ›Religion und Ethik‹. Auch hier ist ein Zusammenhang zwischen Religion und Unfrieden erkennbar, der von den Kindern hergestellt werden kann. Jana äußert, dass sie über Zeiten wisse, in welchen Menschen aufgrund ihres Unglaubens bestraft worden wären. Welche Vorkommnisse sie hier genau meint, führt sie allerdings nicht weiter aus. In den Äußerungen eines Zusammenhangs von Religion und Unfrieden, die allesamt auf geschichtlich relevanten Entwicklungen und dem Wissen darüber beruhen, bleibt die Religion jedoch nicht als ›Unfriedenstifterin‹ bestehen. Vielmehr eröffnet sich in dieser Kategorie ein Weiterdenken der Schülerinnen und Schüler: so zeigen beispielsweise Clara und Dennis großes Unverständnis für die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges und nicht zuletzt für antisemitische Handlungen und Einstellungen. Dennis (Im10k1, Pos. 200) argumentiert damit, dass alle Menschen gleich und deshalb die Unterdrückung und Diskriminierung von Personen anderer Religionen nicht gut zu heißen seien. Ebenso betont auch Clara die Wertschätzung und Toleranz von Menschen mit anderen Religionen und Vorstellungen, indem sie sagt: C: »Also ich kenn’ Adolf Hitler, der hat den zweiten Weltkrieg angefangen. Der hat auch ganz viele Menschen umgebracht, die Juden verfolgt und sowas. (..)« I: »Des war nicht toll, oder? (…) Und gerade auch dazu, was könnte man dann machen oder was/ wie müsste dann (.) dazu ein Mensch sein, der Frieden bewirkt statt, wie Adolf Hitler, Unfrieden?« C: »(.) Also, der sollte halt alle Menschen so sein lassen, wie sie halt sind. […] Weil jeder hat seine eigene Religion.« (CLARA_Iw9k1, Pos. 88–94)

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

Bezug auf den Zweiten Weltkrieg

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»Der [Anm. JK: Adolf Hitler] hat auch ganz viele Menschen umgebracht, die Juden verfolgt und sowas. (..)« (CLARA_Iw9k1, Pos. 88) »aber es gab ja auch schreckliche Zeiten mit Religionen (..) […] Zweiter Weltkrieg. […] Da wurden alle Juden/ mussten sich son Stern auf die Hosen und Kleidung, damit man sie erkennt und die wurden in irgendwelche Gittergefängnisse gesteckt und vergast und alles. […] (…) Das war gar nicht schön.« (DENNIS_Im10k1, Pos. 180) »Manchmal aber auch nicht, weil manche Religionen, oder hat das damit was zu tun? Dass manche Religionen dafür eingesperrt sind, dass sie den Frieden wollen oder sowas?« (FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 100)

Streit zwischen Religionen

»(.) naja, (.) manchmal gibt/ da gibt’s ja dann halt auch Streit zwischen Ethik und Religion. Zum Beispiel des war glaub’ ich sogar früher. Nämlich, ähm, wo die Leute dann halt, die nicht an Gott geglaubt haben, die (.) haben (.) die wurden dann so gesagt, sag ich jetzt mal, verprügelt oder irgendwie so. Die wurden dann halt richtig bestraft« (JANA_Iw9b, Pos. 78) »Weil sich die Religionen streiten halt.« (OLIVER_Im9ev2, Pos. 148)

Tabelle 52: Ankerbeispiele für die Subkategorie ›Unfrieden und Religion‹

9.3.3.4 Zusammenfassung Anders als in früheren Untersuchungen, in denen religiöse Symbole in Kinderzeichnungen zum Thema Frieden zu finden waren987, sind in der vorliegenden Studie keine religiösen Elemente in den Zeichnungen festzustellen. Auch innerhalb der Interviews kam ein Zusammenhang zwischen Frieden/Unfrieden und Religion(en) erst im Zuge der entsprechenden Leitfragen auf. Circa zwei Drittel der Befragten erkennen und begründen eine Kohärenz, andere wiederum negieren eine Verbindung der beiden Themen. Die Kinder, die Frieden und Religion(en) nicht miteinander in Verbindung bringen, begründen dies mit ihren persönlichen Erfahrungen im Religionsunterricht oder in der Kirchengemeinde. Für sie gehört Frieden nicht in das Repertoire der religiösen Bildung, wenn sie dazu noch keine Inhalte erfahren haben. Demgegenüber stehen die Kinder, die den Zusammenhang eben doch erkennen, da sie Frieden bereits in der Schule als Thema erlebt haben. Zudem finden sich vereinzelt Befragte, die nicht nur aufgrund ihrer Erfahrungen (im Religionsunterricht; Konfirmandenunterricht etc.) 987 Vgl. McLernon/Cairns 2001, 50.

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Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

argumentieren, sondern Religion(en) und Frieden aufgrund ihres Glaubens an den friedlichen (Schöpfer-)Gott miteinander in Verbindung bringen. Es wird deutlich, dass Frieden bereits ab der dritten Klasse sowohl innerhalb des Ethikals auch des Religionsunterrichts thematisiert wurde und die Heranwachsenden diese Inhalte auch wiedergeben können. Dabei zeigt sich auch, dass innerhalb des Religionsunterrichts genuin religiöse Themen Anwendung finden und zur Sprache kommen. Insgesamt wurden von den Schülerinnen und Schülern, die das Thema Frieden im Religions- oder Ethikunterricht bereits als Inhalt erlebt haben, verschiedene Methoden genannt: die Zeichnung eines Friedensbildes (hierbei wurde teilweise der Vergleich zur vorliegenden Studie gezogen) oder auch Unterrichtsgespräche – wobei die Kinder an dieser Stelle keine genauere Differenzierung anstellten und nicht klar ist, in welcher Form diese stattfanden. Insgesamt zeigt sich die Tendenz, dass nur wenige Befragte Frieden und Religion(en) aufgrund ihres Glaubens miteinander in Verbindung bringen. Der religiösen Bildung kann hierbei Potenzial zugesprochen werden, indem friedensrelevante Themen im Religionsunterricht an die Schülerinnen und Schüler herangetragen werden. Bedeutsam sind hierbei die Rolle der Lehrkraft und die Auswahl der jeweiligen Unterrichtsinhalte, die den Kindern im Gedächtnis bleiben. Dennoch ist insgesamt festzustellen, dass die persönliche Religiosität für das kindliche Verständnis und die Begründungsstrategien von Frieden wie friedlichem Handeln einen geringen Stellenwert innehat. Größere Bedeutung haben ethische Aspekte wie die Wertschätzung gegenüber Menschen anderer Religionen und die Abwesenheit von religiös begründeter Gewalt.

9.3.4 Wo Kindern Frieden begegnet Kategorie

Anzahl der Codierungen / Anzahl der Dokumente bei N=15 Frieden begegnen insgesamt 115 / 15 Friedenstiftende 63 / 15 Frieden im eigenen Leben 52 / 15 Tabelle 53: Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie ›Frieden begegnen‹ mit Subkategorien

In den vergangenen Kapiteln wurden die Beschreibungen, die Kinder für Frieden finden, Zusammenhänge zu weiteren Phänomenen wie Krieg und Gewalt, aber auch die friedenstiftenden Aspekte von Gerechtigkeit und Religion(en) genauer untersucht. Dabei wurden Vergleiche mit den Zeichnungen herangezogen, um einen mehrperspektivischen Zugang zu den in den Forschungsfragen thematisierten Vorstellungen von Frieden und Unfrieden der Grundschülerinnen und

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

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-schüler zu erhalten. Im vorliegenden Kapitel werden davon ausgehend Aspekte untersucht, die sich noch weiter mit dem konkreten Leben und den Vorstellungen der Kinder bezüglich Frieden beschäftigen. Es wurde bereits herausgestellt, dass Frieden und Unfrieden stark abhängig sein können von den individuellen Erfahrungen und Erlebnissen, die die Befragten diesbezüglich bereits sammeln konnten. In der Friedenspädagogik nehmen darüber hinaus Personen, die sich für Frieden einsetzen, einen nicht unerheblichen Stellenwert ein.988 Aus diesem Grund soll untersucht werden, welche Personen die Kinder als friedenstiftende Personen wahrnehmen, welche Eigenschaften und Handlungsweisen solche Menschen ausmachen und welches Verhalten für die Heranwachsenden den Einsatz für Frieden und gegen Gewalt fördern kann. Abschließend steht im Vordergrund, dass im Nachdenken über Frieden auch konkrete Handlungsweisen der Einzelperson von Bedeutung sind. Welche Möglichkeiten die Kinder für sich in ihrem eigenen Leben, in ihrem Umfeld und für die Zukunft erkennen, soll daher gesondert evaluiert werden. 9.3.4.1 Personen, die Frieden stiften Kennst du Menschen, die etwas gemacht haben, das deiner Meinung nach Frieden bewirkt hat? Wen und was haben sie getan? Was macht deiner Meinung nach Menschen aus, die sich für Frieden einsetzen? Kategorie Friedenstiftende insgesamt

Anzahl der Codierungen / Anzahl der Dokumente bei N=15 63 / 15

Personen Bekannte Persönlichkeiten/Rollen

31 / 15 12 / 8

Menschen aus dem persönlichen Umfeld 3 / 2 Unfriedenstiftende 7/4 Niemand bekannt Eigenschaften/Handlungen

9/9 32 / 15

Tabelle 54: Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie ›Personen, die Frieden stiften‹ mit Subkategorien

988 Vgl. Kapitel 5.1.4.

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Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

Welche Personen können Frieden stiften? In der Analyse der von den Kindern genannten Personen, die ihrer Meinung nach friedenstiftend wirken, wurden folgende Unterkategorien herausgestellt: Am meisten genannt wurden von den Befragten Personen, die bekannt oder berühmt sind, beziehungsweise Rollen innehaben, die in der Öffentlichkeit stehen (z. B. Politikerinnen/Politiker). Lediglich in zwei Interviews wurden Menschen aus dem persönlichen Umfeld genannt und neun Kinder haben (zunächst) keine Person nennen können. Induktiv hat sich ähnlich wie in der Betrachtung von Frieden und Religion989 herausgestellt, dass vier Kinder990 zwar keine friedenstiftenden Personen nennen konnten, sondern stattdessen (teilweise auf Nachfrage) via negationis beschreiben, wer in ihrem Umfeld oder auch in der Öffentlichkeit Unfrieden hervorruft. Zunächst wird allerdings auf diejenigen Rollen und Persönlichkeiten eingegangen, die in der Vorstellung und der Meinung der Heranwachsenden nach friedenstiftend wirksam werden. Hier seien in erster Linie Personen des öffentlichen Lebens genannt, die bestimmte Rollen einnehmen, wodurch sie friedenbeziehungsweise ordnungsstiftend wirken. Zwei Rollen oder Berufe wurden explizit genannt: Bürgermeisterinnen/Bürgermeister oder allgemeiner Politikerinnen/Politiker.991 An dieser Stelle bietet sich ein vergleichender Blick auf die Kategorie des Krieges an, in der herausgestellt wurde, dass die Kinder teilweise genau die Personen mit diesen Ämtern als verantwortlich für den Ausbruch von (internationalen) Konflikten erachten.992 Im Hinblick auf Konfliktlösungsstrategien sieht beispielsweise Lukas (Im9k2, Pos. 48)993 die Politikerinnen und Politiker auch als die Hauptakteurinnen und Hauptakteure an, Konflikte wieder in Ordnung zu bringen und Kriege zu beenden. Dementsprechend liegt es aus der Sicht der Befragten gewissermaßen im Aufgabenbereich einer öffentlich wirksamen Person. Jana (Iw9b, Pos. 104) nennt in diesem Zusammenhang exemplarisch Angela Merkel, die sich ihrer Meinung nach gegen Unfrieden (vonseiten der USA) einsetzt. Oliver (Im9ev2, Pos. 236) sieht die friedenstiftenden Möglichkeiten von Politikerinnen und Politikern darin, dass sie vom Volk gewählt sind und im Sinne demokratischen Handelns dafür sorgen, dass die Wählerinnen und Wähler auch ein Mitbestimmungsrecht besitzen. Neben den öffentlichen Ämtern und Berufen wird von Dennis (Im10k1, Pos. 250) ein britischer General genannt, 989 Vgl. Kapitel 9.3.3. 990 Vgl. CLARA_Iw9k1, Pos. 86–88; JANA_Iw9b, Pos. 97–99; LUKAS_Im9k2, Pos. 143–152; OLIVER_Im9ev2, Pos. 193–194. 991 Vgl. z. B. BEA_Iw9m, Pos. 141; CLARA_Iw9b, Pos. 104. 992 Vgl. Kapitel 9.3.2.2. 993 Vgl. Tabelle in Kapitel 9.3.2.2.

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

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den er »im Fernsehen gesehen« hat. Dieser habe durch bedachtes Handeln in einer internationalen Konfliktsituation einen Krieg verhindern können. Auch prominente Personen wie Sänger werden genannt. Laut Marius (Im10ev, Pos. 130) können diese Frieden bewirken, indem sie Geld an Bedürftige spenden. Von drei Kindern wurde Jesus als friedenstiftende Person genannt.994 Dieser habe verschiedene Eigenschaften, die ihn als Mensch auszeichnen, der Frieden bewirken kann. Laut Emil (Im10k2, Pos. 142) wird er als »nett« empfunden und sei »positiv eingestellt«. Georg (Im9ev1, Pos. 104) betont, Jesus habe gegen andere gekämpft und sich aber auch mit Kontrahenten angefreundet. Es verwundert nicht, dass in diesem Kontext Jesus genannt wurde, da auch in weiteren beziehungsweise vorhergehenden Leitfragen die Religion eine Rolle spielte. Jedoch ist es bemerkenswert und für spätere Folgerungen wegweisend, die Rolle Jesu als Friedenstifter in den Vorstellungen der Befragten in Augenschein zu nehmen. Die Eigenschaften und Handlungen Jesu, von denen die Bibel berichtet, haben für die Kinder bereits einen hohen Stellenwert und obwohl teils auch Zweifel an den biblischen Geschichten995 bestehen, sind es dennoch die überlieferten Eigenschaften und Taten Jesu, die für einige Befragte Frieden bewirken können. Außerdem nennen zwei Kinder Personen aus ihrem Umfeld, die sich ihrer Meinung nach für Frieden einsetzen. Dabei handelt es sich in Beas Fall (Iw9m, Pos. 123) um ihre Klassenkameradinnen und Klassenkameraden sowie um ihre Freundinnen. Konkret nennt sie ihre aktuelle Klassensprecherin, die ›Gutes tu‹«. Nina (Iw9k2, Pos. 182–184( berichtet davon, dass ihre Freundin Paula für sie ein Mädchen sei, das Frieden bewirken kann. Als Grund dafür nennt sie, dass Paula stets »nett« sei. In vier Interviews kamen, wie beschrieben, wiederum Menschen zur Sprache, die aus Sicht der Befragten Unfrieden stiften würden. In mehreren Fällen wurde auch hier Adolf Hitler genannt, der den Zweiten Weltkrieg angefangen habe (CLARA_Iw9k1, Pos. 88). Lukas (Im9k2, Pos. 143–152) berichtet von einer Person aus seinem Umfeld und nennt konkret Aaron (ebenfalls Studienteilnehmer), der durch Aggressivität auffalle. Aufgrund von bestimmten Handlungen wie beispielsweise Steine werfen, gelte er in Lukas’ Augen nicht als Person, die für Frieden sorgt. Einige der Befragten996 konnten (im ersten Moment) keine Personen nennen, die sich aus ihrer Sicht für Frieden einsetzen.

