Formelle und materielle Versammlungsrechtswidrigkeit: Verfassungsrechtliche Grundlagen, verwaltungsrechtliche Eingriffsbefugnisse und strafrechtliche Konsequenzen [1 ed.] 9783428503742, 9783428103744

Das Versammlungsgesetz enthält als besonderes Polizeirecht ein spezifisches Instrumentarium zur Abwehr von durch Versamm

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Formelle und materielle Versammlungsrechtswidrigkeit: Verfassungsrechtliche Grundlagen, verwaltungsrechtliche Eingriffsbefugnisse und strafrechtliche Konsequenzen [1 ed.]
 9783428503742, 9783428103744

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SASCHA WERNER

Formelle und materielle Versammlungsrechtswidrigkeit

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 849

Formelle und materielle Versammlungsrechtswidrigkeit Verfassungsrechtliche Grundlagen, verwaltungsrechtliche Eingriffsbefugnisse und strafrechtliche Konsequenzen

Von Sascha Werner

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Werner, Sascha: Formelle und materielle Versammlungsrechtswidrigkeit : verfassungsrechtliche Grundlagen, verwaltungsrechtliche Eingriffsbefugnisse und strafrechtliche Konsequenzen / Sascha Werner. - Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 849) Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 2000 ISBN 3-428-10374-2

D6 Alle Rechte vorbehalten © 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-10374-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreie09718-lm) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Meinen Eltern

Vorwort Das Versammlungsgesetz enthält als besonderes Polizeirecht ein spezifisches Instrumentarium zur Abwehr von durch Versammlungen ausgehenden Gefahren. Im präventiven Bereich sind dies vor allem Anmelde- und Erlaubnispflichten. Diese sind in Anbetracht von Art. 8 Abs. 1 GG, der allen Deutschen garantiert, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich zu versammeln, verfassungsrechtlich nicht unproblematisch, jedoch verfassungskonform auslegbar. Die Konsequenzen dieser verfassungskonformen Interpretation sind bis heute umstritten und unklar. Die Arbeit problematisiert deswegen die Auswirkungen von Verstößen gegen die Anmelde» und Erlaubnispflichten vor dem Hintergrund einer streng verfassungskonformen Gesetzesauslegung im Hinblick auf die verwaltungsrechtlichen Eingriffsbefugnisse und strafrechtlichen Sanktionen. Dabei wird insgesamt eine homogene Lösung entwickelt, jedoch auch klar die Reformbedürftigkeit des Demonstrationsrechts aufgezeigt. Aktuellen Bezug erhält die Arbeit durch die Untersuchung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von versammlungsfreien Zonen, der sogenannten Bannmeilen oder befriedeten Bezirke, vor dem Hintergrund der Diskussion um die Einrichtung von versammlungsfreien Zonen an für Demonstrationen attraktiven Orten in der Bundeshauptstadt Berlin. Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2000 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Schrifttum sind bis zum Juli 2000 berücksichtigt. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Bodo Pieroth, der die Arbeit angeregt und betreut hat, für die zügige Erstellung des Erstgutachtens. Herrn Prof. Dr. Johannes Hellermann danke ich für die schnelle Erstellung des Zweitgutachtens. Ebenfalls danken möchte ich meiner Lebensgefährtin Frau Rechtsanwältin Nicole Maria Grüger für ihre unendliche Geduld und die vielen aufmunternden Worte. Herrn Rechtsreferendar Ralf Höhne danke ich für die Durchsicht des Manuskripts. Die Veröffentlichung dieser Arbeit wurde durch Gewährung eines Druckkostenzuschusses seitens des Bundesministeriums des Inneren unterstützt, dem ich deswegen auch danken möchte.

Bonn, Juli 2000

Sascha Werner

Inhaltsverzeichnis Einleitung und Gang der Untersuchung

21 1. T e i l

Formelles und materielles Recht A. Abgrenzung von formellem und materiellem Recht B. Überprüfung der herrschenden Terminologie

30 31 33

2. T e i l Formelle und materielle Versammlungsrechtswidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

35

1. Kapitel Die Anmeldepflicht des § 14 VersG A. Überblick über die Regelung I. Sinn und Zweck der Regelung II. Inhaltliche Anforderungen III. Der formelle Charakter von § 14 VersG B. Verfassungsmäßigkeit der Anmeldepflicht I. Verfassungsmäßigkeit im Hinblick auf die „geordnete" Versammlung 1. Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 GG 2. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs a) § 14 VersG als verfassungswidrige Konkretisierung des Schrankenvorbehalts in Art. 8 Abs. 2 GG b) § 14 VersG als verfassungsgemäße Konkretisierung des Schrankenvorbehalts in Art. 8 Abs. 2 GG c) § 14 VersG als Konkretisierung verfassungsimmanenter Schranken d) Kritik und Stellungnahme II. Verfassungsmäßigkeit im Hinblick auf die „ungeordneten" Versammlungen 1. Verfassungsmäßigkeit von § 14 Abs. 1 VersG im Hinblick auf die Spontanversammlung a) Auffassung von der partiellen Unzulässigkeit der Spontanversammlung .. b) Auffassung von der generellen Zulässigkeit der Spontanversammlung aa) Meinung von der prinzipiellen Unanwendbarkeit des VersG bb) Meinung von der restriktiven Anwendung des § 15 Abs. 2 VersG

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nsverzeichnis

cc) Meinung von der verfassungskonformen Auslegung des § 14 VersG . c) Kritik und Stellungnahme 2. Verfassungsmäßigkeit von § 14 Abs. 1 VersG im Hinblick auf die Eilversammlung a) Auffassung von der unverzüglichen Anmeldung b) Auffassung von der Entbehrlichkeit der Anmeldung c) Kritik und Stellungnahme 3. Verfassungsmäßigkeit von § 14 Abs. 1 VersG im Hinblick auf Großdemonstrationen III. Zwischenergebnis C. Weitere Ausnahmen von der Verpflichtung zur Anmeldung I. Von Literatur und Rechtsprechung diskutierte Ausnahmen II. Ausnahmen nach § 17 VersG 1. § 17 VersG als verfassungswidrige Privilegierung unpolitischer Veranstaltungen 2. § 17 VersG als deklaratorische Vorschrift 3. Kritik und Stellungnahme D. Schlußfolgerungen für die Definition der formellen Versammlungsrechtswidrigkeit bei § 14 VersG

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2. Kapitel Das Eingriffsinstrumentarium des § 15 VersG A. Überblick über die Regelung I. Die Versammlungsauflösung II. Zur Verfassungsmäßigkeit von § 15 VersG B. Auswirkungen der formellen Rechtmäßig- und Rechtswidrigkeit i. S. v. § 14 VersG auf die Entscheidung über die Auflösung I. Auswirkungen der i. S. v. § 14 VersG formellen Rechtmäßigkeit auf die Entscheidung über die Auflösung 1. Auswirkungen auf die Auflösungsverfügung bei der „geordneten" und angemeldeten Versammlung a) Voraussetzungen der materiellen Rechtswidrigkeit b) Rechtsfolgen der materiellen Rechtswidrigkeit aa) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bb) Das Kooperationsprinzip 2. Auswirkungen auf die Auflösungsverfügung bei Spontanversammlungen 3. Auswirkungen auf die Auflösungsverfügung bei Eilversammlungen 4. Auswirkungen auf die Auflösungsverfügung bei Großdemonstrationen 5. Zwischenergebnis II. Auswirkungen der i. S. v. § 14 VersG formellen Rechtswidrigkeit auf die Entscheidung über die Auflösung 1. Voraussetzungen für die Auflösung bei Verstoß gegen die Anmeldepflicht .... 2. Zwischenergebnis C. Auswirkungen des Befolgens und Nichtbefolgens von Auflagen auf die Entscheidung über die Auflösung

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nsverzeichnis I. Überblick über die Regelung 1. Auswirkungen des Befolgens von Auflagen auf die Entscheidung über die Versammlungsauflösung 2. Auswirkungen des Nichtbefolgens von Auflagen auf die Entscheidung über die Versammlungsauflösung a) Rechtmäßigkeit der Auflage im Erlaßzeitpunkt b) Materielle Versammlungsrechtswidrigkeit im Zeitpunkt des Einschreitens II. Zwischenergebnis D. Die Auflösung der Versammlung nach § 15 Abs. 3 VersG bei Verstoß gegen ein Versammlungsverbot I. Überblick über die Regelung II. Voraussetzungen zum Einschreiten nach § 15 Abs. 3 VersG 1. Auffassung von der obligatorischen Auflösung 2. Auffassung vom fakultativen Vollzug der Auflösungsverfügung 3. Kritik und Stellungnahme III. Zwischenergebnis E. Vollstreckungsverbot bei materiell rechtswidriger Versammlung F. Eingriffsbefugnisse bei materiell rechtmäßiger Versammlung I. Der Zweckveranlasser im Versammlungsrecht II. Der polizeiliche Notstand im Versammlungsrecht 1. Echter polizeilicher Notstand 2. Unechter polizeilicher Notstand G. Zusammenfassung und Ergebnis

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3. Kapitel Strafrechtliche Konsequenzen formeller und/oder materieller Versammlungsrechtswidrigkeit im Hinblick auf §§ 14 und 15 VersG A. Die Strafbarkeit nach dem Versammlungsgesetz I. Strafbarkeit bei Nichtanmeldung der Versammlung 1. Überblick über die Regelung des § 26 Nr. 2 VersG 2. Verfassungsmäßigkeit des §26 Nr. 2 VersG a) Vereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 2 GG aa) Auffassung des BVerfG und der überwiegenden Kommentarliteratur . bb) Dissenting Opinion cc) Kritik und Stellungnahme b) Vereinbarkeit mit Art. 8 Abs. 1 GG c) Verfassungskonforme Auslegung 3. Zwischenergebnis II. Strafbarkeit wegen von der Anmeldung abweichender Durchführung der Versammlung 1. Überblick über die Regelung des §25 Nr. 1 VersG 2. Wesentliche Abweichung 3. Schlußfolgerungen im Hinblick auf die formelle und materielle Illegalität der Versammlung

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nsverzeichnis

III. Strafbarkeit bei auflagenwidriger Durchführung der Versammlung 1. Überblick über die Regelung des §25 Nr. 2 VersG a) Voraussetzungen der Strafbarkeit gem. § 25 Nr. 2 VersG aa) Vollziehbarkeit der Auflage bb) Rechtmäßigkeit der Auflage (1) Herkömmlich vertretene Auffassung (2) Herrschende Meinung im Versammlungsrecht (3) Kritik und Stellungnahme cc) Dogmatische Einordnung der Rechtmäßigkeit b) Schlußfolgerungen im Hinblick auf die formelle und materielle Illegalität der Versammlung 2. Überblick über die Regelung des §29 Abs. 1 Nr. 3 VersG IV. Strafbarkeit bei Verstoß gegen ein Versammlungsverbot V. Strafbarkeit bei Nichtbeachtung der Auflösungsverfügung VI. Zwischenergebnis B. Die Strafbarkeit nach dem StGB I. Einleitung in die Problematik des §240 StGB 1. Blockadeaktionen als Nötigung mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel 2. Verwerflichkeit von Blockadeaktionen a) Herkömmliche Auffassung b) Verwaltungsakzessorietät der Nötigung c) Kritik und Stellungnahme aa) Verwaltungsakzessorietät zwischen §240 StGB und § 15 VersG bb) Verwaltungsrechtsakzessorietät zwischen § 240 StGB und § 15 VersG II. Zwischenergebnis C. Zusammenfassung und Ergebnis

111 111 112 112 113 114 114 115 118 119 120 121 122 122 122 123 123 126 126 127 128 129 132 133 133

4. Kapitel

Gesamtergebnis des 2. Teils

134

3. T e i l

Formelle und materielle Versammlungsrechtswidrigkeit bei § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen

135

/. Kapitel

Das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt des § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen des Bundes und der Länder A. Überblick über die Regelung I. Sinn und Zweck der Regelung II. Das Genehmigungsverfahren B. Verfassungsmäßigkeit von Bannmeilen I. Verfassungsmäßigkeit im Hinblick auf die „geordnete" Versammlung

136 137 138 141 142 143

nsverzeichnis 1. Bannmeilengesetze als repressive Verbote mit Befreiungsvorbehalt 144 2. Bannmeilengesetze als verfassungswidrige Konkretisierung von Art. 8 Abs. 2 GG 146 3. Bannmeilengesetze als präventive Verbote mit Erlaubnis vorbehält 147 4. Kritik und Stellungnahme 149 II. Determinanten für die Zulassung von Versammlungen im Bannkreis 152 1. Beratungsfreie Zeit 153 2. Keine Parlaments- oder Gerichtsbezogenheit der Versammlung 153 3. Keine Wahrnehmungskompetenz des betroffenen Organs 154 4. Differenz zwischen Versammlungs- und Beratungsthema 154 5. Kein Schutz von Repräsentativfunktionen 155 6. Versammlung von Abgeordneten und Verfassungsrichtem 155 7. Kleiner Personenkreis 156 8. Fehlen einer konkreten Gefahr 156 III. Verfassungsmäßigkeit im Hinblick auf die „ungeordneten" Versammlungen 157 1. Verfassungsmäßigkeit von § 16 Abs. 1 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen im Hinblick auf Spontanversammlungen 158 a) Auffassung von der generellen Unzulässigkeit der Spontanversammlung . 158 b) Auffassung von der „grundrechtsfreundlichen" Anwendung der Genehmigungsvorschriften 158 c) Auffassung von der Unanwendbarkeit der Genehmigungsvorschriften 159 d) Kritik und Stellungnahme 159 2. Verfassungsmäßigkeit von § 16 Abs. 1 VersG i. V.m. den Bannmeilengesetzen im Hinblick auf Eilversammlungen 160 C. Schlußfolgerungen für die Definition der formellen und materiellen Versammlungsrechtswidrigkeit bei § 16 VersG i. V.m. den Bannmeilengesetzen 161 2. Kapitel Das Eingriffsinstrumentarium des § 15 VersG

162

A. Auswirkungen der i. S. v. § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen formell rechtmäßigen Versammlung auf die Entscheidung über die Auflösung 162 I. Auswirkungen auf die Auflösungsverfügung bei der „geordneten" und zugelassenen Versammlung 163 1. Auflösung nach §15 Abs. 2,4. Var. VersG bei formeller Legalität? 163 2. Auswirkungen der formellen Legalität auf die Entscheidung nach § 15 Abs. 2, 4. Var. VersG 165 II. Auswirkungen auf die Auflösungsverfügung bei der „ungeordneten" und nicht zugelassenen Versammlung 165 III. Zwischenergebnis 166 B. Auswirkungen der i. S. v. § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen formell rechtswidrigen Versammlung auf die Entscheidung über die Auflösung 167 I. Formelle Versammlungsrechts Widrigkeit mangels Einleitung des Genehmigungsverfahrens 167 1. Auffassung von der obligatorischen Auflösung 167 2. Auffassung vom fakultativen Vollzug der Auflösungsverfügung 168

14

nsverzeichnis

3. Keine Auflösung bei bloß formeller Rechtswidrigkeit 168 4. Kritik und Stellungnahme 169 II. Formelle Versammlungsrechtswidrigkeit nach Ablehnung des Genehmigungsantrags 171 C. Zusammenfassung und Ergebnis 171 3. Kapitel Strafrechtliche Konsequenzen formeller und/oder materieller Versammlungsrechtswidrigkeit im Bannkreis A. Überblick über die Regelung I. Β annkreis Verletzung als abstraktes Gefährdungsdelikt II. Bannkreisverletzung als konkretes Gefährdungsdelikt III. Kritik und Stellungnahme B. Zwischenergebnis

172 173 174 174 174 175

4. Kapitel Gesamtergebnis des 3. Teils

175

4. T e i l Formelle und materielle Versammlungsrechtswidrigkeit bei § 17a VersG

177

1. Kapitel Das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt des § 17a VersG A. Überblick über die aktuelle Regelung I. Sinn und Zweck der Regelung II. Regelungsinhalt der Verbote 1. Das Passivbewaffnungsverbot in § 17a Abs. 1 VersG 2. Das Vermummungsverbot in § 17a Abs. 2 VersG III. Das Genehmigungsverfahren B. Verfassungsmäßigkeit des Passivbewaffnungs-und Vermummungsverbots I. Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG durch § 17a VersG 1. Eingriff durch das Passivbewaffnungsverbot des § 17a Abs. 1 VersG 2. Eingriff durch das Vermummungsverbot des § 17a Abs. 2 VersG II. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs 1. Verhältnismäßigkeit des Passivbewaffnungs-und Vermummungsverbots a) Geeignetheit b) Erforderlichkeit c) Angemessenheit 2. Verfassungskonforme Auslegung des § 17a VersG a) Verfassungskonforme Auslegung des Erlaubnisvorbehalts in § 17a Abs. 3, S. 2 VersG

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nsverzeichnis b) Verfassungskonforme Auslegung der Eingriffsermächtigung in § 17a Abs. 4 VersG 196 3. Zwischenergebnis 197 C. Schlußfolgerungen für die Definition der formellen und materiellen Versammlungsrechtswidrigkeit bei § 17a VersG 198 2. Kapitel Das Eingriffsinstrumentarium des § 17a Abs. 4 VersG

198

A. Auswirkungen der i. S. v. § 17a VersG formell legalen Handlungen auf die Entscheidung über das Einschreiten nach Abs. 4 199 Β. Auswirkungen der i. S. v. § 17a VersG formell illegalen Handlungen auf die Entscheidung über das Einschreiten nach Abs. 4 200 C. Zusammenfassung und Ergebnis 201 3. Kapitel Strafrechtliche Konsequenzen formeller und/oder materieller Versammlungsrechtswidrigkeit im Hinblick auf § 17a VersG A. Überblick über die Problematik des § 27 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VersG I. Vereinbarkeit des § 27 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VersG mit Art. 8 GG 1. Geeignetheit 2. Erforderlichkeit 3. Angemessenheit 4. Verfassungskonforme Auslegung des § 27 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VersG II. Vereinbarkeit des § 27 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VersG mit Art. 103 Abs. 2 GG III. Die Bußgeldbewehrung nach § 29 Abs. 1 Nr. la VersG B. Schlußfolgerungen im Hinblick auf die formelle und materielle Illegalität der Versammlung

202 202 202 203 204 205 206 208 209 210

4. Kapitel Gesamtergebnis des 4. Teils

211

5. T e i l Formelle und materielle Versammlungsrechtswidrigkeit im Hinblick auf die Feiertagsgesetze der Bundesländer A. Überblick über die Regelungen I. Sinn und Zweck der Regelungen II. Das Genehmigungsverfahren B. Verfassungsmäßigkeit der Versammlungsverbote nach den Feiertagsgesetzen I. Gesetzgebungskompetenz II. Zwischenergebnis

213 213 214 215 217 217 218

16

nsverzeichnis

C. Beschränkbarkeit von Versammlungen an Feiertagen D. Ergebnis

219 220

6. T e i l

Zusammenfassung und Gesamtergebnis

222

Rechtspolitische Überlegungen

226

Literaturverzeichnis

228

Sachverzeichnis

246

Abkürzungsverzeichnis a. Α. abl. Abs. abw. a. E. a. F. AK ALR Anm. AöR Art. ASOG BannmlG BannkrG BauO BauR BefBezG BRS Bay BayObLG BayVBl. BayVerfGH BayVGH Bbg. BGBl. BGer BGH BGHSt Beri. BImSchG BR-Drs. BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE BW bzw. 2 Werner

anderer Auffassung ablehnend Absatz abweichend am Ende alte Fassung Alternativkommentar Preußisches Allgemeines Landrecht Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz Bannmeilengesetz Bannkreisgesetz Bauordnung Baurecht Gesetz über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes Baurechtssammlung Bayern Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerisches Verwaltungsblatt Bayerischer Verfassungsgerichtshof Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Brandenburg Bundesgesetzblatt Schweizerisches Bundesgericht Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Berlin Bundesimmissionsschutzgesetz Bundesratsdrucksache Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bundesverwaltungsgericht Enscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Baden-Württemberg beziehungsweise

18 DB ders. DP DNP DÖV DÖD DRiZ DuR DVBl. EGMR EuGRZ f. ff. FTG Fn. GA GABI. GBl. GVBl. GewA GewO GG Hbg. Hess. h. M. Hrsg. Hs i. d. F. i. V. m. JA JBl. JÖR JR JURA JuS JZ KG KJ Kp krit. KritV LG LKV MDR MRK MV

Abkürzungsverzeichnis Der Betrieb derselbe Die Polizei Die neue Polizei Die öffentliche Verwaltung Der öffentliche Dienst Deutsche Richterzeitung Demokratie und Recht Deutsches Verwaltungsblatt Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Grundrechtezeitschrift folgende/r (Seite, Paragraph) folgende (Seiten, Paragraphen) Feiertagsgesetz Fußnote Goldtammers Archiv für Strafrecht Gemeinsames Amtsblatt Gesetzblatt Gesetz und Verordnungsblatt Gewerbearchiv Gewerbeordnung Grundgesetz Hamburg Hessen herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz in der Fassung in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Justizblatt Jahrbuch des Öffentlichen Rechts Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Kammergericht Kritische Justiz Kapitel kritisch Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Landgericht Landes- und Kommunalverwaltung Monatsschrift für Deutsches Recht Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Mecklenburg-Vorpommern

Abkürzungsverzeichnis m. w. Ν. η. F. Nds NJ NJW Nr. NStZ NuR NVwZ NW NWVB1 OLG Östr.VfGH OVG PAG POG PolG PrOVG PrOVGE PVG RG RGBl RGSt RhPf. RR Rspr. RuP RVG Rz. S. s. Saar. Sachs SchlHA SH SFG SHA SKV SOG StGB StPO str. StV StVO Thür. T1 u.a.

mit weiteren Nachweisen neue Fassung Niedersachsen Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Natur und Recht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Nordrhein-Westfalen Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Oberlandesgericht Österreichischer Verfassungsgerichtshof Oberverwaltungsgericht Polizeiaufgabengesetz Polizeiorganisationsgesetz Polizeigesetz Preußisches Oberverwaltungsgericht Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts Polizeiverwaltungsgesetz Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Rheinland-Pfalz Rechtsprechungsreport Rechtsprechung Recht und Politik Vereinsgesetz des Deutschen Reiches Randziffer Seite siehe Saarland Sachsen Schleswig-Holsteinische Anzeigen Schleswig-Holstein Sonn- und Feiertagsgesetz Sachsen-Anhalt Staat- und Kommunalverwaltung Sicherheits- und Ordnungsgesetz Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung streitig Strafverteidiger S traßenverkehrsordnung Thüringen Teil und andere

20 UPR Var. VereinsG VerfGH VersG VG vgl. VGH Vorbem. VR VRS VVDStRL VwGO VwVfG VwVG wistra WRV ZG zit. zust. ZRP

Abkürzungsverzeichnis Umwelt- und Planungsrecht Variante Vereinsgesetz Verfassungsgerichtshof Versammlungsgesetz Verwaltungsgericht vergleiche Verwaltungsgerichtshof Vorbemerkungen Verwaltungsrundschau Verkehrsrechts-Sammlung Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungsvollstreckungsgesetz Zeitschrift für Wirtschaft-, Steuer- und Strafrecht Weimarer Reichsverfassung Zeitschrift für Gesetzgebung zitiert zustimmend Zeitschrift für Rechtspolitik

Einleitung und Gang der Untersuchung Versammlungen und Demonstrationen gehören zum demokratischen Alltag. Sie geben der öffentlichen Diskussion, die Strukturelement der Demokratie ist, neue Impulse. Durch sie findet Kommunikation zwischen Regierten und Regierenden statt. Im Verständnis der Wertentscheidungen und politischen Zielsetzungen des Grundgesetzes (GG)1 ist die Ausübung des Versammlungs- und Demonstrationsrechts erwünschte Verlebendigung öffentlicher Diskussion in einer freien Gesellschaft. Daraus ergibt sich eine Ausgangsvermutung für die Zulässigkeit von Versammlungen und Demonstrationen, die sich im Versammlungsgesetz (VersG)2 und bei seinen Interpreten nicht immer wiederfindet. Dem entgegenzuwirken ist ein Anliegen der folgenden Untersuchung. Der Titel der Arbeit „Formelle und materielle Versammlungsrechtswidrigkeit" erinnert den Rechtskundigen sofort an die im öffentlichen Baurecht klassisch gewordene Differenzierung in formelle und materielle Baurechts Widrigkeit bzw. formelle und materielle Illegalität einer baulichen Anlage.3 Als formell illegal oder formell baurechtswidrig wird ein Bauvorhaben bezeichnet, wenn es ohne die nach Landesrecht vorgeschriebene Baugenehmigung errichtet oder geändert wurde.4 Formelle Illegalität liegt auch vor, wenn die bauliche Anlage in Abweichung von einer erteilten Baugenehmigung errichtet oder geändert wurde.5 Von materieller Illegalität oder materieller Baurechts Widrigkeit spricht man, wenn bauliche Anlagen in Widerspruch zu den inhaltlichen Anforderungen des öffentlichen Baurechts errichtet, geändert, abgebrochen oder genutzt werden.6 In Anlehnung an diese Unterteilung spricht man auch von formellem und materiellem Bauordnungsrecht. Das formelle Bauordnungsrecht betrifft die Organisation und die Zuständigkeit der Behörden, das Verfahren und die speziellen Handlungsformen der Verwaltung. Das materielle Bauordnungsrecht enthält demgegenüber die inhaltlichen Anforderungen an das 1 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.05.1949 (BGBl. S. 1), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16.07.1998 (BGBl. I S. 1822). 2 Versammlungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15.11.1978 (BGBl. I S. 1790), zuletzt geändert durch Gesetz vom 11.08.1999 (BGBl. I S. 1818). 3 Vgl. PrOVGE 13,389 [393f.]; 104,223 [225f.]; BVerwGE 3,351 [353f.]; 48,271 [274fJ; Grotefels, in: Hoppe/Grotefels, Öffentliches Baurecht, §15 Rz.75ff.; Mampel BauR 1996, 13 ff. 4 Vgl. § 63 Abs. 1 BauO NW; Art. 68 S. 1 BauO Bay; §49 Abs. 1 BauO BW. 5 OVG Münster, Β RS 47 Nr. 193; BRS 54 Nr. 203; Grotefels, in: Hoppe/Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 15 Rz.75; Ortloff\ in: Finkelnburg/Ortloff; Öffentliches Baurecht II, S. 137. 6 BVerwGE 3,351 [353 f.]; 48,271 [274f.]; Grotefels, in: Hoppe/Grotefels, Öffentliches Baurecht, S.599ff.; Brohm, Öffentliches Baurecht, §4 Rz. 1; Mampel, BauR 1996, 13 [16].

22

Einleitung und Gang der Untersuchung

Bauwerk, die Befugnisse der Behörden zur Durchsetzung der baurechtlichen Vorschriften und Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen und Satzungen auf dem Gebiet des Bauordnungsrechtes. 7 Diese im Bauordnungsrecht anzutreffende Unterscheidung erfüllt keinen Selbstzweck. Mit Hilfe der Unterteilung in formelle und materielle Baurechtswidrigkeit wurde im Gegenteil ein differenziertes Eingriffsinstrumentarium entwickelt. Die spezifische Befugnis der Bauaufsichtsbehörde zum Eingreifen mittels bauaufsichtlicher Verfügung hängt nämlich davon ab, ob die bauliche Anlage formell und/oder materiell illegal ist.8 So ist die Stillegungsverfügung, also die Verfügung der Einstellung der Bauarbeiten, regelmäßig schon bei formeller Illegalität des Bauvorhabens zulässig, es sei denn, das Vorhaben ist offensichtlich genehmigungsfähig, d.h. materiell legal.9 Die Baueinstellung soll der Bauaufsichtsbehörde die Möglichkeit geben, die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens zu prüfen. Die Ausnahme bei sich aufdrängender materieller Zulassungsfähigkeit beruht darauf, daß in einem solchen Fall trotz formeller Illegalität das Bauvorhaben den Schutz des Art. 14 Abs. 1GG genießt, denn die Eigentumsfreiheit gewährleistet das Recht, das Grundstück im Rahmen der Gesetze zu bebauen.10 Diese Erwägungen gelten grundsätzlich auch für die Nutzungsuntersagung, also das Verbot, eine fertiggestellte bauliche Anlage zu nutzen.11 Demgegenüber setzt eine Abbruchverfügung, also die Verfügung der vollständigen Beseitigung des Bauwerks, prinzipiell die formelle und materielle Illegalität der baulichen Anlage voraus.12 Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der Abbruch ohne Eingriff in die Bausubstanz erfolgen kann, wie etwa bei Wohnwagen, fahrbaren Verkaufsständen und beweglichen Werbeanlagen.13 Dieser „baurechtliche 7

Battis , Öffentliches Baurecht- und Raumordnungsrecht, S.235, 250; Brohm, Öffentliches Baurecht, §4 Rz. 2; Hahn, in: Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Landesbauordnung NW, §61 Rz. 67; Ortloff,\ NVwZ 1999, 955 [955f.]. 8 Böckenförde, in: Böckenförde/Temme u.a., Landesbauordnung NW, § 61 Rz.26ff.; Hahn, in: Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Landesbauordnung NW, § 61 Rz.67ff.; Scheerbarth, Das allgemeine Bauordnungsrecht, S.399ff.; Ortloff,\ NVwZ 1999, 955 [962]; Kischel DVB1. 1996, 185 [186ff.]. 9 Vgl. § 64 Abs. 1 BauO BW, § 88 Abs. 1 BauO Bay; OVG Münster, BRS 16 Nr. 129 und 130; Böckenförde, in: Böckenförde/Temme u. a., Landesbauordnung NW, § 61 Rz. 31; Hahn, in: Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Landesbauordnung NW, §61 Rz.81; Kischel, DVB1. 1996, 185 [186]. 10 BVerwG, BRS 36 Nr.99; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 14 Rz. 18; Hahn y in: Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Landesbauordnung NW, § 61 Rz. 79. 11 VGH Kassel, NVwZ-RR 1996, 487; OVG Koblenz, BauR 1997, 103; Böckenförde, in: Böckenförde/Temme u. a., Landesbauordnung NW, § 61 Rz. 37; Hahn, in: Boeddinghaus/ Hahn/Schulte, Landesbauordnung NW, § 61 Rz. 84. 12 BVerwGE 3,351 [353f.]; 5,351 [353]; OVG Münster, BRS 30 Nr. 172, Krebs, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Abschnitt 4, Rz. 223; Oldiges, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Rz.358; modifizierend: Mampel, BauR 1996, 13ff. 13 OVG Münster, BRS 30 Nr. 172; VGH Kassel, BauR 1992, 66 [68]; Hahn, in: Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Landesbauordnung NW, §61 Rz.79.

Einleitung und Gang der Untersuchung

Rechtssatz" wird mit dem verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG und dem Übermaßverbot begründet.14 Da das Recht, ein Grundstück im Rahmen der Gesetze zu bebauen, von der Eigentumsgarantie geschützt sei, habe der Bauherr bei materieller Legalität einen grundrechtlichen Anspruch auf eine uneingeschränkte Baugenehmigung.15 Wegen dieses verfassungsmäßigen Rechts am Bauwerk sei eine Beseitigungsverfügung bei nur formeller Illegalität grundrechtswidrig und unverhältnismäßig, weil dem Bauherrn auf Antrag die Wiederherstellung des Gebäudes jederzeit zu gestatten wäre. 16 In diesem Fall kann man also von einem Sieg des materiellen gegenüber dem formellen Bauordnungsrecht sprechen.17 Dieser kann allerdings für den Bauherrn mit Verlusten verbunden sein, denn auch das Errichten einer materiell rechtmäßigen baulichen Anlage ohne die erforderliche Genehmigung wird gem. §84 Abs. 1 Nr. 13 BauO NW mit einem Bußgeld geahndet.18 Das Vorhaben oder Geschehen selbst ist allerdings wegen seiner materiellen Übereinstimmung mit dem Recht gegen einschneidende bauaufsichtsrechtliche Maßnahmen immun. Im umgekehrten Fall schützt die formelle Legalität vor Eingriffen der Bauaufsichtsbehörde bei materieller Baurechts Widrigkeit der baulichen Anlage. Solange die baurechtliche Genehmigung wirksam und n i c h t - z . B . wegen Rechtswidrigkeit-aufgehoben worden ist, kommt ein Eingreifen der Bauaufsichtsbehörden prinzipiell nicht in Betracht. 19 Insbesondere scheidet der Erlaß einer Beseitigungsund Abrißverfügung aus.20 Das Vorliegen einer rechtswidrigen Baugenehmigung führt indes keinesfalls zur materiellen Legalisierung einer baulichen Anlage. Die Baugenehmigung stellt die Übereinstimmung des Bauwerks mit dem öffentlichen Baurecht nämlich nur deklaratorisch fest. 21

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BVerwGE 3,351 [353f.]; 5,351 [353]; Sendler, in: Westermann/Menger, Festschrift für Werner Emst, S.403ff.; Kischel, DVB1. 1996, 185 [188]. 15 Vgl. BVerfGE 35,263 [276]; Wendt, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 14 Rz.46; Pieroth! Schlink, Grundrechte, Rz.902. 16 Grotefels, in: Hoppe/Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 15 Rz.78; Krebs, in: SchmidtAßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Abschnitt 4, Rz.223; Oldiges, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Rz. 358; Schenke, in: Achterberg/Püttner, Besonderes Verwaltungsrecht, Band I, Rz.611. 17 Vgl.: Sendler, in: Westermann/Menger, Festschrift für Werner Emst, S.405. 18 Vgl. auch: § 75 Abs. 1 Nr. 8 BauO BW, Art. 96 Abs. 1 Nr. 8 BauO Bay. 19 Hahn, in: Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Landesbauordnung NW, §61 Rz. 69,96, 100; Mampel, BauR 1996, 13 [19f.]. 20 Der Schutz der formellen Legalität wirkt allerdings nicht absolut. So ergibt sich aus § 3 Abs. 1 BauO NW und Art. 3 Abs. 1 BauO Bay, daß bauliche Anlagen so instand zu halten sind, daß die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht gefährdet wird. Diese Pflicht ist natürlich auch bei bestehender formeller Legalität des Bauwerkes durchsetzbar (Vgl.: Hahn, in: Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Landesbauordnung NW, §61 Rz.95f.). 21 Vgl. dazu: Mampel, BauR 1996, 13 [20] mit weiteren Nachweisen zu überholten abweichenden Auffassungen.

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Einleitung und Gang der Untersuchung

Dogmatisch verortet wird das Erfordernis von formeller und/oder materieller Illegalität bei einem Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde im Bereich des Ermessens.22 Dies kann dazu führen, daß im Einzelfall auch bei Vorliegen einer formell und materiell illegalen baulichen Anlage ein Eingriffsverbot besteht, nämlich dann, wenn ein Eingreifen unverhältnismäßig wäre. 23 Da sich das gesamte Gefahrenabwehrrecht ständig im Konflikt mit grundrechtlichen Gewährleistungen und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip befindet, wurde die Differenzierung im Baurecht zwischen formeller und materieller Illegalität auch in anderen Bereichen des Gefahrenabwehrrechts übernommen. Anhand dieser Differenzierung wurden dann spezifische Eingriffskriterien entwickelt. So reicht nach ganz herrschender Meinung für die Stillegung oder Beseitigung einer genehmigungspflichtigen, aber nicht genehmigten Anlage nach §20 Abs. 1 S. 1 BImSchG grundsätzlich die formelle Illegalität der Anlage aus. Auf deren Genehmigungsfähigkeit soll es prinzipiell nicht ankommen.24 Begründet wird dies im Immissionsschutzrecht damit, daß die Genehmigung hier konstitutive Wirkung habe und nicht wie im Bereich des Baurechts die bereits bestehende Baufreiheit formal wiederherstelle.25 Dieser Grundsatz soll aber dann nicht gelten, wenn eindeutig feststeht, daß der Anlagenbetrieb materiell rechtmäßig ist. 26 Weiterhin wird vertreten, daß neben der Stillegung eine Beseitigung der nicht genehmigten Anlage nur bei materieller Illegalität in Betracht kommt, es sei denn, die Allgemeinheit und die Nachbarschaft kann durch eine Stillegung nicht ausreichend geschützt werden 27 Ausschlaggebend ist auch hier wieder das Übermaßverbot. Die Parallelen zum Baurecht sind nicht zu übersehen. Dies gilt auch für den Bereich des Gewerberechts. Einzelheiten sind allerdings sehr umstritten. 28 Insgesamt ist zu konstatieren, daß man von einer einheitlichen Behandlung der formellen und materiellen Illegalität im Bereich des gesamten Gefahrenabwehrrechts noch weit entfernt ist. Soweit in den einzelnen Rechtsgebieten differenzierte Ansätze gefunden wurden, ähneln sich diese zwar, taugen aber allenfalls zu bereichsspezifischen Lösungen. Ob eine über die Grenzen des jeweiligen Rechts22

Kischel, DVB1. 1996, 185 [190]. OVG Lüneburg, BRS 40 Nr. 226; Böckenförde, in: Böckenförde/Temme u. a., Landesbauordnung NW, §61 Rz.45. 24 BVerwGE 84,220 [233f.]; NVwZ-RR 1994, 199 [200]; Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht Band I, § 20 BImSchG, Rz. 42; Jarass, BImSchG, § 20 Rz. 23. 25 Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht Band I, §20 BImSchG, Rz.42; Kloepfer, Umweltrecht, § 14 Rz. 125. 26 BVerwGE 84,220 [233 f.]; VGH Mannheim, VB1BW1991,375 [376]; Jarass, BImSchG, §20 Rz.25; Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht Band I, §20 BImSchG, Rz.42 (str.). 27 Jarass, BImSchG, §20 Rz.26; Laubinger, in: Ule/Laubinger, BImSchG, §20 BImSchG, D8 (str.). 28 Mareks, in: Landmann/Rohmer, GewO Band I, § 15 Rz. 14f.; Kischel, DVB1. 1996, 185 [188] m.w.N. 23

Einleitung und Gang der Untersuchung

gebietes hinausreichende Standardisierung der Eingriffsvoraussetzungen und Ermessenserwägungen möglich ist, wie es neuerdings vorgeschlagen wird, 29 soll hier jedoch nicht weiter thematisiert werden. Geklärt werden soll vielmehr, ob auch im Bereich des Versammlungsrechts eine Unterscheidung zwischen formeller und materieller Illegalität möglich und sinnvoll oder vielleicht sogar aus verfassungsrechtlichen Gründen zwingend geboten ist. Die Unterscheidung von formeller und materieller Illegalität ist im Versammlungsrecht zwar ungewöhnlich, aber nicht ausgeschlossen. Immer dann, wenn der Gesetzgeber die Zulässigkeit von Handlungen oder Vorhaben an repressive oder präventive Verbote knüpft, kommt eine Unterscheidung zwischen formeller und materieller Illegalität in Betracht. 30 Dies gilt auch für das sogenannte Verbot mit Anzeigevorbehalt.31 Neuerdings wird auch vereinzelt bei der Erlaubnis mit Verbots vorbehält32 zwischen formeller und materieller Betrachtungsweise unterschieden. Wird ein grundsätzlich erlaubtes Verhalten im Einzelfall aufgrund einer wirksamen Rechtsnorm ganz oder teilweise durch Verwaltungsakt verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht, und hält sich der Adressat nicht an die Verfügungen, so spricht man auch von formeller Illegalität des Verhaltens, wenn sich der Adressat lediglich nicht an den Inhalt der noch nicht bestandskräftigen Verfügung hält, sein Verhalten ansonsten aber rechtskonform ist, weil die Verfügung gar nicht hätte erlassen werden dürfen, sprich materiell rechtswidrig ist.33 Materiell illegal soll sein Verhalten demgegenüber nur sein, wenn er gegen den Inhalt der die Verfügung rechtfertigenden Vorschriften verstößt, die Verfügung mithin auch inhaltlich legitimiert wäre. 34 Diese Terminologie findet sich vor allem im Bereich des verwaltungsakzessorischen Strafrechts. Generell eingebürgert hat sie sich jedoch noch nicht, weil sie scheinbar dem herrschenden Verständnis von der Bestandskraft und Tatbestandswirkung des Verwaltungsaktes zuwiderläuft. Für das Versammlungsrecht fruchtbar gemacht wurde die Unterscheidung zwischen formeller und materieller Illegalität erstmals für die Auflösung einer Versammlung nach § 15 Abs. 2, 1. Var. VersG wegen unterbliebener Anmeldung nach 29

Einen ersten über die einzelnen Rechtsgebiete hinausgreifenden Ansatz liefert Kischel, DVB1. 1996, 185 ff. 30 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, §9 Rz. 52ff.; Gromitsaris, DÖV 1997, 401 [402ff.]; Gusy, JA 1981, 80 [81]; Schwabe, JuS 1973, 133 [134] (str.). 31 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, §9 Rz.54; Schick, BayVBl. 1967, 341 [342]. 32 Zum Begriff vgl.: Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9 Rz.54; Schwabe, JuS 1973, 113; Friauf, JuS 1962, 422f. 33 Vgl. Bertuleit, Sitzdemonstrationen zwischen prozedural geschützter Versammlungsfreiheit und verwaltungsrechtsakzessorischer Nötigung, S. 97,225 ff.; KnemeyerlDeuber t, NJW 1992, 3131 [3134f.]; Otto, JURA 1991, 308 [311 f.]; Weichen,, StV 1989,459 [460fJ; Ostendorf, JZ 1981, 165 [170]. 34 Perschke, wistra 1996, 161 [164f.], Otto, JURA 1991, 308 [311 f.]; Ostendorf, JZ 1981, 165 [170].

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§ 14 Abs. 1 VersG.35 Man erkannte schon recht früh, daß die fehlende Anmeldung der Versammlung nicht automatisch deren Auflösung zur Folge haben darf, vielmehr für die Auflösung aus verfassungsrechtlichen Gründen das Bestehen einer - wie auch immer gearteten - konkreten Gefahr erforderlich ist. Einzelheiten waren und blieben allerdings umstritten. Knüpft man die Befugnis zur Auflösung der Versammlung bei fehlender Anmeldung nach § 15 Abs. 2,1. Var. VersG mit der heute herrschenden Meinung an das Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, mithin an die Voraussetzungen des § 15 Abs. 2, 4. Var. VersG, so liegt jedoch eine terminologische Unterscheidung zwischen formeller und materieller Illegalität auf der Hand.36 Letztendlich durchgesetzt hat sich diese Terminologie für §§14 und 15 VersG jedoch bis heute nicht. Teilweise eingebürgert hat sich die Differenzierung zwischen formeller und materieller Illegalität im Versammlungsrecht im Zusammenhang mit der Bannkreisverletzung gem. § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen des Bundes und der Länder. 37 Nach diesen Vorschriften sind Versammlungen unter freiem Himmel im Bereich von befriedeten Bannkreisen grundsätzlich verboten, können jedoch unter gewissen Voraussetzungen genehmigt werden. Findet nun eine Versammlung im Bannkreis ohne die erforderliche Genehmigung, mithin formell rechtswidrig statt, so soll nach mittlerweile herrschender Auffassung eine Auflösung der Versammlung nach § 15 VersG nur dann in Betracht kommen, wenn die Versammlung auch gegen den Schutzzweck der den Bannkreis schützenden Vorschriften verstößt, mithin auch materiell rechtswidrig ist. 38 Auch für die Strafbarkeit der Demonstrationsbeteiligten soll dies von Bedeutung sein.39 Generelle Verwendung findet diese Terminologie im Hinblick auf § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen in der Rechtsprechung und im Schrifttum aber nicht. Daß der Differenzierung in formelle und materielle Versammlungsrechtswidrigkeit im Bereich des sogenannten Demonstrationsstrafrechts große Bedeutung zukommt, wurde ausdrücklich anläßlich der Diskussion über die Strafbarkeit von Sitzdemonstrationen nach § 240 Abs. 1 StGB aufgezeigt. 40 Eine Strafbarkeit wegen Nö35

Werbke, NJW 1970, 1 [4]; Schick, BayVBl. 1967, 341 [342]. Vgl. Werbke, NJW 1970,1 [4]; Schick BayVBl. 1967, 341 [342]. 37 Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 16 Rz.49; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 131a; Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 194; Crombach, Die öffentliche Versammlung unter freiem Himmel, 135f. 38 Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 16 Rz.49; ders., Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 188 ff.; Borchert, Die Spontanversammlung, S. 136f.; Crombach, Die öffentliche Versammlung unter freiem Himmel, S. 135 f. 39 Breitbach, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 16 Rz. 54f.; ders., Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 194ff.; Crombach, Die öffentliche Versammlung unter freiem Himmel, S. 136 f. 40 Bertuleit, Sitzdemonstrationen zwischen prozedural geschützter Versammlungsfreiheit und verwaltungsakzessorischer Nötigung, S. 82ff.; Reichert-Hammer, Politische Fernziele und Unrecht, S. 143; Weichert, StV 1989, 459 [460]; Knemeyer/Deubert, NJW 1992, 3131 [3133ff.]; Rinken, StV 1994, 95 [104]; Kniesel, NStZ, 1998, 286 [288f.]. 36

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tigung bei Sitzdemonstrationen oder ähnlichen Blockadeaktionen soll nach einer im Vordringen befindlichen Auffassung nur in Betracht kommen, wenn die Versammlung gem. § 15 Abs. 2, 4. Var. VersG durch Verwaltungsakt aufgelöst wurde. Man spricht dann ausdrücklich von formeller Illegalität der Versammlung.41 Weiterhin wird gefordert, daß die Auflösungsverfügung nicht nur wirksam, sondern auch rechtmäßig sein müsse. Die Voraussetzungen zur Auflösung der Versammlung müßten gegeben, d. h. die Versammlung materiell illegal sein.42 Daß sich diese - nicht unumstrittene - Erkenntnis zumindest auf das gesamte verwaltungsakzessorische Demonstrationsstrafrecht übertragen läßt, liegt nicht fern. Auch das BVerfG scheint diesem Gedanken nicht abgeneigt zu sein, wenn es für die Strafbarkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG eine rechtmäßige Auflösungsverfügung fordert; 43 diese darf aber prinzipiell gem. § 15 Abs. 2, 4. Var VersG nur bei materieller Illegalität der Versammlung ergehen. Diese Beispiele zeigen, daß sich die bewährte Differenzierung zwischen formeller und materieller Illegalität im Baurecht und in anderen Teilen des Gefahrenabwehrrechts durchaus auch für den Bereich des Versammlungsrechts fruchtbar machen läßt.44 Daß sie prinzipiell sinnvoll oder sogar geboten ist, wird sich am Ende dieser Arbeit zeigen. Gegenstand dieses Beitrags ist jedoch nicht die Suche nach einer angemessenen Begrifflichkeit. Im Vordergrund steht vielmehr die Frage, wie sich die formelle und/oder materielle Versammlungsrechtswidrigkeit auf das Eingriffsinstrumentarium der Verwaltung und die Strafbarkeit der Versammlungsbeteiligten auswirkt. Nur wenn sich herausstellt, daß hinsichtlich der Befugnis zum Einschreiten prinzipiell zwischen formeller und materieller Illegalität differenziert werden kann oder muß, macht auch die begriffliche Unterscheidung von formeller und materieller Illegalität Sinn.45 Daß dies der Fall ist, liegt wegen der nach Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlungsfreiheit nahe, wenn man sich die Begründung für die Differenzierung im Baurecht in Erinnerung ruft. Untersucht werden soll die Möglichkeit und Notwendigkeit der Differenzierung zwischen formeller und materieller Versammlungsrechtswidrigkeit nur bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel, da es für öffentliche Versammlungen in 41

Bertuleit, Sitzdemonstrationen zwischen prozedural geschützter Versammlungsfreiheit und verwaltungsakzessorischer Nötigung, S.97. 42 Bertuleit/Herkströter, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §240 Rz. 42 ff.; Bertuleit, Sitzdemonstrationen zwischen prozedural geschützter Versammlungsfreiheit und verwaltungsakzessorischer Nötigung, S.82ff.; Reichert-Hammer, Politische Femziele und Unrecht, S. 143; Eser, in: Festschrift für Gerd Jauch, S. 34,44f.; Fritz, in: Brandt, Festschrift für Helmut Simon, S.403,429; Bertuleit! Herkströter, KJ 1987, 331 [337f.]; Weichen, StV 1989, 459 [460]. 43 BVerfGE 87,399 [409f.]. 44 So ausdrücklich: Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 16 Rz.49; ders., Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 188 ff.; Crombach, Die öffentliche Versammlung unter freiem Himmel, S. 136; Werbke, NJW 1970,1 [4]. 45 Vgl. Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 188.

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geschlossenen Räumen weder Anzeige- noch Genehmigungsvorbehalte nach dem Versammlungsgesetz gibt und diese Art der Versammlung als Untersuchungsgegenstand somit recht unergiebig ist. 46 Auch eine Behandlung der nichtöffentlichen Versammlung scheidet aus, da das Versammlungsgesetz fast ausschließlich auf öffentliche Versammlungen Anwendung findet und man nur im normativen Wirkungsbereich des Versammlungsgesetzes von formeller und materieller Versammlungsrechtswidrigkeit sprechen kann.47 Für das gesamte Versammlungsgeschehen virulente Anzeige- und Genehmigungsvorbehalte enthalten für die öffentliche Versammlung unter freiem Himmel die §§ 14 und 15 VersG, § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen des Bundes und der Länder, § 17a VersG sowie die Feiertagsgesetze der Bundesländer. Auf diese vier Normkomplexe soll die Untersuchung auch beschränkt bleiben, um der Tiefe der Analyse Vorrang vor der Breite zu geben. Die Behandlung der Problematik bei §§ 14 und 15 VersG wird dabei den Schwerpunkt der Arbeit bilden, denn diese beiden Vorschriften sind prinzipiell bei allen öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel anwendbar. Insbesondere enthält § 15 VersG das allgemeine Eingriffsinstrumentarium der Versammlungsbehörden, das neben Spezialvorschriften - wie z.B. §17a Abs. 4 VersG - einschlägig ist. 48 Dies gilt auch für Versammlungen im Bannkreis nach § 16 VersG. Methodisch soll prinzipiell folgendermaßen vorgegangen werden: Zunächst soll untersucht werden, ob eine Unterscheidung zwischen formeller und materieller Versammlungsrechtswidrigkeit im Bereich der oben genannten Normkomplexe möglich und sinnvoll ist. Da sich die Notwendigkeit dieser Differenzierung nur aus dem Verfassungsrecht ergeben kann - im Baurecht wird sie mit der aus Art. 14 Abs. 1 GG folgenden Baufreiheit begründet, im Gewerberecht mit der aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden Gewerbefreiheit 49 - , ist es unumgänglich, die Vorschriften einer genauen verfassungsrechtlichen Überprüfung zu unterziehen, an deren Endpunkt geklärt werden soll, ob und wann im jeweiligen Normbereich von formeller und materieller Versammlungsrechtswidrigkeit gesprochen werden kann. In einem zweiten Schritt soll geklärt werden, welchen Einfluß die formelle und/ oder materielle Illegalität auf die Befugnis zum Einschreiten der Versammlungsbehörden hat. Dabei wird an die im ersten Schritt gefundenen Ergebnisse anzuknüpfen sein. Abschließend wird zu untersuchen sein, wie sich die formelle und/oder materielle Illegalität einer Versammlung auf den Bereich des Demonstrationsstraf- und ordnungswidrigkeitenrechts auswirkt. Analysiert werden die den jeweiligen Norm46

Vgl. §§5-13 VersG. BertuleitiSteinmeier, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 1 Rz.30f.; Dietel/ Gintzel!Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 1 Rz. 196f.; §§ 3,21,28 und 30 VersG gelten auch für nichtöffentliche Versammlungen. 48 Breitbach, in: Ridder/Breitbach, u.a., Versammlungsrecht, § 16 Rz.51; Breitbach/Deiseroth/Rühl, in: Ridder/Breitbach, Versammlungsrecht, § 15 Rz. 291. 49 Vgl. Krebs, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Abschnitt 4, Rz.27ff.; Badura, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Abschnitt 3, Rz.34ff. 47

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bereichen zugeordneten Tatbestände aus dem Versammlungsgesetz und dem Strafgesetzbuch (StGB).50 Auch dabei wird man das Verfassungsrecht immer fest im Blick behalten müssen, da die strafrechtlichen Sanktionen tief in die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen des Art. 8 GG hineinschneiden und angesichts ihrer oft notwendigen verfassungskonformen Interpretation zum Teil reichlich unbestimmt wirken. Untersucht werden also die verfassungsrechtlichen Grundlagen, die verwaltungsrechtlichen Eingriffsbefugnisse und die strafrechtlichen Konsequenzen der formellen und materiellen Versammlungsrechtswidrigkeit.

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Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.11.1998 (BGBl. IS. 3322).

1. T e i l

Formelles und materielles Recht Die Unterscheidung zwischen formeller und materieller Illegalität im Bereich des Gefahrenabwehrrechts hat eine lange Tradition und geht auf die Rechtsprechung des PrOVG auf dem Gebiet des Baurechts zurück.1 Immer dann, wenn ohne eine erforderliche Genehmigung gehandelt wird, spricht man von formell illegalem oder rechtswidrigem Handeln. Materiell illegal oder rechtswidrig ist das Verhalten in vielen Fällen darüber hinaus nur, wenn es auch gegen die inhaltlichen Anforderungen der auf den jeweiligen Sachbereich anwendbaren Normen verstößt.2 Eine Begründung für die Verwendung gerade dieser Terminologie wird indes nicht geliefert. Sie beruht wohl darauf, daß in der Errichtung eines Bauwerks ohne die erforderliche Genehmigung nur ein Verstoß gegen die formelle Rechtsordnung - also das formelle Recht - gesehen wird, wenn die Genehmigung wegen Übereinstimmung der baulichen Anlage mit den baurechtlichen Vorschriften erteilt werden muß, ein Verstoß gegen die materielle Rechtsordnung - also das materielle Recht - somit nicht zu beklagen ist.3 Im Rahmen einer Arbeit, die sich ausschließlich mit den verfassungsrechtlichen Grundlagen und den rechtlichen Konsequenzen der formellen und/oder materiellen Illegalität in einem Bereich des besonderen Gefahrenabwehrrechts befaßt, wird man sich aber kaum mit diesem kurzen Befund zufriedengeben können. Es scheint vielmehr angebracht, bereits die verwendete Terminologie kritisch zu hinterftagen und auf ihre Vereinbarkeit mit der geltenden Systematisierung des Rechts hin zu überprüfen. Da sie in der Unterscheidung zwischen dem formellen und dem materiellen Recht ihren Ursprung findet, ist hier anzusetzen. Es müssen Kriterien aufgezeigt werden, die eine Scheidung des formellen vom materiellem Recht erlauben. Mit Hilfe der gefundenen Kriterien kann dann im Laufe der Arbeit untersucht werden, wann von formeller und materieller Illegalität der Versammlung gesprochen werden kann und welche Konsequenzen dies hat. Da sich diese Analyse aber hauptsächlich mit den inhaltlichen Konsequenzen der Differenzierung zwischen formeller und materieller Illegalität im Versammlungsrecht auseinandersetzt, kann der Legitimation der bereits klassisch gewordenen Terminologie kein breiter Raum eingeräumt werden. Auf eine umfassende rechtstheoretische und rechtshistorische Erörterung 1 2 3

PrOVGE 13,389 [393 f.]; 104, 223 [225f.]. BVerwGE 3,351 [353f.]; 48,271 [274f.]. Darauf beruht auch die Einteilung in formelles und materielles Bauordnungsrecht.

1. Teil: Formelles und materielles Recht

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der Differenzierung von formellem und materiellem Recht muß deswegen an dieser Stelle verzichtet werden.4

A. Abgrenzung von formellem und materiellem Recht Die allgemeine Definition von formellem und materiellem Recht und die Einordnung einer Norm in die eine oder andere Kategorie bereitet heute prinzipiell keine größeren Schwierigkeiten mehr. Trotzdem wird beklagt, daß eine befriedigende Definition des Begriffspaares bis heute nicht gelungen ist.5 So gibt es denn auch Zweifelsfälle, bei denen die allgemein üblichen Abgrenzungskriterien Probleme bereiten. Im Grunde genommen herrscht jedoch bis auf geringe terminologische Unterschiede Konsens. Unter formellem Recht versteht man allgemein das Recht, das die Form der Verwirklichung der Rechtsordnung regelt, während das materielle Recht als das Recht bezeichnet wird, das den Inhalt der Rechtsordnung darstellt. 6 Normen des materiellen Rechts sind also diejenigen, die das Recht als solches ordnen, die Rechtsbeziehungen zwischen Subjekten der jeweiligen Rechtsordnungen herstellen, gestalten oder regeln, wie ζ. B. das (materielle) Verwaltungs-, Straf- oder Zivilrecht, während Normen des formellen Rechts die prozeduralen Verfahrens- und Prozeßrechtsnormen sind, wie ζ. B. das (formelle) Verwaltungs Verfahrens-, Verwaltungsprozeß-, Strafprozeß- und Zivilprozeßrecht. 7 Diese heute weit verbreitete allgemeine Definition von formellem und materiellem Recht ist aufgrund einer jahrhundertelangen Entwicklung entstanden, die in weiten Bereichen auch die Evolution des Rechts überhaupt widerspiegelt. Diese hier nachzuzeichnen würde den Rahmen der Arbeit bei weitem sprengen.8 Ein kurzer Blick auf die Wegbereiter der heute überwiegend vertretenen Ansicht muß deswegen genügen. Die heute üblich gewordene Definition von formellem und materiellem Recht geht im wesentlichen auf Gustav Radbruch und Hans Kelsen zurück, die der Differenzierung ihre begrifflichen Konturen gaben.9 Nach Radbruch ist das formelle 4

Grundlegend und sehr ausführlich dazu: Kollmann, Begriffs- und Problemgeschichte des Verhältnisses von formellem und materiellem Recht, S.34ff. 5 Kollmann, Begriffs- und Problemgeschichte des Verhältnisses von formellem und materiellem Recht, S.27. 6 Avenarius, Kleines Rechtswörterbuch, S.312; Creifelds, Rechtswörterbuch, S.898; Köhler, Juristisches Wörterbuch, S. 314; Kausch, in: Grimm, Einführung in das Recht, S.23; Udke> Rechtstheorie im Umbruch, S.63; Kelsen, Reine Rechtslehre, S.236f.; Kollmann, Begriffsund Problemgeschichte des Verhältnisses von formellem und materiellem Recht, S.34ff.; vgl. auch PierotK AöR 114 (1989), 423 ff. 7 Baumann, Einführung in die Rechtswissenschaft, S.40; Udke, Rechtstheorie im Umbruch, S.63. 8 Die einschlägige Monographie von Kollmann behandelt das Thema auf mehr als 650 Seiten und kann doch nur als fragmentarisch bezeichnet werden. 9 Kollmann, Begriffs- und Problemgeschichte des Verhältnisses von formellem und materiellem Recht, S. 633ff., 643 ff.

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1. Teil: Formelles und materielles Recht

Recht das Recht, das dazu bestimmt ist, dem materiellen Recht zu dienen und zur Verwirklichung zu helfen. 10 Er war einer der ersten, die im Zweck des formellen Rechts ein wichtiges Unterscheidungskriterium erkannten.11 Seine Ausführungen beschränken sich allerdings nur auf das Verhältnis von materiellem Recht zum Prozeßrecht, welches er mit dem formellen Recht gleichsetzt. Daß dieser Blickwinkel zu eng ist, erkannte Kelsen. Für diesen besteht die Anwendung einer generellen Norm auf einen konkreten Fall in der Erzeugung einer individuellen Norm, d. h. in der Konkretisierung der generellen Norm. Diese Individualisierung obliege aber nur den durch die generellen Normen ermächtigten Organen, wie Gerichten und Verwaltungsbehörden unter Beachtung des vorgeschriebenen Verfahrens. Die von den Gerichts- und Verwaltungsorganen anzuwendenden Normen haben daher nach Kelsen eine doppelte Funktion: 1. Die Bestimmung der Organe und des von ihnen zu beobachtenden Verfahrens; 2. Die Bestimmung des Inhalts der in diesem Gerichtsoder Verwaltungsverfahren zu erzeugenden individuellen Normen. Diese Funktionen entsprechen nach Kelsen den Kategorien des formellen und materiellen Rechts: Formelles Recht seien die Normen, durch die die Organisation und das Verfahren der Gerichte und Verwaltungsbehörden geregelt werden. Unter materiellem Recht verstehe man die generellen Normen, die den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte bestimmen.12 Auf dieser Sichtweise gründen die heute üblichen und anerkannten Definitionen von formellem und materiellem Recht. Grundsätzliche Anstrengungen zur definitorischen Neubestimmung der Kategorien werden nicht unternommen. Zwar kritisiert Kollmann, daß die üblichen Definitionen von formellem und materiellem Recht nicht immer geeignet seien, eine eindeutige Zuordnung aller Normen zu gewährleisten.13 Sein Versuch einer „begrifflichen Neubestimmung" enthält aber allenfalls eine Konkretisierung der Definition Kelsens, die nur das wesentliche Unterscheidungskriterium von formellem und materiellem Recht hervorhebt. In Ablehnung an Kelsen definiert Kollmann das materielle Recht als diejenigen Normen, deren einziger Zweck es ist, den (möglichen) Inhalt der zu erzeugenden Norm zu bestimmen. Alle anderen Normen würden formelles Recht darstellen. 14 Von einer begrifflichen Neubestimmung zu reden, ist deshalb überzogen. Dies sollte jedoch nicht dazu führen, die Ausführungen Kollmanns unberücksichtigt zu lassen. Mit Hilfe der Definition Kollmanns läßt sich - wie dieser nachgewiesen hat15 - in der Tat in vielen Zweifelsfällen eine eindeutigere Zuord10 Radbruch, Grundzüge der Rechtsphilosophie, S. 91 f., 175 f.; Kollmann, Begriffs- und Problemgeschichte des Verhältnisses von formellem und materiellem Recht, S. 633 ff. 11 Kollmann, Begriffs- und Problemgeschichte des Verhältnisses von formellem und materiellem Recht, S. 641 f. 12 Vgl. zum Vorstehenden: Kelsen, Reine Rechtslehre, S.236f. 13 Kollmann, Begriffs- und Problemgeschichte des Verhältnisses von formellem und materiellem Recht, S. 27 Fn. 2. 14 Kollmann, Begriffs- und Problemgeschichte des Verhältnisses von formellem und materiellem Recht, S. 679 ff. 15 Kollmann, Begriffs- und Problemgeschichte des Verhältnisses von formellem und materiellem Recht, S. 682 ff.

1. Teil: Formelles und materielles Recht

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nung vornehmen, weshalb sie hier zwar nicht übernommen, jedoch berücksichtigt werden soll. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird deswegen unter dem formellen Recht das Recht verstanden, das die Form der Verwirklichung der Rechtsordnung regelt. Das materielle Recht ist das Recht, das ausschließlich den (möglichen) Inhalt des zu erzeugenden Rechtsaktes bestimmt.

B. Überprüfung der herrschenden Terminologie Ausgehend von dieser Begriffsbestimmung erscheint die klassisch gewordene Unterscheidung im Bauordnungsrecht zwischen formeller und materieller Illegalität nicht systemwidrig. Spricht man im Baurecht von materieller Illegalität, so meint man, daß die bauliche Anlage mit den inhaltlichen Anforderungen des öffentlichen Baurechts nicht in Einklang steht.16 Es wird gegen das Recht verstoßen, das den möglichen Inhalt eines zu erzeugenden Rechtsaktes - hier eines Verwaltungsaktes - bestimmt. Anhand des (materiellen) Baurechts entscheidet sich nämlich, ob eine Genehmigung erteilt, versagt oder eine Ordnungsverfügung ergehen darf. Dabei geht es letztendlich um die vom Baurecht zu schützenden Rechtsgüter.17 Mit materieller Illegalität meint man also generell, daß gegen den Schutzzweck des einschlägigen Rechts verstoßen wird. 18 Von formeller Illegalität im Baurecht spricht man, wenn eine bauliche Anlage ohne oder entgegen einer erforderlichen Baugenehmigung errichtet, geändert oder abgebrochen wird. Die Baugenehmigung hat Kontroll- und Überwachungsfunktion. 19 Mit ihrer Hilfe soll die Einhaltung der Vorschriften des öffentlichen Baurechts gesichert werden; sie dient dazu, dem öffentlichen Baurecht zur Verwirklichung zu helfen und stellt ein Mittel zu seiner Durchsetzung dar, so daß man ihr den formellen und verfahrensrechtlichen Gehalt nicht absprechen kann. Von formeller Illegalität kann man also generell sprechen, wenn dem Einzelnen sein Verhalten aus rein verfahrensrechtlichen Gründen-z.B. keine Genehmigung - nicht gestattet ist, ohne über die inhaltliche Qualität seines Verhaltens oder Vorhabens ein Urteil zu fällen. Freilich können die Rechtsfolgen der formellen und materiellen Illegalität nicht für das gesamte öffentliche Recht identisch sein, denn niemand würde auf die Idee kommen, gegen das Führen eines Kraftfahrzeuges ohne Fahrerlaubnis deswegen nicht einzuschreiten, weil der Führer im Besitz aller dazu erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten ist, nur noch nicht die Zeit gefunden hat, die Fahrerlaubnis zu er16

BVerwGE 3,351 [353f.]; 48,271 [274f.]; Grotefels, in: Hoppe/Grotefels, Öffentliches Baurecht, S.599ff.; Brohm, Öffentliches Baurecht, §4 Rz. 1; Mampel, BauR 1996, 13 [16]. 17 Vgl. Krebs, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Abschnitt 4, Rz. 190 ff. 18 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, §9 Rz.52; Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 16 Rz.49f.; ders., Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 189 f.; Wolff, ; VR 1996, 367 [369 f]. 19 Krebs, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Abschnitt 4, Rz. 204. 3 Werner

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1. Teil: Formelles und materielles Recht 20

werben. Der Schutz der Allgemeinheit verbietet es hier, an die formelle und materielle Illegalität des Verhaltens unterschiedliche Anforderungen zu stellen. Eine terminologische Unterscheidung von formeller und materieller Illegalität in einem Rechtsgebiet ist also nur dann sinnvoll, wenn an die unterschiedlichen Konstellationen auch unterschiedliche Rechtsfolgen geknüpft sind.21 Ob und wann das im Versammlungsrecht der Fall ist, sollen die folgenden Ausführungen zeigen.

20 21

Vgl. Serieller, in: Westermann/Menger, Festschrift für Werner Emst, S.419. Vgl. Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 188.

2. T e i l

Formelle und materielle Versammlungsrechtswidrigkeit bei §§14 und 15 VersG Die wohl wichtigsten Regeln für öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel stellen §§ 14 und 15 VersG dar. Sie bilden infolgedessen auch den Schwerpunkt der Untersuchung. § 14 VersG enthält einen sogenannten Anzeigevorbehalt.1 Derjenige, der die Absicht hat, eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel oder einen Aufzug zu veranstalten, hat dies spätestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe der zuständigen Behörde unter Angabe des Gegenstandes der Versammlung oder Aufzuges anzumelden. Eine nicht angemeldete Versammlung oder einen nicht angemeldeten Aufzug kann die zuständige Behörde gem. § 15 Abs. 2,1. Var. VersG auflösen. Dieselbe Befugnis steht der Behörde gem. § 15 Abs. 2,2. Var. VersG zu, wenn bei der Durchführung der Versammlung von den Angaben der Anmeldung abgewichen wird. Die Befugnis zur Auflösung einer Versammlung wegen Nichtanmeldung oder von der Anmeldung abweichender Durchführung steht jedoch im Ermessen der Behörde.2 Der fehlenden Anmeldung oder der abweichenden Durchführung der Versammlung muß also - anders als bei einer von vornherein verbotenen Versammlung3 - nicht zwingend die Auflösung derselben nachfolgen. Der Mangel der fehlenden oder falschen, wie auch der unvollständigen Anmeldung kann die Auflösung der Versammlung zur Folge haben - muß es aber nicht. Angesichts der enormen Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit gem. Art. 8 GG ist sogar äußerst fraglich, ob der Wortlaut der Vorschriften - fehlende oder falsche Anmeldung führt zur Auflösungsbefugnis - nicht eher die Ausnahme anstatt die Regel darstellt. Den Schlüssel zur Lösung dieses Problems liefert - wie bereits angedeutet - die Verfassung in Form der grundrechtlich garantierten Versammlungsfreiheit. Nach Art. 8 Abs. 1 GG haben nämlich alle Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Nimmt man diese Aussa1 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, §9 Rz.54; Schick, BayVBl. 1967, 341 f.; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, Art. 8 Rz. 27; vgl. auch Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 14 Rz. 1. 2 Breitbach/DeiserothJRühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §15 Rz.274; DietellGintzellKniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz.74. 3 Vgl. §15 Abs. 3 VersG.

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2. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

ge beim Wort, so stellt sich schon überhaupt die Frage, ob die Statuierung einer Anmeldepflicht im Versammlungsgesetz verfassungsrechtlich zulässig ist, denn der Verfassungstext betont scheinbar jegliche Anmeldefreiheit von Versammlungen, macht die Anmeldefreiheit augenscheinlich zum Kern des Freiheitsrechts. Ob eine dieser Aussage entgegenstehende generelle Verpflichtung verfassungsrechtlich zulässig ist, bedarf deswegen eingehender Untersuchung, mit Hilfe derer sich dann auch die oben angesprochenen Fragen beantworten lassen dürften.

1. Kapitel

Die Anmeldepflicht des § 14 VersG § 14 VersG begründet für den Veranstalter einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzuges die Pflicht, dies spätestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe der zuständigen Stelle unter Angabe des Gegenstandes der Versammlung oder des Aufzuges anzumelden.

A. Überblick über die Regelung Die Anmeldepflicht gilt nur für Versammlungen unter freiem Himmel. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und der Überschrift zum III. Abschnitt des Versammlungsgesetzes. Anmeldepflichtig ist der Veranstalter der Versammlung. Veranstalter einer Versammlung ist in der Regel derjenige, der im eigenen Namen die Einladung zu der Versammlung ausspricht bzw. öffentlich zur Teilnahme auffordert. 4 Die Anmeldung muß 48 Stunden vor der Bekanntgabe bei der zuständigen Behörde vorgenommen werden, d. h. vor Ergehen der Einladung oder der öffentlichen Bekanntmachung.5 Die Frist des § 14 Abs. 1 VersG bezieht sich ausdrücklich nicht auf den Versammlungsbeginn, sondern auf die Bekanntgabe. Da das Versammlungsgesetz von den Bundesländern nach Art. 83,84 GG als eigene Angelegenheit ausgeführt wird, ergibt sich die für die Entgegennahme der Anmeldung zuständige Behörde aus den jeweiligen Bestimmungen der einzelnen Bundesländer.6 4

BayObLG, MDR 1979, 79 [80]; OLG Düsseldorf, NJW 1978, 118; Meyer/Köhler, Demonstrations- und Versammlungsrecht, § 1 Anm. 6; enger: Bertuleit/Steinmeier, in: Ridder/ Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 1 Rz.51. 5 Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 14 Rz. 12; Ott! Wächtler, Versammlungsgesetz, § 14 Rz.4; Dietel, Die Polizei 1976, 18 [21]. 6 Gem. § 11 Polizeiorganisationsgesetz Nordrhein-Westfalen (POG NW) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22.10.1994 (GV NW 1994, S. 852) und § 1 der Verordnung über die Zuständigkeiten nach dem Versammlungsgesetz (in der Fassung der Bekanntmachung vom 02.02.1987 [GV NW 1987, S.62]) sind in Nordrhein-Westfalen die Kreispolizeibehörden für die Anmeldung von Versammlungen unter freiem Himmel zuständig. Für die anderen Bundes-

1. Kapitel: Die Anmeldepflicht des § 14 VersG

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I. Sinn und Zweck der Regelung Mit der Bestimmung des § 14 VersG trägt das Versammlungsgesetz spezifischen Gefahren Rechnung, die prinzipiell jeder öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel innewohnen. Die Behörden sollen rechtzeitig informiert werden, um einerseits die Versammlung zu schützen und so dem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG zur bestmöglichen Entfaltung zu verhelfen und andererseits durch die Anmeldung in den Stand gesetzt werden, Gefahren für Grundrechte Dritter, die insbesondere durch intensive Straßenbenutzung und Beeinträchtigung des Verkehrs auftreten, aber auch durch einen aggressiven Verlauf der Veranstaltung hervorgerufen werden können, zu minimieren. 7 § 14 VersG liegt also eine doppelte Schutzrichtung zugrunde: Einmal soll den Gefahren, die die Veranstaltung der Versammlung für die Allgemeinheit mit sich bringt, wirksam begegnet werden; gleichzeitig dient die Information der Polizei aber auch der Veranstaltung selbst, da diese meist erst durch Sicherungsmaßnahmen der Polizei ermöglicht wird. Eine Demonstration im innerstädtischen Ballungsraum ohne Absperrung der Straßen wäre ζ. B. gar nicht möglich. Auch können durch die Anmeldung Maßnahmen getroffen werden, um die Demonstration vor externen Gewalttätern zu schützen.8 Weiterhin ermöglicht die Anmeldung eine Kooperation zwischen Veranstalter und der Versammlungsbehörde, denn sie ist regelmäßig die Grundlage des gegenseitigen Kennenlernens.9 Durch eine auf die Anmeldung gegründete Kooperation können nachteilige Auflagen verhindert bzw. der vorzeitigen Auflösung einer Versammlung vorgebeugt werden. 10 Die Frist von 48 Stunden vor der Bekanntgabe resultiert daraus, daß es neben der Anmeldung nach § 14 Abs. 1 VersG in der Regel keiner weiteren Anzeigen, Anmeldungen oder Erlaubnisse nach Straßen-, Straßenverkehrs-, Wasser- oder Immissionsschutzrecht bedarf. Die gesamten Belange der Gefahrenabwehr werden nämlich von der Versammlungsbehörde wahrgenommen.11 Die verfahrensmäßige Konzentration aller öffentlichen Belange auf das Regelungsinstrumentarium der §§ 14 und 15 VersG macht es jedoch erforderlich, daß die zuständige Versammlungsbehörde ausreichend Zeit hat, um sich mit Fachbehörden länder vgl. DietellGintzellKniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, Anhang 8 und Brenneisen, DÖV 2000, 275 [276f.]. 7 DietellGintzellKniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 14 Rn.6; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S. 196f., Hollerbaum, Demonstrationsfreiheit, S.83. 8 Hoch, JZ 1969,18 [20]; Hoffmann, SKV 1969, 230 [233]. 9 DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 14 Rn.7; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S. 197. 10 BVerfGE 69,315 [357ff.]; Rühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §14 Rz. 19. 11 BVerwGE, DVB1. 1989, 995 [996]; Rühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 14 Rz. 19; Deutelmoser, NVwZ 1999, 240 [243].

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2. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

über ggf. erforderliche Auflagen ins Benehmen setzen zu können. Die Frist von 48 Stunden erscheint insoweit angemessen.12 II. Inhaltliche Anforderungen Welche inhaltlichen Anforderungen an die Anmeldung gestellt werden, ergibt sich teilweise aus dem Wortlaut von § 14 VersG oder muß anhand des Normzwecks ermittelt werden. § 14 Abs. 1 VersG verlangt zunächst die Angabe des Gegenstandes der Versammlung. Mit Gegenstand der Versammlung ist das Thema bzw. das Anliegen der Versammlung gemeint.13 Die zuständige Behörde soll sich ein möglichst zutreffendes Bild vom voraussichtlichen Verlauf der Versammlung machen können, denn sie muß evtl. den Verkehr umleiten, den Zugweg organisieren und den Versammlungsort absichern. Dazu benötigt sie die Kenntnis, ob bei der Versammlung wegen der besonderen Aktualität oder Attraktivität des Themas mit einer besonders hohen Teilnehmerzahl zu rechnen ist oder wegen eines besonders provozierenden oder in der Öffentlichkeit stark kontrovers diskutierten Themas gar Gegendemonstrationen zu befürchten sind.14 Selbstverständlich bedarf die Behörde, um die oben angesprochenen Vorkehrungen zu treffen, auch Angaben über Ort und Zeitpunkt der Durchführung der Versammlung und gegebenenfalls Angaben über die Marschroute bei einem Aufzug. Weiterhin muß in der Anmeldung der Name des Veranstalters nebst Zustellungsanschrift genannt werden. Er ist Adressat von Verboten oder Auflagen i. S. v. § 15 Abs. 1 VersG. § 14 Abs. 2 VersG sieht außerdem die Angabe des Namens des Leiters einer Versammlung vor. 15 Da die Anmeldung nicht an eine besondere Form gebunden ist, kann sie schriftlich oder mündlich zu Protokoll erklärt werden. Auch eine telefonische Anmeldung oder eine Anmeldung per Fax bzw. E-Mail ist möglich.

12 Von der Konzentrationswirkung werden diejenigen Erlaubnisverfahren nicht erfaßt, durch die speziell der Zugang zu bestimmten, der Allgemeinheit nicht zugänglichen, Versammlungsflächen reglementiert wird (vgl. Breitbach/Deiseroth/Riihl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz.60; Deger, VB1BW 1995, 303 [307f.]). 13 Meyer/Köhler, Demonstrations- und Versammlungsrecht, § 14 Anm.5; Rühl, in: Ridder/ Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 14 Rz. 15. 14 DietellGintzellKniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 14 Rz. 14; Ott! Wächtler, Versammlungsgesetz, § 14 Rz. 5,19. Nicht in der Anmeldung angegeben werden muß das Programm, die Rednerliste, die Themen einzelner Referate oder gar die Vorlage des Textes von Transparenten einer Versammlung. Eine solche extensive Auslegung von § 14 VersG verstieße gegen das Zensurverbot des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG (Breitbach/Rühl, NJW1988, 8 [13]; Ottmächtier, Versammlungsgesetz, § 14 Rz.20). 15 Ob neben dem Namen des Leiters auch die Angabe seines Wohnsitzes erforderlich ist, ist stark umstritten. Vgl. im einzelnen: Dietel/GintzeHKniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 14 Rz. 14; Meyer/Köhler, Demonstrations- und Versammlungsrecht, § 14 Anm.5; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 14 Rz. 19; Rühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 14 Rz. 14.

1. Kapitel: Die Anmeldepflicht des § 14 VersG

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I I I . Der formelle Charakter von § 14 VersG Nach den vorstehenden Ausführungen ist der formelle Charakter von § 14 VersG in der hier verwendeten Terminologie offensichtlich. Die Vorschrift regelt nicht unmittelbar den Inhalt einer zu treffenden Entscheidung, sondern dient dazu, diese vorzubereiten. Mit Hilfe der aufgrund von § 14 VersG erhaltenen oder nicht erhaltenen Informationen entscheidet die Versammlungsbehörde, welche Maßnahmen zu treffen sind. Der Inhalt dieser Entscheidung wird unmittelbar durch § 15 VersG bestimmt, weshalb § 14 VersG, der nur mittelbar auf den Inhalt der Entscheidung einwirkt, als formellrechtliche Regelung zu qualifizieren ist.

B. Verfassungsmäßigkeit der Anmeldepflicht Die prinzipielle verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Anmeldepflicht des § 14 VersG scheint auf den ersten Blick in Rechtsprechung und Literatur unstreitig zu sein. Lediglich der Umfang und die Tragweite der Anmeldepflicht waren in den letzten Jahren Gegenstand verschiedenster verfassungsrechtlicher Kontroversen. 16 So war fraglich, ob die Anmeldepflicht des § 14 VersG uneingeschränkt auf sogenannte Spontanversammlungen Anwendung findet. 17 Zu entscheiden durch das BVerfG war auch, ob und ggf. mit welchen Konsequenzen die Anmeldepflicht und die Anmeldefrist für sogenannte Eilversammlungen gilt. Gestritten wurde weiterhin darüber, ob die Anmeldepflicht per se oder modifiziert für Großdemonstrationen gilt. 18 Gleichzeitig wurde erneut die Frage aufgeworfen, ob Versammlungen angemeldet werden müssen, wenn die Behörde durch Bekanntmachungen, Presseberichte oder auf sonstige Weise schon über die geplante Versammlung unterrichtet ist. 19 In Teilen des aktuellen Schrifttums wird die Vorschrift indes neuerdings insgesamt für mit Art. 8 GG unvereinbar gehalten, wobei schon an früher geäußerte Bedenken angeknüpft wird. 20 Deswegen wird hier zunächst untersucht, ob § 14 VersG im Hinblick auf den vom Versammlungsgesetz vorausgesetzten Typ der „geordneten" Versammlung verfassungsgemäß ist. Danach wird die Norm im Hinblick auf die oben angesprochenen „ungeordneten" Versammlungstypen auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 8 GG zu überprüfen sein. In einem letzten Schritt wird dann die Frage gestellt, in welchen weiteren Fällen ein Absehen von der Anmeldepflicht geboten 16 Vgl. BVerfGE69,315ff.; 85,69ff.; BVerwG, NJW 1969,1191 f.; BGH, NJW 1969,1770 [1773f.]; Überblick bei Kniesel, NJW 1996,2606ff. 17 Vgl. BVerfGE 69,315 [350f.]; 85,69 [75f.]; Herzog, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Art. 8 Rz. 81 ff.; Benda, in: Dolzer/Vogel, Bonner Kommentar, Art. 8 Rz. 75ff.; Gusy, in: JA 1993, 321 [325f.]. 18 BVerfGE 69,315 [354f.]; Geulen, KJ 1983, 189 [193]. 19 BVerfGE 69,315 [358]; BGH, NJW 1969,1770 [1773]; LG Köln, JZ 1969, 80 [84]; Ott! Wächtler, Versammlungsgesetz, § 14 Rz.7. 20 Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 58; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 16; Frowein, NJW 1969,1081 [1085]; Geulen, KJ 1983, 189 [193f.].

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2. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

ist. Nur so kann herausgearbeitet werden, wann genau man von formeller Illegalität der Versammlung sprechen kann. I. Verfassungsmäßigkeit im Hinblick auf die „geordnete" Versammlung Aus den oben gemachten Ausführungen wird deutlich, daß die Verfassungsmäßigkeit der Anmeldepflicht nicht pauschal bejaht oder verneint werden kann. Für die bereits aufgezählten Versammlungstypen hat die Anmeldepflicht unterschiedliche Tragweite und Konsequenzen. Am einfachsten und mit den geringsten Einschränkungen für das Grundrecht verbunden ist die Erfüllung der Anmeldepflicht für den ,,Normaltyp" einer Versammlung, wie er dem Gesetzgeber bei der Verabschiedung des Versammlungsgesetzes 1953 vorschwebte. Dieser hatte eine Versammlung im Auge, die von einem bestimmten Veranstalter über einen gewissen Zeitraum hin geplant und organisiert wird, über einen Leiter verfügt und mittels Ordnungskräften im straff organisierten Rahmen gehalten wird. 21 Dies ergibt sich aus der historischen Interpretation des Versammlungsbegriffs und aus einer Gesamtschau der versammlungsrechtlichen Vorschriften. 22 Da die Versammlung von einem Veranstalter vorbereitet und geplant wird, kann sie von diesem regelmäßig ohne große Schwierigkeiten 48 Stunden vor Bekanngabe angemeldet werden. Ware § 14 Abs. 1 VersG schon bezogen auf diesen Phänotyp der Versammlung mit Art. 8 GG unvereinbar, würde sich die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit hinsichtlich der anderen Versammlungstypen erübrigen. 1. Eingriff

in den Schutzbereich des Art. 8 GG

Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet allen Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Geschützt sind öffentliche Versammlungen und private nichtöffentliche Versammlungen.23 Art. 8 Abs. 1 GG unterscheidet nicht zwischen Versammlungen unter freiem Himmel und solchen in geschlossenen Räumen, sondern gewährt umfassend Versammlungsfreiheit im Rahmen seiner verfassungsunmittelbaren Schranken.24 § 14 Abs. 1 VersG relativiert die Anmeldefreiheit jedoch insoweit, als daß er für Versammlungen unter frei21 BVerfGE 69,315 [357]; Βertuleit/Steinmeier, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 1 Rz 46f.; Geis, NVwZ 1992,1025 [1028]. 22 Geulen, KJ 1983,189 [191]; so geht aus §§ 1 Abs. 1,2 Abs. 2,5,14 Abs. 1,26 VersG hervor, daß eine Versammlung regelmäßig einen Veranstalter hat. § § 7 - 1 1 und 18 Abs. 1 VersG setzten auch selbstverständlich das Existieren eines Versammlungsleiters voraus. Dieser kann sich gem. §§9 Abs. 1,18 Abs. 1 VersG der Hilfe von Ordnern bedienen. 23 Herzog, in: Maunz/Dürig u. a., Grundgesetz, Art. 8 Rz. 54; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, Art. 8 Rz. 16. 24 Herzog, in: Maunz/Dürig u. a., Grundgesetz, Art. 8 Rz. 122; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 18.

1. Kapitel: Die Anmeldepflicht des § 14 VersG

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em Himmel scheinbar ohne Ausnahme den Zwang zur Anmeldung vorschreibt. Der nicht angemeldeten Versammlung droht gem. § 15 Abs. 2,1. Var. VersG die Auflösung, dem Veranstalter und Leiter einer solchen Versammlung die Bestrafung nach § 26 Nr. 2 VersG. Ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG ist somit nicht zu leugnen.25

2. Rechtfertigung

des Grundrechtseingriffs

Der durch § 14 VersG verursachte Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG müßte von den Schranken des Grundrechts gedeckt sein. In Betracht kommt hier primär der Gesetzesvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG. Aber auch die Anwendung von verfassungsimmanenten Schranken in Form von Grundrechten Dritter und anderen hochrangigen Verfassungsgütern wird diskutiert. 26 Bezüglich der Vorbehaltsschranken ist zu beachten, daß diese keine Blankovollmacht für eine beliebige Relativierung des Schutzbereichs sind, sondern sich an allgemeinen verfassungsrechtlichen Maßstäben messen lassen müssen. Als absolute Grenze gilt die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG, die es verbietet, ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt anzutasten.27 Das Grundrecht muß als solches, die Grundrechtsnorm im wesentlichen erhalten bleiben.28 Darüber hinaus hat der Gesetzgeber bei einschränkenden Regelungen die verfassungsrechtliche Grundentscheidung des Art. 8 GG zu beachten. Er darf die Versammlungsfreiheit nicht hinter jedem noch so untergeordneten anderen Rechtsgut zurücktreten lassen, sondern hat bei Eingriffen eine Güterabwägung vorzunehmen und muß bei ihrer Gewichtung dem Bedeutungsgehalt Rechnung tragen, den sie für die Stellung des Bürgers im demokratischen Staat sowie für die öffentliche Meinungsbildung besitzt.29 Zu beachten ist dabei, daß das Recht des Bürgers, durch Ausübung der Versammlungsfreiheit aktiv am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozeß teilzunehmen, zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens gehört. 30 Die Versammlungsfreiheit gestattet Unzufriedenen, Unmut und Kritik öffentlich vorzubringen, und fungiert als ein „politisches Frühwarnsystem", das Störpotentiale anzeigt, Inte25 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 9; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz.771. 26 Vgl. dazu BVerfGE 39,334 [367]; Benda, in: Dolzer/Vogel, Bonner Kommentar, Art. 8 Rz.65. 27 Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 143 Rz.49; Benda, in: Dolzer/Vogel, Bonner Kommentar, Art. 8 Rz. 67. 28 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 19 Rz.7; Krebs, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, Art. 19 Rz.22ff. 29 Sog. Wechselwirkungslehre des BVerfG; vgl. BVerfGE 7,198 [207]; 69,315 [348]; Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art.8 Rz.54; Herzog, in: Maunz/Dürigu.a., Grundgesetz, Art.8 Rz.94; vgl. auch: Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 17 ff. 30 BVerfGE 69,315 [347]; Bleckmann, Die Grundrechte, § 29 Rz. 4; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz. 753; Brenneisen, Kriminalistik 1999,483 ff.

