Fair Janet und “Kong Valdemar og hans Søster”: Ein Beitrag zur Frage der Beziehungen zwischen englisch-schottischen und skandinavischen Volksballaden [Reprint 2019 ed.] 9783111558714, 9783111188188

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Inhaltsverzeichnis
Einführung: Der wissenschaftliche Standort dieser Arbeit, ihre Aufgabe und Methode
Erster Hauptteil. Darstellung des Materials: Die verschiedenen Gestaltungen des Balladenstoffes
Zweiter Hauptteil: Untersuchungen der Zusammenhänge: Wanderung und Wandlung
Nachtrag
Literaturverzeichnis
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Fair Janet und “Kong Valdemar og hans Søster”: Ein Beitrag zur Frage der Beziehungen zwischen englisch-schottischen und skandinavischen Volksballaden [Reprint 2019 ed.]
 9783111558714, 9783111188188

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STUDIEN ZUR V O L K S L I E D F O R S C H U N G BEIHEFTE

ZUM

J A H R B U C H F Ü R VO L K S L I E D F 0 R S C H U N G MIT UNTERSTÜTZUNG VON WOLFGANG SCHMIDT U N D ERICH SEEMANN HERAUSGEGEBEN VON

JOHN MEIER

HEFT 2 DR. LUISE

TUSCHKE

FAIR JANET" UND „KONG VALDEMAR OG HANS S0STER"

1940

W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. B E R L I N

„FAIR JANET" UND „KONG YALDEMAR OG HANS S0STER" EIN BEITRAG ZUR FRAGE DER BEZIEHUNGEN ZWISCHEN ENGLISCH-SCHOTTISCHEN UND SKANDINAVISCHEN VOLKSBALLADEN

VON

DR. LUISE TUSCHKE

1940

W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. B E R L I N

D

4

Druck von Konrad Triltsch, Würzburg-Aumühle.

Inhaltsverzeichnis. Seite Einführung:

Der wissenschaftliche Standort dieser Arbeit, ihre Aufgabe und Methode

Erster Hauptteil:

Darstellung des Materials: Die verschiedenen Gestaltungen des Balladenstoffes

1 5

A. Die Ballade im Schottischen § 1. Gemeinsamer Inhalt aller Fassungen § 2. Besonderheiten der einzelnen Fassungen § 3. Der szenische Aufbau § 4. Das Alter der Ballade § 5. Die geographische Verteilung und ihr Einfluß auf die Gestaltung § 6. Stil und Struktur § 7. Die Melodie der Fair-Janet-Ballade § 8. Der Grundkonflikt der Fair-Janet-Ballade § 9. „Fair Janet" innerhalb der englisch-schottischen Balladentradition

5 5 6 9 10 11 23 30 30 32

B. Die Ballade im nordischen Umkreis § 10. Darstellung des Stoffes in den einzelnen skandinavischen Fassungen . . . . §11. Der geschichtliche Hintergrund § 12. Kritik der Grundtvigschen Ansichten über das Alter der Ballade § 13. Die isländische Ballade als geschichtstreueste Fassung § 14. Szeneneinteilung § 15. Der Kehrreim. Schlüsse auf die Aufführungsart der Ballade § 16. Landschaftsgebundener Stil § 17. „Kong Valdemar og hans Sester" innerhalb der dänischen Balladentradition

35 35 38 40 41 42 45 46 49

C. Varianten der dänischen Grundform auf deutschem Boden § 18. Die Abwandlung der historischen Beziehungen § 19. Inhalt und Besonderheiten der einzelnen Fassungen §20. Die Beziehungen zur dänischen Ballade § 21. Die Verbreitung über den deutschen Sprachraum § 22. Elemente aus anderen deutschen Balladen § 23. Wandel der Auffassung

52 53 54 56 58 59 60

D. Die französische

62

Ballade „Les Tristes Noces" § 24

Zweiter Hauptteil:

Untersuchungen der Zusammenhänge: Wanderung und Wandlung A. Feststellung der Wanderungslinie § 25. Grundtvigs Ansichten über die Priorität der dänischen Version § 26. Die Abhängigkeit der schottischen Version von der dänischen § 27. Theorie über die Wanderung der Ballade von Dänemark nach Schottland § 28. Die Abhängigkeit der französischen Version von der schottischen §29. Zusammenfassung: Verbreitungsgeschichte der Kirstin-Ballade

65 65 65 67 71 74 74

V

Seite B. Wandlungen in Form und Gehalt 76 76 § 30. Die Beschränkung auf e i n e Situation § 31. Der „geistige Ort" der Überlieferungsträger und seine charakteristische Veränderung 77 78 § 32. Verlagerung des Interesses aus dem Stoff in die Idee § 33. Kirstin und Janet — ein Charaktervergleich 80 C. Der Durchbruch germanischer Lebenshaltung in der schottischen § 34. Die Entscheidung, J a zu sagen § 35. Germanischer Pantragismus § 36. Entschlossenheit zum Kampf §37. Sinn des Kampfes: Der Wert § 38. Die Sinngebung des Todes § 39. Die Dichtung als Trägerin des Weltbildes §40. Ergebnisse Nachtrag Literaturverzeichnis

VI

Volkstradition

83 83 84 85 86 86 87 88 89 93

Einführung:

Der wissenschaftliche Standort dieser Arbeit, ihre Aufgabe und Methode. In der Kultur- und Geistesgeschichte der Völker stoßen wir immer wieder auf Erscheinungen, deren eigentliches Wesen schwer in W o r t e zu fassen, in Definitionen abzugrenzen ist. Ein berühmtes Beispiel bietet die Tragödie, um deren Begriffsbestimmung Jahrhunderte gerungen haben. Sie ist durchaus da, — sie entfaltet sich zeitweise zu herrlicher Blüte, — sie übt ihre gewaltige Macht aus über die Herzen, — aber die Frage danach, was sie eigentlich i s t , bleibt umstritten. (Denn wer weiß, ob unsere letzten Deutungen Gültigkeit behalten?) V o r allem aber entzieht sich das, was wir als „Volkslied", „Volkstanz", „Volksmärchen" usw., also als Kulturschöpfung des „Volkes" bezeichnen, der wissenschaftlichen Definition. Hier tritt nämlich die Schwierigkeit hinzu, daß der jeweilige Urheber verschollen und seine Schöpfung den Schicksalen der Volkläufigkeit ausgesetzt ist, — so daß man weder etwas über den Schöpfungsvorgang vom Urheber selbst erfahren kann, noch in den meisten Fällen weiß, wie das Produkt im Anfang aussah. Die V o 1 k s b a 11 a d e , die alle drei Gattungen der Poesie, außerdem musikalische und in vielen Fällen auch tänzerische Elemente in sich begreift, gibt der Forschung immer wieder neue Rätsel auf. V o r allem die Ursprungsfrage, — zugespitzt in der Formulierung: Dichtet die Gruppe oder das Individuum? — , wurde lebhaft erörtert, wobei in neuerer Zeit seit Louise Pound 1 ) die Individualtheorie endgültig den Sieg davonzutragen scheint. Erst G. H. Gerould 2 ) und Wolfgang Schmidt 3 ) haben in ihren Untersuchungen gezeigt, daß es bei der Bestimmung des Begriffes „Volksballade" im Wesentlichen nicht so sehr auf den U r s p r u n g der Balladen als auf ihre W e i t e r e n t w i c k l u n g während des mündlichen Umlaufs ankommt 4 ). Das Balladen-hafte verdanken diese Lieder nicht in erster Linie ! ) Poetic Origins and the Ballad, New Y o r k 1921. 2 ) The Ballad of Tradition. Oxford 1932. *) Die Entwicklung der engl.-schott. Volksballaden. Anglia L Y I I (1933). «) „Die Childballaden haben viele Ursprünge; sie unterliegen aber während der mündlichen Überlieferung und der Volksläufigkeit e i n e r typischen Um-

1

ihrem U r s p r u n g , sondern der Umstilisierung, die sich, inneren Gesetzen folgend, an ihnen im Laufe der Zeit vollzieht. In dieser Erkenntnis richtet Schmidt sein Augenmerk vor allem auf die S t r u k t u r - und S t i 1 e n t w i c k l u n g der Balladen, und zwar speziell der Child-Balladen 5 ). Damit tritt die Wichtigkeit der Untersuchungen am lebendigen Liedkörper selbst einleuchtend hervor, und ganz neue Fragen steigen auf. Einen anderen wichtigen Sektor im Problemkreis „Volksballade" nimmt die Frage ein nach den i n t e r n a t i o n a l e n Zusammenhängen des Volksballadengutes. Wie hat man sich Stoff- und Formverwandtschaften in Britannien, Skandinavien, Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien und endlich in den slawischen Ländern zu erklären? Liegt hier Urzeugung vor oder Wanderung? U n d wenn es sich u m Wanderung handelt, — wo hat sie ihren Ausgangspunkt? — Man sieht gleich, daß diese Fragen nicht in Bausch und Bogen, sondern f ü r jeden einzelnen Fall gesondert zu beantworten sind. U n d hier, in diesem ebengenannten Sektor des großen Problemkreises, will die vorliegende Arbeit innerhalb der Unterabteilung „Britisch-skandinavische Beziehungen" mit der Untersuchung einer einzigen gemeinsamen Ballade einen bescheidenen R a u m einnehmen. Viele der Forscher, die sich mit dem Balladenproblem befaßten, haben auch die Frage der Beziehungen zwischen den englisch-schottischen und den skandinavischen Volksballaden behandelt. (Vgl. Ker, Bing, Steenstrup, Heusler, Mertens, Liestol, Schmidt u. a.). Man hat sich allgemein dahingehend geeinigt, die skandinavische Balladendichtung als die primäre anzusehen, weil, wie besonders Heusler s ) darlegt, erstens die Blütezeit der dänischen Ballade rund 200 Jahre früher anzusetzen ist als die der englischen, zweitens die englische Ballade den Charakter als Tanzdichtung in weit höherem Grade verloren hat, also eine jüngere Entwicklungsstufe darstellt. W e n n aber Käthe M e r t e n s 7 ) sagt: „ D i e englische Ballade stand . . . v o n A n f a n g an unter dänischem Einfluß, und ihre Blüte wäre ohne diesen I m p o r t nicht möglich gewesen," so geht sie m. E. zu weit und berücksichtigt die Eigenwüchsigkeit des national - englischen Balladenkreises zu wenig. (RobinHood-Kreis, Outlaw- und Border-Balladen!) Jedoch liefert sie einen wertvollen Beleg f ü r die Priorität der dänischen Folkevise mit dem Hinweis, daß dänische Balladen, die von heidnischem Aberglauben, von altgermanischer Sage, von christlich-mittelalterlichem Leben und katholischen Glaubensvorstellungen handeln, in England keine eigentlichen Entsprechungen besitzen: Als die Ballade in England blühte, muß eben das Mittelalter schon zu E n d e Stilisierung (recreation), die sich besonders in Schottland a u s w i r k t . " a . a . O . S. 193). ®) Child, F. J . : The English a n d Scottish P o p u l a r B a l l a d s . * ) Über die Balladendichtung des Spätmittelalters, namentlich im vischen Norden. R. G. M. X (1922) S. 17. 7 ) Die Entwicklung der engl.-schott. Y B im Verhältnis zu den F o l k e v i s e r . MS. Diss. Halle 1925.

2

(Schmidt, skandinadänischen

gewesen sein 8 ). — Ker f l ) begnügt sich mit der Feststellung, daß es zwischen den englisch-schottischen und den dänischenVolksballaden Beziehungen gibt; er findet aber, daß die französische Gruppe der dänischen noch näher stehe als die englische. — Demgegenüber betont Liestel 1 0 ), daß keine andere Dichtung der nordischen Folkevise so nahe komme wie die englisch-schottische Ballade, wenngleich gerade zur Waldemarzeit eine starke kulturelle Verbindung zwischen Dänemark und Frankreich bestand, und die Form der Tanzspiele und des Refrains höchstwahrscheinlich von Frankreich übernommen worden sind. Käthe Mertens findet in fast 90 englisch-schottischen Balladen inhaltliche Verbindung zum Nordischen, und sie räumt ein, daß hier Einzeluntersuchungen in gründlicherer Weise, als sie sie geben konnte, notwendig sind, — wie sie u. a. auch von S. B. H u s t v e d t u ) und W. Schmidt gefordert werden l2 ). Eine solche Einzeluntersuchung möchte die vorliegende Arbeit liefern. Und sie möchte darüber hinaus versuchen, noch auf eine zweite, ganz andere Frage Antwort zu geben. Das ist die Frage: Was bedeutet die Umstilisierung, — der Wandel von Form und Gehalt, — in diesem besonderen Falle? Kann man sie als Angleichung an das innere Weltbild der Traditionsträger auffassen? Die anonyme Volkskunst und -dichtung läßt immer wieder die Beobachtung machen, wie sich die Form im Lauf der Tradition ändert und mit der Form oft auch — unmerklich fast — Geist und Gehalt. Diese Wandlung hat, — so glauben wir, — ihre inneren Gesetze. Jeder Überlieferungsträger, der genug Eigenwilligkeit und schöpferische Kraft besitzt, schafft das Übernommene um in ein ihm Gemäßes. Und da er selbst in seiner geistigen Haltung bestimmt ist von Volk und Heimat, so schaffen ganze Stämme und Völker durch die Arbeit ihrer Einzelnen das Kulturgut, das von irgendwoher zu ihnen kommt, um in das ihnen Gemäße. Es sei z. B. nur daran erinnert, was aus dem Christentum auf germanischer Erde, in germanischen Herzen geworden ist! Zweifellos war z. B. der Helianddichter in anderer Weise Christ, als es Paulus war. — Hans Naumann " ) nennt den Prozeß der Eingermanisierung fremder Ideen, fremder '®) Mertens a. 0. S. 243. ®) On the History of Ballads 1100—1500. In: Proceedings of the British Academy 1909. — S. 182 f. 10 ) Einleitung zur Sammelarbeit Folkevisor. In: Nordisk Kultur IX. Stockholm-Oslo-Kopenhagen 1931. — S. 13 u ) Ballad Books and Ballad Men. 12 ) Ich verdanke Hrn. Prof. Max Deutschbein den Hinweis auf die Ballade „King Orfeo" (Child 19), deren Refrain noch vollständig norwegisch ist und die ein hervorragendes Beispiel skandinavischer Entlehnung darstellt. Bei Ker und K. Mertens wird sie kurz erwähnt. Sie verdiente ein eingehenderes Studium, auf das aber leider auch ich in diesem Zusammenhang verzichten muß. 1 S ) Wandlung und Erfüllung. 3

Stoffe und Motive die „heilige Wandlung". Seiner Sicht der Probleme hat diese Untersuchung manches zu verdanken. An den "Wanderungen und Wandlungen eines Stoffes innerhalb der germanischen Volkstradition soll untersucht werden, wie die eingeborene Lebenshaltung der Traditionsträger allmählich den Stoff nach ihrem Bilde prägt. Damit wäre die Aufgabe meiner Arbeit umrissen. Sie wird versuchen, in der Untersuchung eines Einzelfalles beide Fragen, — die nach den britischskandinavischen Balladenbeziehungen und die nach der geistesgeschichtlichen Bedeutung der Umstilisierung, — ihrer Klärung einen Schritt näher zu bringen. Es wurde das Beispiel einer über Nordeuropa verbreiteten Volksballade gewählt. (Schottisch: „Fair Janet", Child 64. Dänisch: „Kong Valdemar og hans Saster", Grundtvig 126; dazu schwedische, norwegische, isländische und färöische Fassungen. Deutsch: „Der grausame Bruder", J. Meier, Balladen, Volksausg. N r . 51; dazu eine wendische Fassung. Auch eine französische Ballade, „Les Tristes Noces" (Doncieux-Tiersot 29), wird auf ihre Zugehörigkeit hin untersucht werden.) Zur Lösung der oben bezeichneten Auf gäbe schlage ich folgendenWeg ein: Darstellung und Vergleich der verschiedenen Fassungen unter Berücksichtigung der nationalen und landschaftlichen Besonderheiten, weiterhin Feststellung der Wanderungslinie und schließlich Ableitung der inneren Wandlung aus den äußeren Veränderungen.

4

Erster

Hauptteil.

Darstellung des Materials: Die verschiedenen Gestaltungen des Balladenstoffes. A . Die Ballade im Schottischen. Im Ausgangs- und zugleich im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchungen steht die schottische Ballade „Fair Janet" (Child 64). Sie liegt in 7 Fassungen vor: A: B: C: D:

Sharpe's Ballad Book, p. 1, as sung by an old woman in Perthshire. Motherwell's MS, p. 357, f r o m the recitation of Agnes Lyle, Kilbarchan. Herd's Scots Songs, 1769, p. 303. Motherwell's MS, p. 271, „from Margery Johnston, who had it of her grand-aunt, a very old woman." E: Kinloch MSS, 283, II, 41, f r o m Mary Barr, Clydesdale. F: Buchan's Ballads of the N o r t h of Scotland, I, 97; Motherwell's MS, p. 606.

G: Finlay's Scottish Ballads, II, 61.*) Die Vielheit der Fassungen ist zusammen mit der geographischen Ausdehnung und den Merkmalen der Umstilisierung ein Zeichen f ü r die Volkläufigkeit u n d mündliche Überlieferungsweise dieser Ballade, (vgl. Schmidt § 15). Es gilt zunächst, ihre Fassungen einer genauen und vergleichenden P r ü f u n g zu unterziehen, ehe wir den Verbindungslinien nach Skandinavien und Deutschland folgen. § 1. Gemeinsamer Inhalt aller Fassungen. Heimliche Liebe verbindet Janet mit Willie, aber nach dem Willen ihres Vaters ist Janet einem anderen bestimmt. Sie gibt am Morgen des Tages, der zur Hochzeit ausersehen ist, in aller Verborgenheit einem Kind das Leben. Niemand weiß es als Willie, der auf Janets Geheiß seinen neugeborenen Sohn zu seiner Mutter bringt. Kaum ist er mit dem Kind fort, so ergeht an Janet der Befehl, ihren Brautschmuck anzulegen und dem Braut*) Es gibt noch eine Fassung H (Materials for Border Minstrelsy; Child VIII, 464). Sie entspricht inhaltlich der Sharpe-Fassung am meisten, ist aber auf 41 Strophen aufgeschwollen.

5

zug v o r a n z u r e i t e n . Sie ist schwach und k r a n k , aber sie gehorcht. Bei der H o c h z e i t s f e i e r versagt sie allen den T a n z , n u r i h r e m Geliebten nicht. Sie s t i r b t in Willies A r m e n . Dies ist n u r der ganz allgemeine R a h m e n , innerhalb dessen sich eine une r h ö r t reiche M a n n i g f a l t i g k e i t entwickelt. Gerade die Ballade „ F a i r J a n e t " v e r f ü g t ü b e r einen besonders großen V a r i a n t e n r e i c h t u m , was die einzelnen M o t i v e angeht. N i c h t einmal die Hauptszenen sind in allen 7 Fassungen in gleicher A n z a h l o d e r gar in gleicher Ausgestaltung v o r h a n d e n . E i n k u r z e r U b e r b l i c k wird das darlegen.

§ 2 . Besonderheiten der einzelnen Fassungen. D i e Sharpe- u n d die Finlay-Fassung bringen zu E i n g a n g eine dramatische Wechselrede zwischen J a n e t und i h r e m V a t e r , in der die Situation klargestellt w i r d : J a n e t liebt Willie, soll aber nach dem W i l l e n des Vaters einen French (oder S o u t h l a n d ) L o r d heiraten. I n der Finlay-Fassung wird i h r die A l t e r n a t i v e gestellt: W i l l s t du ihn heiraten oder willst du f ü r Sweet W i l l i e auf d e m Scheiterhaufen v e r b r e n n e n ? Sie will gehorchen, gibt aber zu e r k e n n e n , wie schwer es ihr fällt. I n der Sharpe-Fassung schwört sie sogar: „He's neer enter m y bed." (A 1-^4, G 1—2). N u r in der Sharpe-Fassung nehmen die Liebenden Abschied voneinander. (A 6 — 7 ) . Bei Buchan erwähnt Janet bloß: "They're thinking to sinder our lang love, Willie; It's mair than man can dee." (F 1). A b e r v o n Abschied ist d o r t keine R e d e , sondern v o n gemeinsamer Flucht. I n den anderen Fassungen w i r d das H e i r a t s g e b o t des V a t e r s nirgends v o r der G e b u r t s s z e n e e r w ä h n t . Das F l u c h t m o t i v erscheint außer bei Buchan auch in der 1. M o t h e r w e l l u n d in der H e r d - F a s s u n g . Diese beginnen damit, daß J a n e t ihren G e l i e b t e n b i t t e t , ein Schiff zu bauen u n d darauf m i t ihr zu entfliehen. Bei M o t h e r w e l l sind sie bereits auf der Flucht, als die G e b u r t s w e h e n J a n e t zwingen zurückz u k e h r e n . B e i H e r d k o m m t es gar nicht erst zur Fertigstellung des Schiffes. I n der Buchan-Fassung läßt J a n e t sich zu Pferde in den W a l d b r i n g e n u n d w a r t e t d o r t die G e b u r t des Kindes ab. A u f ihr G e h e i ß läßt W i l l i e sie a m F u ß e eines B a u m e s (eigentlich steht da: auf der S p i t z e des B a u m e s ; vgl. F 7 : "Ye'll do me up, and further up, To the top o yon greenwood tree; For every pain myself shall hae, The same pain ye maun drie." A b e r das m u ß w o h l eine sinnlose V e r d r e h u n g des ursprünglichen T e x t e s sein.) U n d er geht w e i t e r in den W a l d hinein, und in einem seltsamen Z a u b e r m u ß er alle S c h m e r z e n der G e b u r t m i t i h r leiden. Diesen Zug h a t

6

keine d e r anderen Fassungen. — Die 2. M o t h e r w e l l - und d i e K i n l o c h - F a s s u n g beginnen ü b e r h a u p t erst m i t der Geburtsszene und z w a r D u n m i t t e l b a r m i t der d i r e k t e n R e d e ( D 1), während E zwei k o n v e n t i o n e l l e Eingangszeilen bringt. ( E 1). In beiden Motherwell-Fassungen und bei H e r d spielt die Geburtsszene in J a n e t s Gemach, und zwar bittet J a n e t "Willie in B , an ihrer Seite zu bleiben, in C und D dagegen, das Gemach zu verlassen. Bei K i n l o c h wie bei Buchan wird die Geburtsszene ins Freie verlegt (Hügel, W a l d ) . D i e Sharpe- und die Finlay-Fassung lassen die Szene aus, wenigstens in der eigentlichen Darstellung. Dagegen hat die Sharpe-Fassung als einzige das M o t i v , daß die H e l d i n ihren Geliebten aussendet, seine drei Schwestern zu holen, wahrscheinlich, damit diese ihr beistehen. Es wird dann w e i t e r beschrieben, wie sich M e g , M a r i o n und Jean zu i h r e m G a n g zurechtmachen ( A 1 0 ) . D e r G a n g selbst aber und die wohl ursprünglich darauf folgende Geburtsszene fehlen. Es folgt nun in allen Fassungen außer bei K i n l o c h die Szene, die ich i m Folgenden der K ü r z e wegen als G r o ß m u t t e r s z e n e bezeichnen werde: "Willie b r i n g t das n e u g e b o r e n e K i n d (es wird durchweg als S o h n bezeichnet) auf J a n e t s G e h e i ß zu seiner M u t t e r , die es freundlich a u f n i m m t und i h m gute Pflege verspricht. Alle Fassungen h a b e n weiterhin die Schmückungsszene: Janets V a t e r (A und F) — oder V a t e r und B r ü d e r (B) oder „ t h e bold b a r o n e " , w a h r scheinlich der B r ä u t i g a m ( C ) oder vierundzwanzig R i t t e r und L o r d s ( D ) o d e r die M u t t e r ( G ) oder ein U n g e n a n n t e r ( E ) — t r i t t herein und befiehlt, die B r a u t zu i h r e m Hochzeitstag zu schmücken. I n der Sharpe- und der Kinloch-Fassung w e r d e n i h r braune, grüne und r o t e G e w ä n d e r zu i h r e m Hochzeitskleid vorgeschlagen. Sie wählt ein scharlachrotes Gewand. (A 19, E 7 — 8 ) . — J a n e t b i t t e t , bei der Schmückung b e h u t s a m m i t i h r zu v e r f a h r e n , so wenigstens bei H e r d , M o t h e r w e l l II, Buchan und Finlay. Als G r u n d f ü r die B i t t e : "Deal hooly wi my head, maidens, Deal hooly wi my hair", (G 10) gibt sie in D und G an, daß ihr H a a r erst spät a m T a g e z u v o r gewaschen w o r d e n sei und deshalb geschont werden müsse. In der 1. M o t h e r w e l l - und der Finlay-Fassung gebraucht sie den B r ü d e r n bzw. der M u t t e r gegenüber die Ausrede: Ich brauche mich nicht zu schmücken; ich bin so schön, daß aller Schmuck m i r wenig n ü t z t . — Die Schmückungsszene ist ü b e r h a u p t in den einzelnen Fassungen verschieden breit ausgeführt; am breitesten bei Buchan. Das M o t i v , daß die B r a u t sich ihren G e l i e b t e n "Willie als B r a u t f ü h r e r o d e r V o r r e i t e r ausbittet, erscheint in allen Fassungen außer bei M o t h e r w e l l I I und Finlay. I n der Buchan-Fassung versieht er auch die Dienste der K a m m e r z o f e bei der B r a u t s c h m ü c k u n g . — B r a u t r i t t und T r a u u n g werden bei Sharpe u n d H e r d e r w ä h n t ; bei K i n l o c h und Buchan erscheint n u r der B r a u t r i t t -

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in der 1. Motherwell-Fassung sogar nur der kurze Hinweis: „When we come to Mary's Kirk . . . " (B 14), an den sich in Strophe 15 sogleich supper und Tanz anschließen. In den übrigen Fassungen fehlt jeder Hinweis darauf, daß eine wirkliche Trauung zwischen Janet und dem Southland Lord vollzogen worden wäre (D, G). Bei Motherwell kann man eine künstlerische Absicht dahinter vermuten: Auch der geistigen, sakramentalen Verbindung mit dem ungeliebten Mann soll Janet durch ihren Tod zuvorkommen. Dies würde ebenfalls für die Kinloch-Fassung gelten, die den Brautritt bis auf den Kirchplatz von Merrytown gehen läßt und daran gleich die Verdächtigung der Braut und, ohne irgendwelchen Schauplatzwechsel, die Tanzszene anfügt, Die Finlay-Fassung ist zu bruchstückhaft, um ähnliche Schlüsse aus dem Fehlen der Trauungsszene zuzulassen. — Jedenfalls hat man diese Szene allgemein für nicht sehr wesentlich gehalten, da sie nur dürftig ausgestaltet und z. T. weggefallen ist. Ein wichtiger Fingerzeig für die Zusammenhänge der schottischen Ballade mit der dänischen ist das Verdachtmotiv: Die Braut wird öffentlich verdächtigt, ein Kind geboren zu haben oder zu tragen. (C 14, D 10, E l l , F 25). Von diesem Verdacht her gewinnt dann die folgende Tanzszene ein ganz anderes Licht: Janet wird zum Tanzen aufgefordert, um damit ihre Unschuld zu beweisen. Den Tanz als Unschuldsprobe haben auch alle skandinavischen Fassungen. N u r in der Sharpe- und in der 1. MotherwellFassung findet die Tanzszene nicht eine derartige Erklärung. Die FinlayFassung muß ursprünglich auch das Verdachtmotiv gehabt haben; denn Willie beschwört Janets Unschuld (G 11). In anderen Fassungen legt sie selbst diesen Eid ab, (E 12, F 26—27), einen Eid, der immer so formuliert ist, daß er dem bloßen Wortlaut nach nicht als Meineid gelten kann. (Das Festhalten an der formalen Wahrheit unter Umgehung der wirklichen Wahrhaftigkeit spielt in d e r Volksdichtung eine häufige Rolle. Einen ähnlichen Eid finden wir z. B. auch in der Ballade „Clerk Saunders", Child 69, und in „The Bent sae Brown", Child 71). In der Tanzszene selbst verweigert Janet ihren Brüdern, ihrem Vater, den andern Lords und sogar ihrem Bräutigam den Tanz. N u r mit Willie will sie tanzen, „selbst wenn ihr Herz in Stücke bräche". In den Fassungen von Sharpe, Herd, Kinloch und Buchan fordert sie diesen Tanz sogar gegen den Willen des Geliebten, der ihr Leben schonen will. In allen Fassungen aber kommt es irgendwie zum Ausdruck, daß sie f r e i w i l l i g und w i s s e n t l i c h in den T o d tanzt. In der 2. Motherwell- und der Herd-Fassung gibt sie Willie noch ein letztes Pfand (eine Halskette oder den Schlüssel ihrer Truhe) und empfiehlt ihm noch einmal ihren kleinen Sohn. Bei Sharpe, Herd und Kinloch folgt Willie Janet in den Tod. Das wird wiederum verschieden ausgedrückt. *) Die Sharpe- und die Kinloch-Fassung endigen mit der konventionellen rose-briar-Strophe: *) In Fassung H nimmt sich Willie das Leben mit einem „nut-brown sword".

