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German Pages 547 [560] Year 1999
Karl-Hans Hartwig und H. Jörg Thieme (Hg.)
Finanzmärkte: Funktionsweise, Integrationseffekte und ordnungspolitische Konsequenzen
Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft
Herausgegeben von Prof. Dr. Gernot Gutmann, Köln Dr. Hannelore Hamel, Marburg Prof. Dr. Klemens Pleyer, Köln Prof. Dr. Alfred Schüller, Marburg Prof. Dr. H. Jörg Thieme, Düsseldorf
Unter Mitwirkung von Prof. Dr. Dieter Cassel, Duisburg Prof. Dr. Karl Hans Hartwig, Münster Prof. Dr. Hans-Günter Krüsselberg, Marburg Prof. Dr. Ulrich Wagner, Pforzheim
Redaktion: Dr. Hannelore Hamel Band 58:
Finanzmärkte: Funktionsweise, Integrationseffekte und ordnungspolitische Konsequenzen
Lucius & Lucius • Stuttgart • 1999
Finanzmärkte Funktionsweise, Integrationseffekte und ordnungspolitische Konsequenzen
Herausgegeben von
Karl-Hans Hartwig und H. Jörg Thieme
Mit Beiträgen von
Ansgar Belke, Dieter Bender, Frank Daumann, Henning Eckermann, Ulrich Fehl, Heiko Geue, Sandra Hartig, Karlheinz Kratz, Norbert Lamar, Albrecht F. Michler, Peter Oberender, Thomas Rahlf, Carsten Schreiter, Karsten Schulz, Heinz-Dieter Smeets, Rebecca Strätling, Theresia Theurl, H. Jörg Thieme, Uwe Vollmer, Frank Will
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Lucius & Lucius • Stuttgart • 1999
Anschrift der Herausgeber: Karl-Hans Hartwig Universität Münster Institut für Verkehrswissenschaft Am Stadtgraben 9 D-48143 Münster H. Jörg Thieme Heinrich-Heine-Universität Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre Universitätsstraße 1 Geb. 23.31.014.74 D-40225 Düsseldorf
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Finanzmärkte: Funktionsweise, Integrationseffekte und ordnungspolitische Konsequenzen / hrsg. von Karl-Hans Hartwig und H. Jörg Thieme. Mit Beitr. von Ansgar Belke ... - Stuttgart: Lucius und Lucius, 1999 (Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft; Bd. 58) ISBN
3-8282-0094-X
© Lucius & Lucius Verlags-GmbH • Stuttgart • 1999 Gerokstraße 51 • D-70184 Stuttgart Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Einband: ROSCH-BUCH Druckerei GmbH, 96110 Scheßlitz Printed in Germany
ISBN 3-8282-0094-X ISSN 1432-9220
Vorwort Die Finanzmärkte befinden sich in einem Prozeß intensiven Wandels. Die Veränderungen von Institutionen, Instrumenten und Geschäftsfeldern werden auch das zukünftige Geschehen auf den Finanzmärkten prägen und ein hohes Maß an Anpassungspotentialen bei den Finanzmarktakteuren erfordern. Die Gründe hierfür sind vielfältig, aber gerade in den neunziger Jahren haben sich einige entwicklungsbestimmende Faktoren verdichtet: • Die bereits Ende der achtziger Jahre eingesetzte Liberalisierung des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs in Europa (Binnenmarkt 1993) hat die Portfolioentscheidungen auf den nationalen Finanzmärkten von vielen Beschränkungen befreit, neue Finanzierungsmöglichkeiten eröffnet und eine Flut von neuen Finanzinstrumenten etabliert. • Im Vorfeld der 1999 beginnenden Europäischen Währungsunion mit einheitlichen Geld- und Kapitalmärkten in den beteiligten Ländern und einer gemeinsamen Geldpolitik hat der grenzüberschreitende Wettbewerb in allen Segmenten der Finanzmärkte zugenommen. Die intensiven und erfolgreichen monetären Stabilitätsbemühungen in den beteiligten Ländern haben eine weitgehende Anpassung der nominalen Zinsniveaus auf historischem Tiefstand bewirkt und damit gute Voraussetzungen für den Start einer inflationsfreien Geldpolitik der Europäischen Zentralbank geschaffen. • Der Wandel der Finanzmärkte resultiert auch und insbesondere aus dem kontinuierlichen, starken Wachstum der Geldvermögensbestände in den entwickelten Volkswirtschaften. Die Sparer suchen - bei steigendem Rentabilitätsstreben - alternative Anlagemöglichkeiten zu den traditionellen Einlagen bei den Geschäftsbanken, die ihre Aktivitäten von der "Verwaltung" verschiedener Einlageformen hin zur umfassenden Portfoliobetreuung verändern müssen. • Die zunehmende weltweite Integration der Finanzmärkte bewirkt auch, daß fehlerhafte Institutionen einzelner Finanzmärkte und daraus resultierende Finanzierungskrisen auf andere Länder übertragen werden und für monetäre Instabilitäten sorgen können, sofern die Anlagerisiken von den Marktteilnehmern falsch eingeschätzt wurden. Die gegenwärtige Finanzkrise in einigen asiatischen Ländern und ihre Auswirkungen auf das Anlageverhalten der Marktteilnehmer ist hierfür ein eindrucksvoller Beleg.
VI
•
Schließlich haben die Transformationsprozesse in den ehemals sozialistischen Ländern einen hohen Finanzierungsbedarf induziert, der bei (noch) nicht funktionierenden Finanzmarktinstitutionen und realwirtschaftlichen Umstellungskrisen erhebliche Abschreibungsbedarfe bei den risikofreudigen Anlegern auslösen kann, wie das Beispiel Rußland belegt. Wie werden die - in den vergangenen Jahren durchaus funktionierenden - Finanz-
marktinstitutionen diese massiven Herausforderungen bewältigen? Sind neue staatliche Regulierungsprogramme für die Transaktionen auf weltweit verknüpften Finanzmärkten notwendig? Oder sorgt die schöpferische Zerstörung wettbewerblich funktionierender Finanzmärkte für effiziente Lösungen der Finanzkrisen? Welche ordnungspolitischen Konsequenzen resultieren aus den beobachtbaren Risiken der Finanzmarktintegration? Diesem Erkenntnisstand war das 31. Radeiner Forschungsseminar gewidmet, das im Februar 1998 traditionell im Bergort Radein in Südtirol stattfand. In völliger Abgeschiedenheit und nur selten durch moderne Kommunikationsmittel gestört, haben Praktiker und Wissenschaftler neue Entwicklungen auf den Finanzmärkten diskutiert und ordnungspolitische Implikationen herausgearbeitet. Die wichtigsten Ergebnisse der Diskussion werden in diesem Sammelband vorgelegt, weil die Wissenschaftlichen Leiter des Seminars überzeugt sind, daß das Geschehen auf den Finanzmärkten zunehmend die Diskussion in Wissenschaft und Praxis prägen wird. Wissenschaftliche Leiter und Herausgeber dieses Buches danken allen Seminarteilnehmern für die stimulierenden Beiträge im Seminar, den Autoren für die (halbwegs) eingehaltenen Regeln bei der Anfertigung der Manuskripte und insbesondere Frau Silvia Menke M.A., die mit viel Geduld, großer Sorgfalt und hohem Arbeitsaufwand daraus ein druckreifes Buch gemacht hat. Dank gebührt der Konrad-Henkel-Stiftung,
Düsseldorf, ohne deren großzügige und
unbürokratische finanzielle Unterstützung der Band nicht hätte publiziert werden können.
Münster, Düsseldorf, im Dezember 1998
Karl-Hans Hartwig
H. Jörg Thieme
Inhalt
I.
Funktionsweise und Integrationsformen von Finanzmärkten
Thomas Rahlf Herausbildung und historische Entwicklung von Finanzmärkten Uwe Vollmer Funktionen und Organisation der Bankenwirtschaft
25
Henning Eckermann Der Einsatz derivativer Finanzinstrumente zum Management von Aktienrisiken
61
Karlheinz Kratz Arbitrage-Geschäfte auf Kassa- und Terminmärkten
81
Albrecht F. Michler Erwartungsbildung auf Finanzmärkten
II.
3
107
Europäische Währungsunion: Konsequenzen für die Finanzmärkte
Sandra Hartig Währungsunionen im 19. Jahrhundert: Vorbilder für die Europäische Währungsunion?
159
Dieter Bender / Norbert Lamar Kapitalverkehrsliberalisierung und Finanzmarktintegration in der EU
195
Theresia Theurl Europäische Währungsunion: Europa als optimaler Währungsraum?
217
Ansgar Belke Integrationswirkungen der Europäischen Währungsunion: Zur Komplementaritätvon Geldpolitik und Arbeitsmarktreformen
247
Frank Will Determinanten von Reservewährungen und die Entwicklung des Euros
283
Heinz-Dieter Smeets Zur geldpolitischen Konzeption der Europäischen Zentralbank
315
VIII
III.
Finanzmärkte im Wandel: Interdependenzen und ordnungspolitische Konsequenzen
Heiko Geue Laissez-faire-Banking: Free-Banking, Währungswettbewerb und New Monetary Economics
347
Karsten Schulz Elektronisches Geld: Finanzmärkte im Zeichen technologischen Wandels
391
Rebecca Strätling Kapitalmärkte und Unternehmenskontrolle im Vergleich: Großbritannien und Deutschland
421
Frank Daumann /Peter Oberender Insiderhandel - Notwendigkeit einer Regulierung?
467
Ulrich Fehl / Carsten Schreiter Interdependenzen von Güter- und Finanzsphäre
495
H. Jörg Thieme Finanzmarktregulierung und Faktorwettbewerb
527
Autoren und Seminarteilnehmer
547
I.
Funktionsweise und Integrationsformen von Finanzmärkten
K.-H. Hartwig/H.J.
Thieme (Hg.): Finanzmärkte
Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft • Band 58 • Stuttgart 1999
Herausbildung und historische Entwicklung von Finanzmärkten' Thomas Rahlf
1.
Einleitung
4
2.
Europäische Finanzmärkte bis zum Ausgang des Ancien Régime
6
3.
Schlußbemerkung
Literatur
17 20
Für wertvolle Anregungen danke ich Prof. Dr. Peter Hertner und PD Dr. Helmut Leipold.
4
Thomas Rahlf
1.
Einleitung Wenn man sich dem Thema der Entstehung von Finanzmärkten zuwendet, so ist zu-
nächst die Frage nach einer Definition und Abgrenzung zu stellen. Sieht man Finanzmärkte nicht als Orte, sondern im statistischen Sinne als Gesamtheit aller Transaktionen mit Finanzierungsmitteln, 2 deren Aufgabe und Funktion die Mobilisierung sowie Bereitstellung und marktgerechte, transparente Bewertung von Finanzmitteln ist, so kann man der üblichen Trennung der Finanzmärkte in Geld- und Kapitalmärkte, letztere wiederum in Renten- und Aktienmärkte, folgen. Diese Einteilung findet in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur zwar keine einheitliche Beachtung, hat sich aber weitgehend durchgesetzt. Eine weitergehende Systematisierung wird zusätzlich erschwert durch die zu beobachtende Dynamik der Märkte und die zunehmenden Finanzinnovationen: "Die Grenzen der Finanzmärkte verschwimmen zunehmend, zeigen also eine gewisse Auflösungstendenz." 3 Versucht man es dennoch, könnte die Einteilung von Baxmann / Weichsler (1991) nach drei Kriterien zugrunde gelegt werden: 4 1. Nach der Art des gehandelten
Objektes in
a) Eigenkapitalmärkte, v.a. den Aktienmarkt, b) Fremdkapitalmärkte, v.a. den Geld-, Kredit- und Rentenmarkt und c) Derivativmärkte (abgeleitete Handelsobjekte) = Zins- und Indexmärkte, Futures oder Swaps, Caps, Floors etc.; dann 2. nach der zeitlichen Leistungsverpflichtung
in: 5
a) Kassamärkte (Geschäftsabschluß und Erfüllung fallen zeitlich zusammen), b) Terminmärkte: unbedingt (Futures) oder bedingt (Optionen), c) Kombinationen von Kassa- und Terminmärkten (z.B. Optionen auf Futures) und schließlich 3. nach Währungsbereichen
(nationale / internationale Finanzmärkte).
2
Vgl. Tuchtfeld {1988, S. 433).
3
Baxmann / Weichsler (1991, S. 546).
4
Vgl. ebd., S. 546ff.
5
Problematisch ist hier die Abgrenzung zu Warenmärkten. Insbesondere auf Warenterminmärkten finden vorrangig Finanzgeschäfte statt. Bestimmte Warenmärkte (Edelmetalle, Öl, etc.) sind ebenfalls durch einen stark spekulativen Charakter gekennzeichnet.
Herausbildung und historische Entwicklung von Finanzmärkten
5
Will man versuchen, die historische Herausbildung und Entwicklung von Finanzmärkten nach diesen Kriterien vorzunehmen, so muß schnell die Unmöglichkeit eines solchen Unterfangens festgestellt werden. Was für die letzten Jahre gilt, gilt für die Geschichte um so mehr: Die Dynamik der Elemente, die unter dem Begriff Finanzmärkte subsumiert werden, macht in der langfristigen Betrachtung einer historischen Untersuchung die strikte Trennung nach diesen Kriterien unmöglich. Langfristig gesehen sind die Unterschiede zur heutigen Situation erheblich. Der Bankensektor hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich gewandelt, und auch der Aktienmarkt von heute ist in keiner Weise mit demjenigen der zwanziger Jahre 6 oder gar der Ausgestaltung zu seiner ersten großen Zeit, dem ausgehenden 19. Jahrhundert, zu vergleichen. Nichtsdestotrotz profitieren wir noch heute von Strukturen, die im Mittelalter und in der frühen Neuzeit entstanden sind. Die Bedeutung des Themas geht weit über eine reine Betrachtung eines isolierten Sektors hinaus. Folgt man Wilhelm Hankel, so hat "[...] die Kreditwirtschaft, einmal etabliert, die Gesellschaft, ihr Verhalten und ihre Moral nachhaltiger verändert als jede Revolution - nicht nur im technokratischen Sinn reichlicherer Güterversorgung und höherer Lebensqualität, nicht nur im emanzipatorischen Sinn der Anpassung und Nachahmung an das Lebensmilieu der jeweils 'oberen Zehntausend', sondern im höchst demokratischen Grundgefühl der Gleichheit aller Menschen in Recht, Moral und Menschenwürde. Kein System hat auf die Dauer radikaler als die Kreditwirtschaft die alten (tradierten) Macht-, Besitz- und Privilegienmonopole erodiert, hat als System so klar verkörpert, daß nicht Ansprüche, wohl aber Personen auswechselbar sind, durch einen höchst verläßlichen 'Buddenbrookeffekt': (Besitzstandswechsel spätestens ab der Dritten Generation). Deswegen hat die Ausweitung der Geld- und Kreditwirtschaft allen großen Reformen der Gesellschaft den Weg geebnet: dem Verfassungsstaat, der Sozialversicherung, der sozialen Gleichstellung von Mann und Frau." 7 Wir wollen im folgenden versuchen, einen Überblick über Herausbildung und Entwicklung in sehr allgemeiner Form zu geben und das Thema vorrangig als eine Geschichte des Kredits auffassen. Nach kurzen Bemerkungen über die Antike behandelt
6
Ein Beispiel: Haben wir heute in Deutschland weniger als 700 börsennotierte Aktiengesellschaften, so waren es in den zwanziger Jahren über 4.000, insgesamt sogar 16.000.
7
Hankel (1989, S. 185).
6
Thomas Rahlf
der Beitrag im wesentlichen die Herausbildung von Finanzinstitutionen im Handel (Wechsel, Banken, Börsen) und die Beteiligung der staatlichen Seite auf den Finanzmärkten, abschließend folgen einige Gedanken über die Bedeutung dieser Entwicklung.
2.
Europäische Finanzmärkte bis zum Ausgang des Ancien Régime Lange Zeit vorherrschendes Bild der ökonomischen Entwicklung war das von der
älteren historischen Schule der Nationalökonomie ausgehende einer Stufenlehre: Tauschwirtschaft - Geldwirtschaft - Kreditwirtschaft (B. Hildebrand). Eine solche Ansicht ist längst überwunden und hat der Erkenntnis eines Nebeneinanders Platz gemacht. Dies gilt, wenn auch nur in geringem Maße, bereits fur die Antike. Die in der Antike vorhandenen Währungssysteme wurden bereits durch ein, wenn auch rudimentäres, Bank- und Kreditwesen unterstützt: In Ägypten existierte eine Art Zentralbank, die unter der Herrschaft des Königs stand. 8 Diese hatte Filialen in verschiedenen Orten und Dörfern, in denen Steuern eingezogen, Konten von Steuerpächtern geführt, Urkunden verwahrt, Ein- und Auszahlungen getätigt, Sorten gewechselt und Darlehen gewährt wurden. Daneben gab es kleinere Privatbanken auf regionaler Ebene, die jedoch nur einen begrenzten Geschäftsumfang aufwiesen. Kredite wurden vergeben, die aber an hohe Sicherheiten wie Hypotheken oder die persönliche Haftung gebunden waren und zwischen zehn und dreißig Prozent Zinsen nach sich zogen. Auch von privater Seite wurden Geldgeschäfte getätigt und dies nicht nur vereinzelt. Bereits aus dem vierten Jahrhundert v. Chr. ist ein ausdifferenziertes Darlehensrecht überliefert, das von den hellenistischen Staaten übernommen und weiterentwickelt wurde. Dennoch blieb die gesamtwirtschaftliche
Bedeutung dieses Sektors von untergeordneter Größenordnung.
Seit dem dritten Jahrhundert v. Chr. sind auch in Rom private Geldverleiher sowie institutionalisierte, aus dem Wechselgeschäft entstandene Banken (in der Kaiserzeit auch Tempel) belegt, wobei diese Banken sich in der Regel auf die Versorgung der unmittelbaren Umgebung beschränkten, Überbrückungskredite an Bauern gewährten, später und insbesondere in den größeren Städten auch mit der Geldaufbewahrung, dem Umtausch, der Kreditvergabe, Beratung und Kontoführung betraut waren. Überlieferte Geschäftsquittungen aus Pompeji belegen jedoch, daß es sich hierbei um vergleichsweise geringe Volumina handelte. Die Monetarisierung erfaßte in den ersten drei Jahr-
8
Vgl. zum folgenden Kloft (1992, S. 143, 236, 240f., 244).
Herausbildung und historische Entwicklung von Finanzmärkten
7
hunderten n. Chr. weite Teile der Gesellschaft, dies hatte jedoch keinen Einfluß auf den Kreditsektor. Zwar lassen sich vereinzelt Handels- und Gewerbekredite nachweisen, die Masse der Kreditgeschäfte waren private Konsum- und hier vor allem Kleinkredite zur Abwehr wirtschaftlichen Elends. 9 Die monetäre Wirtschaftsgeschichte des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa war lange Zeit eine Wirtschaftsgeschichte der Münzen und Messen. Trotz des offiziellen und für das christliche Abendland maßgeblichen kirchlichen Zinsverbots entwickelten sich jedoch aus ökonomischer Notwendigkeit bereits in einer frühen Phase verschiedene Kreditformen. 10 Einen städtischen Rentenmarkt (dem heutigen Hypothekenkredit vergleichbar) kann man spätestens seit dem 13. Jahrhundert beobachten. Üblicherweise überließ hier der Gläubiger dem Schuldner ein Kapital, für das dieser mit seinem Haus haftete. Anfangs dominierten die städtischen Obrigkeiten als Kreditnehmer (sie sind sozusagen die Erfinder der Rentenkredite), Kreditgeber sind auch immer häufiger Kaufleute, die ihr Kapital sicher anlegen wollten." Der Schuldner zahlte dem Gläubiger eine jährliche Rente, in der Regel in Höhe von fünf bis zehn Prozent. Solche Zahlungen wurden von der Kirche nicht als Wucher angesehen, weil sie selbst im Falle tilgbarer Renten als Verkaufs- und KaufVorgang aufgefaßt wurden. 12 Der Rentenmarkt wies jedoch zwei Beschränkungen auf: Zum einen war er schwerfällig, da die Kredite an Immobilien gebunden waren, zum anderen dadurch in seinem
9
Diese negative Wertung wird noch übertroffen von der Einschätzung Finleys (1993, S. 165), dessen Position von verschiedener Seite "Primitivismus" vorgeworfen worden ist. Siehe hierzu jedoch die überzeugenden Gegenargumente bei Finley (1993, S. 262f.). Zu anderen vormodernen Finanzsystemen siehe Goldsmith (1987).
10
Die Literatur zu diesem Gebiet ist mittlerweile äußerst umfangreich. Wir beschränken uns hier auf die Nennung der neueren Überblicksdarstellungen, die auf entsprechende Spezialstudien verweisen: van der Wee (1977), Parker (1979), North, M. (1991), Körner (1993), Houtman-de Smedt / van der Wee (1993), Kindleberger (1993), North, M. (1994, 1995a).
11
Wer außer der Stadt noch Kredite in Anspruch nahm und vor allem zu welchem Zweck, ist bis auf Einzelfälle weitgehend unerforscht. Vgl. North, M. (1991, S. 386).
12
Vgl. Parker (1977, S. 362). Die Kirche war im übrigen vielerorts der größte Kapitalanbieter auf dem Rentenmarkt. Siehe Isenmann (1988, S. 386).
8
Thomas Rahlf
Volumen auf den Wert des Hausbestandes begrenzt. Für den Handel erwies sich daher der Warenkredit (der Borgkauf) als weitaus bedeutsamer.' 3 Die folgenreichsten Institutionen entstehen jedoch im überregionalen Fernhandel. Seit dem 13. Jahrhundert werden zur Bezahlung sowohl Gold- als auch Silbermünzen verwendet und dies - die territoriale Zersplitterung zieht eine monetäre nach sich - in mannigfaltiger Form. Um einen überregionalen Handel überhaupt zu ermöglichen, ist eine neue Berufsspezialisierung notwendig: der Geldwechsler, der fremde Münzen in einheimische, vertraute wechselt. Insbesondere auf den seit dem 12. und 13. Jahrhundert in der Champagne, später auch in Genf, Lyon, Frankfurt, Genua und anderswo stattfindenden Warenmessen gewann der nach dem Warenhandel staffmdende Zahlungsausgleich, die Saldierung oder das Clearing, eine immer größere, schließlich eigenständige Bedeutung. Unabhängig von den nur zeitweise stattfindenden Messen entwickelten sich seit dem 14. Jahrhundert die ersten (ständigen) Wechselstuben, die - privat- oder öffentlichrechtlich - bald auch andere Funktionen wahrnahmen: das Depositengeschäft und vor allem die Verrechnung und Überweisung von Geldsummen für den Fernhandel. 14 Sowohl diese Wechsler als auch die auf den Messen zusammenkommenden Kaufleute, allen voran die Italiener, entwickeln seit dem 13. Jahrhundert verschiedene innovative Techniken für den Zahlungsverkehr. Am Anfang steht hier das instrumentum ex causa cambii (Wechselinstrument). 15 Dabei handelte es sich um ein kombiniertes Kredit- und Transferinstrument, mit dem Geld übertragen werden konnte, ohne daß riskante Edelmetalltransporte notwendig waren. Das instrumentum
war ein formelles Zahlungsversprechen in Form einer
Schuldurkunde, die von einem Notar beglaubigt werden mußte. Bereits diese Form enthielt neben der Wechsel- (Währungstausch-) auch eine Kreditfiinktion, denn die Fälligkeit des Wechsel (uso) konnte zwischen wenigen Tagen und mehreren Monaten variieren. Auch Zinsen wurden hierfür - am kirchlichen Zinsverbot vorbei - festgelegt. Je nach Dauer der Zahlungsfrist wurde nicht der zur Zeit der Ausstellung geltende, son-
13
Vgl. ebd., S. 386.
14
Vgl. Körner (1993, S. 66f.).
15
Siehe dazu Munro (1995a, 1995b). Wesentliche Erkenntnisse zur Entwicklung des Wechsels verdanken wir R. de Roover, insbesondere de Roover (1953).
Herausbildung und historische Entwicklung von Finanzmärkten
9
dem ein höherer Wechselkurs festgelegt, so daß ein Zins in der Differenz versteckt war. Dieser konnte - a u f s Jahr hochgerechnet - zwischen zehn und zwanzig Prozent betragen. In der Folgezeit änderte sich an diesem Prinzip wenig, auch wenn die Techniken ausgebaut wurden: Das instrumentum wurde durch den Wechsel (ohne Notar) abgelöst, der nicht mehr vom Kaufmann selbst, sondern auch von einer weiteren Person, einem Bezogenen (Akzeptanten), eingelöst werden konnte und in den verschiedensten Formen (Tratte, Akzept, Sichttratte, Inhaberschuldbrief usw.) Verbreitung fand. Mit der Einfuhrung des nichtakzeptierten Wechsels, des "Rückwechseis mit Protest" sowie des "Trockenwechsels" entstand schließlich im 14. Jahrhundert die Möglichkeit, Kredite ohne Warenbindung ins Leben zu rufen. 16 Die wichtigste Neuerung war aber zweifellos das Indossament (Übertragung) und die Diskontierung (vorzeitige Bezahlung) des Wechsels in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts: "Damit war der Gebrauch dieses Instruments so weit gediehen, daß man es zum Transfer von Geldsummen, als Kreditpapier und als Geldsurrogat gebrauchen konnte." 17 Nun wurden die Messen auch durch institutionalisierte ganzjährige Märkte, durch Börsen, abgelöst: 1409 in Brügge, 1460 in Antwerpen, zwei Jahre später in Lyon, denen im 16. Jahrhundert viele weitere folgten und an denen regelmäßig Waren und Wechsel gehandelt wurden. 18 Diese Entwicklung erforderte auch einen neuen Typus von Banken: Die Privatbanken der "merchant bankers" konnten dem wachsenden und vor allem schnellen Geldbedarf der Kaufleute nicht mehr ein ausreichendes Maß an Verläßlichkeit bieten. So entstanden aus den auch schon im 14. Jahrhundert zahlreich vorhandenen Handelsbanken" öffentliche Giro- und Depositenbanken: 1587 als erste der Banco della Piazza di Rialto
16
Vgl. Mueller (1995).
17
Körner (1993, S. 69).
18
Augsburg, Paris, Nürnberg (erste Hälfte des 16. Jahrhunderts), Amsterdam (1530), Besançon (1552), London (1554), Hamburg (1558), Köln (1566), Frankfurt (1585), Danzig (1593). Vgl. Schneider (1993, S. 248). Diese Börsen waren zwar in erster Linie Warenbörsen, doch fanden hier ebenso Finanzgeschäfte statt.
19
In Florenz sind davon 1338 achtzig, in Brügge 1369 fünfzehn nachgewiesen. Vgl. Parker (1977, S. 341).
10
Thomas Rahlf
in Venedig, gefolgt von Gründungen in Mailand (1593), Rom (1605) und, am wichtigsten, Amsterdam (1609), schließlich bis Ende des 17. Jahrhunderts etwa 25 weitere.20 Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Basis des monetären Sektors grundlegend verändert. Die überseeischen Entdeckungen und Eroberungen brachten Edelmetallimporte in zuvor nie gesehenem Ausmaß mit sich. Über die Edelmetallströme und vor allem deren Auswirkungen ist in der Forschung viel und vehement gestritten worden. 2 ' Fest steht wohl, daß dem massiven Zustrom aus Afrika und Amerika ein nicht unbedeutender Abstrom in den Osten gegenüberstand, so daß bei allen innereuropäischen Verschiebungen der Nettoeffekt nicht überschätzt werden darf. Die entscheidende Frage ist hier nicht die nach der absoluten Summe und deren Bedeutung, sondern nach der relativen Summe in bezug auf das Wachstum der europäischen Wirtschaft. Denn dies fand ohne Zweifel statt, und hier konnte sich der Zustrom als Motor, aber eben auch als Bremse erweisen, wenn er dem stärker wachsenden Bedarf nachstand. Glaubt man den im 16. Jahrhundert vermehrt auftretenden Klagen, so kam es in vielen Regionen zwar zu einem vermehrten, jedoch nicht zu einem Überangebot an Edelmetallen. 22 Viel zu wenig ist in diesem Zusammenhang bislang der Kreditsektor beachtet worden;23 genau hierin ist aber ein wesentlicher Faktor für die Durchsetzung des bereits im Mittelalter entwickelten, dort jedoch nur vereinzelt angewendeten monetären Instrumentariums auf breiter Ebene zu sehen. Nun gibt es eine Organisationsform, die man als Finanzmärkte bezeichnen kann und die in Form von Banken und Börsen in einem Netz über ganz Europa verteilt sind. An diesen Börsen wird regelmäßig gehandelt, es finden sich dort institutionalisierte Makler, die Kurse festsetzen, Wechselordnungen und Börsengesetze werden erlassen etc. Zu diesen Formen gesellt sich gleichzeitig eine weitere hinzu: der Handel mit Aktien. Die typische Unternehmensform des Mittelalters und der beginnenden frühen Neuzeit war der Einzel- oder Familienunternehmer, der Risiken allein auf seinen Schultern trug und an verschiedenen Standorten über Geschäftspartner oder Faktoren präsent war. Langfristige Kapitalbeteiligungen gab es nur
20
Vgl. ebd., S. 349; Houtman-de Smedt/van der Wee (1993, S. 121 ff.) sowie Mueller /Born (1995).
21
Siehe North, M. (1995b) mit weiterführender Literatur.
22
Vgl. Parker (1977, S. 337). Siehe auch North, M. (1994, S. 79).
25
Bei der ausufernden Diskussion um die sog. "Preisrevolution" des 16. Jahrhunderts spielt er bislang keine Rolle. Siehe Rahlf {1996, S. 13-16).
Herausbildung und historische Entwicklung von Finanzmärkten
11
im kapitalintensiven Bergbau; ansonsten finden sich statt Unternehmen Unternehmungen, d.h. Kapital wird nur flir kurze Zeit von mehreren Eignern für ein Überseegeschäft, eine Seereise o.ä. zusammengetragen. Erste dauerhafte Kapitalbündelungen, die auf Aktien basieren, entstanden zwar bereits im 16. Jahrhundert, doch zwei wesentliche Kriterien, die Übertragbarkeit und Anonymität der Anteilseigner, fehlten zunächst. Erst mit der Gründung von Kolonialgesellschaften nach 1600 finanzierten sich Unternehmen mit übertragbaren Papieren mit geringen Nennwerten, die anfangs aber noch namentlich gekennzeichnet und deren Eigentumswechsel in einem Aktienbuch festgehalten wurde. Die ersten großen Aktiengesellschaften entstanden in Holland: 1602 die Niederländische Ostindische Kompanie, 1621 die Niederländische
Westindische Kom-
panie. 1688 gab es in England 24,1695 bereits über 170 Aktiengesellschaften, von denen viele freilich nicht lange überlebten. Den zweiten Bereich, der für die Entstehung von internationalen Finanzmärkten von zentraler Bedeutung ist, bildet die staatliche Seite, insbesondere die Entwicklung in den Niederlanden, Frankreich und England. Eine systematische Verschuldung, die über immer wiederkehrende, in ihrem Charakter jedoch jeweils einmalige Darlehen hinausgeht, begann im 16. Jahrhundert in den Niederlanden mit der Ausgabe von Schuldverschreibungen. 24 Hier machte man sich die Finanzierungsmethoden der Städte (indirekte Steuern und Renten) zu eigen und wandelte im 17. Jahrhundert kurzfristige Darlehen in langfristige Rentenzahlungen um. Die starke Zunahme an Kapital durch die erfolgreiche Wirtschaftstätigkeit niederländischer Kaufleute ließ zum einen die Zinssätze kontinuierlich sinken, zum anderen das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit stetig steigen: 1651 waren 140 Millionen Gulden langfristig (vor allem in Renten) und etwa 13 Millionen in Form von kurzfristigen Obligationen aufgenommen, die zwar jederzeit einlösbar waren, aber nicht eingelöst wurden, sondern statt dessen mit fünf bis sieben Prozent über pari umliefen. 25 Nach der Jahrhundertwende sanken die Zinsen für langfristige Kredite auf unter drei Prozent. Keine andere Regierung der Welt konnte zu günstigeren Bedingungen Geld leihen, und Amsterdamer Kaufleute suchten bei diesen Bedingungen verstärkt Anlagemöglichkeiten im Ausland.
24
Darin sieht Tracy (1985) gewissermaßen eine finanzielle Revolution vor der "finanziellen Revolution" (s.u.).
25
Vgl. Parker (1977, S. 367).
12
Thomas Rahlf
Ganz anders war die Situation dagegen in Frankreich: 26 Aufgrund der horrenden Staatsschuld in Höhe von fast 2,5 Milliarden Livres, die Philippe von Orléans von seinem Vorgänger übernommen hatte, willigte er 1716 in den Sanierungsvorschlag eines schottischen Ökonomen namens John Law ein. Law gründete eine Bank, die umlaufende Staatsanleihen gegen Banknoten eintauschte. Der Erfolg war anfangs bescheiden, so daß er sich zu weiteren Schritten genötigt sah. Im August 1717 gründete er daher die "Compagnie d'Occident" (die "Mississippigesellschaft") als Aktiengesellschaft mit dem Handelsmonopol für Louisiana und den Vorrechten fur den Biberpelzhandel mit Kanada. 200.000 Aktien dieser Gesellschaft im Nennwert von 500 Livres pro Aktie wurden ausgegeben und konnten mit den alten Schuldscheinen erworben werden. Auch dieser Aktion war nur mäßiger Erfolg beschieden: Erst als Law seine "Banque Générale" in die "Banque Royale" umwandelte, die ohne Beschränkung Banknoten ausgeben konnte, begann sich das Blatt zu wenden. Durch gestreute Gerüchte über den baldigen Anstieg der Mississippi-Aktien und verdeckte Käufe erregten die Aktien das Interesse der Spekulanten und erreichten erstmals ihren Nennwert. Außerdem wurden 50.000 neue Aktien einer "Compagnie des Indes", die die Westindische und Ostindische Kompanie sowie die afrikanischen Gesellschaften vereinigte, zu einem Nennwert von je 500 Livres ausgegeben. Diese konnten jedoch nur erworben werden, wenn man einen jeweils vierfachen Betrag der alten Aktien der Westindischen Kompanie erworben hatte. Im Mai 1719 wurden nochmals 50.000 Aktien zu je 500 Livres ausgegeben und eine Dividende von 12 Prozent ausgeschüttet. Nun begann das Spekulationsfieber: der Kurswert der Aktien erreichte das Zehnfache des Nennwertes. Law brachte daraufhin weiter Aktien im Wert von 300.000 Livres in Umlauf. Auf dem Höhepunkt der Spekulation erreichten die Aktien einen Kurswert von 20.000 Livres. In England verlief die Entwicklung zunächst wie in den Niederlanden: Hier wird die erfolgreiche Umwandlung der kurzfristigen in eine langfristige Staatsschuld als "finanzielle Revolution" bezeichnet. Den Ausgangspunkt bildet die Gründung einer Bank (der Bank of England) im Jahre 1694. Anders als die Rialto-Bank in Venedig oder die Gründungen der Banken in Amsterdam, Hamburg und andernorts im 17. Jahrhundert handelte es sich hierbei aber nicht um eine öffentlich-rechtliche, sondern um eine private Gründung. Konkreter Anlaß für die Entstehung der Bank of England war eine akute finanzielle Krise durch den Krieg Wilhelms LIL von Oranien gegen Jakob IL. und dessen
26
Vgl. zum folgenden Toepel (1992, passim).
Herausbildung und historische Entwicklung von Finanzmärkten
13
Verbündeten Ludwig XIV.11 Einer Gruppe von Londoner Kaufleuten, die die Gründung einer Bank erwogen, wurde folgendes Angebot gemacht: Wenn sie eine Summe von 1,2 Millionen Pfund (als Anleihe, die zu 8% verzinst werden sollte) aufbringen könnten, erhielten sie das Privileg der Gründung einer Bank, die neben den üblichen Geschäften auch Noten ausgeben durfte.28 Die Summe war schnell aufgebracht, so daß sich diese Form der Finanzierung als vielversprechend erwies. Nach ähnlichem Prinzip folgten weitere Anleihen. 29 1711 wurden alle staatlichen Obligationen in Aktien einer "Südseekompanie" umgewandelt, die völlig von der Bank of England getrennt war: "Obwohl die Kompanie tatsächlich bis 1748 Handel mit der Südsee (d.h. mit Spanisch-Amerika) betrieb, war ihr Hauptzweck doch die Konsolidierung der schwebenden Staatsschuld in einem einheitlichen dauernden Fonds. Die Kompanie mußte staatliche Obligationen zum Nennwert als Einlagen zum Ankauf ihrer Aktien entgegennehmen, und der Staat verwendete Aktien der neuen Gesellschaft [die wiederum gegen niedrigverzinste Erbrenten gegen den Ertrag bestimmter Steuern eingetauscht wurden, T.R.] zur Bezahlung seiner Gläubiger und als Sicherstellung für Kredite."30 Nach und nach wurde so die gesamte kurzfristige Staatsschuld in eine langfristige umgewandelt; 1717 schließlich wurde ein neuer, zu fünf Prozent verzinster Kapitalfonds geschaffen, der einen Großteil der bisherigen Schulden konvertierte. Auch die (Aktien-) Kapitaleingänge der East India Company gingen zum überwiegenden Teil als langfristige Anleihe an den Staat.31
27
Wie Ziegler (1995) zu Recht feststellt, war dies nur der Anlaß, die Ursachen für die Gründung einer solchen Bank lagen tiefer.
28
Jedoch nicht als gesetzliches Zahlungsmittel.
29
Während der Kriegsjahre 1702-1713 betrugen die Staatsausgaben 93,6 Millionen Pfund, die mit 64,2 Millionen aus Steuermitteln, mit 29,4 Millionen (31%) aus Anleihen finanziert
wurden. Vg\. Parker (1977, S. 371). Siehe auch Houtman-de Smedt / van der Wee (1993, S. 167ff.). 30
Parker (1977, S. 372).
31
Im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts wurde die englische Staatsschuld durch langfristige Staatsanleihen, finanziert über die South Sea Company, die United East India Company und die Bank of England, konsolidiert.
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Thomas Rahlf
Paris, London und auch Amsterdam entwickelten sich in diesen Jahren zu Spekulationszentren, in denen die Jagd nach den besten Renditen Spekulanten mal auf dem einen, mal auf dem anderen Markt investieren ließ.32 1720 kam es dann, von Frankreich ausgehend, zum großen "Crash". Als erste Gerüchte aufkamen, daß die Zawsche Bank Banknoten nicht mehr vollständig in Metallgeld tauschen konnte, zudem seit Dezember 1719 Zahlungen mit Münzgeld, die einen Betrag von 10 Livres überstiegen, verboten wurden, und im Januar 1720 schließlich ein Zwangskurs für den Notenumlauf verordnet wurde, brachen die Kurse ein und erzeugten eine Finanzpanik mit klassischem Verlauf und Folgen. 33 Frankreich hatte bis zum Ende des 18. Jahrhunderts unter den Folgen des Lawschen Systems zu leiden. Es kam nicht mehr zu der Gründung einer staatlichen Notenbank, und ausländische Investoren mieden französische Staatspapiere. 34 In London und Amsterdam konnten dagegen nach verschiedenen "Aufräumarbeiten" 35 Finanzmärkte entstehen, die für viele Jahrzehnte, von wenigen Ausnahmen abgesehen, reibungslos funktionierten und selbst nach den Kriterien moderner ökonometrischer Testverfahren als integriert und effizient bezeichnet werden können. 36 Ein wesentliches qualitatives Kennzeichen dieser Interdependenz ist ohne Zweifel das Engagement der Niederländer auf dem englischen Finanzmarkt. In den Niederlanden war zu dieser Zeit Kapital im Überfluß vorhanden, es boten sich zudem - die Wirtschaft befand sich im Abwärtstrend - nur geringe Investitionsmöglichkeiten. Das Geld der Amsterdamer zog andererseits auch Kapitalsuchende an: "In Europa, das um 1760 von politischen Gegensätzen und Kriegen zerrissen wurde, war die neutrale Politik und vor allem ihre reiche Hauptstadt Amsterdam das auserwählte Zentrum, wo die krieg-
32
So war den englischen Versuchungen, die hochprozentigen Anleihen in niedriger verzinste umzuwandeln, nur mäßiger Erfolg beschieden, da Investoren zu dieser Zeit (1720) die besseren Anlagemöglichkeiten des Lawschen Systems ausnutzten.
33
Zum Verlauf und Vergleich historischer Finanzcrashs siehe die Darstellung von Kindleberger{ 1989).
34
Vgl. hierzu Velde / Weir (1992).
35
Siehe dazu Parker (1977, S. 376).
36
Als Beispiele seien die Untersuchungen von Eagly /Smith (1976), Mirowski (1981, 1987), Schubert (1988, 1989) oder Neal (1990) genannt.
Herausbildung und historische Entwicklung von Finanzmärkten
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fuhrenden Länder Finanzmittel aufzutreiben versuchten, zunächst um Kriege zu finanzieren, später um den angerichteten Schaden wiedergutzumachen." 37 Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte sich in Europa ein engmaschig geknüpftes, aus zahlreichen Knoten bestehendes Netz von Finanzmärkten, die in erster Linie dem überregionalen Zahlungsausgleich, in zweiter Linie der Kapitalversorgung dienten. Preise und Kurse wurden hier in Form von halb- oder ganzgedruckten Zeitungen (den Vorläufern der Financial Times) über ganz Europa verbreitet und gelesen. 38 Vergegenwärtigt man sich nochmals die eingangs angesprochene Systematisierung, so muß festgestellt werden, daß sich zwar weder eine Trennung nach Art der gehandelten Objekte noch nach der zeitlichen Leistungsverpflichtung festmachen läßt, daß aber ein großer Teil der heute verwendeten Techniken (einschließlich Optionen, Futures, Futures auf Optionen etc.) im 18. Jahrhundert bereits vertreten waren. 39 Während es sich bei den bisher angesprochenen Institutionen um solche handelt, die den Handel erleichterten, zum Teil wohl auch erst ermöglichten, bleibt ihre Bedeutung außerhalb des Handelssektors eher beschränkt. Weitgehend unabhängig von dieser "zweiten Ebene", der Ebene der Handelszentren, existierten neben den eingangs angesprochenen städtischen Rentenkrediten verschiedene, stärker reglementierte private Kreditmärkte. So ließ sich etwa für Paris ein über Notare abgewickelter Kreditverkehr feststellen, bei dem lediglich drei Typen zugelassen waren: Leibrenten, ewige Renten und Obligationen. Die Zinsen durften Höchstbeträge nicht übersteigen (in der Regel fünf Prozent), und dem Schuldner wurde die Möglichkeit eingeräumt, jederzeit das geliehene Kapital vollständig zurückzuzahlen. Der Gläubiger durfte dies nicht verlangen. Bei kurzfristi-
37
Houtman-de Smedt/van
38
Die Ursprünge dieser Gattung lassen sich bis zu den listini dei prezzi im Italien des 14. Jahrhunderts zurückverfolgen: handgeschriebene, vorgedruckte oder komplett gedruckte, periodisch veröffentlichte Preislisten sowie Wechsel- und Geldkurse. Bereits solche Listen wurden quer durch Europa verschickt. Die sich hier dokumentierende Tatsache, daß in ganz Europa wöchentlich Marktpreise von z.T. über hundert Produkten aus der ganzen Welt sowie Wechsel- und Geldkurse massenhaft verbreitet wurden, straft im übrigen all jene Lügen, die von der Frühen Neuzeit als "vorstatistischer" Zeit sprechen.
39
So finden wir Eigen- und Fremdkapitalmärkte nicht nur am selben Ort, sondern sie werden in der Regel auch zum selben Zweck verwendet. Die schillerndste Beschreibung des komplexen Spekulationswesens mit einer Vielzahl "moderner" Techniken verdanken wir José Penso de la Vega (1688).
der Wee (1993, S. 172).
Thomas Rahlf
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gen Krediten, die über Obligationen realisiert wurden, war bis zum Ende des Ancien Régime die Forderung von Zinsen offiziell verboten.40 Die Anfange der Finanzmärkte des landwirtschaftlichen Sektors liegen weitgehend im Dunkeln.41 Zunächst wurde hier Kredit wie in den städtischen Pfandleihhäusern gewährt, um Notsituationen zu überbrücken. In der Regel erfolgte die Kreditgewährung aufgrund von persönlichen Beziehungen (zu Grundherren, Nachbarn oder der Gemeinde). Im Zuge der Agrarkonjunktur des 16. Jahrhunderts (steigende Getreidepreise) legten Landeigentümer vermehrt Kapital in Renten an.42 Andererseits investierten städtische Kaufleute auch Kapital in die Landwirtschaft, da hier größere Renditen möglich waren, als auf dem städtischen Rentenmarkt. Im 17. Jahrhundert (einem Zeitalter einer Agrarkrise) verschlechterte sich die Lage der Landwirtschaft: Es kam zu einer Ausweitung der Kreditaufnahmen zur Finanzierung von Land- oder Viehkäufen, die nun überwiegend - zumindest gilt dies für England - ohne persönliche Beziehungen zwischen Gläubiger und Schuldner stattfanden. 43 Es bleibt jedoch festzuhalten, daß dem privaten und ländlichen Sektor bislang erheblich weniger Aufmerksamkeit gewidmet wurde, als der kommerziellen und staatlichen Ebene. Auch die Verwendung der am städtischen Rentenmarkt gewährten Kredite, ja selbst die soziale Zusammensetzung der Kreditnehmer, ist in weiten Teilen noch unbekannt.44 So mußte Hermann van der Wee noch vor wenigen Jahren folgende Desiderata festhalten (die durch die seither erschienene Literatur nicht beseitigt wurden): 45
40
Vgl. Hoffman /Postel-Vinay /Rosenthal (1992, S. 296).
41
Vgl. zum Folgenden North, M. (1994, 1995c).
42
Hierbei scheint die persönliche Beziehung zwischen Schuldner und Gläubiger immer noch konstituierend gewesen zu sein. North, M. (1994, S. 93) nennt als Beispiel einen Bauern, dessen Nachlaß 1599 nicht weniger als 183 Rentenbriefe zu Lasten von Bauern und Handwerkern aus der Umgebung enthielt.
43
Siehe Sufford (1991).
44
Vgl. North, M. (1991, S. 4). Näheren Aufschluß könnte hier die quantitative Analyse von Kaufmannsbüchem, in denen die Geschäfte festgehalten wurden, geben, doch steht deren Auswertung erst am Anfang, wie Spufford (1995) betont. Siehe jetzt jedoch die aufschlußreichen Arbeiten von Rosenthal (1993) und Hoffman / Postel-Vinay / Rosenthal (1992, 1995).
45
Vgl. van der Wee (199\,S. 217f.).
Herausbildung und historische Entwicklung von Finanzmärkten
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1. die Diffusion der Kredittechniken, 2. die Bedeutung des Kredits für die wirtschaftliche Entwicklung, 3. neben den ökonomischen auch die sozialen Folgen von Kreditvergabe und Kapitaleinsätzen und 4. den Einfluß des Kredits auf die ökonomische Theoriebildung.
3.
Schlußbemerkung Die obige Darstellung war nicht zufällig institutionengeschichtlich orientiert. Die
Wirtschaftsgeschichte, insbesondere die mittelalterliche und frühneuzeitliche, hat sich bislang mit großer Vorliebe den Institutionen des Finanzsektors und diesen wiederum vorrangig aus rechtshistorischer Perspektive genähert. Es finden sich zahl- und umfangreiche Untersuchungen über die Techniken des Wechselverkehrs und des Börsenhandels, die Gesetzgebungen etc., jedoch wenig über quantitative Dimensionen sowie die genaue Verbreitung und Ausdehnung dieser Techniken. Statistische Analysen über Effizienz und Integration von Finanzmärkten haben, auch wenn sie zentrale Annahmen des neoklassischen ökonomischen Ansatzes überprüfen, in diesem Zusammenhang nur eine begrenzte Aussagekraft. Es ist fraglos eine interessante Feststellung, daß die Märkte im Europa des 18. Jahrhunderts integriert waren und danach nicht mehr; und ebenso daß sie es in den USA vor dem Bürgerkrieg waren und danach nicht mehr.46 Aber der Nachweis hängt von statistischen Verfahren ab, deren Anwendung - nicht nur in Hinblick auf eine historische Aussagefähigkeit 47 - problematisch ist. Und vor allem: Relevante Fragen wie die oben angesprochenen, von van der Wee aufgeworfenen, bleiben damit außen vor. Kommen wir noch einmal auf den Institutionenbegriff zurück. Wann werden aus Erscheinungen Institutionen? Was Sombart 1916 feststellte, gilt bis heute: " 'Anfänge' kann nicht bedeuten das völlig vereinzelte Auftreten einer dem Ideenkreise des Kapitalismus angehörigen Erscheinung: eine Schwalbe macht noch keinen Sommer gilt auch hier. Vielmehr müssen sich ausgesprochen kapitalistische Züge in größerer Verbreitung oder, wie wir es ausdrücken: als Massenerscheinung nachweisen lassen. Wann eine Massenerscheinung vorliegt, läßt sich allgemein nicht sagen. Hier hat im wesentlichen
46
Vgl. Bodenhorn (1992).
47
Siehe zu dieser Problematik ausführlich Rahlf (1998).
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Thomas Rahlf
der Takt des wissenschaftlichen Forschers zu entscheiden, der vor allem aus symptomatischen Anzeichen seine Schlüsse ziehen wird."48 Ist diese Entscheidung getroffen, stellt sich noch die Frage nach der Bedeutung der Institutionen. Die Mehrheit der Theorien zur Entstehung des Kapitalismus sehen als Hauptfaktoren andere Gründe wie die Entstehung einer protestantischen Ethik oder einer bestimmten Lebensfiihrung (Max Weber), eines kapitalistischen Geistes (Werner Sombart) oder geographisch-klimatische Gegebenheiten (Eric Jones). Lediglich Douglas North gesteht den Finanzinstitutionen eine zentrale Bedeutung zu: Er sieht in der Umgehung der Wuchergesetzgebung, der Entwicklung des Wechsels, der Einführung neuer Buchiührungsmethoden und der Schaffung von Informationsmöglichkeiten wie Kaufmannshandbüchem und gedruckten Preislisten die entscheidenden Schritte (die entscheidenden effizienten Institutionen),49 die in der Neuzeit zur Reduktion der Transaktionskosten geführt und Westeuropa im Gegensatz zu anderen Regionen der Welt zum Aufstieg verholfen haben.50 Der langsame Wandel der Institutionen und die "konsequente pfadabhängige Entwicklung" sei in diesem Zusammenhang entscheidend. Pfadabhängigkeit bedeutet hier, daß man ebenso von dem "Sackgassenpfad", den etwa Spanien und Portugal hinsichtlich der Entwicklung von Institutionen eingeschlagen haben, lernen kann, wie von der Entwicklung erfolgreicherer Institutionen in England oder den Niederlanden. Die Wurzeln des Wachstums oder Niedergangs beider Regionen lagen bereits in der Entwicklung dieser Institutionen im 17. Jahrhundert. Spanien und Portugal hatten eine stark zentralisierte und überwachende Bürokratie entwickelt, während zunächst die Niederlande und später auch England graduell Institutionen entwickelten, die dezentralisierte Entscheidungsprozesse und einen effizienten Markt herbeiführten. Einmal auf diese Pfade festgelegt, ermöglichten institutionelle Innovationen und deren Verfestigung, die Richtung des Pfades zu verstärken. Und für Hankel schließlich hat dies, wie eingangs erwähnt, eine bis heute anhaltende Bedeutung. Der monetäre Entwicklungsprozeß bedürfe allgemein, wie er sich ausdrückt, einer "institutionellen Moderation". 51 "Die lange [...] Vorgeschichte der europäischen Geld-, Kredit- und Bankenentwicklung vermittelt uns in allen Phasen einen Eindruck von der
48
Sombard( 1916, S. 4).
49
Wobei hier Effizienz in einem weiteren Sinne gemeint ist.
50
Vgl. North, D. (1994, S.12f.).
51
Hankel (1989, S. 187).
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Bedeutung dieser Institutionen. Die frühen Finanzmessen [...] beseitigen zwar nicht den lokalen Wucher, aber sorgten für Vergleichsmaßstäbe und Zinsobergrenzen. Die späteren Weitfinanzzentren (Antwerpen, Amsterdam, London) vermittelten nicht nur internationale Kredite, sondern vereinheitlichten auch die nationalen Kreditkonditionen. Man übertreibt nicht, wenn man feststellt, daß es ohne Banken und Banken-Geldmärkte weder nationale noch internationale Geld- und Kreditmärkte gegeben hätte. Erst diese Institutionen haben durch ihre Kommunikation [...] dem Geld Flügel und dem Kredit eine mit Lichtstrahlen konkurrierende Verbreitungsgeschwindigkeit verliehen, eine Entwicklung, die im Round-the-Globe-Twenty-four-hour-Service der modernen Fremdwährungs-Geld- und Kreditmärkte kulminiert."52 Was können wir daraus lernen? Können wir überhaupt etwas daraus lernen? Für Douglas North ist die Antwort eindeutig (und wenig überraschend): Institutions matter. Den Ruf mancher neoklassischer Ökonomen, nur möglichst alle Hindernisse und Schranken zu beseitigen (Freigabe aller Preise, Wechselkurse etc.), der Markt würde dann die optimale Lösung herbeifuhren, hält er aufgrund der Betrachtung der Herausbildung des europäischen Finanzsystems, das die industrielle Revolution überhaupt erst ermöglichte, für verfehlt. Die institutionelle Entwicklung effizienter (Finanz-)Märkte in Westeuropa war ein langer evolutionärer Prozeß. Kann man diese Dauer, etwa bei der Schaffung institutioneller Rahmenbedingungen wie sie für Entwicklungsländer gefordert werden oder bei Regelungen in bezug auf die Globalisierung der internationalen Finanzmärkte, vernachlässigen? Wir sind noch weit davon entfernt, die Wechselwirkungen zwischen Regeln und Normen in der Analyse wirtschaftlichen Wachstums oder wirtschaftlicher Entwicklung vollständig zu begreifen. Wir können aber durch die Analyse historischer Entwicklungen zu einem besseren Verständnis beitragen.53
52
Ebd., S. 187f.
53
Vor kurzem hat Leipold (1996) daraufhingewiesen, daß auch die Northsche Theorie der institutionellen Entwicklung selbst eine nicht unerhebliche Entwicklung durchlaufen hat und die Berücksichtigung des Konzeptes der Pfadabhängigkeit in dieser Theorie erst am Anfang steht.
20
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2. Funktionale Erklärungsansätze von Bankbetrieben: Warum gibt es Geschäftsbanken?
30
2.1. Bankfunktionen im Überblick
30
2.2.
Geschäftsbanken als effiziente Monitoren von Kreditausfallrisiken
32
2.3.
Geschäftsbanken als effiziente Versicherer gegen individuelle Liquiditätsrisiken
37
3. Organisation der Bankenwirtschaft: Struktur, Umfang und Effizienz des Bankgeschäfts 3.1.
41
Risikomanagement durch die Bank: Determinanten der Aktivaund Passivastruktur der Bankbilanz
42
3.2.
Determinanten des Geschäftsvolumens
45
3.3.
Skaleneffekte, Verbundeffekte und Ineffizienzen im Bankgewerbe
47
4. Bankenzusammenbrüche und Bankenpaniken
50
5. Gibt es einen (De-)Regulierungsbedarf für den Bankensektor?
53
6. Offene Fragen
56
Literatur
56
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Uwe Vollmer
Systematik von Finanzdienstleistungen Der Finanzsektor umfaßt alle Institutionen in einer Volkswirtschaft, die den übrigen
Sektoren laufend spezialisierte Finanzdienstleistungen bereitstellen. Lediglich in einer Selbstversorgungswirtschaft, in der alle Wirtschaftssubjekte die zum Lebensunterhalt notwendigen Güter und Dienste selbst erzeugen und nicht miteinander in Marktbeziehungen treten, besteht kein Bedarf an solchen spezialisierten Finanzdienstleistungen. Sobald jedoch arbeitsteilig gewirtschaftet wird und sich Wirtschaftssubjekte auf einzelne Tätigkeiten spezialisieren, übersteigen bei einigen Wirtschaftssubjekten (Defizitsektoren) temporär die Ausgaben die Einnahmen, während umgekehrt bei anderen Wirtschaftssubjekten (Überschußeinheiten) die Einnahmen größer als die Ausgaben sind. Um diese Finanzierungssalden auszugleichen, müssen Defizit- und Überschußeinheiten in Kreditbeziehungen zueinander treten, und es entstehen Finanzmärkte (Duwendag et al. 1974, S. 117). Bevor jedoch ein Kreditkontrakt, wie jede andere Marktbeziehung auch, zustande kommen kann, müssen beide Marktpartner eine Reihe von Problemen lösen (Breuer 1993, S. 6ff.): Sie müssen sich finden und gegenseitig Informationen über die Präferenzen und Bonitäten des anderen beschaffen (Informationsbeschaffung); danach müssen sie sich über die Vertragsmodalitäten und insbesondere über die Höhe des Zinssatzes einigen (Preisermittlung). Anschließend müssen die zu tauschenden Finanzkontrakte gegebenenfalls umgewandelt werden (Gütertransformation), um dann den Austausch physisch zu vollziehen (Güteraustausch). Zwar könnten die Marktteilnehmer diese vier Probleme selbst und ohne Zuhilfenahme der Dienste Dritter lösen, jedoch wird dies eher die Ausnahme sein. Komparative Kostenvorteile sorgen dafür, daß sich Anbieter spezialisierter Dienstleistungen herausbilden, die den Defizit- und Überschußeinheiten Hilfe bei Informationsbeschaffung, Preisermittlung, Transformation und Realisation von Finanzkontrakten anbieten. Diese spezialisierten Anbieter von Finanzdienstleistungen bilden den Finanzsektor einer Volkswirtschaft und lassen sich in vier Gruppen unterteilen (Breuer 1993, S. 9ff.; Abbildung l): 1 Bei der Informationsbeschaffung helfen Finanzgutachter, deren Dienstleistung darin besteht, vorhandene Informationsasymmetrien zwischen beiden Marktpartnem zu beseitigen (Rating-Agenturen, Unternehmensberater, Wirtschaftsprüfer und evtl. Fachzeitungen). Der Preisermittlung auf Finanzmärkten dienen Dienste von Finanz-Auktionatoren, wie von organisierten Börsen, Brokern oder Emissionsbanken.
1
Zu ähnlichen Darstellungen siehe auch Duwendag et al. (1974, S. 119) sowie Breuer (1993, S. 7undS. 17).
Funktionen und Organisation der Bankenwirtschaft
27
Der Austausch von Finanzkontrakten ist Aufgabe von "Financial Market Makers" (Wertpapier- und Devisenhändler, Clearing-Stellen beim börsenmäßigen Handel mit Futures), die selbst als Tauschpartner auftreten und hierfür eine Spanne ("spread") zwischen Ankaufs- und Verkaufskurs ansetzen. Schließlich existieren Anbieter von Finanzdienstleistungen, die sich als Finanzproduzenten in den Prozeß des physischen Austauschs einschalten und dabei das Produkt umwandeln (Bankgeschäfte, Investmentgeschäfte, Unternehmensbeteiligungen, Versicherungsgeschäfte). Anbieter all dieser Finanzdienstleistungen in ihrer Gesamtheit oder in Teilen werden als "Finanzintermediäre" bezeichnet, wobei der Begriff in der Literatur unterschiedlich breit abgegrenzt wird und entweder Anbieter aller Finanzdienstleistungen umfaßt {Allen 1990, S. 22, Fn. 7; Breuer 1993, S. 15) oder Unternehmen beinhaltet, die sich nur mit Handel und Transformation von Finanzierungstiteln befassen (Baltensperger 1996, S. 270; Freixas / Röchet 1997, S. 15), oder sich auf Finanzproduzenten erstreckt, die keine Geschäftsbanken sind {Duwendag et al. 1974, S. 148f.; Überblick wiederum bei Breuer 1993, S. 22). Nachfolgend wird die zweite Begriffsabgrenzung verwendet, und als Finanzintermediäre werden Unternehmen des Finanzsektors bezeichnet, die Finanzkontrakte austauschen oder umwandeln. Der Prototyp einer Finanzintermediärsdienstleistung ist jedoch das kombinierte Kredit- und Einlagengeschäft, das in der Literatur als eigentliches Bankgeschäft bezeichnet wird {Baltensperger 1996, S. 270; Freixas / Röchet 1997, S. 1) und das die gleichzeitige Vergabe von (nicht-fungiblen) Krediten und die Aufnahme von Bankeneinlagen beinhaltet. Anbieter von Dienstleistungen des Bankgeschäfts sind Geschäftsbanken, die allerdings als empirisch beobachtbare Institutionen vielfach noch andere Finanzdienstleistungen bereitstellen. Obwohl die Durchfuhrung von Bankgeschäften im gerade definierten Sinn nach der in Deutschland üblichen Legaldefinition einer Geschäftsbank gemäß § 1 KWG keineswegs als konstitutiv angesehen wird, soll nachfolgend unter der Bankenwirtschaft Unternehmen des Finanzsektors verstanden werden, die das kombinierte Kredit- und Einlagengeschäft (neben anderen Dienstleistungen) betreiben. 2
2
Nach § 1 K W G gelten als Kreditinstitute alle Unternehmen, die Bankgeschäfte gewerbsmäßig oder in einem Umfang betreiben, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert. Bankgeschäfte im Sinne des KWG sind die Annahme fremder Gelder (Einlagengeschäfte), die Kreditgewährung (Kreditgeschäfte), der Ankauf von Wechseln und Schecks (Diskontgeschäfte), die Anschaffung und Veräußerung von Finanzinstrumenten (Finanzkommissionsgeschäfte), die Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren für andere (Depotgeschäfte), Investmentgeschäfte, Garantien und sonstige Gewährleistungen für andere (Garantiegeschäfte), die Durchfuhrung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs (Girogeschäfte), Emmissionsgeschäfte, Geldkartengeschäfte, Netzgeldgeschäfte und die Ein-
28
Uwe Vollmer
Abbildung 1: Funktionen und Aufbau des Finanzsektors
gehung der Verpflichtung, Darlehensforderungen vor Fälligkeit zu erwerben. Dabei genügt von diesen Bankgeschäften bereits eines, um als Kreditinstitut zu gelten. Zu § 1 KWG vgl. auch Duwendag et. al. (1974, S. 138); Scheidt (1993, S.216f.).
Funktionen und Organisation der
Bankenwirtschaft
29
Die Tätigkeit von Banken wirft eine Reihe von Fragen auf, die Gegenstand einer rasch wachsenden Literatur zur Theorie der Finanzintermediation sind. Im Mittelpunkt stehen drei Gruppen von Fragestellungen: Die erste Gruppe untersucht, warum Wirtschaftssubjekte die von ihnen gewünschte Transformation von Finanzkontrakten nicht selbst durchfuhren, sondern sich der (keineswegs kostenlosen) Hilfe von Geschäftsbanken bedienen. Dies ist die Frage nach den Gründen für die Existenz von Geschäftsbanken und den von ihnen angeboteten Vertragsformen, und sie ist analog zur Frage nach der Existenz der Unternehmung in der herkömmlichen Theorie der Firma. Die zweite Gruppe von Fragestellungen befaßt sich mit der Funktionsweise des Bankensektors und fragt nach dem Verhalten einzelner Bankbetriebe und der Organisation der Bankenwirtschaft. Hierunter fällt eine Vielzahl von Problemen: Was sind die Determinanten der Geschäftsstrukur von Banken? Wie erfolgt die Preisbildung auf den Märkten für Bankdienstleistungen und wie effizient erfolgt deren Produktion? Gibt es ein spezifisches Risiko des Bankengeschäfts, das das Auftreten einzelner Bankenzusammenbrüche oder branchenweiter Bankenpaniken erklärt? Die letzte Gruppe von Fragestellungen beschäftigt sich mit dem staatlichen Einfluß auf den Bankensektor und fragt nach spezifischen Begründungen für eine Bankenregulierung und den daraus folgenden Konsequenzen für das Bankenverhalten. Nachfolgend sollen diese Fragestellungen aufgegriffen und in einem Überblick über die Literatur Funktionen und Organisation der Bankenwirtschaft dargestellt werden. Dabei wird der Begriff "Organisation" im Sinne von "industrial Organization" verstanden, d.h. es wird nach Erklärungsmustern des Bankverhaltens gesucht. Dazu werden zunächst die Funktionen des Bankbetriebs dargestellt und zwei Ansätze vorgestellt, die die Existenz von Geschäftsbanken durch ihre Funktionen als Kontrolleur von Kreditausfallrisiken und als Versicherer gegen Liquiditätsrisiken begründen (2.). Hieran anschließend wird nach der Organisation der Bankenwirtschaft gefragt, und es werden die Determinanten der Geschäftsstruktur des Bankbetriebes und des Geschäftsvolumens dargestellt; zudem werden empirische Ergebnisse zu Skalen- und Verbundeffekten und zu InefFizienzen im Bankgewerbe vorgestellt (3.). Der vierte Abschnitt befaßt sich mit möglichen Instabilitäten im Bankensektor und mit der Erklärung eines Runs auf einzelne Banken und von Bankenpaniken, die den gesamten Bankensektor erfassen (4.). Hieran anschließend wird von der positiven auf die normative Ebene übergegangen und untersucht, ob es einen (De-)Regulierungsbedarf für die Bankenwirtschaft gibt (5.). Der Beitrag endet mit einem Ausblick auf offene Fragen (6.).
30
Uwe Vollmer
2.
Funktionale Erklärungsansätze von Bankbetrieben: Warum gibt es Geschäftsbanken?
2.1.
Bankfunktionen im Überblick
Seitdem zu Beginn der siebziger Jahre das Interesse an der mikroökonomischen Fundierung gesamtwirtschaftlicher Analysen zugenommen hat, ist eine Reihe von Analysen entstanden, die sich mit der entscheidungslogischen Fundierung des Verhaltens von Bankbetrieben beschäftigen (Überblicke bei Baltensperger Baltensperger /Milde
1980, passim;
1987, passim; Santomero 1984, passim). Gemeinsam ist diesen
älteren "Theorien des Bankverhaltens", daß sie mögliche einzelwirtschaftliche Funktionen von Geschäftsbanken vernachlässigen und die Existenz von Bankkontrakten als gegeben hinnehmen. Vielmehr betrachten sie die Bankunternehmung als bloße Zusammenstellung von Finanzaktiva und -passiva und als eine Institution, die unter Ertragsund Risikoaspekten ein Portfolio an Forderungen und Verbindlichkeiten erstellt, und lassen offen, warum die Nichtbanken dieses Portfolio nicht selber bilden. Damit verbessern die traditionellen Theorien des Bankverhaltens zwar das Verständnis der Funktionsweise des Finanzsektors im allgemeinen und des Geldangebotsprozesses und des Transmissionsprozesses monetärer Impulse im besonderen, basieren jedoch auf Adhoc-Annahmen hinsichtlich der Existenz von Bankbetrieben. Diesen Mangel vermeiden jüngere Ansätze zur Theorie der Finanzintermediation, die die Existenz von Bankunternehmen endogen aus den von ihnen erfüllten Funktionen erklären (Überblicke bei Baltensperger 1996, S. 271ff.; Neuberger 1994, S. 31 ff.; Freixas / Röchet 1997, S. 15ff.). Wie oben ausgeführt, besteht die originäre Dienstleistung von Geschäftsbanken im kombinierten Kredit- und Einlagengeschäft, d.h. sie nehmen fremde Gelder an und transformieren sie in individuelle Kredite. Auf diese Weise kanalisieren sie einzelwirtschaftliche Ersparnisse in einzelwirtschaftliche Investitionen und vermitteln zwischen volkswirtschaftlichen Defiziteinheiten und volkswirtschaftlichen Überschußeinheiten, die an unterschiedlichen Orten agieren (räumliche Transformation) und die sich in den von ihnen präferierten Fristen (Fristentransformation), in ihren Losgrößenpräferenzen (Losgrößentransformation) und in ihren Risikopräferenzen (Risikotransformation) unterscheiden. Mit dieser Aktivität erfüllen Geschäftsbanken u.a. folgende beiden einzelwirtschaftlichen Funktionen:
Funktionen
und Organisation
der
Bankenwirtschaft
31
• Mit ihrem Aktivgeschäft erfüllen sie eine Informationsbeschaffungs- und Kontrollfunktion und überprüfen Kreditwünsche der Defiziteinheiten, überwachen das Management der kreditnehmenden Unternehmen und verhindern, daß der Kreditnehmer ein anderes Investitionsprojekt als angekündigt durchführt. • Mit ihrem Passivgeschäft erfüllen sie eine Liquiditätsfunktion und stellen den Nichtbanken (Depositen-)Geld als allgemein anerkanntes Tausch- und Zahlungsmittel bereit, das auch als Wertaufbewahrungsmittel gilt und in der (staatlich festgelegten) Recheneinheit nominiert ist; darüber hinaus wickeln Geschäftsbanken den Zahlungsverkehr im Inland und mit dem Ausland ab. Ihre Aufgabe besteht darin, die mit dieser Überwachungs- und Liquiditätsfunktion verbundenen Risiken zu kalkulieren und Vorkehrungen zu treffen gegen unerwartete Änderungen der Soll-/Habenzinsdifferenz (Zinsänderungsrisiko), gegen die Nichtrückzahlung vergebener Kredite (Kreditausfallrisiko) und gegen die unerwartete Auflösung von Einlagen (Liquiditätsrisiko). Moderne Ansätze zur Erklärung von Geschäftsbanken beziehen sich auf diese beiden Funktionen. Sie arbeiten mit der Annahme asymmetrischer Informationsverteilung und unterstellen positive Skalenerträge bei der Überwindung von Informationsasymmetrien; die Geschäftsbank wird damit interpretiert als Koalition individueller Anleger, die Skalenerträge bei der Überwindung von Informationsasymmetrien nutzbar machen kann. Allerdings unterscheiden sich die verschiedenen Erklärungsansätze darin, in welcher Stufe der Kreditbeziehung die Informationsasymmetrie angenommen wird: Der erste Modelltyp unterstellt die Existenz privater Informationen auf Seiten der Kreditnehmer, die allein über das Ergebnis des Investitionsprojekts informiert sind, das sie durch die Kreditaufnahme finanzieren; die Aufgabe der Geschäftsbank besteht in der Beseitigung dieser Informationsasymmetrie und in der Kontrolle von Investitionsergebnissen im Auftrag der Kreditgeber. Demgegenüber unterstellt der zweite Modelltyp private Informationen auf Seiten der Einleger, die alleine über das Auftreten eines vorzeitigen individuellen Liquiditätsbedarfs informiert sind; die Aufgabe der Geschäftsbank besteht darin, die Einleger gegen das Auftreten individueller Liquiditätsrisiken abzusichern. Beide Modelle sollen jetzt dargestellt werden.
32
Uwe Vollmer
2.2. Geschäftsbanken als effiziente Monitoren von Kreditausfallrisiken Ausgangspunkt des ersten Ansatzes zur Erklärung von Geschäftsbanken ist der Tatbestand, daß Investitionsvorhaben oftmals viel zu groß sind, um von einem einzelnen Wirtschaftssubjekt durchgeführt zu werden, das als Unternehmer alle Entscheidungen trifft und gleichzeitig als Eigentümer die damit verbundenen Risiken trägt. Vielmehr erfordern bereits mittelgroße Projekte zahlreiche Kapitalgeber, die als unternehmensexterne Personen keine Kenntnisse von den tatsächlichen Investitionsergebnissen haben, sondern auf Informationen seitens der mit der Unternehmensleitung beauftragten Personen angewiesen sind. Diese Informationsasymmetrie begründet ein PrinzipalAgenten-Problem, denn die Unternehmensleitung hat die Möglichkeit, den Kapitalgebern nach unten verzerrte Ergebnisse des Investitionsvorhabens mitzuteilen. Ohne Existenz einer Geschäftsbank haben die Kapitalgeber als Prinzipale entweder die Möglichkeit, die Unternehmensleitung direkt zu kontrollieren oder mit ihr anreizkompatible Verträge abzuschließen, durch die eine Fehlberichterstattung vermieden wird. Da dies mit hohen Agency-Kosten verbunden ist, besteht die Alternative darin, die Überwachung einer Geschäftsbank als beauftragtem Kontrolleur zu übertragen. Dadurch wird zwar das bislang einstufige Prinzipal-Agenten-Verhältnis zwischen Unternehmer und Kapitalgeber durch ein zweistufiges Prinzipal-Agenten-Verhältnis zwischen Geschäftsbank und Unternehmen und zwischen Kapitalgeber und Geschäftsbank ersetzt, jedoch kann dies einzel- und gesamtwirtschaftlich von Vorteil sein, wenn die von der Geschäftsbank kontrollierten Investitionsvorhaben voneinander unabhängig sind und die Geschäftsbank ein Unternehmen im Auftrag vieler Kapitalgeber überwacht. Dann bestehen Skalenerträge bei der Unternehmenskontrolle, die zusammen mit der soeben dargestellten Informationsasymmetrie die Existenz einer Geschäftsbank als delegierte Kontrollinstitution begründen.
Modellannahmen Die genauen Gründe für die Existenz einer Geschäftsbank als "Monitor" von Kreditrisiken lassen sich in einem Modell einer einfachen Volkswirtschaft herleiten, in der annahmegemäß N identische und als risikoneutral unterstellte Unternehmer existieren, die über keine eigenen Finanzmittel verfügen {Diamond 1984, insbes. S. 395ff.; Überblicke bei Breuer 1993, S. 140ff.; 1994, S. 293ff.; Neuberger 1994, S. 32ff.; Baltensperger 1996, S. 272ff; Freixas/Röchet
1997, S. 29ff.). Jeder Unternehmer plane ein
Funktionen
und Organisation
der
Bankenwirtschaft
33
großes, als unteilbar unterstelltes Projekt, das einen Kapitaleinsatz von 1 GE erfordert und einen stochastischen Bruttoertrag y erbringt, für den gilt: (1)
0 < y < °° und EW(y) = ey > R,
wobei EW den Erwartungsoperator und R einen exogen vorgegebenen kompetitiven Alternativertrag bezeichnen. Jeder Unternehmer weist eine Vielzahl von ebenfalls als risikoneutral unterstellten Kapitalgebern auf, von denen jeder über finanzielle Mittel in Höhe von 1/m < 1 GE verfugt, so daß zur Finanzierung eines Investitionsprojekts m > 1 Kapitalgeber erforderlich sind. Die Verteilungen der Investitionserträge y sind für alle Projekte identisch und voneinander unabhängig; sie sind zwar allen Marktteilnehmern bekannt, jedoch kennt nur der Unternehmer als Kreditnehmer das tatsächliche Ergebnis. Dabei ist die Realisierung von y eine bloße Zufallsgröße und von den Aktionen des Unternehmers unabhängig.
Autarkie Da nur der Unternehmer das tatsächliche Investitionsergebnis y kennt, hat er einen starken Anreiz, zu täuschen und gegenüber den Kapitalgebem am Periodenende den realisierten Ertrag niedriger als tatsächlich eingetreten auszuweisen. Um dies zu verhindern, bestehen bei Nichtexistenz von Geschäftsbanken zwei Alternativen: • Jeder Anleger kontrolliert den Unternehmer direkt und wendet dabei Kontrollkosten in Höhe von K GE auf, um die Realisierung von y für sich (und nur für sich, da es sich um private Informationen handelt) beobachtbar zu machen. • Jeder Anleger schließt mit dem Unternehmen einen Vertrag ab, der die Androhung und Durchsetzung von Strafkosten vorsieht, falls der Unternehmer seine Schuld nicht begleicht. Um anreizkompatibel zu sein und dem Unternehmen den Anreiz zu nehmen zu täuschen, müssen die Strafkosten nicht-pekuniärer Art sein, damit sie vom säumigen Schuldner auch bei einem tatsächlich sehr niedrigen Ertrag getragen werden können.3 Darüber hinaus müssen die Strafkosten von einer Größe abhängen, die auch für den Kapitalgeber beobachtbar ist; dies können im vorliegenden Modell
3
Diamond (1984, S. 396) nennt als Beispiele für solche nicht-pekuniären Strafkosten die Unannehmlichkeiten eines Insolvenz- oder Konkursverfahrens, Suchkosten für "gefeuerte" Manager oder physische Bestrafung als weniger realistisches Beispiel.
34
Uwe Vollmer
nur die tatsächlichen Auszahlungen des Unternehmers sein. Bezeichnet man die nicht-pekuniären Strafkosten mit z,
Der Vertrag sieht also nicht-pekuniäre Strafkosten für den Fall vor, daß der Schuldner sein Zahlungsversprechen nicht erfüllt 4 . Bei dieser Konstruktion des Kreditvertrages ist es für den Schuldner optimal, das Rückzahlungsversprechen voll zu erfüllen, wenn er kann (y ä h), oder dem Gläubiger den gesamten verfugbaren Ertrag zu überlassen, wenn er nicht kann (y < h). Die Gläubiger werden mit diesem Vertrag gerade einverstanden sein, wenn gilt: EW(z) = R. Da die Unternehmer ihren Kapitalgebern mindestens den Ertrag R der Alternativanlage zahlen müssen, gehen die Agency-Kosten zu ihren Lasten. Je nachdem, welche Vertragsform sie wählen, entstehen entweder direkte Kontrollkosten in Höhe von m • K GE oder mit positiver Wahrscheinlichkeit nicht-pekuniäre Strafkosten, wenn das Unternehmen in Konkurs geht, ohne zu täuschen, deren Erwartungswert EW((p) > 0 beträgt. Die Unternehmung wird sich für einen Beteiligungsvertrag mit direkter Kontrolle nur entscheiden, sofern gilt: (3)
m • K < EW (
S-i - S.-1
fi3)-s,3
Sf s,..
s. - S,.j
- 1,499
- 1,501
- 1,505
-4,110
-3,811
- 1,445
- 1,318
- 2,588
- 2,590
- 2,588
-4,110
-3,815
- 0,988
- 0,806
1,452
1,442
1,422
1,360
1,361
0,200
0,181
0,196
0,195
0,194
0,195
0,205
0,148
0,150
kritisches Niveau kritischer Wert kritischer Wert
0,10
0,05
0,01
0,10
T, 0,05
0,347
0,463
0,739
0,119
0,146
0,216
- 2,575
- 2,876
- 3,465
-3,141
3,434
- 4,008
%
0,01
Diese Ergebnisse finden sich in verschiedener Form in einer Reihe empirischen Studien. Vgl. dazu die frühen Arbeiten von Tryon (1979) und Longworth (1981) sowie die Untersuchungen von Meese / Singleton (1982), Hodrick (1987), MacDonald / Torrance (1988), Barnhart / Szakmary (1991), McCallum {1994b) und Hai / Mark / Wu (1996).
124
Albrecht F. Michler
Abbildung 3 beschreibt die tatsächlichen Wechselkursänderungen und die auf Basis der Terminprämien prognostizierten Bewegungen. Angesichts des widersprüchlichen Ergebnisses stellt sich die Frage, welches der Schätzverfahren letztlich die zuverlässigeren Aussagen über die Prognosequalität der Terminkurse, mithin also über die Güte der Erwartungsbildung von Marktteilnehmern liefert.21 Abbildung 3: DEM/USD-Wechselkursentwicklung und zeitversetzte Terminprämien
Empirische Gründe sprechen dafür, daß die Swapsatz-Variante die zuverlässigeren Ergebnisse liefert. Akzeptiert man dieses Schätzverfahren, so ergeben sich unterschiedliche Erklärungsansätze für den empirischen Befund: • Die Marktteilnehmer bilden mehrheitlich rationale Erwartungen. Die auftretenden, "scheinbar" systematischen Prognosefehler resultieren aus einer unzureichenden Testmethodik. • Die Marktteilnehmer bilden in der Mehrheit keine rationalen Erwartungen bzw. sie bilden "rationale Erwartungen" auf Basis eines fehlerhaften Modells, so daß die aktuellen Terminsätze keine unverzerrten Schätzer darstellen.
21
Zur Begründung vgl. die Ausführungen bei McCallum (1994b, S. 118ff.).
Erwartungsbildung auf Finanzmärkten
•
125
Aus Sicht der Marktteilnehmer ist es nicht rational, alle verfügbaren Informationen zu beschaffen und auszuwerten. Systematische Prognosefehler sind das Ergebnis ökonomisch rationaler Erwartungen.
•
Obwohl die Marktteilnehmer rationale Erwartungen bilden, treten systematische Differenzen zwischen den zukünftigen Spotsätzen und den aktuellen Terminsätzen auf, die nicht auf (scheinbaren) Prognosefehlern basieren, sondern lediglich (zeitvariable) Risikoprämien widerspiegeln. Besteht beispielsweise Unsicherheit darüber, ob die Marktgegenseite den Terminkontrakt auch tatsächlich erfüllen wird, könnte eine entsprechende Prämie eingefordert werden. Abweichungen der erwarteten Wechselkurse von den korrespondierenden Terminsätzen sind allerdings auch dann möglich, wenn die Marktteilnehmer Vermögensaktiva, die - bei ansonsten gleichen Ausstattungsmerkmalen - in unterschiedlichen Währungen denominiert sind, nicht als vollständige Substitute betrachten. 22 Bei Gültigkeit der gedeckten Zinsparität (CIP = "covered interest parity") entspricht die Terminprämie (f, - s,) gerade der bestehenden Renditedifferenz (i DEM - iUSD) zwischen den beiden betrachteten Ländern. Abweichungen von der CIP - nach Abzug bestehender Transaktionskosten - würde risikolose
Arbitrage-Prozesse ermöglichen. Die sofortige Ausnutzung dieser Ge-
winnmöglichkeiten fuhrt allerdings - abstrahiert man von Kapitalverkehrsbeschränkungen - zu raschen Preisanpassungen auf den beteiligten Märkten, so daß das bestehende Arbitrage-Fenster wiederum geschlossen wird. Der Terminkurs bzw. der Swapsatz ist bei diesen Überlegungen lediglich eine technische Variable, die die Gleichheit der in- und ausländischen Renditen - denominiert in einer der beiden Währungen - sicherstellt. Er spiegelt damit nicht mehr unbedingt die Wechselkursänderungserwartungen wider. Für den Fall, daß die in- und ausländischen Finanzaktiva keine vollständigen Substitute darstellen, kann der aktuelle Renditespread von den erwarteten Wechselkursänderungen abweichen. 23 Aus diesem Grund wird in einer Reihe von Untersuchungen die Prognosequalität der Forward-Discount-Gleichung mit Hilfe von Befragungsdaten überprüft. 24 Die Verfügbarkeit von Befragungsdaten erlaubt eine eindeutige Diskriminierung zwischen den beiden Abwei-
22
Eine formale Darstellung dieser Zusammenhänge findet sich im Abschnitt 4.2.
23
An dieser Stelle wird deutlich, daß eine Ablehnung der FRU-Hypothese identisch ist mit der Ablehnung der ungedeckten Zinsparität.
24
Vgl. dazu Frankel /Froot (1986a, 1986b).
126
Albrecht F. Michler
chungsgründen [fehlerhafte Erwartungsbildung versus (zeitvariable) Risikoprämien]. Frankel / Froot kommen zu dem Ergebnis, daß sowohl signifikante Abweichungen vom Modell rationaler Erwartungen als auch konstante Risikoprämien existieren. Sie weisen fehlerhaften Erwartungen allerdings die größere Bedeutung zu. MacDonald / Torrance finden hingegen neben empirisch relevanten Abweichungen vom RE-Modell auch Hinweise für eine zeitvariable Risikoprämie. Taylor schließlich kommt zu dem Ergebnis, daß das Erwartungsbildungsmodell eine untergeordnete Rolle spielt und in erster Linie zeitvariable Risikoprämien die mangelnde Erklärungsrelevanz der ungedeckten Zinsparität verantwortet.25
4.2. Verzerrte Terminkurse bei rationaler Erwartungsbildung Die empirische Überprüfung der FRU-Hypothese läßt den Schluß zu, daß die Terminkurse keine unverzerrten Schätzer für die zukünftige Wechselkursentwicklung darstellen und mithin die Annahme rationaler Erwartungsbildung verworfen werden kann. Allerdings finden sich in der Literatur eine Reihe von Erklärungsansätzen, die auftretende Prognosefehler auch bei rationaler Erwartungsbildung begründen. Hierbei lassen sich im wesentlichen fünf Ansätze differenzieren, denen aber andererseits gemeinsam ist, daß sie von einer homogenen Erwartungsbildung ausgehen: • permanent auftretende neue und unerwartete Informationen (News) können die Wechselkursprognosen anhand struktureller Wechselkursmodelle nachhaltig stören; • das Modell rational spekulativer Blasen (Bubbles) geht von der Unbestimmtheit des RE-Modells aus und erklärt länger anhaltende Abweichungen vom fundamental gerechtfertigten Entwicklungspfad der Wechselkurse; • das Peso-Problem erklärt systematische Prognosefehler aus nicht eingetretenen diskretionären Änderungen, die auf Basis der verfügbaren Informationsmenge rational erwartet und antizipiert werden; • bei Unsicherheit über die Modellparameter des relevanten Wechselkursmodells beschreiben Lernprozesse die sukzessive Anpassung der Erwartungen im Zeitablauf;
25
Vgl. dazu Frankel /Froot (1986a, 1986b, 1987, 1988), MacDonald / Torrance (1988) und Taylor (1989).
Erwartungsbildung auf Finanzmärkten
•
das McCallum-Modell
127
erklärt die Existenz systematischer Prognosefehler aus dem
Verhalten der wirtschaftspolitischen respektive der monetären Autoritäten, die ihre Politikreaktionsfunktionen nicht allein auf die Realisierung spezifischer Endziele wie Preisniveaustabilität ausrichten, sondern eine kurz- bzw. mittelfristige Stabilisierung der Zins- und Wechselkursentwicklung anstreben.
News
Approach
Akzeptiert man die Annahme, daß Wechselkurse wie andere Vermögenstitel bewertet werden, die aktuelle Parität also den Gegenwartswert aller zukünftigen Zahlungsströme widerspiegelt, so hängt der Kassakurs nicht allein von den aktuellen Fundamentalfaktoren, sondern zugleich auch von den (abdiskontierten) erwarteten zukünftigen Fundamentals ab (Asset-Pricing-Approach). Aktuelle Informationen, die Einfluß auf künftige Wechselkurse haben, fuhren sofort zu diskretionären Veränderungen der aktuellen Paritäten und begründen Abweichungen von den prognostizierten Kursen bzw. den vereinbarten Terminkursen der Vorperiode. Häufig auftretende neue und nicht prognostizierbare News schränken demzufolge die Prognosequalität heutiger Wechselkurserwartungen (Terminkurse) weitestgehend ein. Der News-Approach liefert allerdings keine zufriedenstellende Begründung für systematische Erwartungsfehler. Sofern die News White-Noise-Eigenschaften genügen, folgen die Prognosefehler bei rationaler Erwartungsbildung einem Zufallsprozeß mit entsprechenden stochastischen Eigenschaften. Der News-Ansatz kann somit lediglich erklären, warum verfugbare Strukturmodelle keine besseren Prognoseergebnisse liefern als beispielsweise ein Random-WalkModell. Die ökonometrische Überprüfung, inwieweit News die aktuelle Wechselkursentwicklung bestimmen, beinhaltet eine Reihe praktischer Probleme, die eine Operationalisierung erschweren. Die empirischen Analysen müssen neben den nicht direkt beobachtbaren Wechselkurserwartungen auch kursrelevante News identifizieren und entsprechend von bereits bekannten Informationen isolieren. Im Ergebnis bestätigen die ökonometrischen Untersuchungen die Evidenz neuer Informationen für die aktuelle Kursentwicklung, räumen ihr allerdings keinen dominanten Einfluß für den aktuellen Entwicklungspfad ein. 26
26
Vgl. dazu Frenkel (1981), Copeland (1984), Hardouvelis (1988), Hogan /
(1991) sowie die Übersicht bei Frenkel (1994) und Edison (1997).
Melvin/Roberts
128
Albrecht F. Michler
Spekulative Blasen Abweichungen der Wechselkurse vom Entwicklungspfad der Fundamentalfaktoren und den auf ihnen basierenden rationalen Erwartungen werden auch möglich durch das Auftreten rational spekulativer Blasen. Derartige Blasen bezeichnen exponentiell zunehmende Abweichungen der aktuellen Wechselkurse vom Steady-State-Pfad.27 Ausgangspunkt der Überlegungen ist wiederum der Asset-Pricing-Approach. Es sei nun unterstellt, daß eine neue, allerdings für die Fundamentalfaktoren der Wechselkurse irrelevante Information am Markt veröffentlicht wird. Sofern die Marktteilnehmer der Auffassung sind, daß dieser Faktor die zukünftige Wechselkursentwicklung tangiert, werden sie dies entsprechend antizipieren und es kommt zu "sich selbst erfüllenden" Erwartungen. Die originäre Abweichung vom Steady-State-Pfad wird dadurch vergrössert, daß die Marktteilnehmer an einen weiter steigenden Einfluß der Blase in künftigen Perioden glauben. Eine stringente Begründung für diese Erwartungsbildung ist allerdings schwerlich zu finden.28 Auch die Ursachen für die "Initialzündung" der spekulativen Blase werden nicht näher begründet. Der Rückfall auf den Gleichgewichtspfad erfolgt nach dem Platzen der Blase relativ rasch. Die rational spekulativen Blasen stellen hierbei lediglich eine Untergruppe der spekulativen Blasen dar, bei denen irrationales Verhalten zu Abweichungen führen kann. Mit Hilfe einer derartigen Kombination von irrationalen und rationalen Elementen läßt sich allerdings eine konsistente Begründung für länger andauernde Abweichungen vom Steady-State-Pfad begründen. Sofern eine größere Gruppe von Akteuren ihre Markterwartungen von der Trendentwicklung abhängig macht ("the trend is your best friend") und durch ihr Antizipationsverhalten - im Sinne sich selbst erfüllender Prognose - den Markt "macht", erscheint es aus Sicht eines rational agierenden Marktteilnehmers sinn-
27
Rational spekulative Blasen werden auch mit den Begriffen "Sunspot"-, "Bootstrap"- oder "Will-o'-the-wisp"-Gleichgewicht umschrieben. Siehe hierzu Copeland (1989, S. 318) sowie Frenkel (1994, S. 89). Eine ausfuhrliche Beschreibung spekulativer Blasen findet sich bei Aschinger (1995, S. 118ff.). Zur Erklärung von Wechselkursbewegungen wird das Konzept erst seit Mitte der achtziger Jahre im Zuge der massiven USD-Aufwertung stärker berücksichtigt. Siehe dazu Singleion (1987), Frankel / Froot (1990) sowie Engle / Hamilton (1990).
28
"Der Grund, warum Marktteilnehmer an ein Weiterbestehen des Bubble glauben, ist für empirische Untersuchungen praktisch nicht beobachtbar. Daher gehört ein Bubble zu jenen Elementen in der Erwartungsbildung der Marktteilnehmer, die sich zwar nicht in den Daten der Forscher finden lassen, dem Markt aber dennoch bekannt sind." Frenkel (1994, S. 91). Vgl. femer Copeland (1989, S. 320).
Erwartungsbildung auf Finanzmärkten
129
voll, sich an dieser Entwicklung zu beteiligen ("riding on the wave"). Solange er der Auffassung ist, daß die entstehende Blase nicht zusammenbricht, wird er die Abweichungen von den fundamentalen Kursen lediglich zur Kenntnis nehmen und seine eigenen Wertpapierpositionen halten oder sogar weiter ausdehnen. 29 Die Kunst besteht lediglich darin, in der logischen Sekunde vor dem Platzen der Blase aus dem Markt auszusteigen.
Peso-Problem Systematisch erscheinende Erwartungsfehler können auftreten, wenn die Marktteilnehmer in der Zukunft gravierende Veränderungen einer oder mehrerer Fundamentalfaktoren nicht ausschließen und diesen eine spezifische - allerdings kleine - Eintrittswahrscheinlichkeit zuordnen. Im Fall von Wechselkursen könnte dies die Abkehr von einer uni- bzw. bilateral vereinbarten Anbindung an eine Leitwährung bzw. ein umfassendes Realignment innerhalb eines vereinbarten Wechselkurssystems darstellen. Die abwertungsverdächtige Währung wird in diesem Fall mit einem Abschlag an den internationalen Devisenterminmärkten gehandelt. Solange es den beteiligten Notenbank gelingt, die angekündigten Paritäten zu verteidigen, entsteht - trotz rationaler Erwartungsbildung - ein Erwartungsfehler. Wenn die Marktteilnehmer ihre Markteinschätzungen in den Folgeperioden nicht revidieren bzw. die Eintrittswahrscheinlichkeit des Regimewechsels weiter erhöhen, treten laufende Prognosefehler auf, solange die wirtschaftspolitischen Maßnahmen zur Verteidigung der Wechselkurse greifen. 30 Die zeitliche Abfolge der Prognosefehler weist für diesen Fall ein scheinbar systematisches Muster auf, das mit der Annahme rationaler Erwartungsbildung nicht kompatibel ist. Die Auflösung des Peso-Problems erfolgt erst dann, wenn das erwartete Ereignis eintritt, also die Wechselkursanbindung aufgegeben wird oder ein umfassendes Realignment stattfindet bzw. die Glaubwürdigkeit des Wechselkurssystems wieder hergestellt ist.
29
Das Spekulationsverhalten rational agierender Marktteilnehmer kann entgegen der gängigen Sicht in diesem Fall sogar destabilisierend wirken.
30
Mit zunehmender Wahrscheinlichkeit einer möglichen Abwertung der betroffenen Währung führen gleichgerichtete Erwartungen der Marktteilnehmer dazu, daß die Marktgegenseite auf den Terminmärkten fehlt, bzw. nicht akzeptable Abschläge einfordert. Gleichgerichtete Erwartungen der Akteure münden letztlich in eine spekulative Attacke gegen die Weichwährung.
130
Albrecht F. Michler
Lernprozesse Die Akteure sind möglicherweise nicht in der Lage, auftretende strukturelle Veränderungen zwischen ökonomischen Variablen hinreichend rasch zu erfassen. Damit wird die Gültigkeit des Modells rationaler Erwartungen Zumindestens für die kurze Frist aufgegeben. Erst durch eine sorgfältige Beobachtung des Marktgeschehens werden die neuen Parameterkonstellationen der Fundamentalfaktoren hinreichend identifiziert.31 Die jederzeitige Gültigkeit des RE-Modells wird als eine unzulässige Verkürzung des Erwartungsbildungsprozesses verstanden.32 Die unerwartet starke Aufwertung des USD zu Beginn der achtziger Jahre wird damit erklärt, daß die Marktteilnehmer die veränderten Rahmenbedingungen am amerikanischen Geldmarkt [deutlich erhöhte Geldnachfrage; veränderte Politikregeln] nicht direkt identifizierten.33 Strukturell bedingte Verschiebungen der Geldnachfrage lassen sich beispielsweise erst beim Vorliegen eines ausreichenden Datensets aufdecken. Abweichungen von bekannten, längerfristigen Grundrelationen werden zunächst als vorübergehende Ausreißer fehlinterpretiert. Systematische Fehlprognosen sind aber auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die Strukturveränderungen - wie bei einem angekündigten Regimewechsel der Notenbank - scheinbar offenliegen. Es vergeht häufig eine geraume Zeit, bis die Marktteilnehmer den Politikwechsel als glaubwürdig betrachten und ihre Erwartungsbildung entsprechend revidieren.34
Politikreaktionsfunktionen
und systematische
Fehlerwartungen
Bei Existenz vollkommener Kapitalmärkte, d.h. wenn in- und ausländische Wertpapiere vollständige Substitute sind, die Märkte laufend geräumt werden, Transaktionskosten vernachlässigbar sind und keine währungsspezifischen Risikoprämien existieren, entspricht die erwartete, in Inlandswährung denominierte Rendite eines Fremdwäh-
31
Sofern die Marktteilnehmer die grundlegenden Modellzusammenhänge kennen, nicht aber die genauen Parameterspezifizierungen, spricht man auch von rationalen Lernprozessen. Lernprozesse anhand von fehlerhaften Modellen bilden die gegenteilige Variante.
32
Vgl. dazu beispielsweise Bullard (1991).
33
Siehe dazu die Beiträge von Lewis (1988, 1989a, 1989b).
34
Zu den Implikationen verschiedener Lernmodelle siehe Frenkel (1994, S. 106ff.).
Erwartungsbildung auf Finanzmärkten
131
rungsaktivums der Rendite inländischer Finanzaktiva mit gleichen Ausstattungsmerkmalen. Gemäß der ungedeckten Zinsparität (UIP = "uncovered interest parity") gilt: (10)
iW = i™ + ( s * + n - s t ) bzw. fiir den einperiodigen Fall: i . = it + ( s f + i - s t ) .
Bilden die Marktteilnehmer rationale Erwartungen, so gilt ferner: (11)
st+1 = E t ( s l + , | Q t ) + ?t+i m i t E , ( s t + 1 | Q , ) = s* +I .
Der tatsächlich realisierte Kassawechselkurs s1+1 weicht vom Erwartungswert nur in Höhe eines Prognosefehlers E,t+I mit White-Noise-Eigenschaften ab. Kombiniert man die vorangegangenen Gleichungen miteinander, ergibt sich: (12)
s 1 + I - s t = i t - i? +5 1+1 .
Für ökonometrische Überprüfungen der UIP läßt sich dann der Zusammenhang (13)
st+1-s,=
8o+ 6 , ( i , -
+
formulieren. Vergleicht man diese Schätzgleichung mit (9), wird deutlich, daß sich die beiden Gleichungen entsprechen, wenn - unter Vernachlässigung der Störkomponente die Bedingung (14)
f, - s, =
i,-if
erfüllt ist. Die Gleichung (14) beschreibt aber nichts anderes als die kursgesicherte, d.h. die gedeckte Zinsparität. Bei Gültigkeit der CIP entspricht die Überprüfung der FRUHypothese also einem Test auf Gültigkeit der ungedeckten Zinsparität. 35
35
Die Gültigkeit der gedeckten Zinsparität zwischen Deutschland und den USA wird in empirischen Arbeiten - zumindestens für kurze Anlagehorizonte - weitestgehend akzeptiert. Auftretende kursgesicherte Renditespreads lassen sich aufgrund ihrer Höhe durchgängig mit bestehenden Transaktionskosten erklären.
132
Albrecht F. Michler
Politikmaßnahmen, respektive geldpolitische Entscheidungen erfolgen vor dem Hintergrund der aktuellen gesamtwirtschaftlichen Situation einer Volkswirtschaft. Leitzinsänderungen werden hierbei nicht nur im Hinblick auf das Erreichen von Finalzielen wie Preisniveaustabilität oder Vollbeschäftigung getroffen, sondern zielen häufig auch auf eine Stabilisierung der kurz- und mittelfristigen Zins- und Wechselkursentwicklung ab (Smoothing-Strategien). Analytisch läßt sich dieser Zusammenhang in der folgenden Politikreaktionsfunktion zusammenfassen: 36 (15)
i t - if = A As, + y (i,., - if.,) + vt.
Zur Abschwächung aktueller Wechselkursänderungen As, (= s, - s,.,) wird die Notenbank über ihre Leitzinsen das Zinsniveau i, am inländischen Geldmarkt erhöhen. Das Ausmaß dieser Gegenmaßnahmen hängt von der Wahl des Reaktionsparameters A ab. Andererseits sind Notenbanken daran interessiert, die bestehenden Zinsrelationen zwischen dem In- und Ausland (i,., - if.,) zu stabilisieren. 37 Die Größe v, beschreibt eine Störvariable mit White-Noise-Eigenschaften, die beispielsweise diskretionäre geldpolitische Eingriffe der Notenbank erfaßt. Kombiniert man die UIP in Gleichung (10) unter Berücksichtigung eines Störterms ( Q mit der Politikreaktionsfunktion (15), so kann durch die Methode der unbestimmten Koeffizienten folgende Modellösung formuliert werden: 38
(16)
As, = - |
A
( i , . , - ^ ) - - j - v,X
1
X + y -1
C,.
Für die Gültigkeit der ungedeckten Zinsparität bzw. die Unverzerrtheit der Terminkurse ist lediglich der Koeffizient -(y/A) von Interesse, er entspricht 6, in der UIPGleichung (13) bzw. bei Gültigkeit der CIP dem Koeffizienten ß, in der FRU-Schätzgleichung (9). Für den Fall, daß die Notenbank keine Wechselkursstabilisierung durchfuhrt (kleine A-Werte) und zugleich eine Zinsglättungsstrategie betreibt (Werte von y
36
Siehe dazu McCallum (1994b, S. 123) bzw. McCallum (1996, S. 196).
37
Dies ist eine vereinfachte Beschreibung, weil die Notenbank in aller Regel an der Stabilisierung des inländischen Zinsniveaus interessiert ist. Für den Fall einer kleinen offenen Volkswirtschaft mit einem konstanten ausländischen Zinsniveau if.| = iF beschränkt sich die Analyse wieder auf das inländische Niveau, so daß die Notenbank ein "interest rate smoothing" betreibt.
38
Zur mathematischen Herleitung der aufgeführten Lösung vgl. McCallum (1994b, S. 123ff.).
Erwartungsbildung auf Finanzmärkten
133
nahe Eins) sind Koeffizienten für 6, bzw. ß, denkbar, die mit den Schätzergebnissen in Tabelle 2 [Panel (b)] kompatibel sind. Die Annahme, daß die Marktteilnehmer keine rationalen Erwartungen bilden bzw. die ungedeckte Zinsparität einen unzureichenden Erklärungsgehalt aufweist, läßt sich mit Hilfe der dargestellten Schätztechnik nicht nachweisen. Die mangelnden Prognoseeigenschaften von Terminkursen resultieren letztlich daraus, daß die Notenbanken gerade jene Größen kurz- bzw. mittelfristig im Rahmen ihrer Geldpolitik steuern, für die die Marktteilnehmer Erwartungen bilden.39
4.3.
Die Prognoseeigenschaften von Wechselkursmodellen
Die Bildung (begrenzt) rationaler Wechselkurserwartungen setzt hinreichende Kenntnisse über das relevante Strukturmodell voraus, daß einerseits die aktuellen Wechselkurse hinreichend erklärt und andererseits zuverlässige Prognosen über die zukünftige Wechselkursentwicklung ermöglicht. Empirische Tests müssen sowohl einen hinreichenden Erklärungsgrad für den Stichprobenzeitraum als auch zuverlässige Outof-Sample-Prognosen liefern. Eine frühe, umfangreiche Studie zur Überprüfung der Prognosequalitäten von Wechselkursmodellen in der Ära nach Bretton Woods lieferten Meese / Rogoff. Sie untersuchen alternativ die Out-of-Sample-Eigenschaften von Strukturmodellen und reinen Prognosemodellen auf Basis der Zeitreihenentwicklung. Mit Hilfe des RMSE-Kriteriums kommen die Autoren zu dem Schluß, daß das RandomWalk-Modell eine gleich gute Performance liefert wie die makroökonomischen Strukturmodelle.'10 Eine mögliche Erklärung für die mangelnde Performance der Strukturmodelle wird in der Existenz rational spekulativer Blasen gesehen. Aktuellere Untersuchungen auf Basis längerer Stichprobenzeiträume zeigen allerdings, daß die Strukturmodelle durchweg überlegende Prognoseeigenschaften im Vergleich zu einfachen Zeitreihenmodellen aufweisen.41 Die Prognosequalität steigt zugleich mit dem betrachteten
39
McCallum (1994a) erklärt mit Hilfe von Politikreaktionsgleichungen auch die mangelnde Prognosequalität der rationalen Erwartungstheorie der Zinsstruktur (REHTS). Zur empirischen Evidenz vgl. Hsu /Kugler (1996), Kugler (1997b) sowie Michler (1999).
40
Vgl. hierzu Meese /Rogoff (1983, 1988).
41
MacDonald / Taylor (1993) zeigen anhand eines VEC-Modells, daß ein monetäres FlexPreismodell auf Basis von Monatsdaten eine bessere Performance des DEM/USD-Kurses für Prognosezeiträume bis zu einem Jahr liefern kann als ein Random-Walk-Modell. Clarida / Taylor (1993) kommen auf Basis von Wochendaten für Spot- und Terminkurse mit Hilfe eines VEC-Modells zu ähnlichen Ergebnissen für den DEM/USD-Kurs.
134
Albrecht F. Michler
Prognosehorizont, während die Erklärungsrelevanz makroökonomischer Fundamentaldaten für die kurzfristige Wechselkursdynamik auch weiterhin bezweifelt wird. 42 Diese Ergebnisse lassen den Schluß zu, daß die Erwartungsbildung auf Basis von Fundamentalfaktoren ein zuverlässigeres Bild über die zukünftige Wechselkursentwicklung ermöglicht als die bloße Akzeptanz eines Zufallspfades. 43 Die unbefriedigenden Ergebnisse in der kurzen Frist können einerseits aus der fehlerhaften Konstruktion des Wechselkursmodells resultieren, so daß zukünftige Modellklassen bessere Ergebnisse liefern, oder aber die Annahme, daß fundamentale Faktoren die Wechselkursentwicklung für alle Zeiträume determinieren, ist grundsätzlich fehlerhaft. Obwohl die erste Begründung zulässig ist, können dennoch Zweifel angemeldet werden. Betrachtet man beispielsweise den Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems, so lassen sich durchaus Phasen einer weitestgehenden Stabilisierung erkennen. Sofern ein - wenn auch unbekannter - Zusammenhang zwischen den Fundamentals und den Wechselkursen bestehen sollte, müßte die Wechselkursstabilisierung einhergehen mit einer stabileren Entwicklung der Fundamentals. Analysiert man den Entwicklungspfad von Fundamentalfaktoren, so läßt sich festhalten, daß ihre Volatilitäten nicht signifikant von jenen Fluktuationen abweichen, die im Falle völlig flexibler Wechselkurse auftreten. Dies wiederum erlaubt die vorsichtige Schlußfolgerung, daß der Zusammenhang zwischen Fundamentals und Wechselkursen - zumindestens in der kurzen Frist - nicht hinreichend vorhanden ist.44
Möglicherweise wird die Wechselkursentwicklung - Zumindestens in der kurzen Frist - ausschließlich durch Marktempfmdungen ("market sentiments") dominiert und 42
Vgl. hierzu die Arbeiten von Chinn / Meese (1995), Lothian / Taylor (1995) und Mark (1995). Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Bekaert / Hodrick (1992), die auf die Prognoseeigenschaften von Terminkursen in ihrer Studie über das Verhalten von Überrenditen verweisen und Cumby /Huizinga (1991), die die Wechselkursentwicklung in eine permanente und eine transitorische Komponente zerlegen. Vgl. ferner die Arbeiten von Edison / Gagnon /Melick (1994) sowie Frankel/Rose (1995), die die Gültigkeit der Kaufkraftparitätentheorie in der langen Frist bestätigen.
43
Chen /Mark (1996) vergleichen auf Basis unterschiedlicher Schätz verfahren die Prognosequalitäten der Kaufkraftparitätentheorie, der Zinsparitätentheorie sowie des monetären Wechselkursmodells für die nominale Wechselkursentwicklung. Die besten Prognoseeigenschaften im Hinblick auf die Robustheit der Schätzungen liefert das monetäre Modell. Die Einbeziehung der kurzfristigen Wechselkursdynamik in die Prognosebildung fuhrt hingegen zu keinen signifikanten Änderungen.
44
Zu dieser Argumentation vgl. Rose (1994) sowie Hopper (1997, S. 21).
Erwartungsbildung auf Finanzmärkten
135
mit Hilfe technischer Marktanalysen sowie Handelsstrategien abgestützt. 45 In diesem Fall stellen die realisierten Wechselkurse das Ergebnis von sich selbst erfüllenden Prognosen dar. Auf Basis ihrer Empfindungen erwarten die Akteure ein bestimmtes Wechselkursniveau und treffen entsprechend ihre Marktentscheidungen. Auch wenn die Wechselkurse in der kurzen Frist durch nicht-rationale Elemente dominiert werden, bleiben die Fundamentals weiter bedeutsam. Sie bilden im Hintergrund eine Art Benchmark, die dazu dient, die Konsistenz der eigenen Markteinschätzungen zu überprüfen und zugleich die längerfristige Wechselkursentwicklung zu determinieren. Eine mögliche Ursache für die mangelnde Informationseffizienz der Märkte ergibt sich direkt aus der Hypothese effizienter Märkte.
4.4.
Konsequenzen informationseffizienter Märkte
Das Basismodell effizienter Märkte abstrahiert von jedweden Transaktionskosten, mit dem Ergebnis, daß alle Informationen frei verfugbar sind und die Erwartungsantizipation kostenlos erfolgen kann. Ferner wird unterstellt, daß die Akteure homogene Erwartungen bilden, d.h. die verfugbaren, kursrelevanten Informationen in gleicher Art und Weise auswerten. Die Annahme einer friktionslosen Welt mit identischen Akteuren ist hinreichend, um einen effizienten Markt zu erzeugen. Im Umkehrschluß ist aber die Gültigkeit dieser Annahmen keine notwendige Bedingung für die Existenz informationseffizienter Märkte. Hohe Transaktionskosten reduzieren möglicherweise das Transaktionsvolumen im Markt, dennoch können die verbleibenden Transaktionen alle verfügbaren Informationen der Marktteilnehmer transportieren und in den Preisen widerspiegeln. Genauso werden nicht alle Marktteilnehmer die verfügbare Informationsmenge in identischer Weise auswerten. Solange nicht eine Gruppe die Informationen nutzen kann, um zu einer systematisch besseren Beurteilung des Marktes zu gelangen, steht auch weiterhin die Markteffizienz nicht zur Disposition. Neuere Ansätze unter Berücksichtigung von Informationskosten und Heterogenität der Marktteilnehmer liefern allerdings zusätzliche Einsichten in die Hypothese effizienter Märkte. Die Existenz solcher Märkte setzt voraus, daß die Akteure alle kursrelevanten Informationen verarbeiten. Im Falle der Wechselkurse wären dies also beispielswei-
45
Diese Überlegungen sind allerdings nicht neu, sondern finden sich schon bei Keynes (1930). Er unterstellt, daß sich die Marktteilnehmer von nicht genauer zu erklärenden Gefühlen leiten lassen ("animal spirits").
136
Albrecht F. Michler
se die Inflationsraten, Zinssätze unterschiedlicher Endfälligkeiten, die Einkommensentwicklung oder die öffentliche Verschuldung der beteiligten Länder. Das Sammeln und Auswerten derartiger Informationen ist für die Marktteilnehmer aber nicht kostenlos, so daß die Informationsverarbeitung eine systematische Überrendite garantieren muß, damit (zumindestens) die entstehenden Kosten kompensiert werden. Sind die Märkte aus Sicht der Akteure vollständig effizient, besteht kein Anreiz mehr, zusätzliche Informationen zu beschaffen und auszuwerten, weil die erforderlichen Überrenditen entfallen. Andererseits fuhrt in diesem Fall die kollektive Verweigerung der Auswertung von Informationen dazu, daß sich der aktuelle Marktpreis beliebig weit vom fundamentalen Gleichgewicht entfernen kann. Die Aufdeckung derartiger Divergenzen kann wiederum einen erneuten Informationsbeschaffungs- und -Verarbeitungsprozeß initiieren, der eine Annäherung an den informationseffizienten Zustand generiert. Verursacht die Identifikation von Kursanomalien ihrerseits Kosten, so setzt ein hohes Maß an Informationseffizienz allerdings voraus, daß zumindest einzelne Marktteilnehmer von der Existenz bestehender Informationsineffizienzen ausgehen. Die Crux besteht nun darin, daß der ausgelöste Anpassungsprozeß wiederum vom Rest des Marktes ohne bedeutsame Informationskosten wahrgenommen werden kann. Sofern diese Akteure die Auffassung vertreten, daß die Informationsbeschaffung und -Verarbeitung der ersten Gruppe zuverlässig ist, werden sie keine eigenen Informationsaktivitäten initiieren, sondern die Marktergebnisse weitestgehend akzeptieren, also eine Free-Rider-Position einnehmen.46 Die Möglichkeit der Free-Rider-Position beschränkt letztlich den Anreiz aller Akteure zur Beschaffung und Auswertung von Informationen. Nur die Existenz einer ausreichend großen Marktinefiizienz, die zugleich Pioniergewinne im Sinne von Schumpeter garantiert, sichert letztlich ein hohes Maß an Markteffizienz (Paradoxon effizienter Märkte).47
46
Ein derartiges Verhalten kann vermutlich in der Praxis bei sehr vielen Marktteilnehmern - insbesondere privaten Akteuren - unterstellt werden, die die aktuellen Preise von Finanzaktiva akzeptieren. Die Preisnehmerschaft resultiert hierbei nicht unbedingt aus einer mangelnden Marktmacht, sondern spiegelt die Auffassung wider, daß die Vermögensaktiva hinreichend fair bewertet sind, mithin die eigene Informationsauswertung zu keinen gravierenden Bewertungsdivergenzen fuhren würde.
47
Grossman / Stiglitz (1980, S. 393) sprechen in diesem Zusammenhang von einem "equilibrium degree of disequilibrium". Sie unterstellen in ihren Überlegungen die Existenz eines Informationsmarktes, der sich ähnlich wie andere Wettbewerbsmärkte verhält. Grenzkosten der Informationen werden mit ihren Grenznutzen verglichen. Akteure, die in Informationen investieren, erwarten eine höhere Rendite aus den Anlageentscheidungen. Solange die Informationsindustrie einen freien Marktzutritt und -austritt gewährleistet, ergeben sich in diesem Fall letztlich keine systematischen Überrenditen durch das Sammeln zusätzlicher
Erwartungsbildung auf Finanzmärkten
137
Der Fall heterogener Investoren wird von Figlewski untersucht.48 Er unterstellt, daß die Investoren sich in bezug auf ihre Informationssets, die Erwartungsbildung, die Risikopräferenzen sowie ihre Vermögensausstattung unterscheiden. In der kurzen Frist spiegeln die Preise dann nicht mehr alle Informationen wider; lediglich die unterschiedlichen Informationssets der Marktteilnehmer gehen gewichtet in die aktuellen Wertpapierpreise ein. Im Zeitablauf werden Marktteilnehmer mit überlegenden Informationen Vermögen durch ihre profitablen Spekulationen anhäufen. Die Märkte werden in zunehmendem Maße effizient, weil ihre Dominanz auf den Märkten - aufgrund der steigenden Vermögensmasse - zunimmt.49 Allerdings handelt es sich nicht um einen monotonen Prozeß, da auch schlecht informierte Marktteilnehmer gelegentlich Gewinne erzielen und ihr Vermögen vergrößern. In diesem Modellrahmen sind Märkte weder ganz ineffizient noch ganz effizient, die Wirklichkeit liegt irgendwo in der "Mitte".50 Ob allerdings tatsächlich eine Verdrängung schlecht informierter Marktteilnehmer (Noise Trader) erfolgt, hängt nicht zuletzt von den Rahmenbedingungen ab, unter denen die Akteure operieren. Obwohl die empirische Vorgehensweise zur Überprüfung der Hypothese effizienter Märkte eindeutig festgelegt werden kann, ergeben sich dennoch Schwierigkeiten bei der Interpretation von Schätzergebnissen: • Jeder Effizienztest erfordert Annahmen über das Gleichgewichtsmodell mit dem die normalen Wertpapiererträge formuliert werden. Wird die EM-Hypothese empirisch verworfen, kann der Markt informationsineffizient sein oder aber das gewählte Gleichgewichtsmodell ist fehlerhaft. Empirische Tests überprüfen demzufolge immer eine Verbundhypothese. • Eine vollständige Informationseffizienz erscheint in der Praxis eine unrealistische Benchmark. Der Informationsprozeß ist letztlich nicht kostenlos, entsprechende Zu-
Informationen. Ist der Informationsmarkt hingegen kein vollkommener Wettbewerbsmarkt, so nehmen Informationen Insider-Charakter an und ermöglichen systematische Überrenditen. 48
Vgl. Figlewski (1978).
49
Diese Evolutionshypothese geht auf Friedman (1953) zurück. Nach seiner Auffassung werden schlecht informierte Akteure über kurz oder lang vom Markt verdrängt. Hingegen wirken die spekulativen Maßnahmen gut informierter Marktteilnehmer stabilisierend.
50
Vgl. dazu auch Levich (1997, S. 220).
138
Albrecht F. Michler
satzerträge sind erforderlich um die Informationskosten der Marktteilnehmer abzudecken. Auf breiten und tiefen Finanzmärkten dürften diese Informationskosten gering ausfallen und nur geringe Zusatzrenditen rechtfertigen. Eine eindeutige Aussage über die "marktgerechte" Höhe der Zusatzrenditen dürfte kaum möglich sein. Anstatt auf die absolute Effizienz abzustellen, muß deshalb vielmehr die relative Effizienz einzelner Teilmärkte (Börse A) gegenüber anderen Teilmärkten (Börse B) festgestellt werden. Aus diesem Grund erscheint es sinnvoller, den Effizienzgrad anstatt die Effizienz selbst abzutesten.51
5.
Noise-Trader-Verhalten an den Devisenmärkten Die empirischen Ergebnisse auf Basis von Erhebungsdaten zur Erwartungsbildung
auf Devisenmärkten deuten an, daß die Marktteilnehmer kurzfristig ein extrapolatives Erwartungsbildungskonzept verwenden.52 Das Auftreten autoregressiver Erwartungsmuster wird damit begründet, daß die Akteure zwar ihre Langfristprognosen auf fundamentale Einflußfaktoren aufbauen, in der kurzen Frist hingegen die technische Analyse präferieren. Im weiteren werden deshalb einige grundlegende Konzepte der technischen Analyse vorgestellt.
5.1. Die Prognoseeigenschaften von technischen Analysen Technische Analyse Die technische Analyse ist ein wesentliches Element kurzfristig orientierter Handelsstrategien, bei denen Devisenpositionen lediglich für wenige Stunden oder Tage im Portefeuille verbleiben. Die Akteure treffen ihre Anlageentscheidungen in diesem Fall unter Vernachlässigung langfristiger, fundamental begründeter Gleichgewichtsrelationen, sofern der Anpassungsprozeß an das Steady-State-Niveau die Kursbewegungen im Investitionszeitraum nicht nachhaltig beeinflußt. Einzelne Marktteilnehmer versuchen,
51
Vgl. dazu Campbell /Lo/MacKinlay
52
Eine Gesamtübersicht derartiger Umfrageergebnisse findet sich bei Takagi (1991). Vgl. ferner die Zusammenfassung bei Frenkel (1994).
(1997, S. 24f.).
Erwartungsbildung
auf
Finanzmärkten
139
die technische und die fundamental-orientierte Prognosetechniken miteinander zu verknüpfen. Liefern beide Verfahren identische Ergebnisse, so werden die entsprechenden Devisenpositionen verändert. Die folgende Tabelle 4 verdeutlicht die relative Bedeutung von Chart- und Fundamentalanalysen im Erwartungsbildungsprozeß."
Tabelle 4: Chart- und Fundamentalanalysen bei Wechselkursprognosen Zeitraum der Prognose
ausschließlich Chartanalyse
gemischte Verwendung der Chart- und Fundamentalanalyse Dominanz Chartanalyse
gleiche Gewichtung
Dominanz Fundamentalanalyse
ausschließlich Fundamentalanalyse
1 Tag - 1 Woche
4%
39%
18%
29%
10%
1 - 3 Wochen
2%
18%
19%
48%
13 %
i 6 Monate
2%
7%
9%
58%
24%
Die Ergebnisse resultieren aus einer Umfrage von Allen / Taylor in Zusammenarbeit mit der Bank of England aus dem Jahr 1988. Die Erhebung wurde unter Banken in der Londoner City durchgeführt. Quelle: Allen / Taylor (1989) sowie Frenke! (1994, S. 227).
Drei Prinzipien bestimmen das Verhalten des technischen Analysten: •
Alle relevanten Kursinformationen befinden sich in den historischen Wertpapierkursen, so daß keine Prognosen über die fundamentalen Einflußfaktoren der Wertpapierkurse gebildet werden müssen. Diese Annahme erscheint zunächst konsistent mit der Hypothese effizienter Märkte, dennoch besteht ein subtiler Unterschied zwischen den beiden Konzepten. Die EMH unterstellt, daß die aktuellen Kurse sich anhand der Informationen so anpassen, daß keine systematischen Überrenditen er-
53
Eine umfangreiche Befragung über die Verwendung der technischen Analyse in deutschen Banken findet sich auch bei Menkhoff (1997). Im Gegensatz zu Allen / Taylor beschränkt sich seine Befragung nicht auf Chefdevisenhändler. Die Untersuchung versucht Zusammenhänge zwischen dem Prognoseverfahren und der Qualifikation, dem Alter sowie der Position des Devisenhändlers in der Bank herzustellen. Die Schlußfolgerungen stützen die These von Allen / Taylor, die eine intensive Nutzung der technischen Analyse im Devisenhandel konstatieren. Obwohl die Fundamentalanalyse als wichtigstes Prognoseinstrument betrachtet wird, stellt die technische Analyse nicht einfach eine sekundäre Informationsquelle dar. Die Fundamentalanalyse bleibt aber insbesondere für Langfristprognosen die dominierende Grundlage. Eindeutige Zusammenhänge zwischen dem Alter des Devisenhändlers (als Approximation für seine Erfahrungen) bzw. seiner Position oder der Schulausbildung einerseits und dem präferierten Prognoseverfahren andererseits lassen sich nicht erkennen.
140
Albrecht F. Michler
zielbar sind. Systematische, risikoadjustierte Überrenditen auf Basis spezifischer Handelstechniken wären also a priori ausgeschlossen. Die Verfechter der technischen Analyse gehen hingegen davon aus, daß die Informationen im Vergangenheitsverlauf der Wertpapierkurse systematische Gewinnmöglichkeiten eröffnen. • Wertpapierkurse weisen eine trendmäßige Entwicklung auf, so daß die Abschätzung des zukünftigen Trends entscheidend für den Erfolg der technischen Analyse ist. • Der historische Kursverlauf wiederholt sich in zukünftigen Perioden. Folgt man diesen Prinzipien, besteht die Aufgabe der technischen Analyse darin, Trendentwicklungen aufzuspüren und Wendepunkte zu identifizieren. Die Analysemethoden haben einen eindeutig extrapolativen Charakter, da aus den Vergangenheitswerten auf die Zukunft geschlossen wird. Um längerfristige Trends von kurzfristigen Fluktuationen zu diskriminieren verwendet die technische Analyse entweder die ChartTechnik oder mechanistische Handelsregeln. Zur Identifikation von Trendentwicklungen mit Hilfe der Chart-Technik versucht man anhand des historischen Verlaufs der Wertpapierkurse die oberen und unteren Wendepunkte während eines bestimmten Zeitraums zu identifizieren. Eine Reihe lokaler Maxima und Minima erlauben dann die Identifikation von Aufwärts- und Abwärtstrends. Nach der Etablierung einer Trendlinie wird der Marktteilnehmer seine Dispositionen treffen. Sofern der Chart einen Aufwärtstrend signalisiert, wird der Marktteilnehmer entsprechende Devisenpositionen aufbauen ("long position"). Im umgekehrten Fall wird der Marktteilnehmer (einen Fremdwährungskredit aufnehmen und) die Position sofort verkaufen ("short position"). Die lokalen Maxima und Minima sind ferner geeignet, Wendepunkte der Trendentwicklung zu identifizieren. Lokale Wendepunkte werden als Widerstands- oder Unterstützungslinien charakterisiert und ein signifikantes Durchstoßen dieser Linien verstärkt die Erwartung einer Trendumkehr. Die Chart-Technik hängt sehr stark von der subjektiven Interpretation der auftretenden Muster ab. Die mechanistischen Handelsregeln vermeiden dieses subjektive Element und erlauben das Herausfiltem zusätzlicher Informationen. Auf Basis der Filterregel ("trading ränge break") wird eine Währung gekauft (verkauft), wenn die Währung um x Prozent gegenüber dem vorherigen lokalen Minimum (Maximum) gestiegen (gefallen) ist. Die Größe des Filters x wird anhand der Vergangenheitserfahrungen festgelegt. Das Konzept der gleitenden Durchschnitte ("moving average" = MA) soll kurz- und langfristiger Trends identifizieren. Ein Kaufsignal (Verkaufssignal) liegt vor, wenn die kurzfristige MA-Linie die längerfristige MA-Kurve
Erwartungsbildung
auf
141
Finanzmärkten
von unten (oben) her durchstößt. Die Auswahl der MA-Prozesse ist wiederum dem Analysten vorbehalten. Für das kurzfristige MA-Fenster wird häufig auch der aktuelle Wechselkurs herangezogen. Eine andere Form sind die Oszillatoren, die insbesondere auf Märkten ohne eindeutige Trendentwicklung verwendet werden. Oszillatoren können beispielsweise aus der Differenz von zwei gleitenden Durchschnitten konstruiert werden [MA(20 Tage)./. MA(5 Tage)]. Der Oszillator liefert ein Kaufsignal (Verkaufssignal), wenn der Index niedrige (hohe) Werte ausweist. Darüber hinaus wird eine Vielzahl weiterer Analysetechniken angeboten, die zum Teil hoch komplex sind, aber mit Hilfe der heute verfügbaren Rechnerkapazitäten unmittelbar zur Ausweitung bereitstehen. Die Tabelle 5 beschreibt die Performance von Portfolioentscheidungen auf Basis der technischen Analyse.