994 Vgl. EMIL_Im10k2, Pos. 142; GEORG_Im9ev1, Pos. 99–104; FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 126– 128. 995 Vgl. z. B. EMIL_Im10k2, Pos. 142. 996 Vgl. AARON_Im9m, Pos. 95–98; CLARA_Iw9k1, Pos. 83–86; EMIL_Im10k2, Pos. 149; FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 99–100; GEORG_Im9ev1, Pos. 99–100; HENRI_Im9k1, Pos. 123– 124; KARL_Im8ev, Pos. 135–140; PAULA_Iw10b2, Pos. 105–110.

338

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

Was macht Personen, die Frieden stiften, aus? Aus diesem Grund wurde ausgehend von der Frage nach konkreten Personen, die Frieden bewirken können, zusätzlich nach Eigenschaften und Handlungen gefragt, die friedenstiftende Personen ausmachen. Vor allem auch von den Kindern, die keine Person zu nennen vermochten, konnten auf diese Weise qualitative Merkmale und Charakterzüge friedenstiftender Menschen erfragt werden. In der ersten Betrachtung wurde deutlich, dass sich die Äußerungen der Kinder zu friedenstiftenden Personen in Eigenschaften und Handlungen aufteilen lassen. Hierbei wurden konkrete Handlungsweisen, die für Frieden sorgen könnten und von den Befragten demnach als friedenstiftend angegeben werden, gesammelt und untersucht. In einem zweiten Schritt wurden die Charaktereigenschaften, die friedenstiftende Personen ausmachen, evaluiert. Im Folgenden werden die Ergebnisse dieser Analyse dargelegt. Nicht in allen Fällen lassen sich Eigenschaften und Handlungen strikt voneinander trennen. Diese Einteilung dient in erster Linie der Strukturierung der Ergebnisse, um davon ausgehend Aussagen über die Wahrnehmung von möglichen Vorbildeigenschaften und -handlungen treffen zu können.997 Die Eigenschaften, die in Bezug auf friedenstiftend wirkende Menschen von den Befragten am meisten genannt werden, sind »nett«998 und »freundlich«999. Teilweise werden diese Eigenschaften nicht weiter konkretisiert, bei manchen Kindern hängen sie aber mit bestimmten Handlungen zusammen. So ist für Marius (Im10ev, Pos. 130) deutlich, dass eine »nette« Person auch spendet und armen Menschen etwas abgibt. Hier zeigt sich, dass die Eigenschaften in Einklang mit entsprechenden Handlungen wirken können. Teils eröffnet sich auch diesbezüglich die Tendenz, via negationis Charakterzüge von friedenstiftenden Personen zu beschreiben. Antonym zu der Eigenschaft »nett« nennt Georg (Im9ev1, Pos. 106) den Wesenszug »nicht so böse« zu sein. Teils wird diese Freundlichkeit auch in Bezug mit konkreten Personen gesetzt, die oben bereits genannt wurden; »nett« sei in diesem Sinne zum Beispiel Jesus Christus gewesen1000 oder auch die Freundin aus der eigenen Klasse.1001 Ein zweiter Aspekt wurde von zwei Kindern (Franziska und Henri) genannt und hängt ebenfalls mit bestimmten Handlungen wie dem oben beschriebenen Spenden zusammen: Jemand, der Frieden auf der Welt bewirken kann, »[m]üsste auch gerecht sein« (FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 130.134). Sie konnotiert in diesem Zusammenhang die Gerechtigkeit damit, dass ein friedenstiftender Mensch, »nicht mehr [will]« 997 998 999 1000 1001

Vgl. Kapitel 5.1.4. Vgl. z. B. NINA_Iw9k2, Pos. 184. Vgl. z. B. FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 130. Vgl. EMIL_Im10k2, Pos. 146. Vgl. BEA_Iw9m, Pos. 129.

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

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und spricht diesem die Aufgabe beziehungsweise Fähigkeit zu, auch anderen die Gerechtigkeit beibringen zu können.1002 Die Viertklässlerin bringt auf diese Weise auch eine gewisse Verantwortlichkeit gegenüber anderen Personen ein, das eigene Wissen – die eigenen Gerechtigkeits- und Friedensvorstellungen – weiterzugeben. Dies leitet zu einer weiteren Eigenschaft friedenstiftender Personen über, die sich feststellen lässt: »nicht immer an sich [zu] denk[en]« (DENNIS_Im10k1, Pos. 260)1003. Die Eigenschaft, sich selbst zurückzunehmen, altruistisch handeln zu können und andere im Blick zu haben, um den Friedensprozess voranzutreiben, wurde von mehreren Befragten vor allem in einem Kontext thematisiert. Dennis begründet die Eigenschaft folgendermaßen: »Jemand, der sehr viel (..) jemand, der s/ daran denkt, nicht immer an sich denkt, sondern auch andere und denkt: ›Hey, warte, wenn ich diese Welt nicht verbesser’, dann/ (.) wenn ich hier keinen Frieden reinbringe, dann könnte, dann würden/ dann werden meine Vorf/ dann werden meine Nachfahren faule Säcke und tun auch keinen Frieden reinbringen und deshalb mach ich’s, weil ansonsten könnten meine Nachfahren in einem Krieg sterben.‹« (DENNIS_Im10k1, Pos. 260)1004

Hier werden die Zukunftsperspektive und der Einbezug der kommenden Generationen ausgedrückt. Dennis postuliert diesbezüglich eine Art Vorbildfunktion friedenstiftender Personen. So sind die Menschen in der Gegenwart dafür verantwortlich, mit Friedensprozessen zu beginnen, damit die »Nachfahren« lernen, es den friedenstiftend wirkenden Menschen nachzutun. Es wird deutlich, dass die Person, die eben nicht nur an sich selbst denkt, auch an die Mitmenschen denkt, die nach ihr kommen. Besonders interessant ist dieser Aspekt in Dennis‹ Bezug auf Krieg, der den Nachfahren schaden könnte. Analog zur in Kapitel 3.1.3.1 beschriebenen Sorge von Kindern, dass Krieg ausbrechen könne, ist auch Dennis dieses Phänomen nicht fremd und so sind die Chancen von Friedenstiftenden groß, die Welt zu verbessern und Krieg zu vermeiden. Im Horizont der Eigenschaft, andere und die Zukunft im Blick zu haben, stehen einige der von den Kindern beschriebenen Handlungen friedenstiftender Personen. Diesbezüglich ergeben sich Aspekte, in denen Handlungen via negationis beschrieben werden. Es wird erwähnt, dass eine friedenstiftende Person keinen Unfrieden in die Welt bringen1005 oder keine Lügen erzählen sollte.1006 Es 1002 Die Bereitschaft, das eigene Wissen auch weiterzugeben, kann auch als Handlung friedenstiftender Personen eingestuft werden. 1003 Vgl. hier auch BEA_Iw9m, Pos. 11: Die Neunjährige beschreibt via negationis, dass Menschen, die in einer unfriedlichen Welt leben, die Bäume nicht gießen, »weil sie nur an sich selbst denken.« 1004 Dennis’ Antwort auf die Frage: »Was macht für dich einen Menschen aus, der sich für Frieden einsetzt?«. 1005 Vgl. LUKAS_Im9k2, Pos. 140. 1006 Vgl. AARON_Im9m, Pos. 106.

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Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

ist darüber hinaus auffällig, dass die Handlungen, welche die Befragten beschreiben, entweder in direktem Zusammenhang mit konkreten Friedenstifterinnen oder Friedenstiftern stehen oder vor allem ein Friedenshandeln im Nahraum betreffen. Bei den genannten Friedenstiftern wird das Handeln Jesu betont. Dieser habe »andere geheilt« (EMIL_Im10k2, Pos. 146) oder sich erfolgreich gegen Krieger durchgesetzt.1007 Weitere beschriebene Handlungen betreffen in erster Linie den sozialen Nahraum und beziehen sich auf allgemeine Konfliktsituationen (mit Freundinnen und Freunden). Vergleichsweise häufig wird dabei die Handlungsweise eines Streitschlichters oder einer Streitschlichterin beschrieben. Von Lukas wird eine solche Person explizit benannt: »Ich glaub halt, Menschen, die Fr/ wirklich Frieden wollen, die tun auch selber keinen Unfrieden in die Welt bringen. Das heißt, und wenn sich halt, ähm, wenn sich halt Unfrieden irgendwie ausbreitet, zum Beispiel aufm Marktplatz, wenn da jetzt sich zwei prügeln und das ist halt fifty-fifty, einer ist auf der Seite, einer auf der – und dann tun sich halt alle prügeln, dann tut dieser eine kommen, quasi wie ein Streitschlichter und sagt: ›Jetzt Stopp mal. Was ist passiert?‹« (LUKAS_Im9k2, Pos. 140)

Hier zeigt sich auch, wie oben beschrieben, dass er sich in seiner Erläuterung der Handlungsweise eines friedenstiftenden Menschen auf seine konkrete – lebensnahe und gar lokale (Marktplatz) – Umwelt bezieht. Er beschreibt eine Situation, die genau so auftreten könnte und in der Jeder und Jede selbst friedenstiftend tätig werden kann; indem Hilfe geleistet wird und Konflikte konstruktiv gelöst werden. Diese Herangehensweise findet sich in den Vorstellungen mehrerer Kinder und zeigt sich in den Aussagen, dass eine friedenstiftende Person eine Lösung für alle finden1008, in der Klasse Ordnung schaffen1009 oder auch erst gar keinen Streit beginnen würde.1010

1007 Vgl. »(..) Der [Anm. JK: Jesus] hat sich mit n paar, ähm, Kriegern angeschlossen und hat dann (.) sich mit den Kriegern, die ihn als erstes töten wollten, dann befreundet und die haben ihm dann geholfen, (.) gegen die anderen zu kämpfen. (.) Ja. (.) Also nur des.« (GEORG_Im9ev1, Pos. 104). 1008 Vgl. FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 130. 1009 Vgl. BEA_Iw9m, Pos. 125. 1010 Vgl. MARIUS_Im10ev, Pos. 134.

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

Personen, die Frieden stiften

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»Zum Beispiel die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister, die wollen ja auch, dass es in jeder Stadt und in jedem Land Frieden, die wollten das ja auch.« (BEA_Iw9m, Pos. 141) »Also es hat auch mit der, ähm, (..) USA und sowas, weil, ähm, zum Beispiel die Frau Merkel, die kämpft auch dagegen, weil der Trump halt vieles nicht gut macht, aber sie will halt, dass es nicht so wird und (.) ja, sie macht besser.« (JANA_Iw9b, Pos. 104) »Politiker. Weil die kann man wählen und wenn was Neues gebaut werden soll, kann man mitbestimmen und so.« (OLIVER_Im9ev2, Pos. 236) »Hm, positiv eingestellt, (.) so wie Jesus. [lacht] Wobei man eigentlich nicht so viel über Jesus weiß. Es könnte alles mit ihm passiert sein, er muss nicht gekreuzigt sein. Er könnte auch verbrennt werden. Vielleicht wurde er auch verbrannt. (..) Das weiß niemand.« (EMIL_Im10k2, Pos. 142)

Personen, die Unfrieden hervorrufen

»Ich kenn nur Leute, die irgendwie Unfrieden gestiftet haben. […] Also ich kenn’ Adolf Hitler, der hat den zweiten Weltkrieg angefangen. Der hat auch ganz viele Menschen umgebracht, die Juden verfolgt und sowas. (..)« (CLARA_Iw9k1, Pos. 86–88) »(..) Ja, des hat jetzt mehr mit der USA, ähm, und sowas. Weil der Trump, der tut eigentlich (.) ganz ganz viel so richtig unlogisch machen. Ich sag’ jetzt mal n Beispiel. Ich weiß nicht, ob es existiert, aber zum Beispiel, dass Trump sagt: »Ähm, die Kinder dürfen jetzt Waffen haben und auf ein anderes Land gehen oder mit Krieg machen.« Und das find’ ich halt (..) gar nicht gut, weil die Kinder, die haben ja noch ein/ die sind ja noch jung und, ähm, die Erwachsenen, die sind schon etwas älter und die Kinder sollen ja auch n schönes Leben noch haben.« (JANA_Iw9b, Pos. 96) »Ähm, kennst du den Aaron? Den hattest du als erstes hier, oder?« [I: »Hm (bejahend).«] »[…] Ja, ähm, der h/ ist nämlich mal ausgerastet hier im Hort auch. Da hat er mit Steinen geworfen. […] Und des war aggressiv. Richtig [geflüstert].« (LUKAS_Im9k2, Pos. 143–152)

342 Friedenstiftende Eigenschaften

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

»[atmet hörbar aus] (..) Freundlich (.) und müsste eine Lösung finden für halt alle (.). Müsste auch gerecht sein. (..) Und (.), äh, (.), äh, (.) was gibt’s denn da noch? Gerecht, freundlich. (…) [atmet hörbar aus] (10sek) Mir fällt irgendwie nichts mehr ein.« (FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 130) »(..) Nett. (..) Und (.) sehr freundlich. [räuspert sich] Ist ja sowas wie nett. (..) Und nicht so böse.« (GEORG_Im9ev1, Pos. 106)

Friedenstiftende Handlungen

»Weil, i/ ich weiß jetzt nicht welche, aber es gibt auch viele Sänger, die, äh, dann Geld bekommen und des tun die dann halt auch an arme Menschen spenden. Und des find ich auch wirklich (.) gut, dass die sowas machen.« (MARIUS_Im10ev, Pos. 130) »Ich glaub halt, Menschen, die Fr/ wirklich Frieden wollen, die tun auch selber keinen Unfrieden in die Welt bringen. Das heißt, und wenn sich halt, ähm, wenn sich halt Unfrieden irgendwie ausbreitet, zum Beispiel aufm Marktplatz, wenn da jetzt sich zwei prügeln und das ist halt fifty fifty, einer ist auf der Seite, einer auf der – und dann tun sich halt alle prügeln, dann tut dieser eine kommen, quasi wie ein Streitschlichter und sagt: ›Jetzt Stopp mal. Was ist passiert?‹« (LUKAS_Im9k2, Pos. 140)

Tabelle 55: Ankerbeispiele für die Subkategorie ›Personen, die Frieden stiften‹

9.3.4.2 Frieden im eigenen Leben Was kannst du dir konkret vornehmen/machen, damit dein Leben friedlicher wird? Gibt es etwas, das du bereits tust, um Frieden in deinem Leben zu haben? Kategorie Frieden im eigenen Leben insgesamt

Anzahl der Codierungen / Anzahl der Dokumente bei N=15 52 / 15

Vermeiden von Gewalt Helfen/sich für andere einsetzen

6/5 10 / 5

Einsetzen für die Umwelt Keine Veränderungswünsche

4/2 4/2

Sonstiges 28 / 12 Tabelle 56: Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie ›Frieden im eigenen Leben‹ mit Subkategorien

Abschließend werden, der subjektorientierten Herangehensweise dieser Studie angemessen, die Wünsche, Ziele und Hoffnungen der Schülerinnen und Schüler

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

343

für eine friedliche(re) Welt aufgegriffen. Es wurde in Kapitel 3.1.3.2 festgehalten, dass viele Kinder und Jugendliche heute ein großes Bedürfnis nach Partizipation an der Lösung von Schlüsselproblemen dieser Zeit formulieren und nach außen tragen. Diesem Bedürfnis soll auch innerhalb der Befragungen und vor allem mithilfe zukünftiger, friedenspädagogischer Herangehensweisen offen begegnet werden. So bildet diese abschließende Kategorie mit den Zeichnungen gemeinsam einen Rahmen der Friedensbilder der Kinder, indem ihre Vorstellungen einer friedlichen Welt nun durch ihren ganz persönlichen Weg und ihre selbstformulierten Partizipationsmöglichkeiten vervollständigt wird. Die Kategorie Frieden im eigenen Leben bezieht dabei nicht nur die Veränderungs- und Zukunftswünsche der Heranwachsenden mit ein, sondern beinhaltet zudem auch die Handlungsweisen, die sie aktuell bereits verfolgen, um Frieden im eigenen Leben und sozialen Miteinander zu bewahren beziehungsweise hervorzubringen. Wie aus obiger Tabelle zu entnehmen, lassen sich diesbezüglich mehrere Unterkategorien festhalten, von denen eine mit Vermeiden von Gewalt betitelt wurde. Zudem wurden die Hilfe gegenüber anderen und der Einsatz für die Umwelt als auffallende Merkmale innerhalb der Interviews festgehalten. Neben den (wenigen) Kindern, die keine Veränderungswünsche1011 für eine friedliche(re) Zukunft äußerten, wurde eine Restkategorie aufgestellt, die verschiedene Aspekte beinhaltet und die im Folgenden ebenfalls dargestellt werden soll. Vermeiden von Gewalt »Friede[n] ist […] ein […] Prozess abnehmender Gewalt«1012 – Diese Annahme findet sich, vor allem in Bezug auf ihr eigenes Leben, auch in den Vorstellungen der Kinder wieder. Auf die Frage nach Handlungsmöglichkeiten für eine friedliche(re) Welt wird in fünf Interviews die Vermeidung von Gewalt genannt und folgendermaßen konkretisiert: Zum einen finden sich Vorstellungen von zu vermeidender Gewalt im näheren Umfeld. Zum Beispiel Franziska (Iw10b1, Pos. 144) äußert, niemanden absichtlich verletzen zu wollen, und Bea (Iw9m, Pos. 143) wünscht sich ebendies für ihren Bruder. Wird also die Möglichkeit der Kinder, für Frieden zu sorgen, in den Vordergrund gestellt, kann unter anderem die Vermeidung von Gewalt gegen Menschen im nahen Umfeld festgehalten werden. Zum anderen sind, auf die globale Dimension bezogen, ebenfalls Äußerungen zu finden. Hier sind wiederum Parallelen zu den bereits untersuchten

1011 Hierbei handelt es sich um die Interviews mit Henri (Im9k1, Pos. 127–130) und Emil (Im10k2, Pos 148–152), die beide keine Handlungswünsche nennen. Diese Kategorie wird im Folgenden nicht genauer beleuchtet, da diese keine weitere Aussagekraft bezüglich der Forschungsfrage aufweist. 1012 Evangelische Kirche Deutschland 2007, 54, Ziff. 80.