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Fair Janet was buried in Mary's kirk, Sweet Willie in Mary's quiet, And out o the tane there sprang a rose, Out o the tither a brier. And aye they grew, and aye they threw, Till thae twa they did meet, That ilka ane might plainly see They war twa lovers sweet. (E 20—21).

CHild nimmt an, daß Willies T o d zu jeder reinen und vollständigen F o r m der Erzählung gehöre. Die Buchan-Fassung dagegen läßt Willie nicht sterben, sondern den Verstand verlieren, ein besonders in der Tradition des schottischen Nordens beliebtes Motiv 1 ). — Übrigens benimmt sich Willie in dieser Fassung F ziemlich rüpelhaft, indem er den Nebenbuhler mit einem Fußtritt dieTreppe hinunter befördert und ihm dabei drei Rippen zerbricht. Ein anderes Motiv, das Streitgespräch zwischen dem Bräutigam und Willie darüber, ob die Glocken für die tote Janet läuten sollen oder nicht, erscheint bei Motherwell I, Kinloch und Finlay. Das erinnert ein wenig an den Schluß der deutschen Ballade „Der grausame B r u d e r " (das GlockenRaben-Motiv).

§ 3. Der szenische Aufbau 2 ). Faßt man die Gesamtheit des Stoffes, den die 7 Fassungen bieten, sammen, wie es oben geschehen ist, so ergeben sich folgende 9 Szenen: 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9)

zu-

Heiratsgebot des Vaters. Abschied der Liebenden voneinander, bzw. gemeinsame Flucht. Herbeirufung von Willies Schwestern. Geburt des Kindes. Ubergabe des Kindes an Willies Mutter. Brautschmückung. Brautritt und Trauung. Verdächtigung der Braut, Eid, T a n z und T o d . Willies T o d .

N u r die Sharpe-Fassung aus Perthshire bringt alle 9 Szenen. Einzig die Szene „Geburt des Kindes" ist darin unvollständig und enthält nur den letzteren Teil, in dem Janet Willie das Kind übergibt mit der Weisung, es zu seiner Mutter zu bringen. — Die Herd- und die Buchan-Fassung bringen 7 Szenen; die 1. Motherwell-Fassung hat 5, die 2. Motherwell- und die Kin») wie Fritz Panke in seiner Untersuchung „Die schottischen Liebesballaden" nachgewiesen hat. 2 ) Die szenische Aufteilung von Balladen geht von der Schule Max Deutschbeins aus.

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loch-Fassung liefern 3 Szenen. D a s f ü r sich allein unverständliche F r a g m e n t G (Finlay) hat 4 Szenen bewahrt, m u ß aber einst umfangreicher gewesen sein. Hier erhebt sich sofort die F r a g e : H a b e n wir es mit einer Szenenverminderung o d e r m i t einer A u f Schwellung des Stoffes zu tun? M i t anderen W o r t e n : Sind die vielszenigen oder die dreiszenigen Balladenvarianten die älteren?

§ 4. Das Alter der Ballade. D a s A l t e r einer Volksballade, ja, eines Volksliedes ü b e r h a u p t ist meistens n u r schwer festzustellen, da die S a m m e l t ä t i g k e i t überall verhältnismäßig spät eingesetzt hat. Die schriftliche F i x i e r u n g eines solchen Liedes liegt o f t u m J a h r h u n d e r t e hinter d e m Z e i t p u n k t seiner ersten Erschaffung durch irgendeinen meist u n b e k a n n t e n Sänger, seiner ersten "Wanderung v o n M u n d zu M u n d zurück. Auch M e t r i k u n d Sprache sind nicht i m m e r unfehlbare Kennzeichen, da es ja z u m Wesen allen V o l k s g u t e s gehört, daß es sich mit seinen T r ä g e r n zu wandeln v e r m a g , u n d ein alter Stoff auf diese Weise in ein neues G e w a n d gelangen kann. — N u r solche Lieder, die ein nachprüfbar historisches Ereignis besingen, besitzen f ü r ihre D a t i e r u n g wenigstens nach rückwärts eine feste Grenze. — In diesem Fall befindet sich die Ballade „ F a i r J a n e t " , wenn sie, was ich nachzuweisen hoffe, auf die dänische Ballade „ K o n g V a l d e m a r o g hans S o s t e r " zurückgeht. Diese dänische Ballade besingt nämlich ein Ereignis aus der Regierungszeit W a l d e m a r s des G r o ß e n u n d kann also keinesfalls früher als in der 2. H ä l f t e des 12. J h s . gedichtet w o r d e n sein. — V o n d o r t bis zu „ F a i r J a n e t ' s " frühester uns bekannten schriftlichen Fixierung durch H e r d im J a h r e 1769 erstreckt sich aber ein so weiter Spielr a u m , daß uns mit dieser Feststellung nur wenig gedient ist. F ü r die vorliegenden 7 Fassungen v o n „ F a i r J a n e t " ließe sich allerdings auf G r u n d gewisser sprachlicher M e r k m a l e eine weitere Feststellung machen: Die auslautende Vokalisierung der 1 u n d v, die wir darin wahrnehmen, trat im Schottischen erst gegen E n d e des 15. J h s . auf. (Alois B r a n d l wendet dies K r i t e r i u m auf die Ballade „ J o h n i e C o c k " an 3 )). V o k a l i s i e r u n g des 1 tritt auf in A 14 (sma'), B 12, 15, 22 (sma', fa'n, a'), C 16 (sma'), D 15, 17 ( f u \ wa'), E 16, 19 (fa', a'), F 1 6 , 17, 22, 28 ( a \ sma', wa', shamefu'), G 7 ( a ) ; Vokalisierung des v in C 18 (gie), F 5, 6 (hae, gie), G 6, 12 (hae, gie). — A b e r was beweist das? Eine solche Vokalisierung k ö n n t e ja auch erst später w ä h r e n d der Volksläufigkeit in ein bereits bestehendes Gedicht eingedrungen sein. D a keine dieser Fassungen v o n einer andern dieser R e i h e direkt abzuleiten ist, vielmehr jede eine individuelle Sonderentwicklung darstellt, liegt es nahe, sie auf eine noch f r ü h e r e gemeinsame V o r s t u f e z u r ü c k z u f ü h r e n . 3

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) Zur Kritik der englischen Volksballaden, Heinzel-Festgabe, Weimar 1898.

Motivgemeinsamkeiten, die die 7 Fassungen kreuz und quer untereinander verknüpfen, ohne doch absolut identische Gestaltungen zu erzeugen, würden gleichfalls für diese Annahme sprechen. Die Entwicklung dieser Variationen dürfte mindestens den Zeitraum von einem Jahrhundert beansprucht haben, so daß man also, v o m Zeitpunkt der ersten Aufzeichnung rückwärts gerechnet, ins 17. Jh. geführt würde. Wie aber die besagte V o r s t u f e ausgesehen haben könnte, — ob sie die einfachste G r u n d f o r m oder im Gegenteil, was eher anzunehmen ist, die motivreichste und vollständigste F o r m darstellte, — das ist nicht mit letzter Gewißheit zu sagen. Vielleicht war auch schon irgendeine skandinavische Ballade oder Sage dies gemeinsame Muster, das gleich in verschiedenen Fassungen ins Schottische überging, ohne zunächst eine einheitliche schottische U r f o r m zu erzeugen. Wie dem auch sei: Die Konstruktion einer schottischen Urballade „Fair J a n e t " ist ein müßiges Beginnen. Wir müssen uns an das Material halten, das wir besitzen. A l l e mündlichen Versionen eines Balladenstoffes sind wichtig, sagt H u s t v e d t 4 ) , sie s i n d die Balladen. „Archetypes are not to be found, nor can they be critically reconstructed with any assurance." V o n unseren 7 Balladen ist der Aufzeichnung nach, wie bereits gesagt, die Herd-Fassung die älteste. Doch braucht die Tatsache, daß diese schon gegen 1769, die anderen dagegen zu A n f a n g des 19. Jhs. aufgezeichnet wurden, durchaus nicht zu besagen, daß sie deshalb u m 50 Jahre älter ist. — Es gibt, wie mir scheint, keine Gründe, f ü r die 7 Fassungen große Altersunterschiede anzunehmen. Bei der Aufzeigung der Wanderungslinie werde ich auf diese Frage noch einmal eingehen.

§ 5. Die geographische Verteilung und ihr Einfluß auf die Gestaltung. Ihre inhaltlichen Unterschiede verdanken die schottischen Fassungen wahrscheinlich weniger zeitlichen, als räumlichen Abständen. — Auf die Bedeutung der geographischen Verteilung hat schon Fritz P a n k e 5 ) hingewiesen. E r unterscheidet besonders die Traditionen des schottischen Westens und des Nordostens deutlich voneinander. Der Westen liebt eine möglichst knappe, schlichte, edle Formulierung des Stoffes und zeigt die Tendenz zu Szenenverminderung und fortschreitender Dramatisierung. Der N o r d osten schwellt die Stoffe auf, bereichert sie mit neuen, o f t r o m a n e s k e n 8 ) Motiven, geht ins Detail und gefällt sich in epischer Breite. — V o n hier aus, so sehen wir, erledigt sich auch die Frage nach dem Altersvorrang der viel«) In: Ballad Books and Bailad Men. «) a . a . O . 8 ) Ich gebrauche den Begriff „romanesk" im Sinne der Deutschbeinschen Schule.

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szenigen und der dreiszenigen Varianten. Es ist dies weniger eine Frage des Alters als der Landschaftstradition. Breite wie knappe Gestaltungen des gleichen Stoffes können in der gleichen Zeit vorkommen, aber in verschiedenen Gegenden. Untersucht man die geographische Herkunft unserer 7 Fassungen und vergleicht damit ihre Aufteilung in Szenen, so zeigt es sich, daß Fritz Panke mit seiner Beobachtung recht hat. Die beiden Motherwell-Fassungen und die Kinloch-Fassung (nach Child B, D und E) stammen eindeutig aus Westen bzw. Südwesten, nämlich aus Kilbarchan und dem Tale des Clyde-Flusses. B ist fünfszenig, D und E haben sogar nur 3 Szenen. — Die aus Nordschottland (Aberdeenshire) stammende Buchan-Fassung dagegen umfaßt 7 Szenen. Auch Perthshire, das mittlere Gebiet Schottlands, scheint sich kulturell mehr dem Norden anzuschließen, denn die Sharpe-Fassung weist, wie wir sahen, sogar 9 Szenen auf, obwohl sie mit ihren 30 Strophen hinter der 35-strophigen Buchan-Fassung an Länge zurückbleibt. Herd hat nördlich von Edinburgh gesammelt, mag also auch dort seine Fassung von „Fair Janet" entdeckt Haben. Da aber James Johnson in „The Scots Musical Museum" (Nr. 596) die gleiche Fassung in verkürzter Form mit einer Melodie von den Orkney-Inseln verbindet, darf man wohl die ursprüngliche Heimat des Textes ebenfalls im äußersten Norden Schottlands, wenn nicht gar auch auf diesen Inseln, suchen. Diese Fassung teilt das Geschehen ebenfalls in 7 Szenen ein. Finlay's Fassung ist „made up from various fragments" und scheidet deshalb für eine Untersuchung der Landschaftsgebundenheit aus. Nicht nur an der Anzahl der Szenen, sondern am Gesamtcharakter der einzelnen Fassungen ist die Verschiedenheit der Landschaftstraditionen abzulesen. Die Balladen der westlichen Tradition zeichnen sich durch Straffung und beschleunigtes Tempo aus. Rein äußerlich zeigt sich das schon in einer Verminderung der Gesamtlänge. Die westliche Gruppe (Kinloch- und Motherwell-Fassungen) weist Längen von 22, 17 und 21 Strophen auf, die nordöstliche Gruppe (Sharpe und Buchan) solche von 30 und 35 Strophen. An dieser Straffung des Stoffes in der westlichen Traditionsgruppe hat zunächst die erwähnte Verminderung der Szenen teil, daneben aber auch eine verkürzte Ausführung der stehengebliebenen Szenen. Die 1. MotherwellFassung besitzt an ausgeführten Szenen nur noch Flucht, Geburt, Kindesübergabe, Brautschmückung und Tod. — Die 2. Motherwell- und die Kinloch-Fassung beginnen, wie wir sahen, erst mit der Geburtsszene. (D 1—3). D schließt daran die Großmutterszene (4—6) und endlich die große Schlußszene (7—17), die in Janets Gemach beginnt und, ohne ausgesprochenen Schauplatzwechsel, die Schmückung der Braut,Verdächtigung, Tanz und Tod umschließt. Auch E, die Kinloch-Fassung, gibt nur drei große Schauplätze und damit 3 Szenen: Die Geburtsszene auf einem Hügel im Freien, (1—3), die Brautschmückung in Janets Gemach (4—9), und schließlich, nach einem einstrophigen Brautritt-Ubergang (10), den tragischen Abschluß auf dem 12

Kirchplatz in Merrytown. (11—19). Die beiden konventionellen rose-briarStrophen (20—21) bilden nur ein Anhängsel, das nicht als Szene empfunden wird. O b w o h l bei einer so radikalen Szenenverminderung die einzelne Szene naturgemäß an Handlung überladen ist, wirkt sich in der westlichen Tradition oft auch noch innerhalb der Einzelszene die Tendenz zu StrafFung und Verkürzung aus, während die Tradition des Nordostens häufig gerade die an n o t w e n d i g e r Handlung viel weniger belastete Einzelszene noch durch Hinzufügung unwesentlicher Elemente in die Breite zu ziehen strebt. Die unterschiedliche Behandlung ein und derselben Szene in den verschiedenen Landschaftstraditionen wird am besten durch Beispiele klar. Ich wähle zum Vergleich zunächst die Szene der Übergabe des Kindes an Willies Mutter, die sog. Großmutterszene, die in allen Fassungen außer bei Kinloch vorkommt. Die Varianten der westlichen Überlieferung gestalten sie wie folgt: B (Motherwell I): 8) He is to his mother's bowers, An hour or it struck nine: "I have a babe into my arms, He'll die for nouricing." 9) "Goe home, go home, my son," she says, And tnak thy Jenny blythe; If ae nurse winna sere her son, It's I'll provide him, five." W i e wir sehen, besteht diese Szene fast ganz aus Dialog, ist also weitestgehend dramatisiert. Auch die kurze zweizeilige Einführung: "He is to his mother's bowers, An hour or it struck nine," dient keineswegs der epischen Ausmalung der Situation, sondern gleicht in der Nüchternheit der genauen Zeitangabe vielmehr einer Szeneriebemerkung. — Das Ammenmotiv tritt, wie wir sehen werden, in allen Fassungen auf, und zwar immer in der F o r m , daß die G r o ß m u t t e r dem Kind noch mehr Ammen verspricht, als dereinst ihr Sohn selber gehabt habe. D (Motherwell II): 4) He's awa wi his auld son in his coat-neuK, As fast as he can run, And there he's reached his mother's bowers, Twa hours before day came. 5) "0 rise, 0 rise, my mother dear, 0 rise and let me in, For I've my aidd son in my coat-neuk, And he shivers at the chin." 13

6) "Ye're welcome hame to me, Lord William,, And so is thy auld son; It's where ye had but ae nourice, Thy auld son he'll hae four."

Die Szene umfaßt hier drei Strophen, ist also um eine Strophe länger als in B. Bei näherem Zusehen entdeckt man aber, daß Strophe 4 eigentlich überzählig ist. Sie verdankt ihr Dasein dem Umstand, daß in der Balladensprache die Ausführung eines Auftrags stets mit genau den gleichen Worten wiedergegeben wird, wie der Auftrag selbst. So ist Strophe 4 eine Kopie der Strophe 3, in der es heißt: "Turn "Take And Twa

back, turn back, Lord William," she says, thy auld son in thy coat-neuk, see and reach thy mother's bowers hours before day comes."

Der Balladensänger hätte sich ja auch mit einem " H e did so" begnügen können; allein das widerspräche allem Herkommen. — Die Strophen 5 und 6 bringen wieder nur die direkte Rede in dramatischer Gegenüberstellung. Der Dialog ist hier übrigens viel lebendiger und mit größerem Talent gestaltet als in B. Wie eindringlich wirkt das dreimalige " O rise" in Strophe 5; und welch ein anschauliches Bild liefert die Beschreibung: "For I've my auld son in my coat-neuk, And he shivers at the chin."!

Das ist realistisch und zugleich teilnehmend beobachtet 7 ). Dieses "he shivers at the chin" stellt die Verlassenheit des Kindleins viel rührender dar als das entsprechende "he'll die for nouricing" der Fassung B. W i r lieben jedenfalls dies "shiver" mehr, obwohl „die" doch eigentlich das stärkere Wort ist. Woran liegt das? Ich glaube, daran, daß die Formulierung von D uns balladenhafter erscheint als die von B. Die echte Balladensprache liebt die Verhüllung; sie spricht von großen und feierlichen Dingen wie Liebe und Tod nur in Andeutungen und Umschreibungen; sie gibt Geste und Symbol für die Sache selbst. "He'll die for nouricing" ist schon zu direkt, zu brutal ausgedrückt. Und nun zur Großmutterszene in der nordöstlichen Überlieferung! A (Sharpe):

12) He's tane his young son in his arms, And kisst him cheek and chin, And he's awa to his mother's bower, By the hie light o the moon. 13) "0 open, open, mother," he says, "0 open, and let me in; The rain rains on my yellow hair,

7 ) Diese Realistik und Gefühlsteilnahme stellt auch Panke (a. a. 0 . ) fest, wenn er die Fassungen D und P von Fair J a n e t zur Stützung seiner These einander gegenüberstellt.

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And the dew drops oer my chin, And I hae my young son in my arms, I fear that his days are dune." 14) With her fingers lang and sma She lifted up the pin, And with her arms lang and sma Received the baby in. 15) "Gae bach, gae back now, Sweet Willie, And comfort your fair lady; For where ye had but ae nourice, Your young son shall hae three." In dieser Fassung hat die Großmutterszene ihre größte Aufschwellung e r f a h ren, a u f 4 Strophen nämlich, deren zweite außerdem sechszeilig ist. Die Gefühlsteilnahme spielt auch hier eine R o l l e : W i l l i e k ü ß t seinen kleinen Sohn a u f "cheek and chin". Romantisch verklärend scheint über der Szene " t h e hie light o the m o o n " (vgl. E a r l B r a n d B 11 und 1 4 ; außerdem L o r d T h o m a s and F a i r Annet I 4). Willies Bitte um Öffnung ist hier ebenso eindringlich wie in der 2. Motherwell-Fassung: 6 Zeilen lang, mit der dreimaligen Wiederholung des Imperativs " o p e n " , mit " O " und " m o t h e r " und v o r allem mit der ausgezeichneten Schilderung seiner Situation: "The rain rains on my yellow hair, And the dew drops oer my chin." D i e letzte Zeile der Strophe n i m m t mit dem " d a y s are dune" ein M o t i v auf, das schon in Strophe 8 und 9 dieser Fassung begegnet. — I n S t r o p h e 14 legt der Balladensänger eine verblüffende Beobachtungsgabe an den T a g : nachts erscheinen alle weißen Gegenstände gespenstisch verlängert. D i e A r m e wie die Finger der M u t t e r werden als " l a n g and s m a " geschildert. M a n sieht f ö r m lich, wie die Fensterläden zurückklappen und zwei lange, weiße Arme herauslangen, um das Bündel in E m p f a n g zu nehmen. D e r Balladensänger gefällt sich in der Ausmalung dieser Situation, so nebensächlich sie f ü r das G a n z e ist. — N u r die letzte dieser 4 Strophen dient nicht einer mehr oder weniger romanesken Schilderung, sondern der beruhigenden Mitteilung an W i l l i e , daß sein Sohn wohlversorgt ist. F (Buchan): 12) Then he's taen up his little young son, And kissd him, cheek and chin, And he is on to his mother, As fast as he could gang. 13) "Ye will take in my son, mother, Gie him to nurses nine; Three to wauk, and three to sleep, And three to gang between." D i e erste dieser beiden Strophen entspricht ziemlich genau A 12. D i e zweite stellt in direkter R e d e sehr k n a p p , fast im Befehlston, zusammen, was W i l l i e 15

von seiner Mutter erwartet. Das Ammenmotiv erscheint hier insofern umgewandelt, als hier nicht die Mutter von sich aus die gute Wartung des Kindes verspricht, sondern W i l l i e sie fordert. Er verlangt nicht weniger als neun Ammen, — eine Übertreibung, die zu dem übrigen Charakter dieser Fassung stimmt. Überhaupt verrät die Gestalt Willies hier schon die Verzeichnung ins Rohe und Übertriebene, die besonders am Schluß dieser Fassung hervortritt, wenn er seinen Rivalen die Treppe hinabwirft und ihm dabei drei Rippen zerbricht. — Ist die Großmutterszene hier in zwei Strophen im Verhältnis zu der sonstigen Weitschweifigkeit der Fassung F ziemlich knapp weggekommen, so wird doch eine weitere Übergangsstrophe (14) benötigt, um zu schildern, wie Willie das Haus seiner Mutter wieder verläßt, zu Janet zurückeilt und sie heimgeleitet. Als Resultat dieses Vergleichs ergibt sich folgendes: Nimmt man die Sharpe-Fassung in diesem Falle als beste Repräsentantin der nordöstlichen Gruppe, so zeigt sich darin der westlichen Gruppe, besonders der 1. Motherwell-Fassung, gegenüber eine stärkere Freude an gemäldehafter Situationsschilderung, die sich auch auf nebensächliche Situationen erstreckt. Die westliche Tradition dagegen scheint die Großmutterszene weniger als interessante Einzelepisode denn als Glied der fortschreitenden Handlung zu werten. Audi da, wo der Bericht ein wenig verweilt, um eine kleine Ausschmückung, eine Detailschilderung, einzufügen (vgl. D 5 : " H e shivers at the chin"), beschränkt sich diese auf eine Gestalt, die noch in der Sphäre des Gesamtinteresses steht. Mit "he shivers at the chin" w i r d nämlich die Verlassenheit des Kindes dargestellt, ebenso die Notwendigkeit, ihm zu H i l f e zu kommen. Und man täusche sich nicht darüber, daß das Kind eine Hauptfigur darstellt! Nicht umsonst beginnt die Ballade nicht mit der Vorgeschichte der Liebe, sondern mit der Geburt des Kindes. Nicht umsonst hat die auf den ersten Blick nebensächlich erscheinende Großmutterszene in fast allen Fassungen ein so zähes Leben bewahrt. Der Sänger der Ballade wußte wohl, daß seine Hörer über das Geschick des kleinen Sohnes befriedigt sein wollten. — Auch Wolf gang Schmidt macht darauf aufmerksam, daß es in der schottischen Liebesballade weniger auf das Liebeserlebnis, als auf den inneren Konflikt und besonders auf das Kind ankommt 8 ). — Wenn dagegen die Sharpe-Fassung z. B. von den langen, schmalen Armen und Fingern der Großmutter spricht, so ist das nichts weiter als ein erzählerischer Luxus; denn die Großmutter spielt für das eigentliche Balladengeschehen weiter keine Rolle. Noch eine andere Szene kennzeichnet die Sharpe-Fassung als zur Tradition des Nordostens gehörig: Die Szene mit den drei Schwestern Willies nämlich, die nur in dieser Fassung vorkommt. Sie ist eine Umständlichkeit mehr im Verlauf der Erzählung: 8) "But ye mann gang to your three Meg, Marion, and Jean; 8) Vgl. a. a. 0. S. 157. 16

sisters,

Tell them to come to Fair Janet, In case that her days are dune." 9) Willie's awa to his three sisters, Meg, Marion, and Jean: "0 haste, and gang to Fair Janet, I fear that her days are dune." 10) Some drew to them their silken hose, Some drew to them their shoon, Some drew to them their silk manteils, Their coverings to put on, And they're awa to Fair Janet, By the hie light o the moon.

Meg, Marion und Jean sollen Janet bei der Geburt beistehen, aber zuvor wird bis ins Einzelne beschrieben, wie sie sich ankleiden und auf den Weg machen. "Silk manteils" in einem Augenblick höchster Spannung! Der Erzähler spielt mit seinem Publikum. Wenn dessen Interesse aufs lebhafteste erregt ist, hält er es mit Nebensächlichkeiten hin. Er genießt seine Erzählkunst in voller Breite. Typisch nordöstlich zeigt sich aber vor allem die Buchan-Fassung, wenn das auch in der Großmutterszene weniger deutlich zutage trat. Die Geburtsszene z. B. wirkt sensationell und phantastisch bis zum Bizarren. Willie hat Janet auf ihre Bitte zu Pferde in den Wald gebracht. Man gewinnt den Eindruck, daß es sich hier um das aus der 1. Motherwell- und aus der HerdFassung bekannte Fluchtmotiv handelt. Jedenfalls geschieht der Aufbruch heimlich und ohne Gefolge, und zwar nachts (before that it be day). Die Geburtsstunde naht heran, und Janet erhebt die Forderung: 6) "Ye'll gie me a lady at my back, An a lady me beforn, An a midwife at my twa sides, Till your young son be born."

Woher soll Willie in der Einsamkeit die drei Ladies nehmen? Es kommt aber noch merkwürdiger: 7) "Ye'll do me up, and further up, To the top o yon greenwood tree; For every pain myself shall hae, The same pain ye maun drie." 8) The first pain that did strike Sweet Willie, It was into the side; Then sighing sair said Sweet Willie, These pains are ill to bide! 9) The nextan pain that stroke Sweet Willie, It was into the back; Then sighing sair said Sweet Willie, These pains are women's wreck!