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2. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

grationsdefizite sichtbar und damit auch Kurskorrekturen der offiziellen Politik möglich macht.31 Eine Grundrechtsbeschränkung nach Art. 8 Abs. 2 GG ist deswegen nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässig.32

a) § 14 VersG als verfassungswidrige Konkretisierung des Schrankenvorbehalts in Art. 8 Abs. 2 GG Teilweise wird vertreten, § 14 VersG sei eine unverhältnismäßige Konkretisierung des Schrankenvorbehalts, bzw. greife sogar entgegen Art. 19 Abs. 2 GG in den Wesensgehalt des Grundrechts ein und sei deswegen generell verfassungswidrig. 33 Die Anmeldefreiheit in Art. 8 Abs. 1 GG sei ausweislich des Verfassungstextes zentrales Gewährleistungselement der Versammlungsfreiheit. 34 Dieses könne nicht aufgrund des Schrankenvorbehalts in Art. 8 Abs. 2 GG rückgängig gemacht werden. Art. 8 Abs. 2 GG rechtfertige zwar „Beschränkungen" für Versammlungen unter freiem Himmel, also partielle Grundrechtseinschränkungen, jedoch nicht die generelle „Aufhebung" eines ganzen Tatbestandsmerkmals.35 Dafür spreche auch ein Textvergleich mit der Vorläuferbestimmung des Art. 8 Abs. 2 GG in der Weimarer Reichs Verfassung, dem Art. 123 Abs. 2 WRV. Diese Vorschrift ließ es ausdrücklich zu, daß Versammlungen unter freiem Himmel „anmeldepflichtig" gemacht werden konnten. Da diese Möglichkeit in Art. 8 Abs. 2 GG nun ausdrücklich nicht mehr vorgesehen sei, könne dies nur bedeuten, daß der Verfassungsgesetzgeber die prinzipielle Anmeldefreiheit von Versammlungen unter freiem Himmel im Auge hatte. 36 Die Anmeldefreiheit stelle deswegen von Verfassungs wegen den Regelfall dar. Anmelde- oder Erlaubnispflichten kämen nur in Ausnahmefällen in Betracht, etwa in unruhigen Zeiten oder zum Schutz sensibler Bereiche. Dafür spreche auch, daß der Gesetzgeber bei der Formulierung des Art. 8 Abs. 2 GG vor allem an die Rechtfertigung von Bannmeilen und befriedeten Bezirken gedacht habe.37 Die Umkehrung dieses Regel-Ausnahmeverhältnisses durch die Einführung einer generellen Anmeldepflicht für Versammlungen unter freiem Himmel sei unzulässig, weil BVerfGE 69,315 [347]; Blanke!Sterzel, Vorgänge 1983, 67 [69]. BVerfGE 87,399 [407]; 69,315 [348f.]; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 15; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 124f. 33 Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 58; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 16; Geulen, KJ 1983, 189 [194]; mit Einschränkungen: Frowein, NJW 1969, 1081 [1085]. 34 Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 58; Geis, NVwZ 1992, 1025 [1027], ähnlich: Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, Art. 8 Rz. 27. 35 Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 58; Geis, NVwZ 1992, 1025 [1027]. 36 Geis, NVwZ 1992,1025 [1027]; Frowein, NJW 1969,1081 [1085]; Geulen, KJ 1983,189 [194]. 37 Frowein, NJW 1969, 1081 [1085]. 32

1. Kapitel: Die Anmeldepflicht des § 14 VersG

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sie zu der Gewährung eines andersartigen - vom Verfassungsgesetzgeber nicht gewollten - Versammlungsrechts führe. 38 b) § 14 VersG als verfassungsgemäße Konkretisierung des Schrankenvorbehalts in Art. 8 Abs. 2 GG Überwiegend wird die Anmeldepflicht jedoch als rechtmäßige Konkretisierung des Schrankenvorbehalts in Art. 8 Abs. 2 GG angesehen.39 Ihre Verhältnismäßigkeit ergäbe sich daraus, daß sie den legitimen Zweck des Interessenausgleichs verfolge. Für die Ausübung der Versammlungsfreiheit unter freiem Himmel bestünde wegen der Berührung mit der Außenwelt ein besonderer organisations- und verfahrensrechtlicher Regelungsbedarf, um einerseits die realen Voraussetzungen für die Ausübung des Versammlungsrechts zu schaffen und andererseits kollidierende Interessen anderer hinreichend zu wahren. Diesem werde § 14 VersG gerecht, da er einerseits ermögliche, in einem frühzeitigem Stadium Schutzvorkehrungen für Rechte Dritter, andererseits aber auch Maßnahmen zum Schutze der Versammlung zu treffen. 40 Zu beachten sei jedoch, daß die Bedeutung der Versammlungsfreiheit es verbiete, eine unterlassene Anmeldung schematisch als Anlaß zur Auflösung einer Versammlung zu nehmen.41 Diese sei nur zulässig, wenn sie zum Schutz anderer gleichgewichtiger Rechtsgüter notwendig sei.42 Wenn aber eine unterlassene Anmeldung nicht schematisch zur Auflösung einer Versammlung führe, die Anmeldepflicht aber andererseits dem Schutz wichtiger Interessen Dritter diene, so sei nicht erkennbar, warum diese Pflicht unverhältnismäßig sein könnte.43 c) § 14 VersG als Konkretisierung verfassungsimmanenter Schranken Eine dritte Auffassung teilt die von der ersten Ansicht geäußerten Bedenken, zieht jedoch nicht die Konsequenz, § 14 VersG als verfassungswidrig zu beurteilen. 44 Die in § 14 Abs. 1 VersG statuierte Anmeldepflicht widerspreche zwar der in Art. 8 Abs. 1 GG garantierten Anmeldefreiheit, woran auch Art. 8 Abs. 2 GG nichts ändere, da es widersprüchlich sei, eine in Abs. 1 enthaltene Gewährleistung generell 38

Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 58; Frowein, NJW 1969, 1981 [1085]. BVerfGE 69,315 [349f.]; 85,69 [74]; BVerwG, NJW 1969, 1191 f.; BGH, NJW 1969, 1170 [1773f.]; Herzog, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Art.8 Rz.92,106f.; HoffmannRiem, in: Wassermann, Altemativkommentar GG, Art. 8 Rz.49; Bleckmann, Die Grundrechte, § 29 Rz. 45, Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz. 776. 40 BVerfGE 69,315 [348]; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S. 196f. 41 BVerfGE 69,315 [351]; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.453. 42 BVerfGE69,315 [351];Kniesel, in: Lisken/Denninger,Polizeirecht, AbschnittH,Rz.453. 43 BVerfGE 69,315 [351]; Rühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 14 Rz.5; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 14 Rz. 8. 44 Benda, in: Dolzer/Vogel, Bonner Kommentar, Art. 8 Rz.76f.; Dietel/GintzeHKniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 14 Rz.8; Geis, NVwZ 1992, 1025 [1028]. 39

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2. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

in Abs. 2 wieder zurückzunehmen.45 Die Anmeldepflicht könne jedoch aus verfassungsimmanenten Schranken - also Grundrechten Dritter und anderen Verfassungsgütern - abgeleitet werden. 46 Dies ergäbe sich aus dem Sinn und Zweck der Pflicht. Bei dieser gehe es um den möglichen Ausgleich zwischen dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit und den durch dessen Ausübung betroffenen Grundrechten Dritter. Es entpreche somit dem Prinzip praktischer Konkordanz, 47 mit der Anmeldepflicht ein Verfahrenselement zu schaffen, das die Anmeldebehörde in den Stand setzt, einen angemessenen Interessenausgleich vorzunehmen.48 Eine solche verfassungsrechtliche Rechtfertigung mache es jedoch ebenfalls notwendig, § 14 VersG so auszulegen, daß seine Verletzung nicht schon schematisch zum Verbot oder zur Auflösung einer Versammlung berechtigt, sondern nur, wenn weitere Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung hinzukommen und auch nur dann, wenn dies zum Schutz hochrangiger Verfassungsgüter erforderlich ist. 49

d) Kritik und Stellungnahme Gegen die erste Auffassung spricht, daß es problematisch ist, bereits aufgrund der Wortlautauslegung auf die Verfassungswidrigkeit von § 14 VersG zu schließen. Für die Frage, ob ein Grundrecht unverhältnismäßig beschränkt oder in seinem Wesensgehalt angetastet wird, kommt es nicht nur auf den - restriktiv oder extensiv, gegebenenfalls verfassungskonform auslegbaren - Wortlaut einer Vorschrift an, sondern vor allem auf die Auswirkungen der Norm auf die Substanz der grundrechtlichen Freiheit. 50 Diese liegen in der für den Veranstalter allenfalls unbequemen Verpflichtung zur Anmeldung. Indem in der Anmeldung die Angabe des Gegenstandes der Versammlung und die Angabe des verantwortlichen Leiters gefordert wird, wird auch nicht in größerem Maße von der Abhaltung einer Versammlung abgeschreckt, denn ihr Gegenstand offenbart sich spätestens mit ihrer Durchführung, und die Verantwortlichkeit eines Leiters ist unabhängig davon, ob er in der Anmeldung angegeben wird oder nicht. 51 Eine bloße Unbequemlichkeit läßt sich jedoch - jedenfalls für den Regelfall - nicht zum unverhältnismäßigen Grundrechtseingriff hochstilisieren. 45 Benda, in: Dolzer/Vogel, Bonner Kommentar, Art. 8 Rz. 76 f.; DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 14 Rz. 8. 46 Benda, in: Dolzer/Vogel, Bonner Kommentar, Art. 8 Rz.78; DietellGintzell Knie sei, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 14 Rz. 8; Geis, NVwZ 1992, 1025 [1028]. 47 Vgl. dazu Hesse, Verfassungsrecht, Rz.317ff. 48 Benda, in: Dolzer/Vogel, Bonner Kommentar, Art. 8 Rz. 78; DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 14 Rz.8; Geis, NVwZ 1992,1025 [1028]; Deutelmoser, NVwZ 1999, 240 [243]. 49 Benda, in: Dolzer/Vogel, Bonner Kommentar, Art. 8 Rz. 77; DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 14 Rz.8; Geis, NVwZ 1992, 1025 [1028]. 50 Borchert, Die Spontanversammlung, S.70; Werbke, NJW 1970, 1 [2]. 51 BayObLG, NJW 1970, 479; OLG Düsseldorf, NJW 1978, 118; Breitbach, in: Ridder/ Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §7 Rz.22; Ossenbühl, Der Staat 1971 (10), 53 [62].

1. Kapitel: Die Anmeldepflicht des § 14 VersG

45

Im übrigen steht sowohl die Wortlaut- als auch die historische Interpretation der ersten Auffassung auf tönernden Füßen. Zwar ist ihr zuzugeben, daß „beschränken" i. S. v. Art. 8 Abs. 2 GG nicht „aufheben" bedeuten kann. Die nach dem Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 GG statuierte Anmeldefreiheit wird jedoch gerade nicht vollständig aufgehoben, sondern nur bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel. Für einen nicht unbedeutenden Teil von Versammlungen - nämlich die in geschlossenen Räumen und alle nichtöffentlichen Versammlungen - gilt die Anmeldefreiheit weiter, so daß von der Aufhebung eines ganzen Tatbestandsmerkmals nicht die Rede sein kann.52 Es liegt also höchstens eine partielle Aufhebung vor, was aber einer Einschränkung entspricht. Auch die historische Interpretation der ersten Auffassung geht fehl. Mit der Formulierung des Gesetzes Vorbehalts in Art. 8 Abs. 2 GG wollte der Verfassungsgesetzgeber vor allem sogenannte Bannmeilengesetze ermöglichen. 53 Diese gestatten es, Versammlungen im Bereich von sogenannten Bannmeilen oder befriedeten Bezirken - dies sind räumliche Begrenzungen um sensible Bereiche, vornehmlich um Landes- und Bundesparlamente sowie das Bundesverfassungsgericht - von einer Erlaubnis abhängig zu machen. Der Schrankenvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG soll also im Extremfall die Einführung einer partiellen Erlaubnispflicht von Versammlungen rechtfertigen, beinhaltet somit auch die Zulässigkeit einer partiellen Anmeldepflicht als das mildere Mittel. 54 Für die zweite und dritte Auffassung spricht, daß sie dem Faktum Rechnung tragen, daß für Versammlungen unter freiem Himmel wegen ihrer oftmals nicht unproblematischen Berührung mit der Außenwelt Kollisionsregeln bestehen müssen. Mit der Anmeldepflicht läßt sich ein Interessenausgleich zwischen den Rechten Dritter und der Allgemeinheit als auch der Versammlung gewährleisten. Schon im Vorfeld der Versammlung können Maßnahmen getroffen werden, um Rechte Dritter zu schützen und um dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit zu seiner optimalen Wirksamkeit zu verhelfen. Dadurch wird dem Postulat der Grundrechtseffektuierung durch Verfahrensgestaltung Rechnung getragen.55 Damit ist die Ansicht von der Verfassungswidrigkeit des § 14 VersG abzulehnen. Auch die dritte Ansicht ist nicht unproblematisch. So bestehen Bedenken dagegen, eine Vorschrift verfassungsrechtlich über verfassungsimmanente Schranken zu rechtfertigen, wenn für sie ausdrücklich ein Gesetzesvorbehalt im Grundgesetz vorgesehen ist. 56 Ist dies nämlich der Fall, so gilt das als Beleg dafür, daß der Verfas52

So aber Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 57. v. Mangoldt/Klein, Bonner Grundgesetz, Art. 8 S. 315; so auch Frowein, NJW 1969,1081 [1085]. 54 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Art.8 Rz.92. 55 Vgl. BVerfGE 53,30 [65 f.]; 65,1 [44,49]; 69,315 [355]; Ott/Wächtler, Versammlungsrecht, § 14 Rz. 8. 56 Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 118; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz. 360; einschränkend: Lerche, in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 122 Rz. 14,23; a. A. BVerwGE 87,37 [45f.]; ablehnend aber: Schoch, DVB1. 1991, 667 [671 f.]. 53

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2. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

sungsgesetzgeber die Kollisionsgefahr gesehen und deshalb Eingriffsmöglichkeiten zum Ausgleich geschaffen hat.57 Eine Rechtfertigung von Eingriffen über diese ausdrückliche Schranke hinaus ist dann aber unzulässig, denn sie läuft dem ausdrücklichen Willen des Verfassungsgesetzgebers zuwider. Da die Wortlautauslegung von Art. 8 Abs. 2 GG nicht zwingend gegen eine Anmeldepflicht für Versammlungen unter freiem Himmel spricht, ist die zweite Ansicht vorzugswürdiger. Als Ergebnis kann damit festgehalten werden, daß § 14 VersG jedenfalls für den Normalfall einer Versammlung mit Art. 8 GG vereinbar ist.

II. Verfassungsmäßigkeit im Hinblick auf die „ungeordneten" Versammlungen Zweifelhaft erscheint aber die Verfassungsmäßigkeit des § 14 VersG im Hinblick auf die bereits angesprochenen „ungeordneten" Versammlungen. Für diese Typen von Versammlungen ist die Anmeldepflicht entweder nicht oder nur unter erschwerten Voraussetzungen erfüllbar. Soweit § 14 VersG aber die Durchführung bestimmter Versammlungen generell unmöglich machen würde, wäre er verfassungswidrig, denn das Grundrecht der Versammlungsfreiheit ist schon nach seinem Wortlaut nicht auf eine bestimmte Art von Versammlungen beschränkt. Art. 8 Abs. 1 GG differenziert auf Schutzbereichsebene grundsätzlich nicht zwischen verschiedenen Versammlungsformen. 58 Die Grundrechtsträger können über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung selbst bestimmen.59 Geschützt sind somit Veranstaltungen, die dem vom Versammlungsgesetz vorausgesetzten Modell einer einheitlich geordneten Versammlung entsprechen. Verbürgt sind neben den klassischen Veranstaltungsformen aber auch andere Versammlungstypen, wie Demonstrationen in vielgestaltigen Ausformungen. So werden nach heute nahezu unbestrittener Auffassung auch Eil- und Spontanversammlungen sowie Großdemonstrationen von der Verfassungsbestimmung erfaßt. 60

57

Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 118. Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 17; Quilisch, Die demokratische Versammlung, S. 127; Preuß, in: Böttcher, Festschrift für Richard Schmid, S.421. 59 BVerfGE 69,315 [343]; BVerwG, NVwZ 1999, 991; Kniesel, NJ 1998, 472; ders., NJW 1992, 857 [859]; Spranger, DÖD 1999, 58 [59]. 60 BVerfGE 69,315 [350f., 357f.]; Hoffmann-Riem, in: Wasserman, Ak-GG, Art. 8 Rz.26ff.; Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 19; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, Art. 8 Rz. 15, Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 3. 58

1. Kapitel: Die Anmeldepflicht des § 14 VersG

47

1. Verfassungsmäßigkeit von § 14 Abs. 1 VersG im Hinblick auf die Spontanversammlung Unter einer Spontanversammlung versteht man nur solche Versammlungen, die ohne vorherige Planung und Vorbereitung aus einem aktuellen Anlaß heraus entstehen und keinen Veranstalter haben.61 Entschluß und Durchführung fallen zusammen. Es sind nicht organisierte, vor allem nicht vorher geplante oder verabredete Veranstaltungen. In der Regel haben sie keinen Leiter. 62 Übernimmt jedoch ein Teilnehmer im Laufe der Versammlung Leiterfunktionen, 63 so ändert dies nichts an der Klassifizierung der Versammlung als Spontanversammlung, denn organisatorische Maßnahmen während des Verlaufs der Versammlung beeinflussen nicht die Spontanität der Versammlungsbildung als maßgebliches Kriterium. 64 Damit ist bei der Spontanversammlung weder jemand vorhanden, der anmeldepflichtig i. S. v. § 14 Abs. 1 VersG wäre-die Anmeldepflicht trifft ausweislich des Wortlauts des § 14 Abs. 1 VersG nur den Veranstalter - noch kann bei der Spontanversammlung die Anmeldefrist von 48 Stunden eingehalten werden. Da § 14 Abs. 1 VersG aber verfassungswidrig wäre, wenn er bestimmte Arten von Versammlungen a priori verbieten würde, wird heute primär nicht darüber gestritten, ob die Spontanversammlung überhaupt zulässig ist, sondern darum, wie und inwieweit man die strikte Anwendung von §§ 14 Abs. 1,15 Abs. 2,1. Var., 26 Nr. 2 VersG, die zur faktischen Unzulässigkeit der Spontanversammlung führen würde, vermeidet. 65

a) Auffassung von der partiellen Unzulässigkeit der Spontanversammlung Von einer älteren Auffassung wird die Spontanversammlung allerdings nur partiell für zulässig gehalten. Man müsse zwischen der „echten" und der „unechten" Spontanversammlung unterscheiden.66 Eine „unechte Spontanversammlung" sei eine Versammlung, die zwar spontan stattfinde, d. h. veranstalterlos, ungeplant und augenblicklich, die jedoch ohne Verfälschung des Demonstrationszweckes auch 61 BVerfGE 69,315 [350]; 85,69 [75]; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.240; Honigl BayVBl. 1987, 137 [140]. 62 BayObLG, NJW 1970, 479 [480]; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, §14 Rz. 16; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S. 199 Fn. 292. 63 Ob dies überhaupt möglich ist, ist stark umstritten. Vgl. statt vieler: Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §7 Rz.22. 64 Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.240; Rühl, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 14 Rz. 12; Hoch, JZ 1969, 18 [19]. 65 Vgl. statt vieler: Borchers Die Spontanversammlung, S.55 f.; Schnupp, DÖD 1992,245f. 66 Herzog, JA 1969, ÖR S.43; Hoffmann, JuS 1967, 393 [398]; ähnlich: Schreiber, in: Zeidler/Vogel u.a., Das Recht auf Demonstration, S.71; vgl. auch: Ossenbühl, Der Staat 1971 (10), 53 [58f.]; vgl. auch Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.237f.

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2. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

nach ordnungsgemäßer Anmeldung hätte durchgeführt werden können.67 Eine solche Versammlung sei nach Sinn und Zweck der Regelung des § 14 VersG unzulässig und könne deswegen gem. § 15 Abs. 2 VersG aufgelöst werden. 68 „Echte Spontandemonstrationen" lägen nur dann vor, wenn sie bei der Beachtung der Anmeldefrist ihren Sinn verlieren würden. 69 Diese seien wegen der Geltung der verfassungsrechtlichen Gewährleistung aus Art. 8 Abs. 1 GG stets zulässig, weshalb eine Auflösung regelmäßig ausscheide. Bezüglich der Frage, wie eine Privilegierung einer solchen Versammlung rechtstechnisch erfolgen könne, besteht jedoch zwischen den Vertretern dieser Auffassung keine Einigkeit. 70 Die Ansätze sind jedoch weitgehend mit den Lösungen identisch, die die Vertreter der unten dargestellten Auffassung von der generellen Zulässigkeit der Spontanversammlung entwickelt haben. Dies ist nicht verwunderlich, da die Auffassung von der partiellen Unzulässigkeit der Spontanversammlung nur von einer engeren Definition derselben ausgeht, nicht das Kriterium der Spontanität für maßgeblich und allein entscheidend hält, sondern primär die Realisierbarkeit des Versammlungszwecks im Hinblick auf den Beachtungserfolg. 71 Bezüglich der ordnungsrechtlichen Behandlung der Spontanversammlung wird deswegen auf die nun folgenden Ausführungen verwiesen. b) Auffassung von der generellen Zulässigkeit der Spontanversammlung Nach herrschender Meinung werden Spontanversammlungen unabhängig von ihrer möglichen späteren Realisierbarkeit nach ordnungsgemäßer Anmeldung als zulässig angesehen.72 Begründet wird dies mit der Reichweite des Grundrechts aus Art. 8 GG. Die Gewährleistung der Versammlungsfreiheit in Art. 8 Abs. 1 GG begrenze den Gesetzesvorbehalt in Art. 8 Abs. 2 GG und verbiete, im Versammlungsgesetz nicht vorgesehene Typen von Veranstaltungen von der Grundrechtsgewährleistung auszuschließen. Das Grundgesetz und nicht das Versammlungsgesetz verbürge die Zulässigkeit von Versammlungen und Aufzügen. Deswegen könnten ver67 Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.237f.; Herzog, JA 1969, ÖR S.43; Ossenbühl, Der Staat 1971 (10), 53 [58f.]. 68 Herzog, JA 1969, ÖR S.43; Ossenbühl, Der Staat 1971 (10), 53 [58f.]; ähnlich Schreiber, in: Zeidler/Vogel u.a., Das Recht auf Demonstration, S.71. 69 BVerwG, NJW 1967, 1191 f.; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.237 f.; Herzog, in: JA 1969, ÖR S.43; Ossenbühl, Der Staat 1971 (10), 53 [58 f.] 70 Herzog, in: JA 1969, ÖR S.43; Hoffmann, JuS 1967,393 [398]; Schreiber, in: Zeidler/Vogel u.a., Das Recht auf Demonstration, S.71; vgl. auch: BVerwG, NJW 1967,1191 [1192] mit gleich zwei Lösungsvorschlägen! 71 Vgl. Ott/Wächtler, Das Recht auf freie Demonstration, S.71; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.237. 72 BVerfGE 69,315 [350f.]; 85,69 [75]; Herzog, in: Maunz/Dürig u.a., Das Grundgesetz, Art. 8 Rz. 84,97,107; Benda, in: Dolzer/Vogel, Bonner Kommentar, Art. 8 Rz. 79; DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 14 Rz.20; OttlWächtler, Versammlungsgesetz, § 14 Rz. 16; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz.776; Frowein, NJW 1985, 2376 [2377]; Götz, DVB1. 1985, 1347 [1350]; Hölscheidt, DVB1. 1987, 666 [670].

1. Kapitel: Die Anmeldepflicht des § 14 VersG

49

sammlungsrechtliche Vorschriften auf Spontanversammlungen keine Anwendung finden, soweit der mit der Spontanversammlung verfolgte Zweck bei Einhaltung dieser Vorschriften nicht erreicht werden könnte oder auch nur in Frage gestellt würde.73 Dabei reiche als Zweck auch die spontane und kollektive Zusammenkunft und Meinungskundgabe aus, unabhängig davon, ob diese noch später sinnvoll wäre. 74 Entscheidendes Kriterium für die Zulässigkeit sei das in Art. 8 Abs. 1 GG verbürgte Kriterium der Spontanität und nicht die Realisierbarkeit des Beachtungserfolgs. 75 Die Spontanversammlung ist nach dieser Auffassung also nicht allein wegen einer unterbliebenen Anmeldung auflösbar. Angesichts des Wortlauts von § 15 Abs. 2,1. Var. VersG ist jedoch streitig, wie man dogmatisch auf einfachgesetzlicher Grundlage zur Zulässigkeit der Spontanversammlung kommt. aa) Meinung von der prinzipiellen

Unanwendbarkeit des VersG

Teilweise wird vertreten, das Versammlungsgesetz sei nur auf geplante, geordnete und vor allem veranstaltete Versammlungen anwendbar. Somit gelte die Anmeldepflicht des § 14 Abs. 1 VersG für die Spontanversammlung - als Musterfall der nichtveranstalteten und ungeordneten Versammlung - nicht. 76 Begründet wird dies mit dem Wortlaut der §§ 1 Abs. 1,2 Abs. 1,5,7 Abs. 2 und 3,13 Abs. 1,14 Abs. 1 und 26 Abs. 2 VersG, die von der Existenz eines Veranstalters ausgingen. Außerdem enthielten die §§6-11,18,19 VersG umfangreiche Ordnungsvorschriften und die §§ 15 ff., 21 ff. VersG ein breites Instrumentarium zu deren Durchsetzung, was auf die exklusive Anwendung des Versammlungsgesetzes auf geordnete und veranstaltete öffentliche Versammlungen hindeute. Dafür spreche auch die Entstehungsgeschichte des Versammlungsgesetzes. Aus dem Umstand, daß die Materialien zum Versammlungsgesetz die Spontanversammlung nicht erwähnen77 - lediglich in einem Entwurf der Bundesregierung wird die sogenannte fingierte Spontanversammlung kurz behandelt78 - könne außerdem gefolgert werden, daß der Gesetzgeber die Spontanversammlung nicht im Versammlungsgesetz hat regeln wollen. Die Vertreter dieser Auffassung wollen deswegen auf die Spontanversammlung das allgemeine Polizeirecht anwenden, das eine Anmeldepflicht 73 BVerfGE 69,315 [350f.]; 85,69 [75]; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.238. 74 Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 238; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 14 Rz. 17; Frowein, NJW 1985, 2376 [2377]. 75 Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 1 Rz. 22; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S. 197; Frowein, NJW 1985, 2376 [2377]. 76 Ridder, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, Geschichtliche Einleitung, Rz.80, 82, Herzog, BayVBl. 1968,77 [78 Fn. 10]; Hoch, JZ 1969,18 [19]; Ossenbühl, Der Staat 1971 (10), 53 [68]; Meyn, Die sog. Vermummung und passive Bewaffnung, S. 156ff.; Vogel, in: Zeidler/Vogel u. a., Das Recht auf Demonstration, S. 33. 77 Vgl. B T - D r s . 1/1102, 1/2759; 1/4079; 1/4291; 1/4409; BT-Prot. 1/83, S.3123f.; 1/220, S. 9734f.; 1/264, S. 12849f.; 1/280 u. 281, S. 14073f. 78 Vgl. B T - D r s . 1/1102, S . l l . 4 Werner

50

2. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

nicht kennt und eine Auflösung der Versammlung allein wegen Nichtanmeldung nicht zulassen würde. 79

bb) Meinung von der restriktiven

Anwendung des § 15 Abs. 2 VersG

Eine andere Auffassung hält das Versammlungsgesetz grundsätzlich für auf die ungeplante, ungeordnete und nichtveranstaltete Versammlung anwendbar.80 Es enthalte als Konkretisierung des Gesetzesvorbehalts in Art. 8 Abs. 2 GG polizeirechtliche Befugnisnormen und stelle für versammlungsbezogene Eingriffe eine abschließende Regelung dar. Als lex specialis schließe es den Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht und seine Ermächtigungsgrundlagen aus und begründe so die Polizeifestigkeit der Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit. 81 Da der abschließende Charakter des Versammlungsgesetzes auch für solche Veranstaltungen gelte, die wegen Unfriedlichkeit aus dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG herausfallen, sei es erst recht auch auf Spontanversammlungen anwendbar.82 Seine gesamte Geltung impliziere jedoch auch die Anwendbarkeit des § 14 Abs. 1 VersG auf die Spontanversammlung, weshalb man zu ihrer Zulässigkeit auf einfachgesetzlicher Grundlage nur über eine einschränkende Anwendung der Vorschrift des § 15 Abs. 2,1. Var. VersG gelange, der die Auflösung einer Versammlung in das Ermessen der zuständigen Behörde stellt, wenn diese nicht angemeldet ist.83

cc) Meinung von der verfassungskonformen

Auslegung des §14 VersG

Auch die herrschende Meinung wendet das Versammlungsgesetz auf die Spontanversammlung an. Dessen Regelungen seien jedoch in verfassungskonformer Auslegung dann nicht auf die Spontanversammlung anwendbar, soweit der mit ihr verfolgte Zweck der spontanen Meinungskundgabe bei Einhaltung dieser Vorschriften nicht erreicht werden könnte. Versammlungsrechtliche Vorschriften müßten im Lichte des Grundrechts der Versammlungsfreiheit angewendet werden und gegebenenfalls hinter diesem zurücktreten. 84 Dies führe dazu, daß die Anmeldepflicht des 79 Ridder, in: Ridder/Breitbacht u. a., Versammlungsrecht, Geschichtliche Einleitung, Rz. 80,82; Herzog; BayVBl. 1968, 77 [78 Fn. 10]; Ossenbühl Der Staat 1971 (10), 53 [68]. 80 Schreiber, in: Zeidler/Vogel u.a., Das Recht auf Demonstration, S. 68 f.; vgl. auch BVerwG, NJW 1967, 1191 f. 81 Vgl. Brenneisen, DÖV 2000, 275 [277]; a. A. Schnur, VR 2000, 114 [118f.]. 82 OVG Bremen, NVwZ 1987,235 [236]; Drews/Wacke u. a., Gefahrenabwehr, S. 176; Geis, Die Polizei, 1993, 293 [296]. 83 OLG Köln, NVwZ 1985,939 [940]; Schreiber, in: Zeidler/Vogel u. a., Das Recht auf Demonstration, S.68f.; vgl. auch BVerwG, NJW 1967, 1191f; Herzog, JA 1969, ÖR, S.43. 84 BVerfGE 69,315 [350f.]; 85,69 [75]; BVerwG, NJW 1967, 1191 f.; Benda, in: Dolzer/ Vogel, Bonner Kommentar, Art. 8 Rz 79; Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 143 Rz. 29,53; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, Art. 8 Rz. 33; Rühl, in: Rid-

1. Kapitel: Die Anmeldepflicht des § 14 VersG

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§ 14 Abs. 1 VersG für Spontanversammlungen nicht gelte, weil diese keinen Veranstalter haben, der anmeldepflichtig wäre bzw. die Versammlung anmelden könnte und ansonsten die Gewährleistung des Art. 8 Abs. 1 GG für diesen Versammlungstyp außer Kraft gesetzt würde. Deswegen könne auch § 15 Abs. 2,1. Var. VersG nicht als Rechtsgrundlage für eine Auflösung der Spontanversammlung herangezogen werden. 85 Auflösbar sei eine Spontanversammlung vielmehr nur unter den Voraussetzungen des 15 Abs. 2,4. Var. VersG. c) Kritik und Stellungnahme Die Auffassung von der partiellen Unzulässigkeit der Spontanversammlung wird dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht gerecht. Sie macht die Zulässigkeit dieser Versammlung davon abhängig, ob die Veranstaltung mit gleicher Wirkung nach ordnungsgemäßer Anmeldung und Einhaltung der Anmeldefrist zu einem späteren Zeitpunkt hätte durchgeführt werden können.86 Damit wird aber verkannt, daß die Versammlungsteilnehmer grundsätzlich selbst über Ort und Zeitpunkt der Versammlung bestimmen können.87 Das Kriterium der „Aktualität" des Versammlungsthemas kann außerdem nur schwer definiert werden und ist subjektiv vielschichtig interpretierbar. Es wäre wohl nur in seltenen Fällen genau festzustellen, ob die spätere Abhaltung der Versammlung nicht genauso wirkungsvoll gewesen wäre wie die sofortige. Mangels ausreichender Bestimmbarkeit dieses Kriteriums käme es unter seiner Herrschaft zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit, was viele potentielle Demonstranten von der Teilnahme an der Spontanversammlung abhalten könnte.88 Für diese liefe dann an dieser Stelle das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit leer, was mit Art. 8 Abs. 1 GG nicht vereinbar wäre. Auch die verschiedenen Auffassungen von der generellen Zulässigkeit der Spontanversammlung werden der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG nicht alle im erforderlichen Maße gerecht. So verbannt die Meinung von der restriktiven Anwendung des § 15 Abs. 2,1. Var. VersG die Spontanversammlung in den Bereich der (formellen) Illegalität, was gem. § 26 Nr. 2 VersG strafrechtliche Konsequenzen für den Versammlungsleiter hätte, vertritt man mit der Rechtsprechung die Auffasder/Breitbach, Versammlungsrecht, § 14 Rz.5f.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz.776; Borchers Die Spontanversammlung, S. 102; Kniesel, NJW 1992,857 [863]; Schenke, JZ 1986,35. 85 Breitbach/Deiseroth/Rühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz.279; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz. 56; Frowein, NJW 1985, 2376 [2377]. 86 Herzog, JA 1969, ÖR S.43; Hoffmann, JuS 1967, 393 [398]; Schreiber, in: Zeidler/Vogel u. a., Das Recht auf Demonstration, S.71. 87 BVerfGE 69,315 [343]; BVerwG, NVwZ 1999,991; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 4. 88 Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 14 Rz. 17; Ott, Das Recht auf freie Demonstration, S.71; Borchers Die Spontanversammlung, S.67; vgl auch: Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.238.

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2. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

sung, daß auch die Spontanversammlung einen - vielfach faktischen - Versammlungsleiter haben kann.89 Die aus Art. 8 Abs. 1 GG folgende Leiterfreiheit würde damit unverhältnismäßig eingeschränkt. Verkannt wird auch die Tatsache, daß der Bestand einer Rechtspflicht unabhängig von ihren Sanktionsmöglichkeiten eine rechtserhebliche Belastung darstellt. Dies gilt umso mehr, als die Existenz der Spontanversammlung nach dieser Meinung weitgehend in das Ermessen der Behörde gestellt ist. 90 Die Auffassung von der generellen Unanwendbarkeit des Versammlungsgesetzes übersieht, daß der Gesetzgeber mit seiner Statuierung zumindest für öffentliche Versammlungen in geschlossenen Räumen und unter freiem Himmel eine abschließende Spezialregelung getroffen hat.91 Nur soweit das Versammlungsgesetz keine einschlägigen Regelungen enthält, ist der Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht zulässig.92 Das Versammlungsgesetz thematisiert jedoch in § 15 Abs. 2,1. Var. VersG ausdrücklich die nichtangemeldete Versammlung. Daß der gesamte § 15 Abs. 2 VersG für die Spontanversammlung uneingeschränkt nicht gelten soll, läßt sich zudem weder mit dem Wortlaut der Vorschrift, noch mit der Systematik des Gesetzes begründen. Da die Vertreter dieser Auffassung außerdem zugeben, daß die historische Interpretation bezüglich der Geltung des Versammlungsgesetzes unergiebig ist, läßt sich mit einer genetischen Argumentation seine Geltung für Spontanversammlungen nicht aushebeln. Auch wenn der Gesetzgeber bei der Verabschiedung des Versammlungsgesetzes nicht an die Spontanversammlung gedacht hat, führt dies nicht zur Unanwendbarkeit aller versammlungsgesetzlichen Vorschriften auf diesen Versammlungstyp, wenn diese nach Wortlaut und Systematik anwendbar sind.93 Die Auffassung von der Unanwendbarkeit des Versammlungsgesetzes führt weiterhin dazu, daß gegen Spontanversammlungen leichter vorgegangen werden kann als gegen herkömmliche Versammlungen. Das nach dieser Meinung anwendbare allgemeine Polizeirecht verlangt für einen Eingriff nämlich nur das Vorliegen einer konkreten „einfachen" Gefahr für die öffentliche Sicherheit, 94 während das Ver89

Vgl. BayObLG, NJW 1970, 479 [480]; OLG Düsseldorf, NJW 1978, 118; Breitbach, NJW 1984, 841 ff.; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S.203. 90 Hoffmann-Riem, in: Wassermann, Alternativkommentar GG, Art. 8 Rz.51; Herzog, JA 1969, ÖR S.43. 91 VGH Mannheim, NVwZ 1998, 761 [762f.]; Β er tuleit!Steinmeier, in: Ridder/Breitbach, Versammlungsrecht, § 1 Rz.39; Alberts , ZRP 1988, 285 [286]; Mayer,, JA 1998, 345 [346]; Guidi , VR 1999, 178 [180]; Deutelmoser,, NVwZ 1999, 240 [243]; Deger, NVwZ 1999, 265 [266 ff.]. 92 DietellGintzellKniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § lRz. 188; Huber, Der Veranstalter einer Versammlung im Rechtskreis der Exekutive, S.65f.; Deutelmoser, NVwZ 1999, 240 [243]. 93 Vgl. Ossenbühl, Der Staat 1971 (10), 53 [65]. 94 Vgl. §§1,3 PolG BW; Art. 11 Abs. 1 PAG Bay; § 17 Abs 1 ASOG Beri.; § 3 Abs. 1 SOG Hbg.; § 11 SOG Hess.; § 11 SOG Nds.; § 8 Abs. 1 PolG NW; § 9 Abs. 1 POG RhPf.; § 8 PolG Saar.

1. Kapitel: Die Anmeldepflicht des § 14 VersG

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sammlungsgesetz das Vorliegen einer „unmittelbaren" Gefahr für einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit voraussetzt. Damit werden im Versammlungsgesetz höhere Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gestellt, was wegen der Bedeutung der Versammlungsfreiheit auch verfassungsrechtlich geboten ist. 95 Eine Diskriminierung der Spontanversammlung im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ließe sich aber höchstens mit einem Hinweis auf ihre generelle, gegenüber der angemeldeten Versammlung gesteigerte Gefährlichkeit rechtfertigen. 96 Dagegen spricht jedoch, daß die spezifischen Gefahren der Spontanversammlung, die sich aufgrund des Informationsrückstands der Polizeibehörden ergeben, auch mit dem Instrumentarium des § 15 Abs. 2,4. Var. VersG erfolgreich bewältigt werden können, denn das Unvorbereitetsein der Polizeibehörden kann dazu führen, daß die Gefahrenschwelle des Versammlungsgesetzes schneller als üblich erreicht ist, so daß zur wirksamen Gefahrenbekämpfung der Rekurs auf das allgemeine Polizeirecht nicht erforderlich ist.97 Zu folgen ist deswegen der Ansicht von der verfassungskonformen Auslegung des § 14 VersG. Allein sie wird den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 8 GG in vollem Umfang gerecht und vermeidet die dogmatischen Ungereimtheiten der anderen Lösungen. Damit entfällt eine Anmeldepflicht für Spontanversammlungen. 2. Verfassungsmäßigkeit von §14 Abs. 1 VersG im Hinblick auf die Eilversammlung Eilversammlungen sind solche Veranstaltungen, die im Unterschied zu Spontanversammlungen zwar geplant sind und einen Veranstalter haben, aber ohne Gefährdung des Demonstrationszwecks nicht unter Einhaltung der Frist des § 14 VersG angemeldet werden können.98 Sie werden auch als Blitz- oder Sofortversammlungen bezeichnet.99 Die Eilversammlung entsteht nicht wie die Spontanversammlung aus einer konkreten Lage, sondern wird aus einem unvorhergesehenen aktuellen Anlaß kurzfristig angesetzt und kann noch organisiert werden. 100 Sie hat einen Veranstal95 BVerfGE 69,315 [354]; Breitbach/Deiseroth!Rühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz. 111. 96 So OssenbühU Der Staat 1971 (10), 53 [68]; ähnlich auch Frowein, NJW 1969, 1081 [1086]. 97 BVerfGE 69,315 [351]; Breitbach/Deiseroth/Rühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz. 111; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.233. 98 BVerfGE 85,69 [75]; Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, §143 Rz.28; Geis, NVwZ 1992, 1025 [1027f.]. 99 Vgl. Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 14 Rz. 11. Quilisch, Die demokratische Versammlung, S. 133 Fn.20; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S.201; Borchers Die Spontanversammlung, S. 102. 100 BVerfGE 85,69 [75]; Benda, in: Dolzer/Vogel, Bonner Kommentar, Art. 8 Rz.80; Borchers Die Spontanversammlung, S. 104.

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2. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

ter, der die Versammlung grundsätzlich anmelden und einen Leiter gem. §§7 Abs. 1,18 Abs. 1 VersG VersG einsetzen kann. Aufgrund des aktuellen Anknüpfungspunkts der Versammlung kann der Veranstalter jedoch die Anmeldefrist des § 14 Abs. 1 VersG nicht einhalten, soll der Demonstrationszweck nicht gefährdet werden. Dieser besteht ausschließlich in der Stellungnahme zum aktuellen Bezugspunkt des Versammlungsthemas.101 Die Eilversammlung wird aufgrund der Gewährleistung des Art. 8 Abs. 1 GG heute generell als zulässig angesehen. Ein Totalverbot - wie es der Wortlaut von §§14 Abs. 1,15 Abs. 2,1 Var. VersG suggeriert - wäre mit Art. 8 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren. 102 Einigkeit herrscht deswegen auch bezüglich der Frage, daß § 14 Abs. 1 VersG einer „Korrektur" bedarf. Hinsichtlich der Reichweite der Korrektur herrscht jedoch kein Konsens.

a) Auffassung von der unverzüglichen Anmeldung Überwiegend wird vertreten, daß bei der Eilversammlung nicht die Pflicht zur Anmeldung überhaupt entfalle, sondern nur die Pflicht zur Anmeldung innerhalb der Frist von 48 Stunden vor Bekanntgabe. Die Versammlung müsse lediglich angemeldet werden, sobald die Möglichkeit dazu bestehe. Dies sei in der Regel ab dem Entschluß, eine Versammlung zu veranstalten, oder spätestens mit dessen Bekanntgabe der Fall. 103 Nur in extremen Eilfällen könne von der Anmeldung ganz abgesehen werden. Begründet wird diese Auffassung damit, daß die Eilversammlung einen Veranstalter habe, der die Versammlung grundsätzlich anmelden könne. Lediglich die Frist sei nach Lage des Einzelfalles nicht einzuhalten, weshalb man auf deren Beachtung verzichten könne. Die restliche Geltung des § 14 Abs. 1 VersG ergebe sich aus Sinn und Zweck der Vorschrift, der Behörde die nötigen Informationen zum Schutz der Versammlung und von Grundrechten Dritter zu liefern. Da die prinzipielle Anwendbarkeit des § 14 Abs. 1 VersG die Versammlungsfreiheit nicht nennenswert beeinträchtige, müsse die Anmeldepflicht grundsätzlich weiterhin gelten, denn nur mit ihrer Hilfe sei ein wirksamer Interessenausgleich gewährleistet. 104 Die dogmatischen Ansatzpunkte, die zu dieser Auffassung führen, sind allerdings unterschiedlich. So gelangt ein großer Teil der Vertreter dieser Auffassung im Wege ver101 BVerfGE 85,69 [75]; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 14 Rz. 11 ; Benda, in: Dolzer/ Vogel, Bonner Kommentar, Art. 8 Rz. 80. 102 BVerfGE 85,69 [75]; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S. 202; Frowein, NJW 1969, 1081 [1085]. 103 BVerfGE 85,69 [75]; BGH, NJW 1969,1770 [1773f.]; Benda, in: Dolzer/Vogel, Bonner Kommentar, Art. 8 Rz. 80; Herzog, in: Maunz/Dürig u. a., Grundgesetz, Art. 8 Rz. 107; Ott! Wächtler, Versammlungsgesetz, § 14 Rz. 11 ; DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 14 Rz.22; Honigl, BayVBl. 1987,137 [140]. 104 BVerfGE 85,69 [75]; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S.206, v. Mutius, JURA 1988, 79 [82].

1. Kapitel: Die Anmeldepflicht des § 14 VersG

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fassungskonformer Auslegung zu diesem Ergebnis. § 14 Abs. 1 VersG sei im Hinblick auf Art. 8 Abs. 1 GG verfassungskonform dahingehend auszulegen, daß Eilversammlungen anzumelden sind, sobald die Möglichkeit dazu besteht.105 Andere halten § 14 Abs. 1 VersG für teilnichtig, „soweit er für die Eilversammlung eine Anmeldefrist von 48 Stunden vorsehe". 106 Eine verfassungskonforme Auslegung sei nicht möglich, weil der Wortlaut des § 14 Abs. 1 VersG eindeutig und damit nicht auslegbar sei. 107

b) Auffassung von der Entbehrlichkeit der Anmeldung Die Gegenauffassung dispensiert die Eilversammlung vollständig von der Anmeldepflicht des § 14 Abs. 1 VersG. Mit der herrschenden Meinung vertritt sie, daß die 48-Stunden-Frist im Hinblick auf Art. 8 Abs 1 GG für Eilversammlungen nicht gilt. Daraus könne aber nur gefolgert werden, daß Eilversammlungen überhaupt nicht anzumelden seien.108 Zu diesem Ergebnis gelangt ein Teil der Vertreter dieser Auffassung durch verfassungskonforme Auslegung des § 14 Abs. 1 VersG. 109 Überwiegend wird jedoch Teilnichtigkeit von § 14 Abs. 1 VersG angenommen, soweit er für Eilversammlungen eine Anmeldepflicht vorsieht. 110 Begründet wird dies damit, daß § 14 Abs. 1 VersG keinen Ansatzpunkt für die Auslegung biete, daß die Eilversammlung anzumelden sei, sobald die Möglichkeit dazu bestehe. Der Wortlaut der Vorschrift, »Anmeldung spätestens 48 Stunden vor Bekanntgabe", sei im Hinblick auf die Eilversammlung eindeutig und lasse deswegen keine Fristverkürzung zu. Die Gegenauffassung führe zu einer unzulässigen richterrechtlichen Ergänzung des Tatbestandes.111

105 BVerfGE 85,69 [75]; Rühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 14 Rz. 11; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S. 205; vgl. auch: BVerwGE, NJW 1967, 1191 ff.; BGH, NJW 1969, 1770 [1773]. 106 Borchert, Die Spontanversammlung, S. 108 f.; Ehrentraut, Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen und deutschen Verfassungsrecht, S. 202. 107 Borchert, Die Spontanversammlung, S. 108 f.; Ehrentraut, Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen und deutschen Verfassungsrecht, S.202. 108 Sondervotum der Richterin Seibert und des Richters Henschel zu der Senatsentscheidung vom 23.10.1991-1 BVR 850/88 (BVerfGE 85,69ff.)-, in: BVerfGE 85,69 [77ff.]; Ott! Wächtler, Versammlungsgesetz, § 14 Rz. 14; Geis, NVwZ 1992, 1025 [1030]; Schnupp, DÖD 1992,245 [248]; Schenke, JZ 1986,35ff.; Frowein, NJW 1969,1081 [1085]; ders., NJW 1985, 2376 [2377]; Hofmann, BayVBl. 1987,129 [133]. 109 Geis, NVwZ 1992,1025 [1030]; Schnupp, DÖD 1992, 245 [248]. 110 Sondervotum der Richterin Seibert und des Richters Henschel zu der Senatsentscheidung vom 23.10.1991 - 1 BVR 850/88 (BVerfGE 85,69ff.) - , in: BVerfGE 85,69 [77ff.]; Schenke, JZ 1986, 35ff.; Frowein, NJW 1969, 1081 [1085]; ders., NJW 1985, 2376 [2377]. 111 Sondervotum der Richterin Seibert und des Richters Henschel zu der Senatsentscheidung vom 23.10.1991 - 1 BVR 850/88 (BVerfGE 85,69 ff.) - , in: BVerfGE 85,69 [77ff.]; Schenke, JZ 1986, 35 [36].

2. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

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c) Kritik und Stellungnahme Die unterschiedlichen Auffassungen beruhen auf einem Hauptproblem: die Grenzen der (verfassungskonformen) Auslegung. Die verfassungskonforme Auslegung eines Gesetzes ist immer dann geboten, wenn eine Gesetzesbestimmung im Rahmen ihres Wortlauts unterschiedliche Auslegungen ermöglicht, aber nicht alle diese möglichen Auslegungen mit dem Grundgesetz vereinbar sind. 112 Dies folgt aus der Vermutung, daß der demokratische Gesetzgeber nur verfassungsgemäße Gesetze erläßt. Verfassungskonforme Auslegung setzt dann aber zum einen voraus, daß das Gesetz überhaupt auslegungsfähig ist, denn Gesetze mit eindeutigem Inhalt sind entweder mit der Verfassung vereinbar oder unvereinbar. 113 Zum anderen ist verfassungskonforme Auslegung auch nicht grenzenlos möglich. Sie muß sich im Rahmen des Wortlauts der Vorschrift halten, und die gesetzgeberischen Grundentscheidungen, Wertungen und die darin angelegten Zwecke der gesetzlichen Regelungen dürfen nicht angetastet werden. 114 Erst wenn eine verfassungskonforme Auslegung nicht möglich ist, kommt eine Nichtig- oder Teilnichtigerklärung in Betracht. Vom Instrument der Teilnichtigerklärung wird Gebrauch gemacht, wenn die Nichtigkeit sich nicht auf ein ganzes Gesetz oder auf eine ganze Reglung innerhalb eines Gesetzes oder einer einzelnen Vorschrift erstreckt. 115 Die Teilnichtigerklärung kann auf den Gesetzestext bezogen erfolgen. Der für nichtig erklärte Text bzw. Textteil des Gesetzes gilt dann als nicht geschrieben. Man spricht dann von quantitativer (Teil-) Nichtigkeit. 116 Die (Teil-) Nichtigerklärung kann jedoch auch dergestalt erfolgen, daß das BVerfG eine Vorschrift für bestimmte, im Normtext nicht gesondert ausgewiesene Fallkonstellationen, für nichtig erklärt. 117 Die nichtigen Anwendungsalternativen werden dabei umschrieben, ohne daß der Normtext berührt wird. Man spricht dann von qualitativer Teilnichtigkeit.118 Die Teilnichtigerklärung von § 14 Abs. 1 VersG nur für den Fall der Eilversammlung wäre also durchaus möglich und keine verfassungsprozessuale Unmöglichkeit, wie manche meinen.119 Sie 112

BVerfGE 88,203 [331]; 69,1 [55]; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rz.407; Benda! Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rz. 1198. 113 Stern, Staatsrecht I, S. 137; Simon, EuGRZ 1974, 85 [89f.]. 114 BVerfGE 72,278 [295]; Hesse, Verfassungsrecht, Rz.83; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rz.414; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rz. 1199. 115 BVerfGE 65,325 [358]; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rz. 349; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rz. 1176. 116 Skouris, Teilnichtigkeit von Gesetzen, S.90; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rz. 351; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rz. 1178. 117 BVerfGE 62 117 [119]; 81,228 [229]; Skouris, Teilnichtigkeit von Gesetzen, S.92; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rz. 351; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rz. 1178; Sachs, DVB1. 1979, 389 [390f.]. 118 Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rz. 351; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rz. 1178; Sachs, DVB1. 1979, 389 [390f.]. 119 Vgl. Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S.205; Geis, NVwZ 1992, 1025 [1030 Fn. 62].

1. Kapitel: Die Anmeldepflicht des § 14 VersG

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kommt aber nur in Betracht, wenn der Weg über die verfassungskonforme Auslegung versperrt ist. Die verfassungskonforme Auslegung könnte unzulässig sein, weil der Wortlaut des § 14 Abs. 1 VersG eindeutig ist. Nach diesem hat jeder, der die Absicht hat, eine Versammlung zu veranstalten, dies spätestens 48 Stunden vor Bekanntgabe bei der zuständigen Behörde anzumelden. Die Spontanversammlung dispensiert man über das „Veranstalterkriterium" von der Anmeldepflicht. Eine ähnliche Möglichkeit gibt es aber auch für die Eilversammlung, denn aus dem Terminus „spätestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe" läßt sich schließen, daß die Anmeldepflicht nur für Versammlungen gilt, die spätestens 48 Stunden vor Versammlungsbeginn bzw. Bekanntgabe auch bekannt sind, sprich 48 Stunden vor der Bekanntgabe auch angemeldet werden können.120 Zumindest ist eine solche Auslegungsmöglichkeit nicht ausgeschlossen, so daß § 14 Abs. 1 VersG alles andere als eindeutig ist. Von einer Auslegung gegen den Wortlaut der Vorschrift kann deswegen nicht gesprochen werden. Die verfassungskonforme Auslegung der herrschenden Meinung beachtet zudem auch die gesetzgeberische Wertung und den Zweck, der hinter der Regelung steht. Durch die Dispensierung der Eilversammlung von der Anmeldefrist wird ein Maximum des von § 14 Abs. 1 VersG aufgestellten Regelungsprogramms aufrecht erhalten. Eine Verkürzung der Anmeldefrist führt zu keiner Änderung des sachlichen Gehalts der Vorschrift, die nur dem Gesetzgeber obliegen würde, sondern sie vermittelt unter Wahrung des in der Vorschrift ausgedrückten Anliegens zwischen dem polizeilichen Informations- und Ordnungsinteresse und dem verfassungsrechtlichen Gebot, der Versammlungsfreiheit im geschützten Umfang zur größtmöglichen Wirkung zu verhelfen. 121 Eine durch verfassungskonforme Auslegung vorgenommene Verkürzung der Anmeldefrist führt auch nicht zu einer unzulässigen richterlichen Normkorrektur. 122 Zwar kann man argumentieren, daß durch die von der herrschenden Meinung praktizierte Auslegung das Tatbestandsmerkmal „Anmeldung spätestens 48 Stunden vorher" in das Tatbestandsmerkmal „Anmeldung, sofern überhaupt möglich, in der Regel aber 48 Stunden zuvor" umgewandelt bzw. korrigiert wird. 123 Dies beinhaltet jedoch keine unzulässige richterliche Normkorrektur, denn eine derartige Interpretation erbringt nur ein „minus" gegenüber dem ursprünglichen Regelungsprogramm, ist also mit einer restriktiven Auslegung vergleichbar. 124 Im übrigen läßt sich dieses Ergebnis auch mit einer teleologischen Interpretation in Form einer te120

So ausdrücklich: Herzog, in: Maunz/Dürig u. a., Grundgesetz, Art. 8 Rz. 84 Rn. 74. Vgl. Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S.205; Hesse, Verfassungsrecht, Rz. 80 f. 122 So aber: Geis, NVwZ 1992, 1025; Schnupp, DÖD 1992, 245 [247]. 123 Vgl. Geis, NVwZ 1992, 1025; Schnupp, DÖD 1992, 245 [247]. 124 Vgl. Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S.205. 121

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2. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei §§14 und 15 VersG

leologischen Reduktion - also mit den üblichen Auslegungsmethoden - erreichen, weshalb nicht von einer unzulässigen richterlichen Normkorrektur gesprochen werden kann. 125 Die verfassungskonforme Auslegung der herrschenden Meinung ist damit zulässig. Eilversammlungen sind folglich anzumelden, sobald die Möglichkeit dazu besteht. Dies ist in der Regel ab dem Entschluß zur Durchführung der Versammlung der Fall, spätestens ab seiner Bekanntgabe. Insoweit kann man auch von einer Pflicht zur unverzüglichen Anmeldung der Eilversammlung sprechen. 126

3. Verfassungsmäßigkeit von § 14 Abs. 1 VersG im Hinblick auf Großdemonstrationen Die Verfassungsmäßigkeit von § 14 Abs. 1 VersG ist auch im Hinblick auf Großdemonstrationen problematisch. Unter einer Großdemonstration versteht man eine Versammlung, die von einer Vielzahl von Gruppen oder Personen initiiert wird und in der sich ohne vorherige zentrale Planung, Anmeldung und Koordination verschiedene Gruppierungen zusammenfinden. 127 Die Anregung, Vorbereitung und der gesamte Ablauf solcher Demonstrationen wird nicht von Veranstaltern, Leitern und Ordnern bestimmt, sondern in häufigen und länger andauernden Diskussionen von vielen Gruppen und Einzelpersonen. Die Großveranstaltung kann sich aus mehreren parallel verlaufenden Versammlungen zusammensetzen, wobei Ort, Zeit und Thema identisch sind, jedoch nicht zwingend die verfolgten Ziele und Beweggründe. 128 Auch kann die innere Verbindung der Teilnehmer in bezug auf die Gesamtveranstaltung fehlen. Die Teilnehmer innerhalb der verschiedenen Gruppen sind deshalb regelmäßig nicht bereit, den Anordnungen einer einheitlichen Gesamtleitung zu folgen. Dies führt dazu, daß sich regelmäßig niemand findet, die gesamtverantwortliche Veranstalterfunktion wahrzunehmen und die gesamte Veranstaltung anzumelden, weil das Risiko, in dieser Funktion straf- und haftungsrechtlich herangezogen zu werden, unüberschaubar sein kann. 129 Aus diesem Befund wird teilweise auf die Verfassungswidrigkeit des § 14 Abs. 1 VersG geschlossen, denn Art. 8 Abs. 1 GG gewährleiste auch Großveranstaltungen in loser Organisationsform und schütze nicht nur Versammlungen im Sinne des 125

So ausdrücklich: Zeitler, Versammlungsrecht, Rz. 94. So ausdrücklich: Borchers Die Spontanversammlung, S. 109. 127 BVerfGE 69, 315 [358]; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 244; Hoffmann-Riem, in: Wassermann, Alternativkommentar GG, Art. 8 Rz. 8. 128 Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.244; Geulen, KJ 1983,189 [193]. 129 BVerfGE 69,315 [358]; Hoffmann-Riem, in: Wassermann, Altemativkommentar GG, Art. 8 Rz. 7; v. Mutius, JURA 1988, 79 [833]. 126

1. Kapitel: Die Anmeldepflicht des § 14 VersG

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„anachronistischen" Versammlungsbegriffs des Versammlungsgesetzes.130 Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur teilt zwar diese Bedenken, verhängt jedoch über § 14 Abs. 1 VersG nicht das Verdikt der Verfassungswidrigkeit, sondern legt die Vorschrift verfassungskonform aus.131 Sehe sich niemand in der Lage, die Gesamtverantwortung als Veranstalter der Versammlung zu übernehmen, so reiche die Teilanmeldung der Versammlung durch einzelne Gruppen aus. Außerdem müsse auch eine nur begrenzt vorhandene Bereitschaft, sich dialogfähig zu zeigen und Verantwortung zu übernehmen, bei der Prüfung etwaiger Sanktionen gem. § 15 Abs. 2 VersG gegen die gesamte Großdemonstration wegen unterbliebener Gesamtanmeldung berücksichtigt werden. Das Fehlen eines gesamtverantwortlichen Anmelders habe lediglich zur Folge, daß die Eingriffsschwelle der zuständigen Behörde bei Störungen absinken kann, sofern diese in Erfüllung ihrer Verfahrenspflichten alles getan hat, um die Durchführung einer friedlichen Demonstration zu ermöglichen. 132 Für die erste Auffassung spricht, daß Großdemonstrationen meist durch öffentliche Diskussionen vorbereitet und begleitet werden, so daß die Behörden auch ohne Anmeldung ausreichend informiert sind. Eine Anmeldung i. S. v. § 14 Abs. 1 VersG erscheint dann nicht als erforderlich. 133 Dieses Argument mißachtet jedoch die weiteren Funktionen der Anmeldung, die über die Informationsfunktion hinausgehen. Die Anmeldung ermöglicht nämlich durch die damit verbundene Kontaktaufnahme über das gegenseitige Kennenlernen hinaus einen Dialog und eine Kooperation zwischen Veranstaltern und Behörden, durch die die friedliche Durchführung der Versammlung sichergestellt werden kann. 134 Weiterhin setzt die Durchführung einer Großveranstaltung den Erlaß von Auflagen, d. h. beschränkenden Verfügungen i. S. v. § 15 Abs. 1 VersG voraus. Dazu bedarf es aber eines Adressaten in Form eines Veranstalters, der nur durch die Anmeldung zu gewinnen ist. 135 Die Anmeldung einer Großveranstaltung ist für deren Durchführung somit nahezu unerläßlich und bildet die Garantie für deren geordneten Ablauf. Folglich ist der zweiten Ansicht zu folgen. § 14 Abs. 1 VersG ist damit im Hinblick auf Großdemonstrationen verfassungsgemäß, wenn er im oben beschriebenen Sinne ausgelegt wird. 130 Geulen, KJ 1983,189 [193 f.]; Frankenberg, KJ 1981, 269 [281 f.]; vgl. auch: v. Mut ms, JURA 1988, 79 [83]; vgl. auch den Vortrag des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) im Sachbericht von: BVerfGE 69,315 [337 f.]. 131 BVerfGE 69,315 [358f.]; Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 143 Rz.30; Ott! Wächtler, Versammlungsgesetz, § 14 Rz. 8 f.; Schenke, JZ 1986, 35 [36]; Frowein, NJW 1985, 2376 [2377]; Hofmann, BayVBl. 1987, 129 [132]. 132 BVerfGE 69,315 [358f.]; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, §14 Rz.9; Schenke, JZ 1986, 35 [36]. 133 Vgl. Geulen, KJ 1983,189 [193]; v. Mutius, JURA 1988, 79 [83]. 134 BVerfGE 69,315 [358f.]; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.247; vgl. auch Schwind/Baumann u.a., in: Schwind/Baumann u.a., Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Band I, S. 124f. 135 BVerfGE 69,315 [358 f.]; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.247.

2. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

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I I I . Zwischenergebnis § 14 Abs. 1 VersG ist mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG vereinbar, wenn bei seiner Auslegung und Anwendung beachtet wird, daß die Anmeldepflicht bei Spontanversammlungen und die Anmeldefrist bei Eilversammlungen nicht greift. Im Hinblick auf Großdemonstrationen ist die Vorschrift dahingehend verfassungskonform auszulegen, daß neben einer Gesamtanmeldung auch die Teilanmeldung durch einzelne Gruppen in Betracht kommt und das Fehlen von gesamtverantwortlichen Veranstaltern und Leitern nicht allein zum Anlaß von Maßnahmen gegen die Versammlung genommen werden darf.

C. Weitere Ausnahmen von der Verpflichtung zur Anmeldung Neben den verfassungsrechtlich gebotenen Ausnahmen und Modifikationen von der Anmeldepflicht werden noch weitere Fälle diskutiert, in denen das Absehen von der Versammlungsanmeldung möglich erscheint. Außerdem benennt § 17 VersG bestimmte Veranstaltungstypen, die grundsätzlich nicht der Anmeldepflicht des § 14 VersG unterliegen. I. Von Literatur und Rechtsprechung diskutierte Ausnahmen Von Literatur und Rechtsprechung wird diskutiert, ob die Anmeldung nach § 14 Abs. 1 VersG dann entbehrlich ist, wenn die zuständige Behörde Kenntnis von der durchzuführenden Versammlung hat. Weiterhin ist fraglich, ob die Behörde auf die Einhaltung der Anmeldefrist verzichten kann. 136 Da Wortlaut und Systematik von § 14 Abs. 1 VersG bezüglich dieser Fragen nichts hergeben, wird mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift argumentiert. Für eine Entbehrlichkeit der Anmeldung bei bereits vorliegender Kenntnis der Behörde von der Absicht, eine Versammlung zu veranstalten, könnte sprechen, daß damit der Informationsfunktion des § 14 Abs. 1 GG genüge getan wird. 137 Diese Argumentation berücksichtigt jedoch nicht, daß die Vorschrift auch noch andere Funktionen hat. So erhält man aufgrund der Anmeldung der Versammlung einen Adressaten für beschränkende Verfügungen i. S. v. § 15 Abs. 1 VersG. Diese können zwar auch in Form einer Allgemeinverfügung nach §§ 35 S. 2,43 Abs. 3 S. 2 VwVfG ergehen.138 Durch die Anmeldung gem. § 14 Abs. 1 VersG soll aber auch gewährleistet werden, daß sich Veranstalter und Ord136

BGH, NJW 1969, 1770 [1773]; LG Köln, JZ 1969, 80 [83f.]; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 14 Rz. 7; Rühl, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 14 Rz. 9; Ott, Das Recht auf freie Demonstration, S.66. 137 So LG Köln, JZ 1969, 80 [83f.]. 138 DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz. 17; Breitbach/Deiseroth/Rühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz. 166; a. A. ohne Begründung Meyer!Köhler, Demonstrations- und Versammlungsrecht, § 15 Anm.5.

1. Kapitel: Die Anmeldepflicht des § 14 VersG

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nungsbehörden kennenlernen und in vertrauensvoller Kooperation die friedliche Durchführung der Versammlung gemeinsam gewährleisten. 139 Auf eine Anmeldung der Versammlung kann also auch dann nicht verzichtet werden, wenn die Behörde schon Kenntnis von deren Stattfinden hat. Dies gilt umso mehr, als daß der Veranstalter im Zweifelsfall gar nicht wissen kann, ob die Behörde bereits informiert ist oder nicht. Daraus ergibt sich auch, daß ein Verzicht der Behörde auf die Anmeldefrist von 48 Stunden möglich ist. 140 Hier hat nämlich bereits eine Anmeldung stattgefunden und die Behörde kann nun ermessen, ob sie zum Schutz der Versammlung und der Grundrechte Dritter geeignete Maßnahmen treffen muß. Kommt sie zu dem Ergebnis, daß dazu die verbliebene Zeit ausreichend ist, so widerspricht ein Verzicht auf die scheinbar so starre Frist des § 14 Abs. 1 VersG nicht den Intentionen des Gesetzgebers, so daß er grundsätzlich als zulässig bzw. sogar als geboten angesehen wird, wenn die gefahrlose Durchführung der Versammlung gesichert ist. An die Nichteinhaltung der Frist dürfen dann keine Konsequenzen geknüpft werden. 141 Als Ergebnis läßt sich somit festhalten, daß eine Anmeldung der Versammlung nach § 14 Abs. 1 VersG zwar auch dann notwendig ist, wenn die Behörde schon Kenntnis von der Versammlung hat. Sie kann jedoch bei verspätet angemeldeten Versammlungen auf die Einhaltung der 48-Stunden-Frist verzichten und damit einen Teil des versammlungsrechtlichen Instrumentariums außer Kraft setzen, denn an die Nichteinhaltung der Anmeldefrist dürfen nun keine Konsequenzen - weder ordnungsrechtlicher noch strafrechtlicher Art - geknüpft werden.

II. Ausnahmen nach § 17 VersG Nach § 17 VersG gelten die §§ 14 bis 16 VersG nicht für Gottesdienste unter freiem Himmel, kirchliche Prozessionen, Bittgänge und Wallfahrten, gewöhnliche Leichenbegängnisse, Züge von Hochzeitsgesellschaften und hergebrachte Volksfeste. Für diese Veranstaltungen entfällt folglich die Anmeldepflicht, und sie scheinen wegen Unanwendbarkeit der versammlungsrechtlichen Generalklausel privilegiert zu sein. Diese (scheinbare) Privilegierung hat im Schrifttum zu heftigen verfassungsrechtlichen Kontroversen geführt.

139

BVerfGE 69,315 [358f.]; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.247; vgl. auch Schwind!Baumann u.a., in: Schwind/Baumann u.a., Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Band I, S. 124f. 140 Einhellige Auffassung: BGH, NJW 1969,1770 [1773f.]; Rühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 14 Rz.9; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 14 Rz.5. 141 BGH, NJW 1969, 1770 [1773f.]; Rühl in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 14 Rz.9; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 14 Rz.5; Schick, BayVBl. 1967, 341 [342].

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2. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

1. §17 VersG als verfassungswidrige Privilegierung unpolitischer Veranstaltungen Zum Teil wird § 17 VersG als gegen Art. 8 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Privilegierung der unpolitischen Versammlung angesehen.142 Er sei deswegen verfassungswidrig, woraus gefolgert wird, daß die Anmeldepflicht auch für Veranstaltungen nach §17 VersG gelte.143 Die Neuregelung einer verfassungswidrigen Vorschrift sei zwar grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, der die Privilegierung abschaffen oder auch auf die bisher nicht privilegierten Fälle ausdehnen könne. In diesem Fall komme jedoch eine Ausdehnung der Privilegierung nicht in Betracht, da sich die Regelung des § 14 VersG als sinnvoll erwiesen habe. Begründet wird diese Auffassung damit, die in § 17 VersG genannten Veranstaltungen seien überwiegend als Versammlungen zu qualifizieren und insoweit privilegiert, als sie nicht angemeldet werden müßten. § 17 VersG führe dazu, daß die Anmeldepflicht im Prinzip nur noch auf politische Veranstaltungen anwendbar sei, denn unter einer Versammlung verstehe man eine Mehrheit von Menschen, die gemeinsam an einem Ort bestimmte Angelegenheiten erörtern, beraten oder kundttun, also in der Regel politisch agitieren. 144 § 17 VersG habe also zur Folge, daß nahezu alle denkbaren Versammlungen unter freiem Himmel außer den politischen weitgehend von den Beschränkungen des Versammlungsgesetzes ausgenommen seien, so daß dessen Bestimmungen in der Praxis zu einer ausschließlich gegen politische Veranstaltungen gerichteten Spezialgesetzgebung würden. 145 Dies sei jedoch verfassungswidrig, da die Versammlungsfreiheit gerade als politisches Grundrecht besonders geschützt sei. 146 2. §17 VersG als deklaratorische

Vorschrift

Die überwiegende Meinung hält § 17 VersG für verfassungskonform bzw. für verfassungskonform auslegbar. Er dürfe zwar nicht als privilegierende Ausnahme142

Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 17 Rz. 1 ff.; Ott, Das Recht auf freie Demonstration, S. 32ff.; Zitzmann, Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge, S.98 f.; kritisch auch: Denninger, ZRP 1968,42 f. 143 Zitzmann, Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge, S. 101; unklar: Ott, Das Recht auf freie Demonstration, S.41 f.; vgl. auch Hobbeling, Zulässigkeit und Grenzen präventiven Einschreitens gegen Demonstrationen nach § 15 Abs. 1 VersG, S. 31. 144 Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 17 Rz. 7; zu diesem herrschenden Versammlungsbegriff vgl. auch: OVG Weimar, NVwZ-RR 1998, 497 [480]; Hoffmann-Riem, in: Wassermann, Altenativkommentar, Art. 8 Rz. 12f.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz. 755; Deger, NVwZ 1999, 265 [266]. 145 Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 17 Rz.4; Ott, Das Recht auf freie Demonstration, S.32f.; Denninger, ZRP 1968,42 f. 146 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Art.8 Rz. 10f.; Kunig, in: v. Münch/ Kunig, Grundgesetzkommentar, Art. 8 Rz. 3; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S.97f.

1. Kapitel: Die Anmeldepflicht des § 14 VersG

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regelung zugunsten religiöser oder sonstiger unpolitischer Veranstaltungen interpretiert werden, denn dies verstieße in der Tat gegen Art. 8 Abs. 1 und 3 Abs. 1 GG. Er könne aber so ausgelegt werden, daß er die deklaratorische Feststellung treffe, daß die in ihm aufgeführten besonderen Veranstaltungen als typische Nicht-Versammlungen nicht nur von den §§ 14 bis 16 VersG ausgenommen werden, sondern - ohne inneren Versammlungscharakter - insgesamt nicht unter das Versammlungsgesetz fallen. 147 Begründet wird dies mit dem Versammlungsbegriff der herrschenden Meinung, der für eine Versammlung nicht nur eine Personenansammlung zu irgendeinem Zweck fordert, sondern in der gemeinsamen Meinungsbildung und -äußerung die Essentialia der Versammlung sieht.148 Danach seien die in § 17 VersG aufgeführten Veranstaltungen typischerweise weder Versammlungen i. S. v. Art. 8 GG noch i. S. v. § 1 VersG. Züge von Hochzeitsgesellschaften und hergebrachte Volksfeste dienten primär dem geselligen Beisammensein. Die in ihrem Zusammenhang stattfindenden Vorgänge suchten keine Publizität im Hinblick auf öffentliche Willens- und Meinungsbildung.149 Auch die in § 17 VersG aufgeführten religiösen Veranstaltungen fielen aus dem Versammlungsbegriff heraus, denn hier stünde die gemeinsame Kulthandlung im Vordergrund und nicht die Kommunikation mit der Öffentlichkeit. 150 Diese Auslegung sei entgegen der oben genannten Auffassung auch mit dem Wortlaut der Vorschrift vereinbar, denn § 17 VersG spreche von „gewöhnlichen" Leichenbegängnissen und „hergebrachten" Volksfesten. Daraus sei zu folgern, daß die Vorschrift dann nicht anwendbar sei, wenn die Veranstaltung aus dem „Gewöhnlichen" und „Hergebrachten" heraustrete und kommunikative Dimensionen annehme. Dann seien die Veranstaltungen nämlich als Versammlungen i. S. v. Art. 8 Abs. 1 GG, § 1 VersG anzusehen, weshalb sie nicht „privilegiert" würden. 151

147

Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, §17 Rz. 13 ff.; Offczors, in: Ridder/Breitbach, u. a., Versammlungsrecht, § 17 Rz. 7; Wolff/ Bachof, Verwaltungsrecht III, § 131 Rz. 10; Bairl-Vaslin, Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zum Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht, S. 223 ff.; Hobbeling, Zulässigkeit und Grenzen präventiven Einschreitens gegen Demonstrationen nach §15 Abs. 1 VersG, S.32ff.; Guradze, ZRP 1969, 6. 148 Vgl. Hoffmann-Riem, in: Wassermann, Alternativkommentar GG, Art. 8 Rz. 12; Pieroth! Schlink, Grundrechte, Rz.755. 149 Offczors, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §17 Rz.7; Bairl-Vaslin, Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zum Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht, S. 224f.; vgl. auch Zitzmann, Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge, S.95f. 150 Offczors, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §17 Rz.7; Bairl-Vaslin, Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zum Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht, S.225. 151 Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, §17 Rz.9; BairlVaslin, Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zum Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht, S.225; Hobbeling, Zulässigkeit und Grenzen präventiven Einschreitens gegen Demonstrationen nach § 15 Abs. 1 VersG, S. 32ff., 37.

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2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

3. Kritik

und Stellungnahme

Die oben dargestellte Kontroverse ist nur vor dem Hintergrund eines engen oder engeren Versammlungsbegriffs verständlich. Verzichtet man bei Versammlungen auf den spezifischen Zweck der Meinungsbildung und -äußerung in öffentlichen oder privaten Angelegenheiten und läßt jede innere Verbindung der Versammelten ausreichen, so stellt sich das vorliegende Problem nicht, denn neben politischen Versammlungen außerhalb von Veranstaltungen i. S. v. § 17 VersG sind noch eine Vielzahl anderer Formen gemeinsamen Verhaltens denkbar, die Versammlungscharakter besitzen, so daß das Problem der einseitigen Diskriminierung der politischen Versammlung nicht auftritt. 152 Schon vor diesem Hintergrund ist eine verfassungskonforme Auslegung von § 17 VersG möglich, die den Vorrang vor der Verwerfung einer Norm als verfassungswidrig hat. Gegen die zweite Auffassung läßt sich einwenden, § 17 VersG dispensiere die dort genannten Veranstaltungen ausdrücklich nur von den §§14 bis 16 VersG und stelle nicht die Geltung des gesamten Versammlungsgesetzes in Frage. 153 Die isolierte Exemtion von §§ 14 bis 16 VersG würde jedoch wegen der Sperrwirkung des Versammlungsgesetzes als Spezialregelung dazu führen, daß auf die in § 17 VersG genannten besonderen Veranstaltungen weder das allgemeine Polizeirecht noch das Straßen- und Straßenverkehrsrecht anwendbar wäre, obwohl eine mit „echten" Versammlungen vergleichbare Gefährdungslage und ein vergleichbares Regelungsbedürfnis vorläge. 154 Daß der Gesetzgeber sich gegenüber den in § 17 VersG aufgezählten Veranstaltungen jedes Handlungsinstrumentariums begeben wollte, kann jedoch nicht angenommen werden. 155 Unterstellt man die in § 17 VersG genannten Veranstaltungstypen dem Regiment des allgemeinen Polizei-, Straßen- und Straßenverkehrsrechts, so kann auch nicht mehr von einer Privilegierung unpolitischer Veranstaltungen gesprochen werden. Die polizeilichen Generalklauseln verzichten nämlich auf das Erfordernis einer unmittelbaren Gefahr und lassen jede einfache konkrete Gefahr genügen.156 Außerdem 152 Vgl. zum weiten Versammlungsbegriff: Herzog, in: Maunz/Dürig u. a., Grundgesetz, Art. 8 Rz. 13 ff.; Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 11 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz. 758; Müller, Wirkungsbereich und Schranken der Versammlungsfreiheit, S. 48; Geck, DVB1. 1980,797 [800f.]. 153 Vgl. Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 17 Rz. 14; OVG Münster, Beschluß vom 24.05.1993, 23 Β 1215/93 (η. v.), zitiert nach: DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 17 Rz. 9 Fn. 7. 154 Vgl. Offczors, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 17 Rz.7; DietellGintzell Kniesel y Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 17 Rz. 18; Bairl-Vaslin, Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zum Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht, S.222f. 155 Zu diesem Ergebnis kämen jedoch Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 17 Rz.4, die das allgemeine Polizeirecht ausdrücklich für nicht anwenbar halten! Vgl. auch Klein, DVB1.1971, 233 [241 Fn. 101]. 156 Klein, DVB1. 1971, 233 [241 Fn. 101].

1. Kapitel: Die Anmeldepflicht des § 14 VersG

65

bestehen - zumindest für die nichtreligiösen Veranstaltungen - Genehmigungspflichten nach § 29 Abs. 2 StVO und den Straßengesetzen, was eine Verschärfung im Gegensatz zur Anmeldepflicht nach § 14 Abs. 1 VersG darstellt. 157 Zu folgen ist deshalb der zweiten Auffassung, so daß die Anmeldepflicht für Veranstaltungen i. S. v. § 17 VersG im Regelfall entfällt.

D. Schlußfolgerungen für die Definition der formellen Versammlungsrechtswidrigkeit bei § 14 VersG Die vorstehenden Erörterungen haben erhebliche Konsequenzen für das Vorliegen einer formell rechtswidrigen oder rechtmäßigen Versammlung im Rahmen von § 14 VersG. Da die Vorschrift zwar verfassungsrechtlich nicht unproblematisch, aber zumindest verfassungskonform auslegbar ist, gilt prinzipiell, daß jede öffentliche Versammlung unter freiem Himmel 48 Stunden vor Bekanntgabe anzumelden ist, wobei die von § 14 VersG geforderten Angaben zu machen sind. Eine nicht angemeldete Versammlung ist deswegen zumindest formell rechtswidrig, weil gegen eine Norm verstoßen wird, die die Form der Verwirklichung der Rechtsordnung regelt. Ausnahmen gelten bei Spontan- und Eil Versammlungen. Die Spontanversammlung muß und kann vorher nicht angemeldet werden. Eine formelle Rechtswidrigkeit scheidet hier aus. Die Eilversammlung kann zwar angemeldet werden, jedoch nicht innerhalb der 48-Stunden-Frist, weshalb sie von deren Einhaltung dispensiert ist. Die Anmeldung muß aber so bald wie möglich erfolgen, weshalb eine Eilversammlung formell rechtswidrig ist, wenn sie nicht oder nicht unverzüglich angemeldet wird, es sei denn, im Einzelfall würde eine Anmeldung den Versammlungszweck vereiteln. Eine nicht rechtzeitig angemeldete „geordnete" Versammlung ist formell rechtswidrig, es sei denn, die Behörde verzichtet auf die Einhaltung der Anmeldefrist, worauf ein Anspruch bestehen kann, wenn die gefahrlose Durchführung der Versammlung auch ohne Einhaltung der Anmeldefrist gesichert ist. Großdemonstrationen sind von den einzelnen mitplanenden und -gestaltenden Gruppen anzumelden. Der Übernahme einer Gesamtverantwortung und einer gesamtverantwortlichen Anmeldung bedarf es nicht. Fehlt eine Anmeldung überhaupt, so ist auch die Großdemonstration formell rechtswidrig. Fehlt eine Anmeldung von einzelnen, nicht unbedeutenden Gruppen, so kann man von partieller formeller Rechtswidrigkeit als Pendant zur Teilanmeldung sprechen. Veranstaltungen nach § 17 VersG müssen nicht angemeldet werden, weil sie keine Versammlungen darstellen. Sollten sie doch einmal Versammlungscharakter anneh157 Religiöse Veranstaltungen sind wegen Art. 4 GG von Erlaubnispflichten dispensiert (Offczors, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 17 Rz. 10; Bairl-Vaslin, Das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zum Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht, S. 226 ff., 231). 5 Werner

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2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

men, so ist auf sie das gesamte versammlungsrechtliche Instrumentarium anzuwenden. 158 Eine unterlassene Anmeldung macht die Veranstaltung dann in der Regel - wenn nicht die zur Spontanversammlung entwickelten Grundsätze anwenbar sind - formell rechtswidrig. Welche Konsequenzen die formelle Rechtswidrigkeit auf den Bestand der Versammlung hat, wird im folgenden erläutert.

2. Kapitel

Das Eingriffsinstrumentarium des § 15 VersG Das VersG stellt für öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel eine abschließende Spezialregelung dar. Gegen dem Schutz von Art. 8 GG und § 1 VersG unterfallende Versammlungen kann nur mit den Instrumenten des Versammlungsgesetzes vorgegangen werden. Ein Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht ist prinzipiell erst nach einer Auflösung der Versammlung möglich. 159 Als Rechtsgrundlage für einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit im hier diskutierten Kontext kommt deswegen nur § 15 VersG in Betracht. Untersucht werden soll die Frage, ob man beim Regelungsinstrumentarium der §§ 14 und 15 VersG eine Differenzierung in formelle und materielle Illegalität vornehmen kann und welchen Einfluß die formelle und/oder materielle Illegalität der Versammlung auf ihren Bestand und damit auf die Möglichkeit ihrer Auflösung hat. Dabei soll die Untersuchung nicht nur auf das Verhältnis der Anmeldepflicht zur Auflösungsbefugnis beschränkt bleiben. Es wird vielmehr auch zu prüfen sein, ob man hinsichtlich der Auflösungsbefugnis bei Verstößen gegen Auflagen und Verbote eine Differenzierung zwischen formeller und materieller Illegalität vornehmen muß. Die systematische Reihenfolge der Untersuchung richtet sich nach der Reihenfolge der Auflösungsgründe gem. § 15 Abs. 2 und Abs. 3 VersG.

A. Überblick über die Regelung § 15 VersG ist der zentrale Eingriffstatbestand für Versammlungen unter freiem Himmel. Sein Abs. 1 läßt das Verbot der Versammlung oder das Abhängigmachen von Auflagen zu, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Nach § 15 Abs. 2 VersG kann eine Versammlung oder ein Aufzug aufgelöst werden, wenn sie nicht angemel158 In der weiteren Arbeit wird auf diese Veranstaltungsform deswegen nicht mehr gesondert eingegangen. 159 BVerwG, NVwZ 1987, 250f.; OVG Bremen, DÖV 1987, 253f.; Breitbach/Deiseroth/ Rühl, in: Ridder/Breibach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz.268f.

2. Kapitel: Das Eingriffsinstrumentarium des § 15 VersG

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det sind, von den Angaben der Anmeldung abgewichen oder den Auflagen zuwidergehandelt wird, oder wenn die Voraussetzungen zu einem Verbot nach Abs. 1 gegeben sind. Als „Minusmaßnahme" zur Auflösung kann außerdem eine Auflage angeordnet werden. 160 Eine Verpflichtung zur Auflösung enthält § 15 Abs. 3 VersG bei einem Verstoß gegen ein Versammlungsverbot. § 15 VersG hat materiellen Charakter. Er bestimmt den möglichen Inhalt des zu erzeugenden Verwaltungsaktes und definiert den Schutzzweck der versammlungsrechtlichen Vorschriften, nämlich den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und der dahinter stehenden Rechtsgüter. I. Die Versammlungsauflösung Die Versammlungsauflösung ist die Beendigung einer bereits existierenden Versammlung oder eines Aufzugs mit dem Ziel, die Personenansammlung zu zerstreuen. 161 Sie stellt einen Verwaltungsakt dar, durch den die Versammlung beendet wird und die gem. § 13 Abs. 2 i. V. m. § 18 Abs. 1 VersG bei ortsfesten Versammlungen die Rechtspflicht für die Teilnehmer hervorruft, sich vom Versammlungsort zu entfernen. Bei Aufzügen entsteht wegen der eingeschränkten Verweisung in § 19 Abs. 1 VersG auf § 18 Abs. 2 VersG keine gesetzliche Entfernungspflicht. Für diese ist der Ausspruch einer gesonderten Polizeiverfügung gestützt auf § 15 Abs. 2 VersG konstituierend. 162 Die Auflösung stellt jedoch in beiden Fällen keine Vollstreckungsmaßnahme in Form eines Realaktes dar, sondern eine Allgemeinverfügung gem. §35 S.2,1 Var. VwVfG. 163 II. Zur Verfassungsmäßigkeit von § 15 VersG Die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit von § 15 VersG wurde oben bei der Untersuchung der Verfassungskonformität von § 14 VersG schon angesprochen. § 15 Abs. 2,1. Var. VersG ist nach der dort geführten Diskussion nur dann mit dem Grundrecht aus Art. 8 GG vereinbar, wenn er so ausgelegt wird, daß die fehlende Anmeldung niemals schematisch zum Verbot oder zur Auflösung einer Versammlung berechtigt, sondern nur, wenn weitere Voraussetzungen für ein Eingreifen hin160 BVerwG, NJW 1982,1008 [1009]; OVG Greifswald, LKV 1999, 232, [233]; Breitbach/ Deiseroth/Rühl, in: Ridder/Breitbach, Versammlungsrecht, § 15 Rz.295ff. 161 DietellGintzellKniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, §15 Rz.45; Gusy, JA 1993, 555 [556]. 162 Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §19 Rz. 7; Dietel/Gintzel/ Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz. 47; a. A. Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 19 Rz. 7. 163 Breitbach/Deiseroth/Rühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §15 Rz.268ff.; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz.45 ff., 51; a. A. Werbke, NJW 1970,1 [2], der unzutreffend von einer Vollzugsmaßnahme ausgeht, der eine Verfügung „logisch" vorausgehe.