Tabelle 5: Performance technischer Handelsregeln am Beispiel des DEM/USD-Kurses Anlage-Performance auf Basis gleitender Durchschnitte [tägliche Wechselkurse im Zeitraum 1.3.1974 - 10.4.1997] kurzes MA- langes MA- jährliche Fenster Fenster Rendite
1 1 5 5
10 50 10 50
6,016 7,546 6,718 6,671
monatliche Anzahl der StandardTrades abweichung 2,979 3,155 3,064 3,326
928 268 576 146
Sharpe- geschätztes Ratio CAPM-Beta
0,583 0,690 0,633 0,595
- 0,022 -0,135 - 0,144 -0,134
Standardfehler des geschätzten Betas 0,091 0,085 0,084 0,080
Anlage-Performance auf Basis der Filterregel Filter
jährliche Rendite
0,005 0,010 0,015 0,020 0,025 0,030
5,739 6,438 3,323 1,934 0,839 - 1,541
monatliche Anzahl der StandardTrades abweichung 3,057 2,951 3,255 3,348 3,236 3,578
1070 584 382 234 142 92
Sharpe- geschätztes Ratio CAPM-Beta
0,542 0,630 0,295 0,167 0,075 -0,124
-0,071 - 0,092 - 0,037 -0,128 -0,118 - 0,086
Standardfehler des geschätzten Betas 0,089 0,093 0,085 0,087 0,082 0,077
Die Berechnung der Renditen erfolgt unter Berücksichtigung von Transaktionskosten [5 BP pro "round trip"]. Das Sharpe-Ratio beschreibt das Verhältnis zwischen der durchschnittlichen annualisierten Rendite und der durchschnittlichen annualisierten Standardabweichung und soll das Rendite/RisikoVerhältnis widerspiegeln [Benchmark ist das Sharpe-R&tio des S&P-500-Aktienindizes mit 0,3]. Das CAPM-Beta ist ebenfalls eine Risikomeßziffer und beschreibt das Verhalten zwischen den erzielten Renditen auf Basis der gewählten Handelsstrategie und einer Buy-and-Hold-Strategie im S&P-500Aktienindex Quelle: Neely (1997, S. 30).
142
Albrecht F. Michler
Auch wenn einzelne Prognosemodelle scheinbar systematische Überrenditen realisieren, ist eine gezielte Ausnutzung dieser Ansätze aus drei Gründen nicht unbedingt garantiert: •
Die ex post Identifikation profitabler Anlagestrategien durch eine intensive Datenanalyse ("data-snooping", "data-mining"] garantiert noch keine systematischen Überrenditen für künftige Perioden. Eine Einschränkung der Markteffizienz wäre erst gegeben, wenn das Modell auch ex ante erfolgreich ist, d.h. Out-of-Sample-Prognosen systematische Überrenditen garantieren. Gerade durch die Anwendung ex post profitabler Strategien verschwindet aber häufig die Möglichkeit zur Erzielung von Überrenditen. Die abgeschätzten, vergangenheitsbezogenen Strukturen unterliegen einem laufenden Wandel im Sinne der Lucas-Kritik. Rückschlüsse sind nur dann zulässig, wenn die Anlagestrategie längerfristig stabil ist und zugleich in Out-of- Sample-Bereichen gute Prognoseergebnisse liefert.
• Die Beurteilung der Markteffizienz erfordert die Aufdeckung und Bewertung von Risiken unterschiedlicher Finanzaktivaformen. Auch wenn profitable Handelsstrategien und Wechselkursprognosen existieren sollten, sind sie dennoch
risikobehaftet.54
Die Erfassung der Volatilität mit Hilfe von Standardabweichungen spekulativer Renditen oder von Wechselkursänderungen mögen nicht ausreichend sein, um das inhärente Risikopotential des Finanzaktivums hinreichend abzuschätzen. Empirische Studien zeigen, daß Wechselkursänderungsraten häufig nicht den Normalverteilungsannahmen entsprechen, so daß neben dem Erwartungswert und der Varianz zumindestens weitere Verteilungsparameter wie die Schiefe und Wölbung zu berücksichtigen sind.55 Dabei fällt die Wahrscheinlichkeit starker Ausschläge in vielen Fällen wesentlich höher aus, als dies bei normalverteilten Variablen zu erwarten ist. Hohe Kursschwankungen werden nicht zuletzt durch unerwartete Zentralbankinterventionen oder andere wirtschaftspolitische Maßnahmen generiert. •
Häufig wird argumentiert, daß der Devisenhandel lediglich ein gigantisches Nullsummenspiel darstellt. Gewinnen aus Devisenspekulationen eines Akteurs stehen entsprechende Verluste eines anderen Teilnehmers gegenüber. Wird der Markt zugleich durch professionelle Akteure dominiert, müßten sich die auftretenden Gewin-
54
Die Ergebnisse in Tabelle 5 deuten allerdings an, daß das Risikopotential der Anlagestrategien nicht exorbitant hoch im Vergleich zur Benchmark ist.
55
Zur Ermittlung von Risiken bei nicht normalverteilten Renditen siehe insbesondere die RiskMetrics-Publikationen der amerikanischen Investmentbank J.P. Morgan.
Erwartungsbildung auf Finanzmärkten
143
ne und Verluste jedes einzelnen Marktteilnehmers im Zeitablauf ausgleichen bzw. die wenigen schlecht informierten Marktteilnehmer scheiden zwangsläufig aus. Überraschenderweise läßt sich für lange Zeiträume feststellen, daß der Devisenhandel hoch profitabel sein kann. 56 Eine Erklärung hierfür sind die Devisenmarktinterventionen der Notenbank zur Minderung der Wechselkursvolatilität bzw. zur Sicherung vereinbarter Zielzonensysteme. 57 Zwar dürfte es aus Sicht eines externen Betrachters im Einzelfall schwierig sein, die Erfolge einzelner Devisenmarktoperationen im Sinne einer G+V-Rechnung zu identifizieren, dennoch besteht der Verdacht, daß Notenbankenmaßnahmen Ineffizienzen im Markt erzeugen und die sich hieraus ergebenden Gewinnmöglichkeiten anderer Akteure letztlich auch finanzieren. Dies dürfte insbesondere dann der Fall sein, wenn Wechselkursziele formuliert werden, die offensichtlich inkonsistent mit den ökonomischen Fundamentals sind. In diesem Fall lassen sich sowohl Aussagen über künftige Interventionsmaßnahmen als auch über die Suspendierung der angekündigten Wechselkurspolitik treffen und entsprechend antizipieren. Damit sind die klassischen Voraussetzungen für eine "one-way bet" erfüllt, die zu einer Destabilisierung von Wechselkursen fuhrt und Spekulationsgewinne zu Lasten des Steuerzahlers ermöglicht. 58 Empirische Ergebnisse bestätigen den Zusammenhang zwischen Devisenmarktinterventionen und der Mög-
56
Eine entsprechende Studie für US-amerikanische Banken findet sich bei Levich (1997, S. 70).
57
Letztlich etablierten sich nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems keine völlig flexiblen Wechselkurse, sondern es wurde immer versucht, mit Hilfe von Interventionen die Kurse (im Sinne eines "managed floating") zu beeinflussen. Erfolg oder Mißerfolg dieser Eingriffe hängt letztlich davon ab, inwieweit es den Notenbanken gelingt, die Erwartungsbildung der Marktteilnehmer zu beeinflussen. So weisen Domínguez / Frankel (1993) daraufhin, daß drei wesentliche Bedingungen für erfolgreiche Interventionen erfüllt sein müssen: Die Markteingriffe müssen überraschend erfolgen, öffentlich gemacht und zwischen den Notenbanken koordiniert werden. Siehe auch Domínguez (1993) und Leahy (1995). Ob diese Aussagen auch künftig gelten, mag bezweifelt werden. Angesichts drastisch ansteigender Handelsvolumina an den Devisenmärkten [Wachstum 1989-1992: 39%; 1992-1995: 45%; 1995-1998: 25%; Devisenkassa-, Devisentermin- und Devisenswapgeschäfte in Höhe von 1490 Mrd. USD (Nettobasis) täglich im April 1998; vgl. Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (1998, S. 39)] dürften die Währungsreserven von Notenbanken auf Dauer nicht ausreichen, eine angekündigte Wechselkursentwicklung zu garantieren. Mithin ist auch die erforderliche Glaubwürdigkeit von Interventionsmaßnahmen zur nachhaltigen Beeinflussung der Wechselkurserwartungen gefährdet.
58
Vgl. hierzu Corrado / Taylor (1986), Kritzman (1989) sowie LeBaron (1994).
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lichkeit, systematische Überrenditen mit Hilfe technischer Handelsstrategien zu erzielen. 59
5.2.
Ursachen eines dauerhaften Noise-Trader-Verhaltens
Gibt man die Annahme rationaler Erwartungsbildung auf, so kann nicht unterstellt werden, daß die Marktteilnehmer beliebige irrationale Verhaltensmotive aufweisen. Vielmehr müssen jene subjektiven, mikroökonomischen Gründe für das Verhalten der Akteure aufgedeckt werden, die zu einem irrationalen Ergebnis auf makroökonomischer Ebene beitragen. Dabei ist zu prüfen, welche Interaktionen zwischen Gruppen mit heterogener Erwartungsbildung auftreten und wodurch Entwicklungspfade von Wertpapierkursen letztlich dominiert werden. Betrachtet man die bisherigen Überlegungen, so lassen sich als wesentliche Ursache für eine mangelhafte Informationsauswertung die bestehenden Informationsbeschaffungs- und -Verarbeitungskosten identifizieren. Einerseits sind die Finanzmärkte hoch transparent und alle neuen Informationen werden rasch bereitgestellt, andererseits erlauben die kurzen Reaktionszeiten keine systematische Auswertung von Informationen im täglichen Geschäft. Entsprechend konzentrieren sich die Akteure auf ein Subset der verfügbaren Informationsmenge, von dem sie glauben, daß es die tatsächlichen und künftigen Marktgegebenheiten hinreichend gut widerspiegelt. Die rasche Verfügbarkeit und kostengünstige Informationsaufbereitung mit Hilfe der technischen Analyse begünstigen letztlich eine extrapolative Erwartungsbildung auf den Finanzmärkten. Darüber hinaus verzichten einzelne Akteure - im Vertrauen auf eine fairen Preisbildung am Markt - vollständig auf eine eigene Auswertung des verfügbaren Datensets und übernehmen die Meinungen anderer Marktteilnehmer. 60 Im Ergebnis kommt es zu einem herdenähnlichen Verhalten ("herd behaviour"), das
59
Szakmary /Mathur (1997, S. 53 lf.) verdeutlichen den Zusammenhang zwischen den - um Transaktionskosten bereinigten - Gewinnen spezifischer Handelstechniken und den Devisenmarktinterventionen auf Spot- und Futures-Märkten. Sie kommen zu dem Schluß, daß "leaning against the wind"-Interventionen eine gute Erklärung für das Erzielen systematischer Überrenditen mit Hilfe technischer Regeln liefern. Hingegen lassen sich keine Zusammenhänge zwischen Handelstechniken und fundamentalen Ungleichgewichten an den Devisenmärkten identifizieren.
60
Vgl. beispielsweise Copeland/Friedman
(1991).
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durch die gleichgerichteten Erwartungen und Handlungen der Akteure trendverstärkend wirkt. 61 In der Finanzmarkttheorie finden sich eine Reihe unterschiedlicher Bezeichnungen für jene Marktteilnehmer, die sich nicht ausschließlich an den relevanten Fundamentaldaten orientieren. 62 Im weiteren können diese Marktteilnehmer unter dem Begriff des "Noise Traders" subsumiert werden. 63 Akzeptiert man die Existenz von Noise Traders, so bleiben allerdings zwei Frage unbeantwortet. Aufgrund permanenter Fehlerwartungen können langfristig Vermögensverluste auftreten, die den Marktaustritt einzelner Akteure erzwingen. 64 Es stellt sich mithin die Frage, warum die Sanktionsmechanismen des Marktes nicht greifen. Dauerhafte Fehleinschätzungen und damit verbundene Vermögenseinbußen müßten bei den Akteuren zugleich eine Modifikation des Erwartungsbildungsprozesses initiieren. Welche Faktoren begründen demzufolge eine mangelnde Lernbereitschaft der Marktteilnehmer? Eine dauerhafte Fehleinschätzung der Marktentwicklung kann sich aus unterschiedlichen Gründen ergeben: • Noise Traders sind bereit, überdurchschnittliche Marktrisiken zu übernehmen. Sofern die Erwartungsbildung zu einer korrekten Markteinschätzung fuhrt, können überdurchschnittliche Erträge realisiert werden, die auftretende Verluste ausgleichen oder sogar überkompensieren. • Marktaustritte aufgrund hoher Vermögensverluste werden durch laufende Markteintritte neuer Noise Traders kompensiert, die sich beispielsweise aus neuen und unerfahrenen Investoren rekrutieren. Des weiteren können Akteure in das Lager der Noise Traders wechseln, wenn sie erkennen, daß in der Vergangenheit mit Hilfe der
61
Vgl. Scharfstein /Stein (1990), Trueman (1992) und Banerjee (1992). Einen vollständigen Überblick zu verhaltensorientierten Erklärungsansätzen nicht fundamentaler Kursbildung findet sich bei Menkhoff / Röckemann (1994).
62
Die häufigsten Begriffe sind "Chartisten", "Feedback Traders" oder "Liquidity Traders". Siehe dazu auch Frenke! (1994, S. 230ff.).
43
Der Begriff des "Noise Traders" wird häufig allerdings auch nur für jene Marktteilnehmer verwendet, die vom Zugriff auf spezifische Informationen ausgeschlossen sind und deshalb auf vermeintliche, aber letztlich irrelevante Informationen reagieren. Vgl. DeLong / Shleifer /Summers / Waldmann (1990a, S. 704) sowie den originären Beitrag von Black (1986).
64
Das Marktaustrittsargument (Evolutionshypothese) wird insbesondere von Friedman (1953) als Begründung für die Stabilisierungseigenschaften von Spekulationen bei flexiblen Wechselkursen angeführt.
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Chart- bzw. technischen Analyse überproportional hohe Renditen realisiert wurden, ohne zugleich das erhöhte Risikopotential zu identifizieren. Schließlich ist auch der Wiedereintritt von ehemaligen Noise Traders in den Markt denkbar. • Die Marktteilnehmer erkennen systematische Fehlerwartungen nicht ausreichend, weil sie eine systematische Ursachenforschung nicht durchgefiihren und auftretende Fehlprognosen immer auf situationsspezifische Faktoren zurückführen. •
Die komplexen Eigenschaften von Finanzprodukten - insbesondere derivativer Instrumente - werden von einzelnen Akteuren nicht hinreichend verstanden oder sind mit einem vertretbaren Aufwand nicht ermittelbar. Eine ungenaue Darstellung der zugrundeliegenden Cash-Flow-Strukturen sowie der inhärenten Risikopotentiale führt zu fehlerhaften Vorstellungen über den fairen Preis eines Finanzaktivums. 65 Eine nicht-fundamentale Entwicklung der Wechselkurse setzt allerdings eine domi-
nierende Stellung von Noise Traders am Markt voraus, so daß stabilisierende Kauf- und Verkaufsentscheidungen anderer Marktteilnehmer überkompensiert werden. Unterstellt man, daß in der langen Frist die aktuellen Wechselkurse auf den fundamental-gerechtfertigten Steady-State-Pfad zurückfallen, so könnten rational agierende Marktteilnehmer entsprechende Währungspositionen an den Kassa- und Terminmärkten aufbauen und systematische Überrenditen erzielen. 66 Ihre Anlageentscheidungen würden in diesem Fall sofort stabilisierende Effekte auslösen und ein beliebiges Abdriften von den Fundamentalwerten verhindern. 67 Die Arbitrage-Möglichkeiten werden allerdings durch die gewünschten Anlagezeiträume rational agierender Marktteilnehmer und institutionelle Rahmenbedingungen limitiert: •
Offene Fremdwährungspositionen bedürfen bei Kreditinstituten der Eigenkapitalunterlegung ("Absicherung der Marktpreisrisiken"), so daß andere Bankaktivitäten
65
Diese Probleme treten sowohl im Zusammenhang mit reinen Handelsaktivitäten wie auch bei der Konstruktion neuer Finanzprodukte auf. Insbesondere die Identifikation der Risikopotentiale wurde in der Vergangenheit in der Bankenpraxis häufig vernachlässigt.
66
Das Ausnutzen identifizierter Spreads zwischen aktuellen und fundamental-gerechtfertigten Wertpapierkursen wird in der Literatur unter dem Begriff der Arbitrage subsumiert. Vgl. dazu Shleifer / Summers (1990). Zu beachten bleibt allerdings, daß die Ausnutzung solcher Marktunvollkommenheiten mit Risiken verknüpft ist. Vgl. dazu auch den Beitrag von Kratz in diesem Band.
67
Eine vermutete Überbewertung des USD gegenüber der DEM würde zu einem Aufbau von USD-Short-Positionen bzw. DEM-Long-Positionen an den Devisenterminmärkten fuhren.
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beschränkt werden. Sofern professionelle Marktteilnehmer nicht bereit sind, offene Positionen jenseits sehr kurzfristiger Zeiträume zu halten, sind stabilisierende Spekulationen im Sinne von Friedman ausgeschlossen.68 • Aktuelle Kursschwankungen fuhren in Abhängigkeit von den nationalen Bewertungsprinzipien zu Buchverlusten und damit am Jahresende zu einem Absinken des Jahresüberschusses und gegebenenfalls zu einem Rückgang des ausschüttungsfähigen Gewinns. Viele Unternehmen sind aus steuerlichen Gründen oder zur Sicherung einer konstanten Dividendenausschüttung an einer Verstetigung der Gewinnentwicklung interessiert. Offene Wertpapierpositionen können darüber hinaus zu Vermerken seitens der Wirtschafte- oder Verbandsprüfer fuhren, mit der Folge, daß die Aktivitäten des Kreditinstituts durch die Bankenaufsicht eingeschränkt werden.69 • Devisenhändler international agierender Unternehmen dürfen Devisenpositionen häufig nur im Zusammenhang mit zukünftig auftretenden Zahlungsverpflichtungen aufbauen. Das Ausnutzen identifizierter Arbitrage-Möglichkeiten ist hingegen nicht möglich. • Die Performance von Portfolio-Managern - damit auch ihre künftigen Einkommenschancen - wird in kurzen, häufig unteijährigen Zeitabständen gemessen. Der Aufbau längerfristiger Positionen wird erschwert, wenn die Investoren das inhärente Gewinnpotential eines Portefeuilles nicht identifizieren und ihre Anlageentscheidungen nur anhand kurzfristiger Kursentwicklungen treffen. • Die Einkommensentwicklung von Devisenhändlern in Kreditinstituten wird ebenfalls häufig an die Performance ihrer Aktivitäten gekoppelt. Orientiert sich die Vergütung ausschließlich an der kurzfristigen Wertentwicklung der gehandelten Positionen, so ergibt sich aus Sicht des Händlers ebenfalls eine Präferenz für kurzfristigere Engagements. Dieser Effekt verschärft sich, wenn kurzfristige Positionen zwar mit höheren Risiken aber zugleich auch mit höheren Renditeerwartungen verknüpft sind. Der bestehende Erfolgsdruck ist nicht zuletzt abhängig von den hohen fixen und variablen Kosten für den Betrieb von Handelsabteilungen.70 68
Vgl. Goodhart (1988) und Frankel /Froot
69
Beschränkungen ergeben sich möglicherweise auch für jene Institute, die einem Bankenverband angehören und entsprechende Verbundleistungen [z.B. einen Einlagensicherungsfonds] in Anspruch nehmen wollen.
70
Neben hohen Aufwendungen für die technische Grundausstattung [Computersysteme, Datenbanken, Analysesoftware, Systemvernetzungen zwischen den beteiligten Abteilungen
(1988).
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• Mit zunehmendem Anlagehorizont erhöht sich aus Sicht rational agierender Marktteilnehmer die Gefahr, daß neue Informationen den gleichgewichtigen Entwicklungspfad des Wechselkurses verändern und die eingegangenen Arbitrage-Positionen auf Basis der Divergenzen zwischen dem aktuellen und dem gleichgewichtigen Kurs zunehmend verschwinden. • Unterstellen die rational agierenden Marktteilnehmer eine Dominanz der Noise Traders im Markt, so werden sie deren Erwartungsbildung und Anlageentscheidungen in ihren eigenen Erwartungen berücksichtigen. Unter diesen Umständen erscheint es durchaus rational, Kauf- und Verkaufsentscheidungen zu treffen, die sich nicht mehr an den Fundamentalfaktoren orientieren, sondern an den sich selbst erfüllenden Prognosen irrational agierender Marktteilnehmer.
6.
Fazit Der verstärkte Einsatz moderner Kommunikations- und Informationstechniken hat
in den beiden letzten Dekaden sowohl zu sinkenden Informationsbeschafiungs- und Informationsverarbeitungskosten als auch zu einer steigenden Transparenz auf den Finanzmärkten geführt. Den Möglichkeiten einer verbesserten Informationsauswertung und damit den Chancen für eine präzisere Prognose künftiger Kursentwicklungen stehen einerseits drastisch sinkende Reaktions- und damit auch Informationsaufbereitungszeiten und andererseits stark zunehmende Informationsmengen gegenüber. Systematische Kurzfristprognosen auf Basis einer vollständigen Auswertung fundamentaler Einflußfaktoren erscheinen vor diesem Hintergrund auch zukünftig unmöglich. Der Rückgriff auf einfache Prognoseinstrumente in Form der technischen Analyse wird gängige Praxis bleiben. Die Dominanz extrapolativer Erwartungsbildung in der Kurzfristprognose und die entsprechende Antizipation an den Märkten verhindert zugleich einen Marktaustritt von Noise Traders. Die Annahme, daß die Märkte im Zeitablauf informationseffizienter werden, erscheint vor diesem Hintergrund fraglich. Rational agierende Akteure mit Zeit- und Budgetrestriktionen sind bei ihren Anlageentscheidungen deshalb gut beraten, die unzureichende Prognosefahigkeit anderer Marktteilnehmer hinreichend zu würdigen und konsequent zu antizipieren. Die Forderung nach direkten staatlichen Eingriffen in das Preisgefüge zur Erhöhung der Effizienz auf den Finanz-
etc.] fallen häufig hohe Beträge für das Vorhalten von Informationsdiensten [z.B. Reuters, Bloomberg, Datastream etc.] pro Arbeitsplatz bzw. Handelstisch an.
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markten - respektive dem Devisenmarkt - erscheint auch vor diesem Hintergrund wenig ratsam. Sofern angesichts der heutzutage erforderlichen Interventionsvolumina überhaupt eine Marktstabilisierung erreichbar ist, geht sie letztlich doch zu Lasten des Steuerzahlers, der die Risikoprämien für ein fehlerhaftes Marktverhalten übernehmen muß.
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II.
Europäische Währungsunion: Konsequenzen für die Finanzmärkte
K.-H. Hartwig/H.
J. Thieme (Hg.):
Finanzmärkte
Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft • Band 58 • Stuttgart
1999
Währungsunionen im 19. Jahrhundert: Vorbilder für die Europäische Währungsunion? Sandra
Hartig
1. Einleitung
160
2. Die Deutsche Münzunion
162
2.1.
Münzzersplitterung und Währungsvielfalt
162
2.2.
Die Münzkonventionen von 1837 und 1838
166
2.3.
Der Wiener Münzvertrag von 1857
169
2.4.
Die Währungseinheit des deutschen Reiches
171
2.5.
Die deutschen Münzverträge: Ein Erfolg?
173
3. Die Skandinavische Währungsunion
176
3.1.
Die Vorgeschichte
176
3.2.
Der Vertrag
178
3.3.
Zeiten der monetären Integration
180
3.4.
Zeiten der nationalen Orientierung
181
3.5.
Die Skandinavische Währungsunion: Ein Erfolg?
184
4. Fazit
189
Literatur
191
160
1.
Sandra Hartig
Einleitung Das Thema erscheint für sich betrachtet zunächst einmal eindeutig. Wer sich mit der
Europäischen Währungsunion (EWU) beschäftigt hat, dürfte nach den Erfahrungen mit den Münzunionen des 19. Jahrhunderts gefragt haben. Darüber hinaus gebietet es unser Zeitgeist, für jede beliebige politische Aktion nach Beispielen in der Geschichte zu suchen. Und so haben sowohl Anhänger des Gedankens der Denationalisierung des Geldes (vgl. White 1984) als auch die der vollständigen monetären Integration ihre historischen Belege gefunden. Sind historische Vorbilder dann jedoch unbedeutend für die Frage: Kann die Europäische Währungsunion funktionieren? Gilt für das Projekt der Europäischen Zentralbank, daß historische Beispiele "schlichtweg irrelevant" (.Bofinger 1997) sind? Für einen Vergleich der aktuellen Europäischen Währungsunion mit historischen Währungsunionen stellt sich neben der Frage nach den heranzuziehenden historischen Erfahrungen auch die Frage nach relevanten Vergleichsmaßstäben. Grundsätzlich kann bei den Maßstäben auf die Motive, die Regeln und die Wirkungen einer Währungsunion abgezielt werden. Schon das verfügbare Datenmaterial und historische Besonderheiten schränken allerdings die Vergleichsmöglichkeiten ein: Währungsunionen bzw. -kooperationen hat es schon in der Antike gegeben. Doch erscheint es nicht sinnvoll, Münzunionen vor dem 19. Jahrhundert für den Vergleich mit der EWU heranzuziehen, weil es zuvor kaum nationale Währungen gab. Zudem waren die Währungen bis zum 19. Jahrhundert zunächst im Kern Edelmetallwährungen, und die Geldpolitik war stark von der weltweiten Gold- und Silbergewinnung bestimmt (Schremmer 1993, S. 9 ff.). Erst Mitte des 19. Jahrhunderts nahm der Umfang des Papiergeldes mehr und mehr zu. Die "Zettel" drangen im Wirtschaftsleben vor. Der Anteil des Giralgeldes an der Geldmenge stieg kontinuierlich an: 1844 machte das Giralgeld in England 55% von M l aus, 1913 bereits 85% (vgl. Bouvier 1978, S. 257). Die Zentralbanken strebten in dieser Zeit ein stetiges Geldangebot an. Neben einer gezielten Goldpolitik betrieben sie ebenso Diskont- und Offenmarktpolitik (vgl. Hardach/Hartig
1998, S. 130). Münzunionen
entstanden, so das Fazit einiger Wirtschaftshistoriker, als die Münzen bereits an Bedeutung verloren hatten. Im folgenden werden daher Münz- und Währungsunionen des 19. Jahrhunderts auf Parallelen zur EWU geprüft. Bezüglich der politischen Umstände können dabei solche, die im Rahmen einer politischen Union vorgenommen wurden von jenen unterschieden
Währungsunionen im 19. Jahrhundert
161
werden, die zwischen souveränen Staaten geschlossen wurden. Die wichtigsten Münzunionen des 19. Jahrhunderts, die zwischen unabhängigen Ländern mit eigenständigen Währungen vereinbart wurden, waren die Münzunion zwischen den deutschen Staaten (1837-1871), die Lateinische Münzunion (1865-1927) und die Skandinavische Währungsunion (1872-1924). Beispiele für Münzunionen, denen eine politische Einigung voranging, sind die Schweizer Eidgenossenschaft (1848-1927), das Königreich Italien (1861-1926) und das Deutsche Reich (1871-1909)' (vgl. Theurl 1992, S. 57-240; Vanthoor 1996, S. 13-42). Da die EWU zwischen diesen Extremen liegt,2 wird ein historisches Beispiel mit politischer Integration herausgegriffen und eines ohne, um die Bedeutung der politischen Umstände für eine Währungsunion einbeziehen zu können: • Erstens die Münzunion zwischen der Mehrheit der deutschen Territorien im 19. Jahrhundert: Dieser Fall ist für einen Vergleich deshalb interessant, weil nach dem Wiener Kongreß die vorher bestehende politische Zersplitterung eingeschränkt wurde. Es verblieben "nur" noch 35 Staaten und vier freie Städte, die politisch und wirtschaftlich weitgehend souverän waren. Dennoch ist bei dieser Münzunion zu beachten, daß es in der damaligen Bevölkerung eine Bewegung für eine nationale Einheit gegeben hat. Vor allem das liberale Bürgertum propagierte die Vorteile eines einheitlichen Deutschlands (vgl. Nipperdey 1993, S. 300-313). Diese Einheitsbestrebungen gibt es auch in der EU, wenn auch weniger in der Bevölkerung. Doch wird immer wieder von der EWU eine Hebelwirkung für die politische Union erwartet. • Zweitens die Skandinavische Währungsunion: Zwar bietet sich als Beispiel für eine Währungsunion ohne politische Integration auch die Lateinische Münzunion für einen Vergleich an (vgl. Theurl 1996a, S. 26-29; Flandreau 1993, S. 501-506; 1995, S. 71-89). Dieser Fall soll hier jedoch aus verschiedenen Gründen unberücksichtigt bleiben: In der Lateinischen Münzunion gab es die starke Dominanz eines Landes (Frankreich), was in der EWU nicht erwünscht ist. Darüber hinaus war die Union Ausdruck des französischen Versuches, Englands Vormachtstellung in Europa entgegenzuwirken. Zum anderen beruhte die Lateinische Münzunion auf einer bimetal-
1
Die angegebenen Daten für die politischen Unionen beziehen sich auf den Zeitraum von der politischen Vereinigung bis zur monetären Vereinheitlichung.
2
Zwar sind die für eine Mitgliedschaft in Frage kommenden Staaten noch weitgehend souverän, doch sind bereits Teilbereiche der Wirtschaftspolitik auf supranationale Instanzen der EU verlagert worden.
Sandra Hartig
162
lischen Grundlage, was ein komplexes theoretisches Problem darstellte (vgl. hierzu Niehans
1995, S. 174ff.). Die Lateinische Münzunion bestand formell von 1865-
1926, in der Realität hat sie jedoch fast von Beginn an nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Italien und Griechenland hatten dauerhaft sowohl zuviel Papiergeld emittiert als auch zu viele Scheidemünzen ausgeprägt, so daß die Metalleinlösepflicht von diesen Ländern immer wieder aufgehoben werden mußte (vgl. Veit 1969, S. 703ff.). Hinsichtlich der wirtschaftlichen Motive wird zumeist der Wegfall der Transaktionskosten aus dem Währungsumtausch zugunsten einer Währungsunion angeführt. Die Bedeutung dieses Arguments wird daher geprüft und - soweit es die Datenlage zuläßt um andere wirtschaftliche Indikatoren ergänzt, um die Wirkungen einer Währungsunion abschätzen zu können. Die Skandinavische Währungsunion gilt dabei in wirtschaftlicher Hinsicht als "the most successful of the pre-World War I monetary unions" (Bartel
1974, S. 702). Die Diskussion von Währungsunionen anhand der
beiden historischen Beispiele wird zeigen, welchen Einfluß die Regeln der Währungsunionen auf deren Wirkungen hatten.
2.
Die Deutsche Münzunion Wenn man sich mit dem Münzwesen in Deutschland nach 1815 beschäftigt, muß
man sich zunächst von dem heutigen Verständnis der Währungspolitik lösen. Es gab keine einheitliche Währung und keine einheitliche Recheneinheit, sondern eine Vielfalt von Münzsorten (vgl. Helfferich 1898, S. 66). Die unterschiedlichen Währungen konkurrierten in beschränktem Maße miteinander.
2.1.
Münzzersplitterung und Währungsvielfalt
Im Prinzip gab es für die norddeutschen Länder den Taler als Recheneinheit und für die süddeutschen Länder den Gulden. Aber Taler war nicht gleich Taler. Während Mecklenburg-Schwerin den 12-Talerfuß 3 hatte, gab es in Ländern wie Braunschweig, Reuß und Sachsen den 13'/ 3 -Talerfuß, in Preußen den 14-Talerfuß und in Schleswig-
3
Im Münzfuß ist festgelegt, wieviele Münzen (mit welcher Legierung) aus einer bestimmten Gewichtseinheit Metall geprägt werden sollen (vgl. North 1995, S. 262).
Währungsunionen im 19. Jahrhundert
163
Holstein den 18'/2-Talerfuß. Abgesehen davon waren die kleineren Recheneinheiten unterschiedlich: Während in Preußen 1 Taler = 30 Silbergroschen = 360 Pfennige war, entsprach in Ostfriesland der Taler mit demselben Münzfuß 54 Stübern (vgl. Sprenger 1993, S. 126). Münzunterschiede gab es ebenso in den Guldengebieten. Diese unterschiedlichen Münzsysteme waren mit hohen Transaktionskosten verbunden. Zusätzliche Transaktionskosten entstanden, weil in den einzelnen Territorien häufig Rechnungseinheit und Zahlungsmittel nicht übereinstimmten: So wurde der Gulden von den süddeutschen Ländern bis 1837 nie ausgeprägt. Da aber die Geldnachfrage des Publikums mit steigender Industrialisierung und Arbeitsteilung zunahm, benutzten die Menschen die Münzen, die sie gerade hatten. Neben den Münzen, die in den über dreihundert Territorien in Deutschland bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts geprägt wurden, liefen auch ausländische Münzen aus England, Frankreich, Rußland und Dänemark um (vgl. Holtfrerich 1989, S. 218). Die ausländischen Münzen gelangten vornehmlich während der Kriege nach Deutschland 4 und fungierten als umlaufende Tauschmittel. Die größte Vielfalt bestand bei den Scheidemünzen.5 Diese wurden von den Ländern in großer Menge geprägt und liefen auch in den Nachbarländern um. Dieses Phänomen nutzten die Münzherren, um eine hohe Anzahl von unterwertigen Scheidemünzen auszuprägen und im Nachbarland zu verbreiten (vgl. Sprenger 1981, S. 37). Die Wahrscheinlichkeit, daß diese Münzen zur Einlösung in das Prägeland zurückgebracht wurden, war aufgrund der außerordentlich hohen Translokationskosten ziemlich gering. Den größten Mißbrauch dieser Art trieb die Regierung Sachsen-Coburgs, die große Mengen von 3- und 6-Kreuzerstücken in ihren Nachbarstaaten plazierte (vgl. Xeller 1869, S. 130). Die Vielfalt an Münzen war zu Beginn des 19. Jahrhunderts nahezu grenzenlos. Noch 1833 gab es mehr als 300 deutsche Silbermünzsorten (vgl. Sprenger 1991, S. 122).
4
Die Soldaten gaben ihren Sold in dem Land aus, in dem sie stationiert waren, und die Händler verwendeten die Münzen weiter (vgl. Hoffmann 1841, S. 4).
5
Scheidemünzen sind Teilstücke der Kurantmünzen. Ihr Nennwert entspricht nicht ihrem Metallwert (vgl. North 1995, S. 354).
164
Sandra Hartig
Neben den vielfaltigen Scheidemünzen existierten zahlreiche Kurantmünzen,6 deren Ausprägungsmenge jedoch vergleichsweise gering war. Ursache hierfür waren die Abnutzung und Münzverschlechterung durch das Publikum und der damit verbundene Wertverlust der Münzen. Allein durch die Abnutzung des Gepräges konnte der Verlust pro Münze etwa 1,5 Prozent ausmachen (vgl. Hoffmann 1838, S. 44). Die abgenutzten Münzen hatten hierdurch zwar einen geringeres Edelmetallgewicht, doch blieben sie nominell zum Wechselkurs 1 : 1 im Umlauf. Die Folge hiervon war, daß nach dem Gresham'sehen Gesetz die ältesten abgenutzten Münzen im Umlauf blieben und die neuen Münzen gehortet und gegebenenfalls für Auslandszahlungen verwendet wurden. Die Münzstätten hatten kein Interesse, die alten Münzen durch neue zu ersetzen, weil sie beim Einschmelzen der alten Münzen weniger erhielten, als sie für das Prägen der neuen Münzen benötigten. Hierdurch hätte sich ein Verlust ergeben (vgl. Hoffmann 1838, S. 44-50). Der Anreiz für die Münzstätten, vollwertige Kurantmünzen auszuprägen, war demnach äußerst gering (vgl. Xeller 1869, S. 127). Die Münzvielfalt in den ersten dreißig Jahren des 19. Jahrhunderts brachte hohe Transaktionskosten mit sich. Darüber hinaus fielen die Kosten der Münzverschlechterung vor allem bei jenen an, die die Annahme nicht verweigern konnten. Dies waren vor allem Tagelöhner, die als Lohn jene Münzen bekamen, die der Arbeitgeber gerade zu geben bereit war. Aber auch kleine Gewerbetreibende hatten nicht die Macht, minderwertiges Geld abzulehnen, wenn sie ihre Kundschaft nicht verlieren wollten. Der Grundsatz "Schlechtes Geld ist besser als gar kein Geld" war weit verbreitet. Das häufige Umtauschen der Münzen verursachte Kosten für den einzelnen. Nur Geldwechsler und gut informierte Arbitrageure machten ein Geschäft mit der Intransparenz im Münzwesen (vgl. Borchardt 1976, S. 4). Doch auch die internationale Arbeitsteilung wurde hierdurch behindert. Vor dem Zollverein legte jeder Staat fest, in welcher Währung der Zoll an den Grenzen zu bezahlen war. Nicht immer entsprachen die Münzen für die Zollabgaben auch den im Land kursierenden Münzen (vgl. Veit 1969, S. 447). So mußte sich ein durchreisender Händler auf einiges gefaßt machen. "Um von Hamburg nach Österreich, von Berlin in die Schweiz zu handeln, hat man zehn Staaten zu durchschneiden, zehn Zoll- und Mautordnungen zu studieren, zehnmal Durchgangszoll zu bezahlen [...]. Und der geplagte Reisende, der mehrere dieser souveränen Reiche durchquerte, hatte nicht nur un6
Kurantmünzen sind vollgewichtig ausgeprägte Münzen, deren Nennwert mit dem Metallwert übereinstimmt (vgl. North 1995, S. 210).
Währungsunionen im 19. Jahrhundert
165
ausgesetzt sich mit den Zollwächtern herumzuschlagen: was ihn zur Verzweiflung bringen mußte, waren die Plackereien mit den hunderterlei Münzen, die es immerfort zu wechseln galt" (Sombart 1921, S. 7). Die Geldmenge bestand im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts nicht ausschließlich aus Silberkurantmünzen und Scheidemünzen. Vor allem die norddeutschen Länder hatten einen mehr oder weniger bedeutenden Goldmünzenumlauf. So hatte die Hansestadt Bremen Mitte des 18. Jahrhunderts eine Goldwährung eingeführt, die bis zur Reichsgründung galt (vgl. Sprenger 1991, S. 159-161). Bis auf den preußischen Friedrichsd'or, der in einem festen Wechselkurs zum preußischen Taler stand, hatten die Goldmünzen in den übrigen deutschen Staaten einen flexiblen Wechselkurs. Die Parallelwährungen bzw. in Preußen die Doppelwährung galten bis 1857, wobei der Silberumlauf in fast allen Ländern dominierte. Goldmünzen wurden für größere Transaktionen oder den Handel mit Bremen verwendet. Der Anteil des Papiergeldes an der umlaufenden Geldmenge war in Deutschland in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts relativ gering. Noch 1845 lag er bei nur 6,7 % (vgl. Sprenger 1982, S. 166). Er setzte sich aus Staatspapiergeld, Banknoten und Privatgeld zusammen. Während das Privatgeld, das vornehmlich von Eisenbahngesellschaften mit staatlicher Genehmigung herausgegeben wurde, unbedeutend blieb, erhöhte sich die Menge des Staatspapiergeldes und der Banknoten nach der Jahrhundertmitte. Fast alle deutschen Staaten gaben Staatspapiergeld aus. Die Regierungen konnten so unverzinsliche Kredite für Kriege oder zur Finanzierung eines Haushaltsdefizites erzwingen (vgl. Helfferich 1898, S. 73). Deswegen scheuten sich einige Länder auch nicht, Staatspapiergeld in inflatorischer Absicht auszugeben. Meistens wurden Scheine mit geringem Nominalwert emittiert, weil sie sich leichter im Wirtschaftsverkehr (vor allem in dem des Nachbarlandes) unterbringen ließen. Zwar wurde solches Papiergeld häufig nur mit Agio gehandelt, doch konnten auch hier viele Menschen die Annahme zum Nennwert nicht verweigern, und so wurde das Staatspapiergeld einiger Länder als "wilde Scheine" der "Raubstaaten" bezeichnet (vgl. Helfferich 1898, S. 59). Die mitunter fehlende Deckung und Metalleinlösepflicht des Staatspapiergeldes verstärkte diesen Eindruck noch (vgl. Helfferich 1898, S. 39).
166
Sandra Hartig
Auch bei den Banknoten, die von privaten oder halbstaatlichen Bankinstituten ausgegeben wurden, 7 gehörte dieses Vorgehen zur Geschäftspolitik. Zwar waren die sogenannten "bunten Scheine" (vgl. Pick 1967, S. 140) jederzeit in Metallwährung eintauschbar, doch lohnte es sich bei Geld mit niedrigem Nominalwert häufig nicht, sie quer durch Deutschland zur Einlösung zu versenden. Beim Publikum hatte das Papiergeld daher einen schlechten Ruf. Die Vielfalt der Banknoten und des Staatspapiergeldes erhöhte die Intransparenz des Geldwesens für die deutsche Bevölkerung noch um einiges mehr. Das Streben nach einer Münzvereinheitlichung ergab sich also zum einen aus der alltäglichen Erfahrung der Bevölkerung und ihrem Verlangen nach Einheit. Zum anderen erkannten auch die Regierenden, daß eine Vereinheitlichung des Münzwesens notwendig war, um Industrialisierung und internationale Arbeitsteilung voranzutreiben.
2.2.
Die Münzkonventionen von 1837 und 1838
In den Jahren nach dem Wiener Kongreß setzte sich in den meisten deutschen Staaten die Ansicht durch, Währungen bzw. das Münzwesen seien nicht ausschließlich Instrumente der Staatsfinanzierung. Eine nationale Währung, der die Bevölkerung vertraut, stärkt das Ansehen eines Staates. Preußen erkannte das sehr schnell und bemühte sich, die Währungsverhältnisse im eigenen Land u.a. mit dem preußischen Münzgesetz von 1821 zu verbessern (vgl. Sprenger 1993, S. 124). Eine Einigung im Deutschen Bund war jedoch nicht so einfach zu erreichen. "Das in dem Wesen des Bundes begründete Erfordernis der Einstimmigkeit bei allen Beschlüssen machte selbst auf denjenigen Gebieten eine Einigung unmöglich, wo eine solche im klaren Interesse der Einzelregierungen selbst gelegen war, so auf dem Gebiete der Zollpolitik und des Münzwesens; denn die partikularistische Verbohrtheit und der böse Wille eines einzigen Staates genügten, um jeden Beschluß zu verhindern" ( H e l f f e r i c h 1898, S. 8). Diese Schwierigkeiten zeigten sich bei den Verhandlungen um den Zollverein, die bis 1833 andauerten. 8 Doch mit dem Abschluß des Vertrags über den Zollverein wurde auch die Basis für eine Vereinheitlichung des Münzwesens gelegt:
7
Zur Geschichte des deutschen Notenbankwesens im 19. Jahrhundert siehe Lötz (1888).
8
Zur Geschichte des deutschen Zollvereins siehe Wehler (1987, S. 135-139).
167
Währungsunionen im 19. Jahrhundert
Artikel 14 sah nämlich ein gemeinschaftliches Münzwesen für alle Mitglieder des Zollvereins vor (vgl. Xeller 1869, S. 132). Daß es eher gelang, das Zollwesen als das Münzwesen zu vereinheitlichen, ist wohl dem geringeren Opfer, das die beteiligten Staaten darin sahen, zuzuschreiben. Denn der Zolleinnahmeverlust wurde durch die Einführung der Gewerbesteuer kompensiert (vgl. Borchardt 1987); zudem schien der Austritt aus dem Zollverein leichter als aus einem Münzverein. Die Ausübung des Münzregals war für die Landesherren vor allem der kleineren Staaten ein sehr wichtiger Teil ihrer Souveränitätsrechte, den sie ungern einschränken wollten. Am 25. August 1837 gründeten Bayern, Württemberg, Baden, Hessen-Darmstadt, Nassau und Frankfurt in München den Süddeutschen Münzverein. Sachsen-Meiningen, Hohenzollern-Sigmaringen
und Hohenzollern-Hechingen,
Hessen-Homburg
und
Schwarzburg-Rudolstadt haben sich in den beiden darauffolgenden Jahren angeschlossen. Daß gerade in Süddeutschland der erste Münzverein gegründet wurde, hatte zwei Gründe. Zum einen war hier der Geldumlauf wesentlich unübersichtlicher und verwahrloster als in Preußen. Zum anderen hat auch der politische Wunsch Bayerns, gegenüber Preußen eine süddeutsche Eigenständigkeit zu demonstrieren, eine Rolle gespielt (vgl. Henning 1996, S. 592). Der preußische Taler drang als Zahlungsmittel zunehmend in den süddeutschen Geldverkehr ein und demonstrierte hier preußische Macht, aber auch Qualität des Geldes. Um dieser Tendenz eine eigene Währung entgegenzusetzen, vereinbarten die süddeutschen Staaten, in der sog. "Münchner Konvention", daß "die Rechnung nach Gulden zu 60 Kreuzer nicht nur fortbestehen (bleibt), sondern es sollen auch die Münzen in diesen Staaten der Gulden und Kreuzer Rechnung gemäs ausgeprägt werden" (Artikel III, zitiert nach Sprenger 1981, S. 90). Darüber hinaus einigten sich die Länder auf eine gemeinsame Größe, das Gewicht und den Feingehalt der Münzen. Auch ein gemeinsames Prägebild der Rückseite vereinbarten die an der "Münchner Konvention" beteiligten Länder. Die Vorderseite jedoch sollte das Bildnis des jeweiligen Landesherren oder, in Frankfurt, das Stadtsymbol zieren. Jedes Land verpflichtete sich außerdem, die neuen Münzen nach Abnutzung zum Nominalwert einzuziehen. Für die Scheidemünzen im Wert von 3 und 6 Kreuzern einigten sie sich auf den 27-Guldenmünzfuß. Diese Münzen mußten von den ausgebenden Staaten ab dem Wert von 100 Gulden
168
Sandra Hartig
gegen Kurantmünzen umgetauscht werden.' Hiermit konnte der Gulden von nun an sowohl die Recheneinheitsfunktion als auch die Tausch- und Zahlungsmittelfunktion ausüben. Obwohl die "Münchner Münzkonvention" das süddeutsche Währungswesen verbesserte und Transaktionskosten senkte, blieben einige Fragen weiter ungeregelt: Es gab keine Bestimmung über das Einziehen oder Außerkurssetzen der Münzen, die vor der Münzkonvention geprägt worden waren (vgl. Helfferich 1898, S. 10 f.). Goldmünzen blieben in diesem Vertrag außen vor, so daß die Länder weiter unterschiedliche Münzen ausprägten und zusätzlich noch alte Goldgulden, Carolins und bayrische Maxd'ore vom Markt akzeptiert wurden (vgl. Xeller 1869, S. 132). Darüber hinaus bestand keine Umtauschpflicht von Scheidemünzen unterhalb des 3 Kreuzerstückes (vgl. Sprenger 1981, S. 46). Auch bei der Einlösung der Scheidemünzen, deren Nominalwert höher als 3 Kreuzer war, nahmen es die Regierungen mit der Vertragstreue nicht besonders genau; statt die alten abgenutzten Scheidemünzen aus dem Verkehr zu ziehen, prägten sie lieber fleißig immer neue (vgl. Xeller 1869, S. 132). Die Münzvielfalt war also auch nach der "Münchner Münzkonvention" nicht wesentlich reduziert. Vor allen Dingen war aber noch immer nur eine lockere Anbindung über die Silberparität an die Währungen der übrigen Zollvereinsländer geschaffen worden. Da im Vertrag des Zollvereins gefordert wurde, eine Münzeinheit zu schaffen, berieten die Länder daraufhin über verschiedene Möglichkeiten der Annäherung. So forderte z.B. die Regierung des Königreiches Sachsen in einer Erklärung vom 8. März 1838 ein Dezimalsystem im Münzwesen einzuführen. Im Mai 1838 schlug sie dann in Dresden auf der Münzkonferenz der Zollvereinsstaaten vor, den Gulden und den Taler als Währung abzuschaffen. Dafür sollte der Dritteltaler mit der Bezeichnung "As", "Einer" oder "deutsche Mark" zu 100 Teilen eingeführt werden (vgl. Rittmann 1975, S. 538). Für diesen Vorschlag der sächsischen Regierung fand sich jedoch keine Mehrheit. Als Kompromiß einigte man sich schließlich in der "Dresdner Münzkonvention" auf folgendes:10
9
Zur "Münchener Münzkonvention" siehe die in Sprenger (1981, Anlage 1 und 2) abgedruckten Auszüge.
10
Zum "Dresdner Münzvertrag" siehe die in Sprenger (1981, Anlage 3) abgedruckten Auszüge.
Währungsunionen im 19. Jahrhundert
169
Als Gewichtseinheit wurde die "kölnische Mark" von 233,855 Gramm für alle Vertragsteilnehmer verbindlich. Darüber hinaus sollte entweder der 14-Talerfuß oder der 24'/2-Guldenfuß übernommen und eingehalten werden. Es wurden feste Wechselkurse zwischen den Währungen der nord- und der süddeutschen Staaten vereinbart. Ein Taler entsprach 13A Gulden. Auf eine Münzeinheit konnte man sich nicht einigen, der Kompromiß war eine sog. "Vereinsmünze", die in allen Ländern nach denselben Vorschriften geprägt wurde und überall gesetzliches Zahlungsmittel war. Diese Münze - im Volksmund "Champagnertaler" genannt - war jedoch im Zahlungsverkehr nicht sehr beliebt, weil sie zu groß (41 mm Durchmesser) und zu schwer (37,1 g) war. Darüber hinaus war ihr Nominalwert mit 2 Talern oder 3'/2 Gulden für den alltäglichen Gebrauch zu hoch (vgl. Rittmann 1975, S. 542; Schroetter 1926, Band 2, S. 117). Ähnlich wie bei der "Münchner Münzkonvention" mußten nach der "Dresdner Konvention" Scheidemünzen ab einem Wert von 100 Talern bzw. 100 Gulden gegen vollwertige Münzen umgetauscht werden; abgenutztes Geld war zu Lasten des ausgebenden Staates einzuziehen. Nach 1838 schlössen sich dem "Dresdner Münzverein" weitere deutsche Staaten an (vgl. Sprenger 1981, S. 49f.). Der "Dresdner Münzvertrag" hat über die festen Wechselkurse zur Senkung der Transaktionskosten im Handel zwischen den deutschen Staaten beigetragen, doch konnten sich die Regierungen weder auf eine gegenseitige Annahme ihrer Landeskurantmünzen noch auf ein vollständig einheitliches Aussehen der Vereinsmünze einigen (vgl. Xeller 1869, S. 134).
2.3.
Der Wiener Münzvertrag von 1857
Der "Wiener Münzvertrag" stand im Zentrum des politischen Ringens um den deutschen Nationalstaat. Österreich, Mitglied im deutschen Bund, strebte eine großdeutsche Lösung unter österreichischer Führung an (vgl. hierzu und zum folgenden Theurl 1992, 150ff.). Sämtliche wirtschaftlichen Integrationsschritte waren bisher jedoch im Rahmen des Zollvereins, also ohne Österreich gelaufen. Um seine politische Stellung zu verbessern und Preußens Einfluß zu verringern, versuchte Österreich, Mitglied des Zollvereins zu werden. Preußen verhinderte dies jedoch. So konnte Österreich anstelle einer Übernahme der Führung im Zollverein im Februar 1853 nur einen Handelsvertrag mit den Zollvereinsstaaten abschließen (vgl. Helfferich 1898, S. 14). In diesem Vertrag wurde auch die Vereinheitlichung des Münzsystems beider Gebiete anvisiert. Die Verhandlungen, die Mitte der fünfziger Jahre zwischen Österreich und den Zollvereinsstaa-
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ten gefuhrt wurden, müssen vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Währungsverhältnisse gesehen werden. In Österreich gab es seit 1816 eine Zentralbank mit einem Notenemissionsmonopol. Im Gegensatz zu den übrigen Ländern des deutschen Bundes war in Österreich Papiergeld das vorherrschende Zahlungs- und Tauschmittel. "Die Finanzierung von Staatsausgaben durch die Notenpresse bewirkte, daß Österreichs Silberstandard spätestens seit 1848 ein ausschließlicher Papiergeldstandard geworden war" (Theurl 1992, S. 150). Als die Verhandlungen im November 1854 in Wien begannen, schlug Österreich den Goldstandard als Grundlage des gemeinsamen Währungssystems vor. Goldfunde in Kalifornien und Australien hatten den Goldpreis sinken lassen. So hoffte Österreich, sich eine verbilligte Golddeckung beschaffen zu können. Preußen wurde der Vorschlag schmackhaft gemacht, indem man den Anschluß Deutschlands an den Weltverkehr über den Goldstandard hervorhob (vgl. Helfferich 1898, S. 20f.). Doch nicht nur Preußen, sondern auch alle übrigen Zollvereinsländer lehnten diesen Vorschlag ab. Erst als Österreich nicht mehr auf dem Goldstandard bestand, wurden die Verhandlungen 1856 wieder aufgenommen. Aber auch in diesen Verhandlungen konnten sich die beteiligten Regierungen nicht darauf einigen, die Kurantmünzen der jeweils anderen Länder zum gesetzlichen Zahlungsmittel zu erklären. Letztlich einigte man sich in dem "Wiener Münzvertrag" auf eine Silberwährung. 11 Die alte Gewichtseinheit "kölnische Mark" wurde durch das Zollpfund, das 500 Gramm entsprach, ersetzt. Die Wechselkurse wurden auf 1 Taler = l'A österreichische Gulden = IV* süddeutsche Gulden festgelegt, der Münzfuß der neuen Münzen entsprechend erhöht. Neben dem Doppeltaler wurde auch das Eintalerstück zur Vereinsmünze. Der Vormarsch des preußischen Talers ist mit dem "Wiener Münzvertrag" legalisiert worden, denn Preußen konnte durchsetzen, daß nicht nur die neugeprägten Münzen diesen Status erhielten, sondern auch die älteren preußischen Taler (vgl. Xeller 1869, S. 139). Außerdem wurden goldene Vereinsmünzen (Kronen) als Handelswährung geprägt. Für die Scheidemünzen wurden Mindestmünzfuße festgesetzt. Darüber hinaus gab es weitere Annahme- und Umtauschregelungen für die Scheidemünzen. In einem Punkt ging der "Wiener Münzvertrag" aber weiter als seine Vorgänger: Er enthielt Regelungen über das Papiergeldwesen. Jeder Staat durfte nur dann Papiergeld zum festen Wechselkurs ausgeben, wenn das Geld jederzeit in Metall einlösbar war. Mit dieser klassischen
11
Zum "Wiener Münzvertrag" siehe die in Sprenger (1981, Anlage 4) abgedruckten Auszüge.
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Jahrhundert
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Konvertibilitätszusage sollte Vertrauen in das Staatspapiergeld geschaffen und der österreichische Papierstandard ohne Metallbindung beseitigt werden. Das Ergebnis des "Wiener Münzvertrages" faßt Helfferich (1898, S. 27) wie folgt zusammen: "Drei verschiedene scharf abgegrenzte Münzgebiete mit verschiedenen Münzsystemen, darüber ein durchaus gemeinschaftlicher Umlauf einer bestimmten, stark privilegierten Münzsorte, welche gleichzeitig die Hauptmünze des wichtigsten der drei partikularen Münzsysteme war." Österreich gab sich große Mühe, den Papiergeldartikel des Vertrages zu erfüllen. Doch nur vom 6. September 1858 bis zum 29. April 1859 löste die österreichische Zentralbank die Banknoten in Silber ein (vgl. Theurl 1992, S. 162). Die Finanzierung des Krieges gegen Italien über die Notenpresse machte die vertragliche Konvertibilitätszusage hinfällig. Weitere Versuche, die Konvertibilitätszusage wieder einzulösen, schlugen fehl. Der Krieg zwischen Preußen und Österreich 1866 brachte schließlich das Ende der Münzunion zwischen Österreich und den Zollvereinsländern. Am 13. Juli 1867 unterzeichnete Österreich in Berlin den Vertrag über sein Ausscheiden. 12 Dennoch blieb es für die Zollvereinsländer weiterhin bei der Münzunion. Die Zugehörigkeit Österreichs bezeichnet Helfferich (1898, S. 29) aus deutscher Sicht als "eine ziemlich bedeutungslose Episode".
2.4.
Die Währungseinheit des deutschen Reiches
Der Sieg gegen Österreich stärkte Preußens politischen Einfluß auch nach außen. Hannover, Kurhessen, Nassau, Schleswig und Holstein und die Freie Stadt Frankfurt wurden annektiert. Außer in Frankfurt wurde überall das preußische Münzsystem eingeführt (vgl. Sprenger 1991, S. 168). Aber auch in den übrigen Zollvereinsländem wurde überwiegend der Vereinstaler geprägt, der gleichzeitig häufigstes Zahlungsmittel war. So prägten die süddeutschen Länder von 1857 bis 1871 91,6% Vereinstaler und nur 8,4% Gulden als Kurantmünzen (vgl. Helfferich 1898, S. 32). In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts dehnte sich das Papiergeldwesen immer weiter aus. Allein von 1853 bis 1856 wurden 16 Notenbanken in Deutschland neu gegründet (vgl. Sprenger 1991, S. 174). 1858 gab es 30 Notenbanken in 20 deutschen Staaten
12
Zu den Gründen für das Scheitern des "österreichisch-deutschen Vertrages" siehe Theurl (1992, S. 165-174).
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(vgl. Veit 1969, S. 478). 1857 setzte eine weltweite Konjunkturkrise ein. Neugründungen von weiteren Notenbanken wurden zunächst verhindert. Erst 1865 entstanden wieder neue Notenbanken. Etwa 20 deutsche Staaten gaben zu dieser Zeit Staatspapiergeld aus. Zwar sollte das Staatspapiergeld seit dem "Wiener Münzvertrag" in Silber einlösbar sein, doch gaben vor allem die kleineren Staaten weit mehr Papiergeld aus, als sie in Silber decken konnten. Um sich vor der Flut von fremdem Staatspapiergeld zu schützen, verboten zunächst Bayern und dann auch Preußen 1857/58 die Zirkulation von ausländischem Papiergeld (vgl. Henning 1996, S. 598). 1866 gab es insgesamt 59 Institute, die Papiergeld emittierten (vgl. Deutsche Bundesbank 1963, S. XI). Das Papiergeld nahm trotz aller Mißstände und Verbote laufend an Bedeutung im Zahlungsverkehr zu.13 Vor allem bei größeren Transaktionen war Silber als Zahlungsmittel zu umständlich. 1000 silberne Talerstücke wogen immerhin über 18 kg (vgl. Sprenger 1991, S. 176), so daß die Kosten für den Transport nicht unerheblich waren. Papiergeld senkte die Transportkosten, und so ist es nicht verwunderlich, daß Papiergeld 1871 bereits 24,5 % des gesamten Geldvolumens ausmachte (vgl. Sprenger 1982, S. 166). Um dieser Tendenz Rechnung zu tragen, mußten die Mißstände im Bereich des Papiergeldes behoben werden. Doch das war im Rahmen der Zollvereinsländer, die sich nicht einmal auf eine gemeinsame Münze einigen konnten, gar nicht so einfach. Als 1867 der Norddeutsche Bund gegründet wurde, legte man in seiner Verfassung fest, daß die Ordnung des Münzwesens, der Papiergeldausgabe und des Bankwesens in die Kompetenz des Bundes fallen sollte (vgl. Theurl 1992, S. 115). Aber auch auf dieser Ebene kam es nicht zu durchgreifenden Reformen. Es wurde lediglich durch zwei Gesetze einer weiteren Ausdehnung der Papiergeldmenge entgegengewirkt: Mit dem Banknotensperrgesetz vom 27. März 1870 wurden weitere Gründungen von Notenbanken verhindert. Das zweite Gesetz vom 16. Juni 1870 verbot den Staaten des Norddeutschen Bundes die Vermehrung ihres Staatspapiergeldes ohne Genehmigung der Bundesgesetzgebung (vgl. Helfferich 1898, S. 114). Die endgültige Vereinheitlichung und Neuordnung des Währungssystems kam erst nach der politischen Einigung zustande. Als 1871 das Deutsche Reich gegründet wurde, übertrug man in der Verfassung vom 16. April 1871 die Ordnung des Münzsystems und des Papiergeldes der Gesetzgebung des Reiches. Am 1. Januar 1876 wurde die
13
Ebenso stieg der Anteil des Buchgeldes im Zuge der Industrialisierung.
Währungsunionen im 19, Jahrhundert
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Mark, unterteilt in 100 Pfennige, offiziell als deutsche Währung eingeführt. Als Grundlage diente nach langer Diskussion der Goldstandard.
2.5.
Die deutschen Mttnzverträge: Ein Erfolg?
Die Münzverträge zwischen den deutschen Staaten werden häufig als einzige erfolgreiche Währungsunion in Europa im 19. Jahrhundert beurteilt (vgl. Vaknin 1998, S. 5). Der Erfolg wird in der schließlich zustande gekommenen gemeinsamen Währung gesehen. Allerdings ging dem die politische Einigung voraus. Vorher konnten sich die Territorien nicht auf eine gemeinsame Währung einigen. "Der Gang der praktischen Politik [...] ist in gewöhnlichen Zeiten ganz von dem alltäglich Notwendigen diktiert. Im deutschen Münzwesen lief die thatsächliche Entwicklung [...] darauf hinaus, Abhilfe gegen die schlimmsten Übelstände zu schaffen; dagegen erreichte sie nie die umfassenden Ziele, in welchen mit der Durchführung des idealen Grundgedankens der Münzeinheit alle jenen kleineren Übelstände von selbst verschwunden wären" (Helfferich 1898, S. 116). Das Übel war, daß die Recheneinheitsfunktion und die Tausch- und Zahlungsmittelfunktion auseinanderfielen und eine Vielfalt von Münzen kursierte. Damit sollten die Münzvereine Schluß machen. Doch obwohl der preußische Taler als Zahlungsmittel im Laufe des 19. Jahrhunderts mehr und mehr vorrückte, liefen weiterhin alte und fremde Münzen um. Die Situation geht aus einer Rede Ludwig Bambergers hervor, die er am 5. Mai 1870 im Zollparlament gehalten hat: "Ich habe hier ein sogenanntes Bordereau, d.h. die spezifizierte Aufstellung von Geldsorten, womit ein Handeltreibender eine seinem Bankier überschickte Sendung begleitet. Das Bordereau, welches ich Ihnen hier vorzeige, lautet über 15834 Gulden und datiert vom 19. Dezember 1869; [...]; es enthält also die Münzen, aus denen diese 15834 Gulden zusammengesetzt waren, und damit Sie verstehen, welche Bedeutung dies hat, muß ich sagen, die Sendung kam aus einem kleinen Landstädtchen der Provinz Rheinhessen. Es ist [...] eine Zahlung, hervorgegangen aus Pacht- und Kaufzielen der Bauern [...]. Was aus den Taschen der Bauern zusammengeflossen ist, ist folgendes: Die Summe von 15834 Gulden bestand aus Doppelthalern, Kronenthalern, 2'/2-Guldenstücken, 2-Guldenstücken, 1-Guldenstücken, 'A-Guldenstücken, '/3-, '/&-, Vi2-Thalern, 5-Franken, 2-Franken, 1-Franken; dann kommt das Gold: Pistolen, doppelte und einfache Friedrichsd'or, '/i-Souvereigns, russische Imperiais, Dollars, Napoleons, holländi-
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sehe Wilhelmsd'or, österreichische und württembergische Dukaten, hessische 10-Guldenstücke und endlich noch ein Stück dänisches Gold" (Bamberger 1900, S. 188f.). Die Vielfalt der in den deutschen Ländern umlaufenden Münzen war durch die Münzvereine reduziert, aber keinesfalls beseitigt worden. Der preußische Taler bzw. der Vereinstaler wurde vom Publikum zwar immer mehr als Tausch- und Zahlungsmittel bevorzugt, doch übten weitere ausländische oder alte Münzen ebenfalls Geldfunktionen aus. Die politischen Ansätze zu einer Münzvereinheitlichung waren im 19. Jahrhundert also durchaus vorhanden, doch sie führten nicht zu einer vollständigen Vereinheitlichung. Die Kosten für eine grundlegende Reform (z.B. für den Einzug aller Münzen, die nach den Münzverträgen eigentlich nicht mehr umlaufen sollten) wollte keiner übernehmen. Es ist auch denkbar, daß die Regierungen hofften, daß ihre "neue" Währung im Sinne des Anti-Gresham'schen
Gesetzes die alten Münzen über einen
flexiblen Wechselkurs verdrängen würden. Eine Kontrolle des Geldmarktes wäre dann unnötig. Diese Hoffnung hat sich aber - wie gezeigt - nicht vollständig erfüllt. Die Auffassung, die Vereinheitlichung des Geldwesens in Deutschland habe sich konsequent über die Münzverträge vollzogen und sei nach der politischen Einigung zum Ende gekommen, mag im Kern richtig sein, doch hat dieser Vorgang über fünfzig Jahre gedauert. Der Grund hierfür war, daß die Verträge das Ergebnis von Kompromissen waren, die einer schlagartigen Vereinheitlichung entgegenstanden. Die Regierungen haben im eigenen Münzwesen ein Merkmal politischer Stärke und Unabhängigkeit gesehen. Bayern z.B. restaurierte noch 1857 ihre eigene Währung, obwohl schon erkennbar war, daß der preußische Taler sich im Wirtschaftsleben der süddeutschen Länder durchsetzen würde. Es gab in Deutschland Ökonomen, die frühzeitig auf die Vorteile des Goldstandards nach britischem Vorbild aufmerksam machten, wie z.B. Johann Gottfried
Hoffmann,
Direktor des statistischen Bureaus zu Berlin und Professor an der Berliner Universität. Bereits 1841 schrieb er über die Vorteile eines Goldstandards für die deutschen Staaten (vgl. Hoffmann 1841, S. 126 ff.). Dreißig Jahre später fand er damit Anklang. Daß es so lange dauerte, bis die Idee realisiert wurde, ist nicht nur den politischen Umständen zuzuschreiben, sondern geht auch auf unterschiedliche wissenschaftliche Vorstellungen über die Gestaltung einer Währungsordnung zurück. So wurde damals - parallel zum Ringen um eine deutsche Münzunion - über die Banking- und Currency-Theorien gestritten. Davon wurden die politischen Entscheidungen ebenso beeinflußt wie von der
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175
Auseinandersetzung zwischen Monometallisten und Bimetallisten. Auch schwebte in den sechziger Jahren immer noch der Gedanke einer Weltmünzeinheit im Raum. Die Wohlfahrtswirkungen der Münzverträge sind kaum zu erfassen. Abgesehen vom Problem der Zurechenbarkeit, gab es keine systematischen Erhebungen zur Wachstums- und Beschäftigungsentwicklung. Erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts gibt es umstrittene Schätzungen über das Sozialprodukt (vgl. Hoffmann 1965; Maddison 1991). Welchen Einfluß die Münzverträge von 1837,1838 und 1857 auf die Inflationsentwicklung hatten, läßt sich ebenfalls nicht feststellen. Dennoch dürfte die Münzunion transaktionskostensenkende Effekte gehabt haben. Durch die neue gemeinsame Münze wuchs zu dem größeren Wirtschaftsraum ein entsprechender Währungsraum mit günstigen Voraussetzungen für engere Preiskontakte und verbreitete Austauschbeziehungen. Zwar hat es in dieser Zeit immer wieder Phasen der Inflation gegeben (vgl. Sprenger 1982, S. 90), was aber die Inflationstendenzen verursacht hat, läßt sich nicht genau sagen. Es ist nur zu vermuten, daß die Ursachen hierfür unter anderem in einer zeitweiligen Überausgabe von Papiergeld zu suchen sind. Ein Vergleich der deutschen Münzverträge mit den monetären Integrationsbestrebungen in der EU ist in einigen Aspekten möglich. In beiden Fällen geht eine Zollunion der monetären Integration voraus (vgl. Holtfrerich 1989, S. 216). Sowohl damals wie auch heute bestehen die Mitgliedsländer auf einem nationalen Prägezeichen auf einer Seite der Münze. Es gibt aber auch fundamentale Unterschiede: Die ökonomische Notwendigkeit einer Währungsunion war damals wesentlich zwingender als heute. Die volkswirtschaftlichen Kosten der Währungsvielfalt waren extrem hoch. Die Münzverträge stellten eine Reform der Geldpolitik dar, durch die es gelungen ist, viele der monetär unsteten Münzherren zu verdrängen. Ob aber die gemeinschaftliche Geldpolitik nach 1871 mit einer günstigeren Geldwertentwicklung aufwarten konnte, läßt sich wegen der Datenlage vor 1871 nicht ermitteln. Fraglich ist zudem, ob die relative Stabilität des Geldwertes zwischen 1873 und 1914 nicht durch die Einbindung in den Goldstandard bestimmt war (siehe hierzu auch Abschnitt 3.5.). Zumindest ist aber für die Europäische Währungsunion in diesem Vergleich eher eine Gefahr als eine Chance zu sehen, da in Deutschland durch die EWU kaum mit einer deutlich geringeren Inflationsrate zu rechnen ist. Erfolg oder Mißerfolg der EWU am Beispiel der Münzunion Deutschlands vorherzusagen, verbietet sich von selbst. Morris Perlman von der London School of Econo-
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mies hält die deutsche Währangsintegration für erfolgreich. Aber: "The prospects for (the EMU) lasting a long time I don't think are that great. [...] In Germany you had Bismarck. There is no Bismarck now. And who wants one?" (zitiert nach Ingrassia 1998, S. 2).
3.
Die Skandinavische Währungsunion Die skandinavischen Länder hatten zur Jahrhundertwende eine vergleichsweise hohe
Integrationsstufe erreicht, denn nicht nur Münzen waren Gegenstand ihrer Währungsvereinbarungen, sondern auch Banknoten. Während sich die Länder der Deutschen Münzunion vornehmlich auf eine technische Standardisierung ihrer Münzsysteme einigen konnten, ging die monetäre Integration in der Skandinavischen Währungsunion (SWU) weiter.
3.1. Die Vorgeschichte Bereits in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts wurde in den skandinavischen Ländern über eine Neuordnung des Währungswesens diskutiert. Zunächst standen Bestrebungen im Vordergrund, anderen Währungsräumen beizutreten. So erwogen Schweden und Dänemark, an der Lateinischen Münzunion teilzunehmen. Doch der Bimetallismus zeigte bereits Funktionsmängel und erschien den skandinavischen Experten als eine unnötige Komplizierung. Nach dem deutsch-französischen Krieg und dem Übergang Deutschlands zum Goldstandard rückte die Möglichkeit einer Weltwährung in weite Ferne. Da die Haupthandelspartner der skandinavischen Länder Deutschland und Großbritannien waren, wurde ein Beitritt zum Sterlinggebiet ebenso diskutiert wie eine Zugehörigkeit zum deutschen Goldstandard. Ein Anschluß an das Sterlinggebiet hätte jedoch ein Dezimalsystem ausgeschlossen. Das deutsche Währungssystem wollten die Dänen nach den Kriegserfahrungen von 1864 nicht übernehmen (vgl. Henriksen / Kcergärd 1995, S. 92). Darüber hinaus hatten die Deutschen wohl auch kein Interesse an einer solchen Lösung (vgl. Bergman / Gerlach / Jonung 1993, S. 508).
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Die Alternative zum Beitritt zu anderen Währungen bestand in der engeren währungspolitischen Zusammenarbeit der skandinavischen Länder untereinander. Hierfür sprachen geldwirtschaftliche, realwirtschaftliche und politische Bedingungen in Skandinavien: Die skandinavischen Währungssysteme waren im europäischen Vergleich weiter entwickelt. Die Currency-Banking-Kontroverse war zugunsten der Currency-Schule entschieden. Alle drei Länder hatten schon sehr früh Zentralbanken, die neben privatwirtschaftlichen Geschäften nach und nach auch Zentralbankfunktionen übernahmen (vgl. Theurl 1992, S. 220). Das Geldwesen war auf nationaler Ebene bereits vor der Währungsunion geordnet. In Schweden galt der Reichstaler. Dieser entsprach einem halben dänischen Reichstaler sowie einem viertel norwegischen Speziestaler (vgl. Henriksen /Kcergärd 1995, S. 93). Diese drei Geldstücke hatten auch nahezu denselben Münzfuß. Bis auf Schweden hatte aber keines der Länder ein Dezimalsystem eingeführt, denn ein norwegischer Speziestaler bestand aus 120 Schillingen, und ein dänischer Taler war sechs Mark oder 96 Schillinge wert (vgl. Theurl 1992, S. 216). Wie auch in Deutschland kursierten im skandinavischen Währungsraum bereits vor der Währungsunion sowohl Silbermünzen als auch Scheidemünzen und sogar Papiergeld der jeweils anderen beiden Länder im Inland. So stammten 17 Prozent der Banknoten und ein großer Teil der Silbermünzen, die in Norwegen verwendet wurden, aus Dänemark (vgl. Bergman 1998, S. 5). Die Ähnlichkeit der Münzen ging sogar soweit, daß man in Preußen häufig die drei skandinavischen Währungen als ein und dieselbe behandelte (vgl. Henriksen /Kcergärd 1995, S. 93). Aus schwedischer Sicht waren diese Ähnlichkeiten ein wesentlicher Grund für den Wunsch nach einer engeren Währungskooperation. Da der schwedische Reichstaler mit höherem Silberanteil14 geprägt wurde als die Münzen Dänemarks und Norwegens, verschwanden schwedische Reichstaler zunehmend aus dem Zahlungsverkehr. Auch realwirtschaftliche Bedingungen sprachen nicht gegen eine Zusammenarbeit: Alle drei Länder verfügten über einen ähnlichen Industrialisierungsgrad, der hinter dem Großbritanniens und Deutschlands zurücklag. Die Außenhandelsverflechtung war für damalige Verhältnisse gleichwohl hoch. Gemessen am Sozialprodukt machten die Ex- und Importe etwa 20 Prozent aus (vgl. Bergman 1998, S. 5). Dänemark exportierte vomehm-
14
6,376 Gramm zu 6,320 Gramm = Vi dänischer Reischstaler, zu 6,324 = Vi norwegischer Speziestaler.
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lieh Agrargüter und veredelte Nahrungsmittel, Norwegen führte Holz aus und baute eine Handelsflotte auf, und Schweden exportierte neben Agrargütern und Holz auch Eisen und Stahl. Die Haupteinfuhrgüter aller drei Länder waren langfristiges Kapital und verschiedene Rohstoffe (vgl. Henriksen /Kcergärd 1995, S. 105). Untereinander waren die Handelsverflechtungen allerdings eher gering. Nur etwa 5-15 Prozent des gesamten Außenhandels war intraskandinavischer Handel (vgl. Bergman 1998, S. 5). Dies hatte zwei Konsequenzen für eine wirtschaftliche Integrationspolitik: Erstens war der Anreiz, eine skandinavische Zollunion aufzubauen, eher gering; sie wurde daher zu Zeiten der Skandinavischen Währungsunion nie realisiert. Zweitens sprach der stark auf Großbritannien und Deutschland konzentrierte Außenhandel für eine währungspolitische Kooperation mit diesen Ländern. Da in Großbritannien und Deutschland die Goldwährung dominierte, wurde von skandinavischen Währungsexperten eine Währungsunion vorgeschlagen, die zugleich eine Teilnahme am Goldstandard ermöglichen sollte. Hierzu mußten die skandinavischen Länder von ihren traditionellen Silberwährungen zum Gold übergehen. Im politischen Bereich kam den Bestrebungen zu einer gemeinsamen Währungsunion die Bewegung des "Skandinavismus" entgegen. Zwar ging es hierbei nicht um eine politische Union, wohl aber um eine engere Kooperation zwischen den skandinavischen Ländern.
3.2.
Der Vertrag
Am 18. Dezember 1872 wurde von Vertretern der drei Länder eine monetäre Union beschlossen. Schweden und Dänemark ratifizierten den Vertrag am 27. Mai 1873. Norwegens Parlament lehnte ihn hingegen zunächst ab (vgl. Bergman 1998, S. 4). Es ist zu vermuten, daß Norwegen befürchtete, über die gemeinsame Währungsordnung zu dicht an die anderen skandinavischen Länder und insbesondere an Schweden heranzurükken. 15 Trotzdem führte Norwegen gemäß dem Vertrag vom 18. Dezember eine neue Währung ein und übernahm den Goldstandard als Währungsordnung. Die politische Stoßrichtung ging also hin zur SWU. Am 16. Oktober 1875 trat schließlich auch Norwegen offiziell dem Vertrag bei.
15
Es bestand zwar seit 1814 ein gemeinsames Königshaus ("Personalunion") in Schweden und Norwegen, Norwegen hatte aber eine eigene Verfassung und ein eigenes Parlament.
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Inhalt des Vertrages war die Einfuhrung der "Krone" als vollwertiges Zahlungsmittel. Eine Krone war unterteilt in 100 0re. Der Wechselkurs von einer schwedischen zu einer dänischen und einer norwegischen Krone war 1 : 1 : 1 . Jede Krone war in den drei Ländern gesetzliches Zahlungsmittel. Die Hauptmünzen waren das 10-Kronen-Stück und das 20-Kronen-Stück. Das 10-Kronen-Stück bestand aus 4,4803 Gramm Gold und war zu 9/io aus Gold und zu Vio aus Kupfer. Der Wechselkurs von alten Silbermünzen zu neuen Goldmünzen wurde auf 15,81 für Schweden, 15,68 für Norwegen und 15,67 für Dänemark festgesetzt. So entsprach eine Krone einem schwedischen Reichstaler, einem halben dänischen Reichstaler und einem viertel norwegischen Speziestaler. Die alten Münzen sollten bis 1881 aus dem Verkehr gezogen werden, behielten aber bis dahin ihre Gültigkeit.16 Im Gegensatz zur EWU, von der ein dauerhafter Bestand erwartet wird, konnte jedes Land mit einjähriger Frist die SWU kündigen, die gemeinsame Währung mußte aber noch zwei Jahre gesetzliches Zahlungsmittel bleiben. Auch Scheidemünzen waren Gegenstand des Vertrages. Sie waren ebenso gesetzliches Zahlungsmittel wie Kurantmünzen. Die Ausgabe von Scheidemünzen wurde jedoch nicht kontingentiert. Zwar war hierüber verhandelt worden, weil vor allem Schweden befürchtete, daß die anderen beiden Länder durch eine Überausgabe von Scheidemünzen das Währungssystem und damit die wirtschaftliche Entwicklung aller drei Länder ruinieren könnten. Auf der anderen Seite war es nicht leicht, das Produktionspotential in der dynamischen Wirtschaftsentwicklung der Industrialisierung permanent richtig einzuschätzen und so ein Kontingent festzulegen. Zu groß war die Gefahr einer Deflation, der eine Depression und eine Hemmung der Industrialisierung hätten folgen können. So entschieden die Experten der "Skandinavischen Kommission" im Vorfeld der Union, eine Goldeinlösepflicht zum Nennwert der Scheidemünzen einzuführen. Diese wurde auch bis zum Ersten Weltkrieg nicht aufgehoben. Ein Inflationsproblem durch eine fehlende Ausgabebegrenzung von Scheidemünzen hat es in der Skandinavischen Münzunion nicht gegeben. Das mag auch daran gelegen haben, daß die Skandinavier viel früher als die Deutschen, Franzosen oder Schweizer Vertrauen in ihre Währung hatten.
16
Zum Vertrag über die SWU siehe Alin (1900), zitiert nach Bergmann (1998, S. 4).
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3.3. Zeiten der monetären Integration Nachdem die ohnehin übliche Praxis, Fremdwährungen im jeweils anderen Land zu akzeptieren, durch den Vertrag der SWU legalisiert worden war, wurde die Bindung zwischen den drei skandinavischen Ländern weiter verstärkt. Mit den Zusatzabkommen von 1885 und 1894 stieg die SWU von einer Münzunion zu einer Währungsunion auf. 1885 vereinbarten die Zentralbanken einen gegenseitigen Kreditrahmen für drei Monate. Wenn beispielsweise ein schwedischer Importeur Güter von einem dänischen Exporteur kaufte und ihm einen Wechsel über einen bestimmten Betrag schwedischer Kronen ausstellte, konnte der dänische Exporteur sogleich den Wechsel bei der dänischen Zentralbank in dänische Kronen umtauschen. Die dänische Zentralbank löste den Wechsel nach drei Monaten bei der schwedischen Zentralbank ohne zusätzliche Zinsen und Gebühren gegen Gold ein. Diese Art von "Swing" bestand allerdings nur bei Transaktionen, die den Wert von 10.000 Kronen überstiegen. 1891 wurde das Limit auf 5.000 Kronen halbiert (vgl. Henriksen /Kcergärd 1995, S. 95). Die Unterzeichner der Abkommen gingen davon aus, daß sich die Salden der Zentralbanken auf lange Sicht hin ausgleichen würden; deshalb glaubten die Zentralbanken auch den Kredit zinslos gewähren zu können. Wie sich zeigte, unterlagen hier die Vertragspartner einer fundamentalen Fehlannahme. Durch diese Vereinbarung verloren die Goldpunkte ihre Bedeutung als Spielraum des Wechselkursmechanismus (vgl. Bartel 1974, S. 701). Die Zentralbanken hatten die Möglichkeit, die Wechsel ihren Goldreserven zuzurechnen, weil sie jederzeit Gold der anderen Zentralbank ziehen konnten. Eine Goldversendung war so unnötig geworden, denn die Kosten für eine Wechselversendung gingen gegen Null. In der Tat verringerte sich die Goldversendung. In den Jahren 1879-1884 erhielt die dänische Zentralbank Gold im Wert von 43 Millionen Kronen und exportierte Gold im Wert von 49 Millionen an die beiden anderen Zentralbanken. In den darauffolgenden zwanzig Jahren des Zusatzabkommens kam es zu keiner Goldversendung zwischen der dänischen und der schwedischen Zentralbank; und auch die Transfers zwischen Dänemark und Norwegen lagen nur bei etwa drei bis vier Millionen Kronen (vgl. Nielsen 1917, S. 52f., zitiert nach Henriksen /Kcergärd 1995, S. 103). 1894 folgte der weitestgehende Integrationsschritt. Die schwedische Zentralbank nahm schon seit Beginn der SWU sowohl dänische als auch norwegische Banknoten im
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Verhältnis 1 : 1 an (vgl. Bergman /Gerlach /Jonung 1993, S. 508). Schließlich vereinbarten die schwedische und die norwegische Zentralbank, gegenseitig ihre Banknoten als gesetzliches Zahlungsmittel zu akzeptieren. Dänemark trat dem Abkommen im Jahr 1901 bei (vgl. Theurl 1992, S. 227). Seitdem wurden an den Devisenbörsen keine Wechselkurse mehr zwischen den skandinavischen Währungen notiert (vgl. Theurl 1996b, S. 92).
3.4.
Zeiten der nationalen Orientierung
Doch die Zahlungsgemeinschaft währte nicht lange. Im Jahr 1905 kündigte Schweden das Kreditabkommen von 1885. Zwar schlössen die Schweden im selben Jahr ein neues Abkommen mit Norwegen, dem auch Dänemark beitrat, aber die Wechseldiskontierung wurde limitiert. Von nun an war es erlaubt, Kreditgebühren zu verlangen. Bis zum ersten Weltkrieg stiegen diese auf 1 Promille an (vgl. Nielsen 1927, S. 295). Oberflächlich gesehen war das Ende der Personalunion zwischen Schweden und Norwegen für die Kündigung ausschlaggebend. Die Gründe hierfür waren aber eher monetärer Art. In einer Publikation der schwedischen Reichsbank wurden hierfür spekulative Arbitragegeschäfte des Publikums genannt. Darüber hinaus wollte man nicht mehr auf die Gebühren und Zinsen für die Kredite verzichten (vgl. Sveriges Riksbank 1931, S. 60, zitiert nach Henriksen /Kcergärd 1995, S. 103). Anlaß hierfür waren die Salden, die im Laufe der Zeit in der Verrechnung zwischen den Zentralbanken auftraten. Da Dänemark in den Jahren um die Jahrhundertwende eine restriktivere Geldpolitik betrieben hatte als Norwegen und Schweden, kam es zu einer andauernden Nettoverschuldung der schwedischen und der norwegischen Zentralbank bei der dänischen (vgl. Vanthoor 1996, S.40). Anders als ursprünglich erwartet, glichen sich also die Salden im "Swing" der Zentralbanken nicht aus. 1904/05 betrug der Passivsaldo der schwedischen Reichsbank bei der dänischen Nationalbank rund 20 Millionen Kronen. Weil ein Goldausgleich im Verrechnungsabkommen nicht vorgesehen war, erhielt das Gläubigerland gleichsam ein Anrecht auf Goldübertragung. Damit konnten die schwedischen Goldreserven physisch im Tresor der Reichsbank bleiben, doch faktisch gehörten sie im Gegenwert der Passivsalden Dänemark und Norwegen. Allerdings wurde die Geldmenge in Schweden nicht diesem Eigentumswechsel der Goldreserven entsprechend angepaßt; damit war das Prinzip der symmetrischen Anpassung des Goldstandards eingeschränkt. Schweden entzog sich seiner Verpflichtung zur monetären
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Kontraktion; das Verhältnis des Banknotenwachstums zwischen Dänemark und Schweden verschob sich von 1870 bis 1905 auf 1 : 1,5 (vgl. Theurl 1996b, S. 92). Demnach haben sich die Schweden über die Regeln des Goldstandards hinweggesetzt und ihre Deckungsquote geändert. 17 Die der Zulassung der Wechseldiskontierung zugrunde liegende "weiche" Verrechnungsvereinbarung von 1885 hatte den Goldstandard der Skandinavier in einen GoldWechselstandard verändert, ähnlich der Goldwährung zwischen 1924 und 1931 und dem Gold-Devisen-Standard von Bretton Woods. So wie der Anteil der Devisenreserven an der inländischen Geldbasis in Deutschland im Bretton-Woods-System auf über 70 Prozent anstieg (vgl. Hardach /Hartig 1998, S. 138), wuchs der Anteil an Wechseln in der Geldbasis der Dänen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Das Ende der Skandinavischen Währungsunion bahnte sich damit an. Der Niedergang vollzog sich in drei Schritten: Der erste Schritt war die Aufhebung der Goldeinlösepflicht mit Beginn des Ersten Weltkrieges, zweitens wurde 1916/17 eine Goldblockade in allen drei Ländern errichtet, und drittens wurden ab 1924 Scheidemünzen geprägt, die nur im jeweiligen Land gesetzliches Zahlungsmittel waren. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges mit seinen destabilisierenden Folgen für die europäische Wirtschaft wird für den Beginn des Niedergangs der SWU verantwortlich gemacht (vgl. Bartel 1974, S. 703). Die skandinavischen Zentralbanken weigerten sich seitdem, ihre Banknoten in Gold einzulösen. In der allgemeinen Panik des Kriegsausbruches bangten sie um die nationalen Goldbestände, obwohl die Skandinavier sich um politische Neutralität bemühten. Die monetären Stabilitätsvorstellungen hatten sich allerdings schon vor Kriegsausbruch geändert. In den letzten Jahren der Union betrieb Schweden eine restriktivere Geldpolitik als die Dänen und erst recht als die Norweger. Zwischen 1907 und 1914 verzeichnete Schweden auch die geringste Inflationsrate der drei Länder, so daß die schwedische Krone real abwertete. Doch die Zentralbanken bemühten sich, die festen Paritäten von 1 : 1 : 1 zu verteidigen. Daraufhin strömten große
17
Fraglich ist, warum die Dänen ihre Wechsel nicht gegen Gold eingetauscht haben. Ein Grund hierfür könnte sein, daß sich die Salden in der nächsten Periode hätten umkehren können. Wichtiger war aber wohl, daß eine Einlösung der Wechsel in Gold das Kernstück dieser Währungsunion - das Verrechnungssystem mit der automatischen zinsfreien Kreditierung in Höhe des Swing - gefährdet hätte. In diesem Kreditmechanismus wurde aber die Vertrauensbasis der Währungsunion gesehen. Man denke nur an die Aufregung in der Welt, als Charles de Gaulle die Dollarbestände der französischen Nationalbank bei den USAmerikanern gegen Gold eintauschen wollte.
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Mengen an dänischen und norwegischen Banknoten nach Schweden. Um dem ein Ende zu setzen, wurde ab dem 9. Oktober 1915 die feste Parität aufgegeben und in Stockholm der Wechselkurs von schwedischer zu dänischer Krone mit 100 : 99,25 notiert. Zwei Monate später wurde auch die norwegische Krone nur noch im Verhältnis 100 : 99 angenommen (vgl. Bergman / Gerlach / Jonung 1993, S. 514). Da die feste Goldparität weiterhin bestand, kauften die Dänen und Norweger in ihrem Land Gold und versendeten es nach Schweden, um es dort gegen schwedische Kronen einzutauschen. Der Grund für dieses Arbitragegeschäft war, daß der Wechselkurs zwischen der schwedischen Krone und den Nicht-Unions-Währungen günstiger war als bei den anderen beiden Ländern. Ein Goldzufluß setzte ein, bis Schweden im Februar 1916 mit der dänischen und der norwegischen Regierung ein Goldexportverbot aushandelte. Hätte es den Goldzufluß weiter zugelassen und seine Geldmenge entsprechend der Deckungsregel angepaßt, wäre es zu einem Ausgleich der Inflationsraten gekommen. Doch Schweden war nicht gewillt, dies zuzulassen. Der Nationalökonom Gustav Cassel (1922, S. 83) warnte die schwedische Reichsbank im Jahr 1916 vor temporären Überinvestitionen: "The influx of gold, with which the neutral countries have for the present to reckon, is apt to cause an unsound increase in the quantity of the means of payment, which in its turn tends to promote a speculative expansion of industry that may lead to overspeculation and then probably end in economic crisis." Dennoch blieben die Goldmünzen, die in Norwegen und Dänemark ausgeprägt worden waren, in Schweden gesetzliches Zahlungsmittel und mußten in Banknoten eingetauscht werden. Also hörten die Goldexporte trotz der Verbote nicht auf, und Schweden forderte die beiden anderen Zentralbanken mehrere Male auf, das Goldexportverbot einzuhalten. Schließlich floß kaum mehr Gold ab. Was übrig blieb waren die Scheidemünzen. Da jedoch noch immer die Scheidemünzen zu einer festen Vorkriegsparität gesetzliches Zahlungsmittel in allen drei Ländern waren, verschob sich der Goldstrom in einen Fluß von Scheidemünzen von Dänemark und Norwegen nach Schweden, bis es 1921 zu einem Exportverbot von Scheidemünzen kam (vgl. Theurl 1992, S. 228). 1924 schließlich prägten die Länder ihre eigenen Scheidemünzen, die den Status des national beschränkten gesetzlichen Zahlungsmittels hatten. Hier endete faktisch die Skandinavische Währungsunion. Zwar führten die drei Länder nach dem Krieg den Goldstandard wieder ein, und die skandinavischen Goldmünzen erhielten in den drei Ländern und in Island die Tauschmittelfunktion, doch wurde bereits 1931 der Goldstandard endgültig aufgegeben. Eine Erneuerung der Abkommen
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stand nicht mehr zur Debatte. Da in der Skandinavischen Währungsunion bereits vor dem Ersten Weltkrieg Tendenzen zu unrealistischen festen Wechselkursen vorhanden waren, könnte der Ausbruch des Krieges ebenso ein willkommener Anlaß gewesen sein, die Goldeinlösepflicht zu suspendieren. Ob die Währungsunion nach dem Ersten Weltkrieg noch von Bedeutung für die skandinavischen Länder war, läßt sich nur vermuten. Axel Nielsen schrieb, daß es im Krieg häufig nicht zu erkennen war, ob die SWU noch bestand oder nicht. Mal hätten die Regierungen behauptet, sie würde noch bestehen, mal bestritten sie dies. Dennoch was Nielsen (1927, S. 293) zu dieser Zeit der Überzeugung, daß Dänemark, Norwegen und Schweden aller Wahrscheinlichkeit nach in naher Zukunft zur SWU zurückkehren würden.
3.5. Die Skandinavische Währungsunion: Ein Erfolg? Um eine Währungsunion ökonomisch zu beurteilen, ist zu fragen, was man von dieser Währungsordnung erwartet hat. Im folgenden sollen verschiedene Kriterien eine Bewertung der SWU erleichtem: 1. Mit der Einfuhrung der Währungsunion erhofft man sich zunächst eine Vereinfachung und damit Verbilligung des Zahlungsverkehrs. Dies hat die SWU geleistet. Es wäre aber auch bei einem isolierten Beitritt zu den Goldstandardländern erreichbar gewesen. Die drei Länder haben sich allerdings zusammen nicht nur dem Goldstandard unterworfen, sondern auch eine einheitliche Währung und das Dezimalsystem eingeführt. Es stellt sich jedoch die Frage, wieviel davon der SWU zu verdanken war. Bei der Diskussion um das monetäre System, die in Skandinavien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzte, ging es vorrangig um eine Vereinheitlichung der Geldordnung. Das Dezimalsystem wurde bereits vor der SWU angestrebt. Ob die SWU die Realisierung beschleunigt hat, ist zu bezweifeln. Die Anreize für jedes Land, ein Dezimalsystem einzuführen, waren aufgrund der Handelsverflechtungen schon so hoch, daß man früher oder später auch ohne die SWU zu einer dezimalen Recheneinheit übergegangen wäre. Darüber hinaus war der Zahlungsverkehr mit ausländischen Noten und Münzen, wie oben gezeigt, schon vor der SWU gängige Praxis. Die SWU hat hier eher eine legalisierende als eine wegbereitende Funktion gehabt. Ein Wechselkurs von 1 : 1 : 1 senkt zwar die Transaktionskosten des Umrechnens, doch waren sie bei Wechselkursverhältnissen von 1 : Vi: lA von vornherein nicht sehr hoch.
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Jahrhundert
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2. Ein weiteres Kriterium für den Erfolg der SWU sind die Inflationsraten der Länder in der Zeit der SWU. In einer Währungsunion sollten die Inflationsraten miteinander verknüpft sein. Zwar waren sie in Skandinavien damals im Durchschnitt sehr gering, doch wichen sie kaum von anderen Ländern - etwa Deutschland und England ab (vgl. Tabelle 1). Ausschlaggebend für den hohen Grad an Geldwertstabilität war der Goldstandard, der bei Einhaltung der Spielregeln zu niedrigeren durchschnittlichen Inflationsraten
führt. Die Stabilität war also nicht unmittelbar der SWU zuzuschreiben,
sondern vielmehr dem Goldstandard. Tabelle 1: Gesamtwirtschaftliche Entwicklung von 1873 bis 1914
Durchschnittliche Inflationsrate Durchschnittliche Wachstumsrate der Produktion Durchschnittlicher Diskontsatz
Dänemark
Norwegen
Schweden
Deutschland
England
-0,21
0,42
0,32
0,33
-0,15
3,08
4,65
2,6
2,5
1,8
4,53
4,79
4,75
4,16
2,7
Quelle: Bergmari ( 1998, S. 22).
Bei genauerer Betrachtung wird außerdem deutlich, daß die durchschnittlichen Inflationsraten zwar gering waren, aber durchaus hohen Schwankungen unterlagen. Wie Abbildung 1 zeigt, hatte vor allem Norwegen innerhalb von zwei Jahren (1878- 1880) eine Differenz von etwa 18 Prozentpunkten zu verzeichnen. Darüber hinaus wird noch eine weitere Tendenz erkennbar: Trotz aller Schwankungen entwickelten sich die Inflationsraten der fünf Länder bis 1914 verhältnismäßig synchron. Bergman / Gerlach
/Jonung
(1993, S. 510) errechneten Korrelationskoeffizienten bei den Inflationsraten der skandinavischen Länder von 0,57 bis 0,76. Auch hier ist zu vermuten, daß die Ursache eher der Goldstandard als die SWU war. Tabelle 2: Wachstumsraten des realen Sozialproduktes pro Kopf der Bevölkerung
1820-1870
Dänemark
Norwegen
Schweden
Deutschland
England
0,9
0,7
0,7
0,7
1,2
1,3
1,5
1,6
1,0
1870-1913 1,6 Quelle: Maddison (1991, S. 49)
186
Sandra Hartig
3. Die durchschnittlichen Wachstumsraten der Produktion weisen daraufhin, daß das Sozialprodukt in Skandinavien stärker gewachsen ist als in Deutschland oder England. Nur sagt diese Größe allein nicht viel aus. Setzt man dagegen die Wachstumsraten des realen Sozialproduktes pro Kopf der Bevölkerung, dann verändert sich die Lage: Von 1870 bis 1913 hatten Deutschland, Norwegen, Dänemark und Schweden ähnliche Wachstumsraten, England dagegen etwas geringere zu verzeichnen. Ob die Währungsverhältnisse für diesen Unterschied verantwortlich waren, ist nicht zurechenbar, immerhin war der Goldstandard allen gemeinsam. Wahrscheinlicher ist, daß der Prozeß der Industrialisierung, der in England früher eingesetzt hat, in Skandinavien und Deutschland später zum Durchbruch kam. Diese Vermutung unterstützt auch Tabelle 2. In der Zeit von 1820 bis 1870 waren die Wachstumsraten in England höher als in den anderen vier Ländern. Wie das Wachstum ohne die SWU verlaufen wäre, läßt sich nicht feststellen. Dennoch scheint die These gerechtfertigt, daß kein stärkerer Einfluß von der SWU auf das Wachstum des Sozialproduktes ausgegangen ist. Abbildung 1: Veränderung der Konsumentenpreisindizes
4. Ein wichtiger Punkt für die Bewertung der SWU ist der Handel. Wenn eine Währungsunion Transaktionskosten senkt, sollte sich der Handel zwischen den Ländern
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ausdehnen. Die internationale Arbeitsteilung sollte beschleunigt voranschreiten. Setzt man den Exportindex von 1913 als 100, dann sieht man (vgl. Abbildung 2), daß der Export in allen drei skandinavischen Ländern stetig zugenommen hat. Verglichen mit Deutschland und England ergaben sich jedoch für die SWU-Länder keine überdurchschnittlichen Wachstumsimpulse im Gesamtaußenhandel.
Um den Einfluß der SWU bewerten zu können, muß aber der intraskandinavische Handel betrachtet werden, denn gerade dieser müßte in der Zeit der SWU von den Transaktionskostenersparnissen besonders profitiert haben und gewachsen sein. Der Anteil des intraskandinavischen Handels, der ohnehin nie sehr hoch war, verringerte sich jedoch leicht zwischen 1875 und 1914, d.h. der intraskandinavische Handel stieg absolut nur unterdurchschnittlich stark an. Es ist hierbei zu vermuten, daß im skandinavischen Raum der Handel mit intersektoralen Gütern überwog. Die Länder hatten sich vornehmlich auf Vorleistungsgüter spezialisiert, so daß der Austausch untereinander zwar wuchs, anteilsmäßig aber sank. Die größten Handelsvorteile zogen die Skandinavier aus dem Handel mit England und Deutschland. In deren Wachstumssog entwickelten sich auch die Nordländer.
Abbildung 2: Entwicklung der Außenhandelsindizes
188
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Ein weiterer Grund für den vergleichsweise niedrigen intraskandinavischen Handel waren die Zollschranken. Es wurde nie eine Zollunion zwischen den Ländern eingeführt, obwohl mehrfach darüber diskutiert wurde. Traditionell sehr unterschiedliche Auffassungen zum Außenhandel verhinderten immer wieder eine Einigung. Dänemark war sehr lange der Freihandelsidee zugetan. Die Dänen waren sich durchaus bewußt, daß ihr kleines Land die Kosten der Schutzzollpolitik selbst zu tragen hätte. Schweden und Norwegen dagegen waren eher protektionistisch eingestellt, obwohl es zwischen beiden Ländern 20 Jahre lang eine Zollunion gab. Die unterschiedliche Außenhandelspolitik der drei Länder hat die Integrationsvorteile der Währungsunion gewiß abgeschwächt.
5. In einer Währungsunion ist nicht nur auf nationale Handelspolitik, sondern auch auf autonome Konjunkturpolitik zu verzichten. Es gab aber sowohl in Dänemark als auch in den beiden anderen Ländern ständig Veränderungen der Diskontraten. In Dänemark wurde der Diskontsatz von 1870 bis 1919 insgesamt 132 mal gesenkt oder erhöht18 (vgl. Henriksen /Kcergärd 1995, S. 98). Mit der überaus variationsreichen Diskontpolitik reagierte die dänische Zentralbank auf den ständig negativen Devisenbilanzsaldo. Die dänische Krone stand unter Abwertungsdruck.
Der negative Devisenbilanzsaldo war Ausdruck der ständig steigenden Geldbasis. Die Geldmenge M2 ist in Dänemark vor allem ab 1905 über das Produktionspotential hinaus erweitert worden. Die Deckungsquote wurde in Dänemark nie genau festgelegt, sondern basierte auf dem Vertrauen der dänischen Bevölkerung. Mit schwindendem Vertrauen des Publikums im Zuge der sinkenden Währungsreserven versuchte die dänische Nationalbank über eine aktive Diskontpolitik dem Abwertungsdruck entgegenzuwirken und ihre Überemission auszugleichen (Henriksen /Kcergärd 1995, S. 96- 99). Um den Preis hoher Zinsen konnten Auslandskapital angezogen und die Goldbestände entlastet werden.
6. Damit löst sich eine weitere Spielregel des Goldstandards auf: das Vertrauen. Es scheint, als hätten sich die Länder von Beginn der SWU an gegenseitig nicht vertraut.
18
Auch England und Deutschland haben eine aktive Konjunkturpolitik betrieben und damit eine Spielregel des Goldstandards verletzt. Die Diskontsatzvariationen der beiden Länder übertrafen sogar bei weitem die Anzahl der Änderungen, die die skandinavischen Zentralbanken in dieser Zeit vorgenommen haben.
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Dies lassen die Verhandlungen über die Scheidemünzen und das Mißtrauen Norwegens gegenüber der SWU vermuten. Aber mit der inflationären Ausweitung der Geldmenge schwand auch das Vertrauen der Bevölkerung in ihre einst so sichere Währung. Kaum war der Erste Weltkrieg ausgebrochen, setzten die drei Skandinavischen Länder den Goldautomatismus auch untereinander außer Kraft. Und es scheint fast so, als wäre es die Gelegenheit gewesen, die ungeliebte Union zu beenden.
War die Skandinavische Währungsunion nun ein Erfolg? Nach Überprüfung der genannten Kriterien wird man mit einer positiven Antwort zögern. Wichtig war für die drei nordischen Länder, daß sie den Goldstandard als Grundlage ihrer Währungsordnung angenommen haben, ohne den ihre wirtschaftliche Entwicklung anders verlaufen wäre. Die Zielsetzung der SWU war eine ganz andere als die Zielsetzung der EWU heute. Es bestand in Skandinavien - wie dargelegt - niemals die Absicht, eine politische Union zu errichten. Schon seit 1885 strebte Norwegen die Auflösung der Personalunion mit Schweden an, die 1905 vollzogen wurde. Die Skandinavische Währungsunion war ein Versuch, in diesem Raum das Währungssystem zu standardisieren und zu stabilisieren. Der ökonomische Druck, diesen Weg einzuschlagen, war wesentlich höher als heute, zumindest dann, wenn man die SWU im Zusammenhang mit dem Goldstandard beurteilt.
Etwas, was bis heute geblieben ist, ist das Wissen um die Bedeutung einer Neuordnung des Währungssystems: "Next to a change of religion or language a complete change in the currency system is the most profound change, because it affects everybody" (Moritz Levy im Jahre 1872 als Direktor der dänischen Zentralbank, zitiert nach Henriksen /Kcergärd 1995, S. 93).
4.
Fazit
Welche Erfahrungen der beiden historischen Währungsunionen lassen sich also für die EWU nutzen? In Deutschland ging die Münzunion mit einer politischen Einigung einher. Dieses politische Einheitsstreben ging der monetären Integration voraus und hat sie unterstützt. In Verbindung mit den wirtschaftlichen Vorteilen einer Münzvereinheitlichung waren die treibenden Kräfte vergleichsweise hoch. Darüber hinaus wird am
190
Sandra Hartig
Beispiel der deutschen Münzverträge die Bedeutung einer Währungsvereinheitlichung für die Entwicklung der Wirtschaft deutlich. Die durch Münzzersplitterung und Münzverschlechterung verursachten Transaktionskosten und die Währungsunsicherheit waren vor der monetären Integration sehr hoch. Eine Neuordnung des Währungssystems erschien auch deswegen notwendig, um nicht im internationalen Wettbewerb weiter zurückzufallen. Umgekehrt weist der skandinavische Fall, der ohne politische Union vonstatten ging, daraufhin, daß eine Währungsintegration in einem Umfeld mit geringeren Transaktionskosten nur vergleichsweise schwache Vorteile im Bereich des Währungsumtausches mit sich bringt. Wie hoch folglich die Transaktionskostengewinne der Europäischen Währungsunion ausfallen, hängt sehr stark von der Einschätzung der heute bestehenden Währungstransaktionskosten ab.
Die Vorteile einer Währungsunion bezüglich anderer wirtschaftlicher Indikatoren - etwa der Handelsverflechtung oder des Wachstums - stehen mit den Transaktionskosten in einer engen, nicht aber vollständigen Beziehung. Die Einsparung von Transaktionskosten kann durch währungspolitischen Stabilitätsverlust aufgewogen werden. Eine Währungsunion mit höheren Inflationsraten wirkt sich insgesamt negativ auf Aussenhandel, Wachstum und Beschäftigung aus. Dies lehren die historischen Beispiele: Eine Währungsunion mit Inflationsneigung wird sich nicht halten können, wenn Mitglieder mit einer hohen Wertschätzung für eine stabile Geldordnung beteiligt sind. Anders formuliert: Es wird zu Zerreißproben kommen, wenn die Mitglieder der Union nicht die Funktionsbedingungen, die F.A. Lutz (1935) für die Goldwährung entwickelt hat, einhalten. Dies gilt unabhängig davon, ob die Währung metallgebunden ist oder nicht. Den damals für metallische Währungen geltenden Regelbindungen müssen in einer Währungsunion auf der Grundlage von Banknoten Regeln entsprechen, die ebenfalls auf eine stabilitätsgerechte monetäre Versorgung gerichtet sind. Eine solche Regelbindung setzt voraus, daß die nationalen Interessen den Bedingungen für eine stabile Währungsordnung untergeordnet werden müssen, sonst läuft eine Währungsunion Gefahr zu zerbrechen. Das skandinavische Experiment ist deshalb besonders lehrreich, weil daran erkennbar ist, daß ohne Willen und Vorkehrungen zur politischen Einigung die Regeltreue nicht verläßlich organisierbar ist.
Außerdem waren die Preise der Güter und Produktionsfaktoren im 19. Jahrhundert wohl flexibler als heute. Dies macht das Experiment der Europäischen Währungsunion riskanter, da der Verzicht auf den Wechselkursmechanismus höhere Anforderungen an die Flexibilität des Marktpreissystems stellt {Meyer 1938; Weber 1994). Prinzipiell
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Jahrhundert
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könnte an die Stelle des Wechselkursmechanismus ein innergemeinschaftlicher Finanzausgleich treten. Ob die Bereitschaft besteht, einen solchen Finanzausgleich bei einer fehlenden politischen Union auf die EU-Ebene zu verlagern, ist jedoch fraglich.
Bei Kenntnis der historischen Vorläufer wird man in der aktuellen Diskussion um den EURO feststellen, so manche Argumente schon einmal gehört zu haben. Die Bezeichnung "Déjà V-uro" (Vaknin 1998) trifft dies ganz gut. Die Erfolgsperspektiven des aktuellen Projektes liegen wahrscheinlich zwischen denen der Skandinavischen Währungsunion und denen der Deutschen Münzunion. Eine Einschätzung der Zukunft der EWU anhand der historischen Beispiele ist aber gerade deswegen so schwierig, weil es fur die EWU keine Vorbilder, sondern nur Vorläufer gibt. Dennoch scheint es gerechtfertigt, mit Lars Jonung von der Stockholm School of Economics aus den historischen Erfahrungen zu folgern: "Europe's monetary union is a high risk project; that is what history tells us" (zitiert nach Ingrassia 1998, S. 1).
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Kapitalverkehrsliberalisierung und Finanzmarktintegration in der EU Dieter Bender /Norbert
Lamar
1. Problemstellung
196
2. Kriterien der EU-Finanzmarktintegration
197
2.1.
Nominalzinsparitäten
198
2.2.
Realzinsparitäten
200
3. Nominalzinskonvergenz, Realzinskonvergenz und EWU-Erwartungen
202
4. Empirische Analyse
205
4.1.
Daten und Methodologie
205
4.2.
Zinskonvergenz und Risikoprämien in der EU: Empirische Ergebnisse
208
5. Schlußbetrachtung
214
Literatur
214
196
1.
Dieter Bender /Norbert Lamar
Problemstellung Seit Mitte der 80er Jahre ist in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft ein
Prozeß der Kapitalverkehrsliberalisierung in Gang gekommen, der zunächst allerdings nicht alle Mitgliedsländer erfaßte. Erhebliche Kapitalverkehrsbeschränkungen wurden bis Ende der 80er Jahre in Belgien, Frankreich und Italien aufrechterhalten. In Frankreich war der Kauf ausländischer Wertpapiere für Wirtschaftseinheiten mit Sitz in Frankreich bis 1986 verboten. Diese Kontrollen wurden schrittweise gelockert und im Dezember 1989 aufgehoben. Italien unterwarf den Kauf ausländischer Wertpapiere bis Mai 1987 einer praktisch prohibitiv wirkenden Steuerbelastung. Danach wurden diese Restriktionen zwar gemildert, blieben jedoch bis Juni 1990 in Kraft. Belgien praktizierte auch in der zweiten Hälfte der 80er Jahre Kapitalverkehrskontrollen durch ein duales Wechselkurssystem. Mit der EG-Direktive zur Kapitalmarktliberalisierung wurden alle verbliebenen Beschränkungen des Kapitalverkehrs ab Juli 1990 aufgehoben. Mit einer weitgehenden Öffnung der intraeuropäischen Kapitalbilanzen und der Freiheit des europäischen Kapitalverkehrs ist ein Ziel erreicht worden, das essentieller Bestandteil der 1. Stufe des Übergangsprozesses einer Europäischen Währungsunion (EWU) ist. Die fortschreitende europäische Binnenmarktintegration hat auch die Finanzmärkte erfaßt, deren Integrationsprozesse möglicherweise sogar schneller und stärker gewesen sind. Diese Integrationswirkungen der europäischen Kapitalverkehrsliberalisierung sollen im folgenden näher untersucht werden. Im einzelnen werden folgende Fragen aufgeworfen: (1)
Führt die EU-Kapitalmarktliberalisierung zu einem Integrationsraum mit perfekter Kapitalmobilität?
(2)
Wie kann zunehmende intraeuropäische Kapitalmobilität gemessen werden? Welche der sich konvergent bewegenden Zinssätze bieten einen geeigneten Maßstab hierfür?
(3)
Ist eine Konvergenz der Zinssätze im Sinne tendenziell sich verringernder Abweichungen von Zinsparitäten erkennbar? Gilt dies für alle Mitgliedsländer oder nur für einen Teil der EU-Länder?
Kapitalverkehrsliberalisierung und Finanzmarktintegration
(4)
197
Wenn zumindest für einen Kern von EU-Ländem Zinskonvergenz nachweisbar ist, stellt sich die Frage, ob dies Folge der Kapitalverkehrsliberalisierung ist und dies den hierdurch geförderten fortschreitenden Grad des Zusammenwachsens europäischer Finanzmärkte messen kann, oder ob dies eine vom Grad der Finanzmarktliberalisierung unabhängige Folge von EWU-Erwartungen ist, die in einer starken Zinskonvergenz bei jenen Währungen ausgewiesen wurden, die als wahrscheinliche Beitrittskandidaten der EWU galten. In neueren Analysen der Finanzmarktintegration findet sich vielfach die Position,
die zuletzt gestellte Frage positiv zu beantworten (Moosa / Bhatti 1996; Scheide / Solveen 1997). Folgt man dieser EWU-Erwartungshypothese, sind abnehmende Abweichungen von spezifischen Zinsparitäten als Indikatoren steigender internationaler Kapitalmobilität nur wenig geeignet, weil die Beobachtung konvergenter Zinstrends nicht mehr eindeutig der Kapitalverkehrs- und Finanzmarktliberalisierung zurechenbar ist, wenn dies von den Einflüssen der Erwartungen der Finanzmarktakteure über den Teilnehmerkreis der zukünftigen EWU überlagert wird. In unserem Beitrag soll die Auffassung begründet werden, daß die Konvergenz spezifischer nominaler und realer Zinssätze sehr wohl als Indikator der in Folge der Kapitalmarktliberalisierung gestiegenen Kapitalmobilität brauchbar ist. Es wird zugleich ausdrücklich der Interpretation widersprochen, daß Zinskonvergenz auch EWUErwartungen abbilde. Die Begründung wird so aufgebaut, daß zunächst die möglichen Meßkriterien der EU-Kapitalmarktintegration herausgearbeitet werden (Kap. 2). Anschließend werden die Effekte von Kapitalmarktliberalisierung und möglichen EWU-Erwartungen getrennt untersucht, um die EWU-Erwartungshypothese kritisch zu prüfen (Kap. 3) und die umstrittenen Fragen empirisch zu klären (Kap. 4).
2.
Kriterien der EU-Finanzmarktintegration In der Literatur zur Kapitalmarktintegration werden verschiedene Ansätze zur Mes-
sung perfekter Kapitalmobilität diskutiert und angewendet (vgl. hierzu Frankel 1992; Frankel / Okongowu 1995; Ayouso /Restoy 1996; Herz 1995):
198
(1)
Dieter Bender / Norbert Lamar
Nominalzinsparität (NZP) a) Offene Zinsparität (OZP) b) Gedeckte Zinsparität (GZP)
(2)
Realzinsparität (RZP).
2.1.
Nominalzinsparitäten
Nach dem NZP-Kriterium besteht perfekte Kapitalmobilität, wenn die Ertragsraten eines DM-Finanztitels und eines in Laufzeit und Qualität hiermit vergleichbaren, auf eine andere EU-Währung lautenden Finanztitels übereinstimmen. Finanzanlagen im europäischen Ausland, die gegen Wechselkursrisiken abgesichert werden, erfüllen dieses Kriterium, wenn der Terminkursaufschlag (fpj) oder -abschlag (fdj) der DM gegenüber einer anderen EU-Währung j der Differenz zwischen deutschem Zinssatz (i) und Zinssatz im EU-Ausland (i*j) entspricht: (1.1)
i - i* - fdj = 0
bzw. (1.2)
i*j - i - fpj = 0.
In jenem Subsystem der Finanzmärkte, in dem kursgesicherte Finanzaktiva international gehandelt werden, herrscht also dort perfekte Kapitalmobilität, wo das GZPKriterium gemäß Gleichung (1.1) bzw. (1.2) erfüllt ist. Finanzanlagen in anderen EU-Ländern, die nicht gegen Wechselkursrisiken abgesichert, also in Form offener Positionen gehalten werden, erfüllen das NZP- Kriterium, wenn die erwartete Änderungsrate des DM-Wechselkurses gegenüber einer anderen EU-Währung (E(gej)) der Differenz zwischen Verzinsung des auf eine andere EU-Währung lautenden Finanztitels ( i*,) und des vergleichbaren DM-Finanztitels (i) entspricht: (2)
i*j - i - E(gej) = 0.
Kapitalverkehrsliberalisierung und Finanzmarktintegration
199
Im Finanzmarkt-Subsystem, in dem nicht-kursgesicherte Finanzaktiva international gehandelt werden, ist perfekte Kapitalmobilität dort erreicht, wo das OZP-Kriterium gemäß Gleichung (2) erfüllt ist. Die OZP-Bedingung läßt sich zu dem Ausdruck (3)
(i* - i - f p J ) + (fp J -E(ge J )) = 0
erweitern. Dies macht deutlich, daß das OZP-Kriterium strenger ist als das GZP-Kriterium. Die OZP-Bedingung ist erfüllt, wenn das GZP-Kriterium und zusätzlich die Bedingung erfüllt ist, daß die im zweiten Klammerausdruck erfaßte Wechselkursrisikoprämie (Frankel 1992) gleich Null ist. Ist der erste Klammerausdruck Null (Erfüllung der GZP-Bedingung), impliziert dies nicht, daß solches auch für den zweiten Klammerausdruck gilt. Das GZP-Kriterium erfüllt nur dann simultan die OZP-Bedingung, wenn (1.1a)
i - i*j = fdj = - E(gej)
bzw. (1.2a)
- i = fpJ = E(geJ).
Dies gilt aber nur unter zwei Voraussetzungen: • Die bilateralen Terminkurse sind unverzerrte Prediktoren der entsprechenden Kassakurse und die Finanzmarktakteure orientieren sich daran, daß die Terminkursbildung diese Eigenschaft aufweist (Devisenmarkteffizienz). • Die Finanzmarktakteure sind risikoneutral und fragen deshalb keine Risikoprämien nach. Auch wenn die Devisenmärkte im Sinne der ersten Voraussetzung effizient sein sollten, folgt aus der Erfüllung der GZP-Bedingung keineswegs, daß die OZP-Bedingung ebenfalls erfüllt ist, wenn die Finanzmarktakteure sich risikoavers verhalten (Ayouso / Restoy 1996; Caporale / Kalvytis / Pittis 1996). Allein diese Risikoeinstellung, die wahrscheinlicher als Risikoneutralität ist, genügt, um - unabhängig von der umstrittenen Frage der Devisenmarkteffizienz - eine Wechselkursrisikoprämie zu erzeugen. Aufgrund dieser Bedingungen bietet das OZP-Kriterium kein operables Konzept zur Messung der mit fortschreitender Finanzmarktintegration tendenziellen Annäherung an
200
Dieter Bender / Norbert
Lamar
ein System perfekter internationaler Kapitalmobilität. Unabhängig von diesem mit Kapitalverkehrsliberalisierung zusammenhängenden Konvergenzprozeß könnten durchaus steigende Wechselkursrisikoprämien von risikoaversen Finanzmarktakteuren nachgefragt werden, wenn im gleichen Zeitraum die Wechselkursvolatilität zunimmt. Dies könnte sogar mit der Kapitalverkehrsliberalisierung in Zusammenhang stehen. In diesen Fällen ist nicht ausschließbar, daß die OZP-Abweichungen größer werden, obwohl sich die GZP-Abweichungen verringern. Es wäre unter solchen Umständen falsch, aus der ersten Beobachtung auf Finanzmarktdesintegration zu schließen. Aus diesen Überlegungen folgt, daß allein das GZP-Kriterium zur Prüfung der EU-Finanzmarktintegration geeignet ist. Ein positiver Befund ergäbe sich für jene Währungen, bei denen die GZP-Abweichungen im Trendverlauf systematisch kleiner werden.
2.2.
Realzinsparitäten
Nach dem RZP-Kriterium werden die internationalen Kapitalströme in einem Wirtschaftsraum mit perfekter Kapitalmobilität übereinstimmende ex ante Realzinsen (Differenzen zwischen Nominalzins und erwarteter Inflationsrate) herbeifuhren. In dieses Kriterium fließen makroökonomische Konvergenzwirkungen zunehmender Finanzmarktintegration in dem Sinne ein, daß steigende Kapitalmobilität in einem Währungsraum mit festen Wechselkursen eine Angleichung der Inflationsraten bewirkt. Werden nun die Differenzen der ex ante Realzinsen zwischen Deutschland (r) und anderen EU-Mitgliedsstaaten (r*j) betrachtet, so ist die RZP-Bedingung erfüllt, wenn (4)
r*j - r = (i* - E(gP*j)) - (i - E(gP)) = 0,
wobei E(gP*j) und E(gP) die erwarteten Inflationsraten anderer EU-Länder und Deutschlands bezeichnen. Dieser Ausdruck kann wiederum erweitert und damit in drei Komponenten zerlegt werden: (5)
r * r r = (i*3 - i - f P i ) + (fp, - E( gej ))+ (E( g e j ) + E(gP) - E(gP*)) = 0.
Kapitalverkehrsliberalisierung und Finanzmarktintegration
201
Gleichung (5) macht deutlich, daß die RZP-Bedingung das strengste Kriterium perfekter Kapitalmobilität formuliert, da makroökonomische Konvergenzbedingungen einbezogen werden. Das RZP-Kriterium ist erst erfüllt, wenn • die GZP-Bedingung erfüllt ist, • keine Wechselkursrisikoprämie besteht, und • die Erwartung eines stabilen realen DM-Wechselkurses vorherrscht. Realzinsparität kommt nicht zustande, wenn eine positive oder negative Abweichung von der kursgesicherten Zinsparität besteht: (6)
a,j = i* - i - fpj *- 0
oder wenn die Summe der Nullabweichungen des zweiten und dritten Klammerausdrucks einen positiven oder negativen Wert aufweist: (7)
a2j = (fPj - E(gej)) + (E( g e j )+ E(gP) - E(gP*)) * 0. Darin begründete Abweichungen von den RZP-Bedingungen können als Länder-
risikoprämien (a,j) und Währungsrisikoprämien (a2j) gedeutet werden (Frankel 1992). Währungsrisikoprämien setzen sich aus Wechselkursrisikoprämien und erwarteten Änderungsraten realer Wechselkurse zusammen. Länderrisikoprämien werden durch Transaktionskosten, Kapitalverkehrskontrollen und sonstige politische Risiken bestimmt. Unterschiedliche Steuersätze auf Kapitalerträge werden dagegen innerhalb der EU nicht zur Herausbildung einer Länderrisikoprämie beitragen, da Kapitalerträge in der EU nach dem Wohnsitzlandprinzip besteuert werden, so daß Zinsen auf Auslandsanlagen dem gleichen Steuersatz wie Zinsen auf Inlandsanlagen unterworfen sind. Politische Risiken, die zu einer höheren Länderrisikoprämie beitragen, können bei fiskalpolitischen Divergenzen durch relativ hohe Fiskaldefizite und Staatsschuldenstände einzelner Mitgliedsländer herbeigeführt werden, wenn die Verschuldungsdynamik einer unsoliden Fiskalpolitik Erwartungen der Finanzmarktakteure auslöst, daß Probleme bei der Bedienung einer überhöhten und wachsenden Staatsschuld nicht ausgeschlossen werden können. Mit Blick auf die zukünftige EWU stellt sich hier aber die Frage, ob die no-bail-out-Klausel tatsächlich glaubwürdig und dynamisch konsistent ist. Die Diskussion dieser Frage (Hutchison / Kletzer 1995; Kenen 1995b) hat gezeigt, daß bei einer krisenhaften Zuspitzung der Staatsverschuldung einzelner Mitgliedsländer für die
202
Dieter Bender / Norbert Lamar
restlichen Mitgliedsländer bail-out-Anreize bestehen können, die die no-bail-out-provision in einer zukünftigen EWU unglaubwürdig machen. Wird also unterstellt, daß die fiskalpolitischen Länderrisiken sich nicht signifikant in Länderrisikoprämien niederschlagen und nur geringfügige Transaktionskosten bestehen werden, so steht die Länderrisikoprämie in einem systematischen Zusammenhang mit dem Grad der Kapitalverkehrsliberalisierung. Im Einklang mit dem unter 2.1. begründeten Ergebnis stützt dies die Vermutung, daß der finanzielle Integrationsprozeß mit einer signifikanten Reduktion von Länderrisikoprämien verbunden war. Dies kann mit dem Kriterium | da^/dt < 01 empirisch geprüft werden. Es bleiben die Fragen, ob ein gleichzeitiger Abbau von Währungsrisikoprämien - zu prüfen am Kriterium | da2j/dt < 01 - indirekt dadurch nachweisbar ist, daß die Abweichungen von Realzinsparitäten stärker zurückgegangen sind als die Abweichungen von gedeckten Zinsparitäten und ob ein solcher Befund in einem systematischen Zusammenhang mit der Herausbildung von EWU-Erwartungen stehen könnte.