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10) The nextan pain that strake Sweet Willie, It was into the head; Then sighing sair said Sweet Willie, I fear my lady's dead! Das Motiv, daß Willie alle Schmerzen der Geburt mit Janet leiden muß, ließe sich allenfalls erklären als Symbol für seine starke seelische Anteilnahme. (Vgl. Gerould: " T h e pangs of labour, which Sweet Willie endures in one version of Fair Janet can scarcely be said to point to an established custom, but they do emphasize the primitive character of the lore about child-birth, since sympathetic affliction of this sort has been reported from peoples of low culture in many parts of the w o r l d . " ) 9 ) — W a s aber soll der Umstand, daß Janet ihr Kind auf dem Wipfel eines Baumes zur W e l t bringt? — Eine oft allzu üppig wuchernde Phantasie scheint mir doch die Kehrseite der nordöstlichen Erzählfreude zu sein. — Ein Beispiel für die epische Breite dieser Fassung ist besonders die Schmückungsszene, die es hier auf 8 Strophen gebracht hat. (Vgl. F 15—22). Audi hier spielt Willie eine größere Rolle als in den anderen Fassungen; denn seine Aufgabe ist hier nicht nur, das Pferd zum Brau tritt zu satteln und die Braut zur Kirche zu führen, sondern er legt ihr auch Schuhe, Handschuhe und Miederschnur an, weil er allein weiß, wie es um sie steht (who knew her troubles best). — Der Schluß der Buchan-Fassung entgleist völlig ins Geschmacklose. W i r haben bereits mehrfach von dem Fußtritt gesprochen. E r soll das Gerechtigkeitsgefühl eines primitiven Publikums befriedigen. — Das run-mad-Motiv der Schlußstrophe ist nach Fr. Panke in der Landschaftstradition des Nordostens besonders beliebt. Mancher nordöstliche Balladensänger findet es rührender, den Helden seines Verstandes zu berauben statt ihm den Gnadenstoß zu geben. (Vgl. die Lady in " L o r d Ingräm and Chiel W y e t " und in "Willie and Lady Maisry", Child 6 6 und 70.): F 35) Nae meen was made for that lady, When she was lying dead; But a' was for him Sweet Willie, On the fields for he ran mad. Panke stellt an der Tradition des Westens die Tendenz zu fortschreitender Dramatisierung fest. Dazu gehört auch der dramatisch bewegte Eingang und der Ausfall langer Einleitungsszenen, den wir in beiden Motherwell-Fassungen von Fair Janet (B und D ) wahrnehmen können. Janets Rede führt uns beidemal gleich mitten in das Ereignis hinein. I n B bittet sie Willie, ein Schiff zu bauen und sie darauf zu entführen: B 1) "If you do love me weel, Willie, Ye'll shew to me truelie; Ye'll build to Trie a bonnie ship, And set her on the sea." ®) Ygl. a. a. 0. S. 158. 18

In D , das gleich mit der Geburtsszene beginnt, bittet sie den Geliebten, das Gemach zu verlassen, weil seine Anwesenheit bei der Geburt der Sitte widerspricht: D 1) "It never was my mother's fashion, As little will't be mine, For to hae gay lords within my room When ladies are travailing."

Übrigens müssen wir auch A, der Perthshire-Fassung, einen dramatisch bewegten Eingang zugestehen. Sie beginnt jedenfalls auch mit der direkten Rede, die noch dazu durch den dreimaligen gleichen Zeilenanfang einen seltsam beschwörenden Charakter annimmt: A 1) "Ye Ye Ye In

maun gang to your father, Janet, maun gang to him soon; maun gang to your father, Janet, case that his days are dune."

Wer diese Aufforderung an Janet richtet, wird nicht gesagt. Vielleicht ist es eine Stimme ihres Innern, die Stimme der Kindesliebe, die sie zu dem alten Vater ruft, "in case that his days are dune". Es handelt sich hier also um die Einleitung zu einer Unterredung zwischen Janet und ihrem Vater, die ihrerseits die Einleitung bildet zum eigentlichen Balladengeschehen, indem sie erst die Situation klarstellt. Währenddessen führen die Motherwell-Fassungen direkt in das Geschehen selbst ein. — Ein interessanter Vergleich drängt sich hier auf zwischen der Sharpe- und der Kinloch-Fassung (A und E). E gibt nämlich ebenso wie A die Grundsituation deutlicher zu erkennen: Daß Janet nach dem Willen ihres Vaters einen anderen als ihren Geliebten heiraten soll (was man in den übrigen Fassungen außer in G erst erraten muß). Doch E bringt diese Klarstellung nicht zu Anfang wie A, sondern flicht sie geschickt in die Schmiickungsszene mit ein: E 4) She was na scarcely brought to bed, Nor yet laid on her side, Till in and cam her father there, Crying, Fy, gae busk the bride. 5) "A wearyed bride am I, father, A wearyed bride am I; Must I gae wed that southlan lord, And let Sweet Willie abe?"

Damit wird eine Belastung der Eingangsszene durch langatmige Erklärungen vermieden, und man kann den Beginn der eigentlichen Handlung, die Geburtsszene, sofort an den Anfang setzen, wie es die Kinloch-Fassung ja auch tut. — Doch soll das keine Kritik an dem in seiner Art sehr guten und eindrucksvollen Eingang der Sharpe-Fassung bedeuten. Man kann übrigens die Beobachtung machen, daß diese Sharpe-Fassung aus Perthshire, die wir aus verschiedenen Gründen trotz ihrer landschaft19

liehen Mittelstellung der Tradition des Nordostens zurechneten, dennoch in manchen Zügen auch inhaltlich diese Mittelstellung zum Ausdruck bringt. So bemerkten wir schon verschiedentlich Gemeinsamkeiten mit der KinlochFassung aus dem Clydesdale. In der Schmückungsszene z. B. zeigt sich eine solche Übereinstimmung der beiden Varianten. Hatten wir schon anläßlich der Großmutterszene die Sharpe-Fassung als besonders m a l e r i s c h erkannt, so bestätigt sich dieser Eindruck durch die Entdeckung, daß der Dichter in den Schmuck- und Sattelszenen stark mit Farbenadjektiven arbeitet: A 19) Some put on the And some -put on But Janet put on To shine foremost

gay green robes, the brown; the scarlet robes, throw the town.

20) And some they mounted the black And some mounted the brown; But Janet mounted the milk-white To ride foremost throw the town.

steed, steed,

In den anderen Fassungen findet sich nichts Entsprechendes außer bei Kinloch: E 6) "Now chuse, What shall Now chuse, And I will

now chuse now, Fair Janet, your deeding be; now chuse now, Fair Janet, gie it to thee.

7) Whether will you hae it of the berry brown, Or of the holland green; Or will you hae it of the crimson red, Most lovely to be seen?" 8) "I will not hae't of the berry brown, Nor yet o the holly green, But I will hae't of the crimson red, Most lovely to be seen."

W i r sehen, wie beidemal die drei Farben grün, braun und rot zur Wahl gestellt werden, und wie beidemal die Braut das rote Gewand wählt. — Dieses besonders hervorgehobene "scarlet" oder "crimson red" hat vielleicht eine bestimmte Bedeutung. Audi die dänische Kirstin-Ballade spricht (wie ungezählte andere dänische Folkeviser) vom "skarlagen skind". Das Scharlachtuch spielt in der Volksdichtung überhaupt eine große Rolle. Es ist das Gewand der Könige; aber häufig liegt es auch über einer Bahre. Scharlachrot ist die Farbe aller großen Gelegenheiten, Freud oder Leid. Scharlachrot ist auch die Farbe des Blutes. In der tragischen Ballade "Earl Brand" (Child 7) verheimlicht der Held seiner Geliebten die tödliche Wunde, die er empfangen hat. Aber als sie sich am Flusse zum Trinken niederbeugen, wird sie sein Blut gewahr, das sich mit den Wellen mischt: Till he came to the water-flood: "0 good Earl o Bran, I see blood!"

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Er aber antwortet: "0 it is but my scarlet hood That shines upon the water-flood."

Die drei Rosse, das schwarze, das braune, und das milchweiße, treten übrigens auch in anderen Child-Balladen auf, z. B. in "Lady Maisry", wo sie Lord William zu der Geliebten tragen, die auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden soll. — Übrigens endigt die Fair-Janet-Ballade auch nur bei Sharpe und bei Kinloch mit der rose-briar-Strophe, — eine weitere Gemeinsamkeit dieser beiden Fassungen. Es handelt sich hier allerdings um ein in der Child-Ballade ungemein häufiges Motiv. (Vgl. Nr. 7: Earl Brand, Nr. 73: Lord Thomas and Fair Annet, Nr. 74: Fair Margaret and Sweet William, Nr. 75: Lord Lovel, Nr. 85: Lady Alice, Nr. 87: Prince Robert). Bisher haben wir die Herd-Fassung noch nicht als Vertreterin der nordöstlichen Geschmacksrichtung aufgeführt. Herd hat im allgemeinen nördlich von Edinburgh gesammelt; aber es gibt, wie bereits angedeutet, Gründe, die Heimat dieser Fassung im äußersten Norden Schottlands zu suchen. Immerhin fällt es schwer, sie mit der Sharpe- und Budhan-Fassung in eine einheitliche Linie zu bringen. Sie erinnert in ihrem Gesamtcharakter vielmehr an den Stil der südwestlichen Fassungen. Zunächst ist sie kurz und straff gebaut. Sie umfaßt nur 19 Strophen. Ihrer Szenenanzahl nach scheint sie zwar der Nordostgruppe anzugehören. Aber lediglich dadurch, daß durch Übergangsstrophen oder -Zeilen die Schauplätze säuberlich voneinander geschieden sind, (was bei Motherwell II und bei Kinloch eben nicht der Fall ist), haben sich hier 7 Szenen gebildet. Sonst zeigt sich überall eine straffe Konzentration auf das Wichtigste. Die Großmutterszene z.B. schrumpft auf eine Strophe zusammen: C 10) He's taen his young son in his arms, He's kissd him, cheik and chin; He's hied him to his mother's bower, By th' ae light of the moon.

Das entspricht, wie wir sehen, fast Wort für Wort 'der Strophe A 12. Aber während in A noch drei weitere Strophen zu dieser Szene gehören, bleibt sie hier auf die zitierte Strophe beschränkt. Zwar muß ursprünglich dort noch etwas erfolgt sein, da die Anfangszeile der nächsten Strophe (And with him came the bold barone) in dem jetzigen Zusammenhang unverständlich ist. Aber jedenfalls hat man die übrigen Strophen der Großmutterszene für entbehrlich gehalten und sie, aus einem starken Konzentrationsbedürfnis heraus, später fortgelassen. — Auch die Schmuck- und Sattelszenen erscheinen stark verkürzt. Diese Szenen, die bei Sharpe und Kinloch 6, bei Motherwell I 5, bei Motherwell I I 3, bei Finlay 4 und bei Buchan gar 8 Strophen umfassen, sind in der Herd-Fassung auf 2 Strophen beschränkt: C 11) And with him came the bold And he spake up wi pride:

barone,

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"Gar seek, gar seek the bower-maidens, Gar busk, gar busk the bryde." 12) "My maidens, easy with my back, And easy with my side; 0 set my saddle saft, Willie, 1 am a tender bryde."

Hier sowohl wie in der Großmutterszene hält also C den Rekord an Kürze. — Der Ritt zur Kirche und die Trauung werden in einer Strophe kurz gestreift. — Vollends erstaunlich ist es dann, daß die große, bedeutungsvolle Tanzszene mit der Verdächtigung der Braut, ihrem Bekenntnis zu Willie und ihrem Tod in 4 Vierzeilern Raum findet. Die Buchan-Fassung benötigt hierfür 9 Strophen; bei Motherwell II und Kinloch steht das Gleiche in 7 Strophen ausgedrückt; die 1. Motherwell- und die Sharpe-Fassung, die das Verdaditmotiv nicht einmal haben, gebrauchen noch 5 und 6 Strophen. Die HerdFassung zeigt hier also wiederum die größte Straffheit. Außerdem ist die Schilderungskunst in dieser Szene meisterhaft. Die Gesten, mit denen die einzelnen Gestalten ihre lebhafte, oft leidenschaftliche Rede begleiten, sind sehr sicher gezeichnet und von hoher Ausdruckskraft. Die geschickte Verbindung von Gestik und Rede zeugt von einem überdurchschnittlichen Talent: C 14) 0 up then spake the norland lord, And blinkit wi his ee: "I trow this lady's born a bairn," Then laucht loud lauchters three. 15) And up then spake the brisk bridegroom, And he spake up wi pryde: "Gin I should pawn my wedding-gloves, I will dance wi the bryde." 16) "Now had your tongue, my lord," she said, "Wi dancing let me be; I am sae thin in flesh and blude, Sma dancing will serve me." 17) But The "But But 18)

she's taen Willie by the hand, tear blinded her ee: I wad dance wi my true-luve, bursts my heart in three."

She 's taen her bracelet frae her arm, Her garter frae her knee: "Gie that, gie that to my young son, He'll neer his mother see."

Den Ausdruck "the tear blinded her ee" finden wir übrigens wortwörtlich in der Motherwell-Fassung von "Lady Maisry" wieder, ebenso in "Lord Ingram and Chiel W y e t " , in "Clerk Saunders" und in "Sir Patrick Spens". — Wie wir sehen, fehlt der Tanz selbst, und Janets Tod wird nur in einer Umschreibung gegeben: Sie übergibt Willie ihren Schmuck für das Kind, denn "he'll

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neer his mother sce". — Ähnliches haben wir nur in der 2. Motherwell-Fassung. — Die Zusammengehörigkeit der drei Strophen 1 6 — 1 8 kommt auch äußerlich durch den gleichklingenden Reim zum Ausdruck (be-me, ee-three, knee-see). Sehr eigenartig ist weiterhin die Gestaltung der Schlußszene, die, wiederum in einer Umschreibung, Willies T o d enthält und auch nur eine Strophe umfaßt: C 19) "Gar Gar This This

deal, gar deal the bread, mother, deal, gar deal the wyne; day hath seen my true-love's death, nicht shall witness myne."

Alles in allem betrachtet, scheint es, daß Fritz Pankes Beschreibung der nordöstlichen Tradition auf die Herd-Fassung nicht zutrifft. Aber man kann auch nicht erwarten, daß die Theorie der Landschaftsgebundenheit schlechthin auf a l l e Fassungen der schottischen Volksballade anwendbar sei. Auch der unbekannte Dichter des Volksliedes kann zuweilen über die engen Grenzen seiner Heimatlandschaft hinauswachsen und sein Lied, ohne den Umweg über die Landschaft, zum unmittelbaren Ausdruck einer ganzen Nation machen. — Dies ist wohl der Fall mit der Herd-Fassung. Sie scheint in ihrer gefühlsbetonteren Haltung, ihrem nahezu untadeligen Reim, ihrer verfeinerten, manchmal auch unvolkstümlichen Sprache (vgl. z. B. das "privacie" in Str. 9) ihre Gestaltung einem besonders dichterisch begabten, vielleicht auch literarisch beeinflußten Traditionsträger zu verdanken. Haben wir im Vorhergehenden die Landschaftstraditionen des schottischen Nordostens und des Südwestens gegeneinander abzugrenzen versucht, so sollte diese Unterscheidung keine Wertung bedeuten. Beide Traditionen, so verschieden sie sind, haben große Leistungen hervorgebracht. W i r bewundern z. B. an einer Fassung wie Motherwell I I die Konzentrationsfähigkeit und dramatische K r a f t des Westens, doch beweist die Sharpe-Fassung, daß auch Varianten mit vorwiegend nordöstlicher Prägung durch ihre suggestive Bildkraft und Farbigkeit von ausgezeichneter Wirkung sein können.

§ 6. Stil und Struktur. Betrachten wir nun die Merkmale, die allen Fassungen von " F a i r J a n e t " ohne Unterschied der Landschaft gemeinsam und für die Child-Ballade überhaupt charakteristisch sind! M a x Deutschbein 1 4 ) weist darauf hin, daß den „Epischen Gesetzen" von Axel Olrik u ) auch für die Balladen eine hohe Bedeutung zukommt. Wenn man unsere Fair-Janet-Varianten aufmerksam durchliest, begegnet man den Olrik-Gesetzen sozusagen auf Schritt und T r i t t . 10) Vgl. W. Schmidt a. a. 0 . S. 136 ff. « ) Epische Gesetze der Volksdichtung. Z. f. d. A. LI, S. 1—12.

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Für das Gesetz der "Wiederholung sind die Belege so zahlreich, daß man sie gar nicht alle anführen kann. Die Wiederholung ist das beliebteste dichterische Mittel zur Unterstreichung und Hervorhebung. Sie verleiht vielen Volksdichtungen ihren zauberisch formelhaften Charakter und kann geradezu beschwörende Wirkungen hervorrufen. Ich zitierte schon die Eingangs strophe der Sharpe-Fassung mit dem dreimaligen "ye maun gang", wobei die Dreizahl, das dritte Olrik-Gesetz, verstärkend hinzutritt. — Auch in der 2. Motherwell-Fassung wird das anschauliche Motiv des "auld son" im "coatneuk" dreimal angeschlagen: Zuerst in der Aufforderung Janets (D 3) "take thy auld son in thy coat-neuk", dann in der Ausführung (D 4) "he's awa with his auld son in his coat-neuk", endlich in Willies Appell an seine Mutter ( D 5 ) " f o r I've my auld son in my coat-neuk". — Die dreimalige Wiederholung wird als besonders eindringlich und beschwörend empfunden. „Du mußt es dreimal sagen", verlangt Mephisto, verlangen alle Zauberer und Hexen: B 3) They had not sailed one league, one league, One league but only three, . . . E17) She had na run a reel, a reel, A reel but barely three . . . . F 4) "0 will ye gang to the cards, Ueggie, Or will ye gang wi me? Or will ye hae a bower-woman . . ." G 3) "0 go, 0 go now, my bower-wife, 0 go now hastilie, 0 go now to Sweet Willie's bower . . ."

Die Dreizahl spielt auch sonst eine Rolle. Willie hat d r e i Schwestern: Meg, Marion, and Jean. Janet will mit dem Geliebten tanzen, selbst wenn ihr H e r z in d r e i Stücke bräche. Sie tanzt d r e i - mal rund, ehe sie niedersinkt, usw. — In den Schmuck- und Sattelszenen der Sharpe- und der Kinloch-Fassung tritt Olriks „Dreizahl mit Achtergewicht" auf: Janet wählt nicht das grüne und nicht das braune, sondern das scharlachrote Gewand. (A 19, E 8). Sie besteigt nicht das schwarze und nicht das braune, sondern das milchweiße Roß (A 20). — Häufig sind die Zeilen, die den Reim nicht tragen, einfach identisch: A 6) "There's a French lord coming oer To wed me wi a ring; There's a French lord coming oer To wed and tak me hame." B 7) "Come take your auld son in your He is both large and lang; Come talce your auld son in your And for a nourice gang."

the sea, the sea, arms, arms,

In der direkten Rede sind häufig zwei aufeinanderfolgende Zeilen identisch, mit dem einzigen Unterschied, daß die eine die Anrede noch hinzufügt: 24

A 2) "0 what's your will wi me, father? 0 what's your will wi me?" A 4) " A French lord maun I wed, father? A French lord maun I wed?"

O f t findet man in der zweiten Zeile dann eine kleine Abweichung: C 19) "Gar deal, gar deal the bread, mother, Gar deal, gar deal the wyne." D 9) "Be hooly wi my head, Be hooly wi my hair."

maidens,

Dem Gesetz der Wiederholung verwandt ist das Gesetz der Schematisierung: Gleiche oder ähnliche Situationen, oder auch Auftrag und Ausführung, werden stets mit genau den gleichen Worten wiedergegeben, und so erscheinen o f t ganze Strophen oder gar Strophenfolgen parallel gebaut. Die Volkssprache sucht nicht nach immer neuen Wendungen; sie gebraucht die einmal geprägten wie geheiligte Formeln immer wieder. So erscheint z. B. in Fassung A (Sharpe) die Begründung "in case that his days are dune" in dieser oder in etwas abgewandelter Form nicht weniger als viermal, wobei sie sich einmal auf den Vater (1), zweimal auf Fair Janet (8 u. 9) und einmal auf den kleinen Sohn bezieht. (13). — Sowohl die Szene mit Willies Schwestern wie die Großmutterszene spielt "by the high light o the moon" (A 10 und 12, C 12). Noch weiter geht die Schematisierung in der Fluchtszene der Fassung B (Motherwell I), die vier vollkommen parallel gebaute Strophen aufweist, wovon je zwei u n d zwei beinahe ganz identisch sind: B 1) "If you do love me weel, Willie, Ye'll show to me truelie; Ye'll build to me a bonnie ship, And set her on the sea." 2) He did love her very weel, Be shewed to her trulie; He builded her a bonnie ship, And set her on the sea. A) "If you do love me weel, Willie, Ye'll shew to me trulye; Ye'll tak me to my mother's bower, Whare I was wont to be." 5) He did love her very weel, He shewed to her trulye; He took her to her mother's Whare she was wont to be.

bower,

Ebenso sind am Ende dieser Fassung in der Glockenstreitszene die Strophen 20 und 21 parallel gebaut: 25

B 20) Out and spak her ain bridegroom, And an angry man was he: "This day she has gien me the geeks, Yet she must bear the scorn; There's not a bell in merry Linkum Shall ring for her the morn." 21) Out and spoke then Sweet William, And a sorry man was he: "Altho she has gien you the geeks, She will not bear the scorn; There's not a bell in merry Linkum, But shall ring for her the morn."

Um die Dreizahl voll zu machen, beginnt auch noch die letzte Strophe: "There was not a bell in merry L i n k u m " . . In der Herd-Fassung leitet Janet zweimal, in Strophe 2 und 5, einen "Wunsch mit den "Worten ein: "Now, Willie, gif you luve me As sae it seems to me..."

weel,

In der 2. Motherwell-Fassung beginnt nicht weniger als sechsmal hintereinander (in Strophe 10—15) die direkte Rede mit dem stereotypen "Out then spoke (a southern lord, — her auld, auld father, — a northern lord, — a southland lord, — her ain bridegroom, — her ain "Willy)". — Auch die Kinloch-Fassung gebraucht bei solchen Anlässen immer wieder "out and spake", "up and raise" (vgl. Str. 12—15, 18—19). — In der Buchan-Fassung sind die Strophen 8—10, ferner 17 und 19, 20 und 21 vollkommen parallel gebaut. — "W. Schmidt macht darauf aufmerksam, daß sich in der Tradition der Child-Balladen sog. Gemeinstrophen finden, die, vollkommen zur Formel gefestigt, den verschiedensten Balladen eingeschoben oder angehängt werden, — manchmal da, wo sie nicht hingehören, meistens aber doch, nach dem Gesetz der „Motivattraktion" t 2 ), bei verwandten Situationen in Balladen ähnlichen Grundgehalts. Eine Ballade wird durch solche Gemeinstrophen, wie Schmidt betont, keineswegs degradiert; denn „eine Gemeinstrophe ist . . . die endgültige Sprachausprägung einer Handlung oder Situation, die in Ausdruckskraft und -wert u n d in der rhythmischen Fügung den Überlieferern der Ballade genügte, so daß sie nicht mehr geändert wurde" t 3 ). Eine solche Gemeinstrophe haben wir in der rose-briar-Strophe der Sharpe- und der Kinloch-Fassung vor uns. Schmidt sagt von ihr: „Der große Sinn der tragischen Liebesballade (die Liebe triumphiert in der Einung der Liebenden über die irdischeVernichtung) findet in der rose-briar-Strophe seinen Ausdruck" 1 4 ). — In der Buchan-Fassung bildet der Eingang von Str. 24 "When they had eaten and well drunken" eine Variation zu der verbreiteten Hochzeitsstrophe, 1 2 ) Vgl. Gabriele Humbert: Literarische Einflüsse in schottischen Volksballaden. Diss. Göttingen 1932. M ) a. a. 0 . § 26. " ) a. a. 0 . § 37.

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die Schmidt in § 29 erwähnt. Sie hat eine direkte Parallele in " T h e Laird o D r u m " (Child 236), Buchan-Fassung, Str. 17. Ein weiteres stilistisches Merkmal der schottischen Ballade gibt uns gleichzeitig einen Aufschluß über die innere Haltung der Überlieferungsträger: Es ist dies die deutlich zu beobachtende Neigung zur Verhüllung und Umschreibung, eine Neigung, die die bewußte Verhaltenheit des Gefühls kennzeichnet. — Auch die Formel dient wahrscheinlich zur Verhüllung des Gefühls. Sie ist ein Mittel, nach außen hin die „Haltung zu wahren" — ein typisch germanischer Zug! — Wie schlicht sagt Janet: "0 we mann pari this love, Willie, That has been lang between." (A 6).

Der Schmerz der Trennung wird von ihr nicht mit Worten ausgedrückt, er kommt höchstens in dem " O " am Zeilenanfang zum Ausdruck. In der Schmückungsszene bei Motherwell II und bei Finlay bittet Janet die Mägde, vorsichtig mit ihr umzugehen. Doch nennt sie nicht den wahren Grund: daß sie sich schwach und krank fühlt. Der Mensch in der Ballade großen Stils verbirgt meist seine Schwäche bis zum letzten Augenblick. So gibt Janet vor, sie habe ihr H a a r in der Nacht zuvor gewaschen, und es sei nun sehr empfindlich. — Panke 1 5 ) weist darauf hin, daß Wendungen wie "late last night" (D 9) oder "late yestreen" (G 10) in der Child-Ballade meist schon irgendein Unheil verkünden. (Vgl. auch „Sir Patrick Spens" Str. 7). — In der Tanzszene der Sharpe-Fassung will der Geliebte aus Rücksicht auf Janets Befinden nicht mit ihr, sondern mit einer Brautjungfer tanzen. Echt im Stil der großen Ballade spricht er aber diese Rücksicht keineswegs aus, — teils weil er Janet der Gesellschaft nicht verraten will, teils aber auch aus allgemeiner Gefühlsverhaltenheit. Janet antwortet ihm, daß er in früheren Tagen mit ihr selbst getanzt haben würde. Darin steckt, wiederum verhüllt, ein Vorwurf, der an seine Liebe zu ihr appelliert und ihn zum Tanze mit ihr zwingt. Ohne Zweifel weiß sie, daß Willie sie aus Rücksicht mit dem Tanze verschonen will. Aber sie fühlt ihr Ende nahe und w i l l nun keine Rücksicht mehr. Offen bekennt sie sich vor der ganzen Gesellschaft zu ihrem Geliebten. Das alles liegt unausgesprochen, verhüllt, in der einfachen Klage dieser Strophe: "I've seen ither days wi you, Willie . . . " — Besonders alles t r a g i s c h e Geschehen kommt in der englisch-schottischen Ballade nur verhüllt zum Ausdruck. Es scheint, als rede hier die Sprache des Schicksals so erhaben, daß jede menschliche Klage davor verstummen muß. Auch deutet man, aus Scheu oder Ehrfurcht, die Geschehnisse selbst da, wo sie den Hörer am eindringlichsten treffen, in der Rede nur noch an. So erklären sich die vielen Umschreibungen f ü r den T o d (die ja heute noch z. T. in der Formelsprache der Todesanzeigen gang und gäbe sind). Audi Janets und Willies T o d wird in Umschreibungen ausgedrückt. Dabei zeigen sich die einzelnen Fassungen wieder recht ver" ) a. a. 0. 27

schieden. D i e Buchan-Fassung repräsentiert wie gewöhnlich triebenen Schauerballadenton das niedrigste N i v e a u :

in einem über-

F 32) Till she fell down at Willie's feet, As cauld as ony stane. D i e Sharpe- und die 1. Motherwell-Fassung berichten, daß J a n e t , nachdem sie sich dreimal im T a n z e gedreht hat, zu Willies F ü ß e n niedersinkt, " a n d up did never r i s e " . (A 2 8 , B 19). D i e K i n l o c h - V a r i a n t e sagt nur, daß sie beim T a n z e bleich und schwach wird, " a n d her head took W i l l i e ' s k n e e " . ( E 17). — D i e 2. M o t h e r w e l l - und die H e r d - F a s s u n g erwähnen den T a n z gar nicht mehr. H i e r findet J a n e t s T o d einen besonders schlichten und edlen Ausdruck. I n der H e r d - V a r i a n t e n i m m t J a n e t ihren Schmuck ab und gibt ihn W i l l i e mit den W o r t e n : „Gie that, gie that to my young son, He'll neer his mother see." (C 18) S o nimmt sie Abschied v o m Leben, und es ist nun nicht nötig, noch mehr zu sagen; denn der Z u h ö r e r w i r d sich selbst ausmalen, was folgt. — J a n e t s Sterbeszene in 'der 2. Motherwell-Fassung ist eine Höchstleistung reifer Balladenkunst: She leaned her head on Willie's breast, And her back unto the wa, das deutet — sehr dezent — ihren k ö r p e r l i c h e n Z u s a m m e n b r u c h an: "0 there's the key of my coffer, And, pay well the nouriss fee." (D 17) Dieser letzte A u f t r a g an W i l l i e beweist, d a ß sie bis zuletzt an die Erfüllung ihrer irdischen Pflichten denkt, — ganz wie die Geliebte des erschlagenen R i t ters in den " T h r e e R a v e n s " ( C h i l d 2 6 ) . — N u r zuletzt dringt der Gefühlston noch einmal durch, aber wieder durchaus v e r h a l t e n : "And aye when ye look on your auld son, Ye may aye think on me," — (D 17) die einzige verhüllte Andeutung v o m Sterbenmüssen, — und noch bis zum letzten Atemzuge ganz Liebe f ü r M a n n und K i n d ! — Ähnlich wird W i l l i e s T o d umschrieben. I n der Sharpe-Fassung trägt er seinem D i e n s t m a n n eine letzte Botschaft an seine M u t t e r a u f : E r soll ihr sagen, W i l l i e sei v o m R o ß zu T o d e gestürzt. H i e r haben w i r eine doppelte V e r h ü l l u n g : W i l l i e verheimlicht der M u t t e r seinen F r e i t o d , indem er ihr von einem Unglücksfall berichten läßt, — und die B a l l a d e verschweigt eigentlich auch uns Willies T o d , von dem sie nur soviel v e r r ä t , als w i r aus Willies letzter Botschaft entnehmen können: A 29)

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Willie 's taen the key of his coffer, And gien it to his man:

"Gae My Bid For

harne, and teil my mother dear, horse he has me slain; her be kind to my young son, father he has nane."