344

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

Kategorien ›Militär und Waffen‹ sowie ›Krieg‹ festzustellen.1013 Clara (Iw9k1, Pos. 112) betont diesbezüglich, dass sie sich selbst vornehme, nie bei einem Krieg mitzumachen. Auch die Herstellung von Waffen1014 ist aufgrund ihrer Schädigung von Frieden im eigenen Leben zu negieren. Hilfsbereitschaft Neben der Gewalt, die zu vermeiden sei, konnte ebenso häufig eine hilfsbereite Einstellung der Befragten festgestellt werden, die aus Sicht der Kinder Frieden begünstigen kann. Es fällt auf, dass diesbezüglich hauptsächlich Beispiele und Handlungsweisen im nahen Umfeld genannt werden. Hilfsbereitschaft zeigen die Heranwachsenden nach eigener Aussage, wenn sie ihre Eltern oder Geschwister bei Aufgaben unterstützen oder sich für Nahestehende einsetzen.1015 Ob und warum diese Hilfsbereitschaft für die Kinder in Verbindung mit zunehmendem Frieden steht, kann nur annähernd und interpretativ aus dem Kontext abgeleitet werden. Die Aussagen bezüglich der Hilfsbereitschaft sind in direktem Bezug zur Nachfrage nach Frieden im eigenen Leben getätigt worden, hier scheint somit ein Zusammenhang zu bestehen. Es kann angenommen werden, dass die Relevanz des wertschätzenden Miteinanders in einem sozialen Gefüge wie der Familie die individuelle Zufriedenheit stärken kann. Folgt man diesem Gedankengang, ist es nicht überraschend, dass vonseiten der Befragten diese, ihren Alltag betreffenden, Aspekte zum Ausdruck kommen. Zudem sind Handlungen (für Frieden) genannt worden, die nicht nur die Familie, sondern auch Gleichaltrige betreffen. Dazu gehört – analog zur Charakterisierung von Personen, die Frieden bewirken können1016 – die Freundlichkeit gegenüber anderen, sowie zum Beispiel auch die Hilfestellung, wenn andere Kinder sich verletzen. Darüber hinaus lassen sich auch Tendenzen feststellen, die nicht nur das sozial nahe Umfeld der Kinder, sondern wiederum globale Prozesse betreffen. Dies zeigt sich zum Beispiel in den Spenden, die Aaron (Im9m, Pos. 122–124) benennt. Schutz der Natur und der Umwelt Zuletzt lässt sich in zwei Interviews1017 der Einsatz für die Umwelt und der Schutz der Natur feststellen. Diese Kategorie wurde aufgestellt, da starke Parallelen zu weiteren Kategorien sowie zu den Zeichnungen wahrgenommen werden können. Naturdarstellungen und die daraus abzuleitende Notwendigkeit eines Zusam1013 1014 1015 1016 1017

Vgl. die Kapitel 9.3.2.2 und 9.3.2.3. Vgl. FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 146. Vgl. z. B. KARL_Im8ev, Pos. 144. Vgl. Kapitel 9.3.4.1. Vgl. AARON_Im9m, Pos. 116–118; DENNIS_Im10k1, Pos. 291–292.

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

345

menhangs von Frieden und Umwelt sind daher im Leben der Kinder als bedeutend anzusehen. In den diesbezüglich getätigten Aussagen sind konkrete Handlungsweisen geäußert worden, die explizit das soziale Umfeld, aber auch die intrapersonale Ebene jedes und jeder Einzelnen betreffen können. Genannt wurden zum Beispiel die Verwendung von Autos ohne Benzin beziehungsweise die Nutzung alternativer Fortbewegungsmittel oder den geringeren Verbrauch von Plastikprodukten. Sonstiges Innerhalb der Restkategorie haben sich zudem verschiedene Aspekte eröffnet, die von Bedeutung für die Wahrnehmung und Vorstellungen der Kinder sind. So hat sich zum Beispiel ein Ausblick auf die Interessen und Informationsquellen der Kinder eröffnet. Wie zu vermuten ist, werden die Kindervorstellungen durch die mediale Aufmerksamkeit von kriegerischen Auseinandersetzungen und Konflikten aller Art beeinflusst. Sie ziehen ihr Wissen und ihre Konzepte nach eigener Aussage aus YouTube-Videos, dem Fernsehen, aber auch Büchern und Gesprächen mit Personen aus ihrem Umfeld.1018 Zudem sind Computer- und/ oder Konsolenspiele von Bedeutung, wenn es um die Vorstellungen von ›Gut‹ und ›Böse‹, Darstellungen von militärischen und kriegerischen Auseinandersetzungen und der Faszination von Konflikten geht. Das zeigt zusammenfassend folgende Aussage: »Eigentlich find’ ich ja Frieden toll, aber es ist auch bei Computerspielen so, es ist halt irgendwie/ in manchen Computerspielen (.) ist es auch mal schön, nicht immer der Gute zu sein, sondern auch mal der Böse zu sein. Zum Beispiel bei solchen Spielen, die ich spiele, (..) sagen wir es gibt (..) ich hab jetzt mal n friedliches und n Beispiel, wo man böse ist. Ein friedliches Spiel, wo’s nur um Frieden geht, was ich jetzt kenne, ist »Astroneer«, ein Spiel, was ich liebe. Da geht’s darum, dass man auf einem/ dass man ein Astronaut ist, der einen fremden Planeten erkundet und man hat verschiedene Luft- und Sauerstoff und muss sich dann da seine Basis aufbauen, Rohstoffe finden, alles abbauen, Höhlen erkunden. Des macht ziemlich Spaß. Und (.) ich find eigentlich das Spiel sehr toll und dann noch ein Beispiel, wo man der Böse ist. (.) ›The Legend of Zelda‹.« (DENNIS_Im10k1, Pos. 86)

1018 Vgl. beispielsweise »Ähm, auf Youtube schau ich immer solche Sachen an.« (EMIL_Im10k2, Pos. 40); »Emil war doch auch gerade da. (.) Er erzählt auch immer davon, weil er sich gut mit Ländern auskennt. Wie großen Ländern wie USA oder Russland.« (FRANZISKA_ Iw10b1, Pos. 138).

346 Vermeiden von Gewalt

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

»Dass ich halt niemanden absichtlich wehtue und ihn auch nicht verletze […]« (FRANZISKA_Iw10b1, Pos. 144) »Äh, (..), dass Aaron nicht immer so Sachen tut und nicht Fehler beginnt. Zum Beispiel wie: Er schlägt jemanden (.) und so weiter.« (BEA_Iw9m, Pos. 143)

Hilfsbereitschaft

»Auf jeden Fall keinen Krieg machen.« (CLARA_Iw9k1, Pos. 112) »Ich helf halt immer meiner Mutter und meinem Vater aufräumen. (.) Also wenn sie mich was fragen, ob ich ihnen helfen kann, sag ich immer ja.« (HENRI_Im9k1, Pos. 132); »[…] das mach ich auch für meine Schwester, wenn sie, äh, Wäsche aufhängt, dann helfe ich ihr auch dabei.« (KARL_Im8ev, Pos. 144). »Dass f/ (..) für Kinder, die arm sind, gespendet wird. (4sek) Äh. (..) Ja. (4sek).« (AARON_Im9m, Pos. 122).

Schutz der Natur

»(.) Also ich (..) weniger Plastik, Autofahren, mehr Fahrrad fahren, Roller und so weiter.« (AARON_Im9m, Pos. 116)

»Hm, (4sek) fällt mir jetzt eigentlich gerade nichts ein, aber ich glaube, ich könnte versuchen, irgendwie es zu schaffen (..) mit vielen anderen Kindern, dass der Klimaschutz etwas besser wird, weil der ist ja jetzt zurzeit nicht so gut.« (DENNIS_Im10k1, Pos. 268) Tabelle 57: Ankerbeispiele für die Subkategorie ›Frieden im eigenen Leben‹

9.3.4.3 Zusammenfassung Insgesamt ist feststellbar, dass friedenstiftende Personen im Verständnis der befragten Schülerinnen und Schüler vor allem in ihrem sozialen Umfeld, also der Schule und im Freundeskreis, und explizit in Streitsituationen tätig werden. Handelt eine Person friedenstiftend, vermeidet sie Streit oder weiß genau, wie sie Konflikte (konstruktiv) lösen kann. Dies deckt sich mit der Betrachtungsweise der Kinder von Streit.1019 Konflikte im Nahraum erscheinen, im Gegensatz zu Konflikten weltweit, respektive kriegerischen Auseinandersetzungen, nicht immer destruktiv. Es benötigt allerdings Menschen und Handlungsweisen, um mit diesen Konflikten umzugehen und sie konstruktiv lösen zu können. Bezüglich der Personen, die von den Kindern genannt werden, wird weniger der soziale Nahraum in den Vordergrund gerückt, sondern vielmehr Menschen, die auf gesellschaftlicher oder internationaler Ebene das Potenzial zur Friedenstiftung mitbringen. In den meisten Fällen handelt es sich hierbei um Personen, die 1019 Vgl. Kapitel 9.3.2.1.

Ergebnisbericht II: Kategorienbasierte Auswertung der Interviews

347

bestimmte Ämter bekleiden, wie Präsidenten eines Landes oder andere Politikerinnen und Politiker. Innerhalb der Kategorie ›Krieg‹ wurde herausgestellt, dass diese Personen auch als Ursprung für internationale Auseinandersetzungen wahrgenommen werden.1020 Den Amtstragenden wird also Verantwortlichkeit für das gesellschaftliche Wohlbefinden und für Friedenshandeln zugesprochen. Als Friedenstifter wurde in mehreren Interviews Jesus genannt. Dieser habe friedensfördernde Charaktereigenschaften und außerdem in seinem Leben friedlich gehandelt. Insgesamt wurden wenige konkrete Personen genannt, die friedenstiftend tätig waren oder sind. Leichter fiel es den Befragten, Handlungen und Eigenschaften zu benennen, die sie auch bezüglich ihres eigenen Lebens als bedeutsam ansehen. Die entsprechende Betrachtung der Kategorie Frieden im eigenen Leben hat gezeigt, dass Aspekte, die auch anderweitig von Bedeutung sind, großen Raum im subjektiven Empfinden und Streben nach Frieden einnehmen. Der Einsatz für die Umwelt ist dabei zwar nur von vereinzelten Schülerinnen und Schülern aufgekommen, allerdings durchzieht diese Thematik verschiedene Kategorien (wie zum Beispiel negativen und positiven Frieden weltweit) und kann deshalb als relevant herausgestellt werden. Darüber hinaus sind für die Heranwachsenden eigene Handlungsperspektiven in ihrem eigenen Leben bedeutsam. Neben dem Naturschutz, bei dem sie auch selbst tätig sein wollen, möchten sie sich für andere einsetzen. Konkret kommt hierbei auch die Familie zur Sprache: Frieden im eigenen Leben steht demnach häufig auch im Zusammenhang mit Harmonie und Hilfsbereitschaft im familiären Miteinander. Es wird darüber hinaus deutlich, was im Gesamtzusammenhang von Frieden im Leben von Heranwachsenden nicht außer Acht gelassen werden darf. Gewalt und Krieg sind Themen, die zwar grundsätzlich abschrecken und für Unfrieden stehen, aber dennoch Interesse und eine gewisse Faszination erwecken können. In Computerspielen ist es demnach spannend, »auch mal der Böse zu sein« (DENNIS_Im10k1, Pos. 86) und so ist es auch faszinierend, in den Medien, in Videos und Nachrichten etwas über Bomben, Waffen und militärische Vorgänge zu lernen. Dies muss aber nicht bedeuten, dass den Kindern deshalb solche (altersgerechten) Medien verboten werden müssen. Vielmehr sollte dieser Faszination in pädagogischen Prozessen Bewusstsein geschenkt werden, um lebensnah auf Friedensfähigkeit und -handeln ausgerichtete Lerneffekte erzielen zu können. Diese Aspekte sind in vorliegender Studie nur am Rande aufgetreten und liegen nicht im Zentrum des Erkenntnisinteresses. Eine genauere Untersuchung der Zusammenhänge von Friedensvorstellungen mit dem Konsum bestimmter (sozialer) Medien und möglicherweise daraus abzuleitender Kon-

1020 Vgl. Kapitel 9.3.2.2.

348

Betrachtung der Zeichnung – Die Ergebnisse der Studie

sequenzen für (schulische) Bildungsprozesse steht noch aus und wäre für die Zukunft denkbar.

10. Reflexion und Diskussion der Ergebnisse im Horizont des Erkenntnisinteresses

Im Anschluss an die vorgestellten Ergebnisse und im Interesse der Transparenz und Reflexivität dieser qualitativen Studie werden nun zentrale Aspekte resümiert. Zunächst gilt es, die Forschungsmethodik und aus der Untersuchung entstandenen Ergebnisse noch einmal in Bezug auf die Forschungsfrage zu reflektieren. Dies dient der Übersicht über die Möglichkeiten und Grenzen, die sich innerhalb der Verknüpfung von Kinderzeichnungen mit episodischen Interviews ergeben haben. Infolgedessen wird der Forschungsstand und theoretische Hintergrund zu Frieden und Unfrieden in den Horizont der Studienergebnisse gestellt. Hierzu werden themenbasiert ausgewählte Einzelaspekte diskutiert und in den Zusammenhang mit zuvor aufgestellten friedensbezogenen und -pädagogischen Konzeptionen und Herangehensweisen gestellt. Diese Ausführungen bilden demnach den – aus allen bisherigen Erkenntnissen bestehenden – Ausgangspunkt für die in Kapitel V präzisierten Folgerungen für die religionspädagogische Friedensbildung.