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2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeitbei §§ 14 und 15 VersG

zukommen. Der Eingriff muß zum Schutz anderer gleichgewichtiger Rechtsgüter notwendig sein.164 Dies muß erst recht gelten, wenn von den Angaben der Anmeldung abgewichen oder den Auflagen zuwidergehandelt wird, also für die Fälle des § 15 Abs. 2,2. und 3. Var. VersG, denn hier ist durch die bereits erfolgte Information der Behörde über das Stattfinden der Versammlung das Gefährdungspotential geringer. 165 Durch diese Auslegung wird gewährleistet, daß die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit nur dann zurücktritt, wenn eine Güterabwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts ergibt, daß dies zum Schutz anderer gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. 166 Grundsätzlich gilt also, daß ein Verbot oder eine Auflösung nur zum Schutz elementarer Rechtsgüter erfolgen darf. Durch das Erfordernis einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung und die Möglichkeit, als „Minusmaßnahme" zum Verbot oder zur Auflösung, eine Auflage zu verhängen, ist die Vereinbarkeit der Vorschrift mit Art. 8 GG unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit gewährleistet. 167 Verbot und Auflösung einer Versammlung kommen nur in Betracht, wenn das mildere Mittel der Auflagenerteilung ausgeschöpft ist und dies zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter notwendig ist. Allgemeine Bedenken gegen die Bestimmtheit der Norm, insbesondere im Hinblick auf den Begriff der öffentlichen Ordnung, werden nur noch vereinzelt geäußert. 168 Die herrschende Meinung und das BVerfG halten die Begriffe „öffentliche Sicherheit und Ordnung" durch die Diskussion in Rechtsprechung und Literatur für hinreichend konkretisiert. 169 Für die öffentliche Ordnung, die definiert wird als „die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerläßliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird", 170 wird dabei aber übersehen, daß Anschauungen, Empfindungen und persönliche Vorstellungen von Bürgern, auch wenn sie in der Mehrheit sind, die 164 BVerfGE 69,315 [351]; Benda, in: Dolzer/Vogel, Bonner Kommentar, Art. 8 Rz. 77; Ott! Wächtler, Versammlungsgesetz, § 15 Rz.51. 165 Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, §15 Rz.51; Krüger, Versammlungsrecht, S. 138. 166 Vgl. BVerfGE 69,315 [351]; OVG Weimar, NJ 1997, 102 [103]; Benda, in: Dolzer/Vogel, Bonner Kommentar, Art. 8 Rz. 77; Brenneke, in: Das Deutsche Bundesrecht, I F 40, § 15 Anm. 1.1; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 15 Rz.51. 167 BVerfGE 69,315 [353]; BVerwG, NJW 1982,1008 [1009]; OVG Greifswald, L K V 1999, 232, [233]; Breitbach/Deiseroth/Rühl, in: Ridder/Breitbach, Versammlungsrecht, §15 Rz. 295 ff. 168 Denninger, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt E, Rz.26f; Hill, DVB1. 1985, 88 [90f]; Peine, Die Verwaltung 1979, 25 [31 f.]; vgl. auch Schioer, BayVBl. 1991, 257f. 169 BVerfGE 69,315 [352]; Götz, Polizei- und Ordnungsrecht, Rz. 138; Drews/Wacke u. a., Gefahrenabwehr, S.245. 170 BVerfGE 69,315 [352]; Drews/Wacke u.a., Gefahrenabwehr, S.245; Rühl, NJW 1995, 561 [563].

2. Kapitel: Das Eingriffsinstrumentarium des § 15 VersG

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grundrechtliche Versammlungsfreiheit nicht einschränken können. 1 7 1 In einer demokratischen Gesellschaft müssen jeweils herrschende soziale und ethische A n schauungen, seien es politische, religiöse oder moralische, auch kollektiv durch Wahrnehmung des Versammlungsrechts in Frage gestellt werden dürfen. 1 7 2 Dies gilt umso mehr, als daß das Versammlungsrecht auch ein Minderheitenschutzrecht ist. 1 7 3 Für den Begriff der öffentlichen Ordnung in § 15 Abs. 1 VersG bedeutet dies, daß er praktisch nur noch das Interesse an der Leichtigkeit des Verkehrs i m Rahmen einer Versammlung schützt. 174 Davon geht wohl auch das BVerfG aus, wenn es ausführt, daß bloße Gefährdungen der öffentlichen Ordnung i m allgemeinen keine Versammlungsverbote oder -auflösungen rechtfertigen können. 1 7 5 Dadurch wird verhindert, daß die „öffentliche Ordnung" zur Unterdrückung von Minderheiten i m Kollektiv mißbraucht w i r d . 1 7 6 Versammlungsverbote und -auflösungen werden also über den Wortlaut des § 15 VersG hinaus auf die Fälle beschränkt, in denen durch die Kundgebung zentrale Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum und die Unversehrtheit der staatlichen Einrichtungen bedroht sind und dem nicht mit milderen Mitteln begegnet werden kann. 1 7 7 Wegen der Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung von § 15 VersG erübrigen sich somit vertiefte Erörterungen. 178 171 Vgl. VGH München, DVB1. 1979, 738; BreitbachlDeiserothlRühl, in: Ridder/Breitbach u.a. Versammlungsrecht, §15 Rz. 101, 317; Denninger, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt E, Rz. 26. 172 Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 15 Rz.20; Ehrentraut, Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen und deutschen Verfassungsrecht, S.206; Rühl, NJW 1995,561 [563]; Hofmann, BayVBl. 1987, 129 [133]. 173 Herzog, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Art.8 Rz. 10f.; Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 4 f. 174 BreitbachlDeiserothlRühl, in: Ridder/Breitbach u. a. Versammlungsrecht, § 15 Rz. 102, 317. 175 BVerfGE 69,315 [353]; Wache, in: Erbs/Kohlhaas u.a., Strafrechtliche Nebengesetze, V 55, § 15 Rz.6; Kniesel, NJW 1996, 2606 [2608]. 176 Dies führt freilich auch dazu, daß die „öffentliche Ordnung" nicht mehr zur Verhinderung von rechtsradikalen Aufmärschen taugt, soweit diese sich an bestehende Strafgesetze halten (Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 430f.; Geis, Die Polizei 1993, 293 [295 f.]; Rühl, NVwZ 1988, 561 [563]). Auch ein Hinweis auf die Verfassungswidrigkeit rechtsradikaler Bestrebungen rechtfertigt kein Versammlungsverbot, denn die Feststellung der Verfassungswidrigkeit von Parteien und Einzelpersonen obliegt dem BVerfG gem. Art. 21 Abs. 2 und 18 GG. Vereine werden bei Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit vom zuständigen Minister gem. Art. 9 Abs. 2 GG i. V.m. §§3ff. VereinsG verboten. Eine weitere Möglichkeit in Gestalt versammlungsrechtlicher Verbote der Veranstaltungen solcher Gruppierungen gibt es nach der Verfassung nicht; sie wäre nichts anderes als ein Parteien- und Vereinsverbot, bzw. eine Grundrechtsverwirkung durch die „Hintertür" (vgl. BVerfG-K, NJW 1998, 3631; so ausdrücklich Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.430f.; ders., NJW 1996,2606 [2607f.]; ders., NJ 1998,666; Rühl, NVwZ 1988,561 [563]; a. A. VGH Kassel, NVwZ-RR 1994, 86 [87]; VGH München, NVwZ 1992, 76 [77]. Abhilfe kann hier nur der Gesetzgeber schaffen. 177 Höllein, NVwZ 1994, 635 [638, 640]. 178 Zur hier nicht weiter vertieften verfassungsrechtlichen Problematik der „öffentlichen Ordnung" vgl. insbesondere: Hill, DVB1. 1985, 88ff. und Denninger, JZ 1979, 145ff.

2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

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B. Auswirkungen der formellen Rechtmäßig- und Rechtswidrigkeit i. S. v. § 14 VersG auf die Entscheidung über die Auflösung Im Rahmen von §§14 und 15 VersG ist eine Versammlung wie gezeigt formell rechtmäßig, wenn eine Anmeldepflicht besteht und diese ordnungsgemäß erfüllt wurde. Die formelle Rechtmäßigkeit einer Versammlung führt jedoch - anders als im Baurecht bei der genehmigten baulichen Anlage 179 - nicht dazu, daß gegen sie zunächst nicht mehr zum Zwecke der Gefahrenabwehr vorgegangen werden kann, denn § 15 Abs. 2 VersG macht die Befugnis zur Auflösung nach seiner 4. Var. vom Vorliegen der Eingriffsvoraussetzungen nach Abs. 1 abhängig, nennt diesen Auflösungsgrund aber selbständig neben seiner 1. Var. und verbindet die verschiedenen Fälle sprachlich mit „oder" und nicht mit „und", was für eine Unabhängigkeit der Auflösungsgründe zumindest für die Anwendung der 4. Var. spricht. Zudem stellt die Anmeldung der Versammlung keinen Verwaltungsakt dar, auf den der Veranstalter oder die Teilnehmer vertrauen könnten.180 Andererseits ist eine Auflösung der Versammlung allein wegen fehlender oder unzureichender Anmeldung ausgeschlossen. Es stellt sich deswegen die Frage, welchen Einfluß die formelle (II-) Legalität der Versammlung auf die Entscheidung über die Auflösung hat.

I. Auswirkungen der i. S. v. § 14 VersG formellen Rechtmäßigkeit auf die Entscheidung über die Auflösung Die Anmeldung ist ein erster Schritt zur erfolgreichen Kooperation zwischen Veranstalter und Versammlungsbehörde. 181 Sie ermöglicht Schutz- und Vorsorgemaßnahmen der zuständigen Behörde und kann somit die reibungslose Durchführung der Versammlung bewirken. Folglich liegt es auf der Hand, daß sich die erfolgte Anmeldung auch auf die rechtlichen Voraussetzungen zur Aufösung nach § 15 Abs. 2,4. Var. VersG in Richtung auf ein Nichteinschreiten auswirkt. Aus Art. 8 GG, der alle friedlichen öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel gleich schützt und nicht nach Veranstaltungstypen differenziert, sowie dem Grundsatz der Gleichbehandlung gem. Art. 3 Abs. 1 GG folgt außerdem, daß dies im Prinzip für alle formell rechtmäßigen Versammlungen gelten muß. Zunächst sollen jedoch die konkreten Auswirkungen der formellen Rechtmäßigkeit auf die Entscheidung zur Versammlungsauflösung bei der angemeldeten und „geordneten" Versammlung untersucht werden.

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Vgl. OVG Münster, NWVB1. 1991, 193 [194]; Böckenförde, in: Böckenförde/Temme u.a., Landesbauordnung NW, §61 Rz.41; Mampel, BauR 1996, 13 [19f.]. 180 Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.235. 181 Kniesel, in: Lisken/Denniger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.253; Buschmann, Kooperationspflichten im Versammlungsrecht, S.77,84.

2. Kapitel: Das Eingriffsinstrumentarium des § 15 VersG

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1. Auswirkungen auf die Auflösungsverfügung bei der „geordneten " und angemeldeten Versammlung Die angemeldete formell rechtmäßige Versammlung kann gem. § 15 Abs. 2,4. Var. i. V. m. Abs. 1 VersG aufgelöst werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Die Versammlung ist dann materiell rechtswidrig bzw. illegal, weil bei einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gegen den Schutzzweck des Versammlungsrechts verstoßen wird, die Versammlung mit den inhaltlichen Anforderungen des Versammlungsrechts nicht übereinstimmt. a) Voraussetzungen der materiellen Rechtswidrigkeit Voraussetzung für die materielle Rechtswidrigkeit einer Versammlung ist also zunächst eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung. Die letzten beiden Begriffe wurde oben bereits einschränkend ausgelegt und erörtert. Gefahr i. S. d. § 15 Abs. 1 VersG ist nur die konkrete Gefahr, also die von einer konkreten Sachlage ausgehende Gefahr im Gegensatz zur abstrakten, aus einer typisierten Situation sich ergebenden Gefahr. 182 Aus der grundrechtlichen Gewährleistung der Versammlungsfreiheit und deren konstitutiven Bedeutung für den demokratischen Prozeß ergibt sich, daß es verfassungswidrig wäre, würde man davon ausgehen, Versammlungen stellten per se eine Gefahr dar, die es zu bekämpfen gelte. Versammlungen und Demonstrationen sind im demokratischen Gemeinwesen praktizierte Demokratie, nicht aber etwa verfassungsrechtlich unerwünschter Druck der Straße, Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung oder gar an und für sich gefährliche Erscheinungen des Gesamtlebens.183 Deswegen verlangt der Gesetzgeber zum Eingriff in die Versammlungsfreiheit nicht nur eine konkrete „einfache" Gefahr, sondern macht dies - verfassungsrechtlich geboten - vom Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr abhängig.184 Eine unmittelbare Gefahr liegt vor, wenn die Gefahr akut ist, d. h. der Eintritt des Schadens sofort und fast mit Gewißheit zu erwarten ist. 185 Die damit erforderliche Gefahrenprognose muß auf „erkennbaren Umständen" beruhen, also auf Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Einzelheiten; bloßer 182 Zu den unterschiedlichen Gefahrbegriffen vgl. Denninger, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt E, Rz.42; Drews/Wacke u. a., Gefahrenabwehr, S. 227; kritisch zur heutigen Dogmatik: Schlink, JURA 1999, 169ff. 183 Vgl. Breitbach/Deiseroth/Rühl, in: Ridder/Breitbach, Versammlungsrecht, §15 Rz. 74; 108; Lösell Selgì Schneider, in: Schwind/Baumann u. a., Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Band II, S.55. 184 BVerfGE 69,315 [353]; BayVGH, BayVBl. 1998, 565; Breitbach/Deiseroth/Rühl, in: Ridder/Breitbach, Versammlungsrecht, § 15 Rz. 111. 185 BayVGH, BayVBl. 1998, 565; OVG Bremen, DVB1. 1990, 1048 [1050]; Ott/Wächtler, Versammungsgesetz, § 15 Rz. 16.

2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

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Verdacht oder Vermutungen reichen nicht aus.186 Bei einer repressiven Versammlungsauflösung wird jedoch meist - anders als bei der Verhängung von präventiven Verboten oder Auflagen - bereits eine Störung der öffentlichen Sicherheit eingetreten sein. b) Rechtsfolgen der materiellen Rechtswidrigkeit Die Rechtsfolgen der materiellen Rechtswidrigkeit sind bei der bestehenden Versammlung in § 15 Abs. 2 VersG bestimmt. Danach liegt eine Auflösung der Versammlung im Ermessen der Behörde. Ausdrücklich ist ihr in dieser Vorschrift nur Entschließungsermessen eingeräumt. Da bloße Beschränkungen in Form von Auflagen gegenüber der Auflösung jedoch mildere Eingriffe sind, halten Rechtsprechung und Literatur auch den Erlaß von Auflagen im Rahmen von § 15 Abs. 2 VersG für zulässig. Begründet wird dies mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Wege eines logischen Schlußverfahrens a fortiori. 187 Ein Auswahlermessen ergibt sich also auch für die Entscheidung zwischen Auflösung und der diese erübrigenden sogenannten „Minusmaßnahmen". aa) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Für die Ermessensentscheidung gelten die Ermessensschranken des Differenzierungsverbots und des Übermaßverbots. 188 Im Übermaßverbot sind die Grundsätze der Geeignetheit (objektive Zwecktauglichkeit von Maßnahmen), der Erforderlichkeit (Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs) und der Verhältnismäßigkeit (Proportionalität von Eingriffszweck und -folgen) zusammengefaßt. 189 Der Grundsatz der Erforderlichkeit limitiert das Auswahlermessen. Bei mehreren geeigneten Maßnahmen zur Abwehr einer Gefahr hat sich die zuständige Behörde auf die Maßnahmen zu beschränken, die im konkreten Fall die jeweilige Ausübung der Versammlungsfreiheit am wenigsten beeinträchtigen. Wenn Minusmaßnahmen ausreichen, sind Verbot und Auflösung unzulässig.190 Liegen die Voraussetzungen für ein Verbot vor, ergibt aber eine Prognose, daß im Gefährdungsfall spätere Auflösung ausreicht und möglich ist, darf die Veranstaltung nicht verboten werden. Wenn beschränkende 186

BVerfGE 69,315 [354]; Bay VGH, BayVBl. 1998, 565; OVG Weimar, NJ 1997, 102 [103]; DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammungsfreiheit, § 15 Rz.25. 187 BVerfGE 69,315 [353]; BVerwG, NJW 1982, 1008 [1009]; Kunig, in: v. MünchKunig, Grundgesetzkommentar, Art. 8 Rz. 34; Brenneisen, Kriminalistik 1999, 483 [486]; Deger, NVwZ 1999, 265 [266]; DieteüKniesel, Die Polizei 1985, 335 [342]; Götz, NVwZ 1990, 725 [731]. 188 Brenneisen, DÖV 2000, 275 [281]. 189 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 1; Werner, VB1BW 1998, 323 [329]. 190 BVerfGE 69,315 [353]; BVerwG, NJW 1982,1008 [1009]; OVG Greifswald, L K V 1999, 232 [233]; Crombach, Die öffentliche Versammlung unter freiem Himmel, S.49; Braun, Die Polizei 1985, 65 [72].

2. Kapitel: Das Eingriffsinstrumentarium des § 15 VersG

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Verfügungen unbeachtet bleiben, darf die zuständige Behörde nicht untätig bleiben und von Maßnahmen zwangsweiser Durchsetzung absehen, bis ein Zustand eintritt, der die Auflösung unabweisbar macht.191 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit limitiert nicht nur das Auswahlermessen, sondern auch das Entschließungsermessen. Bei der konkreten Entscheidung über Eingreifen oder Nichteingreifen, wie bei der Auswahl der erforderlichen Maßnahmen, hat die zuständige Behörde abzuwägen, ob die durch ihr Tätigwerden zu erwartenden konkreten Beeinträchtigungen gerechtfertigt sind. Auflösung und Verbot dürfen nur zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter erfolgen, wobei das Verbot im Regelfall als letztes Mittel in Betracht kommt, wenn eine nachträgliche Auflösung sinnvoll und möglich erscheint, da so nicht für alle (friedlichen) Teilnehmer die Grundrechtsausübung von vornherein unmöglich gemacht wird. 192 Welche Rechtsbeeinträchtigungen jeweils hingenommen werden müssen und welche eine tragfähige Grundlage für Eingriffe in die Versammlungsfreiheit darstellen, ist im Einzelfall in Ansehung der gegebenen Tatsachen unter Beachtung der grundlegenden Bedeutung des Art. 8 GG festzustellen. 193 Mit dieser groben Umschreibung der rechtmäßigen Ermessensbetätigung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit kann allerdings noch keine Auswirkung der formellen Rechtmäßigkeit auf die behördliche Entscheidung festgestellt werden. Dazu bedarf es weiterer vertiefter Überlegungen. bb) Das Kooperationsprinzip Ermessenslenkend im Hinblick auf Maßnahmen nach § 15 Abs. 2 VersG wirkt auch die zwischen Veranstalter und Behörde erfolgte Kooperation. 194 Kooperation bedeutet Zusammenarbeit der Grundrechtsträger, insbesondere der Veranstalter und Leiter, mit der Versammlungsbehörde zur Sicherung der friedlichen und materiell rechtmäßigen Durchführung der Versammlung. 195 Diese beginnt im Regefall mit der Anmeldung der Versammlung, wenn der Veranstalter persönlich erscheint. 196 Aber 191 BVerfGE 69,315 [362]; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz. 77 f. 192 BVerfGE 69,315 [353; 362]; Krüger, Versammlungsrecht, S. 119. 193 BVerfGE 69,315 [354]; Müller, Wirkungsbereich und Schranken der Versammlungsfreiheit, S. 139 f. 194 Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.259; Rühl, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 14 Rz. 19. 195 Buschmann, Kooperationspflichten im Versammlungsrecht, S. 10,144; Schwind/Baumann u. a., in: Schwind/Baumann u.a., Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Band I, S. 124f.; Hoffmann-Riem, in: Brandt, Festschrift für Helmut Simon, S.379ff.; Lohse, Die Polizei 1987, 93 [94f.]. 196 Vgl. Brenneke, in: Das Deutsche Bundesrecht, I F 40, § 14 Anm. 1.1.; Buschmann, Kooperationspflichten im Versammlungsrecht, S.79; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S.208.

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2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

auch bei einer telefonisch oder sonstwie erfolgten Anmeldung bildet diese den Auftakt zur Kooperation, denn durch die Namhaftmachung der für die Versammlung verantwortlichen Personen sind nun Ansprechpartner für eine mögliche Zusammenarbeit vorhanden. 197 Das Kooperationsgebot wird aus der Gewährleistung des Art. 8 Abs. 1 GG hergeleitet. Dieser verpflichtet die Versammlungsbehörden zur grundrechtsfreundlichen Anwendung vorhandener Verfahrensvorschriften im Versammlungsgesetz und in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder. Es wird verfassungsrechtlich zusätzlich mit der Geltung des Übermaßverbots gerechtfertigt, denn Kooperation wird als milderes Mittel gegenüber Verbot und Auflösung angesehen.198 Das Kooperationsgebot wurde anläßlich der aufkommenden Großdemonstrationen entwickelt, die ohne eine - wenn auch nur marginale - Zusammenarbeit zwischen Veranstalter und Versammlungsbehörden nicht durchführbar wären. Es gilt heute jedoch für alle Versammlungen und Versammlungstypen, bei denen Kooperationsbedarf besteht.199 Die behördenseitigen Kooperationspflichten bestehen vor allem in der Erörterung offener Fragen und in der Beratung und Information des Veranstalters. Der Veranstalter soll Kenntnis über rechtliche und tatsächliche Grenzen seines Vorhabens bekommen und Gelegenheit zu Einwendungen gegenüber der behördlichen Gefahreneinschätzung sowie zum Anbieten von Austauschmitteln zur Vermeidung nicht akzeptierter behördlicher Maßnahmen erhalten. 200 Gegenstand der Erörterung ist insbesondere die Gefahrenprognose. Die Behörde hat darzulegen, welche Gefahren für die öffentliche Sicherheit sie für wahrscheinlich hält und der Veranstalter kann dann seine Einschätzung entgegenstellen. Er erhält somit Gelegenheit, die Einschätzung der Behörde zu entkräften. Als Kooperationsschuld wird von ihm die wahrheitsgemäße Auskunft über veranstalterbezogene und durchführungsrelevante Fragen sowie die in seinen Kräften liegende Beachtung von Vereinbarungen erwartet. Allerdings besteht über die Anmeldung hinaus keine gesetzliche Kooperationspflicht, sondern nur eine Kooperationsobliegenheit.201 Der Verzicht auf intensive 197 BVerfGE 85,69 [74]; Dietell Ginzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 14 Rz.31,43; Buschmann, Kooperationspflichten im Versammlungsrecht, S.79. 198 BVerfGE 69,315 [355 f.]; DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 1 Rz. 111; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.253; ders., NJ 1997,104f.; die verwaltungsrechtliche Verortung des Kooperationsprinzips ist umstritten. Während einige es als erweiterten Anmeldezweck aus § 14 VersG entwickeln (so Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 260 und Buschmann, Kooperationspflichten im Versammlungsrecht, S. 84), entlehnen es andere wegen seiner ermessenssteuemden Wirkung aus § 15 VersG (so Rühl, in: Ridder/Breitbach, Versammlungsrecht, § 14 Rz. 19). 199 BVerfGE 85, 69 [74]; Hoffmann-Riem, in: Brandt, Festschrift für Helmut Simon, S. 379ff.; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.257. 200 DietellKniesel, Die Polizei 1985,335 [342f.]; Hoffmann-Riem, in: Brandt, Festschrift für Helmut Simon, S.382. 201 BVerfGE 69,315 [357]; DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 14 Rz. 54; Buschmann, Kooperationspflichten im Versammlungsrecht, S. 84; Hoffmann-Riem, in: Brandt, Festschrift für Helmut Simon, S.393 Fn.51.

2. Kapitel: Das Eingriffsinstrumentarium des § 15 VersG

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Kooperation über die Anmeldung hinaus darf versammlungsrechtlich nicht gesondert sanktioniert - umgekehrt aber begünstigt werden. 202 Fehlende Kooperationsfähigkeit oder mangelnde Kooperationsbereitschaft des Veranstalters gehen im übrigen zu seinen Lasten. Dies führt zum Absinken der Eingriffs- und Reaktionsschwelle im Rahmen des § 15 Abs. 2,4. Var. VersG. 203 Die Versammlungsbehörde darf die von § 15 Abs. 1 VersG geforderte strenge Gefahrenprognose nämlich nun ausschließlich auf das ihr vorliegende Tatsachenmaterial stützen, wenn sie ihrerseits vertrauensvolle Kooperation angeboten hat, und muß den Sachverhalt von sich aus nicht weiter erforschen, um weiteres Tatsachenmaterial für eine Entscheidung über die Versammlungsauflösung zu sammeln.204 Umgekehrt rückt die Schwelle für behördliches Eingreifen wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit höher, wenn der Veranstalter sich kooperationsbereit zeigt. Je mehr der Veranstalter sich anläßlich der Anmeldung einer Demonstration zu einseitigen vertrauensbildenden Maßnahmen bereit erklärt und zu einer demonstrationsfreundlichen Kooperation bereit ist, desto höher rückt die Schwelle für behördliches Eingreifen. 205 Verwaltungsrechtsdogmatisch wird dies als Einengung des Entschließungsermessens begriffen. 206 Eine ordnungsgemäße Anmeldung i. S. v. § 14 VersG führt damit als Auftakt für eine Kooperation in der Vorbereitungsphase zu einer Verengung des Entschließungsermessens im Hinblick auf die Beschränkungen des Versammlungsrechts. Je intensiver der Veranstalter nun auf Basis der Anmeldung mit der Versammlungsbehörde kooperiert, desto höhere Voraussetzungen werden an die Gefahrenprognose gestellt. Die Anmeldung und die auf dieser begründeten Kooperation schützt die Versammlung also verstärkt gegen behördliche Eingriffe. Eine Auflösung der Versammlung wird dann nur in Betracht kommen, wenn die Versammlung trotz erfolgter Kooperation unfriedlich wird oder schwere und unerträgliche Störungen für die öffentliche Sicherheit eintreten. 207 In den überwiegenden Fällen ist die Versammlungsbehörde jedoch gehalten, durch Schutz- und Sicherungsmaßnahmen die 202 Rühl, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 14 Rz. 19; Hoffmann-Riem, in: Brandt, Festschrift für Helmut Simon, S. 383 f. 203 VGH München, NVwZ 1992, 76 [77]; Brenneke, in: Das Deutsche Bundesrecht, I F 40, § 15 Anm. 3; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz. 172; Rudolf/ Hill! Schmidt-Jortzig, in: Schwind/ Baumman u. a., Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Band II, S. 1005. 204 BVerfGE 69,315 [357]; Dietel/Gintzel/Kniesel Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 14 Rz. 54; Herzog, in: Maunz/Dürig u. a., Grundgesetz, Art. 8 Rz. 108 f. 205 BVerfGE 69,315 [357], Kniesel in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.259, Buschmann, Kooperationspflichten im Versammlungsrecht, S.81; Hollerbaum, Demonstrationsfreiheit, S.87; Lohse, Die Polizei 1987, 93 [98f.]. 206 Kniesel in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.259; Rühl in: Ridder/Breitbach, Versammlungsrecht, § 14 Rz. 19. 207 Vgl. BVerfGE 69,315 [360f.]; Dietel/Gintzel/Kniesel Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz. 29; Breitbach/Deiseroth/Rühl in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 15 Rz. 279, 285ff.; Drosdzol JuS 1983, 409 [414].

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2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

Durchführung der Versammlung zu gewährleisten. Als Ergebnis läßt sich somit festhalten, daß die erfolgte Anmeldung - also die formelle Rechtmäßigkeit der Versammlung - zur Erhöhung der Eingriffsschwelle im Rahmen von § 15 Abs. 2,4. Var. VersG führt. 2. Auswirkungen auf die Auflösungsverfügung bei Spontanversammlungen Bei der Spontanversammlung ist die Anmeldepflicht von Verfassungs wegen suspendiert. Sie ist formell rechtmäßig, weshalb § 15 Abs. 2,1. Var. VersG keine Anwendung findet. 208 Aufgelöst werden kann die Spontanversammlung nur unter den Voraussetzungen des § 15 Abs. 2,4. Var. VersG, also nur bei Bestehen einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit. 209 Da die Spontanversammlung formell rechtmäßig ist, führt die fehlende Anmeldung auch nicht zum Absinken der Eingriffsschwelle bei § 15 Abs. 2,4. Var. VersG. Dies folgt aus Art. 8 GG, der auch die Spontanversammlung umfassend schützt. Die Versammlung erlangt gerade durch das ihr immanente spontane Element besondere Wirkkraft. Es verbietet sich deswegen, an die fehlende Anmeldung negative Konsequenzen im Hinblick auf die Auflösbarkeit der Versammlung zu knüpfen. 210 Dies läßt sich auch damit begründen, daß durch die fehlende Anmeldung nicht gegen bestehende Kooperationspflichten verstoßen wird. Zwar ist die Pflicht zur vertrauensvollen Kooperation auch bei der Spontanversammlung nicht suspendiert. Bei dieser besteht im Gegenteil erhöhter Kooperationsbedarf, weil sie die Außenwelt und die Versammlungsbehörde unvorbereitet trifft. Die Kooperation beginnt hier jedoch erst vor Ort. Die Versammlungsbehörde muß dort versuchen, „Ansprechpartner" zu gewinnen, denn ein Veranstalter ist nicht vorhanden und meist fehlt auch der Versammlungsleiter, und mit diesen weitere Maßnahmen abstimmen. 211 Die Kooperation in der Durchführungsphase führt dann wiederum zur Erhöhung der Eingriffsschwelle, während bei einer Kooperationsverweigerung die Reaktionsschwelle absinkt, und die Behörde in ihrer Gefahrenprognose autark wird. 212 Als Ergebnis ist damit festzuhalten, daß die formelle Rechtmäßigkeit der Spontan208 BreitbachlDeiserothlRühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz.279; DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz.56; Borchers Die Spontanversammlung, S. 127; Frowein, NJW 1985, 2376 [2377]. 209 Alle anderen Lösungsmöglichkeiten wurden bereits bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 14 VersG verworfen. 210 BVerfGE 69,315 [350 f.]; DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, Rz.56; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 15 Rz.53; BreitbachlDeiserothlRühl, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammungsrecht, § 15 Rz. 279. 211 Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.292. 212 Herzog, in: Maunz/Dürig u. a., Grundgesetz, Art. 8 Rz. 109; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 292; Rudolf!Hill!Schmidt-Jortzig, in: Schwind/Baumman u. a., Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Band II, S. 1005.

2. Kapitel: Das Eingriffsinstrumentarium des § 15 VersG

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Versammlung dazu führt, daß die Eingriffsschwelle wegen fehlender Anmeldung nicht absinkt.

3. Auswirkungen auf die Auflösungsverfügung

bei Eilversammlungen

Auch die Eil Versammlung ist von Verfassungs wegen geschützt. Sie ist deswegen formell rechtmäßig, wenn sie rechtzeitig angemeldet wurde oder wenn - bei Nichtanmeldung - die Anmeldung wegen der Dringlichkeit der Versammlung ausnahmsweise nicht erforderlich war. Besteht im Einzelfall keine Anmeldepflicht und fehlt es deswegen an einer Anmeldung, so sind die oben entwickelten Grundsätze bezüglich der Spontanversammlung heranzuziehen.213 Auch hier führt die fehlende Anmeldung nicht zum Absinken der Eingriffsschwelle. Die formelle Rechtmäßigkeit der Versammlung wahrt den status quo. Die rechtzeitige Anmeldung der Eil Versammlung bewirkt demgegenüber in Anwendung der bei der geordneten Versammlung entwickelten Grundsätze eine Erhöhung der Reaktionsschwelle im Rahmen von § 15 Abs. 2,4. Var. VersG. Der Einfluß auf das Entschließungsermessen hängt jedoch davon ab, wieviel Zeit der Versammlungsbehörde noch bleibt, um notwendige Schutzmaßnahmen für die Versammlung zu treffen. 214 Somit kann man als Ergebnis auch hier festhalten, daß die formelle Rechtmäßigkeit bei der Eilversammlung dazu führt, daß zumindest die Eingriffsschwelle nicht absinkt, sollte die Anmeldung im Einzelfall entbehrlich sein.

4. Auswirkungen auf die Auflösungsverfügung

bei Großdemonstrationen

Auch Großdemonstrationen sind nach § 14 VersG anzumelden. Die verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift hat jedoch ergeben, daß es keiner Anmeldung durch einen gesamtverantwortlichen Veranstalter bedarf, sondern daß nur einzelne, die Veranstaltung tragende Gruppen, anmeldepflichtig sind. Kommen diese ihrer Anmeldepflicht nach, so ist die Versammlung insgesamt formell rechtmäßig, was zu einer Erhöhung der Eingriffsschwelle führt. Verweigerte Kooperation, also das Unterlassen einer Anmeldung schlechthin, führt zum Absinken der Eingriffsschwelle. 215 Allerdings wird eine Auflösung der Versammlung regelmäßig erst dann in Betracht kommen, wenn sich die einzelnen Veranstalter auch während der Durchführungsphase der Versammlung nicht kooperationsbereit zeigen. In diesem Fall muß eine beabsichtigte Auflösung vorher unter Fristsetzung angekündigt und weitere 213

Vgl. Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 14 Rz. 12 die meinen, der Unterschied zwischen beiden Versammlungsformen sei fließend. 214 Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.293. 215 BVerfGE 69, 315 [359]; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.291.

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2. Teil: Versammlungsrechts Widrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

Gelegenheit zur Kooperation bis zum Fristablauf gegeben werden. 216 Die Anmeldung von einzelnen Veranstaltern bleibt aber nicht unberücksichtigt, auch wenn andere die Anmeldung unterlassen haben, die Versammlung also nur partiell fomell rechtmäßig bzw. rechtswidrig ist. Schon ein beschränkt erteiltes Mandat und eine insgesamt nur begrenzt vorhandene Bereitschaft, sich dialogfähig zu zeigen und Verantwortung zu übernehmen, darf bei der Prüfung von Sanktionen gegen die Großdemonstration nicht unberücksichtigt bleiben.217 Bei Großdemonstrationen kann also auch schon die partielle formelle Rechtmäßigkeit zur Erhöhung der Eingriffsschwelle im Rahmen von § 15 Abs. 2,4. Var. VersG führen. 5. Zwischenergebnis Die i. S. v. § 14 VersG formelle Rechtmäßigkeit einer Versammlung verhindert keine Eingriffe in das Recht der Versammlungsfreiheit während einer laufenden Veranstaltung auf der Grundlage von § 15 Abs. 2,4. Var. VersG. Die formelle Rechtmäßigkeit einer Versammlung bewirkt aber je nach Versammlungstyp, daß die Eingriffs· und Reaktionsschwelle bei der angemeldeten Versammlung angehoben wird und bei der zulässigerweise nicht angemeldeten Versammlung nicht absinkt. Die formell rechtmäßige Versammlung ist außerdem die Grundlage für eine fruchtbare Kooperation zwischen Versammlungsbehörde und Veranstalter bzw. Leiter einer Versammlung. II. Auswirkungen der i. S. v. § 14 VersG formellen Rechtswidrigkeit auf die Entscheidung über die Auflösung Eine Versammlung ist formell rechtswidrig i. S. v. § 14 VersG, wenn sie der Anmeldepflicht unterliegt und nicht oder nicht ordnungsgemäß angemeldet ist. Ein weiterer Fall von formeller Rechtswidrigkeit liegt vor, wenn sie abweichend von den Angaben in der Anmeldung durchgeführt wurde, wobei nicht jede geringfügige Abweichung ausreicht, sondern nur eine solche, die dem Zweck des § 14 VersG zuwiderläuft. 218 Da die abweichende Durchführung von den Angaben in der Anmeldung gegenüber der Durchführung der Versammlung ohne Anmeldung abhängig vom Grad der Abweichung nur ein mehr oder weniger großes Minus darstellt, können die beiden Fälle in der Regel gleich behandelt werden. 219 Davon geht auch der Gesetzgeber aus, wenn er ausdrücklich eine Auflösungsbefugnis für beide Fälle in § 15 Abs. 2 VersG normiert. Zu beachten ist nur, daß im Falle der abweichenden 216 BVerfGE 69, 315 [362]; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 291. 2 7 ' BVerfGE 69,315 [357, 359]. 218 BreitbachlDeiserothlRühl in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz.281; Meyer/Köhler, Demonstrations- und Versammlungsrecht, § 15 Anm.4. 219 Vgl. Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 15 Rz.50f.

2. Kapitel: Das Eingriffsinstrumentarium des § 15 VersG

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Durchführung die Versammlungsbehörde über das Stattfinden der Versammlung im Grunde schon informiert ist und Vorsorgemaßnahmen treffen kann, weshalb an die Befugnis zur Auflösung derselben regelmäßig höhere Anforderungen zu stellen sind, als bei gänzlich fehlender Anmeldung. Der Grad der Abweichung der Versammlung von den Angaben in der Anmeldung kann jedoch auch sämtliche Vorsorgemaßnahmen obsolet werden lassen, weshalb dieser Fall dann mit der Nichtanmeldung identisch wäre. Wegen der grundsätzlichen Vergleichbarkeit der Sachverhalte beschäftigen sich deswegen die folgenden Ausführungen nur mit den Auswirkungen der Nichtanmeldung auf das Eingriffsinstrumentarium des § 15 Abs. 2 VersG. 1. Voraussetzungen für die Auflösung bei Verstoß gegen die Anmeldepflicht Die Auswirkungen der formellen Rechtswidrigkeit auf die Entscheidung über die Auflösung einer Versammlung nach § 15 Abs. 2 VersG sind angesichts der verfassungsrechtlichen Ausgangslage und der oben erläuterten Prinzipien schon vorgezeichnet. Trotzdem soll das bisher vertretene Meinungsspektrum nicht unberücksichtigt bleiben. So wurde früher aus der Formulierung des § 15 Abs. 2,1. Var. VersG zum Teil der Schluß gezogen, eine Auflösungsverfügung sei im Falle der Nichtanmeldung zwingend geboten.220 Begründet wurde dies mit dem Argument, die nicht angemeldete Versammlung sei als verbotene zu behandeln, weshalb wie bei §15 Abs. 3 VersG kein Ermessen bestehe.221 Eine weitere Auffassung ließ prinzipiell die fehlende Anmeldung als Voraussetzung für eine Auflösungsverfügung ausreichen, räumte der Behörde nach dem Wortlaut von § 15 Abs. 2 VersG jedoch entgegen der oben dargestellten Ansicht Ermessen ein. 222 Nur auf diesem Wege könne die Einhaltung der Anmeldepflicht sichergestellt werden. Die Auflösung wegen fehlender Anmeldung stelle deswegen den Regelfall dar. Nach dieser Meinung dient damit die Auflösung der Versammlung nach § 15 Abs. 2,1. Var. VersG der Bekämpfung einer abstrakten Gefahr und der Sicherung der Anmeldepflicht. Nach einer vermittelnden Auffassung reicht der rein formelle Verstoß gegen § 14 VersG aus verfassungsrechtlichen Gründen für eine AuflösungsVerfügung nicht aus. Die fehlende Anmeldung führe jedoch dazu, daß die Behörde der Versammlung völlig unvorbereitet gegenüberstehe und keine Vorsorgemaßnahmen zum Schutz Dritter und der Versammlung selbst getroffenen werden könnten. Ein Eingreifen sei deswegen zwar nicht schon bei einem formellen Verstoß gegen die Anmeldepflicht zulässig, sondern schon bei Vorliegen einer einfachen Gefahr für die öffentliche Si220 FüßleinJGeeb, Versammlungsgesetz, § 15 Anm.8,12 f.; Trubel/Hainka, recht, § 15 Anm. 8,11; Schick, BayVBl. 1967, 341 [342]. 221 So ausdrücklich: Schick, BayVBl. 1967, 341 [342]. 222 BVerwG, NJW 1967, 1191 f.; Frowein, NJW 1969, 1081 [1085].

Versammlungs-

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2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

cherheit oder Ordnung. 223 Auf das Erfordernis der Unmittelbarkeit der Gefahr wird also ausdrücklich verzichtet. Begründet wird dies mit der gesteigerten Gefährlichkeit unangemeldeter Versammlungen. Nach der heute überwiegend vertretenen Ansicht reicht ein Verstoß gegen die Anmeldepflicht des § 14 VersG für eine Auflösung nach § 15 Abs. 2,1. Var. VersG nicht aus. Entgegen dem Wortlaut von § 15 Abs. 2,1 Var. VersG ist eine Versammlungsauflösung nur zulässig, wenn zusätzlich die Voraussetzungen des § 15 Abs. 2,4. Var. VersG gegeben sind. Voraussetzung für die Auflösung der Versammlung ist also das Bestehen einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Die Auflösung einer Versammlung ist somit von der materiellen Rechtswidrigkeit der Versammlung abhängig. Die fehlende Anmeldung, d. h. die formelle Rechtswidrigkeit, ist aber im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen und bewirkt, daß die Eingriffsschwelle nach § 15 Abs. 2,4. Var. VersG absinkt und das Prognoserisiko der Versammlungsbehörde gemindert wird. 224 Die formelle Rechtswidrigkeit führt zur Verengung des Entschließungsermessens im Hinblick auf ein Einschreiten der Behörden. Nur diese Auffassung wird den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die von Art. 8 Abs. 1 GG gestellt werden, gerecht. Auch in systematischer Hinsicht ist sie die einzige, die überzeugen kann. Daß auf das allgemeine Polizeirecht nicht zurückgegriffen werden kann, wurde oben schon deutlich gemacht. Ihr ist deswegen uneingeschränkt zu folgen. 2. Zwischenergebnis Voraussetzung für die Auflösung einer Versammlung nach § 15 Abs. 2,1. und 2. Var. VersG ist damit immer die materielle Rechtswidrigkeit derselben. Rein formelle Verstöße reichen für eine Auflösungsverfügung nicht aus, beeinflussen jedoch das Entschließungsermessen im Hinblick auf eine Beschränkung der Versammlungsfreiheit. Die formelle Rechtswidrigkeit einer Versammlung führt so zum Absinken der Eingriffsschwelle im Rahmen von § 15 Abs. 2,4. Var. VersG.

C. Auswirkungen des Befolgens und Nichtbefolgens von Auflagen auf die Entscheidung über die Auflösung Ist Voraussetzung für eine Auflösungsverfügung in den Fällen der fehlenden Anmeldung oder der von der Anmeldung abweichenden Durchführung immer das Vorliegen einer materiell rechtswidrigen Versammlung im Eingriffsfall, so liegt die Fra223

KG Berlin, NJW 1985, 209 [210]; Meyer/Köhler, Demonstrations- und Versammlungsrecht, § 15 Anm.4; ähnlich: OLG Düsseldorf, NWwZ 1985, 939 [941]. 224 BVerfGE 69,315 [351]; BreitbachlDeiserothlRühl in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz. 276.

2. Kapitel: Das Eingriffsinstrumentarium des § 15 VersG

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ge nahe, was gilt, wenn gegen eine Auflage verstoßen wird. Nach § 15 Abs. 2,3. Var. VersG kann eine Versammlung aufgelöst werden, wenn Auflagen zuwidergehandelt wird. Fraglich ist jedoch, ob eine Auflösungsverfügung nach § 15 Abs. 2,3. Var. VersG ergehen kann, wenn eine Versammlung zwar im konkreten Fall gegen eine Auflage verstößt, dadurch jedoch über den Verstoß gegen die Verfügungen hinaus keinerlei Gefahren für die Schutzgüter des Versammlungsgesetzes hervorgerufen werden. 225 Auflagen ergehen immer aufgrund einer konkreten Gefahrenprognose. 226 Diese kann zwar im Zeitpunkt der Verfügung korrekt und damit rechtmäßig sein. Im Zeitpunkt der Durchführung der auflagenwidrigen Versammlung kann sich jedoch herausstellen, daß von der Versammlung keinerlei Gefahren ausgehen, sie bis auf den Verstoß gegen die Verfügung mit materiellem Versammlungsrecht in Einklang steht, weil sie dem Schutzzweck der versammlungsrechtlichen Vorschriften nicht zuwider läuft, also prinzipiell materiell legal ist. So kann sich eine Abweichung von dem durch Auflagen vorgegebenen Demonstrationsweg als völlig ungefährlich erweisen. Hier ist fraglich, ob eine Auflösungsverfügung ergehen kann, wie in § 15 Abs. 2,3. Var. VersG vorgesehen. Ursache des Problems ist die Tatsache, daß sich nach Erlaß von Auflagen die tatsächlichen Verhältnisse ändern können bzw. sich die aufgrund von tatsächlichen Anhaltspunkten gewonnene Gefahrenprognose aufgrund von geänderten Rahmenbedingungen als unbegründet herausstellen kann. 227 I. Überblick über die Regelung Die in § 15 Abs. 1 VersG vorgesehenen „Auflagen" sind keine Auflagen im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG. Als solche würden sie den Erlaß eines begünstigenden akzessorischen Hauptverwaltungsaktes voraussetzen, dem sie beigefügt werden könnten. Da Versammlungen jedoch nicht erlaubnispflichtig sind, entfällt diese Möglichkeit. Die aufgrund von § 15 Abs. 1 VersG erlassenen „Auflagen" sind daher selbständige Verwaltungsakte, die deswegen auch als „beschränkende Verfügungen" bezeichnet werden. 228 Sinn und Zweck der Regelung ist die Gewährleistung eines angemessenen Ausgleichs zwischen dem Interesse an der Durchführung der 225 Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 15 Rz. 54,55 sprechen dann von einer nur „mangelhaften" Versammlung. 226 OVG Weimar, NVwZ-RR 2000, 154. 227 Vgl. BVerfG-K, NJW 1998, 3631 [3632]. 228 Vgl. OLG Hamm, StV 1982, 170 [171 ff.]; OLG Koblenz, NStZ 1981, 187; Breitbachf D eis ero th!Rühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz. 147; Dietel/Gintzel/ Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz.33; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz. 194; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S. 221 Fn. 397; Lohse, Die Polizei 1987, 93 [97]; Gusy, JuS 1993, 555 [558]. Die Terminologie ist historisch bedingt. §7 Abs. 1 des Reichsvereinsgesetzes (RVG) vom 19.04.1908 (RGBl. 1 1908, S. 151) wies nämlich noch eine Genehmigungspflicht für Versammlungen unter freiem Himmel auf. Diese ist heute der Anmeldepflicht gewichen.

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2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

Versammlung und den mit ihr meist unvermeidlich verbundenen Beeinträchtigungen von Interessen und Rechten sowohl einzelner Personen als auch der Allgemeinheit. Die Auflage zielt darauf ab, auch noch solche Versammlungen zu ermöglichen, die wegen des Hervorrufens von unmittelbaren Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nicht durchgeführt werden könnten, wenn sie auflagenfrei durchgeführt würden. 229 Der Erlaß einer Auflage stellt gegenüber dem Verbot oder der nachträglichen Auflösung einer Versammlung immer das mildere Mittel dar. Sie läßt regelmäßig den geplanten Versammlungszweck unangetastet. Die Eingriffsvoraussetzungen für den Erlaß einer Auflage sind aber mit denen von Verbot und Auflösung identisch. Erforderlich ist immer eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, die sich aufgrund einer konkreten Gefahrenprognose ergibt, mithin die materielle Illegalität der Versammlung. Lediglich an die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs werden geringere Anforderungen gestellt.230 Adressat der Auflage ist im Vorfeld der Versammlung der Veranstalter. Diesem obliegt es dann, den Inhalt der Auflagen an die Versammlungsteilnehmer weiterzugeben. Dies folgt aus dem Vorrang der Verantwortung des Veranstalters und seines Leiters für die Gewährleistung der Ordnung in der Versammlung. 231 Reicht die Mitteilung teilnehmerrelevanter Anordnungen durch den Veranstalter im Einzelfall nicht aus, kann die zuständige Behörde die noch unbekannten potentiellen Teilnehmer unmittelbar durch eine Allgemeinverfügung nach §§35 S. 2,41 Abs. 3, S. 2 VwVfG ggf. mittels elektronischer Medien verpflichten. 232 Inhaltlich sind alle dem Normzweck - Gewährleistung der Versammlungsfreiheit und Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit - dienlichen Anordnungen als Gegenstand von Auflagen denkbar. In Betracht kommen deswegen hauptsächlich Beschränkungen räumlicher oder zeitlicher Art. 233 Auflagen, 229 Brenneke, in: Das Deutsche Bundesrecht, I F 40, § 15 Anm. 2.4; DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz.35; Krüger, Versammlungsrecht, S. 127; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S.221; Brohm, JZ 1989, 324 [330]. 230 Vgl. BVerfGE 69,315 [353 f.]; BayVGH, BayVBl. 1998, 565; OVG Weimar, DVB1. 1999, 1754; BreitbachlDeiserothlRühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §15 Rz. 151; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz. 155 Fn. 130; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 15 Rz. 4; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S. 221 ; Brohm, JZ 1989, 324 [330]. 231 Breitbach/Deiseroth/Rühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz. 166; Krüger, Versammlungsrecht, S. 128; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz.216. 232 Breitbach/Deiseroth/Rühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz. 166; DietellGintzell Knie sei, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz.44; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz.218, 219ff.; Kniesel, DÖV 1992, 470 [475]; Donat, KJ 1998, 393; a. A. Meyer/Köhler, Demonstrations- und Versammlungsrecht, § 15 Anm. 5; Hobbeling, Zulässigkeit und Grenzen präventiven Einschreitens gegen Demonstrationen nach § 15 Abs. 1 Versò, S. 119f. 233 DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz.36; Krüger, Versammlungsrecht, S. 129; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz. 198.

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die auf den Inhalt der Versammlung Einfluß nehmen, sind meist wegen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 GG unzulässig.234 Neben der Auflösung der Versammlung kann der Verstoß gegen eine Auflage als „Minusmaßnahme" auch deren Vollstreckung mit geeigneten Mitteln des Verwaltungszwangs zur Folge haben.235 Die Behörde darf nicht abwarten, bis sich der Verstoß gegen eine Auflage zu einer Gefahr verdichtet, die eine Auflösung der Versammlung unabwendbar macht. Dies wäre ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. 236

1. Auswirkungen des Befolgens von Auflagen auf die Entscheidung über die Versammlungsauflösung Werden Auflagen durch die Veranstalter, Leiter und Teilnehmer einer Versammlung beachtet, so ist ein Einschreiten gegen die Versammlung in der Regel ausgeschlossen. Die Auflage ergeht, um auch noch solche Versammlungen zu ermöglichen, die aus Rechtsgründen nicht mehr zugelassen werden könnten, wenn sie nach den ursprünglichen Vorstellungen des Veranstalters durchgeführt würden, mithin zur Abwehr einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Die Einhaltung der beschränkenden Verfügung gewährleistet damit in der Regel den Ausschluß der unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit - mithin die materielle Legalität der Versammlung - , weshalb es keinen Grund für ein Eingreifen gibt. 237 Dies läßt sich auch mit dem Kooperationsprinzip erklären. Nach erfolgreicher Kooperation rückt die Schwelle für ein behördliches Einschreiten höher. Nichts anderes als das Ergebnis einer erfolgreichen Kooperation stellt jedoch das Beachten von Auflagen dar. 238 Die Beachtung der Auflagen schützt jedoch nicht umfassend vor behördlichen Eingriffen. So kann durch plötzlich eintretende Ereignisse, z.B. der Formierung einer nichtangemeldeten oder spontanen Gegendemonstration oder das unfriedliche Verhalten einer Minderheit, eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit hervorgerufen werden, die anders als durch Auflösung der Versammlung nicht bekämpft werden kann. Ein Einschreiten ist dann natürlich trotz Beachtung der Auf234 OVG Weimar, DVB1. 1999, 1754; Breitbach/Deiseroth/Rühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz. 168 ff.; Krüger, Versammlungsrecht, S. 129; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz. 200, jeweils mit umfangreichen Nachweisen bzgl. zulässiger und unzulässiger Auflagen. 235 BVerwG, NJW 1982, 1008f.; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, §15 Rz. 42; Krüger, Versammlungsrecht, S. 127, Schnur, VR 2000, 114ff.; Schmidt, Die Polizei 1983, 320 [323]; a. A. mit zweifelhafter rechtsdogmatischer Begründung: Breitbach/Deiseroth/Rühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz.297ff. 236 Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz.60,78. 237 Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz. 60, 78; Brohm, JZ 1989, 324 [330]. 238 Vgl. Krüger, Versammlungsrecht, S. 127; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz.215.

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2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

lagen zulässig.239 Diese stellen nämlich insoweit keine begünstigenden Verwaltungsakte dar, auf die die Adressaten vertrauen könnten.240 Grundsätzlich gilt damit jedoch, daß Maßnahmen gegen die Versammlung nicht getroffen werden dürfen, wenn diese friedlich ist und sich an bestehende Auflagen hält. Lediglich bei Eintritt unvorhergesehener Gefahren und insbesondere dann, wenn die Versammlung unfriedlich wird, kann die Versammlung aufgelöst werden. 2. Auswirkungen des Nichtbefolgens von Auflagen auf die Entscheidung über die Versammlungsauflösung Bei der Nichtbeachtung von Auflagen kommt als Eingriffsinstrumentarium neben der Vollstreckung der Auflage mittels unmittelbaren Zwanges die Auflösung der Versammlung nach § 15 Abs. 2,3. Var. VersG in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann eine Versammlung aufgelöst werden, wenn den Auflagen zuwidergehandelt wird. Trotz dieser scheinbar eindeutigen Regelung ist in Rechtsprechung und Literatur streitig, unter welchen Voraussetzungen eine rechtmäßige Auflösungsverfügung ergehen darf. Einigkeit herrscht insoweit, daß die Auflage wirksam sein muß, um bei einem Verstoß gegen dieselbe einen Auflösungsgrund zu bilden, denn nur wirksame und nicht nichtige (§44 VwVfG) Verwaltungsakte sind zu beachten und rechtlich existent.241 Die Auflage muß aber nicht vollziehbar i. S. v. § 80 Abs. 2, S. 1 Nr. 4 VwGO sein, um einen Auflösungsgrund zu bilden, denn der Wortlaut von § 15 Abs. 2,3. Var. VersG setzt die „Vollziehbarkeit" nicht voraus. Außerdem sind alle Verwaltungsakte unabhängig von den Voraussetzungen des § 80 Abs. 2 VwGO vollziehbar, sofern sie wirksam sind und gegen sie kein Rechtsbehelf eingelegt wurde. 242 Die Vollziehbarkeit der Auflage gem. § 80 Abs. 2, S. 1 Nr. 4 VersG ist allerdings Voraussetzung für ihre Vollstreckung durch Anwendung von Zwangsmitteln. 243 a) Rechtmäßigkeit der Auflage im Erlaßzeitpunkt Problematisch ist jedoch, ob die Auflage im Erlaßzeitpunkt auch rechtmäßig gewesen sein muß. Unstreitig kommt es auf die Rechtmäßigkeit der Auflage nicht an, wenn diese bereits formell bestandskräftig, d. h. unanfechtbar geworden ist, denn diese kann nun nicht mehr mit ordentlichen Rechtsbehelfen angefochten werden, 239

Ott, Das Recht auf freie Demonstration, S. 100. Vgl. DietellGintzellKniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz. 62; Lohse, Die Polizei 1987, 93 [97]. 241 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, §10 Rz. 20ff.; Hofmann! Gerke, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 167. 242 VGH Mannheim, VB1BW 1986, 299 [302]; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz. 184, 190; Brühl, JuS 1997,1021 [1023-1025]. 243 Zur Differenzierung zwischen Vollziehbarkeit und Vollstreckbarkeit vgl. VGH Mannheim, VB1BW 1986, 299 [302]. 240

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und der Adressat muß sie gegen sich gelten lassen.244 Bei der formellen Bestandskraft eines Verwaltungsaktes wird dem Prinzip der Rechtssicherheit in verfassungsgemäßer Weise Vorrang vor dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, also dem Prinzip der materiellen Gerechtigkeit, eingeräumt. 245 Mit dem Argument, auch eine rechtswidrige Auflage entfalte Tatbestandswirkung, sei mithin materiell bestandskräftig und müsse vom Adressaten beachtet werden, wird aber vertreten, daß die Rechtmäßigkeit der noch anfechtbaren Auflage keine Voraussetzung für eine rechtmäßige Auflösungsverfügung sei. 246 Die Wirksamkeit der Auflage reiche grundsätzlich aus, um an diese Rechtsfolgen zu knüpfen, es sei denn, es wurde ein Rechtsbehelf eingelegt, dem aufschiebende Wirkung zukommt. Hier bedürfe es dann im Einzelfall der Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2, S. 1 Nr. 4 VwGO, um die aufschiebende Wirkung entfallen zu lassen. Auf die Rechtmäßigkeit des zu vollziehenden Verwaltungsaktes käme es aber nicht an. Eine konträre Ansicht hält diese Auffassung für mit Art. 8 Abs. 1 GG unvereinbar. Das Grundrecht des Versammlungsfreiheit könne nur durch rechtmäßige Maßnahmen rechtmäßig eingeschränkt werden. 247 Zwar sei die Auflage vom Adressaten zu beachten, wenn diese wirksam bekanntgegeben wurde und evtl. eingelegte Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung hätten. Dies ändere jedoch nichts daran, daß eine rechtswidrige Auflage auch eine auf § 15 Abs. 2,3. VersG gestützte Auflösungsverfügung „infiziere" und damit rechtswidrig werden lasse.248 Nach dieser Auffassung besteht zwischen den einzelnen aufeinander aufbauenden Verwaltungsakten bei noch nicht eingetretener Unanfechtbarkeit der vorhergehenden ein Rechtmäßigkeitszusammenhang. Nach diesem - auch Grundsatz der Konnexität genannt - müssen alle aufeinander basierenden Verwaltungsakte rechtmäßig sein.249 244 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11 Rz.2ff.; HofmannIGerke, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 168 f. 245 Vgl. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, §50 Rz.7ff.; Selmerl Gersdorf, Verwaltungsvollstreckungsverfahren, S.35; Heckmann, VB1BW 1993, 41 [43]. 246 OLG Celle, NJW 1979,57 [58]; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz.42,72; ähnlich Zeitler, Versammlungsrecht, Rz.565 für ein nach § 15 Abs. 1 VersG verfügtes Versammlungsverbot; vgl. auch Erichsen/Rauschenberg, JURA 1998, 323 [Fn.2-6]. 247 Vgl. BVerfGE 87,399 [409f.]; 92,191 [200f.]; Breitbach/Deiseroth/Rühl, in: Ridder/ Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §15 Rz.282f.; Selmerl Gersdorf, Verwaltungsvollstrekkungsverfahren, S.45; wohl auch: VGH Mannheim, NVwZ 1989, 163; VB1BW 1986, 299 [301]. 248 Vgl. OVG Hamburg, NVwZ-RR 1993, 602 [603]; Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, Rz. 277 ff.; Rachor, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt F, Rz.474; Ehlers, JuS 1983, 869 [872]. 249 Vgl. Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, Rz.277; Götz, Polizei- und Ordnungsrecht, Rz.382; Würtenberger, in: Achterberg/Püttner, Besonderes Verwaltungsrecht, Band II, Rz.248; Ehlers, JuS 1983, 869 [872].

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2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

Für die zweite Auffassung spricht der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gem. Art. 20 Abs. 3 GG. Dieser verbietet es, rechtswidrige Verwaltungsakte zu perpetuieren. Nach dem Erlaß eines rechtswidrigen, noch anfechtbaren Verwaltungsaktes darf geschaffenes materielles Unrecht nicht durch „Vollzug", d. h. durch Erlaß weiterer, auf diesem Verwaltungsakt aufbauender Verfügungen, vertieft und möglicherweise vergrößert werden. 250 Dieser Grundsatz muß besonders im allgemeinen und besonderen Polizeirecht beachtet werden, da hier die Eingriffe in die Rechtssphäre des Bürgers besonders intensiv sind. 251 Diese Auffassung ist auch mit dem ebenfalls im grundgesetzlichen Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Prinzip der Rechtssicherheit vereinbar. 252 Die Tatsache, daß der noch anfechtbare rechtswidrige Verwaltungsakt sowie die auf diesem aufbauende (rechtswidrige) Verfügung wirksam sind, führt nämlich dazu, daß der Adressat diese grundsätzlich beachten muß. 253 Auch die Vollstreckung solch rechtswidriger Verwaltungsakte ist grundsätzlich zunächst möglich. Der Adressat kann die Rechtswidrigkeit der einzelnen Verwaltungs- und Vollzugsakte nur nachträglich im Wege der Anfechtungs- oder Fortsetzungsfeststellungsklage geltend machen.254 Der geforderte Rechtmäßigkeitszusammenhang führt also keinesfalls zu Vollzugsdefiziten. Die zweite Auffassung schafft somit einen angemessenen Ausgleich zwischen den konfligierenden Interessen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung einerseits und der Rechtssicherheit andererseits. Ihr ist deswegen zu folgen.

b) Materielle Versammlungsrechtswidrigkeit im Zeitpunkt des Einschreitens Beschränkende Verfügungen dürfen gem. § 15 Abs. 1 VersG nur ergehen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Die Auflage erfüllt den Zweck, an sich unzulässige Versammlungen zu ermöglichen. Die Einhaltung der Verfügung gewährleistet damit den Ausschluß der unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. 255 Deshalb führt die Nichtbeachtung der Auflage regelmäßig zu einer unmittelbaren Gefährdung von Sicherheitsgütern, weshalb die Versammlung nach § 15 Abs. 2,3. Var. VersG aufgelöst werden kann, wenn 250

Vgl. Selmerl Gersdorf, Verwaltungsvollstreckungsverfahren, S. 35; Heckmann, VB1BW 1993,41 [42 f.]. 251 Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, Rz.277. 252 Vgl. Selmerl Gersdorf, Verwaltungsvollstreckungsverfahren, S. 35; Heckmann, VB1BW 1993,41 [42 f.]. 253 BVerfGE 87,399 [409f.]; 92,191 [200f.]. BVerfGE 87,399 [409f.]; 92,191 [200f.]; Selmerl Gersdorf, Verwaltungsvollstreckungsverfahren, S.35; Heckmann, VB1BW 1993, 41 [43]. 255 DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz. 58; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.455.

2. Kapitel: Das Eingriffsinstrumentarium des § 15 VersG

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dies zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter erforderlich ist. 256 Ist die Auflösung im Einzelfall unverhältnismäßig, so ist die Vollstreckung der Auflage mittels unmittelbaren Zwangs das angemessene Mittel, um die Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwenden. Das Einschreiten gegen eine auflagenwidrig durchgeführte Versammlung ist auch deswegen nicht unbillig, weil das Nichtbeachten von Auflagen als ein Verstoß gegen das Kooperationsgebot betrachtet werden kann und somit zum Absinken der Eingriffsschwelle führt. Nach § 15 Abs. 2,3. Var. VersG steht der Erlaß einer Auflösungsverfügung wegen Verstoßes gegen eine Auflage jedoch im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde. Auch die Vollstreckung eines Verwaltungsaktes ist in den Polizeigesetzen der Länder als Ermessensentscheidung ausgestaltet.257 Deswegen wird es heute als ermessensfehlerhaft angesehen, wenn an die Zuwiderhandlung schematisch die Auflösung der Versammlung oder Vollstreckung der Auflage geknüpft wird. 258 Berücksichtigt werden muß nämlich, daß der Verstoß gegen eine Auflage zwar regelmäßig, nicht aber zwingend eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit hervorruft. Die Vollstreckung der Auflage ist folglich nur dann zulässig, wenn durch die Zuwiderhandlung eine konkrete unmittelbare Gefahr für ein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit hervorgerufen wird. Die Auflösung kommt nur in Betracht, wenn durch die Zuwiderhandlung eine unmittelbare Gefahr für ein wichtiges Gemeinschaftsgut hervorgerufen wird. Letztendlich müssen also auch bei einem Verstoß gegen eine Auflage immer die Voraussetzungen des § 15 Abs. 2,4. Var. VersG vorliegen, wenn Maßnahmen gegen die Versammlung getroffen werden sollen. 259 Das Einschreiten gegen die Versammlung setzt damit die materielle Versammlungsrechtswidrigkeit voraus, wobei jedoch beachtet werden muß, daß wegen des Verstoßes gegen das Kooperationsgebot die Eingriffsschwelle herabgesetzt ist, an die Gefahrenprognose somit geringere Anforderungen zu stellen sind. Diese Auffassung läßt sich auch mit allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsätzen begründen. Nach § 49 Abs. 1 VwVfG kann ein rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, widerrufen werden. Die beschränkende Verfügung i. S. d. § 15 Abs. 1 VersG ist solch ein rechtmäßiger belastender Verwaltungsakt. Deren Widerruf steht zwar grundsätzlich im Ermessen der Behörde. 260 Es tritt aber eine Ermessensreduzierung auf Null ein, wenn sich die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse geändert haben und 256

BVerfGE 69,315 [354]; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 15 Rz.50. Vgl. z. B. § 50 Abs. 1 PolG NW. 258 Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 15 Rz.51 f.; Krüger, Versammlungsrecht, S. 138 f.; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz. 554; Breitbach/Deiseroth!Rüh\, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 15 Rz.282f.; Dietel, DVB1. 1969, 569 [574]; entgegen der Auffassung von BreitbachlDeiserohtlRühl, in: Ridder/Breibach u. a., Versammlungsrecht, Rz. 282 sind auch Meyer!Köhler, Demonstrations- und Versammlungsrecht, § 15 Anm. 4 dieser Ansicht. 259 Krüger, Versammlungsrecht, S. 138; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz.550. 260 Wolff! Bachof!Stober, Verwaltungsrecht I, §51 Rz.39; Klappstein, in: Knack, VwVfG, § 49 Anm. 5.1; Kopp!Ramsauer, VwVfG, § 49 Rz. 12. 257

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2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§14 und 15 VersG

der Verwaltungsakt jetzt nicht mehr erlassen werden dürfte. 261 Insbesondere grundrechtsbeschränkende Verwaltungsakte müssen dann zurückgenommen werden. 262 Stellt sich bei einem Verstoß gegen eine Auflage heraus, daß dies wegen einer unzutreffenden Gefahrenprognose oder einer Änderung der Sachlage zu keiner Gefahr i. S.d. § 15 Abs. 1 VersG führt, so steht fest, daß die Auflage jetzt nicht mehr ergehen dürfte. Die Aufrechterhaltung einer bereits bestehenden Auflage ist nun nicht mehr zu rechtfertigen, weil Einschränkungen der Versammlungsfreiheit nur bei Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr zulässig sind.263 Die Adressaten der Auflage haben somit ein subjektiv-öffentliches Recht auf Widerruf. War die Auflage von Anfang an rechtswidrig, so folgt dieses Recht aus §48 Abs. 1 VwVfG. 2 6 4 Besteht ein subjektives Recht auf Aufhebung der Auflage, so wäre es ermessensfehlerhaft, die mangels Widerruf fortbestehende Auflage zu perpetuieren. 265 Gegen diese Auffassung kann auch nicht angeführt werden, daß es nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 VersG für die Rechtmäßigkeit der Auflage nur auf den Zeitpunkt des Erlasses ankommt. Das Abstellen auf den Zeitpunkt des Erlasses in § 15 Abs. 1 VersG läßt nämlich die allgemeinen verwaltungsrechtlichen Regelungen über die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns, insbesondere §49 Abs. 1 VwVfG, unberührt. Außerdem soll die Formulierung „nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen" nur klarstellen, daß die unmittelbare Gefahr erst im Zeitpunkt der Durchführung der Versammlung vorliegen muß und nicht bereits im Zeitpunkt der Anmeldung oder Verhängung der Auflage. 266 Damit steht fest, daß die Voraussetzungen für den Erlaß der Auflage im Moment des Verstoßes noch vorliegen müssen, sollen Auflösung oder Vollstreckung rechtmäßig sein. Die Gefahr muß sich verwirklicht haben, d. h. die Versammlung materiell illegal sein. II. Zwischenergebnis Maßnahmen gegen die Versammlung dürfen prinzipiell nicht getroffen werden, wenn diese sich an bestehende Auflagen hält. Lediglich bei Eintritt unvorhergesehener Gefahren und insbesondere dann, wenn die Versammlung unfriedlich wird, kann die auflagenbeachtende Versammlung aufgelöst werden. Die Zuwiderhandlung gegen eine Auflage führt nur dann zur Auflösbarkeit der Versammlung oder 261

Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11 Rz. 52; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, §49 Rz. 27. 262 Klappstein, in: Knack, VwVfG, §49 Anm. 5.1; Kopp!Ramsauer, VwVfG, §49 Rz. 12; Erichsen/Ebber, JURA 1997,424 [427]; Schenke, DVB1. 1989, 433 [434]. 263 BVerfGE 69,315 [354]. 264 Schenke, DVB1. 1989, 433 [434]; Baumeister, Das Rechtswidrigwerden von Normen, S.69ff., 81 ff; Schenke/Baumeister, JuS 1991, 347 [548f.]. 265 Breitbach!Deiseroth!Rühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz.283. 266 BT-Drs. 8/1845, S. 11; Breitbach!Deiseroth!Rühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz.34,283; Hollerbaum, Demonstrationsfreiheit, S.83.

2. Kapitel: Das Eingriffsinstrumentarium des § 15 VersG

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Vollstreckbarkeit der Auflage, wenn dadurch eine unmittelbare und konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit über den schlichten Verstoß gegen die Verfügung hinaus hervorgerufen wird. Somit kann man auch im Rahmen von § 15 Abs. 2,3. Var. VersG zwischen einer formellen und materiellen Betrachtungsweise unterscheiden. Der Verstoß gegen eine Auflage begründet nur dann eine Befugnis zum Einschreiten, wenn dadurch über den Verstoß gegen den Verwaltungsakt hinaus eine unmittelbare und konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit hervorgerufen wird, die Versammlung mithin gegen den Schutzzweck des Versammlungsrechts verstößt, also materiell illegal wird. Der Verstoß gegen die Auflage allein, das bloße Verfügungsunrecht, begründet keine Eingriffsbefugnis. Hier wird nicht gegen den inhaltlichen Schutzzweck des Versammlungsrechts verstoßen, so daß man getrost nur von formeller Illegalität sprechen kann.

D. Die Auflösung der Versammlung nach § 15 Abs. 3 VersG bei Verstoß gegen ein Versammlungsverbot Ein Versammlungsverbot kann nach § 15 Abs. 1 VersG ausgesprochen werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. 267 Eine solchermaßen verbotene Versammlung ist gem. § 15 Abs. 3 VersG aufzulösen, wenn dem Versammlungsverbot zuwidergehandelt wird. Ein Ermessen ist der Behörde ausdrücklich nicht eingeräumt. Ob eine durch Verfügung verbotene Versammlung jedoch immer zwingend aufzulösen ist, erscheint vor dem Hintergrund der bisherigen Erörterungen als fraglich.

I. Überblick über die Regelung Ein durch Verfügung ausgesprochenes Versammmlungsverbot ist gem. §15 Abs. 1 VersG an das Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gekoppelt. Es darf nur zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und nur bei einer unmittelbaren, aus erkennbaren Umständen herleitbaren Gefährdung dieser Schutzgüter erfolgen. 268 Es ist ultima ratio und verlangt eine hohe Wahrscheinlichkeit in der Gefahrenprognose, die Ausschöpfung aller sinnvollen Alternativmaßnahmen, das Scheitern der Bemühungen der Behörde, durch Kooperation mit den Veranstaltern 267

VGH Mannheim, VB1BW 1999,462; NVwZ-RR 1995, 272. BVerfGE 69,315 [354]; Krüger, Versammlungsrecht, S. 125f.; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz. 159 ff. 268

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2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

die Gefahr zu verhindern, und die vorherige Androhung des Verbots und Setzung einer angemessenen Frist mit Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Erörterung von Gegenmaßnahmen. Es setzt also auch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit vorhergehende Kooperationsversuche voraus. 269 Adressat der Verbotsverfügung ist der Veranstalter. Ist ein Veranstalter nicht vorhanden oder nicht ermittelbar, so kann das Verbot auch im Wege der öffentlich bekanntzumachenden Allgemeinverfügung an alle, die es angeht, ergehen. 270 II. Voraussetzungen zum Einschreiten nach § 15 Abs. 3 VersG Die Voraussetzungen für das rechtmäßige Einschreiten nach § 15 Abs. 3 VersG sind zunächst mit denen gem. § 15 Abs. 2,3. Var. VersG identisch. Eine rechtmäßige Versammlungsauflösung gestützt auf § 15 Abs. 3 VersG setzt ein rechtmäßiges Versammlungsverbot nach § 15 Abs. 1 VersG voraus, es sei denn, es ist bereits Unanfechtbarkeit eingetreten. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist nur erforderlich, wenn ein Rechtsbehelf gegen das Verbot eingelegt wurde. Fraglich ist aber, ob auch im Falle des § 15 Abs. 3 VersG Voraussetzung für das Einschreiten die konkrete Gefährlichkeit der Versammlung, also deren materielle Versammlungsrechtswidrigkeit im Zeitpunkt des Einschreitens ist, oder ob der Verstoß gegen die Verbotsverfügung alleine ausreicht. 271 Auch eine trotz Verbots durchgeführte Versammlung kann sich als völlig harmlos erweisen, sei es, daß die Gefahrenprognose unzutreffend war oder sei es, weil sich wegen des Verbots nur wenige Teilnehmer einfinden, die sich zudem völlig friedlich verhalten. 272 1. Auffassung von der obligatorischen Auflösung Mit Hinweis auf den Wortlaut des § 15 Abs. 3 VersG und seiner systematischen Stellung hinter den Ermessensvorschriften des § 15 Abs. 1 und 2 VersG wird überwiegend vertreten, daß auch in einem solchen Fall die Auflösung der Versammlung erfolgen müsse. Das Verbot entfalte Tatbestandswirkung und sei von jedem potentiellen Versammlungsteilnehmer zu beachten. Das Absehen von der Auflösung trotz Verbots würde die Sicherheitsinteressen des Staates in starkem Maße gefährden. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei nicht anzunehmen, da das 269 BVerfGE 69,315 [362]; BreitbachlDeiserothlRühl in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz.252; Krüger, Versammlungsrecht, S. 125 f.; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz. 168 ff. 270 BreitbachlDeiserothlRühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz.247; DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz.22. 271 Vgl. Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 15 Rz. 58; MeyerlKöhler, Demonstrationsund Versammlungsrecht, § 15 Anm. 4; DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz. 65; BreitbachlDeiserothlRühl, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 15 Rz. 328 f. 272 Vgl. BVerfG-K, NJW 1998, 3631 [3632].

2. Kapitel: Das Eingriffsinstrumentarium des § 15 VersG

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Versammlungsrecht auch noch aus anderen Anlässen als gerade der verbotenen Versammlung wahrgenommen werden könne.273 2. Auffassung vom fakultativen

Vollzug der Auflösungsverfügung

Eine vermittelnde Auffassung hält die Auslegung der herrschenden Meinung hinsichtlich des Wortlauts und der Systematik für stichhaltig. Sie hegt jedoch Bedenken bezüglich der Verhältnismäßigkeit dieser Ansicht. So hält sie zwar den Erlaß einer AuflösungsVerfügung unter Beachtung des Wortlauts und der Systematik des § 15 Abs. 3 VersG für zwingend. Da der Vollzug dieser Verfügung jedoch nach den Vollstreckungsgesetzen der Länder 274 im Ermessen der zuständigen Behörden läge, habe dieser aus Gründen der Verhältnismäßigkeit aber zu unterbleiben, wenn keine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestehe oder gerade durch den Vollzug der Auflösungsverfügung eine solche hervorgerufen werden könnte. Nur so könne verhindern werden, daß die Auflösung einer verbotenen, aber friedfertigen Versammlung ruhendes Konfliktpotential schürt. 275 3. Kritik

und Stellungnahme

Meines Erachtens ist die Behörde auch im Falle eines bestehenden Versammlungsverbotes aus Gründen der Verhältnismäßigkeit gehindert, eine Auflösungsverfügung gestützt auf § 15 Abs. 3 VersG zu erlassen, wenn die Versammlung friedlich ist und von ihr keinerlei Gefahren für die öffentliche Sicherheit ausgehen. Auch hier haben sich die Tatsachen nach Erlaß der Verfügung geändert, so daß es zwar - mangels eingeräumten Ermessens - nicht ermessensfehlerhaft, aber unverhältnismäßig wäre, aufgrund des sich nun völlig anders darstellenden Sachverhalts eine Auflösungsverfügung zu erlassen. Gegen diese Auffassung kann nicht der Wortlaut des § 15 Abs. 3 VersG angeführt werden, denn auch bei gebundenen Entscheidungen ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.276 Systematische Bedenken verfangen nicht, denn bei dem in § 15 Abs. 1 und 2 VersG eingeräumten Ermessen handelt es sich nur um ein 273 Brenneke, in: Das Deutsche Bundesrecht, I F 40, § 15 Anm.4.1; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 15 Rz. 58; Meyer!Köhler, Demonstrations- und Versammlungsrecht, § 15 Anm.4; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz.564f.; Krüger, Versammlungsrecht, S. 135 f.; Wassermann! Böttcher u. a., in: Schwind/Baumann, Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Band II, S. 787; Wache, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, V 55, § 15 Rz. 17; Schwarze, DÖV 1985, 213 [217 Fn.45]. 274 Vgl. Art. 53 PAG Bay.; §§53 PolG BW; § 50 Abs. 1 PolG NW; § 51 PAG Thür. 275 DieteUGintzel!Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz.63; Kniesel, in: Lisken/Denniger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 467; Breitbach!Deiseroth!Rühl, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 15 Rz. 328 f.; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S.234; Brenneisen, DÖV 2000,275 [282]; Dietel, DVB1.1969,569 [574]. 276 BVerwG, DÖV 1997, 506 [507]; OVG Münster, NWVB1. 1995,475 [476].

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2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

scheinbares. In den meisten Fällen ist nämlich wegen der Ausstrahlungswirkung des Art. 8 Abs 1 GG und konfligierender Rechte Dritter immer nur eine Entscheidung ermessensfehlerfrei, so daß es sich regelmäßig zumindest im Bereich des Entschließungsermessens aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null um eine gebundene Entscheidungen handelt.277 Gegen die hier vertretene Auffassung spricht auch nicht, daß durch das Absehen von der Auflösungsverfügung das Vertrauen in die öffentliche Verwaltung in unerträglichem Maße erschüttert würde, 278 denn das Nichteinschreiten im Falle des § 15 Abs. 3 VersG kann nur bei völlig harmlosen Demonstrationen zulässig sein und muß als Ausnahme betrachtet werden. Die Mißachtung der Verbots Verfügung läßt sich nämlich als einen schweren Verstoß gegen das Kooperationsgebot bewerten, so daß die Eingriffsschwelle stark herabgesetzt ist, ein Nichteingreifen also nur in seltenen Einzelfällen in Betracht kommt. Dem Versammlungsteilnehmer und der Öffentlichkeit wird es außerdem nur schwer zu vermitteln sein, warum eine auf ein Versammlungsverbot gestützte Auflösungsverfügung nicht durchgesetzt wird. 279 Damit verfängt auch die vermittelnde Auffassung nicht. Für die hier vertretene Ansicht läßt sich zudem anführen, daß es für das Verbotensein einer Versammlung auf materielle Kriterien ankommt.280 Die Verletzungen von Rechtsvorschriften des Versammlungsgesetzes an sich kann im Verhältnis zu Art. 8 Abs. 1 GG die Versagung der Grundrechtsausübung nicht rechtfertigen. 281 Die Auflösung einer Versammlung ist nur bei einer unmittelbaren, aus erkennbaren Umständen herleitbaren Gefährdung von wichtigen Gemeinschaftsgütern zulässig.282 Der reine Verstoß gegen eine Verbots Verfügung reicht dazu nicht aus. Voraussetzung für eine Auflösung der Versammlung nach § 15 Abs. 3 VersG ist somit, daß im Zeitpunkt des Einschreitens eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit von der Versammlung ausgeht, die Versammlung mithin materiell versammlungsrechtswidrig i. S. d. § 15 Abs. 1 VersG ist. I I I . Zwischenergebnis Die Auflösung einer Versammlung gem. § 15 Abs. 3 VersG ist in der Regel obligatorisch. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ist aber vom Erlaß einer Auflö277

Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 15 Rz.51; Dietel, DVB1. 1969, 569 [574ff.]. So ausdrücklich: DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz.65. 279 So wohl auch Krüger, Versammlungsrecht, S. 136. 280 Vgl. BVerfGE 69,315 [354]; Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 194. 281 Vgl. DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz.54f.; BreitbachlDeiserothlRühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz.283; Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 190. 282 BVerfGE 69,315 [354]. 278

2. Kapitel: Das Eingriffsinstrumentarium des § 15 VersG

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sungsverfügung abzusehen, wenn die trotz bestehenden Verbots durchgeführte Versammlung friedlich ist und keine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit hervorruft. Voraussetzung für die Auflösung der Versammlung gem. § 15 Abs. 3 VersG ist somit deren materielle Illegalität. Folglich kann man auch hier zwischen einer formellen und materiellen Betrachtungsweise differenzieren. Neben der formellen Illegalität - dem ausgesprochenen Versammlungsverbot - ist Voraussetzung für eine auf § 15 Abs. 3 VersG gestützte Versammlungsauflösung die materielle Illegalität der Versammlung, sprich das Bestehen einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit, die über den schlichten Verstoß gegen die Verbotsverfügung hinausgeht. § 15 VersG enthält damit insgesamt neben § 15 Abs. 2,4. Var. VersG als unmittelbaren Auflösungsgrund drei mittelbare Auflösungsgründe, bei denen aber wegen Mißachtung des Kooperationsprinzips das Entschließungsermessen eingeschränkt ist. 283

E. Vollstreckungsverbot bei materiell rechtswidriger Versammlung Im Anschluß an die oben erörterte Problematik des § 15 Abs. 3 VersG wird diskutiert, ob der Behörde die Vollstreckung einer Auflösungsverfügung mit Zwangsmitteln verwehrt ist, wenn die Versammlung zwar materiell illegal ist, durch die Vollstreckung aber Schäden an anderen hochrangigen Rechtsgütern drohen, weil es zu Gewalteskalationen kommen kann. 284 Dafür sprechen schon die allgemeinen verwaltungsvollstreckungsrechtlichen Prinzipien. Grundsätzlich liegt der Einsatz von Zwangsmitteln im Ermessen der Behörde. 285 Bei deren Einsatz hat sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einzuhalten. Dies gilt insbesondere für die Anwendung von unmittelbarem Zwang, der in Fällen der Versammlungsauflösung als einziges Mittel in Betracht kommt. 286 Deswegen kann auch bei § 15 Abs. 3 VersG die Anwendung von Zwang grundsätzlich unterbleiben, wenn zu befürchten ist, daß es zu massiven Gewalteskalationen kommen wird und Leib oder Leben der Demonstrationsteilnehmer, Dritter sowie der handelnden Vollzugsbeamten in Gefahr sind. Die Gegenauffassung, die in den Fällen des § 15 Abs. 3 VersG durch den Nichtvollzug der Auflösungsverfügung den Rechtsstaat und das Vertrauen in die Staatsmacht in Gefahr sieht und die Vollstreckung der Verfügung für zwingend hält, ist unhaltbar. 287 Sie beraubt sich wirksamer einsatztaktischer Instrumente und verhin283

Zur Terminologie s. Krüger, Versammlungsrecht, S. 137. Vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz. 63; Kniesel, in: Lisken/Denniger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 467; Breitbach!Deiseroth/Rühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz.328f. 285 Vgl. Art. 53 PAG Bay.; §§53 PolG BW; § 50 Abs. 1 PolG NW; § 51 PAG Thür. 286 Vgl. §55 Abs. 1 PolG NW. 287 Vgl. Krüger, Versammlungsrecht, S. 136; Meyer/Köhler, Demonstrations- und Versammlungsrecht, § 15 Anm.4. 284

2. Teil: Versammlungsrechts Widrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

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dert die vom BVerfG geforderten Maßnahmen zur Deeskalation, die auch eingriffsloses Handeln umfassen. 288 Sie will notfalls das Problem schon auf Verfügungsebene lösen, auf Auflösung und Verbot verzichten und ggf. den Nichtstörer in Anspruch nehmen. Sie übersieht damit, daß allein der Erlaß der Verfügungen schon abschrekkend wirkt, weil nun zumindest die Gefahr der Verfolgbarkeit der Versammlungsteilnehmer wegen Begehens von Ordnungswidrigkeiten bestehen kann. 289 Damit ist der Auffassung zu folgen, die die Durchsetzung der Auflösungsverfügung auch im Falle des § 15 Abs. 3 VersG in das Ermessen der Behörde legt. 290 Dies kann im Einzelfall zu einem Vollstreckungsverbot bei materieller Illegalität der Versammlung führen. Ein Ergebnis, das sich unproblematisch auch auf § 15 Abs. 2,4. Var. VersG übertragen läßt.

F. Eingriffsbefugnisse bei materiell rechtmäßiger Versammlung Fraglich ist, ob der gerade genannte Befund - Eingriffe nach § 15 VersG sind nur bei materieller Versammlungsrechtswidrigkeit möglich - für das Versammlungsrecht ein abschließendes Dogma darstellt, oder ob er in Einzelfällen modifiziert werden muß. Als Rechtsfiguren, bei denen der Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit auch bei materieller Rechtmäßigkeit der Versammlung möglich wäre, kommen unter Umständen der sogenannte Zweckveranlasser und der polizeiliche Notstand in Betracht. I. Der Zweckveranlasser im Versammlungsrecht Auf der Grundlage einer verfassungskonformen Auslegung des § 15 VersG kann eine Versammlung nur aufgelöst, verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges gefährdet ist. Wer Adressat der Maßnahmen nach § 15 VersG ist, sagt die Vorschrift jedoch nicht. Deswegen richtet sich die Adressatenfrage nach allgemeinem Polizeirecht, so daß primär der Störer in Anspruch zu nehmen ist. 291 Störer ist zunächst der, der die Gefahr verursacht, also die Gefahrengrenze unmittelbar überschreitet. Grundsätzlich sind deswegen Veranstalter und Teilnehmer einer Versammlung nur für ihr eigenes Verhalten und nicht für das Verhalten Dritter 288

Vgl. BVerfGE 69,315 [355]; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 293b ff. 289 Vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VersG. 290 So DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz. 63; Kniesel, in: Lisken/Denniger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 467; BreitbachlDeiserothlRühl, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 15 Rz. 328f.; Dietel, DVB1.1969,569 [574]. 291 BreitbachlDeiserothlRühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz. 137; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 453; Huber, BayVBl. 1994, 513 f.