In der Herd-Fassung wird man von der Szene im Hochzeitssaal ohne weiteres in das Haus von Willies Mutter versetzt. Willie bittet sie, Brot und Wein zu teilen, denn diese Nacht würde seinen T o d sehen, — ein Zug, der stark an das christliche Abendmahl erinnert und auch in anderen Child-Balladen auftritt. (Vgl. Child 73 I und 74 A). — Auch hier wird Willies Tod nur durch seine Rede vorausgedeutet. (Vgl. C 19). Als Strophenform der Fair-Janet-Ballade haben wir in allen Fassungen den in vielen Child-Balladen üblichen Vierzeiler mit dem Reimschema a b c b, die ersten und dritten Zeilen vierhebig, die zweiten und vierten dreihebig. Dies ist die Grundform, von der der Balladensänger -aber zuweilen abgeht. Fünf statt vier Hebungen, sechszeilige Strophen statt der vierzeiligen kommen vor, und mit der Reinheit des Reims nimmt man es durchaus nicht genau. Man begnügt sich oft mit der bloßen Assonanz, und auch diese stimmt nicht immer. Die besten Reime hat, im Verhältnis gesehen, das Fragment G, (Finlay), weil dort auf 13 echte Reime nur eine Assonanz kommt. Es folgen dann die Kinloch- und die Herd-Fassung mit etwa einem Fünftel unreiner Reime. Bei Sharpe und Motherwell I ist ungefähr ein Drittel, bei Mo ther well II und Buchan sogar fast die Hälfte aller Reime unrein. — Metrisch ist Fassung C (Herd) bei weitem die ausgeglichenste. Mit dem Silbenmaß und besonders mit der Zahl der Senkungen geht man in allen anderen Fassungen sehr willkürlich um, wie das silbenzählende Prinzip der germanischen Poesie ja überhaupt fremd ist. Bei der Strophenform des Vierzeilers ohne dung der Ballade als Tanzlied kaum in Frage ballade ist im englisch-schottischen Gebiet eine Es überwiegt, wie man annehmen darf, durchaus Bereich wohl auch „Fair Janet" gehört.

Refrain kann eine Verwengekommen sein. Die Tanzziemlich seltene Erscheinung. die Vortragsballade, in deren

W. Schmidt 1 0 ), der die Strukturentwicklung des volkläufigen Vierzeilers analysiert hat, stellt darin vier wesentliche Tendenzen fest: I. Cäsur nach der 2. Zeile, II. das Schwergewicht der Aussage ruht in den beiden letzten Zeilen der Strophe, I I I . rhythmische Abgliederung der ersten Zeile von der zweiten, I V . die Funktionsgleichheit der zweiten mit der ersten Zeile. — Diese aus gründlichen Einzelstudien gewonnenen Kriterien lassen uns die Volkläufigkeit und Uberlieferungsechtheit einer Balladenfassung mit ziemlicher Sicherheit erkennen. — Aus den bereits zitierten Strophen von „Fair J a n e t " kann nun jeder mühelos ablesen, daß diese Ballade in allen ihren Fassungen die obigen Tendenzen in der Funktion der einzelnen Zeilen aufweist, womit ihre a. a. 0. § 21.

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Volkläufigkeit feststeht. Die Tendenz II erfüllt sich besonders weitgehend in der Sharpe-Fassung. (Vgl. A I , 4, 10.)

§ 7. Die Melodie der Fair-Janet-Ballade. Eine Ballade ist nicht nur ein Gedicht, sondern ein L i e d . W i r haben sie nur in der Hälfte ihresWesens erfaßt, wenn wir ihre Melodie nicht kennen. — Die einzige musikalische Aufzeichnung von „Fair Janet" findet sich bei James Johnson ( " T h e Scots Musical Museum", Bd. V , Edinburgh 1787, N r . 596). Ich teile sie hier mit.

Liv'd ance twa lovers in yon dale.

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(Fair Janet.)

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Liv'd ance twa lo - vers in yon dale,and they lov'd o - ther weel,

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lu - ving luv'd their

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mor - ning aire, of

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lu - ving luv'd their fill.

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Aus James Johnson i The Scots Musical Museum VI, Nr. 596.

§ 8. Der Grundkonflikt der Fair-Janet-Ballade. „Fair J a n e t " gehört in die Reihe der Child-Balladen, die einen Konflikt zwischen zwei Treuen, zwischen den Anforderungen der Sippe und denen der Liebe, zum Gegenstand haben. (Vgl. auch „Earl Brand" Child 7, „Lady

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Maisry", Child 65, „Lord Ingram and Chiel Wyet", Child 66, „Andrew Lammie", Child 233, „Lord Saltoun and Auchanachie", Child 239.) Diese Gegenüberstellung zweier positiver Werte kommt nicht in allen Fassungen in gleicher Klarheit zum Ausdruck. Am deutlichsten zeigt die SharpeFassung diese Art, die Dinge zu sehen. Das beweist vor allem der Anfang, der, im Gegensatz zu allen anderen Fassungen außer der bei Finlay, Janet zunächst nicht als L i e b e n d e einführt, sondern als T o c h t e r : A 1) "Ye Ye Ye In

maun gang to your father, Janet, maun gang to him soon; maun gang to your father, Janet, case that his days are dune."

2) Janet's awa to her father, As fast as she could hie: "0 what's your will wi me, father? O what's your will wi me?" 3) "My will wi you, Fair Janet," he said, "It is both bed and board; Some say that ye loe Sweet Willie, But ye maun wed a French lord." 4) "A French lord maun A French lord maun Then, by my sooth," "Be's neer enter my

I wed, father? I wed? quo Fair Janet, bed."

Hier scheint zwischen der Heldin und ihrer Sippe noch eine starke innere Verbindung zu bestehen, obwohl sie sich durch ihre Liebe aus dem Sippenverband löst. Der Vater wird nicht absolut als feindliche Macht hingestellt, sondern man empfindet auch für ihn eine Art Sympathie. Eine Stimme gebietet Janet, zu ihm zu gehen, "in case that his days are dune", — sie fühlt also noch stark ihre Zugehörigkeit zur Sippe. Die fragmentarische Finlay-Fassung stellt den Konflikt ebenfalls scharf ausgeprägt dar. Audi sie beginnt mit der Unterredung zwischen Vater und Tochter. Doch hier wird für den Vater nicht um Sympathie geworben. Er zeigt sich vielmehr gleich als unmenschlicher Tyrann, der seiner Tochter mit dem Scheiterhaufen droht, falls sie den ihr bestimmten Freier ausschlägt: G 1) "Will you marry the southland lord, A queen of fair England to be? Or will you burn for Sweet Willie, The morn upon yon lea?" 2) "I will marry the southland lord, Father, sen it is your will; But I'd rather it were my burial-day, For my grave I'm going till."

(Das Scheiterhaufen-Motiv weist auf einen gewissen Zusammenhang zwischen den Balladen „Fair Janet" und „Lady Maisry".) 31

Alle anderen Fassungen führen Janet zuerst in ihrem Verhältnis zu Willie ein, stellen also die G e l i e b t e , nicht die T o c h t e r , in den Vordergrund. — In der 1. Motherwell- und der Herd-Fassung ist Janet deutlich bereit, mit Willie zu fliehen und ihre Sippe für immer zu verlassen. Bei Motherwell I und bei Buchan versieht der Balladensänger aber ebenfalls Vater und Brüder der Heldin mit dem sympathisierenden Beiwort "dear" und deutet damit an, daß die Sippe nicht das Feindliche schlechthin, sondern ein vollwertiges „Gegenpositiv" 17 ) darstellt. — In der 2. Motherwell-Fassung tritt der Vater sehr sympathisch und bestimmt in Erscheinung, als es gilt, die Tochter vor den erhobenen Verdächtigungen in Schutz zu nehmen: D 11) Up then spak her auld, auld father, And oh he spoke in time: "She neer bore a child since her birth Except it was yestreen."

Wie mitleidsvoll und teilnehmend klingt hier das "auld, auld father" des Balladensängers! — Es ist charakteristisch, daß gerade die landschaftsgelöste Herd-Fassung auch die Bindung an die Sippe am wenigsten zeigt. Die Sippe wird hier überhaupt nicht mehr in einem deutlichen Vertreter sichtbar: Statt des Konflikts Sippe-Liebe haben wir hier die reine Liebestragödie. Es ist hier Zufall, daß das, was gegen die Verbindung der Liebenden steht, gerade die Sippe ist; es könnte ebensogut etwas anderes sein. Alle Fassungen unserer Ballade stimmen aber darin überein, daß in ihnen die Frauengestalt im Mittelpunkt steht, die starke, leidenschaftliche Persönlichkeit der schönen Janet, die für einen Wert, den Wert der Liebe, kämpft und stirbt. — Auf den letzten, tiefsten Gehalt der Fair-Janet-Ballade werden wir dann eingehen, wenn wir die skandinavischen Varianten kennengelernt haben und sie zum Vergleich heranziehen können.

§ 9. „Fair Janet" innerhalb der englisch-schottischen Balladentradition. Im Laufe dieser Untersuchung konnten öfters Beispiele aus dem Kreis der übrigen Child-Balladen herangezogen werden. Die Fair-Janet-Ballade hat eine Reihe von Motiven mit anderen schottischen Liebesballaden gemeinsam. Auf die rose-briar-Strophe wurde schon hingewiesen. Fast ebenso häufig sahen wir das run-mad-Motiv, besonders in der nordöstlichen Tradition, auftauchen. Auch das Entführungsmotiv nimmt in der Ballade „James Harris" (Child 243) z . T . ganz ähnliche Gestalt an wie in der 1. Motherwell-Fassung von „Fair J a n e t " : 17

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) Der Ausdruck stammt von Max Deutschbein.

"She hadna sailed a league, a league, A league but barely three, Till grim, grim grew his countenance, And gurly grew the sea." ("James Harris" D 7).

Vor allem aber hat die Großmutterszene lieferung starke Anregungen empfangen. Strophen aus „Willie and Lady Maisry" Großmutterszene der Sharpe-Fassung von

aus der schottischen BalladenüberMan vergleiche z. B. folgende zwei (Child 70) mit der früher zitierten „Fair Janet":

7) "Oh, open, open, Lady Margerie, Open and let me in; The weet weets a' my yellow hair, And the dew draps on my chin." 8) With her feet as white as sleet She strode her bower within, And with her fingers long and small She's looten Sweet Willie in. —

In „Jellon Grame" (Child 90) A heißt es: 15) Up has he taen that bonny boy, Gien him to nurices nine, Three to wake, and three to sleep, And three to go between.

Ganz ähnlich lautet es in der Buchan-Fassung von „Fair Janet": 13) "Ye will take in my son, mother, Gie him to nurses nine; Three to wauk, and three to sleep, And three to gang between."

In der Fassung D von "The Lass of Roch Royal" (Child 76) begibt sich die von ihrem Geliebten verlassene Anny mit ihrem Kind auf die Suche nach dem Treulosen. Sie gelangt nach weiter Seereise in kalter, unheimlicher Nacht vor sein Haus und bittet um Einlaß. Auch diese Szene erinnert stark an die Großmutterszene in „Fair Janet", besonders wenn es in Str. 18 heißt: "Sae open the door now, Love Gregor, And open it wi speed, Or your young son that is in my arms For cauld will soon be dead." —

Vor allem aber bildet der Grundkonflikt der Fair-Janet-Ballade, der Widerstreit zwischen den Anforderungen der Sippe und denen der Liebe, das Thema einer ganzen Reihe englisch-schottischer Balladen. Ich zählte sie im vorigen Paragraphen bereits auf. (Vgl. S. 30 f.). Earl Brand z. B. (Child 7) ist ein schottischer Edler, der eine englische Lady liebt. Er entführt sie, weil ihre Sippe mit der Verbindung der Liebenden nicht einverstanden ist, Vater und Brüder der Geliebten verfolgen die Flüchtlinge 33

und schlagen dem Earl die tödliche Wunde. — Audi hier ist es die F r a u , die mit der Bitte u m Entführung die Initiative ergreift, ebenso wie in der 1. Motherwell-Fassung und in der Herd-Fassung von „Fair Janet". In „Lady Maisry" (Child 65) wird umgekehrt die Schottin zur Geliebten eines Engländers. Als es ruchbar wird, daß sie ein Kind von ihm trägt, verbrennt ihre Sippe sie auf dem Scheiterhaufen. Lord William, der zu spät kommt, um sie zu fetten, stürzt ihr nach in die Flammen. In „Lord Ingram and Chiel W y e t " (Child 66) haben wir wie in „Fair Janet" den geliebten und den ungeliebten Freier. Der ungeliebte wird, von der Sippe Lady Maisrys begünstigt, ihr aufgezwungener Gemahl. „Lord Saltoun and Auchanachie" (Child 239) ist eine andere poetische Gestaltung des gleichen Falles. Audi Andrew Lammie, der Trompeter von Fyvie, (Child 233) kann die Geliebte nicht gewinnen, weil ihre Sippe ihn ablehnt. Sie sterben beide an gebrochenem Herzen. Die englisch-schottische Volksballade hat, sofern sie tragisch ist, zwei große Gegenstände: Heldentum und Liebe. In der Gruppe der heldischen Balladen, die durch die Chevy-Chase-Ballade (Child 162) vielleicht am edelsten vertreten wird, handelt es sich um eine vorwiegend heroische Tragik; in der Gruppe der Liebesballaden um eine vorwiegend dämonische. Der kämpferische Held (Percy, Douglas) nimmt sein Schicksal von vornherein bewußt in die H a n d . Die Gestalten der Liebesballade aber werden von rätselhaften, dem Zugriff des Willens sich entziehenden Mächten zueinander geführt und unlöslich miteinander verkettet. Diese dämonische Abhängigkeit erhebt sich aber zu heroischer Freiheit, wenn der Betroffene, wie Fair Janet, seine Verkettung zu einer bewußten heiligen Bindung adelt und aus seinem dem T o d verfallenen Leben ein freiwilliges Opfer des Bekennens macht. Die Beispiele dieser dämonisch-heroischen Tragik 1 8 ) sind unter den schottischen Balladen häufig. Ich greife eines heraus, das sich zur Gegenüberstellung mit „Fair Janet" besonders eignet, weil hier die Heldin nicht wie Janet aus einer dämonischen Existentialschuld, sondern aus einer individuellen Verschuldung heraus zum tragischen Heroismus reift: „Mary H a m i l t o n " (Child 173)! Sie hat ihr Kind ermordet und soll deshalb die Todesstrafe erleiden. Vor ihrer Hinrichtung kommt sie zur Erkenntnis ihrer Schuld und nimmt den T o d als gerechte Sühne auf sich. „Weint nicht um mich", sagt sie zu denen, die ihre Jugend und Schönheit beklagen, „ich habe den T o d verdient". Auch hier wird angesichts des Todes der Blick frei f ü r die großen Zusammenhänge, und die triebhaft gebundene Existenz erhebt sich zu freiem Menschentum. — Vergleiche wie diese beweisen, daß sich der Fair-Janet-Stoff seit Jahrhunderten vollkommen, äußerlich und geistig, in der schottischen Balladen" ) Vgl. Gertrud Fischer: Das Tragische als ästhetischer Wert in den englischschottischen Volksballaden. — Die Unterscheidung zwischen dämonischer und heroischer Tragik wurde von M. Deutschbein getroffen. 34

tradition eingebürgert haben muß, obwohl er in seinem Kernstück, demTodestanz der jungen Mutter, fremdes nordisches Lehngut ist. — Diese ursprüngliche Herkunft aus dem skandinavischen Norden aufzudecken, soll jetzt die nächste Aufgabe sein.

B . D i e B a l l a d e im nordischen U m k r e i s . § 10. Darstellung des Stoffes in den einzelnen skandinavischen Fassungen. Der Balladenstoff ist, wie Grundtvig in seiner Einleitung zu N r . 126 von "Danmarks gamle Folkeviser" nachzuweisen versucht, der dänischen Geschichte entnommen. Wenigstens tragen alle skandinavischen Fassungen, einschließlich der isländischen und der färöischen, deutliche Spuren einer historischen Abstammung. Als Hauptpersonen treten dort durchweg auf: König Valdemar, seine Frau Sophie, seine Schwester Kirstin und ihr Liebhaber Boris. Diese Namen oder Nebenformen davon sind fast überall angegeben. Von den bei Grundtvig (3, S. 63 ff.; 911 f.) angeführten dänischen Fassungen haben 5 ( A B C D E ) ziemlich übereinstimmend folgenden Inhalt: Der König (nur E hat den Namen Valdemar) und Königin Sophie sitzen bei Tisch und sprechen „manch ein altes W o r t " . Die Königin schlägt eine Heirat vor zwischen ihrem Bruder Boris und Kirstin, des Königs Schwester. Der König weigert sich und höhnt, Boris sei ein Pferdeknecht (oder auch: Pferdedieb). — Valdemar unternimmt einen Feldzug, Boris bleibt daheim. Die Königin bringt Boris unter Drohungen dazu, Kirstin nachzustellen. Drei Monate lang wirbt er vergeblich um sie. Sophie verschafft ihm einen Runenzauber, mit dessen Hilfe er Kirstin verführt. Ein Jahr nach Beginn des Feldzuges kehrt der König heim, und am gleichen T a g e bringt Kirstin eine Tochter zur Welt. Bei der Begrüßung vermißt Valdemar seine Schwester, und auf seine Frage berichtet die Königin, Kirstin habe ein Kind geboren. Der König schickt seiner Schwester Boten mit der Weisung, sie solle sogleich vor ihm erscheinen. Sie sieht voraus, daß diese Nacht sie das Leben kosten wird, nimmt Abschied von ihren Mägden und übergibt ihnen ihre kleine Tochter mit der Bitte, sie Luselille (Klein-Lucia) taufen zu lassen. Sie schmückt sich für die Feier der Königsankunft und will ihr Pferd besteigen, fällt aber vor Schwäche aus dem Sattel. Herr Peder (einer der Sendboten) nimmt sie zu sich aufs Pferd und bringt sie in des Königs Schloß. Der König befiehlt ihr, zu singen und zu tanzen, um die Gäste zu erheitern. Er selbst tanzt mit ihr, und sie zeigt keine Müdigkeit. D a wirft er der Königin vor, sie habe ihn belogen. Sophie aber zeigt dem König Milch von Kirstins Brust und überführt sie da35

mit. Der König spricht das Todesurteil über Kirstin aus. Er hatte sie während des Feldzuges einem reichen Herzog, dem Sohn des Königs von England, versprochen; aber nun soll sie von seiner eigenen H a n d sterben. Kirstin bittet ihren Bruder, sie so lange leben zu lassen, bis sie ihr Besitztum verteilt habe. Sie macht ihr Testament und wünscht allen, die im Saale sind, eine gute Nacht. Männer und Frauen weinen um sie, nur Sophie, die "unde kvinde", hat kein Mitleid mit ihr. Der König läßt die Zuchtruten holen und peitscht seine Schwester, bis ihr die Lunge aus dem Leibe tritt. Sie sucht Schutz unter dem Gewand der Königin, aber diese stößt sie mit dem Fuße von sich. Der König peitscht sie zu Tode. Dann reut ihn seine T a t ; er wirft der Königin ihre H ä r t e vor. „ W o sollen wir die rote Rose begraben?" fragt er. Sophie schlägt vor, die Leiche auf der Riber-Gade zu begraben, wo jeden Tag ihr Pferd über sie gehen wird. Aber der König sagt, daß das nimmermehr geschehen soll: Kirstin soll vielmehr im Kloster zu Vestervig begraben werden, und er will eine Burg (oder Kapelle) über ihrem G r a b erbauen lassen. Er selber aber will in einem finsteren Haus, wo weder Licht noch Feuer brennt, seine T a t sühnen. D a n n gibt er den Befehl, den Verführer seiner Schwester zu bestrafen: Boris soll den rechten Fuß und die linke H a n d verlieren, sein rechter Arm soll zerschlagen, seine Augen sollen ausgestochen und vor die Königin getragen werden. An der Klosterpforte von Vestervig soll er lebenslänglich angeschmiedet sein. So geschieht es. Boris läßt seine Ketten so lang schmieden, daß er bis zu Kirstins Grab gelangen kann. Diesen Weg macht er jeden Tag, denn er hatte sie von Herzen lieb. Fassung F, der,en Manuskript aus dem 17. Jh. stammt, gestaltet die Sage ein wenig abweichend: Eingangs sitzen zwar wieder der König und die Königin bei Tisch und sprechen über Kirstin. Die Königin schlägt die Ehe mit Boris vor, und der König weigert sich. N u n aber zeigt es sich, daß die ganze Vorgeschichte der Liebe hier schon vorausgegangen ist; denn die Königin fährt f o r t : Kirstin trägt ja schon ein Kind von Boris. Der König schickt darauf seinen Bruder Kristoffer, Kirstin zu holen. Sie verteilt Gaben an die Dienerschaft, wickelt ihr Kind ein (das einmal als Sohn, an den anderen Stellen dagegen als Tochter bezeichnet wird) und übergibt es den Mägden. Unterwegs fällt sie vom Pferd, bittet aber Kristoffer, den Grund zu verschweigen. Als die Königin, die den Sturz beobachtet hat, ihn fragt, gibt Kristoffer vor, der Sattelgurt sei gebrochen. Kirstin besteht vor dem König die Sing- und Tanzprobe, bis die Königin sie wie oben durch die Milchprobe überführt. Es folgt wie in den anderen Fassungen das Strafgericht des Königs, — dann aber gibt Kirstin, ehe sie stirbt, den „Kaiser von England" als Vater des Kindes an. Die Begräbnisfrage (Riberbro-Vestervig) wird wie oben erörtert. Dann kommt der Kaiser von England geritten, fragt nach der Braut und findet sie auf der Totenbahre. Die Fassung schließt mit den Zeilen: "Dronningen blev lagt paa Stejle og Hjul, Kongen og Kejseren de drak Jul." 36

D. h. die Königin wurde aufs Rad geflochten, der König und der Kaiser tranken zusammen Jul ( = sie feierten das Julfest mit einem Trinkgelage). Dieser Schluß macht die Auffassung besonders deutlich, die die dänische Ballade überhaupt beherrscht, nämlich daß die Königin die Alleinsdiuldige sei, während dem König der Totschlag seiner Schwester verhältnismäßig leicht verziehen wird. Dieser merkwürdige Umstand wird uns später noch beschäftigen. Fassung G (MS 16. Jh.) bildet einen Sonderfall, indem sie in ihrem zweiten Teil die Fortsetzung der Sage, die Rache an Sophie durch Kirstins inzwischen erwachsene Tochter, schildert. Diese Fortsetzung tritt sonst nur isoliert auf als Gegenstand einer besonderen Ballade, "Kong Valdemar og hans Sesterdatter" (Grundtvig 127), die ausschließlich in Dänemark auftritt und für unsere Betrachtung keine größere Rolle spielt. — Der erste Teil von G gibt ziemlich übereinstimmend den Inhalt von F wieder. N u r befindet sich Kirstin hier zur Zeit der Geburt in einem Kloster, von w o ihr zweiter Bruder, hier H e r r Ejler genannt, sie holen muß. — Auch in dieser Fassung fehlt die Vorgeschichte der Liebe. I s l ä n d i s c h liegt die Ballade in 5 Fassungen vor (A—E), die alle aus dem 17. Jh. überliefert sind: Darin sind König Valdemar und Boris (Burisleif, Burtleifr) Geschwisterkinder. Sie losen aus, wer von ihnen auf Kriegsfahrt gegen den Wendenkönig ziehen soll. Das Los trifft Boris, aber er stellt sich krank, so daß er dennoch daheimbleibt und Valdemar an seiner Stelle hinauszieht. In des Königs Abwesenheit verführt Burisleif des Königs Schwester Kristin. Sie bekommt zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Die Königin Sophia verrät Kristin dem König. Er stellt seine Schwester in ähnlicher Weise wie in den dänischen Fassungen auf die Probe, bis er von ihrer Schuld restlos überzeugt ist, was aber nicht ausgesprochen wird. Schließlich tanzt er mit ihr so lange, bis sie t o t zu Boden sinkt. Seine Grausamkeit reut ihn, und er entzweit sich mit Sophia. Von den F ä r ö e r n teilt Grundtvig eine Fassung mit, deren Manuskript aus dem Anfang des 18. Jhs. vorliegt. Darin ist keine Rede von Boris. Kirstin wird schwanger von einem Fisch, den ihr Sophia zu essen gab, als der König im Felde war. Sophia gibt Valdemar gegenüber den „Königssohn von England" als Verführer an. Es erfolgt keine Milchprobe und keine Prügelstrafe, sondern wie in den isländischen Fassungen tanzt sich Kirstin zu Tode. Alle drei DgF 3, 913 f. angeführten n o r w e g i s c h e n Fassungen wie die s c h w e d i s c h e n C und F haben ein "happy end", d.h. der Königssohn von England, der eigentliche Liebhaber, k o m m t noch frühzeitig genug, um Kirstin i) Mit Grundtvigs Fassung G stimmt übrigens die Fassung „Dankongen og hans Sester", die E. Tang Kristensen, Jyske Folkeminder 10, S. 378 ff. mitteilt, inhaltlich fast vollkommen überein, während die ebendort S. 75 ff. mitgeteilte Fassung in die Gruppe Grundtvig A—E gehört.