10.1 Rückblick auf die Forschungsfrage Dieses Kapitel widmet sich der zusammenfassenden Reflexion der Forschungsmethodik und Untersuchungsergebnisse im Hinblick auf die in Kapitel 6 aufgestellten Forschungsfragen: (1) Was stellen sich Kinder der Primarstufe unter Frieden und Unfrieden vor? (2) (Wie) unterscheiden die Grundschülerinnen und -schüler ausgewählte Aspekte von Frieden im Nahraum und Frieden weltweit? (3) Welche theoretisch und empirisch begründeten Folgerungen ergeben sich für eine subjektorientierte Friedensbildung im Sinne religionspädagogischen Handelns? Dabei soll zunächst geklärt werden, inwiefern das ausgewählte und durchgeführte Forschungsdesign – also die Verknüpfung von Kinderzeichnungen und

350

Reflexion und Diskussion der Ergebnisse im Horizont des Erkenntnisinteresses

episodischen Interviews – zum Erkenntnisgewinn adäquat beitragen konnte. Davon ausgehend wird geprüft, ob die vorliegenden Ergebnisse die Forschungsfragen hinreichend beantworten konnten und an welchen Stellen zukünftige Untersuchungen denkbar sind. Diese Überlegungen werden anschließend in die themenbasierte Betrachtung und Zusammenführung der einzelnen Erkenntnisse in Kapitel 10.2 übergehen.

10.1.1 Abschließende Reflexion der Forschungsmethodik im Hinblick auf die Forschungsfrage Die Schritte der Datenerhebung, -aufbereitung und -auswertung wurden bereits in den Zwischenreflexionen in Kapitel 8 genauer betrachtet und geschrieben. Deshalb kann zunächst festgestellt werden, dass sich die Auswahl der Stichprobe in Kombination mit den gewählten Forschungsinstrumenten bewährt hat. Auch der Aufbereitungs- und Auswertungsprozess wurde im Großen und Ganzen den zuvor aufgestellten Kriterien der Geltungsbegründung und Kindheitsforschung gerecht. Bezüglich der ersten Forschungsfrage, die die kindlichen Vorstellungen von Frieden und Unfrieden thematisiert, kann gesagt werden, dass die Erhebung von Kinderzeichnungen geeignet ist. Eine Intention in der Herleitung dieser ersten Frage war es, herauszufinden, wie ausgeprägt, reflektiert und mehrperspektivisch die Vorstellungen der Kinder zu Frieden und Unfrieden sind. Es hat sich gezeigt, dass in den 15 Zeichnungen viele verschiedene Aspekte zu finden sind. Die Fülle der 170 Motive und die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen auf unterschiedliche Themen zeigt, wie plural und vielschichtig die Vorstellungen der Kinder sind. Der Zeichenauftrag, ein ›Leben in einer friedlichen Welt‹ gegenüber eines ›Lebens in einer unfriedlichen Welt‹ darzustellen, hat sich diesbezüglich ebenfalls als geeignet gezeigt. Es gab sowohl Heranwachsende, die ähnliche Szenerien auf friedlicher und unfriedlicher Bildseite gezeichnet haben, als auch diejenigen, die komplett unterschiedliche Akzentuierungen gesetzt haben. Somit sind auch diesbezüglich Ergebnisse in verschiedenen Variationen entstanden, die sich gut miteinander vergleichen lassen, aber gleichzeitig die Heterogenität der kindlichen Vorstellungen aufzeigen. Ähnliches wurde innerhalb der Interviews bestätigt. Gerade die Überlegung, die Bezugsbegriffe Gerechtigkeit, Konflikte, Krieg und Gewalt a priori in den Leitfaden aufzunehmen, hat gezeigt, dass die Schülerinnen und Schüler Verknüpfungen zwischen den verschiedenen Themen herstellen können. Allerdings ist hier zu bedenken, dass durch konkrete Nachfragen innerhalb der Interviews solche Verbindungen auch suggeriert werden können. Ob diese von den Kindern auch unabhängig der Leitfragen hergestellt werden würden, ist nicht abschließend klärbar. In einzel-

Rückblick auf die Forschungsfrage

351

nen Interviews sind zwar Aspekte wie die Gerechtigkeit durchaus auch unabhängig der zielgerichteten Fragen von den Heranwachsenden genannt worden, allerdings nur vereinzelt.1021 Ähnliches zeigt sich im Hinblick auf die zweite Forschungsfrage, die sich mit den Aspekten von Frieden und Unfrieden im Nahraum beziehungsweise weltweit beschäftigt. Die Unterscheidung von Mikround Makroebene wurde deduktiv gewählt und ist in den Interviews nur anhand von der vorherigen Auswahl nahräumlicher (zum Beispiel Streit) und weltweiter (zum Beispiel Krieg) Begebenheiten thematisiert worden. An dieser Stelle wäre denkbar gewesen, zunächst offene Fragen zu stellen, die Konkretisierungen der Kinder hervorrufen, wie dies beispielsweise in der Befragung von Reinhold Mokrosch der Fall war.1022 Allerdings hat das Vorgehen innerhalb der Interviews dennoch verschiedene Aspekte bezüglich der zweiten Forschungsfrage verdeutlicht. Es konnte zum Beispiel herausgestellt werden, dass Krieg in vielen Fällen mit Streit konnotiert ist, wobei auch durchaus Differenzierungen vonseiten der Befragten angestellt wurden.1023 Auch die Zeichnungen haben diesbezüglich verschiedene Betrachtungsweisen und Vorstellungen der Heranwachsenden hervorgebracht. Durch die offene Aufgabenstellung konnten die Kinder eigene Akzentuierungen setzen, sodass sowohl Aspekte aufgekommen sind, die den Nahraum betreffen als auch Frieden und Unfrieden weltweit thematisieren. Bezüglich der dritten Fragestellung der Studie kann die Eignung der Forschungsinstrumentarien für die Intention der Subjektorientierung herausgestellt werden. Das Forschungsvorhaben ist so konzipiert, dass Offenheit gegenüber den Ergebnissen besteht.1024 Diesem Postulat werden im Besonderen die Zeichnungen gerecht. In Kombination mit den Interviews konnten Aspekte, die aus den theoretischen Hintergründen als relevant im Hinblick auf die Friedensbildung erachtet wurden, noch konkreter erfragt werden. Hierbei hat sich auch das Vorgehen des episodischen Interviews bewährt, wobei fraglich ist, inwiefern dessen Stärke der Triangulation sich wirklich auch in den Ergebnissen niederschlägt. Es hat sich gezeigt, dass die narrativ ausgerichteten Fragen tendenziell keine längeren oder ausführlicheren Erzählungen hervorgerufen haben als die zielgerichteten Fragen. Dennoch kann im Großen und Ganzen gesagt werden, dass die Interviews vielfältige und auf die Forschungsfragen hin ausgerichtete Ergebnisse liefern konnten. Aus der Wahl der Kinderzeichnungen als Forschungsinstrument hat sich innerhalb des Forschungsprozesses ein zentraler Aspekt immer deutlicher gezeigt: Nonverbale Methoden bieten sich vor allem für die Themen ›Frieden‹ und 1021 1022 1023 1024

Zum Beispiel im Interview mit Bea (Iw9 m, Pos. 53). Vgl. Mokrosch 2010, 13.; sowie Kapitel 3.2.2 in dieser Arbeit. Zum Beispiel im Interview mit Clara (Iw9b, Pos. 46). Vgl. Kapitel 7.2.

352

Reflexion und Diskussion der Ergebnisse im Horizont des Erkenntnisinteresses

›Unfrieden‹ an, um einen niedrigschwelligen Zugang zu erhalten und bieten. Aus der Forschungsmethodik hat sich demnach ein didaktischer Impuls entwickelt, da nicht nur innerhalb der allgemeinen Evaluation, sondern auch zur Erhebung von Präkonzepten in der Schule und im Unterricht Kinderzeichnungen ein adäquates Mittel sein können. Es hat sich gezeigt, dass die Vorstellungen der Kinder äußerst heterogen sind. Für Lehrkräfte im Religionsunterricht kann es demnach von großer Bedeutung sein, die individuelle Klasse, Einzelerfahrungen und -meinungen sowie die Sicht der Schülerinnen und Schüler auf Frieden im konkreten Kontext in didaktische Vorüberlegungen aufzunehmen. Diesbezüglich kann gesagt werden, dass sich der Zugang über Kinderzeichnungen innerhalb dieser Arbeit bewährt hat und explizit für die unterrichtliche Praxis empfohlen wird. Besonders in der Betrachtung und späteren Analyse der Zeichnungen wurde deutlich, wie kontext- und zeitabhängig derlei Erhebungsdaten sein können. Prägnant wird dieser Aspekt bei der Zeichnung des zehnjährigen Marius, der Figuren in Form von Pommes und Pizza abgebildet hat. Ohne Kontext könnte diese Motivwahl beispielsweise damit interpretiert werden, dass Marius möglicherweise Frieden mit ausreichend Nahrungsmitteln verbindet. Wie erläutert lassen sich diese Bildelemente allerdings durch ein YouTube-Video erklären, das der Schüler zuvor gesehen hat.1025 Ohne den Einbezug solcher Beobachtungen und das Kennenlernen der Studienteilnehmenden könnte leicht eine Fehlinterpretation passieren. Die kategorienbasierte und somit kleinteilige Betrachtung der Kinderzeichnungen hat neue Perspektiven auf die Gesamtbilder geworfen. Dadurch, dass das Bild nicht ausschließlich im Ganzen beschrieben wurde, sondern einzelne Bildmotive gesondert analysiert wurden, konnten diverse Auffälligkeiten dokumentiert werden. Diese wurden durch die Äußerungen innerhalb der Interviews ergänzt und somit kann grundsätzlich das Anliegen der Triangulation als gelungen betrachtet werden. Die Bild- und Interviewdaten mit ihren je eigenen Schwerpunkten haben es ermöglicht, der übergeordneten Frage nach den Vorstellungen von Kindern zu Frieden und Unfrieden von mehreren Seiten aus zu nachzugehen und somit mehrperspektivische Antworten zu finden.

10.1.2 Abschließende Reflexion der Ergebnisse im Hinblick auf die Forschungsfrage Im Gesamten lässt sich feststellen, dass die vorliegenden Ergebnisse, die durch die inhaltlich-qualitative Inhaltsanalyse generiert wurden, einen guten Ausgangspunkt für theoretisch-empirisch basiertes religionspädagogisches Handeln innerhalb der Friedensbildung bieten können. Hierzu kann zunächst betont 1025 Vgl. Kapitel 9.1.12.

Rückblick auf die Forschungsfrage

353

werden, dass die Beantwortung der ersten Forschungsfrage, wie bereits im vorherigen Kapitel angedeutet, mithilfe der Herausstellung verschiedener, spezifischer Vorstellungen von Kindern zu Frieden und Unfrieden aus mehreren Perspektiven erforscht werden konnte. Die Ergebnisse zeigen sich diesbezüglich als äußerst vielfältig, was bereits die große Anzahl der (induktiv entstandenen) Haupt- und Subkategorien in den Kategoriensystemen belegt.1026 Qualitative Merkmale der kindlichen Vorstellungen konnten ausführlich herausgearbeitet werden und zeigen sich auch als gut vergleichbar mit dem bisherigen Forschungsstand.1027 In der Vielfältigkeit – und damit auch Komplexität – der Ergebnisse zeigt sich aber auch eine Grenze der vorliegenden Studie: Durch die vielen Einzelfaktoren ist an einigen Stellen die vertiefte Betrachtung der jeweiligen Aspekte zu kurz gekommen. Es wäre denkbar, zum Beispiel das Gerechtigkeitsverständnis von Schülerinnen und Schülern gesondert zu untersuchen, bevor dieses in Korrelation mit deren Vorstellungen von Frieden und Unfrieden gebracht wird. Jedoch bieten die Ergebnisse in der Form, in der sie vorliegen, eine Übersicht auf friedensrelevante Bezugsbegriffe, an die Forschungen in der Zukunft anschließen können. Die Resultate der Studie geben außerdem Aufschluss darüber, wie Heranwachsende die ausgewählten Aspekte positiven und negativen Friedens jeweils nahräumlich oder weltweit verorten (vgl. zweite Forschungsfrage). Hierbei konnten außerdem häufig Verknüpfungen festgestellt werden, wie beispielsweise in der Beschreibung von Streit als Kriegsursache.1028 Erkennbar ist dieser Aspekt besonders in den Zusammenhängen, welche die Befragten zwischen ihrem eigenen Handeln und davon ausgehendem Frieden erkennen, was sich zum Beispiel in deren Aussagen bezüglich der Natur und des Umweltschutzes widerspiegelt.1029 Die Ergebnisse geben also Aufschluss über die Differenzierungsmöglichkeiten, welche die Befragten hinsichtlich der Aspekte von Frieden im Nahraum gegenüber Frieden weltweit wahrnehmen und anstellen. Hier ist allerdings kritisch anzufragen, inwiefern die Betrachtung des subjektiven Gefühls der Zufriedenheit als nahräumliche Perspektive (in Verbindung mit der Familie sowie im Allgemeinen1030) zu suggestiv in die Fragen und damit in die Ergebnisse eingeflossen ist. Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass Zufriedenheit für Kinder im Grundschulalter in Verbindung mit Frieden steht.1031 Jedoch wurde dieser Zusammenhang in der vorliegenden Studie a priori impliziert, weshalb aus den Ergebnissen nicht abschließend herausgelesen werden kann, ob Frieden und Zufriedenheit für die Kinder verknüpft ist. Es ist lediglich 1026 1027 1028 1029 1030 1031

Vgl. Kapitel 8.4.2. Näheres hierzu wird in Kapitel 10.2 konkretisiert. Vgl. Kapitel 9.3.2.2. Vgl. die Kapitel 9.3.1.4 und 9.3.2.3. Vgl. die Kapitel 9.3.1.1 und 9.3.1.2. Vgl. Kallweit 2019, 248f.; sowie Kapitel 3.2.2 in dieser Arbeit.

354

Reflexion und Diskussion der Ergebnisse im Horizont des Erkenntnisinteresses

belegbar, was die Heranwachsenden mit diesem Gefühl verbinden.1032 Die Kategorien ›Frieden und Religion‹ und ›Frieden begegnen‹ bieten eine Vertiefung der allgemeinen kindlichen Friedensvorstellungen im Sinne religiöser Bildung und Visionen der Zukunft. Erstere wurde vor allem mit dem Einbezug der von den Schülerinnen und Schülern gesammelten Erfahrungen im Religionsunterricht evaluiert. Darüber hinaus sind aber ebenso vielfältige Ergebnisse hinsichtlich der Verknüpfung von Frieden und Religion im Allgemeinen zu verzeichnen. Die Kategorie ›Frieden begegnen‹ hat darüber hinaus das Bild der kindlichen Friedensvorstellungen vervollständigen können, indem explizit Personen, die Frieden stiften und eigene Handlungsmöglichkeiten für eine friedlichere Welt evaluiert wurden. Hiermit sind weitere Faktoren, welche die Vorstellungen der Kinder von Frieden und Unfrieden ausmachen, aufgekommen. Die beiden Ergebnisberichte geben damit insgesamt einen ausführlichen Überblick über die Friedensvorstellungen, die bei Kindern im Grundschulalter vorliegen können. Demnach kann abschließend festgestellt werden, dass subjektorientiert – und damit im Sinne der dritten Forschungsfrage – Impulse für pädagogisch-didaktische Überlegungen entworfen werden können. Zuvor werden die Ergebnisse nochmals in den Kontext des theoretischen Hintergrundes und bisherigen Forschungsstandes gestellt.