3.
Nominalzinskonvergenz, Realzinskonvergenz und EWU-Erwartungen Eine Annäherung an die GZP-Bedingung perfekter Kapitalmobilität impliziert nicht
zwangsläufig eine Verringerung von Realzinsdifferenzen. Nominalzinskonvergenz muß nicht mit Realzinskonvergenz einhergehen, weil bei den innerhalb weiter Bandbreiten um fixe Leitkurse frei beweglichen Wechselkursen Währungsrisikoprämien größer werden können, wenn die Wechselkursvolatilität zunimmt. Da auch bei hoch integrierten Finanzmärkten Wechselkursrisiken bestehen und Erwartungen realer Wechselkursänderungen nicht verschwinden, ist die Senkung von Nominalzinsdifferentialen mit der Fortdauer signifikanter Realzinsdifferentiale kompatibel. Wird der Prozeß finanzieller Integration durch abnehmende Abweichungen von gedeckten Zinsparitäten, also durch Erfüllung des Kriteriums gegen Null konvergierender Länderrisikoprämien
da.j dt
< 0
(Integrationstest)
Kapitalverkehrsliberalisierung
und
Finanzmarktintegration
203
bestätigt, so werden auch die Abweichungen von den Realzinsparitäten zurückgehen, wenn die Währungsrisikoprämien nicht steigen. Bleiben diese Risikokomponenten konstant, sinken die RZP-Abweichungen im gleichen Maße wie die GZP-Abweichungen. Dagegen würde das Kriterium abnehmender Währungsrisikoprämien
da2j —— < 0 dt
(Konvergenztest)
Prozesse der Realzinskonvergenz aufdecken, die von Nominalzinskonvergenz unabhängig sind. Ein positiver Konvergenztest könnte nun vor dem Hintergrund der monetären Konvergenzbedingungen des Maastricht-Vertrages als Qualifizierung für den Beitritt zu einer Europäischen Währungsunion interpretiert werden. Da die monetären MaastrichtKriterien signifikante Inflationsunterschiede der Beitrittsländer ausschließen und nur moderate Wechselkursschwankungen um den nicht veränderbaren Leitkurs zulassen, besteht Grund für die Vermutung, daß die Finanzmarktakteure diejenigen Länder als EWU-Mitglieder erwarteten, die den realen Wechselkurs ihrer Währung gegenüber der DM relativ stabil und ihre Wechselkursrisikoprämien relativ gering halten konnten. Dies führt zu folgender Hypothese, die noch kritisch geprüft werden soll: Für ein EULand mit der Währung j signalisierten die Finanzmärkte die Erwartung einer EWUMitgliedschaft, wenn Nominal- und Realzinskonvergenz in dem Sinne nachweisbar ist, daß Länder- und Währungsrisikoprämien simultan zurückgingen, also Integrationstest (| da,j/dt < 01) und Konvergenztest (| da2j/dt < 01) gleichzeitig erfüllt wurden. Hieraus folgt, daß Realzinskonvergenz zwar eine notwendige, aber noch nicht hinreichende Bedingung für die simultane Erfüllung von Integrations- und Konvergenztest ist. Realzinsdifferenzen werden auch dann abnehmen, wenn Länderrisikoprämien zurückgehen und Währungsrisikoprämien stabil bleiben. Auch kann nicht ganz ausgeschlossen werden, daß al} tendenziell sinkt und a2j tendenziell steigt, beide Prozesse sich aber so kompensieren, daß eine simultane Annäherung an die GZP- und RZP-Bedingungen beobachtbar ist. Dieser durchaus denkbare Fall würde die Vermutung finanzieller Integration bestätigen (Integrationstest bestanden), nicht aber die Vermutung von EWU-Erwartungen (Konvergenztest nicht bestanden). Wird also eine beobachtete Abnahme von Realzinsdifferenzen als Indikator von EWU-Erwartungen gedeutet
204
Dieter Bender / Norbert Lamar
(Moosa / Bhatti 1996), kann eine zu falschen Schlußfolgerungen verleitende Fehlinterpretation vorliegen. Auf dieser Grundlage soll nun empirisch geprüft werden, ob in der EU Prozesse der Zinskonvergenz beobachtet werden können, die Wirkungen der Kapitalmarktliberalisierung und EWU-Erwartungen oder ausschließlich die infolge Kapitalverkehrsliberalisierung zunehmende Kapitalmarktintegration aufdecken. Dabei soll mit der Annahme rationaler Erwartungen E(gP) = gP und E(gP*) = gP*j unterstellt werden, daß die ex ante Realzinsen mit den ex post Realzinsen übereinstimmen. Abweichungen von diesen Beziehungen sind stochastischer Natur und reflektieren Inflationserwartungsirrtümer, die unkorreliert sind und um den Mittelwert Null streuen. Somit gilt (8)
r*j - r = =
(i* - gP*j) - C - gP) (i* - i) - (gP* - gP) = a,j + a2j.
mit: (6)
a,j = i*j - i - fpj
(Länderrisikoprämie),
(7)
a2j = fpj - (gP* - gP)
(Währungsrisikoprämie).
Dieser Ansatz erlaubt eine direkte Schätzung von Währungsrisikoprämien und unterscheidet sich damit von jenen Ansätzen, die Währungsrisikoprämien durch Maße der Wechselkursvolatilität approximieren wollen (Artis / Taylor 1988\ Herz 1995). Auf einer solchen Grundlage kann nun empirisch geprüft werden, ob nur die jeweiligen Länderrisikoprämien gesunken sind (Integrationstest), oder ob zusätzlich auch Währungsrisikoprämien zurückgegangen sind (Konvergenztest) und dies als Indikator von EWU-Erwartungen ausgelegt werden kann.
Kapitalverkehrsliberalisierung und Finanzmarktintegration
4.
Empirische Analyse
4.1.
Daten und Methodologie
205
Die Resultate der theoretischen Überlegungen sollen nun empirisch geprüft werden.1 Die Vorgehensweise der in Bezug auf das EWS und die EWU allgemein üblichen Konvergenztests ist die ökonometrische Schätzung der Realzinsparität (Ayouso / Restoy 1996; Caporale /Kalyvitis /Pittis 1996; Camarero / Tamarit 1996; Holmes / Wu 1997; Moosa /Bhatti 1996; Wolters 1995). Da die theoretische Analyse gezeigt hat, daß eine Bestätigung der oder eine Annäherung an die RZP zwar finanzielle Integration aufdecken kann, aber nicht zwingend als Indikator für EWU-Erwartungen geeignet erscheint, sind Länderrisikoprämie und Währungsrisikoprämie einzeln zu prüfen. Die empirische Analyse der Entwicklung der Abweichungen von den definierten Zinsparitäten erfolgt auf der Grundlage von Daten der kurzfristigen Zinsen (Drei-Monats-Zinssätze). Als Datenbasis legen wir Monatswerte (Monatsendstand) für Schatzwechsel (wenn nicht verfugbar: Geldmarktsätze für Dreimonatsgeld im Interbankenverkehr), Kassakurse und Drei-Monats-Terminkurse am Devisenmarkt gegenüber der DM zugrunde. Um die Auswirkungen der Kapitalverkehrsliberalisierung zu erfassen und Länderrisiken zu spezifizieren, legen wir nationale Zinssätze (onshore rates) zugrunde. Demgegenüber sollten Zinssätze am Euro-Geldmarkt (offshore rates) relativ frei von politischen Risiken sein.2 Die Stichprobe umfaßt den Zeitraum von Mai 1986 bis April 1997. Die Daten stammen von der Deutschen Bundesbank, den IMF-Financial Statistics und den OECD Main Economic Indicators. Kurzfristige Zinssätze für die Analyse zu wählen begründet sich wie folgt: Zunächst wird die Vergleichbarkeit der vorliegenden Analyse mit Schätzergebnissen zur Realzinsparität ermöglicht, die auf kurzfristigen Zinssätzen basieren. Mit näherrückendem EWU-Eintrittstermin werden sich zudem Konvergenzprozesse und die Auswirkungen der Kapitalmarktliberalisierung zunehmend in der Entwicklung der kurzfristigen Zinsen zeigen. Kurzfristige Zinssätze sind zwar zum Teil ' 2
Vgl. hierzu auch Ardeni (1992); Bini-Smaghi / Del Giovanne (1996); Helmenstein / Rünstler (1996); Koedijk / Kool (1992). Zur vergleichenden Analyse von onshore und offshore interest differentials und Inter-
pretation der Abweichungen vgl. Artis / Taylor (1988); Caporale / Kalyvitis / Pittis (1996); Holmes / Wu (1997).
206
Dieter Bender /Norbert Lamar
durch eine schwach exogene Komponente geprägt, da sie stärker von den Zentralnotenbanken determiniert sind als die langfristigen Zinsen, im Hinblick auf die europäische Integration (insbesondere die europäische Kapitalmarktintegration) und die EWU ist aber auch am kurzen Ende der Zinsstrukturkurve eine Konvergenz erforderlich und müßte demnach im Vorfeld der EWU beobachtbar sein. Erwarten die Finanzmärkte die Teilnahme eines Landes an der EWU, eröffnet sich den betreffenden Zentralnotenbanken gegenüber der DM ein Zinssenkungspotential. Hohe kurzfristige Zinsen sind dann aus geldpolitischer Sicht zur Abwehr spekulativer Attacken am Devisenmarkt nicht mehr notwendig. Zugleich kann gegebenenfalls eine Anpassung der kurzfristigen DMZinsen nach oben erfolgen. Ebenso ist am Gleichlauf der kurzfristigen Zinsen ablesbar, ob die nationalen Zentralnotenbanken schon eine EWU-Zielfunktion verfolgen, also eine am Ziel der Preisniveaustabilität strikt ausgerichtete Geldpolitik der zukünftigen Europäischen Zentralnotenbank antizipieren. Der kurzfristige Realzins ist definiert als die (jährliche) Verzinsung der DreiMonats-Schatzwechsel bzw. des Drei-Monats-Geldmarktsatzes abzüglich der Inflationsrate (Änderungsrate des Verbraucherpreisniveaus über den vergangenen ZwölfMonats-Zeitraum). Erwarten die Finanzmarktakteure den Eintritt eines Landes in die zukünftige EWU, müssen sich die kurz- und langfristigen Zinsen international angleichen. Die europäische Kapitalmarktintegration durch Abbau von Kapitalverkehrskontrollen müßte sich über den gesamten Laufzeitenbereich erstrecken. Mit der Realisation der vollständigen Kapitalmarktliberalisierung und näherrückendem Eintrittstermin in die EWU, verbunden mit einer entsprechenden Teilnahmevermutung für ein Land, müßte eine oben definierte Konvergenz der kurzfristigen Zinssätze erfolgen. Aus theoretischer Sicht kann die Prämie für das Länderrisiko bei den kurzfristigen Zinsen deutlich kleiner sein als bei den langfristigen Zinsen. Dennoch wird sich für Länder, die auf mittel- und langfristige Anleihen eine hohe Prämie für das Länderrisiko zu zahlen haben, dies auch in den Datenreihen der kurzfristigen Zinsen zeigen. 3 Zur Berücksichtigung von Strukturbrüchen, signifikanter Schocks und den Stufen der Liberalisierung der europäischen Kapitalmärkte wurde die Gesamtperiode in drei
3
Zur Überprüfung der abgeleiteten Thesen für langfristige Zinsen müßte ein Erwartungsbildungsmodell für die langfristig erwartete Wechselkursänderung modelliert und geschätzt werden. Dies soll nicht im Rahmen des vorliegenden Ansatzes verfolgt werden. Vgl. zur empirischen Überprüfung der Konvergenz langfristiger EU-Zinsen u.a. Angeloni / Violi (1997); Groenefeld/Koedijk/Kool (1998).
Kapitalverkehrsliberalisierung und Finanzmarktintegration
207
Teilperioden unterteilt. Der Untersuchungszeitraum umfaßt im Hinblick auf das Analyseziel die wichtigsten Phasen des Europäischen Währungssystems: Die erste Teilperiode beginnt Mai 1986 und endet Juni 1990. Wir beginnen im Jahr 1986, da bis 1986 in Frankreich der Erwerb von ausländischen Finanzaktiva illegal war. Ebenso mußten bis 1986 die meisten der EWS-Währungen massive und häufige Realignments erfahren. Bis 1986 ist daher im Hinblick auf das Analyseziel von signifikanten Strukturbrüchen auszugehen, die eine Auswertung und Interpretation der Daten erschweren und mögliche Aussagen zu stark einschränken. Die zweite Teilperiode beginnt mit Juli 1990 und endet mit Juli 1993. Diese zweite betrachtete Teilperiode könnte als die "Krisenperiode" des EWS bezeichnet werden. Sowohl die Krise im September 1992 als auch die Krise im Juli 1993, die letztlich zur Erweiterung der Wechselkursbandbreiten führten, fallen in diesen Zeitraum. Die dritte Teilperiode reicht von August 1993 bis April 1997. Dies ist die Periode nach der Erweiterung der zulässigen Schwankungsbreite der Wechselkurse gegenüber den Paritäten auf ±15%. Es scheint durchaus legitim, diese Veränderung in der europäischen Währungspolitik als De-facto-Flexibilisierung der Wechselkurse anzusehen. Für Vergleichszwecke ziehen wir bei den empirischen Analysen und der Zeitreihenbetrachtung zugleich die Gesamtperiode von Mai 1986 bis April 1997 als vierte Periode hinzu.
Im Rahmen der vorliegenden Analyse werden von den EWS-Mitgliedsländem Frankreich, Italien, die Niederlande und - als Referenzland - Deutschland betrachtet. Großbritannien als zeitweises EWS-Mitgliedsland wird ebenso hinzugezogen. Außerhalb des EWS bzw. der EU werden die Schweiz aufgrund ihrer innerhalb Europas herausgehobenen (Stabilitäts-)Stellung und die USA betrachtet. Die Wahl von Deutschland als Referenzland impliziert im vorliegenden Kontext keine Aussage über die Wirkungsrichtungen zwischen den europäischen Zinssätzen. So soll an dieser Stelle auch keine erneute Diskussion um die Ankerrolle der DM in Europa geführt werden. Anstelle von Deutschland hätte auch jedes andere Land diese Position im Rahmen der Analyse erhalten können. Eine Änderung der Resultate bewirkt dies nicht. Eine zunehmende Liberalisierung des europäischen Kapitalmarktes müßte sich im Abbau von Realzinsdifferentialen zeigen. Die Hypothese existierender EWU-Erwartungen wäre nicht abzulehnen, wenn sich für eine bestimmte Ländergruppe ein signifikanter Abbau der Länder- und Währungsrisikoprämien bei gleichzeitiger Konvergenz der Realzinsen zeigt. Andere Länder, d.h. Länder für die keine Kapitalmarktliberalisierung
208
Dieter Bender / Norbert
Lamar
und EWU-Erwartung vorliegt, müßten eine entsprechend abweichende Entwicklung in den Daten zeigen.
4.2. Zinskonvergenz und Risikoprämien in der EU: Empirische Ergebnisse Die Resultate für die Teilperioden sind in Tabelle 1 dargestellt. Es wurden jeweils für die Differentiale der Nominal- und Realzinsen sowie die beiden Risikoprämien der Mittelwert und die Standardabweichung berechnet. Bei den Berechnungen wurden, da auch Zinssätze und Inflationsraten als Jahresraten vorliegen, die Drei-Monats-Swapsätze an den 12-Monats-Zeitraum angepaßt. Tabelle 1 : Zinskonvergenz und Risikoprämien 5.1986-6.1990 Mittelwerl Stabw. Frankreich Italien Niederlande Schweiz GB USA
3,15 5.99 0,61 -0,78 5,79 1,46
0,99 1,09 0,48 0,78 0,91 0,95
Frankreich Italien Niederlande Schweiz GB USA
1,40 2,82 1,39 -1,76 1,48 -1.12
0,94 2,18 0,79 0,72 0,77 0,81
Frankreich Italien Niederlande Schweiz GB USA
6.37 11,96 1,29 -0,45 11,82 3,85
2,27 2,39 0,91 0,89 1,61 2,24
Frankreich Italien Niederlande Schweiz GB USA
-4,97 -9,14 0,10 -0,72 -10,33 -4,97
2,27 3,20 1,08 1,19 1,73 1,82
7.1990-7.1993 8.1993-4.1997 Mittelwert | Stabw. Mittelwert Stabw. Differential der Nominalzinsen 0,97 0,98 0,93 0,82 3,64 1,71 4,59 1,41 -0,14 0,23 -0,22 0,19 0,97 -1,48 -1,50 0,37 1,36 2,58 1,52 1,39 1,87 -4,00 1,86 0,57 Abwelchunç en von der RZP gegenüber Deutschland 1.81 1,54 1,07 1,36 2,64 1.71 2,40 0,66 0,24 0,70 -0,16 0,81 -2,60 0,97 -0,58 1,28 0,74 -0,03 1.18 1,11 -4,22 0,91 0,02 1,00 Ländenrisikoprämie g(jgenüber Deutschland 1,94 1,77 2,18 2,02 6,81 9,04 2,92 3,16 0,44 -0,42 -0,25 0,38 -1,78 1.15 -1,75 0,48 2,79 2,50 5,03 3,08 -7,99 3,74 3,69 1,32 Währung srisikoprämie gegenüber De jtschland 1,54 -0,13 1,64 -0,66 -5,10 3,35 2,93 -6,40 0,49 1,08 0,26 0,89 0,30 2,32 2,30 0,91 -2,53 5,87 -1,97 2,66 3,77 3,44 2,84 -1,29
5.1986-4.1997 Mittelwert Stabw. 1.78 4,85 0,12 -1,22 3,09 -0,37
1.42 1,70 0,51 0,81 2,70 2,79
1,50 2,45 0,54 -1,59 0,93 -1,60
1,20 2,17 1,04 1,29 1,09 1,93
3,64 9,52 0,28 -1.27 6,23 -0,33
2,98 3,50 1,03 1,07 5,46 5,87
-2,14 -7,07 0,26 0,59 -5,30 -1,27
2,90 3,25 1,03 2,00 5,36 4,43
Kapitalverkehrsliberalisierung und Finanzmarktintegration
209
Die Entwicklung der Differentiale der Nominalzinsen in der EU scheint zunächst auf eine integrative Wirkung von Kapitalmarktliberalisierung und die Existenz von EWUErwartungen hinzudeuten. Abgesehen von Italien werden Differentiale der Nominalzinsen gegenüber Deutschland abgebaut. Dieses Ergebnis gilt allerdings auch für die amerikanischen Zinsen. 4 Die Analyse erbringt keinen signifikanten Nachweis, daß die Annäherung der Realzinsen spezifische EWU-Erwartungen reflektiert. Sowohl in EUals auch in Nicht-EU-Ländern ist eine Konvergenz der Realzinsen nachzuweisen. In Verbindung mit der Annäherung an die GZP (Abbau der Länderrisikoprämie) ist dies daher als Resultat der verstärkten Kapitalmarktintegration, nicht aber notwendigerweise als Entstehung von EWU-Beitrittserwartungen zu deuten. Von einer erfolgreichen Umsetzung der Kapitalmarktliberalisierung ist somit auszugehen. Die anhand der Durchschnittsbetrachtung geäußerte Vermutung der Ablehnung der Hypothese, daß der Abbau von Abweichungen von der Realzinsparität keine spezifische EWU-Erwartungen aufzeigt, zeigt sich auch in der Zeitreihenbetrachtung. Abbildung 1: Abweichungen der RZP zwischen EU-Ländem und Deutschland
4
Zur Untersuchung des Zusammenhanges zwischen den Zinssätzen innerhalb des EWS und gegenüber den Vereinigten Staaten vgl. die neuere Analyse von Artis/Zhang (1998). Die Autoren kommen zu dem Resultat, daß bis 1995 im wesentlichen die Zinsen kointegriert sind. Nach diesem Zeitpunkt verstärkt sich der europäische Zinszusammenhang, wohingegen sich der Zinszusammenhang gegenüber den Vereinigten Staaten auflöst.
210
Dieter Bender / Norbert Lamar
Abbildung 2: Abweichungen von der RZP zwischen Nicht-EU-Ländem und Deutschland
Jahr
Die betrachtete Gesamtperiode ist durch eine hohe Volatilität der Realzinsdifferentiale geprägt. Im Zeitablauf werden Differentiale der Realzinsen in fast allen betrachteten Ländern zunehmend abgebaut. Eine Konvergenz der Realzinsen gegenüber Deutschland ist insbesondere für Frankreich, die Niederlande und die Schweiz erkennbar. Würde dies als Vermutung über einen EWU-Beitritt gedeutet, müßte die EWU aus den Ländern Deutschland, Frankreich, Niederlande und der Schweiz gebildet werden. Betrachtet man die Zeitreihe der Realzinsdifferentiale gegenüber Italien, so wird der Abbau der Kapitalverkehrskontrollen zum Jahr 1990 hin sichtbar. Fast schlagartig baut sich das Realzinsdifferential im Zeitraum vom Ende des Jahres 1989 bis hin zur Mitte des Jahres 1990 ab. Deutlich wird insbesondere die Krise des EWS in den Jahren 1992/ 93. Nach der Erweiterung der Wechselkursbandbreiten zum 1. August 1993 werden die Differentiale der Realzinsen signifikant abgebaut. Zu beachten ist weiterhin aber auch, daß sich zum Ende der gesamten Betrachtungsperiode Trendentwicklungen in Richtung erneuter Divergenz beobachten lassen. Mit Ausnahme der Niederlande und der Schweiz vergrößern sich die Differentiale der Realzinsen im ersten Quartal des Jahres 1997. Auch bei der Betrachtung der Zeitreihen zeigt sich, daß EWU-Erwartungen kaum überzeugend aus dem isolierten RZP-Kriterium abgeleitet werden können, das RZP-Kriterium als Maß der Kapitalmarktintegration aber geeignet scheint.
Kapitalverkehrsliberalisierung und Finanzmarktintegration
211
Ein differenzierteres Bild soll mit Hilfe der oben definierten Risikoprämien gezeichnet werden. Die Niederlande und die Schweiz zeigen im historischen Vergleich nur geringe Länderrisikoprämien und geringe, allerdings leicht volatile Währungsrisikoprämien gegenüber Deutschland. Bei den übrigen Ländern sind im Zeitablauf größere Schwankungen und signifikante Abweichungen der beiden Risikoprämien von Null erkennbar. Abbildung 3: Länderrisikoprämie von EU-Ländern gegenüber Deutschland
Abbildung 4: Länderrisikoprämie von Nicht-EU-Ländern gegenüber Deutschland
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Abbildung 5: Währungsrisikoprämie von EU-Ländern gegenüber Deutschland
Abbildung 6: Währungsrisikoprämie von Nicht-EU-Ländern gegenüber Deutschland
Für Frankreich ist seit 1995 ein Abbau sowohl der Länderrisikoprämie als auch der Währungsrisikoprämie beobachtbar. Somit besteht Frankreich Integrations- und Konvergenztest. Eine vergleichbare Diagnose ist für Italien seit 1996 zu stellen. Die italienische Lira ist im Vergleich zum französischen Franc immer noch mit insgesamt hohen
Kapitalverkehrsliberalisierung und Finanzmarktintegration
213
Risikoprämien behaftet. Der Konvergenzprozeß ist aber bezüglich beider betrachteter Risikoprämien signifikant. Für die jüngere Vergangenheit besteht auch Italien den Konvergenz- und Integrationstest. Dies würde bedeuten, daß die Finanzmärkte zum Ende des Beobachtungszeitraumes einen EWU-Beitritt Italiens zum erstmöglichen Termin erwarten. Allerdings zeigt die alleinige Analyse der Realzinsparität zwischen Italien und Deutschland keine EWU-Erwartungen. Trotz der Liberalisierung des europäischen Kapitalverkehrs bestehen (nach einer anfänglichen Phase weitgehender Realzinsangleichung im Zeitraum 1990 - 1992) seit Anfang der 90er Jahre Realzinsdifferentiale, die sich zum Ende der Analyseperiode zunehmend ausweiten. Für Frankreich ist demgegenüber Konvergenz auch am RZP-Kriterium erkennbar. Die Analyseergebnisse für die Niederlande und die Schweiz erscheinen nicht überraschend. Deutschland und die Niederlande bilden eine De-facto-Währungsunion. Die vorliegenden Daten bestätigen dies. Die Resultate für Deutschland und die Schweiz folgen aus der vergleichbaren Geldpolitik der Zentralnotenbanken beider Länder. 5 Die Erfüllung sämtlicher Kriterien des durchgeführten Konvergenztests durch Frankreich reflektiert sowohl die fortgeschrittene Kapitalmarktintegration als auch EWU-Erwartungen der Finanzmarktakteure. Der Beitritt Frankreichs zum Starttermin der EWU wurde politisch und nach der vorliegenden Analyse wohl auch von den Finanzmärkten als notwendige Bedingung angesehen und ebenso erwartet. Im Vergleich der Berechnungen und der Zeitreihenbetrachtung bestätigt sich die oben formulierte Vermutung einer möglichen Kompensation von Länderrisikoprämie und Währungsrisikoprämie. Deutlich wird dies insbesondere für das britische Pfund gegenüber der DM. Die ermittelten Daten zeigen für die Teilperioden die gegenseitige Kompensation der Risikoprämien, die eine Annäherung an die Realzinsparität erzeugt. Großbritannien erfüllt damit das RZP-Kriterium, besteht Konvergenz- und Integrationstest im Hinblick auf den EWU-Eintritt aber nicht. Damit kann die formulierte Hypothese, daß eine Analyse der Konvergenz der Realzinsen nicht zum Nachweis von EWU-Erwartungen ausreichend ist, nicht abgelehnt werden. Erst die Aufspaltung in die einzelnen Risikoprämien ermöglicht somit erfolgversprechende empirische Analysen der Kapitalmarktintegration und EWU-Eintrittshypothesen.
5
Zu diesem Ergebnis kommen auch Moosa / Bhatti (1996), im Rahmen einer Schätzung der Gültigkeit der RZP innerhalb des EWS.
214
5.
Dieter Bender / Norbert Lamar
Schlußbetrachtung Mit der Aufhebung sämtlicher noch bestehenden intraeuropäischen Kapitalverkehrs-
kontrollen im Jahr 1990 wurde ein entscheidender Schritt in Richtung einer zukünftigen Europäischen Währungsunion getan. Dies wirft die Frage auf, ob eine Konvergenz der Zinssätze innerhalb der EU beobachtbar ist und ob dieses gegebenenfalls sowohl die Kapitalmarktintegration als auch EWU-Erwartungen widergespiegelt hat. Die vorliegende Studie formuliert auf theoretischer Basis die Hypothese, daß zur Bestimmung einer vertieften Kapitalmarktintegration und zugleich existierender EWUErwartungen eine Analyse der Realzinsparität nicht ausreichend ist. Erst die Aufspaltung der Realzinsparität in zwei Einzelkomponenten, eine Länderrisikoprämie und eine Währungsrisikoprämie, ermöglicht differenziertere Aussagen. Die Analyse erbringt das Resultat, daß einzelne Länder immer noch durch das Vorliegen von Länderrisiko- und/ oder Währungsrisikoprämien gekennzeichnet sind, was nicht direkt in der Entwicklung der Realzinsdifferentiale erkennbar ist. Die Annäherung an die Realzinsparität als Indikator für die Erwartung des Eintritts eines Landes in die zukünftige EWU muß demnach als Hypothese abgelehnt werden. Die aufgezeigten Überlegungen und erarbeiteten Hypothesen sind in ökonometrischen Tests zu prüfen. Weitere ökonometrische Tests werden den Aussagegehalt der aufgestellten Hypothesen vertiefend zu prüfen und deren Nicht-Ablehnung zu testen haben. Auf dieser Grundlage sind dann ergänzende Aussagen bezüglich der Erwartungen der Finanzmärkte über den EWU-Beitritt einzelner Länder ableitbar. Dies ist nicht nur für den bereits politisch entschiedenen Prozeß der Bestimmung der EWU-Gründungsmitglieder entscheidend, sondern auch fiir Überlegungen zur Erweiterung der EWU in näherer Zukunft.
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Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft • Band 58 • Stuttgart
1999
Europäische Währungsunion: Europa als optimaler Währungsraum? Theresia
Theurl
1. Problemstellung und Einordnung
218
2. Abgrenzungen und Konkretisierungen
222
3. Der Analyserahmen der Theorie optimaler Währungsgebiete
225
3.1.
Historische Merkmale der Mitglieder als Voraussetzungen für die Optimalität eines Währungsraumes
227
3.1.1.
Vergangenheitsbestimmte strukturelle Merkmale
228
3.1.2.
Vergangenheitsbestimmte wirtschaftspolitische Merkmale
230
3.2.
Zukunftsorientierte Merkmale als Kriterien für die Optimalität von Währungsgebieten: Schafft sich die Währungsunion ihre Voraussetzungen?
3.2.1.
3.2.2.
231
Gemeinsame geldwertorientierte monetäre Ordnung: Die neue Theorie der monetären Integration
232
Endogenisierung von Anpassungsbedarf und Anpassungsmöglichkeiten
235
4. Empirische Studien zur Optimalität des Währungsraumes Europa
236
5. Europäische Währungsunion der Elf: Optimalität eines politisch abgegrenzten Währungsgebietes
239
Literatur
242
218
1.
Theresia Theurl
Problemstellung und Einordnung Bereits 1848 bezeichnete es John Stuart Mill als Barbarei, daß zivilisierte Nationen
eine eigene Währung beibehalten würden. Sie würden dies mit ihrer eigenen Unbequemlichkeit und mit der ihrer Handelspartner bezahlen.1 Bereits Mill betonte damit einen Trade-Off zwischen der ökonomischen Dimension der Transaktionskostensenkung und der Währung als politischer Kategorie, nämlich als Ausdruck und Zeichen staatlicher Souveränität. Auch heute kann es noch als empirische Regelmäßigkeit eingeschätzt werden, daß sich die Grenzen von Staats- und Währungsgebieten decken: Ein Staat - Eine Währung. Nur wenige Ausnahmen, die jedoch Sonderfälle darstellen, lassen sich finden. So dient dem Vatikan die italienische Währung als gesetzliches Zahlungsmittel, während in Liechtenstein der Schweizer Franken Verwendung findet und die spanische Währung die Landeswährung Andorras ist. Wenn die Übereinstimmung der politischen und monetären Grenzen gewünscht ist,2 die Grenzen des Emissions- und Annahmegebietes der Währung und der Gültigkeitsbereich der monetären Politik daher politisch determiniert sind, verliert die Fragestellung nach der Abgrenzung eines optimalen Währungsraumes viel von ihrer Relevanz. Überlegungen über ein optimales Währungsgebiet sind dann jedoch geeignet, Informationen über die Kosten der politischen Abgrenzung des Währungsgebietes zu liefern. Integrationspolitische Konsequenzen sind jedoch nicht zu erwarten. Es ist davon auszugehen, daß historische Zufälle und politische Faktoren Währungsgemeinschaften abgrenzen und formen. Dies gilt auch dann, wenn ein übernationales Integrationsgebiet politisch vorgeformt ist. Der Wille der Vertragspartner zu monetärer Integration bestimmt dann auch eine nicht näher spezifizierte Optimalität des gewählten Integrationsraumes (Mintz 1970), deren Inhalte durch ein isoliertes ökonomisches Kalkül nicht festzumachen sind. Die Frage nach der Bildung eines optimalen Währungsgebietes abstrahiert hingegen von vorgegebenen Grenzen. Solche sollen vielmehr Ergebnis einer Abwägung relevanter ökonomischer Faktoren sein. Optimale Währungsgebiete werden sich daher nur in
"So much of barbarism, however, still remains in the transactions of most civilised nations, that almost all independent countries choose to assert their nationality by having, to their own inconvenience and that of their neighbours, a peculiar currency of their own." (Mill 1848, S. 176). 2
Dafür werden unterschiedliche nicht-ökonomische Gründe angeführt. Vgl. dazu Theurl (1992).
Europa als optimaler
Währungsraum?
219
Ausnahmefällen mit Staatsgebieten decken. Sie sind sowohl staatenübergreifend als auch staatenteilend. Dabei ist festzuhalten, daß • die existierende politische Abgrenzung die Ausprägung der währungsraumdeterminierenden Faktoren beeinflussen kann (Regulierungsraum, Raum für die nationale Makropolitik, Kosten einer Renationalisierung der Währung) und • ein auf der Basis von ökonomischen Optimalitätskriterien gewähltes monetäres Integrationsgebiet eine Vorgabe für die folgende politische Integration darstellen kann 3 und • ein optimaler Währungsraum nur ein Element eines optimalen Integrationsraumes ist, wobei sich optimale Allokations- und Verteilungsräume nach anderen Kriterien abgrenzen lassen.4 Ein Zusammenhang zwischen der Frage, ob Europa einen optimalen Währungsraum bildet und dem Generalthema - Finanzmärkte - besteht in mehrfacher Hinsicht: 1. Die Frage nach der Optimalität eines Währungsraumes Europa gewinnt durch die Entscheidung für eine gemeinsame Währung der Europäischen Union Aktualität. Die monetäre Vereinheitlichung ist mit einer gemeinsamen Geldpolitik für einen größeren Raum verbunden. Eine gemeinsame monetäre Politik wird über einen gemeinsamen Geldmarkt umgesetzt werden. Vielfältige Interdependenzen zwischen den monetären Märkten einer Volkswirtschaft bewirken, daß die Integration der europäischen Geldmärkte Auswirkungen auf die restlichen Segmente nach sich ziehen wird.
3
Hier ist einer der Zusammenhänge zwischen monetärer und politischer Integration angesiedelt. Er besteht darin, daß ökonomische Sachzwänge, die durch die Bildung einer Währungsunion ausgelöst werden, die Vereinbarung einer Politischen Union rational machen können.
4
Dabei kann die Optionalität von Allokationsräumen durch die Abwägung von Größenvorteilen und Homogenität von Präferenzen festgestellt werden. Für die Abgrenzung optimaler Verteilungsräume haben Überlegungen über Solidarität und Organisierbarkeit effektiver Verteilungsregime angestellt zu werden. Da die Deckungsgleichheit funktional abgegrenzter optimaler Integrationsräume nicht gesichert ist, gewinnen die Möglichkeiten und die Akzeptanz flexibler Integrationsformen an Bedeutung. Solche fanden bislang kaum Eingang in verwirklichten Integrationskonfigurationen, welche die Tiefe der Europäischen Union erreicht haben. Es ist auch theoretisch nicht ausgelotet, inwieweit es ökonomische Zusammenhänge zulassen, daß die Integrationsgebiete für einzelne Funktionen isoliert optimiert werden können. Vgl. dazu Dewatripont et al. (1995) sowie Straubhaar (1993).
220
Theresia Theurl
2. Die Transmission der Effekte monetärer Politik in die Realwirtschaft erfolgt über die Finanzmärkte. Die Konsequenzen des monetären Regimewechsels für die einzelnen Mitglieder sind unter anderem von der Ausgestaltung der nationalen Finanzmärkte abhängig. Eine einheitliche monetäre Politik für den gemeinsamen Währungsraum wird sich in ihren Effekten für die einzelnen Mitgliedsländer in Intensität und zeitlicher Verteilung unterscheiden. Unterschiede in den Finanzmarktinstitutionen und -traditionen führen zu divergenten Auswirkungen, die großteils über die Reaktionsgeschwindigkeit und -intensität der Kredit- und Einlagenzinssätze auf eine Veränderung der Geldmarktsätze wirken. Zum Tragen kommen dabei jene strukturellen Parameter, die die Reaktionen von Wirtschaftssubjekten auf monetäre Impulse beeinflussen. An relevanten Kanälen sind der generelle Entwicklungsstand der Finanzmärkte, die Eigentümerverhältnisse und Wettbewerbsverhältnisse im Bankensystem, Finanzmarktregulierungen, Privatvermögensstrukturen, Besonderheiten der Unternehmensfinanzierung, Fristigkeitsmerkmale sowie tradierte Finanzierungs- und Anlagemuster zu nennen. Cotarelli / Kourelis (1994) zeigen nicht nur einen engen Zusammenhang zwischen Finanzmarktstrukturen und der Reaktionsintensität und -geschwindigkeit von Zinssätzen auf, sondern weisen diesbezüglich ausgeprägte Divergenzen zwischen Volkswirtschaften nach. Ramaswamy / Sloek (1997) präsentierten eine Untersuchung, nach der sich die Wirkungen einer kontraktiven monetären Politik in der Ländergruppe Deutschland, Österreich, Niederlande, Belgien, Finnland und Großbritannien in doppelter Stärke, aber erst deutlich später niederschlagen als in Italien, Portugal, Spanien, Frankreich, Schweden und Dänemark. 5 Dabei ist zu beachten, daß die Finanzmarktstrukturen und -institutionen Eigenschaften der Volkswirtschaften widerspiegeln. So förderten hohe Inflationsraten in der Vergangenheit die Herausbildung von kurzfristigen sowie indexierten Finanzinstrumenten (z.B. Großbritannien, Italien). Die Ausgestaltung der nationalen Finanzmärkte wird in Konsequenz die Optimalität eines Währungsraumes mitbestimmen, wenn dies auch in Theorie und Politik nicht im Mittelpunkt steht. Wie später gezeigt wird, können im Rahmen der Theorie der optimalen Währungsgebiete aus dem Tatbestand divergenter Finanzmarktstrukturen konkurrierende integrationspolitische Empfehlungen abgeleitet werden. 6
5
Vgl. zu den Unterschieden in relevanten strukturellen Finanzmarktmerkmalen auch Borio (1997).
6
Im Argumentationsrahmen der traditionellen Theorie der optimalen Währungsgebiete würde ein optimales Währungsgebiet Mitglieder mit ähnlichen Finanzmarktstrukturen voraussetzen. Im Rahmen der neuen Theorie der monetären Integration hingegen folgt dem Re-
Europa als optimaler Währungsraum?
221
3. Die zunehmende Integration der Finanzmärkte schränkt die Effektivität nationaler monetärer Politik, aber auch anderer Instrumente der Makropolitik ein und stellt hohe Anforderungen an die Aufrechterhaltung von Festkurssystemen und Wechselkurszielzonen. Wenn die Glaubwürdigkeit solcher monetärer Integrationsarrangements nicht sichergestellt werden kann, wird häufig die Forderung nach einer Währungsunion erhoben {Giavazzi / Giovannini 1989; De Grauwe 1997). Diese Forderung kann jedoch nicht losgelöst von der Glaubwürdigkeit einer Währungsunion erhoben werden. Daraus folgt, daß die Abgrenzung eines optimalen Währungsgebietes Aspekte der Glaubwürdigkeit der monetären Integrationsarrangements sowie des Regimewechsels mitzuberücksichtigen hat. 4. Mobiles Kapital ist unter bestimmten Voraussetzungen in der Lage, als Substitut für Veränderungen des nominellen Wechselkurses zu dienen. Daraus kann als eine Orientierungsgröße für die Abgrenzung eines optimalen Währungsgebietes jenes Gebiet dienen, das sich durch Kapitalmobilität auszeichnet oder - allgemeiner - für das Kapitalmarktintegration angenommen werden kann (Ingram 1973; Scitovsky 1967; Bofmger 1994).7 5. Die eingeschränkte Funktionsfähigkeit einer monetären Union, die auf einem nicht optimalen Währungsgebiet errichtet wurde, kann nicht nur zu Friktionen auf den Finanzmärkten der Union fuhren. Ist die Dimension der Finanzmarktintegration eine globale, ist von Kapitalabflüssen aus der Union und mit den damit verbundenen Wirkungen auf den Außenwert der Unionswährung auszugehen. Im weiteren sind zunächst einige Abgrenzungen vorzunehmen, bevor jene Kriterien dargestellt werden, die zur Operationalisierung der ökonomischen Optimalität eines Währungsgebietes herangezogen werden. Es wird aufgezeigt, daß auf der Basis vergangenheits- und zukunftsorientierter Merkmale ein unterschiedliches Anpassungsverhalten der privaten Wirtschaftssubjekte und der wirtschaftspolitischen Träger im monetä-
gimewechsel mit der Schaffung neuer Anreizstrukturen eine Veränderung von Erwartungen und Verhaltensweisen, die zu einer sukzessiven Angleichung der Finanzmarktstrukturen fuhrt. Kann in einer Währungsunion, die hinreichende Glaubwürdigkeit besitzt, eine inflationsfreie Umwelt erwartet werden, ist die Herausbildung längerfristiger Finanzierungs- und Anlageinstrumente wahrscheinlich. '
Kapitalmobilität und Finanzmarktintegration ermöglichen dabei die Finanzierung von Zahlungsbilanzungleichgewichten, während sie nicht zur Anpassung von ungleichgewichtsfördernden Tatbeständen zwingen.
Theresia Theurl
222
ren Integrationsprozeß unterstellt wird. Aus diesem werden weitreichende integrationspolitische Schlußfolgerungen abgeleitet. Die Theorie der optimalen Währungsgebiete bietet daher keine eindeutige Antwort auf die Frage, ob Europa einen optimalen Währungsraum darstellt. Dies gilt auch für die empirische Evidenz. Abschließend werden einige Tatbestände aufgezeigt, die die Funktionsfähigkeit einer "politisch abgegrenzten Europäischen Währungsunion" beeinträchtigen können.
2.
Abgrenzungen und Konkretisierungen Europäische Währungsunion, Europa und die Optimalität eines Währungsraumes
haben eingangs weiter konkretisiert zu werden. Europa in der hier vorgegebenen Fragestellung kann nicht geografisch verstanden werden, sondern wird im weiteren als das politisch vorgegebene und institutionell ausgeformte Integrationsgebiet der Europäischen Union mit den gegenwärtigen Mitgliedern abgegrenzt. Es hat jedoch bereits die zu erwartende Erweiterung zumindest um jene sechs Beitrittsbewerber berücksichtigt zu werden, mit denen der Beginn der Beitritts Verhandlungen begonnen hat. Als Europäische Währungsunion hat jenes monetäre Integrationsarrangement zu gelten, das auf der Basis des Vertrags von Maastricht zur Zeit im Entstehen ist, 1999 in die dritte Stufe übergehet und 2002 vollendet sein soll. Die Abgrenzung des Gebietes der Europäischen Währungsunion wurde nicht ökonomisch begründet. Die Konkretisierung der Konvergenzkriterien als Eintrittsbedingungen ist dabei weder notwendig noch hinreichend für die Optimalität des EU-Währungsraumes. Sie haben sich zudem als nicht bindend und nicht selektiv herausgestellt. Zumindest für einen Übergangszeitraum werden sich die Grenzen des Integrationsgebietes der Europäischen Union nicht mit den Grenzen des gemeinsamen Währungsgebietes decken. Unterschiedliche Wechselkursregime werden dabei innerhalb der Europäischen Union praktiziert werden (EWS II mit formeller EURO-Bindung, informelle und einseitige EURO-Bindung von Beitrittsbewerbern sowie flexible Wechselkurse).
Europa als optimaler
Währungsraum?
223
Weniger eindeutig läßt sich der Inhalt der Optimalität eines Währungsraumes 8 anhand von ökonomischen Kriterien konkretisieren. In Anbetracht unterschiedlicher Definitionen und wirtschaftstheoretischer Paradigmen, in denen diese Frage analysiert wurde, wird ein gewisser Pragmatismus angebracht sein. Ausgehend von der Theorie optimaler Wechselkursregime für eine Ökonomie, kann ein optimales Währungsgebiet zuerst als eine Kombination von Regimen festgemacht werden. Die Festlegung eines gemeinsamen Währungsgebietes grenzt ein und grenzt gleichzeitig aus. Monetär optimal ist ein Gebiet dann, wenn in ihm eine gemeinsame Währung (oder ein Festkurssystem) und nach außen ein System flexibler Wechselkurse die optimale Anpassung ermöglicht. Damit ist die Abgrenzungsfrage auf eine andere Ebene verlagert. Unter einer optimalen Anpassung wurden im keynesianischen Paradigma sowie in dem der neoklassischen Synthese, die den Rahmen für die ersten Arbeiten auf dem Gebiet boten, die gleichzeitige Verwirklichung des internen und des externen Gleichgewichts verstanden, also Vollbeschäftigung, Geldwertstabilität und Zahlungsbilanzgleichgewicht. Daneben wurde die optimale Anpassung als Schockabsorptionsfähigkeit des Währungsgebietes operationalisiert9. In der modernen Theorie der monetären Integration wird die optimale Abgrenzung des einheitlichen Währungsgebietes schließlich an einem Überhang der Vorteile aus der Zunahme der Mikroeffizienz über die Nachteile aus der Abnahme der Makroflexibilität konkretisiert (De Grauwe 1995a, 1997). Diesen Operationalisierungen ist gemeinsam, daß über die Abwägung und Zusammenfassung unterschiedlicher Konsequenzen der monetären Integration Nettowohlfahrtsänderungen festgestellt werden sollen. Eine notwendige Bedingung für die Optimalität eines Währungsgebietes besteht darin, daß eine gemeinsame Währung mit allen damit verbundenen Konsequenzen einen Nettowohlfahrtsgewinn für die Gesamtheit der
8
Da es im weiteren um die Europäische Währungsunion geht, wird implizit von einer gemeinsamen Währung ausgegangen. Auf die Unterschiede zwischen einer solchen echten Währungsunion und einem System mit irreversibel fixierten Wechselkursen soll an dieser Stelle nur hingewiesen werden. Sie bestehen in der Höhe der Transaktionskosten, der Existenz eines Wechselkursrisikos, einem Unterschied in der Glaubwürdigkeit der Arrangements und in der Symbolwirkung einer gemeinsamen Währung.
9
Vgl. Tower / Willett (1976) und Ishiyama (1975) als Überblicksartikel, in denen diese Konkretisierung sehr deutlich zum Ausdruck kommt.
224
Theresia Theurl
Mitglieder bedeutet. 10 Verallgemeinert geht es bei der Feststellung der Veränderung der Wohlfahrtsposition um die Abwägung von Effizienzgewinnen (Senkung von Transaktionskosten, Verringerung von Unsicherheit, Intensivierung von Wettbewerb, Wachstumseffekte), die eine abnehmende Funktion der Größe eines Währungsgebietes sind, und von wirtschaftspolitischen Anpassungskosten, die (in Abhängigkeit vom Ausmaß der Heterogenität der Mitglieder sowie der Existenz von Anpassungsmechanismen) mit der Anzahl der Mitglieder tendentiell zunehmen. Besonders transparent wird diese Abwägung in empirischen Untersuchungen, in denen versucht wird, die Kosten direkt zu schätzen, ohne auf die Operationalisierung der Optimalität durch bestimmte Kriterien zurückzugreifen. Abbildung 1: Optimale Währungsclubgröße
Theoretische Basis solcher Studien ist die ökonomische Theorie des Clubs. Grenzkosten und -vorteile für die Gemeinschaft durch den Beitritt von jeweils einem weiteren Mitglied werden abgeschätzt. Nie bildt die Gesamtheit der Mitglieder der Europäischen Union ein so abgegrenztes optimales Währungsgebiet (Ghosh / Wolf 1994; Menkhoff / Seil 1991; Seil 1996)."
10
Im Rahmen der Theorie der optimalen Währungsgebiete wird implizit eine Wohlfahrtsfunktion für die Gesamtheit der Mitglieder unterstellt. Es kann nicht abgeleitet werden, ob es für ein potentielles Mitglied vorteilhaft ist, sich einem gemeinsamen Währungsgebiet anzuschließen. Vgl. dazu auch Melitz (1995).
" In diesen Arbeiten werden die Anzahl der Mitglieder und das "Clubgut" in Form der gemeinsamen Inflationsrate (damit die wirtschaftspolitischen Anpassungskosten) simultan bestimmt. Die Transaktionskostensenkung wird meist über die Intensität der Außenhandelsverflechtungen der potentiellen Mitglieder oder durch den Offenheitsgrad der Ökonomien
Europa als optimaler
3.
Währungsraum?
225
Der Analyserahmen der Theorie optimaler Währungsgebiete Die Schaffung eines einheitlichen Währungsgebietes durch die Beseitigung von na-
tionalen Währungen bedeutet - losgelöst von der konkreten Ausgestaltung und neben dem Verlust einer national einsetzbaren monetären Politik - unmittelbar den Verzicht auf die Veränderung des nominalen Wechselkurses, und damit auf seine Informationsund Anpassungsfunktion. Dabei geht es - beim Vorliegen von Verzerrungen und Rigiditäten auf den Güter- und Faktormärkten - immer um die tatsächliche oder um die vermutete Anpassungskapazität in der kurzen Frist. Der Inhalt des langfristigen Gleichgewichts ist unabhängig vom Wechselkursregime. Die Kosten dieses Verzichts sind dann gering zu veranschlagen (z.B. Ricci 1997), wenn mit Wechselkursänderungen keine Wirkungen zu erzielen sind. Dies gilt beim Vorliegen von Wechselkursillusion oder wenn nominale Wechselkursänderungen durch heimische Preisänderungen vollständig neutralisiert werden. Dies gilt ebenso, wenn ein Anpassungsbedarf nicht entsteht, weil relative Preisänderungen nicht erforderlich sind (konvergente Ökonomien, Fehlen asymmetrischer Schocks, ähnliche wirtschaftspolitische Präferenzen), und wenn alternative Mechanismen existieren bzw. wenn diese geringere Kosten verursachen als Wechselkursanpassungen. Damit ist auch der Analyserahmen der Theorie optimaler Währungsgebiete vorgegeben, der durch Anpassungsbedarf und Anpassungsmöglichkeiten innerhalb des gemeinsamen Währungsgebietes bestimmt wird. Anpassungsbedarf und Anpassungsmöglichkeiten bestimmen sich im Zusammenwirken von Schocks (Art, Verteilung und Intensität), Merkmalen der Mitgliederökonomien (Offenheitsgrad, Produktions- und Außenhandelsdiversifizierung, Portfoliodiversifizierung, institutionelle Diversifizierung) und der Existenz von Anpassungsmechanismen. Letztere sind in der Flexibilität von Güter- und Faktorpreisen, in Mengenanpassungen auf Güter- und Faktormärkten sowie in fiskalischen Instrumenten (autonome Finanzpolitik der Mitglieder, diskretionär vereinbarte oder institutionalisierte Finanzausgleichsregelungen) vorhanden. Die Verteilung der einzelwirtschaftlichen Kosten auf unterschiedliche Gruppen von Wirtschaftssubjekten differiert bei den Mechanismen. Die Notwendigkeit der Aktivierung von Anpassungsmechanismen hängt von Merkmalen der Mitgliederökonomien ab. Letztere haben auch einen Einfluß darauf, ob und mit welcher Häufigkeit asymmetri-
angenähert.
226
Theresia Theurl
sehe Schocks auftreten und ob gemeinsame Schocks asymmetrische Wirkungen provozieren. Im weiteren werden die beiden Ausprägungen der Theorie optimaler Währungsgebiete skizziert. Beiden ist dieser Analyserahmen und die Operationalisierung der Zustandsvariablen der Ökonomien sowie der Anpassungsmechanismen gemeinsam. Sie unterschieden sich jedoch grundlegend • in der Einschätzung, ob für die Abgrenzung eines optimalen Währungsgebietes Zustandsmerkmale der Mitgliederökonomien und Anpassungsmechanismen ex ante vorliegen müssen oder ihre Herausbildung nach dem Regimewechsel erwartet werden kann, daher • in der erwartungs- und verhaltensdeterminierenden Kraft des monetären Regimewechsels und daraus folgend • ob das monetäre Integrationsarrangement als endogene oder als exogene Variable verwendet wird.
Abbildung 2: Merkmale zur Abgrenzung optimaler Währungsgebiete
Europa als optimaler Währungsraum?
3.1.
227
Historische Merkmale der Mitglieder als Voraussetzungen für die Optimalität eines Währungsraumes
Die sogenannte ältere Theorie der monetären Integration oder die traditionelle Theorie der optimalen Währungsgebiete stellt kein geschlossenes Theoriegebäude dar.12 Sie besteht vielmehr aus einem Katalog von Kriterien, zu dem - ausgehend von Mundelh Pionierarbeit (Mundeil 1961) - Ökonomen auch aus unterschiedlichen Modellzusammenhängen argumentierend beigetragen haben. Das Verbindende besteht darin, daß • die Optimalität eines Währungsraumes durch einzelne Kriterien operationalisiert und damit einer empirischen Überprüfung zugänglich gemacht werden soll; • die Optimalität eines Währungsraumes vergangenheitsdeterminiert ist, die Ausprägung der Erfolgsfaktoren damit ex ante gesichert erscheint; • ausschließlich qualitative Operationalisierungen erfolgen, notwendige oder hinreichende quantitative Unter- oder Obergrenzen für die einzelnen Kriterien hingegen fehlen. Funktionsfähige Währungsunionen (Politische Unionen) werden statt dessen zum Referenzsystem. Aus ihnen werden die Mindestbedingungen für Optimalität abgeleitet; • die Mikrovorteile eines gemeinsamen Geldes nicht explizit berücksichtigt werden, während das Auftreten von Anpassungskosten durch den Verlust von bisher national eingesetzten Instrumenten und Wechselkurssubstituten in den Vordergrund gestellt werden; • mögliche Verhaltensänderungen und deren Konsequenzen durch den monetären Regimewechsel nicht berücksichtigt werden und • die inneren Zusammenhänge zwischen den einzelnen Optimalitätskriterien nicht überprüft werden.
12
So fordert Melitz die Formulierung eines allgemeinen Theorierahmens, in dem die Frage der Optimalität eines gemeinsamen Währungsgebietes analysiert werden kann, auch wenn daraus unterschiedliche integrationspolitische Schlußfolgerungen abgeleitet werden können. Im einzelnen kritisiert er die fehlende Spezifizierung der relevanten Wohlfahrtsfunktion, die beliebige Argumentation im Zwei-Länder- oder Drei-Länder-Modell, die mangelhafte Berücksichtigung der monetären Politik sowie der wechselkursbedingten Veränderungen von Handelsstrukturen. Vgl. Melitz (1995)
Theresia Theurl
228
Als Kriteriengruppen können einerseits strukturelle Merkmale und andererseits wirtschaftspolitische Gegebenheiten isoliert werden. Beide gewinnen vor allem beim Auftreten von (asymmetrischen) Schocks Relevanz.
3.1.1.
Vergangenheitsbestimmte strukturelle Merkmale
Die strukturellen Merkmale als Optimalitätskriterien fallen einerseits in die Kategorie Zustandsmerkmale der Ökonomien und andererseits unter die Anpassungsmechanismen. Konkret sind es die Flexibilität von Güter- und Faktorpreisen (z.B. Friedman 1953), der Stand der Gütermarktintegration (Kenen 1969), die Mobilität der Produktionsfaktoren, 13 die Offenheit der Volkswirtschaften (McKinnon 1963) und die Produktdiversifikation (Kenen 1969). Dazu dient auch in der traditionellen Theorie optimaler Währungsgebiete das Auftreten und die Größenordnung asymmetrischer Schocks sowie eine divergente Reaktion auf symmetrische Schocks als eigenständiges Optimalitätskriterium für die Abgrenzung von Währungsgebieten (Tower / Willett 1976). Flexible heimische Güter- und Faktorpreise sind dabei hinreichend, um die notwendige Anpassung relativer Preise nach dem Auftreten eines asymmetrischen Schocks zu bewerkstelligen. Eine fortgeschrittene Gütermarktintegration wird als Begründung für das Auftreten von symmetrischen (anstelle von asymmetrischen) Schocks angeführt (Commission of the European Communities 1990). Dagegen können Argumente vorgebracht werden, die auf die länderspezifische Spezialisierung innerhalb eines integrierten Wirtschaftsraumes abstellen. Den Ansätzen von Mundeil, McKinnon und Kenen ist gemeinsam, daß sich mikroökonomische Schocks auf die Angebots- und/oder Nachfragefunktion einzelner Sektoren auswirken. Die geografische Mobilität des Produktionsfaktors Arbeit (und/oder Kapital) ist dabei geeignet, im Falle von länderspezifischen Nachfrageschocks den nominalen Wechselkurs zu ersetzen. Ein optimales Währungsgebiet zeichnet sich in diesem Rahmen durch einen hohen Grad an Faktormobilität aus, während die Mobilität über dieses Gebiet hinaus begrenzt ist. Es wird dabei von den einzelwirtschaftlichen Kosten der Migration abgesehen. Die Mobilität des Faktors Arbeit (meist in Relation zu amerikanischen Verhältnissen) wird übereinstimmend als nicht hinreichend angesehen,
13
Vgl. Mundeil (1961) für die Mobilität des Faktors Arbeit sowie Ingram (1973) und Scitovsky (1967) für die Mobilität des Faktors Kapital.
Europa als optimaler Währungsraum?
229
um in der Europäischen Währungsunion die Anpassung an asymmetrische Schocks zu erreichen (De Grauwe / Vanhaverbeke 1993; Eichengreen 1990, 1993). Kapitalmobilität erlaubt die Finanzierung einer Lücke zwischen heimischen Ersparnissen und Investitionen. In der Europäischen Union ist der Kapitalverkehr grundsätzlich unrestringiert. Es hat jedoch bedacht zu werden, daß der Zufluß des erwünschten langfristigen Kapitals nicht losgelöst von den Standortfaktoren im Empfängerland erfolgt. Insbesondere die Infrastruktur ist eine wesentliche Einflußgröße. Zudem wird die internationale Vermögensposition des Empfängerlandes negativ verändert, während der Druck zu strukturellen Anpassungen gemildert und entsprechende Maßnahmen in die Zukunft verschoben werden können. Ein weiteres strukturelles Kriterium ist der Offenheitsgrad einer Volkswirtschaft. In offenen (und damit meist kleinen) Volkswirtschaften wird das Inlandspreisniveau durch die Entwicklung der Preise der handelbaren Güter bestimmt. Durch einen Nachfrageschock ausgelöste Wechselkursänderungen schlagen auf das Inlandspreisniveau durch und wirken sich über die Lohnpolitik auf die Faktor- und Gütermärkte des Inlandes aus. Offene Volkswirtschaften sind daher nach McKinnon geeignete Kandidaten für ein gemeinsames Währungsgebiet, während relativ geschlossene (und damit meist große) Ökonomien (mit einem großen Binnenmarkt) ein Regime flexibler Wechselkurse einrichten sollten. Mit dieser Regimekombination können realwirtschaftliche und außenwirtschaftliche Ziele erreicht werden, ohne Abstriche bei der Preisniveauzielsetzung hinnehmen zu müssen. Ist das Integrationsgebiet politisch vorgegeben, hat sich die empirische Feststellung des Offenheitsgrades auf dieses Gebiet zu beziehen. Die europäischen Volkswirtschaften zeichnen sich durch unterschiedlich hohe und zunehmende Offenheitsgrade aus. Werden darüber hinausgehend Handelsintensitäten berücksichtigt, spaltet sich die Europäische Union in einen nordischen Block, einen Südblock, einen Westblock sowie einen zentraleuropäischen Block (Tichy 1994, S. 13f.). Im Falle der Europäischen Währungsunion können bei Akzeptanz dieses Kriteriums Schlußfolgerungen für das Wechselkursregime der gemeinsamen Währung gegenüber den anderen Währungsblöcken gezogen werden. Mit einem zunehmenden Offenheitsgrad kann eine stärkere Belastung durch exogene Schocks verbunden sein (Ricci 1997, S. 33) - eine Entwicklung, die geeignet ist, dieses Optimalitätskriterium zu relativieren.
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Schließlich besitzen Länder mit diversifizierten ökonomischen Strukturen 14 geeignete Voraussetzungen, um ein optimales Währungsgebiet zu begründen. Industrie- und sektorspezifische Nachfrageschocks belasten erstens nur ein Segment der Ökonomie und treffen zweitens immer mehrere Mitglieder. Der Anpassungsbedarf relativer Preise zwischen Mitgliedsländern bleibt also gering. Von Schocks getroffene spezialisierte Ökonomien benötigen hingegen reale Wechselkursanpassungen. Als ein Indikator für den Diversifizierungsgrad kann der Anteil des intraindustriellen Handels am gesamten Handelsvolumen herangezogen werden. In der Europäischen Union lassen sich diesbezüglich drei Mitgliedergruppen unterscheiden. Einen hohen Anteil weisen Belgien, Luxemburg, Deutschland, Niederlande, Frankreich und Großbritannien aus, während nach einem Mittelfeld - Dänemark, Irland, Italien und Spanien - noch Griechenland und Portugal rangieren. Bayoumi (1994) entwickelte auf der Basis eines allgemeinen Gleichgewichtsansatzes mit regional differenzierten Gütern und nominellen Lohnrigiditäten das Modell eines optimalen Währungsgebietes, indem er gleichzeitig mehrere Kriterien - Arbeitsmobilität, Offenheitsgrad, Produktdiversifikation - berücksichtigt. Als wesentliche Ergebnisse werden die Bedeutung der Arbeitskräftemobilität, der Intensität des Intra-EU-Handels sowie der Intensität von asymmetrischen Schocks hervorgehoben.
3.1.2.
Vergangenheitsbestimmte wirtschaftspolitische Merkmale
Weitere Optimalitätskriterien, die aus der traditionellen Theorie der optimalen Währungsgebiete stammen, stellen im weitesten Sinne auf die in der Vergangenheit praktizierte Wirtschaftspolitik potentieller Kandidaten eines gemeinsamen Währungsgebietes ab. So kann die Konvergenz von realisierten Inflationsraten Ausdruck ähnlicher Inflationsneigungen sein und die Formulierung einer zukünftigen gemeinsamen Geldpolitik erleichtern (Fleming 1971; Haberler 1970). Darüber hinausgehend liefert die konkrete Ausgestaltung wirtschaftspolitischer Konzepte Anhaltspunkte über wirtschaftspolitische Präferenzen und Zielprioritäten. Ähnliche Konzepte und Präferenzen erleichtern die Akzeptanz von Vorgaben für die nationale Wirtschaftspolitik, die mit der monetären Union einhergehen. Das Gebiet, für das wirtschaftspolitische Integration angenommen werden kann, wird damit zu einem wichtigen Abgrenzungskriterium für die Opti-
14
Dabei geht es nicht nur um die Produktdiversifizierung.
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malität eines Währungsgebietes (Tower / Willett 1976; Ingram 1973; Haberler 1970). Diese Kriterien können - auch unter Berücksichtigung des Zeitraumes, in dem sie propagiert wurden - in der notwendigen Übereinstimmung des gewählten Ortes auf der Phillips-Kurve zusammengefaßt werden. Ein optimales Währungsgebiet kann folglich für jene potentiellen Mitglieder abgegrenzt werden, deren angestrebte wirtschaftspolitische Zielkombinationen übereinstimmen. Andernfalls treten durch eine gemeinsame monetäre Politik und eine einheitliche Inflationsrate beim Fehlen des Wechselkursinstrumentes nicht akzeptierte Kosten einzelner Mitglieder auf, die die monetäre Union unter Spannung setzen können. Dabei kommt es auf die Nutzung eines kurzfristigen P/i;7/zp5-Kurven-Trade-Offs und auf die Vermutung seiner Existenz an. Schließlich wurde die fiskale Integration in Form einer koordinierten oder harmonisierten Fiskalpolitik oder in Gestalt eines Finanzausgleichs als Optimalitätskriterium eingebracht (Kenen 1969). Vergangenheitsbestimmte Optimalitätskriterien wurden einzeln oder zunehmend kombiniert in Form von sogenannten Kosten-Nutzen-Analysen als einem "alternativen Ansatz" (Ishiyama 1975, S. 359f.) verwendet, in dem Effekte berücksichtigt wurden, die aus der Größenkomponente des Geldes stammen. Überzeugende empirische Evidenz für die Optimalität des Währungsraumes EU-Europa konnte auf dieser theoretischen Basis nie beigebracht werden und dies scheint auch nicht möglich zu sein. "A popular device is to conclude a review of the theoretical literatures by stating that 'Europe is not an optimal currency area'." (Bayoumi /Eichengreen
1997, S. 762). In die
Kategorie einer Kosten-Nutzen-Analyse fällt auch die EURO-PR-Studie der Kommission der Europäischen Union "One market - One money" (Commission of the European Communities 1990). In ihr werden neben den traditionellen vergangenheitsorientierten Optimalitätskriterien jedoch bereits zukunftsgerichtete Ansätze verwendet, auf die im weiteren einzugehen ist.
3.2.
Zukunftsorientierte Merkmale als Kriterien für die Optimalität von Währungsgebieten: Schafft sich die Währungsunion ihre Voraussetzungen?
Als eine der großen Schwächen der traditionellen Theorie der optimalen Währungsgebiete muß hervorgehoben werden, daß Veränderungen von Erwartungen und Verhaltensweisen der privaten Wirtschaftssubjekte sowie der Träger der Wirtschaftspolitik, vernachlässigt wurden. Die Vertiefung der Integration sowie der monetäre Regime-
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Wechsel sind jedoch in der Lage die strukturellen und wirtschaftspolitischen Merkmale zu verändern, da sich die Anreize für wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Entscheidungen verändern. Dieser Aspekt wird in den Mittelpunkt der neueren Ansätze der Theorie optimaler Währungsgebiete gestellt. Damit folgt, daß die Vorteile der monetären Integration stärker zu Buche schlagen als einzelwirtschaftliche und wirtschaftspolitische Kosten. Die strukturellen und wirtschaftspolitischen Merkmale der Mitgliederökonomien, an denen in den älteren Ansätzen die Optimalität eines Währungsgebietes festgemacht wurden, werden nun zu endogenen Größen im Integrationsprozeß. Von manchen Autoren wird daraus geschlossen, daß sich die Währungsunion die Voraussetzungen für ihre Funktionsfähigkeit selbst und ex post schafft. Als Triebkraft können die Veränderung von Erwartungen und Verhaltensweisen identifiziert werden, die die erwünschten positiven Wohlfahrtseffekte hervorrufen. Dieser Ansatz wurde auf der Basis neuerer Entwicklungen in der Theorie der Wirtschaftspolitik in die Diskussion um die Voraussetzungen einer Europäischen Währungsunion eingebracht.15 Im weiteren wird zuerst auf den Wandel von Inflationserwartungen eingegangen, um anschliessend weitere Veränderungen von Rahmenbedingungen für privates Wirtschaften aufzuzeigen. Dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, daß beide Mechanismen miteinander verbunden sind.
3.2.1.
Gemeinsame geldwertorientierte monetäre Ordnung: Die neue Theorie der monetären Integration
Die neue Theorie der monetären Integration (De Grauwe 1995a, 1997; Tavlas 1993) ortet auf nationaler Ebene kurzfristig nicht behebbare Glaubwürdigkeitsdefizite, die durch die dynamische Inkonsistenz der monetären Politik hervorgerufen werden. Fehlende stabilitätsorientierte Reputation von Notenbanken, eine inflationäre Verzerrung von Präferenzen durch die Berücksichtigung von realwirtschaftlichen Zielsetzungen und ein kurzfristiger Aktionshorizont der Wirtschaftspolitik sind dafür ursächlich. Diese Überlegungen fußen auf Modellen des Typs, die von Kydland / Prescott (1977), vor allem dann aber von Barro / Gordon (1983) in die ökonomische Theorie eingebracht wurden. Den Modellrahmen bilden • eine Zielfunktion der monetären Entscheidungsträger, in die auch realwirtschaftliche Ziele eingehen,
15
Vgl. für einen kurzen Überblick Tavlas (1993) sowie Willms (1998).
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• die Operationalisierung der realwirtschaftlichen Ziele durch die gewünschte Unterschreitung der inflationsstabilen Arbeitslosenrate oder der natürlichen Arbeitslosenrate, wenn strukturelle Verzerrungen und Rigiditäten auf den Arbeits-, aber auch auf den Gütermärkten vorliegen, • die mögliche Nutzung eines kurzfristig vorhandenen PM/z/w-Kurven-Trade-Offs, • die Bildung rationaler Erwartungen durch die privaten Wirtschaftssubjekte (Phil/z/w-Kurven-Schar mit rationalen Inflationserwartungen). Glaubwürdigkeit kommt in der Interaktion zwischen wirtschaftspolitischen Entscheidungsträgem und privaten Wirtschaftssubjekten zum Tragen. Die zeitliche Struktur des Interaktionsprozesses - Ankündigung, Erwartungsbildung, Bindung der Privaten, Handlung der Wirtschaftspolitik - bestimmt die Ergebnisse. Mit einem Glaubwürdigkeitsdefizit wird im Gleichgewicht eine höhere Inflation verwirklicht, der keine positiven realwirtschaftlichen Wirkungen gegenzurechnen sind, sondern die Inflationserwartungen widerspiegelt. Letztere bleiben erhalten und werden - als kleineres Übel monetär alimentiert. Soll in dieser Konstellation aus eigener Kraft Glaubwürdigkeit gewonnen werden, ist eine mehrjährige Politik der Disinflation zu praktizieren, die bei den gegebenen Inflationserwartungen mit hohen realwirtschaftlichen Kosten verbunden ist. Hier setzen die Überlegungen zur Suche nach einer Commitment-Technologie an, die den Aufbau von Glaubwürdigkeit beschleunigen und die Kosten der Disinflation reduzieren kann. Auf der Basis der neuen Theorie der monetären Integration wird der Beitritt zu einer Währungsunion mit stabilitätsorientiertem Statut vorgeschlagen. Denn vor diesen Rahmenbedingungen ist ein nominales Wechselkursziel wie die Teilnahme an einer Wechselkurszielzone - etwa dem EWS - nicht hinreichend, um Glaubwürdigkeit auf nationaler Ebene sicherzustellen. Das Wechselkursziel selbst ist unglaubwürdig, was Abwertungs- und damit Inflationserwartungen aufrechterhält oder entstehen läßt. In der wirtschaftspolitischen Zielfunktion, in der Annahme eines kurzfristig ausbeutbaren /ViiY/z/w-Kurven-Trade-Offs, in eingeschränkt funktionierenden Arbeits- und Gütermärkten und im Wissen der Wirtschaftssubjekte um diese Zusammenhänge, sind die eigentlichen Determinanten für die Glaubwürdigkeitsdefizite auf nationaler Ebene enthalten. Auf supranationaler Ebene aber wird davon abstrahiert. Es wird angenommen, daß ein streng geldwertorientiertes Statut diese nationalen Merkmale unrelevant macht oder daß es sie unionsgerecht verändert. Diese Automatik hat als fundamentale Kritik an der neuen Theorie der monetären Integration angemeldet zu werden.
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Es ist vielmehr davon auszugehen, daß Wirtschaftssubjekte bei ihrer Erwartungsbildung die Verträglichkeit von Anreizen, die außerhalb der monetären Ordnung wirken, mit der Geldwertzielsetzung berücksichtigen. Dies gilt besonders ausgeprägt im Falle eines ordnungspolitischen Regimewechsels oder einer monetären Neuorientierung. Wenn der monetäre Neubeginn Europas in den Augen der Wirtschaftssubjekte nicht glaubwürdig ist, also die Wirtschaftssubjekte mit einer höheren Inflation rechnen als bisher, wird die Vorgehensweise des Europäischen Systems der Zentralbanken die weitere Perspektive der Währungsunion bestimmen. Werden aufkommende Inflationserwartungen alimentiert, bleiben die Qualitätsmerkmale der Referenzwährung DM unerreicht, ohne daß dafür realwirtschaftliche Verbesserungen gegengerechnet werden könnten. Hält die EZB aber an der ausschließlichen Geldwertorientierung fest, sind zumindest für die sehr wichtige Übergangsphase realwirtschaftliche Kosten zu veranschlagen, die den Start der neuen Währung belasten können. Aus dem skizzierten theoretischen Fundament werden von den Vertretern der neuen Theorie der monetären Integration weitreichende integrationspolitische Schlußfolgerungen abgeleitet: • Die Teilnahme an einer Währungsunion ist hinreichend für die Eliminierung des Glaubwürdigkeitsproblems auf nationaler Ebene, ist also eine glaubwürdigkeitssichernde Investition. • Auf supranationaler Ebene kann Glaubwürdigkeit durch ein verhaltensdeterminierendes geldwertorientiertes Statut sichergestellt werden. Glaubwürdigkeit kann zwar durch die Härtung des Statuts gefördert werden, sie bildet sich aber losgelöst von der Vergangenheit und von den Merkmalen potentieller Mitglieder. Die monetäre Ordnung diszipliniert ihr Umfeld. • Daraus folgt, daß Beitrittskandidaten keine Vorleistungen - etwa in Gestalt der Erfüllung von Konvergenzkriterien - zu erbringen haben. "All members qualify to join" {De Grauwe 1995b, S. 488). Ein unionsgerechtes Verhalten auf Mitgliederebene muß nicht durch Ex-ante-Eigenschaften der Beitrittsbewerber sichergestellt werden, sondern stellt sich mit dem Beitritt ein. • Ein optimales Währungsgebiet kann daher jene Mitglieder umfassen, die zum Entscheidungszeitpunkt bereit sind, sich einer geldwertorientierten monetären Ordnung zu unterwerfen. Jedes gemeinsame Währungsgebiet kann ein optimales Währungsgebiet sein.
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3.2.2.
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Endogenisierung von Anpassungsbedarf und Anpassungsmöglichkeiten
Neueren empirischen Arbeiten über die Optimalität des EURO-Währungsraumes liegt eine zweite Argumentationskette zugrunde.' 6 Auch ihre Schlußfolgerung entspricht deijenigen, die aus der neuen Theorie der monetären Integration, die das Schwergewicht auf wirtschaftspolitische Konvergenz legt, abgeleitet werden kann: "Countries which join EMU, no matter what their motivation, may satisfy Optimum currency area criteria ex post even if they do not ex ante!" (Frankel / Rose 1997, S. 754). Eine Vertiefung der güterwirtschaftlichen und monetären Integration fuhrt in diesem Rahmen in Kombination mit dem monetären Regimewechsel zu einer Intensivierung der Handelsbeziehungen innerhalb des Integrationsraumes. Der Abbau von Handelshemmnissen, die Beseitigung von Unsicherheit (Wechselkursrisiko), die Senkung von Transaktionskosten sowie eine weitere Harmonisierung der Wirtschaftspolitik bewirken dies. Mit einer Verschiebung der regionalen Außenhandelsstrukturen geht eine Veränderung des Spezialisierungs-/Diversifizierungsmusters einher. Dies beeinflußt den Synchronisierungsgrad der nationalen wirtschaftlichen Entwicklung, vor allem in ihrer konjunkturellen Dimension. Davon abhängig verändern sich Auftreten, Intensität und Wirkungen von asymmetrischen Schocks. Daraus wird die Ex-post-Optimalität des gewählten Währungsgebietes abgeleitet. Der alles entscheidende und nur empirisch zu klärende Zusammenhang besteht darin, ob die Zunahme des Offenheitsgrades mit nationaler oder mit regionaler Spezialisierung verbunden ist. Die Theorie bietet beide Perspektiven an. Eine Intensivierung der Handelsbeziehungen kann mit einer nationalen Spezialisierung auf jene Güter verbunden sein, bei denen komparative Kostenvorteile vorliegen. Länderspezifische Auswirkungen industriespezifischer Schocks und ein asynchroner Wirtschaftsverlauf sind die Folgen (Krugman 1993; Eichengreen 1992). Die Optimalität des gewählten Währungsraumes wird sich in diesem Fall auch ex post nicht einstellen. Anders aber, wenn sich mit einer Intensivierung der Handelsbeziehungen eine regionale (auch länderübergreifende) Spezialisierung der Regionen herausbildet. Tritt diese Entwicklung ein, kann eine Zunahme des Intra-Industriehandels und eine Synchronisierung des Konjunkturverlaufes erwartet werden (Fatäs 1997; Frankel /Rose 1996, 1997; Ricci 1997; Commission of the European Communities 1990). Zwei Kategorien von empirischen Studien können unterschieden werden. In einem ersten Ansatz wird die Entwicklung der
16
Vgl. für einen Überblick Blejer et al. (1997).
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Synchronisierung des Wirtschaftsablaufes überprüft, indem die Korrelation von Wachstumsraten des Outputs oder der Beschäftigung (für Länder und Regionen) festgestellt werden. Diese Entwicklung wird als Abhängigkeit von der Veränderung monetärer Integrationsarrangements interpretiert. So führt Fatäs (1997) die Abnahme der nationalen Komponente im Konjunkturzyklus und die Tatsache, daß die Korrelation der regionalen Wirtschaftsentwicklung mit der Entwicklung des Durchschnitts der Europäischen Union zunimmt, auf das Europäische Währungssystem zurück. In einer zweiten Klasse von Studien wird die Synchronisierung des Wirtschaftsablaufes aus der Intensivierung von Handelsbeziehungen zwischen Mitgliedern monetärer Integrationsarrangements (System von Bretton Woods, EWS, existierende Währungsunionen wie die USA) abgeleitet (Frankel /Rose 1997).17 Mit Bayoumi /Eichengreen können die Voraussetzungen fur die Optimalität eines Währungsgebietes in dieser Denkschule zusammengefaßt werden: "A further finding is the symbiotic relationship between economic integration and monetary integration. [...] Economic integration has [...] increased countries' readiness for monetary integration. Conversely, insofar as stable exchange rates encourage trade, monetary integration in the form of the EMS has also helped to advance economic integration. Together, these findings support the notion that EMU and the Single Market can constitute a virtuous, self reinforcing circle" (Bayoumi / Eichengreen 1997). Der Verzicht auf Veränderungen des nominellen Wechselkurses bewirkt also, daß diese nicht mehr notwendig sind. Grundsätzliche Kritik hat an der monokausalen Rückführung weitreichender realwirtschaftlicher Effekte auf das Wechselkursregime der Vergangenheit und die Übertragung dieses Musters auf die Zukunft der Europäischen Währungsunion angebracht zu werden.
4.
Empirische Studien zur Optimalität des Währungsraumes Europa Das Projekt der Europäischen Währungsunion auf der Basis des Vertrages von
Maastricht mit den damit verbundenen Diskussionen um ihre ökonomische Sinnhaftigkeit hat in Kombination mit den neuen theoretischen Überlegungen zur Frage der Optimalität eines einheitlichen Währungsgebietes eine Fülle von empirischen Studien hervorgebracht. Die gesammelte empirische Evidenz zur Frage "Ist die EU ein optimaler Währungsraum?" beruht auf Arbeiten, die einerseits die traditionellen, zunehmend aber die neueren Ansätze zur Theorie der optimalen Währungsgebiete zugrundelegen. Eine
17
Vgl. Abschnitt 4 fur empirische Fragestellungen und Evidenz.
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auch nur annähernd eindeutige Antwort auf die Frage ist nicht möglich. Die Europäische Union oder unterschiedliche Teilmengen werden j e nach Ansatz, verwendeten Kriterien, deren Operationalisierung und zugrundegelegtem Zeitraum als optimaler oder als nicht optimaler Währungsraum eingeschätzt. 18 Dabei ist hervorzuheben, daß Arbeiten, die stärker auf unionsinduzierte zukunftsgerichtete Veränderungen abstellen, wie zu erwarten, der Tendenz nach ein günstigeres Urteil über die Optimalität des EUW ä h r u n g s r a u m e s abgeben. Häufig bildet sich eine Kernunion als Abgrenzung für ein optimales Währungsgebiet heraus, die kleiner ist als die elf Mitglieder, die 1999 einen g e m e i n s a m e n Währungsraum begründen werden. Es handelt sich dabei meist u m den harten Kern des Europäischen Währungssystems, dessen Mitglieder auch während der EWS-Krise 1992/93 Realignments vermeiden konnten.
Methodisch stehen "Schockanalysen" im Mittelpunkt der empirischen Arbeiten zum Währungsraum Europa. Diese Untersuchungen versuchen, Schocks, ihre Asymmetrie und ihr A u s m a ß zu identifizieren." Die Ergebnisse werden aus der Korrelation von realwirtschaftlichen Zeitreihen abgeleitet. Dabei ist die Isolation von wirtschaftspolitischen Schocks ein nicht triviales Problem. Andere Studien stellen auf die Entwicklung der realen Wechselkurse der Vergangenheit ab. Neben der Simulation von Gleichgewichtsmodellen wird schließlich mittels Clusteranalysen die strukturelle Konvergenz von Ö k o n o m i e n ermittelt. Die Homogenität einer Gruppe, die in der Lage ist, Glaubwürdigkeit zu vermitteln, wird zum Kriterium für die Optimalität eines Währungsraumes. Jacquemin
/ Sapir (1996) identifizieren mit dieser Methode Deutschland, Frank-
reich und die B E N E L U X - S t a a t e n als h o m o g e n e Gruppe.
F ü n f Teilaspekte der Frage, ob das Integrationsgebiet der Europäischen Union ein optimales Währungsgebiet ist, stehen derzeit im Mittelpunkt der empirischen Arbeiten. 20 Dabei dienen als Benchmark häufig (politisch integrierte) Währungsunionen wie die U S A oder föderal strukturierte Staaten. Die meisten Studien decken den Komplex Symmetrie/Asymmetrie von Schocks ab. Ökonomien, die - mitbedingt durch struktu-
18
Vgl. für die Zusammenstellung und den Vergleich von 14 einschlägigen empirischen Studien Breuss (1997), S. 161.
19
Vgl. zu den verwendeten Methoden, um Schocks zu identifizieren und zu zerlegen Bayoumi / Eichengreen (1993, 1996) sowie Bayoumi / Prasad (1997).
20
Vgl. zu einem Überblick über die empirischen Arbeiten, an dem sich die folgenden Ausfuhrungen orientieren und der weitere Literaturhinweise enthält Bayoumi /Eichengreen (1996).
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relle Eigenschaften in der Vergangenheit - mit großen asymmetrischen Schocks konfrontiert waren, stören die Optimalität eines Währungsgebietes und eignen sich daher nicht als Teilnehmer einer Währungsunion. Die Ergebnisse der meisten Studien trennen einen Kern (höhere Korrelation der Schocks) von der Peripherie der Europäischen Union (Bayoumi / Eichengreen
1993; Chamie /De Serres / Lalonde 1994). Anders
sieht es wiederum aus, wenn sich Schocks und die Schockabsorptionsfähigkeit mit der Teilnahme an der Währungsunion selbst verändern; das Ausmaß des Kerns nimmt zu. In mehreren Untersuchungen zeigt sich, daß asymmetrische Schocks auf regionaler Ebene größere Bedeutung aufweisen als auf nationaler (De Grauwe / Vanhaverbeke 1993; De Nardis / Goglio / Malgarini 1996). Einen zweiten Schwerpunkt stellt die Frage der regionalen Spezialisierung durch Handelsintensivierung dar. Die gesammelte Evidenz spricht dafür, daß industrielle Spezialisierung sich nicht an nationale Grenzen hält (Bini-Smaghi / Vori 1993; Masson / Taylor 1993; Bayoumi /Prasad
1997; Fatäs 1997; Frankel /Rose 1996, 1997). Dem
"Anpassungsmechanismus Arbeitsmarkt" widmet sich eine dritte Gruppe von Studien, deren Ergebnisse empfehlen, sich in der Europäischen Währungsunion nicht auf ihn zu verlassen. Dies gilt sowohl für die Mobilität der Arbeitskräfte wie auch für die Reallohnflexibilität (Blanchard/Katz
1992; De Grauwe / Vanhaverbeke 1993; IMF 1997).
Auch auf die Wirksamkeit des fiskalischen Föderalismus kann in der Europäischen Union (im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten und europäischen Bundesstaaten) nicht gesetzt werden. Dies ist Ergebnis eines vierten Untersuchungsbereiches (Bayoumi /Masson 1995). Schließlich wird die Notwendigkeit von Anpassungen der relativen Preise problematisiert. Eine höhere Variabilität der realen Wechselkurse deutet auf die Notwendigkeit von relativen Preisänderungen zwischen den Volkswirtschaften hin. Kandidaten für ein optimales Währungsgebiet sind solche mit geringer Variabilität der realen Wechselkurse. Dieser Ansatz ist vergangenheitsorientiert. Seine Anwendung zeigt durchgehend eine Teilmenge der EU-Mitglieder (Belgien, Luxemburg, Niederlande, Deutschland, Österreich, Dänemark, Frankreich) als geeignete Kandidaten für eine Währungsunion (Vaubel 1978; Breuss 1996; von Hagen /Neumann
1994).
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5. Europäische Währungsunion der Elf: Optimalität eines politisch abgegrenzten Währungsgebietes Weder die empirischen Arbeiten noch die Ergebnisse der alten und der neuen Theorie der optimalen Währungsgebiete liefern eine klare Handlungsanweisung für die Abgrenzung eines optimalen Währungsraumes, wenn das Integrationsgebiet der Europäischen Union vorgegeben ist. Die verwendeten Kriterien und ihre Ausprägung betonen entweder zu stark die vergangene Entwicklung oder sie setzen zu sehr auf das Prinzip Hoffnung. Deshalb soll abschließend das Augenmerk auf einige Faktoren gelenkt werden, die in der aktuellen Diskussion nicht im Vordergrund stehen. Sie sind es aber, die über die Funktionsfähigkeit der Europäischen Währungsunion entscheiden werden und daher darüber, ob sich ex ante nicht vorhandene Voraussetzungen für ein optimales Währungsgebiet ex post herausbilden werden. Die Vorgabe positiver Nettowohlfahrtseffekte als Mindestbedingung für die Optimalität eines Währungsraumes läßt keine Schlüsse über die Aufteilung dieser Effekte auf die einzelnen Mitglieder sowie auf die einzelnen Gruppen von Wirtschaftssubjekten in den Mitgliedsstaaten zu. Die hier gewählte pragmatische Abgrenzung eines optimalen Währungsgebietes geht von folgenden Überlegungen aus: 1. Die Wohlfahrtseffekte des Geldes stammen aus seiner Größen- und aus seiner Qualitätskomponente. Dies gilt auch für die zukünftige gemeinsame Währung Europas. Diese beiden Merkmale müssen also der Auswahl der Mitglieder zugrunde gelegt werden. 2. Gruppen von Wirtschaftssubjekten, aber auch Mitgliedsstaaten der Währungsunion unterscheiden sich in der relativen Bedeutung, die sie diesen beiden Merkmalen des zukünftigen Geldes zuweisen. 3. Die Entscheidung für eine Währungsunion mit elf Mitgliedern war damit verbunden, daß mit der Betonung der Größenkomponente, das Risiko einer regionalen realwirtschaftlichen Anpassung für einzelne Mitglieder eingegangen wurde, sofern keine hinreichenden Anpassungskapazitäten vorhanden sind. Im Vergleich zur DM wurde zusätzlich ein Qualitätsrisiko in Kauf genommen. 4. In einem institutionell vorgegebenen Integrationsgebiet wie der Europäischen Union bedeutet jedes dieser beiden Risiken zumindest für einen Übergangszeitraum eine Quelle von Friktionen für die Funktionsfahigkeit und für die Dauerhaftigkeit der
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Währungsunion. Sie resultieren daraus, daß Gruppen von Wirtschaftssubjekten ihre Vorstellungen von einem "adäquaten gemeinsamen Geld" und den damit verbundenen wirtschaftspolitischen Konsequenzen nicht verwirklichen können. Daher sollte ein Währungsgebiet, und damit die Zusammensetzung einer Währungsunion, so abgegrenzt werden, •
daß die Vorteile eines gemeinsamen Geldes für die großen Gruppen von Wirtschaftssubjekten sichergestellt werden können,
• •
daher Konflikte um die adäquate Geld- und Wechselkurspolitik unterbleiben und ein unionsgerechtes Verhalten von privaten Wirtschaftssubjekten, Tarifpartnern und wirtschaftspolitischen Trägern erwartet werden kann,
• wodurch zusätzliche Impulse für die weitere Integration hervorgerufen werden. Mit einer solchen Abgrenzung wird auf die Dauerhaftigkeit durch Funktionsfähigkeit abgestellt, die ihrerseits durch individuelle Nettowohlfahrtsüberhänge entsteht. Selbstverständlich bleibt auch diese Abgrenzung vage und auch sie kommt nicht ohne die weitere Konkretisierung von Erfolgsbedingungen aus. Hier kann jedoch auf die Ergebnisse der (alten und neuen) Theorie der optimalen Währungsgebiete zurückgegriffen werden. Diese berücksichtigend wird im weiteren argumentiert, daß die Währungsunion der Elf ein nicht optimales Währungsgebiet umfaßt. Abbildung 3: Währung im Spannungsfeld zwischen Größe und Qualität Der Euro im Spannungsfeld zwischen Größe des Währungsraumes
und
Qualität der Währung
Transaktionsfunktion des Geldes
und
Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes
Realwirtschaft
und
Finanzmärkte
Solidarisiemng
und
Disziplinierung
Arbeitsplätze
und
Monetäre Stabilität
Verminderter Außenwert
und
Binnenwirtschaftliche Anpassungskapazitäten
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Sie wird eine heterogene monetäre Union sein. Da sich heterogene Mitglieder durch unterschiedliche Anpassungskapazitäten, abweichende ordnungspolitische Vorstellungen und divergente wirtschaftspolitische Präferenzen auszeichnen, rücken die Solidaritäts- und Versicherungsaspekte der Währungsunion stärker in den Vordergrund. Ein Konsens der EU-Mitglieder über einen grundlegenden ordnungspolitischen Wandel ist die eigentliche Voraussetzung für eine funktionsfähige Währungsunion. In der Umsetzung und in der Akzeptanz dieses Wandels liegt die eigentliche Quelle für die Funktionsfähigkeit der Europäischen Währungsunion. Die Schaffung binnenwirtschaftlicher Flexibilität (Beseitigung wirtschaftspolitischer Altlasten, langfristig wirksame Budgetstrukturreformen, die Schaffung von Flexibilität auf den Arbeitsmärkten, ...) als Substitut für den nominalen Wechselkurs dominiert zwar die EURORhetorik, nicht aber die nationale Ordnungspolitik der Mitglieder. Die Ausgestaltung der politischen Märkte in Form eines kurzfristigen Aktionshorizonts der Akteure, einer mangelnden Kontrolle durch die Wähler und einer interessengruppen- und wahlterminorientierten Wirtschaftspolitik, verbunden mit Erwartungshaltungen an die Wirtschaftspolitik, die aus sozialen Konventionen, Institutionen, Verantwortungen, Traditionen und Interessenausgleichsmechanismen der Nationalstaaten stammen, bleibt von der Währungsunion unberührt. Solange dies der Fall ist, wird es für politische und wirtschaftspolitische Entscheidungsträger rational sein, die Auswirkungen auf die eigene Volkswirtschaft, auf die eigene Wählerschaft, in den Vordergrund zu stellen, wenn sie ihre Wirtschaftspolitik konzipieren. Dies stellt sich vor allem bei heterogenen Mitgliedern als Problem dar. Die nationale Wirtschaftspolitik birgt ungleich höhere Risiken für die Europäische Währungsunion als die gemeinsame Geldpolitik. Im Vorfeld und während der Entscheidungen der Auswahl der Teilnehmer sowie der Besetzung von EZB-Leitungsfunktionen zeigte sich deutlich das Primat der Politik. Es ist davon auszugehen, daß dadurch die Erwartungshaltung der Wirtschaftssubjekte und ihre Anpassung an den monetären Regimewechsel beeinflußt wurde. Es kann daher nicht als gesichert gelten, daß sich fehlende Voraussetzungen für ein optimales Währungsgebiet ex post herausbilden werden.
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Solche Faktoren sollten mit berücksichtigt werden, wenn eine Antwort auf die Frage gesucht wird, ob Europa ein optimales Währungsgebiet ist und ob es sich andernfalls in ein solches entwickeln kann und wird.
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Integrationswirkungen der Europäischen Währungsunion: Zur Komplementarität von Geldpolitik und Arbeitsmarktreformen Ansgar
Belke
1. Einführung
249
2. Die EWU als O/sort-Schock für skierotisierte Arbeitsmärkte?
250
2.1.
Separierende Analyse der EWU und der europäischen Arbeitslosigkeit
251
2.2.
Inhaltliche Zusammenführung von Teilaspekten als Forschungsziel
251
2.3.
Theoretische und empirische Eckpunkte für eine Synthese
253
3. Ein Basismodell
255
4. Modellergebnisse
258
4.1.
Glaubwürdige Verpflichtung auf eine Geldmengenregel als Referenzfall...258
4.2.
Diskretionäre Geldpolitik: Zeitliche Inkonsistenz optimaler Politiken
261
4.3.
Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse
268
4.3.1.
Reformnachteil der EWU
268
4.3.2.
Reformvorteil der EWU
270
4.3.3.
Geldlohnrigidität und Arbeitsmarktreformen
272
4.3.4.
Abfederung von Strukturreformen durch die Geldpolitik?
273
4.3.5.
EWU: Verstärkte Anreize zur Koordinierung von Reformen?
274
5. Schlußbemerkungen und Ausblick
275
Literatur
277
Integrationswirkungen
1.
der Europäischen
Währungsunion
249
Einführung Die Europäische Währungsunion (EWU) und die anhaltend hohen Arbeitslosenraten
stellen zwei aktuelle und zentrale Aspekte in der europäischen wirtschaftspolitischen Debatte dar. In der bisherigen akademischen Diskussion um die Nutzen und Kosten einer EWU wurden im wesentlichen mikroökonomisch fundierte Effizienzgewinne gegen mögliche stabilisierungspolitische Verluste einzelner Volkswirtschaften, die bei asymmetrischen Schocks in der EWU keine unabhängige Geldpolitik mehr verfolgen können, abgewogen. Unabhängig hiervon kommt die Arbeitsmarktforschung seit geraumer Zeit für die vergangenen zweieinhalb Jahrzehnte zu dem Ergebnis, daß die europäische Arbeitslosigkeit eher ein strukturelles als ein zyklisches Phänomen ist. Der Preismechanismus auf Arbeitsmärkten reagierte offensichtlich nur unzureichend auf die beiden Ölpreisschocks, den "skill-biased technological progress" und die ansteigende Globalisierung von Güter- und Faktormärkten. Hieraus wird seit längerem mehrheitlich abgeleitet, daß eine dauerhafte Verringerung der Arbeitslosigkeit gravierende und zueinander komplementäre Reformen auf Arbeits- und den hiermit verbundenen Gütermärkten bedinge, welche die gleichgewichtige Arbeitslosigkeit senkten. Diese Reformen sollten vor allem zu einer Liberalisierung des Arbeitsmarktes fuhren und den Preismechanismus wieder funktionsfähig machen. Beschäftigte Insider müßten zu geringeren und differenzierteren Lohnforderungen veranlaßt ("power-reducing policies") und die Wettbewerbsfähigkeit der unbeschäftigten Outsider durch eine Reform des Sozialsystems gestärkt werden ("enfranchising policies"). Ein gravierendes Diagnoseproblem existiert somit nicht (Belke 1997a; Kösters /Belke 1996). Trotz der Klarheit dieser Ergebnisse ist es bisher auf europäischen Arbeitsmärkten nicht zu durchschlagenden Reformen gekommen (Implementierungsproblem). Mittlerweile ist es deshalb ein zentrales Anliegen der NPÖ geworden, die zugrundeliegenden Anreizhemmnisse genauer zu analysieren (Belke 1997a; Berthold / Fehn 1996).
Bei der Analyse der Zusammenhänge zwischen der EWU, der Geldpolitik und der Reform der europäischen Arbeitsmärkte wird so vorgegangen, daß in Kapitel 2 zunächst das dem Beitrag zugrunde liegende Problem motiviert wird. Dies besteht in einer bis heute fehlenden analytischen Grundlage zur Beantwortung der politisch zentralen Frage, ob die EWU die Möglichkeit einer Implementierung von Strukturreformen auf Arbeitsmärkten erhöhen wird. In Kapitel 3 wird als Ansatzpunkt für eine Lösung des aufgezeigten Problems ein einfaches Basismodell in der Tradition von Barro / Gordon (1983a) und Kydland /Prescott
(1977) entwickelt. In diesem lassen sich die
250
Ansgar Belke
Geldpolitik und das Ausmaß von Arbeitsmarktreformen gleichzeitig endogen bestimmen. In Kapitel 4 werden die analytischen Ergebnisse im Hinblick auf die Fragestellung zusammengefaßt und interpretiert. Dabei werden auch Erweiterungen des Basismodells, wie zum Beispiel die jüngst von Akerlof /Dickens / Perry (1996) betonte Nominallohnrigidität nach unten im Bereich niedriger Inflationsraten, und der Koordinierungsbedarf bei der Implementierung von Reformen diskutiert. Der Beitrag schließt mit einem kurzen Ausblick.
2.
Die EWU als Ofao«-Schock für skierotisierte Arbeitsmärkte? Ob die EWU die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit in Europa mildern oder sogar noch
intensivieren wird, steht nicht nur in akademischen, sondern auch in politischen Kreisen im Zentrum intensiver Diskusssionen. Denn das Schicksal des gesamten EWU-Projektes hängt nicht zuletzt von dessen Arbeitsmarktwirkungen ab. Im vorliegenden Beitrag wird in Anlehnung an Belke (1998b) in den Vordergrund gerückt, daß die Implementierung einer EWU die Rahmenbedingungen für die Möglichkeit und Effektivität von Strukturreformen verändert. Die beschäftigungspolitische Beurteilung der EWU hängt nun entscheidend davon ab, ob die Einführung einer EWU ein entscheidender Auslöser für einen Ausweg aus dem Implementierungsproblem sein kann. Es ließe sich mit Olson ("cleaning the slate", "shocks to the social order") argumentieren, daß eine EWU als gravierender Schock für bestehende Lohnverhandlungssysteme in der Startphase "rent-seeking"-Aktivitäten auf Arbeitsmärkten zunächst reduziert. Das TimingProblem von Arbeitsmarktreformen, das in Demokratien wegen des zeitlichen Auseinanderfallens der marginalen Kosten und Erträge entsteht, wäre somit reduziert. Die Gegenposition hierzu wurde jüngst von Gordon (1996) aufgebaut. Expansive Makropolitiken außerhalb einer EWU seien in der Lage, Verteilungskonflikte zwischen Interessengruppen zu schlichten und beeinflußten die Effektivität von Strukturreformen positiv et vice versa. Es erscheint wahrscheinlich, daß die Perspektive einer politischen Ökonomie der Beschäftigungspolitik bzw. einer Politischen Ökonomie der Implementierung von Arbeitsmarktreformen neben einer Diskussion um die Neuorientierung der Lohnverhandlungssysteme die Debatte um Beschäftigungswirkungen der EWU weiter bestimmen wird (Gordon 1996, S. 30ff; Olson 1982, S. 225).
Integrationswirkungen
2.1.
der Europäischen
Währungsunion
251
Separierende Analyse der EWU und der europäischen Arbeitslosigkeit
Erstaunlicherweise sind die Kosten und Nutzen der EWU und die andauernde Problematik der europäischen Arbeitslosigkeit bisher weitestgehend getrennt analysiert worden. Eine Verbindung beider Problembereiche wurde bisher nur in bezug auf die Frage hergestellt, ob und inwieweit eine gestiegene Geldlohnflexibilität in der EWU die Wechselkurspolitik als Anpassungsmechanismus an länderspezifische Schocks ersetzen und so die Beschäftigung stabilisieren kann.1 Eine entscheidendere Frage lautet jedoch: Wie beeinflußt die Teilnahme an der EWU die Anreize zu strukturellen Arbeitsmarktreformen? Wirkt die Teilnahme an der EWU wie ein O/so/j-Schock? Selbst wenn sich die Anreize zu Geldlohnflexibilität in einer EWU erhöhen sollten, neigen Ökonomen mehrheitlich dazu, hoher gleichgewichtiger Arbeitslosigkeit und rigiden Geldlöhnen unterschiedliche Ursachen zuzuschreiben. Mit anderen Worten: Selbst wenn das Problem rigider Nominallöhne gelöst würde, bliebe die gleichgewichtige Arbeitslosigkeit möglicherweise unverändert hoch. Trotzdem gibt es die dringend benötigten Forschungsansätze zu dem Einfluß der EWU auf Arbeitsmarktinstitutionen bisher nicht. Ausschlaggebend für die Präferenz für den Status quo ist wohl das häufig vorgebrachte Argument, es könne sich bei derartigen Analysen notwendigerweise nur um Spekulationen handeln.
2.2.
Inhaltliche Zusammenführung von Teilaspekten als Forschungsziel
Eine inhaltliche Zusammenführung beider Themen auf der Ebene der volkswirtschaftlichen Analyse erscheint dennoch dringend. Denn die Einführung einer Währungsunion sowie der Kampf gegen die permanent hohe Arbeitslosigkeit werden in der politischen Debatte oft miteinander vermischt. Ein hervorragendes Beispiel hierfür ist das Ergebnis des EU-Gipfels in Amsterdam im Juni 1997 ("Resolution of the European Council on Growth and Employment"). Auch scheint sich vor allem unter praxisnah arbeitenden Ökonomen und Politikern besonders in Deutschland und in den nordeuropäischen Staaten, aber auch unter einigen liberalen Ökonomen, die Ansicht zu verbreiten, daß eine Mitgliedschaft in der EWU aufgrund des zunehmenden institutionellen Wettbewerbs die Rückführung der Arbeitslosigkeit durch Deregulierungen erleichtere. In der schwedischen Debatte um die EWU beispielsweise wurde von Seiten der Arbeit-
'
Vgl. Martin (1997) für eine kritische Würdigung dieser Fragestellung.
252
Ansgar Belke
geber- und Industrieverbände argumentiert, einer der Hauptvorteile einer Mitgliedschaft in der EWU liege in stärkeren Anreizen für Arbeitsmarktreformen. 2 Der Kernpunkt der Argumentation ist, daß eine unabhängige Geldpolitik das entscheidende Hindernis für eine Beseitigung von Rigiditäten auf Arbeits- und hiermit verbundenen Märkten sei. Solange eine expansive Geldpolitik (und damit auf Basis finanzmarkttheoretischer Standardmodelle zur Wechselkursbestimmung auch die Wechselkurspolitik) als die einfachste Lösung zur Beseitigung des Arbeitslosigkeitsproblems angesehen werde, seien die Anreize für weitreichende Reformen gering. Sobald jedoch die geldpolitische Unabhängigkeit in der EWU aufgehoben werde, stiegen diese Anreize, da keine alternative Option mehr verfügbar sei (Calmfors et al. 1997).
Autoren wie Calmfors (1997) und Sibert / Sutherland (1997) argumentieren jedoch, daß dieses Ergebnis einer reformbegünstigenden Wirkung der EWU zu optimistisch und keinesfalls zwingend sei. Ein wichtiges Gegenargument sei, daß man von der Geldpolitik (ebenso übrigens wie von der Wechselkurspolitik im Status quo ante der EWU) zuviel erwarte, wenn man von ihr erhoffe, eine strukturell verhärtetete Arbeitslosigkeit signifikant verringern zu können. Insofern ergebe sich in einer EWU keine ganz neue Situation, denn auch in der Phase vor der EWU seien Geldpolitik und hierdurch induzierte Wechselkursbewegungen kein probates Mittel gegen die in der EU dominierende strukturelle Arbeitslosigkeit gewesen. 3 Da diese Einsicht sowohl in der Öffentlichkeit, als auch unter Politikern mittlerweile weitgehend geteilt wird, können weiterführende neue Argumente gegen die Auffassung, die EWU wirke durch Institutionenwettbewerb reformbeschleunigend, nur in einem Modellrahmen abgeleitet werden, der auf einer Endogenisierung dieser Einsicht beruht. Dieser Beitrag widmet sich diesem Thema folgerichtig aus der Perspektive rationaler Erwartungen der Akteure.
2
Für Schweden vgl. Calmfors (1997, S. 2f.). Für Deutschland vgl. Fels (1997) und Sievert (1993, 1997) sowie die aktuelle durch Wahltaktik geprägte politische Debatte im Anschluß an die Stellungnahmen der EU-Kommission, des EWI und der Bundesbank zum EWUTeilnehmerkreis.
3
Die Sichtweise dieser Autoren läßt sich auch durch ergänzende empirische Untersuchungen zur Fähigkeit intra-europäischer Wechselkurse, asymmetrische Arbeitsmarktschocks in der EU zu absorbieren, konsistent belegen. Vgl. Belke (1998a, S. 259ff.); Belke / Gros (1998).
Integrationswirkungen der Europäischen Währungsunion
2.3.
253
Theoretische und empirische Eckpunkte für eine Synthese
Einer rationalen Debatte steht also entgegen, daß in der öffentlichen Diskussion die Aspekte der Einführung der EWU und der permanent hohen Arbeitslosigkeit zwar miteinander in einen kausalen Zusammenhang gebracht werden. Gleichzeitig versäumte es die volkswirtschaftstheoretische Modellbildung bisher, ein rationales Argumentationsmuster für eine derartige Debatte zu liefern. Die Struktur des Arbeitsmarktes wurde in den bisherigen Debatten um die Nutzen und Kosten verschiedener Wechselkursregimes zumeist als gegeben angenommen (Sibert / Sutherland 1997, S. 3f.). Insbesondere blieben Änderungen der Reformanreize politischer Entscheidungsträger durch die EWU selbst vollständig unberücksichtigt. Dies bedeutet einen deutlichen Verstoß gegen die zentrale Implikation der ¿wcm-Kritik und kann getrost als eine wichtige Lücke in der einschlägigen Literatur bezeichnet werden (Belke 1998b, 1998d). Es liegt nämlich empirische Evidenz dafür vor, daß die Ausgestaltung des Währungssystems den Grad an Arbeitsmarktreformen determinieren und daß sich letzterer möglicherweise endogen ergeben könnte. So finden Alogoskoufis / Smith (1991) sowie Eichengreen (1993) Evidenz dafür, daß die Arbeitslosigkeits-Reagibilität des Lohns vom Wechselkurssystem abhängt; in "managed-exchange-rate systems" komme es tendenziell zu höheren Lohnabschlüssen, da eine Akkommodierung relativer Preisänderungen zwischen Volkswirtschaften durch die Geld- und Wechselkurspolitik eine zukünftig niedrigere Arbeitslosigkeit antizipiert wird. Anderton /Barreil (1993) sehen für Italien während dessen Mitgliedschaft im Europäischen Wechselkursmechanismus die Hypothese einer steigenden Lohnflexibilität bestätigt: "However, the necessary institutional change for reforming wage behaviour may not have been possible without membership of the ERM" {Anderton / Barreil 1993, S. 19f.). Muet (1996) schließlich vertritt die These, daß Frankreichs Politik eines "franc fort" seit 1983 zu erheblichen Änderungen der Arbeitsmarktpolitik geführt habe. Es wurde aber bisher nicht berücksichtigt, daß zwei in der Literatur in anderem Zusammenhang etablierte theoretische Denkansätze zu einer fundierteren Prognose der Effekte der EWU auf die Wahrscheinlichkeit von Arbeitsmarktreformen beitragen könnten. Zum einen wird in der Literatur zum Zeitinkonsistenzproblem die inflationäre Verzerrung der Geldpolitik ("inflation bias") thematisiert, die in westlichen Demokratien in einem diskretionären Politikumfeld entsteht. Dabei wird unterstellt, daß Politiker ein Beschäftigungsziel oberhalb der gleichgewichtigen Beschäftigung verfolgen. Der "inflation bias" sei umso höher, je höher die natürliche Rate der Unterbeschäftigung aus-
254
Ansgar Belke
falle und desto mehr diese von der Zielarbeitslosenrate abweiche. In der Standardliteratur wird deshalb traditionell empfohlen, als "first-best" Lösung die Arbeitsmarktrigiditäten zu beseitigen, die der hohen gleichgewichtigen Arbeitslosigkeit zugrunde liegen (Svensson 1997, S. 104, S. 109). Diese Argumentation übersieht aber, daß - wie im Folgeabschnitt erörtert - auch die Gestalt und Regulierung der Arbeitsmarktinstitutionen als "rational political choice" in die Wohlfahrtsfunktion der Politiker eingeht. Insofern wird man den Modellrahmen der Zeitinkonsistenz-Literatur erweitern müssen, um einen gleichgewichtigen Grad an Arbeitsmarktreformen ermitteln zu können. Aber auch der erweiterte Rahmen impliziert nicht zwingend, daß im Erwartungsgleichgewicht (Wohlfahrtsoptimum) die Rigiditäten vollständig eliminiert werden. Zum anderen werden seit einiger Zeit aus polit-ökonomischer Perspektive die Determinanten von Arbeitsmarktinstitutionen untersucht. 4 Die zu testende Hypothese dabei ist, daß Arbeitsmarktinstitutionen nicht durch Effizienzüberlegungen, sondern durch Interessen politischer Mehrheiten, wie der Insider auf Arbeitsmärkten und stimmenmaximierender Regierungen, bestimmt werden. Aus dieser Sicht sind Arbeitsmarktreformen bereits dann nicht durchsetzbar, wenn sie nur kurzfristig die Wohlfahrt der Mehrheit der beschäftigten Arbeitnehmer verringern oder, allgemeiner, die Mehrheit der Wähler und einflußreiche Interessengruppen beeinträchtigen. Denn Wahlempfehlungen sowie die Parteienfinanzierung durch einflußreiche Interessengruppen haben sich schon oft als ein entscheidender Beitrag zu Wahlerfolgen erwiesen. Diese Literatur basiert jedoch auf realwirtschaftlichen Modellen, in denen Geldpolitik und Inflation keine Rolle spielen. Eine direkte Beziehung zwischen Nachfragepolitik, hier speziell der Geldpolitik, und Arbeitsmarktrigiditäten wird hingegen nicht berücksichtigt. Es werden somit in isolierter Betrachtung theoretische Schwächen der einzigen beiden Ansätze ersichtlich, die am ehesten Anhaltspunkte für die Erfolgschancen einer EWU bei der Senkung der gleichgewichtigen Arbeitslosenrate in Westeuropa vermitteln könnten. Eine explizierte Modellierung des Problems durch eine Synthese beider Literaturstränge wird erforderlich, da auch ein Ländervergleich bei der Suche nach "benchmarks" nur wenig weiterhilft.5 Einerseits scheinen die Arbeitsmarktinstitutionen der USA als einer Währungsunion eine geringe gleichgewichtige Arbeitslosenrate zu begünstigen. Andererseits wurden Strukturreformen in den Ländern des europäischen
4
Vgl. Belke (1997a); Berthold/Fehn (1996); Saint-Paul (1995, 1996).
5
Für die Begründung integrativer Ansätze in der Politikberatung vgl. Belke (1997a).
Integrationswirkungen
der Europäischen
Währungsunion
255
Wechselkursmechanismus, die Hartwährungspolitiken verfolgten, nur sehr langsam verwirklicht. Mit der Ausnahme der Niederlande trifft dies auf Belgien, Frankreich und Deutschland zu. Die erfolgreicheren Beispiele Großbritanniens und Neuseelands zeigen umgekehrt deutlich, daß weitreichende Strukturreformen durchaus auch ohne die Einbindung in internationale Wechselkurs-Arrangements erreicht werden können ( O E C D 1997).
3.
Ein Basismodell
Im folgenden wird versucht, mit einem Modell der häufig geäußerten These entgegenzutreten, die Effekte der E W U auf die Realisierungschancen von Arbeitsmarktreformen seien aufgrund der Lucas-Kritik nicht abschätzbar und deshalb rein spekulativ. Zu diesem Zweck wird das Ausmaß von Arbeitsmarktreformen im R a h m e n des BarroGordon-Modells
der zeitlichen Inkonsistenz optimaler Geldpolitiken endogenisiert.
N e b e n seiner analytischen Anschaulichkeit (die für eine Realisierung erfolgreicher Politikberatung notwendig ist) empfiehlt sich dieser Modellrahmen vor allem aus Gründen der Konsistenz, weil er in der politischen Debatte um die Inflationswirkungen der E W U so oft betont und (spielstrategisch) entscheidungsrelevant wurde. 6 N e b e n der Inflations- und der Arbeitslosenrate wird zusätzlich auch der Grad der R e f o r m e n auf Arbeitsmärkten (und implizit auch in anderen arbeitsmarktrelevanten Bereichen, wie den Gütermärkten und d e m Sozialsystem) als ein Ungut in die als Zielgröße dienende Verlustfunktion a u f g e n o m m e n .
6
Diese Modellspezifikation, d.h. der Verzicht auf z.B. evolutionstheoretische Betrachtungen, legitimiert sich somit unter der Annahme rationaler Erwartungen. Für den analytischen Rahmen vgl. Barro/ Gordon (1983a, 1983b), Kydland /Prescott (1977), Sibert /Sutherland (1997) und Svensson (1997). Die folgenden Darstellungen orientieren sich schwerpunktmäßig an den 1997 entworfenen Modellen von Belke (1997b, 1998b) und Calmfors (1997). Alternativ könnten die Interdependenzen zwischen Fiskalpolitik und dem Grad an Arbeitsmarktreformen thematisiert werden, wenn man sich - anders als der vorliegende Beitrag vorwiegend auf Deutschland und zudem nur auf die jüngste Vergangenheit konzentrieren würde. Unter diesen Einschränkungen liegt die Vermutung nahe, daß die Fiskalpolitik eher als die Geldpolitik von den Tarifparteien für die von ihnen zu verantwortende Arbeitslosigkeit "in Geiselhaft genommen" wurde und im hier behandelten Modell statt der Geldpolitik abzubilden ist. Gleichzeitig müßte jedoch auch ein direkt fühlbarer Einfluß der Fiskalpolitik - ähnlich dem der Geldpolitik oder sogar über eine akkommodierende Geldpolitik selbst auf die Inflationsrate unterstellt werden. Dies dürfte angesichts der gegenwärtigen Inflationsprognosen und dem Status der EZB unter dem Regime der EWU nicht leicht fallen.
256
Ansgar Belke
Denn es ist offensichtlich, daß die faktische Implementierung weitreichender Arbeitsmarktreformen aus politischer Perspektive nicht immer erwünscht ist. Politiker können nämlich auf unterschiedliche Weisen Nutzeneinbußen aus der Implementierung von Arbeitsmarktreformen erleiden. Zum einen reduzieren Reformen oft zumindest kurzfristig die Reallöhne der beschäftigten Insider, einer häufig in einflußreichen Interessengruppen (Gewerkschaften) organisierten und so für die Wiederwahl relevanten politischen Mehrheit. Rigide, d.h. nicht reformierte, Arbeitsmärkte führen dabei zu einem Wohlfahrtsgewinn der Insider auf Kosten der Outsider. Da letztere erfahrungsgemäß durch generöse wohlfahrtsstaatliche Regelungen und aktive Arbeitsmarktpolitiken ruhig gestellt werden (Belke 1997a), läßt sich die Aufnahme des Reformgrades in die Zielfunktion gleichwertig auch als explizite Berücksichtigung der zusätzlich zur Finanzierung derartiger Programme erforderlichen "Steuerbelastung" interpretieren. 7 Zum anderen wird bestehenden Arbeitsmarktregulierungen (ebenfalls aus Wiederwahlgesichtspunkten?) ein Eigenwert beigemessen, da sie die Empfänglichkeit der Erwerbspersonen für Schocks reduzieren (gesetzlicher Kündigungsschutz) oder Versicherungscharakter (Lohnersatzleistungen) haben (Belke 1997a; Berthold / Fehn 1996; Saint-Paul 1996). Gleichzeitig wird - neben der Arbeitslosigkeitsbestimmungsgleichung vom Lucas-Typ und der explizit formulierten Hypothese rationaler Erwartungen - eine zusätzliche Nebenbedingung eingeführt, in der die gleichgewichtige Arbeitslosigkeit linear vom gewählten Grad der Arbeitsmarktreform abhängt. Die im folgendenden angestellten Überlegungen unterscheiden zwischen zwei Szenarien. Das optimale Ausmaß einer Arbeitsmarktreform im Falle der Nichtteilnahme an der EWU und diskretionärer Geldpolitik wird durch den Grad gegeben, der den Erwartungswert der erweiterten Verlustfunktion unter den vorstehend genannten Nebenbedingungen minimiert. Im Rahmen der Bestimmung des optimalen Grades der Arbeitsmarktreform im Fall der Teilnahme an der EWU wird der Optimierungskalkül hingegen verändert. Da Arbeitsmarktinstitutionen in diesen Volkswirtschaften einen geringen Einfluß auf die Höhe der unionsweiten gleichgewichtigen Arbeitslosenrate und so auch auf die unionsweite Inflationsrate haben, wird letztere bei der Optimierung des Reformumfangs als exogen angesehen. Der hier gewählte Analyserahmen vermittelt einen Eindruck davon, wie komplex die Effekte der EWU auf Strukturreformen trotz
7
Diese Überlegungen stimmen mit der Beobachtung fur Kontinentaleuropa überein, daß keine der politischen Parteien bei näherem Hinsehen ein ideologisches "commitment" zur Durchsetzung von Reformen aufweist. Vgl. Belke (1997a); Berthold /Fehn (1996).
257
Integrationswirkungen der Europäischen Währungsunion
oft anderslautender vereinfachender Äußerungen in der Tagespolitik sein können. Einige Tendenzaussagen lassen sich dennoch ableiten. Dies zeigen die folgenden modellbasierten Ausführungen (nach Belke 1997b und 1998b). Um den Grad der Arbeitsmarktreform auch formal als "rational political choice" von Politikern interpretieren zu können, läßt sich die im Barro-Gordon-Modell
üblicher-
weise verwendete quadratische Verlustfunktion der Politiker wie folgt erweitem: L = ! / 2 [ ( U - ü ) 2 + A.(IT - ft)2 + Y R 2 ] .
(1)
Dabei entsprechen u der aktuellen Arbeitslosigkeit, ü dem Arbeitslosigkeitsziel, it der aktuellen Inflationsrate, A dem Inflationsziel der Politiker und r dem gewählten Ausmaß bzw. Grad der Arbeitsmarktreform (r 2 0). Aus Vereinfachungsgründen wird die Separierbarkeit der Verlustfunktion in bezug auf die Variablen unterstellt, obwohl es auch Fälle gibt, in denen der marginale Nutzen einer Reform durchaus von der Höhe der Arbeitslosigkeit abhängen kann (vgl. etwa Saint-Paul 1996). Als Arbeitslosigkeitsfunktion wird, wie in Modellen vom Barro-Gordon-Typ üblich, die folgende "Angebots"-Funktion ("expectation augmented Phillips-curve")
verwen-
det: (2)
u = u* - ß(u - ite) + e mit
(3)
7t< = E 0 0 ,
wobei u* als gleichgewichtige Arbeitslosigkeit, n c als (rational) erwartete Inflationsrate und e als stochastischer i.i.d.-Schock betrachtet werden sollen. Eine weitere entscheidende Abweichung zum Standard-ßarro-Gonfow-Modell ergibt sich, wenn man realistischerweise berücksichtigt, daß die Höhe der gleichgewichtigen Arbeitslosigkeit linear vom gewählten Grad r der strukturellen Reform auf Arbeitsmärkten abhängt: (4)
u* = ü - 6r,
258
Ansgar
Belke
wobei ü die Ausprägung der gleichgewichtigen Arbeitslosenrate in der Abwesenheit jeglicher Arbeitsmarktreform (r = 0) beschreibt. 8 Im folgenden wird - sowohl für den Fall der Mitgliedschaft als auch für den Fall der Nichtmitgliedschaft in einer Europäischen Währungsunion (EWU) - zunächst ein Einperiodenspiel betrachtet, in dem die Politiker sowohl die Arbeitsmarktinstitutionen als auch die Geldpolitik determinieren. Allerdings müssen Entscheidungen über die Ausgestaltung der Arbeitsmarktinstitutionen vor der Realisierung exogener Schocks und unter Berücksichtigung des Inflations-Reaktionsmusters getroffen werden. Die einmal gewählte Ausgestaltung ist für die betrachtete Periode irreversibel (Pfadabhängigkeit von Institutionen).9 Höhere Freiheitsgrade werden jedoch - wie in derartigen Modellen üblich - der Geldpolitik zugestanden. Sie kann innerhalb der Periode auf die eingetretenen Schocks reagieren und diese stabilisieren.
4.
Modellergebnisse
4.1.
Glaubwürdige Verpflichtung auf eine Geldmengenregel als Referenzfall
Um ein Referenzszenario zu entwickeln, sei zunächst unterstellt, Politiker könnten sich - innerhalb und außerhalb einer EWU - glaubwürdig auf eine geldpolitische Regel verpflichten. Das Optimierungsproblem der Politiker besteht dann darin, eine geldpolitische Regel (hier ausgedrückt in einer Bildungsvorschrift für die Inflationsrate) und gleichzeitig das Ausmaß der Reform zu identifizieren, mit denen die in Gleichung (1) formulierte Verlustfunktion minimiert wird.10 In formaler Hinsicht müssen die Ausprä-
8
Alternativ oder zusätzlich könnten Arbeitsmarktreformen Auswirkungen auf den Phillipskurvenparameter bzw. die Maßgröße für Nominallohnrigidität ß zugeschrieben werden. Diese Möglichkeit wird später noch problematisiert. Dabei wäre etwa eine Verringerung von ß plausibel, da Arbeitsmarktreformen die Reaktion der Arbeitslosigkeit auf Inflationsüberraschungen tendenziell verringern.
9
Trotzdem wird hier in bezug auf den Umfang und das Timing von Reformen kein Optionswert des Wartens berücksichtigt, obwohl letzteres bei Unsicherheit über die Reformkonsequenzen in Anlehnung an die betriebswirtschaftliche Investitionstheorie (Realoptionen) vorteilhaft sein könnte.
10
Um es genauer auszudrücken: Angesichts der gewählten Spielstruktur kann es sich dabei allerdings nur um den Erwartungswert der Verlustfunktion handeln. Dieser Zusatz entfällt im folgenden aber aus Gründen der Übersichtlichkeit.
Integrationswirkungen
der Europäischen
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Währungsunion
gungen von it, Tt5 und r gefunden werden, die Gleichung (1) unter den Nebenbedingungen (2) und (4) und der Annahme rationaler Erwartungen (u e = E(u)) minimiert. Der entsprechende Lagrange-Ansatz
(Lag) lautet:
Lag = '/2[(u - ü) 2 + A.(n - t f + yr 2 ] - m,[u - u* + ß(u - n e ) - e] - m 2 [u* - ü + ör], wobei die Variablen m, und m 2 die Z-agra/ige-Multiplikatoren bezeichnen. Nach Optimierung ergeben sich folgende Bedingungen erster Ordnung: ( O p t i ) öLag/öu: u - ü - m, = 0, (Opt 2) 6Lag/67r: X(n -1) ••m,ß = 0, (Opt3) öLag/ ör: yr - m 2 ö == 0, (Opt 4) ÖLag/ 6m,: -u + u* -ß(7t - 7te) + e = 0, (Opt 5) öLag/ö m 2 : -u + ü - ör = 0 und (Opt 6) öLag/ 6u*: m, - m 2 = 0.