2. Kapitel: Das Eingriffsinstrumentarium des § 15 VersG

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verantwortlich. Versammlungsverbote, die wegen Gefahren für die öffentliche Sicherheit, die von Dritten - insbesondere Gegendemonstranten - ausgehen, ergehen, sind damit prinzipiell rechtswidrig. Die Polizei hat die vorrangige Pflicht, die friedliche und rechtmäßige Versammlung zu schützen.292 Nur in Ausnahmefällen ist es zulässig, eine Versammlung zu verbieten, die lediglich Anlaß für die unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, nicht aber unmittelbare Ursache ist. So soll eine Versammlung verboten oder aufgelöst werden können, wenn sie nach erkennbaren Umständen als Zweckveranlasser in Betracht kommt. 293 Zweckveranlasser ist derjenige, der durch sein Verhalten die Handlung des unmittelbaren Störers überhaupt erst hervorruft. Ihm wird das Verhalten desjenigen, der die Gefahrenschwelle überschreitet, zugerechnet.294 Dabei ist jedoch zu beachten, daß der Zweckveranlasser grundsätzlich Verhaltensstörer im Sinne des allgemeinen Polizeirechts ist. 295 Eine Versammlung, die als Zweckveranlasser herangezogen werden kann, ist damit materiell rechtswidrig, weil sie Störerin ist. Das Einschreiten gegen die Versammlung als Zweckveranlasser würde damit keine Ausnahme vom oben formulierten Grundsatz darstellen. Im übrigen scheidet entgegen der überwiegend in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung eine Inanspruchnahme einer Versammlung über die Rechtsfigur des Zweckveranlassers aus.296 Auch eine Versammlung, die Anlaß für Störungen Dritter bildet, diese möglichweise sogar subjektiv bezweckt, um erhöhte Aufmerksamkeit in den Medien zu erreichen oder um den politischen Gegner zu diskreditieren, wird von Art. 8 GG geschützt, so lange sie friedlich verläuft. 297 Die Wahl von Thematik, Ort, Darstellung oder Zeitpunkt der Veranstaltung, durch die Dritte provoziert werden könnten, gehört zum Selbstbestimmungsrecht der Versammlung. 298 Als Kommunikationsgrundrecht schützt Art. 8 GG gerade auch die provozierende Wirkung auf Dritte. 299 Daran eine Störerhaftung zu knüpfen, wäre mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit unvereinbar. Grundsätzlich muß deswegen unmittelbar ge292 BVerfGE 69,315 [360f.]; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz. 30. 293 VGH München, BayVBl. 1993,658f.; DVB1.1979,737 [738]; VGH Mannheim, NVwZ 1987, 254 [255]; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, §15 Rz.31. 294 Schock, JuS 1994, 932 [933]; Selmer, JuS 1992, 97 [99f.]. 295 Krüger, DÖV 1997, 13 [17]; Rühl, NVwZ 1988, 577f.; Schoch, JuS 1994, 932 [933]. 296 Breitbach/Deiseroth!Rühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz. 139; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 359; Möller-Bierth, Polizeiliche Inanspruchnahme im Grenzbereich zwischen Störerhaftung und polizeilichem Notstand, S. 121 f.; Brenneisen,, DÖV 2000,275 [279]; Geis, Die Polizei 1993,293 [298]; Krüger, DÖV 1997,13 [17]; Rühl, NVwZ 1988,577 [588]; Drosdzol, JuS 1983,409 [414]; kritisch auch Huber, BayVBl. 1994, 513 [516]. 297 Herzog, in: Maunz/Dürig u. a., Grundgesetz, Art. 8 Rz. 117 Rn. 114; Kniesel,, NJ 1997, 104 [105]; Schenke, JZ 1986, 35 [36]; Erbel, JuS 1985, 257 [263]. 298 BVerwG, NVwZ 1999, 991. 299 Kniesel, DÖV 1992,470 [476]; Rühl, NVwZ 1988, 577 [588].

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2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§14 und 15 VersG

gen die störenden Dritten vorgegangen werden. Diese handeln nämlich nicht fremdgesteuert, sondern beschließen eigenverantwortlich die Gegenaktionen aufgrund von gewollten oder unvermeidlichen Provokationen. 300 Nur wenn die Provokation selbst eine Störung der öffentlichen Sicherheit darstellt, kann die Versammlung unmittelbar als Verhaltensstörerin in Anspruch genommen werden. 301 Eine Versammlung, die Störungen durch Dritte lediglich veranlaßt, ist folglich Nicht-Störerin und damit materiell rechtmäßig. Gegen sie darf prinzipiell nicht vorgegangen werden. Auch unter diesem Gesichtspunkt bedarf es also keiner Modifizierung des oben formulierten Grundsatzes.

II. Der polizeiliche Notstand im Versammlungsrecht Eine Versammlung kann als Störerin nicht in Anspruch genommen werden, wenn sie lediglich Auslöser für Störungen von dritter Seite ist. Dann muß prinzipiell gegen die Dritten vorgegangen werden. Es sind jedoch Fallkonstellationen denkbar, in denen ein Vorgehen gegen die Störer nicht möglich oder im Einzelfall unverhältnismäßig ist, weil massivste Zwangsmittel angewendet werden müßten. In diesen Fällen herrscht heute in Literatur und Rechtsprechung Einigkeit darüber, daß die die Gegenreaktionen veranlassende Versammlung im Wege des polizeilichen Notstandes in Anspruch genommen werden kann.302 Begründet wird dies vor allem mit dem Wortlaut von § 15 Abs. 1 VersG, der das Einschreiten gegen eine Versammlung davon abhängig macht, ob bei ihrer „Durchführung" die öffentliche Sicherheit oder Ordnung unmittelbar gefährdet ist. Diese Formulierung läßt offen, ob die Versammlung selbst oder die Umwelt für die Gefahr verantwortlich ist, so daß auch gegen den Nichtstörer vorgegangen werden kann.303 Die Inanspruchnahme als Nichtstörer bedeutet jedoch, daß die Versammlung selbst materiell rechtmäßig ist. Die Heranziehung der Versammlung als Notstandspflichtige stellt damit einen Fall dar, in dem gegen die Versammlung auch bei materieller Rechtmäßigkeit vorgegangen werden 300

Rühl, NVwZ 1988, 577 [588]; Erbel, JuS 1985, 257 [263]. BreitbachlDeiserothlRühl in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz. 139; vgl auch VG Minden, NVwZ 1988, 663 [665]. 302 BVerfGE 69,315 [361]; OVG Weimar, NJ1997,102 [104]; VGH Mannheim, DÖV 1990, 346 [347], OVG Bautzen, NVwZ-RR 1995, 444f.; OVG Saarlouis; JZ 1970, 283 [285f.]; BreitbachlDeiserothlRühl, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 15 Rz. 140f.; DietellGintzell Knie sei, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz.32; Wache, in: Erbs/ Kohlhaas u.a., Strafrechtliche Nebengesetze, V 55, § 15 Rz.9; Möller-Bierth, Polizeiliche Inanspruchnahme im Grenzbereich zwischen Störerhaftung und polizeilichem Notstand, S. 121 f.; Huber, Der Veranstalter einer Versammlung im Rechtskreis der Exekutive, S. 201 f.; Brenneisen, DÖV 2000, 275 [276f.]; Kniesel, NJ 1998, 666; ders., NJ 1997, 104f.; Krüger, DÖV 1997,13 [15f.]; Ketteier, DÖV 1990,954 [959f.]; Rühl, NVwZ 1988,577 [581 f.]; a. A. TrubellHainka, Versammungsrecht, § 15 Anm. 7,13; Neuberger, G A 1969, 1 [10]; Stümper, DÖV 1960,116 [117]. 303 OVG Bautzen, NVwZ-RR 1995,444f.; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.360f.; Krüger, DÖV 1997,13 [15fJ; Rühl, NVwZ 1988, 577 [581 f.]. 301

2. Kapitel: Das Eingriffsinstrumentarium des § 15 VersG

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kann. Allerdings ist die Inanspruchnahme der Versammlung als Nichtstörerin nur ausnahmeweise und unter strengen Voraussetzungen möglich. So muß eine gegenwärtige erhebliche Gefahr für wichtige Rechtsgüter vorliegen und der zuständigen Behörde muß es unmöglich sein, durch Heranziehung des Störers oder durch den Einsatz eigener Mittel die Gefahr zu beseitigen oder ein Vorgehen gegen den Störer muß aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ausgeschlossen sein.304 Man kann also zwischen dem echten, bzw. absoluten polizeilichen Notstand und dem unechten, bzw. relativen polizeilichen Notstand unterscheiden.305 1. Echter polizeilicher Notstand Der Fall des echten polizeilichen Notstands liegt vor, wenn es der zuständigen Behörde unmöglich ist, durch Inanspruchnahme des Störers oder durch eigene Mittel die Gefahr zu beseitigen.306 An die Voraussetzungen der Unmöglichkeit anderweitiger wirksamer Gefahrenabwehr werden aber hohe Anforderungen gestellt. So muß die zuständige Behörde bei drohender Gewalteskalation nicht nur Kräfte benachbarter Dienststellen heranziehen, sondern im Wege der länderübergreifenden Amtshilfe nach Art. 35 GG Polizeikräfte bzw. den Bundesgrenzschutz zum Schutz der friedlichen und materiell rechtmäßigen Versammlung anfordern. 307 Diese müssen gegen die störenden Gegendemonstranten auch unter Einsatz härtester Zwangsmittel bei intensiver Eigensicherung vorgehen. Dies mag zwar auf den ersten Blick unverhältnismäßig erscheinen. Zu beachten ist jedoch, daß die Inanspruchnahme der nicht störenden Versammlung immer die Preisgabe des Grundrechtsschutzes bedeutet. Dies ist verfassungsrechtlich nur in extremen Ausnahmesituationen möglich, denn Grundrechtsschutz darf nicht von dem Verhalten Dritter abhängig sein. So wird denn auch bezweifelt, ob der Fall des echten polizeilichen Notstandes, in dem es der Polizei objektiv unmöglich ist, durch Inanspruchnahme des Störers oder durch eigene Mittel die Gefahr zu beseitigen, bei den sich aus Gegendemonstrationen ergebenden Gefahren praktische Relevanz hat. 308 Es wird sich dabei höchstens um Situationen handeln, in denen wegen nicht vorhersehbarer Lageentwicklung keine Möglichkeit bestand, sich auf die Veranstaltung einzurichten, insbesondere 304

VGH Mannheim, DÖV 1990,346 [Ml]\Breitbach/Deiseroth!Rühl, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 15 Rz. 140f.; Huber, Der Veranstalter einer Versammlung im Rechtskreis der Exekutive, S. 201 f.; Krüger, DÖV 1997, 13 [15f.]; Kniesel, DÖV 1992, 470 [476]; ders., NJ 1998, 554 [555]; Rühl, NVwZ 1988, 577 [581 f.]; Schmidt-,Jortzig, JuS 1970, 507 [509]; Papperman, JZ 1970, 286f. 305 Breitbach!Deiseroth!Rühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz. 140f.; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.361f.; Brenneisen, DÖV 2000, 275 [279]; Krüger, DÖV 1997, 13 [15fJ. 306 Brenneisen, DÖV 2000, 275 [279]. 307 OVG Weimar, NJ 1997,102 [104]; Kniesel, NJ 1998,666; Krüger, DÖV 1997,13 [ 1 5 f j ; Rühl, NVwZ 1988,577 [581 f.]; Schmidt-Jortzig, JuS 1970, 507 [509]. 308 Breitbach!Deiseroth!Rühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz. 140; Krüger, DÖV 1997, 13 [15f.]; Rühl, NVwZ 1988, 577 [581 f.]. 7 Werner

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2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

ausreichende Polizeikräfte bereitzustellen. Dies wäre etwa der Fall, wenn eine unvorhergesehene Vielzahl von Gegendemonstranten eine Versammlung gewaltsam verhindern will. 3 0 9 2. Unechter polizeilicher Notstand Der Fall des unechten, bzw. relativen polizeilichen Notstandes ist gegeben, wenn es der Polizei zwar objektiv durchaus möglich ist, unter Inanspruchnahme der die Gefahr verursachenden Teilnehmer einer Gegendemonstration wirksame Gefahrenabwehr zum Schutz der Ausgangsversammlung zu leisten, dieser Erfolg aber nur durch Einbußen des Störers an Rechsgütern erreicht werden kann, die in auffälligem Mißverhältnis zu der der Ausgangsversammlung drohenden Gefahr stehen.310 Die eine ausnahmsweise Inanspruchnahme der friedlichen Versammlung als Nichtstörer rechtfertigende Situation des relativen polizeilichen Notstandes ist also dadurch charakterisiert, daß die Beseitigung der Gefahr durch ein Vorgehen gegen die störende Gegendemonstration nur unter Inkaufnahme von aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht zu verantwortenden Opfern möglich ist. In einer solchen Ausnahmesituation muß der Grundrechtsschutz für die Ausgangsversammlung zurücktreten, weil rechtsstaatliches Polizeirecht keine Rechtsdurchsetzung um jeden Preis verlangt. 311 Dies ist allerdings erst auf einer hohen Eskalationsstufe zu rechtfertigen, wenn z.B. mit höchster Wahrscheinlichkeit ein Vorgehen gegen die verantwortliche Gegendemonstration zu gefährlichen gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Schwerverletzten oder gar Toten führen würde. 312 An die Gefahrenprognose sind dabei - wie auch im Falle des echten polizeilichen Notstandes - strenge Anforderungen zu stellen. Erforderlich ist stets gesichertes Tatsachenmaterial, auf das die Gefahrenprognose gestützt werden kann.313

G. Zusammenfassung und Ergebnis Voraussetzung für einen Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit im Rahmen von §§14 und 15 VersG ist prinzipiell die materielle Illegalität der Versammlung. Die formelle Rechtmäßigkeit einer Versammlung verhindert keine Eingriffe in das Recht auf Versammlungsfreiheit während einer laufenden Versammlung. Sie bewirkt je nach Versammlungstyp nur, daß die Eingriffs- und Reaktions309 y e Köin^ NJW 1971,210 [212]; Knieseh in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.362; Krüger, DÖV 1997,13 [15f.]. 310 VGH Kassel, DVB1. 1990, 1052 [1053]; Brenneisen,, DÖV 2000, 275 [280]; Krüger, DÖV 1997,13 [16fJ; Rühl, NVwZ 1988, 577 [582]; Schmidt-Jortzig, JuS 1970, 507 [509f.]. 311 Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.364; Schmidt-Jortzig, JuS 1970, 507 [510]. 312 Brenneisen, DÖV 2000,275 [280]. 313 BreitbachlDeiserothlRühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz. 143; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S.229.

3. Kapitel: Strafrechtliche Konsequenzen im Hinblick auf §§ 14 und 15 VersG

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schwelle angehoben wird oder - bei der zulässigerweise nicht angemeldeten Versammlung - nicht absinkt. Im Gegenzug dazu bewirkt die formelle Rechtswidrigkeit einer Versammlung das Absinken der Gefahrenschwelle. Die formelle Rechtswidrigkeit einer Versammlung rechtfertigt aber niemals allein die Auflösung derselben. Voraussetzung ist immer ihre materielle Rechtswidrigkeit. Einfluß gewinnt die formelle Rechtmäßig- oder Rechtswidrigkeit einer Versammlung dogmatisch im Bereich des Entschließungsermessens. Sie bildet dort einen von mehreren bei der Ermessensausübung zu beachtenden Faktoren. Begründen läßt sich dies mit der Geltung des Kooperationsprinzips im Versammlungsrecht. Ausnahmsweise kann gegen eine Versammlung auch vorgegangen werden, wenn sie materiell rechtmäßig ist. Ihre Inanspruchnahme ist dann unter den Voraussetzungen des echten oder unechten polizeilichen Notstandes möglich. Im Gegenzug kann aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ein Vollstreckungsverbot bei einer materiell rechtswidrigen Versammlung bestehen.

3. Kapitel

Strafrechtliche Konsequenzen formeller und/oder materieller Versammlungsrechtswidrigkeit im Hinblick auf §§ 14 und 15 VersG Nach der oben vorgenommenen Untersuchung steht fest, daß versammlungsrechtliche Eingriffsbefugnisse in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gem. Art. 8 Abs. 1 GG prinzipiell nur bei materieller Versammlungsrechts Widrigkeit bestehen. Gegenstand der folgenden Untersuchung soll sein, ob Voraussetzung für die Strafbarkeit von Teilnehmern, Leitern oder Veranstaltern nach dem Versammlungsgesetz und dem Strafgesetzbuch immer die materielle Rechtswidrigkeit der Versammlung ist oder ob die formelle Illegalität ausreicht. A. Die Strafbarkeit nach dem Versammlungsgesetz Zunächst soll die Strafbarkeit der Beteiligten nach den speziellen Tatbeständen des Versammlungsgesetzes untersucht werden. Die systematische Reihenfolge der Untersuchung richtet sich dabei ebenfalls nach der Reihenfolge der Auflösungsgründe gem. § 15 Abs. 2 und Abs. 3 VersG. Zu klären ist die Frage, wie sich die fehlende Anmeldung, die Abweichung von den Angaben der Anmeldung und die auflagen- oder verbotswidrige Durchführung der Versammlung auf die Strafbarkeit der oben genannten Personengruppen auswirkt und welche Voraussetzungen an die Strafbarkeit im Hinblick auf die formelle und materielle Illegalität der Versammlung zu stellen sind.

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2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§14 und 15 VersG

I. Strafbarkeit bei Nichtanmeldung der Versammlung Die Durchführung einer nichtangemeldeten öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel ist gem. § 26 Nr. 2 VersG strafbar.

1. Überblick über die Regelung des §26 Nr. 2 VersG Strafbar machen kann sich ausweislich des Wortlauts der Vorschrift nur der Veranstalter und der Leiter der Versammlung. 314 Die Teilnahme an der nichtangemeldeten Versammlung ist insgesamt sanktionslos.315 Diese herausgehobene strafrechtliche Verantwortlichkeit des Veranstalters und Leiters knüpft an die Innehabung ihrer durch das Versammlungsgesetz im Verhältnis zu den sonstigen Teilnehmern einer Versammlung verstärkten Rechtsstellung an. 316 § 26 Nr. 2 VersG tangiert damit das aus Art. 8 Abs. 1 GG folgende Veranstaltungs- und Leitungsrecht. Auch in diese aus Art. 8 Abs. 1 GG folgenden Teilrechte darf nur nach Maßgabe des Grundrechts eingegriffen werden. 317 Strafbar ist die „Durchführung einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel ohne Anmeldung (§ 14 VersG)". 318 Sanktioniert wird die fehlende Anmeldung oder die Nichteinhaltung der Anmeldefrist aber nur dort, wo sie nicht entbehrlich ist. Durch die Bezugnahme des §26 Nr. 2 VersG auf § 14 VersG steht fest, daß die Strafbarkeit nur soweit wie die Anmeldepflicht reicht. Somit entfällt die Anmeldepflicht des § 14 VersG und damit die Strafbarkeit nach § 26 Nr. 2 VersG für den Leiter 319 einer Spontanversammlung.320 Veranstalter und Leiter einer Eilversammlung machen sich nicht strafbar, wenn sie die Versammlung zu dem Zeitpunkt angemeldet haben, zu dem dies möglich wurde, also mit dem Entschluß zur Durchfüh3,4 Teilweise wird die Pönalisierung des Leiters in §26 Nr. 2 VersG für verfassungswidrig gehalten (vgl.: Breitbach, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsgesetz, § 26 Rz. 35 f.; ders., NJW 1984, 841 ff.; diese Kontroverse kann hier nicht weiter verfolgt werden). 315 Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, §26 Rz. 10; Wache, in: Erbs/Kohlhaas u. a., Strafrechtliche Nebengesetze, V 55, §26 Rz. 2. 3,6 Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsgesetz, §26 Rz.9. 317 Herzog, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Art.8 Rz.58f.; Benda, in: Dolzer/Vogel, Bonner Kommentar, Art. 8 Rz. 33 f.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz. 770. 318 Vgl. auch: BVerfGE 85,69 [73]; Dietel/GintzelKniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, §26 Rz. 10; Meyer!Köhler, Demonstrations- und Versammlungsrecht, §26 Anm.4 c. 319 Spontanversammlungen haben schon begriffsnotwendig keinen Veranstalter; ob sie überhaupt einen Leiter haben können, ist stark umstritten. Die h. M. bejaht dies (vgl. dazu Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsgesetz, §26 Rz. 13; ders., in: NJW 1984, 841 [843 ff.]). 320 BVerfGE 69,315 [350f.]; 85,69 [75]; BVerwG, NJW 1967, 1191 f.; Benda, in: Dolzer/ Vogel, Bonner Kommentar, Art. 8 Rz 79.

3. Kapitel: Strafrechtliche Konsequenzen im Hinblick auf §§14 und 15 VersG

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rung einer Versammlung oder spätestens mit der Bekanntgabe.321 Zu diesen Ergebnissen gelangt man nach hier und verbreitet vertretener Auffassung durch verfassungskonforme Auslegung des § 14 VersG. Weiterhin entfällt die Anmeldepflicht in den Fällen des § 17 VersG. §26 Nr. 2 VersG setzt damit für eine Strafbarkeit zumindest die formelle Rechtswidrigkeit der Versammlung voraus. Eine unmittelbare und konkrete Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die Durchführung der nichtangemeldeten Demonstration, also die materielle Rechtswidrigkeit der Versammlung, wird als strafbarkeitslimitierendes Kriterium aber nicht gefordert. Bei § 26 Nr. 2 VersG soll es sich im Gegenteil nach ganz herrschender Meinung um einen Ungehorsamstatbestand zur Sicherung der Anmeldepflicht handeln.322 Für die Strafbarkeit ist damit nicht die materielle Rechtswidrigkeit der Versammlung erforderlich. Ob dies jedoch mit Art. 8 Abs. 1 GG in Einklang zu bringen ist, kann jedoch - auch entgegen der Rechtsprechung des BVerfG - bezweifelt werden. 323 Problematisch ist zusätzlich noch, daß § 26 Nr. 2 VersG durch die verfassungskonforme Auslegung des § 14 VersG an Kontur verliert. 2. Verfassungsmäßigkeit

des §26 Nr. 2 VersG

Voraussetzung der Strafbarkeit von Veranstalter und Teilnehmer einer Versammlung nach § 26 Nr. 2 VersG ist die formelle Rechtswidrigkeit der Versammlung im Hinblick auf § 14 VersG. Wann eine Versammlung i. S. v. § 14 VersG formell rechtswidrig ist, läßt sich jedoch nicht eindeutig aus der Norm des § 14 VersG erkennen, sondern erschließt sich erst nach verfassungskonformer Auslegung, so daß fraglich ist, ob dies zur Unbestimmtheit des § 26 Nr. 2 VersG führt.

321

BVerfGE 85,69 [75]; Rühl, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 14 Rz. 11; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S.205; teilweise wird vertreten, auf die Anmeldfrist käme es gar nicht an, so daß die Strafbarkeit schon bei Anmeldung überhaupt entfiele (Vgl. BGH, NJW 1969,1770 [1774]; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, §26 Rz.9; Wache, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, V 55, § 26 Rz. 26). Bei dieser Auslegung verliert § 26 Nr. 2 VersG jedoch völlig seine Funktion - Sicherung der Anmeldepflicht - , so daß sie abzulehnen ist (KG Berlin, NJW 1985,209f.; Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsgesetz, §26 Rz.41). 322 BGH, NJW 1969, 1770 [1773f.]; Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsgesetz, §26 Rz.30; Wache, in: Erbs/Kohlhaas u.a., Strafrechtliche Nebengesetze, V 55, §26 Rz. 10; Weingärtner, Demonstration und Strafrecht, S.30; Gallwas, JA 1986,484 [490]. 323 v g l y/erbke, NJW 1970, 1 [5]; Kostaras, Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S.93.

102

2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§14 und 15 VersG

a) Vereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 2 GG Nach Art. 103 Abs. 2 GG kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. 324 Dieses grundrechtsgleiche Recht verlangt für die Bestrafung eines Täters ein formelles Gesetz, in dem die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe enthalten sind. 325 Dies schließt auch sogenannte Blankettstrafgesetze - also Strafgesetze, die den Straftatbestand nicht aus sich heraus abschließend bestimmen, sondern hierfür auf andere Vorschriften verweisen - nicht aus.326 Verweist der Straftatbestand - wie § 26 Nr. 2 VersG auf § 14 VersG - auf ein anderes formelles Gesetz, so muß nur die Verweisung hinreichend deutlich sein und die Norm, d. h. die Verkoppelung von sanktionierender und ausfüllender Vorschrift, muß die Voraussetzungen der Strafbarkeit hinreichend deutlich umschreiben. 327 Der einzelne soll von vornherein wissen können, was strafrechtlich verboten ist, und welche Strafe ihm für den Fall eines Verstoßes gegen das Verbot droht. 328 Art. 103 Abs. 2 GG will damit zum einen sicherstellen, daß jedermann sein Verhalten auf die Rechtslage einrichten kann und keine willkürlichen staatlichen Reaktionen befürchten muß. Zum anderen soll gewährleistet werden, daß über die Strafbarkeit eines Verhaltens der Gesetzgeber und nicht der Richter entscheidet.329 Dadurch wird allerdings nicht die Verwendung von auslegungsfähigen Begriffen ausgeschlossen.330 Solange sich der Sinn der Regelung durch Auslegung ermitteln läßt, sind die Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes gewahrt. 331 In Grenzfällen reicht es aus, daß dem Adressaten zumindest das Risiko der Bestrafung erkennbar 324

Vgl. dazu allgemein: Kr ahi, Die Rechtsprechung des BVerfG und des BGH zum Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht, S. 108ff. 325 BVerfGE 75,329 [342]; 87,399 [411]; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 103 Rz.40,43; Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 103 Rz.60. 326 BVerfGE 78,374 [382]; 87,399 [407f.]; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 103 Rz.43; Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 103 Rz. 60; Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik der Straftatbestände zum Schutz von Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, S. 84. 327 BVerfGE 75,329 [342]; BGHSt 37,266 [272]; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 103 Rz. 44; Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 103 Rz. 61; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Art. 103 Abs.2 Rz.201. 328 BVerfGE 92,1 [12]; 78,374 [381 f.]; 73,206 [234f.]; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 103 Rz.48; Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 103 Rz. 67 f.; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, Art. 103 Rz.27ff.; Wassermann, in: Wassermann, Alternativkommentar GG, Art. 103 Rz. 52. 329 BVerfGE 47,109 [120]; 87,399 [411]; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 103 Rz.43; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, Art. 103 Rz.27ff.; Schmidt-Bleibtreu, in: Schmidt-B leibtreu/Klein, Grundgesetz, Art. 103 Rz.7. 330 BVerfGE 92,1 [12]; 85,69 [73]; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 103 Rz.48; Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 103 Rz.67. 331 BVerfGE 78,374 [389]; 75,329 [341); Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 103 Rz.67; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Art. 103 Abs.2 Rz. 186.

3. Kapitel: Strafrechtliche Konsequenzen im Hinblick auf §§ 14 und 15 VersG

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wird. 332 Dabei zieht der Wortlaut der Norm der Auslegung die äußerste Grenze. Unzulässig ist eine Auslegung, die über den Wortsinn hinausgeht.333 Damit wird jede Auslegung einer Strafbestimmung ausgeschlossen, die den Inhalt der gesetzlichen Sanktionsnorm erweitert und damit Verhaltensweisen in die Strafbarkeit einbezieht, die die Tatbestandsmerkmale der Norm nach deren möglichen Wortsinn nicht erfüllen. 334 Ob § 26 Nr. 2 VersG diesen Anforderungen entspricht, ist auch noch nach einem Beschluß des BVerfG stark umstritten.

aa) Auffassung des BVerfG und der überwiegenden Kommentarliteratur Nach der Auffassung des BVerfG und der überwiegenden Kommentarliteratur ist die Vorschrift des § 26 Nr. 2 VersG mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar. 335 Der Bezug zur Anmeldepflicht werde durch den Klammerverweis in § 26 Nr. 2 VersG hinreichend deutlich, selbst wenn in der Vorschrift nicht das Unterlassen der Anmeldung schlechthin, sondern die Durchführung einer nichtangemeldeten Versammlung unter Strafe gestellt werde. 336 Daß § 14 VersG einer verfassungskonformen Auslegung bedürfe, nehme der Strafvorschrift nicht die erforderliche Bestimmtheit, denn die verfassungskonforme Interpretation von § 14 VersG ziehe den Kreis des strafbaren Verhaltens nicht weiter, sondern enger. Für Spontanversammlungen entfalle die Anmeldepflicht. Für Eilversammlungen verkürze sich die Anmeldefrist. Strafrechtlich relevant sei die versäumte Anmeldung nur noch dann, soweit die Möglichkeit der Anmeldung bestand. Die Norm bringe damit hinreichend zum Ausdruck, daß Versammlungen, bei denen die Frist des § 14 VersG nicht einzuhalten ist, nicht deswegen gänzlich von der Anmeldepflicht befreit sind. Für den Normadressaten sei damit das Risiko der Strafbarkeit bei Nichtanmeldung mit der von Art. 103 Abs. 2 GG geforderten Klarheit erkennbar. 337

332 BVerfGE 75,329 [341]; 85,69 [73]; Schmidt-Bleibtreu, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Grundgesetz, Art. 103 Rz.7. 333 BVerfGE 71,108 [115]; 92,1 [12f.]; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 103 Rz.47; Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 103 Rz. 70; Priester, in: Schulz/Vormbaum, Festschrift für Günter Bemmann, S. 377 Fn. 76. 334 BVerfGE-K, NJW 1995, 3051; BVerfGE 85,69 [73]; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 103 Rz.47; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Art. 103 Abs.2 Rz. 186. 335 BVerfGE 85, 69 [72ff.]; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 103 Rz. 50; Schmidt-Bleibtreu, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Grundgesetz, Art. 103 Rz. 8; Brenneke, in: Das Deutsche Bundesrecht, I F 40, § 26 Anm. 2; Wache, in: Erbs/Kohlhaas u. a., Strafrechtliche Nebengesetze, V 55, §26 Rz. 11; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz. 121 f. 336 BVerfGE 85,69 [73f.]. 337 BVerfGE 85,69 [76].

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2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

bb) Dissenting Opinion Nach der abweichenden Meinung der Richter Seibert und Henschel sowie beachtlicher Stimmen in der versammlungsrechtlichen Literatur ist § 26 Nr. 2 VersG mit Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar. 338 Aus der Verweisung in § 26 Nr. 2 VersG auf § 14 VersG sei nicht ablesbar, ob nur die Nichtanmeldung oder auch die verspätete Anmeldung bzw. unvollständige Anmeldung gemeint sei. Die Grenze zwischen Dürfen und Nichtdürfen sei nicht hinreichend deutlich. Die Strafnorm sei insbesondere in ihrer Tragweite für Eilversammlungen unklar, weil man dem Wortlaut der Vorschrift nicht entnehmen könne, welches Verhalten strafbar sei. Nehme man den Gesetzeswortlaut ernst, so könne man die Eilversammlungen überhaupt nicht durchführen, da die Einhaltung der vorgeschriebenen Anmeldefrist nicht möglich sei. Lasse man sich durch die Vorschrift nicht abschrecken, könne man im Gesetz keine Aussage darüber finden, ob und gegebenenfalls wann man die Eilversammlung anmelden muß. Diese Unsicherheit dürfe nicht zu Lasten der Grundrechtsträger gehen. 339 cc) Kritik und Stellungnahme Für die abweichende Auffassung spricht, daß sich dem Wortlaut der Normen tatsächlich nicht entnehmen läßt, wann eine Eilversammlung anzumelden ist. Dies ist indes auch gar nicht erforderlich, denn Art. 103 Abs. 2 GG verlangt nur die Auslegbarkeit einer Vorschrift; diese ist jedoch nicht auf die Wortlautauslegung begrenzt. 340 Unzulässig ist nur eine Auslegung über den Wortsinn hinaus, die also vom Wortlaut absolut nicht mehr gedeckt ist. Daß eine Eilversammlung angemeldet werden muß, sobald die Möglichkeit dazu besteht, ergibt sich aber schon aus dem Sinn und Zweck von § 14 VersG. Unter Heranziehung von teleologischen Gesichtspunkten ist auch klar, daß die Anmeldung in § 26 Nr. 2 VersG eine ordnungsgemäße Anmeldung nach § 14 VersG meint, denn eine unvollständige Anmeldung ist unbrauchbar und nutzlos. Der Klammerverweis in § 26 Nr. 2 VersG macht dies auch hinreichend deutlich. Die Auslegung von § 14 VersG im Hinblick auf Eil Versammlungen überschreitet auch nicht den Wortlaut der Norm. Daß die Anmeldefrist für Eilversammlungen nicht gilt, läßt sich mit dem Terminus „vor der Bekanntgabe" in § 14 VersG begrün338 Sondervotum der Richter Seibert und H entscheid in: BVerfGE 85,69 [77 ff.]; HoffmannRiem, in: Wassermann, Alternativkommentar GG, Art. 8 Rz. 51; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, §26 Rz. 16f.; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, §26 Rz. 8; Quilisch, Die demokratische Versammlung, S. 135 f.; Borchert, Die Spontanversammlung, S. 142f.; Breitbach, NJW 1984, 841 [845]; Geis, NVwZ 1992, 1025 [1031]; Schnupp, DÖD 1992, 245 [247]; Werbke, NJW 1970, 1 [5]. 339 Sondervotum der Richter Seibert und Henschel, in: BVerfGE 85,69 [77 ff.]; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, §26 Rz. 17. 340 Vgl. Lehner, NJW 1991, 890 [891].

3. Kapitel: Strafrechtliche Konsequenzen im Hinblick auf §§ 14 und 15 VersG

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den. Daraus ergibt sich, daß die Vorschrift unbeschränkt nur für Versammlungen gelten soll, deren Durchführung 48 Stunden vor Versammlungsbeginn bzw. vor Bekanntgabe auch feststeht, also „bekannt" ist. Der Vorwurf der Norm-ergänzung geht also fehl. Für die Bestimmtheit des §26 Nr. 2 VersG spricht außerdem, daß das Risiko der Strafbarkeit für Veranstalter und Leiter einer Eilversammlung durch die Möglichkeitsformel des BVerfG hinreichend deutlich ist. Dieses Risiko wird sogar gegenüber dem Wortlaut von § 14 VersG durch - von Verfassungs wegen gebotener - restriktiven Interpretation gemildert. Restriktive Interpretation nimmt jedoch einer Norm nicht ihre Bestimmtheit.341 Damit ist der Auffassung des BVerfG zu folgen. § 26 Nr. 2 VersG verstößt nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG.

b) Vereinbarkeit mit Art. 8 Abs. 1 GG § 26 Nr. 2 VersG ist nach ganz herrschender Meinung ein Ungehorsamstatbestand, der der Sicherung der Meldepflicht und der Gewährleistung rechtzeitiger und verläßlicher Unterrichtung der Behörden dienen soll. 342 Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, sprich die materielle Regalität der Versammlung, wird zur Begründung der Strafbarkeit bei Durchführung einer unangemeldeten Versammlung nicht verlangt. Dagegen wurden bis heute überwiegend keine verfassungsrechtlichen Bedenken geltend gemacht.343 Zweifel bzgl. der Verhältnismäßigkeit der Vorschrift wurden nur vereinzelt geäußert.344 Meines Erachtens sind diese jedoch begründet. Unstreitig sind nämlich Eingriffe in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nur bei Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zulässig.345 Dies gilt sowohl für die Teilnehmer- als auch für die Veranstaltungs- und Leiterfreiheit. § 26 Nr. 2 VersG koppelt jedoch die Strafbarkeit des Veranstalters und Leiters einer Versammlung von diesem Erfordernis ab. Für diese stellt sich die Durchführung einer nichtangemeldeten Versammlung sogar dann als verboten dar, wenn sie materiell legal durchgeführt wird, also unter Grundrechtsschutz 341

BVerfGE 85,69 [73]; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz. 121. Strittig ist, ob Unrechtstatbestand im „Unterbleiben der Anmeldung schlechthin" (so: BGH, NJW 1969, 1770 [1773]; Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsgesetz, §26 Rz. 30; ders., in: NJW 1984, 841 [842f.]) oder in der „Durchführung" einer nichtangemeldeten Versammlung zu sehen ist (so: BVerfGE 85,69 [73]; Dietel!Ginzel!Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, §26 Rz. 10; Meyer!Köhler, Demonstrations- und Versammlungsrecht, §26 Rz. Anm. 4c; Gallwas, JA 1986,484 [490]). Der Streit spielt jedoch im vorliegenden Kontext keine große Rolle und erscheint auch sonst eher akademischer Natur. 343 Vgl. nur: BVerfGE 85,69 [76]; Breitbach, in: Ridder/Breitbach, Versammlungsgesetz, § 26 Rz. 38; DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 26 Rz. 18 ff. 344 MeyerlKöhler, Demonstrations- und Versammlungsrecht, §26 Anm. 4 a; Kostaras, Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S.93; Werbke, NJW 1970, 1 [5ff.]. 345 BVerfGE 69,315 [351 f.]; BreitbachlDeiserothlRühl, in: Ridder/Breitbach, Versammlungsrecht, § 15 Rz. 36,274 f. 342

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2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

steht. Für das Verbotensein einer Versammlung sind aber materielle Kriterien ausschlaggebend.346 Sinn und Zweck der Anmeldepflicht ist außerdem, einen Interessenausgleich zwischen der Versammlung und Dritten herzustellen und damit einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorzubeugen. Wird eine Versammlung dennoch ohne Anmeldung, aber materiell legal durchgeführt, so entfällt der Strafgrund, denn die Verfahrensregeln des Versammlungsgesetzes enthalten keine Schutzgüter, deren Verletzung im Verhältnis zu Art. 8 Abs. 1 GG die Versagung der Grundrechtsausübung rechtfertigen. 347 Die Unverhältnismäßigkeit der Vorschrift ergibt sich auch aus einem Vergleich mit § 26 Nr. 1 VersG. Hier wird ebenfalls mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft, wer als Veranstalter oder Leiter eine öffentliche Versammlung trotz vollziehbaren Verbots durchführt oder trotz Auflösung oder Unterbrechung durch die Polizei fortsetzt. Verbot, Auflösung oder Unterbrechung setzen jedoch immer die materielle Versammlungsrechtswidrigkeit voraus. Die gleiche Strafe an die Durchführung einer bloß formell rechtswidrigen Versammlung zu knüpfen, also die nicht angemeldete Versammlung wie eine verbotene zu behandeln, ist dann aber unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit und unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht mehr zu rechtfertigen. 348 § 26 Nr. 2 VersG ist damit unverhältnismäßig und verstößt gegen Art. 8 Abs. 1 VersG. 349 c) Verfassungskonforme Auslegung Fraglich ist, ob § 26 Nr. 2 VersG verfassungskonform ausgelegt und auf ein verfassungsrechtlich erträgliches Maß reduziert werden kann. In Betracht kommt eine Auslegung der Norm dergestalt, daß die Durchführung einer nichtangemeldeten Versammlung nur dann zur Strafbarkeit des Veranstalters oder Leiters führt, wenn die Versammlung auch materiell illegal ist, d. h. durch die formell rechtswidrige Versammlung eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung hervorgerufen wird. § 26 Nr. 2 VersG würde dann vom bloßen Ungehorsamstatbestand zum konkreten Gefährdungsdelikt mutieren. 350 § 26 Nr. 2 VersG enthielte dann aber eine angemessene Sanktion für die Durchführung einer materiell illegalen und 346 347

BVerfGE 69,315 [354]; Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 194. So ausdrücklich: Kostaras, Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte,

S.93. 348

Ähnlich: Werbke, NJW 1970, 1 [5]. Rechtspolitisch wird deswegen gefordert, § 26 Nr. 2 VersG in einen Ordnungswidrigkeitentatbestand umzuwandeln. Der Verstoß gegen die bloße Ordnungspflicht (§14 VersG) würde dann auch nur als Ordnungswidrigkeit sanktioniert. Rechtsstaatliche Bedenken bestünden dann nicht mehr (Vgl. Breitbach, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsgesetz, § 26 Rz.44; Borchers Die Spontanversammlung, S. 141 Fn.92; Werbke, NJW 1970,1 [5]). 350 Vgl. dazu: Wessels!Beulke, Strafrecht Allgemeiner Teil, Rz.25ff.; JeschecklWeigend, Lehrbuch des Strafrechts, S.263f.; Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht Allgemeiner Teil, §8 Rz. 42f.; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil I, § 11 Rz. 113 ff. 349

3. Kapitel: Strafrechtliche Konsequenzen im Hinblick auf §§ 14 und 15 VersG

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damit potentiell auflösbaren Versammlung. Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr würde nur noch bestraft, „wer als Veranstalter oder Leiter eine öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel ohne Anmeldung (§14 VersG) durchführt und dadurch eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung hervorruft". Einer solchen Auslegung stünde der Wortlaut der Vorschrift nicht entgegen. § 26 Nr. 2 VersG verweist nämlich auf § 14 VersG. Dieser dient der Gefahrenvorsorge. Es liegt also nahe, auch den Strafgrund von § 26 Nr. 2 VersG in der Gefahrenverhinderung zu sehen und die Funktion des Tatbestands nicht bloß auf die Sicherung einer Ordnungspflicht zu reduzieren. 351 Dafür spricht auch, daß bisher auch nicht das Unterlassen der Anmeldung schlechthin strafbar ist, sondern nur die Durchführung einer unangemeldeten Versammlung, also die Schaffung einer potentiellen Gefahr. Die Strafbarkeit an die Aktualisierung dieser Gefahr zu knüpfen, erscheint dann aber naheliegend und vom Wortlaut her nicht ausgeschlossen. Systematisch spricht für diese Interpretation, daß auch § 26 Nr. 1 VersG prinzipiell für eine Strafbarkeit immer die materielle Rechtswidrigkeit der Versammlung fordert. Verbot und Auflösung sind nämlich nur bei materieller Illegalität der Versammlung möglich. Auch der Schutzzweck der Norm spricht nicht gegen ein solches Auslegungsergebnis. Dieser wird zwar in der Sicherung der Anmeldepflicht gesehen.352 Diese dient jedoch der Gefahrenverhinderung, weshalb es nur bei eingetretener materieller Illegalität der Versammlung zu einer schutzzweckadäquaten Bestrafung kommt. Hinzu kommt, daß die Funktion des § 26 Nr. 2 VersG durch die hier vorgenommene Auslegung in vollem Umfang erhalten bleibt, denn es besteht bei der Durchführung einer nichtangemeldeten Versammlung immer die Gefahr ihrer materiellen Illegalität. Das Risiko, sich bei Durchführung einer formell illegalen Versammlung strafbar zu machen, weil diese auch in die materielle Illegalität umschlagen kann, ist allgegenwärtig. 353 Von § 26 Nr. 2 VersG geht somit auch in der verfassungskonform reduzierten Variante eine erhebliche generalpräventive Wirkung aus. Berücksichtigt werden muß auch, daß durch das im Versammlungsrecht statuierte Kooperationsprinzip für den Veranstalter und Leiter einer Versammlung ein erhebliches materielles Interesse an der Anmeldung besteht, weil sie durch diese die Gefahrenschwelle anheben können. Ein Grund, die Strafbarkeit bei § 26 Nr. 2 VersG allein an die formelle Rechtswidrigkeit zu knüpfen, besteht also nicht. Diese verfassungskonforme Auslegung von § 26 Nr. 2 VersG kollidiert auch nicht mit Art. 103 Abs. 2 GG. Durch die hier vorgenommene Interpretation wird der Kreis des strafbaren Verhaltens nämlich nicht weiter, sondern enger gezogen. Dies ist 351 So aber: BGH, NJW 1969, 1770 [1773]; FüßleinIGeeb, Versammlungsgesetz, Vorbem. zu §26. 352 Meyer/Köhler, Demonstrations- und Versammlungsrecht, §26 Anm. 1; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz. 117. 353 Vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz. 55; vgl. auch: Kischel, DVB1. 1996, 185 [191].

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2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§14 und 15 VersG

grundsätzlich mit dem Bestimmtheitsgrundsatz vereinbar. 354 Außerdem bleibt für den Normadressaten erkennbar, welches Verhalten strafbar ist oder nicht. Zumindest das Risiko der Strafbarkeit wird ihm deutlich vor Augen geführt. § 26 Nr. 2 VersG kann somit verfassungskonform dahin ausgelegt werden, daß Veranstalter und Leiter einer Versammlung nur dann strafbar sind, wenn sie „eine öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel ohne Anmeldung (§ 14 VersG) durchführen und dadurch eine unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung hervorrufen". Die Strafbarkeit nach § 26 Nr. 2 VersG setzt damit die formelle und materielle Illegalität der Versammlung voraus. 3. Zwischenergebnis § 26 Nr. 2 VersG ist verfassungskonform auslegbar und hinreichend bestimmt. Er verstößt bei verfassungskonformer Auslegung weder gegen Art. 8 Abs. 1 GG noch gegen Art. 103 Abs. 2 GG. Strafbar ist damit für den Veranstalter und Leiter einer Versammlung nur noch die Durchführung einer nicht angemeldeten Versammlung, wenn die Anmeldung nicht entbehrlich ist und durch die Versammlung eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung hervorgerufen wird. Voraussetzung für die Strafbarkeit nach § 26 Nr. 2 VersG ist damit die formelle und materielle Illegalität der Versammlung.

II. Strafbarkeit wegen von der Anmeldung abweichender Durchführung der Versammlung Nach § 15 Abs. 2,2. Var. VersG kann die Versammlung aufgelöst werden, wenn bei ihrer Durchführung von den Angaben der Anmeldung abgewichen wird. Zulässig ist die Auflösung jedoch nur dann, wenn es durch die Abweichung zu einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung kommt, d. h. die Versammlung materiell rechtswidrig wird. Die Durchführung einer von der Anmeldung abweichenden Versammlung durch den Leiter stellt § 25 Nr. 1 VersG unter Strafe. Welche Voraussetzungen an die Strafbarkeit nach dieser Vorschrift im Hinblick auf die formelle und materielle Illegalität zu stellen sind, ist Gegenstand der nachfolgenden Erörterungen. 1. Überblick über die Regelung des § 25 Nr. 1 VersG Strafbar ist, wer als Leiter einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel die Versammlung oder den Aufzug wesentlich anders durchführt, als die Veranstalter bei der Anmeldung angegeben haben. Schutzweck von § 25 Nr. 1 VersG ist damit zum einen, die Einhaltung der Angaben, die bei der Anmeldung nach § 14 Abs. 1 354

BVerfGE 85,69 [76]; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz. 122.

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VersG gemacht worden sind, sicherzustellen. Zum anderen ist das von den §§ 14 und 15 VersG erfaßte materielle Interesse an der Wahrung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, soweit damit das Verursachen unmittelbarer Gefahren abgewehrt wird, vom Schutzzweck des § 25 Nr. 1 VersG umfaßt. 355

2. Wesentliche Abweichung Was unter wesentlicher Abweichung von der Anmeldung verstanden wird, ist unklar. So ist schon strittig, ob nur eine Abweichung von Angaben, die zwingend vorgeschrieben sind - dies sind insbesondere Ort, Zeitpunkt, Leiter und Gegenstand der Versammlung - zur Strafbarkeit nach § 25 Nr. 1 VersG führt oder auch die Abweichung von Angaben, die nur aus Zweckmäßigkeitsgründen gemacht wurden. 356 Für letztere Auffassung spricht der Wortlaut der Norm, der nicht die Abweichung von wesentlichen Angaben, sondern die wesentlich andere Durchführung der Versammlung pönalisiert. Gegen diese Auffassung spricht jedoch, daß das Risiko des Leiters, der die Versammlung als Veranstalter gem. § 7 Abs. 2 VersG in der Regel auch anmeldet, sich gem. § 25 Nr. 1 VersG strafbar zu machen, mit der Anzahl der in der Anmeldung gemachten Angaben wächst. Dies führt dazu, daß er - um einer Strafbarkeit vorzubeugen - nur noch notwendige Angaben machen wird. Dadurch wird aber eine sinnvolle Kooperation zwischen Veranstalter und Versammlungsbehörde verhindert und der Schutzzweck von §§14 und 25 Nr. 1 VersG konterkariert. Daraus ergibt sich, daß strafbar nur die abweichende Durchführung von notwendigen Angaben in der Anmeldung ist. 357 Umstritten ist auch, wann eine Abweichung wesentlich ist. Herkömmlich wird angenommen, eine wesentliche Abweichung in der Durchführung sei immer dann gegeben, wenn die Versammlung in der Art ihrer Gestaltung oder des Versammlungsstoffes in einem solchen Ausmaß von den Angaben in der Anmeldung abweicht, daß eine polizeiliche Überwachung unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert wird. 358 Eine im Vordringen befindliche Auffassung hält demgegenüber eine Abweichung nur für wesentlich, wenn die Abweichung Maßnahmen der Poli355

Breitbach, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 25 Rz. 14; Meyer!Köhler, Demonstrations- und Versammlungsrecht, §25 Anm. 1; Wache, in: Erbs/Kohlhaas u.a., Strafrechtliche Nebengesetze, V 55, §25 Rz. 1. 356 Breitbach, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 25 Rz. 22; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, §25 Rz.4; Wache, in: Erbs/Kohlhaas u.a., Strafrechtliche Nebengesetze, V 55, §25 Rz.3. 357 So: Meyer/Köhler, Versammlungsgesetz, §25 Anm. 3; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 25 Rz. 4; Wache, in: Erbs/Kohlhaas u. a., Strafrechtliche Nebengesetze, V 55, § 25 Rz. 3; a. A. Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §25 Rz.22. 358 OLG Koblenz, G A 1981,175; Meyer!Köhler, Demonstrations- und Versammlungsrecht, §25 Anm.3; Wache, in: Erbs/Kohlhaas u.a., Strafrechtliche Nebengesetze, V 55, §25 Rz.3; FüßleinJGeeb, Versammlungsgesetz, § 25 Anm. 4; Fuhrmann, in: Dalke/Fuhrmann/Schäfer, Strafrecht und Strafverfahren, Β II 1, § 25 Anm. 1.

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2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

zei zum Schutz der Versammlung oder kollidierender Rechte Dritter erforderlich macht, um die Durchführung der Versammlung abweichend von der Anmeldung sicherzustellen. 359 Gegen die herkömmliche Auffassung spricht, daß polizeiliche Präsenz und polizeiliche Maßnahmen bei Versammlungen unter freiem Himmel nur dann gerechtfertigt sind, wenn sie dem Schutz der Versammlungsfreiheit und der Wahrung der Rechte Dritter dienen. Die Anknüpfung an die Möglichkeit zur polizeilichen Überwachung macht diese jedoch zum Selbstzweck und verliert den konkreten Rechtsgüterschutz aus den Augen. 360 § 25 VersG knüpft außerdem an die besonderen versammlungsgesetzlichen Verpflichtungen des Leiters aus den §§14 und 15 VersG an; bei den Angaben in § 14 VersG geht es aber ebenso wie bei den Auflagen gem. § 15 Abs. 1,2. Var. VersG darum, die Durchführung des konkret konzipierten Versammlungsgeschehens zu gewährleisten und das Entstehen von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zu verhindern. Die Überwachungsfunktion der Vorschriften ist demgegenüber zweitrangig. 361 Es geht vielmehr darum, dem in §§ 14 und 15 VersG verankerten materiellen Interesse an unmittelbarer Gefahrenabwehr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung strafrechtlichen Schutz zu verleihen. 362 Eine Betonung der Übwachungsfunktion der Vorschrift würde außerdem das Selbstorganisationsrecht der Versammlung übermäßig tangieren. 363 Ein solcher Schutzzweck wäre somit verfassungswidrig. Zu folgen ist damit der im Vordringen befindlichen Auffassung, so daß eine durch den Leiter erfolgte wesentlich andere Durchführung der Veranstaltung als in der Anmeldung angegeben nur dann strafbar ist, wenn die Abweichung Maßnahmen der Polizei zum Schutz der Versammlung oder kollidierender Rechte Dritter erforderlich macht, um die Durchführung der Versammlung abweichend von der Anmeldung sicherzustellen. 364 3. Schlußfolgerungen im Hinblick auf die formelle und materielle Illegalität der Versammlung Nach § 25 Nr. 1 VersG macht sich der Leiter nur strafbar, wenn er bei Durchführung der Versammlung wesentlich von notwendigen Angaben in der Anmeldung ab359 Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §25 Rz.24; Dietel/Gintzel/ Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 25 Rz. 3; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, §25 Rz.3. 360 Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfeiheit, §25 Rz.3. 361 Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §25 Rz.4,22. 362 Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §25 Rz.6. 363 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig u. a., Grundgesetz, Art. 8 Rz. 58; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, Art. 8 Rz. 18. 364 Vgl. Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §25 Rz.24; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, §25 Rz.3; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, §25 Rz.3.

3. Kapitel: Strafrechtliche Konsequenzen im Hinblick auf §§ 14 und 15 VersG

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weicht. Die Versammlung ist dann nicht durch die Anmeldung legitimiert und somit formell rechtswidrig. Eine wesentliche Abweichung von den Angaben in der Anmeldung liegt außerdem nur vor, wenn wegen der abweichenden Durchführung Maßnahmen der Polizei zum Schutz der Versammlung oder Rechtsgüter Dritter erforderlich werden. Solche Maßnahmen setzen aber immer die materielle Versammlungsrechtswidrigkeit, also eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, voraus. Eine Strafbarkeit des Leiters gem. §25 Nr. 1 VersG kommt damit nur bei formeller und materieller Illegalität der Versammlung in Betracht.

I I I . Strafbarkeit bei auflagenwidriger Durchführung der Versammlung Wird bei einer Versammlung unter freiem Himmel Auflagen zuwidergehandelt, so kann die Versammlung nur aufgelöst werden, wenn dadurch eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung hervorgerufen wird. Voraussetzung für die Auflösung ist neben der reinen Zuwiderhandlung gegen die Auflagen - also der formellen Illegalität der Versammlung - damit auch ihre materielle Illegalität. Die auflagenwidrige Durchführung einer Versammlung stellt § 25 Nr. 2 VersG für den Leiter unter Strafe. Teilnehmer einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel, die einer vollziehbaren Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG nicht nachkommen, machen sich einer Ordnungswidrigkeit gem. § 29 Nr. 3 VersG schuldig. Auch für diese Tatbestände soll geklärt werden, welchen Einfluß die formelle und materielle Illegalität der Versammlung auf die Strafbarkeit des genannten Personenkreises hat. 1. Überblick über die Regelung des § 25 Nr. 2 VersG Nach § 25 Nr. 2 VersG macht sich der Leiter einer Versammlung strafbar, der einer Auflage gem. § 15 Abs. 1 VersG nicht nachkommt. Straflos ist damit die Abweichung von einer nachträglich angeordneten Auflage nach § 15 Abs. 2 VersG. Einer anderen - extensiven - Auslegung steht der eindeutige Wortlaut der Vorschrift und damit das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB entgegen.365 Im Gegensatz zu § 25 Nr. 1 VersG fordert die Nr. 2 der Vorschrift aber keine wesentliche Abweichung von der Auflage. Einigkeit herrscht mittlerweile jedoch insoweit, daß ganz geringfügige und ungefährliche Abweichungen nicht ausreichend sind. 366 Schutzzweck der Norm ist auch hier das von den §§14 und 15 Abs. 1 VersG erfaßte 365 DietellGintzellKniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, §25 Rz.5f.; Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §25 Rz.30; Gintzel, Die Polizei 1982, 299 [302]. 366 Breitbach, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 25 Rz. 41 ; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, §25 Rz.8.

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2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

materielle Interesse an der Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. 367 Dieses ist bei geringfügigen und ungefährlichen Abweichungen nicht berührt. In Rechtsprechung und Literatur sind die weiteren Voraussetzungen, die an die Strafbarkeit nach dieser Vorschrift gestellt werden, umstritten. Dies resultiert hauptsächlich aus der Verwaltungsakzessorietät der Vorschrift, d. h. aus der Anbindung der Strafbarkeit an das Verwaltungsrecht. 368 Deswegen sollen zunächst genau die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit geklärt werden, um daraus Rückschlüsse für die Fragestellung zu ziehen. a) Voraussetzungen der Strafbarkeit gem. § 25 Nr. 2 VersG Die bereits erläuterten - geschriebenen - Voraussetzungen für die Strafbarkeit gem. § 25 Nr. 2 VersG sind unproblematisch. Kontrovers diskutiert werden jedoch einige ungeschriebene Merkmale des Tatbestandes.369 So ist zum einen umstritten, ob Voraussetzung für eine Strafbarkeit die Vollziehbarkeit der Auflage ist. Zum anderen ist fraglich, ob diese auch rechtmäßig sein muß. 370 aa) Vollziehbarkeit

der Auflage

Eine teilweise vertretene Ansicht verweist auf den Wortlaut von § 25 Nr. 2 VersG, der im Gegensatz zu § 29 Nr. 3 VersG auf den Terminus „vollziehbar" verzichtet und folgert daraus im Umkehrschluß, daß die verwaltungsrechtliche Wirksamkeit der Auflage für eine Strafbarkeit ausreiche und die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach §80 Abs. 2, S. 1 Nr. 4 VwGO für eine Strafbarkeit nicht erforderlich sei. 371 Dies solle sogar dann gelten, wenn ein Rechtsmittel - dem dann aufschiebende Wirkung zukommen würde - eingelegt wird. Vertreter dieser Ansicht begründen dies mit der Gefahr des Rechtsmißbrauchs durch den Leiter, der ansonsten durch Erhebung von Rechtsbehelfen kurz vor Versammlungsbeginn die Vorschrift leerlaufen lassen könnte.372 Voraussetzung der Strafbarkeit sei dann aber die Rechtmäßigkeit der Auflage. 367

Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §25 Rz.29. Zur Verwaltungsakzessorietät vgl. allgemein: Paeffgen, in: Küper/Welp, Festschrift für Walter Stree und Johannes Wessels, S.587ff.; Rogali , GA 1995, 299ff.; Rühl, JuS 1999, 521 ff.; Schwarz, GA 1993,319ff.; Bloy, JuS 1997,577 [584ff.]; Ossenbühl, DVB1. 1990,963 [971]; Schröder, VVDStRL 50 (1991), 196 [210]; Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik der Straftatbestände zum Schutz von Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, S.35ff. 369 Ygi Weingärtner, Demonstrations- und Strafrecht, S. 36ff.; Bergmann, Zur Strafbwehrung verwaltungsrechtlicher Pflichten im Umweltstrafrecht, S. 130 f. 368

370

Vgl. auch Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik der Straftatbestände zum Schutz von Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, S. 306. 371 Meyer!Köhler, Demonstrations- und Versammlungsrecht, § 25 Anm.4b; Wache, in: Erbs/ Kohlhaas u. a., Strafrechtliche Nebengesetze, V 55, §25 Rz. 6. 372 Vgl. OLG Koblenz, NStZ 1981, 187.

3. Kapitel: Strafrechtliche Konsequenzen im Hinblick auf §§ 14 und 15 VersG

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Die ganz herrschende Meinung fordert in Anlehnung an den strafrechtlichen Vollziehbarkeitsbegriff für eine Strafbarkeit nach § 25 Nr. 2 VersG entweder die formelle Bestandskraft der Auflage oder ihre Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 2, S. 1 Nr. 4 VwGO. 373 Strafrechtlich verfolgbar sei ein Verstoß gegen einen strafbewehrten Verwaltungsakt erst dann, wenn es nicht mehr im Belieben des Adressaten stehe, die Verbindlichkeit der Anordnung durch Einlegung eines Rechtsbehelfs zu beseitigen. Gegen die von der herrschenden Meinung abweichende Auffassung spricht, daß sie mit allgemeinen verwaltungsprozessualen Grundsätzen unvereinbar ist. Indem sie die Strafbarkeit bei einem Verstoß gegen eine Auflage auch dann bejaht, wenn der Suspensiveffekt durch Einlegung eines Rechtsbehelfs eingetreten ist, verstößt sie gegen das allgemein anerkannte Prinzip, während der Schwebezeit keine nachteilige Folgerungen gleich welcher Art für den Betroffenen zu ziehen.374 Auch die von ihr angeführte Mißbrauchsgefahr ist nicht gegeben. Die Behörde hat es bei Vorliegen der Voraussetzungen jederzeit in der Hand, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs durch Anordnung der sofortigen Vollziehung zu beseitigen. Unterläßt die zuständige Behörde die Anordnung der sofortigen Vollziehung, so bringt sie damit zum Ausdruck, daß ein besonderes öffentliches Interesse an einer strikten Befolgung der behördlichen Anordnung nicht besteht. Dann kann es aber auch nicht Aufgabe des Strafrechts sein, trotz fehlenden öffentlichen Interesses strafrechtlich die Einhaltung der Anordnung zu erzwingen. 375 Zu folgen ist damit der herrschenden Meinung, so daß Voraussetzung für die Strafbarkeit nach § 25 Nr. 2 VersG der Verstoß gegen eine i. S. v. § 80 Abs. 2, S. 1 Nr.4 VwGO vollziehbare oder formell bestandskräftige Auflage ist. 376 bb) Rechtmäßigkeit der Auflage Die Strafbarkeit nach § 25 Nr. 2 VersG ist an eine Auflage gem. § 15 Abs. 1 VersG gekoppelt. Pönalisiert ist das Nichtbeachten einer behördlichen Anordnung. Es besteht insoweit Verwaltungsaktakzessorietät. 377 Hängt die Strafbarkeit eines Verhaltens von einer Einzelfallentscheidung der Verwaltung ab, ist - allgemein und im Versammlungsrecht - stark umstritten, ob der vollziehbare Verwaltungsakt auch 373 BGH, NJW 1969, 2023 [2025]; Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §25 Rz.38f.; DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, §25 Rz.9; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz. 352f.; Ensenbach, Probleme der Verwaltungsaktzessorietät im Umweltstrafrecht, S.48ff.; Odenthal NStZ 1991, 418 [419f.]. 374 BVerwGE 13,1 [9]; Redekerlv. Oertzen, VwGO, § 80 Rz. 4 m. w. N.; Odenthal NStZ 1991,418 [419]. 375 Bergmann, Zur Strafbewehrung verwaltungsrechtlicher Pflichten im Umweltstrafrecht, S.36f.; Haaf, Die Femwirkungen gerichtlicher und behördlicher Entscheidungen, S.218f. 376 Vgl. auch Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik der Straftatbestände zum Schutz von Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, S. 309. 377 Vgl. dazu: Perschke, wistra 1996,161 [163]; Wegener , NStZ 1998,608f.; Bloy, JuS 1997, 577 [585]. 8 Werner

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2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

rechtmäßig sein muß oder strafbar auch der Verstoß gegen einen wirksamen, vollziehbaren, aber rechtswidrigen Verwaltungsakt ist. (1) Herkömmlich vertretene Auffassung Nach einer teilweise im Versammlungsrecht vertretenen Auffassung, die jedoch im übrigen Neben- und Kernstrafrecht als herrschend angesehen wird, spielt die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts für die Strafbarkeit keine Rolle, wenn der Verwaltungsakt formell bestandskräftig oder vollziehbar i. S. v. § 80 Abs. 2 VwGO ist. 378 Wirksame und vollziehbare Verwaltungsakte seien unabhängig von ihrer Rechtmäßigkeit bis zu ihrer Rücknahme zu beachten. Dies resultiere aus der Bestandskraft und Tatbestandswirkung der Verfügung, die auch für das Strafrecht aus Gründen der Einheit der Rechtsordnung, der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes umfassende Geltung beanspruche. Diese Auffassung führt dazu, daß der Strafrichter nur die Wirksamkeit der Auflage prüft und unabhängig von ihrer Rechtmäßigkeit verurteilen darf. (2) Herrschende Meinung im Versammlungsrecht Nach herrschender Meinung im Versammlungsrecht und nach einer mittlerweile beachtlichen Gegenauffassung im übrigen Neben- und Kernstrafrecht ist prinzipiell nur der Verstoß gegen rechtmäßige und i. S. v. § 80 Abs. 2 VwGO vollziehbare oder formell bestandskräftige Anordnungen strafbar. 379 Ausnahmen seien zwar grund378 OLG Schleswig, SchlHA 1981, 52 [53]; OLG Oldenburg, MDR 1980, 255; Wache, in: Erbs/Kohlhaas u. a., Strafrechtliche Nebengesetze, V 55, § 25 Rz. 6; Meyer!Köhler, Versammlungs- und Demonstrationsrecht, §25 Anm.4b; allgemein so: BGH, NJW 1969, 2023 [2025]; Schröder, VVDStRL 50 [1991], 196 [221 f.]; Odenthal, NStZ 1991, 418 [419]; Schenke, JR 1970,449 [450]; für strafbewehrte Verwaltungsakte auf dem Gebiet des Umweltstrafrechts so: Fischer, in: Tröndle/Fischer, StGB, §330d, Rz.9; Breuer, JZ 1994, 1077 [1084]; Rogali , GA 1995, 299 [307); H eine!Meinberg, Empfehlen sich Änderungen im strafrechtlichen Umweltschutz, insbesondere in Verbindung mit dem Verwaltungsrecht?, D 48 f. 379 BVerfGE 87,399 [409f.]; OLG Celle, NJW 1977,444; OLG Koblenz, NStZ 1981, 187; Leibholz/Rink!Hesselberger, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 202; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz.781; Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsecht, §25 Rz 31 ff.; Dietel/Gintzel!Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, §25 Rz. 12; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 25 Rz.5; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz.357; Rühl, JuS 1999,521 [527f.]; allgemein so: BVerfGE 92,191 [199f.]; Arnhold, Die Strafbewehrung rechtswidriger Verwaltungsakte, S.63 ff.; Haaf, Die Femwirkung gerichtlicher und behördlicher Entscheidungen, S. 250ff.; Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik der Straftatbestände zum Schutz von Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, S.306; 324, Lorenz, DVB1.1971,165 [170f.\,Janikki, JZ 1968,94 [96]; M ohrbotter, JZ 1971,213 [216]; Gerhards, NJW 1978,86 [87 f.]; für strafbewehrte Verwaltungsakte auf dem Gebiet des Umweltstrafrechts so: Winkelbauer, Zur Verwaltungsaktzessorietät des Umweltstrafrechts, S. 41 ff.; Bergmann, Zur Strafbewehrung verwaltungsrechtlicher Pflichten im Umweltstrafrecht, S. 179ff.; Schmitz, Verwaltungshandeln und Strafrecht, S.67ff.; Schall, NJW 1990, 1263 [1268]; Perschke, wistra 1996, 161 [164].

3. Kapitel: Strafrechtliche Konsequenzen im Hinblick auf §§ 14 und 15 VersG

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sätzlich zulässig, müßten für den Adressaten aber eindeutig aufgrund des Wortlauts der Norm erkennbar sein.380 Begründet wird dies mit den materiellen Gewährleistungen der Grundrechte, dem Rechtsstaatsprinzip und den Justizgrundrechten. Strittig ist unter den Vertretern dieser Auffassung allerdings, ob die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes ein echtes Tatbestandsmerkmal381 oder objektive Bedingung der Strafbarkeit 382 ist. Diese Auffassung führt dazu, daß der Strafrichter auch die Rechtmäßigkeit der Auflage nach § 262 Abs. 1 StPO inzident prüft oder bei Anhängigkeit eines Verwaltungsprozesses das Verfahren gem. § 262 Abs. 2 StPO aussetzt.383 (3) Kritik und Stellungnahme Für die herrschende Meinung im Versammlungsrecht könnte der Wortlaut der Vorschrift sprechen. Die Strafbarkeit wird hier im Gegensatz zu §§23,26 Nr. 1,1. Var., 29 Abs. 1 Nr. 3 VersG nicht ausdrücklich an eine „vollziehbare" Verfügung geknüpft. Daraus könnte man schließen, daß für die Strafbarkeit nicht nur eine „vollziehbare", sondern darüber hinaus eine rechtmäßige Auflage erforderlich ist. Dagegen spricht jedoch, daß auch für die Strafbarkeit nach § 25 Nr. 2 VersG - wie oben erläutert - eine i. S. v. § 80 Abs. 2 VwGO vollziehbare Auflage gefordert wird, die materiellen Anforderungen an die Strafbarkeit also mit denen der oben genannten Normen identisch sind. Vereinzelt wird deswegen, was das Merkmal der „Vollziehbarkeit" in § 25 Nr. 2 VersG anbelangt, sogar von einem Redaktionsversehen des Gesetzgebers gesprochen.384 Auch systematische und historische Erwägungen führen nicht weiter. So ist weder aus der ungeordneten Verwendung des Merkmals der Vollziehbarkeit im IV. Abschnitt des Versammlungsgesetzes noch aus der Gesetzgebungsgeschichte ein Differenzierungskriterium für den Gebrauch des Terminus erkennbar. 385 Für die herrschende Meinung sprechen allerdings teleologische Erwägungen. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es nämlich, das von den §§ 14 und 15 Abs. 1 VersG erfaßte materielle Interesse an der Wahrung der öffentlichen Sicherheit und 380 BVerfGE 87,399 [411]; 80,244 [256]; Rühl, JuS 1999,521 [527f.]; Ostendorf JZ 1981, 165 [174]. 381 So Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §25 Rz.45. 382 So die h.M. im Versammlungsrecht; vgl. OLG Celle, NJW 1977, 444; OLG Koblenz, NStZ 1981, 187; DietellGintzellKniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, §25 Rz. 12; OttlWächtler, Versammlungsgesetz, §25 Rz.5; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz. 357. 383 Vgl. BVerfGE 87,399 [410f.]; Bergmann, Zur Strafbewehrung verwaltungsrechtlicher Pflichten im Umweltstrafrecht, S. 241 ff.; Haaf, Die Femwirkungen gerichtlicher und behördlicher Entscheidungen, S. 248 f. 384 DietellGintzellKniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, §25 Rz. 11; Weingärtner., Demonstration und Strafrecht, S.37. 385 Vgl. BVerfGE 87,399 [408], Rühl, JuS 1999,521 [528 f.]; Gintzel, Die Polizei 1982,299 [301]; BT-Drs. 7/550, S. 194, 375; 8/1845, S. 11.

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Ordnung zu schützen. Ist die Auflage aber schon aus materiellen Gründen rechtswidrig, d. h. hätte sie aufgrund der Sach- und Rechtslage gar nicht ergehen dürfen, so fehlt es an einem von § 25 Nr. 2 VersG zu schützenden Interesse. Die Nichtbeachtung der Auflage würde sich hier nur als bloßer Verwaltungsungehorsam darstellen, der den Unwertgehalt einer strafwürdigen Handlung nicht erreicht. 386 Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß durch diese Auslegung die generalpräventive Wirkung der Norm zunichte gemacht würde. Beachtet der Versammlungsleiter die Auflage unter Hinweis auf deren Rechtswidrigkeit nicht, so besteht für ihn immerhin noch das Risiko der Strafbarkeit, wenn sich die Rechtmäßigkeit der Auflage herausstellt. Dies reicht zur Wahrung des Schutzzwecks aus.387 Verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich auch aus der Garantie des effektiven Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG, denn durch die Bindung an die reine Existenz des Verwaltungsaktes wird dessen volle tatsächliche und rechtliche Würdigung durch den Strafrichter ausgeschlossen. Dieser wird gezwungen, auch möglicherweise rechtswidrige Verwaltungsakte als Strafbarkeitsvoraussetzung hinzunehmen. Dagegen kann nicht eingewandt werden, daß Rechtsschutz bei den Verwaltungsgerichten voll gewährleistet ist, denn für die Strafbarkeit kommt es nach der Rechtsprechung des BGH auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Tat an, so daß die nachträgliche Aufhebung des Verwaltungsaktes die Strafbarkeit unberührt läßt. 388 Ein effektiver Rechtsschutz i. S. v. Art. 19 Abs. 4 GG ist damit nur gegeben, wenn der Strafrichter den strafbewehrten Verwaltungsakt auf seine Rechtmäßigkeit hin überprüfen kann. 389 Eine Auslegung, derzufolge die Nichtbeachtung einer Auflage ohne Rücksicht auf deren Rechtmäßigkeit zu ahnden ist, würde auch gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstoßen. Die Vorschrift schließt jede RechtsanWendung aus, die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht.390 Zwar ist es dem Gesetzgeber nicht prinzipiell verwehrt, Widersetzlichkeiten gegen behördliche Anordnungen unter 386 Kühl, in: Küper, Festschrift für Lackner, S. 852; Bloy, JuS 1997,577 [586]; Perschke, wistra 1996,161 [164]; Schall, NJW 1990,1263 [1267]; vgl. auch Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik zum Schutz von Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, S. 301 ff. 387 Arnhold, Die Strafbewehrung rechtswidriger Verwaltungsakte, S. 151; vgl. Gornik, Die Strafbarkeit von Zuwiderhandlungen gegen rechtswidrige Verwaltungsakte, S. 120; Lagemann, Der Ungehorsam gegenüber sanktionsbewehrten Verwaltungsakten, S. 113 f.; Κ is che l, DVB1. 1996, 185 [191]. 388 Vgl. BGH, NJW 1969,2023 [2025\\Haaf, Die Femwirkungen gerichtlicher und behördlicher Entscheidungen, S.247; Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik der Straftatbestände zum Schutz von Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, S. 324; Kühl, in: Küper, Festschrift für Lackner, S. 852. 389 Arnhold, Die Strafbewehrung rechtswidriger Verwaltungsakte, S. 36; Haaf, Die Fernwirkungen gerichtlicher und behördlicher Entscheidungen, S.247; Kühl, in: Küper, Festschrift für Lackner, S. 852. 390 BVerfGE 87,399 [411]; 82,236 [269]; Winkelbauer, Zur Verwaltungsakzessorietät im Umweltstrafrecht, S.43.

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Strafe zu stellen, ohne daß es für deren Verhängung auf die Rechtmäßigkeit der Anordnung ankäme.391 Eine gesetzgeberische Entscheidung, die Nichtbeachtung der Auflage ohne Rücksicht auf deren Rechtmäßigkeit zu ahnden, ist jedoch, wie dargelegt, der Norm nicht unzweideutig zu entnehmen. Unter diesen Umständen darf die Ahndung nicht im Wege der Auslegung auf Fälle rechtswidriger Auflagen ausgedehnt werden, sondern muß sich auf Verstöße gegen rechtmäßige Auflagen beschränken.392 Die oben dargestellte Minderheitsmeinung wäre auch mit Art. 8 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Eingriffe in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit sind ausschließlich an die materiellrechtlichen Voraussetzungen einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gebunden.393 Dies schließt es aus, versammlungsgesetzlich den bloßen Verwaltungsungehorsam zu bestrafen, denn die durch das Grundrecht gezogene Schranke der Gesetzgebungsmacht gilt für jede Art der Gesetzgebung, sei sie nun Polizei- oder Strafgesetzgebung. 394 Gerade der Verwaltungsungehorsam, d. h. der Verstoß gegen die formelle Rechtslage, wird aber bestraft, wenn die Auflage mangels Vorliegens der materiellen Erlaßvoraussetzungen rechtswidrig ist. Der strafrechtliche Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist durch die verfassungsrechtlich garantierte Versammlungsfreiheit als unentbehrliches und grundlegendes Funktionselement eines demokratischen Gemeinwesens beschränkt. Konkretisiert der III. Abschnitt des Versammlungsgesetzes aber seinerseits den Gesetzesvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG, 395 so ist bei Rechtmäßigkeit der behördlichen Anordnung das Versammlungsrecht in diesen Grenzen in verfassungskonformer Weise beschränkt, mit der Folge, daß das Rechtsgut der öffentlichen Sicherheit und Ordnung insoweit vollen strafrechtlichen Schutz genießt. Ist hingegen die behördliche Anordnung rechtswidrig, die Beschränkung der Versammlungsfreiheit also verfassungswidrig, ist der Umfang der öffentlichen Sicherheit und Ordnung um die durch Art. 8 GG garantierte Versammlungsfreiheit reduziert, so daß ein strafrechtlicher Schutz der rechtswidrigen Verfügung nicht verfassungsrechtlich legitimiert ist. 396

391

Vgl. BVerfGE 87,399 [411]; 80,244 [256]. Vgl. BVerfGE 87,399 [411]; Winkelbauer, Zur Verwaltungsakzessorietät im Umweltstrafrecht, S.43; Ostendorf, JZ 1981, 165 [174]; Janicki, JZ 1968, 94 [96]. 393 BVerfGE 69,315 [349, 353]; Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §26 Rz. 18. 394 Vgl. BVerfGE 87,399 [408f.]; Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §26 Rz. 18; Schmitz, Verwaltungshandeln und Strafrecht, S.76f.; Appel, KritV 1999, 278 [303]; Bergmann, Zur Strafbewehrung verwaltungsrechtlicher Pflichten im Umweltstrafrecht, S. 156; Perschke, wistra 1996, 161 [164]. 395 Vgl. §20 VersG. 396 Vgl. BVerfGE 87,399 [410ff.]; Bergmann, Zur Strafbewehrung verwaltungsrechtlicher Pflichten im Umweltstrafrecht, S. 156. 392

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2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

Im übrigen wäre die strafrechtliche Ahndung des Verstoßes gegen eine rechtswidrige Auflage auch unverhältnismäßig, denn sie ist nicht erforderlich. Zwar kann die Pflicht, die Auflage zu beachten, nur von deren Wirksamkeit und nicht von deren Rechtmäßigkeit abhängig gemacht werden, da sich immer erst im nachhinein die Rechtmäßigkeit verbindlich feststellen läßt. Dem Versammlungsleiter bleibt lediglich die Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit >und gegebenenfalls die Verfassungswidrigkeit des polizeilichen Vorgehens nachträglich gerichtlich feststellen zu lassen.397 Ansonsten könnten Auflagen nicht durchgesetzt werden. 398 Der Grundrechtsverstoß, der in der Durchsetzung der rechtswidrigen Auflage liegt, läßt sich dann auch nicht mehr heilen. Die daraus folgende Beeinträchtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit ist jedoch unvermeidlich, wenn die vom Staat gewährleistete Sicherheit anderer Rechtsgüter, denen die Beschränkung der Versammlungsfreiheit zu dienen bestimmt ist, nicht zurücktreten soll. 399 Der Grund dafür, daß die Einwendung der Rechtswidrigkeit bei Durchsetzung der Auflage gehemmt ist, liegt aber nur in der Situationsgebundenheit der Entscheidung, deren Vollzug nicht bis zur verbindlichen oder auch nur vorläufigen Klärung der Rechtsfrage aufgeschoben werden kann. Bei der Verhängung einer Sanktion für die Nichtbefolgung der Anordnung fehlt indes dieser Grund. 400 Sie erfolgt immer erst nach dem Ereignis und erlaubt daher eine verbindliche Klärung der Rechtmäßigkeit. Käme es auf die Rechtmäßigkeit der Auflage nicht an, würde die unvermeidliche Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit, die in einer rechtswidrigen Auflage liegt, ohne Notwendigkeit gegenüber demjenigen fortgesetzt, der die Versammlungsfreiheit zu Recht in Anspruch genommen hat. 401 Zu folgen ist damit grundsätzlich der herrschenden Meinung, die die Rechtmäßigkeit der noch nicht bestandskräftigen Auflage für eine Strafbarkeit nach § 25 Nr. 2 VersG fordert. cc) Dogmatische Einordnung der Rechtmäßigkeit Zwischen den Vertretern der herrschenden Meinung ist umstritten, ob das Merkmal der Rechtmäßigkeit der Auflage eine objektive Bedingung der Strafbarkeit oder echtes objektives Tatbestandsmerkmal ist, auf das sich der Vorsatz des Täters beziehen muß. Objektive Bedingungen der Strafbarkeit sind Umstände, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Tat stehen, aber weder zum Unrechts- noch zum 397

Vgl. BVerfGE 87,399 [409]; Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 8 Rz.64; Leibholz/ RinklHesselberger, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 202. 398 Vgl. BVerfGE 92,191 [201]; 87,399 [409]; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz.781; Sachs, JuS 1993, 768. 399 Vgl. BVerfGE 92,191 [201]; 87,399 [409f.]; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz.781. 400 Vgl. BVerfGE 92,191 [201]; 87,399 [409f.]; Rühl, JuS 1999, 521 [527]. 401 Vgl. BVerfGE 87,399 [410]; Bergmann, Zur Strafbewehrung verwaltungsrechtlicher Pflichten im Umweltstrafrecht, S. 156; Rühl, JuS 1999, 521 [527].

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Schuldtatbestand zählen.402 Zu erklären ist die Existenz eines solches Straftatmerkmals damit, daß der Gesetzgeber ein bestimmtes Verhalten nur dann als strafwürdig ansieht, wenn neben Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld noch eine weitere Bedingung eintritt. Es sind die Unrecht und Schuld nicht berührenden Zweckmäßigkeitserwägungen, insbesondere Gründe der Strafökonomie und der kriminalpolitischen Notwendigkeiten, die den objektiven Strafbarkeitsbedingungen zugrundeliegen. 403 Ob im Einzelfall eine objektive Strafbarkeitsbedingung vorliegt, ist eine Frage der Auslegung der Strafbestimmung. Da es sich jedoch vorliegend bei dem Merkmal der Rechtmäßigkeit um ein ungeschriebenes handelt, helfen nur teleologische Erwägungen weiter. Zweck der Auflage ist der Schutz eines bestimmten materiellen Wohls, nämlich der Gefahrenabwehr. Schutzzweck der darauf gerichteten Strafbarkeit ist nicht die Befolgung der Auflage als solche, sondern die Wahrung des durch die Anordnung auf der Grundlage des Gesetzes verfolgten materiellen Interesses.404 Dieses wird nur durch eine rechtmäßige Auflage konkretisiert, so daß bei einem Verstoß gegen eine rechtswidrige Anordnung schon gar kein Unrecht realisiert wird. 405 Unterstellt man die Rechtmäßigkeit der Auflage als bloße objektive Bedingung der Strafbarkeit, so würde man den bloßen Verfügungsungehorsam zum eigentlichen Strafgrund erklären, was jedoch - wie gezeigt - mit Art. 8 GG nicht vereinbar wäre. 406 Die Rechtmäßigkeit der Auflage ist damit objektives Tatbestandsmerkmal, auf das sich der Vorsatz des Täters erstrecken muß. b) Schlußfolgerungen im Hinblick auf die formelle und materielle Illegalität der Versammlung Voraussetzung für die Strafbarkeit des Versammlungsleiters nach §25 Nr. 2 VersG ist die Rechtmäßigkeit der Auflage. Diese darf nur ergehen, wenn eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorliegt. Rechtmäßig ist die Auflage darüber hinaus jedoch nur, wenn sie zu Recht bei der Durchführung der Veranstaltung weiter besteht und während der Versammlung aufrechtzuerhalten ist. 407 Steht dem Adressaten der Auflage mangels bestehender unmittelbarer Gefahr 402

Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, S.555; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil I, §23 Rz.2. 403 Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB, Vorbem §§ 13 ff., Rz. 125; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil I, § 23 Rz. 37 f. 404 Vgl. Bergmann, Zur Strafbewehrung verwaltungsrechtlicher Pflichten im Umweltstrafrecht, S.214f.; Lorenz, DVB1. 1971, 165 [170]; Gerhards, NJW 1978, 86 [87f.]. 405 Vgl. Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §25 Rz.46; Bergmann, Zur Strafbewehrung verwaltungsrechtlicher Pflichten im Umweltstrafrecht, S.214f. 406 Breitbach, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 25 Rz. 46; Bergmann, Zur Strafbewehrung verwaltungsrechtlicher Pflichten im Umweltstrafrecht, S.214f.; Kühl, in: Küper, Festschrift für Lackner, S. 853 ff. 407 Breitbach, in: Ridder/Breitbach, Versammlungsrecht, §25 Rz.29.

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2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ein Anspruch auf Aufhebung der Auflage zu, ist die Aufrechterhaltung der Auflage selbst rechtswidrig. Ein Strafgrund oder -bedürfnis besteht auch hier nicht, denn nur dann, wenn tatsächlich und fortdauernd unmittelbare Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung drohen, besteht ein materielles Interesse an der Verwirklichung des mit der Auflage drohenden Rechtsbefehls. Fehlt es daran, kann auch nicht der dem §25 Nr. 2 VersG implizite Vorwurf erhoben werden, der Leiter verletze das mit der Auflage intendierte öffentliche Interesse an der rechtlich geforderten Gefahrenabwehr. Dagegen spricht nicht die in § 15 Abs. 1 VersG enthaltene Regelung, wonach für die Rechtmäßigkeit einer Auflage die für den Zeitpunkt des Erlasses maßgebenden erkennbaren Umstände ausschlaggebend sind, denn diese soll nur das verwaltungsrechtliche Risiko der Fehlerprognose zugunsten der Behörde regeln, nicht aber die strafrechtliche Risikoverteilung. 408 Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach § 25 Nr. 2 VersG ist damit neben der Nichtbeachtung der Auflage als formellem Element, 409 daß deren Erlaßvoraussetzungen zum Zeitpunkt der Tat, d. h. während der Durchführung der Versammlung, noch gegeben sind. Die Versammlung muß also auch materiell rechtswidrig sein, um die Strafbarkeit des Leiters zu begründen. § 25 Nr. 2 VersG stellt damit im Ergebnis ein konkretes Gefährdungsdelikt dar. 410 2. Überblick über die Regelung des §29 Abs. 1 Nr. 3 VersG Gem. § 29 Abs. 1 Nr. 3 VersG handelt ordnungswidrig, wer als Teilnehmer einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder eines Aufzuges einer vollziehbaren Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG nicht nachkommt. Täter dieser Ordnungswidrigkeit kann nur derjenige sein, der sich bereits in einer aktuellen Versammlung befindet. Noch kein Teilnehmer ist, wer erst auf dem Weg zu einer Versammlung ist. 411 Strafbar ist nur die Mißachtung von teilnehmerrelevanten Auflagen, d. h. von solchen, die auch die Teilnehmer zum Adressaten haben. Natürlich müssen die Auflagen den Teilnehmern gegenüber auch bekannt gemacht werden. 412 Im übrigen sind die Voraussetzungen der Ahndbarkeit mit denen von § 25 Nr. 2 VersG identisch, insbesondere was das Erfordernis der Rechtmäßigkeit der Auflage angeht. Daß der Tatbestand ausdrücklich das Merkmal der Vollziehbarkeit enthält, steht dem nicht entgegen, da dem Versammlungsgesetz wegen der willkürlichen Verwendung dieses 408 Vgl. BT-Drs. 8/1845, S. 11 f; Breitbach, in: Ridder/Breitbach, Versammlungsrecht, §25 Rz. 35,41. 409 Vgl. zur Terminologie auch Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik der Straftatbestände zum Schutz von Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, S. 312. 410 Breitbach, in: Ridder/Breitbach, Versammlungsgesetz, § 25 Nr. 2 VersG; Kühl, in: Küper, Festschrift für Lackner, S. 849 ff. 411 Offczors, in: Ridder/Breitbach, Versammlungsrecht, §29 Rz. 17; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 29 Rz. 7. 412 Offczors, in: Ridder/Breitbach, Versammlungsrecht, §29 Rz. 17; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz. 224.