10.2 Frieden und Unfrieden aus Sicht von Kindern Abschließend werden verschiedene Themen herausgegriffen, die nochmals die Komplexität und das Ineinandergreifen der Aspekte, die Frieden und Unfrieden aus der Sicht von Kindern betreffen, aufzeigen und resümieren. Im Forschungsstand wurden verschiedene Dimensionen eröffnet, die kindliche Vorstellungen von Frieden und Krieg1033 ausmachen. Im Folgenden werden demnach die bisherigen Forschungsergebnisse mit den Resultaten der vorliegenden Studie in Bezug gesetzt. Dazu werden zusätzlich die beschriebenen Relationsbegriffe, die mit der Verknüpfung von positivem und negativem Frieden in Verbindung stehen, resümierend in Korrelation mit den Erkenntnissen gesetzt. Der Fokus wird im Besonderen auf vier verschiedene Aspekte gesetzt. Zunächst wird die Chance und Relevanz religiöser Bildungsprozesse für eine gelingende Friedensbildung in Augenschein genommen. Anschließend wird die Notwendigkeit des Einbezugs von Naturvorstellungen in Verbindung mit Frieden genauer betrachtet, da diese 1032 Vgl. Kapitel 9.3.1.1. 1033 An dieser Stelle wird den Vorstellungen von Frieden nicht ›Unfrieden‹ gegenübergestellt, sondern ›Krieg‹. Dies ist damit begründet, dass die betrachteten Studien die Sicht von Kindern auf Krieg und Frieden untersucht haben; vgl. Kapitel 3.2.2.

Frieden und Unfrieden aus Sicht von Kindern

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innerhalb der Studie einen belegbar großen Einfluss auf kindliche Friedensvorstellungen hat. Anschließend ist, unter Rückgriff auf das primäre Ziel der Friedenspädagogik, sowie unter besonderer Berücksichtigung der Erkenntnisse bezüglich kindlichen Umgangs mit Streit, die konstruktive Konfliktbearbeitung als Teil der Friedensbildung zu untersuchen. Zuletzt werden die Möglichkeiten der Entwicklung von Empathiefähigkeit in Verbindung mit Perspektivenübernahme in Hinblick auf ihre Relevanz in schulischen Friedensbildungsprozessen diskutiert.

10.2.1 Relevanz religiöser Bildung für die kindliche Friedensfähigkeit Die religionspädagogische Ausrichtung dieser Arbeit, in der Frieden und dessen Bezugsbegriffe auch aus theologischer Sicht untersucht und beschrieben wurden, bedingt die Betrachtung religiöser Bildungsprozesse für die kindliche Friedensfähigkeit. Innerhalb der Kinderzeichnungen lassen sich, anders als beispielsweise in der Erhebung von McLernon und Cairns (2001), keine religiösen Elemente feststellen. Somit konnte nicht analog zu der 2001 durchgeführten Studie eine Kategorie wie »Images of religion«1034 aufgestellt werden. Es zeigt sich zudem, dass Religionen und Weltanschauungen innerhalb der Interviews fast ausschließlich auf Nachfrage eine Rolle spielen und in die Konzepte von Frieden und Unfrieden aufgenommen wurden. Erklärungen für die geringe Bezugnahme auf Religionen und Weltanschauungen können vielfältiger Natur sein. Zum einen fand die Studie nicht explizit im Rahmen der religiösen Bildung statt, sondern in einer religiös ungebundenen Freizeiteinrichtung. Es besteht die Möglichkeit, dass in einem anderen Rahmen, wie beispielsweise in einer Kirchengemeinde oder bei der Befragung von Kindern im Religionsunterricht mehr religiöse Bezüge hergestellt werden würden. Jedoch ist es auch nicht das Ziel, diese künstlich herzustellen. Zum anderen ist allerdings auch die geringere Bedeutung von religiös-spirituellen Symbolen und Elementen heute und im geografischen Kontext festzustellen. Dennoch konnte – wenn auch auf Nachfrage innerhalb der Interviews – ein, für die Kinder ersichtlicher, Bezug zwischen Religion(en) und Frieden hergestellt werden. Diejenigen Schülerinnen und Schüler, die Frieden als Thema im Religionsunterricht bereits erlebt haben, konnten anschlussfähig von ihren Erfahrungen berichten. Besonders zentral in dieser Hinsicht sind die Äußerungen bezüglich der friedenstiftenden Handlungen Jesu Christi und die Bedeutung Gottes für gelingenden Frieden, die in einigen Interviews eine Rolle spielten.1035 Für zukünftige Untersuchungen wäre es 1034 McLernon/Cairns 2001, 50. 1035 Vgl. Kapitel 9.3.4.1.

356

Reflexion und Diskussion der Ergebnisse im Horizont des Erkenntnisinteresses

denkbar, genauer auf diese Aspekte einzugehen und die Bedeutung der Religion für gelingenden Frieden in subjektorientierter Perspektive zu beleuchten. Für Friedensprozesse ist es bedeutsam, für die »Anerkennung kultureller Vielfalt«1036 einzustehen. Dies beinhaltet, bezogen auf daraus erwachsende religiöse Pluralität, Vorurteile abzubauen und Phänomene wie Antisemitismus und Islamfeindlichkeit als friedensschädigende Faktoren zu bearbeiten.1037 Die Studie zeigt, dass diese Phänomene den Heranwachsenden nicht fremd sind. Sie bringen diese in Verbindung mit der Nennung des Zweiten Weltkrieges und thematisieren infolgedessen die, für sie unverständlichen und zu verurteilenden, Judenverfolgungen zur Zeit des Nationalsozialismus. Zudem zeigen die Untersuchungen, dass die Wertschätzung und Toleranz anderer den jungen Schülerinnen und Schülern ein Anliegen ist.1038 Dies bildet sich zum Beispiel in den Handlungsweisen und Eigenschaften ab, die friedenstiftende Personen aus Sicht der Kinder besitzen.1039 Die Schülerinnen und Schüler wachsen in einer weltanschaulich und religiös pluralen Welt auf, was dazu führt, dass zur Ermöglichung von Frieden die damit einhergehenden Konfliktherde konstruktiv bearbeitet werden müssen. Der religiösen Bildung (in der Schule) ist diesbezüglich eine immense Relevanz zuzusprechen, da die Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler aufgegriffen werden können. Gleichzeitig bieten die Perspektivenwechsel, das Kennenlernen anderer Religionen und die Auseinandersetzung mit anderen Weltanschauungen die Möglichkeit, sich in der pluralen Welt zurechtzufinden. Die Chance für die Entwicklung kindlicher Friedensfähigkeit liegt dabei darin, dass Aspekte kultureller Gewalt thematisiert, aufgearbeitet und präventiv bearbeitet werden können.1040 Wissen über unfriedliche Zeiten (zum Beispiel zum Zweiten Weltkrieg) ist dabei zu ergänzen durch affektive und pragmatische Herangehensweisen. In diesem Sinne ist für interreligiösen Dialog und die Förderung von Pluralitätsfähigkeit innerhalb der Friedensbildung zu plädieren.

10.2.2 Frieden und Umweltschutz Durch die Betrachtung und Analyse der Kinderzeichnungen wurde – besonders innerhalb der Kategorie der Naturdarstellungen – belegt, dass die Natur und das Wohlbefinden der Umwelt in den Zeichnungen vom Leben in einer friedlichen 1036 Vgl. Evangelische Kirche Deutschland 2007, 56, Ziff. 84.; sowie Kapitel 4.2.4 in dieser Arbeit. 1037 Vgl. die Kapitel 3 und 9.3.3.3. 1038 Ersichtlich wird dies vor allem in den Äußerungen der Befragten zu Personen, die Frieden stiften (Kapitel 9.3.4.1) und Frieden im eigenen Leben (vgl. Kapitel 9.3.4.2). 1039 Vgl. Kapitel 9.3.4.1. 1040 Vgl. die Kapitel 5.4.2.1 und 5.4.4.

Frieden und Unfrieden aus Sicht von Kindern

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Welt einen hohen Stellenwert besitzen.1041 Die Abbildungen von großen und sattgrünen Bäumen sowie bunten Blumen, die sich häufig auf den friedlichen Bildseiten wiederfinden, lassen die Relevanz einer gesunden Natur für die Vorstellungen der Kinder von Frieden deutlich werden. Dies zeigt sich zudem im Vergleich zu den unfriedlichen Bildseiten, in welchen teilweise zerstörte oder bedrohte Naturdarstellungen gewählt wurden. Franziska (Iw10b1, Pos. 34) wählte eine »letzte überlebende Pflanze« als Bildelement in der Zeichnung von einer unfriedlichen Welt. Dadurch wurden bereits vor den Interviews zwei Aspekte deutlich: einerseits wird das Vorhandensein ›gesunder‹ Naturphänomene wie Pflanzen oder Tieren als Positivum für Frieden dargestellt. Eine friedliche Welt ist eine beschützte Welt, in der eine blühende Flora und gesunde Fauna vorzufinden ist. Andererseits finden sich – via negationis – Elemente der zerstörten Natur. Bäume werden gefällt, Tiere sind in Gefahr und Bauwerke wie zum Beispiel Atomkraftwerke bedrohen und / oder zerstören die Umwelt. Dieser Eindruck der Kinderzeichnungen verhärtet sich während der Interviews, in welchen die Umweltverschmutzung in Bezug auf negativ einwirkende Friedensaspekte von den Kindern thematisiert wurde.1042 Bereits bei Johan Amos Comenius wird die Korrelation von Frieden mit der Beziehung des Menschen zur Natur deutlich.1043 Auch der ökumenische, konziliare Prozess zu »Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung«1044 zeigt, wie dringend der Schutz der Natur – als Teil der Schöpfung – in den Vordergrund treten muss. »Peace, Justice and strong Institutions« ist das 16. Ziel der sogenannten Sustainable Development Goals (SDGs) der Agenda 301045 und auch innerhalb religionspädagogischer Diskurse nimmt die Bildung für nachhaltige Entwicklung in den letzten Jahren begründetermaßen einen immer höheren Stellenwert ein.1046 Die vorliegenden Ergebnisse bestätigen diese Relevanz und geben darüber 1041 Vgl. Kapitel 9.2.1.1. 1042 Umweltthemen sind in folgenden Kategorien vermehrt zum Tragen gekommen: ›Positiver Friedensbegriff weltweit – Natur‹; ›Negativer Friedensbegriff weltweit – Umweltverschmutzung‹; ›Frieden begegnen – Frieden im eigenen Leben – Einsetzen für die Umwelt‹. 1043 Vgl. ebd., 36f, Ziff. 51.; sowie Kapitel 2.1.1 in dieser Arbeit. 1044 Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland/Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 1997, 102.; sowie Kapitel 2.1.2 in dieser Arbeit. 1045 Vgl. Bederna, K.: Every day for future. Theologie und religiöse Bildung für nachhaltige Entwicklung, Ostfildern 2019, 60f. 1046 Das dies auch aus subjektorientierter Perspektive dringend erforderlich ist, zeigt auch die »Naturbewusstseinsstudie« des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, die Sichtweisen von Jugendlichen zu Natur und Umwelt evaluiert. 66 Prozent der Befragten geben an, dass die Natur zu einem guten Leben dazu gehöreInnerhalb dieser Arbeit zeigt sich, dass eine solche Tendenz auch bei jüngeren Schülerinnen und Schülern bereits besteht. Vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit: Jugend-Naturbewusstsein 2020. Bevölkerungsumfrage zu Natur und biologischer Vielfalt, Berlin 2020, 6.; sowie Woppowa, J.: Nachhaltigkeit / Umwelt /

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Reflexion und Diskussion der Ergebnisse im Horizont des Erkenntnisinteresses

hinaus den Impuls, den Schutz der Umwelt sowie das Streben um ökologische Gerechtigkeit als Teil positiven Friedens anzusehen sowie anzugehen. Indem diese Aspekte in zukünftigen, friedenspädagogischen Überlegungen aufgenommen werden, kann zudem dem Wunsch der Heranwachsenden, an politischen Themen zu partizipieren, adäquat begegnet werden. Die in Kapitel 3.1.3.2 beschriebenen Studien belegen den Partizipationswunsch der Kinder und Jugendlichen und auch innerhalb der vorliegenden Evaluation wird deutlich, dass die Schülerinnen und Schüler Frieden nicht nur in Verbindung mit der Natur sehen – sie entwickeln auch Handlungsperspektiven für eine gesündere Umwelt. Hierbei sollten sie unterstützt werden und Möglichkeiten zur Entwicklung politischer, ökologischer und friedensbezogener Kompetenzen erhalten, um ihre Zukunft aktiv mitgestalten zu können. Die vorliegende Studie weist darüber hinaus darauf hin, dass den Heranwachsenden die Folgen des Klimawandels und der Destruktion der Natur bewusst sind. Sie nehmen daraus erwachsende Konflikte wahr und zeigen Ohnmacht gegenüber den vielfältigen Konsequenzen, welche die Klimakrise für sie haben kann. In dieser Hinsicht gilt es, sie bezüglich derlei Konflikte zu sensibilisieren und ihnen Wege zu einer konstruktiven Bearbeitung der Konsequenzen herrschenden Unfriedens zu eröffnen.

10.2.3 Bedeutsamkeit der konstruktiven Konfliktbearbeitung Es kann als bestätigt angesehen werden, dass die Entwicklung der (kindlichen) Friedensfähigkeit diskontinuierlich abläuft.1047 In der Stichprobe der acht- bis zehnjährigen Schülerinnen und Schüler sind vielfältige Vorstellungen von Frieden und Unfrieden vorzufinden, die variable Herangehensweisen und (pädagogische) Folgerungen nach sich ziehen sollten. Die Unterscheidung zwischen Frieden im Nahraum und Frieden auf gesellschaftlicher beziehungsweise globaler Ebene hat sich bewährt, da hierdurch verschiedene Faktoren herausgestellt wurden, die Konfliktlösestrategien in diesen Dimensionen aus Kindersicht charakterisieren.1048 Das Ziel der Friedens- und Konfliktforschung ist es, mit der Intention der Konfliktlösung zunächst die Ursachen von Kriegen zu untersuchen und davon ausgehend gegen diese (präventiv) vorzugehen. Anders ist das bei Ökologische Ethik, in: Simojoki H./Rothgangel M./Körtner U. H. (Hrsg.): Ethische Kernthemen. Lebensweltlich – theologisch-ethisch – didaktisch (Theologie für Lehrerinnen und Lehrer), Göttingen 2022, 345–356, 346; Naurath, E./Kriesten, J.: »Die Sprache ist das bildende Organ des Gedankens« (Wilhelm von Humboldt). Subjektorientierte Förderung religiöser Sprachfähigkeit am Beispiel unterrichtlicher Konkretion zur Bildung für nachhaltige Entwicklung, in: Jahrbuch der Religionspädagogik (Bd. 38) 2022. [in Vorbereitung]. 1047 Vgl. Kapitel 3.2.3. 1048 Vgl. die Kapitel 9.3.2.1 und 9.3.2.2.