Zu beachten ist dabei, daß aufgrund der eingeführten Modellstruktur auch die natürliche Arbeitslosigkeit u* aus Sicht der Politiker eine endogene, durch den Grad an Reformen r beeinflußbare Größe ist. Aus der Substitution von (1) in (2) sowie aus (4) folgt das für die Lösung relevante Gleichungssystem x: u = ü + ätc / ß - A - f t / ß
und
u = u* - ß(it - 7te) + e.
Ein wesentliches Ergebnis der Literatur zum Barro-Gordon-Modett
ist, daß die zeit-
liche Inkonsistenz optimaler Geldpolitiken, d.h. ein "inflation bias" auf einer negativen Abweichung der Zielarbeitslosigkeit vom gleichgewichtigen Niveau der Arbeitslosigkeit beruht. Unter den oben gesetzten Annahmen muß eine gemäß Gleichung (1) optimale geldpolitische Regel demnach zu derselben Inflationsrate führen, die im Falle der Gleichheit des angestrebten und des natürlichen Niveaus der Arbeitslosigkeit (d.h. u* = ü) von der geldpolitischen Instanz gewählt würde (Barro / Gordon
1983b,
S. 597f.; Svensson 1997, S. 101 ff.). Reformen tragen im Falle einer Abweichung dann
260
Ansgar Belke
gemäß der Gleichung (4) und dem von Barro-Gordon postulierten Wirkungszusammenhang dazu bei, die natürliche Arbeitslosigkeit und den hieraus resultierenden "inflation bias" ebenfalls zu reduzieren. Die Optimierung, d.h. die Lösung des Gleichungssystems x, muß deshalb unter der zusätzlichen Nebenbedingung u* = ü erfolgen. Auflösen des Systems nach % in Abhängigkeit von x e ergibt schließlich: it = (X / (X + ß2))Ä + (ß 2 / (X + ß 2 ))*' + (ß / (A. + ß 2 ))e.
Unter Berücksichtung rationaler Erwartungen, die wegen 7ie = E(7t) den systematischen Teil der vorstehenden Gleichung erfassen, resultiert nach Substitution von n e die folgende optimale geldpolitische Regel: (5)
7t = A + (ß / (A + ß 2 ))e. Im Optimum wird ein konstantes Inflationsziel verfolgt. Exogene Schocks werden
jedoch durch Abweichungen vom Inflationsziel stabilisiert. Wie wird unter Berücksichtigung dieser Regel der Reformgrad bestimmt? Mit u = u* und Opt 1 gilt m, = u* - ü. In Verbindung mit Opt 3 folgt hieraus: (6)
-5(u* - ü) + yr = 0.
Unter Berücksichtigung von Opt 5 läßt sich dieser Ausdruck auch schreiben als: (6a) r* = ö(ü - ü) / (y + ö2). Das Ausmaß der Arbeitsmarktreform r wird demnach so gewählt, daß die Grenznutzen einer niedrigeren gleichgewichtigen Arbeitslosigkeit - in Gestalt einer mit der Grenzeffektivität von Strukturreformen 5 gewichteten niedrigeren Abweichung von der Zielarbeitslosigkeit -5(u* - ü) - den Grenzkosten der Reformen (yr) genau entsprechen. Grenzkosten einer Arbeitsmarktreform können aus der Sicht der Politiker darin bestehen, daß sie zu einer Verringerung des Reallohns einer politischen Mehrheit, der beschäftigten Insider, fuhren, daß sie die Empfänglichkeit der Erwerbspersonen für Schocks erhöhen oder daß sie bei sinkenden Lohnersatzleistungen den Versicherungsschutz verringern (vgl. Kap. 3). Das Ausmaß der Reform hängt positiv von der Höhe der strukturellen Arbeitslosigkeit ab (ör* / öü > 0).
Integrationswirkungen
der Europäischen
Währungsunion
261
Die bisherige Analyse setzte voraus, daß die Geldpolitik und die Inflationsrate in einem Land autonom determiniert wird. Sie deckte somit den Fall der Nichtmitgliedschaft der betrachteten Volkswirtschaft in der EWU ab. Betrachtet man nun den Fall der Mitgliedschaft in der EWU, so ist zu berücksichtigen, daß die Geldpolitik und die Inflationsrate aus der Sicht der einzelnen betrachteten Volkswirtschaft - insbesondere wenn sie klein ist - als exogen anzusehen sind. Sie wird im hier vorgestellten Referenzfall durch die Europäische Zentralbank (EZB) realistischerweise nach einem ähnlichen Muster wie in Gleichung (5) vorgegeben. Da jedoch Arbeitsmarktinstitutionen bis auf weiteres auch in der EWU national determiniert bleiben, besteht auch in einer EWU ein nationaler Freiheitsgrad bei der Wahl von r. Durch die Exogenitätsannahme bezüglich n ändern sich jedoch die Optimalbedingungen, die für die Bestimmung von r09' relevant sind, nicht. Denn das inländische Entscheidungsproblem der Politiker besteht nun nach wie vor darin, das Reformniveau r zu finden, das den Erwartungswert der Zielfunktion (1) unter der ökonomischen Nebenbedingung (4) und der durch (5) gegebenen Inflations-Reaktionsfunktion minimiert. Die Wahl des geldpolitischen Regimes - EWU oder Nicht-EWU - beeinflußt die Reformneigung einer einzelnen Volkswirtschaft demnach nicht. In beiden Fällen wird derselbe Reformgrad gewählt. Die EWU kann nach der zuvor angestellten Analyse nicht das Mittel der Wahl sein, mit dem das dringende Problem der strukturellen Arbeitslosigkeit in Westeuropa schlagartig verringert werden kann.
4.2.
Diskretionäre Geldpolitik: Zeitliche Inkonsistenz optimaler Politiken
Aus der empirisch orientierten Literatur zur zeitlichen Inkonsistenz optimaler Geldpolitiken ist hinlänglich bekannt, daß es der Realität wohl am nächsten kommt, den wirtschaftspolitischen Entscheidungsprozeß in einer Volkswirtschaft außerhalb der EWU bei diskretionärer Geldpolitik als zweistufiges Spiel zu modellieren. Zunächst werden Lohnkontrakte (auf Basis der erwarteten Inflation) und der Grad an Arbeitsmarktreformen bestimmt sowie exogene Schocks realisiert, ehe die Geldpolitik in der zweiten Runde auf diskretionäre Weise ihren Kurs festlegt. Anhaltspunkte für die Annahme eines diskretionären Charakters des Spiels liegen in der geringen Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Implementierung glaubwürdiger Verpflichtungen der geldpolitischen Instanzen. Zum Beispiel verhindern einflußreiche Gewerkschaften oft eine politische Implementierung eines Beschäftigungsziels in Höhe der natürlichen Rate. Auch die Uneindeutigkeit bisheriger Schätzungen der Natural Rate verhindert dies
262
Ansgar
Belke
tendenziell (Svenssoti 1997, S. 100). Entscheidend für die weitere Vorgehensweise ist, daß die Politiker bereits im ersten Schritt bei der Festlegung des Reformgrades das typische geldpolitische Reaktionsmuster, d.h. die Abhängigkeit der gesetzten Inflationsrate von der natürlichen Rate der Unterbeschäftigung, berücksichtigen. Der Lagrange-Ansatz und der hierin implizite Minimierungskalkül bleiben dabei im Grunde dieselben wie im Verpflichtungsfall. Daher kann auch das der Bestimmung von 7iopl zugrunde liegende Gleichungssystem als unverändert angesehen werden: u = ü + Xn / ß - yft / ß und u = u* - ß(7t - 7te) + c. Allerdings verkompliziert sich die Lösung, da im diskretionären Fall nicht mehr vorauszusetzen ist, daß u* = ü gilt. Lösen des Systems nach 7t in Abhängigkeit von ergibt nach einigen Umformungen: n = (ß / (A + ß2)) (u* - ü) + (A / (A + ß2)) A + (ß2 / (X + ß2)) 7te + (ß / (A + ß2))e. Im Vergleich zum Verpflichtungsfall erscheint in der Lösung für 7t ein zusätzlicher Term (ß / (A + ß2)) (u* - ü). Unter Berücksichtung rationaler Erwartungen, die wegen 7te = E(tc) den systematischen Teil der vorstehenden Gleichung erfassen, resultiert nach Substitution von 7te die folgende optimale geldpolitische Regel:
bzw. nach einigen Vereinfachungen: (7)
7t = ft + (ß / A) (u* - ü) + (ß / (X + ß2))e. Der im Vergleich zum Verpflichtungsfall zusätzlich auftretende Term (ß / A) (u* - ü)
steht für die inflationäre Verzerrung ("inflation bias"). Diese wird in dem hier skizzierten Szenario relevant, wenn die Politiker auf eine Zielarbeitslosigkeit abzielen, die von dem gleichgewichtigen Niveau abweicht, und dies von rationalen Akteuren antizipiert wird. Im Hinblick auf den Zusammenhang von EWU und Arbeitsmarktreformen ist bedeutsam, daß das Ausmaß der inflationären Verzerrung außer von A auch von Parametern beeinflußt wird, die direkt oder indirekt mit Arbeitsmarktreformen zusammen-
Integrationswirkungen der Europäischen Währungsunion
263
hängen. Zum einen ergibt sich eine Abhängigkeit von der natürlichen Unterbeschäftigung u*, die gemäß Gleichung (4) direkt durch Arbeitsmarktreformen negativ beeinflußt wird. Zum anderen ist die Elastizität der Arbeitslosigkeit in bezug auf nicht-antizipierte Inflation (ß) für die Höhe des "inflation bias" bedeutsam. Aber auch diese Determinante kann durch Arbeitsmarktreformen und eine resultierende höhere Lohnflexibilität beeinflußt werden. Entscheiden Politiker nun in der ersten Stufe des Spiels über den Reformgrad r, müssen sie die gerade abgeleitete Inflationsfunktion - und dabei insbesondere die Abhängigkeit von 7iopt von u* und ß - berücksichtigen. Die Politiker wählen r so, daß der Erwartungswert der Verlustfunktion (1) unter den Nebenbedingungen (2), (4) und (7) minimiert wird. Formal entspricht dies der Optimierung eines Lagrange-Ansatzes
wie
in Kapitel 2. Die einzige Ausnahme ist, daß die Bestimmungsgleichung der zuvor ermittelten optimalen Inflationsrate statt als zusätzliche Nebenbedingung direkt in die Zielfunktion implementiert wird. Die Berechtigung hierfür liegt in der Zweistufigkeit des Spiels bei diskretionärer Geldpolitik. Wie zuvor schon erörtert, müssen Politiker gemäß ihrem Optimierungskalkül bei der Festlegung des Reformgrades r die Abhängigkeit der gleichgewichtigen Inflationsrate von der Höhe der natürlichen Arbeitslosigkeit berücksichtigen. Da jedoch die Realisation der Schocks erst nach der Setzung des ex ante optimalen Reformgrades bekannt wird, wird dabei nur der nicht-stochastische Teil der Gleichung (7), also ( ft + (ß / X) ( u* - ü)) verwendet. Der im diskretionären Fall zu verwendende Lagrange-Ansatz
lautet dann:
Lag = '/2[(u - ü)2 + X((ß / y) (u* - ü))2 + Yr2] - m,[u - u* + ß(it - ne) - e] - m2[u* - ü + 6r], Nach Optimierung resultieren folgende Bedingungen erster Ordnung: (Opt 1) öLag/6u: u - ü - m, = 0, (Opt 3) ÖLag/ör: Yr - m 2 ö = 0, (Opt 5) 6Lag/öm 2 : -u* + ü - ör = 0, (Opt 6) öLag/6u*:
ß 2 (u* - ü)
+ m, - m 2 = 0 (verändert).
264
Ansgar Belke
Wie wird unter Berücksichtigung dieser Optimalbedingungen erster Ordnung der aus der Sicht der diskretionär handelnden Politiker gleichgewichtige optimale Reformgrad abgeleitet? Mit u = u* und Opt 1 gilt m, = u*- ü. In Verbindung mit Opt 6 folgt hieraus: ß2 m 2 = (u* - ü) + — (u* - ü). Unter Berücksichtigung von Opt 3 läßt sich dieser Ausdruck auch schreiben als: r ß2 I yr - [ ( u * - ü ) + — ( u * - ü ) j 6 = 0 bzw.
(6b) yr - 6 (u* - ü)
ß26 X
(u* - ü) = 0.
Substituieren von Opt 5 in (6b) ergibt lediglich eine andere Schreibweise dieser Optimalbedingung erster Ordnung für das Ausmaß der Reform:
(6c) r* = V ;
6 (ß 2 + X) — - — (ü - ü). 6 (ß 2 + X) + yX K ' 2
Das Ausmaß der Arbeitsmarktreform r wird nach (6b) so gewählt, daß sich die Grenznutzen einer niedrigeren gleichgewichtigen Arbeitslosigkeit -6 (u* - ü)
ß26 — (u* - ü)
und die Grenzkosten der Reformen (yr) genau entsprechen. Im Vergleich zum "commitment"-Fall ist somit eine zusätzliche Grenznutzenkomponente ß28 - - i L - (u* - ü) enthalten. Diese ist direkt auf den Nutzenzuwachs durch die reformbedingte Rückführung des "inflation bias" (ß / A.) (u* - ü) zurückzuführen. Die erste Ableitung dieses Terms nach der Nominallohnrigidität ß ist eindeutig positiv. Hierin kommt zum Ausdruck, daß das Glaubwürdigkeitsproblem der Geldpolitik ansteigt, wenn Nominallohnrigiditäten bedeutsamer werden, und daß sich Reformbemühungen mit dem Ziel einer Verringerung der inflationären Verzerrung als Reaktion hierauf verstärken. Auch die erste Ableitung nach ü ist positiv (und betragsmäßig größer als im "commitment"-
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der Europäischen
265
Währungsunion
Fall: eine ohne Reformen höhere strukturelle Arbeitslosigkeit erhöht wegen der höheren inflationären Verzerrung selbstverständlich den Anreiz zu Reformen. Es läßt sich auf zwei Weisen zeigen, daß das Ausmaß der Reform im "commitment"-Fall geringer ausfällt als im "discretion"-Fall. Erstens läßt sich der Wert der linken Seite der Gleichung (6b) berechnen, indem für den Reformgrad r der optimale "commitment"-Wert (Gleichung (6a)) eingesetzt wird: y((ö/ (y + ö2)) (u* - ü) - ö(u* - ü) - - i y (u* - ü) = K
-63A - ß 2 öy - ß 2 ö 3 (y + ö2)A.
(u* - ü) < 0,
da (u* - ü) > 0. Per saldo überwiegen also (noch) die Grenznutzen des gewählten Reformgrades. Da die Minimierung der Lagrawge-Funktion nach r die Einhaltung der Bedingung
verlangt, muß der Reformgrad größer als im "commitment"-Fall werden, um im "discretion"-Fall zur Gleichheit von Grenzkosten und Grenznutzen der Reform zu gelangen. Zweitens lassen sich die Größenordnungen des Reformgrades im "commitment"und im "discretion"-Fall direkt miteinander vergleichen. Dabei wird gefragt, ob die Rechthandseite von (6c), d.h. der Reformgrad unter Diskretion, abzüglich der Rechthandseite von (6a), d.h. dem Reformgrad unter "commitment", größer als 0 ist: 6 ( ß 2 + A) ö2 (ß 2 + X) + yX
6 (ß 2 + A) 6 2 (ß 2 + A) + yX
6 (ß2 + X) ö2 (ß2 + X) + y (ß2 + X)
(ü - ü) > 0 ?
Offensichtlich ist diese Ungleichung erfüllt, denn y(ß 2 + A.) im Nenner des zweiten Bruches ist größer als yA im Nenner des ersten Bruches. Beide Brüche unterscheiden
266
Ansgar Belke
sich nur um diese Terme. Nach beiden Berechnungsmethoden fällt der Reformgrad r bei "policy discretion" größer aus als bei "policy commitment".11 Welchen Wert nimmt nun der gewählte Reformgrad r im Fall der Mitgliedschaft in der EWU bei "policy discretion" an? Intuitiv plausibel erscheint es, zur Inflationsbestimmung weiterhin eine Gleichung vom Typ (7) zugrunde zu legen. Allerdings haben die Variablen nicht mehr eine nationale, sondern eine unionsweite Dimension (Kürzel EWU). Es sei darüber hinaus aus Vereinfachungsgründen angenommen, daß für die Währungsunion dasselbe Inflationsziel, dasselbe Arbeitslosigkeitsziel und dieselbe Inflationsaversion gilt wie für eine nationale Volkswirtschaft. Da die EWU mehrere z.T. kleine offene Volkswirtschaften umfaßt, bezeichnet der Parameter e sowohl asymmetrische als auch symmetrische Schocks. Eine plausible Inflationsgleichung für die EWU lautet unter diesen Voraussetzungen: (7a) n = ft + (ßEWU / A.) (u*EWU - ü) + ( ß E W / (X + ßEWU2))e. Diese Inflationsgleichung stellt für eine an der EWU teilnehmende Volkswirtschaft bei der Wahl eines optimalen nationalen Reformgrades r eine exogene bindende Restriktion dar. Die Inflationsrate wird unionsweit durch die Europäische Zentralbank vorgegeben. Der Optimierungskalkül in bezug auf den Reformgrad r basiert somit auf einer Minimierung des Erwartungswertes von Gleichung (1) unter den Nebenbedingungen (4) und (7a). Da Arbeitsmarktinstitutionen in einem Mitgliedsland der EWU nur einen vergleichsweise geringen Einfluß auf die Höhe der unionsweiten gleichgewichtigen Arbeitslosigkeit u*EWU und die unionsweite Inflationsrate ausüben, kann durch eine reforminduzierte Annäherung der natürlichen Unterbeschäftigung an ein
'1 Die bisherigen Ergebnisse ließen sich auch graphisch leicht im Rahmen des Arbeitsmarktmodells von Layard /Jackman /Nickeil (1991) durch eine reformbedingte Verschiebung der "wage-setting"-Kurve nach außen ausdrücken. Beispielsweise könnte eine Reform die Dauer des Bezugs von Lohnersatzleistungen, eine der signifikantesten Determinanten von Unterschieden der Arbeitslosenrate in OECD-Ländern (Kösters / Belke 1996; Nickell 1997), verringern und so den realen Anspruchslohn der Arbeitssuchenden senken. Hiermit verbunden ist dann eine Linksverschiebung der natürlichen Unterbeschäftigungsrate und eine Verringerung der inflationären Verzerrung entsprechend der durch den Phillipskuxvtmwm verlaufenden Indifferenzkurven. Die Indifferenzkurven können sich selbstverständlich nicht nur auf die beiden Größen ti und u beziehen. Vielmehr muß der Vollständigkeit halber auch der Verlust durch Arbeitsmarktreformen berücksichtigt werden. Anderenfalls sind falsche Schlußfolgerungen in bezug auf die Vorteilhaftigkeit der EWU nicht ausgeschlossen (Belke / Kamp 1998).
Integrationswirkungen
der Europäischen
Währungsunion
267
(vergleichsweise niedriges) Arbeitslosigkeitsziel im Grenzfall kein Grenznutzen in Gestalt eines kleineren "inflation bias" mehr erzielt werden. Der Term X
entfällt somit im Grenznutzen-Grenzkostenkalkül gemäß Gleichung (6b). Wählten nationale Politiker nun weiterhin den (höheren) Reformgrad r wie oben im "discretion"-Fall außerhalb der EWU, so befänden sie sich bereits im aufsteigenden Ast der Verlustfunktion (1). Da das Verlustminimum bereits bei einem geringeren Wert von r erreicht wird, fällt innerhalb der EWU der Reformgrad r geringer aus als außerhalb der EWU. Auch die Größenordnung des von den Politikern gewählten Reformgrades läßt sich exakt bestimmen. Gemäß (6) und (6b) entspricht r"1" in der Währungsunion genau r°pl im "commitment"-Fall. Aus dieser Gleichheit folgt, daß der beschäftigungspolitische Nachteil der EWU in dem Ausmaß schwindet, wie es gelingt, der "inflation bias" z.B. durch eine Erhöhung der Inflationsaversion A. zu reduzieren. Die Wahl "konservativer" Regierungen sowie die Ernennung "konservativer" Zentralbanker wären Instrumente, die den Reformanreiz außerhalb der EWU und den beschäftigungspolitischen Nachteil der EWU tendenziell verringern könnten {Rogoff 1985, Alesina 1989). Da derartige "commitments" jedoch bekanntlich gleichzeitig das Potential zu einer Akkommodierung negativer Schocks reduzieren, wird der komparative Nachteil der EWU in bezug auf Arbeitsmarktreformen dabei immer nur partiell eliminiert ("second-best"Charakter). In die entgegengesetzte Richtung wirkt eine erhöhte Persistenz der Arbeitslosigkeit. In diesem Fall ist der durchschnittliche "inflation bias" größer (und zeitpfadabhängig), denn eine Senkung der gegenwärtigen Arbeitslosigkeit fuhrt zu einer Verringerung der zukünftigen Arbeitslosigkeit und zu einer erhöhten Attraktivität von Inflation für die Politiker. Die Einfuhrung der um eine Periode verzögerten Arbeitslosenrate in die P/i(7/;p.skurvenbeziehung (2) macht das zugrundeliegende Spiel zu einem dynamischen Spiel mit einer Zustandsvariablen in der Inflationsfunktion: der verzögerten Arbeitslosigkeit. Die Berücksichtigung von Persistenz verändert die dem zuvor dargestellten Basismodell zugrundeliegende Anreizstruktur sowie die daraus abzuleitenden Modellergebnisse in intertemporaler Hinsicht. Denn wenn Arbeitslosenraten miteinander zeitlich hoch korreliert sind, führt ihre einmalige Senkung voraussichtlich nicht nur zu
268
Ansgar Belke
gegenwärtigen, sondern auch zu zukünftigen Verlustminderungen aus Sicht der jeweils regierenden Politiker. Dadurch steigt dann aber die Neigung der Regierungspartei, zu Beginn der Legislaturperiode eine höhere Überraschungsinflation zu induzieren. Darüber hinaus hängt die Ausprägung makroökonomischer Variablen nicht mehr wie im Basismodell allein von der gegenwärtigen Regierungspolitik und den Erwartungen der Privaten ab. Es wird statt dessen ein "carry-over from past policies" in Gestalt der von der Vorperiode "geerbten" Zustandsvariable "Arbeitslosigkeit" eingeführt. Die bisherigen Kernaussagen des Basismodells werden dabei tendenziell noch pointiert, denn der "inflation bias" im Fall der Nichtteilnahme an der EWU wird jetzt noch ausgeprägter. Es erscheint daher lohnenswert, die Persistenz der Arbeitslosigkeit demnächst in das vorgestellte Basismodell zu integrieren, ebenso wie sie erst in jüngerer Zeit in die "commitment-discretion"-Literatur eingeführt wurde.12
4.3. Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse 4.3.1. Reformnachteil der EWU Solange das Problem der inflationären Verzerrung der Geldpolitik in europäischen Volkswirtschaften als gravierend und ein adäquates Design sowie die glaubwürdige Implementierung von antiinflationären Selbstbindungen der geldpolitischen Instanzen als unwahrscheinlich betrachtet werden, fallen die Anreize zu (nationalen) Strukturreformen außerhalb einer EWU möglicherweise größer aus als innerhalb. Denn eine niedrigere gleichgewichtige Arbeitslosenrate nach einer Reform reduziert die inflationäre Verzerrung. Falls Arbeitsmarktinstitutionen auch nach dem Start der EWU national bestimmt bleiben (dies ist eine der Kernannahmen dieses Beitrags!), kommt dieser Effekt dem reformierenden Land nur außerhalb, wegen der vergemeinschafteten Geldpolitik nicht aber innerhalb einer EWU voll zugute. Abhilfe könnte vielleicht nur eine internationale Koordination der Reformbemühungen schaffen. Diese ist aber in der politischen Realität wegen der starken Unterschiede der arbeitsmarktrelevanten Institutionen der EU-Staaten bisher noch unwahrscheinlich. Der "inflation bias"-Effekt kann sich auf verschiedene Weise sogar noch verstärken. Erstens gilt: Falls Schwankungen der Inflation bei höheren Inflationsniveaus als kosten12
Vgl. Alesina / Rosenthal (1989, S. 375); Belke (1996a, S. 158f.; 1998d); Jonsson (1997, S. 304); Svensson (1997, S. 104).
Integrationswirkungen der Europäischen Währungsunion
269
trächtiger angesehen werden, läßt sich die Neigung zu Arbeitsmarktreformen auch aus einem Vorsichtsmotiv heraus erklären.13 Der Ertrag einer Senkung der Inflationsrate erhöht sich außerhalb der EWU, da sie dort als Folge der Stabilisierung inländischer Schocks durch die nationale geldpolitische Instanz tendenziell variabler ist. Außerhalb der EWU existiert dann ein zusätzlicher Anreiz, die gleichgewichtige Arbeitslosigkeit und hierdurch auch die durchschnittliche Inflationsrate zu senken. Zweitens reduzieren Arbeitsmarktreformen nicht nur direkt die gleichgewichtige Arbeitslosigkeit (Gleichung (4)), sondern typischerweise auch Nominallohnrigiditäten (Laufzeiten von Tarifverträgen) und (bei niedrigen Inflationsraten wirken hierfür flexible Nominallöhne begünstigend, aber nicht immer realisierbar) auch Reallohnrigiditäten. Sie verringern hierdurch das Ausmaß der Beschäftigungsreaktion auf nicht-antizipierte Geldpolitik bzw. Inflation, die gleichgewichtige Arbeitslosenrate und letztlich auch den "inflation bias" (Heylen 1993, OECD 1994). Auch hierdurch ergeben sich [wie oben schon formal aus ôr*/ öß > 0 (Gleichung (6c)) hervorging] außerhalb der EWU Anreize, das Problem der inflationären Verzerrung der Geldpolitik durch (weitere) Arbeitsmarktreformen zu verringern. Drittens fiel in der Vergangenheit die Inflation in Demokratien nicht nur aus nationaler, sondern auch aus globaler Perspektive tendenziell zu hoch aus (dieser außenwirtschaftliche Zusammenhang wird bei Calmfors nur unzureichend beleuchtet). Denn binnenländische Inflation ist über verschiedene Transmissionskanäle auch im Ausland wohlfahrtsmindemd. Erstens kann Inflation die relativen Preise handelbarer Güter verzerren, wenn überlappende nominale Kontrakte vorliegen. Zweitens können Risiken von Fremdwährungs-"assets" oft nur unvollständig versichert werden (Belke / Gros 1997; Sibert / Sutherland 1997, S. 6). Die EWU - eine Form geldpolitischer Kooperation - kann als ein "commitment" zur Intemalisierung dieser externen Effekte interpretiert werden. Ohne Kooperation könnten einzelne Länder Geldpolitiken in der Absicht durchfuhren, auf Kosten der Nachbarländer reale Gewinne zu erzielen. Beispielsweise unterliegt ein Land, das durch einen negativen Schock getroffen wird, dem Anreiz zu inflationieren, um seine Reallöhne relativ zum Ausland zu verringern und so Arbeitslosigkeit zu exportieren (Buiter / Sibert 1997, S. 14). Die Anreize zu "beggar-
13
Die sonst oft unterstellte Unabhängigkeit der Kosten der Variabilität von Inflation und Arbeitslosigkeit von ihrem Gleichgewichtsniveau beruht in gängigen Verlustfunktionen lediglich auf der quadratischen Formulierung der Argumente. Vgl. Calmfors (1997, S. 13)
und Friedman (1977).
270
Ansgar Belke
thy-neighbour policies" entstehen aufgrund der teilweisen Externalisierbarkeit der realen Inflationskosten und wachsen - wie weiter oben bereits gezeigt - mit steigenden Verzerrungen auf Arbeitsmärkten. Ohne Kooperation entstehen Anreize, Reformen durchzuführen, da diese die nationale Inflationsrate reduzieren. In der EWU (als einem Ausdruck geldpolitischer Kooperation) hingegen sind Reformanreize geringer, da keine Neigung mehr besteht, auf Kosten anderer Länder zu inflationieren. Diese Kosten werden nämlich in der EWU internalisiert (Sibert /Sutherland
1997, S. 4ff.).
Viertens läßt sich durch spieltheoretische Überlegungen zeigen, daß die Einhaltung der Maastrichter Konvergenzkriterien als "EMU entry condition" - auf den ersten Blick paradoxerweise - tendenziell eher zu einer Verringerung des Reformumfangs fuhrt (Buiter / Sibert 1997; Ozkan / Sibert / Sutherland 1997). Die Intuition hinter diesem Ergebnis ist, daß eine "entry condition" u.a. in Gestalt eines "inflation target" den Zentralbanken der EWU-Kandidaten eine höhere Glaubwürdigkeit verleiht und zunächst zu geringeren Inflationserwartungen fuhrt. Letztere führen zu niedriger tatsächlicher Inflation, und dies ohne zusätzlichen Bedarf an gesellschaftlich ebenfalls nicht kostenfreien (man beachte Gleichung (1)!) Arbeitsmarktreformen. Die wahrgenommenen Benefits einer Reform sind demnach geringer und das potentielle Beitrittsland wählt einen geringeren Reformgrad. Die durch ein "inflation target" induzierte zusätzliche Glaubwürdigkeit der Zentralbanken stellt unter diesen Voraussetzungen gleichsam ein Substitut für Arbeitsmarktreformen dar. Eine geldpolitische Kooperationsform wie die EWU stellt aus dieser Sicht wegen der vergleichsweise höheren Arbeitslosigkeit und des hiermit verbundenen Glaubwürdigkeitsproblems der Geldpolitik allenfalls eine "second-best"Lösung dar.
4.3.2.
Reformvorteil der EWU
Das vorstehend entwickelte Modell erlaubt nun allerdings auch Szenarien, unter denen die Anreize für Strukturreformen innerhalb einer EWU stärker als außerhalb ausfallen. Wenn erstens Beschäftigungsschwankungen als umso schwerwiegender eingeschätzt werdende höher die durchschnittliche Rate der Arbeitslosigkeit ausfällt, ergibt sich ein Vorsichtsmotiv für ein Mehr an Arbeitsmarktreformen. Denn der Grenznutzen einer Rückführung der Arbeitslosigkeit steigt.14 Der marginale Nutzen einer Arbeits 14
Für diese Einschätzung sprechen mehrere Gründe. Erstens erhöht sich bei höherer Sockelarbeitslosigkeit die Wahrscheinlichkeit einer - wenn auch zyklischen - Arbeitslosigkeit des
Integrationswirkungen der Europäischen Währungsunion
271
marktreform ist folglich nur dann in der EWU höher als außerhalb, wenn die Variabilität der Beschäftigung im Fall der Mitgliedschaft in der EWU höher liegt als im Fall der Nichtmitgliedschaft. Ein erster Grund für einen derartigen Tatbestand könnte sein, daß inländische asymmetrische Schocks in einer EWU nicht in gleichem Umfang wie außerhalb durch Variationen der Inflationsrate stabilisiert werden können. Ein zweiter Grund ist, daß im Ausland versursachte asymmetrische Schocks zu geldpolitischen Störungen in Gestalt importierter nicht-antizipierter Inflation fuhren. Letztere wiederum übersetzen sich in zusätzliche Schwankungen der heimischen Beschäftigung. Drittens erhöht sich die Wahrscheinlichkeit asymmetrischer Schocks möglicherweise als endogener Effekt der EWU (iCalmfors 1997, S. 16f.; Fatäs 1997; Krugman 1993). Wenn diese Annahme aber nicht erfüllt ist - asymmetrische Schocks sind zu bedeutenden Teilen politikinduziert und die EWU diszipliniert die Wirtschaftspolitiken - kehrt sich das Vorsichtsmotiv zuungunsten der EWU um. Ein höheres Risiko von Schwankungen der Arbeitslosigkeit und eine stärkere Neigung zu Arbeitsmarktreformen ergeben sich nun außerhalb der EWU. Eine Abschwächung des Reformvorteils der EWU ergibt sich ebenfalls, wenn sich wie von Belke / Gros (1997) zeigen läßt, daß die von der Theorie optimaler Währungsräume betonten asymmetrischen Exportnachfrageschocks einen geringeren als erwarteten Einfluß auf europäische Arbeitsmärkte haben. Als ein entscheidendes neues Ergebnis der vorstehenden Abwägung bleibt jedoch festzuhalten: Man kann nicht zwei Vorteile der EWU - sie steigere die Anreize zu Arbeitsmarktreformen und reduziere das Risiko makroökonomischer Schocks (Calmfors 1997, S. 17) - gleichzeitig reklamieren. Zweitens führen Arbeitsmarktreformen tendenziell dazu, daß Reallöhne stärker auf exogene Schocks reagieren. Hierdurch werden die Nettoschocks reduziert, auf die die Geldpolitik als "shock-absorber" reagieren müßte. Da in der EWU die Geldpolitik zur Stabilisierung asymmetrischer Schocks nicht mehr zur Verfügung stehen wird, erhöht dieser Effekt den Grenznutzen und damit die Anreize zu Arbeitsmarktreformen im Vergleich zu einer Nichtmitgliedschaft in der EWU. Diese Tendenz wird noch dadurch verstärkt, daß asymmetrische Schocks im Rest der EWU zum Import von Schwankungen
wiederwahlrelevanten Medianwählers. Zweitens verstetigt sich bei Hysteresis eine zunächst konjunkturelle zu einer strukturellen Arbeitslosigkeit. Dies ist für die Wiederwahlchancen von Regierungen entscheidender, da möglicherweise die Grenzen der finanziellen Belastungen der beschäftigten Wähler erreicht werden. Drittens handelt es sich dabei um ein in der politischen Debatte häufig vorgebrachtes Werturteil.
272
Ansgar Belke
nicht-antizipierter Inflation fuhren, falls die EZB versuchen sollte, die aggregierte Beschäftigung in der EWU zu stabilisieren (vgl. etwa Layard /Jackman /Nickell
1991,
S. 1991; Calmfors 1997, S. 17ff.). Drittens hängt die Intensität der Reformen in der EWU positiv vom Ausmaß der aus der EWU direkt resultierenden Effekte auf die strukturelle Arbeitslosigkeit ab [6r*/öü > 0 in Gleichung (6a)]. Hierunter fallen vor allem die Beschäftigungseffekte unwiderruflich fixierter Wechselkurse, aber auch entsprechende Effekte eines durch die EWU beschleunigten Strukturwandels und Effekte der EWU auf das Lohnsetzungsverhalten (Belke 1997b, 1998a; Belke / Gros 1997; 1998; Berthold / Fehn 1998). Wirken diese erhöhend auf die binnenländische strukturelle Arbeitslosigkeit, so steigt das nationale Reformausmaß et vice versa; der Gesamteffekt bleibt somit offen.
4.3.3.
Geldlohnrigidität und Arbeitsmarktreformen
Bisher wurde implizit davon ausgegangen, daß Arbeitsmarktreformen zu einer Senkung der gleichgewichtigen Arbeitslosigkeit beitragen, indem sie Reallohnsenkungen herbeifuhren. Wenn jedoch Rigiditäten der Nominallöhne nach unten ["resistance to money wage cuts in general", d.h. ein nach unten beschränktes ß in Gleichung (2)] vorliegen und gleichzeitig - wie gegenwärtig in den meisten Ländern der EU - das generelle Inflationsniveau niedrig ist, sind derartige Reallohnsenkungen nur schwierig zu erreichen (Akerlof /Dickens /Perry 1996; Carey 1997; Gordon 1996). Bei niedrigen Inflationsraten stellt sich dann ein negativer Zusammenhang von Inflation und gleichgewichtiger Arbeitslosigkeit ein. Dies führt - über alle Inflationsniveaus hinweg - zu einer nichtlinearen langfristigen Phillipskurve. Worin besteht nun aber die Implikation für den hier untersuchten Zusammenhang von EWU und Arbeitsmarktreformen? Entscheidend ist, daß nun im Vergleich zum Normalfall außerhalb der EWU neben den Anreiz zur Verringerung des "inflation bias" ein zusätzlicher Anreiz tritt. Außerhalb der EWU entstehen "disincentives" in bezug auf Arbeitsmarktreformen, da letztere die Inflationsneigung reduzieren und hierdurch im relevanten Bereich niedriger Inflationsraten zu einer Erhöhung der gleichgewichtigen Arbeitslosigkeit beitragen. Damit die EWU für eine nationale Regierung die Anreize zu Arbeitsmarktreformen im Vergleich zu einer Nichtmitgliedschaft in der EWU erhöht, muß der letzte Effekt dominieren. Dieses Argument eines langfristig negativen Infla-
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der Europäischen
Währungsunion
273
tions-Arbeitslosigkeits-Trade-Offs ist aber wohl für diejenigen alles andere als attraktiv, die eine E W U mit dem Argument befürworten, die E W U führe zu einem gestiegenen Systemwettbewerb und zu m e h r Arbeitsmarktderegulierung ( C a l m f o r s 1997, S. 25). 15
4.3.4.
A b f e d e r u n g von Strukturreformen durch die Geldpolitik?
Das Argument, daß die Anreize für Arbeitsmarktreformen außerhalb der E W U stärker seien als innerhalb, legt die Annahme zugrunde, daß es ohne weiteres keine eindeutige Lösung für das Zeitinkonsistenz-Problem der Geldpolitik gibt. N u n läßt sich aber mit Argumenten von Calmfors Sutherland
(1997), Gordon
(1996), Sibert (1997) und Sibert /
(1997) verdeutlichen, daß die E W U selbst dann nicht uneingeschränkt als
vorteilhaft für Arbeitsmarktreformen angesehen werden kann, w e n n die an der E W U nicht teilnehmenden Volkswirtschaften ("Outs") das Problem der inflationären Verzerrung ihrer Geldpolitiken durch eine geeignete Institutionenwahl eliminieren könnten.
Ein Grund liegt darin, daß der Übergang von einem Arbeitsmarkt-Institutionenset zu einem anderen ganz wesentlich durch das geld- bzw. währungspolitische Regime beeinflußt werde. Innerhalb der E W U sorge eine Arbeitsmarktreform möglicherweise dafür, daß das nationale Inflationsziel unterschritten werde, da Wechselkurse unwiderruflich fixiert seien. W e n n nun Geldlöhne nach unten rigide seien (der Fokus des Kapitels 4.3.3.), k o m m e es zumindest kurzfristig nicht zu den für den Abbau der hohen gleichgewichtigen Arbeitslosigkeit und für die Bewältigung des Strukturwandels nötigen Reallohnsenkungen. Gleichzeitig steige der Widerstand gegen die Reformen. Deren Durchhaltbarkeit werde ohne eine akkommodierende Geldpolitik (im Kontrast zu der weniger flexiblen Fiskalpolitik) immer weniger glaubwürdig. Außerhalb einer Währungsunion könne hingegen die Geldpolitik eingesetzt werden, um eine Verfehlung des Inflationsziels zu vermeiden ("two-handed approach", vgl. Kösters / Belke 1996). Da über die Geldpolitik und das A u s m a ß der R e f o r m e n auf derselben Ebene bestimmt werde, seien Arbeitsmarktreformen außerhalb einer E W U politisch leichter durchsetz-
15
Aus dieser Sicht führt die EWU nur dann zu mehr Reformen, wenn sie eine höhere Inflation, eine hierdurch verringerte Nominallohnrigidität und somit mehr Spielraum fur den in Kapitel 4.3.4. beschriebenen "two-handed approach" zeitigt. Gegen diese Interpretation spricht allerdings, daß die EWU selbst Nominallohnrigiditäten tendenziell erhöhen könnte, da beispielsweise plötzliche Wechselkursänderungen entfallen. Vgl. Belke (1996b, 1998a).
274
Ansgar Belke
bar und im Zeitablauf glaubwürdiger ("dynamisch konsistent") als innerhalb. Zudem drohe keine Lohn-Preis-Spirale, solange die Reformen zuerst implementiert würden (Calmfors 1997; Gordon 1996).
4.3.5.
EWU: Verstärkte Anreize zur Koordinierung von Reformen?
Die EWU könnte aus verschiedenen Gründen die Anreize zu einer Koordinierung struktureller Arbeitsmarktpolitiken verstärken. Erstens könnten hierdurch die Effekte nationaler Arbeitsmarktreformen auf den EWU-weiten "inflation bias" internalisiert werden. Zweitens könnten hierdurch nationale Gewerkschaften aus ihrem in der EWU auftretenden Gefangenendilemma befreit werden. Letzteres besteht darin, daß nationale Gewerkschaften ihre eigene relative Reallohnposition zu verbessern trachten, ohne dabei das Verhalten der Gewerkschaften der übrigen EWU-Teilnehmerländer zu beachten. Denn die EZB wird, solange sie - wie im hier verwendeten Modell - auch ein implizites Beschäftigungsziel verfolgt, auf "free-rider"-Lohnforderungen einer nationalen Gewerkschaft mit einer Erhöhung der unionsweiten Inflationsrate reagieren. Da diese auch zurückhaltendere Ländergewerkschaften trifft, findet so eine teilweise Externalisierung aggressiver Lohnforderungen statt. Gelingt es nun, durch koordinierte Arbeitsmarktreformen die Position der Insider zu stärken und so dem Beschäftigungsziel bei den Gewerkschaften wieder stärkeres Gehör zu verschaffen, so entstehen auch innerhalb der EWU positive Beschäftigungseffekte (Buiter / Sibert 1997; Grüner / Hefeker 1996). Drittens könnte die gemeinschaftliche Geldpolitik die Durchsetzung von Reformen erleichtern, wenn sie unter den Mitgliedsstaaten der EWU koordiniert wurden {Gordon 1996). Viertens stellen EWU-weit getroffene Vereinbarungen über unpopuläre, aber notwendige Reformschritte eine glaubwürdige "commitment"-Technologie dar, da sie die Kosten einer NichtVerwirklichung der Arbeitsmarktreformen für eine einzelne Volkswirtschaft deutlich erhöhen. Ein Vorbild hierfür könnte etwa die Teilnahme einiger EU-Länder am Europäischen Wechselkursmechanismus in den achtziger Jahren sein, die de facto eine "commitment"-Technologie für die Geldpolitik darstellte.
Insgesamt gesehen, lassen sich jedoch in der politischen Realität keine Hinweise dafür ausmachen, daß eine EU-weite Koordination von Arbeitsmarktreformen in absehbarer Zeit verwirklicht wird (Belke 1998c). Da die Bestimmungsgründe der Arbeitslosigkeit trotz eines ähnlich hohen strukturellen Anteils in europäischen Staaten unterschiedlich sind, erscheint es vorzugswürdig, jeden EWU-Mitgliedstaat seinen eigenen Weg zu
Integrationswirkungen der Europäischen Währungsunion
275
Arbeitsmarktreformen gehen zu lassen. Eine Koordination nationaler Beschäftigungspolitiken erscheint notwendig, wenn andere Länder potentielle "free-rider" einer Politik des implementierenden Landes sind und/oder diese Politiken anderen EWU-Ländern zusätzliche Kosten aufbürden (Subsidiaritätsprinzip) (Belke 1997b, 1998b; Buiter / Sibert 1997, S. 15; Pissarides 1996). Gerade im Bereich aktiver Arbeitsmarktpolitiken, die auf eine Verringerung des "Mismatch" von Arbeitsangebot und -nachfrage abzielen, ergeben sich in einer EWU aber keine zusätzlichen länderübergreifenden Spillovers. Arbeitsmärkte in Westeuropa sind hierfür zu unterschiedlich, von nationalen Institutionen bestimmt und (anders als Finanzmärkte) regional beschränkt. Versuche einer Koordination oder der Schaffung eines Kapitels zu einer "Beschäftigungsunion" in einer revidierten Fassung des Maastrichter Vertrags wirken dann in der Übergangsphase zu einer EWU sogar kontraproduktiv, weil sie notwendige strukturelle Anpassungen in lokalen Arbeitsmärkten verhindern und Informationsvorsprünge lokaler Märkte vernachlässigen würden. Koordinationsgewinne wären allenfalls im Bereich der Arbeitsmarktforschung und -statistik erzielbar, wenn hierdurch eine größere Transparenz der Ländererfahrungen durch mehr Klarheit und Effizienz nationaler Beschäftigungspolitiken erzielt werden könnten (u.a. Harmonisierung nationaler Arbeitslosigkeitsdefinitionen) (.Pissarides 1996, S. 22f.).
5.
Schlußbemerkungen und Ausblick Die Arbeitslosigkeit in Westeuropa trägt überwiegend strukturellen Charakter. Zu
ihrer Beseitigung ist eine Reform der Institutionen vorzunehmen, die bisher ein adäquates Funktionieren nationaler Güter- und Arbeitsmärkte verhinderten. Die EWU jedoch ist weder für die bisher eingeschränkte Funktionsfähigkeit verantwortlich, noch kann sie diese (alleine) beseitigen. Sie tangiert zwar mehr Aspekte als die Elimination von Wechselkursrisiken, kann aber nicht als Ersatz oder Beschleuniger für fundamentale Strukturreformen auf europäischen Arbeitsmärkten herhalten. Eine Währungsunion mag zwar aus verschiedenen Gründen (Eliminierung nicht versicherbarer Wechselkursrisiken, Einsparung von Transaktionskosten etc.) beschäftigungspolitisch positiv zu bewerten sein. Die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit einer Durchsetzung von Strukturreformen auf Arbeitsmärkten sollte dabei jedoch kein wichtiges Motiv sein. Paradoxerweise erhöht jedoch gerade diese Einsicht möglicherweise die politische Unterstützung der EWU durch die Wählerschaft, die immer noch mehrheitlich aus beschäftigten Insidern und Kapitaleignern besteht und zum Teil nicht an durchgreifenden Strukturrefor-
276
Ansgar Belke
men interessiert ist. Darüber hinaus impliziert das in diesem Beitrag entwickelte Modell, daß die EWU nur dann die Anreize zu Arbeitsmarktreformen erhöht, wenn die Inflationsneigung der Europäischen Zentralbank ohne Reformen durch die EWU größer wird und/oder das Risiko makroökonomischer Schocks ohne Reformen durch die EWU steigt. Folglich eignet es sich noch nicht zu einer Beurteilung der gesamten Wohlfahrtswirkungen der EWU. Hierfür müßte erst ein Maßstab entwickelt werden, um den Beschäftigungszuwachs aus Reformen (Beschäftigungsverlust aus unterlassenen Reformen) und die Gefahr einer potentiell hohen Inflationsneigung und potentiell gravierender makroökonomischer Schocks (Nutzen einer niedrigen Inflationsneigung und wenig gravierender makroökonomischer Schocks) gegeneinander abzuwägen (Alogoskoufis 1994, S. 196; Belke / Kamp 1998). Darüber hinaus läßt sich auf der Basis des hier vorgestellten Modells nicht exakt ableiten, wie groß der Reformvorteil unter einem diskretionären geldpolitischen Regime wirklich ist. Lassen sich hinreichend große Anreize zu wirklich durchschlagenden Reformen erwarten? Schließlich müßte begründet werden, warum zukünftig in bezug auf die Inflationsrate ein Glaubwürdigkeitsproblem der EZB bestehen sollte, welches von den Finanzmärkten in der mittleren Frist trotz der aktuellen, kurzfristig orientierten Debatte um die Notwendigkeit von Zinssenkungen im Vorfeld der EWU momentan nicht gesehen wird. Die in den Kapiteln 4.3.4. und 4.3.5. aufgezeigten Zusammenhänge von Arbeitsmarktreformen, Geldpolitik und Geldlohnrigiditäten erinnern an das Prinzip der Komplementarität von Beschäftigungspolitiken (Coe/Snower 1997; Lindbeck 1996). Jeder Reformschritt wird wahrscheinlicher, wenn er durch gleichgerichtete Maßnahmen (z.B. stabilitätsorientierte Geldpolitiken) und/oder positive Rückkoppelungseffekte (z.B. die Beseitigung einer inflationären Verzerrung) begleitet wird, so daß eine kritische Masse marginaler Nutzen überschritten wird. Gleichzeitig sind die in diesem Beitrag beschriebenen Zusammenhänge mit Überlegungen von Cukierman / Lippi (1997) kompatibel, nach denen stark zentralisierte Gewerkschaften dazu neigen, in einer EWU eine höhere gleichgewichtige Arbeitslosigkeit zu erzeugen als außerhalb. Falls Lohnverhandlungen in einer individuellen Volkswirtschaft relativ zentralisiert seien, habe die Lohnfestlegung (die inhaltlich im Cukierman¿ippi-Modell eine Analogie zur Bestimmung des Reformgrades darstellt) einen nicht vernachlässigbaren Effekt auf die Höhe der nationalen gleichgewichtigen Arbeitslosigkeit (dies entspricht in Gleichung (4) einem großen 5) und so auch auf den "inflation bias". Um diesen zu reduzieren, zahle sich für die zentralisierte Gewerkschaft (dies ent-
Integrationswirkungen
der Europäischen
Währungsunion
277
spricht im vorliegenden Modell einem hohen Reformgrad) auf nationaler Ebene eine Reallohnzurückhaltung aus. Gewerkschaften als "wage setter" erzeugen dann aber aus der zuvor ausführlich erläuterten Logik heraus eine vergleichsweise niedrigere gleichgewichtige Arbeitslosigkeit, falls die betrachtete Volkswirtschaft kein Mitglied der E W U ist. 16 Wie auch aus den beiden zuletzt genannten Analogien hervorgeht, scheint das hier vorgestellte Modell - nicht zuletzt wegen seiner Einfachheit und klaren Anreizstruktur - für eine breitere Anwendung geeignet und in mehrere Richtungen erweiterbar zu sein. Es ist zu hoffen, daß es zu einer Versachlichung der bisher oft emotional und politisch geprägten Diskussion um die Bedeutung einer EWU für Arbeitsmarktreformen beitragen kann.
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16
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Determinanten von Reservewährungen und Entwicklung des Euros Frank Will
1. Währungsreserven und Reservehaltung offizieller Währungsbehörden
284
1.1.
Begriffliche Abgrenzung
284
1.2.
Bestimmungsgründe der Reservehaltung
286
1.3.
Theorie der optimalen Reservehaltung
289
1.4.
Auswirkungen des Status als Reservewährungsland
291
1.5.
Entwicklung der Devisenreserven
292
2. Auswirkungen der Europäischen Währungsunion auf die Finanzmärkte
294
2.1.
Erfüllt der Euro die Anforderungen an eine Reservewährung?
294
2.2.
Währungsreserven im Europäischen System der Zentralbanken (ESZB)
301
2.3.
Entwicklung des Euros als Anlage-, Anker- und Transaktionswährung
304
3. Die zukünftige Bedeutung des Euros
311
Literatur
312
284
Frank Will
Am 10. Dezember 1991 wurde in Maastricht der Vertrag über die Europäische Union (EUV) von den Staats- und Regierungschefs der EG-Mitgliedsstaaten unterschrieben. Dieser legt für die dritte Stufe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion die Einführung einer gemeinsamen Währung unter einheitlicher Geldpolitik eines gemeinschaftlichen Entscheidungsträgers, der Europäischen Zentralbank (EZB), fest. Die gemeinsame europäische Währung wird weitreichende Änderungen nach sich ziehen, die in ihrem vollen Ausmaß heute noch nicht abzusehen sind. Dabei werden die Auswirkungen der Euro-Einfuhrung nicht auf die Teilnehmerländer der Europäischen Währungsunion beschränkt sein, sondern auch Länder außerhalb der Währungsunion tangieren. Welche Konsequenzen die Verschmelzung der europäischen Währungen zu einer gemeinsamen Währung auf die Reservehaltung offizieller Währungsbehörden haben wird und inwieweit sich der Euro zu einer Anlage-, Anker- und Transaktionswährung entwickeln wird, soll im folgenden näher untersucht werden.
1.
Währungsreserven und Reservehaltung offizieller Währungsbehörden
1.1.
Begriffliche Abgrenzung
Währungsreserven sind international verwendbare Zahlungsmittel, die offiziellen Währungsbehörden unmittelbar zur Verfugung stehen "either to finance payments imbalances or to manage these imbalances by intervening in financial markets to influence fluctuations in exchange rates of national currencies" (IMF 1983, S. V). Währungsreserven können also kurzfristig zur Finanzierung von Zahlungsungleichgewichten oder zur vorübergehenden Bewältigung eines solchen Ungleichgewichts eingesetzt werden. Die Währungsreserven umfassen neben den von den Notenbanken gehaltenen Devisenreserven und Goldbeständen auch die Reservepositionen beim Internationalen Währungsfonds (IMF) und die Sonderziehungsrechte. Der Großteil der Währungsreserven (knapp 80%) wird in Form von Devisenreserven gehalten. Devisenreserven sind Forderungen der Währungsbehörden gegenüber Gebietsfremden in Form von Bankeinlagen, Schatzwechseln, kurz- und langfristigen Staatspapieren und anderen Forderungen, die ohne Vorbedingungen zur Finanzierung von Zahlungsbilanzdefiziten nutzbar sind. Der Vorteil der Devisenreserven gegenüber den anderen Währungsreservearten liegt in der hohen Liquidität, die eine schnelle Verfügbarkeit gewährleistet und direkte Einsatzmöglichkeiten eröffnet.
Determinanten
von Reservewährungen
und Entwicklung des Euros
285
Reservepositionen sind Währungsreserven, die die Zentralbanken beim IMF halten. Jedes Mitgliedsland des IMF, muß einen Subskriptionsbeitrag in Abhängigkeit einer länderspezifischen Quote, die sich an bestimmten volkswirtschaftlichen Kenngrößen des jeweiligen Landes orientiert, in den IMF einzahlen. Anfänglich mußten 25% des Subskriptionsbeitrages in Gold und die restlichen 75% in eigener Währung eingezahlt werden. Seit 1978 muß der Fremdwährungsanteil grundsätzlich in Form von Sonderziehungsrechten geleistet werden. 1 Als Reserveposition beim IMF werden die 25% der nicht in eigener Währung eingezahlten Guthaben beim IMF bezeichnet. Sie gelten als Währungsreserven des jeweiligen Landes und stellen bei Inanspruchnahme durch die jeweilige Notenbank keine Kreditgewährung durch den IMF dar. Die Bedeutung der Reservepositionen ist gering, da sie nicht einmal 3% der Weltwährungsreserven ausmachen. Die Sonderziehungsrechte (SZR) wurden 1969 vom IMF als ein internationales Reservemedium eingeführt und sollten die anderen Reservearten ergänzen. Sonderziehungsrechte sind ein künstlich geschaffenes Reservemedium und stellen reine Bucheintragungen beim IMF dar. Sie werden den Mitgliedsländern im Verhältnis zu ihren Quoten gutgeschrieben und in der Notenbankbilanz auf der Aktivseite unter den Währungsreserven erfaßt. Die Sonderziehungsrechte können nicht direkt am Devisenmarkt eingesetzt werden, sondern müssen vorher durch den IMF in konvertible Währungen umgetauscht werden (Designierung). Der Wert eines Sonderziehungsrechts wird anhand eines Währungskorbes der fünf Länder mit den höchsten Anteilen am Weltexport errechnet. Obwohl beabsichtigt war, die Sonderziehungsrechte als das Hauptreservemedium zu etablieren, stieg der Anteil der Sonderziehungsrechte am Gesamtvolumen der offiziellen Währungsreserven seit ihrer Einführung nie über 5% und liegt momentan sogar unter 2%. Neben den Devisenreserven halten die offiziellen Währungsbehörden historisch bedingt auch große Bestände an Gold (16,5%). Obwohl seit Ende der achtziger Jahre einige Schwellenländer verstärkt Goldreserven aufbauen, um sich von den traditionellen Reservewährungen unabhängiger zu machen, ist allgemein jedoch eine Tendenz zum Abbau der Goldreserven zu erkennen. Sowohl der relative Anteil an den Währungsreserven als auch das absolute Volumen (mengen- und wertmäßig) der Goldreserven sinken (IMF 1997, S. 157). Ein Grund für die sinkende Goldnachfrage sind die im 1
Der IMF kann jedoch auch für diesen Teil Zahlungen in eigener Währung oder einer anderen vom IMF akzeptierten Währung zulassen. Vgl. Willms (1992, S. 230f.).
286
Frank Will
Vergleich zu den Devisenreserven höheren Transaktionskosten. Der Verkauf der Goldreserven ist in der Regel mit dem physischen Transfer der Goldbestände verbunden, wodurch zusätzliche Kosten entstehen. Darüber hinaus entstehen bei den Zentralbanken Opportunitätskosten,2 da Gold im Gegensatz zu Devisenreserven keinen Zinsertrag erzielt.3 Darüber hinaus haben die umfangreichen Goldverkäufe osteuropäischer Staaten insbesondere Rußlands sowie die Goldverkäufe der zukünftigen EWU-Teilnehmerländer im Rahmen der Haushaltskonsolidierung zu einer deutlichen Abnahme der Goldreserven gefuhrt.
1.2. Bestimmungsgrttnde der Reservehaltung Aus welchen Gründen werden Währungsreserven gehalten? In einem System fester Wechselkurse versuchen die Notenbanken im Rahmen von Devisenmarktinterventionen, den Wechselkurs zu fixieren bzw. innerhalb einer bestimmten Bandbreite zu halten. Im allgemeinen sind die Notenbanken in einem Festkurssystem beim Erreichen bzw. Überschreiten der Interventionspunkte (Bandbreiten) zu diesen Devisenmarktinterventionen verpflichtet. So bestanden von 1944 bis 1973 im Rahmen des BrettonWoods-Systems Interventionsverpflichtungen innerhalb einer Bandbreite von zunächst ±1% gegenüber dem USD4 sowie im EWS von 1979 bis 1993 von ±2,25%. Seit 1993 galten im EWS die erweiterten Bandbreiten von ±15%,5 die den Interventionsbedarf der Notenbanken stark reduziert haben.
2
Obwohl die Rentabilität im allgemeinen nicht primäre Zielsetzung der Notenbankpolitik ist, ist seit Anfang der achtziger Jahre ein Übergang zu einem aktiveren Reservemanagement zu beobachten. Durch eine stärker ertragsorientierte Strukturierung der Reserveportfolios im Rahmen ihrer stabilitätsorientierten Zielsetzung versuchen die Notenbanken, die mit der Reservehaltung verbundenen Kosten zu kompensieren. Vgl. Hepperle (1996, S. 96-100).
3
Zu berücksichtigen ist jedoch, daß die Notenbanken zum Teil ihre Goldreserven über Swaps in andere Währungen getauscht haben und somit auch mit ihren Goldbeständen in einem gewissen Umfang Erträge erzielen.
4
Da dadurch die bilateralen Wechselkurse europäischer Währungen um bis zu ± 2% voneinander abweichen konnten, verständigten sich die europäischen Länder darauf, die Bandbreite gegenüber dem USD auf ± 0,75% zu reduzieren. Im Dezember 1971 wurden durch das Smithsonian-Agreement die Bandbreiten im Bretton-Woods-System auf ± 2,25 ausgeweitet.
5
Mit Ausnahme der Niederlande und Deutschlands, die für den bilateralen Wechselkurs eine Bandbreite von ± 2,25% vereinbart hatten.
Determinanten
von Reservewährungen
und Entwicklung des Euros
287
Gerät eine Währung beispielsweise unter Abwertungsdruck und erreicht den oberen Interventionspunkt, wird die inländische Notenbank versuchen, die Währung zu stützen und den Wechselkurs zu stabilisieren. Dazu muß sie die eigene Währung kaufen und im Gegenzug ihre Währungsreserven verkaufen. Die Notenbank kann jedoch nur solange am Devisenmarkt intervenieren und die heimische Währung kaufen, wie sie noch über Währungsreserven bzw. ausreichende Kreditfazilitäten bei anderen Notenbanken oder internationalen Währungsinstituten verfugt. Die Notenbanken benötigen also zur Durchfuhrung von obligatorischen oder intramarginalen Devisenmarktinterventionen einen ausreichenden Bestand an Währungsreserven. Bestehen bilaterale Interventionsverpflichtungen, so muß auch die Notenbank der aufwertenden Währung Maßnahmen zur Wechselkursstabilisierung ergreifen und die Fremdwährung nachfragen. Die Verpflichtung zum Kauf der Fremdwährung gegen heimische Währung fuhrt dann neben der Gefahr einer importierten Inflation bei nicht zu sterilisierender Geldmengenexpansion im Inland auch zu einem Anstieg der Währungsreserven. In einem System vollständig flexibler Wechselkurse sind die Notenbanken nicht zu Devisenmarktinterventionen verpflichtet und die Wechselkurse können ohne Eingriffe von offiziellen Währungsbehörden frei schwanken. Infolgedessen würden die Notenbanken keine Währungsreserven benötigen und der Bestand an offiziellen Währungsreserven müßte sowohl im Volumen als auch in der Struktur konstant bleiben. Warum werden dann trotzdem Währungsreserven gehalten? Bei flexiblen Paritäten ermöglichen Währungsreserven den Zentralbanken die Einflußnahme auf die Wechselkursentwicklung. Treten wirtschaftspolitisch unerwünschte Wechselkursentwicklungen auf, können die Zentralbanken versuchen, diesen Entwicklungen durch Aufstockung bzw. Verkauf ihrer Währungsreserven entgegenwirken ("schmutziges Floating"). Starke kurzfristige Schwankungen der Wechselkurse als Folge von Veränderungen der Exporteinnahmen, der Ausgaben für Importe oder der Kapitalströme sollen so verhindert oder zumindest abgemildert werden (Cassel / Thieme 1995, S. 338). Die Zentralbanken beabsichtigen, vorübergehende Defizite im Rahmen eines langfristigen Zahlungsbilanzgleichgewichts zu finanzieren. Die Volkswirtschaft soll gegen externe Störungen abgeschottet werden, die sich aus zufälligen Schwankungen der in der Leistungsbilanz erfaßten Transaktionen und temporär destabilisierenden Kapitalbe-
288
Frank Will
wegungen ergeben können und die aus wirtschaftspolitischen Gründen als unerwünscht empfunden werden (Willms 1992, S. 236; Hepperle 1996, S. 41). Grundsätzlich muß jedoch berücksichtigt werden, daß Notenbanken nicht in der Lage sind, längerfristige Ungleichgewichte mit Hilfe ihrer Währungsreserven auszugleichen. Wie der Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems, die Krise des EWS oder auch die Asienkrise veranschaulichen, kann der Wechselkurs einer Währung nicht durch Interventionen der Notenbanken fixiert werden, wenn die ökonomischen Voraussetzungen dafür fehlen. Ein weiteres Ziel der Reservehaltung ist es, Vertrauen in die eigene Währung zu schaffen. Ausländische Kapitalanleger reagieren empfindlich auf Abwertungstendenzen. Wird die Abwertung einer Währung erwartet oder deuten sich Kapitalbewegungen in diese Richtung an, wird ein Großteil der ausländischen Investoren sein Kapital aus diesem Land bzw. dieser Währung abziehen. Durch einen hohen Bestand an Währungsreserven sollen Vertrauen in die eigene Währung geschaffen und Kapitalmarktspekulationen schon im Ansatz unterbunden werden. Durch den Verkauf der Währungsreserven sind die Zentralbanken zumindest zeitweilig in der Lage, Abwertungen der eigenen Währung zu verhindern. Ziel der offiziellen Reservehaltung ist also die Aufrechterhaltung der Konvertibilität der nationalen Währung bei einem bestimmten, angestrebten Wechselkurs. Grundsätzlich sollte man jedoch bei der Bewertung von Devisenmarktinterventionen berücksichtigen, daß sie immer einen staatlichen Eingriff in das Marktgeschehen darstellen und die tatsächlichen Wechselkurse verzerren. Sie fuhren zu einer Fehlbewertung der Wechselkurse, da sie das Erreichen des fundamental bedingten Devisenmarktgleichgewichts verhindern. Eingriffe der Notenbanken in den Wechselkursmechanismus sind an den Veränderungen der Währungsreserven, die in der Devisenbilanz erfaßt werden und den Devisenbilanzsaldo darstellen, zu erkennen. Die Höhe des Devisenbilanzsaldos kann als Maßstab für außenwirtschaftliche Ungleichgewichte angesehen werden, die durch Devisenmarktinterventionen konserviert und aufgrund der Eingriffe in den Wechselkursmechanismus nicht beseitigt werden.
Determinanten
1.3.
von Reservewährungen
und Entwicklung des Euros
289
Theorie der optimalen Reservehaltung
In welcher Höhe eine Notenbank Währungsreserven hält, hängt von dem gewünschten Bestand an international verwendbaren liquiden Mitteln ab. Prinzipiell muß sich ein solcher Bestand nicht vollständig im Besitz der jeweiligen Notenbanken befinden. Denn die einzelnen Länder könnten den Ausgleich von Zahlungsbilanzungleichgewichten auch durch Inanspruchnahme externer öffentlicher Kreditfazilitäten, die beispielsweise vom IMF oder der BIZ bereitgestellt werden, vornehmen. Diese sind allerdings in der Regel mit wirtschaftspolitischen Auflagen verbunden. Deshalb werden generell Reserven bevorzugt, über die die Notenbanken jederzeit und unmittelbar verfügen können. Darüber hinaus haben Reserven im Vergleich zu einer Kreditaufnahme den Vorteil, daß ihre Verwendung - im Gegensatz zur Rückzahlungsverpflichtung eines externen Kredits - nicht mit einer Verpflichtung zum Wiederaufbau verbunden ist (Unger 1991, S. 20). Bei der Festlegung der Höhe der Währungsreserven müssen im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Analyse die Vor- und Nachteile der Reservehaltung einander gegenübergestellt werden. Während der Ertrag der Reservehaltung in der Vermeidung von kurzfristig wirksam werdenden Anpassungszwängen für die inländische Wirtschaft liegt, entstehen den Volkswirtschaften durch das Halten von Währungsreserven auch Kosten, denn die Währungsreserven stehen den einzelnen Ländern nicht mehr für Investitionen zur Verfügung und reduzieren somit das gesamtwirtschaftliche Einkommen. Zwar stehen den Kosten auch Erträge aus der Verzinsung der Reserveaktiva gegenüber, diese dürften aber im allgemeinen unter den Erträgen liegen, die Realkapitalanlagen erzielen (Plumper 1996, S. 365; Hepperle 1996, S. 42f.). Einen Ansatz, die Kosten und Nutzen der Reservehaltung gegeneinander abzuwägen, stellt der Optimierungsansatz dar. Er versucht, die optimale Reservehöhe durch die Gegenüberstellung von Grenzerträgen und Grenzkosten der Reservehaltung zu bestimmen (Willms 1992, S. 237f.). Im Rahmen des Optimierungsansatzes werden dabei folgende Annahmen getroffen: Den Ertrag der Währungsreserven stellen die durch die Reservehaltung gesunkenen Anpassungskosten dar. Es wird angenommen, daß der Grenzertrag der Währungsreserven positiv ist, aber mit zunehmenden Reservebestand fällt, d.h. der Grenzertrag ist um so geringer, je höher der Reservebestand ist. Den Erträgen der Reservehaltung stehen die
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oben beschriebenen Nachteile in Form von entgangenen Gewinnen gegenüber. Die Opportunitätskosten ergeben sich als Differenz der gesamten aus der Haltung von Währungsreserven resultierenden Rendite und der in Form der Kapitalmarktrendite entgangenen Erträge auf Sachvermögen. Vereinfachend wird angenommen, daß die Kapitalmarktrendite und der Ertragssatz auf Währungsreserven konstant sind und dementsprechend die Höhe der marginalen Opportunitätskosten unabhängig vom Reservebestand ist und sie parallel zur Abszisse verlaufen (vgl. Abb. 1). Abbildung 1: Ermittlung des optimalen Reservebestandes
Theoretisch ist die Bestimmung des optimalen Reservebestandes als Schnittpunkt der Grenzertragskurve mit der Kurve der marginalen Opportunitätskosten unkompliziert. Die Operationalisierung des Optimierungsansatzes ist jedoch mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Ist die Bestimmung der aus der Haltung von Währungsreserven resultierenden Rendite noch einigermaßen unproblematisch, so ist die Ermittlung der Alternativrendite als Grundlage der Opportunitätskosten schon wesentlich komplexer. Welche Rendite die Währungsreserven gehabt hätten, wenn sie der Volkswirtschaft für investive Zwecke zur Verfügung gestanden hätten, ist äußerst schwierig zu beurteilen. Auch der Grenzertrag der Reservehaltung durch nicht entstandene Anpassungskosten wird in der Praxis wohl kaum zu quantifizieren sein. Ein weiterer Nachteil des Optimierungsansatzes ist, daß er nicht das tatsächliche Verhalten der Zentralbanken widerspiegeln dürfte. "Denn im wesentlichen stellen die
Determinanten
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291
Währungsreserven eine Residualgröße dar, die sich aus dem Interventionsverhalten in Abhängigkeit von dem jeweiligen Wechselkursziel ergibt."6 Abschließend bleibt festzuhalten, daß der Optimierungsansatz zwar theoretisch anschaulich ist, aber für die praktische Festlegung der Höhe der Reservehaltung offizieller Währungsbehörden nur sehr bedingt geeignet ist.
1.4. Auswirkungen des Status als Reservewährungsland Bei der Überlegung, ob eine Währung zu einer Reservewährung wird, stellt sich die Frage, ob ein Land den Status eines Reservewährungslandes überhaupt anstreben sollte. Welche Vorteile bieten sich einem Reservewährungsland und welche Nachteile können damit verbunden sein? Wenn ausländische Anleger ein hinreichend großes Vertrauen in die Reservewährung haben, kann sich ein Reservewährungsland langfristig ein höheres Zahlungsbilanzdefizit erlauben als ein Land ohne Reservewährungsstatus. Wie das Beispiel der USA zeigt, läßt sich ein Leistungsbilanzdefizit auch langfristig durch den Kapitalzufluß von ausländischen Anlegern und Notenbanken finanzieren. Das Reservewährungsland ist also in der Lage, mehr ausländische Güter und Dienstleistungen zu erwerben und mehr Investitionen zu tätigen als vergleichbare Länder. Diese Einnahmen, die aus der Emission der Währung entstehen, werden allgemein als "Seigniorage-Gewinn" bezeichnet.7 Sofern die Transaktionen über die heimischen Märkte und nicht über ausländische Euromärkte abgewickelt werden, hat der Banken- und Finanzsektor des Reservewährungslandes Einnahmen in Form von Gebühren und Provisionen sowie durch die Zinsspanne zwischen den Einlagen- und Kreditzinsen. Aufgrund des verstärkten Kapitalzuflusses aus dem Ausland hat ein Reservewährungsland tendenziell ein niedrigeres Zinsniveau als vergleichbare Länder ohne Reser6
Willms (1992, S. 238).
7
Ein solcher Seigniorage-Gewinn entsteht jedoch nur dann, wenn ein Reservewährungsland den Erwerb realer Ressourcen aus dem Ausland mittels unverzinslicher oder nicht marktgerecht verzinster Schuldtitel finanziert. Vgl. McKinnon (1969, S. 20).
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velandstatus. Ein niedrigeres Zinsniveau wiederum macht für inländische Unternehmen die Kreditaufnahme attraktiver bzw. senkt die Opportunitätskosten bei Eigenmittelfinanzierung und erhöht so die Investitionstätigkeit im Reservewährungsland. Steigende Investitionen führen tendenziell zu einem höheren Volkseinkommen und somit zu einem gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsgewinn. Der Status als Reservewährungsland kann jedoch auch Nachteile mit sich bringen: So muß ein Reservewährungsland darauf achten, daß es nicht zu einem starken Abfluß der vom Ausland gehaltenen Guthaben in seiner Währung und damit zu einer erheblichen Abwertung der eigenen Währung kommt. Die Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit seiner Währung muß vorrangiges Ziel der Geld- und Fiskalpolitik sein und kann den Verzicht auf bestimmte binnenwirtschaftlich als sinnvoll erachtete geld- oder fiskalpolitischen Maßnahmen implizieren. Der Status als Reservewährungsland kann insoweit also mit politischen Opportunitätskosten im Sinne eines gewissen Souveränitätsverlustes verbunden sein. Ein weiterer Nachteil liegt in den stärkeren Abhängigkeiten bezüglich der weltwirtschaftlichen Entwicklungen, denen ein Reservewährungsland unter Umständen unterliegen kann. So können Veränderungen der weltweiten Kapitalströme zu starken Wechselkursschwankungen der Reservewährungen führen und damit über die Im- und Exportpreise erhebliche binnenwirtschaftliche Probleme auslösen. Abschließend bleibt festzuhalten, daß die quantifizierbaren Vorteile des Reservelandstatus nicht so groß sind, obwohl sie insgesamt die Nachteile überwiegen. Der positive Nettoeffekt einer Reservewährung sollte jedoch nicht überschätzt werden.
1.5.
Entwicklung der Devisenreserven
Theoretisch hätte mit dem Zusammenbruch des Systems von Bretton Woods Anfang der siebziger Jahre und dem Übergang zu flexibleren Wechselkursen der Reservebedarf offizieller Währungsbehörden zurückgehen müssen. Bei einem flexiblen Wechselkurssystem können sich Volkswirtschaften durch Wechselkursanpassungen gegen externe Schocks abschotten. Treten Zahlungsbilanzungleichgewichte auf, werden diese durch Auf- oder Abwertungen der inländischen Währung ausgeglichen. Zu einem geringeren Reservebedarf dürfte darüber hinaus auch die geringere Wahrscheinlichkeit spekulativer Kapitalströme beitragen, da die Finanzmarktteilnehmer nicht mehr mit Devisen-
Determinanten
von Reservewährungen
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293
marktinterventionen der Notenbanken rechnen können und ihnen damit der Anreiz für Spekulationen an den Devisenmärkten fehlt. Entgegen diesen Überlegungen trat jedoch nach 1973 der erwartete Rückgang der globalen Reservehaltung nicht ein (Willms 1992, S. 236). Statt dessen nahm der Bestand der von offiziellen Währungsbehörden gehaltenen Devisenreserven sogar beträchtlich zu. Von 1973 bis März 1997 ist der Bestand an Devisenreserven von 101,9 Mrd. auf 1.078,2 Mrd. SZR gestiegen und hat sich damit mehr als verzehnfacht (IMF 1997, S. 157 und IMF 1995, S. 62f.). Dieser Anstieg liegt im gegenwärtigen Weltwährungssystem begründet, das nicht durch vollständig flexible Wechselkurse, sondern durch viele unterschiedliche Abstufungen von Wechselkursregimes geprägt ist. Neben dem europäischen Wechselkursverbund (EWS) mit seinen Interventionsverpflichtungen für die beteiligten europäischen Notenbanken begründen beispielsweise die Zielsetzungen der jeweiligen Währungsbehörden oder auch die Statuten des IMF eine Reservehaltung bei den Notenbanken. Nach den allgemeinen Grundsätzen des IMF für die Wechselkurspolitik sind die IMF-Mitgliedsländer verpflichtet, extreme Wechselkursschwankungen durch Interventionen zu glätten und dadurch zur Aufrechterhaltung geordneter Marktverhältnisse beizutragen. Für diese Interventionen im Rahmen internationaler Währungsabkommen benötigen die Notenbanken Devisenreserven und halten deshalb in der Regel einen Bestand an Währungsreserven. Bei der Untersuchung der Währungsstruktur der von den offiziellen Währungsbehörden gehaltenen Devisenbestände wird ersichtlich, daß sich das Anlageverhalten der Notenbanken im Zeitablauf verändert hat. Zu Beginn des Bretton-Woods-Systems war das Pfund Sterling die bedeutendste Reservewährung, jedoch gewann in den fünfziger Jahren der US-Dollar allmählich an Bedeutung. Die Reservehaltung in US-Dollar erreichte 1977 mit einem Anteil von über 80% am Gesamtvolumen der Devisenreserven ihren Höhepunkt. Trotz eines abnehmenden Anteils an den Weltdevisenreserven und mehrerer Vertrauenskrisen ist der Dollar nach wie vor die führende Reservewährung. Der US-Dollar hat derzeit einen Anteil von 63% am Gesamtbestand der von den Zentralbanken gehaltenen Devisenreserven. Die Entwicklung der DM zur zweitwichtigsten Reservewährung war bis Ende der siebziger Jahre durch die Versuche von Bundesbank und Bundesregierung geprägt, den Aufbau von Devisenreserven in DM zu verhindern. 8 Die Bundesbank befürchtete damals einen zusätzlichen Aufwertungsdruck, der den be-
8
Zu den einzelnen Maßnahmen der Bundesbank vgl. Unger (1991, S. 96-101).
294
Frank Will
reits als übertrieben empfundenen Aufwertungsprozeß der DM verstärkt und damit der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Exportindustrie geschadet hätte {Deutsche Bundesbank 1979, S. 33). Erst allmählich vollzog sich ein Wandel in der Bundesbankpolitik und nach einer Phase passiver Akzeptanz wurde in den achtziger Jahren versucht, die Vorteile, die mit dem Status als Reservewährungsland verbunden sind, zu nutzen und gleichzeitig die negativen Auswirkungen zu begrenzen.' Die Entwicklung des Anteils der DM am Reservebestand der Zentralbanken spiegelt dementsprechend auch den Wandel in der Haltung der Bundesbank wider. Seit Beginn der siebziger Jahre stieg der Anteil der DM kontinuierlich an und erreichte Ende der achtziger Jahre den Höhepunkt mit 18,8%. Danach sank der Anteil wieder leicht auf das heutige Niveau von etwa 14%. Übersicht 1:
Reservewährungen
Art der Reservewährung
Währung
Anteil am Gesamtbestand 1997
Primäre Reservewährung
US-Dollar
63%
Sekundäre Reservewährungen
Deutsche Mark Japanischer Yen
14%
Britisches Pfund Französische Franc
3% 2% 2%
Tertiäre Reservewährungen
ECU Schweizer Franken
2.
7%
1%
Auswirkungen der Europäischen Währungsunion auf die Finanzmärkte
2.1. Erfüllt der Euro die Anforderungen an eine Reservewährung? Eine Währung gilt als internationale Währung, wenn sie die drei klassischen Geldfunktionen auch außerhalb des Emittentenlandes besitzt. Ob eine internationale Währung zu einer Reservewährung wird, hängt nicht von einer entsprechenden Erklärung des Emissionslandes ab, sondern von den individuellen Entscheidungen ausländischer 9
Maßgeblich beeinflußt wurde der Wandel in der Haltung der Bundesbank durch den damaligen Bundesbankpräsidenten Pohl, der der Rolle der DM als Reservewährung nicht mehr ablehnend gegenüberstand. Darüber hinaus trugen sicherlich auch die Leistungsbilanzdefizite der Jahre 1979 bis 1981 und der damit verbundene Kapitalbedarf aus dem Ausland zum Positionswandel bei.
Determinanten von Reservewährungen und Entwicklung des Euros
295
Notenbanken, diese W ä h r u n g - aufgrund der in der Vergangenheit gezeigten und auch für die Zukunft erwarteten stabilitätsorientierten Geldpolitik des Emissionslandes - als Reservewährung zu verwenden. Das bedeutet, daß Währungen ihren Status als Reservew ä h r u n g e n verlieren, sobald Zweifel an einer Fortsetzung der Stabilitätspolitik auftreten, da das Anlageverhalten der Notenbanken im allgemeinen stark risikoavers ist.
Die Entwicklung des Euros zu einer international verwendeten Reservewährung hängt maßgeblich von der Reputation der E Z B und ihrer erfolgreichen und nachhaltigen Stabilitätspolitik ab. D a der A u f b a u von Glaubwürdigkeit und Vertrauen Zeit braucht u n d aufgrund der bestehenden Unsicherheiten auf den internationalen Finanzmärkten, wird der Euro sich erst allmählich an den Märkten durchsetzen können. Wie die Beispiele aus der Vergangenheit zeigen, vollziehen sich solche Strukturveränderungen auf den Devisenmärkten sehr langsam. Dies war bei der Ablösung des P f u n d Sterling durch den US-Dollar oder auch bei der Etablierung der D M als internationale Währung zu beobachten. Diese Trägheit des Währungsgefüges liegt u.a. auch an den "economies of scales", die Währungen mit einer großen Verbreitung aufweisen (Issing 1997).
Der Vertrag von Maastricht hat die formalen Voraussetzungen für einen stabilen Euro geschaffen und geht in Teilen sogar weiter als das Bundesbankgesetz. N a c h Artikel 7 sind die E Z B und die nationalen Notenbanken unabhängig von den Weisungen der Regierungen oder anderer Stellen. Die einzelnen Länder können sich bei der E Z B nicht verschulden und haben somit keinen direkten Zugriff auf Notenbankkredite. Artikel 11(2) legt fest, daß die Direktoriumsmitglieder der E Z B für acht Jahre ernannt und nicht wiedergewählt werden dürfen. Dadurch wird eine größere Unabhängigkeit der Direktoriumsmitglieder gewährleitet, da sie bei der Ausgestaltung ihrer Geldpolitik nicht ihre mögliche Wiederwahl durch die Staats- und Regierungschefs berücksichtigen müssen. Darüber hinaus wird die E Z B über ein umfassendes geldpolitisches Instrumentarium verfugen, das eine stabilitätsorientierte Geldpolitik ermöglicht. Allgemein wird sogar erwartet, daß die E Z B eher einen zu restriktiven Kurs fahren wird, um Reputation am Markt zu gewinnen und Vertrauen in die Stabilität des Euros aufzubauen (Stocker 1997).
Welche Effekte von der Fiskalpolitik ausgehen, ist ebenfalls noch nicht abzusehen. Eine expansivere Fiskalpolitik einzelner EWU-Mitgliedstaaten - trotz Stabilitätspakt 1 0 -
10
Die Staats- und Regierungschefs der EU haben am 5./6. April 1997 in Noordwijk einen Stabilitätspakt vereinbart, der einschneidende Sanktionsmaßnahmen bei einer Neuverschul-
296
Frank
Will
könnte konträr wirken, denn ein international erfolgreicher Euro hängt vom Vertrauen der weltweiten Finanzmärkte ab und kann nur durch eine solide gemeinschaftliche Politik der Teilnehmerländer erreicht werden (Stocker 1997). Neben der Glaubwürdigkeit der Notenbank des Emissionslandes und dem Vertrauen in die stabilitätsorientierte Geldpolitik ist eine weitere notwendige Bedingung für den Status als Reservewährung die vollständige Konvertibilität einer Währung zumindest für ausländische Kapitalanleger, d.h. der Kapitalverkehr zwischen den einzelnen Ländern darf weder durch Kapitalverkehrskontrollen behindert, noch durch andere Restriktionen eingeschränkt werden. Damit eine Währung als Reservemedium fungieren kann, muß sie also international akzeptiert werden und sowohl de facto als auch de jure in alle anderen Währungen umgetauscht werden können. Entscheidend ist dabei nicht nur die gegenwärtige Gewährleistung des freien Kapitalverkehrs, sondern auch die Erwartungen der Marktteilnehmer hinsichtlich der zukünftigen Konvertibilität einer Währung. Der Euro wird vollständig konvertibel sein; es sind weder Kapitalverkehrskontrollen noch andere Formen von Kapitalverkehrsbeschränkungen vorgesehen. Inwieweit die Wechselkurspolitik der EZB den Kurs des Euros beeinflussen wird, ist noch nicht abzusehen. Der Europäische Rat kann gemäß Artikel 109(2) EUV unter außergewöhnlichen Umständen, beispielsweise im Falle eindeutiger Wechselkursverzerrungen, allgemeine Orientierungen für die Wechselkurspolitik gegenüber Drittlandswährungen aufstellen. Auch wenn diese allgemeinen Orientierungen weder die Unabhängigkeit der EZB noch das vorrangige Ziel des ESZB, die Preisstabilität aufrechtzuerhalten, beeinträchtigen sollen, können sie Devisenmarktinterventionen der EZB erforderlich machen. In welchem Umfang diese Markteingriffe die Stabilität des Euros beeinflussen, hängt von der Konsequenz ab, mit der die EZB die Wechselkursorientierungen verteidigen wird und ist zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht abzuschätzen. Damit eine Währung zu einer internationalen Reservewährung wird, müssen die Finanzmärkte des Emissionslandes über eine ausreichende Liquidität verfügen. Entscheidend ist dabei, daß die Notenbanken jederzeit in der Lage sind, ihre Devisenreserven in der jeweiligen Währung zu verkaufen. Voraussetzung für die Attraktivität nationaler Finanzmärkte für ausländische Investoren und damit für die internationale Verbreitung einer Währung ist die Größe, der Offenheitsgrad und die Effizienz der jeweili-
dung von über 3% des BIPs vorsieht.
Determinanten von Reservewährungen und Entwicklung des Euros
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gen Finanzmärkte bzw. der Euromärkte, an denen die jeweiligen Währungen gehandelt werden. Nur Finanzmärkte, die eine hinreichend große Produktvielfalt, ein breites Laufzeitenspektrum und eine hohe Marktliquidität aufweisen, sind für internationale Anleger interessant und entsprechen somit auch den Bedürfnissen der Notenbanken. Für die Notenbanken ist vor allem ein breites Anlagespektrum im kurzfristigen Bereich wichtig, da die Devisenreserven gegebenenfalls schnell verfugbar sein müssen und die jederzeitige Einsatzmöglichkeit gewährleistet sein muß (Hepperle 1996, S. 142). Durch die Einführung des Euros und der Beseitigung der währungsbedingten Segmentation der Märkte wird das Spektrum an verfügbaren Anlagemöglichkeiten auf den europäischen Kapitalmärkten erweitert und die Liquidität größer werden. Darüber hinaus wird im Zuge der EWU die Zahl der direkten Konkurrenten im gemeinsamen Währungsraum steigen. Der zunehmende Wettbewerbsdruck wird den Bankensektor in den einzelnen Teilnehmerländern grundlegend verändern und zu umfassenden Modernisierungen zwingen sowie das Entstehen von neuen Finanzinstrumenten fördern. Generell ist eine deutliche Effizienzsteigerung der europäischen Finanzmärkte zu erwarten {McCauley / White 1997). Bei der Wahl der Anlagewährung ist für die Notenbanken neben der Effizienz vor allem die Liquidität des jeweiligen Kapitalmarktes wichtig. Bei der Marktkapitalisierung von Aktien und Renten dominieren die USA deutlich gegenüber dem Euro-Währungsraum und Japan. Die Kapitalisierung des Aktienmarkts in den USA, als dem größten Aktienmarkt der Welt, beträgt 5.654,8 Mrd. USD. Der japanische Aktienmarkt weist eine Kapitalisierung von 3.545,3 Mrd. USD auf und erreicht damit 62,7% des US-Volumens. Der Euro-Währungsraum mit einer Aktienmarktkapitalisierung von insgesamt 1.933,3 Mrd. USD würde dagegen nur 34,2% des US-Volumens erreichen. Bei der Rentenmarktkapitalisierung würde der Euro-Währungsraum mit 7.121,7 Mrd. USD immerhin 60,7% des US-Niveaus (11.727,4 Mrd. USD) betragen. Die Rentenmarktkapitalisierung Japans macht dagegen mit 5.065,6 Mrd. USD nur 43,2% der Rentenmarktkapitalisierung in US-Dollar aus und liegt deutlich hinter der des Euro-Währungsraumes (Funke / Kennedy 1997). Größe und Liquidität der Finanzmärkte hängen auch eng mit der Größe der Wirtschaft des Emissionslandes zusammen. Das Emissionsland muß einen hinreichend großen Anteil am Welthandelsvolumen sowie am weltweit aggregierten Bruttoinlandsprodukt haben, um sich als Reservewährungsland etablieren zu können. Die Größe der
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Finanzmärkte und damit auch die Bedeutung einer Währung hängt unter anderem von der Verwendung als Transaktions- und Fakturierungswährung ab. Mit zunehmendem Anteil am Welthandelsvolumen steigt im allgemeinen auch der Anteil der Exporte, die in inländischer Währung fakturiert werden, und dadurch auch die Nachfrage nach dieser Währung. Andererseits werden mit einem wachsenden Anteil am Welthandelsvolumen in der Regel auch mehr Importe in inländischer Währung bezahlt, was zu einer Zunahme des Angebots dieser Währung fuhrt. Beide Effekte wirken in die gleiche Richtung und tragen zu einem größeren Transaktionsvolumen in dieser Währung an den Devisenmärkten bei. Bei der Analyse der absoluten Außenhandelsvolumina einzelner Volkswirtschaften ist ein Zusammenhang zwischen der Höhe des Bruttoinlandsprodukts und dem absoluten Außenhandelsvolumen zu erkennen. In der Regel geht ein hohes Bruttoinlandsprodukt - in Abhängigkeit vom Offenheitsgrad der jeweiligen Volkswirtschaft - mit einem hohen Außenhandelsvolumen einher. Darüber hinaus bedingt ein hoher Anteil am "Welt-BIP" einen großen Wirtschaftsraum, der allein schon aufgrund seiner nationalen Größe einen bedeutenden Währungsraum darstellt und in aller Regel über einen dementsprechenden Finanzmarkt verfügt. Aus diesem Grund wird beispielsweise die Schweiz, die zwar über einen effizienten Finanzmarkt und eine stabile und vertrauenswürdige Währung verfugt, aber nicht die volkswirtschaftliche Bedeutung hat, in absehbarer Zeit keine tragende Rolle als Reservewährungsland spielen. Auch der historische Aufstieg und Niedergang des Britischen Pfunds und des Französischen Francs als Reservewährungen waren eng mit der wirtschaftlichen Stellung dieser Länder verknüpft. Als beide Staaten bedeutende Kolonialmächte waren und der Handel in den Kolonialgebieten größtenteils in den beiden Währungen abgewickelt wurde, waren sowohl das Britische Pfund und als auch der Französische Francs wichtige Reservewährungen. Mit der gesunkenen wirtschaftlichen Bedeutung der beiden Staaten verloren auch ihre Währungen immer mehr den Status einer Reservewährung (Unger 1991, S. 16). Im Jahr 1995 betrug das Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen aller EU-Mitgliedsländer insgesamt 8.427,6 Mrd. USD. Ohne die Nichtteilnehmerländer Dänemark, Griechenland, Großbritannien und Schweden hätte die EWU immerhin noch ein BIP von 6.805,3 Mrd. USD und läge damit knapp hinter den USA [7.253,8 Mrd. USD], aber noch deutlich vor Japan [5.134,3 Mrd. USD] (vgl. IMF 1997). Mit einem Anteil am
Determinanten von Reservewährungen und Entwicklung des Euros
299
Welthandelsvolumen von 18,7% (ohne EU-Intrahandel) liegt die EU gleichauf mit den USA. Verglichen mit Japan ist das Außenhandelsvolumen der EU mehr als doppelt so groß (vgl. Tab. 1.). Tabelle 1 : Anteile der Regionen am Welthandel 1997 Anteile am Welthandel 1997 Region
EU (mit Intrahandel) EU (ohne Intrahandel) USA Japan
Einfuhr
Ausfuhr
Außenhandel
Mrf. USD
in %
Mrd. USD
in %
Mrd. USD
in %
2.100,0 768,2 899,2 338,4
39,7 17,8 20,8 7,8
2.045,0 823,0 688,9 421,1
37,6 19,7 16,5 10,1
4.145,0 1.591,2 1.588,1 759,5
38,6 18,7 18,7 8,9
Quelle: » 7 1 0 ( 1 9 9 8 , S. 15-16).
Hohe Anteile am Welthandelsvolumen und am "Welt-BEP" sind zwar keine hinreichenden Bedingungen für ein Reservewährungsland - die ökonomische Größe einer Volkswirtschaft allein macht also aus einer Währung noch keine Reservewährung dennoch kann man beide Aspekte als notwendige Voraussetzung für die internationale Verwendung einer Währung ansehen. Die starke wirtschaftliche Leistungskraft des neu geschaffenen Währungsraums wird die Etablierung des Euros als Reservewährung in erheblichem Maße unterstützen. Neben den oben genannten Faktoren spielen für die Positionierung einer Währung auf den internationalen Finanzmärkten auch das politische Gewicht und die währungspolitischen Ambitionen eines Landes eine Rolle, da beide Faktoren tendenziell die Glaubwürdigkeit der Stabilitätspolitik und das Vertrauen in die Währung erhöhen und so in geringem Umfang zur Etablierung einer Reservewährung beitragen können. Die währungspolitischen Ambitionen, aus dem Euro eine Reservewährung zu machen, hat die Europäische Union. So soll der Euro in einem tri-polaren Währungssystem "gleichberechtigt" mit dem Dollar und dem Yen als internationale Leitwährung konkurrieren {EG-Kommission
1990, S. 26). Sofern sich die beiden großen Länder
Frankreich und Deutschland auf eine Linie verständigen können, wird der gemeinsame
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europäische Währungsraum auch über das notwendige politische Gewicht verfugen, um die Entwicklung des Euros zu einer Reservewährung zu unterstützen. Der hohe Entwicklungsstand der amerikanischen Finanzmärkte hinsichtlich Größe und Effizienz sowie die volkswirtschaftliche Bedeutung der USA haben dazu geführt, daß der US-Dollar - trotz einiger Vertrauenskrisen - zu der mit weitem Abstand führenden Reservewährung geworden ist. Der amerikanische Markt ist der weltweit größte Finanzmarkt, der das umfassendste Spektrum an Anlagemöglichkeiten bietet. Besonders im kurzfristigen Bereich offeriert der US-Dollar eine breite Palette an liquiden Anlagemöglichkeiten. Derzeit ermöglichen nur die amerikanischen Finanzmärkte eine jederzeitige Verfügbarkeit von Devisenreserven und bieten den Notenbanken die Möglichkeit, größere Kapitalbeträge zu bewegen, ohne daß dies erkennbare Wechselkursoder Zinsbewegungen auslöst. Der IMF geht davon aus, daß der Euro von Beginn an die zweitwichtigste Reservewährung sein wird. Langfristig könnte der Euro sogar dem US-Dollar als der weltweit führenden Reservewährung Konkurrenz machen. Ob der Euro sich zu einer bedeutenden Weltreservewährung entwickelt, hängt vor allem von der erfolgreichen Stabilitätspolitik der EZB, der Entwicklung von integrierten, liquiden und leistungsfähigen europäischen Finanzmärkten und der ökonomischen Bedeutung des gemeinsamen Währungsraumes ab. Welche Auswirkungen hätte die Etablierung des Euros als Weltreservewährung? Ein relativer Bedeutungsgewinn des Euros gegenüber den verbleibenden nationalen Weltreservewährungen US-Dollar und Yen würde wahrscheinlich Kapitalzuflüsse aus dem Ausland nach sich ziehen. Zumindest würden Umschichtungen aus den europäischen Währungen, insbesondere der DM, in den Euro erfolgen und - verglichen mit der Summe der nationalen Einzelwährungen - zu keinem oder nur zu einem geringeren Rückgang fuhren. Zunehmende Anlagen in Euro würden das Kapitalangebot erhöhen, dadurch zu einem niedrigeren europäischen Kreditzinsniveau führen und so wiederum das Wirtschaftswachstum stimulieren. Sollte der Euro sich nicht als Reservewährung etablieren können, müßten die Unternehmen höhere Kreditzinsen zahlen, was entsprechend dämpfende Effekte für Wachstum und Beschäftigung zur Folge hätte.
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und Entwicklung des Euros
301
2.2. Währungsreserven im Europäischen System der Zentralbanken (ESZB) Gemäß dem Vertrag von Maastricht sowie dem Protokoll über die Satzung des ESZB und der EZB müssen die an der Währungsunion teilnehmenden Länder Währungsreserven bis zu einem Gegenwert von insgesamt 50 Mrd. ECU auf die EZB übertragen. Der jeweils vom Mitgliedsstaat zu leistende Beitrag bemißt sich nach dessen Anteil am gezeichneten Kapital der EZB. Diese wiederum richten sich jeweils zur Hälfte nach dem Anteil des jeweiligen Landes an der Bevölkerung der EU im vorletzten Jahr vor der Errichtung des ESZB und dem Anteil am BIP der EU zu Marktpreisen in den fünf Jahren vor dem vorletzten Jahr vor Errichtung des ESZB. Maßgeblich für die jeweils zu entrichtenden Beträge sind bei Beginn der Währungsunion am 01.01. 1999 also der Bevölkerungsanteil im Jahr 1997 und der durchschnittliche Anteil am BIP im Zeitraum von 1993 bis 1997. Der Rat der EZB hat am 7. Juli 1998 beschlossen, daß die Übertragung der Währungsreserven am 01.01.1999 in Höhe des maximal möglichen Anteils von 50 Mrd. Euro erfolgen wird, abzüglich der Anteile der nationalen Notenbanken, die nicht an der EWU teilnehmen werden. Daraus ergibt sich eine Übertragung in Höhe von insgesamt 39,46 Mrd. Euro. Deutschland, das 22% der EU-Bevölkerung stellt und 28,3% des BIP der EU erwirtschaftet, würde bei einer Anfangsausstattung der EZB von 39,46 Mrd. ECU auf Basis der momentan verfügbaren Zahlen einen Anteil am Kapital der EZB von 31,7% haben. Der deutsche Beitrag würde sich damit auf etwa 12,5 Mrd. ECU bzw. 14,2 Mrd. USD belaufen - bei einem Währungsreservenbestand der Deutschen Bundesbank im Wert von über 112,7 Mrd. USD, wobei über 90% der Devisenreserven in Dollar gehalten werden (vgl. Tab. 2). Im Vertrag vom Maastricht wurde nicht festgelegt, zu welchen Anteilen die nationalen Zentralbanken Reservemedien auf die EZB übertragen dürfen. Gemäß Artikel 30 (1) können Währungsreserven nur in Währungen von Nicht-Mitgliedsländern sowie in Gold eingebracht werden. Ausgeschlossen sind Währungen von Mitgliedsstaaten, ECU, IMF-Reservepositionen und Sonderziehungsrechte. Denkbar wäre also, daß die nationalen Zentralbanken ihre Beiträge größtenteils in Form von Goldreserven leisten würden. Ein Währungsreservenbestand der EZB, der fast ausschließlich aus Goldreserven besteht, wäre jedoch nicht zweckmäßig, auch wenn es für einzelne Zentralbanken sicherlich reizvoll wäre, die Währungsreserven in Form von Gold anstelle von Devisenreserven zu übertragen, weil sie entweder nicht über ausreichende Bestände an Nicht-
Frank Will
302
Mitgliedswährungen verfugen oder sie ihre Fremdwährungsanlagen im eigenen Portfolio behalten möchten. Denn Gold erwirtschaftet im Gegensatz zu den Devisenreserven keinen Zinsertrag. Tabelle 2: Europäisches Währungssystem Ausstattung der EZB
1995 [in %]
Anteil am Anteil am Beitrag zu den GoldBIP der Kapital Währungsreserven reserven EU der EZB der EZB
1993-1997 [in %]
[in %]
[Mrd. ECU]
[Mrd. USD]
III
Anteil an der EUBevölkerung
Währungsreserven der EWU-Länder Währungsreserven Gesamt davon (ohne Gold) Devisenbestände 1996 [Mrd. USD]
1996 [Mrd. USD]
Belgien/Lux.
2,8
3,4
3,9
1,5
1,8
4,8
17,0
15,4
Deutschland
22,0
28,3
31,7
12,5
14,2
29,5
83,2
75,8
Finnland
1,4
1,4
1,8
0,7
0,8
0,5
6,9
6,2
Frankreich
15,6
18,2
21,4
8,4
9,6
25,4
26,8
23,1
Irland
0,9
0,7
1,0
0,4
0,5
20,7
8,2
7,7
Italien
15,4
13,3
18,2
7,2
8,1
0,1
45,9
44,1
Niederlande
4,2
4,6
5,5
2,2
2,5
8,4
26,8
24,1
Österreich
2,2
2,7
3,1
1,2
1,4
3,1
22,9
21,9
Portugal
2,7
1,2
2,5
1,0
1,1
5,0
15,9
15,4
Spanien
10,5
6,8
11,0
4,3
4,9
4,8
57,9
55,9
EWU-11
77,7
80,5
100,0
39,5
44,8
102,3
311,5
289,5
Quelle: Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 1997 für das Ausland.
Für eine Übertragung der Goldreserven auf die EZB spricht darüber hinaus, daß die von den nationalen Notenbanken gehaltenen Goldbestände - ca. 10.264 Tonnen zu einem Marktwert von rund 102,3 Mrd. USD - nur unter hohen Verlusten zu verkaufen wären. Ein unkoordinierter Verkauf würde zu einem dramatischen Preisverfall am internationalen Goldmarkt fuhren und einen erheblichen Abschreibungsbedarf bei denjenigen Zentralbanken, die ihre Goldbestände marktnah bewerten, nach sich ziehen. Dieses Problem könnte durch eine Übertragung der Goldreserven umgangen werden. Die Länder, die ihre Goldreserven nicht marktnah bewerten, könnten dadurch sogar stille Reserven realisieren. So würde beispielsweise die Deutsche Bundesbank bei einer vollständigen Übertragung ihrer Goldbestände stille Bewertungsreserven in Höhe von
Determinanten
von Reservewährungen
und Entwicklung des Euros
303
37,9 Mrd. DM realisieren." Der Rat der EZB ist übereingekommen, daß 15% der Währungsreserven (etwa 5,92 Mrd. Euro) in Form von Gold auf die EZB übertragen werden sollen. Bei den Devisenreserven könnte grundsätzlich jede international verwendete Reservewährung, die nicht die eines Mitgliedstaates ist, übertragen werden. Soweit die nationalen Notenbanken ihre Devisenreserven in US-Dollar halten, können sie diese ohne Probleme auf die EZB übertragen. Problematischer wird es für die Zentralbanken, die einen erheblichen Teil ihrer Währungsreserven in DM halten. Diese müßten PortfolioUmschichtungen zugunsten anderen Reservewährungen - vor allem des US-Dollars vornehmen. Andere Reservewährungen wie beispielsweise der Yen oder der Schweizer Franken werden eine untergeordnete Rolle spielen, da sie bisher kaum als Interventionsmedium12 genutzt wurden und wohl auch in Zukunft nicht mit dem US-Dollar als Weltreservewährung konkurrieren können werden. Werden die nationalen Notenbanken noch Währungsreserven halten? Die Übertragung der Währungsreserven auf die EZB durch die an der Währungsunion teilnehmenden Länder bedeutet eine vollständige Übertragung der Eigentumsrechte. Die EZB hat das uneingeschränkte Recht, die ihr übertragenen Währungsreserven zu halten und zu verwalten. Den nationalen Zentralbanken werden im Gegenzug Forderungen gegenüber der EZB in Höhe der geleisteten Währungsreserven gutgeschrieben; über eine etwaige Verzinsung der Guthaben müssen noch Vereinbarungen getroffen werden. Die nationalen Zentralbanken können die bei ihnen verbleibenden Währungsreserven, die derzeit insgesamt einen Gegenwert von knapp 360 Mrd. USD haben, selbst bewirtschaften. Allerdings müssen die reservepolitischen Transaktionen ab einem noch festzulegenden Betrag von der EZB genehmigt werden, damit die Geld- und Wechselkurspolitik der EZB nicht beeinträchtigt wird. Grundsätzlich werden also auch in Zukunft die nationalen Notenbanken Währungsreserven halten können; in welchem Umfang, ist jedoch noch nicht abzuschätzen.
11
Die Goldreserven in der Bundesbankbilanz sind mit 144 DM je Unze bewertet und haben einen Buchwert von 13,7 Mrd. DM; bewertet mit dem aktuellen Goldpreis von 310 USD je Unze ergäben sich 29,5 Mrd. USD bzw. 51,6 Mrd. DM.
12
Mit Ausnahme der amerikanischen Federal Reserve Bank, die neben der DM einen erheblichen Teil ihrer Währungsreserven auch in Japanischen Yen hält.
304
Frank Will
Die EZB wird über Währungsreserven im Gegenwert von etwa 55 Mrd. US-Dollar verfugen. Die 11 Teilnehmerländer halten gegenwärtig ein Volumen im Gegenwert von über 400 Mrd. US-Dollar. Werden die erheblich geringeren Währungsreserven bei der EZB für die geld- und währungspolitischen Transaktionen der EZB ausreichen? Da bei flexiblen Wechselkursen eine Reservehaltung grundsätzlich nicht notwendig ist, dürfte ein Reservebestand in dieser Größenordnung ausreichend sein. Zudem werden durch die Einfuhrung einer gemeinsamen Währung sowohl die einzelnen Notenbanken in den Teilnehmerländer als auch die EZB keine Interventionsreserven mehr in Währungen der Teilnehmerstaaten benötigen. Außerdem werden aller Voraussicht nach vor allem die Nicht-Teilnehmerländer ihre Währungen durch Interventionen gegenüber dem Euro zu stabilisieren versuchen und nicht umgekehrt, so daß der Interventionsbedarf der EZB geringer wäre. Wenn darüber hinaus innerhalb des ESZB Mechanismen geschaffen werden, durch die sich im Bedarfsfall weitere Reserven schnell und wirkungsvoll mobilisieren lassen, kann der Währungsreservenbestand der EZB gering gehalten werden. Allgemein wird eine Reduktion des Gesamtvolumens der Währungsreserven in der EU im Zuge der EWU in Höhe von 20 bis 40 Prozent erwartet. Die EG-Kommission geht sogar davon aus, daß die Währungsreserven innerhalb der EU im Zuge der EWU um einen Gegenwert von 200 Mrd. US-Dollar sinken werden, was einem Rückgang von fast 50% entsprechen würde (vgl. dazu im Überblick Leahy 1994, S. 16-18 sowie EG-Kommission 1990, S. 183). Eine Reduktion der von den EWU-Ländern gehaltenen Währungsreserven im Rahmen der Währungsunion bedeutet nicht automatisch auch einen Rückgang der Reservehaltung in US-Dollar, denn mit der Abschaffung der europäischen Währungen - insbesondere der DM als der neben dem US-Dollar wichtigsten Reservewährung des EWS wird der Anteil des US-Dollars an den EU-Reserven steigen {Leahy 1994).
2.3.
Entwicklung des Euros als Anlage-, Anker- und Transaktionswährung
Bei der Analyse der Entwicklung des Euros muß neben seiner Rolle als offizielle Reservewährung auch die Bedeutung des Euros als Anlage-, Anker- und Transaktionswährung berücksichtigt werden. Das Verhalten der offizieller Währungsbehörden wird zwar für die Entwicklung des Euros von erheblicher Bedeutung sein, doch wird die Akzeptanz des Euros auf den Finanzmärkten im weitaus stärkeren Maße von den Anlage-
Determinanten von Reservewährungen und Entwicklung des Euros
305
entscheidungen der Banken, privater Anleger und der international operierenden Fonds abhängen. Den Devisenreserven stehen internationale Bankkredite in mehr als dreifacher Höhe und internationale Schuldverschreibungen in doppelter Höhe gegenüber. Darüber hinaus müssen die von Nichtbanken in nicht unerheblichem Umfang gehaltenen grenzüberschreitenden Finanzaktiva und -passiva bei der Analyse der Entwicklung des Euros berücksichtigt werden (Issing 1997).
Anlagewährung Der Dollar dominiert nicht nur bei den Reservewährungen offizieller Währungsbehörden, sondern auch bei den Anlagewährungen. So betrug 1996 der Anteil des Dollars an den internationalen Finanzanlagen 43,5%, während nur 14,1% in der DM als zweitwichtigster Anlagewährung gehalten wurden. Zusammen haben die 11 EWU-Teilnehmerländer jedoch ein Volumen von mehr als 20% und damit einen fast doppelt so großen Anteil wie der Japanische Yen {Funke / Kennedy 1997). Die Frage ist, ob der Euro die Währungen der Teilnehmerländer in ihrer Funktion als Anlagewährung ablösen kann oder sogar noch zusätzliche Attraktivität entfalten wird. Die in den letzten Jahrzehnten zu beobachtende Tendenz zur Diversifizierung der Anlagen auf den internationalen Finanzmärkten, die zu sinkenden Marktanteilen des Dollars bei gleichzeitig steigenden Anteilen der europäischen Währungen geführt hat, könnte für den Euro sprechen. Außerdem gewinnt der europäische Währungsraum durch die Einfuhrung einer gemeinsamen Währung an Breite und Tiefe. Der Wettbewerb auf dem größeren Markt dürfte zu steigender Produktvielfalt, einem breiteren Laufzeitenspektrum und günstigeren Konditionen fuhren. Schätzungen gehen von einem Marktanteil des Euros in internationalen Portfolios von etwa 35% aus, der sich damit auf gleichem Niveau wie der Dollar bewegen würde (Leahy 1994).
A nkerwährung Diejenigen Länder, die nicht von Beginn an an der Währungsunion teilnehmen werden, haben die Möglichkeit, im Rahmen eines EWS II ihre Währungen an den Euro zu koppeln. Beim EWS II handelt es sich um eine modifizierte Form des bereits existierenden Europäischen Währungssystems, das den Euro als Ankerwährung benutzen wird, d.h. die Währungen der Nicht-Teilnehmerstaaten werden um einen Euro-Leitkurs innerhalb einer Bandbreite schwanken. Ähnlich wie im bestehenden EWS sollen die
306
Frank Will
EZB und die Notenbanken der Nicht-Teilnehmerstaaten mit Devisenmarktinterventionen das Wechselkursgefüge stabilisieren, ohne jedoch die Stabilität des Euros zu gefährden. Darüber hinaus werden wahrscheinlich einige mittel- und osteuropäische Länder sich am Euro orientieren oder sogar ihre Währung einseitig an den Euro binden. Vor allem die Länder, die schon bisher ihre Wechselkurspolitik an einen Währungskorb mit einem hohen Anteil an europäischen Währungen ausgerichtet haben, 13 werden sich wahrscheinlich auch am Euro als europäischer Leitwährung orientieren. Insbesondere auf potentielle Beitrittskandidaten wie Polen, Ungarn, Tschechien oder Estland wird der Euro eine hohe Anziehungskraft ausstrahlen. Aber auch Litauen, Lettland, Rumänien, Bulgarien und die Slowakei, denen Beitrittsverhandlungen noch vor Abschluß der ersten Erweiterungsrunde zugesagt wurden, werden sich vermutlich am Euro orientieren. Wieviele Länder sich letztendlich dauerhaft an den Euro binden werden und ihn damit zur Ankerwährung machen, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzuschätzen.
Transaktionswährung Eine Währung wird als Transaktionswährung bezeichnet, wenn sie im internationalen Güter- und Dienstleistungsverkehr sowie im Devisenhandel als Zahlungsmittel fungiert. Genaue Angaben über die weltweiten Fakturierungsanteile der einzelnen Währungen im Außenhandel liegen nicht vor. Schätzungen gehen aber davon aus, daß etwa die Hälfte des weltweiten Handels in Dollar denominiert wird. Der Anteil der europäischen Währungen liegt bei etwa 34%, wobei der Anteil der DM etwa 15% und die Anteile des Französischen Francs und des Britischen Pfunds jeweils 6% ausmachen dürften. Der Japanische Yen spielt mit einem Anteil von 5% nur eine untergeordnete Rolle (Issing 1997). Der Fakturierungsanteil der einzelnen Währungen hängt stark vom Anteil der jeweiligen Länder am Welthandel ab, da in der Regel jedes Land einen erheblichen Teil seiner Exporte in inländischer Währung fakturiert. Berücksichtigt man diesen Effekt, dann können lediglich der Dollar und die DM als internationale Fakturierungswährungen angesehen werden.
13
Einen Überblick über Länder, die sich an die DM oder andere europäische Währungen gebunden haben, bietet McCauley (1997, S. 23.).
Determinanten
von Reservewährungen
und Entwicklung des Euros
307
Da ein beträchtlicher Teil des Außenhandels der EWU-Teilnehmerländer innerhalb der EU stattfindet,14 dürfte der Anteil des Euros am Welthandel unter Berücksichtigung des tatsächlichen Außenhandels im Vergleich zur Summe der Teilnehmerwährungen deutlich geringer ausfallen. McCauley geht davon aus, daß der Anteil der europäischen Währungen am Welthandel auf 22% sinken wird (McCauley 1997). Langfristig ist jedoch durchaus mit einer wachsenden Bedeutung des Euros zu rechnen, da im allgemeinen die Größe eines Wirtschaftsraumes die Entwicklung einer Währung zu einer Fakturierungswährung
begünstigt. Die EWU wird gemessen am Bruttoinlandsprodukt und
dem Marktanteil am Welthandel neben den USA der größte Wirtschaftsraum der Welt sein. Welchen ökonomischen Nutzen bietet die Fakturierung in eigener Währung? Die Vorteile der Fakturierung in eigener Währung werden häufig überschätzt. Zwar unterliegen inländische Unternehmen bei Abrechnung in eigener Währung keinem Wechselkursrisiko und haben dadurch insbesondere bei kurzfristigen Wechselkursschwankungen eine höhere Kalkulationssicherheit und keine direkten Kurssicherungskosten. Mittel- bis langfristig ist aber davon auszugehen, daß eventuelle Wechselkursrisiken unabhängig von der Fakturierungswährung anteilig von den beteiligten Handelspartnern zu tragen sind. In welcher Höhe die jeweiligen Handelspartner das Wechselkursrisiko zu tragen haben, hängt von den Marktgegebenheiten und der Stellung der einzelnen Wirtschaftssubjekte im Markt ab. Ein weiterer Aspekt bei der Beurteilung des Euros als Transaktionswährung ist die Verwendung im internationalen Devisenhandel. Um bilaterale Geschäfte zwischen verschiedenen Währungen auf engen Märkten zu erleichtern, werden häufig sogenannte Vehikel-Währungen verwendet. Vergleichbar mit der Rolle des Geldes in der Tauschwirtschaft reduziert die Verwendung einer Vehikel-Währung die Informationskosten und die Anzahl der notwendigen Tauschtransaktionen. Darüber hinaus kann die doppelte Koinzidenz durch die einfache Koinzidenz der Wünsche ersetzt werden. Die DM wird nach dem US-Dollar am zweithäufigsten als Vehikel-Währung auf den Devisenmärkten verwendet. Insbesondere im Handel zwischen europäischen Währungen hat sich die DM mittlerweile als eine wichtige Vehikel-Währung herausgebildet (Issing 1997; Alogoskoufis/Portes
14
/Rey 1997).
So betrug der Anteil der EU am deutschen Außenhandel 1994 fast 50% (vgl. Statistisches Bundesamt 1996, S. 284-286).
308
Frank Will
Inwieweit sich der Euro zu einer Transaktionswährung entwickelt, wird entscheidend von seinen Marktanteilen als Anlage- und Reservewährung sowie seiner Rolle als mögliche Ankerwährung in Europa abhängen. Wenn der Euro sich in diesen Bereichen behaupten kann, hat er durchaus das Potential, eine bedeutende Transaktionswährung zu werden. Zwar wird der Euro den Dollar in absehbarer Zeit nicht vom Markt verdrängen können, er wird sich aber sicherlich für europäische Währungen als Vehikel-Währung anbieten. Andererseits muß jedoch berücksichtigt werden, daß mit der Währungsunion ein großes Segment des europäischen Devisenhandels wegfallen wird. Für die Beurteilung der Bedeutung des Euros ist auch eine Analyse der Wechselkursabhängigkeit der europäischen Volkswirtschaften wichtig. Tabelle 3 : Wechselkursabhängigkeit des deutschen Außenhandels Deutsche Außenhandelsanteile in % des Bruttoinlandsprodukts
Wecbselkurselastizitäten bezogen auf den realen Außenwert der DM
Position
insgesamt
davon Nicht-EU-Länder
insgesamt
gegenüber NichtEU-Währungen
Exporte
25,7
11,2
-0,70
-0,28
22,1
9,5
_
24,8
10,9
0,25
19,4
8,5
_
_
25,3
11,1
-0,95
-0,35
20,8
9,0
davon Warenexporte Importe davon Warenimporte Außenhandel" bzw. Handelsbilanz2) davon Warenhandel
-
0,07
-
1) Durchschnitt aus Exporten und Importen (maßgeblich für die deutschen Außenhandelsanteile). 2) Definiert als Verhältnis aus Exporten und Importen, preisbereinigt durch den Index der Außenhandelspreise (maßgeblich fiir die Wechselkurselastizitäten). Quelle: Deutsche Bundesbank (1998).
Durch die Einfuhrung des Euros und der unwiderruflichen Festlegung der Wechselkursparität würden die Währungsrisiken innerhalb der EWU auf Null reduziert. Für Deutschland, das mehr als 50% seines Außenhandels mit der EU abwickelt, würde dies bedeuten, daß der Offenheitsgrad der Volkswirtschaft um mehr als die Hälfte sinkt.15 Betrug der Anteil des Außenhandels 1996 noch 25,3%, würde der Anteil des wechsel-
15
Der Offenheitsgrad bezieht sich hier - abweichend von der klassischen Definition - nicht auf einzelne Länder, sondern auf unterschiedliche Währungsgebiete unter Vernachlässigung der an der EWU nicht teilnehmenden EU-Staaten, die jedoch nur einen geringen Anteil am gesamten Außenhandel der Bundesrepublik Deutschland haben.
Determinanten von Reservewährungen und Entwicklung des Euros
309
kursabhängigen Außenhandels durch den gemeinsamen Währungsraum 16 auf 11,1% sinken. Damit müßte Deutschland aufgrund der gesunkenen Wechselkursabhängigkeit einem geringeren Störpotential ausgesetzt sein. In welchem Umfang die gesunkene Wechselkursabhängigkeit die deutsche Wirtschaft beeinflußt, hängt von den entsprechenden Export- und Importelastizitäten ab. Untersuchungen der Wechselkursabhängigkeit des deutschen Außenhandels zeigen, daß die Export- und Importelastizitäten durch die EWU sinken werden. So führt eine (dauerhafte) Aufwertung der DM gegenüber allen anderen Währung" um 1% zu einem Rückgang der Exporte um etwa 0,7%. Eine einprozentige Aufwertung nur gegenüber Währungen von Drittländern außerhalb der EU dämpft dagegen das deutsche Exportwachstum (einschließlich der Exporte innerhalb der EU) nur um 0,28%. Durch die EWU würden also die Exportreaktionen auf Veränderungen des Außenwertes der DM respektive des Euros erheblich schwächer ausfallen, was nicht weiter überrascht, da der Handel mit den Teilnehmerländern an der EWU einerseits in der Zahlungsbilanz noch als Außenhandel erfaßt würde, andererseits jedoch keinem Wechselkursrisiko mehr unterläge. Auf der Importseite fuhrt hingegen eine Aufwertung der DM zu einer Importsteigerung, die jedoch mit 0,25% bei einer einprozentigen Aufwertung der DM deutlich niedriger ausfällt als die Exportelastizität. Ein Grund für die niedrigere Wechselkurselastizität der realen Importe könnte in der Abhängigkeit Deutschlands von Rohstoffimporten und der damit verbundenen unelastischen Rohstoffnachfrage liegen. Durch die Währungsunion würde - unter Berücksichtigung der oben erwähnten Prämissen - die Importelastizität auf 0,07 sinken. Die Auswirkungen einer Aufwertung auf die Handelsbilanz sind noch gravierender, da die Elastizität hier einen Wert von 0,95 aufweist, d.h. eine einprozentige Erhöhung des Außenwertes der DM führt zu einer Verschlechterung der Handelsbilanz um fast 1%. Die EWU würde je nach Teilnehmerzahl die Elastizität der Handelsbilanz auf 0,35 reduzieren. Soweit man diese Ergebnisse extrapolieren kann, würde sich also die Sensitivität des deutschen Außenhandels auf Veränderungen des Außenwertes durch den gemeinsamen Währungsraum erheblich reduzieren (Deutsche Bundesbank 1998).
16
Unter der Annahme, daß alle Länder der EU an der EWU teilnehmen, würde der Anteil des wechselkursabhängigen Warenhandels von 20,8% auf 9% zurückgehen.
17
Die Berechnung der Elstizitäten erfolgte auf Basis der gewogenen Durchschnitte von 18 Industrieländern.
310
Frank Will
Neben der Wechselkurselastizität muß man darüber hinaus auch die Wechselkursvolatilität des Euros gegenüber Drittwährungen, allen voran dem US-Dollar, berücksichtigen, denn die gesunkenen Elastizitäten im Außenhandel erlauben für sich genommen noch keine endgültigen Aussagen über die Wechselkursabhängigkeiten der deutschen Wirtschaft. Sollten nämlich die geringeren Elastizitäten für Währungen mit hoher Wechselkursvolatilität und die höheren Elastizitäten für Währungen mit geringer Wechselkursvolatilität gelten, wäre die tatsächliche Reduktion der Wechselkursabhängigkeit des deutschen Außenhandels im Zuge der Währungsunion wesentlich geringer. Vergangenheitsbetrachtungen zeigen, daß gerade die Volatilität der europäischen Währungen gegenüber dem US-Dollar höher war als die Volatilitäten der europäischen Währungen untereinander. In den letzten zwanzig Jahren war die Schwankungsbreite des realen Außenwertes der DM gegenüber den Nicht-EU-Währungen fast doppelt so hoch wie gegenüber den Währungen der EU-Länder.18 Sollte sich dieser Trend auch künftig bestätigen, so wäre der verbleibende Außenhandel der EWU-Teilnehmerländer zu Drittländern stärkeren Schwankungen ausgesetzt als bislang (Issing 1997). Der IMF befürchtet sogar, daß die Volatilität des US-Dollars gegenüber dem Euro höher sein wird als gegenüber den europäischen Währungen bisher. Im Zuge des sinkenden Aussenhandelsanteil des Euro-Währungsraumes und der zu erwartenden Zunahme des Intra-EU-Handels wird die EZB wahrscheinlich nicht in dem Maße eine Wechselkursstabilisierung des Euros verfolgen, wie dies die nationalen Notenbanken vor der EWU getan haben. Ohne die Interventionen der Notenbanken könnte die Volatilität jedoch steigen (IMF 1997, S. 24). Die Reduktion der Wechselkursabhängigkeit des deutschen Außenhandels wird also im Ergebnis deutlich geringer ausfallen, als auf den ersten Blick zu erwarten ist. Da darüber hinaus die Finanzmärkte die Entwicklungen bereits in den letzten Jahren vorweggenommen haben und die Wechselkursschwankungen zwischen den Teilnehmerländern schon im Vorfeld der Währungsunion stark gesunken sind, wird der Gesamteffekt eher noch schwächer ausfallen. Den Vorteilen in Form der geringeren Anfälligkeit gegenüber außenwirtschaftlichen Störungen stehen jedoch unter Umständen höhere realwirtschaftliche Spannungen im Innern der EWU gegenüber, die nicht mehr über den Wechselkurs ausgeglichen werden können.
18
Als Grundlage für die geringere Volatilität der europäischen Währungen sind neben den erzielten Konvergenzfortschritten in Europa vor allem die Devisenmarktinterventionen der europäischen Notenbanken im Rahmen des EWS zu nennen.
Determinanten von Reservewährungen und Entwicklung des Euros
3.