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zu retten, oder der König laßt sich durch ihr Bitten zur Verzeihung bewegen. Es handelt sich hier natürlich um eine spätere humane Verwässerung. — Die anderen schwedischen Fassungen folgen der dänischen Hauptversion, doch ohne historische Anklänge und vielfach gekürzt und geglättet. Verschiebungen der Personen machen sich bemerkbar: D e r König und strafende Richter ist hier nicht mehr der Bruder, sondern der Vater Kirstins, — und ihr Geliebter ist hier meistens „Herr Peder", eine häufige schwedische Balladengestalt. § 11. Der geschichtliche Hintergrund. Grundtvig glaubte, die historischen Balladen als Quellenmaterial werten zu können, in der Annahme, sie seien unmittelbar nach den Geschehnissen gedichtet worden. Grundtvigs Nachfolger Axel Olrik und Grüner Nielsen machen hier weitgehende Einschränkungen. Olrik *) und Nielsen 2 ), und mit ihnen Liest0l 3 ), Ker 4 ), und Mertens 5 ), glauben, daß die historische Ballade frühestens im 13. J h . einsetzt und daß Balladen, die Themen aus dem 12. J h . behandeln (wie „Kong Valdemar og hans Sester") sehr wenig geschichtstreu seien. Liestol sagt von ihnen: "Historiske i vanleg meining er desse visone ikkje. Dei historiske fakta er lempa etter kunstnarlege lover og etter dei serlege krav som folkeviseformi set. Det almenne og rikshistoriske er trengt pa lag heilt ut, og det individuelle og reint menneskjelege rader grunnen; stundom er det berre namni i visa som er historiske." Aber er fährt f o r t : " U m v e n d t kann det vera mykje historiskt i visor der me ikkje er i stand til ä sjä det, f o r di me ikkje hev noko kontrollmateriale.". Liestol lehnt also die historische Glaubwürdigkeit für Balladen über Geschehnisse des 12. J h . nicht ganz so radikal ab wie Olrik, der von ihnen sagt, daß " d e ikke er digtede af samtiden, men af en beundrende efterslaegt." Gerade für den Fall „Kong Valdemar og hans Soster" vermag ich nicht einzusehen, warum die „bewundernde Nachwelt" zu Ehren des großen Valdemar ausgerechnet einen weniger rühmlichen Zug seines Charakters, die Grausamkeit, zur dichterischen Darstellung gebracht haben sollte, wenn für die geschilderten V o r gänge gar kein Anhaltspunkt in der Wirklichkeit vorhanden gewesen wäre. Grüner Nielsen meint: " H e l l e r ikke Visen om Kong Valdemar I og hans Soster ( D g F 1 2 6 ) har nogen Forbindelse med Virkeligheden udover Visedigterens leselige Kendskab til Personnavne indenfor Kongehuset paa den T i d . " E r -gibt aber keine Belege für diese Ansicht, und man braucht nach alledem Grundtvig, der an die geschichtlichen Hintergründe der Ballade glaubt, nicht unbedingt für widerlegt zu halten. — E r gibt über diese ge2) 3) 4) 5) «)

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Danske Folkeviser i Udvalg I, S. 41. Sammelarbeit "Folkevisor" in: Nordisk Kultur, S. 21. Sammelarbeit "Folkevisor", Einleitung, S. 6. a. a. 0 . S. 187. a. a. 0 . S. 33.

schichtlichen Hintergründe ziemlich eingehende A u s k u n f t : Es muß sich in der Person des Königs um V a l d e m a r l . handeln (geb. 1131, Regierungszeit 1157—82). Er hatte eine Frau namens Sophie, eine Schwester namens Kirstin. Sein Halbvetter Buris Henriks0n spielt im Lied die Rolle des Liebhabers. Zwar verwechselt ihn die Ballade z. T . mit Sophiens Bruder Burislef oder Boleslav, einer gleichzeitigen historischen Persönlichkeit. Aber dieser Burislef trat als schwedischer Kronprätendent auf und fiel 1168 im K a m p f , während Buris Henriksen im Jahre 1167 tatsächlich in der im Liede angegebenen Weise bestraft worden ist, (allerdings nicht wegen einer Liebschaft mit Kirstin, sondern wegen Strebens nach dem dänischen Thron), wie die Chroniken berichten. — Käthe Mertens hält die Valdemar-Sophie-Balladen f ü r unhistorisch, weil sie in den Chroniken der Zeit nicht bezeugt sind. Aber daß die Chronisten (Saxo Grammaticus, Albert af Stade, Svend Aagesen) die Kirstin-Affäre aus Valdemars Leben verschweigen, braucht uns nicht zu wundern, da sie den hochberühmten König in nicht sehr günstigem Lichte gezeigt hätte. N u r Svend Aagesen erlaubt sich die Bemerkung, Valdemar sei bei all seiner Berühmtheit " i n suos tantum plus justo crudelior" gewesen, — eine Bemerkung, die immerhin f ü r den Wahrheitscharakter der Ballade spricht. Ein weiterer, wenn auch geringer Stützpunkt dafür ist die Bezeugung von Kirstins G r a b in Vestervig in Chroniken von 1594 und später. Die Chronisten begnügen sich hier zwar meist mit einem " o n dit", aber jedenfalls scheint das im Lied besungene Ereignis noch jahrhundertelang im Volksbewußtsein lebendig gewesen zu sein, da man mit solchem Nachdruck ein bestimmtes Grab als das G r a b Kirstins bezeichnet hat. Natürlich wird auch Grundtvig nicht geglaubt haben, daß die Fabel der Ballade „ K o n g Valdemar og hans S e s t e r " Zug u m Zug den wirklichen historischen Verlauf widerspiegle. Aber er nahm an, daß das Volk wohl seine Gründe hatte, wenn es z. B. die Königin Sophie in a l l e n Balladen u m Valdemar I. die „ b ö s e F r a u " spielen ließ, oder wenn es bestimmte Ereignisse gerade mit diesem Königshaus verband. U n d d i e s e Grundtvigsche Annahme können wir, meine ich, akzeptieren, — ohne freilich deshalb zu dem Glauben gezwungen zu sein, daß der König seine Schwester wirklich zu T o d e geprügelt habe. Aber für die Mentalität jener Zeit erscheint es nicht unmöglich, daß Valdemar eine seiner Schwestern wegen Unkeuschheit in übermäßig grausamer Weise bestrafte. M a g sie dann wirklich erst einige Jahre später eines natürlichen Todes gestorben sein, so liegt es nahe, daß sich im Volke ihr T o d mit der Strafe verband und auch sonst noch etliches hinzugedichtet wurde. — Diese Hypothese erhebt keinen Anspruch darauf, die richtige zu sein. Ich will damit nur daran erinnern, daß alles das, was als Sage, Legende oder auch einfach als „ K l a t s c h " in der öffentlichen Meinung lebt, doch meist irgendwie eine, wenn auch kleine, Entsprechung in der Wirklichkeit besitzt, — ein Körnlein Wahrheit, u m das sich das Gerücht 39

herumkristallisieren kann. Es ist natürlich schwer, aus solchem Material nachträglich das bißdien geschichtliche Wahrheit herauszuklauben, — besonders, wenn sie sich im Lauf der Zeit so sehr mit Mythos (dem des Runenzaubers z. B.) umsponnen hat wie in unserer Ballade. § 12. Kritik der Grundtvigschen Ansichten über das Alter der Ballade. Grundtvig gibt für seine Annahme, daß das Lied ungefähr gleichzeitig mit der Begebenheit entstanden sein müsse, folgenden Beweis: Der Liebhaber, für dessen Gestalt mit großer Wahrscheinlichkeit nur Buris Henriksan in Betracht kommt, wird dennoch als Bruder der Königin bezeichnet. Es handelt sich also in manchen Fassungen um eineVerschmelzung zweier historischer Persönlichkeiten (Buris und Burislef). Diese Verschmelzung oder Verwechslung, so meint Grundtvig, konnte nur eintreten zu einer Zeit, als noch beide Persönlichkeiten in frischer Erinnerung waren. — Diese Begründung scheint mir auf etwas schwachen Füßen zu stehen; denn weshalb sollte man nicht noch nach mehreren Menschenaltern von der Existenz eines Burislef im dänischen Königshause gewußt und ihn unter Umständen wegen der Ähnlichkeit des Namens mit Buris, dem Verwandten Valdemars, verwechselt haben? Die Gefahr der Verwechslung wurde schließlich umso größer, je weiter die Lebenszeit der beiden Burise zurücklag. — Als zeitliche Grenze nach rückwärts gibt Grundtvig das Jahr 1157 an, (Heirat Valdemars mit Sophie und Regierungsantritt), da das in der Ballade besungene Ereignis sich frühestens dann begeben haben kann. Die dänischen Fassungen A — E können sogar erst nach 1167 entstanden sein, da die in diesem Jahre erfolgte Bestrafung des Buris Henriksan dafür zweifellos ein Hauptmotiv geliefert hat. Höchstens die isländische Fassung könnte schon in das Jahrzehnt zwischen 1157 und 1167 fallen, da sie das Motiv von Boris* Bestrafung nicht enthält. Andererseits darf man sie nicht zu früh ansetzen, wenn man bedenkt, daß der Stoff seine Zeit brauchte, um vom dänischen Ursprungsland, sei es in Gestalt einer Prosasage oder schon als frühe Balladenfassung, auf die ferne Insel hinüberzuwandern und dort zum Gedicht zu werden. Aber auch andere Gründe machen es wahrscheinlich, daß die isländische von den uns noch erhaltenen Fassungen die älteste ist, wenn man sie auch nicht unbedingt in das besagte Jahrzehnt hineinpressen muß. — Als Entstehungszeit für Balladen dieses Stoffkreises könnte also, wie Grundtvig es mit ziemlicher Bestimmtheit annimmt, durchaus schon die 2. Hälfte des 12. Jhs. in Frage kommen. Fassungen vom T y p der isländischen könnte man auch wohl ohne Schwierigkeiten in eine so frühe Zeit versetzen. Die meisten dänischen Fassungen sind jedoch m. E. mindestens ein Jahrhundert jünger; denn das Schwelgen in Gewaltsamkeiten und grausamen Strafen kennt die Dichtkunst im allgemeinen erst nach der eigentlichen Blüte des Mittelalters. Ja, es ist

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dies geradezu schon eine Erscheinung beginnenden Verfalls. Ich werde später Gelegenheit haben, auf diesen Punkt zurückzukommen. § 13. Die isländische Ballade als geschichtstreueste Fassung. Auch Grundtvig hält die isländische Fassung f ü r die echteste, d. h. die, die die historische Sage in größter Reinheit bewahrt hat. Das ist umso wahrscheinlicher, als die Kenntnis der Geschichte auf Island überhaupt verbreiteter ist als irgendwo sonst. Grundtvig führt als Beweis f ü r die „Echtheit" der isländischen Fassung Folgendes an: a) Es besteht Verwandtschaft zwischen Boris und Valdemar, und also auch zwischen Boris und Kirstin, was ihre Liebe nach damaligen Anschauungen doppelt strafbar macht. — Man hat damals in weit größerem U m f a n g eine Beziehung als Blutschande verurteilt. Das lehrt z. B. auch die Amlethussage, die Saxo Grammaticus mitteilt. Dort wird die Ehe zwischen Gerutha und Fengo als Blutschande gebrandmarkt, obwohl er ihr nur als Bruder des früheren Gatten, nicht aber blutsmäßig, verwandt ist. Der Begriff der Verwandtschaft ist, wie ich glaube, durch die katholische Kirche in dieser Weise ausgedehnt worden, die ja auch heute noch die Ehe zwischen Paten und Patenkind verbietet. b) Es ist die Rede von einem Kriegszug gegen den oder gegen „ K o n g Svend".

„Venderkongen"

Die Geschichte weiß von einer Seeschlacht bei Rügen, in der am Pfingstmontag 1184 der Erzbischof Absalon von Lund den entscheidenden Sieg über die heidnischen Wenden erfocht und sie damit unter die Herrschaft des Dänenkönigs zwang. c) Sophie spielt in der isländischenBallade nicht die Rolle der Kupplerin. Auch von Runen und Zaubermitteln ist keine Rede, sondern es handelt sich um eine ganz natürliche Verführung durch persönliche Liebenswürdigkeit. Was die Beweiskraft dieses Punktes betrifft, so hatte ich anfangs Bedenken dagegen. Die Auffassung einer großen Liebe als Zauber schien mir für das Alter der betreffenden Variante zu sprechen, während die Auffassung der Liebe als einer natürlichen psychologischen Erscheinung, (so wie sie auch in der jüngeren, schottischen Tradition dargestellt ist), einer moderneren Richtung anzugehören schien. U n d ist nicht vor allem die Verzauberung durch Liebesrunen ein ganz häufiges und verbreitetes Motiv gerade im ältesten, noch heidnischen Kreis der dänischen Balladen, den Zauberballaden? — Dennoch muß eine tiefere Überlegung Grundtvig recht geben: Der Tatbestand, den die Ballade schildert, rückt allmählich v o m Historischen weg ins Mythische. Eine wirkliche Liebe Kirstins zu Boris wird nicht mehr verstanden, 41

— warum? — weil Boris kein Idealtypus ist. (Er hätte sich sonst anders, kämpferischer verhalten.) Die Liebe zu einem Nicht-Idealtypus ist im Leben, in der Geschichte durchaus möglich, — nicht aber im Mythos. Zur Erklärung dieser Liebe werden also übernatürliche Kräfte bemüht; und der alte Zauberglaube, den auch das Christentum niemals ganz auszurotten vermochte, überwuchert die Historie. So wird auch der neue Stoff den alten Balladentraditionen angeglichen, indem man ihm ein altbewährtes Motiv eingliedert. Das Gesetz der Schematisierung tritt in Kraft, um das hervorstechend Neue allmächlich in ein unauffälliges Glied der langen Überlieferungskette umzuwandeln: Die Heldin wird durch einen Runenzauber betört. — Die psychologisch glaubwürdigere Fassung ist die historisch richtigere und demnach auch wohl die ältere. § 14. Szeneneinteilung. Gab es schon im 12. J h . dichterische Gestaltungen der Kirstin-Sage auch auf dänischem Boden (was ja wohl anzunehmen ist, da der Stoff in Dänemark seine Heimat hat), so müssen diese frühesten Balladenvarianten jedenfalls den isländischen Fassungen nahegestanden haben: d . h . die Ballade war in ihren ersten Gestaltungen schlicht, ziemlich knapp und in wenigen markanten Szenen abgefaßt, ehe sie im 13. oder 14. J h . durch Aufnahme von Motiven — einmal aus der einheimischen Tradition, zum anderen aus Einwirkungen des internationalen Zeitgeistes — eine starke Aufschwellung erfuhr. Diese Aufschwellung zeigt sich sowohl in der Anzahl der Szenen wie im Reichtum ihrer Ausgestaltung. — Die isländische Ballade (bei Grundtvig-Sigurdsson in "Islenzk Fornkvaedi" unter dem Titel "Soffiu Kvaedi") umfaßt in ihrer längsten Variante (A) nicht mehr als 57 Zweizeiler, während es die längste dänische Fassung (D) auf 180 Zweizeiler bringt. Von den 5 isländischen Varianten geben A und B den Inhalt am vollständigsten. Sie sind fast vollkommen identisch und lassen sich in 7 Szenen einteilen: I) 1—3. D e r Loswurf. I I ) 4 — 6 . Burtleifs vorgetäuschte Krankheit. 7. Übergang: Valdemars Kriegsfahrt. I I I ) 8 — 1 0 . Burtleif und Kristin: T a n z und Liebesnacht. I V ) 1 1 — 1 2 . Geburtsszene. V ) 1 3 — 1 9 . Sofias Gespräch mit dem heimkehrenden König. 2 0 — 2 2 . Des Königs Botensendung an Kristin. 23. Übergang: Botenritt. V I ) 2 4 — 3 8 . Kristins Abschied von Kindern und Mägden. V I I ) 3 9 — 5 6 . I n der Königshalle: Kristins Prüfungen, T a n z und T o d . 57. Schlußstrophe.

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Die Fassungen C und E sind nur fünfszenig. Sie verzichten auf das Motiv des Loswurfs. C beginnt gleich mit Burtleifs Krankheit. Aber in E ist auch diese Szene fortgefallen, und die Dichtung setzt ein mit der lyrischen Anmut des Tanzes und der Liebeswerbung, ganz im schwebenden Rhythmus des isländischen Balladentones: Burisleif rèttir hönd fra sèr: — pann blida — "Kristin, systir min, dansadu med mèri" — vèr skulum til hófa rìda. — (E 1). In C fehlt die Geburtsszene, die in den anderen Fassungen auch nur sehr knapp mit folgender Formel angedeutet wird: pegar ad sòl d fjöllum raud, Kristin poldi sära naud. pegar ad sòl d fjöllum skein, Kristin fceddì fljód og svein. — (All/12, B 11/12, E 4/5). Man beachte, wie anschaulich hier der Sonnenlauf das Verrinnen der Zeit widerspiegelt! Die Fassung D beschränkt sich auf drei Szenen. Hier ist die Vorgeschichte der Liebe bereits fortgefallen — wie später in der schottischen Version. Das Lied beginnt mit Valdemars Rückkehr von der Kriegsfahrt. Die vier ersten Strophen schildern, wie seine Schiffe in dunkler Nacht an der heimischen Küste landen und wie Sofia am U f e r auf ihn wartet, — auch diese paar Zeilen wiederum ein Beispiel der unnachahmlichen lakonisch-anschaulichen Erzählkunst des Isländers, wie wir sie auch in den Sagas bewundern: Dl) Valdimar siglir um saltan sjd: — pann blida — gelr han ei landi fyrir myrkri ndd. — vèr skulum til hófa rida. 2) Valdimar siglir med gullibüinn brand: Ijómann leggur tipp d land. 3) Akkeri kastar i hvitan sand, spyr tidindin upp ä land. 4) Soffia stód a sandi, pd Valdimar sigldi ad landi. Die letzte der zitierten Strophen kommt übrigens in allen Fassungen der „Soffiu K v a e d i " vor: Die wartende Frau am Strande, — ein typisches Bild dieser Insel-Version! — Es folgt dann auch in Fassung D das übliche Gespräch Valdemars mit Sofia und die Botensendung. Außer dieser Szene am Strand wird dann nur noch die Abschiedsszene in Kristins Hause und endlich die T a n z - und Todesszene im Königssaal gebracht. Diese letzte Szene dürfte allerdings, künstlerisch gesehen, auch in der konzentrierten Fassung D noch erheblich kürzer sein. Hier konnte man sich anscheinend durchaus nicht von dem erzählerischen Ballast trennen, mit dem die 43

Fama den Tod der dänischen Königstochter überladen hatte. Diese Anregung, das Sterben Kirstins immer ausführlicher auszumalen, haben alsdann die späteren dänischen Fassungen lebhaft aufgegriffen. — Die Szene „Entdekkung, Bestrafung, T o d " umfaßt in der isländischen Version durchschnittlich 15 Strophen. In den vorliegenden dänischen Fassungen ist sie auf 20, dann auf 50 und endlich gar auf rund 70 Strophen angeschwollen. Dem Umfang nach stehen dänisch G und F der isländischen Version am nächsten. Auch hier fehlt die Vorgeschichte der Liebe. Die Handlung beginnt mit Sophiens Verrat und gliedert sich in 7 Szenen. In beiden Fassungen sendet Valdemar seinen Bruder (Kristoffer oder Ejler) zu Kirstin, die sich in einem Bauernhaus bzw. in einem Kloster aufhält. Eine Besonderheit der Fassung F ist die Einführung des „Kaisers von England", der hier von Kirstin als Vater des Kindes angegeben wird und der nach ihrem Tode herbeikommt, um sie zu rächen. W i r finden diese Gestalt des Kaisers von England in den deutschen Fassungen wieder. Die übrigen dänischen Varianten bringen nun die Vorgeschichte der Liebe zwischen Kirstin und Boris in einer neuen Ausgestaltung, indem sie das alte dänische Balladenmotiv der Liebesrunen mit hineinbeziehen. Lange Gespräche zwischen König und Königin, zwischen Sophie und Boris, bilden die Einleitung. Die ganze umständliche Erzählung der vergeblichen Werbung, des Runenzaubers, der Liebesnacht und der Geburt weiten die Ballade abermals aus und bringen sie auf 10—14 Szenen, zumal nun auch noch an Kirstins T o d die Geschichte von ihrem Begräbnis und von Boris' Bestrafung angehängt wird. Die färöische Version hat ungefähr den Umfang der isländischen. Sie ist fünfszenig wie isländisch C und E und ähnelt auch sonst z. T . der isländischen Version bis auf den Umstand, daß hier an die Stelle der Verführungsszene zwischen Kirstin und Boris jener sonderbare Fruchtbarkeitszauber tritt, den die böse Sophie mit Hilfe eines Fisches betreibt. Anscheinend ist die färöische Version von Dänemark herübergewandert, ehe zu Ende des Mittelalters die dänische Version jene Aufschwellung erfuhr. Auf den Färöern hat dann der Stoff seine eigenen Schicksale gehabt. Er wurde mit einem alten Zaubermotiv verbunden, das wahrscheinlich aus einem ganz anderen Überlieferungskreis stammt. Ins Schwedische drang die Ballade offensichtlich erst in der erweiterten dänischen Gestalt, da sich die vier vollständigen schwedischen Fassungen inhaltlich eng an dänisch A — F anschließen. Aber es gelang dem schwedischen Formgefühl, das Übermaß des Stoffes soweit wieder zu straffen und zu konzentrieren, daß schließlich die schwedischen Uberlieferungsträger mit einem Bruchteil der Länge für die gainze Geschichte auskamen. Vor allem vermochten sie den gesamten Ablauf in drei plastische Szenen zu bannen: den Verrat der Königin, Kirstins Aufbruch und ihre Bestrafung. Die norwegische Version zeigt eine ähnliche Straffung. Doch wird hier 44

eine vierte, offensichtlich unechte Szene angehängt, in der Bronsvenn, Kirstins Geliebter, den König mit dem Schwerte dazu zwingt, ihm Kirstin zur Frau zu geben, und in der sich endlich der ganze Konflikt in Friede und Frohsinn, mit Hochzeit und Kindtaufe, auflöst. § 15. Der Kehrreim. Schlüsse auf die Aufführungsart der Ballade. Strukturell sind sich alle skandinavischen Fassungen dieser Ballade sehr ähnlich: Sie haben alle den Zweizeiler mit dem „Omkvaed", dem Binnen- und Endrefrain. Dieser Kehrreim steht mit dem Inhalt der Ballade meist nicht in logischem, sondern höchstens in stimmungsmäßigem Zusammenhang. Er erinnert an den Ursprung der dänischen Folkevise: der Verschmelzung getanzter Kleinlyrik mit epischen Texten 6 ). Im Kehrreim bricht das alte lyrische Element immer wieder durch. Nun taucht die Frage auf, ob wir uns diese Ballade als Tanzlied zu denken haben. Sie war es jedenfalls nicht in der Weise, daß a l l e Mitglieder des tanzenden Kreises den g a n z e n Text mitgesungen hätten. Sie wäre dann nicht in derartig langen Varianten erhalten geblieben 7 ). Man kann sich dagegen sehr wohl vorstellen, daß die Fabel vom Wortführer der tanzenden Gemeinde (unter der wir uns wahrscheinlich eine gesellschaftliche Gruppe aus der Adelsschicht zu denken haben) vorgesungen und der Kehrreim vom Chor aufgenommen wurde. — Für die Verwendung der Ballade als Tanzlied würde auch der Kehrreim von dänisch F und G sprechen: " — Ved raad — Saa herlig (faverlig) ganges de Pibe imellem Roskilde og Ribe . . " Mit den „Pibe" werden die begleitenden Musikinstrumente erwähnt; und wo die Pfeifen aufspielen, da wird wahrscheinlich auch getanzt. — Andererseits macht uns Liestel®) darauf aufmerksam, daß wahrscheinlich nicht nur zum Tanz, sondern auch beim Reiten oder Rudern, — in späterer Zeit auch bei gemeinsamer Arbeit, — Balladen gesungen wurden, wie der Kehrreim schließen läßt. Der Refrain enthält in vielen Fassungen von „Kong Valdemar og hans Soster" das Motiv des Reitens. Isländisch lautet er durchweg: "pann blida — ver skulum til höfa rida." — In schwedisch A heißt es: "Medan vi äro mo — Mig tykkes, det är tungt att utrida." — Der Rhythmus des Reitens verbreitet sich vom Refrain aus zuweilen über das Ganze, übernimmt in Kirstins Ritt zum König deutlich die Führung, um in den übrigen Szenen wieder zur begleitenden Grundmelodie des Kehrreims zurückzusinken. — Immerhin spielt aber Kirstins Tanz in der Ballade eine größere Rolle als dieser Ritt, und wenn wir auch nur einigermaßen berechtigt sind, aus dem Inhalt auf die Aufführungsart zu schließen, so verdient der Tanz in diesem Falle m.E. den Vorrang. 7)~Überdie Balladendichtung des Spät-MA's . . . S. 22 ff. (Andreas Heusler). ) Vgl. Pound, a. a. 0 . S. 398: "Real ballads used as dance songs tend to decay, through the wearing process of dance usage." ») Einleitung zu Folkevisor, S. 8. 8

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§ 16. Landschaftsgebundener Stil. Dieser tanzende (oder reitende) Rhythmus durchklingt am stärksten die isländische Fassung in ihren knappen, scharf skandierten Trochäen. Diesem Rhythmus zuliebe sind alle unwichtigen Worte fortgefallen, vor allem die Personalpronomina. Das Verb regiert absolut. Der Isländer stellt es mit Vorliebe an den Anfang: "Dönsudu allan daginn um kring" oder: "Klappar ä dyr med löfa sin." — Hin und wieder klingt in der isländischen Balladenversion der alte Stabreim noch einmal auf, den der Endreim nie ganz verdrängen konnte. Allerdings ist in der gesamten Balladendichtung der E n d r e i m die Grundlage des Verses, und der Stabreim läßt da, wo er auftaucht, die einstige feste Regel nicht mehr erkennen. Er dient nur noch als äußerer Schmuck: A 29: Kristin kastar kodda bld: "smäsveinn üngi, Sit par ä!" A 23: Sveinnin reid og rendi: fagran folann sprengdi.

Das hat die eindringliche Kürze alter Zauberformeln. Die dänische Version dagegen ist viel gesprächiger. Der Stil wird verbindlicher. W o das Isländische kurze Hauptsätze nebeneinander stellt, verknüpft und verschachtelt sie das Dänische durch Unter- und Uberordnung. Der Bedingungssatz z. B. tritt in den dänischen Fassungen auffallend hervor: A

9: "For-raader ieg bliffuer A 13: "Locker ieg da kaaster

du liden Kiersten, kiere soster min, dig äldrig äff hiertted goed." hinder, den verie wiff, ded begges vor unge Uff."

Auch lieben die dänischen Überlieferungsträger, das Gesagte immer noch einmal in einer anderen Redewendung zu wiederholen, um den Reichtum ihrer Ausdrucksfähigkeit zu zeigen. So fragt der König bei seiner Ankunft nach Kirstin: "Huor ere lidenn Kierstenn, den iomfru skion? hui ganger hun mig icke ud i-mod? Huor ere liden Kiersten, den roesens-kinnd? hui fauner hun icke sin broderss komme?"

Im Isländischen stellt der König hier nur die Frage: "Hvernig ma fölkid i riki min?" (Wie geht es dem Volk in meinem Reich?). Appositionen wie "den iomfru skion" oder "den roesens-kinnd" würden im Isländischen nie vorkommen; ebensowenig reine Gefühlsäußerungen, wie sie das Dänische häufig hat. Das Erbleichen und Erröten spielt hier z. B. eine große Rolle; und die Tränen fließen reichlich, wenn Kirstin von ihren Mägden Abschied nimmt oder wenn sie ihr Testament macht: A 61: Hunn boed denem goede nadt, meer och kuinder: saa saare da fellde di thaare for hinder.