3. Kapitel: Strafrechtliche Konsequenzen im Hinblick auf §§ 14 und 15 VersG

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Merkmals keine in sich stimmige und widerspruchsfreie Position zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Nichtbeachtung versammlungsbehördlicher Anordnungen sanktionsbewehrt ist, zu entnehmen ist. 413 Somit muß es bei dem oben ausgearbeiteten Grundsatz bleiben, daß sanktionswürdig primär nur der Verstoß gegen das Gesetz ist, auf das sich eine behördliche Einzelanordnung stützt; die gesetzeswidrige Verfügung verdient keinen Schutz durch Sanktionsrecht. 414 Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 VersG ist also auch hier neben der formellen die materielle Illegalität der Versammlung. IV. Strafbarkeit bei Verstoß gegen ein Versammlungsverbot Wer als Veranstalter oder Leiter eine öffentliche Versammlung oder einen Aufzug trotz vollziehbaren Verbots durchführt, macht sich gem. § 26 Nr. 1 VersG strafbar. Wer an einem solchen Aufzug teilnimmt, begeht eine Ordnungswidrigkeit gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 VersG. 415 Verboten i. S. d. Vorschriften sind die Versammlungen nur, wenn das Verbot durch Einzelverfügung nach § 15 Abs. 1,1 Var. VersG ausgesprochen wurde. 416 Dies resultiert daraus, daß straf- und ordnungswidrig nur der Verstoß gegen ein nach § 80 Abs. 2, S. 1 Nr. 4 VwGO vollziehbares Versammlungsverbot ist und die Anwendung dieser Vorschrift auf gesetzliche Versammlungsverbote, wie z. B. § 16 Abs. 1 VersG i. V. m. den BannmlGen des Bundes und der Länder, ausscheidet. Dies ist auch die einzig sinnvolle Auslegung, da nur noch mit nicht unerheblichen Aufwand geklärt werden kann, welche Versammlungen gem. § 16 Abs. 1 VersG i. V. m. den BannmlGen „verboten" sind oder nicht. Für dieses Ergebnis spricht in systematischer Hinsicht auch die Tatsache, daß der Gesetzgeber den Verstoß gegen das Versammlungsverbot nach §16 Abs. 1 VersG gesondert in §29a VersG bußgeldbewehrt hat. Beide Tatbestände setzen nach umstrittener, aber herrschender und oben erläuterter zutreffender Ansicht, neben der Vollziehbarkeit, die Rechtmäßigkeit des Versammlungsverbots voraus. 417 Das Verbot muß rechtmäßig erlassen und während der 413

BVerfGE 87,399 [409f.]; Offczors, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §29 Rz. 27. 414 Vgl. Offczors, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §29 Rz.27; Bergmann, Zur Strafbewehrung verwaltungsrechtlicher Pflichten im Umweltstrafrecht, S. 186f.; Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik der Straftatbestände zum Schutz von Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, S. 358f.; Kühl, in: Küper, Festschrift für Lackner, S. 842ff. 415 Vgl dazu auch Zeitler, DÖV 1997, 371 [372fJ. 416 Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §26 Rz. 15; Dietel/Gintzel/ Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 26 Rz. 2; Wache, in: Erbs/Kohlhaas u.a., Strafrechtliche Nebengesetze, V 55, §26 Rz.4, §29 Rz.3; Meyer/Köhler, Demonstrations- und Versammlungsrecht, §26 Anm.3b, §29 Anm.2b; Weingärtner, Demonstration und Strafrecht, S.33; a. A. Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, §26 Rz.3; Rühl, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 29 Rz. 6; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz. 188. 417 BVerfGE 87,399 [409f.]; 92,191 [200f.]; Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 26 Rz. 18; Rühl, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 29 Rz. 28;

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2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

verbotswidrig durchgeführten Versammlung auch rechtmäßig aufrecht erhalten werden. Ein Grund, von diesem zu § 25 Nr. 2 VersG gefundenen Ergebnis abzuweichen, besteht nicht. Damit sind auch §§26 Nr. 1 und 29 Abs. 1 Nr. 1 VersG konkrete Gefährdungsdelikte, die neben dem formalen Verstoß gegen die Verbotsverfügung auch den Verstoß gegen die das Verbot rechtfertigenden Vorschriften und damit die materielle Rechtswidrigkeit der Versammlung fordern. V. Strafbarkeit bei Nichtbeachtung der Auflösungsverfügung Die Fortsetzung einer durch die Polizei aufgelösten oder unterbrochenen Versammlung ist für den Leiter und den Veranstalter gem. § 26 Nr. 1 VersG strafbar. Die Teilnahme an einer solchen Versammlung stellt eine Ordnungswidrigkeit gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG dar. Auch hier gelten die oben gefundenen Ergebnisse entsprechend, so daß Voraussetzung für die Erfüllung der Tatbestände die formelle und materielle Versammlungsrechtswidrigkeit ist. VI. Zwischenergebnis Eine Strafbarkeit von Veranstalter und Leiter einer Versammlung nach dem Versammlungsgesetz wegen Durchführung einer unangemeldeten Versammlung, Abweichung von den Angaben in der Anmeldung und Durchführung einer auflagenoder verbotswidrigen Versammlung kommt nur bei formeller und materieller Illegalität der Versammlung in Betracht. Dies gilt auch für die Strafbarkeit der Fortsetzung einer Versammlung trotz Auflösung oder Unterbrechung. Auch die Teilnahme an einer verbotenen, aufgelösten oder auflagenwidrigen Versammlung kann nur dann mit einem Bußgeld geahndet werden, wenn die Versammlung formell und materiell illegal ist.

B. Die Strafbarkeit nach dem StGB Die Frage, wie sich die formelle und materielle Illegalität einer Versammlung auf die Strafbarkeit der Beteiligten auswirkt, wird auch intensiv für den Straftatbestand der Nötigung gem. § 240 StGB diskutiert. Die Vorschrift stellt zwar grundsätzlich keine Beschränkung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit i. S. v. Art. 8 Abs. 2 GG dar, spielt aber trotzdem im Rahmen des Demonstrationsgeschehens eine überragende Rolle, weshalb sie hier angesprochen werden muß. Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 29 Rz. 2; DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, §26 Rz.2, §29 Rz.4; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz. 189; a. A. OLG Oldenburg, MDR 1980, 255; OLG Stuttgart, NJW 1989, 1870; MeyerlKöhler, Demonstrations· und Versammlungsrecht, §26 Anm.3b, §29 Anm.2b; Wache, in: Erbs/Kohlhaas u.a., Strafrechtliche Nebengesetze, V 55, §26 Rz. 5.

3. Kapitel: Strafrechtliche Konsequenzen im Hinblick auf §§ 14 und 15 VersG

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I. Einleitung in die Problematik des §240 StGB Die Strafbarkeit von Demonstrationsteilnehmern, Leitern und Veranstaltern nach § 240 Abs. 1 StGB kommt im Rahmen des Versammlungsgeschehens bei Blockadeaktionen in Betracht. Im Mittelpunkt des Interesses stehen die sogenannten Sitzdemonstrationen. Diese sind dadurch gekennzeichnet, daß sich ihre Teilnehmer ohne jedes gewalttätige Verhalten den Weg versperrend auf die Straße setzen und ein polizeiliches Einschreiten widerstandslos über sich ergehen lassen, also passiven Widerstand leisten.418 Aber auch bei vergleichbaren friedlichen Blockadeaktionen wie der Bildung einer Menschenkette vor einem Tor, dem blockierenden Versammeln auf einer Straße oder dem Verstellen einer Zufahrt -ζ. B. mittels Kraftfahrzeugen - kommt eine Strafbarkeit nach § 240 Abs. 1 StGB in Frage. Die Voraussetzungen der Strafbarkeit von solchen Blockadeaktionen nach dieser Vorschrift sind allerdings sehr umstritten. 419 Problematisch ist schon die Verfassungsmäßigkeit des § 240 Abs. 1 StGB selbst. Man kann nämlich daran zweifeln, ob der Tatbestand noch dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG gerecht wird. 420 Allerdings hat das BVerfG in seinen insgesamt drei Sitzblockadeentscheidungen die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift bestätigt, so daß diese hier nicht mehr in Zweifel gezogen werden soll. 421 1. Blockadeaktionen als Nötigung mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel Höchst umstritten ist aber insbesondere nach der letzten Sitzblockadeentscheidung des BVerfG, ob demonstrative friedliche Blockaden - und hier vor allem Sitzdemonstrationen - überhaupt tatbestandlich noch von § 240 StGB erfaßt werden. Der B G H hat friedliche Blockadeaktionen in Form von Sitzstreiks, sit-ins, Menschenteppichen und Menschenmauern stets als Nötigung mit Gewalt angesehen.422 Er legte dabei in Fällen, bei denen durch Menschenmassen oder Gegenstände unüberwindbare Hindernisse geschaffen wurden, einen engen Gewaltbegriff zugrunde, bei dem Gewalt nur bei physisch vermitteltem Zwang zur Überwindung eines geleisteten oder erwarteten Widerstandes vorlag. 423 In Fällen, bei denen durch die geringe Anzahl der Blockierer oder durch die Auswahl der blockierten Personen wie Kraftfahrer, Straßenbahn- und Lokomotivführer indes keine physisch unüber418

BVerfGE 73,206 [231]; Prittwitz, JA 1987, 17f. Vgl Otto!KreylKühl, in: Schwind/Baumann u. a., Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Band II, S. 879ff. 420 Vgl. Calliess, NStZ 1987, 209ff.; ders., NJW 1985, 1506ff. 421 Vgl. BVerfGE 73,206 [233ff.]; 76,211 [216f.]; 92,1 [13f.]. 422 Vgl. BGHSt 23,46 [53f.]; 35,270 [274] 37,350 [353]; vgl. Tröndle, in: Tröndle/Fischer, StGB, §240 Rz. 12. 423 BGHSt 37,350 [353]; BayObLG, NStZ 1990,281 [282]; OLG Zweibrücken, NJW 1988, 716f.; vgl. auch Dierlamm, NStZ 1992, 573 [574]. 419

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2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

windbaren Hindernisse geschaffen wurden, legte er einen weiten, sogenannten vergeistigten Gewaltbegriff zugrunde, für den auch ein psychisch vermittelter Zwang ausreichte. 424 Das BVerfG hat im sogenannten 1. Sitzblockadeurteil und im nachfolgenden sogenannten Bastian-Beschluß in dieser Rechtsprechung wegen Stimmengleichheit gem. § 15 Abs. 4, S. 3 BVerfGG keinen Verfassungsverstoß erblicken können.425 In seiner aktuellen sogenannten 2. Sitzblockadeentscheidung hat es jedoch diese Auslegung des Gewaltbegriffs in § 240 Abs. 1 StGB im Zusammenhang mit Sitzdemonstrationen als Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG bewertet. 426 Es verstoße gegen das Bestimmtheitsgebot, nach § 240 Abs. 1,1. Var. StGB wegen Nötigung mit Gewalt zu bestrafen, wenn „die Gewalt lediglich in körperlicher Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung auf den genötigten nur psychischer Natur ist" 427 . Diese 5 : 3 Entscheidung ist von der Literatur überwiegend kritisch aufgenommen worden. 428 Auch hinsichtlich ihrer Reichweite und ihrer Bindungwirkung gem. § 31 BVerfGG herrscht Unklarheit. 429 So wird teilweise angenommen, die Teilnahme an Sitzdemonstrationen sei per se nicht mehr nach § 240 StGB strafbar. 430 Andere wollen nun bei Sitzdemonstrationen und ähnlichen Blockadeaktionen nach §240 Abs. 1, 2. Var. StGB wegen Drohens mit einem empfindlichen Übel bestrafen. 431 Der BGH und ein Teil der Literatur schließen aus dem Leitsatz der 2. Sitzblockadeentscheidung, daß das BVerfG mit Bindungswirkung gem. §31 Abs. 1 BVerfGG lediglich die erweiternde Auslegung des Gewaltbegriffs im Zusammenhang mit Sitzdemonstrationen für verfassungswidrig erklärt habe, folgern aber aus den tragenden Gründen der verfassungsgerichtlichen Entscheidung, daß eine Auslegung des Gewaltbegriffs verfassungsrechtlich nur dann zu beanstanden sei, wenn die Ge424

BGHSt 23,46 [53f.]; 34,71 [77]; vgl. auch Krey, JR 1995, 265 [269]. BVerfGE 73,206 [231 ff.]; 76,211 [215]; vgl. dazu BertuleitlHerkströter, KJ 1987, 331 ff.; Kühl, StV 1987, 122ff.; Otto, NStZ 1987, 212ff. 426 BVerfGE 92,1 ff. 427 BVerfGE 92,1 [18]. 428 Ygi Priester, in: Schulz/Vormbaum, Festschrift für Günter Bemmann, S. 362ff.; Rheinländer, in: Schulz/Vormbaum, Festschrift für Günter Bemmann, S. 387ff.; Altvater, NStZ 1995, 278ff.; Amelung, NJW 1995, 2584ff.; Krey, JR 1995, 265ff.; Lesch, JA 1995, 889ff.; Roellecke, NJW 1995,1525ff.; Scholz, NStZ 1995,417ff.; Schroeder, JuS 1995, 875ff.; Herzberg, GA 1996, 557ff.; Tröndle, in: Tröndle/Fischer, StGB, §240 Rz.2c; vgl. auch das Sondervotum der Richterin Haas und der Richter S e idi und Söllner zu der Senatsentscheidung vom 10.01.1995- 1 BVR 718, 719,722, 723/89 (BVerfGE 92, I f f . ) - , in: BVerfGE 92,1 [21 ff.]. 425

429

Vgl. Rheinländer, in: Schulz/Vormbaum, Festschrift für Günter Bemmann, S. 388 ff. Amelung, NStZ 1996,230 [231 f.]; Hruschka, NJW 1996,160 [161 ff.]; Lesch, StV 1996, 151 [152 f.]. 431 Herzberg, GA 1996, 557 [558ff.]; ders. GA 1998, 211 ff.; Meurer!Bergmann, JR 1988, 49 [50]; Bergmann, JURA 1985, 457 [560]; ablehnend Hoyer, GA 1997, 451 ff.; Priester, in: Schulz/Vormbaum, Festschrift für Günter Bemmann, S.368f.; Rheinländer, in: Schulz/Vormbaum, Festschrift für Günter Bemmann, S.408. 430

3. Kapitel: Strafrechtliche Konsequenzen im Hinblick auf §§ 14 und 15 VersG

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wait lediglich in körperlicher Anwesenheit bestehe und die Zwangswirkung auf den Genötigten nur psychischer Natur sei. 432 Auch geringer körperlicher Kraftaufwand-dazu gehöre das Sich-Hinsetzen oder das Sich-auf-die-Fahrbahn-Begeben-könne den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Gewaltbegriffs des §240 Abs. 1,1. Var. StGB genügen, wenn seine Auswirkungen den Bereich des Psychischen verlassen und sich auch physisch wirkend als körperlicher Zwang darstellen.433 Ging das BVerfG in seinem zu entscheidenden Fall, in dem ein einzelner Kraftfahrer durch fünf Personen, die sich auf die Fahrbahn setzten, am Weiterfahren gehindert wurden, von einem rein psychisch wirkenden Zwang aus, so bestraft der BGH mittlerweile in ständiger Rechtsprechung nach §240 Abs. 1, 1. Var. StGB bei Blockadeaktionen, bei denen durch Betreten der Fahrbahn Personen und ihre Fahrzeuge angehalten und als Werkzeuge zur tatsächlichen Sperrung der Durchfahrt für nachfolgende Fahrer genutzt werden, wegen Nötigung mit Gewalt in Form einer physischen Zwangswirkung. 434 Auch in Fällen, in denen sich die Blockierer anketten, aneinanderhaken oder die Straße unter Einsatz von Sachen sperren, kommt nach der neuesten Rechtsprechung noch eine Strafbarkeit wegen Nötigung durch Gewalt in Betracht. 435 Mag man dieser Rechtsprechung wegen Mißachtung der bundesverfassungsgerichtlichen Vorgaben auch nicht folgen wollen, so wird man doch davon ausgehen müssen, daß auch in Zukunft Sitzdemonstrationen und andere friedliche Blockadeaktionen als Nötigung mit Gewalt bestraft werden, wenn durch sich aufstauende Kraftfahrzeuge oder Menschenmengen physische Barrieren geschaffen werden. 436 Nicht unwahrscheinlich ist auch, daß nach einer erneuten klarstellenden Entscheidung des BVerfG die Rechtsprechung dazu übergehen wird, Blockadeaktionen als Drohung mit einem empfindlichen Übel einzustufen. Letztendlich ist auch nicht ausgeschlossen, daß der Gesetzgeber den Tatbestand des § 240 Abs. 1 StGB so modifiziert, daß Blockadedemonstrationen unproblematisch von diesem erfaßt wer432 BGH, NStZ 1995, 541 ff.; NJW 1995, 2862; Wessels! H ettinger, Strafrecht Besonderer Teil 1, Rz.392; Rheinländer, in: Schulz/Vormbaum, Festschrift für Günter Bemmann, S.402, 408; Krey!Jaeger, NStZ 1995, 542f.; Krey, JR 1995, 265ff.; Rheinländer, in: Schulz/Vormbaum, Festschrift für Günter Bemmann, S.406; Zöller, Die Polizei 1996, 204 [207ff.]; a. A. Priester, in: Schulz/Vormbaum, Festschrift für Günter Bemmann, S. 383; Arnold, JuS 1997, 289 ]291 f.]. 433 BGH, NStZ 1995, 541 f.; NJW 1995, 2862. 434 BGH, NStZ 1995, 541 f.; NJW 1995, 2862; NStZ, 1995, 593; NStZ-RR, 1997, 197. 435 BayObLG, NStZ-RR 1996, 101; OLG Karlsruhe, NJW 1996, 1551; Wessels! H ettinger, Strafrecht Besonderer Teil 1, Rz. 392; Tröndle, in: Fischer/Tröndle, StGB, § 240 Rz. 2p; Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB, § 240 Rz. 8; Horn, in: Rudolphi/Horn u. a., StGB, § 240 Rz. 11. 436 Priester, in: Schulz/Vormbaum, Festschrift für Günter Bemmann, S. 362 und S. 363 Fn. 8; Rheinländer, in: Schulz/Vormbaum, Festschrift für Günter Bemmann, S.404f.; Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB, §240 Rz.22; Horn, in: Rudolphi/Horn u.a., StGB, §240 Rz. 11; vgl. auch: BGH, NJW 1998,2149 [2151]; vgl. dazu: Otto, NStZ 1998,513 [514]; Martin, JuS 1998,957 [958]; Krüßmann, JA 1998, 626 [627].

2. Teil: Versammlungsrechtsidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

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den. Deswegen ist es gerechtfertigt zu untersuchen, ob bei friedlichen Blockadeversammlungen die formelle und/oder materielle Illegalität der Versammlung Auswirkungen auf die Strafbarkeit nach § 240 StGB hat. 2. Verwerflichkeit

von Blockadeaktionen

Blockadeaktionen sind nur dann nach § 240 Abs. 1 StGB wegen Nötigung mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel strafbar, wenn die Nötigung rechtswidrig ist. Rechtswidrig ist die Tat gem. § 240 Abs. 2 StGB, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. 438 Wann Blockadeaktionen, insbesondere Sitzdemonstrationen, als verwerflich einzustufen sind, ist stark umstritten. 439 Insbesondere ist streitig, inwieweit die Verwerflichkeit und damit die Strafbarkeit von der formellen und materiellen Rechtswidrigkeit der Blockadeaktion abhängt.440 a) Herkömmliche Auffassung Nach herkömmlicher Auffassung stellt die Einschränkung der Bewegungsfreiheit Dritter durch Versammlungen dann keine strafbare Nötigung dar, wenn die Beeinträchtigung nur zwangsläufige Folge der Ausübung des Grundrechtes der Versammlungsfreiheit ist. Bloße Behinderungen Dritter seien durch Art. 8 GG gedeckt.441 Darüber hinaus seien aber auch nur mittels passiver Gewalt durchgeführte Aktionen verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt und damit in der Regel strafbar, wenn sie darauf abzielten, durch die mit ihnen verbundenen Zwangswirkungen gesteigertes Aufsehen in der Öffentlichkeit zu erregen, andere zur Anhörung einer bestimmten Meinungsäußerung zu zwingen oder bestimmte sachliche Anliegen leichter durchzusetzen.442 Das folge schon daraus, daß Zwang als Zweckelement der Grundrechtsausübung nach Art. 8 GG mit dem Wesen des Grundrechtes, das ausschließlich die 437 Vgl. den Gesetzesantrag des Freistaates Bayern vom 04.03.1995 (BR-Drs. 247/95); Prie ster, in: Schulz/Vormbaum, Festschrift für Günter Bemmann, S.385; Scholz, NStZ 1995,417 [424]. 438 Die Einordnung der Rechtswidrigkeit der Nötigung in den Tatbestand ist sehr umstritten. Vgl. dazu nur: Bertuleit, Sitzdemonstrationen zwischen prozedural geschützter Versammlungsfreiheit und verwaltungsakzessorischer Nötigung, S. 137ff. 439 BVerfGE 73,206 [257f.]; 76,211 [217f.]; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, §240 Rz. 26; Küper/Bode, JURA 1993, 187 ff. 440 BVerfGE 73,206 [250]; Tröndle, in: Tröndle/Fischer, StGB, §240 Rz. 25; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, §240 Rz.28; Brohm, JZ 1985, 505 [510f.]; Weicheru StV1989, 459 ff. 441 Vgl. BVerfGE 73,206 [250fJ; Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB, §240 Rz.22; Tröndle, in: Tröndle/Fischer, StGB, § 240 Rz. 25; Roxin, in: Albrecht/Ehlers, Festschrift für Horst SchülerSpringorum, S.441, 448. 442 BVerfGE 73,206 [250]; BGHSt 23,46 [56f.]; Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB, §240 Rz.22; Tröndle, in: Tröndle/Fischer, StGB, §240 Rz.25

3. Kapitel: Strafrechtliche Konsequenzen im Hinblick auf §§14 und 15 VersG

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geistige Auseinandersetzung gewährleiste, nicht zu vereinbaren sei. 443 Die Instrumentalisierung des Genötigten sei daher auch bei politisch motivierten Blockadeaktionen nur in engen Grenzen sozial tolerabel. Insgesamt seien bei der Bewertung der Tat als verwerflich alle Umstände, wie Dauer und Intensität der Aktionen, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten und der Sachbezug der betroffenen Personen zum Protestgegenstand, zu berücksichtigen. 444 Maßgeblich für eine Strafbarkeit nach § 240 StGB sei aber nicht die (rechtmäßige) Auflösung der Versammlung nach § 15 Abs. 2 VersG. Die polizeiliche Auflösungsanordnung habe für die Frage, ob eine nach § 240 StGB strafbare Sitzblockade oder eine erlaubte Aktion anzunehmen sei, grundsätzlich keine konstitutive Bedeutung.445 Nach dieser Auffassung spielt die nach der erfolgten Auflösung eintretende formelle Illegalität der Versammlung für die Strafbarkeit nach § 240 Abs. 1 StGB keine entscheidende Rolle. Auch die materielle Illegalität der Versammlung ist nach dieser Ansicht nur einer von vielen zu berücksichtigenden Faktoren, für die Strafbarkeit jedoch nicht ausschlaggebend.

b) Verwaltungsakzessorietät der Nötigung Nach der Gegenauffassung ist die Nötigung erst dann als verwerflich i. S. v. § 240 Abs. 2 StGB anzusehen, wenn die Blockade entgegen einer sofort vollziehbaren Auflösungsverfügung gem. § 15 Abs. 2 VersG fortgesetzt und damit passiver Widerstand gegen die Auflösungsverfügung geleistet wird. 446 Mindestvoraussetzung für eine Strafbarkeit nach § 240 Abs. 1 StGB sei neben den oben erörterten Kriterien die 443 Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB, §240 Rz.22; Tröndle, in: Tröndle/Fischer, StGB, §240 Rz. 25; Zeidler/Vogel u. a., Das Recht auf Demonstration, S.9. 444 Vgl. BVerfGE 73,206 [255f.]; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB. §240 Rz.29; Graul JR1994,51 [53 ff.]; inwieweit die sogenannten Femziele der Demonstranten mitzuberücksichtigen sind, ist stark umstritten, soll hier jedoch nicht weiter diskutiert werden (vgl. BGHSt 35,270ff.; Bertuleit, JA 1989, 16 [23f.], ders., ZRP 1992, 46 [47fj). 445 Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB, §240 Rz.22; Tröndle, in: Tröndle/Fischer, StGB, §240 Rz. 25; Krey, Strafrecht BT 1, Rz.373 äff.; Schwabe, NStZ 1998, 22 [23]; Meiski, Der strafrechtliche Versammlungsschutz, S.43ff.; offengelassen in: BVerfGE 73,206 [250f.]. 446 Bertuleit/Herkströter, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §240 Rz.42ff.; Bertuleit, Sitzdemonstrationen zwischen prozedural geschützter Versammlungsfreiheit und verwaltungsakzessorischer Nötigung, S. 82 ff.; Reichert-Hammer, Politische Femziele und Unrecht, S. 143; Eser, in: Festschrift für Gerd Jauch, S.34,44f.; Fritz, in: Brandt, Festschrift für Helmut Simon, S.403,429; Bertuleit/Herkströter, KJ 1987,331 [337f.]; Brohm, JZ 1985,501 [510]; Weichen, StV 1989, 459 [460]; Knemeyer!Deubert, NJW 1992, 3131 [3133ff.]; Kühl, StV 1987, 122 [132]; Rinken, StV 1994, 95 [104]; Knieseh NStZ, 1998, 286 [288f.]; Kniesel (Die Polizei, 1992, 53 [56]) geht noch darüber hinaus und hält es für ausreichend, wenn die Blockadeaktion auch entgegen einer Verfügung nach § 15 Abs. 1 VersG durchgeführt wird. Diese Auffassung ist problematisch, denn sie verführt die Veranstalter dazu, Blockadeaktionen nicht anzumelden, um nicht von vornherein die Gefahr der Bestrafung nach § 240 StGB einzugehen, sondern erst nach erfolgter Auflösungsverfügung gem. § 15 Abs. 2 VersG. Ihr soll deshalb hier nicht weiter nachgegangen werden.

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2. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

Fortsetzung der Versammlung entgegen der Auflösungsverfügung, also zumindest die formelle Illegalität der Versammlung. Eine Ausnahme soll allerdings nach einer teilweise vertretenen Auffassung dann gelten, wenn die Versammlung nicht angemeldet ist, da dann die Versammlungsbehörde mangels Kenntnis von der Veranstaltung keine Verfügungen aussprechen könne.447 Dann komme es nur auf die Auflösbarkeit der Versammlung, also auf ihre materielle Illegalität an. Ob die prinzipiell erforderliche Auflösungsverfügung auch inhaltlich legitimiert, d. h. materiell rechtmäßig sein muß, ist jedoch auch unter den Vertretern dieser Auffassung umstritten. Teilweise gehen sie davon aus, daß die Wirksamkeit und die sofortige Vollziehbarkeit der Auflösungsverfügung bei einer Fortsetzung der Versammlung für eine Strafbarkeit ausreiche.448 Die Gegenauffassung bestraft nur wegen Nötigung, wenn die Auflösungsverfügung formell und materiell rechtmäßig ist. 449 Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach § 240 Abs. 1 StGB ist also nach dieser engsten Auffassung neben der formellen auch die materielle Illegalität der Versammlung.450 Begründet wird diese Ansicht insbesondere mit der Reichweite des Art. 8 GG und dessen verfahrensrechtlicher Garantie. 451

c) Kritik und Stellungnahme Entschieden werden muß hier zum einen, ob die Strafbarkeit bei Blockadeaktionen überhaupt vom Versammlungsrecht abhängig, d. h. verwaltungsakzessorisch ist und - sollte man dies bejahen können - zum anderen, ob diese Bindung verwaltungsaktakzessorisch oder verwaltungsrechtsakzessorisch ausgestaltet ist. 452 Von der Beantwortung dieser Frage hängt ab, inwieweit die formelle und materielle Ille447 Kniesel, Die Polizei 1992,53 [57]; a. A. Bertuleit, Sitzdemonstrationen zwischen prozedural geschützter Versammlungsfreiheit und verwaltungsakzessorischer Nötigung, S.97f. 448 DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 1 Rz. 174, § 15 Rz. 120; Brohm, JZ 1985,501 [510]; Kniesel NJW 1992,857 [865]; ders., Die Polizei 1992,53 [57]. 449 BertuleitlHerlcströter, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §240 Rz.42 ff.; Bertuleit, Sitzdemonstrationen zwischen prozedural geschützter Versammlungsfreiheit und verwaltungsakzessorischer Nötigung, S. 82ff.; Reicher t-Hammer, Politische Femziele und Unrecht, S. 143; Eser, in: Festschrift für Gerd Jauch, S. 34,44f.; Fritz, in: Brandt, Festschrift für Helmut Simon, S.403, 429; BertuleitlHerlcströter, KJ 1987, 331 [337f.]; Weichert, StV 1989, 459 [460]. 450 So ausdrücklich: Weichert, StV 1989,459 [461]; vgl. auch: Bertuleit, Sitzdemonstrationen zwischen prozedural geschützter Versammlungsfreiheit und verwaltungsakzessorischer Nötigung, S.97. 451 Bertuleit, Sitzdemonstrationen zwischen prozedural geschützter Versammlungsfreiheit und verwaltungsakzessorischer Nötigung, S.82f. 92f.; Weichert, StV 1989, 459 [460]. 452 Vgl. Bertuleit, Sitzdemonstrationen zwischen prozedural geschützter Versammlungsfreiheit und verwaltungsakzessorischer Nötigung, S. llOf.; Kühl, in: Küper, Festschrift für Lackner, S. 815, 843f.

3. Kapitel: Strafrechtliche Konsequenzen im Hinblick auf §§ 14 und 15 VersG

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galität der Versammlung Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach §240 Abs. 1 StGB bei Blockadeaktionen ist. aa) Verwaltungsakzessorietät

zwischen §240 StGB und § 15 VersG

Für die Verwaltungsakzessorietät der Nötigung im Falle von Blockadeaktionen spricht, daß § 15 Abs. 2 VersG auch als Ausgestaltung der verfahrensrechtlichen Garantie der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG zu verstehen ist und eine Strafbarkeit deshalb nicht losgelöst vom Versammlungsrecht angenommen werden kann. Blockadeaktionen stellen überwiegend friedliche Versammlungen i. S. v. Art. 8 Abs. 1 GG dar und fallen nicht schon deshalb aus dessen Schutzbereich heraus, weil eine Behinderung Dritter gewollt ist. 453 Dies gilt auch für Blockaden, die mittels Gegenständen, wie Kraftfahrzeugen bei Kraftfahrerdemonstrationen, vorgenommen werden. Demonstrationen von Taxifahrern, LKW-Fahrern oder Landwirten mit ihren Fahrzeugen können nicht von vornherein als gewalttätig und unfriedlich i. S. v. Art. 8 Abs. 1 GG eingestuft werden, nur weil bei diesen die physische Zwangswirkung besonders groß ist. Man kann nicht generell annehmen, daß solche Aktionen unfriedlich sind, d. h. einen gewalttätigen und aufrührerischen Verlauf nehmen, denn hierfür werden regelmäßig aggressive und erhebliche körperliche Einwirkungen verlangt. 454 Blockadeaktionen unterfallen auch ansonsten dem Schutz der grundrechtlichen Gewährleistung des Art. 8 Abs. 1 GG. Das Grundrecht garantiert den Teilnehmern und Veranstaltern der Versammlung nämlich ein weitgehendes Selbstbestimmungsrecht. 455 Form und Inhalt, Zeit und Ort der Versammlung unterliegen der grundrechtlichen Gestaltungsfreiheit. 456 Aus dem Selbstbestimmungsrecht über den Ort der Veranstaltung folgt das Recht zur Mitbenutzung der im Allgemeingebrauch stehenden Straße. 457 Die Gestaltungsfreiheit garantiert vielfältige Formen gemeinsa453 BVerfGE 92,1 [16ffJ; 87,399 [406]; Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner Grundgesetz, Art. 8 Rz. 75; Bertuleit/Herkströter, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 240 Rz. 42; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz. 700; Reicher t-Hammer, Politische Femziele und Unrecht, S. 148; Rheinländer, in: Schulz/Vormbaum, Festschrift für Günter Bemmann, S.410. 454 Vgl. BVerfGE 87,399 [406]; 73,206 [248], Bertuleit/Herkströter, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 240 Rz.42; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz. 698; Reichert-Hammer, Politische Femziele und Unrecht, S.304; v. Bubnoff\ in: Jänke/Laufhütte u.a., StGB, vor § 125 Rz. 20; Guidi , VR 1999, 178 [180]. 455 BVerfGE 69,315 [343]; Preuß, in: Böttcher, Festschrift für Richard Schmid, S.419,431; Reichert-Hammer, Politische Femziele und Unrecht, S. 144f.; Kniesel, NJ 1998, 472. 456 Vgl. BVerfGE 69,315 [343]; 73,206 [249]; OVG Weimar, NJ 1997, 102 [103]; Kniesel, Die Polizei 1992, 53 [54]; ders., NJ 1998,472. 457 BVerfGE 73,206 [249]; Bertuleit, Sitzdemonstrationen zwischen prozedural geschützter Versammlungsfreiheit und verwaltungsakzessorischer Nötigung, S. 88; Preuß, in: Böttcher, Festschrift für Richard Schmid, S.419,431. 9 Werner

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2. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

men Verhaltens bis hin zu nicht-verbalen Ausdrucksformen. Es besteht somit kein numerus clausus der Veranstaltungsformen, sondern Typenfreiheit. 458 Die Demonstrationsfreiheit verfügt zudem über Ausdrucksmittel, die gerade auch unmittelbar Eindruck erzeugende Aktionen garantieren. 459 Eine Reduzierung der demonstrativen Mittel auf rein geistige, um Rationalität bemühte Argumentation wird dem Grundrecht daher nicht gerecht. 460 Die bei der geistigen Auseinandersetzung im Rahmen der Demonstrationsfreiheit verwendeten Mittel können deswegen auch körperlicher Natur sein, wenn sie nicht dazu dienen, bestimmte Meinungen aufzuzwingen.461 Davon kann bei Blockadeaktionen in den meisten Fällen aber keine Rede sein, denn diese beschränken sich überwiegend darauf, durch kollektives Verhalten Denkanstöße zu geben - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung zu nehmen und ihren Standpunkt zu bezeugen.462 Für demonstrative Blockaden streitet also auch das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG. Da Dritte durch die Auswahl der Örtlichkeit und des Zeitpunktes bzw. des Zeitraumes für die geplante Veranstaltung zwangsläufig in ihren Rechten betroffen werden, kann es für Veranstalter und Teilnehmer aber keine absolute Verfügungsbefugnis über Ort und Zeit der Veranstaltung geben. Die Versammlungsbeteiligten müssen auf entgegenstehende Rechte Dritter Rücksicht nehmen, was die Versammlungsbehörde durch Verfügungen gem. § 15 Abs. 2 VersG durchsetzen kann. Durch die Verfügung nach § 15 Abs. 2 VersG erlischt dann der Grundrechtsschutz, so daß eine Strafbarkeit nach §240 StGB in Betracht kommt. §240 StGB entfaltet somit erst über den Filter der versammlungsbehördlichen Verfügung nach § 15 Abs. 2 VersG Wirkung. 463 Diese Filterfunktion ist auch grundrechtlich geboten. Die Versammlungsfreiheit beinhaltet eine verfahrensrechtliche Garantie. 464 Diese wird durch die grundrechtsschützende Funktion der Verfahrensvorschriften des Versammlungsgesetzes ausgefüllt. § 15 VersG ist nicht nur eine Beschränkung der Versammlungsfreiheit, sondern die dort festgelegte erhöhte Eingriffsschwelle für staatliche Behörden läßt sich auch selbst als eine verfahrensrechtliche Absicherung der Versammlungsfreiheit der Bürger im Verhältnis zum Staat begreifen. 465 Durch die Vorschrift soll sichergestellt werden, daß einerseits die realen Voraussetzungen für die Ausübung des Grund458

Kniesel, Die Polizei, 1992, 53 [54]. Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.34ff. 460 Vgl. Rinken, StV 1994, 95 [101]. 461 Kniesel, Die Polizei, 1992, 53 [54]; Bertuleit! Herkströter, KJ 1987, 337 [345]. 462 Vgl. Fritz, in: Brandt, Festschrift für Helmut Simon, S.416,419 f. 463 Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 143 Rz.58; Bertuleit, Sitzdemonstrationen zwischen prozedural geschützter Versammlungsfreiheit und verwaltungsakzessorischer Nötigung, S. 90; Müller, Wirkungsbereich und Schranken der Versammlungsfreiheit, S. 138. 464 BVerfGE 69,315 [355f.]; Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art.8 Rz.45, Reichert-Hammer, Politische Femziele und Unrecht, S.302f.; Weichert, StV 1989, 459 [460]. 465 BVerfGE 69,315 [348]; Bertuleit, Sitzdemonstrationen zwischen prozedural geschützter Versammlungsfreiheit und verwaltungsakzessorischer Nötigung, S.93. 459

3. Kapitel: Strafrechtliche Konsequenzen im Hinblick auf §§ 14 und 15 VersG

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rechts geschaffen und andererseits kollidierende Interessen anderer hinreichend gewahrt werden. 466 Insofern ist § 15 VersG die Vorschrift, die den Konflikt zwischen der Versammlungsfreiheit der Sitzdemonstranten und der allgemeinen Handlungsfreiheit der Verkehrsteilnehmer regelt. Ist aber § 15 VersG auch als eine verfahrensrechtliche Ausgestaltung zum Schutz der Versammlungsfreiheit zu verstehen, so wirkt der Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG jedenfalls solange fort, wie keine Verfügung nach § 15 Abs. 2 VersG ergangen ist oder die Versammlung nicht unfriedlich i. S. v. Art. 8 Abs. 1 GG wird. 467 Diese Grundsätze gelten auch bei nicht angemeldeten Demonstrationen, denn § 15 Abs. 2,1. Var. VersG zeigt, daß auch der nicht angemeldeten Demonstration der verfahrensrechtliche Schutz des Art. 8 GG zugute kommt. 468 Gegen diese Auffassung läßt sich auch nicht der Schubart-Beschluß des BVerfG anführen. 469 In diesem hat das BVerfG unter Verweisung auf sein Mutlangen-Urteil 470 judiziert, daß Versammlungen nicht durch Art. 8 GG gerechtfertigt seien, wenn die Behinderung Dritter nicht nur als Nebenfolge in Kauf genommen, sondern beabsichtigt wird, um die Aufmerksamkeit für das Demonstrationsanliegen zu erhöhen. 471 Diese Grundsätze griffen zu Lasten des Beschwerdeführers auch trotz der Tatsache ein, daß die Versammlung nicht aufgelöst worden sei. Allein schon der Umstand, daß die Demonstration rechtmäßigerweise hätte aufgelöst werden können, führe dazu, daß er sich zur Rechtfertigung nicht auf Art. 8 GG berufen könne.472 Im Schubart-Beschluß ging es aber nicht um den Tatbestand der Nötigung nach § 240 StGB, sondern um denjenigen des Landfriedensbruchs nach § 125 StGB. Es ging im Schubart-Beschluß um einen von vornherein nicht durch Art. 8 GG geschützten Aufruf zu einer unfriedlichen gewalttätigen Demonstration, weshalb eine grundrechtskonforme Erstreckung des § 15 VersG auf § 125 offensichtlich ausschied.473 Damit steht fest, daß die Strafbarkeit nach §240 StGB bei Blokkadeaktionen zumindest von einer wirksamen Verfügung nach § 15 Abs. 2 VersG abhängt, zwischen §240 StGB und § 15 VersG also zumindest Verwaltungsakzessorietät besteht. 466

BVerfGE 69,315 [348]; Bertuleit, Sitzdemonstrationen zwischen prozedural geschützter Versammlungsfreiheit und verwaltungsakzessorischer Nötigung, S. 95. 467 Knemeyer/Deubert, NJW 1992,3131 [3134]; Weichert, StV 1989,459 [460f.]; Bertuleit, Sitzdemonstrationen zwischen prozedural geschützter Versammlungsfreiheit und verwaltungsakzessorischer Nötigung, S.97. 468 Bertuleit, Sitzdemonstrationen zwischen prozedural geschützter Versammlungsfreiheit und verwaltungsakzessorischer Nötigung, S.97; a. A. Kniesel, Die Polizei 1992, 53 [56] 469 Vgl. BVerfGE 82,236ff.; so aber Schwabe, NStZ 1998, 22f. 470 BVerfGE 73,206 [250]; hier hatte das BVerfG ausgeführt, daß „jedenfalls mit der rechtmäßigen Auflösung... Art. 8 GG als denkbarer Rechtfertigungsgrund für die Durchführung von Sitzblockaden entfalle". 471 BVerfGE 82,236 [264]. 472 BVerfGE 82,236 [264]. 473 Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB, § 125 Rz. 28; Bertuleit, Sitzdemonstrationen zwischen prozedural geschützter Versammlungsfreiheit und verwaltungsakzessorischer Nötigung, S.97; Kniesel NStZ 1998, 286 [289]; Rinken, StV 1994, 95 [104].

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2. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

bb) Verwaltungsrechtsakzessorietät

zwischen §240 StGB und § 15 VersG

Dafür, daß es für die Strafbarkeit bei Blockadeaktionen nicht nur auf die Wirksamkeit und sofortige Vollziehbarkeit der Auflösungsverfügung nach § 15 Abs. 2 VersG ankommt, also auf die Verwaltungsaktakzessorietät, sondern auch auf die Rechtmäßigkeit dieser Verfügung, also auf die Verwaltungsrechtsakzessorietät, sprechen neben vielen anderen Erwägungen schon verfassungsrechtliche Vorgaben. 474 Durch die Verfügung nach § 15 Abs. 2 VersG werden die Versammlungsteilnehmer nämlich aus dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG „entfernt". Die Verfügung eröffnet den Rückgriff auf § 240 StGB. Es erscheint aus Gründen der Verhältnismäßigkeit undenkbar, wenn dies auch durch eine rechtswidrige Verfügung geschehen könnte, denn eine rechtswidrige Verfügung greift unverhältnismäßig in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ein. Es sind zwar Situationen denkbar, in denen Versammlungsteilnehmer eine rechtswidrige Verfügung nach § 15 VersG und den damit verbundenen Grundrechtsverstoß zunächst einmal hinnehmen müssen, weil einstweiliger Rechtsschutz nicht zu erlangen ist. Dies rechtfertigt jedoch nicht die Bestrafung bei Mißachtung dieser Verfügung, denn dann würde die unvermeidliche Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit, die in der rechtswidrigen Verfügung liegt, ohne vergleichbare Notwendigkeit gegenüber denjenigen fortgesetzt werden, d i e - w i e sich nachträglich herausstellt - die Versammlungsfreiheit zu Recht in Anspruch genommen haben.475 Was verfassungsrechtmäßig ist, darf nicht zugleich strafrechtswidrig sein. Befindet sich die Sitzdemonstration im Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG, so bewirkt die verfassungsrechtliche Aufladung des § 15 VersG durch den verfahrensrechtlichen Gehalt des Art. 8 Abs. 1 GG, daß der Verstoß gegen das einfache Recht des § 15 Abs. 2 VersG auch ein Verstoß gegen die Verfassung ist. 476 Eine Bestrafung nach § 240 StGB unabhängig von einer rechtmäßigen Verfügung nach § 15 Abs. 2 VersG verstieße auch gegen Art. 103 Abs. 2 GG. Dem Gesetzgeber ist es zwar grundsätzlich nicht verwehrt, die Widersetzlichkeit gegen behördliche Anordnungen unter Strafe zu stellen, ohne daß es für deren Verhängung auf die Rechtmäßigkeit der Anordnung ankäme.477 Es verstößt aber gegen Art. 103 Abs. 2 GG, wenn die Ahndung eines Verstoßes gegen eine behördliche Verfügung im Wege der Auslegung des einschlägigen Tatbestandes auf Fälle rechtswidriger Verfügungen ausgedehnt wird, obwohl der Vorschrift dies nicht unzweideutig zu entnehmen ist. 478 Dies ist im Falle der Bestrafung nach § 240 StGB bei Blockadeaktionen je474

Vgl. dazu Bertuleit, Sitzdemonstrationen zwischen prozedural geschützter Versammlungsfreiheit und verwaltungsakzessorischer Nötigung, S. 1 lOff., 128 ff. 475 Vgl. BVerfGE 87,399 [409f.]; Bertuleit, Sitzdemonstrationen zwischen prozedural geschützter Versammlungsfreiheit und verwaltungsakzessorischer Nötigung, S. 132 f. 476 Bertuleit, Sitzdemonstrationen zwischen prozedural geschützter Versammlungsfreiheit und verwaltungsakzessorischer Nötigung, S. 133. 477 BVerfGE 87,399 [411]; 80,244 [256]. 478 Vgl. BVerfGE 87,399 [411].

3. Kapitel: Strafrechtliche Konsequenzen im Hinblick auf §§ 14 und 15 VersG

133

doch der Fall, da die Verwaltungsakzessorietät der Nötigung ein Resultat der verfassungskonformen Auslegung des § 240 StGB im Lichte des durch § 15 VersG ausgestalteten verfahrensrechtlichen Gehalts des Art. 8 Abs. 1 GG ist. 479 Zwischen §240 StGB und §15 VersG besteht also bei Blockadedemonstrationen Verwaltungsrechtsakzessorietät.

II. Zwischenergebnis Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach § 240 StGB bei Blockadedemonstrationen ist, daß diese trotz einer rechtmäßigen Auflösungsverfügung nach § 15 Abs. 2 VersG fortgesetzt werden. Die verfügungswidrige Fortsetzung der Versammlung begründet ihre formelle Illegalität. Die materielle Rechtmäßigkeit einer Verfügung nach § 15 Abs. 2 VersG setzt die materielle Illegalität der Versammlung voraus, so daß für eine Strafbarkeit nach § 240 StGB bei Blockadeaktionen neben der formellen auch die materielle Illegalität der Versammlung ausschlaggebend ist.

C. Zusammenfassung und Ergebnis Eine Strafbarkeit von Veranstalter und Leiter einer Versammlung nach dem Versammlungsgesetz wegen Durchführung einer unangemeldeten Versammlung, Abweichung von den Angaben in der Anmeldung und Durchführung einer auflagenoder verbotswidrigen Versammlung kommt nur bei formeller und materieller Illegalität der Versammlung in Betracht. Dies gilt auch für die Strafbarkeit der Fortsetzung einer Versammlung trotz Auflösung oder Unterbrechung. Die Teilnahme an einer verbotenen, aufgelösten oder auflagenwidrigen Versammlung kann nur dann mit einem Bußgeld geahndet werden, wenn die Versammlung formell und materiell illegal ist. Auch die Strafbarkeit von Veranstaltern, Leitern oder Teilnehmern einer Versammlung nach §240 Abs. 1 StGB wegen Leistens von passivem Widerstand setzt die formelle und materielle Illegalität der Versammlung voraus. Eine Strafbarkeit von Versammlungsbeteiligten im hier untersuchten Kontext kann somit grundsätzlich nur bei formeller und materieller Illegalität der Versammlung erfolgen, setzt also immer eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung voraus.

479

Vgl. Bertuleit, Sitzdemonstrationen zwischen prozedural geschützter Versammlungsfreiheit und verwaltungsakzessorischer Nötigung, S. 128.

134

2. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei §§ 14 und 15 VersG

4. Kapitel

Gesamtergebnis des 2. Teils Für die Eingriffsbefugnis nach § 15 Abs. 2 VersG ist die materielle Illegalität der Versammlung eine notwendige, wenn auch ausreichende Bedingung. Ausnahmsweise kann gegen eine Versammlung auch vorgegangen werden, wenn sie materiell rechtmäßig ist. Ihre Inanspruchnahme ist dann unter den Voraussetzungen des echten oder unechten polizeilichen Notstandes möglich. Im Gegenzug kann aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ein Vollstreckungsverbot bei einer materiell rechtswidrigen Versammlung bestehen. Für die Strafbarkeit der Versammlungsbeteiligten und die Möglichkeit der Verhängung eines Bußgeldes kommt es neben der formellen Illegalität immer auf die materielle Illegalität der Versammlung an, so daß prinzipiell - sei es in ordnungsoder strafrechtlicher Hinsicht - nur bei einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit eingegriffen werden darf. Voraussetzung für einen Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit im Rahmen von §§14 und 15 VersG und den damit korrespondierenden Straf- und Bußgeldvorschriften ist damit neben der nicht immer zwingenden formellen, die materielle Illegalität der Versammlung.

3. T e i l

Formelle und materielle Versammlungsrechtswidrigkeit bei § 16 VersG i. V. m· den Bannmeilengesetzen Aus dem vorstehenden Teil ergibt sich, daß es schon aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten ist, im Hinblick auf den Regelungsbereich der §§14 und 15 VersG zwischen formeller und materieller Versammlungsrechtswidrigkeit zu unterscheiden. Bei bewußter Berücksichtigung dieser Terminologie wäre zudem gewährleistet, daß die entscheidenden Behörden und Gerichte nur in Fällen, in denen wirklich eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorliegt oder vorlag, zur Beschränkung der grundrechtlichen Gewährleistung schreiten. Insoweit wäre es zu begrüßen, wenn sich diese Terminologie und die damit verknüpften materiellen Folgen zukünftig in Rechtsprechung und Literatur durchsetzen würden. Im Regelungsbereich des § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen des Bundes und der Länder ist dieser Schritt von einem Teil des Schrifttums schon vollzogen worden.1 Von einer generellen Verwendung der Unterteilung und den damit verbundenen materiellen Konsequenzen innerhalb dieses Regelungsinstrumentariums ist man allerdings noch weit entfernt. 2 Dies liegt zum einen daran, daß schon die verfassungsrechtlichen Anforderungen an Bannmeilen höchst kontrovers diskutiert werden. Zum anderen führen die unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Standpunkte zu Schwierigkeiten bei der Anwendung der versammlungsrechtlichen Vorschriften, was einer einheitlichen Terminologie und Auslegung im Wege steht.3 Ein Schwerpunkt der nachfolgenden Analyse wird deswegen die Betrachtung der ein1 Breitbach, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 16 Rz. 49; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt. H, Rz. 131a; Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 194; Crombach, Die öffentliche Versammlung unter freiem Himmel, S. 135 f. 2 Vgl. OVG Münster, NWVB1. 1994, 305 [306f.]; VG Hamburg, NVwZ 1985, 678/.; Dietel!Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 16 Rz. 26f.; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 16 Rz.2; Krüger, Versammlungsrecht, S. 141 , Zeitler, Versammlungsrecht, Rz.247 ff.; Tsatsos/Wietschel, ZRP 1994, 211 [212f.]. 3 Vgl. OVG Münster, NWVB1.1994, 305 [307]; Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S.96ff.; Ehrentraut, Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen und deutschen Verfassungsrecht, S. 189ff; Schwarze, DÖV 1985, 213 [216f.]; Tsatsos/Wietschel, ZRP 1994, 211 [213].

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3. Teil: § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen

schlägigen Vorschriften im Lichte des Art. 8 GG sein, um zu untersuchen, ob eine Differenzierung zwischen formeller und materieller Illegalität im Bereich der Bannkreisverletzung verfassungsrechtlich geboten oder zumindest sinnvoll ist, und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind.

1. Kapitel

Das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt des § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen des Bundes und der Länder § 16 Abs. 1 VersG verbietet öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel innerhalb des befriedeten Bannkreises der Gesetzgebungsorgane des Bundes und der Länder sowie des Bundesverfassungsgerichts. Das Verbot betrifft alle, die sich an einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder einem Aufzug im Bannkreis beteiligen oder beteiligen wollen.4 Unter einem Bannkreis versteht man einen bestimmten Bezirk mit festgelegten Grenzen. Er umfaßt das befriedete Besitztum des geschützten Organs und ein bestimmtes Gebiet im Umkreis darum unabhängig davon, ob es sich um öffentliche oder private Flächen handelt.5 Die befriedeten Bannkreise für die Gesetzgebungsorgane des Bundes und für das Bundesverfassungsgericht werden gem. § 16 Abs. 2 VersG durch Bundesgesetz, die befriedeten Bannkreise für die Gesetzgebungsorgane der Länder durch Landesgesetze bestimmt. § 16 Abs. 1 VersG stellt insoweit eine ausfüllungsbedürftige Blankettvorschrift dar.6 Von dieser Kompetenz zur Entscheidung über die konkrete Festlegung eines Bannkreises hat der Bund aktuell anläßlich des Umzugs der Bundesregierung in die neue Bundeshauptstadt Berlin mit dem Gesetz über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes (BefBezG) Gebrauch gemacht. Er ersetzt damit das alte Bonner Bannmeilengesetz von 1955.7

4 DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 16 Rz. 19; Schwarze, DÖV 1985, 213 [217f.]. 5 FüßleinIGeeb, Versammlungsgesetz, §16 Anm. 3; DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 16 Rz. 20. 6 Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 16 Rz. 12; Kniesel, in: Lisken/ Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 128; Borchert, Die Spontanversammlung, S. 130. 7 Durch das Gesetz zur Neuregelung des Schutzes von Verfassungsorganen des Bundes vom 11. 08. 1999 (BGBl. I, S. 1818f.) wurde das Bannmeilengesetz des Bundes vom 06. 08. 1955 (BGBl. I, S.504), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. 05.1969 (BGBl. I, S.449), durch das Gesetz über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes (BefBezG) ersetzt. Zur Gesetzgebungsgeschichte vgl. Werner, NVwZ 2000, 369 ff.

1. Kapitel: Das Verbot mit Erlaubnisvorbehlt

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In den Bundesländern findet man Bannkreisbestimmungen in Baden-Württemberg 8 , Bayern 9 , Berlin 1 0 , Hamburg 1 1 , Hessen 12 , Niedersachsen 13 , Nordrhein-Westfalen 1 4 , Rheinland-Pfalz 15 , i m Saarland 16 und in Thüringen 1 7 . Schleswig-Holstein hat sein Bannmeilengesetz 1990 aufgehoben 18 . In den verbleibenden Bundesländern sind bis heute keine Bannmeilengesetze 19 ergangen.

A. Überblick über die Regelung Enthält § 16 Abs. 1 VersG das prinzipielle Verbot, öffentliche Versammlungen und Aufzüge innerhalb eines befriedeten Bannkreises abzuhalten, so sehen doch alle Bannmeilengesetze, gestützt auf § 16 Abs. 3 VersG, die Möglichkeit von Ausnahmen vor. 2 0 Dabei liegt nach dem Wortlaut der meisten Bannmeilengesetze die Entscheidung über die Zulassung von Versammlungen i m Bannkreis i m freien Ermessen der entscheidenden Behörde. 21 Neuere oder aktualisierte Β annkreis Vorschriften statuieren jedoch mittlerweile in bestimmten Fällen ein gebundenes Ermessen 22 oder räumen dem einzelnen einen Rechtsanspruch auf Erteilung der Erlaubnis ein. 2 3 Es 8 Bannmeilengesetz des Landes Baden-Württemberg vom 12. 11. 1963 (GBl., S. 1975), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. 07. 1970 (GBL, S.421). 9 Gesetz über die Befriedung des Landtagsgebäudes des Freistaates Bayern vom 07. 03. 1952 (GVB1., S. 99) i. V. m. der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Befriedung des Landtagsgebäudes vom 30. 04. 1969 (GVBl., S. 136). 10 Gesetz über die Befriedung des Tagungsortes des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 17.03.1983 (GVBl., S.482), zuletzt geändert durch Gesetz vom 06.04.1993 (GVBl., S. 141). 11 Bannkreisgesetz der Hansestadt Hamburg vom 05.02.1985 (GVBL, S.61), zuletzt geändert durch Gesetz vom 08. 10. 1986 (GVBL, S. 326). 12 Gesetz über die Bannmeile des Hessischen Landtages vom 25. 05. 1990 (GVBL, S. 173). 13 Niedersächsisches Bannmeilengesetz vom 12. 06. 1962 (GVBL, S.55), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. 03. 1990 (GVBL, S. 101). 14 Bannmeilengesetz des Landtags Nordrhein-Westfalen vom 25.02.1969 (GVBL, S. 142), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. 06. 1988 (GVBL, S.246). 15 Landesgesetz über die Befriedung des Landtagsgebäudes vom 23. 02. 1966 (GVBL, S.60). 16 Gesetz Nr. 970 über den Landtag des Saarlandes (§§81 f.), vom 20. 06. 1973 (ABL, S.517). 17 Gesetz über die Bannmeile des Thüringer Landtags vom 14. 05. 1991 (GVBL, S. 82). 18 Gesetz vom 17. 09. 1990 (GVBL, S.500). 19 Die Bannmeilengesetze der Länder sind abgedruckt bei: Dietel!Gintzel!Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, im Anhang. 20 Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 16 Rz.25f.; Busch, NVwZ 1985, 634f. 21 §2 BannmlG BW; Art. 1 BannkrG Bay.; §2 BannmlG Beri.; §3 BannmlG Nds.; §1 BannmlG NW; § 3 BannmlG RhPf.; § 81 Gesetz Nr. 970 über den Landtag des Saarlandes; § 3 BannmlG Thür.; vgl. dazu auch: Breitbach, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, §16 Rz. 30; Dietel!Gintzel!Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 16 Rz. 38 f. 22 So §3 BannmlG Hess. 23 So § 5 BefBezG und § 2 BannkrG Hbrg.

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3. Teil: § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen

handelt sich also durchgängig um Verbote mit Erlaubnisvorbehalt. 24 Der Verstoß gegen das Verbot des § 16 Abs. 1 VersG hat nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 3 VersG obligatorisch die Auflösung der Versammlung zur Folge. Die Teilnehmer der Versammlung machen sich einer Ordnungswidrigkeit nach § 29a VersG schuldig. I. Sinn und Zweck der Regelung Die Verbotsregelung bezweckt die Abwehr von Gefahren für die Funktionsfähigkeit der in § 16 Abs. 1 VersG genannten Verfassungsorgane und die Entscheidungsfreiheit ihrer Mitglieder. 25 Die Funktionsfähigkeit demokratischer Gesetzgebungsorgane kann zum einen dadurch beeinträchtigt werden, daß durch physische Einwirkungen auf ihre Repräsentanten, etwa durch Blockaden und Zugangssperren, Einfluß auf die durch demokratische Wahlen bestimmten Mehrheitsverhältnisse genommen wird. Aber auch durch massive verbale Attacken oder bedrohliche Inszenierungen mit emotionalisierten Großansammlungen unmittelbar vor den Stätten der Entscheidung kann ein psychisches Bedrohungsklima entstehen, das die Entscheidungsfreiheit der Mitglieder des zu schützenden Verfassungsorgans beeinträchtigt. 26 Ein Beispiel hierfür sind die von der jüngeren Geschichtsschreibung geschilderten Vorkommnisse bei der Beschlußfassung über das Ermächtigungsgesetz im Reichstag der Weimarer Republik. Vor und in der nach dem Reichstagsbrand als Parlamentssitz bestimmten Krolloper übten SS- und SA-Leute psychischen Druck auf die Abgeordneten aus, indem sie unter anderem in Sprechchören skandierten: „Wir wollen das Gesetz - sonst Mord und Totschlag".27 Die herrschende Meinung bleibt jedoch nicht bei diesem relativ engen Schutzzweck stehen. Sie ist der Auffassung, daß auch die innere Integrität der parlamentarischen Willensbildung von § 16 Abs. 1 VersG geschützt sei.28 Sie geht von der Vor24

Heftig umstritten ist, ob es sich bei § 16 Abs. 1 VersG i. V.m. den BannmlGen um repressive (so OVG Saarlouis, DÖV 1977, 277; DietellGintzell Kniesel Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 16 Rz. 30; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 16 Rz. 1; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9 Rz. 55) oder präventive Verbote (so Breitbach, in: Ridder/ Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 16 Rz.50; ders., Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 190f.; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 131) mit Erlaubnisvorbehalt handelt. 25 OVG Münster, NWVB1. 1994, 305 [308]; VG Hamburg, NVwZ 1985, 678f.; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S. 235 f.; Tsatsos/Wietschel, ZRP 1994,211 [212]; vgl. auch die Begründung zum Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schutzes von Verfassungsorganen des Bundes der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drs. 14/1147, S.4. 26 OVG Münster, NWVB1. 1994, 305 [308]; Gusy,, in: v. Mangoldt/Klein/Stark, Bonner Grundgesetz, Art. 8 Rz. 75; DietellGintzellKniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 16 Rz. 10f.; Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 105. 27 Vgl. Bullock , Hitler, S. 251 ; Shirer, Aufstieg und Fall des Dritten Reiches, S. 195. 28 Hoffmann-Riem, in: Wassermann, Altemativkommentar GG, Art. 8 Rz. 48; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, § 106a Rz. 1; Rudolphi, in: Rudolphi/Hom u. a., StGB, § 106a Rz. 1;

1. Kapitel: Das Verbot mit Erlaubnisvorbehlt

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Stellung aus, die Bannmeilenregelung diene dem Schutz der Repräsentationsfunktion des Parlamentes, welches bei seiner freien Entscheidungsfindung vor jeder Beeinflussung von außen durch politische Versammlungen geschützt werden müsse.29 Schlagworte hierfür sind, daß das Parlament und seine Mitglieder vor dem „Druck der Straße" oder vor „plebiszitärem Druck" und vor der „unmittelbaren Beeinflussung durch Minderheiten" geschützt werden müßten, weil ansonsten unter „Druck Versprechungen gemacht oder Entscheidungen gefällt werden könnten, die nicht am Gemeinwohl orientiert und deshalb sachlich nicht vertretbar seien".30 Dieser erweiternden Auslegung des Schutzzwecks der Bannmeilenvorschriften kann nicht gefolgt werden. 31 Sie erweist sich schon aufgrund historischer Erwägungen als unhaltbar. Resümiert man nämlich die Entstehungsgeschichte der Bannmeilengesetzgebung in der neueren Deutschen Geschichte, so kann man die gesamte Bannmeilengesetzgebung uneingeschränkt als ein Rechtsinstitut des Notstandes bezeichnen.32 Im demokratischen Deutschland kam es erst 1920 zum Erlaß eines versammlungsbezogenen Bannmeilengesetzes,33 nachdem es im Zuge der Beratungen des Reichstages über das Betriebsrätegesetz unter Einsatz des Militärs zu blutigen Auseinandersetzungen mit mehr als 40 Toten gekommen war; Anhänger des Rätemodells hatten die Verabschiedung des Gesetzes durch ihr Eindringen in den Sitzungssaal in Berlin am 13. Januar 1920 zu verhindern versucht. 34 Die Debatten zu der dann als verfassungsänderndes Gesetz erlassenen Bannmeilenregelung standen außerdem unter dem Eindruck des Putschversuches von Kapp und Lüttwitz am 13. März 1920; ein Ereignis, das nur zwei Monate vor der Verabschiedung des Bannkreisgesetzes stattgefunden hatte und während dessen sich der Reichspräsident und Laußütte, in: Jähnke/Laufhütteu.a., StGB, § 106aRz. 1; Willms, in: Jescheck/Ruß u.a., StGB, § 106a Rz. 1; Wolter, in: Wassermann, Alternativkommentar StGB, § 106aRz.2; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S. 236; Preuß, in: Böttcher, Festschrift für Richard Schmid, S. 439f. 29 So auch der Hessische Staatsminister des Inneren, Wagner, bei der Beratung des Gesetzes zur Neuregelung des Schutzes von Verfassungsorganen des Bundes in der 741. Sitzung des Bundesrates am 09. 07. 1999 (BR-Prot. Nr. 741, S.260f.). 30 OVG Münster, NWVB1. 1994, 305 [308]; OVG Saarlouis, DÖV 1977, 277; OLG Köln, VRS 85 (1993), 332 [334]; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, §16 Anm. 1; Meyer/Köhler, Demonstrations- und Versammlungsrecht, § 16 Anm. 1; Brenneke, in: Das Deutsche Bundesrecht, I F 40, § 16; Krüger, Versammlungsrecht, S. 142; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S.235f.; v. Mutius, Jura 1988, 79 [87]; Merten, MDR 1968, 621 [623]; Schwarze, DÖV 1985, 213 [218]. 31 Vgl. Werner, NVwZ 2000, 369 [370]. 32 Vgl. Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S.58,147; ders. KJ 1998, 238 [240]; Kargl/Kirsch, NJ 1997, 561 [563f.]; Wefing, in: F. A.Z. vom 13.07.1999 Nr. 159, S.45. 33 Reichsgesetz zur Befriedung der Gebäude des Reichstages und der Landtage vom 08. 05. 1920 (RGBl. S.909) sowie die Verordnung vom 17. 05. 1920 zur Abgrenzung der Bannmeile (RGBl. S.973). 34 Stern, Staatsrecht, § 129 S.672f.; Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S.27; ders. KJ 1998, 238 [240]; Kargl/Kirsch, NJ 1997, 561 [564].

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3. Teil: § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen

die Reichsregierung von Berlin über Dresden nach Stuttgart in Sicherheit gebracht hatten.35 Verfassungsgeschichtlich ist also die Schaffung von Bannmeilen im demokratischen Deutschland des 20. Jahrhunderts in der Abwehr konkreter Notstandssituationen sowie der Vorsorge vor hypothetischen notständischen Entwicklungen begründet.36 Der Schutz galt der Abwehr physischer Gewalt bzw. der Androhung von Gewalt und bezog sich dabei auf die physische Bedrohung der Parlamente als eines Ortes des demokratischen Institutionengefüges. Auf diesen Zusammenhang wurde auch regelmäßig während der Beratungen der Bundes- und Landesgesetzgeber in den 50er Jahren hingewiesen, als es um die Schaffung von befriedeten Zonen um die Parlamente ging. 37 Der Ansatz, die Bannmeilenregelung diene dem Schutz der Repräsentationsfunktion des Parlamentes, hat somit historisch keine Vorläufer und ist im übrigen auch nicht mit der Verfassung vereinbar. Diese garantiert nämlich den Bürgerinnen und Bürgern auch während der Legislaturperiode eine Fülle von politischen Freiheits- und Beteiligungsrechten. Das Grundgesetz zielt mit seinem klassischen Grundrechtskatalog auf die Bildung einer lebendigen politischen Öffentlichkeit und damit auf die Herausbildung eines freien Marktes von Meinungen ab;38 dieser findet seinen Bezugspunkt gerade auch in den Parlamenten. Es ist die Öffentlichkeit, die zum einen Austragungsort von Interessen· und Meinungskämpfen ist und von der zum anderen Impulse auf die Willensbildung im Parlament ausgehen. Das entspricht jedenfalls demokratischen Leitvorstellungen, wonach die Willensbildung als permanenter Prozeß vom Volk zu den gewählten Organen ausgehen soll. 39 Dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit kommt dabei besondere Bedeutung zu. Große Verbände, finanzstarke Geldgeber oder Massenmedien können nämlich - auch vertreten durch die sogenannte Lobby - beträchtliche Einflüsse ausüben, während sich der einzelne Staatsbürger als eher ohnmächtig erlebt. 40 In einer Gesellschaft, in welcher der direkte Zugang zu den Medien und die Chance, sich durch sie zu äußern, auf wenige beschränkt ist, verbleibt dem einzelnen neben seiner organisierten Mitwirkung in Parteien und Verbänden im allgemeinen nur eine kol35 Vgl. Kolb, Die Weimarer Republik, S. 38 ff.; Winkler, Weimar 1918-1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, S. 109 f., 119 f.; FrotscherlPieroth, Verfassungsgeschichte, Rz. 500; Welsing, Die Polizei 1996, 196 [197]. 36 Weitere historische Beispiele bei: Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 103; vgl. auch Welsing, Die Polizei 1996, 196 [197]. 37 Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S.37ff.; ders., KJ 1998, 238 [240]; KargllKirsch, NJ 1997, 561 [564]; Wefing, in: F. A.Z. vom 13.07.1999 Nr. 159, S.45. 38 Vgl. BVerfGE 7,198 [208]; 12,113 [125]; 20,56 [97ff.]; 42,163 [169]; 69,315 [345]. 39 Vgl. BVerfGE 20,56 [98 ff.]; 69,315 [346]; Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner Grundgesetz, Art. 8 Rz.75. 40 BVerfGE 69,315 [346]; Breitbach, NVwZ 1988, 584 [588]; KargllKirsch, NJ 1997, 561 [564].

1. Kapitel: Das Verbot mit Erlaubnisvorbehlt

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lektive Einflußnahme durch Inanspruchnahme der Versammlungsfreiheit für Demonstrationen. 41 Öffentliche Versammlungen sind damit Teil des kollektiven W i l lensbildungsprozesses und stehen insofern nicht in einem Widerspruch zur Volksrepräsentation. 42 Sie bilden vielmehr einen Baustein im Prozeß der Repräsentationsbildung, was die Vorstellung ausschließt, man müsse generell Versammlungen aus dem Umfeld eines Parlamentes i m Hinblick auf dessen Repräsentationsfunktion ausschließen. 43 Als Ergebnis kann man deshalb festhalten, daß die Repräsentationsfunktion der gesetzgebenden Körperschaften kein vor dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit zu schützendes Rechtsgut darstellt. Schutzgut der Bannmeile ist insoweit nur, die konkrete Arbeit der Abgeordneten als Individuen i m Parlament gegen Angriffe zu schützen, die mittels der physischen Präsenz Dritter i m und vor dem Sitzungssaal und ihren potentiellen physischen und/oder psychischen Zwangswirkungen hervorgerufen werden. 44

I I . Das Genehmigungsverfahren Zuständig für die Zulassung von Versammlungen i m Bannkreis sind in der Regel die Minister oder Senatoren des Inneren. Diese entscheiden zumeist i m Einvernehmen mit dem jeweiligen Präsidenten des betroffenen Verfassungsorgans. 45 Der An41 BVerfGE 69,315 [346]; auf diesen Umstand hat auch die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in den Begründungen zweier Entwürfe eines Gesetzes zur Aufhebung des Bannmeilengesetzes hingewiesen (vgl. BT-Drs. 12/4530, S. 1; BT-Drs. 13/10932, S. 1). Auch in den Begründungen der Gruppe PDS zu den Entwürfen eines Gesetzes zur Abschaffung der Bannmeile wird betont, daß Versammlungen - insbesondere vor den Parlamenten - , gegenüber der in einer sozial ungleichen Gesellschaft unvermeidlichen Tendenz zur Monopolisierung der Einflußnahme auf den politischen Prozeß durch etablierte Lobbies und einflußreiche Eliten, ein notwendiges demokratisches Gegengewicht schaffen (vgl. BT-Drs. 13/2768, S.4 und BTDrs. 14/516, S. 4). 42 Kargl/Kirsch, NJ 1997, 561 [564]; Preuß, ZRP 1993, 131 [135]. 43 Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 120; ders., NJ 1998,238 [242]; Schneider, NJW 2000, 263 [264]; Wefing, in: F. A.Z. vom 13.07.1999 Nr. 159, S.45. 44 Kniesel, in: Lisken/Denniger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 130; Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 105,120; Welsing, Die Polizei 1996,196 [198]; so auch die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Schutzes parlamentarischer Beratungen der Fraktion der F. D. Ρ vom 09.12.1998 (BT-Drs. 14/183, S. 3) und die Begründung zweier Entwürfe eines Gesetzes zur Aufhebung des Bannmeilengesetzes der Gruppe PDS vom 26.10.1995 (BT-Drs. 13/2768) und 16.03.1999 (BT-Drs. 14/516, S.4). 45 Vgl. §6 BefBezG; §2 Abs. 1 BannmlG BW; Art. 1 Abs. 2 BannkrG Bay.; §3 Abs. 1 BannmlG Hess.; § 3 BannmlG Nds.; § 3 Abs. 1 BannmlG Rhpf.; § 3 BannmlG Thür.; in Berlin und Nordrhein-Westfalen entscheiden die Präsidenten des Verfassungsorgans im Einvernehmen mit dem Minister bzw. Senator für Inneres (vgl. §2 Abs. 2 BannmlG Beri.; § 1 Abs. 2 BannmlG NW); in Hamburg entscheidet gem. § 3 BannkrG Hbrg. der Senat im Einvernehmen mit der Bürgerschaft; im Saarland gem. § 81 Abs. 2 Gesetz Nr. 970 über den Landtag des Saarlandes das Präsidium des Landtags.

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3. Teil: § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen

trag auf Zulassung ist überwiegend formlos bei den vorgenannten Behörden zu stellen. 46 Abweichend von diesem Grundsatz ist in Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und Thüringen jeweils die untere Polizeibehörde in der betreffenden Landeshauptstadt die für die Entgegennahme des Antrags zuständige Stelle.47 In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz „muß" der Antrag spätestens 10 Tage vor der Veranstaltung gestellt werden. 48 In Hessen und Thüringen ist diese Frist als SollVorschrift ausgestattet.49 Nach § 7 BefBezG „soll" eine Frist von sieben Tagen eingehalten werden. In den übrigen Ländern bestehen keine Fristbestimmungen. Neben der Genehmigung nach den Bannmeilengesetzen müssen öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel im Bannkreis auch nach § 14 VersG angemeldet werden. Dies ergibt sich teilweise ausdrücklich aus den verschiedenen Bannmeilengesetzen,50 im übrigen aus den divergierenden Schutzzwecken der Vorschriften. 51 Zuständig für die Entgegennahme der Anmeldung sind die jeweiligen Versammlungsbehörden. Die für die Erlaubniserteilung nach den Bannmeilengesetzen zuständigen Behörden entscheiden ausschließlich darüber, ob durch eine Versammlung in der Bannmeile deren Schutzzweck verletzt wird oder nicht. Die gemäß §§14 und 15 VersG zuständigen Behörden haben demgegenüber darüber zu befinden, ob im Falle einer Ausnahmegenehmigung nach dem betreffenden Bannmeilengesetz aus anderen Gründen ein Verbot oder eine Auflage auszusprechen ist, etwa weil eine unmittelbare Gefahr für eine andere Einrichtung oder sonstige Rechtsgüter Dritter besteht.52 Dies kann in den Bundesländern, in denen der Antrag auf Befreiung vom Versammlungsverbot in der Bannmeile nicht bei der Versammlungsbehörde zu stellen ist, dazu führen, daß sich der Veranstalter der Versammlung an zwei Behörden wenden muß.

B. Verfassungsmäßigkeit von Bannmeilen § 16 Abs. 1 VersG enthält seinem Wortlaut nach als einzige Norm des Versammlungsgesetzes einen abstrakten Verbotstatbestand, der ausschließlich an die bloße Tatsache einer Versammlung in einem bestimmten räumlichen Bereich-dem 46 DietellGintzellKniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, §16 Rz. 29 f; Schwarze, DÖV 1985, 213 [217]. 47 Vgl. §2 Abs. 2 BannmlG BW; §4 BannmlG Hess.; §3 Abs. 2 BannmlG RhPf.; §4 BannmlG Thür. 48 Vgl. § 2 Abs. 2 BannmlG BW und § 3 Abs. 2 BannmlG RhPf. 49 Vgl. §4 BannmlG Hess, und §4 BannmlG Thür. 50 Nach § 5 Abs. 3 BefBezG werden durch die Zulassung die übrigen Vorschriften des Versammlungsgesetzes, insbesondere die §§ 14 und 15 VersG, nicht berührt. Vgl. auch §2 Abs. 3 BannmlG BW. 51 Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 16 Rz.44; ders., Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 171, 183f. 52 Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 178; unklar: ders., in: Ridder/ Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 16 Rz. 31; Borchert, Die Spontanversammlung, S. 137.

1. Kapitel: Das Verbot mit Erlaubnisvorbehlt

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Bannkreis - unabhängig von konkreten Verhaltensdispositionen und sozialen wie politischen Gegebenheiten eine Gefahrenprognose knüpft. 53 Mit dieser Prognose werden Versammlungen im Bannkreis per se für gefährlich erklärt. Damit wird an eine Traditionslinie zum obrigkeitsstaatlichen Denken des 19. Jahrhunderts angeknüpft, dem die Erörterung öffentlicher Angelegenheiten - und geschah dies in noch so friedfertiger Weise - als generell gefährlich für die öffentliche Ordnung galt. 54 Trotz des den Parlamenten eingeräumten weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums ist deswegen die Verbotsregelung auch im Hinblick auf den hohen Rang der Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit nicht frei von verfassungsrechtlichen Bedenken.55 Allerdings ist das Meinungsbild gespalten. Die Auffassungen reichen von der prinzipiellen Zulässigkeit des Verbots von Versammlungen innerhalb von Bannmeilen über die Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegbarkeit der Bannmeilengesetze bis zur Erklärung von Bannmeilen als mit Art. 8 GG nicht vereinbar. 56 Aus diesen unterschiedlichen Ansätzen resultieren auch die Unsicherheiten bei der Anwendung der verschiedenen Bannmeilengesetze. Wenn nämlich nicht mehr eindeutig ist, ob bzw. welche Versammlungen innerhalb von Bannmeilen als verboten einzustufen sind, ist auch fraglich, ob bzw. wann solche Versammlungen nach § 15 Abs. 3 VersG aufzulösen sind und ob bzw. wann sich die Teilnehmer an solchen Versammlungen einer Ordnungswidrigkeit nach § 29a VersG schuldig machen. Insbesondere ist dabei unklar, ob es für die Auflösbarkeit und Strafbarkeit von Versammlungen im Bannkreis auf die formelle und/oder materielle Illegalität der Versammlung ankommt.57 I. Verfassungsmäßigkeit im Hinblick auf die „geordnete" Versammlung Nach dem Wortlaut des § 16 Abs. 1 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen sind innerhalb des Bannkreises Demonstrationen nur nach ausdrücklicher Genehmigung 53 Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 16 Rz. 18; Breitbach!, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 16 Rz.9. 54 Ridder, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, Geschichtliche Einleitung, Rz.77 f.; Breitbach, KJ 1998,238 [243]; darauf verweist auch die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Bannmeilengesetzes des Bundes der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 10.03.1993 (BT-Drs. 12/4530, S.4). 55 Vgl. VG Wiesbaden, Beschluß vom 13.11.1981 - IV/2 G 764/81, S. 9, 12, zit. nach Schwarze, DÖV 1985, 213 [215 Fn.25,27]; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 16 Rz. 16; Ehrentraut, Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen und deutschen Verfassungsrecht, S. 164; Tsatsos/Wietschel ZRP 1994, 211 [213]. 56 Vgl. OVG Saarlouis, DÖV 1974,277; OLG Köln, VRS 85 (1993), 332 [333]; Meyer/Köhler, Demonstrations- und Versammlungsrecht, § 16 Anm. 3; Schwarze, DÖV 1985, 213 [216ff.]; Breitbach, NVwZ 1988, 584 [588f.]; Tsatsos/Wietschel ZRP 1994, 211 [213]. 57 Vgl. Kniesel in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 131a; Krüger, Versammlungsrecht, S. 142; Meyer!Köhler, Demonstrations- und Versammlungsrecht, § 16 Anm. 1; Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 188 ff.

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3. Teil: § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen

der zuständigen Stellen zulässig. Der Antrag auf Genehmigung ist teilweise bis zu 10 Tage vor Durchführung der geplanten Versammlung zu stellen. Diese Vorschriften machen bei strikter Einhaltung die Durchführung von Spontan- und Eilversammlungen unmöglich, denn bei der Spontanversammlung ist noch nicht einmal ein Veranstalter vorhanden, der den Antrag auf Zulassung stellen könnte. Bei der Eilversammlung ist zumindest die Einhaltung der - teilweise obligatorischen - Anmeldefrist ausgeschlossen. Hier stellt sich die Frage, ob es aus verfassungsrechtlichen Gründen zulässig ist, zumindest bestimmte Arten von Versammlungen gänzlich aus dem Bannkreis zu verbannen. Sollte man dies verneinen müssen, so ist fraglich, ob die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung der Bannmeilengesetze besteht. Aber auch hier gilt, daß diesen Fragen nur Beachtung geschenkt werden muß, wenn die Bannkreisregelungen überhaupt im Hinblick auf den Normalfall der Versammlung, der geordneten und veranstalteten, mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit vereinbar sind. Unzweifelhaft stellen die Bannmeilengesetze einen Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit dar, denn Art. 8 Abs. 1 GG umfaßt auch das Recht, den Ort und den Zeitpunkt der Versammlung frei zu bestimmen.58 Ob und unter welchen Voraussetzungen der Eingriff von der Schranke des Art. 8 Abs. 2 GG gedeckt ist, wird - wie bereits erwähnt - recht unterschiedlich beurteilt. 1. Bannmeilengesetze als repressive Verbote mit Befreiungsvorbehalt Nach herkömmlicher Auffassung ist das Verbot von öffentlichen Versammlungen innerhalb des Bannkreises von der Schranke des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit, Art. 8 Abs. 2 GG, gedeckt. Da der Grundgesetzgeber den Gesetzesvorbehalt vornehmlich zur Ermöglichung der Errichtung von Bannmeilen geschaffen habe,59 sei es prinzipiell zulässig, Versammlungen innerhalb von Bannkreisen generell zu verbieten. 60 Ein ausnahmsloses Demonstrations- und Versammlungsverbot innerhalb von Bannkreisen führe nicht zu einer unzumutbaren Belastung der Betroffenen und damit zu einem Verstoß gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, weil durchweg alle Bannmeilen räumlich eng begrenzt seien und „Deutschland groß genug sei, um auch außerhalb von Bannmeilen demonstrieren zu können".61 58

BVerfGE 69,315 [341]; BVerwG, NVwZ 1999, 991. Matz, in: JöRn.F. Band 1 (1951), S. 114f.; v. Mangoldt/Klein, Bonner Grundgesetz, Art.8, S.315; Schwarze, DÖV 1985, 213 [219f.]. 60 OVG Saarlouis, DÖV 1974, 277; VGH Kassel, Beschluß vom 14.11.1981 - V I I I TG 83/81 - , zit. nach Schwarze, DÖV 1985, 213 [220 Fn.73]; Brenneke, in: Das Deutsche Bundesrecht, I F 40, § 16; Meyer!Köhler, Demonstrations- und Versammlungsrecht, § 16 Anm. 3; Wache, in: Erbs/Kohlhaas u. a., Strafrechtliche Nebengesetze, V 55, § 16 Rz. 3; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S.235f.; Schwarze, DÖV 1985, 213 [219f.]. 61 VGH Kassel, Beschluß vom 14.11.1981 - V I I I TG 83/81 - , zit. nach Schwarze, DÖV 1985, 213 [220 Fn.73]; so ausdrücklich der Bundesminister des Inneren, Heinemann, bei der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über öffentliche Versammlungen und Aufzüge in 59

1. Kapitel: Das Verbot mit Erlaubnisvorbehlt

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Diese verfassungsrechtlich legitime Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers dürfe auch nicht durch eine großzügige Anwendung der Dispensermächtigungen in sein Gegenteil verkehrt werden. Den Verwaltungsbehörden sei zwar in den meisten Bannmeilengesetzen ein weiter, an keine näheren tatbestandlichen Vorgaben gebundener, Ermessensspielraum zwecks Zulassung von Versammlungen in der Bannmeile eröffnet. 62 Der Verzicht des Gesetzgebers darauf, ein ausnahmsloses Verbot von Demonstrationen innerhalb der Bannkreise anzuordnen und statt dessen eine in das Verwaltungsermessen gestellte Ausnahmemöglichkeit vorzusehen, dürfe jedoch nicht dahingehend verstanden werden, daß er damit ein subjektiv-öffentliches Recht im Sinne eines Anspruchs auf Zulassung statuieren wollte, wenn durch die Versammlung keine Gefahr für das Schutzgut des § 16 Abs. 1 VersG hervorgerufen werde.63 Der Gesetzgeber wolle mit der Möglichkeit der Dispenserteilung lediglich Härten und Schwierigkeiten, die sich aus den abstrakt-generellen Regelungen ergeben, ausgleichen.64 Nur so könne eine formale Gleichbehandlung aller Versammlungen ohne Rücksicht auf ihre politischen Zielsetzungen erreicht werden. Außerdem werde so gewährleistet, daß Parlament und Parlamentsausschüsse jederzeit zusammentreten könnten, ohne eine Kollision mit einer zuvor genehmigten oder zu genehmigenden Versammlung befürchten zu müssen.65 Hinzu komme, daß auch prinzipiell ungefährliche Versammlungen eine generelle Eignung in sich trügen „umzuschlagen", und damit in Widerspruch zum Zweck der Bannmeilengesetze geraten können.66 Nach dieser Auffassung handelt es sich bei den Bannmeilenregelungen überwiegend um repressive Verbote mit Befreiungsvorbehalt, weil das Sich-Versammeln in der Bannmeile als allgemein sozialschädlich eingestuft wird; 67 ein Anspruch auf Erlaubniserteilung ist prinzipiell ausgeschlossen.68 der 83. Sitzung des Bundestages am 12.09.1953 (BT-Prot. 83. Sitzung 12.09.1950, S.3123) und der Abgeordnete Wagner, bei der ersten Beratung eines Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Schutzes parlamentarischer Beratungen der Fraktion der F. D. P. in der 35. Sitzung des Bundestages am 22.04.1999 (BT-Prot. 14/35, S.2861). Zur ähnlichen Rechtslage in Österreich vgl.: Östr. VfGH, EuGRZ 1996,473ff. 62 Das Ermessen ist natürlich nach §40 VwVfG und § 114 VwGO pflichtgemäß auszuüben (vgl. OVG NW, NWVB1. 1994, 305 [307]; Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 16 Rz.31; ders., NVwZ 1988, 584 [590]). 63 OVG Saarlouis, DÖV 1974, 277; Brenneke, in: Das Deutsche Bundesrecht, I F 40, § 16; Meyer!Köhler, Demonstrations- und Versammlungsrecht, § 16 Anm. 3; Wache, in: Erbs/Kohlhaas u.a., Strafrechtliche Nebengesetze, V 55, §16 Rz.3; Schwarze, DÖV 1985, 213 [220]; Busch, NVwZ 1985, 634 [635]. 64 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, §9 Rz.55; Schwarze, DÖV 1985, 213 [219]. 65 Schwarze, DÖV 1985, 213 [221 f.]. 66 Vgl. Matz, in: JöR n.F. Band 1 (1951), S. 114f.; Schwarze, DÖV 1985, 213 [219]. 67 Zur Terminologie vgl.: Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz.297; Gromitsaris, DÖV 1997, 401 ff.; Schwabe, JuS 1973, 133ff. 68 Schwarze hält in DÖV 1985, 213 [219 Fn.92] deswegen die moderne Bannkreisregelung in Hamburg, die in Einzelfällen dem Antragsteller in § 2 Abs. 1 BannkrG Hbrg. einen Anspruch 10 Werner

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3. Teil: § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen

2. Bannmeilengesetze als verfassungswidrige von Art. 8 Abs. 2 GG

Konkretisierung

Die Gegenmeinung hält § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen für verfassungswidrig. Ein generelles Verbot von Versammlungen - auch wenn die Möglichkeit der Befreiung vom Verbot bestünde-sei unverhältnismäßig und mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht zu vereinbaren. 69 Das Verbot, sich im Bannkreis zu versammeln, sei schon nicht notwendig, um die Funktionsfähigkeit des Parlamentes und die körperliche Unversehrtheit der Abgeordneten zu gewährleisten. Die Gefahren, die von Versammlungen ausgehen könnten, ließen sich völlig ausreichend im Rahmen des allgemeingültigen Anzeigeverfahrens gem. §§ 14 ff. VersG bewältigen. Bei einer konkreten Gefahr von Angriffen auf Mitglieder des Parlaments, dort Beschäftigten oder anderen, bei drohenden Sachbeschädigungen, Blockaden oder einer Besetzung könnten Versammlungen gem. § 15 Abs. 1,1. Var. VersG verboten werden. Weiterhin könne auch durch Auflagen gem. § 15 Abs. 1,2. Var. VersG gewährleistet werden, daß es nicht zur Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Parlamentes komme.70 Parallel dazu stünde dem Parlamentspräsidenten auch noch das Hausrecht zu, um den ordnungsgemäßen Parlamentsbetrieb zu gewährleisten. Die physische Integrität der Abgeordneten sei außerdem schon durch das allgemeine Strafrecht geschützt, so daß es nicht erforderlich sei, das Grundrecht der Versammlungsfreiheit vor den Parlamenten oder dem Bundesverfassungsgericht in großem Umfang einzuschränken.71 Darüber hinaus schafften die Bannmeilengesetze keinen angemessenen Ausgleich zwischen dem Recht auf Versammungsfreiheit auf der einen und dem Schutz der Gesetzgebungsorgane und dem Bundesverfassungsgericht auf der anderen Seite. 72 Als Mitwirkungsrecht im Prozeß der politischen Willensbildung komme der auf Erteilung einer Genehmigung einräumt, für mit den Vorgaben aus § 16 VersG unvereinbar. Dagegen spricht jedoch, daß der Bundesgesetzgeber in §5 Abs. 1 BefBezG jetzt ein ähnliche Regelung getroffen hat. 69 Pestalozzi in: v. Mangoldt/Klein/Pestalozza, Bonner Grundgesetz, Art. 74 Rz. 216 Fn. 383; Ehrentraut, Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen und deutschen Verfassungsrecht, S. 164f.; Tsatsos/Wietschel, ZRP 1994, 211 [213]; Welsing, Die Polizei 1996, 196

[202].