311
Die zukünftige Bedeutung des Euros Die Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung stellt einen tiefen Ein-
schnitt ins Weltwährungsgefüge dar, der die derzeitigen Gegebenheiten auf den internationalen Finanzmärkten merklich verändern wird. Eine einfache Übertragung der Anteile der am Euro beteiligten Länder auf das gemeinsame Währungsgebiet ist nur bedingt möglich und kann allenfalls als grobe Orientierung für den Zeitpunkt der Umstellung auf den Euro dienen, da noch nicht abzuschätzen ist, ob der Euro in der Summe an Bedeutung verlieren wird oder aber zusätzliche Attraktivität entfalten kann. Beurteilt man die zukünftige Bedeutung des Euros auf Basis des gegenwärtigen Gewichts der europäischen Währungen, so sind die Auswirkungen der EWU auf die Devisenreserven ungewiß. Einer Umschichtung der Reservebestände in europäischen Währungen - allen voran der DM-Bestände - in Euro steht ein erheblicher Abbau der europäischen Devisenreserven und damit ein insgesamt gesunkener Bedarf an Devisenreserven gegenüber. Auch als Anlagewährung könnte der Euro zunächst von der Bedeutung der EWUTeilnehmerwährungen vor allem der DM profitieren; langfristig setzt die Etablierung des Euros auf den internationalen Finanzmärkten jedoch das Vertrauen der Anleger voraus und damit die Stabilität der neuen Währung. Der Euro muß sich erst im Wettbewerb mit anderen Währungen durchsetzen und sich seine Stellung im Portfolio öffentlicher und privaten Investoren erkämpfen. Entscheidend dabei werden die zu erwartenden Wechselkursentwicklungen zu den wichtigsten Konkurrenten, insbesondere zum Dollar, sein. Der Außenwert des Euros wird maßgeblich durch die Inflationsdifferenzen bestimmt werden, da sie gemäß der Kaufkraftparitätentheorie langfristig den Wechselkurs beeinflussen. "Wer den Euro als internationale Währung etablieren möchte, tut also gut daran, die Bewahrung der Geldwertstabilität zu seinem ersten Ziel zu machen." (Issing 1997, S. 4). Als Fazit bleibt festzuhalten: Die EWU wird zu erheblichen Veränderungen auf den Finanzmärkten fuhren, dennoch sollten mit der Einführung des Euros keine zu hohen Erwartungen verbunden werden. Eine gemeinsame Währung kann im Rahmen einer stabilitätsorientierten Geldpolitik zwar positive Effekte entfalten, aber keine Wunder vollbringen. Die drängenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme in Europa sind
312
Frank Will
größtenteils struktureller Natur und nur durch konsequente und nachhaltige Reformen zu bewältigen, die fast ausschließlich auf nationaler Ebene gelöst werden müssen.
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Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft ' Band 58 • Stuttgart
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Zur geldpolitischen Konzeption der Europäischen Zentralbank Heinz-Dieter
Smeets
1.
Grundlegende Betrachtungen
316
2.
Geldmengen-Indizes
319
3.
"Looking at everything" - das direkte Inflationsziel
321
4.
Empirische Analyse
324
5.
4.1.
Methoden
325
4.2.
Ergebnisse
326
Ausblick
329
Anhang
330
Literatur
342
316
1.
Heinz-Dieter Smeets
Grundlegende Betrachtungen Der Vertrag von Maastricht verpflichtet die Europäische Zentralbank (EZB) primär
auf das Ziel der Preisniveaustabilität. In Artikel 105 EGV heißt es dazu: "Das vorrangige Ziel ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten. Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Ziels der Preisstabilität möglich ist, unterstützt das ESZB [Europäisches System der Zentralbanken] die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft, um zur Verwirklichung der in Artikel 2 festgelegten Ziele der Gemeinschaft beizutragen." Unklar ist hingegen, mit Hilfe welcher geldpolitischen Konzeption die EZB dieses Ziel anstreben sollte. In einem Bericht des Europäischen Währungsinstituts (EWI 1997) wurde allerdings vorgeschlagen, eine "Mischstrategie" aus Geldmengenziel und direktem Inflationsziel (inflation targeting) anzuwenden.' Die Hauptelemente einer solchen geldpolitischen Strategie sieht das Europäische Währungsinstitut (EWI) in den folgenden Punkten (EWI 1997, S. 10): • Öffentliche Ankündigung eines quantitativ definierten Endziels • Öffentliche Ankündigung eines oder mehrerer (Zwischen-)Ziele, an dem die Öffentlichkeit die Ergebnisse laufend messen kann • Verwendung aller für das Endziel relevanten verfugbaren Informationen • Die monetären Aggregate sollten eine herausragende Rolle spielen (evt. Zielformulierungen bei hinreichend stabiler Geldnachfrage) • Das ESZB sollte in der Lage sein, eigene Inflationsprognosen abzugeben Die Auswahl geldpolitischer Strategien - also der Summe der Verfahren, wie sie vorgeht, um ihr Endziel zu erreichen - ist vor dem Hintergrund eines komplexen Transmissionsprozesses zwischen geldpolitischen Maßnahmen und dem (End-)Ziel zu sehen, der durch erhebliche zeitliche Verzögerungen (time-lags) gekennzeichnet ist. Daher müssen alle geldpolitischen Entscheidungen vorausschauend getroffen werden. Daneben muß die Glaubwürdigkeit und Schlüssigkeit der geldpolitischen Entscheidungen dauerhaft gewährleistet sein. Hierzu wendet man - auch im europäischen Raum - auf den ersten Blick recht unterschiedliche Strategien an. Im Vordergrund stehen dabei die
1
In seiner Sitzung am 13. Oktober 1998 hat sich der Rat der EZB für eine hiermit vergleichbare geldpolitische Konzeption entschieden.
Zur geldpolitischen Konzeption der Europäischen Zentralbank
317
Geldmengenstrategie, wie sie z.B. die Deutsche Bundesbank verfolgt, das insbesondere im Europäischen Währungssystem (EWS) weit verbreitete Wechselkursziel und in jüngerer Zeit das sogenannte "direkte Inflationsziel". Übersicht 1 faßt die gegenwärtige geldpolitische Konzeption einiger ausgewählter Länder zusammen. Übersicht 1 : Geldpolitische Konzeptionen GELDMENGENZIELE DEU
FRA
ITA
GRC
Geldpol. Strategie eingeführt
1975
(Zwischen-) Zielvariable
M3
M3
M2
M3
Aktuelles (Zwischen-) Ziel
3% bis 6%
5%
5%
6% bis 9%
(Implizites) Aktuelles Inflationsziel
1,5% bis 2%
2%
2%
< 4,5%
WK Ml M2 M3e VI
WK so
WK M4 KR
Zusätzliche Zwischenziele/ Indikatoren 1 ' (soweit bekannt)
SUI
MO
DIREKTES
INFLATIONSZIEL
AUS
CAN
FIN
NZL
ESP
SWE
GBR
1993
02/1991
1993
03/1990
11/1995
1993
10/1992
CPI
CPI
CPI
CPI
CPI
CPI
RPIX
2% bis 3%
1% bis 3%
2%
0% bis 2%
* bedeutet hier, daß die Exogenitätshypothese mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von höchstens 5% abgelehnt werden kann.
Tabelle 3 : Test auf Kointegration DEUTSCHLAND Abh. Var.: P Unabhängige Variable
''
H„
Teststatistik
Kointegrationsvektor
L-max.
Trace
P
Langfrist. Kausalität Abh./Unabh. Variable = exogon (chP) "
IP
r=0 Vi 1
19.64** 0.57
20.21** 0.57
-1
1.41
18.94*/0.62
NWK
r=0 rs 1
13.18* 0.53
13.72* 0.53
-1
0.70
8.09*/4.33
KRE
r=0 rs 1
13.30+ 1.99
15.30* 1.99
-1
0.34
11.28*/0.15
LOHN
r=0 rs 1
13.82+ 2.61
16.42* 2.61
-1
0.51
8.94*/3.48
ÌL
r=0 rs 1
15.01* 0.19
15.20* 0.05
-1
0.28
0.45/14.67*
?IM
r= 0 rs 1
9.02 0.22
9.42 0.22
ALQ
r=0 rs 1
14.33* 0.87
15.20* 0.87
-1
0.31
13.00*/3.21
* bedeutet hier, daß die Exogenitätshypothese mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von höchstens 5% abgelehnt werden kann.
Zur geldpolitischen Konzeption der Europäischen Zentralbank
333
Tabelle 4: Test auf Kointegration Deutschland Abh. Var.: P
Unabh.
Test-
Kointegrations-
Restr. Kohlte-
Langfristige
Variable
statistik
vektor
grationsvektor
Kausalität
H„
»-Statistik a Restr. I
2
L-max. Trace
(Chi 1 )
P
VI
V2
uV2=0 M2 k
r=0
23.63»
40.45** -1
rs 1
16.14*
16.83*
rs2
0.69
0.69
M2 NWK. r = 0
M2 KRE
M2 IP
0.326
2.664 -1
26.16** 38.63** -1
0.312
rs 1
12.08*
12.46
rs 2
0.38
0.38
r-0
16.13'
31.27*
-2.65 -1
rs 1
14.44*
15.14'
-1
rs2
0.70
0.70
r-0
28.50** 44.40** 1.11
1
-1
0.018
-1
0.30 0.00 0.62
-0.184 -0.30 -1
-0.89
-5.08
1.03
3.66
-088
0.00 2.38
1.95
5.86 4.35
0.59
-0.26
-1
2.94
-0.30 -1
0.37
-0.25
-1
0.30 0.00
4.79
1.49
-0.70 -2.04
0.58
0.58
M2 LOHN r « 0
24.46*
43.22** -1
-0.078 0.49
-1
0.0
0.49
-3.03 -0.98
rs 1
17.62*
18.76*
-1
-0.021 0.61
-1
0.0
0.61
-0.43 -3.22
rs 2
1.14
1.14
22.07*
34.30*
-1
0.27
M2 ALQ r - 0 rs 1 rs 2
11.45*
12.23
0.78
0.78
0.04
¡7.29*
-4.47 3.45
15.90*
rs 2
16.71*
0.003
15.33*
TS
Excl, Exo. UV2 M
10.61*
334
Heinz-Dieter
Tabelle 5:
Smeets
Stationaritätstest
Italien Periode: 83:1 97:2 t-Statistik
Variable
l.Diff.
Niveau
2. Diff.
Integrationsgrad
CPI
-1.95
-2.01
-3.77
2
Ml
-4.16
-1.03
-5.62
2
M2It
-3.74
-2.14
-4.42
2
M2
-4.69
-0.48
-4.94
2
M3
-2.74
-2.19
-4.38
2
KRE
-1.42
-1.42
-4.12
2
NWK
-2.44
-3.31
1
«L
-2.59
-3.43
1
RWK
-3.39
-3.59
LOHN
-2.71
-2.83
P,M
-1.93
-6.66
IP
-1.83
-2.16
-3.66
2(1)
EHU
-1.15
-2.37
-4.38
2(1)
j*
-0.25
-5.17
1
ALQ -2.46 -5.87 Kritischer Wert (Irrtumswahrscheinlichkeit 5%): -2.93
1
-6.45
2(1) 1
Zur geldpolitischen
Konzeption der Europäischen
Zentralbank
335
Tabelle 6: Test auf Kointegration Italien Abh. Var.: AP Unabhängige Variable
Teststatistik
H,
Kointegrationsvektor
L-max.
Trace
P
Langfrist. Kausalität AbhiUnabh. Variable = exogon (cbi1)11
Ml
r=0 rs 1
22.01** 0.61
22.61** 0.61
-1
0.42
19.73**/1.11
M2
r=0 n 1
23.53** 0.43
23.96** 0.43
-1
0.42
20.51*/2.63
M2It
r=0 rs 1
26.04** 0.05
28.34** 0.05
-1
0.31
23.71*/0.02
17.64** 18.41** 15.62*/0.41 r=0 -1 0.28 0.72 rs 1 0.72 " * bedeutet hier, daß die Exogenitätshypothese mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von höchstens 5% abgelehnt werden kann. M3
Tabelle 7: Test auf Kointegration Italien Abh. Var.: AP
Unabh. Variable
Teststatistik
H„
Restr. Kointegrationsvektor
Kointegrationsvektor
Langfristige Kausalität t-Statistlk et
Restr.
1
2
L-max. Trace
P f
P
VI
V2
uV2=0
M2It ALQ
M2It EHU
M2It
LOHN
r= 0
66.05**
75.41**
rs 1
9.36
9.36
0.90
0.90
-l
0.25
0.04
-9.90
Excl.
Exo.
UV2 M 14.75« 0.45
-3.74
r= 0
34.67»
60.15** 0.87
-1
1.10
rs 1
23.93**
25.49**
-1
0.57
-0.27 -1
0.30
0.00
0.13
0.26
-1
0.30
0.00
3.89
-0.30 -1
T &2
1.56
1.56
r=0
37.88**
54.30*«
-1
rs 1
14.88
16.42«
-2.27 -1
rs2
1.54
1.54
-0.30 -1
0.97
2.17
0.34
-0.08 -4.47
-5.42 0.77
2.19
-5.0
0.24
-0.05
-0.09
16.40« 0.09
336
Heinz-Dieter
Tabelle 8:
Smeets
Stationaritätstest
Frankreich Periode: 77:1 96:4
Variable
t-Statistik l.Diff.
Niveau
2. Difif.
Integrationsgrad
CPI
-4.71
-1.61
Ml
-0.99
-4.00
M2
-2.90
-2.26
-5.67
2
M3
-2.08
-0.14
-5.09
2
M2F
-1.15
-2.34
-5.93
2
NWK
-2.38
-3.49
1
RWK
-3.56
-4.38
0
IP
-0.65
-4.73
1
k
-0.38
-4.08
1
iL
-1.15
-3.03
1
KRE
-3.07
-1.30
EHU
-0.93
-3.26
ALQ
-1.80
-0.81
-7.07
2(1) 1
-4.87
2 1
-3.07
-1.82 -3.99 PlM Kritischer Wert (Irrtumswahrscheinlichkeit 5%): -2.93
2 1
Tabelle 9: Test auf Kointegration
Frankreich A b h . Var.: P Unabhängige Variable
'
Ho
Teststatistik
Kointegrationsvektor
L-max.
Trace
P
Langfrist Kausalität AbhJUnabh. Variable» esogon (chi J )"
M3F
r=0 rs 1
29.95** 0.001
22.95** 0.61
-1
0.63
26.56*/0.43
»L
r=0 rs 1
27.69** 1.09
28.78** 1.09
-1
-0.06
24.89*/7.53*
* bedeutet hier, daß die Exogenitätshypothese mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von höchstens 5% abgelehnt werden kann.
Zur geldpolitischen
Tabelle 10:
Konzeption der Europäischen
337
Zentralbank
Test a u f K o i n t e g r a t i o n
Frankreich Abh. V a r . : P
Unabh. Variable
Teststatistik
H„
Langfristige Kausalität
Kointegrations Restr. Kointegrations-vektor vektor
t-Statistik « 1
L-max.
2
Trace
Restr. P
(Chi')
uV2=0
VI
V2
Excl. Exo. UV2 M
M3F
LOHN r = 0 30.69*» 43.28** -1 12.59 r s 1 12.58+ 0.01 r s 2 0.01
0.33 0.40
1.10 18.11* 0.05
M3F
IP
0.45 0.74
1.70 18.82* 6.34*
r = 0 36.57** 49.97** -1 r s 1 13.34* 13.39 r s 2 0.05 0.05
Abbildung 1: Stabilität des Gesamtmodells (Deutschland) 0.012-1
e lepi = ± 2 * S. E. =
r Ii?
Tssi
rwi
u
u t^JT
r^i
r^i
r^i
r^r
Heinz-Dieter Smeets
338
Abbildung 2: Stabilität der Langfristbeziehung (Deutschland) 1,00 i
la m bd a l
0,75-
Abbildung 3: Stabilität der Kurzfristbeziehung (Deutschland) Dynamische Granger-Kausalität (Deutschland) Marg. Sigitiftkanzniveati (F-Test)
Kausalität umgek. Kausalität I I
I
I I
1979
I
I I
1980
I
I
I I
1981
I
I I
1982
I II III! 1983
Jahr
1984
|
I
l I
1985
1986
Zur geldpolitischen
Konzeption der Europäischen
339
Zentralbank
Abbildung 4: Stabilität des Gesamtmodells (Italien) 0.006
0.003
0.000
v
\i
V\
V
-0.003-
• 0.006—1—i—|—r—I—l—I—l—I—l—i—l—|—i—i—1—1—i—;—i—r 1994 1995 ' 1996 1 1997 1 1998
Abbildung 5: Stabilität der Langfristbeziehung (Italien)
1,00
Iambdal
0,75-
0,50-
0,25-
0,00
91
'
92
1
93
'
94
1
^ T
1
96
1
97
Heinz-Dieter
340
Abbildung 6: Stabilität der Kurzfristbeziehung (Italien)
Dynainische G r a n g e r - K a u s a l i t ä t (Italien) Marg. Signifikanzniveau (F-Test) 100-, 959085a tu g
8 0 -
Pm 7570-
Kausalität umgek. Kausalität
65-
t — i — i — I — t — i — i — I — i
1985
1986
t
i — I — t — t — r
1987 Jahr
1988
A b b i l d u n g 7: Stabilität des Gesamtmodells (Frankreich)
Smeets
Zur geldpolitischen
Konzeption
der Europäischen
Zentralbank
A b b i l d u n g 8: Stabilität d e r L a n g f r i s t b e z i e h u n g ( F r a n k r e i c h )
1,00
"1 lambdal
0,75 s \ •
0,50
"V 0,25 .—
0,00
1
861
/
^
r
I P
921
^M
1
HJö1
A b b i l d u n g 9: Stabilität d e r K u r z f r i s t b e z i e h u n g ( F r a n k r e i c h )
Dynamische Graiiger-Kausalität (Frankreich) lOO-i
Marg. Signißkaitzniveau (F-Test)
9080£ 70o> N o Ph 605040-
Kausalität umgck. Kausalität _
30
t t | | i l l | l l l | l l l |—I l I I l I I | I I I I l l I I 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986
Jahr
342
Heinz-Dieter Smeets
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344
Heinz-Dieter Smeets
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III.
Finanzmärkte im Wandel: Interdependenzen und ordnungspolitische Konsequenzen
K.-H. Hartwig/H.
J. Thieme (Hg.):
Finanzmärkte
Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft • Band 58 • Stuttgart
1999
Laissez-faire-Banking: Free-Banking, Währungswettbewerb und New Monetary Economics Heiko
Geue
1. Laissez-faire-Banking: Ein heterogenes Forschungsgebiet
348
2. Free-Banking - Eine gewachsene Geldordnung
351
2.1.
Die Theorie des Free-Banking
2.2.
Zur Nicht-Neutralität des Geldes und monetär verursachter
351
Konj unkturschwankungen
354
Historische Erfahrungen mit Free-Banking-Systemen
357
3. Die Theorie des Wettbewerbs unterscheidbarer Währungen
362
2.3.
3.1.
Ordnungspolitische Grundsätze für den Wettbewerb der Währungen
362
3.2.
Kritik der Idee des Wettbewerbs der Währungen
365
3.3.
Konjunktur und Geld im Notenbankmonopol und bei Wettbewerb der Währungen
4. New Monetary Economics - Das BFH-System
370 374
4.1.
Die Grundpfeiler des BFH-Systems
375
4.2.
Kritik am BFH-System
379
5. Fazit des Theorievergleichs
382
Literatur
384
Heiko Geue
348
1.
Laissez-faire-Banking: Ein heterogenes Forschungsgebiet Der technische Fortschritt scheint unaufhaltsam. Seit dem Beginn der industriellen
Revolution wandelte sich das Zahlungsmittel von Gold und Silber über Banknoten, Schecks und kartengestützten Zahlungsformen bis hin zu elektronischen Verrechnungssystemen, und nun steht das "cyber money" vor der Tür. Es ist denkbar, daß sich mittels Software in Computernetzen transferiertes Netzgeld im Evolutionsprozeß durchsetzt. In diesem Fall kann ohne jedes Zutun der Zentralbank neues Geld in Form von "e-cash", "cyber-cash" oder "digital-cash" geschaffen werden. Als Folge ergibt sich, daß die Notenbank die Kontrolle über den volkswirtschaftlichen Zahlungsmittelumlauf verliert, wodurch die Steuerung des Geldangebotsprozesses zunehmend schwierig, vielleicht schlichtweg unmöglich wird. Was passiert aber, wenn die monopolistische Geldangebotssteuerung der Zentralnotenbank aufgrund der neuen Techniken versagt und sich beispielsweise im Internet ein Wettbewerb privater Geldanbieter durchsetzt? Kommt es zu Inflation und volkswirtschaftlich schädlichen Konjunkturschwankungen oder ist es möglich, daß ein wettbewerbliches Geldangebotssystem sowohl stabil als auch effizient arbeitet? Wie müßten in diesem Fall die rechtlichen Rahmenbedingungen ausgestattet werden? Ohne auf allzu technische Feinheiten einzugehen, wird im folgenden all' diesen Fragen nachgegangen. Im wesentlichen können drei Ansätze unterschieden werden, die aus unterschiedlichen Gründen wettbewerbliche Geldangebotssysteme untersuchen. Die im vorliegenden Beitrag gewählte Reihenfolge verdeutlicht dabei den zunehmenden theoretischen Abstand der Ansätze zu den gegenwärtig existierenden monopolistischen Währungsverfassungen und ihrer theoretischen Fundierung. So beruht der Free-Banking-Ansatz auf der Ausgabe von Banknoten einer Währung und der dafür notwendigen Ausgestaltung einer Wettbewerbsordnung für Geschäftsbanken. Einen Schritt weiter geht von Hayeks Vorschlag des Wettbewerbs der Währungen. Danach sollen
unterscheidbare
Papierwährungen das staatliche Monopol der Notenausgabe aufheben. Die Vertreter der New Monetary Economics (NME) wenden sich schließlich in erster Linie deswegen gegen die institutionellen Rahmenbedingungen gegenwärtiger Währungsordnungen, weil diese ihrer Meinung nach eine wünschenswerte Spaltung der Geldfunktionen verhindern. Bei einer staatlich ungehinderten Evolution des Geldes wird erwartet, daß das Geld, wie wir es heute kennen, verschwände und damit auch monetär begründete
Laissez-faire-Banking
349
makroökonomische Instabilitäten eingedämmt werden könnten. Dann wäre aber auch die gegenwärtig gelehrte Geld(mengen)theorie obsolet. Es ist offenkundig, daß es sich bei den Vertretern der Ideen zum Laissez-faireBanking um eine ausgesprochen heterogene Gruppe handelt. Trotzdem gibt es mindestens eine wichtige Gemeinsamkeit, die ihre gemeinsame Behandlung rechtfertigt. Alle Ansätze wenden sich gegen staatliche Interventionen in die Geldordnung. Mit dem Staat als Akteur werden die Motive der Rentensuche sowie der Seigniorage verbunden. Es herrscht die Überzeugung, daß durch staatliche Aktivitäten 1 makroökonomische Instabilitäten verursacht werden, entweder direkt infolge des Eigeninteresses von Notenbankleitern und Politikern, sowie durch die Probleme mit der Geldmengen- oder der Zinssteuerung, oder eher indirekt, dadurch, daß die Evolution des Geldes durch staatlich gesetzte Regeln unterbunden wird. Demnach finden die Vorschläge zum Laissezfaire-Banking ihre gemeinsame Basis in dem Bemühen, mittels einer Währungsreform, welche die Beseitigung des gegenwärtig existierenden staatlich eingeräumten Währungsmonopols zum Gegenstand hat, das Geld von destabilisierenden staatlichen Interventionen zu befreien. Im folgenden werden die jeweiligen Vorschläge vergleichend analysiert (Kapitel 2 4 sowie die Übersicht am Ende dieses Kapitels). Dabei wird es auch darum gehen, die von Eucken angemahnte und nach wie vor nicht befriedigend enträtselte Aufgabe zu lösen, nämlich eine zur Marktwirtschaft passende, automatisch funktionierende Währungsordnung zu finden: "Wie die Wettbewerbsordnung selber sollte sie [die Währungsverfassung] möglichst automatisch funktionieren; nicht einfach nur deshalb, weil die 'Systemgerechtigkeit' erfordert, Währungsverfassung und allgemeine Wirtschaftsverfassung auf demselben Prinzip aufzubauen, sondern vor allem, weil die Erfahrung zeigt, daß eine Währungsverfassung, die den Leitern der Geldpolitik freie Hand läßt, diesen mehr zutraut, als ihnen im allgemeinen zugetraut werden kann." (.Eucken 1990, S. 257).
Im folgenden wird - soweit nicht ausdrücklich der Unterschied hervorgehoben wird - mit "Staat" oder "staatliche Aktivitäten" sowohl die Politik der Regierung eines Landes als auch die Politik der mehr oder weniger unabhängigen Notenbank eines Landes bezeichnet. Damit wird der Literatur zum Laissez-faire-Banking gefolgt, deren Erkenntnisgegenstand eine von hoheitlich legitimierten Aktivitäten möglichst freie Währungsordnung ist.
350
Übersicht 1:
Grundlagen
Heiko Geue
Laissez-faire-Banking Free Banking
Wahrungswettbewerb
New Monetary Ecanomics
Wettbewerbliche Ausgabe siasi Währung
Wettbewerb unterscheidbarer Währungen
Kein Geld als Tauschmittel; dafür wettbewerbliche Ausgabe verzinslicher Fondsanteile
Gemeinsamkeiten
Wettbewerb auf der Seite des Geldangebots Abschaffung der Zentralnotenbank
Institutionelle Ausgestaltung
•
Kein gesetzliches Zah- • lungsmittel Offen? Märkte: Banken • dürfen Noten in unterscheidbaren Währungen ausgeben
•
Offene Märkte: Banken dürfen Noten einer Währung ausgeben
•
Uneingeschränkte • Konvertibilität zum Gold oder zu einem anderen "commodity money"
Konvertibilitäßverpflichtung: Kaufkraftgarantie bezogen auf einen Warenkorb
•
Haftung: Privatrechtsregeln auch für Banken (kein wettbewerblicher Ausnahmebereich) Konstanz der Wirt-
•
Haftung: Gläubigerschutz
•
Konstanz der Wirtschaftspolitik: Keine Bilanzierungsvorschriften in einer bestimmten Währung; flexible Wechselkurse; keine Manipulationen durch die Politik
•
ne staatlichen Garantien für Banken
•
Kein gesetzliches Zahlungsmittel Offene Märkte: Banken managen Investmentfonds, deren verzinsliche Anteile als Tauschmittel verwendet werden • Trennung der Recheneinheits- und Zahlungsmittelfunktion im reinen Buchgeldsystem durch die staatliche Fixierung der Recheneinheit bezogen auf einen Warenkorb ohne Konvertibilität • Keine Pflicht zur Haltung von Reserven
Hierbei wird auch der realwirtschaftliche Aspekt in die Analyse miteinbezogen, indem auf diejenigen Thesen von Hayeks zurückgegriffen wird, die er im Rahmen seiner monetären Konjunkturtheorie entwickelt. Erkenntnisleitend ist die Frage, ob die unterschiedlichen Ausprägungen des Laissez-faire-Banking, im wesentlichen in Form des Wettbewerbs auf der Geldangebotsseite, zum einen praktisch möglich und zum anderen auch ökonomisch effizient sind. Im Hinblick auf diese beiden Teilfragen werden sowohl die Unterschiede zur gegenwärtig existierenden monopolistischen Währungs-
Laissez-faire-Banking
351
Ordnung analysiert als auch die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Ansätze zueinander untersucht. Insbesondere werden die Einwände "traditioneller" Geldtheoretiker gegen die Möglichkeit und Wünschbarkeit eines Wettbewerbs auf der Geldangebotsseite kritisch gewürdigt. Dabei wird vor allem auf die unbedingt notwendigen institutionellen Arrangements aufmerksam gemacht, die existieren müssen, damit die vorgestellten Vorschläge Aussicht auf Erfolg besitzen. Nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung werden dagegen unterschiedliche Auffassungen innerhalb der Gruppen selbst (insbesondere der NME) sein, zumindest nicht, solange diese nicht einen grundsätzlichen Charakter besitzen. Abschließend werden die gewonnenen Erkentnisse dargestellt (Kapitel 5). Der Orientierung dient schließlich Übersicht 1.
2.
Free-Banking - Eine gewachsene Geldordnung Die sogenannte Banking-Currency-Kontroverse hatte einen Nebeneffekt, der lange
Zeit nicht beachtet wurde. So ging nämlich eine dritte Gruppe von Währungstheoretikern im Konkurrenzkampf der Meinungen so sehr unter, daß lange Zeit selbst ihre damalige Existenz nicht mehr wahrgenommen wurde: die Gruppe der Free-BankingAnhänger (vgl. Schwanz 1994, S. 148ff; White 1984a, S. 78f.). Erst in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts kommt der österreichischen Schule und hier insbesondere Mises das Verdienst zu, den Ansatz wiederbelebt zu haben. Eine Renaissance erfährt der Ansatz gegenwärtig in den USA. Dort untersuchen Autoren wie Seigin, White und Dowd, die wie Mises der österreichischen Schule zuzuordnen sind, die historischen Free-Banking-Phasen vor allem in Schottland und den USA aus empirischer und theoretischer Sicht.
2.1.
Die Theorie des Free-Banking
Unter Bankenfreiheit wird ein System verstanden, in dem private Banken Banknoten einer Währung im Wettbewerb ausgeben. Den Geschäftsbanken steht es frei, entsprechend ihrem ökonomischen Kalkül Banknoten und Giralgeld einer gemeinsamen Währung anzubieten, lediglich unterschieden mit dem Zeichen des jeweiligen Anbieters. Der Staat interveniert in keiner Weise. Es gibt weder eine staatlich geschützte Notenbank, noch werden einzelne Banken privilegiert. Insbesondere wird kein wettbewerblicher Ausnahmebereich für den Markt um die Geldausgabe geschaffen. Die Wettbewerbsordnung muß den freien Zugang zum Bankenmarkt beinhalten.
352
Heiko Geue
Historisch haben sich Free-Banking-Systeme auf der Basis des Goldstandards entwickelt. Theoretisch denkbar ist jedoch auch jede andere Ware oder auch ein Warenkorb, auf den sich die Nutzer eines Währungsgebietes einigen. Wichtig ist, daß die Banken der uneingeschränkten Konvertibilitätspflicht unterliegen. Wenn für die Banken die Verpflichtung besteht, emittierte Umlaufmittel jederzeit in (Waren-)Geld einzulösen, das sie selbst nicht schaffen können, wird es zu keiner mutwilligen Überausgabe von Zahlungsmitteln kommen. Kombiniert mit dem Prinzip der uneingeschränkten Haftung wird die latente Gefahr der Insolvenz dazu führen, daß sich Banken stabilitätskonform verhalten und somit Inflation verhindert wird (vgl. Mises 1949, S. 439, 443; Moss 1976, S. 40,49; Rothbard 1976, S. 179; 1990, S. 51,69f.; White, 1984a, S. 1-19). Damit ein System des Free-Banking funktionieren kann, ist auf die Schaffung und Einhaltung von konstituierenden Prinzipien auch für den Bankenmarkt abzustellen. Das Primat der Währungspolitik drückt sich in der Festlegung der Währungsverfassung aus. Für den Bankenmarkt sind der offene Marktzugang, Vertragsfreiheit, Privateigentum und Haftung konstitutiv. Darüber hinaus entspricht eine Politik, die die immanenten Schranken der wettbewerblichen Geldproduktion nicht außer Kraft setzt, indem sie Geschäftsbanken, die unseriös gewirtschaftet haben, von ihren Verpflichtungen zur Haftung enthebt und für sie einspringt, dem Prinzip der Konstanz der Wirtschaftspolitik. Von einem solchermaßen ausgestalteten System wird erwartet, daß es effizient funktioniert und stabil ist. Gegner der Theorie des Wettbewerbs der Geldausgabe wenden dagegen ein, aufgrund der geringen Produktionskosten des (Noten-)Geldes müsse es beim Wettbewerb der Geldanbieter unweigerlich zu Inflation kommen. Dieses Argument überzeugt jedoch aus folgendem Grund nicht. Im Sinne der österreichischen Kostentheorie müssen die Produktions- und Verkaufskosten eines Gutes als Einheit behandelt werden. Die Kosten der Produktion von Umlaufmitteln bestehen nicht zuletzt in der Schaffung und dem Erhalt von Vertrauen in die eigenen Produkte. Die Reputation einer Bank wird über ihre Chancen am Markt entscheiden. Reputation zu erwirtschaften, ist jedoch nicht kostenlos, beispielsweise müssen ausreichend Reserven gehalten werden, um die Einlösungswünsche des Publikums jederzeit befriedigen zu können. Zu Kunden einer Bank werden Wirtschaftssubjekte erst, wenn sie Vertrauen haben können, daß ihre eingezahlten Sichtguthaben sowie die nachgefragten Banknoten jederzeit wieder ohne Abschlag in (Waren-)Geld umwandelbar sind (vgl. Mises 1924, S. 270f.; 1940, S. 405; 1949, S. 434-439,445). Das bedeutet für die einzelne Bank jedoch, daß sie ihre Emissionstätigkeit von Umlaufmitteln an den Bedürfnissen des
Laissez-faire-Banking
353
Publikums ausrichten muß. Dafür sorgt der Wettbewerb der Banken um die Ausgabe von Umlaufmitteln. Damit ist aber gleichzeitig die immanente Schranke des freien Wettbewerbs der Banken im Sinne Mises benannt. Der Wettbewerb der Banken führt dazu, daß es keine inflationsinduzierende Überausgabe von Umlaufmitteln geben wird, soweit die konstituierenden Prinzipien auch für den Bankenmarkt erfüllt sind. Dabei darf die Begründung der Stabilität des Bankensektors im System des Free-Banking allerdings nicht mit dem Fullarton&chen Rückstromprinzip der Banking School verwechselt werden. Der Wettbewerb als sozialer Mechanismus zur Kontrolle eigennützigen Verhaltens begründet die Stabilität, nicht der Rückstrom ausgeliehener Gelder unabhängig vom Mechanismus des Wettbewerbs (vgl. Mises 1949, S. 444). Mises schätzt darüber hinaus die Gefahr eines Bankenkartells als gering ein. Er vermutet, daß sich Kartelle grundsätzlich nur dann auf Dauer etablieren können, wenn sie staatlich geschützt werden. Eine bewußte Kollusion der Banken sei nicht zu erwarten, da keine Bank das Risiko eingehen könne, mit anderen Banken ein Kartell zu bilden, deren wichtigste Vermögensposition, die Reputation, nicht von ebensolcher Qualität ist, wie die eigene. Die Gefahr des Zusammenbruchs einer Bank sei für die übrigen Kartellmitglieder einfach zu hoch (vgl. Mises 1949, S. 447). Diesen Überlegungen von Mises ist sicherlich zu folgen. Trotzdem ist ein Kartell zwischen etablierten Anbietern von Umlaufmitteln mit ähnlicher Reputation nicht vollkommen auszuschließen - auch wenn bekanntermaßen bei relativ homogenen Gütern nur allumfassende Kartelle erfolgversprechend sind. Auch ist nicht vollkommen auszuschließen, daß, unter der Annahme asymmetrisch verteilter Informationen, das Publikum die Teilnahme einer Bank an einem Kartell deswegen als positives Qualitätssignal wertet, weil der Zusammenbruch einer Bank bei gegenseitiger Hilfe der Kartellmitglieder unwahrscheinlicher wird. Aus allen diesen Gründen ist ein funktionierendes Kartellgesetz im Geiste der amerikanischen Anti-Trust-Gesetzgebung oder auch des deutschen Josten-Entwurfs
zum GWB
dringend geraten, damit ein System des Free-Banking wie gewünscht funktionieren kann. Wettbewerb ist schließlich nicht zuletzt dadurch gekennzeichnet, daß Anbieter aus dem Prozeß ausscheiden. Dadurch können allerdings den Nachfragern nach Zahlungsmitteln erhebliche Härten entstehen. Als vertrauensbildende Maßnahme bietet sich deshalb an, seitens des Staates eine gesetzliche Vorschrift zur Bildung eines gemeinsamen Sicherungsfonds der Geldanbieter zu erlassen. Dadurch werden Geldbesitzer im Falle des Konkurses eines Geldanbieters vor dem unverschuldeten Verlust ihres Geldvermö-
354
Heiko Geue
gens geschützt. Hierbei ist allerdings darauf zu achten, daß nicht die Haftungsregel der Geldanbieter gelockert wird, da ansonsten die Gefahr des opportunistischen Verhaltens droht. Der Sicherungsfonds darf demnach lediglich dazu dienen, den Zeitraum zu überbrücken, der entsteht, wenn ein Geldanbieter in Konkurs geht und die mit seinem Zeichen versehenen Zahlungsmittel wertlos werden bis zum vollen Ausgleich der Forderungen des Zahlungsmittelbesitzers gegenüber dem Geldanbieter. Nur so dient der Fonds als Zeitüberbrückungssicherung, ohne die verhaltenskontrollierende Regel der unbeschränkten Haftung des einzelnen Geldanbieters aufzuheben. Die bisherige Darstellung der Funktionsbedingungen des Free-Banking-Systems weist auf die Bedeutung der konstituierenden Prinzipien auch für den Markt der wettbewerblichen Geldausgabe hin. Noch offen bleibt die Frage, ob auch bezüglich der Existenz von Konjunkturschwankungen eine Effizienzsteigerung des Bankensystems bei Free-Banking zu erwarten ist.
2.2. Zur Nicht-Neutralität des Geldes und monetär verursachter Konjunkturschwankungen Zunächst ist es notwendig, sich über den Prozeß des Einfließens von Geld in den realen Sektor Klarheit zu verschaffen, um in einem weiteren Schritt die Theorie der dadurch ausgelösten Konjunkturschwankungen einzuführen. Im Unterschied zu den Monetaristen gehen die Geldtheoretiker der österreichischen Schule unter Verweis auf Cantillon davon aus, daß sich bei einer Erhöhung der Geldmenge nicht der Geldvorrat aller Einzelwirtschaften sofort erhöhen wird. Vielmehr wird erwartet, daß es durch das Einfließen der zusätzlichen Geldmenge an einer bestimmten Stelle im volkswirtschaftlichen Kreislauf zu Verschiebungen in der Vermögens- und Einkommensverteilung kommen wird (vgl. Mises 1932, S. 315). Geld ist demnach nicht-neutral (vgl. von Hayek 1976b, S. 9f.; Mises 1990a, S. 69ff.; Neudeck 1981, S. 28, O'Driscoll 1994, S. 126). Die makroökonomische Fassung der Quantitätstheorie wird mit dem Hinweis darauf abgelehnt, daß sich zunächst das Geldeinkommen der Wirtschaftssubjekte erhöhen wird, die an der Stelle des monetären Impulses tätig sind und erst im Zuge des Wirtschaftsprozesses die vermehrte Geldmenge über die gesamte Volkswirtschaft diffundiert (vgl. von Hayek 1976a, S. 56, 66; Mises 1940, S. 357-359; 1990a, S. 73; Rothbard 1976, S. 174). Beispielsweise transferieren Geschäftsbanken, die Kreditgeld schöpfen, den entstandenen Gewinn an die Eigentümer der Bank, möglicherweise wer-
Laissez-faire-Banking
355
den auch die Löhne der Mitarbeiter angehoben. Bei den betreffenden Haushalten wird die Realkasse über das Gleichgewichtsniveau steigen und daraufhin der Grenznutzen der Geldeinheit sinken. Sie werden deshalb verstärkt Güter zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse nachfragen, wodurch das zusätzliche Geld weiter diffundiert.
Aber nicht nur der Ort des monetären Impulses ist von Relevanz für die volkswirtschaftliche Vermögens- und Einkommensverteilung, sondern auch die Art der Einkommen der Wirtschaftssubjekte. So verlieren die Gruppen mit fixierten E i n k o m m e n , wie z.B. Rentner oder Sozialhilfeempfänger, durch die monetär verursachten Preiserhöhungen (vgl. Rothbard
1976, S. 164), soweit die Preissteigerung in d e m Einkommensan-
spruch nicht berücksichtigt wird.
Für die folgenden konjunkturtheoretischen A u s f u h r u n g e n ist die Hypothese der Nicht-Neutralität des Geldes konstitutiv. Früh haben Mises und von Hayek das Problem monetär verursachter Konjunkturschwankungen untersucht, wobei die Wurzeln der monetären Konjunkturtheorie bis auf Wickseil und Böhm-Bawerk
zurückverfolgt wer-
den können. Insbesondere von Hayek hat - aufbauend auf der Zirkulationskredittheorie von Mises - überzeugend herausgearbeitet, daß es in einer Währungsordnung, die sich durch Wettbewerb allein auf der Seite der Geschäftsbanken bei gleichzeitiger Existenz eines M o n o p o l s auf der Seite der Geldschaffung auszeichnet, zu unintendiert verursachten K o n j u n k t u r s c h w a n k u n g e n kommt.
A m A n f a n g der Konjunkturerklärung steht die Ausweitung der M e n g e an U m l a u f mitteln seitens der Geschäftsbanken, die, ohne daß dies von den Bankiers feststellbar wäre, dazu fuhrt, daß der Darlehenszins unter den natürlichen Zins herabgedrückt wird. 2 Dadurch wird j e d o c h die Produktionsstruktur verschoben, längere Produktionsu m w e g e werden eingeschlagen. Gemessen am natürlichen Zins wird zuviel investiert, wobei die entstehenden Kapitalfehlleitungen erst sichtbar werden, w e n n sich der Darlehenszins wieder in Richtung des natürlichen Zinses bewegt. Dies m u ß zwangsläufig
2
Über eine geeignete Definition des natürlichen Zinses besteht in der Literatur keine Einigkeit. Selbst Wickseil ist in diesem Punkt nicht eindeutig. Zum einen wird unter dem natürlichen Zins der Zins verstanden, der Angebot und Nachfrage von Realkapital ohne Dazwischentreten des Geldes zum Ausgleich bringen würde. Bei Nicht-Neutralität des Geldes wird der natürliche Zins von der Institution des Geldes jedoch beeinflußt - was den Nutzen obiger Definition deutlich einschränkt, wie von Hayek zu Recht feststellt. Deswegen favorisiert er die Definition des natürlichen Zinses als Zins, bei dem sich die Nachfrage nach Darlehenskapital und das Angebot an freiwilligen Ersparnissen gerade ausgleichen (vgl. von Hayek 1976a, S. 125).
356
Heiko Geue
geschehen, da durch den übermäßig gesenkten Darlehenszins eine verminderte Knappheit des Geldkapitals suggeriert wurde, die auch noch Realkapitalinvestitionen mit vergleichsweise geringen Renditen attraktiv machte. Infolge der Durchfuhrung dieser Investitionen steigen jedoch die Preise für die knappen Produktionsfaktoren, die Darlehenszinsen steigen. Diejenigen Investitionen, die lediglich bei dem "künstlich" niedrigen Darlehenszins rentabel waren, erweisen sich nun als Fehlinvestitionen. Die Folge sind Investitionsruinen - dem fehlgeleiteten Aufschwung folgt der unvermeidliche Abschwung (vgl. Mises 1928, S. 46ff.; 1990b, S. 91f.; Machlup 1977, S. 20-23; Neudeck 1981, S. 28). 3 Auslöser des Konjunkturzyklus sind demnach die Geschäftsbanken mit ihrer übermäßigen Ausgabe von Umlaufmitteln. Insbesondere durch die Einräumung einer Sonderordnung fur den Bankenmarkt wird dieses unintendierte Ergebnis des gewinnorientierten Handelns der Geschäftsbanker systematisch hervorgerufen. Außerdem wird dem Staat unterstellt, eine Politik der Kreditausweitung aktiv zu unterstützen: "Credit expansion is the governments' foremost tool in their struggle against the market economy" (Mises 1949, S. 794). Insofern sind die beobachtbaren Konjunkturschwankungen in erster Linie auf Staatsversagen zurückzufuhren. Erwartet wird, daß Konjunkturschwankungen sowohl in ihrer Häufigkeit als auch in ihrer Ausprägung an Kraft verlieren werden, wenn das System des Free-Banking etabliert wird: "If the banks were to make no use of this power [power to issue additional circulation, i.e., to increase credit artificially, H.G.] - which could only be the case either if the Central Banks were explicitly prohibited in their reserve-issuing privileges or if public opinion rigorously condemned the practice - we should have no econonomic fluctuations" (Mises 1990b, S. 92; Hervorhebung H.G.). Dieser Punkt muß weiter untersucht werden. Trotzdem sei die Erklärung monetär verursachter Konjunkturschwankungen für einen Moment hintangestellt. Sie wird in Kapitel 3.3. wieder aufgegriffen und dann auf die verwandten Versionen des wettbewerblichen Geldangebotsprozesses bezogen - sowohl auf das Free-Banking-System als auch auf den Wettbewerb unterschiedlicher Währungen. Bezüglich der konjunkturellen
3
In der dargelegten Eindeutigkeit gilt von Hayeks Konjunkturtheorie allerdings nur für die Goldwährung, auf die sich seine Überlegungen auch beziehen. In den gegenwärtig existierenden Währungsordnungen kann der konjunkturelle Wendepunkt durch eine kluge Geldpolitik herausgezögert werden. Endgültig verhindert werden kann er aber auch nicht, wenn der ursprüngliche Aufschwung nicht nur real, sondern auch monetär durch eine Senkung des Darlehenszinses unter den realen Zins verursacht worden ist.
Laissez-faire-Banking
357
Auswirkungen einer entsprechenden institutionellen Umgestaltung der Währungsordnung unterscheiden sich die beiden Ansätze nämlich nicht. Es bietet sich deshalb an, diese gemeinsam zu behandeln.
2.3.
Historische Erfahrungen mit Free-Banking-Systemen
In vielen europäischen Ländern und in den USA wurden während des 18. und 19. Jahrhunderts Erfahrungen mit Free-Banking-Systemen gesammelt. Anhand der historischen Erfahrungen werden im folgenden die Einwände gegen die Möglichkeit und die Effizienz von Wettbewerb auf der Geldangebotsseite untersucht. Dies hat den Effekt, daß die Hypothesen der theoretischen Analyse an den wirtschaftshistorischen Daten auf ihre Falsifizierung hin überprüft werden können. Daneben werden außerdem bereits hier einige grundsätzliche Einwände, die auch gegen von Hayeks Vorschlag vom Wettbewerb der Währungen vorgebracht werden, in die Analyse eingeführt. Als Beispiel der Analyse eignet sich vor allem das schottische wettbewerbliche Währungssystem, da es über eineinhalb Jahrhunderte weitestgehend zufriedenstellend funktionierte. Insbesondere schärfen die schottischen Erfahrungen den Blick für die notwendigen institutionellen Rahmenbedingungen, die für den Erfolg eines solchen Systems notwendig sind. Aus diesen Gründen werden sie im folgenden ausfuhrlich untersucht. 4 In Schottland gab es zwischen 1716 und 1845 keine Zentralbank und auch keine staatliche Geldpolitik oder andere regulierende staatliche Eingriffe in den Markt der Banknotenproduktion (vgl. White 1984a, S. 23-25). In dieser Zeit waren weder die Banknoten einer schottischen Bank noch die englische Pfundnote der Bank von England in Schottland gesetzliches Zahlungsmittel (vgl. White 1984a, S. 39). Die von privaten Banken emittierten Banknoten verdrängten das Gold als Zahlungsmittel weitest-
4
Es gibt auch Beispiele für Free-Banking-Systeme, die nicht ebensogut funktioniert haben z.B. die Free-Banking-Era in den USA. Dies lag im wesentlichen aber an den mangelhaften institutionellen Rahmenbedingungen und nicht an einer vermeintlichen Unmöglichkeit der Funktionsfähigkeit eines solchen Systems. Insgesamt lag beispielsweise der grundlegende Unterschied zwischen der Phase der wettbewerblichen Notenemission in Schottland und der Free-Banking-Era in den USA darin, daß die Banken in Schottland staatlichen Regulierungen in einem geringeren Maße ausgesetzt waren als die Anbieter von Banknoten in Bundesstaaten der USA mit wettbewerblichen Währungsverfassungen (vgl. Geue 1997, Kapitel 5).
358
Heiko Geue
gehend. Durch die Fixierung des Goldpreises wirkte das Gold jedoch immer noch als nomineller Anker für die Preise in der Volkswirtschaft (vgl. Dowd / Sampson 1993, S. 382). Recheneinheitsmittel war das gesetzlich festgelegte Goldpfund. Die Konvertibilität der vom Gesetz vollkommen gleich behandelten privaten Banknoten wurde dadurch gesichert, daß die Emittenten ihre Noten bei Vorlage durch die Kunden zum Nennwert gegen staatlich geprägte Goldmünzen einlösen mußten. Außerdem durften nach 1765 lediglich Banknoten mit einem Mindestnennwert in Höhe von 1 Pfund Sterling emittiert werden (vgl. White 1984a, S. 30). Diese spezifisch banktechnischen, gesetzlichen Regelungen wurden schließlich durch die allgemeinen schottischen Haftungsvorschriften ergänzt. Diese sahen für die Aktienbesitzer der notenemittierenden Banken eine unbeschränkte Haftungspflicht für alle Verbindlichkeiten gegenüber Dritten vor (vgl. Neidner 1989, S. 550; White 1984a, S. 144). Darüber hinaus war der Eintritt in den Emissionsmarkt vollkommen frei. Insbesondere gab es keine 100%ige Deckungspflicht für die ausgegebenen Banknoten. Den Bankuntemehmem wurde die unternehmerische Freiheit zugestanden, die Notenausgabe entsprechend ihren eigenen Vorstellungen abzusichern. Als Kontrolle diente die Institution der unbeschränkten Haftung (vgl. Geue 1997, S. 266). Nach Ablauf des Notenausgabemonopols der Bank von Schottland von 1695 bis 1716 traten 1727 und 1746 zwei weitere Konkurrenten in den Markt ein. Während diese ersten drei emittierenden Banken noch mit einer speziellen Konzession ("charter") des schottischen Parlaments versehen waren, boten ab 1749 auch nichtkonzessionierte Banken Noten an (vgl. Neidner 1989, S. 550; White 1984a, S. 28). Zwischen 1749 und 1769 erhöhte sich die Zahl der Notenanbieter von 5 auf 32 Banken (vgl. White 1984a, S. 30). Der schottische Emissionsmarkt zeichnete sich von Anfang an durch einen intensiven Wettbewerb aus. Die zunächst in den städtischen Gebieten auftretenden Anbieter übten die Praxis, eingehende fremde Banknoten den jeweiligen Emittenten sogleich zur Einlösung vorzulegen. Dadurch wurde das Emissionsverhalten der Banken viel strenger kontrolliert, als dies durch die Vorlage der Banknoten allein durch das Nichtbankenpublikum der Fall hätte sein können (vgl. Neidner 1989, S. 550). Ebenso wirkte die innere Institution5 des ab Mitte des 18. Jahrhunderts eingeführten Notenclearings. Der
5
Im Sinne Lachmanns begründen äußere Institutionen letztendlich erst Gesellschaften und stellen die Voraussetzungen für Märkte dar. Zu nennen sind hier beispielsweise Euckens konstituierende Prinzipien oder auch moralische Grundvorstellungen der Menschen einer
Laissez-faire-Banking
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institutionelle Rahmen des schottischen Bankenmarktes führte insgesamt dazu, daß das eigeninteressierte Verhalten der Geldemittenten kontrolliert wurde. Versuche, das "Clearinghouse" für kollusives Verhalten zu mißbrauchen, scheiterten. Empfohlene Zinssätze wurden von den Clearinghouse-Nutzern nicht eingehalten. Dabei wirkte sicher auch die Gefahr des potentiellen Wettbewerbs verhaltensdisziplinierend (vgl. Seigin / White 1987, S. 450). Dies sollte als Skizze des damals existierenden Free-Banking-Systems in Schottland genügen. Im folgenden werden die grundsätzlichen Einwände gegen einen Wettbewerb auf der Geldangebotsseite anhand des schottischen Beispiels diskutiert - wobei die weiterführende theoretische Auseinandersetzung mit dem Gegenstand auf Kapitel 3.2. verschoben wird. Zunächst geht es um die Frage, ob ein solches System überhaupt funktionsfähig ist, d.h. es geht um die (1) Stabilität der Währungsordnung. Neben dem Argument der Inflationsgefahr wird dabei von Gegnern des Wettbewerbs der Notenausgabe immer wieder auf die Gefahr von Bankenzusammenbrüchen und damit auf die mögliche Instabilität des gesamten Bankensystems hingewiesen. Außerdem wird in der Literatur die These diskutiert, ob es sich beim Geldangebot um ein (2) natürliches Monopol handle. Weitere Einwände richten sich weniger gegen die prinzipielle Funktionsfähigkeit, sondern gegen die Effizienz eines Systems wettbewerblicher Notenemission. So wird insbesondere das (3) Transaktionskostenargument gegen den Wettbewerb der Notenausgabe ins Feld geführt. Die Kosten des Umtauschs, der Verrechnung im Falle eines Disagios zwischen den Noten und der Informationsbeschaffung lassen ein Notenausgabemonopol prima vista als überlegen erscheinen. Schließlich ist aus der evolutionären Perspektive nach der (4) Innovationskraft des schottischen Notenbanksystems zu fragen (vgl. auch Geue 1997, S. 274). Zu (1): Der schottische Bankensektor zeichnete sich durch seine Stabilität aus. Sowohl die spezifischen rechtlichen Regelungen als auch der Wettbewerb verhinderten, daß das System durch eine übermäßige Notenausgabe Inflation hervorrief. Das Geldangebot mußte sich an der Nachfrage des Publikums nach Geld orientieren. Konvertibilitätspflicht und Wettbewerbsdruck führten dazu, daß eine vermehrte Notenausgabe des gesamten Systems c.p. lediglich dann möglich war, wenn das Publikum mehr Gold anbot, um statt dessen Banknoten nachzufragen oder der Wert zinstragender Aktiva, wel-
Gesellschaft. Innere Institutionen sind dagegen die Geschöpfe, aber nicht Voraussetzungen des Marktes, wie z.B. Vertragstypen oder eben evolutionär entstandene Clearingstellen (vgl. Geue 1997, S. 183f„ 261f.).
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che die Banknoten deckten, anstieg (vgl. Dowd 1988, S. 25; Neidner 1989, S. 550; White 1984a, S. 143). Auch Bankenzusammenbrüche mit ihrer Gefahr für das gesamte Bankensystem hielten sich in Grenzen. Freilich sind in Schottland im Jahrhundert der Bankenfreiheit auch Banken in Konkurs gegangen. Neidner spricht von 36 Banken, die in der Zeit von 1695 bis 1845 Bankrott gegangen sind oder zwangsliquidiert wurden (vgl. Neidner 1989, S. 550). Bezogen auf 109 Bankengründungen in dieser Zeit ist das eine Quote von etwa 33%. Ein Drittel der Banken wurde demnach im wettbewerblichen Ausscheidungsprozeß vom Markt verdrängt. Trotzdem gab es keine ernsthafte Bankenkrise (vgl. Dowd 1988, S. 34; White 1989a, S. 53), was nur mit der Ausgestaltung der institutionellen Rahmenbedingungen erklärbar ist.6 Insbesondere die strikten Haftungsregeln stabilisierten den Bankenmarkt. Die Aktienbesitzer der in den Konkurs gegangenen Banken unterlagen der unbeschränkten Haftungspflicht für alle Verbindlichkeiten gegenüber Dritten, d.h. auch für alle ausgegebenen Banknoten (vgl. Neidner 1989, S. 551; White 1984a, S. 41 f.). Zusätzlich scheint das Eigeninteresse der überlebenden Banken als ergänzender Schutz für die Besitzer "fauler" Banknoten gewirkt zu haben. Als 1772 die Ayr Bank (Douglas, Heron & Co.) zusammenbrach und noch dreizehn kleinere Banken aus Edinburgh mit in den Konkurs riß, erklärten sich die Royal Bank und die Bank of Scotland bereit, die Noten der zusammengebrochenen Bank gegen den vollen Nennwert einzulösen, um die potentielle Gefahr einer Panik und damit eines "runs" auf ihre eigenen Einlagen im Keim zu ersticken (vgl. Neidner 1989, S. 550f.;
Paul/Lehr-
man 1982, S. 148f.; White 1984a, S. 30-32). Insgesamt kann festgestellt werden, daß Notenbesitzer in der Zeit des Bankenwettbewerbs lediglich sehr geringe Verluste infolge des Konkurses von Banken erleiden mußten (vgl. Geue 1997, S. 269f.).
Zu (2): Auch die Frage, ob im wettbewerblichen Geldangebotsprozeß als wissenschaffendem und -diffundierendem Prozeß, der zudem das Verhalten der Wirtschaftssubjekte kontrolliert, Konzentrationstendenzen in Richtung eines natürlichen Monopols wahrgenommen werden konnten, muß verneint werden. Die empirischen Daten zeich-
6
Goodharts Einwand, daß de facto die Bank von England als "lender of last resort" agierte (vgl. Goodhart 1988, S. 5 lf.), wird von Seigin und White unter Verweis auf die historischen Daten als unzutreffend zurückgewiesen: "The Scottish banks did buy and sell assets in the London financial market, but they did not hold deposits at the Bank of England nor, it seems, any significant quantity of its notes. Nor did the Bank of England make last resort loans to the Scottish banks" (Selgin / White 1994, S. 1732). Vgl. auch Dowd (1990, S. 102f.) und White (1990, S. 531-533).
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nen für Schottland ein eindeutiges Bild: Es sind keine Tendenzen zur Konzentration zu entdecken (vgl. Vollmer 1996, S. 200f.; White 1989a, S. 59). Die Entwicklung verlief vielmehr so, wie es die Mustervoraussage des Heußsehen Marktphasenschemas auch für gewöhnliche Märkte erwarten läßt (vgl. Geue 1997, S. 271). Als nach 1717 der freie Marktzutritt rechtlich ermöglicht wurde, traten nach und nach weitere Wettbewerber in den Markt ein. Schon 1769 gab es 32 Notenanbieter, von denen einige jedoch wieder schließen mußten. Bis 1826 erhöhte sich die Zahl der Geldanbieter dann wieder bis auf 29 Banken, und 1845 hatte sich der Markt bei 19 notenemittierenden Banken stabilisiert (vgl. White 1984a, S. 30, 34). Nach Neidner entfielen in der Endphase der wettbewerblichen Notenemission "[...] 1844/45 auf den größten Emittenten lediglich 14,2% des Gesamtnotenumlaufs, und auch der Anteil der Gruppe der größten fünf war mit 56,3% noch relativ gering" (Neidner 1989, S. 551). Zu (3): Die Transaktionskosten des Zahlungsverkehrs in einem Free-BankingSystem sind vor allem von der Stabilität des Systems abhängig. Die Stabilität des Bankensystems in Schottland führte dazu, daß die privaten Banknoten weitestgehend zu ihrem Nennwert getauscht wurden (vgl. Neidner 1989, S. 551). Im Vergleich mit der Situation Englands im 19. Jahrhundert fällt auf, daß das produzierende Gewerbe geringeren Konjunkturschwankungen ausgesetzt war und sich die schottische Industrialisierung während der Free-Banking-Periode sehr viel rascher entwickelte als in England. Die makroökonomischen Erfahrungen bezüglich Konjunktur und Wachstum sprechen eindeutig für die auch realwirtschaftlich positiven Wirkungen des Währungswettbewerbs in Schottland (vgl. White 1984a, S. 44f.; 1984b, S. 278) - womit jedoch keine monokausale Erklärung der realwirtschaftlichen Entwicklung Schottlands angeboten werden soll. Zu (4): Auch die in der evolutionären Perspektive zentrale Frage der Innovationskraft des schottischen Notenbanksystems kann positiv beantwortet werden. Im Vergleich zu den Notenbankverhältnissen Englands im 18. und 19. Jahrhundert wird eine vergleichsweise hohe Innovationsneigung der schottischen Notenemittenten deutlich. Durch die ordnungspolitischen Grundsatzentscheidungen ergab sich ein Raum für evolutionäre Entwicklungen, der die Evolution von inneren Institutionen ermöglichte, wie z.B. der des Noten-Clearings (vgl. Dowd 1994, S. 412; Geue 1997, S. 274; Neidner 1989, S. 556; Schwartz 1994, S. 149; White 1984a, S. 26f„ 43).
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Zu beachten ist schließlich auch, daß nicht wegen Erfolglosigkeit des wettbewerblichen Emissionsmarktes, sondern aufgrund der Ausdehnung der Bestimmungen der Pee/schen Bankakte aus dem Jahr 1844 auf das Gebiet Schottlands, 1845 die darin festgeschriebene monopolistische Notenbankverfassung Englands auch auf Schottland ausgedehnt wurde. Der Marktzutritt für potentielle Anbieter wurde unterbunden. Zwar konnten die existierenden Emittenten ihre Notenausgabetätigkeit unter Einhaltung einer 100%igen Metallgeldreserveforderung auf alle im folgenden ausgegebenen Banknoten fortführen. Die gesetzlich erlaubte Umlaufmenge der von den Banken emittierten Noten wurde darüber hinaus jedoch auch noch auf die Menge der durchschnittlichen Zirkulation der vergangenen Perioden je Bank begrenzt (vgl. White 1984a, S. 77).7 Ein Wettbewerb der Banken um die Ausgabe von Noten findet seitdem nicht mehr statt. Als Fazit des Beispiels der wettbewerblichen Notenemission Schottlands kann festgehalten werden, daß sich das schottische Bankensystem über mehr als ein Jahrhundert durch Stabilität und Innovationskraft auszeichnete (vgl. Geue 1997, S. 274, 287-289). Dies ist darüber hinaus ein Fazit, das sich mit Abstrichen für alle historischen FreeBanking-Systeme ziehen läßt: "No free banking system ever abandoned convertibility and there is no evidence that competition in banking leads to a monetary explosion and rapid inflation" (Dowd 1994, S. 411).
3.
Die Theorie des Wettbewerbs unterscheidbarer Währungen
3.1. Ordnungspolitische Grundsätze für den Wettbewerb der Währungen In seinen beiden Monographien "Choice in Currency" und "Entnationalisierung des Geldes" entwickelt von Hayek in den 70er Jahren die Theorie des Wettbewerbs unterscheidbarer Währungen. Dieser soll die Bürger vor dem schädigenden Einfluß des Staates auf die Währung schützen.8
7
Heute emittieren unter nicht wettbewerblichen institutionellen Rahmenbedingungen noch drei Banken schottische Pfundnoten - die Bank of Scotland, die Royal Bank of Scotland und die Clydesdale Banking Co. (vgl. White 1984a, S. 36).
8
Bereits 1974 hatte Klein eine theoretische Grundlage für den Wettbewerb der Währungen geschaffen. Seitdem wird die Theorie diskutiert und weiterentwickelt. Im Gegensatz zum Ansatz des Free-Banking erfährt sie gegenwärtig jedoch keine Renaissance. Woran dies liegen könnte, werden die folgenden Ausfuhrungen zeigen.
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Folgende Ordnungsprinzipien sind als konstituierende Voraussetzungen für einen funktionierenden Wettbewerb der Währungen anzusehen: Notwendig ist die (1) Abschaffung des staatlichen Monopols der Emission von Noten mit allen seinen rechtlichen Implikationen, die in erster Linie die Abschaffung der Bestimmungen über ein gesetzliches Zahlungsmittel, die Bilanzierungsvorschriften in einer bestimmten Währung und die Beschränkungen der Konvertibilität betreffen (vgl. Neidner 1983, S. 399; Vaubel 1976, S. 423; Visser 1991, S. 76). Des weiteren sind im Unterschied zum FreeBanking-System (2) unterscheidbare Währungen zuzulassen (etwa Dukaten, Thaler usw. als Markennamen), die durch konkurrierende (staatliche und private) Emissionsbanken ausgegeben werden (vgl. von Hayek 1977, S. 29ff.). Zwischen den unterscheidbaren Währungen herrschen darüber hinaus (3) flexible Wechselkurse, um die Umkehrung des "Greshamschen
Gesetzes" (das schlechte Geld verdrängt das gute) zu er-
reichen (vgl. von Hayek 1976c, S. 18f.). Außerdem ist die Einräumung einer (4) Kaufkraftgarantie der Emissionsbanken (Verpflichtung zur Konvertibilität) bezüglich eines bestimmten Warenkorbs notwendig, wobei anfangs die Wahl der Referenzwarenkörbe ein zusätzlicher Aktionsparameter der Banken sein wird. Von Hayek erwartet erst mit zunehmender Wettbewerbsdauer, daß sich entsprechend der Konsumentenpräferenzen ein spezieller Warenkorb je Währungsraum herausbilden könnte (vgl. von Hayek 1977, S. 30, 64f., 123; 1987, S. 387). Schließlich hat der Staat seine ordnungspolitischen Aufgaben unter Berücksichtigung der Interdependenz der Ordnungen zu erfüllen. Konstitutiv für effizienten Währungswettbewerb ist eine (5) verfassungsrechtlich garantierte und staatlich abgesicherte Wettbewerbsordnung. Um betrügerische Manipulationen verantwortungsloser Geldanbieter und destabilisierende Praktiken sog. "Sekundärbanken" zu verhindern, bedarf es neben der wichtigen Funktion der Presse, eines rechtlichen Gläubigerschutzes (vgl. Neidner 1983, S. 402f.; Schüller 1977, S. 42f.). Nur so kann ein nachhaltiger Vertrauensschwund in der Öffentlichkeit infolge von Insolvenzen einiger Banken verhindert werden. Von entscheidender Bedeutung ist weiterhin, daß Vertreter der Politik ihrerseits nicht versuchen, durch Manipulationen, d.h. marktwidrige Bevorzugungen einzelner Emissionsbanken, den Währungswettbewerb zum eigenen Vorteil zu umgehen und damit zu gefährden (vgl. von Hayek 1987, S. 388; Schüller 1977, S. 44). Zu beachten ist schließlich außerdem eine grundlegende Verhaltensannahme, die der Theorie des Wettbewerbs der Währungen zugrunde liegt. Die Annahme lautet, daß die Geldnachfrage der Wirtschaftssubjekte primär von der Wertstabilität des angebotenen Geldes abhängt - mit anderen Worten, die Inflationselastizität der Nachfrage ist hoch (vgl. von Hayek 1977, S. 36, 55; Vaubel 1977, S. 444).
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Von der Privatisierung der staatlichen Notenausgabe wird eine dauerhafte Stabilität der Geldwerte erwartet und damit - ausgehend von der monetären Konjunkturtheorie der österreichischen Schule - eine weitgehende Abwesenheit von tiefgreifenden konjunkturellen Störungen (vgl. von Hayek 1980, S. 142; Schüller 1977, S. 26). Geldwertstabilität wird in einer wettbewerblichen Ordnung durch Selbstkontrolle aus Eigeninteresse und Konkurrenzkontrolle durch den Markt gewährleistet (vgl. Brennan / Buchanan 1981, S. 60; von Hayek 1977, S. 32-34; 1987, S. 384f.; Schüller 1977, S. 26). 9 Soweit die notwendigen ordnungspolitischen Weichenstellungen vorgenommen worden sind, wird erwartet, daß der Wettbewerb zwischen den Währungen die beste Wertgarantie für das Medium des Tausches darstellt. Durch die Privatisierung der Emission von Geld werden negative externe Effekte intemalisiert, da die Konkurrenz die Anbieter von Banknoten dazu zwingt, eine inflationäre Ausdehnung der Geldmengen zu unterlassen. Im Wettbewerb als Entdeckungsverfahren können die Geldanbieter ihr Geld durch die Variation des Kreditvolumens in eigener Währung, sowie durch den An- oder Verkauf fremder Währungen, Wertpapiere oder Waren gegen eigene Währung stabil halten (vgl. von Hayek 1977, S. 45, 97). In enger Anlehnung an Adam Smiths berühmte Erkenntnis über die wohltätigen Wirkungen des durch Wettbewerb gezügelten menschlichen Eigeninteresses in sozialen Beziehungen (vgl. Smith 1776/1990, S. 17) formuliert von Hayek-, "In der Tat wird der Tag glücklich zu preisen sein, an dem wir nicht mehr vom Wohlwollen der Regierung gutes Geld erwarten, sondern davon, daß die Banken ihre eigenen Interessen verfolgen" (von Hayek 1977, S. 128). Neben der prinzipiellen Funktionsfähigkeit eines Systems des Wettbewerbs unterscheidbarer Währungen besteht darüber hinaus außerdem noch die Frage, wie effizient das System ist. Hier spielen die Aspekte der Höhe der Transaktionskosten sowie des Freiraums für Innovationen eine Rolle - wobei vor allem letzterer Punkt in der Diskussion lange Zeit viel zu wenig beachtet wurde. Von Hayek erwartet, daß sich mit dem Übergang zur privaten Notenemission ein spezieller Devisenmarkt, eine sog. "Umlaufsmittelbörse", bilden wird, auf der laufend die Wechselkurse zwischen den Währungen
9
Zu beachten ist hierbei, daß von Hayek Geldwertstabilität nicht mit Preisniveaustabilität gleichsetzt, da es zum einen auch reale Gründe für Preisniveauschwankungen gebe und zum anderen gerade ein stabiles Preisniveau eine Veränderung des Geldwertes bedeuten könne. Geld ist nicht-neutral, was jedoch bedeute, daß durch monetäre Impulse immer auch die Preisstruktur tangiert werde. Nach von Hayek ist eine Theorie des allgemeinen Geldwertes deshalb auch wenig erfolgversprechend (vgl. von Hayek 1976a, S. 54f.; 1976b, S. 28-30, 99).
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ermittelt werden. Abweichungen einzelner Emittenten vom Stabilitätskurs würden in diesem Markt mit ausgesprochen hoher Markttransparenz sofort bemerkt und durch Abwanderung ("exit") bestraft. Neben der elektronischen Umlaufmittelbörse werden auch die Massenmedien die Einhaltung der Wertversprechen ständig überwachen und somit den Wettbewerb - infolge sinkender Informationskosten - intensivieren (vgl. von Hayek 1977, S. 37, 48). Aber auch außerhalb der Umlaufmittelbörse erwartet von Hayek, daß die Wirtschaftssubjekte elektronische Rechner benutzen, um damit in Sekunden relevante Preisrelationen zu ermitteln (vgl. von Hayek 1980, S. 143). Durch diese Rechner, für deren kundenorientierte Bedienung der Wettbewerb der Anbieter sorgen wird, werden die Informationskosten verringert, die durch die Existenz verschiedener Währungen entstehen. Ende der 70er Jahre mochten diese Überlegungen noch unglaublich klingen, mittlerweile werden die Visionen von Hayeks von der Gegenwart sogar noch überholt. Die Liberalisierung der Märkte ftir Kommunikation sowie die Entstehung des "global internet" schaffen ganz neue Voraussetzungen für die effiziente, weil transaktionskostengünstige, Überwachung des Verhaltens der Anbieter von Geld. In Sekundenschnelle können tagesaktuelle Wechselkursänderungen abgefragt werden. Es ist denkbar, daß der Konsument mittels eines (akustischen) Signals auf seinem Rechner sofort über Wertänderungen der Währungen informiert wird. Schließlich bereitet auch die Technik der Notenemission keine Schwierigkeiten. Die neuen Banknoten können entweder durch Ankauf bestehender Währungen (Passivgeschäft) oder durch Kreditgewährung (Aktivgeschäft) in Umlauf gebracht werden. Es ist zu erwarten, daß in den Markt neu eintretende Emittenten aus Gründen der Vertrauensbildung zunächst eine 100%ige Deckungsregel einhalten (Kredite werden nur in Höhe der Einlagen vergeben). Diese Form der Selbstkontrolle aus Eigeninteresse erscheint notwendig, um das angebotene Produkt auch verkaufen zu können (vgl. Schüller 1983, S. 330).
3.2.
Kritik der Idee des Wettbewerbs der Währungen
Gegen die Idee des Wettbewerbs der Währungen werden im wesentlichen die gleichen Einwände erhoben, wie gegenüber dem Free-Banking-System. Im Kapitel 2.3. wurde für letzteres bereits gezeigt, daß die Kritik zumindest für die schottische FreeBanking-Phase nicht zutraf. Dies könnte jedoch ein historischer Zufall gewesen sein. Deswegen werden die Kritikpunkte jetzt wieder aufgegriffen, um sie anhand der Dis-
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kussion über den Vorschlag Wettbewerb unterscheidbarer Währungen auch auf ihre theoretische Gültigkeit hin zu untersuchen. Grundsätzlich wird die gesamte Idee des Wettbewerbs der Währungen aus den in Kapitel 2.3. diskutierten Gründen als nicht praktikabel angesehen, die zur Erinnerung hier noch einmal angeführt werden: Erwartet wird (1) eine Instabilität des notenausgebenden Bankensektors, die sich durch häufig wiederkehrende Finanzkrisen und Konjunkturschwankungen auszeichnen soll. Außerdem wird die (2) Herausbildung von Beschränkungen des Wettbewerbs durch ausgeprägte Tendenzen zur Konzentration vermutet, die auf "economies of scale" der Notenproduktion oder gar auf die Existenz eines natürlichen Monopols zurückgeführt werden. Bezüglich der Besitzer von Banknoten wird darüber hinaus die (3) Gefahr von Verlusten durch die Zusammenbrüche von Banken und die Fälschungen von Noten vermutet (mangelhafter Schutz des Konsumenten). Neben den prinzipiellen Einwänden bezüglich der Funktionsmöglichkeit des Wettbewerbs der Währungen werden außerdem noch Zweifel an der Effizienz eines entsprechenden Systems geäußert. Erwartet wird, daß hier (4) hohe Transaktionskosten des Zahlungsverkehrs entstünden (vgl. Brennan /Buchanan
1981, S. 16-18; Goodhart
1988, S. 103f.; Neidner 1989, S. 549f.). Außerhalb der Arbeiten der österreichischen Schule wurde die Gültigkeit des von F.A. Lutz formulierten "Grundproblems der Geldverfassung" allgemein angenommen - die Funktionsmöglichkeit des Wettbewerbs der Währungen wurde schlicht verneint [Punkte (l)-(3)]. Nach Lutz ist es Aufgabe des Wettbewerbs, die Güterpräferenzen der Konsumenten so billig und vollständig wie möglich zu befriedigen. Die Kategorien "möglichst billig" und "möglichst reichlich" ergeben jedoch bei der Geldproduktion keinen Sinn, da eine Ausweitung der Geldmenge nur zu Preisniveausteigerungen (Inflation), nicht aber zu einer verbesserten Bedürfnisbefriedigung fuhrt. Deshalb sei das Ordnungsprinzip der freien Konkurrenz auch nur auf den Akt der Kreditgewährung anwendbar, nicht jedoch auf den Akt der Bereitstellung von Basisgeld. Darin, daß derselbe Geschäftsvorgang unterschiedliche Organisationsprinzipien erfordere, bestehe, so Lutz, das "Grundproblem der Geldverfassung" (vgl. Lutz 1962, S. 30-32, 95). Auffällig ist die enge Übereinstimmung mit der Kritik der Chicago-Schule an der Idee des Wettbewerbs unterscheidbarer Währungen. Insbesondere Friedman wendet gegen die These von der Funktionsfähigkeit des Währungswettbewerbs das Produktionskostenargument ein. Zum einen seien die Kosten der Banknotenproduktion ver-
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schwindend gering. Zum anderen seien aufgrund der Besonderheiten des Geldes die privaten Grenzkosten des zusätzlichen Notenangebotes geringer als die sozialen Grenzkosten. Unter Wettbewerbsbedingungen werde deshalb die Geldproduktion der gewinnmaximierenden Notenanbieter weit über die inflationsfreie Geldnachfrage ausgedehnt. Aus den negativen externen Effekten resultiere eine Hyperinflation, welche die gesetzliche Errichtung eines Geldangebotsmonopols notwendig mache (vgl. Friedman 1959, S. 7; Dowd 1992, S. 384f, Issing 1993, S. 14; McCallum 1985, S. 19). Wie bereits in Kapitel 2 diskutiert, ist es jedoch nicht korrekt, nur die "reinen" Produktionskosten in die Analyse einzubeziehen. Die gesamten Verkaufskosten müssen berücksichtigt werden (vgl. Kirzner 1978, S. 116f.; Vollmer 1996, S. 194f.), wobei diese im Falle der Geldproduktion in erster Linie in der Aufrechterhaltung der Konvertibilität und des Vertrauens in das sensible Produkt Geld bestehen: "[...] the cost of issuing a convertible note and keeping it in circulation is much more than the cost of printing it" (Dowd 1992, S. 385). Unter Berücksichtigung der Nachfrageseite, d.h. der Nachfrage nach wertstabilem Geld, bestehen die Kosten der Geldproduktion vor allem in der Schaffung und Erhaltung von Vertrauen in die eigene Währung. Notenbanken, die aufgrund ihrer Geldpolitik das Vertrauen der Konsumenten verloren haben, werden vom Markt verdrängt. Die Gesamtkosten des Verkaufs und Erhalts der eigenen Währung liegen demnach deutlich über Null (vgl. auch von Hayek 1979, S. 2-6; Schwartz 1994, S. 149f.; Vaubel 1977, S. 449). Insofern wird die Versorgung der Wirtschaftssubjekte mit wertstabilem Geld durch den Wettbewerb der Währungen möglichst billig und reichlich gewährleistet (vgl. von Hayek 1977, S. 84f.; Vaubel 1977, S. 446, Fußnote 3). Damit ist die Frage nach der Effizienz der wettbewerblichen Geldordnung angesprochen. Hier sind vor allem die möglicherweise hohen Transaktionskosten des Währungswettbewerbs zu diskutieren [Punkt (4)]. Es wird befurchtet, daß vor allem Informationskosten, aber auch Umtausch- und Sicherungskosten zu starken Monopolisierungstendenzen des Marktes für Notenemission führen könnten (vgl. Hellwig 1985, S. 577f.; Picht 1988, passim, vor allem S. 409, 416f.; Richter 1987, S. 134f.). Hervorgerufen werden diese Monopolisierungstendenzen durch Skalenerträge, die auf der Nachfrageseite wirksam werden, und zwar bezüglich der Funktionen des Geldes als Recheneinheits- und als Zahlungsmittel, nicht aber bezüglich der Funktion als Wertaufbewahrungsmittel. Im Zahlungsverkehr hängt der Nutzen des Geldes von der Anzahl der damit handelnden Wirtschaftssubjekte ab. Ein zusätzlicher Nutzer eines Recheneinheits- und Zahlungsmittels erhöht den Grenznutzen aller übrigen Nutzer. Der Grenznut-
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zen für den Einzelnen hängt von der Gesamtzahl der Geldnutzer ab, da sich mit zunehmender Gruppengröße die Transaktionskosten (Informationskosten, Wechselkosten, Sicherungskosten) verringern (vgl. auch Klein 1974, S. 443, 447; Vaubel 1977, S. 456f.). Was bedeutet dies für die Evolution eines Wettbewerbsmarktes? Für die Experimentierphase des Währungswettbewerbs kann eine große Anzahl konkurrierender Emissionsbanken erwartet werden. Langfristig werden sich voraussichtlich jedoch nur einige wenige Emittenten durchsetzen, die in der Lage sind, Vertrauen durch Geldwertstabilität dauerhaft zu gewährleisten. Durch den zu erwartenden Verdrängungswettbewerb - nur die Anbieter der wertstabilsten Währungen verbleiben im Markt - ergeben sich ganz automatisch optimale Währungsräume (vgl. von Hayek 1977, passim, vor allem S. 26, 110, 122f.; Vaubel 1977, S. 436f., 452-454). Konstitutiv für die Effizienz einer solchen Situation ist die Nähe potentieller Konkurrenz (vgl. von Hayek 1977, S. 109f.). Müssen die verbleibenden Emittenten jederzeit mit Markteintritten neuer Konkurrenten rechnen (z.B. "cross-entry"), verbleibt ihnen kein Spielraum, Monopolrenten auszuschöpfen (vgl. Schüller 1977, S. 42; Vaubel 1987, S. 282). Sind jedoch im Gegensatz zu der Grundannahme von Hayeks die Markteintrittsschranken für neue Anbieter sehr hoch, was aufgrund der "economies of scale" bei der Recheneinheits- und Zahlungsmittelfunktion des Geldes und den hohen Kosten der Vertrauensbildung angenommen werden kann, bleibt den etablierten Anbietern ein monopolistischer Handlungsspielraum (vgl. Neidner 1983, S. 400-402; Timm 1979, S. 542f.). Dann lautet das Fazit: Soweit der Wettbewerb der Währungen zu einem natürlichen Monopol oder wenigstens zu einem engen Oligopol führt, ist das Staatsmonopol der Währungsemission zu rechtfertigen (vgl. Bofinger 1985, passim, vor allem S. 131, 188f„ 199f.; Richter 1988, S. 213; Yeager 1987, S. 313f.). Bei der Beurteilung obiger Argumentation ist zu beachten, daß in erster Linie die gesellschaftliche Inflationselastizität der Nachfrage nach Geld über die Höhe der Markteintrittsschranken für potentielle Konkurrenten entscheidet. Schließt man sich der Annahme von Hayeks an, daß aus Konsumentensicht die entscheidende Determinante der Attraktivität des Geldes dessen Wertstabilität bezüglich eines Warenkorbes ist, verlieren die übrigen Kosten der Geldhaltung relativ an Gewicht. Durch voraussagbare Geldwertstabilität werden zusätzlich Informationskosten gespart (vgl. von Hayek 1977, S. 75). Etablierte Anbieter müssen jederzeit mit neuen Konkurrenten rechnen und dementsprechend "gutes" Geld anbieten (vgl. von Hayek 1987, S. 387; Starbatty 1982,
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S. 400- 407). Es existiert zwar keine gemeinsame Recheneinheit - im Gegensatz zu den Systemen des Free-Banking und der New Monetary Economics -, von Hayek erwartet jedoch, daß die Recheneinheiten wegen des Mechanismus des Wettbewerbs stabil im Sinne kaum schwankender Kaufkraftverhältnisse sein und sich die Garantien auf ähnliche oder sogar identische Warenkörbe beziehen werden. Die trotzdem noch existierenden Transaktionskosten sind schließlich verschwindend gering einzuschätzen gegenüber den Opportunitätskosten der Haltung inflationärer Währungen. Trotz der hier vorgebrachten Einwände gegen die Kritik an von Hayeks Vorschlag des Wettbewerbs unterscheidbarer Währungen bleibt festzuhalten, daß die vorgeschlagene Währungsordnung gegenüber der Free-Banking-Ordnung den Nachteil besitzt, daß es beim Währungswettbewerb keine gemeinsame Recheneinheit in einem Währungsraum gibt. Da Geld nun aber auch ein Netzwerkgut ist,10 erscheint unter Wettbewerbs- und Transaktionskostenaspekten das Free-Banking-System effizienter. Von Hayek selbst erwartet, daß sich optimale Währungsräume evolutionär herausbilden werden. Mit anderen Worten ist beim Wettbewerb unterscheidbarer Währungen aufgrund der Eigenschaften des angebotenen Gutes - nämlich der positiven externen Effekte der Verwendung eines wertstabilen Tauschgutes - zu erwarten, daß sich nur wenige Anbieter oder gar nur ein einziger Anbieter durchsetzen wird. Dieser Effekt tritt dagegen im Free-Banking-System nicht auf, da ein gemeinsames Recheneinheits- und Zahlungsmittel - z.B. der Euro, beispielsweise definiert bezüglich einer bestimmten Menge Gold - von verschiedenen Anbietern angeboten wird. Der Charakter des Geldes als Netzwerkgut wird hier nicht zur Konzentration des Emissionsmarktes fuhren. Im Laufe der Entwicklung des Kulturstaates hat das Tauschmedium Geld außerdem noch eine weitere Funktion übernommen. Es dient als gesellschaftliches Symbol für die Gemeinsamkeit der in einem Kulturkreis lebenden Menschen. Dies verstärkt aber noch den Charakter des Geldes als Netzwerkgut und läßt den Wettbewerb der Währungen im Vergleich zum Wettbewerb in einer Währung als suboptimal erscheinen. Schließlich ist bereits dargelegt worden, daß von beiden Systemen gleichermaßen zu erwarten ist, daß inflationäre oder deflationäre Entwicklungen institutionell verhindert werden. Im folgenden bleibt aber noch zu überprüfen, ob dies auch für die Verhinde-
10
Bereits Menger untersucht in seiner Theorie der Evolution des Geldes diesen Sachverhalt. Bei ihm ist von der Marktgängigkeit des Tauschgutes und der Gewohnheit der Wirtschaftssubjekte die Rede (vgl. Geue 1997, S. 179-182).
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rung monetär verursachter Konjunkturschwankungen zutrifft. Dabei wird außerdem der Vergleich zu den Wirkungen monopolistischer Geldordnungen systematisiert.
3.3. Konjunktur und Geld im Notenbankmonopol und bei Wettbewerb der Währungen Die Ansichten zur Ineffizienz einer monopolistischen Währungsverfassung hinsichtlich der inflationsfreien und konjunkturstabilen Steuerung des Geldangebotsprozesses basieren auf zwei Grundthesen. Zunächst wird das Rent-Seeking-Verhalten von Regierungsvertretern und Notenbankleitern angeführt. Seit Adam Smith ist es ein Thema nationalökonomischer Studien, daß sich Wirtschaftssubjekte insbesondere auch durch ihr Eigeninteresse auszeichnen. Dies muß jedoch für eine Gesellschaft kein Problem darstellen. Die dadurch freigesetzten Energien können vielmehr gesellschaftlich positiv wirken, soweit das Eigeninteresse der Menschen durch geeignete Institutionen kontrolliert wird. Nur so können Gesellschaftsmitglieder vor Entartungen des Verhaltens Einzelner geschützt werden (vgl. Geue 1997, S. 20ff.). Genau an diesem Punkt ist jedoch anzusetzen, wenn untersucht wird, von welchen Institutionen das Rent-SeekingVerhalten von Regierungsvertretern und Notenbankleitern kontrolliert wird. In Marktwirtschaften genießen gerade staatlich garantierte Monopole - hier das staatlich garantierte Monopol der Zentralbank zur Emission von Zentralbankgeld ("outside money") den höchstmöglichen Schutz. Weder aktuelle noch potentielle Konkurrenz kontrolliert das Verhalten der Anbieter. Im Falle des Notenbankmonopols kommt nun noch ein weiteres wichtiges Element hinzu. Auch Substitutionskonkurrenz durch "inside money" wird durch staatliche Vorschriften weitestgehend unterbunden: Z.B. sind Steuern in der Landeswährung zu zahlen; Schuldverschreibungen des Staates werden in der Landeswährung ausgegeben usw. Um so wichtiger sind die Überzeugungen und Werthaltungen der Notenbankleiter und die Gesetze des Staates bezüglich der Ausgabe von Geld. Wichtig ist hier ein eindeutiger gesetzlicher Auftrag zur Wahrung der Stabilität einer Währung - wohingegen die Überzeugung, daß Geldwertstabilität eine wichtige Voraussetzung für das Erreichen bedeutender makroökonomischer Ziele wie z.B. Vollbeschäftigung, Wachstum und geringe Konjunkturschwankungen ist, staatlich nicht verordnet werden kann.
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Neben der Gefahr des "rent seeking" muß aber auch noch das Problem der mangelhaften Zentralisierbarkeit des Wissens über die Nutzung der konkreten Umstände von Ort und Zeit berücksichtigt werden. Man kann bezweifeln, ob gerade das Wissen zentralisiert werden kann, welches notwendig ist, um eine monopolistische Notenbank in die Lage zu versetzen, den Geldangebotsprozeß anstelle des Koordinationsmechanismus Markt effizient zu steuern. Die entscheidende Frage beim theoretischen Vergleich der Koordinationsmechanismen bezieht sich auf die in den unterschiedlichen Geldordnungen existierende Möglichkeit, "die verfügbaren Gelegenheiten
den
Entscheidungs-
trägern zur Kenntnis zu bringen" (Kirzner 1978, S. 186; Hervorhebungen im Original). Dabei geht es um das Wissen über Marktgegebenheiten und die Verwertung der Informationen, die über den Markt gewonnen werden. Das Problem des Wissens ist ein doppeltes: "First, it will almost always be the case that acquired data are out-of-date by the time policy is implemented, and second, the necessary data may not exist in form accessible by a central authority" (Horwitz 1992, S. 127). Einig sind sich Geldtheoretiker, daß die Geldmenge durch eine monopolistische Notenbank nicht exogen bestimmt werden kann. Die Endogenität des Geldangebotsprozesses drückt nicht zuletzt das angesprochene Wissensproblem aus. Insbesondere die Gefahr der "Produktion" von Inflation erscheint in monopolistischen Währungsverfassungen aufgrund des Wissensproblems sowie des politischen Drucks, dem auch faktisch weitestgehend unabhängige Notenbanken ausgesetzt sind, deutlich höher als in wettbewerblichen Währungsverfassungen. Zu beachten ist, daß mindestens drei Grundvoraussetzungen der geldmengenorientierten Geldpolitik erfüllt sein müssen, damit eine monopolistische Geldangebotsverfassung eine Chance auf Erfolg hat: ein stabiler Transmissionsmechanismus monetärer Impulse auf reale Kreisläufe; eine stabile Geldnachfrage und die Möglichkeit zur exogenen Geldangebotssteuerung durch die Notenbank. Alle drei Voraussetzungen sind jedoch in monopolistischen Währungsverfassungen nicht immer erfüllt - und es besteht durchaus die Möglichkeit, daß sich der Grad der Erfüllung durch das neue Medium Internet weiter verringert. Jedenfalls verhindert in wettbewerblichen Geldordnungen das "law of adverse Clearings" die Verursachung von Inflation seitens der privaten Notenanbieter. Diese "Gesetzmäßigkeit" verdeutlicht, daß eine Bank, die zu einem gegebenen Preisniveau mehr Noten ausgibt als vom Publikum letztendlich nachgefragt werden, sehr bald mit dem Abfluß ihrer "commodity money"-Reserven in der Höhe der Überemission rechnen muß (vgl. Seigin 1987, S. 438). Der Mechanismus des Wettbewerbs wird bei ge-
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setzlich vorgeschriebener Konvertibilitätspflicht dafür sorgen, daß die zusätzliche Notenemission durch die Notwendigkeit, über weitere Reservemittel zu verfugen, begrenzt bleibt. Das "law of adverse Clearings" verhindert somit, daß es zu Inflation kommt. Da es jedoch nur unter Wettbewerbsbedingungen gilt, wirkt es im Falle der Existenz von monopolistischen Notenbankverfassungen nicht (vgl. Seigin 1987, S. 438f.; White 1992, S. 124). Es ist genau das Wissen über die Entwicklung der Geldnachfrage, das in FreeBanking-Verfassungen und beim Wettbewerb der Währungen über den Mechanismus des Wettbewerbs diffundiert und das den monopolistischen Notenbankleitern nicht zur Verfügung steht. In wettbewerblichen Währungsverfassungen dienen die Preis- und Gewinnsignale den Unternehmern als "Wissenssurrogate" (Seigin 1987, S. 453). In monopolistischen Notenbankverfassungen fehlt dieser Wissensübermittler dagegen. Das spezifische Wissen über Ort und Zeit im Hinblick auf die individuellen Nachfragen nach Geld kann von einer Zentralnotenbank nicht zentralisiert werden. Sie ist allenfalls in der Lage, mittels der Festlegung eines antizipierten Geldmengenkorridors im Rahmen einer potentialorientierten Geldmengenpolitik die voraussichtliche Entwicklung der aggregierten Geldnachfrage abzuschätzen. Nicht simulieren kann sie hingegen den wettbewerblichen Entdeckungsprozeß, der in effizienter Weise Wissen schafft und verwertet (vgl. Seigin 1987, S. 453f.). Welche konjunkturellen Implikationen besitzen nun aber die gewonnenen Einsichten? Wie bereits in Kapitel 2.2. herausgearbeitet, existiert in der gegenwärtigen Währungsordnung das Problem, daß als unintendiertes Ergebnis des intentionalen Handelns der Notenbankleiter und Geschäftsbankiers der Darlehenszinssatz unter den natürlichen Zins gedrückt werden kann. Die endogene Konjunkturerklärung lautet, daß die Kreditvergabe vergleichsweise zu hoch ist, ohne daß das relevante Wissen, um diese Situation zu verhindern, bei den Notenbankern zentralisiert werden könnte. Die Geschäftsbanken verfugen im System über ein Kreditschöpfungspotential, weshalb weder der einzelne Bankier noch der Notenbankleiter erkennen kann, ob durch die Kreditvergabe Geldschöpfung betrieben wird (vgl. von Hayek 1976a, S. 92f.). Es handelt sich hierbei um ein immanentes Problem der gegenwärtigen Währungsordnung. Die Frage, die sich deshalb stellt, lautet: Kann mittels einer Reform der institutionellen Rahmenbedingungen die monetär verursachte Disproportionalität zwischen den verschiedenen Produktionszweigen, womit insbesondere die übermäßige Ausdehnung der
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Kapitalgüter produzierenden Industrien angesprochen ist, unterbunden werden? Offensichtlich muß das Auseinanderfallen von Darlehenszins und natürlichem Zins institutionell verhindert werden, damit die Konjunkturbewegung überhaupt nicht erst in Gang kommt. Dabei sollte kurz in Erinnerung gerufen werden, daß der Zins die Funktion hat, "den Umfang der Kapitalverwendungen in den verschiedenen Produktionszweigen mit dem verfugbaren Kapitalangebot in Übereinstimmung zu erhalten" (von Hayek 1976a, S. 34). Erst durch das unintendierte Abweichen vom Gleichgewichtszins kommt es zu einer Fehlleitung der Produktion. Wie kann das hiermit angesprochene immanente Wissensproblem beim Geldangebotsprozeß gelöst werden? Um diese Frage zu beantworten, muß analysiert werden, wie sich im Wettbewerb stehende Notenemittenden verhalten, wenn beispielsweise durch Innovationen, Bevölkerungswachstum oder aber auch Naturkatastrophen der natürliche Zins steigt. In allen diesen Fällen wird die Kreditnachfrage steigen, ohne daß die Notenemittenden wissen können, ob und wie stark der natürliche Zins gestiegen ist oder ob sie durch die bisherige Kreditvergabe den Darlehenszins unter den natürlichen Zins gedrückt haben. In einer monopolistischen Notenbankverfassung kann die Geschäftsbank schon aus Wettbewerbsgründen keine Kreditzurückhaltung üben, selbst wenn sie letzteres vermuten sollte. Sie würde nämlich mit einer Abwanderung ihrer Kunden zu anderen Banken bestraft (vgl. von Hayek 1976a, S. 99). Der Konkurrenzmechanismus im Geschäftsbankensystem bei gleichzeitigem monopolistischen Geldangebot führt demnach zu dem immanenten Problem ungewollt monetär verursachter Konjunkturschwankungen. Sollte die Notenbank ausgleichend eingreifen, würde sie i.d.R. das Problem eher verschärfen, da die Notenbankleiter ebensowenig wie die Geschäftsbanker wissen können, ob und wie weit sich das System vom Gleichgewichtszins entfernt oder ob und um wieviel Prozentpunkte sich der natürliche Zins selbst verändert hat. Vollkommen anders würde sich der gleiche Konkurrenzmechanismus dagegen in einem System wettbewerblicher Geldangebotssteuerung auswirken. Werden nämlich von den Banken im Vergleich zum natürlichen Zins zu viele Kredite vergeben, sorgt der Wettbewerb zwischen den Notenemittenden dafür, daß sich der Darlehenszins nicht weit vom natürlichen Zins entfernt. Das Problem, daß niemand die Höhe des natürlichen Zinses kennen kann, wird mittels des Wettbewerbsmechanismus entschärft. Da es im wettbewerblichen Geldangebotssystem keine Zentralnotenbank als "lender of last resort" gibt, können sich die Notenemittenden nicht bei einer anderen Organisation refinanzieren, wenn sie in Liquiditätsschwierigkeiten geraten. Sie können auch nicht
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mehr Geld ausgeben, da dieses sonst vom Publikum nur noch mit einem Disagio gehandelt oder ganz aus dem Verkehr verschwinden wird. Letzteres würde aber bedeuten, daß die emittierten Noten der Bank zur Einlösung in den festgelegten Warenkorb vorgelegt werden, ein Ansinnen, dem die Bank aufgrund der Konvertibilitätspflicht auch nachkommen müßte. Könnte sie ihre Verbindlichkeiten nicht begleichen, müßte sie Konkurs anmelden. Diese Gefahr der Insolvenz wird nun aber dazu fuhren, daß Banken bei der Kreditvergabe gerade im Aufschwung vorsichtig sein werden. Dadurch kann aber der Darlehenszins nicht weit vom (unbekannten) natürlichen Zins abweichen - die institutionellen Rahmenbedingungen verhindern, daß deutliche Konjunkturschwankungen unintendiert monetär verursacht werden.
4.
New Monetary Economics - Das BFH-System Einen Schritt weiter als die bisherigen Währungsordnungsvorschläge gehen die Ver-
treter der New Monetary Economics oder auch des BFH-Systems wie es Greenfield und Yeager in Anlehnung an die Vorschläge von Black, Fama und Hall benennen (vereinzelt wird auch von der "legal restrictions"-Theorie gesprochen). Auch sie wenden sich gegen die herrschende Währungsordnung in Form der Regulierung des Bankenmarktes und der Interventionen einer Zentralbank. Das System sei ineffizient. So wird beispielsweise die Pflicht der Banken zur Haltung von Reserven in Form von Banknoten als Steuer auf Einlagenerträge angesehen (vgl. Fama 1980, S. 47, 52; Hall 1983, 5. 34f.). Insbesondere die Durchsetzung eines gesetzlichen Zahlungsmittels wird letztendlich als Evolutionsblockade interpretiert. Im Gegensatz zu den bisher diskutierten Ansätzen wird eine Trennung der Geldfunktionen favorisiert. Erwartet wird, daß durch eine Spaltung der Funktionen des Geldes sowie einer vollkommenen Liberalisierung des Bankenmarktes, Geld, wie wir es heute kennen, verschwinden würde, da es keine Nachfrage mehr nach nicht-zinstragenden finanziellen Aktiva, d.h. nach Banknoten, geben würde (vgl. O'Driscoll 1985, S. 1). Bei ungehinderter Evolution werden sich schon gegenwärtig feststellbare Innovationsprozesse verstärken. Erwartet wird, daß das sich ergebende Zahlungssystem das gegenwärtige Geldsystem schließlich verdrängen würde (vgl. Greenfield / Yeager 1983, S. 303). Damit wäre gleichzeitig die "traditionelle" Geldtheorie obsolet: "Neither the quantity theory of money nor the liquidity preference theory of money would be applicable. [...] Traditional monetary theories will be inapplicable" {Black 1970, S. 9f.).
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4.1. Die Grundpfeiler des BFH-Systems Das BFH-System basiert auf der (1) Trennung der Recheneinheits- und der Zahlungsmittelfunktion des Geldes. Es gibt kein gesetzliches Zahlungsmittel. (2) Bankgeschäfte werden vollkommen liberalisiert - was auch die Abschaffung einer Zentralnotenbank beinhaltet. Dadurch wird erwartet, daß (3) die Effizienz des Zahlungssystems zunimmt, was damit gleichgesetzt wird, daß keine unverzinslichen finanziellen Aktiva mehr gehandelt werden, sondern nur noch verzinsliche Fondsanteile, und daß (4) monetär verursachte Schwankungen des Preisniveaus und damit monetär verursachte Konjunkturzyklen ausbleiben. Entstehen soll ein System des "sophisticated barter" (vgl. Cowen /Kroszner
1987, S. 569f.).
Die Trennung der Geldfunktionen sieht folgendermaßen aus. Im BFH-System wird die Recheneinheit eines Währungsraumes vom Staat fixiert und ihre Verwendung gesetzlich durchgesetzt." Die Definition erfolgt wie bei dem von den Grahams und Eucken favorisierten Waren-Reserve-Plan bezogen auf einen Warenkorb - nicht bezüglich eines Zahlungsmittels, dessen Wert selbst wieder auf seiner relativen Knappheit und Einlösbarkeit beruhen würde. Im Gegensatz zum Vorschlag der Grahams müssen die Güter des Warenkorbs nicht lagerfähig sein, da sie nur im abstrakten Sinne zur Definition der Recheneinheit verwendet werden. Die Definition wird in Analogie zu so artifiziellen Definitionen wie dem "Meter", dem "Kilogramm", der "Minute" usw. vorgenommen: "Just as the meter is defined physically as 1,650,763,73 wavelengths of the orange-red radiation of krypton 86, so the value unit would be defined physically as the total market value of, say, 50 kg of ammonium nitrate + 40 kg of copper + 35 kg of aluminum + 80 square meters of plywood of a specified grade [...]" (Greenfield / Yeager 1983, S. 305). Im BFH-System wird lediglich die Definition der Recheneinheit festgelegt - es gibt keine Konvertibilität der Einlagen der Privaten bei den Banken bezüglich der Güter des Warenkorbs, welche die Rechenheit definieren. Dadurch bleibt die Recheneinheit aber
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Cowen und Kroszner, die in ihrem Beitrag die historische Entwicklung der New Monetary Economics untersuchen, weisen auf eine Differenz innerhalb des Ansatzes hin: Während das BFH-System auf Vorstellungen einer technischen Evolution des Zahlungssystems, verbunden mit einer staatlichen Reform der Währungsverfassung zur Trennung der Geldfunktionen, beruht, erwarten die traditionellen Theoretiker der New Monetary Economics, daß eine ungehinderte Evolution des Geldes von selbst zu einer Spaltung der Geldfunktionen fuhren würde (vgl. Cowen /Kroszner 1987, S. 573).
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stabil. Die Banken werden weder zur Haltung von Reserven in Form von Banknoten verpflichtet, noch gibt es eine Zentralbank. Außerdem darf der Staat keine Einlöseverpflichtung von Zahlungsmitteln einfordern und dementsprechend auch kein gesetzliches Zahlungsmittel festlegen. Ihm ist auch verboten, Geldschuldtitel auszugeben, da diese als Zahlungsmittel verwendet und dadurch bevorzugt werden könnten. In dieser Welt wird erwartet, daß in einem reinen Buchführungssystem auf alle Einlagen Zinsen gezahlt, unverzinsliche Zahlungsmittel also verschwinden werden (vgl. Black 1970, S. 15; Fama 1980, S. 55; 1983, S. 8f.; Greenfield/ Yeager 1983, S. 303- 305, Richter 1987, S. 136). Es gibt in der BFH-Welt keine Instanz, die Geld quasi aus dem "Nichts" schaffen kann. Die Banken sind im Darlehens- und im Investment-Geschäft als reine Intermediäre aktiv. Sie koordinieren die Nachfrage und das Angebot von Portfolioaktiva. Ihre erwirtschafteten Einnahmen stammen aus der Differenz zwischen Einlagenzinsen und Darlehenszinsen. Zahlungen werden wie im existierenden System mittels Scheck gegen Fondsanteile, durch Wechsel oder mittels einer Buchung im elektronischen Verrechnungssystem vorgenommen. Güter werden gegen Eigentümeranteile an den Fonds getauscht, wobei die abstrakt definierte Recheneinheit als Maßstab dient (vgl. O'Driscoll 1985, S. 6f.): "The essence of an accounting system of exchange is that it operates through debits and credits, which do not require any physical medium" (Fama 1980, S. 42). Allenfalls für einen kleinen Rest von Transaktionen werden Münzen und Banknoten benötigt, die ebenfalls von den Banken bereitgestellt werden können (vgl. McCallum 1985, S. 33). Sowohl im gegenwärtigen System der ungedeckten Papierwährungen als auch zur Zeit der Goldwährung wurde und wird der Wert des Geldes über das Angebot und die Nachfrage nach dem Geldgut bestimmt, wobei die Geldnachfrage weitestgehend einen monetären Charakter besitzt (bei Papiergeldwährungen vollkommen, in der Goldwährung wenigstens zum größten Teil). Mit anderen Worten bestimmt in erster Linie der Tauschwert und nicht der Gebrauchswert den Wert des Geldes. Im Gegensatz dazu beruht die Nachfrage nach denjenigen Gütern, die im BFH-System die Recheneinheit definieren, fast ausschließlich auf dem nichtmonetären Gebrauchswert (vgl. Greenfield / Yeager 1983, S. 304). In den ersten beiden angesprochenen Geldordnungen können Ungleichgewichte bezüglich der Koordination von Geldnachfrage und Geldangebot den realen Wert der Recheneinheit beeinflussen (vgl. Hall 1982, S. 1553; 1983, S. 48f.). Wenn beispielsweise das Angebot größer als die Nachfrage nach dem in der Volkswirt-
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III
schaft verwendeten Zahlungsmittel ist, kommt es zu Inflation, d.h., die bezüglich eines Warenkorbs definierte Recheneinheit verliert gegenüber diesem Korb an Wert. Im BFH-System sind dagegen die Geldfunktionen separiert. Durch die Trennung von Zahlungsmittelfunktion und Recheneinheitsfunktion kann es aus rein monetären Gründen nicht zu Inflation oder Deflation kommen: "A wrong quantity of money could no longer cause problems because money would not exist" (Greenfield / Yeager 1983, S. 305). Natürlich kann trotzdem nicht erwartet werden, daß die abstrakt definierte Recheneinheit in ihrem Wert immer vollkommen stabil sein wird. Es ist zu erwarten, daß die Werte der Waren, die im Warenkorb aufgenommen worden sind, im Laufe der Zeit auch schwanken werden. Von daher wird auch die Recheneinheit, d.h. der Korb als Ganzes, der per definitionem den fixierten Preis von einer Einheit besitzt, nicht vollkommen frei von Wertschwankungen sein. Der Unterschied zu allen bisherigen Währungsordnungen liegt jedoch darin, daß die Wertschwankungen im BFH-System nicht monetär motiviert sind, d.h. durch Ungleichgewichte bezüglich der gewünschten Geldnachfrage und des aktuellen Geldangebotes entstehen, sondern die güterwirtschaftliche Knappheit, d.h. die Veränderung des Gebrauchswertes der Güter des Warenkorbs, widerspiegeln. Dafür sorgt letztlich die Separierung der Geldfunktionen, die durch die Abschaffung der Pflicht zur Konvertibilität vorgenommen wird (vgl. Greenfield / Yeager 1983, S. 313f.; McCallum 1985, S. 32; Yeager 1989, S. 272).12 Erwartet wird von einer solchen institutionellen Umgebung, daß die Unterschiede zwischen Banken und anderen Finanzorganisationen weitestgehend verschwinden werden und Geld im herkömmlichen Sinne kaum noch existiert. Bei vollkommener Liberalisierung des Bankenmarktes werden Banken auf die von Kunden eingezahlten Einlagen in der selben Höhe Zinsen bezahlen, die sie für andere risikoäquivalente Portfoliowerte zahlen, wodurch die Einlagen des Publikums bei den Banken eher den Charakter von Anteilen an Investmentfonds erhalten als von Geld (vgl. Black 1970, S. 9;
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Halls Vorschlag zur Stabilisierung des Preisniveaus einer Volkswirtschaft unterscheidet sich etwas von den übrigen Ansätzen. Sein Ziel ist es, die Nachfrage der Banken nach Reservezertifikaten, wie er die Banknoten des Staates nennt, ausgesprochen elastisch bezüglich des Preisniveaus zu gestalten, um letzteres so zu stabilisieren. Dazu schlägt er ein System vor, bei dem Zinsen auf von Banken gehaltene Reservezertifikate (Banknoten) gezahlt werden. Diese verzinsen sich wie Staatsanleihen plus einer zusätzlichen Verzinsung von 1 Prozent extra p.a. für jeden Prozentpunkt, den das Preisniveau über 100 erreicht, woraus sich als einzig mögliches Preisniveau das von 100 ergibt (vgl. Hall 1983, S. 36; Stockmann 1983, S. 51 f.).
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Fama 1980, S. 40f., 48f.; McCallum 1985, S. 18; White 1989d, S. 243). Bankverbindlichkeiten sind keine Forderungen des Publikums auf "outside money" (heutzutage Zentralbankgeld), sondern Forderungen auf Anteile am Portfolio zinstragender Aktiva von Investmentfonds (vgl. White 1989b, S. 173). Sobald die gesetzlichen Beschränkungen über die Emission von Zahlungsmitteln aufgehoben werden, ist nach Ansicht der Theoretiker der New Monetary Economics kein Grund mehr dafür vorhanden, daß Wirtschaftssubjekte unverzinsliche Zahlungsmittel zinstragenden finanziellen Aktiva vorziehen könnten (vgl. White 1989d, S. 244). Insgesamt besitzen die Banken zwei Hauptfunktionen: Zum einen stellen sie ein Buchfiihrungssystem als Zahlungsmechanismus bereit. Zum anderen sind sie als Finanzintermediäre im Bereich des Portfolio-Managements tätig (vgl. Fama 1980, S. 44; Fama 1983, S. 8; Visser 1991, S. 77). Die von ihnen verwalteten Fonds werden Anleihen, Aktien und festverzinsliche Wertpapiere ebenso halten wie Immobilien. Im Wettbewerb der Banken um die Einlagen des Publikums werden als Aktionsparameter die Sicherheit und Verzinsung von Portfolios ebenso eingesetzt werden wie die Effizienz des angebotenen Zahlungssystems. Deswegen muß ein bankenübergreifendes Clearingsystem eingerichtet werden, um Soll und Haben der Banken zu verrechnen - ähnlich wie dies heutzutage bereits im Interbankenverkehr notwendig ist (vgl. Fama 1980, S. 42). Die Anteilseigner an den Fonds, d.h. im BFH-System alle Wirtschaftssubjekte einer Volkswirtschaft, werden ebenso wie bei heutigen Investmentfonds an den Wertzuwächsen der Fonds partizipieren bzw. Wertverluste zu tragen haben. Dementsprechend ist zu erwarten, daß der Kunde die Fondsanteile als Investitionsmittel ansieht (vgl. Greenfield / Yeager 1983, S. 307). Deutlich wird auch, daß die im BFH-Verrechnungssystem verwendeten Tauschmittel, nämlich die Vermögensanteile an den Fonds, einen schwankenden Preis besitzen, ausgedrückt in der abstrakt definierten, stabilen Recheneinheit. Dadurch entstehen jedoch Transaktionskosten in Form von Sicherungskosten, was zu einer Nachfrage nach einer "Einlagen- (oder besser Anlagen-) Versicherung" fuhren könnte (Richter 1987, S. 137). Insgesamt versprechen sich Greenfield und Yeager fünf Hauptvorteile von einem BFH-System: Erwartet wird, daß (1) die Recheneinheit stabil sein wird, daß (2) die Regierung zwangsläufig finanzielle Disziplin wahren muß, daß (3) der ungehinderte Wettbewerb zwischen den Finanzorganisationen ihr Eigeninteresse disziplinieren und ihr
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Innovationsverhalten positiv beeinflussen wird, daß (4) monetär verursachte Konjunkturschwankungen sowie "bank runs" nicht eintreten werden sowie schließlich, daß (5) makroökonomische Schwankungen des Preisniveaus ausbleiben und dadurch die realen Aktivitäten nicht mehr beeinflußt werden (vgl. Greenfield / Yeager 1983, S. 308-311; Visser 1991, S. 82f.)
4.2.
Kritik am BFH-System
Es besteht eine grundlegende Schwierigkeit bei der Beurteilung der Hypothesen der Vertreter der New Monetary Economics. Die Diskussion wird über eine hypothetische Währungsordnung geführt, die es bisher noch nicht einmal in Ansätzen gegeben hat. Hier liegt ein Fall vor, bei dem Hypothesen über den Wandel von institutionellen Rahmenbedingungen den möglichen Fakten vorausgehen (vgl. O'Driscoll 1985, S. 6). In der reinen BFH-Welt existiert keine Nachfrage nach Kassenhaltung. Bargeld ist verschwunden. An seine Stelle treten verzinsliche Anteile an Investmentfonds, die aufgrund ihrer vollkommenen Substituierbarkeit zum Geld das unverzinsliche Zahlungsmittel verdrängen. Was sind aber die Voraussetzungen für die Existenz einer solchen Welt? Offensichtlich ist zum einen ein gewisser technischer Fortschritt notwendig. Das bargeldlose Buchungssystem muß ohne große Transaktionskosten verwendbar sein. Zum anderen ist damit schon eine weitere zentrale Voraussetzung angesprochen, nämlich die einer Welt ohne strukturelle Unsicherheit mit geringen Transaktionskosten. In dieser Umgebung stellen unverzinsliche Zahlungsmittel naturgemäß eine Verschwendung von Ressourcen dar, wobei als Opportunitätskosten der Geldhaltung die entgangenen Zinserträge zu nennen sind (vgl. Yeager 1989, S. 374f.). Dreh- und Angelpunkt des BFH-Modells ist die Hypothese, daß die gesetzliche Trennung der Recheneinheits- und der Zahlungsmittelfunktion des Geldes zum Verschwinden des unverzinslichen Zahlungsmittels fuhren wird. Es stellt sich jedoch die Frage, ob das Publikum tatsächlich keine Nachfrage nach unverzinslichen Zahlungsmitteln entwickelt oder ob für die Banken doch ein Spielraum für das Angebot an Geld als Zahlungsmittel besteht. Wenn letzteres zuträfe, wäre man, wenn die Recheneinheit über einen Warenkorb gesetzlich definiert wird, wieder beim Free-Banking-System angelangt. Ansonsten wäre es auch möglich, daß sich von Hayeks Wettbewerb der Währungen durchsetzt.
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Es wird sich zeigen, daß die Vollkommenheit der Substitutionsbeziehung zwischen einem unverzinslichen Zahlungsmittel und verzinslichen Fondsanteilen über die Evolution des Zahlungsmittels entscheidet. Zunächst muß darauf verwiesen werden, daß die von den Vertretern der NME angenommene enge Substitutionsbedingung zwischen unverzinslichen Banknoten und zinstragenden Fondsanteilen weder im gegenwärtigen noch im erdachten System existiert: "New depository accounts (including nonbank accounts) seem to be Substitutes for existing types of accounts, not for currency. [...] And electronic fiinds transfers, which typically involve veiy large amounts, are almost surely Substitutes for transfers by check, not currency" (O'Driscoll 1985, S. 9). Vielmehr ist zu erwarten, daß Banknoten nach wie vor aus Transaktionskostengründen nachgefragt werden. So können beispielsweise Schecks ungedeckt sein. Sollte der Weg der elektronischen Übertragung gewählt werden, besteht die Gefahr von Computerviren oder auch von Betrug im Computernetz, wogegen Vorkehrungen getroffen werden müssen. Auch das Übertragungsmedium Internet stellt keine kostenlose Alternative zu gegenwärtigen Zahlungssystemen dar. Unabhängig von der Art der Übertragung müssen die im Fonds gehaltenen Titel auf ihre Sicherheit hin überprüft bzw. die Fonds als Einheit auf ihren Wert und ihre Sicherheit hin von den Wirtschaftssubjekten beurteilt werden. Ein Problem könnte nun darin bestehen, daß sich die Banken darüber einigen müssen, welche Portfoliovermögensanteile zum Austausch akzeptiert werden. All dies sind Transaktionskosten, die den Transaktionskosten der Nutzung von Banknoten gegengerechnet werden müssen. Auch bei Einsatz des Internet ist es unwahrscheinlich, daß die Transaktionskosten jemals so weit fallen könnten, daß sich der Grenzertrag des Geldes als Zahlungsmittel bis auf Null verringern würde (vgl. auch Brunner / Meitzer 1985, S. 3; O'Driscoll
1985,
S. 9; Visser 1991, S. 88). Richter stellt zu Recht fest: "Das BFH-System paßt wie angegossen auf das Modell des Totalen Konkurrenzgleichgewichts mit vollkommener Voraussicht, d.h. bei Transaktionskosten von Null"; und: "Die elementaren Währungsordnungen vom Typ Warenund Papierstandard kollabieren in dem Falle zu einer Währungsordnung von der Art des BFH-Systems" (Richter 1987, S. 137). Es stellt sich jedoch die Frage, ob in einer Volkswirtschaft mit perfekten Kapitalmärkten und vollkommener Rationalität der Wirtschaftssubjekte Banken und Geld überhaupt noch notwendig sind, d.h., ob nicht schon mittels der gesetzten Annahmen das (in dem Fall dann unrealistische) System determi-
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niert wird (vgl. auch Brunner / Meitzer 1985, S. 5f.; Visser - unter Verweis auf Illing 1991, S. 90 sowie White 1989d, S. 246-249). Geld wirft deswegen einen geringeren Ertrag als den Marktzinssatz ab, weil es auch nichtpekuniäre Dienste als Liquiditätsvehikel leistet (vgl. Kapitel 3.2.). Vor diesem Hintergrund würde im Gleichgewicht der gesamte Nutzen des Geldes aber höher als für jede andere Vermögensform liegen, sollte Geld neben dem nichtpekuniären Nutzen auch noch mit der Marktzinsrate versehen werden. Somit kann die Annahme der Vertreter der NME, lediglich die gesetzlichen Beschränkungen der Banktätigkeit führe dazu, daß Geld als unverzinsliches Aktivum existiert, zumindest in reiner Form nicht mehr aufrechterhalten werden (vgl. McCallum
1985, S. 31; O'Driscoll
1985, S. 11;
White 1989e, S. 383). Um die Frage der zu erwartenden Evolution des Zahlungsmittelsystems befriedigend zu beantworten, ist die zentrale Rolle des Geldes in entwickelten Volkswirtschaften zu beachten. Geld dient hier in erster Linie als unsicherheitsreduzierende Institution. In dieser Funktion wird es vom Publikum nachgefragt. Unsicherheit wird jedoch nur reduziert, wenn die Kunden auf die Wertstabilität ihres monetären Vermögens vertrauen können. Vor diesem Hintergrund stellt sich nun aber die Frage, ob es nicht außerordentlich wahrscheinlich ist, daß Banken im Wettbewerbsprozeß ihren Kunden gegenüber freiwillig eine Konvertibilitätsverpflichtung der emittierten Aktiva in einen von den Kunden gewünschten Warenkorb anbieten. Dies ist nämlich ein bedeutender unternehmerischer Aktionsparameter, um Vertrauen in die eigenen Bankprodukte herzustellen. Wird die Konvertibilitätsverpflichtung jedoch eingegangen, müssen die Banken jederzeit damit rechnen, daß sie auf Wunsch des Publikums zumindest einen Teil der emittierten Aktiva in die Güter des Warenkorbes umtauschen müssen. Die Kosten der Kreierung von Vertrauen äußern sich damit in der Insolvenzgefahr. Um dieser Gefahr zu begegnen, müssen Banken Reserven halten, die sie nicht zinsbringend weiterverleihen können. Damit entstehen den Banken (Opportunitäts-) Kosten, die sie j e nach Wettbewerbssituation auch an die Kunden weitergeben werden. Selbst im für die Banken ungünstigsten Fall - nämlich in der Marktform der vollkommenen Konkurrenz werden sie auf die emittierten Aktiva nicht denselben Marktzinssatz zahlen können, wie auf risikotragende Aktiva. An diesem Zusammenhang ändert auch die transaktionskostensenkende Wirkung neuer Medien, wie beispielsweise das Internet, nichts. Damit ist aber die Hypothese der Vertreter des BFH-Systems von dem Ausgleich der monetären Verzinsung aller Vermögensarten als Ergebnis des Evolutionsprozesses erschüttert. Nur
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in Abwesenheit der Konvertibilitätsverpflichtung und von Transaktionskosten von Null wird der Wettbewerb die Anbieter von Anteilen an Investmentfonds dazu zwingen, Anteilseignern zu anderen Aktiva äquivalente Zinssätze zu bieten. Im Gegensatz zu den Erwartungen der Vertreter der New Monetary Economics ist demnach nicht zu erwarten, daß eine ungehinderte Evolution des Geldes zu einer Trennung der Geldfunktionen fuhren würde. Dagegen sprechen auch die historischen Erfahrungen mit liberalisierten Verfassungen des Geldangebotes (vgl. White 1989d, S. 245249; 1990, S. 528). Vielmehr scheint die Hypothese nahe zu liegen, daß Emittenten von Finanzaktiva sich zur Konvertibilität ihrer ausgegebenen Vermögenswerte verpflichten werden und so dazu beitragen, daß wieder ein Zahlungsmittel in der Volkswirtschaft verwendet wird (vgl. auch McCallum 1985, S. 36). Geld wird als unsicherheitsreduzierende Institution weiter bestehen - gleich ob als Banknote oder als elektronisches Zahlungsmittel in modernen Computernetzen.
5.
Fazit des Theorievergleichs Ob als "cyber-cash" oder als Bankkarte: der technische Fortschritt verändert die Er-
scheinungsform des Geldes und zwingt, über alternative Geldordnungen nachzudenken. Die Vertreter der Ideen des Laissez-faire-Banking haben sich genau dies zur Aufgabe gemacht. Unterschiede bestehen bezüglich der Einschätzung der Stellung des Geldes in der Volkswirtschaft. Zwar betonen alle drei Ansätze die Bedeutung des monetären Aspekts sowohl bei der Inflations- als auch bei der Konjunkturerklärung; während allerdings die Anhänger des Free-Banking-Gedankens und die der Idee des Wettbewerbs der Währungen nach Mechanismen suchen, um das Wissensproblem der Versorgung einer Volkswirtschaft mit Geld zu lösen und die Lösung im sozialen Mechanismus des Wettbewerbs finden, vermuten die Vertreter der New Monetary Economics die Lösung in der Abschaffung des Geldes, wie wir es heute kennen. Geld wird von letzteren als Faktor der Instabilität angesehen (vgl. Cowen /Kroszner 1987, S. 570, 576ff.), während erstere den institutionellen Gegebenheiten des Geldangebotsprozesses mißtrauen und mittels einer institutionellen Reform die Währungsordnung quasi im Sinne Euchens zum Primat erheben wollen.
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Die Probleme mit monopolistischen Notenbankverfassungen wurden in Kapitel 3.3. ausfuhrlich beschrieben. Nicht nur besteht ständig die potentielle Gefahr inflationärer Entwicklungen, sondern stets drohen unintendiert verursachte Konjunkturschwankungen. Dagegen ist vom Free-Banking-System sowie im Prinzip auch vom Wettbewerb unterscheidbarer Währungen die Lösung der angesprochenen Probleme zu erwarten soweit die institutionellen Rahmenbedingungen den bereits von Eucken formulierten Anforderungen genügen. Der Mechanismus des Wettbewerbs sorgt bei Geltung des Prinzips der Haftung sowie der gesetzlich vorgeschriebenen Konvertibilitätspflicht dafür, daß eine zusätzliche Notenemission durch die Notwendigkeit, über weitere Reservemittel zu verfügen, begrenzt bleibt. Ebenso ist eine Unterversorgung mit liquiden Mitteln in einer Wettbewerbsordnung nicht zu erwarten. Außerdem verhindert der Wettbewerb der Notenemittenten, daß als unintendiertes Ergebnis ihrer Geldproduktion der natürliche Zins vom Darlehenszins deutlich abweicht. Das spezifische Wissen über Ort und Zeit im Hinblick auf die individuellen Nachfragen nach Geld diffundiert über den Mechanismus des Wettbewerbs. Auch im BFH-System kann es nicht zu Inflation oder Deflation kommen. Funktioniert das System, werden monetär verursachte Schwankungen mittels des institutionellen Rahmens ausgeschlossen. In dem reinen Buchungssystem existiert weder ein Angebot noch eine Nachfrage nach einem Zahlungsmittel. Schwankungen der Recheneinheit können lediglich einen nicht-monetären Grund besitzen. Die Analyse hat jedoch gezeigt, daß sich bei einer Liberalisierung der Geldangebotsordnung voraussichtlich weder ein BFH-System, noch ein System des Wettbewerbs von Währungen durchsetzen wird. Zum einen wird die künstliche Trennung von Recheneinheits- und Zahlungsmittelfunktion des Geldes durch die zu erwartende freiwillige Konvertibilitätsverpflichtung der im Wettbewerb stehenden Anbieter von Investmentfonds wieder aufgehoben werden. Geld wird wieder als Zahlungsmittel verwendet. Zum anderen führt der Charakter des Geldes als Netzwerkgut dazu, daß ein System des Wettbewerbs von Währungen einer Free-Banking-Ordnung unter dem Gesichtspunkt der Effizienz unterlegen ist. Die Transaktionskosten beim Free-Banking-System sind geringer als die beim Wettbewerb der Währungen. Neue Techniken, wie das Internet, senken diese darüber hinaus. Besonders die Erfahrungen in Schottland legen den Schluß nahe, daß ein FreeBanking-System die Voraussetzung für das "automatische" Funktionieren des klassi-
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sehen Goldwährungssystems des 19. Jahrhunderts (bis 1914) darstellte (vgl. auch Schuler 1994, S. 416). Heutzutage muß die Wirkung neuer Technologien bei der Wahl einer Geldordnung berücksichtigt werden. Insgesamt erscheint der Wettbewerb auf der Geldangebotsseite nicht nur als das Verfahren, das Euchen gefordert hat, um eine "automatisch" funktionierende Währungsverfassung zu erhalten, sondern auch als Alternative zu monopolistischen Währungsverfassungen, die aufgrund neuer Zahlungsmitteltechniken nicht länger die Steuerbarkeit des Geldangebotsprozesses gewährleisten. Grundlegende Voraussetzung ist allerdings, daß Euckens konstituierende Prinzipien fur funktionsfähige Märkte seitens des Staates garantiert werden. Offensichtlich liegt auch bezüglich der Währungsordnung hier die Aufgabe des Staates und eben nicht im Angebot der Währung selbst. Wenn Tuchtfelds Erwartung zutrifft, die er anläßlich eines Vortrages an der Philipps-Universität in Marburg im Juli 1997 geäußert hat, und das 21. Jahrhundert tatsächlich das Jahrhundert der Renaissance einer verantwortungsbewußten Ordnungspolitik werden sollte, könnten sich die Chancen zur Schaffung einer systemgerechten Währungsverfassung deutlich erhöhen. Dazu ist aber weiter an der Theorie zu arbeiten, um die Vorstellung von einer wettbewerblichen Geldangebotsordnung aus dem gegenwärtigen Zustand einer Utopie in den Zustand einer umsetzbaren Vision zu transformieren.