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interpersonalen Konflikten im Nahraum. Diese wirken sich nicht immer destruktiv auf die Beziehung aus und auch nach einem Streit kann die Ausgangssituation wieder hergestellt und der personale Umgang miteinander auch in eine positive Richtung weiterentwickelt werden. Hierbei ist der Fokus auf konstruktive Konfliktlösungsstrategien zu lenken, während bezüglich kriegerischer Auseinandersetzungen die Ursachenforschung und -prävention von enormer Bedeutung für ein friedvolles Zusammenleben und den Prozess von Frieden sein können. Innerhalb der Studien, die sich aus pädagogischer und (entwicklungs-) psychologischer Sicht mit den Kindervorstellungen von Frieden auseinandersetzen, ist vor allem ein Friedensbegriff klar herausgetreten: Die Kategorie der Beschreibung von Frieden als die Abwesenheit von Krieg. Dieser Aspekt zeigt sich auch deutlich innerhalb der vorliegenden Studie und vor allem in den Resultaten der Interviews. In den Zeichnungen lässt sich die Abwesenheit von Krieg implizit dann entdecken, wenn beispielsweise die gleiche Szenerie auf der friedlichen und unfriedlichen Seite dargestellt wird und auf der friedlichen Bildseite Aspekte kriegerischer Auseinandersetzungen weggelassen werden (zum Beispiel in Emils Zeichnung). Nicht aufgekommen sind allerdings Motive, wie sie in der Untersuchung von McLernon und Cairns (2001) aufgetreten sind und unter den Kategorien »War-related images« und »Images suggesting the negation of war«1049 zusammengefasst werden. Erstere beinhalten beispielsweise Kriegsdenkmäler oder Soldatinnen und Soldaten auf den Bildern von Frieden. Solche Motive finden sich in der vorliegenden Studie nicht. Stattdessen ist eine Verbindung von Kriegsmotiven und Friedensmotiven vor allem in der vergleichenden Betrachtung von friedlicher und unfriedlicher Bildseite zu erkennen. Deutlich zeigt sich ein Friedensverständnis als ›Abwesenheit von Krieg‹ allerdings, wie gesagt, in den Interviews, wenn Frieden als das Fehlen von Krieg oder eben derjenigen Aspekte, die Krieg ausmachen, beschrieben wird. Diese Beobachtung deckt sich mit den vorherigen Studien zu kindlichen Friedensvorstellungen. Im Horizont der von Peter Cooper (1965) aufgestellten These des »schema of conflict«1050 lässt sich zusätzlich feststellen, dass sich die Betrachtung der verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen bewährt hat. Grundsätzlich lassen sich allerdings vonseiten der Kinder im ausgehenden Grundschulalter durchaus Unterschiede in der Betrachtungsweise dieser Ebenen feststellen. Ein Verstehen und Mitfühlen sind zwar auch auf globaler Ebene möglich, die eigenen Erfahrungen und Interessen spielen allerdings eine nicht unerhebliche Rolle bei der Vorstellung von Unfrieden. Die Kategorien, mithilfe derer die Kinder ihre Vorstellungen von Krieg innerhalb Coopers Studie beschrieben haben, sind in den vorliegenden Ergebnissen ebenfalls zu finden. Assoziationen von Krieg mit Waffen (»war wea1049 McLernon/Cairns 2001, 50.; sowie Kapitel 3.2.2 in dieser Arbeit. 1050 Cooper 1965, 11.; sowie Kapitel 3.2.2 in dieser Arbeit.

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Reflexion und Diskussion der Ergebnisse im Horizont des Erkenntnisinteresses

pons«1051) zeigen sich vor allem in den Zeichnungen und dominieren in vielen Fällen die Darstellung eines Lebens in einer unfriedlichen Welt. Ebenfalls innerhalb der Zeichnungen, aber auch in den Interviews, lässt sich die Bedeutung der beteiligten Akteurinnen und Akteure ausmachen (bei Cooper: »People and Countries«1052), denen im Weiteren auch mit relativer Häufigkeit der Ursprung sowie die Verantwortung des Lösens internationaler Konflikte zugeschrieben wird. Beispielsweise Politikerinnen und Politiker sind also teils als Ausgangspunkt einer kriegerischen Auseinandersetzung genannt und es sind auch genau diese, die für eine Schlichtung zu Rate gezogen werden sollten.1053 Coopers Kategorie des »Fighting, Killing and Dying«1054 lässt sich ebenfalls in vorliegender Studie feststellen und findet sich vor allem dargestellt in den Zeichnungen. Jedoch ist fraglich, ob diese Aspekte losgelöst von den Akteurinnen und Akteuren kriegerischer Auseinandersetzungen betrachtet werden können. In den meisten Fällen wird im Zuge des Kämpfens auf bestimmte Verantwortliche (zum Beispiel Länder; Präsidentinnen/Präsidenten eines Staates) verwiesen. Die negative Bewertung internationaler Konflikte inklusive der Nennung konkreter eigener Emotionen vonseiten der Kinder ist innerhalb der vorliegenden Studie ebenfalls klar aufgekommen.1055 Allerdings lässt sich feststellen, dass eine negative Bewertung vor allem auf interpersonaler Ebene und weniger in der Auseinandersetzung mit internationalen Kriegen eine Rolle spielt. Vielmehr zeigt sich eine Bewertung allerdings in der deutlichen Äußerung des eigenen Unverständnisses für solche Auseinandersetzungen. Die Darstellungen von Krieg innerhalb der Kinderzeichnungen dieser Studie decken sich in einigen Punkten mit den Ergebnissen der Untersuchung »Kinder erzählen und malen vom Krieg«1056. Die von Götz beobachteten Kampfszenen finden sich auch in den vorliegenden Zeichnungen vom Leben in einer unfriedlichen Welt. Meist stehen sich auch hier »zwei Parteien gegenüber«1057, die sich in einem Streit beziehungsweise einer Diskussion oder aber mit Pistolen im Nahkampf befinden.1058 Auch weitere Bildmotive, die bereits vor knapp 20 Jahren und im Horizont des Irak-Krieges vermehrt aufgekommen sind, wie beispielsweise die Zerstörung von Häusern, Flugzeuge und Bomben, sind für Kinder heute weiterhin Teil ihrer Vorstellungswelt von Krieg.1059 Entsprechende Konnotationen können also als fester Bestandteil der 1051 1052 1053 1054 1055 1056 1057 1058 1059

Ebd., 4. A.a.O. Vgl. die Kapitel 9.3.2.2. und 9.3.4.1. A.a.O. Vgl. Kapitel 9.3.2.5. Vgl. Götz 2003, 32f. Ebd., 33. Derartige Motive finden sich auch in dieser Studie. Vgl. die Kapitel 9.2.1.2 und 9.2.1.4. Auch diese Motive sind Teil der Zeichnungen in dieser Studie. Vgl. Kapitel 9.2.1.3.

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Wahrnehmung und des Konzeptes von Grundschulkindern belegt werden. Es ist in Bezug auf die Ursachen von Kriegen deutlich geworden, dass die Heranwachsenden gewaltvolle Konflikte aus ihrer Lebenswelt heraus begründen, indem sie diese mit Streit in Verbindung setzen. Umso relevanter erscheint es, die vielfältigen Ursprünge, aus denen internationale Auseinandersetzungen entstehen können, auch den Kindern bereits verständlich darzubringen.1060 In der Grundschule kann bereits eine Sensibilisierung für das ›Chamäleon Krieg‹1061 stattfinden, die in den weiterführenden Schulen vertieft werden kann. Dennoch ist auch der Thematisierung von Friedensprozessen im Nahraum – demnach auch der Konfliktlösung bei Streitsituationen – Raum innerhalb der Friedensbildung einzuräumen. Es zeigt sich, dass Untersuchungen, die im Horizont aktueller Begebenheiten und mit Bezug auf medial brandaktuelle sowie gesellschaftlich bedeutsame Ereignisse stattfinden, neue Perspektiven aufwerfen. Dies wurde bereits früher in den vermehrt aufgekommenen Studien im Horizont des Kalten Krieges1062 oder auch des Vietnamkrieges1063 deutlich. Gerade mit Blick auf internationale Konflikte ist es notwendig, aktuelle Weltgeschehen aufzugreifen. Diese Relevanz zeigt sich beispielsweise in den »Befürchtungen [der Kinder], vom Krieg selbst betroffen zu sein«1064 oder ihrer Bereitschaft und Fähigkeit, sich in betroffene Personen hineinzuversetzen.1065 Derartige Aspekte lohnt es sich, in pädagogisch planvollen Bildungsprozessen – vor allem mit friedensbildender Ausrichtung – aufzugreifen. An dieser Stelle sei auch der Bogen hin zur aktuellen Lage in Europa1066 zu schlagen. Im Angesicht des zum Zeitpunkt dieser Arbeit herrschenden Ukraine-Krieges erscheint die Beschäftigung mit internationalen Auseinandersetzungen in den Köpfen aller Menschen und damit auch der Kinder wieder vermehrt in den Vordergrund zu raten. Entsprechend sind Überlegungen zu derartigen Ausschreitungen nicht mehr lediglich der Vorstellungskraft ausgesetzt, vielmehr ist eine derartige Lage nun wirklich vorhanden. Entsprechend sind Ängste, Perspektivenwechsel, das Bedürfnis, zu helfen und die begrenzten Möglichkeiten hierzu nur einige Beispiele, die in schulischen Bildungsprozessen zur Sprache kommen können. Umso bewusster zeigen sich die Notwendigkeiten, zu wissen, was Kinder sich unter Krieg überhaupt vorstellen, wie ihre Gefühle und Gedanken zu diesem Phänomen einzuordnen sind und welche Bewertungs- und Umgangsstrategien sich bereits innerhalb der Kindheit entwickeln.

1060 1061 1062 1063 1064 1065 1066

Vgl. Kapitel 5.3.2.2. Vgl. Clausewitz 1980, 212.; sowie Kapitel 5.3.2 in dieser Arbeit. Vgl. beispielsweise Cooper 1965, 2.; Alvik 1968, 177. Vgl. beispielsweise Tolley 1973, 59ff. Götz 2003, 29.; vgl. hierzu auch Kapitel 3.1.3.1 in dieser Arbeit. Vgl. Kapitel 3.2.3. Stand: 01. 03. 2023; vgl. Kapitel 1.

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Reflexion und Diskussion der Ergebnisse im Horizont des Erkenntnisinteresses

10.2.4 Perspektivenübernahme und Empathiefähigkeit auf dem Weg zur Friedensbildung In Kapitel 3.2.4 wurde darauf hingewiesen, dass die vorliegende Studie die Intention habe, positiven Frieden a priori in die (Vor-)Überlegungen aufzunehmen. Es hat sich zwar gezeigt, wie relevant die Betrachtung von Konflikten – im Speziellen Krieg – und Gewaltformen in diesem Kontext sind, besonders die Untersuchung des Friedenserlebens der Schülerinnen und Schüler brachte aber verschiedene Erkenntnisse hervor. Die Untersuchung zeigt, dass die Kinder bereits die Komplexität eines weiten Friedensbegriffs erfassen können. Verknüpfungen zwischen einer Maximierung von Gerechtigkeit und einem dadurch angefeuerten Friedensprozess können die Grundschülerinnen und -schüler herstellen.1067 Eine Verkürzung auf einen »eher engeren Friedensbegriff«1068, wie es für die Friedenserziehung vorgeschlagen wird1069, empfiehlt sich aufgrund zentraler Ergebnisse der vorliegenden Studie für die Friedensbildung nicht. Dem Vorwurf der Über- oder Unterfrachtung1070 durch die Arbeit mit einem weiten Friedensbegriff innerhalb institutioneller Bildungsprozesse kann aus folgenden Gründen nicht nachgegeben werden: Der Befürchtung der Überfrachtung liegt zugrunde, dass Frieden, wenn er als die völlige Gewaltfreiheit auf allen sozialen Ebenen wahrgenommen wird, dem Postulat der Unerreichbarkeit unterliege. Unterforderung wird deshalb vermutet, da in pädagogisch-praktischen Kontexten die Konzentration auf den sozialen Nahraum angenommen wird – politische Befunde würden wiederum überfordern. Hiermit unterläge eine Friedenserziehung dann »dem Verzicht auf die Auseinandersetzung mit den schwierigen, weil komplexeren Fragen politischer Friedenssicherung«1071. Mithilfe der in Kapitel 2.2 beschriebenen Gründe für die inhaltliche Ausweitung der Friedenserziehung um den Bildungsbegriff, lassen sich diese Befürchtungen teilweise negieren. Im Sinne der Bildung zur gesellschaftlichen Teilhabe im Lichte der epochalen Schlüsselprobleme sollten friedensrelevante Themen, die den sozialen Nahraum, aber auch das politische Feld betreffen, in der Schule und im Unterricht Platz finden. Die vorliegende Studie zeigt, dass die Heranwachsenden politische Prozesse mit Erlebnissen ihrer Lebenswelt – ihrem Nahraum – be1067 Vgl. Kapitel 9.3.1.5. 1068 Dettmar-Sander, C./Sander, W.: Friedenserziehung in der Grundschule – Aufgaben und didaktische Zugänge, in: George S./Prote I. (Hrsg.): Handbuch zur politischen Bildung in der Grundschule (Reihe Politik und Bildung Bd. 7), Schwalbach/Ts 1996, 174–195, 179. 1069 Auch aktuell noch: vgl. Kallweit, N.: Friedenserziehung, in: Hartinger A./Lange-Schubert K. (Hrsg.): Sachunterricht – Didaktik für die Grundschule (Fachdidaktik für die Grundschule), Berlin 52019, 180–188, 181f. 1070 Vgl. Dettmar-Sander/Sander 1996, 179. 1071 A.a.O.

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gründen. Diese Erklärungsmuster können in der Schule aufgegriffen und in demokratischem Lernen vertieft werden. Somit muss eine Unterfrachtung nicht zwingend stattfinden, da das Interesse und die Verknüpfungen bereits in den Präkonzepten der Schülerinnen und Schüler vorhanden sind. Um Komplexitäten und gegebenenfalls auch Überforderung aufzulösen, bedarf es der adäquaten pädagogischen Begleitung. Die Überfrachtung kann eine Herausforderung darstellen, da Frieden, angesichts der herrschenden Konflikte und Gewalt, sowie Ungerechtigkeit, schwer erreichbar erscheint. Jedoch sind den Heranwachsenden die Auswirkungen positiven Friedens auf gesellschaftliche Friedensprozesse durchaus bewusst. Sie bringen, wie gesagt, Frieden in Verbindung mit Gerechtigkeit. Ein Rückblick auf das Modell des sozialen Verstehens nach Robert Selman zeigt auch, dass innerhalb der vorliegenden Studie auch Schülerinnen und Schüler ihre Sicht auf Frieden und Unfrieden im Sinne der Stufe 3 geäußert haben. Die Fähigkeit zur »Dritte Person- und gegenseitige[n] Perspektivenübernahme«1072, nach der Frieden als Beziehung zwischen unterschiedlichen Menschen und Nationen wahrgenommen wird1073, ist in der mittleren Kindheit vertreten. Sie zeigt sich zum Beispiel in den Äußerungen der Kinder, dass Freundlichkeit und Toleranz zu gelingendem Frieden beitragen können.1074 Besonders zu betonen ist auch die von Empathie geprägte Handlungsperspektive, die sie entwickeln (wollen) und mit der sie ausdrücken, zu erkennen, dass sie selbst für Frieden etwas tun können.1075 Abschließend wird ein weiterer Aspekt kurz betrachtet. Wie die Übersicht des Forschungsstandes in Kapitel 3.2.2 zeigt, gibt es einen Faktor, in der die Studienlage weit auseinanderdriftet: Geschlechtsspezifische Unterschiede der Vorstellungen von Kindern zu Frieden und Unfrieden sind teilweise bestätigt (beispielsweise in der These, Jungen wüssten früher mehr über Krieg als Mädchen) oder falsifiziert. Die vorliegende Studie hat nicht das zentrale Forschungsinteresse, geschlechtsspezifische Unterschiede herauszuarbeiten. Allerdings sind an verschiedenen Stellen Hinweise aufgetreten, die in erster Linie eine genauere Betrachtung und Untersuchung solcher Faktoren erforderlich machen könnten. Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht die Auffälligkeit, die innerhalb der Personendarstellung aufgekommen ist. Neben der Tatsache, dass insgesamt auf den Zeichnungen von einem Leben in einer friedlichen Welt weniger Menschen abgebildet wurden, während auf den unfriedlichen Bildseiten Soldaten und streitende Personen gezeichnet sind1076, ist Folgendes aufgefallen: Zwei Mädchen (Bea und Jana) bildeten (auch) weibliche Personen auf der friedlichen Bildseite ab, auf 1072 1073 1074 1075 1076

Selman 1984, 53. Vgl. Hakvoort/Oppenheimer 1998, 362.; sowie Kapitel 3.2.3 in dieser Arbeit. Vgl. die Kapitel 9.3.4.1 und 9.3.4.2. Vgl. Kapitel 3.1.3.2. Vgl. Kapitel 9.2.1.2.