70 Ehrentraut, Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen und deutschen Verfassungsrecht, S. 165 f.; Tsatsos/Wietschel, ZRP 1994,211 [213]; ähnlich auch Zeitler, Versammlungsrecht, Rz.250; Welsing, Die Polizei 1996, 196 [202]; eine Anmeldung der Versammlung hält auch die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN grundsätzlich für ausreichend (BT-Drs. 13/10932, S. 2 und 5). 71 So auch die Begründung der Entwürfe eines Gesetzes zur Aufhebung des Bannmeilengesetzes der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 10.03.1993 (BT-Drs. 12/4530) und der Gruppe PDS vom 26.10.1995 (BT-Drs. 13/2768) und 16.03.1999 (BT-Drs. 14/516, S.4); vgl. auch Schneider, NJW 2000, 263 ff. 72 Ehrentraut, Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen und deutschen Verfassungsrecht, S. 164f.; Tsatsos/Wietschel, ZRP 1994,211 [213]; Welsing, Die Polizei 1996,196 [202].

1. Kapitel: Das Verbot mit Erlaubnis vorbehält

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Versammlungsfreiheit besondere Bedeutung bei der Äußerung von Protest oder Zustimmung gegenüber den politischen Entscheidungsträgern zu. Dies gelte vor allem dort, wo die Abgeordneten ihre Funktion als Repräsentanten des Volkes erfüllten. In der unmittelbaren Meinungskundgabe vor dem Parlament vollziehe sich ein Optimum von Mitwirkung des Bürgers an der Vorformung des politischen Willens und es finde zugleich eine Rückbindung der Repräsentanten an den Bürger statt, ohne daß dies dem repräsentativen Charakter einer Demokratie zuwiderlaufe. 73 Angesichts dieser Bedeutung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit stehe es außer Verhältnis, mit den Bannmeilengesetzen jede Versammlung in den Bereich einer plebiszitären Nötigung mit Gewalt zu rücken. 74 An der UnVerhältnismäßigkeit der Vorschriften ändere auch die Tatsache nichts, daß einige Bannmeilengesetze bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen einen Anspruch auf Erteilungen von Ausnahmegenehmigungen vorsähen oder aufgrund des vom Gesetzgeber eingeräumten freien Ermessens zumindest verfassungskonform dahingehend auslegbar seien, daß ein Anspruch auf Erlaubniserteilung immer dann bestehe, wenn die Funktionsfähigkeit des Parlamentes und die physische Integrität der Abgeordneten nicht in Gefahr sei.75 Durch § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen werde nämlich das in Art. 8 Abs. 1 GG normierte Ausnahmeverhältnis-das Recht sich prinzipiell ohne Anmeldung oder Erlaubnis zu versammeln - ohne innere Rechtfertigung umgekehrt, woran auch die Einräumung eines Anspruchs auf Erlaubniserteilung nichts ändere, da das Instrument des Verbots mit Befreiungsvorbehalt ein Ausdruck der generellen Unerwünschtheit des grundrechtlich geschützten Verhaltens sei und dazu führe, daß letztendlich der Grundrechtsträger die Wahl seines Versammlungsorts begründen und nicht der Staat ein Versammlungsverbot rechtfertigen müsse.76 3. Bannmeilengesetze als präventive Verbote mit Erlaubnisvorbehalt Nach einer vermittelnden und stark im Vordringen befindlichen Auffassung bestehen keine prinzipiellen Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit von § 16 VersG und den Bannmeilengesetzen mit Art. 8 Abs. 1 GG. Die Ausnahmevorschriften der Bannmeilengesetze müßten aber zwingend verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, daß immer dann ein Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme beste73

Eine andere Sichtweise würde auf eine absorptive Repräsentation hinauslaufen, bei der nach den Wahlen Ruhe die erste Bürgerpflicht sein soll. Die Vorstellung von der absorptiven Repräsentanz ist aber in einer pluralistisch verfaßten Demokratie wirklichkeitsfremd (vgl. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, §30 Rz. 17; Breitbach, KJ 1998, 238 [242]). 74 Ehrentraut, Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen und deutschen Verfassungsrecht, S. 164f.; Tsatsos/Wietschel, ZRP 1994, 211 [213]. 75 Vgl. dazu Borchert, Die Spontanversammlung, S. 136ff.; Breitbach, NVwZ 1988, 584 [589 f.]. 76 Ehrentraut, Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen und deutschen Verfassungsrecht, S. 165 f.; Tsatsos/Wietschel, ZRP 1994,211 [214]; Welsing, Die Polizei 1996,196 [202].

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3. Teil: § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen

he, wenn keine Gefahr für das Schutzgut der Bannmeile gegeben sei, eine geplante Versammlung also nicht gegen den Schutzzweck des Verbotes verstoßen könne.77 In diesen Fällen sei das den Genehmigungsbehörden überwiegend eingeräumte Ermessen auf Null reduziert, so daß die Versammlungen zugelassen werden müßten.78 Begründet wird dies wiederum mit der Entstehungsgeschichte des Art. 8 Abs. 2 GG, der gerade in der Absicht geschaffen worden war, Bannkreise um die Gesetzgebungsorgane legen zu können.79 Dabei gehe es jedoch nicht um die Schaffung von Tabuzonen, in denen die Parlamente und das BVerfG nach Art eines befriedeten Besitztums geschützt würden, sondern Sinn und Zweck der Bannkreisregelungen sei die Abwehr von konkreten Gefahren für die einschlägigen Schutzgüter.80 Berücksichtige man nun, daß der Schutzbereich des Art. 8 GG die Wahl des Versammlungsortes mitumfaßt, weil er für das mit der Versammlung verfolgte Anliegen von erheblicher Bedeutung sein kann, indem er der Versammlung Publizität sichert oder symbolische Bezüge aufweist, die Entscheidung über das „Wo" der Versammlung also auch eine Entscheidung über das „Ob" der Versammlung darstellt, so müsse man dort zu einem Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gelangen, wo für das Schutzgut der Bannmeile keine Gefahr bestehe. Dies ergäbe sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der es verbiete, das Grundrecht auf Wahl des Versammungortes aufzuheben, wenn keine konkrete Gefahr für ein gleichwertiges Schutzgut bestehe.81 Nach dieser Auffassung handelt es sich bei § 16 VersG und den Bannmeilengesetzen nicht um repressive, sondern um präventive Verbote mit Erlaubnisvorbehalt, weil das sich Versammeln in der Bannmeile grundsätzlich als sozialadäquat angesehen wird und nur vorab auf seine Gemeinverträglichkeit im Einzelfall hin kontrolliert werden soll. 82 Ein Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis besteht dann, wenn keine Gefahr für das Schutzgut der Regelung besteht. 77

OVG Münster, NWVB1. 1994, 305 [307]; VG Hamburg, NVwZ 1985, 678; Benda, in: Dolzer/Vogel, Bonner Kommentar, Art. 8 Rz. 72; Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Stark, Bonner Grundgesetz, Art. 8 Rz. 75; Hoffmann-Riem, in: Wassermann, Alternativkommentar GG, Art. 8 Rz.48; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 16 Rz.2; Eitler, Versammlungsrecht, Rz.247; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 131; Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 151 ff.; Crombach, Die öffentliche Versammlung unter freiem Himmel, S. 136; Werner, NVwZ 2000, 369 [372]. 78 Nach § 5 Abs. 1 BefBezG und § 2 Abs. 1 BannkrG Hbrg. besteht ein solcher Anspruch bereits de lege lata, so daß es hier keiner verfassungskonformen Auslegung mehr bedarf. 79 OVG Münster, NWVB1.1994,305 [307]; Crombach, Die öffentliche Versammlung unter freiem Himmel, S. 134; Matz, JöR n.F. Band 1, S. 114f. 80 OVG Münster, NWVB1. 1994, 305 [307]; Breitbach, NVwZ 1988, 584 [590]. 81 Vgl. BVerfGE 69,315 [343,352f.]; BVerwG, NVwZ 1999,991; OVG Münster, NWVB1. 1994, 305 [308]; VG Hamburg, NVwZ 1985, 678; Crombach, Die öffentliche Versammlung unter freiem Himmel, S. 134. 82 Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 16 Rz. 18; Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 188 ff.

1. Kapitel: Das Verbot mit Erlaubnis vorbehält

4. Kritik

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und Stellungnahme

Die herkömmliche Auffassung ist mit Art. 8 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Auch wenn das Verbot aus § 16 Abs. 1 VersG nicht als absolutes verstanden wird, sondern im Bannkreis die Ausübung einer grundrechtlich geschützten Tätigkeit noch als möglich erscheint, so stellt sich das die Gefahrenprognose unberücksichtigt lassende repressive Verbot mit Befreiungsvorbehalt als unverhältnismäßige Einschränkung der Demonstrations- und Versammlungsfreiheit dar. Art. 8 Abs. 1 GG verbürgt die Selbstbestimmung des Ortes einer Versammlung.83 Die Nähe zum Parlament ist gerade dann attraktiv, wenn hier die Entscheidung über den Demonstrationsgegenstand fallen soll. 84 Auch im Bannkreis besteht somit grundsätzlich Demonstrations- und Versammlungsfreiheit. 85 Dies schließt es aus, ein striktes Verbot unabhängig vom Vorliegen einer konkreten Gefahr zu statuieren, denn die massive Einschränkung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit ist grundsätzlich nur zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und nur bei einer unmittelbaren, aus erkennbaren Umständen herleitbaren Gefährdungen dieser Rechtsgüter möglich. 86 Der Gesetzgeber muß die Grundentscheidung des Art. 8 Abs. 1 GG respektieren und darf Begrenzungen nur im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vornehmen, der die Schaffung eines von einer Gefahrenprognose unabhängigen Verbotes von Versammlungen im Bannkreis untersagt. Ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt ist auch nicht zur Abwehr einer abstrakten Gefahr für das Schutzgut der Bannmeile gerechtfertigt. Unter einer abstrakten Gefahr versteht man einen Sachverhalt, der bei einer generell-abstrakten Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, daß mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt. 87 Es handelt sich also um Sachverhalte, die typischerweise zu einer konkreten Gefahr führen. Es gibt jedoch keine Erfahrungssätze, wonach das Sich-Versammeln vor dem Sitz der Gesetzgebungsorgane sowie vor dem Sitz des Bundesverfassungsgerichts generell zu Gefahren für die Arbeits- und Funktionsfähigkeit führt. Als Bezugspunkt für die abstrakte Gefahr kann nicht das Interesse dienen, die Gesetzgebungsorgane von politischer Einflußnahme mittels politischen Drucks freizu83

BVerfGE 69,315 [343]; BVerwG, NVwZ 1999,991 \ Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 8 Rz.4. 84 OVG Münster, NWVB1. 1994, 305 [308]; Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S.67; Tsatsos/Wietschel, ZRP 1994, 211. 85 Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S.78; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 131. 86 BVerfGE 69,315 [354]; Benda, in: Dolzer/Vogel, Bonner Kommentar, Art. 8 Rz. 67. 87 BVerwG, DÖV 1970,713 [715]\Drews/Wackeu.a.,Gefahrenabwehr, S.495f.;Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, Rz.65; Schoch, JuS 1994, 667 [668].

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3. Teil: § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen

halten, denn dieses Interesse stellt nach dem Grundgesetz - wie oben nachgewiesen - kein im Verhältnis zur Garantie des Grundrechts der Versammlungsfreiheit schützenswertes Rechtsgut dar. Nur die Formen der Einflußnahme, die nicht kommunikativ, sondern instrumentell, d. h. mit physischen Eingriffen oder Drohungen operieren, sind im Namen der Gewährleistung der persönlichen Sicherheit der Abgeordneten sowie der Mitarbeiter des Parlaments Ausgangspunkt für den zulässigen Rechtsgüterschutz gegenüber Versammlungen. Daß Versammlungen im Bannkreis aber typischerweise solche unzulässigen Formen der Einflußnahme auf die Gesetzgebungsorgane hervorrufen, ist aufgrund der in Deutschland gemachten Erfahrungen empirisch nicht nachweisbar. Dies hat Breitbach auf der Grundlage einer Umfrage bei allen Landesparlamenten, beim Bundestag und beim Bundesverfassungsgericht sowie bei den mit der Anwendung der Bannkreisgesetze befaßten Ministerien und Behörden eindrucksvoll nachgewiesen.88 Sie decken sich auch mit den Einschätzungen der allermeisten westlichen Demokratien, die - von wenigen Ausnahmen abgesehen - auf generelle Versammlungsverbote vor den Parlamenten verzichten und in denen Versammlungen vor den Gesetzgebungsorganen als etwas Selbstverständliches angesehen werden. 89 Diese Sichtweise wird augenscheinlich auch in den Bundesländern der Bundesrepublik geteilt, die keine Bannkreisgesetze erlassen oder ein solches aufgehoben haben.90 Auch die historischen Gesetzgeber haben die Bannmeilenregelungen nicht zum Schutz vor abstrakten Gefahren statuiert. Der Bundes- und die Landesgesetzgeber bezogen sich bei ihrer Entscheidung bezüglich der Einrichtung einer Bannmeile meist auf die als notständisch zu charakterisierenden Erfahrungen der Weimarer Zeit und der frühen Nachkriegsjahre. Anlässe für die Einrichtungen von Bannmeilen waren ζ. B. der gewaltsame Einmarsch von Demonstranten im Januar 1920 in die Nationalversammlung im Berliner Reichstag sowie der Einmarsch von Demonstranten in die Berliner Stadtverordnetenversammlung im Jahre 1948.91 Das Bewußtsein, daß Bannmeilen als Vorsorge für krisenhafte gesellschaftspolitische Situationen zu begreifen sind, kam in den parlamentarischen Debatten dadurch zum Ausdruck, daß man zwar kein gegenwärtiges und aktuelles Bedürfnis für einen besonderen Schutz der Parlamente sah, man eine krisenhafte politische Entwicklung in der Zukunft aber nicht ausschließen konnte.92 Es ging also von Anfang an bei der 88

Vgl. Breitbachy Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 134ff.; vgl. auch Welsing, Die Polizei 1996, 196 [198]; das Fehlen einer abstrakten Gefahr konstatiert auch die Begründung der Entwürfe eines Gesetzes zur Aufhebung des Bannmeilengesetzes der Gruppe PDS vom 26.10.1995 (BT-Drs. 13/2768) und 16.03.1999 (BT-Drs. 14/516, S.4). 89 Weingärtner, Demonstration und Strafrecht, S.259f.; Breitbach, KJ 1998, 238 [243]; Tsatsos/Wietschel, ZRP 1994, 211 [214]. 90 Vgl. Breitbachy Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 131. 91 Vgl. Breitbachy Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 27 ff.; 36ff.; Kargl/Kirschy NJ 1997, 561 [563f.]; Wefing, in: F. A.Z. vom 13.07.1999 Nr. 159, S.45. 92 So und ähnlich der Abgeordnete Munzinger als Berichterstatter im rheinland-pfälzischen Landtag in der 52. Sitzung vom 07.02.1966 (Verhandlungen des rheinland-pfälzischen Land-

1. Kapitel: Das Verbot mit Erlaubnis vorbehält

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Bannmeilengesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland nicht um die Abwehr einer abstrakten Gefahr, sondern um die Einrichtung eines notständischen Instrumentariums zur Vorsorge gegenüber krisenhaften Entwicklungen.93 Der Lehre von der Verfassungswidrigkeit der Bannmeilengesetzgebung kann auch nicht gefolgt werden. Wenn deren Vertreter behaupten, auch ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt sei schon nicht notwendig, um die Arbeits- und Funktionsfähigkeit der Parlamente zu gewährleisten und damit verfassungswidrig, so übersehen sie, daß ein Verbot mit Anzeigevorbehalt nach §§14 und 15 VersG im Vergleich mit dem als Präventivverbot auszulegenden § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen nicht als milderes und gleichwirksames Mittel zur Abwehr der von Versammlungen für die Schutzgüter der Bannmeilengesetze ausgehenden Gefahren angesehen werden kann. Sowohl nach §§ 14 und 15 VersG als auch nach § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen würde im Bannkreis Versammlungsfreiheit bestehen. Ein Verbot der Versammlung im Bannkreis im Rahmen von §§14 und 15 VersG käme nur dann in Betracht, wenn eine Gefahr für die Funktionsfähigkeit der Parlamente bestehen würde. Eine Versagung der Genehmigung nach den Bannmeilengesetzen wäre aber auch nur aus dem gleichen Grunde zulässig, so daß das Verbot der Versammlung nach beiden Kontrollmechanismen erst am Ende des Verfahrens stehen würde, die Eingriffsintensität beider Instrumentarien also identisch ist. Die Forderung nach der Ersetzung des präventiven Verbots gem. § 16 VersG durch den allgemeinen Anzeigevorbehalt des § 14 VersG stellt letztendlich also nur eine rechtspolitische Forderung dar, der man durchaus beitreten kann; sie ist jedoch verfassungsrechtlich nicht zwingend.94 § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen läßt sich auch verfassungskonform als präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt auslegen, das rechtstaatlichen Anforderungen genügt. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG muß der Gesetzgeber bei Statuierung eines gesetzlichen Verbots mit Erlaubnisvorbehalt im Grundrechtsbereich selber regeln, von welchen Voraussetzungen die Erteilung der Genehmigung abhängt oder aus welchen Gründen die Genehmigung versagt wird. 95 Der Gesetzgeber darf im Bereich der Grundrechtsausübung die Möglichkeit des staatlichen Eingriffs nicht dem Ermessen der Verwaltungsbehörde überlassen.96 Daraus ergibt sich auch, daß der Bürger, dessen Grundrecht durch einen Genehmigungsvorbehält tags, 52. Sitzung vom 07. 02.1966, LT-Drs. I 5/52, S. 1783) sowie der niedersächsische Minister des Inneren Bennemann in der 62. Sitzung des niedersächsischen Landtags vom 16. 05. 1962 (Verhandlungen des niedersächsischen Landtags, 62. Sitzung vom 16.05.1962, Sp. 3626) und der hessische Parlamentspräsident Witte bei der Begründung des Bannmeilengesetzes im hessischen Landtag in der 55. Sitzung vom 16.12. 1953 (Verhandlungen des hessischen Landtags, 55. Sitzung vom 16.12.1953, LT-Drs. Abt. III, S.2330). 93 Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S.58f. 94 Vgl. Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 193 f. 95 BVerfGE 6,32 [42]; 9,83 [87]; 20,150 [158]; 41,378 [399]; 50,256 [263]; BVerfG, NVwZ 1992, 53 [54]. 96 So ausdrücklich BVerfGE 20,150 [158]; 49,89 [145].

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3. Teil: § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen

berührt wird, einen Rechtsanspruch auf Genehmigungserteilung hat, wenn die Voraussetzungen für die Versagung der Erlaubnis nicht vorliegen. 97 Diesen Anforderungen werden alle Bannmeilenregelungen im Bund und in den Ländern gerecht. Soweit diese selber die materiellen Voraussetzungen regeln, unter denen die Erteilung oder Versagung einer Genehmigung in Betracht kommt, sind verfassungsrechtliche Bedenken von Anfang an unbegründet.98 Aber auch die Bannmeilengesetze, die keine oder keine abschließenden materiellen Voraussetzungen für die Erteilung der Ausnahmegenehmigung enthalten, können zumindest verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, daß eine Genehmigung zu erteilen ist, wenn durch die Versammlung keine Gefahr für die Schutzgüter und den Schutzzweck der Regelung besteht. Wortlaut und Sinn der Vorschriften stehen dem offensichtlich nicht entgegen. Außerdem ist die Zulässigkeit der verfassungskonformen Auslegung für den Fall anerkannt, daß überhaupt nur eine bestimmte Auslegung mit der Verfassung vereinbar ist, so daß der mögliche Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers überhaupt nicht berührt ist. 99 Da die vorstehend genannte Auslegung aber als einzige dem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG gerecht wird, sind methodische Bedenken nicht begründet. Zu folgen ist also der vermittelnden und im Vordringen befindlichen Auffassung, so daß die in der Bundesrepublik bestehenden Bannkreisgesetze zwar verfassungsrechtlich nicht unproblematisch, jedoch zumindest verfassungskonform auslegbar sind. II. Determinanten für die Zulassung von Versammlungen im Bannkreis Der bisherige Befund hat ergeben, daß ein generelles Verbot von Versammlungen im Bannkreis wegen des Grundrechtsschutzes nach Art. 8 Abs. 1 GG verfassungswidrig ist. Von Versammlungen gehen keine regelhaft zu vermutenden Gefahren für die parlamentarische und bundesverfassungsgerichtliche Arbeit aus. Ein Verbot von Versammlungen im Bannkreis ist nur zulässig, wenn eine konkrete Gefahr für ein Schutzgut der Bannmeile besteht und ein Verstoß gegen den Schutzzweck der Vorschriften droht. Ist dies nicht der Fall, so besteht ein Anspruch des Bürgers auf Erteilung der Genehmigung nach den Bannmeilengesetzen. Moderne Bannkreisgesetze haben dem schon Rechnung getragen. 100 Die älteren Vorschriften anderer Bundesländer sind jedenfalls über das ihnen eingeräumte Ermessen verfassungskonform auslegbar. Immer dann, wenn keine Gefahr für die Funktions- und Arbeitsfähigkeit eines Parlaments oder des Bundesverfassungsgerichts besteht, ein Angriff 97

BVerfGE 20,150 [158]; 49,89 [145]; BVerfG, NVwZ 1992, 53 [54]. Nach § 3 Abs. 2 BannmlG Hess, sollen Ausnahmen an sitzungsfreien Tagen zugelassen werden. Nach § 5 Abs. 1 BefBezG und § 2 Abs. 1 BannkrG Hbrg. sind Versammlungen zuzulassen, wenn eine Beeinträchtigung der Schutzobjekte nicht zu befürchten ist. Nach §2 Abs. 2 BannkrG Hbrg. ist die Erteilung einer Ausnahme an Sitzungstagen unzulässig. 99 Vgl. BVerfGE 8,71 [79]; 54,277 [299f.]; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz.79. 100 Vgl. § 5 BefBezG und § 2 BannkrG Hbrg. sowie § 3 Abs. 2 BannkrG Hess. 98

1. Kapitel: Das Verbot mit Erlaubnisvorbehlt

153

auf die physische und psychische Integrität des geschützten Personenkreises im oben beschriebenen Sinne nicht zu befürchten ist, tritt von Verfassungs wegen eine Ermessensreduzierung auf Null im Hinblick auf eine Erlaubniserteilung ein. 101 Dies ist natürlich für jeden einzelnen Fall gesondert zu entscheiden, wird aber insbesondere für folgende Fallgruppen diskutiert: 1. Beratungsfreie

Zeit

Die Gefahr einer physischen Kollision mit der Tätigkeit der Parlamentarier oder den Verfassungsrichtern besteht weder während der Parlamentsferien noch in der sonstigen beratungsfreien Zeit. 102 Dagegen kann man nicht einwenden, auch während der Parlamentsferien könne es jederzeit zur Einberufung von Sondersitzungen kommen, weshalb auch während der sitzungsfreien Zeit ein Anspruch auf Genehmigungserteilung ausgeschlossen sei.103 In einem solchen Fall besteht natürlich die Möglichkeit, eine beantragte Genehmigung zu versagen, wenn eine Beeinträchtigung des Schutzzwecks der Bannmeilengesetze zu befürchten ist oder eine bereits erteilte Erlaubnis nach §49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG zu widerrufen. Für ein generelles Verbot besteht in einem solchen Fall also gar kein Bedürfnis. Dies hat auch teilweise der Gesetzgeber anerkannt. 104 2. Keine Parlaments- oder Gerichtsbezogenheit der Versammlung § 16 VersG dient ausschließlich dem Schutz der Gesetzgebungsorgane sowie des Bundesverfassungsgerichts. Versammlungen, die sich nicht gegen oder an die Gesetzgebungsorgane bzw. gegen oder an das Bundesverfassungsgericht wenden, sich also nicht auf die Arbeit der Abgeordneten und Richter beziehen, sondern andere Adressaten ansprechen, können dann aber nicht mehr vom Schutzzweck der Norm des § 16 VersG erfaßt sein.105 Finden also Demonstrationen vor einem in der Bannmeile gelegenen Rathaus, vor einer Bank oder Börse, vor dem Bundeskanzleramt, 101

OVG Münster, NWVB1. 1994, 305 [309]; VG Hamburg, NVwZ 1985, 678; HoffmannRiem, in: Wassermann, Alternativkommentar GG, Art. 8 Rz.48; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H., Rz. 131; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 16 Rz.2; Crombach, Die öffentliche Versammlung unter freiem Himmel, S. 135 f. 102 v G Hamburg, NVwZ 1985, 678; Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 16 Rz.41; Crombach, Die öffentliche Versammlung unter freiem Himmel, S. 135 f.; Wefing, in: F. A.Z. vom 13.07.1999 Nr. 159, S.45. 103

So Schwarze, DÖV 1985, 213 [221]; ähnlich OVG Saarlouis, DÖV 1974, 277 [278]. Nach § 5 Abs. 1, S. 2 BefBezG besteht ein Zulassungsanspruch im Regelfall während der sitzungsfreien Zeit. Nach § 2 Abs. 2 BannmlG Hess, sollen während dieser Zeit Ausnahmen zugelassen werden. Gleiches gilt für § 2 Abs. 2 BannkrG Hbrg., der bestimmt, daß Ausnahmen an Sitzungstagen unzulässig sind. Hieraus läßt sich im Umkehrschluß die Zulässigeit von Versammlungen im Bannkreis während der sitzungsfreien Zeit ableiten. 105 Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 16 Rz. 2; Borchers Die Spontanversammlung, S. 136f.; Crombach, Die öffentliche Versammlung unter freiem Himmel, S. 135 f. 104

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3. Teil: § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen

einem Ministerium, einer Landesvertretung, einer Behörde oder einer Botschaft statt, die jeweils nur zufällig in der Bannmeile liegen, verletzen sie grundsätzlich nicht den Schutzzweck der Bannmeile und sind unproblematisch zulässig.106 3. Keine Wahrnehmungskompetenz des betroffenen

Organs

Versammlungen, die sich mit Themen befassen, die schon kraft Kompetenzverteilung nicht Gegenstand des betroffenen Parlamentes oder des Bundesverfassungsgerichts sein können, stellen regelmäßig auch keine unmittelbare Gefahr für die geschützten Staatsverfassungsorgane dar. Soweit keine weiteren Anhaltspunkte für Störungshandlungen durch Teilnehmer vorliegen, spricht auch für derartige Versammlungen die Vermutung ihrer Ungefährlichkeit. 107 Soweit hinsichtlich von Versammlungen vor Landesparlamenten zu Angelegenheiten, die in die Kompetenz des Bundesgesetzgebers fallen, eingewendet wird, daß die Länder auch bei der Bundesgesetzgebung über den Bundesrat an der Gesetzgebung mitwirken können und somit eine Kollisionsgefahr bestehe,108 übersieht diese Argumentation, daß im Bundesrat die Länder nicht durch die Landesparlamentarier, sondern gem. Art. 51 Abs. 1 GG durch die Mitglieder der Landesregierungen vertreten werden. 109 Deswegen ist ja auch speziell für den Bundesrat gem. § 3 BefBezG ein befriedeter Bezirk eingerichtet worden. 4. Differenz

zwischen Versammlungs- und Beratungsthema

Unbeschadet der Entscheidungszuständigkeit eines Parlamentes oder des Bundesverfassungsgerichts für das von einer Versammlung aufgeworfene Anliegen besteht keine Vermutung für Gefahren, wenn das Thema einer Versammlung nicht zur selben Zeit parlamentarisch bzw. verfassungsgerichtlich beraten wird. 110 Aus der bloßen Anwesenheit von Abgeordneten im Parlament, sei es im Plenum, in Ausschüssen oder in Fraktionssitzungen bzw. von Richtern im Bundesverfassungsgericht bei der Beratung von Kammer- oder Senatsentscheidungen, lassen sich noch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür gewinnen, daß Versammlungen die parlamentarische bzw. verfassungsgerichtliche Arbeit stören oder behindern werden. Dafür sprechen insbesondere die in den Ländern ohne Bannmeilengesetze gemachten Erfahrungen. 111 106 Da insbesondere die Bonner Bannmeile nach § 1 BannmlG recht großzügig zugeschnitten war, kam diese Konstellation in Bonn häufiger vor. io? v G Hamburg, NVwZ 1985, 678; Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 16 Rz. 41. 108

Busch, NVwZ 1985, 634 [635]; Schwarze, DÖV 1985, 213 [220]. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 51 Rz. 1. 110 VG Hamburg, NVwZ 1985, 678; Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 16 Rz. 41. 111 Vgl. dazu Breitbachy Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 142 ff. 109

1. Kapitel: Das Verbot mit Erlaubnis vorbehält

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5. Kein Schutz von Repräsentativfunktionen § 16 VersG schützt nur die Funktions- und Arbeitsfähigkeit der Parlamente und des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf ihre originären Funktionen, nämlich der Gesetzgebung und Rechtsprechung. Der Schutz für die Abgeordneten und die Verfassungsrichter bezieht sich nur auf die Zusammenkünfte in ihrer Rolle zur Wahrnehmung ihrer Funktion. Er umfaßt nur die Zusammenkünfte, die für die Aufgabenerledigung der Abgeordneten und der Verfassungsrichter in ihrer Organ- bzw. Amtsstellung üblich und erforderlich sind. 112 Ob darunter noch Gedenk- und Feierstunden fallen, wie die Begründung des Gesetzes zur Neuregelung des Schutzes von Verfassungsorganen des Bundes ausführt, ist durchaus fraglich. 113 Die Erlaubnis für eine Demonstration kann jedenfalls nicht unter Hinweis darauf verweigert werden, in den Gebäuden der befriedeten Bezirke fänden Staatsempfänge oder Gipfeltreffen statt, denn bei solchen repräsentativen Anlässen besteht regelmäßig nicht die Gefahr der Funktionsbeeinträchtigung der geschützten Organe. 114 Präventive Maßnahmen im Hinblick auf Versammlungen können hier allein auf § 15 Abs. 1 VersG gestützt werden. 6. Versammlung von Abgeordneten und Verfassungsrichtern Nach dem Wortlaut des § 16 VersG richtet sich das Versammlungsverbot in den Bannkreisen an jedermann, also auch an die Abgeordneten und Verfassungsrichter. 115 Andererseits dient die Einrichtung der Bannmeile aber gerade der ungestörten Versammlung dieses Personenkreises. Die gegenseitige Beeinflussung im parlamentarischen und richterlichen Betrieb ist Ziel und Zweck ihrer Zusammenkunft. Da man generell davon ausgehen muß, daß die Abgeordneten und Verfassungsrichter vor den Parlamenten bzw. vor dem Bundesverfassungsgericht genauso wie in den Parlamenten und dem Bundesverfassungsgericht bei der politischen und richterlichen Willensbildung nicht von undemokratischen Instrumenten Gebrauch machen werden, wird man auch in den Fällen, in denen die Versammlung im Bannkreis überwiegend aus Abgeordneten oder Richtern des Bundesverfassungsgericht bestehen soll, das Vorliegen einer Gefahr für die Schutzgüter der Bannmeile verneinen können.116 112

Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 121. Vgl. BT-Drs. 14/1147, S.4. 114 Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 163 Fn. 415 m. w. N. 115 OLG Köln, VRS 85 (1993), 332 [333]; Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 16 Rz.20; Schwarze, DÖV 1985, 213 [218 Fn.59]. 116 So Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Stark, Bonner Grundgesetz, Art. 8 Rz. 75; handelt es sich exklusiv um eine Versammlung von Abgeordneten, so greift § 16 Abs. 1 VersG allerdings nicht, denn dann handelt es sich nicht um eine „öffentliche" Versammlung unter freiem Himmel. Öffentlichkeit setzt nämlich voraus, daß der Teilnehmerkreis nicht individuell beschränkt ist (Vgl. OLG Köln, VRS 85 (1993), 332 [334]; Ketteier, DÖV 1990, 954f.). 113

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3. Teil: § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen

7. Kleiner Personenkreis Schutzgut der Bannmeile ist, die konkrete Arbeit der Abgeordneten und Bundesverfassungsrichter im Parlament und Bundesverfassungsgericht gegen Angriffe zu schützen, die mittels der physischen Präsenz Dritter im und vor den Sitzungssälen und ihren potentiellen physischen und/oder psychischen Zwangswirkungen hervorgerufen werden. 117 Solche Zwangs Wirkungen werden normalerweise nicht durch eine kleine Menge von Demonstranten, also einer Versammlung von ca. 3 bis 25 Personen, ausgelöst.118 Beachtet werden muß nämlich, daß die Versammlungsbehörden auch bei Versammlungen im Bannkreis präventive Maßnahmen nach §15 Abs. 1, 2. Var. VersG vornehmen dürfen. Im übrigen kann bei einer kleinen Menschenmenge die Staatsmacht leicht und effektiv einen Angriff auf die Funktionsfähigkeit der geschützten Einrichtungen vereiteln. Dies wird schon durch die rein physische Präsenz von Polizeibeamten der Fall sein. 119 Versammlungen mit einer nur geringen Teilnehmerzahl sind also auch regelmäßig im Bannkreis zuzulassen, weil von diesen keinerlei Gefahren für das Schutzgut ausgehen können. 120

8. Fehlen einer konkreten Gefahr Die langjährigen Erfahrungen in Bremen, einem Bundesland ohne Bannkreisregelung, die Zulassungspraxis im Saarland und die jüngeren Erfahrungen in Schleswig-Holstein nach der Abschaffung des BannmlG sowie die aktuellen Erfahrungen in den neuen Bundesländern, deren Parlamente eine Fülle von Entscheidungen getroffen haben, die für zahlreiche Gruppen der ostdeutschen Gesellschaft einschneidende Belastungen mit sich brachten, lassen nur den Schluß zu, daß nicht abstrakt und grundsätzlich von einer Gefährdung der Sicherheit der Abgeordneten oder der Bundesverfassungsrichter durch Versammlungen im Bannkreis ausgegangen werden kann. 121 Die im juristischen Schrifttum anzutreffende Behauptung einer abstrakten Gefahr ist empirisch nicht nachweisbar. Deswegen kann ein Zulassungsanspruch auch dann bestehen, wenn die unter 1 bis 7 genannten Bedingungen nicht vorliegen, der Zweck einer Versammlung also mit den laufenden parlamentarischen 117

Kniesel, in: Lisken/Denniger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 130; Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 105, 120. 118 Crombach, Die öffentliche Versammlung unter freiem Himmel, S. 134. 119 Die Einschüchterung von Demonstrationsteilnehmer durch massive Polizeipräsenz ist allerdings unzulässig, weil sie in die sogenannte innere Versammlungsfreiheit eingreift (Vgl. BVerfGE 69,315 [348f.]; OVG Bremen, DVB1. 1990, 1048 [1052]; Dietel!Gintzel!Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 1 Rz.76ff., 120ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz.707). 120 Von der Tendenz so auch: LG Bonn, MDR 1974, 947; AG Tiergarten, JR 1977, 207 [208]; a. A. OLG Köln, MDR 1980, 1040. 121 Vgl. dazu insgesamt nur Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 134 ff.

1. Kapitel: Das Verbot mit Erlaubnisvorbehlt

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bzw. verfassungsgerichtlichen Beratungen in einem Zusammenhang steht, nämlich dann, wenn Hinweise auf eine Gefährdung des Schutzzweckes völlig fehlen. 122 Auch in einem solchen Falle ist kein Grund ersichtlich, eine beantragte Genehmigung nicht zu erteilen. 123

I I I . Verfassungsmäßigkeit im Hinblick auf die „ungeordneten" Versammlungen § 16 Abs. 1 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen scheint aber mit seinem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt für Spontan- und Eilversammlung ein unüberbrückbares Hindernis darzustellen. Bei der Spontanversammlung ist weder jemand vorhanden, der den Antrag auf Genehmigung der Versammlung in der Bannmeile stellen könnte, noch besteht überhaupt ein zeitlicher Spielraum für die Erteilung einer Genehmigung, denn man wird nicht annehmen können, daß das Genehmigungsverfahren innerhalb von Minuten abgewickelt werden kann; 124 auf staatlicher Seite sind hieran immer zwei Behörden beteiligt, die nach Prüfung aller Umstände und evtl. nach Anhörung anderer Behörden entscheiden müssen, ob im Einzelfall keine Gefahren für die Schutzgüter der Bannmeile bestehen. Bei Eilversammlungen können die teilweise obligatorischen Antragsfristen nicht eingehalten werden. 125 Ob deswegen Spontan- und Eilversammlungen im Bannkreis unzulässig sind, ist umstritten und auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht problematisch.

122 Zeitler, Versammlungsrecht, Rz. 250; Breitbach, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 16 Rz.41; ders., Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 164; Welsing, Die Polizei 1996, 196 [199]. 123 Problematisch ist deswegen, wenn § 2 Abs. 2 BannkrG Hbrg. bestimmt, daß an Sitzungstagen Ausnahmen vom Verbot der Versammlung im Bannkreis nicht zugelassen werden dürfen. Diese Regelung knüpft an einen Rechtszustand an, wie er in einzelnen Ländern im 19. Jahrhundert gegolten hatte, wonach für die Dauer der Sitzungsperiode ein Versammlungsverbot vor den gesetzgebenden Kammern bestand (vgl. § 11 des Preußisches Versammlungs- und Vereinigungsgesetz vom 11.03.1850, Gesetzessammlung Preußen 1850 Nr.20, S.277ff.). Sie basiert auf der empirisch nicht haltbaren Annahme einer abstrakten Gefahr, die von jeder Versammlung bei zeitgleicher Aktivität der Bürgerschaft ausgehen soll und verstößt gegen Art. 8 Abs. 1 GG, der voraussetzt, daß Versammlungen nur bei Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr für schützenswerte Rechtsgüter verboten werden dürfen (BVerfGE 69,315 [353 f.]; Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 166; ders., NVwZ 1988, 584 [591]). 124 Α. A. wohl DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 16 Rz.6,31. 125 Vgl. § 2 Abs. 2 BannmlG BW und § 3 Abs. 2 BannmlG RhPf.

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3. Teil: § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen

1. Verfassungsmäßigkeit von §16 Abs. 1 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen im Hinblick auf Spontanversammlungen a) Auffassung von der generellen Unzulässigkeit der Spontanversammlung Nach der herkömmlichen Auffassung gilt das in § 16 Abs. 1 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen statuierte Verbot mit Erlaubnis vorbehält auch für Spontandemonstrationen, weshalb diese im Bannkreis grundsätzlich unzulässig seien.126 Der Gesetzgeber habe mit dem Verbot in § 16 Abs. 1 VersG im Rahmen seiner gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit der Funktionsfähigkeit herausgehobener Verfassungsorgane gegenüber der Versammlungsfreiheit prinzipiellen Vorrang eingeräumt. Deswegen bestünden auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Abweichungen von dieser Grundentscheidung seien darüber hinaus dadurch möglich, daß das zur Ausfüllung der Blankettnorm erforderliche Bannkreisgesetz nicht erlassen werde oder dieses Spontanversammlungen ausdrücklich vom Verbot der Grundnorm befreie. Dies sei nach dem Wortlaut der einzelnen Bannkreisvorschriften jedoch nicht erfolgt.

b) Auffassung von der „grundrechtsfreundlichen" Anwendung der Genehmigungsvorschriften Eine vermittelnde Auffassung will das präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt des § 16 Abs. 1 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen prinzipiell auch auf die Spontanversammlung anwenden.127 Die Geltung der Vorschriften für Spontanversammlungen mache die Bannkreisgesetze nicht verfassungswidrig. Den Besonderheiten der Spontanversammlung im Bannkreis könne nämlich durch „grundrechtsfreundliche" Verfahrensgestaltung Rechnung getragen werden. 128 Das Verwaltungsverfahren zur Prüfung, ob im Einzelfall eine Befreiung vom Verbot erteilt werden könne, sei so zu gestalten, daß Spontanversammlungen nicht von vornherein an der strikten Einhaltung verfahrensrechtlicher Ordnungsvorschriften scheiterten. Dies könne beispielsweise dadurch erfolgen, daß auch andere Personen als der Veranstalter als Antragsteller akzeptiert würden. 129

126 Meyer!Köhler, Demonstrations- und Versammlungsrecht, §16 Anm. 1; Brenneke, in: Das Deutsche Bundesrecht, I F 40, § 16; Wache, in: Erbs/Kohlhaas u. a., Strafrechtliche Nebengesetze, V 55, § 16 Rz. 1; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S.235; Krüger, Versammlungsrecht, S. 141; Hoch, JZ 1969, 18 [21]; Schwarze, DÖV 1985, 213 [219 Fn.66]. 127 Dietel!Gintzel!Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfeiheit, § 16 Rz.4. 128 Dietel!Gintzel!Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfeiheit, § 16 Rz.6. 129 Dietel!Gintzel!Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfeiheit, § 16 Rz. 31.

1. Kapitel: Das Verbot mit Erlaubnis vorbehält

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c) Auffassung von der Unanwendbarkeit der Genehmigungsvorschriften Nach einer stark im Vordringen befindlichen Auffassung ist § 16 Abs. 1 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen auf die Spontanversammlung nur insoweit anwendbar, als daß die Verfahrensvorschriften die Abhaltung von Spontanversammlungen nicht von vornherein unmöglich machen.130 Deswegen unterlägen Spontanversammlungen nach verfassungskonformer Auslegung der Bannkreisgesetze grundsätzlich nicht der Genehmigungspflicht. Spontanversammlungen seien auch ohne Genehmigung zulässig, solange durch sie der Verbotszweck der Bannmeile nicht erfüllt werde. 131 Ein generelles Verbot von Spontanversammlungen im Bannkreis sei mit Art. 8 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren. Eine Auflösung komme nur unter den Voraussetzungen des § 15 Abs. 2,4. Var. VersG in Betracht, wenn durch die Spontandemonstration das Schutzgut der Bannmeile verletzt oder unmittelbar bedroht würde. 132 d) Kritik und Stellungnahme Die Auffassung von der Unzulässigkeit der Spontanversammlung im Bannkreis ist mit Art. 8 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren und damit unhaltbar. Das Grundrecht schützt das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung.133 Das beinhaltet auch den Schutz von spontanen Veranstaltungen im Bannkreis, denn das spontane Element ist Ausdruck eines jeden freien demokratischen Versammlungswesens, und dem Ort der Versammlung kommt für die Ausübung der Freiheit regelmäßig eine besondere Bedeutung zu. 134 Dies schließt es aus, Spontanversammlungen im Bannkreis unabhängig von einer konkreten Gefahrenprognose zu verbieten und in den Fallstricken der Antragstechnik der Bannmeilengesetze verenden zu lassen. Dies läßt sich auch mit dem Brokdorf-Beschluß des BVerfG begründen, nach dem „versammlungsrechtliche Vorschriften auf die Spontanversammlung dann nicht anwendbar sind, soweit der mit der Spontanversammlung verfolgte Zweck bei Einhaltung dieser Vorschriften nicht erreicht werden könnte". 135 Zwar könne die Freiheit, sich „ohne Anmeldung oder Erlaubnis" zu versammeln, nach Art. 8 Abs. 2 GG ein130 Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 16 Rz. 14; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 16 Rz. 3; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz.251; Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 186f.; Borchers Die Spontanversammlung, S. 140f. 131 Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 16 Rz. 5; Borchert, Die Spontanversammlung, S. 140; Werner, NVwZ 2000, 369 [373]. 132 Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 187. 133 BVerfGE 69,315 [343]; Kniesel, NJ 1998, 472; ders., NJW 1992, 857 [859]; Spranger, DÖD 1999, 58 [59]. 134 Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 19; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S. 197. 13 * BVerfGE 69,315 [350f.].

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3. Teil: § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen

geschränkt werden. Dies schließe es jedoch aus, die Gewährleistung des Art. 8 Abs. 1 VersG für bestimmte Typen von Veranstaltungen außer Kraft zu setzen.136 Diese allgemeine Aussage des BVerfG gilt auch für Spontanversammlungen im Bannkreis, da sie ausdrücklich über den Fall des § 14 VersG hinausreicht. 137 Sachlich liegt ihr die Wertung zugrunde, daß das Versammlungsgesetz nur denjenigen Rechtsgüterschutz gegenüber Versammlungen zur Geltung bringen darf, der gemessen am Grundrecht des Art. 8 Abs. 1 GG erforderlich ist. 138 Für das Verbot einer Spontanversammlung im Bannkreis besteht aber sachlich keine Rechtfertigung, wenn der Schutzzweck der Bannmeilenregelung nicht verletzt wird, Verbotsgrund vielmehr nur die Nichteinhaltung einer Ordnungsvorschrift wäre. Dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit von § 16 Abs. 1 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen bei Anwendung der Genehmigungsvorschriften auf die Spontanversammlung läßt sich auch nicht durch eine „grundrechtsfreundliche" Verfahrensgestaltung Rechnung tragen. Spontanversammlungen bilden sich ad hoc. Für die Stellung eines Antrags auf Zulassung bleibt regelmäßig keine Zeit, soll der Zweck der Versammlung nicht vereitelt werden. Hinzu kommt, daß sich niemand für die Einholung einer Erlaubnis zuständig fühlt, da ein Veranstalter schon begriffsnotwendig nicht vorhanden ist und ein Leiter sich höchstens während der laufenden Veranstaltung bestellen kann. Die Vorstellung, daß das teilweise komplexe Genehmigungsverfahren innerhalb weniger Minuten durchgeführt werden kann, ist darüber hinaus naiv, auch wenn die Genehmigung unstreitig mündlich erteilt werden kann. 139 Zu folgen ist damit der Auffassung von der Unanwendbarkeit der Genehmigungsvorschriften, so daß bei Spontandemonstrationen im Bannkreis ein Antrag auf Erteilung einer Genehmigung entbehrlich ist. 2. Verfassungsmäßigkeit von § 16 Abs. 1 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen im Hinblick auf Eilversammlungen Auch die Zulässigkeit von Eilversammlungen im Bannkreis ist nicht unproblematisch. So scheint die Durchführung einer Eilversammlung in den Bundesländern, in denen der Antrag auf Zulassung der Versammlung im Bannkreis 10 Tage vor Durchführung der Veranstaltung zu stellen ist, schon gänzlich ausgeschlossen.140 Aber auch dort, wo die Einhaltung einer Antragsfrist nicht zwingend oder überhaupt nicht vorgeschrieben ist, droht die Durchführung einer Eilversammlung dann zu scheitern, wenn zwar vor dem Beginn der Versammlung der Antrag gestellt, mit seiner (positiven) Bescheidung jedoch nicht rechtzeitig oder gar erst 136

BVerfGE 69,315 [350f.]. Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 187. 138 BVerfGE 69,315 [351]; Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Stark, Bonner Grundgesetz, Art. 8 Rz.57; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 8 Rz.44. 139 Vgl. Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 16 Rz.48. 140 Vgl. § 2 Abs. 2 BannmlG BW und § 3 Abs. 2 BannmlG RhPf. 137

1. Kapitel: Das Verbot mit Erlaubnisvorbehlt

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Tage später gerechnet werden kann. 141 Würde gleichwohl auf der Durchführung des Genehmigungsverfahrens und auf der Einhaltung der Antragsfrist beharrt, so hätte das zur Folge, daß Eilversammlungen im Bannkreis unzulässig wären. Dieses Ergebnis wäre aber gleichfalls mit Art. 8 Abs. 1 GG unvereinbar. 142 Deswegen sind die Bannmeilengesetze verfassungskonform so auszulegen, daß auch dem verspäteten Antrag auf Zulassung einer Versammlung im Bannkreis zu entsprechen ist, wenn die geplante Veranstaltung nicht tatsächlich gegen den Verbotszweck der Bannmeile verstößt, denn auch die Zulässigkeit einer Versammlung im Bannkreis hängt prinzipiell von materiellen Kriterien ab.143 Kann ein positiver Bescheid nicht abgewartet werden, so sind die Grundsätze der Spontanversammlung heranzuziehen, wonach die Versammlung im Bannkreis, ausnahmsweise ohne Genehmigung zulässig ist. Grundsätzlich gilt jedoch auch hier, daß die Genehmigung beantragt werden muß, sobald die Möglichkeit dazu besteht, denn sie gibt der Versammlungsbehörde wertvolle Hinweise bei der Erstellung der Gefahrenprognose gem. § 15 VersG.

C. Schlußfolgerungen für die Definition der formellen und materiellen Versammlungsrechtswidrigkeit bei § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen ist nur dann mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit vereinbar, wenn bei der Auslegung und Anwendung der Bannkreisgesetze beachtet wird, daß dem Bürger ein Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zusteht, wenn die geplante Versammlung dem Schutzzweck der Bannmeile nicht zuwiderläuft. Von formeller Illegalität im Rahmen von § 16 Abs. 1 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen kann man also sprechen, wenn die Versammlung im Bannkreis zwar ohne die erforderliche Genehmigung, aber ansonsten schutzzweckadäquat durchgeführt wurde, weil der Zulässigkeit der Versammlung hier höchstens verfahrensrechtliche Gründe entgegenstehen. Dies gilt sowohl für den Fall, daß gar keine Genehmigung beantragt wurde, als auch für den Fall, daß eine beantragte Genehmigung abgelehnt wurde, denn auch ein die Genehmigung versagender Bescheid kann letztendlich kein abschließendes Urteil über die Legitimität eines grundrechtlich geschützten Verhaltens fällen. 144 Dafür sind die oben aufgezeigten materiellen Kriterien heranzuziehen. Nur wenn die Versammlung im Bannkreis gegen den Schutzzweck der Regelung verstößt, ist sie materiell 141 Gem. §7 BefBezG, §4 BannmlG Hess, und §4 BannmlG Thür, ist die Antragsfrist als Soll-Vorschrift ausgestaltet. In den übrigen Bundesländern besteht keine Antragsfrist. 142 Vgl. BVerfGE 85,69 [75]; 69,315 [351]. 143 So Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 185; wohl auch DietellGintzellKniesel, Demonstrations- und Versammlungsrecht, § 16 Rz. 6,31, wenn sie fordern, die verfahrensrechtlichen Regeln so anzuwenden, daß der Bedeutung der Versammlungsfreiheit entsprochen wird. 144 Dies ist insbesondere der Fall, wenn dieser rechtswidrig ist. 11 Werner

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3. Teil: § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen

rechtswidrig. Dies gilt insbesondere für die Spontan- und Eil Versammlungen, bei denen die rechtzeitige Stellung eines Genehmigungsantrags und die Durchführung des Genehmigungsverfahrens entbehrlich ist. Diese Veranstaltungen sind auch ohne die fristgerechte Durchführung des Antrags- und Genehmigungsverfahrens formell legal. Die Verbotsregelungen des § 16 Abs. 1 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen weisen also zwei Dimensionen auf: die materiellen Schutzzweck bezogenen und die formellen, verfahrensmäßigen Voraussetzungen. Inwieweit diese Differenzierung im Hinblick auf das Eingriffsinstrumentarium des § 15 VersG und die Strafbarkeit nach § 29a VersG von Bedeutung ist, soll im folgenden geklärt werden.

2. Kapitel

Das Eingriffsinstrumentarium des § 15 VersG Die zentralen Vorschriften für öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel, §§ 14 und 15 VersG, sind neben § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen anwendbar. 145 Insoweit gelten die im 2. Kapitel entwickelten Grundsätze auch für Versammlungen in der Bannmeile. Geklärt werden muß jedoch, inwieweit die Regelungen über den Bannkreis Einfluß auf die Entscheidung über die Auflösung der Versammlung in der Bannmeile haben. Von besonderem Interesse ist hier, welche Auswirkungen die formelle Rechtmäßig- oder Rechtswidrigkeit der Versammlung im Rahmen von § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen auf die Entscheidung über die Auflösung der Versammlung nach § 15 VersG hat.

A. Auswirkungen der i. S. v. § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen formell rechtmäßigen Versammlung auf die Entscheidung über die Auflösung Formell legal im Hinblick auf § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen ist eine Versammlung im Bannkreis immer dann, wenn sie entweder zugelassen wurde oder eine Zulassung im Einzelfall entbehrlich war. Letzteres gilt vor allem für die Spontan- und Eilversammlungen. Somit besteht auch hier Anlaß, bei der Untersuchung der Auswirkungen der formellen Rechtmäßigkeit auf die Entscheidung über die 145 Vgl. § 5 Abs. 3 BefBezG und § 2 Abs. 2 BannmlG BW, nach denen durch die Zulassung der Versammlung im Bannkreis die übrigen Vorschriften des Versammlungsgesetzes, insbesondere der §§ 14 und 15 VersG, nicht berührt werden. Für die übrigen Bannmeilengesetzgeber war die Geltung der allgemeinen Vorschriften für Versammlungen unter freiem Himmel selbstverständlich, so daß sie einen ausdrücklichen Hinweis darauf für entbehrlich hielten (vgl. Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 184 Fn.498 m.w.N.).

2. Kapitel: Das Eingriffsinstrumentarium des § 1 VersG

163

Auflösung zwischen der „geordneten" und „ungeordneten" Versammlung zu differenzieren. I. Auswirkungen auf die Auflösungsverfügung bei der „geordneten" und zugelassenen Versammlung Nach § 16 Abs. 1 VersG sind öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel innerhalb der befriedeten Bannkreise der Gesetzgebungsorgane sowie des Bundesverfassungsgerichts verboten. Gestützt auf § 16 Abs. 3 VersG haben aber alle Bannmeilengesetzgeber - verfassungsrechtlich geboten-die Möglichkeit der Zulassung von Versammlungen im Bannkreis eröffnet. Eine zugelassene Versammlung im Bannkreis ist zumindest formell legitimiert und kann deswegen schwerlich als verboten im Sinne von § 15 Abs. 3 VersG angesehen werden, weil sie durch einen begünstigenden Verwaltungsakt ausdrücklich erlaubt wurde. Eine Auflösung der Versammlung gestützt auf § 15 Abs. 3 VersG scheidet somit aus.

1. Auflösung nach § 15 Abs. 2, 4. Var. VersG bei formeller

Legalität?

In Betracht kommt höchstens die Auflösung der Versammlung auf der Grundlage von § 15 Abs. 2,4. Var. VersG, wenn durch die Versammlung eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung hervorgerufen wird. Soweit es dabei um den Rechtsgüterschutz abseits vom Schutzzweck der Bannmeilengesetze geht, ist dabei der Rückgriff auf diese Vorschrift unproblematisch, denn die allgemeinen Vorschriften für Versammlungen im Bannkreis sind durch § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen ja gerade nicht außer Kraft gesetzt. Problematisch ist jedoch, ob eine Versammlung im Bannkreis trotz formeller Legitimation aufgelöst werden kann, wenn durch sie unmittelbare Gefahren für das Schutzgut der Bannmeile hervorgerufen werden, sie mithin materiell illegal i. S. v. § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen wird. Im Baurecht ist das Einschreiten der Bauaufsichtsbehörden auch bei offenkundiger materieller Illegalität prinzipiell unzulässig, wenn die bauliche Anlage genehmigt, d.h. formell legal ist. Die Baugenehmigung enthält nämlich die Feststellung, daß die bauliche Anlage mit dem materiellen Recht im Einklang steht.146 An diese Feststellung ist die Bauaufsichtsbehörde aufgrund der Bindungswirkung des Verwaltungsakts so lange gebunden, wie die Baugenehmigung wirksam ist. 147 146

Vgl. Art. 79 Abs. 1 BauO Bay.; §§75 Abs. 1 BauO NW, § 62 Abs. 1 BauO Bln., § 74 Abs. 1 BauO Bbg. sowie §69 Abs. 1 BauO Hbrg.; BVerwG, BRS 49 Nr. 160; OVG Münster, BauR 1992, 610 [611]; Kebs, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Abschnitt 4, Rz. 205. 147 BVerwG, BRS 47 Nr. 76; Krebs, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Abschnitt 4, Rz.222; Friauf DVB1. 1971, 713 [722].

164

3. Teil: § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen

Würden diese Grundsätze auch bei Versammlungen im Bannkreis gelten, so müßte die Genehmigung zunächst zurückgenommen oder widerrufen werden, bevor ein weiteres Vorgehen gegen die Versammlung in Betracht käme.148 Dies wäre jedoch höchst problematisch, da die Genehmigungsbehörde mit der Aufsichtsbehörde (Versammlungsbehörde) - anders als im Bauordnungsrecht - nicht identisch ist und die Genehmigung prinzipiell nur durch die Erlaßbehörde aufgehoben werden kann. 149 Diese führt jedoch nicht die Aufsicht über das Versammlungsgeschehen, was der schnellen Aufhebung der Genehmigung bei Eintreten von unvorhergesehenen Gefahren für das Schutzgut der Bannmeilengesetze entgegensteht. Würde man deswegen die Möglichkeit des Einschreitens von der vorherigen Aufhebung der Genehmigung abhängig machen, wäre eine effektive Gefahrenabwehr nicht mehr gewährleistet. Schon aus diesem Grunde kommt eine Übertragung des im Baurecht geltenden Grundsatzes nicht in Betracht. Eine Übertragung dieses Grundsatzes auf das Versammlungsrecht ist jedoch auch deswegen ausgeschlossen, weil die Bindungswirkung der Genehmigung nach den Bannmeilengesetzen mit der Bindungswirkung der baurechtlichen Genehmigung nicht vergleichbar ist. Die Bauaufsichtsbehörde kann sich bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Bauvorhabens auf eine gesicherte und überprüfbare Tatsachengrundlage stützen, weshalb es legitim ist, sie an dieser Entscheidung festzuhalten. Bei der Entscheidung über die Zulassung von Versammlungen im Bannkreis ist dies jedoch nur bedingt möglich. Die Genehmigungsbehörde kann sich oft nur auf die Angaben des Veranstalters stützen. Gesichertes Tatsachenmaterial ist selten vorhanden. Die Entscheidung über die Zulassung der Versammlung ergeht deshalb - anders als im Baurecht - aufgrund einer Gefahrenprognose, die sich im Einzelfall auch als falsch herausstellen kann. 150 Die Genehmigung nach den Bannmeilengesetzen kann also höchstens feststellen, daß im Zeitpunkt ihrer Erteilung eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der geschützten Einrichtungen durch die geplante Versammlung nicht zu befürchten ist; darüber hinaus kommt ihr jedoch keine Bindungswirkung zu. Eine Legalisierung einer dem Schutzzweck der Bannmeilengesetze zuwiderlaufenden Versammlung durch die Genehmigung ist damit im Rahmen von § 15 Abs. 2,4. Var. VersG ausgeschlossen, eine Auflösung der Versammlung bei Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit also prinzipiell möglich.

148

Rechtsgrundlagen für Rücknahme und Widerruf einer Genehmigung nach den BannmlGen sind §§48 und 49 VwVfG (Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 180). 149 Vgl. §§48 Abs. 5 und 49 Abs. 5 VwVfG sowie Schäfer, in: Obermayer, VwVfG, §48 Rz. llOf.; Klappstein, in: Knack, VwVfG, §49 Anm.4.3. 150 Dies kommt deutlich bei §5 Abs. 1, S. 1 BefBezG und §2 Abs. 2 BannkrG Hbrg. zum Ausdruck, nach denen eine Versammlung zuzulassen ist, wenn eine Beeinträchtigung der Tätigkeit der geschützten Organe ,»nicht zu besorgen" bzw. „nicht zu befürchten" ist.

2. Kapitel: Das Eingriffsinstrumentarium des § 1 VersG

165

2. Auswirkungen der formellen Legalität auf die Entscheidung nach §15 Abs. 2, 4. Var. VersG Die Genehmigung einer Versammlung im Bannkreis verhindert nicht deren Auflösung, wenn diese materiell illegal ist. Insoweit bestehen Parallelen zur Anmeldung nach § 14 VersG, die einer Auflösung der Versammlung nach § 15 Abs. 2,4. Var. VersG ebenfalls nicht entgegensteht. Die Anmeldung bewirkt jedoch eine Erhöhung der Eingriffs- und Reaktionsschwelle bei § 15 Abs. 2,4. Var. VersG. Begründen kann man dies mit dem aus Art. 8 Abs. 1 GG resultierenden Kooperationsprinzip. Der Antrag auf Erteilung einer Genehmigung für eine Versammlung im Bannkreis bildet jedoch - genau wie die Anmeldung der Versammlung bei der Versammlungsbehörde - den Auftakt für eine gelungene Kooperation mit den Genehmigungsbehörden. Diese sind zwar nicht für die Überwachung der Demonstrationen zuständig, können jedoch zur Sicherung des Schutzzwecks der Bannmeile Auflagen verhängen, so daß auch hier Kooperationsbedarf besteht.151 Insofern ist es nicht fernliegend, die durch den Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gezeigte Kooperationsbereitschaft zu Gunsten der Versammlung zu berücksichtigen. Auch hier kann man also grundsätzlich von einer Erhöhung der Eingriffs- und Reaktionsschwelle ausgehen.152 Dafür spricht auch, daß die Veranstalter einer Versammlung im Bannkreis nach Erteilung einer Genehmigung grundsätzlich auf die Zulässigkeit ihrer Versammlung im Bannkreis vertrauen können. Nur wenn das Grundrecht auf Versammungsfreiheit offenkundig mißbraucht wird, ist dieses Vertrauen nicht schutzwürdig. Die Auflösung einer genehmigten Versammlung im Bannkreis wird deswegen nur dann in Betracht kommen, wenn eine konkrete Störung für das Schutzgut der Bannmeile eingetreten ist und es zu schweren Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit der geschützten Organe kommt.

II. Auswirkungen auf die Auflösungsverfügung bei der „ungeordneten" und nicht zugelassenen Versammlung Eine Spontanversammlung kann niemals genehmigt werden und bei der Eilversammlung ist meistens nur die Stellung eines Genehmigungsantrags möglich. Das Warten auf eine positive Genehmigungsentscheidung würde den Zweck der Eilversammlung vereiteln, weshalb aus verfassungsrechtlichen Gründen in der Bannmeile 151

Vgl. § 5 Abs. 2 BefBezG, wonach die Zulassung von Auflagen abhängig gemacht werden kann. In den Bundesländern dürfen die Genehmigungsbehörden gestützt auf § 36 VwVfG die Zulassung mit Auflagen versehen (Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 179). 152 Das die Genehmigung einer Versammlung im Bannkreis Einfluß auf die behördliche Gefahrenprognose hat, sehen auch Breitbach und Ehrentraut (Breitbach, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 16 Rz.53; Ehrentraut, Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen und deutschen Verfassungsrecht, S. 166).

166

3. Teil: § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen

bei Spontan- und regelmäßig auch bei Eilversammlungen auf eine Genehmigung verzichtet werden muß. Diese Versammlungen sind formell rechtmäßig und gelten deswegen auch nicht als verboten i. S. v. § 15 Abs. 3 VersG. 153 Eine Auflösung der Versammlungen kommt unter strikter Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur nach Maßgabe des § 15 Abs. 2,4 Var. VersG in Betracht. Für die Auflösung der Spontan- und Eilversammlung in der Bannmeile ist also auch deren materielle Illegalität erforderlich. Bei der anzustellenden Gefahrenprognose ist zu beachten, daß dieser Art von Versammlungen typischerweise kein höheres Gefahrenpotential immanent ist als der geordneten und genehmigten Versammlung. 154 Deswegen führt die fehlende Genehmigung der Veranstaltung auch nicht zum Absinken der Eingriffs- und Reaktionsschwelle. Diese kann im Gegenteil durch eine Kooperation während der Veranstaltungsphase mit der Versammlungsbehörde angehoben werden.

I I I . Zwischenergebnis Eine genehmigte Versammlung im Bannkreis ist formell legitimiert und gilt nicht als verboten i. S. v. § 15 Abs. 3 VersG. Die Auflösung einer genehmigten Versammlung auf der Grundlage von § 15 Abs. 3 VersG ist damit unzulässig. Die Auflösung einer genehmigten Versammlung im Bannkreis ist nur nach Maßgabe des §15 Abs. 2,4. Var. VersG unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit möglich, setzt also ihre materielle Illegalität voraus. Eine Legalisierung einer dem Schutzzweck der Bannmeilengesetze zuwiderlaufenden Versammlung durch die Genehmigung findet nicht statt. Die Genehmigung bewirkt grundsätzlich nur eine Erhöhung der Eingriffs- und Reaktionsschwelle im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 15 Abs. 2,4. Var. VersG. Auch Spontan- und Eilversammlungen dürfen nur auf der Grundlage von § 15 Abs. 2,4. Var. VersG unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips aufgelöst werden. Voraussetzung für die Auflösung ist auch hier die materielle Illegalität der Versammlung. Die entbehrliche formelle Legitimation der Versammlungen führt nicht zum Absinken der Eingriffs- und Reaktionsschwelle. Diese kann aber durch Kooperation während der Veranstaltungsphase heraufgesetzt werden.

153

A.A. Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 131a; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 16 Rz.5. 154 Werbke, NJW 1970, 1 [4]; Borchers Die Spontanversammlung, S. 122; a. A. Ossenbühl, Der Staat 1971, 53 [68].

2. Kapitel: Das Eingriffsinstrumentarium des § 1 VersG

167

B. Auswirkungen der i. S. v. § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen formell rechtswidrigen Versammlung auf die Entscheidung über die Auflösung Formell rechtswidrig ist eine Versammlung im Bannkreis, wenn sie ohne die erforderliche Genehmigung nach den Bannkreisgesetzen durchgeführt wird. Materiell rechtswidrig ist eine Versammlung im Bannkreis nur, wenn sie gegen den Schutzzweck des § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen verstößt. Deshalb stellt sich hier die Frage, ob eine nur formell rechtswidrige Versammlung als verbotene i. S. v. § 15 Abs. 3 VersG zu gelten hat und deswegen zwingend aufzulösen ist. Dabei liegt es jedoch nahe, zwischen einer Versammlung, die ohne die Stellung eines vorangehenden Genehmigungsantrags und einer Versammlung, die entgegen einer ausdrücklichen Ablehnung eines solchen Antrags durchgeführt worden ist, zu differenzieren, denn im letzteren Falle widersetzt sich der Adressat ausdrücklich einer behördlichen Entscheidung.155 I. Formelle Versammlungsrechtswidrigkeit mangels Einleitung des Genehmigungsverfahrens Die Rechtsfolgen des Verstoßes gegen die Genehmigungspflicht von Versammlungen im Bannkreis sind umstritten. Dabei stellen die unterschiedlichen Auffassungen nicht nur ein Spiegelbild der oben untersuchten verfassungsrechtlichen Problematik des § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen dar, sondern resultieren auch aus der bereits diskutierten strikten Formulierung des § 15 Abs. 3 VersG. 1. Auffassung von der obligatorischen Auflösung Nach der herkömmlichen Auffassung ist eine Versammlung, die ohne die erforderliche Genehmigung nach den Bannkreisgesetzen durchgeführt wird, zwingend aufzulösen. Eine Versammlung im Bannkreis gelte gem. § 16 Abs. 1 VersG als verboten, wenn sie nicht nach den Bannkreisgesetzen ausdrücklich genehmigt, d.h. zugelassen sei. Eine verbotene Versammlung müsse aber gem. § 15 Abs. 3 VersG aufgelöst werden, da ein Ermessensspielraum nicht eingeräumt sei. 156 Unerheblich sei deshalb, ob von der Versammlung eine konkrete Gefahr ausgehe oder nicht. Die materielle Illegalität der Versammlung spielt nach dieser Auffassung für die Befugnis 155 Die Versagung einer beantragten Erlaubnis ist ihrem Inhalt nach ein Verbot. Deswegen wird sie auch zu den Polizeiverfügungen gerechnet (vgl. OVGE Berlin, 7,71; Drews/Wacke u.a., Gefahrenabwehr, S.355). 156 Brenneke, in: Das Deutsche Bundesrecht, I F 40, § 16; Meyer/Köhler, Demonstrationsund Versammlungsrecht, § 16 Anm. 1; Wache, in: Erbs/Kohlhaas u.a., Strafrechtliche Nebengesetze, V 55, § 16 Rz.2; Krüger, Versammlungsrecht, S. 136 und 142; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz.564f.; Schwarze, DÖV 1985, 213 [217].

168

3. Teil: § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen

zur Auflösung der Versammlung keine Rolle. Diese sei auch für die Entscheidung über den Vollzug der Auflösungsverfügung mittels unmittelbaren Zwanges unerheblich. Eine AuflösungsVerfügung nach § 15 Abs. 3 VersG müsse nämlich bei Mißachtung auch zwingend vollzogen werden. Jede andere Ansicht widerspreche dem Wortlaut der Vorschrift. 157 2. Auffassung vom fakultativen

Vollzug der Auflösungsverfügung

Eine vermittelnde Auffassung folgt der oben dargestellten Ansicht im Grundsatz, teilt jedoch nicht deren zweite Prämisse.158 Zwar müsse eine nicht genehmigte Versammlung im Bannkreis wegen der klaren Formulierung der §§ 16 Abs. 1 und 15 Abs. 3 VersG aufgelöst werden. Die Durchsetzung dieser Verfügung stehe jedoch nach den Vollstreckungsgesetzen der Länder im Ermessen der zuständigen Behörden. 159 Diese müsse ihre Entscheidung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausrichten, was dazu führen könne, daß sich die Durchsetzung der Auflösungsverfügung wegen UnVerhältnismäßigkeit der erforderlichen Mittel verbiete. Die Unverhältnismäßigkeit der Durchsetzung käme jedoch nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht, wenn beispielsweise von der konkreten Versammlung keine Gefahr für die Schutzgüter der Bannmeile ausgingen, ein Vollzug der Auflösungsverfügung jedoch nur unter Anwendung schärfster Gewaltmittel möglich sei, weil es sich zum Beispiel um fanatisierende Versammlungsteilnehmer handele. In einem solchen Falle führe die Rechtsgüterabwägung - Verletzung der Rechtsordnung durch Mißachtung der Bannkreisvorschriften, jedoch ohne Gefährdung der Funktionsfähigkeit des geschützten Verfassungsorgans, in Relation gesetzt zur Gefährdung von Leben und Gesundheit der Teilnehmer sowie der eingesetzten Polizeibeamten - zur Entscheidung gegen die Durchsetzung der Auflösungsverfügung. 160 Auch nach dieser Auffassung hindert die materielle Legalität der Versammlung weder deren Auflösung noch den Vollzug der Auflösungsverfügung. 3. Keine Auflösung bei bloß formeller

Rechtswidrigkeit

Nach der Gegenauffassung reicht für die Auflösung der Versammlung nach §§16 und 15 Abs. 3 VersG die formelle Illegalität der Versammlung keinesfalls aus. Voraussetzung für die Auflösung der Versammlung in der Bannmeile gem. § 15 Abs. 3 137 Brenneke, in: Das Deutsche Bundesrecht, I F 40, § 15 Anm. 4.1; Meyer!Köhler, Demonstrations- und Versammlungsrecht, § 15 Anm.4; Wache, in: Erbs/Kohlhaas u.a., Strafrechtliche Nebengesetze, V 55, § 15 Rz. 17; Schwarze, DÖV 1985, 213 [217 Fn.45.]. 158 Dietel!Gintzel!Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 16 Rz. 26f.; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S.234; vgl. auch Breitbach!Deiseroth! Rühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz.328. 159 Vgl. Art. 53 PAG Bay., §§ 53 PolG BW, § 50 Abs. 1 PolG NW, § 51 PAG Thür. 160 Dietel!Gintzel!Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 16 Rz.27.

2. Kapitel: Das Eingriffsinstrumentarium des § 1 VersG

169

VersG sei immer deren materielle Illegalität. 161 Eine Versammlung, die nicht dem Schutzzweck der Bannmeilenvorschriften zuwiderlaufe, sei grundrechtlich fundiert und damit zwingend zu genehmigen. Wenn jedoch auf der einen Seite schon aus verfassungsrechtlichen Gründen ein Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung bestehe, könne die Versammlung auf der anderen Seite nicht aufgelöst werden, nur weil versäumt worden sei, die Genehmigung vorher zu beantragen. An der Auflösung einer dem Schutzzweck der Bannkreisgesetze nicht zuwiderlaufenden Versammlung bestehe kein rechtliches Interesse. Die formelle Illegalität sei nur bei der Gefahrenprognose zu berücksichtigen, was zu einem Absinken der Eingriffs- und Reaktionsschwelle führe. Insbesondere gingen Zweifel bei der Erstellung der Gefahrenprognose vor Ort zu Lasten der Veranstalter und Demonstranten, weil sie sich nicht um die erforderliche Erlaubnis bemüht hätten.162

4. Kritik

und Stellungnahme

Der Auffassung von der obligatorischen Auflösung der Versammlung mit anschießendem zwingenden Vollzug kann nicht gefolgt werden, denn sie beraubt sich wirksamer einsatztaktischer Instrumente und verhindert die vom BVerfG geforderten Maßnahmen zur Deeskalation, die auch eingriffsloses Handeln umfassen. 163 Sie mißachtet damit eklatant den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und ist verfassungswidrig. Auch die vermittelnde Auffassung ist nicht unproblematisch. Für diese reicht nämlich für eine rechtmäßige Auflösung der Versammlung gem. § 15 Abs. 3 VersG die formelle Illegalität aus. Nach Auflösung der Versammlung entsteht jedoch für die Teilnehmer der Versammlung gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG eine bußgeldbewährte Entfernungspflicht, so daß diese für die Nachlässigkeit des Veranstalters mithaften würden. Dies würde jedoch ihre durch Art. 8 Abs. 1 GG garantierte Teilnehmerfreiheit nicht unerheblich einschränken.164 Für die dritte Auffassung spricht letztendlich, daß auch eine materiell rechtmäßige Versammlung im Bannkreis, genauso wie eine materiell rechtmäßige bauliche Anlage, „grundrechtlich fundiert" ist. 165 Das Selbstbestimmungsrecht über den Ort 161 Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 131a; Breitbach, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 16 Rz.53; ders., Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 188 ff.; Borchers Die Spontanversammlung, S. 137; Crombach, Die öffentliche Versammlung unter freiem Himmel, S. 136f; Werner, NVwZ 2000, 369 [374]. 162 Breitbach, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 16 Rz. 53; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 131a. 163 Vgl. BVerfGE 69,315 [355]; Kniesel in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 293b ff. 164 Crombach, Die öffentliche Versammlung unter freiem Himmel, S. 136. 165 Vgl. zu dieser Terminologie BVerfGE 42,115 [116]; BVerwG, DVB1. 1979, 67 [69].

170

3. Teil: § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen

einer Versammlung nimmt am Grundrechtsschutz teil. 166 Zum Schutz des Grundrechts der Versammlungsfreiheit sind Eingriffe in Art. 8 Abs. 1 GG gem. § 15 VersG aber ausschließlich an die materiellrechtlichen Voraussetzungen einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit gebunden.167 Dies schließt es aus, Versammlungen allein aufgrund ihrer formellen Illegalität als verboten zu behandeln, denn die Verfahrensregelungen des Versammlungsgesetzes und der Bannmeilengesetze enthalten keine Schutzgüter, deren Verletzung im Verhältnis zu Art. 8 GG ein Verbot einer Versammlung rechtfertigen würde. 168 Sachspezifisch spricht für die Übertragung der ursprünglich für das Baurecht entwickelten Unterscheidung zwischen formeller und materieller Illegalität die Tatsache, daß die Bauaufsichtsbehörde in einem weit höherem Maße für die Entstehung einer materiell rechtmäßigen Anlage verantwortlich ist, als die Versammlungsbehörden für die materiell rechtmäßige Durchführung der Versammlung. Der Durchführung des bauordnungsrechtlichen Genehmigungsverfahrens kommt für die materielle Rechtmäßigkeit einer baulichen Anlage ein viel höherer Stellenwert zu, als die Durchführung des Genehmigungsverfahrens nach den Bannmeilengesetzen. Die Übertragung der für das Baurecht geltenden Grundsätze ist damit problemlos möglich. 169 Dieser - verfassungskonformen - Auslegung kann auch nicht der Wortlaut des § 15 Abs. 3 VersG entgegengehalten werden, nach dem die Auflösung einer verbotenen Versammlung obligatorisch ist. Zum einen besteht nämlich die Möglichkeit, § 15 Abs. 3 VersG nur auf durch Verfügung nach § 15 Abs. 1,1. Var. VersG verbotene Veranstaltungen anzuwenden. Dafür spricht schon der systematische Zusammenhang der Vorschriften. Zum anderen kann auch nach hier vertretener Auffassung bei einer durch Verfügung verbotenen Versammlung die Auflösung gem. § 15 Abs. 3 VersG wegen Verletzung des Übermaßverbots unverhältnismäßig sein, so daß dogmatische Bedenken unbegründet sind. Die Auflösung einer bloß formell rechtswidrigen Versammlung im Bannkreis ist damit unzulässig.

166

BVerfGE 69,315 [343]; BVerwG, NVwZ 1999, 991; Kniesel, NJ 1998, 472; Spranger, DÖD 1999, 58 [59]. 167 BVerfGE 69, 315 [349ff.]; Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 189 f. 168 Dietel! Gintzel!Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rz.54 f.; BreitbachJDeiseroth!Rühl, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 15 Rz.283; Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 190. 169 Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 131a Fn. 18ld; Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 189f.

2. Kapitel: Das Eingriffsinstrumentarium des § 1 VersG

171

II. Formelle Versammlungsrechtswidrigkeit nach Ablehnung des Genehmigungsantrags Fraglich ist, ob man dem gerade gefundenen Ergebnis auch dann folgen kann, wenn eine Versammlung nach Ablehnung des Genehmigungsantrags im Bannkreis stattfindet. Dafür spricht, daß die Auflösung der Versammlung kein Mittel zur Disziplinierung der Veranstalter, sondern ein Mittel der konkreten Gefahrenabwehr ist. Die (Un-) Gefährlichkeit einer Versammlung im Bannkreis ist jedoch nicht primär von der Tatsache abhängig, daß eine Genehmigung nicht beantragt oder eine Ablehnung ignoriert wurde, sondern vom konkreten Versammlungsverlauf. Im übrigen würde die stärkere Sanktionierung der nach Ablehnung der Genehmigung durchgeführten Versammlung dazu führen, daß die Veranstalter von vornherein auf die Durchführung des Antragsverfahrens verzichten, um das Risiko der Auflösbarkeit der Versammlung nicht zu vergrößern. Dies wäre ein sicherlich unerwünschtes Ergebnis. Beide Fälle müssen also schon wegen der Gewährleistung einer effektiven Gefahrenabwehr gleichbehandelt werden. Dagegen kann man auch nicht die Bindungswirkung der ablehnenden Prognoseentscheidung ins Feld führen. Diese enthält nämlich keine Feststellung über die tatsächliche Gefährlichkeit der stattfindenden Versammlung, so daß die Versammlungsbehörde nicht sklavisch an sie gebunden ist. Für die Auflösbarkeit der Versammlung im Bannkreis ist also auch hier ihre materielle Illegalität ausschlaggebend.170

C. Zusammenfassung und Ergebnis Eine genehmigte Versammlung im Bannkreis ist formell legitimiert und gilt nicht als verboten i. S. v. § 15 Abs. 3 VersG. Sie kann damit nur nach Maßgabe des § 15 Abs. 2,4. Var. VersG bei materieller Illegalität aufgelöst werden. Eine Legalisierung einer dem Schutzzweck der Bannmeilengesetze zuwiderlaufenden Versammlung durch eine Genehmigung findet nicht statt. Die Genehmigung bewirkt grundsätzlich nur eine Erhöhung der Eingriffs- und Reaktionsschwelle im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 15 Abs. 2,4. Var. VersG. Auch Spontan- und Eil Versammlungen dürfen nur auf der Grundlage von § 15 Abs. 2,4. Var. VersG unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips aufgelöst werden. Voraussetzung für die Auflösung ist auch hier die materielle Illegalität der Versammlung. Die entbehrliche formelle Legitimation der Versammlungen führt nicht zum Absinken der Eingriffs- und Reaktionsschwelle. Fehlt eine erforderliche formelle Legitimation der Versammlung im Bannkreis, so führt dies zum Absinken der Eingriffs- und Reaktionsschwelle. Eine Auflösung 170

Vgl. Breitbach, Die Bannmeile als Ort für Versammlungen, S. 194.

172

3. Teil: § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen

der Versammlung setzt jedoch auch hier ihre materielle Illegalität voraus. Damit steht fest, daß die Auflösung einer Versammlung im Bannkreis bei bloßer formeller Rechtswidrigkeit unzulässig ist.

3. Kapitel

Strafrechtliche Konsequenzen formeller und/oder materieller Versammlungsrechtswidrigkeit im Bannkreis Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel innerhalb der befriedeten Bannkreise sind gem. § 16 Abs. 1, S. 1 VersG verboten. Ebenso ist es gem. § 16 Abs. 1, S. 2 VersG verboten, zu öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel nach Satz 1 aufzufordern. Einer langen versammlungsrechtlichen Tradition folgend, war das Verbot, sich in der Bannmeile zu versammeln, in der Bundesrepublik bis zur Neuregelung des Schutzes von Verfassungsorganen des Bundes in § 106a StGB strafbewehrt. 171 Durch das Gesetz zur Neuregelung des Schutzes von Verfassungsorganen des Bundes wurde § 106a StGB aufgehoben und durch den OrdnungsWidrigkeitentatbestand des § 29a VersG ersetzt. Mit der Herabstufung der Bannkreisverletzung vom Kriminalunrecht zur bloßen Ordnungswidrigkeit hat sich eine liberale Bürgerrechtspolitik innerhalb des Deutschen Bundestages durchgesetzt. Im linksliberalen Spektrum war der alte § 106a StGB nämlich überwiegend als antidemokratisch und obrigkeitsstaatlich angesehen worden. 172 Neben der Entkriminalisierung von Demonstrationsteilnehmern wurden damit vor allem auch die einsatztaktischen Möglichkeiten der Versammlungs- und Strafverfolgungsbehörden erweitert, denn im Ordnungswidrigkeitenrecht gilt gem. §§47 Abs. 1,53 Abs. 1 OWiG 173 nicht das Legalitäts-, sondern das Opportunitätsprinzip. Die Strafbarkeit der Verletzung des Bannkreises nach anderen Vorschriften scheidet aus. §§ 26 Nr. 1 und 29 Abs. 1 Nr. 1 VersG fordern für eine Strafbarkeit jeweils ein „vollziehbares" Verbot. Diese Vorschriften sind also nur auf behördlich verfügte 171 In der Weimarer Republik waren Β annkreis Verletzungen gem. § 3 Abs. 1 des Reichsgesetzes zur Befriedung der Gebäude des Reichstages und der Landtage vom 08.05.1920 (RGBl. S. 909) strafbewehrt. Auch die im Landesrecht des 19. Jahrhunderts bestehenden Verbote, sich im Umkreis der jeweiligen Residenzen zu versammeln, waren strafbewehrt (vgl. § 17 des Preußischen Versammlungs- und Vereinigungsgesetzes vom 11. 03. 1850, Gesetzessammlung Preußen 1850 Nr. 20, S. 277ff.). § 106a StGB ist durch das 1. StRÄndG vom 30.08.1951 eingeführt worden (BGBl. I, S.739). 172 Vgl. Beck, ZRP 1995, 281 [285]; KargllKirsch, NJ 1997, 561 [565]. 173 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 19. 02. 1987 (BGBl. I, S.602), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26.01.1998 (BGBl. I, S. 164).

3. Kapitel: Strafrechtliche Konsequenzen

173

Versammlungsverbote anwendbar und nicht etwa auf gesetzliche Verbote wie § 16 Abs. 1 VersG. 174 Behandelt werden muß hier also nur der neue §29a VersG.

A. Überblick über die Regelung Nach §29a Abs. 1 VersG handelt ordnungswidrig, wer entgegen §16 Abs. 1 VersG an einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel teilnimmt oder zu einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel auffordert. Sachlich hat sich damit gegenüber der alten Vorschrift, § 106a StGB, nicht viel verändert. Diese forderte zwar nicht ausdrücklich ein Handeln entgegen § 16 Abs. 1 VersG, machte aber die Strafbarkeit von der Verletzung von „Vorschriften, die über den Bannkreis erlassen worden sind", abhängig, was sachlich dasselbe bedeuten dürfte. Die zu § 106a StGB a. F. ergangene Rechtsprechung und Literatur läßt sich also auch für §29a VersG fruchtbar machen. Daraus folgt vor allem, daß es sich bei § 29a Abs. 1 VersG wegen des Verweises auf § 16 Abs. 1 VersG wie beim alten § 106a StGB um einen Blankettatbestand handelt, der durch die Vorschriften, die über den Bannkreis erlassen worden sind, also § 16 Abs. 1 VersG i. V. m. Bannmeilengesetzen, ausgefüllt wird. 175 Der Anwendungsbereich der Vorschrift wird somit durch die umstrittene Reichweite des verwaltungsrechtlichen Verbots bestimmt. Ordnungswidrig handelt nur, wer entgegen § 16 Abs. 1 VersG an einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder an einem Aufzug teilnimmt oder zu einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder zu einem Aufzug auffordert. Unter Versammlung und Aufzug versteht der §29a VersG dasselbe wie §§ 14ff. VersG. Die früher zu § 106a StGB a.F. vertretene Auffassung, für eine Versammlung oder einen Aufzug im Sinne der Vorschrift sei stets eine größere Personenzahl erfoderlich, ist heute wegen der Verortung des Tatbestandes im Versammlungsgesetz nicht mehr haltbar. 176 Umso aktueller ist die Problematik, ob §29a VersG für einen bußgeldbewährten Verstoß eine konkrete Gefährdung des Schutzgutes der Bannmeile fordert oder eine abstrakte Gefährdung ausreichen läßt, 177 denn früher schloß man über die restriktive Auslegung des Versammlungsbegiffs völlig ungefährliche Kleinstversammlungen aus dem Tatbestand des § 106a StGB a. F. aus. Doch auch damals war das Meinungsbild gespalten. 174 Breitbach y in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §26 Rz. 16; Dietel!Gintzel! Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 26 Rz. 2. 175 Vgl. Laufhütte, in: Jähnke/Laufhütte u.a., StGB, § 106a Rz.2; Fischer, in: Tröndle/Fischer, StGB, § 106a Rz. 1; Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB, § 106a Rz. 1. 176 Vgl. AG Tiergarten, JR 1977, 207 [208]; Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB, § 106a Rz.2; Laußütte, in: Jähnke/Laufhütte u.a., StGB, § 106a Rz.3; Rudolphi, in: Rudolphi/Horn u.a., StGB, § 106a Rz. 4. 177 Auch im Ordnungswidrigkeitenrecht unterscheidet man zwischen konkreten und abstrakten Gefährdungstatbeständen (Göhler, OWiG, Vor § 1 Rz. 14; Rogali, in: Boujong, KKOWiG, § 112 Rz.2).