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Elektronisches Geld: Finanzmärkte im Zeichen technologischen Wandels Karsten
Schulz
1. Technologie und die Veränderung der Zahlungsmittel
392
1.1.
Ein Déjà Vu-Erlebnis?
392
1.2.
Kosten und Erträge elektronischen Geldes
394
1.3.
Das Internet als Wirtschaftsfaktor und Regulierungsproblem
395
2. Konsequenzen für nationale monetäre Autoritäten
396
2.1.
Seigniorage
397
2.2.
Geldnachfrage
400
2.3.
Geldangebot
402
2.4.
Handlungsalternativen geldpolitischer Autoritäten
405
3. Alternative Geldordnungen mit elektronischem Geld
409
3.1.
Elektronisches Geld im System der Bankenfreiheit
410
3.2.
Elektronische Währungen unter Wettbewerb
412
3.3.
"Moneyless Society"?
415
4. Die Zukunft der Geldordnung
417
Literatur
417
392
1.
Karsten Schulz
Technologie und die Veränderung der Zahlungsmittel
1.1. Ein Déjà Vu-Erlebnis? Mit Schecks, Überweisungen, kartengestützten Zahlungsformen und elektronischen Verrechnungssystemen im Interbankengeschäft sind schon seit langem Formen elektronischer und unbarer Zahlungsmittelsysteme im Einsatz. Ihre Einfuhrung löste insbesondere zu Beginn der siebziger Jahre die Erwartung aus, daß das Bargeld verdrängt würde und der Übergang zur "cashless society" begonnen hätte (Greenspan 1997, S. 45; Flannety 1996). Gleiches wird heute durch die Einführung und Verbreitung elektronischer Geldeinheiten für möglich gehalten (z.B. Holland / Cortese 1995; Berentsen 1997; Reif /Kossei 1997). Diese denkbare Entwicklung steckt noch in ihren Anfängen und wird sich, wenn überhaupt, in einem "peacemeal process" vollziehen. Ziel dieses Beitrages ist es, Bedingungen für diese Entwicklung zu einer bargeldlosen Gesellschaft zu untersuchen, die schrittweisen Veränderungen abzuschätzen und Konsequenzen für die Geldversorgung einer Volkswirtschaft aufzuzeigen. Dabei stehen zunächst die unmittelbaren Auswirkungen einer Verdrängung des Bargeldes durch elektronische Geldeinheiten für die Geldpolitik im Vordergrund. Darauf aufbauend wird untersucht, inwieweit eine grundsätzliche Veränderung der monetären Rahmenbedingungen zu erwarten ist und welche Gestalt die Geldordnung vor diesem Hintergrund annehmen könnte. Die bisherige Entwicklung hat gezeigt, daß alle vorangegangenen Innovationen im Zahlungsverkehr nicht zu einer Ablösung des Bargelds als Zahlungsmittel geführt haben: Zwar ging der Anteil des Bargeldumlaufs am Bruttoinlandsprodukt in der Bundesrepublik zwischen 1960 und 1974 von 7% auf 5,4% zurück, jedoch stieg er bis 1996 wieder über das frühere Niveau auf 7,4% an (Deutsche Bundesbank 1997, S. 38). Die Gründe dürften insbesondere in dem hohen DM-Banknotenumlauf außerhalb des Währungsgebietes (30% - 40% des DM-Bargeldumlaufs befinden sich außerhalb des Währungsraums der Bundesrepublik1), der Bargeldverwendung in der "second economy" und in der Barabwicklung krimineller Transaktionen (insb. Drogenhandel) liegen. Ebenso macht das Beispiel der schleppenden Einführung von Kreditkarten deutlich, daß Zahlungsmittelinnovationen langen Diffusionsphasen unterliegen, da sich die Auf-
1
Vgl. Deutsche Bundesbank (1995, S. 73); schätzungsweise zwei Drittel der US-Dollarnoten befinden sich außerhalb der USA; vgl. Jordan/Stevens (1996, S. 9) sowie Porter / Judson (1996).
Elektronisches Geld
393
geschlossenheit der Wirtschaftssubjekte gegenüber neuen Technologien in diesem Bereich als vergleichsweise gering darstellt. 2 Bisherige technische Innovationen bewirkten demnach kaum oder nur sehr langsam eine Verdrängung von Bargeld. Offensichtlich waren Sie nicht in der Lage, alle Bargeldfunktionen (z.B. endgültige Erfüllung der Zahlungsverpflichtung, Annahmezwang oder Anonymität) zu ersetzen und beinhalteten jeweils hohe spezifische Transaktionskosten, die eine Verbreitung zusätzlich hemmten. Von den neuen elektronischen Zahlungsmitteln wird allgemein eine wesentlich engere Substitutionsbeziehung zum Bargeld angenommen. Sie werden hier als vorausbezahlte elektronische Wertspeicher, deren Wert sich mit jeder Transaktion verändert, charakterisiert. Dabei kann man zwischen multifunktionalen, wiederaufladbaren Wertkarten (sog. "smart card" oder "electronic purse") und durch Software in Computernetzen übertragenem Netzgeld (sog. "e-cash", "cyber-cash" oder "digital-cash") unterscheiden, wobei diese Formen zunehmend miteinander verschmolzen werden 3 . Dadurch erübrigt sich eine Unterscheidung dieser lediglich technisch unterschiedlichen Varianten für die theoretische Analyse. Ein Transfer von Geldeinheiten kann direkt zwischen elektronischen Wertspeichem erfolgen (z.B. auch über das Telefon oder Computernetze) und erübrigt ein Abwickeln über bei Banken unterhaltene Konten. Zentrales Charakteristikum ist die Vorausbezahlung des Wertspeichers, was eine Online-Autorisierung beim Zahlungsvorgang - anders als bei Kreditkartenzahlungen - nicht nötig macht und durch die Vorausbezahlung gleichzeitig eine Form der Kreditvergabe beinhaltet. Der Zahlungsmittelübergang findet unmittelbar beim Kauf statt. Damit haben elektronische Zahlungsmittelsysteme einen grundsätzlich anderen Charakter als andere unbare Verfahren wie Überweisungen oder "Point-of-Sale"-Zahlungssysteme (Lastschriftverfahren, Schecks), die lediglich ein Verrechnungssystem für Konten, die bei Banken unterhalten werden, darstellen.
2
Die Verbreitung von Kreditkarten hat in Deutschland erst in den letzten Jahren an Dynamik gewonnen, jedoch liegt die Kreditkartenzahl pro Einwohner mit ca. 0,17 noch immer deutlich unter den Werten für die USA (1,67) und Großbritannien (0,53); vgl. Deutsche Bundesbank (1997, S. 40). Zum internationalen Vergleich der relativen Bedeutung von baren und unbaren papiergebundenen oder elektronischen Zahlungsformen vgl. Humphrey /Pulley / Vesala (1996).
3
Zur Darstellung der Varianten elektronischer Zahlungsmittel vgl. Roberds (1997); Congressional Budget Office (1996); BIS (1996a).
394
Karsten Schulz
1.2. Kosten und Erträge elektronischen Geldes Das Ausmaß und die Geschwindigkeit, mit der sich elektronische Geldeinheiten verbreiten, hängt davon ab, inwieweit sie die Funktionen des Bargelds übernehmen und Nachteile der Bargeldverwendung überwinden können. Der Antrieb für den Ersatz des Bargelds und bisheriger unbarer Zahlungsmittelsysteme resultiert einerseits aus deren hohen Kosten und andererseits aus den zu erwartenden Veränderungen der Handelsbeziehungen durch das Internet: Die Kosten des Bargeldhandlings (Transferierung, Verrechnung, Lagerung, Transport, Sicherheit etc.) werden in Deutschland auf etwa 3% des Umsatzes taxiert; in den USA schätzt man die jährliche Belastung der Bargeldverwendung für Banken und Händler auf 60 Mrd. US-$ (Berentsen 1997, S. 11). Die Kosten bargeldloser Zahlungssysteme mit Online-Autorisierung (insbesondere Kreditkarten) liegen noch darüber (4% - 5% vom Umsatz; Söllner / Wilfert 1996, S. 389). Bei Zahlungssystemen ohne Online-Autorisierung (z.B. Lastschriftverfahren oder Schecks) reduzieren sich zwar diese Kosten, jedoch trägt der Händler als Akzeptant dieser Zahlungsmittel das Zahlungsausfallrisiko. Insbesondere für kleinere Beträge existiert derzeit kein wirtschaftliches unbares Zahlungssystem. Der zweite und in Zukunft noch bedeutsamere Einflußfaktor auf die Entwicklung neuer Zahlungsmittelsysteme stellt der Handel über Computernetze, insbesondere das Internet, dar. Hierdurch entsteht der Bedarf nach einem kostengünstigen, sicheren und international einsetzbaren Zahlungsmittel für Beträge jeder Größenordnung; auch hierfür sind weder Bargeld noch andere Zahlungsmittelsysteme in ihrer heutigen Form geeignet. Für die einzelnen am Zahlungsverkehr beteiligten Verwender elektronischer Geldeinheiten - Anbieter der Zahlungssysteme, Händler und Banken sowie deren Kunden sind mit der Nutzung spezielle Kosten und Erträge verbunden. Für alle Verwender bestehen Risiken, die aus dem fehlenden Annahmezwang4 und Fälschungs- und Betrugsmöglichkeiten resultieren. Hinzu tritt für den Kunden das Bankrottrisiko des Anbieters elektronischer Geldeinheiten sowie die Unsicherheit über die Anonymität des Zah-
4
Auf DM lautende Banknoten sind das einzige gesetzliche Zahlungsmittel in Deutschland und müssen von jedem zur Schuldentilgung akzeptiert werden. Das Ausgabemonopol liegt gem. § 14 BBankG bei der Bundesbank. Die unbefugte Herausgabe oder Verwendung von Geldzeichen (auch wenn sie nicht auf DM lauten) ist gem. § 35 BBankG strafbar. Annahmeverpflichtung für höhere Münzbeträge besteht nur für Bundes- und Landeskassen.
Elektronisches
395
Geld
lungsverkehrs. Dem stehen insbesondere eine höhere Bequemlichkeit des Bargeldhandlings (hinsichtlich Transport, Kleingeldhaltung, Nutzung verschiedener Währungen und Übertragbarkeit) sowie möglicherweise geringere Gebühren als bei bisherigen unbaren Zahlungsmittelsystemen gegenüber. Händler und Banken profitieren hauptsächlich von den geringeren Bargeldhaltungs- und Bargeldverwaltungskosten bzw. -risiken. Außerdem trägt ein Händler nicht mehr das Risiko des Zahlungsausfalls, wie bei Lastschriftverfahren oder Schecks. Nachteilig für eine Verbreitung wirken sich Kosten und Risiken der notwendigen Technik aus. Der Anreiz zur Emission elektronischer Zahlungsmittel liegt - neben der Absenkung der Kosten des Bargeldhandlings und eventueller Gebühreneinnahmen - hauptsächlich in der Möglichkeit, Geldschöpfungsgewinne (Seigniorage) zu erzielen. Jedoch unterliegen die Anbieter in besonderem Maße dem Fälschungsrisiko und der Gefahr, durch geänderte Gesetzgebung in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt zu werden. Die vorgestellten Aspekte zeigen deutlich, daß durchaus Anreize zum Einsatz elektronischer Zahlungsmittel vorhanden und die Risiken durch weiteren technischen Fortschritt reduzierbar sind. Es ist zu vermuten, daß der Hauptantrieb der Weiterentwicklung elektronischer Zahlungsmittelsysteme von den potentiellen Emittenten elektronischen Geldes ausgeht, da der Anreiz, das Notenausgabemonopol von Zentralbanken durch Aufbau eines über Landesgrenzen hinausgehenden elektronischen Geldsystems zu umgehen, groß ist. Während die elektronischen Wertkarten zunächst nur geeignet sind, die Transaktionskosten bei Zahlungsvorgängen zu senken, liegt die Hauptantriebsfeder der Entwicklung vielmehr darin, ein Zahlungssystem zu etablieren, das zur Abwicklung internationaler Transaktionen über das Internet befähigt.
1.3.
Das Internet als Wirtschaftsfaktor und Regulierungsproblem "We are on the verge of a revolution that is just as profound as the change in the economy that came with the industrial revolution. Soon electronic networks will allow people to transcend the barriers of time and distance and take advantage of global markets and business opportunities not even imaginable today, opening up a new world of economic possibility and progress." (Vice President Albert Gore, Jr.)5
Es zeigt sich, daß sich der Wettlauf der Großbanken in Zusammenarbeit mit Soft-
5
Clinton / Gore (1997, S. 1).
396
Karsten Schulz
wareuntemehmen um die schnelle Einführung von derartigen Zahlungssystemen, die nur eine Vorstufe zu dieser Entwicklung darstellen, längst begonnen hat. Das Bestreben eines Emittenten elektronischer Geldeinheiten im Internet wird sein, ein Zahlungsmittel zu etablieren, ohne durch nationale gesetzliche Vorschriften in der Geldschöpfungsmöglichkeit begrenzt zu werden und so das Bargeld zu verdrängen. Dabei spielt die Architektur des Internets eine entscheidende Rolle: Es handelt sich um eine dezentrale internationale Vernetzung von Computern, die einen interaktiven Datenaustausch zwischen allen angeschlossenen Rechnern zuläßt und gerade auch Privatleuten einen einfachen Zugang erlaubt. Da der Standort der Rechner, zwischen denen ein Datenaustausch stattfindet, keine Rolle spielt, mit sehr geringen Transaktionskosten verlagert werden kann und sowohl den Nutzern als auch den Aufsichtsbehörden zumeist unbekannt ist, greifen nationale Gesetze kaum oder sind einfach zu umgehen. Eine internationale Gesetzgebung für das Internet zu installieren, erscheint deshalb unmöglich. Für einzelne Staaten besteht zudem ein Anreiz aus einem derartigen Gesetzgebungsverbund auszuscheren, um das eigene Land für Wirtschaftstransaktionen über das Internet attraktiv zu machen und so einen "Deregulierungswettbewerb" ("regulatory arbitrage") auszulösen.6
2. Konsequenzen für nationale monetäre Autoritäten Bislang ist das Zahlungssystem in den meisten Volkswirtschaften erheblichen staatlichen Regulierungen unterworfen und die Notenausgabe und die Überwachung des Geldsystems auf nationale Notenbanken übertragen. Um sich auf die durch den technischen Fortschritt im Zahlungsverkehr ausgelösten Veränderungen einzustellen, bilden die Zentralbanken internationale Ausschüsse, deren Ziel es ist, die Rolle nationaler Zentralbanken zu debattieren, da sich aus dem vorgestellten Szenario diverse Aktionsfelder für die geldpolitischen Autoritäten ergeben.7 Sie müssen überprüfen, inwieweit
6
Vgl. Group ofTen (1997, S. 25.); Froomkin (1997). Das Internet stellt beispielsweise Länder, in denen die Pressefreiheit eingeschränkt ist (wie z.B. China oder Irak), vor unlösbare Probleme bei der Zensur von Intemetangeboten, da außer durch komplette Abschottung vom Internet die " Sperrung" einzelner Angebote unmöglich ist.
7
Insbesondere befaßt sich seit 1974 der bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich ansässige und von der G 10 getragene Baseler Ausschuß für Bankenaufsicht mit Fragen der internationalen Bankenaufsicht. Seine Empfehlungen bilden auch die Grundlage für entsprechende Richtlinien der EU und wirken damit auch auf die deutsche Gesetzgebung (vgl.
Tietmeyer 1998, S. 20).
Elektronisches Geld
397
die veränderten Zahlungsmittel rechtliche Anpassungen hinsichtlich des Verbraucherschutzes - speziell bei Datenschutz, Haftung bzw. Beweispflicht bei Defekten im Zahlungssystem und der Verbrechensbekämpfung - nötig machen. Durch die schnellere und schlechter nachvollziehbare Übertragbarkeit von Geldeinheiten zwischen Wirtschaftssubjekten, vor allem über Landesgrenzen hinweg, ergeben sich erhebliche Konsequenzen für die Verfolgung von Straftaten: Geldwäsche wird durch Transferierung beispielsweise von Drogengeld in Länder mit "weicheren" Geldwäschegesetzen ebenso erleichtert wie die Verschiebung von Geldern mit dem Zweck der Steuerhinterziehung oder -Vermeidung. Hierbei wird das Spannungsfeld zwischen der Anonymität der elektronischen Geldeinheiten zur weitestgehenden Erfüllung der Bargeldfunktionen einerseits und dem staatlichen Interesse der Nachvollziehbarkeit der Transaktionen andererseits deutlich (Herreiner 1997, S. 395). Ferner könnten sich Probleme der statistischen Erfassung der Geldmenge ergeben, da einerseits mehr Geld außerhalb des Landes und in Händen nicht meldepflichtiger Wirtschaftssubjekte befindlich ist und es andererseits durch ein internationales Geldangebot erschwert wird, eine nationale Geldmenge zu definieren (Herreiner 1997, S. 394). Dabei ist zu analysieren, inwieweit es im Eigeninteresse der Emittenten liegt, derartige Gefahrenquellen zu eliminieren, und so ein wirksamerer Schutz des Zahlungsmittelsystems beispielsweise vor Fälschungen zustande kommt, als es gesetzliche Regelungen bewirken können. Grundsätzlich mindern scharfe und unberechenbare Regulierungen den Anreiz für private Wirtschaftssubjekte, technische Innovationen vorzunehmen. Es muß abgeschätzt werden, inwieweit derartige Geldsysteme ein systemisches Risiko für den gesamten Geldsektor beinhalten und deshalb eines Regulativs bedürfen (BIS 1996b, S. 8).
Neben den oben genannten Aspekten, die hauptsächlich die Überwachungsfunktion betreffen, sind für die Notenbanken die zu erwartenden geldtheoretischen und geldpolitischen Konsequenzen einer zunehmenden Verdrängung des Bargelds von Interesse. Im folgenden werden die Auswirkungen auf Seigniorage, Geldnachfrage und Geldangebot vor dem Hintergrund unterschiedlicher Regulierungen untersucht und Handlungsmöglichkeiten der währungspolitischen Autoritäten abgeleitet.
2.1.
Seigniorage
Unter Seigniorage versteht man die Geldschöpfungsgewinne, die einem Emittenten
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Karsten Schulz
aufgrund des Rechtes und der Möglichkeit entstehen, Geld zu produzieren. 8 Bei einem staatlichen Notenausgabemonopol entsteht aus der Emission von Basisgeld in Form von Bargeld und Zentralbankeinlagen der Notenbankgewinn, da den Zinserträgen der Kreditvergabe an Private und Kreditinstitute kein Zinsaufwand gegenübersteht {Lange / Nolle 1997, S. 1). Durch die gesetzliche Verpflichtung der Banken zur zumeist zinslosen Reservehaltung auf definierte Einlageformen kann dieser Mechanismus zusätzlich verstärkt werden.9 Die Produktionskosten von Noten und Scheidemünzen, insbesondere aber von elektronischen Geldeinheiten, können dabei als vernachlässigbar gering angesehen werden. Das Geldangebot ist in modernen Volkswirtschaften im Rahmen eines zweistufigen Bankensystems organisiert, wobei nationale Währungsbehörden das alleinige Recht zur Herausgabe des Primärgeldes besitzen und die Sekundärgeldproduktion des Bankensektors kontrollieren und regulieren. Somit gehört das Geldwesen zu einem der am stärksten regulierten Wirtschaftsbereiche. Die Argumente für die Errichtung von Zentralbanken lassen sich auf zwei Grundpositionen zurückfuhren: Marktevolution und Staatskonstruktion. Während die marktevolutorische Sichtweise für das Geldwesen eine Tendenz zum natürlichen Monopol und die Gefahr von Bankpaniken diagnostiziert und so den staatlichen Eingriff quasi-evolutorisch begründet, geht die staatskonstruktivistische Sichtweise von einem fiskalischen Interesse an der Monopolisierung der Geldausgabe und damit der Geldschöpfungsgewinne aus (Überblick bei Vollmer 1996). Seigniorage beinhaltet für den Monopolisten die Möglichkeit, durch Inflationierung seiner Währung eine versteckte Steuer zu erheben ("inflation tax").
Ein zunehmender Ersatz des staatlich emittierten Bargeldes durch elektronische Geldeinheiten führt zu einer Reduktion des Bargeldvolumens und demzufolge des zinsbringenden Aktivabestandes bei der Zentralbank. Zusätzlich ist eine Umschichtung von den reservepflichtigen Einlageformen zu bislang nicht-reservepflichtigen Guthaben in elektronischen Geldeinheiten zu erwarten, so daß auch ein gesunkenes Mindestreservevolumen die staatliche Seigniorage mindert. Die Geldschöpfungsgewinne werden folglich zu den Emittenten der elektronischen Geldeinheiten "verschoben". 8
Vgl. Issing (1995, S. 235); begrifflich entstammt Seigniorage dem französischen Wort "Seignieur", also "Fürst", da Seigniorage ursprünglich den Gewinn aus dem Recht des Fürsten zur Münzprägung im Mittelalter bezeichnete und die Differenz aus den Prägekosten von Scheidemünzen und dem Nennwert darstellte (vgl. Mankiw 1998, S. 179).
9
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Einführung eines Mindestreservesatzes zwischen 1,5% und 2,5% für die mindestreservepflichtigen Verbindlichkeitskategorien angekündigt, wobei die Mindestreserveguthaben in der Höhe, die dem Satz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte der EZB entspricht, verzinst werden.
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Die BIS untersucht differenziert nach unterschiedlichen Szenarien für die Verbreitung elektronischer Geldeinheiten, inwiefern Rückgänge der Seigniorage für Notenbanken westlicher Industriestaaten auftreten werden. Dabei zeigt sich zum einen, daß der Seignioragerückgang unter den von ihnen vorsichtig formulierten Szenarien nur sehr gering ausfallen würde. Zum anderen wird deutlich, daß erst ein dramatischer Rückgang der Seigniorage zu Finanzierungsproblemen für ein zentrales Notenbanksystem führen würde. Tabelle 1: Auswirkung eines zunehmenden Bargeldersatzes auf die Seigniorage Land Seigniorage1' Zentralbank- Prozentualer Rückgang der Seigniorage (in % des GDPs) Rückgang der (in % des betriebskoGDPs) sten (in % des Seigniorge bis wenn jeder wenn vorwenn vorauszumBreakGDPs) Even-Point2» bezahlte Kar- eine vorausbe- ausbezahlte Karten alle ten Banknoten zahlte Karte im Wert von Barzahlungen mit einem bis zu US$ 25 US$100 Wert bis zu besitzt3' ersetzen" US$25 31 ersetzen B
0,44
0,17
62
0,05
0,03
0,05
CAN
0,31
0,03
91
0,15
0,05
0,13
F
0,28
0,13
54
0,08
0,03
0,07
D
0,52
0,07
86
0,06
0,03
0,06
I
0,65
0,06
91
0,05
0,06
0,05
JAP
0,42
0,06
85
0,06
0,01
0,06
KL
0,46
0,06
87
0,06
0,03
0,06
S
0,48
0,04
92
0,10
0,04
0,10
CH
0,45
0,05
88
0,05
0,01
0,05
GB
0,28
0,03
89
0,14
0,05
0,14
USA 0,43 0,03 0,14 93 0,14 0,03 1) Seigniorage wurde annäherungsweise bestimmt durch Multiplikation des Bargeldumlaufs mit der Verzinsung langfristiger Staatsschuldtitel; 2) bezeichnet den Prozentsatz des Seignioragerückgangs bis Seigniorage und Betriebskosten des Zentralbanksystems gleich hoch sind; 3) oder den jeweiligen Betrag in heimischer Währung. Quelle: 5/5(1996, S. 8).
In Anbetracht der Höhe der ausgeschütteten Notenbankgewinne, die in den meisten Volkswirtschaften zur Finanzierung der Staatsfinanzen beitragen, ist jedoch absehbar,
400
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daß auch eine noch so kleine Reduktion der Geldschöpfungsgewinne politisch nicht erwünscht ist und demzufolge die Verbreitung von nicht-staatlich angebotenen elektronischem Geld möglicherweise verhindert oder gebremst wird. Im Argumentationsrahmen der marktevolutorischen Sichtweise als Begründung für die Monopolisierung des Geldangebots fuhrt die Verdrängung von staatlich emittiertem Bargeld durch privat emittierte elektronische Geldeinheiten zu einem systemischen Risiko. So würde das Scheitern eines Anbieters elektronischer Zahlungsmittel zu einer Vertrauenskrise für das gesamte Geldwesen fuhren bzw. die Monopolisierung der Geldemission erzwingen {BIS 1996b, S. 8). Erfolgte die Monopolisierung des Geldangebots jedoch aus staatlichem Interesse an der Erzielung von Seigniorage, so führt die Emission elektronischen Geldes zu einer Verteilung der Geldschöpfungsgewinne auf diese Anbieter. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Geldeinheiten auf existierende heimische oder ausländische Währungen lauten oder neu geschaffene Währungen darstellen; ausschlaggebend ist vielmehr, inwieweit der Bargeldbestand der nationalen Währung verdrängt wird. Die Abschöpfung von Seigniorage gehört jedoch nicht zu dem offiziellen Zielkatalog der monetären Autoritäten. Dennoch besteht ein fiskalisches Motiv des Staates und ein bürokratietheoretisch begründbares Interesse seitens der Notenbank, die Seigniorage zu erhalten. Aus theoretischer Sicht kommt den staatlichen monetären Autoritäten vielmehr die Aufsichtsfunktion über das Zahlungsmittelsystem und die Ausübung der Geldpolitik mit dem Ziel der Geldwertsicherung zu. Dafür ist die Stabilität der Geldnachfrage und die Steuerbarkeit des Geldangebots von entscheidender Bedeutung und nicht die Erzielung von Geldschöpfungsgewinnen.
2.2.
Geldnachfrage
Mit der Stabilität der Geldnachfrage hat sich die Literatur zuletzt verstärkt beschäftigt, da die Effizienz einer quantitätstheoretisch orientierten Geldpolitik von der Geldnachfrage entscheidend abhängt. Für die Prognostizierbarkeit der Effekte geldpolitischer Maßnahmen auf die monetäre Gesamtnachfrage ist die Stabilitätseigenschaft der Geldnachfrage von ausschlaggebender Bedeutung. Die Deutsche Bundesbank hat, seit sie das Konzept der Geldmengensteuerung verfolgt, die Stabilität der Geldnachfrage für die Bundesrepublik Deutschland für gegeben angesehen und damit die Voraussetzun-
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gen für eine Geldpolitik, die sich an der Steuerung der Geldmenge orientiert, als erfüllt betrachtet. Zahlreiche Notenbanken anderer Länder haben sich dagegen von der Politik der Geldmengensteuerung verabschiedet, da sie die monetären Grundvoraussetzungen für ihren jeweiligen Währungsraum nicht mehr als erfüllt erachtet haben. Für die von ihnen diagnostizierte Instabilität der Geldnachfrage machen sie unter anderem technische und finanztechnische Innovationen verantwortlich. Der Effekt von elektronischem Geld auf die Umsetzung der Geldpolitik wird davon abhängen, ob die unmittelbare Auswirkung stärker auf die Nachfrage nach Zentralbankgeld oder die Fähigkeit der Zentralbank zur Steuerung des Geldangebots gerichtet ist. Die Wirkung auf die Nachfrage nach Zentralbankgeld vollzieht sich über den Ersatz reservepflichtiger Einlagen durch nicht-reservepflichtige Einlagen (elektronisches Geld) oder durch eine nachhaltige Reduktion der Nachfrage der Banken nach Verrechnung von Guthaben über die Zentralbank ("interbank settlement", vgl. BIS 1996b, S. 7). Durch die Verbreitung elektronischer Geldeinheiten ist ein Anstieg der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes zu erwarten. Dies wird durch eine Verringerung der Bargeldnachfrage zur Transaktions- und Vorsichtskassenhaltung wahrscheinlich (Dickertmann /Feucht 1997, S. 243). Niedrigere Ladebeträge, kürzere Halteperioden bei elektronischen Wertspeichern gegenüber der Bargeldhaltung und die beleglose Abwicklung könnten den Rücklauf elektronischen Geldes zu den Emittenten beschleunigen und eine höhere Umlaufsgeschwindigkeit von Sichteinlagen und elektronischen Geldeinheiten als bei Bargeld bewirken. Deshalb dürfte insbesondere die Umlaufsgeschwindigkeit eng abgegrenzter Geldmengenaggregate tendenziell ansteigen. Zusätzlich ist anzunehmen, daß die Substitutionsmöglichkeit zwischen Aktivaformen aufgrund schnellerer und günstigerer Liquidierbarkeit durch die Verbreitung elektronischer Zahlungsmittel erhöht wird. Dies verursacht eine volatilere Entwicklung der Umlaufsgeschwindigkeit (Deutsche Bundesbank 1997, S. 44f.). Von der allgemein zu beobachtenden Tendenz einer steigenden Verzinsung liquider Aktiva (z.B. höherverzinsliche Girokonten) wird aufgrund gesunkener Opportunitätskosten eine Verminderung der Zinselastizität der Geldnachfrage angenommen; diese Tendenz dürfte durch die weitere Verbreitung elektronischer Zahlungsmittel, die technisch auch in verzinslicher Form angeboten werden können, weiter verstärkt werden, was die Kontrollierbarkeit eines Geldmengenaggregats senkt (Deutsche Bundesbank 1997, S. 46).
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Schwankungen in der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes könnten insbesondere die Indikatorqualität der eng abgegrenzten Geldaggregate vorübergehend verschlechtern und eine Geldpolitik, die Geldmengenaggregate als Indikator oder Zwischenziel verwendet, beeinträchtigen. Es ist denkbar, daß ein extensiver Ersatz des Bargelds die Steuerungsmöglichkeiten der Geldmarktbedingungen zumindest erschwert. Da von elektronischen Geldeinheiten jedoch primär der Ersatz des Bargeldes angenommen wird, ist es unwahrscheinlich, daß die Steuerungstechniken bzw. -instrumente der Notenbanken einer grundsätzlichen Anpassung bedürfen, da die absolute Höhe der Geldbasis nicht von entscheidender Bedeutung ist, solange die Geldnachfrage stabil bleibt. Anpassungsbedarf ergibt sich jedoch, wenn Nachfrageverschiebungen zwischen bisherigen Einlageformen und elektronischen Wertspeichern auftreten, die sich beispielsweise durch unterschiedliche Reserveverpflichtungen für die einzelnen Aktivaformen ergeben. Für die Wirksamkeit der Geldpolitik ist also weniger die Höhe als vielmehr die Prognostizierbarkeit und Stabilität der Geldnachfrage von Bedeutung. Erst ein sehr rascher und weitgehender Ersatz des Bargelds fuhrt zu drastischen Einschränkungen in der Funktionsfähigkeit der geldpolitischen Steuerungsmechanismen für Notenbanken, die Geldmengenaggregate als Indikatoren oder Zwischenziele ihrer Geldpolitik vorsehen. An die Frage, ob sich mit der Entwicklung neuer Zahlungsmittel die Nachfrage nach Zentralbankgeld weiter verringern wird oder sich verstärkende Instabilitäten der Geldnachfrage ergeben werden, schließt sich das Problem an, ob die Verdrängung des Bargeldes stark genug ausfällt, um die Steuerung des Geldangebots für die Notenbanken unmöglich zu machen oder das Bargeld sogar durch elektronische Geldeinheiten vollständig ersetzt werden könnte.
2.3.
Geldangebot
Die gesamtwirtschaftliche Geldmenge (in Abgrenzung von Ml) wird in modernen Volkswirtschaften durch die Notenbank in Form sogenannten Basisgeldes (Bargeld und Sichtguthaben bei der Notenbank) und von Kreditinstituten in Form von Giral- oder Buchgeld (Sichtguthaben der Nichtbanken) durch Kreditgewährung geschaffen. Elektronische Wertspeicher stellen prinzipiell eine Form der Kreditvergabe dar und sind somit geeignet, die Geldmenge zu beeinflussen, wobei sie grundsätzlich außer durch die Geschäftsbanken auch von Nichtbanken oder staatlichen Institutionen angeboten
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werden können. Der Prozeß der multiplen Geldschöpfung in Volkswirtschaften vollzieht sich durch die Kreditvergabe der Geschäftsbanken, die eine Monetarisierung von Aktiva vornehmen, die sie mit Forderungen gegen sich selbst (Gutschriften auf Girokonten oder elektronischen Wertspeichem) bezahlen (Issing 1995, S. 56). Das Kreditvergabepotential ist jedoch begrenzt: Zum einen durch die jederzeitige Einlöseverpflichtung von Guthaben der Nichtbanken bei den Geschäftsbanken in Zentralbankgeld und zum anderen durch die gesetzliche Verpflichtung der Geschäftsbanken durch die Notenbank zur Mindestreservehaltung sowie durch spezielle Regeln für das Kreditwesen (in Deutschland beispielsweise die Kapitaladäquanzrichtlinie im Rahmen des Kreditwesengesetzes). Da elektronische Geldeinheiten keiner Mindestreservepflicht unterliegen, besteht für die Geschäftsbanken ein Anreiz, diese selbst als Ersatz für reservepflichtige Einlageformen zu emittieren, um so die Nachteile einer unverzinsten Mindestreservepflicht zu umgehen. Eine Substitution des Bargeldes durch nicht-reservepflichtige elektronische Geldeinheiten würde das Geldschöpfungspotential der Geschäftsbanken als Emittenten elektronischen Geldes erheblich ausweiten und die Steuerungsfähigkeit des Geldangebots durch die Notenbank einschränken: Zunächst verringert sich der Bargeldumlauf im Verhältnis zu den Sichteinlagen, indem das Publikum Bargeld durch die von den Geschäftsbanken angebotenen elektronischen Geldeinheiten substituiert. Für die Geschäftsbanken stellen diese elektronischen Geldspeicher lediglich eine andere Einlageform dar, die jedoch ihr Kreditvergabepotential erhöht. Einerseits können die Geschäftsbanken die gesetzliche Einlagenhaltung bei der Zentralbank reduzieren, wenn die Wirtschaftssubjekte auch von reservepflichtigen Einlageformen bei den Geschäftsbanken auf elektronische Geldeinheiten umgeschichtet haben, und andererseits ist nur noch ein geringeres Volumen an freiwilligen Überschußreserven der Geschäftsbanken bei der Zentralbank aufgrund der gesunkenen Bargeldnachfrage des Publikums nötig (Berentsen 1997, S. 4). Die Zentralbankbilanz würde sich auf diese Weise drastisch verkürzen und die Reaktionsfähigkeit der Notenbank aufgrund der gesunkenen Aktivabestände schwächen.10 Die gesamtwirtschaftliche Geldmenge stiege
10
Vgl. Illing (1997, S. 74); die BIS teilt diese Einschätzung und formuliert: "Since cash is a large or the largest component of central bank liabilities in many countries, [...] a very extensive spread of e-money could shrink central bank balance sheets significantly. The issue is at what point this shrinkage might begin to adversely affect monetary policy implementation. The relatively modest size of open market operations on normal days suggests that a relatively small balance sheet might be sufficient. However, special circumstances could arise in which the central bank might not be able to implement reserve-absorbing operations on a large enough scale [...] because it lacked sufficient assets on its balance sheet." (BIS 1996b, S. 7).
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durch die Kreditexpansion an und die Möglichkeit zur Erzielung von Seigniorage würde sich, wie dargestellt, zugunsten der Geschäftsbanken verlagern. Berentsen (1997, S. 10) berechnet für die Bundesrepublik Deutschland unter den restriktiven Annahmen der mechanistischen Theorie des Geldangebots bei einer Verdrängung von einem Prozent des Bargelds durch elektronische Geldeinheiten einen potentiellen Anstieg von M l von 14,5%. Söllner und Wilfert vermuten einen Anstieg des Geldmengenmultiplikators bezogen auf M3, in dessen Abgrenzung elektronische Geldeinheiten einbezogen wurden, um 75%, wenn die Hälfte des Bargelds verdrängt wird (Söllner / Wilfert 1996, S. 398). Aufgrund des hohen Tauschmittelcharakters der elektronischen Zahlungsmittel ist die Einbeziehung derartiger Geldeinheiten bereits in die Definition enger Geldmengenaggregate geboten. Die Deutsche Bundesbank berücksichtigt deshalb die Komponente "Geldkarten-Aufladungsgegenwerte" seit Januar 1997 in der Geldmengenabgrenzung M l (Deutsche Bundesbank 1997, S. 45). Dieser potentielle Anstieg der Geldmenge und der drohende Kontrollverlust über das Geldangebot könnte die monetären Autoritäten dazu veranlassen, die Guthaben auf elektronischen Wertspeichern einer gesetzlichen Mindestreserve zu unterwerfen, bzw. die für andere Einlageformen bestehenden Vorschriften auf diese auszuweiten. 11 Dadurch kann das entstehende Kreditschöpfungspotential gebremst oder völlig eliminiert werden. Der theoretisch denkbare Fall eines Reservesatzes von 100% auf derartige Guthaben käme dann der Monopolisierung der Emission elektronischer Zahlungsmittel bei der Notenbank gleich. Fraglich ist, ob unter diesen Bedingungen überhaupt ein privates Angebot zustande kommt. Eine grundlegend neue Dimension stellt sich ein, sollten Nichtbanken oder Institutionen, die den nationalen Gesetzgebungen für das Kreditwesen nicht unterliegen, elektronische Geldeinheiten, für die demzufolge auch keine Mindestreservepflicht besteht, emittieren: Hier greifen die gesetzlichen "Kreditbremsen" nicht mehr und es entstünde ein zusätzliches Geldschöpfungspotential, das mit den bisherigen geldpolitischen Instrumenten nicht mehr kontrollierbar wäre. Dieses Szenario gewinnt vor dem Hintergrund der eingangs beschriebenen Struktur des Internets an Kontur, da ein Emittent elektronischer Geldeinheiten von jedem Ort der Welt aus seine auf eine reale Währung lautende Geldeinheit innerhalb jedes beliebigen Währungsraumes als Zahlungsmittel
" Diese Option nutzen zu können, fuhrt die EZB als eines der Hauptargumente für die Einfuhrung von Mindestreservepflichten an.
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anbieten kann. Die Geldpolitik steht vor der neuen Herausforderung, daß die realwirtschaftlichen Transaktionen mit einem außerhalb des jeweiligen Währungsgebietes geschaffenen und quasi "offshore" verbuchten Zahlungsmittel beglichen werden, so daß den realwirtschaftlichen Transaktionen nicht mehr eine entsprechende Geldmenge des Währungsgebietes gegenübersteht und das Clearing zwischen Forderungen und Verbindlichkeiten der Emittenten elektronischer Geldeinheiten nicht mehr über die Zentralbank in Zentralbankgeld abgewickelt wird (Borchert 1996, S. 42). Sollte es möglich sein, ein nicht auf eine reale Währung lautendes elektronisches Zahlungsmittel zu emittieren, so käme es zu Währungen ohne spezifisches Währungsgebiet und ohne "Barbestand" von Währungen, 12 die in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stünden. Ihre Akzeptanz begründet sich dann nicht mehr aus der gesetzlichen Definition als Zahlungsmittel durch den Staat, sondern aus ihren relativen Preisen und Ertragssätzen für den Nachfrager.
2.4.
Handlungsalternativen geldpolitischer Autoritäten
Die Reaktionsmöglichkeiten der geldpolitischen Autoritäten lassen sich auf einem Kontinuum zwischen weltweiter strenger Regulierung des Geldwesens und einer völligen Zurückhaltung bei der Implementierung von regulierenden Maßnahmen einordnen. Dabei hängt die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung von regulierenden Maßnahmen nicht nur von der grundsätzlichen Einstellung über die Erwünschtheit einer wettbewerblich organisierten Geldordnung ab. Vielmehr befinden sich die ergriffenen Maßnahmen stets im Spannungsfeld eines weltweiten Regulierungswettbewerbs, der es fraglich erscheinen läßt, ob nationale oder internationale Regulierungen überhaupt implementierbar sind. Die wohl drastischste Regulierungsmaßnahme wäre ein grundsätzliches Verbot der Emission elektronischer Geldeinheiten, wodurch man sich im gleichen Augenblick von den eingangs beschriebenen Transaktionskostenvorteilen verabschieden und dem Bedarf nach einem Zahlungsmittel für das Internet nicht gerecht würde, was die Bedeutung des Internets als Wirtschaftsfaktor auslöschen könnte.
12
Diese Geldform wird als"virtuelles Geld" verstanden.
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Möchte man diese Chance nicht bereits im Keim ersticken, so könnte man Regulierungen erlassen, die die Ausgabe von elektronischem Geld auf die Notenbanken beschränken. Diese Maßnahme würde zwar die Seigniorage der Notenbanken sichern, jedoch den privaten Wettbewerb lähmen und die Innovationskraft, die für die weitere Entwicklung im Bereich der Zahlungsmittelsysteme nötig ist, drosseln. Eine dritte Variante stellt die Beibehaltung eines Systems staatlich kontrollierten Geldes dar, wobei die Primärgeldschöpfung weiterhin der Notenbank und die Sekundärgeldschöpfung auch durch elektronische Geldeinheiten ausschließlich den Kreditinstituten vorbehalten bleibt, bzw. private Emittenten elektronischen Geldes den für Kreditinstitute geltenden Regelungen unterworfen werden. Dies schließt die Ausweitung der Mindestreservepflicht für Guthaben auf elektronischen Wertspeichern mit ein. Mit hohen Reserveverpflichtungen kann die Wirkung elektronischer Geldeinheiten auf die Entwicklung der Geldmengenaggregate kontrolliert und der Handlungsspielraum der Emittenten variiert werden. Da jedoch der Hauptanreiz zur Emission elektronischer Geldeinheiten in der zinslosen Kreditaufnahme des Emittenten liegt und die Einführung der Mindestreservepflicht einer Besteuerung gleichkäme, würde die Profitabilität und damit die weitere Entwicklung elektronischer Geldeinheiten negativ beeinflußt werden (Berentsen 1997, S. 12). Die Wettbewerbsverzerrungen, die mit der Erhebung von unterschiedlichen Mindestreservesätzen für die Banken in einzelnen Ländern verbunden sind, haben dazu geführt, daß viele Notenbanken unter Druck gekommen sind, eine Reduktion der Mindestreservesätze vorzunehmen, um als Bankstandort wettbewerbsfähig zu bleiben. 13 Diese Problematik, die mit dem Instrument der Mindestreserve verbunden ist, verschärft sich durch den internationalen Wettbewerb, der mit der Verbreitung von Netzgeld einhergeht, zusätzlich. Durch die Verbreitung elektronischen Geldes kann es dazu kommen, daß selbst die heute niedrigen Reservesätze in Zukunft so unhaltbar sind, wie es hohe Reservesätze in der Vergangenheit waren (Jordan / Stevens 1996, S. 10). Die genannten Handlungsaltemativen haben gemeinsam, daß sie aufgrund ihres mehr oder weniger starken regulativen Charakters für die privaten Wirtschaftssubjekte
13
Vgl. BIS (1996b, S. 10); die Deutsche Bundesbank hat von 1993 bis 1995 eine schrittweise Absenkung der Mindestreservesätze vorgenommen, mit dem "Ziel, Anreize zur Umgehung der Mindestreserve abzubauen" (Deutsche Bundesbank 1994, S. 13). Die Bundesbank beabsichtigte mit der Senkung "den auch im Ausland zu beobachtenden Tendenzen, beim Einsatz von Mindestreserve angesichts globalisierter Finanzmärkte, Wettbewerbsgesichtspunkten stärker Rechnung zu tragen" (Deutsche Bundesbank 1994, S. 17).
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einen Hemmschuh für das Engagement bei der Weiterentwicklung von Zahlungsmittelsystemen darstellen. Da die gesamte Entwicklung jedoch noch in ihren Anfängen steht, ohne daß eine eindeutige "Stoßrichtung" erkennbar ist, erscheint es fraglich, ob die Unsicherheit für das Geldwesen, die mit den möglichen Veränderungen verbunden ist, einen so frühen staatlichen Eingriff und damit eine Kanalisierung der Entwicklung rechtfertigt. Diese Problematik wird in den unterschiedlichen Grundeinstellungen zwischen den monetären Autoritäten in Europa und den USA deutlich: Während die USA Zurückhaltung bei der Regulierung zur Förderung des privaten Wettbewerbs bei technischen Innovationen fordern, plädiert die Mehrzahl der Notenbanken in der EU für eine strengere europaweite Regulierung und die Beschränkung der Emission von elektronischem Geld auf Kreditinstitute, die der staatlichen Bankenaufsicht unterliegen.14 Daß es zu konkreten Schritten zur Umsetzung dieses Ansinnens in Europa noch nicht gekommen ist, dürfte genau an den Konsequenzen einer weltweit uneinheitlichen Regelung liegen: Verbietet man in Europa ansässigen Nichtbanken die Emission, während dies in den USA erlaubt ist, so wäre es eine logische Konsequenz, daß sich der Standort derartiger Geldanbieter verlagert und europäische Notenbanken jeglichen Einfluß auf die Emittenten verlören. Das vermutlich vorläufige Ergebnis dieser wahrscheinlich dauerhaften Uneinigkeit ist, daß die nationalen Notenbanken mittels der bisherigen Gesetzgebung und des Instrumentariums die bislang noch sehr schwachen Effekte der Verdrängung des Bargeldes sterilisieren. Aufgrund des geringen Volumens ist es ohne weiteres möglich, das Geldangebot zu kontrollieren und Veränderungen der Geldnachfrage abzuschätzen, so daß auch eine Geldpolitik über den Weg der Geldmengensteuerung weiterhin gangbar erscheint. Mit zunehmender Verdrängung sinkt die Qualität dieser Strategie, wobei aus heutiger Perspektive nicht abschätzbar ist, wie schnell die Entwicklung vorangehen wird und welches Ausmaß der Verdrängung den Zentralbanken die Steuerungsmöglichkeit entzieht. Die spätere Einführung regulierender Maßnahmen erscheint unter der Annahme einer zunehmenden Bedeutung des internationalen Handels speziell über das Internet schwer realisierbar. Wie die Vergangenheit gezeigt hat, haben der zunehmende internationale Systemwettbewerb und die Verbesserung der Kommunikationstechnologie in starkem Maße zu einer Deregulierung der Finanzmärkte beigetragen. Staatliche Regulierungen für das Bankenwesen wie Mindestreserveanforderungen, Zinsobergrenzen (z.B. "Regulation Q"), Geschäftsfeldbegrenzungen (z.B. "Glass-Steagall-Act") oder
14
Vgl. Greenspan (1997); Clinton/Gore Lütge (1997).
(1997); Deutsche Bundesbank (1997); Überblick bei
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branchenspezifische Regelungen (z.B. Einlagendeckungsvorschriften für Banken) stellten für Finanzintermediäre gleichzeitig Umgehungsanreize dar, die durch verbesserte Technik sowie schnellere und kostengünstigere Telekommunikation immer einfacher zu nutzen waren. Ebenso wurden Regulierungen des Bankensektors umgangen, indem Geschäfte auf Finanzintermediäre "ausgelagert" wurden, die nicht der gleichen Gesetzgebung unterlagen. Da so die Wirkung der Regulierungen im Finanzsektor verlorengingen, wurden sie oftmals abgeschafft oder zumindest abgeschwächt. Genau wie Mindestreserveverpflichtungen könnten auch Kapitaldeckungsvorschriften zunehmend an Stellenwert verlieren, wenn sich auch hier zeigt, daß dieser Preis für die Sicherheit und Glaubwürdigkeit des Zahlungssystems zu hoch wird. Die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Geldverkehrs wird auch unter unregulierten Rahmenbedingungen einen hohen Stellenwert bei den Nachfragern von Währungen einnehmen. Daher ist zu erwarten, daß sich wettbewerblich organisierte Institutionen herausbilden, die diese Funktion effizienter und kostengünstiger erfüllen können (Jordan / Stevens 1996, S. 5). Regulierungen sind unter diesen Umständen wenig geeignet, die Nachfrage nach Zentralbankgeld langfristig zu gewährleisten. Das Internet verschafft den Umgehungsmöglichkeiten eine neue Dimension, da ein internationaler Deregulierungswettbewerb ("regulatory arbitrage") intensiver und "Offshore-Banking" kostengünstiger wird. "Die zunehmende Integration der Güter- und insbesondere der Finanzmärkte hat die Gestaltungsspielräume des Nationalstaates für das nationale Wirtschaftssystem und für die Geld- und Finanzordnung eingeschränkt" (Tietmeyer 1998, S. 5). Langfristig ist die Vergeblichkeit von nationalen und die Umsetzungsschwierigkeit von internationalen Regulierungen des Bankensystems absehbar.15 Sollte der Handlungsspielraum der Regulierer im Extremfall sogar gänzlich aufgehoben werden, so muß die nötige Kontrolle über das Zahlungsmittelsystem durch Marktkräfte ausgeübt werden. Der konzeptionelle Endpunkt dieser Entwicklung wäre ein vollständig unreguliertes Finanz- und Geldsystem ("laissez-faire banking", Seigin / White 1994, S. 1718).
15
Der deutsche Notenbankpräsident Tietmeyer bezeichnet "die Wahrscheinlichkeit einer weltweiten Organisation der Finanzaufsicht [als] vorerst nicht vorhanden" (Tietmeyer 1998, S. 19).
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3.
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Alternative Geldordnungen mit elektronischem Geld Die Diskussion über die Gestalt des Geldsystems unter Laissez-faire-Bedingungen
hat in der Literatur eine lange Tradition und läßt sich auf drei Theorieschulen zurückführen: Erstens die moderne Free-Banking-Literatur, die auf theoretischen Erkenntnissen und praktischen Erfahrungen der Geldordnung des neunzehnten Jahrhunderts aufbaut, zweitens die Literatur über Währungswettbewerb, die insbesondere auf den Arbeiten von von Hayek fußt, und drittens die Schule der "New Monetary Economics (NME)" (vgl. dazu Geue 1999, in diesem Band). Diesen Theorien liegt die gemeinsame Annahme zugrunde, daß unter Laissez-faire-Bedingungen ein privates Geldangebot zustande kommt, daß effizientere Ergebnisse schafft als ein staatlich monopolisiertes Geldangebot. Ebenso gehen die Vertreter der genannten Ansätze davon aus, daß der Wettbewerb eine stabile Geldordnung hervorbringt und ein marktevolutorisches Entstehen von Zentralbanken nicht zu erwarten ist. Ferner besteht aber auch die Gemeinsamkeit, daß keiner der Ansätze eine klare Vorstellung vermitteln kann, wie der Übergang zu einem Laissez-faire-Bankensystem aussieht. Ebenfalls gelingt es keiner der Theorieschulen, das oftmals als Kritik vorgebrachte Argument zu entkräften, hohe Transaktionskosten eines wettbewerblichen Geldangebots verhinderten die Umsetzung der jeweiligen Konzeption. Diese Lücken lassen sich in der "Gedankenwelt" elektronischer Zahlungsmittel mit einer sich weiterentwickelnden Technik schließen oder wenigstens verkleinern: Wie in den vorangehenden Kapiteln beschrieben, bringt der kommunikationstechnische Fortschritt im allgemeinen und der zunehmende Handel über Computemetze im besonderen Deregulierungstendenzen mit sich, die eine Entwicklung deregulierter Rahmenbedingungen, die die jeweiligen Theorien voraussetzen, begründen können. Zusätzlich beseitigt der technische Fortschritt Transaktions-, insbesondere Informationskosten, die mit der Verwendung verschiedener Währungen verbunden sind. Zum einen ist eine Verzinsbarkeit elektronischer Geldeinheiten technisch durchführbar und zum anderen können Informationen, z.B. über Wechselkurse, wesentlich leichter und schneller dargestellt und verarbeitet werden. Dadurch bekommen die genannten Theorien eine neue Relevanz. Es erscheint daher lohnend, die einzelnen Theorieschulen zur Untersuchung der Frage heranzuziehen, wie ein Geldsystem mit elektronischen Zahlungsmittel unter Laissez-faire-Bedingungen aussehen könnte.
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3.1. Elektronisches Geld im System der Bankenfreiheit Das Konzept der Bankenfreiheit erfreut sich in den letzten Jahren einer größer werdenden Aufmerksamkeit, auch im Verhältnis zu der zwar verwandten, aber noch wesentlich weitergehenden Idee des Währungswettbewerbs. Insbesondere findet eine positivere Neubewertung der historischen Phasen mit Bankenfreiheit statt,16 die in vielen Aspekten eine bessere Argumentationsbasis für die Verfechter dieses Ansatzes liefert und überwiegend als Bestätigung der positiven Einschätzung des Ansatzes akzeptiert wird.17 Die Freiheit der Banken in diesem System liegt in der Möglichkeit der Emission von Banknoten und -einlagen bei einer freiwillig vertraglich abgesicherten oder gesetzlich auferlegten jederzeitigen Einlöseverpflichtung des ausgegebenen Zahlungsmittels in eine andere definierte Geldart. Historisch hat es sich dabei zumeist um Gold, Silber oder staatliches Papiergeld gehandelt. Durch den Wettbewerb unter den privaten Geldemittenten bewirkt diese (Selbst-)bindung zu jeder Zeit die Anpassung des Geldangebots an die Nachfrage ("law of reflux"). Im Falle einer gesetzlichen Einlösepflicht des privat emittierten Geldes in staatliches Basisgeld, wird gefordert, dieses auf einem vorgegebenen Niveau einzufrieren (Seigin 1988) oder einer Geldbasisregel zu unterwerfen (Glasner 1989). Kritiker dieses Ansatzes erwarten, daß ohne eine vorgeschriebene Reservehaltung eine systematische Überproduktion von Geld bis zu den marginalen Kosten der Geldproduktion zu erwarten ist und so hohe Geldentwertung und volkswirtschaftliche Instabilitäten drohen (Friedman 1960). Diese Argumentation wird durch die Nutzung elektronischen Geldes - aufgrund niedrigerer Produktionskosten noch gestärkt. Gleichzeitig wird der Wettbewerbsprozeß, der die Geldemittenten von der Überproduktion systematisch abhalten soll, durch die Benutzung elektronischer Geldeinheiten auf zweierlei Weise verbessert: Zum einen wird durch elektronische Geldeinheiten die Zinszahlung auf Geldhaltung technisch möglich. Durch die Zahlung von wettbewerblich bestimmten Zinsen entstehen Kosten der Geldemission, die jeden Emittenten an ein Gleichgewicht zwischen Grenzkosten (Zinszahlungen und Produktionskosten für elektronische Geldeinheiten) und Grenzerlöse der Geldemission (Verzinsung der Aktiva) heranfuhren, bis nur noch eine kleine Profitmarge übrig bleibt. Die 16
Vgl. Greenspan (1997, S. 46); für die Konzepte des Währungswettbewerbs und der NME finden sich hingegen keine historischen Anwendungsbeispiele.
" Vgl. dazu insbesondere Dowd (1993), Glasner (1989), Seigin (1988), Seigin / White (1994) sowie eine Sammlung von Aufsätzen von White (1989).
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Ausweitung des Geldangebots kann nur durch eine Senkung der Grenzkosten, Erhöhung der Grenzerlöse oder Reduzierung der Profitmarge erfolgen, was den Anreiz zur Überemission bremst, bzw. eine dauerhafte Überemission verhindert (Browne / Cronin 1995, S. 105). Zum anderen verhindert der Mechanismus des "adverse Clearings" eine über die Nachfrage hinausgehende Emission, selbst wenn die Emittenten zu Lasten ihrer Profitmarge eine Ausweitung des Geldangebots vornehmen: Die Wiedervorlage der Banknoten, bzw. elektronischer Geldeinheiten beim Emittenten zum Austausch gegen die vordefinierte Geldart oder das Geld eines anderen Anbieters führt zu einem schnellen Rücklauf des nicht für wertstabil gehaltenen Geldes (Dowd 1993, S. 30). Seigin stellt die Bedeutung eines schnellen Clearingverfahrens fiir den Erfolg der Free Banking Periode in Schottland ebenso als zentralen Faktor heraus, wie Neidner für die Free Banking Periode in der Schweiz (Seigin 1988, S. 148 Neidner 1989, S. 552). Durch die Verwendung elektronischer Geldeinheiten wird dieser Mechanismus beschleunigt und damit effizienter. Ebenfalls wird durch die elektronische Abwicklung die Ausweichreaktion von Banken vor dem Clearing durch Verlagerung der Filialen in entlegene Gebiete und die damit verbundene Verzögerung der Einlösbarkeit des Geldes ("wildcat banking") eliminiert.18 Zur Stabilität eines nach den Prinzipien des Free Banking Ansatzes konzipierten Geldwesens und damit zur Vermeidung sogenannter "bank runs" können elektronische Geldeinheiten lediglich insofern beitragen, indem sie den Wettbewerbsprozeß beschleunigen und damit die systematische Stabilisierung sichern. Der Gefahr einer allgemeinen Panik, die auch die Zahlungsfähigkeit anderer Geldemittenten in Frage stellt, können solvente Geldemittenten insbesondere durch den Aufbau von Reputation begegnen. Im Konzept des Free Bankings geschieht dies in erster Linie durch den Aufbau von Reserven zur Erhaltung einer größtmöglichen Einlösefähigkeit der ausgegebenen Geldeinheiten in das Reservemedium. Die schützende Hand eines staatlichen "lender of last ressort" wird dagegen eher für schädlich gehalten, da dessen Existenz zu opportunistischem Verhalten anreizt und den Aufbau von Reputation lähmt. Insofern kommt dem Wettbewerb um Reputation und Vertrauen eine zentrale Rolle beim Angebot privaten Geldes zu, da durch eine Marktbewertung die Reputation offengelegt werden kann. Dazu können jedoch weniger elektronische Geldeinheiten als vielmehr die höhere Informationseffizienz - aufgrund der durch den kommunikationstechnologischen Fortschritt bedingten Informationskostenreduktion - beitragen. Ebenso verringert der tech-
18
Vgl. dazu ausführlich Dwyer (1996).
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nische Fortschritt die Transaktionskosten, die mit der Verwendung und Speicherung von Geldeinheiten verschiedener Anbieter verbunden sind. Von der jetzigen Ausgangssituation etablierter Geldordnungen ist mit einem "Rückfall" in eine Geldordnung, die privaten Anbietern elektronischer Geldeinheiten eine Gold- oder Silberdeckung (Warenstandard) vorschreibt, nicht auszugehen; eine Zulassung der privaten Emission bei einer gleichzeitig staatlich auferlegten Einlöseverpflichtung privat emittierter elektronischer Geldeinheiten in weiterhin staatlich produziertes Basisgeld erscheint in einem ersten Schritt eher denkbar." Die gesetzgeberischen Maßnahmen beschränkten sich dann für den Staat auf die Etablierung und Durchsetzung eines Marken- und Haftungsrechts für das private elektronische Geld. Gleichzeitig behält das staatlich emittierte Basisgeld die Funktion als Verrechnungseinheit im Clearing-Prozeß der privaten Geldemittenten und als Zahlungsmittel für Steuerzahlungen. Neben dieser Disziplinierungsfunktion des nach wie vor unterhaltenen Staatsgeldes besteht die Möglichkeit, im Falle des Zusammenbruchs des wettbewerblich organisierten Geldwesens auf das "Staatsgeld" zurückzugreifen. Das privat emittierte Geld schließt sich in diesem Szenario zunächst also an das staatliche Geld an, es entstehen demnach keine neuen Währungen, sondern nur ein privat angebotenes Tauschmittel, daß in fester Relation zum Reservegeld steht. Solange dies der Fall ist, können die privaten Geldemittenten insolvent werden (Söllner / Wilfert 1996, S. 403).
3.2. Elektronische Währungen unter Wettbewerb Von Hayek schwebt ein Währungssystem vom Typ des Papierstandards vor und hält ein solches paralleles Angebot privaten und staatlichen Geldes in einer Übergangsphase für wahrscheinlich. Hinsichtlich der Einlöseverpflichtung des privat emittierten Geldes unterscheidet sich das von Klein und von Hayek begründete Konzept des Währungswettbewerbs jedoch von den Vorstellung der MFB-Schule. Es wird angenommen, daß es in einem unregulierten System nicht zu einer gesetzlichen Einlöseverpflichtung oder zu einem freiwilligen Einlöseversprechen für das privat emittierte Geld und damit auch nicht zu einer durch Reserveverpflichtung begrenzten Geldproduktion kommt. Auch ohne die drohende Insolvenz als "Stop-Regel" kommt eine systematische Beschränkung
19
Sehr fraglich erscheint dagegen, ob die staatlichen Geldemittenten der Forderung der MFBSchule nachkommen und die"Staatsgeldmenge" einfrieren oder eine strikte Regelbindung einfuhren werden.
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des privaten Geldangebots zustande: Begründet wird dies mit dem Eigeninteresse der Emittenten an der Emission eines wertstabilen Geldes, da konkurrierende Anbieter "sich nur im Geschäft halten können, wenn sie den Benutzern zumindest ebenso vorteilhaftes Geld anbieten können wie irgendjemand anderer" (von Hayek 1977, S. 103). "Vorteilhaft" interpretiert von Hayek insbesondere im Sinne von wertbeständig. Während die Wertbeständigkeit einer warengedeckten Währung durch den Wert der zugrundeliegenden Waren greifbar wird, ist die Wertbeständigkeit einer ungedeckten Währung nur an ihrer Kaufkraftstabilität gegenüber einem immer gleichen Warenbündel erkennbar. Konsequenterweise würden miteinander konkurrierende gewinnmaximierende Anbieter darauf bedacht sein, ein anvisiertes Preisziel durch Steuerung der angeboten Geldmenge der eigenen Währung zu erreichen, um nicht von Ihren Konkurrenten verdrängt zu werden (Umkehrung des Greshamsehen Gesetzes; von Hayek 1977, S. 45, 86f.). Dazu ist zum einen die Unterscheidbarkeit der jeweiligen Währungen zu gewährleisten und vergleichbar zu einem Markenrecht zu schützen. Zum anderen erwartet von Hayek, daß die Emittenten ihre Währung in Einheiten eines von ihnen selbst gewählten Warenbündels angeben, zu dem sie darüber hinaus eine für die Zukunft angestrebte Preisrelation (Preisziel) benennen, ohne ein Einlöseversprechen für diesen Warenkorb abzugeben (von Hayek 1977, S. 31). Gleichzeitig setzt ein derartiges Währungssystem die freie Wechselkursbildung und Konvertibilität der unterscheidbaren Währungen voraus, um eine jederzeitige Sanktionierung eines Abweichens vom angekündigten Preisziel durch Über- oder Unteremission der Währung über den Wechselkurs zu anderen Währungen zu ermöglichen. Von Hayek verspricht sich von sogenannten "Umlaufsmittelbörsen" diese disziplinierende Funktion, indem ein zu stark expandierter Geldumlauf einer Währung auf diesem Währungsmarkt vermehrt angeboten würde. Der logischen Wechselkursverschlechterung müßte dann der Anbieter durch Rückkauf seiner Währung und damit einhergehender Verknappung des Geldangebots begegnen. Daran schließt sich die zentrale Frage an, unter welchen Voraussetzungen eine elektronische Währung ohne Einlöseversprechen überhaupt etabliert werden kann: Nur wenn die beschriebenen Mechanismen das Problem der dynamischen Zeitinkonsistenz lösen können, wird ein stabiles Angebot zustande kommen. 20 Seigin und White (1994, S. 1735f.) vergleichen das Zeitinkonsistenzproblem beim Angebot einer ungedeckten privat emittierten Währung mit dem Zeitinkonsistenzproblem bei anderen markenrechtlich geschützten langlebigen Gebrauchsgütem: Auch hier sucht der potentielle
20
Vgl. Richter (1990, S. 133); zum Problem der "Zeitinkonsistenz" vgl. Kydland/Prescott (1977).
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Kunde nach einer Versicherung, daß das zu erwerbende Gut nicht später zu einem niedrigeren Preis angeboten wird und damit seinen derzeitigen Wert verliert. Dieses Problem stellt sich bei dem Erwerb einer Währung in besonderem Maße, da sie lediglich zum späteren Verkauf nachgefragt wird. Das Versprechen, von diesem Gut - z.B. einer Währung - nur eine bestimmt Anzahl zu produzieren, ist wahrscheinlich eine schwächere Versicherung als konkrete Rückkaufverträge oder Geld-zurück-Garantien. Folglich ist es denkbar, daß Nachfrager einer Währung die Einlösbarkeit oder die Hinterlegung bzw. Überlassung eines Pfandes als Versicherung gegen die Überemission erzwingen, wodurch wiederum die Form eines privaten Warenstandards erwirkt würde (Seigin / White 1994, S. 1736; Richter 1990, S. 133). Die Ausgabe elektronischen Geldes - anstatt wie von von Hayek angenommen Notengeldes - ändert an diesen grundsätzlichen Bedenken wie auch an der Befürchtung von Konzentrationsprozessen und Bankenkrisen grundsätzlich nichts; gleichwohl würde die von von Hayek bereits stellenweise antizipierte technologische Entwicklung die technische Funktionsfähigkeit seines Systems erheblich begünstigen und somit die wettbewerblichen Grundmauern, auf denen das System beruht, festigen: Einer der Hauptkritikpunkte richtet sich auf die hohen Transaktionskosten des Systems, die aus der ständigen Notwendigkeit zur Beobachtung der Qualität der einzelnen Währungen und der kostspieligeren Abwicklung von Transaktionen erwachsen, und die Wahrscheinlichkeit von Konzentrationsprozessen tendenziell erhöhen.21 Die Elektronisierung der Informations- und Kommunikationsmedien wird zu einer weiteren Reduktion der Informationskosten beitragen. Gleichzeitig wird die Bewertung der Währungen an Börsen effizienter und die Teilnahme aller Wirtschaftssubjekte am Börsenhandel ohne die Vermittlung von Banken rückt näher. Durch die elektronische Abwicklung der Verwendung mehrerer Währungen lassen sich spezielle Transaktionskosten (Kassenhaltungskosten, Umrechnungs- und Umtauschkosten etc.) senken.22 Diese reduzierten Kosten, zusammen mit jenen, die sich aus der Unsicherheit über die Wechselkursentwicklung ergeben, stehen letztlich den Erlösen aus der erhofften höheren Wertstabilität und den Transaktionskostenvorteilen gegenüber, die elektronische gegenüber papierbasierenden Zahlungsmitteln besitzen.
21
Vgl. Neidner (1983, S. 400f.); speziell aus diesen Gründen hat man sich in Europa zur Abschaffung der Einzelwährungen und zur Einfuhrung einer Einheitswährung entschlossen.
22
Von Hayek benutzt das Argument gesunkener Transaktionskosten auch zur Entkräftung des Arguments, ein wettbewerblich organisiertes Geldsystem würde aufgrund von "economies of scale" zu einem natürlichen Monopol tendieren; vgl. von Hayek (1977).
Elektronisches Geld
415
In dem unwahrscheinlichen Fall, daß mit der elektronischen Abwicklung von Wirtschaftstransaktionen in Computernetzen eine völlige Eliminierung der Transaktionskosten einhergeht, würde der Geldgebrauch ökonomisch irrelevant. Die Frage nach einem Währungssystem würde sich nicht mehr stellen, da sich die Geldverwendung mit der Senkung dieser Transaktionskosten begründet. Ohne diese würde sich eine Form des Bartertausches entwickeln.
3.3.
"Moneyless Society"?
Auch in der abstrakten Gedankenwelt der New Monetary Economics (NME) 23 spielen die Transaktionskosten eine zentrale Rolle, da unter Laissez-faire-Bedingungen die Entwicklung eines "advanced barter" vorausgesagt wird. Ausgangspunkt ist die Annahme, daß die Nachfrage nach unverzinslichen Aktiva ein Resultat staatlicher Regulierung ist und folglich unter Laissez-faire-Bedingungen derartige Geld- und Einlageformen verschwänden (Wallace 1983). Es wird erwartet, daß das unverzinsliche Geld durch ein Verrechnungssystem von zinstragenden Bankeinlagen verdrängt wird ("accounting system of exchange", Fama 1980, S. 42). Geld im traditionellen Sinne verschwindet völlig.24 Finanzintermediäre werden Wertpapiere halten und Ansprüche auf diese - vergleichbar mit Mutual-Fund-Anteilen - als Zahlungsmittel emittieren, die mit dem Marktwert der zugrundeliegenden Wertpapiere variieren. Diese zinstragenden Anteile dienen als "Medium of Exchange (MOE)" und sind separiert von dem "Medium of Account (MOA)", das nur in Form eines abstrakt definierten Preisziels typischerweise in Form eines Warenkorbes besteht. Die Verbuchung dieser Anteile als Zahlungsmittel könnte über elektronische Speicher mit sehr geringen Transaktionskosten erfolgen. Die Rolle des Staates liegt bestenfalls noch in der Definition der Rechenein-
23
Die grundlegenden Arbeiten dieses Ansatzes stammen von Black ( 1970), Fama (1980) und Hall (1982a, 1982b, 1993), aus deren Initialen sich auch der von Greenfield/Yeager (1983) geprägte Begriff "BFH-System" ableitet. Daneben wurde der von Wallace {1983) erarbeitete Ansatz der "legal restriction theory" in die Gedankenwelt der NME eingefügt. Neben den genannten Autoren haben insbesondere Cowen /Kroszner (1994) zur weiteren Profilierung dieses Ansatzes beigetragen. Zur Kritik vgl. u.a. White (1984, 1987) und Hoover (1988).
24
"The BFH system would get rid of any distinct money existing in a definite quantity [...] No longer would there be any such thing as money whose purchasing power depended on limitation of its quantity [...] A wrong quantity of money could no longer cause problems because money would not exist." (Greenfield/ Yeager (1983, S. 305).
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heit, die weder greif- noch transferierbar zu sein hat.25 Was letztlich als Zahlungsmittel dient, ist ex ante unbestimmt und wird sich aus den Präferenzen der Marktteilnehmer ergeben, bzw. mit diesen wandeln (Greenfield / Yeager 1983, S. 305). Diese - wahrscheinlich vielfaltigen - Zahlungsmittel haben also auch keinen durch die Recheneinheit festgelegten, unveränderbaren, mit dem nominalen Wert "eins" oder "hundert" beschriebenen Preis. Dieser ergibt sich aus den Marktbedingungen des verwendeten Aktivums, wobei keine Einlösbarkeit in den definierten Warenkorb besteht. Die Einlösbarkeit in Gold, andere Güter oder bestimmte Wertpapiere könnte jedoch durch den Wettbewerb erzwungen werden. Für den Zeitpunkt einer Transaktion muß dann ein Verfügungsbetrag, der das Volumen des Tauschmittels in der Recheneinheit angibt, ermittelt und transferiert werden. Dabei würde eine Anzahl von Fondanteilen, die zum jeweiligen Tageskurs dem benötigten Rechnungsbetrag (ausgedrückt in der Recheneinheit) entspricht, dem Auftraggeber belastet und dem Begünstigten gutgeschrieben werden (Neidner 1997, S. 17). Im Idealfall vollzöge sich dieser Vorgang in "Realtime", so daß der Übergang des Tauschmediums und damit der Übergang des Zins- und Dividendenanspruchs zum Zeitpunkt des Güterübergangs vollzogen würde. Die Kritik an der NME entzündet sich vor allem an dem Seperationstheorem. Dabei wird sowohl empirisch als auch konzeptionell argumentiert. White stellt fest, daß es in der historisch erfolgreichsten Phase des Laissez-faire-Banking in Schottland (17161844) nicht zum Umlauf eines zinstragenden MOE gekommen ist, was er mit der praktischen Undurchführbarkeit begründet.26 Daneben vermutet er, daß die Bequemlichkeit, die mit der Einheit von MOE und MOA einhergeht, die fehlende Verzinsung überkompensiert. Beide Argumente können jedoch mit der Annahme elektronischer Speichermedien (z.B. Chipkarten) entkräftet werden. Cowen und Kroszner bezeichnen deshalb die "Verwendung solcher Chipkarten [...] für eine Trennung der Geldfunktionen [als] besonders dienlich, da diese Karten die Kalkulationsschwierigkeiten beseitigen, welche sich daraus ergeben, daß ein eigener Preis für das Tauschmittel existiert" (Cowen / Kroszner 1987, S. 211). Gleiches trifft auf Abrechnungssysteme in Computernetzen in
25
Die Zusammensetzung des Warenkorbes spielt dabei keine Rolle. Fama illustriert dies, indem er formuliert: "[...] it [the MOA] could well be tons of fresh cut beef or barrels of crude oil" (Fama 1980, S. 43); Greenfield und Yeager erwarten, daß der Staat ebenso wie er Maßeinheiten für Länge, Gewicht, Menge, Zeit, Temperatur und Energie bereitstellt auch ein Güterbündel als Recheneinheit definiert (Greenfield / Yeager 1983, S. 305).
26
Vgl. White (1987, S. 452); vgl. dazu auch Makinen / Woodward (1986).
Elektronisches Geld
417
besonderem Maße zu, so daß die Vision einer "cashless society" konkretere Formen annimmt.
4.
Die Zukunft der Geldordnung Die Verbreitung elektronischer Zahlungsmittel verändert die Rahmenbedingungen
der Geldpolitik für nationale monetäre Autoritäten, wobei erst bei einem raschen und weitgehenden Ersatz des Basisgeldes durch elektronische Geldeinheiten deutliche Konsequenzen für die Durchführung der Geldpolitik zu erwarten sind. Die internationale Verbreitung elektronischer Zahlungsmittel, insbesondere des Netzgeldes, hat darüber hinaus das Potential, Wettbewerbsprozesse auszulösen, die zu einer Deregulierung des Geldwesens führen und nationale und internationale Regulierungen des Geldwesens wirkungslos machen können. Gleichzeitig sind mit weiterem technischen Fortschritt auch finanztechnische Innovationen verbunden, die die Transaktionskosten des Zahlungsverkehrs und des Wirtschaftens insgesamt reduzieren können. Damit wären die Voraussetzungen für eine Veränderung des Geldwesens und die Ablösung staatlich emittierten Notengeldes geschaffen. Die Abwicklung der Zahlungsvorgänge sind von diesen Veränderungen ebenso betroffen, wie die Transaktionsmittel, die dafür verwendet werden. Über die Dynamik dieser Entwicklung kann ebenso nur spekuliert werden, wie über verschiedene Szenarien, zu denen sie möglicherweise führt. Historisch finden sich nur wenige Anhaltspunkte, die das eine oder andere Szenario unter den heutigen Voraussetzungen stützen, da wettbewerbliche Geldordnungen in ihrer hier diskutierten Form nie existiert haben oder durch die technischen Innovationen unter vollkommen anderen historisch nicht existenten Rahmenbedingungen zu analysieren sind.
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Kapitalmärkte und Unternehmenskontrolle im Vergleich: Großbritannien und Deutschland Rebecca
Strätling
1. Einleitung
423
2. Der Kapitalmarkt und die Unternehmenskontrolle
424
2.1.
Die Verknüpfung von interner und externer Untemehmenskontrolle
424
2.2.
Der Kapitalmarkt als Teil der Unternehmenskontrolle
425
3. Die Kapitalmarktakteure und die Untemehmenskontrolle in Deutschland und Großbritannien
427
3.1. Unternehmen als Anbieter und Nachfrager auf dem Kapitalmarkt
427
3.1.1.
3.1.2.
Unterschiede in der Innenfinanzierung deutscher und britischer Unternehmen
428
Unterschiede in der Außenfinanzierung
431
3.1.2.1. Die Außenfinanzierung durch Aktien
431
3.1.2.2. Die Außenfinanzierung durch Fremdkapital
434
3.1.3.
Wechselseitige Unternehmensbeteiligungen
436
3.2. Das Sparverhalten der privaten Haushalte 3.2.1.
Untemehmensfinanzierung und Unternehmenskontrolle durch private Haushalte in Großbritannien
3.2.2.
437
Untemehmensfinanzierung und Unternehmenskontrolle durch private Haushalte in Deutschland
3.3. Finanzintermediäre als Kapitalmarktakteure 3.3.1.
437
Die Banken
440 443 444
3.3.1.1. Banken und Untemehmensfinanzierung
444
3.3.1.2. Banken und Unternehmenskontrolle
445
3.3.2.
Die institutionellen Anleger
448
3.3.2.1. Untemehmensfinanzierung durch institutionelle Anleger
448
3.3.2.2. Institutionelle Investoren und Unternehmenskontrolle
452
4. Der Einfluß des Kapitalmarktes auf die Unternehmenskontrolle
454
5. Unternehmenskontrolle und Wettbewerbsordnung in Deutschland und Großbritannien Literatur
460 462
Kapitalmärkte und Unternehmenskontrolle
1.
423
Einleitung Trotz unterschiedlicher kultureller, politischer und wirtschaftlicher Voraussetzungen
haben sich in den Staaten Westeuropas ähnliche Unternehmensformen entwickelt. Hierbei fällt vor allem der kometenhafte Aufstieg der Kapitalgesellschaft während der letzten 100 Jahre auf. Die früher üblichen Einzeluntemehmen und Personengesellschaften sind immer stärker verdrängt worden. Statt dessen haben die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) und die Aktiengesellschaften (AG) in Deutschland bzw. Limited Companies (Ltd.; Private Companies) und Public Limited Companies (Plc.; Public Companies) in Großbritannien einen enormen Aufschwung genommen. 1 Mit diesem Wandel der Unternehmensformen ist das Problem des delegierten Handelns (Principal-Agent-Problem) entstanden. Die Aufteilung der Handlungsrechte an der Unternehmung auf verschiedene Akteure ist einerseits Ausdruck produktiver Formen der Wissens- und Arbeitsteilung, indem die Unternehmen von einem professionellen Management geführt werden und die Eigentümer sich das Anrecht auf die Kontrolle der Geschäftsführung sowie auf das Residualeinkommen vorbehalten. Andererseits ist zu beachten, daß die Interessen der Eigentümer und der Geschäftsführer divergieren können. Um das Verhalten der Geschäftsführer an den Interessen der Eigentümer auszurichten, müssen Kontrollkosten aufgewendet werden. Die Frage, welchen Einfluß der Kapitalmarkt 2 auf die Kontrollmöglichkeiten und Kontrollkosten der Eigentümer hat, steht im Mittelpunkt dieses Beitrags. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Umstände des delegierten Handelns von den ordnungspolitischen Rahmen- und Wettbewerbsbedingungen abhängen, unter denen die betreffenden Unternehmen wirtschaften.
Als Prototypen unterschiedlicher Konzeptionen der Verknüpfung von externer Kapitalmarktkontrolle und internem Unternehmensverhalten werden häufig Großbritannien
'
Auch wenn sich Private Companies und Public Companies rein rechtlich ähnlicher sind als die AG und die GmbH, so entsprechen sich doch funktional die Public Company und die AG einerseits und die Private Company und die GmbH andererseits (Güthoff\993, S. 4; Triebel et al. 1995, S. 219).
2
Unter "Kapitalmarkt" soll im folgenden jener Teil der Finanzmärkte verstanden werden, auf dem längerfristig disponible Finanzierungsmittel (Spargelder) angeboten und nachgefragt werden. Zu den Akteuren auf diesen Märkten zählen die dem nicht-finanziellen Sektor zugerechneten Anbieter und Nachfrager, also private Haushalte, Unternehmen, Staat, Ausland. Hinzu kommen Finanzintermediäre wie Banken, Versicherungen, Investment- und Kapitalbeteiligungsgesellschaften, Makler etc. {Schüller 1997, S. 178).
424
Rebecca
Strätling
und Deutschland genannt. Da in dieser Diskussion Aktiengesellschaften im Mittelpunkt stehen, beschränkt sich dieser Beitrag auf diese Rechtsform der Unternehmung.
2.
Der Kapitalmarkt und die Unternehmenskontrolle
2.1. Die Verknüpfung von interner und externer Unternehmenskontrolle Die Unternehmensfuhrung muß sich auf den Faktormärkten um Input-Leistungen bemühen, die in das Anforderungsprofil der Unternehmung passen. Diese Faktoren sind eine Voraussetzung für den Erfolg auf den Produktmärkten. Die Produktmärkte wiederum entscheiden darüber, ob es gelungen ist, die Produktionsfaktoren erfolgreich, d.h. gewinnbringend entsprechend den Kundeninteressen, zu kombinieren. Abbildung 1: Interne und externe Unternehmenskontrolle3
Bei funktionsfähiger Wettbewerbsordnung entsteht über die Produkt- und Faktormärkte eine Verzahnung der internen und der externen Unternehmenskontrolle. Die von
Die externe Unternehmenskontrolle im Rahmen des Gewerbe-, Steuer- und Umweltrechts, der Börsenordnung und anderer gesetzlicher Vorschriften für das Unternehmensverhalten bleibt hier außer acht.
Kapitalmärkte und Unternehmenskontrolle
425
der Unternehmensverfassung bestimmten untemehmensintemen Anreiz- und Kontrollmechanismen steuern die Verwendung der akquirierten Ressourcen. Erfolge und Mißerfolge auf den Produkt- und Faktormärkten, die sich in der Gewinnentwicklung und -erwartung niederschlagen, weisen auf die Notwendigkeit der Beibehaltung oder der Veränderung der unternehmensinternen Handlungsrechtsstruktur hin.
2.2.
Der Kapitalmarkt als Teil der Unternehmenskontrolle
Der Kapitalmarkt bietet Möglichkeiten, Sparvermögen anzulegen und Investitionen zu finanzieren. Die Transaktionen können sich zum einen auf Beteiligungskapital von Eigentümern (Eigenfinanzierung) und zum anderen auf Kreditkapital von Gläubigem (Fremdfinanzierung) beziehen {Schüller 1997, S. 180). Die Eigenfinanzierung bedeutet für Unternehmen die Bereitstellung von Risikokapital. Dieses bildet eine wichtige Grundlage für unternehmerisches Handeln, insbesondere für die Fähigkeit des Unternehmens, mit den Eigentümern der anderen Produktionsfaktoren Verträge zu schließen, die ihnen im Austausch für die Beteiligung an der unternehmerischen Leistungserstellung ein zeitlich mehr oder weniger befristetes Einkommen garantieren. So hängt die Fähigkeit eines Unternehmens, erfolgreich Fremdkapital anzuwerben, außer von den Gewinnaussichten auch von der Eigenkapitalausstattung ab. Darüber hinaus muß unterschieden werden zwischen Transaktionen auf dem Primärmarkt, auf dem Kapitalnachfrager (zusätzliche) Finanzmittel (durch die Emission von Wertpapieren oder den Abschluß von Kredit- oder Beteiligungsverträgen) aufnehmen können, und Transaktionen auf dem Sekundärmarkt, auf dem bereits existierende Wertpapiere gehandelt und bewertet werden (Dimsdale 1994, S. 23). Der Sekundärmarkt sorgt so für die Liquidität der im Primärmarkt entstehenden finanziellen Ansprüche (Foley 1994, S. 6; Marsh 1994, S. 67). Soweit es sich um unternehmensbezogene Aktiva handelt, steht hierbei die Leistungsfähigkeit der Geschäftsführung und des gesamten Unternehmens auf dem Prüfstand der öffentlichen Beurteilung. Die Bewertung der Unternehmensleistung auf dem Sekundärmarkt beeinflußt auch die Bedingungen, zu denen ein Unternehmen am Primärmarkt Finanzierungsmittel aufnehmen kann. Seit Ende der fünfziger Jahre hat sich innerhalb des Sekundärmarktes für Unternehmensbeteiligungen ein zusätzlicher spezieller Sektor entwickelt, der sogenannte "Markt für Unternehmenskontrolle". Genauer gesagt handelt es sich dabei um einen
426
Rebecca Strätling
"Markt für Unternehmensübernahmen", insbesondere feindlicher Art. Hier versuchen rivalisierende Managementgruppen, die interne Kontrollmacht über die Geschäftsführung eines Zielunternehmens zu gewinnen. Die Bewertung der Unternehmensanteile auf dem Sekundärmarkt reflektiert für gewöhnlich die Einschätzung der Untemehmensleistung unter dem augenblicklichen Management. Sehen aktuelle oder potentielle Investoren die Möglichkeit, die Leistungen und damit den Wert des Unternehmens zu steigern, indem sie Einfluß auf die Geschäftsführung nehmen, diese gegebenenfalls ganz oder teilweise austauschen, sind sie bereit, den aktuellen Anteilseignern eine Prämie auf den Kurswert zu zahlen. Die Höhe dieser Prämie ist von dem Wert abhängig, welche die mit den Unternehmensanteilen verbundenen internen Kontrollrechte für die rivalisierenden Managementgruppen haben. Funktioniert der Markt für Unternehmenskontrolle, werden die Eigentumsrechte von denjenigen erworben, die von der Beeinflussung der Geschäftsführung die größten Gewinnchancen erwarten (Hannah 1974, S. 66, 77; Mayer 1994, S. 180, 188).
Die Akteure auf dem Kapitalmarkt haben prinzipiell zwei Möglichkeiten, sich an der Unternehmenskontrolle zu beteiligen: Einmal, indem sie unternehmensgebundene Finanztitel erwerben oder verkaufen (externe Unternehmenskontrolle), zum anderen, indem sie Kontrollrechte an der Unternehmung nutzen, z.B. durch Ausübung von Stimmrechten in der Hauptversammlung oder mit Hilfe eines Mandats im Aufsichtsrat (interne Untemehmenskontrolle). 4 Für die Entwicklung und Funktionsweise der internen und der externen Untemehmenskontrolle sind die Handlungsspielräume und wirtschaftlichen Anreize der Kapitalmarktakteure maßgeblich. Diese wiederum sind von gesetzlichen Regelungen, Konventionen, den Kosten und den Nutzen der Kontrollausübung abhängig. Dies spiegelt sich in der Finanzierungsstruktur der Unternehmen und im Anlageverhalten der Investoren auf den Kapitalmärkten wider.
4
Während die Aktiengesellschaft mit Vorstand und Aufsichtsrat über ein zweistufiges System der Unternehmensfuhrung verfugt, kennt die Public Company lediglich ein oberstes Organ der Unternehmensfuhrung, das Direktorium. Es ist gleichzeitig für die Geschäftsführung und deren Überwachung verantwortlich. Ob Direktoriumsmitglieder exekutive Aufgaben innerhalb der Geschäftsführung übernehmen, liegt weitgehend in der Regelkompetenz der einzelnen Unternehmen. Lediglich für börsennotierte Public Companies fordert der Verhaltenskodex der Londoner Börse (ILSE) eine gewisse Mindestzahl nicht-exekutiver Mitglieder im Direktorium, die sich vorrangig auf Überwachungsaufgaben konzentrieren. In britischen Public Companies entspricht faktisch, wenn auch nicht juristisch, der Posten eines nichtexekutiven Direktors dem Aufsichtsratsmandat in einer deutschen Aktiengesellschaft.
Kapitalmärkte und Unternehmenskontrolle
3.
All
Die Kapitalmarktakteure und die Unternehmenskontrolle in Deutschland und Großbritannien Hinsichtlich des Einflusses des Kapitalmarktes auf die Unternehmenskontrolle soll
im folgenden die Rolle der Kapitalmarktakteure sowohl als Anleger von und Nachfrager nach Finanzmitteln als auch als Teilnehmer an der internen Unternehmenskontrolle betrachtet werden. 5 Während der deutsche Kapitalmarkt stark durch die Finanzintermediation der Banken und die Transaktionen von festverzinslichen Rentenwerten geprägt ist, zeigt sich in Großbritannien eine erheblich größere Bedeutung institutioneller Anleger aus dem Nichtbankensektor. Außerdem spielen hier Dividendenwerte als Anlage- und Finanzierungsinstrumente eine erheblich größere Rolle. So machten Ende 1990 Aktien nur knapp 10% der in der Bundesrepublik insgesamt umlaufenden inländischen Wertpapiere aus. In Großbritannien waren es 1989 ungefähr 50% (s. Thomas / Treutier 1993, S. 1218; Foley 1994, S. 91).
3.1.
Unternehmen als Anbieter und Nachfrager auf dem Kapitalmarkt 6
Die Untemehmensfinanzierung ähnelt sich in Großbritannien und Deutschland in vielerlei Hinsicht. Die wichtigste Finanzierungsquelle für Nicht-Finanzunternehmen ist in beiden Staaten die Innenfinanzierung. Dennoch ist der Aktienmarkt für die Unternehmensfinanzierung und -kontrolle nicht unbedeutend. In Großbritannien ist der Kapitalmarkteinfluß auf börsennotierte Aktiengesellschaften schon deswegen sehr viel stärker als in Deutschland, weil hier der Grad der Innenfinanzierung durchweg niedriger liegt. Dies zeigt sich besonders deutlich bei dem Vergleich der Finanzierungsmuster der überwiegend börsennotierten Großunternehmen (vgl. Tab. 1).
5
Auf eine nähere Untersuchung der Rolle des Auslands und des Staates wird verzichtet.
6
Gemeint sind im folgenden Unternehmen des nichtfinanziellen Sektors.
428
Rebecca Strätling
Tabelle 1: Finanzierung von Großunternehmen 1982-1988 (in %) Bruttofinanzierung
Deutschland
Großbritannien
89,6 8,2 0,6 -1,7 3,3
58,2 14,3 7,9
Innenfinanzierung Neue (junge Aktien) Mittel- und langfristige Kredite Kurzfristige Kredite Lieferantenkredite Quelle: Schneider-Lenne
3.1.1.
1,1 18,5
(1994, S. 304).
Unterschiede in der Innenflnanzierung deutscher und britischer Unternehmen
Bei einer Untersuchung der Quellen der Innenfinanzierung zeigt sich, daß die Gewinnausschüttungsquote in Großbritannien ungefähr doppelt so hoch ist wie in Deutschland; die Innenfinanzierung durch Gewinnthesaurierung ist demzufolge in Deutschland wesentlich stärker als in Großbritannien (Tab. 2). Tabelle 2: Ausgeschüttete Dividende in % der Unternehmensgewinne 1984-1988
Deutschland Großbritannien
1983
1984
1985
1986
1987
1988
14,3 29,8
10,9 24,5
10,0 27,1
11,3 31,3
14,6 39,6
17,6 34,5
Quelle: Mayer (1994, S. 184).
Prinzipiell sollte die Höhe der Dividenden von den Unternehmensgewinnen und den internen Investitionserfordernissen oder auch -möglichkeiten abhängig sein, doch die deutlich unterschiedlichen Auszahlungsquoten in Deutschland und in Großbritannien lassen sich hierdurch nicht erklären (Mayer 1994, S. 183). Es stellt sich die Frage, auf welche anderen Ursachen das unterschiedliche Gewinnausschüttungsverhalten der Unternehmen zurückgeführt werden kann. (1) Britische Unternehmen reagieren im allgemeinen sensibler auf Veränderungen der Finanzierungskosten. Sinkt der Fremdkapitalzins oder sehen Geschäftsführer keine Möglichkeit, finanzielle Mittel innerhalb ihrer Unternehmen rentabler zu investieren, als dies den Aktionären bei Anlage in anderen Wertpapieren möglich wäre, steigt die Bereitschaft, höhere Dividenden zu zahlen oder eigene Aktien zurückzukaufen (McWil-
429
Kapitalmärkte und Unternehmenskontrolle
liams 1998). Hierdurch kann der Ertrag pro Aktie gesteigert werden, was die Kurse an der Börse in die Höhe treibt und das Risiko der Unternehmensübemahme verringert. (2) Das unterschiedliche Ausschüttungsverhalten kann von der jeweiligen Steuergesetzgebung bestimmt sein. So werden in Deutschland thesaurierte Gewinne höher besteuert als ausgeschüttete Gewinne (Mayer 1994, S. 183). Dieser Anreiz zur Dividendenausschüttung besteht in Großbritannien nicht. Hier werden einbehaltene und ausgeschüttete Gewinne gleich behandelt. Auch können die Anteilseigner in beiden Ländern der Doppelbesteuerung entgehen, indem sie ihre auf ausgeschüttete Gewinne gezahlten Körperschafts- und Ertragssteuem (zumindest teilweise) mit der Gesamtsteuerschuld verrechnen lassen. Gleichwohl ist die Ausschüttungsneigung in Großbritannien wesentlich höher als in Deutschland. Ein Grund hierfür könnte darin liegen, daß in Großbritannien, anders als in Deutschland (Deutsche Bundesbank
1991, S. 27f.) bis 1997 auch
(steuerbefreite) Pensionsfonds und private Rentenversicherungen die vorausgezahlte Körperschaftssteuer auf ausgeschüttete Dividenden von den Finanzbehörden teilweise zurückerhielten (Friedmann / Ingram / Miles 1984, S. 44; Bond / Jenkinson
1996,
7
S. 23) . Deshalb war bislang für steuerbefreite Finanzinstitutionen die Gewinnausschüttung besonders attraktiv. Da diese institutionellen Anleger die meisten Hauptversammlungen britischer Unternehmen dominieren, ist die Wahrscheinlichkeit der Durchsetzung ihrer Interessen sehr hoch.
(3) Die stärkere Gewinnthesaurierung in Deutschland wird häufig auf die gesetzliche Verpflichtung der Unternehmen zur Gewinnrückstellung zurückgeführt. Da der Umfang der Thesaurierung das gesetzlich vorgeschriebene Maß in der Regel jedoch deutlich überschreitet, läßt sich die hohe Differenz zu den britischen Ausschüttungsquoten hierdurch nicht erklären. (4) Bemerkenswert ist, daß ähnliche Ausschüttungsunterschiede, wie sie bei Aktiengesellschaften in Großbritannien und in Deutschland bestehen, auch zwischen großen börsennotierten und großen nicht-börsennotierten Unternehmen in Großbritannien auftreten. So lag die durchschnittliche Ausschüttungsquote börsennotierter Unternehmen zwischen 1980-1987 bei 21,7 Prozent, während sie in den nicht-börsennotierten Unternehmen nur bei 9,9 Prozent lag {Mayer 1994, S. 184). Gleichzeitig war die Wahrscheinlichkeit der Dividendenkürzung bei den nicht-börsennotierten Unternehmen fiinf-
7
Diese Regelung wurde am 2. Juli 1997 aufgehoben, um den Anreiz für diese Anleger, auf Ausschüttung hoher Dividenden zu bestehen, zu vermindern (Inland Revenue 1997).
430
Rebecca Strätling
mal höher als bei den börsennotierten. Demzufolge dürfte die Ausschüttungsquote maßgeblich vom direkten und indirekten Einfluß der Aktionäre auf die Unternehmensentscheidungen abhängen. (5) Die stärkere Neigung zur Gewinnthesaurierung in Deutschland wird auch auf den (Mitbestimmungs-) Einfluß der Beschäftigten und die starke Präsenz der Banken in den Aufsichtsräten zurückgeführt. Auszahlungen an die Aktionäre vermindern das finanzielle Polster der Unternehmen und erhöhen die Abhängigkeit der Mitarbeiter und Gläubiger von der allgemeinen Kapitalmarktkontrolle. Durch ihr Mitsprache- und Entscheidungsrecht in den Aufsichtsräten können die Vertreter der Beschäftigten und der Banken die Dividendenpolitik maßgeblich beeinflussen (Schüller 1979, S. 332f.). Verschiedentlich wird an hohen Ausschüttungsquoten bemängelt, sie würden Unternehmen an vorausschauenden risikoreichen Investitionen hindern und höhere Lohnforderungen provozieren (Garvey / Swan 1994, S. 150f.). Die Substitution des externen Kapitalmarktes durch den internen Kapitalmarkt auf dem Weg der Gewinnthesaurierung führt jedoch dazu, daß die Geschäftsführer zur Realisierung von Investitionsplänen die Kapitalanleger nicht mehr von deren Profitabilität überzeugen müssen. Die Effizienz der Ressourcenallokation wird dadurch vermindert. Neben den Gewinnrückstellungen spielen auch Pensionsrückstellungen in Deutschland eine größere Rolle bei der Innenfinanzierung als in Großbritannien. In britischen Unternehmen wird die betriebliche Altersversorgung in der Regel über Pensionsfonds oder kapitalbildende Lebensversicherungen abgewickelt (Friedmann / Ingram / Miles 1984, S. 45). Pensionsrückstellungen zur Sicherung von Pensionszusagen werden nicht gebildet. In Deutschland hingegen verbleiben 60% der Fonds, die zur Bestreitung der Betriebsrenten gebildet werden, als langfristige Pensionsrückstellungen innerhalb der Unternehmen. 1994 umfaßten diese Mittel rund 10% der gesamten Finanzierungsmittel der Unternehmen. Sie sind somit ein wichtiges Finanzierungsinstrument geworden und werden häufig als Quasi-Eigenkapital angesehen (Schneider-Lenne 1994, S. 295). Obgleich die Betriebsrenten im Falle des Unternehmenskonkurses durch einen PensionsSicherungs-Verein garantiert werden (Deutsche Bundesbank 1984b, S. 34), ergeben sich aus dieser Art der Untemehmensfinanzierung verschiedene Probleme. Zum einen bilden Pensionsrückstellungen einen Teil der unternehmensinternen Kapitalmärkte und entziehen die Unternehmen insoweit der Kontrolle des externen Kapitalmarktes. Zum anderen schränken die betrieblichen Pensionszusagen angesichts steigender Lebenserwartungen, Dynamisierungsverpflichtungen und einer ungewissen wirtschaftlichen Ent-
Kapitalmärkte
und
431
Unternehmenskontrolle
wicklung den zukünftigen unternehmerischen Handlungsspielraum ein. Zusammen mit dem verschärften Kosten- und Preiswettbewerb auf den Produktmärkten wirken die angeführten Gründe dahin, daß in Westdeutschland allein zwischen 1993 und 1996 die Anzahl der Beschäftigten mit Betriebsrentenzusagen um 10% zurückgegangen ist (iwd 1997, S. 8).
3.1.2.
Unterschiede in der Außenfinanzierung
3.1.2.1. Die Außenfinanzierung durch Aktien Obgleich Deutschland nach den USA, Japan und Großbritannien den viertgrößten Aktienmarkt der Welt hat, gilt dieser als vergleichsweise unterentwickelt. Als Indiz hierfür wird die niedrige Börsenkapitalisierung in Deutschland angesehen (Tab. 3). Tabelle 3: Börsenkapitalisierung in ausgewählten OECD-Ländern (Ende 1996) Land
Aktienumlauf in Mrd. DM1'
Börsenkapitalisierungskoeffizient2'
USA3»
13.354
122
Japan4»
4.881
63
Großbritannien
2.544
152
1.002
27
Deutschland
1) Kurswert der inländischen börsennotierten Aktien, 2) Aktienumlauf in % des nominellen Bruttoinlandsprodukts von 1995, 3) New York Stock Exchange und NASDAQ, 4) Börse Tokio Quelle: Deutsche Bundesbank (1997, S. 28).
Die Aktienmärkte unterscheiden sich jedoch nicht nur hinsichtlich der Börsenkapitalisierung, sondern auch in bezug auf die Anlegerstruktur. Während private Haushalte und institutionelle Investoren in Deutschland eine vergleichsweise geringe Rolle spielen, ist die Beteiligung von Banken und nichtfinanziellen Unternehmen am Aktienmarkt sehr hoch. Die divergierenden Emittenten- und Anlegerstrukturen (vgl. Tab. 4) in Großbritannien und Deutschland sind Ausdruck unterschiedlicher Formen der Bereitstellung von Kapital, insbesondere von Risikokapital, und für die Art und Weise, in der die mit dem Aktienbesitz verbundenen Eigentumsrechte zur Kontrolle von Unternehmen genutzt werden. Zwischen 1950 und 1980 ist die Zahl börsennotierter Unternehmen in Europa deutlich zurückgegangen (Rasch 1996, S. 113). Seitdem hat sich der Aktienmarkt sowohl
432
Rebecca Strätling
in Großbritannien als auch in Deutschland wieder erholt. Während in Großbritannien 1994 1.950 Unternehmen an einer Börse notiert wurden, waren es in Deutschland nur 650 (Schneider-Lenné 1994, S. 294). Auch insgesamt gibt es in Großbritannien deutlich mehr Aktiengesellschaften als in Deutschland; schon 1992 waren es hier 11.700 Unternehmen, in Deutschland nur 3.219. Tabelle 4: Aktienbesitz im internationalen Vergleich Anteile in % des Gesamtumlaufs von Aktien im jeweiligen Land (Ende 1995) Deutschland Großbritannien Frankteich
Japan
USA
Private Haushalte
14,6
29,6
19,4
22,2
36,4
Unternehmen
42,1
4,1
58,0
31,2
15,0
öffentliche Haushalte
4,3
0,2
3,4
0,5
0,0
Nichtfinanzieller Sektor
61,0
33,9
80,8
53,9
51,4
Banken
10,3
2,3
4,0
13,3
0,2
Versicherungen und Pensionsfonds
12,4
39,7
1,9
10,8
31,3
Investmentfonds und sonstige
7,6
10,4
2,0
11,7
13,0
Finanzieller Sektor
30,3
52,4
8,0
35,8
44,5
Übrige Welt
8,7
13,7
11,2
10,3
4,2
finanzielle Institutionen
Quelle: Deutsche Bundesbank (1997, S. 29).
Durch die Deregulierungen im Finanzsektor seit den achtziger Jahren und die Erweiterung der Zinsspannen der Banken während der Rezession Anfang der neunziger Jahre veränderten sich in Großbritannien die Kosten der Kapitalaufnahme dahingehend, daß sich viele Unternehmen auf dem Kapitalmarkt günstiger finanzieren konnten als bei den Banken (McWilliams/Sentance 1994, S. 132f.). Auch in Deutschland erfuhr die Aktie als Finanzierungsinstrument seit Mitte der achtziger Jahre einen Aufschwung. In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre haben inländische Aktiengesellschaften neues Eigenkapital im Kurswert von mehr als 100 Mrd. DM aufgenommen - etwa genausoviel wie in den gesamten 35 Jahren davor {Deutsche Bundesbank 1991, S. 22). Zwischen 1991 und 1993 entfiel in Großbritannien knapp ein Drittel der Aktienemissionen auf vorwiegend junge Börsenneulinge. Dagegen flössen in Deutschland rund 90% der Aktienemissionen meist großen, etablierten Unternehmen zu (Rasch
Kapitalmärkte
und
433
Unternehmenskontrolle
1996, S. 52).8 Dies liegt vor allem daran, daß der direkte Zugang zur Börse für kleine und mittelständische Unternehmen in Deutschland schwieriger ist als in Großbritannien. Für die Zulassung einer Aktie zum amtlichen Handel muß in Deutschland ein Kreditinstitut eingeschaltet werden. Dies gilt faktisch auch für den "Geregelten Markt" und den "Freiverkehr". Dabei kann sich das Absicherungsbedürfnis der Konsortialbanken als Hindernis für den Börsenzugang junger Unternehmen erweisen, zumal wenn diese sich schwertun, anhand des bisherigen Untemehmenserfolgs den Nachweis der "Börsenreife" zu erbringen (Deutsche Bundesbank 1997, S. 35).9 Tabelle 5: Börseneinfiihrungen in Deutschland und Großbritannien 1986-1995 Börseneinfiihrungen in Deutschland: Inländische Unternehmen
Ausländische Unternehmen
Insgesamt
Börseneinführungen in London: Inländische Ausländische UnterUnternehmen nehmen
Insgesamt
1986
26
9
35
136
33
169
1987
19
27
46
155
34
189
1988
14
74
88
139
36
175
1989
25
91
116
110
49
159
1990
26
35
61
186
47
233
1991
19
33
52
118
20
138
1992
8
26
34
82
11
93
1993
9
59
68
180
6
186
1994
14
181
195
210
12
222
1995
20
168
188
285
45
330
1986-1995
180
703
883
1.601
293
1.894
Quelle: Deutsches Aktieninstitut (\996, S. FB_03-3).
Sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland wurden bis 1992 nur rund ein Fünftel aller Aktiengesellschaften an einer einheimischen Börse notiert. Als zusätzliche Gründe für die geringe Neigung von Aktiengesellschaften, sich um eine Börsennotierung zu bemühen, werden die hohen Kosten der Börseneinführung, die Scheu vor der größeren Publizität und die Angst vor Untemehmensübemahmen angeführt (Deutsche Bundesbank
1991, S. 26).
8
Siehe dazu: Deutsche Bundesbank (1984b; 1991, S. 27); Foley (1994, S. 17); Rasch (1996, S. 122-132).
9
Das Durchschnittsalter der Neuemissionskandidaten betrug zwischen 1987 und 1994 in Großbritannien 8 Jahre, in den U S A 14 Jahre und in Deutschland 55 Jahre (Rasch 1996, S. 53).
Rebecca Strätling
434
Das Volumen des deutschen Primärmarkts für Börsenneulinge betrug zwischen 1989 und 1995 nur ein Fünftel des britischen Umsatzes (Tab. 6). In Deutschland fanden in dieser Zeit nicht nur erheblich weniger einheimische Unternehmen den Zugang zur Börsennotierung (Tab. 5), sie waren im Durchschnitt auch deutlich älter und größer als in Großbritannien. Das Volumen der mittels Aktienemission in den vergangenen 10 Jahren insgesamt durchgeführten Kapitalerhöhungen börsennotierter Unternehmen hat sich jedoch in Großbritannien und Deutschland sukzessive aneinander angenähert. Tabelle 6: Aktienemissionen (in Mio. US $) in Deutschland und Großbritannien 1989-1995 Kapitalerhöhungen in Deutschland Neuemissionen
Kapitalerhöhungen
insgesamt
Kapitalerhöhungen in Großbritannien Neuemissionen
Kapitalerhöhungen
insgesamt
1989
1.373,50
9.207,90
10.581,40
12.167,60
8.105,30
20.272,90
1990
2.063,70
13.025,80
15.089,50
11.867,30
11.338,80
23.206,10
1991
2.111,50
9.213,40
11.324,90
12.406,30
22.445,50
34.851,80
1992
496,50
8.828,10
9.324,60
3.686,10
7.085,40
10.768,50
1993
557,00
8.667,90
9.224,90
7.350,80
18.854,10
26.204,90
1994
773,00
17.092,80
17.865,80
15.572,20
16.476,60
32.048,80
1995
4.890,20
18.105,90
22.996,10
1.490,30
3.088,70
4.579,00
1989-1995
12.265,40
84.141,80
96.407,20
64.537,60
87.394,40
151.932,00
Quelle: Deutsches Aktieninstitut (1996, S. F B 0 3 - 4 ) .
3.1.2.2. Die Außenfinanzierung durch Fremdkapital In Deutschland hat sich die Finanzierungsstruktur der Produktionsunternehmen im Zeitablauf kaum verändert. Nach wie vor dominiert der Bankkredit die Unternehmensfinanzierung (Tab. 7). Viele Unternehmen arbeiten traditionell eng mit einer "Hausbank" zusammen, die langfristig Fremdkapital zu festen Zinssätzen bereitstellt. Häufig sind die Banken überdies durch Aktienbeteiligungen mit dem Unternehmen verbunden. In Großbritannien stellen die Banken den Unternehmen in erster Linie revolvierende kurzfristige Kredite oder aber mittel- bis langfristige Kredite mit variablen Zinsen zur Verfügung. Der Anteil der Bankkredite an der Unternehmensfinanzierung ist starken Schwankungen ausgesetzt (Tab. 8). Hieran zeigt sich, daß die Unternehmen stärker auf die Veränderungen der Kostenvorteile einer Kapitalaufnahme am Aktienmarkt und bei
435
Kapitalmärkte und Unternehmenskontrolle
Banken reagieren. Die Beteiligung der Banken an der internen Unternehmenskontrolle ist eher die Ausnahme. Tabelle 7: Finanzierungsstruktur von Produktionsunternehmen in Deutschland 1970-1995
Insgesamt* in Mrd. DM davon in %
- Bankkredite1' - Aktien
1970
1980
1990
1995
563,3 46,8 27,5
1.268,3 51,4
2.604,2 47,8
3.636,6 48,5
19,3 23,2 26,9 - Pensionsverpflichtungen 7,6 6,9 4,6 7,0 * Fremdmittel einschließlich des Aktienumlaufs laut Geldvermögensrechnung; ab 1990 Gesamtdeutschland. 1) von in- und ausländischen Banken. Bestand am Jahresende. Quelle: Deutsche Bundesbank (1997, S. 31).
Tabelle 8: Finanzierungsquellen von Unternehmen der verarbeitenden Industrie und des Dienstleistungssektors in Großbritannien (in Mrd. £) Jahr
Nettofinanzbedarf
Bankverschuldung
Aktienemission in Großbritannien
Emission von Obligationen und Vorzugsaktien
Aktienemission im Ausland
1985 1986 1987
8,4 11,9 26,4
7,5 9,1 12,2
1,6 3,4 3,6
1,2 1,2 2,2
1988 1989
48,6 51,6
31,8 33,1 18,6
3,4 4,5 13,4 4,4
3,6
1,9 2,6 8,3
5,6 3,5 6,9
2,5 7,7
1990 30,9 1991 20,7 -3,0 Quelle: Mc Williams /Sentance ( 1994, S. 132).
6,4 5,5
Sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland wird die Verwendung von Fremdkapital steuerlich begünstigt. In beiden Ländern können Zinsen auf Verbindlichkeiten vom steuerpflichtigen Gewinn abgesetzt werden - im Gegensatz zu Dividendenausschüttungen. Dadurch sinken die Kosten der Fremdfinanzierung (in Abhängigkeit vom Steuersatz für Untemehmensgewinne). Dieser Anreiz zur Fremdfinanzierung war in Großbritannien in der Vergangenheit aufgrund hoher Körperschaftsteuersätze und - inflationsbedingt - hoher Schuldzinsen besonders groß, nahm jedoch durch die Verringerung der Körperschaftsteuersätze seit 1984 (Friedmann /Ingram /Miles
1984, S. 44)
und die seit Anfang der achtziger Jahre rückläufigen Inflationsraten deutlich ab. In Deutschland begünstigte bislang die Gewerbeertrags- und die Gewerbekapitalsteuer die
436
Rebecca Strätling
Aufnahme von Fremdkapital zusätzlich, da Eigenkapital und Gewinne voll, langfristiges Fremdkapital und Schuldzinsen hingegen nur zur Hälfte in die steuerliche Bemessungsgrundlage einbezogen werden (.Deutsche Bundesbank
1997, S. 34). Die Unter-
schiede in der Fremdfinanzierung deutscher und britischer Unternehmen lassen sich damit jedoch nicht erschöpfend erklären.
3.1.3.
Wechselseitige Unternehmensbeteiligungen
Ein großer Teil der deutschen Aktien befindet sich als Beteiligungsbesitz in den Händen von Unternehmen; mit einem Aktienvermögen in Höhe von 708 Mrd. DM kontrollierten sie 1995 40% des gesamten Aktienkapitals (Deutsche Bundesbank
1997,
S. 39). Als Indiz für die längerfristige Natur der Beteiligungen wird gewertet, daß sich der Aktienbesitz der Unternehmen stetiger entwickelt als der Aktienbestand institutioneller Anleger. Damit und mit dem hohen Anteil selbstverwalteter Wertpapiere wird das der Beteiligung zugrundeliegende Motiv unterstrichen - nämlich andere Unternehmen zu kontrollieren. 10 Etwa drei Viertel der Aktienbestände von Unternehmen werden in wechselseitiger Kapitalverflechtung gehalten {Deutsche Bundesbank
1997, S. 39).
Dadurch sind die Chancen der übrigen Aktionäre beschränkt, die Unternehmensleitung zu beeinflussen. Die Ohnmacht kleiner Anteilseigner wird durch die Möglichkeit der Vorstände (insbesondere der Banken), vertretungshalber Stimmrechte für nicht anwesende Anteilseigner auszuüben, noch vergrößert. Die Gefahr wächst, daß sich die Geschäftsleitungen durch wechselseitige Absprachen und die Übernahme von Stimmrechtsvertretungen gegen ihre Eigentümer immunisieren können (Adams 1996, S. 21). Hierfür spricht auch, daß in Deutschland bei 145 der 171 größten Unternehmen 25% und mehr des Aktienkapitals von einem Anleger kontrolliert werden (Mitchell / Sikka 1996, S. 2).
In Großbritannien hingegen spielt die wechselseitige Beteiligung von Unternehmen kaum eine Rolle. Einzelne Anleger, seien es private oder institutionelle, halten in der Regel einen vergleichsweise geringen Anteil am Eigenkapital einzelner Unternehmen {Mitchell /Sikka
1996, S. 2). Durch die Übertragung von Stimmrechten an Unterneh-
mensvorstände können jedoch im Prinzip ähnliche Schwierigkeiten für die Unternehmenskontrolle entstehen wie in Deutschland. Allerdings sind solche Übertragungen in
10
Gut die Hälfte der von Nicht-Finanzuntemehmen gehaltenen Aktien werden selbst verwahrt und nicht in Bankdepots gehalten {Deutsche Bundesbank 1995, S. 65).
Kapitalmärkte und Unternehmenskontrolle
437
Großbritannien nicht nur seltener, sondern auch strenger reglementiert als in Deutschland."
3.2.
Das Sparverhalten der privaten Haushalte
3.2.1.
Unternehmensfinanzierung und Unternehmenskontrolle durch private Haushalte in Großbritannien
In Großbritannien ist das langfristige Sparen stark von der individuellen Altersvorsorge geprägt. Das staatliche Rentensystem, das nach dem Krieg eingeführt wurde, war durch geringe Einheitsbeiträge und niedrige Einheitsrenten charakterisiert. Zu dem Zeitpunkt, zu dem der Grundversorgungscharakter des staatlichen Rentensystems aufgeweicht und ein staatliches, einkommensabhängiges Rentensystem eingeführt wurde, war die private Altersvorsorge über berufliche Pensionssysteme bereits fest etabliert (Davies 1993, S. 73). 1995/96 nahmen über 50% der Erwerbstätigen an beruflichen Pensionssystemen teil. Gleichzeitig hielten 25% der Erwerbstätigen Anteile an berufsunabhängigen privaten Pensionssystemen ( O f f i c e for National Statistics 1997, S. 103). Das in dieser Form gehaltene Privatvermögen nahm in den vergangenen 50 Jahren, auch im Verhältnis zum volkswirtschaftlichen Gesamtvermögen, stetig zu (Davies 1993, S. 73). Wie in vielen anderen Staaten sank auch in Großbritannien der Anteil von Aktien, die direkt von privaten Haushalten gehalten wurden (Tab. 15). Im Zusammenhang mit der Privatisierungspolitik seit 1979 nahm jedoch die Anzahl der privaten Aktionäre wieder deutlich zu. Von 1979 bis 1994 hat sich ihre Zahl von 3 Mio. auf 10 Mio. erhöht (Conservative
Party Political Studies Centre 1994, S. 17).12 Hierdurch gewann der
Aktienbesitz für die private Geldvermögensbildung ein ähnliches Gewicht wie in den Vereinigten Staaten. Gut ein Fünftel der Bevölkerung hält inzwischen Aktien.
11
Siehe Adams (1996, S. 15); Gower (1992, S. 512f.); Perlitz /Seger (1994, S. 55f.); Stapeldon (1995, S. 146-150).
12
Viele ehemals genossenschaftlich organisierten Bausparkassen sind 1997 in Aktiengesellschaften umgewandelt worden. Unter anderem deshalb ist die Zahl der Aktionäre in Großbritannien bis zum Sommer 1997 auf 16 Mio. angestiegen (Smith 1998).
438
Rebecca St rät ling
Tabelle 9: Zusammensetzung des Nettovermögens der privaten Haushalte in Großbritannien 1971
1981
1991
1995
1.207
1.459
2.658
2.830
15
17
26
34
- Wohngebäude (abzügl. Hypothekenschulden)
26
36
36
26
Nettovermögen (Mrd. £ zu Preisen von 1995) davon in %: - Lebensversicherungen und Pensionsfonds - Aktien und Anteile an Investmentfonds
23
8
11
15
- Bargeld und Sparguthaben
13
10
9
10
- Anteile an und Ersparnisse bei Building Societies13 - Nichtverkäufliche Wohnrechte
7
8
8
7
12
12
8
5
- Sonstiges Sachvermögen
10
11
5
5
- Sonstiges Finanzvermögen (abzügl. Verschuldung)
-6
-2
-3
-2
Quelle: Office for National Statistics (1997, S. 102).14
Tabelle 10:
D i e Bedeutung v o n Aktien für die Bildung von Geldvermögen privater Haushalte im internationalen Vergleich Anzahl der Aktionäre
Anteil der Aktionäre an
Anteil von Aktien am
der Gesamtbevölkerung privaten Geldvennögen Deutschland
4,2 Mio.
5%
5,5%
Großbritannien
12 Mio.
21%
15,1%
USA
51 Mio.
21%
16,6%
Frankreich
9 Mio.
16%
41,4%
Japan
11 Mio.
9%
8,9%
Quelle: Rasch (1996, S. 56).
Der Erfolg der Privatisierungen hinsichtlich des Ziels einer breiten Beteiligung der Bevölkerung an der direkten Unternehmensfinanzierung beruhte wesentlich auf neuen Formen der Massenwerbung für die Beteiligung an Emissionen, auf steuerlichen Anrei-
13
Vergleichbar den deutschen Bauspar- und Hypothekenbanken.
14
Der Rückgang des Anteils der Wohngebäude liegt am Verfall der Hauspreise seit 1988. Der rückläufige Anteil des in Aktien und Investmentfonds gehaltenen Vermögens in den siebziger Jahren ist zum einen auf sinkende Aktienkurse Anfang der siebziger Jahre, zum anderen auf ein verändertes Anlageverhalten zurückzufuhren - weg vom direkten Wertpapierbesitz hin zu indirekten Investitionen über Lebensversicherungen und Pensionsfonds {Office for National Statistics 1997, S. 102).
Kapitalmärkte und Unternehmenskontrolle
439
zen für den Erwerb von Aktien15 und für die Vergabe von Belegschaftsaktien 16 sowie auf einem starken "Underpricing" 17 der Aktien privatisierter Unternehmen. Darüber hinaus räumen viele britische Unternehmen ihren Aktionären besondere Kundenrabatte ein (Dichtl 1997, S. 169). Insgesamt ist die Bereitschaft privater Anleger gestiegen, in Aktien zu investieren, und zwar nicht nur in die von privatisierten Unternehmen (s. Rose 1989, S. 24). Ob hierdurch eine stärkere interne und externe Kontrolle der Unternehmen durch private Aktionäre erreicht wurde, wird vielfach bezweifelt. Die privaten Anleger würden häufig zuwenig von den Unternehmensgeschäften, dem Aktienmarkt und dem Aktienhandel verstehen {Rose 1989, S. 8, 24f.; CBI1990, S. 15, 32). Die Mehrheit der privaten Aktionäre konzentriert ihre Anlagen auf eine begrenzte Anzahl von Unternehmen. Die Beteiligung ist jeweils gering. Deshalb ist aus Sicht der einzelnen Aktionäre der Ertrag von Anstrengungen, sich aktiv an der internen Unternehmenskontrolle zu beteiligen, kaum erkennbar. Hinzu kommen vergleichsweise hohe Kosten des Börsenhandels für Kleinanleger (Foley 1994, S. 71). Dies führt dazu, daß private Aktionäre nur durch starke Kurs- oder Dividendenimpulse zum Kauf oder Verkauf ihrer Anteile veranlaßt werden. Dennoch können durch Mitläufereffekte breite Abwanderungs- oder Zuwanderungsbewegungen entstehen, durch die im Rahmen der externen Kontrolle erheblicher Anpassungsdruck auf die Unternehmen ausgeübt wird (s. Schüller 1978, S. 58f.). Inwieweit sich die Zunahme an Belegschaftsaktionären positiv auf die interne und externe Unternehmenskontrolle ausgewirkt hat, gilt als umstritten. Von der Beteiligung der Belegschaft am Unternehmenskapital wird eine Verminderung der Principal-AgentProbleme erhofft (Schares 1993, S. 202f.). Tatsächlich wurde in Großbritannien fiir den Zeitraum von 1992 bis 1997 festgestellt, daß Unternehmen, an denen die Manager und die übrigen Beschäftigten mit mehr als 10% des Aktienkapitals beteiligt sind, deutlich höhere Erträge erzielten, als der Durchschnitt der Aktien des britischen Börsenindex FTSE (Gardner 1998). Andererseits kann eine starke Aktienbeteiligung der Mitarbeiter, insbesondere der Manager, auch zu einer Vergrößerung des Principal-Agent-Pro-
15
Zur Steuerpolitik der achtziger Jahre siehe CBI( 1990, S. 21); Rose (1989, S. 8).
16
Siehe Conservative Party Political Studies Centre (1994, S. 32).
17
Zum Underpricing bei der Begebung junger Aktien siehe Menya/Paudyal/Inyagete S. 53-56); Barnes/Davidson / Wright (1996, S. 657).
(l 990,
440
Rebecca
Strätling
blems führen, wenn von Seiten der Mitarbeiter die Stimmrechte in der Hauptversammlung genutzt werden, um die Kontrolle durch die übrigen Aktionäre und durch den Markt für Unternehmenskontrolle zu schwächen.18
3.2.2.
Unternehmensfinanzierung und Unternehmenskontrolle durch private Haushalte in Deutschland
In Deutschland hat das System der umlagefinanzierten, beitragsbezogenen gesetzlichen Rente dazu beigetragen, daß - anders als in Großbritannien - kapitalbildende Lebensversicherungen und Pensionsfonds für die private Vermögensbildung eine geringere Rolle spielen. Das im Vergleich zu Großbritannien sehr viel höhere Beitragsund Leistungsniveau der gesetzlichen Rentenversicherung schränkt den Anreiz und die Möglichkeit zur komplementären privaten Altersvorsorge durch Kapitalbildung ein (Schneider-Lenne 1994, S. 295). Dennoch stieg in den achtziger Jahren auch in Deutschland die Bedeutung der privaten Altersvorsorge über Lebensversicherungen; die betriebliche Altersversorgung wurde ausgebaut {Deutsche Bundesbank 1993, S. 25). Tabelle 11: Anteile von Lebensversicherungen und Pensionsfonds am Privatvermögen (1988) Frankreich
Japan
USA
14,7
10,6
11,7
2,4
3,1
2,1
8,8 13,2
Großbritannien Deutschland Lebensversicherungen 21,5 Pensionsfonds 23,2 Quelle: Davies {1993, S. 73).
Ende 1995 hielten die privaten Haushalte Aktien im Kurswert von knapp 250 Mrd. DM. Dies entspricht ca. 5% des inländischen Aktienumlaufs und rund 5% des privaten Geldvermögens. Zwar nahm der Wertpapierbesitz der privaten Haushalte in der ersten Hälfte der neunziger Jahre insgesamt zu, doch war der Anteil der Aktien am gesamten Wertpapierportfolio rückläufig {Deutsche Bundesbank 1995, S. 63). An dieser Situation hat auch die erfolgreiche Plazierung von Telekom-Aktien im Wert von rund 8 Mrd. DM bei Privatanlegern kaum etwas geändert. Insgesamt haben Aktien für Privatanleger
18
Siehe Garvey/Swan (1994, S. 166); Hermalin / Weisbach (1991, S. 106f.); Schares (1993, S. 203); Walsh/Seward (1990, S. 434).