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62: Alle bad hun denem guode nadt: sielff wäre hun i hiertted uglad. Auch des Königs innere Bewegung wird in W o r t e n ausgesprochen: G 5: Kongenn hand blegner y sin kiend: hand feck stuor sorig vdj synde. Kleine Stoßgebete und Anrufungen Christi werden gerne eingefügt. Diese christlichen Redewendungen haben allerdings schon einen V o r k l a n g in der isländischen Ballade, w o es am Schluß in echter alter Chronisten weise h e i ß t : Vendi eg mmu kvcedi i kross: (A) sankti Markus sjddu oss! (B) Gud d himnurn veri med oss! (C) Gud og Maria se med oss!

oder: oder:

A u ß e r in dieser Schlußstrophe weicht aber die isländische B a l l a d e nirgends von der W i e d e r g a b e direkter H a n d l u n g oder direkter R e d e ab, während w i r in der dänischen Version solche Abweichungen häufiger beobachten können. D i e schwedische Version endlich zeugt v o m T r i u m p h der F o r m , besonders was die Fassung aus dem Kirchspiel N o r r h v i d d i n g e , eine der 4 ö s t e r g ö t l a n d Fassungen, angeht. D i e schwedische Sprache ist an sich schon durch ihren größeren Vokalreichtum klangvoller, musikalischer und weicher als die dänische. Dieser V o r z u g vereinigt sich in der Norrhviddinge-Fassung ( W i g s t r ö m 4 0 ) m i t einer tadellosen M e t r i k und rhythmischem F l u ß der Sprache zu einer äußerst gut sangbaren, mehr lyrisch als episch wirkenden Dichtung. Als Beispiel f ü r die gepflegte Feinheit des Ausdruckes, sowie auch f ü r die geschickte V e r w e n d u n g der V o k a l f ä r b u n g e n greife ich aus dem Zusammenhang drei Strophen heraus: 5) Liten Kerstin hon frägar sin stalldräng om räd: "Hur skall jag kunna fram för min fader stä?" 6) "Tvätta dig först med det klara vin, efter dig torka med vit ärmelin!" 7) Liten Kerstin hon kläder sig i sammetmantel blä, Silverbältet spänner hon ovanuppä. Auch das stilistische M i t t e l der Wiederholung w i r d hier mit größerem Geschick als in anderen Balladenfassungen zur Anwendung gebracht, indem f a s t die gleichen W o r t e gebraucht und doch nie g a n z das gleiche gesagt wird. K l e i n K e r s t i n soll erst mit dem K ö n i g , dann mit der Königin t a n z e n : 13) Konungen han räcker snövit hand frän sig: "Kom hit, liten Kerstin, och trötta ut mig!" 14) De dansade en, de dansade tvä, liten Kerstin hon var inte trötter ändd. 15) Drottningen räckte snövit hand frän sig: "Kom hit, liten Kerstin, och trötta ut mig!" 16) Sä dansad' de en, sä dansad' de tvä, hon tröttar ut drottningen likasä.

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Noch ein drittes Mal wird die „schneeweiße Hand" ausgestreckt, aber diesmal begleitet diese Geste eine andere Forderung: 18)

Drottningen hon räcker snövit hand frän "Korn hit, Uten Kerstin, byt gullbälte med

sig: mig!"

Dieser Sinn für Formschönheit zeugt von einer Verfeinerung des Geschmacks, der auch der veränderte Schluß zuzuschreiben ist: Statt der brutalen Züchtigung Vergebung und Milde! Uberhaupt wird der Inhalt nicht mehr so wichtig genommen; der Form zuliebe kann er ruhig' abgewandelt werden: Die Handlung tritt hier hinter die Form zurück. Das bedeutet einen allmählichen Übergang vom Epischen ins Lyrische, — eine Erscheinung, deren Grund ich in der hervorragenden lyrischen Begabung der Schweden sehe. — Für die Stilunterschiede zwischen den isländischen und dänischen Fassungen ist wohl in erster Linie die geographische Lage beider Länder verantwortlich zu machen. In der Abgeschiedenheit Islands konnte sich die Eigenart des Nordländers, seine Gefühlsverhaltenheit und unpathetische Sachlichkeit, besser bewahren. Deshalb blieb hier auch die Ballade in ihrer ursprünglicheren Form erhalten, während sie in Dänemark, das besonders in der höfischen Zeit den Blick nach Süden richtete, dem Wandel des Zeitgeistes unterlag. Die Dänen sind überhaupt, auch ihrem Lebensstil nach, das südlichste, das beweglichste, unter den skandinavischen Völkern. Man nennt sie nicht umsonst die „Franzosen des Nordens". Irgendetwas in ihrem Blute mochte den Einflüssen der westeuropäischen höfischen Kultur geöffnet sein. Dennoch blieben ihnen die Tiefen dieser Kultur verschlossen, und es war nur polierte Oberfläche, was sie sich aneigneten, — vielleicht, weil sie die geschichtlichen Voraussetzungen, aus denen diese Kultur gewachsen war, eben nicht besaßen. So erklärt es sich, daß uns die Gefühlstöne, die in der dänischen KirstinBallade aufklingen, verhältnismäßig so kalt lassen. W i r spüren es: Hier spricht nicht wirkliche Gefühlsteilnahme des Balladensängers, sondern die Stimme der Mode. Es ist ja wohl auch unmöglich, daß der Sänger einer 180 Strophen langen Ballade von der ersten bis zur letzten Strophe wirklich mit dem Herzen 'beteiligt ist. Eine solche Ballade belastet sein Gedächtnis zu sehr, um sein Herz noch viel belasten zu können. (Dies Gedächtnis der Uberlieferungsträger, das noch keiner Stütze durch das geschriebene Wort bedurfte, ist allerdings erstaunlich und ein Phänomen für sich.) — Der Stoff nimmt überhand und erdrückt das, was als Idee daraus hätte erfühlt werden können. Weil der Sänger diesen Mangel selbst spürt, greift er zum Surrogat der „Gefühlsstrophen", die aber weit davon entfernt sind, den Stoff wirklich zu beseelen. — Zu diesen Beobachtungen stimmt das „Spielerische, die Oberfläche küssende, Weltferne", das Heusler an der dänischen Ballade des Spätmittelalters wahrnimmt 9 ), — „daß man bei den traurigsten Inhalten fragen möchte: wieweit ist es eigentlich ernst gemeint?" M) a.a.O. S.20. 48

§ 17. „Kong Valdemar og hans Ssster" innerhalb der dänischen Balladentradition. Es wäre ungerecht, wollte man die dänische Folkevise nach den Beispielen des Spätmittelalters oder speziell nach der uns vorliegenden Ballade beurteilen. Die dänische Folkevise, als Ganzes gesehen, stellt anerkanntermaßen eine der größten Leistungen germanischer Volksdichtung dar. Erst im Zusammenhang mit der Gesamttradition läßt sich auch die Ballade „Kong Valdemar og hans Soster" richtig verstehen und beurteilen. Sie behandelt einen geschichtlichen Stoff aus dem dänischen Mittelalter, gehört also in die Gruppe der h i s t o r i s c h e n Folkeviser, die der Quelle wie der Entstehung nach im Mittelalter bzw. im Ausgang des Mittelalters ihren Platz haben. Dieser Gruppe steht, nach Grundtvigs Einteilung, die frühere der m y t h i s c h e n Folkeviser gegenüber, die sich in Kaempeviser und Trylleviser teilt, und in der die Elemente des heidnischen Altertums unverblaßt fortleben, obgleich auch ihre Gestaltung in den christlichen Zeitraum fällt. — W i e wir gesehen haben, ist auch diese frühere Gruppe von Balladen für „Kong Valdemar og hans Soster" von Einfluß gewesen, da das Motiv des Runenzaubers aus diesem Kreise stammt. Innerhalb der historischen Folkevise gehört unsere Ballade in den Kreis der Lieder um König Valdemar. Da es in Dänemark bekanntlich eine Reihe von Königen dieses Namens gab, ist nicht immer ganz klar ersichtlich, auf welchen König Valdemar sich die einzelne Sage oder Ballade bezieht. Die Sage von T o v e , der Geliebten des Königs, die von der eifersüchtigen Königin Sophie in der Badestube erstickt wurde, ist z. B. lange Zeit mit dem letzten Valdemar, Valdemar Atterdag, in Verbindung gebracht worden. Aber Grundtvig sucht den Beweis zu führen, daß der Held der Ballade „Valdemar og T o v e " (DgF 121) nicht der letzte, sondern der erste König dieses Namens ist, also Valdemar der Große, um den sich auch das Geschehen unserer vorliegenden Ballade dreht. Zwischen beiden Balladen finden sich einige stilistische Ubereinstimmungen. So sendet der König sowohl nach T o v e wie nach seiner Schwester Kirstin erst 5, dann 9 Pagen, um sie zu holen. Das wird in zwei Strophen gesagt, derenWortlaut in beiden Balladen vollkommen übereinstimmt. Auch die Ribergade, auf der die Königin Kirstin begraben will, k o m m t im T o v e Lied vor. D o r t trifft nämlich die böse Königin, die ihre Nebenbuhlerin ermordet hat, Toves beide Söhne Kristoffer und Knud, die die Rache an ihr vollziehen. — Die färöische Fassung der Tove-Ballade beginnt ganz gleich wie das Kirstin-Lied mit der Formel: „König - und Königin sitzen zu Tisch, Sie sprechen manch ein altes Wort." M i t dem gleichen Eingang beginnen viele historische Balladen, z. B. " D r o n ning Dagmar og Junker Strange" (DgF 132) und "Tovelilles Giftermaal".

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N u r sitzt hier statt der Königin ein R i t t e r mit dem K ö n i g zu Tisch. — Die letztgenannte Ballade hat außerdem noch eine weitere Strophe mit dem Kirstin-Lied gemeinsam. (Fassung G.) Völlig parallel gebaut zur Kirstin-Ballade ist endlich deren F o r t s e t z u n g : " K o n g V a l d e m a r og hans S0sterdatter" ( D g F 127). D a r i n rächt Lucia, Kirstins inzwischen erwachsene Tochter, den T o d ihrer M u t t e r an der Königin Sophie, die n u n auf die gleiche Weise bestraft und zu T o d e gebracht wird wie einst Kirstin. Auch hier wieder der typische E i n g a n g : Kongen och Sophie de sad offner de snachet saa mangt et gammelz

bord: ord.

E b e n s o beginnt auch Fassung D der Ballade " L i d e n Kirstin og D r o n n i n g S o p h i e " , ( D g F 128), in der aber Kirstin nicht V a l d e m a r s Schwester, sondern seine Geliebte ist, also hier T o v e s Stelle vertritt. K ö n i g i n Sophie, Valdemars I. Gemahlin, m u ß beim V o l k e verhaßt gewesen sein. Ihr N a m e tritt immer wieder auf in V e r b i n d u n g mit boshaften T a t e n , — so auch in den folgenden beiden Balladen " S t o l t Signild o g D r o n ning S o f i e " u n d "Mettelille og D r o n n i n g S o f i e " ( D g F 129 und 130). Signild gehört wieder in die Reihe der Tove-Gestalten. D e r K ö n i g hat m i t ihr g e t a n z t ; deshalb wird sie v o n der Königin vergiftet. W e n n der K ö n i g Signild bittet, ein Liebeslied zu singen, so findet sich in F r a g e u n d A n t w o r t genaue U b e r e i n s t i m m u n g mit den entsprechenden Strophen in " K o n g V a l d e m a r og hans S o s t e r " : "Hör du, stalthenn SignüUlle, huad ieg siiger enn elskoenns vise da queder du mig!" "Enn elskoenns viise ieg aldrig nam: ieg queder enn anndenn, som ieg kanndt."

dig:

(19/20).

D i e F r e u d e a m Ausmalen v o n Grausamkeiten findet sich im übrigen n i r g e n d w o so stark ausgeprägt wie gerade in der Kirstin-Ballade. M a n kann diesen Sadismus also nicht als C h a r a k t e r i s t i k u m der dänischen Folkevise ü b e r h a u p t werten. Dagegen gibt es auch unter den dänischen Volksballaden des Spätmittelalters Beispiele hochwertiger Balladenkunst, wie etwa " K o n g S v e r k e r den u n g e " ( D g F 136), " T u l e V o g n s a n og Svend G r a a " o d e r d e r berühmte Balladenkreis um Marsk Stig, ( D g F 143 und 145), die keinerlei Verfallserscheinungen zeigen. " K o n g S v e r k e r " z.B. t r ä g t noch g a n z den heroischen C h a r a k t e r der Kaempeviser. D i e Ballade " K o n g Valdemar og hans S a s t e r " hebt sich auch in anderer Hinsicht aus der großen G r u p p e der historischen Folkeviser heraus, i n d e m sie eine besonders starke Beeinflussung v o n Elementen der alten Zauberballade erfahren hat. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß das Liebesr u n e n m o t i v aus dieser älteren F o l k e v i s e - G r u p p e s t a m m t . — In " I o m f r u e n og D v a e r g e k o n g e n " , ( D g F 37), wird die Königstochter v o n einem Z w e r g m i t R u n e n bezaubert, daß sie zu ihm in den B e r g k o m m e n u n d seine Geliebte 50

werden muß. — Auch hier streut er die Runen auf den W e g , über den sie gehen m u ß ; ebenso wie Boris in unserer Ballade. In "Ridderens Runeslag" (DgF 73) betört H e r r Peder Klein-Kirstin, Herrn Olofs Braut, mit Runen, Goldharfe und Goldhorn, daß sie zu ihm kommen muß. In der Ballade von " T i d e m a n d og Blidelil" (DgF 74) wirft H e r r Tidemand bzw. sein Steuermann Hagen v o m Schiffe aus gewaltige Runen in die See, daß sie zu Jungfrau Blide an den Strand treiben. Blide erwacht von schweren Träumen, schlüpft in das Federgewand ihrer Schwester und fliegt übers Meer bis an des Schiffes Bord, zu Herrn Tidemand, den sie niemals mit Augen gesehen hat. Der Runengewaltige empfängt sie mit Spott, doch als sie sich in die Wellen stürzt, muß er ihr nachfolgen. Liebesrunen spielen weiter eine große Rolle in den Balladen: " D e t tvungne Samtykke" (DgF 75), "Ridder Stigs Bryllup" (DgF 76), " H e r r Peder og Mettelille" (DgF 78) und "Konges0nnens R u n e r " (DgF 79). — Darin haben wir immer wieder folgenden Vorgang: Der M a n n bezaubert die Frau, die er begehrt, durch Runen, so daß sie'nachts wie unter einem dunklen Zwange, meist gegen ihren Willen, vor seiner Kammertür stehen und ihn um Einlaß bitten muß. Und ginge er bis ans Ende der W e l t , — wie es R i t t e r Stig tun möchte, der durch eine unglückselige Verwechslung Regisse, des Königs Tochter, statt seiner Liebsten bezaubert hat, — sie findet ihn unfehlbar in dieser Nacht, denn der Zauber ist von großer Gewalt. So sagt Stigs Mutter zu ihm: om-kring, "Dett du will söge all Fyns land daa soger iomfru Rigesse i natt tili din seng. Dett du will ride tili werssens ende: i äfften kommer hun for din sengi." (15/16).

Nun taucht die Frage auf: Was ist eigentlich mit diesem Runenzauber gemeint? Welche Auffassung drückt sich darin aus? — Zunächst könnte man meinen, daß hier einfach die verführerische Gewalt der Liebe ihren poetischen Ausdruck gefunden hat. Aber diese Auffassung läßt sich nicht beibehalten, wenn man den Inhalt jener Lieder genauer untersucht. Meist kennt das Mädchen den R i t t e r nicht einmal, der ihr die verhängnisvollen Runen auf den Lauftseg oder unter das Gewand geworfen hat, oder sie verabscheut ihn von Herzen. V o n einer Bezauberung im übertragenen Sinne, durch die Gewalt seiner Persönlichkeit nämlich, kann also keine Rede sein. Rein dämonische Mächte zwingen die Frau in die Arme dessen, den sie nicht liebt. Wie aber konnten solche beängstigenden Vorstellungen zustande kommen? — Eben dadurch, daß man die Liebe und überhaupt alle wesentlichen Erscheinungen des Lebens als doppelseitig zu empfinden begann, — daß man Physis und Geistigkeit plötzlich auseinanderklaffen fühlte. — Die Fragwürdigkeit des Daseins hat der Germane seit jeher besonders bewußt empfunden. Gegen Ende des germanischen Altertums kam eine Zeit, wo diese Veranlagung seine

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Schwäche wurde. D a m a l s entartete die kraftvolle, schicksalsbetonte alte Mythologie in vielen Herzen zur dumpfen Angst eines verworrenen Dämonenglaubens. O b diese Entartung schon v o r Einbruch des Christentums in ersten Anzeichen vorhanden war, oder ob sie erst durch dieses verursacht wurde, soll hier nicht untersucht werden. Jedenfalls hinterließ sie die Angst vor den dämonischen Mächten bis tief ins christliche Zeitalter hinein. Die Ballade vom erzwungenen Jawort, " D e t tvungne Samtykke", stellt diese beiden Elemente, das christliche und das heidnisch-dämonische, besonders deutlich gegeneinander. Sie muß gedichtet worden sein, als die Christianisierung Dänemarks noch in den Anfängen stand. Ein Ritter wirbt u m eine J u n g f r a u ; aber sie weist ihn ab mit der Begründung, sie habe sich der Jungfrau Maria angelobt und wolle nie auf Erden einem sündigen Manne gehören. D a schreibt er ihr gewaltige Runen auf ihr Scharlachgewand, und sie muß ihm folgen, wenn auch wider Willen. Aber ehe er sie mit prächtigem Gefolge davonführt, nimmt sie einen giftigen T r a n k zu sich. Der Ritter umgibt sie in seinem Schloß mit aller irdischen Pracht, aber sie findet es besser, „ins Himmelreich zur J u n g f r a u Marie zu gelangen", und sie bestimmt, daß ihr Leib in Mariä Kirche, nicht in heidnischen G r u n d und Boden, k o m men solle. So stirbt sie noch v o r der Hochzeitsnacht. — Diese Ballade ist ein Beweis dafür, daß auch nach der Annahme des Christentums die Runen im Volksglauben ihre alte Zauberkraft nicht verloren. — H a b e n wir so einen Blick auf den Umkreis dänischer Folkeviser geworfen, dem " K o n g Valdemar og hans Soster" nahesteht, so wird uns die Entstehungsgeschichte dieser Ballade ziemlich deutlich. Die Historie von Valdemars Schwester Kirstin, zunächst wohl in einer einfachen Chronikballade dargestellt, erfuhr zweierlei Einwirkungen. Aus der Vergangenheit wirkten die K r ä f t e der Tradition herüber und verwoben mit dem geschichtlichen Stoff das Liebesrunenmotiv der alten Zauberballaden. Die Zeitkräfte der Gegenwart aber gaben dem Ganzen den Dekadenzgeschmack des ausgehenden Mittelalters, indem sie die Passagen über Kirstins Bestrafung ins Unerträgliche aussponnen und das Grausige des Geschehens überbetonten.

C . Varianten der dänischen Grundform auf deutschem Boden. Auch in Deutschland gibt es eine Ballade, die in den bisher behandelten Stoffkreis hineingehört. Zuerst wurde sie 1771 von Goethe im Elsaß aufgezeichnet. Herder überliefert diese Fassung unter dem Titel „ D a s Lied v o m P f a l z g r a f e n " ' ) . U m 1820 schrieb M. Schottky eine andere Variante auf, die in mündlicher Überlieferung in den Vorstädten Wiens lebte. Auch aus Württemberg und Schlesien gibt es ähnliche Fassungen. Doch älter sind !) Supphan, Herders Werke, Bd. 25, S. 107 f.

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wahrscheinlich die norddeutschen Varianten, die aus Holstein, H a m b u r g , Westfalen, aus dem Magdeburgischen und aus Sachsen vorliegen 2 ). Bei J o h n Meier 3 ) erscheinen drei weitere Fassungen unter dem Titel „ d e r grausame B r u d e r " : A aus Dithmarschen, B aus der Provinz Sachsen und C (in niederdeutscher Mundart) aus dem Sauerland. Außer diesen teilt E r k eine weitere magdeburgische Fassung mit, die mit Meiers sächsischer Variante fast ganz übereinstimmt. 4 )

§ 18. Die Abwandlung der historischen Beziehungen. In allen Fassungen, die eng miteinander verwandt sind, deuten der N a m e der Heldin (Christine oder Annchristine), die Bezeichnung ihres Liebhabers als K ö n i g oder Prinz von England (vgl. dänisch F und die norwegisch-schwedischen Fassungen), sowie zahlreiche Einzelzüge in der Entdeckung und Bestrafung des Vergehens auf eine direkte Abhängigkeit v o n der dänischen Ballade hin. Erk-Böhme und Meier machen auch auf diese Abhängigkeit aufmerksam. Die einzige deutsche Variante mit h i s t o r i s c h e r Namensnennung ist Meiers Fassung A, für die Müllenhoffs „Sagen, Märchen und Lieder der H e r z o g t ü m e r Schleswig-Holstein und L a u e n b u r g " (1845) die Quelle abgegeben haben. Hier erscheinen allerdings die geschichtlichen Beziehungen abgewandelt: Der grausame Bruder ist nicht mehr Waldemar I. von Dänem a r k , sondern eine spätere historische Persönlichkeit, der dänisch-holsteinische Unionskönig Hans (1481—1513). Die Ballade spricht zwar nur von einem „ G r a f e n H a n s von Holstein"; aber eine Bemerkung in Str. 30 gibt nähere Aufschlüsse. D o r t bittet Hans seine Schwester, sie möge doch leben bleiben, er wolle ihr auch ganz Schweden geben. U m seiner Schwester Schweden zu versprechen, muß Graf Hans Schweden besitzen. Es handelt sich also höchstwahrscheinlich in seiner Person u m einen der dänischen Unionskönige, die vor der Befreiung Schwedens durch Gustav ErichsonWasa (1523) auch dieses Land in ihrer Gewalt hatten. 1460 wird König Christian I. von Dänemark H e r z o g von Schleswig und Holstein. Ihm folgt 1481 sein Sohn Hans, der sich auch in Schweden Anerkennung zu verschaffen weiß. — Es war naheliegend, daß der deutsche Balladensänger das Geschehen von dem ihm unbekannten König Waldemar auf den zeitlich und politisch näherstehenden König Hans übertrug. — Der N a m e Waldemars klingt übrigens in der Hamburgischen Fassung nach, die in einem fliegenden Blatt von 1815—20 vorliegt. D o r t heißt der grausame Bruder König W a l t e r . ) Für alle diese vgl. Erk-Böhme: Deutscher Liederhort, Nr. 186. * ) Balladen (Volksausgabe) Nr. 51. *) Dazu kommen noch eine Anzahl weiterer gedruckter Fassungen, sowie solcher, die handschriftlich im deutschen "Volksliedarchiv zu Freiburg i. Br. liegen und die ein Vorkommen des Liedes außerdem belegen für Mecklenburg, Brandenburg, Braunschweig, Hannover, die Rheinlande, Rheinpfalz, Lothringen und Baden (Red.). 2

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§ 19. Inhalt und Besonderheiten der einzelnen Fassungen. D e r Inhalt fast aller deutschen Fassungen ist kurz folgender: Ein Mann niederen Standes (ein Jäger, ein Fuhrknecht, ein Küchenjunge) freit um ein hochgeborenes Mädchen (die Schwester des Grafen Holstein, oder die Schwester des Pfalzgrafen bzw. Markgrafen vom Rhein). Als er abgewiesen wird, spielt er den Ankläger und verrät, daß sie ein Kind hat. (Elsässische Fassung, Str. 3 — 4 ) : 3) „Was hast du nach meiner Schwester zu frag'n? Sie ist dir viel zu adelig." 4) „Soll sie mir viel zu adlig sein? Sie hat fürwahr ein Kindlein klein."

D e r Bruder läßt Christine sofort zu sich kommen. Sie entlohnt ihre Leute (Köchin, Amme, Kutscher), sorgt für ihr Kind und macht sich auf den Weg. In der elsässischen Fassung fehlt diese Beschreibung von Christinens Abschied. D o r t heißt es nur: 6) Es stund nicht länger als drei Tag' an, Die junge Gräfin gefahren kam.

D e r Bruder unterwirft nun Christinens Unschuld einer Probe: In der holsteinischen, elsässischen und wienerischen Fassung ist das wiederum der T a n z . Sie wird dadurch überführt, daß ihr „die Milch aus den Brüsten springt". D e r grausame Bruder peitscht oder tritt sie zu Tode. Ehe sie stirbt, gibt sie den König bezw. den Prinzen Friedrich von England als Vater ihres Kindes an, und den Bruder ergreift eine zu späte Reue. Die sächsische Fassung schließt daran sofort die Schlußstrophe: 10) Christinchen wurde ins Grab gesenkt, Der junge Markgraf ans Rad gehängt; Christinchen wurden die Glocken geklungen, Den jungen Markgrafen die Raben verschlungen.

Die anderen Fassungen dagegen berichten von der Rache, die der König von England am Mörder seiner Geliebten übt. In der holsteinischen Fassung bittet Graf Hans den Ankömmling, der nach der toten Christine fragt, zu Tisch, zu einem Gericht gebratener Fische. An diese W o r t e knüpft Prinz Friedrich sein furchtbares Strafgericht an: D e r G r a f wird selber auf den Tisch gelegt und in kleine Stücke zerhauen, „wie gebratene Fisch'". In den süddeutschen Fassungen dagegen gönnt ihm der Rächer den ehrlicheren T o d durch das Schwert. Die elsässische Fassung klingt alsdann sehr liebenswürdig aus mit der Fürsorge des vornehmen Bräutigams für das Kind: 22) Er nahm das Kind wohl auf den Arm, Jetzt haben wir keine Mutter, daß Gott erbarm. 23) Er wiegt das Kindlein in süße Ruh, Und ritt mit ihm nach England zu.

S4

Sogar im Wendischen gibt es ein Fragment dieser Ballade 4 ). Es sind davon nur 9 Strophen erhalten: Der König von Polen k o m m t als Bettler verkleidet zum Kaiser und bittet um die H a n d seiner Tochter. Als er sie nicht b e k o m m t , verrät er, sie sei eine Hure. Darauf peitscht ihr jüngster Bruder sie T a g und Nacht mit drei Ruten. — Hier bricht das Fragment ab. Die holsteinische und die süddeutschen Fassungen schildern den Ablauf der H a n d l u n g in fünf Szenen. Die sächsische und die magdeburgische Variante, denen die Racheszene fehlt, haben deren vier. Die erste Szene führt uns jeweils in das Schloß des Grafen und besteht in der Hauptsache aus dem Dialog zwischen dem Grafen und jenem Manne niedriger H e r k u n f t , der Christinens Verräter wird. Dann folgt in allen Fassungen außer der elsässischen und westfälischen die Abschiedsszene im Haus der Christine. Die nächste Szene, die sich in der elsässischen Fassung unmittelbar an die erste anschließt, zeigt die junge Gräfin unterwegs und ihr erstes Zusammentreffen mit dem Bruder: Er sieht ihr aus dem Fenster entgegen, — er k o m m t über die Brücke, — oder er tritt schon im Walde auf sie zu. Die dritte Szene der elsässischen Fassung versetzt uns merkwürdigerweise aus dem Walde des rheinischen Pfalzgrafen nach Holland: 9) Er nimmt sie an ihrer schneeweißen Hand Und führt sie nach Holland zu dem Tanz.

Die 4. Szene, die das grausame Strafgericht schildert, spielt jeweils in einem geschlossenen R a u m : Es ist von einer „ K a m m e r " , von einem „ S a a l e " oder von „ D i e l e n " die Rede. In der holsteinischen Fassung bildet eindeutig das Schloß des Grafen den Hintergrund. T a n z , Entdeckung, Strafgericht und T o d werden dorthin verlegt und zu einer langen Szene vereinigt. Christinens Rächung durch den Geliebten hat man sich gleichfalls auf dem Schauplatz des gräflichen Schlosses zu denken. Die holsteinische, magdeburgische und sächsische Fassung fügen als epischen Abschluß dieses dramatischen Verlaufs die bereits zitierte Glocken-Raben-Strophe an. Mit dem gleichen Motiv endigt auch die Sauerländische Variante, die einzige in niederdeutscher Mundart. — Im übrigen ist dieser T e x t stark verkürzt. Er zieht das ganze Geschehen in 15 Zweizeilern zusammen und ballt es zu einer einzigen Szene, die sich in Christinens Stube abspielt. Es fehlt darin der Eingang, d. h. die Anklage, die durch den vergeblichen Werber erhoben wird, wie überhaupt diese Gestalt des Werbers fehlt. Das Lied fängt damit an, daß Christine am Feuer sitzt und ihr Kindlein wärmt. Plötzlich tritt ihr Bruder Conrades ein und fragt sie nach dem Kind. Sie leugnet es, wird wie in den anderen Fassungen überführt und bestraft, gibt den König von England als Vater des Kindes an und stirbt. Unmittelbar darauf erscheint der fürstliche Freier und vollzieht die Rache an Conrades: Eine viel weniger grausame Rache; er jagt ihn bloß aus dem Lande. — Die starke 5

) H a u p t und Schmaler I, 53.