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Reflexion und Diskussion der Ergebnisse im Horizont des Erkenntnisinteresses

der unfriedlichen aber augenscheinlich männliche (beziehungsweise geschlechtsunspezifische) Akteure.1077 Für die Zukunft wäre denkbar, dass im Sinne einer geschlechtssensiblen Didaktik des Friedens kindliche Vorstellungen explizit auf mögliche Unterschiede hin untersucht werden und solche Auffälligkeiten genauer herausgearbeitet werden.

1077 Vgl. Kapitel 9.2.1.2.

V. Bilder der Zukunft – Subjektorientierte Perspektiven für die religionspädagogische Friedensbildung der Primarstufe Wie die zentralen Ergebnisse der vorliegenden Arbeit zeigen, ist es notwendig, friedenspädagogische Bemühungen nicht lediglich in verschiedenen Bildungsbereichen mit zu bedenken, sondern ihnen explizit eigenen Raum innerhalb pädagogisch-didaktischen Planungs- und Handlungsprozesse einzuräumen. Verschiedene Themen und Schwerpunkte sind diesbezüglich zu Frieden und Unfrieden klar in den Vordergrund zu stellen und können somit für die religionspädagogische Friedensbildung als konstitutiv angesehen werden. Es kann gesagt werden, dass ein subjektorientierter Zugang neue Perspektiven aufwirft, aus denen Chancen für zukünftige Friedensbildungsprozesse erwachsen. Im Folgenden konzentrieren sich die Ausführungen auf vier zentrale Aspekte, die aus Sicht der Verfasserin und unter Rückgriff auf die interdisziplinären, theoretischen Hintergründe sowie die Ergebnisse der vorliegenden Studie innerhalb der religionspädagogischen Friedensbildung implementiert beziehungsweise gestärkt werden sollten. Die Entwicklung konkreter didaktischer Herangehensweisen und methodischer Zugänge im Sinne dieser Impulse wären in der Zukunft wünschenswert.

11. Frieden mit und zwischen den Religionen: Chancen (inter-)religiöser Lern- und Bildungsprozesse

Die Schülerinnen und Schüler nehmen das friedenstiftende Potenzial der Religionen wahr und plädieren für Wertschätzung und Toleranz innerhalb einer pluralen Gesellschaft. Die Chance interreligiöser Bildungsprozesse für die gelingende Friedensbildung liegt demnach darin, durch adäquate Methoden die Perspektivenübername von Kindern im Grundschulalter zu stärken. Kirchliche und friedenethische Ausführungen zeigen deutlich das Potenzial und Streben christlicher Institutionen für gelingenden Frieden. Für die schulische Friedensbildung in religionspädagogischer Ausrichtung ist in dieser Hinsicht besonders die Notwendigkeit interreligiöser Bildungs- und Lernprozesse herauszustellen.1078 Die religiöse und weltanschauliche Pluralität, die in der Gesellschaft und somit im Besonderen in Schulen vorherrscht, kann Konflikte und Vorurteile im Nahraum, aber auch gesamtgesellschaftlich, bedingen. Entsprechend ist es von Nöten, die Schülerinnen und Schüler hinsichtlich der Pluralitätsfähigkeit so zu sensibilisieren, dass Gemeinsamkeiten betont, aber auch Unterschiede zwischen Angehörigen verschiedener Religionen und Weltanschauungen adäquat und konstruktiv aufgegriffen werden. Im Sinne der Friedensbildung als Streben um Maximierung von Gerechtigkeit bei gleichzeitiger Minimierung von Gewalt1079 ist in interreligiösen Lernprozessen die Chance zu betonen, a priori kulturelle Gewalt zu negieren. Positiver Frieden kann somit ein Stück weit damit erreicht werden, dass die Akzeptanz gegenüber ›fremden‹ Religionen und Weltanschauungen steigt und durch interreligiösen Dialog die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel unterstützt werden kann. Im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs zeigen sich vermehrt Konfliktherde, die durch fehlende Perspektivenübernahme, sowie geringe Wertschätzung und Toleranz begründet werden können. Zentrale Beispiele sind der aktuell ansteigende Antisemitismus und die Islamfeindlichkeit. Es kann herausgestellt werden, dass gerade in Bezug 1078 Vgl. auch Naurath 2022a, 153. 1079 Vgl. Mokrosch 2017, 121.; sowie Kapitel 2.3 in dieser Arbeit.

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Chancen (inter-)religiöser Lern- und Bildungsprozesse

auf diese Phänomene trialogischem Lernen »im Rahmen der Hermeneutik der wechselseitigen Anerkennung«1080 großes Potenzial zugesprochen werden kann. In diesem Sinne sind interreligiöse sowie interkulturelle Lernprozesse innerhalb der religionspädagogischen Friedensbildung weiterhin zu stärken. Für die Zukunft ist es denkbar, Entwürfe für eine explizit friedenspädagogisch ausgerichtete interreligiöse Bildung in der Grundschule zu erstellen, die Friedensbemühungen im Nahraum und davon ausgehend die Maximierung von Respekt und Toleranz in gesamtgesellschaftlicher Dimension gewinnbringend aufgreifen.

1080 Langenhorst, G.: Trialogisches Lernen – ein didaktischer Weg zur Vorbeugung gegen Antisemitismus, in: Mokrosch R./Naurath E./Wenger M. (Hrsg.): Antisemitismusprävention in der Grundschule – durch religiöse Bildung (Werte-Bildung interdisziplinär Bd. 4), Osnabrück 2020, 99–108, 103.

12. Frieden in einer geschützten Umwelt: Implementierung einer religiösen Bildung für nachhaltige Entwicklung für Frieden

Die Schülerinnen und Schüler verbinden Frieden mit Umwelt- und Naturschutz. Bildung für nachhaltige Entwicklung ist demnach Teil einer umfassenden Friedensbildung, die kindliche Präkonzepte mit aufnimmt. Besonders deutlich zeigt sich in der vorliegenden Studie die Relevanz der Bildung für nachhaltige Entwicklung im Kontext der Friedensbildung. Befeuert durch die (zum Zeitpunkt der Erhebungen) besonders aktuelle Fridays-for-Future-Bewegung, aber vor allem im Horizont der globalen Klimakrise, die dringende Maßnahmen erfordert, wird das Zusammendenken von Frieden und Umweltschutz (nicht nur) aus Kindersicht konstitutiv. Die fortschreitende Klimaerwärmung bedingt Konflikte auf allen Ebenen menschlichen Zusammenlebens und macht die Maximierung ökologischer Gerechtigkeit zu einem immens relevanten Gegenwartsthema, denn: »Frieden bedeutet, miteinander in Freiheit, Sicherheit und Vielfalt in einer gesunden Umwelt leben zu können. Im Krieg wird die Umwelt geschädigt oder zerstört, und eine geschädigte oder zerstörte Umwelt belastet oder beendet einen Friedenszustand.«1081 Zum einen sind also die negativen Folgen der zunehmenden Destruktion der Umwelt herauszustellen, die auch Kindern im Grundschulalter bewusst sind und sie ängstigen. Zum anderen sind gerade mithilfe eines weitreichenden Nachhaltigkeits- und Umweltbewusstseins Handlungsperspektiven für eine friedlichere Welt zu schaffen, die den Nahraum, aber auch globale Dimensionen betreffen. Mithilfe der Verschränkung von handlungsleitenden und normativen Ansätzen können innerhalb der Bildung für nachhaltige Entwicklung somit Friedensprozesse in Schule und Unterricht auf den Plan gebracht werden. Der religiösen Bildung ist in dieser Hinsicht Potenzial zuzusprechen, denn die Korrelation des Schöpfungsgedankens in einem theologischchristlichen Sinne mit entsprechenden Nachhaltigkeitsgedanken kann betont werden. Somit wird ökologisch-ethisches Lernen »relevant als erzählte Vision

1081 Lurz 2020, 20.; Hervorhebung im Original.

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Implementierung einer religiösen Bildung für nachhaltige Entwicklung für Frieden

eines Lebens in friedlicher Beziehung zu Gott und allem Geschaffenen.«1082 Des Weiteren kann die Friedensbildung in religionspädagogischer Ausrichtung einen erheblichen Beitrag leisten, da sie die aktuellen Umweltproblematiken mit daraus resultierenden Konflikten aufgreifen und davon ausgehend handlungsleitende Kompetenzen entwickeln kann. Diese Kompetenzen zur Problemlösung können Teil einer umfassenden Friedensbildung in Verknüpfung mit Bildung für nachhaltige Entwicklung werden, die einerseits die Natur als Schöpfung Gottes als schützenswert beurteilt und andererseits Chancen aufzeigt, einen eigenen Beitrag leisten zu können. Dieser wird von den Schülerinnen und Schülern als wünschenswert und zielführend beurteilt. Dementsprechend kann die Bildung für nachhaltige Entwicklung als fester Bestandteil einer subjektorientierten Friedensbildung angesehen werden und sollte a priori in zukünftige Überlegungen eingebracht werden.

1082 Bederna, K./Vogt, M. (2018): Ökologische Ethik. Abrufbar unter: https://www.bibelwis senschaft.de/stichwort/200340/ (aufgerufen am: 28. 2. 2023), 14 Hervorhebung im Original.

13. Vom Frieden her denken: Demokratische Bildungsprozesse im Lichte positiven Friedens

Es liegen vielfältige Friedens- und Unfriedensvorstellungen bei Schülerinnen und Schülern der Primarstufe vor. Demnach sollte eine umfassende Friedensbildung positive und negative Friedensaspekte adäquat aufgreifen. Ausgehend von der Diskussion um eine weite oder enge Begriffsklärung von Frieden, kann herausgestellt werden, dass politisch-demokratische Bildungsprozesse Teil der Friedensbildung in religionspädagogischer Ausrichtung sind. Hierbei ist erneut auf die Definition von Friedensbildung im Sinne der Maximierung von Toleranz und Gerechtigkeit bei gleichzeitiger Minimierung von Gewalt auf allen Ebenen menschlichen Zusammenlebens zu verweisen. Positiver wie negativer Frieden im Nahraum wird bestimmt durch das Erleben individueller Gefühle der Zufriedenheit, kann aber dem Ziel der konstruktiven Konfliktbearbeitung nicht ohne politische Bildungsprozesse gerecht werden. In religionspädagogischer und -didaktischer Hinsicht ist die Thematisierung von internationalen Konflikten und die Sensibilisierung für strukturelle Gewalt in der Grundschule herauszustellen. Nicht zuletzt, um den Ängsten der Kinder mit Handlungsperspektiven und Hilfestellungen zu begegnen, sind positiver und negativer Frieden innerhalb der Friedensbildung zusammenzudenken. Diesbezüglich sind didaktische Konzeptionen hervorzuheben, die zur Konfliktbearbeitung im Nahraum verhelfen können (zum Beispiel die Gewaltfreie Kommunikation oder weitere Modelle zur Mediation). Auch der Einbezug von friedenstiftenden Vorbildern – dazu gehören auch biblische Figuren – kann wegweisend sein, um im Sinne des biografischen Lernens1083 Konfliktlösungsstrategien kennenzulernen und erfahren. Im Sinne des Leitbildes vom gerechten Frieden kann im Unterricht zudem – vom positiven Frieden her gedacht – die Relevanz der Gerechtigkeit herausgestellt werden. Es bietet sich an, hierzu Präkonzepte im konkreten schulischen Kontext zu erheben und den Schülerinnen und Schülern die verschiedenen Formen der Gerechtigkeit, aber darüber hinaus auch Mög1083 Vgl. Sajak, C. P./Eiff, M. S. von (2017); sowie Kapitel 5.1.4 in dieser Arbeit.

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Demokratische Bildungsprozesse im Lichte positiven Friedens

lichkeiten zu gerechtem Handeln, zu eröffnen. Diesbezüglich kann das Desiderat der Evaluation von kindlichen Gerechtigkeitsvorstellungen festgestellt werden, die in der vorliegenden Studie nur am Rande thematisiert sind.1084 Ausgehend von einer möglichen Untersuchung der Konzepte von Grundschülerinnen und -schülern könnten hierzu spezifische didaktische Impulse entwickelt werden.

1084 Vgl. Kapitel 9.3.1.5.

14. Frieden als Erlebensgegenstand: Stärkung einer gefühlsorientierten Didaktik für Frieden

Friedensrelevante Aspekte werden von den Schülerinnen und Schülern aus einer Erlebensperspektive heraus betrachtet. Die Stärkung einer gefühls- und erlebnisorientierten Didaktik innerhalb der Friedensbildung nimmt dadurch an Relevanz zu. Der Friedensbildung als Teil der ethischen Bildung kann die Notwendigkeit der Subjektorientierung zugesprochen werden. Nur, indem, wie in dieser Studie angedacht, die Sichtweise der Schülerinnen und Schüler auf das Thema Frieden adäquat in Schule und Unterricht aufgegriffen wird, kann diese den individuellen Akteurinnen und Akteuren gerecht werden. Es hat sich gezeigt, dass die Betrachtung von friedensrelevanten Themen, die den Nahraum der Kinder berühren, von außerordentlicher Bedeutung für deren Friedensvorstellungen sind (sichtbar zum Beispiel in der Definition von Krieg als gewaltvoller Streit). Aus diesem Grund ist zu betonen: »Persönlichkeitsbildende Impulse bedürfen des konkreten Kontextbezugs, anknüpfend an Lebens- und Alltagserfahrungen des friedlichen Miteinanders bzw. des Austauschs zu Erfahrungen von Vorurteilen, Feindbildern oder gar Gewalt.«1085 Dabei zeigt sich, dass nicht nur die im vorherigen Kapitel betonte politisch-demokratische Bildungsdimension von Bedeutung ist, sondern auch die Konfliktlösestrategien im sozialen Miteinander der Klasse, im Freundeskreis oder in der Familie. Freundschaften, Harmonie und Ruhe sind als bedeutsam für positiven Frieden im Nahraum zu betonen. Frieden ist in Beziehungen ohne destruktive Konflikte, in besonderen Erlebnissen und im ganz subjektiven Gefühl der Zufriedenheit für Heranwachsende erlebbar. Demnach ist dem Erleben eines Friedensgefühls und den damit zusammenhängenden Kompetenzen zur Konfliktlösung, aber auch Empathiefähigkeit sowie der Fähigkeit zum Perspektivenwechsel, hoher Stellenwert zuzuschreiben. Friedensbildung in religionspädagogischer Hinsicht kann demnach den Raum zur Äußerung eigener Gefühle, Wünsche und Visionen für eine friedlichere Zukunft 1085 Naurath 2022a, 152.

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Stärkung einer gefühlsorientierten Didaktik für Frieden

eröffnen und diese auch in Bezug zu den vorher genannten Themen (zum Beispiel Umwelt, internationale Konflikte, Streitsituationen, Gerechtigkeit) setzen. In dieser Hinsicht ist die Methode der Kinderzeichnungen für den (Religions-) Unterricht explizit zu empfehlen, um die Vielfalt kindlicher Vorstellungswelten und auch den Erzählimpuls der eigenen Gefühle kindgerecht herstellen zu können.