441
Kapitalmärkte und Unternehmenskontrolle
während der letzten 40 Jahre deutlich an Bedeutung verloren (Deutsche Bundesbank 1997 S.35f.; vgl. Tab. 12). Tabelle 12: Aktien im Besitz privater Haushalte in der Bundesrepublik 1960-1992 Jahr
Anteil der Aktien am Geldvermögen der privaten Haushalte
Anteil der privaten Haushalte am Aktienbesitz
1960
24,4%
30,3%
1965
13,7%
30,6%
1970
11,3%
31,3%
1975
7,3%
25,1%
1980
4,8%
21,2%
1985
7,0%
22,4%
1990
6,4%
19,9%
1991
6,0%
18,8%
1992
5,2%
17,6%
Quelle: Deutsches Aktieninstitut (1996, S. FB 07.1-5-a, FB 07.1-5-b, FB 08.1-2).
Gegenläufig hierzu entwickelt sich der "indirekte Aktienbesitz" über den Erwerb von Investmentzertifikaten. Der Umlauf solcher Fondsanteile hat sich zwischen 1989 und 1996 mehr als verdoppelt. Diese Form der Beteiligung am Produktiwermögen ist zu einem Schwerpunkt der Finanzanlagen der privaten Hauhalte geworden {Deutsche Bundesbank 1995, S. 62; 1997, S. 37; vgl. Tab. 13). Ein Grund für das zurückhaltende Aktienengagement vieler Privatanleger in Deutschland wird in dem vergleichsweise unattraktiven Risiko-Ertrags-Profil von Aktien gesehen. Bis Anfang der achtziger Jahre verlief der Kursanstieg am heimischen Aktienmarkt nur langsam, und die Erträge aus Dividendenzahlungen reichten nicht aus, um die Renditen festverzinslicher Wertpapiere zu übertreffen. Dennoch erzielten Aktienengagements über einen Anlagezeitraum von mehr als 10 Jahren seit Mitte der siebziger Jahre durchschnittlich höhere Renditen als Rentenpapiere. Allerdings wird das Anlageverhalten der privaten Haushalte am Aktienmarkt bisher stark von kurzfristigen Kursentwicklungen bestimmt (Deutsche Bundesbank 1997, S.36). In Großbritannien hingegen ließen sich, unter anderem inflationsbedingt, in der Vergangenheit durchgehend höhere Renditen aus Aktien als aus Anlagen in Rentenwerten erzielen.
Rebecca Strätling
442
Tabelle 13: Geldanlagen privater Haushalte in der Bundesrepublik
Insgesamt (in Mrd. DM) davon in %
1970
1980
1990
1995
524,3
1.483,5
3.187,6
4.647,6
- bei Banken1'
59,9
59,8
48,7
43,6
- bei Versicherungen2'
14,8
16,6
20,3
21,3
- in Aktien
10,2
4,2
5,5
5,3
- in Rentenwerten
6,8
10,3
14,1
15,9
- in Investmentzertifikaten
1.9
2,0
4,2
7,6
Private Haushalte inklusive privater Organisationen ohne Erwerbszweck; ab 1990 Gesamtdeutschland. 1) Einschließlich Bausparkassen; 2) Einschließlich Pensionskassen. Bestand am Jahresende. Quelle: Deutsche Bundesbank (1997, S. 36).
Tabelle 14: Durchschnittliche reale Jahreserträge von Aktien und Staatsanleihen in Großbritannien 1949-1988 (in %) Aktien (1)
Staatsanleihen (2)
Risikoprämien (3) = (1) - (2)
1949-1958
9,6
-3,1
12,7
1959-1968
12,5
-1,0
13,5
1969-1978
5,5
-2,0
7.5
1979-1988
12,5
6,7
5,8
1918-1988
10,4
2,2
8,2
1948-1988
10,0
0,1
9,9
Quelle: Mayer (1994, S. 185).
Ein weiterer Grund für die vergleichsweise geringe direkte Beteiligung der deutschen Bevölkerung am Aktienvermögen mag auch darin liegen, daß deutsche Aktien im internationalen Vergleich als relativ "schwer" gelten. So lag schon der durchschnittliche Emissionskurs junger Aktien 1989 bei über 400% des Nennwerts (Deutsche Bundesbank 1991, S. 24). Deutsche Aktien wiesen lange Zeit mit 100,- DM und 50,- DM eine vergleichsweise hohe Stückelung auf. Erst mit der Einfuhrung der 5,- DM-Aktie durch das zweite Finanzmarktförderungsgesetz von 1994 hat sich dies geändert (Deutsche Bundesbank 1997, S. 36f.). Der im Vergleich immer schon geringere Nenn- und Kurswert britischer Aktien kommt insbesondere privaten Haushalten bei dem Versuch der Diversifikation und Risikostreuung ihrerAnlagen entgegen. Auch wird mit geringeren Beträgen der Einstieg in das Aktiensparen erleichtert; die Hemmschwelle, überhaupt in Aktien zu investieren, wird niedriger.
Kapitalmärkte
und
443
Unternehmenskontrolle
In Deutschland spielen private Haushalte als Aktionäre eher eine noch geringere Rolle als in Großbritannien. Sie haben wenig Einfluß auf die externe Untemehmenskontrolle und beteiligen sich kaum an der internen Untemehmenskontrolle. Die überwiegende Mehrheit überträgt ihre Stimmrechte auf die Depotbanken, ohne spezifische Weisungen hinsichtlich des Abstimmungsverhaltens zu geben.
3.3.
Finanzintermediäre als Kapitalmarktakteure
Die Finanzintermediäre sind sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien die wichtigsten Kapitalgeber für den Unternehmenssektor. Während die Untemehmensfinanzierung und Unternehmenskontrolle in Deutschland entscheidend von den Banken beeinflußt wird, dominieren in Großbritannien in dieser Hinsicht die institutionellen Anleger. In Großbritannien kann deren zunehmender Einfluß auf die Untemehmenskontrolle leicht anhand der Entwicklung der Struktur des Aktienbesitzes nachvollzogen werden; die Bedeutung der Banken in Deutschland wird aus dieser Statistik nicht deutlich, da diese stark von Depotstimmrechten und Aufsichtsratsmandaten abhängt. Tabelle 15 : Aktionärsstruktur in Großbritannien 1963 -1995 (in %) 1963'»
1969"
1975»
1981"
1989"
1995J>
Private Haushalte
54,0
47,4
37,5
28,2
21,3
29,62)
Wohlfahrtseinrichtungen
2,1
2,1
2,3
2,2
2,0
-
Öffentliche Haushalte
1,5
2,6
3,6
3,0
2,0
0,2
Banken
1,3
1,7
0,7
0,3
0,9
2,3
Versicherungen
10,0
12,2
15,9
20,5
18,4
39,7
Pensionsfonds
6,4
9,1
16,8
26,7
30,4
Unit trusts
1,3
2,9
4,1
3,6
5,9
Investmentfonds/andere Finanzinstitutionen Unternehmen des Finanz- und Nichtfinanzsektors Ausland
11,3
10,1
10,5
6,8
3,2
-
5,1
5,4
3,0
5,1
3,6
4,1
7,0
6,6
5,6
3,6
12,4
13,7
-
10,4
Anmerkung: 1) Erhoben wurden die in den Untemehmensregistem eingetragenen "beneficial owners". 2) Das Deutsche Aktieninstitut (1996, S. FB_6-3) gibt als Wert fur 1995 18,0% an. Die große Differenz ist auf unterschiedliche Erhebungsmethoden zurückzuführen. Tendenziell hat sich der direkt gehaltene Anteil der privaten Haushalte am Aktienkapital zwischen 1989 und 1995 verringert. Quellen: Prentice (1993, S. 33); 3) Deutsche Bundesbank (1997, S. 29).
444
Rebecca
Strätling
Tabelle 16: Aktionärsstruktur in Deutschland 1960-1995 (in %) 1960
1970
1980
1990
1995
Private Haushalte
27
28
19
17
14,6
Öffentlicher Sektor
14
11
10
5
4,3
Banken
6
7
9
10
10,3
Versicherungsunternehmen (inkl. Pensionsund Investmentfonds) Unternehmen
3
4
6
12
20,0
44
41
45
42
42,1
Ausland
6
8
11
14
8,7
Quellen: Deutsche
3.3.1.
Bundesbank
(1991, S. 28; 1997, S. 29).
Die Banken
3.3.1.1. Banken und Unternehmensfinanzierung Im britischen Finanzsystem dominierten lange Zeit Spartenbanken. Diese spezialisierten sich auf wenige Bankleistungen, insbesondere auf das Einlagen- und das kurzfristige Kreditgeschäft. Ein großer Teil der Finanzbeziehungen wurde ohne Intermediation durch Banken direkt über den Kapitalmarkt abgewickelt oder von Finanzinstitutionen des Nichtbankensektors vermittelt (.Friedmann /Ingram /Miles
1984, S. 35f.). Bis
in die achtziger Jahre hinein war der Bankensektor in Großbritannien stark reguliert und kartelliert, die Konditionen und Finanzprodukte der einzelnen Banken unterschieden sich kaum voneinander. Mit der Deregulierung des Bankensektors und der Finanzmärkte ist zwischen den verschiedenen Banken ein lebhafter Wettbewerb entstanden." Viele Unternehmen schreiben ihre Finanzgeschäfte öffentlich aus und die Bank mit dem günstigsten Angebot erhält den Auftrag (Lomax 1994, S. 161, 175). Die Beanspruchung von Bankkrediten durch Unternehmen ist in Großbritannien im Zeitablauf in Abhängigkeit von der Zinsentwicklung starken Schwankungen unterworfen (Tab. 8). In den achtziger und neunziger Jahren stellten die Banken einen großen Teil der finanziellen Mittel für Buy-outs und Untemehmensübernahmen bereit und förderten hierdurch den Markt für Unternehmenskontrolle {Dimsdale 1994, S. 27). Als Anteilseigner von Unternehmen spielen Banken in Großbritannien kaum eine Rolle.
15
Siehe McWilliams /Sentance (1994, S. 129f.); Friedmann/Ingram/Miles
(1984, S. 36).
Kapitalmärkte und
Unternehmenskontrolle
445
D a s deutsche Finanzsystem wird traditionell von der "Universalbank" geprägt, welche die gesamte Palette der finanziellen Dienstleistungen anbietet. Diese Banken lenken den größten Teil der Finanzströme und dominieren die Kapitalmärkte (Friedmann /Ingram/Miles
1984, S. 35f.). Sie beteiligen sich nicht nur in großem U m f a n g an
der langfristigen Fremdfinanzierung (Tab. 7), sondern - über den Besitz von Aktien auch an der Eigenkapitalfinanzierung von Unternehmen. Ende 1995 hielten Banken mit 165 Mrd. D M ca. 10% der inländischen Aktienbestände. Dabei handelte es sich jeweils zur Hälfte um Beteiligungs- und Portfoliobesitz (Deutsche Bundesbank
1997, S. 39). 20
Im Gegenzug sind viele Großunternehmen an Banken beteiligt.
Die langfristigen wechselseitigen Beteiligungen von Unternehmen und Banken werden häufig, insbesondere in der angelsächsischen Literatur, positiv beurteilt. Die Banken könnten sich hierdurch besser über die Unternehmen informieren und eine wirksame interne Unternehmenskontrolle ausüben. Die Unternehmen würden durch günstigere Darlehenskonditionen und - im Falle von Finanzierungsschwierigkeiten und Absatzkrisen - durch loyale Hilfe profitieren (Vollmer 1998, S. 583f.). Durch die langfristige K u n d e n b i n d u n g würde auch der Absatz der Bankprodukte erleichtert. Allerdings sind hierfür aus volkswirtschaftlicher Sicht erhebliche negative Wirkungen in K a u f zu nehmen, zumal wenn berücksichtigt wird, daß sich innerhalb des deutschen Bankensektors, insbesondere hinsichtlich des Wertpapiergeschäfts, starke Konzentrationstendenzen zeigen. Die drei Großbanken Dresdner Bank A G , Deutsche Bank A G und C o m m e r z b a n k A G wickeln mehr als die Hälfte aller Wertpapiertransaktionen ab, verwalten 4 0 % aller Wertpapierdepots und dominieren das Wertpapieremissionsgeschäft (Perlitz / Seger 1994, S. 51-55).
3.3.1.2. B a n k e n u n d Unternehmenskontrolle
In Deutschland ist die Beziehung vieler Unternehmen zu ihren "Hausbanken" nicht nur durch die langfristige Bereitstellung von Fremdkapital und die Aktienbeteiligung 2 ' gekennzeichnet, sondern auch durch die starke Beteiligung der Banken an der internen Unternehmenskontrolle. Die Banken beeinflussen vielfach maßgeblich die Entschei-
20
Der Anteil der Aktien am Geldvermögen der Banken ist im Zeitraum von 1970 bis 1995 mit 2,5% ziemlich konstant geblieben.
21
Entweder durch direkte Aktienbeteiligung der Banken oder über den Aktienbesitz bankeneigener Kapitalanlagegesellschaften.
446
Rebecca Strätling
düngen der Hauptversammlung, des Aufsichtsrats und damit des Vorstands. Der Einfluß der Banken auf die Hauptversammlungen der Unternehmen wird dadurch begünstigt, daß in Deutschland ein Großteil der Aktionäre ihre Wertpapiere in Depots bei Banken halten und diesen Stimmrechtsvollmachten erteilen. In einer 1992 durchgeführten Untersuchung der 24 größten Unternehmen, die sich mehrheitlich in Streubesitz befanden, zeigte sich, daß die Banken in den Hauptversammlungen durchschnittlich 13,02% der Stimmrechte direkt hielten, 10,11% indirekt über bankeneigene Kapitalanlagegesellschaften kontrollierten und 60,95% im Rahmen von Depotstimmrechten vertretungsweise wahrnahmen (Adams 1996, S. 3ff.). Darüber hinaus stellten die Banken 1993 bei den 30 DAX-Gesellschaften 25% der Aufsichtsratsmitglieder, und 40% der Aufsichtsratsvorsitzenden (Adams 1996, S. 9). Das starke Engagement der Banken wird mit dem Anspruch gerechtfertigt, für alle Eigentümer und Gläubiger eine wichtige Überwachungsfunktion zu erfüllen und ein Gegengewicht zu den Vertretern der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat zu bilden (Perlitz / Seger 1994, S. 56).22 Im übrigen wird von Bankenseite gerne betont, die Abstinenz vieler Aktionäre bei der Wahrnehmung ihrer Stimmrechte sei Ausdruck ihrer Zufriedenheit mit dem Verhalten ihrer Depotbanken (kritisch hierzu: Adams 1996, S. 10). Kritiker der "Bankenmacht" beurteilen die unternehmerische Kompetenz der Bankmanager hinsichtlich der Lenkung von Nichtbanken eher skeptisch. Die Präferenz der Banken für eine möglichst große Kreditsicherheit führe zu einem risikoaversen innovationsbehindemdenVerhalten. So komme es zu ineffizienten Unternehmensdiversifikationen und zu einer restriktiven Praxis der Gewinnausschüttung. Außerdem würden Banken ihren Kontrolleinfluß nutzen, um sich und die mit ihnen verbundenen Unternehmen vor Wettbewerb zu schützen {Perlitz /Seger 1994, S. 49f., 56). Es ist nicht zu bestreiten, daß die Banken als Vertreter der Gläubiger und der Eigentümer in einem Interessenkonflikt stehen und im Rahmen der bestehenden Ordnungsbedingungen starke Anreize haben, das Interesse der Geschäftsführer an einer Ausweitung ihrer Marktmacht mit Hilfe des externen Unternehmenswachstums zu unterstützen. Nach Adams (1996, S. 10) müßten die Banken, wenn sie tatsächlich die Interessen der Eigentümer vertreten würden, sich am "Shareholder Value" orientieren. In einer Untersuchung der Stimmrechtsverteilung in 110 deutschen börsennotierten industriellen Großunternehmen stellen Perlitz / Seger (1994, S. 57-66) für die Jahre 1990 bis 22
Zur Vertretung der Arbeitnehmer in Aufsichtsräten deutscher Kapitalgesellschaften siehe Deutsche Bundesbank (1984a, S. 15f.; 1997, S. 33); Edwards/Fisher (1994, S. 258).
Kapitalmärkte
und
447
Unternehmenskontrolle
1992 jedoch fest, daß Unternehmen ohne maßgeblichen Bankeneinfluß sowohl hinsichtlich des Nettoertrags der Aktien als auch des Nettountemehmensertrags (gemessen am Untemehmensvermögen) deutlich bessere Ergebnisse erzielt haben als Unternehmen mit starkem Bankeneinfluß. Unternehmen mit starkem Engagement der Banken verzeichneten ein langsameres Umsatzwachstum, waren stärker verschuldet, zahlten höhere Zinsen und hatten eine niedrigere Eigenfinanzierungsquote. Dies wird damit begründet, daß Banken risikoavers handeln und die Fremdfinanzierung der Eigenfinanzierung vorziehen. Insgesamt 23 wird der Kontrolleinfluß der Banken als abträglich für den Untemehmenserfolg bewertet.24 Das Depotstimmrecht der Banken erleichtert den hohen wechselseitigen Beteiligungseinfluß von Unternehmen erheblich, besonders in Verbindung mit dem Engagement von Großbanken. So verfugen die Vorstände fünf großer deutscher Banken mittels wechselseitiger Beteiligung über die Mehrheit der Stimmrechte in den jeweiligen Hauptversammlungen. Tabelle 17:
Anteile bankenkontrollierter Stimmrechte auf den Hauptversammlungen der fünfgrößten deutschen Bank AGs 1992 Deutsche Bank
Dresdner Bank
Commerzbank
Bayr. Vereinsbank
Bayr. Hypo
alle zusammen
Deutsche Bank
32,07
14,14
3,03
2,75
2,83
54,82
Dresdner Bank
4,72
44,19
4,75
5,45
5,04
64,15
Commerzbank
13,43
16,35
18,49
3,78
3,65
55,70
Bayr. Vereinsbank
8,80
10,28
3,42
32,19
3,42
58,11
Bayr. Hypo
5,90
10,19
5,72
10,74
23,87
56,42
Quelle: Baums /Frame, Institutionelle Anleger und Publikumsgesellschaft, in: Die Aktiengesellschaft 3/1995, S. 106 (nach Adams 1996, S. 4).
In Großbritannien spielen die Banken hinsichtlich der internen Unternehmenskontrolle eine weitaus geringere Rolle als in Deutschland. Dabei ist zum einen ausschlag-
23
Eine Kontrolluntersuchung, bei der Unternehmen mit unterdurchschnittlichen Leistungen und Finanzierungsschwierigkeiten ausgeschlossen wurden, führte zu kaum anderen Ergebnissen (Perlitz / Seger 1994, S. 64-66).
24
Allerdings muß angemerkt werden, daß andere Untersuchungen, wie z.B. Cable (1985), zu dem Ergebnis kommen, daß sich der starke Bankeneinfluß auf deutsche Unternehmen auf deren Leistungsfähigkeit positiv auswirkt.
448
Rebecca Strätling
gebend, daß britische Banken den Unternehmen insgesamt sowohl weniger langfristiges Fremd- als auch Eigenkapital bereitstellen, zum anderen werden fremdverwaltete Wertpapierdepots in der Regel nicht bei Banken, sondern bei institutionellen Investoren gehalten. Darüber hinaus ist der Anteil selbstgehaltener Aktien in Großbritannien höher, auch wenn die Beteiligung privater Investoren an der internen Kontrolle ebenso wie in Deutschland sehr gering ist. Solange die Kredite nicht gefährdet sind, beteiligen sich Banken in Großbritannien in der Regel nicht aktiv an der internen Unternehmenskontrolle ihrer Kreditnehmer. Eher wird versucht, durch allgemeine Vertragsklauseln (z.B. bezüglich der Aufnahme weiterer Kredite und der Betätigung in bestimmten Geschäftsfeldem) oder durch Bürgschaften und andere Sicherungsformen das Kreditrisiko der Banken niedrig zu halten (Lomax 1994, S. 161, 175f.; Charkham 1994, S. 100). Auch von Unternehmensseite wird in der Regel Wert auf Unabhängigkeit vom Bankeneinfluß gelegt. Während in Deutschland der enge Kontakt zwischen Banken und Unternehmen vor feindlichen Übernahmen schützt, hat in Großbritannien das Bankensystem über die Bereitstellung finanzieller Mittel in den achtziger und neunziger Jahren die Entstehung eines dynamischen Marktes für Unternehmenskontrolle erleichtert (Dimsdale 1994, S. 27). Insofern haben die Banken indirekt einen wichtigen Einfluß auf die externe Unternehmenskontrolle.
3.3.2.
Die institutionellen Anleger
3.3.2.1. Unternehmensfinanzierung durch institutionelle Anleger Im internationalen Vergleich spielen institutionelle Anleger wie Pensionsfonds, Lebensversicherungen und Investmentfonds auf dem deutschen Kapitalmarkt, insbesondere bei der Untemehmensfinanzierung, eine bescheidene Rolle. Als Hauptgründe hierfür werden das deutsche Rentensystem, die mangelnde Tiefe des deutschen Aktienmarktes und gesetzliche Vorschriften für das Anlageverhalten von Pensionsfonds und Versicherungsuntemehmen angeführt {Deutsche Bundesbank 1997, S. 37f.; Foley 1994, S. 177). Die Altersvorsorge in Deutschland wird durch das System der gesetzlichen Rentenversicherung dominiert. Das dabei angewandte Prinzip der Umlagefmanzierung schließt eine nennenswerte Kapitalakkumulation innerhalb des Systems aus. Die ergän-
Kapitalmärkte und Unternehmenskontrolle
449
zende betriebliche Altersversorgung wird insbesondere in Großunternehmen in erheblichem Umfang aus Pensionsrückstellungen finanziert. Pensionsrückstellungen fuhren zu einer Verminderung der Nachfrage nach und des Angebots von Kapital auf dem externen Kapitalmarkt. Auf der einen Seite tragen sie somit zu einer geringeren Nutzung von kapitalbildenden Lebensversicherungen und Investmentfonds zur Altersabsicherung bei, zum anderen vermindern sie die Möglichkeiten dieser Institutionen, am Kapitalmarkt in Unternehmensanteile oder -Obligationen zu investieren. Die dadurch mitverursachte geringe Tiefe des deutschen Aktienmarktes wird als eine wesentliche Ursache für die im internationalen Vergleich geringe Neigung der institutionellen Investoren zur Aktienhaltung angesehen. 25 Die private Eigenvorsorge für das Alter stützt sich in Deutschland vor allem auf (steuerlich begünstigte) kapitalbildende Lebensversicherungen. Aufgrund von Anlagevorschriften nehmen Rentenwerte innerhalb der Portefeuilles dieser Versicherungen einen großen Raum ein. Dennoch sind ihre Aktienbestände in den vergangenen Jahren sowohl hinsichtlich ihres Volumens als auch ihres Anteils am gesamten Portefeuille kontinuierlich gestiegen. Tabelle 18:
Geldanlagen von Versicherungsunternehmen und Investmentfonds in Deutschland 1970-1995 Investmentfonds
Versicherungsunternehmen
Insgesamt in Mrd. DM davon in % - bei Banken" - in Aktien - in Rentenwerten - in Investmentzertifikaten
1970
1980
1990
1995
1970
1980
1990
1995
85,6
283,3
824,8
1332,0
10,1
44,0
228,0
529,2
13,6 9,0
28,6 5,6 19,8
36,1 13,9 14,8
37,0 15,7
8,9 49,5 41,6
8,4 28,2 63,4
11,4
6,1 24,0 62,4
15,4 12,2 0,8 3,2 8,6 - in sonstigen Forderungen2' 57,1 26,5 19,6 7,6 42,8 1,9 1) Im wesentlichen Termingelder einschl. Namensschuldverschreibungen und Schuldscheinforderungen an Banken. 2) Hypotheken, Schuldschein- und Schuldbuchforderungen sowie Beteiligungen an Nichtbanken. Bestand am Jahresende. Quelle: Deutsche Bundesbank (1997, S. 38).
25
19,6
19,5 67,1
So werden die in den Anlagevorschriften des Versicherungsaufsichtsgesetzes vorgegebenen Obergrenzen von 30% für Risikokapitalanlagen von den meisten Versicherungen gar nicht erst erreicht. Die Regelung, daß 80% des gebundenen Vermögens in Titeln der eigenen Währung angelegt werden müssen, verhindert ein Ausweichen der Versicherungen auf ausländische Aktienmärkte (Deutsche Bundesbank 1997, S. 38).
450
Rebecca
Strätling
Außerdem wurde das "mittelbare" Aktienengagement der deutschen Sparer über die Beteiligung an Investmentfonds ebenfalls deutlich ausgeweitet (Tab. 13) (Deutsche Bundesbank 1997, S. 37f.). Obgleich jedoch das Volumen der in Investmentfonds gehaltenen Aktien in den letzten 30 Jahren beträchtlich zugenommen hat, dominieren auch hier immer noch die Rentenwerte. Durch die Expansion der institutionellen Anleger und deren wachsende Neigung, in Aktien zu investieren, waren Ende 1995 immerhin schon 20% der deutschen Aktien im Besitz institutioneller Anleger (,Deutsche Bundesbank 1991, S. 28; 1995, S. 65; 1997, S. 29). In Großbritannien haben die institutionellen Investoren für die Vermögensbildung der privaten Haushalte ein erheblich größeres Gewicht als in Deutschland. Dabei ist nicht nur das Volumen des von institutionellen Investoren in Großbritannien gehaltenen Vermögens absolut und relativ gesehen größer als in Deutschland, sondern es besteht auch traditionell eine erheblich größere Neigung dieser Anleger, ihr Portefeuille mit Unternehmensbeteiligungen zu füllen. Tabelle 19:
Vermögen (Marktwert) der britischen Versicherungen und der britischen Pensionsfonds 1983-1988 Versicherungen
Insgesamt (in Mio. £)
Pensionsfonds
1983
1988
1983
1988
106.061
213.285
107.854
202.278
davon in % Wertpapiere des öffentlichen Sektors
29,7
19,5
21,2
13,5
Unternehmenswertpapiere
45,8
57,0
61,7
74,0
davon - Aktien
82,0
74,8
96,0
7,9 10,1
15,2
1,2
1,3
10,0
2,8
2,8
- Anteile an Unit Trusts - Vorzugsaktien und Obligationen Andere Investitionen (inkl. Ausland)
24,5
23,5
17,1
95,9
12,5
Erhebung jeweils zum Jahresende Quelle: Zusammenstellung nach Foley (1994, S. 179, 182).
Als wesentlicher Grund hierfür wird häufig die unterschiedliche Inflationsentwicklung genannt. Die lang anhaltende Nachkriegsinflation in Großbritannien habe für institutionelle Anleger die Attraktivität von Aktien (wegen ihrer größeren Inflationsresistenz) im Vergleich zu festverzinslichen Wertpapieren stark erhöht (Tab. 14). Dieser
451
Kapitalmärkte und Unternehmenskontrolle
Einfluß auf die Struktur ihrer Portfolios sei unverkennbar (Davies 1993, S. 72). Ein innereuropäischer Vergleich - zum Beispiel des Anlageverhaltens der Lebensversicherer in Großbritannien und Italien - zeigt jedoch, daß neben der nationalen Inflationsentwicklung auch andere Faktoren das Verhalten institutioneller Investoren geprägt haben müssen. Tabelle 20:
Kapitalanlagen von Lebensversicherungsunternehmen 1994 GB
Kapitalanlagen in Mrd. DM Festverzinsliche Wertpapiere and Darlehen Aktien und Beteiligungen Immobilien Sonstiges
1.161,6
D
F
NL
CH
I
236,4 108,4 645,6 571,9 207,2 davon Anteile in Prozent (gerundete Werte)
30
64
70
55
51
73
53 8 9
13 18 5
15 7 8
14 25 6
12 25 12
12 4 11
Quelle: GDV (nach o. V. 1997, S. 10). Dafür spricht auch, daß sich, trotz sinkender Inflationsraten, der Trend zu Untemehmensbeteiligungen bei institutionellen Investoren in den achtziger und neunziger Jahren nicht verändert hat. In dieser Zeit verzeichneten die Kurswerte von Dividendenpapieren einen starken Aufschwung. Wie in Deutschland stiegen dadurch bestehende Vermögenspositionen im Wert. Der Anreiz, sich zusätzlich an Unternehmen zu beteiligen, nahm aufgrund der guten Ertragschancen zu (Foley 1994, S. 180). In jüngster Zeit wird auch vermehrt auf die Entwicklung der Staatsverschuldung als Grund für das starke Engagement institutioneller Anleger auf dem Aktienmarkt verwiesen. Budgetüberschüsse in Großbritannien zwischen 1987 und 1990 veranlaßten die britische Regierung, Schuldtitel des Staates zurückzukaufen. Hierdurch verringerte sich das Volumen an Staatstiteln (Artis 1996, S. 183). Allerdings hatten sich die institutionellen Anleger schon vorher verstärkt vom Markt für Staatstitel (sog. "Gilts") abgewandt (Foley 1994, S. 182f.). Im Vergleich zum Aktienmarkt zeichnet sich der Markt für "Gilts" nach wie vor durch seine Tiefe und Liquidität aus. Beides sind wichtige Merkmale für institutionelle Anleger, da sie dadurch große Geschäfte abschließen können, ohne den Markt - zum eigenen Nachteil - stark zu bewegen (Foley 1994, S. 96).
452
Rebecca Sträfling
3.3.2.2. Institutionelle Investoren und Unternehmenskontrolle Ungeachtet ihrer zunehmenden quantitativen Bedeutung für den Aktienmarkt geht von den institutionellen Anlegern in Deutschland bislang kaum ein signifikanter Einfluß auf die Untemehmenskontrolle aus. Die enge finanzielle und organisatorische Verbindung vieler Investmentfonds mit den Großbanken ist eher geeignet, die vielfach überragende Stellung der Banken in den Hauptversammlungen und Aufsichtsräten noch zu stärken. In Großbritannien hingegen prägt das Verhalten der institutionellen Investoren maßgeblich die Funktionsweise der internen und externen Untemehmenskontrolle. Zeichnen sich vergleichsweise ungünstige Gewinnentwicklungen ab, versuchen die institutionellen Anleger in der Regel nicht, auf die Geschäftspolitik der betreffenden Unternehmen direkten Einfluß zu nehmen. Sie ziehen es üblicherweise vor, ihre Wertpapiere schnell zu veräußern (Dimsdale 1994, S. 22; Lomax 1994, S. 175). Es sind im wesentlichen zwei Gründe, die institutionelle Anleger davon abhalten, sich an der direkten (internen) Untemehmenskontrolle zu beteiligen. Erstens streuen institutionelle Anleger in Großbritannien in der Regel ihr Aktienvermögen über den gesamten Aktienmarkt, ganz im Gegensatz zur Anlagepolitik der deutschen Banken mit einem stark konzentrierten Beteiligungsbesitz. Britische Aktiengesellschaften befinden sich deshalb viel mehr im Streubesitz. Aktienpakete im Wert von mehr als 5% des Eigenkapitals einer Unternehmung werden von institutionellen Investoren nur sehr selten gehalten (Mayer 1994, S. 188).26 Offensichtlich schätzen die institutionellen Anleger die Vorteile einer flexiblen gewinnorientierten Portfoliopolitik höher ein als die Chance, die Geschäftspolitik bestimmter Unternehmen durch massive Bindungen direkt zu beeinflussen und daraus Nutzen zu ziehen. Der zweite Grund liegt in der rechtlichen Stellung der Direktoren in der britischen Unternehmensverfassung. Diese orientiert sich vergleichsweise stärker am Treuhänderprinzip. Die Direktoren sind lediglich dem "Wohl der Unternehmung" sowie dem Inte-
26
Die Regel, daß Aktionäre, die mehr als 30% des Aktienkapitals einer Unternehmung halten, den anderen Aktionären im Zuge des "Minderheitenschutzes" ein Übernahmeangebot für ihre Aktien unterbreiten müssen {Paul / Friend 1991, S. 119; Paul 1993, S. 147), bildet effektiv eine Höchstgrenze für den nichtbeteiligungsorientierten Aktienbesitz. Dieses Limit wird allerdings nur selten annähernd erreicht.
453
Kapitalmärkte und Unternehmenskontrolle
resse der Aktionäre als Unternehmenseigentümer verpflichtet. Entscheidungen zu Gunsten bestimmter Aktionärsgruppen oder anderer "Stakeholder" ziehen Haftungsverpflichtungen sowohl der Direktoren selbst als gegebenenfalls auch der Unternehmen nach sich, deren Interessen sie im Direktorium vertreten haben (Gower 1992, S. 140, 551- 553). 27 Das gleiche gilt für die Preisgabe oder Ausnutzung nicht allgemein zugänglicher preissensitiver Informationen über das Unternehmen durch Direktoren und Großaktionäre (Gower 1992, S. 607-642). Deshalb halten sich institutionelle Anleger zurück, wenn es darum geht, an exklusiven Beratungstreffen mit der Unternehmensleitung teilzunehmen (Tegner 1993, S. 194) oder Direktoriumsposten anzunehmen. Gleichwohl haben die institutionellen Anleger Einfluß auf die interne Untemehmenskontrolle. Dieser besteht im wesentlichen darin, eine Verdünnung der Aktienrechte zu verhindern. So wird darauf geachtet, daß keine stimmrechtslosen Aktien ausgegeben werden oder ein Verzicht auf Bezugsrechte durchgesetzt wird; beides würde die Kapitalmarktkontrolle schwächen (Davies 1993, S. 86). Sowohl das Abstimmungsverhalten institutioneller Anleger in Hauptversammlungen 28 als auch ihr Einfluß auf die Gestaltung der Regeln des Marktes für Untemehmenskontrolle 29 zeigen, daß von dieser Seite - durchaus im eigenen Interesse - die stärksten Impulse ausgehen, um die Rechte der Aktionäre in Fragen der Untemehmenskontrolle zu sichern und zu bekräftigen. So lassen die Regeln des "Takeover Codes" den Unternehmen erheblich weniger Spielraum für den Einsatz von Verteidigungsinstrumenten im Fall von Übernahmeangeboten 30 als in Deutschland oder den US/?!
Außerdem verweigern die Aktionäre in
27
Ausnahmen von dieser Regelung gelten nur bei Eröffnung eines Konkursverfahrens. Dann ist das Direktorium verpflichtet, die Interessen der "Gläubiger" vorrangig zu wahren. Auf Beschluß der Hauptversammlung dürfen in diesem Falle darüber hinaus auch Vorkehrungen für die Mitarbeiter getroffen werden (z.B. im Rahmen von Sozialplänen), auch wenn diese nicht gesetzlich vorgeschrieben sind und dem Interesse der Eigentümer zuwiderlaufen (Gower 1992, S. 551-555).
28
Dies zeigt sich z.B. auch bei Fragen der Besetzung des Direktoriums, der Aufgabenverteilung innerhalb des Direktoriums oder der Dividendenentwicklung (s. Linaker 1993, S. 108).
29
Das "Panel on Takeovers and Mergers" der Londoner Börse (ILSE), in dem auch die institutionellen Anleger der City vertreten sind, entwickelt seit den sechziger Jahren fortlaufend ein Regelwerk für den Markt für Untemehmenskontrolle. Dieser "Takeover Code" gilt für alle börsennotierten Unternehmen in Großbritannien.
30
Liegt z.B. ein Übernahmeangebot vor, darf die Geschäftsleitung ohne Zustimmung der Aktionäre nichts unternehmen, was das Angebot gefährden könnte. Dazu gehören insbesondere Entscheidungen über eine Kapitalerhöhung, über den Kauf oder Verkauf wesentlicher Unter-
454
Rebecca Strätling
Großbritannien auch regelmäßig ihre Zustimmung zu legal möglichen Strategien der Behinderung von Übemahmeangeboten (Paul 1993, S. 140).32 Es gibt allerdings auch Fälle, in denen sich institutionelle Anleger ähnlich stark wie deutsche Banken an der internen Unternehmenskontrolle beteiligen. Dies geschieht insbesondere dann, wenn in Unternehmen investiert wurde, deren Wertpapiere wenig liquide sind (Banaga/Ray / Tomkins 1995, S. 129f.). Das Kontrollverhalten der institutionellen Anleger wird durch die ökonomischen Vorteile der jeweiligen Kontrollform beeinflußt. Mit steigenden Kosten der externen Kontrolle über den Kapitalmarkt und den Markt für Unternehmenskontrolle wächst die Neigung der institutionellen Investoren, sich stärker an der internen Unternehmenskontrolle zu beteiligen.
4.
Der Einfluß des Kapitalmarktes auf die Unternehmenskontrolle Am deutschen Kapitalmarkt hat sich ein System der Unternehmenskontrolle etab-
liert, das sehr stark von Elementen einer direkten ("persönlichen") internen Überwachung der Geschäftspolitik durch Großanleger und Banken geprägt ist. Hierdurch wird die Allokation des Finanzkapitals zu einem Großteil über Verhandlungsmechanismen gesteuert. Von daher wird eine Stakeholder-Orientierung der Geschäftsleitung gefördert (,Strätling 1997, S. 6).
Der britische Kapitalmarkt hingegen ist durch eine vergleichsweise höhere Anonymität gekennzeichnet. Die Finanzanlagen sind breiter gestreut und mobiler als in Deutschland. Unternehmen sind stärker der Kontrolle durch den Preismechanismus auf den Aktien- und Rentenmärkten unterworfen und stark von der allgemeinen Bewertung der Geschäftspolitik durch eine Vielzahl aktueller und potentieller Investoren abhängig. Unternehmen, welche die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen, droht die Sank-
nehmensteile oder über die Einleitung gerichtlicher Verfahren (eine in den USA sehr beliebte und weit verbreitete Methode) gegen das bietende Unternehmen (Paul 1993, S. 139f.). 31
So hat die Fähigkeit der Manager, sich mit einem umfangreichen Arsenal an (teueren) Abwehrmaßnahmen gegen Übernahmeangebote zu wehren, in den USA zum Niedergang des "Marktes für Unternehmenskontrolle" gefuhrt.
32
Zum Beispiel "Poison Pill "-Verträge, welche nur im Falle einer Unternehmensübernahme zum Tragen kommen, aber schon abgeschlossen werden, bevor ein Angebot vorliegt.
Kapitalmärkte und Unternehmenskontrolle
455
tionierung ihrer Finanzierungspläne durch den Kapitalmarkt und die Übernahme durch konkurrierende Managementteams. Die Existenz des Marktes für Unternehmenskontrolle hat zwei Effekte. Erstens kann ein unfähiges Management ausgewechselt werden, ohne daß dies für die Mehrheit der Anleger mit Aufwendungen für die Beteiligung an der internen Unternehmenskontrolle verbunden ist. Dies ist um so wichtiger, je breiter das Vermögen der Anleger gestreut ist. Zweitens geht schon von dem Wissen, daß eine Übernahme jederzeit möglich ist, ein starker Anreiz auf die Leistungsbereitschaft des Managements aus. Dieser kontinuierliche Wettbewerbsdruck auf die Manager fuhrt einzelwirtschaftlich zu einer starken Orientierung der Geschäftspolitik am Shareholder Value. Aus volkswirtschaftlicher Sicht wird dadurch die Chance für eine effektive Ressourcennutzung verbessert (s. Barnes/Davidson
/ Wright 1996, S. 635; Hannah 1974, S. 66, 77; Jenkinson
/Mayer
1992, S. 2; Mayer 1994, S. 180, 187-189). Während Großbritannien einen im internationalen Vergleich äußerst dynamischen Markt für Unternehmenskontrolle besitzt, auf dem in den Boomphasen der späten sechziger und frühen siebziger Jahre sowie der achtziger und neunziger Jahre rund 25% der Übernahmeangebote "feindlich" waren, ist der Markt für Unternehmenskontrolle in Deutschland kaum entwickelt. Gab es allein zwischen 1984 und 1989 in Großbritannien 196 feindliche Übernahmeversuche, wurden in Deutschland zwischen 1945 und 1997 lediglich fünf gezählt (Vollmer 1998, S. 594). Die Frage, ob die starke Kapitalmarktkontrolle (insbesondere über den Markt für Untemehmenskontrolle) eine einzel- und gesamtwirtschaftlich effiziente Art der Unternehmenskontrolle darstellt, wird sowohl unter Managern als auch unter Politikern und Wirtschaftstheoretikem kontrovers diskutiert. Empirisch ist belegt, daß unbefriedigende Managementleistungen in Großbritannien härter sanktioniert werden als in Deutschland. So ergab eine Untersuchung "feindlicher" Unternehmensübemahmen in Großbritannien in den achtziger Jahren, daß innerhalb von zwei Jahren fast 90% der exekutiven und nicht-exekutiven Direktoren ausgetauscht wurden. Aber auch wenn es nicht zu feindlichen Übernahmen kommt, liegt die Rate der Entlassungen von Direktoren und Geschäftsführern in Großbritannien höher als in Deutschland {Mayer 1994, S. 189). Häufig beginnen Unternehmen, um das Risiko einer Übernahme zu vermindern, frühzeitig mit umfangreichen Umstrukturierungen
456
Rebecca Sträfling
(Barnes /Davidson / Wright 1996, S. 653). Wird in diesem Zusammenhang eine Kapitalerhöhung mittels Aktienemission für notwendig erachtet, so hat sich bei Firmen wie ASDA, Grenada, Brent Walker und Aerospace gezeigt, daß dem Gang zum Kapitalmarkt häufig eine Auswechselung der Geschäftsführung vorausgeht (Davies 1993, S. 88). Auch das zunehmende Engagement institutioneller Anleger, die Abnahme der Fremdkapitalfinanzierung und die Tendenz zur Verschlankung von Unternehmen in den achtziger und neunziger Jahren33 werden auf Impulse der Überwachung und Sanktionierung durch den Aktienmarkt und den Markt fur Unternehmenskontrolle zurückgeführt (Barnes/Davidson
/ Wright 1996, S. 651f.).
Kritiker sehen im Markt für Unternehmenskontrolle die Ursache einer kurzfristig und kurzsichtig ausgerichteten Geschäftspolitik. Um kurzfristig möglichst hohe Gewinne zu erzielen, werde zu wenig in Forschung und Entwicklung investiert (Dimsdale 1994, S. 25). Darüber hinaus würden zu hohe Dividenden ausgeschüttet, auch dann, wenn die wirtschaftliche Lage dies eigentlich nicht zuließe (Hart 1992, S. 3, 12). Ausserdem richte sich die Mehrheit der Übemahmeangebote nicht auf Unternehmen, die von einem Wechsel des Managements profitieren würden (Jenkinson / Mayer 1992, S. 3) - viele der Zielunternehmen befänden sich ohnehin kurz vor einem erfolgreichen Abschluß umfassender Restrukturierungsmaßnahmen. Geltungsbedürfnis und Einkommensinteressen von Managern und Finanzberatem34 werden neben "kreativen" Buchfuhrungspraktiken, dem Streben nach Marktmacht und konzentrationsfreundlichen Steuerregelungen als wesentliche Gründe für den boomenden Markt für Unternehmenskontrolle angesehen (Barnes / Davidson / Wright 1996, S. 653-657; Claudy o.J., S. 33f.; Hannah 1974, S. 76). 33
Während der sechziger Jahre war der "Markt für Untemehmenskontrolle" durch die Dominanz von Untemehmenszusammenschlüssen, meist konglomerater Art, gekennzeichnet. In den achtziger Jahren wurden gewinnschwache Betriebe abgestoßen, vor allem dann, wenn diese nicht zum Kerngeschäft der Unternehmung zählten. Der Verkauf von Untemehmensteilen machte fast 30% des Wertes der gesamten Umsätze am Markt für Unternehmenskontrolle aus (Barnes / Davidson / Wright 1996, S. 651).
34
Finanzberatern wird unterstellt, sie würden viele Unternehmensübernahmen in erster Linie aus Interesse an ihren Gebühren vorantreiben (Barnes/Davidson / Wright 1996, S. 656). Für Manager seien Untemehmensübemahmen - unabhängig von deren Einfluß auf die Gewinnentwicklung - attraktiv, da ihre Einkommen nachweislich eher von der Größe und dem Umsatz "ihres" Unternehmens beeinflußt würden als von seiner Gewinnsituation (s. Conyon /Leech 1994, S. 238-246; Dimsdale 1994, S. 26f.).
Kapitalmärkte und Unternehmenskontrolle
457
Die These, daß der Markt für Unternehmenskontrolle zu einer einseitigen Orientierung der Geschäftsführer an der Entwicklung der Börsenkurse und somit zu einer kurzfristig und kurzsichtig angelegten Geschäftspolitik verleite, wird vielfach abgelehnt. Es wird darauf verwiesen, daß die Aktienkurse erwartete Vorteile aus langfristig orientierten Investitionsentscheidungen widerspiegeln. 35 Deshalb würde z.B. eine Dividendenpolitik, die die langfristigen Erfolgsaussichten einer Unternehmung verschlechtern könnte, die Entwicklung der Aktienkurse negativ beeinflussen (Dimsdale 1994, S. 26). Empirische Tests in den USA lassen erkennen, daß Ankündigungen von Unternehmen, verstärkt in Forschung und Entwicklung zu investieren, den Kurswert der Aktien eher positiv als negativ beeinflussen {Marsh 1994, S. 71). Außerdem unterliegen in den USA Firmen, die wenig in Forschung und Entwicklung investieren, einem besonders hohen Risiko, übernommen zu werden (Hart 1992, S. 2). Ein weiterer Kritikpunkt am Markt für Unternehmenskontrolle knüpft bei den Kosten an, die mit Unternehmensübemahmen und Verteidigungsstrategien verbunden sind. Insbesondere Versuche einer feindlichen Unternehmensübernahme gehen oft mit einem hohen Ressourcenverzehr einher. Die Kosten für die Finanzierung von Übernahmeangeboten, die Gebühren der Finanz- und Rechtsberater, Ineffizienzen aufgrund von Instrumenten zur Abwehr von Übernahmeversuchen und die Ablenkung der Geschäftsführung vom Tagesgeschäft werden vielfach einzel- und volkswirtschaftlich als Verschwendung von Ressourcen angesehen (Dimsdale 1994, S. 25; Jenkinson
/Mayer
1992, S. 3; Linaker 1993, S. 109; Lübbert 1992, S.124f.). Empirische Untersuchungen, die sich mit der Frage beschäftigen, wie sich Aktivitäten der Untemehmensübernahme auf die Gewinnsituation einzelner Unternehmen auswirken, kommen teilweise zu unterschiedlichen Ergebnissen (Dimsdale 1994, S. 26). Insgesamt ist jedoch festzustellen, daß die Aktionäre der Zielunternehmung bei einer erfolgreichen Untemehmensübernahme ihre finanzielle Position in der Regel deutlich verbessern. 36 Die Gewinne der Aktionäre der bietenden Unternehmung fallen
35
Inwiefern Aktienmärkte langfristige Investitionen "angemessen" honorieren, ist unter Managern und Wirtschaftstheoretikern heftig umstritten. Siehe Dimsdale (1994, S. 23); Marsh (1994, S. 67-69, 83); Mayer (1994, S. 179f„ 190-192); Weedon (1993, S. 98, 103).
36
In Großbritannien haben Geschäftsführung und Direktorium erheblich weniger Möglichkeiten, sich auf Kosten der Unternehmung gegen Unternehmensübemahmen zu wehren als z.B. in den USA. Deshalb verschlechtert sich in der Regel die Gewinnsituation des Zielunternehmens nach einem erfolglosen Übernahmeversuch nicht.
458
Rebecca Sträfling
dagegen meist eher bescheiden aus, es kann auch zu Verlusten kommen. Die Ex-anteBewertung des Zusammenschlusses, sei es im Hinblick auf mögliche Synergieeffekte, staatliche Steuer- oder Subventionsvorteile, ist schon deshalb äußerst schwierig und risikobehaftet, weil es sich um einen komplexen Suchprozeß unter Ungewißheit handelt. Darüber hinaus tragen die Aktionäre der bietenden Unternehmung das Risiko, daß die Übernahme nicht gelingt. Dann stehen den Kosten weder positive Synergieeffekte noch Vorteile aus dem besseren Management der Zielunternehmung gegenüber. Geht die Übernahme schief, setzen sich die Direktoren und Manager der bietenden Unternehmung der Gefahr aus, nun ihrerseits am Markt für Unternehmenskontrolle unter Druck zu geraten. Leichtfertige Übernahmeangebote können so den Initiatoren und deren Unternehmen zum Verhängnis werden. Diese Konsequenz ist geeignet, Fehlschlägen vorzubeugen, ohne sie jedoch ganz ausschließen zu können. Es darf auch nicht übersehen werden, daß die bloße Existenz des Marktes für Unternehmenskontrolle und seine exemplarische Wirksamkeit unbewußt und ungewollt die Unternehmenskontrolle aller Unternehmen beeinflussen, die von einem Übemahmeangebot betroffen werden könnten. Dies zeigt sich im Präventiwerhalten der Geschäftsführungen. Diese versuchen, das Zustandekommen von Übernahmeangeboten rivalisierender Managementteams durch gute Leistungen zu vermeiden. Die Funktionsbedingungen des Marktes für Unternehmenskontrolle sind in Großbritannien stärker als in Deutschland von den Anforderungen einer Wettbewerbsordnung geprägt. In Deutschland fehlen weitgehend Regeln, die die Entscheidungsautonomie der Eigentümer hinsichtlich der Annahme oder der Ablehnung von Übernahmeangeboten sichern. So müssen insbesondere Aktionäre, die sich in der Minderheitsposition befinden, mit Nachteilen rechnen, weil sie bei Unternehmensübernahmen "mit weit unter dem Börsenpreis liegenden Angeboten abgespeist werden" können (Adams 1996, S. 25). Die Unternehmen sind nicht verpflichtet, allen Beteiligten die gleichen Informationen zugänglich zu machen, und es gibt auch keine Regeln bezüglich der Nichtzulässigkeit bestimmter Verteidigungsstrategien von Zielunternehmen. In Großbritannien hingegen hat das "Panel on Takeovers and Mergers" seit Anfang der sechziger Jahre einen umfangreichen Verhaltenskodex ("Takeover Code") für die Verfahrensweise bei Unternehmensübernahmen börsennotierter Unternehmen erarbeitet. Ziel dieser Regeln ist vor allem der Schutz der Aktionäre der beteiligten Unternehmen. Zu den Prinzipien des "Takeover Codes" gehören die Gleichbehandlung aller
Kapitalmärkte und
Unternehmenskontrolle
459
Aktionäre, die Sicherstellung umfassender und sachlich richtiger Informationen 37 und die Beschränkung von Übernahme- und Abwehrstrategien, 38 um die Chancengleichheit zwischen Anbieter- und Zielunternehmung zu erhalten (Paul / Friend 1991, S. 117122; Paul 1993, S. 136-148). Sofem der Staat nicht aufgrund des Wettbewerbsrechts (z.B. Monopolkontrolle) oder aus sozialen Gründen eingreift, liegt die Entscheidung des Verkaufs einzig bei den Aktionären. Diese geht fast immer zugunsten desjenigen aus, der den höchsten Preis bzw. die besten Ertragsaussichten bietet (Mayer 1994, S. 187-189). Bemerkenswert ist, daß der Ordnungsrahmen fur Unternehmensübernahmen dem aktuellen Management gute Chancen läßt, sich wirksam gegen feindliche Übernahmeversuche zu wehren. Tabelle 21 :
Feindliche Übemahmeversuche in Großbritannien pro Jahr 1984
1985
1986
1987
1988
1989
1991/92
nicht erfolgreiche Übemahmeangebote
5
13
22
15
16
13
17
erfolgreiche Übernahmeangebote Quelle: Paul (1993, S. 141).
13
17
22
15
16
13
17
Die statistisch häufigste und erfolgreichste Strategie hierfür liegt darin, die Aktionäre im Rahmen einer Neubewertung des Unternehmens davon zu überzeugen, daß sich ihre Rendite durch das Festhalten an der Anlage und die Beibehaltung des alten Managements besser entwickeln wird, als wenn sie durch Verkauf ihrer Anteile einer Übernahme zustimmen (Paul 1993, S. 142).
37
So müssen allen Aktionären und beteiligten Geschäftsführungen die gleichen Informationen zugänglich gemacht werden. Wer über 3% und mehr des Aktienkapitals einer Unternehmung verfugt, muß die jeweilige Unternehmung davon unterrichten. Ein Aufkauf von Beteiligungen "unter der Hand" ist also nicht möglich.
38
So dürfen Zielunternehmen mit Beginn der Laufzeit des Übernahmeangebots nicht mehr versuchen, das Übernahmeangebot zu gefährden, es sei denn, die Aktionäre stimmen zu. Die Geschäftsführungen müssen sich im wesentlichen auf ihre Überzeugungsfähigkeit oder die Werbung um "white knights", also konkurrierende Anbieter für eine (freundliche) Unternehmensübernahme, beschränken. Die bietenden Unternehmen müssen sich an einen Zeitplan halten (88 Tage) und allen Aktionären die gleichen Konditionen bieten. Für die erfolgreiche Übernahme müssen mindestens 50% des Aktienkapitals gewonnen werden (Paul 1993, S. 139-142). In diesem Falle muß allen übrigen Aktionären der Aufkauf ihrer Aktien zu den Übernahmekonditionen angeboten werden.
460
Rebecca
Tabelle 22:
Strätling
Verteidigungsstrategien gegen feindliche Übernahmeangebote
Verteidigungsstrategien
Anwendung bei Übernahmeversuchen
Neubewertung des Unternehmens Unternehmensrestrukturierung rechtliche/politische Hemmnisse "Poison Pills" "White Knights"
81,0% 21,4% 45,2% 11,9% 31,0%
Quelle: Paul (1993, S. 142).
5.
Unternehmenskontrolle und Wettbewerbsordnung in Deutschland und Großbritannien Die Systeme der Unternehmenskontrolle in Deutschland und in Großbritannien be-
ruhen auf historisch gewachsenen "Spielregeln" und Verhaltensweisen, die u.a. auf national unterschiedliche Bedingungen der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik zurückgehen. Für eine Beurteilung der volkswirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit der beiden Systeme interessieren die jeweiligen Besonderheiten des Zusammenwirkens von Wirtschaftsordnung und Unternehmenskontrollen. Die "bankenzentrierte" Untemehmensordnung in Deutschland geht mit einer starken Konzentration der Handlungsrechte einher. Hierauf und auf die Mitbestimmung der Beschäftigten 3 ' wird die - vor allem bei großen börsennotierten Unternehmen - stark ausgeprägte Orientierung der Managements am Stakeholder-Konzept zurückgeführt. Die Neigung zum Interessenausgleich und zur Konsensbildung wird durch die schwache Kapitalmarktkontrolle gefördert. Über Investitions- und Finanzierungspläne wird in Verhandlungen mit "Hausbanken" entschieden, die gleichzeitig Eigentümer- und Gläubigerinteressen vertreten. Vom Zusammenspiel externer und interner Unternehmenskontrolle nach deutschem Muster wird erhofft, daß die Bereitschaft der "Stakeholder" zunimmt, sich an untemehmensspezifischen Investitionen zu beteiligen (Garvey /Swan 1994, S. 158) und daß die sozialen Belange der am Produktionsprozeß unmittelbar Beteiligten besser berücksich-
39
Nach dem Mitbestimmungsgesetz von 1974 werden die Aufsichtsräte von Kapitalgesellschaften, die mehr als 2000 Arbeitnehmer beschäftigen, jeweils zur Hälfte mit Arbeitnehmervertretern und mit Eigentümervertretern besetzt.
Kapitalmärkte und Unternehmenskontrolle
461
tigt werden. Übemahmeprämien und Verteidigungsmaßnahmen werden angesichts der bestehenden internen Kontrollmöglichkeiten durch die Stakeholder als volkswirtschaftliche Verschwendung angesehen. Die wirtschaftlichen Erfolge der Bundesrepublik und Japans seit dem II. Weltkrieg werden als Indiz dafür gewertet, daß das "bankenzentrierte" System der Unternehmenskontrolle eine effizientere Nutzung und einen schnelleren Aufbau von Produktivvermögen erlaubt (s. Dimsdale 1994, S. 14). Abgesehen davon, daß in den achtziger und insbesondere den neunziger Jahren Großbritannien und die USA, die beide als Prototypen eines stärker "kapitalmarktzentrierten" Systems der Unternehmenskontrolle gelten, unter den veränderten Wettbewerbsbedingungen ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im Vergleich zu Japan und Deutschland erheblich verbessern konnten, erscheint es problematisch, die Leistungsfähigkeit eines bestimmten (ohnehin begrenzten) Systems der Unternehmenskontrolle an der Investitionsrate, dem Wirtschaftswachstum und der Beschäftigungsentwicklung einer Volkswirtschaft messen zu wollen - zu viele andere Einflußfaktoren wirken auf diese Größen ein. Femer bietet das "bankenzentrierte" System der Untemehmenskontrolle keine befriedigende Lösung für die Principal-Agent-Probleme in der Kapitalgesellschaft. Banken, verbundene Unternehmen und Arbeitnehmervertretungen leiden unter den gleichen internen Informations-, Überwachungs- und Sanktionsproblemen, wie die von ihnen intern kontrollierten Unternehmen (Garvey /Swan 1994, S. 158). Der Wettbewerb als Ansporn zur Wissensfindung und Wissensnutzung in der Untemehmensführung wird weitgehend ausgeschaltet, wodurch die Chancen sinken, auf die vielfältigen und komplexen Herausforderungen der internationalen Produkt- und Faktormärkte angemessen und flexibel zu reagieren. In Großbritannien hingegen hat sich ein beweglicheres, stärker wettbewerbsorientiertes System der internen und externen Untemehmenskontrolle entwickelt. Wettbewerblichen Anreizen und Sanktionen wird mehr Spielraum geboten, wodurch die Notwendigkeit und die Fähigkeit steigen, flexibel und vorausschauend auf die Herausforderungen der modernen Produkt- und Faktormärkte zu reagieren. Dadurch wird nicht nur die Anpassungsfähigkeit gestärkt, sondern prinzipiell auch der Marktzutritt - insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen - erleichtert. In Verbindung damit sind die Bedingungen für die Bereitschaft und die Fähigkeit zu riskanten Investitionen gunstiger zu beurteilen, zumal die "kapitalmarktzentrierte" Untemehmenskontrolle auf der Ebene
462
Rebecca Sträfling
der Finanzintermediäre die Portfoliodiversifikation und damit die Risikostreuung für die Anleger erleichtert, wie in der vorliegenden Arbeit gezeigt wurde. Das setzt voraus, daß die Aktie nicht nur zu größerer Mobilität und Flexibilität im Anlageverhalten befähigt und motiviert, sondern unter den vielfältigen Formen, in denen Vermögen entstehen und gehalten werden kann, eine gewichtige Rolle spielt. Das "bankenzentrierte" Kontrollsystem scheint dem bislang in Deutschland entgegenzustehen. Während in den vergangenen Jahren in Großbritannien die Bedeutung des Aktienmarktes sowohl für Anleger als auch für innovative kleine und mittelgroße Unternehmen weiter zugenommen hat, ist, trotz der Belebung der Aktienemissionen und einer im historischen Vergleich größeren Zahl der Börsenzutritte seit 1985, das Gewicht der Aktie im Spektrum der verschiedenen Anlagemöglichkeiten in Deutschland in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten weitgehend unverändert geblieben (Deutsche Bundesbank 1997, S. 31). Die vergleichsweise geringe Börsenkapitalisierung in Deutschland (Tab. 3) und die starke Konzentration des Börsenhandels auf einige wenige Aktien (Deutsches Aktieninstitut
1996, S. FB_06-5-a) zeigen, daß der Aktienmarkt
und seine Anreiz- und Sanktionsmechanismen im Kontext der Kapitalmarktkontrolle für den deutschen Unternehmenssektor nur eine sehr geringe Rolle spielen.
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Insiderhandel - Notwendigkeit einer Regulierung? Frank Daumann
/ Peter
Oberender
1. Problemstellung
468
2. Zum Phänomen "Insiderproblem"
469
3. Das Insiderhandelsverbot im Kontext traditioneller Argumentationsmuster
471
3.1.
Insiderhandel und die Schädigung der Nicht-Insider
471
3.2.
Insiderhandel und Kapitalmarkt
474
3.2.1.
Insiderhandel und operative Effizienz
476
3.2.2.
Insiderhandel und Informationseffizienz
478
3.3.
3.4.
Insiderhandel und das Principal-Agent-Problem in börsennotierten Kapitalgesellschaften
481
Ergebnis der Diskussion
484
4. Die Notwendigkeit eines Insiderhandels aus evolutorischer Sicht
486
4.1.
Die Marktprozesse an der Börse als evolutorisches Phänomen
486
4.2.
Folgen eines Verzichts auf ein Insiderhandelsverbot aus evolutorischer Perspektive
487
5. Fazit
489
Literatur
490
468
1.
Frank Daumann / Peter Oberender
Problemstellung Spektakuläre Insiderfälle haben seit jeher die Diskussion über die Notwendigkeit
und die sinnvolle Ausgestaltung eines Insiderhandelsverbots angefacht (Otto 1994, S. 447f.). Wurden dabei anfänglich nahezu nur juristische Argumente ins Feld geführt, so finden sich spätestens seit der Monographie Mannes (1966) zunehmend ökonomische Positionen in diesem Disput. Der deutsche Gesetzgeber hielt sich zunächst mit einer Regelung zurück und überließ das Feld der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Wertpapierbörsen, die mittels freiwilliger Verhaltensregeln der Wertpapier-Emittenten und der Kreditinstitute der Insiderproblematik Herr zu werden versuchte.1 Wenngleich ein vermeintlicher Handlungsbedarf in dieser Beziehung sich aufgrund der zunehmenden internationalen Konkurrenz und der damit verbundenen Gefährdung des Finanzplatzes Deutschland vermeintlich abzeichnete,2 reagierte der Gesetzgeber erst im Zuge der EG-Richtlinie "zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte" vom 13. November 1989 (89/592/EEC) mit der Verabschiedung des 2. Finanzmarktförderungsgesetzes. Damit wurde das "Gesetz über den Wertpapierhandel" (WpHG) eingeführt, 3 das Insiderhandelsgeschäfte unter Strafe stellt. Gegenstand dieser Abhandlung soll es sein, der Frage nach der Notwendigkeit eines Insiderhandelsverbotes nachzugehen. Hierzu wird zunächst das Insiderproblem verortet und dessen maßgebliches Charakteristikum herausgearbeitet. Im Anschluß daran werden die wesentlichen traditionellen Argumentationslinien nachgezeichnet und gewürdigt. Darüber hinaus wird geprüft, ob sich aus einer evolutorischen Perspektive ein staatlicher Handlungsbedarf in diesem Sinne ableiten läßt.
1
Siehe hierzu die Insiderhandels-Richtlinien und die Insiderverfahrensordnung.
2
So auch die Begründung für das Wertpapierhandelsgesetz. Siehe Bundestags-Drucksache 12/6679, S. 33.
3
Siehe Bundesrats-Drucksache 793/93 vom 5.11.93.
Insiderhandel - Notwendigkeit einer Regulierung?
2.
469
Zum Phänomen "Insiderproblem" Als Insiderpapiere gelten im Wertpapierhandelsgesetz in erster Linie Wertpapiere,
die "[...] an einer inländischen Börse zum Handel zugelassen oder in den Freiverkehr einbezogen sind [...]" (§ 12 Abs. 1 Satz 1 WpHG). Insider ist gemäß § 13 Abs. 1 WpHG eine Person, die aufgrund ihrer Position als Mitglied der Geschäftsführung des Emittenten, als Gesellschafter oder aufgrund ihres Berufs "[...] Kenntnis von einer nicht öffentlich bekannten Tatsache hat, die sich auf einen oder mehrere Emittenten von Insiderpapieren oder auf Insiderpapiere bezieht und die geeignet ist, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Kurs der Insiderpapiere erheblich zu beeinflussen (Insidertatsache)." Die Insidertatsache ist dabei vom Gerücht oder von der Meinung abzugrenzen; Insiderinformationen sind also Kenntnisse über Tatsachen, die hinsichtlich der Informationsqualität "einen objektiv zuverlässigen Grad" (Claussen 1994, S. 30) aufweisen, also einer intersubjektiven Überprüfung standhalten. 4 Dabei umfaßt das Verbot, die Insidertatsache auszunutzen, sowohl Primär- als auch Sekundärinsider, also Personen, die ohne Primärinsider zu sein, "Kenntnis von einer Insidertatsache [...]" haben (§ 14 WpHG). 5
Die gesetzliche Regelung erlaubt eine Beschreibung des Insiderproblems aus ökonomischer Sicht wie folgt: • Insider - sowohl Primärinsider als auch Sekundärinsider - verfugen über Informationen oder gelangen an Informationen, zu denen andere potentielle und tatsächliche Marktakteure zunächst keinen Zugang haben. • Diese Informationen haben, wenn sie öffentlich bekannt werden, einen maßgeblichen Einfluß auf den Kurs des betreffenden Wertpapieres. •
Insider nutzen nun diese Informationen, um durch die erwartete Kursveränderung mittels An- und Verkäufe dieser Wertpapiere respektive von Optionen eine Vorsprungsrente zu realisieren.
4
Im amerikanischen Insiderrecht (Meulbroek 1992, S. 1664) gilt eine Information dann als Insiderinformation, wenn ein rational handelnder Anleger, sofem er diese Information kennen würde, je nach Charakter der Information mit dem Kauf oder dem Verkauf des betreffenden Wertpapiers reagieren würde. Eine Auflistung derartiger Insidertatsachen findet sich beispielsweise in § 2 Nr. 3 Satz 2 der Insiderhandels-Richtlinien.
5
Zur juristischen Auslegung des Gesetzes siehe neben Claussen ( 1994) auch Möller ( 1994) und Assmann / Schneider (1995).
470
Frank Daumann /Peter
Oberender
Diese Sicht des Insiderproblems verlangt wiederum nach zwei existentiellen Vorbedingungen: • Der Kurs eines Wertpapiers - also dessen Preis - ist eine Resultante aus Angebot und Nachfrage. Insofern impliziert eine Konkretisierung der Insiderinformationen bzw. der Insidertatsachen die Existenz eines oder mehrerer allgemeiner Gesetze über die Preisbildung auf den Wertpapiermärkten.6 Nähert man sich dem Phänomen beispielsweise mit einer individualistischen Methode, so erfordert eine Beschreibung des Insiderproblems eine Theorie über das Handeln der Anleger im Hinblick auf Kauf und Verkauf von Wertpapieren. • Damit Insider die Kenntnis über Insidertatsachen für sich gewinnbringend verwerten können, müssen sie zudem Vorstellungen über die Auswirkungen des Bekanntwerdens dieser Tatsachen auf den Kurs haben. Diese Hypothesen sind subjektiver Natur und müssen sich, damit das Insiderhandeln von Erfolg gekrönt wird, zumindest teilweise mit der als objektiv erklärungsrelevanten Theorie der Kursbildung decken.7 Insgesamt betrachtet ist das Insiderproblem unter ökonomischen Gesichtspunkten das Ergebnis einer asymmetrischen Verteilung von Informationen, die sich auf einzelne kursrelevante Tatsachen beziehen, und deren erfolgreicher Nutzung, die wiederum die Kenntnis der Ursache-Wirkungsbeziehungen der Kapitalmarktpreisbildung bei den Informationsträger voraussetzt.
6
Nach Schneider (1993, S. 1429f.) wird bei der gesetzlichen Regelung implizit davon ausgegangen, daß eine Verarbeitung aller öffentlich zugänglichen Informationen in den Wertpapierkursen stattfindet, daß also auf dem Kapitalmarkt die halbstrenge Form der Informationseffizienz vorliegt.
1
Picot /Dietl (1994, S. 115f.) unterscheiden mit Schmidt (1985) und Manne (1966) ereignisund wirkungsbezogene Informationen. Während ereignisbezogene Informationen "sich auf den Eintritt kursrelevanter Ereignisse beziehen" und "keinen unmittelbaren Hinweis auf Art und Umfang der zu erwartenden Kursbewegungen" enthalten, haben wirkungsbezogene Informationen den Charakter von "Gesetzeshypothesen" über die Kursbildung am Wertpapiermarkt. Eine Theorie der Kursbildung erlaubt es wiederum, den Spezifitätsgrad der ereignisbezogenen Informationen zu eruieren. So beziehen sich hochspezifische Informationen auf Tatsachen, deren Bekanntwerden den Kurs eines bestimmten Wertpapiers verändern wird, und allgemeine ereignisbezogene Informationen auf Tatsachen, deren Bekanntwerden auf die Kurse einer Vielzahl von Titeln abstrahlt.
Insiderhandel - Notwendigkeit einer Regulierung?
3.
471
Das Insiderhandelsverbot im Kontext traditioneller Argumentationsmuster Der Insider handelt in einem komplexen Beziehungsgeflecht, das sich nicht auf den
Kapitalmarkt - oder in dem hier betrachteten Fall auf die Börse - beschränkt, sondern vermeintlich sowohl auf die Emittenten von Wertpapieren als auch auf die Anleger und über diese auf die gesamte Wirtschaft ausstrahlt. In der Diskussion um die Notwendigkeit und die sinnvolle Ausgestaltung eines Insiderhandelsverbotes werden nun Argumentationslinien bemüht, die sich hinsichtlich des zugrundeliegenden Wertemaßstabs und hinsichtlich des Umfangs der dargelegten Wirkungsketten sehr stark unterscheiden. In der Literatur (so etwa bei Mennicke 1996, S. 57ff. und Lahmann 1994, S. 25ff.) wird dabei vielfach zwischen einer juristischen und einer ökonomischen Bewertung des Insiderproblems unterschieden, wobei bei ersterer ein - wie auch immer gearteter - Gerechtigkeitsmaßstab und bei letzterer Effizienzkriterien 8 herangezogen werden. Entscheidend dabei ist jedoch, daß eine Bewertung vom Ergebnis, also von den Auswirkungen des Insiderhandelns, ausgehend vorgenommen wird.
3.1.
Insiderhandel und die Schädigung der Nicht-Insider
Aus dem Handeln der Insider resultiert eine vermeintliche Schädigung derjenigen Anleger, die nicht über dieses Insiderwissen verfugen. Diese Anleger müssen also einen Vermögensverlust hinnehmen und können sich "gegen diesen Schaden nicht selbst vorsehen" (Hopt / Will 1973, S. 48). Der Schutzbedürftigkeit des Anlegers Rechnung zu tragen, "ist demnach eine vordringliche soziale Aufgabe des Gesetzgebers" (Hopt / Will 1973, S. 48).9 Neben der Schutzbedürftigkeit des Nicht-Insiders wird zudem das Fehlen von Chancengleichheit beim Zugang zu den betreffenden Informationen 10 bzw. ein un-
'
Das Verhältnis dieser verschiedenen Effizienzkriterien zueinander analysiert Bienert (1996, S. 13ff.).
9
Vgl. zur Schutzbedürftigkeit des Anlegers auch Dingeldey (1983, S. 67ff.).
10
Aufgrund des nicht existenten "equal access" ist der Insiderhandel als inhärent unfair anzusehen. Vgl. hierzu Szockyj (1993). Zur "Informationsgleichheitstheorie" ("equal access theory") siehe insbesondere Hopt (1991, S. 27f.).
472
Frank Daumann /Peter Oberender
gleiches Geschäftsrisiko zwischen Insider und Nicht-Insider als Rechtfertigung für die Forderung nach einem Insiderhandelsverbot bemüht."
Die These der Schädigung einzelner Anleger - also die Konsistenz der positiven Grundlagen dieses Rechtfertigungsansatzes - ist kritisch zu beurteilen (Weber 1994, S. 13ff.). Betrachtet man den chronologischen Ablauf des Insiderproblems, so lassen sich folgende Zeitpunkte identifizieren:12 Im Zeitpunkt to wird einem kleinen Kreis von Personen, den Primärinsidern, bekannt, daß in naher Zukunft eine kursbeeinflussende Tatsache eintreten wird, die tatsächlich im Zeitpunkt t, eintritt. t 2 sei schließlich der Zeitpunkt, zu dem die Tatsache öffentlich bekannt (gemacht) wird. Unter der Annahme einer halbstrengen Informationseffizienz der Kapitalmärkte13 - im Kurs eines Wertpapiers sind also zu jedem Zeitpunkt alle relevanten öffentlich bekannten Informationen verarbeitet - würde das Wertpapier - sieht man von sonstigen Kurseinflüssen der Einfachheit halber ab - eine Zeitlang höher notieren, als sein Kurs bei einer Veröffentlichung dieser Tatsachen wäre. Erst im Zeitpunkt t2 hätten sich die Insiderinformationen vollständig im Kurs niedergeschlagen. Ein Kursabfall würde zwischen den Zeitpunkten ^ und t2 kontinuierlich durch den Insiderhandel, also durch Verkäufe von Primär- und Sekundärinsidern, erfolgen.
" Im Ansatz findet sich dieses Argument etwa bei Dingeldey (1983, S. 66). Siehe auch Otto (1993, S. 65). 12
Vereinfachend soll dabei von einer Tatsache ausgegangen werden, die bei ihrem öffentlichen Bekanntwerden einen Kursrückgang des betreffenden Wertpapieres nach sich zieht.
13
In Anlehnung an Fama (1970, 1991) lassen sich drei Formen der Informationseffizienz unterscheiden: (1) Die strenge Form der Informationseffizienz. Ein Kapitalmarkt genügt diesem Kriterium, wenn sich sämtliche existenten Informationen bereits im Wertpapierkurs widerspiegeln. Der Markt wäre also zu jeder Zeit arbitragefrei, unabhängig davon, ob sich nun die vorhandenen Informationen "richtig" im Kurs niederschlagen. (2) Die halbstrenge Form der Informationseffizienz. Hier finden sich alle öffentlich verfugbaren Informationen in den Kursen wieder. (3) Die schwache Form der Informationseffizienz. Danach sind zu jedem Zeitpunkt alle sich auf die Vergangenheit beziehenden Informationen in den Kursen enthalten. Die ursprüngliche Definition von Fama erweist sich insofern als unbefriedigend, als er nicht zwischen Bewertungs- und Informationseffizienz trennt. Vgl. hierzu bereits Beaver( 1983, S. 345ff.). Bewertungseffizienz zeichnet sich dadurch aus, daß die Wertpapierkurse dem zugehörigen Kapitalwert der abgezinsten zukünftigen Auszahlungsüberschüsse entsprechen (Tobin 1984, S. 2).
Insiderhandel - Notwendigkeit
einer
473
Regulierung?
Abbildung 1: Kursverlauf bei unterschiedlichen Regelungen hinsichtlich der Verwendbarkeit von Insiderwissen Kurs Kursverlauf bei striktem Insiderhandelsverbot
\
Kursverlauf bei Insiderhandel
'
1
Kursverlauf bei striktem • Insiderhandelsverbot und Ad-hoc-Publizität
\
1 t,
Zeit
Anleger, die nun im Zeitraum zwischen t«, und t2 dieses Wertpapier kaufen würden, müßten einen Preis bezahlen, der verglichen mit dem Kurs bei strenger Informationseffizienz zwar zu hoch wäre. Der Kurs, zu dem diese Anleger das Wertpapier kaufen würden, wäre aber geringer als der Kurs, der sich unter ansonsten gleichen Annahmen bei einem Insiderhandelsverbot ohne Ad-hoc-Publizität ergeben würde. Hier würde nämlich der Wertpapierkurs bis zur Veröffentlichung (t2) auf dem ursprünglichen Niveau verharren. Durch eine Kombination aus Insiderhandelsverbot und der Pflicht zur Ad-hoc-Publizität ließe sich allenfalls die Kurskorrektur auf den Zeitpunkt t, vorziehen. Tatsache ist jedoch, daß auch bei einer derartigen Regelung im Zeitraum zwischen ^ und t, Akteure das besagte Wertpapier kaufen und andere diesen Titel verkaufen, wobei letztere nicht unbedingt Insider sind. Der latente Vermögensverlust des Nicht-Insider-Verkäufers wird in diesem Zeitraum auf Kosten des Vermögensgewinns des Käufers verhindert. Dem vermeintlichen Schutz der einen Gruppe (hier der Verkäufer) steht somit ein Nachteil der anderen Gruppe (hier der Käufer) gegenüber. Obschon dieser Vergleich ziemlich einfach gehalten ist, zumal die entsprechenden Grenzpreise der Käufer und der Verkäufer nicht in die Überlegung eingehen (Daumann 1994, S. 574ff.), wird trotzdem klar, daß hier die Vorteile der einen Gruppe höher bewertet
474
Frank Daumann / Peter Oberender
werden als die Nachteile der anderen Gruppe von Anlegern, wobei - und das ist das Entscheidende - beide Gruppen keine Insider sind. Ungeachtet der mangelnden Stichhaltigkeit des positiven Teils des Argumentationsstrangs erscheint die normative Grundlage der damit einhergehenden Forderung nach einem Insiderhandelsverbot als sehr problematisch. Zunächst dürfte es wohl schwer fallen, selbst wenn man ein Gerechtigkeitskonzept bemüht, das auf dem Prinzip der materiellen Gleichheit beruht, zu begründen, weswegen die eine Gruppe von Anlegern vor potentiellen Vermögensschäden geschützt und bei der anderen Gruppe diese vermeintlichen Schäden einfach hingenommen werden sollen. Eine marktwirtschaftliche Ordnung zeichnet sich dadurch aus, daß der einzelne weitgehende Freiheitsspielräume besitzt, die er zur Verfolgung eigener Zielsetzungen nutzen kann. In diesem Zusammenhang kommt der Einheit von Handlung und Haftung für den Anreiz zu wirtschaftlichem Handeln ein maßgeblicher Stellenwert zu (Eucken 1975, S. 279ff). Die Einheit von Handlung und Haftung bedingt, daß der Disponierende den Erfolg, aber auch den Mißerfolg seiner Handlung selbst trägt. Eine auf Freiheit basierende Gesellschaftsordnung beruht auf einem Bild des Menschen, das sich durch die Fähigkeit zur Eigenverantwortung auszeichnet. Von einem derartigen mündigen Individuum kann erwartet werden, daß es den Kurs eines Wertpapiers nicht als einen dauerhaften Wert ansieht, sondern daß es sich der Gefahr von Kursschwankungen und der Möglichkeit von Insiderhandel mit der scheinbar daraus resultierenden Übervorteilungsgefahr bewußt wird. Der mündige Anleger kann somit selbst entscheiden, ob er sich dieser Gefahr aussetzt oder ob nicht {Oberender / Daumann 1992). Insofern kann von einer Schutzwürdigkeit des Anlegers nicht gesprochen werden. Das bedeutet zugleich, daß der Individualschutzgedanke für sich allein genommen nicht ausreicht, um ein Insiderhandelsverbot zu begründen. Aus dem gleichen Grund ist eine Rechtfertigung des Insiderhandelsverbotes wegen ungleicher Geschäftsrisiken abzulehnen. Zudem erweist sich das Handeln der Insider ebenfalls als risikobehaftet, worauf später noch einzugehen sein wird.
3.2. Insiderhandel und Kapitalmarkt Neben der Schädigung des einzelnen Anlegers wird im Rahmen der Diskussion um die Notwendigkeit eines Insiderhandelsverbotes vor allem auf die Wirkungen des Insi-
Insiderhandel - Notwendigkeit einer Regulierung?
475
derhandels auf die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte abgestellt. Ein Insiderhandelsverbot erscheint diesen Argumentationssträngen folgend dann als gerechtfertigt, wenn es der Verbesserung der Funktionen des Kapitalmarktes dient. 14 Als Hauptfunktionen der Kapitalmärkte werden zum einen die (Re-)Allokation von Kapital, also die Lenkung des Kapitals in eine effiziente Verwendung, und zum anderen die Herstellung der Kongruenz zwischen den unterschiedlichen Interessen von Anlegern und Emittenten hinsichtlich der Fristigkeit, des Betrags und des Risikos der Kapitalanlage genannt.' 5 Die Börse als organisierte Form des Kapitalmarkts stellt eine "transaktionskostensenkende Institution zur Erleichterung des Wertpapierhandels" (Rudolph / Röhrl 1997, S. 162) dar; die Effizienz ihrer Funktionserfüllung sowie eine effiziente Kapitalallokation auf allen Kapitalmärkten bedingen eine Minimierung der Transaktionskosten für die Marktteilnehmer. Damit lassen sich die wesentlichen Bedingungen für eine effiziente Kapitalallokation durch den Kapitalmarkt und durch die Börse insbesondere fassen: Zum einen muß die operative Effizienz und zum anderen die Informationseffizienz der Institution Kapitalmarkt gewährleistet sein. Operative Effizienz bedeutet dabei, daß die Transaktionen am Kapitalmarkt friktionslos, d.h. ohne Transaktionskosten vorgenommen werden können (Bienert 1996, S. 28ff.). Auf einem informationseffizienten Kapitalmarkt sind sämtliche relevanten Informationen in den Wertpapierpreisen verarbeitet, so daß Anleger, die über kursrelevante Informationen verfügen, dadurch keine Übergewinne erzielen können (Schneider 1993, S. 1429). Eine vollständige Informationseffizienz ist identisch mit einem Zustand vollkommener Information der Marktakteure. Das Vorliegen beider Bedingungen nähert den Kapitalmarkt an einen vollkommenen Markt an und sorgt damit für die Realisierung einer optimalen Kapitalallokation. 16 In der Kontroverse um die Notwendigkeit eines Insiderhandelsverbotes werden die Wirkungen des Insiderhandels auf die operative Effizienz und die Informationseffizienz unterschiedlich beurteilt.
14
Dies wird in der juristischen Literatur unter dem Aspekt des Funktionsschutzes diskutiert. Siehe Hopt / Will (1973, S. 49ff.), Dingeldey (1983, S. 64ff.) und Hausmaninger (1997, S. 18ff.). In der juristischen Diskussion des Problems werden Funktionen- und Individualschutz meist getrennt betrachtet (Hueck et al. 1976, S. 11), obgleich der fehlende Schutz des einzelnen Anlegers zu einem Vertrauensverlust führt und dieser wieder ursächlich für die Beeinträchtigung der Funktionsfahigkeit der Börse ist.
15
Eine Auflistung der Funktionen der Kapitalmärkte findet sich beispielsweise bei Loistl (1991). Siehe vor dem Hintergrund des im Rahmen der Insiderproblematik diskutierten Funktionsschutzes insbesondere Dennert (1991, S. 181) und Schmidt (1985, S. 339f.).
16
In diesem Rahmen soll die Problematik der Bewertungseffizienz ausgeklammert werden, da sich dieses Problem unabhängig von der Zulässigkeit des Insiderhandels stellt.
476
3.2.1.
Frank Daumann /Peter
Oberender
Insiderhandel und operative Effizienz
Im Hinblick auf die operative Effizienz werden im wesentlichen die folgenden Argumentationsstränge bemüht: Die Gefahr, die vom Insiderhandel auf diejenigen Anleger ausgeht, die Nicht-Insider sind, wird bei diesen ein anderes Anlageverhalten hervorrufen, als dies der Fall in einer Welt ohne Insider wäre. Für die Nicht-Insider verliert die Kapitalanlage an der Börse an Attraktivität. Entweder werden die Nicht-Insider daher ein höheres Entgelt für die Kapitalüberlassung fordern - Insiderhandel wirkt demnach wie eine Besteuerung des Wertpapierhandels - oder ganz der Börse fernbleiben.17 Daraus resultiert vermeintlich eine Abnahme der Marktliquidität, wodurch umfangreichere Orders zu vergleichsweise starken Preiseffekten führen.18 Als Folge davon ergeben sich für die Anleger wiederum höhere Transaktionskosten (Picot/Dietl 1994, S. 119ff.). In einem Market-Maker-Handelssystem führt das Auftreten von Insiderhandel darüber hinaus dazu, daß die Market-Maker versuchen, potentielle, durch den Insiderhandel bedingte Verluste mit einer Ausdehnung der Geld-Brief-Spanne zu kompensieren (King / Roell 1988). Dadurch erhöhen sich für die Anleger ebenfalls die Nutzungskosten der Institution Börse, womit eine Verschlechterung der operativen Effizienz einhergeht.19 Mit einem Insiderhandelsverbot sollen sich nun die negativen Auswirkungen auf die operative Effizienz beseitigen lassen. Tatsächlich können die Wirkungen eines Insiderhandelsverbotes auf die Höhe der Transaktionskosten positiv, aber auch negativ sein,
17
So Hopt/Will (1973, S. 49f.). Siehe auch Schörner (1991, S. 150). Zu diesen Folgen kommt auch Ausubel (1990) in seinem Modell.
18
Collins/Fabozzi (1991, S. 27) bezeichnen den Preiseffekt als "market impact", dieser stellt "[...] the difference between the execution price of a security and the price that would have existed in the absence of the trade [...]" dar.
19
Als Folgen der Erhöhung der Transaktionskosten, die durch den Insiderhandel bewirkt werden, wird neben einer Abwanderung in den grauen Kapitalmarkt (zu den sonstigen Bestimmungsgründen für die Nutzung des grauen Kapitalmarktes siehe Stemel 1995, S. 101 ff.) der Abfluß des Kapitals an andere - vornehmlich ausländische - Börsenplätze befürchtet. So erhöhte sich durch die zunehmende Institutionalisierung der Anlagen die Nutzungskostenreagibilität der Anleger bei gleichzeitiger Verbesserung der Informations- und Kommunikationssysteme. Geringe Nutzungskostenunterschiede ziehen demzufolge eine sofortige Umlenkung der Kapitalanlagen nach sich. Zu den Entwicklungslinien auf den Kapitalmärkten in jüngster Zeit siehe Rudolph /Röhrl (1997, S. 146ff.).
Insiderhandel - Notwendigkeit einer Regulierung?
All
wenn es nicht gelingt, mit dem Verbot den Insiderhandel vollständig zu beseitigen.20 Selbst wenn aber der Insiderhandel unter Strafe verboten wird - wie dies die gegenwärtige deutsche Regelung vorsieht (§§ 38f. WpHG) -, bleibt diese Gefahr latent vorhanden, da die Kontrolle und der Nachweis dieses Straftatbestandes nur sehr schwer möglich sein dürften und daher nach wie vor die Möglichkeit für die Träger von Insiderwissen besteht, dieses Wissen auch lukrativ für sich zu nutzen (Reimer 1997). Auch die Erfahrungen anderer Staaten mit relativ restriktiven einschlägigen Vorschriften lehren, daß Insidergeschäfte an der Tagesordnung sind, wobei man davon ausgehen kann, daß lediglich ein geringer Teil derselben aufgedeckt wird (Otto 1993, S. 65) und mit den zur Verfugung stehenden Mitteln auch nicht im wirtschaftlich vertretbaren Rahmen aufgedeckt werden kann. Zudem verbleibt aufgrund der Problematik, den Straftatbestand justiziabel zu gestalten, insbesondere bei der Abgrenzung des Insiderpersonenkreises und der Insiderinformation, ein großes Maß an Rechtsunsicherheit. 21 Muß aber der Anleger davon ausgehen, daß die Gefahr des Insiderhandels latent vorhanden ist, wird er trotzdem an der Forderung nach einer Risikoprämie festhalten. Das Ziel eines Insiderhandelsverbots im Sinne einer merklichen Senkung der durch den Insiderhandel induzierten Transaktionskostenerhöhung wird deshalb ebensowenig wie eine Verbesserung der Marktliquidität erreicht. Zudem ist fraglich, ob selbst eine vollständige Wirksamkeit des Insiderhandelsverbots dazu geeignet wäre, zumal hiervon vornehmlich die Marktinsider, also diejenigen Marktakteure, "die beruflich öffentlich zugängliche Informationen aus Jahresabschlüssen, Zwischenberichten bis zur Ad-hoc-Publizität studieren" (Schneider 1993, S. 1430), profitieren würden. Insofern werden die eher u n i f o r mierten Anleger, die also allenfalls nur beschränkt rational agieren können, unabhängig von der Existenz eines vollständig wirksamen Insiderhandelsverbotes ein Risikoaufgeld für die Kapitalüberlassung verlangen. Darüber hinaus erfordert die Ahndung der Insidertätigkeit die Überwachung des Wertpapierhandels und damit die Einrichtung einer Institution, die mit dieser Aufgabe betraut werden kann.22 Da eine derartige Institution Kosten verursacht und diese Kosten
20
So die Aussage von Dennert (1991, S. 186f.) für die Modelle von Kyle (1985) und Grossman / Stiglitz (1980). Vom Tenor her ähnlich Rudolph (1994, S. 1338).
21
So bereits Pflster (1981, S. 339f.). Für die deutsche Regelung siehe o. V. (1995).
22
Infolge der Einfuhrung des WpHG wurde dafür das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel geschaffen (§§ 3ff. WpHG).
478
Frank Daumann / Peter Oberender
sinnvollerweise den Akteuren des Wertpapiermarktes auferlegt werden sollten,23 scheint die Aussage, daß mit der Einführung des Insiderhandelsverbots eine Effizienzsteigerung des Kapitalmarktes verbunden sei, nicht mehr haltbar. Die mit den Kosten belasteten Marktakteure werden versuchen, zumindest Teile davon zu überwälzen, wodurch sich wiederum die Nutzung der Institution verteuert. Sofern die Kontrollkosten über Steuermittel aufgebracht werden, wird eine vermeintlich effiziente Kapitalallokation über den Kapitalmarkt mit Ineffizienzen in anderen Bereichen erkauft. Berücksichtigt man zudem die Ineffizienz einer Überwachungsbehörde, dürften die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten eines Insiderhandelsverbots bei weitem dessen volkswirtschaftlichen Nutzen übersteigen. Ein Insiderhandelsverbot läßt sich somit auf Grundlage der Wirkungen auf die operative Effizienz nicht rechtfertigen.
3.2.2.
Insiderhandel und Informationseffizienz
Wie bereits oben Erwähnung fand, bedeutet strenge Informationseffizienz, daß alle existenten kursrelevanten Informationen jederzeit im Kurs des Wertpapiers verarbeitet sind. Auf Kapitalmärkten, die durch die strenge Form der Informationseffizienz charakterisiert wären, existierte jedoch kein Insiderwissen, das sich für die Realisierung eines Übergewinns nutzen ließe (Schneider 1993, S. 1429f.). Insofern ist davon auszugehen, daß der Argumentationsstrang, auf dessen Grundlage die Notwendigkeit eines Insiderhandelsverbotes hergeleitet wird, allenfalls das Vorhandensein einer halbstrengen Informationseffizienz impliziert. Die Argumentationskette, die zu einer Rechtfertigung des Insiderhandelsverbotes bemüht wird, lautet etwa wie folgt: Der Primärinsider gelangt in den Genuß der Insiderinformation und nimmt daraufhin Transaktionen am Kapitalmarkt vor, die es ihm erlauben, Übergewinne zu erzielen. Aufgrund der begrenzten Markttiefe, also des Umfangs der Order, die getätigt werden können, ohne daß sich der Kurs verändert (Rudolph / Röhrl 1997, S. 178), wird der Primärinsider diese Transaktionen eher zögerlich vornehmen, um einen zu starken Preiseffekt zu vermeiden. 24 Dieses "geräuschlose Vorgehen"
23
Vgl. hierzu die Regelung im § 11 Abs. 1 WpHG, wonach die Kosten des Bundesaufsichtsamtes zu 75 Prozent von den inländischen Kreditinstituten, zu 5 Prozent von den Maklern und zu 10 Prozent von den inländischen Kapitalemittenten getragen werden müssen.
24
Der insbesondere durch Blockorders hervorgerufene Preiseffekt läßt sich unter Umständen mittels technischer Analysemethoden aufdecken, wodurch auch Nicht-Insider zu einer
Insiderhandel - Notwendigkeit einer Regulierung?
479
{Rudolph 1994, S. 1342) bedingt, daß der Primärinsider die Informationsweitergabe an Sekundärinsider solange hinauszögert, bis er die von ihm beabsichtigten Markttransaktionen durchgeführt hat {Mennicke 1996, S. 72; Brudney 1979, S. 345 und Schotland 1967, S. 1448f.). Erst nach Abschluß seiner Transaktionen wird der Primärinsider die Informationen öffentlich zugänglich machen oder veräußern. Insofern verbessert der Insiderhandel nicht die Informationseffizienz des Marktes; vielmehr erwirkt er einen negativen Effekt, da die Nicht-Insider ihr Marktengagement reduzieren und auf diese Weise weniger Informationen in die Kurse einfließen {Rudolph 1994, S. 1342). Die in dieser Argumentationskette beschriebenen Wirkungen des Insiderhandels auf die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung in den Kursen und auf den Umfang der sich im Kurs niederschlagenden Informationen müssen korrigiert werden. So sprechen gegen eine stark verzögerte Informationsverarbeitung infolge des "geräuschlosen" Handelns durch die Insider die folgenden Gesichtspunkte: 25 1) Die Insiderinformation verliert durch die Nutzung infolge des Preiseffekts, also der Absorption dieser Information im Wertpapierkurs, an Wert für den Insider. Je mehr Zeit sich der Insider nimmt, um seine Transaktionen gleichsam "geräuschlos" durchzuführen, desto größer ist die Gefahr, daß andere Akteure ebenfalls die Information erhalten oder dieselbe veröffentlicht wird {Manne 1966, S. 104). 2) Eine schnelle Nutzung der Information ungeachtet des damit verbundenen Preiseffekts ermöglicht es dem Insider, diese Information an andere Marktakteure zu veräußern, die damit ebenfalls noch Übergewinne realisieren können. 26 3) Sobald der Insider seine Dispositionen vorgenommen und die Informationen weiter veräußert hat, ist er an einer unverzüglichen Aufdeckung der zugrundeliegenden Tatsachen interessiert, um das Risiko einer Kompensation durch andere kursrelevante Entwicklungen zu schmälern.
Handlung bewogen würden, die sie ansonsten nur unter Kenntnis der Insiderinformation vornehmen würden. 25
Die folgenden Aussagen gelten gleichermaßen für Primär- und Sekundärinsider.
26
Zu dieser Überlegung und zur damit verbundenen Problematik des Informationsbewertungsparadoxons vgl. Picot /Dietl (1994, S. 116ff.).
480
Frank Daumann /Peter
Oberender
4) Selbst die Vorschrift zur Ad-hoc-Publizität bei gleichzeitigem Insiderhandelsverbot würde nicht fiir eine schnellere Informationsverarbeitung sorgen, da das Insiderhandeln zu großen Teilen bereits mit Absehbarkeit des Eintretens der Insidertatsachen erfolgt (oben als t,, bezeichnet), die Ad-hoc-Publizität aber erst zum Zeitpunkt des tatsächlichen Eintretens der Tatsachen (oben als t[ bezeichnet) greifen würde. Ein alleiniges Insiderhandelsverbot wäre zudem in diesem Zusammenhang eher als nachteilig anzusehen, da die Suche nach Umgehungsmöglichkeiten - etwa in Form der Nutzung von Strohmännern - die Diffusion des Insiderwissens noch weiter verzögern würde (Demsetz 1969, S. 13f.). Der Insiderhandel und die damit verbundene Diffusion des Insiderwissens bewirken eine kontinuierliche Anpassung des Wertpapierkurses an die neuen Verhältnisse, schon bevor die Insidertatsachen veröffentlicht werden. Insofern schlagen sich die Insiderinformationen zeitlich früher im Kurs nieder, als dies ohne den Insiderhandel der Fall wäre. Damit verbessert sich die Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit des Wertpapiermarktes. Im Hinblick auf die Breite der in den Kurs einfließenden Informationen wird bei dem oben angeführten Argumentationsstrang vernachlässigt, daß der Insider Kosten aufwenden muß, um in den Besitz der relevanten Informationen zu gelangen. Diese ihm entstehenden Suchkosten wird er nur auf sich nehmen, wenn er sich von der Nutzung des gefundenen Wissens einen Übergewinn erwartet, der nicht nur die Suchkosten zu kompensieren geeignet ist. Ein restriktives und wirksames Insiderhandelsverbot würde die Gewinnaussichten schmälern respektive vollständig beseitigen. Die Folge davon wäre, daß vor allem Primärinsider die Suche nach verwertbaren Informationen einstellen würden. Auf diese Weise würden bestimmte Kenntnisse über kursrelevante Tatsachen, an deren Geheimhaltung das betreffende Unternehmen ein großes Interesse hat, überhaupt nicht den Akteuren am Kapitalmarkt bekannt werden (Picot / Dietl 1994, S. 117f.). Insofern läßt sich kein eindeutiger Effekt des Insiderhandels auf die Breite der in die Kurse einfließenden Informationen feststellen. Insgesamt gesehen kann somit konstatiert werden, daß sich vor dem Hintergrund der Auswirkungen des Insiderhandels auf die Informationseffizienz keine Notwendigkeit eines Insiderhandelsverbotes begründen läßt (Weber 1994, S. 93ff.).
Insiderhandel - Notwendigkeit einer Regulierung?
3.3.
481
Insiderhandel und das Principal-Agent-Problem in börsennotierten Kapitalgesellschaften
Die nachfolgenden Überlegungen beziehen sich auf Aktiengesellschaften, die sich vornehmlich Eigenkapital über den Kapitalmarkt beschaffen. Kennzeichen dieser Kapitalgesellschaften ist die Trennung von Eigentum, das bei den Aktionären liegt, und wirtschaftlicher Disposition, die in der Regel von nicht zum Kreis der Eigentümer gehörenden Managern wahrgenommen wird. Aus dieser Konstellation der Handlungsrechte resultiert ein klassisches Principal-Agent-Problem. 27 Die Existenz dieses Principal-Agent-Problems bietet in dreifacher Weise Ansatzpunkte, um die Notwendigkeit eines Insiderhandelsverbotes zu beurteilen: 1) Aus der Möglichkeit zum Insiderhandel resultieren Anreize, die geeignet sein können, das Principal-Agent-Problem in Kapitalgesellschaften zwischen dem Management und den Kapitaleignem zu lösen. So stellen nach Manne (1966, S. 111 ff.)28 die Insidergewinne eine spezifische Form der Entlohnung für das Management dar und reizen dieses zu unternehmerischen Verhalten im Sinne Schumpeters
(1964,
S. lOOff, 11 Off.; 1928) an. Ein Insiderhandelsverbot ist aus diesem Grund abzulehnen. 2) Der Insiderhandel erschwert die Übernahme von Aktiengesellschaften durch andere Unternehmen. Sobald Insider die Kenntnis über eine bevorstehende Unternehmensübernahme zu ihren Gunsten ausnützen, ergibt sich daraus ein Kurseffekt, der die Übernahme erschwert oder gar verhindert (Engel 1991, S. 401; Schörner 1991, S. 209f.). Eine wirksame Kontrolle des Managements durch den Kapitalmarkt wird auf diese Weise unterbunden. 29 Ein Insiderhandelsverbot würde vor diesem Hintergrund das Entstehen bzw. die Ausweitung eines ineffizienten internen Kapitalmarktes erschweren und zum anderen die Aussonderung eines unfähigen Managements begünstigen. Die Trennung von Eigentum und wirtschaftlicher Disposition, die be-
27
Siehe Fama (1980), Fama /Jensen (1985) und Jensen / Meckling (1916). Zur Struktur von Principal-Agent-Problemen siehe vornehmlich Arrow (1985).
28
Ahnlich auch Carlton /Fischet (1983). Eine Weiterentwicklung der Argumente von Manne findet sich bei Demsetz (1969, 1986), der Insidergewinne als Kompensation fur spezifische Investitionen des Managements in Humankapital betrachtet.
29
Zum Markt für Unternehmenskontrolle siehe beispielsweise Alchian (1969) und Jensen /
Ruback (\9S3).
482
Frank Daumann / Peter Oberender
gleitet wird von unterschiedlichen Zielsetzungen der Eigentümer und des Managements, sowie das existierende Recht der Unternehmung, allen voran die Rechnungslegungsvorschriften, erlauben es den Managern, den firmenintemen Kapitalmarkt zu erweitern und dadurch ihre Position abzusichern. Auf diese Weise wird ein aus Sicht der Eigentümer ineffizientes Management in die Lage versetzt, Kapital in Verwendungen zu lenken, die bei einer direkten und effizienten Kontrolle durch effiziente externe Kapitalmärkte nicht bedacht würden, zumal auf diese Weise negative Verbundeffekte entstünden.30 Aus diesem Vorgehen würde ein aus dem Wertpapierkurs abgeleiteter Gesamtunternehmenswert resultieren, der geringer wäre, als der Zerschlagungswert des Unternehmens. Diese Differenz lockt "Raider" an, die das Unternehmen kaufen und anschließend mit Gewinn zerschlagen würden. Die Unfähigkeit des Managements schlägt sich ebenfalls in einem Absinken des Untemehmenswertes und damit der Kurse nieder. Insofern besteht auch hier ein Anreiz für große Anleger, das Unternehmen aufzukaufen und das Management auszutauschen, wodurch sich wiederum der Kurswert erhöhen würde. 3) Die Möglichkeit, aus Insiderhandel exorbitante Profite zu erzielen, könnte das Management veranlassen, Handlungen mit diesem Ziel durchzuführen, die jedoch die Gesellschaft in einer nicht unerheblichen Weise schädigen. ad 1: Die von Manne explizierte Anreizwirkung setzt die Leistungsbezogenheit der Insidergewinne voraus. Diese ist jedoch nicht zwangsläufig gegeben. Damit sich ein derartiger Anreiz wirksam entfalten kann, muß ein direkter Zusammenhang zwischen dem Erfolg der unternehmerischen Leistung des Managers und der Höhe des Insidergewinns vorhanden und dieser auch vom Management antizipierbar sein. Dies ist jedoch nicht der Fall (Scott 1980, S. 808; Easterbrook 1981, S. 332; Williamson 1969, S. 31 Off.; Lenel 1987, S. 157f. Kritisch auch Hopt 1995, S. 355ff). Der Insidergewinn hängt vielmehr von einer Vielzahl anderer dominierender Faktoren wie der Marktbreite, des eingesetzten Kapitals etc. ab. Zudem wird bei einer Entgeltkomponente via Insiderhandel nicht zwangsläufig die unternehmerische Leistung belohnt, sondern vielmehr die Entdeckung respektive der Zugang zu Insidertatsachen (Scott 1980, S. 809). In den Besitz der Insiderinformationen können jedoch neben innovativen Managern auch andere Personen gelangen, die von diesem Anreiz keinesfalls profitieren sollten. Diese Streuwirkung hat zudem wieder eine Verminderung des Entgelts des innovativen
30
Diese Thesen sind der Managementtheorie der Firma entlehnt, die auf Berle/Means (1932) zurückgeht.
483
Insiderhandel - Notwendigkeit einer Regulierung?
Managers zur Folge, da die Transaktionen der "nicht-unternehmerischen" Insider entsprechende Kursveränderungen nach sich ziehen. Ob gar Mißmanagement mit Insiderhandelsgewinnen belohnt wird (Hopt / Will 1973, S. 42), scheint jedoch mehr als fraglich zu sein.31 Insgesamt gesehen stellt sich jedoch die von Manne beschriebene Anreizwirkung allenfalls zögerlich ein; als Rechtfertigung kann dieses Argument freilich nicht dienen, da den Unternehmen wesentlich wirksamere Anreizmechanismen zur Verfügung stehen.32 ad 2: Ein Insiderhandelsverbot mit den negativen Auswirkungen auf den Markt für Untemehmenskontrolle begründen zu wollen, erscheint unter verschiedenen Gesichtspunkten als nicht haltbar. Zunächst ist in der Literatur überhaupt strittig, ob dieser Markt - selbst ohne Insiderhandel - überhaupt die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen kann. 33 So sind verschiedene wirksame Strategien möglich, um eine unfreundliche Übernahme zu verhindern und damit die vermeintlich disziplinierende Wirkung dieses Marktes außer Kraft zu setzen (Schwegmann /Pfaffenberger
1991). Zudem erweist sich
das angesprochene Principal-Agent-Problem nicht als ein originäres Problem des Kapitalmarktes, das es auch dort zu lösen gilt, sondern als eines der Untemehmensverfassung und der Rechnungslegungsvorschriften. Wenn also erreicht werden soll, daß interne Kapitalmärkte austrocknen, dann sind die Möglichkeiten der Innenfinanzierung und vor allem die Bildung stiller Reserven via Rechnungslegungsvorschriften und Unternehmensrecht entsprechend zu ändern. Ein unmittelbar am Kapitalmarkt ansetzendes Insiderhandelsverbot läßt sich damit jedoch nicht begründen. ad 3: Verneint werden kann nicht, daß sich für das Management starke Anreize ergeben, Handlungen zum Schaden der Gesellschaft vorzunehmen, die es erlauben, sich durch hohe Insidergewinne selbst zu bereichern. Ein wirksames Insiderhandelsverbot wäre in der Lage, diese Anreize zu reduzieren, wenngleich sämtliche Ausweichmöglichkeiten - wie beispielsweise die Zwischenschaltung von Strohleuten - sicherlich nicht beseitigt werden könnten. Jedoch auch hier ist es sinnvoll, dieses Problem über eine entsprechende Korrektur der Unternehmensverfassung zu lösen, was sich als wesentlich wirksamer erweisen dürfte, zumal sich entsprechende Ausweichhandlungen bereits im Vorfeld nicht eröffnen. 31
Zu den entsprechenden Argumenten siehe Picot / Dietl (1994, S. 123f.).
32
Zur Diskussion derselben siehe Weber{1994, S. 188ff.).
33
Zur Kritik siehe insbesondere Lenel (1987, 1992) und Paul (1992, S. 494ff.).
484
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Die zur Begründung oder zur Ablehnung eines Insiderhandelsverbotes vorgebrachten Argumente, die vornehmlich auf die Beseitigung des angeführten Principal-AgentProblems abzielen, müssen, selbst wenn sie stichhaltig wären, als Rechtfertigung abgelehnt werden. Hierbei werden nämlich Mängel der bestehenden Unternehmensverfassung herangezogen, um zu rechtfertigen, ob ein Insiderhandelsverbot eingeführt oder auf dessen Einführung verzichtet werden sollte. Eine Volkswirtschaft stellt ein komplexes Beziehungsgeflecht dar; staatliche Eingriffe in dieses Geflecht können zu umfangreichen Nebenwirkungen fuhren, die nicht unbedingt ex ante qualifizierbar und noch weniger quantifizierbar sind. Aus diesem Grund müssen wirtschaftspolitische Maßnahmen möglichst unmittelbar wirken. Eine Beseitigung des in vielen Kapitalgesellschaften inhärenten Principal-Agent-Problems wäre demzufolge nicht über den Kapitalmarkt, sondern über das Unternehmensrecht zu lösen. Eine Aussage wie: "Sollten Insider-Gewinne tatsächlich wie eine Leistungsentlohnung interpretiert werden können und kämen der vertraglich vereinbarten Erlaubnis zur Vornahme von InsiderGeschäften die oben dargestellten Vorteile der Kostenersparnis und effizienten Allokation der property rights wirklich zu, so wären dieses starke Argumente gegen die gesetzliche Regelung des Insiderhandels [...]" (Mennicke 1996, S. 63), muß daher zurückgewiesen werden. 34
3.4.
Ergebnis der Diskussion
Mit den vorgebrachten Argumenten läßt sich die Notwendigkeit eines Insiderhandelsverbotes nicht begründen, 35 zumal auch eine eindeutige Quantifizierung der Vorund Nachteile einer derartigen Vorschrift bis jetzt noch aussteht {Picot / Dietl 1994, S. 126). So erscheinen die ökonomischen Rechtfertigungsversuche, die sich auf Effizienzüberlegungen stützen, vor allem deshalb als nicht stichhaltig, da dabei die Tatsache übersehen wird, daß die wirkungsvolle Überwachung und Durchsetzung eines Insiderhandelsverbotes selbst hohe Kosten verursacht und diese den Marktteilnehmern aufgebürdet werden müssen. Ungeachtet der Defizite der in diesem Zusammenhang bemühten Modelle - allen voran ist in diesem Zusammenhang ihre Realitätsferne zu nennen - steht also die Inte-
34
Vom Tenor her ähnlich Hopt (1995, S. 356f.).
35
So beispielsweise Engel (1991, S. 405f.) und Lahmann (1994, S. 188).
Insiderhandel - Notwendigkeit einer Regulierung?
485
gration der Kontrollkosten noch aus. Ob die durch den Insiderhandel induzierten Transaktionskosten auf dem Kapitalmarkt höher sind als die Kosten der wirksamen Durchsetzung eines Insiderhandelsverbotes, scheint mehr als fraglich zu sein. Zumindest dürfte durch eine Berücksichtigung der Kontrollkosten den Befürwortern eines Insiderhandelsverbotes die Argumentation erheblich erschwert werden. Müssen die Argumente, die die Wirkungen des Kapitalmarkts auf das untemehmensinterne Beziehungsgeflecht zum Gegenstand haben und die zur Begründung oder Ablehnung eines Insiderhandelsverbotes bemüht werden, als originäre Probleme der Unternehmensverfassung abgelehnt werden, die es auch dort zu lösen gilt, so läßt auch die Begründung über die Schädigung des einzelnen Anlegers die notwendige Stringenz vermissen. Insiderhandel mag zwar zur Schädigung einzelner Anleger fuhren, begünstigt aber auf der anderen Seite auch Anleger, die nicht über Insiderwissen verfugen. Zudem ist das beim Anlegerschutz implizierte Menschenbild nicht mit dem einer marktwirtschaftlichen Ordnung vereinbar. Darüber hinaus existieren Informationsasymmetrien auf vielen Märkten, ohne daß diese Märkte dadurch der Gefahr des Zusammenbruchs ausgesetzt sind; vielmehr sind derartige Asymmetrien in der Informationsausstattung der Akteure die Voraussetzung für das Entstehen wettbewerblicher Prozesse und auch zugleich deren Ergebnis (Oberender /Daumann
1992, S. 261). Ihnen kommt also in einer marktwirtschaftlichen Ord-
nung gleichsam konstituierender Charakter zu. Insofern kann das alleinige Vorliegen einer derartigen Asymmetrie keinen staatlichen Handlungsbedarf rechtfertigen, zumal die Kapitalmarktakteure in der Lage sind, sich vor den vermeintlich negativen Folgen des Insiderhandelns - sei es durch Fernbleiben des Marktes oder sei es durch die Forderung eines Risikoäquivalents - selbst zu schützen. Insgesamt hat sich gezeigt, daß sich die bemühten traditionellen Argumentationsstränge als nicht stichhaltig erweisen, um die Einführung eines Insiderhandelsverbotes zu rechtfertigen.
486
4.
Frank Daumann /Peter Oberender
Die Notwendigkeit eines Insiderhandelsverbot aus evolutorischer Sicht Wendet man sich einem evolutorischen Verständnis der Marktprozesse zu, ergeben
sich hinsichtlich der Notwendigkeit eines staatlichen Insiderhandelsverbotes ähnliche Aussagen.
4.1. Die Marktprozesse an der Börse als evolutorisches Phänomen An den Wertpapierbörsen handeln ebenso wie auf allen anderen Märkten Akteure, die sich hinsichtlich ihrer Informationsausstattung in bezug auf marktrelevante Tatsachen und hinsichtlich der subjektiven Interpretation dieser Tatsachen beträchtlich unterscheiden können (von Hayek 1969b, S. 171; 1976). Unterschiedliche, subjektiv als richtig erachtete Ursache-Wirkungsbeziehungen fuhren dazu, daß eine bestimmte Tatsache von den einzelnen Individuen im Hinblick auf ihre Wirkung auf den Kurs unterschiedlich beurteilt wird. So werden beispielsweise Veränderungen auf den Märkten einzelner Emittenten von den Akteuren unterschiedlich eingeschätzt, wodurch sich zwangsläufig voneinander abweichende individuelle Grenzpreise für den Erwerb eines bestimmten Titels ergeben. Da die Erwartungen im Hinblick auf die Entwicklung eines Emittenten subjektiv geprägt sind, läßt sich auch das Marktergebnis, also der Kurs des Wertpapiers zu einem ausgewählten Zeitpunkt, nicht vorhersagen und auch nicht mittels objektiver Effizienzkriterien messen. Und eben gerade Bewertungseffizienz, also die Bewertung der Anteile als Kapitalwert der zukünftigen Ausschüttungen, verlangt nach einer weitgehenden Kongruenz der individuellen Einschätzungen. Die Interaktion von Anlegern mit unterschiedlichen Informationsausstattungen und Hypothesen konstituiert den Kapitalmarkt als komplexes Phänomen, in dem eine Vielzahl von Faktoren Einfluß auf die Kursbildung ausübt.36 Ursache-Wirkungszusammenhänge können daher allenfalls die Form von Musteraussagen aufweisen (von Hayek 1972, Graf 1978). Sicherlich läßt sich die Wirkung des Eintretens einer konkreten Tatsache auf den Kurs eines Wertpapiers der Tendenz nach bestimmen, wobei jedoch das Hinzutreten anderer Ereignisse auch diese Tendenz überlagern kann. Aus diesem Grund muß auch ein vermeintlich zwangsläufiger Zusammenhang zwischen der Kenntnis von Insidertatsachen und der Realisierung eines Insidergewinns verneint werden. 36
Nach von Hayek (1969a, S. 224ff.) handelt es sich dabei um eine "Katallaxie". Vgl. auch von Hayek (1969c).
Insiderhandel - Notwendigkeit einer Regulierung?
487
Somit bleibt ein Handeln auf dem Kapitalmarkt und an der Börse insbesondere, selbst wenn es unter Kenntnis von vermeintlichen Insiderinformationen erfolgt, risikobehaftet (Oberender /Daumann
4.2.
1992, S. 262).
Folgen eines Verzichts auf ein Insiderhandelsverbot aus evolutorischer Perspektive
Ist es dem einzelnen Anleger bewußt, daß auf dem Kapitalmarkt Akteure handeln, die über bessere Informationen hinsichtlich Umfang und Qualität verfugen, so wird er diesen Sachverhalt und das Auftreten von Insidern insbesondere bei seinen Handlungen berücksichtigen. Der Anleger wird also durchaus, wenn er für sich eine Schädigung durch die Marktteilnahme von Insidern vermutet, der Börse fern bleiben, auf andere Formen der Kapitalanlage ausweichen oder aber ein Entgelt für das subjektiv höher eingeschätzte Risiko verlangen. Für den einzelnen Anleger kann also, bedingt durch den Insiderhandel, ein höherer Informationsbedarf entstehen, der wiederum zu höheren Transaktionskosten fuhrt. Sehen die Emittenten die Beschaffung von Eigenkapital durch das Insiderproblem als gefährdet oder als sehr stark verteuert an, werden sie Vorkehrungen treffen, um die Verwendung von Unternehmensintema zum Zwecke des Insiderhandels zu unterbinden. Denkbar sind dabei Veränderungen des disponiblen Teils der Unternehmensverfassung oder aber die Einfuhrung entsprechender Verwendungsverbote in die Dienstverträge, die durch wirksame Sanktionen abgesichert sind. Wenn die Emittenten den Anlegern signalisieren, daß sie besondere Schutzmaßnahmen gegen die Verwertung von Unternehmensintema in dieser Hinsicht durchfuhren, werden die Anleger eine differenzierte Bewertung der einzelnen Wertpapiere vornehmen. Bei Emittenten, die diesen Schutz glaubhaft darstellen können, werden die Anleger von einem insiderrisikobedingten Aufgeld absehen.37 Sofern damit die Komplexität der entscheidungsrelevanten Größen für den Anleger und dadurch auch dessen Informationsbedarf zunimmt, werden sich vorgelagerte Informationsmärkte herausbilden, die zur Komplexitätsreduktion der Anlegerentscheidung beitragen (Schmidtchen 1989).
37
Die gleiche Wirkung wird sich auch bei den Market-Makern einstellen, wodurch die Kosten für die Nutzung der Institution Börse bei diesen Wertpapieren reduziert werden.
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Frank Daumann /Peter Oberender
Neben den Anlegern und den Emittenten werden auch die einzelnen Börsenplätze auf das Phänomen Insiderhandel reagieren, sofern demselben Relevanz für die Nutzung der einzelnen Börse zugebilligt wird. Die Betreiber eines Börsenplatzes sind daran interessiert, daß das Umsatzvolumen, das durch die Institution Börse bewältigt wird, möglichst groß ausfällt. Da die Betreiber der anderen Börsenplätze gleiche Ziele verfolgen, entsteht Wettbewerb zwischen den Börsenplätzen. Damit die Betreiber die Attraktivität des Börsenplatzes erhalten oder sogar steigern können, werden sie die ihnen zur Verfügung stehenden Parameter einsetzen. Zu diesen Parametern können auch Vorkehrungen gegen den Insiderhandel gehören. Diese Vorkehrungen könnten beispielsweise darin bestehen, daß nur die Wertpapiere solcher Emittenten an diesem Börsenplatz gehandelt werden dürfen, die näher spezifizierte Schutzmaßnahmen gegen die Nutzung von Unternehmensintema für Insiderhandelszwecke durch Angehörige des Unternehmens oder durch Akteure, die in einem Vertragsverhältnis zum Unternehmen stehen, durchführen.
Läßt sich die Attraktivität eines Börsenplatzes für die Anleger durch eine derartige Vorkehrung erhöhen, werden die anderen Börsenplätze diese Vorkehrungen nachahmen, um nicht im Wettbewerb um das Transaktionsvolumen zurückzufallen. 38 Ein staatliches Verbot des Insiderhandels, dem sich alle nationalen Börsenplätze zu unterwerfen hätten, erübrigt sich somit. Das Insiderphänomen löst sich vielmehr von selbst. Notwendig ist lediglich ein genügend großer Spielraum für die institutionelle Ausgestaltung eines Börsenplatzes, so daß sich ein fruchtbarer Wettbewerb zwischen den nationalen Börsenplätzen entfalten kann. 39
38
Zum Wettbewerb als Kombination von vorstoßenden und nachahmenden Handlungen siehe insbesondere Schumpeter (1961, S. 94ff.; 1964, S. 99ff.; 1980, S. 134ff.) und Arndt (1952, S. 35ff.).
39
Damit drängt sich die Frage auf, ob ein staatliches Insiderhandelsverbot nicht ebenfalls auf Grundlage dieser Überlegungen gerechtfertigt werden kann. Dieser Argumentationsstrang würde etwa wie folgt lauten: Führt ein Staat ein Insiderhandelsverbot ein und gelingt es ihm dadurch, die an den nationalen Börsen gehandelten Umsatzvolumina auszuweiten, so werden andere Staaten nachziehen und ebenfalls eine derartige Regulierung einfuhren. Auf diese Weise setzen sich leistungsfähige Regulierungen durch. Wenn demzufolge staatliche Insiderhandelsverbote in einzelnen Staaten vorkommen, so ist deren Existenz als Rechtfertigung für die Leistungsfähigkeit eines Insiderhandelsverbots anzusehen. Eine derartige Interpretation setzt jedoch voraus, daß Staaten - und nicht Börsenplätze - um die Handelsvolumina konkurrieren. Dieser Wettbewerb zwischen den Staaten erscheint jedoch aus zwei Gründen als allenfalls rudimentär ausgeprägt: Erstens lassen sich die in diesem vermeintlichen Wettbewerb stehenden Akteure kaum identifizieren. So kann der Staat nicht als anthropomorphe Handlungseinheit aufgefaßt werden, dem eine konkrete, für das Handeln ausschlaggebende Zielsetzung zugeordnet werden kann. Dies ließe sich bestenfalls für die
Insiderhandel - Notwendigkeit einer Regulierung?
5.
489
Fazit Die zur Begründung eines Insiderhandelsverbotes herangezogenen traditionellen
Argumentationsstränge können nicht überzeugen. Weder die Folgen für den Anleger noch die Auswirkungen auf den Kapitalmarkt erlauben es, die Notwendigkeit eines Insiderhandelsverbotes mit der erforderlichen Stringenz aufzuzeigen. Vielmehr resultiert das Insiderphänomen aus einer asymmetrischen Informationsverteilung, die konstitutiv für wettbewerbliche Prozesse ist. Da die Existenz der Informationsasymmetrien in einer marktwirtschaftlichen Ordnung allein nicht ausreichen kann, um staatliches Handeln zu rechtfertigen, empfiehlt sich im Falle des Insiderproblems wirtschaftspolitische Enthaltsamkeit. Verfügen die einzelnen Börsenplätze über einen genügend großen Handlungsspielraum, so wird zwischen den Börsenplätzen Wettbewerb um die Anleger entstehen. In einem derartigen Wettbewerb werden sich börsenplatzspezifische Insiderhandelsschutzvorkehrungen dann durchsetzen, wenn sie als notwendig erachtet werden, um die Attraktivität des Börsenplatzes zu erhöhen und dies auch tatsächlich leisten. Für eine staatliche Regulierung des Insiderphänomens besteht demzufolge keine Notwendigkeit.
Regierung vornehmen, wenngleich auch hier ähnliche Probleme auftreten. Damit verbunden ist zweitens das Problem der fehlenden Verknüpfung von Handlung und Haftung. Wettbewerbliches Verhalten der Akteure setzt voraus, daß dieselben die Auswirkungen ihrer Disposition selbst verspüren. Wenn die Betreiber eines Börsenplatzes ungeschickt ihre Aktionsparameter einsetzen, resultieren daraus für sie unmittelbare Einkommenseinbußen. Ein derartig enger Zusammenhang zwischen Handlung und Haftung besteht jedoch bei einem Wettbewerb zwischen den Staaten nicht. Vielmehr wird eine in dieser Hinsicht erfolglose Regierung - nimmt man einmal an, diese sei der maßgebliche Handlungsträger - nicht unmittelbar der Sanktion ausgesetzt; für dieselbe bestehen zahlreiche Möglichkeiten, sich des vor allem in Form der Wahl vorhandenen Sanktionspotentials zu entziehen. Die Handlungen der Regierung erfolgen daher oftmals in einem sanktionsfreien Raum. Dies bedeutet jedoch zugleich, daß nur ein unzureichender Druck auf die Regierungen ausgeübt wird, erfolgreiche Regulierungen zu imitieren respektive erfolglose oder hinderliche abzuschaffen. Eine Rechtfertigung des Insiderhandelsverbots aufgrund seiner bloßen Existenz läßt sich auf diese Weise nicht vornehmen.
490
Frank Daumann / Peter Oberender
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Interdependenzen von Güter- und Finanzsphäre Ulrich Fehl / Carsten
Schreiter
1. Einleitung
496
2. Geld und Produktionsstruktur
500
2.1.
Das Prinzip
500
2.2.
Präzisierungen
505
2.3.
Offene Fragen
506
3. Kreditkosten und Kreditverfügbarkeit
509
3.1.
Bankkreditkanal
512
3.2.
B i lanzkanal und NettovermögensefFekt
515
3.3.
Konsequenzen von Finanzmarktunvollkommenheiten in Makromodellen
517
4. Abschließende Bemerkungen
522
Literatur
523
496
1.