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Zusammenziehung und die U n m i t t e l b a r k e i t in der Aufeinanderfolge Ereignisse wird durch die Übergangsstrophen 3 und 10 erreicht:

der

3) So dra Christinken dat Wort utsprak, Er Broder Conrades tor Bor eintrat 10) So dra Conrades dat Wort utsprak, De Kunnig von Engeland tor Dor eintrat. D a auf diese Weise der Schauplatz niemals wechselt, gewinnt das G a n z e eine g r o ß e Einheitlichkeit. Bemerkenswert, daß hier nicht m e h r v o n G r a f und Gräfin, sondern einfach von Bruder und Schwester die R e d e ist! Dadurch w i r d das Lied in eine schlichtere W e l t , in die A t m o s p h ä r e der heimatlichen Bauernstube gerückt. N u r der sagenhafte „ K u n n i g v o n E n g e l a n d " spielt weiter seine R o l l e , die er ja schon in einigen skandinavischen Fassungen innehatte.

§ 20. Die Beziehungen zur dänischen Ballade. W e l c h e Beziehungen verknüpfen nun dieses in den verschiedensten deutschen Landschaften verbreitete Lied m i t dem dänischen Kreis um „ K o n g V a l d e m a r " , dem es doch offensichtlich irgendwie v e r w a n d t ist? — Zunächst springt der gemeinsame U m r i ß der H a n d l u n g ins Auge. W i e der spielt hier der Bruder der liebenden Frau ihren R i c h t e r . D i e R o l l e des V e r r ä t e r s ist allerdings von der Königin Sophie auf den f r e m d e n J ä g e r oder Küchenjungen, den abgewiesenen Freier, übergegangen. Auch fehlt, wie in der schwedischen und der schottischen Ballade, und wie in einem T e i l der isländischen Varianten, die Vorgeschichte der L i e b e : A b e r diese V e r ä n d e rungen sind nicht wesentlich. Die H a u p t z ü g e jedenfalls ( T a n z p r o b e , E n t deckung, Bestrafung) sind mit der gleichen Realistik geschildert wie im D ä n i schen, n u r k ü r z e r und straffer. Müllenhoff meint, in Deutschland sei die altdänische Sage v o n K ö n i g W a i d e m a r l , und seiner Schwester Kirstin im 16. J h . auf K ö n i g H a n s ü b e r tragen und s e l b s t ä n d i g zum Lied gestaltet w o r d e n ä ) . E r b e t o n t , daß n u r die Sage eine Brücke zwischen dem deutschen und dem dänischen Liede herstelle. A b e r Grundtvig, der diese Meinung Müllenhoffs zitiert, macht ein Fragezeichen dazu. U n d mit R e c h t , so scheint es uns; denn die Z u s a m m e n hänge auch der d i c h t e r i s c h e n F o r m e n in beiden L ä n d e r n sind zu auffallend, um als zufällig bezeichnet werden zu k ö n n e n . D i e A r t des S t r a f vollzugs z. B . wird in der dänischen wie in der deutschen Ballade m i t fast völliger Übereinstimmung geschildert: D e r B r u d e r peitscht oder prügelt seine Schwester zu T o d e . Die Fassungen aus H o l s t e i n , aus dem Elsaß und aus W i e n haben sogar das M o t i v , daß der G e f o l t e r t e n L u n g e und L e b e r aus d e m Leibe springen, — genau so, wie in den meisten dänischen V a r i a n t e n . 6 ) In: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogtümer Schleswig-Holstein und Lauenburg, S. 492.

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D e r K ö n i g v o n England der deutschen Ballade ist auch in dänisch F, in schwedisch C und F und in der norwegischen Fassung Kirstins Geliebter. W i e die K i r s t i n der nordischen Ballade soll auch die deutsche Christine ihre Unschuld durch eine T a n z p r o b e beweisen. I m Holsteinischen ist sogar noch d e r Zug erhalten, daß sie zu Pferde k o m m e n und d a m i t schon gleich die erste P r o b e i h r e r Unschuld ablegen soll. In allen skandinavischen und deutschen Fassungen verrät sich ihre M u t t e r s c h a f t durch die Milch in ihrer Brust. A l l e diese Züge h ä t t e n nun freilich auch in einer Prosasage v o n L a n d zu L a n d ü b e r m i t t e l t werden k ö n n e n . A b e r dagegen sprechen Beispiele direkt wörtlicher E n t l e h n u n g . In der holsteinischen Fassung z. B . sagt A n n c h r i s t i n ; , die ihr K i n d z u m letzten Mal v e r s o r g t : „Ich wickel ihn heut und gar zu gern, Ich wickel ihn heut und nimmermehr." Das e r i n n e r t an die dänische Fassung F , w o K i r s t i n sagt: 19) "I tager mig hid det vinde-bond! ieg vinder min son sielff met min hand. 20) leg vinder min son sielff met min hand: ieg vinder ham nu och aldrig mere." D i e dänische Fassung F hat ü b e r h a u p t die meisten B e z i e h u n g e n zu der deutschen Balladenversion. W i r scheinen hier die Übergangsfassung v o r uns zu haben. Auch folgender Ausruf K i r s t i n s : 43) "Kiere broder, du slae icke mere! min unge dater befaller ieg dig. 44) Min unge datter befaller ieg dig: kieseren äff Engeland er hindis fader," entspricht dem deutschen ( W i e n e r Fassung): 17) „0 Bruder, hör auf, jetzt hab ich genug: Ich befehle mich und mein Kindlein in deinen Der König aus Engelland hats getan."

Arm,

Auch das M o t i v , daß nach dieser E n t h ü l l u n g der grausame B r u d e r C h r i stinen b i t t e t , doch leben zu bleiben, und i h r in seiner plötzlichen R e u e allerh a n d Geschenke verspricht, findet sich gemeinsam in dänisch F und vielen deutschen Fassungen: 45) "Kier sester, kanst du met mig leffue, syff pund gull vell ieg dig giffue." 46) "Vitt du giff mig syff tynder gull, ieg veste icke at leffue en morgen-stund." I n der magdeburgischen Fassung (und ähnlich auch in der holsteinischen und sächsischen V a r i a n t e ) h e i ß t es: 20) „Ach Schwester, wenn du noch könntest leb'n, Ich wollt dir mein halbes Königreich geb'n." 57

21) „Ach Bruder, ich kann ja keine Stunde mehr leb'n, Du hast mir der Schläge zu viele gegeb'n." D i e S o r g e u m das K i n d und die A b l ö h n u n g der Mägde ist ein Zug, den die deutsche Ballade m i t der dänischen und auch m i t der e n g l i s c h e n gemeinsam hat. I n der elsässischen Fassung ist es der V a t e r , der die Sorg.: f ü r sein K i n d ü b e r n i m m t : M i t dem kleinen S o h n auf dem A r m reitet er h e i m . E r i n n e r t das nicht stark an die Szene der schottischen Ballade, in der Sweet W i l l i e das Söhnlein zu seiner M u t t e r b r i n g t ? — I n der schottischen Ballade „ L a d y M a i s r y " (Child 6 5 ) gibt es ebenfalls einen verräterischen K ü c h e n j u n g e n und einen strafenden B r u d e r in ganz ähnlicher Situation. ( V g l . ebenso „ Y o u n g J o h n s t o n e " , C h i l d 8 8 ! ) — D i e G l o c k e n läuten sowohl für Fair J a n e t wie f ü r die deutsche C h r i s t i n e , als ein Zeichen dafür, daß das V o l k s e m p f i n d e n die junge M u t t e r freispricht und sie der Gnade G o t t e s übergibt. D i e U b e r e i n s t i m m u n g e n zwischen der deutschen und der schottischen Ballade m ö g e n auf einen g r ö ß e r e n gemeinsamen N e n n e r , auf M o t i v g e m e i n s a m k e i t e n zwischen beiden Balladengruppen ü b e r h a u p t , zurückgehen. D i e Gemeinsamkeiten zwischen der deutschen und der dänischen Ballade k a n n man aber nicht damit erklären. D i e Ähnlichkeit ganzer Motivreihen in ein und derselben Ballade, verbunden mit z. T . wörtlicher Übereinstimmung im Ausdruck, bezeugt die direkte Abhängigkeit. D i e Ähnlichkeit des Metrums k o m m t hinzu: Alle deutschen Fassungen haben den skandinavischen Zweizeiler. N u r der R e f r a i n , der kaum einer dänischen Ballade fehlt, konnte sich auf deutschem Boden nicht halten. — Schon manche Fassungen der schwedischen Version hatten ihn verloren, wie w i r sahen.

§ 2 1 . Die V e r b r e i t u n g über den deutschen Sprachraum. V o n den deutschen Fassungen steht die holsteinische der dänischen Ballade am nächsten. Sie hat die meisten Motivgemeinsamkeiten mit ihr und bewahrt die größte Ausführlichkeit. Auch aus historischen Gründen liegt es j a nahe, Schleswig-Holstein als Einfallstor einer dänischen Ballade zu betrachten: Lange h a t das L a n d zur dänischen K r o n e gehört. Nordschleswig als zweisprachiges Gebiet, in dem sowohl deutsch wie dänisch verstanden wurde, bildete die Brücke, auf der das Gedicht aus der einen Sprache in die andere eindringen konnte. Auch die Tatsache, daß die holsteinische V a r i a n t e als einzige noch an einem geschichtlichen Bezug, an der Verknüpfung mit dem dänischen Königshaus, festhält, spricht dafür, d a ß sie unter den deutschen Fassungen die älteste ist. D i e übrigen Fassungen außer der s a a r l ä n d i s c h e n stellen zusammen die nächste Entwicklungsstufe dar. Das M o t i v des T a n z e s ist z . T . b e w a h r t und auch das M o t i v von „Lunge und L e b e r " , die der Bruder seiner Schwester „aus dem L e i b e " schlägt. Aber von Christinens R i t t , der in der dänischen Ballade 58

eine so große Rolle spielt und den auch die holsteinische V a r i a n t e bewahrt, wissen diese Fassungen nichts mehr. Im Sauerländischen ist außer der großen Strafgerichtsszene fast alles f o r t gefallen. Diese westfälische Fassung hat sich am weitesten vom dänischen Original entfernt. Die niederdeutsche Mundart, die dem Dänischen so ähnlich klingt, darf uns daran nicht irremachen. Es bestehen übrigens enge Beziehungen zwischen der westfälischen und der sächsischen Fassung. Ich zitiere zum Vergleich aus beiden Varianten eine Stelle: Provinz Sachsen: 5)

„Guten Tag, guten Tag, fein Schwesterlein, Wo hast du dein junges Knäbelein?" 6) „Ich habe kein Kind, ich weiß von keinem Kind, Ach Bruder, was redst du für törigte Ding!" Er schnürte ihr wohl den seidenen Band, Daß ihr die Milch aus den Brüsten sprang. 7) Er schlug sie wohl die, Dehlen lang, Er schlug sie drei Tage und drei Nacht, Bis ihr junges Leben ein End gemacht.

Sauerland: 4) „Wellkummen, wellkummen, leve Suster min, Wo geit et den kleenen Kindekin?" 5) „Ick hebbe gen Kind, ich iveit gen Kind, 0 Broder, wat hebst du in dinem Sinn." 6) Hei schnorde Christinken in Side so schlank, Dat er de Melk ut den Brüsten sprang. 7) Hei slog Christinken drei Dag und drei Nacht, Bis dat er gen Leven me inne was.

Aus der Provinz Sachsen geht über Hessen ins Sauerland schließlich kein allzuweiter Weg. Leider ist unser Lied jedoch in dem an Volksgut sonst so reichen Hessen nirgends bezeugt. In Hannover, Westfalen, Rheinland oder Hessen dürfte man füglich nach alten Fassungen dieser Ballade suchen, da ja auch der Weg, auf dem sie von Norden nach Süddeutschland eindrang, noch nicht geklärt ist 1 ). Immerhin k a n n auf einheitlichem Sprachraum ein Lied sehr wohl von einzelnen Wanderern auch zwischen entfernt liegenden Provinzen hin- und hergetragen werden. So verliert dieses Problem an Gewicht. § 22. Elemente aus anderen deutschen Balladen. Die deutschen Balladen stehen nicht so deutlich wie die schottischen unter der Einwirkung der Landschaft. Alle Fassungen halten sich im Umriß und innerem Charakter der Handlung streng an die dänischen Gegebenheiten. Der „Grausame Bruder" ist noch allzusehr Lehngut, um schon landschaftliche Besonderheiten angenommen zu haben. Wohl aber verraten einige eingedrungene Züge aus anderen deutschen Balladen, daß das fremde Gut auf seiner Wande7

) Aber vergl. oben S. 53 Anm. 4 (Red.).

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rung doch schon die Spuren deutschen Bodens anzunehmen begann. S o erleidet z . B . der grausame Bruder in der holsteinischen Fassung die gleiche S t r a f e wie der bestochene Wächter im „ A b e n d g a n g " (Meier 54). Beide werden a u f den Tisch gelegt und (ein T r i u m p h wollüstiger Grausamkeit) in kleine Stücke geschnitten „wie ein Fisch". Ähnlich ergeht es auch dem Mädchen in „ D e r W i r t i n T ö c h t e r l e i n " (Meier 5 8 ) : „Sie legten es auf einen Tisch, Zerschnitten es wie einen Wasserfisch. D i e entsprechende Strophe im „Grausamen B r u d e r " lautet: Sie legten den Grafen wohl auf den Tisch, Sie hauten ihn klein wie einen Fisch. D i e B a l l a d e „ D e r Hammerschmied" (Meier 5 6 ) , die von einem Bruder erzählt, der den Geliebten seiner Schwester ersticht, endet folgendermaßen: Dem, Hammerschmied läuten die Glocken nach, Dem Schusterknab' weinen die Kinder nach. Der Hammerschmied wird ins Grab gelegt, Der Schusterknab' wird aufs Rad gelegt. D e m entspricht genau der Schluß unserer Ballade, der in der sächsischen Fassung lautet: Christinchen wurde ins Grab gesenkt, Der junge Markgraf ans Rad gehängt; Christinchen wurden die Glocken geklungen, Den jungen Markgrafen die Raben verschlungen.



D i e zitierte Fassung von „ D e r W i r t i n T ö c h t e r l e i n " stammt aus einer deutschen W o l g a k o l o n i e , der „ A b e n d g a n g " von einem fliegenden B l a t t aus N ü r n berg und der „Hammerschmied" von der Mosel. § 23. W a n d e l der Auflassung. D i e westfälische Fassung aus dem Sauerland zeigt die W a n d l u n g v o m Dänischen zum Deutschen am offensichtlichsten. M i t dem liebenswürdigen B i l d des „ C h r i s t i n e k e n " , das am Feuer sitzt und das „nasse" Kindlein w ä r m t , h a t sie in e t w a ein eigeneres, bäuerlicheres Gepräge gewonnen als die anderen deutschen Fassungen. Schwester und Bruder werden hier nicht als h o h e S t a n d e s personen, sondern einfach als „ C h r i s t i n e k e n " und „Broder C o n r a d e s " bezeichnet. Das Rein-Menschliche der Beziehungen t r i t t damit in den V o r d e r g r u n d . Einzig der Liebhaber h a t seinen hohen gesellschaftlichen R a n g behalten; er bleibt der „ K u n n i g von E n g e l l a n d " . A u f diesen Zug konnte die B a l l a d e nicht verzichten, weil der hohe Adelsstand des Freiers ihr besonderes C h a r a k t e r i stikum ist und die Reue des Bruders erst hierdurch' 'begründet wird. A b e r die Pracht des Hintergrundes, die die dänischen und z. T . auch die deutschen F a s sungen durchblicken lassen, das königliche oder gräfliche Schloß, das Gefolge

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des Bruders, oder die Frauen, an die Christine ihre G a b e n austeilt, die goldbeschlagenen P f e r d e mit dem silbernen W a g e n , in dem sie davonfährt, — das alles fehlt hier. Z w a r schnürt auch dieser Conrades seine Schwester „in Side so schlank", — aber diese Seide ist alles, was v o n der Pracht der anderen V a r i a n t e n übriggeblieben ist. D i e niederdeutsche M u n d a r t mag nun noch das Ihrige dazu beitragen, daß man sich als H i n t e r g r u n d dieser Begebenheiten unfehlbar ein westfälisches Bauernhaus vorstellt, in dem Christineken bi dem Füre satt Un wärmde dat klene Kindekin

natt. (Str. 1)

D i e Leute, die hier auftreten, machen auch wie echte Niedersachsen keine großen Umstände miteinander. K o n r a d schickt nicht erst Boten an seine Schwester, sondern er k o m m t selber. E r k o m m t und ist da, und überzeugt sich und handelt. Das Gleiche tut der „ K u n n i g von E n g e l l a n d " . — D e r grausame Bruder behandelt (hier seine Schwester nicht etwa besser als in den anderen V a r i a n t e n , aber die Darstellung der Quälerei nimmt wenigstens nicht mehr soviel R a u m ein. 7) Bei slog Christinken drei Dag un drei Nacht, Bis dat er gen Leven me inne was. Das ist alles, was von Bestrafung und T o d der Christine berichtet w i r d : K u r z und unsentimental und, bei aller Grobheit, ohne Sadismus. U n d als der M ö r der zur V e r a n t w o r t u n g gezogen wird, da macht er keine Ausflüchte, sondern erklärt freimütig und unumwunden: „Christinken hebb ick tom D a u e slagen". D i e deutsche Version unterscheidet sich als Gesamterscheinung von der dänischen dadurch, d a ß ihr die Gestalt der K ö n i g i n Sophie fehlt, der „unde k v i n d e " , die all das Unheil, das geschieht, verschuldet und das Prinzip des Bösen schlechthin darstellt. D i e unbeliebte K ö n i g i n h a t t e in der erzählenden Überlieferung des dänischen Volkes allmählich die finstere Gestalt einer unheimlichen, fast außermenschlichen Unheilstifterin angenommen. Dadurch und durch das Runenzaubermotiv erhält die Ballade „ K o n g V a l d e m a r og hans S o s t e r " ihren dämonischen C h a r a k t e r , der der deutschen Version ganz und gar fehlt. Durch den Ausfall der Sophiengesta'lt wird im Deutschen die Schuld an Christinens U n t e r g a n g ganz auf den Bruder verlegt. V o r allem aber wird dieser Untergang nicht als aus der D ä m o n i e des Lebens selbst stammend glaubh a f t gemacht, sondern einzig aus der rohen und brutalen Veranlagung des Bruders und aus dem (rein äußerlich gesehenen) Zusammenstoß der Liebeserfü'llung mit den Sittengesetzen erklärt, — eine innere Vereinfachung (und auch V e r a r m u n g ) der Auffassung. I m „Grausamen B r u d e r " spiegelt sich der platteste Realismus, der den H ö r e r weder e r g r e i f t , wie die schottische, noch ä n g s t i g t , wie die dänische Version, — ja, die ihn kaum zu r ü h r e n vermag und höchstens seine N e u g i e r d e befriedigt.

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D . Die französische Ballade Les Tristes

Noces.

§24. Alle bisherigen Fassungen unseres Balladenstoffes entstammten dem germanischen Kulturkreis, und wir können füglich von vornherein annehmen, was im zweiten Teil dieser Arbeit noch besonders aufgezeigt werden wird: daß der Stoff im Germanischen seine Heimat hat. Dennoch müssen wir der Gerechtigkeit und der Vollständigkeit wegen auch den einzigen romanischen Zweig dieses vielfältigen Gewächses berücksichtigen: Die französische Ballade „Les Tristes Noces". [Doncieux-Tiersot 29], Da der T e x t nicht viel Raum beansprucht, kann er hier statt einer Inhaltsangabe vollständig wiedergegeben werden. 1. Qui veut ouïr chanson, Chansonnette nouvelle? Chante, rossignolet! Qui veut ouïr chanson, Chansonnette nouvelle? 2. C'est d'un jeune garçon et d'une demoiselle. Chante, rossignolet! etc. 3. Ont fait l'amour sept ans, sept ans sans en rien dire. 4. Mais au bout des sept ans, le galant se marie. 5. Au jardin de son pére y a un buisson d'orties. 6. En a fait un bouquet pour porter à s'amie:

7. "Tenez, m'ami', tenez,

voici la départie! 8. A une autre que vous Mon pére me marie." 9. "Celle que vous prenez est-elle bien jolie?" 10. "Pas si joli' que vous, mais el est bien plus riche" 11. "Vous quittez la beauté pour prendre la richesse!" 12. "La belle, en vous priant, viendrez-vous à mes nueces? 13. La belle, s'ous venez, venez-y donc bien propre." 14. La belle n'y a manqué, s'est fait faire trois robes: 15. L'une de satin blanc, l'autre de satin rose, 16. Et l'autre de drap d'or, pour marquer qu'el est noble.

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17. Du plus loin qu'on la voit: "Voici la mariée!" 18. "La marié' ne sui, je sui la délaissée." 19. L'amant, qui la salu', la prent par sa main blanche, 20. La prent pour faire un tour, un petit tour de danse. 21. Au premier tour qu'el fait, la belle tombe morte. 22. "0 belle, levez-vous! Voulez mourir par force? 23. Si mourez pour m'amour, moi, je meurs pour la vôtre!" 24. Il a pris son couteau, se le plante en les côtes. 25. Les gens s'en vont disant: "Grand Dieu, quels tristes nueces! 26. 0 les povres enfans, tous deus morts d'amourette!" Das T h e m a dieses französischen Liedes erinnert zunächst an eine andere schottische Ballade, „ L o r d T h o m a s and F a i r A n n e t " ( C h i l d 7 3 ) . I m M i t t e l p u n k t steht hier wie dort die verlassene B r a u t , die Schöne, die um einer häßlichen Reichen willen von ihrem Geliebten verlassen wird und die zu seiner Hochzeit erscheint. Diese Ähnlichkeit der beiden Balladen ist schon C h i l d aufgefallen, der (in der Einleitung zu N r . 7 3 ) , anders als später D o n c i e u x , den schottischen und skandinavischen Versionen vor den romanischen den Altersvorrang gibt. E r geht übrigens nicht näher auf diese romanischen Versionen ein, die er nur als ein „dünnes E c h o " der nördlichen ansieht. *) — Dies W o r t v o m „dünnen E c h o " d a r f m a n nicht in allzu absprechendem Sinne verstehen. „Les Tristes N o c e s " ist eine schöne, knappe, klare, durchaus eindrucksvolle B a l l a d e mit einer besonders edlen Melodie. Freilich steckt in diesem Liede keineswegs mehr die Leidenschaft beleidigter Liebe und tödlicher Rache, die sowohl die skandinavischen wie die englischen V a r i a n t e n von „ L o r d T h o m a s and F a i r A n n e t " auszeichnet, sondern eher eine sanfte Melancholie, die gleichwohl ihre — mehr lyrischen als dramatischen — R e i z e h a t . D i e Melodie und der Binnenrefrain " C h a n t e rossignolet" unterstreichen diesen melancholisch-lyrischen C h a r a k t e r , wie der konventionelle Eingang und Schluß mehr den epischen C h a r a k t e r hervorheben. "Weder C h i l d noch D o n c i e u x haben die Ähnlichkeit der französischen B a l lade mit „ F a i r J a n e t " bemerkt. E r s t W o l f g a n g Schmidt h a t mich d a r a u f hingewiesen. Es handelt sich in beiden Fällen erstens um eine von der Sippe erzwungene H e i r a t , zweitens um den T o d der Heldin beim T a n z m i t dem Geliebten, der bald danach gleichfalls stirbt. Z w a r ist es in " L e s Tristes N o c e s " "A southern ballad has something of the outline of the English and Norse, and sounds like a thin echo of them." (Child-Balladen, Einleitung zu Nr. 73). 63

der M a n n , der die traurige Hochzeit feiert, — nicht die Frau. Dieser Personenwechsel will aber nicht viel besagen, wenn man entdeckt, daß in einer anderen französischen Fassung, einem gwerz armoricain2), ebenfalls die F r a u , wie Fair Janet, einen ungeliebten Mann heiraten muß. Auf dem Brautzug zur Kirche begegnet sie der Bahre des Geliebten und stirbt, das Haupt auf seinen Knien.

2 ) de la Villemarqué, Barzaz-Breiz II: "Azénor la Pâle" und Luzel, Gwerziou Breiz-Izel: "Renée le Glaz".

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Zweiter

Hauptteil.

Untersuchung der Zusammenhänge: Wanderung und Wandlung. Im ersten Teil dieser Arbeit wurde versucht, die einzelnen Balladen fassungen, deren Zusammengehörigkeit zu e i n e m großen Stoffkreis zunächst einmal als vorausgesetzt galt, in ihrer Erscheinungsform darzustellen und zu beschreiben. Der zweite Teil soll nun diese vorausgesetzte Zusammengehörigkeit einer genaueren Prüfung unterziehen, die wesentlichen Veränderungen der abgeleiteten Versionen gegenüber der Grundversion feststellen und endlich aus den äußeren Veränderungen die — womögliche — innere Wandlung abzulesen versuchen.