VI. Fazit und Ausblick Resümierend zur vorliegenden Arbeit kann gesagt werden, dass die Sicht von Kindern auf Frieden als bereichernder Ausgangspunkt religionspädagogischen Handelns zu sehen ist. Die vielfältigen Vorstellungen, die sich in Zeichnungen und Äußerungen niederschlagen, werfen neue Perspektiven hinsichtlich des komplexen Phänomens auf. Diese können gewinnbringende Konsequenzen für die Friedensbildung im Allgemeinen, und in religionspädagogischer Ausrichtung im Besonderen, haben. Die intensive Beschäftigung mit dem Begriff des Friedens in Kongruenz mit den Bezugsbegriffen Gerechtigkeit, Konflikt, Krieg und Gewalt hat aufgezeigt, wie notwendig eine tiefgreifende Betrachtung dieser Phänomene im Zusammenhang ist. Gerade angesichts herrschender Konflikte und ausbrechenden Unfriedens auf allen Ebenen menschlichen Zusammenlebens muss Frieden als Fach – oder zumindest als Thema – »ganz oben auf dem Stundenplan«1086 erscheinen und nicht nur implizit schulische Lernprozesse durchziehen. Die vorliegende Studie bietet hierfür subjektorientierte Perspektiven an und zeigt Möglichkeiten auf, Frieden in der Zukunft im Religionsunterricht zu thematisieren. Gerade im Angesicht herrschender Konfliktherde, die besonders gegenwärtig schockieren und Fassungslosigkeit wie Ohnmachtsgefühle hervorrufen, erscheint das Aufzeigen von Handlungsperspektiven für junge Heranwachsende wieder mehr in den Vordergrund zu rücken. Doch nicht nur via negationis, wenn Frieden durch Krieg oder Gewalt gefährdet ist und der Ausweg schwer erscheint, kann Friedensbildung Chancen beinhalten. Auch ausgehend von der grundlegenden, immerwährenden Thematisierung von Friedensgefühlen und Friedenshandeln in Gerechtigkeit, gegenseitiger Akzeptanz und Wertschätzung können handlungsweisende Grundkompetenzen von Schülerinnen und Schülern aufgebaut und gestärkt werden. Ein Nachdenken über Frieden ist demnach zu allen Zeiten erforderlich und kann den kleinen wie großen Konflikten im Leben der Menschen vorgreifen sowie konstruktiv begegnen. Mit der adäquaten Aufnahme der Mehrdimensionalität von Frieden und Unfrieden in ethische Bildungsprozesse kann den Heranwachsenden somit das notwendige Wissen mitgegeben, aber darüber hinaus auch die Fähigkeiten zu friedlichem Handeln sowie die Chance des Erlebens von Frieden in ihrer Lebenswelt ermöglicht werden. 1086 Dies. 2022b, 2.

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Tabellenverzeichnis

Tabelle 1 Tabelle 2 Tabelle 3 Tabelle 4 Tabelle 5 Tabelle 6 Tabelle 7 Tabelle 8 Tabelle 9 Tabelle 10 Tabelle 11 Tabelle 12 Tabelle 13 Tabelle 14 Tabelle 15 Tabelle 16 Tabelle 17 Tabelle 18 Tabelle 19 Tabelle 20 Tabelle 21 Tabelle 22 Tabelle 23

Entwicklung des Verstehens von Krieg und Frieden im Zusammenhang mit der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme Quantitativ erfassbare Datenvariablen bei N=15 Formale und inhaltliche Auffälligkeiten innerhalb der initiierenden Textarbeit Elemente der Bildbeschreibung innerhalb der Summarys Beispiele für die Verwendung interner Links zur Zuordnung von Erklärungen zu den Zeichenelementen Kategoriensystem zu den Interviews mit vier Hauptkategorien und Subkategorien Kategoriensystem der Zeichnungen Bildmotive: Häufigkeiten der Codierungen im Zusammenhang mit der Anzahl der Dokumente Vergleich der Baumdarstellungen von Bea (Zw9m) Vergleich unterschiedlicher Wetterdarstellungen Vergleich der Sonnendarstellungen von Paula (Zw10b2) Beispiele für unterschiedliche Personendarstellung im Leben in einer friedlichen Welt Beispiele für unterschiedliche Personendarstellungen im Leben in einer unfriedlichen Welt Beispiele für die Darstellung von Personen, die Gewalt erleiden Vergleich der Personendarstellungen von Bea (Zw9m) und Jana (Zw9b) Vergleich der Hausdarstellungen von Emil (Zm10k2) Beispiele der Fahrzeugdarstellung im Leben in einer unfriedlichen Welt Gegenstände im Leben in einer unfriedlichen Welt bei Nina (Zw9k2) mit zugehörigen Aussagen Beispiele für die unterschiedliche Darstellung von Waffen im Leben in einer unfriedlichen Welt Vergleich der Verwendung unterschiedlicher Farben Häufigkeit der Codierung der Textelemente innerhalb der Zeichnungen Beispiele für den Einsatz von Text als Bildtitel Beispiele für den Einsatz von Text als dialogisches Element

75f. 202 207 210 211f. 215 216 250 252 253f. 254 255 257 258 259 261 262f. 264f. 266 268 270 272 273

392 Tabelle 24 Tabelle 25 Tabelle 26 Tabelle 27 Tabelle 28 Tabelle 29 Tabelle 30 Tabelle 31 Tabelle 32 Tabelle 33 Tabelle 34 Tabelle 35 Tabelle 36 Tabelle 37 Tabelle 38 Tabelle 39 Tabelle 40 Tabelle 41 Tabelle 42 Tabelle 43 Tabelle 44 Tabelle 45 Tabelle 46 Tabelle 47 Tabelle 48 Tabelle 49 Tabelle 50 Tabelle 51 Tabelle 52 Tabelle 53 Tabelle 54

Tabellenverzeichnis

Beispiele für sonstige Textelemente Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie ›Positiver Frieden‹ mit Subkategorien Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie ›Zufriedenheit‹ mit Subkategorien Ankerbeispiele für die Kategorie ›Zufriedenheit‹ Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie »Frieden und Familie« mit Subkategorien Ankerbeispiele für die Kategorie ›Frieden und Familie‹ Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie ›Frieden und Schule‹ mit Subkategorien Ankerbeispiele für die Kategorie ›Frieden und Schule‹ Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie ›Frieden weltweit‹ mit Subkategorien Ankerbeispiele für die Kategorie Frieden weltweit Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie ›Frieden und Gerechtigkeit‹ mit Subkategorien Ankerbeispiele für die Kategorie ›Gerechtigkeit‹ Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie ›Negativer Frieden‹ mit Subkategorien Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie ›Streit‹ mit Subkategorien Ankerbeispiele für die Kategorie ›Streit‹ Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie ›Krieg‹ mit Subkategorien Ankerbeispiele für die Kategorie ›Krieg‹ Häufigkeiten der Codierungen weiterer Kategorien innerhalb der Hauptkategorie ›Negativer Frieden weltweit‹ Ankerbeispiele für die Subkategorie ›Militär und Waffen‹ Ankerbeispiele für die Subkategorie ›Umweltverschmutzung‹ Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie ›Gewalt‹ mit Subkategorien Ankerbeispiele für die Subkategorie ›Formen von Gewalt‹ Unterscheidungsfacetten von Krieg und Gewalt innerhalb der Interviews Zusammenhänge von Krieg und Gewalt Ankerbeispiele für die Subkategorie ›Gewalt – Unterschied zu Krieg‹ Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie ›Frieden und Religion‹ mit Subkategorien Ankerbeispiele für die Subkategorie ›Zusammenhang von Frieden und Religion‹ Ankerbeispiele für die Subkategorie ›Religions- und Ethikunterricht‹ Ankerbeispiele für die Subkategorie ›Unfrieden und Religion‹ Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie ›Frieden begegnen‹ mit Subkategorien Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie ›Personen, die Frieden stiften‹ mit Subkategorien

275 278 279 280 280 282 283 284f. 285 287 287f. 291f. 294 294 299f. 300 307f. 309 310f. 312 313 314f. 315f. 317 318f. 322 326 330f. 333 334 335

Tabellenverzeichnis

Tabelle 55 Tabelle 56 Tabelle 57

Ankerbeispiele für die Subkategorie ›Personen, die Frieden stiften‹ Häufigkeiten der Codierungen der Kategorie ›Frieden im eigenen Leben‹ mit Subkategorien Ankerbeispiele für die Subkategorie ›Frieden im eigenen Leben‹

393 341f. 342 346

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Abbildung 2 Abbildung 3 Abbildung 4 Abbildung 5 Abbildung 6 Abbildung 7 Abbildung 8 Abbildung 9 Abbildung 10 Abbildung 11 Abbildung 12 Abbildung 13 Abbildung 14 Abbildung 15 Abbildung 16 Abbildung 17 Abbildung 18 Abbildung 19

Forschungsstand: Kindliche Vorstellungen von Krieg und Frieden Mehrdimensionalität von positivem und negativem Frieden ›Between-method‹ und ›within-method‹ der Triangulation von Kinderzeichnungen und episodischem Interview Aaron – Zm9m: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt Bea – Zw9m: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt Clara – Zw9k1: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt Dennis – Zm10k1: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt Emil – Zm10k2: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt Franziska – Zw10b1: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt Georg – Zm9ev1: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt Henri – Zm9k1: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt Jana – Zw9b2: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt Karl – Zm8ev: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt Lukas – Zm9k2: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt Marius – Zm10ev: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt Nina – Zw9k2: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt Oliver – Zm9ev2: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt Paula – Zw10b2: Leben in einer friedlichen und in einer unfriedlichen Welt Frieden im Religions- und Ethikunterricht: Erlebte Themen und Methoden aus Sicht der Schülerinnen und Schüler

78 87 176 223 224 226 228 230 232 235 236 237 239 241 242 244 246 248 329

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Anhang 1: Kurzfragebogen Universität Augsburg Lehrstuhl für Evangelische Theologie mit Schwerpunkt Religionspädagogik und Didak!k des Religionsunterrichts Jasmin Kriesten

Fragebogen: Allgemeine Informa!onen zum Kind

Codierung:

Datum:___________________________________

________________________________

Uhrzeit:___________________________________ Datum Zeichnung:__________________________

Name: Geburtsdatum des Kindes (Monat/Jahr): Klassenstufe: Religionszugehörigkeit/Konfession: Geschwister (Anzahl und Alter):

Der/die Befragte wohnt bei: Sons!ge No!zen/Beobachtungen:

Zugehörige Zeichnung: ________________________________

Anhang 2: Zeichenauftrag und Interviewleitfaden

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Anhang 2: Zeichenauftrag und Interviewleitfaden Kinderzeichnungen und Interview »Friedensbild und Friedensbildung« Erhebung der Kinderzeichnungen – Mündliche Erläuterung und Aufgabenstellung zu den Zeichnungen: Herzlich Willkommen, ich freue und bedanke mich bei dir, dass du mir heute hilfst. Bitte setze dich einzeln hin, die Blätter und Stifte sind schon hergerichtet, da ich gerne möchte, dass du ein Bild für mich zeichnest. Du siehst, das Blatt vor dir ist in zwei Teile aufgeteilt. Ich bitte dich also zwei Bilder zu zeichnen. Auf der einen Seite soll eine Zeichnung sein, die zeigt, wie du dir ein Leben in einer friedlichen Welt vorstellst. Die andere Seite dann ein Leben in einer unfriedlichen Welt. Bevor du beginnst: Ich bin sehr gespannt, was du persönlich zeichnen möchtest, du bist dabei ganz frei, es gibt keine richtigen oder falschen Zeichnungen. Wir haben auch genug Zeit, also zeichne ganz in Ruhe. Wenn du fertig bist, schreibe deinen Namen auf die Rückseite und gib die Zeichnung bei mir ab. Wenn du Fragen hast: ich bin die ganze Zeit hier und werde mir auch Notizen machen. Aber lasse dich davon nicht stören – wie gesagt, ich interessiere mich für DEIN ganz persönliches Bild und schreibe mir dazu zwischendurch auch etwas auf. Ich freue mich auf dein Ergebnis!

Erhebung der Interviews – Begrüßung und Vorstellung des Themas im Interview – Erklärung, was ein Interview ist und wie es abläuft – Thema Frieden in einer Dissertation an der Universität

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– Anmerkungen: – Keine Frage muss beantwortet werden, das gesamte Interview ist freiwillig – Es geht rein um persönliche Einschätzungen und Erlebnisse: deshalb gibt es keine richtigen oder falschen Aussagen – Information, dass das Interview aufgenommen wird, um es später verschriftlichen zu können – Besonderheit des episodischen Interviews: – Ich werde dir immer wieder zwischendurch auch Fragen stellen, die nicht direkte Fragen sind. Bei diesen würde ich mir wünschen, dass du mir von Erlebnissen und Erfahrungen erzählst, die du selbst schon gemacht hast. Das interessiert mich besonders, da ich dadurch noch besser verstehen kann, was du zu unserem Thema »Frieden« denkst.

– Gemeinsames Ausfüllen des Fragebogens mit allgemeinen Informationen → Anschalten des Aufnahmegerätes – Interviewleitfaden: Narrativ ausgelegte Fragen Zielgerichtete Fragen Fragenblock 1: Positiver Frieden Erzähle mir doch bitte, was genau du auf der friedlichen Bildseite gezeichnet hast und warum du genau das gewählt hast. Gibt es eine Gelegenheit, in der du komplett zufrieden bist/warst? Erzähle mir davon.

Steuerungsfragen

Zielgerichtete Fragen wer- Warum sind dir genau diese den in Abstimmung auf das Dinge wichtig, um Frieden Bild vor dem Interview no- darzustellen? tiert. Kannst du beschreiben, wie sich das anfühlt? Welche Gefühle hast du, wenn du über Frieden nachdenkst?

Erzähle mir von einer bestimmten Situation, in der du dich mit deiner Familie besonders friedlich/zufrieden gefühlt hast.

Was hat diese Situation/ dieses Erlebnis so besonders gemacht? Bist du der Meinung, dass man in der Schule über Frieden etwas lernen kann und wenn ja/nein, warum (nicht)? Was verstehst du unter Gerechtigkeit?

Findest du, das hat etwas mit Frieden zu tun?

Anhang 2: Zeichenauftrag und Interviewleitfaden

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(Fortsetzung) Narrativ ausgelegte Fragen Zielgerichtete Fragen Steuerungsfragen Fragenblock 2: Negativer Frieden Erzähle mir doch bitte, was Zielgerichtete Fragen wer- Warum sind dir genau diese genau du auf der unfriedli- den in Abstimmung auf das Dinge wichtig, um UnfrieBild vor dem Interview no- den darzustellen? chen Bildseite gezeichnet hast und warum du genau tiert. das gewählt hast. Unfrieden weltweit Warum denkst du, gibt es Krieg zwischen Menschen?

Wie würdest du Krieg abschaffen/lösen?

Gibt es für dich einen Unterschied zwischen Krieg und Gewalt? Wie sieht dieser aus?

Wie würdest du Gewalt abschaffen/lösen?

Unfrieden im Nahraum Was gibt es für Gründe, dass du dich manchmal mit deinen Freunden streitest? Erzähle mir von einem Streit, den du erlebt hast.

Wie habt ihr diesen Streit gelöst?

Fragenblock 3: Frieden und Religion Findest du, dass Frieden auch etwas mit Religion zu tun haben kann? Wenn ja/nein, warum (nicht)? Fragenblock 4: Frieden im eigenen Leben Kennst du Menschen, die etwas gemacht haben, das deiner Meinung nach Frieden bewirkt hat? Wen und was haben sie getan?

Erzähle mir abschließend, wie du dir eine friedliche Welt vorstellst.

Du bist evangelisch/katholisch/muslimisch. Hast du in der Kirche/Moschee/Synagoge/im Religionsunterricht schon einmal etwas erlebt, das mit Frieden zu tun hat? Was macht deiner Meinung nach Menschen aus, die sich für Frieden einsetzen?

Hast du eine Idee, wie mehr Frieden in die Welt kommen kann? Was kannst du dir konkret Gibt es etwas, das du bereits vornehmen, um Frieden in tust, um Frieden in deinem dein Leben zu bekommen? Leben zu haben? Wie können wir diese Welt erreichen?