Ulrich Fehl / Carsten
Schreiter
Einleitung Interdependenzen zwischen Güter- und Finanzsphäre werden in der Transmissions-
theorie monetärer Impulse behandelt. Dabei geht es primär um die Frage, auf welchem Wege und in welcher Abfolge ein von der Notenbank ausgelöster monetärer Impuls sich innerhalb des Finanzsystems fortsetzt und schließlich das Ausgabeverhalten der Individuen zu beeinflussen vermag. Es existieren zahlreiche Ansätze. In der derzeitigen Diskussion findet man insbesondere den vermögenstheoretischen Ansatz, der als Portfolio-Ansatz in der Variante Tobins oder der relativen Preise Friedmans die Lehrbücher füllt (vgl. ausführlich Duwendag et al. 1993). Der Grundgedanke dieser Ansätze ist einleuchtend: Wirtschaftssubjekte, so die Basisannahme, streben nach einer optimalen Vermögenshaltung, wobei Ertrag und Risiko zu berücksichtigen sind. Dabei geht es um das gesamte Spektrum von Aktiva, die unterschiedliche Eigenschaften aufweisen und deren Bestandsänderungen mit unterschiedlichen Kosten verbunden sind (vgl. Cassel 1995). Im einfachsten Fall hat man es mit einer Dreiteilung zu tun: Geld, Finanzaktiva und Sachaktiva. Die Theorie der relativen Preise unterstellt einen sinkenden Grenznutzen, und in der Folge kommt es zu einer Umstrukturierung des Finanzvermögens, um das Vermögen zu optimieren. Dieser Prozeß fuhrt zu einem Ausgleich der Ertragssätze der Finanzaktiva, die schließlich allesamt gesunken sein werden, wenn eine expansive Geldpolitik anfänglich den Kassenbestand erhöht hat. Lassen wir der Einfachheit halber den Vermögensstruktureffekt außen vor, so wirkt sich nun der Prozeß auf die realen Aktiva aus, wobei die Preise für die am Markt gehandelten, bestehenden Kapitalgüter steigen, so daß die Rendite sinkt. Da die Profitrate unter die Grenzproduktivität des neuen Kapitals fällt, lohnt sich dessen Produktion, woraufhin die Investitionen ausgedehnt werden (vgl. Übersicht 1). Trotz dieses einfachen Ablaufschemas sollte man nicht versucht sein anzunehmen, daß der Transmissionsriemen eine starre Verbindung zwischen den geldpolitisch beeinflußbaren Variablen und den realwirtschaftlichen Größen darstellt. Insbesondere expansive geldpolitische Aktionen können im Finanzsystem steckenbleiben und versickern (Duwendag et al. 1993). Alle diese Möglichkeiten sind gut bekannt und sollen an dieser Stelle nicht erneut ausgebreitet werden. Statt dessen soll stärker auf die eigentliche Interdependenz zwischen realer Wirtschaft und Geld eingegangen werden, und zwar, weil ein monetärer
Interdependenzen von Güter- und Finanzsphäre
497
Impuls die Investitions- bzw. allgemeiner die Ausgabentätigkeit anregen kann, jedoch offen bleibt, welche Konsequenzen daraus für die Kapitalstruktur entstehen. Denn die übliche Betrachtung orientiert sich am Kapitalstock als einer homogenen Größe, die man für beliebig form- und veränderbar hält. Genauer: Man unterstellt als makroökonomisches Rahmenmodell mehr oder weniger die Quantitätstheorie des Geldes. Die quantitätstheoretischen Zusammenhänge gelten unter Beachtung des Produktionspotentials, das das Vollbeschäftigungsgleichgewicht bestimmt. Investitionen erweitem lediglich dieses Produktionspotential. Daß die Dinge nicht ganz so einfach liegen, zeigt die Österreichische Kapitaltheorie, die die Interdependenzen von Geld und Kapitalstruktur in der Zeit sichtbar werden läßt. Bevor jedoch hierauf detailliert eingegangen werden kann, soll zunächst deutlich gemacht werden, worin das theoretische Problem eigentlich besteht. Das Problem ist nämlich in den Darstellungen der Transmissionstheorie selbst gar nicht mehr sichtbar, sondern läßt sich erst erkennen, wenn man hinter die makroökonomischen Kontroversen schaut. Um gleich zum Kern zu kommen: Die hier zur Diskussion stehenden Interdependenzen sind davon abhängig, ob man die Quantitätstheorie des Geldes zugrunde legt (oder gar Geld als einen Schleier betrachtet), ob man von einer Theorie der monetären Produktionswirtschaft ausgeht, oder ob man von einer Österreichischen Position her argumentiert. Im ersten Fall sind die monetären Interdependenzen uninteressant und nur transitorisch. Relevant sind nur die realen Knappheiten und die daraus folgenden relativen Preise, die das Gleichgewicht bestimmen. Geld ist dann langfristig neutral. Dem steht die keynesianische Vorstellung entgegen, daß eine Geldwirtschaft ganz anders funktioniert als eine Naturaltauschökonomie (Riese 1983, 1987; Herr 1988). Zunächst und grundlegend ist die damit verbundene Kategorie der effektiven Nachfrage, die nicht ausreicht, um Vollbeschäftigung zu erzeugen. Unbeschäftigte Faktoren weisen darauf hin, daß Knappheit hier nicht real begründet sein kann. Vielmehr ist sie bestimmt durch die Knappheit des Geldes. Die Knappheit des Geldes oder der Liquidität führt zu einem rein monetär bestimmten Zinssatz, der zu hoch ist, um Vollbeschäftigung zu gewährleisten. Er bestimmt nämlich die Grenzleistungsfähigkeit der Investitionen. Daß ausschließlich das Geld die Knappheiten spiegelt, hat seine letzte Ursache darin, daß die Geldmenge real sich nicht anpassen kann, weil Preisstarrheiten nach unten verhindern, daß die reale Geldmenge steigt. Reale Knappheitsrelationen wirken sich nicht aus.
498
Ulrich Fehl / Carsten
Übersicht 1 : Vermögenstheoretischer Transmissionsmechanismus
Schreiter
Interdependenzen
von Güter- und
Finanzsphäre
Fortsetzung
Quelle: Kath (1992, S. 204) mit geringfügigen Änderungen.
499
500
Ulrich Fehl / Carsten Schreiter
Beide Extreme zeichnen sich dadurch aus, daß einmal die reale, das andere Mal die monetäre Sphäre allein wirksam ist. Bildlich gesprochen kommen sie sich somit auch nicht ins Gehege. Tatsächlich treten die Probleme erst auf, wenn man den Mittelweg einschlägt und eine Geldwirtschaft betrachtet, in der reale und monetäre Restriktionen gleichermaßen wirksam werden und voneinander abweichen können. Zwischen den beiden Extremen liegt die Theorie der Österreicher, wobei insbesondere die Arbeiten von Hayeks relevant sind. Bekanntlich verbindet von Hayek mit Geld eine sich ins Ungleichgewicht bewegende Wirtschaft, die einmal ins Ungleichgewicht gebracht, ihr Gleichgewicht nicht mehr erreicht. Es wird damit uno actu behauptet, daß die BarterWirtschaft an sich stabil ist. Der Grund liegt darin, daß in der Naturalwirtschaft (mit Geld als reinem Tauschmittel) beide oben bereits erwähnten Restriktionen zusammenfallen. In diesem Fall wird Knappheit richtig gemessen. In einer Geldwirtschaft ist das nun anders. Die konjunkturellen Wendepunkte stellen nichts anderes dar, als das SichDurchsetzen der realwirtschaftlichen Restriktion gegen die monetären Störungen. Dabei zeigt sich, daß das Kernproblem nicht unbedingt in der Wechselwirkung von Geld- und Gütersphäre, sondern in der Koordination zwischen den Märkten und der Koordination der intertemporalen Struktur des Kapitals und der Produktion besteht. Abgesehen davon, daß sich in der Finanzsphäre eine zur zeitlichen Staffelung der Produktion kompatible Fristentransformation einstellen muß, weshalb Rückwirkungen von der realen Sphäre auf die Finanzmärkte ausgehen müssen, spielt insbesondere der Kredit eine wichtige Rolle, weil er unmittelbar mit den Ausgaben der Wirtschaftssubjekte verknüpft ist. Aus genau diesem Grund wird im zweiten Teil die Diskussion um den umstrittenen Kreditkanal aufgenommen. Seine Existenz könnte nämlich die im HayekModell diskutierten Kapitalverwerfungen verstärken.
2.
Geld und Produktionsstruktur
2.1. Das Prinzip Von Hayeks Idee ist es, die Bedingungen einer Geldwirtschaft herauszuarbeiten, die erfüllt sein müssen, damit die Geldwirtschaft so wie eine reale, geldlose Ökonomie funktioniert. Geld wäre nach seinem Verständnis dann neutral. Tatsächlich übt es aber Einfluß auf die relativen Preise aus, was die Frage nach einer möglichen, auf die Norm der Neutralität vergatterten Geldpolitik nach sich gezogen hat (von Hayek 1974,1976).
Interdependenzen von Güter- und Finanzsphäre
501
Bekanntlich hat sich von Hayeks Beobachtung, daß in Krisen steigende Konsumgutpreise und eine abnehmende Nachfrage nach Investitionsgütern gemeinsam auftreten, in einer Theorie niedergeschlagen, die die Mengersche Güterordnung,
Böhm-Bawerks
Produktionsperiode und Wickseils Geldtheorie zusammenfügt. 1 In dieser Konjunkturtheorie spielt Geld die entscheidende Rolle als zentraler Verursacher von Konjunkturschwankungen. Geldschöpfung - genauer der von dem Bankensystem vergebene Kredit - bringt das geplante Sparen und die geplanten Investitionen aus dem Gleichgewicht.
2
Im Gleichgewicht werden beide Größen durch den natürlichen Zinssatz zur
Übereinstimmung gebracht. Der natürliche Zinssatz stimmt mit dem Geldzinssatz überein. Durch ihre Geldschöpfungsmöglichkeit können Banken Kredit zu einem niedrigeren Geldzinssatz anbieten, was reale Investitionen anregt. Investitionen sind mit dem Aufbau der zeitlichen Produktionsstruktur verbunden, und zwar in der Form, daß ein sinkender Zinssatz zu "umwegigeren" Produktionsmethoden führt, die einen höheren Output haben, jedoch ein längeres Warten erforderlich machen, bevor die Konsumreife erreicht ist. Geht man zunächst von einem Gleichgewichtszustand aus, so müssen die Projektrenditen, bezogen auf die Laufzeit bzw. die Umschlagsgeschwindigkeit, übereinstimmen. Durch die Senkung des monetären Zinssatzes erzielen die länger ausreifenden Projekte relativ höhere Profitraten als die schnell ausreifenden, so daß das Gleichgewicht gestört wird. Um es wieder herzustellen, muß verstärkt in längerfristige Prozesse investiert werden. Durch den Kredit werden die Investoren in die Lage versetzt, Investitionsgüter bei den entsprechenden Produzenten nachzufragen bzw. die Arbeitskräfte über größere Zeiträume zu alimentieren. Geht man vereinfachend davon aus, daß keine Lager von Konsumgütern vorhanden sind, dann bedeutet die Verlängerung, daß die Arbeitskräfte verstärkt Konsumgüter nachfragen werden, obwohl sie diese erst später bereitstellen. Diese Diskrepanz zwischen der Nachfrage nach und dem Angebot von Konsumgütern in der Gegenwart wird jedoch nicht sogleich wirksam, und zwar deshalb nicht, weil zunächst die Nachfrage nach investierbaren Faktoren steigt. Deren Kosten beginnen mit der zusätzlichen Nachfrage zu steigen und erhöhen die Grenzkosten. Da die Profitrate dadurch insbesondere in den kurzen Prozessen abnimmt, werden Faktoren dort entlassen, die, soweit sie nicht spezifisch sind, rückversetzt werden können. Der Kredit wird
1
Statt vieler: Caldwell (1995), Garrison (1994), Steele (1993).
2
Vgl. insbesondere Ewerhart (1991), der die wichtigsten Ergebnisse der Theorie von Hayeks empirisch stützt.
502
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Schreiter
also nicht wie im "Helikoptermodell" Friedmans überall und gleichzeitig wirksam, sondern beginnt seinen Weg in die Wirtschaft im Investitionsgutsektor und dort auf den konsumfernen Stufen. Aus diesem Grund ändern sich die relativen Preise. Die Wirtschaft gerät ins Ungleichgewicht. Zeitversetzt werden die Kredite als Faktoreinkommen auf den Gütermärkten nachfragewirksam. Es entstehen zusätzliche Lohneinkommen. Herrschte ursprünglich Vollbeschäftigung, so kann die Produktion im Investitionsgüterbereich (vereinfachend unterstellen wir einen linearen "flow-input-point-output"-Prozeß) nur zu Lasten der Konsumgutproduktion ausgedehnt werden, wodurch zwar die Löhne nominal steigen, bezogen auf den Preis der Konsumgüter jedoch real sinken. Sinkende Reallöhne in der ersten Phase der Zinssatzsenkung führen zum Zwangssparen. Das Zwangssparen resultiert aus dem Umstand, daß der Geldzinssatz geringer ist als die (durchschnittliche) Zeitpräferenzrate 3 der Haushalte, so daß die geplante Ersparais hinter den tatsächlichen Investitionen zurückbleibt. Dieser expansive Prozeß funktioniert aber nur so lange, wie die Banken die Kreditnachfrage der Investoren auch befriedigen, wobei steigende Preise für Anlagegüter eine steigende Wachstumsrate des Rreditvolumens erforderlich machen. 4 Wird nun die Kreditvergabe von den Banken eingeschränkt, 5 so kann die Ausdehnung der Produktion nicht mehr finanziert werden. Die gestiegenen Einkommen äußern sich in einer steigenden Konsumgutnachfrage und erhöhen das Konsumgutpreis-Lohnsatz-Verhältnis, so daß der Reallohn bei steigendem monetärem Zinssatz sinkt. Ein steigender Zinssatz signalisiert eine Verkürzung der Produktionsperiode. Die Erhöhung der Kreditkosten wirkt sich relativ stärker auf die Kosten der längeren Umwege aus. Mit anderen Worten: Der obere Wendepunkt des Konjunkturzyklus wird durch das
3
Vgl. Rothbard (1993, Kapitel 6).
4
Wichtig ist insbesondere die steigende Nachfrage nach Krediten im Aufschwung, da die Komplementarität der Kapitalgüter bedeutet, daß ein Anstieg der Investitionen heute mehr Investitionen in der Zukunft erwarten läßt. Vgl. von Hayek (1952).
5
Von Hayek (1952, S. 300f.) selbst fuhrt zwei mögliche Gründe dafür an, daß die Banken die Kreditvergabe einschränken. Utzig (1987, S. 165f.) faßt diese zusammen. Erstens nehme die Bonität der Schuldner mit steigendem Verschuldungsgrad ab. Zweitens sind die Liquiditätsreserven der Banken erschöpflich.
Interdependenzen von Güter- und Finanzsphäre
503
Wirksamwerden des Ricardo-Effekts6 passiert und der Abschwung durch die begonnene Verkürzung der Produktionsumwege eingeleitet. Tabelle 1 : Von Hayeks Zahlenbeispiel 7 2
1
0,5
1/12
Profitrate
12%
6%
3%
0,5%
Profitrate pro Jahr
6%
6%
6%
6%
Profitrate bei Erhöhung um 2 Prozentpunkte
14%
8%
5%
2,5%
Profitrate pro Jahr
7%
8%
10%
30%
Zinssatz
6%
6%
6%
6%
Dauer der Investition in Jahren
Man kann den Umkehrpunkt auch erklären, wenn man davon ausgeht, daß es bei konstantem Geldzinssatz zu einem Anstieg des Profits kommt, der dadurch ausgelöst wird, daß in der Konsumgutbranche der Preis steigt. Das in der Tabelle angegebene Zahlenbeispiel macht deutlich, daß sich die Profitrate insbesondere bei den kurzfristigen Prozessen stark erhöht. Die Abbildung la zeigt das Prinzip grafisch: Die Erhöhung des Profits von PU auf PTJ' spreizt die Profitraten wie einen Fächer auf. Vereinfachend wird dabei unterstellt, daß die Nominallöhne noch nicht steigen. Ist nämlich das Faktorangebot unelastisch, so kommt es zu den in Abbildung lb dargestellten Anpassungen. Der gestiegene Preis fuhrt zu einer Spreizung der Profitraten, wobei aber nun die Unternehmer die einzelnen Prozesse so anpassen, daß sich die Raten angleichen. In der Realität findet die Anpassung mit Hilfe von Überstunden, durch geringere Faktorintensität, das Hinausschieben von Ersatzinvestitionen, der Umlenkung der Abschreibungen etc. statt (von Hayek 1952, S. 296ff.). Von Hayek hat dieses Szenario aufgegriffen, um zu zeigen, daß der Abschwung selbst bei vollkommen elastischem Kreditangebot eintreten wird. Der steigende Zinssatz, den wir hier unterstellen, signalisiert den Investoren, daß sie die Produktionsperiode verkürzen müssen, also sie sich bei ihren längerfristigen Projekten geirrt haben. Ihre Erwartungen stellen sich daher als falsch heraus. Zurück bleiben Investitionsruinen, die - so die Behauptung von Hayeks - nicht zu Ende geführt werden 6
'
Zum Ricardo-Effekt vgl. von Hayek (1950), Moss / Vaughn (1986) sowie Utzig (1987). Von Hayek (\919, S. 9).
504
Abbildungen l a bis lc:
Ulrich Fehl / Carsten Schreiter
Der
Ricardo-Effekt
Interdependenzen von Güter- und Finanzsphäre
505
können. 8 Die Investoren erleiden Verluste, Kredite können nicht zurückbezahlt werden, was die Banken unter Druck bringt. Die Krise vertieft sich. Es entstehen Arbeitslosigkeit in der Kapitalgutbranche sowie überflüssige Kapitalgüter, zu denen die Komplementärgüter fehlen, damit der Ausreifungsprozeß vollendet werden könnte. Aus der Krise fuhrt der Ricardo-EiieVX heraus, wenngleich von Hayek den Mechanismus nicht präzise angibt. Entscheidend ist jedoch, daß die Konsumgutpreise real sinken werden und in Verbindung mit einem sinkenden Geldzinsfuß und steigendem Reallohn Investitionen in längere Produktionsumwege wieder attraktiv werden und allmählich aufgegriffen werden. Abbildung lc gibt die Struktur der Profitraten wieder, die den unteren .R/carcfo-Effekt kennzeichnet und - die sogar negativen Raten in Abbildung lc zeigen es - in Richtung Verlängerung der Umwege wirkt.
2.2.
Präzisierungen
Was die monetäre Wirkung der Kredite im realen Bereich angeht, so werden monetäre Zinsveränderungen als Abweichungen von dem natürlichen Zinssatz und auf diese Weise als Veränderungen der relativen Preise wirksam. Die Preisstruktur von Zukunftsund Gegenwartsgütern enthält den Zinssatz, und zwar den für die Wirtschaftssubjekte erkennbaren Geldzinssatz, der nur im Gleichgewicht dem natürlichen Zinssatz entspricht. Unabhängig davon, in welchem Gut man die Preisrelationen ausdrückt, läßt sich ein Gleichgewichtszinssatz angeben. 9 Nun existieren verschiedene Darstellungen des Ricardo-'EiitkXs,
wobei von Hayek versucht hat, auch das Koordinationsproblem
einzufangen. Monetäre Störungen wirken sich nicht unabhängig von der Koordinationsleistung des Marktsystems aus, wobei letztere wiederum davon abhängt, ob Unternehmen vertikal integriert sind, d.h., alle Stufen der Produktion selbst durchführen oder ob man es mit mehreren selbständigen vertikalen Stufen zu tun hat.
8
Diese Annahme ist von entscheidender Bedeutung für die Theorie von Hayeks. Vielfach wird nicht eingesehen, weshalb nicht wenigstens einige Prozesse vollendet werden sollten und auf diese Weise die Mehrproduktion die Nachfrage stillen könnte. Vgl. Caldwell (1995, S. 38).
9
Zum Eigenzinsproblem vgl. Schefold (1993). In der Geldwirtschaft ist der Eigenzinssatz z durch den Geldzinssatz i, den Zukunftspreis Pz und den Gegenwartspreis P, bestimmt: z = I + (P2 - Pg) / Pg.
506
Ulrich Fehl / Carsten Schreiter
Das Problem stellt sich, weil eine allgemeine Zinssatzsenkung alle Investitionsprojekte oder Produktionsperioden rentabler macht, wenngleich die längerfristigen in stärkerem Maße rentabler werden als die kurzfristigen. Existierten keine monetären und realen Knappheiten, so müßten alle Projekte angegangen werden, bis der Gewinn verschwindet. Treten aber reale Knappheiten auf, so muß eine Selektion der Projekte erfolgen. Wenn man es mit einer vollkommen vertikal integrierten Unternehmung zu tun hat, dann werden alle Projekte entsprechend den Restriktionen, denen sich das Unternehmen ausgesetzt sieht, so durchgeführt, daß der Gewinn maximiert wird. Es erfolgt eine Beschränkung auf die Projekte, die den höchsten Gewinn einbringen, und zwar durch Umsetzung von Ressourcen zwischen Produktionsabteilungen. Sind dagegen die einzelnen Stufen selbständig, so muß die realwirtschaftliche Restriktion erst wahrgenommen werden. Der Wettbewerbsprozeß um die knappen Ressourcen entscheidet, für welche Komplementärgüter die Faktoren eingesetzt werden. Die einzelnen Unternehmer kennen die Länge der (gesamten) Produktionsperiode nicht. Dieser Prozeß wird durch den Kredit und die kreditfinanzierten Ausgaben gelenkt.
2.3. Offene Fragen Die Analyse ist unvollkommen, wie von Hayek an einigen Stellen selbst einräumt. Dazu zählt das bereits angesprochene Koordinationsproblem der verschieden langen Produktionsperioden. Erstens wird die Rolle der Erwartungen und des Lernens nicht ausreichend thematisiert, weshalb Lachmann (1994) das Problem der Erwartungsdivergenz und damit das Problem der Plankoordination herausstreicht. Erwartungen wichen permanent voneinander ab, so daß ein Gleichgewichtszustand ohnehin unerreichbar sei. Die Tatsache, daß von Hayek keine explizite Erwartungstheorie vorlegte, hat Utzig (1987, 211 ff.) veranlaßt, die Rolle der Erwartungen im Konjunkturmodell von Hayeks unter dem Gesichtspunkt des Lernens und der spontanen Ordnung aufzugreifen, um herauszufinden, mit welchem Erwartungsmodell der Ansatz kompatibel sei. Ohne hierauf näher einzugehen, soll lediglich plausibel gemacht werden, warum eine solche Fragestellung hier von Interesse sein kann. Um nämlich in der Neuklassischen Theorie einen Konjunkturzyklus auszulösen, bedarf es bekanntlich des Irrtums. Im einfachsten Fall, dem "InselAnsatz", wird einfach angenommen, Unternehmer kennten das Preisniveau in ihrer Branche, jedoch nicht das allgemeine Preisniveau (Vgl. Snowdon / Vane / Wynarczyk
Interdependenzen von Güter- und Finanzsphäre
507
1994, S. 194f.). Letzteres wird erst mit der Zeit bekannt. Folglich interpretierten sie eine Veränderung des Preises für ihre Güter als Relativpreisänderung. Die Art dieses Irrtums ist eine gänzlich andere als im Hayek-'MoäeW. Der Irrtum bezieht sich hier nämlich darauf, daß die Unternehmer die Ursachen der Änderung in den relativen Preisen nicht kennen. Utzig (1987, S. 205) weist zu Recht daraufhin, daß das "Wunder des Preismechanismus" nach von Hayek (1945) darin besteht, eine Koordination der dezentralen Wirtschaftspläne herbeizufuhren, ohne daß der einzelne die verschiedenen Gründe für die sich verändernden Preise kennen muß. Es reiche vollkommen aus, die Richtung wahrzunehmen, in die sich die Preise verändern. Ganz offensichtlich trifft das aber nur für eine Naturaltauschwirtschaft oder nur für eine Geld-Tauschmittel-Ökonomie zu, nicht aber für eine echte Geldwirtschaft. Hier reicht es eben nicht aus, nur Kenntnis von der Zinsänderung zu haben: Wenn der Zinssatz sinkt, so kann das einmal darauf beruhen, daß die Ersparnis zunimmt, ein anderes Mal darauf, daß sich die Geldmenge erhöht. Es ist diese Ursachen-Unkenntnis, welche die Geldwirtschaft instabil macht.10 Eine Orientierung der Wirtschaftssubjekte am steigenden oder sinkenden Zinssatz reicht für die gesamthafte Koordination der Pläne und damit das Erreichen eines Gleichgewichts nicht. Zweitens und, bezogen auf die Transmissionstheorie, nicht unwesentlich ist die sehr vereinfachte Darstellung der Marktzinsbildung und deren Auswirkungen auf die Investitionen. Zum einen spielen Zinsstruktur und Zinsstrukturwirkungen, also insbesondere Inflationserwartungen, eine große Rolle, weil davon ausgegangen werden muß, daß die kurzfristigen Impulse nur dann auf die Investitionsentscheidungen wirken, wenn sie die längerfristigen Zinserwartungen und Zinssätze verändern. Die Vorstellung von einem natürlichen Zinssatz als dem Gleichgewichtszinssatz, der mit dem Geldzinssatz verglichen werden muß, läßt offen, wie der Zinsstruktureffekt wirkt. Steigt die erwartete Inflationsrate sehr stark an, so kann der langfristige Zinssatz über den natürlichen steigen und genau das Gegenteil dessen bewirken, was von Hayek im Sinn gehabt hat. Offen bleibt im Ansatz von Hayeks auch das Verhältnis von technischem Fortschritt und Geld. Bekanntlich rivalisieren beide Größen um die Position als entscheidende Konjunkturantriebskraft. Das zeigt sich gegenwärtig in der Real-Business-Cycles-
10
So liegt dann auch der Schluß nahe, daß von Hayek gar keine Gleichgewichtskonjunkturtheorie entwerfen wollte. Vgl. Utzig (1987, S. 205f.).
508
Ulrich Fehl / Carsten Schreiter
Theorie, die dem Geld überhaupt keine Beachtung im Konjunkturzusammenhang schenkt (vgl. Lucas 1989 sowie Snowdon / Vane / Wynarczyk 1994). Geld ist nur Reflex der realwirtschaftlichen Aktivität. Auch hier handelt es sich um eine Übertreibung. Es reicht an dieser Stelle aus, an Schumpeter zu erinnern, der einen Zusammenhang von Geld und technischem Fortschritt herstellte, und zwar ebenfalls über den Kredit. Ohne Kredit wären die Unternehmer nicht in der Lage, sich die notwendigen Ressourcen zu beschaffen, um die Innovationen durchzuführen, die den Konjunkturzyklus antreiben. Sie müssen nämlich die Ressourcen aus ihren bisherigen Verwendungen herausbrechen, was steigende Preise und steigende Produktivität erfordert. Geld und Innovation sind enger verzahnt als die Real-Business-Cycles-Theorie unterstellt. In seiner ursprünglich gegebenen Darstellung ist von Hayek davon ausgegangen, daß die Banken den Kredit irgendwann im späten Aufschwung verringern werden, und zwar deshalb, weil a) die Bonität der Unternehmen mit zunehmendem Verschuldungsgrad abnehme und b) die Risiken der Banken mit abschmelzenden Liquiditätsreserven zu einer Einschränkung führten." Aber selbst wenn das Kreditangebot perfekt elastisch bliebe, könnten die längeren Produktionsumwege trotzdem nicht fertiggestellt werden. Die sich durchsetzenden realen Knappheiten verhinderten das. Im Gegensatz hierzu faßt Schumpeter
das Kapital als Geldkapital auf und suggeriert damit, daß der Kredit
vollkommen ausreiche und Sparen nicht so wichtig sei (vgl. Naderer 1990). Tatsächlich ist das jedoch keineswegs der Fall. Ferner läßt sich Kritik an der Vernachlässigung der Finanzstruktur der Unternehmung sowie der ganzen Breite des Finanzmarktes üben. Von Hayeks starke Orientierung am Bankensystem dürfte ganz analog der Schumpeters
von den deutschen und
österreichischen Verhältnissen geprägt sein, so daß er sich auf Kredit und Sachaktiva konzentriert und die damals unterentwickelten anderen Finanzinstrumente vernachlässigt. Gleichwohl erfaßt er den Mechanismus der relativen Preise im Hinblick auf die Struktur der Sachaktiva, deren Grenzleistungsfähigkeit untereinander und mit dem Zinssatz ausgeglichen wird. Später ist dieser Mechanismus als Substitutionsmechanismus von Friedman auf Finanzaktiva und Geld sowie homogenes Sachkapital und Humanvermögen angewendet worden. Schließlich ist die Struktur der Sachaktiva mehr
11
An anderer Stelle ist der Ä/canfo-Effekt mit einer unendlich elastischen Kreditangebotsfunktion demonstriert worden. Es sollte gezeigt werden, daß die Wendepunkte allein durch Veränderungen der relativen Preise herbeigeführt werden.
Interdependenzen von Güter- und Finanzsphäre
509
und mehr den Beziehungen der Finanzaktiva und den Beziehungen zwischen Sach- und Finanzaktiva (verschiedene Risiken von Sach- und Finanzaktiva in der 7oi>i>ischen Portfoliotheorie) gewichen. In bezug auf die Finanzstruktur der Unternehmen müßte untersucht werden, ob sich die Fristenstruktur der Unternehmensverbindlichkeiten im Konjunkturverlauf mit den Veränderungen der Produktionsperiode und der Dauerhaftigkeit des Sachkapitals systematisch verändert. Hinweise in diese Richtung kommen aus der spieltheoretisch unterlegten Theorie der Unternehmung, die verstärkt die Unternehmensfinanzierung untersucht. Hart (1995, Kap. 5) rechtfertigt in diesem Zusammenhang die Finanzierungsregel, nach der kurzfristige Projekte eben langfristig kreditfinanziert werden sollten. Diese Regel kennzeichne optimale Kreditverträge und erhöhe die Effizienz der Projektdurchführung. Schließlich ist von Hayek bezüglich der Wirkungsabläufe des Kredits insofern unpräzise, als daß er nicht deutlich macht, was das Kreditvergabeverhalten und die Wirkungsmöglichkeiten der Geldpolitik auf das Kreditpotential genau bestimmt. Diesem Punkt wenden wir uns nun zu. Die Wirkung des Kredits im Österreichischen Modell auf die Struktur der Produktion scheint aus der Perspektive des Kreditkostenmechanismus' übertrieben, zumal in der Regel davon ausgegangen wird, daß die Investitionen relativ zinsunelastisch reagierten. Ein denkbarer Ausweg aus diesem Dilemma könnte sein, dem Kredit einen eigenen Wirkungskanal zuzugestehen, was jedoch nicht unumstritten ist.
3.
Kreditkosten und Kreditverfttgbarkeit Kreditkosten und Verfügbarkeit von Kredit sind unbestritten wichtige Einflußgrös-
sen, über die monetäre Impulse in den realen Bereich hineinwirken (vgl. Pohl 1976). Umstritten ist jedoch, ob die Verfügbarkeit von Kredit als ein eigenständiger bzw. separat wirkender Kanal aufgefaßt werden muß. Üblicherweise unterstellt man, daß es bei der Transmission monetärer Impulse auf die Passiva der Banken ankomme, genauer auf die Giroeinlagen, weil sie die besondere Eigenschaft besitzen, Geld zu sein. Wirkt die Geldpolitik auf die Einlagen, steigt der Zinssatz deshalb, weil die Einlagen zurückgehen. Es handelt sich um den "money view" des Transmissionsmechanismus oder um den Zinskanal, der eben auf der Besonderheit der Bankpassiva beruht (Romer / Romer 1990, S. 150). Reserven 1-Depositen! - ZinssatzI- gesamtwirtschaftliche Ausgaben 1 nominales Volkseinkommen 1
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Gibt es aber einen darüber hinausgehenden unmittelbaren Einfluß der Geldpolitik über die Kreditseite? 12 Das Motiv für die Suche nach einem eigenständigen oder zusätzlichen Wirkungsmechanismus besteht darin, daß der Zinssatz und damit die Kreditkosten an sich gar keine so starke Wirkung auf die Ausgaben entfalten, d.h., andere Determinanten (verzögerter Output, Umsätze oder Cash Flow) mindestens genau so ausgabenwirksam sind (Bernanke / Gertler 1995, S. 33f.). Dieser durch die Empirie gestützte Befund verbietet einen ausschließlichen Rückgriff auf den Zinskanal (vgl. Übersicht 2). Übersicht 2:
Transmissionsmechanismen
Zinskanal
M l - i l - I i - Y1
Wechselkurskanal
Ml-il-w!-(X-N)l-Yl
Relative-Preise-Mechanismus
a) M l - Pwertpapiere 1 - q 1 - 11 - Y l b) M l - PWtrtpapim 1 - Vermögen 1 - C1 - Y1
Kreditkanäle a) Bankkreditkanal
M l - Depositen 1 - Kreditl- I I - Y1
b) Bilanzkanal
M1 - Pwmpapiere1 - Adverse Selektion 1 Moral Hazard t - Kredit 1 - 11 - Y1
c) Cash-Flow-Kanal ca) Unternehmen
M1 - i 1 - Cash Flow 1 - Adverse Selektion I Moral Hazard t - Kredit 1 - 11 - Y1
cb) Haushalte
M1 - ^Wertpapiere1- Wahrscheinlichkeit von Finanzproblemen t - C langlebigeGüter l- Y1 und - Nachfrage nach Immobilien 1 - Y l
Y M I C p Wertpapiere 1
= =
Nominaleinkommen Geldmenge
i w
= Zinssatz von Bonds = Wechselkurs Tobinsches "q" = Marktpreis von Kaq pitalgütem/Reproduktionsstückkosten von Kapitalgütern (X-N) = Exportwert minus Importwert
= Investitionen = Konsum = Kurswert von Wertpapieren und Aktien
Quelle: Mishkin (1995).
12
Vgl. ausführlich Romer/Romer
(1990).
Inierdependenzen von Güter- und Finanzsphäre
511
Des weiteren ist eine gewisse Diskrepanz zwischen der geldpolitischen Wirkung, die unmittelbar auf die kurzfristigen Zinssätze einwirkt und der schnellen und heftigen Reaktion der langfristigen Ausgaben, die stärker auf langfristige Zinssätze reagieren, festgestellt worden. Wenngleich die empirischen Reaktionsmuster an sich nicht in Widerspruch zum Zinskanal bzw. der oben skizzierten Geldvariante stehen, so sind einige empirische Ergebnisse doch überraschend (übernommen von Bernanke / Gertler 1995, S. 34f.): • Die tatsächliche Stärke der Wirkung des monetären Impulses sei gemessen an den empirischen Untersuchungen des reinen Zinseffekts zu groß, so daß zusätzliche Faktoren ins Auge gefaßt werden müßten. • Wenngleich ein deutlicher Zusammenhang zwischen Zinserhöhung und Rückgang bestimmter Ausgaben besteht, so reagierten einige Ausgabearten erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung, und zwar obwohl der Zinssatz wieder auf dem ursprünglichen Trend liegt. Andere Ausgaben stiegen dagegen mit der Zinserhöhung zunächst an (Lagerinvestitionen) {Bernanke / Gertler 1995, S. 29). • Am schnellsten reagierten erstaunlicherweise Ausgaben für Immobilien, was an sich nicht zu erwarten wäre. Andere Investitionen reagierten dagegen nur geringfügig auf Zinserhöhungen {Bernanke / Gertler 1995, S. 29). Da der Zinskanal nicht ausreiche und auch Tobin-q Schätzungen nach {Bernanke / Gertler 1995, S. 28) keine besseren Ergebnisse gebracht haben, wird die These vertreten, daß der Kreditkanal als Ergänzung zum reinen Zinseffekt hinzugenommen werden muß. Die Aktivseite der Banken kann aber nur eine eigenständige Rolle spielen, wenn die Kreditmärkte unvollkommen sind. Ruft man sich in Erinnerung, daß der Zinskanal deshalb funktioniert, weil Depositen Geld sind, so liegt es nahe, beim Kreditkanal ganz ähnlich vorzugehen und zu fragen, welche Besonderheit mit der Kreditvergabe der Banken verbunden ist. Eine Sonderstellung ergibt sich dann, wenn der Kreditmarkt unvollkommen ist und Banken einen spezifischen Vorteil bei der Vergabe von Krediten besitzen, so daß Nichtbanken ein Wechsel der Kreditquelle nicht oder nur zu hohen Kosten möglich ist. Unterstellen wir den Fall, daß nicht die Rationierung entscheidend ist, sondern die Erhöhung der Kreditzinsen. Die Unvollkommenheit des Kreditmarktes zeigt sich in einer Prämie der exter-
512
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nen Finanzierung.13 Diese Prämie ist die Differenz zwischen Kreditzinssatz und Opportunitätskosten von Eigenmitteln. Veränderungen des Zinssatzes durch Offenmarktpolitik schlagen sich, so die These, gleichgerichtet in der Höhe des Aufschlags nieder,14 wobei die Wirkung des Zinskanals verstärkt wird.15 Der Aufschlag läßt sich als unvermeidbare Agency Costs fassen, die von dem Ausmaß der Marktunvollkommenheit und letztlich von den Informationskosten abhängen,16 die insbesondere dem Kreditgeber entstehen. Die Höhe des Aufschlags wird durch die (restriktive) Geldpolitk verändert. Die Wirkung erklärt sich über zwei Wege, die Bernanke / Gertler (1995) ausfuhrlich behandeln. Es handelt sich um den sog. Bankkreditkanal sowie den Bilanzkanal (Übersicht 2). Beide lassen sich jeweils danach unterscheiden, ob sie sich auf die privaten Haushalte oder Unternehmen beziehen. In beiden Fällen sind ein direkter und indirekter Effekt zu unterscheiden.
3.1.
Bankkreditkanal
Geldpolitik beeinflußt die Agency Costs. Die Besonderheit von Banken wird aus ihrer Funktion heraus erklärt, Informationen über die Kreditnehmer billiger erlangen und verarbeiten zu können (Dimsdale 1994). Das fuhrt dazu, daß sie die Kreditwürdigkeit von Kunden und die Risiken und Ertragsaussichten von Investitionsprojekten billiger und besser einschätzen können als andere Finanzintermediäre. Die Vorteile der Banken begründen sodann einen Kostenvorteil und gleichzeitig Wechselkosten bei den Kunden. Wechselkosten erlauben es den Banken, Kredite anzubieten, die, weil sie kei-
13
Diese Prämie spielt in der Theorie der Kreditrationierung eine wichtige Rolle, wie weiter unten deutlicher wird.
14
Aufschlag = f (Grad der Marktunvollkommenheit, Zinssatz).
15
Denkbar ist freilich auch der Fall, daß die Banken eine restriktive Geldpolitik unterlaufen und Mittel mobilisieren, so daß der Zinskanal geschwächt wird (Undershooting-Fall). Ein solcher Fall könnte beispielsweise in der frühen Phase einer restriktiven Geldpolitik auftreten, wenn die Unternehmen den Lageraufbau zwischenfinanzieren müssen und den Kredit ausweiten.
16
Es sei betont, daß es hier nicht notwendig um Rationierungen geht, wie weiter unten deutlich wird. Vgl. Bernanke / Gertler (1995, S. 40).
Interdependenzen von Güter- und Finanzsphäre
513
ne perfekten Substitute zu anderen Finanzierungsquellen darstellen, einen höheren "Preis" erzielen. Schränken die Banken das Kreditangebot ein, so erhöht sich der Aufschlag, und die Kosten für die Kreditnehmer, die beispielsweise die Bank wechseln müßten, steigen an. Lohnt sich ein Wechsel nicht, bleibt den Unternehmen nichts anderes übrig, als ihre Ausgaben einzuschränken. Damit ist eine wichtige Voraussetzung geklärt, nämlich die, daß die Nichtbanken nicht einfach auf Bankkredit verzichten können. Weshalb sollten Banken den Kredit einschränken? Das hängt von den freien Reserven ab, aber auch davon, ob zusätzliche Effekte ausgelöst werden, die als Rationierung wirksam werden. Beide Argumentationsstränge müssen voneinander unterschieden werden. Der "Reserve-Strang" setzt voraus, daß eine restriktive Geldpolitik die Aktivseite der Banken tangiert, was jedoch impliziert, daß die Elastizität der Nachfrage nach Bankpassiva nicht unendlich sein darf. Eine besondere Rolle spielt die Vergabe von Bankkrediten für die Geldpolitik, wenn das Volumen der Kredite durch restriktive Zentralbankmaßnahmen tatsächlich eingeschränkt werden muß und die Nichtbanken nicht auf andere Quellen ausweichen können. Damit eine solche Situation in Reinkultur gegeben ist, müssen folgende Bedingungen (bezogen auf die US-amerikanischen Institutionen) erfüllt sein:' 7 •
Erstens müssen für alle Bankpassiva identische positive Mindestreservesätze gelten.
• Zweitens wird gefordert, daß Certificates of Deposit und Commercial Papers "an der Grenze" vollkommene Substitute seien. 18 Hierfür gibt es empirische Belege. Die erste Bedingung stellt sicher, daß die Banken nicht in der Lage sind, auf der Passivseite ihrer Bilanz Umschichtungen bei den Nichtbanken zu induzieren, um auf diese Weise Mindestreserven freizusetzen. Bedingung zwei ist erforderlich, um einen Anstieg des Zinssatzes und eine dadurch ausgelöste restriktive Wirkung auf die Depositen bzw. Passivseite zu verhindern. Die an der Grenze bestehende vollkommene Substitutionalität zwischen den von den Banken emittierten Certificates of Deposit (CDs) und den außerhalb des Bankensektors begebenen Commercial Papers verhindert einen Zinsan-
17
Die Bedingungen werden von Romer /Romer (1990, S. 156ff.) anhand eines Modells von Bernanke /Blinder (1988, S. 435ff.) skizziert.
18
Zur Erläuterung: Es handelt sich um ein sehr einfaches Modell, in dem nur drei Passiva Einlagen, CDs und Commercial Papers - unterstellt werden.
514
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stieg. Ein Anstieg des Zinssatzes würde sonst ausgelöst durch den Versuch der Banken, die durch eine restriktive Geldpolitik sinkende Reserve durch Emission von CDs zu erhöhen, um auf diese Weise die Kreditvergabe nicht einschränken zu müssen. Aufgrund der identischen Mindestreservesätze kann jedoch keine Reserve freigesetzt werden, so daß die Reserven und das Kreditvolumen sinken." Man hat es somit mit dem reinen "lending view" zu tun. Aus dem Vorausgegangenen ist unmittelbar einsichtig, daß der Kreditkanal dann unwirksam wird, wenn der Mindestreservesatz auf CDs Null beträgt. In diesem Fall wird die Passivseite der Bankbilanz die geldpolitisch bedeutsamere Größe ("money view"), während der Kreditkanal vollkommen "abgeschaltet" wird. Der Kredit wird für Geldpolitik (im Extrem) unveränderbar. Geldpolitik kann in diesem Fall nur Wirkung auf den Zinssatz durch eine Verknappung der Einlagen entfalten (Zins- bzw. Geldkanal in Reinkultur). Romer / Romer (1990, S. 154) stellen in ihrer empirischen Untersuchung fest, daß der Geldmechanismus der wahrscheinlich wirksamere und relevantere sei. 1. Zum einen spreche einiges dafür, daß in der Realität die Banken einer restriktiven Geldpolitik leicht ausweichen könnten, wenn sie Kredite mit Certificates of Deposit finanzieren. Letztere unterliegen tatsächlich einer deutlich geringeren Mindestreserve als Depositen. Eine restriktive Geldpolitik beschränkt also nicht direkt das Kreditvergabepotential, sondern wirkt über die Passivseite der Bankbilanz, wenn die Banken um die Certificates konkurrieren. Das bedeutet, daß selbst dann, wenn die Informationsvorsprünge die Banken für die Finanzierung tatsächlich unentbehrlich machen, daraus noch nicht folgt, daß das auch unmittelbar die Kreditvergabe berührt. Durch die deutlich höheren Mindestreservesätze auf Depositen würden die Einlagen viel stärker betroffen sein. Die Annahme, es bestehe eine unvollkommene Substituierbarkeit, sei, so Bernanke / Gertler (1995, 40f.), zumindest bis Anfang der 80er Jahre in den USA aus institutionellen Gründen (Regulation Q, Zinsobergrenzen und Verzinsungsverbot) nicht unplausibel. Da sich die institutionellen Bedingungen seitdem drastisch verändert haben, dürfte dieses Argument für die unvollkommene Substituierbarkeit hinfällig sein.
19
Ein eigenständiger Wirkungskanal über den Bankkredit bzw. die Aktivaseite besteht dann im Transmissionsprozeß, wenn die Notenbank die Bilanz der Bank systematisch beeinflussen kann und weder die Bank noch die Nichtbanken den Notenbankeffekt auf den Kredit vermeiden können (Dale /Haidane 1993, S. 480f.).
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515
2. Ferner wird eingewendet, daß die Veränderung der Produktion der Geldmengenveränderung in den Phasen folge, in denen Geldpolitik eindeutig als Ursache erfaßt werden könne. 20 Beim Kredit ist das weder in Phasen eindeutig monetär ausgelöster Impulse noch in anderen der Fall. Veränderungen des Kreditvolumens reflektierten lediglich Veränderungen der realwirtschaftlichen Dispositionen, wie auch Monetaristen einwenden (Meitzer 1995, S. 65). 3. Meitzer (1995, S. 64f.) kritisiert, daß die Kredit-Transmissionstheorie eine starke Abhängigkeit bestimmter Kreditnehmer von den Banken unterstellt, was unter den gegenwärtigen Verhältnissen für größere Unternehmen in den USA nicht zutreffen dürfte. Für diese monetaristische Sicht sprechen die mannigfachen Finanzierungsmöglichkeiten von Banken, Intermediären und Nichtbanken. Dieser unbestreitbar zutreffenden Kritik bleibt nur entgegenzuhalten, daß bis heute trotzdem Refinanzierungsprobleme bestehen. Trotz aller Verbesserungen im Finanzbereich sei die Nachfrage nach "managed liabilities" keineswegs perfekt zinselastisch (.Bernanke / Gertler 1995, S. 41). Steigende Finanzierungskosten der Banken werden also doch auch das Kreditangebot bzw. die Kreditnachfrage einschränken.
3.2.
Bilanzkanal und Nettovermögenseffekt
Monetäre Impulse wirken jedoch noch auf einem ganz anderen Wege auf die Kreditnachfrage und Kreditvergabebereitschaft ein, und zwar über die Veränderung der in den Bilanzen ausgewiesenen Vermögenspositionen, deren Bewertung von den monetären Bedingungen abhängig ist (Mishkin 1995, S. 7 ff.; Bernanke / Gertler 1995, S. 35ff.). Das setzt voraus, daß die Aufschlagshöhe vom Nettovermögen des Schuldners abhängt. Im Kern sieht der Wirkungsmechanismus so aus, daß - es sei von einer restriktiven Geldpolitik ausgegangen - ein steigender Zinsfuß zu sinkenden Aktivapreisen fuhrt. Das ist der direkte Weg. Wenn die Kurse der Wertpapiere in den Bilanzen fallen, so bedeutet das geringere Sicherheiten und eine geringere Bonität. Die Gefahr der adversen Selektion nimmt zu (Mishkin 1995, S. 8f.). Die eingeschränkte Kreditvergabe wirkt sich auf die Investitionsausgaben negativ aus (Übersicht 2). Daß ein solcher Fall etwa in der derzeitigen Finanzkrise Asiens eine Rolle spielen kann, ist
20
Empirische Untersuchungen - bspw. für die Bundesrepublik - legen diesen Schluß nahe. Vgl. Guender / Moersch (1997, S. 178).
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nicht von der Hand zu weisen. Die in den 80er Jahren ausgelöste Rezession in Japan durch fallende Immobilienpreise könnte ebenfalls mit diesem Wirkungsmechanismus erklärt werden (Bernanke / Gertler 1995, S. 36). Auch in der jüngsten Asien-Krise könnte der geschilderte Mechanismus eine Rolle spielen, wie Krugmans (1998) Interpretation nahelegt. Die Finanzmärkte reagierten auf die vorausgegangenen Investitionsbooms und das Sich- Offenbaren von spekulativen Blasen. Fehlinvestitionen, übersteigerte Gewinnerwartungen (Panglossian Values21), falsch eingeschätzte Bail-Out-Willigkeit der Regierungen u.v.m. schaffen Unsicherheiten, Vermögensverluste und setzen erst monetäre und anschließend reale Anpassungsmechanismen in Gang. Zu diesem direkten Vermögenseffekt kommt ein direkter und ein indirekter CashFlow-Effekt hinzu. Der direkte Effekt tritt als Verringerung des Cash-Flow infolge zunehmender Zinszahlungen in Erscheinung. Gemäß der Untersuchung Bernankes und Gertlers (1995, 38f.) erklärt allein die Zunahme der Zinsen etwa 40% der geldpolitisch verursachten Profitratensenkung. Der indirekte Cash-Flow-Effekt entsteht dadurch, daß die sinkenden Ausgaben sich über die abgeleitete Marktnachfrage auf die Erlöse der verschiedenen Wirtschaftsstufen auswirkt, die bei genügend fixen Kosten schnell sinkende Gewinne verzeichnen und entsprechende Finanzierungslücken zu stopfen haben (Übersicht 2). Da die Entwertung der Sicherheiten ihr übriges tut, bleibt nichts anderes übrig, als die Ausgaben einzuschränken. Aber nicht nur Unternehmen, sondern auch private Haushalte sind über ihre Vermögensposition und die Einnahmen von einer restriktiven Geldpolitik betroffen. Dabei werden insbesondere Wirkungen auf die Ausgaben für Immobilien sowie dauerhafte Konsumgüter festgestellt. Es besteht eine positive Korrelation zwischen der "Federal Funds Rate" und einer "Mortgage Bürden Variable", die zum Ausdruck bringt, daß die steigende Zinsbelastung von Haushalten die Einkommen senkt. Mishkin (1995, S. 9) ergänzt die Wirkung einer restriktiven Geldpolitik auf die Ausgaben um einen Liquiditätsaspekt. Erhöht sich das Risiko von finanziellen Problemen, dann halten die Wirtschaftssubjekte, um Verluste durch Notverkäufe von Immobilien u.ä. zu vermeiden, verstärkt Finanzaktiva, so daß die Ausgaben für Konsumgüter sinken. Im Gegensatz zu Unternehmen, die keinen Kredit bekommen, weil Banken ihn nicht gewähren, schrän-
21
Damit ist eine Bewertung gemeint, die sich an der "besten aller möglichen Welten" orientiert.
Interdependenzen von Güter- und Finanzsphäre
517
ken private Haushalte ihre Kreditnachfrage ein, weil sie die Ausgaben aus Risikogründen zurückstellen (Mishkin 1995, S. 9). Grundsätzlich werden der Bilanz- und Cash-Flow-Kanal für wirksam oder zumindest wirksamer als der Kreditkanal erachtet. Nichtsdestotrotz gilt auch die hier zu beachtende generelle Bedingung, daß der Kredit für Unternehmen unverzichtbar ist. Die Substituierbarkeit von Bankkredit hängt aber nicht zuletzt von der Unternehmensgröße ab (Dale /Haidane
1993, 480f.). Insbesondere kleine Unternehmungen
sind nicht in der Lage, auf Bankkredite zu verzichten, ohne ihre Ausgaben drastisch einschränken zu müssen. Empirische Hinweise lassen sich anhand der Lagerbestandsveränderungen feststellen. Es besteht ein systematischer Verhaltensunterschied zwischen kleinen und großen Unternehmen in Krisen, jedoch nicht in Zeiten des Booms {Gertler / Gilchrist 1994). Der Einfluß der sich verengenden monetären Rahmenbedingungen macht sich insbesondere über den Cash Flow geltend, dessen Abnahme nicht durch Kredite kompensiert werden könne. Die Anpassung der Produktion und Beschäftigung in kleinen Unternehmen geschieht sehr rasch. Anders dagegen bauen große Unternehmen zunächst Lager auf, wobei die fehlenden Mittel durch Commercial Papers ersetzt werden (Bernanke / Gertler 1995). Die schnelle Verringerung der Lager weist auf schnell wirksame Finanzierungsprobleme bei kleinen Unternehmen hin, während große Unternehmen deutlich später die Lager anpassen. Hieraus kann man jedoch nicht unmittelbar den Schluß ableiten, daß der gesamtwirtschaftliche Effekt des Kreditkanals nicht besonders groß sei (Bernanke / Gertler 1995, S. 40). Während der Bankkreditkanal auch vor dem Hintergrund institutioneller Veränderungen unplausibel erscheint, gilt dies nicht für den Bilanzkanal.
3.3.
Konsequenzen von Finanzmarktunvollkommenheiten in Makromodellen
Obgleich die Existenz eines eigenständigen Kreditkanals umstritten ist, so hätte seine Existenz eine deutliche Erhöhung der Wirkung von Geldpolitik zur Folge. Erweitert man das IS-LM-Schema um den Bankkredit (genauer: um Kreditangebot und -nachfrage), so wirkt Geldpolitik unmittelbar über den Kredit auf die Investitionsausgaben und somit über eine Art erweiterte IS-Kurve (folgendes übernommen von Bernanke / Gertler 1988, S. 436f.), die als CC-Kurve bezeichnet wird.
518
Ulrich Fehl / Carsten Schreiter
Die Gleichung (1) gibt die CC-Kurve an, wobei i den Bondszinssatz und p den Kreditzinssatz angibt. Der Kreditzinssatz p hängt von dem Bondszinssatz, dem Sozialprodukt sowie den Bankreserven R ab:
(1)
y = y(i, p)
mit
(2)
p = 4>(i,y,R)
mit
dy iröl0; |?>0; di dy
'
|?'.
p, sind die Konkursgrenzkosten. Die Abbildung 3 zeigt die Wirkung einer Änderung der Konkursgrenzkosten auf die Ausbringung der Unternehmung, die beispielsweise durch eine Wertänderung der Aktiva ausgelöst worden ist. Eine Erhöhung des
520
Ulrich Fehl / Carsten Schreiter
Lohnsatzes hat dabei die gleiche Wirkung. Auch sie erhöht das Konkursrisiko, weil ein steigender Lohnsatz höhere Kredite zur Vorfinanzierung erforderlich macht. Setzt man p, = 0 => MC = 1, erhält man die Lösung des perfekten Kapitalmarkts. Ist dagegen pt > 0 => q t < q', so verringern sich Kredit und Produktion. Aus dem einzelwirtschaftlichen Verhalten läßt sich die gesamtwirtschaftliche Angebotsfunktion ableiten. Greenwald und Stiglitz zeigen anschließend, daß Beschäftigungswirkungen resultieren, wenn von der Effizienzlohn-Hypothese (Shirking-Constraint-Modell) ausgegangen wird (Greenwald/Stiglitz
1993, S. 95ff., 102f.).
Abbildung 3: Änderung der Konkursgrenzkosten
Preis
MC+p 2
MC+p,
/ p steigt
Grenzkosten
Menge
Quelle: Dimsdale (1994, S. 38).
Schließlich ist noch das ebenfalls umstrittene Phänomen der Kreditrationierung zu erwähnen. Kreditrationierung ist für den Kreditkanal nur eine verstärkende, nicht aber konstitutive Kraft, so daß Rationierungsmodelle an dieser Stelle ausgeblendet werden können. Die wesentlichen, die Rationierung begründenden Elemente - Moral Hazard und Adverse Selektion - sind im Bilanzkanal wirksam, so daß einiges dafür spricht, daß das Rationierungsphänomen, sollte es existieren, diesen Kanal verstärken würde. Kreditrationierung besteht dann, wenn der optimale Kreditzinssatz unterhalb des Markträumungszinssatzes liegt ( J a f f e e 1987, S. 720; Dimsdale 1994, S. 35).
Interdependenzen von Güter- und Finanzsphäre
521
Eine solche Konstellation kann im Finanzmarkt deshalb auftreten, weil ein höherer Preis hier keineswegs wie in anderen Märkten den Gewinn erhöhen muß. Im Kreditmarkt fuhrt ein steigender Zinssatz nur bedingt zu einem höheren Ertragserwartungswert der Banken (Duwendag et al. 1993). Einerseits erhöht ein steigender Zinssatz das Moral Hazard: Die Investoren gehen zu Projekten mit höheren Erwartungswerten, aber auch höheren Risiken über. Die Ertragserwartungen der Banken sinken infolgedessen, weil durch den steigenden Kreditzinssatz die relativ sicheren Projekte zurückgezogen werden und die riskanten bleiben (vgl. Jaffe 1987, S. 720). Es gibt also einen optimalen Zinssatz, der den Erwartungswert der Banken maximiert und der unterhalb des Zinssatzes liegen kann, der den Markt räumen würde. Empirische Untersuchungen zeigen, daß insbesondere kleine Unternehmen von der Rationierung betroffen sind. Die makroökonomische Wirkung ist jedoch umstritten. Abschließend soll noch kurz auf den Unterschied zwischen bank- und marktdominierten Finanzsystemen hingewiesen werden, die in Anlehnung an Rybczynski (1986) unterschieden werden. Bank- oder kreditdominierte Systeme sind Finanzsysteme, in denen der Bankkredit für die Untemehmensfinanzierung eine erhebliche Rolle spielt. Nun könnte man meinen, daß gerade in kreditdominierten Systemen am ehesten die Wirksamkeit des Kreditkanals und auch der Rationierung zu erwarten sei. Daß dem nicht so ist, zeigen zwei Untersuchungen. Die eine ist von Guender / Moersch (1997) für Deutschland, dem Paradebeispiel für ein bankdominiertes System, gemacht worden, wobei die Existenz eines Kreditkanals nicht festgestellt werden konnte. Konkreter: Guender /Moersch
(1997, S. 177ff.) ermitteln, daß ein expansiver monetärer Schock
sich nach einem Jahr signifikant auf die Produktion auswirkt. Kredit reagiert positiv auf Veränderungen der Produktion, jedoch nicht signifikant auf Änderungen der Geldpolitik. Des weiteren schlägt sich eine restriktive Geldpolitik nicht signifikant in einer Veränderung des Anteils des Kredits an der Gesamtbilanzsumme nieder. Bestünde ein Kreditkanal, so müßte der Anteil abnehmen, während er tatsächlich auf seinem ursprünglichen Niveau bleibt und sogar (in den ersten fünf Monaten) zunimmt, wie die Untersuchung ausweist (Guender /Moersch
1997, S. 179-183). Als Begründung wird
die Hausbankenfunktion der deutschen Geschäftsbanken herausgestrichen, die sich darin zeigt, daß die Banken versuchen, die Kreditversorgung zu verstetigen und Anpassungslasten von den Kunden zu nehmen. Das könnte freilich mit einer Kreditrationierung von neuen Unternehmen einhergehen, so daß die Kreditverfügbarkeit Außenstehender näher hätte untersucht werden müssen. Ein Kreditkanal könnte also durchaus
522
Ulrich Fehl / Carsten Schreiter
existieren, wobei eingeräumt wird, daß die Berücksichtigung der Sektoren ebenfalls andere Ergebnisse zeigen könnte. Auf der anderen Seite haben Dale / Haidane (1993) in Großbritannien Hinweise auf die Existenz eines Kreditkanals und einer besonderen Position der Banken gefunden, also gerade in dem Typ Finanzsystem, der definiert ist durch einen relativ geringen Anteil von Bankkredit an der Unternehmensfinanzierung. Wenn überhaupt, so sollte es in diesem System ausreichend Substitutionsmöglichkeiten für Bankkredite und keinen eigenständigen Kreditkanal geben. Die Schätzung zeigt, daß eine restriktive Geldpolitik im Untemehmenssektor zunächst das Kreditvolumen steigen läßt, bevor es nach 1,5 Jahren sinkt. Die Einlagen sinken bereits in den ersten 6 Monaten, während die Produktion erst in der zweiten Hälfte des ersten Jahres sinkt und den Tiefstand zwischen 2 und 3 Jahren erreicht. Die privaten Haushalte reagieren auf eine Zinserhöhung sofort mit einer verringerten Kreditnachfrage. Die Einlagen steigen zunächst. Für die USA, dem fortgeschrittensten marktdominierten Finanzsystem, existieren sich widersprechende Ergebnisse. Romer /Romer gehen von der Nichtexistenz des Kreditkanals in den USA aus, während dagegen Kashyap / Stein / Wilox (1993) Hinweise für sein Wirksamsein in den USA gefunden zu haben glauben.
4.
Abschließende Bemerkungen Die jüngere Diskussion in der Transmissionstheorie ist ausgelöst worden durch em-
pirische Untersuchungen, die eine Ergänzung des Wirkungszusammenhangs durch Hinzunahme des Kreditkanals nahelegen. Der Zusammenhang von Kredit und Ausgaben wird dabei nicht über die Einlagenseite hergestellt, sondern besteht unmittelbar. Dieser Kanal ist, sollte er tatsächlich existieren, aber nicht nur einfach deshalb wichtig, weil Geldpolitik direkter wirksam wäre und monetäre Impulse viel schneller die reale Sphäre erreichten. Vielmehr hat der Kredit Wirkungen auf die Struktur des Kapitalstocks und unter Umständen viel unmittelbarer als von Hayek selbst angenommen hat. Von Hayeks Analyse behauptet strukturelle Verwerfungen im Aufbau des Kapitalstocks als Folge der Kredit- und Geldschöpfung. Und obwohl es auch empirische Bestätigungen für seine Hypothese gibt (vgl. Ewerhart 1991), hat sie noch keinen Eingang in die Transmissionstheorie gefunden.
Interdependenzen von Güter- und Finanzsphäre
523
Die Transmissionstheorie geht von einer Erhöhung des Kapitalstocks aus, ohne die Struktur der Investitionen im Blick zu haben und ohne auf das Vorhandensein von verf u g b a r e n Ressourcen, Faktoren und von Arbeitskräften zu schauen, was freilich nur möglich ist, weil m a n den bestehenden Kapitalstock für beliebig form- und veränderbar hält. Das steht in krassem Gegensatz zu von Hayeks Theorie, allgemeiner der Österreichischen Theorie des Kapitals. Die Bedeutung der Kapitalstruktur und das Problem ihrer Koordination bilden nicht nur den Kern der Österreichischen Konjunkturtheorie, sondern der Österreichischen Marktprozeßtheorie schlechthin {Lachmann
1994). Wirt-
schaftssubjekte stellen Wirtschaftspläne auf, die gleichzeitig Finanzdispositionen und Investitions- und Produktionsentscheidungen betreffen. Interdependenzen der Märkte und Sphären ergeben sich aus der Anpassung der Pläne, die den Preissignalen folgen. Da die Märkte unterschiedliche Anpassungsprobleme aufweisen, sind einige Märkte schneller, andere langsamer und wieder andere wohl niemals ins Gleichgewicht zu bringen. Der Prozeß der Transmission durchläuft also nicht nur einfach eine Impulsstrecke, sondern es k o m m t zu Überlagerungen mit ehemals ausgelösten Impulsen, was die empirische Wirkungsanalyse sehr erschweren dürfte. Des weiteren ist die Reihenfolge der Impulse keineswegs so streng festgelegt, wie m a n auf den ersten Blick vielleicht vermuten könnte (Übersicht 2). Das zeigt gerade der Kreditkanal, wenngleich seine Existenz oder zumindest seine Wirkungsstärke umstritten ist. W e n n auch die Existenz des Kreditkanals die Interdependenzen nicht grundlegend ändern würde, so verstärkte er die W i r k u n g der Notenbank auf die reale Sphäre und könnte zu schnelleren realwirtschaftlichen Reaktionen fuhren. A n der Funktionsweise der Geldwirtschaft ändert ein Kreditkanal freilich wenig, weil der Unterschied nicht die Wirkung des Kredits als solchen berührt, sondern den Grad der Erreichbarkeit der Geschäftsbankenaktiva durch die Notenbank betrifft. Seine Existenz würde der Notenbank erlauben, mehr direkten Einfluß auf die Kredite zu nehmen. O b das allerdings den von
Hayekschen
Pessimismus bezüglich der Möglichkeit, Geldpolitik zu betreiben, mindert, sei an dieser Stelle dahingestellt.
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K.-H. Hartwig/H. J. Thieme (Hg.): Finanzmärkte Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft • Band 58 • Stuttgart 1999
Finanzmarktregulierung und Faktorwettbewerb H. Jörg Thieme
1. Regulierungsanlässe
528
2. Faktorallokation und relative Preise
530
3. Preisbildung und Effizienz auf Faktormärkten
532
3.1.
Finanzmärkte
532
3.2.
Arbeitsmärkte
537
4. Interdependenz zwischen Finanz- und Arbeitsmärkten
540
5. Wirtschaftspolitische Konsequenzen
543
Literatur
544
528
1.
H. Jörg Thieme
Regulierungsanlässe Nicht erst die gegenwärtige Krise des monetären Sektors in Asien, sondern schon
die Savings-and-Loans-Krise in den USA und die Tequilla-Krise in Mexiko haben lebhafte Diskussionen in Wissenschaft und Politik darüber ausgelöst, daß von den weltweiten Finanzströmen erhebliche Risiken für die realwirtschaftliche Prosperität insbesondere in den Emerging-Ländem ausgehen. Sehr schnell werden Forderungen nach neuen, intensiveren staatlichen Kontrollinstrumenten für die Finanzmärkte auf nationaler Ebene formuliert, die auch grenzüberschreitenden Kapitalverkehr kanalisieren sollen. Außerdem sollen internationale Institutionen (z.B. IMF, BIZ) umfassendere Eingriffsmöglichkeiten und Kontrollkompetenzen erhalten, um präventiv steuern zu können und nicht nur ex post Schadensbegrenzung zu betreiben. Diese immer wieder aufflackernde Regulierungswut geht zurück auf verschiedene, seit den siebziger Jahren zu beobachtenden Phänomene, die in ihrer Gesamtheit von interessierter Seite gern als Gründe für staatliche Eingriffe in die Finanzmärkte markiert werden: • Als Folge der weltweit zunehmenden Finanzmarktintegration sei - so wird behauptet - die Volatilität der Preise auf den internen und externen Finanzmärkten drastisch gestiegen. Die Finanzmarktintegration wurde möglich durch den weltweiten Abbau von Kapitalverkehrskontrollen (also "Deregulierungsmaßnahmen"), aber auch durch die dramatische Verbesserung der technischen Möglichkeiten weltweiter Finanzmarkttransaktionen. • Die auf den Finanzmärkten gehandelten Volumina sind drastisch angestiegen (s. Abb. 1), weil bei dynamischer Wirtschaftsentwicklung in der Welt und hohen, relativ konstanten Sparquoten die jährlichen Geldvermögenszuwächse im privaten Sektor zunahmen. Obwohl in Deutschland 1997 die Wirtschaftsentwicklung sehr verhalten war sowie Zinssätze und Sparquoten (auf 12,1 v.H. des Volkseinkommens) gesunken sind, stieg die Nettogeldvermögensbildung um 230 Mrd. DM auf über 5.300 Mrd. DM. Die Abwesenheit von kriegerischen Auseinandersetzungen in den wirtschaftlich entwickelten Ländern und eine deutliche Inflationsdezeleration (Disinflation) hat zudem Währungsreformen und damit verbundene Vermögensentwertungen verhindert. • Mit zunehmenden Geldvermögensbeständen wuchs die Renditeorientierung der Akteure, die traditionellen Anlageformen der Geschäftsbanken durch systematisches
Finanzmarktregulierung und Faktorwettbewerb
529
Portfoliomanagement zu ersetzen, internationale Zinsdifferenzen zu nutzen und neue Finanzinstrumente (z.B. Derivate) einzusetzen. Die damit häufig verbundene Zunahme von Kapital- und Einkommensrisiken wurde nicht selten vernachlässigt. Faktische Abschreibungsbedarfe insbesondere bei größeren institutionellen Kreditanbietern, die auf Fehleinschätzungen von Finanzmarktrisiken oder fehlende systematische Kontrolle der Finanzmarkttransaktionen zurückgehen, sind dann häufig Anlaß, eine staatliche (oder internationale) Regulierung der Finanzmärkte oder sogar die Übernahme der Einkommens- und Kapitalverluste durch den Staat zu fordern. •
Hohes Kreditangebot und zunehmende Wettbewerbsintensität auf den Finanzmärkten haben die relativen Kreditpreise und damit die Finanzierungskosten von Realkapital reduziert mit der Folge, daß die Kapitalintensität der Produktion nicht nur in den Industrieländern, sondern auch in den Take-Off-Ländem (Asien, sozialistische Transformationsländer) relativ hoch ist.
•
Schließlich ist es die generelle Skepsis und Kritik gegenüber einzelwirtschaftlichen, renditeorientierten Handlungen auf internen und externen Finanzmärkten (und Aktienmärkten), die staatliches Regulieren für viele notwendig erscheinen lassen. "Spekulation", also rendite- und risikoorientiertes Handeln auf den Finanzmärkten - insbesondere auch den Devisenmärkten - wird nach wie vor als negative Erscheinung eines "Turbo"-Kapitalismus interpretiert, weil "verfälschte" Preise die Märkte und - bei entsprechenden Volumina - die Funktionsfähigkeit nationaler monetärer Systeme sowie, wegen der Finanzmarktintegration, das internationale Währungssystem destabilisieren und dauerhaft gefährden können. Diese und andere Argumente werden immer wieder als Regulierungsanlässe verwen-
det und stützen die Forderung nach monetären, fiskalischen oder bürokratischen Regulierungsinstrumenten, durch die die - zunehmend vom außenhandelsbedingten realen Güterverkehr losgelösten - internationalen Finanztransaktionen kontrolliert werden sollen. Sind solche Forderungen gerechtfertigt? Kann dadurch das durchaus vorhandene Risikopotential monetär organisierter Volkswirtschaften, die durch offene Güter- und Kapitalmärkte miteinander verknüpft sind, tatsächlich reduziert werden? Woran sollen die - nach welchen Kriterien ausgewählten - Regulierungsinstrumente orientiert werden?
530
H. Jörg Thieme
Abbildung 1: Geschäfte an den internationalen Finanzmärkten (in Mrd. US-$) 500 Linke Skala
Rechte Skala
I 1 Bankkredite netto 1 m m ä Wertpapieremissionen netto 2
25,000
— — Bflrsengehandelte Derivate 3 AuflerbSrsliche Derivate 3
400
20,000
15,000
10,000
1
Veränderung der Bestände, wechselkursbereinigt und abzüglich Wiederanlage zwischen Banken. Nettoabsatz (wechselkursbereinigt) von internationalen Anleihen und Euronotes. 3 Nominalwert der Bestände am Jahresende. 2
Quelle: Bank für Internationalen
2.
Zahlungsausgleich
(1997, 67. Jahresbericht, S. 131).
Faktorallokation und relative Preise Ob und inwieweit staatlicher Regulierungsbedarf auf Märkten besteht, hängt vom
Funktionieren der Märkte ab. Um das dynamische Anpassungspotential von Märkten zu prüfen, ist nicht ein einzelner Markt, sondern das Beziehungsgeflecht zwischen Märkten zu analysieren, das durch die relativen Preise bestimmt ist. Die relativen Preise auf den Gütermärkten entscheiden über den Güterabsatz und damit über die Produktion. Veränderungen der relativen Preise induzieren Revisionen der Produktionsmengenentscheidungen und lösen damit dynamische Anpassungsprozesse aus. Hierdurch werden Strukturveränderungen in Marktwirtschaften geprägt. Die Geschwindigkeit, mit der die mengenmäßigen Anpassungsprozesse ablaufen, hängen von den Funktionsbedingungen der Märkte ab (z.B. Offenheit von Marktzutritt und -austritt, Wettbewerbsintensität, Abwesenheit von strukturkonservierenden wirtschaftspolitischen Eingriffen, Anpassungskosten).
Finanzmarktregulierung und Faktorwettbewerb
531
Diese durch relative Preisveränderungen auf den Gütermärkten ausgelösten Strukturanpassungen resultieren aus Allokationsentscheidungen über die Verwertung vorhandener bzw. die Schaffung neuer Vermögensbestände. Die auf Friedman (1970), Brun ner (1970) und Brunner /Meitzer (1972) zurückgehende Theorie der relativen Ertragssätze bzw. Preise erklärt das Wechselspiel zwischen Bestandsanpassungen einerseits (Portfoliotheorie) und der Neuproduktion von Real- und Humanvermögen andererseits (vgl. Thieme / Vollmer 1987). Sie erklärt zugleich - durch die Annahme über die generellen Substitutionsbeziehungen zwischen allen Finanz- und Realvermögensbeständen sowie über die Höhe der Transaktionskosten - auch die Time-Lag-Struktur der Anpassungsprozesse an exogene Schocks und verknüpft dabei den monetären und den realen Sektor einer Marktwirtschaft. Die Effizienz dieser Vermögensentscheidungen, und damit die der Faktorallokation, hängt - national wie international - davon ab, ob und inwieweit sich die gegenwärtigen und zukünftigen, also erwarteten, Erträge und Kosten in den relativen Preisen der Vermögensgüter korrekt niederschlagen. Nur wenn dies der Fall ist, signalisieren die relativen Faktorpreise die gegenwärtigen und zukünftigen Knappheitsrelationen der Faktoren. Ob diese gesamtwirtschaftlich relevanten Informationen über die Faktorknappheiten tatsächlich in den beobachtbaren Preisrelationen widergespiegelt werden, hängt von verschiedenen Bedingungen ab: Erstens entscheiden die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen über die Wettbewerbsintensität des Marktgeschehens und damit insbesondere darüber, ob Preis- oder Mengenreaktionen bei exogenen oder endogenen Impulsen erfolgen. Dabei spielen Markteintritts- und Marktaustrittsschranken sowie die Marktorganisation eine zentrale Rolle. Zweitens entscheidet die Art der Erwartungsbildung und -antizipation der Marktakteure auf Kassa- und Terminmärkten über die Geschwindigkeit, mit der Anpassungen an veränderte Marktkonstellationen vorgenommen werden. Die Erwartungen, die von der Qualität der verarbeiteten Informationen abhängen, prägen auch die Entscheidungen der Akteure, ob sie mit Preis- oder Mengenanpassungen auf Impulse reagieren. Drittens sind die Anpassungskosten bedeutsam, die sich aus Informations- und Veränderungskosten zusammensetzen. Da sie bei einzelnen Vermögensgütem unterschied-
532
H. Jörg Thieme
lieh hoch sind, unterbleiben vollständige Preis- oder Ertragssatzanpassungen. Eine Reduktion der Transaktionskosten fördert insofern die Effizienz der Arbitrageprozesse. Viertens wirken staatliche Maßnahmen (z.B. Subventionen, Steuern, Sozial- und Rentenversicherungsabgaben) besonders massiv auf die Faktorallokation. Werden einzelne Vermögensgüter unterschiedlich stark belastet, können die positiven Wohlfahrtseffekte, die durch regionale oder internationale Integration von Vermögensmärkten entstehen, reduziert oder gar in Wohlfahrtsverluste verwandelt werden (Ruffin 1984; Fukao / Hanazaki 1987). Soll also politisch darüber befunden werden, ob einzelne Vermögensmärkte stärker oder weniger stark zu regulieren sind, kann nicht aus der Sicht einzelner Märkte - hier der Finanzmärkte - entschieden werden. Es sind vielmehr alle relevanten Vermögensmärkte und die Austauschprozesse zwischen ihnen anhand der genannten Kriterien zu analysieren. Aus der Sicht der Allokationseffizienz sind neben den Finanzmärkten die Arbeitsmärkte von besonderer Bedeutung.
3.
Preisbildung und Effizienz auf Faktormärkten
3.1.
Finanzmärkte
Die Finanzmärkte haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten spürbar entwickelt und dabei verändert. Anfanglich haben die umfangreichen Regulierungen der Finanzmärkte die Marktakteure veranlaßt, innovative Umgehungsstrategien zu entwikkeln (z.B. Swap- und Parallelkredite in England), die wegen der nationalen Regulierungsunterschiede auch die externen Finanzmärkte betrafen (z.B. Euro-Märkte wegen unterschiedlicher Mindestreservenregelungen). Die systematischen Deregulierungsmaßnahmen auf den internen und externen Finanzmärkten und die technischen Möglichkeiten haben Markttiefe und -breite erweitert und damit die Wettbewerbsintensität erhöht. Besonders in Europa haben die Bestrebungen, einen einheitlichen Binnenmarkt herzustellen, erhebliche Erfolge beim Abbau von Kapitalverkehrskontrollen verwirklicht (s. Tab. 1). Die damit einhergehenden Veränderungen der wettbewerblichen Strukturen haben die Kreditallokation weltweit verbessert.
Finanzmarktregulierung
und Faktorwettbewerb
533
Tabelle 1 : Kapitalverkehrsbeschränkungen in den G7-Ländern Devisenausfuhrbeschränkungen Kapitaltransaktionen
Land
im Reiseverkehr
Kapitalimport (außer Direktinvestitionen und Erwerb von Grundstücken)
Deutschland
bis 1958
bis Mitte der 50er Jahre bis 1958; 1972-1975
Frankreich
bis 1986
bis 1958 1968-1970 1983-1984
Großbritannien
bis 1979
bis 1977
Italien
lgfr. Vermögenstitel 1973-1987 1973-1984 Kredite bis 1988 kzfr. Operationen bis 1990
Kredite bis 1988 kzfr. Operationen bis 1990
Japan
bis 1980
1970-1973 1977-1978
Kanada
bis 1951
USA
1963-1973
bis 1964
Kredite von 1971-1975 andere Operationen bis 1986
Quelle: OECD (1993).
Ob und inwieweit hierdurch die Informationseffizienz der Preisbildung auf den Finanzmärkten gestiegen ist, kann gegenwärtig nicht eindeutig entschieden werden, weil systematische ökonometrische Überprüfungen der Informationsefiizienz-Hypothesen (Fama 1970, 1991) keine überzeugenden Ergebnisse liefern (Kratz 1994), wobei auch die Effizienz-Hypothesen selbst umstritten sind (Campell / Lo / MacKinlay
1997,
S. 20ff.). Immerhin belegen emprische Analysen recht gut, daß - im Gegensatz zu den Aktienmärkten - auf den Märkten für börsengehandelte langfristige Kredittitel im Trend rationale Erwartungen gebildet werden und die FwAer-Hypothese der Kreditzinsbestimmung im Trend gut bestätigt wird (Abb. 2). Gleichwohl sind auch auf diesen Märkten kurzfristige Abweichungen feststellbar, die nur durch Ad-hoc-Hypothesen erklärbar sind: So kann der Zinsanstieg am Markt für festverzinsliche Wertpapiere in Deutschland im Jahre 1994 durch Fehlinterpretationen von Informationen der Deutschen Bundesbank und durch Vernachlässigung der an den Kreditmärkten manifestierten TimeLag-Struktur der Wirkungsprozesse erklärt werden; die daraus resultierenden Anpassungshandlungen (Fristentransformation) haben den Geschäftsbanken erhebliche Abschreibungsbedarfe auf ihre Wertpapierbestände verursacht, weil sie kurzfristig falsche Erwartungen gebildet haben. Die Reduktion der Umlaufrendite seit dem Jahreswechsel 1997/98 wiederum dürfte nicht allein aus Inflationserwartungen resultieren, sondern ist als Reflex auf die gestiegenen Anlagerisiken auf den asiatischen Finanz- (und Real-
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H. Jörg
Thieme
kapital-)märkten zu interpretieren. Hierdurch kam es zu deutlichen Umschichtungen großer, international zusammengesetzter Vermögensbestände, die aus Risikogründen festverzinsliche Wertpapiere in "sicheren" Märkten präferierten. Abbildung 2: Nominalzins- und Inflationsentwicklung in Deutschland in v.H.
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"
70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 Quelle: IMF, International Financial Statistics, verschiedene Jahrgänge.
Für die Bankkreditmärkte gelten im Trend ähnliche Aussagen, wobei der intensivere Wettbewerb (gerade auch durch Auslandsbanken) die Anpassungsgeschwindigkeit, mit der die Preise im Aktiv- und Passivgeschäft auf geldpolitische Impulse und Erwartungsänderungen reagieren, eher erhöht haben dürfte. Die Entwicklung der Umlaufrendite festverzinslicher Wertpapiere ist dabei ein vorlaufender Indikator für die langfristigen Bankkreditzinsen, die geldpolitisch fixierten Leitzinsen für die kurzfristigen Zinssätze. Zu beachten ist, daß die Bankkreditmärkte in Deutschland traditionell als wettbewerblicher Ausnahmebereich (§ 29 GWB) organisiert sind und durch das Kreditwesengesetz von 1961 (Sechste Novelle von 1997) einer umfassenden staatlichen Bankenaufsicht unterliegen, die vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen in Berlin sehr intensiv wahrgenommen wird. Die faktische Einschränkung der Gewerbefreiheit und die vielfältigen Verhaltensnormen für das Bankkreditgeschäft, die in zahlreichen Gesetzesnovellierungen und in den Richtlinien des Aufsichtsamtes verankert sind, dienen dem
Finanzmarktregulierung und Faktorwettbewerb
535
Vertrauensschutz der Nichtbanken. Da die Geschäftsbanken durch Kreditvergabe Sekundärgeld produzieren, sind sie zentraler Bestandteil der monetären Organisation von Marktwirtschaften. Die Funktionsweise des monetären Systems hängt insofern wesentlich von der Solidität und der dauerhaften Glaubwürdigkeit der Bankentätigkeit ab. Werden sie untergraben, drohen wegen der Geschäftsverflechtungen der Banken Kettenreaktionen, die auch den realen Wirtschaftssektor erfassen können. Zahlreiche Beispiele in der Vergangenheit und die gegenwärtige Finanzmarktkrise in einigen asiatischen Ländern belegen den hohen gesamtwirtschaftlichen Stellenwert funktionierender Bankkreditmärkte. Unter den Bedingungen eines staatlich-monopolisierten Zentralbanksystems, wie es auch die Europäische Währungsunion prägt, sind insoweit ordnungspolitische Rahmenbedingungen für die Finanzmärkte im allgemeinen und für den Geschäftsbankensektor im besonderen zu setzen, die ein hohes Maß an Vertrauenswürdigkeit aller finanziellen Dienstleistungsuntemehmen auf Dauer sichern. Ordnungspolitisches Prinzip muß es dabei sein, •
die Regelsysteme möglichst offen zu gestalten, damit institutionelle und instrumentale, im Wettbewerb entstehende Neuentwicklungen nicht behindert werden;
•
den Preis- und Qualitätswettbewerb zwischen inländischen und ausländischen Finanzdienstleistungsunternehmen zu fordern;
•
die Regeln so zu fassen, daß sie überschaubar, langfristig gültig und damit verlässlich sind, ohne die operativen Geschäfte der Finanzunternehmen zu behindern;
• hohe fachliche und persönliche Anforderungen an die verantwortlichen Führungskräfte von Finanzunternehmen zu stellen und die Markttransparenz bei der Beurteilung der Leistungsqualität von Finanzuntemehmen zu fördern. Diese Prinzipien sind in der Vergangenheit bei der Ausgestaltung der Finanzmarktverfassung in Deutschland keineswegs konsequent angewendet worden. Für die siebziger und achtziger Jahre wird eine deutliche Zunahme der Regulierungsaktivitäten für die deutschen Finanzmärkte diagnostiziert (vgl. Berger 1998, S. 196f.): Hektische Novellierungen von Rechtsregeln, zahlreiche, das operative Geschäft der Finanzunternehmen regulierende Richtlinien, Ausnutzung der privaten Finanzmarktaktivitäten als staatliche Informations- und Kontrollinstrumente usw. prägen mittlerweile die Geschäftstätigkeit der Banken und erhöhen die Kosten der Finanzmarkttransaktionen. Diese in den vergangenen Jahren stark gewachsenen Eingriffe der staatlichen Aufsichtsgre-
536
H. Jörg Thieme
mien stehen den zahlreichen Deregulierungsmaßnahmen der Finanzmärkte konträr gegenüber. Die "Richtlinien-Politik" und ihre jeweilige Auslegung lassen zudem vielfältige Spielräume für individuelle Präferenzen der staatlichen Kontrolleure, die von den Geschäftsbanken und ihren Verbänden zunehmend beklagt werden. Für die Bankkreditmärkte gilt nach wie vor, daß die Möglichkeiten, veränderte Preiserwartungen in den Kreditkontrakten zu antizipieren, asymmetrisch zugunsten der Geschäftsbanken verteilt sind, was in einer Zeit relativer Preisniveaustabilität wie 1997/98 unproblematisch ist. Mit der auch zukünftig weiter abnehmenden Bedeutung des Direktkreditgeschäfts der Banken zugunsten der "securitization" (Finanzierung durch handelbare Wertpapiere) und der Zunahme des Vermögensberatungs- und Vermögensanlagegeschäfts wird auch das Principal-Agent-Problem neu gelöst werden: An die Stelle von Provisionszahlungen werden differenzierte Ertragsbeteiligungsmodelle des Portfoliomanagements treten, wobei diese Änderungen durch technische Neuerungen (z.B. direkter Börsenzugang von Nichtbanken über Online-Systeme) bereits in naher Zukunft wahrscheinlich werden. Neben den noch relativ hohen Transaktionskosten von Portfolioanpassungen, die einen Preis- bzw. Ertragssatzausgleich durch vollständige Arbitrage verhindern, sind es nach wie vor insbesondere staatliche Interventionen (Steuer- und Subventionsregelungen, aber auch geldpolitische Maßnahmen wie die Mindestreservepolitik), durch die Fehlallokationen auf den Finanzmärkten induziert werden. Dies gilt wegen der unterschiedlichen Rahmenbedingungen in anderen Ländern in hohem Maße für den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr. In dieser Sicht ist zu hoffen (und zu erwarten), daß der besonders in Europa wachsende Wettbewerb zwischen den politischen Institutionen zukünftig diese Rahmenbedingungen für die Finanzmärkte zügig angleichen wird. Insgesamt kann gefolgert werden: • Bei hohen und steigenden Kreditvolumina ist die nationale und internationale Mobilität von Kreditangebot und -nachfrage sehr hoch. •
Steigende Wettbewerbsintensität und sinkende Transaktionskosten auf den Finanzmärkten begünstigen eine effiziente Kreditallokation.
• Tendenziell dominieren rationale Erwartungen die Preisbildung und Portfolioumschichtungen auf den Kreditmärkten: Die langfristigen Zinssätze variieren in Abhängigkeit von Veränderungen der Inflationserwartungen; die kurzfristigen Zinssätze reagieren auf Variationen des geldpolitischen Kurses der Zentralbanken.
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•
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Staatliche Steuer- und Subventionspolitik begründen Fehlallokationen, die bei weitgehend integrierten Finanzmärkten insbesondere den internationalen Kapitalverkehr betreffen. In den vergangenen fünfzehn Jahren hat sich das Gesetz der Preiseinheitlichkeit auf
den Finanzmärkten in der Tendenz spürbar durchgesetzt, besonders bei den langfristigen Krediten geht die Entwicklung hin zu einem effizienten Weltmarkt. Aus der isolierten Sicht der Finanzmärkte wäre ein zusätzlicher Regulierungsbedarf nur dann ableitbar, wenn die Finanzmarkttransaktionen des privaten (und öffentlichen) Sektors die Stabilität des monetären Sektors insgesamt gefährden würden. Dies wäre - unter der gegenwärtig gültigen Annahme eines monopolisierten Zentralbanksystems - nur dann der Fall, wenn die Entwicklung der Finanzmärkte (einschließlich der Derivate) die monetären Grundrelationen stören und die Dominanz der Zentralbank bei ihrer Gestaltung beseitigen würde. Solange die Zentralbank das Privileg der Zentralbankgeldproduktion hat, der Geldangebotsmultiplikator relativ stabil ist und die Geldnachfrage - wie in Deutschland und anderen europäischen Staaten - prognostizierbar bleibt, sind die Voraussetzungen für störungsfreie monetäre Abläufe erfüllt. Die gesamtwirtschaftlichen Bedingungen für eine gemeinsame stabilitätsorientierte Geldpolitik in Europa sind insofern durchaus günstig. Die Allokation knapper Finanzmittel wird wegen der breiteren und tieferen Finanzmärkte in Europa effizienter. Für Banken und andere Finanzinstitutionen wird der Wettbewerb intensiver und der Anpassungsdruck größer werden. Die zweifellos erforderlichen Strukturveränderungen im finanziellen Dienstleistungssektor werden durch die nunmehr gemeinschaftliche Geldpolitik beschleunigt. Dabei wird insbesondere das grenzüberschreitende Filialnetz der Banken ausgebaut werden, weil die Bankaktivitäten - anders als in den USA - in Europa in der Vergangenheit dominant auf die nationalen Währungsgebiete beschränkt waren. Ob und inwieweit die notwendige Internationalisierung der Institutionen durch "schnelle" Zukäufe oder Fusionen bewältigt werden kann, ist allerdings zu bezweifeln, wie verschiedene Beispiele der jüngeren Vergangenheit zeigen.
3.2.
Arbeitsmärkte
Ein völlig anderes Bild als bei den Finanzmärkten entsteht, wenn die Arbeitsmärkte in Deutschland unter Effizienzaspekten analysiert werden. Verantwortlich dafür sind
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H. Jörg Thieme
die institutionellen und politischen Rahmenbedingungen der Arbeitsmärkte, die frühzeitig als wettbewerblicher Ausnahmebereich geregelt worden sind. Dabei spielt die grundgesetzliche, zumindest aber gesetzliche Verankerung der Tarifautonomie zweifellos eine wichtige Rolle; erst im Zusammenspiel mit anderen flankierenden Regulierungen des Staates hat sie allerdings jene ineffizienten Arbeitsmarktstrukturen herbeigeführt, die für die negative Beschäftigungs- und Arbeitslosenentwicklung in Deutschland seit Beginn der siebziger Jahre wesentlich verantwortlich sind. Das bilaterale Kartell der Arbeitsnachfrager (Unternehmensverbände) und der Arbeitsanbieter (Gewerkschaften) hat die zugewiesenen Möglichkeiten (einschließlich der Allgemeinverbindlichkeits- und Flächentarifsregeln) der Marktgestaltung als Preis(Tarif-)kompetenz genutzt und es gleichzeitig - mit aktiver Unterstützung interessierter Politik (Görgens 1997, S. 397f.) - verstanden, die aus den Preisvereinbarungen resultierenden Mengeneffekte dem Staat anzulasten. Die Trennung von Preiskompetenzen und Mengenverantwortung ist der Schlüssel für die dauerhafte Ineffizienz der Arbeitsmärkte, die den säkularen Trend im Anstieg der Arbeitslosigkeit seit Beginn der siebziger Jahre bewirkt hat: • Beide Marktseiten können Nominallohnkontrakte auf Terminmärkten (mit langer Laufzeit) schließen, ohne die Mengeneffekte der Preisabschlüsse zu verantworten. Das Kartell der Arbeitsanbieter konnte dabei Umverteilungsziele (unter Einschluß von erwarteten Inflationsveränderungen) anstreben und - besonders in den frühen siebziger Jahren - auch umsetzen, da das Kartell der Arbeitsnachfrager - ebenfalls nicht verantwortlich für die Beschäftigungsmengenwirkungen der Tarifabschlüsse an kontinuierlicher, also streikfreier Geschäftstätigkeit interessiert ist. • Der Staat, der letztlich die Verantwortung für die Vollbeschäftigung übernommen hat (Möschel 1995, S. 705), mußte versuchen, die negativen Beschäftigungseffekte (steigende Arbeitslosigkeit) gesellschaftspolitisch erträglich zu gestalten, um dadurch die (Wieder-)Wahlchancen nicht zu gefährden. Er hat dies seit Ende der sechziger Jahre bislang durch zahlreiche symptomkurierende Regulierungen (z.B. Kündigungsschutzgesetze, Kurzarbeitsregelungen, "aktive" Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsförderungsgesetze, Vorruhestandsregelungen, Kombilohn; zur Analyse und Kritik s. Görgens 1997; Berthold /Fehn
1997) mit geringem Erfolg versucht, ohne
allerdings die Ursachen der Ineffizienzen der Arbeitsmärkte zu beseitigen.
Finanzmarktregulierung und Faktorwettbewerb
539
Ohne die Ergebnisse der umfangreichen Arbeitsmarktanalysen zu referieren, die mittlerweile vorgelegt wurden (Überblicke bei Franz 1996a, 1996b; Paqué 1995), belegen auch empirische Ergebnisse, daß die Institutionen der Arbeitsmärkte ungeeignet sind, den massiven Strukturwandel in Deutschland ohne weitere Beschäftigungseinbrüche zu bewältigen. • Tarifnormen und staatliche Absicherungsmaßnahmen haben die Mobilität des Arbeitsangebots drastisch eingeschränkt. Dies gilt für die Verwertung vorhandener Fähigkeitspotentiale, reduziert aber auch die Bereitschaft, eigenverantwortlich neues Humanvermögen zu bilden und sich dadurch den sich ändernden Marktanforderungen anzupassen. •
FlächentarifVereinbarungen reduzieren die Anpassungsflexibilität einzelner Unternehmen, beschäftigungsfÖrdemde Produktions- und Investitionsentscheidungen zu treffen.
•
Die zunehmende, durch zügigen Strukturwandel ausgelöste Volatilität der Arbeitsnachfrage wird wegen hoher Transaktionskosten des Faktors Arbeit durch Kapitalintensivierung der Produktion im Inland oder durch Auslandsproduktion befriedigt.
•
Die praktizierte Preispolitik der Tarifpartner (z.B. feste Sockelbeträge für einfache Arbeit) hat systematisch das Insider-Outsider-Verhältnis zu Lasten der weniger qualifizierten und inflexibleren Arbeitsanbieter verschärft. Neben diesen negativen Effekten, die im wesentlichen aus den institutionellen Ar-
rangements des kartellierten Arbeitsmarktes resultieren, hat der Staat aber auch selbst durch Regulierungsmaßnahmen die Ineffizienz des Arbeitsmarktes gefördert, wobei insbesondere zwei Aspekte bedeutsam sind, die in der Diskussion über die Beschäftigungsentwicklung in Deutschland nur selten aufgegriffen werden: Erstens verursacht die staatliche Steuerpolitik, daß die Schere zwischen Brutto- und verfugbaren Nettoeinkommen zunimmt mit der Folge, daß die Gütemachfrage des privaten Sektors nur verhalten wächst und keine gesamtwirtschaftlich spürbaren Beschäftigungseffekte - anders als in den achtziger Jahren, als die Beschäftigung in Westdeutschland deutlich anstieg - ausgelöst werden. Werden die politischen Versäumnisse einer notwendigen, deutlichen Reduktion der Einkommenssteuersätze für alle Einkommensklassen durch Tariflohnerhöhungen am Arbeitsmarkt kompensiert, werden die relativen Faktorpreise zu Lasten des Arbeitseinsatzes weiter verzerrt.
540
H. Jörg Thieme
Zweitens wird der Preis je Arbeitseinheit aus der Sicht der Unternehmen nicht allein durch die tariflichen Bruttolöhne bestimmt, sondern auch durch die staatlich verordneten Personalzusatzkosten (Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen-, Rentenversicherung sowie Kündigungsschutz- und Sozialplankosten; vgl. Knorr 1997, S. 329ff.). Sie betragen in Deutschland durchschnittlich deutlich über 80 v.H., in einzelnen Sektoren über 100 v.H. der primären Lohnkosten. Zusammen mit der hohen Einkommensbesteuerung haben die gestiegenen Personalzusatzkosten systematisch die beobachtbaren Ausweichhandlungen kleinerer und mittlerer Unternehmen induziert. Arbeit wird im inoffiziellen Sektor zu niedrigen Preisen nachgefragt und angeboten, wodurch die Second-Economy-Aktivitäten in Deutschland deutlich zunahmen. In einer neueren internationalen Vergleichsstudie wird der Anteil des inoffiziellen Sektors in Deutschland für 1997 auf ca. 15 v.H. des BIP geschätzt (vgl. Schneider 1998). Die Beschäftigungsmenge im inoffiziellen Sektor wäre - bei Annahme einer ähnlichen Produktionsfunktion wie im offiziellen Sektor - mit 3 bis 4 Mio. Vollzeitbeschäftigten eine gesamtwirtschaftlich bedeutsame Größe, die zugleich belegen würde, daß Arbeit nicht knapp, sondern im offiziellen Sektor nur zu teuer ist. Die gesellschaftspolitische Brisanz besteht darin, daß nicht (oder nur vereinzelt) die - staatlich auch durch "Arbeitsfahnder" intensiv kontrollierten - offiziellen Arbeitslosen, sondern die im offiziellen Sektor beschäftigten Insider diese (Doppel-)Beschäftigung wahrnehmen, was durch die tariflich vereinbarten Arbeitszeitverkürzungen erleichtert wird. Selbst wenn dieses Szenario systematisch nur schwer empirisch zu bestätigen ist, zeigt es wahrscheinliche Spillover-Effekte, die durch staatliche Fehlregulierungen und tarifvertragliche Kartellvereinbarungen am Arbeitsmarkt entstanden sind. Es weist zudem auf bislang vernachlässigte, ursachenadäquate wirtschaftspolitische Therapien hin, die die institutionellen Arrangements am Arbeitsmarkt so verändern müssen, daß die Preis- und Mengenkompetenzen eindeutig zugeordnet werden und die staatlichen Steuer- und Personalzusatzkostenregulierungen systematisch den Effizienzanforderungen marktwirtschaftlicher Faktorallokationen genügen.
4.
Interdependenz zwischen Finanz- und Arbeitsmärkten Die unterschiedlichen, institutionell bedingten Effizienzgrade auf Finanz- und
Arbeitsmärkten sind - wegen der Interdependenz aller Vermögensmärkte und der Beziehungen zwischen Bestands- und Stromgrößen - die Ursache für Fehlallokationen in
Finanzmarktregulierung und Faktorwettbewerb
541
Deutschland. Die faktischen relativen Preise von Kapital- und Arbeitsinput induzieren einen endogenen Trend zu einem überproportionalen Kapitaleinsatz (Rationalisierungsinvestitionen), der wegen des kontinuierlich steigenden Kreditangebots und wegen der - durch intensiven internationalen Wettbewerb (auch der Inflationsbekämpfungspolitik) - relativ niedrigen nominalen und realen Zinssätze auch finanzierbar ist. Die Verzerrung der relativen Vermögenspreise ist somit eine Ursache für die steigende Kapitalintensität der Produktion, wodurch der deutliche und längerfristig anhaltende Vorsprung bei den gesamtwirtschaftlichen Kennziffern der Arbeitsproduktivität - z.B. gegenüber den USA - erklärbar ist. Die Verzerrung der relativen Preise wiederum ist auf die Ineffizienzen der Arbeitsmärkte zurückzufuhren, die nur abgebaut werden können, wenn die institutionellen Bedingungen radikal verändert werden und der Staat seine interventionistischen Prozeßeingriffe mit falschen Verhaltenssignalen reduziert. Letzteres gilt nicht nur für die verschiedenen Varianten "aktiver" Arbeitsmarktpolitik des Staates (zur Kritik vgl. Berthold / Fehn 1997), sondern auch bei der Gestaltung der Personalzusatzkosten. Selbst die Interventionen auf den Gütermärkten (z.B. "Kohlepfennig") verfälschen die relativen Faktorpreise und induzieren Fehlentscheidungen bei den Investitionen in Humanvermögen (z.B. hoher Anteil gutausgebildeter und sehr junger Bergarbeiter). Die Frage, ob für die Finanzmärkte in Deutschland und in der Welt ein erhöhter staatlicher Regulierungsbedarf besteht oder der eingeschlagene Weg der Deregulierung beizubehalten ist, kann nunmehr aus verschiedenen Blickwinkeln beantwortet werden: Auf den Finanzmärkten selbst sind noch erhebliche Potentiale vorhanden, die wettbewerblichen Austauschprozesse (besonders im Bankenkreditmarkt) zu intensivieren, die Risikosensibilität der Marktakteure zu fördern, alle Möglichkeiten der Transaktionskostenreduktion zu nutzen und die Principal-Agent-Beziehungen der Finanzdienstleistungsunternehmen besser zu gestalten. Im Zentrum der Bemühungen muß dabei stehen, den Akteuren auf den Finanzmärkten - insbesondere den Sparern - deutlich zu machen, daß alle Aktivitäten auf den Vermögensmärkten risikobehaftet sind, weil sie in die Zukunft gerichtet sind. Die Unsicherheit kann durch einzelwirtschaftliche Handlungen (Risikoversicherungen, Portfoliomischung etc.) reduziert, niemals jedoch beseitigt werden. Dabei verursacht jede Risikoreduktion Kosten, die die möglichen Erträge reduzieren und vom risikoaversen Wirtschaftssubjekt zu tragen sind. Solche risikomindernden
Terminkontrakte werden auf den Humanvermögensmärkten seit
542
H. Jörg Thieme
Jahrzehnten erfolgreich angewendet, ohne daß den Anbietern von Arbeitsleistungen allerdings die kostenverursachenden Risikominderungen der Terminkontrakte (Tarifverträge mit möglichst langen Laufzeiten) bewußt sind. Auf den Finanzmärkten sind die Versicherungsmöglichkeiten in den vergangenen Jahren gerade durch die Deregulierungsmaßnahmen erheblich ausgeweitet worden (sogenannte Finanzinnovationen). Nicht die Konstruktion der Finanzinstrumente, sondern ihr - bewußt oder unbewußt falscher Einsatz haben verschiedene, sehr öffentlichkeitswirksame Verlustpositionen bei einzelnen Finanzdienstleistungsunternehmen verursacht. Aus solchen Einzelfällen auf die angeblich vorhandenen, gesamtwirtschaftlichen Besonderheiten von Finanzmärkten zu schließen und deshalb staatliche Marktregulierungen zu fordern, wäre ebenso verfehlt wie eine Forderung nach gesamtwirtschaftlichen, zentralen Arbeitskräfteverwendungsplänen des Staates, wenn als Konsequenz schlechter Arbeitsmarktinstitutionen ungewünschte Beschäftigungseffekte auftreten. Die Deregulierungsaktivitäten der vergangenen Jahre haben gleichwohl die Allokationseffizienz auf den Finanzmärkten weltweit deutlich verbessert. Aktuelle regionale Finanzmarktentwicklungen, wie sie in der Vergangenheit z.B. in den USA oder in Mexiko und gegenwärtig im asiatischen und südamerikanischen Raum beobachtet werden können, sind Ausdruck und Ergebnis falscher Risikoeinschätzungen und daraus resultierender Anlageentscheidungen, die in einer dynamischen Welt bei unsicherer Zukunft auf allen Märkten zu vorübergehenden Gleichgewichtsstörungen fuhren. Sie werden durch entsprechende Preis- und Mengenanpassungen vom privaten Sektor absorbiert, wobei Fehleinschätzungen - wie auf allen anderen Märkten - einzelwirtschaftliche Konsequenzen haben. Aus der Sicht der Theorie der relativen Preise sind solche Regulierungsvorschläge, wie z.B. eine Devisenumsatzsteuer ( T o b i n - l z \ \ zur Kritik vgl. Willms 1995, S. 172; Bender
1998, S. 258ff.) oder die Zusatzbesteuerung kapitalintensiver Produktion
("Ehrenbergsche Maschinensteuer") verfehlt, weil sie die Effekte vorhandener Rigiditäten auf einem Vermögensmarkt (Arbeitsmarkt) mit dem Aufbau zusätzlicher Rigiditäten auf anderen Vermögensmärkten neutralisieren wollen. Das staatliche Interventionen als Folge bereits vorhandener Interventionen die Effizienz marktlicher Allokation verschlechtern, ist in der Theorie der Wirtschaftspolitik hinlänglich bekannt.
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und
Faktorwettbewerb
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Wirtschaftspolitische Konsequenzen Die wirtschaftspolitische Konsequenz, die sich aus der asymmetrischen Effizienz der
betrachteten Vermögensmärkte ergibt, kann insofern nur darin bestehen, in einem ordnungspolitischen Kraftakt die Rahmenbedingungen für die Märkte vorhandenen und neu zu bildenden Humanvermögens zu verbessern, damit Arbeit im offiziellen Sektor wieder konkurrenzfähig wird. Dies setzt in erster Linie ein radikales ordnungspolitisches Umdenken voraus: Werden, wie in Deutschland seit Jahrzehnten, soziale Umverteilungsziele politisch über die Preisbildung auf den Humanvermögensmärkten verwirklicht, sind die relativen Preise verfälscht und dauerhafte Fehlallokationen mit den geschilderten Mengeneffekten nicht zu beseitigen. Ohne hier die Einzelheiten beschreiben zu können, müssen die Reformen an drei Schaltstellen ansetzen: Erstens ist die direkte Einkommensbesteuerung deutlich und langfristig glaubhaft zu reduzieren mit dem Ziel, die verfügbaren Nettoeinkommen und damit die Konsumgüternachfrage spürbar zu erhöhen. Dies ist zugleich eine notwendige Bedingung dafür, die Konkurrenzfähigkeit der Arbeit (gegenüber in- und ausländischem Kapital und gegenüber Auslandsarbeit) im offiziellen Sektor langfristig zu verbessern und damit die Beschäftigung in der Schattenwirtschaft schrittweise zu reduzieren. Ein kurzfristig zu erwartender Rückgang der Staatseinnahmen ist durch Einschränkungen der Staatsaufgaben, Reduktion von Staatsausgaben und Privatisierung von Staatsvermögen zu finanzieren. Zweitens böte die deutliche Nettoeinkommenserhöhung den Tarifpartnem die einmalige Chance, bei längerfristig moderaten (also produktivitäts- und inflationsorientierten) Tarifkontrakten die institutionellen Voraussetzungen für eine neue, dezentralisierte Preispolitik auf den Arbeitsmärkten zu initiieren, die insbesondere die Mengeneffekte der Preisgestaltung berücksichtigt. Das setzt breite Akzeptanz in der Öffentlichkeit (insbesondere bei den politischen Parteien) darüber voraus, daß die Verantwortung für die Beschäftigungsmenge im offiziellen (und inoffiziellen!) Sektor bei den Tarifpartnem liegt und soziale Umverteilungsziele nicht über die Preispolitik auf den Arbeitsmärkten verfolgt werden. Soziale Ziele müssen mit anderen Instrumenten der Vermögensbildung (z.B. Realkapitalbeteiligungen, privatwirtschaftliche Humanvermögensbildung, Transfers) verwirklicht werden.
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Drittens sind parallel dazu die notwendigen ordnungspolitischen Reformen der Sozialversicherungen voranzutreiben, um die Personalzusatzkosten im offiziellen Sektor zu reduzieren und dadurch den inoffiziellen Sektor systematisch zurückzufuhren. Die notwendigen und möglichen Maßnahmen, insbesondere die längerfristige Kombination von Umlage- und Kapitaldeckungsverfahren in der Rentenversicherung, sind hinreichend bekannt. Die Chancen, alle drei Reformen parallel zu verwirklichen, sind nicht schlecht, zumal die große Mehrheit der Bevölkerung die Notwendigkeit solcher ordnungspolitischen Veränderungen erkannt hat und, bei entsprechender steuerlicher Entlastung, auch zur stärkeren eigenverantwortlichen Übernahme von Zukunftsrisiken bereit ist. Da gerade die Steuersenkungen längerfristige positive Laffer-Effekte
erwarten lassen, sind
auch die Bedenken von Politik und Ministerialbürokratie über die finanzielle Austrocknung des Staates unbegründet. Nur wenn dieser ordnungspolitische Dreisprung gelingt, kann die Leistungsfähigkeit der Märkte für die Verwertung vorhandenen und die Bildung neuen Humanvermögens wiederhergestellt und damit die Basis für eine - bessere - Sozialpolitik in der Zukunft gelegt werden. Bereits heute funktionierende Finanzmärkte werden - ohne zusätzliche Regulierungsmaßnahmen des Staates - hierzu wesentlich beitragen. "Financial markets may not be perfect, but it is hard to think of ways in which intervention can improve things." (Chrystal 1992, S. 80).
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Autoren und Seminarteilnehmer Belke, Dr. Ansgar, Universität Bochum Bender, Prof. Dr. Dieter, Universität Bochum Cassel, Prof. Dr. Dieter, Universität GH Duisburg Daumann, Priv.-Doz. Dr. Frank, Universität Bayreuth Delhaes, Dr. Karl von, Herder-Forschungsrat Marburg Eckermann, Dr. Henning, Schweizerische Bankgesellschaft Zürich Engelhard, Dipl.-Vw. Peter, Universität Marburg Fehl, Prof. Dr. Ulrich, Universität Marburg Geue, Dr. Heiko, Handelskammer Hamburg Göke, Dipl.-Ök. Michael, Universität Münster Gröner, Prof. Dr. Helmut, Universität Bayreuth Hamel, Dr. Hannelore, Marburg Hartig, M.A. Sandra, Universität Marburg Hartwig, Prof. Dr. Karl-Hans, Universität Münster Hertner, Prof. Dr. Peter, Universität Halle-Wittenberg Klein, Dr. Wemer, Universität Köln Knauff, Dr. Rudolf, Kassel Knorr, Priv.-Doz. Dr. Andreas, Universität Bayreuth Köhler, cand.rer.pol. Tilo, Universität Leipzig Kösters, Prof. Dr. Wim, Universität Bochum Kohlstedt, Dipl.-Ök. Alexander, Universität Bochum Kratz, Dr. Karlheinz, WestLB Düsseldorf Lach, Dr. Helge, Victoria Versicherung Düsseldorf Leipold, Priv.-Doz. Dr. Helmut, Universität Marburg Menke, M.A. Silvia, Universität Düsseldorf Michler, Dr. Albrecht, Universität Düsseldorf Paraskewopoulos, Prof. Dr. Spiridon, Universität Leipzig Peterhoff, Dr. Reinhard, Universität Marburg Pies, Dr. Ingo, Universität Münster Rahlf Dr. Thomas, Universität Halle-Wittenberg Reuter, Prof. Dr. Hans-Georg, Wolfenbüttel Schreiter, Dr. Carsten, Universität Marburg Schüller, Prof. Dr. Alfred, Universität Marburg Schulz, Dipl.-Kfm. Karsten, Universität Düsseldorf Smeets, Prof. Dr. Heinz-Dieter, Universität Düsseldorf Strätling, Dipl.-Vw. Rebecca, Universität Marburg Theurl, Prof. Dr. Theresia, Universität Innsbruck Thieme, Prof. Dr. H. Jörg, Universität Düsseldorf Vollmer, Prof. Dr. Uwe, Universität Leipzig Wagner, Prof. Dr. Ulrich, Fachhochschule Pforzheim Weber, Dr. Ralf L., Universität Marburg Welker, Dr. Christof, Universität Düsseldorf Wentzel, Dr. Dirk, Universität Marburg Wilke, Dipl.-Kfm. Thomas, Universität GH Duisburg Will, Dipl.-Kfm. Frank, Universität Düsseldorf Winter, Prof. Dr. Helmut, Berufsakademie Ravensburg
Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft Herausgegeben von G. Gutmann, H. Hamel, K. Pleyer, A. Schüller und H. J. Thieme
Band 57
50 Jahre Soziale Marktwirtschaft Ordnungstheoretische Grundlagen, Realisierungsprobleme und Zukunftsperspektiven einer wirtschaftspolitischen Konzeption Herausgegeben von Dieter Cassel Mit Beiträgen von Thomas Apolte, Norbert Berthold, Frank Bickenbach, Dieter Cassel, Dietrich von Delhaes-Guenther, Peter Engelhard, Ulrich Fehl, Rainer Fehn, Heiko Geue, Helmut Gröner, Gernot Gutmann, Karl-Hans Hartwig, Rainer Hillebrand, Helmut Karl, Wolfgang Kerber, Andreas Knorr, Wim Kösters, Hans-Gttnter Krüsselberg, Helmut Leipold, Albrecht F. Michler, Peter Oberender, Stefan Okruch, Spiridon Paraskewopoulos, Ingo Pies, Siegfried Rauhut, Hans-Georg Reuter, Otto Schlecht, Alfred Schüller, Rüdiger Soltwedel, Manfred E. Streit, H. Jörg Thieme, Manfred Tietzel, Uwe Vollmer, Ralf L. Weber, Paul 3. J. Weifens, Dirk Wentzel, Thomas Wilke 1998. X/782 S., 47 Abbildungen, 18 Tabellen und 4 Übersichten, gb. DM 94,- / öS 686,- / sFr 85,50 (Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft, Bd. 57) (ISBN 3-8282-0057-5). Die Währungsreform 1948 gilt als Geburtsstunde der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. Seitdem ist ein halbes Jahrhundert vergangen, in dem die. zuvor aus dem neoliberalen Denken erwachsene Idee, wettbewerbliche Marktwirtschaft mit sozialem Ausgleich zu verbinden, weiterentwickelt und wirtschaftspolitisch umgesetzt wurde. Längst ist diese Idee zu einem allgemein akzeptierten und seit 1990 sogar in der Präambel des Einigungsvertrages rechtsverbindlich festgeschriebenen Leitbild der Wirtschaftspolitik in Deutschland geworden. Mehr noch: Auch die inzwischen realisierte Wirtschafts- und Sozialordnung wird mit dem Etikett "Soziale Marktwirtschaft" versehen und erscheint im Bewußtsein der Öffentlichkeit als getreues Abbild ihrer ursprünglichen Konzeption. Dennoch hat die Soziale Marktwirtschaft als wirtschaftspolitisches Leitbild wie als wirtschaftliche Realität viel von ihrem einstigen Glanz verloren und ihre Attraktivität für andere Länder teilweise eingebüßt. Die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft ist durch die mangelnde Problemlösungsfiihigkeit der Politik weitgehend diskreditiert und zur Leerformel degeneriert; ihre Bindungswirkung für die praktische Wirtschaftspolitik ist verlorengegangen und ihre Umsetzung in die bestehende Wirtschafts- und Sozialordnung hat bestenfalls ein Aliud hervorgebracht. Der erfolgreiche Aufstieg der ordnungspolitischen Idee der Sozialen Markwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg und ihr offenkundiger Niedergang in den letzten beiden Jahrzehnten wirft eine Reihe von theoretischen und empririschen Fragen auf, denen in diesem Band in 26 Beiträgen nachgegangen wird, und zwar unter vier Blickwinkeln: - Ordnungstheoretische Idee und wirtschaftspolitische Pragmatik - Konzeptionsbewährung und Konzeptionsversagen - Herausforderungen und konzeptionelle Neuorientierung - Politische Realisierungsprobleme
Stuttgart
Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft ISSN 1432-9220
Herausgegeben von Gemot Gutmann, Hannelore Hamel, Klemens Pleyer, Alfred Schüller, H. Jörg Thieme (bis Band 51: „Schriften zum Vergleich von Wirtschaftsordnungen") Zuletzt erschienene Bände: Band 57:
Cassel (Hg.), 50 Jahre Soziale Marktwirtschaft: Ordnungstheoretische Grundlagen, Realisierungsprobleme und Zukunftsperspektiven einer wirtschaftspolitischen Konzeption, 1998, 792 S„ 94 DM, ISBN 3-82820057-5.
Band 56:
Krüsselberg, Ethik, Vermögen und Familie: Quellen des Wohlstands in einer menschenwürdigen Ordnung, 1997, 348 S., 68 DM, ISBN 3-8282055-9.
Band 55:
Geue, Evolutionäre Institutionenökonomik: Ein Beitrag aus der Sicht der österreichischen Schule, 1997, 336 S., 68 DM, ISBN 3-8282-0050-8.
Band 54:
Knorr, Umweltschutz, nachhaltige Entwicklung und Freihandel, 1997, 49 DM, ISBN 3-8282-0035-4.
Band 53:
Paraskewopoulos (Hg.), Wirtschaftsordnung und wirtschaftliche Entwicklung, 1997, 79 DM, ISBN 3-8282-0034-6.
Band 52:
v. Delhaes/Fehl (Hg.), Dimensionen des Wettbewerbs, 1997, 84 DM, ISBN 3-8282-0033-8.
Band 51:
Keilhofer, Wirtschaftliche Tranformation in der Tschechischen Republik und in der Slowakischen Republik, 1995, 89 DM, ISBN 3-437-50398-7.
Band 50:
Wentzel, Die Geldordnung in der Transformation, 1995, 49 DM, ISBN 3437-50397-9.
Band 49:
Müller, Spontane Ordnungen in der Kreditwirtschaft Rußlands, 44 DM, ISBN 3-437-50396-0.
Band 48:
Sitter, Perestroika und Innovation, 1995, 64 DM, ISBN 3-437-50386-3.
Band 47:
Hamacher, Glaubwürdigkeitsprobleme in der Geldpolitik, 1995, 58 DM, ISBN 3-437-50385-5.
Band 46:
Weber, Außenwirtschaft und Systemtransformation, 1995, 69 DM, ISBN 3-437-50384-7.
Band 45:
Gutmann/Wagner (Hg.), Ökonomische Erfolge und Mißerfolge der deutschen Vereinigung, 1994, 74 DM, ISBN 3-437-50373-1. Vollmer, Arbeitslosigkeit in sozialistischen Planwirtschaften, 1994, 68 DM, ISBN 3-437-50375-8. Gröner/Schüller (Hg.), Europäische Integration als ordnungspolitische Aufgabe, 1993, 84 DM, ISBN 3-437-50363-4.
Band 44: Band 43:
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Arbeitsberichte zu Ordnungsfragen der Wirtschaft Nr. 21 :
Alfred Schüller (Hrsg.), Kapitalmarkteintwicklung und Wirtschaftsordnung, Juli 1997, ISBN 3-930834-04-9, 24,80 DM.
Nr. 20:
Sandra Hartig, Die westeuropäische Zahlungsunion: Ein Vorbild fllr Osteuropa?, Mai 1996, ISBN 3-930834-03-0, 76 S., 17,60 DM.
Nr. 19:
Reinhard Peterhoff (Hrsg.), Privatwirtschaftliche Initiativen im russischen Transformationsprozeß, November 1995, ISBN 3-930834-02-2, 120 S., 24,80 DM.
Nr. 18:
Helmut Leipold (Hrsg.), Ordnungsprobleme Europas: Die Europäische Union zwischen Vertiefung und Erweiterung, November 1994, ISBN 3-930834-01-4, 151 S., 19,80 DM.
Nr. 17:
Helmut Leipold (Hrsg.), Ordnungsprobleme der Entwicklungsländer: Das Beispiel Schwarzafrika, Juli 1994, ISBN 3-930834-00-6, 37 S., 9,20 DM.
Nr. 16:
Helmut Leipold (Hrsg.), Privatisierungskonzepte im Wandel, Juni 1992, ISBN 3-923647-15-8, 143 S., 19,20 DM. (vergriffen!)
Nr. 15:
Zur Transformation von Wirtschaftssystemen: Von der Sozialistischen Planwirtschaft zur Sozialen Marktwirtschaft, Hannelore Hamel zum 60. Geburtstag, Juli 1990, 2. überarbeitete und erweiterte Auflage, Februar 1991, ISBN 3-923647-14-X, 192 S., 19,80 DM. (vergriffen!)
Nr. 14:
Hannelore Hamel (Hrsg.), Soziale Marktwirtschaft: Zum Verständnis ihrer Ordnungs- und Funktionsprinzipien, April 1990, ISBN 3-923647-13-1, 57 S., 7,60 DM.
Nr. 13 :
Heinz Lampert, Theorie und Praxis der Sozialpolitik in der DDR, August 1989, ISBN 3-923647-12-3, 32 S., 6,90 DM. (vergriffen!)
Nr. 12:
Hannelore Hamel und Helmut Leipold, Perestrojka und NÖS: Funktionsprobleme der sowjetischen Wirtschaftsreform und die Erfahrungen der DDR in den sechziger Jahren, Juni 1989, ISBN 3-923647-11-5, 63 S., 8,80 DM. (vergriffen!)
Nr. 11:
Ordnungstheorie: Methodologische und institutionentheoretische Entwicklungstendenzen, September 1987, ISBN 3-923647-10-7, 168 S., 12,80.
Nr. 10:
Hannelore Hamel und Helmut Leipold, Wirtschaftsreformen in der DDR - Ursachen und Wirkungen, Januar 1987, ISBN 3-923647-09-3, 43 S„ 7,40 DM.
Nr. 9:
Alexander Barthel, Zum Problem der Unternehmenshaftung in der DDR, September 1986, ISBN 3-923647-08-5, 67 S„ 8,90 DM.
Nr. 8:
Untemehmensverhalten und Beschäftigung, mit Beiträgen von Volker Beuthien u.a., Juni 1985, ISBN 3-923647-07-7, 80 S., 9,00 DM.
Nr. 7:
Alfred Schüller und Hans-Günter Krüsselberg (Hrsg.), Grundbegriffe zur Ordnungstheorie und Politischen Ökonomik, 4. Aufl., April 1998, ISBN 3-923647-06-9, 172 S„ 15,40 DM.
Nr. 6:
Alfred Schüller und Hannelore Hamel, Zur Mitgliedschaft sozialistischer Länder im Internationalen Währungsfonds (IWF), Oktober 1984, ISBN 3-923647-05-0, 25 S., 6,30 DM.
Nr. 5:
Béla Csikós-Nagy, Liquiditätsprobleme und die Konsolidierung der ungarischen Wirtschaft, September 1983, ISBN 3-923647-04-2, 19 S., 4,20 DM.
Nr. 4:
Karl von Delhaes, Zur Diskussion über die Funktion der Preise im Sozialismus, Januar 1983, ISBN 3-923647-07-4, 27 S., 4,20 DM.
Nr. 3:
Hannelore Hamel, Helmut Leipold und Reinhard Peterhoff, Zur Reform der polnischen Untemehmensverfassung, Mai 1982, ISBN 3-923647-02-6, 68 S., 7,20 DM.
Nr. 2:
Alfred Schüller, Produktionsspezialisierung als Mittel der Integrationspolitik im RGW, Oktober 1981, Nachdruck 1986, ISBN 3-923647-01-8, 46 S„ 6,40 DM.
Nr. 1 :
Karl von Delhaes und Reinhard Peterhoff, Zur Reform der polnischen Wirtschaftsordnung, Juli 1981, Nachdruck 1985, ISBN 3-923647-00-X, 152 S., 10,50 DM.
In russischer Sprache: Nr. 7RUS: Soziale Marktwirtschaft: Verständnis und Konzeptionen in russischer Sprache, 130 S., DM 18,50
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JÖÖWJ
Marburger Gesellschaft für Ordnungsfragen der Wirtschaft e.V.
Barfüßertor 2 • D-35037 Marburg • Tel.: (06421) 28 3928 • 28 3196 • Fax (06421) 28 8974 Internet: http://www.wiwi.uni-marburg.de/lokal/witheo2/fost/liste_ab.htm
ORDO
Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft Begründet von Franz Böhm und Walter Eucken Bd. 49/1998 1998. XIV/586 S. gb. DM 138,-/öS 1007,-/SFr. 122-(ISBN 3-8282-0093-1) Inhaltsübersicht B d . 4 9 E. Hoppmann Die Interdependenz der Ordnungen H. Leipold Die große Antinomie der Nationalökonomie
L. Gerken Der globale Wettbewerb als Anreiz- und Entdeckungsverfahren P. Thuy 5 0 Jahre Soziale Marktwirtschaft: Anspruch und Wirklichkeit
H.Willgerodt Die Liberalen und ihr Staat
G. Habermann
J.Lange-von
Unternehmer und Ordnungspolitik
Kulessa,A.Renner
Die Soziale Marktwirtschaft Alfred Müller-Armacks und der O r d o liberalismus A. Schüller Der wirtschaftspolitische Punktualismus C. Christi Die Ordnungstheorie Walter Euckens in einer offenen Gesellschaft H. Geue Sind ordnungspolitische R e f o r m anstrengungen mit Hayeks Evolutionismus vereinbar? L. Gerken Die Grenzen der Ordnungspolitik A.Woll Adam Smith - Gründe für ein erneutes Studium seiner Werke FL. Seil der Nationalökonom Max Weber H. Berg, G. Brandt Der Schumpetersche Unternehmer: Versuch einer kritischen Würdigung Wolfgang Kerber Globalisierung und Standortwettbewerb
LUCIUS "LUCIUS
W.Hamm Zu Lasten der kommenden Generationen D. Meyer Das System der Freien Wohlfahrtspflege aus ordnungspolitischer Sicht A.Frey tag Geldpolitische Regelbindung als Teil der wirtschaftlichen Gesamtordnung U. Mummert Ordnungswechsel und politischökonomische Prozesse A.Knorr Zwanzig Jahre Deregulierung im US-Luftverkehr N. Eickhof Die Forschungs- und Technologiepolitik Deutschlands und der E U F. Daumann, U.Hösch Freiheitssichernde Regeln und ihre Justiziabilität M.Fredebeul-Krein, A. Schürfeld Die Deregulierung des deutschen Handwerks
Vcrlagsgesellschafi Stuttgart