174

3. Teil: § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen

I. Bannkreisverletzung als abstraktes Gefährdungsdelikt § 106a StGB a. F. wurde von der ganz herrschenden Meinung als abstraktes Gefährdungsdelikt gewertet. 178 Es sollten grundsätzlich alle ungenehmigten Kundgebungen innerhalb der Bannmeile verhindert werden. Unbeachtlich sei dabei, ob sich die Kundgebung direkt gegen das geschützte Verfassungsorgan richte, seine Entscheidungsfreiheit beeinflußt werden solle oder seine Funktionsfähigkeit tatsächlich beeinträchtigt oder konkret gefährdet werde. Unerheblich sei auch, ob sich zur Tatzeit Mitglieder des Organs in der befriedeten Zone befänden. Lediglich, wenn völlig ausgeschlossen sei, daß die Funktionsfähigkeit der geschützten Organe beeinträchtigt werden könne, komme die Anwendung des Tatbestandes nicht in Betracht. Dies wurde aber nur bei Versammlungen von wenigen Personen angenommen; eine solche Versammlung sei keine Versammlung i. S. d. § 106a StGB a. F. 179 Nach dieser Auffassung reicht also für eine Strafbarkeit prinzipiell die formelle Illegalität der Versammlung aus. II. Bannkreisverletzung als konkretes Gefahrdungsdelikt Nach der Gegenmeinung handelte es sich bei § 106a StGB a. F. um ein konkretes Gefährdungsdelikt. Ob ein Verstoß gegen die Vorschrift vorliege, hänge davon ab, ob entsprechend den Kriterien des Versammlungsgesetzes und der einschlägigen Bannmeilengesetze eine Versammlung im Bannkreis verboten oder zulässig sei. Dies richte sich aber ausschließlich nach materiellen Kriterien, so daß § 106a StGB a. F. ein konkretes Gefährdungsdelikt darstelle und eine Strafbarkeit nur dann in Betracht komme, wenn wirklich eine konkrete Gefährdung für das Schutzgut der Bannmeile bestehe, die Versammlung mithin materiell illegal sei. 180 I I I . Kritik und Stellungnahme Die gerade dargestellte Auseinandersetzung wird sich auch bei §29a Abs. 1 VersG fortsetzen, denn der Tatbestand des §29a Abs. 1 VersG hat gegenüber dem des § 106a StGB a. F. keine großen Veränderungen erfahren. Entscheidend für die Auslegung der Vorschrift ist deren Fassung als Blankettatbestand. Nur wer entgegen §16 Abs. 1 VersG an einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel teil178 OLG Köln, VRS 85 (1993), 332 [334]; OLG Köln, MDR 1980, 1040; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, § 106a Rz. 1; Fischer, in: Tröndle/Fischer, StGB, § 106a Rz. 2; Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB, § 106a Rz. 1; Laufhütte, in: Jähnke/Laufhütte, StGB, § 106a Rz. 1; Rudolphe in: Rudolphi/Horn u. a., § 106a Rz. 2. 179 AG Tiergarten, JR 1977, 207 [208]; Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB, § 106a Rz. 2; Laufhütte, in: Jähnke/Laufhütte, StGB, § 106aRz.3; Rudolphi, in: Rudolphi/Horn u.a., § 106aRz.4. 180 Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 131a; Breitbach, Die Bannmeile als Ort von Versammlungen, S. 200ff.; in diese Richtung auch Wolter, in: Wassermann, Altemativkommentar StGB, § 106a Rz. 4.

4. Kapitel: Gesamtergebnis des 3. Teils

175

nimmt oder zu einer solchen auffordert, erfüllt den Bußgeldtatbestand. Ob ein Verstoß gegen § 29a Abs. 1 VersG vorliegt, hängt also ausschließlich davon ab, ob die Versammlung nach dem Versammlungsgesetz und der verschiedenen Bannkreisgesetze als verbotene zu gelten hat. Verfahrensvorschriften spielen aber bei der Bewertung der Versammlung als zulässig oder verboten keine Rolle. Es kommt hierbei ausschließlich auf materielle Kriterien an. Nur wenn die Schutzgüter der Bannmeile ernsthaft in Gefahr sind, kann man von einer verbotenen Versammlung sprechen. Dies erkennt auch die erstgenannte Auffassung im Prinzip an, wenn sie Versammlungen mit wenigen Teilnehmern und geringem Aggressionspotential im Wege der restriktiven Auslegung des Versammlungsbegriffs nicht unter den Tatbestand des § 106a StGB a. F. fallen lassen wollte. Der Weg über die restriktive Auslegung des Versammlungsbegriffs ist aber heute aus systematischen Gründen versperrt. § 29a VersG stellt folglich ein konkretes Gefährdungsdelikt dar, für das allein die materielle Illegalität der Versammlung strafbegründend ist.

B. Zwischenergebnis Voraussetzung für die Erfüllung des Bußgeldtatbestandes des §29a VersG ist die Teilnahme an oder der Aufruf zu einer materiell illegalen Versammlung im Bannkreis. Formelle Aspekte spielen bei der Beurteilung der Versammlung als ordnungswidrig oder ordnungsgemäß i. S. v. § 29a Abs. 1 VersG keine Rolle. Überall dort, wo eine förmliche Zulassung nicht beantragt oder materiell zu Unrecht abgelehnt wurde, darf die Versammlung nicht als verbotene i. S. v. § 16 Abs. 1 VersG behandelt werden, wenn die Versammlung nicht konkret die Schutzgüter der Bannmeilengesetze gefährdet. Im umgekehrten Fall kann eine Versammlung im Bannkreis nicht als materiell legal behandelt werden, wenn sie genehmigt wurde, sich jedoch entgegen der erfolgten Gefahrenprognose als unfriedlich herausstellt, denn eine Genehmigung kann die materiell rechtswidrige Versammlung nicht legalisieren. Die Erfüllung des Tatbestandes des § 29a VersG steht und fällt also mit der materiellen Rechtswidrigkeit der Versammlung.

4. Kapitel

Gesamtergebnis des 3. Teils Die Verbotsregelungen des § 16 Abs. 1 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen weisen zwei Dimensionen auf: die materiellen schutzzweckbezogenen und die formellen, verfahrensmäßigen Voraussetzungen. Von formeller Illegalität im Rahmen von § 16 Abs. 1 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen kann man sprechen, wenn die Versammlung im Bannkreis zwar ohne die erforderliche Genehmigung, aber an-

176

3. Teil: § 16 VersG i. V. m. den Bannmeilengesetzen

sonsten schutzzweckadäquat durchgeführt wurde. Wenn die Versammlung im Bannkreis gegen den Schutzzweck der Regelung verstößt, ist sie materiell illegal. Eine formell rechtmäßige Versammlung im Bannkreis kann gem. § 15 Abs. 2,4. Var. VersG bei materieller Illegalität unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aufgelöst werden. Auch die Auflösung einer formell rechtswidrigen Versammlung im Bannkreis ist nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 15 Abs. 2,4. Var. VersG zulässig. § 15 Abs. 3 VersG ist auf das gesetzliche Verbot des § 16 Abs. 1, S. 1 VersG nicht uneingeschränkt anwendbar. Die formelle Rechtmäßigkeit einer Versammlung bewirkt bei der geordneten Versammlung eine Erhöhung der Eingriffs- und Reaktionsschwelle im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 15 Abs. 2,4. Var. VersG. Ist die Versammlung formell rechtswidrig, so führt das zu einem Absinken der Eingriffs- und Reaktionsschwelle. Bei der ungeordneten Versammlung kann die Eingriffs- und Reaktionsschwelle nur durch Kooperation während der Durchführungsphase angehoben werden. Die entbehrliche formelle Legitimation der ungeordneten Versammlungen führt aber nicht zum Absinken der Eingriffs- und Reaktionsschwelle. Voraussetzung für die Ahndbarkeit der Bannkreisverletzung gem. § 29 a VersG ist ebenfalls die materielle Illegalität der Versammlung. Formelle Aspekte spielen für die Erfüllung des Bußgeldtatbestandes keine Rolle. Die formelle Rechtmäßigkeit der Versammlung schließt die Tatbestandsmäßigkeit nicht aus.

. Teil

Formelle und materielle Versammlungsrechtswidrigkeit bei § 17a VersG Die Unterscheidung von formeller und materieller Illegalität hat im Gefahrenabwehrrecht vor allem bei den Verboten mit Erlaubnisvorbehalt Konjunktur. Ein solches Verbot findet sich im Versammlungsrecht neben den gerade behandelten in § 17a VersG in Form des sogenannten Schutzwaffen- und Vermummungsverbots. § 17a Abs. 1 und Abs. 2 VersG verbieten das Tragen bestimmter Schutzwaffen und mit diesen vergleichbarer Gegenstände sowie die Identitätsverschleierung während öffentlicher Veranstaltungen unter freiem Himmel und in deren Vorfeld. Von diesen Verboten können aber gem. § 17a Abs. 3, S. 2 VersG Ausnahmen erteilt werden. Werden die Verbote nicht beachtet, so kann die zuständige Behörde gestützt auf § 17a Abs. 4 VersG die erforderlichen Maßnahmen zur Durchsetzung der Verbote treffen. Ist aufgrund der gesetzlichen Regelungstechnik also prinzipiell die Unterscheidung zwischen formeller und materieller Illegalität bei § 17a VersG möglich, so verwundert angesichts der verfassungsrechtlichen Ausgangslage doch, daß diese Differenzierung bis heute weder von der Rechtsprechung noch von der Literatur inauguriert wurde. Die folgende Untersuchung wird aber belegen, daß eine solche Differenzierung das einzige Mittel darstellt, die Vorschrift verfassungskonform auszulegen und ihr über das Verdikt der Verfassungswidrigkeit hinwegzuhelfen.

1. Kapitel

Das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt des § 17a VersG Das Passivbewaffnungs- und Vermummungsverbot gehört nicht zum klassischen Instrumentarium des Versammlungsrechts. Es wurde erst 1985 durch das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches und des Versammlungsgesetzes in das Versammlungsgesetz aufgenommen. 1 Verboten wurde durch das Änderungsgesetz die Passivbewaffnung und die Vermummung bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel. Zuwiderhandlungen gegen die Verbote des § 17a VersG waren gem. §29 Abs. 1 Nr. la und lb VersG a.F. bußgeldbewehrt. Eine Kriminalstrafe wurde gem. 1

Gesetz vom 18.07.1985 (BGBl. I, S. 1511).

12 Werner

178

. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei § 1

VersG

§ 125 Abs. 2 StGB a. F. für den Fall angedroht, daß sich der Täter in einer unfriedlichen Menge aufhält und eine polizeiliche Aufforderung, sich der Vermummung oder passiven Bewaffnung zu entledigen oder sich zu entfernen, mißachtet.2

A. Überblick über die aktuelle Regelung Die Regelungen von 1985 wurden alsbald modifiziert. Durch das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten, dem sogenannten Artikelgesetz 3, wurde der Anwendungsbereich der Verbotstatbestände durch die Einbeziehung sonstiger öffentlicher Veranstaltungen außer den in § 17 VersG genannten erweitert sowie die Zuwiderhandlung gegen § 17a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 VersG in § 27 Abs. 2 VersG pönalisiert. Das Mitführen von Vermummungsgegenständen während oder auf dem Weg zu öffentlichen Veranstaltungen wurde gem. § 17a Abs. 2 Nr. 2 VersG verboten und ein Verstoß nach §29 Abs. 1 Nr. la VersG mit einem Bußgeld bewehrt.4 § 125 Abs. 2 StGB a. F. wurde aufgehoben.5 Mit der Pönalisierung der Verbote in § 17a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 VersG wurde die Polizei gem. §§ 12a und 19 VersG gleichzeitig ermächtigt, während öffentlicher Versammlungen Bild- und Tonaufhahmen von Teilnehmern anzufertigen. 6

I. Sinn und Zweck der Regelung Mit dem strafbewehrten Passivbewaffnungs- und Vermummungsverbot verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, gewalttätige Konflikte aus Anlaß einer Demonstration einzudämmen.7 Bei zahlreichen Massenansammlungen und Demonstrationen war 2

Vgl. zur alten Regelung nur Kast, Das neue Demonstrationsrecht, S. 32 ff. Gesetz vom 09.06.1989 (BGBl. I, S. 1059); vgl. zum Artikelgesetz Achenbach, Kriminalistik 1989, 633ff.; Amelung, Hassemer, Rudolphi, Scheerer, StV 1989, 72ff.; KunertlBernsmann, NStZ 1989,449ff.; Krauß, StV 1989, 315 ff. 4 Vgl. zu den durch das Artikelgesetz eingetretenen Verschärfungen des Demonstrationsrechts auch die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drs. 11/2834) BT-Drs. 11/4359, S. 12f. und Luken, Die Polizei 1993, 41. 5 Achenbach, Kriminalistik 1989, 633 [636]; Luken, Die Polizei 1993,41. 6 Da § 12a VersG auch für Versammlungen in geschlossenen Räumen gilt und sich somit nicht auf den Gesetzesvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG stützen kann, ist er verfassungsrechtlich problematisch (vgl. DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 12a Rz.7; KunertlBernsmann, NStZ 1989,449 [455]). 7 Vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines... Strafrechtsänderungsgesetzes - § 125 StGB vom 19.01.1984 (BT-Drs. 10/901) und die Beschlußempfehlung vom 26.06.1985 des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zu diesem Gesetzentwurf (BTDrs. 10/3573) sowie den dazugehörigen Bericht des Rechtsausschusses vom 27.06.1985 (BTDrs. 10/3580). 3

1. Kapitel: Das Verbot mit Erlaubnis vorbehält des § 17a VersG

179

es Anfang und Mitte der 80er Jahre zu schweren Ausschreitungen gegen Menschen und Sachen gekommen. Bei Krawallen gegen die neue Startbahn-West am Frankfurter Flughafen wurden sogar zwei Polizisten ermordet. 8 Nach der Einschätzung des Gesetzgebers stieg das Gewaltpotential von Versammlungen bei der Teilnahme von Passivbewaffneten oder Vermummten signifikant an. Der harte Kern der Gewalttätigen, der sogenannte „schwarze Block", verübte seine Straftaten unerkannt aus der, diesem gewollt oder ungewollt Deckung gebenden, friedlichen Menge heraus oder tauchte nach der Begehung von Straftaten in der Menge der Demonstratipnsteilnehmer unter, wo sie ihre Vermummung ablegten.9 Im Schutze der Anonymität konnten so Straftaten im sicheren Gefühl der geringsten Entdeckungswahrscheinlichkeit begangen werden, was die Hemmschwelle zu gewalttätigem Verhalten herabsetzte.10 Die vermummten und passivbewaffneten Straftäter bildeten zudem einen Rückhalt für andere Gewalttäter und bestärkten diese in ihrer Aggressionsbereitschaft, was zu einer Eskalation der Auseinandersetzungen führen konnte. Dadurch bestand die Gefahr, daß auch die Versammlungsfreiheit der übrigen friedlichen Versammlungsteilnehmer bedroht wurde. Insgesamt wurde konstatiert, daß Passivbewaffnete und Vermummte nach massenpsychologischen Erkenntnissen eine aggressionsstimulierende Wirkung auf die Menge ausüben und so dem Grunde nach friedliche Versammlungen umfunktionieren können. Mit der Statuierung des Passivbewaffnungs- und Vermummungsverbots verfolgt der Gesetzgeber somit den Schutz der öffentlichen Sicherheit und des inneren Friedens.11 Mit Hilfe der Verbote soll jedoch auch gewährleistet werden, daß der friedliche Bürger von seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch machen kann, ohne das Umfunktionieren der Demonstration durch Gewalttäter befürchten zu müssen. Schutzgut des Passivbewaffnungs- und Vermummungsverbots ist damit auch die Versammlungsfreiheit des einzelnen.12

8

Achenbach, Kriminalistik 1989, 633ff.; Hamm, StV 1989, 1988,40ff. Vgl. Käst, Das neue Demonstrationsrecht, S. 33; Kniesel, RuP 1988,203 f.; Braun, Die Polizei 1990, 73 f. 10 Vgl. Schwind!Baumann u. a., in: Schwind/Baumann u. a., Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Band I, S.54,80. 11 So ausdrücklich der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines... Strafrechtsänderungsgesetzes - § 125 StGB vom 19.01.1984 (BT-Drs. 10/901) und die Gesetz gewordene Beschlußempfehlung vom 26.06.1985 des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages (BT-Drs. 10/3573). Vgl. dazu auch Scholz, NJW 1983, 705 ff. 12 So insbesondere der Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten vom 26.08.1988 (BT-Drs. 11/2834, S.7) sowie die dazugehörige Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 18.04.1989 (BT-Drs. 11/4359, S. 14f.); vgl. zum strafrechtlichen Schutz der Versammlungsfreiheit auch allgemein Meiski, Der strafrechtliche Versammlungsschutz, 1995. 9

180

. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei § 1

VersG

II. Regelungsinhalt der Verbote § 17a VersG verbietet zum einen die Passivbewaffnung und zum anderen die Identitätsverschleierung. Die Auslegung der Vorschrift ist wegen der Verwendung von vielen unbestimmten Rechtsbegriffen jedoch nicht unproblematisch. 1. Das Passivbewaffnungsverbot

in § 17a Abs. 1 VersG

§ 17a Abs. 1 VersG verbietet, bei oder auf dem Weg zu öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen Schutzwaffen oder Gegenstände, die als Schutzwaffen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen abzuwehren, mit sich zu führen. Das Gesetz differenziert also zwischen Schutzwaffen im technischen Sinne und solchen im untechnischen Sinne.13 Schutzwaffen im technischen Sinne sind, ohne daß es dabei auf die subjektive Einstellung des Täters ankommt, polizeiliche und militärische Ausrüstungsgegenstände, die nach ihrer Zweckbestimmung, ihren Konstruktionsmerkmalen oder ihren besonderen Eigenschaften von vornherein dazu bestimmt sind, dem Schutz des Körpers gegen Waffeneinwirkung bei kämpferischen Auseinandersetzungen zu dienen.14 Dazu gehören vornehmlich Schutzschilde, Panzerungen sowie Schutzgegenstände aus dem polizeilichen oder militärischen Bereich wie Helme und Schutzmasken u. ä. 15 In der Mitführung solcher Schutzwaffen sieht der Gesetzgeber ein sicheres und ausreichendes Indiz für offenkundige Gewaltbereitschaft. Auf das Erfordernis einer besonderen Verwendungsabsicht wie bei den als Schutzwaffen geeigneten Gegenständen kommt es bei den Schutzwaffen im technischen Sinne nicht an. Zwar wird vertreten, daß das Schutzwaffenverbot tatbestandlich dann nicht greife, wenn die Schutzbewaffnung ausschließlich zu Zwecken der Meinungsäußerung erfolge oder künstlerischen Betätigungen diene.16 Diese Auslegung des Verbots findet jedoch im Wortlaut des § 17a Abs. 1,1. Var. VersG keine Stütze, der die Geltung der Vorschrift ausschließlich von objektiven Kriterien abhängig macht. Auch systematische Erwägungen sprechen dagegen, denn der Gesetzgeber hat die Geltung des Schutzwaffenverbotes in § 17a Abs. 1,2. Var. VersG ausdrücklich an subjektive Voraussetzungen geknüpft, insoweit also eine bewußte und ein13 Vgl. BayObLG, NStZ 1994,497; DietellGintzellKniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, Rz. 14f.; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz.530f. 14 Vgl. den Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines... Strafrechtsänderungsgesetzes - § 125 StGB (BTDrs. 10/901) - BT-Drs. 10/3580, S.4; Gintzel, Die Polizei 1986, 185 [186]. 15 Bertuleit! H erkströter, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 17a Rz.22; DietellGintzell Knie sei, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 17a Rz. 14. 16 Bertuleit! H erkströter, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 17a Rz. 18; Kast, Das neue Demonstrationsrecht, S.38; unklar Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.335.

1. Kapitel: Das Verbot mit Erlaubnisvorbehlt des § 17a VersG

181

deutige Entscheidung getroffen. Eine genetische Interpretation spricht auch nicht gegen dieses Ergebnis. Zwar läßt sich dem Bericht des Rechtsausschusses zu dem einschlägigen Änderungsgesetz wörtlich entnehmen, daß nach Auffassung der Ausschußmehrheit gewährleistet sei, daß die Verwendung von Schutzwaffen als bloße Symbole ausschließlich zur Meinungsäußerung oder zu rein künstlerischen Zwecken nicht vom Verbot des Absatzes 1 erfaßt sei;17 der Fassung des Verbotstatbestands in § 17a Abs. 1,1. Var. VersG läßt sich dies jedoch gerade nicht entnehmen, weshalb diese Aussage sich wohl eher auf die Möglichkeit der Erlaubniserteilung nach § 17a Abs. 3, S. 2 VersG bezieht. Schutzwaffen im nichttechnischen Sinne sind Gegenstände, die ihrer Art nach objektiv dazu geeignet sind, denselben Zweck wie Schutzwaffen im technischen Sinne zu erfüllen und die darüber hinaus vom Träger subjektiv dazu bestimmt sind, hoheitliche Vollstreckungsmaßnahmen abzuwehren.18 Die objektive Eignung zur Angriffsabwehr ist bei allen Gegenständen gegeben, die dem Charakter von Schutzwaffen entsprechen, wie Motorradhelme und andere Schutzhelme, industrielle oder sportliche Schutzbekleidung. Die Gegenstände müssen nach ihrer Beschaffenheit und ihrer Funktionsweise Schutzwaffen im technischen Sinne ähnlich sein. Kleidungsgegenstände der üblichen Art, wie Regenmäntel oder Motorradschutzbekleidung, fallen deshalb nicht hierunter. 19 Die Gegenstände müssen außerdem dazu bestimmt sein, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen abzuwehren. 20 Nur wenn diese subjektive Gebrauchsbestimmung vorliegt, greift das Verbot des § 17a Abs. 1,2. Var. VersG ein. Dies ist nicht der Fall, wenn die Passivbewaffnung ausschließlich dem Schutz friedlicher Demonstranten vor der Streuwirkung von Vollstreckungsmaßnahmen oder Gewalttätigkeiten anderer Demonstranten dient.21 Die erforderliche Zweckbestimmung fehlt auch dann, wenn die Gegenstände zwar objektiv zur Abwehr von Vollstreckungsmaßnahmen geeignet sind, aber offensichtlich als Ausdrucksmittel getragen werden. 22

17 Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines... Strafrechtsänderungsgesetzes-§ 125 StGB (BT-Drs. 10/901) - BT-Drs. 10/3580, S.4. 18 OLG Hamm, NStZ-RR 1998, 87f.; OLG Stuttgart, StV 1987, 107f.; Wache, in: Erbs/ Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, V 55, § 17a Rz.4. 19 Vgl. den Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines... Strafrechtsänderungsgesetzes - § 125 StGB (BTDrs. 10/901)-BT-Drs. 10/3580, S.4. 20 OLG Hamm, NStZ-RR 1998, 87f.; OLG Stuttgart, StV 1987, 107f. 21 Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, Rz. 22; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz. 534; Amelung, StV 1989, 72. 22 Bertuleit/Herkströter, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 17aRz. 18; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.335; Kang, Der Friedlichkeitsvorbehalt der Versammlungsfreiheit, S. 134.

182

. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei § 1

2. Das Vermummungsverbot

VersG

in § 17a Abs. 2 VersG

§ 17a Abs. 2 Nr. 1 VersG verbietet, an öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, teilzunehmen oder den Weg zu derartigen Veranstaltungen in einer solchen Aufmachung zurückzulegen. Nach § 17a Abs. 2 Nr. 2 VersG ist es verboten, bei derartigen Veranstaltungen oder auf dem Weg dorthin Gegenstände mit sich zu führen, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern. Objektiv erfordert die Erfüllung des Verbotstatbestandes eine Identitätsverschleierung. 23 Der Demonstrant muß in einer Aufmachung, die dazu geeignet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, teilnehmen oder den Weg zu einer derartigen Veranstaltung in einer solchen Aufmachung zurücklegen oder jedenfalls geeignete Vermummungsgegenstände mit sich führen. Unter einer solchen Aufmachung sind alle künstlichen Mittel zur Unkenntlichmachung zu verstehen, die das Erscheinungsbild einer Person derart verändern, daß es einem durchschnittlichen Betrachter nicht mehr möglich ist, sie zu individualisieren. 24 Subjektiv muß die Aufmachung oder das Beisichführen der Aufmachung darauf gerichtet sein, während oder im Vorfeld der Veranstaltung, die Feststellung der Identität zu verhindern. 25 Erfolgt die objektive Identitätsverschleierung ausschließlich zum Zweck der Meinungsäußerung oder spielen allein künstlerische oder darstellerische Erwägungen eine Rolle, so fehlt es an der erforderlichen Absicht. 26

I I I . Das Genehmigungsverfahren Nach § 17a Abs. 3, S. 2 VersG kann die Versammlungsbehörde Ausnahmen vom Verbot der Passivbewaffnung und Vermummung zulassen, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht zu besorgen ist. 27 Da § 17a Abs. 3, 23

KG Berlin, NStZ-RR 1997, 185f.; Krüger, Versammlungsrecht, S. 153; Jahn, JZ 1988, 545 [546]. 24 Vgl. den Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines... Strafrechtsänderungsgesetzes - § 125 StGB (BTDrs. 10/901) - BT-Drs. 10/3580, S. 4; Käst, Das neue Demonstrationsrecht, S. 39; Meyn, Die sogenannte Vermummung und passive Bewaffnung, S.92. 25 KG Berlin, NStZ-RR 1997,185f.; Krüger, Versammlungsrecht, S. 153; Lüken, Die Polizei 1993,41 [44]. 26 Vgl. den Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines... Strafrechtsänderungsgesetzes - § 125 StGB (BTDrs. 10/901)-BT-Drs. 10/3580, S.4; Ehrentraut, Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen und deutschen Verfassungsrecht, S. 150; Kang, Der Friedlichkeitsvorbehalt der Versammlungsfreiheit, S. 134; Kast, Das neue Demonstrationsrecht, S.39; Meyn, Die sogenannte Vermummung und passive Bewaffnung, S.92. 27 Außerdem dispensiert § 17a Abs. 3, S. 1 VersG Veranstaltungen nach § 17 VersG von den Verboten des § 17a Abs. 1 und Abs. 2 VersG.

1. Kapitel: Das Verbot mit Erlaubnisvorbehlt des § 17a VersG

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S. 2 VersG kein Antragserfordernis enthält, kann die Versammlungsbehörde auch von sich aus im Rahmen der Kooperationsbemühungen aktiv werden und eine Erlaubnis erteilen. 28 Die Möglichkeit der Erlaubniserteilung besteht aber prinzipiell nur vor der Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges. 29 Ansonsten liefe die Kontroll- und Filterfunktion des in § 17a VersG statuierten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt vollkommen leer. 30 Dieser soll ja gerade eine zuverlässige Gefahrenabschätzung vor der Durchführung der Versammlung gewährleisten. Lediglich in begründeten Ausnahmefällen kommt die Erteilung der Erlaubnis während der laufenden Versammlung in Betracht und zwar dann, wenn die Einholung der Genehmigung vorher nicht möglich war, sprich bei Spontan- oder Eilversammlungen. Dies ergibt sich aus dem bereits erörterten Grundsatz der grundrechtsfreundlichen Verfahrensgestaltung. Diese flexible Handhabung des GenehmigungsVorbehalts in § 17a Abs. 3, S. 2 VersG führt dazu, daß Spontan- und Eilversammlungen durch das Passivbewaffnungs- und Vermummungsverbot nicht stärker diskriminiert werden als andere Versammlungen auch, so daß im folgenden nicht mehr gesondert auf diese Versammlungstypen eingegangen wird. Die Erlaubniserteilung liegt im Ermessen der zuständigen Behörde. Dieses ist stets normzweckkonform unter Beachtung der überragenden Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit auszuüben.31 Was dies im einzelnen für die Erteilung der Erlaubnis nach § 17a Abs. 3, S. 2 VersG bedeutet, kann indes erst nach einer genauen verfassungsrechtlichen Analyse des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt verbindlich gesagt werden.

B. Verfassungsmäßigkeit des Passivbewaffnungs- und Vermummungsverbots Die Verfassungsmäßigkeit des Passivbewaffnungs- und Vermummungsverbots ist stark umstritten. Bedenken bezüglich der materiellen Verfassungsmäßigkeit des § 17a VersG werden im Hinblick auf Art. 8 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1, S. 1,1. Var., Art. 5 Abs. 3, S. 1,1. Var. und Art. 2 Abs. 2, S. 1 GG geäußert.32 Die Vereinbarkeit der Vor28 Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 339; Krüger, Versammlungsrecht, S.155. 29 Α. A. Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, Rz. 34; Ott/ Wächtler, Versammlungsgesetz, § 17a Rz.58; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz.490. 30 Wie hier Käst, Das neue Demonstrationsrecht, S.40; Maatz, MDR 1990,577 [584]; wohl auch Krüger, Versammlungsrecht, S. 155. 31 Zeitler, Versammlungsrecht, Rz.491; Kast, Das neue Demonstrationsrecht, S.40; Gintzel, Die Polizei 1986, 185 [187]; Lüken, Die Polizei 1993,41 [44]. 32 Hoffmann-Riem, in: Wassermann, Alternativkommentar GG, Art. 8 Rz. 22; Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 8 Rz.60; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, Art. 8 Rz. 35; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 17a Rz. 1 ff.; Bemmann, in: v. Gamm/Raisch/Tiedemann, Festschrift für Gerd Pfeiffer, S. 57; Jahn, JZ 1988,545 [546]; Maatz, MDR 1990,577

. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei § 1

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VersG

schrift mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit steht dabei aber ganz klar im Mittelpunkt der Diskussion. Ihm gebührt deswegen im folgenden das Hauptinteresse.33

I. Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG durch § 17a VersG Ob das Verbot des § 17a VersG in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG eingreift, erscheint zweifelhaft. So ging die Mehrheit des Rechtsausschusses bei der Beratung des Artikelgesetzes davon aus, daß schon die Strafbewehrung der Vermummung nicht in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit eingreife, da sich nur derjenige auf sein Demonstrationsrecht berufen könne, der offen und unverhüllt seine Meinung äußere.34 Wegen der Begrenzung des Schutzbereichs in Art. 8 Abs. 1 GG auf friedliche und waffenlose Versammlungen, liegt diese Annahme auch für das Passivbewaffnungsverbot nahe.

1. Eingriff

durch das Passivbewaffnungsverbot

des § 17a Abs. 1 VersG

Die Bejahung eines Grundrechtseingriffs durch das Passivbewaffnungsverbot des § 17a Abs. 1 VersG ist nicht unproblematisch. So ist fraglich, ob Art. 8 Abs. 1 GG das Recht gewährleistet, gerade passivbewaffnet am Ort der Demonstration zu erscheinen. Dagegen könnte schon die verfassungstextliche Beschränkung des sachlichen Schutzbereichs in Art. 8 Abs. 1 GG sprechen, der nur gewährleistet, sich ohne Waffen zu versammeln. Unter Waffen versteht das Grundgesetz aber nur solche Gegenstände, die ausschließlich oder überwiegend dem Zweck dienen, zur Begehung von Straftaten gegen Dritte angewendet zu werden. 35 Die reine Schutzbewaffnung fällt nach nahezu einhelliger Auffassung nicht hierunter. 36 Dies ergibt sich schon aus der Zielrichtung der Vorschrift, die sich eindeutig nur gegen solche Versammlungsteilnehmer richtet, von denen Gewalttätigkeiten ausgehen, denn das Merkmal „ohne [580]; Schnorr, ZRP 1983,185 [189]; Strohmaier, ZRP 1985,153 [154]; Wolski, KJ 1983,273 [279 ff.]. 33 Bzgl. der Diskussion der anderen Grundrechte sei verwiesen auf Meyn, Die sogenannte Vermummung und passive Bewaffnung, S. 235 ff. 34 Vgl. die Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes... - BT-Drs. 11/2834 - (BT-Drs. 11/4359, S. 14). 35 Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Stark, Bonner Grundgesetz, Art. 8 Rz. 27; Herzog, in: Maunz/ Dürig u. a., Grundgesetz, Art. 8 Rz. 66; Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 35; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 6. 36 Benda, in: Dolzer/Vogel, Bonner Kommentar, Art. 8 Rz. 54; Herzog, in: Maunz/Dürig u. a., Grundgesetz, Art. 8 Rz. 68.

1. Kapitel: Das Verbot mit Erlaubnisvoibehalt des § 17a VersG

185

Waffen" steht im systematischen Zusammenhang zum Friedlichkeitsvorbehalt. 37 Man kann von der Schutzbewaffnung der Versammelten auch nicht auf einen geplanten unfriedlichen Verlauf der Versammlung schließen. Zwar liegt es nahe, daß sich Demonstranten mit Defensivwaffen ausrüsten, um Gewalttätigkeiten zu begehen. Auf der anderen Seiten ist es jedoch auch denkbar, daß sich der potentiell friedliche Demonstrant nur vor den Übergriffen militanter Dritter oder den Streuwirkungen polizeilicher Vollstreckungsmaßnahmen schützen will. Unfriedliches Verhalten kann ihm deswegen nicht von vornherein unterstellt werden. 38 Kann man im Passivbewaffnungsverbot keine Konkretisierung des Friedlichkeitsvorbehalts und des Waffenverbots in Art. 8 Abs. 1 GG sehen, so muß man einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG durch das Verbot des Mitführens von Defensivbewaffnung bejahen. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit schützt die Aktionsmodalitäten der Versammlung. Die Grundrechtsträger können prinzipiell selbst bestimmen, in welcher Aufmachung sie am Versammlungsort erscheinen.39 Durch die strikte Geltung des Verbots des Tragens von Defensivwaffen im technischen Sinne wird dieser Gewährleistungsbereich jedoch massiv tangiert. Dies gilt auch für das Verbot des Tragens von Schutzbewaffnung im untechnischen Sinne. Zwar wird der Tatbestand des § 17a Abs. 1,2. Var. VersG nur dann erfüllt, wenn die Defensivbewaffnung mitgeführt wird, um Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen abzuwehren. Da dies aber aus den Umständen zu schließen ist, gerät der Grundrechtsträger nur allzu leicht in den Verdacht, gegen das Verbot zu verstoßen, weshalb er von vornherein das Mitführen verdächtiger Gegenstände unterlassen wird, um sich vor staatlichen Sanktionen zu schützen. Dies kann jedoch dazu führen, daß der Grundrechtsträger auf die Teilnahme an Demonstrationen verzichten wird, da er sich nicht mehr wirksam vor militanten Gegendemonstranten oder den Streuwirkungen staatlicher Zwangsmaßnahmen schützen kann.40 Das Passivbewaffnungsverbot greift folglich in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ein. 2. Eingriff

durch das Vermummungsverbot

des § 17a Abs. 2 VersG

Ob das Vermummungsverbot in Art. 8 Abs. 1 GG eingreift, ist auch Grundlage einer rechtlichen Kontroverse. So hielt der Rechtsausschuß des Deutschen Bundesta37 Benda, in: Dolzer/Vogel, Bonner Kommentar, Art. 8 Rz. 52; Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/ Stark, Bonner Grundgesetz, Art. 8 Rz. 27; Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 35. 38 Herzog, in: Maunz/Dürig u. a., Grundgesetz, Art. 8 Rz. 68; Hoffmann-Riem, in: Wassermann, Alternativkommentar GG, Art. 8 Rz. 22; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 8 Rz.5 ff.; Kang y Der Friedlichkeitsvorbehalt der Versammlungsfreiheit, S. 134. 39 BVerfGE 69,315 [343]; BVerwG, NVwZ 1999, 991; Kniesel, NJ 1998, 472; ders., NJW 1992, 857 [859]; Spranger, DÖD 1999, 58 [59]. 40 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Art. 8 Rz.68; Hoffmann-Riem, in: Wassermann, Alternativkommentar GG, Art. 8 Rz. 22; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 17a Rz. 29ff.; Strohmaier, ZRP 1985,153 [156].

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. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei § 1

VersG

ges die identifikationsvereitelnde Aufmachung von Demonstranten für inhuman, eines mündigen, verantwortlichen Bürgers unwürdig und sah deswegen keine Kollision mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit, da dieses Recht bedinge, daß man offen für seine Auffassung eintrete. 41 Auch Frowein und Honigl folgern aus den Ausführungen des BVerfG, „der Demonstrant entfalte seine Persönlichkeit in unmittelbarer Weise dadurch, daß er seine Meinung in physischer Präsenz, in voller Öffentlichkeit und ohne Zwischenschaltung von Medien kundgäbe"42, daß die Wahrnehmung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit nur unter Preisgabe der Identität zulässig sei.43 Diese Auffassung berücksichtigt jedoch nicht ausreichend, daß das Interesse des friedlichen Demonstranten, anonym zu bleiben, durchaus schutzwürdig ist. Es kann nämlich auch heute noch nicht ausgeschlossen werden, daß dem friedlichen Demonstrationsteilnehmer private oder berufliche Nachteile wegen der Teilnahme an einer Versammlung entstehen.44 Zwar darf die Polizei Bild- und Tonaufnahmen von den Teilnehmern einer Demonstration nur dann anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit ausgehen. § 12a VersG schützt jedoch nicht vor privaten Aufnahmen, vor solchen der Presse und auch nicht vor den Augen der Öffentlichkeit. 45 Außerdem unterliegen eigenrecherchierte Filmaufnahmen der Medien nicht dem Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs. 5 StPO.46 Würde man das Grundrecht der Versammlungsfreiheit unter den immanenten Vorbehalt der personalen Transparenz stellen, so würde man eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Bürgern von der Wahrnehmung ihres Grundrechts abschrecken, was im Hinblick auf den hohen Rang der Versammlungsfreiheit als einem konstituierenden Funktionselement des demokratischen Rechtsstaats nicht unproblematisch sein dürfte. 47 Die Vermummung schlechthin vom Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG auszunehmen, wäre danach nur zu begründen, wenn durch sie bereits als solche die Teilnahme an der Versammlung unfriedlich im Sinne der Grundrechtsbestimmung wäre. Ein sol41 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes... - BT-Drs. 11/2834 - (BT-Drs. 11/4359, S. 14). 42 BVerfGE 69,315 [345]. 43 Frowein, NJW 1985,2376 [2378]; Honigl, BayVBl. 1987,137 [138f.]; vgl. auch Blumenwitz, in: Schreiber, Festschrift zum 70. Geburtstag von Rudolf Samper, S. 141. 44 Herzog, in: Maunz/Dürig u. a., Grundgesetz, Art. 8 Rz. 75; Kang, Der Friedlichkeitsvorbehalt der Versammlungsfreiheit, S. 134; Bemmann, in: von Gamm/Raisch/Tiedemann, Festschrift für Gerd Pfeiffer, S.55; Strohmaier, ZRP 1985, 153 [156]; Maatz, MDR 1990, 577 [581]; Wolski, KJ 1983, 272 [285]. 45 Kunert/Bernsmann, NStZ 1989, 449 [455]; Hofmann, BayVBl. 1987, 129f. 46 BVerfGE 56,247 [248]; 77,65 [72ff.]; Jahn,, JZ 1988,545 [547]; Kühl, NJW 1985, 2379 [2382]. 47 Vgl. auch Ehrentraut, Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen und deutschen Verfassungsrecht, S. 150; Achenbach, Kriminalistik 1989, 633 [640].

1. Kapitel: Das Verbot mit Erlaubnis vorbehält des § 17a VersG

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eher Schluß ist indes unzulässig, da nicht davon ausgegangen werden kann, daß jeder Vermummte zugleich ein potentieller Gewalttäter ist. 48 Das Ziel, als Versammlungsteilnehmer unerkannt zu bleiben, kann nicht von vornherein als illegitim abgetan werden, solange Demonstrationsteilnehmer begründeten Anlaß zu der Sorge haben können, daß ihnen aus der alleinigen Tatsache der Teilnahme Nachteile entstehen können.49 Das erkennt auch im Prinzip der Gesetzgeber an, wenn er in § 17a Abs. 3, S. 2 VersG die Erteilung von Ausnahmen ermöglicht. Die individualisierbare Meinungskundgabe stellt damit kein verfassungsrechtliches Muß im Rahmen von Art. 8 Abs. 1 GG dar, wenn sie auch in einem liberalen Rechtsstaat die wünschenswertere Variante der Meinungsäußerung ist. Damit greift das Vermummungsverbot in das Grundrecht auf Versammlungfreiheit ein. Dies gilt auch insoweit, als das Mitführen von Vermummungsgegenständen im Vorfeld der Versammlung verboten wird, denn das Grundrecht schützt den Demonstranten auch auf dem Weg zur Versammlung.50 II. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs Das Vermummungs- und Passivbewaffnungsverbot greift in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ein. Dieser Eingriff müßte verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Dies ist nur dann der Fall, wenn er von einer Schranke des Grundrechts gedeckt ist. In Betracht kommt hier nur der Gesetzesvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG, da die verwaltungsrechtlichen Verbote keine Konkretisierung des Friedlichkeits- und Waffenlosigkeitsvorbehalts des Art. 8 Abs. 1 GG darstellen.51 Nach Art. 8 Abs. 2 GG kann das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit für Versammlungen unter freiem Himmel durch oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden. Eine Beschränkung durch oder auf Grund eines Gesetzes darf Art. 8 Abs. 1 GG jedoch nicht leerlaufen lassen. Bei allen begrenzenden Regelungen hat der Gesetzgeber die in Art. 8 Abs. 1 GG verkörperte verfassungsrechtliche Grundentscheidung zu beachten; er darf die Ausübung der Versammlungsfreiheit nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter und nur unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit begrenzen.52 48 KG Berlin, NStZ-RR 1997,185 [186]; Käst, Das neue Demonstrationsrecht, S.33; Jahn, JZ 1988, 545 [547]; Maatz, MDR 1990, 577 [581]. 49 Herzog, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Art.8 Rz.75; Wolski, KJ 1983, 272 [285]. 50 BVerfGE 69,315 [349]; 84,203 [209]; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 8 Rz.4; Brenneisen, Kriminalistik 1999,483 ff. 51 KG Berlin, NStZ-RR 1997,185 [186]; Herzog, in: Maunz/Dürig u. a., Grundgesetz, Art. 8 Rz. 75; Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 60; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, Art. 8 Rz. 35; Bemmann, in: von Gamm/Raisch/Tiedemann, Festschrift für Gerd Pfeiffer, S. 55. 52 BVerfGE 7,198 [207]; 69,315 [348]; Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 54; Herzog, in: Maunz/Dürig u. a., Grundgesetz, Art. 8 Rz. 94; vgl. auch: Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 17 ff.

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1. Verhältnismäßigkeit des Passivbewaffnungs- und Vermummungsverbots Ob das gesetzliche Verbot der Passivbewaffnung und Vermummung in § 17a VersG noch verhältnismäßig ist, ist umstritten. Die Auffassungen reichen von verfassungsrechtlich unproblematisch bis zur absoluten Verfassungswidrigkeit wegen Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 2 GG. 53 Im folgenden soll deswegen versucht werden, die verfassungsrechtliche Diskussion authentisch nachzuzeichnen, um der Differenziertheit der Argumentation ausreichend Rechnung zu tragen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird aus dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten abgeleitet.54 Er besagt, daß der Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts nur dann verfassungsgemäß ist, wenn er geeignet, erforderlich und angemessen ist. 55 Dies setzt jedoch zunächst voraus, daß der vom Staat verfolgte Zweck als solcher verfolgt und das vom Staat eingesetzte Mittel als solches eingesetzt werden darf, denn Maßnahmen oder Ziele, die verfassungsrechtlich illegitim sind, sind per se schon ungeeignet.56 Ziel des Passivbewaffnungs- und Vermummungsverbots ist der Schutz der öffentlichen Sicherheit und des inneren Friedens.57 Mit Hilfe der Verbote soll zudem gewährleistet werden, daß der friedliche Bürger von seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch machen kann, ohne das Umfunktionieren der Demonstration durch Gewalttäter befürchten zu müssen. Schutzgut der Verbote ist somit auch die Versammlungsfreiheit des einzelnen.58 Daß 53 KG Berlin, NStZ-RR 1997, 185 [186]; Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 8 Rz.60; Hoffmann-Riem, in: Wassermann, Altemativkommentar GG, Art. 8 Rz. 22; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, §. 17a Rz. Iff.; Frowein, NJW 1985, 2376 [2378]; Wolski, KJ 1983, 272, [279]; vgl. zur verfassungsrechtlichen Problematik in der Schweiz BGer Lausanne, EuGRZ 1992, 137 ff. 54 BVerfGE 19,342 [348f.]; 23,127 [133]; 65,1 [44]; 76,1 [50f.]; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz. 273; Stern, Staatsrecht, §84 S.783; Dechsling, Das Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 114ff.; v. Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 14ff.; Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 61 ff., 134ff., 350; Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 42ff.; Yi, Das Gebot der Verhältnismäßigkeit in der grundrechtlichen Argumentation, S. 23 ff.; Bleckmann, JuS 1994,177 ff.; Schlink, EuGRZ 1984,457 [459fJ; kritisch Arnauld,YL 2000, 276 ff. « BVerfGE 67,157 [173]; 80,1 [24]; 80,137 [159ff.]; KG Berlin, NStZ-RR 1997, 185 [186]; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz.279f.; Stern, Staatsrecht, §84 S.776; Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 19ff.; Yi, Das Gebot der Verhältnismäßigkeit in der grundrechtlichen Argumentation, S. 109f.; Bleckmann, JuS 1994,177 f.; Schnapp, JuS 1983,850 [851 ff.]. 56 Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S.60ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz. 279f.; Stern, Staatsrecht, §84 S.777; Appel, KritV 1999, 278 [301 Fn. 103]; Gentz, NJW 1968, 1600 [1602]; Schlink, EuGRZ 1984, 457 [459f.]. 57 So ausdrücklich der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines... Strafrechtsänderungsgesetzes - § 125 StGB vom 19.01.1984 (BT-Drs. 10/901) und die Gesetz gewordene Beschlußempfehlung vom 26.06.1985 des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages (BT-Drs. 10/3573). Vgl. dazu auch Scholz, NJW 1983,705 ff. 58 Meiski, Der strafrechtliche Versammlungsschutz, S. 176f.

1. Kapitel: Das Verbot mit Erlaubnisvorbehlt des § 17a VersG

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es sich dabei um illegitime Ziele handeln würde, läßt sich schwerlich behaupten.59 Auch das vom Staat eingesetzte Mittel ist als solches bedenkenfrei. Zwar ist die Statuierung eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt im Rahmen einer grundrechtlichen Gewährleistung nicht unproblematisch, aber man kann nicht generell davon ausgehen, daß es als solches per se verfassungsrechtlich unzulässig ist, zumal in der Regel die Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung besteht.60 a) Geeignetheit Eine staatliche Maßnahme ist nur dann geeignet, den erstrebten Zweck zu erreichen, wenn mit ihrer Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann.61 Der Zustand, den der Staat durch den Eingriff schafft, und der Zustand, in dem der verfolgte Zweck als verwirklicht zu betrachten ist, müssen in einem durch bewährte Hypothesen über die Wirklichkeit vermittelten Zusammenhang stehen.62 Anerkanntermaßen genügt hierfür eine Teileignung; eine Volleignung ist nicht erforderlich. Das Mittel darf nur nicht „schlechthin ungeeignet" bzw. „grundsätzlich ungeeignet" sein.63 Gegen die Geeignetheit des Passivbewaffnungs- und Vermummungsverbots wird vorgebracht, daß die genauen Ursachen der Demonstrationsgewalt unaufgeklärt seien. Die Hypothese, durch ein Passivbewaffnungs- und Vermummungsverbot die Demonstrationsgewalt eindämmen zu können, sei wissenschaftlich wenig abgesichert. Es gäbe keinen Erfahrungssatz, wonach Vermummte und Passivbewaffnete die Gewaltbereitschaft der Menge fördern würden. 64 Diese Auffassung berücksichtigt jedoch nicht ausreichend, daß dem Gesetzgeber bei der Beurteilung eines Mittels als geeignet oder ungeeignet ein weiter Beurteilungsspielraum zusteht. Ungeeignet ist danach nur eine Maßnahme, die „von vornherein" ungeeignet ist, den gesetzgeberischen Zweck zu erreichen. 65 Dies wird man indes hier verneinen müssen, denn es läßt sich nicht leugnen, daß zwischen dem Auftreten Vermummter und Passivbewaffneter in einer Versammlung und dem Auftreten von Gewalttätigkeiten ein gewisser Zusammenhang besteht, auch wenn wissenschaftlich noch keine völlige 59

KG Berlin, NStZ-RR 1997, 185 [186]. Vgl. BVerfGE 20,150 [155f.]; Meyn, Die sog. Vermummung und passive Bewaffnung, S.206f.; Grabitz, AöR 98 (1973), 568 [612]. 61 BVerfGE 30,292 [316], 33,171 [187]; 65,1 [54]; 68,155 [171 f.]; 78,77 [85]; Badura, Staatsrecht, C 28; Lerche, in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 122 Rz. 15. 62 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz.283; Stern, Staatsrecht, §84 S.776; Schlink, EuGRZ 1984,457 [460 Fn. 19]. 63 BVerfGE 70,1 [26]; 71,206 [215]; 79,174 [202]; 85,191 [212]. 64 Vgl. BGer Lausanne, EuGRZ 1992,137 [139]; Bertuleit/Herkströter, in: Ridder/Breitach u. a., Versammlungsrecht, § 17a Rz. 17; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 17a Rz. 5; Rudolphs StV 1989, 72 [75]; Wolski, KJ 1983, 273 [280]; vgl. auch Schwind/Baumann u. a., in: Schwind/Baumann u. a., Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Band I, S. 133. 65 BVerfGE 17,307 [315f.]; 19,330 [338]; KG Berlin, NStZ-RR 1997, 185 [186]. 60

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Klarheit herrscht. 66 Zu diesem Ergebnis gelangten auch die Sachverständigen bei der Anhörung vor dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages bei der Beratung über die Einführung der Strafbewehrung der Verbote.67 Nach deren Einschätzung war das Risiko, daß es im Rahmen einer Demonstration zu Gewalttätigkeiten kommt, zehnmal höher, wenn vermummte und passivbewaffnete Personen an der Versammlung teilnehmen.68 Diese Einschätzung wird zudem im Ausland geteilt,69 weshalb man sie schwerlich als offensichtlich so fehlsam betrachten kann, als daß sie keine vernünftige Grundlage für gesetzgeberische Maßnahmen abgeben könnte. Bemmann hält die Verbote für ungeeignet, weil sie in bezug auf die gewalttätigen Mitglieder einer Menge schlicht unwirksam seien. Die Erfahrung lehre nämlich, daß sich militante Demonstranten während ihrer Aktionen passiv bewaffnet und vermummt halten, ohne sich im mindesten um gesetzliche Verbote oder polizeiliche Anordnungen zu kümmern. 70 Die Passivbewaffnungs- und Vermummungsgegenstände würden nach der Begehung von Gewalttätigkeiten im Schutz der Menge abgelegt werden, und der Gewalttäter bleibe unbehelligt. Bemmann berücksichtigt jedoch nicht im ausreichenden Maße, daß die Tatbestände auch das Vorfeld der Veranstaltungen abdecken, so daß schon auf dem Weg zum Veranstaltungsort präventiv eingegriffen werden kann. Dadurch kann die Polizei überhaupt schon gewalttätige Eskalationen verhindern, weshalb von einer generellen Ungeeignetheit nicht gesprochen werden kann. b) Erforderlichkeit Erforderlich ist das vom Gesetzgeber eingesetzte Mittel dann, wenn er nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder doch weniger fühlbar einschränkendes Mittel hätte wählen können.71 Es darf keinen anderen Zustand geben, den der Staat ohne großen Auwand ebenfalls schaffen kann, der für den Bürger weniger belastend ist und der mit dem Zustand, in dem der verfolgte Zweck als verwirklicht zu betrachten ist, ebenfalls in einem durch bewährte Hypothesen über die Wirklichkeit vermittelten Zusammenhang steht.72 66

KG Berlin, NStZ-RR 1997,185 [186]. Vgl. Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes... - BT-Drs. 11/2834 - (BT-Drs. 11/4359, S. 14). 68 Kast, Das neue Demonstraionsrecht, S. 33; Meiski, Der strafrechtliche Versammlungsschutz, S. 174. 69 Β Ger Lausanne, EuGRZ 1992, 137 [139]; vgl. auch KG Berlin, NStZ-RR 1997, 185 67

[186]. 70

Bemmann, in: v. Gamm/Raisch/Tiedemann, Festschrift für Gerd Pfeiffer, S. 57; vgl. auch Jahn, JZ 1988, 545 [550]. 71 BVerfGE 70,1 [26]; 70,278 [286]; 78,38 [50]; 78,232 [245]; Stern, Staatsrecht, §84 S.780; Hirschberg y Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S.56ff. 72 Pieroth/Schlinky Grundrechte, Rz.285; Schlink, EuGRZ 1984,457 [460 Fn. 19].

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Von den Gegnern des Passivbewaffnungs- und Vermummungsverbots wird die Regelung deshalb nicht für erforderlich gehalten, weil auch nach altem Recht die Passivbewaffnung und Vermummung durch die Verhängung von Auflagen gem. § 15 Abs. 1,2. Var. VersG verhindert werden konnte.73 Die Möglichkeit zur Abwehr von konkreten Gefahren durch das punktuelle Verbot des Mitführens von Passivbewaffnungs· und Vermummungsgegenstände sei im Vergleich zu einem abstrakten Gefährdungstatbestand, wie § 17a VersG ihn darstelle, das mildere Mittel, weshalb die geltenden Verbote verfassungswidrig seien.74 Dagegen spricht jedoch, daß der Gesetzgeber die vorliegende Regelung deswegen erlassen hat, weil er die Möglichkeit der Verhängung von Auflagen gerade nicht als ausreichend zur Verhinderung von Gewalttätigkeiten angesehen hat.75 Der Erlaß von Auflagen gem. § 15 Abs. 1,2. Var. VersG ist vom Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr für die öffentlichen Sicherheit und Ordnung abhängig und damit an eine schwierig zu fällende Gefahrenprognose gekoppelt. Das Mittel der Auflagenerteilung ist auch wenig erfolgsversprechend, weil nicht davon ausgegangen werden kann, daß jeder Teilnehmer von den Auflagen Kenntnis erlangt. Gerade bei Großdemonstrationen fehlt es oft an einem gesamtverantwortlichen Anmelder als Adressat von Auflagen. Eine generell-abstrakte Regelung vermeidet jedoch diesen Nachteil, weshalb ein von Fall zu Fall angeordnetes Verbot weniger geeignet ist. 76 c) Angemessenheit Rechtsprechung und herrschende Lehre gewinnen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unter dem Begriff der Angemessenheit, Zumutbarkeit, Proportionalität oder Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne noch ein weiteres Kriterium ab und verlangen, daß die Beeinträchtigung, die der Eingriff für den Einzelnen oder die Allgemeinheit bedeutet und der mit dem Eingriff verfolgte Zweck in recht gewichtetem und wohl abgewogenem Verhältnis zueinander stehen. Je wertvoller der Freiheitsgebrauch und je intensiver die Freiheitsbeschränkung ist, desto bedeutsamer muß das mit der Beschränkung geschützte Interesse sein.77 In Beziehung zu setzen ist die Wertigkeit des verfolgten Interesses auf der einen mit dem Maß an Freiheitsverlust 73

Vgl. dazu Lüken, Die Polizei 1993, 41. Maatz, MDR 1990, 577 [582]; vgl. auch Meyn, Das Verbot der sog. Vermummung und Passivbewaffnung, S. 221. 75 Vgl. den Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines... Strafrechtsänderungsgesetzes - § 125 StGB (BTDrs. 10/901)-BT-Drs. 10/3580, S.3. 76 Vgl. Β Ger Lausanne, EuGRZ 1992, 137 [140]; Kast, Das neue Demonstrationsrecht, S. 34ff. mit weiteren aber wenig überzeugenden Aigumenten. 77 BVerfGE 79, 256 [270]; 81,70 [92]; 81,156 [194]; 83,1 [19]; Stern., Staatsrecht, §84 S. 782 f.; Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 19 ff.; Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S.75ff.; Wittig, DÖV 1968, 817ff.; Gentz, NJW 1968,1600 [1604]; kritisch Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz.289ff.; S chi ink, Abwägung im Verfassungsrecht, S.64ff., 76ff., 117ff., 203ff.; Schlink, EuGRZ 1984, 457 [461f.]. 74

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auf der anderen Seite. Dabei ist nicht pauschal auf den Wert oder das Gewicht des Grundrechts auf der einen Seite und des Interesses, das den Eingriff legitmieren soll, auf der anderen Seite abzustellen, sondern auf das Ausmaß, in dem das grundrechtliche Schutzgut und das eingriffslegitimierende Interesse konkret betroffen sind. Bewertungsmaßstab hierfür ist die grundgesetzlich vorgegebene Ordnungs- und Wertstruktur. 78 Mit dem strafbewehrten Passivbewaffnungs- und Vermummungsverbot verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, gewalttätige Konflikte aus Anlaß einer Demonstration einzudämmen. Er will damit verhindern, daß es anläßlich von Demonstrationen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen militanten reisenden Chaoten und der Staatsmacht oder anderen Versammlungsteilnehmern kommt. Schutzgüter der Verbote sind damit neben der öffentlichen Sicherheit und dem öffentlichen Frieden auch bedeutende Individualrechtsgüter, wie das durch Art. 2 Abs. 2, S. 1 GG geschützte Leben und die körperliche Unversehrtheit der Polizeivollzugsbeamten und der friedlichen (Gegen-) Demonstranten. Berücksichtigt man zudem, daß sich die sinnlose Gewalt der Berufsmilitanten häufig gegen Sachen, d. h. öffentliches und privates Eigentum richtet, und die Verbote letztendlich nicht als ungeeignet erscheinen, jegliche Art von Gewaltausübung von Seiten unfriedlicher Demonstranten zu unterbinden, so werden mit den Verboten auch die Schutzgüter des Art. 14 Abs. 1 GG vor Beeinträchtigungen bewahrt. 79 Außerdem verfolgt der Gesetzgeber mit der Statuierung der Verbote eine „Rekultivierung des Demonstrationsgeschehens".80 Es soll gewährleistet werden, daß der Bürger ohne begründete Angst vor realen Gefahren durch andere Demonstrationsteilnehmer für Leben und Gesundheit von seinen politischen Grundrechten Gebrauch machen kann. Schutzgut der Verbote ist somit auch die Demonstrationsfreiheit des Einzelnen selbst.81 Diese imposante Aufzählung von Schutzgütern darf jedoch nicht dazu führen, ohne genaue Untersuchung der beeinträchtigten Grundrechte von der Angemessenheit der Regelung auszugehen. Durch das Passivbewaffnungs- und Vermummungsverbot verfolgt der Gesetzgeber zwar den Schutz des Demonstrationsrechts, er greift aber auch uno actu tief in den Gewährleistungsbereich der Freiheit ein. Für den friedlichen Demonstranten gibt es nämlich gute Gründe, bei Demonstrationen 78 Stern, Staatsrecht, §84 S.785; Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S.24; Wendt, AöR 104 (1979), 414 [455f.]. 79 Kast, Das neue Demonstrationsrecht, S.33ff.; Meyn, Die sogenannte Vermummung und passive Bewaffnung, S. 206ff. 80 Vgl. den Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten vom 26.08.1988 (BT-Drs. 11/2834, S.7) sowie die dazugehörige Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 18.04.1989 (BT-Drs. 11/4359, S. 14f.); Meiski, Der strafrechtliche Versammlungsschutz, S. 171 ff.; vgl. auch Rudolf IH ill! Schmidt-Jortzig, in: Schwind/B aumman u.a., Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Band II, S. 1004. 81 Meiski, Der strafrechtliche Versammlungsschutz, S. 171 ff.; Baumann, StV 1988,37 [39].

1. Kapitel: Das Verbot mit Erlaubnisvorbehlt des § 17a VersG

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Schutzbekleidung anzulegen. So ist es nicht selten der Fall, daß friedliche Demonstranten auf militante und gewaltbereite Gegendemonstranten stoßen. Ohne vorbeugende Schutzmaßnahmen wie das Mitführen von Schutzbekleidung liefe der friedliche Versammlungsteilnehmer Gefahr, Eingriffe in seine durch Art. 2 Abs. 2, S. 1 GG geschützte körperliche Integrität, schlimmstenfalls sogar in sein Recht auf Leben, befürchten zu müssen. Dies gilt insbesondere für den Fall, daß innerhalb der Versammlung der „schwarze Block" Gewalttätigkeiten begeht. Hier kann ein irrig geführter Waffeneinsatz der Polizei den friedlichen Versammlungsteilnehmer massiv in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 2, S. 1 GG beeinträchtigen. Ist dem friedlichen Bürger jedoch verwehrt, sich vor unangemessener oder ungenauer Zwangsanwendung von Hoheitsträgern oder vor Gewalttätigkeiten Dritter wirksam zu schützen, so wird dies nicht nur in Einzelfällen dazu führen, daß er auf die Wahrnehmung seines wichtigen demokratischen Grundrechts und damit auf die Pärtizipierung am politischen Diskurs verzichten wird, um nicht Gefahr zu laufen, Einbußen an anderen vitalen Rechtsgütern hinzunehmen. Damit überläßt er dann zwangsläufig den militanten Gewalttätern das Feld. Daß dies im Hinblick auf Art. 8 GG äußerst problematisch ist, liegt auf der Hand.82 Auch die Vermummung kann legitim sein. Es sind nämlich Fälle denkbar, in denen vom Recht auf kollektive Meinungsäußerung nur Gebrauch gemacht werden kann, wenn diejenigen, die in Demonstrationen ihre Meinung kundgeben, sich durch Maskierung vor rechtswidriger Verfolgung schützen können. Man denke an eine Bevölkerungsgruppe, die sich wie Aids- oder Krebskranke dagegen wehrt, registriert zu werden.83 Auch Personen, die im öffentlichen Dienst beschäftigt oder in sensiblen Bereichen wie der Justiz oder der Bundeswehr tätig sind, können ein legitimes Interesse daran haben, daß ihre Teilnahme nicht aktenkundig wird, denn wer damit rechnet, daß die Teilnahme an einer Versammlung behördlich registriert wird und dadurch Risiken befürchtet, wird möglicherweise auf die Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte verzichten. Da auf beiden Seiten wertvolle Individualrechtsgüter auf dem Spiel stehen, darf die Lösung des Problems nicht einseitig zu Lasten der Grundrechtsträger gehen. Verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter müssen in der Problemlösung einander so zugeordnet werden, daß jedes von Ihnen Wirklichkeit gewinnt.84 Im Hinblick auf das Passivbewaffnungs- und Vermummungsverbot spielt dafür die Empirie eine wichtige Rolle. Man muß nämlich berücksichtigen, daß zwar die Anzahl der De82

Vgl. dazu insgesamt Herzog, in: Maunz/Dürig u. a., Grundgesetz, Art. 8 Rz. 689; Hojfmann-Riem, in: Wassermann, Altemativkommentar GG, Art. 8 Rz. 22; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 17a Rz.2; Lösel!Selg!Schneider, in: Schwind/Baumann u.a.; Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Band II, S. 46; Meiski, Der strafrechtliche Versammlungsschutz, S. 176; Bemmann, in: von Gamm/Raisch/Tiedemann, Festschrift für Gerd Pfeiffer, S.55; Strohmaier, ZRP 1985, 153 [156]. 83 Amelung, StV 1989, 72 [73]; Rudolphi, StV 1989, 72 [74]. 84 Hesse, Verfassungsrecht, Rz. 72. 13 Werner

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monstrationen seit Anfang der 80er Jahre stark zugenommen hat, der Anteil der gewalttätig und unfriedlich verlaufenden Demonstrationen seit zwei Jahrzehnten aber nur zwei bis höchstens vier Prozent beträgt.85 Beachtlich ist allerdings, daß das Risiko, daß es im Rahmen einer Demonstration zu Gewalttätigkeiten kommt, um ein Vielfaches ansteigt, wenn vermummte und passivbewaffnete Personen an der Versammlung teilnehmen.86 Trotzdem ist der generelle Schluß von der Tatsache des Auftretens Vermummter und Passivbewaffneter auf die Unfriedlichkeit der Versammlung unzulässig. Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß jeder Vermummte zugleich ein potentieller Gewalttäter ist. Zwar mag es zutreffen, daß unter Gewalttätern, die in Versammlungen unter freiem Himmel agieren, signifikant häufiger Personen anzutreffen sind, die Schutzwaffen oder Schutzkleidung tragen und ihre Identität verbergen, denn wer schon die Absicht hat, sich an Gewalttätigkeiten zu beteiligen, wird sich gegen die Anwendung unmittelbaren Zwangs und seine Identifizierung zu schützen suchen. Aber gerade auch friedliebende Teilnehmer, die durch ihre Teilnahme das Gewicht des Anliegens der Veranstaltung und deren Friedlichkeit bekräftigen wollen, werden sich, wenn sie Gewalttätigkeiten einzelner befürchten müssen, mit Schutzkleidung versehen, wenn sie nicht Gesundheit und vielleicht das Leben aufs Spiel setzen wollen.87 Daraus erhellt, daß eine Vorschrift, die die Schutzbewaffnung und Vermummung generell verbieten würde, unangemessen wäre, denn sie würde den Konflikt einseitig zu Lasten der friedlichen Demonstrationsteilnehmer lösen, obwohl die Gewalttätigkeiten nur von einer kleinen Minderheit, zum Beispiel dem „schw^zen Block", ausgehen.88 Der Grundsatz, daß zur Beseitigung der Störung einer Versammlung nur gegenüber dem Störer vorgegangen werden darf, ist hier verfassungsrechtliche Pflicht, so daß vorbeugende Sanktionen gegen potentielle Störer, die friedliche und potentiell unfriedliche Teilnehmer in gleicher Weise treffen, unverhältnismäßig wären. Dem friedlichen Teilnehmer einer Versammlung muß der von der Verfassung garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten bleiben, wenn einzelne Minderheiten Ausschreitungen begehen.89 Angemessen ist damit nur eine Re85 Vgl. Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, Art. 8 S.567; Schulze-Fielitz, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 11; Hueck, in: Grabenwarter/Hammer u. a., Allgemeinheit der Grundrechte und Vielfalt der Gesellschaft, S. 185; Schwind!Baumann u. a., Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Band I, S. 59 f.; Niethammer, BayVBl. 1990, 513f. 86 Schwind!Baumann u. a., in: Schwind/Baumann u.a., Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Band I, S.59ff.; Kast, Das neue Demonstrationsrecht, S.33; Meiski, Der strafrechtliche Versammlungsschutz, S. 174. 87 Hoffmann-Riem, in: Wassermann, Alternativkommentar GG, Art. 8 Rz. 22; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 17a Rz.5; Kast, Das neue Demonstrationsrecht, S.33; Bemmann, in: von Gamm/Raisch/Tiedemann, Festschrift für Gerd Pfeiffer, S. 55; Strohmaier, ZRP 1985,153 [156]; Wolslci, KJ 1983, 272 [280ff.]. 88 Schwind!Baumann u.a., in: Schwind/Baumann u.a., Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Band I, S.59ff. 89 Vgl. BVerfGE 69,315 [361]; OttlWächtler, Versammlungsgesetz, § 17a Rz.4; HoffmannRien ι, in: Wassermann, Altemativkommentar GG, Art. 8 Rz. 23; Herzog, in: Maunz/Dürig u. a.,

1. Kapitel: Das Verbot mit Erlaubnisvorbehlt des § 17a VersG

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gelung, die friedlichen Versammlungsteilnehmern prinzipiell die Teilnahme an einer Versammlung in Schutzkleidung und vermummt erlaubt und nur gewalttätige und unfriedliche Demonstranten vom Verbot erfaßt. 90 2. Verfassungskonforme

Auslegung des § 17a VersG

Ob § 17a VersG so ausgelegt werden kann, daß er den gerade herausgearbeiteten Anforderungen entspricht, ist fraglich. 91 Der Verbotstatbestand des § 17a Abs. 1 und Abs. 2 VersG ist einer solchen verfassungskonformen Auslegung jedenfalls nicht zugänglich. So untersagt er die Schutzbewaffhung im technischen Sinne unabhängig von subjektiven Beweggründen generell. Dies gilt prinzipiell auch für die Vermummung, denn welchen anderen Sinn sollte sie im Regelfall haben, als die Identität des Vermummten zu verschleiern? Zwar kann die Vermummung auch künstlerischen Zwecken oder zum Zwecke der Meinungsäußerung dienen. Für die Staatsgewalt vor Ort sind die Beweggründe jedoch „aus den Umständen" zu schließen, die oft nicht offen zu Tage treten. Die Geltung des Verbots hängt damit extrem von der subjektiven Wertung der handelnden Polizeibeamten ab, die aufgrund der gemachten negativen Erfahrungen mit Vermummten und Passivbewaffneten selten zugunsten dieser Personengruppe ausschlagen wird. 92 Diese Erwägungen gelten auch für das Verbot der Passivbewaffnung im untechnischen Sinne. Fraglich ist deswegen, ob über den Erlaubnisvorbehalt des § 17a Abs. 3, S. 2 VersG und über den Eingriffsvorbehalt des § 17a Abs. 4 VersG eine verfassungskonforme Anwendung des Verbots gewährleistet ist. a) Verfassungskonforme Auslegung des Erlaubnisvorbehalts in § 17a Abs. 3, S. 2 VersG Nach § 17a Abs. 3, S. 2 VersG kann die zuständige Behörde Ausnahmen von den Verboten der Absätze 1 und 2 zulassen, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch die inkriminierten Handlungen nicht zu besoigen ist. Insoweit ist es möglich, eine Erlaubnis immer dann zu erteilen, wenn durch die Vermummung und Passivbewaffnung keine Gefahr für die durch die Verbote geschützten Rechtsgüter besteht. Damit hat jeder einzelne Demonstrant die Möglichkeit, um eine Erlaubnis nachzusuchen, wenn er ein berechtigtes Interesse hat, sich vor den Grundgesetz, Art. 8 Rz.73; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, Art. 8 Rz.24; Kniesel, RuP 1988, 203 [207]. 90 A.A. KG Berlin, NStZ-RR 1997, 185ff. 91 Vgl. Hoffmann-Riem, in: Wassermann, Altemativkommentar GG, Art. 8 Rz. 20,22; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, Art. 8 Rz. 35; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 17a Rz. 1; Preuß, in: Böttcher, Festschrift für Richard Schmid, S. 437 f.; Kühl NJW 1985, 2379 [2382]; Wolski, KJ 1982, 272 [285]. 92 Vgl. dazu Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Rz. 11 ; Meiski, Der strafrechtliche Versammlungsschutz, S. 174.

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Augen der Öffentlichkeit zu verbergen oder sich mit Schutzgegenständen auszurüsten, was für die Angemessenheit der Regelung spricht. Problematisch ist jedoch, daß der Behörde hinsichtlich der Erlaubniserteilung Ermessen eingeräumt ist. Dadurch besteht die Gefahr, daß durch eine restriktive Handhabung der Vorschrift ihr freiheitssichernder Effekt aufgehoben wird. Ermessen bedeutet jedoch stets pflichtgemäßes Ermessen. Für den Erlaubnis vorbehält des § 17a Abs. 3, S. 2 VersG heißt dies, daß die Behörde bei ihrer Entscheidung über die Erteilung der Ausnahmebewilligung die verfassungsrechtliche Grundentscheidung des Art. 8 GG zu beachten hat. Eine Versagung der Erlaubnis kommt damit nur zum Schutz gleichgewichtiger Rechtsgüter bei Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr in Betracht. 93 Die zuständige Behörde hat immer dann eine Befreiung vom Verbot zu bewilligen, wenn sie keine ausreichend sicheren Erkenntnisse für eine erhebliche unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch die Demonstrationsteilnehmer hat, wobei der Umstand, daß ein Versammlungsteilnehmer überhaupt eine Befreiung von den Verboten wünscht, nicht bereits als Indiz für einen drohenden unfriedlichen Verlauf der Versammlung gewertet werden darf. 94 Fehlt es an einer konkreten Gefahr für ein wichtiges Rechtsgut, so steht den Versammlungsteilnehmern ein Anspruch auf Erlaubniserteilung zu, weshalb es sich bei § 17a VersG um ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt handelt.

b) Verfassungskonforme Auslegung der Eingriffsermächtigung in § 17a Abs. 4 VersG Problematisch an dem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ist jedoch, daß es das bewirken kann, was der Demonstrant gerade verhindern will: die Individualisierung gegenüber der Staatsgewalt. Zwar wird es genügen, daß der Veranstalter oder Leiter der Versammlung einen Antrag auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung stellt; es ist jedoch nicht fernliegend, daß dies auf Gruppen von Demonstranten abschreckend wirkt, die Observationen und Registrierungen durch staatliche Stellen befürchten. 95 Dies könnte vermieden werden, wenn in Einzelfällen friedliche Demonstranten auch passivbewaffnet oder vermummt von ihrem Versammlungsrecht Gebrauch machen dürften, ohne vorher eine Erlaubnis nach § 17a Abs. 3, S. 2 VersG einzuholen und ohne ein Eingreifen der Behörden nach § 17a Abs. 4 VersG befürchten zu müssen. 93

Vgl. BVerfG 69,315 [354]; DietellGintzellKniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 17a Rz. 33f.; Gintzel, Die Polizei 1986, 185 [189]. 94 Hoffmann-Riem, in: Wassermann, Alternativkommentar GG, Art. 8 Rz. 20,22; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 17a Rz. 53; DietellGintzellKniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 17a Rz. 33f.; Gintzel, Die Polizei 1986, 185 [189]; einschränkend Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 8 Rz. 60; Bertuleit! H erkströter, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsgesetz, § 17a Rz. 33; Lüken, Die Polizei 1993, 41 [44]. 95 Vgl. OttlWächtler, Versammlungsgesetz, § 17a Rz.51 ff.

1. Kapitel: Das Verbot mit Erlaubnisvorbehlt des § 17a VersG

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Nach § 17a Abs. 4 VersG kann die zuständige Behörde zur Durchsetzung der Verbote der Absätze 1 und 2 Anordnungen treffen. Sie kann insbesondere Personen, die diesen Verboten zuwiderhandeln, von der Veranstaltung ausschließen. Darf aber auch nach § 17a Abs. 4 VersG eingegriffen werden, wenn zwar gegen die Verbote objektiv verstoßen wird, die Versammlung ansonsten aber völlig friedlich ist und von ihr über den Verstoß gegen die Verbote hinaus keine Störungen für die öffentliche Sicherheit ausgehen? Dies wird teilweise unter Hinweis auf §§ 18 Abs. 3 und 19 Abs. 4 VersG bejaht. § 17a Abs. 4 VersG gehe über die angeführten Vorschriften hinaus, indem er für Anordnungen der Behörden keine gröbliche Ordnungsstörung verlange. Allein die Tatsache der Schutzbewaffnung bzw. Vermummung rechtfertige den Ausschluß.96 Gegen diese Ansicht spricht jedoch schon die Intention des Gesetzgebers, die Gewaltbereitschaft bei Versammlungen unter freiem Himmel und bei Aufzügen zu reduzieren. Es entspricht nicht dem Normzweck des § 17a VersG, Anordnungen nach Absatz 4 zur Durchsetzung der Verbote zu erlassen, wenn keine Gefahren für die öffentliche Sicherheit, die über die bloße Verbotsübertretung hinausgehen, ersichtlich sind, d. h. die Demonstrationsteilnehmer sich völlig friedlich verhalten. Das vom BVerfG postulierte grundrechtsfreundliche Verhalten der Behörden läßt Maßnahmen nach § 17a Abs. 4 VersG nur zu, wenn es elementare Rechtsgüter zu schützen gilt und eine Gefahr unmittelbar bevorsteht.97 Da § 17a Abs. 4 VersG der Behörde Ermessen einräumt, steht der Wortlaut der Vorschrift einer solchen verfassungskonformen Auslegung auch nicht entgegen. 3. Zwischenergebnis Demonstrationsteilnehmer und Veranstalter haben einen Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis nach § 17a Abs. 3, S. 2 VersG, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nicht zu besorgen ist. Eine Versagung der Erlaubnis kommt nur zum Schutz gleichgewichtiger Rechtsgüter und nur bei Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr in Betracht. Eine Versagung kann somit insbesondere dann ausgesprochen werden, wenn die Versammlung einen unfriedlichen Verlauf zu nehmen droht. Anordnungen nach § 17a Abs. 4 VersG sind ausschließlich zum Schutz elementarer Rechtsgüter bei Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr zulässig. Die Behörde darf nur aufgrund dieser Vorschrift einschreiten, wenn kein Anspruch auf Erlaubniserteilung besteht. Durch diese Auslegung ist gewährleistet, daß das Passivbewaffnungs- und Vermummungsverbot prinzipiell friedlichen Versammlungsteilnehmern die Teilnahme an einer Versammlung in Schutzkleidung und in einer Aufmachung, die geeignet und darauf gerichtet ist, die Identität zu verhindern, ermöglicht und nur gewalttätige und unfriedliche Demonstranten vom Verbot erfaßt. An der Angemes96 Bertuleit/Herkströter, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 17a Rz.44; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 17a Rz. 37; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz. 524. 97 Vgl. BVerfGE 69,315 [353 ff.]; Meyn, Die sogenannte Vermummung und passive Bewaffnung, S. 186f.; Gintzel, Die Polizei 1986,185 [188].

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. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei § 1

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senheit der Regelung bestehen bei dieser verfassungskonformen Auslegung keine Zweifel. Dies gilt auch im Hinblick auf Spontan- und Eilversammlungen, da die gerade erarbeiteten Grundsätze auch auf diese Formen der ungeordneten Versammlungen Anwendung finden.

C. Schlußfolgerungen für die Definition der formellen und materiellen Versammlungsrechtswidrigkeit bei § 17a VersG Da § 17a VersG verfassungskonform als ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ausgelegt werden muß, ist auch hier eine Differenzierung zwischen formeller und materieller Illegalität möglich. Von formeller Illegalität kann man im Regelungsbereich von § 17a VersG sprechen, wenn die Demonstranten zwar objektiv gegen die Verbote des § 17a Abs. 1 und Abs. 2 VersG verstoßen, ohne im Besitz einer Erlaubnis nach § 17a Abs. 3, S. 2 VersG zu sein, jedoch dem Schutzzweck der Norm nicht zuwiderhandeln, d. h. durch ihr Handeln keine unmittelbare Gefahr für ein hochrangiges Rechtsgut verursachen. Nur in diesem Fall kann man von materiell illegalem Verhalten der Demonstranten sprechen, weil die Norm die Sicherung des inneren Friedens zum Ziel hat und den Ausbruch von Gewalttätigkeiten verhindern soll.

2. Kapitel

Das Eingriffsinstrumentarium des § 17a Abs. 4 VersG Nach § 17a Abs. 4 VersG kann die zuständige Behörde zur Durchsetzung der Verbote der Absätze 1 und 2 Anordnungen treffen. Die Anordnungskompetenz nach § 17a Abs. 4 VersG liegt neben der für die Anmeldung zuständigen Behörde bei der Polizei im institutionellen Sinne, da Anordnungen zur Verbotsdurchsetzung regelmäßig während oder unmittelbar vor der Versammlung ergehen.98 Die Durchsetzung der Verbote der Absätze 1 und 2 kann zum einen darin bestehen, die Fortdauer vollendeter Verbotsverletzungen zu unterbinden, zum anderen aber auch darin, unmittelbar bevorstehende Verbotsmißachtungen zu verhindern. Mögliche Maßnahmen sind neben der Ausschließung der Zuwiderhandelnden auch die Aufforderung, die Schutzwaffen und Vermummungsgegenstände abzulegen.99 Die Anordnungen können sich gegen Einzelpersonen oder in Form der Allgemeinverfügung nach § 35 S. 2 VwVfG gegen Personengruppen richten. Adressaten der Maßnahme 98 Bertuleit/Herkströter, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 17a Rz.52; Dieteil Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 17a Rz.55. 99 Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 17a Rz.59; Gintzel, Die Polizei, 1986, 185 [188].

2. Kapitel: Das Eingriffsinstrumentarium des § 17a Abs. 4 VersG

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können jedoch nur Personen sein, die den Verboten zuwiderhandeln, denn § 17a Abs. 4 VersG enthält keine Ermächtigung zur Teilauflösung der Versammlung, die Beteiligte und Unbeteiligte gleichermaßen träfe. 100 Welche Auswirkungen die formell und/oder materiell illegalen Handlungen der Demonstrationsteilnehmer auf die Entscheidung über eine Anordnung nach § 17a Abs. 4 VersG haben, soll im folgenden geklärt werden. 101

A. Auswirkungen der i. S. v. § 17a VersG formell legalen Handlungen auf die Entscheidung über das Einschreiten nach Abs. 4 Formell legal handeln Teilnehmer einer Versammlung, wenn sie zwar objektiv gegen die Tatbestände des § 17a Abs. 1 und Abs. 2 VersG verstoßen, jedoch im Besitz einer Erlaubnis nach § 17a Abs. 3, S. 2 VersG sind. Anordnungen nach § 17a Abs. 4 VersG müssen aber trotzdem möglich bleiben, denn die der Entscheidung über die Erteilung der Erlaubnis zugrundeliegende Gefahrenprognose kann sich ex post als unzutreffend herausstellen.102 Eine einmal erteilte Erlaubnis zur Passivbewaffnung und/oder Vermummung stellt keinen Freibrief für die ungestörte und anonyme Ausübung von Gewalt dar. Sie erhöht nur die Eingriffsschwelle im Rahmen des Entschließungsermessens, denn die zuständige Behörde rechnet nun mit dem Auftreten von Vermummten und Passivbewaffneten und kann dieses Wissen bei der Beurteilung der Situation und Erstellung der Gefahrenprognose berücksichtigen. Zudem ist die vorherige Einholung einer Erlaubnis ein Zeichen der Kooperationsbereitschaft der Versammlungsteilnehmer und erhöht die Eingriffsschwelle im Hinblick auf das Kooperationsprinzip. Letztendlich muß auch das Vertrauen, daß der einzelne Demonstrant in den Bestand der Erlaubnis setzt, bei der Entscheidung über ein Einschreiten nach §17a Abs. 4 VersG berücksichtigt werden. Dieses ist aber nicht grenzenlos schutzwürdig. Wenn die Passivbewaffneten oder Vermummten sich unfriedlich verhalten und eine unmittelbare Gefahr für ein hochrangiges Rechtsgut entsteht, wird man nicht mehr von schutzwürdigem Vertrauen sprechen können. Das Einschreiten der Behörde nach § 17a Abs. 4 VersG ist dann zulässig, ohne daß es der vorherigen Aufhebung der Erlaubnis bedarf, denn auch hier beschränkt sich die Bindungswirkung der Genehmigung ausschließlich auf den Zeit-

100 DietellGintzellKniesel Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, §17a Rz. 53; vgl. Meyn, Die sogenannte Vermummung und passive Bewaffnung, S. 188. 101 Auf die Problematik, die sich aus der Doppelzuständigkeit der Polizei für die präventive Gefahrenabwehr - § 17a VersG - und der repressiven Strafverfolgung - § 27 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VersG - ergibt, kann dabei nicht vertieft eingegangen werden. Vgl. dazu insbesondere BertuleitlHerkströter, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 17a Rz. 37ff.; Dietel! Gintzel!Kniesel Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 17a Rz. 38 ff. 102 Vgl. Kast, Das neue Demonstrationsrecht, S.41.

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. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei § 1

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punkt ihrer Erteilung. 103 Sie stellt lediglich fest, daß im Erlaßzeitpunkt eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nicht zu besorgen war. Sollte man dem nicht folgen wollen, so kann man in der Anordnung nach § 17a Abs. 4 VersG zumindest auch die konkludente Aufhebung der Erlaubnis nach §§48 oder 49 VwVfG sehen.104 Die Erlaubnis stünde dann behördlichen Eingriffsakten nicht mehr im Wege.

B. Auswirkungen der i. S. v. § 17a VersG formell illegalen Handlungen auf die Entscheidung über das Einschreiten nach Abs. 4 Von formeller Illegalität im Rahmen des § 17a VersG kann man sprechen, wenn Versammlungsteilnehmer gegen die Verbote der Absätze 1 oder 2 verstoßen, ohne im Besitz einer Erlaubnis nach § 17a Abs. 3, S. 2 VersG zu sein. Hier ist problematisch, ob Anordnungen nach § 17a Abs. 4 VersG, insbesondere die Ausschließung von Teilnehmern, möglich sind, wenn trotz der Schutzbewaffnung und/oder Vermummung keine sonstigen Gefahren für die öffentliche Sicherheit durch die inkriminierten Handlungen hervorgerufen werden. Dies wurde oben schon im Hinblick auf Art. 8 GG, der die Beschränkung der Versammlungsfreiheit nur zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter zuläßt, verneint. 105 Dafür spricht auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, denn sie ist als Ergänzung zu den Befugnisnormen der §§15 Abs. 2,18 Abs. 3 und 19 Abs. 4 VersG gedac2ht, die jeweils das Vorliegen einer qualifizierten Gefahr zur Eingriffsvoraussetzung machen.106 Außerdem sollte die Norm als Rechtsgrundlage für Maßnahmen gegen Vermummte und Passivbewaffnete während der Durchführung der Versammlung im Hinblick auf § 125 Abs. 2 StGB a. F. 107 dienen.108 Dieser Tatbestand setzte jedoch das Begehen von Gewalttätigkeiten oder das Drohen mit Gewalttätigkeiten aus einer Menschenmenge voraus, war also auch an das Vorliegen einer qualifizierten Gefahr geknüpft. Anordnungen 103 Α. A. Bertuleit/Herkströter, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 17a Rz. 34; Kast, Das neue Demonstrationsrecht, S.41. 104 Vgl. Bertuleit/Herkströter, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 17a Rz.34; Käst, Das neue Demonstrationsrecht, S.41. 105 Vgl. auch Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 17a Rz.58; Meyn, Die sogenannte Vermummung und passive Bewaffnung, S. 187f.; Gintzel, Die Polizei 1986, 185 [188]. 106 §§ 18 Abs. 3 und 19 Abs. 4 VersG verlangen eine gröbliche Störung der Ordnung. Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 17a Rz.37 folgern aus dem systematischen Zusammenhang zu diesen Vorschriften jedoch, daß für § 17a Abs. 4 VersG das Vorliegen einer qualifizierten Gefahr gerade nicht erforderlich ist. Vgl. auch Bertuleit/Herkströter, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 17a Rz.44. 107 In der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches und des Versammlungsgesetzes vom 18.07.1985, BGBl. I, S. 1511. 108 Vgl. den Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 27.06.1985 zu dem Entwurf eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes-§ 125 (BT-Drs. 10/901)-BT-Drs. 10/ 3580, S.5 und Kast, Das neue Demonstrationsrecht, S.41.