A . Feststellung der Wanderungslinie. § 25. Grundtvigs Ansichten über die Priorität der dänischen Version. Grundtvig, dessen Kommentare durch ihren Weitblick immer wieder in Erstaunen versetzen, erwägt die Frage: Ist Dänemark wirklich die Heimat dieser Ballade? — Volksgut, das bei mehreren germanischen Völkern in gleicher Form verbreitet ist, läßt zur Erklärung seines Ursprungs verschiedene Hypothesen zu: Es ist entweder von altersher gemeingermanisches Eigentum, — oder es hat durch Wanderung von einem bestimmten Stammland aus die übrigen Gebiete allmählich erobert. — Wendet man diese Möglichkeiten auf den vorliegenden Fall an, so entsteht folgendes Bild: 1. Annahme: Es bestand in Dänemark, Schottland, Deutschland usw. von altersher ein Volkslied, das den Todestanz einer jungen Mutter zum Gegenstand hatte, — ein Lied ohne nachweisbare historische Verknüpfung. Die dänische Form weitete sich aus, indem sie die dänische historische Sage von König Waldemar und seiner Schwester Kirstin in das Lied aufnahm. 65

2. Annahme: Die Ballade ist eine poetische Einkleidung der dänischen Sage von "Waldemar dem Großen und seiner Schwester, also ein dänisches Volkslied aus frühestens dem 12. Jh., das auf dem Wege der mündlichen Tradition in andere Länder eingedrungen ist; je größer die Entfernung von der Heimat, desto größer auch die Entfernung vom historischen Hintergrund. Die erste Annahme lehnt Grundtvig ab; und zwar zieht er zum Beweis einen Vergleich zwischen der deutschen und der dänischen Version. Die deutsche hat nicht wie die dänische eine historische Sage „aufgenommen", stellt also nach obiger Theorie die ursprünglichere Form dar. Demnach müßte der „Königssohn von Engelland", der in allen deutschen Fassungen eine große Rolle spielt, auch ursprünglich eine der drei Hauptgestalten gewesen sein. In dänisch A — E und in der färöischen Fassung wird er nur genannt, und zwar im Dänischen als der vornehme Freier, dem der König seine Schwester versprochen hat, und im Färöischen, — fälschlich, — als der Verführer dieser Schwester. Einzig in dänisch F und schwedisch F tritt der englische Königs söhn handelnd auf, als Vater des Kindes und, in dänisch F, auch als Rächer. Dänisch F stellt überhaupt, wie bereits gesagt, die klarste Obergangsform dar zwischen den deutschen und dänischen Versionen. Nach der obigen Hypothese müßte demnach F die älteste dänische Fassung sein. Die Fassung G, die die Gestalt des Königssohns gar nicht bringt, müßte aber eine jüngere Stufe der Entwicklung darstellen, die bereits den wachsenden Einfluß des historischen Stoffes zeigt. — Die Aufzeichnung von G ist aber 50 J a h r e älter als die von A und 100 J a h r e älter als die von F. Das Alter der Aufzeichnung besagt allerdings für das absolute Balladenalter nicht immer etwas. Grundtvig legt ihm dennoch in diesem Falle einiges Gewicht bei, wahrscheinlich, weil das aus dem 16. J h . stammende Manuskript von G ein für Balladenaufzeichnungen verhältnismäßig sehr hohes Alter hat und weil der Altersunterschied der dänischen Manuskripte relativ ziemlich bedeutend ist. Es ist höchst unwahrscheinlich, daß ein historischer Tatbestand mit der Zeit im Volksbewußtsein an Klarheit zu- statt abnimmt und aus der Verschmelzung mit fremden Sagenstoffen allmählich deutlicher herauskristallisiert wird. Einen solchen unwahrscheinlichen Vorgang hätte man sich vorzustellen, wenn wirklich der reale historische Boris den märchenhaften Königssohn aus dem Liede verdrängt hätte, — wenn man nachträglich Waldemar dem Großen die Rolle des grausamen Bruders, der Prinzessin Kirstin die Rolle des deutschen Christinchens (o wunderbare Übereinstimmung der Namen!) zugeteilt hätte. Ebenso merkwürdig wäre der Umstand, daß die „ursprünglichere" Version, die deutsche, frühestens 1771 im Elsaß entdeckt wird, während es schon über zwei Jahrhunderte früher eine dänische Aufzeichnung des Liedes gibt, in der doch immerhin schon der N a m e Boris auftaucht. Viel wahrscheinlicher dagegen ist es, daß jener historische Boris später aus der Erinnerung des Volkes schwand und durch den „Königssohn von Engelland", eine unbestimmte rythisdhe Persönlichkeit, ersetzt wurde. („Engel66

land" ist, wie Grundtvig bezeugt, in der skandinavischen und deutschen Volkspoesie häufiger genannt, und zwar stets im Sinne einer rein mythischen Ortsangabe.) — Auch von König Waldemar wußte man schließlich nichts mehr, besonders als das Lied über die dänischen Grenzen hinauswanderte. Man setzte zuerst den zeitlich und räumlich näherstehenden Unionskönig Hans an seine Stelle — und dann, als schließlich jeder geschichtliche Zusammenhang überhaupt verloren ging, irgendeinen unbestimmten „Markgrafen vom Rhein" oder dgl. Die allmähliche Verblassung der Einzelheiten, auch in der Beschreibung der Umstände, deutet weiterhin auf die allmähliche V e r a l l g e m e i n e r u n g eines u r s p r ü n g l i c h h i s t o r i s c h e n Stoffes und läßt einen Denkprozeß, der den Weg umgekehrt sieht, logisch kaum zu. Diese Erwägungen finden wir in Grundtvigs Kommentar bereits angedeutet. Auch die deutschen Sammler (Müllenhoff, Erk, Meier) nehmen eine Einwanderung des Stoffes von Norden her an, ahne allerdings die Frage so eingehend zu prüfen wie Grundtvig. Die Grundtvigsche Beweisführung, die ich im vorstehenden noch ein wenig auszubauen versuchte, ist durchaus einwandfrei, bezieht sich aber m. E. nur auf den Vergleich zwischen der skandinavischen und der d e u t s c h e n Ballade. Es scheint mir zu gewagt, die schottische Version nun ohne weiteres in diesen Abhängigkeitskreis mit einzubeziehen, wenn nicht ihre Identität mit der dänischen Ballade eindeutig belegt werden kann. § 26. Die Abhängigkeit der schottischen Version von der dänischen. Der Zusammenhang aller Balladenvarianten des nordischen Umkreises, — also der dänischen, schwedischen, norwegischen, isländischen und färöischen, — leuchtet ohne weiteres ein; ebenso der Zusammenhang dieses Umkreises mit der deutschen Ballade vom „grausamen Bruder". Schwieriger wird das Problem, sobald es sich um die Einbeziehung der schottischen Fair-Janet-Ballade in den Waldemar-Kirstin-Kreis handelt. Grundtvig konnte in seinem Kommentar dieser Frage natürlich' nicht allzuviel Raum widmen. Er nimmt aber mit ziemlicher Bestimmtheit an, daß das schottische Lied mit dem dänischen zusammengehöre*). Als Beweis für diese Annahme macht er nur die Ubereinstimmung eines — allerdings gewichtigen — Hauptmotivs in beiden Versionen geltend: Eine junge Mutter tanzt sich zu Tode. Die Übereinstimmung eines Motivs allein genügt aber m. E. nicht, um die Identität zweier Balladen zu beweisen, wenn alle übrigen Umstände, wenigstens dem ersten Augenschein nach, so verschieden sind wie im vorliegenden Fall. Man muß schon die einzelnen Fassungen W o r t für W o r t einer genauen !) "Engelsk - eller, om man hellere vil: skotsk, da alle mig bekjendte Opskrifter tilhere Skotland — findes en Vise, som jeg, al Forskjellighet uagtet, antager for den samme som den her omhandlede." (DgF III, S. 74)

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Prüfung unterziehen, um weitere Motivgemeinschaften zwischen der dänischen und der schottischen Ballade herauszufinden. A u d i m ü ß t e man die Frage aufwerfen, ob das T a n z m o t i v in beiden V e r sionen wirklich den gleichen C h a r a k t e r trägt. — I m Dänischen wird die H e l din aufgefordert zu tanzen, weil sie im Verdacht steht, vor wenigen Stunden ein K i n d geboren zu haben, und weil mit diesem T a n z eine P r o b e ihrer U n schuld gefordert wird. I n der schottischen Version tritt der P r o b e - C h a r a k t e r des T a n z e s ein wenig zurück und k a n n sogar in zwei Fassungen (Sharpe und M o t h e r w e l l I ) ganz verschwinden. Immerhin wird aber in den übrigen 5 Fassungen, also in der M e h r z a h l , der erwähnte Verdacht gegen die H e l d i n erhoben und sie unmittelbar auf diesen Verdacht hin, also doch wahrscheinlich zur Probe, zum T a n z e aufgefordert. Z w a r f ü h r t in allen schottischen Fassungen dieser T a n z zum T o d e der H e l d i n . D a r i n unterscheiden sie sich von den dänischen V a r i a n t e n , in denen K i r s t i n unter der Peitsche ihres Bruders stirbt, — stimmen dagegen mit den isländischen und färöischen überein. S o gut wie die isländischen und färöischen Fassungen diesen neuen Zusammenhang zwischen T a n z und T o d bringen und dennoch eindeutig zur dänischen Version gehören, — so gut kann das Gleiche auch auf die schottische Version zutreffen. D e r E i n w a n d wäre damit erledigt und' die F r a g e nach der Ubereinstimmung beider T a n z m o t i v e im positiven Sinn 'beantwortet. Indem die H e l d i n im Schottischen nicht durch eine grausame Prügelstrafe, sondern durch den T a n z ihren T o d findet, rückt die schottische Version beson • ders in die N ä h e der isländischen und färöischen. — Aber auch zur G r u p p e der d ä n i s c h e n Balladen gibt es direkte Beziehungen. I n der Auffassung der Liebe springt zunächst z w a r der ungeheure U n t e r schied zwischen der dänischen und der schottischen Version ins Auge: K i r s t i n w i r d nur durch den Z w a n g eines Runenzaubers an Boris gekettet, — während J a n e t durch eine echte, im Seelischen begründete Liebe mit W i l l i e verbunden ist. — U n d dennoch: wenn man a l l e dänischen Fassungen berücksichtigt, so wird man finden, d a ß auch die dänische Auffassung in diesem P u n k t nicht völlig einheitlich ist, — d a ß nicht überall Boris und Kirstin nur durch kalten äußeren Zauber zueinander geführt werden. In den dänischen Fassungen D und E gleicht Boris schon viel mehr der Gestalt Willies. Eine aufrichtige Liebe zwischen K i r s t i n und ihm bildet hier überhaupt die Voraussetzung f ü r die Ballade. Als die K ö n i g i n ihm befiehlt, Kirstin zu verführen, weigert er sich mit der Begründung, d a ß e r sie als seine Herzlidbste achte und sie dereinst zu seiner G e m a h l i n zu machen h o f f e : D 20: "Forbiud dett Gud, ieg skulle dett giere! ieg acter hinde tili min hierttens-kiere." Sophie droht ihm mit dem Scheiterhaufen; er aber antwortet: 23: "Heller vill ieg i boelen brende, end ieg vill spilde den blomster skan. 68

24: Christ g i f f u e , ieg maatte saa vcerdig b l i f f u e : liden Kirstin maatte b l i f f u e min ecte-wiff!" Die Königin enthüllt ihm, daß der König gegen diese Verbindung ist, und unter dem Einfluß ihrer W o r t e wirbt er nun doch u m Kirstins Hingabe. Sie weist dies Ansinnen ab, und ihre "Worte v e r r a t e n mehr T r a u e r über den Geliebten als Entrüstung über einen Zudringling. Es heißt dann w e i t e r : D 32: üdgick her Boris med biegen kind: ä f f hierttens grund saa elskedt hand

hinde.

Boris geht bleich hinaus, denn er liebt sie aus Herzensgrund. Seine Leidenschaft ist entflammt, und Sophie h a t es nun leicht, ihn zur A n w e n d u n g des Runenzaubers zu bewegen. Das wichtigste Verbindungsglied mit der schottischen Version bildet die Geburtsszene in dänisch D und E. Kirstin l ä ß t nämlich, als sie die Geburtsstunde nahe fühlt, Boris zu sich rufen, um Abschied von ihm zu nehmen. Dieser Zug ist in den übrigen dänischen Fassungen nicht enthalten, erinnert d a gegen stark an die A r t und Weise, w i e sich J a n e t unmittelbar vor der Geburtsstunde an W i l l i e wendet. V g l . dänisch D 5 5 : "Gode natt, her Boris, min hierttens-kiere! wi findis ret aldrig i l i f f u e mere." mit schottisch A 6: "0 we maun pari this love, Willie, That has been lang between," und dänisch D 5 6 : Hand tog hinde listelig i sin arm: saa daanet de baadc ä f f hierttens harm. m i t schottisch C 6 : He's taen her in his arms twa, And kiss'd her, cheik and chin. — I m allgemeinen ist in den Fassungen D und E die Geburtsszene schon um ein Geringes ausführlicher behandelt als in A, B und C . H i e r i n könnte man einen weiteren Schritt in Richtung der schottischen Version erblicken. Grundtvig legt z w a r auf die Fassungen D und E, in denen das beschriebene wirkliche Liebesverhältnis zwischen Kirstin und Boris besteht, keinen besonders hohen W e r t , w e i l isie überarbeitet sind. Er bestätigt aber, d a ß sie echte Quellen haben; u n d darauf k o m m t es uns hier an. Es ist wahrscheinlich, d a ß die Quellen dieser Fassungen bereits die genannte Besonderheit enthielten, denn die erwähnten Stellen stimmen in beiden Fassungen, die doch verschiedene Bearbeiter hatten, ( I d e G j ^ e u n d S y v ) , überein, können also nicht erst der Bearbeitung ihr Leben verdanken. — Die wirklichkeitsnähere Vorstellung einer auf natürliche A r t entstandenen Liebe h a t sich in allen Fassungen, die zeitlich

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über dänisch A, B und C hinausgehen, wieder Bahn gebrochen,wie die deutsche und die schottische Version beweisen. — Die oben aufgezeigte Gemeinschaft zwischen dänisch' D und E scheint Grundtvig übrigens nicht bemerkt zu haben. Noch ein weiterer Berührungspunkt zwischen beiden Balladenkreisen fällt uns auf: Die Gestalt des Prinzen von England. Wir sahen, daß dieser Prinz von England in den Fassungen dänisch F und schwedisch F als Vater des Kindes und Rächer der Geliebten handelnd auftritt und daß er die gleiche Rolle in der deutschen Version innehat. Wir erkannten bereits, daß diese Verdrängung des historischen Boris durch den mythischen Prinzen von England nur eine später erfolgte Umwandlung des Stoffes sein kann. Aber der Keim dazu war bereits in den früheren Formen enthalten: Der Prinz von England stellt den Freier dar, der der Sippe der Heldin erwünscht ist. Daher die Reue Waldemars (bzw. des grausamen Bruders der deutschen Version), als er erfährt, daß der erwünschte vornehme Schwager gerade der Vater des Kindes gewesen ist, dessen Mutter er hingemordet hat! In den anderen Varianten nun erscheint auch schon diese Gestalt des erwünschten Freiers, allerdings nur am Horizont, als der "megtige Forste", dem Waldemar während seiner Kriegsfahrt die junge Kirstin versprochen hat und der in A 9 8 deutlich als Sohn des Königs von England bezeichnet wird. Wiederum ist es die Fassung D, die dieses Motiv besonders ausführt: D 12) En mectig forste baade skon och fin gaff hand liden Kirstin, soster sin. 13) Den gaff hand Kirstin-lille, soster sin: thi ingen anden künde vere hindis lige. 14) Hand var vell rig paa salff och guld, derthill baade hoffsk och dydefuld. 15) Bort gaff hand den litte skon Kirstin: dett viste icke nogen äff alle hans mend.

Diese kleine Episode besaß genug Lebenskraft, um der schottischen Ballade einen ganz neuen Hintergrund zu schaffen: Janets Hochzeit mit dem "southland lord", der ihr von der Sippe aufgezwungen wird. Der "southland lord" ist natürlich ein vornehmer Engländer, — wie die Finlay-Fassung bezeugt, sogar der König von England selbst, der um Janet wirbt und sie zur Königin machen will: G 1) "Will you marry the southland lord, A queen of fair England to be?"

Wer weiß, — vielleicht ist der englische Königssohn in der dänischen Ballade doch nicht einmal nur eine rein mythische Erscheinung, sondern es steht ein sehr greifbares dänisch-englisches Heiratsprojekt als historischer Anknüpfungspunkt im Hintergrund dieser Sage. Dies Projekt wurde durch' Kirstins Liebe zu ihrem Vetter Boris zerstört, und König Waldemars Zorn erscheint umso verständlicher. Leider wissen die Chronisten über diesen Punkt nichts zu berichten. 70

Das Motiv der Fürsorge für das Kind erscheint ebenfalls schon in der skandinavischen Ballade. Im Schottischen hat es sich so stark entwickelt, daß eine ganz neue Szene, die „Großmutterszene", daraus wurde. Der Zug, daß die junge Mutter ihre Kindsmägde entlöhnt, tritt daneben noch deutlich in Erscheinung. Wenn Janet auch nicht eigenhändig Gold und Silber an sie verteilt, wie Kirstin es tut, so gilt doch ihre letzte Sorge der Erfüllung dieser Pflicht, wenn sie (in der 2. Motherwell-Fassung) zu Willie sagt: "0 there's ihe key And pay well the And aye when ye Ye may aye think

of my coffer, nouriss fee. look on your auld son, on me." (D 17). —

Es ergibt sich also folgendes Resultat: Außer der großen Szene „Tanz und T o d " enthalten noch drei weitere Szenen starke Ähnlichkeiten zwischen der schottischen und der skandinavischen Version: 1) die Geburtsszene mit dem besonderen Umstand der Anwesenheit des Geliebten, 2) die Verlobung bzw. Hochzeit der Heldin mit einem englischen Fürsten, der ihr unbekannt ist und den sie nicht liebt, 3) die Sicherstellung der nächsten Zukunft des Kindes durch die Bezahlung der Kindsmägde. — Wenn zwei Balladen in so vielen, wichtigen und merkwürdigen Einzelheiten übereinstimmen, so kann das nicht auf bloßem Zufall beruhen. Ihre Zusammengehörigkeit, d. h. ihr Ursprung aus e i n e r Quelle ist damit deutlich genug erwiesen. Der skandinavischen Version gebührt vor der schottischen der Altersvorrang aus den gleichen Gründen wie vor der deutschen. Also kann man annehmen, daß diese beiden in den Hauptzügen von ihr entlehnt sind. § 27. Theorie über die "Wanderung der Ballade von Dänemark nach Schottland. Der Weg, den die Ballade von Dänemark über Schleswig-Holstein in die übrigen Teile Deutschlands genommen hat, liegt ziemlich klar vor uns. Etwas komplizierter wird die Frage, wenn es sich um ihre Einwanderung nach Schottland handelt. Ist diese Einwanderung über Island oder direkt von Dänemark aus erfolgt? — Für die Mittlerstellung der isländischen Version spricht der Umstand, daß hier Kirstin, ganz wie Fair Janet, durch den Tanz und nicht durch eine Prügelstrafe den T o d erleidet. Andererseits fehlt hier die Gestalc des Königs von England, so daß die Ableitung des "squthland lord" aus dieser Gestalt hinfällig würde. — Die schottische Balladentradition bietet allerdings genug Parallelfälle von ungeliebten Freiern, daß man auf eine außerschottische Ableitung dieser Gestalt im Notfalle verzichten könnte. — Dagegen fällt es m. E. schwerer ins Gewicht, daß ein Zug, den allein die isländischen, nicht aber die dänischen Fassungen enthalten, in der Fair-Janet-Fassung aus Perthshire wieder hervortritt: Der Vertreter der Sippe läßt die Heldin zu sich rufen unter dem Vorwand, daß seine Tage gezählt seien und er sie zum letzten Mal zu sprechen wünsche. Im Isländischen richtet der Bote an Kirstin aus: 71

"Köngrinn sendi bod med mer: bad pig koma og vera hjd ser. Hann hejir fengid hmttlegt sdr: hann hefir barizt vid Vintr-köng i dr. Hann beiddi pig skyndilega ad fara, ef pü vildir lifandi vid sig tala." ( A 3 1 — 3 3 ; B 2 8 , 2 9 , 3 0 ; C 1 6 — 1 8 ; D 15, 16, 1 7 ; E 2 3 — 2 5 ) . U n d in der Sharpe-Fassung redet eine Stimme zu J a n e t : A 1) "Ye maun gang to your father, Janet, Ye maun gang to him soon; Ye maun gang to your father, Janet, In case that his days are dune." Diese auffallende Übereinstimmung scheint mir eine direkte Beziehung der isländischen zur schottischen Ballade zu gewährleisten. Grundtvig, der bereits mit Vorsicht die womögliche Wanderungslinie andeutet, glaubt anscheinend ebenfalls an Islands Brückenstellung. E r spricht v o n einer Einwanderung der Ballade von D ä n e m a r k nach Schottland über die ursprünglich nordischen nördlichen Inseln. ( D g F I I I , S. 7 4 ) . M i t diesen nördlichen Inseln meint e r offenbar Island, die Färöer und die O r k n e y - I n s e l n . E r gibt seiner T h e o r i e folgende S t ü t z p u n k t e : 1) D i e Buchan-Fassung von „ F a i r J a n e t " ist aus N o r d Schottland. 2 ) D i e Melodie zur Herd-Fassung stammt, wie J a m e s J o h n s o n (Scots Musical Museum) mitteilt, von den Orkney-Inseln, — vielleicht also auch der Text. 3) D i e Sagenform des schottischen Liedes liegt der in den färöisch-isländischen Fassungen ausgedrückten skandinavischen Sagenform am nächsten, und z w a r in dem H a u p t p u n k t , der allein zurückbleibt: D i e junge M u t t e r t a n z t sich zu T o d e . — Gegen diese Beweisführung ist nichts einzuwenden. — Aber wie h a t m a n sich nun die W a n d e r u n g der Ballade von den Nordleuten zu den Schotten v o r zustellen? E i n e Ballade kann j a eigentlich nicht „ w a n d e r n " ; sie m u ß getragen werden. W e r w a r e n ihre T r ä g e r ? D i e O r k n e y - I n s e l n , die 875 von H a r a l d H a r f a g a r den Picten weggenommen wurden und bis 1 2 3 1 unter norwegischer Herrschaft blieben, waren noch bis Ende des 18. J h . zweisprachiges Gebiet, bis das Norwegische endlich unter dem ständigen Einfluß der schottischen Siedler ausstarb. Diese Inseln bilden demnach die sprachliche Brücke, auf der die W e i t e r g a b e der Ballade von V o l k zu V o l k ohne Verdolmetschung möglich war. M a n h a t also nicht nötig, sich die W e i t e r g a b e durch Berufsvortragende vorzustellen, die etwa von Fürstenh o f zu Fürstenhof gezogen wären, — unter Gebildeten, die beide Sprachen beherrschten. Dagegen spricht auch hauptsächlich die Fülle der grundverschiedenen Fassungen, die in Schottland entstanden. W e n n sich die norwegische Sprache so lange auf den Orkney-Inseln erhalten konnte, so m u ß die Besiedlung durch die N o r w e g e r einst sehr stark gewe-

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sen sein und das J a h r der "Wiedereinnähme der Inseln durch die Schotten ( 1 2 3 1 ) überdauert haben. Diese Norweger blieben als seefahrendes V o l k in ständiger Verbindung mit dem Mutterland und über die Färöer auch mit der alten isländischen Kolonie. So ist es denkbar, daß ihnen sowohl die isländische wie die (in norwegischem Gewand wenig abgewandelte) dänische Version der Kirstin-Ballade bekannt wurde. Als dann die Bewohner der Orkney-Inseln sich in Sprache und Sitte den schottischen Herren mehr und mehr anglichen, ging auch ihr altes nordisches Erzähl- und Liedgut in die neue Zunge über und wurde nach Schottland weitergegeben. Die Kirstin-Ballade verschmolz allmählich mit Motiven aus dem englisch-schottischen Balladenkreis und wandelte sichi im Laufe einer langen Entwicklung um zu dem, was uns heute in den verschiedenen Fassungen der Fair-Janet-Ballade vorliegt. Die Zwischenglieder sind verlorengegangen, weil sie nicht aufgezeichnet wurden. Man kann mit ziemlicher Bestimmtheit schließen, daß sich im größeren T e i l des in Frage kommenden Übergangsgebietes die i s l ä n d i s c h e Version durchgesetzt haben muß, weil sie zur Bildung der Fair-Janet-Ballade das wichtigste Moment, den Schluß, geliefert hat. Doch wird die dänische Version auch bekannt gewesen sein und zwar wahrscheinlich in den Fassungen D und E oder in nahestehenden norwegischen Varianten. Dadurch ließe sich das M o t i v der Hochzeit mit dem ungeliebten Freier in der Fair-Janet-Ballade erklären. Aus diesem Gedankengang geht bereits hervor, daß man nicht notwendig nur e i n e der schottischen Fassungen für die älteste und Ausgangsfassung halten muß. Es gab wahrscheinlich nicht nur ein, sondern mehrere Einfallstore der nordischen Ballade ins Schottische. Dabei bemerken wir, daß die Ballade nicht auf den schottischen Norden beschränkt 'blieb, sondern sich über ganz Schottland verbreitete. Und .zwar muß diese Verbreitung ziemlich f r ü h erfolgt sein, da die Einwirkung der einzelnen Landschaftstraditionen so sichtbar in Erscheinung tritt. Sie muß auch r a s c h erfolgt sein, da die SüdwestFassungen gegenüber den Varianten aus dem Norden durchaus keinen jüngeren Eindruck machen: Die Merkmale der alten skandinavischen Abstam mung finden sich über beide schottische Gruppen ziemlich gleichmäßig verteilt. D i e Auffassung des Tanzes als Unschuldsprobe erscheint in den Varianten H e r d , Motherwell I I , Kinloch, Buchan und Finlay; der "southland l o r d " tritt in der Motherwell I - , Kinloch- und Finlay-Fassung auf; die Bezahlung der Kindsmägde erfolgt wiederum in der zweiten Motherwell-Fassung. Man sieht also: D e r schottische Südwesten bietet sogar den Hauptanteil an „skandinavischen" Motiven. Das Gepräge der nordischen Abstammung ist jedenfalls in allen schottischen Varianten sehr stark verblaßt und die Eingliederung in den englisch-schottischen Traditionskreis weitgehend vollzogen.

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§ 28. Die Abhängigkeit der französischen Version von der schottischen. Welche Stellung nehmen nun die französischen Fassungen in dem erwähnten Zusammenhang ein? — Child und Doncieux haben, wie ich schon sagte, die "Tristes Noces" nur mit "Lord Thomas and Fair Annet" (Child 73) verglichen und sind dabei bezüglich der Priorität zu verschiedenen Ergebnissen gekommen. Child gibt der schottischen, Doncieux der französischen Ballade den Altersvorrang. Doncieux macht für das höhere Alter der französischen Version zwei Umstände als Beweise geltend: 1. Das Abschiedsstrauß-Motiv; "le bouquet de rupture, special au début des Tristes Noces, a tout l'air d'un trait primitif" (S. 376), 2. den Balladenausgang, der schlichter, natürlicher und weniger gewaltsam ist als in „Lord Thomas and Fair Annet". Mag man das Alter des Abschiedsstrauß-Motivs gelten lassen, so läßt sich doch gegen den zweiten Beweispunkt vieles einwenden. Das Schlichte, Natürliche ist nicht unbesehen und von vornherein als älter zu bezeichnen denn das Gewaltsame, Grausame. Auch das Gegenteil kann vorkommen, wie ja gerade der bisherige Verlauf unserer Untersuchung dargelegt hat, da die blutrünstige dänische Ballade deutlich ein höheres Alter verriet als die schlichte schottische. Wäre Doncieux die Ähnlichkeit der „Tristes Noces" mit unserer Fair-JanetBallade nicht entgangen, so hätte er bemerken müssen, daß sie ja ebenfalls den von ihm als alt gerühmten schlicht-erhabenen Ausgang hat. Darüber kann meines Erachtens kein Zweifel bestehen, daß „Fair Janet" älter ist als „Les Tristes Noces". Die schottischeVersion hängt durch dasWöchnerinnen-Motiv mit der skandinavischen, durch das Todestanzmotiv mit der französischen Version zusammen. Das erstere ist, wie aus der historischen Entstehungsgeschichte hervorgeht, das ältere. Die schottische Version besitzt es, die französische nicht. Jene steht also dem Ursprung näher als diese. Wahrscheinlich sind in der französischen Ballade zwei Themen miteinander verschmolzen, die im Englisch-Schottischen in zwei gesonderten Balladen gestaltet waren und von dort übernommen wurden. Ob nun die beiden schottischen Balladen ("Lord Thomas and Fair Annet" und "Fair Janet") einzeln oder schon in irgendeiner Verschmelzung auf französischen Boden gelangten, kann in diesem Zusammenhang nicht nachgeprüft werden.

§ 29. Zusammenfassung: Verbreitungsgeschichte der Kirstin-Ballade. Faßt man die bisher gewonnenen Ergebnisse zusammen, so stellt sich das Schicksal unseres Balladenstoffes folgendermaßen dar. Ein Ereignis aus der dänischen Geschichte wurde zum erzählenden Liede gestaltet, — es entstand die dänische Ausgangsfassung X, die wir nicht kennen. Sie enthielt wahrscheinlich (wie isländisch A, B, C) eine historisch glaubwürdige Entwicklung 74

der Liebe zwischen Kirstin und Boris und endete vermutlich mit der Strafe, die die historische Kirstin wirklich erlitten hat. — Diese Fassung X trieb mehrere Sprossen. Der eine wurde durch Seefahrer (vielleicht auch über Norwegen) nach Island verpflanzt. Dort blieb die historische Vorgeschichte der Liebe in den Fassungen A, B und C bestehen. In E erscheint sie bereits verkürzt und fällt in D ganz weg. Der Schluß wurde poetisch abgewandelt: Kirstin tanzt sich zu Tode. Auf dänischem Boden bildeten sich, wahrscheinlich durch Verpflanzung in verschiedene Gegenden, unterschiedliche Gruppen: Die eine ebenfalls, wie isStammbaum Vermutliche Orkney Enhtehungs- Frankreich Schottland Inseln jusit.

des Kirstin

Far6er

Island

-

Stoffes.

Dane/nark Afor»egrn Schweden