2. Kapitel: Das Eingriffsinstrumentarium des § 17a Abs. 4 VersG

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nach § 17a Abs. 4 VersG dürfen folglich nur dann ergehen, wenn durch den Verstoß gegen das Passivbewaffnungs- und Vermummungsverbot eine unmittelbare Gefahr für ein hochrangiges Rechtsgut entsteht. Maßnahmen nach § 17a Abs. 4 VersG setzen somit materiell illegale Handlungen der Versammlungsteilnehmer voraus. Das Nichteinholen der Erlaubnis gem. § 17a Abs. 3, S. 2 VersG bei beabsichtigter Passivbewaffnung oder Vermummung muß man jedoch auch bei einer materiell legalen Versammlung als einen Verstoß gegen das Kooperationsprinzip werten. Dies gilt erst recht, wenn die Erlaubnis vorher versagt wurde. Dies führt dann zu einem Absinken der Eingriffsschwelle. Für die Spontan- und die Eilversammlung können diese Erwägungen jedoch nur eingeschränkt gelten, denn hier ist die vorherige Einholung der Erlaubnis ja nicht möglich. Dies ist bei der Erstellung der Gefahrenprognose im Hinblick auf den verfahrensrechtlichen Gehalt der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen.

C. Zusammenfassung und Ergebnis Formell legal handeln Teilnehmer einer Versammlung, wenn sie zwar objektiv gegen die Tatbestände des § 17a Abs. 1 und Abs. 2 VersG verstoßen, jedoch im Besitz einer Erlaubnis nach § 17a Abs. 3, S. 2 VersG sind. Haben sie versäumt, eine Erlaubnis zu beantragen, so handeln sie formell illegal, es sei denn, die Versammlungsbehörde erteilt die Erlaubnis von Amts wegen. Die formelle Legalität hindert nicht an einem Eingreifen der Behörde nach § 17a Abs. 4 VersG. Voraussetzung für eine Anordnung nach dieser Vorschrift ist jedoch immer das materiell illegale Agieren der vermummten und passivbewaffneten Teilnehmer. Durch sie muß eine unmittelbare Gefahr für ein hochrangiges Rechtsgut hervorgerufen werden. Die formelle Legalität der Handlungen beeinflußt das Entschließungsermessen der Behörde. Handeln die Demonstranten formell rechtmäßig, so führt dies zu einer Erhöhung der Eingriffsschwelle; umgekehrt zu einem Absinken. Das Erfordernis der materiellen Illegalität für ein Eingreifen nach § 17a Abs. 4 VersG resultiert aus den Gewährleistungen des Art. 8 GG. Die Differenzierung zwischen formeller und materieller Illegalität im Rahmen von § 17a VersG ist somit der Sache nach verfassungsrechtlich geboten.

202

. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei § 1

VersG

3. Kapitel

Strafrechtliche Konsequenzen formeller und/oder materieller Versammlungsrechtswidrigkeit im Hinblick auf § 17a VersG Der Verstoß gegen das Passivbewaffnungs- und Vermummungsverbot des § 17a Abs. 1 und Abs. 2 VersG ist sanktionsbewehrt. Nach §27 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VersG macht sich strafbar, wer entgegen § 17a Abs. 1 VersG bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel oder auf dem Weg dorthin Schutzwaffen im technischen oder untechnischen Sinne mit sich führt, oder entgegen § 17a Abs. 2 Nr. 1 VersG an derartigen Veranstaltungen in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, teilnimmt oder den Weg zu derartigen Veranstaltungen in einer solchen Aufmachung zurücklegt. Nach §29 Abs. 1 Nr. la VersG handelt ordnungswidrig, wer entgegen § 17a Abs. 2 Nr. 2 VersG bei einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder auf dem Weg dorthin Gegenstände, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern, mit sich führt.

A. Überblick über die Problematik des § 27 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VersG Die Straftatbestände des § 27 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VersG sind nicht unproblematisch. Zum einen ist fraglich, ob sie im Hinblick auf Art. 8 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 2 GG vor der Verfassung Bestand haben. Zum anderen ist wegen der oben zu § 17a Abs. 3, S. 2 und Abs. 4 VersG vertretenen Auffassung zu klären, ob es sich bei den Tatbeständen um abstrakte oder konkrete Gefährdungsdelikte handelt. Dies ist auch in der neueren Rechtsprechung und im aktuellen Schrifttum stark umstritten. 109 Von der Beantwortung dieser Frage hängt unter anderem ab, ob es für die strafrechtliche Sanktionsverhängung auf die formelle oder materielle Illegalität der Handlungen der Versammlungsteilnehmer ankommt.

I. Vereinbarkeit des § 27 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VersG mit Art. 8 GG Natürlich stellt sich bei der Pönalisierung des Passivbewaffnungs- und Vermummungsverbots die Frage nach der Vereinbarkeit mit Art. 8 GG, stellt doch das Straf109

Vgl. KG Berlin, NStZ-RR 1997,185 [186]; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.509; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz.499; Maatz, MDR 1990, 577 [584f.].

3. Kapitel: Strafrechtliche Konsequenzen im Hinblick auf § 1

VersG

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recht das stärkste Sanktionsmittel des Staates dar. 110 Insoweit spiegeln sich hier die zu § 17a Abs. 1 und Abs. 2 VersG geführten Kontroversen verstärkt wider. Diese können selbstverständlich nicht erneut geführt werden. Untersucht werden muß aber, welche neuen verfassungsrechtlich relevanten Fragen sich aus der Strafbewehrung der Verbote ergeben, insbesondere, ob die Pönalisierung an sich geeignet, erforderlich und angemessen ist. 1. Geeignetheit Gegen die Strafbewehrung der Vermummung und Passivbewaffnung wird oftmals vorgebracht, sie sei schon gänzlich ungeeignet, ja kontraproduktiv, um das gesetzgeberische Ziel, die Eindämmung von Gewalt bei Demonstrationen, zu erreichen. Durch die Hochzonung der Verbote von der Ordnungswidrigkeit zum Straftatbestand entziehe der Gesetzgeber die Verbote dem Regime des Opportunitätsprinzips und stelle sie unter die Hoheit des Legalitätsprinzips. 111 Er bewirke damit, daß die Polizei bei Verstößen gegen das Verbot gem. § 163 Abs. 1 StPO einschreiten müsse und ihr die erforderliche Flexibilität bei der Lagebewältigung genommen werde. Dadurch könnten aber gerade Gewalteskalationen hervorgerufen werden. 112 Dieser Auffassung ist zuzugeben, daß die Pönalisierung sicherlich zu einem erhöhtem Handlungsdruck der Polizei führt und flexibles Vorgehen erschwert. 113 Dies bewirkt aber nicht die Ungeeignetheit der Vorschriften, denn auch unter der Herrschaft des Legalitätsprinzips kann die Polizei eine Auswahl der Mittel treffen, mit denen sie die Strafverfolgung aufnehmen will. Sie kann ζ. B. von der sofortigen Festnahme der Täter absehen und den Zugriff auf einen Zeitpunkt nach Ablauf der Veranstaltung verschieben. 114 Um Beweismittel zu sichern, kann sie die Täter auch gem. §§ 12a, 19 VersG videographieren und so eine Verdunkelung der Sache verhüten. Ein gem. §§ 258,258a StGB strafbewehrter Verstoß gegen das Legalitätsprinzip läge nur vor, wenn die Strafverfolgung auf Dauer unterbliebe. Dies ist aber nicht schon dann der Fall, wenn vor Ort von einem direkten Zugriff auf militante Demonstranten abgesehen wird, denn auch unter der Herrschaft des Legalitätsprinzips ist es nicht unmöglich, von einem effektiven Zugriff abzusehen, wenn nur so Gefahren für andere hochrangige Rechtsgüter abgewendet werden können. Begründen läßt sich 110

BVerfGE 39,1 [46f.]; 45,187 [260], 50,125 [140]; Kniesel RuP 1988, 203 [206]. Vgl. zur Abgrenzung von Legalitäts- und Opportunitätsprinzip Erb, Legalität und Opportunität, S. 29 ff. 112 Kerner/Kaiser u. a., in: Schwind/Baumann u. a., Ursachen, Kontrolle und Prävention von Gewalt, Band II, S.526; Kniesel RuP 1988, 203 [209]; Lücke, DRiZ 1988, 29 [30]; Schnoor, ZRP 1983,185 [189];/a/w, JZ 1988,545 [548]; vgl. mài Benrath, JR 1984,1 ff.; Niethammer, BayVBl. 1990, 513 [516]. 113 Vgl. Lüken, Die Polizei 1993, 41 [45]; vgl. auch allgemein dazu Vultejus, ZRP 1999, 135 ff. 114 Stümper! Gemmer u. a., in: Schwind/Baumann u.a., Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Band II, S.672f.; Brenneisen, DÖV 2000, 275 [282]. 111

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. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei § 1

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dies mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der auch im Rahmen des Legalitätsprinzips gilt. 115 Im konkreten Einzelfall ist daher durch eine Abwägung zu ermitteln, ob ein Zugriff auf die Vermummten nicht die Gefahr einer Gewalteskalation heraufbeschwört und deswegen zum Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit der übrigen friedlichen Demonstranten und der Polizeibeamten unterbleiben muß. Es kann somit nicht davon gesprochen werden, daß die Pönalisierung gänzlich ungeeignet ist, den gesetzgeberischen Zweck zu erreichen.

2. Erforderlichkeit Eine Strafbewehrung des Passivbewaffnungs- und Vermummungsverbots wird schon deswegen nicht für erforderlich gehalten, weil das bestehende übrige gesetzliche Instrumentarium einen hinreichenden Schutz vermittele. Da das stärkste Gewaltpotential mit der größten kriminellen Energie bei den sogenannten „schwarzen Blöcken" liege und es sich bei diesen um uniformierte Gewalttäter handele, sei ein strafbewehrtes Vermummungsverbot nicht erforderlich, da bereits das mit strafrechtlichen Sanktionen verbundene Uniformverbot der §§3,28 VersG greife. 116 Weiterhin wird bezweifelt, ob dem Gesetzgeber nicht noch andere Mittel als die Strafbewehrung der Passivbewaffnung und Vermummung zur Verhinderung von Gewalttätigkeiten bei Demonstrationen zur Verfügung stehen. Die exekutiven Möglichkeiten zur Entwicklung neuer Strategien und Taktiken seien noch lange nicht ausgereizt, die Polizei in operativer Hinsicht mit ihrem Latein noch nicht am Ende. Wenn der Erlaß von Strafgesetzen aber ultima ratio sei, dann müßten erst andere Mittel zur Verhinderung von Gewalttätigkeiten bei Demonstrationen versagen. 117 Diese Bedenken können jedoch schwerlich zur Verfassungswidrigkeit der Regelung führen. So greift das Uniformverbot gem. § 3 VersG erst dann, wenn öffentlich gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung getragen werden. Das BVerfG hält das Uniformverbot des § 3 VersG nur dann für verfassungsgemäß, wenn es auf das gemeinsame Tragen solcher Kleidung beschränkt wird, die mit Uniformen oder Uniformteilen gleichartig sind. Das Tragen solcher Kleidungsstücke solle verhindert werden, weil das Uniformiertsein dazu geeignet sei, suggestiv-militante Effekte auszulösen und einschüchternde Militanz 115

BVerfGE 44,353 [373]; 59,95 [97]; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz.518; Brenneisen, DÖV 2000, 275 [282]; Jahn, JZ 1988, 545 [549]; Schmidt-Jortzig, NJW 1989,129 [134]. 116 DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, §27 Rz. 16; Jahn, JZ 1988, 545 [551]; Schnoor, ZRP 1983, 185 [188]. 117 Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.503; ders., RuP 1988, 203 [209]; Jahn, JZ 1988,545 [551]; Schnoor, ZRP 1983,185 [188]; vgl. auch Schwind!Baumann u. a., in: Schwind/Baumann u. a., Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Band I, S.210ff.

3. Kapitel: Strafrechtliche Konsequenzen im Hinblick auf § 1

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auszudrücken.118 Den schwarzen Block wird man aber nicht immer unter diese Regelung subsumieren können, weil das Tragen gleichfarbiger Kleidung dazu allein nicht genügen dürfte. Da die Vermummung des schwarzen Blocks ausschließlich zu Zwecken der Gewaltanwendung erfolgt, kann dieser außerdem das Verbot durch Tragen verschiedener Kleidung leicht umgehen, ohne an der Ausübung der Gewalt gehindert zu werden. Auch die weiteren Zweifel hinsichtlich der Erforderlichkeit sind verfassungsrechtlich nicht durchschlagend. Der Gesetzgeber hat die Verbote nur deswegen vom Ordnungswidrigkeiten- zum Straftatbestand hochgezont, weil er mit der präventiven Wirkung der Ordnungswidrigkeitentatbestände unzufrieden war und den Regelungszustand vor Statuierung der Verbote überhaupt als unbefriedigend empfunden hat. 119 Man kann zwar die Geschwindigkeit kritisieren, 120 in der er das geltende Demonstrationsrecht verschärft hat; angesichts seines weiten Beurteilungsspielraums ergeben sich daraus jedoch allenfalls rechtspolitische Bedenken. 3. Angemessenheit Die Strafbewehrung der Verbote betrifft ein Verhalten, das sich im Raum der politischen Auseinandersetzung und Willensbildung im demokratischen Gemeinwesen bewegt. Hieraus folgt, daß sich der Gesetzgeber in diesem äußerst sensiblen Bereich besonderer Zurückhaltung beim Erlaß gesetzlicher Verbote aufzuerlegen hat. Das gilt insbesondere für Strafgesetze, da Strafe als gravierendste Reaktionsmöglichkeit des Staates nur zur Ahndung schweren Unrechts und nur als „ultima ratio" eingesetzt werden darf. 121 Diese von der Verfassung geforderte Zurückhaltung verbietet es aber, friedliche Demonstrationsteilnehmer wegen der Gewalttätigkeiten anderer mit gesetzlichen Verboten zu belegen und sie dadurch von der Wahrnehmung ihrer demokratischen Mitwirkungsrechte abzuhalten.122 Dies gilt um so mehr, 118

BVerfG, MDR 1983, 22; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, §3 Rz.3 f.; Lohse, VR 1983, 263 f.; vgl. auch OVG Weimar, NVwZ-RR 2000, 154. 119 Vgl. den Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten vom 26.08.1988 (BT-Drs. 11/2834, S. 12) sowie die dazugehörige Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 18.04.1989 (BT-Drs. 11/4359, S. 14f.). Vgl. auch Wassermann/Böttcher u.a., in: Schwind/Baumann, Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Band II, S.787; Luken, Die Polizei 1993,41. 120 So Amelungy StV 1989, 72 [73]. 121 Vgl. BVerfGE 69,315 [348ff.]; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, §27 Rz. 15 ff.; Kerner/Kaiser u. a., in: Schwind!Baumann u. a., Ursachen, Kontrolle und Prävention von Gewalt, Band II, S.526; Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, S. 78,242; Jahn,, JZ 1988, 545 [551]; Kühl, NJW 1985, 2379 [2383]. 122 Vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrationsfreiheit, §27 Rz. 16; Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 17a Rz. 1 ; Bemmann, in: v. Gamm/Raisch/Tiedemann, Festschrift für Gerd Pfeiffer, S.57; Jahn,, JZ 1988, 545 [551]; Kühl, NJW 1985, 2379 [2383].

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als daß das BVerfG ausdrücklich judiziert hat, daß Gewalttätigkeiten einzelner Demonstranten den übrigen, friedlichen Demonstrationsteilnehmern nicht den Schutz aus Art. 8 GG rauben. 123 Diesen Anforderungen wird § 27 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VersG nicht gerecht, wenn man ihn als abstraktes Gefährdungsdelikt ansieht und den Tatbestand - wie es der Wortlaut der Norm suggeriert - schon dann als erfüllt betrachtet, wenn objektiv ein Verstoß gegen die Verbote des § 17a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 VersG zu beklagen ist, ohne das Vorliegen einer qualifizierten Gefahr für die öffentliche Sicherheit als tatbestandsreduzierendes Element zu verlangen, denn dann trifft das Verbot auch den friedlichen Demonstranten, der sich nur aus Furcht vor Identifizierung oder Gewalttätigkeiten Dritter vermummt oder passivbewaffnet hat. 124 Die Straftatbestände sind also nur dann verfassungsgemäß, wenn sie verfassungskonform so ausgelegt werden können, daß durch sie nur der potentiell unfriedliche Teilnehmer pönalisiert wird. 125 Dafür sprechen auch rechtsstaatliche Erwägungen. Da nicht jeder vermummte oder passivbewaffnete Demonstrant ein potentieller Gewalttäter ist, liefe die Auslegung des § 27 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VersG als abstraktes Gefährdungsdelikt auf die Einführung einer bloßen Verdachtsstrafe hinaus. Zumindest würde die Strafbarkeit weit in das Vorfeld dessen, was sonst als strafwürdig angesehen wird, verlagert werden, da sie unabhängig von der Verletzung eines konkreten Rechtsguts eintreten würde, ohne daß an eine besonders gefährliche Täterhandlung angeknüpft würde. Beides wäre aber mit einem rechtsstaatlichen Tatstrafrecht nicht zu vereinbaren. 126 4. Verfassungskonforme Auslegung des §27 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VersG Teilweise wird die Vorschrift verfassungskonform so ausgelegt, daß der Tatbestand erst dann als erfüllt angesehen wird, wenn die Vermummung oder Passivbewaffnung objektiv dazu geeignet ist, eine friedensstörende Wirkung zu entfalten. 127 Die oben geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken wären damit ausgeräumt. Eine schlüssige dogmatische Begründung für dieses Auslegungsergebnis liefern die 123

BVerfGE 69,315 [361]; Kühl, NJW 1985, 2379 [2383]. Vgl. Dietel!Gintzel!Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, §27 Rz. 17; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.509; Maatz, MDR 1990, 577 [584]; Rudolphi, StV 1989, 74f. 125 A . A . KG Berlin, NStZ-RR 1997, 185 f.; Bertuleit!Breitbach! H erkströter, in: Ridder/ Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §27 Rz. 12ff.; Meyer/Köhler, Demonstration- und Versammlungsrecht, §27 Anm. 3; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz.500. 126 Vgl. Kast, Das neue Demonstrationsrecht, S.36; Appel, KritV 1999, 278ff.; Amelung, StV 1989,72 [73]; Dencker, StV 1988,262ff.; Rudolphi, StV 1989,72 [75]; Krauß, StV 1989, 315 [321]; Hamm, StV 1988,40ff. 127 DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, §27 Rz. 17; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.509; Maatz, MDR 1990,577 [584f.]. 124

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Vertreter dieser Auffassung jedoch nicht. Insbesondere bleibt offen, aus welchem Merkmal des gesetzlichen Tatbestands die „Eignung zur Friedensstörung" resultieren soll. Der Hinweis auf eine teleologische Reduktion erscheint insoweit eher als eine Verlegenheitslösung.128 Den systematischen Einstieg zu einer verfassungskonformen Interpretation liefert jedoch § 17a Abs. 3, S. 2 und Abs. 4 VersG. 129 Nach diesen Vorschriften ist eine Erlaubnis zur Passivbewaffnung und Vermummung immer dann zu erteilen, wenn keine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu besorgen ist; Anordnungen nach § 17a Abs. 4 VersG dürfen zudem nur bei Vorliegen einer solchen qualifizierten Gefahr getroffen werden. Somit liegt es nahe, den Tatbestand des § 27 Abs. 2 VersG erst dann als erfüllt anzusehen, wenn durch die Passivbewaffnung oder Vermummung eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit entsteht. Dafür spricht insbesondere, daß §27 Abs. 2 VersG als eine im Hinblick auf § 17a VersG akzessorische Regelung anzusehen ist. §§ 17a und 27 Abs. 2 VersG stellen insoweit ein einheitliches Mittel zur Verhinderung von Demonstrationsgewalt dar. 130 Ansonsten wäre die Verweisung in §27 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VersG auf § 17a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 VersG überflüssig. Im Ergebnis handelt es sich also bei den Straftatbeständen bei verfassungskonformer Auslegung um konkrete Gefährdungsdelikte. 131 Wenn das KG Berlin hier eine verfassungskonforme Auslegung ausdrücklich für unzulässig hält, so kann dem nicht gefolgt werden. 132 Das KG Berlin ist der Auffassung, §§ 17a, 27 VersG ließen eine solche verfassungskonforme Interpretation nicht zu, weil sie den möglichen Wortsinn des Gesetzes, der sich aus dem Gesetzeswortlaut und dem Sinnzusammenhang ergäbe, überschreite. Maßgebend für die Interpretation eines Gesetzes sei der in ihm zum Ausdruck gekommene objektivierte Wille des Gesetzgebers.133 Dieser sei nicht darauf gerichtet gewesen, die Strafbarkeit der Vermummung und passiven Bewaffnung vom Vorliegen einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit abhängig zu machen, denn der Gesetzgeber habe die Regelung des § 17a Abs. 3, S. 2 VersG als bewußte Ausnahme ausgestaltet und die Ab128

Vgl. Maatz,, MDR 1990, 577 [584]. Vgl. Amelung, StV 1989, 72 [73]. 130 Bertuleit/Breitbach! Herkströter, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §27 Rz. 14. 131 Vgl. Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 509; Maatz, MDR 1990, 577 [584]; Bertuleit!Breitbach! H erkströter, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, § 27 Rz. 30 bewerten § 27 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VersG zwar als abstraktes Gefährdungsdelikt, halten aber auch schon die Möglichkeit einer Ausnahmeerteilung nach § 17a Abs. 3, S. 2 VersG für die Widerlegung der konkreten Gefährlichkeit für ausreichend. 132 Vgl. KG Berlin, NStZ-RR 1997, 185 ff. Freilich geht das KG Berlin davon aus, daß die §§ 17a, 27 VersG unproblematisch mit der Verfassung vereinbar sind und überhaupt keiner verfassungskonformen Auslegung bedürfen. 133 KG Berlin, NStZ-RR 1997, 185ff. unter Hinweis auf BVerfGE 79,106 [121]; 73,206 [235]; 71,108 [115]. 129

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grenzung zwischen einem verbotenen und erlaubten Tun allein an die geschriebenen Tatbestandsmerkmale geknüpft. 134 Dies resultiere aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes, mit dem der Gesetzgeber das Ziel verfolge, gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Demonstrationen einzudämmen, um den damit verbundenen ernsthaften Störungen des Gemeinschaftsfriedens entgegenzuwirken. Diesen festgestellten Willen des Gesetzgebers anders auszulegen, sei dem Richter verwehrt. Dem KG Berlin ist insoweit zuzugeben, daß verfassungskonforme Auslegung nicht grenzenlos möglich ist. Sie muß sich im Rahmen des Wortlauts der Vorschrift halten und die gesetzgeberischen Grundentscheidungen, Wertungen und die darin angelegten Zwecke der gesetzlichen Regelungen dürfen nicht angetastet werden. 135 Gegen diese Grundsätze wird durch die hier vertretene verfassungskonforme Auslegung aber nicht verstoßen. Der Gesetzgeber wollte mit dem Passivbewaffnungsund Vermummungsverbot einen Verbotstatbestand schaffen, der mit verwaltungsgerichtlichen Rechtsmitteln nicht außer Kraft gesetzt werden kann. 136 Dieses gesetzgeberische Ziel wird auch durch einen konkreten Gefährdungstatbestand erreicht. Die vom KG Berlin unterstellte Kompromißlosigkeit der Verbotsgeltung findet außerdem in den Gesetzesmaterialien keine Bestätigung. So ging man bei den Gesetzesberatungen davon aus, daß die Verbote dann nicht gelten sollten, wenn die Passivbewaffnung und Vermummung ausschließlich der Meinungsäußerung oder künstlerischen Zwecken dienen sollte, ohne daß dies im Wortlaut der Tatbestände deutlich zum Ausdruck käme.137 Die vom KG Berlin behauptete Striktheit der Verbote ist somit nicht nachvollziehbar, was seiner Argumentation den Boden entzieht. II. Vereinbarkeit des § 27 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VersG mit Art. 103 Abs. 2 GG Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 27 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VersG bestehen auch bezüglich der Bestimmtheit der Tatbestände. Insbesondere die Literatur hält die Strafbewehrung der Verbote für mit Art. 103 Abs. 2 GG nicht vereinbar oder doch für bedenklich.138 Gerügt wird hauptsächlich, daß für den Demonstrationsteil134

KG Berlin, NStZ-RR 1997,185 ff. unter Hinweis auf BT-Drs. 11/4359, S. 14. BVerfGE 72,278 [295]; Hesse, Verfassungsrecht, Rz.83; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rz.414; Benda! Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rz. 1199. 136 Vgl. den Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines... Strafrechtsänderungsgesetzes - § 125 StGB (BT-Drs. 10/901) - BT-Drs. 10/3580, S.3f. 137 Vgl. den Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines... Strafrechtsänderungsgesetzes - § 125 StGB (BT-Drs. 10/901)-BT-Drs. 10/3580, S.4. 138 Dietel!Gintzel!Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, §27 Rz. 13; Wache, in: Erbs/Kohlhaas u.a., Strafrechtliche Nebengesetze, V 55, §27 Rz. 11 ; Amelung, StV 1989, 72 [74]; Jahn, JZ 1988,545 [548]; Gintzel, Die Polizei 1986,185 [189f.]; Wolski, KJ 1983,273 135

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nehmer nicht in ausreichendem Maße erkennbar sei, wann er sich strafbar mache, denn auch das Tragen ganz normaler und alltäglicher Kleidung könne schon tatbestandlich sein. Diese Bedenken können nicht geteilt werden. Art. 103 Abs. 2 GG verlangt für das Strafrecht, daß die Tatbestandsmerkmale so genau umschrieben werden, daß Tragweite und Anwendungsbereich des Straftatbestandes zu erkennen sind, so daß für jedermann vorhersehbar ist, welches Verhalten mit welcher Strafe bedroht ist. Die Verwendung auslegungsbedürftiger Begriffe ist dabei zulässig, weil der Gesetzgeber sonst nicht in der Lage wäre, der Vielgestaltigkeit der Verhältnisse Herr zu werden. 139 Daß die Verbote in §§ 17a, 27 Abs. 2 VersG diesen Anforderungen in der hier vorgenommenen verfassungskonformen Auslegung nicht entsprechen, läßt sich schwerlich behaupten. Die Begriffe „Schutzwaffen" oder „Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern" sind jedenfalls nicht von einer solchen semantischen Unschärfe, die ihre Auslegung beliebig erscheinen ließe. Schutzwaffen, Eignung, Identität und Aufmachung sind Termini, die sich im üblichen Vagheitsbereich deskriptiver und normativer Tatbestandsmerkmale halten.140 Dies läßt sich schon daran erkennen, daß die Auslegung dieser Merkmale der Rechtsprechung und Literatur keine allzugroßen Schwierigkeiten macht, auch wenn Einzelheiten umstritten sind. Berücksichtigt man dazu noch, daß der Demonstrant sich nur dann strafbar macht, wenn er durch die Vermummung und Passivbewaffnung eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit hervorruft, sich also in der Regel unfriedlich oder gewalttätig verhält, so kann man an der Bestimmtheit der Normen nicht mehr zweifeln, denn in diesem Falle muß jedem klar sein, daß er die Grenze des straflosen Verhaltens überschreitet. 141 Betrachtet man § 27 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VersG als konkretes Gefährdungsdelikt, so ist jedenfalls eine exakte Grenzziehung zwischen strafloser und strafbarer Vermummung und Passivbewaffnung möglich. I I I . Die Bußgeldbewehrung nach §29 Abs. 1 Nr. la VersG Nach § 29 Abs. 1 Nr. la VersG handelt ordnungswidrig, wer entgegen § 17a Abs. 2 Nr. 2 VersG bei einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder auf dem [283 f.]; a. A. KG Berlin, NStZ-RR 1997,185 [186]; Bertuleit!/Breitbach/ Herkströter, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §27 Rz. 12. 139 EGMR, EuGRZ 1984, 147 [150]; BVerfGE 92,1 [12]; 78,205 [212]; 57,250 [262]; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 103 Rz.48; Zöller, Die Polizei 1996, 204 [205]. 140 Vgl. BGer Lausanne, EuGRZ 1992,137 [138ff.]; KG Berlin, NStZ-RR 1997,185 [186]; Bertuleit/Breitbach/Herkströter, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, §27 Rz. 12; Meyn, Die sogenannte Vermummung und passive Bewaffnung, S. 279ff. 141 So Maatz, MDR 1990, 577 [582ff.]; vgl. auch Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrationsund Versammlungsfreiheit, § 27 Rz. 13, die die Vorschrift für mit Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar halten, weil nicht sichergestellt sei, daß der friedliche Demonstrant nicht bestraft werde. Diese Bedenken werden durch die hier vertretene Auslegung ausgeräumt. 14 Werner

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. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei § 1

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Weg dorthin Gegenstände, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern, mit sich führt. Die Ordnungswidrigkeit kann gem. § 29 Abs. 2,1. Var. VersG mit einer Geldbuße bis tausend Deutsche Mark geahndet werden. Auch dieser Tatbestand stellt ein konkretes Gefährdungsdelikt dar. Anderenfalls wäre er verfassungsrechtlich nicht haltbar, weil er dann unverhältnismäßig wäre. Zwar stellt die Verhängung einer Geldbuße einen wesentlich milderen Eingriff in die Rechte des Täters dar als die Verurteilung zu einer Kriminalstrafe. Beachtet werden muß jedoch auch hier, daß der friedliche Demonstrant einen Anspruch darauf hat, seine Indentität zu verbergen und sich gegen rechtswidrige Angriffe Dritter zu schützen. Ist ihm dies verwehrt, so ist die Abschreckungswirkung, die von einem Bußgeldtatbestand ausgeht, mit der AbschrekkungsWirkung, die von einer Strafbewehrung ausgeht, vergleichbar. 142 Auch systematische Erwägungen sprechen für dieses Ergebnis. Da §29 Abs. 1 Nr. la VersG rechtstechnisch genauso formuliert ist wie §27 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VersG, kann man schwerlich begründen, warum der Verstoß gegen den Bußgeldtatbestand nicht vom Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit abhängig sein soll.

B. Schlußfolgerungen im Hinblick auf die formelle und materielle Illegalität der Versammlung Nach § 27 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VersG macht sich nur strafbar, wer durch die Passivbewaffnung und Vermummung eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit hervorruft, also in der Regel gewalttätig oder unfriedlich agiert. Da diese Vorschriften gerade den Ausbruch von Gewalttätigkeiten verhindern sollen, handelt der Demonstrant dann materiell illegal. Formelle Gesichtspunkte spielen für die Strafbarkeit der Demonstranten keine Rolle. Versammeln sich Demonstranten zwar passivbewaffnet und vermummt, aber völlig friedlich, so ist es für die Erfüllung der Straftatbestände irrelevant, ob eine Erlaubnis nach § 17a Abs. 3, S. 2 VersG beantragt wurde oder nicht. Maßgebend ist allein, ob von den vermummten oder passivbewaffneten Demonstranten eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit, die über das reine Vermummt- oder Passivbewaffnetsein hinausreicht, ausgeht. Eine andere Auslegung würde den Charakter der Vorschriften als konkrete Gefährdungsdelikte mißachten. Umgekehrt läßt die erteilte Erlaubnis nach § 17a Abs. 3, S. 2 VersG nicht die Strafbarkeit nach den Sanktionstatbeständen entfallen, wenn der Demonstrant die Erlaubniserteilung als Freibrief für die Ausübung von Gewalt versteht, denn die Bindungswirkung der Genehmigung beschränkt sich wegen ihres prognostischen Charakters ausschließlich auf den Zeitpunkt ihrer Erteilung. 143 Sie stellt lediglich 142

Vgl. BVerfGE 27,18 [33]; Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, S. 106. Α. A. Bertuleit/Breitbach/Herkströter, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, §27 Rz. 30. 143

4. Kapitel: Gesamtergebnis des 4. Teils

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fest, daß im Erlaßzeitpunkt eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nicht zu besorgen war. Sie vermag die Vermummung und Passivbewaffnung während einer gewalttätig verlaufenden Demonstration nicht zu legalisieren. Kein Demonstrant kann sich darauf berufen, er habe auf die Erlaubniserteilung vertraut, wenn er ein gewalttätiges und aufrührerisches Verhalten an den Tag legt oder unterstützt. Freilich ist es der Versammlungsbehörde nicht versagt, aus Gründen der Rechtssicherheit erteilte Erlaubnisse aufzuheben. Schreitet die Polizei nach §17 Abs. 4 VersG ein, so wird man dies auch als konkludente Aufhebung von erteilten Erlaubnissen werten können. Trotzdem bleibt festzuhalten, daß die Strafbarkeit nach § 27 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VersG prinzipiell nur vom materiell illegalen Verhalten des einzelnen abhängt. Formelle Aspekte spielen keine Rolle. Diese Grundsätze gelten entsprechend auch für § 29 Abs. 1 Nr. la VersG. Sie führen im Ergebnis dazu, daß die Tatbestände stark an Bedeutung verlieren. 144 Anderenfalls würde aber nur der Verstoß gegen eine staatlich vorgegebene Kleiderordnung bestraft, was verfassungsrechtlich unzulässig wäre.

4. Kapitel

Gesamtergebnis des 4. Teils § 17a VersG ist nur dann mit Art. 8 GG vereinbar, wenn er so ausgelegt wird, daß prinzipiell nur gewalttätige und unfriedliche Demonstranten von den Verboten erfaßt werden. Dies kann man dadurch erreichen, daß man Veranstaltern und Teilnehmern einer Versammlung einen Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis nach § 17a Abs. 3, S. 2 VersG einräumt, wenn eine unmittelbare Gefährdung hochrangiger Rechtsgüter nicht zu besorgen ist. Umgekehrt ist ein Einschreiten der Polizei nach § 17a Abs. 4 VersG nur dann zulässig, wenn durch die Vermummung und Passivbewaffnung eine unmittelbare Gefahr für ein elementares Schutzgut der öffentlichen Sicherheit hervorgerufen wird, also kein Anspruch auf Erlaubniserteilung besteht. Die Erlaubniserteilung nach § 17a Abs. 3, S. 2 VersG sperrt nicht das Vorgehen nach § 17a Abs. 4 VersG. Gewalttätige und unfriedliche Demonstranten können nicht auf den Bestand und die Reichweite der Erlaubnis vertrauen. Sie erhöht nur die Eingriffsschwelle im Rahmen des Entschließungsermessens, da die vorherige Einholung der Erlaubnis als Zeichen der Kooperationsbereitschaft gewertet werden und die Polizei ihr Lagebeurteilung dannach einstellen kann. Umgekehrt sinkt die Eingriffsschwelle im Rahmen des Entschließungsermessens, wenn Teilnehmer den Verboten des § 17a Abs. 1 und Abs. 2 VersG zuwiderhandeln, ohne vorher eine Erlaubnis nach § 17a Abs. 3, S. 2 VersG beantragt zu haben. Die fehlende Erlaubnis le144

Diese Einschätzung teilen Ott/Wächtler, Versammlungsgesetz, § 17a Rz. 56 und Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz.341.

212

. Teil: Versammlungsrechtswidrigkeit bei § 1

VersG

gitimiert jedoch nicht allein zu einem Einschreiten nach § 17a Abs. 4 VersG. Voraussetzung dafür ist immer, daß es über die Vermummung und Passivbewaffnung hinaus zu einer unmittelbaren Gefahr für ein elementares Rechtsgut kommt. Verhalten sich die Vermummten und friedlichen Demonstranten völlig ungefährlich, so besteht kein Anlaß für die Versammlungsbehörde einzuschreiten. Eine Versagung der Erlaubnis und das Einschreiten der Behörde ist damit nur zulässig, wenn sich die Versammlungsteilnehmer materiell illegal verhalten. Die formelle (II-) Legalität beeinflußt nur das Entschließungermesen der Behörde. Der Verstoß gegen das Passivbewaffnungs- und Vermummungsverbot ist in §27 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VersG mit Strafe bzw. in § 29 Abs. 1 Nr. la VersG mit einem Bußgeld bewehrt. Die Delikte sind verfassungskonform als konkrete Gefährdungsdelikte auszulegen. Voraussetzung für die Verhängung von Strafe bzw. eines Bußgeldes ist immer, daß durch den Verstoß gegen die Verbote des § 17a Abs. 1 und Abs. 2 VersG eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit hervorgerufen wird, der Versammlungsteilnehmer sich also materiell illegal verhält. Formelle Gesichtspunkte wie die Erlaubniserteilung nach § 17a Abs. 3, S. 2 VersG spielen für die Erfüllung der Straf- und Ordnungswidrigkeitentatbestände keine Rolle.

. Teil

Formelle und materielle Versammlungsrechtswidrigkeit im Hinblick auf die Feiertagsgesetze der Bundesländer Beschränkungen der Versammlungsfreiheit finden sich nicht nur in den Versammlungs· und Bannmeilengesetzen, sondern auch in den Feiertagsgesetzen der Bundesländer. 1 Diese enthalten Versammlungsverbote zum Schutz der Sonn- und Feiertage. Die Versammlungsverbote sind aber nahezu alle mit einem Befreiungsvorbehalt versehen, weshalb sich auch hier eine Untersuchung bezüglich einer möglichen oder gebotenen Differenzierung zwischen formeller und materieller Illegalität und deren Konsequenzen anbietet.

A. Überblick über die Regelungen Nach den Vorschriften einiger Bundesländer sind an Sonn- und Feiertagen öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und öffentliche Auf- und Umzüge, die nicht mit dem Hauptgottesdienst zusammenhängen, während der Zeit dieses Gottesdienstes ausdrücklich verboten. 2 Einige Bundesländer machen die Geltung dieses 1 Vgl. das Feiertagsgesetz Baden-Wüttemberg in der Fassung vom 08.05.1995 (GBl. S.450); Feiertagsgesetz Bayern vom 21.08.1980 (GVB1. S. 215); Feiertagsgesetz Berlin vom 28.10.1954 (GVB1. S.615), zuletzt geändert durch Gesetz vom 02.12.1994 (GVB1. 491) und die Feiertagsschutzverordnung vom 29.11.1954 (GVB1. S. 643/784), zuletzt geändert durch Verordnung vom 23.06.1995 (GVB1. S.386); Feiertagsgesetz Brandenburg vom 21.03 1991 (GVB1. S.44), zuletzt geändert duch Gesetz vom 06.07.1998 (GVB1.1S. 167); Feiertagsgesetz Hessen vom 29.12.1971 (GVB1. S. 344), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26.11.1997 (GVB1. I S. 396); Feiertagsgesetz Mecklenburg-Vorpommern vom 18.06.1992 (GVOB1. S. 342), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20.12.1994 (GVOB1. S. 1055); Feiertagsgesetz Niedersachsen in der Fassung vom 07.03.1995 (GVB1. S.50); Feiertagsgesetz Nordrhein-Westfalen in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.04.1989 (GVB1S. 222), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20.12.1994 (GVB1 S. 1114); Feiertagsgesetz Rheinland-Pfalz vom 15.07.1970 (GVB1. S. 225), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20.12.1994 (GVB1. S.474); Feiertagsgesetz Sachsen-Anhalt vom 22.05.1992 (GVB1. S. 356), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16.12.1994 (GVB1. S. 1044); Feiertagsgesetz Saarland vom 18.02.1976 (Amtsbl. S.213), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27.11.1996 (Amtsbl. S. 1313); Feiertagsgesetz Sachsen vom 10.11.1992 (GVB1. S.536); Feiertagsgesetz Schleswig-Holstein in der Fassung der Bekanntmachung vom 06.03.1997 (GVOB1. S. 149); Feiertagsgesetz Thüringen vom 21.12.1994 (GVB1. S. 1221). 2 Vgl. § 5 Abs. 1 Lit. a) FTG Nds.; § 5 Abs. 1 Lit. a) FTG NW; § 5 Abs. 1 Nr. 1 FTG RhPf.; § 6 Abs. 2 Nr. 1 SFG Saarl.; § 6 Lit a) FTG SH. Als Zeit des Hauptgottesdienstes gilt meist die Zeit zwischen 6.00 Uhr und 11.30 Uhr.

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5. Teil: Feiertagsgesetze der Bundesländer

Verbots davon abhängig, ob die Versammlung den Hauptgottesdienst unmittelbar stört oder zumindest dazu geeignet ist.3 Wieder andere verbieten öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel während dieser Zeit nicht ausdrücklich, sondern beschränken sie mit Hilfe ihrer feiertagsrechtlichen Generalklausel, nach denen an Sonn- und Feiertagen alle öffentlichen bemerkbaren Handlungen verboten sind, die geeignet sind, die äußere Ruhe zu beeinträchtigen, dem Wesen des Sonn- oder Feiertags zu widersprechen oder den Gottesdienst zu stören.4 Aber auch diese Generalklauseln schränken das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gezielt ein, denn auch die Gesetze der Bundesländer, die keine ausdrückliche Beschränkungen für öffentliche Versammlungen vorsehen, kommen dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1, S. 2 GG im Hinblick auf Art. 8 GG nach.5 An sogenannten „stillen Feiertagen" dehnen einige Bundesländer die Verbote sogar zeitlich erheblich aus.6 Um besondere Härten zu vermeiden, können jedoch in der Regel bei Vorliegen eines wichtigen Grundes Befreiungen von den Verboten erteilt werden.7 Der Verstoß gegen die Verbote ist bußgeldbewehrt.8

I. Sinn und Zweck der Regelungen Die Sonn- und Feiertagsgesetze der Länder dienen dem Schutz der durch Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV institutionell garantierten Sonn- und Feiertage. Nach Art. 139 WRV, der durch Art. 140 GG als vollgültiger Bestandteil in das Grundgesetz inkorporiert worden ist, bleiben der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.9 Der Feiertagsschutz knüpft damit sowohl an sozialpolitische als auch an religionsbzw. weltanschauungspolitische Motive an.10 Den Sonn- und Feiertagen soll ein be3 Vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1 FTG MV; § 5 Abs. 1 Nr. 1 FTG Bbg., § 4 Abs. 1 Nr. 1 FSchO Beri.; § 7 Abs. 2 Nr. 1 FTG BW; § 7 Abs. 1 Nr. 4 FTG Hess. 4 Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 FTG Bay.; §4 Abs. 1 FTG LSA; §§4 Abs. 2 und 5 FTG Sachs., §§4 Abs. 2 und 5 FTG Thür. 5 Vgl. Art. 8 FTG Bay.; §9 FTG LSA; §9 FTG Sachs., §9 FTG Thür.; §4 FTG Beri.; §9 FTG Bbg.; § 10 FTG MW; § 13 FTG Hess.; §6 FTG SH.; § 13 SFG Saar.; § 11 FTG RhPf.; §5 FTG Nds.; § 12 FTG NW; § 9 FTG Sachs. 6 Vgl. §8 Abs. 1 Nr.2 FTG BW; §5 FTG LSA; §6 Abs. 1 Nr.3 FTG Thür.; §8 Nr.3 FTG Hess.; §6 FTG Nds. 7 Vgl. § 12 Abs. 1 FTG BW; Art 5 FTG Bay.; §9 FSChVO Beri.; § 8 FTG Bbg.; § 14 FTG Hess.; § 8 FTG MV; § 14 FTG Nds.; § 10 FTG NW; § 10 FTG RhPf.; § 12 SFG Saar.; § 7 FTG LSA; § 7 FTG Sachs.; § 11 FTG SH; § 7 FTG Thür. 8 Vgl. § 13 FTG BW; Art 7 FTG Bay.; § 5 FTG Beri.; § 10 FTG Bbg.; § 16 FTG Hess.; § 9 FTG MV; § 13 FTG Nds.; § 11 FTG NW; § 12 FTG RhPf.; § 14 SFG Saar.; § 8 FTG LSA; § 8 FTG Sachs.; § 12 FTG SH; § 8 FTG Thür. 9 Vgl. Benda, Probleme der industriellen Sonntagsarbeit, S. 19 ff. 10 Hollerbach, in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht, § 140 Rz. 61 ff.; v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/Klein/v. Campenhausen, Bonner Grundgesetz, Art. 140 Rz. 17; Kästner, in: Listi/ Pirson, Staatskirchenrecht, §51 S.342.

5. Teil: Feiertagsgesetze der Bundesländer

sonderer Charakter gesichert werden, der sie von den sonstigen Werktagen deutlich abhebt.11 Dem einzelnen werden durch die allgemeine Gewährleistung arbeitsfreier Zeit Möglichkeiten physischer Erholung gesichert und die Voraussetzungen geschaffen, sich entsprechend seiner persönlichen religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung mit geistigen Fragen der menschlichen Existenz auseinanderzusetzen und die betreffenden Tage adäquat zu begehen. In diesem Sinne sind die Sonn- und Feiertage von Verfassungs wegen der gesamtheitlichen personalen Regeneration des einzelnen zu dienen bestimmt.12 Daneben gewährleistet die Verfassung den Kirchen sowie den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften durch die Institutionalisierung bestimmter Nichtwerktage einen Rahmen zur Entfaltung ihres Auftrags und Selbstverständnisses in Form von allgemeinen und speziell feiertagsbezogenen Gottesdiensten und sonstigen religiösen Veranstaltungen.13 Von Verfassungs wegen wird ein gesellschaftlicher Freiraum zur seelischen Erhebung gewährleistet und ein Entfaltungsraum geboten, der über den grundrechtlichen Status der religiösen Bekenntnisfreiheit gem. Art. 4 GG hinausführt. Diesen Freiraum zu schützen ist insbesondere Aufgabe der Handlungs- und Versammlungsverbote in den Feiertagsgesetzen. Dabei kommt dem Schutz der Freiheit der Religionsausübung ein besonderer Stellenwert zu. 14 Dies erklärt auch die besondere Protektion des Gottesdienstes in den Feiertagsgesetzen der Länder.

II. Das Genehmigungsverfahren Als Bestandteil des Grundgesetzes ist die Verfassungsgarantie des Sonn- und Feiertagsschutzes im Gesamtzusammenhang der Verfassung zu sehen. Dies gilt insbesondere für die gegenseitige Zuordnung zwischen Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV einerseits und individuellen grundrechtlich geschützten Positionen andererseits. Der Gesetzgeber muß den Schutz der Sonn- und Feiertage als verfassungsgesetzlich vorgeschriebenes Regelungselement im Rahmen der ihm zukommenden Gesetzgebungsmacht mit anderen bedeutsamen Regelungselementen zum Ausgleich bringen. Dies ist de lege lata vor allem durch den Erlaß von Vorschriften geschehen, welche sachbezogene Ausnahmen von den bestehenden feiertagsrechtli11

BVerwGE79,118 ff; 79,236ff. Kästner, in: Listl/Pirson, Staatskirchenrecht, §51 S.342. BVerwGE 90,337 [343]; OVG Magdeburg, NJW 1999,2982 [2983]; Häberle, Feiertagsgarantien als kulturelle Identitätselemente des Verfassungsstaates, S. 53; Busch/Werner, DÖV 1998,680 [683]. 13 Kästner, in: Listl/Pirson, Staatskirchenrecht, §51 S.342; Busch/Werner, DÖV 1998, 680 [683]. 14 Vgl. Hemmrichy in: v. Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, Art. 140 GG Rz.41; Hoeren!Mattner y Feiertagsgesetze der Bundesländer, § 1 Rz. 2; Mattner y Sonn- und Feiertagsrecht, §7 Rz. 10. 12

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5. Teil: Feiertagsgesetze der Bundesländer

chen Beschränkungen beinhalten. Damit soll verhindert werden, daß einzelne verfassungsrechtliche Aspekte auf Kosten anderer verabsolutiert werden. 15 Nach den Versammlungsverboten der Feiertagsgesetze sind öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel während der Hauptzeit des Gottesdienstes untersagt, wobei diese Beschränkungen nicht durchweg davon abhängig sind, ob das fragliche Verhalten zu einer unmittelbaren Störung des Gottesdienstes führt oder zu führen geeignet ist. Bei Vorliegen eines dringenden Bedürfnisses können aber Ausnahmen von der Verboten zugelassen werden, sofern damit keine erhebliche Beeinträchtigung des Sonn- und Feiertagsschutzes verbunden ist. 16 Die Zuständigkeit für die Erteilung der Ausnahmen ist in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich geregelt. Soweit die für die Erteilung der Ausnahme zuständige Behörde mit der zuständigen Versammlungsbehörde nicht identisch ist, ist dies problematisch. 17 Die §§ 14 und 15 VersG bilden nämlich ein in sich geschlossenes und abschließendes Regelungswerk zu Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung für Versammlungen unter freiem Himmel. 18 Der Schutz der öffentlichen Sicherheit durch § 15 VersG umfaßt die gesamte Rechtsordnung und damit auch das jeweilige Feiertagsgesetz. Insoweit greift auch hier der versammlungsrechtliche Konzentrationsgrundsatz, so daß die Versammlungsbehörden über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Demonstration am Feiertag abschließend entscheiden.19 Diese haben sich allerdings mit den nach den Feiertagsgesetzen zuständigen Behörden ins Benehmen zu setzen und gegebenenfalls noch die betroffenen Religionsgemeinschaften zu hören. 20 Sodann ergeht eine abschließende Entscheidung ausschließlich auf der Grundlage von § 15 Abs. 1 VersG.21

15

Vgl. BVerwGE 79,118 [123]; OVG Magdeburg, NJW 1999, 2982 [2983]; NJW 1999, 2985ff.; Pirson, in: Herzog/Kunst u.a., Evangelisches Staatslexikon, Sp. 3153. 16 Vgl. § 12 Abs. 1 FTG BW; Art 5 FTG Bay.; § 9 FSChVO Beri.; § 8 FTG Bbg; § 14 FTG Hess; § 8 FTG MV; § 14 FTG Nds.; § 10 FTG NW; § 10 FTG RhPf.; § 12 SFG Saar.; § 7 FTG LSA; §7 FTG Sachs.; §11 FTG SH; §7 FTG Thür.; Hoeren!Mattner, Feiertagsgesetze der Bundesländer, § 8 Rz. 2 ff. 17 Dies ist in Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Thüringen der Fall. 18 BVerwGE, DVB1. 1989, 995 [996]; VGH Mannheim, NVwZ 1998, 761 f.; Mayer, JA 1998, 345 [346]; Guidi , VR 1999, 178 [180]; Deutelmoser, NVwZ 1999, 240 [243]; Deger, NVwZ 1999, 265 [266ff.]. 19 Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 133a; Deger, VB1BW1995, 303 [305]. 20 Vgl. § 12 Abs. 3 FTG BW; § 7 Abs. 2 FTG Sachs. 21 So ausdrücklich Hobbeling, Zulässigkeit und Grenzen präventiven Einschreitens gegen Demonstrationen nach § 15 VersG, S. 100.

5. Teil: Feiertagsgesetze der Bundesländer

B. Verfassungsmäßigkeit der Versammlungsverbote nach den Feiertagsgesetzen Die in den Feiertagsgesetzen normierten Versammlungsverbote sind über die gerade beschriebene verfahrensrechtliche Problematik hinaus auch noch in verfassungsrechtlicher Hinsicht zweifelhaft. Man kann nämlich die Frage stellen, ob der Landesgesetzgeber überhaupt für die Statuierung eines Versammlungsverbotes in den Feiertagsgesetzen zuständig ist oder damit nicht vielmehr in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes eingreift.

I. Gesetzgebungskompetenz Gem. Art. 70 Abs. 1 GG haben die Länder das Recht zur Gesetzgebung nur, soweit das Grundgesetz nicht dem Bunde Gesetzgebungsbefugnisse verleiht. Dies bemißt sich gem. Art. 72 Abs. 2 GG nach den Vorschriften über die ausschließliche und konkurrierende Gesetzgebung. Eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz besteht gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG für das Versammlungsrecht. Unter Versammlungsrecht im Sinne dieser Vorschrift versteht man alle öffentlich-rechtlichen Regelungen über das Versammlungs wesen.22 Darunter fällt das öffentliche Recht über die Planung, Durchführung, Beaufsichtigung und Auflösung von Versammlungen. Es umfaßt auch die Vorbereitung und Organisation der Versammlung wie ihre Anmeldung und das Einholen von Genehmigungen.23 Daß die Länder durch die Statuierung von temporären Versammlungsverboten mit Erlaubnisvorbehalt an Sonn- und Feiertagen auf dem Gebiet des Versammlungswesens tätig werden, kann nicht geleugnet werden. Das gilt auch für die Bundesländer, die nur Beschränkungen für „öffentliche Veranstaltungen" in ihren Feiertagsgesetzen vorsehen, denn hierunter fallen auch öffentliche Versammlungen. Dies läßt sich schon damit begründen, daß auch in diesen Feiertagsgesetzen ausdrücklich darauf hingewiesen wird, daß das Grundrecht aus Art. 8 GG eingeschränkt wird, um dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1, S. 2 GG zu entsprechen.24 Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben aber die Länder gem. Art. 72 Abs. 1 GG die Befugnis zur Gesetzgebung nur, solange und soweit der Bund nicht von seiner Gesetzgebungszuständigkeit durch Gesetz Gebrauch gemacht hat. Ein Gebrauchmachen liegt vor, wenn ein Bundesgesetz eine bestimmte Frage ausdrücklich geregelt hat oder wenn dem Gesetz durch „Gesamtwürdigung des betreffenden Normbereichs" zu entnehmen ist, daß es eine erschöpfende Regelung einer 22 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 74 Rz. 12; Degenhard in: Sachs, GG, Art. 74 Rz. 26; Löwer, in: Dolzer/Vogel, Bonner Kommentar, Art. 74 Rz. 37 ff. 23 Pestalozzi in: v. Mangoldt/Klein/Pestalozza, Bonner Grundgesetz, Art. 74 Rz.212. 24 Vgl. Art. 8 FTG Bay; § 9 FTG LSA; § 9 FTG Sachs., §§ 9 FTG Thür.

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5. Teil: Feiertagsgesetze der Bundesländer

bestimmten Materie darstellt. 25 Nun hat der Bund mit dem Versammlungsgesetz keine ausdrückliche Regelung für Versammlungen an Sonn- und Feiertagen getroffen. Sein abschließender Charakter zumindest für öffentliche Versammlungen wird aber heute kaum noch in Frage gestellt. Im Bereich der öffentlichen Versammlung gilt das Versammlungsgesetz exklusiv und schließt parallele oder verdrängende Maßnahmen irgendwelcher Art aufgrund landesrechtlicher Vorschriften, die der Versammlung und ihren Teilnehmern als solchen gelten, kategorisch aus.26 Daß es sich bei den Versammlungsverboten in den Feiertagsgesetzen um solch parallele oder verdrängende Regelungen handelt, wird man nicht bestreiten können. Dies gilt auch im Hinblick auf den feiertagsrechtlichen Bezug der Vorschriften. Zwar ist allgemein anerkannt, daß nicht der Bund, sondern die Länder die Kompetenz zur Festsetzung von Feiertagen besitzen.27 Von der Frage der Festsetzung von Feiertagen, die grundsätzlich den Ländern zusteht, sind jedoch die Regelungen zu unterscheiden, die hieran anknüpfend die einzelnen rechtlichen Wirkungen der Feiertagsfestsetzung normieren. 28 Die Zulässigkeit dieser Folgeregelung richtet sich nach der gewöhnlichen kompetentiellen Zuordnung des Grundgesetzes, welches gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. Art. 72 Abs. 1 GG für die Länder bezüglich des Versammlungsrechts eine Sperrwirkung eintreten läßt, weil der Bundesgesetzgeber insoweit von der ihm zustehenden Kompetenz wirksam und abschließend Gebrauch gemacht hat.29 Damit sind die Feiertagsgesetze der Länder, soweit sie Regelungen über die Beschränkungen von öffentlichen Versammlungen enthalten, mangels Gesetzgebungskompetenz verfassungswidrig. 30 II. Zwischenergebnis Die Länder haben keine Gesetzgebungskompetenz für die Beschränkung von öffentlichen Versammlungen. Die Versammlungsverbote in den Feiertagsgesetzen der Länder sind damit verfassungswidrig und nichtig. Gegenüber Versammlungen kann 25 BVerfGE 7,342 [347]; 49,343 [358]; 67,299 [324]; Pieroth,, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 72 Rz.2. 26 Vgl. BVerwGE, DVB1. 1989, 995 [996]; VGH Mannheim, NVwZ 1998, 761 f.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 74 Rz. 12; Pestalozzi in: v. Mangoldt/Klein/Pestalozza, Bonner Grundgesetz, Art. 74 Rz.213; Mayer, JA 1998, 345 [346]; Guidi , VR 1999,178 [180]. 27 BayVerfGE 6,78 [95]; 21,67 [71]; 35 10 [18f.]; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 70 Rz. 12; DalekU DB 1994, 2234f. 28 Pieroth!Störmer, Die Feiertagsregelung des Pflegeversicherungsgesetzes, S. 13. 29 Vgl. Pestalozza, in: v. Mangoldt/Klein/Pestalozza, Bonner Grundgesetz, Art. 74 Rz.216. 30 So VG Schleswig, DuR 1984, 345 f.; Pestalozza, in: v. Mangoldt/Klein/Pestalozza, Bonner Grundgesetz, Art. 74 Rz. 216; Bertuleit!Steinmeier, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 1 Rz. 44; zweifelnd Kniesel, in: Lisken/Denninger, Polizeirecht, Abschnitt H, Rz. 133; a. A. Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, §4 Rz. 1, §7 Rz.59; Hoeren!Mattner, Feiertagsgesetze der Bundesländer, Einführung, Rz. 37 ff.; Zeitler, Versammlungsrecht, Rz. 252; Müller, Wirkungsbereich und Schranken der Versammlungsfreiheit, S. 126 f.; Alberts , ZRP 1988, 285 [286].

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der feiertagsrechtliche Schutz nur über den Filter des § 15 VersG ausgeübt werden. Insoweit kann auf die Ausführungen im 2. Kapitel verwiesen werden. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Fragen zur formellen und materiellen Illegalität der Versammlung, weil gerade die in den Feiertagsgesetzen der Länder vorgesehenen Genehmigungsvorbehalte für öffentliche Versammlungen an Feiertagen unwirksam sind. Das gilt aber auch hinsichtlich der Bußgeldbewehrung der feiertagsrechtlichen Versammlungsverbote. 31 Auch diese sind verfassungswidrig, so daß an Feiertagen, was Versammlungen angeht, nur das allgemeine Demonstrationsstraf- und ordnungswidrigkeitenrecht zur Anwendung kommt.

C. Beschränkbarkeit von Versammlungen an Feiertagen Stellung genommen werden soll aber noch zu der Frage, inwieweit die Versammlungsbehörden feiertagsrechtliche Erwägungen bei ihrer Entscheidung nach § 15 VersG zu berücksichtigen haben. Auch wenn die ausdrücklichen Einschrängungen der Versammlungsfreiheit inklusive Bußgeldbewehrung in den Feiertagsgesetzen der Bundesländer mangels Gesetzgebungskompetenz verfassungswidrig sind, so heißt dies doch nicht, daß die Feiertage gegenüber Versammlungen keinen Schutz genießen.32 Im Gegenteil muß bei der Entscheidung, ob eine Versammlung an einem Feiertag verboten oder mit Auflagen bewehrt werden soll, beachtet werden, daß die Sonn- und Feiertage durch das einschlägige Landesrecht besonders gesetzlich geschützt sind, weil sie als ein Grundelement des sozialen Zusammenlebens verfassungskräftig gewährleistet werden. In diesem Rahmen kann der gesetzliche Schutz der Sonn- und Feiertage auch das Verbot von Tätigkeiten umfassen, die mit der verfassungsgesetzlich festgelegten Zweckbestimmung des Feiertags als Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung nicht vereinbar sind. Schon diese Unvereinbarkeit kann ein Verbot und eine damit verbundene Einschränkung grundrechtlicher Freiheiten rechtfertigen, ohne daß es darauf ankäme, ob die verbotene Tätigkeit generell oder im Einzelfall über diese Unvereinbarkeit hinaus zu einer konkreten Störung der Feiertagsruhe führt. 33 Beachtet werden muß jedoch auch, daß Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV nicht auf eine allgemeine Feiertagsruhe oder gar auf eine dem religiösen, weltanschaulichen oder staatlichen Sinngehalt des jeweiligen Tages entsprechende Betätigung abzielt. Eine derartige Auslegung der feiertagsrechtlichen Schutzvorschriften wider31

Vgl. § 13 FTG BW; Art 7 FTG Bay.; §5 FTG Beri.; § 10 FTG Bbg; § 16 FTG Hess; §9 FTG MV; § 13 FTG Nds.; § 11 FTG NW; § 12 FTG RhPf.; § 14 SFG Saar.; § 8 FTG LSA; § 8 FTG Sachs.; § 12 FTG SH; § 8 FTG Thür. 32 Vgl. Breitbach/Deiseroth/RühU in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 15 Rz. 194. 33 Vgl. BVerwGE 79,118 [124]; 79,236 [238ff.]; OVG Magdeburg, NJW 1999, 2982 [2983]; OVG Greifswald, NVwZ 1999, 789.

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spreche schon der weltanschaulichen Neutralität des Staates.34 Auch an Feiertagen hat jeder einzelne das Recht, den arbeitsfreien Sonn- und Feiertag nach seinem persönlichen Geschmack zu gestalten. Schon aufgrund der Freiheit zur persönlichen Lebensgestaltung sind daher Betätigungen unterschiedlicher Art mit der Zweckbestimmung der Sonn- und Feiertage vereinbar, sofern sie frei von werktäglicher Geschäftigkeit sind.35 Daraus erhellt, daß auch öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel grundsätzlich an Sonn- und Feiertagen zulässig sind, da ihnen kein typisch werktägliches Gepräge anhaftet. Die Bürger machen vielmehr bei Demonstrationen und Versammlung von einem der vornehmsten Grundrechte überhaupt Gebrauch und praktizieren ein Stück unmittelbarer und ungebändigter Demokratie. Berücksichtigt werden muß jedoch, daß Art. 139 WRV den äußeren Rahmen dafür schafft, daß der einzelne Bürger sein Grundrecht aus Art. 4 GG ausüben kann und ungestörten Zugang zu Gottesdiensten u. s. w. erhält. Eine Versammlung, die dieses Recht vereiteln würde, wäre sicherlich unzulässig.36 Als verhältnismäßig werden deswegen noch Maßnahmen zu gelten haben, die einerseits den Schutz von Gottesdiensten und ähnlichen Veranstaltungen bezwecken, andererseits aber das Stattfinden der Versammlung dem Grunde nach gewährleisten. Zu denken ist dabei an örtliche und zeitliche Beschränkungen der Versammlungsfreiheit. So kann die Versammlungsbehörde verfügen, daß Demonstrationen während der Zeit des Gottesdienstes außerhalb der Reichweite von Gotteshäusern stattfinden oder zeitversetzt erfolgen, wenn eine unmittelbare Gefahr für die Grundrechtsausübung Dritter besteht.37 Abstrakte Versammlungsverbote mit dem Hinweis auf stattfindende Gottesdienste oder ähnliche Veranstaltungen dürften indes unverhältnismäßig sein, wenn eine Gefahr für die Beeinträchtigung der Religionsausübungsfreiheit nicht erkennbar ist. 38

D. Ergebnis Die in den Feiertagsgesetzen der Länder vorgesehenen Beschränkungen für öffentliche Versammlungen entfalten keine Wirkung, da sie wegen fehlender Gesetz34

BVerwGE 90,337 [344]; OVG Magdeburg, NJW 1999,2982 [2983]; Häberle, Feiertagsgarantien als kulturelle Identitätselemente des Verfassungsstaates, S. 35. 35 BVerwGE 90,337 [344]; OVG Magdeburg, NJW 1999, 2982 [2983]; v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/Klein/v. Campenhausen, Bonner Grundgesetz, Art. 140 Rz. 10. 36 v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/Klein/v. Campenhausen, Bonner Grundgesetz, Art. 140 Rz. 17,35. 37 Vgl. Hobbeling, Zulässigkeit und Grenzen präventiven Einschreitens gegen Demonstrationen nach § 15 VersG, S. 100; v. Mutius, JURA 1988, 79 [87]; vgl. auch Jellinek, Verwaltungsrecht, S.490. 38 Vgl. Pestalozza, in: v. Mangoldt/Klein/Pestalozza, Bonner Grundgesetz, Art. 74 Rz.216 Fn. 387; BreitbachlDeiserothlRühl, in: Ridder/Breitbach u. a., Versammlungsrecht, § 15 Rz. 194; DietellGintzell Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 1 Rz. 163, §5 Rz. 10.

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gebungskompetenz der Länder verfassungswidrig und nichtig sind. Gegenüber Versammlungen kann der feiertagsrechtliche Schutz nur über den Filter des § 15 VersG ausgeübt werden. Verhältnismäßig sind jedoch nur solche Beschränkungen, die einerseits den Schutz von Gottesdiensten und ähnlichen Veranstaltungen bezwecken, andererseits aber das Stattfinden der Versammlung dem Grunde nach gewährleisten. Dies ist insbesondere bei zeitlichen und örtlichen Beschränkungen der Fall. Voraussetzung ist jedoch stets, daß eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Form einer Gefahr für die Religionsausübungsfreiheit Dritter besteht, die Versammlung also materiell illegal wäre.

. Teil

Zusammenfassung und Gesamtergebnis § 14 VersG ist mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG vereinbar, wenn bei seiner Auslegung und Anwendung beachtet wird, daß die Anmeldepflicht bei Spontanversammlungen und die Anmeldefrist bei Eilversammlungen nicht greift. Im Hinblick auf Großdemonstrationen ist die Vorschrift dahingehend verfassungskonform auszulegen, daß neben einer Gesamtanmeldung auch die Teilanmeldung durch einzelne Gruppen in Betracht kommt. Im Rahmen von § 14 VersG kann man von formeller Illegalität der Versammlung sprechen, wenn eine erforderliche Anmeldung fehlt, nicht rechtzeitig erfolgt oder unvollständig ist. Formelle Illegalität liegt ebenfalls vor, wenn die Versammlung abweichend von den in der Anmeldung gemachten Angaben durchgeführt wird. Von partiell formeller Illegalität kann man sprechen, wenn bei Großdemonstrationen die Anmeldung von einzelnen nicht unbedeutenden Gruppen fehlt bzw. unvollständig ist. Eine Versammlung ist gem. § 15 VersG materiell illegal, wenn durch sie die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet wird, weil bei einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit gegen den Schutzzweck der Norm verstoßen wird. Die materielle Illegalität ist prinzipiell Voraussetzung für die Auflösung einer Versammlung. Es muß eine unmittelbare Gefahr für ein hochrangiges Rechtsgut bestehen. Formelle Verstöße beeinflussen das Entschließungsermessen im Hinblick auf eine Beschränkung der Versammlungsfreiheit. Die formelle Rechtswidrigkeit einer Versammlung führt zum Absinken der Eingriffsschwelle. Die formelle Rechtmäßigkeit einer Versammlung bewirkt, daß die Eingriffs- und Reaktionsschwelle bei der angemeldeten Versammlung angehoben wird und bei der zulässigerweise unangemeldeten Versammlung nicht absinkt. Auch im Rahmen von § 15 Abs. 2,3. Var. VersG kann man zwischen einer formellen und materiellen Betrachtungsweise unterscheiden. Der Verstoß gegen eine Auflage begründet nur dann eine Befugnis zum Einschreiten, wenn dadurch über den Verstoß gegen den Verwaltungsakt hinaus eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit hervorgerufen wird, die Versammlung mithin gegen den Schutzzweck der Norm verstößt, also materiell illegal wird. Der Verstoß gegen die Auflage allein, das bloße Verfügungsunrecht, begründet keine Eingriffsbefugnis. Hier kann man getrost nur von formeller Illegalität sprechen. Die Auflösung einer Versammlung gem. § 15 Abs. 3 VersG ist in der Regel obligatorisch. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ist aber vom Erlaß einer Auflö-

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sungsverfiigung abzusehen, wenn die trotz bestehenden Verbots durchgeführte Versammlung friedlich ist und keine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit hervorruft. Voraussetzung für die Auflösung der Versammlung gem. § 15 Abs. 3 VersG ist somit deren materielle Illegalität. Folglich kann man auch hier zwischen formeller und materieller Illegalität differenzieren. Ausnahmsweise kann gegen eine Versammlung auch vorgegangen werden, wenn sie materiell rechtmäßig ist. Ihre Inanspruchnahme ist dann unter den Voraussetzungen des echten oder unechten polizeilichen Notstandes möglich. Im Gegenzug kann aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ein Vollstreckungsverbot bei einer materiell rechtswidrigen Versammlung bestehen. Eine Strafbarkeit von Veranstalter und Leiter einer Versammlung nach dem VersG wegen Durchführung einer unangemeldeten Versammlung, Abweichung von den Angaben in der Anmeldung und Durchführung einer auflagen- oder verbotswidrigen Versammlung kommt nur bei formeller und materieller Illegalität der Versammlung in Betracht. Dies gilt auch für die Strafbarkeit der Fortsetzung einer Versammlung trotz Auflösung oder Unterbrechung. Die Teilnahme an einer verbotenen, aufgelösten oder auflagenwidrigen Versammlung kann nur dann mit einem Bußgeld geahndet werden, wenn die Versammlung formell und materiell illegal ist. Auch die Strafbarkeit von Veranstaltern, Leitern oder Teilnehmern einer Versammlung nach § 240 Abs. 1 StGB wegen Leistens passiven Widerstandes setzt die formelle und materielle Illegalität der Versammlung voraus. Eine Strafbarkeit von Versammlungsbeteiligten im Rahmen von §§ 14 und 15 VersG kann somit grundsätzlich nur bei formeller und materieller Illegalität der Versammlung erfolgen. § 16 VersG i. V. m. den BannmlGen ist nur dann mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit vereinbar, wenn bei der Auslegung und Anwendung der Bannmeilengesetze beachtet wird, daß dem Bürger ein Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zusteht, wenn die geplante Versammlung dem Schutzzweck der Bannmeile nicht zuwiderläuft. Von reiner formeller Illegalität im Rahmen von § 16 Abs. 1 VersG i. V. m. den BannmlGen kann man sprechen, wenn die Versammlung im Bannkreis zwar ohne die erforderliche Genehmigung, aber ansonsten schutzzweckadäquat durchgeführt wird. Dies gilt sowohl für den Fall, daß gar keine Genehmigung beantragt wurde, als auch für den Fall, daß eine beantragte Genehmigung abgelehnt wurde. Nur wenn die Versammlung im Bannkreis auch gegen den Schutzzweck der Regelung verstößt und dadurch eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit hervorruft, ist sie materiell rechtswidrig. Eine genehmigte Versammlung im Bannkreis gilt nicht als verboten i. S. v. § 15 Abs. 3 VersG. Eine Legalisierung einer dem Schutzzweck der Bannmeilengesetze zuwiderlaufenden Versammlung durch die Genehmigung findet trotzdem nicht statt. Die Auflösung einer genehmigten Versammlung im Bannkreis ist nach Maßgabe des § 15 Abs. 2,4. Var. VersG bei materieller Illegalität möglich. Die Geneh-

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6. Teil: Zusammenfassung und Gesamtergebnis

migung bewirkt eine Erhöhung der Eingriffs- und Reaktionsschwelle im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 15 Abs. 2,4. Var. VersG. Fehlt eine erforderliche formelle Legitimation der Versammlung im Bannkreis, so führt dies zum Absinken der Eingriffs- und Reaktionsschwelle. Für die Erfüllung des Bußgeldtatbestands des §29a VersG wirkt die materielle Illegalität der Versammlung im Bannkreis ebenfalls strafbegründend. Formelle Aspekte spielen bei der Beurteilung der Versammlung als ordnungswidrig oder ordnungsgemäß i. S. v. § 29a Abs. 1 VersG indes keine Rolle. § 17a VersG ist nur dann mit Art. 8 GG vereinbar, wenn er so ausgelegt wird, daß prinzipiell nur gewalttätige und unfriedliche Demonstranten von den Verboten erfaßt werden. Dies kann man dadurch erreichen, daß man Veranstaltern und Teilnehmern einer Versammlung einen Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis nach § 17a Abs. 3, S. 2 VersG einräumt, wenn eine unmittelbare Gefährdung eines elementaren Rechtsguts der öffentlichen Sicherheit nicht zu besorgen ist. Umgekehrt ist ein Einschreiten der Polizei nach § 17a Abs. 4 VersG nur dann zulässig, wenn durch die Vermummung und Passivbewaffnung eine unmittelbare Gefahr für ein hochrangiges Rechtsgut der öffentlichen Sicherheit hervorgerufen wird, also kein Anspruch auf eine Erlaubniserteilung besteht. Formell illegal im Rahmen des § 17a VersG verhält sich der Versammlungsteilnehmer, wenn er vermummt und passivbewaffnet am Versammlungsort erscheint, ohne auf eine Erlaubnis nach § 17a Abs. 3, S. 2 VersG verweisen zu können. Materiell illegal ist sein Verhalten aber nur, wenn er dadurch über den Verstoß gegen die Verbote hinaus eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit hervorruft. Die Erlaubniserteilung nach § 17a Abs. 3, S. 2 VersG sperrt nicht das Vorgehen nach § 17a Abs. 4 VersG. Gewalttätige und unfriedliche Demonstranten können nicht auf den Bestand und die Reichweite der Erlaubnis vertrauen. Diese erhöht nur die Eingriffsschwelle im Rahmen des Entschließungsermessens, da die vorherige Einholung der Erlaubnis als Zeichen der Kooperationsbereitschaft gewertet werden und die Polizei ihre Lagebeurteilung danach einstellen kann. Umgekehrt sinkt die Eingriffsschwelle im Rahmen des Entschließungsermessens, wenn Teilnehmer den Verboten des § 17a Abs. 1 und Abs. 2 VersG zuwiderhandeln, ohne vorher eine Erlaubnis nach § 17a Abs. 3, S. 2 VersG beantragt zu haben. Die fehlende Erlaubnis legitimiert jedoch nicht allein zu einem Einschreiten nach § 17a Abs. 4 VersG. Voraussetzung dafür ist immer, daß es über die Vermummung und Passivbewaffnung hinaus zu einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit kommt, der Versammlungsteilnehmer mithin materiell illegal handelt. Der Verstoß gegen das Passivbewaffnungs- und Vermummungsverbot ist in § 27 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VersG mit Strafe bzw. in § 29 Abs. 1 Nr. la VersG mit einem Bußgeld bewehrt. Voraussetzung für die Verhängung von Strafe bzw. eines Bußgeldes ist immer, daß durch den Verstoß gegen die Verbote des § 17a Abs. 1 und Abs. 2 VersG eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit hervorgerufen wird, der Versammlungsteilnehmer sich also materiell illegal verhält. Formelle Gesichts-

6. Teil: Zusammenfassung und Gesamtergebnis

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punkte wie die Erlaubniserteilung nach § 17a Abs. 3, S. 2 VersG spielen für die Erfüllung der Straf- und Ordnungswidrigkeitentatbestände keine Rolle. Die Versammlungsverbote in den Feiertagsgesetzen der Bundesländer sind verfassungswidrig. Eine Beschränkung der Versammlungsfreiheit an Sonn- und Feiertagen ist wegen des abschließenden Charakters der bundesrechtlichen Regelung ausschließlich auf der Grundlage von § 15 VersG möglich. Resümierend läßt sich sagen, daß nur dann in die Versammlungsfreiheit eines Versammlungsteilnehmers eingegriffen werden darf, wenn zum Zeitpunkt des Eingriffs eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht, die Versammlung bzw. das Verhalten einzelner Versammlungsteilnehmer mithin materiell illegal ist. Formelle Aspekte spielen bei der Gefahrenabwehr nur eine mittelbare Rolle. Die formelle Rechtmäßigkeit des Versammlungsgeschehens führt regelmäßig zu einer Erhöhung der Eingriffs- und Reaktionsschwelle, die formelle Rechtswidrigkeit zu einem Absinken. Die materielle Illegalität ist auch immer Voraussetzung für die Strafbarkeit des Versammlungsteilnehmers. Der Versammlungsteilnehmer, Leiter oder Veranstalter läuft nur dann Gefahr, sich strafbar zu machen, wenn durch sein Verhalten eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit hervorgerufen wird. Im Wirkbereich des Art. 8 GG ist damit dem Gesetzgeber die Schaffung von abstrakten Verbotstatbeständen und abstrakten Gefährdungsdelikten untersagt.

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Rechtspolitische Überlegungen Das Versammlungsgesetz ist reformbedürftig. Darüber herrscht in der Literatur Konsens.1 Als Konkretisierung von Art. 8 Abs. 1 GG muß es der Entwicklung angepaßt werden, die die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit in der Rechtsprechung des BVerfG genommen hat. Daß dies noch nicht ansatzweise geschehen ist, hat diese Arbeit deutlich dargelegt. Die meisten hier untersuchten Vorschriften sind zwar verfassungskonform auslegbar. Damit ist der Gesetzgeber aber nicht aus seiner Pflicht zur Nachbesserung entlassen.2 Bei einer Reform des Versammlungsgesetzes sollte er deswegen den in dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnissen Rechnung tragen und klarstellen, daß ein Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nur dann zulässig ist, wenn eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit durch die Versammlung oder einzelne Teilnehmer hervorgerufen wird, mithin materiell illegales Verhalten abgewehrt werden soll. Das Versammlungsrecht könnte so seiner obrigkeitsstaatlichen Tradition entkleidet werden, ohne ihm den Charakter als Gefahrenabwehrrecht zu nehmen. Dadurch könnte der Dimension des Art. 8 GG als demokratisches Bürgerrecht zur aktiven Teilnahme am politischen Prozeß und als Ausdruck ursprünglicher, ungebändigter und unmittelbarer Demokratie optimal Rechnung getragen werden.3 Im Mittelpunkt der Reformüberlegungen müßten Modifizierungen der §§14 und 15 VersG stehen. In § 14 VersG müßten klarstellende Regelungen über die Spontanund Eilversammlungen aufgenommen werden.4 §15 Abs. 2, 1.-3. Var. und §15 Abs. 3 VersG sind ersatzlos zu streichen, weil sie das Einschreiten der Versammlungsbehörden nicht an das Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit koppeln, was nach dem hier vertretenen Ansatz unzulässig ist. Bei § 16 VersG müßte klargestellt werden, daß es sich um ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt handelt und der Bürger einen Anspruch auf das Abhalten von Versammlungen im Bannkreis hat, solange er sich dort materiell legal verhält. Als Vorbild könnte insoweit § 5 BefBezG dienen. Dies gilt prinzipiell auch für § 17a Abs. 3, S. 2 VersG. Auch hier muß der Gesetzgeber klarstellen, daß der Bürger einen Anspruch auf Erlaubniserteilung hat, wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit 1 Vgl. Dietel!Gintzel!Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 1 Rz.261; Ridder, in: Ridder/Breitbach u.a., Versammlungsrecht, Geschichtliche Einleitung Rz.83; Alberts , ZRP 1988, 285ff.; ders.; NVwZ 1992, 38 [40]; Brenneisen, DÖV 2000, 275 [278]; Geis, Die Polizei 1993, 293 [298]. 2 Vgl. BVerfGE 50,290 [335], 56,54 [78ff.]; 65,1 [55]. 3 Vgl. BVerfGE 69,315 [346f.]. 4 Die ist eine alte Forderung. Vgl. Borchert, Die Spontanversammlung, S. 145.

Rechtspolitische Überlegungen

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nicht zu besorgen ist. An diese Voraussetzung ist zudem die Eingriffsbefugnis in § 17a Abs. 4 VersG zu knüpfen. Korrespondierend mit diesen Änderungen muß der Gesetzgeber das Demonstrationsstrafrecht novellieren. Er sollte deutlich machen, daß die Demonstrationsstrafund -Ordnungswidrigkeitentatbestände streng verwaltungsrechtsakzessorisch sind, und daß es sich bei diesen um konkrete Gefährdungsdelikte handelt. Er sollte auch klarstellen, daß Sitzdemonstrationen nicht mehr nach §240 StGB zu bestrafen sind, um in Zukunft allzu phantasievolle Urteilsinterpretationen zu vermeiden.5 Letztendlich muß auch noch an die Landesgesetzgeber appelliert werden, sämtliche Demonstrations- und Versammlungsverbote aus ihren Feiertagsgesetzen zu streichen, da sie hierfür keine Gesetzgebungskompetenz besitzen und Kompetenzanmaßungen im föderalen Rechtsstaat schon a priori unerträglich sind.

5

Vgl. BGH, NStZ 1995, 541 ff.; NJW 1995, 2862.

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averzeichnis Abbruch Verfügung 22 ff. Abgeordnete 138 f. Abrißverfügung 22 ff. Allgemeinverfügung 60; 67 Amtshilfe 97 f. Analogieverbot 111 Anmeldung 36 ff. Arbeitsruhe 214 f. Artikelgesetz 178 Auflagen 80ff.; 111 ff.; 219f. Auflösung 67ff.; 90ff.; 162ff. Ausrüstungsgegenstände - polizeiliche und militärische 180 Auswahlermessen 72; 73 Bannkreis 136 ff. Bannmeile s.Bannkreis Baueinstellung 22 Baufreiheit 22 ff. Baugenehmigung 21 ff. Baurecht 21 ff. Beratungsfreie Zeit 153 Beschlagnahmeverbot 185 f. Betriebsrätegesetz 139 f. Beurteilungsspielraum 189 f. Bezirk - befriedeter s.Bannkreis Bittgänge 61 ff. Blankettatbestand 173 Deeskalation 93 f. Defensivwaffen 180 f. Demonstrationsgewalt 17 8 ff. Differenzierungsverbot 72 ff. Dispens 144 ff. Drohung 123 ff. Eilversammlung 53ff.; 77; 160f. Einladung 36 Entschließungsermessen 72 Erlaubnis 141 f.; 182 f.

Ermächtigungsgesetz 138 Ermessen 72 ff. Feiertage 213 ff. Feiertagsgesetze s. Feiertage Filterfunktion 129 ff. Fortsetzungsfeststellungsklage 86 Gefährdungsdelikt 106 ff.; 119f.; 121 f.; 173 ff.; 202 ; 207 Gefährdungspotential 67 ff. Gefahrenprognose 71 ff.; 163 ff.; 191 Gefahrenschwelle 52ff.; 94ff. Gegendemonstration 96 ff. Gesetzgebungskompetenz 217 f. Gestaltungsfreiheit 72f.; 158 Gewaltbegriff 123 ff. Gewerberecht 24 ff. Gewerbefreiheit s. Gewerberecht Gipfeltreffen 155 Gottesdienste 61 ff.; 213 ff. Großdemonstrationen 58 f.; 77 Güterabwägung 53 ff.; 67ff. Hochzeitsgesellschaften 61 ff. Identitätsverschleierung 182 Illegalität - formelle und materielle 21 ff.; 31 f.; 65f.; 98f.; llOf.; 119f.; 121f.; 133; 134; 161 f.; 171; 175; 175f.; 198; 201; 210f.; 211 f.; 220f.;222ff. Immissionsschutzrecht 24 Informationsrückstand 53 Interessenausgleich 43 Kollision 44 ff. Kollisionsgefahr s. Kollision Kollisionsregeln s. Kollision Konkordanz - praktische 44 Konnexität 85

Sachverzeichnis Konzentrationsprinzip 37 f. ; 215 f. Kooperationsprinzip 73 ff. Kronzeugenregelung 178 Landfriedensbruch 131 Legalitätsprinzip 172; 203 Leichenbegängnisse 61 ff. Marschroute 38 Massenpsychologie 180 f. Meinungsbildung 41; 63 - öffentliche Minderheitenschutzrecht 68 f. Minusmaßnahmen 68; 72ff.; 81 ff. Mutlangen-Urteil 131 Nichtstörer 93 ff. Normkorrektur 57 Nötigung 123 ff. Notstand - polizeilicher 96 ff. Notstandspflichtiger s. Notstand Nutzungsuntersagung 241 Objektive Bedingung der Strafbarkeit 114 f. Opportunitätsprinzip 172; 203 Ordnung - öffentlich 68 f.; 71 f. Ordnungskräfte 40 Ordnungswidrigkeit 28ff.; 93 ff.; 120f.; 173; 209f. Parlamentsferien 15 3 Passivbewaffnung 180 f. Polizeifestigkeit 50 Provokation 94 ff. Prozession 61 ff. Reaktionsschwelle 75 f. Rechtmäßigkeitszusammenhang 84 ff. Rechtsmißbrauch 112 f. Rechtssicherheit 84 ff. Rechtsstaatsprinzip 84ff.; 188 f. Redaktionsversehen 115 Reichstag 139 Religionsfreiheit 214 ff. Schubart-Beschluß 131 Schutzvorkehrungen 43

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Schutzwaffen - im technischen und untechnischen Sinne 180 f. Schwarzer Block 178 f. Selbstbestimmungsrecht - der Versammlung 94ff.; 129ff.; 159f.; 169 f. Sicherheit - öffentliche 67ff.; 71 ff.; 188f. Sicherungsmaßnahmen 37 f. S itzdemonstrationen 123 ff. Sondersitzungen 153 Spontanversammlungen 47 ff. ; 76 f. ; 158 ff.; 165 Staatsempfänge 155 Staatsverfassungsorgane 154 Stillegung 24 Stillegungsverfügung s. Stillegung Strafprozeß 31 Straßengesetze 64 f. Suspensiveffekt 113 Tatbestandswirkung 25; 85; 90f.; 114 Teilnichtigkeit 55 ff. Totalverbot 53 ff. Typenfreiheit 130 Unfriedlichkeit 50 Ungehorsamstatbestand 100 f. Uniformverbot 204f. Veranstalter 36ff.;70;82 Verdachtsstrafe 206 Verfassungsgüter 41 ff. Verfassungsorgane 136 ff. Verfügungsunrecht 88 f. Verhältnismäßigkeitsprinzip 72f.; 188 f. Verkehr 37 Vermummungsverbot 182 Versammlungsbegriff 63 Versammlungsbehörde 36 ff. ; 70 Versammlungsleiter 5Iff. Versammlungsort 147 f. Versammlungsthema 51; 53 Versammlungs verbot 89 ff. ; 121 f. Verwaltungsakzessorietät l l l f . ; 127f. Verwaltungsprozeß 31 Verwaltungsungehorsam 115 f.

248 Verwaltungs verfahren 31 f. ; 15 8 f. Verwaltungszwang 83 Vollstreckungsverbot 93 f. Vollzugsdefizit 86 Vorbereitungsphase 73 f. Vorsorgemaßnahmen 70 ff. Waffen 184 f. Wahrnehmungskompetenz 154

averzeichnis Wallfahrten 61 ff. Weimarer Reichsverfassung 42 Werktage 214ff. Wesensgehaltsgarantie 41 Widerruf 87 f.; 153 Zivilprozeß 31 Zwangsmittel 84; 93 f. Zweckveranlasser 94 ff.